Einundfünfzigstes Kapitel

Enthält einige nähere Umstände betreffs des eben erwähnten Klopfens und unter anderem auch interessante, bedeutsame Aufschlüsse in bezug auf Mr. Snodgraß und eine junge Dame.

Die Erscheinung, die sich den Blicken des erstaunten Schreibers darbot, war ein junger, auffallend dicker, livrierter Bursche, der kerzengerade und mit geschlossenen Augen dastand, als ob er im Stehen schliefe. Mr. Lowten hatte noch nie einen so fetten Burschen im Leben gesehen, und dies, verbunden mit der beispiellosen Ruhe und Gelassenheit seiner Erscheinung, entsprach so wenig dem Bilde, das er sich von der Person gemacht, die so stürmisch angeklopft, daß er in die größte Verwunderung geriet.

„Was gibt’s denn?“ fragte er verblüfft.

Der seltsame Bursche erwiderte darauf kein Wort, sondern nickte bloß, und Mr. Lowten hatte den Eindruck, als ob er leise schnarche. „Warum, zum Teufel, haben Sie denn auf eine solche Weise geklopft?“

„Auf was für eine Weise?“ fragte der Bursche mit schläfriger Stimme.

„Gerade wie vierzig Mietkutscher“, erwiderte der Schreiber ärgerlich.

„Weil mein Herr gesagt hat, ich solle in einem fort klopfen, bis die Tür geöffnet würde, damit ich nicht einschliefe.“

„Gut, und was sollen Sie denn hier?“ verhörte der Schreiber.

„Er ist unten“, lallte der Bursche.

„Wer?“

„Mein Herr. Er will wissen, ob Sie zu Hause sind.“

Lowten ging ans Fenster und sah hinaus. Als er einen wohlbeleibten alten Herrn in einem offenen Wagen unten erbückte, der sehr unruhig heraufschaute, winkte er ihm, und ein paar Minuten darauf erschien der Gentleman in Gestalt des alten Mr. Wardle in der Kanzlei, grüßte flüchtig und ging direkt in Mr. Perkers Zimmer.

„Ah, Pickwick“, rief der alte Herr. „Deine Hand, lieber Freund. Denk dir, erst gestern habe ich gehört, daß du dich ins Gefängnis sperren ließest. Warum haben Sie es zugegeben, Perker?“

„Ich bin unschuldig, mein lieber Herr“, erwiderte Perker mit einem Lächeln und nahm eine Prise. „Sie wissen ja, wie eigensinnig er ist.“

„Jaja, das weiß ich“, versetzte der alte Herr. „Aber dessenungeachtet freut es mich herzlich, ihn wiederzusehen. Ich werde ihn auch sobald nicht wieder aus den Augen lassen.“

Mit diesen Worten schüttelte Wardle Mr. Pickwick aber mals die Hand und warf sich in einen Lehnstuhl. Sein lustiges rotes Gesicht glänzte wie gewöhnlich vor Freude und Gesundheit.

„Na, was sagst du zu der kleinen schwarzäugigen Hexe?“ platzte er urplötzlich heraus. „Ich hatte selbst große Lust, sie gelegentlich zu heiraten. – Na, ’s ist anders gekommen. Bin auch so zufrieden. Freue mich herzlich darüber.“

„Wie hast du es denn erfahren?“ fragte Mr. Pickwick.

„Natürlich durch meine Mädchen. Arabella schrieb vorgestern, sie habe heimlich und ohne Einwilligung ihres Schwiegervaters geheiratet, und du seiest fortgereist, um seine Einwilligung zu etwas einzuholen, was er nun einmal nicht mehr ändern könne. Ich hielt das für eine sehr passende Gelegenheit, ein paar ernste Worte an meine Mädchen zu richten, und sagte ihnen, was es für eine schreckliche Sache sei, wenn Kinder ohne Erlaubnis ihrer Eltern heiraten, und so weiter. Aber es machte nicht den geringsten Eindruck auf sie. Sie fanden es nur schrecklich, daß die Hochzeit ohne Brautjungfern vor sich gegangen sei.“

Der alte Herr hielt inne und lachte herzlich.

„Das ist aber noch lange nicht alles, kaum die Hälfte von den Liebeshändeln und Komplotten, die gegenwärtig vor sich gehen“, fuhr er fort. „Wir sind in den letzten sechs Monaten auf Minen gewandelt, und jetzt sind sie endlich in die Luft geflogen.“

„Was meinst du damit?“ rief Mr. Pickwick erbleichend. „Hoffentlich doch keine zweite heimliche Heirat?“

„Nein, nein“, erwiderte der alte Wardle, „so schlimm steht’s nicht.“

„Aber was ist’s denn? So sprich doch! Bin ich vielleicht auch darein verwickelt?“

„Soll ich die Frage beantworten, Perker?“ fragte Wardle.

