Was der Schwarze Andie von Tod Lapraik erzählte

Ich habe bisher wenig von den Hochländern gesprochen. Alle drei waren Gefolgsleute von James More; das band ihrem Herrn die Schuld sehr fest um den Hals. Alle konnten ein oder zwei Worte Englisch, aber Neil war der einzige, der genug für eine allgemeine Unterhaltung zu verstehen glaubte, obwohl seine Gefährten (war erst ein Gespräch im Gange) sich oft zur gegenteiligen Ansicht gezwungen fühlten. Alle waren einfache, willige Geschöpfe, die mehr Höflichkeit zeigten, als man nach ihrem verwahrlosten, wüsten Aussehen hätte annehmen mögen, und fielen Andie und mir gegenüber von selbst in die Rolle von Dienern.

Hier an diesem einsamen Ort inmitten der bröckelnden Ruinen eines Gefängnisses, umgeben von den endlosen, fremdartigen Geräuschen des Meeres und der Vögel, glaubte ich schon früh an ihnen die Wirkungen abergläubischer Furcht zu bemerken. Wenn es nichts zu tun gab, schliefen oder ruhten sie, eine Beschäftigung, die sie nie satt bekamen, oder Neil unterhielt die anderen mit Geschichten, die indes alle grausig waren. War keines dieser beiden Vergnügen erreichbar – schliefen, zum Beispiel, zwei und sah der dritte sich außerstande, es auch zu tun –, so pflegte er ängstlich lauschend dazusitzen; seine Unruhe wuchs, er schrak zusammen, erbleichte und verkrampfte die Hände – kurz, glich in seiner Spannung einem gestrafften Bogen. Die Art seiner Befürchtungen vermochte ich nie zu erraten, aber ihr Anblick wirkte ansteckend, und die Natur des Ortes, an dem wir uns befanden, begünstigte diese Angst. Andie hatte dafür einen volkstümlichen Ausdruck, den er immer wieder brauchte.

»Ja,« pflegte er zu sagen, »hier auf Baß ist es nicht geheuer.«

So scheint es mir auch heute noch. »Nicht geheuer« war es dort, Tag und Nacht, ›nicht geheuer‹ waren die Geräusche – das Geschrei der Lummen, das Branden des Meeres und das Echo der Felsen – die ständig an unsere Ohren tönten, am stärksten aber bei verhältnismäßig ruhigem Wetter. Sogar bei geringem Wellengang umbrüllten die Wogen den Felsen wie der Donner selbst oder wie das Trommeln ganzer Armeen: ein furchtbarer, aber ausgelassener Lärm. Und an den stillen Tagen gar konnte es jeden, der lauschte, – nicht nur die Hochländer, wie ich aus Erfahrung weiß – ganz entnerven, so zahlreich waren die leisen, hohlen Stimmen, die in den Felsennischen widerhallten und uns unablässig verfolgten.

Das bringt mich auf eine Geschichte und eine Szene, an der ich teilnahm, die unsere Lebensweise von Grund auf veränderten und für mein Entkommen von größter Bedeutung waren. Ich saß eines Nachts neben dem Feuer, in tiefes Nachdenken versunken, und begann in Erinnerung an Alan sein Lied zu pfeifen. Da legte sich eine Hand auf meinen Arm, und die Stimme Neils bat mich, aufzuhören, denn die Musik sei ›nicht geheuer‹.

»Nicht geheuer?« fragte ich. »Wieso denn?«

»Ja,« meinte er, »die hat ein Geist gemacht, die auf sein Leib kein Kopf nicht hatte.«

»Nun,« sagte ich, »hier kann es keine Geister geben, Neil; es ist nicht anzunehmen, daß sie so weit vom Wege abirren, um ein paar Lummen vorzuspuken.«

»Was sagt Ihr da?« fuhr Andie dazwischen. »Ist das Eure Meinung? Ich sage Euch, hier hat schon Schlimmeres als Geister gespukt.«

»Was gibt es denn Schlimmeres, Andie?« fragte ich.

