Zwanzigstes Kapitel


Fortsetzung des vorigen Kapitels. – Besuch im Sprechzimmer des Klosters und Unterhaltung mit M. M. – Ein Brief von ihr und meine Antwort darauf. – Neue Zusammenkunft im Kasino von Murano unter den Augen ihres Liebhabers.

Wie ich’s M. M. versprochen hatte, besuchte ich sie am dritten Tage; aber sobald sie das Sprechzimmer betrat, sagte sie mir, ihr Geliebter habe sich anmelden lassen, sie erwarte ihn jeden Augenblick und hoffe, mich am nächsten Tage wieder zu sehen. Ich ging also. In der Nähe der Brücke sah ich einen schlecht maskierten Kavalier aus einer Gondel steigen. Ich sah mir den Gondoliere an und bemerkte, daß er einer von den Leuten des französischen Gesandten war.

»Also der ist’s!« sagte ich zu mir selber. Ohne ihn anscheinend zu beobachten, sah ich ihn ins Kloster eintreten. Jetzt war kein Zweifel mehr möglich, und ich fuhr ganz entzückt über meine Entdeckung nach Venedig zurück; aber ich beschloß, meiner Geliebten nichts zu sagen.

Am nächsten Morgen sah ich sie, und wir hatten folgendes Gespräch miteinander:

»Mein Freund«, sagte sie, »kam gestern, um bis zum Weihnachtsfest Abschied von mir zu nehmen. Er geht nach Padua. Aber es sind alle Anordnungen getroffen, daß wir in seinem Kasino soupieren können, sobald wir Lust haben.«

»Und warum nicht in Venedig?«

»Er hat mich gebeten, während seiner Abwesenheit nicht nach Venedig zu gehen. Er ist klug und vorsichtig: ich durfte ihm seine Bitte nicht abschlagen.«

»Das läßt sich hören. Wann werden wir miteinander speisen!«

»Sonntag, wenn du willst.«

»Wenn ich will – ist nicht gut gesagt. Denn ich will immer. Sonntag werde ich also in der Dämmerung hingehen, werde auf dich warten und mir die Zeit mit Lesen vertreiben. Hast du deinem Freund gesagt, daß du in meinem kleinen Palazzo nicht übel aufgehoben warst?«

»Alles – er weiß alles. Aber mein Herz, eins beunruhigt ihn: er fürchtet die verhängnisvolle Schwangerschaft.«

»Ich will sterben, wenn ich daran gedacht habe! Aber meine Liebe, bist du bei ihm nicht derselben Gefahr ausgesetzt?«

»Nein, das ist ausgeschlossen.«

»Ich verstehe. Da müssen wir also in Zukunft recht vernünftig sein. Da fällt mir ein: neun Tage vor Weihnachten hört die Maskenfreiheit auf. Da werde ich mich in der Gondel nach deinem Kasino begeben müssen; sonst könnte ich leicht von dem Spion erkannt werden, der mir schon einmal nachgegangen ist.«

»Ja, das ist ein sehr verständiger Gedanke. Ich werde dir die Lage des Hauses am Kanal so beschreiben, daß du es leicht finden kannst. Ich hoffe, du wirst auch während der Fastenzeit kommen können, obwohl es, wie man sagt, Gottes Wille ist, daß wir dann unser Fleisch abtöten. Ist es nicht scherzhaft, daß es eine Zeit gibt, wo wir nach Gottes Willen uns wie toll belustigen sollen, und eine andere, wo wir ganz enthaltsam leben müssen, um ihm zu gefallen? Was kann denn nur dieser oder jener Gedenktag mit der Gottheit zu tun haben, und wie kann die Handlungsweise des Geschöpfes dem Schöpfer irgendetwas ausmachen, den meine Vernunft sich doch nur als unabhängig vorstellen kann? Mir scheint, wenn Gott den Menschen so geschaffen hätte, daß er ihn beleidigen könnte, so hätte der Mensch recht, wenn er alles täte, was Gott ihm verboten hatte, denn seine mangelhafte Anlage wäre Gottes Werk. Kann man sich vorstellen, daß Gott während der Fastenzeit traurig ist?«

