Zehntes Kapitel


Zehntes Kapitel

Entdeckung und Verfolgung.

Die Speisen standen auf dem Tisch, die Stühle waren zurechtgerückt, Flaschen, Krüge und Gläser aus dem Wandschrank hervorgeholt, und alles kündigte das Herannahen es vergnüglichsten Zeitabschnittes in dem Vierundzwanzig-Stunden-Bogen des Tages an.

„Wo ist Rachel?“ fragte Mr. Wardle.

„Ja, und Mr. Jingle?“ fügte Mr. Pickwick hinzu.

„Merkwürdig, daß ich ihn nicht schon früher vermißte. Mir fällt jetzt auf, daß ich seine Stimme wenigstens schon zwei Stunden nicht mehr gehört habe. Liebe Emilie, klingle noch einmal!“

Die Klingel wurde gezogen, und der dicke Junge trat ins Zimmer.

„Wo ist Miß Rachel?“

Achselzucken.

„Und Mr. Jingle?“

Abermals Achselzucken.

Alle blickten sich überrascht an. Es war spät, bereits elf Uhr vorbei. Mr. Tupman lachte sich ins Fäustchen. Sie spazierten natürlich irgendwo herum, um den Verdacht auf eine falsche Fährte zu lenken, und sprachen dabei von ihm. Haha! Ein famoser Einfall. Schrecklich komisch!

„Macht weiter nichts“, meinte Mr. Wardle nach einer kurzen Pause. „Ich wette, sie müssen jeden Augenblick kommen. Mit dem Nachtessen warte ich prinzipiell auf niemand.“

„Eine treffliche Hausregel, das“, bemerkte Mr. Pickwick. „Wirklich ausgezeichnet.“

Ein ungeheures Stück kalter Rinderbraten kam auf den Tisch, und Mr. Pickwick wurde mit einer kräftigen Portion davon versehen. Er brachte eben die Gabel an die Lippen und war im Begriffe, den Brocken seinen Zähnen zu überliefern, als sich plötzlich von der Küche her der summende Ton zahlreicher Stimmen vernehmen ließ. Er hielt inne und legte die Gabel nieder. Mr. Wardle horchte ebenfalls auf und ließ unwillkürlich das Tranchiermesser in der Rindskeule stecken.

Schwere Fußtritte ließen sich im Hausflur vernehmen. Die Tür ging plötzlich auf, und herein trat der Mann, der Mr. Pickwick gleich bei seiner ersten Ankunft die Stiefel gereinigt hatte, hinter ihm der fette Junge und das ganze Hausgesinde.

„Was, zum Teufel, soll das heißen?“ rief der Hausherr.

„Der Küchenschornstein hat Feuer gefangen, nicht wahr, Emma?“ forschte die alte Dame.

„Aber nein, Großmama, gewiß nicht!“ riefen die beiden jungen Damen.

„Was ist denn also los?“ schrie der Hausherr.

Der Mann schnappte nach Luft und keuchte mit schwacher Stimme:

„Sie sind fort, reineweg getürmt, Sir!“

Mr. Tupman ließ Messer und Gabel fallen und erblaßte.

„Wer ist fort?“ schrie Mr. Wardle heftig.

„Mr. Jingle und Miß Rachel! – In einer Postkutsche, vom ,Blauen Löwen‘ in Muggleton aus. Ich war dort, hab sie aber nicht aufhalten können, und da bin ich schnell hergelaufen, um’s zu melden.“

„Und das auf meine Kosten!“ rief Mr. Tupman, aufspringend und ganz außer sich. „Er hat mir zehn Pfund herausgelockt! Haltet ihn auf! Er hat mich betrogen! Ich lasse mir das nicht gefallen! Ich will Gerechtigkeit haben! Pickwick! Ich ertrage das nicht!“

Mit diesen und ähnlichen unzusammenhängenden Ausrufen raste der unglückliche Gentleman wie toll im Zimmer umher.

„Gott steh uns bei!“ rief Mr. Pickwick, das außerordentliche Gebaren seines Freundes mit entsetzten Blicken betrachtend. „Er ist. übergeschnappt! Was fangen wir nur an?“

„Anfangen?“ wiederholte, geistesabwesend, der Hausherr, der bloß Pickwicks letztes Wort gehört hatte. „Spannt das Pferd ins Gig! Ich will im ,Löwen‘ eine Postchaise nehmen und ihnen augenblicklich nachsetzen. Wo“, rief er, als der Mann sich entfernte, um den Befehl zu vollziehen, „wo ist der Halunke, der Joe?“

„Hier! Gar nicht Halunke“, versetzte eine Stimme. Es war die des fetten Jungen.

„Lassen Sie mich, Pickwick!“ schrie Wardle, riß sich los und stürzte sich auf den unglücklichen Jüngling. „Er hat sich von diesem Schurken, dem Jingle, bestechen lassen und mir einen Floh ins Ohr gesetzt, mit einer Geschichte von meiner Schwester und Ihrem Freunde Tupman.“ – Mr. Tupman sank in seinen Stuhl zurück. – „Lassen Sie mich, ich muß ihm zu Leibe.“

„Halten Sie ihn fest!“ kreischten die Damen, aus deren Geschrei man das Heulen des fetten Jungen deutlich heraushören konnte.

„Weg da!“ rief der alte Herr. „Zurück, Mr. Winkle! Lassen Sie mich los, Mr. Pickwick!“

Es war ein erhebender Anblick, mitten in diesem Tumult und der grenzenlosen Verwirrung den friedlichen und philosophischen Ausdruck in Mr. Pickwicks Antlitz zu betrachten, wie er, allerdings ein wenig gerötet von der Kraftanstrengung, die weite Taille seines korpulenten Wirtes mit starken Armen umschlingend, dastand und ihn von Tätlichkeiten zurückhielt, während der fette Junge von der Damenschar zur Tür hinausgeschoben und –gezerrt wurde. Mr. Pickwick hatte indes kaum losgelassen, als der Bediente mit der Meldung hereintrat, daß das Gig bereitstehe.

„Lassen Sie ihn nicht allein fort!“ jammerten die Damen. „Er wird jemand töten!“

„Ich werde ihn begleiten!“ beruhigte Mr. Pickwick sie sogleich.

„Sie sind ein wackerer Freund, Pickwick“, sagte Mr. Wardle, die Hand des Gelehrten ergreifend. „Emma, leg Mr. Pickwick einen Schal um; rasch! Seht nach eurer Großmutter, Mädchen; sie ist ohnmächtig geworden. Also, kommen Sie schon! – Sind Sie fertig?“

Da Mr. Pickwick inzwischen Mund und Kinn hastig in ein großes Tuch gehüllt, den Hut auf den Kopf gestülpt und den Reisemantel über den Arm genommen hatte, antwortete er mit Ja.

Sie sprangen in das Gig.

„Laß dem Gaul die Zügel, Tom!“ rief Mr. Wardle. Und fort ging’s, über die schmalen Feldwege weg, holterdiepolter über die Wagengeleise und an den Hecken vorbei, daß alle Augenblicke zu befürchten stand, das leichte Fuhrwerk könne in Stücke gehen.

„Wieviel haben sie Vorsprung?“ keuchte Mr. Wardle, als das Gig vor dem „Blauen Löwen“ anlangte, um den sich, so spät es war, bereits ein kleines Häuflein Neugieriger versammelt hatte.

„Nicht über dreiviertel Stunden“, lautete die vielstimmige Antwort.

„Schnell einen Vierspänner! Heraus damit! Das Gig könnt ihr ja nachher ausspannen.“

„Los, Jungens!“ schrie der „Blaue Löwe“, „eine Chaise und vier Pferde! Flott, flott! Mehr Leben in die Bude!“

Die Knechte und Stallburschen eilten hinweg; Laternen bewegten sich hin und her, Pferdehufe klapperten auf dem holperigen Hofpflaster, die Chaise rumpelte aus dem Kutschenschuppen heraus, und alles war voll Leben und Bewegung.

„Nun, wird’s noch diese Nacht?“ rief Wardle ungeduldig.

„Kommt eben in den Hof, Sir“, versetzte ein Stallknecht. Und der Wagen kam, die Pferde wurden eingespannt, der Kutscher sprang herzu, die Reisenden stiegen ein.

„Wohlverstanden, die Siebenmeilenstation muß in weniger als einer halben Stunde gemacht sein“, rief Mr. Wardle. „Fort!“

Die Jungen brachten die Peitsche, die Kellner schrien, die Stallknechte fluchten, und fort sauste der Wagen in rasender Eile.

Hübsche Situation, dachte Mr. Pickwick, als er einen Augenblick Zeit zum Überlegen hatte. Hübsche Situation für den Präsidenten des Pickwick-Klubs. Dumpfige Chaise – fremde Pferde – fünfzehn Meilen in der Stunde – und Mitternacht!

Die ersten drei oder vier Meilen fiel kein Wort zwischen den beiden Herren, da jeder zuviel mit seinen eignen Gedanken beschäftigt war. Dann aber, als die warm gewordnen Pferde gleichmäßiger gingen, wurde auch Pickwick durch die Raschheit der Bewegung fröhlicher gestimmt und vermochte nicht länger, wortlos dazusitzen.

„Ich glaube, wir werden sie sicher einholen“, begann er.

„Ich hoffe“, versetzte sein Gefährte.

„Eine schöne Nacht“, sagte Mr. Pickwick, nach dem klaren Vollmond aufblickend.

„Um so schlimmer“, entgegnete Wardle, „denn sie haben für ihren Vorsprung den Vorteil der Helligkeit gehabt, der uns abgehen wird, da der Mond höchstens noch eine Stunde im Himmel bleibt.“

„In der Dunkelheit wird’s wohl mit der Geschwindigkeit hapern, oder?“

„Jedenfalls“, versetzte Mr. Wardle trocken.

Mr. Pickwicks Begeisterung begann sich ein wenig abzukühlen, als er über die Unbequemlichkeiten und Gefahren der Reise nachdachte, auf die er sich so unüberlegt eingelassen hatte. Ein lautes Rufen des Stallburschen auf dem Leitgaul riß ihn aus seinen Betrachtungen.

„Ö – ö – ö – ö!“

„Ö – ö – ö – ö!“ wiederholte der zweite Stallbursche.

„Ö – ö – ö – ö!“ stimmte der alte Wardle laut mit ein und beugte sich mit dem halben Körper zum Kutschenfenster hinaus.

„Ö – ö – ö – ö!“ schrie Mr. Pickwick am kräftigsten von allen, obgleich er durchaus nicht wußte, warum.

Und während dieses vierfachen „Ö“ machte der Wagen alt.

„Was gibt’s?“ fragte Mr. Pickwick.

„Wir sind an einem Schlagbaum und werden hier etwas von den Flüchtigen hören“, erklärte der alte Wardle.

Nach Verlauf von fünf Minuten, die unter Klopfen und Schreien vergingen, trat endlich ein Greis, nur mit Hemd und Unterhosen bekleidet, aus dem Schlagbaumhäuschen und schob die Barre zurück.

„Wie lange ist’s, seit eine Postkutsche hier durchkam?“ fragte Mr. Wardle.

„Wie lange?“

„Jaja, wie lange.“

„Kann’s nicht genau sagen. Gar lang wird’s nicht sein, aber auch nicht gar kurz. – Na, so zwischendrin, denke ich.“

„Aber eine Chaise ist doch vorbeigekommen?“

„O ja, ’ne Chaise ist vorbeigekommen.“

„Aber wie lange ist’s her, guter Freund?“ mischte sich Mr. Pickwick ein. „Vor einer Stunde vielleicht?“

„So was mag’s gewesen sein.“

„Oder zwei Stunden?“ fragte der Postillion auf dem Handpferd.

„Können auch zwei Stunden sein“, entgegnete der Greis gedankenvoll.

„Fort, Jungens!“ rief Mr. Wardle ärgerlich. „Haltet euch nicht mit dem alten Dummkopf auf.“

„Dummkopf?“ brummte der Greis mit einem Grinsen, schob den Balken halb vor und trat in die Mitte des Weges, um dem Wagen nachzusehen, der in der Ferne immer kleiner und kleiner wurde. „Lange noch kein solcher, wie der da drinnen. Verliert er da seine zehn Minuten und geht so gescheit fort, wie er gekommen ist. Wenn jeder Schlagbaumwärter seine Guinee nur halb so gut verdient, wie ich, wirst du die Chaise vor Michaeli nicht einholen, alter Schmerbauch.“

Mit einem weiteren Grinsen schloß der Greis den Schlagbaum vollends, trat in sein Haus und schob den Riegel hinter sich zu.

Inzwischen raste der Wagen mit gleichbleibender Geschwindigkeit weiter, bis er am Ende des Stationsbereichs anlangte. Der Mond ging, wie Mr. Wardle richtig vorhergesagt, bald unter, und große Ballen schwarzer Wolken, die schon seit einiger Zeit den Himmel umdüstert hatten, sammelten sich schnell zu einer einzigen dunkeln Masse. Große Regentropfen, die hin und wieder an die Wagenfenster schlugen, schienen den Reisenden eine stürmische Nacht zu verkünden. Der Wind blies ihnen entgegen, fegte in furchtbaren Stößen die schmale Straße daher und heulte greulich in den Chausseebäumen. Mr. Pickwick wickelte sich tiefer in seinen Mantel, drückte sich behaglich in eine Ecke des Wagens und sank in ein gesundes Schläfchen, aus dem er erst wieder erwachte, als der Wagen haltmachte und die Stallknechtsklingel nebst dem Melderuf: „Rasch! Pferde vor!“ erscholl.

Wieder gab es eine Verzögerung. Die Postjungen lagen in einem so geheimnisvoll tiefen Schlaf, daß man bei jedem fünf Minuten brauchte, um ihn zu wecken. Der Pferdeknecht hatte den Stallschlüssel verlegt, und als er endlich gefunden war, verwechselten die Postillione die Geschirre, so daß das Geschäft des Vorspannens wieder aufs neue begonnen werden mußte. Wäre Mr. Pickwick allein gewesen, so würden diese vielen Hindernisse der Fortsetzung der Fahrt für diese Nacht ein Ende gesetzt haben, aber der alte Mr. Wardle war nicht so leicht zu entmutigen. Er legte überall so rührig mit Hand an, knuffte hin und wieder einen der Burschen, zog da eine Schnalle an und legte dort eine Kette ein, so daß der Wagen in weit kürzerer Zeit, als sich unter so vielen Schwierigkeiten hätte erwarten lassen, zur Abfahrt bereitstand.

Dann ging die Reise – allerdings unter nicht besonders günstigen Auspizien – wieder weiter. Die nächste Station war fünfzehn Meilen entfernt, die Nacht finster, der Sturm heftig, und der Regen schüttete in Strömen. Es war unmöglich, unter solchen Verhältnissen rasch vorwärts zu kommen. – Ein Uhr hatte es bereits geschlagen, und man brauchte fast zwei Stunden, um die Haltestelle zu erreichen. Hier ließ jedoch ein Lichtblick alle Hoffnungen wieder aufleben.

„Wann ist diese Chaise angekommen?“ rief der alte Wardle, sprang aus dem Wagen und deutete auf ein Fuhrwerk, das, kotbespritzt, im Hofe stand.

„Vor nicht ganz einer Viertelstunde, Sir“, antwortete der Stallknecht, an den die Frage gerichtet war.

„Ein Herr und eine Dame?“ fragte Wardle mit fast atemloser Hast.

„Ja, Sir.“

„Der Herr groß – dünn – lange Beine?“

„Ja, Sir.“

„Dame ältlich – schmales Gesicht – etwas mager – wie?“

„Ja, Sir.“

„Beim Himmel, sie sind’s, Pickwick!“ rief der alte Herr.

„Sie wären schon früher angekommen, wenn ihnen nicht ein Zugstrang gerissen wäre“, erklärte der Stallknecht.

„Sie sind’s“, rief Mr. Wardle. „Beim Zeus, sie sind’s! Geschwind. – Ein Vierspänner! Wir holen sie ein, noch ehe sie die nächste Station erreichen. Jedem eine Guinee, Jungens. – Rührt euch! – Flott, flott! – So; brave Burschen.“

Geschäftig rannte der alte Herr im Hof hin und her und befand sich dabei in einer Aufregung, die sich sogar Mr. Pickwick mitteilte. Eigenhändig half der Gelehrte beim Anschirren mit und machte sich auf eine ganz wundersame Weise mit den Rossen und den Rädern zu schaffen, fest überzeugt, durch seine Mitwirkung die Vorbereitungen zum schleunigen Aufbruch wesentlich zu fördern.

„Hinein! Hinein!“ rief Mr. Wardle, stieg in den Wagen, zog den Tritt nach und schloß den Schlag. „Kommen Sie, beeilen Sie sich.“

Und noch ehe Mr. Pickwick wußte, was geschah, fühlte er sich durch ein Zerren des alten Herrn und durch einen Schub des Stallknechts zu der andern Tür hinein in den Wagen befördert. Und schon ging es wieder weiter.

„Na, das ist wenigstens ’n Tempo“, rief der alte Herr frohlockend.

„Ich bin in meinem Leben noch nie so gerüttelt worden“, entgegnete Mr. Pickwick.

„Macht nichts, wird bald vorüber sein. Nur nicht die Ruhe verlieren.“

Mr. Pickwick verstaute sich, so gut er konnte, in seiner Ecke, und der Wagen rollte, schneller als je, dahin.

Sie hatten in dieser Weise ungefähr drei Meilen zurückgelegt, als Mr. Wardle, der auf ein paar Minuten durch den Schlag hinausgesehen, plötzlich seinen mit Kot bespritzten Kopf zurückzog und in atemloser Erregung ausrief:

„Dort sind sie!“

Mr. Pickwick steckte gleichfalls den Kopf durch das Fenster. Ja, es war ein Wagen mit vier Pferden, die in kurzer Entfernung vor ihnen dahingaloppierten.

„Vorwärts! Vorwärts!“ schrie der alte Herr. „Zwei Guineen für jeden, Jungens! Holt sie ein! – Drauf, drauf!“

Die Pferde des vorderen Wagens rasten im Galopp dahin, und die Mr. Wardles jagten wütend hinterdrein.

„Ich sehe seinen Kopf“, rief der cholerische alte Herr. „Ich will verdammt sein, wenn ich nicht seinen Kopf sehe.“

„Ich gleichfalls. Er ist’s!“ Mr. Pickwick hatte sich nicht geirrt. Mr. Jingles Gesicht, über und über mit Straßenkot bespritzt, war deutlich an dem Wagenfenster zu erkennen, und die ungestümen Bewegungen seines Armes gegen die Postillione verrieten, daß er sie antrieb, ihr Äußerstes zu tun.

Die Spannung stieg aufs höchste. Felder, Bäume und Hecken schienen mit der Schnelligkeit des Windes vorüberzufliegen. Man konnte deutlich Jingles Stimme die Postillione antreiben hören. Der alte Wardle schäumte vor Wut. Er warf dem Entführer die „Schurken“ und „Spitzbuben“ zu Dutzenden nach und schüttelte grimmig die Faust, aber Mr. Jingle antwortete nur mit einem verächtlichen Lächeln und erwiderte die Drohungen des alten Herrn durch lautes Frohlocken, als seine Pferde unter Peitsche und Sporen plötzlich wieder rascher anzogen und die Verfolger ein Stück hinter sich ließen.

Mr. Pickwick hatte eben seinen Kopf zurückgezogen und Mr. Wardle, vom Schreien erschöpft, ein Gleiches getan, als sie durch einen furchtbaren Stoß des Wagens nach vorn geschleudert wurden. Ein dumpfer Krach – ein lautes Prasseln – ein Rad flog ab, und der Wagen schlug um.

Nach einigen Augenblicken der Verwirrung und Bestürzung, in denen sich nichts als das Ausschlagen der Pferde und das Klirren der Glasscheiben vernehmen ließ, fühlte sich Mr. Pickwick gewaltsam aus dem zertrümmerten Wagen hervorgezogen, und als er endlich auf den Beinen stand und sich aus den Falten seines Mantels herauswickelte, die den Gebrauch seiner Brille wesentlich beeinträchtigten, gewahrte er den ganzen Umfang des Unheils, das ihnen zugestoßen war.

Der alte Mr. Wardle stand ohne Hut und mit zerrißnen Kleidern neben ihm, und die Trümmer des Wagens lagen zu ihren Füßen. Die Postillione, denen es gelungen war, die Stränge abzuschneiden, hielten, beschmutzt und von dem scharfen Ritte erschöpft, ihre Pferde am Zaum. Die andre Chaise hatte einen Vorsprung von ungefähr hundert Yards und machte halt, als man dort das Krachen vernahm. Die Stallburschen blickten aus ihren Sätteln mit grinsenden Gesichtern zurück, und Mr. Jingle, der das Unglück aus dem Kutschenfenster mit angesehen hatte, strahlte vor Zufriedenheit. Der Tag brach eben an, so daß sich die ganze Szene im Dämmerlichte des Morgens deutlich unterscheiden ließ.

„Hallo!“ rief der schamlose Jingle. „Jemand beschädigt? – Ältliche Herren – ziemliches Gewicht – faule Sache – wahrhaftig.“

„Sie sind ein Schurke!“ brüllte Wardle.

„Haha!“ lachte Mr. Jingle. Dann fügte er mit einem bedeutsamen Wink und einer Bewegung seines Daumens gegen das Innere seiner Kutsche hinzu: „Übrigens – sie ist ganz wohl – bittet, Sie möchten sich ihretwegen nicht bemühen – läßt den ,Tapps‘ grüßen. – Vielleicht hinten aufsitzen? – Vorwärts, Jungens!“

Die Postillione ritten wieder los, und die Chaise rasselte weiter, während Mr. Jingle höhnisch sein Schnupftuch zum Fenster hinausflattern ließ.

Nichts von dem ganzen Abenteuer – nicht einmal der Umsturz des Wagens – war imstande gewesen, Mr. Pickwicks Gemütsruhe zu erschüttern, aber die Bosheit dieses Menschen, der zuerst von seinem treuen Begleiter Geld borgte und dann seinen Namen schmählicherweise in „Tapps“ abkürzte, war mehr, als er ertragen konnte. Er holte tief Atem, wurde rot bis an seinen Brillensteg und sagte langsam und nachdrücklich:

„Wenn ich je wieder mit diesem Menschen zusammentreffe, so will ich …“

„Jaja“, unterbrach ihn Mr. Wardle, „das ist alles recht schön. Aber während wir hier stehen und schwatzen, verschafft er sich eine Heiratslizenz und läßt sich in London trauen.“

Mr. Pickwick hielt inne und verkniff sich seine Rachegedanken.

„Wie weit ist’s bis zur nächsten Station?“ fragte Mr. Wardle einen der Postillione.

„Sechs Meilen, was, Tom?“ „Eher mehr.“

„Etwas über sechs Meilen, Sir.“

„Da kann man weiter nichts tun, als zu Fuß gehen, Pickwick“, meinte Mr. Wardle.

„Freilich, ja“, gab dieser wahrhaft große Mann zu, und so sandten sie denn einen Stallburschen zu Pferd voraus, um einen neuen Wagen samt Bespannung zu bestellen, und ließen den andern bei den Trümmern zurück, während sie selbst sich mannhaft in Bewegung setzten, nachdem sie zuvor ihre Hälse mit Tüchern bewickelt und ihre Hutkrempen heruntergeschlagen hatten, um sich, so gut es ging, gegen den Regen zu schützen, der sich jetzt, nach kurzem Nachlassen, wieder in Strömen zu ergießen begann.

Zweiundfünfzigstes Kapitel


Zweiundfünfzigstes Kapitel

Mr. Samuel Pell ordnet mit Beihilfe eines auserlesenen Kutscherkomitees die Angelegenheiten Mr. Wellers senior.

„Samuel“, sagte Mr. Weller am Morgen nach dem Begräbnis zu seinem Sohn, „ich habe es gefunden, Sammy. Ich dachte ja gleich, daß es drin sein wird.“

„Was hast du gefunden?“ fragte Sam.

„Das Testament von deiner Stiefmutter, Sammy. Wonach die Anordnungen zu treffen sind, wo ich gestern abend von sprach; diesbezüglich die Fonds.“

„So? Hat sie denn nich gesagt, wo sie es aufbewahrt hat?“ fragte Sam.

„Nicht die Bohne, Sammy“, entgegnete Mr. Weller. „Wir legten gerade unsere kleinen Zwistigkeiten bei, und ich versuchte ihr aufzuheitern, und da vergaß ich alles dabei. Aber wenn ich auch dran gedacht hätte, ich weiß nicht, ob ich’s wirklich gemacht hätte“, fügte Mr. Weller hinzu. „Es is so ’ne Sache, Sammy, nach dem Testament von ein Menschen schnüffeln, wenn du an seinem Krankenbett sitzt. Is genauso, als wenn du ’nem runtergefallenen Außenpassagier wieder auf die Kutsche hilfst und steckst ihm dabei die Hand in die Tasche und fragst ihn, wie er sich fühlt. – Dieses hier is denn also das Testament, Sammy“, sagte Mr. Weller, öffnete seine Brieftasche und zog einen abgegriffenen Bogen Briefpapier heraus, auf dem krause Schriftzüge in wirrem Durcheinander standen.

„Dies hier ist das Dokument, Sammy. Es war in dem kleinen schwarzen Teetopf auf dem Sims in der Speisekammer. Sie pflegte ihre Banknoten drin aufzubewahren, bevor daß ich ihr heiratete, Samuel. Ich habe wohl hundertmal gesehen, wie sie den Deckel abnahm, wenn sie ’ne Rechnung bezahlte.“

„Was steht denn drin?“ fragte Sam.

„Genau das, was ich dir schon erzählt habe, mein Junge. Zweihundert Fund für meinen Stiefsohn Samuel, und den ganzen Rest meines Vermögens, welcher Art und Gattung es auch sein möge, meinem Mann, Mr. Tony Veller, welchen ich zu meinem einzigen Testamentenvollstrecker ernenne.“

„Is das alles?“

„Das is alles!“ antwortete Mr. Weller. „So, na denn nehme ich an, wo nu alles richtig in Ordnung is, für dich und für mich und wir die einzigen Fahrgäste sind, wo es was angeht, können wir den Wisch ins Feuer schmeißen.“

„Bist wohl verrückt, altes Mondkalb?!“ rief Sam und entriß seinem Vater das Papier, als dieser in aller Unschuld bereits das Feuer schürte, um seinem Worte die Tat folgen zu lassen. „Du wärst mir ’n sauberer Testamentsvollstrecker, du.“

„Wieso?“ fragte Mr. Weller und blickte mit dem Schüreisen in der Hand erstaunt auf.

„Wieso?“ rief Sam. „Weißte denn nich, daß es vorher geprieft, beglaubigt und beschworen werden muß?“

„Wahrhaftich?“ fragte Mr. Weller und legte das Schüreisen nieder.

Sam steckte das Testament sorgfältig in die Brusttasche und gab nur durch einen unwilligen Blick zu verstehen, daß er es wirklich so meine, und zwar in allem Ernst.

„Dann will ich dir sagen, was es is“, hob Mr. Weller nach kurzem Nachdenken an. „Es is dies ’n Fall für den vertrauten Freund vom Lordkanzler. Pell muß die Sache ausknobeln, Sammy. Er is der Mann für ’ne schwierige Rechtsfrage. Wir werden die Sache umgehend vor den Insolvenzgerichtshof bringen, Samuel.“

„Also, ich habe noch nie so ’n ollen Rappelkopf gesehen!“ rief Sam gereizt. „Gerichtshöfe, Insolvenzgerichte, Alibis und aller mögliche Blödsinn geht ihm dauernd durch den Schädel. Es wäre besser, du würdest deinen Sonntagskittel anziehen und denn in die Stadt mitkommen, anstatt daß du hier über Sachen brabbelst, wo du nichts von verstehst.“

„Na ja, na ja, Sammy“, erwiderte Mr. Weller. „Bin doch ganz einverstanden, Sammy. Aber merk dir’s wohl, mein Junge, niemand anders als Pell, niemand als Pell darf unser Advokat sein.“

„Verlange auch sonst niemand“, brummte Sam, der sich inzwischen vor einem kleinen Spiegel sein Halstuch umgebunden hatte, „kommst nu endlich?“

„Warte noch ’ne Minute, Sammy! Wenn du mal so alt bist wie dein Vater, wirst du auch nich mehr so leicht in den Rock reinschlüpfen“, stöhnte Mr. Weller und kämpfte sich mit großer Anstrengung in seinen Überzieher.

„Soll mich der Teufel holen, wenn ich überhaupt einen trage“, knurrte Sam.

„So denkst du jetzt“, sagte Mr. Weller mit der Gravität des Alters, „du wirst aber schon finden, daß man um so weiser wird, je dicker man wird. Weite und Weisheit, Sammy, wachsen auf einem Holz.“

Als Mr. Weller diesen unfehlbaren Grundsatz – das Ergebnis vieljähriger persönlicher Erfahrung und Beobachtung – preisgab, gelang es ihm durch eine gewandte Drehung des Körpers, den untersten Rockknopf seiner Bestimmung gemäß anzuwenden. Nachdem er wenige Sekunden pausiert hatte, um wieder Atem zu schöpfen, bürstete er seinen Hut mit dem Ellbogen und erklärte sich bereit.

„Vier Köpfe sin besser als zwei, Sammy“, sagte er ernst, als sie miteinander mit der Post nach London fuhren, „und wo doch … alle diese Habseligkeiten ’ne große Versuchung für ’n Adfokaten sin, wollen wir ’n paar von meinen Freunden mit dazunehmen, wo sehr schnell über ihm herfallen würden, wenn er sich ’ne Unregelmäßigkeit würde zuschulden kommen lassen. Es sind zwei von denen, wo dich damals in der Fleet besucht haben. Es sind die besten Ferdekenner, wo du je gesehen hast“, fügte Mr. Weller geheimnisvoll hinzu.

„Sind es aber auch Advokatenkenner?“ fragte Sam.

„Wer ein richtiges Urteil über ein Tier abgeben kann, der kann auch ein richtiges Urteil über alles andere abgeben“, erwiderte Mr. Weller so dogmatisch, daß Sam nicht zu widersprechen wagte.

Die beiden Droschkenkutscher, die der alte Herr zu seinen Beiständen ausersehen, waren bald aufgefunden. Er hatte sie vermutlich mit Rücksicht auf ihre Wohlbeleibtheit und die dadurch bedingte Weisheit ausgewählt und begab sich sofort mit ihnen nach dem Gasthaus in der Portugalstreet.

Der in den Insolvenzgerichtshof hinübergeschickte Bote fand Mr. Samuel Pell glücklicherweise mit einer nicht allzu schweren Arbeit, nämlich mit einer kleinen Zwischenmahlzeit, bestehend aus Abernethyzwieback und einem Hühnchen, beschäftigt. Der berühmte Anwalt vernahm kaum, was man von ihm wünschte, als er unverzüglich seinen Mundvorrat nebst verschiedenen amtlichen Dokumenten in die Tasche steckte und in das Wirtshaus eilte.

„Meine Herren“, begann er und lüftete seinen Hut, „seien Sie mir alle gegrüßt. Ich sage es nicht, um Ihnen zu schmeicheln, meine Herren; aber es gibt kaum noch fünf andre Männer auf der Welt, denen zuliebe ich heinte den Gerichtshof verlassen hätte.“

„So beschäftigt, was?“ fragte Sam.

„Oh, beispiellos“, erwiderte Pell, „ich bin ganz abgehetzt, wie mein Freund, der verstorbene Lordkanzler, immer zu mir sagte, wenn er aus dem Oberhaus kam, wo sie ihn mit Fragen bestürmt hatten. Jaja, der Ärmste! Solche Anstrengungen griffen ihn sehr an, und die Fragen pflegten ihm außerordentlich zu Herzen zu gehen. Ich glaubte wirklich mehr als einmal, er müsse unter der Last seiner Arbeiten notwendigerweise zusammenbrechen. Heda, liebes Kind, bringen Sie mir doch für drei Pence Rum.“ – Mr. Pell seufzte, seh wieg, betrachtete seine Schuhe, sah dann zur Decke empor und goß den Rum, der ihm sofort gebracht worden war, hinunter.

„Indes“, nahm er seine Rede wieder auf und rückte seinen Stuhl an den Tisch, „ein Geschäftsmann hat kein Recht, an seine Privatfreundschaften zu denken, wenn sein juristischer Beistand verlangt wird. Beiläufig gesagt, meine Herren, seit ich Sie das letztemal hier sah, haben wir ein sehr trauriges Ereignis zu beweinen gehabt. Ich habe es im Anzeiger gelesen, Mr. Weller“, setzte er hinzu. „Gott, Gott, nix mehr als zweiundfünfzig Jahre! Unglaublich. Hm. – Ich habe gehört, daß sie eine sehr schöne Frau gewesen ist, Mr. Weller?“

„Ja, Sir, das war sie“, brummte Mr. Weller. „Aber lassen wir das jetzt. Gehen wir mal ans Geschäft.“

Dieses Wort war Musik für Mr. Pell, denn er hatte so seine Zweifel gehabt, ob er nicht am Ende nur zu einem freundschaftlichen Glas Grog oder einer Bowle Punsch oder sonst einem ähnlichen Achtungsbeweise eingeladen worden sei. Mit funkelnden Augen nahm er das Testament entgegen, das ihm Sam reichte, und sagte:

„Diese andern Herren sind ohne Zweifel Legatare?“

„Nö, Sammy ist der einzige Legatar“, erwiderte Mr. Weller, „diese andern Herrn sin Freunde von mir. Habe sie als ’ne Art Schiedsrichter mitgebracht.“

„Hm“, sagte Pell, „sehr gut. Ich habe durchaus nichts dagegen. Nur muß ich um fünf Pfund Vorschuß bitten, bevor ich anfange.“

Das Komitee entschied, die fünf Pfund sollten vorgeschossen werden, Mr. Weller bezahlte die Summe, und dann fand eine lange Beratung statt, wobei Mr. Pell zur großen Befriedigung der Herren Schiedsrichter den Beweis führte, daß, wenn die Leitung des Geschäftes nicht ihm anvertraut worden wäre, es notwendig hätte schiefgehen müssen, aus Gründen, die zwar nicht ganz klar, aber genügend einleuchtend waren. Nachdem dieser wichtige Punkt ins reine gebracht war, erfrischte sich Mr. Pell auf Kosten der Beteiligten mit einigen guten Bissen und sowohl malzigen wie geistigen Getränken, und alle begaben sich nach Doktors Commons.

Nach den nötigen Verhandlungen war die Angelegenheit endlich so weit gediehen, daß der Tag anberaumt werden konnte, an dem durch Vermittlung des Börsensensals Wilkins Flasher, Esquire, der dazu von Mr. Pell in Vorschlag gebracht worden, Sams Erbteil in Fonds angelegt und der Rest zu Geld gemacht werden konnte.

Es war dies eine festliche Veranlassung, und die beteiligten Personen schmückten sich dazu in angemessener Weise. Mr. Weller ließ sich das Haar brennen, und alle prangten in Festornat, das heißt, sie zogen so viele Kleider an, wie nur möglich, und steckten Lorbeerzweige und Georginen in die Knopflöcher.

Mr. Pell erschien zur bestimmten Zeit am gewöhnlichen Versammlungsort und trug ein Paar Handschuhe und ein frisches Hemd (letzteres durch vieles Waschen am Kragen und den Manschetten ein wenig durchgerieben).

„Viertel vor zwei“, sagte er und blickte auf die Stubenuhr. „Wenn wir Viertel nach zwei zu Mr. Flasher kommen, ist es gerade die beste Zeit.“

Zur Feier des Tages wurde noch schnell ein kleiner Lunch, bestehend aus Bier, Brandy, Austern und Beefsteak, eingenommen und dann brach das Komitee gemächlich auf.

Das Bureau des Börsensensals Wilkins Flasher, Esquire, lag zu einem Hof hinaus hinter der Bank von England; das Haus Wilkins Flashers, Esquire, war in Brixton, Surrey; das Pferd und der Stanhope Wilkins Flashers, Esquire, standen in einem Mietsstall in der Nähe; der Groom Wilkins Flashers, Esquire, war auf dem Weg nach dem Westen von London, um Wildpret abzuliefern; der Schreiber Wilkins Flashers, Esquire, war zum Mittagessen gegangen, und so rief Wilkins Flasher, Esquire, in höchsteigener Person „herein“, als Mr. Pell mit seinen Begleitern an der Tür des Kontors anklopfte.

„Guten Morgen, Sir“, sagte der Advokat mit höflicher Verbeugung. „Wir möchten gerne etwas ä kleine Transaktion vornehmen, wenn es Ihnen konveniert.“

„Schön, schön!“ sagte Mr. Flasher. „Setzen Sie sich einen Augenblick. Ich stehe sogleich zu Diensten.“

„Danke Ihnen, Sir“, sagte Pell, „es hat keine Eile. Nehmen Sie einen Stuhl, Mr. Weller.“

Mr. Weller nahm einen Stuhl, Sam eine Kiste, und die Schiedsrichter nahmen, was sie bekommen konnten, und besahen sich den Kalender und ein paar an die Wand geklebte Papiere mit so offenkundiger Ehrfurcht, als ob es alte Meister gewesen wären.