»Zauberer«, erwiderte er. »Und’n Zauberer war es zum mindesten. Aber das ist ’ne merkwürdige Geschichte«, fügte er hinzu. »Wenn Ihr wollt, erzähl ich sie Euch.«

Darüber gab es freilich nur eine Meinung, und selbst der Hochländer, der von den dreien am wenigsten Englisch konnte, setzte sich zurecht, um mit aller Macht zu lauschen.

Die Geschichte von Tod Lapraik

Mein Vater, Tom Dale – Friede seiner Asche! – war in seinen jungen Jahren ein wilder, toller Bursch mit wenig Vernunft und noch weniger Tugend. Er liebte den Wein und die Weiber und lustige Unterhaltung; doch daß er ehrliche Arbeit liebte, hab ich nie gehört. Eins ergab das andere; bald hatte er sich als Soldat anwerben lassen und stand in Garnison in dieser Festung, und so kam es, daß die Dales auf Baß Fuß faßten. War das ein elender Dienst! Der Gouverneur braute sein eigenes Bier; wie’s scheint, das schlechteste, das man sich nur denken konnte. Der Felsen wurde von der Küste aus verproviantiert, das Ganze war falsch geleitet, und mitunter waren sie im Essen nur auf die Fische und die Lummen angewiesen. Um allem die Krone aufzusetzen, herrschten damals die Religionsverfolgungen. Die eisig kalten Zellen waren alle mit Heiligen und Märtyrern besetzt, dem Salz der Erde, die ihrer gar nicht würdig ist. Und obzwar Tom Dale, ein einzelner Soldat, wacker sein Feuerschloßgewehr spazieren trug, und, wie gesagt, den Wein und die Weiber liebte, verrichtete er mehr aus Pflicht denn aus Freude seinen Dienst. Zu Zeiten hatte er kurze Offenbarungen von den Herrlichkeiten der Kirche – dann stieg ihm der Zorn hoch, des Herrn Heilige so mißhandelt zu sehen, und Scham packte ihn bei dem Gedanken, daß er bei einem so sündhaften Geschäft das Licht hielt (oder eine Muskete führte). Mitunter, wenn er des Nachts auf Posten stand und alles so unheimlich still war, während der Winterfrost in den Mauern knackte, hörte er einen der Gefangenen einen Psalm anstimmen, und die andern fielen ein, und die heiligen Klänge stiegen aus den verschiedenen Räumen – ich meine: Gefängnissen – so mächtig auf, daß dieser alte Fels mitten im Meer ein Zipfel vom Himmelreich schien. Schwarze Schande erfüllte seine Seele, und seine Sünden ragten vor ihm auf, groß wie der Felsen von Baß, alle überragend die Todsünde, daß er mit Hand anlege, die Kirche Christi zu verfolgen und bedrängen. Aber die Wahrheit ist, er widerstand der Stimme des Geistes. Der Morgen kam, die Kameraden erwachten, und seine guten Vorsätze waren verschwunden. Damals hauste ein Erwählter des Herrn auf Baß, Peden, der Prophet genannt. Ihr werdet von dem Propheten Peden gehört haben. Niemals mehr hat es seinesgleichen gegeben, und manche bezweifeln, ob es das früher gab. Er war wild wie eine Moorhexe, furchtbar zu sehen und zu hören, und sein Antlitz war wie das Jüngste Gericht. Seine Stimme war die der Lummen und donnerte den Leuten in die Ohren, und seine Worte glichen glühenden Kohlen. Nun lebte damals auf dem Felsen ein Mädchen, die dort, glaube ich, wenig zu suchen hatte, denn es war kein Ort für ehrbare Weiber; aber sie war, wie es scheint, hübsch, und sie und Tom Dale verstanden sich gut. Der Zufall wollte, daß Peden ganz allein in seinem Garten betete, als Tom und das Mädchen vorbeigingen; und was fällt der Dirne ein? Mit Lachen und Spott überhäufte sie des Heiligen Andacht. Da stand er auf und schaute die beiden an, und Toms Knie wankten bei seinem Anblick. Doch als der andere sprach, geschah es mehr in Trauer denn im Zorne. »Armes Ding, armes Ding!« sagte er und blickte dabei das Mädchen an. »Ich höre dich schreien und lachen,« sagte er, »aber der Herr hält einen tödlichen Schuß für dich bereit, und bei jenem erstaunlichen Gottesgericht wirst du nur einen Schrei ausstoßen!« Kurz danach schlenderte sie mit zwei, drei Soldatenkerls auf den Klippen umher, und es war ein stürmischer Tag. Da kam ein Windstoß, packte ihre Röcke und wirbelte sie, so wie sie ging und stand, ins Meer. Und die Soldaten bemerkten, daß sie dabei nur den einen Schrei ausstieß. Ohne Zweifel, dieses Gottesgericht machte ziemlichen Eindruck auf Tom; aber der verging, und Tom blieb der alte. Eines Tages zankte er sich mit einem Kameraden. »Der Teufel hol mich!« schimpfte Tom, denn er fluchte stets gotteslästerlich. Und schon stand Peden da und starrte ihn an, schlau und finster, Peden mit seinem langen Gesicht und seinen brennenden Augen, sein Plaid fest um die Brust gewickelt und die eine Hand mit den schwarzen Krallen weit ausgestreckt – denn der Leibespflege achtete er nicht. – »Pfui, pfui, armer Mann!« schrie er, »armer, törichter Mann! Der Teufel hol mich, sagt er? Ich sehe den Teufel an seiner Seite!« Da brach die Erkenntnis seiner Schuld und der Gnade des Himmels über Tom herein wie der Ozean selbst; er warf die Pike weg, die er trug, und rief: »Nie mehr erhebe ich meine Hand gegen die Sache Christi!« Und er hielt sein Wort. Anfänglich gab’s viele Scherereien, aber als der Gouverneur ihn so entschlossen sah, erteilte er ihm doch den Abschied, und Tom ließ sich in North Berwick nieder und heiratete und stand von dem Tage an bei allen ehrlichen Leuten in gutem Ruf. Es war im Jahre 1706, als die Insel Baß in die Hände derer von Dalrymple überging, und zwei Männer bewarben sich um den Verwalterposten. Beide eigneten sich trefflich dafür, denn beide hatten als Soldaten dort in Garnison gelegen und wußten die Lummen zu behandeln und kannten die Zeiten, in denen sie was wert waren. Außerdem waren – oder schienen doch – beide andächtige Bekenner und in erbaulichen Reden beschlagen. Der erste war kein anderer als Tom Dale, mein Vater; der zweite war ein gewisser Lapraik, den die Leute meist Tod4 Lapraik nannten, ob aber wegen seines Namens oder seiner Natur, konnte ich niemals erfahren. Nun, Tom ging zu Lapraik, um die Sache mit ihm zu bereden, und führte mich, der ich damals ein kleines Kerlchen und noch unsicher auf den Beinen war, an der Hand. Tods Haus stand an der langen Gasse nördlich des Friedhofs. Es ist eine finstere, unheimliche Gasse; außerdem ist die Kirche seit Jakobs VI. Zeiten und dem Teufelsspuk, der sich während der Königin Fahrt übers Meer dort zutrug, verschrien. Und Tods Haus lag am dunkelsten Ende und war denen, die am besten Bescheid wußten, nie recht geheuer. Die Tür stand an jenem Tage offen, und mein Vater und ich traten, ohne zu klopfen, ein. Tod war von Beruf aus Weber; sein Webstuhl stand auf der Diele. Dort saß er, ein dicker, feister Klumpen von Mann, weiß und ölig wie Schmalz, mit so ’ner Art heiligem Lächeln auf dem Gesicht, das mir den hellen Ekel wachrief. Mit der einen Hand führte er das Schiffchen, aber seine Augen waren verglast. Wir riefen ihn beim Namen, schrien ihm in die tauben Ohren und rüttelten ihn an der Schulter. Da saß er und führte das Schiffchen und lächelte ölig.

