Der fehlende Zeuge

Am 16., dem Tage meines Stelldicheins mit dem Anwalt, haderte ich heftig mit dem Schicksal. Der Gedanke, wie er in den »King’s Arms« vergeblich auf mich wartete, und was er wohl von mir dächte, und was er sagen würde, wenn wir uns wiedersahen, quälte und drückte mich. Die Wahrheit war unglaubhaft, das mußte ich zugeben, und es schien grausam hart, als Lügner und Feigling dastehen zu müssen, ohne daß ich es je bewußt an dem, was in meiner Macht stand, hatte fehlen lassen. Diese Formel wiederholte ich mir immer wieder mit einer Art bitterem Gusto und prüfte noch einmal in jenem Licht die einzelnen Schritte meines Verhaltens. Mir schien, ich hatte mich James Stuart gegenüber wie ein Bruder benommen; die ganze Vergangenheit bot ein Bild, auf das ich stolz sein konnte; also galt es nur noch, mich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen. Ich konnte zwar weder das Meer durchschwimmen noch die Luft durchfliegen, aber da war ja noch Andie. Ich hatte ihm einen Dienst erwiesen, er hatte mich gern; hier war ein Hebel, den ich ansetzen konnte; der schiere Anstand gebot, daß ich es noch einmal mit Andie versuchte. Es war spät am Nachmittag. Totenstille herrschte auf Baß, unterbrochen nur von dem Plätschern und Gurgeln einer sehr ruhigen See, und meine vier Gefährten hatten sich alle zurückgezogen, die drei McGregors den Abhang hinauf, Andie mit seiner Bibel an einen sonnigen Platz unter den Ruinen. Dort fand ich ihn fest eingeschlafen und brachte meine Bitte, sowie er wach war, mit ziemlicher Inbrunst und eindringlicher Logik vor.

»Wüßte ich nur, ob es für Euch gut ist, Shaw!« bemerkte er und starrte mich über seine Brillengläser an. »Es geschieht, um einen anderen zu retten,« entgegnete ich, »und um mein Wort einzulösen. Gibt es etwas Besseres? Habt Ihr die Heilige Schrift vergessen, Andie, und haltet doch die Bibel auf dem Schoß? Was hülfe es ihm, wenn er die ganze Welt gewönne!« »Ja,« sagte er, »für Euch ist das recht schön und gut. Aber wo bleibe ich derweil? Ich hab genau wie Ihr mein Wort einzulösen. Und was verlangt Ihr anders, als daß ich’s Euch gegen Geld verkaufe?«

»Andie! Habe ich das Wort Geld gebraucht?« rief ich. »Bah! Das Wort hat nichts zu sagen,« erwiderte er, »das Zeugs steckt doch dahinter. Ich will Euch sagen, worauf es hinauskommt: erweis ich Euch den Dienst, den Ihr verlangt, so verlier ich meine Stellung. ‚S ist klar, daß Ihr in dem Fall für mich aufkommen müßt und mir, so um der Ehre willen, noch was draufzahlen werdet. Und ist das etwa keine Bestechung? Und wenn mir die wenigstens sicher wäre! Aber soviel ich weiß, ist sie das durchaus nicht. Wenn Ihr nun hängen müßt, was wird dann aus mir? Nein! die Sache ist unmöglich. Also seid ein guter Junge und laßt Andie in Ruhe sein Kapitel lesen.«