»Meine reizende Freundin, du sprichst ausgezeichnet. Aber willst du mir nicht sagen, wo du so denken gelernt hast? Wie hast du, in einem Kloster, über den Graben springen können?«

»Mein Freund hat mir gute Bücher gegeben, die ich eifrig gelesen habe, und das Licht der Wahrheit hat die Finsternisse verscheucht, die meinen Blick umhüllten. Ich versichere dir: wenn ich über mich selber nachdenke, finde ich mein Glück, daß ich jemanden fand, der meinen Geist aufklärte, viel größer als mein Unglück, daß ich den Schleier nahm. Denn das größte Glück besteht ohne Zweifel darin, ruhig leben und ruhig sterben zu können; und darauf kann man kaum hoffen, wenn man auf das Gefasel hört, womit die Priester uns die Ohren sprengen.«

»Ich bin ganz deiner Meinung. Aber ich bewundere dich. Denn einen Geist aufzuklären, der so voreingenommen sein mußte wie der deine, das kann nicht das Werk einiger Monate gewesen sein.«

»Mir wäre ohne Zweifel das Licht viel später aufgegangen, wenn ich weniger von Vorurteilen erfüllt gewesen wäre. Ein dichter Vorhang trennte in meinem Geist die Wahrheit vom Irrtum, und nur die Vernunft konnte ihn zur Seite schieben; aber man hatte es mir ja zum Gesetz gemacht, diese arme Vernunft zu fürchten, sie mir fern zu halten, wie wenn ihre Fackel mich hätte verbrennen müssen, statt mich aufzuklären. Seitdem mir nachgewiesen wurde, daß ein vernünftiges Wesen sich nur von der Vernunft dürfte leiten lassen, habe ich mich rückhaltlos ihrer Führung überlassen, und die Binde, die mir die Wahrheit verbarg, ist von meinen Augen gefallen. Die Wahrheit zeigte sich mit Glanz, die Dummheit ist verschwunden, und ich brauche nicht zu befürchten, daß sie wieder die Oberhand gewinnt, denn jeden Tag werde ich stärker, und ich kann sagen, ich habe Gott erst zu lieben begonnen, seitdem ich mich von dem Begriff freigemacht habe, den die Priester mir von ihm gegeben hatten.«

»Dazu wünsche ich dir Glück Du bist glücklicher gewesen als ich, denn du hast in einem Jahre einen längeren Weg zurückgelegt, als ich in zehn.«

»Du hast also nicht damit begonnen, die Schriften von Lord Bolinbroke zu lesen?

Vor fünf Monaten las ich Charons Buch ›De la sagesse‹, und unser Beichtvater bekam, ich weiß nicht wie, Kenntnis davon. Er wagte mir bei der Beichte zu sagen, ich müßte das Lesen derartiger Bücher aufgeben. Ich antwortete ihm: da mein Gewissen keine Unruhe empfände, könnte ich ihm nicht gehorchen. »Dann werde ich Sie nicht absolvieren,« versetzte er. »Ich werde trotzdem zum Abendmahl kommen,« sagte ich. – Hierüber ärgerte er sich, und da er nicht wußte, was er machen sollte, sprach er mit dem Bischof. Seine Eminenz besuchte mich, um mir klar zu machen, daß ich mich meinem Beichtvater fügen müßte. Ich antwortete ihm, wir hätten gegenseitige Pflichten: Die Aufgabe eines Priesters im Beichtstuhl wäre, mich anzuhören, mir eine angemessene Buße aufzuerlegen und mich freizusprechen; denn er dürfte sich nicht einmal erlauben, mir Ratschläge zu geben, wenn ich ihn nicht danach fragte. Der Beichtvater müßte jedenfalls Skandal vermeiden; wenn er sich aber sollte einfallen lassen, mir die Absolution zu verweigern – was er ja tun könnte – so würde ich trotzdem mit den anderen Nonnen zum Abendmahl gehen. Der Bischof sah, daß er bei mir sein Latein verlor, und befahl dem Beichtvater, mich nach meinem Gewissen handeln zu lassen. Dies war mir aber noch nicht genug. Mein Liebhaber verschaffte mir vom Papst ein Breve, das mich ermächtigt, zu beichten, bei wem ich will. Alle meine Mitschwestern sind eifersüchtig auf dieses Vorrecht; ich habe mich desselben aber nur ein einziges Mal bedient, gewissermaßen, um einen Präzedenzfall zu schaffen und mein Recht durch eine Tatsache zu bekräftigen; denn die ganze Geschichte ist nicht der Mühe wert. Ich beichte stets bei demselben Priester, und es wird ihm nicht schwer, mich zu absolvieren, denn ich sage ihm nur, was ich will.«