»Gott steh uns bei«, sagte Tom Dale, »das geht nicht mit rechten Dingen zu!« Kaum hatte er gesprochen, als Tod Lapraik wieder zu sich kam. »Bist du’s, Tom?« fragte er. »Grüß dich Gott, Mann! Bin froh, dich zu sehen. Von Zeit zu Zeit fall ich in so ’ne Art Ohnmacht, weißt du; – es kommt vom Magen.« Na, sie fingen also an, von dem Posten auf Baß zu sprechen, und wer von beiden ihn wohl kriegen würde, und allmählich kam es zu bitteren Worten zwischen den beiden, und sie gingen im Zorn auseinander. Ich weiß noch genau, wie mein Vater auf dem Rückwege immer wieder auf das eine zu sprechen kam: ihm gefielen Tod und seine Ohnmachten nicht. »Ohnmachten!« rief er. »Wegen dergleichen Ohnmachten sind Leute schon verbrannt worden, mein‘ ich!« Na, wie dem auch sei, mein Vater kriegte den Posten auf Baß, und Tod mußte leer ausgehen. »Tom,« sagte er, »diesmal bist du mir wieder über, und hoffentlich«, sagte er, »find’st du auf Baß alles so, wie du dir’s gewünscht hast.« Und das hat man später für ’ne recht merkwürdige Redensart gehalten. Endlich war die Zeit gekommen, in der Tom die jungen Lummen aus den Nestern holen mußte. Das war ein Geschäft, das er gewohnt war, denn er war von klein auf auf den Klippen zu Hause und vertraute dergleichen Arbeit niemandem als sich selber an. Eines Tages baumelt er also an einem Tau an der Klippenfront, wo sie am höchsten und steilsten ist. Vier kräftige Burschen hielten oben auf der Kuppe den Strick und warteten auf Toms Zeichen. Aber wo Tom hing, war nichts als die schiere Klippe und weit in der Tiefe das Meer und die schreienden, fliegenden Lummen. Es war ein schöner Frühlingsmorgen, und Tom pfiff vor sich hin, während er die jungen Vögel fing. Oft hab‘ ich ihn davon erzählen hören, und jedesmal brach ihm der Schweiß aus. Zufällig, müßt Ihr wissen, blickte Tom auf und bemerkte eine große Lumme, und die Lumme hackte nach dem Tau. Er fand das merkwürdig und gar nicht nach der Kreatur Gewohnheit. Er erinnerte sich, Stricke seien unheimlich mürbes Zeug und der Lummen Schnabel sowie der Felsen unheimlich hart, und ein Sturz von zweihundert Fuß war etwas mehr, als ihm zu fallen behagte. »Husch!« sagte Tom. »Fort mit dir, Vieh! Husch! Mach, daß du fortkommst!« Die Lumme starrte Tom so von oben ins Gesicht, und an des Tieres Auge war etwas nicht ganz geheuer. Es starrte ihn nur das einzige Mal an und fiel dann wieder über das Seil her. Und jetzt riß und zerrte es daran wie nicht recht gescheit. Niemals hat es eine Lumme gegeben, die wie jene Lumme sich mühte, und sie schien auch ihr Geschäft vortrefflich zu verstehen, denn sie rieb das weiche Tau immer zwischen ihrem Schnabel und dem spitzen Fels. Kalte Furcht schoß Tom ins Herz. »Das Ding da ist kein Vogel«, dachte er. Da drehten sich ihm die Augen im Kopfe herum und um ihn wurde es finster. »Wenn ich hier ohnmächtig werde,« dachte er, »ist es aus mit Tom Dale!« Und er gab den Burschen ein Zeichen, daß sie ihn hoch ziehen möchten.