„Also gut, ich wette ein halbes Dutzend Flaschen Bordeaux; schlagen Sie ein“, nahm Wilkins Flasher, Esquire, seine unterbrochene Unterhaltung mit einem stutzerhaft gekleideten jungen Gentleman wieder auf, der, seinen Hut schief auf, sich an einem Pulte rekelte und mit einem Lineal Fliegen totschlug. Wilkins Flasher, Esquire, balancierte dabei auf einem Schreibstuhl und zielte mit seinem Federmesser auf eine Oblatenschachtel, die er dann und wann mit großer Gewandtheit gerade in der Mitte traf. Beide Gentlemen trugen sehr weit ausgeschnittene Westen und sehr weit zurückgeschlagene Kragen, sehr kleine Stiefel und sehr dicke Ringe, sehr kleine Uhren und sehr große Uhrketten, knapp anliegende Hosen und parfümierte Taschentücher.

„Ich wette nie ein halbes Dutzend“, sagte der junge Herr. „Ein ganzes Dutzend muß es sein.“

„Gemacht, Simmery, es gilt!“ sagte Wilkins Flasher, Esquire.

„Aber sogleich zu bezahlen!“

„Versteht sich“, erwiderte Wilkins Flasher, Esquire, und trug die Wette in ein kleines Buch mit einem goldenen Crayon ein. Der andre Gentleman notierte sie ebenfalls in einem andern kleinen Buch, ebenfalls mit einem goldenen Crayon.

„Ich lese da gerade, daß Boffer“, bemerkte Mr. Simmery, „pleite ist.“

„Ich wette zehn Guineen gegen fünf, daß er sich die Kehle durchschneidet“, griff Wilkins Flasher, Esquire, sofort das Thema auf.

„Gemacht!“ schlug Mr. Simmery ein.

„Halt!“ sagte Wilkins Flasher, Esquire, gedankenvoll. „Vielleicht hängt er sich auch auf.“

„Auch gut“, meinte Mr. Simmery und zog den goldenen Crayon wieder heraus. „Ich nehme die Wette auch so an. Sagen wir also: er macht seinem Leben ein Ende.“

„Er tötet sich selbst“, ergänzte Wilkins Flasher, Esquire.

„Tötet sich selbst“, schrieb Mr. Simmery auf. „Flasher: zehn Guineen gegen fünf, Boffer tötet sich selbst. Binnen welcher Zeit wollen wir sagen?“

„Binnen vierzehn Tagen etwa.“

„Gott bewahre, nein“, erwiderte Mr. Simmery und hielt einen Augenblick inne, um eine Fliege mit dem Lineal zu erschlagen. „Sagen wir eine Woche.“

„Halbieren wir! – Zehn Tage?“ schlug Wilkins Flasher, Esquire, vor.

„Gut, also zehn Tage.“

„Es tut mir leid“, sagte Wilkins Flasher, Esquire, nach einer Pause, „daß er pleite ist. Er hat famose Soupers gegeben.“

„Und einen glänzenden Portwein gehabt. Wir werden morgen unsern Kellermeister in die Auktion schicken, um einiges von dem Vierundsechziger zu erstehen.“

„Zum Teufel!“ fuhr Wilkins Flasher, Esquire, auf. „Der meinige geht auch hin. – Fünf Guineen, daß mein Mann den Ihrigen überbietet.“ „Gemacht!“

Die Wette wurde wieder mit den goldenen Crayons in die kleinen Bücher eingetragen, und nachdem Mr. Simmery noch sämtliche Fliegen getötet und sich sämtliche Wetten durchgelesen hatte, begab er sich auf die Börse, um zu sehen, was sich dort „tue“.

Jetzt endlich ließ sich Wilkins Flasher, Esquire, herab, Mr. Samuel Pells Instruktionen entgegenzunehmen, und nachdem er einige gedruckte Formulare ausgefüllt, ersuchte er die Gesellschaft, ihn auf die Bank zu begleiten. Mr. Weller und seine drei Freunde hatten inzwischen alles, was zu sehen war, mit unbeschreiblichem Erstaunen angestarrt, nur Sam besichtigte jedes Ding mit einer Gleichgültigkeit und Kälte, der nichts zu imponieren vermochte.

Sie kamen über einen Hofraum und an ein paar Portiers mit Livreen so rot wie die Feuerspritze, die in einer Ecke stand, vorbei und traten dann in ein Bureau, wo das Geschäft abgemacht werden sollte und mehrere Herren hinter Pulten saßen.

„Das sin woll die reduzierten Konsols?“ flüsterte Mr. Weller. „Was, Samuel?“

„Glaubst wohl, die reduzierten Konsols sin lebendig?“ fragte Sam mit Verachtung.

„Woher soll ich’s denn wissen“, entschuldigte sich Mr. Weller. „Wat sin se denn?“

„Schreiber.“

„Warum essen se denn alle Schinken?“

„Vermutlich, weil’s mit zum Amte gehört“, erwiderte Sam, „gehört mit zum ganzen System, und se tun’s den ganzen Tag.“

Mr. Weller und seine Freunde hatten kaum Zeit, über diese sonderbare, mit dem Münzsystem des Landes zusammenhängende Einrichtung nachzudenken, als Pell wieder zu ihnen trat. Mr. Flasher begab sich in die Bank und kehrte bald darauf mit einem Scheck über fünfhundertunddreißig Pfund Sterling, dem Erlös von Mr. Wellers Anteil, zurück.

Der alte Herr war im Anfang hartnäckig entschlossen, das Papier bloß gegen Guineen auswechseln zu lassen, als ihm aber die Schiedsrichter vorstellten, daß er dann einen kleinen Sack kaufen müßte, um sie nach Hause zu bringen, willigte er endlich ein, den Betrag in Fünfpfundnoten anzunehmen.

„Mein Sohn“, sagte er, als sie von der Bank weggingen, „mein Sohn und ich haben heute nachmittag ’n ganz besonderes Geschäft, und es wäre mir lieb, wenn wir alles vorher ins reine brächten und mal die Rechnungen prüften.“

Das war bald geschehen. Mr. Pells Konto wurde von Sam geprüft und einige Posten von den Schiedsrichtern gestrichen; aber trotz Mr. Pells Schwüren und vielfach-feierlichem Protest, daß man zu hart mit ihm verfahre, war dies doch in jeder Beziehung das beste Geschäft, das er je gemacht hatte, denn er bestritt mit dem Betrag sechs Monate lang Kost, Quartier und Wäsche.

Nachdem die Schiedsrichter noch an einem Abschiedstrunk teilgenommen, schüttelten sie einander die Hände und reisten ab, da sie sämtlich noch vor Abend die Stadt verlassen mußten. Mr. Salomon Pell nahm ebenfalls, sobald er sah, daß es nichts mehr zu essen und zu trinken gab, aufs freundschaftlichste Abschied, und Sam und sein Vater waren endlich allein.

„Nun hätten wir also“, sagte Mr. Weller und verstaute seine Brieftasche, „außer den Rechnungen für den Mietkontrakt und solche Geschichten elfhundertundachtzig Pfund beisammen. Nu, Samuel, kehre mal um und fahre nach dem ‚Georg und Geier‘, mein Junge.“

Fünfundvierzigstes Kapitel


Fünfundvierzigstes Kapitel

Handelt von Geschäftsangelegenheiten und dem zeitlichen Vorteil der Herren Dodson und Fogg. Mr. Winkle tritt unter außerordentlichen Umständen wieder auf, und Mr. Pickwicks gutes Herz siegt über seine Hartnäckigkeit.

Hiob Trotter rannte wie besessen Holborn hinauf, bald mitten auf der Straße, bald auf dem Bürgersteig und bald im Rinnstein, je nachdem das Gedränge der Männer, Weiber und Kinder und Wagen abwechselte, und blieb nicht eher stehen, als bis er das Tor von Grays Inn erreicht hatte. Trotz aller seiner Eile war aber das Tor schon seit einer guten halben Stunde geschlossen. Er sah sich daher um und machte endlich Mr. Perkers Waschfrau ausfindig, die mit einer verheirateten Tochter zusammenlebte, die mit ihrer Hand einen auswärtigen Kellner beglückt hatte und ein paar Zimmer bei einer Brauerei wenig hinter Grays Inn Lane bewohnte.

Mr. Lowten mußte aus dem Hinterzimmer der „Elster“ herausgeklopft werden, und Hiob hatte Sam Wellers Botschaft kaum ausgerichtet, als die Glocke zehn Uhr schlug.

„Zu spät“, sagte Lowten. „Sie können nicht mehr zurück. Oder haben Sie vielleicht den Schlüssel?“

„Sorgen Sie sich nicht um mich“, erwiderte Hiob, „ich kann überall schlafen. Aber würde es nicht besser sein, Mr. Perker heute nacht noch aufzusuchen, damit wir morgen in aller Frühe zur Stelle sind?“

„Meinetwegen“, versetzte Lowten nach kurzer Überlegung. „Wenn es sich um irgend etwas andres handelte, so würde Perker über einen so späten Besuch sehr ungehalten sein; da es aber Mr. Pickwick betrifft, so glaube ich wohl einen Wagen nehmen und aufrechnen zu dürfen.“

Nachdem sich Mr. Lowten zu dieser Maßregel entschlossen hatte, nahm er seinen Hut, bat die versammelte Gesellschaft, in seiner Abwesenheit einen andern Präsidenten zu ernennen, steuerte auf den nächsten Droschkenplatz los, wählte den Wagen, dessen Aussehen am meisten versprach, und befahl dem Kutscher, nach dem Montagueplace, Russellsquare, zu fahren.

Mr. Perker gab an diesem Abend ein Souper, wie der Lichterglanz in den Fenstern des Gesellschaftszimmers verriet. Da zufällig einige wertvolle Kunden vom Lande zu gleicher Zeit in die Stadt gekommen waren, so hatte sich zu ihrem Empfang eine vergnügte kleine Gesellschaft zusammengefunden, bestehend aus Mr. Snicks, dem Sekretär der Lebensversicherung, aus Mr. Prosee, dem ausgezeichneten Rechtskonsulenten, aus drei Anwälten, einem Kommissär vom Fallitengericht, einem Advokaten vom Temple, einem kleinäugigen, peremtorischen jungen Herrn, seinem Mündel, der ein scharfes Buch über das Legatengesetz mit einer ungeheuren Menge Randnoten und Zitaten geschrieben hatte, und mehreren anderen hervorragenden Personen. Von dieser Gesellschaft machte sich der kleine Mr. Perker los, als ihm die Ankunft seines Schreibers zugeflüstert wurde, begab sich in das Speisezimmer und traf dort Mr. Lowten und Hiob Trotter beim trüben Dämmerschein eines Küchenlichtes, das der Gentleman, der sich herabließ, gegen vierteljährlichen Lohn in kurzen Plüschhosen und wollenen Strümpfen zu erscheinen, mit gebührender Verachtung für den Schreiber und alle das Geschäft berührenden Dinge auf den Tisch gestellt hatte.

„Nun, Lowten“, sagte der kleine Perker und schloß die Tür hinter sich ab, „was gibt’s? Sind wichtige Briefe angekommen?“

„Nein, Sir. Aber hier ist ein Bote von Mr. Pickwick, Sir.“

„Von Pickwick? Was will er denn?“

„Dodson und Fogg haben Mrs. Bardell wegen der Prozeßkosten verhaften lassen“, sagte Hiob.

„Unmöglich“, rief Perker, steckte beide Hände in die Taschen und lehnte sich rücklings an den Kredenztisch.

„Es ist wirklich so“, bekräftigte Hiob. „Wie es scheint, haben sie sich von ihr unmittelbar nach der Gerichtsverhandlung ein Cognovit für die Prozeßkosten ausstellen lassen.“

„Bei Gott!“ rief Perker, in die Hände klatschend, „das sind doch die gescheitesten Leute, mit denen ich je zu tun gehabt habe.“

„Die schärfsten“, bemerkte Lowten.

„Die schärfsten?“ wiederholte Perker. – „Jaja, allerdings, die schärfsten.“

„Mhm“, erwiderte Lowten, und dann versanken beide, Meister und Geselle, einige Sekunden lang mit belebten Gesichtern in tiefes Sinnen, gleich, als ob sie über eine der schönsten und sinnreichsten Entdeckungen nachdächten, die der menschliche Verstand jemals ausgeklügelt hat. Als sie sich einigermaßen von ihrem träumerischen Bewunderungsanfall erholt hatten, entledigte sich Hiob Trotter des Restes seines Auftrags, und Perker nickte gedankenvoll und zog seine Uhr heraus.

„Schlag zehn Uhr werde ich dort sein“, sagte er. „Sam hat vollkommen recht. Sagen Sie ihm das. Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten, Lowten?“

„Nein, ich danke Ihnen, Sir.“

„Sie meinen ,ja‘ – denke ich“, sagte das Männchen und wandte sich an den Kredenztisch, um eine Flasche und Gläser zu holen.

Da Lowten wirklich „ja“ meinte, verlor er kein Wort mehr über die Sache, sondern fragte Hiob mit hörbarem Flüstern, ob das gegenüber vom Kamin hängende Porträt Perkers nicht zum Sprechen ähnlich sei, worauf Hiob natürlich bejahte. Inzwischen war der Wein eingeschenkt, und Lowten trank auf die Gesundheit Mrs. Perkers und ihrer Kinder und Hiob auf das Wohlsein des Herrn Anwalts.

Da der Gentleman in den kurzen Plüschhosen und wollenen Strümpfen es nicht für seine Amtspflicht hielt, den Leuten hinauszuleuchten, mußten beide ihren Weg selbst suchen. Der Advokat verfügte sich in sein Besuchszimmer, der Schreiber in die „Elster“, und Hiob ging auf den Covent-Garden-Markt, um die Nacht in einem leeren Gemüsekorb zu verbringen.

Pünktlich zur bestimmten Stunde klopfte am andern Morgen der aufgeräumte kleine Anwalt an Mr. Pickwicks Tür. Sam Weller öffnete sofort. „Mr. Perker, Sir“, meldete er den Besuch Mr. Pickwick, der gedankenvoll am Fenster saß. „Sehr erfreut, daß Sie gelegentlich auch mal nach uns sehen, Sir. Ich glaube, der Gouvernör möchte gern ’n paar Worte mit Ihnen sprechen.“ Perker wechselte einen Blick des Einverständnisses mit Sam, womit er ihm bedeuten wollte, er verstehe, daß er nicht sagen solle, man habe nach ihm geschickt, winkte ihn dann näher zu sich und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr.

„Nich möglich!“ rief Sam und prallte mit äußerster Überraschung einige Schritte zurück. Perker nickte und lächelte.

Mr. Samuel Weller blickte erst ihn, dann Mr. Pickwick, dann die Stubendecke, dann wieder Mr. Perker an, grinste, lachte laut auf, nahm endlich seinen Hut vom Nagel und verschwand ohne weitere Erklärung.

„Was soll das alles bedeuten?“ fragte Mr. Pickwick verwundert. „Was hat Sam in diese Aufregung versetzt?“

„O nichts, nichts“, erwiderte Perker. „Kommen Sie, mein lieber Herr, rücken Sie Ihren Stuhl an den Tisch. Ich habe viel mit Ihnen zu sprechen.“

„Was sind das für Papiere?“ fragte Mr. Pickwick, als der kleine Advokat ein mit roter Schnur zusammengebundenes Paket Dokumente auf den Tisch legte.

„Die Papiere in Sachen Bardell kontra Pickwick“, erwiderte Perker, den Knoten mit den Zähnen öffnend.

Mr. Pickwick stieß mit dem Stuhl auf den Boden, warf sich dann hinein, faltete die Hände und blickte seinen Rechtsfreund grimmig an – wenn er überhaupt grimmig blicken konnte.

„Sie hören diesen Namen nicht gern?“ meinte der kleine Mann, noch immer mit dem Knoten beschäftigt.

„Nein, wahrhaftig nicht.“

„Tut mir leid“, fuhr Perker fort, „aber eben darüber möchte ich mit Ihnen sprechen.“

„Von dieser Sache darf zwischen uns keine Rede mehr sein, Perker“, unterbrach ihn Mr. Pickwick erregt.

„Pah, pah, mein lieber Herr“, sagte der kleine Mann, band das Paket auf und blickte seinen Klienten dabei aus den Augenwinkeln scharf an. „Wir müssen davon sprechen! Ich bin ausdrücklich deswegen hierhergekommen. Sind Sie bereit, mich anzuhören, mein lieber Herr? Es hat keine Eile; wenn es Ihnen nicht genehm ist, so kann ich warten. Ich habe die Zeitungen von heute früh mitgenommen. Sie dürfen nur sagen, wann es Ihnen gefällig ist. – So.“

Mit diesen Worten schlug Mr. Perker ein Bein über das andre und gab sich den Anschein, als begänne er mit großer Ruhe und Aufmerksamkeit zu lesen.

„Gut, gut“, seufzte Mr. Pickwick und lächelte bereits wieder, „sagen Sie also, was Sie zu sagen haben. Ohne Zweifel immer wieder die alte Geschichte?“

„Nur mit einem kleinen Unterschied, mein lieber Herr; mit einem Unterschied. Mrs. Bardell, die Klägerin in Ihrem Prozeß, befindet sich innerhalb dieser Mauern, Sir!“

„Das weiß ich.“

„Sehr gut! Und ohne Zweifel wissen Sie auch, wie sie hierhergekommen ist? Ich meine, aus was für Gründen und auf wessen Verlangen?“

„Ja; wenigstens hat mir Sam davon erzählt“, versetzte Mr. Pickwick mit erkünstelter Gleichgültigkeit.

„Sanas Erzählung“, erwiderte Perker, „ist gewiß vollkommen richtig; wenigstens möchte ich es zu behaupten wagen. Nun gut, mein lieber Herr, die erste Frage, die ich an Sie zu richten habe, ist, ob diese Frau hierbleiben soll?“

„Hierbleiben?!“ wiederholte Mr. Pickwick erstaunt.

„Ja, hierbleiben, mein lieber Herr“, entgegnete Perker, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und fixierte seinen Klienten.

„Wie können Sie mich so fragen? Das hängt lediglich von Dodson und Fogg ab. Sie wissen das recht gut.“

„Nein, ich weiß es nicht“, entgegnete Perker fest. „Es hängt mitnichten von Dodson und Fogg ab. Sie kennen die Leute ebensogut wie ich, mein lieber Herr; es hängt einzig und allein nur von Ihnen ab.“

„Von mir?“ rief Mr. Pickwick, sprang hastig von seinem Stuhle auf und setzte sich sofort wieder.

Der kleine Mann klopfte zweimal auf den Deckel seiner Schnupftabaksdose, öffnete sie, nahm eine große Prise, schlug die Dose zu und wiederholte die Worte: „Von Ihnen.

Jaja, mein lieber Herr! Ich sage, ihre schleunige Befreiung oder lebenslängliche Einkerkerung hängt von Ihnen ab, und lediglich nur von Ihnen. Hören Sie mich gefälligst zu Ende, mein lieber Herr, und erhitzen Sie sich nicht so, Sie kommen dadurch nur in Schweiß, und das hilft doch zu nichts. Ich sage“, fuhr Perker fort, „ich sage, daß niemand als Sie die arme Frau aus dieser Höhle des Elends erlösen kann, und daß Sie dies nur können, wenn Sie sämtliche Kosten dieses Prozesses, sowohl die für die Klägerin als für den Beklagten, den Gaunern von Freemans Court, ausbezahlen. – Bitte, lassen Sie mich gefälligst ausreden, mein lieber Herr.“

Mr. Pickwick, dessen Mienen während dieser Rede die überraschendsten Wechsel durchgemacht hatte, stand sichtlich auf dem Punkte, loszubrechen, und hielt sich nur mit Mühe zurück; Perker fuhr, sich wieder durch eine Prise Schnupftabak stärkend, unbeirrt fort:

„Ich habe die Frau heute morgen gesehen. Wenn Sie die Prozeßkosten bezahlende kann Ihnen die Entschädigungssumme gänzlich erlassen werden, und überdies bekommen Sie von ihr – was, wie ich wohl weiß, in Ihren Augen von weit größerer Bedeutung ist, mein lieber Herr – eine freiwillige, eigenhändige Erklärung in der Form eines Schreibens an mich, daß diese Leute, Dodson und Fogg nämlich, an dem ganzen Prozeß schuld sind, indem sie sie verleiteten und durch glänzende Vorspiegelungen dazu veranlaßten; daß sie es ferner aufs tiefste bedauere, sich zum Werkzeug hergegeben zu haben, und daß sie mich dringend ersuchte, in der Sache zu vermitteln und Sie um Verzeihung anzuflehen.“

„Wenn ich die Kosten für sie bezahle!“ rief Mr. Pickwick entrüstet. „Wahrhaftig, eine nette Zumutung!“

„Es ist von keinem ,Wenn‘ mehr die Rede, mein lieber Herr“, sagte Perker triumphierend. „Hier ist das Schreiben. Es wurde mir heute früh um neun Uhr von einer Frau auf mein Büro gebracht, ehe ich noch einen Fuß in dieses Haus gesetzt oder die geringste Unterhandlung mit Mrs. Bardell gepflogen hatte; das kann ich Ihnen auf meine Ehre versichern.“ Und der kleine Advokat suchte den Brief aus dem Paket heraus, legte ihn Mr. Pickwick hin und schnupfte zwei Minuten hintereinander, ohne zu blinzeln.

„Ist das alles, was Sie mir zu sagen haben?“ sagte Mr. Pickwick, ein wenig besänftigt.

„Noch nicht. Ich kann in diesem Augenblick noch nicht sagen, ob die Abfassung des Cognovits, die Natur des Scheinkontrakts und die Aufschlüsse, die wir hinsichtlich des ganzen Vorgehens bei diesem Prozeß bekommen können, hinreichend sein werden, um eine Klage wegen Anstiftung und Betrügerei zu begründen. Ich fürchte, nein, mein lieber Herr; diese Leute sind gar zu schlau. Jedenfalls aber werden sämtliche Tatsachen zusammengenommen mehr als hinreichend sein, Sie in den Augen aller vernünftigen Menschen zu rehabilitieren. Und nun, mein lieber Herr, überlasse ich die Sache ganz Ihnen. Diese hundertfünfzig Pfund, oder was es sein mag, wenn man eine runde Summe annimmt, sind ja doch nichts für Sie! Eine Jury hat gegen Sie entschieden und ihr Ausspruch war ungerecht; allein die Geschworenen haben nun einmal entschieden, wie sie es für recht hielten, und der Spruch ist gegen Sie ausgefallen. Sie haben jetzt Gelegenheit, unter sehr annehmbaren Bedingungen eine weit höhere Stellung in der öffentlichen Meinung einzunehmen, als Sie durch Ihr Hierbleiben jemals erzielen können; denn, glauben Sie mir, mein lieber Herr, jedermann, der Sie nicht kennt, würde es Ihnen als baren, verrückten, lächerlichen und abgeschmackten Eigensinn auslegen. Können Sie noch zögern, diese Gelegenheit zu benutzen, durch die Sie Ihren Freunden, Ihren alten Beschäftigungen und Vergnügungen zurückgegeben werden und ihre Gesundheit wiederherstellen können? – Eine Gelegenheit, die Ihren treuen, anhänglichen Diener, den Sie sonst für die ganze Dauer Ihres Lebens zur Einkerkerung verurteilen, befreit – und vor allem eine Gelegenheit, die Sie instand setzt, eine höchst großmütige Rache zu nehmen, die, wie ich weiß, ganz Ihrem Herzen entspricht – und diese Frau von einem Schauplatz des Elends zu erlösen, wo man nach meiner Ansicht nicht einmal Männer einsperren sollte, geschweige denn Frauen. Ich frage Sie, mein lieber Herr, nicht bloß als Ihr juristischer Beirat, sondern als wohlmeinender treuer Freund, ob Sie die Gelegenheit, alles dies zu erreichen und so viel Gutes zu tun, schießen lassen wollen wegen armseliger paar Pfund, die allerdings in die Tasche zweier Schufte wandern, die dadurch aber nicht glücklicher, vielleicht nur um so habsüchtiger werden, und sich möglicherweise um so eher zu einem Schurkenstreich verleiten lassen werden, der mit ihrem Sturze enden muß? So schwach und unvollkommen ich Ihnen alle diese Rücksichten auch vorgelegt haben mag, mein lieber Herr, so ersuche ich Sie doch, sie in Erwägung zu ziehen und, solange es Ihnen beliebt, darüber nachzudenken. Ich werde geduldig wie ein Lamm Ihrer Antwort harren.“ Ehe Mr. Pickwick noch etwas erwidern konnte und Mr. Perker den zwanzigsten Teil der Prise zu sich genommen hatte, die eine so ungewöhnlich lange Rede gebieterisch erheischte, vernahm man ein leises Gemurmel draußen und sodann ein schüchternes Klopfen an die Tür.

„Mein Gott!“ rief Mr. Pickwick, von den letzten Bemerkungen seines Freundes sichtlich aufgewühlt. „Wie ärgerlich, daß wir gestört werden! Wer ist denn da?“

„Ich, Sir“, erwiderte Sam Weller und steckte den Kopf herein.

„Ich kann dich jetzt nicht brauchen, Sam“, sagte Mr. Pickwick ärgerlich. „Ich bin beschäftigt, Sam.“

„Bitte um Verzeihung, Sir. Aber hier ist eine Dame, wo sagt, sie hat Ihnen ganz besondere Mitteilungen zu machen.“

„Ich kann jetzt keinen Damenbesuch annehmen“, entgegnete Mr. Pickwick, dessen Geist lauter Gestalten wie Mrs. Bardell vorschwebten.

„Das möchte ich doch nich so bestimmt behaupten“, drängte Mr. Weller. „Wenn Sie wüßten, wer hier is, denn würden Sie, schätz ich, aus ner andern Tonart feifen, wie der Habicht sagte, als er das Rotkehlchen um die Ecke singen hörte.“

„Wer ist’s denn?“

„Wollen Sie selbst sehen, Sir?“ fragte Mr. Weller und behielt vorsichtig die Tür in der Hand, als hätte er draußen irgendein merkwürdiges lebendes Tier.

„Nun, so laß sie ein“, sagte Mr. Pickwick mit einem verzweifelten Blick auf Perker.

„Richtig so“, rief Sam. „Jetzt geht der Tanz los! Die Geigen gestimmt, den Vorhang hochgezogen, und herein treten die zwei Verschwörer.“

Dabei riß er die Tür auf, und herein stürmte Mr. Nathaniel Winkle, an der Hand dieselbe junge Dame, die in Dingley Dell die hübschen Pelzstiefelchen getragen hatte und jetzt – eine höchst anmutige Mischung von Erröten, Verwirrung, lila Seide und Spitzenschleierhut – reizender aussah als je.

„Miß Arabella Allen!“ rief Mr. Pickwick und sprang von seinem Stuhle auf.

„Nein“, erwiderte Mr. Winkle und ließ sich auf ein Knie nieder, „Mrs. Winkle. Verzeihen Sie mir, mein teurer Freund, verzeihen Sie mir!“

Mr. Pickwick wollte kaum seinen Augen trauen und würde es vielleicht auch nicht getan haben, hätte nicht das lächelnde Gesicht Perkers sowie die leibliche Anwesenheit Sams und des hübschen Hausmädchens im Hintergrund, die beide die Szene mit der lebhaftesten Befriedigung zu betrachten schienen, jeden Zweifel an der Wirklichkeit ausgeschlossen.

„Ach, Mr. Pickwick“, sagte Arabella mit leiser Stimme, durch das Stillschweigen des alten Herrn beunruhigt, „können Sie mir meine Unklugheit verzeihen?“

Mr. Pickwick antwortete nicht mit Worten, sondern nahm in großer Hast seine Brille ab, umarmte die junge Dame und küßte sie öfter, als unbedingt notwendig gewesen wäre, und sagte dann, fortwährend eine ihrer Hände in der seinigen behaltend, Mr. Winkle sei ein verwünscht frecher Gesell. Er solle übrigens endlich aufstehen. Mr. Pickwick schlug ihm hierauf mehrere Male auf den Rücken und schüttelte dann Perker herzlich die Hand, der, um mit seinen Komplimenten nicht zurückzubleiben, sowohl die junge Frau wie das hübsche Dienstmädchen aufs wärmste begrüßte, und nachdem er Mr. Winkle aus lauter Freundschaft beinahe die Hand aus dem Gelenk gerissen, seine Freudenbezeigungen damit schloß, daß er Schnupftabak genug nahm, um ein halbes Dutzend Leute mit gewöhnlich konstruierten Nasen zeitlebens niesen zu machen.

„Aber mein liebes Kind“, rief Mr. Pickwick endlich, „wie ist denn dies alles zugegangen? Setzen Sie sich zu mir, und erzählen Sie! Wie sie hübsch aussieht, was, Perker?“ setzte er hinzu und blickte dabei Arabella mit so viel Stolz und Wonne ins Gesicht, als ob sie seine eigene Tochter sei.

„Zum Entzücken, mein lieber Herr“, beteuerte der kleine Mann. „Wäre ich nicht selbst schon verheiratet, so könnte es mich anwandeln, Sie zu beneiden, Sie Tausendsasa.“

Bei diesen Worten klopfte er Mr. Winkle auf den Rücken, und beide fingen an, laut zu lachen, doch immerhin nicht so laut wie Mr. Samuel Weller, der seinen Gefühlen soeben dadurch Luft verschafft hatte, daß er hinter der Tür das hübsche Hausmädchen küßte.

„Wahrhaftig, ich kann Ihnen nicht dankbar genug sein, Sammy“, sagte Arabella mit ihrem süßesten Lächeln. „Ich werde Ihre Bemühungen im Garten in Clifton nie vergessen.“

„Sprechen Sie da nich von, Madam“, wehrte Sam ab. „Ich bin bloß der Natur zu Hilfe gekommen, Ma’am, wie der Doktor zur Mutter des Knaben sagte, als er ihm so lange zur Ader gelassen hatte, bis er tot war.“

„Setzen Sie sich doch, liebe Mary“, unterbrach Mr. Pickwick diese Komplimente. „Und nun, wie lange seid ihr denn schon verheiratet?“

Arabella blickte ihren Herrn und Gebieter verschämt an, und dieser erwiderte:

„Erst drei Tage.“

„Erst drei Tage?“ rief Mr. Pickwick. „Aber was habt ihr denn die ganzen drei Monate über getrieben?“

„Jaja“, fiel Perker ein, „rechtfertigen Sie sich nur. Sie sehen, Mr. Pickwick wundert sich darüber, daß Sie nicht schon vor Monaten ans Ziel gekommen sind.“

„Die Sache ging so zu“, erklärte Mr. Winkle mit einem zärtlichen Blick auf seine errötende junge Frau, „ich konnte Bella lange nicht überreden, mit mir durchzugehen, und als es mir endlich gelungen war, wollte sich lange keine Gelegenheit dazu bieten. Auch Mary mußte einen Monat zuvor aufkündigen, ehe sie ihre Stelle verlassen konnte, und ihr Beistand war für uns unbedingt notwendig.“

„Auf mein Wort“, rief Mr. Pickwick, der inzwischen seine Brille wieder aufgesetzt hatte und mit so viel Entzücken seine Blicke von Arabella auf Winkle und von Winkle auf Arabella schweifen ließ, wie ein warmes Herz und freundliche, liebevolle Teilnahme nur einem menschlichen Antlitz mitteilen können, „auf mein Wort, ihr scheint sehr systematisch zu Werke gegangen zu sein. Und weiß Ihr Bruder schon alles, mein liebes Kind?“

„Ach nein, nein“, stammelte Arabella und wechselte die Farbe. „Lieber Mr. Pickwick, er darf es nur von Ihnen – nur aus Ihrem Munde erfahren! Er ist so heftig, so voll von Vorurteilen, und hatte so – so lebhafte Wünsche für seinen Freund, Mr. Sawyer“, fügte sie verschämt hinzu, „daß ich die entsetzlichste Angst vor den Folgen habe.“

„Jaja“, meinte Perker ernsthaft. „Sie müssen diese Sache für sie ausfechten, mein Lieber Herr. Vor Ihnen werden diese jungen Männer Respekt haben, wenn sie schon auf niemand sonst hören; Sie müssen Unglück verhüten, mein lieber Herr. Heißes Blut – heißes Blut!“

„Sie vergessen nur, liebes Kind“, sagte Mr. Pickwick freundlich, „Sie vergessen nur, daß ich ein Gefangener bin.“

„Nein, mein lieber Mr. Pickwick“, erwiderte Arabella, „gewiß nicht. Ich habe es nie vergessen und beständig daran gedacht, wie entsetzlich Sie an diesem abscheulichen Ort leiden müssen. Ich hoffte nur, wozu keine Rücksicht auf Ihre eigne Person Sie bewegen könnte, dazu würden Sie sich vielleicht durch Ihre Wünsche für unser Glück bestimmen lassen. Wenn mein Bruder es von Ihnen zuerst erfährt, so hoffe ich mit Bestimmtheit auf eine Aussöhnung. Er ist mein einziger Verwandter in der Welt, Mr. Pickwick, und wenn Sie nicht für mich sprechen, fürchte ich, daß ich auch ihn noch verlieren werde. – Ich habe unrecht getan – sehr unrecht; ich weiß es wohl“, schluchzte Arabella.

Mr. Pickwick erschütterten schon diese Tränen gewaltig; als aber Mrs. Winkle ihre Augen trocknete und anfing, ihn mit den süßesten Schmeichelworten zu bestürmen, wurde er sehr unruhig und sichtlich in seinem Entschlüsse wankend, wie aus seinem mehrfach wiederholten krampfhaften Reiben an den Brillengläsern, an Nase und Schenkeln, Kopf und Gamaschen hervorging.

Mr. Perker benutzte diese Symptome von Unentschlossenheit und setzte mit juristischer Gewandtheit und Advokatenschlauheit auseinander, wie auch Mr. Winkle senior von dem wichtigen Fortschritt, den sein Sohn auf der Lebensleiter gemacht habe, noch nichts wisse, wie die künftigen Aussichten des Sohnes gänzlich davon abhingen, daß besagter Winkle senior ihn fortwährend mit unverminderten Gefühlen der Liebe und Zuneigung betrachte, was höchst unwahrscheinlich sei, wenn ihm dieses große Ereignis lange geheimgehalten werde; wie ferner Mr. Pickwick, wenn er sich nach Bristol begebe, um Mr. Allen zu besuchen, ebensogut auch nach Birmingham gehen und Mr. Winkle senior aufsuchen könne, zumal dieser ihn mit Recht als Mentor und Ratgeber seines Sohnes betrachte.

So standen die Verhandlungen, als sehr zur gelegenen Zeit Mr. Tupman und Mr. Snodgraß erschienen. Mr. Pickwick wurde geradezu aus allen seinen Entschlüssen hinausdisputiert und –argumentiert, und endlich schloß er Arabella in seine Arme, erklärte, sie sei ein unendlich liebenswürdiges Geschöpf, er habe sie vom ersten Augenblick an außerordentlich liebgewonnen und brächte es nicht übers Herz, ihrem Glück im Wege zu stehen, und sie könnten jetzt mit ihm anfangen, was sie wollten.

Als Mr. Weller von dieser Nachgiebigkeit vernahm, war sein erstes, daß er Hiob Trotter zu dem berühmten Mr. Pell schickte mit der Aufforderung, dem Boten die rechtsgültige Quittung zu übergeben, die sein kluger Vater in den Händen des gelehrten Gentleman zu lassen die Vorschrift gehabt hatte; sein zweites war, daß er seinen ganzen Vorrat an barem Gelde zum Ankauf von fünfundzwanzig Gallonen Porter verwendete, die er eigenhändig auf dem Ballplatz gratis an alle Durstigen ausschenkte. Dann hallote er in den verschiedenen Teilen des Hauses herum, bis er ganz heiser war, und versank endlich wieder in seine philosophische Ruhe und Sammlung.

Um drei Uhr nachmittags warf Mr. Pickwick einen letzten Blick in sein kleines Zimmer und bahnte sich, so gut er konnte, seinen Weg durch den Haufen von Schuldnern, die sich herandrängten, um ihm noch einmal die Hand zu schütteln. In dem ganzen Gedränge bleicher, abgezehrter Gesichter war kein einziges, das er nicht durch seine wohlwollende Teilnahme glücklicher gemacht hätte.

„Perker“, sagte er an der Treppe und winkte einen jungen Mann zu sich, „dies ist Mr. Jingle, von dem ich Ihnen bereits erzählt habe.“

„Sehr wohl, mein lieber Herr“, erwiderte Perker, Jingle scharf ins Auge fassend. „Sie werden mich morgen wiedersehen, junger Mann. Was ich Ihnen mitzuteilen habe, wird Ihnen hoffentlich zeitlebens in Erinnerung bleiben.“

Jingle verbeugte sich ehrerbietig, zitterte heftig, als er Mr. Pickwicks dargebotene Hand ergriff, und wendete sich ab.

„Den Hiob kennen Sie doch?“ fragte Mr. Pickwick.

