Sagen von der Ruhr


Sagen von der Ruhr

Die älteste Kohlengrube an der Ruhr

Nicht weit von Langenberg an der Ruhr hütete einmal ein junge die Schweine. Es war im Spätherbst, und der Wind wehte kalt. Da dachte der junge ein Feuer anzuzünden, um sich zu wärmen. Aus einem nahen Wäldchen schleppte er dürres Reisig herbei. Dann sah er sich nach einer Stelle für sein Feuerchen um. Am Fuße eines Baumes hatte eine Mutte, so nennt man dort die Sau, ein tiefes Loch gewühlt; das schien dem jungen die geeignete Stelle zu sein. Bald loderte ein helles Feuer empor.

Als der Schweinehirt seine Herde heimtrieb, brannte das Feuer noch immer, obwohl der Holzvorrat längst aufgebraucht war. Der junge wunderte sich sehr darüber. Am folgenden Morgen, als er die Schweine wieder zur Weide trieb, wunderte er sich noch mehr; denn das Feuer war noch nicht erloschen. Es erhielt sich aber nicht durch Holz, sondern durch schwarze Erde. Das erzählte der junge seinem Vater; der kam und fand in dem Loch zu seiner Freude gute Kohle. Er legte an dieser Stelle eine Grube an, die noch heute besteht. Sie ist das älteste Kohlenbergwerk an der Ruhr und führt den Namen »Op de Mutte«.

Der Affe zu Dhaun

Nicht weit von der Nahe, hoch über dem Tal des Simmerbaches, stand das im Mittelalter erbaute stolze Schloß Dhaun. Dort wohnten lange Zeit die Wild- und Rheingrafen, ein mächtiges und reiches Geschlecht. In den Ruinen ihrer alten Burg sieht man über dem Torbogen des Palastes ein wunderliches Bild. Es stellt einen Affen dar, der einem Kinde einen Apfel reicht. Über die Entstehung dieses Bildes berichtet die Sage.

An einem schönen Sommertage saß im Garten der Burg eine Wärterin mit dem kleinen Grafenkinde. Die Sonne brannte heiß hernieder, einschläfernd summten die Bienen in den Rosensträuchern; die Wärterin fiel in einen leichten Schlummer. Als sie erwachte, war das Kind verschwunden. Nachdem sie sich von dem ersten lähmenden Schrecken erholt hatte, suchte sie jammernd den weiten Garten und die ganze Gegend ab; doch sie fand nicht einmal eine Spur ihres Schützlings. In ihrer Verzweiflung lief sie in den Wald; denn sie getraute sich nicht mehr, ihrem Herrn vor die Augen zu treten. Da sah sie plötzlich nach langem Umherirren unter einem schattigen Baume das verlorene Kind. Es lag mit roten Bäckchen im weichen Moose und schlief. Neben ihm saß der gleichfalls schlafende Affe, den der Burggraf von einer Fahrt nach dem Morgenlande mitgebracht hatte. Überglücklich schloß die Wärterin das wiedergefundene Kind in ihre Arme und eilte zum Schlosse, wo sich Trauer und Klagen schnell in Freude und Jubel verwandelten.

Der Vater des Kindes ließ die seltsame Begebenheit in jenem Steinbilde am Torbogen festhalten.

Die sieben Schönen von Schönberg

Vor langer Zeit wohnten in der Burg Schönberg bei Oberwesel sieben biIdschöne Schwestern. Von nah und fern kamen tapfere Ritter, um als Freier ihr Glück bei ihnen zu versuchen; doch keiner ward erhört. Jahrelang verteilten die Spröden nur Körbe, die den damit Bedachten viel Spott und Hohn eintrugen.

Da geschah es einmal, daß der Zufall die abgewiesenen Freier zusammenführte. Sie verabredeten sich, dem Werben ein Ende zu machen, und sandten einen Knappen nach Schönberg mit der Botschaft: »Meine Herren lassen euch wissen: Wenn ihr nicht willens seid, sieben Bewerbern aus unserer Mitte das Jawort zu geben, dann werden wir nie wieder Schloß Schönberg betreten. Und auch unsere Freunde und Bekannten werden wir abhalten, jemals den Fuß über die Schwelle eurer Burg zu setzen.«

Über diese Botschaft lachten die übermütigen Schönen. Sie beschlossen, den aufgebrachten Freiern einen heilsamen Streich zu spielen, und luden sie für den folgenden Tag nach Schönberg ein. Als die Schar der Freier im Rittersaale versammelt war, kam eine Magd und berichtete: »Es ist der Wille meiner Herrinnen, sieben von den edlen Rittern als Gemahl anzunehmen. Über die Wahl soll das Los entscheiden.«

In einer silbernen Schale wurden die Lose hereingebracht. Und siehe, die ältesten und unansehnlichsten Freier zogen die Glückslose, die die Namen der Schwestern trugen. Die überglücklichen Gewinner beeilten sich, die Bräute zu begrüßen. Sie strichen schnell noch über Haar und Bart, zupften den Rock zurecht und begaben sich erwartungsvoll in das Frauengemach. Aber die Schwestern waren verschwunden. Nur fratzenhafte Bilder hatten sie zurückgelassen, um die Freier zu verhöhnen. Vom Ufer des Rheines herauf klang ihr spöttisches Gelächter. Sie stiegen eben in einen Kahn, um nach dem andern Ufer überzusetzen und auf einer Burg an der Lahn Wohnung zu nehmen. Ob sie dort angekommen sind, weiß man nicht. Noch heute bringt man ihr Verschwinden in Verbindung mit sieben Felsklippen im Rhein, die in ganz trockenen Sommern aus der Flut auftauchen. Zur Strafe für ihren Übermut sollen sie in dieses harte Gestein verwandelt worden sein.

Die Höhle bei Island

EIberfeld gegenüber liegt Island, das wohl älter sein mag, als die Stadt; oberhalb diesem Islande lag unten an der Wupper eine Höhle, in welcher vor alten Zeiten Zwerge, oder gespenstige Wesen gewohnt haben sollen. Diese Zwerge erschienen öfter vor Zeiten den Menschen, zeichneten sich durch Reinlichkeit und Anstand aus und litten nicht, daß sich in ihrer Nachbarschaft etwas Unehrenhaftes oder Unanständiges zutrug. Als die Stadt Elberfeld schon bedeutend angewachsen war, und die kleine Schlucht in der Nähe der Höhle vielen Bürgern ob des Schattens der hohen Eichen und durch die Kühle des fließenden Bächleins zum Erholungsgange diente, begegnete man auch dorten öfter den seltenen Wesen. Es leuchtete nun auch manchen Liebesleuten ein, welche geheimen Umgang miteinander pflogen oder pflegen wollten, daß diese Stelle, welche zahlreiche Verstecke bot, für sie eine recht günstige sei. Sie gaben sich daher dort wohl Stelldichein, allein so oft sie indessen zu Vertraulichkeit übergehen wollten, regnete es von allen Seiten dermaßen von Steinen auf das Paar, daß sie nicht anders als rasch sich durch die Flucht entziehen konnten. Wenn sich auch dieser oder jener Bursche zur Verteidigung seines Schätzchens anschicken wollte, so konnte er nirgends einen Feind finden, setzte er sich allenthalben den Steinwürfen aus und stolperte nicht selten durch Stäbe, die ihm zwischen die Beine gerieten und ihn in Pfützen und Dornen warfen. Zuletzt wagte sich niemand mehr in unlautern Absichten in die Schlucht, und so ward diese von allem schlechten Volke gemieden.

Der Schmied und die Zwerge von Müngsten

Bei Müngsten im Wuppertal wohnten Zwerge in steilen Felsen auf dem rechten Ufer des Flusses. Einmal kam um Mitternacht ein Hammerschmied vom Wirtshaus des Weges daher. Als er in die Gegend der Zwerglöcher gelangte, blieb er verwundert stehen; er hörte ganz deutlich helles Lachen und Jauchzen. Und da sah der Schmied auch schon im Mondschein die kleinen Kerlchen zwischen den Bäumen und Felsen herumspringen; manche warfen vor Vergnügen ihre Mützen in die Luft und fingen sie wieder auf, andere tanzten lustig das Flußufer entlang. Auf einmal gab’s ein lautes Jammern. Einem der kleinen Schelme war die Mütze in die Wupper gefallen, alle rannten hin und sahen entsetzt, wie das Käppchen fortschwamm. Was sollte der Arme machen? Ohne seine Mütze war er ja kein richtiger Zwerg mehr! Das tat nun dem guten Hammerschmied leid; er stieg ins Wasser, fischte die Mütze heraus und gab sie dem Zwerg, der sich sehr darüber freute.

Der Schmied ging nun nach Hause, stellte sich noch Roheisen an den Amboß zurecht, weil er früh an die Arbeit gehen mußte, und legte sich dann zu Bett. Als er aber am andern Morgen die Schmiede betrat, fand er statt des Roheisens den schönsten Stahl vor. Und das ging nun so fort, Nacht für Nacht; bald war er der wohlhabendste Mann in ganz Remscheid. Aber die Neugierde, wie das mit dem Eisen zuging, ließ den Mann nicht ruhen.

Eines Abends versteckte sich der Schmied hinter dem Blasebalg; bald hörte er auch ein feines Geräusch, und herein kam der Zwerg, dem er damals geholfen hatte, mit einem Schurzfell angetan, eine silberne Lampe in der Hand. Der Schmied mußte sich bemühen still zu sein, um nicht loszuplatzen, so spaßig sah der kleine Mann aus. Nun holte der Zwerg sein Hämmerchen aus dem Schurzfell und fing an zu hämmern. Die Schläge hörte man kaum, aber das Eisen dehnte sich wie Wachs, und in wenigen Stunden lag der Stahl fertig da.

Nun wollte sich der Hammerschmied auch nicht lumpen lassen; er bestellte bei dem besten Schneider ein goldgesticktes Wämschen für seinen kleinen Gesellen und legte es ihm am Abend, fein verpackt, hin. Das Männchen kam, öffnete vorsichtig das Paketchen und lachte übers ganze Gesicht vor Freude. Schnell hatte es sein graues Röckchen aus- und das neue angezogen, besah sich von oben bis unten und rief: »Wat brukt en Jonker te schlipen, de en ruaden Rock anhett?«, und ließ sich seitdem nicht mehr sehen.

Einstens sind Zwerge öfters bei Schmieden und anderen Arbeitern eingekehrt und haben ihnen geholfen. Leider sind diese Zeiten verklungen!

Die kegelschiebenden Bauern

Auf dem Kreuzwege zwischen Mettmann und Lüttges kegeln häufig in der Nacht verschiedene Bauern, welche zu ihren Lebzeiten auf einer benachbarten Kegelbahn regelmäßig Kegel zu schieben pflegten. Bei diesem Kegeln geht es selten ohne Streit und Zank ab. Die Bauern nehmen ihre Schädel als Kegelkugeln und Arm- und Beinknochen müssen die Stelle der Kegel vertreten.

So sind sie oft von nächtlichen Wanderern gesehen worden.

Die wunderbaren Äpfel

Zwei Burschen aus dem Dönberg gingen an einem Sonntagmorgen zur Kirche nach Langenberg. Das pflegten sie häufig zu tun, und gewöhnlich nahmen sie ihren Weg durch den Hof »am Stein«. Dort dienten zwei Mägde, welche ihnen befreundet waren, und welche sie häufig besuchten. Als sie nun durch den Hof schritten, rief die eine Magd ihrem Schatz ein freundliches »Guten Morgen, Peter« zu; und die andere rief frohen Mutes: »Guten Morgen, Wilhelm! « Das taten sie aber, um die Männer für den Abend zum Besuch einzuladen. Nach dem Gruß boten die Mädchen den beiden je einen Apfel an. Dankend steckte jeder seinen Apfel in die Rocktasche und gingen alsdann ihres Weges weiter.

Als sie auf dem Rückweg von der Kirche begriffen waren, aß der eine Bursche seinen Apfel, während der andere ihn in der Tasche ließ. Den Rock hing er am Abend an die Wand und vergaß den Apfel.

Es dauerte nun einige Tage, da hörte er, daß sein Freund erkrankt sei. »Du mußt doch einmal nachsehen, was ihm fehlt«, denkt er, nimmt seinen Rock von der Wand und macht sich auf den Weg. Wirklich lag Peter schwer krank darnieder. Die Nachbarn munkelten aber, er sei behext. Wieder andere behaupteten, er sei vom Teufel besessen. Alle stimmten aber darin überein, daß der junge, blühende Mann nicht von einer natürlichen Krankheit betroffen worden sei. Kaum war man aber zu dieser Erkenntnis gelangt, so eilte man nach Neviges zum Kloster und teilte dem Pater Crementines den ganzen Vorfall mit. Crementines ließ sich nicht lange bitten und ging sofort mit zum Hause des Kranken. Er erkannte sogleich, daß er bezaubert sei. Er gab ihm das mitgebrachte Heiligtum zu essen. Kaum hatte der Kranke dies genossen, als er sich erbrach; aber eine große Kröte fuhr ihm aus dem Halse.

Als Wilhelm nach Hause kam, dachte er wieder an seinen Apfel. Er griff in seine Rocktasche und zog ebenfalls eine große Kröte hervor.

Der gebannte Teufel

Auf einem Hofe bei Langenberg lebte einmal ein alter Mann mit seiner Frau. Er besaß eine Lintsgetau (Bandstuhl zur Herstellung von Leinenband) und ließ darauf seine Enkelkinder, namentlich einen jungen Mann, arbeiten. jedesmal, wenn der Alte heimkam, schimpfte und fluchte er über die Kinder, daß sie nicht fleißig genug gewesen seien. Einst wünschte er sogar, der Satan möge sie alle holen.

Einige Tage darnach wütete der Alte wieder gegen die Kinder, schlimmer, denn je vorher. Als sich nun der junge an die Arbeit machen wollte, fielen die Gewichtskästen des Bandstuhls laut dröhnend zur Erde, und die Nägel seiner Finger wurden ganz schwarz. Es war nun kein Zweifel mehr: der Böse war im Hause. Bald machte er sich auf alle Weise bemerkbar. Mit jedem Tag wurde sein Auftreten schlimmer. Als alles nichts half, wandte man sich nach dem Kloster Hardenberg, an den großen Teufelsbanner Pater Crementines. Der kam denn auch und trat betend in die Stube. Als er weiter in die Stube hineinschritt, bedächtig und laut betend, da erhob sich im nebenanliegenden Arbeitszimmer lautes Gebrüll, als wenn ein Löwe sich vernehmen läßt. Doch der Pater ließ sich nicht schrecken und schritt beherzt auf das Gemach zu. Da schrie aus diesem eine Stimme: »Hebe dich fort, du bist ein Dieb!« Aber auch hierdurch ließ sich der geistliche Herr nicht beirren und setzte sein Werk fort. Der Gottseibeiuns wurde aus dem Hause verwiesen und unterhalb des Hauses in einen Siepen verbannt. Dort machte er sich in der Folgezeit noch oft bemerkbar. Aber mit jedem Jahre kommt er wieder einen Hahnenschritt dem Ort seiner einstigen Tätigkeit näher.

Das Riesen-Spielzeug

Auf der Burg Nideck, die an einem hohen Berg bei einem Wasserfall liegt, waren die Ritter vorzeiten große Riesen. Einmal ging das Riesen-Fräulein herab ins Tal, wollte sehen, wie es da unten wäre und kam bis fast nach Haslach auf ein vor dem Wald gelegenes Ackerfeld, das gerade von den Bauern bestellt ward. Es blieb vor Verwunderung stehen und schaute den Pflug, die Pferde und Leute an, das ihr alles etwas neues war.

»Ei«, sprach sie, und ging herzu, »das nehm ich mir mit.« Da kniete sie nieder zur Erde, spreitete ihre Schürze aus, strich mit der Hand. über das Feld, fing alles zusammen und tat’s hinein. Nun lief sie ganz vergnügt nach Haus, den Felsen hinaufspringend, wo der Berg so jäh ist, daß ein Mensch mühsam klettern muß, da tat sie einen Schritt und war droben.

Der Ritter saß gerad am Tisch, als sie eintrat. »Ei, mein Kind«, sprach er, »was bringst du da, die Freude schaut dir ja aus den Augen heraus.« Sie machte geschwind ihre Schürze auf und ließ ihn hineinblicken. »Was hast du so Zappeliches darin?« »Ei Vater, gar zu artiges Spielding! so was schönes hab ich mein Lebtag noch nicht gehabt.« Darauf nahm sie eins nach dem andern heraus und stellte es auf den Tisch: den Pflug, die Bauern mit ihren Pferden; lief herum, schaute es an, lachte und schlug vor Freude in die Hände, wie sich das kleine Wesen darauf hin und her bewegte. Der Vater aber sprach: »Kind, das ist kein Spielzeug, da hast du was schönes angestiftet! Geh nur gleich und trags wieder hinab ins Tal.« Das Fräulein weinte, es half aber nichts. »Mir ist der Bauer kein Spielzeug«, sagt der Ritter ernsthaftig, »ich leids nicht, daß du mir murrst, kram alles sachte wieder ein und trags an den nämlichen Platz, wo du’s genommen hast. Baut der Bauer nicht sein Ackerfeld, so haben wir Riesen auf unserm Felsen-Nest nichts zu leben.«

Die Pferde aus dem Bodenloch

Richmuth von Adocht, eines reichen Bürgermeisters zu Köln Ehefrau, starb und wurde begraben. Der Totengräber hatte gesehen, daß sie einen köstlichen Ring am Finger trug, die Begierde trieb ihn Nachts zu dem Grab, das er öffnete, Willens den Ring abzuziehen. Kaum aber hatte er den Sargdeckel aufgemacht, so sah er, daß der Leichnam die Hand zusammendrückte und aus dem Sarg steigen wollte. Erschrocken floh er. Die Frau wand sich aus den Grabtüchern los, trat heraus und ging geraden Schritts auf ihr Haus zu, wo sie den bekannten Hausknecht bei Namen rief, daß er schnell die Türe öffnen sollte und erzählte ihm mit wenig Worten, was ihr widerfahren. Der Hausknecht trat zu seinem Herrn und sprach: »Unsere Frau steht unten vor der Türe und will eingelassen sein. « »Ach«, sagte der Herr, »das ist unmöglich, eh das möglich wäre, eher würden meine Schimmel oben auf dem Heuboden stehen! « Kaum hatte er das Wort ausgeredet, so trappelte es auf der Treppe und dem Boden und siehe, die sechs Schimmel standen oben alle beisammen. Die Frau hatte nicht nachgelassen mit Klopfen, nun glaubte der Bürgermeister, daß sie wirklich da wäre; mit Freuden wurde ihr aufgetan und sie wieder völlig zum Leben gebracht. Den andern Tag schauten die Pferde noch aus dem Bodenloch und man mußte ein großes Gerüste anlegen, um sie wieder lebendig und heil herabzubringen. Zum Andenken der Geschichte hat man Pferde ausgestopft, die aus diesem Haus zum Boden herausgucken. Auch ist sie in der Apostelkirche abgemalt, wo man überdem einen langen leinenen Vorhang zeigt, den Frau Richmuth nachher mit eigner Hand gesponnen und dahin verehrt hat. Denn sie lebte noch sieben Jahre.

Das Bäumchen zu Ürdingen

Zu Ürdingen wurde eine arme Magd eines schweren Verbrechens angeklagt. Aber obwohl sie ihre Unschuld mit heiligen Eiden beteuerte, wurde sie doch dazu verurteilt, im Kerker Hungers zu sterben. Als sie weggeführt wurde, rief sie den Richtern zu: »Zum Zeichen dafür, daß ich unschuldig bin, wird ein Bäumchen aus meinem Grabe wachsen, das wird nicht vergehen, was ihr auch anstellen möget, es zu zerstören. Dann wird es zur Reue für euch zu spät sein.« Drauf brachte der Büttel sie in den Gefängnisturm am Neutor der Stadt.

Die Ürdinger hatten die arme Magd und ihr Schicksal fast schon vergessen, da wuchs aus der Mauer ihres Kerkers ein Bäumchen hervor; das vermochten weder Wind noch Wetter noch Menschenhand zu vernichten. Es grünte und blühte Jahr um Jahr, bis das Neutor abgetragen wurde.

Der Rheingrafenstein

Auf dem Rheingrafenstein, einem stellen Felsen an der Nahe, stand in alten Zeiten eine gewaltige Burg, die war nicht von Menschenhänden erbaut; sie war vielmehr des Teufels Werk.

Einer der Grafen von der Kauzenburg in Kreuznach schloß nach einer durchzechten Nacht mit dem Bösen diesen Vertrag: »Ich, der Teufel, werde auf dem Rheingrafenstein in einer einzigen Nacht ein Schloß erbauen und es dem Ritter von der Kauzenburg schenken. Dafür soll die Seele des ersten, der aus einem Fenster des Schlosses schaut, mir gehören.«

Als nun das Bauwerk wider alles Erwarten am andern Morgen vom hohen Felsen stattlich emporragte, da ward es dem Ritter angst und bange; ja, er wollte gar nicht in die Teufelsburg einziehen. Die Gräfin aber machte ihm Mut. Ruhig ritt sie den Felspfad hinauf, gefolgt vom Burgkaplan; zögernd kam der Graf mit seinen Rittern und Mannen hinterher. Als der Teufel, der in Gestalt eines großen Raubvogels auf dem Dachfirst saß, den Geistlichen sah, da lachte ihm das schwarze Herz im Leibe, dachte er doch, jener werde ganz sicher seine Beute werden.

Doch der kluge Teufel hatte sich diesmal gründlich verrechnet. Die Gräfin setzte Frauenlist gegen Teufelslist, und es gelang ihr, den Vater der Lüge zu prellen. Sie ließ einen Esel in den Rittersaal bringen, bekleidete ihn mit des Kaplans Sutane und schwarzem Käppchen und ließ ihn dann zum Fenster hinausschauen. Mit wilder Freude stieß der Teufel auf sein Opfer nieder und trug es in den Krallen davon. Doch hoch in den Lüften begann das Grautier aus allen Kräften sein angsterfülltes I-a, I-a zu schreien. Nun erkannte der Teufel, daß er sich hatte übertölpeln lassen. Mit einem entsetzlichen Fluch ließ er den Esel los, der beim Aufprall auf den Felsen zerschmettert wurde.

Der Traum vom Glück auf der Brücke zu Koblenz

Ein Bewohner des am Hochwald gelegenen Dorfes Alt-Rinzenberg, hatte einst drei Nächte hintereinander den gleichen Traum; eine Stimme rief ihm zu:

Zu Koblenz auf der Brück‘
Da blüht dir dein Glück.

Als der Mann den Traum seinen Verwandten erzählte, drangen diese so lange in ihn, bis er sich nach Koblenz aufmachte, um das Glück zu suchen. Dort begab er sich sofort auf die alte Moselbrücke, an der das Kur-Trierische Schloß stand, und ging hier auf und ab, das Glück erwartend, das sich aber nicht einstellen wollte. Eben gedachte er – denn es war schon gegen Abend – voll Ärger über die unnötigen Ausgaben und die beschwerliche Reise wegzugehen, als ein Soldat, der auf der Brücke Schildwache stand, auf das sonderbare Gebaren des unruhig hin- und hergehenden Bauern aufmerksam wurde, ihn anredete und fragte, was er eigentlich hier suche.

»Ach«, erwiderte der Bauer, »da träumte mir dreimal hintereinander:

Zu Koblenz auf der Brück‘
Da blüht dir dein Glück.

Und nun laufe ich schon den ganzen Tag hier auf und ab, aber vom Glück habe ich noch nichts gesehen.«

Da lachte der Soldat und sagte: »Auf Träume darf man überhaupt nichts geben; da träumte ich immer: In Rinzenberg steht in einer alten, zerfallenen Zisterne ein Kessel mit Gold. Aber soviel ich auch gefragt habe, kein Mensch kann mir erklären, wo Rinzenberg liegt, das gibt’s ja gar nicht.«

»Ah«, dachte der Bauer, »bläst der Wind daher! Jetzt weiß ich genug.« Er verabschiedete sich schnell und machte sich auf den weiten Heimweg. Zu Hause fand er den Schatz richtig an der bezeichneten Stelle, hob ihn und erbaute weitab von seinem Dorf, am Eberswalde, nahe bei dem damals berühmten Sauerbrunnen, drei schöne Häuser und gründete so Neu-Rinzenberg, das unter dem Namen Rinzenberg heute noch besteht, während Alt-Rinzenberg verfiel und bald völlig verschwunden war. Im Volk will man noch die Stelle genau wissen, wo der Weiler einstens gestanden war.

Der Schäfer am Pulvermaar

In alter Zeit zogen alljährlich in den ersten Frühlingstagen die Bauern aus den Dörfern am Pulvermaar um den See und flehten betend und singend den Segen Gottes auf ihre Fluren herab. Aus Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit unterblieb einmal der fromme Bittgang. Da geriet das Wasser des tiefen Kessels in Bewegung; wie von unterirdischen Feuern erhitzt, wallte es auf, stieg höher und höher und drohte über die Ufer zu treten. Unheimlich grollte und dröhnte es aus der Tiefe, und die Erde erbebte im weiten Umkreis.

Ein Schäfer, der in der Nähe seine Herde hütete, gewahrte voll Schrecken das nahende Verderben. Sein frommer Sinn sagte ihm sogleich, daß Gottes Strafgericht drohe, weil die Dorfbewohner vom frommen Väterbrauch abgewichen waren. Um das Versäumte nachzuholen, steckte er seinen Hut auf den Hirtenstab und zog, gefolgt von seinen Schafen, mit Gebet und Gesang um den See. Alsbald beruhigte sich die zürnende Flut, mehr und mehr trat sie zurück, und als der Schäfer den Umgang beendet hatte, lag der Wasserspiegel wieder ruhig und friedlich wie sonst an stillen Frühlingstagen.

Der goldene Pflug

in Inneren des Berges, der die Ruinen der stattlichen Burg Neuenahr trägt, waren in alter Zeit viele Schätze verborgen. Dazu gehörte auch ein goldener Pflug, der in dem heute verschütteten Schloßbrunnen lag. Ein Bauer, dem das Arbeiten schwer fiel, und der doch gern ein Leben geführt hätte wie die adligen Herren auf ihren Burgen, wurde einmal um die Mitternachtsstunde von einem Zwerge an den Rand des Brunnens geführt. Der Kleine sprach: »Du weißt, daß auf dem Grunde dieses tiefen Schachtes ein goldener Pflug liegt. Grabe in der nächsten Vollmondnacht danach. Dort unter jenem Haselstrauch liegt ein Stein, der den Brunnen verdeckt. Heb ihn auf und lasse eine Angel hinab, dann wirst du den Schatz bergen und ein reicher Mann sein. Doch darf dabei kein Laut über deine Lippen kommen, sonst werden die Erdgeister den Schatz nicht hergeben!«

Der Bauer merkte sich die Stelle genau und traf alle Vorbereitungen, um den goldenen Pflug ans Tageslicht zu bringen. Er verhielt sich in diesen Tagen so schweigsam, daß es seinem redseligen Weibe nicht gelingen wollte, auch nur ein einziges Wort aus ihm herauszubringen. Endlich war der Mond voll geworden, und der Schatzgräber ging um die Mitternachtsstunde an die Arbeit. Er hieb den Haselstrauch ab und schob den Schlußstein des Brunnens beiseite. Aus der Tiefe strahlte ihm ein heller Schein entgegen. Behutsam ließ er die Angel, die er mitgebracht hatte, an einer langen Schnur bis auf den Grund des Schachtes hinab und zog sie dann langsam und schweigend nach oben. Wild klopfte da sein Herz vor Freude; denn er merkte, daß ein schweres Gewicht an der Angel hing. Höher und höher stieg der kostbare Schatz, noch einige Augenblicke, so dachte der Bauer, und er würde ihn sein eigen nennen. Doch plötzlich sah er einen feurigen Ritter vor sich, der ihm drohend sein blitzendes Schwert entgegenstreckte. Mit einem gellenden Schrei sprang er zurück, und der goldene Pflug stürzte wieder in die Tiefe. Ganz verstört eilte der Zitternde nach Hause. Als er in der nächsten Vollmondnacht einen zweiten Versuch machen wollte, in den Besitz des Schatzes zu gelangen, da war jede Spur des Brunnens verschwunden.

Das Gnadenbild zu Klausen

Nicht weit von dem langgestreckten Brauneberg, näher noch dem Moselflecken Piesport, liegt der Wallfahrtsort Klausen.

Zu jener Zeit, als der gelehrte Nikolaus Cusanus schon ein berühmter Mann der Kirche und der Wissenschaft war, lebte im Dorfe Esch an der Salm ein frommer Bauer namens Eberhard. Dieser hatte eine besondere Andacht zur Muttergottes; einmal träumte ihm dreimal hintereinander, er müsse der Gottesmutter ein Haus bauen. Man schenkte ihm auch in Trier ein Bild der schmerzhaften Mutter Jesu, ein Glöckchen und einen Leuchterstock. Dann baute er eine kleine Kapelle und sich selbst eine Hütte dabei. Bald erzählte man auch von allerlei Wundern, die dort geschehen sein sollten; der Gnadenort bekam Zulauf, und Eberhard begann eine Kirche zu bauen.

Eben damals kam auf einer Reise durch Deutschland der Kardinal Cusanus nach Trier. Als er von den Wundern bei Eberhards Klause erfuhr, meinte er, dies könne nicht mit rechten Dingen zugehen; er reiste hin, schalt den Bauern gehörig wegen seines törichten und abergläubischen Treibens und verbot ihm, mit dem Bau fortzufahren.

Als der Kardinal aber weitergereist war und sich in Koblenz bei seiner Schwester aufhielt, wurde er schwer krank. Da hielt ihm seine Schwester vor, er habe vielleicht die Jungfrau Maria böse gemacht, indem er dem Klausner verbot, die Kirche auszubauen. Nun fiel dem Kardinal sein unwirsches Gebaren gegenüber dem frommen Bauersmann schwer aufs Herz; er schickte Boten aus und ließ Eberhard mitteilen, er solle nur weiterbauen; ja, er versprach ihm noch Beihilfe dazu. Bald darauf wurde der Kardinal wieder gesund und konnte seine Reise fortsetzen. Auch der Klausner Eberhard nahm sein Werk wieder auf, und die Bauern aus der Nachbarschaft halfen ihm eitrig dabei.

Nun wollte ihnen Eberhard dafür etwas zugute tun und ließ, da es sehr heiß war, ein Fäßchen Wein von der nahen Mosel holen. Aber das war für die vielen Arbeiter nicht groß genug gewesen, deshalb ging der Wein bald aus. Der fromme Mann hatte zwar einen Boten um ein zweites Fäßchen geschickt, aber dieser blieb lange aus.

Als Eberhard nun sah, wie seine Leute Durst litten, eilte er zu dem Gnadenbild und bat: »Meine liebe himmlische Magd! Ich habe das meinige getan, die Reihe ist jetzt an Dir. Hilf mir und den Meinen in dieser Not!« Und wirklich, die himmlische Magd hatte das Gebet des frommen Klausners erhört, das Fäßchen war mit einemmal wieder gefüllt.

Das Volk aber erzählt, das Wunder sei weitergegangen. Als das Fäßchen lange, lange nicht leer geworden war, kam Eberhard ein Zweifel, wie lange es noch so fortgehen könne, und neugierig untersuchte er mit einem Maßstab, wieviel Liter noch im Faß seien. Im selben Augenblick aber hörte zur Strafe für seinen Zweifel das Fäßchen zu laufen auf.

Heute noch wünscht sich mancher, wenn ihm zum heißen Tagewerk der Trunk abgeht, »Eberhards Fäßchen«, so sagen die Moselländer Landsleute.

Die untergegangene Stadt Gression

Als an der Duffesmaar bei Gelch einmal ein Bauer beim Pflügen an etwas Hartes im Boden stieß, so hart, daß der Pflug davon zerriß, fing es an zu läuten; er grub nach und fand die Spitze eines Kirchturmes von Gression. Sofort warf er Erde in das Loch, denn es soll nicht gut sein, in die Geheimnisse einer versunkenen Stadt einzudringen. Einen guten Teil unseres linksrheinischen Niederlandes muß in alten Heidenzeiten einmal diese große Stadt Gression bedeckt haben. Auf dem Rott, einer Flur bei Gürzenich, haben ihre Festungswerke on Poeze (Pforten, Tore) gestanden, aber auch »ein Poezefähld« bei Langerwehe, wie schon der Name besagt; die Marktplätze der Stadt lagen in Düren, wo heute das Muttergotteshäuschen steht, bei Birgel auf dem »Mahdberg« (was also nichts anderes als Marktberg bedeutet) und in der »Duffesmaar« bei Geich. Auch bei Berzbuir, wo es heißt »de ahl Kerch«, und im »Kirchwasser« bei Merken sollen solche Kirchen von Gression versunken sein, oder richtiger Heidentempel, denn auch an der Stelle mancher alten Pfarrkirche, wie der zu Langerwehe und zu Pier, standen solche Tempel. Und bei letztgenanntem Orte im Schlammerweiher liegt denn auch die Burg von dem, der über die Stadt zu sagen hatte; freilich auch die Heidenburg bei Hoven gehörte mindestens noch zu Gression. Und wiederum in Lamersdorf behaupten sie, ihr Ort sei einst der Mittelpunkt von Gression gewesen. Zurzeit als er noch auf der Höhe, nicht wie jetzt im Tale, lag. Bescheidener beansprucht Altdorf, daß dort eine Vorstadt gewesen sei, weshalb auch jetzt noch ein Teil der Ortschaft so heiße. Durch einen großen Teil des Kreises Düren und des Landkreises Aachen geht diese Sage von Gression, und auch noch bis in die Kreise Bergheim und Jülich. Wo man mit dem Spaten oder Pflug auf römische Baureste, Dachpfannen oder Grundmauern stößt, sagt man gleich: »Das es wedde e Stöck van dr Stadt Gression, die versonke es«, oder so ähnlich. Fast immer heißt es auch: »diese Stadt die reichte bis Gressenich«. Dies heutige Dorf Gressenich (zwischen Stolberg und Düren) muß denn auch seinen Namen von dem alten Gression haben, es ist eben das, was von der großen Stadt übrigblieb, es war der Hauptteil davon, ja, die untergegangene Stadt wird nicht selten selbst Gressenich genannt.

Nach alledem muß die Stadt größer gewesen sein, als alle jetzigen bei uns. Nach einigen brauchte man zwei Stunden, nach andern fünf, nach den meisten Berichten sieben Stunden, um sie zu durchmessen. Damit noch nicht genug, es heißt, sie habe gar von Aachen bis Köln und von Düren bis Jülich gereicht, oder von Aachen längs der Krefelder Straße bis an den Rhein, hundert Stunden habe sie im Umfang gehabt. Sie war auch anders gebaut als die heutigen Großstädte: »Dat woe su ne vertelte Stadt, riet wie jetz die Städt senn. He woe ne Fleck, do stonde de Huse, dann kom ne Plaatz, do wor et frei; su geng dat fürahn, su dat dat velle Oetschofte wore. Dat ganze nennte nie evve Gressiona«. Und an verschiedenen Orten, wie wir bereits wissen, kennt man noch die Stellen der Tore und Mauern.

Fast alle stimmen darin überein, daß sie in der Heidenzeit gestanden habe, einige meinen, es sei schon vor der Sündflut gewesen. Die römischen Scherben im Ackerboden haben wohl den Anstoß zur Bildung der Sage gegeben, aber die Volkssage weiß von Römern als Erbauern und Bewohnern Gressions nur in Gressenich und wenigen anderen Orten. Einmal war ein riesiges Türkenheer vor Gression, das als uneinnehmbare Festung galt, das war zu der Zeit als der Omerbach, der zwischen Gression und Hamich fließt, noch ein großer, schiffbarer Strom war. Dort wurden die Türken in einer furchtbaren Schlacht besiegt:

Zu Gression
Am Omerstrom
Ward eine blutige Schlacht geschlagen…

So begann ein altes Lied, das die Leute jetzt leider vergessen haben. Der Türkenfeldherr soll aber beim Abzug gesagt haben, »wenn er wiederkäme, würde er ein so großes Heer mitbringen, daß ihre Pferde den ganzen Omerfluß aussaufen und trocknen Fußes hinüber könnten. Dann solle in der Stadt kein Stein auf dem andern bleiben.«

Wie die Stadt Gression zugrunde ging, davon wird noch mancherlei erzählt; außer den Türken wird es auch irgendwelchen andern fremden Kriegsvölkern zugeschrieben. In Merken sagt man, bei der Zerstörung sei es so furchtbar zugegangen, daß davon die Stadt oder vielmehr ihre Ruine den Namen Gräßelich bekam, woraus dann später Gressenich wurde. An der Kohlenasche, die sich viel in römischen Trümmern findet, soll man ein sicheres Zeichen haben, daß die Stadt durch Feuer zerstört wurde. In andern Orten dagegen hält man dafür, daß eine große Flut, meist sagt man: die Sündflut, die Stadt begraben habe. Man sehe das ja auch noch an den doch nur vom versteinerten Muscheln in den Steinbrüchen, die könnten Wasser herrühren; ebenso auch die Baumstämme, die in der Braunkohle bei Lucherberg zusammengeschwemmt sind, und die Sand- und Geröllmassen über dieser Schicht; und dann die steinharten, schwarzen Baumstümpfe, die im »ruede Brooch« bei Schwarzenbroich stecken, mit der Wurzel nach oben: was das für eine gewaltige Flut gewesen sein müsse!

Am meisten hört man: Gression ist versunken, warum, wissen manche Erzähler nicht zu sagen, oder es heißt, wie bei vielen andern Städten, denen das geschah: zur Strafe für ihre Üppigkeit und ihre Sünden. Wie prächtig und wie reich die Stadt war, können wir nur noch ahnen; im Oretzfeld bei Selgersdorf (im Kreise Jülich) werden manchmal besonders Schöne, große Ziegel ausgepflügt, mit Blumen und anderm Bildwerk darauf, und am Sandberg bei Rödingen (ebenfalls im Kreise Jülich) findet man an einigen Stellen Sand so glänzend und schwer wie pures Gold. Die Alten wußten mehr davon, wie es in Gression zugegangen ist. Eine von den schlimmsten in der Stadt sei »Frau Liesche« gewesen. Nach ihr heißt heute noch eine Mulde, die mit Gestrüpp und alten Weidenbäumen bewachsen war, hinter Röhe auf St. Jöris zu; da ging nachts Frau Liesche um, oder sprang von Baum zu Baum in langes, leuchtend weißes Leinen gehüllt, und plättete mit den Händen Wäsche, daß es schaurig durch den ganzen Wald hallte; das mußte sie nach ihrem Tode zur Strafe dafür, daß sie sonntags gewaschen hatte.

Die Johannisopfer zu Schönrath

Zur Zeit des Grafen Gerhard von Berg hauste zu Schönrath an der Agger Ritter Hans von Schönrath. Er hatte drei Söhne und zwei Töchter, die zur Freude der Eltern heranwuchsen. Es war allen Leuten bekannt, daß zur Zeit der Sommersonnenwende Sankt Johannes drei Opfer fordere, eins im Wasser, eins auf dem festen Boden und eins in der Luft. Ängstlich hatten daher der Ritter und seine Gemahlin ihre Kinder vor diesem Tage gewarnt.

Als wieder einmal der Johannistag herangekommen war, verließen die Kinder heiter das Schloß, um im nahen Forst dem gewohnten Spiel nachzugehen. Einer der Söhne gewahrte auf einer hohen Fichte einen Falkenhorst und machte sich sofort daran, das Nest herabzuholen. Die beiden andern schauten ihm nach, bis er sich zur schwankenden Krone in schwindelnder Höhe aufklemmte. In diesem Augenblick brach ein Wolf aus dem Dickicht hervor, ergriff den jüngsten Knaben und lief mit ihm davon. Das gellende Schreien des Geraubten erschreckte den Bruder in seiner luftigen Höhe, die Sinne vergingen ihm, und er stürzte vom Baum hinab.

Als der dritte das schreckliche Unglück sah, rannte er wie besessen nach Hause. In seiner Verwirrung lief er nicht über die Brücke in das Schloß, sondern stürzte in den Graben, wo er ertrank.

Als man die Knaben vermißte, begann man sie zu suchen und brachte am Abend drei Leichen ins Schloß: aus dem Wasser, dem Forst und aus der wilden, zerklüfteten Schlucht.

So leuchten nunmehr zur Sommersonnenwende die Feuer von den Höhen, um niemals mehr St. Johannes zu erzürnen.

Der Riese im Treiser Schock

Zu jener Zeit, als die Hunnen über den Hunsrück zogen, lebte im Treiser Schock ein wilder Riese in einer tiefen, dunklen Felsenhöhle; ringsumher hatte er große Steinblöcke wie eine Mauer aufgeschichtet. Manchmal spielte er mit schweren Felskugeln Ball oder warf sie vom hohen Berg ins Tal; das tat er besonders gern, wenn Leute dort arbeiteten; die mußten dann jedesmal schleunigst das Weite suchen. Fast täglich jagte der Unhold in den Wäldern; alles Wild, das ihm in den Wurf kam, erlegte er, und wenn ihm dabei ein Mensch begegnete, so mußte der Unglückliche mit ihm jagen, da half kein Bitten und Sträuben. Dann ging’s vom Morgen bis zum Abend über Stock und Stein. Waren die armen Leute abends todmüde, so brüllte er sie fürchterlich an, stieß die gräßlichsten Drohungen aus und jagte die Ärmsten, die vor Angst schon mehr tot als lebendig waren, schließlich unter wüsten Flüchen davon. Daher mied jedermann ängstlich den Schockwald, um nur dem Riesen nicht zu begegnen.

Nur ein Mann fürchtete den gewalttätigen Unhold nicht; das war ein frommer Einsiedler, der am Südende des Waldes seine Behausung hatte. Der Klausner hatte dreizehn Steinchen, die wunderbar glänzten; wenn man eins davon dem Riesen vor die Augen hielt, wurde er geblendet und konnte einem nichts tun. Wer über den Schock zur Mosel ging, lieh sich bei dem Einsiedler eines von seinen Steinchen aus.

Einmal kamen zwölf Männer, denen gab der gottesfürchtige Mann je eins von den Steinchen mit. Nach einer Weile fand sich aber noch ein Junge ein und bat wieder um eins. Da wollte ihm der Einsiedler sein letztes Steinchen zuerst nicht geben; als aber der Junge bitterlich zu weinen anfing, hatte der Alte Mitleid und überließ es ihm.

Der Junge kam zur Höhle des wilden Mannes. Da trat der Riese plötzlich heraus, brüllte den Knaben an und wollte ihn auf die Jagd mitnehmen. Der arme Kerl erschrak so heftig, daß er das Steinchen fallen ließ; er konnte es nicht wieder finden, sosehr er sich auch mühte. Aber der Riese wurde auf einmal ganz still, machte sich rasch in seine Höhle davon und ließ den Jungen ungehindert weitergehen.

Als die zwölf Männer gegen Abend zurückkehrten, war von dem Riesen nichts mehr zu sehen. Während sie noch ganz verwundert mit dem Einsiedler darüber sprachen, kam auch der Junge dahergelaufen und erzählte schluchzend, wie es ihm mit dem Steinchen ergangen war. Da erkannten alle, daß der Riese durch das Steinchen in seine Höhle gebannt war. Alle Leute in der Gegend dankten Gott, daß sie von der Plage befreit waren, und erbauten mit dem Einsiedler bei der Klause ein Gotteshaus.

Später entstand dort ein Hof, der bis auf den heutigen Tag »Gotteshausen« heißt. Auch an der anderen Seite des Schocks wurde ein Bauerngehöft angelegt und nach den Hünen der »Hohnhäuser-Hof« genannt. Das Steinchen liegt immer noch im Schock vor der Riesenhöhle.

Wenn dies Wundersteinchen jemand finden und wegnehmen sollte, erscheint der Riese wieder, und es fängt die alte Plage von neuem an.

Der Dom zu Köln

AIs der Bau des Doms zu Köln begann, wollte man gerade auch eine Wasserleitung ausführen. Da vermaß sich der Baumeister und sprach: »Eher soll das große Münster vollendet sein, als der geringe Wasserbau!« Das sprach er, weil er allein wußte, wo zu diesem die Quelle sprang, und er das Geheimnis niemandem, als seiner Frau entdeckt, ihr aber zugleich bei Leib und Leben geboten hatte, es wohl zu bewahren. Der Bau des Doms fing an und hatte guten Fortgang, aber die Wasserleitung konnte nicht angefangen werden, weil der Meister vergeblich die Quelle suchte. Als dessen Frau nun sah, wie er sich darüber grämte, versprach sie ihm Hilfe, ging zu der Frau des andern Baumeisters und lockte ihr durch List endlich das Geheimnis heraus, wonach die Quelle gerade unter dem Turm des Münsters sprang; ja, jene bezeichnete selbst den Stein, der sie zudeckte. Nun war ihrem Manne geholfen; folgenden Tags ging er zu dem Stein, klopfte darauf und sogleich drang das Wasser hervor. Als der Baumeister sein Geheimnis verraten sah und mit seinem stolzen Versprechen zu Schanden werden mußte, weil die Wasserleitung ohne Zweifel nun in kurzer Zeit zu Stande kam, verfluchte er zornig den Bau, daß er nimmermehr sollte vollendet werden, und starb darauf vor Traurigkeit. Hat man fortbauen wollen, so war, was an einem Tag zusammengebracht und aufgemauert stand, am andern Morgen eingefallen, und wenn es noch so gut eingefügt war und aufs festeste haftete, also daß von nun an kein einziger Stein mehr hinzugekommen ist.

Andere erzählen abweichend. Der Teufel war neidig auf das stolze und heilige Werk, das Herr Gerhard, der Baumeister, erfunden und begonnen hatte. Um doch nicht ganz leer dabei auszugehn, oder gar die Vollendung des Doms noch zu verhindern, ging er mit Herrn Gerhard die Wette ein: er wolle ehr einen Bach von Trier nach Köln, bis an den Dom, geleitet, als Herr Gerhard seinen Bau vollendet haben; doch müsse ihm, wenn er gewänne, des Meisters Seele zugehören. Herr Gerhard war nicht säumig, aber der Teufel kann teufelsschnell arbeiten. Eines Tags stieg der Meister auf den Turm, der schon so hoch war, als er noch heut zu Tag ist, und das erste, was er von oben herab gewahrte, waren Enten, die schnatternd von dem Bach, den der Teufel herbeigeleitet hatte, aufflogen. Da sprach der Meister in grimmem Zorn: »Zwar hast du, Teufel, mich gewonnen, doch sollst du mich nicht lebendig haben!« So sprach er und stürzte sich Hals über Kopf den Turm herunter, in Gestalt eines Hundes sprang schnell der Teufel hintennach, wie beides in Stein gehauen noch wirklich am Turme zu schauen ist. Auch soll, wenn man sich mit dem Ohr auf die Erde legt, noch heute der Bach zu hören sein, wie er unter dem Dome wegfließt.

Endlich hat man eine dritte Sage, welche den Teufel mit des Meisters Frau Buhlschaft treiben läßt, wodurch er vermutlich, wie in der ersten, hinter das Baugeheimnis ihres Mannes kam.

Der feststellende Köhler

Ein Kohlenbrenner von Barmen, der im Wirtshause saß, rühmte vor seinen Gefährten, daß ihm niemand etwas von seinem Meiler entwenden könne, wenn er schon nicht dort sei, weil er die Kunst verstehe, die Diebe festzustellen. Da wettete einer von der Gesellschaft mit ihm, binnen Stundenfrist mit seiner Schürhacke in der Stube zu sein. Der Bursche ging zum Walde, der Köhler aber sprach seine Zaubersprüche. Der erstere kam richtig an den Meiler, wie er aber die Hacke anfaßte siehe da waren ihm die Füße wie an die Erde festgewachsen und, was er zappelte, er vermochte nicht von der Stelle zu kommen. Er rief da dreimal: laß mich los im Namen der heiligen Dreifaltigkeit. Diese Worte vermochten aber den Zauber nicht zu brechen. Da griff er mit der Linken in die Tasche, die Rechte klebte an der Hacke, zog sein Messer und zerschnitt damit den linken Hosenträger. Gleich konnte er nun von der Stelle und mit der ergriffenen Schürhacke zum Wirtshause eilen. Er fand den Köhler dort tot; der Schnitt, welcher den Hosenträger spaltete, hatte ihn auch ins Herz getroffen.

Frau säugt junge Schweine bei den Zwergen

Zu Richrath wurden noch vor kurzem in einem Steinbruch Höhlen gezeigt, in welchen in grauer Vorzeit Zwerge hausten. Einmal stahlen diese Zwerge eine Frau in der Nähe des Dellbaches und schleppten sie mit in ihre Höhle. Dort zwangen sie das arme Weib, ihre Schweine zu säugen.

Lange Jahre weilte die Frau bei den Zwergen, welche im allgemeinen gut und liebreich gegen sie waren. Aber die Sehnsucht nach dem hellen Sonnenlicht und ihrer lieben Heimat wuchs täglich bei der Frau, bis es ihr einmal gelang, aus der Höhle zu entfliehen. Sie gelangte bald auf den Hof, wo sie einst gewohnt hatte; aber niemand kannte sie mehr, und auch sie fand keinen der alten Bekannten wieder. Traurig setzte sie sich auf einen Stein im Hof und begann bitterlich zu weinen. Einige Kinder drängten sich neugierig um das seltsame, fremde Weib. Der Anblick der lebensfrohen Kinder vermehrte ihren Schmerz, und mit doppelter Bitterkeit dachte sie an ihr Los in der finstern Höhle bei den mißgestalteten Zwergen. Als einige der Kinder zudringlich wurden, rief sie ihnen zu: »Stört meine Ruhe nicht, denn ich habe keins von Euch unter meinem Herzen getragen.«

Dann ging sie fort und wurde nie wieder gesehen.

Das Kräutermännchen

Ein Fischer stand bei Sonnenuntergang mit seinem Wurfgarn oberhalb der Fließemer Mühle an der Kyll. Immer wieder warf er das Netz in die klare Flut, doch es gelang ihm nicht, auch nur ein einziges Fischlein zu fangen. Das machte ihn sehr verdrießlich, hatte er doch zu Hause zwei kranke Zwillingskinder, die einen Fisch zu essen begehrten.

Während er so ungeduldig harrend am Ufer stand, kamen auf dem Wasser zwei junge Schwäne daher, die, schwach und matt, langsam flußaufwärts schwammen. Schon war er versucht, das Garn nach ihnen auszuwerfen, da trat am andern Ufer das grasgüne Kräutermännlein aus dem Walde und drohte ihm mit erhobenem Finger. Doch der Fischer achtete nicht auf die Warnung, er ließ das Garn fliegen, und die Schwäne waren gefangen. Als er aber das Netz aus dem Wasser zog, da waren statt der Schwäne zwei glänzende Forellen drin. Nicht wenig war darüber der Fischer verwundert; er eilte rasch nach Hause, um den kranken Kindern die sehnsüchtig erwartete Speise zu bringen. Als er sich seiner Hütte näherte, sah er zwei Schwäne über dem Dache emporsteigen und in nebelhafter Ferne verschwinden. Die Kinder aber lagen in ihren Betten und waren tot.

Da wußte er, daß die kranken Schwäne seine eigenen Kinder gewesen waren, und untröstlich sprach er immer wieder: »O hätte ich doch dem Kräutermännlein gefolgt! «

Der Teufelstein

Da liegt im Weselerwald zwischen Drevenack und Marienthal, dem Dorf, in dem das alte Kloster am grünen Isselufer lag, mitten in einer Wiese ein mächtiger Steinblock, von dem niemand weiß, wie er dahingekommen ist. Von einem Felsen kann er nicht hinabgerollt sein, weil es dort in der niederrheinischen Ebene keine Felsen gibt. Und wenn die Gelehrten heute sagen, daß er in Zeiten, als dies weite Land noch Meer war, mit einem Eisberg angespült sei, so haben aber doch die Urgroßväter der Bauern, die dort noch heute wohnen, nichts gewußt von so gelehrten Dingen, von nordischem Granit, woraus der Stein besteht, und auch von einer Zeit vor mehr als hunderttausend Jahren nichts. Als sei er aus der Luft herabgefallen, so lag er immer da, Jahrzehnt schon um Jahrzehnt, breit und dick und fast so hoch wie eine Weihnachtstanne, so daß die Knechte sich vor Sonnenschein und Regen hinter ihm verstecken konnten. Wie aus der Luft herabgefallen – doch wie kann das sein? Vom Himmel? Aus den Wolken? Von den Sternen? Es war noch nie, so daß sie’s wußten, solch ein Felsblock aus der Luft gekommen -und es konnte da nur eine einzige Lösung geben, da nur einer solche Kräfte haben konnte und auch den bösen Sinn, diesen Stein hoch durch die Luft zu werfen: Der Teufel selber kann es nur gewesen sein. Und so erzählten sie:

In jener Zeit, als auch diesem Lande das Evangelium vorn Christ gepredigt wurde, als in Marienthal fromme Männer das Kloster bauten und in Drevenack die Kirche immer höher stieg, daß der Turm schon weither vom Walde zu sehen war, da habe der Teufel seinen bösen Streich ausführen wollen. Den Nixen in der Issel war es fast gelungen, den Bau des Klosters zu verhindern. Sie trieben das Wasser des kleinen Flüßchens hoch über die neuen Fundamente; die Mönche aber ließen sich keine Mühe mehr verdrießen: Sie bauten neu, einige Meter höher, den Hügel aufwärts, da wo nun heute noch das Kirchlein steht und wo noch der Kreuzgang und die alten Zellen immer noch an jene längst vergangene Zeit erinnern.

Das aber war dem Teufel denn nun doch zu viel. Hoch oben auf den Testerbergen jenseits der Lippe habe ihn die Satanswut erfaßt, so daß er jenen Fels, den Teufelsstein, gegriffen habe, um ihn weit – (mit donnerstarkem Brausen sei er durch die Luft geflogen) – ja, nun weiß man nicht, um ihn gegen das Kloster oder die neue Drevenacker Kirche, die er beide von seinem hohen Sitze habe sehen können, zu schleudern. Und man weiß nicht, war seine Kraft zu schwach, so daß der Stein zwischen Marienthal und Drevenack am Weselerwald zu Boden fiel und also das Kloster nicht erreichte – oder zu ungestüm, so, daß er über Drevenacks Kirche weit in die großen Wälder flog, dahin, wo heute Wiese ist und wo er immer noch, wenn auch schon fast in die Tiefe eingesunken, liegt, und wo man immer noch an einer Seite die Löcher sieht, da seine Teufelskrallen sich in blinder Wut in die harte Masse eingegraben haben.

Im Sommer, wenn die Wiesenblumen blühen und die Rispen und die Ähren wogen, ist er kaum mehr zu sehen. Einst wird er ganz verschwunden sein, wenn aber doch die Kirchen von Marienthal und Drevenack noch lange, lange stehen werden.

Die Nachtwandlerin zu Düssel

Auf einem Bauernhofe zwischen Düssel und Wülfrath lebte einst eine Bäuerin, welche sehr geizig war. Den ganzen Tag hörte man ihr Zanken und Schelten durch das ganze Haus. Versah die Magd nur das Geringste im Dienst, so folgte eine Flut von Schimpfwörtern aus dem Munde ihrer Herrin.

Namentlich war die Bauersfrau hart gegen die Armen. Nahte jemand ihrer Türe und bat um ein Stück Brot oder eine kleine Gabe, so wies sie ihn hart ab. Das Essen, welches übrig blieb, schüttete sie regelmäßig in den Schweinetrog.

Da starb die Bäuerin. Aber sie konnte keine Ruhe im Grabe finden. Regelmäßig, wenn am Abend die Schweine gefüttert wurden, erschien sie klagend und stöhnend. Dann wurden die Schweine und die andern Haustiere in ihren Ställen sehr ungebärdig.

Lange war man auf dem Hofe ratlos, wie diesem Unwesen zu steuern sei, da man die Nachtwandlerin nicht zu erblicken vermochte. Aber man war überzeugt, daß nur ein Geist diese Beunruhigung des Viehs hervorbringe. Dagegen konnte nur ein Mittel empfohlen werden: Der Geist mußte »besprochen« werden. Dazu wollte sich lange Zeit niemand verstehen, bis endlich eine Magd sich bereit erklärte.

Als am nächsten Abend der Geist wieder sein Wesen trieb, rief die Magd herzhaft: »Wer ist da?« Eine Stimme antwortete: »Die Frau vom Hause!« Die Magd erkundigte sich nun, was jene wünsche. Da erwiderte die Abgeschiedene, sie könne keine Ruhe im Grabe finden, weil sie zu ihren Lebzeiten so hart und unbarmherzig gegen die Armen gewesen sei, und das Essen lieber den Schweinen als den Armen gegeben habe. Man möchte doch ihre Schuld durch Güte gegen die Armen wieder gut machen und vor allen Dingen das Essen nicht mehr den Schweinen geben. Dann würde sie Ruhe im Grabe finden.

Die Magd versprach, die Wünsche ihrer früheren Herrin getreulich zu erfüllen. Als diese nun ein Pfand begehrte, reichte sie einen Zipfel ihrer Schürze (nicht die Hand, wie man sie ausdrücklich belehrt hatte) hin, welcher jäh abgerissen wurde.

Die Tiere beruhigten sich von der Zeit an, und von dem Geiste der nachtwandelnden Bäuerin wurde seit der Zeit nichts mehr verspürt.

Die Meerfrau im Altwasser

Zwischen Birten und Xanten liegt ein tiefer See, der wahrscheinlich aus einem alten Rheinarme entstanden ist. In diesem See sind schon viele Leute zugrunde gegangen. Ein Mann, der in Birten die Weihnacht mitgefeiert hatte und aus der Kirche durch das nächtliche Dunkel nach Hause gehen wollte, suchte seinen Weg durch eine geweihte Weihnachtskerze zu beleuchten. Dennoch geriet er auf Abwege, und bald war der Nebel so feucht um ihn, daß das Licht zu erlöschen drohte. Mit Mühe hielt er es brennend und konnte endlich ein anderes Licht durch den Nebel schimmern sehen. Er gelangte nun bald an ein stattliches Haus, öffnete die Tür, um sich nach dem Wege zu erkundigen und trat in eine weite, erleuchtete Halle, an deren Wänden er eine Menge von seltsamen Töpfen stehen sah. Als er sich nun in der Halle umschaute, ob nicht jemand da sei, der ihm den Weg zeigen könne, hörte er sich plötzlich bei Namen rufen. Da er niemand sah, erschrak er anfangs und wollte sich entfernen. Da der Ruf sich jedoch wiederholte, ging er auf den Schall zu und gelangte so an einen der Töpfe. »Wer will hier etwas von mir?« sagte der Bauer. Da entgegnete die Stimme: »Ich bin’s, dein Großvater! Mich hat die Meerfrau in die Tiefe hinabgezogen und hütet mich in ihrem Nelkentopf.« »Ihr seid ja hier in einem stattlichen Hause«, entgegnete der Bauer. »Da irrst du«, sagte die Stimme. »Du bist hier tief im Altwasser. Trügst du nicht die geweihte Kerze, wärst du längst ertrunken. Das, was dir Nebel schien, war Wasser, in dessen Tiefe du geraten bist, und dies ist das Haus der Meerfrau. Du mußt dich sputen, sonst kehrt die Wasserfrau zurück und wird dich fangen.« »Wie soll ich den Weg nach Hause finden?« fragte der Bauer ängstlich. »Nimm den Hausschlüssel, den du in der Tasche trägst und schlage den Deckel auf dem Topfe entzwei. Lege aber die Kerze nicht aus der Hand, sonst bist du verloren. Ist der Deckel in drei Schlägen entzwei, so bekreuzige dich dreimal mit dem Schlüssel und eile hinaus. Ich will dir dann leuchten, du folge mir; tu es aber rasch und schau nicht hinter dich! «

Der Bauer tastete nun in die Tasche, fand den Schlüssel und führte damit drei Schläge gegen den Deckel des Topfes, der unter dem dritten Schlage zerbrach. Dann bekreuzte er sich und suchte so rasch wie möglich durch die Tür zu entkommen. Draußen sah er auch bald ein Licht, das lustig vor ihm her flatterte. Dem folgte er so rasch wie möglich, sorgte aber, daß seine Kerze nicht erlosch. Es ging ziemlich bergan, bis endlich der feuchte Nebel verschwand und die Sterne über ihm funkelten. Er erkannte nun die Gegend und erreichte seine Wohnung.

Als der Morgen anbrach, fand er seine Fußbekleidung voll Schlamm, obschon die Wege allenthalben fest und hart gefroren waren. Da wußte er, daß er tief unten im Altwasser gewandert war.

Gräfin Loretta

Nicht weit von Traben-Trarbach liegt, weit ins Land schauend, auf dem Kamm steilragender Rebenhänge das Dörflein Starkenburg. Nur eine einzige Fahrstraße führt von Enkirch aus auf die luftige Höhe. Ein kleiner Trümmerrest zeigt die Stelle, wo vormals die ritterliche Feste stand, die dem Dörflein den Namen gab.

Zur Zeit des Trierer Kurfürsten Balduin wohnte auf der Starkenburg die tatkräftige und schöne Gräfin Loretta von Sponheim. Sie war früh Witwe geworden, ihr Gemahl war von einer Fahrt ins heilige Land nicht heimgekehrt. Um das Erbgut ihrer Kinder lag sie nicht nur mit gierigen Nachbarn, sondern mehr noch mit dem herrschgewaltigen Kurfürsten in gar erbittertem Streit, bis es der Vermittlung wohlmeinender Freunde und Verwandten endlich gelang, einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Doch bald bot sich ihr eine solch günstige Gelegenheit, den großen Gegner in ihre Hände zu bekommen, daß sie sich kein Gewissen daraus machte, den geschlossenen Vertrag zu brechen.

Von ihren Spähern erfuhr die Gräfin, der Kurfürst werde auf einem kleinen Schifflein mit geringer Begleitung moselabwärts nach Koblenz fahren. An trefflich geeigneter Stelle, von einem mit Weidengebüsch dicht bestandenen Vorland aus, ließ sie nahe unter dem Wasserspiegel eine starke Kette spannen, die den Fluß absperrte. Ahnungslos fuhr der Kurfürst in die Falle. Die plötzlich straffgezogene Kette zwang sein leichtes Fahrzeug, zu halten, und von der Übermacht der Mannen Lorettas überwältigt, ward er gefangen und auf die Starkenburg geführt. Dort empfing ihn die Gräfin mit allen seinem Stande zukommenden Ehren, hielt ihn aber in sicherem Gewahrsam. Selbst der Bannstrahl des Papstes vermochte nicht, ihn aus den Händen Lorettas zu befreien.

Lange zogen sich die Verhandlungen zwischen den Gegnern hin; endlich verpflichtete sich Balduin, der Gräfin ein hohes Lösegeld zu zahlen, ihr eine auf Sponheimschen Grund zu Birkenfeld erbaute Burg zu übergeben und gar ein Bündnis mit ihr zu schließen. Nach seiner Entlassung hielt der Kirchenfürst diese Versprechungen aufs Wort; ja, er schloß sogar Freundschaft mit der tapferen und klugen Frau, die so mannhaft für die Rechte ihrer Kinder eingetreten war.

Die Entstehung des Siebengebirges

In uralter Zeit lag oberhalb Königswinter ein großer See, der zur Zeit der Schneeschmelze oft Schaden anrichtete. Die Uferbewohner aus der Eifel und vom Westerwald faßten daher den Plan, ihn abzuleiten. Da dies Werk aber Menschenkraft überstieg, wandten sie sich an die Riesen, denen sie hohen Lohn versprachen. Sieben von ihnen kamen. Sie trugen gewaltige Schaufeln auf den Schultern und machten sich alsbald an die Arbeit. Nach ein paar Tagen hatten sie schon eine tiefe Scharte in das Gebirge gegraben. In die Vertiefung drang das Wasser und vollendete das Werk der Riesen. Der See floß ab. Wo früher seine Fluten gespült hatten, lag nun fruchtbares Land. Die dankbaren Uferbewohner schleppten den Lohn für die Riesen herbei. Diese teilten ihn brüderlich, und jeder von ihnen schob seinen Anteil in seinen Reisesack. Ehe sie Abschied nahmen, klopften sie noch Erdreich und Gestein, die an den Spaten hafteten, ab. Dadurch entstanden sieben Berge, die man noch heute am rechten Rheinufer sehen kann.

Der Wechselbalg von Schalken

In Schalken war einem jungen Bauer die Frau gestorben und hatte ihrem Mann einen mutterlosen Säugling hinterlassen. Da sah nun niemand recht auf das Kleine, wenn auch die Nachbarinnen zuweilen Nachschau hielten. Eines Tages nahmen die Erdmännchen das Kind mit sich und legten eine alte, zahnlose Zwergin an seine Stelle.

Zunächst merkte dies niemand. Das Zwergmütterchen war noch stiller, als das kleine Mädchen gewesen war, und schlief viel; nur wenn man es bekreuzte oder mit Weihwasser besprengte, wimmerte es jedesmal. Als es aber nach geraumer Zeit gar nicht an Gewicht zugenommen hatte, ging der Bauer zu einer vielbefragten Wahrsagerin nach Lindlar und zeigte ihr ein paar Kopfhaare von dem Kinde. Da sagte die Frau sofort: »Das ist ein Wechselbalg, eine Zwergin, die wächst überhaupt nicht, und das rechte Kind ist in der Zwergenhöhle.« Und sie belehrte den Bauern ganz genau, was er tun müsse.

Als man am nächsten Mittag bei Tisch saß, während der Wechselbalg nahebei in der Wiege lag und wieder tat, als ob er schliefe, klagte der Bauer ganz laut, daß das Kind gar nicht wachsen wolle; ein Mittel werde er noch versuchen, nämlich es diesen Abend wieder taufen zu lassen. Dann ordnete er sogleich alles für die Taufe an, schickte das Gesinde hinaus und schloß hinter ihm zu. Er selbst holte sämtliche Töpfe herbei, stellte sie um den Herd herum und legte quer durchgeschlagene Eierschalen dazu. Dann tat er, als ob er auch hinausgehe, versteckte sich aber im Rauchfang.

Als es ganz still und finster geworden war, trippelte aufeinmal etwas durch die Stube zur Stubentür; diese ging auf, und die Kleine wollte bei der Haustür hinaus, um der angedrohten Taufe zu entgehen. Als sie aber die vielen Töpfe und Eierschalen am Herd sah, guckte sie neugierig hinein, zählte sie und rief:

»Ich bin so alt
Wie der Duisburger Wald,
Hab‘ aber mein Lebtag nicht gesehn
So viel‘ Töpfe am Herd eines Bauern stehn.«

Dann lief sie fort.

Der Bauer kroch aus dem Rauchfang heraus, holte seine Leute und auch den Pfarrer herbei, und als diese vors Haus kamen, hörten sie von draußen in der Stube drinnen ein Kind weinen. Als sie aber eilig nachsahen, lag in der Wiege des Bauern sein kleines Mädchen, gesund und frisch und schon ordentlich gewachsen, das häßliche Zwergenkind aber war verschwunden.

Seit diesen aufregenden Tagen ließ der Vater seinem Kind alle Liebe und Sorgfalt angedeihen.

Der Rittersprung

Der junge Günther von der Saffenburg bewarb sich um die Hand der Hildegunde, der Tochter des Grafen von Are. Das Burgfräulein nahm den Antrag des ritterlichen Bewerbers, dem es schon lange in Liebe zugetan war, mit Freuden an, doch der Vater, der mit den Saffenburgern eine alte Rechnung zu begleichen hatte, wies den Freier mit höhnischen Worten ab und verbot ihm, die Burg Are jemals wieder zu betreten.

Günther störte sich nicht an das Verbot des Haßerfüllten. In nächtlicher Stunde erstieg er immer wieder unter Lebensgefahr den Burgberg von Are zu heimlicher Zwiesprache mit der Braut. Bald ward das dem Grafen hinterbracht, und als der treue Liebhaber wieder einmal im Schutze der Dunkelheit den steilen Pfad hinaufklomm, da schreckte ihn plötzlich Waffengeklirr aus seinen sehnsüchtigen Gedanken auf. Im Augenblick sah er sich von einer bewaffneten Schar umringt. Mit geschwungenem Schwerte stürmte der Burgherr rachedürstend auf ihn zu. Der wehrlose Jüngling schien verloren; jeder Widerstand war bei der Übermacht der Feinde nutzlos. Doch lieber wollte er sterben, als in schimpfliche Gefangenschaft geraten. Rasch entschlossen stürzte er sich in kühnem Sprunge in den schauerlichen Abgrund. Wie durch ein Wunder kam er mit dem Leben davon.

Schon am folgenden Tage gab der Graf von Are seine Einwilligung zur Vermählung der Liebenden. Die Stelle aber, von der aus der junge Saffenburger den tollkühnen Sprung gewagt hatte, heißt noch heute »Zum Rittersprung! «

Die Bäckerjungen von Andernach

Einst zogen die Linzer gegen ihre Erbfeinde, die Andernacher, zum Streite. Bei grauendem Morgen kamen sie vor die Tore der feindlichen Stadt. Sie wähnten die Bewohner noch in den Federn; doch sie hatten die Rechnung ohne die fleißigen Bäcker gemacht, die seit dem ersten Hahnenschrei in ihren Backstuben hantierten, und deren jungen die frischen Wecken schon von Haus zu Haus trugen.

Zwei der Burschen, die ihren Rundgang beendet haben, steigen zum Vergnügen auf den Torturm am Rheinufer. Von dort aus sehen sie die vorsichtig heranschleichenden Linzer. Sogleich reißen sie mit aller Kraft am Strang der Sturmglocke. Dann aber werfen sie den Feinden die auf der Mauerbrüstung stehenden Bienenkörbe auf die Köpfe. Die gereizten Immen stechen wütend drauf los, und alsbald wenden sich die Linzer vor solch grimmigem Feinde zur Flucht. Gepeinigt von rasendem Schmerz, mit dikken Mäulern und verbeulten Gesichtern sitzen sie nach kurzer Zeit reihenweise am Rheinufer, um die Qual durch Kühlung zu lindern. Von der Andernacher Stadtmauer her aber tönt lautes Hohngelächter.

Das Lob der tüchtigen Bäckerjungen klingt noch heute fort; ihr Andenken ist durch ein Steinbild am Rheintor für immer gesichert.

Die Zwerge von Kollenberg

Auf dem Kirchgute Kollenberg bei Radevormwald wohnte einst ein Pächter, welcher niemals seine Kühe selbst hütete, sondern die Sorge für dieselben den Zwergen überließ, welche aufs beste für das Vieh sorgten. Das Essen setzte man den kleinen Leuten in Näpfchen auf einen bestimmten Zaunpfahl.

War der Herbst herbeigekommen, so beteiligte sich einer der Zwerge auch an der Ernte. Aber er trug niemals mehr als einen Halm und schleppte denselben anscheinend nur mühsam fort, schwer seufzend bei dieser Arbeit. Die Pächtersfrau wurde einst ärgerlich darüber, daß der kleine Mann bei einer so scheinbar geringfügigen Arbeit so schwer seufzte und gab ihrem Unmut unverhohlenen Ausdruck. Seit der Zeit verschwanden die Zwerge von Kollenberg. Der Wächter aber verarmte von da ab immer mehr.

Jan Frithoff

Eine Zeit lang war es in der Gegend von Krußstammhecken, einer alten Grenzbezeichnung in Bruckhausen bei Dinslaken, nicht geheuer. Wenn man zur Mitternachtsstunde an dieser Stelle vorüberging, hörte man ein deutliches Stöhnen und Ächzen. Niemand konnte begreifen, was das zu bedeuten hatte, und ängstlich wurde die Stelle von jedermann gemieden. Es war aber niemand anders als der böse, alte Frithoff, der seinem Nachbar alljährlich von seinem Acker ein paar Furchen abgepflügt hatte. Als er plötzlich starb – er fiel »inne Höll« – konnte er im Grabe keine Ruhe finden. jede Nacht mußte er den Weg vom Hünxer Kirchhof durch die »Stollbeck« zum Bruckhauser Feld machen. Hier plagte er sich mit einem schweren, eisernen Pflug, den er immer hin und her über den Acker schleifen mußte. Punkt ein Uhr war er plötzlich verschwunden. Das wiederholte sich jede Nacht, bis er endlich erlöst wurde. Eines Nachts erschien eine weißgekleidete Jungfrau, die mit silbernem Pflug die gestohlenen Furchen wieder zurückpflügte. Seitdem fand er Ruhe, und der Spuk war verschwunden.

Der Feuerkopf von Wülfrath

Eine Gegend zwischen Mettmann und Wülfrath war längere Zeit sehr verrufen wegen eines Feuerkopfes, der sich dort oft in der Nacht zeigte. Viele Leute haben ihn gesehen und haben in eiliger Flucht ihr Heil gesucht.

Das behexte Kind

Eine Frau in Hilden hatte ein kleines Kind, welches sich durch seine Schönheit auszeichnete. Eines Tages trug sie dasselbe, um in der Nachbarschaft einen Besuch abzustatten, über Feld, als ihr eine Frau begegnete, welche in der ganzen Gegend als Hexe verschrieen war. Gerne wäre die glückliche Mutter mit ihrem Kinde schnell davongeeilt; doch jene vertrat ihr den Weg, liebkoste das Kind und sprach: »O, welch schönes Kind!« Von diesem Augenblicke an war das Kind behext. Außer manchen anderen Untugenden, die es früher nicht besessen hatte, fing es nun an, laut in der Wiege zu krähen, wie ein Hahn. In ihrer Herzensangst eilten die Eltern zum Pfarrer und flehten ihn an, zu helfen. Doch dieser suchte ihnen den Glauben, das Kind sei behext, auszureden. Die Leute gingen wieder heim und trennten das Kissen auf, auf welchem das Kind zu liegen pflegte, und fanden mehrere Federkränze in demselben. In der Mitte der Kränze befand sich ein fast ausgebildeter Hahn. Wäre er zur völligen Entwicklung gelangt, so hätte das Kind in demselben Zeitpunkte sterben müssen. Nun trugen die Eltern die Kränze zum Geistlichen, der sie »überredete«.

Das Übel war nun völlig gehoben. Das trug sich auf der Sandstraße in Hilden zu.

Das Zwergenloch bei Elberfeld

In der Kluse bei Elberfeld führte vor dem Bau der Bergisch-Märkischen Eisenbahn von der Wupper aus das Zwergenloch in den steilen Abhang des Döppersberges hinein. Dort war der Eingang zum Reich der Schwarzelfen oder Zwerge. Von dort aus besuchten die kleinen, mißgestalteten, aber gutmütigen Wesen bis in den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts hinein die Kluse und lustwandelten im Schatten der Buchen und Eichen, unterhielten wohl auch, trotz ihres scheuen Charakters, mit den Menschen, wenn man ihnen redlich begegnete, einen freundlichen Verkehr. Denn diese Erdmännchen, die in den Spalten und Höhlen der Berge Schätze sammeln, prächtige Waffen schmieden und herrliche Paläste bauen, verstanden sich ganz gut mit den Menschen, auch als im Wuppertale an die Stelle des Garnbleichens andere Beschäftigungen getreten waren. Aber als die Eisenbahn gebaut wurde, schlug auch die Stunde der kleinen Leute.

Bockum

In der Zeit der Kämpfe um das heilige Grab in Jerusalem hatte auch der Ritter Ulrich Bock das Kreuz genommen und sich beeilt, einer der ersten im frommen Zuge zu sein. Aber er geriet in Feindes Hand und mußte Jahre lang im unterirdischen Verließ, hundert Meilen von der Heimat entfernt, in Elend und Not schmachten. Einem fast wunderbaren Zufall dankte er es, daß er seine Freiheit wieder erhielt. Geschwächt an Körper und Geist und ergraut vor der Zeit trat er seine Heimkehr an, und unter vielen Mühseligkeiten landete er endlich im Pilgergewande, allen fremd geworden, in seiner Heimat. Aber auch ihm war alles fremd. Der stattliche Buchenwald, in dem er dem edlen Waidwerk obgelegen, war gefallen, von seiner Burg war jede Spur verwischt. Ein prächtiger Neubau mit doppeltem Graben erhob sich an der Stelle. Nebenan stand aus Tuffstein erbaut ein Kirchlein, der St. Gertraudis geweiht. Wo er anklopfte, sah er fremde Gesichter. Sprach er einen Menschen an, so wich der scheu zurück, und selbst auf der Burg kannte man ihn nicht. Als er sich zum Kirchlein wandte, um sich im Gebete Mut und Stärkung zu suchen, begegnete ihm auf der Schwelle ein altes Mütterchen, das ihn stieren Blickes ansah und wie in einem Krampf mit wilder Stimme schrie: »Bock um!« Da brach der arme Ritter mit lautem Aufschrei zusammen und lag regungslos am Boden. Die Alte trippelte fort und brachte das ganze Kirchspiel in Verwirrung. Sie war die Einzige, welche den Ritter wiedererkannt hatte, aber die unerwartete Begegnung hatte ihren schwachen Geist zerrüttet. »Bock um! Bock um! « so sprach sie immerfort vor sich hin.

Als man den Ritter fand, lag er im Todeskampf. »Bock um« war auch sein letztes Wort gewesen. Der Herr von Neuenhofen, wie das neue Schloß sich nannte, war herbeigeeilt und schaute in das blasse Angesicht des entseelten Pilgers. Er sank an seine Seite, strich die weißen Locken zurück und drückte einen Kuß auf die erstarrten Lippen.

Ritter Bock war erkannt, der Ort, bisher nur St. Gertrud genannt, erhielt zur Erinnerung an den merkwürdigen Vorgang im Munde des Volkes die Bezeichnung St. Gertrudis-Bockum und bald kurzweg nur Bockum. Das alte Weib wurde nicht wieder gesehen. Auf dem Grabstein des Ritters steht ein rückwärts gewandter Bock. An die Stelle seines Geschlechts trat das der Neuhofer, die aber auch schon seit langen Zeiten ausgestorben sind.

Der Fluch von Altenberg

Beim Kloster Altenberg befanden sich früher sieben Teiche, in welchen die Mönche ihre Fische mästeten.

Einst hatte ein Mönch des Klosters eine Jungfrau verführt. Als das im Kloster ruchbar wurde, beschloß man den Tod des Mädchens, damit jeder Makel vom Kloster ferngehalten würde. Man führte es auf einen Damm von einem der Fischteiche, um es hinabzustoßen in die kalten Fluten. Aber ehe dies geschah, erhob die Jungfrau drohend ihre Hand gegen das Kloster und sprach einen schauerlichen Fluch über dasselbe aus, dabei prophezeiend, daß es durch Flammen zu Grunde gehen werde.

Der Fluch ging in Erfüllung. Niemals ging eine Leuchte der Wissenschaft aus jenem Kloster hervor, und Flammen verzehrten teilweise das ehrwürdige Kloster mit der Kirche.

Die Nikolauskerze

Zwischen Sennheim und Mesenich an der Mosel stand früher ein schroffer Schieferfelsen. Die Schiffer kannten ihn alle und nannten ihn schlechtweg die »Lei«. Es war eine gefährliche Stelle für sie, und in einer Nische des Felsens stand ein Bild des heiligen Nikolaus, ihres Schutzpatrons, und keiner vergaß, ihn um Hilfe anzurufen. Einmal bei Hochwasser fuhr ein Schiffer mit kostbarer Ladung zu Tal. Da trieb ihn die reißende Strömung dem Riff zu, und es half auch nichts, daß er mit dem Schorbaum das Schiff vom Felsen abzuhalten suchte. Da warf er sich in seiner Angst auf die Knie und rief: »Heiliger Nikolaus, hilf mir! Ich opfere dir auch eine Kerze so dick wie der Schorbaum.« Kaum hatte er das Gelöbnis getan, da dreht sich das Schiff dicht vor der Lei herum und treibt ganz ruhig im schönsten Fahrwasser. Da wurde der Schiffer gleich wieder übermütig, und wie er an dem Kapellchen vorbeifuhr, rief er: »Niklösche, no kriegst de nit esu lang! «, und dabei legte er den einen Zeigefinger über das erste Glied des andern. Aber er hatte zu früh triumphiert. Gleich unterhalb Mesenich, wo er so oft gefahrlos vorübergefahren war, wurde das Schiff auf einmal so gegen den Riverberg geschleudert, daß es in wenigen Augenblicken unterging. Nur der Schiffsknecht konnte mit Mühe und Not an Land schwimmen.

Die Zöpfe von Ruhrort

Es war zu allen Zeiten und ist auch noch heute so, daß die Schützenfeste am Niederrhein mit recht lauter, jubelnder Freude, aber auch manchmal mit ein wenig Zank und Streit gefeiert werden. Und so war es einmal in Ruhrort, dem damals kleinen Städtchen an der Ruhr. Das Geschehen einer Nacht in längst vergangener Zeit ist bis heute noch nicht ganz in der Erinnerung geschwunden, wie folgende kleine Geschichte zeigen kann.

Die Ruhrorter Junggesellen hatten ihre Duisburger Freunde eingeladen, und es ging recht lustig her mit Wort und Spiel. Aber wie es denn so ist: wenn der Wein die Gemüter erhitzt, werden die Münder übermütig. Und schließlich war es hier wie überall, daß der eine dieses und jenes vor seinen Nachbarn voraushaben wollte; aus Scherz wurde Ernst, und zuletzt entschieden die Fäuste über Recht und Unrecht – und weil die Duisburger stärker waren als ihre Gastgeber, trieben sie sie recht ins Gedränge, daß sie in ihre Häuser flüchten mußten. Da sie auch ein Zeichen ihres Sieges wünschten, schnitten sie ihnen die langen Zöpfe ab, die sie dann an der Stadtpumpe angenagelt haben.

Noch heute soll es so sein, daß die Ruhrorter Vereine bei ihren Festen mit Musik und Fahnen dreimal um die alte Pumpe ziehen.

Der Teufelssand

Der Satan wollte sich rächen für den Streich, der ihm gespielt worden war, flog darum nach dem Gestade der See und lud eine große Düne gleich einem Mehlsack auf den Rücken; mit der Last machte er sich alsbald wieder nach Aachen, um die Stadt gänzlich zu verschütten und unter dem Sand zu begraben. So war er schon über die Maas gekommen und stand endlich nicht mehr weit von der Stadt im Soerstal; da trieb ihm ein plötzlicher Wind so viel Sand in die Augen, daß er die Gegend nicht recht erkennen konnte. Eben kam ein altes Weib daher, das hatte Schlubben (Schlappschuhe) an. Das fragte er, wo er denn eigentlich wäre und wie weit er noch bis Aachen hätte. Die Alte schaute ihm einmal ins Gesicht und erkannte ihn gleich wieder, denn sie hatte ihn früher oft beim Bau des Münsters gesehen; auch erriet sie schnell seine Absicht, als sie den Sandberg auf seinen Schultern sah, und sie sprach schlau: »Ach, da seid ihr ja ganz vom Wege abgekommen, lieber Herr. Schaut nur auf mein Fußzeug; ich habe die Schuhe in Aachen neu angezogen, und jetzt sind die Sohlen mir von der lange Reise bis hierher schon ganz zerrissen.«

Da fluchte der Teufel einen greulichen Fluch und schrie zornig: »Ich bin der Schlepperei müde; für jetzt mag mir das Betrügernest entgehen, ich werde mich doch noch an ihm zu rächen wissen.« Und mit den Worten warf er den Sandberg nieder auf die Erde und fuhr ab, wobei er einen übernatürlichen Gestank hinterließ.

Den Sandhaufen kann man noch sehen; er ist durch den gewaltigen Stoß, den er bekam, als der Teufel ihn hinwarf, in der Mitte gespalten und bildet so eigentlich zwei Berge, von denen einer der Lousberg heißt, wie das alte Weib dem Teufel selbst zu loos (lose, schlau) war.

Gott läßt seiner nicht spotten

Der Wandersmann, der das Geldernsche Land durchwanderte und spät in der Nacht auf einem Bauernhofe ankam und Obdach erhielt, fühlte plötzlich in der Nacht, daß sein Ende nahe war; und den Knecht, der auf sein Stöhnen hin herzugekommen war, hat er in herzlichem Verlangen, einen Priester zu holen, damit er nicht ohne letzte Zehrung den Weg in die Ewigkeit zu gehen brauche.

Der Knecht, den die durchstürmte kalte Nacht nicht gerade einlud, den gefahrvollen Weg durch das Dunkel allein zu machen, weckte den Bauer selbst, ihn um seinen Rat zu fragen, ihn auch wohl zu bewegen, mit ihm zu gehen – und der, wohl wissend, daß man den Armen nicht ohne Stärkung dürfe sterben lassen, glaubte in seiner dummen Verschlagenheit, den Ewigen selbst in seiner heiligsten Feier umgehen und seiner spotten zu können. Ein wenig als Priester verkleidet, in seiner wahren Eigenschaft den schwachen, verlöschenden Augen des Sterbenden kaum erkennbar, teilte er das heilige Mahl selber aus, so wenigstens, daß der Wandersmann alsbald schon ohne Erkenntnis der Täuschung, mit Welt und Leben ausgesöhnt, hinüberschlief.

Als es Tag wurde, begrub man ihn und sprach zu keinem davon. Und es war, als sei alles gut – die Saat wuchs, Lerchen jubelten, und als die Vögel ringsumher in den Pappeln, Erlen und den Büschen zwischen den Weiden verstummten, reifte das Korn. Doch in diesen Zeiten, als schon die Ernte in den Scheunen geborgen war, geschah es, daß eines Tages die Magd mit verstörtem Gesicht ins Haus gestürzt kam: »In der Scheune steht ein schwarzes Gespenst, furchtbaren Gesichts, mit funkelnden Augen und langer roter schnalzender Zunge … « Und die es durch den Türspalt sahen, erschraken nicht minder, und Tag um Tag, Nacht um Nacht (da keiner schlief) blieb das Gespenst da, wo es war. Und schließlich, als der Bauer den Priester holte, der mit einem Kruzifix durch die weite Tür dem Untier entgegenging, ward der Bann gelöst: Das Tier sprang auf, sprang an allen vorbei… und eh sie sichs versahen, lag der Bauer im Blute da: Das Untier war ihm an die Kehle gesprungen und kaum, daß er hatte schreien können, war er schon tot.

Der Ritt auf dem Ungeheuer im Walde

In Kosthausen bei Haan soll ein alter, längst verstorbener Bauer umgehen. Den Anlaß dazu bot Folgendes:

Eines Tages ließ jener Bauer den Vieharzt auf seinen Hof kommen, da eine Kuh krank geworden war. Der Arzt schrieb ein Rezept, und der Bauer machte sich auf den Weg nach Erkrath, um in der dortigen Apotheke die Medizin zu holen. Da der Arzt denselben Weg nahm, gingen beide zusammen zum Kosthausener Wald. Durch denselben zieht sich noch heute ein Wassergraben. Als die beiden an diesem Graben angelangt waren, mahnte der Bauer den Arzt zur größten Vorsicht. Dieser war eben im Begriff, über den Graben zu schreiten, als sich plötzlich vor ihm ein Ungeheuer erhob. In demselben Augenblicke war er aber auch den Blicken des Bauern entschwunden. Voller Entsetzen rennt der Bauer nun durch den Wald und vernimmt endlich von fern her die Stimme des Arztes. Er eilt hinzu und findet ihn nach kurzer Zeit auf der Erde liegend. Endlich rafft er sich wieder auf und erzählt seinem Gefährten, daß er von einem wilden Tier weggetragen worden sei. Alle Versuche, von demselben loszukommen, seien vergeblich gewesen. Endlich hätte ihn das Ungeheuer zu Boden geschleudert.

Beide setzten nun ihren Weg unbehelligt fort. Der Bauer aber, welcher bald darauf starb, geistert seit seinem Tode auf Kosthausen.

Die Jungfrau am Drachenfels

Unter den Bergen des Siebengebirges hebt sich der Drachenfels mit seinen Ruinen am kühnsten am Rhein empor. In uralten Zeiten, so erzählt die Sage, lag hier in einer Höhle ein Drache, dem die heidnischen Bewohner der Gegend Verehrung erwiesen und Menschenopfer darbrachten. Gewöhnlich wurden dazu Leute ausgewählt, die im Krieg gefangen worden waren. Unter ihnen befand sich einst eine Jungfrau, die sich bereits zum Christentum bekehrt hatte. Sie war von hoher Schönheit, und zwei Anführer stritten sich um ihren Besitz. Da entschieden die Ältesten, daß sie dem Drachen geopfert werde, damit keine Zwietracht unter den Häuptern des Volkes entstehe.

In weißem Gewand, einen Blumenkranz im Haar, wurde die Jungfrau den Berg hinaufgeführt und in der Nähe der Felsenhöhle, worin der Lindwurm lag, an einen Baum gebunden. Viel Volk hatte sich in einiger Entfernung versammelt, um dem Schauspiel zuzusehen; aber es waren wenige, die das Los der Armen nicht vom Herzen bedauerten. Die Jungfrau stand ruhig da und schaute mit frommer Ergebung zum Himmel auf.

Eben stieg die Sonne hinter den Bergen hervor und warf ihre ersten Strahlen an den Eingang der Höhle. Bald kroch das geflügelte Untier heraus und eilte nach der Stätte, wo es seinen Raub zu finden gewohnt war. Die Jungfrau erschrak nicht, sie zog vielmehr ein Kreuz mit dem Bilde des Erlösers aus ihrem Gewande hervor und hielt es dem Drachen entgegen. Dieser bebte zurück und stürzte mit fürchterlichem Gezische und Dröhnen in den nahen Abgrund. Man hat ihn niemals mehr gesehen.

Da eilte das Volk, aufs tiefste ergriffen von dem Wunder, zur Jungfrau hin, löste ihre Bande und sah mit Erstaunen das kleine Kreuz an. Die Jungfrau aber erklärte ihnen die Bedeutung des heiligen Zeichens, und alle fielen zur Erde und baten sie, zu den Ihrigen zurückzukehren und ihnen einen Priester zu schicken, der sie unterweisen und taufen möge.

So kam das Christentum in die Gegend des Siebengebirges, und bei der Drachenhöhle wurde eine Kapelle erbaut.

Der blinde Schütz auf Sooneck

In alten Zeiten hauste auf der stolzen Burg Sooneck ein gewalttätiger Raubritter. Er war der Schrecken der Reisenden, die duch sein Gebiet ziehen mußten, und lag mit allen Nachbarn, die sich an seinen Raubzügen nicht beteiligten, in Fehde. Zu seinen Freunden zählte er nur Gesellen seines eigenen Schlages.

Eines Tages überfiel er mit seinen Kumpanen einen Zug friedlicher Kaufleute. Den billig errungenen Sieg feierte er mit einem wüsten Trinkgelage. Als die Zecher vom reichlich genossenen Wein erhitzte Köpfe hatten, gerieten sie in Streit darüber, wer von ihnen Bogen und Pfeil am besten zu handhaben verstehe. Keiner wollte zurückstehen, jeder wollte Meister sein.

Da rief der Burgherr in den Streit und Lärm hinein: »Nicht einer von uns allen kann es als Schütze mit dem Fürstenecker aufnehmen!« Die Spießgesellen schauten einander verwundert an, war doch der Ritter von Burg Fürsteneck seit einiger Zeit auf unerklärliche Weise verschwunden. Mit seiner vom Trunke heiseren Stimme rief da der Soonecker: »Ich weiß, wo der fromme Schleicher ist! In meinem Burgverlies liegt er gefangen und geblendet. Doch heute soll er vor euch einen Meisterschuß tun,«

Nach wenigen Augenblicken steht der Gefangene im Saal, erloschenen Auges und mit vergrämten Zügen, aber doch hoch erhobenen Hauptes. »Heute sollst du deinen Meisterschuß tun«, höhnt der Soonecker. »Wenn. du das Ziel triffst, bist du frei!« »Ich will es wagen«, sagt der Blinde und umspannt prüfend den dargereichten Bogen. Da wirft der Räuber einen Becher mitten unter die Zechgenossen und schreit: »Hier der Becher ist das Ziel. Schieß los!«

Schnell spannt der Blinde den Bogen, schon schwirrt die Sehne, und mit dem Pfeil im Herzen sinkt der Ritter von Sooneck tot zu Boden. Ernüchtert verlassen die Gäste den Saal. Nur ein Mitleidiger bleibt zurück und führt den Blinden auf seine Burg, heim zu Weib und Kind.

Der Weisenstein

In Viersen auf dem Markte lag in früherer Zeit ein Stein, den man den Weisenstein nannte. Er sollte weiser sein als die Menschen, die oftmals, wenn ein Unrecht geschehen war, trotz vieler Zeugen und der klügsten Richter nicht den Übeltäter fanden und in leblosen Dingen Gottes Kraft vermuteten und durch sie ein sichtbares Zeichen als sein Urteil suchten. Bei diesem Stein aber sollte es sein, daß der Angeklagte mit der Hand auf ihn schlagen sollte. Blutete ihm davon die Nase, dann war er der Übeltäter. jedermann aber weiß, daß es Menschen gibt, denen leicht die Nase blutet, sogar ohne daß sie auf einen Stein schlagen, und es wird wohl keiner sein, dem nicht schon einmal die Nase blutete, ohne daß er irgend eine Ursache dazu wußte.

So geschah es denn einmal (und wahrscheinlich oft), daß nicht der Übeltäter sondern derjenige verurteilt wurde, der die dünnsten Nasenadern hatte. Und als ein ehrsamer Bürger so zum Tode geführt werden sollte, ergriff es ihn so tief, ob dieses einfältigen Zeichens willen sterben zu sollen, daß er gar nicht anders denken konnte, als daß Gott ein anderes für ihn aufgespart habe. Und als er mit dem Henker an einem Lindenbaum vorbeikam, der voll der schönsten grünen Blätter hing, da trieb es ihn aus einer wunderbaren Kraft, herauszuschreien: »So gewiß der Baum im Augenblick alle Blätter verliert, so gewiß bin ich unschuldig …« Und indem er dieses sagte, ehe noch die Menge es ganz verstanden hatte, begann ein Rieseln und ein Wehen, fielen die grünen Blätter mitten in der Sommerzeit, als noch die Bienen in den Blüten summten, hernieder, daß der Platz grün wurde, wie festlich bestreut, und daß jeder, in Erschauerung vor dem Wunder, auch mit in dem Rieseln stehen wollte, das ihnen allen wie eine Gnade war, wie ein niederschwebender Segen. Und so erwiesen sie dem Angeklagten alle Ehre, und da sie dem Stein nicht mehr glaubten, warfen sie ihn über die Mauer in den Wassergraben, wo er schon bald von andern seiner Art nicht mehr zu unterscheiden war.

Das Haus der Frau Richmut zu Köln

Frau Richmut von Adocht, die Gemahlin eines reichen Bürgermeisters zu Köln, starb und wurde feierlich begraben. Der Totengräber hatte bemerkt, daß die Verstorbene einen wertvollen Ring am Finger trug. Die Goldgier trieb ihn nachts zu dem Grabe, das er heimlich öffnete, um den Ring abzuziehen.

Kaum aber hatte er den Sargdeckel aufgemacht, so sah er, daß der Leichnam die Hand zusammendrückte und aus dem Sarg steigen wollte. Erschrocken floh er davon. Die Frau wand sich aus den Grabtüchern, stieg aus dem Grab heraus und ging geradewegs auf ihr Haus zu, wo sie dem Hausknecht rief, er möge ihr schnell die Tür öffnen; dann erzählte sie ihm mit wenigen Worten, was ihr widerfahren sei.

Der Hausknecht eilte zu seinem Herrn, und atemlos stammelte er: »Unsere Frau steht unten vor der Tür und will eingelassen werden.«

»Ach«, erwiderte der Herr, »das ist unmöglich; eher würden meine Schimmel oben auf dem Heuboden stehen.«

Kaum hatte er die Bemerkung fallen gelassen, so trappelte es auf der Treppe und dem Boden, und siehe, die sechs Schimmel des Bürgermeisters standen alle oben auf dem Boden beisammen.

Die Frau aber hatte nicht augehört zu klopfen; nun glaubte es der Bürgermeister, daß sie wirklich da sei, und ließ sie mit Freuden ins Haus. Wie waren alle glücklich, daß die Frau wieder dem Leben zurückgegeben war.

Am nächsten Tag schauten die Pferde noch aus dem Bodenloch, und man mußte ein großes Gerüst aufstellen, um sie unversehrt wieder herabzubringen .

Zum Gedenken an diesen Vorfall hat man Pferde ausgestopft, die an diesem Haus zum Boden herausschauen. Auch ist Frau Richmut in der Apostelkirche zu Köln dargestellt, wo man überdies einen langen leinenen Vorhang zeigt, den sie nachher mit eigener Hand gesponnen und der Kirche verehrt hat. Denn sie lebte noch sieben Jahre nach den schrecklichen Tagen ihrer Beerdigung.

Der Heribertsborn

Zwischen der Stadt Solingen und den Dörfern Witzhelden und Leichlingen erhebt sich ein bedeutender waldbedeckter Höhenzug, das Grünscheidt; auf diesem entspringt, von allen menschlichen Wohnungen entfernt, der Heribertsborn. An diesem Borne will man oft eine weiße Frau, oft deren drei erblickt haben. Einige Augenzeugen bemerkten sie, in blendend weiße Gewande gehüllt, unter hohen Bäumen sitzen; andere erzählen, sie pflegten in dem Quell zu baden. Alle Wanderer, welche am Tage, besonders die, welche zur Abendzeit an dieser Stelle vorbei müssen, tun dieses nicht ohne Grausen, obschon man nicht gehört hat, daß die Erscheinungen je einem ein Leides getan. Wenn Leichen an dieser Stelle vorbei getragen werden, was wohl zu geschehen pflegt, da die Bewohner der nahen Weiler ihre Toten nach den Friedhöfen von Leichlingen, Witzhelden oder Solingen bringen, setzen sie hier die Bahre nieder, sprechen im Stillen ein Gebet und verfolgen dann erst ihren Weg. Es wird erzählt, daß noch während der letzten Jahre ein Bewohner des Rheintales, welcher nach Solingen wollte und sich den näheren Weg durch den Gebirgswald beschreiben ließ, in demselben irre geworden, die Kreuz und Quer, bergan und bergab gezogen, bis zum Sinken der Nacht ohne Ausweg geblieben, endlich in seiner Trostlosigkeit an jene Bäume gelangt sei. Dort habe er drei hohe Frauen in schimmernd weißen Gewanden nebeneinander sitzen sehen. Obschon ihm das Herz hier tief im Walde in der Dämmerung dieser Erscheinung gegenüber erbebte, und obschon er sich nicht getraute, näher zu treten, fragte der Verirrte bescheiden nach dem Wege, worauf eine der Frauen sich aufrichtete und hochragend mit der Hand nach der Gegend winkte, wo sein Weg lag, welchem der Wanderer sich auch gleich mit beklommenem Herzen und wankenden Knien zuwandte. Er gelangte bald zu einem Weiler, hörte dessen Bewohner, die er um den ferneren Weg anging, manches Verdächtigte über die Frauen am Borne murmeln, fand aber keine Ursache, sich über die Weißen zu beklagen, indem sie ihm den kürzesten Weg zum Ziele angedeutet hatten.

Die Hand aus dem Grabe

Es war eine Tochter, die ihre Mutter geschlagen hatte. Als sie gestorben war, wuchs ihre Hand aus dem Grabe, und wo sonst Gras und Blumen stehen, war es grau und kahl. Und trotz Pflanzen und Begießen: alles verdorrte ringsumher. Das einzige, was erschauernd und furchtbar aufwuchs aus der Nacht der Erde war die weiße Totenhand.

Alle Tage war die Mutter mit Beten und Weinen zum Friedhof gegangen, bis sie schließlich die Schaufel nahm und ihr Kind tiefer in die Erde grub. Und es war so an diesem wie am nächsten und übernächsten Tage: So tief sie das Grab auch schaufelte, immer war der Arm so hoch gewachsen, daß immer wieder die Hand aus dem Grabe aufrecht stand, daß jeden, der vorüberging, ein Grauen ankam und die Mutter immer einsamer sich verschloß vor aller Menschen Blick. Einer Mutter Liebe ist jenseits von Gut und Böse, sie duldet alles und erträget alles; und also war das Grab zuletzt ihr einziger Ort, an dem sie mit der toten Tochter und ihrem eigenen schweren Leib allein war, von den Menschen fern in dieser leeren, öden Friedhofseinsamkeit.

Es begab sich eines Tages, daß der Pfarrer des Weges ging und sie ihn anrief, daß er möge beten und die Gemeinde bitten, mit zu beten um der gestraften Tochter Heil. Und als ihr die Antwort ward, es wüchsen auf dem Friedhof Birkenreiser für ein ungezogenes Kind genug, sie solle es noch im Tode strafen, dann würde jener Fluch entkräftet und die Hand im Grab verbleiben, da regte es sich in der Erde tief, das Grab zerbarst und der Tochter dumpfe Grabesstimme sprach: » So strafe mich, o Mutter, damit Du Ruhe findest. Dort steht der Birkenbaum, des Wurzeln bis in meine Tiefe kommen, schlag mich mit seinen Reisern! O, ich möchte ein Leben lang mich von dir strafen lassen, die ich dir den Frieden und die Freude dieses Lebens ganz zerstörte.« Doch indem sie sprach, zitterte es durch den Leib der Mutter: »Sie lebt, sie lebt, o, das ist ihre Stimme!« … und es hielt sie nichts: mit einem Freudenschrei warf sie sich zu der Tochter in die dunkle Gruft, umschloß sie fest mir ihren Armen und ließ die Schollen über sich hinrieseln, daß sie bald schon beide, ganz bedeckt mit Erde, begraben waren: Im Tod vereint.

Der Pfarrer, der es so erzählte, kam mit verstörtem Blick nach Hause. Man fand ihn am andern Morgen auf jenem Grab erstarrt und tot. Doch als die Gemeinde nach drei Tagen mit seiner Leiche im großen, feierlichen Zug zum Friedhof kam, da sahen sie alle auf jenem Mutter-Tochtergrab ein Grünen und ein Blühen mit Nelken und Reseden und hundert Sommerblumen wie nirgendwo. Und jener Birkenbaum, der seine Zweige senkte, und dessen Wurzeln bis in jene Tiefe reichten, da die beiden schliefen, war wunderbar verwandelt, daß aus seinen Zweigen rote Rosen blühten.

Der Todeskampf in der Luft

In dem Augenblicke, wo jemand verscheidet, findet ein Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen Gott und dem Teufel, zwischen dem Licht und der Finsternis statt. Dieser Glauben herrscht namentlich noch im Dönberg und hat sich vielfach zu Sagen verdichtet.

Einst lag ein Greis zu Kattenbruch im Dönberg auf seinem Sterbelager. Als er das Ende nahen fühlte, sandte er seinen erwachsenen Sohn eiligst zu einem reformierten Geistlichen nach Elberfeld. Der Geistliche war sofort bereit, dem Sterbenden die Tröstungen der christlichen Kirche zu gewähren, und begab sich mit dem Burschen auf den Weg. Als sie nahe zum Hause gekommen waren, blieb der junge Mann plötzlich stehen und starrte einige Zeit sprachlos in die Luft. Auf die Frage des Pfarrers, was er dort sehe, erwiderte er, daß er dort einen Kampf, ein gewaltiges Ringen zwischen unbeschreibbaren Wesen gesehen habe. Der Pfarrer teilte nun dem jungen Manne mit, daß jedesmal beim Sterben des Menschen ein Kampf stattfinde. Als sie einige Minuten später ins Haus traten, hatte der Alte ausgekämpft. Sein Tod war in demselben Augenblicke eingetreten, als sein Sohn den Kampf in der Luft beobachtete.

Die Zedern von Aspel

Unweit der Stelle, wo am Rhein die alte Stadt Rees mit ihren breiten Mauern, Türmen und Bäumen liegt, steht auch seit vielen hundert Jahren schon das Schloß Aspel. Turm und Fenster spiegeln sich im tiefen Wasser, und hohe Pappeln, Weiden, Kiefern und auch Eichen wachsen in seiner Nähe, und niemand wundert sich dessen, weil eben der Niederrhein aller dieser Bäume Heimat ist. Bei Aspel aber stehen in einer Allee, die nach Rees zu führt, einige Stämme, die in dieser Landschaft etwas ganz besonderes sind: Zedern aus dem Morgenland; und es geht eine schöne Sage, die erzählt, wie sie einst vom Süden her in diese nordische Landschaft kamen.

In der Zeit der Kreuzzüge, als sich die deutschen Ritter zusammenscharten, um das heilige Grab vor der Macht der ungläubigen Türken zu schützen, sollen sie dorthin gebracht worden sein. Der Aspeler Schloßherr, der auch manches Jahr der Heimat fern gewesen, war zurückgekehrt. Aber in dem Fest der Freude und des Wiedersehens war eine große Trauer um einen Knecht, der ihm treu gedient, der ihm und allen, die ihn kannten, der Gräfin auch, lieb und teuer war, und über den er dennoch nun schon in den ersten Tagen seiner Rückkehr ein strenges Strafgericht verhängen mußte. Eines Verbrechens war er angeklagt, einen Priester sollte er ermordet haben, drüben im heiligen Land. Er habe ihn ins Schilf geworfen und den Toten dann, um den Verdacht von sich abzulenken, auf seinem Rücken selbst zu seinem Herrn ins Lager getragen.

Das war nun alles schon eine lange Zeit vorbei. Man hatte ihn, der immer seine Unschuld beteuerte, gefangen mitgeführt, um ihn erst in der Heimat zu verurteilen. Es war dem Grafen selber schwer, an seine Schuld zu glauben. Aber durch das Zeugnis eines anderen Knechts, der die böse Tat gesehen haben wollte und einen Eid gegen ihn geschworen hatte, war kein Zweifel mehr… und nun, nach jenen ersten Tagen der Heimkehr, sollte ohne langes Gericht und Urteil die Todesstrafe an dem Knecht, der vermeintlich doch nun auch des Herrn besonderes Vertrauen betrogen hatte, vollzogen werden.

Jedoch die Gräfin, die auch den Knappen liebte, bat in letzter Stunde noch für ihn: »Laßt wenigstens den Richter sprechen! Laßt uns Klage und Gegenklage, Verteidigung und Richterspruch anhören… Denn falsches Urteil ist eine Sünde wider Gott!« Und so geschahs denn auch: Der ihn beschuldigt hatte wiederholte seine Klage gegen ihn, und er selbst beteuerte wie schon immer seine Unschuld. Er sei von eines Türken Hand verwundet worden, und indem er sich die Wunde vom Blut reinwaschen wollte, habe er die Leiche im Schilf des Flusses verborgen aufgefunden und zum Lager gebracht. Auf dem Wege aber sei ihm eben dieser Knecht, der ihn des Mords beschuldige, mit verstörtem Blick und in hastigem Lauf begegnet… und er erhebe nun, da sie in der Heimat seien, die Gegenklage: »Ich beschuldige ihn«, so rief er, zitternd am ganzen Leibe, der Versammlung zu, »des Mords. Ihn, der an meiner Statt des Grafen Freund geworden ist. Und ich beschuldige weiter ihn der bösen Tat, die er drüben im fremden Land an einem Mädchen vollbringen wollte, daran ich ihn gehindert. Ich weiß, daß nur die Angst vor mir, sein böses Gewissen wegen dieser schlechten Tat, ihn zu dem falschen Eid verleitet haben, und ich hätte geschwiegen, müßte ich nun nicht selber um mein Leben kämpfen! «

Nach diesen Worten war es still ringsum. So sehr alle auch den Knappen liebten, und so sehr einige auch ihm zu glauben neigten: Es stand Klage gegen Klage… und um ein Ende und des schweren Rätsels Lösung nun zu finden, kam man überein, daß Gott entscheiden solle. Und ehe man sich über die Art des Gottesurteils geeinigt hatte, sprang der Beschuldigte vor, schwang einen dürren Peitschenstiel, geflochten rund aus Zedernreisern, und rief also: »Ich will den dürren Stab, aus dem Morgenlande heimgebracht, in diese trockene Erde stecken. Ohne Wunder Gottes wird er nicht zum Wachsen kommen. Wächst er aber im Augenblick mit grünen Nadeln und mit jungen Spitzen wie ein junger Baum im Frühling, alsdann sei meine Unschuld klar erwiesen!« Und schon sprang er durch der Knechte Kette, pflanzte den Stab gleich nebenan in die harte, trockene Burghofserde – und seine Hände und Augen wie in Verzweiflung zum Himmel erhoben, betete er: »Gott, gib der Wahrheit Kraft! Gib diesem dürren Stabe Kraft, Wahrheit zu zeugen und die Lüge und die Sünde zu beweisen! « Und indem er kniete, lichtete sich aus grauen Wolken des Himmels klarer Schein. Und im harten Burghof lockerte sich die Erde, daß es wie ein leises Rieseln war; Wurzeln wuchsen… und zugleich brachen Knospen auf zu feinen Nadeln, und schon auch streuten sich Samen ringsumher, aus denen junge Zedern wuchsen, die noch heute dort in Aspel bei dem Burghof stehen, und deren eine bis heute die Gestalt des gewundenen Peitschenstiels behalten hat.

Da war stille Befriedigung über des Knappen Unschuld und Gottes sichtbarliches Zeichen. Erst war Staunen, eine heilige Stille wie Gebet… dann aber brach der Jubel los, und mit aufgetanen Armen holte der Graf den also treu Erwiesenen zu seinem Stuhl. Und nun erst war rechte Freude der Heimkehr nach so langer Fahrt durch Nöte und Gefahr in Kampf und heißer Sonnenglut des Morgenlandes.

Der Teufelsschornstein

Bei Saarhölzbach lebte einmal ein Schmied, der war so stark, daß er seinen Amboß mit Leichtigkeit bis über den Kopf heben konnte. Er war ein rauher Geselle, fluchte den ganzen Tag und glaubte weder an Gott noch an den Teufel.

Eines Tages stand er in seiner Werkstatt und machte Hufeisen. Als er das erste fertig hatte und beiseite schob, sprang es mitten durch. Zornig nahm er ein zweites unter den Hammer, doch auch dieses zersprang. Da packte er fluchend ein neues Stück Eisen mit der Zange und sprach: »Wenn das nun auch zerspringt, dann soll mich gleichfalls der Teufel holen! « Wütend hämmerte er drauf los, daß die Funken bis an die Wände stoben. Wie nun auch das dritte Hufeisen klirrend in zwei Stücke zerbrach, da kam schon der Teufel durch den Rauchfang und redete den Überraschten an: »Ich habe deinen Wunsch gehört und bin gekommen, ihn zu erfüllen. Folge mir! «

Da wurde es dem Schmied angst und bange; er dachte darüber nach, wie er dem Teufel entrinnen könne, und sagte endlich: »Mein Wort will ich halten, doch sollst du mir vorher zeigen, wie groß deine Macht ist. « Der Teufel war’s zufrieden, und nachdem die beiden abgemacht hatten, sich um Mitternacht auf dem Berge gegenüber Saarhölzbach zu treffen, verschwand der Böse wieder durch den Rauchfang.

Als es Nacht geworden war, nahm der Schmied seinen schweren Zuschlaghammer unter den Arm, fuhr mit einem Nachen über die Saar, stieg den Berg hinan und stellte sich in einen hohlen Baum, Um den Teufel zu erwarten. Plötzlich tat sich am Abhange des Berges die Erde auf, und der Fürst der Unterwelt kam, in eine Rauchwolke gehüllt, aus der Öffnung hervor. Er hob schnuppernd die Nase und kam dann geradeswegs auf den hohlen Baum zu. Der Schmied gab ihm nun auf, zwischen 12 und 1 Uhr sämtliche Marksteine des Trierer Landes auf einen Haufen zusammenzutragen, und sie dann zwischen 1 und 2 Uhr wieder zurückzuschaffen, einen jeden an seine Stelle. Der Teufel war einverstanden; er pfiff auf den Fingern, und sogleich kam eine ganze Schar bocksfüßiger Gesellen herbeigestürmt. Die gingen, als es im nahen Mettlach zwölf Uhr schlug, mit ihrem Meister ans Werk. Bald regnete es Marksteine, und noch vor Ablauf einer Stunde war die halbe Arbeit getan; die Steine lagen, haushoch aufgetürmt, beisammen. Nur einer lag etwas abseits; ein Teufel hatte ihn fallen lassen, als ob er ihm zu heiß sei. Als der Schmied ihn genauer betrachtete, sah er, daß er mit einem Kreuz gezeichnet war. Er zerschlug ihn heimlich mit dem Hammer zu Staub und streute diesen in den nahen Bach.

Beim Schlage eins begann die höllische Schar die Steine wieder fortzuschaffen, und schon vor der ausbedungenen Zeit konnte der Meister berichten, daß die Abmachung erfüllt sei. Der Schmied aber machte ihn darauf aufmerksam, daß noch ein Stein fehle. Als die Teufel merkten, was geschehen war, drangen sie wütend auf den Mann in der Lederschürze ein. Der aber packte den Hammer und schlug den Anstürmenden gewaltig auf die Köpfe, daß sie klirrten. Doch allmählich erlahmten seine Kräfte, und er wäre sicher verloren gewesen, wenn es nicht im Augenblick der höchsten Gefahr vom Mettlacher Kirchturm zwei geschlagen hätte. Da fuhren die Teufel durch die Öffnung am Bergabhang wieder in die Tiefe.

Als der Schmied sich erholt hatte, ging er langsam nach Hause. Schon am andern Morgen warf er Hammer und Amboß in die Saar und trat eine Fahrt nach dem heiligen Lande an. Der Felsen aber, unter dem die Höllenbewohner aus- und eingefahren waren, heißt noch heute der Teufelsschornstein.

Der Wolf und der Tannenzapf

Zu Aachen im Dom zeigt man an dem einen Flügel des ehernen Kirchentors einen Spalt und das Bild eines Wolfs nebst einem Tannenzapfen, beide gleichfalls aus Erz gegossen. Die Sage davon lautet: vor Zeiten, als man diese Kirche zu bauen angefangen, habe man mitten im Werk einhalten müssen aus Mangel an Geld. Nachdem nun die Trümmer eine Weile so dagestanden, sei der Teufel zu den Ratsherrn gekommen, mit dem Erbieten, das benötigte Geld zu geben unter der Bedingung, daß die erste Seele, die bei der Einweihung der Kirche in die Türe hineinträte, sein eigen würde. Der Rat habe lang gezaudert, endlich doch eingewilligt und versprochen, den Inhalt der Bedingung geheim zu halten. Darauf sei mit dem Höllengeld das Gotteshaus herrlich ausgebaut, immittelst aber auch das Geheimnis ruchtbar geworden. Niemand wollte also die Kirche zuerst betreten und man sann endlich eine List aus. Man fing einen Wolf im Wald, trug ihn zum Haupttor der Kirche und an dem Festtag, als die Glocken zu läuten anhuben, ließ man ihn los und hineinlaufen. Wie ein Sturmwind fuhr der Teufel hinterdrein und erwischte das, was ihm nach dem Vertrag gehörte. Als er aber merkte, daß er betrogen war und man ihm eine bloße Wolfsseele geliefert hatte, erzürnte er und warf das eherne Tor so gewaltig zu, daß der eine Flügel sprang und den Spalt bis auf den heutigen Tag behalten hat. Zum Andenken goß man den Wolf und seine Seele, die dem Tannenzapf ähnlich sein soll. – Andere erzählen es von einer sündhaften Frau, die man für das Wohl der ganzen Stadt dem Teufel geopfert habe und erklären die Frucht durch eine Artischocke, welche der Frauen arme Seele bedeuten soll.

Das steinerne Kreuz

Unweit der hellen Fläche des Talsperrsees bei Remscheid steht im Gestrüpp ein altes, morsches Steinkreuz, mit unleserlichen Inschriften bedeckt. Der Platz umher ist fast ganz frei von Strauchwerk und dient alljährlich am zweiten Pfingsttag einer zahlreichen Volksmenge von nah und fern zum Festplatz. In geringer Entfernung zieht die alte kölnische Straße vorüber.

Von diesem Kreuz erzählt das Volk folgendes:

Vor Zeiten wurde an diesem Platze ein Bote erschlagen und ausgeraubt. Sterbend rief er seinen Mördern zu, der Himmel werde ihn durch die Vögel rächen, welche grade über sie hinflogen. Nach vollbrachter Tat zogen die Mörder nach dem Born und kehrten in einem dortigen Wirtshause ein. Hier ließen sie es sich wohl schmecken, und bald standen Kramtsvögel vor ihnen. Da bemerkte der eine, diese würden sie gewiß nicht verraten. Aber der Wirt hatte diese Worte vernommen. Er sandte zum Gericht, und halb saßen die beiden im Kerker. So entgingen sie ihrer gerechten Strafe nicht.

Die Bockreiter

In den Ländern links des Niederrheines verbreiteten in alten Zeiten die Bockreiter Furcht und Schrecken. Sie waren eine Verbrecherzunft, die durch strenge Gesetze zusammengehalten wurde. Bei ihrer Aufnahme in die Zunft mußten sie Gott absagen und sich dem Teufel verschreiben. Der höllische Geist stand ihnen bei. Er trug sie in der Gestalt eines schwarzen Bockes an die Orte ihrer Verbrechen und wieder zurück, so daß es nur selten gelang, einen von ihnen der strafenden Gerechtigkeit zuzuführen.

Daß die Bockreiter mit des Teufels Hilfe Wunder vollbringen konnten, erfuhr ein junger Bursch aus Jülich, der den Werbern des Preußenkönigs in die Hände gefallen und nach Spandau gebracht worden war. Als er dort sieben Jahre lang Kommißbrot gegessen hatte, wurde seine Sehnsucht nach Freiheit so groß, daß er es fast nicht mehr aushalten konnte. Das merkte ein alter Korporal, ein Landsmann des Jülichers aus Herzogenrath. Der redete ihn eines Tages an und sagte: »Kamerad, du willst heim, ich sehe es dir an. Ich will dir zur Flucht verhelfen. Ich bin Bockreiter und erwarte dich in der kommenden Nacht um die zwölfte Stunde auf der Bastei. Wenn du tust, was ich dir sage, dann wirst du morgen früh vor dem ersten Hahnenschrei in deines Vaters Haus sein.« Der junge Soldat hatte in seiner Heimat viel seltsame Geschichten von den Bockreitern gehört. Seine Großmutter hatte ihm erzählt, daß zwei von ihnen einmal abends dem Sultan in Konstantinopel die Wäsche gestohlen und sie am nächsten Morgen auf dem Markt in London fellgeboten hätten. Dem Soldaten widerstrebte es zwar, sich einem Bockreiter anzuvertrauen, doch war sein Heimweh so übermächtig, daß er sich um Mitternacht an der verabredeten Stelle einfand. Der Korporal kam ihm schon entgegen. Er winkte mit einem Stock, und im nächsten Augenblicke stand ein schwarzer zottiger Bock mit feurigen Augen vor ihnen. »Steige auf seinen Rücken«, sagte der Alte, »und packe ihn fest bei den Hörnern. Wenn dich etwas unterwegs erschreckt, dann sprich nicht das Wort aus, das eine Mutter sagt, wenn sie unversehens in Gefahr kommt. Fluche lieber, soviel du willst, in drei Teufels Namen.«

Im nächsten Augenblick erhob sich der Bock in die Lüfte, und fort ging es mit Windeseile nach Westen. Plötzlich ging die Fahrt in die Tiefe. Der Soldat erschrak und rief: »Jesses!« Da warf der Bock ihn ab. Er fiel zum Glück in ein dichtes Gebüsch und kam so mit dem Leben davon. Als er sich erheben wollte, merkte er, daß er ein Bein gebrochen hatte. Am Morgen kam ein Bauer mit seinem Fuhrwerk vorbei. Der sagte ihm, daß er am Rande des Jülicher Waldes liege, und brachte ihn zu seinen Eltern.

Die Ebernburg

Unweit der Badestädte Kreuznach und Münster am Stein, im Winkel von Nahe und Alsenz, steht die stolze Ebernburg. Dort wohnte um das Jahr 1500 Franz von Sickingen, das Oberhaupt des schwäbischrheinischen Ritterbundes, ein tatkräftiger Schirmherr der Reformation. Viele Anhänger der neuen Lehre fanden bei ihm Schutz vor Verfolgung und eine gastliche Freistätte, darunter auch Ulrich von Hutten, der den Ebernburger zum Kampf gegen die geistlichen Fürsten am Rhein aufrief.

Einst wurde die Ebernburg belagert. Viele Wochen lang rannten die Feinde vergebens gegen ihre starken Mauern an. Den Belagerern blieb schließlich die einzige Hoffnung, Sickingen mit seinen Mannen auszuhungern; allzu groß konnten die Lebensmittelvorräte auf der Burg nicht mehr sein. Aber die Zeit bis zur Übergabe wurde den Feinden doch lange gemacht. Tag für Tag mußten sie sehen, wie die Burgmannen ein großes Schwein zum Hof hinausführten und zum Abstechen niederwarfen; gleichzeitig vernahmen sie ein lautes quiekendes Geschrei. Hätten sie geahnt, daß ihnen mit einem einzigen Borstentier, einem stattlichen Eber, solch Schauspiel immer von neuem vorgeführt wurde, dann würden sie die Belagerung nicht so bald aufgegeben haben. So aber gelang die Täuschung, und der Feind zog ab.

Des Ebers Bild, in Stein gehauen, ist noch jetzt am Eingang der Burg, die zum Teil aus dem Schutt vergangener Jahrhunderte neu erstanden ist, zu sehen.

