Karls des Großen Tod und Grab

Als es mit Kaiser Karl dem Großen zum Sterben kam, verordnete der Held, wie es mit seinem Begräbnis geschehen solle. Und es geschahen zugleich große Wunderzeichen am Himmel und auf Erden, welche des mächtigen Kaisers Absterben voraus verkündeten. So stürzte der bedeckte Gang ein, der von der Kaiserpfalz auf den Markt zum Münster führte.

Und da Karolus nun verstorben war, da ward er beigesetzt in einer neuen wohlverwahrten Gruft, auf einem Stuhl von Marmelstein aufrecht sitzend, auf seinem Haupt die Krone und in der einen Hand das Zepter, in der andern das Evangelienbuch, und ward dann über ihm die Gruft geschlossen und vermauert. Das geschah gleich am zweiten Tage nach dem Tode des großen Herrschers. Und nach wenigen Wochen kam Ludwig der Fromme, sein Sohn, und übernahm das Erbe des Reiches. Der sah seinen Vater nicht mehr, und kein Mensch sah ihn mehr, bis man das Jahr 1000 schrieb.

Da trug des Reiches Krone Kaiser Otto III. vom Sachsenstamme. Den gelüstete zu einer Zeit, den Leichnam Karls des Großen zu schauen. Und er ging zum Grabe dar, geleitet von zwei Bischöfen und einem Grafen, und ließ eine Öffnung in die Gruft brechen. Da saß der nun seit fast zwei Jahrhunderten beigesetzte Kaiser noch hoch und hehr wie ein steinern Heldenbild auf seinem Marmelstuhl, die Krone noch auf dem Haupte, das Zepter in der Hand und das Buch auf den Knien, schier dräuend und schrecklich anzusehen. Alle beugten sich ehrfurchtsvoll vor dem großen Toten. Dann ließ Kaiser Otto das Grab wieder schließen und fest vermauern.

In der Nacht darauf aber erschien Karolus dem Kaiser Otto III. im Traume, hehr und schrecklich anzusehen, und sprach zu ihm: »Mußtest du kommen und meine Ruhe stören? Bald wirst du ruhen, wo ich ruhe, nicht weit von mir, und erlöschen wird mit dir dein Stamm!«

Otto, der Kaiser, nahm sich dies Gesicht sehr zu Herzen. Er gründete eine Kirche und ein Klosterstift und ließ es weihen zu Ehren Sankt Adalberts. Und im zweiten Jahre, nachdem er Karls Leichnam gesehen, da war schon das Wort der Erscheinung erfüllt, und Otto III. ruhte in der Kaisergruft im Aachener Dome.

Hernachmals hat nach abermals 200 Jahren Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen Kaiser Karls Gebeine erheben und in einen prächtigen goldenen und silbernen Kasten legen lassen, die Krone aber und andere Kleinodien dem Domschatz überwiesen.

Der Schwanritter

Da Herzog Gottfried von Brabant zum Sterben kam und hatte keinen Sohn, wollte er sein Land und Erbe seiner Gemahlin und seiner Tochter überlassen. Aber Gottfrieds Bruder Telramund wollte darein nicht willigen und sagte, das Land sei kein Weiberlehen, und nahm Brabant für sich. Da verklagte ihn die Herzogin bei König Heinrich dem Vogler, und der lud sie und auch ihren Schwager gen Nimwegen am linken Arm des Rheinstroms, die Waal geheißen. Und sie kam dahin mit ihrer Tochter, und auch ihr Gegner.

Da geschah es, daß König Heinrich durch ein Fenster hinausschaute und hinab auf den Strom; da sah er einen Schwan schwimmen, der hatte ein silbernes Halsband und zog mit diesem an silberner Kette einen Nachen nach sich, und in dem Nachen lag ein Ritter in gleißendem Harnisch. Sein Haupt ruhte auf seinem Schilde, seinen Helm und die Halsbrünne hatte er abgetan und neben sich gelegt, und der Schwan ruderte an das Ufer heran. Alle Hofleute, die das sahen, samt dem König verwunderten sich sehr, vergaßen den Rechtshandel und eilten nach dem Ufer hinunter. Der ritterliche Jüngling im Nachen erwachte, tat sein Gewaffen wieder an, erhob den Schild, auf dem acht Zepterlein um einen weißen Karfunkel gestellt waren, stieg aus der Barke und sprach zu dem Schwan: »Flieg deinen Weg wohl hin, lieber Schwan! So ich deiner bedarf, will ich dich rufen.« – Da wandte sich der Schwan und ruderte im Wasser und entschwand samt dem Nachen den Augen der ihm Nachschauenden.

Alles blickte ganz verwunderungsvoll nach dem Gast, dem der König selbst die Hand bot und ihn nach der Burg geleitete. Dann setzte er sich auf den Richterstuhl und hieß den Fremdling bei den Fürsten und Herren eine Stelle einnehmen. Es erhub nun die Herzogin ihre Klage, und ihr Schwager brachte seine Gegenrede vor und sprach, daß er bereit sei, für sein Recht zu kämpfen; die Herzogin solle ihm nur einen Kämpen stellen, der mit ihm für ihr und ihrer Tochter vermeintes Recht stritte. Der Herzog Telramund war aber ein gar mannlicher Held und dem Besten im Kampfe überlegen. Darum erbebte die Herzogin; denn sie wußte keinen Kämpen in ihrer Sippschaft aufzufordern, sich jenem gegenüberzustellen. Da weinte sie in bitterm Schmerz, und ihre Tochter weinte mit ihr, und es war ihr weh im Herzen.