„Ja, ich kenne den Spitzbuben“, erwiderte Perker heiter. „Seien Sie morgen um ein Uhr auch bereit. – Vergessen Sie’s nicht. – Nun, gibt es sonst noch etwas?“

„Nein“, entgegnete Mr. Pickwick. „Sam, du hast doch das Päckchen abgegeben, das ich dir für deinen alten Stubengenossen gab?“

„‚türlich“, nickte Sam. „Er hat laut aufgeheult und sagte, Sie sind sehr schenerös, daß Sie auch an ihm gedacht haben; er wünschte bloß, daß Sie ihm die galoppierende Schwindsucht hätten einokulieren gekonnt; jetzt, wo sein alter Freund gestorben ist, der wo so lange hier gelebt hat, da kann er sich, meint er, nach keinen neuen mehr umsehen.“

„Der arme, arme Kerl“, seufzte Mr. Pickwick. „Lebt jetzt wohl, meine Freunde, Gott segne euch.“

Die Menge brach in ein lautes Geschrei aus und umdrängte Mr. Pickwick, um ihm nochmals die Hand zu drücken. Aber er nahm Perkers Arm und eilte für den Augenblick weit betrübter und niedergeschlagener aus dem Gefängnis, als er es betreten hatte.

Wie viele unglückliche, trostlose Menschen ließ er dort zurück!

Am nächsten Morgen bestiegen Mr. Pickwick und Sam Weller eine Postkutsche.

„Sir“, rief Sam seinem Herrn zu.

„Ja, Sam“, antwortete Mr. Pickwick und steckte den Kopf aus dem Fenster.

„Ich wünschte, die Pferde da hätten auch gute drei Monate in der Fleet hinter sich, Sir!“

„Weshalb denn, Sam?“

„Na, Sir“, rief Sam und rieb sich die Hände, „was meinen Sie, wie die rennen würden!“

Sechsundvierzigstes Kapitel


Sechsundvierzigstes Kapitel

Mr. Pickwick erweicht mit Hilfe Samuel Wellers das Herz Mr. Benjamin Allens und besänftigt den Zorn Mr. Robert Sawyers.

Mr. Ben Allen und sein Freund saßen in dem kleinen Ambulatorium beisammen, mit Kalbshaschee und künftigen Aussichten beschäftigt, da sich das Gespräch naturgemäß um die Praxis Bobs und seine Hoffnungen drehte, aus dem ehrenwerten Beruf, dem er sich gewidmet, die Mittel zu einer unabhängigen Lebensführung herauszuschlagen.

„Ich meine“, spann Bob Sawyer das Thema fort, „ich meine, Ben, es ist immer noch zweifelhaft.“

„Was ist zweifelhaft?“ fragte Mr. Ben Allen und schärfte seine Verstandeskräfte mit einem Schluck Bier. „Was ist zweifelhaft?“

„Nun, die Aussichten.“

„Ja, so. Ich hatte es schon wieder vergessen“, brummte Mr. Ben Allen. „Hm, ja, allerdings, Bob; sie sind allerdings zweifelhaft.“

„Es ist erstaunlich, wie die Armen des Orts mich begünstigen“, meinte Bob Sawyer nachdenklich. „Sie klopfen mich zu allen Stunden der Nacht aus dem Bett, nehmen Arzneien ein in Quantitäten, daß ich früher so etwas für rein unmöglich gehalten hätte, lassen sich mit einer Beharrlichkeit, die einer besseren Sache würdig wäre, Blasenpflaster und Blutegel setzen und vermehren ihre Familie auf eine wahrhaft erschreckliche Weise. Sechs ‚Störche‘ beehrten mich an einem Tag mit ihrem Vertrauen; denk dir das mal aus, Ben!“

„Doch höchst erfreulich“, knurrte Mr. Ben Allen und hielt seinen Teller hin, um sich noch eine Portion Kalbshaschee geben zu lassen.

„Hm, gewiß. Aber noch erfreulicher wäre mir das Zutrauen von Patienten, die auch einige Schillinge für mich übrig hätten. So habe ich mir’s wenigstens bei Eröffnung des Geschäftes gedacht, Ben. Jetzt besitze ich zwar eine Praxis – eine sehr ausgedehnte Praxis –, aber das ist auch alles.“

„Ich muß dich sobald wie möglich in den Besitz von Arabellas tausend Pfund setzen“, brach Mr. Ben Allen los, legte Messer und Gabel nieder und sah seinen Freund starr an.

„Dreiprozentige Konsols, gegenwärtig auf ihren Namen in das Buch oder die Bücher der englischen Bank eingetragen“, ergänzte Mr. Bob Sawyer feierlich.

„Ganz recht. Sie bekommt sie, sobald sie mündig wird oder heiratet. Mündig wird sie in einem Jahr, und wenn es dir nicht ganz an Mut gebräche, so brauchte sie keinen Monat mehr zu warten, um einen Mann zu haben.“

„Sie ist ein allerliebstes, entzückendes Geschöpf“, erwiderte Mr. Robert Sawyer, „und hat meines Wissens nur einen einzigen Fehler. Nämlich Mangel an Geschmack. Sie kann mich nicht leiden.“

„Ich möchte nur“, stieß Mr. Ben Allen zwischen den Zähnen hervor, „ich möchte nur wissen, ob irgendein Schuft ihr den Kopf verdreht hat. Ich würde ihn, glaube ich, erdolchen, Bob.“

„Und ich würde ihm eine Kugel in den Bauch jagen, wenn ich ihn fände“, sagte Mr. Sawyer, nahm einen langen Schluck Bier und sah dabei giftig über den Rand des Kruges hinüber. „Und wenn das noch nicht genügte, würde ich sie ihm wieder mit der Sonde herausholen und ihn dadurch umbringen.“

Mr. Benjamin Allen starrte seinen Freund einige Minuten lang in düsterem Schweigen an und fragte dann:

„Hast du ihr nie direkt einen Antrag gemacht, Bob?“

„Nein. Hätte keinen Zweck gehabt.“

„So mußt du es tun, bevor du vierundzwanzig Stunden älter bist. Sie soll dich nehmen, oder ich will den Grund wissen, warum sie dich nicht mag. – Ich werde meine ganze brüderliche Gewalt anwenden.“

„Also gut“, sagte Mr. Bob Sawyer, „wir werden ja sehen.“

„“Wir werden allerdings sehen, mein Freund“, erwiderte Mr. Ben Allen grimmig, schnappte einige Sekunden nach Luft und fügte dann mit zornbebender Stimme hinzu: „Du hast sie schon als Kind geliebt, Bob. Hast sie geliebt, als wir noch Schuljungen waren, und damals schon hat sie dich nicht mögen. Erinnerst du dich noch, wie du ihr einmal zwei kleine Kümmelbiskuits und einen Apfel mit Gewalt aufdrängen wolltest?“ „Jaja, ich weiß“, erwiderte Mr. Bob Sawyer. „Sie sagte, ich hätte den Apfel so lange in der Tasche meiner Manchesterhose getragen, bis er ganz warm geworden sei.“

„Hm“, nickte Mr. Ben Allen düster. „Wir beide aßen ihn dann zusammen, jeder abwechselnd einen Biß.“

Bob Sawyer gab mit melancholischem Stirnrunzeln zu verstehen, daß er sich auch dieses Umstandes recht wohl entsinne. – Dann versanken beide einige Zeit in dumpfes Grübeln.

Inzwischen war ein Einspänner, dunkelgrün lackiert und von einem dickköpfigen braunen Gaul gezogen, wie ihn alte Damen zu halten heben, und mit einem sauertöpfisch aussehenden Kutscher auf dem Bock ehrbarlich durch die Straßen Bristols gerollt und hielt vor dem Ambulatorium.

„Martin!“ rief eine alte Dame aus dem vorderen Fenster. „Sag dem Laufburschen, er soll herauskommen und das Pferd halten.“

„Werde ich schon selbst besorgen“, sagte Martin und legte seine Peitsche auf das Kutschendach.

„Nein, nein“, eiferte die alte Dame, „unter keinen Umständen. Deine Zeugenschaft ist von höchster Wichtigkeit, und du mußt unbedingt mit ins Haus kommen. Du darfst während der ganzen Unterredung nicht von meiner Seite weichen. Verstanden?“

„Ja, ich verstehe“, erwiderte Martin.

„Nun gut; auf was wartest du dann noch?“

„Auf nichts“, versetzte Martin und stieg gemächlich vom Rade herab, auf dem er sich mit den Zehenspitzen gewiegt hatte, rief den Jungen in der grauen Livree, öffnete den Wagenschlag, streckte seine in einen dunklen waschledernen Handschuh gehüllte Rechte ins Innere der Kutsche und zerrte seine Herrin wie einen schweren Koffer heraus.

„Ach, du mein Gott“, jammerte die alte Dame, „mir ist angst und bange, Martin; ich zittere an allen Gliedern.“

Mr. Martin hustete hinter seinem waschledernen Handschuh, drückte aber weiter kein Mitgefühl aus und geleitete die Alte in den Laden.

Unmittelbar, nachdem sie eingetreten, waren, stürzten Benjamin Allen und Mr. Bob Sawyer, die inzwischen die geistigen Getränke beiseite geschafft und Ammoniak ausgeschüttet hatten, um den Tabaksgeruch zu übertäuben, voll Entzücken, Freundlichkeit und Zärtlichkeit herein.

„Ach, meine gute Tante“, rief Mr. Ben Allen. „Wie lieb, daß du uns auch einmal besuchen kommst! – Mr. Sawyer – meine Tante! Mein Freund, Mr. Bob Sawyer, von dem ich dir schon erzählt habe; du weißt schon, weswegen, Tante.“

Er fügte, da er sich nicht besonders nüchtern fühlte, flüsternd – wie er meinte, aber immerhin noch laut und vernehmlich genug, daß es alle Anwesenden hören mußten – das Wort „Arabella“ hinzu.

„Mein lieber Benjamin“, begann die alte Dame, die sehr mit Asthma zu kämpfen hatte und am ganzen Leibe zitterte, „erschrick nicht, mein guter Junge; aber ich möchte gern Mr. Sawyer auf einen Augenblick allein sprechen – nur auf einen Augenblick.“

„Bitte sehr“, erwiderte Bob in sehr professionellem Ton. „Hier herein, meine verehrteste Madame. Haben Sie nur keine Angst, Madame. Ich zweifle keinen Augenblick, daß wir Sie in kurzer Zeit vollkommen wiederherstellen werden. Hier, meine teuerste Madame, wenn es Ihnen gefällig ist.“ Er geleitete sie zu einem Stuhl, schloß die Tür und wartete auf die Schilderung der Symptome eines langwierigen, gewinnbringenden Leidens.

Das erste, was die alte Dame tat, war, daß sie sehr oft den Kopf schüttelte und dann zu schluchzen begann.

„Nervös“, sagte Bob Sawyer verbindlich. „Kamphor julep mit Wasser, dreimal täglich, und einen beruhigenden Trank vor dem Schlafengehen.“

„Ich weiß nicht, womit ich beginnen soll, Mr. Sawyer“, keuchte die alte Dame. „Es ist so namenlos peinlich und schmerzlich.“

„Ich weiß schon, was Sie sagen wollen“, beruhigte Mr. Sawyer, „der Kopf.“

„Ach nein, das Herz“, stöhnte die alte Dame schwach.

„Das macht nichts, Ma’am“, erwiderte Bob Sawyer. „Der Magen ist die Hauptsache.“

„Mr. Sawyer!“ rief die alte Dame und richtete sich auf.

„Ohne Zweifel, Ma’am“, unterbrach sie Bob mit weiser Miene, „Arznei zur rechten Zeit würde alles verhütet haben, meine teuerste Madame.“

„Mr. Sawyer!“ rief die alte Dame noch aufgeregter, „Ihr Benehmen gegenüber einer Frau in meiner Lage ist entweder eine Impertinenz oder ein Beweis, daß Sie über den Zweck meines Besuches gänzlich im Irrtum sind. Hätte ich das, was geschehen ist, durch Arzneien oder Vorsicht verhüten können, so hätte ich es gewiß getan. Es ist übrigens am besten, ich wende mich unmittelbar an meinen Neffen“, fügte sie hinzu, nahm voll Entrüstung ihren Pompadour und stand auf.

„Bleiben Sie doch noch einen Augenblick, Ma’am“, bat Bob Sawyer. „Ich fürchte, ich habe Sie mißverstanden. Um was handelt es sich denn, Ma’am?“

„Doch um meine Nichte, Mr. Sawyer, um die Schwester Ihres Freundes.“

„Nun und, Ma’am?“ drängte Bob voll Ungeduld, denn die alte Dame sprach trotz ihrer sichtlichen Aufgeregtheit mit peinigender Langsamkeit.

„Nun und, Ma’am?“

„Sie verließ mein Haus vor drei Tagen, Mr. Sawyer, angeblich, um meine Schwester – eine andre Tante von ihr – zu besuchen, die unmittelbar jenseits des dritten Meilensteins die große Pension hält; dort, wo der große Lindenbaum und das eichene Tor stehen“, erklärte die alte Dame und hielt inne, um sich die Augen zu trocknen.

„Der Teufel hole den Lindenbaum, Ma’am“, fluchte Bob, der in seiner Angst seine Amtswürde ganz vergaß. „Ein bißchen schneller, wenn ich bitten darf; wenden Sie ein wenig mehr Dampf an, Ma’am.“

„Heute morgen“, fuhr die alte Dame langsam fort, „heute morgen ist sie …“

„Zurückgekommen, ohne Zweifel?“ fiel Bob sehr aufgeregt ein. „Zurückgekommen?“

„Nein, zurückgekommen nicht. Sie schrieb.“

„Und was schrieb sie denn?“

„Sie schrieb, Mr. Sawyer – und darauf bitte ich Sie, Benjamin allmählich und vorsichtig vorzubereiten –, sie schrieb, sie sei – ich habe den Brief in meiner Tasche, Mr. Sawyer – aber meine Brille liegt noch im Wagen, und es würde zuviel Zeit kosten, wenn ich Ihnen die betreffende Stelle ohne Brille vorlesen wollte; kurz und gut, Mr. Sawyer, sie schrieb, sie sei … verheiratet.“

„Was!“ sagte oder schrie vielmehr Mr. Bob Sawyer.

„Verheiratet“, wiederholte die alte Dame.

Mr. Bob Sawyer wollte nichts mehr hören; er stürzte aus dem Hinterstübchen in den Laden und rief mit Stentorstimme:

„Ben, Ben, denk dir, sie ist durchgegangen!“

Mr. Ben Allen, der, hinter dem Ladentisch eingeschlummert, den Kopf fast auf den Knien hängen hatte, vernahm kaum diese Schreckensnachricht, als er urplötzlich auf Mr. Martin losstürzte, den schweigsamen Diener an seinem Halstuch faßte und die liebenswürdige Absicht ausdrückte, ihn auf der Stelle zu erwürgen, was er auch sogleich mit der Raschheit, die oft nur die Verzweiflung zu verleihen vermag, und dabei mit großer Kraft und chirurgischer Geschicklichkeit auszuführen begann.

Mr. Martin, ein Mann von wenig Worten und geringer Beredsamkeit, unterwarf sich dieser Operation ein paar Sekunden lang mit sehr ruhigem und heiterem Gesicht; als er aber sah, daß sie schnell zu einem Resultat zu führen drohte, das ihn für alle künftigen Zeiten außerstand setzen würde, Trink- oder Schmerzensgelder oder sonst etwas zu beanspruchen, murmelte er eine unartikulierte Gegenvorstellung und schlug Mr. Benjamin Allen zu Boden. Da dieser jedoch die Halsbinde nicht losließ, blieb ihm keine andere Wahl, als mit ihm hinzufallen, und so kämpften die beiden in liegender Stellung weiter, bis die Ladentür aufging und die Gesellschaft durch die Ankunft zweier höchst unerwarteter Gäste, nämlich der Herren Pickwick und Weller, vermehrt wurde.

Der erste Eindruck, den der Anblick auf Mr. Weller machte, war, daß Mr. Martin von dem Etablissement Sawyer, weiland Nockemorf, offenbar gedungen sei, um starke Arzneien einzunehmen, Anfälle zu bekommen und Experimente mit sich anstellen zu lassen, oder auch, um dann und wann ein Gift zu verschlucken, damit sich die Wirksamkeit einiger neuer Gegengifte an ihm erproben ließe, oder sonst etwas zu tun, was die Wissenschaft fördern und den glühenden Wissensdurst befriedigen könnte, der im Busen ihrer zwei jungen Anhänger brannte. Er machte daher keinen Versuch, sich ins Mittel zu legen, sondern blieb ruhig stehen und sah zu, auf das Ergebnis des Experiments äußerst begierig. Nicht so Mr. Pickwick, der sich sogleich mit seiner gewohnten Energie auf die Kämpfer warf und die Umstehenden laut aufforderte, sie auseinanderzureißen.

Sein Geschrei brachte Mr. Bob Sawyer, der bisher wie gelähmt dagestanden, wieder zu sich, und mit vereinten Kräften wurde Ben Allen wieder auf die Beine gestellt. Mr. Martin, der sich nunmehr allein auf dem Boden liegen sah, stand ebenfalls auf und blickte wild um sich.

„Mr. Allen“, rief Mr. Pickwick, „was gibt es denn hier?“

„Das geht Sie einen Schmarrn an“, brummte Mr. Allen trotzig.

„Was ist denn geschehen?“ wendete sich Mr. Pickwick an Bob Sawyer. „Ist er unwohl?“

Doch ehe dieser noch antworten konnte, ergriff Ben Allen Mr. Pickwicks Hand und murmelte wehmütig:

„Meine Schwester, lieber Mr. Pickwick, meine Schwester!“

„Oh, ist das alles?“ rief Mr. Pickwick. „Nun, das werden wir hoffentlich bald ins reine bringen. Ihre Schwester ist wohl und gesund, und ich bin hier, mein lieber Herr, um …“

„Tut mir leid, die schönen Purrparlehs zu unterbrechen, wie der König sagte, als er das Parlament auflöste“, fiel Mr. Weller ein, der inzwischen durch die Glastür in das Hinterzimmer gespäht hatte, „aber da liegt ’ne ehrwürdige alte Dame auf ‚m Teppich und wartet auf ’ne Sektion oder Galvanisierung oder sonst ’ne andre wissenschaftliche Wiederbelebung.“

„Ach, richtig, ich habe ja ganz vergessen“, rief Mr. Ben Allen. „Es ist meine Tante.“

„’ne sonderbare Lage für ’n Familienmitglied“, bemerkte Sam Weller und hob die alte Dame auf einen Stuhl. „Heda, Vizebeinsäger, ’n Riechfläschchen her!“

Die Aufforderung galt dem Laufburschen in der grauen Livree, der den Einspänner der Fürsorge eines Straßenaufsehers überlassen hatte und hereingeeilt war, um zu sehen, was der Lärm zu bedeuten habe, und seinen und den Bemühungen Mr. Bob Sawyers und Benjamin Allens gelang es endlich, die alte Dame wieder zu Bewußtsein zu bringen. Dann wandte sich Mr. Ben Allen verstört an Mr. Pickwick und fragte ihn, was er habe sagen wollen, als er auf eine so beunruhigende Weise unterbrochen worden sei.

„Wir sind doch lauter gute Freunde hier?“ begann Mr. Pickwick, räusperte sich und ließ seinen Blick nachdenklich auf dem wortkargen Mann mit dem sauertöpfischen Gesicht ruhen.

Dies erinnerte den Wundarzt daran, daß der Bursche in der grauen Livree mit weitaufgerissenen Augen und gespitzten Ohren zuschaute. Nachdem daher der junge angehende Chemiker am Rockkragen in die Höhe gehoben und zur Tür hinausgeworfen worden war, versicherte Bob Sawyer Mr. Pickwick, er könne jetzt ohne Rücksicht sprechen.

„Ihre Schwester, mein teurer Sir“, begann Mr. Pickwick zu Mr. Benjamin Allen gewendet, „befindet sich in London und ist wohl und glücklich.“ „Ich habe nichts mit ihrem Glück zu schaffen, Sir“, wehrte Benjamin Allen mit einer ungeduldigen Handbewegung ab.

„Ich aber habe mit ihrem Gatten zu schaffen, Sir!“ fiel Bob Sawyer ein. „Ich will auf zwölf Schritte mit ihm zu schaffen haben, Sir, mit diesem niederträchtigen Schurken!“

„Halt, Sir!“ rief Mr. Pickwick. „Bevor Sie auf den in Rede stehenden Gentleman solche Epitheta anwenden, erwägen Sie einmal leidenschaftslos den Umfang seiner Schuld, und bedenken Sie vor allem, daß er – ein Freund von mir ist.“

„Was?“ rief Mr. Bob Sawyer.

„Wie heißt er? Wer ist er?“ sehne Ben Allen.

„Mr. Nathaniel Winkle“, erklärte Mr. Pickwick mit Festigkeit.

Benjamin Allen zertrat bedächtig seine Brille mit dem Stiefelabsatz, las die Stücke auf und steckte sie in drei verschiedene Taschen; dann verschränkte er die Arme, biß sich in die Lippen und blickte mit drohender Gebärde in das sanfte Gesicht Mr. Pickwicks.

„Dann haben also Sie, Sir, und niemand anders als Sie diese Verbindung gutgeheißen und womöglich zustande gebracht?“ brachte er endlich heraus.

„Und dann ist es“, fiel die alte Dame ein, „vermutlich der Bediente dieses Herrn gewesen, der um mein Haus herumgeschlichen ist und mein Gesinde zu einer Verschwörung gegen mich zu verleiten suchte. – Martin!“

„Ma’am?“ sagte der sauertöpfische Groom und trat vor.

„Ist dies der junge Mann, den Sie in der Gasse gesehen und von dem Sie mir heute früh erzählt haben?“

Mr. Martin, der, wie bereits erwähnt, ein kurz angebundner, wortkarger Mann war, sah Sam Weller an, nickte mit dem Kopfe und brummte:

„Ja, der ist’s.“

Mr. Weller, der nie stolz war, lächelte freundlich, als seine Augen denen des griesgrämigen Stallknechtes begegneten, und gestand in höflichen Ausdrücken, daß er ihn schon von früher her kenne.

„Und diesen treuen Menschen“, rief Mr. Ben Allen, „hätte ich beinahe erwürgt! Mr. Pickwick, wie konnten Sie es wagen, Ihrem Kerl zu erlauben, daß er sich bei der Entführung meiner Schwester gebrauchen ließ? Ich verlange Aufklärung von Ihnen, Sir.“

„Jaja, erklären Sie sich, Sir“, schrie Bob Sawyer wild.

„Es ist eine Verschwörung!“ sagte Ben Allen.

„Ein hinterlistiger, niederträchtiger Betrug!“

„Eine schändliche Büberei“, bemerkte die alte Dame.

„Ein echtes Bubenstück“, meinte Martin.

„Bitte, hören Sie mich doch an“, flehte Mr. Pickwick, als Mr. Ben Allen in den Stuhl sank, in dem gewöhnlich die Patienten zur Ader gelassen wurden, und seine Zuflucht zu seinem Taschentuch nahm. „Ich war bei der Sache durchaus unbeteiligt, außer daß ich einer Zusammenkunft der beiden jungen Leute beiwohnte, die ich nun einmal nicht verhindern konnte. Und zwar tat ich es in der Überzeugung, daß meine Anwesenheit auch den geringsten Schein von Unschicklichkeit, den die Sache sonst gehabt hätte, beseitigen müßte. Weiter habe ich die Hand nicht im Spiele gehabt. Ich hatte sogar nicht einmal eine Ahnung davon, daß eine so schnelle Verbindung beabsichtigt war. Im übrigen will ich nicht sagen, daß ich sie verhindert haben würde, wenn ich etwas davon gewußt hätte.“

„Sie hören es alle! Sie hören es!“ stöhnte Mr. Benjamin Allen.

„Hoffentlich“, fuhr Mr. Pickwick milde fort, während ihm die Röte ins Gesicht stieg. „Sie hören hoffentlich auch noch, Sir, daß ich Ihnen, nach allen eingezogenen Erkundigungen, versichern muß, daß Sie keineswegs berechtigt waren, den Neigungen Ihrer Schwester einen Zwang anzutun, und sich vielmehr hätten befleißigen sollen, ihr durch freundliches, zärtliches Benehmen alle andern näheren Verwandten zu ersetzen, deren sie von Kindheit an keine gehabt hat. Was meinen jungen Freund betrifft, so erlaube ich mir hinzuzusetzen, daß er in bezug auf Glücksgüter und materielle Verhältnisse zum mindesten auf gleichem Fuße mit Ihnen steht, wo nicht auf einem weit besseren, und daß ich übrigens nichts mehr über die Sache reden werde, wenn sie nicht mit geziemender Mäßigung und dem gebührenden Anstand verhandelt wird.“

„Ich möchte ja auch noch „n paar Bemerkungen machen; nämlich zu die Sache, wo der ehrenwerte Schendlmän vorhin von gesprochen hat“, fiel Mr. Weller ein, „nämlich da hat doch ein Gewisser auf mich ,Kerl‘ gesagt.“

„Das hat nichts mit dieser Sache zu tun, Sam“, verwies Mr. Pickwick. „Sei so gut und schweig.“

„Ich wollte auch weiter nichts sagen“, lenkte Sam ein, „als bloß noch den Klecks: Vielleicht denkt der Schändlmän, daß eine frühere Zuneigung bestanden hat; es is aber durchaus nich der Fall, weil nämlich die junge Dame gleich anfangs bei unserer Bekanntschaft sagte, sie kann ihm nich leiden. Keiner hat ihn ausgestochen, und es wäre ganz egal für ihm gewesen, wenn die junge Dame den Mr. Winkle überhaupt nich gesehen haben würde. Das wollte ich bloß sagen, Sir, und ich hoffe, der Schendlmän wird sich nu beruhigen.“

Auf diese trostreichen Worte Mr. Wellers folgte eine tiefe Stille; dann sprang Mr. Ben Allen von seinem Stuhl auf und schwor, Arabella dürfe ihm nie wieder vor die Augen treten, indes Mr. Bob Sawyer, trotz Sams schmeichelhafter Versicherung, dem glücklichen Nebenbuhler schreckliche Rache gelobte.

Doch gerade in dem Augenblick, als die Sache das feindseligste Aussehen gewann und zu behalten drohte, fand Mr. Pickwick einen mächtigen Beistand an der alten Dame, der die Art, wie er die Sache ihrer Nichte verfochten hatte, offenbar sehr gefiel, und die es daher wagte, Benjamin Allen einige tröstliche Betrachtungen vorzuhalten, worunter die erheblichsten die waren, es sei doch vielleicht gut, daß es nicht noch schlimmer gekommen sei. Bei Licht betrachtet, stünden die Sachen doch nicht gar so böse; geschehene Dinge müsse man eben hinnehmen, und was man nicht abändern könne, darein müsse man sich in Geduld fügen; nebst verschiedenen andern ebenso neuartigen wie auch tröstlichen Versicherungen.

Mr. Benjamin Allen erwiderte bloß, er habe jeden möglichen Respekt vor seiner Tante und vor jedermann; das ändere aber an der Sache nichts, und man müsse ihm schon erlauben, daß er seinem eigenen Kopf folge. Er werde sich das Vergnügen machen, seine Schwester bis zu ihrem Tode und noch über das Grab hinaus zu hassen.

Als er diesen felsenfesten Entschluß wohl noch fünfzigmal beschworen, brauste die alte Dame plötzlich auf, blickte höchst majestätisch um sich und verlangte zu wissen, was sie denn getan habe, um so wenig Ehrerbietung zu verdienen, wo sie doch ihren Neffen seit fünfundzwanzig Jahren, von seiner Geburt angefangen, stets im Auge behalten, noch ehe er einen Zahn im Munde gehabt, nicht zu gedenken ihrer Anwesenheit, als man ihm zum erstenmal das Haar geschnitten, und ihrer tätigen Mitwirkung bei vielen andern Vorgängen und Feierlichkeiten während seiner Kindheit – lauter Dinge, die denn doch wichtig genug seien, um ihre Ansprüche auf seine Liebe und seinen Gehorsam für immer zu begründen. Während die gute Dame solchergestalt Mr. Ben Allen den Text las, hatten sich Mr. Bob Sawyer und Mr. Pickwick in eifriger Unterhaltung in das Hinterstübchen zurückgezogen. Der unglückliche Brautwerber hatte dabei zu wiederholten Malen eine schwarze Flasche angesetzt, und unter deren Einfluß hatten seine Züge allmählich einen vergnügteren und schließlich sogar heiteren Ausdruck gewonnen. Endlich trat er sogar mit der Flasche in der Hand aus der Stube heraus, erklärte, es tue ihm sehr leid, sich so albern benommen zu haben, trank auf die Gesundheit und das Wohlergehen Mr. Winkles und seiner Gattin und sagte, daß er sie nicht nur nicht um ihr Glück beneide, sondern auch der erste sein wolle, der ihnen dazu gratuliere.

Als Mr. Ben Allen dies hörte, sprang er von seinem Stuhl auf, ergriff die schwarze Flasche und trank gleichfalls den Toast so herzhaft, daß er von dem starken Inhalt beinahe ebenso schwarz im Gesicht wurde wie die Flasche selbst. Endlich machte die Bouteille die Runde, bis nichts mehr darin war, und dann gab es ein Händeschütteln und eine allgemeine Beglückwünschung, daß selbst Mr. Martin mit dem steinernen Gesicht sich herabließ, zu lächeln.

„Und jetzt“, rief Bob Sawyer und rieb sich die Hände, „jetzt wollen wir eine lustige Nacht haben.“

„Es tut mir leid“, entschuldigte sich Mr. Pickwick, „daß ich in meinen Gasthof zurückkehren muß, aber ich bin seit längerer Zeit an keine Strapazen mehr gewöhnt, und die Reise hat mich sehr angegriffen.“

„Aber eine Tasse Tee werden Sie doch annehmen, Mr. Pickwick?“ schmeichelte die alte Dame mit gewinnendem Lächeln.

„Danke sehr, aber ich kann wirklich nicht“, lehnte der Gelehrte ab.

In Wirklichkeit war das sichtlich zunehmende Wohlwollen der alten Dame für ihn ein Hauptgrund, zu gehen. Er mußte an Mrs. Bardell denken, und jeder Strahl aus den Augen der Dame brachte ihn in kalten Schweiß.

Da er sich daher unter keinen Umständen bewegen ließ zu bleiben, wurde auf seinen eignen Antrag beschlossen, Mr. Benjamin Allen solle ihn auf seiner Reise zu Mr. Winkle senior begleiten. Die Kutsche werde am nächsten Morgen um neun Uhr vor der Tür stehen. Er nahm sodann Abschied und ging in Begleitung Samuel Wellers nach dem „Busch“ zurück.

Siebenundvierzigstes Kapitel


Siebenundvierzigstes Kapitel

Wie Mr. Pickwick nach Birmingham reiste und Verstärkung an einem höchst unerwarteten Bundesgenossen erhielt.

Am nächsten Morgen pünktlich um drei Viertel auf neun Uhr waren die Pferde angespannt. Mr. Pickwick und Sam Weller nahmen ihre Plätze wieder ein, der eine in der Kutsche, der andre draußen auf dem Hintersitz, und dem Postillion wurde die Weisung erteilt, zunächst vor Mr. Bob Sawyers Hause vorzufahren, um daselbst Benjamin Allen abzuholen.

Als die Kutsche vor der Tür mit der roten Lampe und der ins Auge stechenden Inschrift: „Sawyer, weiland Nockemorf“ anhielt und Mr. Pickwick seinen Kopf zum Fenster hinaussteckte, bemerkte er mit nicht geringer Verwunderung den Jungen in der grauen Livree eifrig beschäftigt, die Läden vor die Fenster zu setzen. Da dies zu so früher Stunde ein höchst ungewöhnliches und für einen Geschäftsmann keineswegs empfehlenswertes Verfahren bedeutete, verfiel Mr. Pickwick sogleich auf die Vermutung, entweder müsse irgendein guter Freund oder Patient Mr. Bob Sawyers gestorben sein oder Mr. Bob Sawyer selbst bankrott gemacht haben.

„Was ist denn geschehen?“ fragte er daher den Jungen.

„Nix, Herr“, erwiderte dieser und grinste von einem Ohr bis zum andern.

„Alles in Ordnung“, rief Bob Sawyer, der plötzlich, mit einem kleinen, magern, schmutzigen ledernen Schnappsack in der Hand und einem groben Überzieher nebst Schal über den Arm geworfen, an der Tür erschien. „Ich komme gleich, alter Freund.“

„Sie?“ rief Mr. Pickwick.

„Ja, ich! Ein Hauptspaß, was?“ sagte Bob, lachte wie toll, warf Sam seinen Reisesack auf den Wagen hinauf und wischte sich mit einem Ärmel seines zottigen Überrocks die Tränen aus den Augen.

„Mein lieber Herr“, wendete Mr. Pickwick ziemlich verlegen ein, „ich erwartete eigentlich nicht, daß Sie uns begleiten würden.“

„Das ist’s ja eben“, lachte Bob. „Das ist ja eben der Spaß. Ich lasse einfach das Geschäft für sich selbst sorgen, da es nun mal für mich nicht sorgen zu wollen scheint.“

Bei dieser Erklärung des Phänomens mit den Fensterläden deutete Bob Sawyer auf sein Ambulatorium und verfiel aufs neue in Lachkrämpfe.

„Sie werden doch nicht so wahnsinnig sein, Ihre Patienten zu verlassen, ohne sie der Pflege eines andern übergeben zu haben?“ stellte ihm Mr. Pickwick in sehr ernstem Ton vor.

„Nun, warum nicht?“ meinte Bob dagegen. „Ich spare dadurch, müssen Sie wissen. Es zahlt ja doch keiner. Zudem“, setzte er hinzu und dämpfte seine Stimme zu vertraulichem Flüstern, „wird es ihnen um kein Haar schlechter gehen; meine Arzneien sind bereits auf der Neige, und da ich gerade jetzt nicht imstande bin, neue Einkäufe zu machen, so müßte ich dem einen wie dem andern nichts wie Kalomel geben.“

In dieser Antwort lag so viel Philosophie und Logik, daß Mr. Pickwick betroffen schwieg und nur noch unentschlossen bemerkte, daß der Wagen bloß zweisitzig sei und er doch Ben Allen mitnehmen müsse.

„Seien Sie meinetwegen ohne Sorgen“, lachte Bob. „Ich habe mir alles genau überlegt; Sam und ich werden den Rücksitz miteinander teilen. Sehen Sie hier: diesen Anschlag hefte ich an die Ladentür: ,Sawyer, weiland Nockemorf. Zu erfragen gegenüber bei Mrs. Cripps.‘ – Mrs. Cripps ist die Mutter meines Burschen. – ,Es tut Mr. Sawyer sehr leid‘, sagt dann Mrs. Cripps, ,aber er wurde heute früh zu einem Konsilium mit den berühmtesten Wundärzten auf das Land geholt – konnten ohne ihn nicht fertig werden – wollten ihn um jeden Preis haben; eine schreckliche Operation.‘ Die Folge davon kann sein“, schloß Bob, „daß die Sache in eines der Lokalblätter kommt und ich ein gemachter Mann bin. Apropos, da kommt Ben. Vorwärts, Ben, hineingesprungen!“

Mit diesen Worten stieß Mr. Bob Sawyer den Postillion auf die Seite, half seinem Freund in den Wagen, warf den Schlag zu, klebte seinen Anschlag an die Haustür, verschloß sie, steckte den Schlüssel in die Tasche, schwang sich auf den äußeren Rücksitz und gab das Signal zum Abfahren, und tat das alles mit so außerordentlicher Schnelligkeit, daß, bevor noch Mr. Pickwick recht zur Besinnung gekommen war, der Wagen bereits davonrollte.

Solange sich die Fahrt auf die Straßen von Bristol beschränkte, behielt der lustige Bob seine grüne Doktorbrille auf der Nase und benahm sich überhaupt mit gebührender Ernsthaftigkeit, wobei er jedoch zum größten Gaudium Mr. Samuel Wellers verschiedene Witze zu reißen nicht unterlassen konnte; als sie jedoch auf die offne Landstraße gelangten, legte er mit seiner grünen Brille auch seine Würde ab und führte eine Menge Spaße aus, die wohl geeignet waren, die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden zu erregen und den Wagen wie die Reisenden selbst zu Gegenständen einer ungewöhnlichen Neugierde und Heiterkeit zu machen. Zu seinen geringsten und noch am wenigsten auffallenden Taten gehörte die lärmende Nachahmung der schrillen Töne eines Klapphorns sowie die prunkvolle Entfaltung eines karmesinroten Taschentuches, das er an seinen Spazierstock band und mit herausfordernden Gebärden gelegentlich in der Luft schwenkte.