Woher Hückeswagen seinen Namen hat

Vor langen, langen Zeiten fuhr einmal eine Frau auf ihrem von einem Esel. gezogenen Gefährt Käse zur Stadt. In einem Hause verweilte die Bäuerin über Gebühr, während das Langohr draußen stand. Diesem wurde allmählich die Zeit zu lang, und plötzlich setzte sich das Tier in Bewegung. Als das die Frau gewahrte, stürzte sie hinaus und lief, laut: »Hü (Halt) Keswagen« rufend, hinter dem enteilenden Fuhrwerk her. Daher rührt die Bezeichnung des Städtchens an der obern Wupper.

Wo das Paradies lag

Da zerbrechen sich die Gelehrten den Kopf darüber, wo das Paradies gelegen haben kann, und wer nach Kleve kommt, der kann es von jedem einfachen Mann, ja von jedem Kind, das zur Schule geht, erfahren. Warbeyen heißt der Ort, der nicht weit von der holländischen Grenze liegt. Als Adam und Eva von dem verbotenen Apfel gegessen und sich versteckt hatten und der liebe Gott hinter ihnen her war und sie im Garten suchte, da hat er in der Sprache dieser Gegend schon damals Adam angerufen: »Adam, war bey je?« – (Adam, wo bist du?) und nach dieser Frage des lieben Gottes an Adam bekam die Gegend dort ihren Namen. Aber es wird auch weiter erzählt, daß, gleich nachdem die ersten Menschen aus dem Paradies Warbeyen gewiesen waren, der Teufel hinter ihnen her gewesen sei, so, daß Gott ihn voll Zorn anrufen mußte: »Düffel, wart! « Und wo der Teufel da gestanden hat, ist heute der Ort Düffelward, und wo Adam und Eva stehen blieben – se bleven stohn un »keeken« – ist heute das Dorf Keeken. So also haben Warbeyen, Düffelward und Keeken ihre Namen aus der allerältesten Zeit, als nur Adam und Eva und sonst noch keine Menschen auf Erden waren.

Wie ein Bauer zu einem neuen Hofe kam

In der Nähe von Hinsbeck am Herschen lebte in alten Zeiten ein Bauer, dessen Hof in schlechtem Zustande war. Als er nun eines Tages über sein Feld ging und nachdachte, wie er zu einem neuen Hofe kommen könne, stand auf einmal ein feiner Herr vor ihm und fragte ihn: »Ei, Bauer, warum so schlechten Mutes?« »Ach«, sagte der Bauer, »mein Hof ist so schlecht, und ich weiß nicht an einen neuen zu kommen.« »0«, sprach der Herr, »da kann ich wohl helfen, ich will dir Geld genug geben, daß du dir einen schönen, neuen Hof bauen kannst; dafür mußt du mir aber deine Seele verschreiben.« Der Bauer sagte: »Das ist doch zu viel verlangt, dir meine Seele zu verschreiben, wenn ich den Hof gebaut habe; ich muß doch auch Genuß davon haben.« Da sprach der Teufel: »Du kannst noch vierzehn Jahre leben, und wir teilen uns in dieser Zeit die Ernte so, daß ich in einem Jahre bekomme, was auf dem Erdboden wächst und in dem folgenden, was in der Erde wächst – und so abwechselnd.« Wenn nun das Jahr kam, wo des Teufels Anteil die Ernte auf der Erde war, pflanzte der Bauer, was in der Erde wuchs; dann bekam der Teufel nichts und der Bauer alles. Wenn das Jahr kam, wo der Teufel Anspruch auf die Ernte in der Erde hatte, säte der Bauer Hafer, Roggen, Weizen und dergleichen. So bekam der Teufel wieder nichts. Als das einige Jahre so zuging, sagte der Teufel zum Bauer: »So geht es aber nicht weiter, denn da bekomme ich ja gar nichts. Da wollen wir lieber einen Wettkampf eingehen. Wer am weitesten einen Stein werfen kann, der soll Sieger sein.« – Das war dem Bauer recht, wenn der Teufel zuerst werfen wollte. Da nahm der Teufel einen ganz großen Stein und warf ihn bis auf den Buschberg. Nun war der Bauer an der Reihe. Er nahm einen viel kleineren Stein, sagte aber: »Nun weiß ich nicht, wo jetzt mein Bruder weilt; der ist in Frankreich, England oder Spanien, den darf ich doch nicht totwerfen.« »Hu«, sagte der Teufel, »wenn du so weit werfen kannst bis in Frankreich, England oder Spanien, so fange nur ja nicht an, denn so weit kann ich es nicht.« Und der Teufel ging seiner Wege und überließ dem Bauer die Ernte und den Hof.

Der Schnutenteich bei Mettmann

Hart am Wege von Gruiten nach Mettmann, ungefähr auf der Hälfte, liegt der von der Bevölkerung der dortigen Gegend gefürchtete und gemiedene »Schnutenteich«.

Fast jedermann weiß eine Reihe von Geschichten zu erzählen, welche alle darin übereinstimmen, daß dort den Leuten zu nächtlicher Stunde auf geheimnisvolle Weise das Geld aus der Tasche geraubt wird.

»Das tun die bösen Geister«, setzt der Landmann geheimnisvoll hinzu.

Die Kapelle auf dem Petersberg

In alten Zeiten stand in Neef an der Mosel ein kleines Kirchlein mitten in einem Friedhofe, auf dem die Dorfbewohner seit Menschengedenken zur letzten Ruhe gebettet wurden. Wie nun das ehrwürdige Gotteshaus baufällig wurde, rissen die Neefer es ab, um an seiner Stelle ein größeres und schöneres zu errichten. Alt und jung beteiligten sich in frohem Wetteifer an der Arbeit, und bald lagen Holz und Steine in Fülle auf der Baustelle. Als aber die Steinmetzen eines Morgens ans Werk gehen wollten, um das Gebäude aufzuführen, da war der Bauplatz leer, Holz und Steine waren verschwunden. Und wie man suchte, fand man alles auf der Höhe des Petersberges, fein säuberlich zu hohen Stapeln aufgeschichtet. Zuerst dachte man an einen losen Scherz mutwilliger Buben, doch die Umlagerung war ohne jeden Lärm vor sich gegangen; kein Hund hatte in der Nacht angeschlagen.

Mühsam schafften die fleißigen Neefer die Vorräte auf die alte Stelle. Vergebens! Morgens lagen sie wieder auf der Höhe des Berges. In der nächsten Nacht standen die Männer des Dorfes Wache, um zu sehen, wer ihnen wohl den bösen Streich spiele. Bis Mitternacht blieb alles still, der Bauplatz lag friedlich im Mondenschein. Da stiegen aus einer Wolke leuchtende Gestalten hernieder und trugen Holz und Steine durch die Luft erneut zur Bergesspitze empor. Nun erkannten die Neefer, daß die Kapelle nach Gottes Willen hoch oben über ihren Weinbergen errichtet werden sollte. Sie fügten sich dem göttlichen Befehl, und heute noch steht das Kirchlein inmitten des stillen Friedhofes an der Stelle, die Gott durch ein Wunder gezeigt hatte.

Die drei Jungfrauen von Landskron

Auf der Burg Landskrone an der Ahr wohnte einmal ein mächtiger Graf, der hatte drei liebliche Töchter, denen es an Freiern nicht fehlte. Um die Hand der jüngsten bewarb sich ein benachbarter Ritter, der aber kein Gehör fand und daher auf blutige Rache sann.

Eines Tages zog der Graf mit seinen Knappen auf die Jagd. Da überfiel der abgewiesene Freier mit seinen Leuten die Burg. Ungestüm polterte er von einem Gemach zum andern, doch die Gesuchte fand er nicht. In seiner wilden Wut ließ er das Schloß plündern und in Brand stecken.

Den Schwestern war es rechtzeitig gelungen, durch ein geheimes Pförtchen in der Ringmauer zu fliehen und in einer nahen Felsenkluft Schutz zu suchen. Doch auch dorthin fand der Rasende im Feuerschein der brennenden Burg den Weg. Die Jungfrauen, die sich in ihrer Herzensangst im fernsten Winkel der Schlucht verborgen hatten, vernahmen alsbald vom Eingang her drohende Rufe und Waffengeklirr. In dieser großen Not konnte nur Gott ihnen helfen. Engumschlungen knieten sie nieder und flehten inbrünstig um seinen Schutz. Und siehe, die Felswand teilte sich wie ein Vorhang; eine dunkle Grotte wurde sichtbar und nahm die Schwestern bergend auf. Nach einer Weile verhallten Schwertgerassel und Verwünschungen in der Ferne.

Mittlerweile war der Graf von der Jagd zurückgekehrt. Schon von weitem hatte er die rauchenden Trümmer seiner Burg gesehen. Er jagte dem FrevIer nach und tötete ihn im Zweikampfe. Dann suchte er nach seinen Töchtern, doch all sein rastloses Forschen war vergeblich. Er durchstreifte die Wälder zu beiden Seiten der Ahr, er räumte den Schutt der zerstörten Burg hinweg, er stieg sogar ins tiefe Burgverlies hinab, nirgendwo fand er eine Spur der Verschwundenen.

Endlich, in der dritten Nacht nach jenem Schreckenstage, zeigte ihm ein Engel im Traume das Versteck seiner Töchter. Noch ehe der Tag graute, machte er sich froher Hoffnung voll auf den Weg nach der Schlucht, und schon bald schloß er die Wiedergefundenen beglückt in seine Arme. An der Stelle aber, wo Gott durch ein Wunder die verfolgte Unschuld gerettet hatte, ließ er eine Kapelle erbauen, die noch heute weißglänzend vom Gipfel des Burgberges ins Ahrtal hinabschaut.

Zwerge als Hirten am Niederrhein

Am Niederrhein weiß man viel zu erzählen von der Hilfe der Unterirdischen bei der Feldarbeit. Vor allem hüten sie gern das Vieh. Wo Zwerge das Hüten übernahmen, da ging kein Stück der Herde verloren. Man trieb die Tiere nur bis ans Hoftor und brauchte sich nicht weiter um sie zu kümmern. Es war niemand zu sehen, der das Vieh hütete, aber die Tiere gediehen dabei aufs beste, und am Abend wurden sie wieder von unsichtbaren Hirten heimgetrieben, wo die Mägde dann das Weitere besorgten. Man vergaß aber nie, auf den Pfosten des Tores oder der Stalltür ein Näpfchen mit Milch nebst einem Butterbrot oder auch sonstiges Essen zu stellen; all das zurecht Gemachte wurde auch regelmäßig verzehrt.

Etwas habe man aber doch von den Zwergen gesehen, meint man in Dierrath – nämlich die zwei ellenlangen weißen Stäbchen der Hirtenzwerge, und es sah wunderbar aus, wenn sich diese Stäbchen, von keinem sichtbaren Wesen gehalten, scheinbar ganz von selbst hinter dem Vieh her bewegten.

Ähnliches erzählt man auch von den »Holen« in Hardt bei Wildberg. Alte Leute warnten die Dorfjungen immer davor, mit Steinen zu werfen, wenn Vieh in der Nähe war; einmal traf einer von den Buben, der das Werfen nicht lassen konnte, einen Zwerg am Kopf, so daß ihm das Hütchen herabfiel und er sichtbar wurde. Da nahm der Zwerg seinen weißen Stab und schlug damit den Jungen; dieser erschrak so sehr darüber, daß er fallsüchtig wurde. Das Vieh aber blieb seitdem unbehütet, die Speisenäpfe auf dem Pfosten wurden nicht mehr berührt, und die guten Erdgeister sind seit diesem Vorkommnis dort nicht mehr zu verspüren.

Die Hexe von Nattenheim

Zu der Zeit, als im Trierischen Lande die Hexen noch ihr Unwesen trieben, diente in Nattenheim ein armes Knechtlein bei einem Bauern, dessen Weib auch mit dem Teufel im Bunde stand. Allabendlich trat die Hexe an den Jungen heran, warf ihm einen Pferdezaum um den Hals und ritt auf seinem Rücken über Berg und Tal, durch Feld und Wald bis in den Morgen hinein. Kaum war nach dem wilden Ritt der Todmüde in seiner Kammer eingeschlafen, dann trommelte ihn seines Herrn harte Faust schon wieder heraus.

Wie der Arme nun von Tag zu Tag blasser und schmaler wurde, schickte ihn der Bauer zum Arzt. Das Knechtlein aber sprach: »Der Doktor kann mich nicht heilen, nur Ihr könnt mir helfen«; und er erzählte dem Bauern sein ganzes Elend. Vor Staunen fiel der Mann beinahe auf den Rücken, und er nahm sich vor, sein Weib zu kurieren.

Noch am gleichen Abend versteckte er sich hinter der Tür der Knechtekammer. Wie dann die Bäuerin eintrat, riß er ihr den Zaum aus der Hand und warf ihn ihr um den Hals. Da stand ein Schimmel vor ihm mit Pferdehuf und Schweif. Er schwang sich auf seinen Rücken, und fort ging’s über Stock und Stein, bis der Schaum dem Pferde von den Flanken flog. Doch dem Bauer ging es noch immer zu langsam. Er bearbeitete sein Reittier mit Peitsche und Sporn, daß es dahinfegte wie der Wind, bis endlich ihm selber der Atem stockte. Dann hielt der Reiter vor eines Hufschmieds Haus und ließ seinem Gaul vier neue Eisen anschlagen. Und weiter ging der rasende Galopp bis zum Frührot. Als die Sonne eben aufging, löste vor seines Hauses Tür der Bauer den Zaun vom lahmenden Schimmel. Eine Stunde später fand man die Hexe im Bette liegend, zerkratzt und zerschunden, mit Hufbeschlag an Hand und Fuß.

Der Meister über alle Meister

In jener glücklichen Zeit, als unser Herr noch unter den Menschen wandelte, kam er eines Tages in Begleitung des heiligen Petrus durch eine Stadt. In der Hauptstraße trafen sie von ungefähr auf die Werkstätte eines Schmiedes, der der Welt seine Kunst und Geschicklichkeit durch die prahlerischen Worte auf einem Schilde über der Türe verkündigte: »Hier wohnt ein Meister über alle Meister.«

Da sprach unser Herr zu Petrus: »Wollen doch einmal eben vorsprechen und diesen eingebildeten Prahler von seinem Dünkel und seiner Anmaßung gründlich kurieren.« – Traten also in die rußige Schmiede und fragten den Meister, den sie eben antrafen, bescheiden um Arbeit, vorgebend, daß sie wandernde Zunftgenossen seien und sich nach Arbeit umsähen.

Der Meister war hocherfreut und grüßte herzlich die willkommene Hilfe, die ihm in Gestalt so schmucker Gesellen wie vom Himmel gesandt erschien. Er beauftragte unsern Herrn auch sogleich mit dem Beschlagen eines Pferdes, und Petrus sollte ihm helfend zur Hand gehen.

Unser Herr nimmt alsbald ein großes Messer und schneidet, während die Zuschauer vor Grausen sprachlos stehen, dem Pferde einen Fuß nach dem andern ab, spannt sie zwischen den Schraubstock, schneidet sie nach allen Regeln der Kunst zurecht und schlägt in aller Gemütsruhe die neuen Eisen auf die Hufe. Nachdem dies geschehen, setzt er jeden der Füße wieder an das zugehörige Pferdebein, als wär’s eben nur ein Kinderspiel. Doch siehe da! alle Füße sind alsbald heil und gesund und so richtig beschlagen wie nie zuvor.

Grenzenlos ist das Erstaunen des früher so eingebildeten Meisters; voll Reue wirft er sich dem Herrn zu Füßen und gelobt von der Stunde an, sich zur Demut zu bekehren und das Schild mit der lügnerischen Inschrift zu verbrennen. Der aber, durch den er so handgreiflich von dem Dasein eines Meisters über ihm belehrt worden, setzte noch in derselben Stunde, von St. Petrus begleitet, seinen Wanderstab weiter, um auch andere Leute mit seiner frohen Botschaft zu beglücken.

Die Entstehung der Wupper

Einst schritt ein Gnom, den Stab in zarter Hand, durchs rauhe Land der Berge dahin. Den Menschen Wohltaten zu spenden, war sein unablässiges Bestreben. Allein ihm mangelte es an Speise, denn es war ein Hungerjahr. Da gewahrte ihn ein Weib, und, seine Not erkennend, bot sie ihm würzige Erdbeeren, welche sie im fernen Tale für ihre Kleinen gepflückt hatte. Hoch erfreut aß der Zwerg, gewährte aber dem Weibe aus Dankbarkeit die Gewährung eines Wunsches. Dessen Verlangen war nun nicht auf Gold gerichtet. Darum erbat sie das Wohlwollen des Gnomenkönigs für ihre Kinder und dies rauhe, unwirtliche Land. Der König gewährte die Bitte und befahl dem Weibe, an dieser Stelle zu graben. Kaum hatte es mit der Arbeit begonnen, als ein wasserreicher Quell hervorsprudelte, der munter zu Tal hüpfte. »Dieser Quell«, sprach der Gnom, »wird das Glück Deiner Kinder sein. Denn sein Wasser wird bald zum kräftigen Fluß erstarken, der Segen verbreiten und Gold und Silber hervorzaubern wird. Namentlich wird der Ort beglückt werden, wo Du mir die Erdbeeren gepflückt hast. Weit wird einst der Ruhm Elberfelds durch die Welt dringen.«

Da verschwand der Gnom.

Sage vom Broß

Uin das Jahr 1600 lebte auf dem Gehöft Oberhof bei Beyenburg ein Mann, namens Broß, dessen Grabstein sich noch auf dem katholischen Friedhof befindet. Broß hatte seine Magd getötet. Jäger fanden den Kopf derselben in einer hohlen Buche, welche die Hunde eifrig beschnupperten. Der Körper der Magd lag aber in einem nahegelegenen Teiche, noch heute der Broßteich genannt.

Broß ist dann nach seinem Tode sieben Jahre auf dem Oberhof umgegangen und machte sich namentlich, wenn der Besitzer desselben wechselte, bemerkbar. Abends sah man ihn wohl in der Scheune, wie er sich die Nägel an Händen und Füßen schnitt. Am Tage neckte er die Drescher, indem er leere Pickeln (ausgedroschene Garben) vom Speicher herunterwarf.

Vielfach bewegte er sich auf allen Vieren fort, sprang den Leuten im Dunkeln auf den Rücken, klammerte sich an und verließ sie erst an der Grenze des Hofes.

Die Furcht vor dem Geist des alten Broß war so groß, daß sich selbst erwachsene Leute hüteten, zu jener Zeit am Abend den Hof zu betreten.

Das Ende des Zwergenvolkes im Hülser Berg

Der junge König des Zwergenvolks, das im Hülser Berg am Niederrhein wohnte, hörte einmal von der vielumworbenen Tochter des Grafen von Krakauen bei Krefeld. Er nahm sich vor, das schöne Menschenkind zu gewinnen, und machte sich alsbald auf die Fahrt. Als er an den Schloßteich kam, traf er ein altes Weib; das riet ihm, er solle rufen:

Fischlein, Fischlein, Timpatee,
hol mich rasch wohl über den See!

Er befolgte den Rat, und sogleich kam ein großer Fisch ans Ufer. Der König setzte sich auf seinen Rücken, und schnell trug ihn der Fisch übers Wasser.

Im Schloßgarten fand er die Königstochter. Sie wurde seine Liebste. Von nun an kam er Tag für Tag zu ihr. Eines Abends überraschte ihn der Graf, wie er gerade von seiner Liebsten Abschied genommen hatte und auf dem Rücken des Fisches davonschwamm. Voll Zorn griff der Graf nach seinem Bogen und durchbohrte den Zwerg mit einem Pfeil.

An diesem Abend wartete das Volk im Hülser Berg vergebens auf die Heimkehr seines Königs. Nach langem Suchen fanden seine Getreuen ihn tot im Schloßteich von Krakauen. Sie begruben ihn und sangen dabei einen seltsamen Grabgesang. jedesmal, wenn sie das Lied gesungen hatten, sprang einer von ihnen in das Wasser, bis sie alle ertrunken waren.

Der Sänger Arnold

Ein Wald, in dem der Kaiser Karl gern jagte, war der Burgel bei Arnoldsweiler; er ist so oft von Aachen dahin geritten, daß ein Feldweg durch die Lucherberger Mark zum Andenken daran noch heute Keseschpättche (Kalserspfädchen) genannt wird. Von diesem Burgel- oder Bürgelwald wird auch eine Schenkungsgeschichte erzählt, die sich auf einer Jagd Karls zugetragen hat.

Es war zu der Zeit ein Sänger ins Land gekommen, der Legende nach aus Griechenland, er hieß aber Arnold. Da er ein Meister in seiner Kunst war, wurde er am Hofe wohl aufgenommen. Alles aber, was er mit Singen und Saitenspiel gewann, verteilte er unter die Armen und Waisen. Einst ging König Karl mit seinem Gefolge bei Ginnezwilre (Arnoldsweiler) auf die Jagd. Da lag ein großer Wald, Burgel genannt; die Leute aber, die ringsum wohnten, hatten kein Holz und litten große Not dadurch, wagten aber keines aus dem Walde zu holen, da er zum Königsgut gehörte. Da sann der fromme Arnold, wie er ihnen helfen könnte.

Und eines Tages, als der König sich zu Tisch setzte, trat er zu ihm und erbat sich eine Gnade. Der König fragte, was es wäre, da sprach er.- »Ich bitte dich darum, daß du mir so viel von dem benachbarten Wald schenkst, als ich umreiten kann, während du an der Tafel sitztest. « Karl gewährte es ihm; der Sänger aber hatte schon vorher eine Anzahl der schnellsten Pferde rings um den Wald, den er zu erwerben gedachte, in gleichen Abständen aufgestellt, so daß er sofort, wenn ein Tier müde war, ein anderes besteigen konnte. So umritt er ein Waldstück zwei Meilen in die Länge und halb so breit; jedesmal aber, wenn er abstieg, zeichnete er eine hohe Eiche mit dem Schwert – die Marken sollen noch zu der Zeit, da diese Legende aufgezeichnet wurde (1637), zu sehen gewesen sein. Dann kehrte er voll Freude zurück, als Karl noch an der Tafel saß. Der König verwunderte sich über die Maßen, aber was er ihm zugesagt hatte, säumte er nicht zu erfüllen, zog einen Ring vom Finger und gab ihm mit diesem nach Königs Brauch vor aller Augen den Wald zu eigen. Der Sänger dankte ihm auf den Knien und flehte Gott um langes Leben und himmlischen Lohn für ihn an: »Wisse, Herr«, sprach er, »diese reiche Gabe wird dir für alle Zeit unvergessen sein, denn ich will sie dem Himmelsherrn darbringen für das Heil deiner und meiner Seele. «

Und nachdem er den Wald so durch Übergabe des Ringes empfangen, verteilte er ihn an die umliegenden Dörfer, deren Namen hier angeführt seien, damit kein Fremder und von dieser Schenkung Ausgeschlossener sich deren etwas anmaße: Arnoldsweiler, Ellen, Oberzier, Niederzier, Lich, Ober- und Niederembt, Angelsdorf, Elsdorf, Paffendorf, Glesch, Heppendorf, Sindorf, Manheim, Kerpen, Blazheim, Golzheim, Buir, Morschenich, Merzenich.

Auf seinen Wegen zum Bürgelwald soll der Kaiser auch über den Plan nachgedacht haben, eine große Stadt zu bauen, die von Aachen bis Düren reichte; soll es dann aber schweren Herzens der zu großen Kosten wegen aufgeben haben mit den Worten: »Ach weh, teuer! « Danach, so meinten die alten Leute früher dort, seien dann die Orte Aachen, Wehe und Düren benannt worden. Dagegen weiß man an vielen Orten des Landes um Aachen über die ganze Eifel und die Ardennen hin von einem Jagdschloß zu erzählen, das sich Karl da gebaut haben soll, so in Stolberg, Monschau, Karlshausen (im Kreise Bitburg) und Bertrad.

Die Leiter am Teufelskädrig

Es war an einem launischen Tage im Mai. Heulend trieb der Wind Regen und verspäteten Schnee vor sich her. Da kam der Ritter Sibo, Herr zu Lorch, von einem langen Ritt ermüdet zurück. Er hatte dem jungen Ruthelm, der das Waffenhandwerk bei ihm gelernt hatte, und nun zu seinem ersten Kriegszug ausritt, das Geleite gegeben.

Kaum hatte der Wächter das Tor hinter seinem Herrn geschlossen, da bat auch ein Fremder um Einlaß. Sibo war schlechter Laune und ließ ihn kurz abweisen. Der grobe Torwart schlug dem Unbekannten das Guckfenster vor der Nase zu und empfahl ihm höhnisch, unter der Zugbrücke zu übernachten.

Hell leuchtete am anderen Morgen die Maiensonne wieder, als des Burgherrn einziges Töchterlein, die zwölfjährige Gerlind, vor das Tor hinaussprang, um Blumen zu einem Frühlingsstrauß zu pflücken. Als das Kind um die Mittagsstunde noch nicht heimgekehrt war, schickte der Ritter Leute aus, um es zu suchen. Ganz niedergeschlagen und ohne Erfolg kehrten sie zurück. Da überfiel bange Sorge des Vaters Herz; mit seinen Knechten eilte er hinaus und durchforschte jeden Winkel in der ganzen Gegend. Doch alle Mühe war umsonst, nicht einmal eine Spur der Verlorenen ward gefunden. Endlich trafen die Suchenden einen Hirtenknaben, der das Kind frühmorgens am Fuße eines hohen Felsens, Kädrig genannt, gesehen hatte. »Mit einem Male«, so berichtete der Knabe, »kamen mehrere graue Männlein vom Felsen herabgesprungen, faßten das kleine Fräulein bei den Händen und stiegen mit ihm am Gestein empor.«

Wie Sibo nun vor dem steilen Berge stand und mit den Augen das glatte Gestein absuchte, da krampfte sich ihm das Herz zusammen vor Weh; eines Menschen Fuß, das sah er, konnte diesen Felsen nicht ersteigen. Endlich glaubte er hoch oben ein helles Gewand zu sehen. Er streckte die Arme sehnsüchtig aus und rief den Namen seines Kindes. Doch ein böses Lachen ertönte, und eine schrille Stimme rief: »Das ist der Dank für deine Gastfreundschaft!«

Alsbald versuchten beherzte Männer den Felsen zu erklimmen; aber auf halbem Wege mußten sie haltmachen, ja man hatte Mühe, sie aus ihrer gefährlichen Lage zu befreien. Als die Knechte des Ritters am anderen Morgen versuchten, mit Hacke und Meißel eine Treppen in den Felsen zu schlagen, da setzte sich über ihren Köpfen eine Steinrausche in Bewegung und vertrieb sie.

Sommer und Winter vergingen, der Kädrig wurde nicht erstiegen, und Sibos Haar wurde weiß vor Kummer und Sorge. Auf der vereinsamten Burg ging der unglückliche Vater umher mit gramdurchfurchten Zügen und trüben Augen. All das reiche Almosen, mit dem er Kirchen und Klöster beschenkte, konnte ihm nicht eine einzige frohe Stunde schaffen.

Vier lange Jahre waren verflossen, da kehrte der junge Ruthelm von seinem Kriegszuge zurück. Er war inzwischen zu einem kraftvollen Manne herangereift. Als er von Sibo vernahm, was am Tage nach seinem Weggang geschehen war, da rief er in froher Zuversicht: »Ich bringe Euch die Tochter wieder! Ich will sie den grauen Männlein schon entreißen! « Voll Zweifel, doch in leiser Hoffnung, entgegnete Sibo: »Wenn du sie befreist, dann darfst du mit ihr als deiner Braut einreiten durch die Tore von Lorch!«

Ohne Säumen begab sich Ruthelm an den Fuß des Kädrig. Scharfen Blickes späht er hinauf, um einen Weg zu finden, den trotzigen Felsen zu bezwingen. Da sah er auf einem Felsvorsprung ein graues Männlein sitzen, das sich den langen Bart strich und ihm lachend zurief: »Heda, der Junker will wohl hinaufsteigen, um sein Schätzchen zu suchen! Wenn er das fertig bringt, dann soll er das Mägdlein haben. Darauf kann er sich verlassen! « Im Augenblick verschwand der Graue im Gestein wie ein Mäuslein in altem Gemäuer.

Wie nun Ruthelm wieder emporblickte, da sah er über dem Berge einen Vogel seine Schwingen breiten, und er sprach vor sich hin: »Ach wäre ich doch ein Vogel, wie jener Falke, der so leicht um des Berges Gipfel kreist! « Da stand neben ihm ein Zwergenweiblein, sah ihn freundlich an und sagte: »Auch ohne Flügel wird es dir möglich sein, den Felsen zu ersteigen und die Gefangene zu befreien. Der dir das Mägdlein eben versprochen hat, ist mein Bruder; er wird Wort halten. Ich aber will dir verraten, wie du den Weg zur Höhe findest. Im Wispertal ist ein verfallener Stollen. Über seinem Eingang ist eine Buche mit einer Tanne dicht zusammengewachsen. Dort läute mit diesem Glöcklein, und es wird dir Hilfe werden.«

Schon nach wenig Stunden stand Ruthelm am Stolleneingang im Wispertal und schwang das Glöcklein. Da tauchte aus der Tiefe ein graues Männlein auf, das ein Grubenlicht in der Hand hielt. Ruthelm erzählte, wer ihn geschickt habe, und bat flehentlich um Hilfe. Der Alte sagte: »Wenn du Mut hast, dann komme morgen früh vor Tagesanbruch an den Kädrig!« Darauf steckte er zwei Finger in den Mund und pfiff, und sogleich raschelte es ringsum im Laube. Ruthelm sah eine ganze Schar von Männlein mit Axt und Säge, die mit einem Male wieder seinen Blicken entschwanden. Auf dem Heimwege aber vernahm er solch lauten Lärm im Walde, als ob hundert Holzhauer an der Arbeit wären.

Ehe die erste Morgenröte sich am Himmel zeigte, stand Ruthelm schon am Fuße des Kädrig und sah eine mächtig große Leiter, die am Felsen lehnte. Ohne Zögern begann er emporzusteigen. Als er aber nach einer Weile in den Abgrund schaute, da zitterten ihm die Knie vor Entsetzen. Doch er biß die Zähne zusammen und straffte die Muskeln, bis er endlich über die oberste Leitersprosse hinweg auf ebenen Boden gelangte und halb ohnmächtig vor übermäßiger Anstrengung zusammenbrach. Nach einigen Augenblicken der Ruhe schaute er um sich und sah ganz nahe eine Hütte. Dorthin lenkte er den Schritt. Wer beschreibt seine Freude, als er vor der Hütte auf einem Mooslager ein liebliches Mägdelein in tiefem Schlafe fand. Er erkannte in der Schlummernden die kleine Gefährtin seiner Kindertage kaum wieder, war sie doch zu einer blühenden Jungfrau herangewachsen. Leise ließ er sich neben ihr auf die Knie nieder und ergriff ihre Hand. Da öffnete sie die Augen und erkannte in freudigem Erschrecken den Jugendfreund. Ruthelm erzählte der Überglücklichen, daß er gekommen sei, um sie zu befreien und heimzuführen. Lange saßen die beiden zusammen in seliger Freude, bis sie endlich die Männlein gewahrten, die um sie herstanden. Der Anführer der Schar sprach zu Ruthelm: »Du hast nun die Braut gewonnen. Aber ehe du sie nach der Burg Lorch führen darfst, mußt du noch die Leiter hinabsteigen. Gerlind wirst du unten finden. Wenn du dann nach Lorch kommst, dann sage dem Alten, daß er für seine Ungastlichkeit nun genug gebüßt habe.«

Beim Abstieg hüllten freundliche Rheinnebel Ruthelm ein, so daß er den grausigen Abgrund zu seinen Füßen nicht sah. Sobald sein Fuß den Boden betrat, kam Gerlind an der Hand des Zwergenweibleins auf ihn zu. Beim Abschied drückte ihnen die Alte als Hochzeitsgeschenk ein Kästchen mit edlem Gestein in die Hand.

Der hochbeglückte Burgherr von Lorch fand nach der Wiedervereinigung mit seinem Kinde bald Gesundheit und Lebensmut wieder. Er richtete ein Hochzeitsfest, zu dem jedermann willkommen war. Wenn aber in Zukunft auf Burg Lorch ein Kindlein in der Wiege lag, dann erschien jedesmal bei Gerlind und Ruthelm die Alte mit kostbaren Geschenken und erfreute sich am Anblick des jungen Lebens.

Der Binger Mäuseturm

Zu Bingen ragt mitten aus dem Rhein ein hoher Turm, von dem nachstehende Sage umgeht. Im Jahr 974 ward große Teuerung in Deutschland, daß die Menschen aus Not Katzen und Hunde aßen und doch viel Leute Hungers sturben. Da war ein Bischof zu Mainz, der hieß Hatto der andere, ein Geizhals, dachte nur daran, seinen Schatz zu mehren und sah zu, wie die armen Leute auf der Gasse niederfielen und bei Haufen zu den Brotbänken liefen und das Brot nahmen mit Gewalt. Aber kein Erbarmen kam in den Bischof, sondern er sprach: »Lasset alle Arme und Dürftige sammlen in einer Scheune vor der Stadt, ich will sie speisen.« Und wie sie in die Scheune gegangen waren, schloß er die Türe zu, steckte mit Feuer an und verbrannte die Scheune samt den armen Leuten. Als nun die Menschen unter den Flammen wimmerten und jammerten, rief Bischof Hatto: »Hört, hört, wie die Mäuse pfeifen! « Allein Gott der Herr plagte ihn bald, daß die Mäuse Tag und Nacht über ihn liefen und an ihm fraßen, und vermochte sich mit aller seiner Gewalt nicht wider sie behalten und bewahren. Da wußte er endlich keinen andern Rat, als er ließ einen Turm bei Bingen mitten in den Rhein bauen, der noch heutiges Tags zu sehen ist, und meinte sich darin zu fristen, aber die Mäuse schwummen durch den Strom heran, erklommen den Turm und fraßen den Bischof lebendig auf.

Auf dem Drachenfels

In alten Zeiten, als an den Ufern des Rheins noch Heiden wohnten, hauste im Siebengebirge ein furchtbarer Drache, dem man tagtäglich Menschenopfer darbrachte. Meist waren es arme Kriegsgefangene, die ihm vorgeworfen wurden. Unweit der Höhle band man sie fest an einen Baum, unter dem ein Altar aufgemauert war. Zur Zeit der Abenddämmerung kam das Ungeheuer hervor und verschlang gierig die Opfer.

Einst brachten die Bewohner des Landes von einem Kriegszuge eine christliche Jungfrau von großer Schönheit als Gefangene mit. Da sich die Anführer über den Besitz der Beute nicht einigen konnten, wurde die Unglückliche als Opfer für den Drachen bestimmt. Auf dem Altarsteine wurde sie, in weißem Gewande, wie eine Braut geschmückt, festgebunden. Ruhig stand sie da, ergeben in Gottes Willen. Aus der Ferne blickte das Volk wie gebannt nach der furchtbaren Stätte.

Als die letzten Strahlen der untergehenden Sonne auf den Eingang der Höhle fielen, kam mit glühendem Atem der Drache hervor und kroch nach dem Altare, um sein Opfer zu verschlingen. Doch auch da verzagte die edle Jungfrau nicht. Zuversichtlich hielt sie ihr Kreuzlein empor. Vor diesem Zeichen wich das Untier zurück; brüllend und schnaubend stürzte es sich den Felsen hinab in den Rhein.

Voll Staunen und Freude eilte das Volk herbei, um die Jungfrau zu befreien. Es bewunderte gar sehr die Macht des Christengottes und ließ die Gerettete frei in die Heimat zurückziehen.

Die Felsenkirche

Auf steilem Felsen über dem Nahestädtchen Oberstein stand in alten Zeiten ein stolzes Grafenschloß. Dort lebten einmal zwei Brüder, Emich und Wyrich, die waren einander in treuer Liebe zugetan. Bei einem Turnier, auf dem sie Seite an Seite kämpften und sich hohen Ruhm erwarben, lernten sie ein junges Edelfräulein von der Burg Lichtenberg kennen. Das Schicksal fügte es, daß beide die Schöne liebgewannen. Mit der Liebe zog aber auch die Eifersucht in ihre Herzen ein, und es dauerte nicht lange, da schauten sie sich nicht mehr mit freundlichen Augen an. Als der Zufall sie einmal im Erkerzimmer der Burg zusammenführte, da flammte der Haß zwischen ihnen wild auf. Wyrich packte den Bruder und schleuderte ihn hinab in den schauerlichen Abgrund. Mit zerschmetterten Gliedern blieb Emich am Fuße des Burgfelsens tot liegen.

Die furchtbare Tat lastete schwer auf dem Mörder, und das vergossene Bruderblut ließ ihn nicht mehr zur Ruhe kommen. Wie Kain irrte er unstet und flüchtig umher. Auch eine Fahrt ins heilige Land brachte seiner Seele den Frieden nicht. Da traf er einmal einen Einsiedler, dem er seine bittere Herzensnot klagte. Der kluge Greis gab ihm den Rat: »Achte auf deinen nächsten Traum. Was Gott dir in seiner Weisheit und Güte eingeben wird, das tue!«

Bald nachher sah der Ritter im Schlafe sich selbst, wie er mit Meißel und Hammer eine Grotte in einen Felsen schlug und in die tiefe Höhlung eine Kirche baute. Als er erwachte, erinnerte er sich an den Rat des Klausners und machte sich sofort ans Werk. Mit unermüdlichem Fleiß führte er am steilen Hange über der rauschenden Nahe Schlag auf Schlag gegen den harten Felsen. Oft wollten ihm die müden Hände beinahe den Dienst versagen, doch nach einem kurzen Gebet griff er immer wieder mit neuem Mute nach Brecheisen und Schlägel. An einem heißen Sommertag sehnte er sich bei der harten Arbeit nach einem Trunke frischen Wassers. Siehe, da sprudelte aus einem Felsspalt eine klare Quelle hervor. »Herr, du bist gütig und allmächtig«, sprach der Ritter voll Zuversicht, als er das wunderbare Zeichen sah, »du kannst mir auch Verzeihung meiner schweren Sünde gewähren.« Mit allen Kräften arbeitete er nun weiter, und noch vor Ablauf eines Jahres war die Kirche vollendet.

Als am Morgen des Einweihungstages der Priester, der das erste heilige Opfer in der neuen Kirche darbringen sollte, zum Altare schritt, da fand er den Ritter tot an den Stufen des Heiligtums. Sanfter Friede verklärte das bleiche Antlitz.

Der Ring im See bei Aachen

Petrarcha, auf seiner Reise durch Deutschland, hörte von den Priestern zu Aachen eine Geschichte erzählen, die sie für wahrhaft ausgaben, und die sich von Mund zu Munde fortgepflanzt haben sollte. Vor Zeiten verliebte sich Karl der Große in eine gemeine Frau so heftig, daß er alle seine Taten vergaß, seine Geschäfte liegen ließ, und selbst seinen eigenen Leib darüber vernachlässigte. Sein ganzer Hof war verlegen und mißmutig über diese Leidenschaft, die gar nicht nachließ; endlich verfiel die geliebte Frau in eine Krankheit und starb. Vergeblich hoffte man aber, daß der Kaiser nunmehr seine Liebe aufgeben würde: sondern er saß bei dem Leichnam, küßte und umarmte ihn, und redete zu ihm, als ob er noch lebendig wäre. Die Tote hub an zu riechen und in Fäulnis überzugehen; nichtsdestoweniger ließ der Kaiser nicht von ihr ab. Da ahnte Turpin der Erzbischof, es müsse darunter eine Zauberei walten; daher, als Karl eines Tages das Zimmer verlassen hatte, befühlte er den Leib der toten Frau allerseits, ob er nichts entdecken könnte; endlich fand er im Munde unter der Zunge einen Ring, den nahm er weg. Als nun der Kaiser in das Zimmer wiederkehrte, tat er erstaunt, wie ein Aufwachender aus tiefem Schlafe, und fragte »Wer hat diesen stinkenden Leichnam hereingetragen?« und befahl zur Stunde, daß man ihn bestatten solle. Dies geschah, allein nunmehr wandte sich die Zuneigung des Kaisers auf den Erzbischof, dem er allenthalben folgte, wohin er ging. Als der weise, fromme Mann dieses merkte und die Kraft des Ringes erkannte, fürchtete er, daß er einmal in unrechte Hände fiele, nahm und warf ihn in einen See, nah bei der Stadt. Seit der Zeit, sagt man, gewann der Kaiser den Ort so lieb: daß er nicht mehr aus der Stadt Aachen weichen wollte, ein kaiserliches Schloß und einen Münster da bauen ließ, und in jenem seine übrige Lebenszeit zubrachte; in diesem aber nach seinem Tode begraben sein wollte. Auch verordnete er, daß alle seine Nachfolger in dieser Stadt sich zuerst sollten salben und weihen lassen.

Die Rosen von Altenberg

Im Hochaltar des Domes zu Altenberg befanden sich früher im gemalten Holzschnitzwerk zwei Rosen, eine weiße und eine rote, mit denen hat es folgende Bewandtnis.

Ein Bruder des Klosters lag einst schwer leidend darnieder, und mit ihm flehten alle übrigen Brüder, daß ihn der Himmel durch den Tod von seinem Schmerzenslager bald erlösen möge. Da sproßte im Mönchschor, wo der kranke Bruder gewöhnlich zu sitzen und zu beten pflegte, eine weiße Rose hervor. Drei Stunden darnach starb der Kranke. Seitdem wiederholte sich das Zeichen. Stets fand derjenige, welchem der Tod bevorstand, drei Stunden vor einem Ende eine weiße Rose auf seinem Platze. Dies währte so lange, bis einst ein junger, lebenslustiger Mönch, der dieses Todeszeichen auf seinem Stuhle fand, es seinem Nachbar hinschob. Da ward die weiße Rose plötzlich rot, wie von Blut übergossen, und beide Mönche starben darauf.

Seit dieser Zeit erschien das Zeichen nicht mehr.

Der Zauberring

In der Nähe des Klosters von Grevenmacher an der Mosel wohnte einst ein Mann, der einen Zauberring besaß. Sein Nachbar, ein reicher Bauer, hatte sich mit den Klosterherren entzweit. Um den Abt einmal ungestraft gründlich ärgern zu können, erbat der Streitsüchtige sich für einen Tag den Zauberring. Nur mit großem Widerstreben ging der Besitzer des Ringes darauf ein, mußte er doch während der ganzen Zeit, in der er das seltsame Schmuckstück nicht am Finger hatte, ständig in tiefem Schlafe liegen. Nur durch große Versprechungen ließ er sich schließlich bewegen, den Wunsch des Zudringlichen zu erfüllen.

Als dann der Bauer den schmalen Eisenreifen über den Finger streifte, ward er sogleich in eine Katze verwandelt. Kaum war es dunkel geworden, da kletterte er an dem Weinstocke des Klostergebäudes bis zu der Fensterbank vor des Prälaten Studierzimmer, öffnete den Fensterriegel, indem er die Pfote durch eine zerbrochene Scheibe hineinsteckte, warf voll Schadenfreude Bücher und Schriftwerk vom Schreibtisch auf den Boden und goß das bis an den Rand gefüllte Tintenfaß darüber aus.

Zweimal wiederholte er den Schabernack, der den Abt weidlich in Harnisch brachte. Beim vierten Male aber ging es ihm übel. Der gewitzte Prälat stand hinter dem Fenstervorhang auf der Lauer. Wie nun die Pfote durch die Scheibe hineinlangte, hieb er sie blitzschnell mit einem großen Messer ab und verbrannte sie im Kamin.

Seit diesem Tage schleicht die Katze noch immer umher und sucht die verlorene Pfote, um den Zauber lösen zu können; in dem Häuschen neben dem Kloster aber schlief bis zu seinem Tode jener törichte Mann, der seinen Zauberring verliehen hatte.

Der Mäuseturm

Wo aus dem Rheinstrom unterhalb von Bingen weiße Klippen gefahrdrohend emporragen und nur einen schmalen Raum – das sogenannte Binger Loch – für die Durchfahrt freilassen, da erhebt sich in der Nähe der Ruine Ehrenfels und unweit des Rheinsteins inmitten der schäumenden Fluten ein finsteres, halbzertrümmertes Gemäuer. Es ist »Hattos Turm«. Von Eulen und Fledermäusen umflattert, erscheint er dem Beschauer wie das Haus eines Bösen, wie das Denkmal eines ungeheuren Frevels. »Mäuseturm« nennt die Sage jenes Gemäuer, von dem der Schiffer mit Grauen das Gesicht abwendet.

Einst lebte zu Mainz ein Erzbischof namens Hatto, dessen Herz rauh und hart war und unempfänglich gegen die Not der Bedrängten. Um diese Zeit brach am Rhein und rings in der Gegend eine große Hungersnot aus, so daß viele Menschen umkamen. Der Bischof jedoch, dessen Speicher mit Korn gefüllt waren, öffnete diese dem Wucher, aber nicht den Armen seines weiten Sprengels.

Als nun die Not seiner Untertanen größer und größer wurde, fielen sie in Scharen zusammen und flehten den gefühllosen Mann um Erbarmen und Nahrung an, und als dies umsonst war, murrten sie und fluchten in ohnmächtiger Wut dem Tyrannen. Und ob sein Herz sich nicht vor Mitleid regte, wurde es doch rege vor Zorn. Er ergrimmte und schickte seine Schergen aus, um die Murrenden zu fangen, sperrte sie in eine große Scheune ein und ließ Feuer daranlegen. Als die Unglücklichen von den Flammen ergriffen wurden und ihr Todesgeschrei bis in den Bischofspalast drang, bis herauf an die Ohren des Unmenschen und aller derjenigen, die mit ihm an der üppigen Tafel saßen, da rief er in teuflischem Hohn: »Hört ihr die Kornmäuslein unten pfeifen?«

Aber still wurde es unten, und die Sonne verhüllte ihr Antlitz. Im Saal wurde es dunkel, und die angezündeten Kerzen vermochten nicht, die Dämmerung zu durchbrechen, die den finsteren Mann von nun an umlagerte. Und siehe! Im Saal begann es sich zu regen, und aus allen Winkeln, aus den Ritzen des Fußbodens, zu den Fenstern herein und von der Decke herab krochen und liefen Scharen nagender Mäuse und erfüllten alsbald alle Gemächer des Palastes. Ohne Scheu sprangen sie auf die Tische und benagten die Speisen vor den Augen der erstaunten Versammlung. Immer neue kamen hinzu, und nicht die Brosamen auf der Tafel blieben verschont und nicht der Bissen, der zum Munde geführt wurde.

Da ergriffen Furcht und Entsetzen alle, die das sahen, und seine Freunde, seine Knechte und Mägde flohen die Nähe des Geächteten.

Der Bischof aber wollte entrinnen, bestieg ein Schiff und fuhr den Rhein hinab bis zu jenem Turm, der von den Wellen des Stroms umspült wird. Dort wähnte er sich vor seinen unersättlichen Peinigern sicher. Doch Tausende von Mäusen krochen wiederum mit Gepfeife aus alIen Wänden hervor. Vergebens erstieg er bebend vor Angst, stumm vor Entsetzen die höchste Warte. Auch dahin folgten sie ihm, und heißhungrig fielen sie den unmenschlichen Spötter an. Bald war nichts nichts von ihm übrig.

So lautet die Sage von jenem einsamen Turm mitten im Rhein.

Die glühenden Kohlen

In der Nähe eines Franziskanerklosters vor den Toren von Adenau wohnte einmal ein armer Bauersmann, dessen Weib in jungen Jahren gestorben war. Gern hätte der Witwer die Magd, die ihm das Hauswesen führte, und die er wegen ihre Tugendhaftigkeit und Schönheit von Herzen lieb gewonnen hatte, zum Weibe genommen. Doch er brachte es nicht über sich, das junge Blut zum Genossen seiner Dürftigkeit und Not zu machen.

Es war an einem frühen Morgen in der Adventszeit. Der Bauer hatte mit seiner Magd die Roratemesse in der nahen Klosterkirche besucht. Nach der Heimkehr machte er sich im Stalle zu schaffen, während die Magd in die Küche ging, um das Essen zu bereiten. Zu ihrem größten Erstaunen war die Glut auf der Herdstätte erloschen. Sie eilte sogleich mit der Kohlenpfanne nach der Klosterküche, um neue Glut zu holen. Doch siehe, am Wegrande vor der Klostermauer loderte ein helles Feuer empor. Schnell füllte sie die Pfanne mit glühenden Kohlen und lief nach Hause. Als sie wieder am Herde stand, waren die eben noch brennenden Holzkohlen kalt und schwarz geworden. Auch beim zweiten und dritten Versuch, mit frischer Glut vom Feuer am Wege die Herdflamme wieder zu entfachen, hatte sie keinen Erfolg.

Unterdessen kam der Hausherr, und die Magd erzählte ihm ihr sonderbares Erlebnis. Prüfend schauten beide nach dem Herde. Da sahen sie anstatt der schwarzen Kohlen einen Haufen puren Goldes. Der arme Bauer war nun ein wohlhabender Mann. Dankbaren Herzens machte er dem Kloster ein reiches Geschenk und vermählte sich mit der treuen Magd.

Die krummbeinigen von Solingen

An der Wupper, in der Nähe von Solingen, lag ein Schleifkotten, welcher von einer armen Schleiferfamilie bewohnt war. Wenn diese Familie einen Feiertag beging, wurde Reisbrei gekocht.

Allmählich wuchs die Familie immer mehr an, und der alte Topf wurde bald zu klein. Einen neuen, größeren Topf konnte der Schleifer nicht kaufen. Dazu reichten seine Mittel nicht.

Nun wohnten in dem gegenüberliegenden Berge die Heinzelmännchen, welche viele Töpfe, große und kleine, besaßen. Dort lieh nun unsere Schleiferfamilie jedesmal einen großen Topf, wenn wieder Reis für die Familie gekocht werden sollte. Einen Rest der Speisen ließ man den Heinzelmännchen jedesmal aus Dankbarkeit im Topf zurück. So bestand lange ein freundnachbarlicher Verkehr zwischen den Schleifersleuten und den Heinzelmännchen.

Die Kunde davon verbreitete sich auch in Solingen, und einige der dortigen Schleifer beschlossen, auch einmal einen Topf von den liebenswürdigen Heinzelmännchen zu leihen. Gesagt, getan. Als sie aber den Topf zurückbrachten, ließen sie keinen Rest der Speisen zurück, sondern verunreinigten den Topf mit menschlichem Unrat. Das erbitterte die Heinzelmännchen derart, daß sie die Solinger Einwohner verfluchten und ihnen für alle Zukunft krumme Beine wünschten.

Der Fluch ging in Erfüllung. Und seit jener Zeit sind die Solinger krummbeinig.

Die Kanzel-Ley bei Nideggen

In einer Felsenhöhle bei Schloß Nideggen brachte in alter Zeit ein Eremit seine Tage mit Gebet und Bußübungen zu. Jeden Sonntag hielt er dem von nah und fern herbeiströmenden Volke eine erbauliche Predigt über Gottes Wort. Als Predigtstuhl diente ihm ein Felsblock, die Kanzel-Ley; rings im Kreise standen die andächtig lauschenden Zuhörer.

Da geschah es einmal, daß der Prediger eine halbe Stunde später zum gewohnten Dienste kam. Zu seinem größten Erstaunen sah der Herbeieilende auf seiner Felsenkanzel inmitten des zahlreich versammelten Volks einen Kuttenträger, der in Gestalt und Gesichtszügen sein leibhaftiges Ebenbild war. Auch glaubte er seine eigene Stimme zu vernehmen.

»Das kann nur der Teufel sein! « dachte der Klausner und hob sein Kreuz hoch empor vor des Predigers Gesicht. Der sprang mit einem gewaltigen Satze vom Predigtstuhl und entfernte sich eilenden Laufes mit flatternder Kutte, indem er den einen Fuß etwas nachzog. Bei Kühlenbusch kam er an eine breite Schlucht. Er schätzte in seiner Hast die Entfernung bis zum jenseitigen Rande zu kurz und sprang, statt oben auf den Rasen, unten auf ein Felsstück, wobei sich sein Pferdehuf tief in das Gestein drückte. Noch heute ist jene Stelle, »Düvelstrett«, zu sehen.

Das Schwanschiff am Rhein

Im Jahr 711 lebte Dieterichs, des Herzogen zu Kleve, einzige Tochter Beatrix, ihr Vater war gestorben, und sie war Frau über Kleve und viel Lande mehr. Zu einer Zeit saß diese Jungfrau auf der Burg von Nimwegen, es war schön, klar Wetter, sie schaute in den Rhein, und sah da ein wunderlich Ding. Ein weißer Schwan trieb den Fluß abwärts, und am Halse hatte er eine goldne Kette. An der Kette hing ein Schiffchen, das er fortzog, darin ein schöner Mann saß. Er hatte ein goldnes Schwert in der Hand, ein Jagdhorn um sich hängen, und einen köstlichen Ring am Finger. Dieser Jüngling trat aus dem Schifflein ans Land, und hatte viel Worte mit der Jungfrau, und sagte: daß er ihr Land schirmen sollte, und ihre Feinde vertreiben. Dieser Jüngling behagte ihr so wohl, daß se ihn liebgewann und zum Manne nahm. Aber er sprach zu ihr: »Fraget mich nie nach meinem Geschlecht und Herkommen; denn wo ihr danach fraget, werdet ihr mein los und ledig, und mich nimmer sehen.« Und er sagte ihr, daß er Hellas hieße; er war groß vom Leibe, gleich einem Riesen. Sie hatten nun mehrere Kinder mit einander. Nach einer Zeit aber, so lag dieser Helias bei Nacht neben seiner Frau im Bette, und die Gräfin fragte unachtsam, und sprach: »Herr, solltet ihr euren Kindern nicht sagen wollen, wo ihr herstammet?« Über das Wort verließ er die Frau, sprang in das Schwanenschiff hinein, und fuhr fort, wurde auch nicht wieder gesehen. Die Frau grämte sich, und starb aus Reue noch das nämliche Jahr. Den Kindern aber soll er die drei Stücke, Schwert, Horn und Ring zurück gelassen haben. Seine Nachkommen sind noch vorhanden, und im Schloß zu Kleve stehet ein hoher Turm, auf dessen Gipfel ein Schwan sich drehet; genannt der Schwanthurm, zum Andenken der Begebenheit.

Das Eberhardsfäßchen

Der fromme Einsiedler Eberhard errichtete an der Stelle, wo heute der weitbekannte Wallfahrtsort Klausen liegt, zur Ehre der Gottesmutter eine schlichte Kapelle. Rasch ging der Bau vonstatten; denn von allen Seiten eilten die Landleute herbei und halfen an dem gottseligen Werke. Es war mitten in der Sommerzeit, und Eberhard hatte von der Mosel ein Fäßlein guten Weines besorgt, um die Arbeiter von Zeit zu Zeit mit einem kühlen Trunk zu erquicken. Als aber an einem Tage die Sonne besonders heiß vom Himmel brannte, ging der Wein zur Neige. Der vorsorgliche Bauherr hatte zwar zeitig nach einem zweiten Fäßchen gesandt, doch es war noch nicht angekommen. Da fingen die Bauleute an zu murren und drohten fortzugehen. In dieser Not wendete sich der Einsiedler an die himmlische Mutter. Er betete: »Liebe Mutter, ich habe das Meinige getan, die Reihe ist jetzt an dir; hilf mir in meiner großen Not.« Und siehe, sein Gebet wurde erhört; das eben noch leere Fäßchen war wieder bis zum Spundloch voll des besten Weines.

Die Nachricht von diesem großen Wunder verbreitete sich rasch in der ganzen Gegend. Noch heute ist es im Mosellande Sitte, sich bei Hitze und Durst ein Eberhardsfäßchen zu wünschen.

Der Bernkasteler Doktor

Auf seiner schönen Burg Landshut lag Erzbischof Boemund schwer krank danieder; vergebens hatten die Ärzte ihre Kunst an ihm versucht, unrettbar schien er dem Tode verfallen.

Da versprach der Kirchenfürst hohen Lohn dem, der ihm noch helfen könne. Ein schlichter Bürger aus Bernkastel hörte das. Gar feinen Wein hatte er im Keller; er nahm ein Fäßlein vom Allerbesten und trug es keuchend hinauf zur kurfürstlichen Burg. Erst wollte man ihm hier den Eintritt verwehren, doch als er dringlich vorgab, er sei der rechte Doktor, der den Kurfürsten ganz gewiß wieder gesund machen könne, ward er eingelassen. Vor dem Krankenbette schlug er den Kran ins Fäßlein, füllte einen Becher mit perlendem Wein und reichte ihn dem Kurfürsten mit den Worten: »Wer von diesem Wein trinkt, der muß gesund werden. Das ist der rechte Doktor! «

Erst nippte der Kranke, dann schlürfte er, dann tat er einen langen Zug. Als der Becher geleert war, sprach er: »Reich mir noch mehr von dieser guten Arznei! Ich fühle, wie sie mir wohlig durch die Adern rinnt.« Nun trank er weiter von dem köstlichen Lebenselixier, und schon nach kurzer Zeit konnte er völlig genesen vom langen Krankenlager aufstehen.

Noch heute rühmt man jenen Wein als den »Bernkasteler Doktor«.

Karls Rückkehr aus Ungarn

Als König Karl nach Ungarn und der Walachei fahren wollte, die Heiden zu bekehren, gelobte er seiner Frau, in zehn Jahren heimzukehren. Käme er in dieser Zeit nicht, so sollte sie seinen Tod für gewiß halten. Würde er ihr aber durch einen Boten sein golden Fingerlein zusenden, dann möge sie auf alles vertrauen, was er ihr durch denselben entbieten lasse. Nun geschah es, daß der König schon über neun Jahre ausgewesen war, da begann der Unfriede in den Ländern am Rhein; Raub und Brandschatzungen wollten nicht aufhören. Die Herren gingen zur Königin und baten, daß sie sich einen andern Gemahl auswähle, der das Reich beschützen könne. Die Königin aber wollte ihrem Gemahl nicht untreu werden und nichts tun, eh‘ er das Wahrzeichen gesandt hätte. Doch die Herren drängten so lange, bis sie endlich nachgab. Gott der Herr aber sandte einen Engel an König Karl nach Ungarland, der es ihm kundtat. Wie der König aber verzagte, daß er in drei Tagen sollte heimkehren können, sprach der Engel: »Weißt du nicht, Gott kann tun, was er will? Geh zu deinem Schreiber, der hat ein gutes starkes Pferd, das du ihm abgewinnen mußt; das soll dich in einem Tag tragen über Moos und Heide bis in die Stadt zu Raab, das sei dein erster Tagesritt. Den andern Morgen sollst du früh ausreiten die Donau hinauf bis gen Passau; das sei der nächste Tagesritt. Zu Passau sollst du dein Pferd lassen; der Wirt, bei dem du einkehrst, hat ein schön Füllen; das kauf ihm ab, es wird dich den dritten Tag bis in dein Land tragen.«

Der Kaiser tat, wie ihm geboten war und ritt in einem Tag von der Bulgarei bis nach Raab, und den zweiten kam er nach Passau. Der Wirt, bei dem er abends, als das Vieh einging, das Füllen sah und es kaufen wollte, gab es ihm aber erst nicht, weil es noch zu jung sei und er zu schwer dafür. Erst als der Gast ihn zum drittenmal darum anging, ließ er es ihm gegen dessen Pferd.

Also machte sich der König des dritten Tages auf und ritt schnell und unaufhaltsam bis gen Aachen vor das Burgtor; da kehrte er bei einem Wirt ein. Überall in der ganzen Stadt hörte er einen fröhlichen Lärm, der kam vom Singen und Tanzen. Da fragte er, was das wäre. Der Wirt sprach: »Eine große Hochzeit soll heute gefeiert werden, denn unsere Frau wird einem reichen König anvermählt; da wird große Kost gemacht, und jungen und Alten, Armen und Reichen Brot und Wein gereicht, und Futter wird vor die Pferde geschüttet.« Der König sprach: »Hier will ich mein Gemach haben und mich nicht um die Speise bekümmern, die sie in der Stadt austeilen; kauft mir für mein Guldenpfennig, was ich bedarf, schafft mir viel und genug.« Als der Wirt das Gold sah, sagte er bei sich selbst: »Das ist ein Edelmann, wie ich noch keinen erblickte!« Nachdem die Speise köstlich und reichlich zugerichtet und Karl zu Tisch gesessen war, forderte er einen Wächter vom Wirt, der sein des Nachts über pflege, und legte sich zu Bette. In dem Bette aber liegend, rief er den Wächter, und mahnte ihn: »Wann man den Singos im Dom läuten wird, sollst du mich wecken, daß ich das Läuten höre; dies gülden Fingerlein will ich dir zum Lohn geben.« Als nun der Wächter die Glocke vernahm, trat er ans Bett vor den schlafenden König: »Wohlan, Herr, gebt mir meinen Lohn, eben läuten sie den Singos im Dom.« Schnell stand dieser auf, legte ein reiches Gewand an und bat den Wirt, ihn zu begleiten. Dann nahm er ihn bei der Hand, und ging mit ihm vor das Burgtor, es lagen starke Riegel davor. »Herr«, sprach der Wirt, »ihr müßt unten durchschlüpfen, aber dann wird euer Gewand kotig werden.« – »Daraus mach ich mir wenig, und würde es ganz zerrissen.« So krochen sie unterm Tor hindurch; der König voll weisen Sinnes hieß den Wirt um den Dom gehen, während er selber in den Dom ging. Nun galt in Franken das Recht, »wer auf dem Stuhl im Dom sitzt, der muß König sein«. Das erschien ihm gut, er setzte sich auf den Stuhl, zog sein Schwert und legte es nackt über seine Knie. Da trat der Mesner in den Dom und wollte die Bücher bereitlegen; als er aber den König sitzen sah mit blankem Schwert und stillschweigend, begann er zu zagen, und verkündete eilends dem Priester: »Als ich zum Altar ging, sah ich einen greisen Mann mit bloßem Schwert über die Knie auf dem gesegneten Stuhl sitzen.« Die Domherren wollten dem Mesner nicht glauben; einer von ihnen ergriff ein Licht und ging unverzagt zu dem Stuhle. Als er die Wahrheit sah, wie der greise Mann auf dem Stuhle saß, warf er das Licht aus der Hand, und floh erschrocken zum Bischof. Der Bischof ließ sich zwei Kerzen von Knechten tragen, die mußten ihm zum Dom leuchten; da sah er den Mann auf dem Stuhle sitzen und sprach furchtsam: »Ihr sollt mir sagen, was Mannes Ihr seid, geheuer oder ungeheuer, und wer Euch ein Leids getan, daß Ihr an dieser Stätte sitzt?« Da hob der König an: »Ich war Euch wohl bekannt, als ich König Karl hieß, an Gewalt war keiner über mir! « Mit diesen Worten trat er dem Bischof näher, daß er ihn recht ansehen könne. Da rief der Bischof: »Willkommen, liebster Herr! Eurer Kunft will ich froh sein«, umfing ihn mit seinen Armen und leitete ihn in sein reiches Haus. Da wurden alle Glocken geläutet, und die Hochzeitsgäste fragten, was der Schall bedeute. Als sie aber hörten, daß König Karl zurückgekehrt sei, stoben sie auseinander, und jeder suchte sein Heil in der Flucht. Doch der Bischof bat, daß ihnen der König Friede gäbe und der Königin wieder hold würde, es sei ohne ihre Schuld geschehen. Da gewährte Karl die Bitte, und gab der Königin seine Huld.

Vorahnungen

Bei Rabevormwald liegt eine Stelle, Bu (=Bau) genannt, weil dort vor Zeiten ein gar wunderliches Bauwerk stand. Dasselbe brannte im Jahre 1863 oder 1864 ab, wobei eine ganze Familie, und zwar Vater, Mutter und Sohn unter merkwürdigen Umständen verbrannten.

Zwei Monate vorher hatten Leute, welche von Rade kamen, an jenem Platze Feuer gesehen. Sie eilten herzu, um rettende Hand anzulegen; aber es stellte sich heraus, daß es gar nicht brannte.

Etwas später vernahm man an jener Stelle ein furchtbares Jammergeschrei. Als man aber näher kam, war wiederum alle Besorgnis grundlos.

Noch einige Tage darnach sah man in der benachbarten Lunenmühle eine Person herankommen, gehüllt in ein großes, weißes Tuch. Die Person kam näher und näher und zerrann plötzlich vor den Augen der entsetzten Bewohner der Mühle.

Bei jenem schon angedeuteten Brande trugen sich alle diese angedeuteten Einzelheiten zu. Wie das Gerede ging, hatten die Bewohner selbst das Haus angezündet; und trotzdem fanden drei Personen dabei ihren Tod. Der Vater hatte vergessen, sein Geld zu retten. Er stürzte mit seinem Sohne durch die Flammen in das Haus hinein. Da er aber den Sprung vom Söller nicht wagen wollte, wie jener, so eilte er hinab und fand auch glücklich wieder den Weg ins Freie. Aber in demselben Augenblick, als sein flüchtiger Fuß das brennende Haus verlassen wollte, stürzte ein Teil des brennenden Daches auf ihn herab, ihn unter Trümmern und Feuergarben begrabend. Aber nochmals raffte er sich auf, hüllte sich in ein großes, weißes Tuch, und schleppte sich, über und über mit Brandwunden bedeckt, zur Lunenmühle hin, wo er kurz darauf seinen Verletzungen erlag.

Auch die Mutter geriet, als sie sich zu eifrig an der Bergung von ihrem Hab und Gut beteiligte, in Brand. Ihr entsetzliches Jammergeschrei verhallte anfangs ungehört; als man endlich hinzueilte, glich sie einer brennenden Säule. Man wälzte sie zum nahen Bach hin, um die Flammen zu löschen. Dabei verbrannte der Sohn seine Augen. Die Mutter starb. Dem Sohn verheimlichte man bis zum Begräbnistage den Tod seiner Eltern. Als man aber die Totengesänge anstimmte, erkannte er den wahren Sachverhalt und brach in ein entsetzliches Klagegeschrei aus. Auch er fand bald darnach seinen Tod.

Dieser schreckliche Brand erfolgte am hellen Tage.

Der Pfeil

Gegen Ende des 9. Jahrhunderts lebte in der Nähe von Laon in Frankreich der reiche Ritter Nithard mit seiner edlen Gemahlin Erkanfrieda. Er diente Gott mit Gebet und guten Werken und war seinen Untertanen ein milder und gerechter Herr. Alles, was er unternahm, gelang ihm, und sein Glück wäre vollkommen gewesen, wenn Gott ihm einen Erben geschenkt hätte.

Als seine Tage sich dem Ende zuneigten, faßte er den Entschluß, seine Güter einem Kloster zu übertragen, damit sie zu guten und wohltätigen Zwecken verwandt würden. Um die richtige Wahl zu treffen, zog er seinen Beichtvater zu Rate. Der sprach zu ihm. »Nimm aus deinem Köcher einen Pfeil und schieß ihn ab. Die Lüfte werden ihn weitertragen über Berg und Tal. Dem Kloster, in dessen Bereich er niederfällt, schenke deinen Reichtum.«

Der Vorschlag gefiel dem Ritter, und er veranstaltete auf seiner Burg ein großes Fest, das sieben Tage dauerte. Am letzten Tage wollte er den Pfeil abschießen. Er versammelte seine Gäste um sich und stieg mit ihnen den Burgberg hinab ins Tal zu einem sagenumwobenen Felsen. Dort befestigte er die Schenkungsurkunde an einem Pfeil. Bevor er ihn in die Lüfte sandte, sprach der Burgkaplan zu der harrenden Menge: »Nithard übt ein edles Werk. Lasset uns zum Herrn beten, daß es recht gelingen möge! « Alle knieten nieder und beteten andächtig. Dann bestieg Nithard den Felsen und schoß den Pfeil ab hoch in die Wolken. Im gleichen Augenblick öffnete sich der Himmel, lieblicher Gesang ertönte, ein strahlender Engel stieg hernieder, fing den Pfeil auf und trug ihn durch die Lüfte davon.

Zur selben Stunde stand im fernen Eifelkloster Prüm Abt Ansbald am Altare und feierte das heilige Opfer. Auf einmal erfüllten süße Klänge das Gotteshaus. In hehrem Glanze schwebte ein Engel hernieder und überreichte dem Abt im Angesichte des staunenden Volkes Nithards Pfeil mit der Urkunde. Nachdem der Engel sich vor dem Allerheiligsten geneigt hatte, verschwand er wieder.

Lange wurde der wunderbare Pfeil als kostbares Kleinod im Prümer Kloster aufbewahrt.

Das blutende Marienbild

Im Jahre 1302 kam König Albrecht, des Kaisers Rudolf von Habsburg Sohn, an den Rhein und zog gen Bingen, um die Stadt zu erobern. Da entflohen die Nonnen aus dem ehrwürdigen Kloster Rupertsberg, wo vor Zeiten die heilige Seherin Hildegard Äbtissin gewesen war. Die Kriegsleute des Königs drangen in die verlassenen Zellen der Nonnen und in die Klosterkapelle ein und raubten, was ihnen des Mitnehmens wert schien.

Eine Mauernische im Chor der Kapelle barg ein altes Holzbild der hl. Jungfrau mit dem göttlichen Kind. Die Krone der Gottesmutter war mit vier Edelsteinen herrlich geschmückt; ein besonders kostbarer Diamant zierte die Halskette der hohen Frau. Angelockt durch den Glanz des Geschmeides, kam einer der Kriegsleute herbei und riß die Edelsteine aus der Krone. Auch nach dem fünften Steine streckte er die räuberischen Hände. Dabei stieß er mit dem Dolch in das fromme Bild. Und siehe, sogleich quoll rotes Blut aus dem harten Holze. Entsetzt sprang der Frevler zurück. Mit einem Fetzen vom Seidengewand des Gnadenbildes suchte er das Blut zu stillen. Doch vergebens! Da kam ein Priester, um das heilige Opfer darzubringen; ihm gelang es, mit dem geweihten Kelchtüchlein die Wunde zu schließen.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von diesem großen Mirakel. König Albrecht und seine Scharen sahen staunend und ehrfürchtig, was geschehen war; und es dauerte nicht lange, da kamen von nah und fern fromme Pilger, um vor dem blutenden Marienbild ihre Andacht zu verrichten.

Die Geister im Schloß Ehrenbreitstein

In der Philippsburg zu Ehrenbreitstein, der alten Residenz der Trierer Kurfürsten, war es niemals recht geheuer. Als der letzte der Kurfürsten, Clemens Wenzeslaus, seinen Wohnsitz nach dem neuen Koblenzer Schloß verlegte, da mag der Gedanke an die Geister von Philippsburg ihm den Entschluß dazu erleichtert haben.

Der Kurfürst Johann Hugo von Orsbeck, einer der Vorgänger des Clemens Wenzeslaus, hatte einmal in Ehrenbreitstein ein ganz seltsames Erlebnis. Am Dreikönigstage des Jahres 1701 wurde in der Schloßkirche das Fest des ewigen Gebetes gefeiert, das nach damaligem Brauch um 4 Uhr nachmittags seinen Anfang nahm. Wichtige Amtsgeschäfte brachten es mit sich, daß der Kurfürst erst gegen Mitternacht dazu kam, seine Betstunde zu halten. Er fand die Kirche hell erleuchtet, am Altare brannten die Kerzen. Endlich öffnete sich lautlos die Türe der Sakristei, und es kamen drei Priester hervor, die in den kostbarsten Gewändern zum Altare schritten. Über das Ungewöhnliche dieses Vorganges verwunderte sich der Kurfürst sehr; auch kam es ihm so vor, als habe er keinen der drei Herren je gesehen.

Nach einer kurzen Anbetung setzten sich die Priester stumm nieder. Der Kurfürst machte ihnen ein Zeichen, mit dem Dienste zu beginnen, doch er erhielt zur Antwort: »Wir warten noch auf einen Mitbruder!« Das alles kam ihm ganz absonderlich vor, und er ging in die Sakristei, um nachzusehen, wer doch jener sei, auf den die drei am Altare warteten. Da erblickte er eine Gestalt, die in Größe, Gewand und Gesichtszügen sein vollkommenes Ebenbild war. Durch eine Türe, zu der nur er den Schlüssel trug, ging die Gestalt in die Kirche. Er folgte ihr, fand aber die Türe fest verschlossen, und selbst mit seinem Schlüssel konnte er sie nicht öffnen.

Tiefer Schreck überfiel nun den Kurfürsten; er stieg auf die Empore über dem Chor, um von dort aus die Herren am Altare genauer zu betrachten. Endlich erkannte er in ihnen drei längst verstorbene Amtsbrüder, die bei seiner Bischofswelhe die heiligen Handlungen vorgenommen hatten. Auch unter den anwesenden Gläubigen erkannte er die Gesichter von alten Freunden und Bekannten, die lange im Grabe ruhten. Und als der feierliche Dienst beendet war, da kamen seine verstorbenen Eltern, umgeben von ihren Kindern, Hand in Hand durch das Kirchenschiff.

Mit einem Schlage war darauf alles in der Kirche verändert. Die Wände waren schwarz ausgeschlagen wie zu einer feierlichen Trauermesse. Herzbeklemmend erklang das dies irae. In einem offenen Sarge sah der Kurfürst sich selber liegen, angetan mit den Zeichen seiner bischöflichen Würde. Tiefes Grauen überfiel ihn; er fühlte sich umweht von den geheimnisvollen Schauern der Ewigkeit; ganz gebrochen schleppte er sich in sein Schlafgemach.

Zehn Jahre später am Dreikönigstage starb Johann Hugo. Er liegt begraben vor den Stufen des Altares, den er den drei Heiligen aus dem Morgenlande zu Ehren in der hohen Domkirche zu Trier hatte errichten lassen.

Der Teufelsweg

Der junge Ritter Siegfried von Sezin hielt eines Tages um die Hand der schönen Tochter des Burgherrn von Falkenstein an. In finsterem, hochmütigem Schweigen stand der Falkensteiner, dann sprach er: »Bei Rittern ist es Sitte, die Braut hoch zu Roß mit Wagen und Gefolge abzuholen. Wenn Ihr es fertig bringt, in einer einzigen Nacht einen Weg auf meine Burg zu schaffen, so daß Ihr der Braut Eure Aufwartung machen könnt, wie es ihrem Stande zukommt, dann will ich Euren Wunsch erfüllten.« Niedergeschlagen und ohne Hoffnung ging der Freier davon; war doch die Forderung des Falkensteiners nicht in einem ganzen Jahre, geschweige denn in einer Nacht zu erfüllen.

Als der junge Ritter den Felsenpfad von Falkenstein hinabschritt, trat aus dem Gebüsch der Zwergenkönig in grünem Gewande und redete ihn an: »Der Grund Eures Trübsinns ist mir bekannt. Ich kann Euch zur Erfüllung Eures Wunsches verhelfen, wenn Ihr auf meinen Vorschlag eingeht. Ihr habt ein Bergwerk in der Nähe der Behausung meines Volkes. Wenn Eure Leute dort weiter arbeiten, so werden sie uns bald vertreiben. Versprecht mir, die Arbeit einzustellen, dann wollen wir noch in dieser Nacht den Weg nach Falkenstein vollenden.«

Mit tausend Freuden sagte Siegfried zu, und in wenig Minuten wimmelte der ganze Wald von Männlein, die den Weg absteckten, Bäume fällten und Gestein und Erdreich bewegten. Und als vom Turm die erste Stunde nach Mitternacht schlug, war das Werk vollendet. Dunkel und still lag der Wald, der eben noch hell erleuchtet und vom Lärm der Arbeit erfüllt gewesen war.

Am frühen Morgen ertönte des Falkensteiner Turmwarts Horn; ein prächtiger Zug von Reitern und Wagen bewegte sich auf breitem Fahrweg den Burgberg herauf. Da löste der Burgherr sein Wort ein und nahm den Ritter, der solchen Teufelsweg fertiggebracht hatte, zum Schwiegersohne an.

Der Elbersfelder Martinsreiter

In der Martinsnacht (10. November) schreitet eine schreckliche Erscheinung in der Stadt Elberfeld von der Höhe hinunter zum Mirkerbache, dorten besteigt sie einen feuersprühenden gewaltigen Ochsen und reitet auf demselben über den Markt zur Wupper. Über dem Ritte soll der Spuk seinen Kopf gleich einem Hute abnehmen. Dieser Reiter soll ein sehr reicher Mann gewesen sein, welcher ehedem auf dem Kerstenplatze gewohnt und nach und nach die ganze Nachbarschaft erworben hätte. Zuletzt habe er eine Witwe um das ihre betrogen und deren letztes Stück Vieh sich angeeignet, wegen dieses Betruges wäre er verdammt, und müsse auf dem Stück Vieh den jährlichen Ritt unternehmen. Anfangs vollführte er diesen Ritt bis in sein Haus am Kerstenplatze. Da die Besitzer dieses Gutes aber diesen unheimlichen Gast nicht bei sich dulden wollten, ließen sie von Köln einen Geisterbeschwörer kommen, welcher den Spukgeist überlas, so daß er in das Tal der Mirke weichen, sich dort einen Schlupfwinkel suchen mußte. Mit jedem Jahre rückt er aber um einen Hahnenschritt näher, bis er endlich wieder in der alten Wohnung angelangt sein wird. Die Leute nennen den Spuk den glühenden Kornelius, oder Kornelius mit der glühenden Kuh.

Gunhild

Gunhild war einem vornehmen Adelsgeschlecht am Niederrhein entsprossen. Schon in zarter Jugend zeigte sie viel Neigung zu einem beschaulichen Leben. Als sie zur Jungfrau herangewachsen war, trat sie ins Kloster zu Gräfrath. Sie war eine der frömmsten Nonnen. Aber auch bei diesen pflegt sich der Versucher einzustellen. Er erschien Gunhild in der Person des Beichtvaters, eines jungen, strengen Klostergeistlichen.

Die Unschuld und Schönheit der jungen Nonne machten den Mönch seinem Gelübde ungetreu. Er wollte um jeden Preis die Liebe der Jungfrau erwerben und in ihren Besitz gelangen. Er hatte lange zu kämpfen und zu überreden, bis er sie zur Flucht bewegen konnte. Durch Freunde und Verwandte, aber auch durch unehrliche Mittel, hatte er sich einen vollen Säckel zur Reise zu verschaffen gewußt. Glücklich kam er mit seiner Geliebten in die Fremde, wo die beiden anfangs im seligen Liebesrausch wie ehelich Verbundene miteinander lebten. Aber bald schwanden die Mittel. des Mönches dahin und er suchte Betäubung im Genuß geistiger Getränke. In den Schenken lernte er verwegene, gesetzlose Menschen kennen und wurde ihnen zu vielen Niederträchtigkeiten verleitet. Die Vorstellungen, welche ihm Gunhilde machte, halfen nichts; er fiel immer tiefer und fand zuletzt an der Heerstraße, welche er als Räuber unsicher gemacht hatte, seinen Tod. Gunhilde verfiel nun der bittersten Armut. Aber noch mehr drückte sie das Bewußtsein ihrer Schuld, wodurch sie in diese traurige Lage gekommen war. Sie beschloß endlich, in das verlassene Kloster zurückzukehren und ihr Vergehen dort zu bekennen. Ehe sie aber ihr Ziel erreichte, mußte sie den Weg, welchen sie vorher in Freude und Wohlleben gemacht hatte, in Armut und Not wieder zurücklegen. In prächtigen Kleidern war sie geflohen – als abgezehrte Bettlerin kehrte sie ins Kloster zurück. Mit Auszeichnung wurde sie von der Pförtnerin aufgenommen. Verwirrt eilte sie zur Äbtissin und klagte sich der Flucht und der vielen anderen Vergehen an. Aber sie fand kein Gehör, sondern wurde als eine Kranke zu Bett gebracht. Jedesmal, wenn sie beichtete, beschwichtigte man sie wie eine Fieberkranke und sagte, daß sie nie ein Gesetz übertreten, nie das Kloster verlassen und stets in größtem Eifer allen ihren Pflichten genügt habe. Zuletzt begriff sie, daß sie in den sieben Jahren ihrer Abwesenheit auf Geheiß der heiligen Himmelskönigin durch einen Engel vertreten worden war, so daß niemand ihre Flucht ahnen konnte. Von nun an hielt sie ihren früheren unbescholtenen Lebenswandel wieder aufs strengste inne und befleißigte sich noch größerer Sittenstrenge und Frömmigkeit.

Der heilige Mauritius auf dem Speicher zu Georgsweiler

In Büchel wurde vor Zeiten eine neue Pfarrkirche errichtet. Als der Bau fertig war, trug man alle heiligen Geräte und Bilder aus der alten, baufälligen Vikariekirche (Kirche, der ein Vikar vorsteht) zu Georgsweiler in das neue Gotteshaus hinüber. Nur eine Reiterstatue des heiligen Mauritius, die aus Morschweiler stammte, vergaß man. Die Dorfkinder spielten damit und führten das hölzerne Pferd auf den Grasplatz bei der Kirche zur Weide. Eines Abends nahmen zwei Geschwister die Statue verstohlen mit heim. Als sie größer geworden waren und nicht mehr mit dem Pferd des Heiligen spielten, wurde die Statue in den Speicher gestellt und geriet allmählich in Vergessenheit. Da oben in der staubigen Dachkammer zwischen Spinnen und Mäusen mochte es dem Heiligen wenig gefallen. Durch eine Dachlucke konnte er auf die schöne neue Pfarrkirche hinübersehen, während er sich mit einem düsteren Kämmerlein begnügen mußte.

Eines Tages nun merkte der Bauer, daß sein Hafer, den er auch auf dem Speicher dem Heiligen gegenüber in einer Ecke aufgeschüttet hatte, bedenklich abnahm. Er dachte, es wären die Mäuse, und hielt sich Katzen. Doch das half nichts. Da meinte er, die Spatzen könnten den Hafer vielleicht gefressen haben, ließ sein Strohdach ausbessern und Drahtnetze vor die Lucken ziehen. Aber der Hafer nahm immer weiter ab.

Schließlich versteckte sich der Mann mit zwei Nachbarn auf dem Speicher im Stroh und wachte eine Nacht über, um endlich den Dieb zu erwischen. Da, als es zwölf Uhr schlug, bewegte sich der hölzerne Mauritius, gab seinem Schimmel die Sporen, und das Tier sprang von der Mauer herab, auf der es stand, nach der andern Ecke, mitten in den Hafer hinein, fraß sich dort tüchtig satt und schritt dann gemächlich in seine Ecke zurück. Roß und Reiter standen dann wieder unbeweglich dort wie zuvor.

Am andern Morgen ließ sich der Bauer vom Küster gleich die Kirche aufschließen und trug die Holzstatue auf seinen Armen hinein. So hatte Mauritius wieder einen Aufenthalt, wie er sich für einen Heiligen geziemt, und dem Bauern wurde kein Hafer mehr weggefressen.

Die versunkene Ritterburg

Bei Goch an der Niers stand in alten Zeiten eine Ritterburg. Der letzte Burgherr war sehr reich. Er ließ seinen Pferden goldene Hufeisen aufschlagen, die Reifen seiner Wagenräder waren aus Silber, und die Halsbänder seiner Hunde waren mit Edelsteinen besetzt. Der Ritter war aber ebenso hartherzig wie reich. Einst kam um die Zeit der Abenddämmerung ein greiser Pilger auf den Burghof und bat um Herberge. Aber niemand kümmerte sich um ihn, und niemand hielt die Hunde zurück, die ihn mit wütendem Gebell anfielen. Es gelang ihm kaum die Tiere mit seinem Stabe abzuwehren. Da ritt der Burgherr mit seinem Gefolge daher. Er befahl seinen Knappen, den Pilger vor das Burgtor zu werfen. Ehe der Befehl ausgeführt werden konnte, trat die Tochter des Ritters dazwischen. Sie nahm den Pilger bei der Hand und führte ihn hinaus. Draußen beschwor der Alte die Jungfrau, nicht mehr in die Burg zurückzukehren, da sie sonst den nächsten Tag nicht mehr erleben werde. Sie glaubte ihm nicht, gab ihm zum Abschied die Hand und ging in die Burg.

In der folgenden Nacht versank das stolze Gebäude mit allem, was darin war. Nur der Garten blieb erhalten. Wo er einst lag, wachsen noch jetzt Jahr für Jahr die schönsten Blumen weit und breit.

Der Elfenkönig

Bei Wiesdorf am Rhein, wo es früher in Sumpf und Bruch viele Erlen gab und allerlei dichtes Gestrüpp, war eine Gegend, die Wüstenei genannt. Man erzählt sich, daß dort der Erlen- oder Elfenkönig gewohnt habe, der in den nebeligen Nächten, wenn der Mond durch die Erlen schien, über die Felder und Weiden ging und auch manchmal in den frühen Morgenstunden noch sichtbar war.

Es war ein Mädchen, das hinausgegangen war, um Futter für die Kuh zu holen, ehe noch die Sonne aufging und als der Tau noch im Grase lag. Da aber die Bürde so schwer geworden war, daß sie sie selbst nicht auf ihren Kopf heben konnte, sah sie sich nach jemandem um, der ihr hätte helfen können. Da aber in so früher Stunde noch niemand auf dem Acker war, war sie gerade im Begriff, ihre Last zu erleichtern. In dem Augenblick aber, in dem sie sich niederbeugte, stand ein Mann neben ihr von sonderbarer Gestalt. War es eine Krone oder war es nur Licht, goldenes Licht, das sein Haupt umstrahlte? Milde schienen seine Augen, und freundlich war seine Stimme, mit der er sich anbot, ihr zu helfen. Und es war, als hätte er das Bündel Gras kaum berührt, als sei es mit seiner Hand leicht, wie von selbst auf ihren Kopf hinaufgeschwebt – und ebenso leicht war die Last, als sie heimging und der Mann (wie war sie erschrocken) so plötzlich, wie er gekommen, verschwunden war.

Und sonderbar: Ihre Backe brannte, als wäre sie dem Herdfeuer zu nahe gekommen, so heiß, als wenn noch die Flammen sie berührten. Sie entsann sich, daß, als der Mann das Bündel auf ihr Haupt gehoben, seine Hand ihre Backe gestreift hatte, und daß seitdem das Brennen an ihr war, daß sie noch nach Tagen an diese sonderbare Begegnung und den wunderbaren Morgen erinnert wurde. Und man erzählte ihr, daß es niemand anders hätte sein .können, als der Elfenkönig, der aus der Vorzeit Tagen dort in jenem einsamen Erlengrund noch immer seine Wohnung habe.

Der Fischerknabe am Laacher See

Am Ufer des Laacher Sees wohnte einmal ein Fischer, der hatte einen Sohn, den alles Geheimnisvolle unwiderstehlich lockte. Wenn an stillen Abenden der See im Mondenschein gespenstisch leuchtete, dann erzählte die Großmutter dem atemlos lauschenden Knaben von versunkenen Schlössern und verborgenen Schätzen, und der Wißbegierige nahm sich vor, einmal in der Mitternachtsstunde hinauszufahren, um die Wunder der Tiefe zu schauen.

In einer sternenhellen Nacht verließ er unbemerkt sein Lager und schlich ans Seeufer hinab. Mit kundiger Hand löste er einen Kahn vom Pflocke, schwang sich hinein und ruderte furchtlos der Mitte des Sees zu. Tiefe Stille herrschte ringsum, der Knabe vernahm nur das Plätschern der Bugwellen und vom Ufer her den Ruf des Käuzchens.

Plötzlich drangen sanfte Töne an sein Ohr, die allmählich anschwollen und immer lauter aufrauschten. Harfen und Flöten erklangen, dazwischen erscholl froher Becherklang und das kriegerische Klirren der Waffen. Beglückt und frohen Staunens voll beugte sich der Knabe weit über den Rand des Fahrzeuges. Da sah er tief unten ein herrliches Schloß mit festen Mauern und hohen Zinnen. An den hellerleuchteten Fenstern vorbei bewegten sich eilende Schatten wie von tanzenden Paaren. Nixen stiegen aus der Tiefe und lockten mit holdem Lächeln. Der Knabe wußte nicht, wie ihm geschah; er glitt vom Rande des Nachens in die grundlose Tiefe.

Am folgenden Morgen fand der Fischer ein Boot, kieloben auf den Fluten treibend; von dem Knaben ward nichts mehr gesehen.

Die Neunhollen in Georgsweiler

Die Neunhollen im Hochpochtner Wald sind in manchen Dingen den kleinen Holz- und Moosleuten ähnlich, von denen besonders in den mitteldeutschen Waldländern viel erzählt wird. Die Neunhollen blieben im Frühjahr und Sommer in ihrem Wald, ging es aber gegen den Winter, so kamen sie heraus und hüpften auf freiem Feld so lange umher, bis der Sturmwind sie aufnahm und über Berg und Tal zu ihrer Winterwohnung wehte, einem alten Bauernhaus in Georgsweiler. Dort huschten sie in die Küche und hockten sich um den Herd.

Freilich nur bei Nacht saßen sie dort und hüteten die Glut in der Asche. Bei Tag hielten sie sich in der dunklen, warmen Ecke über dem Backofen auf und schliefen; erst gegen Abend kamen sie hervor und betätigten sich nützlich wie gute Hausgeister. Als kräuterkundige Waldleute machten sie sich bisweilen mit dem alten Bauern einen besonderen Spaß, indem sie ihm heimlich ein paar Blättchen Maikräuter in die Pfeife stopften. »Kathrin, wo hast du denn den guten, Tabak gekauft?« pflegte der Alte dann wohl die Bäuerin zu fragen, ohne zu ahnen, woher dies feine Kraut komme.

Um Ostern herum machten sich dann die Neunhollen wieder auf die Reise. Sie befeuchteten zuerst den Zeigefinger mit Speichel und hielten ihn zum Schornstein hinaus, um zu fühlen, woher der Wind wehe. Wenn es dann der richtige war, setzten sie sich frei hin, atmeten tief ein, damit sie recht luftig würden, und im Nu hatte sie der Wind gefaßt und weggeführt.

So waren sie manchen Winter in dem Bauernhaus zu Gast gewesen; aber einmal, als sie wieder kamen, war die gute alte Bäuerin nicht mehr da, eine junge Frau führte den Haushalt und wollte von Neunhollen und dergleichen dummem Zeug nichts wissen. Da gaben ihr die Zwerge zunächst eine Lehre. Am Abend hatte die junge Bäuerin Brotteig angerührt für den andern Tag. Da buken die Männlein des Nachts vierzehn große, runde Brote und stellten sie zum Ausdunsten auf die Treppenstufen. Als nun die Frau am Morgen in der Dunkelheit die Treppe herunter wollte, stolperte sie und sauste über vierzehn Brotlaibe die finsteren Stufen hinab. Und die Brote bumsten unten gegen Tür und Tische, gegen Stühle und Schrank; alles fiel um, das Geschirr kollerte auf den Boden, und die junge Frau lag mitten in dem Wirrwarr und jammerte. Trotzdem hätten die Neunhollen wohl noch bis zum Frühjahr ausgehalten, wäre nicht der Dreikönigstag gewesen.

Am Abend dieses Tages kam nämlich eine arme Witwe mit ihrem kleinen kranken Jungen an der Hand; um seine Pelzmütze trug er eine Dreikönigskrone aus Papier und auf seinem Stock einen Blechstern. Der Hunger guckte den beiden aus den Augen. Sie sprachen vor der Tür ein lautes »Vaterunser« und traten dann zaghaft in die große Küche. Als sie da im Schornstein die vielen Schinken, Speckseiten und Würste hängen sahen, sagte die Mutter voll Vertrauen den alten Reim:

Stellt die Leiter an die Wand,
Nehmt das Messer in die Hand,
Laßt das Messer klinken,
Schneid’t mir ’n Stück vom Schinken!

Und der kleine Junge schwang seinen Stab, hustete und plapperte:

Ich bin an kleiner König,
Gebt mir nicht zu wenig!

Aber die Bäuerin machte ein böses Gesicht, riß die Tür weit auf und wies beide hinaus, ohne ein Wort zu reden. Da fingen aber die Neunhollen zu knurren, zu brummen und zu brausen an wie ein Sturmwind, so fürchterlich, daß es die Frau nicht mehr aushalten konnte, angsterfüllt in ihre Kammer lief und den Kopf unters Federbett steckte. Sogleich warfen die Neunhollen allen Speck und Schinken auf den Herd herunter und kletterten dann rasch durch den Schornstein hinaus; es war auch die höchste Zeit dazu, denn hinter ihnen schoß eine gewaltige Flamme empor. Das ganze Dorf lief zusammen, aber es war nichts mehr zu machen; alle Würste, Schinken und Speckseiten waren verbrannt. Die Neunhollen aber suchten von da an eine andere Winterwohnung auf.

Der Geist im schwarzen Broich

Im schwarzen Broich bei Ratingen wandelt nachts eine hohe Männergestalt in Schuhen von Blech umher. Alle vier Jahre müssen ihm von einem entfernt wohnenden, vornehmen Geschlechte, welchem er angehört, ein Paar neue Blechschuhe auf den Kreuzweg gebracht werden, welcher sich mitten im schwarzen Broiche befindet, und zwar müssen diese Blechschuhe auf einem vierspännigen Wagen stehen und in der Mitternachtsstunde angefahren kommen. Diese Lieferung soll sich, wie gesagt wird, fünfundzwanzigmal erneuern. Einige behaupten, der Mann sei aus Tiefenbroich gewesen und habe sich in diesem Walde erhängt, wandle deshalb strafweise umher.

Die jugendliche Melkerin

Auf einem Bauerngute bei Ratingen war einst die Bäuerin zur Kirche gegangen. Der Bauer unterhielt sich mit seinem Töchterchen über Stall und Küche. Wie staunte aber der Vater, als ihm das Kind erklärte, daß sie schon melken könne, dazu aber gar nicht einmal den Stall zu betreten brauche, sondern die Milch aus dem Handtuch in der Wohnstube melken könne. Der Vater ersuchte das Mädchen, sofort eine Probe ihrer Kunst zu geben. Dasselbe holte auch den Melkeimer und molk an dem Handtuch, daß der Eimer in kurzer Zeit voll war. Nun wollte das Kind aufhören, weil sonst die beste Kuh im Stall zu Schanden gehen würde. Der Vater gebot ihm aber, fortzumelken und sich um alles Andere nicht zu kümmern. Das Mädchen gehorchte, holte einen anderen Eimer und molk weiter. Nach einiger Zeit hielt sie wieder an und machte den Vater darauf aufmerksam, daß die Kuh wirklich gefallen sei. Der Vater eilte zum Stall und sah seine beste Kuh verendet am Boden liegen.

Dieses Mädchen soll auch Mäuse habe machen können, denen aber die Schwänze fehlten. Später ist sie mit andern Hexen auf dem Hexenberge bei Gerresheim verbrannt worden.

Der Mäuseturm bei Bingen

Am Eingang zur schauerlichen Felsschlucht, in die sich der Rhein bei Bingen hineinzwängt, erhebt sich auf dem rechten Ufer des Stroms zwischen den Gesträuchen und Weinbergen der Rüdesheimer Höhen die Ruine der stolzen Burg Ehrenfels; inmitten der brausenden Fluten des Rheins aber ragt auf einer Felseninsel ein düsteres Gemäuer empor, das unter dem Namen »Mäuseturm« oder »Hattos Turm« berüchtigt geworden ist. Das alte Bauwerk steht hart bei dem sogenannten Binger Loch, wo der Strom über Klippen rauscht und nur eine enge Durchfahrt freiläßt, die man einst für sehr gefährlich hielt; man glaubte, daß die Trümmer von Fahrzeugen, die das Binger Loch verschlungen, an der Felsenbank von St. Goar wieder zum Vorschein kämen. Aber seit langer Zeit kennt der Schiffer diesen Weg so genau, daß die Durchfahrt nur bei Sturm bedenklich ist; jetzt sind die meisten der gefährlichen Felsen gesprengt.

Im Anfang des zehnten Jahrhunderts lebte in jener Gegend ein gewisser Hatto, der durch Wohlleben, Übermut und Hartherzigkeit weithin verrufen war. Der ehrgeizige Mann wurde schließlich zum Erzbischof von Mainz erhoben. Nachdem er jahrelang seines Amtes gewaltet hatte, wurde das gesegnete Land am Rhein von schweren Plagen heimgesucht. Schwüle Hitze brannte die reichen Felder aus; eine starke Wasserflut vernichtete alle Hoffnung auf die Ernte; überall herrschte Not und Teuerung. Nur Hatto spürte nichts davon; denn seine Speicher waren gefüllt, und er scheute sich auch nicht, üblen Getreidewucher mit seinen Vorräten zu treiben.

Die Not stieg immer höher, und das arme, ausgehungerte Volk bestürmte den reichen Kirchenfürsten mit der flehentlichen Bitte um Brot. Der hartherzige Mann aber wollte nicht an seine Pflicht erinnert werden und ließ die Armen fortjagen; es seien nur Müßiggänger, sagte er, die sich ihr Brot auf leichte Art durch Bettel erwerben wollten. Doch nur um so stärker erscholl die Klage, man hörte sogar Worte der Verwünschung, aus der die Verzweiflung zu erkennen war. Denn der Erzbischof hatte sich beim Volke durch Bedrückungen schon längst verhaßt gemacht; immer neue Bittsteller vermehrten die Schar der Flehenden, die schließlich mit Gewalt zu drohen schienen, da er ihrem Flehen kein Gehör schenkte.

Hatto sah darin einen Aufstand, rief seine Waffenknechte herbei und befahl ihnen, die frechen Empörer zu ergreifen. Die Söldner stürmten heran und zerstreuten die zusammengerottete Menge nach kurzem Widerstand. Groß war die Zahl derer, die man gefangen ins Schloß führte.

»Sie trachten nach meiner Frucht«, erklärte Hatto mit bitterem Hohn. »Gut! Man sperre sie in eine der Scheunen!« Die Knechte schleppten die Ärmsten hinein, und der grausame Herr befahl, die Scheune in Brand zu stecken. Bald loderten die Flammen ringsum empor, und das Klagegeschrei der Unglücklichen, für die jeder Weg zur Rettung verschlossen war, drang zum Himmel. Mit satanischem Gelächter rief der Bischof: »Hört doch, hört, wie die Kornmäuse pfeifen!« Den Aufruhr hatte der Bösewicht nun unterdrückt, der Strafe Gottes aber vermochte er nicht zu entrinnen.

Als sich Hatto am Abend nach dem Mahle in sein prächtiges Schlafgemach zurückzog, hörte er plötzlich ein sonderbares Gepolter und ein durchdringendes Pfeifen. Kalter Schauer fuhr ihm durch die Glieder. Mit einemmal sprangen Mäuse aus allen Wänden und Ritzen und fielen über den erschrockenen Mann her. Heulend rief er seine Diener zu Hilfe; aber sie konnten den dichten Haufen der Tiere nicht, abwehren; die Leute bekreuzten sich entsetzt und flohen. Endlich warf sich Hatto zu Pferd, eilte mit einem Trupp seiner Knechte stromabwärts und suchte Schutz in der Burg Ehrenfels. Doch die Plagegeister wimmelten auch hier durch das ganze Schloß, ihn mit scharfen, quälenden Bissen verfolgend.

Nun erwachte Hattos Gewissen, er fühlte seine Sünde und flehte zum Himmel um Hilfe. Aber die gerechte Strafe, die ihn treffen sollte, war noch nicht vollendet. Er floh daraufhin auf einem Kahn zu dem einsamen Turm, der sich auf der kleinen Rheininsel erhob, und – ließ dort sein Bett an Ketten aufhängen. Aber die Mäuse schwammen durch die Flut, kamen ihm nach, schlüpften durch alle Gitter und Löcher und nagten mit scharfem Biß so lange an seinem Leib, bis der geistliche Würdenträger den Geist aufgab. Ja, selbst sein Name, der in die Tapeten des Gemachs gewirkt war, wurde von den Tieren zernagt.

Kaum war dies geschehen, so zerstreute sich das ganze Heer der Mäuse und wurde nicht mehr gesehen. Der Ort aber, wo der Bischof seinen gerechten Lohn gefunden, heißt von jener Zeit an der »Mäuseturm«. Noch oft soll bei Nacht, wenn der Sturm braust und die Woge grollt, sein Geist gleich einer grauen Wolke das uralte Gemäuer umschweben; somit hat der Bischof wegen seiner schweren Schuld noch immer nicht die ewige Ruhe gefunden.

St. Oranna

Die hl. Oranna war eine Königstochter aus Schottland. Gleich ihrem Bruder Wendelin verließ sie ohne Wissen der Eltern Vaterhaus und Heimat und zog über das Meer, um in der Stille und Verborgenheit Gott zu dienen. Als sie mit ihrer Gefährtin Cyrilla in die Bergwälder an der Saar gekommen war und eines Tages auf der steilen Höhe von Berus rastete, sah sie im Tale eine Reiterschar, die sie auf Befehl ihres Vaters verfolgte und nach Schottland zurückbringen sollte. Voll Angst flohen die beiden Jungfrauen weiter.

Zur gleichen Stunde war ein Bauersmann auf einem nahen Felde bei der Arbeit. Als er zum letzten Male die braunen Ackerfurchen entlang schritt, um seinen Samen auszustreuen, kamen die Verfolger auf der Höhe an. Sie fragten ihn, ob er keine Flüchtlinge gesehen habe. »Als ich anfing zu säen«, antwortete der Gefragte, »ritten zwei vornehme Jungfrauen in Eile hier vorbei.« Bei diesen Worten blickte er um sich, und siehe, die eben gesäte Gerste stand kniehoch. Auch die Reiter sahen das grüne Getreidefeld und sprachen bei sich: »Es ist umsonst gewesen, wir kommen zu spät.« Und sie gaben die Verfolgung auf und kehrten nach Schottland zurück.

Oranna und Cyrilla blieben als fromme Klausnerinnen im Walde von Berus. Als sie starben, wurden sie im nahen Eßweiler begraben. Über ihrer Gruft wurde eine Kapelle errichtet. In den Bauernkriegen wurde das Dorf dem Erdboden gleichgemacht. Obwohl das Kirchlein der Zerstörung entging, brachte man doch die Gebeine der heiligen Jungfrauen in die Pfarrkirche von Berus. Dort sind sie noch heute der Gegenstand frommer Verehrung. Das in der Regel am dritten Sonntage im September stattfindende Orannafest wird von zahlreichen Wallfahrern aus dem Saarlande und dem benachbarten Lothringen besucht.

Bonschariant

Zu dem reichen Grafen Sibodo, der in der Zeit Kaiser Heinrichs I. lebte und ein lauer Christ war, trat einmal der Teufel in Gestalt eines Dieners, der sich Bonschariant nannte. Der Graf nahm ihn mit auf sein Schloß an der Ahr. Mit wunderbarer Geschicklichkeit erfüllte der neue Diener alle Befehle und Wünsche seines Herrn, der sich schließlich gar nicht mehr von ihm trennen konnte. Wenn der Ritter auszog zu Kampf oder Turnier, war Bonschariant stets sein unentbehrlicher Begleiter. Sibodo nahm ihn auch mit ins heilige Land, und wo der Diener an der Seite seines Herrn kämpfte, da war der Sieg.

Als der Ritter aus dem Morgenlande zurückgekehrt war, tobten bald auch am Rhein heftige Kämpfe. Es gelang Sibodo, den Feind zu schlagen und über den Strom zurückzudrängen. Eines Abends schlief er, müde vom Kampfe, unter einem Baume ein. Da schlichen die Feinde unbemerkt heran, und sein Leben schwebte in höchster Gefahr. Doch Bonschariant eilte rechtzeitig herbei und trug den Schlafenden durch die Lüfte davon. Während sie in den Wolken dahinschwebten, erwachte Sibodo und rief: »Gott sei mir gnädig!« Da knurrte und rumorte der erboste Teufel gewaltig. Von dieser Stunde an betrachtete Sibodo seinen unheimlichen Diener mit Mißtrauen und geheimer Sorge.

Nach einer Reihe von Jahren erkrankte die Gemahlin Sibodos schwer. Von nah und fern rief der Ritter die berühmtesten Ärzte herbei, doch ihre Kunst versagte am Leiden der Gräfin. Endlich sagte einer der Ärzte: »Es gibt noch ein letztes Mittel, die Kranke zu hellen, Löwenmilch mit Drachenblut, aber wer kann das herbeischaffen?« »Dies werde ich tun«, sagte Bonschariant, erhob sich in die Lüfte und rauschte nach Süden davon. Schon nach zwei Stunden kam er mit dem Wunderelixier aus dem innersten Afrika zurück. Die Gräfin genas und ward gesünder denn) e. Als sie aber hörte, wie ihre Heilung sich zugetragen hatte, da drängte die Fromme ihren Gatten, den Diener, der doch der leibhaftige Teufel sein müsse, zu entlassen.

Sibodo fiel es schwer, auf die Dienste Bonschariants zu verzichten. Um aber seine Gattin zu beruhigen, beschloß er, in den Eifelbergen zur Ehre Gottes ein Kloster zu erbauen und es Steinfeld zu nennen. Dem Diener sagte er, daß die stattlichen Gebäude ein Jagdschloß werden sollten. Als das Werk nahezu vollendet war, setzte der Graf über Nacht ein Kreuz auf die höchste Spitze. Das sah am nächsten Tage in der Frühe der Teufel, als er eben einen schweren Stein herbeischleppte. Da geriet er in rasende Wut und schleuderte den Stein nach dem Zeichen des Menschensohnes. Doch das Wurfgeschoß wurde von unsichtbarer Hand abgelenkt und fiel weitab bei Dieffenbach nieder, wo es noch heute liegt. Von dieser Zeit an wurde Bonscharlant nicht mehr gesehen.

Das verlorene Pantöffelchen

Bei Speicher, unweit der Kyll, hausten in einer Felsenhöhle Wichtelmännchen. Sie waren winzig klein und trugen hohe, spitze Hütchen. Am Tage waren sie nie zu sehen; nur in dunklen Nächten gingen sie aus. Man sah dann am Morgen im feuchten Grunde vor der Höhle ihre zierlichen Fußspuren. Sie waren den Menschen freundlich gesinnt und besserten ihnen Schuhe und Kleider aus.

Einst wurde in einer Mühle an der Kyll eine Hochzeit gefeiert. Musik und Jubel drangen bis in die Höhle der winzigen Gesellen. Und als die Nacht hereinbrach, da schimmerten hellerleuchtete Fenster lockend durch das tiefe Dunkel. Wie gerne hätten die Männlein an der Freude der Menschen, mit denen sie es so gut meinten, teilgenommen, doch sie wagten es nicht. Endlich faßte der Nestling der Schar Mut und sprach: »Wenn wir auch nicht ins Haus hineingehen dürfen, so wollen wir uns doch die Hochzeit von außen ansehen!« Trotz der Warnung der Alten machten sie sich zusammen auf und schlichen klopfenden Herzens an das Hochzeitshaus. Sie stiegen auf die Haselnußsträucher, die vor der Mühle wuchsen, und schauten sehnsüchtigen Blickes durch die Fenster. Doch, O Schrecken, der Neugierigsten einer stieß unversehens an eine Fensterscheibe. »Die Wichtelmännchen belauschen uns!« so hörten die zu Tode Erschrockenen eine laute Stimme rufen. Und sie liefen fort, so schnell ihre kurzen Beinchen sie trugen. Die jungen Burschen im Hochzeitshaus aber ließen vom Tanze ab und verfolgten die Fliehenden. Der Bruder der Braut fand ein winziges Pantöffelchen von purem Golde, das der Männlein einst verloren hatte.

Während nun die Hochzeitsgesellschaft ihre Feier fortsetzte, irrte der arme Kleine im Finstern umher und suchte sein verlorenes Schühlein. Da er es nicht wiederfand, durfte er nicht mehr zu seinen Brüdern zurückkehren. Er wußte nicht, daß die bösen Menschen es gefunden hatten. Noch heute wandelt er in nächtlicher Stunde klagend durch das Kylltal. Die andern Wichtelmännchen aber zogen bald nach jener Hochzeit von dannen, wohin, weiß niemand.

Die heiligen drei Könige von Köln

As Kaiser Friedrich Barbarossa Mailand belagerte, da bat die Schwester des Bürgermeisters, die Äbtissin eines Nonnenklosters in Mailand war, den Erzbischof Reinald von Köln, ihren Bruder zu retten, dem der Kaiser den Tod zugeschworen hatte. Reinald versprach es, wenn sie ihm die Reliquien der hl. drei Könige schenken würde. Als nun die Stadt sich dem Kaiser ergab, bat sich der Erzbischof vom Kaiser das aus, was die Äbtissin auf den Schultern tragen würde. Der Kaiser gestand es ihm zu. Die fromme Frau aber kam und hatte ihren Bruder den Bürgermeister auf dem Rücken. Und so wurde ihm das Leben gerettet, denn der Kaiser mußte Wort halten. Reinald bekam nun die Reliquien und sandte sie heimlich nach Köln. Doch hatten andere Fürsten im Lande davon gehört und rüsteten sich, ins Kölnische einzufallen und den Kölnern den kostbaren Schatz abzugewinnen. Da zogen die Lehnsleute des Bischofs und die Bürger von Köln hinauf gegen Andernach, die Feinde zu erwarten. Als die es gewahr wurden, wagten sie keinen Angriff und die Kölner behielten die hl. drei Könige; die Reliquien kamen dann hernach in den Dom; und viele Andächtige pilgerten nach Köln, sie zu verehren.

Die Andacht zu den drei Königen hatte in Köln zuletzt so zugenommen, daß es den Teufel schwer ärgerte und er einen großen Stein auf das Dach des Domes warf; der fuhr hindurch, durchbrach das Gewölbe und fiel auf die Dreikönigskapelle. Da hätte er den kostbaren Schrein, der die Gebeine der drei Weisen enthält, ohne Zweifel zerschmettert, aber das wollte Gott nicht. Der Kasten wich zurück gegen die Wand hin und blieb also unverletzt.

Die weiße Frau im Düsseldorfer Schloß

Im Schlosse zu Düsseldorf hört man zuweilen um Mitternacht ein seltsames Rauschen, wie von seidenen Gewändern, ja es sollen Töne der Klage nicht selten dabei vernommen werden. Es schreitet dann ein hohes verschleiertes Weib in weißem Gewande durch die Gänge und soll besonders häufig in einem Saale verkehren, der den Namen des Schwanenzimmers führt. Einige sagen, das sei Jakobe von Baden, die durch ihre Schwägerin ermordete Herzogin von Berg, andere halten dafür, daß es die Stamm-Mutter des Altena-Berg-Brandenburgischen Geschlechtes sei, welche sich in den Räumen der alten Wohnung zeige, wenn irgend ihrem Hause ein glückliches oder unglückliches Verhängnis nahe. Diese Ahnfrau soll aus dem Geschlechte der Schwanen-Jungfrauen gewesen sein, und nach ihr soll das Zimmer, wo sie am meisten erscheint, das Schwanenzimmer heißen.

Siegfried

In jenen grauen, fernen Zeiten war es, als noch die Götter lebten, als in den wilden, sturmdurchtobten Nächten des November die Menschen in den Höfen unterm Schilfdach saßen und hörten die wilde Jagd. Wodan, der einäugige Gott, fuhr mit seinen göttlichen Mannen und Walküren durch die Wolken. Und Donar erlebte seine Abenteuer, der starke Göttersohn mit rotem Bart, aus dem die Blitze sprühten, wenn er seinen Hammer auf den Himmelsboden warf. Ziu war der Gott des Krieges, sie machten ihm zu Ehren Schwerttänze. Und Freia, Nerthus, Hertha oder Bertha, die Mutter Erde, Göttin der Fruchtbarkeit, Göttin alles Wachsens, alles Werdens, war den Menschen gütig, – und wenn die Erde frei vom Else war und die ersten Blumen aus dem Rasen sprossen, dann wurde sie mit Reigen und Tanz geehrt.

In diesen Zeiten war es, da Kobolde und Nixen, Elfen und Alben, Zwerge und Riesen lebten, da der Rhein wilder von den Bergen her ins Land schoß, da noch nicht lange die gewaltigen Gletscher verschwunden waren, die das niederrheinische Land mit Geröll und Steinen füllten, ganze Berge anschütteten; da noch keine Kirchtürme weithin über die Ebene grüßten, da in »Xanten am Rhein« der König Siegmund lebte, der von Gott und Christus noch nichts wußte; Siegmund, reich und stark, dessen Schwert im letzten Kampf zerbrach, als sich Wodan, der ihn heimforderte von Manheim, dem Land der Menschen, nach Wallhall in Asenheim, der Götterheimat, ihn, der bisher unbesiegbar war, im Kampfe selber stellte. Sieglind, Siegmunds Weib, war vor der Schwerter Klang und der Stimmen Kampfgewirr in den Wald geflohen, gebar einen Sohn, dem eine Hirschkuh Amme ward, weil die Mutter starb. Und so lebte Siegfried allein im Walde, wuchs heran, hatte blaue Augen und gelbes Haar, ward von der Hirschkuh behütet und gewärmt in kalten Nächten, bis er eines Tages zu der Schmiede kam, in der er sein Schwert hämmerte, nach Regins Weisung, der ein Albe war, aus der Unterwelt stammte und ihn den Weg nach Gnitaheide wies, wo der Drache lebte, den er tötete, in dessen Blut er badete. Siegfried aber, der Balmungschwinger, der nun unverwundbar war bis auf die eine Stelle, da das Lindenblatt den Körper deckte, der die Sprache der Vögel verstehen lernte, und der dann Regin (der ihm, wie die Vögel zwitscherten, nach dem Leben trachtete), mit dem Balmung den Kopf abschlug und den großen Schatz, den Nibelungenhort bekam, die Tarnkappe auch dazu… ; er wurde dann der größte Held der alten Deutschen.

Als er noch auf Gnitaheide stand, kam ein Roß herangetrabt, dem er einen Teil des Schatzes auf den Rücken laden wollte, das aber stehen blieb und nicht von der Stelle wich, bis Siegfried selber sich auf seinen Rücken schwang. Dann gings im Trab (Grani hieß das Pferd) weite Wege durch das graue Heideland zum Meere hin, wo auf hohem Fels des Isensteins die dunkle Burg lag, darinnen Brunhild, die Walküre, schon seit ewgen Zeiten schlief. Der Berg war hell umflammt von jener Waberlohe, in der schon mancher kühne Recke umgekommen war. jedoch als Siegfried auf seinem Grani-Rosse nahte, wichen die Flammen zur Seite – er ritt unversehrt hindurch – er ritt in den Burghof, da wie in einem Sarg Brunhilde schlief, in einem Panzer, der sie ganz umhüllte, der ganz wie um ihren Leib gewachsen war. Nur aber brauchte Siegfried mit dem Balmung das Erz zu berühren, da wich es wie eine dünne Haut von ihr ab. Sie reichte Siegfried den Minnetrunk, er gelobte Treue und zog dann wieder von neuem durch die Lande auf Abenteuer, bis er nach Worins an den Rhein kam, wo er Brunhild vergaß – (er hatte den Vergessenstrank getrunken, der von den Göttern gewollt war, weil sie fürchteten, daß die Kinder dieser stärksten Menschen Siegfried und Brunhild ihnen einmal gefährlich werden könnten). Und so nahm er Kriemhild zum Weibe, nachdem er in der Tarnkappe für Gunther gekämpft und Brunhild ohne seine Schuld betrogen hatte.

Brunhild ward Gunthers Weib, und Kriemhild hatte nicht unterlassen können, ihr zu sagen, daß Siegfried doch der Stärkere wäre, daß gar nicht Gunther sie besiegt habe, wodurch die Stolze so tief verletzt war, weil sie Siegfried, der sie einst auf dem Isenstein so stolz befreit, dem sie so stolz und voll Vertrauen ihre Hand gereicht hatte, trotz allem liebte. Ihre Liebe aber wandelte sich in Haß, daß sie die Anstifterin zum Morde wurde. Bei der Jagd im Spessart war es der finstere Hagen, der von den Alben abstammte, den Unterirdischen, der den stolzen Siegfried tötete. Über der Quelle brach er zusammen, auf einer Bahre brachte man den Toten in die Burg. Und nun erhob Brunhild, die selbst die Helden zu dem Morde angestiftet hatte, große Klage…

»Schauriges, Gunther, erschien mir im Traum: Leichen im Saal – ich – tot – auf dem Lager –Du, König, bekümmert in Ketten geschlossen, Zu Roß umringt von feindlichen Reitern – Die gesamte Sippe der Söhne Niblungs beraubt der Macht zur Rache des Meineids.

So gänzlich Gunther, vergessen hast du’s, Daß ihr beide in der Fußspur am Boden damals Euer Blut gemischt! Mit Mord belohnst du Deinen vordersten Vormann in allen Gefahren!

Mit welcher Treue der junge Thronherr Der streitbare Held seine Schwüre gehalten, Offenbarte deutlich ein Dienst ohne Beispiel: Sein Herz widerriets, doch er kam geritten, Um dir zum Weibe – mich zu werben.

Zwischen uns zweien legt er aufs Lager Die mit goldenen Zeichen verzierte Klinge, Der das Feuer gestählt die feine Schneide, Und Gift gegütet das innere Eisen.«

Und als Brunhild so gesprochen hatte, da stieß sie sich selber das Schwert ins Herz, um mit Siegfried zusammen auf dem Brandstoß zu verbrennen. Aber eine andere Sage erzählt, daß sie auf Siegfrieds Roß Grani aufrecht und stolz den Brandstoß hinaufgeritten sei, auf dem seine Leiche in den Flammen lag, auf daß ihrer beider Seelen gemeinsam hinaufschwebten in die Ewigkeit Walhalls.

Das versunkene Schloß

Es stand in der weiten Ebene, die da fruchtbar wie ein Garten war, dies starke Schloß mit hellen Zinnen, reich an Gold verziert und nicht unweit des Waldes, da stolze Eichen und Buchen rauschten und da oft das Jagdhorn Ritter Erichs widerhallte, der mit seinen Freunden ein wildes, lautes Leben führte im Wald beim Jagen und im Schloß beim Wein.

Es geschah, daß ein armer, alter Pilgersmann des Weges kam und durch das Schloßtor ging und sich wohl etwas fürchtete ob des Gekläffs der Hunde… und daß sich Ritter Erich, eben von der Jagd zurück, über diese Scheu des Alten lustig machte: »Hei, hetzt die Hunde auf den Mann, das gibt ein lustig Schauen und ein Lachen … « Und schon wollte sich die wilde Meute auf ihn stürzen, als von der Seite durch das schmale Törchen des Ritters wunderschöne Tochter aus dem Garten kam, beide Hände voll von roten und weißen Rosen: Elisabeth, schön von Gestalt und schöner noch in ihres Herzens Unschuld, die, als sie jenes frevle Treiben sah, die Hunde rief, die ihr gehorchten und die dann trotz des Scheltens ihres wilden Vaters zu dem Armen ging und – da sie beide Hände voll von Rosen hatte, ihm erst einen Strauß und dann die Hand gab und freundlich zu ihm sprach, so daß der Alte ganz beglückt tränenden Auges vor ihr niederkniete.

Sie aber hob ihn auf und führte ihn durch das Tor, ging eine Weile mit ihm auf den Weg, gab ihm eine gute Gabe und wies ihn zur Herberge. Aber als sie sich wieder wenden wollte, um zur Burg zurückzugehen, sprach der Alte sonderbare Worte, die sie nicht verstand, er verdrehte die Augen… und indem sie ihm zur Hilfe sprang, um den Wankenden zu halten, sah sie plötzlich mitten im hellen Sommerlicht über ihres Vaters Burg eine dunkle Wolke, die immer tiefer sank, und im gleichen Augenblick wankten des Schlosses Türme, ein ungeheuerer Donner brach los, als wenn von tausend Riesenschmiedehämmern die ganze Burg zerschlagen worden wäre. Und wo noch eben blühendes Leben war und Menschen, die nach der Heimkehr sich des Weines freuten, war nun ein See. Dunkle Bäume rauschten traurig an den Ufern rings, Schloß und Gärten sind für alle Zeiten nur Vergangenheit.

Als aber dies geschehen war, stand der Pilger wieder aufrecht. Es wird erzählt, daß Elisabeth an seiner Seite blieb, mit ihm durch weite Länder wandelte und ihn pflegte bis zu seinem Tode. Die Rosen aber, die sie ihm geschenkt, seien nie verblüht, – und als er mit ihnen vor die Himmelstür gekommen wäre, habe sie sich so weit aufgetan, daß auch Elisabeth, ihrer Irdischkeit vergessend, von dem Glanz und Licht herangezogen, lebend, ohne Tod, aus dieser Zeit in die Ewigkeit und Seligkeit gegangen wäre.

Die reichen Bauern

In der Gegend von Niederkassel und Heerdt war früher ein sehr fruchtbarer Boden, und als die Leute nun viele gute Jahre auf der Reihe hatten, da wurden sie so üppig und protzenhaft, daß der Pfarrer seine liebe Not mit ihnen hatte. Ein Bauer ließ ein Hufeisen von Silber machen mit seinem Namen drauf und ließ das seinem Pferde nur lose unterschlagen; und als er einmal auf die Nachbardörfer ausritt, fiel es natürlich ab. Aber das wollte er ja auch gerade; die armen Schlucker dort sollten es finden und sehen, was die Bauern in Niederkassel für schwerreiche Leute wären. Die Sache sprach sich denn auch herum, aber es kam auch dem Pastor von Heerdt zu Ohren, und der hat dann von der Kanzel herunter seiner Gemeinde ins Gewissen geredet und sie gewarnt und dabei gerufen:

Kassel, Kassel!
Gott wird dich hassen
Mit Feuer oder mit Wasser!