Siehe, da erhob sich der junge Ritter, der mit dem Schwan gekommen war, von seinem Stuhl, neigte sich gegen den König und sprach: »So du es mir vergönnst, großer König, so will ich wohl dieser Frauen Kämpe sein!« Das wurde ihm gewährt, und er stritt darauf einen schweren Streit mit dem Herzog Telramund; doch besiegte er ihn endlich und machte so der Herzogin und ihrer Tochter Erbe frei und ledig. Die dankten ihm in Züchten, und die Herzogin bot ihm jeden Kampfeslohn, den sie gewähren könne, und wär‘ es selbst ihrer Tochter Hand und einstiges Erbe. Da sagte der Jüngling, Werteres könne ihm nimmer geboten werden; doch müsse er unerläßlich bedingen, daß seine Braut und Vermählte nie und nimmermehr ihn frage, wie er heiße, woher er gekommen, welches sein Geschlecht sei, wer ihm Vater und Mutter wäre und solcher Fragen mehr; denn sowie sie solche Fragen auch nur ein einziges Mal an ihn richte, müsse sie ihn auf immer verlieren.

Diese Bedingung deuchte der Prinzessin von Brabant gar leicht zu halten; sie gelobte ihm das und vermählte sich dem Schwanenritter. Sie zogen nach Kleve, der uralten Stadt, wo schon Julius Cäsar eine Burg erbaut, erneuten das Schloß und nannten es Schwanenburg und freuten sich des Lebens. Sie gewannen auch zwei blühende Kinder und waren sehr glücklich. Und sie wären es geblieben, wenn nicht der Weiber Erbsünde, die schlimme Neugier, die junge Herzogin gequält und immer mehr gequält hätte. Denn sie mochte gar zu gerne wissen, wer denn eigentlich ihrer Kinder Vater sei. Und so drückte es ihr fast das Herz ab, bis sie endlich die Frage tat, die ihr doch so ernst verboten war. Da sprach der Herzog: »Nun hast du dein Glück und mein Glück zerbrochen, und hast mich am längsten gesehen!« Und er waffnete sich und winkte zum Fenster hinaus.

Da kam schon der Schwan geschwommen mit seinem Schifflein. Und der Herzog küßte seine Kinder und drückte seiner Gemahlin stumm und schmerzlich die Hand. Die weinte überlaut und stürzte ihm voll Reue zu Füßen und wollte ihn zurückhalten, und auch alles Volk flehte ihn an, daß er bleiben sollte. Aber der Schwanritter konnte nicht bleiben. Er segnete alle, bestieg seinen Kahn und fuhr von dannen.

Tief drang der Kummer ins Gemüt der Herzogin. Doch erzog sie die Kinder zu tüchtigen Rittern, und ihnen entstammten alle späteren Herzöge von Kleve und Geldern und Rheineck; die führten meist den Schwan im Wappen. Des Landes Heerschild aber blieb der weiße Stein im roten Felde, um den die acht goldnen Zepterstäbe gestellt sind, bis auf diesen Tag. Auf dem Schwanenturme der Schwanenburg aber zeugt noch ein weißer Schwan, der sich im Winde dreht, von dieser Geschichte.

Die Tellensage

Lieder und Chroniken des Schweizerlandes preisen den Tell als den Schöpfer der Schweizer Freiheit, und in alle Lande ist sein Ruhm erklungen.

Es war zu den Zeiten, da Kaiser Albrecht von Österreich regierte; der war ein strenger und heftiger Herr und suchte, daß er sein Land mehre. So kaufte er viele Städte, Flecken und Burgen in dem Schweizerlande und setzte Landvögte ein, die in seinem Namen regierten. Drei Schweizerstädte und Landschaften aber wollten nichts von dem Österreicher wissen. Da sandte ihnen der Kaiser zwei edle Boten, den Herrn von Lichtenstein und den Herrn von Ochsenstein, die mußten den Orten vortragen, daß sie sich doch sollten in Österreich Schutz und Schirm begeben, da könnten sie es mit der ganzen Welt aufnehmen; wollten sie das aber nicht, so wolle der Österreicher ihr Feind sein, und sie sollten sich nichts Gutes von ihm zu versehen haben. Aber da sprachen die Männer von Schwyz: »Liebe Herren, wir wollen dem Hause Österreich gern in allen Ehren zu Lieb und zu Dienst sein; aber wir wollen doch bei unsrer alten Freiheit bleiben, die noch niemalen ein Fürst oder Herzog angetastet hat.« – Auf diese Rede brachen die Abgesandten rasch auf und ritten stracks nach Uri und Unterwalden; dort, dachten sie, würden sich die Städte gleich der Braut mit Österreich vermählen. Es kam aber ganz anders; denn die drei Orte hatten sich schon miteinander verbunden und sich verschworen, treulich zusammenzuhalten. Sie sagten, daß ihre Freiheit ihnen verbrieft sei von dem Kaiser Friedrich dem Hohenstaufen und Rudolf dem Habsburger, und so ritten die Abgesandten unverrichteter Sache von dannen.

Bald darauf sandte Albrecht von Österreich zwei Vögte, die hießen Geßler und Landenberger. Von denen sollte Geßler ein Amtmann zu Schwyz und Uri sein, der Landenberger aber zu Unterwalden; doch sollten sie sich zu Anfang gut und freundlich erzeigen, ob sie vielleicht das Volk in Güte bewegten. Allein dieses ließ sich nicht bewegen, und da erhielten die Landvögte Befehl, den Bauern alles gebrannte Herzeleid anzutun. Als das nun geschah, da sandte das Volk Klageboten an Albrecht; der aber ließ sie gar nicht vor sein Angesicht. Nun gingen die Sendboten zu des Kaisers Räten und baten sie freundlich und ernstlich, sie sollten dem Mutwillen und der Plackerei der Vögte steuern und verhindern, daß sie mit neuer und unerhörter Schatzung das Volk bedrückten. Aber die Räte sprachen: »Ihr Männer seid selber schuld an allem Übel. Warum wollt ihr euch nicht auch in unsers Herrn Schutz und Schirm begeben? Tätet ihr solches, so hättet ihr Ruhe und guten Frieden!« – Da kehrten die Gesandten traurig heim und ohne Hoffnung und sagten den Ihrigen die schlimme Botschaft an.