„Ich möchte doch wissen“, unterbrach sich Mr. Pickwick mitten in einer höchst gesetzten Unterredung mit Ben Allen, die sich auf die zahlreichen guten Eigenschaften Mr. Winkles und seiner jungen Frau bezog, „ich möchte doch wissen, was die Leute an uns sehen können, daß sie uns alle so anstarren.“

„Na, das kann ich mir ganz gut denken“, erwiderte Ben Allen stolz. „Eine solche Equipage sehen sie eben nicht alle Tage.“

„Möglich“, gab Mr. Pickwick zu, „das könnte sein.“

Er hätte sich sehr wahrscheinlich sogar in die Überzeugung hineinräsoniert, daß es wirklich so sei, hätte er nicht zufällig zum Kutschenfenster hinausgesehen und bemerkt, daß die Blicke der Vorübergehenden keineswegs ehrfurchtsvolle Bewunderung verrieten und daß verschiedene telegrafische Verständigungsmethoden zwischen ihnen und den Personen auf dem Außensitz des Wagens obzuwalten schienen, was ihm sofort klarmachte, diese Demonstrationen müßten irgendeine entfernte Beziehung auf ein gewisses humorvolles Benehmen Mr. Robert Sawyers haben.

„Ich will doch hoffen“, sagte er, „daß unser leichtfertiger Freund sich da draußen nicht etwa auffallend benimmt.“

„Gott behüte“, versicherte Ben Allen. „Bob ist das ruhigste Geschöpf von der Welt, wenn er nicht gerade ein Gläschen zuviel getrunken hat.“ In diesem Augenblick traf eine länger dauernde Nachahmung des Klapphorns, gefolgt von einem lustigen Gejohle, alles offenbar aus der Kehle des „ruhigsten Geschöpfes von der Welt“, ihre Ohren. Mr. Pickwick nahm sofort den Hut ab und lehnte sich beinahe mit dem halben Leib zum Kutschenfenster hinaus, was ihn endlich instand setzte, seines spaßhaften Freundes ansichtig zu werden.

Mr. Bob Sawyer saß, wie es sich zeigte, nicht auf dem Rücksitz, sondern auf dem Kutschendach und hatte seine Beine so weit ausgespreizt, wie es sich nur immer tun ließ. Er hatte Mr. Samuel Wellers Hut schief auf dem Ohr, hielt in der einen Hand ein ungeheures Stück Butterbrot, in der andern eine stattliche strohumflochtene Flasche und sprach beiden mit innigem Behagen abwechselnd zu, wobei er sich die Eintönigkeit seiner Beschäftigung durch ein gelegentliches Geheul oder durch den Austausch einiger lustiger, kurzweiliger Worte mit den nächstbesten Vorübergehenden unterhaltender zu gestalten suchte. Die karmesinrote Flagge war mit großer Sorgfalt an die Lehne des Hintersitzes festgebunden, und Mr. Samuel Weller saß, mit Bob Sawyers Hut geschmückt, im Zentrum desselben, ein zweites Butterbrot bearbeitend, und zwar mit so behaglichem Gesicht, daß seine vollkommene Zustimmung zu der ganzen Anordnung darin geschrieben stand.

Das war genug, um auf die Galle eines Mannes von Mr. Pickwicks Schicklichkeitsgefühl zu wirken; aber es kamen noch mehr erschwerende Umstände hinzu, denn in diesem Augenblick fuhr eine sowohl innen wie außen wohlbesetzte Postkutsche an ihnen vorüber, und die Passagiere gaben ihr Erstaunen auf eine sehr unzweideutige Art zu erkennen. Ebenso unangenehm waren die Gratulationen einer irischen Bettlerfamilie, die mit der Chaise gleichen Schritt hielt, besonders des männlichen Hauptes derselben, das zu glauben schien, es werde hier ein Triumphzug politischer Art gefeiert.

„Mr. Sawyer“ rief Mr. Pickwick daher in großer Aufregung. „Mr. Sawyer! – Sir!“

„Was beliebt?“ fragte Bob mit der größten Kaltblütigkeit von dem Wagendach herunter.

„Sind Sie toll, Sir?“

„Durchaus nicht“, erwiderte Bob, „bloß lustig.“

„Lustig, Sir, nennen Sie das?“ rief Mr. Pickwick. „Nehmen Sie dieses skandalöse rote Tuch da herunter. Ich bitte – ich bestehe darauf. Sam, nimm es weg. – Sofort!“

Ehe noch Sam in Tätigkeit treten konnte, strich jedoch Mr. Bob Sawyer gutwillig die Flagge, steckte sie in die Tasche, nickte Mr. Pickwick freundlich zu, wischte den Mund der Flasche ab und setzte ihn an seinen eigenen, wodurch er Mr. Pickwick ohne allen unnötigen Wortaufwand zu verstehen gab, daß er ihm mit diesem Trunk alles nur erdenkliche Glück und Heil wünsche. Sodann pfropfte er mit großer Sorgfalt die Flasche wieder zu, sah mit holdseliger Freundschaft auf Mr. Pickwick hernieder, tat einen großen Biß in das Butterbrot und lächelte.

„Schon gut“, sagte Mr. Pickwick, dessen augenblicklicher Ärger gegen Bobs unerschütterliche Seelenruhe nicht standzuhalten vermochte, „aber ich bitte, lassen Sie jetzt diese Albernheiten sein, Sir.“

„Ja, das will ich“, erwiderte Bob und gab Mr. Weller seinen Hut zurück, „’s war weiter nicht böse gemeint, aber die Fahrt hat mich so lustig gemacht, daß ich nicht anders konnte.“

„Bedenken Sie nur, was die Leute sagen werden“, stellte ihm Mr. Pickwick vorwurfsvoll vor, „Sie müssen doch auch den Schein wahren.“

„Ja, gewiß“, gab Bob zu, „ich will es nicht wieder tun und midi ganz ruhig verhalten, mein Verehrtester.“

Zufrieden mit dieser Versicherung, zog Mr. Pickwick seinen Kopf wieder zurück und ließ das Fenster herab; kaum aber hatte er die unterbrochene Unterhaltung mit Mr. Allen wieder aufgenommen, als er einigermaßen erschreckt wurde durch das Erscheinen eines kleinen dunklen Körpers von länglicher Gestalt an der Außenseite des Fensters, der wiederholt dagegenschlug, als ob er ungeduldig Einlaß begehrte.

„Was ist denn das?“ rief er erstaunt.

„Sieht aus wie eine Flasche“, meinte Ben Allen und betrachtete den Gegenstand voll Interesse durch seine Brille. „Ich glaube, sie gehört Bob.“

Die Vermutung war vollkommen richtig; denn Mr. Bob Sawyer hatte die Flasche an das Ende seines Stockes gebunden und schlug damit an das Fenster, zum Zeichen, daß er seine Freunde drinnen kameradschaftlich an ihrem Inhalt teilnehmen zu lassen wünschte.

„Was ist da zu tun?“ fragte Mr. Pickwick mit einem Blick auf den länglichen Gegenstand. „Dies Benehmen ist noch weit abgeschmackter als das vorige.“

„Es wird wohl das beste sein“, riet Mr. Ben Allen, „wir nehmen die Flasche herein und behalten sie. Das ist die beste Strafe.“

„Ja, allerdings“, meinte Mr. Pickwick. „Soll ich?“

„Wird sich wohl nichts anderes tun lassen.“

Da der Rat sich vollkommen mit seiner eignen Ansicht deckte, ließ Mr. Pickwick das Fenster leise herab und machte die Flasche von dem Stocke los, worauf dieser wieder hinaufgezogen wurde und man Bob Sawyer fröhlich lachen hörte.

„Ein unglaublich lustiger Bursche“, sagte Mr. Pickwick mit der Flasche in der Hand zu seinem Gefährten. „Man kann ihm nicht böse sein.“

„Nein, schlechterdings nicht“, stimmte Benjamin Allen ein.

Während dieses kurzen Gesinnungsaustausches hatte Mr. Pickwick in der Zerstreutheit den Korken herausgezogen.

„Was ist drin?“ fragte Ben Allen gleichgültig.

„Ich weiß es nicht“, meinte Mr. Pickwick. „Dem Geruch nach scheint es Punsch zu sein.“

„Wahrscheinlich“, bestätigte Ben.

„Es scheint mir wenigstens so“, fuhr Mr. Pickwick, der jederzeit gern bei der Wahrheit blieb, fort. „Gewiß kann ich es zwar nicht zu behaupten wagen, ohne es versucht zu haben.“

„Nun, so tun Sie es“, riet Ben, „dann kommen wir der Sache auf den Grund.“

„Meinen Sie? Nun gut, wenn Sie es gerne wissen möchten, habe ich weiter nichts dagegen.“ – Und stets bereit, seine eigenen Gefühle den Wünschen seiner Freunde unterzuordnen, nahm Mr. Pickwick einen ziemlich langen Schluck.

„Was ist es also?“ forschte Mr. Ben Allen ungeduldig.

„Sonderbar!“ meinte Mr. Pickwick und schmatzte mit den Lippen. „Ich weiß es selbst noch nicht. Doch ja“, fügte er nach einem zweiten Schluck hinzu, „es ist wirklich Punsch.“

Mr. Ben Allen sah Mr. Pickwick an, Mr. Pickwick Ben Allen. Mr. Ben Allen lächelte, Mr. Pickwick hingegen nicht.

„Es würde ihm recht geschehen“, sagte er dann streng, „es würde ihm recht geschehen, wenn wir ihm alles bis auf den letzten Tropfen austränken.“

„Das meine ich auch“, nickte Ben Allen.

„Jaja“, versetzte Mr. Pickwick. „Nun, so lassen Sie uns auf seine Gesundheit trinken.“

Mit diesen Worten nahm der Treffliche einen höchst energischen Schluck und reichte dann Ben Allen die Flasche, der nicht säumte, sein Beispiel nachzuahmen. Das Lächeln wurde gegenseitig und der Punsch allmählich und mit vielem Vergnügen ausgetrunken.

„Bei Licht besehen“, meinte Mr. Pickwick, als er den letzten Tropfen ausschlürfte, „sind seine Possen eigentlich sehr lustig und unterhaltend.“

„Ja, kann man nicht anders sagen“, bekräftigte Mr. Ben Allen.

Und zum Beweis, daß Bob Sawyer einer der drolligsten Burschen sei, die man finden könne, begann er Mr. Pickwick mit einer langen und umständlichen Erzählung zu unterhalten, wie Bob sich einmal ein Fieber an den Hals getrunken und sich dann den ganzen Kopf kahlgeschoren habe – eine wirklich ergötzliche und anmutige Geschichte, deren Vortrag nur durch das Anhalten der Kutsche vor der „Glocke“ in Berkeley Heath unterbrochen wurde, wo die Pferde gewechselt werden sollten.

„Wir werden hier doch natürlich zu Mittag speisen?“ fragte Mr. Sawyer zum Fenster hinein.

„Zu Mittag speisen?“ rief Mr. Pickwick. „Wir haben doch erst neunzehn Meilen zurückgelegt und müssen im ganzen siebenundachtzig und eine halbe machen.“

„Eben deswegen sollten wir uns instand setzen, die Strapazen der Reise zu ertragen“, wendete Bob Sawyer ein.

„Aber es ist ja rein unmöglich, um halb zwölf Uhr zu Mittag zu essen“, stellte Mr. Pickwick vor und sah auf die Uhr.

„Nun, meinetwegen“, versetzte Bob, „so will ich es einen Lunch nennen. Heda, Kellner! Einen Lunch für drei Personen! Die Pferde können noch eine Viertelstunde im Stall bleiben. Man soll alles, was in der Küche ist, auf den Tisch stellen, auch einige Flaschen Ale und euren besten Madeira!“

Die Qualität des Lunchs rechtfertigte vollkommen die Anpreisungen des Kellners, und das Trifolium ließ es sich aufs beste schmecken. Die Flaschen Ale und Madeira waren bald geleert, und als sämtliche Passagiere ihre Sitze eingenommen und Bob die strohumflochtene Flasche mit dem stärksten Punsch, den er in so kurzer Zeit bekommen konnte, angefüllt, erschallte das Klapphorn aufs neue, und die rote Flagge wehte ohne die geringste Einrede von seiten Mr. Pickwicks.

In der „Hopfenstange“ in Tewkesbury wurde Mittag gemacht. Wiederum wurden Ale, ein paar weitere Flaschen Madeira und überdies Portwein getrunken und auch die strohumflochtene Flasche zum vierten Male gefüllt. Unter dem Einfluß dieser vereinigten Stimulantien schlummerten Mr. Pickwick und Mr. Ben Allen dreißig Meilen weit, indes Bob und Mr. Weller auf dem Rücksitz Duette sangen.

Es war schon ganz dunkel, als Mr. Pickwick sich so weit aufraffte, um aus dem Fenster sehen zu können. Die vereinzelten Hütten an der Straße, die tiefen Schatten, aber auch die trübe Atmosphäre und die mit Schmiedekohlenasche und Ziegelmehl bestreuten Wege sowie das tiefrote Glühen der Ofenfeuer in der Ferne, die dicken Rauchwolken, die sich schwerfällig aus den hohen Kaminen wälzten, alles ringsum berußend und verdunkelnd, und schließlich die schweren Wagen, die sich, mit klirrenden Eisenstangen beladen oder mit sonstigen Frachtwaren bis oben angehäuft, langsam auf der Straße hinquälten – alles verkündete ihre schnelle Annäherung an die große Fabrikstadt Birmingham.

Als die Kutsche durch die engen Tore rasselte, die mitten in das Getümmel führten, wurden die Sinne der Herren gewaltsam erweckt durch den Anblick und das Getöse ernster Tätigkeit. Die Straßen waren vollgedrängt von Arbeitern. Lärm drang aus jedem Hause hervor, Lichter glänzten von den langen Fensterflügeln der Dachstöcke her, und das Rumpeln der Räder und das Dröhnen der Maschinen erschütterte die zitternden Wände. Die Feuer, deren trübseligbleicher Schein meilenweit sichtbar gewesen, brannten lodernd in den großen Fabriken und Arbeitshäusern der Stadt. Der Postillion fuhr rasch an den hübschen, hell beleuchteten Läden vorbei, die zwischen den Vorstädten und dem alten Royal-Hotel liegen, ehe noch Mr. Pickwick angefangen hatte, über die höchst heikle Natur des Geschäftes nachzusinnen, das ihn hierhergeführt.

Das Schwierige der Lage wurde durch die freiwillige Mitfahrt Mr. Bob Sawyers keineswegs verringert; im Gegenteil fühlte Mr. Pickwick, daß seine Anwesenheit, so gut gemeint und angenehm sie auch sein mochte, eine Ehre bedeutete, auf die er ganz gern verzichtet hätte.

Er kannte Mr. Winkle senior nicht persönlich und fühlte deutlich, daß, wenn er ihn das erste Mal in Begleitung Bob Sawyers und Ben Allens, die beide etwas benebelt waren, besuchte, dies eben nicht das zweckmäßigste Mittel sein dürfte, ihn zu seinen Gunsten einzunehmen.

„Aber so oder so“, suchte er sich zu beruhigen, „ich muß es so gut machen, wie ich kann. Ich will noch heute abend zu ihm gehen, denn ich habe es heilig versprochen, und wenn die beiden darauf bestehen, mich zu begleiten, so muß ich den Besuch möglichst abkürzen und mich inzwischen mit der Hoffnung begnügen, daß sie sich schon um ihrer selbst willen anständig aufführen werden.“

Während er sich mit solchen Betrachtungen tröstete, hielt der Wagen vor dem „Old Royal“ an. Ben Allen wurde dadurch teilweise aus seinem merkwürdig tiefen Schlafe geweckt und von Mr. Weller am Kragen herausgezogen. Mr. Pickwick war selbst imstande, auszusteigen. Sie wurden in ein behagliches Zimmer gewiesen, und Mr. Pickwick fragte den Kellner sogleich nach Mr. Winkles Wohnung.

Ganz in der Nähe, hieß es. Nicht über fünfhundert Schritte. Mr. Winkle sei Kaimeister am Kanal.

„Bringen Sie auch etwas Sodawasser!“ rief Bob Sawyer dem Kellner nach, frischte damit seine Lebensgeister wieder auf und ließ sich sogar überreden, sich Gesicht und Hände zu waschen und von Sam ausbürsten zu lassen. Dann brachen alle drei Arm in Arm auf, um zu Mr. Winkle senior zu gehen, wobei Bob Sawyer unterwegs die Atmosphäre mit Tabakrauch schwängerte.

Etwa eine Viertelmeile vom Gasthause entfernt, in einer ruhigen, solid aussehenden Straße stand ein altes, aus roten Backsteinen gebautes Haus mit drei Stufen vor der Tür und einer messingnen Platte darüber, die in großen lateinischen Buchstaben das Wort „Winkle“ zeigte.

Die Stufen waren sehr weiß, die Ziegel sehr rot, das Haus sehr niedlich, und Mr. Pickwick, Benjamin Allen und Bob Sawyer standen davor, als die Glocke bereits zehn Uhr schlug.

Ein hübsches Dienstmädchen erschien auf ihr Klopfen und fuhr zurück, als sie die drei Fremdlinge erblickte.

„Ist Mr. Winkle zu Hause, mein liebes Kind?“ fragte Mr. Pickwick.

„Er hat sich soeben zu Tisch gesetzt, Sir“, erwiderte das Mädchen.

„Geben Sie ihm doch gefälligst diese Karte und sagen Sie ihm, es tue mir leid, ihn so spät noch stören zu müssen, allein es liege mir so viel daran, ihn heute nacht noch zu sehen, und ich sei soeben erst angekommen.“

Das Mädchen blickte schüchtern an Mr. Bob Sawyer hinauf, der durch allerhand wunderliche Grimassen seine Bewunderung für ihre persönlichen Reize ausdrückte, warf dann einen besorgten Blick auf die im Gange hängenden Hüte und Überröcke und rief einem andern Mädchen zu, achtzugeben, indes sie hinaufginge. Im Augenblick kehrte sie jedoch zurück, bat die Herren um Entschuldigung, daß sie sie habe auf der Straße warten lassen, und führte sie in einen mit Läufern belegten Warteraum, der halb eine Amtsstube, halb ein Toilettenzimmer zu sein schien. „Es tut mir sehr leid, daß ich Sie vor der Tür hab stehenlassen“, sagte sie nochmals und zündete eine Lampe an, „aber es gibt so viele Landstreicher, die immer was wegfischen wollen, so daß ich wirklich …“

„Sie brauchen sich nicht im geringsten zu entschuldigen, liebes Kind“, unterbrach sie Mr. Pickwick freundlich.

„Nein, durchaus nicht, mein Schätzchen“, setzte Bob Sawyer hinzu, breitete scherzend die Arme aus und hüpfte von einer Seite auf die andre, um sie nicht hinauszulassen.

Die junge Dame ließ sich jedoch durch alle diese Lockungen nicht im mindesten zur Milde stimmen, drückte ein für allemal ihre Meinung dahin aus, Mr. Bob Sawyer sei ein höchst widerwärtiger, unverschämter Mensch, und als er mit seinen Aufmerksamkeiten immer zudringlicher wurde, schlug sie ihm ihre schönen Finger ins Gesicht und rannte unter vielen Ausdrücken der Abneigung und Verachtung aus dem Zimmer.

Nachdem Mr. Bob Sawyer der Gesellschaft der jungen Dame beraubt war, begann er sich die Zeit damit zu vertreiben, daß er in ein Pult hineinschaute, sämtliche Schubfächer durchsuchte, scheinbar Anstalten machte, das Schloß der eisernen Geldkiste aufzudrücken, den Kalender umdrehte, Mr. Winkle seniors Stiefel über seine eigenen anprobierte und mit den andern Hausgerätschaften auch sonst noch allerlei humoristische Experimente anstellte, die Mr. Pickwick mit unaussprechlicher Angst und wahrem Schauder erfüllten, ihn selbst aber ungemein zu ergötzen schienen.

Endlich ging die Tür auf, und herein wackelte, Mr. Pickwicks Karte in der einen Hand und einen silbernen Leuchter in der anderen haltend, ein kleiner alter Herr mit kahlem Kopf und einem Gesicht, das ein getreues Gegenstück zu dem seines Sohnes war.

„Ah, wie befinden Sie sich, Mr. Pickwick?“ begann er sofort, stellte den Leuchter weg und streckte die Hand aus. „Ich hoffe, Sie recht wohl zu sehen. Freut mich sehr. Setzen Sie sich doch, Mr. Pickwick; ich bitte, Sir. Dieser Herr ist –“

„– mein Freund, Mr. Sawyer“, fiel Mr. Pickwick ein, „auch ein Freund Ihres Sohnes.“

„Hm!“ meinte Mr. Winkle senior mit einem ziemlich grämlichen Blick auf Bob. „Sie befinden sich doch wohl, Sir?“

„Wie der Fisch im Wasser“, erwiderte Bob Sawyer.

„Der andere Herr hier“, fuhr Mr. Pickwick fort, „ist, wie Sie aus dem mir anvertrauten Briefe ersehen werden, ein sehr naher Verwandter, oder, ich sollte vielmehr sagen, ein ganz intimer Freund Ihres Sohnes. Er heißt Allen.“

„Dieser Herr da?“ fragte Mr. Winkle, mit der Karte auf Ben Allen deutend, der auf einem Stuhl eingeschlafen war, so daß man nichts von ihm sah als seinen Rücken und seinen Rockkragen.

Mr. Pickwick war im Begriff, die Frage zu beantworten und Mr. Benjamin Allens ehrenwerten Stand und andere ausgezeichnete Eigenschaften lang und breit herzuzählen, als Mr. Bob Sawyer in seinem Mutwillen seinen Freund, um ihn zum Bewußtsein seiner Lage zu bringen, dermaßen in den fleischigen Teil seines Armes kniff, daß er zusammenschrak und mit einem lauten Schrei in die Höhe fuhr. Als er bemerkte, daß ein Unbekannter anwesend war, sprang er auf, schüttelte Mr. Winkle äußerst verbindlich fünf Minuten lang beide Hände, murmelte in einigen halbverständlichen Satzfragmenten sein unendliches Vergnügen, ihn zu sehen, und die gastfreundliche Frage, ob er nicht vielleicht nach seiner weiten Reise eine Erfrischung annehmen wolle oder es vorziehe, bis zum Mittagessen zu warten, setzte sich dann wieder und starrte mit verglasten Augen umher. Dies alles brachte Mr. Pickwick natürlich in die peinlichste Verlegenheit, zumal da Mr. Winkle senior das unverkennbarste Erstaunen über das exzentrische Benehmen seiner zwei Gefährten an den Tag legte. Um der Sache ein schnelles Ende zu machen, zog er einen Brief aus der Tasche und überreichte ihn mit den Worten:

„Hier ist ein Brief von Ihrem Sohne, Sir. Sie werden daraus ersehen, daß sein ganzes Lebensglück und seine ganze fernere Existenz von Ihrer wohlwollenden und väterlichen Erwägung seines Inhalts abhängen. Haben Sie die Güte, ihn ruhig durchzulesen und nachher den Gegenstand in dem Tone und Geist mit mir zu besprechen, in dem dergleichen Dinge allein besprochen werden dürfen. Wie hochwichtig Ihre Entscheidung für Ihren Sohn ist und mit welcher Angst er derselben entgegensieht, mögen Sie daraus schließen, daß ich Ihnen in so später Stunde ohne vorhergegangene Anmeldung und“ – fügte Mr. Pickwick mit einem flüchtigen Blick auf seine zwei Begleiter hinzu – „unter so ungünstigen Umständen meine Aufwartung mache.“

Nach dieser Einleitung legte Mr. Pickwick vier enggeschriebene Seiten extrasuperfeinen flordünnen Briefpapieres in die Hände des erstaunten Mr. Winkle senior, setzte sich sofort wieder auf seinen Stuhl und beobachtete Mienen und Benehmen des Kaimeisters zwar einigermaßen ängstlich, jedoch mit der Offenheit eines Mannes, der sich bewußt ist, nichts getan zu haben, was einer Entschuldigung oder Bemäntelung bedurft hätte.

Der alte Herr drehte den Brief um und um, besah ihn von vorn, von hinten und von der Seite, stellte eine mikroskopische Untersuchung des dicken Bübchens auf dem Siegel an, warf einen durchdringenden Blick auf Mr. Pickwick, setzte sich dann an das Schreibpult, zog die Lampe näher heran, erbrach das Siegel, öffnete den Brief, hielt ihn hoch an das Licht und schickte sich an zu lesen.

Gerade in diesem Augenblick stützte Mr. Bob Sawyer, dessen Witz einige Minuten lang geruht hatte, die Hände auf seine Knie und schnitt ein Gesicht, wie man es ungefähr auf den Porträts des seligen Mr. Grimaldi als Clown sehen kann. Statt daß aber Mr. Winkle senior, wie er meinte, tief im Lesen des Briefes versunken war, blickte er über den Rand desselben hinaus. Da er nun einigermaßen mit Recht schloß, besagte Grimasse habe den Zweck, ihn zu verhöhnen, so heftete er seine Augen mit solch ausdrucksvoller Strenge auf Bob, daß die Züge des seligen Mr. Grimaldi sich allmählich wieder in einen Ausdruck der Demut und Beschämtheit auflösten.

„Haben Sie etwas gesagt, Sir?“ fragte Mr. Winkle senior nach einer unheimlichen Pause.

„Nein, Sir“, erwiderte Bob, der nichts mehr von dem Clown an sich hatte, als einzig und allein die feurige Röte seiner Wangen.

„Sie haben wirklich nichts gesagt, Sir?“

„O nein, ganz gewiß nicht, Sir“, erwiderte Bob.

„Ich meinte doch, Sir“, versetzte der alte Herr mit unwilligem Ausdruck. „Sie haben mich doch angesehen, Sir?“

„Bitte um Verzeihung, Sir; ganz und gar nicht“, erwiderte Bob mit äußerster Höflichkeit.

„Na, das freut mich, Sir“, brummte Mr. Winkle senior, und nachdem er dem gedemütigten Bob mit großer Würde noch einen Zornblick zugeworfen, hielt er den Brief wieder ans Licht und begann mit vielem Ernst zu lesen.

Mr. Pickwick beobachtete ihn mit großer Spannung, als er von der untersten Linie der ersten Seite auf die oberste der zweiten und von der untersten der zweiten auf die oberste der dritten und von der untersten der dritten auf die oberste der vierten überging; aber nicht die geringste Veränderung in seinen Mienen gab ihm einen Schlüssel, mit welchen Gefühlen er die Nachricht von seines Sohnes Verheiratung aufnahm, die, wie Mr. Pickwick wußte, gleich in den ersten sechs Zeilen stehen mußte.

Er las den Brief vielmehr bis zum letzten Wort, legte ihn mit der ganzen Sorgfalt und Pünktlichkeit eines Geschäftsmannes wieder zusammen, und als Mr. Pickwick endlich einen Gefühlsausbruch erwartete, tunkte er seine Feder in das Tintenfaß und sagte so ruhig, als ob es sich um das allergewöhnlichste geschäftliche Ereignis handelte:

„Nathaniels Adresse, Mr. Pickwick?“

„Gegenwärtig ,Georg und Geier‘.“

„,Georg und Geier‘? Wo ist das?“

„George Yard, Lombardstreet.“

„In der City?“

„Ja.“

Der alte Herr schrieb methodisch die Adresse auf den Rücken des Briefes, legte ihn dann in sein Pult, verschloß es und sagte, als er aufstand und den Schlüsselbund in seine Tasche steckte:

„Sie haben ohne Zweifel nichts mehr hinzuzufügen, was uns aufhalten könnte, Mr. Pickwick?“

„Ganz und gar nichts, mein werter Herr“, bemerkte der warmherzige Mann in unmutigem Erstaunen, „ganz und gar nichts! – Aber beliebt es Ihnen nicht vielleicht, Ihre Meinung über dieses wichtige Ereignis im Leben unseres jungen Freundes mir gegenüber auszusprechen? Wollen Sie ihm nicht vielleicht durch mich die Versicherung Ihrer fortdauernden Liebe und väterlichen Unterstützung zukommen lassen? Haben Sie ihm nichts zu sagen, was ihn und die junge Dame, die angstvoll auf Trost und Ermutigung hofft, erfreuen und aufrecht halten könnte. Überlegen Sie es doch, mein werter Herr.“

„Ich werde es mir allerdings überlegen“, antwortete der alte Herr. „Für den Augenblick aber habe ich nichts zu sagen. Ich bin Geschäftsmann, Mr. Pickwick, und lasse mich nie Hals über Kopf über eine Sache aus; aber soweit sie mir jetzt bekannt ist, will sie mir durchaus nicht gefallen. Tausend Pfund ist nicht viel, Mr. Pickwick!“

„Sie haben vollkommen recht, Sir“, fiel Ben Allen ein, der gerade wach genug war, um sich zu erinnern, daß er seine tausend Pfund ohne die geringste Schwierigkeit durchgebracht hatte. „Sie sind ein gescheiter Mann. Bob, der Herr da ist wahrhaftig nicht auf den Kopf gefallen.“ „Ich schätze mich sehr glücklich, daß Sie mir diese Gerechtigkeit widerfahren lassen, Sir“, sagte Mr. Winkle senior mit einem verächtlichen Blick auf Ben Allen, der eben weise den Kopf schüttelte. „Die Sache ist die, Mr. Pickwick: Als ich meinem Sohn die Erlaubnis gab, auf ein Jahr zu reisen und sich in der Welt umzusehen – was er unter Ihren Auspizien getan hat –, damit er nicht wie ein soeben aus der Schule gekommener Gelbschnabel ins Leben treten und sich vom nächsten besten übers Ohr hauen lassen sollte, da habe ich dies durchaus nicht mit in Berechnung gezogen. Er weiß das sehr gut, und wenn ich jetzt die Hand von ihm abziehe, hat er kein Recht, sich zu wundern. Er soll von mir hören, Mr. Pickwick. Gute Nacht, Sir. Margarethe, öffnen Sie die Tür.“

Bob Sawyer hatte die ganze Zeit über seinen Freund mit dem Ellenbogen gestoßen, damit er ein begütigendes Wort einlegen solle, und demgemäß brach jetzt Ben, ohne die geringste Einleitung, in eine Art kurzer, aber nachdrucksvoller Beredsamkeit aus.

„Sir“, sagte er und sah dabei den alten Herrn mit höchst trüben Augen an. „Sir, Sie sollten sich schämen.“

„Als der Bruder der jungen Dame sind Sie natürlich ein vortrefflicher Richter in der Sache“, unterbrach ihn Mr. Winkle senior. „Gut, schon genug. Ich bitte, kein Wort mehr, Mr. Pickwick. Gute Nacht, meine Herren.“

Mit diesen Worten nahm der Alte den Leuchter, öffnete die Tür und bewegte sich gemessen dem Gang zu.

„Sie werden diesen Schritt noch bereuen, Sir“, sagte Mr. Pickwick und biß die Zähne zusammen, um seinen Zorn niederzuhalten, denn er fühlte, wie wichtig dieser Auftritt für seinen jungen Freund sein mußte.

„Ich bin vorderhand andrer Meinung“, erwiderte Mr. Winkle senior kaltblütig. „Noch einmal, meine Herren, ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.“

Mr. Pickwick ging mit zornigen Schritten auf die Straße. Bob Sawyer, durch die Entschiedenheit des alten Herrn gänzlich niedergedrückt, nahm denselben Weg; Mr. Ben Allens Hut war unmittelbar darauf die Treppe hinuntergerollt, und sein Körper folgte sogleich nach. Alle drei gingen dann stumm und ohne Abendessen zu Bett, und Mr. Pickwick sagte sich vor dem Einschlafen, wenn er gewußt hätte, daß Mr. Winkle senior so durch und durch Geschäftsmann sei, würde er höchstwahrscheinlich niemals mit einem solchen Auftrag zu ihm gefahren sein.

Achtundvierzigstes Kapitel


Achtundvierzigstes Kapitel

Mr. Pickwick trifft einen alten Bekannten.

Der Morgen, der um acht Uhr über Mr. Pickwicks Haupt hereinbrach, war keineswegs danach angetan, seinen Mut zu heben oder die Niedergeschlagenheit, in die ihn sein unvorhergesehener Mißerfolg versetzt hatte, zu vermindern. Der Himmel war düster und trübe, die Luft feucht und rauh, die Straße naß und kotig. Schwerfällig hing der Rauch über den Schornsteinen, als gebräche es ihm an Mut, aufzusteigen, und der Regen fiel langsam und verdrossen herab, als hätte er keine rechte Lust, sich zu ergießen. Im Hof stand der Haushahn, ohne einen Funken seiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit, verdrießlich auf einem Bein in einem Winkel, lind der Eselhengst döste gesenkten Hauptes unter dem schmalen Dach des Holzschuppens; nach seinem grüblerischen, jammervollen Gesichtsausdruck zu urteilen, erwog er Selbstmord. Auf der Straße sah man nichts als Regenschirme, und die einzigen Töne, die sich vernehmen ließen, waren das Schlapfen von Überschuhen und das Plätschern der Dachrinnen.

Das Frühstück wurde sehr wenig durch Unterhaltung gewürzt, und selbst Mr. Bob Sawyer empfand den Einfluß des Wetters und die Nachwehen des letzten Tages. Er war, wie er sich ausdrückte, zerschmettert. Ebenso ging es Mr. Ben Allen und besonders Mr. Pickwick.

In der Erwartung, das Wetter werde sich aufhellen, wurde das neueste Londoner Abendblatt mit einem Eifer und Interesse gelesen, wie sich dies nur in Fällen äußerster Verwahrlosung denken läßt; mit gleicher Beharrlichkeit wurde jeder Zoll des Bodens auf und ab geschritten, alle Augenblicke zum Fenster hinausgesehen und jedes mögliche Zerstreuungsmittel ausfindig gemacht. Endlich, zu Mittag, ohne daß das Wetter sich geändert hätte, zog Mr. Pickwick entschlossen die Klingel und bestellte einen Wagen.

Obgleich die Straßen schmutzig waren, der Sprühregen heftiger als bisher fiel und Kot und Nässe durch die offenen Fenster des Wagens hereinspritzten, so daß die drinnen Sitzenden fast ebensosehr dadurch belästigt wurden wie die beiden auf dem Rücksitz, war man doch jedenfalls in frischer Luft, und das Gefühl, unterwegs zu sein und Bewegung zu haben, was so unendlich angenehmer ist als das Eingeschlossensein in einer trüben Stube, von der aus man nur den Regen herabträufeln sehen kann, nötigte ihnen allen das Geständnis ab, daß sie durch den Tausch viel gewonnen hätten und eigentlich selbst nicht wüßten, wie sie dazu gekommen waren, solange mit dem Aufbruch zu zögern.

Als sie in Coventry anhielten, um die Relais zu wechseln, stieg der Dampf in solchen Wolken von den Pferden auf, daß der Hausknecht ganz unsichtbar wurde und man ihn wie aus dem Nebel heraus erklären hörte, er erwarte bei der nächsten Preisverteilung die erste goldene Medaille von dem Rettungsverein dafür, daß er dem Postillion den Hut abgenommen habe; denn von dem Rande desselben ströme, versicherte er, eine solche Wassermasse herab, daß er unfehlbar ertrunken wäre, wenn er ihm ihn nicht, kraft großer Geistesgegenwart, schnell vom Kopfe gerissen und das Gesicht mit einem Strohwisch abgetrocknet hätte.

„Eine erbauliche Fahrt das“, meinte Bob Sawyer, schlug sich den Rockkragen hoch und verhüllte sich den Mund mit dem Schal, um die Düfte eines soeben heruntergeschluckten Glases Branntwein zu kondensieren.

Die nächste Station war Daventry, die folgende Towcester, und es regnete immer heftiger.

„Ich konstatiere“, bemerkte Bob Sawyer zum Kutschenfenster hinein, als sie vor dem „Türkenkopf“ in Towcester anhielten, „ich konstatiere, daß man so nicht Weiterreisen kann.“

„Ja, wahrhaftig“, bestätigte Mr. Pickwick, der eben aus einem Schläfchen erwachte, „ich fürchte, Sie sind durch und durch naß.“

„Ja, das bin ich“, knurrte Bob und schüttelte sich, daß es nur so sprühte, „naß wie ein Neufundländer, den man ins Wasser geworfen hat.“

„Ich halte es auch für rein unmöglich, heute nacht weiterzureisen“, mischte sich Ben ein.

„Also gut“, gab Mr. Pickwick nach, „bleiben wir hier; aber irgendwie muß ich einen Brief nach London absenden, damit er morgen in aller Frühe bestellt wird. Wenn das nicht möglich sein sollte, müssen wir unter allen Umständen weiterfahren.“

Der Wirt lächelte vergnügt. Nichts sei leichter, als einen Brief in einen Bogen Packpapier einzuschlagen und entweder mit der Post oder mit der Nachtdiligence nach Birmingham weiterzubefördern, meinte er.

„Gut“, sagte Mr. Pickwick, „dann bleiben wir also hier.“

Licht wurde gebracht, die Glut geschürt und ein frisches Scheit hineingeworfen. In zehn Minuten deckte ein Kellner den Tisch zum Mittagessen, das Feuer flackerte lustig, und alles sah aus, als ob die Reisenden schon seit mehreren Tagen erwartet worden wären.

Mr. Pickwick setzte sich an einen Seitentisch und schrieb schnell ein paar Zeilen an Mr. Winkle, in denen er ihm kurz meldete, er sei durch das Unwetter zurückgehalten worden, werde sich aber unfehlbar am folgenden Tag in London einfinden. Dort wolle er ihm über den Erfolg seiner Reise weiterberichten.