Ich weiß, im Grunde meines Herzens war ich von diesem Ergebnis sehr befriedigt; die Folge war, daß ich in eine Stimmung – fast hätte ich gesagt – von Dankbarkeit verfiel, Dankbarkeit gegen Prestongrange, der mich auf diese gewaltsame, ungesetzliche Art aus all meinen Gefahren, Versuchungen und Verwicklungen herausgerissen hatte. Aber diese Selbstlüge war allzu feige und fadenscheinig, um zu dauern, und die Erinnerung an James begann von neuem von mir Besitz zu ergreifen. Den 21., den Tag, der für die Verhandlung angesetzt war, verbrachte ich in solcher Seelenqual, wie ich sie, meines Wissens nach nur noch auf der Insel Earraid erduldet habe. Die meiste Zeit lag ich in einem Zustand zwischen Schlaf und Wachen irgendwo auf einem Hügel ausgestreckt, äußerlich regungslos, innerlich von aufrührerischen Gedanken zerrissen. Mitunter schlief ich tatsächlich ein; aber der Gerichtssaal von Inverary und der Gefangene, der sich in allen Winkeln nach seinem fehlenden Zeugen umschaute, verfolgten mich bis in meine Träume; und ich fuhr aus dem Schlafe auf, mein Körper wie zerschlagen, meine Seele von Verzweiflung umnachtet. Ich glaubte zu bemerken, daß Andie mich beobachtete, aber ich achtete wenig darauf. Wahrlich, mein Brot schmeckte bitter und meine Tage wurden mir zur Last. Früh am folgenden Morgen, Freitag, den 22., kam ein Boot mit Proviant zu uns herüber, und Andie legte ein versiegeltes Päckchen in meine Hände. Der Umschlag war ohne Adresse, aber mit einem amtlichen Siegel verschlossen. Er enthielt zwei Billette. »Mr. Balfour wird jetzt von sich aus erkannt haben, daß es zu spät ist, sich einzumischen. Sein Betragen wird beachtet und seine Diskretion belohnt werden.« Das war der Inhalt des ersten Zettels, der mühsam mit der linken Hand geschrieben war. Ganz entschieden besagten seine Worte nichts, das den Schreiber kompromittieren konnte, selbst wenn man diese Persönlichkeit ausfindig machte; das imponierende Siegel, das als Unterschrift diente, war einem zweiten, völlig leeren Blatt Papier angeheftet; und ich mußte zugeben, so weit wußten meine Gegner genau, was sie taten; ich suchte daher nach Möglichkeit die Drohung zu verdauen, die unter der Verheißung hervorlugte. Doch die zweite Einlage war bei weitem überraschender. Sie war von einer Dame im breitesten Dialekt geschrieben. »Dem Junker Dauvit Balfour wird hierdurch mitgeteilt, daß eine Freundin sich nach ihm erkundigt hat, und ihre Augen waren grau«, so lauteten die Worte, – ein so seltsames Schriftstück und unter so seltsamen Umständen – der Augenblick und das amtlich versiegelte Dokument – in meine Hand gespielt, daß ich wie betäubt dastand. Catrionas graue Augen leuchteten in meiner Erinnerung auf. Ein Glücksgefühl durchschauerte mich: sie mußte die Freundin sein. Doch wer war die Schreiberin, die ihr Billett mit Prestongranges einschloß? Und – Wunder über Wunder – weshalb hielt man es für notwendig, mir diese angenehme, doch belanglose Botschaft nach der Insel Baß zu senden? Als Schreiberin kam für mich niemand anders als Miß Grant in Betracht. Ich erinnerte mich: ihrer Familie waren Catrionas Augen aufgefallen, ja man hatte das Mädchen nach ihren Augen benannt, und Miß Grant selbst hatte die Gewohnheit gehabt, wahrscheinlich um mein bäuerisches Wesen zu verspotten, mich in breitem Dialekt anzureden. Außerdem wohnte sie ja zweifellos in dem Hause, aus dem der Brief stammte. Also gab es nur noch einen Umstand zu erklären: wie kam Prestongrange dazu, sie in ein derartiges Geheimnis einzuweihen und ihr tolles Billett mit seinem zu befördern? Aber auch hier vermutete ich mancherlei. Einmal schien mir die junge Dame selbst eine etwas gefährliche Person, und ihr Papa konnte mehr unter ihrem Pantoffel stehen, als ich wissen durfte. Und dann gab es noch des Mannes konsequente Politik zu bedenken, sein Benehmen mir gegenüber, ständig mit Schmeichelei untermischt, und die Tatsache, daß er selbst in einem solchen Zwist niemals die Maske der Freundschaft hatte fallen lassen. Er mußte annehmen, daß meine Gefangennahme mich wütend machte. Vielleicht sollte diese scherzhafte, freundschaftliche kleine Botschaft meinen Zorn entwaffnen. Ich will ehrlich sein – ich glaube, es glückte ihm. Ich spürte plötzlich eine warme Zuneigung für die schöne Miß Grant, die sich herabgelassen hatte, ein so lebhaftes Interesse für meine Angelegenheiten zu bezeugen. Allein die Erwähnung Catrionas genügte, um mildere und feigere Gedanken in mir wachzurufen. Wußte der Lord Staatsanwalt von ihr und unserer Bekanntschaft – erregte ich durch jene ›Diskretion‹ von der in seinem Briefe die Rede war, sein Wohlwollen – wozu konnte das nicht alles führen? ›Vergeblich stellet er im Angesicht der Vögel seine Netze!‹ heißt es in der Bibel. Nun, Vögel müssen weiser als Menschen sein, denn ob ich auch ihre Absichten durchschaute, fügte ich mich doch darein.