Damals wohnte in Unterwalden ein gar redlicher Mann, der niemals Untreue verübte; der war dem Landenberger insonderheit verhaßt, und sein Name war Heinrich vom Melchthal an der Halde. Zu dem sandte der Landenberger, der auf Burg Sarnen saß, einen seiner Knechte mit dem Gebot, dem Melchthaler die Ochsen vom Pfluge abzuspannen. Flugs gehorchte der Knecht und wollte dem Manne die Ochsen vom Pfluge wegführen. Heinrich vom Melchthal aber sprach: »Laß ab; meine Ochsen behalte ich! Hab‘ ich was Sträfliches getan, so soll man mich vorfordern und richten!« Der Knecht sprach: »Bauer, ich tue, was meines Herrn Gebot ist; frag ihn um die Ursach‘! Ihr Bauern seid selber Ochsen genug, daß ihr den Pflug selbst ziehen könnt.« – Diese lose Rede hörte des Alten Sohn, der hieß Arnold. Und er nahm alsbald einen Stecken und schlug dem Knecht des Landenbergers einen Finger entzwei, daß ihm das Ochsenausspannen verging. Der Knecht entwich, die Tat dem Landvogt anzusagen, und der junge Arnold vom Melchthal entwich nach Uri. Der Landenberger ließ alsbald Heinrich vom Melchthal vor sich bringen und begehrte von ihm des Sohnes Aufenthalt zu erfahren. Da nun der Alte nicht sagen wollte oder nicht wußte, wohin sein Sohn sich geflüchtet, so ließ der Landenberger dem Alten beide Augen ausstechen, nahm ihm sein Gut und trieb ihn ins Elend.

Auf der Burg Roßberg hatte der Landenberger einen Pfleger sitzen, der hieß von Wolfenschießen, der war auch einer von den Pressern. Der kam in Konrad Baumgartens Behausung und traf, wie er schon im voraus wußte, nicht den Mann, sondern nur dessen frommes und schönes Weib an, zu der er ein sonderlich Gelüsten hatte. Er rief sie an, indem er vom Pferde stieg, sie solle nach einem Zuber umschauen und ihm ein Bad rüsten, es sei ihm heiß vom starken Ritt. Und als er nun im Bade saß, da winkte er ihr, sie solle zu ihm sitzen. Sie aber tat, als wolle sie ihm gehorchen, und lief alsbald nach dem nahen Walde, wo ihr Mann Holz haute. Der hatte gerade Feierabend gemacht und kam ihr mit der Axt entgegen. Er hörte ihre Not und Klage und sprach: »Dem Bader will ich das Bad wohl gesegnen!« Und er lief einen nahen Pfad, traf den Wolfenschießen noch im Zuber und schlug ihn mit der Axt dermaßen, daß der Kopf in zwei Hälften auseinander spaltete.

Der Landvogt Geßler, der zu Uri saß, hub an auf einem Bühel12 über Altdorf eine neue Burg zu bauen, die sollte genannt werden »Zwing-Uri«, um so das Landvolk recht zu quälen und zu reizen. Und weil der Geßler wußte, daß er allem Volke verhaßt war, und mutmaßte, es möge sich schon etwas Heimliches gegen ihn angesponnen haben, so ließ er mitten auf einem freien Platze, wo jedermann vorüberwandelte, eine hohe Stange aufrichten, mit einem Hute darauf, und befehlen, daß jedermann, wer es immer sei, dem Hute Reverenz13 erzeigen solle mit Bücken und Hutabnehmen, als ob es der Vogt selbst sei. Und er ließ heimlich spüren und aufpassen, wer es etwa nicht täte.

Darauf ritt er gen Schwyz und kam über Steinen; da wohnte ein gar frommer Mann, der hieß Werner Stauffacher, der hatte noch nicht lange zuvor ein neues Haus an seines alten Statt gebaut. Da nun der Vogt vorüberritt, fragte er: »Wem gehört dieses Haus?« Der Stauffacher wollte recht höflich sein und sagte nicht, daß es ihm gehöre, sondern antwortete: »Meinem Kaiser und Euch, Herr Landvogt, ich trag’s nur von Euch zu Lehen! Beliebt Euch, einzutreten?« – Aber der Landvogt fuhr den Stauffacher scheltend an: »Ich bin hier an des Kaisers Statt! Hast du um Erlaubnis gefragt zu diesem Bau? – Nein! Und baut ihr Bauern nicht Häuser, als wenn Herren darinnen wohnen sollten? Das will ich euch wohl wehren!« Sprach’s und ritt trutziglich weiter.

Den Stauffacher schmerzte die Rede sehr; aber sein kluges Weib tröstete ihn und sagte zu ihm, er solle sich doch umtun bei anderen Freunden und mit ihnen Rats pflegen, daß es anders werde. Da ging Werner Stauffacher gen Uri zu einem Freund, der hieß Walter Fürst, und bei diesem fand er Arnold vom Melchthal, der sich noch flüchtig hielt. Und da ratschlagten die drei miteinander und wurden eins, daß sie noch andere treue und vertraute Männer aufsuchen und mit ihnen einen Bund gegen den Druck der Vögte schließen wollten. Das gelang ihnen vortrefflich, und es ward ein großer heimlicher Bund, zu dem traten auch viele von ritterlichem Geschlecht; denn die Vögte waren auch ihnen aufsässig und nannten sie Bauernadel und adelige Kuhmelker.