Sam übergab den Brief der Wirtin, und nachdem er sich selbst am Küchenfeuer getrocknet hatte, wollte er zurückkehren, um seinem Herrn die Stiefel auszuziehen; da erblickte er zufällig durch eine halboffene Tür hindurch einen rothaarigen Herrn, der einen großen Pack Zeitungen auf dem Tisch vor sich liegen hatte und den Leitartikel in einer derselben mit sichtlichem Ingrimm las, wobei seine Nase und sein ganzes Gesicht sich zu einem geringschätzigen Ausdruck von Verachtung verzogen.

„Hallo!“ rief Sam. „Ich nehme an, den Kopf und das Gesicht da sollte ich wohl kennen; auch das Augenglas und den breitkrempigen Deckel! Das war doch in Eatanswill – oder ich will katholisch werden.“

Dann wurde er plötzlich von einem heftigen Husten befallen, der die Aufmerksamkeit des Herrn erregte und die gedankentiefen, durchgeistigten Züge Mr. Potts, Herausgebers der „Eatanswiller Gazette“, sehen ließ.

„Pardon, Sir“, sagte Sam, „mein Herr ist hier, Mr. Pott.“

„Pst, pst!“ rief der Publizist, zog Sam ins Zimmer und schloß die Tür, wobei sich geheimnisvolle Besorgnis in seinen Mienen abmalte. „Nennen Sie meinen Namen nicht. Hier ist alles gelb. Wenn der leicht erregbare Pöbel wüßte, daß ich hier bin, er würde mich in Stücke reißen.“

„Meinen Sie wirklich?“

„Ja, ich würde das Opfer der Volkswut werden. Übrigens, junger Mann, was macht Ihr Herr?“

„Er is auf der Reise nach London begriffen und übernachtet hier mit ’n paar Freunden.“

„Ist Mr. Winkle dabei?“ fragte Pott mit leichtem Stirnrunzeln.

„Nö“, erwiderte Sam, „Mr. Winkle bleibt jetzt zu Hause; er is verheiratet.“

„Verheiratet?“ rief Pott mit schreckenerregender Heftigkeit, schwieg dann eine Weile, lächelte düster und ’setzte in tiefem, rachsüchtigem Tone hinzu: „Das geschieht ihm recht.“

Da seine Frage, ob Mr. Pickwicks Freunde blau seien, von Sam, der so wenig von der Sache wußte wie irgend jemand, bejahend beantwortet wurde, entschloß er sich, ihn zu Mr. Pickwick zu begleiten, der ihn aufs herzlichste begrüßte und darauf bestand, daß sie alle gemeinsam zu Mittag speisen sollten.

„Und wie steht’s denn in Eatanswill?“ fragte der liebenswürdige alte Herr, als Pott einen Stuhl ans Feuer gerückt und die ganze Gesellschaft die nassen Stiefel aus- und trockene Pantoffeln angezogen hatte. „Existiert der ,Independent‘ noch?“

„Der ,Independent, Sir“, erwiderte Pott, „schleppt noch immer sein elendes, erlöschendes Dasein hin, verabscheut und verachtet selbst von den Wenigen, denen seine schmachvolle, erbärmliche Existenz bekannt ist, erstickt in demselben Schmutz, mit dem er so reichlich um sich wirft.

Taub und blind gemacht durch die faulen Dünste seines eigenen Unrats, versinkt dieses Mistblatt, sich seiner Verkommenheit nicht einmal bewußt, rasch in dem verräterischen Schlamme, der, obgleich er ihm bei den niedrigen und verderbten Klassen der Gesellschaft einen festen Standpunkt zu geben scheint, gleichwohl über sein verruchtes Haupt hinauswächst und es bald auf ewig verschlingen wird.“

Nachdem der Zeitungsheld dieses Manifest – einen Teil seines Leitartikels der letzten Woche – mit Heftigkeit von sich gegeben, schwieg er, um Atem zu schöpfen, und blickte Bob Sawyer majestätisch an.

„Sie sind ein noch junger Mann, Sir“, sagte er nach einer Weile.

Bob Sawyer nickte.

„Und Sie auch, Sir“, fuhr Pott, zu Mr. Ben Allen gewendet, fort.

Ben lächelte stumm.

„Und Sie sind auch beide tief durchdrungen von den blauen Prinzipien, zu deren Aufrechterhaltung und Verfechtung ich mich, solange ich lebe, der Bevölkerung dieser vereinigten Königreiche gegenüber anheischig gemacht habe?“

„Natürlich“, erwiderte Bob Sawyer, „ich verstehe nur die Sache nicht recht, ich bin …“

„Doch nicht gelb, Mr. Pickwick?“ unterbrach ihn Pott und wich mit seinem Stuhl zurück. „Ihr Freund ist doch nicht gelb, Sir?“

„Nein, nein“, versicherte Bob, „ich bin in diesem Augenblick mehr schottisch – gewürfelt, sozusagen ein Gemisch von allen möglichen Farben.“

„Also ein Schwankender“, erklärte Pott feierlich, „ein Schwankender. Ich möchte Ihnen eine Reihe von acht Artikeln vorlegen, Sir, die in der ,Eatanswiller Gazette‘ erschienen sind. Ich glaube behaupten zu dürfen, daß Sie dann bald Ihre Ansichten auf eine feste und solide Basis gründen würden, Sir.“

„Und ich“, antwortete Bob, „glaube behaupten zu dürfen, daß ich sehr blau würde, noch lange, ehe ich sie ganz gelesen hätte.“

Mr. Pott blickte Bob Sawyer noch einige Sekunden lang zweifelnd an, wandte sich dann zu Mr. Pickwick und fragte:

„Sie haben doch die literarischen Artikel gelesen, die im Laufe der letzten drei Monate in der ,Eatanswiller Gazette‘ erschienen sind und eine allgemeine, ich kann wohl sagen universelle Aufmerksamkeit und Bewunderung erregt haben?“

„Ich muß gestehen“, entschuldigte sich Mr. Pickwick, durch die Frage einigermaßen verlegen, „ich muß gestehen, ich war anderweitig so in Anspruch genommen, daß ich wirklich keine Zeit hatte, sie zu lesen.“

„Sie sollten so etwas nicht unterlassen, Sir“, ermahnte Pott mit strenger Miene.

„Ja, Sie haben recht“, gestand Mr. Pickwick.

„Sie sind in der Form einer ausführlichen Kritik eines Werkes über die chinesische Metaphysik erschienen“, fuhr Pott fort.

„Was Sie sagen?! Und hoffentlich aus Ihrer Feder?“

„Aus der meines Rezensenten, Sir“, antwortete Pott mit Würde.

„Und wahrscheinlich sehr gelehrt abgefaßt?“

„Ja, ungeheuer“, antwortete Pott, unendlich weise um sich blickend. „Er ochste aber auch gehörig, um sich eines technischen, aber bezeichnenden Terminus zu bedienen; er las zu diesem Behuf auf mein Verlangen in, der ,Encyclopaedia britannica‘ nach.“

„Wirklich?“ staunte Mr. Pickwick. „Ich wußte gar nicht, daß dieses unschätzbare Werk auch Nachweise über die chinesische Metaphysik enthält.“

„Ja, Sir“, erklärte Pott, legte seine Hand auf Mr. Pickwicks Knie und blickte mit einem Lächeln geistiger Überlegenheit um sich, „er las über die Metaphysik unter dem Buchstaben M und über China unter dem Buchstaben C nach und machte so einen eigenen Artikel zurecht.“

Die Züge des Publizisten nahmen bei dieser Erinnerung an den gelehrten Erguß etwas so Überwältigendes an, daß einige Minuten verstrichen, bevor Mr. Pickwick sich kühn genug fühlte, das Gespräch fortzusetzen. Endlich, als sich das Gesicht Potts allmählich wieder zu seinem gewöhnlichen Ausdruck geistiger Überlegenheit glättete, wagte er es, die Unterhaltung durch die Frage anzuknüpfen:

„Dürfte ich wohl erfahren, welch großer Zweck Sie so weit von Hause weggeführt hat?“

„Derselbe Zweck, der mich bei all meiner Arbeitslast anstachelt und beseelt“, erwiderte Pott mit ruhigem Lächeln, „das Wohl meines Vaterlandes.“

„Ich dachte mir gleich, es sei irgendeine öffentliche Mission.“

„Ja, Sir, das ist es auch“, bejahte Pott, beugte sich zu Mr. Pickwick nieder und flüsterte ihm mit tiefer, hohler. Stimme zu:

„Die Gelben haben morgen abend in Birmingham einen Ball.“

„Was Sie nicht sagen!“ rief Mr. Pickwick.

„Ja, Sir, und ein Souper.“

„Ah.“

Pott nickte mit unheilverkündender Miene.

Obgleich sich Mr. Pickwick stellte, als wäre er durch diese Eröffnungen sehr überrascht, so war er doch mit der Lokalpolitik zuwenig vertraut, als daß er sich schlechterdings von der Wichtigkeit der schrecklichen Verschwörung einen richtigen Begriff hätte machen können, auf die hier angespielt wurde. Mr. Pott bemerkte es auch, zog die letzte Nummer der „Eatanswiller Gazette“ aus der Tasche und las zur näheren Aufklärung seines Freundes folgenden Artikel vor:

„WINKELGELBTUM

Ein Ungeziefer, ein böser, schädlicher Wurm von Kollega hat vor kurzem sein schwarzes Gift ausgespien, in dem eitlen, hoffnungslosen Versuch, den guten Namen unseres ausgezeichneten und vortrefflichen Deputierten, Mr. Slumkeys, Hochwohlgeboren, zu besudeln – desselben Slumkey, von dem wir lange, bevor er seine gegenwärtige hohe Stellung errungen, vorausgesagt, er werde werden, was er jetzt ist, ein Ehrenpfeiler seines Landes, sein stolzester Ruhm, sein kühnster Verteidiger und seine herrlichste Zierde. Unser ungezieferartig denkender Kollega, sagen wir, hat sich lustig gemacht über einen plattierten, herrlich gearbeiteten Kohlenkübel, der diesem glorreichen Mann von seinen begeisterten Wählern überreicht worden ist und zu dessen Ankauf, wie der namenlose Wicht lästert, Mr. Slumkey, Hochwohlgeboren, selbst heimlich mehr als drei Viertel der ganzen Summe zugeschossen habe. Wie!? Sieht denn dieses kriechende Geschmeiß nicht, daß selbst wenn dies wahr wäre, Mr. Slumkey, Hochwohlgeboren, uns in einem um so freundlicheren und strahlenderen Lichte erscheinen müßte? Sieht sein Stumpfsinn nicht einmal so viel ein, daß der liebenswürdige, rührende Wunsch, dem Sehnen seiner Wähler entgegenzukommen, ihn den Herzen und Seelen derjenigen seiner Mitbürger nur noch teurer machen muß, die nicht verächtlicher sind als Schweine, oder, mit anderen Worten, die nicht ebenso niederträchtig sind wie unser Kollega? Aber das sind eben die elenden, betrügerischen Kunstgriffe des Winkelgelbtums! Verrat ist sein Losungswort. Wir verkünden es kühnlich und sagen es frei heraus, jetzt, wo wir uns unter den Schutz des ganzen Landes und seiner Behörden stellen dürfen – wir verkünden es kühnlich, daß in diesem Augenblick geheime Vorbereitungen getroffen werden zu – einem Balle der Gelben, der in einer gelben Stadt mitten im Herzen und Zentrum einer gelben Bevölkerung gehalten, von einem gelben Arrangeur geleitet, von vier ultragelben Parlamentsmitgliedern besucht werden soll, und zu dem man den Zutritt nur vermöge gelber Einlaßkarten erlangen kann. Möge unser feindlicher Kollega sich winden in unmächtigem Grimm, wenn wir es niederschreiben: ,Wir werden auch dabeisein.‚“

„Sehen Sie, Sir“, sagte Pott und faltete ganz erschöpft das Blatt zusammen, „so stehen die Sachen.“

In diesem Augenblick fingen der Wirt und der Kellner an, das Mittagessen aufzutragen, was Mr. Pott nötigte, den Finger auf die Lippen zu legen, zum Zeichen, daß er sein Leben in Mr. Pickwicks Hände gelegt habe. Die Herren Bob Sawyer und Benjamin Allen, die während der Verlesung des Artikels und der darauf folgenden Erörterung unehrerbietigerweise eingeschlafen waren, wurden durch das bloße Geflüster des Zauberwortes „Mittagessen“ erweckt und entwickelten dabei einen gesegneten Appetit.

Im Verlauf des Essens und der darauffolgenden Sitzung erklärte Mr. Pott, der sich zuweilen zu häuslichen Themen herabließ, seinem Freunde Mr. Pickwick, die Luft in Eatanswill sei seiner Gemahlin nicht gut bekommen, und sie mache deswegen eine Reise in die verschiedenen fashionablen Bäder, um ihre gewohnte Gesundheit und Munterkeit wiederzuerlangen – eine höchst zarte Verschleierung der Tatsache, daß Mrs. Pott ihre oft wiederholte Scheidungsdrohung endlich ausgeführt und ihr Bruder, der Leutnant, mit ihrem Manne eine Übereinkunft abgeschlossen hatte, kraft deren sie sich nebst ihrer getreuen Leibwache von ihrem Gatten trennte und die Hälfte seines jährlichen Einkommens aus dem Verlag der „Eatanswiller Gazette“ erhielt.

Während der große Publizist bei diesen und ähnlichen Themen verweilte und die Unterhaltung von Zeit zu Zeit mit verschiedenen Auszügen aus den Resultaten seiner nächtlichen Studien belebte, fragte ein griesgrämiger Passagier aus dem Fenster einer von London angelangten Postkutsche heraus, ob er, für den Fall, daß er übernachten wolle, die nötigen Bequemlichkeiten, nämlich Bett und Bettstelle, bekommen könne. „Gewiß, Sir“, erwiderte der Wirt.

„Bestimmt?“ fragte der Fremde, der von Natur aus ungemein argwöhnisch zu sein schien.

„Sie können sich darauf verlassen, Sir“, beteuerte der Wirt.

„Nun gut, Postillion, ich bleibe hier. Schaffner, meinen Mantelsack.“

Der fremde Gentleman wünschte sodann den andern Passagieren auf eine etwas spitze Weise gute Nacht und stieg aus.

Er war von untersetzter Statur und hatte straffes schwarzes Haar, das nach Stachelschweins- oder Stiefelbürstenart zugeschnitten war und wie gesträubt emporstand. Sein Auftreten war pomphaft und drohend, sein Benehmen gebieterisch, die Augen blickten scharf und unruhig, und sein ganzes Wesen verkündete große Zuversichtlichkeit sowie das Bewußtsein unermeßlicher Überlegenheit über alle Menschen.

Man wies ihn in das Zimmer, das ursprünglich für den patriotischen Mr. Pott bestimmt gewesen war, und der Kellner konstatierte, als er kaum die Lichter angezündet hatte, in dumpfem Erstaunen das sonderbare Zusammentreffen, daß der Gentleman in seinen Hut griff, eine Zeitung hervorzog und mit demselben Ausdruck unwilliger Verachtung, die eine Stunde zuvor auf Potts majestätischen Zügen gelegen, zu lesen begann. Er bemerkte auch, daß, während Mr. Potts Verachtung durch eine Zeitung, betitelt „Eatanswiller Independent“, rege gemacht worden war, der zermalmende Hohn dieses Gentlemans durch eine Zeitung erweckt wurde, die sich die „Eatanswiller Gazette“ nannte.

„Schicken Sie den Wirt!“ befahl der Fremde.

„Sehr wohl, Sir.“

Der Wirt wurde gerufen und erschien.

„Sind Sie der Wirt?“ fragte der Gentleman.

„Zu dienen, Sir.“

„Kennen Sie mich?“

„Habe nicht das Vergnügen, Sir“, erklärte der Wirt.

„Mein Name ist Slurk!“

Der Wirt neigte den Kopf ein wenig.

„Slurk, Sir“, wiederholte der Gentleman hochmütig. „Kennen Sie mich jetzt, Mann?“

Der Wirt kratzte sich am Kopf, blickte zur Decke empor, sah dann den Fremdling an und lächelte gezwungen.

„Kennen Sie mich, Mann?“

Der Wirt strengte sich gewaltig an und erwiderte endlich: „Nein, Sir, ich kenne Sie nicht.“

„Gott im Himmel“, rief der Fremde und schlug mit der Faust auf den Tisch, „und das nennt man Popularität! – Das also – das ist der Dank für jahrelange Mühe und Arbeit zu Nutz und Frommen der Massen. Ich steige durchnäßt und müde aus; keine enthusiastische Menge drängt sich, ihren Vorkämpfer zu begrüßen; die Glocken der Kirchen sind stumm; selbst der Name erweckt kein Echo in der erstarrten Brust. Es ist genug“, setzte Mr. Slurk hinzu und ging in großer Aufregung auf und ab. „Soll die Tinte in der Feder vertrocknen und die Sache den Gang des Verderbens gehen!“

„Haben Sie Brandy mit Wasser befohlen, Sir?“ wagte der Wirt eine Andeutung.

„Rum!“ erwiderte Mr. Slurk verbittert. „Haben Sie irgendwo ein Feuer?“

„Man kann sogleich eins anzünden“, beeilte sich der Wirt zu erwidern.

„Das wird aber erst heizen, wenn es Zeit ist, ins Bett zu gehen“, unterbrach ihn Mr. Slurk. „Ist jemand in der Küche?“

„Keine Seele. – Es war hübsch warm dort. Die Leute sind alle fort und haben die Tür für die Nacht geschlossen.“

„Dann will ich“, sagte Mr. Slurk, „meinen Grog am Küchenfeuer trinken“, nahm seinen Hut und die Zeitung, folgte feierlich dem Wirt nach diesem niederen Gelasse, warf sich auf eine Bank am Herde, nahm seine höhnische Miene wieder an und begann in Ruhe zu lesen und zu trinken. In diesem Augenblick flog der Dämon der Zwietracht über den „Türkenkopf“, erblickte zufällig den behaglich am Küchenfeuer gelagerten Slurk, während Mr. Pott, vom Wein erhitzt, in einem andern Zimmer saß, schoß mit unbegreiflicher Schnelligkeit herab, fuhr Mr. Bob Sawyer in den Kopf und stiftete ihn an, folgendermaßen zu sprechen:

„Wir haben das Feuer ausgehen lassen. Nach dem Regen ist es unangenehm kalt hier.“

„Ja, das ist wahr“, gab Mr. Pickwick schauernd zu.

„Es wäre, meine ich, kein schlechter Einfall, am Küchenfeuer eine Zigarre zu rauchen“, fuhr Bob Sawyer fort, in dem der Dämon immer stärker wirkte.

„Ich denke auch, es müßte ganz behaglich sein“, meinte Mr. Pickwick. „Was sagen Sie dazu, Mr. Pott?“

Mr. Pott nickte bereitwillig, und sämtliche vier Reisende begaben sich, jeder mit seinem Glas in der Hand, nach der Küche, indes Sam Weller die Prozession anführte, um den Weg zu zeigen.

Der Fremdling las noch immer, sah plötzlich auf und fuhr zusammen. Mr. Pott desgleichen.

„Was ist denn?“ fragte Mr. Pickwick flüsternd.

„Da! Das Ungeziefer!“ erwiderte Pott.

„Was für ein Ungeziefer?“ fragte Mr. Pickwick, besorgt, er könne auf eine greise Küchenschabe oder eine wassersüchtige Spinne getreten sein. „Dort, das Ungeziefer!“ flüsterte Pott wieder, faßte Mr. Pickwick am Arm und deutete auf den Fremden. „Das Ungeziefer da – Slurk vom ,Independenten‘.“

„Wir würden vielleicht besser tun, uns zurückzuziehen“, meinte Mr. Pickwick halblaut.

„Niemals, Sir, niemals!“ erwiderte Pott giftig, setzte sich schnell auf die gegenüberliegende Bank, zog aus einem kleinen Pack Zeitungen eine heraus und begann, wie sein Feind, zu lesen.

Er las natürlich den „Independenten“, Mr. Slurk ebenso natürlich die „Gazette“, und jeder der Herren drückte unverhohlen seine Verachtung durch bitteres Gelächter und sarkastische Ausrufe aus. Bald schritten sie zu noch offeneren Meinungsäußerungen, wie „abgeschmackt“ – „erbärmlich“ – „ekelhaft“ – „Lumperei“ – „Schmutz“ – „Mist“ – „Schlamm“ – „Sumpfwasser“ und dergleichen.

Mr. Sawyer sowohl wie Ben Allen hatten diese Symptome von Eifersucht und Haß mit großem Ergötzen mit angesehen, und als die beiden Gegner zu ermatten begannen, wandte sich der boshafte Bob Sawyer mit großer Höflichkeit an Slurk und sagte:

„Dürfte ich vielleicht um das Blatt bitten, Sir, wenn Sie es gelesen haben?“

„Sie werden in dem elenden Ding da sehr wenig finden, was des Lesens lohnt“, erwiderte Slurk mit einem satanischen Stirnrunzeln gegen Pott. „Sie können dieses da inzwischen haben“, sagte Pott leichenblaß und mit vor Wut zitternder Stimme. „Haha! Die Frechheit dieser Bagage wird Ihnen viel Spaß machen.“

Die Worte „Frechheit“ und „Bagage“ waren förmlich herausgeschrien, und die Mienen der beiden Publizisten wurden immer herausfordernder.

„Die Gemeinheit dieses Lumpenhundes ist geradezu ekelhaft“, fuhr Pott, zu Bob Sawyer gewendet, fort und warf dabei Slurk einen giftigen Blick zu.

Slurk lachte nur schrill, blätterte seine Zeitung um und sagte, der Schafskopf amüsiere ihn köstlich.

„Was für ein schamloser Ignorant der Kerl ist!“ rief Pott, dessen Gesicht allmählich blaurot vor Wut wurde.

„Haben Sie von den Albernheiten dieses Menschen schon etwas gelesen, Sir?“ fragte Slurk Mr. Bob Sawyer.

„Nein“, erwiderte Bob, „ist es so schlecht?“

„Wenn es Ihnen möglich ist, sich durch ein paar Sätze voll Gemeinheit, Niedertracht, Verlogenheit, Infamie, Schurkerei und Unsinn durchzulesen“, sagte Slurk und reichte das Blatt Mr. Sawyer hinüber, „so werden Sie sich vielleicht dadurch belohnt finden, daß Ihnen der Stil dieses ungrammatikalischen Schwätzers ein Lachen abnötigt.“

„Was haben Sie da gesagt, Sir?“ fuhr Pott auf, am ganzen Leibe zitternd.

„Was geht denn das Sie an, Sir?“ erwiderte Slurk.

„Ungrammatikalischer Schwätzer haben Sie gesagt, nicht wahr, Sir?“ keuchte Pott.

„Ja, Sir, das habe ich gesagt, und blauer Idiot füge ich hinzu, Sir, wenn Sie das lieber hören. Hahaha!“

Mr. Pott erwiderte auf diese Beleidigung kein Wort, faltete nur bedächtig seine Nummer des „Independenten“ auseinander, legte sie sorgfältig flach auf den Boden, trampelte mit den Füßen darauf herum, spuckte dann feierlich darauf und warf sie ins Feuer.

„Sehen Sie, Sir“, sagte er dann, als er vom Kamin zurückkam, „ebenso würde ich auch die Viper behandeln, die dieses Gift erzeugt, wäre ich nicht zu ihrem Glück durch die Gesetze des Landes daran gehindert.“

„Bitte, genieren Sie sich gar nicht, Sir“, rief Slurk dagegen und sprang auf. „Es wird niemandem einfallen, die Gesetze wegen einer solchen Sache anzurufen. Versuchen Sie es doch, Sir!“

„Hört, hört!“ johlte Bob Sawyer.

„Prachtvoll, ausgezeichnet!“ rief Ben Allen.

„Versuchen Sie es doch, Sir“, wiederholte Slurk mit lauter Stimme.

Mr. Pott warf ihm einen verachtungsvollen Blick zu, der einen Amboß hätte zermalmen können.

„Versuchen Sie es doch, Sir!“ rief Slurk noch lauter.

„Ich will nicht, Sir“, versetzte Pott.

„So, so! Sie wollen nicht?“ höhnte Slurk. „Sie haben es gehört, meine Herren! Er will nicht. Nicht etwa, daß er sich fürchtete; ah, woher denn; er will bloß nicht. Hahaha!“

„Ich betrachte Sie, Sir“, schäumte Mr. Pott, „ich betrachte Sie als eine Viper. Ich halte Sie für einen Menschen, der sich durch sein freches, schandbares und widerliches Benehmen in der Öffentlichkeit seines Rechtes in der Gesellschaft begeben hat. In meinen Augen, Sir, sind Sie sowohl persönlich wie politisch weiter gar nichts als eine Viper.“

Der entrüstete Independent wartete das Ende dieser persönlichen Anklage nicht ab, sondern nahm seinen wohlgefüllten Mantelsack, schwang ihn, als Pott sich eben abwandte, über dem Kopf und ließ ihn dann gerade mit der Ecke, in der eine dicke Haarbürste eingepackt lag, auf das Haupt seines Gegners niedersausen, so daß dieser mit furchtbarem Getöse zu Boden stürzte.

„Meine Herren!“ rief Mr. Pickwick, als Pott wieder aufsprang und sich der Kohlenschaufel bemächtigte. „Meine Herren, bedenken Sie doch um Himmels willen – Hilfe – Sam! Aber ich bitte Sie, meine Herren, vergessen Sie sich doch nicht so weit!“

Dabei warf sich der menschenfreundliche alte Herr heldenmütig zwischen die wutentbrannten Streiter, gerade im rechten Augenblick, um auf die eine Seite seines Leibes den Mantelsack und auf die andre die Kohlenschaufel zu bekommen. Ob nun die Repräsentanten der öffentlichen Meinung von Eatanswill ganz blind vor Leidenschaft waren, oder ob sie als kluge, scharfsinnige Köpfe sogleich den Vorteil einsahen, einen Dritten, der die Streiche auffing, zwischen sich zu haben – eines ist gewiß, sie nahmen nicht die mindeste Notiz von Mr. Pickwick und handhabten Mantelsack wie Kohlenschaufel auf das furchtbarste. Mr. Pickwick hätte sein menschenfreundliches Dazwischentreten ohne Zweifel schwer büßen müssen, wäre nicht Mr. Weller auf sein Geschrei hereingestürzt, um dem Kampf sofort dadurch ein Ende zu machen, daß er einen leeren Sack ergriff und ihn dem rasenden Pott über Kopf und Schultern zog.

„Nehmen Sie dem andern Tollhäusler den Mantelsack weg“, rief er dabei Bob Sawyer zu, der entzückt zugesehen und nur eine Lanzette hervorgeholt hatte, um dem ersten, der ohnmächtig werden würde, zur Ader zu lassen. „Wollen Sie endlich aufhören, Sie Jammerlappen, oder ich drehe Ihnen den Kragen um.“

Atemlos und eingeschüchtert durch diese fürchterliche Drohung ließ sich der Independent entwaffnen, und Mr. Weller schüttelte vorsichtig Mr. Pott wieder aus dem Sack.

„So, jetzt gehen Sie beide ruhig ins Bett“, sagte er, „oder ich stecke Sie beide mitnander in den Sack und binde ihn oben zu. Von eurer Sorte werde ich noch mit ’nem ganzen Dutzend fertig. – Und Sie, Herr, haben vielleicht die Jüte, jefälligst mitzukommen.“

Mit diesen Worten nahm Sam seinen Herrn beim Arm und führte ihn fort, während die beiden feindlichen Journalisten vom Wirt und dem Kellner in ihre Schlafzimmer eskortiert wurden. Sie stießen dabei die blutdürstigsten Drohungen aus und ließen vage Andeutungen auf ein Duell am nächsten Tage fallen, waren jedoch am andern Morgen in aller Frühe, jeder in einer besonderen Kutsche, abgereist, als alles noch in tiefstem Schlaf lag.

Neunundvierzigstes Kapitel


Neunundvierzigstes Kapitel

Eine wichtige Veränderung in der Familie Weller. Mr. Stiggins fällt in Ungnade.

Mr. Pickwick hielt es für unzart, Bob Sawyer oder Ben Allen so ohne weiteres zu dem jungen Paare zu führen, und da er Arabellas Gefühle möglichst zu schonen wünschte, machte er den Vorschlag, er und Sam sollten in der Nähe des „Georg und Geier“ absteigen, während beide jungen Herren sich vorderhand irgendwo anders einquartierten. Mr. Ben Allen und Bob Sawyer begaben sich daher in ein abgelegenes Bierhaus am äußeren Ende des Borough, wo ihre Namen in früheren Tagen sehr häufig an der Spitze langer und verwickelter Rechnungen, mit weißer Kreide geschrieben, hinter der Schenkverschlagtür zu lesen gewesen waren.

„Potztausend, Mr. Weller!“ rief das hübsche Hausmädchen, als ihr Sam an der Tür begegnete.

„Jawohl, wie er leibt und lebt, mein schönes Kind“, erwiderte Sam und blieb ein wenig zurück, um seinen Herrn außer Hörweite kommen zu lassen. „Was für ’n süßes, angenehmes Geschöpf Sie sin, Mary.“

„Jaja, weiß schon, Mr. Weller; schwatzen Sie nicht solchen Unsinn“, wehrte Mary ab. „Es liegt schon seit vier Tagen ein Brief für Sie da; Sie waren kaum eine halbe Stunde fort, als er kam, und auf der Adresse steht: ,Höchst dringend‘.“

„Wo is er denn, meine Liebe?“ fragte Sam.

„Ich habe ihn zu mir gesteckt, damit er nicht verlorengeht“, erwiderte Mary. „Da ist er; ’s is mehr, als Sie verdient haben.“ – Dabei zog sie den Brief hinter einem wunderhübschen kleinen Musselinbusenstreif hervor und überreichte ihn Sam, der ihn mit ebensoviel Galanterie wie Innigkeit küßte, sich neben die Angebetete auf eine Fensterbank setzte, den Brief erbrach und einen Blick auf seinen Inhalt warf. „Hallo!“ rief er plötzlich. „Was is denn das?“

„Doch nichts Schlimmes?“ fragte Mary und blickte ihm über die Schulter.

„Gott, haben Sie schöne Augen!“ rief Sam.

„Kümmern Sie sich nicht um meine Augen. Lesen Sie lieber Ihren Brief“, sagte das hübsche Stubenmädchen und lächelte dabei schelmisch.

Sam aber stärkte sich mit einem Kuß und las wie folgt:

„Markih Grännbih
in Dorking
am Mittfoch.

Mein liber Semmih!

Es tuht mier sehr leit aber ich habe daß fergnügen das ich dir eine schlechte nachricht fön deiner Stiefmutter geben muss aber si hat sich erkeltit weil si dummerweise im nassen grass im rehgen geseßen hat um ein schefer zu zu hören woh ehrst in dehr sinkenden nacht auf hören konnte weil er sich mitt Brendi unt Wasser angefoichtet hatte unt sich nicht senkrecht halten konnte als biß ehr wihder ettwaß klahr geworden wahr waß mehere stunden dauerte unt der Dokter sahgte wen si gleich warmen Brendi unt Wasser drauf getrunken hette stadt fohrhehr denn hette eß ihr Nichts gemacht nu haben wihr tzwahr iere reder augenblicklig geschmiehrt unt alleß angewant um ier wihder in gank zu bringen unt dein fahter hatte di hoffnunk das si wihder aufn Damm komm würde wie gewönlich aber alß es si wider um der Egge bog da kariolte si dehn Berg runter mit eine geschwindichkeit woh mann noch nihmals gesehen hat unt trozdehm der Dokter ier gleich den hemmschu anlehgen taht half eß doch alleß nich den si betzahlte di letzte runde tzwantzich Minuten fohr seks Ur gestern ahbent unt hatt allso di grooße reise weit unter dehr gewönlichen zeit gemacht waß filleicht auch dafon gekomm is das si unterwehks nichts eingepakt hat dein fahter meint wenn du komm willst unt mihr Besuchen Semmih denn wirt ehr eß alls eine grohße froide ansen denn ich bin so gantz aleine Semmih Nohtabehne weil wihr so nie Sachen mitnander abtzumachen haben da wirt dein Prinntzpahl dihr gewiß nichts in wehk lehgen Semmih denn ich kenne ihm beßer unt sennde im meinen Rehßpeckt unt bin auf Ewich dein

Toby Veller.“

„Was für ’n unverständlicher Brief!“ murmelte Sam, versank in tiefes Nachdenken und las das Schreiben noch einmal genau durch, von Zeit zu Zeit innehaltend. Dann faltete er es langsam zusammen und sagte traurig:

„So is also das arme Geschöpf tot! Tut mir leid um sie. Sie war kein böses Weib nich; wenn sie nur die Hirten in Frieden gelassen hätten. Bin recht betrübt drüber.“

Mr. Weller sagte diese Worte in so ernstem Ton, daß das hübsche Stubenmädchen die Augen niederschlug und gleichfalls eine sehr traurige Miene annahm.

„Und doch“, fuhr Sam fort und steckte den Brief mit einem Seufzer in die Tasche, „es hat mal so sein müssen. – Läßt sich nich mehr ändern, wie die alte Dame sagte, als sie den Bedienten geheiratet hatte – was, Mary?“

Mary schüttelte den Kopf und seufzte nur.

„Ich muß meinen Herrn um Urlaub bitten“, sagte Sam nach einer Weile. „Adje, Mary.“

„Adieu!“ seufzte das hübsche Stubenmädchen und wandte den Kopf ab.

„Was, Sie geben mir nich mal zum Abschied die Hand?“ sagte Sam vorwurfsvoll.

Das hübsche Mädchen reichte ihm die Hand, die, wenn auch die Hand eines Stubenmädchens, dennoch eine sehr kleine Hand war, und stand auf, um zu gehen.

„Ich werde nich lange wegbleiben“, tröstete sie Sam.

„Ach, Sie sind immer weg“, schmollte Mary. „Kaum kommen Sie, Mr. Weller, da gehen Sie auch schon wieder.“

Sam zog die kleine Schönheit näher an sich und knüpfte ein flüsterndes Gespräch mit ihr an, das sie veranlaßte, ihr Gesichtchen abzuwenden. Als sie sich trennten, war es unumgänglich notwendig für sie geworden, auf ihr Zimmer zu gehen und ihre Haube und ihre Locken zu ordnen, bevor sie daran denken konnte, sich vor ihrer Gebieterin sehen zu lassen, und als sie zu dieser vorbereitenden Zeremonie die Treppe hinaufhuschte, beglückte sie Sam noch mit einem freundschaftlichen Lächeln über das Geländer hinab.

Es schlug gerade sieben Uhr, als Samuel Weller vom Bock einer Postkutsche in Dorking, einige hundert Schritte vom „Marquis von Granby“ entfernt, abstieg. Der Abend war kalt und trübe, die kleine Straße sah düster und traurig aus, und das mahagonifarbige Gesicht des edlen und tapfern Marquis schien einen finstereren und melancholischeren Ausdruck zu haben als sonst, wenn es wehmütig knarrend vom Winde hin und her geworfen wurde. Die Fenstervorhänge waren herabgelassen, die Läden teilweise geschlossen und von dem Haufen Müßiggänger, die gewöhnlich an der Tür versammelt herumstanden, war keine Spur zu sehen.

Da Sam niemand erblickte, den er vorher hätte ausholen können, ging er leise ins Haus, schaute sich um und erblickte in der Dämmerung seinen Vater.

Der Witwer saß in dem kleinen Zimmer hinter dem Schenkverschlag an einem kleinen runden Tisch, rauchte eine Pfeife und starrte mit unverwandtem Blick ins Feuer. Offenbar hatte das Begräbnis erst an diesem Tage stattgefunden, denn von seinem Hut, den er aufbehalten hatte, wallte ein etwa anderthalb Ellen langes Band nachlässig über die Stuhllehne herab.

Mr. Weller war offenbar in sehr tiefe Betrachtungen versunken, denn obgleich ihn Sam mehrere Male beim Namen rief, fuhr er doch mit demselben starren Gesicht zu rauchen fort und blickte erst auf, als ihm sein Sohn endlich die Hand auf die Schulter legte.

„Ich habe dir schon ’n halbdutzendmal gerufen“, sagte Sam leise und hängte seinen Hut an einen Nagel, „aber du hörtest mir nich.“ „Nein, Sam, habe dir nich gehört“, erwiderte Mr. Weller und sah aufs neue gedankenschwer ins Feuer. „War ganz in eine Träumerei versunken.“ „Worüber hast du denn nachgesonnen?“ fragte Sam und zog seinen Stuhl ans Feuer.

„Habe an sie gedacht, Sammy“, erwiderte Mr. Weller senior und nickte mit dem Kopf in Richtung des Friedhofs von Dorking. „Dachte eben daran, Sammy“, fuhr er in tiefem Ernst fort, „daß es mir im ganzen sehr leid tut, daß sie abgefahren is.“

„Gehört sich auch“, meinte Sam.