Aber die Lumme schien das Zeichen zu verstehen. Kaum hatte Tom es gegeben, da ließ sie den Strick los, krächzte laut auf, flatterte hin und her und schoß schnurstracks auf Tom Dales Augen los. Tom hatte ein Messer, und er ließ den kalten Stahl funkeln. Doch die Lumme schien auch über Messer Bescheid zu wissen; denn als die Klinge in der Sonne glitzerte, stieß sie einen einzigen Schrei aus, aber leiser, wie jemand, der enttäuscht ist, und verschwand um die Klippe herum, und Tom sah sie nie wieder. Und sowie das Ding fort war, sank Toms Kopf auf seine Schulter, und sie zogen ihn wie einen Toten herauf, und da lag er, wie ’n Toter, der Länge nach auf dem Felsen. Ein Gläschen Schnaps, den er stets bei sich hatte, brachte ihn wieder zur Vernunft, wenigstens zu dem, was noch davon übrig war. Er setzte sich aufrecht. »Lauf, Geordie, lauf nach dem Boot und bewache es, Mann – lauf!« schrie er. »Sonst geht die Lumme mit ihm durch.« Die vier Burschen starrten einander an und versuchten, ihm gut zuzureden und ihn zu beruhigen. Aber Tom Dale gab sich nicht zufrieden, bis einer von ihnen vorangegangen war, um neben dem Boot Posten zu stehen. Die anderen fragten Tom, ob sie ihn wieder ‚runterlassen sollten. »Nein,« sagte er, »weder ich noch einer von Euch geht mir da ‚runter, und sowie ich wieder auf meinen Beinen stehen kann, wollen wir sehen, daß wir von diesem Teufelsfelsen fortkommen.«