»Wegen der Übrigen absolvierst du dich selber?«

»Ich beichte Gott, der meine innersten Gedanken kennen und der allein darüber urteilen kann, ob meine Handlungen gut oder böse sind.«

Ich erkannte aus diesem Gespräch, daß meine Schöne ein sogenannter Freigeist war. Ich war darüber keineswegs erstaunt, denn sie hatte ein noch größeres Bedürfnis, ihr Gewissen zu beschwichtigen, als ihre Sinnenlust zu befriedigen.

Am Sonntag Nachmittag nahm ich eine Gondel mit zwei Ruderern und fuhr um die Insel Murano herum, um mir die Lage des Klosters von der Wasserseite einzuprägen und um mir die kleine Pforte zu merken, durch die meine Freundin das Kloster verließ. Es war verlorene Zeit und Mühe. Denn das Ufer, woran das Kloster lag, lernte ich erst während der Novene kennen und die kleine Pforte erst sechs Monate später, noch dazu mit Gefahr meines Lebens; ich werde davon sprechen, wenn wir so weit sind.

Als die Stunde nahte, ging ich in den Tempel der Liebe. Während ich auf meine Göttin wartete, belustigte ich mich damit, mir die Bücher einer kleinen Bibliothek anzusehen, die sich im Boudoir befand. Sie waren nicht zahlreich, aber sorgsam ausgewählt und so recht des Ortes würdig. Man fand da alle Schriften gegen die Religion und alles, was die wollüstigsten Federn über die Freuden der Liebe geschrieben haben – verführerische Bücher, deren Stil den Leser in Flammen setzt und ihn nötigt, die Wirklichkeit zu suchen, von der sie nur das Abbild schildern. Mehrere reich gebundene Foliobände enthielten nur laszive Kupferstiche. Ihr großes Verdienst bestand weit mehr in der Reinheit der Zeichnung als in der Geilheit der Stellungen. Es waren die englischen Stiche zum ›Portier des Chartreur‹, die Bilder zu Meursius‘ Aloysia Sigea Toletana und andere, und alle waren von seltener Schönheit. Zahlreiche kleine Gemälde bedeckten außerdem die Wände des Kabinetts – lauter Meisterwerke in derselben Art wie die Kupferstiche.

Seit einer Stunde war ich damit beschäftigt, alle diese Sachen mir anzusehen, und ihre Betrachtung hatte mich in eine nicht mehr zu bändigende Erregung versetzt, als ich meine schöne Geliebte in Nonnentracht eintreten sah. Ihr Anblick war nicht eben ein Beruhigungmittel, und ich rief daher: »Du kommst gerade im günstigsten Augenblick. Alle diese erotischen Bilder haben ein verzehrendes Feuer in meine Adern gegossen, und in deinem Nonnenkleide mußt du mir das Heilmittel gewähren, das meine Liebe von dir verlangt.«

»Laß mich erst mein gewöhnliches Kleid anziehen, Liebster; in fünf Minuten bin ich ganz dein!«

»In fünf Minuten werde ich schon glücklich gewesen sein; nachher kannst du gehen und dich umkleiden.«

»Aber laß mich doch mich meiner Wollröcke entledigen, die ich nicht liebe.«

»Nein, du mußt die Huldigung meiner Liebe in demselben Kleide empfangen, das du trugst, als du sie in mir wecktest.«

Mit dem demütigsten Gesicht sprach sie ein: Fiat voluntas tua – Dein Wille geschehe, das sie mit dem wollüstigsten Lächeln begleitete; dann ließ sie sich auf ein Sofa niedersinken, und wir vergaßen einen Augenblick die ganze Welt. Nach dieser süßen Entzückung half ich ihr sich auskleiden, und bald verwandelte ein einfaches Kleid aus indischem Musselin meine liebenswürdige Nonne in eine ganz entzückende Nymphe.