So dachte ich klopfenden Herzens und sah vor mir, deutlich wie zwei Sterne, die grauen Augen, als Andie mein Sinnen unterbrach. »Ihr habt gute Nachrichten erhalten«, bemerkte er.

Ich fand, daß er mich neugierig musterte; da tauchten visionär James Stuart und der Gerichtssaal von Inverary vor mir auf, meine Seele drehte sich gleich einer Tür in ihren Angeln, und das erste Bild versank. Verhandlungen, überlegte ich mir, ziehen sich mitunter mehr in die Länge, als man glaubt. Selbst wenn ich einen Augenblick zu spät nach Inverary kam, konnte ich vielleicht noch etwas in James‘ Interesse unternehmen – und mein eigener Ruf wurde auf diese Art am besten gewahrt. Im Handumdrehen, gleichsam ohne jedes Besinnen, stand mein Plan fest.

»Andie«, forschte ich, »bleibt es bei morgen?«

Er sagte mir, nichts hätte sich darin geändert.

»Ist irgend eine Stunde angegeben?«

»Zwei Uhr nachmittags«, antwortete er.

»Und wie steht’s mit dem Ort?« fuhr ich fort.

»Welchem Ort?« fragte Andie.

»Dem Ort, an dem ich abgesetzt werden soll?«

Er gestand, darüber wäre nichts vereinbart worden.

»Nun gut,« sagte ich, »dann werde ich ihn bestimmen.

Der Wind kommt von Osten, mein Weg führt nach Westen; behaltet Euer Boot, ich miete es; wir wollen heute den ganzen Tag den Forth hinaufsegeln, und morgen um zwei Uhr sollt Ihr mich am westlichsten Punkt, den wir erreichen können, landen.«

»Ihr seid ein toller Bursche!« rief er. »Ihr wollt also doch versuchen, Inverary zu erreichen?«

»Ihr habt es erraten, Andie«, sagte ich.

»Na, Ihr gebt Euch nicht schnell geschlagen!« meinte er. »Und gestern tatet Ihr mir beinahe leid«, fügte er hinzu. »Wißt Ihr, bis dahin war ich mir nie so ganz klar, was Ihr eigentlich wirklich wolltet.«

Hier war ein Sporn für einen lahmen Gaul!

»Ein Wort in Euer Ohr, Andie«, sagte ich. »Mein Plan hat noch einen anderen Vorteil. Wir können diese Hochländer hier auf dem Felsen zurücklassen, und eines Eurer Boote aus Castleton kann sie morgen abholen. Jener Kerl Neil hat einen merkwürdigen Ausdruck, wenn er Euch ansieht; kann sein, es kommt, wenn ich erst zum Tore hinaus bin, doch zu einer Messerstecherei; diese Kittelröcke sind verteufelt rachsüchtig. Und werden irgendwelche Fragen gestellt, so habt Ihr ja eine Entschuldigung bei der Hand. Unser Leben war von diesen Wilden bedroht; da Ihr für meine Sicherheit verantwortlich waret, wähltet Ihr den Ausweg, mich aus ihrer Nachbarschaft zu entfernen und den Rest der Zeit in Eurem Boot gefangenzuhalten; und wißt Ihr was, Andie?« schloß ich lächelnd. »Ich glaube, Eure Wahl war sehr vernünftig.« »Die Wahrheit ist, ich habe nichts übrig für Neil«, sagte Andie, »und er für mich auch nichts; und ich möchte nicht mit dem Mann handgemein werden. Tam Anster wird jedenfalls besser mit dem Pack auskommen.« (Dieser Mann Anster stammte aus Fife, wo noch Gälisch gesprochen wird.) »Ja, ja,« beteuerte Andie, »Tam versteht mit ihnen auszukommen. Bei Gott, je mehr ich mir’s überlege, um so weniger seh ich, wozu sie uns brauchen. Den Ort – Potz Blitz! – ja, den Ort haben sie ganz vergessen. Verdammt, Shaw, Ihr seid schon ein Schlaukopf, wenn Ihr wollt! Außerdem schulde ich Euch mein Leben«, fügte er ernsthafter hinzu und bot mir seine Hand, um das Abkommen zu besiegeln.