Und bald darnach ist eine furchtbare Überschwemmung gekommen – dieselbe, bei der auch das »Heerdter Loch« entstanden ist – hat Hunderte von Morgen des besten Ackerlandes mit Sand und Kies bedeckt und viele reiche Bauern zu armen Leuten gemacht.

Der Binger Bleistift

In alten Zeiten rief einmal der Bürgermeister von Bingen seine einundzwanzig Schöffen zusammen, um mit ihnen über das Wohl und Wehe der Bürger zu beraten. Viel kluge Gedanken wurden da zu Tage gefördert, manch guter Rat wurde gegeben. Endlich sagte der Bürgermeister: »Ihr Herrn, was ihr vorgebracht habt, hat Hand und Fuß. Damit es aber nicht in Vergessenheit gerät, sondern zum Besten unserer guten Stadt in die Tat umgesetzt werden kann, will ich die trefflichsten Vorschläge zu Papier bringen.« Er begann in seinen Rocktaschen nach einem Bleistift zu suchen, fand aber keinen. »Kann einer der Herren mir einen Bleistift leihen?« wandte er sich an die Stadtväter. Die schauten ihn halb verlegen, halb vorwurfsvoll an und griffen dann zögernd in die Taschen; es kam kein Bleistift zum Vorschein. »Dann wollen wir«, fuhr der Bürgermeister fort, »die Sitzung schließen und auf das gute Gelingen unserer Pläne ein paar Flaschen leeren.« Er winkte dem Ratsdiener, der alsbald verschwand und nach ein paar Minuten mit einem Korb voll bemooster Flaschen Scharlachberger zurückkam.

Von neuem kam das würdige Stadtoberhaupt in Verlegenheit; in seinen Hosentaschen fand sich kein Stopfenzieher. Auf seine Frage nach diesem im Weinlande so unentbehrlichen Gerät zuckten die Hände der Ratsherrn, ohne fehl zu greifen, blitzschnell nach den richtigen Taschen, und im nächsten Augenblick lagen einundzwanzig Stopfenzieher vor dem verständnisvoll schmunzelnden Bürgermeister. Sie waren alle vom fleißigen Gebrauch so blank wie ein neuer Silbertaler.

Noch heute heißen im Rheingau die Stopfenzieher Binger Bleistifte.

Vom Ulmener Maar

In düstere Wälder, fruchtbare Ackerbreiten und sonnige Heidehänge eingebettet, liegen geheimnisvoll blinkend die sagenumwobenen Eifelmaare. In ihrem Rund spiegelt sich an lieblichen Frühlingstagen seidenblau der Himmel, träge wie geschmolzenes Blei liegt unter der Sommersonne ihre Flut, an düsteren Herbsttagen ist tiefe Schwermut über sie ausgebreitet, und im Winter steigen die Nixen aus der Tiefe und pochen gegen die glitzernde Decke, die die Wasser gefangen hält.

Die Alten sagten, die Maare seien unergründlich tief und ständen nicht nur untereinander, sondern auch mit dem Weltmeer in Verbindung. Einst fing ein Fischer im See von Ulmen einen Hecht, der mehr als zwei Meter lang war. Er band ihm eine Schelle um und brachte ihn dann wieder ins Wasser zurück. Und siehe, einige Wochen später zog ein Klosterbruder am Laacher See den Riesenfisch mit der Schelle staunend aus dem Netz.

Das versunkene Schloß

Wo sich jetzt das Weinfelder Maar ausbreitet, da stand vor Zeiten auf gesegneter Flur ein prächtiges Schloß. In diesem Schlosse wohnte ein reicher Graf, der wegen seiner Mildherzigkeit weit und breit berühmt war. Seine Gemahlin aber hatte ein hartes Gemüt. Lieber trat sie das Brot mit Füßen, als daß sie es einem Hungrigen reichte. Das bereitete dem Grafen großen Kummer. Doch still duldend ertrug er sein Leid. Er fand nur Trost in der Liebe zu seinem einzigen Kinde.

Eines Tages war der Graf mit seinem Gefolge zur Jagd geritten. Da verfinsterte sich plötzlich über dem Schlosse der Himmel, aus schwarzem Gewölk zuckten grelle Blitze, unheimlich rollte der Donner. Unter betäubendem Getöse spaltete sich der Boden, und ungeheure Wassermassen stiegen empor und verschlangen das Schloß mit allem, was darin war. In den aufsteigenden Fluten fand auch die Gräfin einen jähen Tod.

Ein Bote überbrachte dem heimkehrenden Herrn die schreckliche Kunde. Schon von weitem rief er dem Ahnungslosen zu: »Herr Graf, verschwunden ist Euer Schloß; wo es gestanden hat, da flutet jetzt ein tiefer See! « Ungläubig erwiderte der Graf: »Das ist ebensowenig möglich, als daß mein treuer Falchert, auf dem ich sitze, hier eine Quelle aus dem Boden stampfen könnte.« Noch hatte er nicht ausgesprochen, da fing das Pferd an zu scharren, und unter seinen Hufen sprudelte alsbald eine frische Quelle hervor. Der Graf wurde bleich wie der Tod. Er drückte seinem Pferde die Sporen in die Weichen und sprengte der Unglücksstätte zu. Als er dort ankam, sah er nichts als eine weite, unheimliche Wasserfläche. Bleich und zitternd starrte der Schwergeprüfte auf die dunkle Flut, die ihm alles genommen hatte. Doch siehe, da trieb, wie durch ein Wunder gerettet, sein liebes Kind wohlbehalten in einer Wiege ans Ufer. Voll Dank gegen Gott drückte er es an seine Brust und zog getröstet von dannen.

Der Spuk auf der Burg Manderscheid

Im Jahre 1844 wurden in der Niederburg bei Manderscheid Ausbesserungsarbeiten vorgenommen. Dabei fand man in der Wand neben dem großen Wachtturm eine Nische, deren Eingang zugemauert war. Der Raum war so groß, daß ein erwachsener Mensch zur Not aufrecht darin stehen konnte. Ganz oben an der Decke befand sich eine kleine Öffnung. Als die Steinmetzen die Vorderwand entfernten, fanden sie in dem Kämmerchen ein menschliches Gerippe, eine kleine irdene Schüssel und einen Stein zum Sitzen.

Die Alten in Manderscheid wußten diesen schauerlichen Fund zu erklären.

Vor ein paar hundert Jahren lebte auf der Niederburg ein stolzer Graf, der das gewöhnliche Volk verachtete. Seine Tochter liebte einen von den Dienstmannen der Burgbesatzung, und dieser, ein schmuckes junges Blut, erwiderte ihre Liebe. Bei einer heimlichen Zusammenkunft wurde das ungleiche Paar überrascht, und der jähzornige Alte ließ den unglücklichen Liebhaber auf der Stelle töten. Seine Tochter aber ließ er in jener Nische einmauern. Durch die kleine Öffnung erhielt sie täglich ein wenig Nahrung, bis der Tod sie von ihrer Qual erlöste.

Von dieser Zeit an spukte es jahrhundertelang um die Mitternachtsstunde am alten Wachtturm. Der Spuk hörte erst auf, als man das Gerippe in ein christliches Grab gebettet hatte.

Der Ritter in der Manne

Auf einer von der Üß umflossenen Anhöhe in der Nähe von Bertrich stand in alter Zeit die Entersburg. Dort hauste ein Raubritter, der die Handelswege im Moseltal und in den Eifelbergen unsicher machte. Die Reisigen des Trierer Kurfürsten hatten Befehl, ihm das Handwerk zu legen, doch er entging durch eine List immer wieder ihren Verfolgungen. Wenn er die Feinde in der Nähe wußte, ließ er seinem Pferde die Hufeisen umgekehrt aufschlagen, so daß die Spuren nach der entgegengesetzten Richtung zeigten und die Verfolger in die Irre führten.

Um des verwegenen Räubers habhaft zu werden, beschloß der kurfürstliche Hauptmann, seine Burg zu belagern. Einige Zeitlang hielt die Besatzung tapfer stand; dann aber gingen ihr die Lebensmittel aus, und sie mußte sich ergeben. Die Gemahlin des Ritters erschien auf der Ringmauer und führte die Verhandlungen. »Wir übergeben euch«, so rief sie hinab, »die Burg, wenn ihr mir gestattet, frei auszuziehen und soviel mitzunehmen, wie ich in einer Manne auf dem Kopfe tragen kann.«

Der Anführer der Belagerer war mit diesem Vorschlage einverstanden. Das Burgtor ward von innen geöffnet, und heraus kam mit einem großen Korbe auf dem Kopf eine stattliche Frau. Unbehelligt schritt sie mitten durch die Schar der staunenden Feinde und verschwand im nahen Walde.

Die Kurtrierer drangen nun in die Burg ein, um den Räuber dingfest zu machen. Doch sie fanden ihn nicht, obwohl sie jeden Winkel vom Burgverlies bis zum höchsten Turmgemach hinauf durchsuchten. Zu spät fiel es ihnen ein, daß sie veräumt hatten, sich den Inhalt der Manne zeigen zu lassen.

Der Mönch zu Heisterbach

Im ehrwürdigen Kloster Heisterbach lebte einmal ein junger Mönch, der in der heiligen Schrift und in den frommen Büchern der Väter die Gottesgelehrtheit eifrig studierte. Mit heißem Bemühen und rastlosem Fleiß suchte er einzudringen in die ewigen Dinge, die dem Menschenverstande verborgen sind. Und er las: »Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag.« Lange grübelte er über den Sinn dieser Worte nach; bange Zweifel quälten seine Seele, während er sinnend im Klostergarten auf und ab ging.

Da hörte er der Vöglein liebliches Singen im nahen Walde. Er folgte den süßen Tönen und ließ sich endlich auf das weiche Moos nieder. Langsam schlossen sich seine müden Augen zum Schlafe.

Als er erwachte, leuchtete das Abendrot durch die Zweige; vom nahen Kloster tönte das Vesperglöcklein herüber. Um das gemeinsame Mönchsgebet nicht zu versäumen, schritt er frisch dahin. Doch alles kam ihm gar seltsam vor. Den Bruder an der Klosterpforte erkannte er nicht. An seinem Platze im Chor kniete ein fremder Mönch. Der Abt fragte ihn nach seinem Namen, und als er ihn bekommen nannte, da hatte keiner der Brüder ihn je gehört. Ein Mönch brachte dann die Klosterchronik herbei, und es stellte sich heraus, daß ein Bruder seines Namens vor dreihundert Jahren das Kloster verlassen hatte und nicht wiedergekommen war. Nun merkte der Heimgekehrte, er selber war jener Verschollene. Aufrichtig bereute er all seine Zweifel; dann sank er sterbend zu Boden, indem er gläubig flüsterte: »Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag.«

Der Schwanritter

Herzog Gottfried von Brabant war gestorben, ohne männliche Erben zu hinterlassen; er hatte aber in einer Urkunde gestiftet, daß sein Land der Herzogin und seiner Tochter verbleiben sollte. Hieran kehrte sich jedoch Gottfrieds Bruder, der mächtige Herzog von Sachsen wenig: sondern bemächtigte sich, aller Klagen der Witwe und Waise unerachtet, des Landes, das nach deutschem Rechte auf keine Weiber erben könne.

Die Herzogin beschloß daher, bei dem König zu klagen; und als bald darauf Carl nach Niederland zog, und einen Tag zu Neumagen am Rheine halten wollte, kam sie mit ihrer Tochter dahin und begehrte Recht. Dahin war auch der Sachsen Herzog gekommen, und wollte der Klage zu Antwort stehen. Es ereignete sich aber, daß der König durch ein Fenster schaute; da erblickte er einen weißen Schwan, der schwamm den Rhein herdan und zog an einer silbernen Kette, die hell glänzte, ein Schifflein nach sich; in dem Schiff aber ruhte ein schlafender Ritter, sein Schild war sein Hauptkissen, und neben ihm lagen Helm und Halsberg; der Schwan steuerte gleich einem geschickten Seemann, und brachte sein Schiff an das Gestade. Carl und der ganze Hof verwunderten sich höchlich ob diesem seltsamen Ereignis; jedermann vergaß der Klage der Frauen, und lief hinab dem Ufer zu. Unterdessen war der Ritter erwacht und stieg aus der Barke; wohl und herrlich empfing ihn der König, nahm ihn selbst zur Hand, und führte ihn gegen die Burg. Da sprach der junge Held zu dem Vogel: »Flieg deinen Weg wohl, lieber Schwan! wann ich dein wieder bedarf, will ich dir schon rufen.« Sogleich schwang sich der Schwan, und fuhr mit dem Schifflein aus aller Augen weg. jedermann schaute den fremden Gast neugierig an; Carl ging wieder ins Gestühl zu seinem Gericht, und wies jenem eine Stelle unter den andern Fürsten an.

Die Herzogin von Brabant, in Gegenwart ihrer schönen Tochter, hub nunmehr ausführlich zu klagen an, und hernach verteidigte sich auch der Herzog von Sachsen. Endlich erbot er sich zum Kampf für sein Recht, und die Herzogin solle ihm einen Gegner stellen, das ihre zu bewähren. Da erschrak sie heftig; denn er war ein auserwählter Held, an den sich niemand wagen würde; vergebens ließ sie im ganzen Saale die Augen umgehen, keiner war da, der sich ihr erboten hätte. Ihre Tochter klagte laut und weinte; da erhob sich der Ritter, den der Schwan ins Land geführt hatte, und gelobte, ihr Kämpfer zu sein. Hierauf wurde sich von beiden Seiten zum Streit gerüstet, und nach einem langen und hartnäckigen Gefecht war der Sieg endlich auf Seiten des Schwanritters. Der Herzog von Sachsen verlor sein Leben, und der Herzogin Erbe wurde wieder frei und ledig. Da neigten sie und die Tochter dem Helden, der sie erlöst hatte, und er nahm die ihm angetragene Hand der Jungfrau mit dem Beding an, daß sie nie und zu keiner Zeit fragen solle, woher er gekommen, und welches sein Geschlecht sei, denn außerdem müsse sie ihn verlieren.

Der Herzog und die Herzogin zeugten zwei Kinder zusammen, die waren wohl geraten; aber immer mehr fing es an, ihre Mutter zu drücken, daß sie gar nicht wußte, wer ihr Vater war; und endlich tat sie an ihn die verbotene Frage. Der Ritter erschrak herzlich und sprach: »Nun hast du selbst unser Glück zerbrochen und mich am längsten gesehen.« Die Herzogin bereute es aber zu spät, alle Leute fielen zu seinen Füßen und baten ihn zu bleiben. Der Held waffnete sich, und der Schwan kam mit demselben Schifflein geschwommen, darauf küßte er beide Kinder, nahm Abschied von seinem Gemahl und segnete das ganze Volk; dann trat er in’s Schiff, fuhr seine Straße und kehrte nimmer wieder. Der Frau ging der Kummer zu Bein und Herzen, doch zog sie fleißig ihre Kinder auf. Aus dem Samen dieser Kinder stammen viel edle Geschlechter, die von Geldern sowohl als Kleve, auch die rieneker Grafen und manche andre; alle führen den Schwan im Wappen.

Der Kalkbrenner aus Birkenfeld und der Teufel

In Birkenfeld lebte vor langer Zeit in der Achtstraße ein armer Kalkbrenner namens Jakob. Sein Kalkofen befand sich am Palmsberg, am Wege nach Neubrücke, und heute noch heißt die Stelle im Volksmund »Am Kalkofen«.

In der bittersten Not, als seine zahlreiche Familie schon Hunger litt, entschloß sich der arme Mann in einer schlaflosen Nacht, ein Bündnis mit dem Teufel einzugehen. Dieser fand sich auch schon am folgenden Morgen, als vornehmer Herr auftretend, am Kalkofen ein und versprach, den Kalkbrenner zum reichen Mann zu machen und sein Geschäft glänzend auszugestalten. Als Bedingung stellte er aber, wie bei ihm üblich, daß der Kalkbrenner ihm seine Seele verschreibe, die er nach zehn Jahren abholen werde.

Nach langem Zögern ging der Mann auf diesen Vertrag ein. Der Teufel hielt Wort, und das Gold floß dem Birkenfelder in Strömen zu. Nach zehn Jahren fand sich der Teufel auch richtig am Kalkofen ein, um sein Opfer abzuholen. Der Kakbrenner bettelte um weitere zwei Jahre Frist, aber der Teufel ließ sich nur auf zehn Tage Verlängerung ein.

Sie vereinbarten nun nach langem Feilschen, daß der Teufel den Kalkbernner nach dieser Frist pünktlich mittags um zwölf Uhr mit einem Sack am Feuerloch seines Kalkofens in Empfang nehmen solle. Als der Tag heranbrach, kam der kluge Birkenfelder mit einem starken jungen Eber über den Zinnerbach zum Palmsberg gegangen. Er führte das halbwilde Tier an einem Strick. Mit Mühe und Not gelang es ihm, den Eber in den Kalkofen zu schaffen und die Tür zu schließen.

Zur festgesetzten Stunde traf auch der Teufel mit seinem Sack von Emmerichsberg herkommend, beim Kalkofen ein, freute sich, als er den Höllenlärm, das Poltern, Grunzen und Quieken aus dem engen Raum heraus hörte, und dachte, es sei der Kalkbrenner, der in seiner Seelenangst solchen Lärm anstelle. Mit großer Vorsicht machte er die Tür des Kalkofens auf und hielt den geöffneten Sack davor; der durch das Feuerspeien wildgewordene Eber war mit einem Satz im Sack, machte aber gleich darauf alle Anstrengung, dem neuen Gefängnis zu entrinnen. Nicht ohne Mühe brachte ihn der Teufel zur Hölle, frohlockend über seinen guten Fang.

Doch wie erschraken er und seine Großmutter, als beim Öffnen des Sackes nicht der Birkenfelder, sondern der wilde Eber daraus hervorbrach und rücksichtslos, wie Schweine nun einmal sind, zwischen ihren Beinen hindurch in der Hölle herumsauste und dort eine heillose Verwirrung anrichtete.

Seitdem ist man im Reich des Höllenfürsten recht vorsichtig geworden; Kalkbrenner sind dort nicht mehr beliebt, besonders solche aus Birkenfeld. Jakob aber lebte noch viele Jahre in Glück und Zufriedenheit und sah Enkel und Urenkel.

Der tabakrauchende Teufel

Im großen Wildenburger Wald auf dem Hunsrück machte einmal ein alter Förster seinen Reviergang und ließ dabei mächtige Rauchwolken aus seiner schön geschnitzten Pfeife aufsteigen. Mit einem Male stand, wie aus dem Boden gewachsen, ein wildfremder Kerl vor ihm, der einen weiten Mantel trug und einen Klumpfuß hatte. Wie der Förster in das feuerrote Gesicht mit den grellen Augen sah, wurde es ihm unheimlich, und verstohlen faßte er nach dem Schaft seiner Flinte, die er schußbereit über der Schulter trug. Und als ihn dann der Kerl fragte, was er tue, sagte er ganz seelenruhig: »Oh, nichts Besonderes; ich rauche meinen Tabak.« Da bat der Fremde: »Darf ich auch einen Zug aus dieser schönen Pfeife tun?« Bereitwillig kam der Förster der Bitte des Zudringlichen nach, hielt ihm aber statt der Pfeife den Flintenlauf an den Mund und forderte ihn auf, tüchtig zu ziehen. Kaum tat der Fremde den ersten Zug, da griff der Förster blitzschnell ans Flintenschloß und drückte los. Doch ruhig, als sei nichts geschehen, spuckte der Teufel, denn er war es, die Kugel aus und sagte: »Ei, zum Donner, du rauchst ein starkes Kraut.« Mit einem Schlage war darauf der Böse verschwunden. Der Förster aber merkte an dem abscheulichen Schwefelgeruch, wen er vor sich gehabt hatte.

Der entdeckte Werwolf

Ein Bauer aus der Nähe von Neviges kam nachts mit seiner Frau von einer Hochzeit. Da es geregnet hatte, trug die Frau ihr Kleid hoch aufgeschürzt, so daß der rote Unterrock zum Vorschein kam. Als sie in die Nähe ihrer Wohnung gekommen waren, bat der Bauer seine Frau, schon voran zu gehen, er werde bald nachkommen. Nach kurzer Zeit erblickte die Frau, durch ein Geräusch aufmerksam gemacht, ein Wolfsungeheuer hinter sich, das sie verfolgte und seine langen Zähne tief in ihrem Unterrocke begrub. Sie schrie laut auf und flüchtete der nahen Wohnung zu, worauf das Untier von ihr abließ. Kurz darnach erschien ihr Mann, dem sie sofort den Vorfall erzählte. Ohne viel zu sagen, legte sich dieser aber zu Bett. Als sich die Frau am folgenden Morgen erhob, schlief ihr Mann noch fest. Da gewahrte sie die roten Fetzen von ihrem Unterrock zwischen seinen Zähnen. Nun wußte sie, daß ihr Mann ein Werwolf sei. Sie floh zu ihren Eltern und setzte die Scheidung von ihrem Manne durch.

Der Geiger von Echternach

Vor mehr als tausend Jahren lebte in Echternach der hl. Willibrord, der in großer Wohltäter unseres Landes war. Wenn er predigte, dann drängte sich das Volk in dichten Scharen um ihn. In der vordersten Reihe der Zuhörer sah man stets den lange Veit, einen ungewöhnlich großen Mann, der als Musikant durchs Land und bei Festlichkeiten zum Tanze aufspielte. Das Wort des gewaltigen Bußpredigers rührte so sehr das Herz des Spielmanns, daß dieser sich eines Tages aufmachte und mit seinem Weibe eine Wallfahrt nach dem heiligen Lande antrat.

Jahre vergingen, doch Veit kehrte nicht zurück; nicht einmal eine Nachricht von ihm kam in die Heimat. Seine Verwandten hielten ihn für tot und teilten seinen Besitz. Da endlich, am Ostertage des zehnten Jahres seiner Wallfahrt, erschien ganz unerwartet der Totgesagte wieder, allein und bettelarm. Sein Weib hatten Räuber im Morgenlande erschlagen. Eine alte Geige war seine ganze Habe. Er trat vor seine Verwandten und forderte sein Gut zurück. Die Unredlichen erschraken und beschlossen, sich des Heimgekehrten zu entledigen. Sie klagten ihn an, er selbst habe sein Weib im fernen Lande ermordet.

Für solch schwere Anklage war der Beweis vor dem Gerichte nicht zu führen; nur ein Gottesurteil konnte entscheiden. Gegen einen waffengewandten Vetter mußte der lange Veit zum Kampfe antreten; er wurde besiegt, und der Richter verurteilte den Unterlegenen nach Gesetz und Herkommen zum Tode.

Als der Unglückliche unter dem Galgen stand und den Strick schon am Halse spürte, bat er, noch einmal auf seiner Geige spielen zu dürfen. Das wurde ihm als letzte Gnade gewährt, und er entlockte den Saiten solche wehmütige Töne, daß den Zuhörern die hellen Tränen über die Wangen liefen. Dann aber spielte er feurige Weisen, die alle zur Hinrichtung Herbeigeeilten, Burschen und Dirnen, Männlein und Weiblein, ja selbst die ernsten Richter und den finstern Henker, zum Tanze mitrissen. Toll und immer toller drehte sich die Schar im Kreise, Veit aber stieg gemächlich von der Leiter herab und verschwand, immer weiter spielend, im Walde.

Erst am späten Abend hörten die Tänzer auf, sich zu drehen, doch die Verwandten Veits, die ihn fälschlich angeklagt hatten, mußten ohne Unterbrechung weiter springen. Schon hatten sie sich bis an die Knie in die Erde hineingetanzt, da löste endlich Sankt Willibrord, den man herbeigerufen hatte, den tollen Zauber.

Der Abt und der Schweinehirt

Kurfürst Jan Willem schenkte 1707 den Trappistenmönchen, die bis dahin das Löricker Werth bewohnt hatten, die beiden Speckerhöfe an der Düssel, aus denen dann das Kloster Düsseltal entstand. Nun brauchten sich die Mönche nicht mehr vor Hochwasser, Eisgang und feindlichen Überfällen zu fürchten und fühlten sich hier so wohl, daß sie, wie die Sage berichtet, über dem Eingangstor zum Kloster die Inschrift anbrachten: »Wir leben ohne Sorgen.« Nun stattete eines Tages der Erzbischof Joseph Clemens von Köln dem Kloster einen Besuch ab. Er hatte in seiner langen, wenig gesegneten Regierung über Mangel an Sorgen nicht zu klagen gehabt. Als er die Aufschrift las, gedachte er, dem Abt einen Schrecken einzujagen. Er legte ihm drei Fragen vor und drohte, wenn diese nicht binnen vierzehn Tagen richtig gelöst würden, solle der Abt seinen Posten verlieren. Die Fragen aber lauteten:

1. Was ist nicht krumm und auch nicht gerade?
2. Was ist nicht im Wege und auch nicht daneben?
3. Wo ist der Mittelpunkt der Erde?

Trotz allen Kopfzerbrechens konnte der Abt die Lösung der Rätselfragen nicht finden. Traurig schlich er umher, bis er eines Tages dem Schweinehirten des Klosters begegnete. Der faßte sich ein Herz und fragte nach dem Grunde seiner Traurigkeit. Als der Abt ihm nun seinen Kummer vertraute, da wußte der Hirt ihm die Lösung zu sagen. »Das erste ist eine Kegelkugel, das zweite ein Karrengeleise, und der Mittelpunkt der Erde ist hier, wo ich stehe«, sagte der pfiffige Knecht. Da wurde der Abt hocherfreut. Weil er sich aber trotzdem scheute, dem Erzbischof vor die Augen zu treten, so bewog er den Schweinehirten, an seiner Statt und in seiner Amtskleidung die Reise nach Bonn zu unternehmen. Als der nun dort die drei Fragen zur Zufriedenheit gelöst hatte, plagte ihn der Schalk, und er erbot sich, des Kurfürsten geheimste Gedanken zu erraten. Da wurde dieser neugierig, machte aber ein recht verdutztes Gesicht, als er hörte: »Ihr denkt, Ihr sprecht mit dem Abt von Düsseltal; ich bin aber nur des Klosters Schweinehirt.« Zum Schluß legte der wackere Beherrscher des Borstenviehes noch ein gutes Wort für seinen Herrn ein, damit dieser auf seinem Posten verbleiben konnte. Der Schweinehirt aber erhielt als Lohn einen Freibrief und das Gnadenbrot im Kloster bis an sein Ende.

Die Herdmännchen von Wachtendonk

In Wachtendonk wohnten die Erdmännchen oder Herdmännchen unter dem Rathaus; sie hatten einen großen kupfernen Kessel, den die Bürger bei Tage mitbenutzen durften. Dafür mußten sie ihn abends blankgescheuert wieder vor das Rathaus hinstellen und ein kleines Geschenk, ein Weißbrot oder dergleichen, hineinlegen. Ein Wachtendonker aber, der in der Nachbarschaft wohnte – man wußte sogar seinen Namen –, unterließ dies einst und machte sogar zum Hohn noch eine Schweinerei mit dem Kessel. Die Erdmännchen rächten sich damit, daß sie ihm in der nächsten Nacht alles Getreide aus dem Hause forttrugen. Da wollte er ihnen einen rechten Streich spielen und streute abends Erbsen auf die Treppe, daß sie in der Dunkelheit ausgleiten und herunterfallen sollten. Nun hatte er es aber ganz mit ihnen verdorben, sie stahlen ihm alles aus dem Hause weg, so daß er völlig verarmte.

Später als das Morgen-, Mittag- und Abendläuten in Wachtendonk eingeführt wurde, konnten die Erdmännchen das nicht ertragen und sind fortgezogen nach dem Hülser Berg im Kempener Land, dort hausten sie, wo jetzt der Aussichtsturm steht. Die Bauern der Umgegend hörten oft, wenn sie an dem Berg vorbeigingen, ein Gesumme wie von einem Bienenschwarm, konnten aber nirgends einen Eingang finden und sahen auch niemals irgend etwas Lebendiges aus- und eingehen. Solange die Erdmännchen aber in dem Berg wohnten, hatten die Bauern gute Tage. Einmal als der Rhein austrat, waren in einer Nacht tiefe breite Gräben gezogen, durch die das Wasser abfloß, so daß es den Feldern keinen Schaden tat; von diesen Gräben sind noch die Niepkuhlen erhalten. Und wenn die Bauern Roggen und Weizen gemäht auf dem Felde liegen hatten, konnten sie sicher sein, daß es am andern Morgen gedroschen und in Stroh und Körner gesondert auf der Tenne lag.

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Sagen aus dem Harz


Sagen aus dem Harz

Die fleiße Liese in Claustal

Vor langer Zeit lebten in Claustal zwei arme Mädchen. Sie hatten weder Vater noch Mutter noch hilfreiche Verwandte und mußten sich früh schon durch ihrer Hände Arbeit kümmerlich fortbringen. Weil aber damals Frauenarbeit an Haushalt und Spinnrad gebunden war, suchten sie mit Spinnen ihr tägliches Brot zu verdienen. Diese Geschwister glichen einander wie Strohhalm und Ähre, die ja auch aus der gleichen Wurzel stammen. und doch ganz verschieden geartet sind.

Die eine der Schwestern war hochfahrend und dumm, die andere voll Versonnenheit und Versponnenheit; war jene schwatzhaft und faul, so verrichtete dagegen diese emsig und still ihre Arbeit. Wenn die Fleißige um elf Uhr nachts ihr Spinnrad in die Ofenecke rückte, so hatte die Faule schon ein paar Stunden gefeiert oder geschlafen.

So kam Ostern ins Land. Am Vorabend dieses Festes saß die fleißige Liese wie immer am Rad und spann ihren Rocken auf; der glatte Faden rann ihr fließend aus den Fingern. Die Faule dagegen hielt es bei der Arbeit nicht aus; sie lief den Burschen nach und sprang mit ihnen um die Osterfeuer.

Der Türmer sang eben die elfte Stunde über die schweigsamen Dächer, da klinkte die Haustür, und herein trat eine schöne Frau, ganz weiß gekleidet. Sie trug lange goldene Haare und hielt einen vollen Rockenstock in der Hand, den man in dieser Gegend auch »Diesse« zu nennen pflegte. Er war so weiß wie Silber und glänzte wie Seide.

Die schöne Frau grüßte mit ernstem Nicken, trat näher, prüfte das Garn des Mädchens, das soeben den letzten Flachs als Faden auf ihre Rolle auflaufen ließ, und sagte lobend :

»Fleißige Liese,
Leer ist die Diesse,
Fein fühlt sich der Faden,
Bist wohl geraten«

Dann rührte sie mit der Silberdiesse an das Spinnrad des Mädchens, lächelte ihm zu und verließ die Kammer. Es war die Frau Holle.

Die Liese legte sich bald danach zu Bett. Aber einschlafen konnte sie erst, als die Schwester endlich von ihrem nächtlichen Ausgang zurückkam. Lachend warf sich die schöne Törin auf ihr Lager und prahlte wunders, was die Liese an diesem Abend versäumt und verloren habe.

Als nun die Ostermorgensonne durchs Fenster schien, da erwachte die Liese zuerst. Sie rieb sich verwundert die Augen, denn vom Morgenstrahl funkelte ihr Spinnrad wie Gold und blitzte, daß die ganze Kammer hell wurde. Schnell sprang sie aus dem Bett und prüfte mit ihrem Finger den goldenen Glanz, hob auch das Rad vom Boden. Aber es wog schwer und war von der Diesse bis hinunter zum Tretbrett aus gediegenem Gold. Und der Faden, den sie am Osterabend gesponnen hatte, erglänzte wie Seide. Sie haspelte ein Gebind nach dem andern, es hing je zehn und zehn nebeneinander. Aber die Rolle blieb voll, und das Garn wollte kein Ende nehmen. So hatte sie denn eine doppelte Quelle des Wohlstandes als Lohn für die treue, gediegene Arbeit.

Nun zerrte auch die Faule begierig ihr verstaubtes Spinnrad hervor. Aber wo sonst der ungesponnene Flachs auf der Diesse saß, raschelte nun graues Stroh. Und als sie in böser Ahnung schnell nach ihrem Leinenschatz in der Truhe kramte, fand sie statt der schönen, gewebten Ballen nur Häcksel und Stroh.

Darum sagt man noch heute im Harzland: Am Ostersonnabend muß die Diesse leer sein, sonst kommt Frau Holle und bringt Häckerling.

Frau Holle als Ehestifterin in Andreasberg

Drei Andreasberger Mädchen, die alle schon einen Bräutigam hatten, gingen eines Sonntagsnachmittags in den Wald nach dem Ort, der heute noch »Die drei Jungfern« heißt. Dort setzten sie sich ins Moos unter jungen Tannen und schwatzten von ihrem Schatz und von der Hochzeit. Als nun eine von ihnen zufällig aufschaute, verstummte sie plötzlich. Die andern blickten auch hin und bemerkten schaudernd, wie über die Tannen hinweg das greuliche Gesicht einer Frau zum Vorschein kam; die Haare hingen ihr lang über die Schultern und den Nacken hinab; halb gutmütig, halb zornig glotzte sie bald das eine, bald das andere Mädchen an. Auf einmal begann die Erscheinung zu reden, daß es den Mädchen kalt über den Rücken lief.

»Welche von euch dreien,« sagte sie, »heute nacht zwischen elf und zwölf Uhr nach dem Hahnenklee kommt und ihn scheuert, die soll bald ihren Bräutigam heiraten.« Nach diesen Worten löste sich das Gesicht in Dunst und Nebel auf.

Als die Mädchen sich von ihrem Schrecken erholt hatten, wanderten sie nach Hause und verabredeten unterwegs, sie wollten sich alle drei um halb elf Uhr oberhalb Andreasberg treffen und tun, was Frau Holle gesagt hatte; denn sie hatten den sehnlichen Wunsch, möglichst bald zu heiraten. Sie machten sich denn auch zur vereinbarten Stunde mitsammen auf den Weg.

Die Nacht war dunkel und unheimlich, es schienen weder Mond noch Sterne, die Eulen schrien so schaurig, in der Ferne donnerte es, man sah aber keinen Blitz. Stumm schritten die drei Mädchen dahin; ihr Ziel war der Hahnenklee.

Als die nächtlichen Wanderer die Stelle erreichten, die man das »Gesehr« nennt, seufzte das eine Mädchen: »Nein, ich gehe nicht weiter!« kehrte um und trat eilends den Heimweg an. Nicht lange danach machte es die zweite ebenso. Die dritte aber dachte: »Und wenn es mir das Leben kostet, ich gehe und tue, was mir befohlen ist!«

Sobald sie auf dem Hahnenklee angekommen war, machte sie sich gleich an die Arbeit. Da stand auf einmal wieder Frau Holle neben ihr und meinte freundlich lächelnd: »Du hast Wort gehalten, ich halte auch Wort. Bald wird dich dein Bräutigam zum Altar führen; die beiden andern kriegen nie einen Mann.« Mit dem letzten Wort war sie auch schon wieder weg. Als das Mädchen nach Hause ging, kam der Mond aus den Wolken heraus und schien ihr hell auf den Heimweg.

Das Mädchen, das auf dem Gesehr umgekehrt war, besaß einen Bergmann zum Bräutigam. Am folgenden Tag brachte man ihn zerschmettert nach Hause; er war im Schacht verunglückt. Das Mädchen aber starb drei Tage danach vor Gram und wurde an der Seite ihres Liebsten begraben. Der Bräutigam des zweiten Mädchens hatte in den Krieg ziehen müssen; er fiel wenige Wochen später, und auch sie hat tatsächlich nie geheiratet. Das dritte Mädchen aber, das den Hahnenklee gescheuert hatte, feierte bald Hochzeit.

Als die Vermählten dann an der Festtafel beisammensaßen, erschien Frau Holle zum drittenmal; sie guckte über den Ofen herüber und reichte dem Gast, der zunächst saß, eine silberne Wiege für das Brautpaar. Und wie man das Geschenk genauer besah, war es. ganz voll blanker Andreasberger Silbergroschen.

Seitdem heißt es in Andreasberg, wenn ein Mädchen keinen Mann bekommt: Es muß den Hahnenklee scheuern. Und wo man in den Häusern noch die alten Öfen hat, die zwei Stuben nebeneinander heizen, daß man darüber hinwegsehen kann, sagt man, wenn jemand überhebliche Worte spricht: »Schprich sachte, de Fra Holle horcht!«

Die Fahrt nach dem Brocken

Es war einmal ein junger Mann, der sich mit einem hübschen Mädchen verlobt hatte. Nach einiger Zeit fiel dem Bräutigam das merkwürdige Verhalten seiner Braut und deren Mutter auf. Beide waren nämlich Hexen. Als nun der Tag kam, an dem die Hexen nach dem Brocken ziehen, stiegen die beiden Frauen auf den Heuboden, nahmen ein kleines Glas und tranken daraus, dann waren sie auf einmal verschwunden. Den Bräutigam, der ihnen nachgeschlichen war und sie beobachtet hatte, lockte es, auch einmal einen Schluck aus dem Glas zu tun. Er nahm es und nippte ein wenig daran; da war er mit einemmal auf dem Brocken und sah, wie seine Braut und deren Mutter mitten unter den Hexen tollten, die um den Teufel tanzten, der in ihrer Mitte stand.

Nachdem der Tanz zu Ende war, befahl der Teufel, daß jede ihr Glas nehme und trinke, und gleich darauf flogen sie nach allen vier Windrichtungen auseinander. Der Bräutigam aber stand mutterseelenallein auf dem Brocken und fror, denn es war eine kalte Nacht. Ein Glas hatte er nicht mitgenommen, und so mußte er den Rückweg zu Fuß antreten.

Nach einer langen beschwerlichen Wanderung kam er endlich wieder bei seiner Braut an; aber diese war sehr zornig, und auch die Mutter zankte mit ihm, weil er aus dem Glas getrunken hatte. Mutter und Tochter kamen endlich überein, den Bräutigam in einen Esel zu verwünschen, was denn auch geschah.

Der arme Bräutigam war nun ein Esel geworden und trabte betrübt von einem Haus zum andern, wobei er sein trauriges ija, ija schrie. Da erbarmte sich ein Mann des Esels, nahm ihn in seinen Stall und legte ihm Heu vor; aber der Esel wollte begreiflicherweise nicht fressen und wurde nun mit Schlägen aus dem Stall getrieben.

Nach langem Umherirren kam das Langohr wieder einmal vor das Haus seiner Braut, der Hexe, und schrie recht kläglich. Die Braut sah ihren vormaligen Bräutigam, der als Esel mit gesenktem Kopf und herabhängenden Ohren vor der Tür stand. Da bereute sie, was sie getan hatte, und sprach zum Esel: »Ich will dir helfen, du mußt aber tun, was ich dir auftrage: Wenn ein Kind getauft wird, so stelle dich vor die Kirchentür und laß dir das Taufwasser über den Rücken gießen, dann wirst du wieder in einen Menschen verwandelt werden.«

Der Esel folgte dem Rat seiner Braut. Am nächsten Sonntag wurde ein Kind getauft; da stellte sich der Esel vor die Kirchentür. Als die Taufhandlung vorbei war, wollte der Küster das Taufwasser wegschütten, aber der Esel stand ihm im Wege.

»Geh, alter Esel!« meinte der Küster, aber der Esel wich nicht. Da wurde der Küster ärgerlich und goß dem Tier das Wasser über den Rücken. Nun war der Esel erlöst und verwandelte sich wieder in einen Mann; dieser eilte zu seiner Braut, heiratete sie und lebte fortan recht glücklich mit ihr.

Das Mädchen von der Quästenburg bei Roßla

Im Harz, nicht weit von Roßla und Wallhausen auf dem Quästenberg, der früher Finsterberg hieß, stehen die zerfallenen Reste einer Burg. Das Dorf Quästenberg aber, das am Fuß dieses Berges liegt, soll vorzeiten eine Stadt gewesen sein.

Einst ging das Töchterlein eines Burgherrn aus der Burg hinaus, um auf den Wiesen Blumen zu pflücken; dabei geriet es in den Wald, der die Wiesen rings umgibt. Als das Mädchen nicht heimkehrte, entstand in der Burg große Sorge. Die ganze Familie und die Dienerschaft machten sich auf, das Kind zu suchen. Indessen hatte ein Köhler im tiefen Wald das Mädchen schon gefunden, wie es gerade harmlos aus seinen Blumen einen Kranz wand. Der Mann hatte aber von dem Kind nichts über seine Herkunft erfahren können. Deshalb hatte er es in seine Hütte mitgenommen, ihm zu essen gegeben und es bei sich behalten.

In diese stille Waldeinsamkeit drang keine Kunde von der Sorge und dem Suchen, die dem verlorenen Kinde galten, bis einige Leute von Roda, einem mansfeldischen Dorfe, das Mädchen einmal auf einer Wiese im Wald wieder beim Kranzwinden trafen und von ihm zu der Köhlerhütte geleitet wurden. Diese Leute wußten von dem Verlust des Kindes, fragten den Köhler, wie er zu dem Kind gekommen sei, und erfuhren von ihm, daß er das kleine Mädchen im Walde allein aufgefunden habe. Nun eilten alle mit dem Kind nach der Finsterburg, und der Köhler trug den Kranz, den es gewunden hatte. Einen solchen Kranz nannte man aber damals Quäste.

Auf der Burg herrschte große Freude über die Wiederkehr des Kindes. Der Ritter schenkte dem Köhler und den Einwohnern von Roda die Wiese, auf der man sein Töchterlein wiedergefunden hatte, und ordnete ein Volksfest an, das alle Jahre am Tag der Auffindung des Kindes, am dritten Pfingsttag, abgehalten werden sollte.

Das Fest besteht heute noch. Die Burschen des Dorfes richten auf der Anhöhe über dem Ort einen starken, entästeten Eichenstamm auf. Aus Birken- und Buchenzweigen wird ein großer Kranz gefertigt und am Stamme befestigt. Rechts und links davon hängen aus Laub gewundene Quästen. Auch im Gottesdienst wird an diese Begebenheit erinnert. Der Ritter aber nannte seine Burg von da an Quästenburg.

Die Entstehung der Bergwerke zu Rammelsberg

In alter Zeit herrschte auf dem Brocken die Zauberjette. Elf jungen Mädchen oblag die Pflicht, sie zu bedienen.

Einst waren zwei Ritter auf dem Brocken vom Weg abgekommen. Der eine von ihnen hieß Otto, der andere Ramme. Schon mehrere Tage waren sie umhergeirrt, aber sie fanden keinen Ausweg aus der Wildnis. Plötzlich stürzten mitten im Wald mehrere Männer auf sie zu. Es waren Räuber, die sich auf der Flucht vor ihren Verfolgern nach dem Brocken durchgeschlagen hatten. An diese Bande mußten die Ritter sich anschließen, wenn sie in dem wilden Gebiet ihr Leben erhalten wollten. Alle versprachen einander, sich gegenseitig zu helfen.

Zunächst galt es, eine Unterkunft zu suchen. Deshalb gruben sie in den steinigen Boden eine Höhle. Was sie aber am ersten Tag gearbeitet hatten, war tags darauf zusammengefallen. Die Männer konnten nicht begreifen, wieso das geschehen war.

Am zweiten Tag arbeiteten sie trotzdem an der Höhle weiter. Aber diesmal stellten sie zwei Räuber als Wache davor. Aber alles, was sie unter Tags gebaut hatten, war am nächsten Morgen wieder auseinandergerissen.

In der dritten Nacht wachten die beiden Ritter mit dem Räuberhauptmann zusammen. Gegen Mitternacht sah der ältere der beiden Ritter, Ramme, elf Mädchen daherkommen. Jede von ihnen hatte einen kleinen Hammer und klopfte damit an den Pfeiler, den die Räuber als Stütze der Höhle gebaut hatten. Darauf floß alles auseinander wie Wasser. Ritter Ramme aber zog sein Schwert, packte eines der Mädchen und fragte sie, warum sie ihre Arbeit vernichte. Aber niemand antwortete; auch auf die zweite Frage blieb es still. Erst als der Ritter zum drittenmal fragte, entgegnete das Mädchen, es könne ihm den Grund nicht angeben, er solle es zur Herrin des Berges begleiten, dort werde er Weiteres erfahren.

Beide Ritter folgten nun dem Mädchen. Sie wurden in eine große steinerne Höhle an der Nordwestseite des Brockens geführt. Die Höhle war groß und schön wie ein fürstliches Schloß. Drin trafen sie die Zauberjette. Auf die Frage der Ritter, warum sie Befehl zur Vernichtung ihrer Arbeit gebe, erhielten sie den Bescheid, auf dem Brocken sei der Bereich der Zauberjette, und sie wolle allein im Berge herrschen. Wollten die Ritter in ihren Dienst treten, so sei sie mit deren Bleiben einverstanden; sie werde dann auch die Räuberbande dulden. Die Ritter entschlossen sich, bei der Zauberin zu bleiben.

Nach einiger Zeit machten die beiden Ritter eine merkwürdige Beobachtung: die Macht der Zauberin wurde täglich schwächer. Sie war nämlich, bevor sie die Dienste der Ritter angenommen hatte, jede Nacht um zwölf Uhr zum Wolfsbrunnen geeilt, der unten am Brocken liegt, und hatte dort drei Handvoll Wasser getrunken. Daher rührte ihre Zauberkraft. Dies hatte sie aber, seit die Ritter bei ihr waren, versäumt. Deshalb nahm ihre Kraft fortwährend ab.

Als die Zauberjette merkte, daß sie dem Tode nahe sei, zeigte sie den Rittern all ihre Schätze. Fünf ihrer Dienerinnen ließ sie frei. Dann holte sie eine Flasche und einen goldenen Becher, um noch einmal auf das Wohl der Ritter zu trinken. Während der Ritter Ramme gerade zum Trinken ansetzte, trat aus dem Hintergrund der Höhle ein alter Mann hervor und rief: »O du alte Zauberjette, nun sind die zwölf Jahre um, für die du mich in den Schlaf gezaubert hast.« Der Ritter Ramme ließ vor Schrecken den Becher zu Boden fallen: in dem alten Mann erkannte er seinen Vater. Dieser sagte zu ihm: »Ich bin dein Retter, mein Sohn; denn was du hättest trinken sollen, ist das übelste Gift.«

Darauf zog der Sohn sein Schwert und schlug der Zauberjette den Kopf ab. Ein furchtbares Krachen im Berge entstand. Der schwarze Hund, der eben noch in der Höhle gekauert war, winselte auf und zog sich zurück. Nun kamen auch die Räuber angesprungen. Da verwandelte sich der Hund in einen alten Mann, der aufatmend jubelte: »Gott sei gelobt! Das bedeutet für mich die Erlösung, ich habe jetzt nichts mehr zu bewachen, alles ringsum gehört nun euch.«

Auch heute noch sind die Goslaer Bergwerke tätig, die Schätze der Zauberjette zu heben.

Der Weinkeller von der Himmelspforte bei Wernigerode

Ein Förster zu Öhrenfeld wollte seine silberne Hochzeit feiern und hatte sich dazu hinreichend mit Wein versorgt; da sich aber mehr Gäste einfanden, als er erwartet hatte, ging sein Wein schon sehr früh zur Neige; deshalb schickte er seine Dienstmagd noch um elf Uhr nachts zu dem Weinhändler in Wernigerode, gab ihr das Rechnungsbüchlein mit und hieß sie so viel Wein von der kürzlich gelieferten Sorte mitbringen, als sie in ihrem Korb tragen könne.

Das Mädchen, des Weges nicht sehr kundig, fragte, wo sie denn hingehen solle. Der Förster aber antwortete ärgerlich: »Geh in die Himmelspforte!« So hieß eine alte Klosterruine, die in der Nähe lag.

Das Mädchen nahm das für Ernst, schwang ihren Tragkorb auf den Rücken und trollte in die Nacht hinein nach der Himmelspforte. Sie war noch nicht weit gekommen, da sah sie ein Licht brennen, schritt darauf zu und traf eine einfach gekleidete Frau, die eine Laterne in der Hand hielt und einen Schlüsselbund an der Seite trug; sie stand vor einer offenen Kellertür. Das Mädchen nahm an, das sei die Ehefrau des Weinhändlers und brachte ihr Anliegen vor, ihrem Herrn von dem letzterhaltenen Wein so viel Flaschen zu schicken, als sie tragen könne.

Die Frau entgegnete kein Wort, schloß die Kellertür auf, ging voran und winkte dem Mädchen zu folgen. Sie stiegen viele Stufen hinab, durchschritten ein langes Kellergewölbe und blieben endlich vor einem alten, verschimmelten Faß stehen. Hier zapfte die Frau einige Flaschen Wein ab, packte sie in den Korb und half dem Mädchen, diesen auf den Rücken zu nehmen. Nun reichte die Magd das Büchelchen hin und bat die Frau, den Preis für die Flaschen einzuschreiben. Diese aber schob das Buch unwillig zurück und schüttelte verneinend den Kopf.

Das Mädchen dachte, auch gut; lief über die Treppen hinauf, wünschte gute Nacht, erhielt aber keinen Dank und eilte nach Hause.

Der Förster, der sie nicht so bald wieder zurückerwartet hatte, fragte sie verwundert: »Wo hast du denn den Wein hergeholt, daß du schon wieder hier bist?«

Die Magd antwortete: »Wie Ihr mir befohlen habt, in der Himmelspforte.«

Der Förster glaubte, das Mädchen wolle ihn zum besten halten, fragte noch einige Male, erhielt aber immer die gleiche Antwort. Er meinte daher, das Mädchen habe auf dem Weg von dem Wein gekostet und sei nun etwas betrunken, und da er überdies von den Gästen in der Stube verlangt wurde, ließ er die Sache für diesen Abend auf sich beruhen.

Am andern Morgen nahm er die Magd wieder ins Gebet, diese aber beharrte bei ihrer Aussage und erzählte den ganzen Hergang der Sache, wie es sich zugetragen hatte. Der Förster wußte nicht, was er davon denken solle, um so mehr, als der Wein viel besser geschmeckt hatte als der frühere, ja, er glaubte überhaupt noch nie einen so guten Tropfen getrunken zu haben. Er schickte also einen Boten nach Wernigerode zu dem Weinhändler und ließ fragen, ob vorige Nacht seine Magd dort den Wein geholt habe. Als der Bote mit der Nachricht zurückkehrte, niemand sei dort gewesen, kam dem Förster die Sache bedenklich vor. Er schickte deshalb nach dem Pastor und dem Lehrer, nahm einige Bauern und Jägerburschen mit, und so zog der ganze Schwarm unter Führung des Mädchens nach der Himmelspforte. Dort fand man zwar noch die Ruinen eines im Bauernkrieg zerstörten Klosters, aber weder von der Kellertür noch von der seltsam gekleideten Frau war eine Spur zu sehen.

Seitjener Zeit wurde die Himmelspforte und besonders die Klosterruine, die schon lange bei den umwohnenden Bauern verrufen waren, noch mehr gemieden; jedem klopfte das Herz hörbar in der Brust, wenn er an den Mauerresten vorüberging, jeder erwartete, daß die Kellertür sich öffnen und die seltsame Frau hervortreten würde; doch hat sich seit jenen Tagen nichts Ähnliches mehr ereignet.

Das Mädchen von der Wegsmühle

Auf der Wegsmühle diente vor langer Zeit ein großes, starkes und schönes Mädchen. Eines Abends spät kam ein Mann in die Mühle, der einen vollen Hedesack (Hede = Werg, Abfall von Flachs) trug.

Ob er nicht in der Mühle im Stalle übernachten könne, fragte der Mann. Beinahe wäre es ihm gestattet worden, denn der Müller tat manchem Armen Gutes. Aber er wollte an diesem Abend mit seiner Frau in ein Dorf zu Verwandten gehen, wo man ihn zu einer kleinen Lustbarkeit eingeladen hatte; es war nämlich gerade Fastnacht. Da machte es sich nicht gut, daß der Fremde in der Mühle blieb, weil das Mädchen ganz allein zu Hause war.

Nun erklärte der Mann, er wolle ins nächste Dorf zurückgehen, seinen Hedesack aber auf der Mühle in den Kuhstall stellen, damit er ihn nicht wieder zurückschleppen müsse; am nächsten Morgen werde er ihn dann abholen. Das sei ihm ganz recht, meinte der Müller. Der Harzker stellte also seinen Hedesack. in den Kuhstall und ging fort; eine Weile darauf entfernten sich auch der Müller und die Müllerin. Als aber das Mädchen nach einiger Zeit im Kuhstall ihre Arbeit verrichtete, bemerkte es beim Melken, daß der Hedesack, der in der Ecke lehnte, bald groß und bald klein wurde und sich auf und nieder bewegte. Da lief die Magd geschwind ins Haus und holte eine geladene Flinte heraus, die in der Stube an der Wand hing. Mit der Flinte in der Hand trat sie vor den Sack hin und rief: »Wer da?« Sie erhielt aber keine Antwort und drückte ab. Ein Aufschrei erscholl aus dem Hedesack, und als das Mädchen ihn aufband, schwamm da ein großer Mann in seinem Blut, der hatte ein Messer und eine Pfeife neben sich liegen.

Der Mann winselte, daß er nun vor Gottes Richterstuhl treten solle, und bekannte, daß ihrer zwölf Brüder seien, die alle das Räuberhandwerk betrieben. Zehn davon hätten in der Nacht hier einbrechen wollen, der elfte, das sei der jüngste, der sitze in der Räuberhöhle bei der steinalten Mutter, die ihn nicht fortlassen wolle. Er selbst sei der zwölfte, ihn hätten sie in einen Sack gebunden und das große Messer neben ihn gelegt, damit er den Sack zur rechten Zeit durchschneiden und heraussteigen könne. Dann habe er vor die Öffnung der Mühle, wo der Mühlbach durchs Haus geht, hintreten und den andern pfeifen sollen. Die elf Räuber lägen schon draußen vor der Mühle versteckt und lauerten nur auf den Ton seiner Pfeife. Das Mädchen möge im Dunkeln rasch entfliehen und die Mühle ihrem Schicksal überlassen, sonst sei es verloren. Dann starb er.

Entfliehen aber konnte das Mädchen nicht, denn der Müller hatte die Hoftür zugeschlossen und den Schlüssel eingesteckt, damit die Magd nicht auf ihn und seine Frau in der Nacht zu warten brauche und damit sie selbst, wenn sie heimkehrten, aufschließen könnten. Das Mädchen überlegte nun, was zu tun sei, nahm das große Räukermesser und die Pfeife und ging damit in die Mühle hinein. Dann trat sie vor die Öffnung in der Mühle und blies in die Pfeife. Plumps erklang es vom Wasser, und halb schwamm, halb watete der Kerl, der den Hedesack getragen hatte. Es war der Räuberhauptmann selbst, bald darauf streckte er seinen häßlichen Kopf unter der Mühlschwelle herein. Den packte die Magd nun bei den Haaren, fesselte ihn und legte ihm eine Schnur um den Hals, so daß er nicht schreien konnte, und zog ihn dann vollends herein. Nachher blies sie wieder auf der Pfeife. Ein Plumpser, und schon kam der zweite Räuber daher, dem es nicht anders erging als dem ersten. So lockte das Mädchen alle zehn Räuber unter die Schwelle der Mühle.

Als der Müller mit seiner Frau nach Hause kam, fand er das Mädchen ganz verstört und mit Blut befleckt in der Stube sitzen. Nachdem die Magd den Müllersleuten den ganzen Vorfall erzählt und die dingfest gemachten Räuber gezeigt hatte, wurde das tapfere Mädchen als Retterin der Mühle gepriesen. Sie lebte nun in der Mühle hinfort mehr als Freundin denn als Magd und wurde weit und breit berühmt wegen ihrer Heldentat. Es fanden sich auch junge Burschen aus dem Dorfe ein, die sie gerne gefreit hätten. Das Mädchen aber war eigenwillig und erklärte, es wolle keinen andern zum Manne haben als den, der verspreche, nach ihrer Pfeife zu tanzen, womit sie die Räuber herbeigelockt habe. Und weil sie so schön war, fand sich zuletzt in der Mühle ein feiner Herr aus der Stadt ein; der ging auf Freiersfüßen, war sehr reich und hielt um das Mädchen an. Sie wollte zuerst auch von ihm nicht viel wissen, aber er machte ihr die kostbarsten Geschenke, und der Müller und die Müllerin sagten, der Mann müsse einen großen Goldkasten zu Hause stehen haben, und wer da einmal hineingreifen dürfe, sei wohl sein Leben lang glücklich zu preisen. Und so fand sich das Mädchen mit dem Gedanken ab, den Städter als ihren Verlobten anzusehen.

Eines Tages erklärte der fremde Bräutigam, er wolle das Mädchen einmal in der Kutsche abholen und ihm sein Haus zeigen, wie prächtig es sei. Der Müller gab die Erlaubnis, daß das Mädchen mit ihm fahren dürfe. Dieses selbst hatte anfangs wieder keine rechte Lust, mit dem Bräutigam, den es nicht liebte, zu fahren, doch war es neugierig, einmal sein Hauswesen zu sehen, und darum setzte es sich in die Kutsche.

Der Fremde fuhr nun mit dem Mädchen in den Wald. Als sie mitten im Forst waren, ließ er den Kutscher, der ein Lohnfuhrmann war, halten und hieß das Mädchen mit ihm aussteigen. Den Fuhrmann hatte er schon vorher gut bezahlt und ihm mitgeteilt, was er im Wald tun solle. Darum schlug der Kutscher nun auf seine Pferde ein, jagte davon und ließ das Mädchen mit dem Fremden im Wald stehen. Nun griff der ungestüme Freier das Mädchen hart an, und weil er stärker war als sie, so mußte sie ihm folgen, und er schleppte sie in eine Räuberhöhle. Da saß die steinalte Mutter der elf Räuber, die das Mädchen zur Strecke gebracht hatte. Der Fremde aber sagte, er sei der zwölfte Bruder und habe seiner Mutter geschworen, die andern elf Brüder an ihr zu rächen; darum habe er sich verkleidet und sie hierher gelockt. Hier müsse sie nun sterben.

So mutig das Mädchen auch war, diese Not ging über ihre Kraft; sie weinte und klagte und bat den jüngsten Bruder der Räuber um ihr Leben. Dieser hätte sie gerne leben lassen, denn ihre Schönheit hatte schon längst sein Herz betört. Weil die alte Mutter das merkte und das Mädchen sich erbot, die Wirtschaft in der Höhle zu führen und das Weib des jungen Räubers zu werden, so beschlossen Mutter und Sohn, die Gefangene am Leben zu lassen.

Aber das stolze Mädchen konnte es nicht verwinden, daß es die Frau eines Mordgesellen sein sollte. Als der junge Räuber einmal schlief, verließ es den Wald und kehrte wieder zu dem Müller zurück. Dieser rief die Obrigkeit herbei, und das Mädchen führte die Häscher zur Räuberhöhle. Dort fanden sie die Alte dicht vor der Höhle, weil sie vor Altersschwäche nicht hatte entfliehen können, nahmen die Häscher sie und ihren Sohn mit und ließen ihnen die gerechte Strafe zuteil werden.

Das Mädchen aber erhielt alle Schätze, die sich in der Räuberhöhle vorfanden. So war sie nun steinreich geworden. Von den Burschen aus dem Dorf aber, denen sie früher sehr schnöde begegnet war, fand sich kein Bewerber um sie wieder ein, weil sie drei Tage bei dem jungen Räuber in der Höhle verbracht hatte. So lebte das Mädchen weitbekannt und sehr reich, aber einsam bis an ihr Ende.

Der starke Zwerg auf dem Kyffhäuser

In Sondershausen lebte vor vielen Jahren ein Müller namens Lau, der die Wippermühle von der Stadt gepachtet hatte. Er war ein großer, kräftiger Mann, stark wie ein Bär, und hatte am Hofe zu Potsdam bei den langen Grenadieren gedient.

Einmal fuhr Lau mit seinem Mühlknappen nach dem Kyffhäuser, um sich einen Mühlstein zu holen. Er selbst stieg einen Fußsteig hinan und ließ den Knecht auf dem Fahrweg nachkommen. Die Sonne war schon untergegangen, als er oben bei dem alten Turm anlangte. Da stolzierte auf einmal ein dicker, stämmiger Zwerg hinter dem Turm den Berg herauf, zeigte dem Müller eine Höhle, die kaum groß genug war, einen Dachs aufzunehmen, und verlangte, daß er sich da in die Höhle hineinarbeiten und ihm helfen solle, einen Stein loszubrechen, der sie beide glücklich machen werde.

Der Müller aber hatte keine Lust dazu und schlug das Ansinnen ab.

Da wurde der Zwerg grob und fing an zu schimpfen und zu drohen. Doch der Müller war nicht faul und knallte dem Wicht eins hinter die Ohren. Der Knirps aber hängte sich dem Manne wie ein Bleiklumpen an den Hals und warf ihn auf die Erde, daß ihm alle Rippen krachten. Der Müller kriegte den Kleinen zwar wieder herum, aber der Zwerg umfaßte ihn wie eine Kneifzange und zwickte ihn derart, daß er laut aufschreien mußte. Es gab eine Rauferei, wie sie der Müller noch nie mitgemacht hatte, bis er schließlich ganz ermattet war.

Da kam gerade noch zur rechten Zeit der Mühlknappe herbei. Dieser schlug mit seinem Stock auf den Angreifer los, daß die Splitter flogen. Nun erst ließ der Zwerg von dem Müller ab und verschwand wie ein Regenwurm in einem Loch, das kaum eine Spanne groß war. Dem Müller taten alle Glieder weh, und er war am ganzen Leib voll blauer Flecken. Noch mehr ärgerte ihn aber, daß er, der bärenstarke Mann, dem kleinen Knirps fast unterlegen wäre; aber was war zu machen?

Er lud mit seinem Knappen den Mühlstein auf und fuhr heim. Der starke Zwerg aber war seither nicht mehr zu sehen.

Der Schäfer von Wernigerode und der Alte aus dem Berg

Unweit der Stadt Wernigerode befindet sich in einem Tal eine Vertiefung im steinigen Boden, die das Weinkellerloch genannt wird. Darin sollen große Schätze aufgestapelt sein. Vor vielen Jahren weidete ein armer Schäfer, ein gutmütiger, stiller Mann, in jenem Tal seine Herde. Einmal gegen Abend trat ein Greis zu ihm und sprach: »Komm mit mir, ich will dir Schätze zeigen, wovon du dir nehmen kannst, soviel du Lust hast.«

Der Schäfer überließ dem Hund die Bewachung der Herde und folgte dem Alten. Sie gingen nicht weit, da öffnete sich plötzlich der Boden vor ihnen; sie traten ein und stiegen in die Tiefe, bis sie zu einem Raum gelangten, worin ungeheure Reichtümer an Gold und edlen Steinen aufgetürmt lagen. Während sich der Schäfer einen Goldklumpen wählte, ertönte eine unsichtbare Stimme, die sprach : »Bringe das Gold dem Goldschmied in die Stadt, der wird dich reichlich bezahlen.« Darauf geleitete ihn sein Führer wieder zum Ausgang.

Der Schäfer tat, wie ihm geheißen war, und erhielt von dem Goldschmied eine Menge Geld. Erfreut brachte er es seinem Vater. Dieser redete ihm zu, nochmals in die Tiefe zu steigen. »Ja, Vater,« erwiderte der Schäfer, »ich habe außerdem meine Handschuhe unten liegenlassen. Geht mit mir, wir wollen sie holen!«

In der Nacht machten sich beide auf den Weg, fanden die Stelle und die Öffnung im Boden und gelangten auch zu den unterirdischen Schätzen. Es war noch alles so wie das erstemal, auch die Handschuhe des Schäfers lagen da, wo er sie hingelegt hatte. Beide füllten so viel in ihre Taschen, als sie tragen konnten, und eilten dann wieder ins Freie. Hinter ihnen schloß sich der Eingang mit lautem Krachen.

In der folgenden Nacht wollten sie es zum drittenmal wagen; lange suchten sie hin und her, konnten aber den Eingang nicht mehr finden. Plötzlich trat ihnen der alte Mann entgegen und sagte zum Schäfer: »Hättest du deine Handschuhe nicht mitgenommen, sondern unten liegenlassen, so würdest du auch diesmal den Eingang gefunden haben, denn dreimal sollte dir die Schatzkammer offenstehen. Nun aber ist dir der Eingang auf immer verschlossen.«

Der Schäfer hatte nicht gewußt, daß Geister nichts behalten dürfen, was irdischen Menschen gehört, sonst hätte er seine Handschuhe sicher wieder unten liegenlassen.

Die Roßtrappe

Die Roßtrappe nennt man einen Felsen mit einer ovalen Vertiefung, die einige Ähnlichkeit mit dem Abdruck eines riesenhaften Pferdehufs hat. Dieser Fels liegt in dem hohen Vorgebirge des Harzes, hinter Thale, und viele Reisende pflegen ihn – besonders der schönen romantischen Aussicht wegen – zu besteigen. Über das Entstehen jener Vertiefung erzählt die Volkssage:

Vor tausend und mehr Jahren, lange bevor auf den umliegenden Bergen Raubritter die Hoymburg, die Lauenburg, die Stecklenburg und die Winzenburg erbauten, war das ganze Land rings um den Harz von Riesen bewohnt. Diese kannten keine Freude als Raub, Mord und Gewalttat. Fehlte es ihnen an Waffen, so rissen sie die nächste sechzigjährige Eiche aus und fochten damit. Was sich ihnen entgegenstellte, schlugen sie mit ihren Keulen nieder.

lin Böhmerwald hauste zu der Zeit ein Riese, Bodo genannt, ungeheuer groß und stark, des ganzen Landes Schrecken. Vor ihm beugten sich alle Riesen in Böhmen und Franken. Aber die Königstochter vom Gebirge der Riesen, Emma, vermochte er nicht zu seiner Liebe zu zwingen. Hier half nicht Stärke, nicht List.

Einst sah Bodo die Jungfrau jagend und sattelte sogleich seinen Zelter, der meilenweite Fluren in Minuten übersprang. Er schwur bei allen Geistern der Hölle, diesmal Emma zu fangen oder zu sterben. Schneller als ein Habicht fliegt, sprengte er heran. Und fast hätte er sie erreicht, bevor sie es merkte. Doch als sie ihn, zwei Meilen von sich entfernt, erblickte und ihn an den Torflügeln eines zerstörten StädtIeins, die ihm als Schild dienten, erkannte, da wendete sie schnell ihr Roß. Es flog, von ihren Sporen getrieben, vonBerg zuBerg, von Klippe zu Klippe, durch Täler und Moräste und Wälder, daß, von dem Hufschlag getroffen, die Buchen und Eichen wie Stoppeln umherstoben. So flog sie durch das Thüringer Land und kam in das Gebirge des Harzes. Oft hörte sie einige Meilen hinter sich das Schnauben von Bodes Roß und trieb dann den nimmermüden Zelter zu neuen Sprüngen an.

Jetzt stand ihr Roß, sich verschnaufend, auf dem furchtbaren Fels, der heute Hexentanzplatz heißt. Angstvoll blickte Emma, zitternd blickte ihr Roß in die Tiefe hinab. Denn mehr als tausend Fuß fiel senkrecht, wie ein Turm, die Felsmauer zum grausenden Abgrund ab. Tief unter sich hörte sie das dumpfe Rauschen des Stroms, der sich hier in einem furchtbaren Wirbel dreht. Der entgegenstehende Fels auf der anderen Seite des Abgrundes schien ihr noch weiter entfernt als der Strudel und kaum für einen Vorderfuß ihres Rosses Raum zu haben.

Da stand sie zweifelnd. Hinter sich wußte sie den Feind, den sie ärger haßte als den Tod. Vor sich sah sie den Abgrund, der seinen Rachen weit vor ihr auftat. – Jetzt hörte Emma von neuem das Schnauben von Bodos keuchendem Roß. In der Angst ihres Herzens rief sie die Geister ihrer Väter um Hilfe, und, ohne sich länger zu besinnen, drückte sie ihrem Zelter die langen Sporen in die Seiten!

Und das Roß sprang! Sprang über den tausend Fuß tiefen Abgrund hinweg, erreichte glücklich die spitze Klippe und schlug seinen Huf vier Fuß tief in das harte Gestein, daß die stiebenden Funken wie Blitze das ganze Land umher erhellten. – Das ist jener Roßtrapp! Die Länge der Zeit hat die Vertiefung kleiner gemacht, aber kein Regen kann sie ganz verwaschen.

Gerettet war Emma! Doch die schwere goldene Krone, der Königstochter fiel, während das Pferd sprang, von ihrem Kopf in die Tiefe hinab. Bodo, der nur Emma, und nicht den Abgrund sah, sprang der Fliehenden auf seinem Streitroß nach und stürzte in den Strudel des Stroms, dem er den Namen Bode gab. Hier soll er, in einen schwarzen Hund verwandelt, die goldene Krone der Prinzessin bewachen, damit kein Beutegieriger sie aus dem wirbelnden Schlund heraufhole.

Otmar

Die weiße Jungfrau in der Burg Osterode

Am Ostersonnabend trug ein armer Leinweber ein Stück Leinen nach Claustal, um es zu verkaufen. Da er sich dabei verspätet hatte, blieb er dort über Nacht. Am andern Morgen in aller Frühe machte er sich auf den Heimweg. Als die Sonne aufging, war er schon über die Vorstadt von Osterode, die Freiheit genannt, hinaus und näherte sich der Söse. Da erblickte er eine weißgekleidete Jungfrau mit einem Bund Schlüssel am Gürtel. Sie wusch sich im Fluß. Weil sie seinen Gruß so freundlich erwiderte, faßte der Weber Mut und fragte: »Ei, seid Ihr schon so früh aufgestanden und wäscht Euch am Flusse?«

»Ja, das tue ich an jedem Ostermorgen,« antwortete sie. »Da bleibe ich jung und schön.«

Der Leinweber sah, daß sie eine schöne Lilie an der Brust trug. Er wunderte sich sehr darüber, weil doch zur Osterzeit noch keine Lilien blühen.

»Ihr habt wohl einen schönen, warmen Garten, daß es bei Euch schon Lilien gibt,« forschte er weiter.

»Komm nur mit,« entgegnete die Jungfrau, »ich zeige ihn dir.«

Sie führte den Leinweber zu den Trümmern der Burg Osterode. Diese nahmen sich an jenem Morgen gar seltsam aus. Eine eiserne Tür war sichtbar, die der Weber noch nie bemerkt hatte, so oft er auch vorbeigekommen war. Davor blühten drei Lilien. Die Jungfrau pflückte eine und schenkte sie dem Weber.

»Nimm sie mit nach Hause und verwahre sie gut,« sagte, sie.

Der Weber steckte sich die Blume an den Hut. Als er aber wieder aufschaute, waren Jungfrau und Tür verschwunden; die alte Burgruine sah wieder aus wie sonst. Da machte sich der Mann eilends davon.

Als er daheim die Iilie seiner Frau zeigte, meinte diese : »Das ist keine gewöhnliche Lilie, es ist eine goldene Blüte. Du hast die Osterjungfer gesehen.«

Ja, da brauchte sich der Mann nicht mehr zu wundern, daß ihm unterwegs der Hut so schwer geworden war. Nach der Kirche trug er die Blume gleich zum Goldschmied. Dieser machte große Augen, als der arme Mann das glänzende Ding auspackte. Er sagte: »Du, die Blume ist aus dem feinsten Gold und Silber, das es gibt. Die ganze Stadt Osterode hat nicht Geld genug, sie dir zu bezahlen.«

Die Geschichte von der wundersamen Blume wurde bald im ganzen Orte bekannt, und auch dem Rat kam sie zu Ohren. Dieser ließ den Leinweber vorladen, und er mußte erzählen, wie sich alles zugetragen hatte.

»Du mußt deine Blume dem Herzog verkaufen,« meinten die Ratsherren. Sie fertigten ihm ein Schreiben aus, worin der ganze Hergang der Begebenheit ausführlich und säuberlich aufgezeichnet war.

Nun reiste der Leinweber ins Hoflager. Der Herzog fand den größten Gefallen an der Blume. »Bezahlen kann ich dir die Lilie freilich auch nicht,« sprach er zum Leinweber, »aber ich will dir und den Deinen einen jährlichen Betrag aussetzen, daß ihr für euer ganzes Leben versorgt seid.«

Die Blume wurde von der Herzogin nur an hohen Festtagen getragen. Der Herzog aber nahm zur Erinnerung drei Lilien in sein Wappen auf; sie sind heute noch darin zu sehen.

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Sagen aus dem Burgenland


Sagen aus dem Burgenland

Der Fluch der Nixe vom Neusiedler

In alten Zeiten, als noch das muntere Völklein der Nixen und Wasserfeen in den spiegelnden Fluten des Neusiedler Sees sein Spiel trieb und sich hie und da unvermutet auch den Augen der Menschen zeigte, wohnte am Ufer des Sees ein alter geiziger Fischer. Täglich legte er seine Netze im See aus und kehrte am Abend, mit reicher Beute beladen, in seine Hütte zurück. Der Verkauf der Fische brachte ihm stets guten Gewinn, und so war er mit der Zeit ein wohlhabender Mann geworden, der es nicht nötig gehabt hätte, über jedes nicht volle Netz in lauten Jammer auszubrechen. Aber er war unersättlich in seiner Gier nach Gewinn. Als nun der Fischreichtum des Sees allmählich nachließ, schob er die Schuld daran auf die Wasserfeen, die durch ihr Treiben die Fische verjagt hätten, und beschimpfte sie mit bösen Worten.

Eines Tages hatte er wieder sein Boot bestiegen und war das Seeufer entlanggefahren. Da bemerkte er in einer Bucht ein anmutiges Wesen, das sich vergebens bemühte, von der Stelle zu kommen. Als er näher heranruderte, erkannte er, daß es eine wunderschöne Wassernixe war. Sie hatte sich in einem seiner Netze verstrickt und bei ihren Anstrengungen, sich zu befreien, mehrere Löcher hineingerissen.

»Hilf mir aus dem Netz!« bat sie flehentlich. »Sieben Tage und sieben Nächte bin ich hier schon gefangen, und es gelingt mir nicht, loszukommen. Meine Kinder weinen nach mir.« Aber der Fischer hatte taube Ohren für ihre Bitte. Wütend, daß ihm die Fee die Fische verjagt und noch dazu das Netz zerrissen habe, stieß er mit seiner Gabel das Seeweib nieder, das ihm mit letzter Kraft noch zurief: »Sei verflucht für deine ruchlose Tat! Nie sollst du die Deinen wiedersehen!« Dann versank sie sterbend im See.

Höhnisch lachte der Fischer. Da erbebte der Seegrund, finstere Nacht brach herein. Heulend fuhr ein rasender Sturmwind in die glatte Fläche des Sees und rührte gewaltige Wogen auf. Die Windsbraut riß Fischer und Kahn in den offenen See hinaus, wo sich die tobenden Wellen über dem grausamen Mann schlossen, um ihn nie wieder herauszugeben.

Wenn an stillen Abenden dünne Nebelschleier das flüsternde Röhricht des Sees bedecken, hört man wohl ferne ein leises Plätschern und Knirschen im See. Es ist der verdammte Fischer, der sein Boot mit müder Hand dem Ufer zusteuert. Doch umsonst ist sein Bemühen, der Kahn weicht nicht von der Stelle, und es gelingt ihm nie, den rettenden Strand zu erreichen.

Der Neusiedler See

Im Herzen des Burgenlandes liegt der Neusiedler See. An seinen schilfumwachsenen Ufern spielen die Wassergeister, wenn das Rohr sich im Winde wiegt, wenn die Sumpfvögel sich kreischend in die Lüfte schwingen und das Wasser sich leise kräuselt. Dann singt und klingt es um den See, und wie die Bauern erzählen, gibt es besonders um zwölf Uhr mittags dort oft viel Tumult und Lärm, man hört jauchzen und schreien, geigen und pfeifen, daß man meinen könnte, eine Bauernhochzeit werde auf dem Grund des Sees gefeiert. Das sind die Wassermänner und ihre Nixenfrauen, die sich vergnügen. Aber einmal wurde ihre Lustbarkeit gewaltsam gestört, worüber uns Christof Hanstein und Hans Kötner wahre Kunde geben.

Ein Mann aus Andau, der zum Neusiedler See gegangen war, um an seinen Ufern Schilf zu schneiden, hörte schon längere Zeit die laute Fröhlichkeit, die aus der Tiefe des Sees emporstieg. Da kam plötzlich auf einem großen Rappen ein schöner Reiter dahergesprengt. Eine lange Gerte hielt er in der Hand. Er grüßte den Mann und fragte ihn, ob dieses seichte Wasser hier der berühmte Neusiedler See sei.

»Das ist er wohl, und gar so verächtlich müßt Ihr von ihm nicht reden. In seiner Tiefe gibt es Nixen und Wassermänner genug, hört Ihr nicht, wie lustig sie eben sind?«

»Dann bin ich hier recht am Ort«, brummte der Reiter, sprang von seinem Pferd, trat ans Wasser heran, hob seine Gerte, ließ sie jedoch wieder sinken und wandte sich dem Mann aus Andau zu.

»Ich bin ein Wassermann. Man hat mir mein Weib entführt. In allen Gewässern der Welt habe ich sie schon gesucht und nicht gefunden. Vielleicht ist sie hier. Halte mir mein Pferd fest, damit es mir nicht nachspringe.« Einen Augenblick überlegte er noch, dann trat er so dicht an den See heran, daß seine Füße schon im Wasser standen, hob die Gerte hoch und schlug damit aufs Wasser. Im selben Augenblick erklang von ferne das Mittagsgeläute der Kirchenglocken herüber. Das Wasser teilte sich, und wie auf einer breiten Straße schritt der Wassermann in den See hinein und war bald darauf verschwunden.

Aus der Tiefe tönte noch immer das Jauchzen und Singen, aber mit einem Mal brach es jäh ab, und gleich darauf erhob sie ein jämmerliches Geschrei und Wehklagen. Dem Mann am Ufer des Sees wurde bang zumute, und er konnte kaum mehr das Roß halten, das ungestüm dem Wasser zustrebte.

Plötzlich färbte sich der See an einer Stelle dunkelrot. Es war, als wäre eine Blutquelle in der Tiefe entsprungen. Kurze Zeit darauf öffnete sich die Wasserstraße wieder, der Wassermann schritt dem Ufer zu, aber er war nicht mehr allein, seine Nixenfrau ging an seiner Seite.

»Die Rache ist gelungen, der Räuber ist tot«, rief er frohlockend. Er setzte sich auf sein Pferd, hob die Nixe vor sich in den Sattel und warf dem Mann aus Andau einen kleinen Beutel zu, in dem nur ein einziger Kreuzer war.

»Das dir zum Lohn, Bauer. Sooft du in diesen Beutel greifst, wirst du ihm einen Kreuzer entnehmen können.«

Der Mann ist reich geworden, denn er tat nichts anderes mehr als in den Beutel greifen und einen Kreuzer nach dem anderen herauszuholen.

Ein Zigeuner stahl ihm diesen Beutel, hatte aber nichts davon, denn für die Diebeshand war kein Kreuzer im Beutel vorhanden.

Die Waldfee

Vor langer Zeit lebte in einem kleinen Dorf des südlichen Burgenlandes ein hübscher, munterer Bursche namens Hans, dem alle Mädchen gut waren, so daß ihn jede gern zum Ehegatten genommen hätte. Der Jüngling war lieb und freundlich zu allen, aber das Heiraten wollte er sich noch überlegen. Schließlich verließ er das Dorf und hielt sich längere Zeit in der Fremde auf. Aber eines Tages kam er mit einem unbekannten Mädchen wieder angeritten, das ein blaues Kleidchen trug und von bezaubernder Schönheit war. Bald darauf feierte er Hochzeit mit der holden Schönen.

Es lag ein geheinmisvolles Dunkel um sie; niemand wußte, woher sie stammte, und wenn man Hans fragte, zuckte er lächelnd die Achseln. Man redete bald im Dorf, daß die Frau eine Vila, eine gute Waldfee sei, die das Herz des jungen Burschen erobert habe. Manche glaubten zu wissen, Hans habe der Geliebten versprochen, ihre Herkunft geheimzuhalten, sie nie Vila zu rufen und sie auch nie aufzufordern, zu tanzen oder zu singen, sonst sei es mit dem Glück beider zu Ende.

Die Jahre vergingen dem jungen Ehepaar in ungetrübter Freude; zwei liebe Kinder, die ihnen der Himmel beschert hatte, vermehrten ihr Glück. Es gab zwar Tage, an denen die junge Frau allein das Haus verließ und sich stundenlang im Wald aufhielt, aber Hans, der diese Gänge den Dorfbewohnern möglichst zu verheimlichen suchte, tat nie eine Frage und machte nie seiner Frau einen Vorwurf daraus. Freundlich ließ er sie gehen, und herzlich war sein Gruß, wenn sie zurückkam.

Einmal kehrte Hans von einem weiten Weg nach Haus, und als er seine schöne Frau und seine beiden Kinder erwartungsvoll nach ihm ausschauen sah, begrüßte er sie jubelnd und rief im Überschwang der Freude seiner lieblich lächelnden Frau zu: »Oh, sing doch und tanz, liebe Vila, wie damals, als ich dich auf der Waldwiese sah!« Da trübten sich die lieblichen Gesichtszüge seiner Ehegattin, aber sie begann zierlich zu tanzen und mit leiser, wohlklingender Stimme ein Lied zu singen.

Mit einemmal erinnerte sich Hans seines Versprechens. Mit raschem Griff suchte er die Gattin am Weitertanzen zu hindern; aber es war schon zu spät. Schluchzend warf sich die Frau in seine Arme und stöhnte: »Hans, Hans, warum hast du das getan? Nun ist’s aus mit unserem Glück!« Wie ein Nebelhauch entschwand sie aus seinen Armen. Der Mann und die Kinder blieben allein zurück.

Zwar war es Hans noch oft an nebeligen Abenden, als blicke die Waldfee durch das Fenster zu ihren Lieben herein, aber wenn er dann ins Freie eilte, um sie zu ergreifen, war es nur ein Nebelstreif, der ihm das geliebte Bild vorgetäuscht hatte.

Im Eichenwald am Scheibenberg bei St. Jörgen hatte vor alten Der Teufelskirnstein bei St. JörgenZeiten ein einschichtiger Teufel seinen Wohnsitz aufgeschlagen. Er hatte sich gegen die Gesetze seiner teuflischen Obern vergangen und war deshalb aus der Hölle ausgestoßen worden. Nun mußte er sich allein recht und schlecht auf Erden durchbringen. Eine lahme Kuh und eine blinde Geiß waren sein ganzer Besitz. Tagsüber führte er seine Tiere auf die Weide, die Nächte verbrachte er unter einem mächtigen Felsblock, der heute noch der Teufelskirnstein heißt.

Wenn am Abend die Sonne hinter das ferne Hochgebirge hinabtauchte und die Seehügel sich in dämmernde Schatten hüllten, stieg er auf den Stein und lockte mit heiserem Geschrei und lautem Peitschenknall seine weidenden Haustiere zu ihrem nächtlichen Obdach. Als Peitsche benützte er eine Schlange, die an Länge alles Dagewesene übertraf. Bei seinem Locken und Rufen machte er aber einen wahrhaft höllischen Lärm, daß den Bewohnern von St. Jörgen häufig vor Grauen die Haare zu Berg stiegen und die heimkehrenden Herden stutzig und störrisch wurden. Oft verschlug es den Milchkühen vor Schrecken die Milch, und die armen Bauersfrauen wußten vor Arger nicht aus noch ein. Die Bauern aber verfluchten den bockfüßigen Störenfried und wünschten den dummen Teufel zur Hölle.

Einmal saßen die Bauern im Dorfwirtshaus beisammen und sprachen über Wetter und Ernte, über Not und Plagen und kamen endlich auch auf den höllischen Nachbarn des Ortes zu sprechen. Während sie sich so unterhielten, trat ein fremder alter Mann in die Wirtsstube und setzte sich müde und bescheiden am Bettlertisch nieder.

»Woher des Weges, Alter?« fragte ihn der Bürgermeister.

»Ich komme aus der Türkei«, erwiderte der Alte, »aus langer Gefangenschaft. Als junger Bursche bin ich im Heer des Kaisers gegen die Türken zu Feld gezogen, geriet in Gefangenschaft und war mein Leben lang an die Ruderbank eines türkischen Schiffes gekettet. Erst jetzt, da ich ein alter Mann bin, hat man mir die Freiheit wiedergegeben.«

»Und was gedenkt Ihr nun anzufangen?« erkundigte sich einer der Bauern.

Mit einer matten Handbewegung entgegnete der Greis: »Ich möchte meine Ketten, die ich aus der Gefangenschaft mitgebracht habe, der Muttergottes zu Loretto opfern und dann die paar Jahre, die ich noch zu leben habe, hier irgendwo in der Einsamkeit, vielleicht als Klausner, verbringen; denn in meine Heimat, das schöne Schwabenland, ist mir der Weg zu weit, auch kennt mich dort niemand mehr.« Seufzend stützte er das graue Haupt in seine Hände und wollte nach einiger Zeit wieder nach seinem Wanderstab greifen.

Inzwischen hatte der Bürgermeister eifrig mit den andern geflüstert, und diese nickten mehrmals zustimmend mit dem Kopf. »Hört, guter Alter«, nahm endlich der Bürgermeister wieder das Wort, »Ihr könnt in St. Jörgen bleiben. Die Gemeinde stellt Euch Steine und Holz bei zum Bau einer Einsiedelei. Wenn Ihr Euch dann für unser Entgegenkommen dankbar erweisen wollt, so vertreibt unsern dummen Teufel, der uns gerade genug Ärger bereitet Ihr werdet vielleicht schon von ihm gehört haben.«

Der weißhaarige Alte bedankte sich herzlich für dieses freundliche Angebot und versprach, sein Bestes zu tun, um den lärmenden Teufel aus der Gegend zu jagen. Am andern Tag suchte er sich eine Baustelle am Scheibenberg aus, und während die Bauern Steine und Bauholz heranführten, machte er sich eitrig an die Arbeit.

Es dauerte nicht lange, so erschien der Teufel zu Besuch bei ihm und erkundigte sich neugierig, was er da mache.

»Im Auftrag der Gemeinde baue ich hier Wohnung und Stall für Euch und Eure Tiere«, meinte mit listigem Blinzeln der Alte.

Das vernahm der Teufel mit Vergnügen; er vollbrachte aus Freude und Übermut über diese frohe Kunde noch größeren Lärm als bisher und werkte mit höllischem Getöse bis spät in die Nacht hinein.

Endlich war der Bau vollendet. Heimlich war ein Glöcklein geweiht worden, das man nun in die Einsiedelei brachte. Als dann am Abend das Glöcklein zum erstenmal sein feines Stimmchen ertönen ließ, stand der Teufel gerade auf seinem Felsblock, schrie seinen Tieren und knallte mit seiner sonderbaren Peitsche, daß es schauerlich durch den Wald und über die Felder hallte. Da hörte er den Glockenton, schlug vor Schrecken ein Rad und sprang mit einem gräßlichen Geheul auf und davon.

So waren die Bauern von St. Jörgen von ihrem höllischen Ärgernis befreit, und anstatt wüsten Gegröles zitterte allabendlich der feine Glockenton aus der Klause des Einsiedlers über die im Abendgold schimmernden Fluren.

Aus den Fußstapfen des Teufels am Felsen sprießen hellgrüne Farnblätter, und nur ein paar moosige Steine deuten die Stelle an, wo einst die Klause des Einsiedlers stand.

Der Binderschlegel im Neusiedler See

Der Neusiedler See und die Donau müssen durch ein unterirdisches Gerinne miteinander verbunden sein, sonst wäre nicht möglich, was ein Bindergeselle aus Neusiedl am See mit seinem Schlegel erlebte.

Es ist wohl schon lange her, da wandelte einen einsamen Bindergesellen, der in Neusiedl am See bei einem Meister in Arbeit stand, die Lust an, auf Wanderschaft zu gehen und sich die Welt anzusehen. Handwerk hat goldenen Boden; und da sich der Geselle auf sein Handwerk verstand, brachte er sich überall gut durch und konnte sich auch einen netten Zehrpfennig anlegen. In seiner Freizeit hatte er sich einen kunstvollen Schlegel angefertigt, dessen Stiel hohl war. Hier verbarg er die zehn Dukaten, die er sich von seinem Lohn erübrigt hatte.

Aber jeder, der die Heimat verläßt, bekommt es einmal mit dem Heimweh zu tun. So packte denn auch unseren Bindergesellen das Heimweh. Er schnürte sein Bündel, legte auch den wertvollen Schlegel dazu und begab sich auf den Heimweg. Munter zog er auf Schusters Rappen fürbaß, aber weil sich der Weg zog und in Regensburg gerade eine billige Fahrgelegenheit zu haben war, beschloß er, es auf dem Wasser zu versuchen, bestieg ein Schiff und schwamm bald lustig die Donau herunter. Aber schon bei Grein fand die Fahrt ein vorzeitiges Ende. Das Schiff geriet in den berüchtigten Strudel, wurde an die Felsen geworfen und zerschellte. Der Geselle schwebte in Lebensgefahr, aber weil er ein guter Schwimmer war, gelang es ihm, sich aus der wirbelnden Strömung herauszuarbeiten und das Ufer zu gewinnen. Freilich, das Bündel mit dem Schlegel und sein goldener Sparpfennig waren auf Nimmerwiedersehen dahin.

So kam er zwar heil und gesund, aber ärmer, als er ausgezogen war, nach langen Jahren in die Heimat zurück. Doch der junge Mann verzagte nicht, machte sich frisch wieder an die Arbeit und war mit Fleiß und Ausdauer nach einigen Jahren soweit, daß er eine Frau nehmen und seine eigene Werkstätte aufmachen konnte.

An einem Sonntag war’s, da spazierte der junge Meister mit seiner hübschen Frau am Ufer des Neusiedler Sees. Zufrieden mit seinem Los, schritt er gemächlich dahin und ließ seine Blicke über den See schweifen. Da sah er unweit des Ufers ein merkwürdiges Ding in den Fluten treiben. Mit dem Stock danach angelnd, zog er den Gegenstand zu sich heran. Wie erstaunte er aber, als er seinen Schlegel erkannte, den er vor Jahren im Strudel der Donau bei Grein eingebüßt hatte. Das Werkzeug war unbeschädigt, und so kam er auch zu seinen zehn Dukaten wieder, die noch im hohlen Stiel des Schlegels staken.

Wie aber konnte der Schlegel hierher gelangt sein? Kaum anders als durch ein unterirdisches Rinnsal, dessen Vorhandensein durch diesen Fund bestätigt erscheint.

Der Neusiedler See

Die Niederung, in der sich heute der Neusiedler See ausbreitet, war einst ein fruchtbarer Talboden, wo glückliche Menschen in mehreren Dörfern wohnten. Einmal verirrte sich der Burgherr von Forchtenstein auf der Jagd in dieser Gegend und kam zuletzt in das Dorf Mädchenthal. Hier sah er Maria, das schönste Mädchen des Dorfes, und verliebte sich in das liebliche Mädchen, das seiner Neigung Gehör schenkte, da sie ihn für einen einfachen Jäger hielt. Samuel, der Diener des Schloßherrn, verriet dies aber der Gattin des Fürsten, die nun das Mädchen zu beseitigen dachte.

Als der Fürst bald darauf in den Krieg zog, ritt die Burgherrrin mit Samuel und einem kleinen Gefolge nach Mädchenthal und ließ Maria sowie ihre Mutter ergreifen und ins Gefängnis werfen. Obwohl die beiden Frauen ihre Unschuld beteuerten und schworen, den Fürsten für einen Jäger gehalten zu haben, gab sie ihnen die Freiheit nicht wieder; ja, als einige von der Burgfrau bestochene Bauern belastende Aussagen machten, sprach die Fürstin von Forchtenstein das Todesurteil über beide aus. Schicksalsergeben erwartete Marie ihr Ende; nicht so ihre Mutter. Als sie zum Tode geführt wurde, stieß sie einen gräßlichen Fluch über die grausame, rachgierige Burgherrin und über die bösen Menschen aus, die falsches Zeugnis wider sie abgelegt und ihren Tod verschuldet hatten. ,,Noch bevor die Sonne zum zweitenmal untergeht, soll die gerechte Strafe sie treffen!“ rief sie mit gellender Stimme, dann stieß man sie mit ihrer Tochter in den großen Weiher des Dorfes, wo beide ertranken.

Am folgenden Morgen war das Wasser des Weihers beträchtlich gestiegen, an seiner Oberfläche aber schwammen mit friedlichen Gesichtern und gekreuzten Händen die Leichen der beiden Frauen. Die geängstigten Bauern glaubten an ein Wunder und bestatteten reuevoll die unschuldigen Opfer der Schloßherrin. Doch das Wasser hörte nicht auf zu steigen. Es wuchs und wuchs und vertrieb schon am nächsten Tag die verzweifelten Bauern aus ihren Häusern. Der Weiher wurde zum See, und dieser dehnte sich immer weiter aus, bis er endlich seinen heutigen Umfang erreichte.

Die aus Mädchenthal geflüchteten Bewohner siedelten sich am nördlichen Ufer des Sees an und nannten ihren neuen Wohnort Neusiedl.

Als man der Fürstin von Forchtenstein die traurige Nachricht von der großen Überschwemmung und vom Untergang des Dorfes Mädchenthal und anderer Orte, die der See überflutet hatte, überbrachte, da überfielen Reue und Verzweiflung die stolze Frau. Gewissensbisse quälten sie, bis der Wahnsinn ihre Sinne umnachtete. Samuel jedoch, der Verräter, empfand keine Reue über seine Tat. Ja, er vergnügte sich sogar eines Tages, mit dem Kahn den neuen See zu befahren. Hier aber sollte ihn seine Strafe ereilen. Ein Unwetter brach los, der Sturmwind wühlte den See bis zum Grund auf und brachte das Boot zum Kentern; so fand Samuel in den tobenden Wellen den Tod.

Nach einiger Zeit kehrte auch der Fürst von Forchtenstein nach Beendigung des Krieges wieder in seine Heimat zurück. Als er vom Tod Marias erfuhr, da war er untröstlich und ließ zum ewigen Gedächtnis an sie in der Nähe des Sees das Kloster Frauerkirchen erbauen. Dann pilgerte er nach Rom, um Vergebung seiner Sünden zu erflehen.

Allmählich verschwanden die Baumwipfeln und Kirchturmspitzen, die noch eine Zeitlang aus dem Wasser ragten, und nichts erinnerte mehr an die Orte, die einst in dem Talboden lagen, wo sich heute die Weite des Sees erstreckt.

Die Totenschlucht bei Breitenbrunn

Als die Türken im Jahre 1683 auf dem Vormarsch nach Wien waren, um die Hauptstadt der Christenheit dem Halbmond zu unterwerfen, verrichteten sie viele Greueltaten. Angst und Schrecken zogen vor ihnen her. Die Landbewohner flüchteten an versteckte, schwer zugängliche Orte und nahmen ihre wertvollste Habe mit sich, ihre Heimstätten schutzlos den wilden Horden überlassend. Die Zurückgebliebenen waren allen Bedrängnissen ausgesetzt, mußten Vieh und Lebensmittel liefern und wurden zu den schwersten Arbeiten herangezogen. Noch ärger trieben es die zurückweichenden Scharen der Türken nach ihrer Niederlage vor Wien. Häuser und Dörfer wurden in Brand gesteckt, die Ortsbewohner verschleppt und getötet. Wer konnte, rettete sich in Schluchten und Wälder.

Auch die Bewohner des Dorfes Breitenbrunn hatten ihre Häuser verlassen und waren in die Wälder an der Sommereiner Gemeindegrenze geflüchtet. Dort gruben sie in die Seitenwand einer Schlucht eine Höhle, wo sie sich verbargen. Nur des Nachts streiften sie in der Umgebung umher, um sich Nahrung zu verschaffen. Eines Tages erschien vor der Höhle eine Frau mit ihrem kleinen Kind. Die Breitenbrunner gewährten ihr Schutz und ließen sie in die Höhle ein. Da es aber drinnen sehr feucht war, erkrankte das Kind und begann unaufhörlich zu weinen. Nun bekamen es die andern Bewohner der Höhle mit der Angst zu tun; sie meinten das Geschrei des Kindes könne ihr Versteck verraten und die Türken herbeilocken. Als sich aber gar eines Tages das Gerücht verbreitete, türkische Horden seien in der Nähe gesehen worden, jagten sie die Frau samt dem Kind davon. Die arme Mutter fand in ihrer Angst keinen anderen Ausweg, als ergeben in ihr Schicksal in ihr Dorf zurückzukehren. Sie fand es zerstört, aber von den Türken geräumt.

Nach und nach wagten sich auch die Geflüchteten aus ihren Höhlen hervor. Als die ausgesandten Späher meldeten, daß kein Feind mehr zu erblicken sei, trieben sie das Vieh aus den Wäldern und zogen damit in ihre Dörfer zurück. Dabei kamen einige auch durch die Schlucht, die den Breitenbrunnern zum Aufenthalt gedient hatte. Hier bot sich ihnen ein grausiger Anblick; zahlreiche Leichen ohne Kopf bedeckten den Boden. Eine der letzten heimziehenden Türkenscharen mußte das Versteck der Bauern entdeckt und dieses Gemetzel angerichtet haben. Die Herzlosigkeit der Bauern war der armen Frau zur Rettung geworden, während jene selbst ein so schauriges Ende fanden. Seitdem heißt diese Waldschlucht der »Totenkopfzwickel«.

Der Schloßhansl

Im Familienkreise der vorletzten Besitzer Bernsteins war die Behauptung der Bevölkerung allbekannt, daß der »Rote Iván« bald im inneren Burgtor vor der Schloßkapelle, bald vor dem Schloß, beim alten Nußbaum am Tümpel, wo seinerzeit das Tor der äußeren Umwallung gestanden haben muß, gewöhnlich in später Abendstunde gesehen worden sei: eine hagere, rothaarige Gestalt mit böse blickenden Augen, in ein rotes Warns gekleidet. Es gab in der Familie wenige, die den Aussagen der angeblichen Augenzeugen glaubten, meist wurde über die Furcht der Bauern gelacht. Am meisten wußten die Schloßknechte zu erzählen, die in den Häuslein am äußeren Burghof wohnten und deren Ahnen schon seit Jahrhunderten als Hörige innerhalb der Schloßmauern lebten.

In unserem Jahrzehnt starben die Enkel der letzten Hörigen als Greise weg, und die Nachrichten über die Spukerscheinungen gerieten in Vergessenheit oder gingen in der Gleichgültigkeit des Alltags verloren. Wenn heute einer oder der andere im Dorf noch eine Überlieferung über den »Schloßhansl« bewahrt, so hütet er sie wohl und läßt sie sich nur schwer entlocken. Unglaube der »aufgeklärten« Zuhörer und schon oft empfundener Spott verschließen ihm den Mund und lassen ihn jedes Wissen hartnäckig leugnen. Viel haben zur Diskreditierung der Erscheinung die Vermummungen und Maskeraden beitragen, mit denen im Abenddunkel jüngere Mitglieder obiger Familie zeitweilig die Gäste und die Bevölkerung schreckten.

Von Hexen in Au und ihren Zauberkünsten

Ein Bauer aus Au ging einmal um Mitternacht nach Hause, da sah er eine ganz in Schwarz gekleidete Frau auf sich zukommen, die ihn mit feurigen Augen bös anblickte. Erschrocken suchte der Bauer das Weite. Eine ähnliche Begegnung mit einer weiß vermummten Gestalt hatten gleichfalls zwei Bauern aus Au, die zur mitternächtlichen Stunde heimgingen. Einer der Bauern erkannte in der Gestalt eine Bäuerin des Dorfes, die ihm mit dem Tode drohte, falls er ihren Namen verraten würde. Der Bauer ließ sich auch nicht dazu bewegen, den Namen zu nennen.

Zwei Bauern aus Au, welche Bürteln nach Mariental verkauft hatten, wollten des Nachts aufbrechen, um am nächsten Tage zeitig ihre Ladung abliefern zu können. Vor Mitternacht ging einer der Fuhrleute seinen Fahrtgenossen wecken. Als er beim Hause Nr. 24 (ich habe in diesem Hause öfters übernachtet) vorbeikam, gewahrte er aus den Fenstern Licht schimmern. Neugierig, wer noch zu so später Stunde auf sei, blickte er durch eine kleine Fensterspalte ins Zimmer und sah vier in Leintücher gehüllte Frauen, um einen Tisch sitzend, essen. Eine der Frauen drohte ihm mit erhobener Faust. Im selben Augenblick schlug es ein Uhr, und die vier Frauen waren verschwunden und das Zimmer in Dunkelheit gehüllt.

Der Bauer R. aus Au hatte die Frau L. schon lange im Verdacht, daß sie eine Hexe sei. Als er ihr einmal beim Pestkreuz begegnete, spuckte er vor ihr aus. Kurze Zeit darauf bekam er einen ganz schiefen Mund. Nun wußte er bestimmt, daß Frau L. eine Hexe sei.

Der Landwirt D. aus Au ging vor Jahren mit seiner Frau zu Fuß nach Wien Gänse verkaufen. Auf dem Rückwege rasteten sie in Himberg. Es war gegen zehn Uhr abends, stockfinster, und es regnete stark. D. weigerte sich, bei diesem Wetter nach Au zurückzugehen, und wollte in Himberg übernachten. Seine Frau bestand jedoch auf der Rückkehr. Sie brachen um halb elf Uhr auf, um elf Uhr gingen sie bereits an der Auer Kirche vorbei. (Der Weg von Himberg nach Au beträgt sechs Gehstunden.) D. war ein Sonntagskind und soll alles Böse, das nach dem Ave-Läuten ins Dorf kam, gesehen haben. »Macht’s die Türen zu, denn ihr wißt nicht, was in den Ort kommt.«

Daß es Hexen gibt und diese Begebenheiten wahr sind, daran zweifelt niemand. Lautet doch der Ausspruch eines Sonntagskindes: In Au sind 27 Hexen und ein Hexenmeister.« Auch Hexen, welche die Gestalt von Katzen annehmen und sprechen können, kommen vor.

Die Teufelsmühle bei Landsee

An der Straße von Neudorf nach Landsee im Schloßgraben unterhalb der Ruine Landsee stehen die Mauerreste einer Mühle, bei deren Bau der Teufel störend seine Hand im Spiel hatte, weil er den Bau an dieser Stelle nicht dulden wollte.

Vor vielen, vielen Jahren beschloß ein reicher Müller aus der Umgebung, im Schloßgraben eine Mühle zu errichten. Holz, Steine, Kalk wurden herbeigeschafft, die Arbeiter gedungen, und der Bau hatte bald eine ansehnliche Höhe erreicht. Aber als der Müller eines Tages frühmorgens zur Baustelle kam, fand er die Mauern zerstört und das Baumaterial ringsumher verstreut. Ratlos und betroffen betrachteten der Bauherr und die Maurer den Trümmerhaufen und konnten sich die Ursache der Zerstörung nicht erklären. Aber man begann mit frischem Mut den Bau von neuem und kam rasch vorwärts. Doch nach einigen Tagen bot sich ihnen am frühen Morgen das gleiche Bild. »Hier kann nur der Teufel sein Spiel treiben!« rief der Müller zornig. »Was soll ich tun, um dem Bösen dieses unheimliche Spiel zu verderben?«

Da trat ein alter Arbeiter an den Herrn heran und sagte: »Haltet in der nächsten Nacht Wache auf der Baustelle und tretet dem Satan mit einem Kreuz in der Hand entgegen; das wird ihn von seinem boshaften Tun abschrecken.«

Die Maurer begannen ihre Arbeit aufs neue, der Müller aber befolgte den Rat des Alten und begab sich bei Einbruch der Nacht mit einem Kreuz in der Hand zur Baustelle. Es wurde dunkler und dunkler, ein schauriger Wind brauste durch die Wipfel der Bäume, seltsame Geräusche erklangen: bald polterte es auf der Straße, bald knarrte es im Wald, dann wieder erschollen dumpfe Rufe vom Bach her. Dem Wartenden wurde immer unheimlicher zumute. Das Getöse steigerte sich und schien dem Müller das Nahen des Teufels anzuzeigen. Da packte den Mann ein entsetzlicher Schrecken, das Kreuz entfiel seiner Hand, und wie gejagt flüchtete er von diesem Ort des Grauens.

Als die Arbeiter am nächsten Morgen ihr Werk fortsetzen wollten, fanden sie die Mauern wieder zerstört. Doch soll dem Teufel der Anblick des liegengebliebenen Kreuzes die Lust am Wiederkommen verleidet haben. Trotzdem wollte der Müller, abgeschreckt durch das schauerliche Erlebnis die Mühle nicht fertigbauen lassen, und so blieb der Bau unvollendet bis zum heutigen Tag. Die Stätte aber wurde von den Bewohnern gemieden und heißt heute noch die Teufelsmühle.

Die Hexenschmiede bei Rechnitz

In der Nähe von Rechnitz, dort wo die Bucklige Welt in das Burgenland hineinragt, stand ehemals eine Schmiede, in der neben dem Meister ein Geselle und ein Lehrjunge die Arbeit verrichteten. Lehrbube und Geselle schliefen in der Kammer in einem breiten Bett, das Raum genug für beide bot Der Geselle hatte sich schon lange Gedanken darüber gemacht, warum der Junge des Nachts oft nicht im Bett lag, täglich blasser wurde und vor Schwäche kaum mehr arbeiten konnte. Da stellte er ihn eines Tages zur Rede, und der Junge erzählte ihm sichtlich verlegen: »Da sind die Hexen dran schuld. Um Mitternacht weckt mich oft eine Hexe aus dem Schlaf, befiehlt mir aufzustehen und wirft mir ein Zaumzeug über den Kopf. Dann fühle ich mich sogleich in ein Pferd verwandelt Sie schwingt sich auf meinen Rücken und rast wie der Wind zum Haus hinaus. Nun geht es kreuz und quer durch die Luft, mit der Peitsche treibt sie mich zu immer größerer Schnelligkeit an, bis ich nicht mehr weiter kann.«

Der Schmiedgeselle lachte über diese Erzählung des ehrlichen Jungen. Er hielt das Ganze für die Ausgeburt einer krankhaften Einbildung. Aber als er weiter die gleichen Beobachtungen machte und der Junge immer trübsinniger wurde, begann er doch nachdenklich zu werden und beschloß, es mit einer List zu versuchen. Er tauschte mit dem Buben die Schlafstelle, legte sich angekleidet auf das Bett und wartete, ob der unheimliche Besuch sich wirklich einstellen werde. Und richtig, genau um Mitternacht erschien die Hexe, sie hatte – ein Gruseln lief dem Gesellen über den Rücken – wirklich ein Zaumzeug in Händen. Aber er überwand den Schrecken, packte fest an und warf der gespenstischen Gestalt flugs das Zaumzeug über den Leib. Und augenblicklich war die Hexe in ein Pferd verwandelt

»Lehrbub!« brüllte er seinen schlafenden Bettkameraden an, »steh auf, schau dir einmal dieses Teufelsroß an! Komm, wir wollen es beschlagen, damit es seinen Ritt besser machen kann!« Sie packten das sich sträubende Hexenpferd und zerrten es in die Schmiede, wo sie es kunstgerecht beschlugen. Sodann schwangen sich beide auf den Rücken des Pferdes und ritten hinaus in die helle Mondnacht. Sie hetzten es unter Hussa und Holla über Wiesen und Felder, daß es schnaufte und schäumte und fast nicht mehr weiter konnte; dann lenkten sie zur Schmiede zurück, stiegen vom Rücken des zitternden Gauls und jagten ihn mit ein paar tüchtigen Gertenhieben zum Teufel.

»Hoffentlich hat das Biest jetzt genug für immer«, meinte lachend der Geselle, als er mit dem Lehrbub wieder sein Lager aufsuchte.

Aber am nächsten Tag sollten sie erst ihre Wunder erleben! Als der Geselle mit dem Buben sich frühmorgens an den Tisch setzte und auf das Frühstück wartete, ließ sich die Meisterin nicht blicken, und auch der Meister begann ärgerlich über diese nachlässige Wirtschaft zu murren. Schließlich ging er zornig in die Schlafstube, wo die Meisterin noch im Bett lag. schimpfend riß er die Decke vom Lager herunter, aber entsetzt fuhr er zurück; da lag die Meisterin, aber Hände und Füße waren mit Hufeisen beschlagen.

Der arme Meister erschrak so sehr, daß er, vom Schlag getroffen, tot zu Boden stürzte. Geselle und Lehrjunge verließen noch am gleichen Tag eiligst die unheimliche Schmiede. Die Meisterin aber verfiel ihrem Schicksal, sie wurde als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Die Romfahrt der Dorfhexe

Und es war eine Dorfhexe, und es waren im Dorf Au sieben Bräute und sieben Bräutigame. Und sie gingen zusammen alle sieben Bräute und alle sieben Bräutigame, in die heilige Kirche (um) zu heiraten. Und wie sie gingen zu heiraten, sah sie die Dorfhexe. Und sie verwünschte sie, daß niemals eine einzige Braut Kinderchen bekommen möge. Und die Bauern waren mit ihren Frauen sieben Jahre, und es war (ihnen) kein einziges Kindchen. Und es dachte die Dorfhexe, daß sie das diesen sieben Bräuten gemacht hatte, weil sie sie verwünscht hatte, daß sie niemals Kinderchen bekommen. Und es dachte die Dorfhexe, daß sie gehen muß nach dem heiligen römischen Papst, dies herauszubeichten, was sie diesen sieben Bräuten gemacht hatte, daß sie keine Kinderchen bekommen.

Und sie machte sich auf und ging fort nach dem heiligen römischen Papst. Und als sie auf die römisch-päpstliche Grenze kam, kam ihr der größte Priester entgegen, daß sie nicht hinübertrete auf die heilige Grenze. Und wo er sie getroffen hatte, sagte zu ihr der Priester, auf jener Stelle, wo er sie getroffen hatte, sie möge nichts vorwärts (und) nichts zurück gehen, sondern dort auf jener Stelle soll sie sich niederlassen. »Und am Morgen werde ich kommen, der Priester, hierher auf diese Stelle zu dir. Und du wirst mir erzählen, was für einen Traum du heute nacht sahst.«

Und der Priester kam zu ihr am Morgen, und sie, die Dorfhexe, schlief noch, und der Priester weckte sie auf, die Dorfhexe. Und der Priester sagte zu ihr: »Nun, erzähl mir, was für einen Traum du heute nacht sahst! «

Und (es) sagte zu ihm, dem Priester, die Dorfhexe, daß sie, die Dorfhexe, keinen anderen Traum sah, nur eine Triste Stroh [Strohbündel], daß (diese) bis in das Himmelreich reichte. »Und ich war oben auf ihrer Spitze gelegen.«

Und der Priester sagte zu ihr, er kann ihr nicht Beichte (hören), und er kann sie nicht lossprechen diesen Tag. Und er nahm (die) Hexe und steckte sie in eine Kapelle hinein. Und er sagte zu ihr, der Hexe: »Am Morgen komme ich und nehme dich heraus, und dann kannst du beichten.« Und er sagte zu ihr, zu der Dorfhexe, sie kann nicht beichten, weil, wieviel lauter Stroh in jener Triste war, so viele Menschen hat sie auf der Welt verhext. Und er sagte dann zu ihr, daß sie, eine Dorfhexe, so viele Leute auf der Welt verhext hat, darum kann sie nicht beichten, und steckte sie nachher hinein in eine Stube, und bis zum Morgen fraßen sie die Schlangen und die Ratten.

Und am Morgen ging der Priester in die Stube, wo er die Dorfhexe hineingesteckt (hatte) und klaubte ihre Knochen zusammen und steckte sie in einen gläsernen Sarg. Und der Priester gab einen Zettel auf diesen gläsernen Sarg. Und es stand darauf, daß jene Knochen einer Dorfhexe sind. Weil jene Dorfhexe sieben Bräuten die Kinderchen verhext, und darum ließ er sie auffressen und quälte sie in jener Stube, damit sie nur die Schlangen und die Ratten fressen, weil sie so viele Leute auf der Welt verhext.

Der ewige Jäger von Mogersdorf

Einst lebte in Mogersdorf ein Bursche, der sich von jeder Arbeit drückte, lieblos und hartherzig gegen seinen greisen Vater war und auch von Gott und der Kirche nichts wissen wollte. Wenn die anderen Dorfbewohner am Sonntag zum Gottesdienst gingen, nahm er lieber seine Büchse zur Hand und streifte mit seinen Hunden durch Wald und Feld, um seiner Jagdlust zu frönen; denn er war ein so eifriger Jäger, daß ihm die Jagd über alles ging.

Wieder war Sonntag, und sein alter Vater lag schwerkrank danieder; sein Tod war stündlich zu erwarten. Der Sohn aber griff zur Büchse, ohne seinem mit dem Tode ringenden Vater einen Blick zu gönnen, und pfiff seinen Hunden, um seinem Sonntagsvergnügen nachzugehen. Unbekümmert strich er durch die Fluren, nur von dem Gedanken geleitet, etwas Jagdbares aufzutreiben. Da hörte er plötzlich das Sterbeglöcklein im Dorf läuten. Es galt seinem todkranken Vater, der in den letzten Zügen lag. Zugleich kam eiligen Laufes ein junger Bursche quer über das Feld zu ihm gerannt, der ihm die Bitte seines sterbenden Vaters überbrachte, sogleich an sein Sterbebett zu kommen. Der Greis wollte vor seinem Tod noch einmal in seinen Sohn dringen, von seinem Ärgernis erregenden Lebenswandel abzulassen. Doch der Sohn schüttelte kalt das Haupt. Nicht einmal die letzte Bitte des sterbenden Vaters vermochte das harte Herz des Burschen zu erweichen. Ruhig gab er sich weiter seinem Vergnügen hin.

Mit banger Ungeduld harrte der Vater auf das Erscheinen des Sohnes. Angst verzerrte seine fahlen Züge; denn er fühlte, es wurde bald zu spät sein. Als man ihm aber die Absage des Sohnes mitteilte, ergoß sich die letzte Zornesröte über sein blasses Gesicht, und, sich mühsam aufrichtend, stieß er den Fluch aus: »Von nun an soll er nie mehr Ruhe finden und ewig auf der Jagd sein.« Dann sank er zurück und starb.

Kurze Zeit darauf ereilte der Tod auch den hartherzigen Sohn. Aber er fand im Grab keine Ruhe; denn der Fluch des Vaters ging in Erfüllung. Der Geist des lieblosen Sohnes ist dazu verurteilt, ruhelos auf ewige Zeiten jagend umherzustreifen. Seitdem treibt nächtlicher Spuk in der Gegend von Mogersdorf sein gespenstisches Wesen. Geht man um Mitternacht zum Saubach, so dringen unheimlich gedehnte Rufe dem nächtlichen Wanderer ans Ohr. »Uto toto, uto – toto!« so scheint es nah und fern zu erschallen, lautes Hundegekläff wird hörbar, und bald saust die tolle Meute vorüber, feurigen Dampf aus den Nüstern schnaubend. Sie rast gegen den Schlößlwald, und hinter ihr jagt rastlos der ewige Jäger einher, beim Schlößl kehrt er um und tobt wieder gegen den Saubach zu.

Dieser lärmende Spuk erscheint Nacht für Nacht und findet kein Ende. Man sagt, daß der ewige Jäger abwechselnd fünfzig Jahre in der Luft und fünfzig Jahre auf Erden seine wilde Jagd machen muß ohne Rast und Ruhe bis zum Ende der Zeiten, wo auch der Fluch des Vaters sein Ende finden wird.

Die Farnsammler von Goberling

In der Thomasnacht (29. Dezember) ereignen sich allerlei Wunder. Der Samen des Farnkrauts, das in dieser Nacht im Wald blüht, ist heilkräftig und hat die wunderbare Eigenschaft, drei oder fünf Personen unsichtbar zu machen, wenn sie den Farnsamen in einem Kirchenkelch auffangen. Er verleiht seinem Besitzer auch die Gabe, verborgene Schätze zu sehen.

Diese Wunderkraft des Farnsamens war vor vielen Jahren dem Mesner von Goberling bekannt, und er versuchte mit zwei anderen Männern, in der Thomasnacht sein Glück zu machen. Der bucklige Dorfwirt, der in vielen Zaubersachen erfahren war, belehrte sie, wie sie sich beim Einsammeln des Farnsamens zu benehmen hätten. Er selber konnte den Weg nicht mitmachen, da er als vierter überzählig war.

So schlichen sich denn die drei Farnsucher unter Mitnahme eines Kirchenkelches, den der Mesner heimlich entlehnt hatte, vor Mitternacht in den Wald, um das große Werk zu vollbringen. Mit geweihter Kreide zogen sie um das Farnkraut einen Zauberkreis und warteten in demselben auf das Wunder, das sich ereignen sollte. Erstaunt gewahrten sie um Mitternacht, wie das Farn zu blühen anfing. Als aber die Blüten abfielen und der Samen zu reifen begann, wandelte sich die Verwunderung der Männer in Schrecken und Furcht; denn ringsumher krachte der Donner, die Erde bebte, und gespenstische Gestalten umringten den Zauberkreis. Endlich fiel der Samen in den Kelch, den sie unterhielten, die Elemente beruhigten sich, und die schattenhaften Bedränger verschwanden.

Froh über den glücklichen Ausgang des Unternehmens verließen die drei die unheimliche Stätte und traten den Rückweg an. Der Mesner, der den Kelch trug, konnte den beiden andern nicht genug erzählen von den Schätzen, die er vor sich sehe, so daß seine Begleiter lange Zähne bekamen und die verborgenen Herrlichkeiten auch sehen wollten. So trugen sie abwechselnd den Kelch und erlebten dabei ihre Wunder.

Da kam ihnen plötzlich der bucklige Wirt entgegen und tat, als ob ihm die Neugierde über den Ausgang ihres Vorhabens keine Ruhe mehr gelassen hätte. Als er hörte, daß sie den Farnsamen richtig gefunden und was für Schätze sie schon gesehen hätten, wollte er den Samen sehen. Aber die andern konnten sich nicht entschließen, den Deckel vom Kelch zu heben, da sie meinten, der Samen könnte vom Wind weggeweht werden. Nun wurde der Wirt zornig und drohte ihnen, die ganze Sache dem Pfarrer zu verraten.

So blieb ihnen nichts übrig, als den Deckel zu lüften. Der Bucklige blickte hinein und blies zu ihrem Schrecken auf einmal den Samen aus dem Kelch; dann war er mit hähmschem Gelächter verschwunden.

Jetzt erkannten die Farnsucher bestürzt, daß es der Teufel selbst gewesen sei, der ihnen in Gestalt des buckligen Wirts entgegengetreten war und sie überlistet hatte. Mit langen Gesichtern, aber doch heilfroh, daß ihnen kein ärgeres Übel zugestoßen war, trotteten die drei Männer ihrem Dorf zu.

Die Sumpfgeister

Vor mehr als hundert Jahren, als in Glashütten noch Glas erzeugt wurde, trugen die »Glaserer« das Glas in schweren Buckelkraxen weit ins Ungarische hinein, um es dort zu verkaufen. Sie waren oft tagelang unterwegs und wanderten erst heim, wenn die letzte Glasplatte veräußert war. Nicht selten marschierten sie auch während der Nacht, und im Sommer schliefen sie in den Heuschobern.

In jener Zeit war die Straße von Lockenhaus nach Glashütten noch nicht ausgebaut und führte durch ein Sumpfgebiet. Nur im Winter, wenn der Boden gefroren war, oder in ganz trockenen Sommermonaten konnte man mit einem Pferdefuhrwerk das Moor durchqueren. Der Weg war gefährlich, und wer keinen triftigen Grund hatte, ihn zu benutzen, machte lieber einen Umweg.

Einmal ging der alte Knozer Toni mitten in der Nacht durch den Sumpf. Er hatte es eilig heimzukommen, deshalb wählte er die Abkürzung, außerdem war es mondhell und windstill, was konnte da schon viel geschehen!

Als er sich dem Sumpf näherte, tauchten plötzlich mehrere Lichter vor ihm auf, die wie toll durcheinanderwirbelten und immer vor ihm hergaukelten. Er beschleunigte seine Schritte, um sie einzuholen, aber es gelang ihm nicht. je schneller er ging, desto schneller tanzten die Lichter vor ihm her.

»Verflixt noch einmal!« ärgerte sich der Toni und blieb stehen, um zu verschnaufen.

In diesem Augenblick begann sich ein heftiger Sturm zu erheben, der von einem unheimlichen Sausen begleitet war. Es hörte sich an, als ob ein Geisterheer durch die Luft fegte.

Da bekam es der Knozer Toni mit der Angst zu tun, und er fing zu laufen an. Nach einer Weile fühlte er festen Boden unter seinen Füßen. Da hörte der Lärm auf, und es war wieder ganz still und ruhig wie zuvor.

Er war froh, als er endlich daheim anlangte. Auf die Frage seiner Frau, warum er so gerannt sei, ob ihn jemand verfolgt habe, erzählte er ihr sein Erlebnis. Aber sie lachte nur darüber und meinte, es hätten ihn bloß die Irrlichter genarrt. Als aber einige Tage später ein anderer und ein dritter dasselbe Erlebnis hatten, war es allen klar, daß in dem Sumpfgebiet die Hexen ihr Unwesen trieben.

Um ihnen den Aufenthalt zu verleiden, bauten die Bewohner von Glashütten eine Kapelle, die noch heute zu sehen ist. Und wirklich sind seit damals die Hexen aus der Gegend verschwunden.

Der Klarinetthiasl

Der Klarinetthiasl aus Wiesen war ein tüchtiger Musikant. Einst ging er spät in der Nacht von einem Nachbarorte, in dem er zum Tanz aufgespielt hatte, nach Hause.