Mr. Weller nickte, richtete seine Augen abermals auf die Glut, hüllte sich in eine Wolke und versank wiederum in tiefes Nachdenken. Nach einer langen Pause lichtete er mit einer Handbewegung den Rauch und sagte: „Sie hat noch so sehr vernümftig gesprochen, Sammy. ,Weller‘, sagte sie, ,ich fürchte, ich habe nich ganz an dir gehandelt wie ich hätte sollen; du bist ’n sehr guter Mann, und ich hätte dir dein Leben angenehmer machen sollen. Jetzt, wo es zu spät is, da fange ich an einzusehen, wenn ’ne verheirate Frau fromm sein will, denn soll sie damit anfangen, ihre häuslichen Pflichten zu erfüll’n und die, wo mit ihr leben, glücklich und fröhlich zu machen. Ich habe Zeit und Geld an Leute verschwendet, wo noch weniger wert waren als wie ich; aber ich hoffe, wenn ich nicht mehr sein werde, Weller, denn wirstu an mir denken, wie ich war, bevor daß ich diese Leute kennengelernt habe und wie ich eigentlich von Natur aus gewesen bin.‘ – ‚Susanne‘, sagte ich, denn ich war sehr ergriffen, Samuel, kann es nich leugnen, mein Junge, ,Susanne‘, sagte ich, ,du bist mir ’n sehr gutes Weib gewesen, deswegen sprich nich mehr von. Kopf hoch, mein Schatz, du wirst es gewiß noch erleben, daß ich diesem Stiggins den Schädel poliere.‘ – Sie lächelte darüber, Samuel“, fuhr der alte Herr fort und erstickte einen Seufzer, „aber denn starb sie doch!“

„Na“, sagte Sam nach einer langen Pause, die damit hinging, daß der alte Herr beständig den Kopf schüttelte und in stummer Feierlichkeit rauchte, „sterben müssen wir ja alle, Gouverneur! Die Vorsehung hat es nun mal so eingerichtet.“

„Jaja“, versetzte sein Vater mit ernstem Gesicht. „Was würde auch sonst aus den Totengräbern werden, Sammy!“

Verloren in dem durch diese Betrachtungen sich eröffnenden unermeßlichen Feld von Vermutungen, legte er seine Pfeife auf den Tisch und schürte mit nachdenklichem Gesicht das Feuer; da öffnete sich leise die Tür und eine wohlbeleibte Köchin in Trauerkleidung, die bisher in der Schenkstube beschäftigt gewesen, trat ins Zimmer, nickte Sam mehrere Male freundlich zu und kündigte ihre Anwesenheit durch ein leises Husten an.

„Hallo!“ rief Mr. Weller senior, ließ das Schüreisen fallen und rückte hastig mit seinem Stuhl weg. „Was gibt’s?“

„Trinken Sie doch eine Tasse Tee“, schmeichelte das wohlbeleibte Frauenzimmer.

„Ach was“, versetzte Mr. Weller in barschem Tone. „Ich wollte, Sie wären – wo der Pfeffer wächst“, fügte er leise hinzu.

„Ach du meine Güte! Wie doch das Unglück die Leute verändert!“ sagte das Frauenzimmer mit einem verzweifelten Blick zur Decke.

„Jaja, schon gut“, murmelte Mr. Weller.

„Ich habe in meinem Leben noch keinen so übellaunischen Menschen gesehen, seit mein seliger Mann tot ist“, fing das wohlbeleibte Frauenzimmer wieder an, hüstelte abermals und blickte Mr. Weller senior liebreich an.

„Halten Sie den Schnabel, ich kann jetzt ihr Gesabbel nicht hören“, fuhr der alte Herr auf, „vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, uns alleine zu lassen, ja? – Samuel, zeig ihr den Weg und mach die Tür hinter ihr zu.“

Das wohlbeleibte Frauenzimmer verstand diesen zarten Wink, ging schnell hinaus und machte selbst die Tür hinter sich zu. Mr. Weller senior, dem große Schweißtropfen auf der Stirn standen, warf sich in seinen Stuhl zurück und sagte:

„Sammy, wenn ich hier noch ’ne Woche alleine bleiben würde, bloß ’ne Woche, mein Junge, denn würde mich das Weibsbild, noch bevor die Woche um is, mit aller Gewalt heiraten.“

„Soso, is sie denn so verliebt in dich?“ fragte Sam.

„Ach was, verliebt!“ antwortete der alte Herr, „ich kann sie mir einfach nich vom Leibe halten. Wenn ich mich in ein feuerfesten Kasten mit Patentschloß einsperren würde, die würde doch Mittel und Wege finden, an mich ranzukommen, Sammy.“

„Is doch was Feines, wenn man so umworben wird“, meinte Sam lächelnd.

„Darauf bilde ich mir aber nu gar nichts ein, Sammy“, erwiderte Mr. Weller und schürte heftig das Feuer, „es is eine schauderhafte Lage. Man vertreibt mich von Haus und Hof. Kaum daß deiner armen Stiefmutter die Luft ausgegangen war, da schickt mir auch schon so ’n altes Weib „n Topf mit Marmelade und ’ne andre ’nen Krug mit Schelee und noch ’ne andre kocht mir ’ne großmächtige Kanne voll Kamillentee und bringt sie mir auch noch eigenhändig.“ Mr. Weller schwieg einen Augenblick verdrossen, blickte sich dann um und flüsterte: „Das waren alles Witwen, Sammy, eine wie die andere; bloß die Kamillenfee nich, die war ’ne unverheiratete junge Dame von dreiundfünfzig.“

Sam antwortete nur mit einem schalkhaften Lächeln.

„Kurz und gut, Sammy, ich sage dir, ich fühle, ich bin nirgends mehr sicher wie auf ‚m Bock.“

„Und warum denkst du, daß du da sicherer bist als sonstwo?“

„Weil ein Kutscher ein prifilegiertes Individjum is“, erwiderte Mr. Weller und sah seinen Sohn fest an. „Weil ein Kutscher machen kann, was andere Leute nich können, weil ein Kutscher auf achtzig Meilen in der Runde mit allen Frauenzimmern auf freundschaftlichstem Fuß stehen kann, ohne daß es ein Menschen einfällt, daß er eine davon heiraten will. Welcher andere Mann kann das von sich sagen, Sammy?“

„Ja, es is was dran“, gab Sam zu.

„Wenn dein Gouverneur Kutscher gewesen wäre“, räsonierte Mr. Weller weiter, „bildest du dir ein, die Geschworenen würden ihn denn verurteilt haben? Warum nich? Weil es gegen ihr Gewissen gewesen wäre. Ein orntlicher Kutscher is eine Art Verbindungsglied zwischen dem ledigen und dem ehelichen Stande. Jeder richtige Mann weiß das.“

Mit diesen Worten stopfte Mr. Weller seine Pfeife aufs neue, zündete sie an, verlieh seinem Gesicht abermals einen gedankenvollen Ausdruck und fuhr gelassen fort: „Also, was ich sagen wollte, mein Junge, weil ich es nu mal nich für ratsam ansehe, daß ich hierbleiben tue und mich mit Gewalt heiraten lasse, weil ich aber auch nich aus die menschliche Gesellschaft raustreten will, bin ich zu den Entschluß gekommen, wieder meine alte Droschke zu fahren, und mein Quartier werde ich wieder in Bell-Savage aufschlagen. Das is und bleibt mein angeborenes Element, Sammy.“

„Und was soll aus dem Geschäft hier werden?“ fragte Sam.

„Das Geschäft, Samuel? Das Haus und alles, was niet- und nagelfest is, wird verscheuert, und von dem Erlös, da wollte deine Stiefmutter kurz vor ihren Tod, daß davon zweihundert Fund für dich angelegt werden in … in … wie heißen bloß die Dinger?“

„Was für Dinger?“ fragte Sam.

„Na die Dinger, wo immer so schwanken.“

„Omnibusse“, riet Sam.

„Unsinn, Omnibusse!“ brummte Mr. Weller. „Die Dinger, wo mit der Nationalschuld und den Schatzanweisungen zu tun haben.“

„Ach so, die Fonds?“

„Jawohl ja“, erwiderte Mr. Weller, „die Fonds; zweihundert Fund von dem Geld sollen für dich in Fonds angelegt werden, Samuel; in Obligatschonen zu viereinhalb Prozent.“

„Sehr gütig von der alten Dame, daß sie an mich gedacht hat“, sagte Sam. „Bin ihr sehr dankbar.“

„Der Rest wird auf meinen Namen angelegt“, fuhr Mr. Weller senior fort, „und wenn ich mal von der Heerstraße abberufen werde, denn fällt es dir auch zu. Also, mein Junge, bring nich alles auf einmal durch und nimm dir in acht, daß dir keine Witwe nich ausfindig machen tut, denn bist du nämlich verloren.“ Mr. Weller widmete sich nun wieder seiner Pfeife; sein Gesicht hatte sich etwas aufgehellt. Ganz offensichtlich hatte diese Eröffnung sein Gemüt beträchtlich erleichtert.

„Irgendwas klopft an die Tür“, sagte Sam.

„Laß ’n nur klopfen“, versetzte Mr. Weller senior mit Würde, „es sin nur Witwen.“

Das Klopfen wiederholte sich, wurde immer lauter, und da niemand „herein“ rief, wagte es der unsichtbare Gast nach einer Weile, die Tür zu öffnen und hereinzuspähen. Es war aber kein Frauenkopf, der sich da hereinstreckte, sondern die langen schwarzen Locken und das rote Gesicht Mr. Stiggins‘.

Mr. Weller fiel die Pfeife aus der Hand.

Der ehrwürdige Gentleman öffnete beinahe unmerklich nach und nach die Tür, bis die Öffnung weit genug war, um seinen langen Leib durchzulassen, und schlüpfte dann herein. Sofort wandte er sich zu Sam, hob zum Zeichen seiner unaussprechlichen Bekümmernis Hände und Augen empor, rückte den hochlehnigen Stuhl in seinen alten Winkel am Kamin, setzte sich auf die Ecke desselben und zog ein braunes Taschentuch hervor.

Alles das hatte Mr. Weller senior mit weit aufgerißnen Augen, die Hände auf die Knie gestemmt, und einem Gesicht, das das grenzenloseste Erstaunen ausdrückte, stumm mit angesehen. Sam saß ihm wortlos gegenüber und wartete mit brennender Neugier der Dinge, die da kommen sollten. Mr. Stiggins hielt sich sein braunes Taschentuch mehrere Minuten lang vor die Augen, stöhnte laut, bemeisterte aber endlich durch eine gewaltige Kraftanstrengung seine Gefühle, steckte das Tuch ein und knöpfte seinen Rock auf. Dann schürte er das Feuer, rieb sich die Hände und blickte Sam an. „Ach, mein junger Freund!“ brach er nach einer Pause mit sehr leiser Stimme das Stillschweigen. „Trauer und Betrübnis haben hier ihren Einzug gehalten.“ Sam nickte unmerklich.

„Auch für den Mann des Zorns! Es macht das Herz eines Auserwählten bluten.“

Sam hörte seinen Vater so etwas murmeln wie: er habe Lust, auch die Nase eines Auserwählten bluten zu machen. Mr. Stiggins aber achtete offenbar nicht darauf.

„Wissen Sie nicht, junger Mann“, flüsterte der Seelenhirt und rückte mit seinem Stuhl näher zu Sam, „ob sie dem Immanuel etwas vermacht hat?“

„Wer ist das?“ fragte Sam.

„Die Kapelle. Unsrer Kapelle, unsrer Herde, Mr. Samuel.“ „Sie hat dem Hirten nichts vermacht und dem Pferch auch nichts und den Tieren drin ebensowenig; nicht mal den Hunden hat sie was vermacht.“

Mr. Stiggins blickte Sam listig an, warf einen Seitenblick auf den alten Herrn, der mit geschloßnen Augen dasaß und zu schlafen schien, rückte seinen Stuhl langsam näher und flüsterte:

„Auch mir nichts, Mr. Samuel?“

Sam schüttelte den Kopf.

„Ich sollte doch denken, irgend etwas“, sagte Stiggins erblassend. „Besinnen Sie sich, Mr. Samuel, nicht einmal ein kleines Andenken?“ „Nicht mal soviel, wie Ihr oller Schirm da wert is.“ „Aber vielleicht“, fuhr Mr. Stiggins nach einigen Augenblicken tiefen Nachdenkens zögernd fort, „vielleicht hat sie mich dem Mann des Zornes zur Fürsorge empfohlen, Mr. Samuel?“

„Nach allem, was er mir gesagt hat, könnte das wohl der Fall sein“, erwiderte Sam, „er hat soeben von Ihnen gesprochen.“

„Wirklich?“ rief Stiggins strahlend. „Ah, gewiß ist eine Wandlung mit ihm vorgegangen! Wir könnten so gut miteinander leben; nicht wahr, Mr. Samuel? Ich würde für seine Geschäfte sorgen, solange Sie fort sind, und ganz gewiß gut sorgen. Nicht? Wie?“

Sam nickte, und Mr. Weller senior gab eine sonderbare Art Gekrächz von sich.

Stiggins deutete diesen Ton als ein Zeichen der Reue und Gewissensangst, blickte ermutigt umher, rieb sich die Hände, weinte, lächelte, weinte wieder, ging dann leise auf den Fußspitzen durch das Zimmer nach dem ihm wohlbekannten Schrank in der Ecke, nahm ein Glas heraus und warf bedachtsam vier Stück Zucker hinein. Dann blickte er abermals um sich, stöhnte jämmerlich, schlich hinaus in die Speisekammer, füllte das Glas halb mit Ananasrum, kam schnell zurück, trat an den Kessel, der lustig über dem Feuer brodelte, mischte seinen Grog, rührte um, schlürfte, setzte sich, tat sofort einen langen herzhaften Schluck und hielt inne, um Atem zu schöpfen.

Mr. Weller senior, der bisher immer noch verschiedne kuriose Versuche gemacht hatte, sich schlafend zu stellen, sprach bei dem allen kein Wort. Als aber Mr. Stiggins innehielt, um Atem zu holen, stürzte er auf ihn zu, riß ihm das Glas aus der Hand, schüttete ihm den Rest ins Gesicht, packte ihn am Kragen und fing an, ihn mit Fußtritten und Faustschlägen zu traktieren.

„Sammy!“ rief er dabei seinem Sohn zu. „Drück mir den Hut fest auf den Kopf.“

Samuel gehorchte, und der alte Gentleman mit dem langen wehenden Trauerbande hämmerte mit erneuter Munterkeit auf Mr. Stiggins los und jagte ihn durch das ganze Zimmer, durch den Gang und zur Haustür hinaus auf die Straße, wobei seine Wut sich immer mehr steigerte, sooft er seinen Stulpenstiefel zu einem neuen Tritt erhob.

Es war ein schöner erheiternder Anblick, den rotnasigen Herrn unter Mr. Wellers Griffen sich winden und vor Angst zittern und beben zu sehen, als in rascher Reihenfolge Schlag auf Schlag fiel. Noch prächtiger aber war es anzuschauen, wie ihn Mr. Weller gewaltsam den Kopf in einen vollen Pferdetrog tunkte und ihn so lang unter Wasser hielt, bis er halb erstickt war.

„Da!“ sagte Mr. Weller und legte seine ganze Energie in einen höchst kunstvollen letzten Fußtritt, als Mr. Stiggins luftschnappend aus dem Trog emportauchte, „jetzt schick mir noch einen von den faulen Hirten her, daß ich den auch zu Brei schlage und nachher ersäufe. Sammy, hilf mir in die Stube und reich mir ’n Gläschen Brandy. Ich bin ganz außer Atem, mein Junge.“

Fünfzigstes Kapitel


Fünfzigstes Kapitel

Mr. Jingles und Hiob Trotters letzter Austritt. Abwicklung eines Geschäfts in Grays Inn Square und ein lautes Klopfen an Mr. Perkers Tür.

Als Arabella nach mancherlei zarten Vorbereitrungen und vielen Versicherungen von Mr. Pickwick, daß durchaus kein Grund vorhanden sei, den Mut sinken zu lassen, das unbefriedigende Resultat seines Besuchs in Birmingham erfahren hatte, brach sie in Tränen aus und klagte sich laut schluchzend an, die unglückselige Ursache einer Entfremdung zwischen Vater und Sohn geworden zu sein.

„Aber, mein liebes Kind“, tröstete sie Mr. Pickwick freundlich, „es ist doch nicht Ihre Schuld. Man konnte unmöglich voraussehen, daß der alte Herr die Verheiratung seines Sohnes so übel aufnehmen würde. Gewiß“, fügte er hinzu und schaute Arabella in das hübsche Gesichtchen, „gewiß hat er nicht die entfernteste Idee von dem Vergnügen, dessen er sich beraubt.“

„Ach, mein lieber Mr. Pickwick“, jammerte Arabella, „was sollen wir nur tun, wenn er fortfährt, uns zu grollen?“

„Warten Sie es mit Geduld ab, liebes Kind, bis er besser von der Sache denkt“, erwiderte Mr. Pickwick in vergnügtem Ton.

„Aber was soll aus Nathaniel werden, wenn sein Vater die Hand von ihm abzieht?“ schluchzte Arabella.

„Für diesen Fall, meine Liebe, will ich zu prophezeien wagen, daß er schon irgendeinen Freund finden wird, der ihm mit Vergnügen dabei behilflich sein wird, sich in der Welt fortzubringen.“

Das war zu deutlich, als daß es Arabella nicht hätte verstehen sollen. Sie schlang die Arme um Mr. Pickwicks Nacken, küßte ihn zärtlich und schluchzte noch lauter als zuvor.

„Nur Mut gefaßt!“ tröstete der alte Herr und faßte ihre Hand. „Wir wollen hier noch einige Tage verweilen und sehen, ob er schreibt oder den Brief Ihres Mannes in einem andern Licht auffaßt. Wo nicht, so habe ich schon ein Dutzend Pläne ausgesonnen, von denen jeder einzelne zu Ihrem Glück führen muß. Also, seien Sie ganz ruhig, mein Kind.“

Die jungen Leute befinden sich wirklich in einer peinlichen Lage, sagte sich Mr. Pickwick, als er sich am folgenden Morgen ankleidete. Ich will mal zu Perker gehen und ihn in der Sache um Rat fragen.

Da er noch einen andern sehnlichen Wunsch hatte, der ihn nach dem Grays Inn Square trieb, nämlich unverzüglich mit dem braven kleinen Anwalt seine Rechnung abzuschließen, nahm er in aller Geschwindigkeit sein Frühstück ein und führte seine Absicht so schleunig aus, daß es noch nicht zehn Uhr geschlagen hatte, als er Grays Inn erreichte.

Die Schreiber waren noch nicht da, und so vertrieb er sich die Zeit mit Hinaussehen aus dem Treppenfenster.

Das klare Licht eines schönen Oktobermorgens verlieh sogar den trüben alten Häusern ein wenig Glanz; einige der staubüberzogenen Fenster sahen fast fröhlich aus, als die Sonnenstrahlen auf ihnen glühten. Schreiber um Schreiber eilte durch die Eingänge, und alle blickten auf die Uhr der Halle und beschleunigten oder verlangsamten ihre Schritte, je nach der Zeit, zu der ihre Kanzleistunden begannen. Das Geräusch sich öffnender und schließender Türen hallte von allen Seiten wider, Köpfe erschienen wie durch Zauberschlag an den Fenstern; die Portiers stellten sich auf ihre Posten, die Scheuerfrauen mit ihren abgetretenen Schuhen schlurften davon, der Briefträger eilte von Haus zu Haus, und der ganze juristische Bienenschwarm war in geschäftiger Aufregung.

Nach einigen Minuten erschien Mr. Lowten, begrüßte Mr. Pickwick und schloß die Kanzlei auf.

„Das Geschäft ist in Ordnung, das wissen Sie doch“, sagte er, als er mit großer Umständlichkeit sein Pult aufgeräumt, die Federn geschnitten und seinen Arbeitsrock angezogen hatte.

„Welches Geschäft?“ fragte Mr. Pickwick. „Die Kostensache für die Bardell?“

„Nein, das wegen des Burschen, den wir auf Ihre Rechnung aus der Fleet auslösten und der nach Demerara soll.“

„Ach so, Mr. Jingle“, sagte Mr. Pickwick hastig. „Nun, wie ist es gegangen?“

„Alles in schönster Ordnung. Der Agent in Liverpool schreibt, Sie hätten ihm früher so viele Gefälligkeiten erwiesen, daß es ihm ein Vergnügen sei, ihn auf Ihre Empfehlung hin unterzubringen.“

„Bravo, das freut mich“, frohlockte Mr. Pickwick.

„Aber der andre ist ein Mordspinsel.“

„Welcher andre?“

„Na, der Bediente oder Freund Jingles, oder was er sonst ist; Sie wissen doch, der Trotter.“

„Ah so“, sagte Mr. Pickwick lächelnd. „Den hätte ich gerade für das Gegenteil gehalten.“

„Ich auch. – Schon nach dem wenigen, was ich von ihm gesehen habe“, erwiderte Lowten. „Aber was sagen Sie dazu, daß er ebenfalls nach Demerara geht? Perkers Anerbieten von achtzehn Schilling wöchentlich mit der Aussicht auf mehr, wenn er sich gut aufführe, machte nicht den geringsten Eindruck auf ihn. Er sagte, er müsse unbedingt mit Jingle gehen. Sie baten beide Mr. Perker, noch einmal zu schreiben, und jetzt ist er glücklich nicht halb so gut untergebracht wie ein Verbrecher in Neusüdwales.“

„Ein närrischer Kerl“, sagte Mr. Pickwick mit strahlendem Gesicht, „wahrhaftig, ein ganz närrischer Kerl.“

„Oh, es ist noch mehr als närrisch, es ist einfach blödsinnig“, erwiderte Lowten verächtlich und schnitzelte an seiner Feder herum. „Er sagt, Jingle sei der einzige Freund, den er je gehabt habe, deswegen könne er ihn jetzt nicht verlassen, und ähnliches dummes Zeug. Freundschaft ist ja recht schön, wir zum Beispiel sind in der ,Elster‘ alle gut befreundet, aber jeder zahlt für sich selbst. Das fehlte einem noch, daß man sich eines andern wegen etwas abgehen lassen sollte. Der Mensch darf meiner Ansicht nach nur zwei Neigungen haben: die erste, zu Nummer eins, das heißt, zu sich selbst, und die zweite zu den Weibern. Das ist meine Meinung. Hahaha!“

Mr. Lowten schloß mit einem lauten, halb lustigen und halb höhnischen Gelächter, das er jedoch schnell abbrach, als er Mr. Perker kommen hörte. Mit merkwürdiger Behendigkeit schwang er sich auf seinen Stuhl und schrieb eifrig.

Die Begrüßung zwischen Mr. Pickwick und seinem Anwalt war warm und herzlich. Der Gelehrte hatte sich indes kaum in den Armstuhl geworfen, als Jingle und Hiob Trotter gemeldet wurden.

„Na“, sagte Perker, „Sie kennen diesen Herrn wohl nicht?“ als beide eintraten und bei Mr. Pickwicks Anblick verlegen auf der Schwelle stehenblieben.

„Guten Grund dazu“, versetzte Jingle und trat vor. „Mr. Pickwick – aufs tiefste Dankgefühl verpflichtet – Leben gerettet – einen Menschen aus mir gemacht – sollen es nie bereuen, Sir.“

„Es freut mich, Sie so reden zu hören“, sagte Mr. Pickwick. „Sie sehen bereits viel besser aus.“

„Alles Ihr Werk – Sir – große Veränderung, Fleet – ungesunder Ort – sehr ungesund“, versetzte Jingle und schüttelte den Kopf. Er war anständig und reinlich gekleidet, ebenso Hiob, der kerzengerade hinter ihm stand und Mr. Pickwick wie versteinert anstarrte. „Wann gehen sie nach Liverpool?“ fragte Mr. Pickwick halblaut seinen Anwalt.

„Heute abend, Sir, um sieben Uhr“, erwiderte Hiob und trat einen Schritt vor. „Mit der City-Postkutsche, Sir.“

„Haben Sie Ihre Plätze schon?“

„Ja, Sir.“

„So sind Sie also fest entschlossen, zu gehen?“

„Ja, Sir.“

„Was die nötige Ausrüstung für Jingle betrifft“, sagte Perker laut zu Mr. Pickwick, „so habe ich veranlaßt, daß ihm eine kleine Summe von seinem Vierteljahrsgehalt abgezogen wird, um diese Ausgabe zu decken, was in einem Jahre geschehen sein wird. Ich bin entschieden dagegen, mein lieber Herr, daß Sie irgend etwas für ihn tun, wofern er es nicht durch Fleiß und gute Aufführung verdient.“

„Wird gewiß geschehen“, unterbrach ihn Jingle mit großer Entschiedenheit. „Klarer Kopf jetzt – Mann von Welt – werden schon durchkommen.“

„Durch die Befriedigung seiner Gläubiger, die Auslösung seiner Garderobe, die Unterstützung, die Sie ihm im Gefängnis zukommen ließen, –und die Bezahlung der Überfahrtskosten“, fuhr Perker, ohne die mindeste Rücksicht auf Jingles Bemerkung zu nehmen, fort, „haben Sie bereits über fünfzig Pfund verloren.“

„Nicht verloren“, rief Jingle hastig. „Alles bezahlen – fleißig arbeiten – sparen – jeden Heller. Gelbes Fieber vielleicht – wäre etwas anderes – aber sonst …“

Mr. Jingle versagte die Stimme, er schlug sich heftig auf die Brust, fuhr mit der Hand über die Augen und setzte sich wieder.

„Er will damit sagen“, erläuterte Hiob und trat wieder einen Schritt vor, „daß er, wenn ihn das Fieber nicht wegrafft, das Geld zurückbezahlen wird. Bleibt er am Leben, so tut er es gewiß, Mr. Pickwick. Ich will selbst darauf sehen, daß es geschieht; aber ich weiß, daß er es tun wird, Sir“, fügte er mit großem Nachdruck hinzu. „Ich könnte darauf schwören.“

„Schon gut, schon gut“, wehrte Mr. Pickwick ab, der bereits Perker ein ganzes Dutzend zorniger Blicke zugeworfen, um ihm zu bedeuten, er möge doch die Aufzählung seiner Wohltaten unterlassen, was jedoch der kleine Anwalt geflissentlich nicht beachtet hatte. „Sie müssen sich nur hüten, keine so verzweifelten Kricketmatches mehr einzugehen, Mr. Jingle, oder Ihre Bekanntschaft mit Sir Thomas Blazo zu erneuern; dann zweifle ich nicht, daß Sie Ihre Gesundheit erhalten werden.“

Mr. Jingle lächelte über diesen Scherz, sah aber doch ein wenig verlegen aus, und so gab Mr. Pickwick dem Gespräch rasch eine andre Wendung. „Wissen Sie nicht vielleicht“, fragte er, „was aus Ihrem andern Freunde geworden ist, den ich in Rochester kennenlernte?“

„Trübsinns-Jemmy?“ fragte Jingle.

„Ja.“

Jingle schüttelte den Kopf. – „Ein geriebener Bursche – ein närrischer Kauz – ein Lügengenie – Hiobs Bruder.“

„Mr. Trotters Bruder?!“ rief Mr. Pickwick. „Ja, wahrhaftig, wenn ich Hiob so in der Nähe ansehe, entdecke ich eine gewisse Ähnlichkeit.“

„Man hat uns immer für ähnlich gehalten, Sir“, sagte Hiob mit einem verschmitzten Blick, „nur war ich von jeher ernsthafter Natur, und er niemals. Er wanderte nach Amerika aus, Sir, weil man ihm hier zu sehr auf die Finger sah, als daß er sich hätte behaglich fühlen können, und seitdem hat man nichts wieder von ihm gehört.“

„Deswegen habe ich also die ,Seite aus dem Roman des wirklichen Lebens‘ nicht bekommen, die er mir eines Morgens versprach, als er auf der Rochesterbrücke stand und offenbar mit Selbstmordgedanken umging?“ sagte Mr. Pickwick lächelnd. „Ich brauche wohl nicht zu fragen, war sein trübseliges Benehmen natürlich oder bloß erkünstelt?“

„Er konnte sich in jede Rolle hineinfinden, Sir“, sagte Hiob, „und Sie dürfen von Glück sagen, daß Sie so mit heiler Haut davongekommen sind. Bei näherem Umgang würde er noch ein weit gefährlicherer Bekannter für Sie geworden sein, als“ – er blickte auf Jingle, stockte und setzte endlich hinzu – „als – als – ich selbst sogar.“

„Sie haben ja eine recht hoffnungsvolle Familie, Mr. Trotter“, sagte Perker und versiegelte den Brief, den er soeben beendet hatte.

„Jawohl, Sir, allerdings“, versetzte Hiob. „Na“, fuhr der kleine Mann lachend fort, „Sie werden hoffentlich aus der Art schlagen. Übergeben Sie diesen Brief dem Agenten, wenn Sie nach Liverpool kommen, und nehmen Sie den Rat von mir an, meine Herren, in Westindien nicht gar zu gerissen aufzutreten. Verscherzen Sie sich diese Gelegenheit, so verdienen Sie beide gehenkt zu werden, und ich glaube auch fest, daß dies geschehen wird. Jetzt aber muß ich bitten, mich mit Mr. Pickwick allein zu lassen, denn wir haben noch vieles zu besprechen, und unsere Zeit ist kostbar.“

Bei diesen Worten sah Perker nach der Tür mit einer Miene, die deutlich den Wunsch ausdrückte, die Herren möchten den Abschied so kurz wie möglich machen.

Von Mr. Jingles Seite war er auch kurz genug. Er dankte dem kleinen Anwalt in wenigen herausgestoßenen Worten für die Güte und Bereitwilligkeit, mit der er ihm Beistand geleistet, wandte sich dann an seinen Wohltäter und stand einige Sekunden da, unentschlossen, was er sagen oder wie er sich benehmen solle. Hiob Trotter erlöste ihn aus seiner Verlegenheit, indem er ihn, mit einer demütigen, dankbaren Verbeugung gegen Mr. Pickwick, sachte am Arme nahm und hinausführte.

„Ein würdiges Paar“, sagte Perker, als sich die Tür hinter ihnen schloß.

„Ich hoffe, daß sie es werden“, erwiderte Pickwick. „Was meinen Sie? Ist Aussicht auf bleibende Besserung vorhanden?“

Perker zuckte die Achseln; als er aber Mr. Pickwicks unruhigen und mißvergnügten Blick bemerkte, sagte er:

„Aussicht ist allerdings vorhanden, und ich hoffe, es wird alles gut ausgehen. Sie sind jetzt fraglos sehr zerknirscht, aber Sie müssen doch bedenken, daß die Erinnerung an ihre kürzlich erstandenen Leiden noch ganz frisch bei ihnen ist. Was aus ihnen werden wird, wenn sie nach und nach verschwindet, ist eine Frage, die ich sowenig beantworten kann wie Sie. Selbst indes, mein lieber Herr“, fügte er hinzu und legte seine Hand auf Mr. Pickwicks Schulter, „mag es ausfallen, wie es will, Ihre Absicht bleibt immer gleich ehrenhaft. Ob jene Art von Wohlwollen, die so unendlich behutsam und vorsichtig zu Werke geht, daß sie sich nur selten in Anwendung bringen läßt – damit der Wohltäter nur ja nicht betrogen und dadurch in seiner Eigenliebe gekränkt werde –, wirkliche Menschenfreundlichkeit ist oder bloß ein verfälschter Nachdruck davon, überlasse ich klügeren Köpfen zu ermitteln. Wenn übrigens die zwei Burschen morgen schon einen nächtlichen Einbruch begingen, meine Meinung von Ihrer Handlungsweise, Pickwick, würde dieselbe bleiben.“

Mit diesen Bemerkungen, die mit weit mehr lebhaftem Mitgefühl und Ernst gesprochen waren, als es bei den Herren Juristen sonst der Fall zu sein pflegt, rückte Mr. Perker seinen Stuhl an sein Pult und ließ sich von Mr. Pickwick erzählen, wie die Sache mit Mr. Winkle senior ausgefallen war.

„Lassen Sie ihm eine Woche Zeit“, sagte er und nickte prophetisch mit dem Kopf.

„Meinen Sie, er wird mürbe werden?“ fragte Mr. Pickwick.

„Hoffentlich. Wenn nicht, so müssen wir auf die Überredungsgabe der jungen Dame bauen, etwas, was jeder andre, bloß Sie nicht, gleich im Anfang getan hätte.“

Mr. Perker nahm eine Prise und schnitt groteske Gesichter, mit denen er offenbar andeuten wollte, was die Überredungskünste junger Damen alles zuwege zu bringen imstande wären, als man in der Schreibstube reden hörte und unmittelbar darauf Lowten klopfte, mit sehr geheimnisvoller Miene eintrat und die Tür vorsichtig hinter sich zumachte.

„Was gibt’s denn?“ fragte Perker.

„Man fragt nach Ihnen, Sir.“

„Wer?“

Lowten sah Mr. Pickwick an und hustete.

„Wer fragt nach mir? Können Sie denn nicht sprechen, Mr. Lowten?“

„Hm, ja, Sir. Es sind die Herren Dodson und Fogg.“

„Richtig, ja!“ sagte der kleine Anwalt und sah hastig auf die Uhr. „Ich habe sie auf halb zwölf hierher bestellt, um Ihre Angelegenheit mit ihnen abzumachen, Mr. Pickwick. Ich gab ihnen eine Anweisung, gegen die sie mir Ihr Entlassungsdekret aus dem Gefängnis schickten. Die Leute kommen sehr ungelegen, mein lieber Herr, was wollen Sie tun? Gehen Sie vielleicht einen Augenblick in das andre Zimmer, nicht?“

Das andre Zimmer war indes dasselbe, in dem sich die Herren Dodson und Fogg befanden, und Mr. Pickwick erklärte daher entschlossen, er werde bleiben, wo er sei, zumal die Herren Dodson und Fogg allen Grund hätten, sich vor ihm zu schämen, und er nicht die geringste Ursache, vor ihnen die Flucht zu ergreifen.

„Ganz gut, mein lieber Herr, ganz gut“, erwiderte Perker, „soviel muß ich Ihnen jedoch sagen: Wenn Sie glauben, daß Dodson oder Fogg auch nur die geringste Verlegenheit an den Tag legen wird, so sind Sie der sanguinischste Mensch, der mir je vorgekommen ist. Führen Sie die Leute herein, Lowten.“

Mr. Lowten verschwand mit einem Grinsen und öffnete sogleich der Firma Dodson und Fogg die Tür.

„Sie kennen Mr. Pickwick bereits, dächte ich“, begann Perker zu Dodson und wies mit der Feder nach der Richtung, wo der Gelehrte saß. „Ah, Mr. Pickwick, wie befinden Sie sich?“ sagte sofort Dodson mit lauter Stimme.

„Oh, Mr. Pickwick! Wie geht’s“, rief Fogg. „Doch wohl, wie ich hoffe, Sir? Will’s meinen, daß ich den Herrn kenne“, wendete er sich zu Perker, nahm einen Stuhl und lächelte.

Mr. Pickwick nickte zur Erwiderung auf diese Begrüßung nur unmerklich mit dem Kopf, und als er Fogg einen Pack Akten aus der Rocktasche ziehen sah, stand er auf und trat ans Fenster.

„Mr. Pickwick braucht sich nicht zu entfernen, Mr. Perker“, sagte Fogg, löste den roten Bindfaden, der das Paket zusammenhielt, und lächelte noch süßer als zuvor. „Mr. Pickwick kennt unsre Verhandlungen ziemlich genau, und ich dächte, wir haben hier keine Geheimnisse voreinander. Hihihi!“

„Hahaha!“ lachte Dodson.

„Mr. Pickwick wird sich gewiß sehr freuen“, fuhr Fogg aufgeräumt fort und ordnete die Papiere, „zu hören, daß unsere Kosten auf hundertunddreiunddreißig Pfund, sechs Schilling und vier Pence festgesetzt wurden, Mr. Perker. – Bitte, wollen Sie sich überzeugen.“

Während Fogg und Perker die Köpfe zusammensteckten und ihre Akten verglichen, wandte sich Dodson in verbindlichem Tone zu Mr. Pickwick:

„Sie scheinen mir nicht mehr ganz so kräftig auszusehen wie damals, als ich zum letztenmal das Vergnügen hatte, Sie zu sehen, Mr. Pickwick.“

„Kann schon sein, Sir“, erwiderte Mr. Pickwick, der die ganze Zeit über die beiden Associés zornig angefunkelt hatte, ohne daß dies den mindesten Eindruck auf sie gemacht hätte. „Es ist auch kein Wunder, Sir, denn ich bin in der letzten Zeit der Spielball von ein paar Schurken gewesen, Sir.“

Perker hustete heftig und fragte Mr. Pickwick, ob er nicht vielleicht die Zeitung lesen wolle – eine Zumutung, die dieser auf das entschiedenste zurückwies.

„Jaja“, sagte Dodson, „das will ich gern glauben, es ist eine sehr gemischte Gesellschaft in der Fleet. Wo haben Sie dort gewohnt, Mr. Pickwick?“

„Mein Zimmer“, erwiderte der schwer gekränkte Gelehrte, „befand sich im Restaurationsgang.“

„So, so“, sagte Dodson. „Meines Wissens ist dies ein sehr angenehmer Teil des Gebäudes.“

„Ja, sehr“, entgegnete Mr. Pickwick trocken.