Nach emem köstlichen Mahl verabredeten wir uns, daß wir uns erst am ersten Tage der Novene wiedersehen wollten. Sie gab mir die Schlüssel zum Eingang von der Wasserseite und sagte mir, ich könnte bei Tage die Tür an einem aus dem Fenster unmittelbar darüber heraushängenden blauen Bande erkennen, damit ich mich abends nicht irrte. Ich versetzte sie in die höchste Freude, als ich ihr sagte, ich würde bis zur Rückkehr ihres Freundes einfach in ihrem Kasino wohnen bleiben. Während der zehn Tage, die ich in dem Hause verweilte, sah ich sie viermal, und jedesmal überzeugte ich sie, daß ich nur für sie lebte.

Ich vertrieb mir die Zeit mit Lesen und indem ich an C. C. schrieb; aber meine Zärtlichkeit für diese war ruhig geworden. In den Briefen, die sie mir schrieb, interessierte mich am meisten, was sie von ihrer Freundin sagte. Sie tadelte mich, daß ich die Bekanntschaft mit M. M. nicht eifriger gepflegt hatte, und ich antwortete, ich hätte das nicht getan, weil ich befürchtet hätte, erkannt zu werden. Zugleich forderte ich sie auf, unverbrüchliches Schweigen zu beobachten.

Ich glaube nicht, daß es möglich ist, zwei Wesen gleichzeitig in gleichem Maße zu lieben. Auch bleibt die Liebe nicht auf ihrer Höhe, wenn man ihr zu reichliche Nahrung oder wenn man ihr gar keine gibt. Meine Leidenschaft für M. M. bewahrte immer dieselbe Stärke, weil ich sie stets nur unter der größten Gefahr, sie zu verlieren, besitzen konnte. »Es ist unmöglich,« sagte ich zu ihr, »daß nicht ein oder das andere Mal irgendeine Nonne das Bedürfnis verspürt, mit dir zu sprechen, während du gerade abwesend bist.« – »Nein,« antwortete sie mir, »das kann nicht vorkommen, denn jede Nonne muß das Recht haben, sich unzugänglich zu machen, und kein Recht wird im Kloster heiliger gehalten, selbst von Seiten der Abtissin. Nur der Ausbruch eines Brandes wäre zu fürchten, denn alsdann würde alles in schrecklichster Verwirrung sein, und es würde unnatürlich erscheinen, wenn eine Nonne ruhig in ihrer Zelle bliebe, während sie in so großer Gefahr schwebte: dadurch würde dann ohne Zweifel ihre Entweichung bekannt werden. Ich habe die Laienschwester, den Gärtner und eine andere Nonne auf meine Seite zu bringen gewußt; meine Gewandtheit im Bunde mit dem Gelde meines Geliebten hat dieses Wunder gewirkt. Mein Geliebter bürgt mir für die Treue des Kochs und seiner Frau, deren Obhut das Kasino anvertraut ist. Desgleichen ist er auch der beiden Gondoliere sicher; obwohl der eine vor ihnen unfehlbar ein Spion der Staatsinquisitoren ist.«

Am Tage vor Weihnacht sagte sie mir, ihr Liebhaber würde zurückkommen; sie würde am Stefanstage [R1: 26. Dezember] mit ihm die Oper besuchen, und sie würden hierauf die Nacht miteinander verbringen. »Ich erwarte dich, mein süßer Freund, am letzten Tage des Jahres, und hier hast du einen Brief, den ich dich erst in deiner Wohnung zu lesen bitte.«