Tatsächlich verloren sie keine Zeit, und auch so blieben sie zu lange dort, denn bevor sie North Berwick erreichten, lag Tom in schwerem Fieber. Den ganzen Sommer lag er zu Bett; und wer war so freundlich, ihn immer wieder zu besuchen? Wer anders als Tod Lapraik! Die Leute meinten später, jedesmal, wenn Tod in die Nähe des Hauses kam, wäre das Fieber schlimmer geworden. Ich weiß nicht, ob das stimmt; aber ich weiß, daß es damit bald ein Ende hatte. Es war etwa um diese Jahreszeit; mein Großvater war draußen beim Schellfischfang, und Bub, der ich war, hatte ich ihn begleitet. Ich erinnere mich, wir hatten einen großartigen Fang, und so, wie die Fische lagen, mußten wir bis hart an den Felsen von Baß heran, wo wir einem zweiten Boote begegneten, das einem gewissen Sandie Fletcher aus Castleton gehörte. Er ist noch gar nicht lang gestorben, sonst könntet Ihr Euch bei ihm selber erkundigen. Nun, Sandie rief uns an. »Was ist das für ein Ding da auf dem Felsen?« fragte er. »Auf dem Felsen?« wiederholte mein Großvater. »Ja,« sagte Sandie, »auf dem grünen Abhang.«

»Was für ein Ding meinst du?« fragte Großvater. »Auf dem Felsen können nur Schafe sein.«