„Wenn Sie sich nicht dadurch kompromittieren, mein lieber Herr.“

„Na, also gut. – Ja, allerdings.“

„Wieso?“ fragte Mr. Pickwick ängstlich. „Inwiefern?“

„Weißt du“, erwiderte Wardle, „du bist ein so hitzköpfiges junges Blut, daß ich mich beinah fürchte, es dir zu sagen; doch wenn Perker sich zwischen uns setzt, um Unheil zu verhüten, so will ich es wagen. – Also die Sache ist die. Meine Tochter Bella – du weißt doch – die den jungen Trundle geheiratet hat?“

„Jaja, das wissen wir alles“, sagte Mr. Pickwick ungeduldig.

„Mache mir nur nicht gleich im Anfang angst, hörst du? Also meine Tochter Bella setzte sich, nachdem Emilie, die mir Arabellas Brief vorgelesen, mit Kopfschmerzen zu Bett gegangen war, vorgestern abend an meine Seite und ring an, von dieser Heiratsgeschichte zu sprechen. ,Nun, lieber Papa‘, sagte sie, ,was hältst du von der Sache?‘ – ,Ei, liebes Kind‘, antwortete ich, ,ich denke, es kann noch ganz gut werden; ich hoffe das Beste.‘ Ich antwortete so, weil ich gerade vor dem Feuer saß, etwas gedankenvoll meinen Grog trank und wußte, daß sie weitersprechen würde, wenn ich nur dann und wann, ein Wort dazwischenwürfe. Meine Mädchen sind beide die getreuen Abbilder ihrer seligen Mutter, und jetzt, wo ich alt werde, sitze ich gerne bei ihnen, und ihre Stimmen und ihre Blicke führen mich in die glücklichste Periode meines Lebens zurück und machen midi für den Augenblick wieder so jung, wie ich damals war, wenn auch nicht wieder so leichtfüßig. ,Es ist eine Neigungsheirat‘, sagte Bella nach einer Pause. Ja, liebes Kind‘, erwiderte ich, ,allein solche Ehen sind nicht immer die glücklichsten.'“

„Das bestreite ich“, fiel Mr. Pickwick mit Wärme ein.

„Na ja“, antwortete Wardle, „bestreite, was du willst, aber laß mich doch nur ausreden.“

„Pardon.“

„Na gut“, fuhr Wardle fort. „,Es tut mir leid, daß du gegen Neigungsheiraten bist, Papa‘, sagte Bella und verfärbte sich ein wenig. ,Ich hatte unrecht, ich hätte das nicht sagen sollen, liebes Kind‘, antwortete ich und tätschelte sie so freundlich auf die Wange, wie es ein altes Rauhbein wie ich nur tun kann, ,deine Mutter hat ja auch aus Neigung geheiratet, und du ebenfalls.‘ – ,Das meinte ich eigentlich nicht, Papa‘, drückte Bella herum. ,Ich – ich – ich wollte eigentlich mit dir über Emilie sprechen.'“

Mr. Pickwick erschrak.

„Na, was ist denn?“ fragte Wardle und hielt in seiner Erzählung inne.

„Nichts, nichts“, erwiderte Mr. Pickwick, „bitte, fahre nur fort.“

„Ich habe nie eine Geschichte gehörig von Anfang an erzählen können“, sagte Wardle. „Früher oder später muß es doch heraus, und wenn es auf einmal kommt, erspart man viel Zeit. Also kurz und gut: Bella faßte sich endlich ein Herz und gestand mir, Emilie sei höchst unglücklich; sie und dein junger Freund Snodgraß hätten seit Weihnachten in fortwährendem Briefwechsel miteinander gestanden, und sie habe pflichtgetreu beschlossen, in lobenswerter Nachahmung des Beispiels ihrer alten Schulfreundin, davonzulaufen. Inzwischen habe sie jedoch Gewissensbisse empfunden, da ich von jeher gut zu ihr gewesen sei, und so wäre denn beschlossen worden, mir die Ehre zu erweisen, mich zu fragen, ob ich nichts dagegen einzuwenden habe, daß sie einander auf die gewöhnliche alltägliche Art heiraten. So stehen die Sachen, und wenn es dir möglich ist, lieber Pickwick, deine Augen wieder auf die normale Größe zu reduzieren und mir dann einen guten Rat zu erteilen, so werde ich mich dir sehr verpflichtet fühlen.“

Der etwas wunderliche Schluß des guten alten Herrn war ziemlich berechtigt, denn Mr. Pickwicks Gesicht hatte einen seltenen Grad von Verwunderung und Erstaunen angenommen.

„Snodgraß? – Seit Weihnachten?“ waren die ersten Worte, die über seine Lippen kamen.