Darauf erkieseten die Männer des Bundes zwölf aus ihrer Mitte als ihren Vorstand, die kamen zusammen und tagten in ihren Sachen auf einer Matte, die man nennt das »Rütli«, am Vierwaldstätter See. Da rieten die von Unterwalden, man solle noch verziehen und warten, weil es schwer wäre, in aller Schnelle die festen Plätze, wie Sarnen und Roßberg, zu gewinnen, und wolle man sie belagern, so gewinne der Kaiser Zeit, ein Heer zu senden, das sie allzumal aufreiben werde. Man solle lieber die Schlösser mit List gewinnen, niemand töten, der sich nicht bewaffnet widersetze, allen übrigen freien Abzug gewähren und dann die Festen bis auf den Boden schleifen. Als die Männer so tagten und den großen Bund beschwuren, da entsprangen der Matte heilige Quellen.

Nun geschah es, daß ein Mann aus Uri, Wilhelm Tell geheißen, etliche Male achtlos an Geßlers Hut vorüberging und ihm keine Reverenz machte. Kaum ward das angezeigt, so ließ der Vogt ihn vor sich kommen. Tell aber sprach: »Ich bin ein Bauersmann und vermeint‘ nit, daß soviel an dem Hut lieg‘; hab‘ auch nit sonder acht darauf gehabt.« Da ergrimmte der Vogt, schickte nach des Tellen allerliebstem Kind und sagte: »Du bist ja ein Schütz und trägst Geschoß und Gewaffen mit dir herum; jetzt schieße diesem deinem Kind einen Apfel vom Kopf!« – Dem Tell erschrak das Herz, und er sprach: »Ich schieße nicht; nehmt lieber mein Leben!« – »Du schießest, Tell!« schrie der Landvogt, »oder ich lasse dein Kind vor deinen Augen und dich hinterdrein niederstoßen.« Da betete der Tell innerlich zu Gott, daß er seine Hand führe und des liebsten Kindes Haupt schirme. Und der Knabe stand still und zuckte nicht, und Tell schoß und traf den Apfel. Da jauchzte das Volk laut auf und umjubelte den Tell, den meisterlichen Schützen.

Das verdroß erst recht den Geßler, und er schrie den Tell an, der noch einen Pfeil im Koller hatte: »Du hast noch einen Pfeil, Tell; sag an, was hätt’st du getan, wenn du dein Kind getroffen?« Tell antwortete: »Das ist so Schützenbrauch, Herr.« – »Nein, das ist eine Ausrede, Tell!« antwortete der Landvogt. »Sag es frei; ich sichere dich deines Lebens.« – »Wenn Ihr es denn wissen müßt,« sprach Tell, »und mich meines Lebens versichert, so höret denn: traf ich mein Kind, so hätte dieser Pfeil Euer wahrlich nicht, fehlen sollen!« – »Ha, du Schalk und Erzbösewicht!« schrie der Landvogt, »das Leben hab‘ ich dir versichert, aber nicht die Freiheit. Ich will dich an einen Ort bringen, wo weder Sonne noch Mond dich bescheinen soll!« Hieß alsobald seine Knechte den Tell binden und ihn in sein Schiff bringen, darin er über den Vierwaldstätter See fahren wollte und von Weggis nach Küßnacht reiten.

Da schuf Gott der Herr einen Sturmwind und ein schrecklich Ungewitter, daß das Wasser ins Schiff schlug. Da sagten die Schiffsleute dem Landvogt, daß der Tell der beste Schiffslenker sei, der allein könne sie noch aus der Todesgefahr retten. Darauf ließ der Landvogt den Tell losbinden; der ruderte flugs mit starken Armen und brachte das Schifflein nach dem rechten Ufer, wo das Schwyzer Gelände sich hinabsenkt. Da war ein Vorsprung mit einer Felsenplatte, auf diese sprang plötzlich der Tell mit seinem Geschoß, das er rasch ergriff, stieß mit Gewalt das Schifflein von sich und ließ es durch die Wellen treiben. Des erschraken der Landvogt und seine Leute mächtig; Tell aber entfloh eilend auf Pfaden, die ihm wohlbekannt waren.

Rheinsagen

Als die im Schiff bei Laupen14 waren, legte sich der Sturm. Geßler ließ aber dennoch bei Brunnen14 anlegen; denn er fürchtete sich vor dem Ungestüm der Seen. Tell wandelte auf Bergpfaden hoch über den Seetälern und sah, wohin der Landvogt zog. Und da fand sich zwischen dem Art16 und Küßnacht eine hohle Gasse, dort harrte Tell des Vogts. Und als er durch die hohle Gasse dahergeritten kam, schoß ihn der Tell mit dem aufgesparten Pfeil vom Rosse herunter, wie ein Jäger eine wilde Katze vom Baume schießt. Nach solcher Tat wich der Tell von hinnen, kam im Dunkel der Nacht im Lande Schwyz in des Stauffachers Haus zu Steinen, eilte dann durchs Gebirg zu Walter Fürst in Uri und sagte allen an, was sich zugetragen und daß es jetzt an der Zeit sei, loszuschlagen und das fremde Joch abzuschütteln.