Da ich also ausziehen mußte, um einem anderen Platz zu machen, schnürte ich in aller Herrgottsfrühe mein Bündel und verließ das Asyl, wo ich zehn Tage lang so hoher Wonnen genossen hatte. Ich begab mich nach dem Palazzo Bragadino und las dort folgenden Brief:

»Du hast mich ein wenig verletzt, lieber Freund, als Du in bezug auf das Geheimnis, worin ich Dir gegenüber die Person meines Liebhabers hüllen muß, mir bemerktest, Du seist zufrieden, mein Herz zu besitzen, und lassest mir die volle Freiheit meines Geistes. Diese Scheidung von Herz und Geist erscheint mir als durchaus sophistisch, und wenn sie Dir nicht so erscheint, so mußt Du zugeben, daß Du mich nicht voll und ganz liebst. Denn unmöglich kann ich ohne Geist existieren, und unmöglich kannst Du mein Herz lieben, wenn es nicht mit meinem Geiste in Einklang steht. Wenn Deine Liebe sich mit dem Gegenteil begnügen kann, so ist sie nicht übermäßig zartfühlend. Da jedoch der Fall eintreten könnte, daß Du mich vielleicht überführen würdest, Dir gegenüber nicht mit der vollen Aufrichtigkeit gehandelt zu haben, die eine wahre Liebe einflößt und verlangen kann, so habe ich mich entschlossen, Dir ein Geheimnis zu entdecken, das meinen Freund betrifft, obwohl ich weiß, daß er fest auf meine Verschwiegenheit rechnet. Ich werde einen Verrat begehen, aber Du wirst mich darum nicht weniger lieben; denn da ich in der Zwangslage bin, zwischen euch beiden wählen und entweder den einen oder den anderen belügen zu müssen, so hat die Liebe den Sieg davongetragen. Aber bestrafe mich nicht dafür, denn ich habe meine Wahl nicht blindlings getroffen, und Du wirst die Gründe abwägen, die die Wagschale sich zu Deinen Gunsten senken ließen.

Als ich mich nicht mehr imstande fühlte, meinem Verlangen nach Deiner näheren Bekanntschaft zu widerstehen, konnte ich nur dadurch zum Ziel gelangen, daß ich mich meinem Freunde offenbarte, und ich zweifelte keinen Augenblick an seiner gefälligen Hilfe. Er bekam von Deinem Charakter einen sehr vorteilhaften Begriff, als er Deinen ersten Brief las – einmal, weil Du das Sprechzimmer für unsere erste Zusammenkunft wähltest, ferner, weil Du sein Kasino in Murano Deinem eigenen vorzogst. Aber er bat mich auch um die Gefälligkeit, ihm zu erlauben, bei unserem ersten Beisammensein anwesend zu sein, und zwar in einem kleinen Kabinett, einem richtigen Versteck, von wo aus man, ohne selber gesehen zu werden, alles sehen kann, was im Salon vorgeht, und alles hören kann, was dort gesprochen wird. Du hast dieses Kabinett noch nicht gesehen, denn man kann dessen Vorhandensein unmöglich erraten; aber Du wirst es am Silvesterabend sehen. Sage mir, mein Herz, konnte ich dem Manne, der mir so großes Entgegenkommen zeigte, diesen eigentümlichen Wunsch versagen? Ich stimmte seiner Bitte zu, und da war es dann ganz natürlich, daß wir die Sache vor Dir geheim hielten. Jetzt weißt Du, daß mein Freund Zeuge war von allem, was wir während unserer ersten Liebesnacht taten und sagten. Aber laß Dich dies nicht verdrießen, denn ihm hat alles an Dir gefallen, Dein Benehmen sowohl wie die hübschen Bemerkungen, mit denen Du mich erheitert hast. Als das Gespräch auf ihn kam, hatte ich eine rechte Angst, Du könntest etwas sagen, was seinem Selbstgefühl nicht schmeichelhaft sein würde; glücklicherweise aber hat er nur lauter Schmeichelhaftes hören können. Hiermit, mein Herz, habe ich Dir aufrichtig meinen ganzen Verrat gebeichtet; aber als Verliebter und kluger Mann wirst Du ihn mir verzeihen und zwar um so leichter, da Du keinen Schaden davon gehabt hast. Mein Freund ist höchst neugierig zu erfahren, wer Du bist. Aber höre: in jener Nacht warst Du natürlich und ganz und gar liebenswürdig; wärst Du es auch gewesen, wenn Du gewußt hättest, daß Du Dich unter den Augen eines Zeugen befandest? Das ist nicht wahrscheinlich, und wenn ich Dich eingeweiht hätte, so würdest Du möglicherweise Dich gar geweigert haben, und vielleicht hättest Du recht gehabt.