„Allerdings. Seit Weihnachten. Und wir müssen sehr schlechte Brillen aufgehabt haben, daß wir nicht schon früher etwas gemerkt haben.“ „Es ist mir rein unbegreiflich“, meinte Mr. Pickwick nachdenklich, „rein unbegreiflich.“

„Die Sache ist nicht so unbegreiflich“, erwiderte der alte Herr. „Wärest du jünger, wüßtest du sie wahrscheinlich längst, und außerdem“, fügte Mr. Wardle nach einem kurzen Zögern hinzu, „muß ich gestehen, daß ich seit den letzten vier oder fünf Monaten Emilie einigermaßen gedrängt habe, die Bewerbungen eines jungen Mannes unserer Nachbarschaft anzunehmen, selbstverständlich nur, wenn sie ihn glaubte lieben zu können, denn ich würde meine Tochter nie zu einer Ehe gezwungen haben. Ich zweifle nicht, daß sie nach Mädchenart, um ihren eigenen Wert zu erhöhen und das Liebesfeuer des Mr. Snodgraß noch mehr anzuschüren, ihm die Sachen in den glühendsten Farben vorgestellt hat, und daß sie auf diesem Wege zu dem Entschluß gelangt sind, sie seien schrecklich verfolgte unglückliche Menschenkinder, denen gar nichts mehr übrigbliebe, als heimlich zu heiraten oder sich mit Kohlengas umzubringen. – Jetzt fragt es sich also bloß, was ist zu tun?“

„Was hast du denn getan?“ fragte Mr. Pickwick.

„Ich?“

„Ja, ich meine, was du getan hast, als deine verheiratete Tochter dir diese Mitteilung machte.“

„Na, natürlich einen dummen Streich.“

„Das glaube ich“, fiel Perker ein, der dieses Zwiegespräch mit wiederholtem Zupfen an .seiner Uhrkette, grimmigem Reiben seiner Nase und andern Symptomen von Ungeduld begleitet hatte. – „Das ist ganz natürlich; aber erklären Sie sich näher.“

„Ich geriet so in Zorn, daß meine Mutter vor lauter Angst einen Krampfanfall bekam.“

„Das war sehr gescheit“, bemerkte Perker. „Und was weiter, mein lieber Herr?“

„Ich tobte den ganzen folgenden Tag und machte gewaltigen Lärm im Haus. Schließlich wurde es mir aber zu dumm, mich und andre zu ärgern, und ich nahm daher in Muggleton einen Wagen, spannte meine eigenen Pferde davor und fuhr unter dem Vorwand, Emilie sollte Arabella besuchen, nach London.“

„Emilie ist also auch hier?“ fragte Mr. Pickwick.

„Freilich“, erwiderte Wardle, „und zwar in ,Osbornes Hotel‘ in Adelphi, wenn nicht dein unternehmender Freund diesen Morgen mit ihr davongelaufen ist, während wir hier schwatzen.“

„Sie sind also wieder versöhnt?“ fragte Perker.

„Nicht die Spur. Sie hat die ganze Zeit über Gesichter geschnitten und geweint, ausgenommen gestern abend zwischen dem Tee und dem Abendessen, wo sie sehr ostentativ einen Brief schrieb, was ich aber natürlich nicht bemerkte.“

„Sie wünschen also wohl meinen Rat in dieser Sache zu hören?“ fragte Perker und nahm schnell hintereinander mehrere Prisen von seinem Lieblingsstimulans.

„Na ja – was meinst du?“ sagte Mr. Wardle und blickte Mr. Pickwick fragend an.

„Nun gut“, sagte Perker, stand auf und schob seinen Stuhl zurück, „mein Rat ist der, daß Sie beide jetzt miteinander fortgehen oder –fahren oder sich auf irgendeine Art fortmachen und die Sache zusammen überlegen, denn ich bin Ihrer ein bißchen müde. Haben Sie, bis wir uns das nächste Mal wiedersehen, einen Entschluß gefaßt, so will ich sagen, was zu tun ist.“

„Wahrhaftig, ein köstlicher Rat!“ versetzte Wardle, der nicht recht wußte, ob er lächeln oder beleidigt sein sollte.

„Ach was, mein lieber Herr“, erwiderte Perker, „ich kenne Sie beide besser, als Sie sich selbst. Sie haben Ihren Entschluß ja doch innerlich schon gefaßt.“

Dabei stieß der kleine Anwalt seine Schnupftabaksdose zuerst Mr. Pickwick auf die Brust und dann Mr. Wardle gegen die Weste, und dann lachten alle drei und schüttelten sich ohne besonderen Grund unaufhörlich die Hände.

„Sie speisen doch mit mir zu Mittag?“ fragte Wardle Mr. Perker, als sie zusammen hinausgingen.

„Kann’s nicht versprechen, mein lieber Herr, kann’s nicht versprechen“, erwiderte Perker. „Indes werde ich mich jedenfalls abends für ein paar Minuten einstellen.“

„Also gut, ich erwarte Sie um fünf Uhr“, sagte Wardle. „Hallo, Joe!“

Nachdem Joe glücklich aufgerüttelt war, fuhren die beiden Freunde in den „Georg und Geier“. Arabella war, als sie von Emiliens Ankunft in London erfahren, schnurstracks nach Adelphi gefahren, und da Mr. Wardle Geschäfte in der City hatte, schickte er den Wagen mit dem fetten Burschen in sein Hotel und ließ sagen, daß er und Mr. Pickwick um fünf Uhr mitsammen zum Mittagessen kommen würden.