Als er durch das Spatzenviertel in Wiesen ging, wurde er auf einmal von hohen weißen Gestalten umringt. Bevor er sich von seinem Schrecken erholt hatte, fühlte er sich in die Luft gehoben und fortgetragen. Er erkannte nun, daß er Hexen in die Hände gefallen war. Sie brachten ihn auf den Hexenanger, eine kleine Wiese in der Nähe des Ortes, die von den Leuten stets gemieden wurde, weil sie wußten, daß sich dort Geister und Hexen aufhalten. Hier angelangt, mußte er vorerst den Hexen einen Schwur leisten, der so lautete:

»Wir reiten siebenmal um den Mist
und leugnen den Herrn Jesu Christ.«

Hernach wurde er mit köstlichen Speisen und Getränken bewirtet, und dann mußte er den Hexen aufspielen. In seiner Angst spielte er, so gut er konnte. Die Hexen tanzten und sangen zu seinem Spiel, bis die goldene Sonne über die Berge stieg.

Reichlich mit Krapfen und Mehlspeisen beschenkt, wurde er entlassen. Daheim erzählte er das sonderbare Erlebnis seiner Frau. Sie machte ein sehr ungläubiges Gesicht und hatte ihn augenscheinlich in Verdacht, daß er zuviel getrunken habe.

Als er nun die Mehlspeisen hervorziehen wollte, um die Wahrheit seiner Erzählung zu beweisen, fand er in seiner Tasche nur Pferdemist.

Die Türken in Güssing

Bei der Belagerung der Burg Güssing durch die Türken gab es einen langen Kampf. Vergebens hatte der Feind die auf einem steilen Felsen gelegene Burg bestürmt. Die Tapferkeit der Verteidiger vereitelte jeden Erfolg. Als die Türken endlich erkannten, daß die Burg mit Waffengewalt nicht zu erobern sei, wollten sie die Besatzung durch Aushungerung zur Übergabe zwingen.

Lange dauerte die Belagerung schon, und trotz aller Einschränkung gingen die Lebensmittel in der Burg allmählich zur Neige. Es war den tapferen Verteidigern klar, daß sie sich nicht mehr lange halten konnten. Da wollte es der Burgherr in der äußersten Not noch mit einer List versuchen, um die Belagerer zu täuschen und sie zum Abzug zu veranlassen.

Er ließ den noch vorhandenen bescheidenen Mehlvorrat herbeischaffen, der aber so gering war, daß er kaum ein kleines Körbchen füllte. Bei Nacht stellte man ein großes Mehlfaß auf die äußere Burgmauer, so zwar, daß der Boden des Fasses nach oben zu stehen kam. Darauf schüttete man die geringe Mehlmenge, so daß es den Anschein hatte, als sei das Faß bis über den Rand gefüllt und noch Mehl im Überfluß in der Burg vorhanden. Bei Tagesanbruch ließ der Burgherr den letzten Ochsen, der noch in der Feste am Leben war, hinter der Burgmauer herumtreiben und so heftig mit Knütteln schlagen, daß das schmerzgequälte Vieh unaufhörlich brüllte. Den Belagerern sollte dadurch vorgetäuscht werden, daß noch eine ganze Herde von Schlachtvieh in der Burg vorhanden sei.

Als die Türken das anhaltende Ochsengebrüll hörten und das übervolle Mehlfaß auf der Burgmauer stehen sahen, glaubten sie wirklich, die Belagerten seien mit Vorräten noch im Überfluß versorgt und es sei daher zwecklos, noch länger auf eine Hungersnot in der Burg zu warten. Sie hoben die Belagerung auf und zogen noch am selben Tag eine halbe Stunde vor Mittag von Güssing ab.

Zur Erinnerung an diese Rettung aus der Türkengefahr wurden seit dieser Zeit die Glocken in der alten Pfarrkirche zu Güssing täglich um halb zwölf Uhr geläutet.

Die Entstehung von Bad Tatzmannsdorf

Vor vielen Jahrhunderten lebte in Oberwart ein fremder Arzt, dessen Wunderkuren in der ganzen Umgebung bekannt und berühmt waren.

Niemand wußte um das Geheimnis des Wundermittels, das er seinen Kranken eingab. Der Alte aber wanderte in finsteren Nächten verstohlen zu einer Quelle, die im Sumpfgebiet von Jormannsdorf aus dem Boden sprudelte, füllte die mitgebrachten Gefäße mit dem heilkräftigen Wasser und gab seinen Patienten davon zu trinken. Kein Mensch hatte ihn bisher bei seinem Tun beobachtet Wohl hatte man hie und da bei der Quelle zur Nachtzeit ein Licht flackern sehen, aber die Gegend galt als verrufen, und die Leute meinten, nächtlicher Spuk treibe dort sein Wesen.

In der Nähe von Oberwart bestand damals ein Bergwerk. Da kam auch ein junge Bergmann aus Deutschland hierher, der die Gegend abstreifte, um erzhaltiges Gestein zu finden. Auf seinen Wanderungen verirrte er sich einmal und wurde in dem sumpfigen Tal von Jormannsdorf von der Nacht überrascht. Während er sich abschickte, unter einem Busch sein Nachtlager aufzuschlagen, sah er unweit der Stelle ein Licht leuchten. Neugierig schlich er näher und bemerkte einen alten Mann, der aus einer Quelle Wasser schöpfte. Als der Alte sich entfernt hatte, bedeckte der Bergmann die Quelle mit grünen Zweigen und knickte einige Aste der umstehenden Bäume, um die Quelle am nächsten Tag wieder zu finden. Am andern Morgen füllte er eine Flasche mit dem Quellwasser und gab einem erkrankten Bergmann davon zu trinken. Der Mann wurde gesund und konnte wieder seiner Arbeit nachgehen.

Doch nicht nur diese eine Quelle, eine zweite, weit ergiebigere, wurde gefunden, und dies geschah so:

In alter Zeit breitete sich dort, wo heute Bad Tatzmannsdorf liegt, ein weiter See aus. Am Rand des Sees sprudelte am Fuß einer alten Erle eine Quelle aus dem Boden, deren Wasser den See speiste. Einmal hütete ein Hirte seine Schweine, die alle krank waren, in der Nähe der Quelle. Er trieb die Tiere an die Quelle zur Tränke, und die Schweine wurden in kurzer Zeit gesund. Die Nachricht von der Wunderkraft der Quelle verbreitete sich bald in der Umgebung; von weit und breit kamen die Bauern zum See, um Heilung von ihren Leiden zu finden, und das führte zur Gründung von Tatzmannsdorf.

Der Purbacher Türke

Als die Türken im Jahre 1532 neuerlich in das Land eingefallen waren, streiften vereinzelte Horden raubend und plündernd auch in der Gegend des Neusiedler Sees umher und kamen auf ihren Raubzügen bis in die Nähe von Purbach. Die Bewohner der Ortschaft, die vom Herannahen des Feindes rechtzeitig Nachricht erhalten hatten, verborgen schleunigst alle ihre Habseligkeiten, so gut sie vermochten, und versteckten sich im nahen Leithagebirge. Als die Türken kurze Zeit darauf in das Dorf eindrangen, fanden sie die Häuser leer und keinen Menschen in den Straßen. Wütend durchsuchten sie alle Räume nach Nahrungsmittel und ließen dabei auch die Keller nicht außer acht. Hier aber hatten die Purbacher ihren guten Wein eingelagert, dem die Türken bald Geschmack abgewannen, so daß gar mancher des Guten zuviel tat.

Nun war auch einer unter ihnen, der gerade noch mit Müh und Not über die Kellerstiege herauftaumeln konnte, dann aber in eine Kammer geriet, wo der gleich hinfiel und seinen Rausch ausschlief. Als er nach vielen Stunden erwachte und sich ernüchtert davonmachen wollte, hörte er Stimmen, die eine fremde Sprache redeten. Er ahnte sogleich, daß seine Kameraden abgezogen und die Dorfbewohner wieder zurückgekehrt seien. Da er bei Tag nicht ungesehen aus dem Ort entkommen konnte, versteckte er sich in der Hoffnung, des Nachts Gelegenheit zur Flucht zu finden.

Sobald es finster geworden war, tastete er sich die Wände entlang und kam schließlich in eine Küche, wo der Mond durch den Rauchfang hereinschien. Hier meinte er, unbemerkt hinausgelangen zu können. Er stieg auf den Herd, zwängte sich in den Schornstein und kroch mit vieler Mühe in den engen Schlauch aufwärts, bis er endlich seinen Kopf ins Freie hinausstecken konnte.

Als er nun von seiner luftigen Höhe Umschau hielt, wie er am besten zur Erde hinabkommen könne, hörte er auf einmal ein lautes Geschrei. Wie der Blitz fuhr er wieder in seinen Rauchfang zurück, aber die Bauern, die noch auf der Straße standen, hatten im Mondenschein seinen Kopf aus dem Schornstein ragen gesehen und sogleich einen versprengten Türken in ihm erkannt. Als er den Kopf nochmals hinaussteckte, schrien sie wieder und drohten ihm mit den Fäusten. Da zog er sich abermals in den Rauchfang zurück und rührte sich nicht mehr, obwohl sie ihn aufforderten herunterzusteigen. Nun gab ein Bauer den Rat, ihn auszuräuchern. Das Half. Der Türke mußte aus dem Rauchfang heraus und kletterte zitternd auf den Boden herunter, wo ihn die derben Fäuste der Bauern in Empfang nahmen und einstweilen in den Dorfkotter sperrten.

Sogleich folgte eine große Beratung im Gemeindehaus, was mit dem gefangenen Türken geschehen solle. Man einigte sich schließlich, ihm das Leben zu schenken, wenn er den christlichen Glauben annehme.- Damit er aber der Gemeinde nicht zur Last falle, sollte er bei dem Bauern, in dessen Haus man ihn gefangen hatte, als Knecht dienen. Der Türke war froh, so gut davonzukommen, trat zum Christentum über und blieb ein getreuer Knecht seines Herrn.

Nach seinem Tode ließ der Bauer zum Gedächtnis an dieses Ereignis einen steinernen Türkenkopf am Schornstein seines Hauses anbringen, der heute noch in Purbach zu sehen ist.

Das Neusonntagskind vom Wörtherberg

Auf dem Heideboden des Burgenlandes stehen die Sonntagskinder in großem Ansehen; sie gelten als Hellseher und Propheten. Wenn sie in einer Neumondnacht zur Welt kommen, heißen sie Neusonntagskinder. Die Hexen sind auf solche Menschen nicht gut zu sprechen, weil sie die Gabe haben, Hexen in der Nacht zu erkennen. Neusonntagskinder soll in der Nacht überhaupt viel Böses zustoßen.

Der alte Hundsmüller in Wörtherberg war ein solches Neusonntagskind und hatte durch die Verfolgungen der Hexen viel zu leiden. War er mit seinem Fuhrwerk nach dem Gebetläuten noch unterwegs, so konnte er sicher sein, daß die Hexen sich von allen Seiten an ihn herandrängten und ihn zu nötigen suchten, vom Wagen herabzusteigen; sie wollten ihn gern mit sich in die Keller schleppen, damit er mit ihnen dort Zechgelage feiere. Aber der alte Müller hütete sich, den Wagen zu verlassen oder auch nur ein Wort zu sprechen; denn er wußte ganz gut, daß er ihnen verfallen sei, wenn er nur einen Schritt vom Wagen weg tue oder ein Wort zu ihnen sage. Er mußte sich immer recht fest am Bock anhalten, um ihnen ja nicht nachzugeben. Später, als er schon gewitzigt genug war, machte er vor der Ausfahrt mit einem geweihten Messer, das er immer bei sich trug, das Kreuzzeichen vor den Pferden.

Hatte der immer durstige Müller aber einmal zu tief ins Glas geguckt und konnte er seine Zunge nicht im Zaum halten, so daß er beim abendlichen Heimweg auf die lästigen Quälgeister tüchtig zu schimpfen anfing, dann war er ihrem Bann verfallen, und sie säumten nicht, ihm ihre Überlegenheit ordentlich fühlen zu lassen und ihm den Ärger heimzuzahlen, den er ihnen durch seine Standhaftigkeit an anderen Tagen verursacht hatte. Da trieben sie nun ihr grausames Spiel mit ihm, hetzten ihn über Berg und Tal oder bestiegen seinen Rücken, um ihn als Pferd zu benützen, das sie zu den Kellern bringen mußte. Dort krochen sie beim Schlüsselloch hinein, soffen den Wein aus und füllten Jauchenwasser in die Fässer. Der arme Müller aber mußte inzwischen vor dem Keller im nassen Gras liegen bleiben, bis sie wieder herauskamen und ihn weiterquälten. Am Morgen nach einer solchen Schreckensnacht fand er sich dann in einem Graben liegen, irgendwo stundenweit vor Wörtherberg entfernt, müd und matt und mit zerschlagenen Gliedern. Und das kam oft vor; denn der Hundsmüller war einem guten Glas Wein nicht abgeneigt.

Wie nun der arme Mann sich gar nicht mehr zu helfen wußte und die Plage der Hexen immer ärger wurde, klagte er seinen Jammer einer klugen alten Frau. Diese gab ihm den Rat, auf den Friedhof zu gehen und von einem ausgegrabenen Sarg ein Stück Brett herauszuschneiden, das ein Astloch habe. Wenn er am Pfingstsonntag während der Messe bei der Kirchentür stehe und durch das Astloch blicke, werde er alle Hexen des Ortes, die ihn verfolgen, sehen und erkennen. Der Müller befolgte den Rat der alten Frau und sah durch das Astloch wirklich die Hexen, die zu seiner Überraschung Melkkübel und Butterfässer auf dem Kopf trugen.

Als ihn bei der nächsten abendlichen Fahrt die Hexen wieder überfielen und ihr Mütchen an ihm zu kühlen versuchten, nannte der Müller, der nun die Gabe besaß, die Hexen zu erkennen, jede einzelne Spukgestalt beim Namen, worauf sie bestürzt entwichen. Auch auf dem Tanzboden machte er sich das Vergnügen, die Hexen, die sich unter das tanzlustige Volk gemengt hatten, zu entlarven. Da fuhren sie vom Tanzboden aus und schwuren ihm bittere Rache. Doch der Müller war vorsichtig und trug nun stets sein geweihtes Messer bei sich; daher konnten ihm die boshaften Wesen nichts anhaben. Das ärgerte die Hexen so sehr, daß eine nach der andern das Dorf verließ; nach wenigen Jahren war weit und breit keine Hexe mehr zu sehen.

Das hatte die Gegend dem Neusonntagskind zu verdanken.

Die grausame Burgfrau von Forchtenstein

Rosalie, die Gattin des gütigen, gerechten Fürsten Giletus von Forchtenstein, war eine herzlose, grausame Frau, der ihre Untertanen weniger galten als ein Stück Freiwild. Solange ihr milder, menschenfreundlicher Ehemann auf der Burg lebte, konnte sie ihrer Grausamkeit und Willkür weniger Zügel schießn lassen; aber als der Fürst einmal in den Krieg gezogen und die Burgfrau Alleinherrin über ihre Untertanen war, begann eine Zeit des Schreckens für die armen Landwirte. Sie peinigte und bedrückte die hilflose Bevölkerung in der herzlosesten Weise, ließ sie, wenn nur ein Groschen weniger Steuer einging oder die Abgabe nicht pünktlich auf den Tag geliefert wurde, Unbarmherzig in den Schuldturm werfen, ja, viele, die ihr nicht zu Gesicht standen, mußten grundlos in den schwarzen Turm wandern, wo manche sogar den Hungertod fanden.

Als Giletus nach Jahren aus dem Krieg heimkehrte, klagten ihm die unterdrückten Landwirte ihr Leid und erzählten, wie grausam die Fürstin mit ihnen umgegangen sei. Giletus versprach ihnen, seine Frau zur Rechenschaft zu ziehen. Bei einem Festmahl, an dem viele Gäste teilnahmen, schilderte der Fürst die Erlebnisse auf seiner Kriegsfahrt und kam dabei auch auf eine hartherzige Frau zu sprechen, die ihre Untertanen grausam gequält habe, wobei er allerlei böse Taten anführte, wie sie nach Angabe der Bauern von Rosalie verübt worden waren. Dann fragte er seine Gäste, welche Strafe solch ein schändliches Frauenzimmer verdiene. »Den Tod!«, war die einstimmige Antwort. Als sich der Fürst sodann an seine Ehefrau wandte und sie fragte, wie sie eine solche Frau bestrafen würde, sagte sie, ohne mit der Wimper zu zucken: »Ich würde sie an eine Querstange binden und in einen tiefen Schacht hängen, wo sie elend verhungern sollte.« Da erhob sich Giletus und sprach:

»Salah, du hast dein eigenes Urteil gesprochen!«

Die grausame Burgfrau wurde an ein Seil gebunden, das an einem Querholz befestigt war, und in den schwarzen Turm hinabgelassen, wo sie, am Seil über den Opfern ihrer Grausamkeit hängend, elend verhungern mußte. Alle Viertelstunden trat die Burgwache an eine Turmöffnung heran und rief in den Turm hinab: »Salah he!« Und jedesmal drang ein grausiger Schrei aus der Tiefe empor. Erst am achten Tag wurde es stille im Turm. Die Schloßherrin hatte ihr verdientes Schicksal gefunden.

Seitdem schwebte immer um Mitternacht der Geist der toten Schloßherrin gespenstisch leuchtend um den schwarzen Turm der Burg Forchtenstein. Erst wenn die Burgwache, ins Gewehr tretend, ein gedehntes »Salah he!« zum Turm herüberrief, verflüchtigte sich der nächtliche Spuk.

Jahre- und jahrhundertelang wiederholte sich die gleiche Erscheinung. Erst als in späterer Zeit ein Burgherr von Forchtenstein zur Sühne auf einem nahen Berg die Rosalienkapelle erbauen ließ, fand der Geist der grausamen Schloßfrau die ewige Ruhe.

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Sagen aus Brandenburg


Sagen aus Brandenburg

Die verwunschene Prinzessin auf den Müggelbergen

Seltsame Geschichten von einem merkwürdigen Stein auf den Müggelbergen sind in der Gegend von Köpenick im Umlauf. Die Müggelheimer erklären zwar, der Stein sei zersprengt und die Teile zum Bau ihrer Brunnen verwendet worden. Der Felsblock habe der Teufelsaltar geheißen, und an der Stelle, wo er gelegen, lodere oft ein Feuer auf, das so hell leuchte, daß man es sogar in Müggelheim sehe. Sobald man aber in seine Nähe komme und nur ein lautes Wort spreche, so verschwinde es.

In Köpenick dagegen behaupten die Leute, der Stein, den man hier den Prinzessinnenstein nennt, liege noch auf einem Vorberg in der Nähe des Teufelssees, der ringsum von dunklen Fichten und Moorgrund umgeben ist. Das Wasser dieses Sees ist von fast schwarzer Farbe, und obgleich er nur klein ist, hat man sich doch bisher vergeblich bemüht, ihn zu ergründen.

Der Stein soll an Stelle eines prächtigen Schlosses liegen, in dem einst eine schöne Prinzessin gewohnt habe, die nun verwunschen und mit dem Schloß in den Berg versunken sei. Sie kommt jedoch zuweilen wieder zum Vorschein; unter dem Stein sei nämlich eine Öffnung, und von da führe ein Weg tief in den Berg hinein; daraus sieht man sie abends als altes Mütterchen am Stabe gebückt hervortreten. Andere Leute haben sie auch, namentlich um die Mittagszeit, als schönes Weib am Ufer des Teufelssees sitzen sehen, wie sie sich im Wasser beschaute und ihre langen Haare kämmte. So sah sie einst ein kleines Mädchen aus Köpenick, das in der Nähe mit ihrer Mutter Beeren gesucht und dabei die Mutter verloren hatte; weinend war die Kleine dann im Wald umhergeirrt. Da hatte die Prinzessin das Mädchen mit sich in ihr Schloß hinuntergenommen und reich beschenkt nach kurzer Zeit wieder heraufgebracht.

Sieht man die Jungfrau am Abend aus dem Berge hervorkommen, so trägt sie ein Kästchen, das leuchtendes Gold enthält; das soll der erhalten, der sie dreimal um die Kirche von Köpenick herumträgt und sich dabei nicht umsieht; dadurch wird sie erlöst. Einen Burschen hat,s einmal nach dem Golde gelüstet, und er hat das Wagestück unternommen. Er hob die Prinzessin auf den Rücken, denn sie war federleicht, und schritt mit ihr nach Köpenick. Aber je mehr er sich der Stadt näherte, desto schwerer wurde die Bürde; doch er hielt tapfer aus und kam endlich mit ihr ans Ziel. Nun begann er seinen Umgang um die Kirche. Da erschienen plötzlich Schlangen und Kröten und allerhand scheußliche Tiere mit feurigen Augen; koboldartige Wesen stürzten wild hinter dem Burschen her und bewarfen ihn mit Holzblöcken und Steinen. Aber er ließ sich durch all diese Schrecknisse nicht beirren und schritt mutig vorwärts. So hatte er schon den dritten Umgang begonnen und seine Aufgabe fast vollendet, als ihn ein grellroter Schein blendete, der so fürchterlich war, als stünde ganz Köpenick in Flammen. Da vergaß der junge Mensch das Verbot und sah sich um; doch im selben Augenblick war alles verschwunden, und ein heftiger Schlag raubte ihm das Leben.

Die Jungfrau aber harrt weiter des Mannes, der sie dereinst aus ihrer Verbannung erlösen werde, doch hat seit langem niemand mehr die Prinzessin erblickt.

Der Schatz im Brunnen des Schloßhofes zu Wiesenburg

Mitten im Burghof zu Wiesenburg steht ein reichverziertes Brunnenhäuschen. Aus der Wendenzeit her soll auf dem Brunnenboden ein Schatz ungehoben ruhen. Man erzählt, daß den Brunnenboden eine mächtige Steinplatte bilde. Unter ihr ruhe ein prächtiger Goldschmuck des Wendenkönigs Pribislav, nur in der Nacht zum 1. Mai sei es möglich, ihn zu heben. In dieser Zeit verlaufe sich nämlich auf eine geheimnisvolle Weise das Wasser und der Brunnengrund liege trocken da. Wer nun, ohne dabei zu sprechen, die Platte höbe, könne sich in den Besitz des Schatzes setzen. Vor vielen Jahren haben sich denn auch zwei Bewohner Wiesenburgs, ein Flame und ein Wende, aufgemacht, den Schatz zu suchen. Als die Uhr vom Bergfried her die zwölfte Stunde rief, ließen sie sich in den tiefen Brunnenschacht hinab. Das Wasser war fort, und sie fanden auch richtig die Steinplatte, die den Schatz verschloß. Schnell machten sie sich an die Arbeit. Schaurig hallten die Schläge mit der Hacke an den Brunnenwänden wider und tönten zu den grauen Burgmauern hinauf, kamen zurück und ballten sich wieder zu schrecklichem Getöse. Als die Schatzgräber einen Augenblick Atem schöpften und ihre Köpfe von dem mühseligen Werk aufhoben, bot sich ihnen ein fürchterlicher Anblick. Auf dem Rand des Brunnenhäuschens saßen entsetzliche Gespenster mit Hörnern, Kuhfüßen und Schwänzen, die bemüht waren, einen Galgen aufzurichten. Den Männern trat bei diesem Anblick der kalte Schweiß auf die Stirn. Aber ihrem Ziel so nahe, wollten sie die Arbeit nicht aufgeben und begannen aufs neue an der Platte zu zerren, die sich bereits zu heben begann.

Hierdurch lebte ihr Mut wieder auf, ihre Kräfte vermehrten sich, der Stein hob sich schon, als sich vom Brunnenrand eine schreckliche Stimme hören ließ: »Welchen von den beiden Geldgierigen soll ich denn aufhängen?« Die Gemeinten hoben erschrocken die Augen und sahen den Galgen bereits fertig dastehen. »Den Holländer hängt auf! « ertönte es jetzt dumpf zur Antwort. Da war aber auch des soeben Verurteilten Mut zu Ende, und mit dem verzweifelten Ausrufe: »Gnade für mich!« fiel er in die Knie. Damit war aber auch das Werk vereitelt. Ein Donnerschlag ertönte, Galgen und Teufel verschwanden. Die Platte, hinter der Gold und Silber bereits verführerisch geglänzt hatten, sank in ihre alte Lage zurück, und nur die schleunigste Flucht konnte die zwei vor dem Tod des Ertrinkens retten, da der Brunnen bereits anfing, sich schnell wieder mit Wasser zu füllen.

Die alte Hexe Frick

Einst fuhr ein Bauer nach der Mühle von Boitzenburg, um sein Getreide mahlen zu lassen. Abends als er wieder mit seinen schweren Säcken nach Hause fuhr, hörte er plötzlich ein wildes Brausen und lautes Hundegebell. Da kam ihm die Hexe Frick mit ihrem Hundegespann entgegengefahren, und die Hunde spieen helles Feuer aus Maul und Nase, so oft sie bellten. Dem Bauern wurde angst und bange, und er wußte sich Mehl den Hunden zum Fressen gab, nicht anders zu helfen, als daß er sein die auch mit Gier alles bis zum letzten Rest auffraßen. Und der Bauer wußte ganz genau, wenn er das nicht getan hätte, wäre es ihm sehr schlimm ergangen. Als er nun betrübt nach Hause kam und seiner Frau erzählte, wie es ihm ergangen, da meinte diese: »Bist du dein Mehl losgeworden, dann kannst du die leeren Säcke auch gleich mit fortwerfen.« Und der Mann tat, wie ihm die Frau geboten, brachte die Säcke auf den Hof und warf sie zum Kehricht. Als er aber am andern Morgen auf den Hof trat, da sah er zu seinem größten Erstaunen die Mehlsäcke wieder voll gefüllt beieinanderstehen, wie er sie aus der Mühle nach Hause gefahren hatte. Das war zum Dank dafür, daß der Bauer den Hunden der Hexe Frick zu fressen gegeben hatte.

Der Schmied von Jüterborg

Zu Jüterbog lebte einmal ein Schmied, der ein sehr frommer Mann war. Eines Abends, ganz spät, trat ein alter Mann ins Haus, der recht würdig aussah, und bat ihn um ein Nachtquartier. Der Schmied war zu jedermann immer freundlich und gütig; er nahm den Fremden gern auf und bewirtete ihn nach Möglichkeit. Als der Gast am nächsten Morgen weggehen wollte, dankte er seinem Wirt herzlich und sagte, der Schmied solle drei Bitten tun, diese wolle er ihm gewähren. Da bat der Schmied zuerst, daß sein Stuhl hinter dem Ofen, auf dem er abends nach der Arbeit auszuruhen pflege, die Kraft bekomme, jeden ungebetenen Gast so lange festzuhalten, bis ihn der Schmied selbst loslasse; zweitens, daß sein Apfelbaum im Garten die Hinaufsteigenden nicht herablasse; drittens, daß aus seinem Kohlensack keiner herauskomme, den er nicht selbst befreie. Diese drei Bitten gewährte der Fremde und ging darauf fort.

Nicht lange nachher, kam der Tod und wollte den Schmied holen. Dieser aber bat ihn, er möge sich doch ein wenig auf seinem Stuhle ausruhen, da er sicher von der Reise sehr ermüdet sei. Da setzte sich denn der Tod nieder, und als er nachher wieder aufstehen wollte, saß er fest. Nun bat er den Schmied inständig, er möge ihn doch wieder befreien, doch dieser wollte lange nichts davon wissen; endlich verstand er sich dazu unter der Bedingung, daß der Tod ihm noch zehn Jahre schenke. Damit war der Tod zufrieden. Der Schmied löste ihn von seinem Sitz, und der ungebetene Gast entfernte sich.

Als die zehn Jahre um waren, erschien der Tod wieder. Da erklärte ihm der Schmied, er sei bereit mitzugehen, doch solle der Tod erst noch auf den Apfelbaum im Garten steigen und einige Äpfel herunterholen, sie würden ihnen auf der weiten Reise gut schmecken. Das tat der Tod und saß wieder fest. Nun rief der Schmied seine Gesellen herbei, die mit schweren eisernen Stangen gewaltig auf den Tod losschlagen mußten, daß er Ach und Weh schrie und den Schmied flehentlich bat, er möge ihn doch freilassen, er wolle von nun an gern ausbleiben.

Als der Schmied hörte, daß der Tod ihn ewig leben lassen wollte, hieß er die Gesellen einhalten und entließ seinen Besucher von dem Baum. Der Tod zog glieder- und lendenlahm davon und kam nur mit Mühe vorwärts. Da begegnete ihm unterwegs der Teufel, dem er sogleich sein Leid klagte; aber der Satan lachte ihn aus, weil er so dumm gewesen sei, sich von dem Schmied täuschen zu lassen, und meinte, er würde bald mit dem Schmied fertig werden. Darauf wanderte der Teufel in die Stadt, klopfte bei dem Schmied an und bat, er möge ihm Herberge für die Nacht geben. Nun war,s aber schon spät; der Schmied weigerte sich, den Teufel einzulassen, und erklärte, er könne die Haustür nicht mehr öffnen; wenn er jedoch zum Schlüsselloch hereinfahren wolle, so möge er nur kommen. Das war nun dem Teufel ein leichtes, und sogleich huschte er hindurch.

Der Schmied war aber klüger gewesen als der Teufel; er hatte innen seinen Kohlensack vorgehalten, und als nun der Teufel darin saß, band er den Sack schnell zu, warf ihn auf den Amboß und ließ seine Gesellen wacker draufloshämmern. Da flehte der Teufel jämmerlich, sie möchten doch aufhören; aber die Gesellen ließen nicht eher nach, als bis ihnen die Arme von dem Hämmern müde waren und der Schmied ihnen endlich das Ende befahl. Der Schmied ließ den Teufel nun frei; doch mußte er bei dem gleichen Loch wieder hinaus, wo er hereingeschlüpft war.

Fortan trug der Teufel kein Verlangen mehr, noch einen zweiten Besuch beim Schmied von Jüterbog zu machen.

Der Name von Jüterbog

Als die Stadt Jüterbog gebaut worden war, wußte man nicht, welchen Namen man ihr geben sollte und beschloß daher, vors Tor zu gehen und zu warten, bis jemand käme; nach dem wolle man dann die Stadt nennen. So geschah’s auch, und es währte nicht lange, so kam eine Krügersfrau, Jutte mit Namen, die führte einen weißen Bock mit sich; da hat man denn nach ihr und ihrem Begleiter die Stadt Jüterbog genannt, und hat ihr deshalb einen weißen Bock zum Wappen gegeben.

Die goldene Wiege

Zwischen dem Dorfe Wadekath und dem hannöverschen Orte Wittingen liegt unweit des Weges eine goldene Wiege vergraben, die ist bis zum Rande mit Geld angefüllt. Einen Bauer aus Wadekath gelüstete es einst gar zu sehr nach diesem Schatze, da machte er denn ein Bündnis mit dem Teufel, damit der ihm dazu verhülfe. Der Teufel war auch willig und sagte, daß er ihm durch ein Zeichen den Ort angeben wolle, damit er ihn in der Nacht finden könne. So wartete denn der Bauer bis um Mitternacht und ging nun seines Schatzes schon ganz gewiß nach der bestimmten Stelle, allein wie er dahin kam, hatte der Teufel in einem weiten Umkreis Sträuße gesteckt, so daß der Bauer sich vergeblich mit Graben abmühte und nichts fand.

Mehrere Leute aus Wadekath vereinigten sich auch einmal die goldene Wiege zu heben, gingen daher zur Nacht hinaus und machten sich frisch an die Arbeit. Da ging denn auch zuerst alles ganz gut vonstatten; wie sie aber eine Welle gegraben hatten, wards anders, denn der eine hebt so von ungefähr die Augen auf, da sieht er einen schwer beladenen Heuwagen dicht an sich vorüberfahren, den zieht ein kleiner Hahn mit der größten Leichtigkeit, so daß es ihm ganz grausig wurde; kaum ist der Spuk verschwunden, so geht ein Feuer auf und erhellt rings umher den ganzen Himmel, allein sie ließen sich durch das alles noch nicht stören, sondern gruben frisch weiter. Da kamen plötzlich schwarze Männer dahergegangen, die schleppten schwere Balken heran und richteten einen großen Galgen auf. Wie der nun fertig war, stiegen sie herab und wollten den ersten der Gräber greifen um ihn daran aufzuknüpfen, da rief er unwillkürlich, nicht ihn sollten sie aufhängen, sondern seinen Nebenmann, und augenblicklich war alles wie der Wind zerstoben; aber die Wiege haben sie auch nicht gefunden.

Schloß Grunewald

Im Grunewald ist manche Stelle, wo es nicht ganz richtig sein soll; vor allem aber spukt es im Grunewalder Schloß. Waren einmal ein paar Fischer zur Herbstzeit im Schloß und hatten sich, nachdem sie bis spät am Abend gefischt, müde in dem Seitengebäude in einem eine Treppe hoch gelegenen Zimmer zum Schlafen hingelegt. Sorgfältig hatten sie die zwei Türen, sowohl die unten an der Treppe als auch die andere, welche oben vom Treppenflur in das Zimmer führt, zugemacht. Auch die dritte Tür, die nach der angrenzenden Kammer geht, war fest zu, wie sie denn auch keiner ohne die zugehörige Klinke überhaupt öffnen kann.

Als sie nun im tiefen Schlaf lagen, kam es laut und vernehmlich »trott, trott, trott« die hölzerne Treppe herauf, die Stubentür flog auf, und sausend stürzte es durch die Stube. Die Kammertür öffnete sich, und heulend wie ein Sturmwind zog’s in die Kammer hinein. Dann war’s still im Zimmer. Da mit einemmal fuhr es aus dem Schlot und polterte den Ofen hinab. Wieder war dann alles still. Die Männer aber waren gleich anfangs aufgewacht und zitterten und bebten vor Entsetzen, eiskalt fuhr es ihnen durch Mark und Bein, es wagte keiner aufzusehen, sondern alle zogen sich ihre Mäntel übers Gesicht, als es bei ihnen vorbeiging. Als aber das Tosen und Poltern im Ofen vorbei war, fuhren sie auf und im Nu, sie wußten selbst nicht wie, waren sie die Treppe hinunter und stürzten über den Hof in die Kutscherstube; erst da wagten sie aufzuatmen.

Ein anderes Mal passierte ähnliches, als sie in der Kutscherstube selbst schliefen. Da öffnete sich plötzlich die Pferdestalltür und der Kutscher kam zitternd zu ihnen in die Stube. Hinter ihm raste es wie ein Wirbelwind, riß die Flurtür auf und fuhr durch den schmalen Flur nach dem Hof hinaus. Wie sie da ans Fenster eilten, sahen sie mit Schrecken, wie es im Mondschein wild auf dem Hof und an den Wänden der Gemäuer herumjuchte und tobte wie die wilde Jagd und ganz deutlich eine weiße Gestalt da herumstürmte. Derartiges wollen die Leute, die dort verkehren, öfters erlebt haben.

Namentlich soll aber der alte Kellermeister (der auch auf dem Bild am Eingang abgebildet ist) des Nachts um zwölf Uhr noch oft die große Wendeltreppe des Schlosses herabkommen und mit den Schlüsseln klappern. Auch fangen manchmal die alten großen Bratspieße unten in der gewölbten Küche an, sich von selbst zu drehen. Das Leben, das hier früher gewesen zu der alten Kurfürsten Zeiten, erklärte dabei der Erzähler, ist noch nicht vollständig zur Ruhe gekommen, und damals ist auch manches passiert, was jetzt nicht mehr vorkommt. So soll in einem Zimmer des südlichen Flügels einmal jemand eingemauert worden sein. Einige meinen, es sei die schöne Gießerin Anna Sydow gewesen, welche Kurfürst Joachim liebgehabt und deren Geist nun noch spuke; andere behaupten, es sei eine Hofdame, welche er geliebt und die seine Gemahlin während seiner Abwesenheit lebendig da hat einmauern lassen. Wunderlich sieht die Stelle allerdings aus, zumal eine kleine Wendeltreppe im oberen Stock sich gerade an sie anschließt und früher von dort auch nach unten geführt zu haben scheint; wer weiß aber, ob da überhaupt etwas eingemauert war und die Treppe nicht einfach abgebrochen und die Stelle zugemauert wurde?

Der Name von Pritzwalk

Vor alters war da, wo jetzt die Stadt Pritzwalk liegt, ein großer Wald, bis endlich einmal mehrere Handwerker und Landleute, zur Zeit, als in hiesiger Gegend noch Wenden wohnten, Lust bekamen, sich hier niederzulassen. Wie sie nun den Anfang damit machen wollten, die Bäume auszuroden, da fanden sie einen Wolf unter einer Linde liegen, den schrien sie an.»Priz wolk« oder »Priz fouk! « das heißt zu deutsch: »Fort, Wolf! « Und wie sie nun bald darauf die Stadt an diesem Ort erbauten, da nannten sie diese Prizwalk, und den Namen hat sie bis heute behalten. Zum Andenken hat man auch einen Wolf, der unter einer Linde fortflieht, ins Stadtwappen gesetzt.

Wie Ferch entstand

Zur Zeit, als es noch Ritter im Land gab, lebte in einem Waldhaus am Schwielowsee eine Fee. Eines Tages durchstreifte ein fremder Ritter die Wälder um den Schwielowsee. Er verirrte sich. Die Nacht brach herein, ohne daß er auf den rechten Weg gekommen war. Da schimmerte durch die Baumstämme ein schwacher Lichtschein, auf den er zuging. Bald stand er vor dem Waldhaus. Auf sein Klopfen ließ ihn die freundliche Fee eintreten. Sie fand Wohlgefallen an dem schmucken Edelmann und bezauberte ihn deshalb, so daß er Pflichten und Heimat vergaß. Lange mochte er so bei der Fee geblieben sein. Da läuteten eines Tages irgendwo Kirchenglocken; denn deutlich wurde ihr Schall über den Schwielowsee getragen. Nun packte den Ritter tiefe Reue. Sofort wollte er das Waldhaus verlassen. Doch die schöne Fee hielt ihn noch einen Tag zurück. Sie wußte nicht den wahren Grund für des Ritters Verhalten und meinte, es wäre ihm nur zu einsam im Wald. Darum nahm sie ihn am nächsten Morgen bei der Hand und führte ihn auf einen Berg am Schwielowsee. Und siehe! Da, wo sonst Wälder sich ausbreiteten, lag plötzlich eine von der Fee über Nacht hervorgezauberte Ortschaft, die der Ritter vorher noch nie gesehen hatte. Dieser Ort war Ferch.

Die Sage meldet nicht, was nun geschah. Doch das ist unbestritten bis auf den heutigen Tag Wahrheit geblieben: Ferch macht noch immer auf jeden Wanderer den Eindruck, als könnte es nur von den Zauberhänden einer gütigen Fee und nicht von Menschenhand geschaffen worden sein.

Der Name von Köpenick

Vor langen Zeiten war einmal ein alter Fischer, der in der Nähe von Köpenick seinem Gewerbe nachging und namentlich am Müggelsee seine Netze auszuwerfen pflegte. Da geschah es einst, daß er auch dort war und ein großer Krebs vom See ans Ufer geschwommen kam, ihn anredete und sagte, er wolle ihm viel Glück bringen und ihn zum reichen Mann machen, wenn er ihn aus dem Wasser nähme und nach dem ersten Ort jenseits der Spree brächte. Darauf nahm der Fischer den Krebs und ging mit ihm nach Köpenick zu, wo er uneingedenk dessen, was derselbe gesagt, ihn auf den Markt brachte, um ihn zu verkaufen. Da das Tier so groß war, fand sich auch bald ein Käufer; aber da begann der Krebs auf einmal zu rufen: »Kööp nich! Kööp nich!« Nun gedachte der Fischer wieder der Bedingung, nahm seinen Krebs und ging weiter. Darauf setzte er über die Spree und kam nach Stralau, wo er den Krebs um vieles Geld verkaufte. Zum Andenken aber an die Worte, die der Krebs dort vor allen Leuten auf dem Markt gesprochen, wurde die Stadt Köpenick genannt, und die Stralauer zeigen noch alljährlich am Tag des großen Fischzugs, am 24. August, den großen Krebs, der von Köpenick dahin gebracht wurde.

Die Ruppiner Kobolde

Als die Stadt Neu-Ruppin am Ende des vorigen Jahrhunderts abbrannte und schon die Kirche in Flammen stand, sah man hoch oben auf dem Turme einen kleinen roten Kobold, der bald hier bald da aus den Luken herausschaute, und die unten stehenden Leute, denn der Kirchhof war ganz mit Menschen angefüllt, auslachte. Wie er aber hinaufgekommen, wußte sich niemand zu erklären, denn die Türen der Kirche und des Turms waren alle fest verschlossen.

Ein anderer Kobold hält sich am Ufer des Sees auf, und oft hören die Fischer abends jemanden mit lauter Stimme rufen: »Hol ööwer!« Fahren sie dann nach der andern Seite des Sees hinüber, so ist niemand da, und sie erkennen zu spät, daß der Kobold sie gefoppt, dessen lautes Hohngelächter auch alsbald aus dem Dickicht des Rohrs erschallt.

Pumphuts Tod

So gut es Pumphut in seinem Leben gegangen ist, weil er furchtbar stark war und vieles wußte, so schrecklich ist doch sein Tod gewesen. Einst wanderte er mit einem Müllergesellen durch das Land. Als sie an einem großen Baum vorüberkamen, schoß von diesem eine große, mächtige Schlange herab, gerade auf Pumphut zu. Da half kein Wehren. Grausig ist es anzusehen gewesen, wie Pumphut mit der Schlange gerungen hat. Der Schlange ist ein Kopf nach dem andern aus dem Hals herausgewachsen, bis es an die hundert waren. Pumphut ist schließlich von der Schlange lebendig verzehrt worden.

Der unfehlbare Schuß im Prenzlauer Stadtwald

Im großen Prenzlauer Stadtwald war einmal ein Jägersbursche bedienstet, der auch das entfernteste Ziel nie verfehlte. Einst traf er im Wald den Prenzlauer Pfarrherrn, und sie gingen eine Weile mitsammen weiter. Im Gespräch fragte der Pfarrer den Jägersburschen, ob er denn wohl auch ein sicherer Schütze sei.

»Wie ich schieße, will ich Ihnen gleich zeigen«, antwortete der Bursche. »Sehen Sie dort den Raben fliegen?«

Der Pfarrer bejahte, bemerkte aber zum Jäger, daß es doch schier unmöglich sei, aus solcher Entfernung einen Vogel zu treffen. Der Jägerbursche lächelte, murmelte ein paar Worte in fremder Sprache und riß das Gewehr an die Backe. Der Schuß krachte, und der Rabe fiel wie ein Stein zur Erde. Stolz auf sein Werk wandte sich der junge Forstmann wieder zu dem Pastor, gewahrte aber, daß dieser sehr ernst, fast verstört aussah.

»Nun,« fragte er heiter, »gefiel Ihnen der Schuß?«

»Der Schuß war gut,« gab der Pfarrer zur Antwort, »aber, mein Sohn, ist dir auch die Bedeutung des Spruches bekannt, den du gebraucht hast?«

»Nein,« sagte der Forstgehilfe, »was er bedeutet, weiß ich nicht. Ich habe ihn von einem alten Jäger gehört, der ihn wohl selbst nicht verstand.«

»So höre,« erwiderte der Pfarrherr ernst, »ich werde dir den arabischen Spruch verdeutschen, er lautet:

Teufel, komm, halt mir das Tier;

Ich gebe dir Leib und Seele dafür.«

Als der Jägersbursche das hörte, wurde er leichenblaß. »Bei Gott,« rief er, »das habe ich nicht gewußt.« Dann nahm er seine Flinte und zerschlug sie am nächsten Baum. Er hat nie wieder einen Schuß abgegeben.

Die drei Linden auf dem Heiligen-Geist-Kirchhof

Auf dem Kirchhof des früheren Hospitals zum Heiligen Geist (zwischen Heiligengeistgasse und Spandauer Straße) haben vor vielen Jahren drei gewaltig große Linden gestanden, die mit ihren Ästen den ganzen Raum weithin überdeckten.

Das Wunderbarste an diesen Bäumen war, daß sie angeblich mit den Kronen in die Erde gepflanzt waren und dennoch ein so herrliches Wachstum erreicht hatten.

»Aber dieses Wunder«, heißt es in einem alten Bericht, »hatte auch die göttliche Allmacht gewirkt, um einen Unschuldigen vom Tod zu erretten. Vor vielen, vielen Jahren lebten nämlich in Berlin drei Brüder, die mit der herzlichsten Liebe einander zugetan waren und mit Leib und Leben füreinander einstanden. So lebten sie glücklich und zufrieden, als dies Glück plötzlich durch einen Vorfall gestört wurde, den wohl keiner hätte ahnen können. Denn so unbescholtenen Wandels auch alle drei bisher gewesen waren, wurde doch der eine von ihnen plötzlich des Meuchelmordes angeklagt und sollte, obgleich er noch kein Geständnis getan, den Tod erleiden, da alle Umstände die ihm zur Last gelegte Tat wahrscheinlich machten. Noch saß er im Gefängnis, als eines Tages seine beiden Brüder vor dem Richter erschienen und jeder von ihnen sich des begangenen Mordes schuldig erklärte. Kaum hatte dies der zum Tod Verurteilte vernommen, als auch er, indem er erkannte, daß seine Brüder ihn nur retten wollten, der Tat geständig wurde, und so auf einmal statt eines Täters drei vor Gericht standen, von denen jeder mit gleichem Eifer behauptete, daß er allein jenen Mord begangen.

Da wagte der Richter nicht den Urteilsspruch an dem ersten zu vollstrecken, sondern legte den Fall zuvor noch einmal dem Kurfürsten vor, welcher verordnete, daß hier ein Gottesurteil entscheiden solle. Er befahl daher, ein jeder der drei Brüder solle eine junge, gesunde Linde mit der Krone in das Erdreich pflanzen, so daß die Wurzeln nach oben stünden; wessen Baum dann vertrocknen würde, den hätte Gott selbst dadurch als den Täter bezeichnet.

Dies Urteil sollte dann sogleich beim Anbruch des Frühlings vollzogen werden, aber siehe da! nur wenige Wochen vergingen, und alle drei Bäume, die man auf dem Heiligen-Geist-Kirchhof gepflanzt hatte, bekamen frische Triebe und wuchsen bald zu kräftigen Bäumen heran. So wurde denn die Unschuld der drei Brüder erwiesen, und die Bäume haben noch lange in üppiger Kraft an der alten Stelle gestanden, bis sie endlich verdorrt sind und anderen Platz gemacht haben.«

Die Erbauung des Klosters Lehnin

Der Markgraf Otto I. von Brandenburg jagte einst in Gesellschaft seiner Edelleute in der Gegend, wo jetzt das Kloster Lehnin steht. Von der Jagd ermüdet, legte er sich unter eine Eiche, um auszuruhen. Hier schlief er ein und träumte, daß ein Hirsch auf ihn eindrang und mit dem Geweih ihn aufspießen wollte; er wehrte sich tapfer mit seinem Jagdspieß gegen diesen Feind, konnte ihm aber nichts anhaben, vielmehr drang der Hirsch immer hitziger gegen ihn an. In dieser Gefahr rief der Markgraf Gott um Beistand an, und kaum war das geschehen, da verschwand der Hirsch und er erwachte. Er erzählte hierauf seinen Begleitern diesen Traum, und da er schon längst den Vorsatz gefaßt hatte, aus Dankbarkeit gegen die Vorsehung, die ihn bisher in Gefahren gnädig beschützt hatte, und um sich der göttlichen Gnade noch mehr zu versichern, ein Kloster zu stiften, auch seine Begleiter den Traum so auslegten, daß sie meinten, der Hirsch, der erst bei Anrufung des göttlichen Namens von ihm gewichen, sei niemand als der Teufel selber gewesen, rief er aus: »An diesem Ort will ich eine Feste bauen, aus welcher die höllischen Feinde durch die Stimmen heiliger Männer vertrieben werden sollen, und in welcher ich den jüngsten Tag ruhig erwarten will!« Darauf legte er auch sogleich Hand ans Werk, ließ aus dem Kloster Sittchenbach (oder Sevekenbecke) im Mansfeldischen Zisterzienser-Mönche kommen und baute das Kloster, das er wegen der noch dem Christentum sehr abgeneigten slawischen Umwohner mit Befestigungen versah, von denen noch Spuren vorhanden sind. Weil aber ein Hirsch den Anlaß zur Erbauung des Klosters gegeben hatte, und dieser in der alten slawischen Sprache den Namen Lanie führte, so nannte er es Lehnin. In der Kirche zeigt man noch bis auf den heutigen Tag den Stumpf der Eiche, unter welcher der Markgraf den Traum gehabt, und hat ihn zum ewigen Andenken an den Stufen vor dem Altar eingemauert.

Der Schlüssel im Grabe

In der Gegend von Magdeburg, andere sagen auch in der Mark, ist vor mehreren Jahren ein Bischof oder Graf gestorben, der ist ein gar reicher Mann gewesen; da er nun aber an seinen Schätzen sehr gehangen, so hat er sie verborgen und auch der Schlüssel zu dem Kasten ist verschwunden; man sagt, der liegt bei ihm in dem Grabgewölbe und die Erben könnten ihn nur erlangen, wenn sich einer finde, der neun Nächte hintereinander bei dem Sarge wache, dann werde der Tote erlöst sein und den verschwundenen Schlüssel herausgeben. Aber das ist ein gar schweres Ding, denn der Verstorbene erscheint oft als ein ungestaltes Gespenst, das halb tierische, halb menschliche Gestalt hat, dann wieder oben als ein großer Hund, unten als ein Pferd sich zeigt und dem ähnliche Gestalten annimmt. Deshalb haben alle, die ihn zu erlösen versuchten, wieder von ihrem Unternehmen abstehen müssen, da sie zuletzt die Furcht übermannte, und keiner hat es bis jetzt über vier Nächte ausgehalten; weshalb auch die Erben dem, welcher ihn wirklich erlösen wird, für jede Nacht, da er wacht, tausend Taler geboten haben.

Das gefangene Lüchtemännchen im Havelland

Einst wollte ein Hirt abends seine Herde von der Weide heimtreiben. Als er nahe bei seinem Dorfe Ferchesar im Westhavellande war, bemerkte er, daß ihm eine Kuh fehle. Sofort kehrte er um und suchte, konnte sie aber nicht finden. Ermüdet setzte er sich auf einen Baumstumpf und zündete seine Pfeife an. Da schwirrte plötzlich eine Schar von Lüchtemännchen (Irrlichtern) heran und umringte ihn von allen Seiten. Anfangs sah er ihnen ruhig zu; als sie ihn aber gar zu dicht umschwärmten, fürchtete er, sie würden ihm das Haar versengen, und schlug mit seinem Stock um sich. Aber je heftiger er dareinhaute, desto ärger trieben sie es. Als er sich ihrer gar nicht mehr erwehren konnte, griff er mit der Hand in den Schwarm und haschte eins von den Lichtlein.

In demselben Augenblick war die ganze leuchtende Schar verschwunden, und der Hirt hatte kein Lüchtemännchen, sondern einen Knochen in der Hand, den er mit nach Hause nahm. Andern Tags fand er auf der Weide die verirrte Kuh wieder. Als er aber abends heimkehrte, war die ganze Dorfstraße voll von Lüchtemännchen, die ihn umringten wie am Tag vorher. Aber es waren ihrer noch viel mehr, und sie riefen ihm zu: »Gib uns unsern Kameraden wieder, sonst stecken wir dir dein Haus in Brand.«

Vergebens beteuerte der Hirt, er habe nur einen Knochen mitgenommen; sie drohten ihm noch ärger. Da eilte der Hirt ins Haus und hielt den Knochen auf der flachen Hand zum Fenster hinaus. Mit einemmal war es wieder ein Lüchtemännchen, das sich, von den andern umringt, ins Freie schwang, und bald war die ganze Schar hüpfend und springend zum Dorfe hinaus.

Der Hirt aber hat von dieser Zeit an keine Hand mehr gegen ein Lüchtemännchen gehoben, so viele er ihrer auch fernerhin antraf.

Die großen Steine bei Groß-Ballerstedt

Zwischen den Dörfern Groß-Ballerstedt und Grävenitz, südwestlich von Osterburg, liegen zwei gewaltige, sogenannte Hünenbetten, die aus großen Steinblöcken bestehen, die in einem Viereck gesetzt sind, in der Mitte aber liegen die größsten derselben, und zwar in dem wenige Minuten von Grävenitz in den Fichten gelegenen sechs solcher, die auf untergelegten kleineren ruhen. Um diese her sind sechzig bis siebzig in beschriebener Gestalt aufrecht aufgestellt. Diese Steine, sagt man, haben die Riesen vor alten Zeiten mit Schleudern (Slapslingers) von Schorstedt nach Grävenitz geworfen; andere erzählen, daß dort der Riesenkönig begraben liege, weshalb die Stelle auch noch »upt Graft« heißt.

Das zweite dieser Gräber liegt auf dem halben Wege zwischen Grävenitz und Groß-Ballerstedt auf einer Anhöhe mitten im Felde; ein drittes lag noch vor wenigen Jahren dicht bei Ballerstedt, ist aber jetzt zerstört, indem man die Steine zum Bau von Häusern verwandt hat. Unter diesen Steinen sollen die in der Schlacht zwischen den Markgrafen Albert und Huder erschlagenen Wenden begraben liegen. Nachdem nämlich dem letzteren die Altmark von Kaiser Heinrich genommen und dem Markgrafen Albert verliehen war, erhob sich zwischen beiden ein blutiger Krieg, in welchem Huder dreimal geschlagen wurde, zuerst südlich von Stendal bei Darnstedt, wo noch ein Steinblock mit der Spur eines Pferdehufs gezeigt wird, von dem man Ähnliches, wie von dem Steine bei Salzwedel, erzählt, dann bei Ballerstedt, und endlich bei Osterburg an dem Wasser, die Klia genannt, wo die Schlacht so blutig war, daß die Äcker noch vor dreihundert Jahren gerötet waren, und der Name der Klia in den der roten Furt umgewandelt wurde.

Die Bauern erzählen noch von allerhand Gespenstern und seltsamem Geschrei, so man hier sowohl bei Tage als bei Nacht siehet und höret, und früher wagte auch niemand, irgend einen der Steine zu verrücken oder von der Stelle zu nehmen. Ein Müller aus der Nähe unterfing sich einmal, einen derselben fortzunehmen, spaltete ihn und fertigte einen Mühlstein daraus, aber er hat kein Getreide damit mahlen können, sondern es ist wie zerquetscht darunter liegen geblieben.

Feuer bannen

Unter den Bürgermeistern, welche die Stadt Stendal bisher hatte, ist es öfter vorgekommen, daß, wenn eine Feuersbrunst ausbrach, gewöhnlich gleich mehrere Häuser vom Feuer zerstört wurden, aber seitdem der jetzige Bürgermeister das Regiment führt, ist in diesem Falle höchstens ein Haus vernichtet worden. Das ist aber so gekommen: Als nämlich auch einmal eben eine Feuersbrunst ausbrach, kam ein kleines Männchen zu ihm, brachte ihm einen Schimmel und sagte, auf dem solle er um das Feuer reiten, da werde es sogleich stille stehn. Das hat er denn auch getan, und augenblicklich war dem Feuer Einhalt getan. So hat er es jedesmal, sobald irgendwo ein Feuer aufschlug, wiederholt, und nie ist mehr als ein Haus von demselben verzehrt worden. Aber der Schimmel ist alt geworden und endlich gestorben; da war nun der Bürgermeister in großer Not, denn er sah augenscheinlich, als wieder ein Feuer ausbrach, daß es weiter und weiter um sich griff; doch faßte er sich endlich und lief nun um das Feuer herum, wie er früher herum geritten war, und siehe da! das hatte dieselbe Wirkung; das Feuer stand still. Das tut er nun jedesmal, und nie brennt mehr als ein Haus ab.

Der Schmied zu Jüterbog

Zu Jüterbog lebte einmal ein Schmied, der war ein sehr frommer Mann und trug einen schwarz und weißen Rock; zu ihm kam eines Abends noch ganz spät ein Mann, der gar heilig aussah, und bat ihn um eine Herberge; nun war der Schmied immer freundlich und liebreich zu jedermann, nahm daher den Fremden auch gern und willig auf und bewirtete ihn nach Kräften. Andern Morgens, als der Gast von dannen ziehen wollte, dankte er seinem Wirt herzlich und sagte ihm, er solle drei Bitten tun, die wolle er ihm gewähren. Da bat der Schmied erstlich, daß sein Stuhl hinter dem Ofen, auf dem er abends nach der Arbeit auszuruhen pflegte, die Kraft bekäme, jeden ungebetenen Gast solange auf sich festzuhalten, bis ihn der Schmied selbst loslasse; zweitens, daß sein Apfelbaum im Garten die Hinaufsteigenden gleicherweise nicht herablasse; drittens, daß aus seinem Kohlensack keiner herauskäme, den er nicht selbst befreite. Diese drei Bitten gewährte auch der fremde Mann und ging darauf von dannen. Nicht lange währte das nun, so kam der Tod, wollte den Schmied holen; der aber bat ihn, er möge doch, da er sicher von der Reise zu ihm ermüdet sei, sich noch ein wenig auf seinem Stuhl erholen; da setzte sich denn der Tod auch nieder, und als er nachher wieder aufstehen wollte, saß er fest. Nun bat er den Schmied, er möge ihn doch wieder befreien, allein der wollte es zuerst nicht gewähren; nachher verstand er sich dazu unter der Bedingung, daß er ihm noch zehn Jahre schenke; das war der Tod gern zufrieden, der Schmied löste ihn, und nun ging er davon. Wie nun die zehn Jahre um waren, kam der Tod wieder, da sagte ihm der Schmied, er solle doch erst auf den Apfelbaum im Garten steigen, einige Äpfel herunterzuholen, sie würden ihnen wohl auf der weiten Reise schmecken; das tat der Tod, und nun saß er wieder fest. Jetzt rief der Schmied seine Gesellen herbei, die mußten mit schweren eisernen Stangen gewaltig auf den Tod losschlagen, daß er ach und wehe schrie und den Schmied flehentlich bat, er möge ihn doch nur frei lassen, er wolle ja gern nie wieder zu ihm kommen. Wie nun der Schmied hörte, daß der Tod ihn ewig leben lassen wolle, hieß er die Gesellen einhalten und entließ jenen von dem Baum. Der zog glieder- und lendenlahm davon und konnte nur mit Mühe vorwärts; da begegnete ihm unterwegs der Teufel, dem er sogleich sein Herzleid klagte; aber der lachte ihn nur aus, daß er so dumm gewesen, sich von dem Schmied täuschen zu lassen und meinte, er wolle schon bald mit ihm fertig werden. Darauf ging er in die Stadt und bat den Schmied um ein Nachtlager; nun war’s aber schon spät in der Nacht und der Schmied verweigerte es ihm, sagte wenigstens, er könne die Haustür nicht mehr öffnen, wenn er jedoch zum Schlüsselloch hineinfahren wolle, so möge er nur kommen. Das war nun dem Teufel ein leichtes und sogleich huschte er durch, der Schmied war aber klüger als er, hielt innen seinen Kohlensack vor, und wie nun der Teufel darinsaß, band er ihn schnell zu, warf den Sack auf den Amboß und ließ seine Gesellen wacker drauflosschmieden. Da flehte der Teufel zwar gar jämmerlich und erbärmlich, sie möchten doch aufhören, aber sie ließen nicht eher nach, bis ihnen die Arme von dem Hämmern müde waren und der Schmied ihnen befahl aufzuhören. So war des Teufels Keckheit und Vorwitz gestraft und der Schmied ließ ihn nun frei, doch mußte er zu demselben Loch wieder hinaus, wo er hineingeschlüpft war und wird wohl kein Verlangen mehr nach einem zweiten Besuch beim Schmied getragen haben.

Die Hexe im Teufelssee

An den Hintergebäuden der Försterei Tornow vorbei führt ein Fußpfad hinab in eine von Kieferngehölz bestandene Schlucht, an deren einem Ende der kleine, dichtumschattete und fast kreisrunde Teufelssee liegt. Diese See, heißt es, habe seinen Namen daher erhalten, daß man einst versucht habe, den Teufel darin weiß zu waschen.

Aber auch noch eine andere Sage ist von ihm im Volk bekannt.

Einst trieb hier, so erzählt man sich in Zermützel, einem in der Nähe gelegenen Dorf, Frau Klöckner aus Binenwalde, eine arge Hexe, ihr Wesen. Schon oft war sie, wenn ein . er dort angelte, blutrot aus dem Wasser emporgestiegen und hatte den einsamen Angler am Land getötet oder auch wohl mit sich in das kühle Wasser hinabgezogen. Vergebens suchte man diesem Treiben ein Ende zu machen. Da kam man denn auf den Gedanken, sie zu erschießen; aber sooft man es auch versuchte, keine Kugel wollte treffen; ja der leichtsinnige Schütze konnte von Glück sagen, wenn er selbst bei dem Wagstück mit heller Haut davonkam, da die Kugel jedesmal zurückprallte. Da meinte denn einer, der in solchen Dingen Bescheid wußte, man solle nur eine silberne Kugel in das Gewehr laden, dann würde man sie schon treffen, denn eine Hexe könne nur mit Silber erschossen werden. Aber man befolgte den Rat nicht, da man fürchtete, die Sache könne zu teuer zu stehen kommen, wenn sie öfter fehlschlüge. Schließlich gelang es eines schönen Tages, die Hexe mit einem Milchbrot in eine Flasche zu locken und diese fest zu verkorken. Darauf machte man sich denn mit der Flasche nach Rheinsberg auf den Weg. Aber unterwegs ging die Flasche durch irgendeinen Zufall auf, und die Hexe entkam nach dem Hacht, einer dicken Schonung in der Nähe von Rheinsberg, und dort soll sie noch heute ihr Wesen treiben.

Die Stadt im Plagesee

Vor langen Jahren ging einmal ein Bauer aus Brodowin nach Oderberg. E war schon stockfinstere Nacht, und so kam er vom Weg ab und geriet in die Teufelsberge. Plötzlich gewahrte er eine Gestalt, die ihn mit unsichtbarer Hand immer weiter und weiter, bergauf und bergab führt. Auf einmal war er in einer großen schönen Stadt, die er zuvor noch nie gesehen. Und wie er sich an all der Pracht sattgesehen, wird er wieder hinausgeführt. Da sieht er sich verwundert um, und beim Schein des Mondes, der indes aufgegangen, erkennt er, daß er dicht vor dem großen Plagesee steht. Und nun hat er wohl erraten, wo er gewesen ist, in der untergegangenen Stadt im Plagesee.

Spuk in Tegel

Tegel ist ein ehemaliges Jagdhaus des Großen Kurfürsten, das zum Unterschied vom nahe gelegenen Dorf gleichen Namens Schloß Tegel heißt. Hier war ein Poltergeist zu Hause, der Tag und Nacht lärmte und den Bewohnern keine Ruhe ließ.

Zunächst war der Geist nur durch sein Lärmen lästig, schließlich aber fing er an, die Leute mit Steinen zu bewerfen. Da diese glühend heiß waren, vermutete man, daß das Gespenst seine Wurfgeschosse direkt aus der Hölle beziehe. Manchmal knallte der Geist mit Peitschen in den Räumen des Schlosses; auch mit den Eßwaren trieb er Schindluder und machte sie häufig ungenießbar, mit dem Feuer aber ging er ganz gefährlich um. Hie und da konnte man ihn sehen. Bald zeigte er sich als kleines Männchen, dann war er wieder riesengroß, einmal sah er wie ein schwarzer Kobold aus, dann wieder wie ein weißgrauer Dunst. In ganz Berlin kannte man ihn, in allen Kreisen der Gesellschaft sprach man von diesem unheimlichen Spuk. Alle Versuche, ihn zu vertreiben, blieben lange Zeit erfolglos. Endlich verschwand er und zeigte sich nicht mehr.

Goethe erinnert im Faust spöttelnd an diesen Spuk:

Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel,
Wir sind so klug, und dennoch spukt’s in Tegel.

Abenteuer der Kurrende-Knaben in der Kirche zu Spandau

Die Spandauer Kirche war früher katholisch, und die Kurrende-Knaben mußten die Kirche reinigen. Diese waren auch einst damit beschäftigt und in ihrem Übermut spielten sie Karten. Da kam auf einmal einer an sie heran – es war der Böse – und wollte mitspielen. Ruhig gestatteten sie es auch. Als er aber eine Karte nach der andern fallen ließ, merkten sie wohl, daß es der Böse wäre, spielten aber doch weiter, und einer, der viel verlor, meinte sogar, ihn solle der Teufel holen, wenn er noch weiter verlöre. Er spielte weiter und verlor wieder. Da sprang der Böse auf, riß ihn zu sich, zog ihn mit in die Höhe, die Mauer tat sich auf und beide verschwanden. Und der Riß in der Mauer ist noch bis auf den heutigen Tag zu sehen und kann nicht übertüncht werden.

Auch ein anderes Mal soll durch den Übermut eines Kurrende-Knaben etwas Merkwürdiges dort passiert sein. Bis vor hundert Jahren waren nämlich in der Kirche noch mächtige dicke Bücher, die an Ketten lagen. Darunter sollen auch das VI. und VII. Buch Mose gewesen sein, welche wir jetzt nicht mehr haben, in denen aber, wie man allgemein erzählt, alle die alten Zaubergeschichten enthalten sind. Wie nun wieder einmal die Kurrende in der Kirche reinmacht, kommen sie an diese Bücher, und vorwitzig, wie die Knaben sind, werden sie sich an dieselben machen und sehen, was darin steht. Kaum aber haben sie selbige aufgeschlagen und fangen an zu lesen, da wird auch die ganze Kirche von unten bis oben voll von allerhand Geistern. Natürlich überfiel sie eine furchtbare Angst, und es war noch ein Glück, daß der Prediger hinzukam, der fing an, das Buch rückwärts zu lesen – da verschwand der Spuk.

Ähnliches erzählt man auch in Bernau. Da fand einmal ein Knecht angeblich das VI. und VII. Buch Mose, welche der Gutsherr hatte offen liegen lassen. Wie der anfing zu lesen, da füllte sich, heißt es, das ganze Gehöft mit Ratten, und als er weiter las, mit Raben, die kamen von allen Seiten herbeigeflogen, dann kamen lauter schwarze Männer und anderer Spuk. Zum Glück kam auch hier der Gutsherr hinzu und bannte alles, indem er rückwärts anfing zu lesen.

Die wahre Bibel, sagt man dort, liegt in Leipzig, die wird nie losgemacht. Nur Napoleon I. hat sie sich losmachen lassen, aber ist damit auch nicht weiter gegangen als bis vor den Altar und hat dort darin gelesen. Da hat er denn gesehen, wie alles kommen würde in Rußland, welche Generale ihm untreu werden würden usw. Nichtsdestoweniger hat er den Zug nach Rußland freilich doch unternommen.

Der unsichtbare Bauer

Nur in der Johannisnacht, in der Stunde zwischen elf und zwölf Uhr, blüht das Kraut Reenefarre (Rainfarren), und wer diese Blüte bei sich trägt, der wird dadurch den übrigen Menschen unsichtbar. So ging es auch einmal einem Bauern in der Gegend von Brodowin; der fuhr nämlich gerade zu dieser Zeit mit seiner Frau nach der Stadt, um Bier zu holen, und stieg, da die Pferde im Sand nur langsam gehen konnte, vom Wagen, um ein Weilchen nebenher zu gehen. Auf einmal bemerkte seine Frau, daß er verschwunden ist, aber gleichwohl sieht sie, daß die Zügel wie vorher gehalten werden; sie ruft daher, und er antwortet ganz verwundert, ob sie ihn denn nicht sehe, er sei ja dicht neben ihr am Wagen. Aber sie sah ihn nicht, und dabei war’s doch, da ja Johannisnacht war, so helle, daß man hätte eine Stecknadel finden können. So ging’s fort bis nach der Stadt, sie sprach mehrmals mit ihm, er antwortete auch, aber blieb immer noch unsichtbar. Als sie nun nach der Stadt kamen, hörte der Wirt und alles Hausgesinde wohl den Bauern reden, aber sie sahen ihn nicht, so daß dem Bauern ganz angst wurde, weil er nicht wußte, was er daraus machen solle. Da sagte ihm der Wirt, der ein kluger Mann war, er solle doch einmal die Schuhe ausziehen; das tat er auch, und augenblicklich war er wieder sichtbar, aber nun war an seiner Stelle der Wirt verschwunden. Nach einer kleinen Weile kam auch dieser wieder zum Vorschein und brachte dem Bauern seine Schuhe, und nun waren beide wieder sichtbar wie zuvor. Das war, wie der Wirt in späterer Zeit einmal erzählt hat, daher gekommen, daß der Bauer während des Gehens mit seinen Füßen die Blüten vom Rainfarren abgestreift hatte und diese ihm in die Schuhe gefallen waren; daher hatte ihm der Wirt geraten, er solle sie ausziehen, und hatte in seiner Kammer die Blüten herausgeschüttet, die er darauf zu seinem eigenen Nutzen, da ja der Bauer nichts davon wußte, aufbewahrt hat.

Wie Brodowin seinen Namen erhielt

Als das Kloster Chorin noch von Mönchen bewohnt war, mußten viele Dörfer dahin bestimmte Abgaben leisten, aus denen die Brüder ihre Bedürfnisse bestritten. So mußte namentlich Brodowin alljährlich Brot und Wein nach Chorin liefern, und davon hat es seinen Namen Brodowin erhalten.

Die Teufelsmühle bei Neu-Brandenburg

Unweit Neu-Brandenburg lagen vor alters nicht weit voneinander in einem großen, finsteren Laubwald zwei Wassermühlen. Die eine davon hieß die Teufelsmühle, weil der leibhaftige Teufel darin wohnte. Dieser hatte mit dem Besitzer der andern Mühle einen Pakt abgeschlossen, wonach der Müller dem Teufel an jedem ersten Ta im Monat eine Seele abliefern mußte. Der Müller erfüllte seinen Vertrag pünktlich. Bald aber war er in den allerärgsten Verruf geraten, denn alle seine Gesellen waren regelmäßig nach kurzer Zeit immer wieder spurlos verschwunden. Eines Tages kam ein Müllerbursch aus dem Schwabenlande zu ihm gewandert. Er hatte keinen Heller mehr im Beutel und war ganz abgerissen, deshalb suchte er um jeden Preis Arbeit. Der Müller nahm ihn auch sofort auf und gab ihm bekannt, daß er am Ersten jedes Monats eine Fuhre Sägespäne zu fahren habe. Der Geselle erklärte sich bereit, diese Arbeit zu übernehmen, und fuhr am andern Tag, der gerade der Monatserste war, mit seiner Ladung zur Teufelsmühle hinab. Als er dort angekommen war, trat ein Herr in weitem Mantel vor das Haus und befahl ihm, die Sägespäne in eine tiefe Grube zu werfen, die im Hof ausgehoben war. In diese Grube hatte der Teufel früher stets unversehens die Gesellen hineingestürzt, wenn sie sich zum Abladen arglos dem Rand der Grube genähert hatten.

Der Müllergeselle, der schon vieles von der Mühle und ihrem Bewohner gehört hatte, weigerte sich, die Fuhre abzuladen, weil er dazu nicht gedungen sei. Wohl oder übel mußte sich jetzt der Teufel selbst an die Arbeit machen. Kaum bückte er sich jedoch über das tiefe Loch, um einen Armvoll Sägespäne hinunterzuwerfen, als der schlaue Schwabe ihn fix beim Schopf faßte und kopfüber hinabwarf. Gleich darauf stieg aus der Grube ein greulicher Schwefeldampf empor, und mit donnerndem Geprassel brachen die Mühle und alle Gebäude des Gehöfts zusammen; von dem Teufelssitz blieb nichts übrig. Eine Rauchsäule erhob sich über den Trümmern und senkte sich dann in die Grube, in die der Teufel gestürzt war. Der mutige Müllergeselle zog leichten Herzens mit seinem Gespann von dannen, der Teufel aber war von da an um seine Beute geprellt.

Der Trümmelmann des Alten Fritz

Der Alte Fritz hatte einen Trümmelmann (Trommler), den er sehr hochschätzte; denn solange dieser die Trommel rührte, war,s eine Lust im Feld zu stehn. Zuletzt freilich nützten dem König auch seine Siege nichts mehr, denn das Geld ging ihm aus; er trug schon löcherige Stiefel, in die das Wasser hineinlief, und stieg deshalb lieber nicht mehr vom Pferde.

Eines Tages ließ der König den Trümmelmann zu sich rufen und sprach zu ihm: »Trümmelmann, du mußt mir einige Scheffel Gold herschaffen, kieke mal, wo du die herkriegst!« Der Trümmelmann machte ein trauriges Gesicht, dann aber fiel ihm ein, daß man dem alten Amtmann von Chorin, einem argen Geizhals und Zauberer, der weder Frau noch Kinder hatte, nachsagte, er habe ungezählte Fässer Goldes in heimlichen Kellern lagern.

Trümmelmann machte sich also auf den Weg. Als er in Chorin anlangte, sah er die Arbeitsleute des Alten sich keuchend bei der Ernte abmühen, denn dem hartherzigen Amtmann ging nichts schnell genug. Trümmelmann stellte sich hin und begann seine Trommel zu schlagen. Gleich bei den ersten Wirbeln belebten sich die Mienen und die Glieder der Arbeiter, und bald lief die Arbeit dahin, als regten sich hundert unsichtbare Hände. Ein solcher Schwung gefiel dem Amtmann, und er überlegte, wie er die wunderbare Trommel an sich bringen könne.

Bei Nacht schlief der Trümmelmann nach schlechtem Abendessen in der Bräustube. An diese stieß eine kleine Kammer, die durch eine schmale offene Spalte mit seinem Schlafraum in Verbindung stand. Der Amtmann hatte ihm streng verboten, hier einzutreten. Gegen Mitternacht erwachte der Trümmelmann von dem Geräusch schlürfender Schritte in dieser Kammer. Dann hörte er eine schwere Tür

gehen, und dampfe Kellerluft drang bis zu ihm hin. Nach einiger Zeit schien sich die schwere Tür wieder zu schließen, und die Schritte entfernten sich.

»Ha,« dachte Trümmelmann, »das muß ich untersuchen!« Leise betrat er die Kammer, schlug mit seinem Zunder Licht und trommelte sachte mit den Trommelstöcken die Wände entlang. Auf einmal wich ein Teil der Wand zurück, und eine steile Treppe zeigte sich, die in einen Keller hinunterführte, wo mehrere Reihen von Fässern übereinanderstanden. Hier also war der Schatz! Der Trümmelmann stieg vorsichtig die Stufen hinab und versuchte, eines der Fässer zu bewegen; aber er war es nicht imstande, denn so groß war sein Gewicht.

Am nächsten Morgen geschah alles wie Tags zuvor. Der Amtmann benahm sich noch ungeduldiger, und Trümmelmann mußte trommeln, bis ihm die Hände erlahmten. Endlich – schon stieg der Vollmond herauf – war die Arbeit getan, die letzte Fuhre, ein Fuder Erbsen, in die Scheuer gebracht.

Der geizige Amtmann aber kümmerte sich nicht mehr um seinen treuen Helfer und bot ihm nicht einmal ein Abendbrot. Da las Trümmelmann mit knurrendem Magen voll Ärger die Erbsen auf, die beim Einfahren der letzten Fuhre zur Erde gefallen waren, um sich daraus selbst ein Gericht zu bereiten. Als er aber die Bräustube betrat, wo er die vorige Nacht geschlafen hatte, schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. Rasch eilte er in die Nebenkammer, ließ die Wand zurückweichen und streute auf der Treppe, die zum Keller führte, vorsichtig einen Teil der Erbsen aus. Dann kochte er sich die übrigen und legte sich zur Ruhe nieder.

Alles geschah wie in der vorigen Nacht. Aber auf die schlürfenden Schritte und das Ächzen der Tür folgte diesmal ein dumpfer Fall. Dann war alles still. Als Trümmelmann Nachschau hielt, fand er den Alten am Fuß der Treppe tot liegen.

Nun war der König Erbe des einsamen, kinderlosen Geizhalses. Trümmelmann wollte gleich in aller Früh fort, um es dem König zu melden. Doch gerade als er seine Kammer verließ, hörte er Pferdegetrappel, und bald stand der Alte Fritz mit wenigen Getreuen selbst vor ihm und rief: »Trümmelmann, es steht schlecht, vielleicht kannst du noch helfen, her mit dem Geld und deiner Trommel !« Da berichtete Trümmelmann, was er erlebt hatte. Neun volle Wagen Gold konnte der König aus dem Keller wegschaffen lassen, und nun nahm der Krieg bald eine bessere Wendung und fand schließlich sein Ende.

Der Alte Fritz kannte nunmehr keine Geldsorgen.

Der Sichelmann

In früheren Zeiten erschien mittags um zwölf Uhr ein scheußlicher Mann von eigentümlicher Gestalt auf dem Feld. Er war furchtbar anzusehen, hatte feurig-funkelnde Augen, ein Pferde- und ein Kuhbein, an den Fingern lange Krallen und in der Hand führte er eine große Sichel. Wenn er nun mittags in der Stunde von zwölf bis eins jemand auf dem Feld antraf, so hatte dieser eine lange Unterredung mit ihm zu bestehen, und wenn er die ihm vorgelegten Fragen nicht richtig beantworten konnte, so schnitt ihm der Sichelmann den Kopf ab.

Die drei Blutstropfen

Es lebte ungefähr zur Zeit der Regierung des Großen Kurfürsten ein Brauer in der Lindenstraße, der besaß dreierlei: ein gutes Bier, einen Batzen Geld und eine hübsche Schenkin. Freute sich auch, daß letztere so keusch und sittsam war, daß sie sich auf die Liebesbeteuerungen der Gäste nicht einließ, denn er begehrte das schöne Kind selber zur Ehefrau. Aber als er damit Ernst machen wollte, ging’s ihm wie den andern, das Mädchen lachte ihn aus und wies ihn ab. Da schlich er sich zu nächtlicher Zeit in des Mädchens Kammer, wollte sie durch gleißendes Gold betören und gebrauchte schließlich Gewalt, um den Widerstand der schönen Schenkin zu brechen. Die aber entfloh vor ihm und sprang in ihrer Angst zum Fenster hinaus auf den Hof. Als der Brauer ihr nacheilte, war sie verschwunden, aber die Stelle, wo sie herabgesprungen, war durch drei Blutstropfen gekennzeichnet. Haß und Rache füllten nun das Herz des Brauers. Er schlug Lärm, behauptete, er sei von seiner Schenkin bestohlen worden und wies auf die Goldstücke hin, die in ihrer Kammer gefunden wurden, die er selbst aber dort zurückgelassen hatte. Das Mädchen wurde erwischt und nach kurzem Prozeß zum Tod verurteilt. Als man sie noch einmal nach dem Hof ihres früheren Brotherrn führte, rief sie aus: »Diese drei Blutstropfen werden für mich zeugen, wenn ich unschuldig sterben muß.« Und so geschah es auch. Die Blutflecken blieben sichtbar, so sehr sich auch der Brauer, von Gewissenspein gequält, bemühte, sie fortzuschaffen. In der Nacht erhob er sich von seinem Lager und wusch und scheuerte auf dem Hof herum, bis ihm Arme und Beine schmerzten und er sich kaum halten konnte von Ermattung. Aber auch in nächtlicher Stunde leuchteten ihm die drei Blutstropfen wie flammende Wahrzeichen entgegen, also daß er keine Ruhe mehr finden konnte bei Tag und Nacht. Da entschloß er sich, den ganzen Hof neu pflastern zu lassen. Die Steine mit den Blutstropfen hob er selber heraus, nahm sie in den Keller und zerschlug sie mit einem großen Hammer. Nun hoffte er Ruhe zu haben sein Leben lang. Als er aber am andern Morgen erwachte, sah er auf der Straße viele Gaffer vor seinem Haus stehen, hörte auch laute Verwünschungen gegen sich aussprechen. Er eilte auf die Straße und gewahrte zu seinem Schreck die drei Blutstropfen an der weißgestrichenen Wand des Hauses. Da packte ihn die Verzweiflung und in der Nacht stieg er zum Fenster hinaus auf ein Gesims und versuchte, mit den Nägeln die Blutflecken abzukratzen. Als es ihm aber nicht gelang, hob er verzweifelnd die Hände zum Himmel, verlor den Halt und stürzte auf die Straße. Dort fand man ihn am andern Morgen tot, mit zerschmetterten Gliedern. Die drei Blutstropfen aber verschwanden erst mit dem Abbruch des Hauses.

Der Teufelsdamm bei Galenbeck

Etwa zwei Meilen nördlich von Straßburg liegt an der äußersten Spitze der Ukermark der Galenbecker See; in diesen zieht sich eine ganze Strecke ein Damm hinein, und bei niedrigem Wasser tauchen noch ein paar Stücke Land wie Inseln aus dem See hervor, die gleichsam die Fortsetzung des Dammes bilden. Von diesem erzählt man sich folgendes:

Der Hirt des Dorfes mußte vor alter Zeit seine Kühe immer jenseits des Sees weiden, und da blieb ihm denn nichts weiter übrig, als sie um denselben herum zu treiben. Das verdroß ihn, und als er sich mal wieder so recht darüber ärgerte, kam plötzlich der Teufel zu ihm, welcher ihm versprach, noch vor dem ersten Hahnenruf des folgenden Tages einen Damm durch den See zu bauen, auf dem er seine Kühe bequem zum andern Ufer hinübertreiben könne, doch müsse er ihm dafür seine Seele verschreiben. Das ging denn auch der Hirt in seinem Unmut ein, und der Teufel machte sich sogleich ans Werk, und war, als es gegen Morgen kam, mit dem Damme fast fertig; da wurde denn doch dem Hirten angst, und er lief in den Hühnerstall, wo er so lärmte, daß der Hahn zu krähen begann. Eben kam der Teufel grade über den See herüber und hatte die ganze Schürze voll Erde, um den Damm damit zu vollenden, da hörte er den Hahnenruf, ließ ärgerlich die Erde mitten in den See fallen und flog, ohne seine Arbeit zu vollenden, davon. Und so unbeendigt ist denn der Damm bis jetzt geblieben.

Die Fika

Die Fika ist eine Frau gewesen, welche gern Tabak geraucht hat. Sie hatte immer etwas Sonderbares an sich und deshalb mied man sie. Ihren Tod hat sie in einer der Branitzer Lachen gefunden. Fortan wagte sich niemand mehr an die Lache, wo die Fika ertrunken war. Nun geschah es aber doch einmal, daß ein Hirt es versah und seinen Grauschimmel in der Nähe der Lache weidete. Auch er hatte früher gehört, daß es mit der Fika nicht recht richtig gewesen sei. Da er aber von ihr, seit sie gestorben war, nichts mehr vernommen hatte, so glaubte er nicht daran, sondern rief in seinem Übermut: »Fika, willst du nicht eine Pfeife Tabak rauchen?« Es rührte sich nach diesen Worten zwar nichts in der Lache, als er sich aber nach seinem Schimmel umsah, war dieser verschwunden. Nun machte er sich auf und suchte überall nach seinem Pferd. Endlich fand er den Schimmel in der Nähe der Lache. Sofort bestieg er ihn, um nach Hause zu reiten. Kaum aber saß er auf dem Pferd, so wurde dieses immer größer und größer, so daß er nicht mehr herabsteigen konnte. Da merkte er zu seinem Schrecken, daß es ein Gespenst war, auf dem er ritt. Also hatte die Fika sich für seinen Übermut gerächt.

Das vertauschte Kind

Die Unterirdischen, oder, wie sie gewöhnlich genannt werden, »Untereerdschken«, sind dickleibige, breitköpfige kleine Wesen, die indes nur selten in ihrer ganzen Gestalt erscheinen, und meistens unsichtbar ihr Wesen treiben. Gar gern vertauschen sie die neugebornen, schöngestalteten Kinder der Menschen gegen die ihrigen, die ungestaltet sind, und man sieht dabei höchstens die Hand, mit der sie das Kind fassen. Das beste Mittel, dasselbe vor dem Raube zu schützen, ist, daß man der Wöchnerin ein Gesangbuch unter den Kopf legt, oder im Augenblick des Vertauschens den Namen Jesu Christi ruft.

Eine Wöchnerin in Straußberg fühlte auch einst in der Nacht, daß plötzlich eine Hand über ihr Bett faßte, ihr Kind nahm und statt dessen ein andres hinlegte. Als es nun Tag wurde, sah sie ein Kind mit breitem dickem Kopf neben sich in der Wiege liegen, das war in schlechtes graues Linnen eingeschlagen, und das ihre war doch so schön gewickelt gewesen. Darüber war sie nun ganz untröstlich und mochte das garstige Ding gar nicht ansehen, die Nachbarinnen aber, die davon hörten und hinzukamen, sagten ihr, das Kind sei ein Untereerdschken, und sie sollte es ja recht liebreich aufziehen und nicht schlagen, sonst würde das ihre von den Unterirdischen wieder geschlagen. Das hat sie denn auch treulich befolgt, aber so rechte Liebe hat sie doch zu dem untergeschobenen Kinde nie fühlen können.

Wetter und Hagel machen

Im Jahr 1553 sind zu Berlin zwei Zauberweiber gefangen worden, welche sich unterstanden, Eis zu machen, die Frucht damit zu verderben. Und diese Weiber hatten ihrer Nachbarin ein Kindlein gestohlen und dasselbige zerstückelt gekocht. Ist durch Gottes Schickung geschehen, daß die Mutter, ihr Kind suchend, dazu kommt und ihres verlorenen Kindes Glieder in einen Topf gelegt siehet. Da nun die beiden Weiber gefangen und peinlich gefragt worden, haben sie gesagt, wenn ihr Geköch fortgegangen, so wäre ein großer Frost mit Eis kommen, also daß alle Frucht verderbt wäre.

Zu einer Zeit waren in einem Wirtshaus zwei Zauberinnen zusammengekommen, die hatten zwei Gelten oder Kübel mit Wasser an einen besonderen Ort gesetzt und ratschlagten miteinander: ob es dem Korn oder dem Wein sollt gelten. Der Wirt, der auf einem heimlichen Winkel stand, hörte das mit an und abends, als sich die zwei Weiber zu Bett gelegt, nahm er die Gelten und goß sie über sie hin, da wurde das Wasser zu Eis, so daß beide von Stund an zu Tod froren.

Eine arme Witfrau, die nicht wußte, wie sie ihre Kinder nähren sollte, ging in den Wald, Holz zu lesen, und bedachte ihr Unglück. Da stand der Böse in eines Försters Gestalt und fragte: warum sie so traurig? Ob ihr der Mann abgestorben? Sie antwortete: »Ja.« Er sprach: »Willst du mich nehmen und mir gehorsamen, will ich dir Geld die Fülle geben.« Er überredete sie mit vielen Worten, daß sie zuletzt wich, Gott absagte und mit dem Teufel buhlte. Nach Monatsfrist kam ihr Buhler wieder und reichte ihr einen Besen zu, darauf sie ritten durch dick und dünn, trocken und naß auf den Berg zu einem Tanz. Da waren noch andre Weiber mehr, deren sie aber nur zwei kannte, und die eine gab dem Spielmann zwölf Pfennig Lohn. Nach dem Tanz wurden die Hexen eins und taten zusammen Ähren, Rebenlaub und Eichblätter, damit Korn, Trauben und Eicheln zu verderben; es gelang aber nicht recht damit, und das Hagelwetter traf nicht, was es treffen sollte, sondern fuhr nebenbei. Sich selbst brachte sie damit ein Schaf um, darum daß es zu spät heimkam.

Der große Stechlin

Nahe dem Dorf Neuglobsow breitet der den Bauern von Menz gehörige große Stechlin-See seine Gewässer über einen Flächenraum von ungefähr 500 Hektar aus. Ein prächtiger Wald, mit den schönsten Eichen, Buchen und Kiefern bestanden, und hohe, zum Teil sehr steil zum Uferrand abfallende Berge schließen schützend seine silberklaren Fluten ein, welche uns gestatten, noch bei 10 Meter Tiefe bis auf den Grund zu schauen. Man glaubt, einen Alpen-See vor sich zu haben. Die bergige Beschaffenheit seiner Umgebung setzt sich noch unter dem Wasser fort, und wenn auch keine Inseln in ihm zutage treten, so erheben sich doch inmitten der sehr großen Tiefe an fünf bis sechs Stellen Berge steil bis dicht an die Oberfläche. Der Boden ist zum Teil moorig und mit Wasserpflanzen, namentlich der sogenannten Pest, dicht bewachsen; auch ganze Baumstämme, die im Lauf der Zeit in die Tiefe gesunken sind, haben sich dort eingebettet. Alle diese Umstände machen den Fischern bei ihrem Handwerk große Schwierigkeiten. Es kommt oft vor, daß Netze und Taue reißen oder Holzmassen sich in dem Fischerzeug festsetzen, ja einmal brachten die Fischer anstatt der leckeren kleinen Maräne (Coregonus albula L.), die der See in Menge birgt, mehrere Scheffel Steine in ihrem Netz ans Tageslicht.

Das alles mag mit Veranlassung gegeben haben, daß sich manches Geheimnisvolle und Sagenhafte im Verlauf der Jahrhunderte an den See geknüpft hat. Schon Bratring erzählt vom Stechlin, daß man am Tag des Erdbebens von Lissabon (1. November 1755) Bewegungen auf ihm verspürt habe, und noch heute lebende alte Personen haben es in ihrer Kindheit von den Großeltern bestätigen hören, daß der See an jenem Tag geschäumt und Wellen geschlagen habe, trotz des heiteren und stillen Wetters. Der See ist ein »Kreuz-See«, d. h., er hat eine einem Kreuz ähnliche Gestalt. Schon dieser Umstand hat dem Volk zu denken gegeben. So heißt es, kein Gewitter könne über ihn hinwegziehen, im Winter friere er nur selten zu, insbesondere aber berge er in seinem unergründlichen Innern einen ,gewaltigen und bösen purpurroten Riesenhahn, der das Messen der großen Tiefen und das Fischen an gewissen Orten nicht dulden wollte und seine Herde im See gegen die raubgierigen Menschen schirme und schütze. Die Jetzige Generation freilich weiß nur wenig oder gar nichts mehr von diesem Ungeheuer der Tiefe, allein in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts ,war der große Hahn im Stechlin noch in aller Munde: schon manchem wäre er erschienen und hätte auch manchen, der seine Warnungen nicht beachtet oder gar verlacht hätte, in die Tiefe hinabgezogen.

Von diesem roten Hahn nun erzählte vor ungefähr 70 Jahren ein damals fast 50jähriger alter Mann folgende Geschichte, von deren Wahrheit er so fest überzeugt war, daß er sie auf das Evangelium beschwor.

Vor vielen Jahren lebte im Fischerhaus am Stechlin ein Fischer namens Minack. Das war ein roher und wilder Mann, der im Vertrauen auf seine gewaltigen Kräfte weder Menschen noch Geister fürchtete. Selbst wenn ihm Nachbarn und Freunde den guten Rat gaben, er solle vor dem großen Hahn im Stechlin-See Respekt haben und sich wohl hüten, an den und den Orten zu fischen, wo der Hahn es nicht dulden wolle, so lachte er nur dazu. Und wiesen sie darauf hin, daß bereits seine Vorgänger, wenn sie sich an eine der verrufenen Stellen gewagt, ihren Frevel mehrfach durch Verlust ihrer Netze und andere Unfälle gebüßt hätten, ja daß einer hier beim Fischen »den Totenzug« getan und ertrunken wäre, so ließ sich Minack durch all das Gerede nicht schrecken, sondern fischte nach wie vor, wo und wie er wollte. Einst gedachte nun Minack an einer der tiefsten und gerade darum verpöntesten Stellen einen Hauptfang zu machen, da er genau wußte, daß sich hier die Maränen besonders zahlreich aufhielten. Es war böses, stürmisches Wetter, und mit Zitten und Zagen folgten ihm seine Gesellen. Das Netz wird auf der Höhe des Sees ausgeworfen, man fährt an das Ufer und beginnt an den mehrere hundert Ellen langen Tauen das Netz herauszuwinden. Doch bald gehen die Winden schwerer und immer schwerer herum, bis man schließlich vollständig festsitzt. Minack fährt mit seinem bereitgehaltenen Nachen auf die Höhe des Sees, um das Fischerzeug, das sich vielleicht in Schlamm und Kraut verfangen haben mochte, zu lüften. Dies geschieht in der Art, daß man das Tau, an welchem das Netz befestigt ist, über den kleinen Kahn hinnimmt und diesen demnächst am Tau auf den See hinaufzieht. So machte es denn auch Minack. Doch das Tau wird immer straffer und straffer und droht schon, den kleinen Kahn unter Wasser zu drücken. Da ruft Minack seinen Gesellen am Ufer zu: »Halt! Haltet an, laßt die Winden los!« Aber der Sturm war jetzt stärker losgebrochen, und bei dem Toben der Elemente verstehen jene fälschlich: »Windet zu, windet zu!« und arbeiten um so kräftiger darauflos. Jetzt füllt sich der kleine Nachen des Minack schon mit Wasser; das straffe Tau vom Kahn herunterzuheben, ist ihm unmöglich; in seiner Todesangst holt er sein Messer hervor und zerschneidet es. In dem Augenblick, in welchem die beiden Enden des durchschnittenen Taues in die Tiefe fahren, teilt sich die Flut, und aus den Wogen rauscht der rote Hahn empor. Indem er mit seinen mächtigen Flügeln das Wasser peitscht, betäubt er mit donnerndem Krähen den Fischer und zieht ihn hinab.

Auch von einem im See versunkenen Dorf oder gar Stadt wurde früher viel erzählt, vor allem als man vor Jahren ein Stück Holz, ähnlich dem Knopf einer Dorfkirche, einmal beim Fischen aus dem Wasser zog. Fährt man an einem schönen stillen Sonntagvormittag über die Stelle, wo die Stadt untergegangen ist, so kann man noch heute, heißt es, aus dem Wasser herauf das Läuten der Glocken vernehmen.

In der Nähe der nördlichen Spitze des Stechlin, die Kreuzlaute genannt, befindet sich ein Luch. Dort erscheinen dem nächtlichen Wanderer drei Jungfrauen mit brennenden Laternen und führen ihn so in die Irre, daß er stundenlang laufen muß, ehe er den rechten Weg wieder findet.

Der Name von Krebsjauche

In der Nähe von Frankfurt liegt das Dorf Krebsjauche; hier trafen einmal ein Fuchs und ein Krebs zusammen, die wetteten miteinander, wer am schnellsten laufen könnte. Da machten sich denn beide auf, und der Fuchs, der doch seiner Sache gewiß war, ging ganz langsam voraus, der Krebs aber kniff sich ganz leise und ohne daß es der Fuchs merkte, in die Haare der Rute des Fuchses und ließ sich auf solche Weise nachschleifen. Wie sie nun dicht am Ziel waren, kroch der Krebs tiefer in die Haare hinein und kniff den Fuchs mit den Scheren so an der Rute, daß dieser wütend mit ihr um sich schlug, wobei der Krebs den richtigen Augenblick wahrnahm, losließ und so mit aller Macht ans Ziel geschleudert wurde. Da rief er vor Freude: »Krebs juchhe!« und als später an dieser Stelle ein Dorf gebaut wurde, nannte man es zum Andenken an die List des Krebses »Krebsjuchhe«, woraus dann der jetzige Name entstanden ist.

Der Bötticher bei den Unterirdischen

Öfter hat es schon des Nachts Leute in der Nähe des Klosters Chorin gerufen, daß sie dahin kommen sollen, aber nicht alle haben diese Stimme beachtet und sind darum auch nicht so glücklich gewesen, wie der Bötticher, der vor mehreren Jahren in einem der Tagelöhnerhäuser bei Chorin wohnte. Der hörte auch einmal in der Nacht die Stimme, die rief ganz laut seinen Namen, als wenn jemand in der Stube wäre, und gab ihm einen Ort im Kloster an, wo er sich einfinden solle, aber er tat, als höre er’s nicht und drehte sich um. Da rief es zum zweiten und endlich zum dritten Mal; nun stand er auf, nahm all sein Handwerkszeug, Messer, Beil, Hammer und Reifen, wie es ihm die Stimme geheißen hatte, mit sich und ging nach dem bestimmten Ort. Hier fand er ein kleines Männchen, das grüßte ihn und war sehr freundlich, sagte ihm aber, er müsse sich die Augen verbinden lassen, denn anders könne er nicht mit ihm gehen, fügte auch hinzu, daß ihm kein Leid geschehen sollte. Da ließ es denn der Bötticher geschehen, und das Männlein führte ihn nun eine ganze Strecke, bis es ihm endlich die Binde abnahm und er sich in einem geräumigen Keller sah, wo er noch eine große Menge eben solcher Männlein wie seinen Begleiter erblickte, die .mit verschiedenen Dingen beschäftigt waren, aber kein Wort sprachen. .jetzt hieß das graue Männchen den Bötticher um zwölf große Fässer, die dort standen, neue Bänder legen, er führte diese Arbeit zur Zufriedenheit aus und erhielt nun die Erlaubnis, von jedem der zwölf großen Goldhaufen, die bei den Fässern lagen, einen Teil für sich als Bezahlung zu nehmen. Darauf wurde ihm die Binde wieder vor die Augen gelegt, dasselbe graue Männlein führte ihn zurück, und er fand sich bald mit seinem Schatz allein an dem Ort, wohin ihn die Stimme zuerst gerufen hatte.

Der Kobold, der nicht weichen wollte

Ein Bauer in der Nähe von Blankensee kaufte einmal einen neuen Hof und merkte gar bald, daß es in dem Hause nicht recht richtig sei und ein Kobold sein Wesen darin treibe. Er versuchte alle möglichen Mittel, konnte ihn aber nicht los werden; da riet ihm endlich ein kluger Mann, er solle mit dem Kobold in den Wald fahren, ihn da auf einen Baum locken, und sobald er oben sei, schnell davon fahren. Das tat er denn auch, und, als er ins Holz kam, machte er sich an den ersten besten Stamm, nahm die Axt und tat, als wolle er ihn umhauen; alsbald war auch der Kobold oben in der höchsten Spitze, und schaukelte sich im Wipfel hin und her, damit er den Baum leichter zum Umsturz brächte. Kaum ersah das aber der Bauer, so sprang er auf seinen Wagen und jagte so eilig als möglich davon, aber er war nur erst wenige Schritte fort, so hört er‘s plötzlich hinter sich rufen: »Watt jechste (jagst du) denn so, de lööwst (glaubst) woll de jrööne kümmt?« und siehe da! der Kobold saß wieder hinten auf dem Wagen.

Die Wendenschlacht bei Lenzen

An vielen Orten der Umgegend von Lenzen und in der Stadt selber erzählt man sich von einer großen Schlacht mit den Wenden, die einst hier stattgefunden. Die einen sagen, das Schlachtfeld sei auf dem Marienberg vor Lenzen gewesen, andere, es sei bei Mohr, bei Seedorf und endlich auch bei Möllen gewesen, wo sich überall noch die Spuren des vergossenen Blutes am Boden zeigen, der davon ganz rot gefärbt ist. An allen diesen Orten lassen sich auch noch oft die Geister der Erschlagenen sehen und spuken dort kopflos umher oder tragen ihre Köpfe unter dem Arm. Bei Seedorf insbesondere wird erzählt, daß eine von der Löcknitz gebildete Breite, welche der Wennensee heißt, davon ihren Namen habe, daß einstmals ein ganzes Wendenheer darin seinen Untergang fand.

Die Erlösung des Großmütterchens in Gransee

Wer vor langen Jahren auf der Straße von der Stadt Gransee nach dem Dorf Schönermark wanderte, konnte, wenn er das alte Stadttor im Rücken hatte, gleich zur Linken mitten in Gärten ein kleines Gehöft erblicken, unansehnlich und zerfallen. In der ganzen Stadt war das Gerücht verbreitet, daß es dort spuke, und jedermann scheute sich, in dieser Gegend zu wohnen.

Eines Tages ließ sich ein junges, armes Brautpaar trauen. Die Hochzeit wurde gefeiert, aber nirgends in der Stadt war eine Wohnung zu finden, wo die jungen Leute hätten unterkommen können. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als das verrufene kleine Haus zu beziehen. Lange wohnten sie darin friedlich, nichts geschah; weder bei Tag noch bei Nacht trat etwas Auffallendes ein.

Da, eines Abends, tat sich die Tür auf, und herein trat ein altes Mütterchen mit einem Schemel und einem Spinnrocken in den Händen, setzte sich am Kaminfeuer nieder und begann zu spinnen, ohne ein Wörtchen zu sagen. Nach ein paar Stunden erhob sich die alte Frau und ging stillschweigend, wie sie gekommen, wieder zur Tür hinaus. Anfangs erschraken die jungen Leute über die Erscheinung; als sich aber der merkwürdige Besuch Abend für Abend wiederholte, gewöhnten sie sich daran und blieben ruhig beieinander an ihrem Tische sitzen, während die Alte am Kamin ihren Faden spann. Nur eins wunderte die beiden, daß nämlich die Frau auf keine ihrer Fragen antwortete, sondern immer schwieg, als ob sie nichts hörte.

Einmal ging der junge Mann in die Stadt; es war gegen Abend, und seine junge Frau bat ihn, recht bald wiederzukommen.

»Nun, du wirst dich doch nicht fürchten?« erwiderte der Gatte. »Großmütterchen« – so pflegte nämlich das Ehepaar die Alte zu nennen, sooft von ihr die Rede war – »Großmütterchen ist ja bei dir.« Mit diesen Worten verließ der junge Ehemann die Stube.

Die Frau blieb zurück, setzte sich am Tisch nieder und schaute unverwandt der Arbeit des Mütterchens zu, das auch heute wieder erschienen war. Plötzlich rief sie: »Großmutter, Ihr spinnt ja nach links herum!«

»Meine Tochter,« gab ihr die Alte zurück, »ich danke dir; mit diesen Worten hast du mich erlöst. Zum Lohne aber für die Wohltat, die du mir erwiesen hast, tue ich dir kund, daß hier unter diesen Steinen, auf denen mein Schemel und mein Spinnrocken stehen, ein Topf mit vielem Gelde verborgen liegt. Grabe ihn aus, doch so, daß dein Mann nichts davon sieht, und verbirg ihm das Geheimnis, das ich dir anvertraut habe, bis zum dritten Tag; dann wird euch der Schatz zu glücklichen Leuten machen.«

Damit ergriff das Mütterchen Schemel und Spinnrocken und verließ das Zimmer, um nie wieder zu erscheinen. Das junge Ehepaar aber gelangte von da an zu Wohlstand und Glück.

Das schwarze Pferd

Es war im Jahr 1590, als sich in einer Nacht in der Stunde zwischen elf und zwölf Uhr in Königsberg ein schwarzes feuriges Pferd mit brennenden Augen zeigte, das lief in allen Gassen mit erschrecklichem Geräusch auf und nieder und sprang dergestalt, daß die Häuser gebebt und Feuer aus den Steinen gesprungen. Andern Morgens fand man das Bernekowsche innere Tor offen und das Pferd in dem Raum zwischen diesem und dem äußeren Tor liegen; sobald aber der Torwärter dazu kam, sprang es in die Höhe und verschwand. Dieses Pferd ist vielleicht der Satan selber gewesen, denn am selben Tage abends gegen zehn Uhr brach in einem Haus der Stadt Feuer aus, welches er vielleicht angeblasen, um der Stadt eine große Feuersbrunst anzurichten.

Der fliegende Chorschüler

In vielen Städten der Mark und namentlich in Berlin erzählt man sich folgende Sage:

Eines Tages verabredeten mehrere Chorschüler miteinander, daß sie auf den Kirchturm (in Berlin soll es der der Marienkirche gewesen sein) steigen und dort aus den Krähennestern, deren sich eine große Anzahl oben befand, die Eier ausnehmen wollten. Diesen Vorsatz führten sie auch aus und stiegen zum Turm hinauf; als sie dort ankamen, wurde zu einem der Schallöcher hinaus ein Brett gelegt, welches zwei Schüler hielten, der dritte aber kroch auf diesem Brett hinaus, um in den Ritzen und Spalten des Turms Nester zu suchen. Er fand auch bald eine große Zahl derselben, gab jedoch seinen Gefährten kein einziges der Eier, welche er dort fand, und als sie ihn nun fragten, ob sie ihr Teil nicht erhalten würden, schlug er es ihnen rund ab, weil er sagte, er habe sich allein der Gefahr unterzogen und so wolle er auch allein die Frucht derselben genießen. Da wurden die andern böse und drohten ihm, daß sie das Brett loslassen würden, wenn er ihnen nicht augenblicklich einen Teil seiner Beute abgäbe; er jedoch, der vor der Ausführung ihrer Drohung sicher zu sein glaubte, sagte, das sollten sie nur tun, dann würden sie gewiß nichts bekommen. Aber kaum hatte er das gesagt, so ließen jene das Brett los und der arme Chorschüler stürzte von der höchsten Höhe des Turms herab. Nun hatte er aber seinen weiten Mantel um, der bis unten hinab zugeknöpft war, so daß sich sogleich der Wind darunter fing, den Fall hemmte und ihn wohlbehalten und unversehrt mitten auf den Markt hinabtrug, wo er zur größten Verwunderung der Käufer und Verkäufer ankam. Ob er jetzt seinen Gefährten ihren Anteil am Gewinn gegeben, weiß ich nicht, sie mögen aber auch wohl nicht mehr danach verlangt haben.

Die Riesensteine

An vielen Orten der Altmark finden sich große, mächtige Steinblöcke, die sind gewöhnlich in Vierecken aneinander gereiht, und in der Mitte liegen dann die größten Blöcke, doch oft liegen sie auch ungeordnet und wild durcheinander. Von diesen Steinen erzählt man an mehreren Orten, daß es vor Zeiten gewaltige Riesen gegeben, die einander damit warfen. Solche Steine liegen in der Gegend von Oebisfelde und Wassensdorf, die haben die Riesen über den Drömling herüber geworfen; andere liegen bei Köbbelitz, die warfen die Riesen vom Papenberg zwischen Immekath und Klötze nach Wentze, sie zielten aber nicht recht, da fielen sie an dieser Stelle nieder. Auch in der Gegend von Steinfeld und Schinne, zwischen Stendal und Bismark liegen viele derselben, mit denen sich die Riesen beider Orte, als ein Krieg zwischen ihnen ausbrach, zu Tode warfen.

Der Fisch und der Kolk am Berliner Rathaus

Am Rathaus in der Spandauer Straße war vordem ein eiserner Fisch angebracht, der nach der Sage anzeigen sollte, wie hoch einst da das Wasser gestanden. Allein dies ist unrichtig, jener eiserne Fisch gab nämlich früher den Fischern die Größe an, unter welcher sie keine Fische mit dem Garn fangen und zur Stadt bringen durften. Ein ähnliches Bild, dessen Erklärung nicht ganz sicher ist, ist der sogenannte Kolk, ein aus Sandstein geformtes Spottbild in Vogelgestalt, mit menschlichem Antlitz und langen Tierohren, das sich an einem der niedrigen Strebepfeiler des Rathauses befindet und eine Allegorie des Prangers sein sollte, insofern früher gerade drüber das Halseisen angebracht war.

Der Teufel und die Holzhauer am Zootzen

Als die Holzhauer aus einem Dorfe am Zootzen eines Morgens in den Wald kamen, um sich an ihre Tagesarbeit zu machen, fanden sie das tags zuvor aufgeschlichtete Holz umgestoßen. Ärgerlich beschuldigten sie die Knechte des Dorfes, ihnen diesen Schabernack gespielt zu haben. Sie setzten das Holz wieder auf, fanden es aber am nächsten Morgen wieder umgestoßen. Nun beschlossen sie, daß einer von ihnen die nächste Nacht Wache halten solle, um die Übeltäter auf frischer Tat zu ertappen. Da sich aber niemand freiwillig meldete, wurde gelost. Das Los traf einen bärenstarken Mann, der erklärte, er habe sich schon melden wollen; nun sei es gut, daß ihn das Los getroffen habe. Als er dann des Nachts Wache stand, zündete er sich ein Feuer an und begann aus Langeweile Holz zu spalten.

Zwischen zwölf und ein Uhr tauchte plötzlich ein kleines rotes Männchen – es war der Teufel – neben ihm auf und fragte neugierig: »Warum setzt du denn da immer einen Keil in die Spalte? Kannst du das Holz nicht mit den Händen auseinanderreißen?«

Der Holzhauer antwortete mit der Gegenfrage: »Kannst du es denn?«

Der Kleine erwiderte, ja, das könne er. Da wählte der Holzhauer einen starken Eichenklotz aus, schlug mit der Axt hinein und setzte einen Keil in die Spalte; darauf stieß er mit der Axt gegen den Keil, um diesen ordentlich zu lockern. Als nun der Kleine den Klotz auseinanderreißen wollte, zog der Holzhauer flugs den Keil aus der Spalte und klemmte dem Männchen die Finger ein. Verzweifelt schrie da der Kleine: »Setz, doch den Keil ein! Setz, doch den Keil ein!«

Aber er war gerade an den Rechten gekommen; denn der Holzhauer packte einen Prügel und hieb tüchtig auf den Kleinen ein. Der Teufel aber schrie weiter: »Setze doch den Keil ein!« Doch je mehr er brüllte, desto kräftiger schlug der andere zu und knirschte dabei: »Wirst du uns noch einmal das Holz umstoßen?«

Nach vielen Anstrengungen gelang es dem Teufel endlich, seine Finger aus der Klemme zu ziehen und seinem Widersacher durch die Flucht zu entrinnen. Aus sicherer Entfernung aber schrie er zurück: »Nun stoße ich euch das Holz erst recht um.«

Am andern Morgen erzählte der Holzhauer seinen Kameraden wie es ihm in der Nacht ergangen sei, und machte den Vorschlag, an jedes Klafter Holz einen Klotz mit einem Keil zu stellen. Als nun der Kleine in der folgenden Nacht wieder erschien, um sein Mütchen zu kühlen, erblickte er den Klotz an dem ersten Klafter und rief: »Huh, da ist der Klotz!,« wobei er sich seine in der vorigen Nacht zerschundenen Finger besah. Darauf eilte er weiter zum zweiten Klafter; auch hier fand er einen Klotz und ebenso an den andern Holzstapeln. Da bekam es der Teufel mit der Angst zu tun, drehte sich um und lief schleunig davon, ohne jemals wiederzukommen. Die Holzstöße im Wald hatten von nun an Ruhe vor ihm.

Kohlhasenbrück

In der Nähe von Potsdam, auf der Straße nach Berlin, führt eine Brücke über die Bäke oder Telte, einen kleinen Nebenfluß der Nuthe, die Brücke heißt Kohlhasenbrück und hat von Hans Kohlhase, einem Berliner Roßkamm, der zur Zeit der Kurfürsten Joachim I. und II. einst viel von sich reden gemacht hat, den Namen bekommen. Die Sache ist recht bezeichnend für jene Zeiten und war folgende.

Hans Kohlhase war ein angesehener Bürger zu Kölln an der Spree, der einen nicht unbedeutenden Pferdehandel betrieb. Was seine Bildung anbetrifft, ist zu bemerken, daß er sogar Lateinisch verstand. Einmal kam er nun mit einigen Pferden von Leipzig zurück, da wurde er in der Nähe von Düben durch die Leute des Junkers von Zaschwitz angehalten; er sollte sich ausweisen über die Pferde, es wären sicherlich gestohlene. Vergeblich, daß er seine Unschuld beteuerte, die Pferde wurden zurückbehalten. Da klagte er den Unfall seinem Kurfürsten Joachim I., und der erwirkte den Befehl vom Kurfürsten von Sachsen, daß ihm die Pferde vom Junker von Zaschwitz zurückgegeben werden sollten. Inzwischen waren dieselben aber hinter dem Ackerpflug abgetrieben und schlecht im Futter gehalten worden, so daß Kohlhase sich weigerte, sie zurückzunehmen und Schadenersatz forderte. Als alle seine Bemühungen vergeblich waren und er nicht zu seinem Recht kommen konnte, da sandte er nach damaliger Sitte als freier Mann, dem sein Recht verweigert wurde, einen Absagebrief an den Landvogt von Sachsen, daß er des Junkers von Zaschwitz und des ganzen Landes Sachsen abgesagter Feind fortan sein wolle, bis er zu vollem Recht und zu vollem Schadenersatz für alles, was er erlitten, gelange. Mit einer Schar verwegener Gesellen begann er auch nun das sächsische Land auf jede nur mögliche Weise zu schädigen und trieb bald die Sache so weit, daß die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg selbige beizulegen beschlossen und beiderseitig einige ihrer Räte nach Jüterbog schickten, wohin auch Kohlhase kommen sollte, um seine Forderungen geltend zu machen. Der kam auch mit einem Gefolge von 40 Pferden; aber man ging unverrichteter Sache auseinander, da der Junker von Zaschwitz inzwischen gestorben war und seine Erben sich zu keiner Entschädigung bereit erklären wollten. Von neuem begann Kohlhase das sächsische Land heimzusuchen, ja er brannte sogar die Vorstadt von Wittenberg nieder. Da schrieb Dr. Martin Luther an den gefährlichen Mann, wie unchristlich es sei, sich selbst zu rächen. Das machte auf Kohlhase Eindruck und heimlich kam er, als Pilger verkleidet, nach Wittenberg, um mit Luther über die Angelegenheit zu verhandeln. Luther versprach, sich der Sache anzunehmen; aber es war vergeblich, und die Geschichte spielte in der früheren Weise weiter, nur daß der Kurfürst von Sachsen es bei dem Kurfürsten von Brandenburg schließlich durchsetzte, daß er Kohlhasen auch auf märkischem Grund und Boden verfolgen und fangen lassen könne. Aber die sächsischen Späher und Landsknechte griffen ihn doch nicht. So kam das Jahr 1540 heran.

Da verfiel Kohlhase auf den Rat eines seiner Spießgesellen, Georg Nagelschmidt mit Namen, auf den Gedanken, sich an seinen Kurfürsten selbst zu machen und ihn so zu veranlassen, dem Wesen ein Ende zu bereiten und sich wirksamer seiner anzunehmen. Er überfiel den kurfürstlichen Faktor Drezscher, der mit Silberkuchen aus dem Mansfeldschen unterwegs war, in der Gegend wo eben jetzt Kohlhasenbrück liegt, nahm ihm die Silberkuchen fort und versenkte sie unter der Brücke in die Telte. Das bekam ihm aber übel. Denn nun wurde überall nach ihm und Nagelschmidt gefahndet und bei Leibesstrafe verboten, sie zu beherbergen, als sich das Gerücht verbreitete, sie seien in Berlin.

Wirklich fing man auch Kohlhase, als man Haussuchung hielt. Er hatte sich beim Küster zu St. Nicolai in einer Kiste versteckt. Ebenso wurde Nagelschmidt im Haus eines armen Bürgers am Georgentor aufgefunden. Beiden wurde der Prozeß gemacht. Kohlhase wollte man insofern begnadigen, als er nicht mit dem Rad, sondern mit dem Schwert hingerichtet werden sollte, was für minder schmachvoll galt. Schon war Kohlhase bereit, dies anzunehmen. Da rief ihm Georg Nagelschmidt zu: »Gleiche Brüder, gleiche Kappen! « – »Ich will die Begnadigung nicht, ich will mein Recht«, sagte Kohlhase, und so wurde er wie Nagelschmidt am Sonntag nach Palmarum im Jahr 1540 mit dem Rad gerichtet, obwohl es dem Kurfürsten leid getan haben soll, daß eine so tüchtige Natur ein solches Ende genommen. Ob man die Silberkuchen gefunden, berichtet keine Chronik. Die Brücke aber und der Ort, der später da entstand, bekam den Namen Kohlhasenbrück.

Das Gespenst an der Kirche zu Oderin

Als die alte Kirche in Oderin noch stand, kam einst ein junger kräftiger Bursche auf den Gedanken, die nächtens vom Spinnen heimkommenden Mädchen zu erschrecken. Er nahm ein Laken, hüllte sich dar ein und stellte sich an die Kirchtür.

Nun wußten aber alle Leute, daß es auf dem Kirchhof umgehe, und wer nicht mußte, ging von Dunkelwerden an nicht mehr darüber. Der Bursche hatte diese Erzählung immer verlacht. .Aber als er an der Kirchtür stand und auf die Mädchen lauerte und es eben zwölf geschlagen hatte, hörte er, wie etwas die Turmtreppe herunterkam und dabei röchelte. Vor Entsetzen lief der Bursche nach Hause, kroch ins Bett und am nächsten Morgen war er tot.

Die kupferne Pfanne im Schloß Sternberg

In der Walpurgisnacht hört man im Städtchen Sternberg lautes Hundegebell und dumpfes Glockenläuten, wie aus der Tiefe heraufkommend. Das sind die Geister, die den großen Schatz bewachen, welcher einst von der zerstörten Burg übriggeblieben ist. Das war um das Jahr 1500, als Markgraf Joachim I. mit dem Markgrafen der Lausitz und dem Herzog von Glogau gegen den Raubrittersitz in Sternberg zu Felde zog. Schrecklich hatten die »edlen Ritter« unter Führung des Balthasar von Winning in und um Sternberg gehaust und ein hübsches Mädchen, das sie geraubt und geschändet hatten, das aber glücklich entkommen war, erzählte die grausigsten Dinge von dem Menschenfleisch, das ihm täglich vorgesetzt wurde, von dem großen Messer, mit dem Männer und Frauen abgeschlachtet wurden und von der riesengroßen kupfernen Pfanne, die bis an den Rand mit dem geraubten Gold und Silber angefüllt war. Die Burg wurde bis auf den Grund niedergebrannt, nachdem die erst kurz zuvor erfundenen »Donnerbüchsen« die Mauern zerstört hatten. Alle Raubritter wurden zum Tod durch den Strang verurteilt, nur die Winnings durften am Leben bleiben, mußten sich aber auf dem flachen Land ansiedeln.

Die große Kupferpfanne hat man bei der Eroberung der Burg auch gesehen, aber zwei große Schlangen haben darauf gelegen; und eine verzauberte Jungfrau, die ein großes Schlüsselbund in der Hand hielt, hat den Schatz bewacht, daß niemand sich heranwagte. Dann ist die Pfanne nebst ihrer Bewachung unter den Trümmern der Burg begraben worden. Dort ruht der Schatz noch heute, und der Geisterruf in der Walpurgisnacht erweckt immer aufs neue bei den Sternbergern das Verlangen, ihn zu heben.

Im Schloßpark zu Caputh

Des Nachts zu Beginn der Geisterstunde taucht im Schloßpark zu Caputh eine geheimnisvolle Kutsche auf, die eine Stunde lang völlig geräuschlos das alte Schloß umfährt. Besetzt ist der Wagen mit Gästen, die starr und unbeweglich im Fond sitzen. Die Pferde aber haben keine Vorderfüße und keine Köpfe. Mit dem Glockenschlag eins ist die rätselhafte Kutsche verschwunden.

Vor vielen Jahren ging ein junger Mann einst am Parktor des Schlosses vorbei, und wie er so in Gedanken versunken dahinschreitet, öffnet sich unhörbar das Parktor, und eine schwarze Gestalt huscht neben ihm her. Als er sie ansprach, war sie verschwunden. Die Gestalt soll weder Kopf noch Hände noch Füße gehabt haben.

An der sogenannten Bucht im Schloßpark gehen Geister um. Oft will man ein Schaf ohne Kopf gesehen haben. Lautlos und unstet rennt es umher, und wem es begegnet, der hat Pech am nächsten Tag. Eine Frau ist von dem Schaf einst bis fast an die Post begleitet worden, und als sie nach Hause kam, war ihr Kind erkrankt.

Der spukende Mönch im Ringelturm zu Lehnin

An dem zerstörten Teil der Lehniner Klosterkirche befindet sich ein fast noch ganz erhaltener Turm, zu dessen Spitze eine gewundene Treppe leitet, weshalb er der Ringelturm heißt. Hier ist’s nicht recht geheuer, denn man hört es oft hier Trepp auf, Trepp ab poltern und in der halb eingestürzten gotischen Halle, die darunterliegt, umhertoben. Wer dreist ist, kann auch eine mächtige Gestalt mit schwarzem Gesicht, krausem Haar und weißem flatternden Gewand sehen, aber er muß nicht zu nahe herangehen, sonst verfolgt sie ihn so lange, bis sie ihn vom alten Kirchhof vertrieben hat. Andere haben in dieser Gestalt einen Mönch erkannt, der in gefalteten Händen das Evangelienbuch hält und mit funkelnden Augen gen Himmel blickt, gleichsam als bete er zu Gott für die Ruhe der Grabstätten, die ehemals in diesem Teile der Kirche waren, aber vor mehreren Jahren zerstört wurden. Niemand kann den Greis ansehen, ohne von tiefer Rührung ergriffen zu werden.

Doktor Faust

Der Doktor Faust soll ehemals auch zu Neuruppin gelebt haben, und man erzählt, daß er gewöhnlich des Abends mit einigen Bürgern Karten spielte und sehr viel gewann. Eines Abends nun fiel einem seiner Mitspieler eine Karte unter den Tisch, und als er sie aufhob, bemerkte er, daß der Doktor Pferdefüße habe; da ist denn allen sogleich klar gewesen, warum er immer so viel gewinne. – Lange Zeit nach seinem Tod hat man ihn noch öfter in einem Dickicht am See mit mehreren Leuten am Tisch sitzen und Karten spielen sehen, und da soll er noch jetzt sein Wesen treiben.