Jetzt, da wir uns kennen und da Du, wie ich hoffe, nicht mehr an unserer zärtlichen Liebe zweifelst, will ich mein Gewissen beruhigen und alles an alles setzen. Erfahre also, lieber Freund, daß am Neujahrsabend mein Geliebter im Kasino sein und daß er es erst am nächsten Morgen verlassen wird. Du wirst ihn nicht sehen, aber er wird uns sehen. Da er annimmt, daß Du von nichts wissest, so begreifst Du, wie natürlich in jeder Hinsicht Dein Benehmen sein muß; denn wenn Du nicht natürlich wärest, könnte er auf den Verdacht kommen, daß ich das Geheimnis verraten habe. Am meisten mußt Du auf Deine Worte acht geben. Mein Freund besitzt alle Tugenden mit Ausnahme der theologischen Tugend, die man Glauben nennt, und auf diesem Gebiet magst Du Dich nach Herzenslust ergehen. Über Literatur, Reisen, Politik wirst Du nach Deinem Belieben sprechen; in bezug auf Anekdoten brauchst Du Dich nicht zu genieren; Du kannst seiner Billigung gewiß sein.

Jetzt, mein Freund, bleibt mir nur noch eins zu fragen: bist Du in der Laune, Dich in den Augenblicken, wo Du Dich der süßesten Wollust der Sinne überlieferst, von einem anderen Manne sehen zu lassen? Diese Ungewißheit ist jetzt meine Qual; und ich bitte Dich recht sehr: antworte mir mit einem Ja oder Nein. Begreifst Du, wie peinlich mir diese Befürchtung ist. Fühlst Du, wie schwer es mir werden muß, mich zu einem solchen Schritt zu entschließen. Ich sehe voraus, daß ich die nächste Nacht kein Auge schließen werde, denn ich werde keine Ruhe haben, bevor ich nicht Deine Antwort gesehen habe. Solltest Du glauben, in Gegenwart eines Dritten, zumal eines Unbekannten, nicht zärtlich sein zu können, so werde ich den Entschluß fassen, den die Liebe mir eingeben wird. Ich hoffe indessen, Du wirst kommen! Denn, wenn Du auch die Rolle des Liebenden nicht ganz vollkommen spielen solltest, so würde das weiter nicht schaden. Ich würde ihm einreden, Deine Liebe stände nicht mehr auf ihrem Höhepunkt.«

Dieser Brief überraschte mich. Aber wenn ich es mir recht überlegte, fand ich meine Rolle schöner als die, die der Liebhaber zu spielen gedachte, und so lachte ich herzlich darüber. Ich gestehe indessen, ich würde nicht gelacht haben, wenn ich nicht gewußt hätte, von welcher Art der Mann war, den ich zum Zeugen haben sollte. Da ich wußte, daß meine Freundin in großer Unruhe war, und da ich sie beruhigen wollte, schrieb ich ihr sofort folgendes:

»Du wünschest, göttliches Weib, daß ich Dir mit Ja oder Nein antworte. Voller Liebe zu Dir, will ich Dir meine Antwort noch vor Mittag zukommen lassen, damit Du ohne alle Unruhe essen kannst.