Nun war es nicht mehr weit hin bis zum neuen Jahr; denn als der Bund auf dem Rütli tagte, war schon Wintermond. Und da ward zuerst Roßberg mit List eingenommen von den Unterwaldnern und darauf Sarnen ohne Schwertschlag. Und es mußten alle Dienstleute der Vögte Urfehde geloben und schwören, nimmer wieder in das Schweizerland zu kommen. Das noch nicht fertig ausgebaute Schloß Zwing-Uri wurde wie die genannten Schlösser der Erde gleichgemacht, und Werner Stauffacher brach Schloß Louvers, das in den See hineingebaut stand.

Da nun Kaiser Albrecht von allen diesen Dingen die Kunde vernahm, geriet er in großen Zorn und nahm gleich ein Kriegsheer, die Schweizer zu züchtigen. Aber auf diesem Zuge, da er durch den Aargau ritt und gen Brugg wollte, wurde er von seinem eigenen Neffen, Johann, Herzog von Schwaben, ohnweit Königsfelden meuchlings erschlagen. Darum behielten die Schweizer Frieden und ihre Freiheit bis auf den heutigen Tag.

Das ist die Sage von der Schweizer Bündnis und der Tat des Tell. Ja, die drei ersten Gründer des Bundes der Schwyzer, Unterwaldner und derer von Uri – denen sich dann Zürich, Luzern, Zug, Glarus, Freiburg und Solothurn anschlossen, denen endlich Schaffhausen und Appenzell folgten – galten und gelten dem Landvolke als drei Telle, die in einer Felskluft verzaubert schlafen, wie Kaiser Friedrich im Kyffhäuser und Kaiser Karl im Untersberge. Sollte das Schweizer Vaterland in Not kommen, so werden die drei Telle aus ihrer Gruft hervorgehen und es aufs neue befreien. Den Weg zu ihrer Höhle weiß keiner. Nur zufällig kam einst ein Hirte, der einer verlaufenen Ziege nachging, an eine Höhle; da fand er die drei Männer, und der eine Tell richtete sich vom Schlummer auf und fragte: »Welch‘ Zeit ist’s auf der Welt?« – »Hochmittag!« antwortete der Hirte. »So ist’s noch nicht an der Zeit!« sprach der Tell und legte sich wieder zum Schlummer hin. Keiner hat nachher die Höhle wiedergefunden.

  1. Hügel
  2. Ehrerbietung
  3. am Vierwaldstätter See
  4. am Vierwaldstätter See
  5. Flecken am Zuger See

Der Pilatus und die Herdmanndli

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In der ganzen Schweiz, im Berner und Luzerner Land, im Haslital und fast allenthalben gehen Sagen von Zwergen und Berggeistern, die sich vielfach ähnlich sind. Absonderlich viel Redens ist von dem hohen Berge Pilatus und den Zwergen, die in seinem Geklüft wohnen, die heißen Herdmanndli.

Der Pilatus ist der rechte Blocksberg der Schweiz, auf lateinisch mons pileatus (Hutberg) geheißen, weil im Land die bekannte Regel geht:

»Hat der Pilatus einen Hut,
so steht im Land das Wetter gut.«

Aber es geht die Sage, daß nach Christi, unsers Herrn, Leiden, Tod und Auferstehung der römische Landpfleger Pilatus in dieses Land gezogen sei, oder gar, daß der Satan ihn hergetragen. Und da habe er am Berge den ungeheuerlichen See gefunden, der weder Zu- noch Abfluß hat und wegen der unergründlichen Tiefe schwarz und gräßlich anzusehen ist, ein unheimlicher Moorgrund. In diesen See habe sich der römische Landpfleger gestürzt, weil sein Gewissen ihn fort und fort gepeinigt; andere sagen, der Teufel habe ihn hineingesteckt. –

Die Herdmanndli wohnten vielfach in der Pilatushöhle, die hoch oben liegt, tief und schaurig. Sie waren den Menschen gar gut und hilfreich, gar »gespäßige Lüet«, wie die Hirten sagen; sie verrichteten nachts der Menschen Arbeit, kamen auch vom Berg herunter in die Täler, schafften und ackerten redlich, und ein Herdmanndli konnte mehr verrichten als zehn Meister mit allen Knechten. Aber sehen ließen sich die Manndli wunderselten, und auch da hatten sie lange graue Kutten an, die bis auf die Erde reichten, daß man nimmer‘ ihre Füße sah.

Einem Hirten begegnete es, daß er einen reichtragenden Kirschbaum oben, am Berge hatte, dem pflückten die geschäftigen Zwerglein die Kirschen ab und brachten sie zum Trocknen auf die Hürten18 , daß hernach gutes Kirschwasser daraus gebrannt werden konnte. Der Hirt aber ward neugierig, zumal mocht‘ er gern die Füße der Herdmanndli sehen, kam her und streute Asche rings um den Baum, als die Früchte im nächsten Jähr wieder reiften. Die Herdmanndli kamen, pflückten redlich die Kirschen ab, und am Morgen sah der Hirt ihrer Füßlein Spur in der Asche. Es waren eitel kleine Gänsefüße. Der Hirt lachte und sagt‘ es freudig seinen Genossen an, daß er nun wisse, was für Füße die Herdmanndli hätten. Die Zwerge aber ergrimmten, zerbrachen des Hirten Dach und Fach, versprengten seine Herde, zerknickten dem Kirschbaum Ast um Ast, und ihrer keines kam jemals wieder herunter, den Menschen hilfreich zu sein. Sie blieben droben in ihrer tiefen Höhle und in ihrem Geklüft wohnen. Der Hirt aber wurde ganz tiefsinnig, schlich bleich umher und hat nicht lange gelebt.