Darauf gingen wir unvermittelt, fast ohne weitere Worte, an Bord, stießen vom Lande ab und setzten das Luggersegel. Die Gregaras waren inzwischen mit der Bereitung des Frühstücks beschäftigt, denn die Kocherei war gewöhnlich ihre Arbeit; einer jedoch trat auf die Bastei hinaus und entdeckte unsere Flucht, ehe wir noch zwanzig Faden von dem Fels entfernt waren, worauf alle drei zwischen den Ruinen und dem Landungssteg hin und her liefen, ganz wie Ameisen um einen zerstörten Bau, und uns zuriefen und -schrien, umzukehren. Wir befanden uns immer noch im Schutze des Felsens, der einen breiten Schatten über das Wasser warf; aber wir erreichten fast im nämlichen Augenblick den Wind und den Sonnenschein; das Segel blähte sich, das Schiff folgte dem Ruder, und wir schossen pfeilschnell außer Reichweite ihrer Stimmen. Welche Schrecknisse diese drei erduldeten, die wir ohne die stärkende Gegenwart eines zivilisierten Menschen, ja selbst ohne den Schutz einer Bibel sich selbst überließen, kann niemand ermessen; sie hatten als Trost nicht einmal Schnaps, denn trotz der Hast und Heimlichkeit unseres Aufbruchs hatte Andie es fertiggebracht, den mitzunehmen.