Die Roggenmuhme

Wenn das Getreide am höchsten steht und die sommerliche Mittagshitze sich über Feld und Wiese ausbreitet, dann geht die Roggenmuhme über Land. Unsichtbar schwebt sie einher, und wenn sie Kinder am Rande des Kornfeldes sieht, die Mohn- und Kornblumen suchen, dann lockt sie das ahnungslose Völkchen immer tiefer in das wogende Meer der Halme. Wehe den Kleinen, die ihr folgen! Bald schlagen die Halme über den Köpfen der Kinder zusammen, sie werden von unerträglicher Müdigkeit befallen und sinken mit glühend heißer Stirn und brennenden Wangen in dem lispelnden Gewoge zu Boden.

Deshalb sind die Mütter ängstlich bedacht, ihre Kinder an Julitagen nicht aufs Feld zu schicken; denn die Roggenmuhme sitzt auf der Lauer.

Die spukende Sau in Woltersdorf

In dem Dorfe Woltersdorf, das am Fuße der Kranichs- oder Kronsberge liegt, welche sich an den von Rüdersdorf sich bis zur Spree erstreckenden Seen ausdehnen, treibt sich oft nachts in der zwölften Stunde eine große Sau herum, und wer ihr begegnet, dem läuft sie unter die Beine, daß er eine Strecke auf ihr reiten muß. So ging auch einmal einer noch spät um Mitternacht durchs Dorf, da sieht er plötzlich die Sau herbeistürzen; er aber trug einen Kreuzdornstock (und wer den hat, dem können die Geister nichts anhaben), mit dem schlug er der Sau über den Rücken, daß sie taumelte und eilends davonlief. Da hatte er nun zwar Ruhe vor ihr, aber als er aus dem Dorfe hinauskam, erhob sich ein so gewaltiger Sturm, daß er kaum weiter gekonnt hat, und er wird daher wohl die Sau künftig nicht wieder geschlagen haben.

Der Alte Fritz geht um

Die Potsdamer Garnisonkirche, in deren Gruft der Alte Fritz begraben liegt, wird manchmal um Mitternacht ganz hell im Innern, Orgelspiel ertönt, es öffnen sich die Türen weit, und der Alte Fritz kommt hoch zu Roß herausgeritten. Die Schildwachen haben den König deutlich erkannt und vor ihm präsentiert; aber das Pferd des Königs ist ohne Kopf gewesen. Er reitet nun durch die nächtliche Stadt bis hinaus nach Sanssouci, kehrt auf gleichem Weg zurück und betritt wieder die Kirche, deren Türen sich dann schließen. Das Reiterstandbild im Park von Sanssouci aber soll sich jedesmal umwenden, wenn der König die Gruft verläßt.

Die Erbauung von Bernau

An der Ecke der Brauerstraße, wo fast der Mittelpunkt der Stadt ist, soll ehedem ein einzelner Krug gestanden haben, zu dem einst Markgraf Albrecht der Bär gekommen und sich daselbst einen Trunk gefordert. Der hat ihm so herrlich gemundet, daß er sich entschloß, an dieser Stelle eine Stadt zu bauen, welchen Entschluß er auch alsbald ausgeführt. Zu dem Ende hat er die drei Dörfer Lindow, Schmetzdorf und Lüpenitz eingehen und die Einwohner in die neue Stadt ziehen lassen; daher haben die Felder der beiden ersten noch heutzutage ihren alten Namen und besteht das Lindowsche Feld aus 84 und das Schmetzdorfsche aus 48 Hufen; Lüpenitz aber ist zu einer Heide geworden, welches jedoch ein großes Dorf gewesen sein muß, da sich dessen Feldmark auf eine Meile erstreckt. Man sieht auch noch an allen drei Orten die Rudera der Kirchen und Kirchhöfe, zu Schmetzdorf aber hat der Magistrat ein Vorwerk angelegt. Es ist jedoch auch noch eine vierte Feldmark vorhanden mit 103 Hufen, diese heißt die Bernausche, und ist daher wahrscheinlich, daß früher auch ein Dorf Bernau vorhanden gewesen, von dem die Stadt wohl dann ihren Namen erhalten.

Spukgestalten in Köpenick

Im Schloß zu Köpenick wohnte einst eine Prinzessin, welche eine unglückliche Liebe hatte; die soll sich, als sie das Leben nicht länger ertragen mochte, von der Schloßbrücke in den Graben hinabgestürzt haben und so ums Leben gekommen sein. Nun aber läßt’s ihr keine Ruhe im Grab, und sie geht im Schloß um; namentlich aber sieht man ihren weißen Schleier oft des Nachts von der Plattform herabwehen.

Abends und nachts sieht man oft in Köpenick einen großen grauen Hund mit feurigen Augen herumgehen, der heißt Morro und hat sein Lager im Sand bei der Pyramidenbrücke; besonders sieht man ihn vor den Häusern gewisser Leute sitzen und sie gleichsam bewachen. Namentlich saß er oft stundenlang an der Tür eines langen dürren Friseurs, der in seiner ganzen Erscheinung so recht etwas Grauenhaftes hatte.

Auch sieht man um die Nachtzeit oft einen Reiter ohne Kopf auf einem Schimmel durch die Straßen von Köpenick reiten, dem Hunde nachfolgen, die gleichfalls keinen Kopf haben. Dieselbe Erscheinung zeigt sich auch in Straußberg und andern Orten.

Wie die alten Wenden spuken

In der Prignitz geht die Sage, daß die ungetauft verstorbenen Wenden auf der Erde und in den Lüften ruhelos bis zum jüngsten Tag wandern müssen. Sie spielen den Nachkommen der Deutschen, welche einst ihre Tempel zerstörten, mancherlei Schabernak. So manchen Wanderer haben sie des Nachts bös erschreckt und manchem Fuhrmann unsichtbar den Wagen so beschwert, daß die Pferde die Last kaum ziehen konnten.

Hauptsächlich erscheinen die Wenden als Unglücksboten an Kreuzwegen, z. B. am Kreuzweg Groß Gottschow-Rambow – Kleinow-Krampfer, selbst am hellen Tag.

Die drei Linden auf dem Heiligen-Geist-Kirchhof zu Berlin

Auf dem Kirchhof des Hospitals zum Heiligen. Geist in Berlin standen vor vielen Jahren, wie ältere Leute noch von ihren Vorfahren gehört haben mögen, drei große Linden, die mit ihren dichten Kronen den Raum weithin überschatteten. Das Wunderbarste an diesen Bäumen aber war, daß sie mit den Kronen in die Erde gepflanzt waren und dennoch ein so herrliches Wachstum erreicht hatten. Dieses Wunder hatte die göttliche Allmacht bewirkt, um einen Unschuldigen vom Tode zu erretten.

Vor vielen Jahren lebten nämlich zu Berlin drei Brüder, die einander mit der herzlichsten Liebe zugetan waren und mit Leib und Leben für einander einstanden. Doch ihr Glück wurde plötzlich durch einen Vorfall gestört, den sich keiner hätte je träumen lassen. Obgleich alle drei bisher einen vollkommen unbescholtenen Lebenswandel geführt hatten, wurde doch einer von ihnen des Meuchelmordes angeklagt und sollte den Tod erleiden, weil alle Umstände die ihm zur Last gelegte Tat wahrscheinlich machten. Sämtliche Unschuldsbeteuerungen waren erfolglos geblieben.

Noch saß der junge Mann im Gefängnis, als eines Tages seine beiden Brüder vor dem Richter erschienen und jeder von ihnen sich des begangenen Mordes bezichtigte. Kaum hatte dies der zum Tod Verurteilte vernommen, als auch er, obzwar schuldlos, die Tat eingestand, da er erkannte, daß seine Brüder ihn nur retten wollten. So standen nun statt eines Täters auf einmal deren drei vor Gericht; jeder behauptete mit gleichem Eifer, er allein habe den Mord begangen.

Da wagte der Richter nicht, den Urteilsspruch an dem ersten vollstrecken zu lassen, sondern legte den Fall noch einmal dem Kurfürsten vor. Dieser verordnete, daß hier ein Gottesurteil entscheiden solle. Er befahl daher, jeder der drei Brüder möge eine junge, gesunde Linde mit der Krone ins Erdreich pflanzen, so daß die Wurzeln nach oben stünden; wessen Baum dann vertrocknen würde, den hätte Gott selbst dadurch als Täter bezeichnet.

Dieses Urteil wurde beim Anbruch des Frühlings vollzogen und, siehe da! nur wenige Wochen vergingen, und alle drei Bäume, die man auf dem Heiligen-Geist-Kirchhofe angepflanzt hatte, bekamen frische Triebe und wuchsen bald zu kräftigen Bäumen heran.

So war denn die Unschuld der drei Brüder erwiesen, und die Bäume haben noch lange in üppiger Kraft an der alten Stelle gestanden, bis sie endlich verdorrten und anderen Platz machen mußten.

Spuk am Kesselgrund bei Gehren

Einmal waren vier junge Burschen aus Gehren übereingekommen, aus dem Gräflichen Stangenholz zu mausen. Es war im Sommer bei hellem Mondschein gegen Mitternacht. Sie nahmen also ihre Gabeln und gingen los. Als sie sich zwei schöne Bäume geholt hatten, gingen sie wieder nach Hause zu. Sie kamen an den Kesselgrund am grünen Berg. Plötzlich blieb der vorderste Bursche stehen. Da mußte auch der zweite anhalten. Der fragte nun den ersten ganz heimlich, warum er stehenbliebe. Da sagte der zu ihm, ich habe leise Schritte gehört. Inzwischen kamen auch die beiden andern Burschen heran und stützten ihren Baum auch auf die Gabeln. Alle vier horchten ganz genau. Da hörten sie, wie es leise um sie herumging; bald vor, bald hinter ihnen, dann nach rechts, dann nach links. Dann entfernten sich die Schritte. Die vier Burschen standen dicht beieinander, aber trotzdem sie jung und kräftig waren, kam sie ein Grausen an; denn die Schritte kamen wieder näher, ohne daß sie etwas sehen konnten. Da sagte einer von ihnen halblaut: »Hier ist eine Seele zuviel« und winkte den andern, und sie ließen die Bäume auf den Gabeln und gingen ein Stück weiter bis auf ein anderes Stück über die Grenze. Da hörten die Schritte auf, die immer um sie herumgegangen waren und der Spuk ging nach dem Kirchsteig zu, der nach Drehna führte, und sie hörten den Schall jetzt so deutlich, als ob einer auf hartem Boden mit Pantoffeln ging. Frühmorgens gingen sie dann nochmals hin, holten die Bäume, sahen aber keine Spur von einem, der da gelaufen wäre.

Markgraf Hans auf der Jägersburg im Regenthinsee

Markgraf Hans, von dem man sich in der Neumark vielerlei Geschichten erzählt, besaß ein altes Schloß auf einer Insel des Regenthinsees, die Jägersburg. Die Schweden haben es später zerstört, und kein Stein ist mehr auf dem andern geblieben. Wer in trockener Jahreszeit an der Stätte des alten Schlosses steht, bemerkt dicht unter dem Wasserspiegel des tiefen Sees, nicht weit von der Insel nach Norden zu, einen langen Wall. Mit diesem hat es folgende Bewandtnis:

Markgraf Hans war ein frommer Herr, der Teufel aber ließ nichts unversucht, ihn in seine Gewalt zu bekommen. Er erbot sich einmal, wenn der Markgraf sich ihm mit Leib und Seele verpfänden wolle, dem Schloßherrn einen Damm vom Ufer bis zum Schloß zu bauen. Der Markgraf, der einen Damm nach dem Nordufer wohl brauchen konnte, war schließlich zu dem Bunde bereit, doch stellte er dem Teufel die Bedingung, der Damm müsse in einer Nacht bis zum Hahnenschrei fertig sein. Im stillen aber dachte er, dies sei auch dem Teufel unmöglich.

In der Nacht begann nun der Böse sein Werk, und dabei halfen ihm so viele höllische Geister, daß der Bau ungemein schnell vor sich ging. Um Mitternacht war schon mehr als die Hälfte des Dammes fertig. Als der Markgraf das schnelle Wachsen des Teufelswerkes sah, erschrak er und wandte sich in seiner Angst an seinen Kutscher um Hilfe. Der Kutscher war nämlich ein schlauer Mensch und wußte auch hier bald Rat.

»Ich werde dafür sorgen,« beruhigte er den Markgrafen, »daß der Hahn eine Stunde früher kräht,« und übte sogleich das Kikeriki, daß er es bald so gut konnte wie ein Hahn. Um ein Uhr schlich er zum Hühnerstall und fing zu krähen an. Da erwachte der Hahn und begann laut seinen Morgengruß, noch ehe der Teufel sein Werk zu Ende gebracht hatte. Der Markgraf aber jubelte laut und lachte den Teufel aus.

Als der Höllenfürst erkannte, daß er sein Spiel verloren habe, machte er sich mit seiner ganzen Helferschar auf und fuhr wütend durch die Lüfte über die Wälder davon. Dabei entstand ein so heftiger Sturmwind, daß die Kiefern sich bogen, die Äste brachen und die Stämme krüppelig wurden.

Noch nach vielen Jahren konnte man an diesen Bäumen, die im Wachstum zurückblieben, die Richtung erkennen, in der die höllischen Geister mit ihrem Anführer davongeflogen sind.

Die erschlagene Hexe

Am letzten April war einst ein Müllergesell noch spät Abends in einer Mühle bei Rathenow beschäftigt, da kommt eine schwarze Katze zur Mühle hinein; er jagt sie mehrmals hinaus, aber sie kam immer wieder, so daß er ihr endlich einen Schlag auf den Vorderfuß versetzte, daß sie schreiend davon lief. Als er darauf die Räder geschmiert und alles in Ordnung gebracht hatte, ging er zu Bett. Andern Morgens, als er in das Haus des Müllers zum Frühstück kommt, bemerkt er, daß dessen Frau mit gequetschtem Arm im Bett liegt, und erfährt, daß sie das seit gestern abend habe, niemand wisse aber woher. Da hat er denn gemerkt, daß die Müllerfrau eine Hexe war und daß sie am vorigen Abend als Katze zum Blocksberg gewesen sein müsse.

Der Name von Küstrin

Als die Stadt Küstrin gebaut war, wußten die Ratsherrn nicht, wie man die Stadt benamen solle, und rieten lange hin und her; da machte endlich einer den Vorschlag, es solle sich der gesamte Rat vor das Haupttor der Stadt setzen, und nach dem die Stadt benennen, der zuerst in dies Tor hereinkommen würde. So geschah’s denn auch, und der weise Rat setzte sich ans Tor und harrte; da kam auch bald ein Bauernmädchen des Weges, und als man sie fragte, wer sie sei, antwortete sie, sie sei Küsters Trin, das hat man denn zusammengezogen und der Stadt den Namen Küstrin gegeben.

Der Teufel zu Spandau

Im Jahre 1595 zeigten sich zu Spandau, Friedeberg und an anderen Orten viele vom Teufel Besessene. Deshalb wurden auf kurfürstlichen Befehl allgemein Betstunden abgehalten. Zu Spandau, oder wie man damals sagte Spandow, war die Anzahl derer, die vom Teufel geplagt wurden, besonders groß, und die Spandauer hatten sich das wohl selber zuzuschreiben, meinten die Anrainer; denn in Spandau war es allgemein der Brauch, daß man die Verwünschung aussprach, der Teufel möge einen holen, wenn das, was man sage, nicht wahr sei. Auch fluchte man damals, wenn man einem andern Übles wünschte, es möchten ihm ganze Fässer und Scheffel voll Teufel in den Leib fahren. Darauf wurden dann viele Bürger, junge und alte, vom Satan besessen und von Teufeln gequält. Diese schrien: „Ihr habt uns gerufen, wir haben kommen müssen.“

Aber auch früher schon, geht die Sage, hatte es dem Teufel in Spandau sehr gut gefallen; denn bereits im Jahre 1584 war er vor die Stadt gekommen und hatte dort als reicher Händler große Kragen feilgehalten und zahlreichen Zulauf gehabt. Die Käufer aber waren nachher alle vom Teufel geplagt worden, bis es nach langwierigen Beschwörungen gelang, die Teufel aus den Besessenen wieder auszutreiben.

Die Rippe zu Berlin

An dem Eckhaus des Molkenmarkts und der Bollengasse hängen ein Paar gewaltige Knochen, das ist das Schulterblatt und die Rippe eines Riesen, und darum nennt man das Haus auch schlechthin »Die Rippe«. Dieser Riese soll aber hier von einem Erdwurm, so nannten die Riesen in ihrem Übermut die Menschen, erschlagen und so groß gewesen sein, daß sein Leib nicht auf einem Kirchhof Platz hatte, daher hat man ihn denn zerstückeln und auf allen Kirchhöfen begraben müssen.

In der Nähe des Molkenmarkts, nach dem Rathaus zu, soll überhaupt ehemals die wahre Bärengrube gewesen sein, wo sich die Bären aufgehalten haben, und daher ist es denn auch gekommen, daß Berlin einen Bären im Wappen führt.

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Sagen aus Bayern


Sagen aus Bayern

Der Bock bein Auraer Kreuz

In alten Zeiten gingen allabendlich junge Burschen und Mädchen aus Burgsinn nach Aura, um sich dort zu vergnügen. Auf ihrem Weg kamen sie auch an einem Steinkreuz vorbei, das man auf der höchsten Stelle des Pfades errichtet hatte. Immer wieder ermahnten die Alten der beiden Dörfer die jungen Leute eindringlich, nicht zu spät nach Hause zu gehen. Denn in der Nähe des Kreuzes sei nach Mitternacht schon mehrmals ein ungewöhnlich großer Bock gesehen worden. Lachend schlugen sie aber alle guten Ratschläge in den Wind und gingen wie ehedem abends nach Aura. Eines Tages vergnügten sie sich besonders ausgelassen, und es wurde sehr spät, bis sie sich auf den Rückweg machten. Als sie am Kreuz vorbeikamen, vernahmen sie ein Rascheln, und da sprang auch schon ein riesiger Bock aus dem Gebüsch hervor. Er spießte eines der Mädchen auf seine Hörner und rannte blitzschnell davon, ohne daß ihre Begleiter eingreifen und es verhindern konnten. Mehrere Tage lang suchten die Bewohner der beiden Orte nach der Verschwundenen, doch sie wurde nie wieder gesehen. Wegen der feurigen Augen und der schwarzen Hörner, die das Ungeheuer hatte, glaubten die Leute, der Teufel sei in Gestalt dieses Bockes erschienen und habe das Mädchen geholt. Noch lange nach diesem Vorfall mieden die Leute der Umgebung den Weg über das Auraer Kreuz zu nächtlicher Stunde.

Die Prophezeiung des Soldaten

Zu Kriegszeiten zogen Soldaten durch eine Flur. Dirnen steckten Krautpflanzen. Da zog einer der vorbeimarschierenden Soldaten die Pflanze, welche soeben ein hübsches Mädchen gesteckt hatte, wieder heraus, legte sie neben hin auf einen Stein, und sagte: »So wahr diese Pflanze hier gedeiht, so wahr wirst du mein.« Und wirklich wuchs die Pflanze auf dem Steine und ward schöner als alle übrigen; auch kehrte der Soldat zurück und das Mädchen ward sein Weib. Zu Waldmünchen geschehen.

Der Künigenbrunnen

In dem Waldtal, durch welches man von Eschau nach Wildensee geht, ist ein Brunnen von seltsamer Beschaffenheit. Sein Wasser ist nicht gut zu trinken: es ist ungesund und hat einen bitteren Geschmack. – Das kommt von den bittern Kummertränen, die einmal in diesen Brunnen sind geweint worden.

Es ist nämlich in der uralten Zeit, als von Eschau noch kein Haus stand, sondern nur das Schloß auf der Wiese zwischen dem Schleifbächlein und der Elsava, welches jetzt spurlos verschwunden ist, eine Königin durchs Tal gegangen – in großem Leide. Ihr Gemahl war geblieben im Krieg, ihre Kinder in Feindesgewalt geraten. Drei Tage lang war sie schon durch den Wald geirrt, ihre Kleider waren zerrissen von den Dornen, und ihre Füße wund vom harten Gestein, und die Augen brannten ihr im Kopfe, denn sie hatte noch keine Träne weinen können. Da legte sie sich nieder unter den Buchen neben dem Brunnen und meinte, das Herz müsse ihr zerspringen vor großem weh, Gott aber hatte endlich Mitleid mit ihr: sie hielt ihr brennendes Gesicht in den kühlen Quell, und ihre Zähren lösten sich und rannen hinein. Seit dem schmeckt der Brunnen nach den Tränen der Königin und heißt der Künigenbrunnen. Was es aber für eine Königin gewesen ist, weiß man nicht.

Der Wallensee

In den bayerischen Alpen unweit Kochel, von ungeheuern Bergen eingeschlossen, liegt ein See, genannt der Waller- oder Walchensee. Seine schwarzen Wasser sind von unergründlicher Tiefe, und er steht mit dem Weltmeere in Verbindung, daher er im Jahre 1755, als Lissabon durch das große Erdbeben zerstört wurde, heftig tobte und brausete. Und auch zu andern Zeiten stürmt und schäumt er oft hoch auf, und würde er einmal sein Felsenbett in seiner Wut zersprengen, so würden sich seine Wasser gegen München ergießen, und diese Stadt ein Raub der Fluten werden. Zur Abwendung dieses entsetzlichen Unglückes wurde in der ehemaligen in der Gruftgasse befindlichen Gruftkirche täglich eigens eine heilige Messe gelesen, und zur Sühne des zürnenden Wassers alle Jahre ein goldener Ring geweiht und in den Wallersee geworfen.

Die drei Späne

Es ist noch bei Menschen Gezeiten in einer Winternacht, da man bei der Gunkel im Gärtnerhaus in Lichtenberg schauerliche Begebenheiten, sonderbar von der Teufelskuchen erzählte, war eine Dirne, ein keckes Ding, so fürwitzig, mancherlei des Gehörten zu verspotten, und vermaß sich jetzt in der Finster allein in die Schlucht zu gehen. Wie nun die einen sich ob solch frevelhafter Herausforderung des Bösen kreuzten, sprachen die andern, die Dirne an Wort zu halten und zum Zeichen, daß sie dort gewesen, drei Spän aus einem alten Eibenbaum zu schneiden, morgen am Tag wollten sie dann nachsehen ob sie wirklich so getan. Das Mädel ließ sich nicht aufhalten und lief richtig hinaus. Bald kam sie zur Schlucht und fand auch den Baum. Hier schnitt sie rasch den ersten Span, aber ihr armes Herz nackelte schon fast, als es ihr war es knisterte wie ein Feuer um sie. Aber schneidig wie sie war, schnitt sie keck den zweiten Span, da fuhren aber ganz deutlich feurige Funken heraus, und wollt es ihr nun doch zaghaft werden; halb wahnsinnig vor Schreck und Wut erschnitt sie aber doch noch den dritten Span, schrie laut hin: es ist doch alles nur Teufelspuk und jagte in einer Furie nach Haus, um sie herum aber war alles ein wildes Feuer.

Es wird eine Gefahr haben, ob sie wieder kommt, sagte gerade die alte Ahnfrau, als die Dirne selber bleich wie der Tod wie eine Erscheinung in die Stuben stürzte und die drei Spän auf den Tisch hinwarf. Wer aber beschreibt das Entsetzen aller, als drei weißgebleichte Totenbeiner auf das Tischbrett rasselten, und die Dirne jählings zusammenfiel. In der Nacht traute sich keins mehr hinaus, bis der Tag zu grauen anhub. Sie beteten inbrünstig ob der armen Dirne, die man so wider Gleich und Recht hinausgelassen, und dieses Frevels halber kam die Mehrsten ein Greuel an. Doch Reu und Leid wurd da zu spät gemacht, in drei Tagen verschied die Dirne in der hitzigen Krankheit, allzeit schüttelte es sie im Fieber bald vor Frost, bald vor Glut, das Erlebte erzählend fiebernd vor Angst.

Freunde in Leben und Tod

Es waren zwei Jugendfreunde in einer Gegend am Böhmerwalde, welche sich sehr liebten und gegenseitig das Versprechen gaben, daß, wer von ihnen zuerst sterbe, dem anderen nach dem Tode Nachricht geben solle, wie es in der anderen Welt gehalten werde. Beide wurden zu Priestern geweiht.

Der eine davon kam als Hilfspriester nach Sch. Einmal läutete es mit der Provisurglocke, als er schon zu Bette und eingeschlafen war; er erwachte darüber und sagte vor sich hin: »Gleich will ich mich aufmachen.« Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so klopfte es schon, und eine Stimme rief durch die Türe hinein, ob er sich schon versehen hätte, mit ihm zu gehen. Er erwiderte »Ja« – kleidete sich schnell an und ging mit dem Unbekannten, der draußen seiner harrte, ohne ein Wort zu reden, des Weges nach St. Dort angekommen, hieß er den Unbekannten ein wenig warten, bis er die Schlüssel zur Kirche vom Meßner geholt hätte. Dieser bedurfte es aber nicht: denn er sah auf einmal die ganze Kirche erleuchtet und die Flügel der Türe geöffnet. So traten sie beide ein. Da stand der Unbekannte als Priester mit dem Meßgewande bekleidet vor ihm; es war sein Freund, der ihn bat, ihm am Altare zu dienen; er habe als Student U. L. Frauen zu Ehren eine Messe versprochen, sein Versprechen aber vergessen, und müsse es nun nachträglich erfüllen.

So trat der Geist an den Altar, und sein Freund diente ihm. Als die Heilige Messe zu Ende war, wendete sich der Geist zu ihm und sprach: »So, nun habe ich nicht mehr zu leiden. Von der anderen Welt aber kann ich dir nichts sagen, als daß es sehr genau genommen wird.« Mit diesen Worten verschwand er.

Gespenst als Eheweib

Zur Zeit des Herzogs Johann Casimir von Coburg wohnte dessen Stallmeister G. P. v. Z. zuerst in der Spitalgasse, hierauf in dem Hause, welches nach ihm D. Frommann bezogen, dann in dem großen Hause bei der Vorstadt, die Rosenau genannt, endlich im Schloß, darüber er Schloß-Hauptmann war. Zu so vielfachem Wechsel zwang ihn ein Gespenst, welches seiner noch lebenden Ehefrau völlig gleich sah, also daß er, wenn er in die neue Wohnung kam und am Tisch saß, bisweilen darüber zweifelte, welches seine rechte leibhafte Frau wäre, denn es folgte ihm, wenn er gleich aus dem Hause zog, doch allenthalben nach. Als ihm eben seine Frau vorschlug, in die Wohnung, die hernach jener Doktor inne hatte, zu ziehen, dem Gespenst auszuweichen, hub es an mit lauter Stimme zu reden und sprach: »Du ziehest gleich hin, wo du willst, so ziehe ich dir nach, wenn auch durch die ganze Welt.« Und das waren keine bloße Drohworte, denn nachdem der Stallmeister ausgezogen war, ist die Türe des Hinterhauses wie mit übermäßiger Gewalt zugeschlagen worden und von der Zeit an hat sich das Gespenst nie wieder in dem verlassenen Hause sehen lassen, sondern ist in dem neubezogenen wieder erschienen.

Wie die Edelfrau Kleidung anlegte, in derselben ist auch das Gespenst erschienen, es mogte ein Feierkleid oder ein alltägliches sein, und welche Farbe als es nur wollte; weswegen sie niemals allein in ihren Haus-Geschäften, sondern von jemand begleitet, ging. Gemeinlich ist es in der Mittagszeit zwischen elf und zwölf Uhr erschienen. Wenn ein Geistlicher da war, so kam es nicht zum Vorschein. Als einmal der Beichtvater Johann Prüscher eingeladen war und ihn beim Abschied der Edelmann mit seiner Frau und seiner Schwester an die Treppe geleitete, stieg es von unten die Treppe hinauf und faßte durch ein hölzernes Gitter des Fräuleins Schürz und verschwand, als dieses zu schreien anfing. Einsmals ist es auf der Küchen-Schwelle mit dem Arm gelegen und als die Köchin gefragt: »was willst du?« hat es geantwortet: »deine Frau will ich.« Sonst hat es der Edelfrau keinen Schaden zugefügt. Dem Fräulein aber, des Edelmanns Schwester, ist es gefährlich gewesen und hat ihm einmal einen solchen Streich ins Gesicht gegeben, daß die Backe davon aufgeschwollen ist und es in des Vaters Haus zurückkehren mußte. Endlich hat sich das Gespenst verloren und es ist ruhig im Hause geworden.

Der Schmied von Mitterbach

Vor vielen Jahren lebte zu Mitterbach ein Schmied, der hielt sein Hauswesen schlecht instand und vertat alles in Trunk und Spiel. Er wußte sich bald nicht mehr zu helfen und rief den bösen Feind um Beistand an. Dieser stellte sich ungesäumt ein, und der leichtfertige Schmied verschrieb sich ihm mit Leib und Seele; mit seinem eigenen Blut unterfertigte er den Vertrag: der Teufel solle ihn haben, wenn der Böse ihm nur drei Jahre lang in allem zu Willen sei.

Der Mitterbacher schwelgte nun in Lust und Freuden und warf das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinaus, so daß sich die ganze Nachbarschaft höchlich darob wunderte.

Doch bald war die bedungene Zeit um, und Luzifer kam abends in des Schmiedes Stube und machte Miene, sich auf die Ofenbank zu setzen. Aber die Schmiedin wollte dies nicht zulassen, sondern brachte mit zierlicher Höflichkeit einen gepolsterten Stuhl aus dem schönen Stüble herbei. Luzifer fragte nach ihrem Ehegatten. Die Schmiedin erwiderte, ihr Mann schlage den Rossen des Wirtes in der Schenke Eisen auf. Das war aber nur Weiberlist; denn in seiner großen Angst und Not hatte der Schmied seiner Ehegesponsin das Geheimnis seines Vertrages geoffenbart. Des Schmiedes Ehefrau trug nun dem Bösen gut Essen und Trinken auf und sandte den Gesellen nach dem Schmied, ihrem Mann, der sich indessen bei einem alten Großmütterlein im Dorfe Rat holte. Diese war eine kluge Frau, eine bekannte Wahrsagerin und mit allerlei Zauberkünsten vertraut.

Der Mitterbacher kam schließlich fröhlichen Mutes nach Hause und ging den Satan höflich an, seine Lebensfrist zu verlängern.

Der aber schlug das Verlangen rundweg ab und mahnte den Schmied zum Aufbruch. Als beide hinter dem Haus durch den Garten gingen, wo die Kirschbäume voll reifer Früchte hingen, bewog der Schmied den Teufel, auf einen Baum zu steigen und ihm als letzte Gunst einige Kirschen zu brocken. Der Teufel wollte, nachdem er genug abgepflückt zu haben wähnte, wieder vom Baum herabsteigen, aber siehe da! inzwischen hatte der Schmied mit einer weißen, wundertätigen Kreide, die ihm die kluge alte Wahrsagerin gegeben hatte, einen Kreis um den Baum gezogen – und der Satan saß wie angepicht auf dem Aste.

Da rief ihm der Schmied zu, er solle den Vertrag herabwerfen, dann wolle er ihn loslassen. Der Höllenfürst wollte dieser Aufforderung lange nicht nachkommen. Endlich schleuderte er dem harrenden Mitterbacher eine falsche Urkunde herab. Doch dieser erkannte den Betrug, und so mußte der Teufel fletschend und heulend und unsäglichen Gestank verbreitend viele, viele Stunden auf seinem luftigen Sitz verbringen. Indes nahte die Geisterstunde ihrem Ende, und der Teufel geriet in Gefahr, seine Herrschaft auf immer zu verlieren. Das machte ihn mürbe, wie man leicht begreifen wird. Er drehte sich ein Hörnlein ab, nahm daraus ein vergilbtes Zettlein Pergament und warf es dem Schmied zu, der das Schriftstück als die echte Handschrift erkannte, worauf er den Vertrag in tausend Fetzen zerriß. Dann zog er einen Kreis mit schwarzer Kreide, die von seltsamer Wunderkraft war. Der Satan aber fuhr wie der Wind, großen Gestank verbreitend, sogleich in alle Lüfte davon.

Aber wer sich einmal mit der Hölle eingelassen hat, der ist ihr verfallen und vermag sich nimmer loszumachen. So erging es auch dem Mitterbacher. Er verschrieb sich dem Teufel zum zweitenmal, doch diesmal nahm der betrogene Satan sich wohl in acht, neuerlich geprellt zu werden. Nach Ablauf der Zeit bat der arme Sünder, es möchten ihm nur noch drei irdische Wünsche erfüllt werden, weil er nun doch sein liebes Weib und seine Kinder verlassen müsse; seien die Wünsche erfüllt, dann zöge er gern mit fort in die Hölle. Und mit seinen Bitten vereinte die Frau ihr Flehen, und die jungen, rotbäckigen Töchterlein des Schmiedes streichelten dem Geißfuß die haarige Wange und drangen bittend in ihn. Da wurde der alte Griesgram weichherzig und konnte nicht mehr widerstehen.

Der erste Wunsch aber lautete: über Nacht sollten alle Felder, Wiesen und Gründe des Schmiedes mit einer Mauer aus Quadersteinen umgeben sein, zehn Schuh hoch und fünf Schuh dick. Diesem kühnen Begehren wurde völlig entsprochen; denn als der Mitterbacher morgens aufstand und in seinem Besitztum umherwanderte, sah er eine so starke, prächtige Mauer, wie man sich,s kaum denken kann. Hierauf bestieg der Schmied seinen Schimmel. Der lief so schnell wie ein Lauffeuer; der Schmied aber trug dem Teufel auf, so eilig den Weg vor ihm zu pflastern und hinter ihm wieder aufzureißen, als er reite. Auch dies Verlangen wurde erfüllt, obgleich der Mitterbacher ritt, bis der Gaul verendet hinfiel.

Nun wußte der Schmied nicht mehr, was er noch wünschen könne, und ging deshalb zu der weisen Frau im Dorfe. Diese sagte ihm, er möge dem Teufel eine Locke der krausen Haare seines Kopfes zum Geradeschmieden geben. Da zupfte sich der Schmied, froh, solche Auskunft erhalten zu haben, eine Locke aus und gab sie dem Luzifer zum Geradeschlagen. Dieser klopfte gewaltig auf das Haar los, bis er die Unmöglichkeit des Beginnens begriff. Voll Ärger und Verdruß fuhr der Teufel unter lauten Drohungen davon.

Der Mitterbacher aber, verblendet und frech gemacht durch die wiederholte unverhoffte Rettung, verschrieb sich zum dritten Male dem Teufel und mußte nach Ablauf der Frist ohne Gnade und Barmherzigkeit in die Hölle hinab.

In der Hölle gibt es einen Ort, wo nur solche Menschen hinkommen, die auf der Welt niemand erschlagen, keinen Raub noch andere schwere Verbrechen begangen, sondern nur in Trunk, Spiel und bei anderer Kurzweil ihre Tage verbracht haben. Dort sitzen die lustigen Brüder in einer pechschwarzen Rauchkammer, die gar unheimlich von Spanlichtern erhellt ist. Diese Männer trinken Bier und Schnaps, schnupfen, rauchen, spielen Karten, streiten, raufen, werden wieder gut mitsammen, singen und schnaderhüpfeln. Doch einschenken und Span putzen müssen die Teufel. Diese aber zwicken in ihrer angeborenen Bosheit manchmal die Spieler mit glühenden Zangen und tun ihnen sonst allerlei Übles an; die geplagten Häftlinge aber können sich dagegen nicht wehren und auch keine Rache nehmen an den boshaften Plagegeistern.

Als die Bewohner der Rauchkammer nun den Mitterbacher, der einen Schnappsack, wohlgefüllt mit seinem Handwerkszeug, über den Rücken geworfen trug, mit dem Oberteufel hereinkommen sahen, waren alle freudig bewegt, weil sie schon gar manches lustige Stücklein von jenem Schmied gehört hatten.

Der Schmied aber setzte sich gleich an einen Tisch und begann nach tapferem Begrüßungstrunk ein Spielchen zu machen. Aber bald geriet er mit den Teufeln in Streit, die auch ihn mit ihren Teufeleien nicht verschonten. Da griff der ungebärdige Mann nach seinem guten Hammer, schlug die Hörnleinmänner tüchtig nieder und brachte sie alle nach mannhaftem Kampf in seinem Schnappsack unter, wo er sie mit seiner Beißzange noch gehörig zwickte. Die Teufelchen schrien um Gnade; der Fürst der Hölle aber entließ den Schmied schleunig, weil er so gewalttätig war. Stolz warf der Mitterbacher den Sack mit den kläglich zugerichteten Teufeln in eine Ecke, sagte den fröhlichen Kameraden ein freundliches Lebewohl und ging rasch von dannen, in den Fäusten Hammer und Zange haltend.

Der Mitterbacher ging nun geradewegs dem Himmel zu und klopfte da nach seiner Art mit dem Hämmerlein an die Pforte. Aber St. Petrus öffnete nicht. Da wurde der Schmied zornig, drückte die Tür mit Gewalt ein, warf Petrus die Himmelsleiter hinab und drang bis vor Gottes Angesicht. Gott aber rief ihm zu: »Weiche, Verworfener, und wandere in alle Ewigkeit! Du gehörst nicht in den Himmel, taugst nicht in die Hölle und kannst nimmer zur Erde zurückkehren.«

Seitdem wandert der Schmied von Mitterbach umher, man weiß nicht wo, doch muß er wandern in alle Ewigkeit.

Der Dom zu Bamberg

Baba, Heinrich des Voglers Schwester, und Graf Albrechts Gemahlin, nach andern aber Kunigund, Kaiser Heinrich Il. Gemahlin, stiftete mit eigenem Gut den Dom zu Babenberg. So lange sie baute, setzte sie täglich eine große Schüssel voll Geldes auf für die Taglöhner und ließ einen jeden so viel herausnehmen, als er verdient hatte; denn es konnte keiner mehr nehmen, als er verdient hätte. Sie zwang auch den Teufel, daß er ihr große marmelsteinerne Säulen mußte auf den Berg tragen, auf den sie die Kirche setzte, die man noch heutiges Tages wohl siehet.

Die roten Männlein vom Trauberg

Im Trauberg bei Marlenbrunn hausen kleine rote Männlein, die sind so flüchtig, daß man sie nur selten sehen kann. Sie sammeln viele Schätze und verbergen sie im Erdinnern; davon wird einmal der Berg ausgehöhlt sein und zusammenstürzen.

Einst gelang es einem Mann, ein solch flüchtiges Männlein zu fangen, das bat ihn gar sehr, daß er es ausließe, und weil er es nicht tun wollte, drohte es ihm mit vielem Schaden an seinem Vieh, also ließ er es doch frei. Als er heimging, stolperte er über tausend große Wurzeln und Steine, die plötzlich unter jedem seiner Schritte lagen.

Wenn ein Hüterbub in der Nähe des Traubergs oder gar auf dem Trauberg selber recht schreit, laut mit der Peitsche knallt oder sich aus Übermut einer Kuh an den Schwanz hängt und sich von ihr schleifen läßt, dann kommen in der Nacht die roten Männli vom Trauberg, die hocken sich ihm auf die Brust, dann sind sie so schwer wie Blei und drücken ihn, daß er fast nicht mehr schnaufen kann; wird sich’s fürs nächstemal schon gemerkt sein lassen.

Das Geistermahl

Eine lustige Gesellschaft war noch bis tief in die Nacht beim Pfarrer von Berneck versammelt. Schon gingen die Flaschen zur Neige, die Kerzen waren tief herabgebrannt, auch der Nachtwächter verkündete schon die elfte Stunde. Aber die Gäste des Pfarrherrn zogen es vor, sitzenzubleiben. Da winkte dieser seiner Magd und meinte, da nun der Wein ausgetrunken sei, so sollte sie ihr Glück einmal oben auf dem alten Schloß versuchen, dort zechten die Geister allnächtlich, und die könnten ihm wohl einige Flaschen aus ihrem Keller zukommen lassen.

Die Magd sah ihren Herrn betroffen an, der aber wiederholte ernstlich sein Zumuten, sie sollte nach Wallenroden hinauf. Also faßte die treue Dienerin einen festen Entschluß und machte sich auf den Weg. Als sie sich dem Schloß näherte, riß ein Wirbelwind das Tor vor ihr auf. Wankenden Schrittes ging sie hinein und kam in einen weiten Saal, da saßen wirklich die verstorbenen Ritter im Kreis bei einem Gastmahl zusammen. Sie waren von aschgrauem Aussehen und hatten Totenschädel als Pokale.

Als die Magd eintrat, erhob sich einer der finsteren Männer von seinem Sitz und fragte die Zitternde, was ihr Begehren sei, worauf diese mit bebenden Lippen ihren Auftrag vorbrachte. Darauf nahm der Ritter einen Krug, füllte ihn und gab ihn der Magd mit den Worten: »Deiner Einfalt sei verziehen, die Schuld haftet auf deinem Herrn. Aber laß dich niemals wieder hier sehen, wenn dir Leib und Leben teuer sind.«

Leichenblaß griff die Magd nach dem Krug und eilte damit, so schnell sie konnte, durch das offene Schloßtor hinaus in die finstere Nacht. Im Pfarrhaus angelangt, setzte sie den Krug auf den Tisch und erklärte mit kurzen Worten, daß sie diesmal – aber zum letzten Mal – dem Gebot ihres Herrn getreu auf das alte Schloß gegangen sei. Die Gäste aber spotteten über solche Kunde und schlürften mit Behagen den vortrefflichen Geisterwein. Plötzlich entstand ein wildes Brausen, der Sturm heulte fürchterlich, und Blitze auf Blitze durchzuckten den Saal. Unter Zittern und Beben waren die Gäste einer nach dem anderen verschwunden. Als aber der nächste Morgen tagte, fand man den Herrn des Hauses tot.

Der lange Mann in der Mordgasse zu Hof

Vor diesem Sterben (der Pest zu Hof im Jahr 1519) hat sich bei Nacht ein großer, schwarzer, langer Mann in der Mordgasse sehen lassen, welcher mit seinen ausgebreiteten Schenkeln die zwei Seiten der Gassen betreten und mit dem Kopf hoch über die Häuser gereicht hat; welchen meine Ahnfrau Walburg Widmännin, da sie einen Abend durch gedachte Gasse gehen müssen, selbst gesehen, daß er den einen Fuß bei der Einfurt des Wirtshauses, den andern gegenüber auf der andern Seite bei dem großen Haus gehabt. Als sie aber vor Schrecken nicht gewußt, ob sie zurück oder fortgehen sollen, hat sie es in Gottes Namen gewagt, ein Kreuz vor sich gemacht, und ist mitten durch die Gasse und also zwischen seinen Beinen hindurchgegangen, weil sie ohne das besorgen müssen, solch Gespenst mögte ihr nacheilen. Da sie kaum hindurchgekommen, schlägt das Gespenst seine beiden Beine hinter ihr so hart zusammen, daß sich ein solch groß Geprassel erhebet, als wann die Häuser der ganzen Mordgasse einfielen. Es folgte darauf die große Pest und fing das Sterben in der Mordgasse am ersten an.

Der versteinerte Ritter

Der Ritter von Chammerau hatte sein Auge auf die schöne Tochter eines Müllers im Regentale geworfen, fand aber bei der sittsamen Maid kein williges Gehör. Eines Tages, als er in gewohnter Weise von seiner Feste auf Raub auszog, überraschte er die Jungfrau auf der Wiese ihres Vaters, wo sie das Linnen bleichte. Stracks faßte er den Entschluß, mit Gewalt zu nehmen, was ihm nicht in Gutem gegeben wurde, und lenkte sein Roß vom Wege ab auf den Grasplatz hin. Das Mädchen aber merkte noch zeitig genug des Ritters böslich Absicht und suchte sich durch die Flucht zu retten. Wie ein gescheuchtes Reh lief es über die Fluren hin; nicht lange jedoch, so stand es an dem Ufer des Regen, über welchen an jener Stelle weder Brücke noch Steg führt. Vor ihr der Tod im Flusse, hinter ihr Entehrung und Schande; die Wahl war kurz, denn schon sprengte der Ritter mit seinem Trosse näher heran. Mit dem Rufe: »Gott gnade meiner Seele!« stürzte sich die Jungfrau in die Fluten. Dies waren barmherziger als die Menschen, und trugen sie nach einer Untiefe hin, wo sie festen Fuß fassen konnte. Doch war sie noch nicht gerettet, denn der Verfolger setzte ihr auch in den Fluß nach, und bald hörte sie dicht hinter sich das Schnauben der Rosse und das Hohngelächter der wilden Schar. Mit einem Male aber war alles still, und als die Jungfrau sich umwendete, sah sie weder Ritter noch Knappen mehr, wohl aber eine lange Reihe ungestalter Felsblöcke, die vom Ufer bis über die Mitte des Flusse sich erstreckte. Die Hand Gottes hatte strafend den Wüstling und seine Helfershelfer erreicht. Die Steine liegen noch heute im Regen, und man sieht sie, wenn man von Chammerau nach Roßbach hinuntergeht.

Die blinde Jungfrau

Heut hat sich die blinde Jungfrau sehen lassen«, oder auch: »Heut hat sich die blinde Gerechtigkeit wieder sehen lassen«, hört man oft sagen. »Ist denn wieder das Buch herabgefallen?« fragt man dann, und die Antwort ist: »Es muß wohl so sein.« Die Geschichte ist folgende: Am alten Dom zu Bamberg, bei dem Prachttor, oben steht eine Jungfrau von Sandstein ausgehauen. In ihrer Rechten hält sie einen Stab, der ist zerbrochen, in ihrer linken Hand zehn Ziegel. Ihre steinernen Augen aber sind verbunden mit einem Tuche, wie’s der Weber macht. Die Figur aber stellt eine Jungfrau vor, die einst öffentlicher Unzucht angeklagt und als schuldig erkannt wurde. Vergebens beteuerte sie ihre Unschuld; wohl mehr als zehnmal fiel sie nieder auf die Knie, rief Pfaff und Laie an, sie doch nicht schmachvoll sterben zu lassen durch Henkerhand; vergebens, man riß sie auf, und schleppte sie halbtot weiter. Als sie an den Dom gekommen war und zum alten Schloß, raffte sie sich noch mal auf, und rief, die Blicke gen Himmel: »Der Mensch hat kein Erbarmen mit meiner Unschuld, ihr Ziegel auf dem Dache habt’s noch eher, so erbarmt ihr euch! « kaum hatte sie das gesprochen, fielen zehn Ziegel vom Dache und schlugen sie tot. Volk und Richter nahmen es als ein Himmelszeichen, und der Jungfrau Bildnis prangt an dem Orte, wo das Wunder geschehen ist. Der Bildhauer, der die Augenbinde vergaß, die das blinde Urteil sollte bedeuten, verband die Augen mit einem rechten Tuche, und so oft es durch das Wetter zu faulen anfängt, geht die Jungfrau wandeln. Um Mitternacht schwebt sie auf dem Domberg auf und nieder, und die Wachtposten haben nicht den Mut, sie anzurufen; sie schwebt dann weiter, und pocht an alle Domherrnwohnungen, jede Nacht es wiederholend, bis ihre Augen ein frisches Tuch bedeckt.

Perlen der Muttergottes

Einst herrschte Hungersnot. Eine Witwe aus Lohr wußte nicht mehr, womit sie ihre Kinder ernähren sollte. in ihrer höchsten Not und Verzweiflung wallfahrtete sie eines Tages zum Gnadenbild am Bauershof und flehte dort so herzinnig um Hilfe, daß die hölzerne Figur der Muttergottes Leben bekam und die schwarzen Perlen ihres Rosenkranzes weit übers Land streute. Wo aber eine Perle zu Boden fiel, entsproß ein Strauch der Erde, über und über mit ebensolchen dunkel glänzenden Perlen bedeckt. Die Kinder entdeckten schnell, daß die Früchte wunderbar schmeckten. Auf die Geschichte von der Entstehung der Heidelbeeren ist es auch zurückzuführen, daß heute noch viele Beerenfrauen im Spessart in dankbarer Erinnerung mit »Gegrüßet seist Du Maria« auf den Lippen das Pflücken beginnen.

Der Teufelsfelsen

Ein hoher Fels an der Donau bei Kelheim heißt die Teufelswand und, nächst dieser, ein anderer den Wasserspiegel der Donau zum Teil überragender Fels, das Teufelsloch. Hier soll die Donau sehr eng gewesen sein und ein Baumeister mit Hilfe des Teufels den Durchgang ausgebrochen haben, wogegen sich dieser zum Lohne die ersten drei Seelen ausbedingte, welche durch das neue Bett fahren würden. Als nun der Teufel den Felsen ausgebrochen hatte, ließ der Baumeister zuerst einen Hirsch, einen Gockel und einen Hund in einem Nachen durchfahren. In seinem Zorn verwandelte der Teufel diese Tiere in Stein. Daher heißt ein Felsen das Teufelsloch und drei andere nennt man Hirschsprung, Gockel und Hund.

Die Glücksrute

Die Glücksrute, von der hier gesprochen wird, bringt kein Glück und ist auch keine Rute, sondern ein dicker Stock, der auf Befehl seines Eigentümers einen, er mag nah oder fern sein, ohne Zutun einer Menschenhand windelweich drischt. Um zu einem solchen Stocke zu gelangen, muß man in der heiligen Christnacht in den Wald gehen, und dort um zwölf Uhr unter Hersagung gewisser Sprüche eine junge Eiche abschneiden; man darf aber auf dem Hin- und Herwege nicht beschrien werden und auch kein Wort sprechen, sonst ist der Stock unkräftig und es kann einem auch sonst ein großes Unglück widerfahren. Gelingt’s und gewinnt einer durch den Frevel einen kräftigen Stock, so mag ein rachsüchtiges Gemüth das wohl für ein Glück ansehen, ob’s aber seiner Seele Gewinn bringt, mag der am besten wissen, der dem Stocke den Segen gibt.

Der Hanskort von Edelbach im Kahlgrunde hatte eben auch ein rachsüchtiges Gemüth; er konnte es nie vergessen, wenn ihn jemand beleidigt hatte, und wenn die Beleidigung auch nur eingebildet war. Einst hatte sein Vetter von ihm eine kleine Summe Geldes, die er jenem schuldig sein sollte, gefordert; Hanskort leugnete mit Recht oder Unrecht die Schuld, mußte sie aber, als der Vetter vor Gericht klagbar ward, bezahlen. Das wurmte den Hanskort, daß er nicht schlafen konnte. Es ging gerade auf Weihnachten und Hanskort hatte auch von der Glücksrute gehört und wußte, wie man ihrer habhaft werde; er nahm sich vor, sich eine zu schneiden und dann auf dem Rücken seines Vetters einen Versuch damit zu machen. Als der heil. Christabend gekommen war und Mitternacht nahte, begab sich Hanskort auf den Weg in den nahen Wald. An dem Eingange in denselben traf er auf einen stattlichen Jäger, der zwei große Hunde mit sich führte. Der Jäger sprach: »Gut‘ Zeit, Hanskort! Wo hinaus so spät?« Hanskort stutzte, als er sich mit seinem Namen anreden hörte, denn es war mondhell und der Jäger stand in vollem Lichte, aber Hanskort kannte ihn nicht; dennoch erwiderte er den Gruß und murmelte etwas von einer unverschieblichen Reise, worauf er seinen Weg fortsetzte. Als er in der stillen Winternacht die Glocken von Ernstkirchen zur Mette läuten hörte, schritt er zum Werk; bald hatte er den Stock in den Händen. Er kehrte sich um und wollte den Rückweg antreten – da stand hinter ihm der Jäger, aber nicht zum freundlichen Gruße, sondern mit gräulichem Gesicht; er ergriff den Hanskort am Kragen, fuhr mit ihm hoch in die Luft, drehte ihm den Hals um und warf ihn zur Erde, daß kein Knochen ganz blieb.

An der Stätte, wo dieses geschehen, wächst heute noch kein Halmen Gras.

Herzog Heinrich in Bayern hält reine Straße

Herzog Heinrich zu Bayern, dessen Tochter Elsbeth nach Brandenburg heiratete, und die Märker nur »dat schon Elsken ut Beyern« nannten, soll das Rotwild zu sehr lieb gehabt und den Bauern die Rüden durch die Zaun gejagt haben. Doch hielt er guten Frieden und litt Reuterei, oder wie die Kaufleute sagten, Räuberei, gar nicht im Lande. Die Kaufleut hießen sein Reich: im Rosengarten. Die Reuter aber klagten und sagten: »Kein Wolf mag sich in seinem Land erhalten, und dem Strang entrinnen.« Man sagt auch sonst von ihm, daß er seine Vormünder, die ihn in großen Verlust gebracht, ehe er zu seinen Jahren kam, gewaltig gehaßt, und einmal, als er über Land geritten, begegnete ihm ein Karren, geladen mit Häfen. Nun kaufte er denselben ganzen Karren, stellte die Häfen nebeneinander her und hob an zu fragen jeglichen Hafen: »Wes bist du?« Antwortete drauf selber »des Herzogs« und sprach dann: »Nun du mußt es bezahlen«, und zerschlug ihn. Welcher Hafen aber sagte, er wäre der Regenten, dem tat er nichts, sondern zog das Hütel vor ihm ab. Sagte nachmals: »So haben meine Regenten mit mir regiert.« Man nannt ihn nur den reichen Herzog; den Turm zu Burghausen füllte er mit Geld aus.

Der schwarze Mann

Einen Kaufmann, welcher die Donau mit Gütern herabfuhr, überfiel bei Höchstädt in Schwaben ein großer Sturm. Das Schiff war nahe daran unterzugehen, da erschien, auf dem Wasser gehend, ein schwarzer Mann, welcher dem Kaufmann versprach, ihn mit seinen Gütern zu retten, wenn er ihm das geben werde, was ihm in seinem Hause unbekannt sei. Der Kaufmann achtete das nicht hoch, versprach es, und mußte die Urkunde mit seinem Blute zeichnen. Der Sturm legte sich, und der Kaufmann kam wohlbehalten mit seinen Gütern nach Hause. Freudig eilte ihm seine Gattin entgegen, aber wie bestürzt war er, als sie ihm kundgab, daß sie guter Hoffnung sei! Sie gebar ein Mädchen, welchem nach 6 Jahren sein Schicksal eröffnet wurde. Einige Jahre später erschien der schwarze Mann, und holte das Mädchen mit der Versicherung ab, daß ihm kein Leid geschehen werde. Der schwarze Mann führte das Mädchen über die Donau in eine Felsenhöhle, und wurde dort zum schwarzen Pudel. Dort war ihr Geschäft den Pudel zu kämmen (strählen) und zu pflegen.

Einige Jahre später heiratete des Mädchens Schwester, und der Pudel erlaubte seiner Pflegerin, auf die Hochzeit zu fahren. In schönen Gewändern, kam sie zur größten Freude der Ihrigen an. Nach drei Tagen kehrte sie zurück, wurde aber unterwegs von einer schwarzen Hexe geraubt und von derselben längere Zeit schlecht behandelt. Der Pudel umschwebte sie stets als unsichtbarer Geist und sagte ihr, wie sie sich gegen die Hexe zu benehmen habe. Einst sagte die Hexe dem Mädchen, es entlassen zu wollen, wenn es drei Bedingungen erfülle. Die erste und zweite sind nicht mehr bekannt; die dritte aber war: einen schwarzen Wollenstrang weiß zu waschen. Diese drei Bedingungen erfüllte das Mädchen; der Hund und die Hexe waren erlöst, und das Mädchen, reich mit Schätzen beladen, kehrte zu seinen Eltern zurück.

Tiere reden in der Christnacht

Der Wolfbauer war ein Mann, der nicht nach altem guten Brauch gehaust hat, sondern alles besser machen wollte als sein Vater und Ahnherr und Urahnherr, die doch die reichsten Bauern in der Gegend gewesen sind. Er las Zeitungen, disputierte mit dem Herrn Pfarrer, sagte zu seinen Ehehalten, man brauche des Pfarrers Predigt und Messe nicht, man könne sich zu Hause mit Gott unterhalten, und stak immer in Prozessen. Der nun in seinem freventlichen Übermut hielt die Geister und alles Überirdische für eitel Lug und Trug und wollte seine Gedanken bei Gelegenheit an den Tag kommen lassen. Da war Christnacht, wo das Vieh um die zwölfte Stunde miteinander redet. Aber sein Mutwille wurde hart bestraft. Der Wolfbauer legte sich im Trunke unter den Barn, wo seine liebsten Ochsen, der Müller und Ruckl, angebunden waren, und freute sich schon im stillen, wie er den Glauben an Geister niederschlagen werde. Als es zwölf Uhr schlug, da hub der Ruckl an: »Schau, Müller! Tut mich recht erbarmen unser Bauer; heut über acht Tag müssen wir ihn auf den Friedhof fahren.« Darauf sagte der Müller: »Ja, ist mir auch ganz zuwider; er ist alleweil so brav gegen uns gewesen; keinen Schlag hat er uns gegeben, und Futter und Ruhe hat er uns genüglich gelassen.«

»Wart, wart! Ich will euch die Faxen austreiben«, schrie der betrunkene Bauer, »ihr sollt mich gewiß nicht in die Grube bringen.« Und gleich in der Frühe verkaufte er die Ochsen an einen andern um ein Spottgeld, nur daß er sie wegbrachte.

Aber eine Viehseuche entstand und raffte alles Vieh des Bauern und seiner Nachbarn hin bis auf die zwei Stierlein, die dem FrevIer sein Ende vorhergesagt. Sogar der Wolfbauer, der viel mit dem kranken Vieh umging und durch Menschenklugheit dem Verderben Einhalt tun wollte, wurde von der bösen Seuche ergriffen und starb, ganz wie es ihm die Tiere in der Christnacht prophezeit hatten, und, da kein ander ›Mähnt‹ da war, weil die Seuche alles Vieh weggerafft hatte, so zogen der Ruckl und der Müller des ungläubigen Bauern Bahre auf den Gottesacker, acht Tage nach jener Begebenheit im Stalle.

Die Waldleute

Die Gegend, wo jetzt das Dorf Kalchsreut in der Oberpfalz steht, war in alten Zeiten ein Wald, in welchem ein Waldmännlein und ein Waldweiblein wohnten. Als die Gegend angebaut und bewohnt wurde, kamen sie nachts in die Häuser der guten Menschen, verrichteten die Hausarbeiten und waren zufrieden mit einem wenigen der übrig gebliebenen Speise. Am liebsten hielten sie sich nachts in der Mühle in Kalchsreut auf; das Männlein hantierte in der Mühle, das Weiblein im Stalle. Dafür stellte ihnen die Müllerin ein wenig von der übriggebliebenen Speise hin. Morgens war alles in schönster Ordnung; das Haus hatte Glück und Segen. Als der Winter nahte, legten ihnen die Müllersleute Kleider hin, denn sie waren nackt. Sie weinten und ließen sich in der Mühle nie wieder sehen.

Lange Zeit hörte man nichts von dem Waldmännlein und Waldweiblein, bis sie sich wieder auf dem Breitenstein zeigten. In diesem Schloß lebte eine fromme Magd, für welche sie nachts arbeiteten und wofür ihnen diese ein wenig von den übriggebliebenen Speisen hinstellte. Alle Arbeiten der frommen Magd gingen ihr besser von der Hand, und sie leistete mehr als die übrigen Mägde, welche sie aus Neid bei dem Schloßherrn verleumdeten. Dieser ließ das Männlein fangen und einsperren. Klagend lief das Weiblein nachts um das Schloß herum und bat, ihr Männlein freizulassen, sie wolle dafür guten Schlehenstein geben. Aber der Schloßherr achtete nicht auf das Flehen des Weibleins und ließ das Männlein verhungern. Das Weiblein umkreiste den Breitenstein und sprach.- »Weil du mein Männlein hast verhungern lassen, so geb ich dir keinen Schlehenstein, deine Nachkommen werden bald aussterben und von deiner Burg wird kein Stein auf dem andern bleiben.« Alles ist eingetroffen; auf Breitenstein sieht man keine Schlehen, welche doch überall in dieser Gegend wachsen. Auf diesem Schlosse lebte damals ein Taglöhner, welcher im Wald Holz fällte. Zu diesem trat das Waldweiblein und bat: »Lieber Mann, wenn du einen Baum fällst, so haue jedesmal drei Kreuze auf den Stock; darauf kann ich ruhen und der wilde Jäger hat keine Gewalt über mich.« Dann bat sie ihn: »Dein Weib backt morgen; sie soll mir einen kleinen, dicken Kuchen backen.« Als der Mann den Kuchen brachte, brach das Weiblein ein kleines Stück von der Rinde, höhlte ihn aus, aß nur die Brosen, füllte den ausgehöhlten Kuchen mit Sägspänen, gab ihn dem Taglöhner zurück und wünschte ihm Glück. Dann ging das Weiblein fort und der Taglöhner hörte sie in der Ferne noch wehklagen. Als dieser nach Hause kam, warf er den Kuchen verdrießlich auf den Tisch, weil er sich Besseres vom Waldweiblein für den guten Kuchen erwartet hatte als Sägspäne. Als aber der Kuchen platzte, fielen drei schöne Taler heraus. Von nun an hat man das Waldweiblein nicht mehr gesehen, aber man hört es zuweilen nachts um den Breitenstein heulen und klagen. Man pflegt dann zu sagen: das Klagweiblein, Klagmütterlein hat sich hören lassen, geschieht gewiß bald ein Unglück.

Das Goldlaiblein

Einst hüteten am Ochsenkopfe zwei Knaben und ein Mädchen die Schafe. Die Knaben waren Kinder wohlhabender Landleute; des Mädchens Eltern aber waren arm. Die kleinen Gefährten erzählten sich allerIei Geschichten. Da gesellte sich zu ihnen ein graues Männlein, das aufmerksam ihren Gesprächen zuhörte. Endlich sprach es: »Ihr seid gute Kinder. Darum will ich auch nicht von euch gehen, ohne euch zu beschenken.« Es zog aus der Tasche drei Laiblein Brot und gab jedem Kind eines. Darauf entfernte es sich.

Die beiden Knaben lachten über das ärmliche Geschenk und achteten es nicht wert. Der eine nahm sein Laiblein und warf es auf die Erde. Es hüpfte den Berg hinab, bis es sich zwischen struppigem Gebüsch verlor. Da sprach der andere Knabe: »Halt, mein Laiblein muß das deinige suchen!« und warf es ebenfalls auf die Erde. Es nahm denselben Weg wie das erste.

Nun wollten die leichtsinnigen Knaben auch das Mädchen bereden, das Geschenk wegzuwerfen. Die Kleine aber hüllte es eilig in ihr Schürzlein und sprach: »Wie wird es meine Eltern freuen, wenn ich ihnen etwas mit nach Hause bringe!«

Als sie aber heimkam und man das Brot aufschnitt, siehe, da war ein Klumpen Gold hineingebacken, und Reichtum zog ein, wo sonst Mangel herrschte.

Als die beiden Knaben von dem Glück ihrer Gefährtin hörten, gingen sie zurück, um die verschmähten Geschenke des grauen MännIeins zu suchen. Allein es war vergeblich.

Die Riesenpflüge

In uralter Zeit war der Main überall in mehrere Arme geteilt. So floß ein Arm da vorbei, wo jetzt Aschaffenburg steht, und ein anderer ging oberhalb Nilkheim ab und vereinigte sich unterhalb Leider wieder mit dem erstern. Bei Dettingen teilte sich der Fluß gar in drei Teile; der eine floß links an Kleinwelzheim vorbei, der zweite in dem jetzigen Mainbette, so daß Kleinwelzheim auf einer Insel gestanden wäre, und der dritte ergoß sich über die Pfaffenwiesen am Häuseracker-Hof vorbei. Der letzte war der stärkste, worauf die Schiffe notdürftig fortkommen konnten; der Weg von dem nun ausgetrockneten Hümmelsee nach Großwelzheim heißt deshalb noch heutzutage der Schiffsweg.

Damals war das ganze Maintal mit Sümpfen bedeckt und der Landwirtschaft unzugänglich; nur der Ur, dessen Hörner noch hie und da aufgefunden werden, hauste in den Weiden- und Erlenwäldern, die an den Ufern und auf den Inseln des Maines wucherten. Die Höhen des Maintals waren von riesenhaften Männern bewohnt. Um den großen Teils guten Boden des Maintals dem Ackerbau zu gewinnen und eine ordentliche Schiffahrt möglich zu machen, unternahmen es diese Männer, ein einziges Flußbett herzustellen. Zu diesem Ende lockerten sie den Grund in dem einen Arme mit Riesenpflügen tief auf, und der Strom ergoß sich nun in den einen und die übrigen legten sich allmählich trocken; aber die alten Flußbetten sind noch heute sichtbar.

Von den Pflügen wurden zum ewigen Gedächtnis eine Schar und eine Segge aufbewahrt; sie hängen in dem Hofe des Schlosses zu Aschaffenburg.

Der Hahnenkampf

Zu einer Zeit kam Karl der Große auf sein Schloß bei Kempten zu seiner Gemahlin Hildgard. Als sie nun eines Tages iiber Tische saßen, und mancherlei von der Vorfahren Regierung redeten, während ihre Söhne Pipin, Karl und Ludwig darneben standen, hub Pipin an und sprach: »Mutter, wann einmal der Vater im Himmel ist, werde ich dann König?« Karl aber wandte sich zum Vater und sagte: »Nicht Pipin, sondern ich folge dir nach im Reich.« Ludwig aber, der jüngste, bat beide Eltern, daß sie ihn doch möchten lassen König werden. Als die Kinder so stritten, sprach die Königin: »Eure Zwist wollen wir bald ausmachen; geht hinab ins Dorf und laßt euch jeder sich einen Hahn von den Bauern geben.« Die Knaben stiegen die Burg hinab mit ihrem Lehrmeister und den übrigen Schülern, und holten die Hähne. Hierauf sagte Hildegard: »Nun laßt die Hähne auf einander los! Wessen Hahn im Kampfe siegt, der soll König werden.« Die Vögel stritten, und Ludwigs Hahn überwand die beiden andern. Dieser Ludwig erlangte auch wirklich nach seines Vaters Tode die Herrschaft.

Der Pestvogel in Gräfendorf

Es war in den Tagen, als in Gräfendorf die Pest wütete. Sie raffte ohne Ansehen des Alters und des Standes die Einwohner hinweg. Schon waren viele Bewohner des Ortes der gefürchteten und erbarmungslosen Seuche zum Opfer gefallen. Da bemerkte man einen schwarzen, unheimlichen Vogel mit auffallenden weißen Punkten über dem Ort kreisen. Keiner kannte seinen Namen und niemand hatte ihn früher schon einmal gesehen. Als der Vogel fortflog, zog die Pest mit ihm, und die Gräfendorfer waren vom Schwarzen Tod befreit. Man sagt, wenn sich dieser Vogel eines Tages wieder in einem Dorf zeige, werde hier die Pest erneut ausbrechen.

Erlebnisse am Fastnachtsdienstag

Am Fastnachtsdienstag darf niemand in den Wald gehen, weil an diesem Tage die unholden Wesen alles Recht haben; wer’s trotzdem tut, kann Arges erleben, und wer’s getan hat, weiß davon zu erzählen.

Mehrere Windheimer Männer fuhren einmal an einem Fastnachtsdienstag in den Wald, um in den Teufelsgrüben, einer Abteilung im Fürstlich-Löwensteinschen Park, Holz zu holen. Als sie eine Fuhre geladen hatten, brach ihnen ein Rad. »Jetzt müssen wir den Wagen stehen lassen«, sagten sie, »das ist recht ärgerlich.« – »O nein!« rief es hinter ihnen, und als sie sich umwandten, sahen sie, daß dort der Teufel stand, der trug ein neues Rad in der Hand. Er steckte es an die Achse und machte es fest; dabei plauderte er ganz leutselig mit ihnen, wie arg es sei, wenn einem unterwegs etwas passiere, wie bitter, wenn man wieder unverrichteterdinge heimgehen müsse und was halt so derlei allgemeiner und unverbindlicher Redensarten sind. So freuten sich denn die Männer, weil der Teufel gar so umgänglich war, und einer meinte: »Diesmal haben wir Glück gehabt.« –»Freilich«, sagte der Teufel, »Glück muß der Mensch haben, ja, und was ich noch sagen wollte: Umsonst ist nicht einmal der Tod, denn der kostet das Leben. Für das Rad muß ich mir einen von euch mitnehmen. Ihr könnt selber aussuchen, welcher es sein soll.« Die Männer erschraken gar sehr und baten ihn, daß er das Rad wieder zurücknehme, aber darauf ließ er sich nicht ein. Sie handelten aus, wer mit dem Teufel gehen solle, konnten sich aber nicht einig werden und begannen zu streiten. Das dauerte dem Teufel zu lange: er packte den Nächstbesten und schleppte ihn davon.

Der Name Aschaffenburg

Dle Mainufer in der Nähe der jetzigen Stadt Aschaffenburg waren ehemals nichts als Wald. Als die erste Ansiedelung sich ausdehnte, bedurfte man Land zum Feldbau; das Abholzen des dichten Urwaldes durch die Axt würde eine Arbeit gewesen sein, der die Ansiedler kaum gewachsen waren: sie steckten deshalb den Wald in Brand. Das ganze Aschafftal ward von Bäumen entblößt, die Asche lag aber so dick darin, daß der Bach ganz davon bedeckt war. Die Ansiedler nannten ihn deshalb Asgaffa oder Ascaffa von den altdeutschen Worten asga, Asche und affa, Fluß, sonach Aschenbach. Die Aschaff floß zu jener Zeit durch die Stadt und die Stadt, die er durchschnitt, ward Aschaffenburg genannt.

Das Weib mit den Läusen

Vor Jahren ging in Wernfeld ein zehnjähriger junge in den Garten seiner Eltern und wollte Salat für seine Mutter holen. Da kam eine ältere Frau auf ihn zu und setzte ihm eine Menge Läuse auf den Kopf. Der Junge lief sogleich ins Haus zu seiner Mutter und berichtete ihr alles. Sofort erkannte sie, daß diese Frau eine Hexe war, und wußte auch, wie man sich an ihr rächen konnte. Sie suchte den Kopf ihres Buben ab, entfernte die Läuse, legte drei davon auf den Deckel eines nagelneuen Kochtopfes und hieb mit einem ungebrauchten Kochlöffel heftig auf das Ungeziefer ein. Während dies geschah, bekam die Hexe eine mächtige Tracht Prügel, ganz gleich, wo sie sich gerade befand. Da erschien auch schon das böse Weib am Fenster und rief: »Hör‘ auf, hör‘ auf! Du schlägst mir dauernd auf den Kopf!« Die Mutter aber schrie zurück: »Wenn du meinem Buben noch einmal Läuse auf den Kopf setzt, so tue ich es wieder!« Daraufhin verschwand die Frau, und bis heute hat niemand mehr etwas von ihr gehört oder gesehen.

Der Weltfisch

Die Stadt Cham soll früher viel größer gewesen sein. Chammünster Iag damals in der Mitte, und Chamereck bildete die östliche Spitze. Die ganze Stadt steht auf dem Schweif eines ungeheuren Fisches. Damit er nicht erschreckt werde und durch seine Bewegung die Stadt zerstöre, durfte früher der Hirt beim Austreiben des Viehes nicht blasen.

Große Feuersnot in Donauwörth

Am Margarethentag 1477 kam ein großes Feuer aus. Vergeblich waren alle, auch die angestrengtesten Löschungsversuche. Schon loderten vier Häuser und die ganze Stadt war in sichtlicher Gefahr. Da wendete man sich an den Abt, und dieser kam, begleitet von dem Klostergeistlichen, mit dem heiligen Kreuz, und umging betend und segnend die Flammen. Da mäßigte sich deren Wut, und es sank in Kurzem in sich selbst zusammen. Schon 1317 bei dem Brande des aus den Trümmern von Mangoldstein erbauten Rathauses hatte man ein gleiches Wunder gesehen.

Die umgehende Wehmutter

In Augsburg lebte gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts die Wehmutter. Sie war Hebamme und taufte die Kinder bei Nottaufen in Teufels Namen. Nach ihrem Tode irrte sie in verschiedenen Gestalten, als Hund, Kalb u. dgl. umher. Sie hauste gräßlich, und war besonders Wöchnerinnen und kleinen Kindern gefährlich, welchen sie sich durch wehmütiges Winseln bemerkbar machte. In den Rauchnächten zog sie durch die Straßen. Wer vorwitzig zum Fenster hinausschaute, dem schwoll der Kopf. Es war nicht eher Ruhe, bis sie ein Geistlicher in die Donau bei Regensburg beschwor. Andere sagen der Kapuziner Köpplin habe die Wehmutter in die Wertach gebannt.

Das Spatzenbild

Eines Tages ging ein Bauer von Hessenthal aus der Stadt nach Hause und nahm seinen Weg über die hohe Wart. Er hatte den Weg schon oft gemacht, achtete deshalb nicht darauf und ging in seinen Gedanken hin. Auf einmal hört er in der Luft ein fürchterliches Geschrei, blickt auf und sieht zwei Raben in einem verzweifelten Kampfe miteinander. Sie steigen auf und sinken nieder, lassen sich aber nicht aus und zerfleischen sich mit ihren starken Schnäbeln. Der Bauer bleibt stehen und will abwarten, was aus der Geschichte wird. Es dauert nicht lange, so wird der Kampf immer schwächer, und der eine Rabe fällt unfern von dem Bauer tot zur Erde und gleich darauf auch der andere. Der Bauer will sich die toten Raben besehen, die nur ein Paar Schritte von ihm auf der Heide liegen müssen: sie sind aber beide verschwunden. Da fällt dem Bauer ein, daß er an der Stelle ist, wo sich vor vielen Jahren zwei Männer in der Hitze des Streites erschlugen; dahingeschieden in ihren Sünden ohne Reue und Buße mochten sie keine Ruhe im Grabe gefunden haben. Der Bauer ließ zu dessen Gedächtnis und daß die Wanderer ein frommes Gebet für die Erschlagenen beten möchten, einen Bildstock dorthin setzen, welcher die Aufschrift hat:

HANS H
ENRICH S
PATZ
VON HE
SLENDA
HL 1745.

Das Spatzenbild steht an dem Wege von Dörmersbach in die hohe Wart unfern der letztern.

Attila vor Augsburg

Das römische Reich kam in Abnahm, hingegen die deutsche und andere mächtige Völker aus den nordlichen Gegenden Europens verbanden sich mit einander, und zogen mit unzählbaren Heeren daher, es gänzlich zu stürzen. Die Goten bemächtigten sich des größten Teils von Italien, die Franken Galliens, die Sachsen Engellands, die Wandalen Spaniens, die Allemannen und Sueven aber beunruhigten unsere Gegenden mit unaufhörlichen Streifereien, biß sie sich endlich auch derselben gänzlich bemächtigten, oder vielmehr die Römer ihnen wichen, und unsere Stadt ihrem Schicksal überließen.

Während dieser Zeit kam noch der Einfall der Hunnen dazu, eines ungezähmten, räuberischen Volkes, welches sich Pannomens, das ist des jetzigen Ungarns, bemächtiget hatte, und in die römischen Provinzen mit großer Macht eingedrungen war; ein Einfall der weit entsetzlicher war als alle vorige. Ihr König Attila ist so bekannt, daß ich ihn nur nennen darf. Er nannte sich selbst die Geißel Gottes und verwüstete alles mit Feuer und Schwert wo er hin kam. Bei Augsburg aber soll sein Mut einen Schandfleck erhalten haben. Man sagt, er habe mit seinem Heere auf unsere Stadt zugehen, und sie gleich andern zu einem Steinhaufen machen wollen. Er soll bis an die Ufer des Lechs gekommen sein, und St. Affra Kapelle verwüstet haben. Als er aber durch den Fluß setzen wollte, sei ihm ein abscheuliches altes Weib, auf einem ebenso häßlichen Pferd entgegengekommen, habe ihn dreimal mit fürchterlicher Stimme angerufen: Zurück Attila, darüber soll der Held so sehr erschrocken sein, daß er mit seinem ganzen Heer die Flucht ergriffen und unsere Gegenden verlassen habe. Die Geschichte ist der Inhalt des Gemäldes am Barfüßer-Tor, das dermalen meistens vergangen ist. Für die Wahrheit will ich nicht gutstehen, dann es gibt Leute welche behaupten Attila wäre nie in unsere Gegenden gekommen. Indessen sollte es mich verdrießen wann sie nicht wahr wäre, dann sie ist einmal recht artig und ganz unwahrscheinlich ist sie eben auch nicht. Dann häßliche böse Weiber können einem wohl Furcht einjagen, sie dürfen nicht einmal Hexen sein.

Traum vom Schatz auf der Brücke

Es hat auf ein Zeit einem geträumt, er solle gen Regensburg gehen auf die Brücken, da sollt er reich werden. Er ist auch hingegangen und da er einen Tag oder vierzehn allda gangen hat, ist ein reicher Kaufmann zu ihm kommen, der sich wunderte, was er alle Tag auf der Brücke mache und ihn fragte: was er da suche? Dieser antwortete. »Es hat mir geträumt, ich soll gen Regensburg auf die Brücke gehen, da würde ich reich werden.« »Ach«, sagte der Kaufmann, »was redest du von Träumen, Träume sind Schäume und Lügen; mir hat auch geträumt, daß unter jenem großen Bäume (und zeigte ihm den Baum) ein großer Kessel mit Geld begraben sei, aber ich acht sein nicht, denn Träume sind Schäume.« Da ging der andere hin, grub unter dem Baum ein, fand einen großen Schatz, der ihn reich machte und sein Traum wurde ihm bestätigt.

Agricola fügt hinzu: »Das hab ich oftmals von meinem lieben Vater gehört.« Es wird aber auch von andern Städten erzählt, wie von Lübeck (Kempen), wo einem Bäckerknecht träumt, er werde einen Schatz auf der Brücke finden. Als er oft darauf hin und hergeht, redet ihn ein Bettler an und fragt nach der Ursache, und sagt hernach, ihm habe geträumt, daß auf dem Kirchhof zu Möllen unter einer Linde (zu Dordrecht unter einem Strauche) ein Schatz liege, aber er wolle den Weg nicht daran wenden. Der Bäckerknecht antwortet: »Ja es träumt einem oft närrisch Ding, ich will mich meines Traums begeben und euch meinen Brückenschatz vermachen«; geht aber hin und hebt den Schatz unter der Linde.

Abkunft der Bayern

Das Geschlecht der Bayern soll aus Armenien eingewandert sein, in welchem Noah aus dem Schiffe landete, als ihm die Taube den grünen Zweig gebracht hatte. In ihrem Wappen führen sie noch die Arche auf dem Berg Ararat. Gegen Indien hin sollen noch deutschredende Völker wohnen.

Die Bayern waren je streitbar und tapfer, und schmiedeten solche Schwerter, daß keine anderen besser bissen. »Reginsburg die märe« heißt ihre Hauptstadt. Den Sieg, den Cäsar über Boemund, ihren Herzog, und Ingram, dessen Bruder, gewann, mußt‘ er mit Römerblute gelten.

Ein verhexter Weg

Von Retzbach nach Thüngen führt ein Weg durch den Wald, der wegen seiner Unheimlichkeit bei Nacht und auch bei Tag von den Leuten alleine nicht gerne begangen wird. Auf diesem Weg erschien den einsamen Wanderern des Nachts fast regelmäßig eine Gestalt in Gehrock und Zylinder. Manch einem folgte der Geist ein Stück weit, ohne daß man sich seiner erwehren konnte. Auch tat er niemand etwas zuleide, sondern zog, an seinem Bestimmungsort angekommen, höflich den Zylinder und ließ den Wanderer allein heimwärts ziehen.

Auf dem gleichen Weg zeigten sich dann und wann noch andere Spukgestalten. Der Bauer Michael Scheeb aus Binsfeld ging eines Nachts von Stetten kommend heimzu. Da kroch auf der Thüngener Höhe ein Untier mit Hörnern, Schwanz und Bockshufen hinter einem Holzwellenhaufen hervor, und mit weitaufgerissenem Maul sprang es dem erschreckten Bäuerlein entgegen. Diesem war Hören und Sehen vergangen, und in seiner übergroßen Not stammelte er ein Stoßgebet. Und siehe da, das Untier wandte sich ab und verschwand.

Der Strumpfstricker zu Ingolstadt

Es geschah im Jahre 1634 um die Zeit des Überfalls des Herzoges Bernhard von Weimar, daß ein Oberst von Farnspach die Festung zu verraten gedachte. Er stund im Bunde mit einem Strumpfstricker von Ingolstadt. Dieser sollte sich mit einem roten und weißen Strumpfe auf dem schwächsten Punkte des Walles sehen lassen. Der Verrat mißglückte; was dem Strumpfstricker widerfahren, ist unbekannt, nur so viel ist gewiß, daß er nachmals auf einem der nördlichen Stadttürme zwischen dem Feldkirchner- und Harder-Tor abgemalt worden. Ein Statthalter Santini soll oftmals in heiligem Eifer auf diese Abbildung geschossen haben. Heutzutage ist auch das Bild verschwunden. Oberst Farnspach wurde zu Regensburg enthauptet.

Eine andere Sage schrieb die Festigkeit dieses Platzes dem Umstande zu, daß der Teufel selbst des Nachts mit einem Zwölfpfünder im Arm auf der sogenannten Teufelsbastei Wache hielt.

Die versunkene Kutsche

Bei Gössenheim fließt die Wern durch ein breites Wiesental. Dort gibt es eine Quelle, die aus großer Tiefe nach oben steigt und in das sogenannte »Bodenlose Loch« mündet. Immer wieder mahnen die älteren Leute die noch unerfahrenen Kinder und sagen: »Geht ja nicht zu nah an das Loch, dort wohnt eine böse Wasserjungfrau, die zieht euch mit sich hinab. Dann müßt ihr ihre goldenen Haare kämmen, und sie läßt euch hernach nie wieder frei. «

Eines Tages fuhr ein Hochzeitspaar nach festlicher Trauung und fröhlichem Hochzeitsmahl von Karlstadt heim nach Gössenheim. Die Jungvermählten saßen in einer goldenen Kutsche. Es war stockfinstere Nacht, als die Brautleute über die Eußenheimer Höhe kamen. Man konnte kaum die eigene Hand vor dem Gesicht sehen. Da verirrte sich der Kutscher und gelangte ins Werntal. Hier kam er vom Weg ab, näherte sich der Quelle und versank mitsamt dem Hochzeitswagen im »Bodenlosen Loch«. Kein Mensch hat die Kutsche jemals wieder gesehen, auch die Brautleute blieben verschwunden. Nur Sonntagskinder sehen bisweilen in der Karfreitagsnacht eine goldene Deichselspitze aus dem Quellwasser am »Bodenlosen Loch« ragen.

Herzog Arnold

Einstimmig brachten die Deutschen, und mit ihnen auch Herzog Arnold, dem Königssohne, Otto, die Krone. Herzog Arnold von Bayern überlebte Heinrichs Todesfall nicht lange. Er starb das Jahr nach ihm, den 12ten Juli 936, und seine Leiche wurde zu St. Emmeram beigesetzt. Eine erst von Schriftstellern des 13. und 14. Jahrhunderts ersonnene Sage behauptete: er seie vom Teufel geholet worden, und man habe, weil er sich an der Geistlichkeit und Kirchengut öfters vergriffen, zu St. Emmeram, wo er beigesetzt worden, den Teufel zischen und die arme Seele heulen hören, so daß die Mönche genötigt gewesen seien, seinen Körper auszugraben, und vor die Tür zu setzen, um ihn den Teufeln preiszugeben. Sein Tod wäre mit den schrecklichsten Umständen begleitet gewesen. Er habe des Bischofs von Augsburg über der Tafel gespottet, der, als einmal auch von ihm Contribution gefordert, ihm verheißen hätte, er würde sterben, wenn er sie nicht wieder herausgäbe, und da der Bischof nun hier angekommen, und Arnold ihm zur Tafel einen Trunk im silbernen Gefäße mit den Worten zugeschickt habe, daß er noch am Leben sei, so wäre jener so sehr darüber entrüstet worden, daß er seinem Diener gesagt, wenn er nach Hause käme, würde er seinen Herrn nicht mehr am Leben treffen; wirklich sei dies eingetroffen, Arnold sei plötzlich vom Schlage gerührt worden, und der Diener habe ihn nicht mehr am Leben getroffen.

Arnold war, so lange er lebte, von Freunden und Feinden gefürchtet, denn er wollte die einmal an sich genommenen Zügel nicht mehr entreißen lassen, aber man verdankte ihm Ruhe und Schutz und Sicherheit vor den Überfällen der barbarischen Ungarn.

Er hinterließ drei Söhne, Eberhard, Herrmann und Arnolf, und eine Tochter, Judith Gisela, die an Kaiser Heinrichs Sohn, Herzog Heinrich I., vermählet gewesen.

Der Karlstein bei Reichenhall

Der Karlstein und Pankratz sind zwei sehr nahe aneinander liegende Felsen. Auf dem westlichen Gipfel, der Karlstein genannt, steht eine Ruine. Am Fuße des Berges liegt der Thumsee. Hier, auf dem Karlstein, berichtet die Sage, waren vor undenklichen Zeiten drei Frauen, welche man vor großen Ereignissen entweder singen oder jammern hörte. In der Waldwiese halfen sie den Haar (Flachs) ausziehen. Von dem Karlstein bis zu dem etwa achthundert Fuß entfernten, auf einem andern Berg liegenden Turm Amering, von welchem noch Überreste stehen, war eine lederne Brücke über das Tal gespannt.

Die rechte Hand

Es war ein junger Graf von Dachau, der liebte ein Ritterfräulein von Wolfratshausen, hatte aber einen Feind am Grafen von Starnberg, der ließ ihm auflauern durch seine Knechte, und da er von oder nach Wolfratshausen ritt, so erschlugen sie ihn nahe bei Berg am See und beraubten ihn und hieben ihm die rechte Hand ab, an deren einem Finger er einen Ring von seiner Braut trug, den wollten sie auch sich aneignen, aber da schnappte des Ermordeten Hund zu und faßte die Hand und trug sie fort, immer fort bis nach Dachau, und legte sie zu den Füßen der Mutter des Erschlagenen nieder. Da schrie die Mutter Ach und Weh zusamt der Braut, und ließen an der Stätte, wo die Tat geschehen, die bald kundbar ward, eine Kapelle bauen, die ist hernachmals aber, weil sie zu fern vom Wege stand, bei die Rotschweig hingebaut worden, und an der Empore der Kapelle ward die Geschichte bildlich dargestellt.

Bei Wolfratshausen hat vordessen auch ein Schloß gestanden, aber es ist versunken; darinnen ruht noch ein großer Schatz, den drei Fräulein und ein Hund hüten. Als diese drei noch beim Leben waren und geerbt hatten, waren zwei blind, die eine aber war halb schwarz, halb weiß und machte es bei der Teilung mit ihren Schwestern gerade so wie die Brüder auf der Burg am Rhein mit ihrer blinden Schwester; sie maß sich den vollen Scheffel Geldes zu und drehte dann den Scheffel um, deckte den Boden und ließ die Blinden fühlen, daß das Gefäß voll sei. Dafür fitzt sie der Teufel mit Ruten, bis die Haut in Fetzen von ihrem Leibe hängt, welche dann in der zwölften Stunde wieder zusammenwächst. Das soll so lange dauern, bis der Schatz gehoben ist.

Die ungerechten Feldschieder

In der Kertelbachswiese, einem Tale zwischen der Kälberauer und Michelbacher Markung, ist eine kleine Anhöhe, worauf vor Zeiten ein Schloß gestanden. In dem Schloßkeller befindet sich ein Kessel bis zum Rande mit Gold gefüllt; dabei steht ein Tisch und darauf ein Glas Wein und an dem Tische sitzt ein graues Männlein mit einer Feder hinter dem Ohre, das beständig rechnet und das Geld zählt und wieder in den Kessel wirft – und das Männlein wird nicht älter und das Weinglas nicht leer, obwohl schon Jahrhunderte darüber hingegangen sind. Und wenn’s Mittag wird, da klopft’s im Keller; das Männlein schlägt seine elf Schläge auf den Deckel des Kessels, worin es seinen Schatz geborgen – und es erwachen drei schwarze Gestalten, die in dem Winkel des Kellers schlafend lagen, und gehen, freilich nicht jedermann sichtbar, hinaus an ihre Arbeit und messen die umliegenden Felder, schlagen Pflöcke und setzen die Steine, die sie ehedem verrückten, an ihren rechten Ort. Mit dem zwölften Glockenschlage verschwinden sie in ihre unterirdische Behausung und schlafen wieder bis Mitternacht, um dann abermals an ihre ewig vergebliche Arbeit zu gehen; jetzt sind sie aber feuerig. Schlägt die Mitternachtsstunde aus, so kehren die feurigen Feldschieder zu dem Männlein zurück, in dessen Solde sie falsch maßen und Steine setzten. Das Männlein empfängt sie mit höllischem Grinsen und beginnt aufs neue zu rechnen und zu zählen, während die Feldmesser in ihren Todesschlaf sinken.

So schaurig es drunten im Schloßkeller auch aussieht, die Habsucht hat es doch versucht, dem Männlein sein Geld wegzuholen. Erst in den 1830er Jahren wagten es kecke Leute, in den Hügel zu graben. Sie fanden verschiedene Geschirre, warfen sie beiseite und sahen sie später nicht wieder; endlich kamen sie auf den Kessel. Greuliche Stimmen aus der Tiefe schleuderten ihnen Verwünschungen und Drohungen entgegen; in der Todesangst stieß einer der Schatzgräber ein paar Worte aus, und der Kessel versank.

Die Drudensteine

Drudensteine nennt man in der Gegend von Kempten und Oberdorf in Schwaben einen kleinen, runden Stein mit einem Loch. Die Drudensteine gehören zur Kalkbildung; ihre Abrundung ist, wie bei allen Flußgeschieben, durch das Abreiben der Kanten und Ecken im strömenden Wasser erfolgt. In dem Loche, welches bei keinem Drudensteine fehlen darf, stak wahrscheinlich ein Belemnit, welchen das Volk Donnerkeil oder Teufelsfinger nennt. An die Drudensteine knüpft sich ein alter Aberglaube, welcher in der genannten Gegend noch nicht ganz erloschen ist: oft fühle man nachts im Bette, wenn man ganz wach sei, ein furchtbares Drücken; man nehme deutlich wahr, wie sich etwas dem Bette nähere, sich allmählich auf das Bett niederlasse und endlich auf dem im Bette liegenden mit solcher Last ruhe, daß dieser sich nicht mehr rühren und selbst nicht um Hilfe rufen könne. Oft komme es vor, daß kleine Kinder in der Wiege in einer Nacht am Leibe große Beulen bekommen, daß sie nicht schlafen und gedeihen können. Oft bemerke man morgens im Pferdestall, daß die Mähnen oder Schweife der Pferde so in Zöpfe verflochten sind, daß man sie kaum auseinanderbringen kann. Dieses alles machen die Druden und das Gegenmittel ist der Drudenstein. Wenn man durch das Loch dieses Steines ein Bändl oder einen Riemen zieht und ihn in der Stube oder an des Kindes Wiege oder im Pferdestall aufhängt, so kann die Drud nichts machen. Alte Hebammen haben solche Steine und leihen sie den Weibern, ihre Kinder zu schützen.

Ausgehackte Frösche

Einem Weinhäcker aus Schweinfurt begegnete unter der Petersstirn bei der Mainleite etwas sehr Seltsames. Er war mit seiner Frau mit Brechen des Weinbergs, der unmittelbar unter der Trümmerstätte liegt, beschäftigt; die Frau hackte sehr fleißig, und mit einem Mal hackte sie bei jedem Schlag in die Erde einen Frosch heraus. So mochte sie wohl fünf oder sechs Frösche herausgehackt haben, als es ihr auffiel und sie zu ihrem Manne sagte: »Pfui! Was sind das garstige Frösche.« Und jetzt kamen keine mehr. Und der Mann, näher tretend, bückte sich nach den Fröschen und sah keine, wohl aber leuchteten so viele Goldstücke, als zuvor Frösche zum Vorschein gekommen waren, am Boden. Die hob er auf und steckte sie ein, und zankte seiner Frau, daß sie nicht stillschweigend fortgehackt. Beide hackten und brachten den ganzen Tag damit zu, es gab aber keine Goldfrösche mehr.

Die Meistersinger von Nürnberg

Die Meistersinger selbst erzählten den Ursprung ihrer zunftmäßig verbundenen Kunstgenossenschaft in sagenhafter Gestaltung folgendermaßen:

Zur Zeit des Kaisers Otto I. und des Papstes Leo VIII. im Jahre 962 erweckte Gottes Gnade zwölf Männer, die, ohne voneinander zu wissen, in deutscher Sprache zu dichten und zu singen anfingen und so den Meistersang in Deutschland stifteten. Unter dieser Zwölfzahl steht Heinrich Frauenlob obenan, demnächst gehört Walter von der Vogelweide dazu, auch Wolfram von Eschenbach, den sie Wolfgang Rohn nannten, Regenbogen der Schmied, Konrad von Würzburg und einige weniger bekannte. Der Anhang des Papstes bezichtigte aber diese Meister bei dem Kaiser der Ketzerei. Der Kaiser meinte anfangs in der Tat, es sei eine neue unreine Sekte, und beraumte einen Tag an, an welchem sie sich auf der hohen Schule zu Pavia stellen sollten.

Das geschah, und vor dem Kaiser, seinem ganzen Rate und vielen Doktoren und Magistern, auch päpstlichen Legaten wurden die zwölf Sänger nach Zahl, Maß und Wort genau abgehört. Der Eindruck war ein günstiger, alle hörten mit Wohlgefallen zu, und der Kaiser wie seine Begleiter überzeugten sich, daß die Zwölf keine Rottengeister seien. Als dann auch Papst Leo vernommen, wie die Lieder dieser Meister Gott nicht zuwider seien, erlaubte er den Meistergesang jedermann und ermahnte sonderlich die Deutschen, weil ihnen Gott die Kunst bekannt gemacht, dieselbe auszubreiten. So erhielt Gott den Meistergesang über sechshundert Jahre bei gutem Klange.

Die Hexe von Menzing

Ein Bursche ging einmal zur Nachtszeit zum Kammerfenster seiner Geliebten, die im Dorfe Menzing an der Würm wohnte. Als er sich dem Hause näherte, sah er das Zimmer der Dirne hell erleuchtet, und als er neugierig hineinblickte, gewahrte er, wie das Mädchen einen Bund Stroh zusammenrichtete, und denselben mit allerlei Bändern und Flitterwerk zierte. Nach einigem Zögern klopfte der Bursche an das Fenster und fragte die Dirne, was sie denn mache. Diese gab zur Antwort: Ich fahre aus; wenn du mit mir reisen willst, so kannst du dich zu mir setzen; rede aber kein Wort, sonst bist du unglücklich. Der Bursche war neugierig, zu wissen, was seine Geliebte treibe, stieg hinein und setzte sich auf den Bund Stroh mit dem Versprechen, zu schweigen. Das Mädchen nahm eine Büchse aus der Tasche ihres Kleides, bestrich sich und dem Geliebten mit einer Salbe die Nase und begann darauf die Reise. Diese ging durch den Kamin hinaus und dann durch die Luft fort und fort in weit entfernte Gegenden. Da fuhren sie einmal ganz nahe an einem Weinkeller vorüber, wo man eben mit Lichtern beschäftigt war. Da der Zug etwas niedrig ging, glaubte der Bursche, die Leute, die dem Strohbunde so nahe kamen, möchten ihn anzünden, und in der Angst schrie er auf. Augenblicklich lag er auf dem Boden, während die Dirne mit dem Strohbunde seinen Blicken entschwand und ihre Luftreise unbekümmert um ihn fortsetzte. Der Keller, bei welchem er auf den Boden gelangte, lag bei Wien. Zufällig war der Kellermeister ein alter Bekannter von ihm, den er früher in München hatte kennen lernen. Mit dessen Hilfe gelang es ihm, seine Reise in die Heimat zu bewerkstelligen. Als er wieder nach Menzing kam, traf er seine Geliebte auf dem Felde bei der Arbeit. Die Vorwürfe, die er ihr machte, rührten sie nicht, sondern sie sprach bloß: »Ich habe dir gesagt, du sollst schweigen; hättest geschwiegen, so hättest du mit mir auf den Blocksberg zum Tanz fahren können. Ich war dort recht lustig und bin in vierzehn Tagen schon wieder zu Hause gewesen, während du einen schönen Umweg hast nehmen müssen.«

Im Backofen

Wenn man zwischen dem Erbig und dem Erbsenraine, zweien Bergen in der Nähe von Schweinheim, hinausgeht, kommt man in eine tellerförmige Vertiefung, welche jetzt »im Backofen« heißt.

Dort wohnte vor vielen Jahren ein Bäcker, der war kein ehrlicher Mann. In der teuern Zeit mischte er Sand unter das Mehl und betrog auch sonst die Leute, wo er konnte. Er ward reich, aber unrecht Gut gedeiht nicht. Als die Schweden kamen, ward sein Haus verbrannt, er verlor seine ganze Habe und starb als ein Bettler.

Viele Jahre vergingen, es dachte kein Mensch mehr an den bösen Bäcker. Da fuhr einmal ein Mann hinaus in das Feld, um seinen Acker zu zackern, der gerade an den Platz stieß, wo das Bäckershaus gestanden hatte. Der Mann war guten Muts und pfiff und sang. Wie er im besten Pflügen ist, hört er ein eifriges Schaffen und eine Stimme, die ruft: »Misch‘ das Brot, Frau, daß wir bald einschießen können« – und ähnliche Reden. Der Mann bleibt stehen und hört dem Treiben eine Weile zu, fürchtet sich aber nicht; er pflügt den Acker hinauf und hinunter, und als er wieder hinkommt, wo sich die Stimme hören läßt, ruft er fröhlich: »Na, backt mir auch einen schönen Kuchen! « Es ist freilich nur sein Spaß und er denkt nichts Arges dabei; als er aber mit seinem Pfluge wieder herunterkommt, liegt am Ende der Furche ein schöner Kuchen.

Jetzt wirds dem Mann doch unheimlich. Er fährt mit seinem Pfluge heim, nimmt aber unwillkürlich den Kuchen mit. Daheim erzählt er seiner Frau die Geschichte; es wird ihr ganz gruselig, allein der Kuchen riecht gar so gut und sie kann sich nicht enthalten, davon zu essen, und der Mann ißt mit. – Nach drei Tagen waren beide tot.

Der betrügerische Anwalt von München

Vor vielen Jahren starb zu München ein Advokat, der sein Leben lang ein arger Rechtsverdreher und Beutelschneider gewesen war. Er hatte sich nie ein Gewissen daraus gemacht, Witwen und Waisen um ihr gutes Recht zu bringen, wenn er dafür bezahlt wurde.

Nach seinem Tode trug sich etwas ganz Absonderes zu. Nachdem der Leichnam aufgebahrt war und man zwei Lichtlein angezündet und ein Kruzifix dazwischen gestellt hatte, gingen die Leute, wie es Brauch war, aus und ein, den Toten anzuschauen. Geweint hat aber niemand. Vor dem Hause waren viele Menschen versammelt, murmelten dies und das, und Gott wolle seiner armen Seele gnädig sein.

Auf einmal rauschte etwas durch die Luft, zwei großmächtige Raben flogen ans Fenster und hackten so lange mit ihren Schnäbeln drauflos, bis die Scheiben klirrend in Trümmer gingen und zum Erstaunen des Volkes – ein schwarzer Vogel aus dem Zimmer herausflog.

Während die Menge auseinanderstob, flogen die drei Raben davon. Im Totenzimmer waren plötzlich die Lichter erloschen und das Kruzifix umgestürzt. Gleich darauf soll auch der Leichnam über und über schwarz geworden sein.

Angsterfüllt vor all dem Geschehen, ging niemand hinter dem Sarg, als der gewissenlose Anwalt zur letzten Ruhe bestattet wurde.

Der Schimmelturm zu Lauingen

In Lauingen an der Donau, der Heimatstadt des weisen Albertus Magnus, kam einst in der Brunnengasse ein prächtiges weißes Füllen zur Welt. Mit der Zeit wurde aus dem Füllen ein Roß, fünfzehn Schuh lang und im Springen und Laufen ohne seinesgleichen.

Von keinem Menschen ließ es sich zäumen als von einem alten, verkrüppelten Knecht namens Stephan, dem man in Lauingen das Gnadenbrot gab. Dieser hatte den Schimmel sehr lieb, striegelte ihn fleißig und führte ihn gern vor, wenn Neugierige kamen, ihn zu beschauen.

Damals erkrankte der Bürgermeister der Stadt schwer, und es war kein Arzt in ganz Lauingen anzutreffen. Da hieß es: »Wenn wir nur den Pater Severin aus dem Heiligenkreuzkloster zu Donauwörth da hätten, der könnte wohl helfen, wenn noch zu helfen ist. Aber die Zeit, ihn zu holen, ist zu kurz. Der Bürgermeister wird nicht mehr viele Schöpplein trinken.«

Sogleich erbot sich Stephan, mit seinem Schimmel den Arzt herbeizuholen. Doch als er zum Dillinger Tor hinausreiten wollte, stand ein Heuwagen unter dem Tor, der zu breit geladen hatte und nun weder vor- noch rückwärts konnte und solcherart das Tor versperrte.

Doch Stephan besann sich nicht lange. Er wandte seinen Schimmel zur Seite, gab ihm die Sporen und sprang mit einem gewaltigen Satz über die Stadtmauer hinweg. Und ehe die Nacht einbrach, war Stephan wieder in Lauingen, den heilkundigen Mönch hinter sich auf dem Roß. Der Schimmel aber konnte den Weg von Lauingen nach Donauwörth und wieder zurück nur deshalb in so kurzer Zeit zurücklegen, weil er zwei Herzen hatte.

Zur Erinnerung an diese wundersame Begebenheit ließen die Lauinger den großen Schimmel an den Hofturm malen und nennen diesen seither den »Schimmelturm.«

Eppela Gaila

Vor nicht lang sangen die Nürnberger Gassenbuben noch diesen alten Reim:

Eppela Galla von Dramaus
reit allzeit zum vierzehnt aus;

und:

Da reit der Nürnberger Feind aus
Eppela Gaila von Dramaus.

In alten Zeiten wohnte im Bayreuthischen bei Drameysel (einem kleinen, nach Muggendorf eingepfarrten Dörfchen) Eppelin von Gailing, ein kühner Ritter, der raubte und heerte dort herum und sonderlich aufgesessen war er den Nürnbergern, denen schadete er, wo er mochte. Er verstand aber das Zaubern und zumal so hatt‘ er ein Rößlein, das konnte wohl reiten und traben, damit setzte er in hohen Sprüngen über Felsen und Risse und sprengte es über den Fluß Wiesent, ohne das Wasser zu rühren, und über Heuwagen auf der Wiese ritt er, daß seines Rosses Huf kein Hälmlein verletzte. Zu Gailenreuth lag sein Hauptsitz, aber rings herum hatte er noch andere seiner Burgen und im Nu wie der Wind flog er von einer zur andern. Von einer Bergseite war er flugs an der gegenüber stehenden und ritt oftmals nach Sankt Lorenz in Muggendorf. Zu Nürnberg hielten ihn weder Burgmauern auf, noch der breite Stadtgraben und viel ander Abenteuer hat er ausgeübt. Endlich aber fingen ihn die Nürnberger und zu Neumarkt ward er mit seinen Helfershelfern an den Galgen gehängt. In der Nürnberger Burg stehen noch seine Waffen zur Schau und an der Mauer ist noch die Spur vom Huf seines Pferdes zu sehen, die sich eingedrückt hatte, als er darüber sprang.

Die langen Schranken bei Schweinfurt

Im Bereich der alten Stadt liegt ein schöner ebener Platz, welcher jetzt mit Obstbäumen bewachsen ist. Hier, sagt man, sei vor Zeiten der Turnierplatz gewesen, daher der Name ›die langen Schranken‹ sich bis auf den heutigen Tag fortgeerbt habe. Einst war ein glänzendes Turnier angestellt; zu dem kamen viele fremde Ritter. Einer derselben erblickte unter den anwesenden Damen eine, die wohl auch fremd sein mochte, und deren Schönheit ihn so bezauberte und umstrickte, daß er sich zu ihrem Kämpfer weihte, und jedem den Handschuh hinwarf, der ihr nicht den Preis der Schönheit zugestehen wollte. Er blieb auch wirklich Sieger, streckte alle Gegner in den Sand, und nahte nun der Holden, die ein meergrünes Kleid trug, sittig ihren Dank zu empfangen. Sie lächelte ihn liebreich und holdselig an, aber wie ward ihm, als er dabei wahrnahm, daß sie grüne Zähne hatte? Er bebte zurück, sie stieß einen Schrei aus, verwandelte sich in ein Seeweiblein und rutschte auf dem Schlangenleib dem Maine zu, in den sie sich stürzte und auf dessen Oberfläche sie eine Weile fortschwamm, bis sie niedertauchte, und den Blicken der staunenden Herrn und Damen entschwand. Da tat sich der Ritter seine Waffen und Rüstung ab, und trat als Mönch in einen der strengsten Orden.

Der kluge Mann

In früher Zeit wohnte in dem Wirtshause der Witwe Hauberstroh zu Dörflas, ein Dorf im Fichtelgebirg, bei dem Markte Redwitz, von welchem es durch die Kössein getrennt ist, ein Hagen, angeblich ein Gastwirt und Bierbrauer, welchem mehrere Sachen entwendet wurden, worüber er so sehr in Harnisch kam, daß er beschloß, dem Dieb das nächstemal den Tod antun zu lassen. Bald darauf kam im Hause eine silberne Kette abhanden. Hagen ritt zum Klugen Mann, welcher den Tod antun konnte. Dieser riet ihm ab, aber er beharrte. Der Kluge Mann sagte ihm nun, wer ihm zuerst im Hofe begegnen werde, habe die silberne Kette. Wie er in seinen Hof hineinritt, kam ihm sein eigenes Kind entgegengelaufen, das sich auf die Ankunft seines Vaters gefreut und ihn erwartet hatte. Es erkrankte aber plötzlich, und als man es entkleidete und in sein Bettchen legte, fand man die silberne Kette, mit welcher es gespielt hatte, in seinem Täschchen. Hagen ritt nun eilig zum Klugen Mann zurück, um den Tod von seinem Kinde abzuwenden; aber das konnte der Kluge Mann nicht, und als er nach Hause kam, war es schon tot. Sein Nachfolger, auch ein Hagen, hatte zwölf Kinder, welche alle zwischen einem und fünf Jahren starben. Auf dem Platze, wo jetzt das Wirtshaus steht, war ein adeliger Hof. Das, behauptete die Erzählerin dieser Sage, Witwe Haberstroh, sei gewiß; denn im Garten lagen noch zwei Särge in einer Gruft, einer von Kupfer, der andere von Zinn. Als sie und ihr Mann das Haus erworben hätten, habe man in der ganzen Gegend geglaubt, sie würden kein Kind am Leben erhalten; ihre Kinder seien aber bis jetzt alle gesund.

Auf dem Kirchhof zeigt man einen Grabstein, auf welchem ein Hagen mit seinen zwölf Kindern, von welchen fünf noch in Wickeln sind, ausgehauen ist.

Johann von Passau

Doktor Martinus Luther erzählt: ein Edelmann hatte ein schön jung Weib gehabt, die war ihm gestorben, und auch begraben worden. Nicht lange darnach, da liegt der Herr und der Knecht in einer Kammer beieinander, da kommt des Nachts die verstorbene Frau und lehnet sich über des Herren Bette, gleich als redete sie mit ihm. Da nun der Knecht sah, daß solches zweimal nacheinander geschah, fraget er den Junkherrn, was es doch sei, daß alle Nacht ein Weibsbild in weißen Kleidern vor sein Bett komme, da saget er nein, er schlafe die ganze Nacht aus, und sehe nichts. Als es nun wieder Nacht ward, gibt der Junker auch acht drauf und wachet im Bette, da kommt die Frau wieder vor das Bett, der Junker fraget: wer sie sei und was sie wolle? Sie antwortet: sie sei seine Hausfrau. Er spricht: »Bist du doch gestorben und begraben!« Da antwortet sie: »Ja, ich habe deines Fluches halben und um deiner Sünden willen sterben müssen, willst du mich aber wieder zu dir haben, so will ich wieder deine Hausfrau. werden.« Er spricht: »Ja, wenns nur sein könnte«; aber sie bedingt aus und vermahnet ihn, er müsse nicht fluchen, wie er denn einen sonderlichen Fluch an ihm gehabt hatte, denn sonst würde sie bald wieder sterben; dieses sagt ihr der Mann zu, da blieb die verstorbene Frau bei ihm, regierte im Haus, schlief bei ihm, aß und trank mit ihm und zeugete Kinder.

Nun begibt sich’s, daß einmal der Edelmann Gäste kriegt und nach gehaltener Mahlzeit auf den Abend das Weib einen Pfefferkuchen zum Obst aus einem Kasten holen soll und bleibet lange außen. Da wird der Mann scheltig und fluchet den gewöhnlichen Fluch, da verschwindet die Frau von Stund an und war mit ihr aus. Da sie nun nicht wieder kommt, gehen sie hinauf in die Kammer, zu sehen, wo die Frau bliebe. Da liegt ihr Rock, den sie angehabt, halb mit den Ärmeln in dem Kasten, das ander Teil aber heraußen, wie sich das Weib hatte in den Kasten gebücket, und war das Weib verschwunden und seit der Zeit nicht gesehen worden.

Der wandelnde Mönch

Es war einmal in Coburg ein Herzog, der führte Krieg mit dem Bischof in Bamberg. In einer Schlacht, welche er seinem Gegner lieferte, nahm er zwölf Junker gefangen und sandte sie nach Coburg auf sein Schloß, die alte Veste. Die Junker wurden dort nicht allzu streng gehalten und trieben oft innerhalb des Hofes und der Stiege mancherlei Kurzweil. Da geschah’s einmal, daß sie auch beisammen waren, und daß der Schloßkaplan, ein finsterer Mönch, die offene Stiege herab in den Hof schreiten wollte, allein er glitt aus und ist herabgefallen. Darüber schlugen die Junker ein helles und anhaltendes Gelächter auf, was den Pfaffen sehr verdroß. Er hob sich zornig von dannen, verklagte die Junker beim Herzog und sagte ihm, unter ihnen sei auch der Mörder des Vaters von dem Herzog. Da befahl dieser in seinem Zorn, um Mitternacht sollten soviel Häupter der Junker durch das Schwert fallen, als der Turmwächter Stunden anblasen würde, und der Türmer erhielt noch dazu den Befehl, zwölfmal zu tuten. Das erfuhr die Herzogin, eine gute und fromme Frau, betrübte sich darüber sehr und hätte die Junker gern gerettet. Sie bat den Herzog um deren Leben, und ihre Bitte besänftigte den strengen Herrn, so daß er sagte, nur einer, und zwar der Mörder seines Vaters, solle des Todes sterben. Die Herzogin wollte auch den Tod des einen hindern, ließ den Türmer rufen und ihn in ein Gemach sperren, daß er nicht tute. Aber der Mönch war im Nebenzimmer und hörte alles mit an. Da es nun nicht mehr weit von zwölf Uhr des Nachts war, so wurden die Junker mit Fackeln unter dem Zulauf einer großen Menschenmenge herab auf das Schafott geführt, um sie mindestens die Angst des Todes empfinden zu lassen. Indes empfing der Türmer in seinem Arrest eine Flasche Wein durch die Herzogin, die ganz heitern Mutes war. Da schlug es auf der großen Glocke zwölf, und nach dem zwölften Schlag schallt schaurig das Horn vom Turm, und zwölfmal rief es, und auf jeden Ruf sank ein Haupt. Die Herzogin erschrak zu Tode, und der Türmer wußte nicht, was das zu bedeuten habe. Und auch der Herzog erschrak heftig, denn er wollte nicht mehr der Junker Tod. Er sandte Reiter nach der Richtstatt, Einspruch zu tun und Gnade zu rufen, aber es war zu spät. Jetzt stieg er selbst auf den Turm, fand da den Mönch, der noch des Türmers Horn in den Händen hielt und frohlockend rief: »So ihr Buben, nun werdet ihr meiner nimmer spotten!« Da ergrimmte der Herzog, packte den Mönch und warf ihn vom Turm hinunter, daß sein Leichnam zerschellte.

Nun tutet immer, wenn diese Nacht wiederkehrt, nicht der Wächter, sondern der Mönch, welcher im Turm der St. Moritzkirche wandelt mit einem Schlüsselbund, Wächterhorn und Rosenkranz, und auch um die Kirche die Runde macht. Es ist nicht gut, ihm zu begegnen.

Die Gretlmühl

Herzog Ott, Ludwigs von Bayern jüngster Sohn, verkaufte Mark Brandenburg an Kaiser Karl IV, um 200.000 Gülden, räumte das Land und zog nach Bayern. Da verzehrte er sein Gut mit einer schönen Müllerin, namens Margret, und wohnte im Schloß Wolfstein, unterhalb Landshut. Dieselbige Mühl wird noch die Gretlmühl genannt, und der Fürst Otto der Finner, darum, weil er also ein solches Land verkauft. Man sagt: Karl hab ihn im Kauf überlistet und die Stricke an den Glocken im Land nicht bezahlt.

Am guten Mann

Am linken Mainufer, wo der Bach aus dem schönen Busch kommt und sich in den Fluß ergießt, ist sumpfiges Land. Der Weg von Leider nach Stockstadt führt dort hindurch und wird eben wegen des sumpfigen Landes gefährlich, noch mehr aber, weil der Graben nur an einer schmalen Stelle überschritten werden kann. Einem verspäteten Wanderer kann leicht ein Unfall begegnen, wenn er von dem rechten Wege abkommt. In jener Gegend lebt aber ein guter Geist, der den Verirrten zurecht weist. Er hat nichts Auffallendes in seiner Erscheinung, sieht vielmehr mit seinem Schlapphut, seiner blauen Jacke und seinen kurzen ledernen Beinkleidern einem Landmann völlig ähnlich – und da er sich dem Wanderer nur gleichsam zufällig nähert, als wenn er eben auch des Wegs ginge, so mag er schon manchen geführt haben, ohne daß dieser den wohltätigen Geist in ihm erkannte. Von diesem guten Mann heißt die Stelle: »am guten Mann.«

Von der Münchner Frauenkirche

In der Liebfrauenkirche zu München gibt es mehr als ein Wahrzeichen und geht mehr als eine Sage von ihr. Die Kirche erhielt dreißig prächtige hohe Fenster, die zum Teil mit den herrlichsten Glasmalereien verziert sind. Als der Teufel einst voll Ärgers über den neuen schönen Tempel durch das Portal unterm Chore hineintrat, kam er auf eine Stelle zu stehen, wo er kein einziges von den Fenstern erblickte, und murmelte: Kein Fenster? Kein Licht? Daran erkenn‘ ich meine Münche – bon! – wandte zufrieden um und brannte nur seine Fußtapfe zum freundlichen Andenken in den Boden, die noch heute zu sehen. Hatte sich aber stark geirrt, der dumme Teufel.

So lang die Kirche ist, fast so hoch sind ihre Türme, dreihundertunddreiunddreißig Fuß. Auf dem linken üblichen Turme ist es nicht geheuer, er wird nur selten betreten. Jörg Gankoffen von Halspach (Haselbach bei Moosburg, wo noch sein Geburtshaus bezeichnet wird) hieß der Kirche Erbauer; er vollführte, wie eine Inschrift besagt, den ersten, den mittleren und den letzten Stein; zwanzig Jahre währte der Bau, und als der fromme Maurermeister den letzten Stein vollführt hatte, da starb er. Sein treues Bildnis ist noch innerhalb der Kirche zu sehen, neben ihm das Bildnis des Zimmermanns, der den Dachstuhl baute. Es wurden dazu nicht minder als vierzehnhundert Flöße, jedes aus fünfzehn bis sechzehn Bäumen bestehend, auf der Isar herabgeflößt. Da der Bau vollendet war, fand sich ein zugerichteter noch unverwendeter Balken, und dennoch fehlte nirgend auch nur eine Latte. Selbiger Turm ist noch heute zu sehen. Der Meister soll selbst den Balken aus dem Gerüst genommen und gesagt haben: Nun komme her, wer da wolle, und sage mir, wo der Balken fehle, und wo er füglich hingehört! – Aber vor wie nach hat sich niemand gemeldet und ist ein Jahrhundert um das andere vorübergegangen, und der überflüssige Balken ist noch immer vorhanden.

Außer dem Hochaltar hat die Frauenkirche dreißig Altäre, einer derselben ist St. Benno geweiht, der nächst der Himmelskönigin Münchens und der Kirche Schutzpatron ist. Der heilige Leichnam Bennos ward aus Meißen, wo er gelebt und manches Wunder vollbracht, gen München geführt, und als er von da in bedrohlicher Zeit nach Salzburg geborgen wurde, später aber von dort zurückkam, übte der Heilige ein neues Wunder, denn alsbald hörte mit seinem Eintreffen die grimme Pest auf, welche damals zu München wütete, darum mit ward diesem Heiligen vorzugsweise der Name Wundertäter, Thaumaturgos, beigelegt.

Die Neumünsterkirche in Würzburg

In der Neumünsterkirche in Würzburg ist ein Kreuzbild. Ein schwedischer Soldat, nach dem Metalle lüstern, schlich sich nachts in die Gruft, um das Bild zu stehlen. Als er aber daran war, schloß der Gekreuzigte die ehernen Arme um ihn und hielt ihn fest, bis des kommenden Morgens der Priester seine Wehklage vernahm und durch sein Gebet den FrevIer aus der Haft befreite.

Die Geisterjagd im Neustadter Forst

Die Klosterherren zu Neustadt versahen den Gottesdienst auf der Burg Rothenfels. Sie waren bei den gastlichen Amtleuten freundlich aufgenommen und es kam manches Mal der späte Abend herbei, bis sie die Burg verließen. Einst an einem Feiertage nach bereits eingebrochener Nacht schritt ein Klosterherr von Rothenfels am Maine hin gegen Neustadt. Da hörte er von Würzburg her lustigen Hörnerschall herüberklingen, der erst sehr entfernt war, aber schnell näher kam. Der Klosterherr lauschte festgebannt den wunderlieblichen Klängen und heller und heller ertönte es und herüber über den Main kam ein glänzender Zug, voraus reitende Jäger mit den klingenden Hörnern, dann stattliche geistliche Herren und Ritter hoch zu Roße mit dem Jagdspeer in der Faust, dann Karossen mit schönen Frauen, endlich ein großer Troß, berittene und unberittene, mit Jagdgeräten und den Bracken an der Leine. Der Zug schwebte, ohne Land oder Wasser zu berühren, an dem erschrockenen Klosterherrn vorüber und verlor sich in dem großen Klosterwalde.

Im darauf folgenden Jahre traf sich’s, daß der nämliche Klosterherr an demselben Feiertage wieder den Gottesdienst auf der Rothenfelser Burg abhielt. Auch dieses Mal ging er in der Nacht nach Neustadt. Und wieder hörte er den Hörnerklang, und wieder erschien der Jagdzug und verlor sich, wie das erste Mal im Neustadter Forst. Daheim im Kloster erzählte der Herr, was er zwei Male erlebt, und hörte, daß vor vielen Jahren eine Gesellschaft von hohen geistlichen Herren, Rittern und Frauen aus Würzburg acht Tage im Kloster sich aufgehalten, um der Jagdlust zu genießen, und daß sie selbst am Feiertage die Jagd nicht ausgesetzt hätten, weshalb sie wohl auch nach ihrem Tode die Geisterjagd abhalten müßten.

Diez Schwinburg

Kaiser Ludwig der Bayer ließ im Jahr 1337 den Landfriedensbrecher Diez Schwinburg, mit seinen vier Knechten gefangen in München einbringen und zum Schwert verurteilen. Da bat Diez die Richter, sie möchten ihn und seine Knechte an eine Zeil, jeden acht Schuhe voneinander stellen, und mit ihm die Enthauptung anfangen; dann wolle er aufstehen und vor den Knechten vorbeilaufen, und vor so vielen er vorbeigelaufen, denen möchte das Leben begnadigt sein. Als ihm dieses die Richter spottweise gewährt, stellte er seine Knechte, je den liebsten am nächsten zu sich, kniete getrost nieder, und wie sein Haupt abgefallen, stand er alsbald auf, lief vor allen vier Knechten hinaus, fiel alsdann hin und blieb liegen. Die Richter getrauten sich doch den Knechten nichts zu tun, berichteten alles dem Kaiser und erlangten, daß den Knechten das Leben geschenkt wurde.

Die Burgruine Rabenschaichen bei Kempten

Wenn man auf der Straße von Kempten nach Memmingen das Anlehen Hirschdorf hinter sich hat, sieht man, etwa eine Viertelstunde Weges unterhalb dieses Dorfes, neben der Straße am nahen Waldsaum eine zerfallene Burgruine, über die junge Birken und Tannen emporragen. Daneben liegt ein Weiler, von mehreren zerstreuten Häusern gebildet, der bis auf den heutigen Tag den Namen von dieser Burg Rabenschaichen trägt. Hier hauste in alten Zeiten ein gewalttätiger Ritter, der Schrecken der ganzen Gegend.

Zogen die Ulmer Kaufleute mit ihren Waren aus Welschland vorbei, so lauerte Kuno mit seinen wilden Gesellen im Gehölz, plünderte die Reisenden aus oder ließ sich das Weiterziehen mit blankem Gold bezahlen. Seine Untertanen bedrückte er auf alle erdenkliche Weise; kam ein Bettler an die Schloßpforte, so hetzte er seine zottigen Rüden auf ihn und sah mit Hohngelächter zu, wenn sie den Armen übel zurichteten. Das unrecht gewonnene Gut wurde dann in schwelgerischen Gelagen verpraßt, wobei die geraubten Weinfässer, wenn sie ihres feurigen Inhalts entleert waren, unter dem Gejauchze der Zechenden in den Burggraben hinabgerollt wurden.