Die Unterhaltung war ganz danach angetan, einen Mann von erregbarem Temperament aufs äußerste zu reizen, aber Mr. Pickwick bezwang heldenhaft seinen Ingrimm. Als aber Perker einen Scheck ausfüllte und Fogg ihn mit einem triumphierenden Lächeln, das sich sogar dem strengen Gesichte Dodson mitteilte, einsteckte, da fühlte er, wie ihm das Blut vor Zorn in die Wangen stieg.

„Wir sind fertig, Mr. Dodson“, sagte Fogg und zog seine Handschuhe an. „Wir können gehen.“

„Gut“, sagte Dodson und stand auf, „ich bin bereit.“

„Ich schätze mich ungemein glücklich“, bemerkte Fogg, durch die Anweisung sichtlich in die beste Laune versetzt, „Mr. Pickwicks werte Bekanntschaft gemacht zu haben. Ich hoffe, Sie werden von uns nicht mehr ganz so übel denken, Mr. Pickwick, wie damals, als ich das erstemal das Vergnügen hatte.“

„Das hoffe ich ebenfalls“, fügte Dodson edelmütig hinzu. „Mr. Pickwick kennt uns jetzt ohne Zweifel besser. Was auch Ihre Meinung von Leuten unseres Standes sein mag, Sir, ich kann Ihnen versichern, daß ich wegen der Ausdrücke, deren Sie sich gegen uns in unserer Kanzlei bedienen zu müssen glaubten, keinen Groll gegen Sie hege.“

„Auch ich nicht, seien Sie versichert. – Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen, mein Herr“, fiel Fogg ein, nahm seinen Regenschirm unter den Arm und streckte die Hand zur Versöhnung dem ergrimmten Gelehrten hin, der sofort beide Hände unter seine Rockschöße steckte und den Advokaten mit Verachtung von oben bis unten maß.

„Lowten!“ rief Perker. „Begleiten Sie die Herren hinaus.“

„Warten Sie noch einen Augenblick, Perker“, sagte Mr. Pickwick, „ich will sprechen.“

„Mein lieber Herr, bitte, lassen Sie die Sache doch schon auf sich beruhen“, bat der kleine Anwalt, der während der ganzen Szene wie auf Nadeln gesessen hatte. „Bitte, Mr. Pickwick …“

„Ich lasse mir nicht den Mund verbieten, Sir“, fuhr Mr. Pickwick heftig auf. „Mr. Dodson, Sie haben soeben einige Bemerkungen an mich gerichtet!“

Dodson drehte sich um, neigte verbindlich das Haupt und lächelte freundlich.

„Bemerkungen!“ wiederholte Mr. Pickwick atemlos. „Und Ihr Associe hat mir die Hand hingereicht, und Sie haben beide einen verzeihenden, infamen Ton gegen mich angeschlagen, der denn doch jedes Maß von Unverschämtheit übersteigt!“

„Was sagen Sie da, Sir?“ riefen Dodson und Fogg wie aus einem Munde.

„Sie wissen ganz gut, daß ich das Opfer Ihrer Ränke und Kniffe geworden bin!“ fuhr Mr. Pickwick erregt fort. „Wissen Sie, daß Sie mich ins Gefängnis gebracht und ausgeplündert haben? Wissen Sie, daß Sie die Anwälte für die Klägerin im Prozeß Bardell kontra Pickwick waren?“ „Ja, Sir, das wissen wir“, erwiderte Dodson gelassen.

„Gewiß, gewiß, Sir“, fügte Fogg hinzu und schlug – vielleicht zufällig – auf seine Tasche.

„Ich sehe, daß Sie sich mit Vergnügen daran erinnern“, sagte Mr. Pickwick und versuchte zum erstenmal in seinem Leben zu hohnlächeln, was ihm jedoch gänzlich mißlang. „So sehr ich mir schon längst gewünscht habe, Ihnen mit dürren Worten sagen zu können, was ich von Ihnen denke, so würde ich dennoch mit Rücksicht auf die Anwesenheit meines Freundes Perker sogar diese Gelegenheit haben vorübergehen lassen, hätten Sie nicht diesen unverantwortlichen Ton gegen mich angeschlagen und sich diese schamlose Vertraulichkeit erlaubt; ich sage schamlose Vertraulichkeit, Sir!“

Mr. Pickwick wandte sich dabei mit so wütender Gebärde gegen Fogg, daß dieser eiligst an die Tür retirierte.

„Nehmen Sie sich in acht, Sir!“ rief Dodson, verschanzte sich, obgleich er der größte von allen Anwesenden war, dennoch wohlweislich hinter Fogg und sprach mit käsebleichem Gesicht über dessen Kopf hinweg. „Lassen Sie sich nicht verleiten, Mr. Fogg, zurückzuschlagen!“

„Nein, nein, ich werde mich hüten“, hauchte Fogg und wich ängstlich zurück, zum offenbaren Vorteil seines Associés, der dadurch, immerwährend gedeckt, immer mehr instand gesetzt wurde, die Ausgangstür zu gewinnen.

„Sie sind“, nahm Mr. Pickwick seine Strafpredigt wieder auf, „Sie sind ein vortreffliches Paar von niederträchtigen, spitzbübischen, rechtsverdreherischen Gaunern!“

„Nun, sind Sie nicht endlich fertig?“ fiel Perker ein.

„Ja“, versetzte Mr. Pickwick, „ich bin fertig. Es ist alles in den Worten Inbegriffen: es sind ein paar niederträchtige, spitzbübische, rechtsverdreherische Gauner.“

„Jetzt“, sagte Perker in versöhnlichem Ton, „jetzt, meine werten Herren, hat er alles gesagt, was er zu sagen hatte; ich bitte, gehen Sie endlich. – Lowten, ist die Tür offen?“

Mr. Lowten konnte ein Lachen kaum unterdrücken und nickte bloß.

„Also – guten Morgen! – Guten Morgen! – Bitte, meine verehrten Herren! – Mr. Lowten, die Tür!“ rief der kleine Mann, die Herren Dodson und Fogg hastig aus dem Zimmer treibend. „Dahin, meine verehrten Herren! – Bitte, halten Sie sich nicht länger auf! – Aber zum Donnerwetter, Mr. Lowten! – Die Tür! Die Tür! – Warum öffnen Sie nicht?“

„Wenn es Gesetze in England gibt, Sir“, rief Dodson und setzte seinen Hut auf, „so sollen Sie mir dafür büßen.“

„Sie sind ein paar niederträchtige –“

„Das werden Sie uns teuer bezahlen, Sir“, sagte Fogg und drohte Mr. Pickwick mit der Faust.

„– diebische, rechtsverdreherische Gauner“, wiederholte der Gelehrte, ohne sich im geringsten einschüchtern zu lassen.

„Gauner!“ rief er den beiden Advokaten noch über das Treppengeländer nach, riß sich von Lowten und Perker los, sprang ans Fenster und schrie noch einmal hinaus: „Gauner!“

Als er den Kopf wieder zurückzog, umschwebte ein mildes Lächeln seine Züge; ruhig setzte er sich nieder und erklärte, er habe sich jetzt von einer großen Last befreit und fühle sich wieder vollkommen behaglich und vergnügt.

Perker sprach kein Wort, bis er seine Dose geleert und Lowten fortgeschickt hatte, um sie wieder füllen zu lassen; dann aber brach er in ein lautes Gelächter aus, das volle fünf Minuten dauerte, und sagte, als er wieder zu Atem kam, er sollte eigentlich sehr unwillig sein, aber für den Augenblick könne er der Sache keine ernste Seite abgewinnen; er werde übrigens schon noch einmal wirklich böse werden.

„Jetzt will ich auch mit Ihnen abrechnen“, sagte Mr. Pickwick.

„Etwa auch auf diese Weise?“ fragte Perker lachend. „Aber was ist denn nur heute los?“

Ein wütendes Klopfen ertönte nämlich an der Entreetür. Es war kein gewöhnliches doppeltes Klopfen, sondern eine fortlaufende ununterbrochene Kette von lauten Schlägen, die gar nicht aufhören wollten.

„Jaja, ich komme ja schon“, rief Mr. Lowten, der sich eben in einer dunkeln Nebenkammer die Hände gewaschen hatte. „Der schlägt ja rein die Tür ein“, lief hinaus, öffnete und erblickte …

Sechstes Kapitel


Sechstes Kapitel

Ein kurzes Kapitel, in dem unter anderem berichtet wird, wie Mr. Pickwick sich verleiten ließ, zu kutschieren, und Mr. Winkle, zu reiten, und wie sie beide damit zurechtkamen.

Hell und heiter war der Himmel, balsamisch war die Luft, und alles ringsum lieblich anzuschauen, als Mr. Pickwick, in den Anblick der herrlichen Natur versunken, an dem Geländer der Brücke von Rochester lehnte und auf das Frühstück wartete. Die Landschaft bot in der Tat einen so reizenden Anblick, daß sie wohl auch auf ein weniger beschauliches Gemüt einen tiefen Eindruck gemacht haben würde.

Dem Beschauer zur Linken lag eine verfallene Mauer, an manchen Stellen zusammengestürzt und an ändern in schweren Massen über das schmale Ufer vorhängend. Die ausgezackten und scharfumrissenen Uferfelsen bedeckten dichte Büschel von Seegras, die in jedem Lufthauch erzitterten, und der grüne Efeu rankte sich melancholisch um das düstere, verfallene Gemäuer. – Im Hintergrund erhob sich das alte Schloß mit seinen dachlosen Türmen, die massiven Mauern zerbröckelt, ebenso stolz von früherer Macht erzählend wie damals, als es vor siebenhundert Jahren von Waffenklang oder festlichen Gelagen widerhallte. Auf beiden Seiten dehnten sich die Ufer der Medway, mit Saatfeldern und Wiesen bedeckt, hier und dort von einer Windmühle oder einer fernen Kirche unterbrochen; soweit das Auge reichte, eine volle und bunte Landschaft, deren Reiz die wechselnden Schatten noch erhöhten, die darüber hineilten, wie die leichten Wolken in dem Licht der Morgensonne fortzogen. – Der geräuschlos dahingleitende Fluß spiegelte das klare Himmelsblau, und die Ruder der Fischer tauchten mit hellem, plätscherndem Ton in das „Wasser, wie die plumpen, aber pittoresken Boote langsam stromabwärts trieben.

Ein tiefer Seufzer und ein leichter Schlag auf die Schulter weckten Mr. Pickwick aus seinen angenehmen Träumen, in die ihn diese Szenerie eingewiegt hatte, und als er sich umwandte, stand der trübsinnige Jemmy vor ihm.

„Sie betrachten die Gegend, Sir?“

„Jawohl“, versetzte Mr. Pickwick.

„Und freuen sich, daß Sie so früh aufgestanden sind?“

Mr. Pickwick nickte stumm.

„Ach, man sollte immer früh aufstehen, um die Sonne in ihrem vollen Glänze zu genießen, denn sie strahlt selten so hell tagsüber. Der Morgen des Tages und der Morgen des Lebens gleichen sich nur zu sehr.“

„Sehr richtig, Sir“, sagte Mr. Pickwick.

„Wie oft pflegt man zu sagen“, fuhr der Trübsinnige fort, „der Tag fängt zu schön an, um so zu bleiben, und wie gut läßt sich das auf unser tägliches Leben anwenden! O Gott, was würde ich darum geben, wenn ich die Tage meiner Kindheit zurückrufen oder sie für immer vergessen könnte!“

„Sie haben viel Trauriges erlebt?“ fragte Mr. Pickwick teilnehmend.

„Allerdings“, versetzte der Trübsinnige hastig, „mehr als jemand, der mich jetzt kennt, für möglich halten sollte.“ Er schwieg einen Augenblick und setzte dann hinzu: „Hat Sie wohl je an einem solchen Morgen schon der Gedanke beschlichen, daß im Ertrinken Friede und Seligkeit liegen könnte?“

„Gott steh mir bei, nein“, erwiderte Mr. Pickwick, einen Schritt von der Balustrade zurücktretend, weil ihn der Gedanke an die Möglichkeit erschreckte, der Trübsinnige könnte ihn hinunterschleudern, um ihn den Versuch machen zu lassen.

„Ich bin schon oft mit dem Gedanken umgegangen“, fuhr der Trübsinnige fort, ohne auf Mr. Pickwicks Bewegung zu achten. „Die stille kühle Flut scheint mir eine Einladung zur Ruhe und zum Frieden zu murmeln. – Ein Sprung – ein Plätschern – ein kurzer Kampf – ein Wasserwirbel, der allmählich abnimmt und immer kleinere Wellen wirft – die Gewässer schließen sich, und alles Erdenleid ist vorüber.“

Die eingesunkenen Augen des Trübsinnigen leuchteten auf, während er so sprach; doch seine momentane Erregung wich sogleich wieder seiner gewohnten Ruhe, und er fuhr gelassen fort:

„Genug davon! Ich möchte wegen etwas ändern mit Ihnen sprechen. Sie baten mich vorgestern abend, Ihnen vorzulesen, und hörten aufmerksam zu …“

„Allerdings“, versetzte Mr. Pickwick, „und ich meinte wirklich …“

„Ich habe nicht gefragt, um Ihr Urteil zu hören, und ich bedarf dessen nicht“, unterbrach ihn der Trübsinnige. „Sie reisen zum Vergnügen und zur Belehrung. Was meinen Sie, wenn ich Ihnen ein interessantes Manuskript mitteilte? – Doch merken Sie wohl, interessant, nicht etwa wegen seines schauerlichen und unwahrscheinlichen Inhalts, sondern als ein Blatt aus der Romantik des wirklichen Lebens. Würden Sie es wohl dem Klub mitteilen, den Sie so häufig erwähnten?“

„Sicherlich“, erwiderte Mr. Pickwick, „wenn Sie es wünschen. Es würde sodann den Klubakten einverleibt werden.“

„Also gut“, sagte der Trübsinnige und fragte nach Mr. Pickwicks Adresse.

Mr. Pickwick nannte seine und seiner Freunde wahrscheinliche Reiseroute, der Trübsinnige notierte sie sorgfältig in einem schmutzigen Taschenbuch, lehnte Mr. Pickwicks Einladung zum Frühstück ab, begleitete ihn bis zum Gasthof und ging dann langsam seines Weges.

Mr. Pickwick wurde bereits von seinen drei Reisegefährten beim Frühstück erwartet, das ihrer, trefflich serviert, im Speisesaal harrte. Sie nahmen Platz, und gekochter Schinken, Eier, Tee und Kaffee begannen mit einer Schnelligkeit zu verschwinden, die sowohl von der Vorzüglichkeit der Speisen wie von dem guten Appetit der Reisenden Zeugnis ablegte.

„Aber jetzt müssen wir an Manor Farm denken“, sagte Mr. Pickwick. „Wie wollen wir die Reise dorthin machen?“

„Es wäre vielleicht das beste, wenn wir den Kellner darüber fragten“, meinte Mr. Tupman, und so wurde denn der Kellner gerufen.

„Dingley Dell – fünfzehn Meilen, meine Herren – Feldwege –. Postpferde, meine Herren?“

„In einer Postchaise würden nur zwei von uns Platz haben“, gab Mr. Pickwick zu bedenken.

„Allerdings, Sir – bitte um Entschuldigung, Sir – sehr hübscher vierrädriger Wagen hier, Sir – Sitze innen für zwei Herren – einer zum Kutschieren – oh, ich bitte um Vergebung, Sir – das würde ja auch nur für drei genügen.“

„Was ist da zu tun?“ fragte Mr. Snodgraß.

„Vielleicht beliebt es einem von den Herren, zu reiten?“ versetzte der Kellner mit einem Blick auf Mr. Winkle. „Sehr gute Reitpferde, Sir. Wenn einer von Mr. Wardles Leuten nach Rochester kommt, kann er die Pferde und den Wagen zurückbringen, Sir.“

„Das läßt sich hören“, meinte Mr. Pickwick. „Winkle, wollen Sie reiten?“

In den verborgensten Tiefen von Mr. Winkles Herzen stiegen große Bedenken auf, aber da er sich um keinen Preis etwas vergeben wollte, erwiderte er sogleich mit der größten Zuversicht:

„Mit Vergnügen. Ich ziehe diese Art zu reisen sogar jeder ändern vor.“

Mr. Winkle hatte sein Schicksal herausgefordert, und jetzt gab es natürlich kein Zurück mehr.

„Also lassen Sie alles für elf Uhr vorbereiten“, befahl Mr. Pickwick.

„Sehr wohl, Sir“, versetzte der Kellner und entfernte sich.

Nach dem Frühstück verfügten sich die Reisenden auf ihre Zimmer, um die Kleider zu wechseln und ihre Effekten einzupacken. Mr. Pickwick hatte seine Vorbereitungen beendigt und betrachtete eben vom Fenster des Gastzimmers aus die Vorübergehenden auf der Straße, da trat der Kellner ein und meldete, der Wagen stünde bereit; wie zur Bestätigung dieser Meldung wurde im gleichen Augenblick der Wagen vor dem Hotel sichtbar.

Es war ein seltsamer, kleiner grüner Kastenwagen auf vier Rädern mit einem Sitz für zwei Personen, so eng und niedrig wie eine Schublade, und einem hohen Bock, der freilich nur einen Sitzplatz aufwies. Er wurde von einem Braunen gezogen, dessen Knochenbau zwar riesenhaft, aber sonst durchaus ebenmäßig war. Daneben stand ein Stallknecht mit einem anderen Riesengaul – offenbar einem nahen Verwandten des ersten –, den man für Mr. Winkle gesattelt hatte.

„Lieber Gott“, rief Mr. Pickwick aus, als er mit seinen Freunden vor die Tür trat, „lieber Gott, wer soll denn kutschieren? Daran habe ich ja gar nicht gedacht.“

„Natürlich Sie“, sagte Mr. Tupman.

„Ich?“

„Bloß keine Angst nicht, Sir“, warf der Stallknecht ein. „Garantiert lammfromm; mit dem würde ja ein Kind fertig werden.“

„Er ist also nicht scheu?“ fragte Mr. Pickwick.

„Scheu, Sir? – Der scheut nicht, und wenn er an einem ganzen Wagen voll Affen mit verbrannten Schwänzen vorbei müßte.“

Diese Versicherung zerstreute die letzten Bedenken; Mr. Tupman und Mr. Snodgraß stiegen ein, und Mr. Pickwick erklomm den Bock.

„Nun, Glanz-Willem“, sagte der Stallknecht zu seinem Adjunkten, „gib dem Herrn die Zügel.“

Der Glanz-Willem, wahrscheinlich wegen seines angepappten Haares und seines fettschimmernden Gesichtes so genannt, legte die Zügel in Mr. Pickwicks linke Hand, und der Stallknecht drückte ihm die Peitsche in die rechte.

„Brrr!“ rief Mr. Pickwick, als der gigantische Vierfüßler eine entschiedene Neigung an den Tag legte, den Wagen nach rückwärts in die Fenster des Gastzimmers zu drängen.

„Brrr!“ wiederholten Mr. Snodgraß und Mr. Tupman aus dem Wagen.

„’s is bloß Stallfeuer, Sir“, sagte der Oberstallknecht ermutigend. „Halt ihn fest, Willem!“

Der Adjunkt tat der Lebhaftigkeit des Tieres Einhalt, und der Stallknecht trat zu Mr. Winkle, um ihm beim Aufsteigen behilflich zu sein.

„Auf der ändern Seite, Sir, wenn’s gefällig ist“, sagte er.

„Mir scheint, gar, der Herr steigt rechts auf“, murmelte grinsend ein Postknecht zur unendlichen Erheiterung des Kellners.

So belehrt, kletterte Mr. Winkle in den Sattel, ungefähr mit der Leichtigkeit, mit der er seitlich an einem Linienschiff aufgeentert wäre.

„Alles in Ordnung?“ fragte Mr. Pickwick mit einem dunkeln Vorgefühl, daß die Verwirrung jetzt erst recht losgehen würde.

„Alles in Ordnung!“ antwortete Mr. Winkle mit beklommener Stimme.

„Also fertig!“ sagte der Stallknecht. „Nur die Zügel nicht loslassen, Sir.“

Und fort rollte der Wagen, und fort sprengte Mr. Winkle, zum größten Gaudium des ganzen dienenden Gasthofpersonals.

„Warum geht er denn immer seitwärts?“ rief Mr. Snodgraß im Wagen Mr. Winkle im Sattel zu.

„Es ist mir unerklärlich“, erwiderte Mr. Winkle, dessen Pferd in der seltsamsten Weise, den Kopf nach der einen und den Schweif nach der ändern Seite der Straße gekehrt, einhertraversierte.

Mr. Pickwick hatte keine Zeit, dies oder sonst irgend etwas zu beachten, da seine gesamten körperlichen und geistigen Fähigkeiten auf die Zügelung seines eignen Pferdes konzentriert waren, das die sonderbarsten Eigenschaften entfaltete, die zwar für jeden Zuschauer äußerst interessant, für die Insassen des Wagens aber nicht im gleichen Maße unterhaltend waren. Abgesehen davon, daß es auf eine höchst lästige und für Mr. Pickwick sehr peinliche Weise den Kopf beständig in die Höhe warf und sich so stark in die Zügel legte, daß der Gelehrte sie kaum festzuhalten vermochte, zeigte es auch eine sonderbare Neigung, bald plötzlich einen Seitensprung zu machen, bald ebenso plötzlich wieder stillzustehen und dann wieder etliche Minuten hindurch so rasch davonzurasen, daß an ein Halten nicht zu denken war.

„Was will es denn eigentlich nur?“ sagte Mr. Snodgraß, als das Pferd dieses Manöver zum zwanzigsten Male wiederholte.

„Das weiß der Himmel!“ versetzte Mr. Tupman. „Es hat ganz den Anschein, als ob es scheute. Meinen sie nicht auch?“

Mr. Snodgraß ‚hatte eine Antwort auf der Zunge, als er durch den Ausruf Mr. Pickwicks: „O Gott, ich habe die Peitsche verloren!“ unterbrochen wurde.

„Heda!“ rief Mr. Snodgraß, als Mr. Winkle auf seinem hohen Roß herantrabte, den Hut über die Ohren gezogen und von der heftigen Bewegung ganz zusammengeschüttelt. „Ach, lieber Winkle, bitte, heben Sie doch die Peitsche auf!“

Mr. Winkle ruderte mit den Zügeln, bis er ganz blau im Gesicht war, und als es ihm endlich gelang, das Schlachtroß zum Stehen zu bringen, stieg er ab, reichte Mr. Pickwick die Peitsche und schickte sich an, wieder aufzusteigen.

Ob nun das Riesentier bei seinem Übermaß an Temperament ein Verlangen fühlte, sich mit Mr. Winkle einen kleinen unschuldigen Scherz zu erlauben, oder ob es ihm plötzlich einfiel, daß es die Reise zu seinem Vergnügen ebensogut ohne Reiter vollenden könnte – sind Fragen, die wir natürlich nicht mit Bestimmtheit zu beantworten imstande sind. So viel ist jedenfalls gewiß, daß, welche Beweggründe auch in seiner Seele wirkten, Mr. Winkle kaum den Fuß in den Steigbügel gesetzt hatte, als es durch eine rasche Bewegung die Zügel über den Kopf schnellte und um ihre volle Länge zurückwich.

„Ruhig, ruhig, mein gutes Tier“, rief Mr. Winkle besänftigend, „komm, gutes altes Pferd!“

Allein „das gute Tier“ war taub gegen Schmeichelei. Je mehr sich Mr. Winkle bemühte, sich ihm zu nähern, desto mehr wich es zurück, allen. Kosenamen, zum Trotz. Wohl zehn Minuten drehten sich Mr. Winkle und das Pferd im Kreise herum und waren nach dieser Zeit noch ebenso weit voneinander entfernt wie bei Beginn – eine höchst peinliche Sache in Anbetracht des Umstandes, daß auf der einsamen Landstraße auf Beistand nicht zu rechnen war.

„Was soll ich nur tun?“ rief Mr. Winkle, nachdem er seine Experimente noch eine geraume Zeit vergeblich fortgesetzt hatte. „Ich kann dem Luder nicht beikommen.“

„Sie werden wohl am besten tun, es zu führen, bis wir zu einem Schlagbaum kommen“, riet ihm Mr. Pickwick.

„Aber wenn es nicht geht!“ rief Mr. Winkle zurück. „Kommen Sie doch und halten Sie es.“

Mr. Pickwick, immer die Güte und Gefälligkeit selbst, warf seinem Gaul die Zügel über den Rücken, stieg vom Bocke und eilte, Mr. Snodgraß und Mr. Tupman im Wagen zurücklassend, seinem unglücklichen Gefährten zu Hilfe.

Kaum sah jedoch das Reitpferd Mr. Pickwick mit der Peitsche in der Hand herankommen, als es seine vorher kreisende Bewegung in eine so entschieden retrograde verwandelte, daß es Mr. Winkle, der immer noch das Ende der Zügel festhielt, fast im Trabe mit sich fortriß. – Mr. Pickwick wollte ihm zu Hilfe eilen, doch je schneller er vorwärts lief, desto schneller ging das Pferd rückwärts. Es scharrte dabei mit den Hufen, wühlte den Staub auf, und endlich mußte Mr. Winkle, dem die Arme fast ausgerissen wurden, die Zügel fahrenlassen. Das Pferd stutzte, schüttelte den Kopf, machte kehrt, trabte ruhig nach Rochester zurück und überließ es Mr. Winkle und Mr. Pickwick, sich gegenseitig in stummer Bestürzung anzustarren. Ein rasselndes Geräusch in einer kleinen Entfernung erregte jetzt ihre Aufmerksamkeit. Sie blickten auf.

„Gott steh mir bei!“ rief Mr. Pickwick, außer sich vor Entsetzen. „Jetzt, geht auch das andre durch.“

Es war nur zu wahr. Das sich selbst überlassene Tier, durch den Lärm erschreckt, jagte mit dem Wagen davon. Mr. Tupman sprang in die Hecke, Mr. Snodgraß folgte seinem Beispiel, und das Pferd schmetterte den Wagen an ein Brückengeländer, daß die Räder von den Achsen fielen und der Kutschkasten von dem Bock getrennt wurde. Dann blieb es stehen und betrachtete mit Seelenruhe die Verheerung, die es angerichtet hatte.

Die erste Sorge Mr. Pickwicks und Mr. Winkles war natürlich, ihren unglücklichen Freunden beizuspringen, wobei sie sich zu ihrer großen Beruhigung davon überzeugten, daß es nur ein paar Risse an den Kleidern und Hautabschürfungen gesetzt hatte. Dann war das Pferd aus seinem Geschirr zu entwirren. – Nach Beendigung dieses komplizierten Geschäftes gingen sie langsam weiter, das Roß am Zaum mit sich führend, und überließen den Wagen seinem Schicksal.

Nach Verlauf einer Stunde erreichten sie ein kleines Wirtshaus, vor dem zwei Ulmen, eine Krippe und ein Pfahl mit einem Schilde standen, dahinter ein kleiner zusammengestürzter Heuschober und daneben ein Küchengarten. Baufällige Scheunen und Nebenbauten zierten die Aussicht. Im Garten arbeitete ein rothaariger Mann.

„He, Sie da! Hallo!“ rief Mr. Pickwick.

Der Rotkopf richtete sich auf, hielt die Hand über die Augen und starrte Mr. Pickwick und seine Gefährten eine geraume Weile gleichgültig an.

„Hallo!“ wiederholte Mr. Pickwick.

„Hallo!“ war die Antwort des Rotkopfs.

„Wie weit ist es bis nach Dingley Dell?“

„So um sieben Meilen rum.“

„Ist der Weg gut?“

„Nein.“

Nach dieser kurzen Antwort fing der rotköpfige Mann gleichgültig wieder an zu arbeiten.

„Wir möchten gern dieses Pferd hier einstellen; das geht doch hoffentlich – wie?“ fragte Mr. Pickwick.

„Das Pferd einstellen möchten Sie, ja?“ wiederholte der Rotkopf, wobei er sich auf seinen Spaten lehnte.

„Ja, natürlich“, erwiderte Mr. Pickwick, der sich unterdessen, das Tier am Zaum, der Gartentür genähert hatte.

„Frau!“ brüllte der Rotkopf, aus dem Garten tretend und das Pferd scharf ins Auge fassend. „Frau!“

Ein großes knochiges Frauenzimmer in einer groben blauen Kittelschürze, deren Taille nur ein paar Zoll unter den Achseln saß, trat aus dem Haus.

„Könnten wir wohl dieses Pferd hier einstellen, gute Frau?“ fragte Mr. Tupman und näherte sich ihr mit verführerischem Lächeln. Die Frau betrachtete unfreundlich die ganze Gruppe, und der Rotkopf flüsterte ihr etwas ins Ohr.

„Nein“, antwortete sie nach einiger Überlegung, „da hab ich Angst vor.“

„Angst?“ rief Mr. Pickwick aus. „Wovor hat die Frau Angst?“

„Letztes Mal haben wir ärger davon gehabt“, sagte die Frau und ging wieder in das Haus zurück. „Ich will damit nichts zu kriegen haben.“

„So etwas ist mir doch in meinem Leben noch nicht vorgekommen!“ sagte Mr. Pickwick höchst verwundert.

„Ich – ich glaube wirklich“, flüsterte Mr. Winkle seinen Freunden zu, „die Leute denken am Ende gar, wir sind auf unehrliche Weise zu dem Pferd gekommen.“

„Wie?“ rief Mr. Pickwick höchlichst entrüstet aus.

Mr. Winkle wiederholte bescheiden seine Vermutung.

„Heda, Sie, Bursche“, sagte Mr. Pickwick zornig, „glauben Sie vielleicht, wir hätten das Pferd gestohlen?“

„Na, was denn sonst“, erwiderte der Rotkopf mit einem Grinsen von einem Ohr bis zum ändern. Dann begab er sich gleichfalls ins Haus und schlug die Tür hinter sich zu.

„Es ist wie ein Traum, wie ein abscheulicher Traum!“ stöhnte Mr. Pickwick. „Sich den ganzen Tag mit dem widerwärtigen Gaul abschleppen zu müssen und ihn nicht einmal loswerden zu können!“

Deprimiert setzten die Pickwickier ihre Wanderung fort, das gewaltige Schlachtroß haßerfüllt immer am Halfter hinter sich herziehend.

Es war bereits spät am Nachmittag, als die vier Freunde mit ihrem vierfüßigen Gefährten in den nach Manor Farm führenden Seitenweg einbogen; aber das Vergnügen, endlich in der Nähe ihres Bestimmungsortes zu sein, das sie sonst

wohl empfunden hätten, wurde ihnen durch den Gedanken an ihren lächerlichen Aufzug arg verleidet. Zerfetzte Kleider, zerkratzte Gesichter, bestaubte Schuhe, erschöpftes Aussehen, und dazu noch das verdammte Pferd. O wie Mr. Pickwick das Tier zu allen Teufeln wünschte! Schon lange hatte er das edle Roß von Zeit zu Zeit mit Blicken des Hasses und der Rachsucht angesehen und mehr als einmal im Geiste überschlagen, wieviel es ihm kosten könnte, wenn er ihm den Hals abschnitte, und mit zehnfach stärkerer Gewalt kam jetzt die Versuchung über ihn, es entweder umzubringen oder in die weite Welt laufen zu lassen. Das plötzliche Erscheinen zweier Gestalten in einer Biegung des Weges weckte ihn aus seinem unheilschwangeren Brüten. Es waren Mr. Wardle und sein treuer Gefährte, der fette Junge.

„Ach Gott, wo haben Sie so lange gesteckt?“ rief der gastfreundliche alte Herr. „Den ganzen Tag haben wir auf Sie gewartet. Und wie strapaziert Sie aussehen! – Was? Schrammen im Gesicht? Doch nicht verletzt, will ich hoffen? Nein? Freue mich sehr, das zu hören. Umgeworfen? – Machen Sie sich nichts draus! – Kommt oft in unsrer Gegend vor. – Joe! – Schläft er schon wieder! – Joe, nimm dem Herrn das Pferd ab und bring es in den Stall!“

Der fette Junge zottelte langsam mit dem Gaul hinterher, und Mr. Wardle bedauerte in schlichten Worten seine Gäste wegen ihrer Abenteuer – das heißt wegen dessen, was sie ihm darüber erzählten. Sodann führte er sie in die Küche.

„Hier wollen wir Sie zunächst mal ein wenig in Ordnung bringen“, sagte der alte Herr, „und Sie dann zu der Gesellschaft in das Wohnzimmer führen. Emma, den Kirschgeist! Jane, Nähnadel und Zwirn! Marie, Waschwasser und Handtücher! Flink, Mädels, rasch, rasch!“

Drei oder vier handfeste Mägde eilten sogleich, um die verschiedenen Requisiten herbeizuschaffen, während zwei männliche Dienstboten mit dicken Köpfen und kreisrunden Gesichtern von ihren Sitzen in der Kaminecke – wo sie, obgleich es Mai war, verfroren am Feuer hockten, wie zu Weihnachten – aufstanden und in dunkeln Winkeln verschwanden, aus denen sie bald nachher mit einem halben Dutzend Bürsten und Schuhwichse wieder auftauchten.

„Tummelt euch!“ sagte der alte Herr nochmals.

Es bedurfte jedoch dieser Mahnung nicht, denn die eine Magd schenkte bereits Kirschgeist ein, eine andre brachte Handtücher, und einer der Diener packte Mr. Pickwick am Bein, auf die Gefahr hin, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, und fing an, ihm dermaßen die Stiefel zu bürsten, daß dem Gelehrten die Hühneraugen glühten, während der andre Mr. Winkle mit einer mächtigen Kleiderbürste bearbeitete und bei dieser Operation den zischenden Ton von sich gab, den Stallknechte gewöhnlich hören lassen, wenn sie ein Pferd abreiben.

Nachdem Mr. Snodgraß seine Waschungen beendet hatte, stellte er sich mit dem Rücken an das Feuer und überschaute, behaglich seinen Kirschgeist schlürfend, die Küche. Er beschreibt sie als einen großen, mit Backsteinen gepflasterten und mit einem breiten Kamin versehenen Raum, die Decke verziert, mit Girlanden von Schinken, Speckseiten und Zwiebelzöpfen, die Wände mit Hetzpeitschen, Riemen, Bügeln, einem Sattel und einer alten verrosteten Donnerbüchse mit der Anschrift: „Geladen!“ In der einen Ecke tickte eine ehrwürdige alte Wanduhr, und eine silberne von gleichem Alter hing an einem der vielen Haken über dem Anrichttische.

„Fertig?“ fragte der alte Herr, als seine Gäste gewaschen, geflickt, gebürstet und mit Branntwein erquickt waren.,

„Stehen zu Diensten“, versetzte Mr. Pickwick.

„Dann bitte ich Sie, mit mir zu kommen“, fuhr Mr. Wardle fort und führte seine Gäste durch mehrere dunkle Gänge in das Wohnzimmer, gefolgt von Mr. Tupman, der einige Augenblicke gezögert hatte, um von Emma einen Kuß zu erhaschen, wofür er gebührend durch heftiges Zurückstoßen und Kratzen gezüchtigt worden war.

„Willkommen“, rief der gastfreundliche alte Herr, die Tür öffnend und eintretend, um die Herren anzumelden. „Willkommen, Gentlemen, in Manor Farm!“

Einundfünfzigstes Kapitel


Einundfünfzigstes Kapitel

Enthält einige nähere Umstände betreffs des eben erwähnten Klopfens und unter anderem auch interessante, bedeutsame Aufschlüsse in bezug auf Mr. Snodgraß und eine junge Dame.

Die Erscheinung, die sich den Blicken des erstaunten Schreibers darbot, war ein junger, auffallend dicker, livrierter Bursche, der kerzengerade und mit geschlossenen Augen dastand, als ob er im Stehen schliefe. Mr. Lowten hatte noch nie einen so fetten Burschen im Leben gesehen, und dies, verbunden mit der beispiellosen Ruhe und Gelassenheit seiner Erscheinung, entsprach so wenig dem Bilde, das er sich von der Person gemacht, die so stürmisch angeklopft, daß er in die größte Verwunderung geriet.

„Was gibt’s denn?“ fragte er verblüfft.

Der seltsame Bursche erwiderte darauf kein Wort, sondern nickte bloß, und Mr. Lowten hatte den Eindruck, als ob er leise schnarche. „Warum, zum Teufel, haben Sie denn auf eine solche Weise geklopft?“

„Auf was für eine Weise?“ fragte der Bursche mit schläfriger Stimme.

„Gerade wie vierzig Mietkutscher“, erwiderte der Schreiber ärgerlich.

„Weil mein Herr gesagt hat, ich solle in einem fort klopfen, bis die Tür geöffnet würde, damit ich nicht einschliefe.“

„Gut, und was sollen Sie denn hier?“ verhörte der Schreiber.

„Er ist unten“, lallte der Bursche.

„Wer?“

„Mein Herr. Er will wissen, ob Sie zu Hause sind.“

Lowten ging ans Fenster und sah hinaus. Als er einen wohlbeleibten alten Herrn in einem offenen Wagen unten erbückte, der sehr unruhig heraufschaute, winkte er ihm, und ein paar Minuten darauf erschien der Gentleman in Gestalt des alten Mr. Wardle in der Kanzlei, grüßte flüchtig und ging direkt in Mr. Perkers Zimmer.