»’S sieht ganz wie ein Mensch aus«, meinte Sandie, der der Insel näher war als wir. »Ein Mensch«, wiederholten wir, und die Sache gefiel uns allen nicht. Denn nirgendwo war ein Boot zu sehen, um einen Menschen dorthin zu bringen, und der Schlüssel des Gefängnisses hing immer noch daheim am Kopfende von meines Vaters Wandbett. Wir blieben dicht beisammen, um nicht allein zu sein, und krochen langsam näher. Großvater hatte ein Glas, denn er war ein Seemann und Kapitän eines Fischerboots gewesen, ehe er das Schiff auf den Sandbänken des Tay verloren hatte. Und als wir durch das Glas schauten, sahen wir tatsächlich einen Mann. Da stand er in einer grünen Hügelfalte, dicht unterhalb der Kapelle, ganz mutterseelenallein, und hüpfte und sprang und tanzte herum wie so ’n tolles Frauenzimmer bei ’ner Hochzeit. »Es ist Tod«, sagte Großvater und reichte das Glas Sandie. »Ja, er ist’s«, sagte Sandie. »Oder jemand anders in seiner Gestalt«, meinte der Großvater. »Das ist ungefähr dasselbe«, entgegnete Sandie. »Ob Teufel oder Hexenmeister, ich will ihm mal ’ne Probe aus meiner Büchse zu kosten geben«, sagte er und zog eine Vogelflinte heraus, die er immer bei sich hatte, denn Sandie war als Schütze in der ganzen Gegend berühmt. »Halt ein, Sandie,« warnte der Großvater, »wir müssen erst klarer sehen, sonst kann es uns beiden teuer zu stehen kommen.« »Unsinn!« meinte Sandie. »Das ist wahrhaftig die Strafe des Herrn, Himmelherrgottnocheinmal!« »Kann sein, kann aber auch nicht sein«, sagte mein Großvater, – Gott hab ihn selig! – »Hüte dich vor dem Staatsanwalt; ich denke, ’s war‘ nicht das erstemal, daß du ihm in die Quere liefest.« Das war nur allzu wahr. Sandie schien ein bißchen abgekühlt. »Na, schön, Edie,« sagte er, »was schlägst du vor, zu tun?« »Nur das eine«, sagte mein Großvater. »Ich habe das schnellere Boot und fahre zurück nach North Berwick, und du bleibst hier und behältst das Ding da im Auge. Kann ich Lapraik nicht finden, dann bin ich gleich wieder da, und wir beide wollen mit ihm eins schwatzen. Wenn aber Lapraik zu Hause ist, dann zieh ich die Flagge im Hafen hoch, und dann kannst du das Ding dort mit deiner Büchse traktieren.« Na, so wurde es zwischen ihnen ausgemacht. Ich war nur ein Bub und kletterte in Sandies Boot, von wo es, wie ich meinte, das meiste zu sehen gäbe. Mein Großvater reichte Sandie ein silbernes Sixpencestück, daß er ’s mit den Bleikugeln abschösse, da es gegen Teufelsspuk viel wirksamer ist. Und dann machte sich das eine Boot auf den Weg nach North Berwick, während das andere das unselige Ding dort auf dem Hügel bewachte. Die ganze Zeit, während wir da lagen, hüpfte und wirbelte das Geschöpf herum wie ein Kreisel, und wir konnten die Schreie hören, die es im Tanzen ausstieß. Ich habe Dirnen, tolle, wilde Frauenzimmer, eine ganze Winternacht durchtanzen sehen und erlebt, daß sie bei Morgengrauen immer noch tanzten. Aber dann waren Leute da, um ihnen Gesellschaft zu leisten und Burschen, die sie antrieben, und das hier war ganz allein. Und sonsten ist ein Fiedler da, der in der Ofenecke den Ellbogen tanzen läßt, während dieses Wesen als Musik nur die Schreie der Lummen hatte. Und die Dirnen waren junge Dinger, denen das rote Blut in den Adern brannte und sang, aber das hier war ein dicker, plumper, feister Mann, hoch in den Jahren. Sagt, was Ihr wollt, ich muß aussprechen, was meine Meinung ist. Freude war’s, die in des Unwesens Herzen lebte: die Freude der Hölle vielleicht; aber doch Freude. Wie oft hab ich mich gefragt, weshalb Hexen und Zauberer ihre Seelen (als da sind ihr kostbarstes Gut) verkaufen und alte, gebrechliche, runzlige Weiber oder greise, bresthafte, saft- und kraftlose Männer bleiben, und jedesmal mußte ich dabei an Tod Lapraik denken, der ganz allein in dem Jubel seines schwarzen Herzens die Stunden vertanzte. Ohne Zweifel, sie müssen dafür in der tiefsten Hölle braten, aber hier oben freuen sie sich ihres Lebens – solange es dauert – Gott verzeih mir’s! Na, endlich sehen wir die winzige Flagge draußen auf den Felsen im Hafen am Maste hochgehen. Auf das hatte Sandie gewartet. Im Handumdrehen hatte er die Flinte heraus, zielte sehr sorgfältig und drückte ab. Der Schuß krachte, und von der Insel kam ein jämmerlicher Schrei. Und wir saßen da und rieben uns die Augen und starrten uns an wie Menschen, die den Verstand verloren haben. Denn mit dem Krach und dem Schrei war das Ding vom Erdboden verschwunden. Die Sonne schien, und der Wind blies, aber da war der leere Platz, wo das Wunder noch vor einer Sekunde gehüpft und gesprungen war. Den ganzen Rückweg schrie und brüllte ich vor Schreck über diesen Richtspruch des Himmels. Den Erwachsenen ging es auch nicht viel besser; in Sandies Boot kam wenig über unsere Lippen, außer dem Namen Gottes, und als wir die Mole erreichten, war der ganze Landungsplatz schwarz von Menschen, die auf uns warteten. Es scheint, sie hatten Lapraik in einer seiner Ohnmachten gefunden, wie er das Schiffchen führte und vor sich hinlächelte, und hatten einen Burschen geschickt, um die Flagge zu hissen, während sie alle in des Webers Haus blieben. Ihr könnt Euch denken, daß ihnen dabei nicht wohl zumute war, aber manchen von denen, die dort leise beteten (denn keiner hatte Lust, es laut zu tun) und dabei das schreckliche Etwas, das das Schiffchen führte, vor Augen hatten, wurde es ein Mittel zur Bekehrung. Da, plötzlich, sprang Tod mit einem fürchterlichen Schrei von seinem Sitz auf und fiel als blutige Leiche auf das Gewirk. Als die Leiche untersucht wurde, sah man, die Bleikugeln waren von des Zauberers Körper abgeprallt; man fand auch nicht einen Tropfen Blei, aber meines Großvaters silbernes Sixpencestück stak tief in seinem falschen Herzen.« Andie hatte kaum geendet, da ereignete sich ein äußerst törichter Vorfall, der seine Folgen hatte. Neil war, wie gesagt, selbst ein großer Geschichtenerzähler. Später erfuhr ich, er wisse sämtliche Sagen des Hochlandes, und er selbst und auch andere seien nicht wenig stolz darauf. Jetzt erinnerte ihn Andies Geschichte an eine, die er kannte. »Ich haben die Geschichte schon mal gehört«, sagte er »Sie war die Geschichte von Uistean More M’Gillie Phadrig und dem Gavar Vore.« »Den Teufel war es das«, rief Andie. »Es ist die Geschichte meines Vaters (Gott hab ihn selig) und Tod Lapraiks. Das behaupte ich Euch glatt ins Gesicht,« setzte er hinzu, »und haltet in Zukunft Euer loses Hochlandsmaul.« Der Umgang mit Hochländern ist, wie man ersehen wird, und wie auch die Geschichte beweist, für Tiefländer von Rang sehr leicht, für die Plebs aus dem Flachland dagegen fast unmöglich. Es war mir längst aufgefallen, daß Andie mit unseren drei McGregors ständig auf Kriegsfuß lebte, und jetzt kam es tatsächlich zu einem offenen Streit. »Das sind keine Worte nicht zu Shentlemans«, brach Neil los. »Shentlemans!« schrie Andie. »Shentlemans, du hochländischer Ochs! Wenn Gott dir die Gnade schenkte, dich einmal selbst zu sehen, wie andere dich sehen – du kämst herunter von deinem Roß!«