Viele Jahre trieb der Ritter das wilde Raubhandwerk, fragte nicht nach Gott und nach den Menschen, und so kühne Abenteuer er auch unternahm, immer kehrte er siegreich von seinem Strauß heim, so daß es ringsum hieß : Ritter Kuno hat seine Seele dem Teufel verschrieben, deshalb richtet niemand etwas gegen ihn aus.

Plötzlich starb er jedoch um die Mitternachtsstunde, nachdem er von einem blutigen Raubzug heimgekehrt war. Seine Spießgesellen trugen den Leichnam in das oberste Gemach, von dessen Söller sonst Ritter Kuno nach vorüberziehenden Kaufleuten auszuspähen pflegte. Während die Gesellen dann im Erdgeschoß über der Teilung der angehäuften Schätze haderten und lärmten, erscholl plötzlich um die Zinnen der Burg das kreischende Gekrächze einer Schar Raben, die bald durch die geöffneten Fenster in das Totengemach hineinflogen und unter gräßlichem Geschrei das Antlitz des Verstorbenen mit wütenden Schnabelhieben zerfetzten.

Die Totenwächter vermochten die schwarzen Gesellen erst zu verscheuchen, nachdem das Gesicht des aufgebahrten Ritters gänzlich zerfleischt war. Die Zechenden im Hof ergriff kalter Graus; sie ahnten Gottes Strafgericht, verteilten die geraubten Güter teils unter die Armen, teils an Kirchen; das Raubnest aber überlieferten sie den Flammen, die die Burg bis auf die Grundmauern verzehrten.

Nur wenige Trümmer und der Name der Burg – Rabenschaichen – erinnern an den einstigen Glanz dieser Stätte.

Zwerge leihen Brot

Der Pfarrer Hedler zu Selbitz und Marlsreuth erzählte im Jahr 1684 folgendes. Zwischen den zweien genannten Orten liegt im Wald eine Öffnung, die insgemein das Zwergenloch genannt wird, weil ehedessen und vor mehr als hundert Jahren daselbst Zwerge unter der Erde gewohnet, die von gewissen Einwohnern in Naila, die notdürftige Nahrung zugetragen erhalten haben.

Albert Steffel siebenzig Jahr alt und im Jahr 1680 gestorben, und Hans Kohmann drei und sechzig Jahr alt und 1679 gestorben, zwei ehrliche, glaubhafte Männer haben etlichemal ausgesagt, Kohmanns Großvater habe einst auf seinem bei diesem Loch gelegenen Acker geackert und sein Weib ihm frischgebackenes Brot zum Frühstück aufs Feld gebracht und in ein Tüchlein gebunden am Rain hingelegt. Bald sei ein Zwerg-Weiblein gegangen kommen und habe den Ackermann um sein Brot angesprochen: Ihr Brot sei eben auch im Backofen, aber ihre hungrige Kinder könnten nicht darauf warten und sie wolle es ihnen Mittags von dem ihrigen wieder erstatten. Der Großvater habe eingewilligt, auf den Mittag sei sie wiedergekommen, habe ein sehr weißes Tüchlein gebreitet und darauf einen noch warmen Laib gelegt, neben vieler Danksagung und Bitte, er möge ohne Scheu des Brots essen und das Tuch wolle sie schon wieder abholen. Das sei auch geschehen, dann habe sie zu ihm gesagt, es würden jetzt so viel Hammerwerke errichtet, daß sie, dadurch beunruhigt, wohl weichen und den geliebten Sitz verlassen müßte. Auch vertriebe sie das Schwören und große Fluchen der Leute, wie auch die Entheiligung des Sonntags, indem die Bauern vor der Kirche ihr Feld zu beschauen gingen, welches ganz sündlich wäre.

Vor kurzem haben sich an einem Sonntag mehrere Bauernknechte mit angezündeten Spänen in das Loch begeben, inwendig einen schon verfallenen sehr niedrigen Gang gefunden; endlich einen weiten, fleißig in den Fels gearbeiteten Platz, viereckig, höher als Manns hoch, auf jeder Seite viel kleine Türlein. Darüber ist ihnen ein Grausen angekommen und sind herausgegangen, ohne die Kämmerlein zu besehen.

Der Dombaumeister

Der Dombau zu Bamberg war einem griechischen Meister aufgetragen. Zu diesem kam ein Jüngling mit der Bitte, er solle ihn zum Gehilfen nehmen, da man doch zu zweit gewiß weiter komme, als wenn einer das riesenhafte Werk zu fördern habe. Der Dombaumeister willigte in den Vorschlag ein und übertrug dem Gehilfen den Bau des Peterstors, während er selbst das Georgentor übernahm. So arbeiteten die zwei rastlos an dem Werk, ein jeder bemüht, den anderen zu übertreffen.

Bald bemerkte man aber, daß der Bau des Georgentors viel rascher vonstatten ging. Das verdroß den Jüngling sehr, und als er sich nicht mehr zu helfen wußte, verschrieb er seine Seele dem Teufel, auf daß ihm dieser Rat verschaffen sollte. Von Stund‘ an änderte sich die Sache. Das Peterstor stieg rascher in die Höhe, während am Georgentor kein Fortschritt bemerkbar war; was man am Tag schaffte, fiel nachts wieder ein, denn zwei ungeheure Tiere – halb Kröten, halb Löwen – umschlichen das Werk und unterwühlten die Arbeit des Dombaumeisters.

Wie nun der Teufel dachte, sein Versprechen gelöst und den Ehrgeiz des Jünglings befriedigt zu haben, lud er diesen eines Tages ein, mit ihm auf die Höhen des Peterstors zu steigen und sich das Bauwerk von oben herab anzusehen. Der Jüngling folgte; als er nun oben stand, ergriff ihn der Teufel und schleuderte ihn jählings von der Höhe hinab.

Der Lindwurm in Schaippach

In Schaippach wird erzählt, daß es dort vor vielen Jahren einen riesigen Lindwurm gegeben habe. Dieses Ungeheuer richtete viel Schaden an Flur und Vieh an. So beschloß man, das Scheusal zu töten. Lange Zeit aber konnte dieses Vorhaben nicht in die Tat umgesetzt werden, da sich niemand mehr auf seinen Acker wagte. Eines Tages aber soll ein schneidiger Bauer beim Mistbreiten dem Lindwurm begegnet sein und ihn mit der Mistgabel erstochen haben. Ein Lindwurmdenkmal im Ort erinnert heute noch an die unheilvollen Zeiten und die mutige Tat des wackeren Bauern. Früher war das Denkmal zusammen mit dem Bildstock des heiligen Wendelinus, dem Schutzpatron des Viehs, aufgestellt. Heute hat es in der Nähe des »Dietrichsackers« seinen eigenen Platz gefunden.

Wie Karl der Große geboren ward auf der Reismühle am Würmsee

Pipin wohnte eine Zeit lang auf der Burg zu Weihenstephan bei Freising. Nun gedachte er sich zu vermählen und schickte seinen Hofmeister, einen bösen Ritter, die Braut abzuholen. Da wurde der und sein ruchloses Weib mit einander eins, die fremde Prinzessin zu töten und statt derselben ihre eigene Tochter unterzuschieben, die jener sehr ähnlich sah. Der Hofmeister führte die fremde Königstochter von ihres Vaters Hof im prächtigen Zuge fort. Der Abschied war unendlich traurig, als hätte die Ärmste geahnt, welch‘ Unglück ihrer warte. Nach dem letzten Nachtlager vor Weihenstephan nahm der Hofmeister einen starken Umweg in die tiefe Wildnis zwischen dem Würm- und Ammersee. Dort harrte seiner verborgen Weib und Tochter. Er nahm bei der Nacht der Prinzessin königliche Gewänder und ihren Fingerring, legte ihr dafür seiner Tochter Anzug vor ihr Lager und befahl zweien seiner treuesten Knechte, wie er in aller Stille abgezogen sei, die Königstochter ungestüm aufzuwecken mit dem Begehren, sie sollte ihnen ohne Widerrede folgen. Das tat sie, obgleich mit großem Schrecken. Ihr geliebtes Hündlein folgte ihr. Auch vergaß sie nicht ihr Werkzeug und Gold und Seide, denn sie konnte gar herrlich wirken.

Als sie nun mitten im finstersten Dickicht waren, sagten ihr die Knechte, sie hätten geschworen, sie zu töten, ließen sich aber doch erbarmen an so viel Schönheit und Jugend und brachten als Wahrzeichen, daß sie getan, wie ihnen befohlen, dem bösen Hofmeister ihr blutiges Oberkleid und ihres Hündleins Zunge. Der war dessen froh und die Hochzeit seiner Tochter mit Pipin wurde vollzogen. Die arme Königstochter in der Wildnis trieb aber der Hunger wieder zu den Leuten. Ein häßlicher Köhler, dessen sie anfangs gar sehr erschrak, weil sie ihn für den leibhaftigen bösen Feind hielt, der ihrer Seele nachstelle, führte sie zum Müller in der Reismühle bei dem alten Heidenorte Gauting. Dem Müller war nun des edlen Königs Tochter eine Magd, nur sagte sie nicht, wer sie sei und was mit ihr geschehen. Sie machte wunderschönes Kunstwerk in Gold und Seide, das trug der Müller auf ihr Bitten gen Augsburg und verkaufte es dort fränkischen Handelsleuten.

So schwanden Jahre und Tage dahin. Da verirrte sich einst Pipin in dem weiten Wald mit seinem Knecht, seinem Arzt und Sterndeuter. Der Abend brach herein. Von den Hörnern der Gefährten hatten sie schon seit vielen Stunden keines mehr erschallen gehört. Der Knecht war auf eine Tanne gestiegen, und sah ganz in der Nähe Rauch. Sie ritten rasch darauf los und fanden den Köhler, und verlangten zu essen. Er konnte ihnen nichts geben, denn er hatte selbst nichts, aber er führte sie auf die Reismühle gen Gauting, da erquickten sie sich. Der Sterndeuter trat vor die Hütte und blickte an den Himmel und kam hocherstaunt wieder herein und sprach zu Pipin: »Herr! ihr sollt diese Nacht von Eurer Hausfrau einen Sohn gewinnen, vor dem die Christenkönige und die Heidenkönige sich neigen.« Da sprach Pipin: »Wie kann das sein? Es ist halb Mitternacht und noch weit auf Weihenstephan.« Der Sterndeuter ging noch einmal hinaus und sprach: »Dennoch ist es so, Ihr werdet bei der sein, die Eure Hausfrau ist und schon lange war.« Da stürmte Pipin auf den Müller, er solle sagen, ob nicht jene Frau bei ihm verborgen. Der König hätte ihn getötet, als er gestand, es sei wohl schon sieben Jahre eine engelschöne Jungfrau bei ihm, die keines Menschen Auge gesehen. Da mußte die Jungfrau herfürgehen, und Pipin schmeichelte ihr: »es stehe in den Sternen, sie sei sein ehelich Weib.« Da war zwischen ihnen viel Frage und Antwort, obgleich die Jungfrau ihr Geschick lange nicht offenbaren wollte, wegen des schweren Eides, bis der König ihr erklärte, er sei durch Todesfurcht erzwungen und ungültig. Die edle Bertha zeigte ihm nun seinen eigenen Brautring, den er ihr durch den verräterischen Hofmeister gesendet und Pipin war außer sich vor Freude, gebot den Seinigen Schweigen, so lieb ihnen ihr Leben sei, nahm zärtlichen Urlaub und erreichte des Abends noch die Burg, die jetzund Pael heißt und kam des andern Tages gen Weihenstephan. Dort erzwang er das Geständnis der Knechte, die Bertha verschont, ließ seine Weisesten rufen, den Hofmeister dazu, erzählte seine Falschheit und Missetat, als wäre sie einem andern geschehen, fragte darauf mit schrecklichem Blick und Ton den Hofmeister: »Was gebührt einem für solche Missetat?« Blaß und zitternd sprach dieser: »Ich will kein Urteil fällen über mich selbst.« Da verdammte ihn der gemeine Rat zum schmählichen Tode. Die Hofmeisterin, die den verdammlichen Rat gegeben, ward eingemauert, und ihre Tochter, die unterschobene Königin, in einem besondern Gemach verwahrt, doch starb sie bald aus Gram.

Wie Pipin heimkam aus dem langen Feldzug wider die Sachsen, eilte er auf die Reismühle am Würmsee. Der Müller trat ihm entgegen und reichte ihm einen Pfeil zum Wahrzeichen, in der Mühle sei ihm ein Sohn geboren von der schönen Bertha. Das war der große Karl.

Pipin führte seine Fürsten und Ritter zu seiner Frau, zeigte ihnen ihr armes Kämmerlein, und ihr Lager bloß von weichem Moos und zog dann mit ihr ab unter lauten Schall und Ruf und Waffenklang; auf Weihenstephan zuerst und dann noch Frankreich, wo sie als Königin des Landes gegrüßt und ihr schöner, kühner Knabe getauft wurde. Carolus Magnus, dessen Ruf durch alle Welt ging.

Der Teufelsritt

In Soden wohnten einmal Leute, die gaben sich mit Schatzgraben ab. Gefunden mußten sie noch nicht viel haben, denn sie waren arm an Gut und Geld und nur reich an Hoffnungen, und oft getäuscht wühlten sie dennoch unermüdlich in der Erde.

Auf einem Berg zwischen Soden und Schweinheim hatten sie auch einen Schatz aufgespürt; ob sich eine Glut dort gezeigt, ob ein Lichtchen geleuchtet oder ein Flämmchen getanzt hatte, weiß man nicht, ihrer Sache aber waren die Leute gewiß und darum machten sie sich einst gegen Mitternacht auf und gruben nach dem Schatze. Wer Schätze graben will, muß schweigen können; auf das erste unbedachte Wort sinkt der Schatz tief hinunter in die Erde, wo ihn keines Menschen Arm mehr erreicht.

Das wußten die Sodener wohl, und schweigend schafften sie, daß sie bald ein tiefes Loch ausgegraben hatten. Auf einmal gab’s einen dumpfen Klang; der Spaten hatte auf Eisenblech gestoßen, das konnte nichts anders als eine Truhe und in der mußte der Schatz sein. Sie machten Anstalt, die Truhe herauszubringen: eben schlug es zwölf Uhr. Da hörten sie Hufschläge, die schnell näherkamen, und ein Haufen Reiter sprengte daher grad auf die Schatzgräber zu, und im Galopp sauste er über ihren Köpfen weg. Die Schatzgräber waren keine Leute, die gleich davonliefen, wenn was Unheimliches kam, sie ließen sich darum auch von den Reitern nicht beirren; konnten sie ihnen doch nichts tun, solange sie nur still schwiegen. Bald darauf kam noch einer geritten, aber auf einem Besen. Es war ein altes Männlein mit dünnen schlotternden Beinen, das sich gar sehr abarbeitete, um weiterzukommen; es ging aber nur langsam vorwärts. Der Besenreiter fragte die Schatzgräber wiederholt, wohin die Reiter geritten seien, bekam jedoch keine Antwort. Da sagte er: »Ihr braucht mir gerade keine Antwort zu geben, ihr grobes Volk! Die Reiter hol‘ ich doch ein.« Und nun hob er einen Galopp an, wie ein kleiner Knabe und humpelte so hinein in den Wald. Einem der Schatzgräber kam die Reiterei so possierlich vor, daß er hell auflachte und herausplatzte: »ja, Blasen!« – Klatsch! hatte er eine ungeheure Ohrfeige, daß er umfiel, und der Schatz war verschwunden und ist heute noch nicht wieder aufgefunden worden, der Berg aber, wo er sich gezeigt, heißt jetzt noch der Teufelsritt.

Die drei Götzen

Bis zum Anfang unseres Jahrhunderts befand sich am Karlstor in München ein Torwarthaus samt der Zöllnerstube.

In dieser wurde ein steinerner unförmlich großer Kopf mit drei Gesichtern, einem schwarzen, roten und weißen gezeigt, den man die drei Götzen nannte. Auf demselben waren die Jahreszahlen 1105, 1109 und 1767 eingemeißelt. Der Sage nach soll in uralter Zeit an der Stelle, wo das Karlstor sich befindet, ein heidnischer Götzentempel gestanden und in demselben dieser Kopf verehrt worden sein.

Bei Abbruch der Wälle und des Torwarthäuschens verschwand dieser Kopf spurlos und wurde wahrscheinlich zertrümmert.

Die Flämmchen am Zollstock

Nicht weit von Dattensoll, das früher Tatzenzoll hieß, auf dem Wege nach Hundsbach, steht ein Zollstock. An ihm führte der Weg der Getreidebauern vorüber, die auf die Schweinfurter Schranne fuhren. Da sie hier vom Fuldaischen ins Würzburgische kamen, mußten sie am Mautplatz die Tatze, ihren Zoll, bezahlen.

Wenn die Nächte recht finster und schauerlich waren, besonders in den rauhen Nächten um die Jahreswende, aber auch zur Zeit der Sommer-Sonnenwende, erschreckten den verspäteten Heimkehrer hier am Zollstock zwei flackernde, bläuliche Flämmchen. Es waren die Seelen zweier Bösewichte, die an dieser Stelle einen von der Schranne heimkehrenden Bauern totgeschlagen und seine gespickte Geldkatze unter sich geteilt hatten. Aber die Gesellen kamen nicht weit. Ein Blitzstrahl setzte ihrem Verbrecherleben ein schnelles Ende. Noch heute gehen ihre Seelen am Mordplatz um und schrecken die Leute, die zu später Stunde am Zollstock vorüberkommen.

Kaiser Karl im Brunnen und im Berge

Auf dem Markt zu Nürnberg steht der schöne Brunnen, mit herrlichem Bildwerk geziert und vom künstlichen Gitter umgeben. Der Brunnen soll sechzehnhundert Schuh tief sein, nach andern nur dreihundert, die Kette, an der die Eimer bangen, wiegt dreitausend Pfund. In dieses Brunnens Tiefe hat Kaiser Carolus magnus sich verwünscht, da drunten der Welt Ende zu erwarten. Einst ließen die Herren von Nürnberg einen Verbrecher in die Tiefe des Brunnens hinab, der sah Carolum drunten sitzen an einem Steintisch, wie den Barbarossa im Kyffhäuser. Der Bart war durch den Tisch hindurchgewachsen und reichte schon zweimal um den Tisch herum. Wann er zum dritten umreicht, wird der Welt Ende vor der Türe sein.

Nicht weit von Nürnberg erhebt sich der Kaiser-Karlsberg, auch in diesem soll der Kaiser Karl sitzen und auf der Welt Ende harren mit allen seinen Wappnern. In frühern Zeiten ward aus dem Berge oft ein schöner Gesang vernommen – da waren die Zeiten noch gut –, jetzt hört man aus ihm nur noch klagendes Weinen, weil die Zeiten so schlecht sind. Damit besagtes Weltende nicht allzu schnell herbeirücke, als welches schrecklich und sehr störend wäre, so muß des Kaisers Bart siebenmal um den Tisch wachsen, und da sich nun die Leute darüber gestritten und noch streiten, ob der Bart des verzauberten Kaisers dreimal oder siebenmal um den Tisch wachsen müsse, so ist davon das Sprichwort entstanden, wann über unausgemachte Sachen nutzlos gestritten wird: es ist ein Streit um des Kaisers Bart. Die Sage geht, ein Bäckerjunge aus Fürth habe einst, wie dort der Semmelknabe im Guckenberge, durch einen Gang Brot in den Kaiser-Karlsberg gebracht, es sei ihm aber auch gleich jenem ergangen, oder noch schlimmer, denn als er das Geheimnis zu entdecken gezwungen worden, sei er zum letzten nicht wiedergekehrt, und nur seine Kleider seien zerstückt außen am Berge gefunden worden.

Aus dunkler Mythenzeit klingt schon die Sage herein, daß ein König Noro im Berge verzaubert sitze, der habe der Stadt ihren alten Namen verliehen: Nor im Berg; aus seines Namens spätem Nachhall ist aber ohne Sinn Nero geworden, ein prächtig Fündlein für die Diftler, die nun gleich die Stadt vom Römerkaiser Nero gründen ließen, denn römisch mußte diesen klassischen Narren alles sein, was gelten sollte, Deutsches paßte nicht in ihren gelahrten Kopf, Kropf und Zopf.

Das Hemdabwerfen

Zu Coburg saßen am Weihnachtabend mehrere Mädchen zusammen, waren neugierig und wollten ihre künftige Liebhaber erkündigen. Nun hatten sie tags vorher neunerlei Holz geschnitten und als die Mitternacht kam, machten sie ein Feuer im Gemach und die erste zog ihre Kleider ab, warf ihr Hemd vor die Stubentüre hinaus und sprach bei dem Feuer sitzend:

»Hier sitz ich splitterfasernackt und bloß, wenn doch mein Liebster käme und würfe mir mein Hemde in den Schoß! «

Hernach wurde ihr das Hemd wieder hereingeworfen und sie merkte auf das Gesicht dessen, der es tat; dies kam mit dem überein, der sie nachdem freite. Die andern Mädchen kleideten sich auch aus, allein sie fehlten darin, daß sie ihre Hemder zusammen in einen Klump gewickelt hinauswarfen. Da konnten sich die Geister nicht finden, sondern huben an zu lärmen und zu poltern, dermaßen, daß den Mädchen grausete. Flugs gossen sie ihr Feuer aus und krochen zu Bette bis frühe, da lagen ihre Hemder vor der Türe in viel tausend kleine Fetzen zerrissen.

Der Teufelsbeschwörer

Vor hundert und mehr Jahren lebten zu Keilberg zwei Nachbarn, Hans und Peter geheißen. Beide hatten von ihren Eltern ganz hübsche Gütchen ererbt, worauf sie sich wohl ernähren konnten – und Peter nährte sich auch gut; er war ein fleißiger, sparsamer Mann, der erste aus den Federn, und der letzte in Feld, Hof und Stall. Darum standen seine Felder auch am besten, darum hatte er auch das schönste Vieh im ganzen Dorfe. Hans dagegen war lieber hinter dem Kruge, als hinter dem Pfluge, und wenn er ja zu Hause blieb, so stöberte er in einem alten Buche, das er in einem vergessenen Winkel gefunden hatte, und das von Geisterbeschwörungen und dergleichen Teufelskünsten handelte. Feld und Vieh waren fremden Leuten überlassen: kein Wunder wenn Feld und Vieh gleich mager waren. So kam er immer mehr in Rückgang, während Peter, der von Haus aus nicht mehr hatte als er, täglich wohlhabender wurde. Wenn Hans die vollen Getreidewägen seines Nachbars von glänzenden Kühen mit strotzenden Eutern heimführen sah, während sein hungriges Vieh ein armseliges Führchen mühsam herbeischleppte, so erwachte in ihm ein Neid, der sich zu dem unversöhnlichsten Hasse gegen seinen glücklichen Nachbarn steigerte. Es wurde sein sehnlichster Wunsch, daß sein Nachbar wenigstens so arm, als er selbst werden möge, er versuchte sogar öfters, ihn in Schaden zu bringen, aber alles mißlang. – Eines Tages, als er sich wieder über den Wohlstand seines Nachbars recht erbost hatte, beschloß er, bei dem Teufel Hilfe zu suchen. Er schlug sein Zauberbuch auf, und las laut die Formeln ab, die den Teufel zu seinem Dienste zwingen sollten, – und der Teufel, der immer nahe ist, wenn der Mensch des Herrn vergißt, erschien wirklich. Hans, der doch nicht so recht an das Erscheinen des Teufels geglaubt hatte, erschrak dergestalt, daß er keine Worte finden konnte; aber als der Teufel ihn grimmig aufforderte zu reden, da er ihn doch einmal gerufen, bat er zitternd und bebend um ein Mittel, den Wohlstand seines Nachbars ohne Gefahr für sich zu vernichten. Der Teufel sagte ihm das zu, verlangte jedoch, daß Hans verspreche, nach zehn Jahren sein eigen zu werden. Hans versprachs in seiner Todesangst und der Teufel bezeichnete ihm ein Kraut, das er nachts 12 Uhr im Walde unter Anrufung des Teufels holen und auf das Viehfutter seines Nachbars werfen sollte. Darauf verschwand er im Schwefeldampf.

Hans tat, wie ihm geheißen, und des Tags darauf war sämtliches Vieh des Nachbars gefallen.

Peters Wohlstand war durch den Verlust seines sämtlichen Viehes gänzlich zerrüttet, seine Freude und sein Stolz waren ihm genommen, und er grämte sich so, daß er starb.

Da erwachte in Hans, der im Grunde des Herzens nicht bös war, das Gewissen. Er sah die Schändlichkeit seiner Handlungen ein und verabscheute sie und sich selbst. Er versagte sich alle Freuden der Erde und flehte ganze Nächte auf seinen Knien Gott und die Seele seines Nachbars um Vergebung seiner Missetat an. Endlich unter harter Buße und guten Werken verflossen die zehn Jahre, nach deren Ablauf Hans des Teufels Eigentum werden sollte. Der verhängnisvolle Tag war gekommen. Zu der nämlichen Stunde, wo der Pakt geschlossen worden, erschien der Teufel und ergriff den zitternden halbtoten Hans. Da schwebte im Glanze des Himmels der selige Geist Peters hernieder und sprach zu dem Teufel: »Weiche, Satan, du hast keinen Teil an ihm. Eine zehnjährige Reue hat sein Schuldbuch gelöscht und der Herr hat ihm vergeben, wie ich ihm schon längst verziehen habe, was er an mir getan.« Darauf ließ ihn der Teufel unwillig los und fuhr mit einem Gepolter, als wenn das ganze Haus zusammenstürze, davon. Auch der selige Geist verschwand, nachdem er Hansen noch freundlich angeblickt hatte. Auf den höllischen Lärm kamen Leute herbei, die Hansen sterbend fanden; er konnte ihnen nur noch erzählen, was vorgefallen, und dann verschied er in Frieden.

In dem Walde, wo in des Teufels Namen das Zauberkraut gesucht worden, ist es aber noch heute nicht geheuer.

Die Wirtin von Schweinau

In Schweinau lag die Frau eines Wirtes, der nebenbei auch Metzger und Milchmann war, in den letzten Zügen. Sie war ihr Leben lang habsüchtig und geizig gewesen und blieb es auch noch auf ihrem Sterbelager. Anstatt an den Tod zu denken und sich auf das Jenseits vorzubereiten, hatte sie noch über allerlei Hausgeschäfte mit ihrem Gesinde zu reden. Eben war gemolken worden, und die Milch sollte zum Bäcker gebracht werden, da rief sie unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte: »Bub, in die Maß Bäckermilch gehört immer ein Glas Wasser!« Nach diesen Worten verschied die Frau.

Bald darauf ging,s im Hause um. Alle Dienstboten sahen die Frau, nur ihr Mann nicht, obwohl er es wünschte. Endlich wurde er einmal nachts durch leises Stöhnen und Winseln aus dem Schlaf geweckt, und als er aufstand, sah er sein Weib, wie es leibte und lebte, im großen Lehnstuhl hinter dem Ofen sitzen. Es hatte ein großes Tuch in der Hand, womit es beständig seine tränennassen Augen trocknete.

»Liebes Weib«, fragte der Mann erschrocken, »warum kannst du die ewige Ruhe nicht finden?«

Darauf entgegnete die Frau: »An der Fleischwaage ist ein Haken, der ist zu schwer. Was ich für deine Kinder beiseite gelegt habe, das nimm aus der Truhe und gib es den Vormundskindern. Diese beiden Vergehen kannst du noch gutmachen. Daß ich aber beim Milchschank immer den Daumen ins Maßblech gehalten habe, kannst du nimmer gutmachen, und deswegen habe ich keine Ruhe im Grabe.«

Und so muß es wohl sein, denn noch immer will man in Schweinau das Jammern und Wimmern der Verstorbenen aus Grabestiefe hören.

Die »wilde Jagd« bei Lengenfeld

Zwischen Lengenfeld und Stoffen am Lech liegt auf einer hohen Ebene eine wilde, weite Ödung. Über diesem Gebiet tollt die wilde Jagd immer am wütendsten, und dort verweilt sie am längsten.

Einst wanderte ein Mann aus Hofstätten über dieses unwirtliche Feld. Es dunkelte schon. Da vernahm er aus der Ferne ein Heulen und Sausen, als wolle sich ein furchtbarer Sturm erheben. Sobald er stehenblieb und sich umsah, kam die »Wilde Jagd« in den Lüften daher, und da er, ganz erstarrt vor Schrecken, vergaß, sich sogleich auf den Boden zu werfen, hoben ihn die wilden Jäger leicht vom Erdboden auf und rissen ihn im Zuge mit sich fort. Viele Wochen war er der Erde entrückt, kein Mensch wußte, wohin er gekommen war, und seine Leute hielten ihn schon für tot. Da auf einmal kam er wieder zurück, aber er wußte nicht, wo er gewesen, und wie er daher kam. Sein Sinn war ganz verwirrt; es schwindelte ihn, wenn er an sein Abenteuer dachte, und allen Leuten wurde schwindlig, wenn sie ihn davon reden hörten. Zeit seines Lebens blieb der Mann still und in sich gekehrt, zeigte weder Freude noch Trauer und verbrachte seine Tage in stumpfem Hinbrüten.

Hütte und Herberge sind heute aus diesem Gebiet verschwunden. Wildnis wuchert über felsigem Grund.

Der wilde Jäger in dem Odenwieserwald

Es war vor vielen hundert Jahren ein Köhler in dem Odenwieserwald, der hatte eine einzige, schöne, tugendhafte Tochter Lili. Während ihr Vater bei dem Meiler saß, ging sie in den Wald, um Erdbeeren, das Lieblingsessen ihres Vaters, zu holen. Sie ging tief in den Wald und fand viele Beeren. Sie gelangte an einen Bach und sah unter einer großen Buche einen großen Mann mit blassem Gesichte, daneben sein kohlschwarzes Roß, seine Schweißbracken und seine Falken. Die Maid erschrak, verlor aber alle Furcht, als sie der fremde Ritter freundlich grüßte. Er verlangte Labung, und die schöne Maid reichte ihm ihren Korb mit den Erdbeeren. Darauf setzte er die Maid vor sich hin auf das Roß und trabte der Köhlerhütte zu. Der Köhler freute sich über den vornehmen Besuch, gewährte dem fremden Ritter Nachtlager, welcher mit Sonnenaufgang zärtlichen Abschied von der Lili nahm und wiederzukommen versprach. Die Jungfrau hatte aber einen Geliebten, der die Schafe ihres Vaters hütete. Wie sie sich wiedersahen, errötete Lili und war verwirrt. Der Hirt, vermeinend der Grund hiervon liege in übler Nachrede der Leute, tröstete sie mit der Versicherung, daß sie bald heiraten würden. Der Ritter kam nun öfter in die Köhlerhütte und gewann so die Gunst der Lili, daß sie des Schafhirten nicht mehr gedachte. Der Köhler war es zufrieden, daß Lili eine gnädige Frau werden sollte, und so vergingen den beiden mehrere Monde in süßer Minne. Den Schafhirten fand man zerrissen im Walde, niemand wußte von wem. Die Leute fürchteten die Köhlerhütte sehr, denn es stürmte und brauste da das wilde gjoad.

Lili konnte das lange Schweigen ihres Bräutigams über Herkommen und Stand nicht länger ertragen, und sie und ihr Vater drangen in ihn, sich zu entdecken. Zwar suchte der Ritter sie davon abzubringen, aber sie beharrten darauf. Am Abend vor Neujahr war die Hochzeit; da war ein großer Hofstaat, viele Ritter und Knappen in glänzenden Rüstungen waren zugegen, und es waren Turniere und allerlei Ritterspiele. Die schöne Braut Lili glänzte von eitel Gold und Edelsteinen. Der Ritter wollte seiner Braut erst in der Brautkammer eröffnen, wessen Standes und Abkommen er sei, und wo er Hof halte. Als nun die Stunde der Mitternacht nahte, da brach ein höllisches Wetter los; es blitzte und donnerte, und eine wilde Flamme schlug vom Himmel in die Köhlerhütte, aus deren Mitte der Bräutigam mit der Braut in schneeweißem Gewand auf seinem Rappen fuhr, und dann über die Waldbäume durch die Lüfte sauste. Der Wehruf der Maid ward noch lange gehört, bis er verklang. Von der Köhlerhütte war keine Spur mehr zu sehen, und auch der Köhler verbrannte, den Gott wegen seines Hochmutes strafte. Auf dem Platze, wo die Köhlerhütte stand, war noch vor mehreren Jahren ein Kreuz; da mochte abends niemand weilen. Die Lili sah man oft mit ihrem Korb roter Beeren bei der Buche an der Quelle sitzen, hörte sie klagen und singen mit lieblicher Stimme, und sie geht heutzutag noch.

Der wilde Jäger wurde nachher von Zeit zu Zeit gesehen, wie er in der Nacht bei Mondenschein mit der jammernden Lili auf dem schnaubenden Rappen, wie Sturmwind, durch die Lüfte brauste, und wer das wilde gjoad hört, der spricht den Namen Lili, den läßt es vorüber, und kann ihm nicht schaden.

Vom Mostgeistlein

Bei einem Bauern in Hafenlohr wohnte seit vielen Jahrzehnten ein Geistlein, das hinter dem Herd eine Ritze hatte, in der es schlief. Es war sehr scheu und ließ sich nur selten sehen. In den Nächten aber kam es aus seinem Schlupfwinkel hervor und schlich sich in den Keller. Dort trank es bis zum Morgen. Es war jedoch so klein, daß sein Trinken keinen Schaden machte.

Die Frau des Bauern war ein habsüchtiges Weib und neidete es dem Geistlein sehr, daß es vom Most trank. Eines Abends stellte sie heimlich eine Schüssel voll Wasser auf die Kellertreppe, so daß das Mostgeistlein hineinfiel und ertrank. – Seitdem gerät in diesem Keller kein Most mehr.

Die ‚lange Agnes‘ im Walde bei Furth

Im Wald zwischen dem Grenzstädtlein Furth und dem Markte Eschelkam quillt unfern des Fußpfades ein Brünnlein aus dem Boden, das beim Volk seit altersher verrufen ist. Niemand wagt es, nach dem Abendläuten ihm nahe zu kommen. Denn dort treibt seit undenklichen Zeiten die »Lange Agnes« ihr Unwesen. Wer eine Sünde begangen, namentlich aber ungerechtes Gut an sich gebracht hat, über den gewinnt das boshafte Gespenst Macht und den drangsaliert es in empfindlicher Weise.

Die Marter besteht darin, daß die »Lange Agnes« ihr Opfer in die Wasser des Brünnleins taucht und ihm dann den Kopf mit Bürste und Stahlkamm bearbeitet, daß Haut und Haare abgehen möchten.

Es wird erzählt, die »Lange Agnes« sei in ihrem Leben ein bitterböses, habgieriges Weib gewesen, von hochgestreckter, hagerer Gestalt, und habe sich so ganz und gar in die Sorgen um das Zeitliche versenkt, daß sie sogar den Tag des Herrn nicht heilig gehalten habe. Oft sah man sie an hohen Festtagen im Bach stehen und ihre Wäsche schwemmen. Von diesem sündhaften Tun konnte sie weder durch die Ermahnungen ihrer Angehörigen noch durch die Strafreden des Pfarrherrn abgebracht werden. Ihres verstockten Sinnes wegen wurde ihr nach dem Tode die Ruhe der Seligen versagt, und sie muß bis zum Tage des Gerichtes an jenem Brünnlein als Gespenst umgehen.

Man soll das Klopfen ihres Waschbleuels in der Geisterstunde eine halbe Meile weit durch den Forst erschallen hören, wobei sich in dieses Geräusch das Gekrächze von Nachtvögeln unheimlich einmengt.

Der Spiegelbrunnen in München

Das Eck, welches die Theatinerstraße in das Schrannengäßchen der k. Polizeidirektion gegenüber bildet, hieß in alten Zeiten das Spiegelbrunneneck und kömmt unter diesem Namen schon in einer Urkunde vom Jahre 1543 vor. Noch vor etwa fünfzig Jahren war an diesem Hauseck ein Gemälde angebracht, welches ein hahnartiges Tier, wie man den fabelhaften Basilisken zu malen pflegt, vorstellte. Vor diesem Hause stand damals an derselben Stelle, wo noch jetzt der Schöpfbrunnen steht, ein Zieh- oder Kettenbrunnen. Hierüber geht folgende Sage:

In diesem Brunnen hauste vor uralten Zeiten ein Basilisk. Der Basilisk ist aber ein greuliches Tier, denn seinen Blick kann kein lebendiges Wesen ertragen; wer ihn sieht muß sterben, und auch er selbst, wenn er seiner ansichtig wird. Das war nun ein großer Jammer in München, denn jeder, der in die Tiefe des Brunnens hinabschaute, wurde von dem Blick des Basilisken sogleich getötet, und viele waren auf diese Weise schon umgekommen. Da wurde endlich ein großer Spiegel herbeigebracht und über dem Brunnen aufgestellt, und als gleich darauf der Basilisk aufwärts schaute und in dem Spiegel sein eigenes Bild erblickte, war er sogleich tot. So wurde die Stadt von diesem Unheil errettet, und der Brunnen hieß seitdem der Spiegelbrunnen.

Beschwörung der Bergmännlein

Zu Nürnberg ist einer gewesen, mit Namen Paul Creuz, der eine wunderbare Beschwörung gebraucht hat. In einen gewissen Plan hat er ein neues Tischlein gesetzt, ein weißes Tuch darauf gedeckt, zwei Milchschüßlein drauf gesetzt, ferner: zwei Honigschüßlein, zwei Tellerchen und neun Messerchen. Weiter hat er eine schwarze Henne genommen und sie über einer Kohlpfanne zerrissen, so daß das Blut in das Essen hineingetropft ist. Hernach hat er davon ein Stück gegen Morgen, das andere gegen Abend geworfen und seine Beschwörung begonnen. Wie dies geschehen, ist er hinter einen grünen Baum gelaufen und hat gesehen, daß zwei Bergmännlein sich aus der Erde hervor gefunden, zu Tisch gesetzt, und bei dem kostbaren Rauchwerke, das auch vorhanden gewesen, gleichsam gegessen. Nun hat er ihnen Fragen vorgelegt, worauf sie geantwortet; ja, wenn er das oft getan, sind die kleinen Geschöpfe so vertraut geworden, daß sie auch zu ihm ins Haus zu Gast gekommen. Hat er nicht recht aufgewartet, so sind sie entweder nicht erschienen oder doch bald wieder verschwunden. Er hat auch endlich ihren König zu Wege gebracht, der dann allein gekommen in einem roten scharlachen Mäntlein, darunter er ein Buch gehabt, das er auf den Tisch geworfen und seinem Banner erlaubt hat, so viel und so lange er wollte drinnen zu lesen. Davon hat sich der Mensch große Weisheit und Geheimnisse eingebildet.

Das Bodloser Loch

In der Sauerwiesen bei dem Dorfe Östheim, welches an der Straße von Feuchtwang nach Rothenburg liegt, ist eine sumpfige Vertiefung, welche den Namen: das Bodloserloch führt. Der Erzähler, ein Greis von achtzig Jahren, sagte: »Das Bodloserloch ist eine Meerader, weil das Wasser darin nie versiegt. In demselben waren vor Zeiten die Wasserfräulein, aus welchem sie oft herauskamen und wieder in das Wasser verschwanden. Sie gingen auch in die Häuser, wenn die Leute auf dem Felde waren, kochten den Kindern Brei und pflegten sie. In Oberöstheim ist ein Platz, die Tanzwiese genannt; dahin kamen die Wasserfräulein oft und vergnügten sich am Tanze. Einst verspätete sich eines dieser Fräulein; es eilte zurück nach dem Bodloserloch und sagte ihrem Begleiter: »Siehst du einen Wasserstrahl emporsteigen, so werde ich nicht gestraft, wenn aber ein Blutquell kommt, so habe ich meine Strafe erlitten.« Bald aber stieg ein Blutstrahl aus dem Bodloserloch.

Der bayerische Hiasl

Der bayerische Hiasl, seiner Zeit berüchtigter Spitzbube, geboren in Kissing bei Friedberg, soll sich eine Zeitlang im Jexhof, einer Einöde mitten im Schöngeiseninger Forste, aufgehalten haben. Obwohl er den Jägern sagen ließ, sie sollten herauskommen, wenn sie den bayerischen Hiasl sehen wollten, so wagte es doch keiner derselben, und der Räuber blieb unangefochten. Bei dem Jexhof befand sich eine Höhle im Walde, genannt Kuchelschlag, welche früher Räubern zum Aufenthalt diente, in der auch der bayerische Hiasl mit seinen Leuten auf eine Zeit Quartier nahm. Der gefürchtete Räuber begab sich hierher, und wählte sich unter den Wildschweinen, welche ein eigener Wildhüter füttern mußte, die schönsten aus, die er dann in der Höhle mit seinen Leuten verzehrte, ohne daß der Wildhüter dagegen Einsprache tun konnte. Von hier aus überfielen die Räuber zu gewissen Zeiten die Bauernhöfe der Nachbarschaft. Als sie endlich, von den Gerichten verfolgt, abziehen mußten, hinterließen sie viele Schätze, welche sie in der Eile nicht mitnehmen konnten. Die hat nun der Teufel als herrenloses Gut in Verwahrung genommen. Schatzgräber haben umsonst versucht, diese Schätze zu heben. Sie sollen immer tiefer versinken.

Der Happes-Kippel

Unfern von Kassel bei Orb erhebt sich ein einzeln stehender kegelförmiger Berg, welcher der Happes-Kippel genannt wird.

Auf diesem Berge stand vor vielen, vielen Jahren eine stattliche Burg. Hohe, dicke Mauern umschlossen geräumige Wohngebäude, Ställe und Vorratshäuser und ein mächtiger Turm schaute stolz herab in das Tal und ließ jeden Feind in weiter Ferne erschauen. Drinnen hauste ein gewaltiges Geschlecht, edel dem Stamme nach, aber nicht nach seinem Tun. Mord, Raub und Entführung waren das tägliche Geschäft; das Flehen mißhandelter Weiber, die Drohungen gekränkter Männer rührten die Burgherrn gleich wenig; gegen das eine schützte sie ihr steinern Herz, gegen die andern ihre Felsenmauern.

An dem Fuße des Burgberges hatte sich eine Witwe mit ihren beiden Kindern angesiedelt. Wie die Taube im alten Gemäuer am Meeresstrande friedlich neben dem Turmfalken nistet, so lebte die Witwe ungestört neben dem Horste der adeligen Räuber. Sie hatte freilich nichts, was ihre Habgier reizen konnte: ein paar Ziegen waren ihr ganzer Reichtum.

Einst an einem heißen Junitage übte sich das zehnjährige Söhnlein des Burgherrn vor dem Tore der väterlichen Burg im Armbrustschieß ‚ en. Die beiden Ziegen der Witwe hatten sich in den kühlen Gebüschen, welche an dem Berge wuchsen, ihre Nahrung gesucht, waren immer höher geklettert, und kamen endlich in die Nähe des jungen Schützen. Der war schon lange des Schießens nach einer bloßen Scheibe überdrüßig; in den beiden Ziegen fand er seiner Meinung nach ein weit würdigeres Ziel für seine Kunst – und zwei Bolzen streckten die Ziegen nieder.

Es war Abend geworden, und die Witwe ging, ihre Ziegen heimzuholen. Sie pflegten sich sonst nie weit von der Hütte zu entfernen, aber die Witwe fand sie dieses Mal nicht an den gewohnten Stellen; sie stieg höher und höher und kam endlich an die Stätte, wo der Knabe seinem Vater jubelnd die Opfer seiner gelungenen Schüsse zeigte. Weinend warf sich die Witwe auf ihre eben verbluteten Lieblinge, die Gespielinnen, die Ernährerinnen ihrer Kinder. »O Barmherziger im Himmel«, rief sie verzweifelnd, »wie hast Du zulassen können, daß ein ruchloser Bube in seinem Übermute eine bedrängte Mutter ihrer letzten Stütze beraubt?! Nun kann ich meine armen Kinder nicht mehr ernähren, und es bleibt ihnen nichts übrig, als Hungers zu sterben!« »Hoho«, sprach der Junge, »wozu das Geschrei, das Jammern? Was ist’s für ein Unglück, wenn auch deine Rangen verhungern sollten? Ist’s doch nur Bauernpack – und wie man nicht weiß, von wannen es gekommen, so kümmert’s auch niemanden, wenn es vergangen.« »Meinst du?« rief das Weib, das in seinem Elende aller Furcht vor dem strengen Burgherrn vergaß: »Meinst du, frecher Bube? In deinen Augen und in denen deines Vaters, der für deine Schandtat nur ein beifälliges Hohnlächeln hat, mag der Bauer nichts gelten, aber der Rächer alles Unrechtes wird euch einst sagen, daß der fleißige Bauer mehr wert ist als der räuberische Junker. Ich bin ein schwaches Weib, das mit euch nicht abzurechnen vermag; aber der, dessen Donnerstimme eben spricht, wird meinen Worten Kraft verleihen. Verflucht seist du, übermütiger Bube, und dein ganzes Geschlecht, verflucht sei das Haus, das dich geboren, verflucht sei dein Name und deines Namens Gedächtnis! «

Und eben begann sich das Gewitter zu entladen, das schon früher heraufgezogen war. Ein Blitzstrahl zerriß nach dem andern das Gewölk, und die Donnerschläge erschütterten die Erde, daß sie in ihren Grundfesten bebte. Der Ritter und sein Söhnlein, wie die Witwe eilten hinweg, jene mit Rachegedanken in die stolze Burg, diese trostlos in die arme Hütte. Bis tief in die Nacht tobte ein greuliches Unwetter – am andern Morgen war die Burg nur ein Steinhaufen; das Feuer des Himmels hatte sie verzehrt und mit ihr alle Bewohner. Wie sie sich nannten, ist unbekannt; der Name der Burg ist verschollen; nur einige Mauertrümmer geben Kunde, daß Ritter und Burg gewesen. – Wo die Ziegen der Witwe gemordet wurden, wächst heute noch kein Gras und bleibt kein Schnee liegen; für die Kinder wird Der gesorgt haben, der die jungen Raben speist und die Lilien des Feldes kleidet.

Der kalte Schlag der Schmiede

In Waldkirchen in Niederbayern und in der dortigen Gegend ist es Brauch, daß der letzte der Schmiede, Meister oder Gesell, welcher am Feierabend die Werkstätte verläßt, mit dem Hammer einen kalten Schlag auf den Amboß macht. Das geschieht, damit Luzifer seine Kette nicht abfeilen kann; denn er feilt immer daran, so daß sie immer dünner wird. Am Tage nach Jakobi ist sie so dünn wie ein Zwirnsfaden; aber an diesem Tage wird sie auf einmal wieder ganz. Würden die Schmiede nur einmal vergessen, den kalten Schlag auf den Amboß zu machen, so könnte Luzifer seine Kette ganz abfeilen.

Dreisesselberg

Dreisesselberg heißt der hohe Berg im Bayerischen Wald, an der Böhmischen Grenze. Er erhebt sich 3798 Pariser Fuß über die Meeresfläche. Drei Schwestern hatten auf demselben ihr Schloß und einen ungeheuren Schatz, welchen sie teilen wollten. jede kam mit ihrem Bottig (Bodinga). Eine der drei Schwestern war blind. Sie stellten nun die Bottige auf, aber den Bottig der Blinden mit dem Gupf nach oben. Nun füllten sie die Bottige mit der Wurfschaufel, wobei aber auf die Blinde nur so viel Geld traf, als auf dem umgekehrten Bottig Raum hatte. Diese klopfte aber mit dem Finger an die Wand des Bottigs, und als dieser einen hohlen Klang gab und sie den Betrug merkte, sprach sie: »Alles soll versinken!« So geschah es. Zu heiligen Zeiten steigen sie aus der Tiefe und jede sitzt auf ihrem Sessel.

In den See an dem Dreisesselberg sind viele Geister verschafft, die als wilde Tiere darin hausen. Scheiterhauer hörten die Stimme »alles is do, alles is do! nur der stuzet Stier geht o«. Steine in den See geworfen erregen Sturm und Regen; ein goldner Ring beschwichtiget ihn.

Auf den Dreisesselberg ist im Jahr 1848 vom k. Forstamte ein bequemer Weg gebahnt worden. – Es wird erzählt, daß zur Zeit, als die Fürsten ihre Zusammenkunft auf dem Dreisesselsteine hielten, in den Burgen zu Wolfstein, Hauzenberg und Riedl drei wunderholde Fräulein lebten. Um diese warben drei junge Edelleute aus dem Gefolge der Fürsten, ein Bayer, ein Österreicher und ein Böhme. Aber die Fräulein waren eben so hoffärtig als liebreizend, und ihr Sinn stand nach gräflichen oder wohl gar fürstlichen Freiern, weshalb ihnen die schlichten Ritter nicht gelegen kamen. Um diese abzuschrecken, setzten sie den Preis ihrer Schönheit über die Maßen hoch hinauf und stellten den Jünglingen schier unerfüllbare Bedingnisse. Gleichwohl nahmen die Ritter die harten Satzungen an, denn die Liebe deucht keine Aufgabe zu schwer. Sie empfingen nun aus der Hand der Fräulein jeder ein goldenes Fingerreiflein. Damit sollten sie sich, wenn sie ihre Abenteuer glücklich durchgekämpft, von heute an übers Jahr, am Abende vor dem Dreikönigsfeste, gemeinsam auf dem Dreisesselstein einfinden. In der Mitternachtsstunde würden sodann auf den Warten der drei Burgen Freudenfeuer auflodern, zum Zeichen, daß man der Bräutigame in Jubel harre. Die Ritter zogen nun in den Gauen herum, bestanden manchen heißen Strauß, kämpften mit Riesen und Drachen, und nachdem sie alles, was ihnen geboten war, pünktlich vollführt, arbeiteten sie sich an dem bestimmten Tage mühsam durch den tiefen Schnee zum Dreisesselberge hinan, um auf dem Gipfel desselben die versprochenen Zeichen abzuwarten. Eine Ewigkeit schien ihnen die Zeit bis zur Mitternacht; diese kam und verrann – aber nirgends brannten die ersehnten Feuer. Die Ritter vermerkten jetzt – zu spät – daß sie geäfft seien, und voll Unmutes zogen sie die Ringe von den Fingern und warfen sie, jeder nach einer andern Himmelsgegend, in die mit Schnee bedeckten Abgründe. Darauf zogen sie von dannen auf Nimmerwiederkommen. Die stolzen Dirnen aber führte kein Freier zum Altare. Sie welkten dahin in den freudenleeren Mauern ihrer Schlösser und sanken ins Grab, ohne auch dort Ruhe zu finden. Denn alljährlich in der Dreikönigsnacht sieht man sie die Kuppe des Dreisesselberges umirren, vergeblich die klafterhohe Schneedecke nach ihren Ringen durchwühlend.

Der Teufelsgrund

Zwischen Steinbach im Kahlgrunde und der Oberschur zieht ein kleiner Grund gegen die Kahl, der fast ringsum von Wald umgeben ist und wild genug aussieht. Er heißt jetzt der Teufelsgrund und die Mühle darinnen die Teufelsmühle.

Vor langen Jahren, ehe die Teufelsmühle gebaut war, standen in dem Teufelsgrunde einige kleine Hütten. Die Leute sagten: sie seien von Zigeunerinnen bewohnt, aber niemand sah diese Zigeunerinnen; in die Hütte selbst mochte aber auch niemand gehen.

Es kam ein neuer Jäger aus dem hohen Spessart in den Kahlgrund. Der hörte auch von den Zigeunerinnen erzählen und meinte, wer sich im hohen Spessart vor dem wilden Jäger nicht gefürchtet habe, brauche auch kein Zigeunerweibchen zu scheuen, zudem die Zigeunerinnen, wenn auch ziemlich schwarz, doch meist lieblichen Antlitzes seien. Er dachte ihnen deshalb seinen Besuch zu und betrat, sobald ihn der Weg vorüber führte, eine der Hütten – sie war leer, so auch die zweite, dritte und vierte. Der Waidmann war nun überzeugt, daß die Erzählung von den Zigeunerweibchen nur eine Erfindung müßiger Leute sei und dachte nicht mehr daran.

Einige Zeit danach befand sich der Jäger in einem Walde unfern des Teufelsgrundes, als ein fürchterliches Wetter hereinbrach. Der Wind heulte, daß man sein eigenes Wort nicht hörte, der Regen fiel in Strömen vom Himmel, und es ward so finster, daß man jeden Augenblick in Gefahr war, an einen Baum zu laufen. Der Jäger erinnerte sich der leeren Hütten und nahm seine Zuflucht in eine, um das Unwetter abzuwarten. Gegen draußen war es in dem Hüttchen ganz behaglich; der Jäger machte sich ein Lager zurecht und schlief bald ein.

Um Mitternacht erwachte er von einem Geräusche um sich her; als er die Augen aufschlug, glaubte er zu träumen: das ganze Hüttchen war mit einer unzählbaren Menge Weiblein angefüllt, aber das waren keine rundwangigen, schwarzäugigen Zigeunermädchen, sondern erdfahle kleine Ungeheuer mit unförmlichen Köpfen und Affengesichtern. Eben hatten auch sie den Jäger wahrgenommen und nun fielen sie ihn wütend an. Sie kneipten, bissen und zerkratzten den Mann, der sich der Menge nicht erwehren konnte, dergestalt, daß kein heiler Fleck an seinem Leibe blieb und trieben dieses Unwesen, bis der erste Hahnenschrei erscholl; dann waren sie verschwunden.

Der Jäger dankte Gott, daß er mit dem Leben davongekommen, hat aber die Hütten in der Folge nie mehr betreten und lieber einen Umweg gemacht, als daß er auch nur an ihnen vorbei ging.

Der Geißfuß

Vor vielen Jahren hörte einmal ein Fischer von Langenprozelten auf der anderen Seite des Maines »Fährer hol! « rufen. Es war schon Nacht und ein abscheuliches Wetter; ein dichtes Schneegestöber ließ kaum drei Schritte weit sehen und der Sturm heulte, daß man fast sein eigenes Wort nicht hörte. Dennoch klang das »Fährer hol!« deutlich und laut herüber. Den Fischer dauerte die arme Seele, die bei solchem Unwetter auf die Überfahrt harrte, er entschloß sich, den Rufer abzuholen. Er war noch nicht ganz am linken Ufer, da sprang ein kräftiger, großer Mann in einem dunkeln Mantel hinein, und der Nachen sank augenblicklich so tief ins Wasser, daß der Rand kaum fingersbreit war. Der Fischer ruderte aus Leibeskräften, um den unheimlichen Gast bald ans Land zu bringen, und der sprang auch, sobald er in die Nähe des rechten Ufers gelangte, hinaus, und eilte ohne Lohn und Dank davon. Der Fischer war nur froh, daß der unheimliche Mann fort war, und verzichtete gern auf den Fahrlohn; den andern Morgen betrachtete er sich die Stelle wo der Mann an das Ufer gesprungen, und fand im harten Gestein eine große Geißklaue tief eingedrückt. – Die Geißklaue ist unterhalb Langenprozelten noch zu sehen.

Der Schlorgger in Kaufbeuren

Zur Zeit, als um die St. Martins-Pfarrkirche in Kaufbeuren noch ein Friedhof war, spukte auf demselben nächtlich zu gewissen Zeiten ein Geist, der in Schlappschuhen daher huschte, und den man deshalb den »Schlorgger« nannte. Er ging gewöhnlich um die Kirche herum, während das Innere derselben hell erleuchtet war und man schönen Gesang aus derselben vernahm. Viele fürchteten den Schlorgger sehr und wären um keinen Preis des Nachts auf den Friedhof zu bringen gewesen. Als dann später der Platz für den Friedhof zu klein geworden war, hat man diesen vor die Stadt hinaus verlegt und seitdem ist auch der Schlorgger verschwunden.

Das Obernauer Kapellchen

Zu Obernau lebte ein Mann, den Gott reichlich mit Gütern gesegnet hatte. Er genoß aber seinen Reichtum nicht mit dankbarem Herzen gegen den Geber, sondern trachtete nur darnach, immer mehr Geld aufzuhäufen; er schlief kaum, um nur früh und spät bei der Arbeit zu sein.

An Mariä Geburt hatte er sich vorgenommen, des folgenden Tages Ohmet zu mähen. Um gewiß nicht zu spät zu kommen, stand er lange vor Tags auf und begab sich hinaus auf seine Wiese, die an den Wald stieß. Unter einer Eiche dängelte er im hellen Mondscheine seine Sense. Es war noch nicht Mitternacht vorbei, und es wurde der Feiertag durch seine Habsucht entweiht.

Als er noch bei dem unheiligen Werke war, kam ein Nachbar vorüber, mit dem er in langer Feindschaft lebte. Der Nachbar hatte bis spät in die Nacht in einem nahen Dorfe gezecht, und der Kopf war ihm warm. Da war der Streit schnell entbrannt; sie warfen sich rauhe Worte und Schimpfreden zu, von Worten kam es zu Tätlichkeiten, und der Nachbar erschlug den reichen Mann mit seiner eigenen Sense.

Zur Sühne der doppelten Untat stifteten die Verwandten des Erschlagenen ein Muttergottesbild, welches an dem Eichbaum, dem Zeugen des Mordes, aufgestellt wurde. Keiner ging vorüber, der nicht ein Vaterunser für die Seele des Erschlagenen betete. Als der Jahrestag der Tat herannahte, hörten die Frommen in der Nähe des Bildes von unsichtbaren Händen dängeln und dieses wiederholte sich jedes Jahr acht Tage vor und acht Tage nach Mariä Geburt. Es wurde nun ein Kapellchen unter der Eiche erbaut und das Muttergottes-Bild dort aufgestellt. Das ist das Obernauer Kapellchen an dem Wege von Obernau nach Geilbach – und dort hört man das wundersame Dängeln noch jedes Jahr acht Tage vor und acht Tage nach Mariä Geburt.

Doktor Bach

Zwischen den Hindelangern und den Wertachern ist einmal ein Streit entstanden wegen einer Alpe, welche zwischen den Triften beider Gemeinden inmitten lag. Endlich, nach vielem Hin- und Herzanken, ist der Handel dem Doktor Bach, welcher Dechant in Wertach war, übertragen worden, daß er ihn mit seinem Worte schlichte. Es waren aber die Mitglieder beider Gemeinden auf den Tag wieder nach der streitigen Alpe beschieden worden, um den Ausspruch des Doktors Bach zu vernehmen. Dieser sagte nun und schwor vor den versammelten Gemeindern: so wahr ein Schöpfer über mir ist, so wahr stehe ich auf meinem Grund und Boden. Also mußten die Hindelanger von ihrem Begehren abstehen, und es ward den Wertachern die Alpe als Eigentum zugesprochen. Es hatte aber Doktor Bach, der ein Schalk war, einen Löffel, oder Schöpfer unter seinem Hut verborgen, als er jenes Wort sprach; und zu Hause hatte er aus seinem Garten Erde in die Schuhe getan, so daß er wohl sagen konnte: so wahr ein Schöpfer über mir ist, so wahr stehe ich auf meinem Grund und Boden. Gott aber strafte ihn nach seinem Tode wegen dieses hinterlistigen und gottlosen Benehmens; denn er muß noch immer auf seinem Schimmel, den er im Leben geritten, auf jener Alpe umherreiten und wird oft gesehen von Leuten, die spät des Weges gehen; und, wer ihm nahe kommt und ihm traut, den betrügt er noch jetzt nach dem Tode mit seiner Arglist und führt ihn irre.

Der Teufel im Sack

In Gräfendorf war eine Frau als Hexe verschrien, und die Leute sagten ihr nach, sie stehe mit bösen Mächten und Geistern im Bunde. Zur gleichen Zeit gab es im Wiesengrund einen Bauernhof, auf dem sich geheimnisvolle Dinge abspielten. jeden Morgen, wenn der Bauer die Arbeit beginnen wollte und in den Stall kam, waren die Schwänze sämtlicher Pferde zu Zöpfen geflochten. Man glaubte, daß Geister, Teufel und Hexen in der Nacht kämen und die Schwänze zu Zöpfen binden würden.

Um hinter das Geheimnis zu kommen, legte sich der Bauer eines Nachts auf die Lauer. Tatsächlich erschien zu mitternächtlicher Stunde eine abscheuliche Teufelsgestalt, die die Pferdeschwänze zusammenflocht und dann wieder verschwand. Der Bauer wollte den Unhold fangen, er wußte aber, daß dies nur mit einer List gelingen könnte. Er überlegte sich folgendes: »Wenn ich Türen und Fenster im Stall fest verschließe und alle Ritzen zustopfe, bleibt nur noch das Schlüsselloch, durch das der Teufel entkommen kann. Wenn ich dann einen Sack vor das Loch halte, schlüpft er hinein und ich habe ihn.«

Am nächsten Morgen machte er sich mit seinem Knecht ans Werk; sie verstopften alle Fugen, Ritzen und Löcher, nur ein Schlüsselloch blieb frei. Am Abend warteten sie auf Mitternacht, und als die Turmuhr zwölfmal schlug, kam das Ungeheuer wie ehedem in den Stall und machte sich ans Werk. Als die Stunde der Geister zu Ende ging, fand der Teufel keinen anderen Weg nach draußen als durch das Schlüsselloch; und schon war er im Sack gefangen. Der Bauer und der Knecht verschnürten den Sack gut, schlugen dann mit Knüppeln, Prügeln und Stangen nach Kräften auf das Bündel so lange ein, bis der Geprellte jämmerlich schrie und um sein Leben bettelte. Als sie ihm genug Prügel verabreicht hatten, ließen sie ihn aus dem Sack schlüpfen und jagten ihn davon. – Am nächsten Tag hatte die Frau, von der man sagte, sie sei eine Hexe, einen verbundenen Kopf. Zudem hinkte sie und war mit blauen Flecken übersät. Die Pferde und der Bauer aber hatten von diesem Tag an ihre Ruhe.

Das Taubenbrünnlein zu Feuchtwangen

Die Volkssage erzählt die Entstehung des Klosters Feuchtwangen also. An den Abhängen des Sulzbachtales, in dichten Fichtenwäldern, soll Kaiser Karl der Große einstmals Jagd gehalten haben. Vom Fieber überfallen habe er sich matt und müde auf einen Fichtenstock gesetzt. Durstig zum Sterben konnte er kein Wasser bekommen, wie sehr es sich seine Jagdgenossen und die ausgesendeten Boten angelegen sein ließen. Sieh da! Sei eine Wildtaube aus dem Gesträuch aufgeflogen. Sie suchten den Ort auf und fanden da reines frisches Quellwasser im Busche aus verborgenem Gestein herausfließen. Dem müden kranken Kaiser war geholfen: er trank nach Herzenslust und wurde heil und munter. Zum Danke habe er eine Kirche und ein Kloster da zu bauen gelobt. So entstand im feuchten Gelände der Sulzach Feuchtwangen. Noch immer hat das Taubenbrünnlein am Fuße des Klosterberges klares Wasser und nach der Volksmeinung liegt auch der Fichtenstock, auf dem der Kaiser saß, vom Alter versteinert, unter dem Hochaltar der Stiftskirche zu Feuchtwangen. Eine neuere Steinplatte bei dem Brunnen enthält diese Sage in wenigen Zeilen eingemeißelt.

Der Engländer und sein Diener

Zu einem reichen Engländer, welcher immer an den heftigsten Zahnschmerzen zu leiden hatte, sprach einst ein altes Weib: »Wenn du von deinen Schmerzen befreit sein willst, so verschaffe dir von Luthers Bett, welches sich auf der Veste Coburg befindet, einen Span und stochere damit in deine Zähne!«

Kaum hatte der Engländer diesen Rat des Weibes vernommen, so gab er seinem treusten Diener Paddy den Befehl, sofort nach Coburg zu reisen und einen Span von Luthers Bett zur Beseitigung seiner Schmerzen zu holen. Nach langer, mühseliger Reise gelangte Paddy auch an einem heißen Sommertage in Coburg an. Da er großen Durst verspürte, so kehrte er in dem Ratskeller ein, wo er dem schäumenden Zollhofsbier so wacker zusprach, daß sich sein Körper vor lauter Wonne und Wohlbehagen über diesen Zaubertrank in nichts auflöste. Als nun in mitternächtlicher Stunde der Geist Paddys ohne Span vor seinem Herrn erschien, so fuhr dieser aus der Haut. Zur Strafe für diese Freveltaten wurden beide vom Schicksal nach der Coburger Veste verbannt, wo sie sich von Zeit zu Zeit zur Mitternacht als Gespenster bis auf den heutigen Tag sehen lassen.

Die Wetterhexe

An einem schwülen Sommertage kam ein Gewitter gezogen; trotz allen Läutens mit sämtlichen Glocken und immerwährenden Betens blieb das Gewitter über Neuern auf einem Platze stehen, und es blitzte und donnerte fürchterlich. Dazumal hatten die Neuerner einen recht frommen Pfarrer; der ging mit der Monstranz hinaus und gab den Segen zum Gewitter hinauf; es war alles vergebens; er nahm dann eine gläserne hochgeweihte Kugel, lud sie in sein Gewehr und schoß sie ins Gewitter. Da ließ sich eine weibliche Gestalt sanft zur Erde nieder. Er nahm sie mit sich in die Pfarrei und verhörte sie. Das Weib gab ihm zur Antwort, es habe schon öfter mit Gewittern hier durchziehen wollen und jedesmal habe sie heftiges Hundegebell daran verhindert. Das Hundegebell war aber der Glockenschall. Der Pfarrer übergab sie als Hexe dem Gerichte. Sie wurde zum Feuertode verurteilt. Als der Scheiterhaufen fertig war und sie bereits darauf stand, erbat sie sich als Gnade noch einen Knäuel Zwirn; als das Holz unter ihr zu brennen anfing, wickelte sie das Ende des Zwirnsfadens um einen Finger der linken Hand und mit der rechten Hand warf sie den Knäuel mit einem Schrei in die Höhe und fuhr blitzschnell dem Knäuel nach in die Luft und das Holz verbrannte umsonst. Der Teufel hatte sie am Faden fortgezogen.

Der Engelsberg

Eine starke halbe Stunde unterhalb Miltenberg, aber auf dem rechten Mainufer, liegt ein steiler Vorsprung des Spessarts, der Engelsberg – auf ihm eine Kapelle mit einem Klösterlein, zu welchem man von Großheubach auf 670 Staffeln gelangt. Die Kapelle ist im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts zu Ehren des hl. Erzengels Michael und aller andern Engel erbaut worden. Die Erbauer hatten nicht die Absicht, die Kapelle da zu errichten, wo sie jetzt steht, sondern an einer anderen Stelle des Berges und es waren hier bereits Steine und Bauholz aufgefahren, allein in der Nacht trugen die Engel Holz und Steine auf den jetzigen Bauplatz. Und wenn die Engel ein irdisches Haus haben wollten, konnte es nirgends schöner stehen als da, wo es sich jetzt befindet. Rings um den Berg liegt eine Landschaft, wie der Garten Gottes, und der trunkene Blick weiß nicht, soll er auf der entzückenden Nähe haften oder soll er in die herrliche Ferne schweifen. Darum senken sich auch himmlische Lichter auf den Bau herab, Engels-Harmonien umtönen den Berg und sichtbar wandeln die Engel in der Kapelle.

Auf der Stelle, wo der Bau zuerst hatte errichtet werden sollen, eine halbe Stunde hinter der Michels-Kapelle, wurde später die Mariahilf-Kapelle gebaut. 145 Treppen führen von dem Fuße des Bergs zu dieser Kapelle und 116 von da auf den Engelsberg.

In der Michels-Kapelle steht ein gnadenreiches Muttergottesbild, die hl. Maria zu den Engeln, der von den zahlreichen Wallfahrern aus der Nähe und Ferne eine besondere Verehrung gewidmet wird.

Früher stand bei der Michels-Kapelle nur ein kleines Haus, die Wohnung des Kirchendieners. Im Jahre 1629 erhielten die Kapuziner die Erlaubnis, sich auf dem Engelsberge anzusiedeln und diese errichteten in den darauffolgenden Jahren das kleine Kloster, das seit des Jahres 1829 von den Franziskanern bewohnt wird.

Der Spuk in der Universitätsbibliothek zu Würzburg

In dem Gewölbe der Manuskriptensammlung der Universität spukt von Zeit zu Zeit nachts ein graues Männchen, welches einen Pack Pergamentmanuskripte unterm Arme trägt. Dies soll der Geist eines Bibliotheksdieners sein, welcher einst den Schweden die versteckten wertvollen Manuskripte verraten hat. Diese Manuskripte wurden sämtlich von Gustav Adolph nach Schweden geschickt.

Die Kirche des heiligen Leonhard in Kaufring

Das schöne Kirchlein, dem heiligen Leonhard geweiht, soll auf folgende Weise entstanden sein.

Eines Tages – es war in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts – schwamm auf den Wogen des reißenden Lechstromes ein hölzernes Bild des heiligen Leonhard herab. Der Fluß warf dieses Bild einige hundert Schritte oberhalb des Dorfes ans Land. Der Mann, welcher es fand, machte in einer alten Eiche, die neben einer klaren Quelle stand, eine Höhlung und stellte das Bild hinein. Als nach einiger Zeit der Mann sein Bild wieder besuchen wollte, war es verschwunden und wurde auf einer Wiese wiedergefunden, die etwas oberhalb der Quelle lag. Man brachte nun das Bild des heiligen Leonhard abermals in die hohle Eiche. Am andern Tage aber lag es an demselben Platze auf der Wiese. Dieses wiederholte sich öfters und führte das Volk zum Glauben, daß der heilige Leonhard hier sein Bild geehrt wissen wollte. Deshalb baute die Gemeinde Kaufring eine Kirche, und stellte das Bild des heiligen Leonhard in derselben auf. Gegenwärtig befindet sich das Bild oberhalb dem Eingange der Kirche, auf dem Choraltar steht ein schöner gearbeitetes. Dieses Kirchlein erwarb sich bald großen Reichtum so wie nämlich das Vertrauen der Gläubigen wuchs und der Besuch der Andächtigen sich vermehrte, die in frommem Glauben auch stets Hilfe in Viehseuchen gefunden haben. Man erzählt auch, daß zuweilen zur Nachtszeit die Kirche ganz erleuchtet gesehen worden, ohne daß man sich erklären konnte, was Ursache dieser Beleuchtung gewesen sein möge. Der vor einigen Jahren verstorbene Förster Rauch soll selbst einmal in der Kirche zur Nachtszeit Musik gehört haben.

Hexen erkennen

Da muß man sich ein Stühlerl machen von neunerlei Holz: vier Beine, vier Keile und das Brett. In der Christmette muß man sich auf so ein Stühlerl knien. Zwei Kötztinger Burschen haben es probiert und sahen, daß die schönsten Bürgerstöchter des Marktes bei der Wandlung das Gesicht abwendeten. Danach haben die beiden Burschen mit ihren Stühlern dreimal um die Kirche laufen müssen, und die Kötztinger Kirche ist groß! Wie sie endlich zum Torbogen der Burg hinauswollten, haben sie die Hexen schon gehabt und so zerrauft und zerkratzt, daß ihnen das Blut heruntergelaufen ist. Mit Müh und Not konnten sie sich in ein Haus retten, sonst hätten die sie ›aufgearbeitet‹.

Das hohe Kreuz von Hessenthal

Oberhalb der Kapelle zu Hessenthal stand ein kleines Haus. Darin wohnte eine betagte Frau, die Witwe war und kinderlos. Sie hatte ihr gutes Auskommen, gab sich aber nie zufrieden und trachtete nur, immer mehr zu erwerben. Sie gönnte weder sich, noch einem andern etwas, gab keinem Armen ein Almosen und schaffte vom Morgen bis zum Abend, an Werk- und Feiertagen, nur um des leidigen Geldes willen. Denn das war ihr Gott, um den im Himmel kümmerte sie sich wenig, und kam nur höchst selten in die Kirche, die doch nur drei Schritte von ihrer Wohnung lag. Schon oft hatte sie der kleinen Gemeinde durch ihr Schaffen während des Gottesdienstes Ärgernis gegeben, schon oft war sie gemahnt worden, wenigstens die Andacht anderer nicht zu stören, aber vergebens.

Am Samstag vor Pfingsten tief in der Nacht war sie mit dem Flachsspinnen fertiggeworden. Sie war am darauf folgenden Tage noch so müde, daß sie ausruhen mußte, allein am Pfingstmontag schürte sie den Kessel und begann, ihr Garn zu kochen. Eine Nachbarsfrau ging vorüber zur Kirche und sah durch die offene Haustüre das Feuer unter dem Kessel und das Sieden des Garnes. Sie rief der Frau zu: »Ei, Nachbarin, wißt Ihr denn nicht, daß heute Pfingstmontag ist und schämt Ihr Euch denn nicht vor den Leuten? Gleich wird die Wallfahrt zum Herrnbilde abgehen: was werden die Leute dazu sagen, wenn Ihr da steht und Garn kocht, statt daß Ihr andächtig, wie andre, sein solltet?« »Was kümmert mich«, sprach die Frau, »Euer Pfingstmontag und Eure Wallfahrt! Wallfahrten mag gehen, wer nichts Besseres zu tun weiß; ich sage: Pfingstmontag hin, Pfingstmontag her, heute muß mein Garn gekocht sein.«

Als die Prozession von dem Herrnbilde zurückkam, war das Häuschen der Frau mit allem, was es enthielt, in die Erde versunken; nur ein tiefer Schlund war sichtbar und in der Tiefe hörte man das Strudeln des kochenden Wassers.

Lange Zeit war die Öffnung unbedeckt; später ward eine Mauer darüber errichtet und drei steinerne Kruzifixe mit den Bildsäulen der heiligen Mutter Gottes und des heiligen Johannes darauf gestellt. In der Mauer blieb eine viereckige Nische, die keine Öffnung nach innen hat; man hört aber daraus immer noch das Kochen des Wassers, am deutlichsten am Pfingstmontag.

Herrin der Fische

Einst ließen die Fischer den Zauberweiher zu Brückelsdorf ab, um die Fische herauszuholen, da kam ein fremdes Weib mit gelben Wangen und roten Augen, trat, ohne Gruß, in den Schlamm, und nahm den größten Fisch heraus. Der Fischer rief zornig: »Laß du Hex meine Fische, und hole dir vom Teufel aus der Hölle, wenn du deren nötig hast! « Bei dieser Rede schwoll das Weib durch Zorn wie eine Kröte, und sprach im Hinweggehen, mit ihren roten Augen nach den Fischen schielend: »Das ist euer letzter Fang, von nun an gehört der Weiher mein; keinen Fisch werdet ihr je wieder herausnehmen.« Seitdem ruht der Fluch auf dem Zauberweiher; denn man sieht wohl Fische schwimmen, wie aber das Wasser zum Fischen abgelassen wird, ist’s auf dem Grund ganz leer.

Der Seher im Frankental

Bei Frankental, einem Klosterhof des berühmten Stifts Langheim zwischen Lichtenfels und Bamberg, hütete im Jahr 1445 ein junger Schäfer des Namens Hermann seine Herde und wollte sie von der Berghöhe heimwärts treiben, als die Abendglocke von dem Kloster Banz auf gegenüberliegendem Berge in das schöne Maintal niederklang. Da hörte er seitwärts ein Rufen, die Stimme eines weinenden Kindes, und sah ein Knäblein einsam auf dem Acker sitzen; er ging auf dasselbe zu, da fand er ein Kind von strahlender Schönheit, das ihn wunderlieblich anlächelte und gleich darauf vor seinen Augen verschwand. Er ging von der Stelle hinweg, sah sich aber noch einmal um, und siehe – da saß wieder das Kind, noch viel herrlicher anzuschauen, und zwei Kerzen brannten neben ihm. Noch einmal eilte Hermann auf die liebliche Erscheinung zu, und abermals verschwand sie. Beunruhigt in seinem Gemüte trieb der Schäferknabe die Herde heim und sprach zu seinen Eltern von dem Gesicht, allein diese glaubten ihm nicht und geboten ihm zu schweigen; er vertraute aber, was er gesehen hatte, einem frommen Priester an, und der sagte ihm, was er tun solle, falls er noch einmal einer solchen Erscheinung gewürdigt werde. Solches geschah auch, doch erst im folgenden Jahre auf demselben Platze, nur noch viel überirdischer. Das Kindlein, von himmlischer Glorie umstrahlt, hatte ein rotes Kreuz auf der Brust und war umgeben von noch vierzehn andern himmlischen Kindlein, alle rot und weiß (das sind des alten Frankenlandes Farben) gekleidet. Jetzt fragte Hermann: Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes: Wer seid ihr, und was wünschet ihr? – Da antwortete das himmlische Kind: Ich bin Jesus Christus, und diese sind die vierzehn heiligen Nothelfer. Wir wollen hier wohnen und ruhen und euch dienen, so ihr uns dienet! – Darauf schwebte das Jesuskind, und die vierzehn mit ihm, zum Himmel empor. Und am nächsten Sonntag sah der Seher vom Frankental um dieselbe Stunde zwei brennende Kerzen vom Himmel sich auf jene Stelle niedersenken; und eine des Weges daherkommende Frau sah dies Wunder ebenfalls und sah auch, wie die Kerzen wieder himmelan schwebten. Da ging nun Hermann der Schäfer zum Abte von Langheim und verkündete ihm und den Vätern des Klosters die wiederholten Erscheinungen; und es wurde eine Kapelle auf jener Berghöhe gegründet, die bald als besonderer Gnadenort weit und breit in Ruf kam; Wunder geschahen dort, Wallfahrer strömten aus Nähe und Ferne herbei und beteten zu den vierzehn heiligen Nothelfern, auch wurde die Kapelle mit reichem Ablaß begnadet; eine Brüderschaft nannte sich nach den Nothelfern, ein Graf von Henneberg gründete ihnen einen Ritterorden; Kaiser Friedrich III. wallfahrtete dorthin, ein Gelübde zu erfüllen, auch Albrecht Dürer war im Jahre 1519 dort. Und durch gute und schlimme Zeiten hindurch behielt die Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen ihren großen, dauernden Ruf und Ruhm; immer schöner und herrlicher wurde sie gebaut, eine Propstei ward neben ihr errichtet. Mitten im Kreuz, das Langhaus und Querschiff bilden, erhebt sich ein dreifacher Altar mit unten offenem Raume über der Stelle, wo der Seher vom Frankental die Erscheinung sah. An dieser Stelle zu beten, zu büßen, zu geloben, wallen alljährlich viele Tausende dem hoch und schön gelegenen Tempel zu. Die Namen der vierzehn heiligen Nothelfer sind: Georgius, Blasius, Erasmus, Pantaleon, Vitus, Christophorus, Dionysius, Cyriakus, Achatius, Eustachius, Aegidius, Margaretha, Barbara und Katharina. Unvergänglich lebt das Andenken an den frommen Schäfer Hermann, den Seher im Frankental.

Das Brandtüchlein von Pflochsbach

Im Pfarrhaus von Pflochsbach wurde noch in den dreißiger Jahren in einem Schaukästchen ein Linnentüchlein gezeigt, in das deutlich sichtbar die Konturen einer Hand eingebrannt waren. Bei einem Besuch erzählte mir damals der Ortsgeistliche zu dem kostbar gehüteten Überlieferungsstück eine Geschichte:

Eine fromme Gräfin, sie stammte wohl von der Burg Rothenfels, war unglücklich über ihren Gemahl, weil dieser auf Abwege geraten und in Sünde gefallen war. Sie betete unablässig für seine Umkehr und gelobte dafür auch eine Wallfahrt nach Rom. Der Graf aber änderte seinen bösen Lebenswandel nicht, und als er nach Jahren in der Fremde starb, wußte die Gräfin nicht, ob er nicht doch zuletzt seine Sünden bereut habe und er doch noch mit Aussicht auf den Himmel ins Jenseits gekommen sei. Deshalb ließ sie in ihrem Gebet nicht nach und fühlte sich auch weiter an ihr Gelübde gebunden.

Da aber die Edelfrau durch den langen Kummer kränklich geworden war, bat sie den befreundeten Abt von Neustadt am Main, für sie die Wallfahrt nach Rom zu unternehmen und dort in der Peterskirche für das Seelenheil ihres Gemahls eine Messe zu lesen. Der Klosterherr war bereit, diese Bitte zu erfüllen, und sagte zur Gräfin, Gott werde ihr sicher ein Zeichen geben, wenn die Seele ihres Mannes gerettet sei. Die fromme Frau wollte in Gedanken die Wallfahrt mitmachen und in dieser Zeit sich besonders dem Gebet und Fasten widmen. Sie vereinbarte mit dem Abt, daß sie zur gleichen Zeit, zu der er in Rom die Messe lese, ein Amt in der Klosterkirche feiern lasse.

Während des vereinbarten Gottesdienstes kniete die Edelfrau in inbrünstigem Gebet an der untersten Altarstufe und hielt ein Linnentüchlein in der Hand, mit dem sie sich zuweilen eine Träne von der Wange wischte. Als nun das Silberglöcklein zur Wandlung ertönte, spürte sie plötzlich einen feurigen Händedruck, und wie sie das Tüchlein anschaute, sah sie darauf die Konturen einer Hand bräunlich eingebrannt. Nach etwa einem Monat kehrte der Abt aus Rom zurück, und als er von dem wunderbaren Ereignis erfuhr, erklärte er der Gräfin mit Freuden, der Graf habe ihr zum Dank für ihr unablässiges Gebet und als Zeichen für seine gerade erfolgte Rettung während der heiligen Wandlung die Hand gereicht.

Die Gräfin aber zog sich für den Rest ihres Lebens in die Einsamkeit zurück, erbaute in Pflochsbach ein Kirchlein, und so ist das Tüchlein dorthin gekommen.

Der Bürgermeisters-Fuchs

In Schweinheim war einmal ein Bürgermeister, der hatte rote Haare, wie der, den man Ischarioth nennt, und war auch nicht viel besser. Den Herrn hatte er zwar nicht verraten, aber desto mehr die Gemeinde, und mancher Taler, der in den Gemeindesäckel hätte kommen sollen, hatte den Weg in seinen eigenen gefunden. Die Leute, wenn sie von dem Bürgermeister sprachen, sagten nur: »der Fuchs«, und sie nannten ihn so nicht bloß der roten Haare wegen. Endlich starb er. Nach ihm kam ein anderer Bürgermeister, aber wie das Sprichwort sagt: es kommt selten was Besseres nach, und der neue Bürgermeister war noch schlimmer, als der alte. Eines Tages, es war schon tief in der Nacht, saß der neue Bürgermeister mit dem Schulzen auf dem Rathaus und pflog mit ihm Rats, wie sie der Gemeinde ein X für ein U machen könnten. Da springt mit einem Male die Stubentür weit auf, und herein tritt ein großer Fuchs mit einem langen Schwanz. Er schaut den Bürgermeister und den Schulzen, denen der Angstschweiß ausbricht, eine Weile starr an, dann spricht er mit einer Stimme nicht wie ein Fuchs, sondern wie ein Bär: »Zur Strafe meiner Diebereien muß ich jetzt, wie ihr mich seht, herumwandern. Wenn ihr so fortfahrt, so geht’s euch auch so, Bessert euch – bessert euch!« Und fort war er.

Der Bürgermeister und der Schulz ließen sichs nicht umsonst gesagt sein, und gingen etwas in sich, aber der große Fuchs soll sich doch von Zeit zu Zeit wieder haben sehen lassen. – Weil nun dieser Fuchs ein Leben ohne Ende hat, so pflegt der Jäger, wenn bei einem Treibjagen ein Fuchs die Schützenlinie hinaufläuft und überall hübsch gefehlt wird, zu sagen: »Das muß der Bürgermeisters-Fuchs sein! «

Der geschundene Wolf

Herzog Otto von Bayern vertrieb des Papstes Legaten Albrecht, daß er flüchten mußte und kam nach Passau. Da zog Otto vor die Stadt, nahm sie ein, und ließ ihn da jämmerlich erwürgen. Etliche sagen: man habe ihn schinden lassen, darum führen noch die von Passau einen geschundenen Wolf. Auch zeigt man einen Stein, der Blutstein geheißen, darauf soll Albrecht geschunden und zu Stücken gehauen sein. Es sei ihm, wie es wolle: er hat den Lohn dafür empfangen, daß er so viel Unglück in der Christenheit angestiftet.

Die Zwoatelsfrau

In Ruppertshütten gibt es auch heute noch die Waldabteilung »Zweitel«, die nach der Mundart »Zwoatel« genannt wird. Vor Jahren kam regelmäßig um sechs Uhr zum Abendläuten eine alte Frau mit einem Huckelkorb, einer sogenannten Kratze, aus der Waldabteilung Zweitel heraus. Sie schaute sich nach den Kindern um, ob sie zur Abenddämmerung auch nach Hause gehen würden. Sie hat nach der Überlieferung sogar einige streunende Kinder im nahegelegenen Wald freundlich an der Hand genommen und nach Hause zu ihren Eltern gebracht. Nachdem sie ihre Aufgabe erledigt hatte, entschwand sie jedoch den Blicken der Ruppertshüttener Bürger. Auch heute noch ermahnen die Eltern von Ruppertshütten ihre Kinder, pünktlich zum Abendläuten zu Hause zu sein, weil sonst die »Zwoatelsfrau« sie heimbringen würde.

Maussee

Zwischen Inning und Seefeld liegt der Wörthsee, auch »Maussee« genannt; letzteren Namen hört die Herrschaft sehr ungerne. War einst ein Graf von Seefeld, der in großer Hungersnot die armen Leute in einem Stadel zusammensperrte, daß sie jämmerlich schrien, da frug er lachend, ob man die Mäuse pfeifen höre; darauf kam deren eine Unzahl zum Vorschein, die ihn überall hin verfolgten; zuletzt flüchtete er sich auf die Insel im Wörthsee, wo sie ihm zu Tausenden nachfolgten und ihn, obwohl er das Bett in eisernen Ketten aufhängen ließ, auffraßen.

Zauberzeddel

Ein Student, Christian Elsenreiter genannt, versuchte zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts in der Stadt Passau in einem Gäßchen, rückwärts dem Rathause, wo er sich aufhielt, durch Verfertigung von Zauberzetteln, die gegen alle Verwundungen schützen sollten, Ansehen und Reichtümer zu erlangen. Es waren auf den Zetteln diese Worte zu lesen: Teufel hilf mir; Leib und Seel‘ geb ich Dir. Wer sich vor jeder Kugel, Lanze und Schwert sicher stellen wollte, verschluckte einen solchen Zettel, und seine Existenz war auf Lebenszeit geschirmt. Starb er aber in den ersten 24 Stunden nach der Verschluckung, so gehörte seine Seele dem bösen Feinde an. Die Vorurteile des Zeitalters kamen dem Erfinder günstig zuguten; in kurzer Zeit war diese Kunst unter dem Namen »Passauer-Kunst« und die Benennung »Passauer-Zeddel« allgemein bekannt. Im dreißigjährigen Kriege, und besonders im oberösterreichischen Bauernkriege unter Kaiser Ferdinands Il. Regierung, bedienten sich sehr viele Soldaten und Bauern dieses Mittels, und selbst der in der Geschichte bekannte Stephan Fädinger soll fest an die Unverletzbarkeit seines Körpers geglaubt haben.

Der Beilstein

Einige Stunden von Orb liegt das Dorf Lettgenbrunn und zwischen diesem und dem Dorfe Villbach eine steile Bergkuppe von Basalt, der Beilstein genannt. Auf diesem Berge stand früher eine Burg. Wer sie gebaut, weiß man nicht, sie muß aber stattlich gewesen sein, denn es hatten mehrere Herren Anteil an derselben, namentlich auch die Erzbischöfe von Mainz. In der Mitte des 14. Jahrhunderts war der Mainzer Anteil am »Haus Bylstein« an Dietzen von Tungede (Thüngen), Friedrich Forstmeister und andre verpfändet. Wann und von wem die Burg Beilstein zerstört wurde, ist ebenso unbekannt, als wann sie gebaut worden. Seit vielen Jahren bezeichnen nur kaum erkennbare Mauertrümmer ihre Stätte. Man hat sie nach Schätzen durchwühlt und zwar Waffenstücke, Pfeilspitzen und ähnliche Gegenstände gefunden, aber kein Gold, kein Silber. Die Reichtümer, die man in den Ruinen zu finden glaubte, liegen tiefer, im Innern des Berges, wohin keine menschliche Macht zu dringen vermag, und werden hier von den Erdgeistern bewacht, die sie aufgehäuft haben.

Einst am frühen Morgen ging ein junger Mann von Lettgenbrunn nach Villbach. Als er an den Beilstein kam, sah er eine wunderschöne Blume. Er brach sie ab und ging seines Weges. Bald kam er an ein hohes gewölbtes Tor, das in das Innere des Beilsteins führte. Unter dem offenen Torbogen standen drei Jungfrauen von überirdischer Schönheit in strahlenden Gewändern, die dem jungen Manne freundlich winkten. Obwohl überrascht von der wunderbaren Erscheinung, fühlte sich der Jüngling doch unwiderstehlich fortgezogen Er trat durch das Tor in eine weite hohe Halle und folgte den Jungfrauen durch eine lange Reihe geräumiger Gemächer, die durch ein unbekanntes Licht prächtig beleuchtet waren. Da glänzte und glitzerte es überall, daß dem Jünglinge fast die Sinne vergingen. In dem einen Gemache lagen große Haufen gediegenen Silbers, in dem andern Haufen Goldes, in dem dritten gar Haufen von Edelgesteinen in allen Farben des Regenbogens. Die Gemächer schienen gar kein Ende zu nehmen. Anfangs hatte in der Seele des Jünglings nur die Bewunderung der nie gesehenen Schätze Raum, bald trat aber die Habsucht an ihre Stelle; er warf die Blume weg und begann, alle Taschen mit den gefundenen Schätzen zu füllen. Die Wahl ward ihm schwer; wenn er sich das Schönste ausgelesen zu haben glaubte, fand er immer noch ein Stück, das ihm schöner zu sein dünkte, und das er nun auch mitnehmen mußte. Endlich glaubte er eine richtige Auswahl getroffen zu haben; schwer bepackt eilte er dem Ausgange zu. Die Jungfrauen hatten dem Jüngling bisher in tiefem Schweigen und mit betrübten Mienen zugeschaut; er hatte sie gar nicht mehr beachtet. Nun sprach die eine: »Vergiß das Beste nicht! « Er kümmerte sich aber nicht darum und eilte weiter. Da rollte ein langer schwerer Donner durch die Hallen, daß die Erde in ihren Grundfesten erbebte; die Decke und die Wände wankten und drohten den Einsturz. Der Jüngling war noch weit von dem Ausgang; immer näher aber kam die Gefahr, verschüttet oder erdrückt zu werden, denn die Wände rückten auch gegen einander. In der Angst seines Herzens warf er ein Stück seines Schatzes nach dem andern von sich und eben hatte er das letzte hinweggeworfen, als mit einem neuen Donnerschlag das Gewölbe sich schloß. Der Jüngling war gerade auf dem Sprung ins Freie, so daß der Fels nur noch seine Ferse packte, die er ihm auch abschlug. Als er sich umschaute, sah das Gestein des Berges aus, wie gewöhnlich, und es war keine Spur eines Einganges zu finden, die Sonne aber war im Untergehen. – Der Jüngling blieb lahm sein Leben lang.

Seit dieser Zeit hat niemand mehr die Wunderblume und den Eingang in den Berg gefunden.

Die Jungfrau im Oselberg

Zwischen Dinkelsbühl und Hahnkamm stand auf dem Oselberg vor alten Zeiten ein Schloß, wo eine einige Jungfrau lebte, die ihrem Vater als Wittiber Haus hielt und den Schlüssel zu allen Gemächern in ihrer Gewalt gehabt. Endlich ist sie mit den Mauern verfallen und umgekommen, und das Geschrei kam aus, daß ihr Geist um das Gemäuer schwebe und nachts an den vier Quatembern in Gestalt einer Fräulein, die ein Schlüsselbund an der Seite trägt, erscheine. Dagegen sagen alte Bauern dieser Orte aus, von ihren Vätern gehört zu haben, diese Jungfer sei eines alten Heiden Tochter gewesen und in eine abscheuliche Schlange verwünscht worden; auch werde sie in Weise einer Schlange, mit Frauenhaupt und Brust, ein Gebund Schlüssel am Hals, zu jener Zeit gesehen.

Der Jungfernturm und die eiserne Jungfrau

An jenem Reste der ehemaligen Stadtmauer, welcher sich vom St. Salvatorplatze – dem sogenannten griechischen Markte – bis Zur Häuserreihe des Maximilians- oder Dultplatzes hinzieht, ist eine Gedenktafel angebracht mit der Inschrift:

Hier stand der
Jungfernthurm,
erbaut im Jahre
1493
Abgebrochen
im Jahre
1804.

Auf diesem Jungfernturm haftet eine schauerlich-romantische Volkssage. Nach dieser soll in demselben eine eiserne Statue der heiligen Jungfrau gewesen sein, welche das Schlachtopfer, dessen Tod beschlossen war, habe küssen müssen, während dem der Boden unter seinen Füßen sich öffnete und der Unglückliche in die Tiefe des Verließes versank. Nach einer anderen Erzählung öffnete sich unter dem Verurteilten eine Falltüre, und derselbe sank in der Tiefe in die Arme der eisernen Jungfrau, die ihn mit denselben umschloß und an ihre mit Dolchen gespickte Brust drückte, während zugleich die mit Schwertern bewaffneten Arme ihn zerfleischten und der Unglückliche hierdurch des qualvollsten Todes starb. Namentlich knüpft die heutige Volkssage dieses geheimnisvolle Walten der eisernen Jungfrau an die Zeit des Kurfürsten Karl Theodor, durch dessen geheimen Ausschuß, an dessen Spitze der berüchtigte geheime Rat Lippert stand, allerdings ohne gerichtliches Urteil Landesverweisungen ausgesprochen, Todesurteile gefällt und ohne Geräusch heimlich vollzogen wurden. Personen, welche durch revolutionäre Grundsätze dem Staate gefährlich schienen, sollen dieser Sage nach plötzlich verhaftet, durch den gespenstigen »Einspänniger« in die Residenz abgeführt, dort im gefürchteten gelben Zimmer von dem geheimen Ausschusse abgehört und verurteilt, und sodann in dem Jungfrauenturm durch die Arme der eisernen Jungfrau ermordet worden sein. Die Münchener Sage benennt sogar mit Bestimmtheit den Hauptmann des churbayerischen Leibregimentes Franz von Unertl, welcher am Abende des 6. Januar 1796 aus einem Gasthause dahier mit dem Einspänniger abgeholt, und am 7. Januar morgens 3 Uhr durch die eiserne Jungfrau hingerichtet worden sein soll.

Otto Seemoser, der Torwart zu Freising

Rechts beim Eingang in den Freisinger Dom befindet sich der Grabstein des bischöflichen Torwarts Otto Seemoser, auf dem er lebensgroß mit einem Laib Brot abgebildet ist. Dieser alte Diener war ein Wohltäter der Armen. Nur spendete er oft reichlicher, als sein Herr, der Bischof Gerold, es wünschte. Einmal begegnete ihm Gerold, als er eben drei Brote, die er unter dem Kleide barg, den Armen zutragen wollte.

Der Bischof fragte, was er da trüge. »Steine!« entgegnete der betroffene Torwart. Und siehe! Die Brote waren in Steine verwandelt, als er sie vorzeigen mußte. Danach aber, als die Gefahr vorüber war, wurden sie wieder zu Broten.

Der Pflug im Straubinger Wappen

In alter Zeit wollte die Donau nicht an die Stadt heran. Weit hinter deren Rücken floß sie breit zwischen Wundermühle und Hornstorf hinab. Aber die Straubinger brauchten den Strom notwendig. Da fertigten sie einen mächtigen Pflug, spannten, ich weiß nicht wie viel der stärksten Pferde daran und rissen ein neues Strombett auf. Das wand sich südwärts ganz nahe zur Stadt heran. Sie pflügten es aus und leiteten mit Kunst und Bedacht das wallende Wasser hinein. Das folgte ihnen gehorsam und hieß fortan die neue Donau. Bei der alten wurde ein Steindamm, die Bschlacht, gebaut, damit es dem neuen Strom nicht wieder einfiel abzukehren. Nur ein kleiner Arm fließt noch an alter Stelle, daß die Hornstorfer und die von der Wundermühle auch noch eine Donau haben. Den Pflug aber erhielten die Straubinger ins Wappen, und sie haben ihn allzeit in Ehren gehalten.

Von dem Böckler

Ein Dillinger, der aus Italien kommend wieder nach Deutschland reiste, fiel, als das Schiff auf welchem er sich befand, nur kurze Zeit den Hafen verlassen hatte, mit allen seinen Reisegefährten in die Hände mohammedanischer Seeräuber, die ihn auf dem Sklavenmarkte in Algier verkauften, an einen grausamen Herrn. Der Unglückliche wurde zur härtesten Arbeit angehalten, an schwere Ketten geschmiedet und mußte mit einem Trupp Leidensgefährten selbst bei brennender Sonnenhitze nur mit einigen Lumpen bedeckt, das Land bebauen. Es vergingen Jahre des Elends und endlich gab er jede Hoffnung auf, jemals wieder in sein geliebtes Vaterland zu kommen. Da fügte es sich, daß in Geschäften, in welchen hat die Sage nicht erwähnt, ein vornehmer Herr, der sich entweder lange in Dillingen aufgehalten oder vielleicht hier geboren war, nach Algier und zu dem Herrn des Sklaven kam. Durch Gottes Fügung kam er mit letzteren zusammen und erstaunte nicht wenig, als ihm dieser Deutschland, Dillingen als seine Heimat bezeichnete. »Um der teuern Stadt willen«, sprach der vornehme Herr, »wollte ich dich gerne loskaufen: doch gib mir einen Beweis, daß du wirklich ein Dillinger bist! Sag an, was hat die Uhr am mittlern Torturm für ein Zeichen?« – »Sonne, Mond und Sterne sind an ihr angebracht«, entgegnete hastig der Sklave, und erzählte dem fremden Herrn eine Menge Umstände, welche die Wahrheit seiner Heimatsangabe bekundeten. Um eine große Summe Geldes kaufte ihn nun der Herr vom Sklavenstande los und stattete ihn mit den Mitteln zur Heimreise aus. Er kam auch glücklich in seiner Vaterstadt Dillingen an, machte sich ansässig und wurde bald ein angesehener begüterter Mann. Zur Erinnerung an seine überstandenen Leiden und seine unverhoffte Erlösung ließ er unterhalb der Uhr am mittlern Tor zwei Böcke anbringen, die mit dem Uhrwerke in Verbindung stehen, zugleich auch als Anspielung auf seinen Namen, denn er soll »Böckler« geheißen haben.

Von sonderbaren Wahrzeichen der Stadt Ingolstadt

Für ein Wahrzeichen kann mancherlei gelten oder gehalten werden; es ist aber gewiß, daß es nicht leicht eine Stadt oder einen Markt gibt, so nicht irgend ein Wahrzeichen oder dergleichen mehrere hätte. Auch Ingolstadt hat solche und dies Kapitel soll davon handeln.

Vom Pfarrer, der klopft, geht eine gar schauerliche Kunde und doch wieder trostreich für die Stadt. Wenn du in die Pfarrkirche ad Stum Mauritium dich begibst und deine Schritte zum Hochaltare lenkest, so siehest du, ehe die Staffeln anheben, einen rötlichen Stein am Boden liegen, darauf ein Kreuz von Messing und ein detto Täfelein mit der Inschrift: Anno 146o obiit Conradus Ulmer, plebanus hujus ecclesiae, zu deutsch: Im Jahre 1460 starb Konrad Ulmer, Pfarrer dieses Gotteshauses. – Selbiger Ulmer, so von 1442 bis 1460 Pfarrherr in der untern Stadt gewesen, war ein gar frommer und heiligmäßiger Mann. Er ist aus Schwaben gebürtig gewesen, nicht unwahrscheinlich aus dem Städtchen Gmünd in Württemberg. Sein Bruder, Petrus Ulmer, aus dem Orden des hl. Augustin, ist insgemein frater de Gamundia d. h. Bruder von Gmünd genennet worden. War der Durchlauchtigen Herzogen in Bayern Hofprediger, der Gottesgelehrtheit Doktor, unter dem Bischof Johann III. von Freising dessen Weihbischof und Bischof von Mitrokomia in part. inf. Er weihte in der Augustinerkirche zu München acht Altäre am 1. Oktober 1449 und ward auf dem Kapitel zu Landau im Jahre 1430 zum Obern der rheinischen und schwäbischen Ordensprovinz erwählet. Ist zu Gmünd selig im Herrn entschlafen und in der Kirche seines Ordens begraben worden. Unser Konradus Ulmer ist wahrscheinlich durch die Fürbitte seines bischöflichen Bruders auf die gute St. Moritz Pfarrei gekommen, so er durch den lichtscheinenden Glanz seiner Tugenden nicht wenig ehrte. Als er Pfarrer zu sein anhob, ist eine gar traurige Zeit im Bayerlande gewesen, sintemalen der alte Herr Ludwig im Barte von seinem unnatürlichen Sohne Ludwig dem Höcker im Schlosse zu Neuburg belagert, gefangen und letztlich auf des Markgrafen Albrecht Schloß nach Onolzbach gebracht wurde. Schon zwei Jahre darauf mußte Konrad Ulmer die Leiche Ludwig des Höckers, den der Tod nicht ohne gerechtes Zulassen Gottes so schnell ereilte, zu Grabe in die Pfarrkirche zur U. L. Sch. Frau begleiten. Im August des Jahres 1447 hielt er in seinem Gotteshause eine feierliche Leichenbesingnis für Herzog Ludwig im Barte, so als 81jähriger Greis aus Herzeleid im Schlosse zu Burghausen verblichen war. – Im Jahre 1430 wurde am 4. Mai in der Sakristei der Frauenkirche eine Kiste, so mit dem Siegel des Grafen von Oettingen verschlossen gewesen, eröffnet und darin überaus kostbare Reliquien gefunden, welche obgenannter Graf wahrscheinlichst aus dem heiligen Lande gebracht und diesem Gotteshause vermacht hatte. Zeugen sind die Prälaten von Thierhaupten, Donauwörth und Würzburg gewesen, item Bartline von der Leiter zu Bern. Selbige Heiltümer nun wurden im Jahre 1444 in Gegenwart beider Stadtpfarrer, nämlich unsers Konrad Ulmer und des Gabriel Klosen wieder in die Truhe zurückgetan und sorgfältig verschlossen. Ulmer hielt dann noch den feierlichen Gottesdienst für den zu Landshut abgeleibten Herzog Heinrich im Jahre 1450, huldigte mit allen seinen Amtsbrüdern dem neuen Herzog Ludwig dem Reichen, hat die Judenvertreibung, so gedachter Herzog wegen ihres Wuchers aus Ingolstadt und vierzig andern Städten des Landes befohlen hatte, mitangesehen, erlebte noch, daß im Jahre 1453 Ingolstadt der Titel einer Hauptstadt verliehen worden ist, nicht minder den Entschluß des Herzogs, allhier eine Universität zu errichten und die päpstliche Bulle vom Jahr 1459 mit der Erlaubnis hierzu. Die Errichtung selbst hat er aber nicht mehr erlebt, sintemalen er bereits im Jahre 1460 selig im Herrn entschlafen ist, den Ruf eines eifrigen Seelenhirten und heiligmäßigen Mannes bis auf diese Stunde zurücklassend. Er verehrte mit absonderlichem Vertrauen die allerseligste Jungfrau Maria und betete eifrig den hl. Rosenkranz. Wohl ist es wenig, was wir von dem frommen Priester wissen und aufgezeichnet finden, doch verspüret die Stadt jetzt noch nach Jahrhunderten den Segen seines heiligen Wirkens und die Kraft seiner mächtigen Fürbitte. Es geht nämlich die Sage und selbige ist durch vielfache Erfahrung bestätigt, daß um der Verdienste jenes heiligen Mannes willen in Ingolstadt nie mehr als ein Haus abbrenne. Auch soll derselbige durch Klopfen in seiner Gruft die baldige Entstehung eines Brandes anzeigen und darauf aufmerksam machen. Es gibt viele, so dieses Klopfen schon gehört haben wollen. Wie dem auch sei, dies ist gewiß, daß seit unfürdenklichen Zeiten selbiger Pfarrer, der klopft, für ein rechtes Wahrzeichen Ingolstadts gehalten worden ist.

Item haben wir ein solches an dem großen rötlichen Stein, so vor dem Hause des Herrn Lebzelters Berthold liegt. Ist früher an der Gottesacker Mauer, so vor Zeiten um die obere Pfarre gegangen, der Konviktkaserne gegenüber, gelegen. Mag vielleicht ein vom Baue der Frauenkirche übriggebliebener Stein gewesen sein, auf welchem den Arbeitern der verdiente Lohn ausbezahlt wurde, aus Ursach dessen selbiger Stein in seiner Mitte eine geringe Höhlung gehabt hat. Gerade das aber hat die Sage, so über diesen Stein geht, benützt, vorgebend, der »Gott sei bei uns« habe selbigen Stein zum Trutz des Baumeisters Konrad Gläzl über die Kirche geworfen und sei leibhaftig darauf gesessen. Gewiß ist, daß sich beim Wegbringen selbigen Steines an seine jetzige Stelle nur mit Mühe jemand gefunden hat, Hand anzulegen und einen Wagen zu dem Zwecke herzugeben, ein Beweis, wie tief obige Sage im Volke bereits eingewurzelt gewesen.

Die treulose Störchin

Cranz, ein Kanzler Herzog Thaßilos lll. schreibt gar ein seltsames Wunder von Störchen, zur Zeit Herzog Haunbrechts. Der Ehebruch sei derselbigen Zeit gemein gewesen, und Gott habe dessen harte Strafe an unvernünftigen Tieren zeigen wollen.

Oberhalb Abach in Unterbayern, nicht weit von der Donau, stand ein Dorf, das man jetzund Teygen nennet. In dem Dorf nisteten ein Paar Störche und hatten Eier zusammen. Während die Störchin brütete und der Storch um Futter ausflog, kam ein fremder Storch, buhlte um die Störchin und überkam sie zuletzt. Nach verbrachtem Ehebruch flog die Störchin überfeld zu einem Brunnen, taufte und wusch sich, und kehrte wieder ins Nest zurück, der Maßen, daß der alte Storch bei seiner Rückkunft nichts von der Untreue empfand. Das trieb nun die Störchin mit dem Ehebrecher fort, einen Tag wie den andern, bis sie die Jungen ausgebrütet hatte. Ein Bauer aber auf dem Felde nahm es wahr und verwunderte sich, was doch die Störchin alle Tage zum Brunnen flöge und badete; vermachte also den Brunnen mit Reisig und Steinen, und sah von ferne zu, was geschehen würde. Als nun die Störchin wiederkam und nicht zum Brunnen konnte, tat sie kläglich, mußte doch zuletzt ins Nest zurückfliegen. Da aber der Storch ihr Mann heimkam, merkte er die Treulosigkeit, fiel die Störchin an, die sich heftig wehrte; endlich flog der Storch davon und kam nimmer wieder, die Störchin mußte die Jungen allein nähren. Nachher um St. Laurenztag, da die Störche fortzuziehen pflegen, kam der alte Storch zurück, brachte unsäglich viel andre Störche mit, die fielen zusammen über die Störchin, erstachen und zerfleckten sie in kleine Flecken. Davon ist das gemeine Sprichwort aufkommen: »Du kannst es nicht schmecken! «

Der Lindwurm in Volkach zu Unterfranken

An der westlichen Seite der an dem Maine liegenden Stadt Volkach ist noch ein Teil der alten Befestigung, nämlich die Ringmauer, Türme, Wall und Gräben, erhalten. Dabei steht eine steinerne Martyrsäule, auf der einen Seite Christus am Kreuze mit Knienden: Ritter, Frau und Kinder, dann auf der anderen Seite St. Georg darstellend, wie er den Drachen tötet. Der Ritter St. Georg ist Schutzpatron der Stadt.

In diesem Graben, weiß die Sage, war sonst ein See, in welchem sich ein Lingwurm (nach der Aussprache des Volkes) aufhielt, der Menschen und Tiere vergiftete. Da aber der See abgelassen, und der Graben ausgetrocknet wurde, so konnte sich das Tier nicht mehr aufhalten, und seit dieser Zeit ist Ruhe. Alle Jahre, am Samstagabend nach Fronleichnam, geht wegen dieses Ereignisses eine große Wallfahrt nach Burgwindheim.

Der Einsturz des Tölzer Schlosses

Auf dem Schlosse zu Tölz hauste ein gottloser Pfleger, der nichts von Gott und den Heiligen wissen wollte und über alles spottete. Einmal am Margarethen-Tage wollten seine Ehhalten (Dienstboten) zur Kirche gehen – er war damals noch ein Feiertag – er aber schickte sie zur Arbeit ins Heu. Eine fromme Dirn mahnte ihn dringend, doch an diesem Tage um günstiges Wetter zum Heiligen bitten zu lassen; da fuhr er sie höhnend an: »Was kümmere ich mich um diese Heubrunzerin!« In derselben Nacht ging ein furchtbarer Wolkenbruch unter Donner und Blitz hernieder, der Ellbach schwoll gewaltig an, riß alles mit sich fort und unterspülte den Berg, das Schloß stürzte plötzlich ein und erschlug seine Bewohner.

Stiftung des Klosters Wettenhausen

Zwischen Ulm und Augsburg, am Flüßchen Camlach, liegt das Augustinerkloster Wettenhausen. Es wurde im Jahr 982 von zwei Brüdern, Conrad und Wernher, Grafen von Rochenstain, oder vielmehr von deren Mutter Gertrud gestiftet. Diese verlangte und erhielt von ihren Söhnen so viel Lands zur Erbauung einer heiligen Stätte, als sie innerhalb eines Tages umpflügen könnte. Dann schaffte sie einen ganz kleinen Pflug, barg ihn in ihrem Busen, und umritt dergestalt das Gebiet, welches noch heutiges Tages dem Kloster unterworfen ist.

Der wilde Jäger

In den Waldschluchten des Spessarts, auf seinen Felsenhöhen haust der wilde Jäger. Der fromme Köhler, der seinen Meiler hütet, der harmlose Wanderer, der seinem ehrlichen Erwerbe nachgeht, die schuldlosen Kindlein, die Beeren suchen, sehen ihn nicht; aber er stellt sich überall ein, wo die Sünde ihm die Pforte öffnet, und wehe dem, der Böses sinnend ihm in den Weg kommt, wenn er in wilder Jagd mit höllischem Halloh über die Baumwipfel hinbraust! – Besonders an St. Petri Stuhlfeier (22. Februar) treibt er sein Unwesen; da ist kein Holzdieb sicher, daß er nicht mit gebrochenen Armen oder Beinen heimkommt: darum haben an diesem Tage der Wald und der Förster ihre gute Ruhe.

So gefährlich es aber auch ist, dem wilden Jäger zu begegnen: es gibt doch FrevIer, die ihn und seine Hilfe sogar aufsuchen. Wer Freikugeln gießen will, der muß ihn dabei haben, denn nur sein Segen gibt den Kugeln die Gabe, niemals zu fehlen. Freilich tut er’s nicht umsonst, aber wer nur der Gegenwart lebt, denkt nicht an die Zukunft.

Zu Orb gab es im Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts einen Mann, der einen gottlosen Lebenswandel führte. Als Knabe war er hinter die Schule geschlichen, als Jüngling und Mann ging er der Arbeit aus dem Wege, aber desto fleißiger ins Wirtshaus. Er war nicht reich; das kleine ererbte Gut war bald durch die Gurgel gejagt und borgen mochte ihm niemand: er war nun gezwungen, auf irgendeinen Erwerb zu denken. Als Kriegsknecht hätte er ihn wohl finden mögen, denn der greuliche dreißigjährige Krieg verwüstete Deutschland schon seit Jahren und das Kriegsvolk führte eben auch kein erbaulicheres Leben, als er selber, aber der Kriegsdienst war ihm zu beschwerlich und gefährlich. Orb ist rings von großen Forsten eingeschlossen, die damals überreich an Wild waren; mit einiger Vorsicht konnte man schon einen Edelhirsch oder einen Rehbock gefahrlos erlangen – und der Mann ward ein Wildschütz.

Wenn man so in der Dämmerung auf ungebahnten Pfaden durch den Wald schleicht, lassen sich mancherlei Bekanntschaften machen. Der Mann mußte sie auch gemacht haben, denn bald verschoß er nur Freikugeln.

Nun lebte er mehrere Jahre in Saus und Braus. Ein einziger Schuß aus sicherer Ferne gab ihm täglich die Mittel, seinen Gelüsten zu frönen – und er tat das reichlich und kümmerte sich nichts darum, was nachkommen werde; ein Fluch war sein bestes Vaterunser.

Da kam das Jahr 1634 und mit ihm alles Unheil über Orb. Die Schweden überfielen die Stadt, plünderten sie und erschlugen, wer sich widersetzte. Die armen Einwohner litten an allem den bittersten Mangel – und im darauf folgenden Jahre wurden sie auch von der Pest heimgesucht. Diese wütete dergestalt, daß die Stadt bis auf 10 Familien und den Pfarreiverweser (der alte Pfarrer war kurz zuvor heimgegangen) ausstarb; die Leichen mehrten sich, daß sie nicht mehr in dem Friedhofe begraben werden konnten und haufenweise auf dem Marktplatze lagen; man beerdigte sie außerhalb der Stadt in einem Felde, das heute noch den Namen »Pestacker« führt: fast Tausend fanden hier ihr unbekanntes Grab.

Auch der Wildschütz wurde von der Pest befallen. Seine Verwandten sprachen ihm zu, sich den Pfarreiverweser rufen zu lassen und die Schrecken des herannahenden Todes bewogen ihn, in ihr Begehren zu willigen; als aber der Geistliche kam, fand er den Wildschützen in seiner Kammer erhenkt. Ob er es selbst in der Verzweiflung getan, ob der andere geholfen: wer kann es sagen?

Die letzten Bürger von Orb, die täglich morgens vor dem unteren Stadttore zusammenkamen und täglich weniger waren, trugen die Leiche des Wildschützen auf den Pestacker. Aber unterwegs schlugen auf einmal Flammen aus der Totenlade, daß die Träger voll Schrecken die Leiche fallen ließen. Sie fanden später den Sarg gänzlich verbrannt und den Leichnam allein auf dem Boden liegend und senkten ihn in die Erde; am Morgen darnach lag die Leiche wieder unbedeckt auf dem Acker und blieb da, bis sie ein Raub der Verwesung geworden.

Burg Hohenbogen

Das Volk erzählt, die Ritter von Lichtenegg und vom Hohenbogen seien lange Jahre gegen einander in Fehde gewesen. Endlich stellte sich der Lichtenegger an, als sei er des Haders müde, und wußte durch gleißnerische Botschaften seinen Gegner und dessen Söhne dahin zu bringen, daß sie zu einem Sühnversuche auf seinem Schlosse einritten. Hier bewirtete er sie aufs köstlichste, aber während sie, keines Argen sich versehend, dem Weine ihres falschen Gastwirtes wacker zusprachen, ließ dieser verräterischer Weise durch seine Leute die ihrer besten Verteidiger beraubte Burg Hohenbogen ersteigen und in Brand stecken. Als die Flammen turmhoch aufloderten, führte er seine Gäste schadenfroh ans Fenster und warf dann die hinterlistig Getäuschten in das Burgverlies.

Nach einer andern Sage schreitet allnächtlich zur Geisterstunde das Burgfräulein in weißem Sterbekleide aus dem verfallenen Tore hervor, steigt in den Graben hinab und läßt sich auf einer bemoosten Steinplatte am Fuße des Turmes nieder. Dort sitzt sie, bis der Hahn kräht, und kämmt mit einem funkelnden Goldkamm ihr langes schwarzes Haar. Als sie noch leiblich auf Erden weilte, knüpfte die Ärmste ohne Wissen der Ihrigen mit dem böhmischen Ritter Wranko, einem Hussiten, zarte Bande an. Darüber traf sie der Fluch der strenggläubigen Eltern, und sie stürzte sich im Wahnsinne vom Turme herab.

Eine dritte Sage weiß von einem Schatze zu berichten, der lange Jahrhunderte im Burgkeller vergraben lag und von einem großen schwarzen Hunde mit feurigen Augen bewacht wurde. Ihn erhoben die Jesuiten von Klattau in Böhmen, indem sie den Teufel bannten und ihn zwangen, die Geldtruhe auf einer Schleife bis in ihr Kloster zu ziehen. Ja, die Jesuiten! Was vermögen die nicht alles?

Der Weber und die Zwerge

Nicht weit vom Ort Fichtelberg ist eine verfallene Burg, Zwergennest oder Zwergenburg genannt. Aus diesem Ort ging ein Weber in die Fremde; als er heimkehrte, waren die Eltern tot; er wollte sein Geschäft beginnen, seinen Webstuhl aufschlagen; niemand nahm ihn auf, denn seine Mutter war als böse Hexe bekannt gewesen. Sie wiesen ihn hinaus mit seinem Webstuhl in die Schafhütte am Zwergennest. Diese hatte der Schäfer verlassen müssen, weil die Zwerge nachts die Schafe versprengten und zu Fall brachten.

So ging er denn hinaus und richtete sich die Hütte zurecht und schlug seinen Webstuhl auf. Als er nun die erste Nacht zu Bett lag, erwachte er plötzlich und sah einen Zwerg beim Licht des Vollmondes hereinkommen in die Kammer, der, ein Hütchen auf dem Kopfe, in Frack und kurzen Höschen, mit Schnallenschuhen und einem Stöckchen in der Hand, mehrmals auf und ab ging und sich neugierig alles besah; er schien vergnügt zu sein, alles so wohlgeordnet zu finden. Zuletzt sprang er auf den Tisch, setzte sich – er war nur spannlang – auf den Brotlaib, der noch dort lag, und schnitt sich ein Stückchen ab, das er aß. Da redete er den Gesellen an, daß, wo er hier wohnen wolle, Mietlohn gezahlt werden müsse. Er verlange nicht Silber noch Gold, denn er wisse ja, daß er arm sei, aber drei Bedingungen setze er, welche genau zu erfüllen wären. Das erste sei, daß an jedem Vollmond der Webstuhl abgeräumt sein müsse, das zweite, daß der Weber niemals bei Nacht in die Werkstätte hineinsehe, das dritte, daß er schweigsam bleibe. Damit war der Geselle zufrieden, und der Zwerg ging.

Nun hatte er in Bayreuth einen Kaufherrn gefunden, der ihm Arbeit gab, und richtete es so ein, daß mit nächstem Vollmond der Stuhl abgeräumt war. Als er daher am Morgen darauf in die Werkstatt trat, war er nicht wenig erstaunt, am Stuhl einen Streifen seidenen Gewebes, ein Muster, zu finden, welches seinesgleichen nicht hatte. Damit ging er zum Kaufherrn und bat um Seide, um nach dem Muster zu wirken. Er erhielt, soviel er deren bedurfte, und schon am nächsten Vollmond brachte er ein wunderschönes Stück Seidenstoff, welches dem Herrn so gefiel, daß er dem tüchtigen Gesellen sogleich neue Arbeit gab.

So hatte der Geselle Brot, und öfter traf es sich, daß er am Morgen nach der Vollmondnacht ein neues schönes Muster am Stuhl fand, was ihm stets neue Bestellungen verschaffte. Darüber wurden aber die anderen Handwerksgenossen voll Neid, besonders der Werkmeister; sie bemühten sich auf alle Weise, ihm sein Geheimnis zu entlocken; er schwieg. Da führten sie ihn öfter zum Wein und machten ihn trunken; aber auch so hielt er sein dem Zwerg gemachtes Versprechen. Doch einmal kehrte er berauscht heim: Neugier hatte ihn erfaßt, die Werkstätte zu besehen. Schon hatte er den Griff der Tür in der Hand, als sein guter Geist ihn noch zurückhielt. Am Morgen fand er zwar ein Muster am Stuhl hängen, aber ganz verworfen. Gleichwohl machte er es nach, und die Arbeit gefiel mehr als alle früheren.

Indessen wurde ihm stets mehr und mehr mit Wein zugesetzt: Er verfiel in Trägheit und schlechte Sitte, das Geschäft blieb zurück. Um so mehr wollte er sehen, wie es die Zwerge machten, hatte aber kaum die Tür geöffnet, als er ohnmächtig zu Boden fiel. Am Morgen war der Webstuhl zerbrochen und die Hütte in ihrem vorigen zerfallenen Zustand.