  1. Erdmännlein oder Zwerge
  2. Gestelle zum Dörren des Obstes

Winkelried und der Lindwurm

Zu Wylen, einem Dorfe nicht weit vom Pilatus, saß ein Mann, der hieß Winkelried. Und in der Nähe droben am Berge hauste ein schädlicher Lindwurm, der fraß Menschen und Vieh und verödete den ganzen Landstrich, so daß ihn die Umwohner Öd-Wyler nannten.

Nun hatte Winkelried ob einer Mordtat Leib und Leben verwirkt und war flüchtig geworden. Da sandte er Botschaft, daß er, wenn man ihn wieder annehmen wolle, Mut habe, den Lindwurm zu bestehen. Diesen Kampf vergönnte man ihm gern.

Er bewehrte sich gut mit scharfem Schwert, und statt des Schildes hielt er in der linken Hand eine Dornwelle. Diese stieß er dem Drachen, sowie er auf ihn losfuhr, in den weitaufgesperrten Rachen hinein. Das waren dem Lindwurm zu viele Zahnstocher auf einmal; er wand und krümmte sich, und sowie Winkelried eine Blöße sah, stieß er ihm mit sicherer Hand das Schwert in den Leib.

Der Lindwurm sank tot nieder. Von seinem Blute troff Winkelrieds Schwert. Der schwang es hoch und freudig als Sieger und hatte sein Leben gewonnen, aber nur, um es alsbald zu verlieren. Denn vom Schwert ab floß das giftige Drachenblut und rann ihm über die Hand und den Arm. Das brannte alsbald wie Feuer der Hölle, und der Held starb an diesem Brand. Das Land aber hatte er befreit, und das Drachenloch wird noch heute gezeigt.

Der Besserstein

Im Aargau, da wo Reuß und Limmat in die Aar und die Aar in den Rhein fließen, liegt der Geißberg, der trägt auf seinem Gipfel die Trümmer einer Ritterburg. Ein Herr von Villigen baute die Burg auf das schönste und festeste und hatte seine Herzensfreude daran; denn er gedachte in ihr glücklichen Alters froh zu werden und in Leutseligkeit und Güte seinen Untersassen ein treuer Vater zu sein. Fertig stand der Bau, und festlich sollte er eingeweiht werden. Des Bauherrn Söhne und alle Gefreundete rings im Gau waren versammelt, und die Humpen kreisten.

Der Ritter von Villigen sprach zu den Söhnen: »Da schaut nun, wie gut sich’s hier wohnen wird, in der Pracht der Gegend, rund um uns her unsre fleißigen Leute und Mannen, mitten im Kreis der Dörfer unser stattliches Burghaus, fest gegen den Feind, offen dem Freund, den Bedrängten ein Schutz, den Dürftigen eine Herberge. So wollt‘ ich’s haben.«

»Ja, Vater,« sprachen die Söhne, »das ist traun eine wackre Trutzburg worden! Da mag sich das nichtsnutzige Volk auflehnen oder nicht, wir zwingen es von hier aus; wir werden ihm den Fuß auf den Nacken setzen. Von hieraus können wir Zölle legen auf die Flüsse und den Rheinstrom, auf Wege und Stege. Der ganze Gau muß uns tributpflichtig werden, damit unser Gut sich mehre und unser Name gefürchtet sei im Rhein- und Schweizerlande!«

Als der Herr von Villigen diese Rede seiner Söhne vernahm, war es ihm, als wolle sein Blut stocken und sein Herz brechen, und zürnend brach er aus: »Entartete Söhne! So ist euer Sinn? Wartet, den will ich euch bessern!« Und er warf seinen vollen Humpen zur Erde, daß er in tausend Scherben zerklirrte, und sprach: »Wie dieser Humpen zertrümmert liegt, so soll dieser stolze Bau, meine Lust und meine Freude, zertrümmert liegen!«

Und er berief seine Mannen, seine Untersassen, sein ganzes Volk, und hieß sie den neuen Bau abbrechen, und verfluchte die Hand, die ihn wiederum zu bauen beginne. » Besser Stein als eine Zwingburg des Volkes und des Gaues, die Schimpf auf den edlen Namen derer von Villigen häuft!« rief er. Und seitdem liegt auf dem Geißberge der öde Mauerrest und heißt allewege im Volke der Besserstein.

Die Schlangenjungfrau im Heidenloch bei Augst

Zwischen Basel und Rheinfelden liegt ein uralter Ort, der heißt Augst, vom römischen Wort Augusta. Römerkaiser hatten dort ihren Hofhalt und bauten eine schöne Wasserleitung. An dieser ist ein Schlaufloch19 und unterirdischer Gang, der sich weit in die Erde hineinzieht. Niemand hat noch dessen Ende gesehen, und er heißt im Volke das Heidenloch.

Da war im Jahre 1520 ein Schneider zu Basel, der hieß Leonhard, der war auch eines Schneiders Sohn und fast ein Simpel20 . Er stammelte, statt zu reden, und war zu gar wenigen Dingen zu gebrauchen. Den trieb eines Tages die Neugier, doch zu versuchen, wie weit der hohle Gang eigentlich in die Erde hineingehe. Da nahm er eine Wachskerze, zündete sie an und ging in das Schlaufgewölbe hinein.

Leonhard kam an eine eiserne Pforte, die tat sich vor ihm auf. Und da kam er durch mehr als ein hohes und weites Gewölbe, endlich gar in einen Lustgarten, darinnen standen viele schöne Blumen und Bäume, und in der Mitte des Gartens stand ein wohlerbauter Palast. Alles umher aber war still und menschenleer. Die Türe zu dem stattlichen Lusthaus stand offen; da ging Leonhard hinein und trat in einen Saal. Darin erblickte er eine schöne Jungfrau, die trug auf ihrem Haupt ein goldig Krönlein und hatte fliegende Haare. Aber – o Scheuel und Greuel! – von des Leibes Mitte abwärts war sie eine häßliche Schlange mit langem Ringelschweif. Hinter der Jungfrau stand ein eiserner Kasten, darauf lagen zwei schwarze Hunde, die sahen aus wie Teufel und knurrten wie grimmige Löwen.