„Ah, Pickwick“, rief der alte Herr. „Deine Hand, lieber Freund. Denk dir, erst gestern habe ich gehört, daß du dich ins Gefängnis sperren ließest. Warum haben Sie es zugegeben, Perker?“

„Ich bin unschuldig, mein lieber Herr“, erwiderte Perker mit einem Lächeln und nahm eine Prise. „Sie wissen ja, wie eigensinnig er ist.“

„Jaja, das weiß ich“, versetzte der alte Herr. „Aber dessenungeachtet freut es mich herzlich, ihn wiederzusehen. Ich werde ihn auch sobald nicht wieder aus den Augen lassen.“

Mit diesen Worten schüttelte Wardle Mr. Pickwick aber mals die Hand und warf sich in einen Lehnstuhl. Sein lustiges rotes Gesicht glänzte wie gewöhnlich vor Freude und Gesundheit.

„Na, was sagst du zu der kleinen schwarzäugigen Hexe?“ platzte er urplötzlich heraus. „Ich hatte selbst große Lust, sie gelegentlich zu heiraten. – Na, ’s ist anders gekommen. Bin auch so zufrieden. Freue mich herzlich darüber.“

„Wie hast du es denn erfahren?“ fragte Mr. Pickwick.

„Natürlich durch meine Mädchen. Arabella schrieb vorgestern, sie habe heimlich und ohne Einwilligung ihres Schwiegervaters geheiratet, und du seiest fortgereist, um seine Einwilligung zu etwas einzuholen, was er nun einmal nicht mehr ändern könne. Ich hielt das für eine sehr passende Gelegenheit, ein paar ernste Worte an meine Mädchen zu richten, und sagte ihnen, was es für eine schreckliche Sache sei, wenn Kinder ohne Erlaubnis ihrer Eltern heiraten, und so weiter. Aber es machte nicht den geringsten Eindruck auf sie. Sie fanden es nur schrecklich, daß die Hochzeit ohne Brautjungfern vor sich gegangen sei.“

Der alte Herr hielt inne und lachte herzlich.

„Das ist aber noch lange nicht alles, kaum die Hälfte von den Liebeshändeln und Komplotten, die gegenwärtig vor sich gehen“, fuhr er fort. „Wir sind in den letzten sechs Monaten auf Minen gewandelt, und jetzt sind sie endlich in die Luft geflogen.“

„Was meinst du damit?“ rief Mr. Pickwick erbleichend. „Hoffentlich doch keine zweite heimliche Heirat?“

„Nein, nein“, erwiderte der alte Wardle, „so schlimm steht’s nicht.“

„Aber was ist’s denn? So sprich doch! Bin ich vielleicht auch darein verwickelt?“

„Soll ich die Frage beantworten, Perker?“ fragte Wardle.

„Wenn Sie sich nicht dadurch kompromittieren, mein lieber Herr.“

„Na, also gut. – Ja, allerdings.“

„Wieso?“ fragte Mr. Pickwick ängstlich. „Inwiefern?“

„Weißt du“, erwiderte Wardle, „du bist ein so hitzköpfiges junges Blut, daß ich mich beinah fürchte, es dir zu sagen; doch wenn Perker sich zwischen uns setzt, um Unheil zu verhüten, so will ich es wagen. – Also die Sache ist die. Meine Tochter Bella – du weißt doch – die den jungen Trundle geheiratet hat?“

„Jaja, das wissen wir alles“, sagte Mr. Pickwick ungeduldig.

„Mache mir nur nicht gleich im Anfang angst, hörst du? Also meine Tochter Bella setzte sich, nachdem Emilie, die mir Arabellas Brief vorgelesen, mit Kopfschmerzen zu Bett gegangen war, vorgestern abend an meine Seite und ring an, von dieser Heiratsgeschichte zu sprechen. ,Nun, lieber Papa‘, sagte sie, ,was hältst du von der Sache?‘ – ,Ei, liebes Kind‘, antwortete ich, ,ich denke, es kann noch ganz gut werden; ich hoffe das Beste.‘ Ich antwortete so, weil ich gerade vor dem Feuer saß, etwas gedankenvoll meinen Grog trank und wußte, daß sie weitersprechen würde, wenn ich nur dann und wann, ein Wort dazwischenwürfe. Meine Mädchen sind beide die getreuen Abbilder ihrer seligen Mutter, und jetzt, wo ich alt werde, sitze ich gerne bei ihnen, und ihre Stimmen und ihre Blicke führen mich in die glücklichste Periode meines Lebens zurück und machen midi für den Augenblick wieder so jung, wie ich damals war, wenn auch nicht wieder so leichtfüßig. ,Es ist eine Neigungsheirat‘, sagte Bella nach einer Pause. Ja, liebes Kind‘, erwiderte ich, ,allein solche Ehen sind nicht immer die glücklichsten.'“

„Das bestreite ich“, fiel Mr. Pickwick mit Wärme ein.

„Na ja“, antwortete Wardle, „bestreite, was du willst, aber laß mich doch nur ausreden.“

„Pardon.“

„Na gut“, fuhr Wardle fort. „,Es tut mir leid, daß du gegen Neigungsheiraten bist, Papa‘, sagte Bella und verfärbte sich ein wenig. ,Ich hatte unrecht, ich hätte das nicht sagen sollen, liebes Kind‘, antwortete ich und tätschelte sie so freundlich auf die Wange, wie es ein altes Rauhbein wie ich nur tun kann, ,deine Mutter hat ja auch aus Neigung geheiratet, und du ebenfalls.‘ – ,Das meinte ich eigentlich nicht, Papa‘, drückte Bella herum. ,Ich – ich – ich wollte eigentlich mit dir über Emilie sprechen.'“

Mr. Pickwick erschrak.

„Na, was ist denn?“ fragte Wardle und hielt in seiner Erzählung inne.

„Nichts, nichts“, erwiderte Mr. Pickwick, „bitte, fahre nur fort.“

„Ich habe nie eine Geschichte gehörig von Anfang an erzählen können“, sagte Wardle. „Früher oder später muß es doch heraus, und wenn es auf einmal kommt, erspart man viel Zeit. Also kurz und gut: Bella faßte sich endlich ein Herz und gestand mir, Emilie sei höchst unglücklich; sie und dein junger Freund Snodgraß hätten seit Weihnachten in fortwährendem Briefwechsel miteinander gestanden, und sie habe pflichtgetreu beschlossen, in lobenswerter Nachahmung des Beispiels ihrer alten Schulfreundin, davonzulaufen. Inzwischen habe sie jedoch Gewissensbisse empfunden, da ich von jeher gut zu ihr gewesen sei, und so wäre denn beschlossen worden, mir die Ehre zu erweisen, mich zu fragen, ob ich nichts dagegen einzuwenden habe, daß sie einander auf die gewöhnliche alltägliche Art heiraten. So stehen die Sachen, und wenn es dir möglich ist, lieber Pickwick, deine Augen wieder auf die normale Größe zu reduzieren und mir dann einen guten Rat zu erteilen, so werde ich mich dir sehr verpflichtet fühlen.“

Der etwas wunderliche Schluß des guten alten Herrn war ziemlich berechtigt, denn Mr. Pickwicks Gesicht hatte einen seltenen Grad von Verwunderung und Erstaunen angenommen.

„Snodgraß? – Seit Weihnachten?“ waren die ersten Worte, die über seine Lippen kamen.

„Allerdings. Seit Weihnachten. Und wir müssen sehr schlechte Brillen aufgehabt haben, daß wir nicht schon früher etwas gemerkt haben.“ „Es ist mir rein unbegreiflich“, meinte Mr. Pickwick nachdenklich, „rein unbegreiflich.“

„Die Sache ist nicht so unbegreiflich“, erwiderte der alte Herr. „Wärest du jünger, wüßtest du sie wahrscheinlich längst, und außerdem“, fügte Mr. Wardle nach einem kurzen Zögern hinzu, „muß ich gestehen, daß ich seit den letzten vier oder fünf Monaten Emilie einigermaßen gedrängt habe, die Bewerbungen eines jungen Mannes unserer Nachbarschaft anzunehmen, selbstverständlich nur, wenn sie ihn glaubte lieben zu können, denn ich würde meine Tochter nie zu einer Ehe gezwungen haben. Ich zweifle nicht, daß sie nach Mädchenart, um ihren eigenen Wert zu erhöhen und das Liebesfeuer des Mr. Snodgraß noch mehr anzuschüren, ihm die Sachen in den glühendsten Farben vorgestellt hat, und daß sie auf diesem Wege zu dem Entschluß gelangt sind, sie seien schrecklich verfolgte unglückliche Menschenkinder, denen gar nichts mehr übrigbliebe, als heimlich zu heiraten oder sich mit Kohlengas umzubringen. – Jetzt fragt es sich also bloß, was ist zu tun?“

„Was hast du denn getan?“ fragte Mr. Pickwick.

„Ich?“

„Ja, ich meine, was du getan hast, als deine verheiratete Tochter dir diese Mitteilung machte.“

„Na, natürlich einen dummen Streich.“

„Das glaube ich“, fiel Perker ein, der dieses Zwiegespräch mit wiederholtem Zupfen an .seiner Uhrkette, grimmigem Reiben seiner Nase und andern Symptomen von Ungeduld begleitet hatte. – „Das ist ganz natürlich; aber erklären Sie sich näher.“

„Ich geriet so in Zorn, daß meine Mutter vor lauter Angst einen Krampfanfall bekam.“

„Das war sehr gescheit“, bemerkte Perker. „Und was weiter, mein lieber Herr?“

„Ich tobte den ganzen folgenden Tag und machte gewaltigen Lärm im Haus. Schließlich wurde es mir aber zu dumm, mich und andre zu ärgern, und ich nahm daher in Muggleton einen Wagen, spannte meine eigenen Pferde davor und fuhr unter dem Vorwand, Emilie sollte Arabella besuchen, nach London.“

„Emilie ist also auch hier?“ fragte Mr. Pickwick.

„Freilich“, erwiderte Wardle, „und zwar in ,Osbornes Hotel‘ in Adelphi, wenn nicht dein unternehmender Freund diesen Morgen mit ihr davongelaufen ist, während wir hier schwatzen.“

„Sie sind also wieder versöhnt?“ fragte Perker.

„Nicht die Spur. Sie hat die ganze Zeit über Gesichter geschnitten und geweint, ausgenommen gestern abend zwischen dem Tee und dem Abendessen, wo sie sehr ostentativ einen Brief schrieb, was ich aber natürlich nicht bemerkte.“

„Sie wünschen also wohl meinen Rat in dieser Sache zu hören?“ fragte Perker und nahm schnell hintereinander mehrere Prisen von seinem Lieblingsstimulans.

„Na ja – was meinst du?“ sagte Mr. Wardle und blickte Mr. Pickwick fragend an.

„Nun gut“, sagte Perker, stand auf und schob seinen Stuhl zurück, „mein Rat ist der, daß Sie beide jetzt miteinander fortgehen oder –fahren oder sich auf irgendeine Art fortmachen und die Sache zusammen überlegen, denn ich bin Ihrer ein bißchen müde. Haben Sie, bis wir uns das nächste Mal wiedersehen, einen Entschluß gefaßt, so will ich sagen, was zu tun ist.“

„Wahrhaftig, ein köstlicher Rat!“ versetzte Wardle, der nicht recht wußte, ob er lächeln oder beleidigt sein sollte.

„Ach was, mein lieber Herr“, erwiderte Perker, „ich kenne Sie beide besser, als Sie sich selbst. Sie haben Ihren Entschluß ja doch innerlich schon gefaßt.“

Dabei stieß der kleine Anwalt seine Schnupftabaksdose zuerst Mr. Pickwick auf die Brust und dann Mr. Wardle gegen die Weste, und dann lachten alle drei und schüttelten sich ohne besonderen Grund unaufhörlich die Hände.

„Sie speisen doch mit mir zu Mittag?“ fragte Wardle Mr. Perker, als sie zusammen hinausgingen.

„Kann’s nicht versprechen, mein lieber Herr, kann’s nicht versprechen“, erwiderte Perker. „Indes werde ich mich jedenfalls abends für ein paar Minuten einstellen.“

„Also gut, ich erwarte Sie um fünf Uhr“, sagte Wardle. „Hallo, Joe!“

Nachdem Joe glücklich aufgerüttelt war, fuhren die beiden Freunde in den „Georg und Geier“. Arabella war, als sie von Emiliens Ankunft in London erfahren, schnurstracks nach Adelphi gefahren, und da Mr. Wardle Geschäfte in der City hatte, schickte er den Wagen mit dem fetten Burschen in sein Hotel und ließ sagen, daß er und Mr. Pickwick um fünf Uhr mitsammen zum Mittagessen kommen würden.

Sei es nun, daß die Stöße des Wagens auf dem holprigen Pflaster die Geisteskräfte des fetten Jungen verwirrt oder eine solche Menge neuer Ideen in ihm erweckt hatten, daß er die gewöhnlichen Umgangsformen darüber vergaß, oder daß sie sein Einschlafen beim Ersteigen der Treppen nicht zu verhindern vermocht hatten, soviel ist gewiß, daß er, ohne vorher anzuklopfen, direkt ins Besuchszimmer trat und daselbst einen Gentleman erblickte, der seinen Arm um den Leib der Tochter seines Gebieters geschlungen hielt und sehr verliebt neben ihr auf einem Sofa saß, indes Arabella und ihr hübsches Dienstmädchen sich stellten, als ob sie interessiert zum Fenster hinaussähen. Beim Anblick dieses Phänomens stieß der fette Bursche einen Ruf der Verwunderung aus, die Damen schrien laut auf und der Herr fluchte. – Alles zu gleicher Zeit. „Du Tölpel, was willst du hier?“ rief der Herr, der natürlich Mr. Snodgraß war.

Der fette Junge war vor Schrecken völlig sprachlos und starrte nur Emilie an.

„Was willst du denn von mir, du dummer Kerl?“ fragte Emilie und wendete das Gesicht ab.

„Der Herr und Mr. Pickwick kommen um fünf Uhr zum Essen“, stotterte der fette Bursche.

„Mach, daß du hinauskommst“, rief Mr. Snodgraß mit wildem Blick.

„Nein, nein!“ fiel Emilie hastig ein. „Rate mir doch, liebe Bella.“

Emilie, Mr. Snodgraß, Arabella und Mary steckten sodann die Köpfe zusammen und flüsterten mehrere Minuten lang eifrig miteinander.

„Joe“, sagte Arabella endlich und wendete sich mit ihrem bezauberndsten Lächeln an den fetten Jungen, „wie geht es dir, Joe?“

„Joe“, lobte Emilie, „du bist wirklich ein ganz vortrefflicher Junge.“

„Ach, du bist’s, Joe“, rief Mr. Snodgraß, „ich habe dich vorhin gar nicht erkannt. Da hast du fünf Schilling, Joe.“

„Und von mir auch fünf“, sagte Arabella, „du weißt, weil wir alte Bekannte sind.“ Und wieder verschwendete sie ein berückendes Lächeln an den beleibten Eindringling.

Da die Fassungskraft des fetten Jungen etwas langsam war, machte er bei den unerwarteten Gunstbezeigungen ein höchst verdutztes Gesicht und stierte auf eine wirklich beunruhigende Weise um sich. Endlich begann sein dickes Gesicht Symptome eines Grinsens von verhältnismäßig breiten Dimensionen zu zeigen; er versenkte in jede seiner beiden Seitentaschen eine halbe Krone und brach in ein fettes Glucksen aus. „Ich sehe schon, er versteht uns!“ sagte Arabella.

„Er muß sogleich etwas zu essen bekommen“, bemerkte Emilie besorgt.

„Ich will mit Ihnen zu Mittag essen, Sir, wenn Sie nichts dagegen haben“, sagte Mary.

„Jaja, kommen Sie“, grinste der fette Bursche vergnügt. „Es ist ganz famose Fleischpastete da.“ Mit diesen Worten ging er mit ihr animiert die Treppe hinunter.

Die Fleischpastete, von der Joe so gefühlvoll gesprochen, stand auf dem Tisch, samt einem Stück Roastbeef, einer Schüssel Kartoffeln und einem Krug Porter. – Beide setzten sich.

„Wollen Sie auch etwas?“ fragte der fette Junge und versenkte Messer und Gabel bis ans Heft in die Pastete.

„Ein bißchen, wenn ich bitten darf“, erwiderte Mary.

Joe legte Mary eine kleine, sich selbst aber eine sehr große Portion vor und war eben im Begriff, mit dem Essen zu beginnen, als er auf einmal Messer und Gabel niederlegte, sich in seinem Stuhl vorwärtsbeugte und sehr langsam sagte:

„Herrschaft, wie hübsch Sie sind!“

„Aber Mr. Joseph“, zierte sich Mary und stellte sich, als ob sie errötete. „Aber gehen Sie.“

Der fette Junge, der allmählich seine frühere Stellung wieder eingenommen hatte, antwortete nur mit einem tiefen Seufzer, blieb einige Augenblicke in Gedanken versunken und tat dann einen langen Zug aus dem Porterkruge. Dann seufzte er wieder und machte sich mit großem Eifer über die Pastete her.

„Was für eine feine nette junge Dame doch Miß Emilie ist!“ begann Mary nach langem Schweigen.

Der fette Junge war indessen mit der Pastete fertig geworden. Er heftete seine Augen auf Mary und erwiderte:

„Ich kenne noch eine nettere.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich“, erwiderte der fette Junge mit ungewohnter Lebhaftigkeit.

„Wie heißt sie denn?“

„Wie heißen Sie?“

„Mary.“

„So heißt sie auch“, sagte der fette Junge. „Sie sind es selbst.“

Dabei grinste er, um seinem Kompliment mehr Nachdruck zu geben, und verdrehte seine Augen auf eine höchst wunderliche Art, was wahrscheinlich ein Liebäugeln bedeuten sollte.

„Aber gehen Sie, Sie Schlimmer“, sagte Mary. „Es ist Ihnen ja doch nicht Ernst.“

„So? Meinen Sie?“ erwiderte der fette Bursche. „Ich sage Ihnen …“

„Nun?“

„Kommen Sie gewöhnlich hierher?“

„Nein“, antwortete Mary und schüttelte den Kopf. „Ich gehe noch heute abend wieder fort. – Aber warum?“

„Oh!“ rief Joe gefühlvoll. „Was für eine angenehme Gesellschaft hätten wir beim Essen aneinander gehabt, wenn Sie dageblieben wären!“

„Vielleicht komme ich hie und da, um nach Ihnen zu sehen“, sagte Mary und legte mit erkünstelter Sprödigkeit ihre Serviette zusammen. „Aber Sie müssen mir einen Gefallen tun.“

Der fette Junge blickte von der Pastetenschüssel auf das Roastbeef, offenbar in dem Glauben, eine Gefälligkeit müsse unbedingt etwas mit Essen zu tun haben, zog dann eine seiner beiden halben Kronen heraus und schaute sie mit großem Behagen an.

„Verstehen Sie, was ich meine?“ fragte Mary mit einem koketten Blick.

Abermals betrachtete Joe seine halbe Krone und sagte mit schwacher Stimme:

„Nein.“

„Die Damen bitten Sie, Mr. Wardle nichts von dem jungen Herrn zu sagen, der oben war, und ich bitte Sie auch darum.“

„Ist das alles?“ fragte der fette Junge und schob erleichtert das Geldstück wieder ein. „Ich will gewiß nichts sagen.“

„Wissen Sie“, fuhr Mary fort, „Mr. Snodgraß ist sehr verliebt in Miß Emilie, und Miß Emilie in ihn, und wenn Sie etwas davon ausplauderten, würde der alte Herr sie viele Meilen weit in eine Gegend fortschaffen, wo sie einander niemals wieder zu Gesicht bekämen.“

„Nein, nein, ich sag gewiß nichts“, beteuerte der fette Junge.

„So ist’s recht“, lobte Mary. „Jetzt muß ich aber nach oben gehen und meine Herrschaft zum Diner ankleiden helfen.“

„Ach, bleiben Sie doch noch ein bissel!“ drängte der fette Junge.

„Ich muß“, erwiderte Mary. „Adje. Auf Wiedersehen!“ Mit Elefantengrazie streckte der fette Junge seine Arme aus, um ihr einen Kuß zu rauben; da es aber keiner großen Gewandtheit bedurfte, ihm auszuweichen, so war seine schöne Herzensbezwingerin verschwunden, ehe er sie wieder sinken ließ, worauf er voll Gleichmut noch ein Pfund Roastbeef mit sentimentalem Gesicht verzehrte und dann fest einschlief.

Die jungen Leute oben hatten sich noch so viel zu sagen, und es waren so viele Flucht- und heimliche Trauungspläne zu besprechen, falls der alte Wardle bei seiner Grausamkeit verharren sollte, daß Mr. Snodgraß erst eine halbe Stunde vor dem Mittagessen zum letzten Male Abschied nahm. Die Damen eilten in Emiliens Schlafzimmer, um Toilette zu machen, und der verliebte Pickwickier nahm seinen Hut und entfernte sich. Kaum war er zur Tür hinaus, als er die laute Stimme Mr. Wardles vernahm und ihn vom Geländer herab in Begleitung einiger andrer Herren die Treppe heraufkommen sah.

Da Mr. Snodgraß im Hause unbekannt war, eilte er in seiner Verwirrung in das eben verlassene Zimmer zurück, ging von da in ein zweites (Mr. Wardles Schlafgemach) und schloß behutsam die Tür gerade in dem Augenblick, als die Herren, die er hatte kommen sehen, ins Wohnzimmer traten. Es waren die Herren Wardle, Pickwick, Nathaniel Winkle und Benjamin Allen.

Ein Glück, daß ich Geistesgegenwart genug besaß, ihnen auszuweichen, sagte sich Mr. Snodgraß freudig lächelnd und schlich sich auf den Zehen zu der zweiten Tür neben dem Bett. Diese da führt ebenfalls auf den Gang hinaus und ich kann mich jetzt in aller Ruhe aus dem Staube machen. Diesem ruhigen Sich-aus-dem-Staube-Machen stellte sich aber nur ein einziges Hindernis in den Weg, nämlich, daß die Tür verschlossen und der Schlüssel abgezogen war.

„Geben Sie uns heute von Ihren besten Weinen“, hörte man nebenan den alten Wardle rufen. „Und lassen Sie die Damen wissen, daß wir hier sind, Kellner.“

„Sehr wohl, Sir.“

Sehnlichst wünschte sich Mr. Snodgraß, die Damen hätten eine Ahnung, daß auch er hier sei. Er wagte es ein einziges Mal, durch das Schlüsselloch flüsternd, „Kellner!“ zu rufen; aber nur ein einziges Mal, denn es –drängte sich ihm die Befürchtung auf, ein falscher Kellner könne ihm zu Hilfe kommen und es ihm dann so ähnlich gehen, wie einem Gentleman, der erst vor kurzem in einem benachbarten Hotel in ähnlicher Lage angetroffen worden war und über dessen Mißgeschick die heutigen Morgenblätter unter der Rubrik „Polizeiangelegenheiten“ ausführlich berichtet hatten. Er ließ sich daher, am ganzen Leibe zitternd, lieber auf einem Mantelsack nieder.

„Wir wollen nicht erst auf Perker warten“, sagte Wardle nebenan und sah auf die Uhr. „Er ist immer pünktlich. Wenn er kommen will, so kommt er rechtzeitig, und wenn nicht, so hilft auch das Warten nichts. – Hallo, Arabella!“

„Ah, meine Schwester!“ rief Mr. Benjamin Allen und schloß die junge Mrs. Winkle theatralisch in seine Arme.

„Aber, lieber Ben, wie du wieder nach Tabak riechst!“ sagte Arabella. „Du erdrückst mich ja.“

„Wirklich?“ sagte Mr. Benjamin Allen. „Rieche ich so nach Tabak, Bella? Na ja, es könnte ja sein.“

Natürlich konnte es sein, denn er hatte soeben noch mit zwölf jungen Chirurgiebeflissenen in einem kleinen Hinterstübchen eine lustige kleine Rauchsitzung abgehalten.

„Ich bin entzückt, dich zu sehen. Grüß dich Gott, Bella.“

„Da!“ sagte Arabella und beugte sich vor, um ihren Bruder zu küssen. „Aber halt mich nur nicht so fest, lieber Ben, du bringst ja meine Kleider ganz in Unordnung.“

„Na, und mir hat man gar nichts zu sagen?“ rief Wardle mit offenen Armen.

„Oh, sehr viel“, flüsterte Arabella, als sie die Liebkosungen und herzlichen Glückwünsche des alten Herrn über sich ergehen ließ. „Sie sind ein hartherziges, gefühlloses, grausames Ungeheuer!“

„Und Sie eine kleine Rebellin“, erwiderte Wardle in demselben Ton, „ich fürchte sehr, ich werde mich genötigt sehen, Ihnen das Haus zu verbieten. Leute wie Sie, die allen zum Trotz heiraten, sollte man nicht auf die Gesellschaft loslassen. Aber kommen Sie“, fügte der alte Herr lauter hinzu, „es wird serviert, Sie müssen neben mir sitzen. – Joe! Was zum Teufel, der Bursche ist wach?!“

Zur großen Verwunderung der Anwesenden war der fette Junge tatsächlich in einem Zustand merkwürdigen Wachseins; seine Augen standen weit offen und sahen aus, als ob sie es vorläufig sogar bleiben sollten. In seinem ganzen Wesen lag eine rein unerklärliche Munterkeit; sooft seine Blicke denen Emiliens oder Arabellas begegneten, schmunzelte und grinste er, und einmal hätte Mr. Wardle sogar darauf schwören mögen, er habe ihn zwinkern sehen.

Die Veränderung in Joes Benehmen kam natürlich daher, daß er sich seiner Wichtigkeit und der Ehre, von den jungen Damen ins Vertrauen gezogen worden zu sein, mit Stolz bewußt war, und sein fortwährendes Schmunzeln, Grinsen und Blinzeln war daher bloß eine herablassende Versicherung, daß sie auf seine Treue bauen könnten. Da indes diese Zeichen mehr geeignet waren, Verdacht zu erwecken als zu beschwichtigen, und überdies Verlegenheiten herbeiführen konnten, so erwiderte sie Arabella gelegentlich mit einem Stirnrunzeln oder Kopfschütteln, was der fette Junge als Winke betrachtete, er solle auf seiner Hut sein, weshalb er nun begann, mit verdoppeltem Eifer durch Schmunzeln, Grinsen und Blinzeln anzudeuten, daß er sie vollkommen verstehe.

„Joe“, sagte Mr. Wardle nach einer erfolglosen Durchsuchung aller seiner Taschen, „sieh mal nach, liegt meine Dose nicht auf dem Sofa?“ „Nein, Sir“, erwiderte der fette Junge.

„Ah! Ich erinnere mich, ich habe sie heute früh auf dem Waschtisch liegenlassen“, sagte Wardle. „Geh ins Zimmer nebenan und hole sie.“

Der fette Junge ging und kam etwa nach einer Minute mit der Dose und totenbleichem Gesicht zurück.

„Zum Donnerwetter, was hat denn der Bursche!“ rief Wardle.

„N–nichts“, stammelte Joe, am ganzen Leibe zitternd.

„Hast du vielleicht einen Geist gesehen?“ fragte der alte Herr.

„Oder einen genossen?“ fügte Ben Allen hinzu.

„Jaja, Sie werden recht haben“, rief Wardle über den Tisch hinüber. „Natürlich. Er ist betrunken.“

Ben Allen erwiderte, er glaube das bestimmt, und da er als Fachmann schon viele solche Krankheitsfälle gesehen haben mußte, bestärkte dies Mr. Wardle natürlich in seiner Meinung, die sich ihm schon seit einer halben Stunde aufgedrängt hatte.

Der unglückliche Jüngling war aber durchaus nicht betrunken, sondern hatte nur ein Dutzend Worte mit Mr. Snodgraß gewechselt, der ihn beschworen, durch irgend jemand seine Erlösung zu bewerkstelligen, und ihn dann mit der Dose hinausgestoßen hatte, damit seine lange Abwesenheit nicht auffalle. Er besann sich ein wenig mit verstörter Miene und verließ dann das Zimmer, um Mary aufzusuchen.

Zum Unglück aber war Mary, nachdem sie ihrer Gebieterin beim Ankleiden geholfen, fortgegangen, und Joe kam daher, womöglich noch verstörter als vorher, zurück.

Wardle und Ben Allen wechselten einen Blick.

„Joe!“

„Hier, Sir.“

„Warum bist du soeben hinausgegangen?“

Der fette Junge stierte hoffnungslos alle am Tische Sitzenden der Reihe nach an und stammelte endlich, er wisse es selbst nicht. „So, so“, sagte Wardle, „du weißt es selbst nicht? Reiche mal Mr. Pickwick den Käse.“

Mr. Pickwick strahlte gerade in rosenfarbigster Laune, er war das ganze Essen über sehr vergnügt gewesen und unterhielt sich soeben sehr lebhaft mit Emilie und Mr. Winkle. Im Eifer des Gesprächs hatte er das Haupt lauschend vorgebeugt, agierte ein wenig mit seiner linken Hand, um seinen Bemerkungen gehörigen Nachdruck zu verleihen, und glühte geradezu vor stiller Wonne. Er nahm ein Stückchen Käse vom Teller und war eben im Begriff, seine Rede wieder fortzusetzen, als der fette Junge ihn heftig anstieß, mit dem Daumen über die Schulter deutete und das schauderhafteste Gesicht schnitt, das man je außerhalb einer Pantomime gesehen.

„Mein Gott!“ sagte Mr. Pickwick erschrocken. „Was? – Wie?“

Er hielt inne, denn der fette Junge hatte sich wieder emporgerichtet und schlief entweder wirklich oder stellte sich wenigstens so.

„Was gibt’s denn?“ fragte Wardle.

„Ihr Bedienter ist wirklich ein ganz sonderbarer Kauz“, erwiderte Mr. Pickwick mit einem unruhigen Blick auf den Burschen. „Man soll so etwas zwar nicht sagen, aber auf mein Wort, ich fürchte, er hat zuweilen einen kleinen Sparren.“

„Oh, Mr. Pickwick, bitte, sagen Sie das nicht“, riefen Emilie und Arabella wie aus einem Munde.

„Ich kann es natürlich nicht mit Gewißheit behaupten“, entschuldigte sich Mr. Pickwick inmitten der allgemeinen Stille, „aber sein Benehmen in diesem Augenblick war wirklich sehr beunruhigend. – Au!“ schrie er plötzlich laut auf und sprang vom Sessel empor. „Ich bitte um Verzeihung, meine Damen, aber er hat mich gerade wieder mit einem spitzigen Instrument ins Bein gestochen. Er ist wahrhaftig nicht recht bei Trost.“

„Nein, betrunken ist er“, brüllte der alte Wardle ingrimmig. „Winkle, klingeln Sie, rufen Sie die Kellner; er ist betrunken.“

„Nein, ich bin es gewiß nicht“, jammerte der fette Junge und fiel auf die Knie, als sein Herr ihn am Kragen packte. „Ich bin gewiß nicht betrunken.“

„Dann bist du toll, und das ist noch schlimmer. Rufen Sie die Kellner.“

„Nein, ich bin nicht toll, ich bin ganz vernünftig“, beteuerte Joe und fing an zu heulen.

„Was, zum Teufel, stichst du denn dann Mr. Pickwick scharfe Instrumente ins Bein?“ fragte Wardle zornig.

„Er wollte mich nicht ansehen und ich hätt ihm gern was gesagt“, schluchzte der Bursche.

„Was hättest du ihm gern gesagt?“ fragten ein halbes Dutzend Stimmen zugleich.

Der fette Junge stöhnte, blickte nach der Tür des Schlafzimmers, stöhnte wieder und wischte sich mit den Fingerknöcheln die Tränen aus den Augen.

„Was wolltest du sagen?“ fragte Wardle unerbittlich und schüttelte ihn.

„Halt!“ mischte sich Mr. Pickwick ein. „Erlaube mal. Was wolltest du mir mitteilen, armer Bursche?“

„Ich wollte Ihnen was ins Ohr flüstern“, erwiderte der fette Junge.

„Du wolltest ihm wahrscheinlich das Ohr abbeißen“, sagte Wardle. „Gehe nicht zu nahe an ihn heran, Pickwick, er ist toll; klingeln Sie, Winkle, der Kellner soll ihn fortführen.“

Eben faßte Mr. Winkle die Klingelschnur, da wurde er durch einen allgemeinen Ausruf des Erstaunens daran gehindert, denn plötzlich trat mit einem vor Beschämung glühenden Gesicht der gefangene Liebhaber aus dem Schlafzimmer und verbeugte sich vor der ganzen Gesellschaft.

„Hallo!“ rief Wardle, ließ den Kragen des fetten Jungen los und taumelte zurück. „Was ist das?“

„Ich befand mich seit Ihrer Rückkehr im Zimmer daneben versteckt, Sir“, erklärte Mr. Snodgraß.

„Aber, Emilie! Kind!“ sagte Wardle in vorwurfsvollem Ton. „Du weißt, ich verabscheue Hinterlist und Betrug, und dies hier ist im höchsten Grade unzart und einfach unentschuldbar. Das habe ich wirklich nicht um dich verdient, Emilie.“

„Liebster, guter Papa!“ schluchzte Emilie. „Arabella weiß es – jedermann hier weiß es – Joe weiß es, daß ich dabei die Hand nicht im Spiele gehabt habe. August, erkläre um Himmels willen, wie das zuging.“

Mr. Snodgraß, der nur auf die Gelegenheit, Gehör zu finden, gewartet hatte, erzählte sogleich mit größter Geläufigkeit, wie er in diese peinliche Lage geraten sei – wie die Besorgnis, häusliche Zwistigkeiten zu veranlassen, ihn allein bewogen habe, Mr. Wardle bei seiner Ankunft auszuweichen, und wie er durch eine andre Tür entwischen zu können geglaubt, diese aber verschlossen gefunden habe und dadurch genötigt gewesen sei, gegen seinen Willen zu bleiben. Seine Lage sei peinlich gewesen, indes bedaure er sie jetzt keineswegs, da sie ihm jetzt Gelegenheit gebe, hier, vor Freunden, das Bekenntnis abzulegen, daß er Mr. Wardles Tochter aus tiefstem Herzen und aufrichtig liebe und stolz darauf sei, sagen zu können, daß seine Empfindungen erwidert werden, und daß er, wenn auch Tausende von Meilen zwischen ihnen lägen oder ganze Ozeane, er doch keinen Augenblick die seligen Tage vergessen könnte, wo er zum .erstenmal – und so weiter, und so weiter. Nach dieser Erklärung verbeugte sich Mr. Snodgraß abermals, schaute in seinen Hut und schritt zur Tür.

„Halt!“ rief Wardle. „Bei allem, was …“

„Entzündbar ist“, fiel Mr. Pickwick aufatmend ein, denn er hatte gefürchtet, es werde etwas Schlimmeres kommen. „Nun gut – bei allem, was entzündbar ist“, wiederholte Wardle. „Warum haben Sie mir nicht das alles schon früher gesagt?“

„Oder sich mir anvertraut?“ fügte Mr. Pickwick hinzu.

„Du lieber Gott“, sagte Arabella, die Verteidigung übernehmend, „was nützt all das Gefrage, wo man doch weiß, daß Sie Ihr habgieriges altes Herz an einen reicheren Schwiegersohn gehängt haben und überdies so wild und bärbeißig sind, daß jedermann vor Ihnen Angst hat, nur ich nicht. Geben Sie ihm die Hand, und lassen Sie ihm um Gottes Barmherzigkeit willen etwas zu essen kommen. Er sieht ja halb verhungert aus, und dann bestellen Sie schon endlich einmal Ihre Weine, denn Sie werden ja doch nicht eher erträglich, als bis Sie zum mindesten zwei Flaschen getrunken haben.“

Der würdige alte Herr zupfte Arabella am Ohr, küßte sie auch ohne weitere Umstände, küßte auch seine Tochter mit vieler Zärtlichkeit und schüttelte dann Mr. Snodgraß herzlich die Hand.

„In einem Punkt hat sie jedenfalls recht“, sagte er vergnügt. „Pickwick, läute, daß der Wein gebracht wird.“

Der Wein kam, und in demselben Augenblick trat Perker ein. Mr. Snodgraß bekam an einem Nebentisch noch schnell etwas zu essen, und als er damit fertig war, rückte er ohne die mindeste Einwendung des alten Herrn seinen Stuhl dicht neben Emilie.

Der Abend wurde großartig. Der kleine Mr. Perker ging prachtvoll aus sich heraus, erzählte viele komische Geschichten und sang ein ernstes Lied, wobei er noch humoristischer wirkte als bei seinen Anekdoten. Arabellas Charme blühte voll auf, Mr. Wardle wurde sehr jovial, Mr. Pickwick vermittelte nach allen Seiten, Mr. Ben Allen war der Lauteste von allen und Mr. Winkle wurde ungewöhnlich gesprächig. Nur die Liebenden blieben stumm: Alle waren glücklich.