Ich werde die Neujahrsnacht mit Dir verbringen, und ich versichere Dir, wir werden dem Freunde ein Schauspiel bieten, dessen Paphos und Amathunt sich nicht hätten zu schämen brauchen. Er wird nichts sehen und hören, was ihn auf die Vermutung bringen könnte, ich wäre in sein Geheimnis eingeweiht; und verlaß Dich drauf, ich werde meine Rolle nicht als Dilettant, sondern als Meister spielen. Wenn der Mensch die Pflicht hat, stets Sklave seiner Vernunft zu sein; wenn er, soweit es von ihm selber abhängt, nichts sich erlauben darf, ohne ihrer Führung zu folgen – so werde ich niemals zu begreifen vermögen, daß ein Mensch sich schämen kann, sich einem Freunde in einem Augenblick zu zeigen, wo Natur und Liebe ihn gleichermaßen begünstigen.

Ich will Dir jedoch gestehen, daß Du übel daran getan haben würdest, mir das Geheimnis gleich beim erstenmal anzuvertrauen, und daß ich mich ohne Zweifel geweigert haben würde, in dieser Weise Dir gefällig zu sein. Nicht daß ich Dich damals weniger liebte, als ich Dich heute liebe – aber es gibt in der Natur so absonderliche Geschmacksverirrungen, daß ich mir vielleicht eingebildet hätte, es sei der Geschmack Deines Liebhabers, seinen Genuß im Anblick der Genüsse eines leidenschaftlichen und der süßesten Vereinigung sich schrankenlos hingebenden Liebespaares zu suchen. Dieser Gedanke hätte mir vielleicht einen unvorteilhaften Begriff von Dir gegeben und der Verdruß hätte vielleicht die Liebe abgekühlt, die Du mir eingeflößt hattest, die aber doch nur im ersten Entstehen begriffen war. Heute, meine reizende Freundin, liegt der Fall ganz anders, denn ich weiß vollkommen, welch einen Schatz ich in Deiner Liebe besitze. Aus allem, was Du mir über Deinen Freund erzählt hast, habe ich eine genaue Kenntnis seines Charakters gewonnen; ich liebe ihn und ich halte ihn für meinen Freund. Wenn Dich nicht ein Gefühl von Scham abhält, Dich in glühender zärtlicher Vereinigung mit mir von ihm sehen zu lassen, wie soll denn ich selber mich schämen, da doch im Gegenteil alles mich nur stolz machen kann. Ich kann, meine Göttin, weder darob erröten, daß ich Dich erobert habe, noch kann ich mich schämen, zu zeigen, mit welcher Freigebigkeit die Natur mir Schönheit und Kraft schenkte, die mir so lebhafte Genüsse geben und denen ich die Gewißheit verdanke, das von mir angebetete Weib an diesen Genüssen teilnehmen zu lassen. Ich weiß wohl, daß infolge eines Gefühls, das man natürlich nennt, das aber vielleicht nur ein Produkt der Zivilisation ist und aus jugendlichen Vorurteilen entspringt – ich weiß wohl, sage ich, daß es den meisten Menschen widerstrebt, sich in solchen Augenblicken sehen zu lassen. Diejenigen aber, die keine guten Gründe für solche Abneigung anführen können, müssen wohl etwas von der Natur der Katzen an sich haben; übrigens haben sie vielleicht recht gute Gründe und brauchen sich deshalb doch nicht für verpflichtet zu halten, sie irgend einem Menschen mitzuteilen, außer der Frau, die sich dadurch täuschen läßt. Ich entschuldige von ganzem Herzen alle diejenigen, die da wissen, daß sie nur das Mitleid der Zuschauer erregen würden; wir aber wissen, daß wir dieses traurige Gefühl gewiß nicht auslösen können! Alles, was Du mir von Deinem Freunde gesagt hast, gibt mir die Gewißheit, daß er unsere Genüsse teilen wird. Aber weißt Du auch, wie es kommen wird? Das Feuer unserer Leidenschaften wird die seine entflammen und – es tut mir leid um diesen ausgezeichneten Menschen – er wird nicht mehr an sich halten können, er wird sich mir zu Füßen werfen und mich bitten, ihm Dich abzutreten, die allein seine Erregung beruhigen kann. Was soll ich machen, wenn dieser Fall eintritt? Dich ihm überlassen? Ich könnte mich anstandshalber dessen nicht weigern; aber ich würde gehen, denn es wäre mir unmöglich, ruhiger Zuschauer zu sein.