Da nahm er seine Arbeit, um sie zum Kaufherrn zu bringen und alles dort zu entdecken. Auf dem Weg legte er sich unter einem Baum nieder; zufällig sah er nach dem Gewebe, es war in Asche zerfallen. In höchster Verzweiflung machte er sich auf den Weg, um in die weite Welt zu gehen; er kam in einen Wald, und hier dachte er, wie gut es für ihn wäre, wenn ihm der Teufel helfen wollte; jetzt habe er ja doch nichts mehr zu verlieren und dem Teufel wäre er ja ohnehin schon verfallen. Wie er nun so vor sich hinging, sah er ein zwei Schuh hohes Männchen auf einem Stein sitzen, welches einen Stiefel ausgezogen hatte und zu schmieren begann. Der Weber dachte, das könne nur der Teufel sein, und ging auf ihn zu. Das Männchen aber kannte des Gesellen Herz und rief ihm entgegen: »Ich bin nicht der Teufel, aber ich suche, was du suchest, Rache an den Zwergen. Willst du mit mir gehen, um dich zu rächen, so tu, was ich dir sage. Hole mir da unten zwei Binsen herauf.« Der Weber brachte sie. Sie setzten sich nun rittlings jeder auf eine Binse und flogen weithin durch die Luft. An einem steinigen Platz hielten sie an und gingen dann, das Männchen voraus, der Weber hintendrein, in das Steingesprenge und zuletzt durch eine Kluft, welche so eng wurde, daß der Geselle vermeinte, er müsse zu einem Kartenblatt werden, um durchzukommen. Endlich machten sie halt. Da sagte das Männlein zum Weber: »Hörst du nicht Musik? Sie kommt von den Zwergen, welche Hochzeit halten; sieh durch diese Öffnung hinunter, und wenn die Braut dir nahe kommt, hole sie mir herauf! «

Da schaute der Weber hinunter durch eine Spalte in einen Saal, in welchem die Zwerge bei süßer Musik fröhlich auf- und abgingen und tanzten. Die Braut trug nebst allen Gästen seidene Kleider: Die Stoffe waren dieselben, deren Muster einst an seinem Webstuhl hingen; im Bräutigam erkannte er den Zwerg, mit dem er einst verkehrt hatte. Köstlicher Speisengeruch stach ihm in die Nase: Schon näherte sich die Braut, er wollte sie herauflangen, doch zog er die Hand wieder zurück; bei dem ungeduldigen Begleiter, der ihn darüber zankte, entschuldigte er sich, daß ihm ein Schweißtropfen von der Stirn in das Auge gelaufen sei. So auch das zweite Mal: Immer überkam ihn eine gewisse Furcht, die Braut zu stehlen. Da fuhr das Männlein zornig auf seinen Nacken und drohte ihn zu erwürgen, so er nicht zugriffe. Zum dritten Mal streckte er die Hand nach der Braut, da nieste sie, und er rief ihr unversehens ein »Helf Gott« hinunter. Nun brach alles zusammen mit fürchterlichem Getöse: Der Weber lag von einem Schlag des Männchens getroffen ohnmächtig da. Als er erwachte, standen die Zwerge um ihn, und der Bräutigam dankte ihm für die Rettung seiner Braut, ermahnte ihn aber, von nun an ein besseres Leben zu führen; mit Silber könne er ihm nicht lohnen, aber zu Arbeit wolle er ihm helfen, wie früher.

So ging der Weber heim, die Hütte war wieder ganz und der Webstuhl ordentlich aufgestellt. Er fing wieder zu wirken an, hatte stets Arbeit genug und lebte fortan glücklich.

Das Eichenberger Kapellchen

Bei Eichenberg steht eine kleine Kapelle mit einem gnadenreichen Muttergottesbilde. Das Bild stand früher unter freiem Himmel; als sich aber die Zahl der Andächtigen mehrte, wollte man eine Kapelle bauen und das Bild darein setzen. Es wurde ein gelegener Bauplatz ausgewählt und dort das Bauholz aufgefahren; am andern Morgen hatten die Ameisen das Holz fortgetragen und an die Stelle des Gnadenbildes gelegt. Dort wurde nun auch die Kapelle errichtet.

Zeitelmoos

Auf dem Fichtelberg, zwischen Wunsiedel und Weißenstadt, liegt ein großer Wald, Zeitelmoos genannt und daran ein großer Teich; in dieser Gegend hausen viele Zwerge und Berggeister. Ein Mann ritt einmal bei später Abendzeit durch den Wald und sah zwei Kinder beieinander sitzen, ermahnte sie auch, nach Haus zu gehen und nicht länger zu säumen. Aber diese fingen an, überlaut zu lachen. Der Mann ritt fort, und eine Strecke weiter traf er dieselben Kinder wieder an, welche wieder lachten.

Die St. Markus-Kapelle

Unterhalb Kreuzwertheim liegt Haßloch, jetzt ein mäßiges Dorf, ehemals ein stattlicher Ort mit einem festen Schlosse. Kaiser Karl IV. hatte im Jahre 1357 Macht und Gewalt gegeben, daß aus Haßloch (Haselo) eine Stadt gemacht werde, die gleiche Privilegien wie Frankfurt haben solle; Karls gute Absicht wurde aber nicht vollführt – und das Schloß zerfiel und seine Stätte ist kaum noch erkennbar im nahen Walde.

Wenn man von Haßloch das enge, frische Wiesental des Hasselbachs hinauf wandelt, erblickt man etwa drei Viertelstunden von Haßloch entfernt an dem Fuße eines Berges die St. Markus-Kapelle. Die Stille der romantischen Landschaft, nur von dem leisen Geflüster der nahen Quelle und dem Pochen des unfern gelegenen Hammerwerkes unterbrochen, lädt zur Andacht ein; aber die Kapelle liegt in Trümmern und das Brustbild des heiligen Markus, das die Kapelle geschmückt hatte, steht vor der Pfarrkirche zu Unterwittbach in einer Nische. Die Kapelle verdankte ihre Entstehung dem Wertheimer Grafenjohann mit dem Barte. Der liebte die Jagd so leidenschaftlich, daß er selbst den Tag des Herrn mit dem wilden Treiben des Weidwerks entweihte. Sogar am Osterfeste ließ er davon nicht ab; da sprang ein weißer Hirsch vor ihm auf und lockte den verfolgenden Jägersmann immer weiter und tiefer in den dichten Wald. Es wurde Nacht; der Graf sank schier verschmachtend zur Erde. Da gedachte er sehnsüchtig seiner lieben frommen Hausfrau, die ihn oft so flehentlich gewarnt vor dem gottlosen Übermaße der Jagdlust. Und plötzlich, wie innige Reue in ihm erwachte, hörte er neben sich ein Brünnlein rauschen; und als er gelabt und gestärkt nun weiterschritt, schallte ein Glöcklein vor ihm – immer vor ihm her, bis ihn der fromme Klang wieder auf seine Burg heimführte. Zum Dank für die wunderbare Errettung baute der Graf an der Stätte, wo die Quelle ihm geflossen, eine kleine Kapelle, die er dem h. Markus widmete.

Der vorherbestimmte Tod

Einmal wurde ein Goldener Sonntag-Kind zur Taufe getragen. Während der Taufe, als sie noch mit dem Kind in der Kirche waren, kamen drei Männer in die Stube und bestimmten den Tod dieses Kindes. Die ersten zwei hatten es nicht erraten. Der dritte aber sagte: »Dieses Kind muß in dem Brunnen ertrinken.« Er gab auch den Tag an, an welchem es geschehen sollte. Der Knecht war allein zu Hause und hörte dies. Als der Tag herankam, an dem das Kind im Brunnen ertrinken sollte, da blieb er wieder allein zu Hause, sperrte das Kind in einer Stube fest ein und vernagelte den Brunnen mit lauter Brettern, so daß das Kind nicht ertrinken konnte. Aber als er nach dem Kinde umsah, war es nicht mehr in der Stube. Und weil es nicht in den Brunnen hatte fallen können, weil er vernagelt war, so lag es tot auf demselben.

Vom wilden Gejäg mitgenommen

Zwischen Lengenfeld und Stoffen liegt eine wilde, weite Ödung auf einer hohen Ebene, darüber zieht das wilde Gejäg am wütendsten, verweilt am längsten. Darüber hin ging vor geraumer Zeit ein Mann aus Hofstetten, es dunkelte bereits, da vernahm er aus der Weite ein Heulen und Sausen, als wollte sich ein furchtbarer Sturm erheben. Wie er da stillstand und sich umsah, kam mittlerweile das wilde Gejäg ob seiner in den Lüften daher, und als er verstarrt vor Schrecken vergaß sich auf den Boden zu werfen, hob es ihn leicht auf ab der Erden und riß ihn im Zuge mit dahin. Sechs lange Wochen war der Mann der Erden entrückt, kein Mensch wußte wohin er gekommen, und die Seinigen waren in Kümmernis um ihn als einen Toten. Da auf einmal kam er zurück, er wußte selbst nit wie und wo, und war noch ganz tamisch in seinem Sinn. Es schwindelte ihm allweg, wenn er nur daran dachte und allen, die davon hörten, geschwindelte es mit. Der Mann lebt noch, verhält sich aber stets geruhig und still, hat zu nichts mehr weder Freud noch Leid, hat nur noch ein Kuchelleben. Ebenso werden in solchen Nächten Hunde, die ledig herumlaufen, mitgenommen, man weiß aber von keinem der wiedergekommen wär.

Der Freier von Rothenburg

Zu Rothenburg an der Tauber ist zum öftern einer, welcher sich nicht allein in Kleidern prächtig und stattlich gehalten, sondern sich auch großen Reichtums und vornehmen Geschlechtes gerühmt, in eines ehrlichen Mannes Haus gekommen. Zwei andere Gesellen, die er bei sich gehabt, waren gleichermaßen schön und herrlich gekleidet, und einer von ihnen konnte pfeifen, der andere geigen. Er hatte auch öfter stattliche Gastereien und Abendtänze ausgerichtet und getan, als wollte er um des Hauswirtes Tochter freien. Er gab darum an, er wäre eines vornehmen adligen Geschlechtes, hätte auch großes Gut und Reichtum an Schlössern, Landgütern und vielen Städten in fremden und fernen Ländern, so daß es ihm an keinem Dinge als an einem frommen und tugendreichen Ehegemahl mangelte. Der Wirt aber hatte an dieses Gastes Weise und Wesen ein großes Mißfallen, verweigerte ihm darum seine Tochter, zumal sie nicht edel wäre, und verbot ihnen allen das Haus, daß sie nicht mehr sollten zu ihm kommen. Aber der Gast ist mit seinen Mitgesellen so unverschämt gewesen, daß er nichtsdestoweniger etliche Abende schön geputzt wiedergekommen in der Absicht, seinen Handel und sein Vorhaben zu vollstrecken. Das hat dann den Wirt bewogen, daß er auch die Prädikanten des Orts zu Gast geladen, mit denen hat er dann über Tisch aus Gottes Wort konferiert und allerlei gelehrte Unterhaltung gepflegt. Diese christlichen Gespräche sind dem Gast und seinen Gesellen sehr verdrießlich gewesen, sie haben darum angefangen, von anderen Dingen zu reden und gesagt: Das reime sich ja gar nicht, daß er die Gäste mit Predigen wolle fröhlich machen, es wären doch sonst wohl andere scherzhafte und kurzweilige Reden, die in einem solchen Konvivio zur Lustigkeit viel dienlicher, als daß man viel predigte und von Gottes Wort und der Heiligen Schrift disputierte. Daran erkannte der Wirt dieser Gäste teuflische Art und Natur, und weil er mit Gottes Wort gegen Teufels List und Betrug wohl gerüstet war, hieß er sie in Christi Namen von ihm weichen. Darauf ist der Bösewicht samt seinen Gesellen mit großem Brausen alsbald verschwunden und hat einen großen Gestank und drei tote Körper von Personen, die wegen ihrer Missetaten mit dem Strang vom Leben zum Tod befördert waren, in der Stube zurückgelassen.

Schloß Leuchtenberg in der bayerischen Oberpfalz

König Heinrich der Vogler befand sich einst mit seiner Tochter Jutta und einigen seiner Hofjäger auf der Hirschjagd. Die Prinzessin sprengte auf ihrem flinken Rosse einem flüchtigen Reh nach und kam im Eifer der Verfolgung von der Jagdgesellschaft ab. Tage, Monate, Jahre vergingen. Alles Suchen nach der Prinzessin war vergeblich.

Als der königliche Vater nach Jahren wieder jagend durch den Wald streifte, in dem er einst seine Tochter verloren hatte, und es schon Abend geworden war, leuchtete ihm auf einmal mitten im Wald ein Licht entgegen. Er ging drauf zu und sah, daß es aus einer Burg kam. Der König bat um Einlaß. Welche Freude überraschte ihn da! Seine Tochter Jutta war Burgherrin und mit dem Ritter Gebhard glücklich verheiratet. Zum Andenken an dieses freudige Erlebnis hieß man die Burg von nun an »Leuchtenberg.«

Doch nicht alle Burgfrauen auf Leuchtenberg waren so glücklich wie Prinzessin Jutta. Die Frau eines späteren Burggrafen war von einer fast krankhaften Neugierde geplagt. Der Burggraf drohte ihr mit dem Tode, wenn er sie wieder auf frevelhaftem Fürwitz ertappe. Um sie auf die Probe zu stellen, kleidete er sich als Bote und brachte einen Brief an den Schloßherrn mit dem Vermerk, er dürfe nur vom Grafen persönlich geöffnet werden. Doch die Neugierde der Schloßfrau war stärker als die Angst vor der Drohung. In Gegenwart des Boten erbrach sie das Siegel und öffnete den Brief. Sie wurde dafür zur Strafe des »Igelsitzens« verurteilt. Nach ihrem Tode befahl der Burgherr, ein Steinbild anzufertigen, das eine auf einem Igel sitzende Frau darstellt. Drunter ließ er die Inschrift anbringen:

Das macht mein Fürwitz, Daß ich auf dem Igel sitz.

Dieses Bild wurde den Besuchern der Burg Leuchtenberg noch lange gezeigt.

Der Teufel am Zollberg

Auf dem Zollberg zwischen Schaippach und Gemünden steht seit alters ein Zollhaus. Um diese Stätte rankt sich folgende Sage:

Einst zog ein geiziger Kaufmann auf der Birkenheiner Straße in Richtung Bayerische Schanz. Als er zum Zollhaus kam, wollte er keinen Zoll bezahlen und überlegte, wie er das anstellen könne. Da hatte er einen Einfall. Er machte sich von der Rückseite an das Haus heran und schlug kräftig an die Hintertür, um den Zöllner von der Straße wegzulocken. Dann lief er schnell vor das Haus auf die Straße und fuhr in voller Fahrt davon. Als der Zöllner merkte, daß er hintergangen war, rief er seinen kräftigen Gehilfen und nahm die Verfolgung auf. Der Betrüger hatte inzwischen einen erheblichen Vorsprung; da wurden seine beiden Pferde störrisch und wollten nicht mehr laufen. Sosehr sich der Flüchtige auch abmühte, weder Zureden noch Schlagen half etwas. Die Verfolger hatten nun den Betrüger fast eingeholt. Da sagte dieser: »Ach würde nur der Teufel den Wagen ziehen!«

Kaum waren diese Worte seinem Mund entschlüpft, stand der Leibhaftige schon da, packte den Wagen und schaffte ihn in Windeseile über Berg und Tal. Der Zöllner und sein Gehilfe hatten nur das Nachsehen; sie ahnten aber, was sich da abspielte, und kehrten erschrocken um. Der Betrüger aber wurde nie mehr gesehen.

In der Umgebung des Zollberges ist der Spruch »Wenn man vom Teufel spricht, ist er nicht weit« noch heute ein geflügeltes Wort.

König Watzmann

Vor undenklichen Zeiten herrschte im Berchtesgadener Land ein mächtiger König namens Watzmann. Der finstere Tyrann liebte weder Menschen noch Tiere, seinem grausamen Herzen war es eine Lust, die Menschen zu quälen und die Tiere zu martern. Darum war auch die wilde Jagd sein höchstes Vergnügen. Dort umgab ihn Rüdengebell und Hörnerschall, daß die Wälder davon widerhallten. Doch nicht allein er, auch sein Weib und seine Kinder fanden große Lust an der wilden Hetzjagd, wenn die dampfenden Rosse unter ihnen zusammenbrachen und das totgehetzte Wild von den Hunden zerfleischt wurde. So ging es Tag und Nacht, ohne Rast und Ruh, über Stock und Stein, bergauf und bergab, und keine Schonung gab,s für die Saat des Landmanns. Lange Zeit frönten der König und die Seinen dieser teuflischen Lust, doch endlich ereilte das himmlische Strafgericht die gottlosen Frevler.

»Halloh, hinaus zur wilden Jagd!« tönte es einst wieder durch den Schloßhof; die Hörner schallten, die Rüden bellten, und bald ging es mit Weib und Kindern wieder dahin in wildem Zug. Im Dämmerlicht gewahrte der König ein Mütterlein, die Enkelin auf dem Schoß, und lenkte sein Pferd so hart vor die Hütte hin, daß Reiter und Roß die Greisin traten. Und als der Bauersmann und sein Weib wehklagend aus der Hütte kamen, um die sterbende Mutter im Hause hinzubetten, da hetzte der König die schnaubenden Rüden auf die Ärmsten, daß auch sie unter den Zähnen der Bestien ihr Leben ließen. Lachenden Blicks sah der König zu, und mit ihm lächelten grausam die Gattin und die Kinder, wie sich Menschen sterbend in ihrem Blute wanden.

Da hob das Mütterlein mit brechendem Blick die zerfleischte Rechte empor und stieß noch im Sterben einen gräßlichen Fluch über den König und die Königin mit ihren sieben Kindern aus, daß sie die Strafe der Gottheit erreiche und in Felsen verwandle. Und die Erde erbebte, der Sturmwind brauste, als wäre das Weltende nah; Feuer sprühte aus dem Schoß der Erde und verwandelte den König, Gattin und Kinder in riesige Felsen.

So steht König Watzmann mit Frau und sieben Kindern zu Stein geworden in der felsigen Wildnis und blickt als ewiges Wahrzeichen herab ins Berchtesgadener Land.

Der Schatz auf dem Hohenbogen

Seit alters geht die Mär, daß viele Klafter unter dem Burgstallberg in einem kupfernen Kessel ein reicher Schatz verborgen sei. Alle hundert Jahre einmal wird ein Mensch geboren, der ihn unter gewissen Bedingungen zu heben vermag. Ein Hirt von Schwarzenberg, der eines Tages seine Herde auf der sogenannten kleinen Ebene am Fuße des Burgstallkegels weidete, soll so ein Mensch gewesen sein. Als er abends die Tiere eintreiben wollte, vermißte er ein junges Rind; nach einigem Suchen hörte er es hoch oben im Walde Laut geben. Er stieg eilig den Burgstall hinan und war schon nahe dem Gipfel, als plötzlich eine wunderschöne, aber seltsam und fremdartig gekleidete Jungfrau vor ihm stand und ihn mit schmeichelnder Stimme anredete:

»Du kommst zu guter Stunde hierher. Wisse, daß es in meiner Hand liegt, dich zum reichsten Mann im Land zu machen. Ich kann dir offenbaren, auf welche Weise du den unter unseren Füßen vergrabenen Schatz zu heben vermagst.«

Der Hirt. den beim ersten Anblick der Erscheinung ein heimliches Grauen beschlichen hatte, faßte Mut und entgegnete, er sei bereit, nach ihrer Unterweisung zu handeln.

Freudig fuhr die Jungfrau fort: »Finde dich heute über acht Tage zu Beginn der Mitternachtsstunde am Fuß des Burgstalls ein, zwei Priester mögen dich begleiten, welche die Beschwörungsformeln zu sprechen wissen. Ihr werdet den Schatz oben auf dem Gipfel des Berges liegen sehen. Schreitet nur mutig drauflos und laßt euch nicht irre machen, was immer euch auch in den Weg treten mag, sähe es auch noch so schrecklich aus; denn es ist nur ein Blendwerk des Bösen, der euch weder an Leib noch an Seele schaden kann. Bist du dann an die Schatztruhe herangekommen, so greife mit beiden Händen keck in den Goldhaufen hinein, und er ist dein für immer. Aber wehe mir, wenn du dich durch die Künste des Satans zu feiger Flucht bewegen ließest, wehe mir! Ich müßte dann wiederum hundert Jahre umherirren und könnte nicht zur ewigen Ruhe ein gehen. Sieh dir dieses zarte Reis hier an!« dabei wies sie auf ein dem Boden entsprossenes Ahornbäumchen, »es muß zu einem starken Baum heranwachsen, aus seinem Stamm müssen Bretter geschnitten und diese zu einer Wiege gefügt werden; der Knabe, der in dieser Wiege ruhen wird, muß zum Mann geworden sein, dann erst darf ich wieder auf Erlösung hoffen. Gedenke der unaussprechlichen Leiden einer armen Seele, erbarme dich meiner, wie du willst, daß Gott der Herr sich deiner erbarme, und erlöse mich!«

In den letzten Worten der Jungfrau lag der Ausdruck eines so herzzerreißenden Jammers, daß der Hirte davon aufs tiefste ergriffen wurde. Mehr der Wunsch, so große Pein zu lindern, als die Begierde nach den verheißenen Reichtümern trieb ihn an, das Wagnis der Schatzhebung zu unternehmen. Eben wollte er der Jungfrau seinen Entschluß kundgeben, als sich ihre Gestalt in leichten Nebelflor auflöste, den der Abendwind über dem Gipfel des Burgstalls in nichts zerstäubte. Aus dem Gebüsch aber, an dem sich die Erscheinung gezeigt hatte, kam das verlorene Rind hervor und folgte dem Hirten willig auf den Weideplatz hinab.

Am nächsten Morgen hatte der Hirt nichts Eiligeres zu tun, als nach Neukirchen zum Kloster der Franziskaner zu gehen und dem Pater Guardian den wunderbaren Vorfall zu berichten. Dieser hielt mit andern Patern Rat, was in der Sache zu tun sei, und man kam zu dem Entscheid, daß es sich hier um die Erlösung einer armen Seele und einen Triumph über den Satan handle, wozu die Diener der Kirche hilfreiche Hand bieten müßten. Zwei Mönche erhielten den Auftrag, sich durch Beten und Fasten zu dem heiligen Werk vorzubereiten.

Zur bestimmten Stunde trafen die Priester und der Hirt am Burgstall zusammen; eben schritten sie über den Weideplatz hin, als die Turmuhr zu Neukirchen die elfte Stunde anzeigte. Mit dem letzten Schlag loderte auf dem Gipfel des Burgstalls eine hohe Flamme empor, und die Mönche erkannten dies als das Zeichen, daß der Schatz sich aus dem Erdinnern erhoben habe. Nachdem sie den Hirten gewarnt hatten, nicht von ihrer Seite zu weichen, schickten sie sich an, dem bösen Feind tapfer zu Leibe zu rücken. Aber kaum hatten sie einige Schritte bergan gemacht, als im Wald ein seltsames Leben rege wurde. Eulen und Fledermäuse flatterten den nächtlichen Wanderern in dichten Schwärmen entgegen, von allen Seiten wurde aus dem Unterholz Totengebein auf sie geworfen, und grinsende Schädel kollerten unter ihren Füßen hin.

Die frommen Söhne des heiligen Franziskus ließen sich von diesem Spuk keineswegs beirren, sondern drangen, mit lauter Stimme Beschwörungsformeln hersagend, rastlos voran. Schon mochten sie die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, als der bisher mondhelle Himmel sich plötzlich verfinsterte und ein Sturm losbrach, der den ganzen Berg zu erschüttern schien. Die Blitze fuhren hageldicht hernieder, der Donner krachte Schlag auf Schlag, die Gießbäche stiegen im Nu, brausten über ihre Ufer und wälzten mannshohe Fluten gegen die drei Männer herab. Diese meinten, bis an den Hals im Wasser zu waten; aber wie sie näher zusahen, fanden sie, daß nicht ein Faden ihres Gewandes naß war. Darum achteten sie auch nicht weiter darauf, als ihnen noch allerlei andere Schreckbilder, bald tierähnlich, bald menschlicher gestaltet, in den Weg traten. Endlich erreichten sie den Gipfel, ohne daß ihnen ein Haar gekrümmt worden wäre.

Hier sahen sich wenige Schritte vor sich, hell von der noch immer lodernden Flamme erleuchtet, ein kesselartiges Gefäß, das bis zum Rande mit funkelnden Goldmünzen gefüllt war. Eben wollte der Hirt vortreten, um, wie ihm die Jungfrau geboten, den Schatz zu erfassen, da wankte der Boden unter ihm, und von unterirdischer Kraft gehoben, wich ein mächtiger Felsblock polternd von seinem Platze. Aus der Öffnung, die sich gebildet hatte, kroch ein scheußlicher Lindwurm hervor und ringelte seines Leibes endlos gestreckte Glieder dreimal um den Gipfel des Burgstalls herum, einen furchtbaren Schutzwall vor dem Goldkessel auftürmend.

Das Erscheinen dieses Ungeheuers setzte den Mut der guten Mönche auf eine zu harte Probe. Sie glaubten sich schon von den scharfen Zähnen des Drachen gepackt und fielen mehr als sie liefen den steilen Abhang hinunter. Dem Hirten, der sich von seinen geistlichen Helfern verlassen sah, blieb nichts übrig, als ihnen zu folgen. Wohl vernahmen sie hinter sich die Stimme der Jungfrau, die unter klagenden Rufen zum Ausharren mahnte, aber die Flüchtenden waren nicht mehr zum Stehen zu bringen. Nur einmal hatte der Hirt es gewagt umzuschauen und dabei gesehen, wie der Gipfel des Berges sich spaltete und in seinem weiten Riß die Schatztruhe verschlang. Darauf erhob sich ein tausendstimmiges Geheul, daß dem erbleichenden Jüngling schier das Blut in den Adern gerinnen wollte.

Es war das Hohngelächter der Hölle. Der Schatz von Hohenbogen aber wurde nie gehoben.

Die hohe Wart

Die hohe Wart ist eine mäßig große Waldung, fast in der Mitte zwischen den Ortschaften Oberbessenbach, Hessenthal, Neudorf, Völkersbrunn, Leidersbach, Ebersbach und Soden gelegen, und gehört etwa zur Hälfte der Stadt Aschaffenburg, zur anderen Hälfte mehreren Gemeinden des Vorspessarts.

In diesem Walde hauste von jeher allerlei Spuk. Die Waldmeister, welche das Gemeindegut veruntreuten, die Bierrichter, welche falsche Steine setzten, die Holzdiebe, die gewissenlosen Holzarker, wandern in der hohen Wart; insbesondere treiben die Vierrichter ihr Wesen um den sogenannten Drelmärker, den Grenzstein, welcher die hohe Wart von der Gemarkung Volkersbrunn und dem gräflich ingelheimischen Walde scheidet.

Ein Mann von Hessenthal ging einst in der Nacht von Obernburg nach Hause. Als er an das Hohenwarthäuschen kam, stand ein grauer Mann da, der ihm auf den Rücken sprang und sich bis an das erste Haus von Neudorf tragen ließ. Da sprang er ab und sagte: »Wenn du wieder in der Nacht am Hohenwarthäuschen vorübergehst, so mache hübsch ein Kreuz.«

Der Klosen-Jockel von Neudorf fuhr nachts mit seinen Ochsen die Lamstershöhle hinaus gegen die hohe Wart, wo sein Wagen mit Holz beladen stand; er wollte ihn nach Obernau führen. Als er dem Gründchen gleich war, erschollen Hundegebell, Schüsse und Jagdgeschrei, wie wenn eine Treibjagd abgehalten würde. Zugleich erhob sich ein solcher Wind, daß der Klosen-Jockel mitsamt seinen Ochsen aus dem Wege über das Feld hinweggeblasen wurde, bis an die sogenannte Kühruhe, die eine halbe Stunde vom Gründchen entfernt ist. Dort erst kam er wieder zu sich und setzte nun seinen Weg in die hohe Wart fort; das Jagdgetöse aber hörte er noch lange.

Der Hocken-Schmied von Hessenthal ging am hellen Tage von Kleinwallstadt durch die hohe Wart nach Hause. Als er an die Grenze zwischen der hohen Wart und der Hessenthaler Markung kam, sprang ihm ein Pferd ohne Kopf auf den Rücken und fuhr mit ihm bis zum Erlenbrunnen. Dort lag ein Tränktrog für das Vieh, woran sich der Mann fest anhielt und mit einer Hand Wasser über seinen Rücken auf das Pferd warf. Da sprang es ab und war verschwunden.

In der Nacht vor Pfingsten hüteten mehrere Neudorfer Bauern in dem Distrikte Häuschenschlag und zwar in einer jungen Kultur, wo das Vieh den größten Schaden anrichtete. Die Bauern hatten sich unter eine Buche gelegt, um zu schlafen, allein um Mitternacht erhob sich in den Ästen der Bäume ein fürchterlicher Lärm, als wenn alles kurz und klein gebrochen würde und herabstürzte und Menschen und Vieh erschlüge. Voller Angst eilten die FrevIer mit ihrem Vieh aus dem Walde.

Im Sohlschlage weideten einst zwei Bauern von Volkersbrunn nächtlicher Weile ihr Vieh. Da kam ein großes schwarzes Tier, ähnlich einem Hund, bei dessen Anblick das Vieh zu brüllen anfing und unaufhaltsam nach Völkersbrunn lief.

Ein städtischer Förster kam auf seiner Runde einst auch in den Distrikt Rothenabt. Da hörte er Holz mit dem Waldhammer schlagen. Er ging dem Laute nach, sah aber niemand, und nun hörte er bald vor, bald hinter sich schlagen, daß es ihm, obwohl er ein beherzter Mann, ganz unheimlich ward.

Und so gibt es noch eine Menge Geschichten, welche beweisen, daß es in der hohen Wart nichts weniger als geheuer ist.

Der gespenstische Küfer

In dem Keller des Schönborner Hofes zu Aschaffenburg, unter dem Baue, welcher zunächst des Freihofes liegt, befand sich ein großes Weinlager. Der Küfer, welcher dasselbe zu beaufsichtigen hatte, war so diensteifrig, daß er alles andre darüber vergaß; er hämmerte oft an den Fässern herum bis tief in die Nacht. So trieb er’s einst auch an dem hl. Weihnachtsabend, und die Leute, die in die hl. Christmette gingen, und die, welche herauskamen, hörten ihn noch im Keller klopfen. Deshalb hebt er jetzt noch, wenn es zur hl. Christmette läutet, zu klopfen an, und man kann das unheimliche Hämmern hören, solange die heilige Christmette währt.

Der Baumläuferbub

Ein jeder hat ihn gekannt und gefürchtet, weil er ein teuflisches Kind, ein Wechselbalg gewesen ist. Wenn man ihn um Tabak nach Hohenau geschickt hat und dachte, er könnte jetzt beim Weiher, gerade außerhalb des Dorfes sein, da war er mit dem Tabak schon wieder da. Es ist aber nicht zum Sagen, was er den Leuten für Schaden gemacht hat. Deshalb hätten sie ihn gern hingemacht, aber es hat ihn kein Mensch erwischt. Wenn er mit dem Fuß ein grünes Pflänzlein Moos hat berühren können, ist er verschwunden gewesen. Wurde es ihm im Sommer bei der Arbeit zu heiß, dann sagte er: »Ich mein‘, es regnet bald ein wenig«, – hat im Boden ein Löchlein gemacht, ein paar Halme darüber gelegt, seine G’schichten gemacht, und in einer halben Stunde hat es nur so geschüttet. – Mit einem einzigen Sonnenstrahl hat er ein Haus anzünden können. Den Hohenauern und den Grünbachern hat er das ganze Getreide verhageln wollen. Aber die Hohenauer haben mit ihrer hochgeweihten Glocke so geläutet, daß sie fast zersprungen wär‘. Die hat das Wetter auseinandergetrieben. Da hat der Baumläuferbub einen schweren Fluch getan und hat gesagt: »Der Hohenauer Stier hat mich heruntergeworfen.« – Wie es nicht mehr zum Aushalten gewesen ist, haben sie ihn halt doch einmal erwischt, auf einen Scheiterhaufen geworfen und verbrannt.

Die verwünschte Dame

Als die Grafen von Rieneck ausgestorben und auch der Amtmann herab ins Dorf gezogen war, wohnte auf dem Wildensteiner Schloß der Schäfer. Er hatte ein Stück Ackerfeld für sich und einen Weidplatz für seine Schafe.

Einmal nun stand der Schafpferch auf dem sogenannten kleinen Höhacker, an welchem oben und unten das Gebüsch des Waldes anstößt, und es war Nacht, und der Schafknecht lag in seiner Hütte bei den Schafen und schlief. Da geschah eine Erschütterung an seiner Hütte, und er sah hinaus und erblickte eine weiße Frau, dieselbe hatte einen schwarzen Schleier um den Kopf und ganz nasse Augen und winkte ihm, er aber erschrak, hielt sich die Augen zu und kroch in die Tiefe seiner Hütte. Des Morgens sagte er es seinem Herrn.

»Wenn sie wiederkommt«, sagte dieser, »so rede sie an und sprich: Alle guten Geister loben Gott den Herrn! Was ist dein Begehr?« Den Abend kam sie wieder und er tat, wie sein Herr geboten. Die Frau sprach: »Ich bin eine verwünschte Dame aus dem Schloß, und du kannst mich erlösen. Sei morgen abend zwischen elf und zwölf Uhr an der Schloßbrücke, da komme ich aber nicht so wie jetzt, sondern als eine Schlange, winde mich an dir hinauf und gebe dir die Schlüssel. Du darfst dich aber nicht fürchten, ich tue dir nichts und kann dir nichts tun.«

Der Schafknecht sagte: »Ja! ich komme!« – »Was soll ich mich auch fürchten?« dachte er, »ich bin (als ein Schäfer) aus dem Geschlechte Mosis – derselbe hat sich vor der Schlange, die aus dem Hirtenstabe wurde, auch nicht gefürchtet«, faßte guten Mut und einen ordentlichen Stolz in seinen Kopf, daß er Mosis Nachfolger werden sollte, und als nun die bestimmte Zeit da war, und die Nacht dunkelte, stellte er sich an den bestimmten Ort. Auf einmal erhob sich ein großes Krachen in dem Schloß, daß er meinte, das Schloß wolle zusammenstürzen und ein erschreckliches Rauschen und Rollen, wie das Donnern eines Gewitters – und siehe! eine große eisgraue Schlange kroch daher, hatte ein Gebund Schlüssel im Maul und fuhr auf den Schafknecht los; der aber, wie er sie sah, schrie auf und lief davon.

Da wurde die Schlange wieder zu einer Frau, jammerte herzzerreißend und sprach: »Wehe! jetzt dauert’s wieder hundert Jahre, bis ich erlöst kann werden. Denn es wird ein Kirschbaum wachsen drüben im Wald, und von diesem werden Bretter geschnitten, und aus den Brettern eine Wiege gemacht werden, und das Kind erst, das zuerst darin gewiegt wird, kann mich erlösen! « –

Am folgenden Tag nahm der Schafknecht seine Schäferschippe und seinen Hund und wanderte; denn er hätte das Weinen und Jammern der Frau nicht noch einmal hören können.

Die Innbrücke in Rosenheim

In Pirach bei Vogtareuth war einmal ein Knecht, der weder an einen Himmel noch an eine Hölle glaubte. An einem Sonntagmorgen ging er nach Rosenheim und empfing dort in der Klosterkirche die Hl. Kommunion, obwohl er zuvor nicht gebeichtet hatte. Danach ging er in ein Wirtshaus und zechte den ganzen übrigen Tag. Als es schon zu dämmern anfing, machte er sich erst auf den Heimweg. Als er über die Innbrücke gehen wollte, saßen auf den beiden Geländern je eine schwarze Katze, die ihn mit wildfunkelnden Augen anglotzten. Mit einem kräftigen Fluch wollte er sie hinunterschlagen. Sie sprangen jedoch auf ihn zu, fauchten ihn an und wichen ihm nicht mehr von den Fersen, bis er einen geweihten Rosenkranz herauszog und das Kreuzzeichen machte. Darauf verschwanden sie.

Der Burggeist von Rieneck

Vor vielen Jahren zog ein junger Wandersmann das Sinntal entlang auf Rieneck zu. Er war müde und suchte in verschiedenen Wirtshäusern vergeblich eine Bleibe, denn alle Quartiere waren bereits belegt. Einer der Wirte aber sagte zu ihm: »Wenn du Mut hast, kannst du ja im Schloß übernachten. « »Mut hab‘ ich«, entgegnete der Bursche, »aber weshalb brauche ich Mut, wenn ich im Schloß übernachte?« Da erzählte ihm der Wirt, was sich vor etwa vierhundert Jahren in der Burg zugetragen hatte. Damals gehörte sie Graf Hubert von Rieneck, der Kunigunde von Schönrain zur Frau hatte. Aber es stellte sich bald heraus, daß er ein herzloser Mann war. Da erlosch die Liebe Kunigundens zu ihm, und sie schenkte ihre Gunst einem Leibknappen. Kunigunde wollte nun ihren Gatten loswerden. So setzte sie ihm vergiftete Knödel vor. Sobald Hubert davon gekostet hatte und ihm kalter Schweiß auf die Stirn trat, rief er: »Keine Ruhe sollst du finden, weder im Leben noch im Tode!« Bald nach ihrem Gatten starb auch Kunigunde, und sie fand tatsächlich keine Ruhe in ihrem Grab.

Diese Geschichte konnte aber den wackeren jungen Mann nicht erschrecken. Er ging hinauf zur Burg, fand ein leeres Zimmer und legte sich alsbald in ein fein hergerichtetes Bett. Um Mitternacht aber wurde es plötzlich lebendig. Lautlos wurde die Tür zur Schlafkammer geöffnet und eine Frau, deren Augen sich vom bleichen Gesicht blutrot abhoben, kam herein. Sie trat an den Herd, bereitete Knödel, denen sie ein weißes Pulver beimischte, und bot sie dem Burschen an. Der aber sprang aus dem Bett, riß ihr einen Knödel aus der Hand und stopfte ihn der Erscheinung in den Mund. Dabei rief er: »Im Namen der Dreifaltigkeit, iß sie selber!« Darauf sprach die Frau: »Du hast mich erlöst! Nun werde ich endlich Ruhe finden.« In dem Augenblick sank die Gestalt in sich zusammen, nur ein Häuflein Asche blieb zurück. Dem jungen Wandersmann aber stand von Stund an das Glück zur Seite.

Bamberger Waage

Zu Bamberg, auf Kaiser Heinrichs Grab, ist die Gerechtigkeit mit einer Waagschale in der Hand eingehauen. Die Zunge der Waage steht aber nicht in der Mitte, sondern neigt etwas auf eine Seite. Es gehet hierüber ein altes Gerücht, daß, sobald das Zünglein ins gleiche komme, die Welt untergehen werde.

Der heilige Sonntag

Zu Kindstadt in Franken pflog eine Spinnerin des Sonntags über zu spinnen und zwang auch ihre Mägde dazu. Einsten dauchte sie miteinander, es ginge Feuer aus ihren Spinnrocken, täte ihnen aber weiter kein Leid. Den folgenden Sonntag kam das Feuer wahrhaftig in den Rocken, wurde doch wieder gelöscht. Weil sie’s aber nicht achtete, ging den dritten Sonntag das ganze Haus an vom Flachs und verbranntze die Frau mit zweien Kindern, aber durch Gottes Gnade wurde ein kleines Kind in der Wiegen erhalten, daß ihm kein Leid geschahe.

Man sagt auch, einem Bauer, der sonntags in die Mühle ging, sein Getreid zu mahlen, sei es zu Aschen geworden, einem andern Scheuer und Korn abgebrunnen. Einer wollte auf den heiligen Tag pflügen und die Pflugschar mit einem Eisen scheuern, das Eisen wuchs ihn an die Hand und mußte es zwei Jahr in großem Schmerz tragen, bis ihn Gott nach vielem brünstigen Gebet von der Plage erledigte.

Der verhinderte Meineid

Ein junger Bauersmann aus Schweinheim hatte vertrauten Umgang mit einem Mädchen von da und wollte sie heiraten. Ehe aber die Kirche den Bund geheiligt hatte, ward das Mädchen Mutter; ihr Verlobter brach nun allen Umgang mit ihr ab, weigerte sich durch die Ehe gutzumachen, was er ihr Böses getan, und widersprach sogar, der Vater zu dem Kinde des Mädchens zu sein.

Das Mädchen war genötigt, zur Rettung ihrer Ehre eine gerichtliche Klage gegen ihren Verführer anzustellen. Im Vertrauen, daß er nicht so gottlos sein werde, einen falschen Eid zu schwören, schob sie ihm den Eid zu, daß er nicht der Vater ihres Kindes sei.

Schweinheim gehörte damals zu dem Unteramte Bessenbach, der Beamte hielt aber jede Woche einen Gerichtstag zu Schweinheim im Rathaus ab.

An dem bestimmten Tage erschienen die Klägerin und der Beklagte im Rathaus. Das Schwören kam zu jener Zeit nicht so häufig vor, als in der unsrigen; die Abnahme eines Eides war deshalb eine sehr feierliche Handlung. Auch in dem Rathaus zu Schweinheim war ein mit schwarzem Tuch bedeckter Tisch aufgestellt worden, worauf sich zwei brennende Kerzen und zwischen ihnen das Bild des Gekreuzigten befanden. Der Richter belehrte den Beklagten über die Heiligkeit des Eides und die schweren Folgen des Meineides, allein es rührte ihn alles nicht, und er bestand darauf, daß er den Eid ableisten könne, und es ward zur Abnahme geschritten. Eben hatte der Beklagte dem Richter nachgesprochen. »Ich schwöre« – da stürzte von der Zimmerdecke der Verputz herunter und gerade auf den Beklagten. Vor Schrecken brach er zusammen und lag unter Schutt und Staub halb vergraben. Er war unverletzt, aber sein Gewissen war ergriffen. Ehe er sich noch erhob, rief er: »ja, ich bin’s, ich bin’s; ich hätt‘ falsch geschworen. Lise, ich heirate dich!« – und so geschah’s auch.

Der Wassernix

Zur Adventszeit hört man im Kahlgrunde, in der Nähe von Schimborn, bei stiller Nacht »Hoho, Hoho!« schreien. Obwohl es fast wie eine Menschenstimme klingt, so wird’s doch denen, die es hören, unheimlich, denn der Rufer ist der Wassernix, der in der Kahl wohnt. Gesehen hat ihn noch niemand, aber seine Tücke sind wohlbekannt und darum geht ihm jeder gern aus dem Wege, wenn sein Ruf erschallt, und nicht leicht wagt es jemand, in der Nähe der Kahl einen Spaß über ihn zu machen.

Einst zur Adventszeit hatten sich einige Männer von Königshofen vor Tagesanbruch aufgemacht, um ihre Besen nach Aschaffenburg auf den Markt zu tragen. Es war bitterlich kalt und alles gefroren, und die Kahl sah aus wie ein Gletscher. Die Leute hatten schwere Trachten und mußten tief im sandigen Schnee waten; sie waren darum bereits ermüdet, als sie an die Kahl kamen, warfen ihre Trachten ab und ruhten eine Weile.

Da hörten sie plötzlich ein lautes Gepolter auf dem Eise der Kahl. Erschrocken sprangen sie auf, denn sie dachten alle zu gleicher Zeit an den Nix; um aber ihren Weg fortzusetzen, mußten sie über die Kahl, und es wollte auf dem Stege keiner der erste und keiner der letzte sein. Ein junger Mann sagte endlich scherzend: »Der Hannes soll vorausgehen, der ist ein frommer Mann, vor dem der Wassermann Respekt hat; der letzte will ich sein, der Wassermann und ich sind alte Freunde! « Und so schritten sie über den Steg. Als sie bald hinüber waren, rief der, welcher zuletzt ging, spottend ihnen zu: »Habt Acht, daß euch der Wassermann nicht holt! Hoho, Wassermann, hoho!« Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, da ergriff ihn eine unsichtbare Hand und zog ihn hinab durch das Eis in die Kahl. Die andern Männer befiel ein solcher Schrecken, daß sie zwar lautlos ihren Weg fortsetzten, aber nach dem Verkaufe ihrer Besen auf einem andern Wege heimkehrten und den Steg bei Schimborn niemals mehr betraten. – Von dem Manne, der in die Kahl versank, hat man nichts mehr gesehen; ein Wasserwirbel bezeichnet aber jetzt noch die Stelle.

Jordanus Utz

Ein sehr alter Bau in der Steinergasse in Straubing ist das heutige Krönner-Anwesen, das ehemalige Höber-Lebzelterhaus an der Nordwestecke der Gasse. Als ältesten Besitzer dieses Anwesens kennen wir aus einer Urkunde vom Jahre 1368 Ulrich Utz, der damals Pfleger der Liebfrauenkirche (Jesuitenkirche) war. Die Buckelquader an der Ecke stammen noch von dem ersten Haus, das hier einst gestanden hat, und an dieses Haus knüpft sich eine interessante Begebenheit. Bei dem großen Stadtbrand 1393 wohnte hier ein vornehmer Mann, Jordanus Utz, genannt Uhlein. Als damals ein Haus nach dem andern in Feuer aufging, da stellte Uhlein eine hölzerne Statue des hl. Petrus vor das Fenster und sprach zu ihr: »Peterl, schau auf, daß mein Haus nicht verbrennt, sonst verbrennst du mit ihm.« Und wirklich, so berichtet uns der Geschichtsschreiber Andreas Presbyter von Regensburg, ein Zeitgenosse des Uhlein, blieb dieses Haus erhalten und zu dieser Statue entwickelte sich dann eine Wallfahrt.

Der Aufhocker

Eine alte Reinhartshoferin erzählte mir folgendes: Ich kam früher mit meinem Mann oft den Fußweg von Klimmach nach Reinhartshofen herunter, an der Justinaklause vorbei. Immer wenn ich nachts von zehn bis zwölf Uhr auf St. Justina zuging, erschien mir ein Geist. Sehen konnte ich ihn nie, aber er sprang mir immer auf die Fersen, als wollte er sich mir auf den Rücken setzen und reiten. Was habe ich da oft für eine Angst ausgestanden! Und mein Mann hat nie etwas davon gemerkt, dem hat der Geist nie etwas getan. Wenn wir nach zwölf Uhr vorbeigingen, habe ich nie etwas gespürt.

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Der letzte Geist


Der letzte Geist

Die Erscheinung kam langsam, feierlich, schweigend auf ihn zu. Als sie herangekommen war, fiel Scrooge auf die Knie nieder, denn selbst die Luft, durch die sich der Geist bewegte, schien geheimnisvolles Grauen um sich zu verbreiten.

Die Erscheinung war verhüllt in einem schwarzen, weiten Mantel, der nichts von ihr sehen ließ, als eine ausgestreckte Hand. Wäre diese nicht gewesen, es wäre einem schwer angekommen, die Gestalt von der Nacht zu trennen, die sie umgab!

Als sie neben ihm stand, fühlte er, daß sie groß und stattlich war und daß ihn ihre geheimnisvolle Gegenwart mit einem feierlichen Grauen erfüllte. Er wußte weiter nichts, denn der Geist sprach und bewegte sich nicht.

»Ich stehe vor dem Geist der zukünftigen Weihnacht?« fragte Scrooge.

Der Geist antwortete nicht, sondern wies mit der Hand zur Erde hinab.

»Du willst mir die Schatten der Dinge zeigen, die noch nicht geschehen sind, aber noch geschehen werden?« fuhr Scrooge fort. »Willst du das, Geist?«

Der obere Teil der Verhüllung bauschte sich auf einen Augenblick in Falten, als ob der Geist sein Haupt neige; dies war die einzige Antwort, die Scrooge erhielt.

Obgleich schon so ziemlich an gespenstische Gesellschaft gewöhnt, bangte Scrooge vor der stummen Erscheinung doch so sehr, daß seine Knie wankten und er kaum noch stehen konnte, als er sich ihr zu folgen bereit machte. Der Geist stand für einen Augenblick still, als bemerke er die Furcht seines Begleiters und als wolle er ihm Zeit lassen, sich zu erholen.

Aber Scrooge befand sich dadurch noch schlechter. Ein fremdes, unbestimmtes Grausen durchbebte ihn bei dem Gedanken, daß sich hinter diesem schwarzen Schleier gespenstische Augen fest auf ihn heften könnten, während er, obgleich er seine Augen aufs äußerste anstrengte, doch nichts sehen konnte als die gespenstische Hand und eine große, schwarze Faltenmasse.

»Geist der Zukunft«, rief er, »ich fürchte dich mehr als die Geister, die ich schon gesehen habe. Aber da ich weiß, daß es dein Zweck ist, mir Gutes zu tun, und da ich noch zu leben hoffe, um ein anderer Mensch zu werden, als ich bisher war, bin ich willens, dich zu begleiten und tue es mit einem dankerfüllten Herzen. – Willst du nicht zu mir sprechen?«

Die Gestalt gab ihm keine Antwort. Die Hand wies gerade vor ihm hin in die Ferne.

»Führe mich«, bat Scrooge. »Führe mich, die Nacht schwindet schnell, und die Zeit ist für mich kostbar. Führe mich, Geist.«

Die Erscheinung bewegte sich ebenso von ihm weg, wie sie auf ihn zugekommen war. Scrooge folgte dem Schatten ihres Gewandes, der ihn aufhob und von dannen trug.

Es war kaum, als ob sie in die City träten; eher schien die City rings um sie her in die Höhe zu wachsen und sie zu umdrängen. Aber sie waren doch mitten in ihrem Herzen, auf der Börse unter den Kaufleuten, die geschäftig hin und her eilten, mit dem Geld in ihren Taschen klimperten, in Gruppen miteinander sprachen, nach der Uhr sahen und gedankenvoll mit den großen, goldenen Petschaften an den Uhrketten spielten, wie Scrooge es schon so oft gesehen hatte.

Der Geist blieb bei einer Gruppe von Kaufleuten stehen, und Scrooge sah, daß die Hand der Erscheinung darauf hinwies; daher näherte er sich ihnen, um ihr Gespräch zu belauschen.

»Nein, ich weiß nicht viel davon zu sagen«, sagte ein großer fetter Mann mit einem ungeheuren Doppelkinn. »Ich weiß nur, daß er tot ist.«

»Wann starb er denn?« fragte ein anderer.

»Vorige Nacht, glaub‘ ich.«

»Mein Gott, was hat ihm denn gefehlt?« mischte sich ein Dritter ein, der dabei eine große Prise aus einer sehr großen Dose nahm. »Ich dachte, der würde nie sterben.«

»Weiß Gott«, sagte der erste und gähnte.

»Was hat er mit seinem Geld angefangen?« fragte ein Herr mit einem roten Gesicht und einem Auswuchs an der Nasenspitze, der wie der Lappen eines Truthahns wackelte.

»Ich habe nichts davon gehört«, sagte der Mann mit dem fetten Doppelkinn, und gähnte abermals. »Hat es wahrscheinlich seiner Firma hinterlassen. Mir hat er’s nicht vermacht. Das weiß ich.«

Dieser reizende Scherz wurde mit einem allgemeinen Gelächter begrüßt.

»Es wird wohl ein sehr billiges Begräbnis werden«, fuhr der Dicke mit dem Doppelkinn fort; »denn so wahr ich lebe, ich kenne niemanden, der mitgehen sollte. Wenn wir nun zusammenträten und freiwillig mitgingen?«

»Ich tue mit, wenn für einen Lunch gesorgt wird«, bemerkte der Herr mit dem Truthahnlappen an der Nasenspitze. »Aber ich muß zu essen haben, wenn ich dabei sein soll.«

Ein neues Gelächter.

»Nun, da bin ich doch wohl der Uneigennützigste von euch«, meinte der erste Sprecher, »denn ich trage nie schwarze Handschuhe und esse nie Lunch. Aber ich gehe mit, wenn sich noch andere finden. Wenn ich mir’s recht überlege, war ich am Ende sein vertrautester Freund; denn wir blieben stehen und sagten einander, wenn wir uns auf der Straße trafen: ›Guten Morgen, guten Morgen!‹«

Sprecher und Zuhörer gingen fort und mischten sich unter andere Gruppen. Scrooge kannte die Leute und sah den Geist mit einem fragenden Blick an.

Die Erscheinung schwebte weiter und hinaus auf die Straße.

Ihre Hand wies auf zwei sich begegnende Personen. Und wieder hörte Scrooge zu, in der Hoffnung, jetzt die Erklärung zu finden.

Denn er kannte auch diese Leute recht gut. Es waren Kaufleute, sehr reich und von großem Ansehen. Er hatte sich immer bestrebt, in ihrer Achtung zu bleiben, das heißt in Geschäftssachen, rein in Geschäftssachen.

»Wie geht’s?« sagte der eine.

»Wie geht’s Ihnen?« der andere.

»Gut«, erwiderte der erste. »Der alte Knauser ist endlich tot, wissen Sie es schon?«

»Ich hörte es«, antwortete der zweite. »Es ist kalt heute, nicht wahr?«

»Wie sich’s zu Weihnachten schickt. Sie sind wohl kein Schlittschuhläufer?«

»Nein, nein. Habe an andere Sachen zu denken. Guten Morgen!«

Kein Wort weiter. So trafen sie sich, so trennten sie sich.

Scrooge war erst zu staunen geneigt, daß der Geist auf anscheinend so unbedeutende Gespräche ein Gewicht zu legen schien; aber sein Gefühl sagte ihm, daß sie eine verborgene Bedeutung haben müßten, und er zerbrach sich den Kopf, welcher Art diese sein könnte.

Die Gespräche konnten sich nicht auf den Tod Jacobs, seines alten Kompagnons, beziehen, denn der gehörte der Vergangenheit an, und sein Führer war doch der Geist der Zukunft. Auch konnte er sich niemanden von den ihn näher Angehenden vorstellen, auf den er sie hätte beziehen können. Aber in der Gewißheit, daß für ihn doch eine wichtige Lehre darin liege, auf wen sie sich auch beziehen möchten, beschloß er, jedes Wort, das er hörte, und jede Szene, die er sah, treu in seinem Herzen aufzubewahren, und vorzüglich seinen Schatten zu beobachten, wenn er erschien. Denn er erwartete von dem Benehmen seines zukünftigen Selbst die noch fehlende Aufklärung und die Lösung der Rätsel, die ihm jetzt so schwierig vorkam.

Schon auf der Börse sah er sich nach seinem Selbst um; aber ein anderer stand in seiner gewohnten Ecke, und obgleich die Uhr die Stunde zeigte, wo er gewöhnlich dort war, bemerkte er sich doch auch nicht unter den Scharen, die sich durch den Eingang hereindrängten. Das überraschte ihn indessen um so weniger, als er schon lange daran gedacht hatte, sein Geschäft aufzugeben; und nun glaubte und hoffte er, in diesen Erscheinungen schon die einstige Verwirklichung seines Planes zu erblicken.

Regungslos und schwarz stand neben ihm das Gespenst mit seiner starr ausgestreckten Hand. Als er wieder von seiner nachdenklichen Stellung aufblickte, glaubte er (nach der Richtung der Hand zu urteilen), daß sich die unsichtbaren Augen fest auf ihn hefteten. Bei diesem Gedanken überlief ihn ein kalter Schauer.

Sie verließen darauf die geschäftige Umgebung und gingen in einen abgelegenen Teil der Stadt, wo Scrooge nie vorher gewesen war, dessen Lage und schlechten Ruf er aber kannte. Die Straßen waren schmutzig und eng, die Läden und Häuser ärmlich, die Menschen halbnackt, betrunken, barfuß, häßlich. Gäßchen und Torwege strömten, wie ebenso viele Kloaken, abscheuerregende Gerüche und Schmutz und Menschen in die Straßen, und das ganze Viertel schien erfüllt von Verbrechen, Unrat und Elend.

In einem der tiefsten Winkel dieses Zufluchtsorts der Sünde und des Verbrechens befand sich ein niedriger, dunkler Laden unter einem Wetterdach, in dem Eisen, Lumpen, Flaschen, Knochen und Fleischabfälle verkauft wurden. Auf dem Fußboden lag ein Haufen verrosteter Schlüssel, Nägel, Ketten, Türangeln, Feilen, Wagen, Gewichte und altes Eisen aller Art. Geheimnisse, die zu enträtseln wenige verlangen würden, entstanden und verbargen sich in Bergen widerlicher Lumpen, Massen verdorbenen Fettes und ganzen Beinhäusern von Knochen. Mitten unter seinen Waren saß neben einem aus alten Kacheln zusammengesetzten Ofen ein grauhaariger, fast siebzigjähriger Schelm, der sich vor der Kälte draußen durch einen bauschigen Vorhang von allerlei, auf eine Leine gehängten Lumpen geschützt hatte und seine Pfeife voll Behagen rauchte.

Scrooge und die Erscheinung traten neben diesen Mann, als eine Frau mit einem schweren Bündel in den Laden schlich. Kaum war sie eingetreten, als ihr eine zweite Frau, auch mit einem Bündel, folgte, und dieser dicht auf den Fersen ein Mann in einem alten, schwarzen, abgetragenen Anzug, der nicht weniger vor dem Anblick der beiden erschrak, als diese voreinander erschrocken waren. Nach einigen Augenblicken wortlosen Staunens, an dem sich der Alte mit der Pfeife beteiligt hatte, brachen sie alle drei in ein lautes Gelächter aus.

»Schau an, die Putzfrau ist die erste«, rief die zuerst eingetreten war. »Schau an, die Waschfrau ist die zweite, und der Sargträger ist der dritte. He, Joe, das ist ein Glücksfall! Wir treffen uns hier alle drei, ohne daß wir uns verabredet haben.«

»Ihr hättet euch an keinem bessern Ort treffen können«, sagte der alte Joe, die Pfeife aus dem Mund nehmend. »Kommt in den Salon. Ihr habt schon lange freien Zutritt dort, das wißt Ihr ja, und die anderen zwei sind auch keine Fremden. Wartet, bis ich die Ladentür zugemacht habe. Oh, wie sie knarrt! Ich glaube, es gibt kein so rostiges Stück Eisen in dem ganzen Laden, als die Türangeln; und ich weiß, es gibt keine so alten Knochen hier, wie meine. Haha, wir passen zu unserm Geschäft. Kommt in den Salon!«

Der Salon war der Raum hinter dem Lumpenvorhang. Der Alte kratzte das Feuer mit einem alten Rouleaustab zusammen, schob den Docht seiner qualmigen Lampe, denn es war Abend, mit dem Pfeifenstiel in die Höhe und steckte diese dann wieder in den Mund.

Während er damit beschäftigt war, warf die zuerst eingetretene Frau ihr Bündel auf den Boden und setzte sich mit kokettierender Frechheit auf einen Stuhl; dann legte sie die Hände auf die Knie und sah die beiden andern herausfordernd an.

»Nun, was ist dabei, was ist schon dabei, Mrs. Dilber? Jeder hat das Recht, für sich zu sorgen. Und er tat es immer.«

»Das ist wahr«, sagte die Waschfrau. »Keiner tat es eifriger.«

»Na, warum gafft Ihr da einander an, als hättet Ihr Bange, wer der Schlauere sei? Wir wollen doch nicht einander die Augen aushacken, denk‘ ich.«

»Nein, gewiß nicht«, sagten Mrs. Dilber und der Mann wie aus einem Munde. »Wir wollen es nicht hoffen.«

»Na, gut denn«, rief die Frau, »das ist genug! Wem schadet’s, wenn wir so ein paar Sachen mitnehmen, wie die hier? Einer Leiche gewiß nicht.«

»Nein, gewiß nicht«, lachte Mrs. Dilber.

»Wenn er sie noch nach dem Tode behalten wollte, wie ein alter Geizhals«, fuhr die Frau fort, »warum war er nicht besser zu seinen Lebzeiten? Wäre er’s gewesen, dann hätte er auch jemanden um sich gehabt, als er starb, statt daß er mutterseelenallein seinen letzten Atem fahren lassen mußte.«

»Es ist das wahrste Wort, das je gesprochen wurde«, bestätigte Mrs. Dilber.

»Es ist ein Gottesgericht.«

»Ich wünschte, es wäre ein bißchen schwerer ausgefallen«, meinte die Frau, »und es wär’s auch, verlaßt euch drauf, wenn ich hätte mehr bekommen können. Mach das Bündel auf, Joe, und sag mir, was es wert ist. Sprich dreist heraus. Ich fürchte mich nicht, die erste zu sein, noch es die hier sehen zu lassen. Wir wußten ganz gut, daß wir für uns sorgten, ehe wir uns hier trafen. Das ist keine Sünde. Mach das Bündel auf, Joe.«

Aber die Galanterie ihrer Freunde wollte das nicht erlauben; und der Mann in dem abgetragenen schwarzen Rock brachte seine Beute zuerst. Es war nicht viel los damit: ein oder zwei Petschafte, ein silberner Bleistift, ein Paar Hemdknöpfe und eine Brosche von geringem Wert: das war alles. Die Gegenstände wurden von dem alten Joe untersucht und geschätzt, worauf er die Summe, die er für das einzelne bezahlen wollte, an die Wand schrieb und zusammenrechnete, als er fand, daß nichts mehr nachkam.

»Das ist Eure Rechnung«, sagte Joe, »und ich gebe keinen Sixpence mehr und sollte ich in Stücke gehauen werden. Wer kommt jetzt?«

Mrs. Dilber war die nächste. Sie hatte Bett- und Handtücher, einige Kleidungsstücke, zwei altmodische silberne Teelöffel, eine Zuckerzange und einige Paar Stiefel. Ihre Rechnung wurde von Joe auf dieselbe Weise an die Wand geschrieben.

»Damen gebe ich immer zuviel. Es ist meine Schwäche, und ich richte mich damit zugrunde », sagte der alte Joe. »Hier ist Eure Rechnung. Wolltet Ihr einen Pfennig mehr dafür haben und es darauf ankommen lassen, so täte es mir leid, so nobel gewesen zu sein, und ich zöge Euch eine halbe Krone ab.«

»Und nun mach mein Bündel auf, Joe«, drängte die erste.

Joe kniete nieder, um bequemer das Bündel öffnen zu können, und nachdem er viele viele Knoten aufgemacht hatte, zog er eine große schwere Rolle von einem dunklen Stoff heraus.

»Was ist das?« staunte Joe. »Bettgardinen!«

»Ja«, rief das Weib lachend und sich vorbeugend. »Bettgardinen!«

»Ihr wollt doch nicht sagen, Ihr hättet sie heruntergenommen, wie er dort lag?« sagte Joe.

»Ih, freilich«, sagte das Weib. »Warum auch nicht?«

»Ihr seid geboren, Euer Glück zu machen, und Ihr werdet’s auch.«

»Ich werde doch wahrhaftig meine Hand nicht leer einstecken, wenn ich sie nur auszustrecken brauche, um was zu kriegen, um so eines Mannes willen, wie der war. Wahrhaftig nicht, Joe«, antwortete das Weib ruhig. »Laß kein Öl auf die Bettdecken tropfen.«

»Seine Bettdecke?« fragte Joe.

»Von wem soll sie denn sonst sein?« entgegnete das Weib. »Er wird auch ohne die nicht frieren, das behaupte ich.«

»Er starb doch nicht etwa an etwas Ansteckendem?« fragte der alte Joe bedenklich, seine Beschäftigung unterbrechend und sie anblickend.

»Das braucht Ihr nicht zu befürchten«, antwortete die Frau. »Ich hatte ihn nicht so lieb, daß ich dann bei ihm geblieben wäre um solcher Lumpen willen. Ha, Ihr könnt durch das Hemd gucken, bis Euch Eure Augen weh tun: Ihr findet kein Loch darin und keine dünne Stelle. Es ist das beste, was er hatte, und sein ist’s auch. Sie hätten’s verdorben, wenn ich nicht gewesen wäre.«

»Was meint Ihr mit Verderben?« fragte der alte Joe.

»Nun, ihm das Hemd in das Grab mitgeben, was sonst?« erwiderte die Frau lachend. »Es war da einer dumm genug, es ihm anzuziehen, aber ich zog’s ihm wieder aus. Wenn Kattun zu so etwas nicht gut genug ist, weiß ich nicht, zu was er sonst gut wäre. Er steht einer Leiche ebensogut. Er kann nicht häßlicher aussehen, als er darin aussah.«

Scrooge hörte das Gespräch mit Grausen an. Wie sie da um ihren Raub herum in dem kärglichen Lampenlicht des Alten saßen, betrachtete er sie mit einem Ekel und einem Abscheu, der nicht größer hätte sein können, wenn es scheußliche Dämonen gewesen wären, die um die Leiche selbst feilschten.

»Ha, ha!« lachte dieselbe Frau, als der alte Joe einen alten flanellnen Geldbeutel herauslangte und jedem den Preis des Raubes auf den Fußboden hinzählte. »Das ist das Ende von der Geschichte, seht Ihr! Er scheuchte jeden von sich, solange er lebte, um uns zu nützen, da er tot ist! Hahaha!«

»Geist«, sagte Scrooge, vom Fuß bis zum Scheitel zitternd. »Ich verstehe dich. Das Los dieses Unglücklichen könnte das meinige sein. Mein Leben geht jetzt auf dieses Ziel zu. Gnädiger Himmel, was ist das?«

Er fuhr entsetzt zurück, denn die Szene hatte sich verändert, und er stand dicht vor einem Bett, einem einsamen, unverhängten Bett, in dem unter einer groben Decke etwas Verhülltes lag, das, obgleich stumm, in einer grauenerregenden Sprache verkündete, was es war.

Das Zimmer war sehr dunkel, zu dunkel, um etwas sicher erkennen zu können, obgleich sich Scrooge, einem geheimen Gefühl folgend, voll Begier umsah, um zu wissen, was für ein Zimmer es sei. Ein bleiches Licht, das von draußen hereinströmte, fiel gerade aufs Bett; und auf diesem, geplündert und beraubt, unbewacht und unbeweint, lag die Leiche dieses Mannes.

Scrooge blickte die Erscheinung an. Ihre regungslose Hand wies auf das Haupt des Leichnams. Die Decke war so sorglos zurechtgelegt, daß das geringste Verschieben, die leiseste Berührung von Scrooges Fingern das Antlitz enthüllt hätte. Er dachte daran, empfand, wie leicht es geschehen könnte, und sehnte sich, es zu tun; aber er hatte ebensowenig die Kraft, die Hülle wegzuziehen, wie den Geist von seiner Seite zu entlassen.

Oh, kalter, starrer, schrecklicher Tod, hier richte deinen Altar auf und umgib ihn mit den Schrecken, über die du verfügst, denn dies ist dein Reich! Aber dem geliebten und verehrten Haupt kannst du kein Haar krümmen, von ihm kannst du keinen Zug widerlich machen. Auch wenn die Hand schwer ist und herabsinkt, wenn man sie fallen läßt, auch wenn das Herz und der Puls schweigen; die Hand war offen und barmherzig, das Herz war offen und warm und gut und der Puls ein menschlicher. Töte, Schatten, töte! Und sieh, wie seine guten Taten aus der Todeswunde hervorströmen, um in der Welt ein unsterbliches Leben auszusäen!

Es war nicht etwa eine Stimme, die diese Worte in Scrooges Ohren flüsterte, aber doch hörte er sie, während er auf das Bett starrte. Er dachte, wenn dieser Mann jetzt wieder erweckt werden könnte, was würde wohl sein erster Gedanke sein? Nur Geiz, Hartherzigkeit, habgierige Sorge. – Ein schönes Ende haben sie ihm bereitet!

Er lag in dem düstern leeren Haus, und kein Mann, kein Weib, kein Kind war da, um zu sagen: »Er war gütig gegen mich in dem und in jenem, und dieses einen gütigen Wortes gedenkend will ich seiner warten.« Eine Katze kratzte an der Tür, und die Ratten nagten und raschelten unter dem Kamin. Was sie in dem Gemach des Todes wollten und warum sie so unruhig waren, wagte Scrooge nicht auszudenken.

»Geist«, sagte er, »dies ist ein schrecklicher Ort. Wenn ich ihn verlasse, werde ich nicht seine Lehre vergessen, glaube mir. Laß uns gehen.«

Immer noch wies der Geist mit regungslosem Finger auf das Haupt der Leiche.

»Ich verstehe dich«, antwortete Scrooge, »und ich täte es, wenn ich könnte. Aber ich habe die Kraft nicht dazu, Geist. Ich habe die Kraft nicht dazu.«

Wieder schien ihn der Geist anzublicken.

»Wenn irgend jemand in der Stadt ist, der bei dieses Mannes Tod etwas fühlt«, bat Scrooge ganz erschüttert, »so zeige mir ihn, Geist, ich flehe dich an.«

Die Erscheinung breitete ihren dunklen Mantel einen Augenblick vor ihm aus wie einen Fittich; und wie sie ihn wieder wegzog, sah er ein taghelles Zimmer, in dem sich eine Mutter mit ihren Kindern befand.

Sie wartete auf jemandes Kommen in ängstlicher Hoffnung, denn sie ging im Zimmer auf und ab, erschrak bei jedem Geräusch, sah zum Fenster hinaus, blickte nach der Uhr, versuchte umsonst, sich zu beschäftigen und konnte kaum die Stimmen der spielenden Kinder ertragen.

Endlich vernahm sie das langersehnte Klopfen an der Haustür, und als sie hinausgehen wollte, kam ihr der Gatte entgegen. Sein Gesicht war abgehärmt und bekümmert, obgleich er noch jung war! Es zeigte sich jetzt ein merkwürdiger Ausdruck darin: eine Art ernster Freude, deren er sich schämte und die er zu verbergen bestrebt war.

Er setzte sich zum Essen nieder, das man ihm am Feuer aufgehoben hatte; und als die Gattin ihn erst nach langem Schweigen fragte, was er für Nachrichten bringe, schien er um Antwort verlegen zu sein.

»Sind es gute«, fragte sie, »oder schlechte?«

»Schlechte«, gab er zur Antwort.

»Sind wir ganz zugrunde gerichtet?«

»Nein, noch ist Hoffnung vorhanden, Caroline.«

»Wenn er sich erweichen läßt«, rief sie erstaunt, »dann ist noch Hoffnung da! Nichts ist hoffnungslos, wenn ein solches Wunder geschehen ist.«

»Für ihn ist es zu spät, Erbarmen zu zeigen«, sagte der Gatte. »Er ist tot.«

Wenn ihr Gesicht Wahrheit sprach, so war sie ein mildes und geduldiges Wesen; aber sie war doch dankbar dafür in ihrem Herzen und sprach es mit gefalteten Händen aus. Doch schon im nächsten Augenblick bat sie Gott, daß er ihr verzeihen möge, und bereute es; aber das erste Gefühl war die Stimme ihres Herzens gewesen.

»Was mir die halbbetrunkene Frau gestern abend meldete, als ich ihn sprechen und um eine Woche Aufschub bitten wollte, und was ich nur für einen bloßen Vorwand hielt, um mich abzuweisen, erweist sich jetzt als die reine Wahrheit. Er war nicht nur sehr krank, er lag schon im Sterben.«

»Auf wen wird unsere Schuld übergehen?«

»Ich weiß es nicht. Aber noch vor dieser Zeit werden wir das Geld haben; und selbst, wenn dies nicht einträfe, wär‘ es fast unwahrscheinlich großes Pech, in seinem Erben einen ebenso unbarmherzigen Gläubiger zu finden. Wir können heut‘ nacht leichteren Herzens schlafen, Caroline.«

Ja, sie mochten es verhehlen, wie sie wollten: ihre Herzen waren leichter. Die Gesichter der Kinder, die sich still um die Eltern drängten, um zu hören, was sie so wenig verstanden, erhellten sich, und alle wurden glücklicher durch dieses Mannes Tod. Das einzige von diesem Ereignis hervorgerufene Gefühl, das ihm der Geist zeigen konnte, war also eins der Freude.

»Laß mich ein zärtliches, bei einem Todesfall empfundenes Gefühl sehen«, bat Scrooge, »oder mir wird dies dunkle Zimmer, das wir soeben verlassen haben, immer vor Augen bleiben.«

Nun führte ihn der Geist durch mehrere Straßen, die er oft gegangen war; und indem sie vorüberschwebten, hoffte Scrooge sich hier und da zu erblicken, aber nirgends war er zu sehen. Sie traten in Bob Cratchits Haus, dessen Wohnung sie schon früher besucht hatten, und fanden dort die Mutter mit den Kindern um das Feuer sitzen.

Alles war ruhig, alles war still, sehr still. Die lärmenden kleinen Cratchits saßen stumm, wie steinerne Bilder, in einer Ecke und sahen auf Peter, der ein Buch vor sich hatte. Mutter und Töchter nähten. Aber auch sie waren still, sehr still.

»Und er nahm ein Kind und stellte es in ihre Mitte.«

Wo hatte Scrooge diese Worte gehört? Der Knabe mußte sie gelesen haben, als er und der Geist über die Schwelle traten. Warum fuhr der Leser nicht fort?

Die Mutter legte ihre Arbeit auf den Tisch und führte die Hand gegen die Augen.

»Die Farbe tut mir weh«, sagte sie.

Die Farbe? Ach, der arme Tiny Tim!

»Es geht jetzt wieder besser«, sagte Cratchits Frau.

»Die Farbe tut mir weh bei Licht, und ich möchte nicht, daß Vater, wenn er heimkommt, meine roten Augen sieht. Es muß bald Zeit sein.«

»Fast schon vorüber«, erwiderte Peter, das Buch schließend. »Aber ich glaube, Mutter, er geht jetzt etwas langsamer als früher.«

Sie waren wieder sehr still. Endlich sagte sie mit einer ruhigen, heiteren Stimme, die nur ein einziges Mal zitterte:

»Ich weiß, daß er mit – ich weiß, daß er mit Tiny Tim auf der Schulter sehr schnell ging.«

»Ich auch«, rief Peter. »Oft.«

»Ich auch«, stimmten die andern ein.

»Aber er war sehr leicht zu tragen«, fing sie wieder an, den Blick fest auf ihre Arbeit gerichtet, »und der Vater liebte ihn so, daß es keine Last für ihn war – keine Last. Doch horch: da kommt der Vater.«

Sie eilten ihm entgegen und Bob mit dem Schal – der arme Kerl hatte ihn nötig – trat herein. Sein Tee stand bereit, und sie drängten sich alle herbei, und jeder wollte ihn am meisten bedienen. Dann kletterten die beiden kleinen Cratchits auf seine Knie, und jedes Kind legte eine kleine Wange an die seine, als wollten sie sagen: »Gräm dich nicht, lieber Vater, sei nicht traurig.«

Bob war sehr heiter und sprach sehr munter mit der ganzen Familie. Er besah die Arbeit auf dem Tisch und lobte den Fleiß und den Eifer seiner Frau und Töchter. Sie würden lange vor Sonntag fertig sein, meinte er.

»Sonntag!« wiederholte die Frau. »Du warst also heute dort, Robert?«

»Ja, meine Liebe«, antwortete Bob. »Ich wollte, du hättest auch hingehen können. Es würde dein Herz erfreut haben, zu sehen, wie grün es dort ist. Aber du wirst es oft sehen. Ich versprach ihm, sonntags hinzugehen. Mein liebes, liebes Kind!« meinte Bob. »Mein liebes Kind!«

Er brach auf einmal zusammen. Er konnte nicht anders. Hätte er anders gekonnt, so wären er und sein Kind einander wohl weniger nahe gewesen.

Er verließ die Stube und ging die Treppe hinauf in ein Zimmer, das hell erleuchtet und weihnachtsmäßig aufgeputzt war. Ein Stuhl stand dicht neben dem Kind und man sah, daß vor kurzem jemand dagewesen war. Der arme Bob setzte sich nieder, und als er ein wenig nachgedacht und sich gefaßt hatte, küßte er das kleine kalte Gesicht. Er war versöhnt mit dem Geschehenen und ging wieder hinunter ganz heiter.

Sie setzten sich um das Feuer und unterhielten sich; die Mädchen und Mutter arbeiteten fort. Bob erzählte ihnen von Scrooges Neffen und seiner außerordentlichen Freundlichkeit, obwohl er ihn kaum ein einziges Mal gesehen habe. Er habe ihn heute auf der Straße getroffen, und als er bemerkt, daß er ein wenig niedergeschlagen aussähe, habe er ihn gefragt, was ihn bekümmere. »Hierauf«, sagte Bob, »erzählte ich es ihm, denn er ist der freundlichste junge Herr, den ich kenne. ›Ich bedaure Sie herzlich, Mr. Cratchit,‹ sagte er, ›und auch Ihre gute Frau.‹ – Übrigens, wie er das wissen kann, möchte ich wissen.«

»Was soll er wissen, mein Lieber.«

»Nun, daß du eine gute Frau bist«, antwortete Bob.

»Jedermann weiß das«, meinte Peter.

»Sehr gut bemerkt, mein Junge«, rief Bob. »Ich hoffe, es ist so. ›Herzlich bedaure ich Ihre gute Frau‹, sagte er. ›Wenn ich Ihnen auf irgendeine Weise behilflich sein kann‹, setzte er hinzu, indem er mir seine Karte gab, ›hier ist meine Adresse. Kommen Sie nur zu mir.‹ Nun ist es nicht gerade darum«, sprach Bob, »weil er etwas für uns tun könnte, sondern mehr wegen seiner herzlichen Weise, daß ich mich darüber so freute. Es schien wirklich, als habe er unsern Tiny Tim gekannt und fühle mit uns.«

»Er ist gewiß eine gute Seele«, sagte Mrs. Cratchit.

»Du würdest das noch eher erkennen, meine Liebe«, antwortete Bob, »wenn du ihn sähest und mit ihm sprächest. Es sollte mich nicht wundern, wenn er Peter eine bessere Stelle verschaffte. Denkt an meine Worte.«

»Nun höre nur, Peter«, sagte Mrs. Cratchit.

»Und dann«, rief eines der Mädchen, »wird sich Peter nach einer Frau umsehen.«

»Ach, sei still«, antwortete Peter lachend.

»Nun, das kann schon kommen«, sagte Bob, »doch bis dahin hat er noch eine Menge Zeit. Aber wie und wann wir uns auch voneinander trennen sollten, so bin ich doch überzeugt, daß keiner von uns den armen Tiny Tim vergessen wird oder diese erste Trennung, die wir erfuhren.«

»Niemals, Vater«, riefen alle.

»Und ich weiß«, sagte Bob, »ich weiß, meine Lieben, wenn wir daran denken, wie geduldig und wie sanft er war, obgleich er nur ein kleines Kind war, werden wir uns nicht so leicht zanken und den guten Tiny Tim vergessen, indem wir’s tun.«

»Nein, niemals, Vater«, riefen wieder alle.

»Ich bin sehr glücklich«, sagte Bob, »sehr glücklich.«

Mrs. Cratchit küßte ihn, seine Töchter küßten ihn, die beiden kleinen Cratchits küßten ihn, und Peter und er drückten sich die Hand. Seele Tiny Tims, du warst ein Hauch von Gott.

»Geist«, sprach Scrooge, »etwas sagt mir, daß wir uns bald trennen werden. Ich weiß es, aber ich weiß nicht wie. Sag mir, wer war es, den wir auf dem Totenbett sahen?«

Der Geist der zukünftigen Weihnacht führte ihn wie zuvor – doch zu verschiedener Zeit, wie es ihm vorkam, und überhaupt schien in den letzten abwechselnden Gesichtern keine Zeitfolge stattzufinden – an die Zusammenkunftsorte der Geschäftsleute, aber er sah sich selber nicht. Der Geist hielt sich nirgends auf, sondern schwebte immer weiter, wie nach dem Ort zu, wo Scrooge die gewünschte Lösung des Rätsels finden würde, bis ihn dieser bat, einen Augenblick zu verweilen.

»Ja, dieser Hof, durch den wir jetzt eilen«, sagte Scrooge, »war einst mein Geschäft und war es lange Jahre hindurch. Ich erkenne das Haus. Laß mich sehen, was ich in den kommenden Tagen sein werde.«

Der Geist stand still; die Hand zeigte anderswohin.

»Das Haus ist dort«, rief Scrooge. »Warum zeigst du anderswohin?«

Der unerbittliche Finger nahm keine andere Richtung an.

Scrooge eilte nach dem Fenster seines Kontors und schaute hinein. Es war noch ein Kontor, aber nicht das seinige. Die Möbel waren nicht dieselben, und die Gestalt in dem Stuhl war nicht die seine. Die Erscheinung zeigte nach derselben Richtung wie vorher.

Er trat wieder zu ihr hin und nachsinnend, warum und wohin sie gingen, begleitete er sie, bis sie eine eiserne Pforte erreichten. Er stand still, um sich vor dem Eintreten umzusehen.

Es war ein Kirchhof. Hier also lag der Unglückliche unter der Erde, dessen Namen er noch erfahren sollte. Der Ort war seiner würdig. Rings von hohen Häusern umgeben, überwuchert von Unkraut, entsprossen dem Tod, nicht dem Leben der Vegetation, vollgepfropft von zu vielen Leichen, genährt von übersättigtem Genuß.

Der Geist stand inmitten der Gräber still und deutete auf eins hinab. Scrooge näherte sich ihm bebend. Die Erscheinung war noch ganz so wie früher, aber ihm war es immer, als sähe er eine neue Bedeutung in der düsteren Gestalt.

»Ehe ich mich dem Stein nähere, den du mir zeigst«, sagte Scrooge, »beantworte mir eine Frage. Sind dies die Schatten der Dinge, die sein werden, oder nur deren, die sein können ?«

Immer noch wies der Geist auf das Grab hin, vor dem sie standen.

»Die Wege des Menschen tragen ihr Ziel in sich«, murmelte Scrooge. »Aber schlägt er einen andern Weg ein, so ändert sich das Ziel. Sag, ist es so mit dem, was du mir zeigen wirst?«

Der Geist blieb so unbeweglich wie immer.

Scrooge näherte sich schlotternd dem Grabe, und wie er der Richtung des Fingers folgte, las er auf dem Stein seinen eigenen Namen.

EBENEZER SCROOGE

»Bin ich es, der auf jenem Bett lag?« rief er, in die Knie sinkend.

Der Finger zeigte von dem Grabe fort auf ihn und wieder zurück.

»Nein, Geist, o nein!«

Der Finger wies unveränderlich dorthin.

»Geist«, rief Scrooge, sich fest an sein Gewand klammernd, »ich bin nicht mehr der Mensch, der ich ehedem war. Ich will ein anderer Mensch werden, als ich vor diesen Tagen gewesen bin. Warum zeigst du mir dies, wenn alle Hoffnung geschwunden ist?«

Zum ersten Male schien des Geistes Hand zu zittern.

»Guter Geist«, fuhr er fort, »dein eigenes Herz legt bittend für mich ein Wort ein und bedauert mich. Sag mir, daß ich durch ein verändertes Leben die Schattenbilder, die du mir gezeigt hast, ändern kann!«

Die gütige Hand zitterte.

»Ich will Weihnachten in meinem Herzen ehren, ich will versuchen, es zu feiern. Ich will in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft leben. Die Geister von allen dreien sollen in mir lebendig sein. Ich will ihren Lehren mein Herz nicht verschließen. O sage mir, daß ich die Schrift auf diesem Stein tilgen kann!«

In seiner Angst ergriff Scrooge die gespenstige Hand. Sie versuchte, sich von ihm loszumachen, aber er war stark in seinem Flehen und hielt sie fest. Der Geist, noch stärker, stieß ihn zurück.

Wie Scrooge die bebenden Hände zu einem letzten Flehen um Änderung seines Schicksals in die Höhe hielt, sah er die Erscheinung sich verändern. Sie wurde kleiner und kleiner und schwand zu einem Bettpfosten zusammen.

Das Ende


Das Ende

Ja, und es war sein eigener Bettpfosten. Es war sein Bett und sein Zimmer. Und was das Glücklichste und Beste war: die Zukunft gehörte ihm, um sich zu bessern.

»Ich will in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft leben«, wiederholte Scrooge, als er aus dem Bett kletterte. »Die Geister von allen dreien sollen in mir lebendig sein. Oh, Jacob Marley! Der Himmel sei dafür gepriesen und die Weihnachtszeit! Ich sage es auf meinen Knien, alter Jacob, auf meinen Knien.«

Er war von seinen guten Vorsätzen so durchflammt und außer sich, daß seine bebende Stimme auf seinen Ruf kaum antworten wollte. Während seines Ringens mit dem Geist hatte er bitterlich geweint, und sein Gesicht war noch naß von den Tränen.

»Sie sind nicht herabgerissen«, rief Scrooge, eine der Bettgardinen an die Brust drückend, »sie sind nicht herabgerissen. Sie sind da, ich bin da, die Schatten der Dinge, die da kommen, können vertrieben werden. Ja, ich weiß es, ich weiß es gewiß.«

Während dieser ganzen Zeit beschäftigten sich seine Hände mit den Kleidungsstücken: er zog sie verkehrt an, zerriß sie, verlegte sie und machte damit allerhand tolle Sprünge.

»Ich weiß nicht, was ich tue«, rief Scrooge in einem Atem weinend und lachend und mit seinen Strümpfen einen wahren Laokoon aus sich machend. – »Ich bin leicht wie eine Feder, selig wie ein Engel, vergnügt wie ein Schulknabe, schwindlig wie ein Trunkener. Fröhliche Weihnachten allen Menschen! Ein glückliches Neujahr der ganzen Welt! Hallo! Hussa! Hurra!«

Er war in das Wohnzimmer gesprungen und blieb jetzt drin ganz außer Atem stehen.

»Da ist die Schüssel, in der der Haferschleim war!« rief Scrooge, indem er um den Kamin herumhüpfte. »Da ist die Tür, durch die Jacob Marleys Geist hereinkam, da ist die Ecke, wo der Geist der diesjährigen Weihnacht saß, da ist das Fenster, wo ich die ruhelosen Geister sah! Es ist alles richtig, es ist alles wahr, es ist alles geschehen. Hahahaha!«

Für einen Mann, der so lange Jahre aus der Gewohnheit war, mußte man es wirklich ein vortreffliches Lachen nennen, ein herrliches Lachen. Es war der Vater einer langen, langen Reihe herrlicher Lachsalven!

»Ich weiß nicht, den Wievielten wir heute haben«, rief Scrooge. »Ich weiß nicht, wie lange ich unter den Geistern gewesen bin. Ich weiß gar nichts. Ich bin wie ein neugeborenes Kind. Es schadet nichts. Ist mir einerlei. Ich will lieber ein Kind sein. Hallo! Hussa! Hurra!«

Er wurde in seinen Freudenausbrüchen von dem Geläut der Kirchenglocken unterbrochen, die ihm so fröhlich zu klingen schienen, wie nie vorher. Bimbam, kling-klang, bim-bam. Nein, es war zu herrlich, zu herrlich!

Er lief zum Fenster, öffnete es und steckte den Kopf hinaus. Kein Nebel: ein klarer, lustig-heller, frischfroher Morgen, eine Kälte, die dem Blut einen Tanz vorpfiff, goldenes Sonnenlicht, ein himmlischer Himmel, lieblich-erquickende Luft, fröhliche Glocken. O wie herrlich, wie herrlich!

»Was ist denn heute für ein Tag?« rief Scrooge einem Knaben in Sonntagskleidern zu, der unterm Fenster stand.

»Wie?« fragte der Knabe mit der allergrößten Verwunderung.

»Was ist heut‘ für ein Tag, mein Junge?« fragte Scrooge.

»Heute?« antwortete der Knabe. »Nun, Christtag.«

»Es ist Christtag«, sagte Scrooge zu sich selber. »Ich habe ihn also nicht versäumt. Die Geister haben alles in einer Nacht erledigt. Sie können alles, was sie wollen. Natürlich, natürlich. – Heda, mein Junge!«

»Was denn!« antwortete der Knabe.

»Kennst du des Geflügelhändlers Laden in der zweitnächsten Straße an der Ecke?« fragte Scrooge.

»I, warum denn nicht?« antwortete der Junge.

»Ein gescheiter Junge«, nickte Scrooge. »Ein merkwürdiger Junge! Weißt du nicht, ob der Preistruthahn, der dort hing, verkauft ist? Nicht der kleine Preistruthahn, sondern der große.«

»Was, der so groß ist wie ich?« entgegnete der Junge.

»Was für ein lieber Junge!« lächelte Scrooge. »Es ist eine Freude, mit ihm zu sprechen. Freilich wohl, mein Prachtjunge.«

»Der hängt noch dort«, antwortete der Junge.

»Ist’s wahr?« sagte Scrooge. »Na, dann lauf und kaufe ihn.«

»Hat sich was«, spottete der Junge.

»Nein, nein«, sagte Scrooge, »es ist mein Ernst. Geh hin und kaufe ihn und sag, sie sollen ihn hierher bringen, daß ich ihnen die Adresse geben kann, wohin sie ihn tragen sollen. Komm mit dem Träger wieder her, und ich gebe dir einen Shilling. Kommst du rascher als in fünf Minuten zurück, bekommst du eine halbe Krone.«

Der Bengel verschwand wie ein Blitz.

»Ich will ihn Bob Cratchit schicken«, flüsterte Scrooge, sich die Hände reibend und fast vor Lachen platzend. »Er soll nicht wissen, wer ihn schickt. Er ist zweimal so groß wie Tiny Tim. Einen Witz wie den hat’s noch nie gegeben.«

Als er die Adresse schrieb, zitterte seine Hand, aber er schrieb so gut es ging und stieg die Treppe hinab, um die Haustür zu öffnen und den Truthahn zu erwarten. Wie er dastand, fiel sein Auge auf den Türklopfer.

»Ich werde ihn lieb haben, solange ich lebe«, rief Scrooge, ihn streichelnd. »Früher habe ich ihn kaum angesehen. Was er für ein ehrliches Gesicht hat! Es ist ein wunderbarer Türklopfer! – Da ist der Truthahn. Hallo! Hussa! Wie geht’s? Fröhliche Weihnachten!«

Das war ein Truthahn! Er hätte nicht mehr lang lebendig auf seinen Füßen stehen können. Sie wären – knix – zerbrochen wie eine Stange Siegellack.

»Was, das ist ja fast unmöglich, den nach Camden Town zu tragen!« sagte Scrooge. »Ihr müßt einen Wagen nehmen.«

Das Lachen, mit dem er dies sagte, und das Lachen, mit dem er den Truthahn bezahlte, und das Lachen, mit dem er den Wagen bezahlte, und das Lachen, mit dem er dem Jungen ein Trinkgeld gab, wurde nur von dem Lachen übertroffen, mit dem er sich atemlos in seinen Stuhl niedersetzte und lachte, bis ihm die Tränen die Backen herunterliefen.

Das Rasieren war keine Kleinigkeit, denn seine Hand zitterte immer noch sehr, und Rasieren verlangt große Aufmerksamkeit, auch wenn man nicht gerade währenddessen tanzt. Aber selbst wenn er sich die Nasenspitze weggeschnitten hätte, würde er ein Stückchen Pflaster darauf geklebt und sich damit zufrieden gegeben haben.

Er zog seine besten Kleider an und trat endlich auf die Straße. Die Leute strömten gerade aus ihren Häusern, wie er es gesehen hatte, als er den Geist der diesjährigen Weihnacht begleitete; und mit auf dem Rücken zusammengeschlagenen Händen durch die Straßen gehend, blickte Scrooge jeden mit einem freundlichen Lächeln an. Er sah so unwiderstehlich freundlich aus, daß drei oder vier lustige Leute zu ihm sagten: »Guten Morgen, Sir, fröhliche Weihnachten!«, und Scrooge sagte oft nachher, daß von allen lieblichen Klängen, die er je gehört, dieser seinem Ohr am lieblichsten geklungen hätte.

Er war nicht weit gegangen, als er denselben stattlichen Herrn auf sich zukommen sah, der am Tage vorher in sein Kontor getreten war, mit den Worten: »Scrooge und Marley, glaube ich.« Es gab ihm förmlich einen Stich ins Herz, als er dachte, wie ihn wohl der alte Herr beim Vorübergehen ansehen würde; aber er wußte, welchen Weg er zu gehen hatte, und ging ihn.

»Lieber Herr«, rief Scrooge, schneller laufend und den alten Herrn an beiden Händen ergreifend. »Wie geht es Ihnen? Ich hoffe, Sie hatten gestern einen guten Tag? Es war sehr freundlich von Ihnen. Ich wünsche Ihnen fröhliche Weihnachten, Sir.«

»Mr. Scrooge?«

»Ja«, sagte Scrooge. »So ist mein Name und ich fürchte, er klingt Ihnen nicht sehr angenehm. Erlauben Sie, daß ich Sie um Verzeihung bitte! Und wollen Sie die Güte haben« hier flüsterte ihm Scrooge etwas ins Ohr.

»Himmel!« rief der Herr, als ob ihm der Atem ausgeblieben wäre. »Mein lieber Mr. Scrooge, ist das Ihr Ernst?«

»Wenn es Ihnen beliebt«, sagte Scrooge. »Keinen Penny weniger. Es sind viele Rückstände dabei, ich versichere es Ihnen. Wollen Sie die Güte haben?«

»Bester Herr«, sagte der andere, ihm die Hand schüttelnd. »Ich weiß nicht, was ich zu einer solchen Freigebigkeit sagen soll.«

»Ich bitte, sagen Sie gar nichts dazu«, antwortete Scrooge. »Besuchen Sie mich. – Wollen Sie mich besuchen?«

»Herzlich gern«, rief der alte Herr. Und man sah, es war ihm Ernst mit dieser Versicherung.

»Ich danke Ihnen sehr«, sagte Scrooge. »Ich bin Ihnen sehr verbunden. Ich danke Ihnen tausendmal. Leben Sie recht wohl!«

Er ging in die Kirche, ging durch die Straßen, sah die Leute hin und her laufen, klopfte Kindern die Wange, sprach mit Bettlern, spähte hinab in die Küchen und lugte hinauf zu den Fenstern der Häuser: und er fand, daß ihm alles das Vergnügen bereiten könne. Er hätte es sich nie träumen lassen, daß ihn ein Spaziergang oder sonst etwas so glücklich machen könnte. Nachmittags lenkte er seine Schritte nach der Wohnung seines Neffen.

Er ging wohl ein dutzendmal an der Tür vorüber, ehe er den Mut hatte anzuklopfen. Endlich faßte er sich ein Herz und klopfte.

»Ist dein Herr zu Hause, liebes Kind?« sagte Scrooge zu dem Mädchen. Ein nettes Mädchen, wahrhaftig!

»Ja, Sir.«

»Wo ist er, liebes Kind?« sagte Scrooge.

»Er ist in dem Speisezimmer, Sir, mit Madame. Ich will Sie hinaufführen, wenn Sie erlauben.«

»Danke, danke. Er kennt mich«, sagte Scrooge, mit der Hand schon auf der Türklinke. »Ich will gleich eintreten, liebes Kind.«

Er machte die Tür leise auf und steckte den Kopf hinein. Sie betrachteten gerade den Speisetisch (der mit großem Aufwand gedeckt war); denn junge Hausfrauen sind immer sehr bedacht darauf und sehen gern alles in hübschester Ordnung.

»Fred«, rief Scrooge.

Heiliger Himmel, wie seine Nichte erschrak! Scrooge hatte in dem Augenblick vergessen, daß sie mit dem Fußbänkchen in der Ecke gesessen hatte, sonst hätte er es um keinen Preis getan.

»Potztausend!« rief Fred, »wer kommt da?«

»Ich bin’s. Dein Onkel Scrooge. Ich komme zum Essen. Willst du mich hereinlassen, Fred?«

Ihn hereinlassen! Es war nur gut, daß er ihm nicht den Arm abriß. Er war in fünf Minuten wie zu Hause. Nichts konnte herzlicher sein, als die Begrüßung seines Neffen. Und auch seine Nichte empfing ihn nicht minder herzlich. Auch Topper, als er kam. Auch die runde Schwester, als sie kam. Und alle, wie sie nach der Reihe kamen. Wundervolle Gesellschaft, wundervolle Spiele, wundervolle Eintracht, wundervolle Glückseligkeit!

Aber am andern Morgen war Scrooge früh in seinem Kontor. Oh, er war gar früh da. Zuerst dort zu sein und Bob Cratchit beim Zuspätkommen zu erwischen! Das war’s, worauf sein Sinn stand. Und es gelang ihm wahrhaftig! Die Uhr schlug neun. Kein Bob. Ein Viertel nach neun. Kein Bob. Er kam volle achtzehn und eine halbe Minute zu spät. Scrooge hatte seine Türe weit offen stehen lassen, damit er ihn in das Verlies eintreten sähe.

Bobs Hut war vom Kopf, ehe er die Tür öffnete, auch der Schal von seinem Hals. Im Nu saß er auf seinem Stuhl und jagte mit der Feder über das Papier, als wollte er versuchen, neun Uhr einzuholen.

»Heda«, rief Scrooge, so gut es ging seine gewohnte Stimme nachahmend. »Was soll das heißen, daß Sie so spät kommen?«

»Es tut mir sehr leid, Sir«, sagte Bob. »Ich habe mich verspätet.«

»So?« sagte Scrooge. »Ja. Das kommt mir auch so vor. Hier herein, wenn’s gefällig ist.«

»Es ist nur einmal im Jahr, Sir«, sagte Bob, aus dem Verlies hereintretend. »Es soll nicht wieder vorkommen. Ich war ein bißchen lustig gestern, Sir.«

»Nun, ich will Ihnen etwas sagen, Freundchen«, sagte Scrooge, »ich kann das nicht länger mit ansehen. Und daher«, fuhr er fort, von seinem Stuhl springend und Bob einen solchen Stoß vor die Brust gebend, daß er wieder in das Verlies zurückstolperte, »und daher will ich Ihr Salär erhöhen!«

Bob zitterte und trat dem Lineal etwas näher. Er hatte einen kurzen Gedanken, Scrooge damit eins auf den Kopf zu geben, ihn festzuhalten und die Leute im Hof um Beistand und um eine Zwangsjacke anzurufen.

»Fröhliche Weihnachten, Bob!« sagte Scrooge mit einem Ernst, der nicht mißverstanden werden konnte, indem er ihm auf die Achsel klopfte. »Fröhlichere Weihnachten, Bob, als ich Sie so manches Jahr habe feiern lassen. Ich will Ihr Salär erhöhen und mich bemühen, Ihrer Familie unter die Arme zu greifen. Wir wollen heut‘ nachmittag bei einem dampfenden Weihnachtspunsch über Ihre Angelegenheiten sprechen, Bob! Schüren Sie das Feuer an und kaufen Sie eine andere Kohlenschaufel, ehe Sie wieder einen Punkt auf ein i machen, Bob Cratchit!«

Scrooge war besser als sein Wort. Er tat nicht nur alles, was er versprochen hatte, sondern noch mehr, und für Tiny Tim, der nicht starb, wurde er ein zweiter Vater. Er wurde ein so guter Freund und ein so guter Mensch, wie nur die liebe alte City oder jedes andere liebe alte Städtchen oder Dorf in der lieben alten Welt je einen Freund und Menschen gesehen hat. Einige Leute lachten, als sie ihn so verändert sahen; aber er ließ sie lachen und kümmerte sich wenig darum, denn er war klug genug, zu wissen, daß nichts Gutes in dieser Welt geschehen kann, worüber nicht von vornherein einige Leute lachen müssen: und da er wußte, daß solche Leute doch blind bleiben würden, so dachte er bei sich, es wäre besser, sie legten ihre Gesichter durch Lachen in Falten, als daß sie es auf weniger anziehende Weise täten. Sein eigenes Herz lachte, und damit war er vollauf zufrieden.

Er hatte keinen ferneren Verkehr mit Geistern, sondern lebte von jetzt an nach dem Grundsatz gänzlicher Enthaltsamkeit; und immer sagte man von ihm, er wisse Weihnachten recht zu feiern, wenn es überhaupt ein Mensch wisse. Möge dies auch in Wahrheit von uns allen gesagt werden können. Und so schließen wir mit Tiny Tims Worten: »Gott segne jeden von uns.«

Marleys Geist


Marleys Geist

Marley war tot, damit wollen wir anfangen. Kein Zweifel kann darüber bestehen. Der Schein über seine Beerdigung ward unterschrieben von dem Geistlichen, dem Küster, dem Leichenbestatter und den vornehmsten Leidtragenden. Scrooge unterschrieb ihn, und Scrooges Name wurde auf der Börse respektiert, wo er ihn nur hinschrieb. Der alte Marley war so tot wie ein Türnagel.

Versteht mich recht! Ich will nicht etwa sagen, daß ein Türnagel etwas besonders Totes für mich hätte. Ich selbst möchte fast zu der Meinung neigen, daß das toteste Stück Eisen auf der Welt ein Sargnagel sei. Aber die Weisheit unsrer Altvordern liegt in den Gleichnissen, und meine unheiligen Hände sollen sie dort nicht stören, sonst wäre es um das Vaterland geschehen. Man wird mir also erlauben, mit besonderem Nachdruck zu wiederholen, daß Marley so tot wie ein Türnagel war.

Wußte Scrooge, daß er tot war? Natürlich wußte er’s. Wie sollte es auch anders sein? Scrooge und er waren, ich weiß nicht seit wieviel Jahren, Kompagnons. Scrooge war sein einziger Testamentsvollstrecker, sein einziger Verwalter, sein einziger Erbe, sein einziger Freund und sein einziger Leidtragender. Und selbst Scrooge war von dem traurigen Ereignis nicht so schrecklich mitgenommen, um nicht selbst am Begräbnistag ein vortrefflicher Geschäftsmann sein und ihn mit einem unzweifelhaft guten Handel feiern zu können.

Nun bringt mich die Erwähnung von Marleys Begräbnistag wieder zu dem Ausgangspunkt meiner Erzählung zurück. Es gibt keinen Zweifel, daß Marley tot war. Das muß scharf ins Auge gefaßt werden, sonst kann in der Geschichte, die ich erzählen will, nichts Wunderbares geschehen. Wenn wir nicht vollkommen fest überzeugt wären, daß Hamlets Vater tot ist, ehe das Stück beginnt, so wäre durchaus nichts Merkwürdiges in seinem nächtlichen Spaziergang bei scharfem Ostwind auf den Mauern seines eigenen Schlosses. Nicht mehr, als bei jedem anderen Herrn in mittleren Jahren, der sich nach Sonnenuntergang rasch zu einem Spaziergang auf einem luftigen Platz entschließt, zum Beispiel auf dem Sankt-Pauls-Kirchhof.

Scrooge ließ Marleys Namen nicht ausstreichen. Noch nach Jahren stand über der Tür des Speichers »Scrooge und Marley«. Die Firma war unter dem Namen Scrooge und Marley bekannt. Leute, die Scrooge nicht kannten, nannten ihn zuweilen Scrooge und zuweilen Marley; aber er hörte auf beide Namen, denn es galt ihm beides gleich.

Oh, er war ein wahrer Blutsauger, dieser Scrooge! Ein gieriger, zusammenkratzender, festhaltender, geiziger alter Sünder: hart und scharf wie ein Kiesel, aus dem noch kein Stahl einen warmen Funken geschlagen hat, verschlossen und selbstgenügsam und ganz für sich, wie eine Auster. Die Kälte in seinem Herzen machte seine alten Gesichtszüge starr, seine spitze Nase noch spitzer, sein Gesicht runzlig, seinen Gang steif, seine Augen rot, seine dünnen Lippen blau, und sie klang aus seiner krächzenden Stimme heraus. Ein frostiger Reif lag auf seinem Haupt, auf seinen Augenbrauen, auf dem starken struppigen Bart. Er schleppte seine eigene niedere Temperatur immer mit sich herum: in den Hundstagen kühlte er sein Kontor wie mit Eis, zur Weihnachtszeit machte er es nicht um einen Grad molliger.

Äußere Hitze und Kälte wirkten wenig auf Scrooge. Keine Wärme konnte ihn wärmen, keine Kälte frösteln machen. Kein Wind war schneidender als er, kein Schneegestöber erbarmungsloser, kein klatschender Regen einer Bitte weniger zugänglich. Schlechtes Wetter konnte ihm nichts anhaben. Der ärgste Regen, Schnee oder Hagel konnten sich nur in einer Art rühmen, besser zu sein als er: sie gaben oft im Überfluß, und das tat Scrooge nie und nimmer.

Niemals kam ihm jemand auf der Straße entgegen, um mit freundlichen Blicken zu ihm zu sagen:»Mein lieber Scrooge, wie geht’s, wann werden Sie mich einmal besuchen?« Kein Bettler sprach ihn um eine Kleinigkeit an, kein Kind fragte ihn, wie spät es sei, kein Mann und keine Frau hat ihn je in seinem Leben nach dem Weg gefragt. Selbst der Hund des Blinden schien ihn zu kennen, und wenn er ihn kommen sah, zog er seinen Herrn in einen Torweg und wedelte dann mit dem Schwanz, als wollte er sagen: »Gar kein Auge, blinder Herr, ist besser als ein böses Auge.«

Doch was kümmerte all das den alten Scrooge? Gerade das gefiel ihm. Allein seinen Weg durch die engen Pfade des Lebens zu wandern, jedem menschlichen Gefühl zu sagen: »Bleibe mir fern«; das war es, was Scrooge gefiel.

Einmal, es war von allen guten Tagen im Jahr der beste, der Christabend, saß der alte Scrooge in seinem Kontor. Draußen war es schneidend kalt und neblig, und er konnte hören, wie die Leute im Hof, um sich zu erwärmen, prustend auf und nieder gingen, die Hände aneinander schlugen und mit den Füßen stampften. Es hatte eben erst drei Uhr geschlagen, doch war es schon stockfinster. Den ganzen Tag über war es nicht hell geworden, und die Kerzen in den Fenstern der benachbarten Kontore flackerten wie rote Flecken auf der dicken braunen Luft. Der Nebel drang durch jede Spalte und durch jedes Schlüsselloch und war draußen so dick, daß die gegenüberliegenden Häuser des sehr kleinen Hofes wie ihre eigenen Geister aussahen. Wenn man die trübe, dicke, alles verfinsternde Wolke heruntersinken sah, hätte man meinen können, die Natur wohne dicht nebenan und braue en gros.

Die Tür von Scrooges Kontor stand offen, damit er seinen Kommis beaufsichtigen konnte, der in einem erbärmlich feuchten, kleinen Raum, einer Art Burgverlies, Briefe kopierte. Scrooge hatte nur ein sehr kleines Feuer, aber des Dieners Feuer war um so viel kleiner, daß es nur wie eine einzige Kohle aussah. Er konnte aber nicht nachlegen, denn Scrooge hatte den Kohlenkasten in seinem Zimmer, und jedesmal, wenn der Kommis mit der Kohlenschaufel in der Hand hereinkam, meinte sein Herr, es sei wohl nötig, daß sie sich trennten. Worauf der Kommis seinen weißen Schal umband und versuchte, sich an dem Licht zu wärmen, was aber immer fehlschlug, da er ein Mann von nicht sehr starker Einbildungskraft war.

»Fröhliche Weihnachten, Onkel, Gott erhalte Sie!« rief da eine heitere Stimme. Es war die Stimme von Scrooges Neffen, der so schnell hereingekommen war, daß dieser Gruß das erste war, was man von ihm bemerkte.

»Pah«, sagte Scrooge, »dummes Zeug!«

Der Neffe war vom schnellen Laufen so warm geworden, daß er über und über glühte; sein Gesicht war rot und hübsch, seine Augen glänzten und sein Atem rauchte.

»Weihnachten dummes Zeug, Onkel?« sagte Scrooges Neffe. »Das kann nicht Ihr Ernst sein.«

»Es ist mein Ernst«, sagte Scrooge. »Fröhliche Weihnachten? Was für ein Recht hast du, fröhlich zu sein? Was für einen Grund, fröhlich zu sein? Du bist arm genug.«

»Nun«, antwortete der Neffe heiter, »was für ein Recht haben Sie, grämlich zu sein? Was für einen Grund, mürrisch zu sein? Sie sind reich genug.«

Scrooge, der im Augenblick keine bessere Antwort darauf bereit hatte, sagte noch einmal »Pah!« und brummte hinterher »Dummes Zeug!«

»Seien Sie nicht böse, Onkel«, sprach der Neffe.

»Was soll ich anderes sein«, antwortete der Onkel, »wenn ich in einer Welt voll solcher Narren lebe? Fröhliche Weihnachten! Der Henker hole die fröhlichen Weihnachten! Was ist Weihnachten für dich anderes, als eine Zeit, in der du Rechnungen bezahlen sollst, ohne Geld zu haben, eine Zeit, in der du dich um ein Jahr älter und nicht um eine Stunde reicher findest, eine Zeit, in der du deine Bücher abschließest und in jedem Posten durch ein volles Dutzend von Monaten ein Defizit siehst? Wenn es nach mir ginge«, setzte Scrooge heftig hinzu, »so müßte jeder Narr, der mit seinem ›Fröhliche Weihnachten‹ herumläuft, mit seinem eigenen Pudding gekocht und mit einem Stechpalmenzweig im Herzen begraben werden.«

»Onkel!« bat der Neffe.

»Neffe«, antwortete der Onkel erbost, »feiere du Weihnachten nach deiner Art und laß es mich nach meiner feiern.«

»Feiern!« wiederholte Scrooges Neffe. »Aber Sie feiern es ja nicht.«

»Laß mich ungeschoren«, brummte Scrooge. »Mag es dir Nutzen bringen. Es hat dir ja immer schon Nutzen gebracht.«

»Es gibt viele Dinge, die mir hätten nützen können und die ich nicht genutzt habe, das weiß ich«, antwortete der Neffe, »und Weihnachten ist eins davon. Aber ich weiß gewiß, daß ich Weihnachten, abgesehen von der Verehrung, die wir seinem heiligen Namen und Ursprung schuldig sind, immer als eine gute Zeit betrachtet habe, als eine liebe Zeit, als die Zeit der Vergebung und Barmherzigkeit, als die einzige Zeit, die ich in dem ganzen langen Jahreskalender kenne, da die Menschen einträchtig ihre verschlossenen Herzen auftun und die andern Menschen ansehen, als wären sie wirklich Reisegefährten nach dem Grabe und nicht eine ganz andere Art von Geschöpfen, die einen ganz andern Weg gehen. Und daher, Onkel, wenn es mir auch niemals ein Stück Gold oder Silber in die Tasche gebracht hat, daher glaube ich doch, es hat mir Gutes getan, und es wird mir Gutes tun, und ich sage ›Gott segne das Weihnachtsfest!‹«

Der Diener in dem Burgverlies draußen applaudierte unwillkürlich; aber im Augenblick darauf fühlte er auch die Unschicklichkeit seines Betragens, schürte die Kohlen und löschte dadurch die letzten kleinen Funken unwiederbringlich.

»Wenn Sie da drin mich noch einen einzigen Laut hören lassen«, sagte Scrooge, »so feiern Sie Ihre Weihnachten mit dem Verlust Ihrer Stelle. – Du bist ein ganz gewaltiger Redner«, fügte er dann hinzu, sich zu seinem Neffen wendend. »Es wundert mich, daß du noch nicht ins Parlament gekommen bist!«

»Seien Sie nicht böse, Onkel. Essen Sie morgen mit uns.«

Scrooge sagte, daß er ihn erst verdammt sehen wolle; ja wahrhaftig, er sprach sich so deutlich aus.

»Aber warum?« rief Scrooges Neffe. »Warum denn?«

»Warum hast du dich verheiratet?« fragte Scrooge.

»Weil ich mich verliebte.«

»Weil er sich verliebte!« brummte Scrooge, als sei dies das einzige Ding in der Welt, das noch lächerlicher als eine fröhliche Weihnacht ist. »Guten Abend!«

»Aber Onkel, Sie haben mich ja auch vorher nie besucht. Warum soll es da ein Grund sein, mich jetzt nicht zu besuchen?«

»Guten Abend!« sagte Scrooge.

»Ich brauche nichts von Ihnen, ich verlange nichts von Ihnen, warum können wir nicht gute Freunde sein?«

»Guten Abend!« sagte Scrooge.

»Ich bedaure wirklich von Herzen, Sie so hartnäckig zu finden. Wir haben nie einen Zank miteinander gehabt, an dem ich schuld gewesen wäre. Aber ich habe den Versuch gemacht, Weihnachten zu Ehren, und ich will meine Weihnachtsstimmung bis zuletzt behalten. Fröhliche Weihnachten, Onkel!«

»Guten Abend!« sagte Scrooge.

»Und ein glückliches Neujahr!«

»Guten Abend!« sagte Scrooge.

Trotz allem verließ der Neffe das Zimmer ohne ein böses Wort. An der Haustür blieb er dann stehen, um mit dem Glückwunsch des Tages den Kommis zu begrüßen, der trotz der Kälte dennoch wärmer war als Scrooge, denn er gab den Gruß freundlich zurück.

»Das ist auch so ein Kerl!« brummte Scrooge, der es hörte. »Mein Kommis, mit fünfzehn Shilling die Woche und Frau und Kindern, spricht von fröhlichen Weihnachten. Ich gehe nach Bedlam ins Irrenhaus.«

Der Kommis hatte, als er den Neffen hinausließ, zwei andere Personen eingelassen. Es waren zwei behäbige, wohlansehnliche Herren, die jetzt, mit dem Hut in der Hand, in Scrooges Kontor standen. Sie hatten Bücher und Papiere unterm Arm und verbeugten sich.

»Scrooge und Marley, glaube ich«, sagte einer der Herren, indem er auf seine Liste sah. »Hab ich die Ehre, mit Mr. Scrooge oder mit Mr. Marley zu sprechen?«

»Mr. Marley ist seit sieben Jahren tot«, antwortete Scrooge. »Er starb heute vor sieben Jahren.«

»Wir zweifeln nicht, daß sein überlebender Kompagnon ganz seine Freigebigkeit besitzen wird«, sagte der Herr, indem er ihm sein Beglaubigungsschreiben überreichte.

Er hatte ganz recht, denn sie waren wirklich zwei verwandte Seelen gewesen. Bei dem ominösen Wort Freigebigkeit runzelte Scrooge die Stirn, schüttelte den Kopf und gab das Papier zurück.

»An diesem festlichen Tage des Jahres, Mr. Scrooge«, sagte der Herr, eine Feder ergreifend, »ist es mehr als sonst wünschenswert, wenigstens einigermaßen für die Armen zu sorgen, die zu dieser Zeit in großer Bedrängnis leben. Vielen Tausenden fehlen selbst die notwendigsten Bedürfnisse, Hunderttausenden die notdürftigsten Bequemlichkeiten des Lebens.«

»Gibt es keine Gefängnisse?« fragte Scrooge.

»Überfluß an Gefängnissen«, sagte der Herr, die Feder wieder hinlegend.

»Und die Armenhäuser?« fragte Scrooge. »Bestehen die noch?«

»Allerdings«, antwortete der Herr, »aber doch wünschte ich, sie brauchten weniger in Anspruch genommen zu werden.«

»Tretmühle und Armengesetz sind in voller Kraft?« sagte Scrooge.

»Beide haben alle Hände voll zu tun.«

»So? Nach dem, was Sie zuerst sagten, fürchtete ich, es halte sie etwas in ihrem nützlichen Gang auf«, sagte Scrooge. »Ich freue mich, das Gegenteil zu hören.«

»In der Überzeugung, daß sie doch wohl kaum imstande sind, der Seele oder dem Leib der Armen christliche Stärkung zu geben«, entgegnete der Herr, »sind einige von uns zur Veranstaltung einer Sammlung zusammengetreten, um für die Armen Nahrungsmittel und Feuerung anzuschaffen. Und wir wählen diese Zeit, weil sie vor allen andern eine Zeit ist, da der Mangel am bittersten gefühlt wird und nur der Reiche sich freut. Welche Summe darf ich für Sie aufschreiben?«

»Nichts«, antwortete Scrooge.

»Sie wünschen ungenannt zu bleiben?«

»Ich wünsche, daß man mich in Ruhe läßt«, sagte Scrooge. »Da Sie mich fragen, meine Herren, was ich wünsche, so ist eben dies meine Antwort. Ich freue mich selbst nicht zu Weihnachten und habe nicht die Mittel, mit meinem Geld Faulenzern Freude zu machen. Ich trage meinen Teil zu den Anstalten bei, die ich genannt habe; sie kosten genug, und wem es schlecht geht, der mag dorthin gehen!«

»Viele können nicht hingehen, und viele würden eher sterben.«

»Wenn sie eher sterben würden«, sagte Scrooge, »so wäre es gut, wenn sie es täten und die überflüssige Bevölkerung dadurch verminderten. Übrigens, Sie entschuldigen, ich weiß nichts davon.«

»Aber Sie könnten es wissen«, bemerkte der Herr.

»Es kümmert mich nichts«, antwortete Scrooge. »Es genügt, wenn ein Mann sein eignes Geschäft versteht und sich nicht in das anderer Leute mischt. Das meinige nimmt meine ganze Zeit in Anspruch. Guten Abend, meine Herren!«

Da sie deutlich einsahen, wie vergeblich weitere Versuche sein würden, zogen sich die Herren zurück. Scrooge setzte sich wieder an die Arbeit mit einer erhöhten Meinung von sich selbst und in einer bessern Laune als gewöhnlich.

Nebel und Dunkelheit hatten inzwischen so zugenommen, daß die Leute mit brennenden Fackeln herumliefen, um den Wagen vorzuleuchten. Der alte Kirchturm, dessen brummende alte Glocke sonst unverwandt aus einem alten gotischen Fenster in der Mauer listig auf Scrooge herabsah, wurde unsichtbar in den Wolken und schlug die Stunden und Viertel mit einem zitternden Nachklang, als wenn in dem erfrorenen Kopfe droben die Zähne klapperten. Die Kälte wurde immer schneidender. In der Hauptstraße an der Ecke der Sackgasse wurden die Gasleitungen ausgebessert, und die Arbeiter hatten ein großes Feuer in einer Kohlenpfanne angezündet. Darum herum drängten sich einige zerlumpte Männer und Knaben, die über den Flammen behaglich blinzelnd sich die Hände wärmten. Aus der eisernen Pumpe, sich selbst überlassen, floß ungehindert Wasser aus, aber bald war es zu Eis erstarrt. Der Lichtschimmer der Läden, in deren Fenstern Stechpalmenzweige und Beeren in der Lampenwärme knisterten, rötete die bleichen Gesichter der Vorübergehenden. Die Gewölbe der Geflügel- und Materialwarenhändler sahen aus wie ein glänzendes, fröhliches Märchenland, und es schien fast unmöglich, damit den Gedanken an eine so langweilige Sache wie Kauf und Verkauf zu verbinden. Der Lord Mayor gab in den innern Gemächern des Mansion House seinen fünfzig Köchen und Kellermeistern Befehl, Weihnachten zu feiern, wie es eines Lord Mayors würdig ist, und selbst der kleine Schneider, den er am Montag vorher wegen Trunkenheit und blutrünstiger Äußerungen in der Öffentlichkeit mit fünf Shilling gestraft hatte, rührte den Pudding für morgen in seinem Dachkämmerchen, während seine magere Frau mit dem Säugling auf dem Arm wegging, um das Roastbeef zu kaufen.

Immer nebliger und kälter wurde es, durchdringend, schneidend kalt. Wenn der gute, heilige Dunstan die Nase des Gottseibeiuns nur mit einem Hauch von diesem Wetter gefaßt hätte, anstatt seine gewöhnlichen Waffen zu gebrauchen, dann hätte er wohl recht gebrüllt. Der Inhaber einer kleinen, jungen Nase, an der die hungrige Kälte biß und nagte, wie Hunde an einem Knochen, legte sich an Scrooges Schlüsselloch, um ihn mit einem Weihnachtsliede zu erfreuen. Aber beim ersten Ton des Liedes ergriff Scrooge das Lineal mit einer solchen Heftigkeit, daß der Sänger voll Schrecken entfloh und das Schlüsselloch dem Nebel und dem noch verwandteren Frost überließ.

Endlich kam die Feierabendstunde. Unwillig stieg Scrooge von seinem Sessel und gab dadurch dem harrenden Kommis in dem Verlies stillschweigend die Einwilligung zum Aufbruch, worauf dieser sogleich das Licht auslöschte und den Hut aufsetzte.

»Sie wollen morgen den ganzen Tag frei haben, vermute ich«, sagte Scrooge.

»Wenn es Ihnen recht ist, Sir.«

»Es ist mir durchaus nicht recht«, sagte Scrooge, »und es gehört sich auch nicht. Wenn ich Ihnen eine halbe Krone dafür abzöge, würden Sie denken, es geschähe Ihnen Unrecht, nicht wahr?«

Der Kommis antwortete mit einem gezwungenen Lächeln.

»Und doch«, sagte Scrooge, »denken Sie nicht daran, daß mir Unrecht geschieht, wenn ich einen Tag Lohn bezahle für einen Tag Faulenzen.«

Der Kommis bemerkte, daß es ja nur einmal im Jahr geschähe.

»Eine armselige Entschuldigung, um an jedem fünfundzwanzigsten Dezember eines Mannes Tasche zu bestehlen«, murrte Scrooge, indem er seinen Überrock bis an das Kinn zuknöpfte. »Aber ich vermute, Sie wollen den ganzen Tag frei haben? Seien Sie wenigstens übermorgen um so früher hier!«

Der Kommis versprach es, und Scrooge ging mit einem Brummen fort. Das Kontor war im Nu geschlossen, und der Kommis, dem die langen Enden seines weißen Schals um die Beine baumelten, schlitterte zu Ehren des Festes in einer Reihe von Knaben zwanzigmal Cornhill hinunter; dann lief er so schnell wie möglich in seine Wohnung in Camden Town, um dort Blindekuh zu spielen.

Scrooge nahm sein einsames, trübseliges Mahl in seinem gewöhnlichen, einsamen, trübseligen Gasthaus ein, und nachdem er alle Zeitungen gelesen und sich den Rest des Abends mit seinem Bankjournal vertrieben hatte, ging er nach Hause zurück, um zu schlafen. Er wohnte in den Zimmern, die seinem verstorbenen Kompagnon gehört hatten. Es war eine düstere Flucht von Zimmern in einem niedrigen, dunklen Gebäude, das in seinen Hof so ganz und gar nicht hineinpaßte, daß man fast hätte glauben mögen, es habe sich, als es noch ein junges Haus war und mit andern Häusern Versteck spielte, dorthin verlaufen und nicht wieder hinausfinden können. Jetzt war es alt und öde, weil niemand dort wohnte als Scrooge und alle andern Örtlichkeiten als Geschäftsräume vermietet waren. Der Hof war so dunkel, daß selbst Scrooge, der dort jeden Pflasterstein kannte, seinen Weg mit den Händen ertasten mußte. Der Nebel und der Frost ballten sich so dick und schwer um den schwarzen alten Torweg des Hauses, als hocke der Wettergeist in trübem Sinnen auf der Schwelle.