Sei es nun, daß die Stöße des Wagens auf dem holprigen Pflaster die Geisteskräfte des fetten Jungen verwirrt oder eine solche Menge neuer Ideen in ihm erweckt hatten, daß er die gewöhnlichen Umgangsformen darüber vergaß, oder daß sie sein Einschlafen beim Ersteigen der Treppen nicht zu verhindern vermocht hatten, soviel ist gewiß, daß er, ohne vorher anzuklopfen, direkt ins Besuchszimmer trat und daselbst einen Gentleman erblickte, der seinen Arm um den Leib der Tochter seines Gebieters geschlungen hielt und sehr verliebt neben ihr auf einem Sofa saß, indes Arabella und ihr hübsches Dienstmädchen sich stellten, als ob sie interessiert zum Fenster hinaussähen. Beim Anblick dieses Phänomens stieß der fette Bursche einen Ruf der Verwunderung aus, die Damen schrien laut auf und der Herr fluchte. – Alles zu gleicher Zeit. „Du Tölpel, was willst du hier?“ rief der Herr, der natürlich Mr. Snodgraß war.

Der fette Junge war vor Schrecken völlig sprachlos und starrte nur Emilie an.

„Was willst du denn von mir, du dummer Kerl?“ fragte Emilie und wendete das Gesicht ab.

„Der Herr und Mr. Pickwick kommen um fünf Uhr zum Essen“, stotterte der fette Bursche.

„Mach, daß du hinauskommst“, rief Mr. Snodgraß mit wildem Blick.

„Nein, nein!“ fiel Emilie hastig ein. „Rate mir doch, liebe Bella.“

Emilie, Mr. Snodgraß, Arabella und Mary steckten sodann die Köpfe zusammen und flüsterten mehrere Minuten lang eifrig miteinander.

„Joe“, sagte Arabella endlich und wendete sich mit ihrem bezauberndsten Lächeln an den fetten Jungen, „wie geht es dir, Joe?“

„Joe“, lobte Emilie, „du bist wirklich ein ganz vortrefflicher Junge.“

„Ach, du bist’s, Joe“, rief Mr. Snodgraß, „ich habe dich vorhin gar nicht erkannt. Da hast du fünf Schilling, Joe.“

„Und von mir auch fünf“, sagte Arabella, „du weißt, weil wir alte Bekannte sind.“ Und wieder verschwendete sie ein berückendes Lächeln an den beleibten Eindringling.

Da die Fassungskraft des fetten Jungen etwas langsam war, machte er bei den unerwarteten Gunstbezeigungen ein höchst verdutztes Gesicht und stierte auf eine wirklich beunruhigende Weise um sich. Endlich begann sein dickes Gesicht Symptome eines Grinsens von verhältnismäßig breiten Dimensionen zu zeigen; er versenkte in jede seiner beiden Seitentaschen eine halbe Krone und brach in ein fettes Glucksen aus. „Ich sehe schon, er versteht uns!“ sagte Arabella.

„Er muß sogleich etwas zu essen bekommen“, bemerkte Emilie besorgt.

„Ich will mit Ihnen zu Mittag essen, Sir, wenn Sie nichts dagegen haben“, sagte Mary.

„Jaja, kommen Sie“, grinste der fette Bursche vergnügt. „Es ist ganz famose Fleischpastete da.“ Mit diesen Worten ging er mit ihr animiert die Treppe hinunter.

Die Fleischpastete, von der Joe so gefühlvoll gesprochen, stand auf dem Tisch, samt einem Stück Roastbeef, einer Schüssel Kartoffeln und einem Krug Porter. – Beide setzten sich.

„Wollen Sie auch etwas?“ fragte der fette Junge und versenkte Messer und Gabel bis ans Heft in die Pastete.

„Ein bißchen, wenn ich bitten darf“, erwiderte Mary.

Joe legte Mary eine kleine, sich selbst aber eine sehr große Portion vor und war eben im Begriff, mit dem Essen zu beginnen, als er auf einmal Messer und Gabel niederlegte, sich in seinem Stuhl vorwärtsbeugte und sehr langsam sagte:

„Herrschaft, wie hübsch Sie sind!“

„Aber Mr. Joseph“, zierte sich Mary und stellte sich, als ob sie errötete. „Aber gehen Sie.“

Der fette Junge, der allmählich seine frühere Stellung wieder eingenommen hatte, antwortete nur mit einem tiefen Seufzer, blieb einige Augenblicke in Gedanken versunken und tat dann einen langen Zug aus dem Porterkruge. Dann seufzte er wieder und machte sich mit großem Eifer über die Pastete her.

„Was für eine feine nette junge Dame doch Miß Emilie ist!“ begann Mary nach langem Schweigen.

Der fette Junge war indessen mit der Pastete fertig geworden. Er heftete seine Augen auf Mary und erwiderte:

„Ich kenne noch eine nettere.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich“, erwiderte der fette Junge mit ungewohnter Lebhaftigkeit.

