Rheinsagen

Über dem Annweiler Tale bei Landau erhob sich eine stattliche Kaiserpfalz, Burg Trifels genannt. Es geht die Sage, daß König Richard Löwenherz von England darinnen gefangengehalten worden sei vom Kaiser Heinrich VI. Niemand wußte, wo er hingekommen, und es war große Sehnsucht nach Richards Wiederkehr in seinem Reiche.

Nun hatte Richard einen treuen Dienstmann, der hieß Blondel; der war ein Minnesänger und verstand sich meisterlich auf die Kunst des Gesanges und der Töne. Der machte sich mit einer Schar redlicher Männer auf, seinen König allüberall zu suchen. Reichen Schatz an Gold und Kleinodien, den das Volk geopfert, nahmen sie mit sich zum Lösegeld. Auch König Richard war ein Minnesänger, und Blondel kannte und konnte des Königs Lieder. Vor mancher Burg, darinnen er den König gefangen glaubte, hatte Blondel schon seine Weisen angestimmt, auf welche, wie er sicher voraussetzte, der König, wenn er ihn hörte, singend antworten mußte; aber es war still geblieben hinter den festen Mauern.

Schon war er am Donaustrom auf- und abgezogen und hatte auch rings um den Rhein gesucht und gesungen, da vernahm er, daß in der Nähe der Stadt Landau, allwo man dazumal des deutschen Reiches Kleinodien aufbewahrte, auf dreien Felsenzacken ein gar großes und stattliches Kaiserschloß stehe. Und da Blondel der Meinung war, nur in einem solchen Schloß werde der deutsche Kaiser seinen König und Herrn gefangenhalten, so wandte er sich dorthin mit den Seinen, umschlich spähend die Mauern und stimmte am Fuße der starken und hohen Türme, in deren Tiefen und Verliesen man gewöhnlich die Gefangenen schmachten ließ, jene Weisen an, die nur König Richard kannte. Und – o Freude! – endlich, endlich drang aus dem Gemäuer des Turmes auf Trifels antwortender Gesang in gleicher Weise. Hoch schlug vor Freude Blondels Herz: sein Richard, sein König, war gefunden und bald darauf auch aus seiner Haft befreit.