Nun steht es fest, daß an dem Klopfer der Haustür ganz und gar nichts Besonderes war als seine Größe. Auch steht es fest, daß ihn Scrooge jeden Abend und jeden Morgen, seitdem er das Haus bewohnte, gesehen hatte und daß Scrooge so wenig Phantasie besaß, als irgend jemand in der City von London, mit Einschluß des Stadtrats – wenn das zu sagen erlaubt ist –, der Aldermen und der Zünfte. Man vergesse auch nicht, daß Scrooge, außer heute nachmittag, keine Sekunde an seinen vor sieben Jahren verstorbenen Kompagnon gedacht hatte. Und dann erkläre mir jemand, warum Scrooge, als er seinen Schlüssel in das Türschloß steckte, in dem Klopfer, ohne daß dieser sich vor seinen Augen verändert hätte, keinen Türklopfer, sondern Marleys Gesicht sah?

Ja, Marleys Gesicht. Es war nicht von so undurchdringlichem Dunkel umgeben, wie die andern Gegenstände im Hof, sondern von einem unheimlichen Licht, wie ein verdorbener Hummer in einem dunklen Keller. Es blickte ihm nicht wild entgegen, oder zürnend, sondern sah Scrooge an, wie ihn Marley gewöhnlich angesehen hatte, die gespenstige Brille auf die gespenstige Stirn hinaufgeschoben. Das Haar stand ihm seltsam zu Berg, wie von Atem oder heißer Luft gesträubt, und obgleich die Augen weit offen standen, waren sie doch ohne jede Bewegung. Dies und die leichenhafte Farbe machten das Gesicht schrecklich: aber diese Schrecklichkeit schien eher etwas dem Gesicht Aufgezwungenes zu sein, als ein Teil seines Ausdruckes.

Als Scrooge fest auf die Erscheinung blickte, da sah er wieder einen Türklopfer!

Es wäre eine Unwahrheit, zu sagen, er sei nicht erschrocken oder sein Blut habe nicht ein grausendes Gefühl durchzuckt, das ihm seit seiner Kindheit unbekannt geblieben war. Aber gewaltsam faßte er sich, faßte mit der Hand abermals nach dem Schlüssel, drehte ihn um, trat in das Haus und zündete sein Licht an.

Und doch zögerte er einen Augenblick, bevor er die Tür schloß, und spähte erst vorsichtig dahinter, als fürchte er wirklich, mit dem Anblick von Marleys Zopf erschreckt zu werden. Aber hinter der Tür war nichts, als die Schrauben, die den Klopfer festhielten, und so sagte er: »Bah, bah«, und warf sie hinter sich ins Schloß.

Der Schall klang wie ein Donner durch das Haus. Jedes Zimmer oben und jedes Faß in des Weinhändlers Keller unten schien mit seinem besonderen Echo zu antworten. Scrooge war nicht der Mann, der sich durch Echos erschrecken ließ. Er schloß die Tür, ging über den Hausflur und die Treppe hinauf, und zwar langsam, langsam und beim Hinaufgehen das Licht heller machend.

Man mag behaupten, daß sich’s mit einem Sechsspänner eine stattliche alte Treppenflucht hinauf – oder mitten durch ein neues Parlamentsdekret hindurchsausen lasse; ich sage aber, daß man mit einem Leichenwagen, und zwar der Quere nach, mit der Deichsel nach der Wand und mit der Tür nach dem Geländer zu, diese Treppe hinaufgekommen wäre, und zwar ganz bequem. Und das ist vielleicht die Ursache, warum Scrooge glaubte, er sähe einen Leichenwagen vor sich hinaufdampfen. Ein halbes Dutzend Gaslampen von der Straße aus hätten den Eingang nicht hell genug gemacht, und so kann man sich denken, daß es bei Scrooges kleinem Talglicht ziemlich dunkel blieb.

Scrooge aber ging hinauf und kümmerte sich keinen Pfifferling um all das. Dunkelheit ist billig, und das Billige liebte Scrooge. Aber ehe er seine schwere Tür zumachte, ging er durch die Zimmer, um zu sehen, ob alles in Ordnung sei. Er erinnerte sich des Gesichts noch gerade genug, um das zu wünschen.

Wohnzimmer, Schlafzimmer, Rumpelkammer, alles war, wie es sein sollte. Niemand unter dem Tisch, niemand unter dem Sofa; ein kleines Feuer auf dem Rost, Löffel und Teller bereit und das kleine Töpfchen Haferschleim (Scrooge hatte den Schnupfen) auf dem Feuer. Niemand unter dem Bett, niemand im Alkoven, niemand in seinem Schlafrock, der auf eine ganz verdächtige Weise an der Wand hing. Die Rumpelkammer wie gewöhnlich. Ein alter Kaminschirm, alte Schuhe, zwei Fischkörbe, ein dreibeiniger Waschtisch und ein Schüreisen.

Vollkommen zufriedengestellt, machte er die Tür zu, schloß sich ein und schob noch den Riegel vor, was sonst seine Gewohnheit nicht war, So gegen Überraschung sichergestellt, legte er seine Halsbinde ab, zog seinen Schlafrock an und die Pantoffeln, setzte die Nachtmütze auf und nahm dann vor dem Feuer Platz, um seinen Haferschleim zu essen.

Es war wirklich ein sehr kleines Feuer, in einer so kalten Nacht so gut wie gar keins. Er mußte sich dicht daran setzen und sich darüber hinbeugen, um das geringste Wärmegefühl von dieser Handvoll Kohlen zu erhaschen. Der Kamin war vor langen Jahren von einem holländischen Kaufmann gebaut worden und ringsum mit seltsamen holländischen Fliesen mit Bildern aus der biblischen Geschichte belegt. Da sah man Kain und Abel, Pharaos Töchter, die Königin von Saba, Engel durch die Luft auf Wolken gleich Federbetten herabschwebend, Abraham, Belsazar, Apostel in See gehend auf Butterschiffen, Hunderte von Figuren, seine Gedanken zu beschäftigen, und doch kam das Gesicht Marleys wie der Stab des alten Propheten und verschlang alles andere. Wenn jede glänzende Fliese weiß gewesen wäre und die Macht gehabt hätte, aus den vereinzelten Fragmenten seiner Gedanken ein Bild auf ihre Fläche zu zaubern, auf jeder wäre ein Abbild von des alten Marley Gesicht erschienen.

»Dummes Zeug!« brummte Scrooge und schritt durch das Zimmer.

Nachdem er einige Male auf und ab gegangen war, setzte er sich wieder. Als er den Kopf in den Stuhl zurücklegte, fiel sein Auge wie durch Zufall auf eine Klingel, eine alte, nicht mehr gebrauchte Klingel, die zu einem jetzt vergessenen Zwecke mit einem Zimmer im obersten Stockwerk des Hauses in Verbindung stand. Zu seinem großen Erstaunen und mit einem seltsamen, unerklärlichen Schauer sah er, wie die Klingel sich zu bewegen begann: erst bewegte sie sich so wenig, daß sie kaum einen Ton von sich gab, aber bald schellte sie laut und mit ihr jede andre Klingel des Hauses.

Das mochte eine halbe Minute gedauert haben, oder eine ganze, aber es kam ihm vor wie eine Stunde. Die Klingeln hörten gleichzeitig auf, wie sie gleichzeitig angefangen hatten. Dann vernahm man ein Rasseln tief unten, als ob jemand über die Fässer in des Weinhändlers Keller eine schwere Kette schleppe. Jetzt erinnerte sich Scrooge gehört zu haben, daß Gespenster Ketten schleppen.

Die Kellertür flog mit einem dumpfdröhnenden Knall auf, und dann hörte er das Klirren viel lauter auf dem Hausflur unten, dann wie es die Treppe herauf und dann wie es gerade auf seine Tür zukam.

»Es ist ja dummes Zeug«, sagte Scrooge. »Ich glaube nicht dran.«

Aber er wechselte doch die Farbe, als es nun ohne zu verweilen, durch die schwere Tür und in das Zimmer kam. Als es hereintrat, flammte das sterbende Feuer auf, als riefe es: »Ich kenne ihn, Marleys Geist!«, und die Glut sank wieder zusammen.

Dasselbe Gesicht, ganz dasselbe. Marley mit seinem Zopf, seiner gewöhnlichen Weste, den engen Hosen und hohen Stiefeln, deren Troddeln in die Höhe standen, wie sein Zopf, und ebenso seine Rockschöße und das Haar auf seinem Kopf. Die Kette, die er hinter sich herschleppte, war um seinen Leib geschlungen. Sie war lang, ringelte sich wie ein Schwanz und war (Scrooge betrachtete sie sehr genau) aus Geldkassen, Schlüsseln, Schlössern, Hauptbüchern, Kontrakten und schweren Börsen aus Stahl zusammengesetzt. Sein Leib war so durchsichtig, daß Scrooge durch die Weste hindurch die zwei Knöpfe hinten an seinem Rock sehen konnte.

Scrooge hatte oft sagen gehört, Marley habe kein Herz, aber erst jetzt glaubte er es.

Nein, er glaubte es selbst jetzt noch nicht. Obgleich er das Gespenst durch und durch und vor sich stehen sah, obgleich er den erkältenden Schauer seiner totenstarren Augen fühlte und selbst den Stoff des Tuches erkannte, das ihm um Kopf und Kinn gebunden war und das er früher nicht bemerkt hatte, war er dennoch ungläubig und sträubte sich gegen das Zeugnis seiner Sinne.

»Nun«, sagte Scrooge, scharf und kalt wie gewöhnlich, »was wollt Ihr?«

»Viel!« Das war Marleys Stimme.

»Wer seid Ihr?«

»Fragt mich, wer ich war.«

»Nun, wer wart Ihr?« fragte Scrooge lauter. »Für einen Schatten seid Ihr ja sonderbar.«

»Als ich lebte, war ich Euer Kompagnon, Jacob Marley.«

»Könnt Ihr Euch setzen?« fragte Scrooge und sah ihn zweifelnd an.

»Ich kann es.«

»So tut’s.«

Scrooge fragte nur, weil er nicht wußte, ob sich ein so durchsichtiger Geist setzen könne, und er fühlte die Notwendigkeit einer unangenehmen Erklärung, wenn es ihm nicht möglich wäre. Aber der Geist setzte sich auf der anderen Seite des Kamins nieder, als sei er so gewohnt.

»Ihr glaubt nicht an mich?« fragte der Geist.

»Nein«, sagte Scrooge.

»Welches Zeugnis, außer dem Eurer Sinne, wollt Ihr von meiner Wirklichkeit haben?«

»Ich weiß nicht«, sprach Scrooge.

»Warum glaubt Ihr Euren Sinnen nicht?«

»Weil sie die geringste Kleinigkeit stört«, entgegnete Scrooge. »Eine kleine Unpäßlichkeit des Magens macht sie zu Lügnern. Ihr könnt ein unverdautes Stück Rindfleisch, ein Käserindchen, ein Stückchen schlechter Kartoffeln sein. Wer Ihr auch sein möget, Ihr habt mehr vom Unterleib, als von der Unterwelt an Euch.«

Es war nicht eben Scrooges Gewohnheit, Witze zu machen, auch fühlte er eben jetzt keine besondere Lust dazu. Die Wahrheit ist, daß er sich bestrebte lustig zu sein, um sich zu erleichtern und sein Entsetzen niederzuhalten; denn die Stimme des Geistes ließ ihn bis ins Mark erzittern.

Diesen starren, toten Augen nur einen Augenblick schweigend gegenüberzusitzen, wäre teuflisch gewesen, das fühlte Scrooge wohl. Auch daß das Gespenst seine eigene höllische Atmosphäre hatte, war so grauenerregend. Scrooge fühlte sie nicht selbst, aber doch mußte es so sein; denn obgleich das Gespenst ganz regungslos dasaß, bewegten sich sein Haar, seine Rockschöße und seine Stiefeltroddeln wie von dem heißen Dunst eines Ofens.

»Ihr seht diesen Zahnstocher«, sprach Scrooge, seinen Angriff aus dem eben angeführten Grunde sogleich aufs neue beginnend und von dem Wunsch beseelt, den starren, eisigen Blick des Gespenstes, wenn auch nur für einen Augenblick, von sich abzulenken.

»Ja«, antwortete der Geist.

»Ihr schaut ihn ja nicht an«, sagte Scrooge.

»Aber ich sehe ihn trotzdem«, sprach das Gespenst.

»Gut denn«, antwortete Scrooge. »Ich brauche ihn nur hinunterzuschlucken und mein ganzes übriges Leben hindurch verfolgen mich eine Legion Kobolde, die ich selbst erschaffen habe. Dummes Zeug, sag ich, dummes Zeug!«

Bei diesen Worten stieß das Gespenst einen markerschütternden Schrei aus und ließ seine Kette so grauenerregend und fürchterlich klirren, daß sich Scrooge fest an seinen Stuhl halten mußte, um nicht ohnmächtig herunterzufallen. Aber wie wuchs sein Entsetzen, als das Gespenst das Tuch von dem Kopfe nahm, als wär es ihm zu warm im Zimmer, so daß der Unterkiefer auf die Brust herunterklappte.

Scrooge fiel auf die Knie nieder und schlug die Hände vors Gesicht.

»Gnade!« rief er. »Schreckliche Erscheinung, warum verfolgst du mich?«

»Mensch mit dem irdisch gesinnten Verstand«, entgegnete der Geist, »glaubst du an mich oder nicht?«

»Ich glaube«, sagte Scrooge, »ich muß glauben. Aber warum wandeln Geister auf Erden, und warum kommen sie zu mir?«

»Von jedem Menschen wird verlangt, daß seine Seele unter seinen Mitmenschen wandle, in die Ferne und in die Nähe«, antwortete der Geist; »und wenn die Seele dies während des Lebens nicht tut, so ist sie verdammt, es nach dem Tode zu tun. Man ist verdammt, durch die Welt zu wandern – ach, wehe mir! – und zu sehen, was man nicht teilen kann, was man aber auf Erden hätte teilen können und zu seinem Glück anwenden sollen.«

Und wieder stieß das Gespenst einen Schrei aus und schüttelte seine Ketten und rang die schattenhaften Hände.

»Du bist gefesselt«, sagte Scrooge zitternd. »Sage mir, warum?«

»Ich trage die Kette, die ich während meines Lebens geschmiedet habe«, sprach der Geist. »Ich schmiedete sie Glied für Glied und Elle für Elle; mit meinem eigenen freien Willen lud ich sie mir auf, und mit meinem eigenen freien Willen trug ich sie. Ihre Glieder kommen dir seltsam vor?«

Scrooge zitterte mehr und mehr.

»Oder willst du wissen«, fuhr der Geist fort, »wie schwer und wie lang die Kette ist, die du selber trägst? Sie war gerade so lang und so schwer wie diese hier, vor sieben Weihnachten. Seitdem hast du daran gearbeitet! Es ist eine schwere Kette.«

Scrooge sah auf den Boden hinab, in der Erwartung, sich von fünfzig oder sechzig Ellen Eisenkette umschlungen zu sehen; aber er sah nichts.

»Jacob«, sagte er flehend. »Jacob Marley, sage mir mehr. Sprich mir Trost zu, Jacob.«

»Ich habe keinen Trost zu geben«, antwortete der Geist. »Er kommt von andern Regionen, Ebenezer Scrooge, und wird von andern Boten zu andern Menschen gebracht. Auch kann ich dir nicht sagen, was ich dir sagen möchte. Ein klein wenig mehr ist alles, was mir erlaubt ist. Nirgends kann ich rasten oder ruhen. Mein Geist ging nie über unser Kontor hinaus – merke wohl auf – im Leben blieb mein Geist immer in den engen Grenzen unsrer schachernden Höhle; und weite Reisen liegen noch vor mir.«

Scrooge hatte die Gewohnheit, wenn er nachdenklich wurde, die Hand in die Hosentasche zu stecken.

Über das nachsinnend, was der Geist sagte, tat er es auch jetzt, aber ohne die Augen zu erheben oder vom Stuhl aufzustehen.

»Du mußt dir aber viel Zeit gelassen haben, Jacob«, bemerkte er im Ton eines Geschäftsmannes, obgleich mit viel Demut und Ehrerbietung.

»Viel Zeit!« wiederholte der Geist.

»Sieben Jahre tot«, sagte sinnend Scrooge. »Und die ganze Zeit über gereist.«

»Die ganze Zeit«, sagte der Geist. »Ohne Frieden, ohne Ruhe und mit den Qualen ewiger Reue.«

»Du reisest schnell«, sagte Scrooge.

»Auf den Schwingen des Windes«, sagte der Geist.

»Du hättest eine große Strecke in sieben Jahren bereisen können«, sagte Scrooge.

Als der Geist dies hörte, stieß er wieder einen Schrei aus und klirrte so gräßlich mit seiner Kette durch das Grabesschweigen der Nacht, daß ihn die Polizei mit vollem Recht wegen Ruhestörung hätte bestrafen können.

»Oh, gefangen und gefesselt«, rief das Gespenst, »nicht zu wissen, daß Zeitalter von unaufhörlicher Arbeit unsterblicher Geschöpfe vergehen, ehe sich das Gute, dessen die Erde fähig ist, entwickeln kann. Nicht zu wissen, daß jeder christliche Geist dieses Erdenleben zu kurz finden wird, um alles Nützliche zu tun, und wenn er auch in einem noch so kleinen Kreise wirkt. Aber ich wußte es nicht, ach, ich wußte es nicht!«

»Aber du warst immer ein guter Geschäftsmann, Jacob«, stotterte Scrooge zitternd, der jetzt anfing, das Schicksal des Geistes auf sich selbst zu beziehen.

»Geschäft!« rief das Gespenst, seine Hände abermals ringend. »Der Mensch wäre mein Geschäft gewesen! Das allgemeine Wohl wäre mein Geschäft gewesen! Barmherzigkeit, Versöhnlichkeit und Liebe, alles das wäre mein Geschäft gewesen! Alles, was ich in meinem Gewerbe tat, war nur ein kleiner Tropfen Wasser im weiten Ozean meines Geschäfts!«

Er hielt seine Kette vor sich hin, als ob sie die Ursache seines nutzlosen Schmerzes gewesen wäre, und warf sie abermals dumpfdröhnend nieder.

»Zu dieser Zeit des schwindenden Jahres«, sagte das Gespenst, »leide ich am meisten. Warum ging ich mit zur Erde gehefteten Augen durch die Schar meiner Mitmenschen und wendete meinen Blick nie zu dem gesegneten Stern empor, der die Weisen zur Wohnung der Armut führte? Gab es keine arme Hütte, wohin mich sein Licht hätte leiten können?«

Scrooge hörte mit Entsetzen das Gespenst so reden und fing an gewaltig zu zittern.

»Höre mich«, mahnte der Geist. »Meine Zeit ist halb vorbei.«

»Ich höre«, hauchte Scrooge. »Aber mach es gnädig mit mir! Werde nicht hitzig, Jacob, ich bitte dich.«

»Wie es kommt, daß ich in einer dir sichtbaren Gestalt vor dich treten kann, das weiß ich nicht. Viele, viele Tage habe ich unsichtbar neben dir gesessen.«

Das war kein angenehmer Gedanke. Scrooge schauderte und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Es ist kein leichter Teil meiner Sühne«, fuhr der Geist fort. »Heute nacht komme ich zu dir, um dich zu warnen, da du noch die Möglichkeit hast, meinem Schicksal zu entgehen. Eine Möglichkeit und eine Hoffnung, die du mir zu verdanken hast.«

»Du bist immer mein guter Freund gewesen«, murmelte Scrooge. »Ich danke dir.«

»Drei Geister«, fuhr das Gespenst fort, »werden zu dir kommen.« Bei diesen Worten wurde Scrooges Angesicht fast so unglücklich wie das des Gespenstes.

»Ist das die Möglichkeit und die Hoffnung, die du genannt hast, Jacob?« fragte er mit bebender Stimme.

»Ja.«

»Ich – ich möchte lieber nicht«, sagte Scrooge.

»Ohne ihr Kommen«, sagte der Geist, »kannst du nicht hoffen, den Pfad zu vermeiden, dem ich nun folgen muß. Erwarte den ersten morgen früh, wenn die Glocke eins schlägt.«

»Könnte ich sie nicht alle miteinander hinter mich bringen?« meinte Scrooge.

»Erwarte den zweiten in der nächsten Nacht um dieselbe Stunde. Den dritten in der darauffolgenden Nacht, wenn der letzte Schlag der zwölften Stunde verklungen ist. Schau mich an, denn du siehst mich nicht wieder; und schau mich an, damit du dich um deinetwillen an das erinnerst, was zwischen uns vorgefallen ist.«

Als es diese Worte gesprochen hatte, nahm das Gespenst das Tuch vom Tisch und band es sich wieder um den Kopf. Scrooge merkte es am Geräusch der Zähne, als die Kinnladen zusammenklappten. Er wagte, die Augen zu erheben, und sah seinen übernatürlichen Besuch vor sich stehen, die Augen noch starr auf ihn geheftet und die Kette um Leib und Arme gewunden.

Die Erscheinung entfernte sich rückwärtsgehend, und bei jedem Schritt öffnete sich das Fenster ein wenig, so daß es weit offen stand, als das Gespenst es erreicht hatte. Es winkte Scrooge, näher zu kommen, und er tat es. Als sie noch zwei Schritte voneinander entfernt waren, hob Marleys Geist die Hand und gebot ihm, nicht näher zu kommen. Scrooge stand still. Mehr aus Überraschung und Furcht, als aus Gehorsam, denn wie sich die gespenstige Hand erhob, hörte er verwirrte Klänge durch die Luft schwirren und unzusammenhängende Töne der Klage und des Leides, unsäglich schmerzlich und reuevoll. Das Gespenst hörte eine Weile zu und stimmte dann in das Klagelied ein; dann schwebte es in die dunkle, kalte Nacht hinaus.

Scrooge trat an das Fenster, von Neugier fast zur Verzweiflung getrieben. Er sah hinaus.

Die Luft war mit Schatten angefüllt, die in ruheloser Hast klagend hin und her schwebten. Jeder trug eine Kette wie Marleys Geist; einige wenige waren zusammengeschmiedet (wahrscheinlich schlechte Minister), keiner war ganz fessellos. Viele waren Scrooge während ihres Lebens bekannt gewesen. Ganz genau hatte er einen alten Geist in einer weißen Weste gekannt, der einen ungeheuren eisernen Geldkasten hinter sich herschleppte und jämmerlich schrie, einer armen, alten Frau mit einem Kind nicht beistehen zu können, die unten auf einer Türschwelle saß. Man sah es deutlich, ihre Pein war, sich umsonst bestreben zu müssen, den Menschen Gutes zu tun und die Macht dazu auf immer verloren zu haben.

Ob diese Wesen in dem Nebel zergingen oder ob sie der Nebel einhüllte, wußte er nicht zu sagen. Aber sie und ihre Gespensterstimmen vergingen gleichzeitig, und die Nacht wurde wieder so, wie sie auf seinem Nachhauseweg gewesen war.

Scrooge schloß das Fenster und untersuchte die Tür, durch die das Gespenst eingetreten war. Sie war noch verschlossen und verriegelt wie vorher. Er versuchte zu sagen: »Dummes Zeug«, blieb aber bei der ersten Silbe stecken, und da er von der innern Bewegung, oder von den Anstrengungen des Tages, oder von seinem Einblick in die unsichtbare Welt, oder von der Unterhaltung mit dem Gespenst, oder der späten Stunde sehr erschöpft war, ging er sogleich ins Bett, ohne sich auszuziehen, und sank sofort in Schlaf.

Der erste Geist


Der erste Geist

Als Scrooge wieder erwachte, war es so finster, daß er das Fenster kaum von den Wänden seines Zimmers unterscheiden konnte. Er bemühte sich, die Finsternis mit seinen Katzenaugen zu durchdringen, als die Glocke eines Turmes in der Nachbarschaft mit vier Viertelschlägen die volle Stunde ankündigte. Er lauschte, um die Stundenschläge zu hören.

Zu seinem großen Erstaunen schlug die Glocke fort, von sechs zu sieben, von sieben zu acht und so weiter bis zwölf; dann schwieg sie.

Zwölf! Es war zwei vorübergewesen, als er sich zu Bett gelegt hatte. Das Uhrwerk mußte falsch gehen.

Ein Eiszapfen mußte zwischen die Räder gekommen sein. Zwölf!

Er drückte an die Feder seiner Repetieruhr, um die verrückte Glocke zu kontrollieren. Ihr kleiner lebhafter Puls schlug zwölf und schwieg.

»Was! Das ist doch nicht möglich«, sagte Scrooge. »Ich soll den ganzen Tag und bis tief in die andere Nacht hinein geschlafen haben? Es kann doch nicht sein, daß der Sonne etwas passiert und es mittags um zwölf ist?«

Mit diesen unruhigen Gedanken beschäftigt, stieg er aus dem Bett und tappte nach dem Fenster. Er mußte das Eis erst wegkratzen und das Fenster mit dem Ärmel seines Schlafrockes abwischen, ehe er etwas sehen konnte; und auch nachher konnte er nur sehr wenig sehen. Alles, was er bemerkte, war, daß es noch sehr neblig und sehr kalt war, und daß man nicht den Lärm hin und her eilender Leute hörte, was doch gewiß vernehmbar gewesen wäre, wenn Nacht plötzlich den hellen Tag vertrieben und von der Welt Besitz genommen hätte. Das war ein großer Trost, weil Bedingungen wie »Drei Tage nach Sicht bezahlen Sie diesen Primawechsel an Mr. Ebenezer Scrooge oder dessen Order« und so weiter bloße Vereinigte-Staaten-Sicherheiten wären, wenn es keine Tage mehr gab, um danach zu zählen.

Scrooge legte sich wieder ins Bett und dachte darüber nach, konnte aber zu keinem Schluß kommen. Je mehr er nachdachte, desto verwirrter wurde er, und je mehr er sich bemühte nicht nachzudenken, desto mehr dachte er nach. Marleys Geist machte ihm viel zu schaffen. Immer, wenn er nach reiflicher Überlegung zu dem festen Entschluß gekommen war, das Ganze nur für einen Traum zu halten, flog sein Geist wie eine starke vom Druck befreite Feder wieder in die alte Lage zurück und legte ihm erneut dieselbe Frage vor, die er schon zehnmal überlegt hatte: »War es ein Traum oder nicht?«

Scrooge blieb in diesem Zustand liegen, bis es wieder drei Viertel schlug. Da besann er sich plötzlich, daß der Geist ihm eine Erscheinung mit dem Schlag eins versprochen hatte. So beschloß er wach zu bleiben, bis die Stunde vorüber sei, und wenn man bedenkt, daß er ebensowenig schlafen, als in den Himmel kommen konnte, war dies gewiß der klügste Entschluß, den er fassen konnte.

Die Viertelstunde war so lang, daß es ihm mehr als einmal vorkam, er müsse unversehens in Schlaf gefallen sein und die Uhr überhört haben. Endlich vernahm sein lauschendes Ohr die Glocke.

»Bim, bam!«

»Ein Viertel«, sagte Scrooge zählend.

»Bim, bam!«

»Halb«, sagte Scrooge.

»Bim, bam!«

»Drei Viertel«, sagte Scrooge.

»Bim, bam!« »Voll!« rief Scrooge freudig. »Und weiter nichts!«

Er sprach das, ehe die Stundenglocke schlug, was sie jetzt mit einem tiefen, hohlen, melancholischen Klang tat. In demselben Augenblick wurde es hell im Zimmer, und die Vorhänge seines Bettes wurden geöffnet.

Ich sage euch, die Vorhänge seines Bettes wurden von einer Hand weggezogen, und sich aufrichtend blickte Scrooge dem unirdischen Gast, der sie geöffnet hatte, in das Gesicht. So dicht stand er ihm gegenüber, wie ich jetzt im Geist neben euch stehe.

Es war eine sonderbare Gestalt, gleich einem Kind, aber doch eigentlich nicht gleich einem Kind, sondern mehr wie ein Greis, der durch einen wunderbaren Zauber erschien, als sei er dem Auge entrückt und auf diese Weise so klein geworden wie ein Kind. Sein Haar, das in langen Locken auf seine Schultern herabwallte, war weiß, wie vom Alter, und dennoch hatte das Gesicht keine einzige Runzel, und um das Kinn bemerkte man den zartesten Flaum. Die Arme waren lang und muskulös, die Hände ebenso, als läge in ihnen eine ungeheure Kraft. Seine Füße, zart und fein geformt, waren entblößt, gleich den Armen. Der Geist trug einen Talar vom reinsten Weiß; um seinen Leib schlang sich ein Gürtel von wunderbarem Glanz. Er hielt einen frisch-grünen Stechpalmenzweig in der Hand; aber in seltsamem Widerspruch mit diesem Zeichen des Winters war das Kleid mit Sommerblumen verziert. Das Wunderbarste aber war, daß von seinem Scheitel ein heller Lichtstrahl in die Höhe schoß, der alles ringsum erleuchtete, und der gewiß die Ursache war, daß der Geist bei weniger guter Laune einen großen Löschhut, den er jetzt unter dein Arm trug, als Mütze aufsetzte.

Aber selbst dies war nicht seine seltsamste Eigenschaft. Denn wie der Gürtel des Geistes bald an dieser Stelle glänzte und funkelte und bald an jener, und wie das, was im Augenblick hell gewesen war, plötzlich dunkel wurde, so verwandelte sich auch die Gestalt selbst, man wußte nicht wie: bald war es ein Ding mit einem Arm, bald mit einem Bein, bald mit zwanzig Beinen, bald sah man nur zwei Füße ohne Kopf, bald einen Kopf ohne Leib; und wie einer dieser Teile verschwand, blieb keine Spur von ihm in dem dichten Dunkel zurück, das ihn verschlang. Und das größte Wunder dabei war: die Gestalt blieb immer dieselbe.

»Sind Sie der Geist, dessen Erscheinung mir vorhergesagt wurde?« fragte Scrooge.

»Ich bin es.«

Die Stimme war sanft und wohlklingend und so leise, als käme sie nicht aus dichtester Nähe, sondern aus einiger Entfernung.

»Wer und was sind Sie?« fragte Scrooge, schon etwas mehr Mut fassend.

»Ich bin der Geist der vergangenen Weihnacht.«

»Einer lange vergangenen?« fragte Scrooge, seiner zwerghaften Gestalt gedenkend.

»Nein, einer deiner vergangenen.«

Vielleicht hätte Scrooge, wenn ihn jemand befragt hätte, nicht sagen können, warum, aber doch fühlte er ein ganz besonderes Verlangen, den Geist unter seinem Hut zu sehen; und er bat ihn, sich zu bedecken.

»Was?« rief der Geist. »Willst du so bald mit irdisch gesinnter Hand das Licht, das ich spende, verlöschen? Ist es nicht genug, daß du einer von denen bist, deren Leidenschaften diese Mütze geschaffen haben und mich zwingen, durch lange, lange Jahre meine Stirn damit zu verhüllen?«

Scrooge entschuldigte sich ehrfurchtsvoll, er habe nicht die Absicht gehabt, ihn zu beleidigen, und behauptete, nicht zu wissen, daß er irgend einmal in seinem Leben dem Geist Ursache gegeben habe, sich zu bedecken. Dann war er so frei, zu fragen, was ihn hierher führe?

»Dein Wohl«, sagte der Geist.

Scrooge drückte ihm seine Dankbarkeit aus, konnte sich aber doch nicht des Gedankens erwehren, daß ihm eine Nacht ungestörten Schlafes mehr genützt hätte. Der Geist mußte ihn haben denken hören, denn er sagte sogleich:

»Deine Besserung. Nimm dich in acht!«

Er streckte seine starke Hand aus, als er dies sprach, und ergriff sanft seinen Arm.

»Steh auf und folge mir.«

Vergebens würde Scrooge eingewendet haben, Wetter und Stunde seien schlecht geeignet zum Spazierengehen, das Bett sei warm und das Thermometer ein gutes Stück unter dem Gefrierpunkt, er sei nur leicht in Pantoffeln, Schlafrock und Nachtmütze gekleidet und habe gerade jetzt den Schnupfen. Dem Griff, war er auch sanft wie der einer Frauenhand, war nicht zu widerstehen. Er stand auf; aber als er sah, daß der Geist nach dem Fenster schwebte, faßte er ihn flehend bei dem Gewand.

»Ich bin ein Sterblicher«, sagte Scrooge, »und könnte fallen.«

»Laß meine Hand dich hier berühren«, sagte der Geist, indem er die Hand auf das Herz legte, »und du wirst größere Gefahren überwinden, als diese hier.«

Als er diese Worte gesprochen hatte, drangen die beiden durch die Wand und standen plötzlich im Freien auf der Landstraße, rings von Feldern umgeben. Die Stadt war ganz verschwunden. Keine Spur war mehr davon. Die Dunkelheit und der Nebel waren mit ihr verschwunden, denn es war jetzt ein klarer, kalter Wintertag und der Boden mit weißem reinem Schnee bedeckt.

»Gütiger Himmel!« rief Scrooge, die Hände faltend, als er um sich blickte. »Hier wurde ich geboren. Hier lebte ich als Knabe.«

Der Geist schaute ihn mit milden Blicken an. Seine sanfte Berührung, obgleich sie nur leise und flüchtig gewesen war, bebte immer noch nach in dem Herzen des alten Mannes. Er fühlte, wie tausend Düfte die Luft durchwehten, jeder mit tausend Gedanken und Hoffnungen und Freuden und Sorgen verbunden, die lange, lange vergessen waren.

»Deine Lippen zittern«, sagte der Geist. »Und was glänzt auf deiner Wange?«

Scrooge murmelte mit einem ungewöhnlichen Mollton in der Stimme, es sei ein Wärzchen, und bat den Geist, ihn zu führen, wohin er wolle.

»Erinnerst du dich des Weges?« fragte der Geist.

»Ob ich mich seiner erinnere?« rief Scrooge mit Innigkeit. »Blindlings könnte ich ihn gehen!«

»Seltsam, daß du ihn so viele Jahre hindurch vergessen hast«, sagte der Geist. »Komm!«

Sie schritten den Weg entlang. Scrooge erkannte jedes Tor, jeden Pfahl, jeden Baum wieder, bis ein kleiner Marktflecken in der Ferne mit seiner Kirche, seiner Brücke und dem hellen Fluß erschien. Jetzt kamen einige Knaben, auf zottigen Ponies reitend, auf sie zu, die anderen Knaben in ländlichen Wagen laut zuriefen. Alle waren gar fröhlich und laut, bis die weiten Felder so voll heiterer Musik waren, daß die kalte, sonnige Luft lachte, sie zu hören.

»Dies sind nur Schatten der Dinge, die da gewesen sind,« meinte der Geist, »sie wissen nichts von uns.«

Die fröhlichen Reisenden kamen näher, und Scrooge erkannte sie jetzt alle und konnte sie alle beim Namen nennen. Warum freute er sich über alle Maßen, sie zu sehen, warum wurde sein kaltes Auge feucht, warum frohlockte sein Herz, als sie vorübereilten, warum wurde sein Herz weich, wie sie an den Kreuzwegen voneinander schieden und einander fröhliche Weihnachten wünschten?

Was gingen denn Scrooge fröhliche Weihnachten an? Der Henker hole die fröhlichen Weihnachten! Welchen Nutzen hatte er wohl jemals davon gehabt?

»Die Schule ist nicht ganz verlassen«, nahm der Geist wieder das Wort. »Ein Kind, eine verlassene Waise, sitzt noch einsam dort.«

Scrooge sagte, er wisse es. Und er schluchzte.

Sie verließen nunmehr die Heerstraße auf einem wohlbekannten Feldweg und erreichten bald ein Haus aus dunkelroten Backsteinen mit einem kleinen Türmchen auf dem Dach und einer Glocke drin. Es war ein großes Haus, aber jetzt vernachlässigt und ziemlich verwahrlost, weil die geräumigen Gemächer wenig gebraucht waren, die Wände feucht und grün, die Fenster zerbrochen, die Türen morsch und halb zerfallen. Hühner gluckten und scharrten in den Ställen, und der Wagenschuppen war mit Gras überwachsen. Auch im Innern war nichts übriggeblieben von seiner alten Pracht, denn als sie in den verödeten Hausflur eintraten und durch die offenen Türen in die vielen Zimmer blickten, sahen sie nur ärmlich ausgestattete, kalte, große Räume. Ein erdiger, multriger Geruch lag in der Luft, eine frostige Unbehaglichkeit von allzu häufigem Aufstehen bei Kerzenlicht und nicht allzu reichlichem Essen.

Der Geist ging mit Scrooge über den Hausflur nach einer Tür auf der Rückseite des Hauses. Sie öffnete sich vor ihnen und zeigte ihnen einen langen, kahlen, unbehaglichen Saal, den Reihen von einfachen hölzernen Bänken noch kahler und unbehaglicher machten.

Auf einer davon saß einsam ein Knabe neben einem schwachen Feuer und las; und Scrooge setzte sich auf eine Bank nieder und weinte, als er sein eigenes, vergessenes Selbst sah, wie es in früheren Jahren war.

Kein dumpfer Widerhall in dem Haus, kein Rascheln der Mäuse hinter dem Getäfel, kein Getröpfel des halbgefrorenen Brunnentrogs hinten im Hof, kein Seufzer in den blattlosen Zweigen einer verlassen trauernden Pappel, nicht das Knarren der vom Wind hin und her bewegten Tür des Vorratshauses im Hof, selbst nicht das Knistern des Feuers war für Scrooge verloren. Alles fiel auf sein Herz wie erweichende Töne und löste seine Tränen.

Der Geist berührte seinen Arm und wies auf sein jüngeres, in ein Buch vertieftes Abbild. Plötzlich stand draußen vor dem Fenster ein Mann in fremdartiger Tracht, mit einer Axt im Gürtel und einen mit Holz beladenen Esel am Zaume führend.

»Was! Das ist ja Ali Baba!« rief Scrooge voller Freude aus. »Es ist der alte, liebe, ehrliche Ali Baba. Ja, ja, ich weiß es noch. Einst zur Weihnachtszeit geschah es, daß dieser verlassene Knabe ganz allein hier saß, und er zum ersten Male wirklich kam, gerade wie er dort steht. Der arme Junge! Und Valentin«, fuhr Scrooge fort, »und auch sein wilder Bruder Orson, dort gehen sie! Und wie heißt doch der, der mitten im Schlaf vor das Tor von Damaskus gesetzt wurde? Siehst du ihn nicht? Und der Stallmeister des Sultans, der von den bösen Geistern auf den Kopf gestellt wurde, dort ist er ja auch! Ha, ha, es geschieht ihm schon recht! Wer hieß es ihn auch, die Prinzessin heiraten wollen!«

Scrooge mit vollem Ernst über solche Gegenstände reden zu hören und mit einer zwischen Lachen und Weinen schwankenden Stimme, dann auch sein vor Freude aufgeregtes Gesicht zu sehen: das wäre für seine Geschäftsfreunde in der City gewiß eine große Überraschung gewesen.

»Da ist ja auch der Papagei«, rief Scrooge, »der mit grünem Leib und gelbem Schwanz, da ist er! Der arme Robinson, er rief ihn, als er von seiner Inselumsegelung wieder nach Hause kam ›Robinson Crusoe, wo bist du gewesen?‹ Er glaubte, er träume, aber das war der Papagei. Ha, dort läuft Freitag in der kleinen Bucht. Es gilt das Leben. Hallo, hob, hallo!«

Dann sagte er mit einem schnellen Wechsel der Gefühle, der seinem gewöhnlichen Charakter sehr fremd war: »Der arme Knabe!«, und er weinte wieder. Dann wischte er sich mit dem Ärmelaufschlag die Augen, steckte die Hand in die Tasche und murmelte: »Ich wünschte – aber es ist jetzt zu spät.«

»Was willst du?« fragte der Geist.

»Nichts«, sagte Scrooge, »nichts. Gestern abend sang ein Knabe ein Weihnachtslied vor meiner Tür. Ich wünschte, ich hätte ihm etwas gegeben, weiter war es nichts.«

Der Geist lächelte gedankenvoll und winkte mit der Hand. Dann sagte er: »Laß uns ein anderes Weihnachtsfest sehen.«

Scrooges früheres Selbst wurde bei diesen Worten größer, und das Zimmer etwas finsterer und schwärzer, das Getäfel warf sich, die Fensterscheiben sprangen, Stücke des Kalkbewurfs fielen von der Decke und das bloße Lattenwerk zeigte sich: aber wie das alles geschah, wußte Scrooge ebensowenig wie ihr. Er wußte nur, daß alles stimmte und sich ganz so zugetragen habe, und daß er’s nun wieder sei, der dort allein sitze, während die andern Knaben nach Hause gereist waren zur fröhlichen Weihnachtsfeier.

Er las nicht, sondern ging wie in Verzweiflung im Zimmer auf und ab. Scrooge blickte den Geist an und schaute mit einem traurigen Kopfschütteln und in banger Erwartung nach der Tür.

Da ging sie auf und ein kleines Mädchen, viel jünger als der Knabe, sprang herein, schlang die Arme um seinen Hals, küßte ihn und begrüßte ihn als ihren »lieben, lieben Bruder«.

»Ich komme, um dich mit nach Hause zu nehmen, lieber Bruder!« sagte das Kind, fröhlich mit den Händen klatschend. »Dich mit nach Hause zu nehmen, nach Hause, nach Hause!«

»Nach Hause, liebe Fanny?« fragte der Knabe.

»Ja!« antwortete die Kleine in überströmender Freude. »Nach Hause und für immer! Der Vater ist so viel freundlicher als sonst, daß es bei uns wie im Himmel ist. Eines Abends, als ich zu Bett ging, sprach er so freundlich mit mir, daß ich mir ein Herz faßte und ihn fragte, ob du nicht nach Hause kommen dürftest –, und er sagte ja, und schickte mich im Wagen her, um dich zu holen. Und du sollst jetzt dein freier Herr sein«, sagte das Kind und blickte ihn bewundernd an, »und nicht mehr hierher zurückkehren; aber erst sollen wir alle zusammen das Weihnachtsfest feiern und recht lustig sein.«

»Du bist ja eine ordentliche Dame geworden, Fanny!« rief der Knabe aus.

Sie klatschte in die Hände und lachte und versuchte, bis an seinen Kopf zu reichen; aber sie war zu klein, und lachte wieder und stellte sich auf die Zehen, um ihn zu umarmen. Dann zog sie ihn in kindlicher Ungeduld zur Tür, und er begleitete sie mit leichtem Herzen.

Eine schreckliche Stimme im Hausflur rief: »Bringt Master Scrooges Koffer herunter!« Es war der Lehrer selbst, der Master Scrooge mit brutal hochnäsiger Herablassung anstierte, und ihn in großen Schrecken setzte, als er ihm die Hand drückte. Dann führte er ihn und seine Schwester in ein feuchtes, fröstelnerregendes Empfangszimmer, an dessen Wänden Landkarten und in dessen Fenster die Erd- und Himmelsgloben vor Kälte glänzten. Hier brachte er eine Flasche merkwürdig leichten Wein und ein Stück merkwürdig schweren Kuchen herbei und regalierte die Kinder schonend sparsam mit diesen auserlesenen Leckerbissen. Auch schickte er eine hungrig aussehende Magd hinaus, um dem Postillion ein Gläschen anzubieten, wofür dieser aber mit den Worten dankte, wenn es von demselben Faß wie das vorige sei, möchte er lieber nicht kosten. Während dieser Zeit war Master Scrooges Koffer auf den Wagen gebunden worden, und die Kinder nahmen ohne Rührung von dem Schulmeister Abschied, setzten sich in den Wagen und fuhren so schnell zum Garten hinaus, daß der Reif und der Schnee wie Schaum von den immergrünen Gebüschen hinwegstob.

»Sie war immer ein zartes Wesen, das von einem Hauch hätte verwelken können«, sagte der Geist. »Aber sie hatte ein großes Herz.«

»Ja, das hatte sie«, rief Scrooge. »Ich will nicht widersprechen, Geist. Gott verhüte es.«

»Sie starb als Frau«, sagte der Geist, »und hatte Kinder, glaube ich.«

»Ein Kind«, antwortete Scrooge.

»Ja«, sagte der Geist. »Dein Neffe.«

Scrooge schien unruhig zu werden und antwortete kurz: »ja.«

Obgleich sie die Schule kaum einen Augenblick hinter sich gelassen hatten, befanden sie sich doch plötzlich mitten in den lebendigsten Straßen der Stadt, wo schattenhafte Fußgänger vorübergingen, wo gespenstige Wagen und Kutschen um Platz stritten und wo das ganze wirre Leben einer wirklichen Stadt herrschte. Am Aufputz der Läden sah man, daß auch hier Weihnachten war; aber es war Abend und die Straßenlaternen brannten.

Der Geist blieb vor dem Eingang eines Lagerhauses stehen und fragte Scrooge, ob er dies kenne.

»Ob ich es kenne?« sagte Scrooge. »Hab ich hier nicht gelernt?«

Sie traten ein. Beim Anblick eines alten Herrn in einer Stutzperücke, der hinter einem so hohen Pult saß, daß er mit dem Kopf hätte an die Decke stoßen müssen, wäre er zwei Zoll größer gewesen, rief Scrooge in großer Aufregung: »Ha, das ist ja der alte Fezziwig, Gott segne ihn, es ist Fezziwig, wie er leibt und lebt!«

Der alte Fezziwig legte seine Feder hin und sah hinauf nach der Uhr, deren Zeiger auf sieben stand. Er rieb die Hände, zog seine geräumige Weste herunter, schüttelte sich vor heimlichem Lachen von Kopf bis Fuß und rief mit einer behäbigen, voll und doch mild tönenden heiteren Stimme: »Hallo, dort! Ebenezer! Dick!«

Scrooges früheres Selbst, jetzt zu einem Jüngling geworden, trat flink herein, begleitet von seinem Mitlehrling.

»Dick Wilkins, wahrhaftig!« sagte Scrooge zu dem Geist. »Wahrhaftig, er ist es. Er war mir sehr zugetan, der Dick. Der arme Dick! Du meine Güte!«

»Hallo, meine Burschen«, rief Fezziwig. »Feierabend heute. Weihnachten, Dick! Weihnachten Ebenezer! Macht die Läden zu, schnell! Ehe einer Jack Robinson sagen kann.« So rief der alte Fezziwig, munter die Hände zusammenschlagend.

Kaum zu glauben, wie rasch und munter die beiden Jungen darangingen. Sie liefen mit den Läden hinaus – eins, zwei, drei – hatten sie eingesetzt – vier, fünf, sechs – sie zugeriegelt und zugeschraubt – sieben, acht, neun – und kamen zurück, ehe man zwölf sagen konnte, außer Atem, wie Rennpferde.

»Hussahoh!« rief der alte Fezziwig, mit wunderbarer Geschicklichkeit von seinem hohen Sessel herunterspringend. »Aufräumen, Jungens, und macht viel Platz! Hussahoh, Dick! Hallo, Ebenezer!«

Aufräumen! Es gab nichts, was sie nicht wegräumen wollten oder wegräumen konnten, wenn der alte Fezziwig zusah. Es war in einer Minute geschehen. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde in die Winkel geschoben, als sei es für immer aus dem öffentlichen Dienste entlassen; der Flur wurde gekehrt und gesprengt, die Lampen geputzt, Kohlen auf das Feuer geschüttet, und der Laden war so behaglich, so warm und hell wie ein Ballsaal und wie man es nur an einem Winterabend verlangen konnte.

Jetzt trat ein Fiedler mit einem Notenbuch herein, er kletterte auf Fezziwigs hohen Stuhl, machte ihn zum Orchester und begann zu stimmen, als hätte er fünfzigfaches Bauchweh. Dann kam Mrs. Fezziwig, ein einziges behagliches Lächeln. Dann kamen die drei Miss Fezziwig, freudestrahlend und liebenswürdig. Dann kamen die sechs Jünglinge, deren Herzen sie brachen. Dann kamen die Burschen und Mädchen, die im Haus einen Dienst hatten: das Hausmädchen mit ihrem Vetter, dem Bäcker, die Köchin mit ihres Bruders vertrautem Freund, dem Milchmann. Dann kam der Bursche von gegenüber, von dem man sagte, er habe bei seinem Herrn knappe Kost; er versuchte, sich hinter dem Mädchen aus dem Nachbarhaus zu verstecken, der man nachwies, sie sei von ihrer Herrschaft an den Ohren gezogen worden. Sie kamen alle, einer nach dem andern; einige schüchtern, andere keck, einige mit Geschick, andere mit Ungeschick, die zerrend und jene stoßend. Dann ging es los, zwanzig Paare auf einmal, eine halbe Runde hin und zurück, dann die Mitte des Zimmers hinauf und wieder herab, dann in zärtlichen Gruppen sich drehend: das alte erste Paar immer an der falschen Stelle, das nächste erste Paar immer zur falschen Zeit, bis alle Paare erste waren und kein einziges mehr das letzte. Als sie so weit gekommen waren, klatschte der alte Fezziwig zum Zeichen, daß der Tanz aus sei, in die Hände und rief »Bravo!«, und der Fiedler senkte sein glühendes Gesicht in einen Krug Porter, der besonders zu diesem Zweck neben ihm stand. Aber kaum war er wieder heraus, als er, obgleich noch keine Tänzer dastanden, wieder aufzuspielen begann, als sei der alte Fiedler erschöpft nach Hause getragen worden und er ein ganz frischer, entschlossen, den alten vergessen zu machen oder zu sterben.

Dann folgten noch mehrere Tänze und Pfänderspiele und wieder Tänze. Dann kam Kuchen und Negus und ein großes Stück kalter Braten, und dann ein großes Stück kaltes Siedfleisch und Fleischpasteten und viel Bier. Aber der Glanzpunkt des Abends kam nach dem Siedfleisch, als der Fiedler (ein heller Kopf, er kannte sein Geschäft besser, als ihr oder ich es hätte lehren können) den Großvatertanz »Sir Roger de Coverley« zu spielen begann. Da trat der alte Fezziwig mit Mrs. Fezziwig an, und zwar als das erste Paar. Sie hatten ein gutes Stück Arbeit vor sich, drei- oder vierundzwanzig Partner, Leute, mit denen nicht zu spaßen war, Leute, die tanzen wollten und keine Lust hatten, zu spazieren.

Aber selbst wenn es zweimal, ja viermal soviel gewesen wären, hätte es der alte Fezziwig mit ihnen aufgenommen und auch Mrs. Fezziwig. Sie war im vollen Sinn des Wortes würdig, seine Tänzerin zu sein. Wenn das kein großes Lob ist, so sagt mir ein größeres und ich will es aussprechen. Von Fezziwigs Waden schien ein eigener Glanz auszugehen. Sie leuchteten in jedem Teil des Tanzes wie ein Paar Monde. Ihr hättet zu keiner Minute voraussagen können, was aus ihnen in der nächsten wird. Und als der alte Fezziwig und Mrs. Fezziwig alle Touren des Tanzes durchgemacht hatten, sprang Fezziwig so geschickt, als zwinkere er mit den Beinen, und kam, ohne zu wanken, wieder auf die Füße.

Mit dem Glockenschlag elf war dieser häusliche Ball zu Ende. Mr. und Mrs. Fezziwig stellten sich zu beiden Seiten der Tür auf, schüttelten jedem einzelnen der Gäste die Hand zum Abschied und wünschten ihm oder ihr fröhliche Weihnachten.

Als alles, außer den zwei Lehrlingen, fort war, wünschten sie diesen das gleiche. So waren die heiteren Stimmen verklungen, und die Burschen gingen in ihr Bett, das sich unter einem Ladentisch hinten im Lagerraum befand.

Während dieser ganzen Zeit hatte sich Scrooge wie ein Verrückter benommen. Sein Herz und seine Seele waren bei dem Ball und seinem früheren Selbst. Er bestätigte alles, erinnerte sich an alles, freute sich über alles und befand sich in der seltsamsten Aufregung. Nicht eher als bis die fröhlichen Gesichter seines früheren Selbst und das Antlitz Dicks verschwunden waren, dachte er daran, daß der Geist neben ihm stand und ihn anschaute, während das Licht auf seinem Haupt in voller Klarheit brannte.

»Eine Kleinigkeit war’s doch«, meinte der Geist, »diesen närrischen Leuten solche Dankbarkeit einzuflößen.«

»Eine Kleinigkeit!« gab Scrooge zurück.

Der Geist bedeutete ihm, den beiden Lehrlingen zuzuhören, die sich gegenseitig mit Lobpreisungen Fezziwigs überboten; und als Scrooge das getan hatte, sprach der Geist: »Nun, ist es nicht so? Er hat nur ein paar Pfund irdischen Mammons hingegeben; vielleicht drei oder vier. Ist das so der Rede wert, daß er solches Lob verdient?«

»Das ist’s nicht«, sagte Scrooge, von dieser Bemerkung gereizt und wie sein früheres, nicht wie sein jetziges Selbst sprechend. »Das ist’s nicht, Geist. Er hat die Macht, uns glücklich oder unglücklich, unsern Dienst zu einer Lust oder zu einer Bürde, zu einer Freude oder zu einer Qual zu machen. Du magst sagen, seine Macht liege in Worten und Blicken, in so unbedeutenden und kleinen Dingen, daß es unmöglich ist, sie herzuzählen: was schadet das? Das Glück, das er bereitet, ist so groß, als wenn es sein ganzes Vermögen kostete.«

Er fühlte des Geistes Blick und schwieg.

»Was gibt’s?« fragte der Geist.

»Nichts, nichts«, sagte Scrooge.

»Aber doch etwas, wie?« drängte der Geist.

»Nein«, sagte Scrooge, »nein. Ich möchte nur eben jetzt ein paar Worte mit meinem Kommis sprechen. Das ist alles.«

Sein früheres Selbst löschte gerade die Lampen aus, als er diesen Wunsch aussprach, und Scrooge und der Geist standen wieder im Freien.

»Meine Zeit geht zu Ende«, sagte der Geist. »Schnell!«

Dieses letzte Wort war nicht zu Scrooge oder zu jemand, den er sehen konnte, gesprochen, aber es wirkte sofort. Denn wieder sah Scrooge sich selbst. Er war jetzt älter geworden –. ein Mann in der Blüte seiner Jahre. Sein Gesicht hatte noch nicht die schroffen, rauhen Züge seiner späteren Jahre, aber schon begann es Anzeichen der Sorge und des Geizes anzunehmen. In seinem Auge brannte ein ruheloses, habsüchtiges Feuer, das Zeugnis gab von der Leidenschaft, die dort Wurzeln geschlagen hatte, und zeigte, wohin der Schatten des wachsenden Baumes fallen würde.

Er war nicht allein, sondern saß neben einem schönen jungen Mädchen in Trauerkleidern. In ihren Augen standen Tränen, die in dem Licht glänzten, das von dem Geist vergangener Weihnachten ausströmte.

»Es ist ohne Bedeutung«, sagte sie sanft, »und für Sie von gar keiner. Ein anderes Götzenbild hat mich verdrängt; und wenn es Sie in späterer Zeit trösten und aufrecht erhalten kann, wie ich es versucht hätte, so habe ich keine Ursache zu klagen.«

»Welches Götzenbild hätte Sie verdrängt?« erwiderte er.

»Ein goldenes.«

»Dies ist die Gerechtigkeit der Welt!« sagte er. »Gegen nichts ist sie so hart als gegen die Armut; und nichts tadelt sie unnachsichtiger als das Streben nach Reichtum.«

»Sie fürchten das Urteil der Welt zu sehr«, antwortete sie sanft. »Alle Ihre andern Hoffnungen sind in der einen aufgegangen, vor diesem engherzigen Vorwurf gesichert zu sein. Ich habe Ihre edleren Bestrebungen eine nach der andern verschwinden sehen, bis Sie ganz die eine Leidenschaft, die Gier nach Gold, erfüllte. Ist es nicht so?«

»Und wenn es so wäre?« antwortete er. »Wenn ich soviel klüger geworden wäre, was dann? Gegen Sie bin ich nie anders geworden.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Bin ich anders?«

»Unser Bund ist alt. Er wurde geschlossen, als wir beide arm und zufrieden waren, unser Los durch ausdauernden Fleiß verbessern zu können. Sie haben sich aber verändert! Damals, als er geschlossen wurde, waren Sie ein anderer Mensch.«

»Ich war ein Knabe«, sagte er ungeduldig.

»Ihr eigenes Gefühl sagt Ihnen, daß Sie nicht so waren, wie Sie jetzt sind«, antwortete sie. »Ich bin noch dieselbe. Das, was uns Glück versprach, als wir noch ein Herz und eine Seele waren, muß uns Unglück bringen, da wir im Geiste nicht mehr eins sind. Wie oft ich und wie bitter dies gefühlt habe, will ich nicht sagen; es ist genug, daß ich es gefühlt habe und daß ich Ihnen Ihr Wort zurückgeben kann.«

»Habe ich dies jemals verlangt?«

»In Worten? Nein. Niemals.«

»Wie dann?«

»Durch ein verändertes Wesen, durch einen andern Sinn, durch andere Bestrebungen im Leben und durch andere Hoffnungen – in allem, was meiner Liebe in Ihren Augen Wert gab. Wenn alles Frühere nicht zwischen uns geschehen wäre«, sagte das Mädchen, ihn mit sanftem, aber festem Blicke ansehend, »würden Sie mich jetzt aufsuchen und um mich werben? Gewiß nicht!«

Er schien die Wahrheit ihrer Worte wider seinen Willen zuzugeben. Aber er tat seinen Gefühlen Gewalt an und sagte: »Sie glauben nicht?«

»Gern glaubte ich es, wenn ich könnte«, sagte sie, »Gott weiß es. Wenn ich eine Wahrheit wie diese erkannt habe, weiß ich, wie unwiderstehlich sie sein muß. Aber soll ich glauben, daß Sie ein armes Mädchen wählen würden, wenn Sie heute oder morgen oder gestern frei wären, Sie, der selbst in den vertrautesten Stunden alles nach dem Gewinn mißt? Oder soll ich mir verhehlen, daß Sie gewiß einst sich getäuscht und bittere Reue fühlen würden, weil Sie für einen Augenblick Ihrem einzigen leitenden Grundsatz untreu werden? Nein, und deswegen gebe ich Ihnen Ihr Wort zurück: willig und um der Liebe dessentwillen der Sie einst waren.«

Er wollte sprechen, aber mit abgewendetem Gesicht fuhr sie fort:

»Vielleicht – der Gedanke an die Vergangenheit läßt es mich fast hoffen – wird es Sie schmerzen. Eine kurze, sehr kurze Zeit, und Sie werden dann die Erinnerung daran fallenlassen, wie die Gedanken an einen nichtigen Traum, aus dem zu erwachen ein Glück für Sie war. Möge Sie alles Glück auf dem gewählten Lebensweg begleiten!«

Sie schieden.

»Geist«, sagte Scrooge, »zeig mir nichts mehr, führ mich nach Hause. Warum erfreust du dich daran, mich zu quälen?«

»Noch einen Schatten«, rief der Geist aus.

»Nein«, rief Scrooge. »Nein. Ich mag nichts mehr sehen. Zeig mir nichts mehr.«

Aber der erbarmungslose Geist hielt ihn mit beiden Händen fest und zwang ihn, zu betrachten, was als nächstes geschah.

Sie befanden sich an einem andern Ort, in einem Zimmer, nicht sehr groß oder schön, aber voller Behaglichkeit. Neben dem Kamin saß ein schönes junges Mädchen, das der, die Scrooge soeben gesehen hatte, so ähnlich war, daß er glaubte, es sei dieselbe, bis er diese, jetzt eine stattliche Matrone, der Tochter gegenüber sitzen sah. In dem Zimmer war ein wahrer Aufruhr, denn es befanden sich mehr Kinder darin, als Scrooge in seiner Aufregung zählen konnte; und hier betrugen sich nicht vierzig Kinder wie eins, sondern jedes Kind wie vierzig. Die Folge davon war ein Lärm sondergleichen; aber niemand schien sich darüber aufzuregen. im Gegenteil, Mutter und Tochter lachten herzlich und freuten sich darüber, und die letztere, die sich bald in die Spiele mischte, wurde von den kleinen Schelmen gar grausam mitgenommen. Was hätte ich darum gegeben, eines dieser Kinder zu sein, obgleich ich nie so ungezogen gewesen wäre! Nein, nein! Für alle Schätze der Welt hätte ich nicht diese Locken zerdrückt und zerwühlt; und diesen lieben, kleinen Schuh hätte ich nicht entwendet, selbst um mein Leben zu retten. Im Scherz ihre Taille zu messen, wie die dreiste junge Brut tat, hätte ich nicht gewagt aus Furcht, mein Arm würde zur Strafe krumm und nie wieder gerade wachsen. Und doch, wie gern, ich gestehe es, hätte ich ihre Lippen berührt; wie gern sie ausgefragt, damit sie sich geöffnet hätten; wie gern hätte ich die Wimpern dieser niedergeschlagenen Augen betrachtet, ohne ein Erröten hervorzurufen; wie gern dieses wogende Haar gelöst, von dem eine einzige Locke ein unschätzbares Andenken gewesen wäre: kurz, wie gern hätte ich das kleinste Vorrecht eines dieser Kinder gehabt, mit der Bedingung, Manns genug zu bleiben, um seinen Wert zu fühlen.

Aber jetzt wurde ein Klopfen an der Tür laut, was einen so allgemeinen Ansturm hervorrief, daß sie mit lachendem Gesicht und zerknülltem Kleid in der Mitte eines lärmenden Haufens nach der Tür gedrängt wurde, dem Vater entgegen, der nach Hause kam in Begleitung eines mit Weihnachtsgeschenken beladenen Mannes. Aber nun das Geschrei und das Gedränge und der Sturm auf den verteidigungslosen Träger! Wie sie an ihm auf Stühlen hinaufstiegen, in seine Taschen guckten, die Papierpäckchen raubten, an seiner Halsbinde zupften, an seinem Halse hingen, ihm auf den Rücken trommelten oder an die Beine stießen – alles in unwiderstehlicher Freude! Dann die Ausrufe der Verwunderung und des Frohlockens, mit denen der Inhalt jedes Päckchens begrüßt wurde! Die schreckliche Kunde, daß das Kleinste ertappt worden sei, wie es die Puppenbratpfanne in den Mund gesteckt und wohl gar das hölzerne Huhn samt der Schüssel hinuntergeschluckt habe! Die große Beruhigung, als man entdeckte, daß es falscher Alarm gewesen war! Die Freude und die Dankbarkeit und das Entzücken! Dies alles übertrifft alle Beschreibung. Es muß genügen, zu wissen, daß die Kinder und ihre Freunde endlich aus dem Zimmer kamen und über eine Treppe in den obersten Stock hinaufgingen, wo sie zu Bett gebracht wurden und blieben.

Und als Scrooge jetzt sah, wie sich der Herr des Hauses, die Tochter zärtlich an seine Seite geschmiegt, mit ihr und ihrer Mutter an seinem eigenen Herd niedersetzte; und wie er dachte, daß ihn ein solches Wesen ebenso lieblich und hoffnungsfroh hätte Vater nennen und wie der Frühling im öden Winter seines Lebens hätte sein können, da wurden seine Augen wirklich trübe.

»Belle«, sagte der Mann, sich lächelnd zu seiner Gattin wendend, »ich sah heut nachmittag einen alten Freund von dir.«

»Wer war es?«

»Rate mal.«

»Wie kann ich das? Ach, jetzt weiß ich schon«, fügte sie sogleich hinzu, lachend, und auch er lachte. »Mr. Scrooge.«

»Ja, Mr. Scrooge. Ich ging an seinem Kontorfenster vorüber; und da kein Laden davor war und Licht brannte, mußte ich ihn sehen. Sein Kompagnon liegt im Sterben, hörte ich, und er war allein. Ganz allein in der weiten Welt, glaube ich.«

»Geist«, rief Scrooge mit bebender Stimme, »führe mich weg von diesem Ort.«

»Ich sagte dir, daß dies Schatten gewesener Dinge sind«, sagte der Geist. »Gib nicht mir die Schuld, daß sie sind, wie sie sind.«

»Führe mich weg«, rief Scrooge aus. »Ich kann es nicht ertragen.«

Er wandte sich dem Geist zu, und wie er sah, daß er ihn mit einem Gesicht anblickte, in dem sich auf eine seltsame Weise all die Gesichter zeigten, die er bisher gesehen hatte, rang er mit ihm.

»Verlaß mich, führ mich weg. Verfolge mich nicht länger.«

In dem Kampf, wenn es ein Kampf genannt werden kann, wie der Geist, ohne sichtbaren Widerstand seinerseits, von den Angriffen seines Gegners unberührt blieb, bemerkte Scrooge, daß das Licht auf seinem Haupt hoch und hell brannte, und in einem dunklen instinktiven Gefühl jenes Licht sei mit des Geistes Einfluß auf ihn verbunden, ergriff er den Löschhut und stülpte ihn auf des Geistes Haupt.

Der Geist sank zusammen, so daß der Löschhut seine ganze Gestalt bedeckte; aber obgleich Scrooge ihn mit seiner ganzen Kraft niederdrückte, konnte er das Licht nicht ganz verbergen, das darunter hervor- und mit hellem Schimmer über den Boden floß.

Er fühlte sich erschöpft und von einer unüberwindlichen Schläfrigkeit befallen und wußte, daß er in seinem eigenen Schlafzimmer war. Er gab dem Löschhut einen letzten Druck und fand kaum Zeit, in das Bett zu wanken, bevor er in tiefen Schlaf sank.

Der zweite Geist


Der zweite Geist

Scrooge erwachte mitten in einem tüchtigen Geschnarche und setzte sich im Bett auf, um seine Gedanken zu sammeln. Diesmal hatte niemand nötig, ihm zu sagen, daß es gerade eins sei. Er fühlte, daß er just zu der rechten Zeit und zu dem ausdrücklichen Zweck erwacht sei, um eine Zusammenkunft mit dem zweiten an ihn durch Jacob Marleys Vermittlung abgesandten Boten zu haben. Aber bei dem Gedanken, welche seiner Bettgardinen das neue Gespenst wohl zurückschlüge, wurde es ihm ganz unheimlich kalt, und so schlug er sie mit seinen eigenen Händen zurück. Dann legte er sich wieder zurück und beschloß, genau aufzupassen, denn er wollte den Geist in dem Augenblick seiner Erscheinung anrufen und wünschte nicht überrascht und erschreckt zu werden.

Leute von keckem Mut, die sich schmeicheln, es schon mit etwas aufnehmen zu können und immer an ihrem Platz zu sein, drücken den weiten Bereich ihrer Fähigkeiten mit den Worten aus: Sie wären gut für alles, vom Brotessen bis zum Menschenverschlingen, da zwischen beiden Extremen ohne Zweifel ziemlich viel Gelegenheit zur Betätigung ihrer Kräfte liegt. Ohne gerade zu behaupten, daß es Scrooge so weit gebracht hätte, muß ich doch von dem Leser den Glauben fordern, daß er auf eine recht schöne Auswahl von Erscheinungen gefaßt war und daß ihn nichts zwischen einem Wickelkind und einem Rhinozeros allzusehr in Verwunderung gesetzt hätte.

Eben weil er beinahe auf alles gefaßt war, war er nicht vorbereitet, nichts zu sehen; und daher überfiel ihn ein heftiges Zittern, als die Glocke eins schlug und keine Gestalt erschien. Fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde vergingen, aber es kam nichts. Die ganze Zeit über lag er auf seinem Bett, dem Kern und Mittelpunkt eines rötlichen Lichtes, das sich darüber ergoß, als die Glocke die Stunde verkündete, und das, weil es nur Licht war, viel beunruhigender als ein Dutzend Geister war, da es ihn unmöglich erraten ließ, was es bedeute oder was es wolle. Ja, er fürchtete zuweilen, er könnte in diesem Augenblick ein merkwürdiger Fall von Selbstentzündung sein, ohne den Trost zu haben, es zu wissen. Endlich jedoch fing er an zu begreifen, daß die Quelle dieses geisterhaften Lichtes wohl in dem anliegenden Zimmer sei, aus dem es bei näherer Betrachtung zu strömen schien. Wie dieser Gedanke die Herrschaft über seine Seele bekommen hatte, stand er leise auf und schlich in den Pantoffeln nach der Tür.

In demselben Augenblick, wo sich Scrooges Hand auf die Klinke legte, rief ihn eine fremde Stimme bei Namen und hieß ihn eintreten. Er gehorchte.

Es war sein eigenes Zimmer. Daran ließ sich nicht zweifeln. Aber eine wunderbare Umwandlung war mit ihm vorgegangen. Wände und Decke waren ganz mit grünen Zweigen bedeckt, daß es aussah wie eine Laube, in der überall glänzende Beeren schimmerten. Die glänzenden, starren Blätter der Stechpalme, der Mistel und des Efeus warfen das Licht zurück und erschienen wie ebenso viele kleine Spiegel. Eine so gewaltige Flamme loderte die Esse hinauf, wie sie dieses Spottbild eines Kamines zu Scrooges oder Marleys Zeit seit vielen, vielen Wintern nicht gekannt hatte. Auf dem Fußboden waren zu einer Art von Thron Truthähne, Gänse, Wildbret, große Braten, Spanferkel, lange Reihen von Würsten, Pasteten, Plumpuddings, Austerfäßchen, glühende Kastanien, rotbäckige Äpfel, saftige Orangen, appetitliche Birnen, ungeheure Stollen und siedende Punschbowlen aufgehäuft, die das Zimmer mit köstlichem Geruch erfüllten. Auf diesem Thron saß behaglich und mit fröhlichem Angesicht ein Riese, gar herrlich anzuschauen. In der Hand trug er eine brennende Fackel, fast wie ein Füllhorn gestaltet, und hielt sie steil in die Höhe, um Scrooge damit zu beleuchten, wie er in das Zimmer guckte.

»Nur herein«, rief der Geist. »Nur herein, und lerne mich besser kennen.«

Scrooge trat schüchtern ein und senkte das Haupt vor dem Geiste. – Er war nicht mehr der hartfühlende, nichtsscheuende Scrooge von früher, und obgleich des Geistes Augen hell und mild glänzten, wünschte er ihnen doch nicht zu begegnen.

»Ich bin der Geist der diesjährigen Weihnachtsnacht«, sagte die Gestalt. »Sieh mich an.«

Scrooge tat es mit ehrfurchtsvollem Blick. Der Geist war gekleidet in ein einfaches, dunkelgrünes Gewand, mit weißem Pelz verbrämt. Die breite Brust war entblößt, als verschmähe sie, sich zu verstecken. Auch die Füße waren bloß und schauten unter den weiten Falten des Gewandes hervor; und das Haupt hatte keine andere Bedeckung, als einen Stechpalmenkranz, in dem hie und da Eiszapfen glänzten. Seine dunkelbraunen Locken wallten fessellos auf die Schultern. Sein munteres Gesicht, sein glänzendes Auge, seine fröhliche Stimme, sein ungezwungenes Benehmen, alles sprach von Offenheit und heiterem Sinn. Um den Leib trug er eine alte Degenscheide gegürtet; aber sie war von Rost zerfressen und kein Schwert steckte darin.

»Du hast meinesgleichen nie vorher gesehen«, rief der Geist.

»Niemals«, entgegnete Scrooge.

»Hast dich nie mit den jüngern Gliedern meiner Familie abgegeben; ich meine (denn ich bin sehr jung) meine älteren Brüder, die in den vergangenen Jahren geboren worden sind?« fuhr das Phantom fort.

»Ich glaube nicht«, sagte Scrooge. »Doch es tut mir leid, es nicht getan zu haben. Hast du viele Brüder gehabt, Geist?«

»Mehr als achtzehnhundert«, sagte dieser.

»Eine schrecklich große Familie, wenn man für sie zu sorgen hat«, murmelte Scrooge.

Der Geist der diesjährigen Weihnacht erhob sich.

»Geist«, sagte Scrooge demütig, »führe mich, wohin du willst. Gestern Nacht wurde ich durch Zwang hinausgeführt und mir wurde eine Lehre gegeben, die jetzt Wirkung zeigt. Heute bin ich bereit zu folgen, und wenn du mich etwas zu lehren hast, will ich gern hören.«

»Berühre denn mein Gewand.«

Scrooge tat wie ihm geheißen und hielt es fest.

Stechpalmen, Misteln, rote Beeren, Efeu, Truthähne, Gänse, Spanferkel, Braten, Würste, Austern, Pasteten, Puddings, Früchte und Punsch, alles verschwand blitzschnell. Auch das Zimmer verschwand, das Feuer, der rötliche Schimmer, die nächtliche Stunde, und sie standen in den Straßen der Stadt, am Morgen des Weihnachtstages, wo die Leute – denn es war sehr kalt – eine rauhe, aber fröhliche und nicht unangenehme Musik machten, indem sie den Schnee von dem Straßenpflaster und den Dächern der Häuser zusammenfegten. Und daneben standen die Kinder und freuten sich und kreischten, wenn die Schneelawinen von den Dächern herunterstürzten und in künstliche Schneestürme zerstoben.

Die Häuser erschienen schwarz und die Fenster noch schwärzer, verglichen mit der faltenlosen, weißen Schneedecke auf den Dächern und dem schmutzigeren Schnee auf den Straßen. Dort war er von den schweren Rädern der Wagen und Karren in tiefe Furchen gepflügt; Furchen, die sich hundert- und aberhundertmal kreuzten, wo eine Straße abging, und die in dem dicken, gelben Schmutz und halberstarrten Wasser labyrinthische Gerinnsel bildeten. Der Himmel war trübe, und selbst die kürzesten Straßen schienen sich in einem dicken Nebel zu verlieren, dessen schwerere Teile in einem rußigen Regen niederfielen, als hätten alle Essen von England sich auf einmal entzündet und qualmten jetzt nach Herzenslust. Es war in der ganzen Umgebung nichts Heiteres, und doch lag etwas in der Luft, was die klarste Sommerluft und die hellste Sommersonne nicht hätten verbreiten können.

Denn die Leute, die den Schnee von den Dächern schaufelten, waren lustig und mutwilliger Laune. Sie riefen von den Dächern einander zu und wechselten dann und wann einen Schneeball – ein Pfeil, der harmloser war als manches Wort – und lachten herzlich, wenn er traf, und nicht minder herzlich, wenn er fehlging. Die Läden der Geflügelhändler waren noch halb offen und die der Fruchthändler strahlten in heller Freude. Da sah man – als wären es Westen lustiger alter Herren – große runde, dickbäuchige Körbe mit Kastanien an den Türen lehnen oder in ihrem apoplektischen Überfluß auf die Straße rollen. Da sah man braune, umfangreiche, spanische Zwiebeln, in ihrer Fettigkeit spanischen Mönchen gleichend und mutwillig den Mädchen winkend, die vorübergingen und verschämt nach dem Mistelzweig schielten. Da sah man Birnen und Äpfel zu Pyramiden aufeinandergepackt: Trauben, die der Kaufmann in seiner Gutmütigkeit recht augenfällig im Gewölbe hängen ließ, daß den Vorübergehenden der Mund gratis wässerte, Haufen von Haselnüssen, bemoost und braun, mit ihrem frischen Duft an vergangene Streifzüge im Wald durch das raschelnde, fußhohe, welke Laub erinnernd, Norfolk-Biffins, fett und kraus, mit ihrer Bräune von den gelben Orangen abstechend und gar dringlich bittend, daß man sie nach Hause trage und nach Tische esse. Ja, selbst die Gold- und Silberfische, die in einem Glase mitten unter den erlesenen Früchten standen, schienen zu wissen, daß etwas Besonderes los sei, obgleich sie von einem dick- und kaltblütigen Geschlecht waren, und schwammen um ihre kleine Welt in langsamer und leidenschaftsloser Bewegung.

Ach die Kolonialwarenläden! Fast geschlossen waren sie, vielleicht ein oder zwei Laden vorgesetzt: aber welche Herrlichkeiten sah man durch diese Öffnungen! Nicht allein, daß die Waagschalen mit fröhlichem Klingklang auf dem Ladentisch rumorten, oder daß der Bindfaden so munter von seiner Rolle schnurrte, oder daß die Büchsen blitzschnell hin und her fuhren wie durch Zauberei, oder daß der Mischgeruch von Kaffee und Tee der Nase so wohl tat, nicht daß die Rosinen so wunderschön, die Mandeln so außerordentlich weiß, die Zimtstengel so lang und gerade, die andern Gewürze so köstlich, die eingemachten Früchte so dick mit geschmolzenem Zucker belegt waren, daß der kälteste Zuschauer entzückt wurde; nicht allein, daß die Feigen so saftig und fleischig waren, oder daß die Brignolen in bescheidener Koketterie in ihren verzierten Büchsen erröteten, oder daß alles so gut zu essen oder so schön in seinem Weihnachtskleid war: das war es nicht allein. Die Kaufenden waren auch alle so eifrig und eilig in der Vorfreude auf das Fest, daß sie in der Türe gegeneinanderrannten, wie von Sinnen mit ihren Körben zusammenstießen und ihre Einkäufe vergaßen und wieder zurückliefen, um sie zu holen, und tausend ähnliche Irrtümer in der bestmöglichen Laune begingen, während der Kaufmann und seine Leute so frisch und froh waren, daß die blanken Herzen, die ihre Schürzen hinten zusammenhielten, ihre eigenen hätten sein können.

Aber bald riefen die Glocken nach den Kirchen und den Kapellen, und die Leute gingen in ihren besten Kleidern und ihren feiertäglichsten Gesichtern durch die Straßen. Und zu derselben Zeit strömten aus den Nebenstraßen und Gäßchen und namenlosen Winkeln zahllose Leute, die ihr Mittagessen in die Backstuben trugen. Der Anblick dieser Armen und doch so Glücklichen schien des Geistes Teilnahme am meisten zu erregen, denn er blieb mit Scrooge neben eines Bäckers Tür stehen, und während er die Deckel von den Schüsseln nahm, als die Träger vorübergingen, bestreute er ihr Mahl mit Weihrauch seiner Fackel. Und es war eine gar wunderbare Fackel, denn ein paarmal, als einige von den Leuten zusammengerannt waren und darüber heftige Worte fielen, besprengte er sie mit etlichen Tropfen Tau daraus, und ihre gute Laune war augenblicklich wiederhergestellt. Denn sie sagten, es sei eine Schande, sich am Weihnachtstag zu zanken.

Jetzt schwiegen die Glocken, und die Läden der Bäcker wurden geschlossen: und doch schwebte noch ein Schatten von allen diesen Mittagessen und dem Fortgang ihrer Zubereitung in dem getauten, nassen Fleck über jedem Ofen; und vor ihnen rauchte das Pflaster, als kochten selbst die Steine.

»Ist eine besondere Kraft in dem, was deine Fackel ausstreut?« fragte Scrooge.

»Ja. Meine eigene.«

»Und wirkt sie auf jedes Mittagsmahl an diesem Tag?« fragte Scrooge.

»Auf jedes, sofern es gern gegeben wird. Auf ein ärmliches am meisten.«

»Warum auf ein ärmliches am meisten?«

»Weil das meiner Kraft am meisten bedarf«

»Geist«, sagte Scrooge nach kurzem Nachdenken, »mich wundert’s, daß du von allen Wesen auf den vielen Welten um uns herum wünschen solltest, diesen Leuten die Gelegenheit eines unschuldigen Genusses zu rauben.«

»Ich?« rief der Geist.

»Du willst ihnen die Mittel nehmen, jeden siebten Tag zu Mittag zu essen, und doch ist das der einzige Tag, wo sie überhaupt zu Mittag essen können«, sagte Scrooge.

»Ich?« rief der Geist.

»Du willst doch Backstuben und ähnliche Plätze am siebten Tag geschlossen halten – das kommt doch auf dasselbe heraus.«

»Ich?« rief der Geist.

»Verzeih mir, wenn ich unrecht habe. Es ist in deinem Namen geschehen oder wenigstens in dem deiner Familie«, sprach Scrooge.

»Es gibt Menschen auf Eurer Erde«, entgegnete der Geist, »die uns kennen wollen und die ihre Taten des Stolzes, der Mißgunst, des Hasses, des Neides, des Fanatismus und der Selbstsucht in unserm Namen tun; die uns in allem, was zu uns gehört, so fremd sind, als hätten sie nie gelebt. Bedenke dies und schreibe ihre Taten ihnen selbst zu und nicht uns.«

Scrooge versprach es, und sie gingen weiter in die Vorstadt, unsichtbar wie bisher. Es war eine wunderbare Eigenschaft des Geistes (Scrooge hatte sie bei dem Bäcker bemerkt), daß er, bei seiner riesenhaften Gestalt, doch überall leicht Platz fand, und daß er unter einem niedrigen Dach ebenso schön und gleich einem übernatürlichen Wesen dastand, wie in einem geräumigen, hohen Saal.

Vielleicht war es die Freude, die der gute Geist darin fühlte, diese Macht zu zeigen, vielleicht auch seine warmherzige, freundliche Natur und seine Teilnahme mit allen Armen, was ihn gerade zu Scrooges Kommis führte: denn er ging wirklich hin und nahm Scrooge mit, der sich an seinem Gewand festhielt. Auf der Schwelle stand der Geist lächelnd still und segnete Bob Cratchits Wohnung mit dem Tau seiner Fackel. Denkt doch! Bob hatte nur fünfzehn ›Bobs‹ die Woche; er steckte sonnabends nur fünfzehn seiner Namensvettern in die Tasche, und doch segnete der Geist der diesjährigen Weihnacht sein Haus.

Im Zimmer stand Mr. Cratchits Frau in einem ärmlichen, zweimal gewendeten Kleid, schön aufgeputzt mit Bändern, die billig sind, aber für sechs Pence hübsch genug aussehen. Sie deckte den Tisch, und Belinda, ihre zweite Tochter, half ihr dabei, während Master Peter mit der Gabel in eine Schüssel voll Kartoffeln stach und die Spitzen seines ungeheuren Hemdkragens (Bobs Privateigentum, seinem Sohn und Erben zu Ehren des Festes geliehen) in den Mund nahm, voller Stolz, so schön angezogen zu sein, und voll Sehnsucht, sein weißes Hemd in den fashionablen Parks zur Schau zu tragen. Jetzt kamen die zwei kleinen Cratchits, ein Mädchen und ein Knabe, hereingesprungen und schrien, daß sie an des Bäckers Tür die gebratene Gans gerochen und gewußt hätten, es sei ihre eigene, und in freudigen Träumen von Salbei und Zwiebeln tanzten sie um den Tisch und erhoben Master Peter Cratchit bis in den Himmel, während er (aber gar nicht stolz, obgleich ihn der Hemdkragen fast erstickte) in das Feuer blies, bis die Kartoffeln hochquollen und an den Topfdeckel klopften, daß man sie herauslassen und schälen möge.

»Wo nur der Vater bleibt?« fragte Mrs. Cratchit.

»Und dein Bruder Tiny Tim; und Martha kam vorige Weihnachten eine halbe Stunde früher.«

»Hier ist Martha, Mutter«, sagte ein Mädchen, zur Tür hereintretend.

»Hier ist Martha, Mutter«, riefen die beiden kleinen Cratchits. »Hurra, so eine Gans, Martha!«

»Gott grüß dich, liebes Kind! Wie spät du kommst!« sagte Mrs. Cratchit, sie mehrmals küssend und ihr mit zutulichem Eifer Schal und Hut abnehmend.

»Wir hatten gestern abend viel zurecht zu machen«, antwortete das Mädchen, »und mußten heute mit allem fertig werden, Mutter.«

»Nun, es schadet nichts, da du doch da bist«, sagte Mrs. Cratchit. »Setz dich ans Feuer, liebes Kind, und wärme dich.«

»Nein, nein, der Vater kommt«, riefen die beiden kleinen Cratchits, die überall zu gleicher Zeit waren. »Versteck dich, Martha, versteck dich!«

Martha versteckte sich, und jetzt trat Bob herein, der Vater. Wenigstens drei Fuß, ungerechnet der Fransen, hing der Schal auf seine Brust herab, und die abgetragenen Kleider waren geflickt und gebürstet, um ihnen ein Ansehen zu geben. Tiny Tim saß auf seiner Schulter. Der arme Tiny Tim! Er trug eine kleine Krücke, und seine Glieder wurden von eisernen Schienen gestützt.

»Nun, wo ist unsere Martha?« rief Bob Cratchit und schaute im Zimmer herum.

»Sie kommt nicht«, sagte Mrs. Cratchit.

»Sie kommt nicht?« sagte Bob mit einem plötzlichen Absinken seiner fröhlichen Laune; denn er war den ganzen Weg von der Kirche Tims Pferd gewesen und in vollem Laufe nach Hause gerannt. »Sie kommt nicht zum Weihnachtsabend?«

Martha wollte ihm keinen Schmerz verursachen, selbst nicht aus Scherz, und so trat sie hinter der Tür hervor und schlang die Arme um seinen Hals, während die beiden kleinen Cratchits sich Tiny Tims bemächtigten und ihn nach dem Waschhaus trugen, damit er den Pudding im Kessel singen höre.

»Und wie hat sich der kleine Tim aufgeführt?« fragte Mrs. Cratchit, als sie Bob wegen seiner Leichtgläubigkeit geneckt und Bob seine Tochter nach Herzenslust geküßt hatte.

»Wie ein Goldkind«, sagte Bob, »und noch besser. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber er wird jetzt so träumerisch vom Alleinsitzen und sinnt sich die seltsamsten Dinge zurecht. Heute, als wir nach Hause gingen, sagte er, er hoffe, die Leute sähen ihn in der Kirche, denn er sei ein Krüppel, und es wäre vielleicht gut für sie, sich am Christtag an den zu erinnern, der einst Lahme gehen und Blinde sehen machte.«

Bobs Stimme zitterte, als er dies sagte, und zitterte noch mehr, als er hinzufügte, daß Tiny Tim stärker und gesünder werden würde.

Man hörte jetzt seine kleine Krücke auf dem Fußboden, und ehe noch mehr gesprochen ward, war Tim wieder da und wurde von seinem Bruder und seiner Schwester nach seinem Stuhl neben dem Feuer geführt. Während jetzt Bob, seine Rockaufschläge zur Schonung in die Höhe krempelnd – als ob es möglich gewesen wäre, sie noch mehr abzutragen –, in einer Bowle aus Gin und Zitronen eine heiße Mischung zubereitete und sie umrührte und wieder an das Feuer setzte, damit sie sich warm halte, gingen Master Peter und die zwei allgegenwärtigen kleinen Cratchits die Gans holen, mit der sie bald in feierlichem Zug zurückkehrten.

Daraufhin erhob sich ein solcher Lärm, als wäre eine Gans der seltenste aller Vögel, ein gefiedertes Wunder, gegen das ein schwarzer Schwan etwas ganz Gewöhnliches ist – und wirklich war sie es auch in diesem Hause. Mrs. Cratchit ließ die Bratenbrühe aufwallen, Master Peter schmorte die Kartoffeln mit unglaublichem Eifer, Miß Belinda machte die Apfelsauce süß, Martha wischte die gewärmten Teller ab, Bob nahm Tiny Tim neben sich in eine behagliche Ecke am Tisch, die beiden kleinen Cratchits stellten die Stühle zurecht, wobei sie sich nicht vergaßen, und nahmen ihren Posten ein, den Löffel in den Mund steckend, um nicht nach Gans zu schreien, ehe die Reihe an sie kam. Endlich wurde das Gericht aufgetragen und das Tischgebet gesprochen. Darauf folgte eine atemlose Pause, als Mrs. Cratchit das Vorschneidemesser langsam von der Spitze bis zum Heft betrachtete und sich anschickte, es der Gans in die Brust zu stoßen. Aber, als sie es tat und sich der langerwartete Strom der Füllung ergoß, ertönte um den ganzen Tisch ein freudiges Gemurmel, und selbst Tiny Tim, durch die beiden kleinen Cratchits in Feuer gebracht, schlug mit dem Heft seines Messers auf den Tisch und rief ein schwaches Hurra.

Nie hatte es so eine Gans gegeben. Bob sagte, er glaube nicht, daß jemals eine solche Gans gebraten worden sei. Ihre Zartheit und ihr Fett, ihre Größe und ihre Billigkeit waren der Gegenstand allgemeiner Bewunderung. Mit Hilfe der Apfelsauce und der geschmorten Kartoffeln gab sie ein hinreichendes Mahl für die ganze Familie. Und als Mrs. Cratchit einen einzigen kleinen Knochen noch auf der Schüssel liegen sah, sagte sie mit großer Freude, sie hätten doch nicht alles aufgegessen! Aber jeder von ihnen hatte genug, und die kleinen Cratchits waren bis an die Augenbrauen mit Salbei und Zwiebeln eingesalbt. Jetzt wurden die Teller von Miß Belinda gewechselt, und Mrs. Cratchit verließ das Zimmer allein, denn sie war zu unruhig, Zeugen dulden zu können, wenn sie den Pudding herausnahm und hereinbrachte.

Wenn er nicht ausgebacken wäre! Wenn er beim Herausnehmen in Stücke zerfiele! Wenn jemand über die Mauer des Hinterhauses geklettert wäre und ihn gestohlen hätte, während sie sich an der Gans erquickten – ein Gedanke, bei dem die beiden kleinen Cratchits vor Schrecken bleich wurden.

Hallo, eine Dampfwolke! Der Pudding war aus dem Kessel genommen. Ein Geruch, wie an einem Waschtag! Das war die Serviette. Ein Geruch wie in einem Speisehaus, mit einem Pastetenbäcker auf der einen und einer Wäscherin auf der andern Seite! Das war der Pudding. Nach einer halben Minute trat Mrs. Cratchit herein, aufgeregt, aber stolz lächelnd und vor sich den Pudding haltend, hart und fest wie eine gefleckte Kanonenkugel, in einem Viertelquart Rum flammend und in der Mitte mit der festlichen Stechpalme geschmückt.

Oh, welch wunderbarer Pudding! Bob Cratchit erklärte mit ruhiger und sicherer Stimme, er halte das für das größte Kochkunststück, das Mrs. Cratchit seit ihrer Heirat geliefert habe. Mrs. Cratchit meinte, da die Last von ihrem Herzen sei, wolle sie nur gestehen, daß sie wegen der Menge des Mehls gar sehr in Angst gewesen sei. Jeder hatte darüber etwas zu sagen, aber keiner sagte oder dachte, es sei doch ein zu kleiner Pudding für eine so große Familie. Das wäre offenbare Ketzerei gewesen. Jeder Cratchit würde sich geschämt haben, an so etwas nur zu denken.

Endlich waren sie mit dem Essen fertig, der Tisch war abgedeckt, der Herd gesäubert und das Feuer geschürt. Das Gemisch im Krug wurde gekostet und für fertig erklärt, Äpfel und Apfelsinen auf den Tisch gesetzt und ein paar Hände voll Kastanien auf das Feuer geschüttet. Dann setzte sich die ganze Familie Cratchit um den Kamin in einem Kreis, wie es Bob Cratchit nannte, obgleich es eigentlich nur ein Halbkreis war, Bob in die Mitte und neben ihm der Gläservorrat der Familie: zwei Paßgläser und ein Milchkännchen ohne Henkel.

Diese Gefäße aber hielten das heiße Gemisch aus dem Krug so gut, als wären es goldene Pokale gewesen, und Bob schenkte mit strahlenden Blicken ein, während die Kastanien auf dem Feuer spuckten und platzten. Dann schlug Bob den Toast vor.

»Uns allen eine fröhliche Weihnacht, meine Lieben! Gott segne uns!«

Die ganze Familie wiederholte den Toast.

»Gott segne jeden von uns!« sagte Tiny Tim, der letzte von allen.

Er saß dicht neben dem Vater auf seinem Stühlchen, Bob hielt seine kleine welke Hand in der seinigen, als ob er das Kind liebte und wünschte, es bei sich zu behalten, aber fürchte, es könnte ihm bald genommen werden.

»Geist«, sprach Scrooge mit einer Teilnahme, wie er sie noch nie empfunden hatte, »sag mir, wird Tiny Tim am Leben bleiben?«

»Ich sehe einen leeren Stuhl in der Kaminecke«, antwortete der Geist, »und eine Krücke ohne Besitzer, sorgfältig aufbewahrt. Wenn die Zukunft diese Schatten nicht ändert, wird das Kind sterben.«

»Nein, nein«, drängte Scrooge. »Ach nein, guter Geist, sag, daß es am Leben bleiben wird.«

»Wenn die Zukunft diese Schatten nicht verändert«, antwortete der Geist abermals, »wird kein anderer meines Geschlechtes das Kind noch hier finden. Was tut es auch? Wenn es sterben muß, ist es besser, es tue es gleich und vermindere die überflüssige Bevölkerung.«

Scrooge senkte das Haupt, da er seine eigenen Worte von dem Geist hörte, und fühlte sich überwältigt von Reue und Schmerz.

»Mensch«, sprach der Geist, »wenn du ein menschliches Herz hast und kein steinernes, so hüte dich, so heuchlerisch zu reden, bis du weißt, was und wo dieser Überfluß ist. Willst du entscheiden, welche Menschen leben, welche Menschen sterben sollen? Vielleicht bist du in den Augen des Himmels unwürdiger und unfähiger zu leben als Millionen gleich dieses armen Mannes Kind. O Gott! Solch Gewürm auf einem Blättlein reden zu hören über zuviel Leben unter seinen hungrigen Brüdern im Staub!«

Scrooge nahm des Geistes Vorwurf demütig hin und schlug die Augen nieder, aber er blickte schnell wieder in die Höhe, als er seinen Namen nennen hörte.

»Es lebe Mr. Scrooge!« sagte Bob, »Mr. Scrooge, der Schöpfer dieses Festes!«

»Der Schöpfer dieses Festes, wahrhaftig!« rief Mrs. Cratchit mit glühendem Gesicht. »Ich wollte, ich hätte ihn hier. Ich wollte ihm ein Stück von meiner Meinung zu kosten geben, und ich hoffe, sie würde ihm schmecken.«

»Liebe Frau«, sagte Bob beschwichtigend, »die Kinder! – Es ist Weihnachten.«

»Freilich muß es Weihnachten sein«, sagte sie, »wenn man auf die Gesundheit eines so niederträchtigen, geizigen, fühllosen Menschen, wie Scrooge ist, trinken kann. Und du weißt es, Robert, daß er so ist, niemand weiß es besser als du!«

»Liebe Frau«, antwortete Bob mild, »es ist Weihnachten.«

»Ich will auf seine Gesundheit trinken, dir und dem Feste zu Gefallen,« sagte Mrs. Cratchit, »nicht seinetwegen. Möge er lange leben! Ein fröhliches Weihnachten und ein glückliches neues Jahr! – Er wird sehr fröhlich und sehr glücklich sein, das glaub ich.«

Die Kinder tranken nach ihr. Es war das erste, was sie an diesem Abend ohne Herzlichkeit und Wärme taten. Tiny Tim trank zuletzt, aber er gab keinen Pfifferling darum. Scrooge war das Schreckbild der Familie. Die Erwähnung seines Namens warf über alle einen düsteren Schatten, der volle fünf Minuten zum Verschwinden brauchte.

Als er weg war, waren sie zehnmal lustiger als vorher, schon weil sie Scrooge los waren, den Schrecklichen. Bob Cratchit erzählte, daß er eine Stelle für Peter in Aussicht habe, die diesem ganze fünf und einen halben Shilling wöchentlich eintragen werde. Die beiden kleinen Cratchits lachten fürchterlich bei dem Gedanken, Peter als Geschäftsmann zu sehen; und Peter selbst blickte gedankenvoll zwischen seinen Kragenenden hervor in das Feuer, als überlege er, in welchen Aktien wohl am besten seine Ersparnisse anzulegen seien, wenn er in Besitz dieser unglaublichen Summe käme. Martha, die bei einer Putzmacherin Gehilfin war, erzählte ihnen, was für Arbeit sie jetzt mache und wieviel Stunden sie in der guten Zeit arbeiten müsse und wie sie morgen früh auszuschlafen gedenke; denn morgen war für sie ein Feiertag. Auch erzählte sie, wie sie vor einigen Tagen eine Gräfin und einen Lord gesehen, und daß der Lord fast so groß wie Peter gewesen sei; bei diesen Worten zupfte Peter seinen Hemdkragen so in die Höhe, daß sein Kopf darin verschwand. Während dieser ganzen Zeit gingen Punsch und reife Kastanien um, und dazwischen sang Tiny Tim mit seiner klagenden Stimme ein Lied von einem Kind, das sich im Schnee verlaufen: und sang es recht hübsch.

In alledem war nichts Besonderes. Es waren keine hübschen Gesichter in der Familie; sie waren nicht schön angezogen, ihre Schuhe waren nichts weniger als wasserdicht, ihre Kleider waren ärmlich, und Peter mochte wohl das Innere eines Pfandleiherladens kennen. Aber sie waren glücklich, voller Dank für ihre bescheidenen Freuden, einig untereinander und zufrieden: und als ihre Gestalten verblichen und in dem scheidenden Lichte der Fackel des Geistes noch glücklicher aussahen, verweilte Scrooges Auge immer noch auf ihnen und hing vor allem an Tiny Tim.

Es war jetzt ganz dunkel geworden, und es fiel ein starker Schnee; und als Scrooge und der Geist durch die Straßen gingen, leuchtete der Glanz der lodernden Feuer in Küchen, Putzstuben und Gemächern aller Art über alle Maßen wundervoll. Hier zeigte die flackernde Flamme die Vorbereitungen zu einem traulichen Mahl, die heißen Teller, wie sie sich vor dem Feuer durch und durch wärmten, und die dunkelroten Gardinen, bereit, Kälte und Nacht auszuschließen. Dort liefen alle Kinder des Hauses auf die verschneite Straße hinaus, ihren verheirateten Schwestern, Brüdern, Vettern, Basen, Onkeln und Tanten entgegen, um sie zuerst zu begrüßen. Hier zeigten sich an den Fenstern Schatten versammelter Gäste; dort eine Gruppe hübscher Mädchen in Pelzkragen und Pelzstiefeln, alle zugleich redend und mit leichten Schritten in eines Nachbars Haus eilend. Wehe dem Junggesellen, der sie dort strahlend eintreten sah – und sie wußten es, die durchtriebenen kleinen Hexen!

Wenn man nach der Zahl der Leute hätte urteilen wollen, die zu freundschaftlichen Besuchen eilten, hätte man glauben mögen, es sei niemand da, sie zu bewillkommnen. Aber statt dessen erwartete jedes Haus Gäste und in jedem Kamin loderte die Flamme. Wie sich der Geist freute! Wie er seine breite Brust entblößte und seine volle Hand auftat und dahinschwebte, freigebig seine heitere und harmlose Fröhlichkeit über alles in seinem Bereich ausschüttend!

Selbst der Laternenanzünder, der durch die dunklen Straßen rannte, um ihre trüben Nebel mit Licht zu erhellen, und der bereits herausgeputzt war, um den Abend irgendwo zuzubringen, lachte laut auf, als er den Geist vorüberschweben fühlte.

Und jetzt, ohne daß vorher der Geist etwas gesagt hätte, standen sie auf einer kahlen, öden Heide, wo ungeheure Felsblöcke verstreut lagen, als wäre hier eine Begräbnisstätte von Riesen. Und Wasser breitete sich aus, wo es nur Lust hatte – oder es hätte sich ausgebreitet, wenn es der Frost nicht gefangengehalten hätte; und nichts wuchs dort als Moos und Gestrüpp und hartes, spitzes Gras. Tief im Westen hatte die untergehende Sonne einen Streifen glühenden Rots gelassen, der einen Augenblick auf die öde Steppe niedertauchte, wie ein zürnendes Auge, und immer tiefer und tiefer sank, bis er sich im Dunkel der tiefsten Nacht verlor.

»Was ist das für ein Ort?« fragte Scrooge.

»Ein Ort, wo Bergleute in den Tiefen der Erde arbeiten«, antwortete der Geist. »Aber sie kennen mich. Sieh!«

Ein Licht strahlte aus dem Fenster einer Hütte, und sie schwebten schnell darauf zu. Hier fanden sie eine fröhliche Gesellschaft um ein wärmendes Feuer sitzen: ein alter, alter Mann und eine greise Frau mit ihren Kindern und Enkeln und Urenkeln, alle in festlichen Kleidern. Der Alte sang ein Weihnachtslied mit einer Stimme, die nur selten das Heulen des Windes auf der Einöde übertönte; es war schon ein sehr altes Lied gewesen, als er noch ein Knabe war; und von Zeit zu Zeit fielen sie alle im Chor ein. Und stets, wenn ihre Stimmen ertönten, wurde der Alte lebendig und laut; und immer, wenn sie aufhörten, sank seine Kraft wieder. Der Geist verweilte hier nicht, sondern befahl Scrooge, sich an seinem Gewand zu halten. Sie schwebten über die Öde, aber wohin? Doch nicht aufs Meer? Aufs Meer! Zu seinem Schrecken sah Scrooge eine Reihe grausig steiler Klippen und hinter sich das Land verschwinden, und sein Ohr wurde betäubt von dem Donner der Wogen, wie sie unten in den grausenden Höhlen, die sie genagt hatten, heulten und brüllten und wüteten und mit wildem Grimm die Erde zu unterwühlen trachteten.

Auf einer öden, halb im Wasser versunkenen Klippe, gewiß eine Meile vom Land entfernt stand ein einsamer Leuchtturm. Das ganze trostlose Jahr hindurch umschäumten und umtollten ihn die Wogen. Große Haufen von Seekraut umgaben seinen Fuß, und Sturmvögel – man konnte glauben, daß sie vom Winde geboren waren wie das Seekraut von den Wellen – Sturmvögel hoben und senkten sich um seine Spitze, wie die wogenden Wellen unten.

Aber selbst hier hatten die zwei Turmwächter ein Feuer angezündet, das durch das Guckloch in der dicken, steinernen Mauer einen hellglänzenden Streifen auf die nächtliche See warf. Die harten Hände sich über den Tisch hinreichend, an dem sie saßen, wünschten sie einander fröhliche Weihnachten und stießen mit den Grogbechern darauf an. Und einer der beiden, der Ältere noch dazu, mit einem Gesicht von Sturm und Wetter gebräunt und gefurcht, wie die Galionsfigur eines alten Schiffes, stimmte ein mächtiges Lied an, das wie ein Sturmwind erdröhnte.

Immer noch schwebte der Geist über die dunkelwogende See dahin, immer weiter und weiter, bis sie, wie der Geist zu Scrooge sagte, fern jeder Küste, sich auf einem Schiff niederließen. Sie standen neben dem Steuermann an dem Rad, dem Ausguck vorn, neben den Offizieren, die gerade Wache hatten. Wie dunkle, gespenstige Gestalten standen diese auf ihrem Posten, aber jeder von ihnen summte ein Weihnachtslied, oder hatte einen Weihnachtsgedanken, oder sprach leise zu seinem Kameraden von einem früheren Weihnachtsabend und heimatlichen Hoffnungen, die sich daran knüpften. Und jeder einzelne an Bord, wachend oder schlafend, gut oder schlecht, hatte an diesem Tag ein herzlicheres Wort für seine Kameraden gehabt als an jedem andern Tag des Jahres und ihn wenigstens einigermaßen gefeiert; und hatte an die gedacht, die sich jetzt in der Ferne seiner erinnerten, und hatte gewußt, daß sie jetzt seiner freundlich gedächten.

Eine große Überraschung war es für Scrooge -während er dem Stöhnen des Windes lauschte und darüber nachdachte, wie es doch schauerlich sei, durch die öde Nacht über einen unbekannten Abgrund dahinzugleiten, der Geheimnisse barg, so tief wie der Tod – eine große Überraschung war es für Scrooge sage ich, plötzlich ein herzliches Lachen zu vernehmen. Noch größer war Scrooges Überraschung, als er darin das Lachen seines eigenen Neffen erkannte und sich in einem hellen, behaglich warmen Zimmer wiederfand, während der Geist an seiner Seite stand und mit beifälligem, mildem Lächeln auf diesen Neffen herabblickte.

»Haha!« lachte Scrooges Neffe. »Hahaha!«

Wenn jemand durch einen sehr unwahrscheinlichen Zufall einen Menschen weiß, der glücklicher lachen kann als Scrooges Neffe, so kann ich nur sagen, ich möchte ihn auch kennenlernen. Stellt mich ihm vor, und ich werde mit ihm Freundschaft pflegen.

Es ist doch eine gerechte und schöne Anordnung, daß, wie Krankheit und Kummer, auch in der ganzen weiten Welt nichts so unwiderstehlich ansteckend ist wie Lachen und Fröhlichkeit.

Als Scrooges Neffe lachte und sich den Bauch hielt und mit dem Kopf wackelte und die allermerkwürdigsten Gesichter schnitt, lachte Scrooges Nichte so herzlich wie er. Und die versammelten Freunde, nicht faul, fielen in den Lachchor ein.

»Haha! Haha! Haha!«

»Er sagte, Weihnachten sei dummes Zeug, so wahr ich lebe«, rief Scrooges Neffe. »Und er glaubt es auch.«

»Die Schande ist um so größer für ihn, Fred«, sagte Scrooges Nichte entrüstet. Gott segne die Frauen! Sie tun nie etwas halb. Sie sind immer in vollem Ernst.

Sie war hübsch, sehr hübsch. Sie hatte ein liebliches, schelmisches Gesicht, einen frischen vollen Mund, der zum Küssen gemacht schien – wie er es ohne Zweifel auch war; alle Arten lieber kleiner Grübchen um das Kinn, die ineinanderflossen, wenn sie lachte, und das sonnenhellste Paar Augen, das je erblickt werden konnte. Ja, sie war reizend, liebenswürdig, bezaubernd.

»Er ist ein komischer alter Herr«, sagte Scrooges Neffe, »das ist wahr, und nicht so angenehm, wie er sein könnte. Doch seine Fehler bestrafen nur ihn selbst, und ich habe keinen Grund, etwas gegen ihn zu sagen.«

»Er muß doch sehr reich sein, Fred«, meinte Scrooges Nichte. »Wenigstens sagst du es immer.«

»Und wenn schon, Liebste!« sprach Scrooges Neffe. »Sein Reichtum nützt ihm nichts. Er tut nichts Gutes damit. Er macht sich selbst nicht einmal das Leben damit angenehm. Er hat nicht einmal das Vergnügen zu denken – hahaha –, daß er uns am Ende damit eine Freude machen wird.«

»Ich habe keine Geduld mit ihm«, bemerkte Scrooges Nichte. Die Schwester von Scrooges Nichte und alle die andern Damen waren derselben Meinung.

»Oh, ich habe Geduld«, sagte Scrooges Neffe. »Mir tut er leid; ich könnte nicht böse auf ihn werden, selbst wenn ich’s versuchte. Wer leidet unter seiner bösen Laune? Er selber allein, sonst niemand. Jetzt hat er sich’s in den Kopf gesetzt, uns nicht leiden zu können, und will unsere Einladung zum Mittagessen nicht annehmen. Was ist die Folge davon? Er verliert nicht viel an unserm Essen.«

»Nun, ich meine, er verliert ein sehr gutes Essen«, unterbrach ihn Scrooges Nichte. Die andern sagten dasselbe, und man konnte ihr Urteil darüber nicht bestreiten, weil sie eben zu essen aufgehört hatten und jetzt mit dem Dessert bei Lampenlicht um den Kamin saßen.

»Nun, es freut mich, das zu hören«, sagte Scrooges Neffe, »weil ich kein großes Vertrauen in diese jungen Hausfrauen setze. Was sagen Sie dazu, Topper?«

Ganz klar war’s, Topper hatte ein Auge auf eine der Schwestern von Scrooges Nichte geworfen, denn er antwortete, ein Junggeselle sei ein unglücklicher, heimatloser Mensch, der kein Recht habe, eine Meinung darüber auszusprechen: Worte, bei denen die Schwester von Scrooges Nichte – die Runde mit dem Spitzkragen, nicht die mit der Rose im Haar – rot wurde.

»Weiter, weiter, Fred!« sagte Scrooges Nichte, in die Hände klatschend. »Er bringt nie zu Ende, was er angefangen hat! Er ist ein so närrisches Kerlchen.«

Scrooges Neffe schwelgte in einem andern Gelächter, und es war unmöglich, sich von der Ansteckung fern zu halten, obgleich es die runde Schwester sogar mit Riechsalz versuchte; sein Beispiel wurde einstimmig nachgeahmt.

»Ich wollte nur sagen«, meinte Scrooges Neffe, »daß die Folge seines Mißfallens an uns und seiner Weigerung, mit uns fröhlich zu sein, die ist, daß er einige angenehme Augenblicke verliert, die ihm nichts schaden würden. Gewiß verliert er angenehmere Unterhaltung, als ihm seine eigenen Gedanken in seinem dumpfigen alten Kontor oder in seiner Wohnung bereiten. Ich versuche ihm jedes Jahr Gelegenheit dazu zu geben, mag es ihm nun gefallen oder nicht, denn er dauert mich. Er mag auf Weihnachten schimpfen, bis er stirbt, aber er muß doch endlich besser davon denken, wenn er mich jedes Jahr in guter Laune zu ihm kommen sieht, mit den Worten: ›Onkel Scrooge, wie geht es Ihnen?‹ – Wenn es ihm nur den Gedanken einflößt, seinem armen Kommis fünfzig Pfund zu hinterlassen, so ist das doch wenigstens etwas: und ich glaube, ich packte ihn gestern.«

Jetzt war an ihnen die Reihe zu lachen bei dem Gedanken, daß er Scrooge gepackt hätte. Aber da er durch und durch gutmütig war und sich nicht viel darum kümmerte, worüber sie lachten, wenn sie überhaupt lachten, so stimmte er in ihre Fröhlichkeit mit ein und ließ die Flasche wacker herumgehen.

Nach dem Tee kam Musik an die Reihe. Denn es war eine musikalische Familie, und sie wußten, was sie taten, wenn sie einen Glee oder Catch sangen, darauf könnt ihr euch verlassen, namentlich Topper, der den Baß nach Noten brummen konnte, ohne daß die großen Adern auf der Stirn anschwollen oder sich sein Gesicht rötete. Scrooges Nichte spielte die Harfe recht gut, und spielte unter anderen Stücken auch ein kleines Liedchen (ein bloßes Nichts, ihr hättet es in zwei Minuten pfeifen gelernt), das jenes Kind oft gesungen hatte, von dem Scrooge aus der Schule geholt worden war, wie ihm der Geist der vergangenen Weihnachten gezeigt hatte. Als Scrooge dies Liedchen hörte, trat alles, was ihm der Geist gezeigt hatte, abermals vor seine Seele: er wurde weicher und weicher und dachte, wenn er es vor Jahren hätte oft hören können, so hätte er die freundlichen Seiten des Lebens genießen können, ohne erst zu Marleys Geist seine Zuflucht um Belehrung nehmen zu müssen.

Aber sie widmeten nicht den ganzen Abend der Musik. Nach einer Welle fingen sie Pfänderspiele an, denn es ist gut, zuweilen Kind zu sein, und vorzüglich zu Weihnachten, da der Urheber dieses Festes selbst noch ein Kind war. Doch halt, erst spielten sie Blindekuh. Und ich glaube ebensowenig, daß Topper wirklich blind war, wie ich glaube, er habe Augen in seinen Stiefeln. Ich vermute, die Sache war zwischen ihm und Scrooges Neffen abgekartet, und der Geist der diesjährigen Weihnachten wußte es wohl! Die Art, wie er die runde Schwester in dem Spitzenkragen verfolgte, war eine Beleidigung aller menschlichen Leichtgläubigkeit. Wo sie ging, ging auch er, die Feuereisen umstoßend, über Stühle stolpernd, an das Piano anrennend, sich in den Gardinen verwickelnd. Immer wußte er, wo die runde Schwester war. Wenn jemand gegen ihn gefallen wäre, wie es einige machten, oder sich vor ihn hingestellt hätte, würde er getan haben, als bemühe er sich, ihn zu ergreifen, wäre aber augenblicklich umgekehrt, der runden Schwester nach. Sie rief oft, das sei nicht ehrlich, und das war es auch in der Tat nicht. Aber endlich hatte er sie gefunden und ungeachtet ihres Sträubens zwängte er sie in eine Ecke, aus der keine Flucht möglich war; und da wurde seine Aufführung ganz abscheulich. Denn sein Vorgeben, er kenne sie nicht, er müsse erst ihren Kopfputz anfassen und, um sie zu erkennen, einen gewissen Ring auf ihrem Finger und eine gewisse Kette um ihren Hals befühlen, war ganz, ganz abscheulich! Und gewiß sagte sie ihm auch tüchtig ihre Meinung darüber, denn als ein anderer Blinder an der Reihe war, tuschelten sie hinter den Gardinen sehr vertraut miteinander.

Scrooges Nichte nahm nicht teil an dem Blindekuhspiel, sondern saß gemütlich in einer traulichen Ecke in einem Lehnstuhl mit einem Fußbänkchen davor, und der Geist und Scrooge standen dicht hinter ihr. Aber bei den Pfänderspielen tat sie mit und liebte ihre Liebe mit allen Buchstaben des Alphabets zur allgemeinen Bewunderung. Auch in dem Spiel ›Wie, Wann und Wo‹ war sie sehr tüchtig und stellte zur geheimen Freude von Scrooges Neffen ihre Schwestern gar sehr in den Schatten, obgleich sie auch ganz gescheite Mädchen waren, wie es uns Topper hätte versichern können. Es mochten ungefähr zwanzig Personen da sein, junge und alte, aber sie spielten alle, und auch Scrooge spielte mit; denn in seiner Teilnahme an den Vorgängen ganz vergessend, daß ihnen seine Stimme nicht hörbar war, gab er oft seine Antwort auf die Fragen ganz laut und riet auch oft ganz richtig.

Dem Geist gefiel es sehr gut, ihn in dieser Laune zu sehen, und er blickte ihn so freundlich an, daß ihn Scrooge wie ein Knabe bat, noch warten zu dürfen, bis die Gäste fortgingen. Aber der Geist sagte, dies könne nicht geschehen.

»Es fängt ein neues Spiel an«, sagte Scrooge. »Nur eine einzige halbe Stunde, Geist.«

Es war ein Spiel, das man ›Ja und Nein‹ nennt, wo Scrooges Neffe sich etwas zu denken hatte und die anderen erraten mußten, was; auf ihre Fragen brauchte er dann nur mit Ja oder Nein zu antworten. Die schnell aufeinanderfolgenden Fragen, die ihm vorgelegt wurden, ergaben denn endlich, daß er sich ein Geschöpf dachte –. ein lebendiges Wesen, ein häßliches, wildes Geschöpf, das zuweilen brumme und zuweilen spreche und sich in London aufhalte und in den Straßen herumlaufe und nicht für Geld gezeigt und nicht herumgeführt werde und nicht in einer Menagerie sei und nicht geschlachtet werde, und weder ein Pferd, noch ein Esel, noch eine Kuh, noch ein Ochs, noch ein Tiger, noch ein Hund, noch ein Schwein, noch eine Katze, noch ein Bär sei. Bei jeder neuen Frage, die ihm gestellt wurde, brach Scrooges Neffe aufs neue in ein Gelächter aus und konnte gar nicht wieder herauskommen, so daß er vom Sofa aufstehen und mit den Füßen stampfen mußte. Endlich rief die runde Schwester mit einem ebenso unauslöschlichen Gelächter:

»Ich habe es, Fred, ich weiß es, ich weiß es.«

»Was ist es?« rief Fred.

»Es ist Onkel Scrooge.«

Und der war es auch. Verwunderung war das allgemeine Gefühl, obgleich einige meinten, die Frage: »Ist es ein Bär?« hätte mit Ja beantwortet werden müssen, denn eine verneinende Antwort sei schon hinreichend gewesen, ihre Gedanken von Scrooge abzubringen, selbst wenn sie auf dem Wege zu ihm gewesen wären.

»Nun, er hat uns Freude genug gemacht«, sagte Fred, »und so wäre es undankbar, nicht auf seine Gesundheit zu trinken. Hier ist ein Glas Glühwein dazu bereit. Es lebe Onkel Scrooge!«

»Es lebe Onkel Scrooge!« stimmten alle ein.

»Fröhliche Weihnachten und ein glückliches Neujahr dem Alten, sei er, wie er wolle!« sagte Scrooges Neffe. »Er wollte meinen Wunsch nicht annehmen, aber er soll ihn dennoch haben.«

Dem Onkel Scrooge war es unmerklich so fröhlich und leicht zu Sinne geworden, daß er der von seiner Gegenwart nichts ahnenden Gesellschaft ihren Toast erwidert und mit einer unhörbaren Rede gedankt haben würde, hätte ihm der Geist Zeit dazu gelassen. Aber alles verschwand im Hauch vom letzten Wort des Neffen, und Scrooge und der Geist waren schon wieder unterwegs. Sie gingen weit und sahen viel und besuchten manchen Herd, aber immer spendeten sie Glück. Der Geist stand neben Kranken, und sie wurden heiter und hoffend; neben Wanderern in fernen Ländern, und sie träumten von der Heimat; neben solchen, die mit dem Leben rangen, und sie harrten geduldig aus; neben Armen, und sie wurden reich. Im Armenhaus und im Lazarett, im Kerker und in jedem Zufluchtsort des Elends, wo der Mensch in seiner kurzen ärmlichen Herrschaft dem Geiste die Tür verschlossen hatte, spendete er seinen Segen und lehrte Scrooge seine Weise.

Es war eine lange Nacht, wenn es nur eine Nacht war; aber Scrooge zweifelte daran, denn die Weihnachtsfeiertage schienen in die Zeit, in der sie miteinander verrannen, zusammengedrängt zu sein. Es war auch sonderbar, daß der Geist offenbar älter wurde, während Scrooge äußerlich ganz unverändert blieb. Scrooge hatte diese Veränderung zwar bemerkt, sprach aber nie davon, bis sie von einer Kinderweihnachtsgesellschaft weggingen, wo er bemerkte, daß des Geistes Haar schnell grau geworden war.

»Ist das Leben der Geister so kurz?« fragte Scrooge.

»Mein Leben ist sehr kurz auf dieser Erde«, sagte der Geist, »es endet noch in dieser Nacht.«

»In dieser Nacht noch!« rief Scrooge.

»Heute um Mitternacht. Horch, die Zeit nahet schon.«

Die Glocke schlug drei Viertel auf zwölf

»Vergib mir, wenn ich nicht recht tue, zu fragen«, sagte jetzt Scrooge, scharf auf des Geistes Gewand blickend, »aber ich sehe etwas Seltsames unter deinem Mantel hervorblicken, was nicht zu dir zu gehören scheint. Ist es ein Fuß oder eine Klaue?«

»Nach dem wenigen Fleisch, was darauf sitzt, könnte es schon eine Klaue sein«, gab der Geist traurig zur Antwort, und fuhr fort: »Sieh hier!«

Aus den weiten Falten seines Gewandes hervor erschienen jetzt zwei Kinder, elend, abgemagert, häßlich und mitleiderregend. Sie knieten vor dem Geiste nieder und hielten sich festgeklammert an dem Saum seines Gewandes.

»O Mensch, sieh hier«, rief der Geist. »Sieh hier, sieh hier!«

Es war ein Knabe und ein Mädchen. Fahlen Gesichtes, elend, zerlumpt und mit wildem, tückischem Blicke; aber doch auch ängstlich und gedrückt in ihrer Demut. Wo die Schönheit der Jugend ihre Züge hätte durchleuchten und mit ihren frischesten Farben kleiden sollen, hatte sie eine runzlige, abgelebte Hand, gleich der des Alters, berührt und versehrt. Wo Engel hätten thronen können, lauerten Teufel mit grimmigem, drohendem Blick. Keine Veränderung, keine Entwürdigung der Menschheit in allen Geheimnissen der Schöpfung hat so schreckliche und grauenerregende Ungeheuer aufzuweisen.

Entsetzt fuhr Scrooge zurück. Da sie ihm der Geist auf solche Weise gezeigt hatte, versuchte er zu sagen, es wären schöne Kinder, aber die Worte erstickten ihm von selber, um nicht teilzuhaben an einer so ungeheuren Lüge.

»Geist, sind das deine Kinder?« Weiter konnte Scrooge nichts sagen.

»Es sind des Menschen Kinder«, erwiderte der Geist, auf sie herabschauend. »Und sie hängen sich an mich, vor mir ihre Väter anklagend. Dieses Mädchen ist die Unwissenheit. Dieser Knabe ist der Mangel. Schau sie beide wohl an, und vor allem diesen Knaben; denn auf seiner Stirn seh‘ ich geschrieben, was Verhängnis ist, wenn die Schrift nicht verlöscht wird. Leugnet es«, rief der Geist, seine Hand nach der Stadt ausstreckend.

»Verleumdet alle, die es Euch sagen! Gebt es zu um Eurer Parteizwecke willen und macht es noch schlimmer! Und erwartet das Ende!«

»Haben sie keine Stütze, keinen Zufluchtsort?« rief Scrooge.

»Gibt es keine Gefängnisse?« sagte der Geist, das letztemal die eigenen Worte von Scrooge gegen ihn gebrauchend. »Gibt es keine Armenhäuser?«

Die Glocke schlug zwölf.

Scrooge sah sich um nach dem Geiste, aber er war verschwunden. Als der letzte Schlag verklungen war, erinnerte er sich an die Vorhersagung des alten Jacob Marley und sah, die Augen erhebend, ein grauenerregendes, tief verhülltes Gespenst auf sich zukommen, wie ein Nebel auf dem Boden dahinzurollen pflegt.