„Wie heißt sie denn?“

„Wie heißen Sie?“

„Mary.“

„So heißt sie auch“, sagte der fette Junge. „Sie sind es selbst.“

Dabei grinste er, um seinem Kompliment mehr Nachdruck zu geben, und verdrehte seine Augen auf eine höchst wunderliche Art, was wahrscheinlich ein Liebäugeln bedeuten sollte.

„Aber gehen Sie, Sie Schlimmer“, sagte Mary. „Es ist Ihnen ja doch nicht Ernst.“

„So? Meinen Sie?“ erwiderte der fette Bursche. „Ich sage Ihnen …“

„Nun?“

„Kommen Sie gewöhnlich hierher?“

„Nein“, antwortete Mary und schüttelte den Kopf. „Ich gehe noch heute abend wieder fort. – Aber warum?“

„Oh!“ rief Joe gefühlvoll. „Was für eine angenehme Gesellschaft hätten wir beim Essen aneinander gehabt, wenn Sie dageblieben wären!“

„Vielleicht komme ich hie und da, um nach Ihnen zu sehen“, sagte Mary und legte mit erkünstelter Sprödigkeit ihre Serviette zusammen. „Aber Sie müssen mir einen Gefallen tun.“

Der fette Junge blickte von der Pastetenschüssel auf das Roastbeef, offenbar in dem Glauben, eine Gefälligkeit müsse unbedingt etwas mit Essen zu tun haben, zog dann eine seiner beiden halben Kronen heraus und schaute sie mit großem Behagen an.

„Verstehen Sie, was ich meine?“ fragte Mary mit einem koketten Blick.

Abermals betrachtete Joe seine halbe Krone und sagte mit schwacher Stimme:

„Nein.“

„Die Damen bitten Sie, Mr. Wardle nichts von dem jungen Herrn zu sagen, der oben war, und ich bitte Sie auch darum.“

„Ist das alles?“ fragte der fette Junge und schob erleichtert das Geldstück wieder ein. „Ich will gewiß nichts sagen.“

„Wissen Sie“, fuhr Mary fort, „Mr. Snodgraß ist sehr verliebt in Miß Emilie, und Miß Emilie in ihn, und wenn Sie etwas davon ausplauderten, würde der alte Herr sie viele Meilen weit in eine Gegend fortschaffen, wo sie einander niemals wieder zu Gesicht bekämen.“

„Nein, nein, ich sag gewiß nichts“, beteuerte der fette Junge.

„So ist’s recht“, lobte Mary. „Jetzt muß ich aber nach oben gehen und meine Herrschaft zum Diner ankleiden helfen.“

„Ach, bleiben Sie doch noch ein bissel!“ drängte der fette Junge.

„Ich muß“, erwiderte Mary. „Adje. Auf Wiedersehen!“ Mit Elefantengrazie streckte der fette Junge seine Arme aus, um ihr einen Kuß zu rauben; da es aber keiner großen Gewandtheit bedurfte, ihm auszuweichen, so war seine schöne Herzensbezwingerin verschwunden, ehe er sie wieder sinken ließ, worauf er voll Gleichmut noch ein Pfund Roastbeef mit sentimentalem Gesicht verzehrte und dann fest einschlief.

Die jungen Leute oben hatten sich noch so viel zu sagen, und es waren so viele Flucht- und heimliche Trauungspläne zu besprechen, falls der alte Wardle bei seiner Grausamkeit verharren sollte, daß Mr. Snodgraß erst eine halbe Stunde vor dem Mittagessen zum letzten Male Abschied nahm. Die Damen eilten in Emiliens Schlafzimmer, um Toilette zu machen, und der verliebte Pickwickier nahm seinen Hut und entfernte sich. Kaum war er zur Tür hinaus, als er die laute Stimme Mr. Wardles vernahm und ihn vom Geländer herab in Begleitung einiger andrer Herren die Treppe heraufkommen sah.

Da Mr. Snodgraß im Hause unbekannt war, eilte er in seiner Verwirrung in das eben verlassene Zimmer zurück, ging von da in ein zweites (Mr. Wardles Schlafgemach) und schloß behutsam die Tür gerade in dem Augenblick, als die Herren, die er hatte kommen sehen, ins Wohnzimmer traten. Es waren die Herren Wardle, Pickwick, Nathaniel Winkle und Benjamin Allen.

Ein Glück, daß ich Geistesgegenwart genug besaß, ihnen auszuweichen, sagte sich Mr. Snodgraß freudig lächelnd und schlich sich auf den Zehen zu der zweiten Tür neben dem Bett. Diese da führt ebenfalls auf den Gang hinaus und ich kann mich jetzt in aller Ruhe aus dem Staube machen. Diesem ruhigen Sich-aus-dem-Staube-Machen stellte sich aber nur ein einziges Hindernis in den Weg, nämlich, daß die Tür verschlossen und der Schlüssel abgezogen war.