Unsere erste Sorge war, Anster in einer Bucht bei Glenteithy Rocks an Land zu bringen, damit er am folgenden Tag planmäßig unsere Ausgesetzten erlösen könnte. Dann hielten wir firthaufwärts. Die Brise, die bis dahin so munter geweht hatte, flaute rasch ab, ohne jedoch völlig abzusterben. Den ganzen Tag rückten wir vorwärts, obwohl es oft nicht mehr als ein Schleichen war; und es war schon dunkel geworden, als wir Queensferry erreichten. Um den Buchstaben von Andies Verpflichtung (soweit davon noch die Rede sein konnte) zu erfüllen, mußte ich an Bord bleiben, aber ich sah nicht ein, weshalb ich mich nicht schriftlich mit dem Lande in Verbindung setzen sollte. Auf Prestongranges Umschlag, dessen amtliches Siegel den Empfänger ziemlich überrascht haben muß, schrieb ich beim Licht der Bootslaterne die notwendigen Worte, und Andie übermittelte sie Rankeillor. Nach rund einer Stunde war er wieder an Bord und brachte eine gefüllte Börse und die Versicherung mit: morgen um zwei Uhr nachmittags würde ein gutes Pferd für mich bei Clackmannan Pool bereitstehen. Danach legten wir uns, bedeckt von dem Segel, schlafen, während das Boot an seinem Anker ruhte. Den nächsten Tag waren wir lange vor zwei Uhr an Ort und Stelle, und es blieb uns nichts übrig, als ruhig zu warten. Ich spürte keine große Lust zu meinem Vorhaben. Jeden einleuchtenden Vorwand, es fallen zu lassen, hätte ich mit Freuden begrüßt; da sich aber keiner fand, war meine Ungeduld so groß, als ginge es zu einem ersehnten Vergnügen. Kurz nach eins wurde das Pferd an das Ufer gebracht, und ich konnte sehen, wie ein Mann es bis zu meiner Landung auf und ab führte, was meine Ungeduld noch gehörig steigerte. Andie berechnete den Augenblick meiner Freilassung mit Finesse; er zeigte sich als Mann von Wort, ohne jedoch seiner Kundschaft Maß zu häufen, und rund fünfzig Sekunden nach zwei saß ich im Sattel und jagte mit verhängten Zügeln auf Stirling zu. In weniger als einer Stunde hatte ich jene Stadt hinter mir und arbeitete mich bereits den Hang von Alan Water hinan, als das Wetter sich zu einem kleinen Orkan verdichtete. Der Regen blendete mich, und die hereinbrechende Nacht überraschte mich in einer Wildnis, immer noch einige Meilen östlich von Balwhidder, ohne daß ich die genaue Richtung wußte, während mein Gaul bereits zu ermatten begann. Um rascher vorwärts zu kommen und nicht durch einen Führer aufgehalten und belästigt zu werden, hatte ich (soweit das für einen Reiter möglich war) den Weg eingeschlagen, den ich früher mit Alan zurückgelegt hatte. Das tat ich, obwohl ich die große Gefahr, die damit verbunden war, klar voraussah; jetzt hatte das Unwetter sie herangerückt. Das Letzte, was ich von meiner Lage wußte, war, daß ich mich irgendwo in der Nähe von Uam Var befand; die Zeit muß etwa sechs Uhr abends gewesen sein. Trotzdem erachte ich es als ein großes Glück, daß ich ungefähr um elf Uhr nachts mein Ziel, das Haus von Duncan Dhu, erreichte. Wo ich inzwischen herumgeirrt bin, weiß wohl nur das Pferd. Wie ich mich erinnere, stürzten wir zweimal, wobei ich einmal kopfüber aus dem Sattel flog; und eine Sekunde lang wurden wir von einem brüllenden Gießbach mitgerissen. Roß und Reiter waren beide beschmutzt bis über die Ohren. Von Duncan erfuhr ich einiges über den Prozeß. Dieser wurde in jenem Teile des Hochlandes mit atemloser Spannung verfolgt; Nachrichten darüber verbreiteten sich von Inverary aus, so rasch Menschen nur reisen konnten, und zu meiner Freude hörte ich, er wäre heute, Samstag, zu vorgerückter Stunde noch nicht abgeschlossen gewesen; jeder glaubte, er würde sich bis Montag hinziehen. Diese Neuigkeit spornte mich so an, daß ich weder rasten noch essen wollte; da aber Duncan sich bereit erklärte, mein Führer zu sein, legte ich den Rest des Weges zu Fuß zurück, den Bissen Nahrung in der Hand, und kaute im Gehen weiter. Duncan hatte für unterwegs eine Flasche Usquebaugh sowie eine Handlaterne mitgenommen, die uns leuchtete, solange wir Häuser fanden, wo wir sie füllen konnten, denn das Ding leckte ganz ungebührlich und erlosch bei jedem Windstoß. Den größeren Teil der Nacht jedoch wanderten wir blind zwischen tönenden Mauern von Regen, und der Tag fand uns immer noch in den Bergen