Die Jungfrau grüßte Leonhard sittiglich, nahm von ihrem Hals einen Schlüsselbund und sprach: »Siehe, ich bin von königlichem Stamme und Geschlecht, aber durch böse Macht also verwünscht und zur Hälfte in ein greulich Ungetüm verwandelt. Doch kann ich wohl erlöset werden. Wenn ein reiner Junggeselle mich trotz meiner Ungestalt dreimal auf den Mund küsset, dann erlange ich meine vorige Menschengestalt wieder, und mein ganzer Schatz ist sein.« Und da machte sie sich zu dem Kasten, stillete die murrenden Hunde, schloß den mittlern Deckel mit einem ihrer Schlüssel auf und zeigte Leonhard, welch ein großes Gut an Gold und Kleinodien darinnen enthalten sei. Sie nahm auch etliche goldne und silberne Münzen heraus und gab sie Leonhard und blickte ihn seufzend und gar inniglich an.

Leonhard hatte in seinem Leben noch keine Maid geküßt; es ward ihm jetzt warm ums Herz, und er wagte es, der Schlangenjungfrau einen Kuß auf ihren schönen Mund zu geben. Da erglühten ihre Wangen und erfunkelten ihre Augen; ihr Antlitz strahlte vor Freude, und sie lachte vor Lust und Hoffnung der Erlösung. Und da geschah der zweite Kuß, und dabei ringelte sich der Schlangenschweif um ihn. Da schauderte ihn, und er riß sich mit Gewalt los, nahm seine noch brennende Kerze und entwich. Die Jungfrau stieß hinter ihm ein wehklagendes Geschrei aus, das ihm durch Mark und Bein drang, und er kam aus dem Gang und Loch heraus, er wußte gar nicht wie.

Seitdem empfand der Jüngling eine brennende Sehnsucht nach der Schlangenjungfrau. Immerdar trieb es ihn zurück zu ihr, um das Werk der Erlösung zu vollbringen. Aber nun vermocht‘ er nimmer den Eingang zur Schlangenhöhle wiederzufinden, und es soll auch nach ihm keinem wieder geglückt sein.

  1. Schlüpfloch
  2. einfältiger Mensch

Die letzte Saat

Bei Mülheim, nahe dem Rhein, lag vorzeiten ein Kloster, namens Dünnwald. Das war in Streit geraten über hundert Morgen Ackerlandes mit einem nachbarlichen Edeln, Junker Hall von Schleebusch. Das Kloster wie der Junker sprachen das große Grundstück als Eigentum an. Zwar hatte es der Junker im Besitz, aber alle Nutzung verzehrten die Kosten des vor Gericht geführten Rechtsstreites.

Da bot endlich der Junker Hall von Schleebusch den frommen Vätern des Klosters Dünnwald gütlichen Vergleich an und sprach zu ihnen: »Fromme Väter, ich bin des langen Haders müde, der uns beiderseits nicht frommt. Die hundert Morgen sollen fürder und künftig für alle Zeiten des Klosters eigen sein; nur eins bedinge ich: noch einmal eine, und zwar die letzte Aussaat. Ist die zur Ernte reif und eingebracht, so begebe ich mich jedes Anspruchs auf die hundert Morgen.« – »Der Himmel stärke Euch, edler Junker, in solch frommem Entschluß,« sprach der Abt; »doch seiet Ihr wohl so gnädig, uns dieses Versprechen schriftlich zu geben!« Darauf wurde ein Brief auf Pergament doppelt geschrieben und ausgefertigt, und der Junker hing sein Siegel in Wachs daran und der Abt des Klosters das seine, und das große Konventsiegel kam auch noch hinzu und das des Priors und noch zwölf Siegel erbetener ritterlicher Zeugen, und es war ein sehr schöner Brief, diese Schenkungsurkunde auf ewige Zeiten nach der Ernte der letzten Aussaat, die noch des Junkers sein sollte.

Junker Hall von Schleebusch ließ nun seinen Acker bestellen und die hundert Morgen besäen. Das geschah im Herbst, und im Frühjahr ging die Saat auf, wollte aber gar nicht recht in die Höhe schießen wie andere Saat. Da nun das Fest der Hagelfeier kam, wo man mit Prozessionen und Fahnen die Felder umgeht und für sie betet, da sahen die Mönche nach der Saat auf dem künftigen Klostererbe. Aber was sahen sie? – Eine Saat von Eicheln. »Betrug! Betrug!« schrien Abt und Prior und Konvent. Aber es half nichts; denn im Briefe stand: »Vnde bewilligen ihme deme edeln junkherrn Hall vom Sleehenbosche die letzte Vssaat sinder Widerrede vnde sinder alle geferde usw.44

Lange noch freute Junker Hall von Schleebusch sich seines schönen, herrlich gedeihenden jungen Eichenwaldes. Er jagte noch Hasen und Hühner darin. Die Bäume wuchsen, und Abt und Prior und der ganze damalige Konvent gingen einer nach dem andern zur ewigen Ruhe. Und immer noch wuchsen die Eichen, und der schöne Brief wurde grau, und die Siegel wurden voll Staub, und es dachte niemand mehr an ihn. Und immer noch wuchsen die Eichen, und das Kloster versank in Schutt und Trümmer, und das neue Geschlecht, das gekommen war, konnte die Schrift des alten Briefes nicht mehr lesen.