„Geben Sie uns heute von Ihren besten Weinen“, hörte man nebenan den alten Wardle rufen. „Und lassen Sie die Damen wissen, daß wir hier sind, Kellner.“

„Sehr wohl, Sir.“

Sehnlichst wünschte sich Mr. Snodgraß, die Damen hätten eine Ahnung, daß auch er hier sei. Er wagte es ein einziges Mal, durch das Schlüsselloch flüsternd, „Kellner!“ zu rufen; aber nur ein einziges Mal, denn es –drängte sich ihm die Befürchtung auf, ein falscher Kellner könne ihm zu Hilfe kommen und es ihm dann so ähnlich gehen, wie einem Gentleman, der erst vor kurzem in einem benachbarten Hotel in ähnlicher Lage angetroffen worden war und über dessen Mißgeschick die heutigen Morgenblätter unter der Rubrik „Polizeiangelegenheiten“ ausführlich berichtet hatten. Er ließ sich daher, am ganzen Leibe zitternd, lieber auf einem Mantelsack nieder.

„Wir wollen nicht erst auf Perker warten“, sagte Wardle nebenan und sah auf die Uhr. „Er ist immer pünktlich. Wenn er kommen will, so kommt er rechtzeitig, und wenn nicht, so hilft auch das Warten nichts. – Hallo, Arabella!“

„Ah, meine Schwester!“ rief Mr. Benjamin Allen und schloß die junge Mrs. Winkle theatralisch in seine Arme.

„Aber, lieber Ben, wie du wieder nach Tabak riechst!“ sagte Arabella. „Du erdrückst mich ja.“

„Wirklich?“ sagte Mr. Benjamin Allen. „Rieche ich so nach Tabak, Bella? Na ja, es könnte ja sein.“

Natürlich konnte es sein, denn er hatte soeben noch mit zwölf jungen Chirurgiebeflissenen in einem kleinen Hinterstübchen eine lustige kleine Rauchsitzung abgehalten.

„Ich bin entzückt, dich zu sehen. Grüß dich Gott, Bella.“

„Da!“ sagte Arabella und beugte sich vor, um ihren Bruder zu küssen. „Aber halt mich nur nicht so fest, lieber Ben, du bringst ja meine Kleider ganz in Unordnung.“

„Na, und mir hat man gar nichts zu sagen?“ rief Wardle mit offenen Armen.

„Oh, sehr viel“, flüsterte Arabella, als sie die Liebkosungen und herzlichen Glückwünsche des alten Herrn über sich ergehen ließ. „Sie sind ein hartherziges, gefühlloses, grausames Ungeheuer!“

„Und Sie eine kleine Rebellin“, erwiderte Wardle in demselben Ton, „ich fürchte sehr, ich werde mich genötigt sehen, Ihnen das Haus zu verbieten. Leute wie Sie, die allen zum Trotz heiraten, sollte man nicht auf die Gesellschaft loslassen. Aber kommen Sie“, fügte der alte Herr lauter hinzu, „es wird serviert, Sie müssen neben mir sitzen. – Joe! Was zum Teufel, der Bursche ist wach?!“

Zur großen Verwunderung der Anwesenden war der fette Junge tatsächlich in einem Zustand merkwürdigen Wachseins; seine Augen standen weit offen und sahen aus, als ob sie es vorläufig sogar bleiben sollten. In seinem ganzen Wesen lag eine rein unerklärliche Munterkeit; sooft seine Blicke denen Emiliens oder Arabellas begegneten, schmunzelte und grinste er, und einmal hätte Mr. Wardle sogar darauf schwören mögen, er habe ihn zwinkern sehen.

Die Veränderung in Joes Benehmen kam natürlich daher, daß er sich seiner Wichtigkeit und der Ehre, von den jungen Damen ins Vertrauen gezogen worden zu sein, mit Stolz bewußt war, und sein fortwährendes Schmunzeln, Grinsen und Blinzeln war daher bloß eine herablassende Versicherung, daß sie auf seine Treue bauen könnten. Da indes diese Zeichen mehr geeignet waren, Verdacht zu erwecken als zu beschwichtigen, und überdies Verlegenheiten herbeiführen konnten, so erwiderte sie Arabella gelegentlich mit einem Stirnrunzeln oder Kopfschütteln, was der fette Junge als Winke betrachtete, er solle auf seiner Hut sein, weshalb er nun begann, mit verdoppeltem Eifer durch Schmunzeln, Grinsen und Blinzeln anzudeuten, daß er sie vollkommen verstehe.

„Joe“, sagte Mr. Wardle nach einer erfolglosen Durchsuchung aller seiner Taschen, „sieh mal nach, liegt meine Dose nicht auf dem Sofa?“ „Nein, Sir“, erwiderte der fette Junge.

„Ah! Ich erinnere mich, ich habe sie heute früh auf dem Waschtisch liegenlassen“, sagte Wardle. „Geh ins Zimmer nebenan und hole sie.“

Der fette Junge ging und kam etwa nach einer Minute mit der Dose und totenbleichem Gesicht zurück.

„Zum Donnerwetter, was hat denn der Bursche!“ rief Wardle.

„N–nichts“, stammelte Joe, am ganzen Leibe zitternd.

„Hast du vielleicht einen Geist gesehen?“ fragte der alte Herr.

„Oder einen genossen?“ fügte Ben Allen hinzu.