ohne Weg noch Ziel. Aber ganz in der Nähe stießen wir neben einem Quellenhang auf eine Hütte, wo wir ein wenig Nahrung und eine Beschreibung des Weges erhielten, und kurz vor Beendigung der Predigt standen wir vor der Tür der Kirche von Inverary. Der Regen hatte zwar die obere Hälfte meines Habits so ziemlich gewaschen, aber bis zu den Knien war ich eine einzige Kotmasse; ich triefte vor Nässe und war so müde, daß ich mich kaum schleppen konnte, und mein Gesicht glich dem eines Gespenstes. Zweifellos waren ein Kleiderwechsel und ein Bett mir nötiger als alle Wohltaten der Christenheit. Trotzdem stieß ich (in der Überzeugung, nichts sei so wichtig wie sofortige Publizität) die Tür auf und betrat, den nicht minder schmutzigen Duncan auf den Fersen, die Kirche, wo ich mich auf einen leeren Platz in der Nähe niederließ. »Dreizehntens und in Parenthese, meine Brüder, ist aber auch das Gesetz selbst als ein Mittel der Gnade anzusehen«, verkündete der Pastor mit der Stimme eines Menschen, der voller Genuß ein Argument verfolgt. Die Predigt wurde dank den Assisen englisch gehalten. Die Richter nahmen samt ihrem bewaffneten Gefolge daran teil; in der Ecke neben der Tür funkelten die Hellebarden, und auf den Bänken drängte sich eine ungewohnte Schar von Juristen. Der Text war den Römerbriefen entnommen, der Prediger ein geschickter Redner, und die gesamte, illustre Zuhörerschaft in jener Kirche – angefangen bei Argyle selbst und den Lords Elchies und Kilkerran bis zu den Hellebardisten ihres Gefolges – saß mit gerunzelter Stirn, in gespannte kritische Aufmerksamkeit versunken. Der Prediger selbst sowie ein kleiner Teil der Leute in der Nähe des Einganges hatten unseren Eintritt bemerkt und dann gleich wieder vergessen; die anderen konnten oder wollten ihn nicht hören, und so saß ich unbeachtet zwischen Freund und Feind. Den ersten, den ich erkannte, war Prestongrange. Er saß vornüber gebeugt, wie ein hitziger Reiter im Sattel; seine Lippen bewegten sich mit Behagen, seine Augen waren fest auf den Prediger geheftet; was dort gelehrt wurde, war sichtlich nach seinem Herzen. Charles Stuart dagegen war halb eingeschlafen und sah bleich und sorgenvoll aus. Und was Simon Fraser betrifft, so erschien er inmitten dieser aufmerksamen Gemeinde fast als ein Schandfleck oder Skandal; er vergrub die Hände in den Taschen, rutschte auf seinem Sitz umher, räusperte sich, zog die kahlen Brauen hoch und blickte, jetzt gähnend, dann wieder verstohlen lächelnd, nach rechts und nach links. Mitunter nahm er auch die Bibel, die vor ihm lag, blätterte darin, schien ein Stückchen zu lesen, blätterte weiter und hielt inne, um unverhohlen zu gähnen: das Ganze, wie um sich wach zu halten. Dank dieser Ruhelosigkeit fiel sein Blick auf mich. Eine Sekunde lang saß er da, wie erstarrt, dann riß er eine halbe Seite aus der Bibel, kritzelte etwas mit Bleistift darauf und reichte sie flüsternd seinem nächsten Nachbarn. Der Zettel gelangte schließlich in Prestongranges Hände, der einen einzigen Blick darauf warf; von dort wanderte er zu Mr. Erskine weiter, von ihm zu Argyle, der zwischen zwei Richtern saß, und Seine Gnaden drehten sich um und starrten mich hochmütig an. Der Letzte der Parteien, meine Gegenwart zu bemerken, war Charlie Stuart, und auch er begann Notizen zu schreiben und zirkulieren zu lassen, deren Weg durch die Menge ich jedoch nicht zu verfolgen vermochte. Doch das Kreisen dieser Zettel hatte Aufsehen erregt; alle Eingeweihten (und solche, die sich dafür hielten) gaben flüsternd Informationen weiter – die anderen Fragen – und der Pastor selbst schien durch die Bewegung in der Kirche, die plötzliche Unruhe und das Flüstern völlig aus dem Konzept gebracht. Seine Stimme änderte sich, er stockte offenbar und gewann auch nicht einen Augenblick seine Beweiskraft und seinen sonoren Vortrag wieder. Bis an sein Lebensende wird es ihm wohl ein Rätsel geblieben sein, weshalb eine Predigt, deren erste vier Teile er mit Triumph abwickelte, im fünften Abschnitt elend scheiterte. Was mich anbelangt, so blieb ich auch fernerhin auf meinem Platze sitzen, sehr naß und müde und ziemlich besorgt, was sich wohl als nächstes ereignen würde, aber immerhin über meinen Erfolg frohlockend.