  1. »Und bewilligen ihm, dem edlen Junker Hall von Schleebusch, die letzte Aussaat sonder Widerrede und sonder alle Gefährde.«

Nibelung von Hardenberg und der Zwerg Goldemar

Im Jülicher Lande saß ein Edler, namens Nibelung von Hardenberg, dem gehörten die Schlösser Hardenberg, Hardenstein und Rhauental. Und bei ihm wohnte ein Zwergenkönig oder Elbe, der hieß Goldemar, der war dem Nibelung von Hardenberg und nicht minder dessen schöner Tochter gar sehr zugetan, gab Ratschläge und war hilfreich in allen Sachen. Und obschon der Elb Goldemar sich nicht sehen ließ, vielmehr stets unsichtbar blieb, so ließ er sich doch deutlich wahrnehmen. Er trank Wein mit dem Ritter, spielte mit ihm und seiner Schwester Brett und selbst mit Würfeln und spielte auch die Harfe gar wundersam, daß kein Mensch auf Erden ihr solche Töne entlocken konnte. Wollte Nibelung sich überzeugen, ob der Elbe wirklich bei ihm sei, so fühlte er nach dessen Hand, und die war sehr klein, zart, weich und warm.

Der Elb trieb es also drei Jahre lang auf Hardenbergs Schlössern und beleidigte niemand. Da geschah es, daß er beleidigt wurde; denn die Hausgenossen, denen seine Anwesenheit unverborgen war, wurden von Neugierde geplagt, ihn zu sehen oder doch zu erfahren, wie der Elb aussähe. Da streuten sie heimlich Asche auf den Fußboden und Erbsen. Goldemar, der Zwerg, kam, sich nichts versehend, in den Saal und trat auf die Erbsen und glitt aus und fiel, und seine Gestalt drückte sich in der Asche ab. Sie war aber wie eines jungen Kindes Gestalt, und die Füße waren ungestaltet. Da kam der Elbe Goldemar nimmer wieder auf des Hardenbergs Schlösser.

Er wandte sich anderswohin und entführte eine Königstochter, die hieß Hertlin. Die Mutter dieser Königstochter starb vor Leid über der Tochter Verlust. Die Tochter aber ward durch den sieghaften Helden Dietrich von Bern befreit und geehelicht. – Manche sagen, daß das Bern, wovon der Held Dietrich den Namen geführt, nicht das Bern in der Schweiz, auch nicht das welsche Verona gewesen, sondern das rechte Dietrichs-Bern sei Bonn gewesen. Der älteste Teil dieser Stadt habe auch Verona oder Bern geheißen, und da in dieses rheinische Gefilde so viele Taten Dietrichs von Bern fallen, von denen in alten Heldenbüchern zu lesen ist, so dürfte wohl etwas Wahres an der Sage sein. –

Der Zwerg Goldemar aber hatte, nachdem ihm Dietrich die Beute abgedrungen, die Riesen zu Hilfe gerufen und Berge und Wälder ringsum schrecklich verwüstet. Die Stadt Elberfeld soll ihren Namen von nichts anderm tragen als von den Elben, auf deren Felde sie begründet ward.

Der Dom zu Aachen

Da der Dom zu Aachen erbauet ward, hehr und prächtig, drohte es zu gehen wie beim Dombau zu Köln; es gebrach an Geld, der Bau konnte nicht fortgeführt werden, und unvollendet stand das herrliche Münster. Da erschien vor dem hohen Rat ein reicher Fremder, der sagte, er habe wohl Geldes die Fülle und wolle es auch geben zum Dombau, aber der hohe Rat müsse ihm auch etwas dafür versprechen. Als nun der Rat den Fremden fragte, was es denn sei, das er begehre, da antwortete jener: »Nicht viel; nur die Seele des ersten, der nach der Vollendung den Dom betreten wird, verlange ich zu eigen.« Der Rat aber merkte nun, daß der Fremde der Teufel sei, schauderte und zauderte, sagte aber doch zu, unter der Bedingung, daß der Pakt geheim gehalten werde.

So ward nun mit besonderer Kunst und Hilfe das Münster schnell und herrlich ausgebaut. Bald ward aber auch das Geheimnis ruchbar unter den Leuten, und wollte niemand in den Dom gehen, weder Priester noch Laien. Der Teufel lauerte Tag für Tag auf die erste arme Seele, und ward ihm schier Zeit und Weile lang; denn es kam niemand. Da bedräuete er den hohen Rat, daß er einen aus seiner Mitte holen werde, wenn er nicht bald einen ersten Kirchgänger schaffe.

Da ward dem Rat bange, und er sann auf eine List. Er ließ im Gebirge einen Wolf fangen und diesen an das Haupttor des Domes bringen; dann ließ er die Glocken läuten, wie zum hohen Feste, und stieß, nachdem das Portal geöffnet war, den Wolf ins Gotteshaus, wo der Teufel schon solange lauerte, da es noch nicht geweiht war. Alsbald fuhr der Teufel zu und packte mit einem Griff den armen Wolf, daß ihm alsbald die Seele aus dem Halse fuhr.

Wie aber der Teufel sah, daß er nur eine schlechte Wolfsseele erlangt hatte, fuhr er mit Gebrüll aus dem Tempel und schlug die eherne Türpforte so heftiglich zu, daß sie barst und sich spaltete, und ist der Spalt noch heute zu sehen. Der Rat aber war froh, daß er des Teufels ledig war, und ließ den Wolf und dessen arme Seele in Erz gießen und im Dome befestigen.