„Jaja, Sie werden recht haben“, rief Wardle über den Tisch hinüber. „Natürlich. Er ist betrunken.“

Ben Allen erwiderte, er glaube das bestimmt, und da er als Fachmann schon viele solche Krankheitsfälle gesehen haben mußte, bestärkte dies Mr. Wardle natürlich in seiner Meinung, die sich ihm schon seit einer halben Stunde aufgedrängt hatte.

Der unglückliche Jüngling war aber durchaus nicht betrunken, sondern hatte nur ein Dutzend Worte mit Mr. Snodgraß gewechselt, der ihn beschworen, durch irgend jemand seine Erlösung zu bewerkstelligen, und ihn dann mit der Dose hinausgestoßen hatte, damit seine lange Abwesenheit nicht auffalle. Er besann sich ein wenig mit verstörter Miene und verließ dann das Zimmer, um Mary aufzusuchen.

Zum Unglück aber war Mary, nachdem sie ihrer Gebieterin beim Ankleiden geholfen, fortgegangen, und Joe kam daher, womöglich noch verstörter als vorher, zurück.

Wardle und Ben Allen wechselten einen Blick.

„Joe!“

„Hier, Sir.“

„Warum bist du soeben hinausgegangen?“

Der fette Junge stierte hoffnungslos alle am Tische Sitzenden der Reihe nach an und stammelte endlich, er wisse es selbst nicht. „So, so“, sagte Wardle, „du weißt es selbst nicht? Reiche mal Mr. Pickwick den Käse.“

Mr. Pickwick strahlte gerade in rosenfarbigster Laune, er war das ganze Essen über sehr vergnügt gewesen und unterhielt sich soeben sehr lebhaft mit Emilie und Mr. Winkle. Im Eifer des Gesprächs hatte er das Haupt lauschend vorgebeugt, agierte ein wenig mit seiner linken Hand, um seinen Bemerkungen gehörigen Nachdruck zu verleihen, und glühte geradezu vor stiller Wonne. Er nahm ein Stückchen Käse vom Teller und war eben im Begriff, seine Rede wieder fortzusetzen, als der fette Junge ihn heftig anstieß, mit dem Daumen über die Schulter deutete und das schauderhafteste Gesicht schnitt, das man je außerhalb einer Pantomime gesehen.

„Mein Gott!“ sagte Mr. Pickwick erschrocken. „Was? – Wie?“

Er hielt inne, denn der fette Junge hatte sich wieder emporgerichtet und schlief entweder wirklich oder stellte sich wenigstens so.

„Was gibt’s denn?“ fragte Wardle.

„Ihr Bedienter ist wirklich ein ganz sonderbarer Kauz“, erwiderte Mr. Pickwick mit einem unruhigen Blick auf den Burschen. „Man soll so etwas zwar nicht sagen, aber auf mein Wort, ich fürchte, er hat zuweilen einen kleinen Sparren.“

„Oh, Mr. Pickwick, bitte, sagen Sie das nicht“, riefen Emilie und Arabella wie aus einem Munde.

„Ich kann es natürlich nicht mit Gewißheit behaupten“, entschuldigte sich Mr. Pickwick inmitten der allgemeinen Stille, „aber sein Benehmen in diesem Augenblick war wirklich sehr beunruhigend. – Au!“ schrie er plötzlich laut auf und sprang vom Sessel empor. „Ich bitte um Verzeihung, meine Damen, aber er hat mich gerade wieder mit einem spitzigen Instrument ins Bein gestochen. Er ist wahrhaftig nicht recht bei Trost.“

„Nein, betrunken ist er“, brüllte der alte Wardle ingrimmig. „Winkle, klingeln Sie, rufen Sie die Kellner; er ist betrunken.“

„Nein, ich bin es gewiß nicht“, jammerte der fette Junge und fiel auf die Knie, als sein Herr ihn am Kragen packte. „Ich bin gewiß nicht betrunken.“

„Dann bist du toll, und das ist noch schlimmer. Rufen Sie die Kellner.“

„Nein, ich bin nicht toll, ich bin ganz vernünftig“, beteuerte Joe und fing an zu heulen.

„Was, zum Teufel, stichst du denn dann Mr. Pickwick scharfe Instrumente ins Bein?“ fragte Wardle zornig.

„Er wollte mich nicht ansehen und ich hätt ihm gern was gesagt“, schluchzte der Bursche.

„Was hättest du ihm gern gesagt?“ fragten ein halbes Dutzend Stimmen zugleich.

Der fette Junge stöhnte, blickte nach der Tür des Schlafzimmers, stöhnte wieder und wischte sich mit den Fingerknöcheln die Tränen aus den Augen.

„Was wolltest du sagen?“ fragte Wardle unerbittlich und schüttelte ihn.

„Halt!“ mischte sich Mr. Pickwick ein. „Erlaube mal. Was wolltest du mir mitteilen, armer Bursche?“

„Ich wollte Ihnen was ins Ohr flüstern“, erwiderte der fette Junge.