Neil entfuhr eine Art gälischer Fluch; im selben Augenblick blitzte das schwarze Messer in seiner Hand. Zeit zum Denken gab es nicht; ich packte den Hochländer am Bein und hatte ihn hingeworfen und die ausgestreckte Hand mit der Waffe am Boden festgenagelt, ehe ich noch wußte, was ich tat. Seine Kameraden sprangen ihm zu Hilfe, Andie und ich waren ohne Waffen und zwei Mann gegen drei. Wir schienen rettungslos verloren, als Neil in seiner Muttersprache aufschrie und den anderen befahl, abzulassen, worauf er in der demütigsten, hündischsten Art mir seine Unterwerfung anbot und mir sogar sein Messer aushändigte, das ich ihm jedoch nach einer Wiederholung seines Versprechens am nächsten Tage zurückgab. Zwei Dinge gingen aus alledem klar hervor: erstens, daß ich nicht allzu fest auf Andie bauen durfte, der sich, bleich wie der Tod, gegen die Wand gekauert hatte, bis der Handel vorüber war; zweitens, daß ich mich den Hochländern gegenüber, die strenge Weisung haben mußten, mein Leben zu schonen, in einer sehr starken Position befand. Allein obwohl ich nicht viel von Andies Mut zu halten vermochte, konnte ich mich über Mangel an Dankbarkeit nicht beklagen. Er verfolgte mich weniger mit Dankesbezeigungen, als daß seine ganze Stellungnahme zu mir, innerlich wie äußerlich, anders schien, und da er von nun an große Scheu vor seinen Gefährten hatte, waren er und ich mehr denn je aufeinander angewiesen.

  1. Schottisch für Fuchs.