„Du wolltest ihm wahrscheinlich das Ohr abbeißen“, sagte Wardle. „Gehe nicht zu nahe an ihn heran, Pickwick, er ist toll; klingeln Sie, Winkle, der Kellner soll ihn fortführen.“

Eben faßte Mr. Winkle die Klingelschnur, da wurde er durch einen allgemeinen Ausruf des Erstaunens daran gehindert, denn plötzlich trat mit einem vor Beschämung glühenden Gesicht der gefangene Liebhaber aus dem Schlafzimmer und verbeugte sich vor der ganzen Gesellschaft.

„Hallo!“ rief Wardle, ließ den Kragen des fetten Jungen los und taumelte zurück. „Was ist das?“

„Ich befand mich seit Ihrer Rückkehr im Zimmer daneben versteckt, Sir“, erklärte Mr. Snodgraß.

„Aber, Emilie! Kind!“ sagte Wardle in vorwurfsvollem Ton. „Du weißt, ich verabscheue Hinterlist und Betrug, und dies hier ist im höchsten Grade unzart und einfach unentschuldbar. Das habe ich wirklich nicht um dich verdient, Emilie.“

„Liebster, guter Papa!“ schluchzte Emilie. „Arabella weiß es – jedermann hier weiß es – Joe weiß es, daß ich dabei die Hand nicht im Spiele gehabt habe. August, erkläre um Himmels willen, wie das zuging.“

Mr. Snodgraß, der nur auf die Gelegenheit, Gehör zu finden, gewartet hatte, erzählte sogleich mit größter Geläufigkeit, wie er in diese peinliche Lage geraten sei – wie die Besorgnis, häusliche Zwistigkeiten zu veranlassen, ihn allein bewogen habe, Mr. Wardle bei seiner Ankunft auszuweichen, und wie er durch eine andre Tür entwischen zu können geglaubt, diese aber verschlossen gefunden habe und dadurch genötigt gewesen sei, gegen seinen Willen zu bleiben. Seine Lage sei peinlich gewesen, indes bedaure er sie jetzt keineswegs, da sie ihm jetzt Gelegenheit gebe, hier, vor Freunden, das Bekenntnis abzulegen, daß er Mr. Wardles Tochter aus tiefstem Herzen und aufrichtig liebe und stolz darauf sei, sagen zu können, daß seine Empfindungen erwidert werden, und daß er, wenn auch Tausende von Meilen zwischen ihnen lägen oder ganze Ozeane, er doch keinen Augenblick die seligen Tage vergessen könnte, wo er zum .erstenmal – und so weiter, und so weiter. Nach dieser Erklärung verbeugte sich Mr. Snodgraß abermals, schaute in seinen Hut und schritt zur Tür.

„Halt!“ rief Wardle. „Bei allem, was …“

„Entzündbar ist“, fiel Mr. Pickwick aufatmend ein, denn er hatte gefürchtet, es werde etwas Schlimmeres kommen. „Nun gut – bei allem, was entzündbar ist“, wiederholte Wardle. „Warum haben Sie mir nicht das alles schon früher gesagt?“

„Oder sich mir anvertraut?“ fügte Mr. Pickwick hinzu.

„Du lieber Gott“, sagte Arabella, die Verteidigung übernehmend, „was nützt all das Gefrage, wo man doch weiß, daß Sie Ihr habgieriges altes Herz an einen reicheren Schwiegersohn gehängt haben und überdies so wild und bärbeißig sind, daß jedermann vor Ihnen Angst hat, nur ich nicht. Geben Sie ihm die Hand, und lassen Sie ihm um Gottes Barmherzigkeit willen etwas zu essen kommen. Er sieht ja halb verhungert aus, und dann bestellen Sie schon endlich einmal Ihre Weine, denn Sie werden ja doch nicht eher erträglich, als bis Sie zum mindesten zwei Flaschen getrunken haben.“

Der würdige alte Herr zupfte Arabella am Ohr, küßte sie auch ohne weitere Umstände, küßte auch seine Tochter mit vieler Zärtlichkeit und schüttelte dann Mr. Snodgraß herzlich die Hand.

„In einem Punkt hat sie jedenfalls recht“, sagte er vergnügt. „Pickwick, läute, daß der Wein gebracht wird.“

Der Wein kam, und in demselben Augenblick trat Perker ein. Mr. Snodgraß bekam an einem Nebentisch noch schnell etwas zu essen, und als er damit fertig war, rückte er ohne die mindeste Einwendung des alten Herrn seinen Stuhl dicht neben Emilie.

Der Abend wurde großartig. Der kleine Mr. Perker ging prachtvoll aus sich heraus, erzählte viele komische Geschichten und sang ein ernstes Lied, wobei er noch humoristischer wirkte als bei seinen Anekdoten. Arabellas Charme blühte voll auf, Mr. Wardle wurde sehr jovial, Mr. Pickwick vermittelte nach allen Seiten, Mr. Ben Allen war der Lauteste von allen und Mr. Winkle wurde ungewöhnlich gesprächig. Nur die Liebenden blieben stumm: Alle waren glücklich.