Leb also wohl, mein Engel, alles wird gut gehen. Bereite Dich auf den athletischen Kampf vor, den wir miteinander bestehen müssen, und verlasse Dich auf den Glücklichen, der Dich anbetet!«

Ich verbrachte die sechs freien Tage mit meinen Freunden und im Ridotto, der zu jener Zeit am Stefanstage eröffnet wurde. Da ich nicht abziehen konnte – denn nur den Adligen war es erlaubt, im Patriziertalar die Bank zu halten –, so spielte ich morgens und abends und verlor beständig; denn wer nur setzt, muß verlieren. Der Verlust von vier- bis fünftausend Zechinen, die meinen ganzen Reichtum ausmachten, hatte aber nicht die Wirkung, meine Liebe abzukühlen, sondern schien ihr nur neue Glut zu verleihen.

Gegen Ende des Jahres 1774 erließ der Große Rat ein Gesetz, das alle Glücksspiele verbot und dessen erste Wirkung darin bestand, daß der Ridotto geschlossen werden mußte. Dieses Gesetz war ein wirkliches Wunder. Als die Stimmzettel der Urne entnommen waren, sahen die Senatoren sich gegenseitig ganz verdutzt an. Sie hatten ein Gesetz beschlossen, das sie gar nicht beschließen konnten, denn drei Viertel der Abstimmenden wollten nichts davon wissen, und trotzdem waren drei Viertel der Stimmen zugunsten des Gesetzes. Man sagte, es sei ein Wunder des heiligen Markus, den der damalige Großkorrektor, jetzige Kardinal Monsignore Kardinal Flangini, und die drei Staatsinquisitoren darum angefleht hätten.

Am verabredeten Tage erschien ich zur gewöhnlichen Stunde am gewöhnlichen Ort, und meine Freundin ließ mich nicht warten. Sie war im Kabinett, wo sie sich bereits hatte umkleiden können; sobald sie mich hörte, trat sie zu mir ins Zimmer. Sie war mit seltener Eleganz gekleidet.

»Der Freund ist noch nicht auf seinem Posten; sobald er aber da ist, werde ich dir einen Wink mit den Augen geben.«

»Wo ist denn dieses geheimnisvolle Kabinett?«

»Dort! Betrachte die Rücklehne des Kanapees an der Wand. Alle diese in Reliefs gearbeiteten Blumen haben in der Mitte ein Loch, durch welches man von dem dahinter befindlichen Kabinett aus hindurchsehen kann. Dieses enthält ein Bett, einen Tisch und was jemand sonst noch braucht, der darin die Nacht verbringen und zu seiner Belustigung sich ansehen will, was hier im Salon vorgeht. Ich werde es dir zeigen, sobald du willst.«

»Hat dein Liebhaber es so einrichten lassen?«

»Nein, gewiß nicht; denn er konnte nicht voraussehen, daß er je davon Gebrauch machen würde?«

»Ich begreife, daß solches Schauspiel ihm großes Vergnügen bereiten kann. Aber was wird er machen, wenn er in einem Augenblick, wo die Natur es gebieterisch fordert, dich nicht besitzen kann?«

»Das ist seine Sache. Übrigens kann er ja gehen, wenn er sich langweilt, oder schlafen, wenn er müde wird. Aber wenn du dich nach deiner Natur benimmst, wird er sich nicht langweilen.«

»Das werde ich tun; nur werde ich höflicher sein.«

»Keine Höflichkeiten, bitte, bitte! Denn wenn du höflich bist – ade Natur! Wo hast du je gesehen, ich bitte dich, daß zwei Liebende in der vollen Raserei der Liebe daran denken, Höflichkeitsformen zu beobachten?«

»Du hast recht, mein Herz; aber ich werde zart sein.«

»Das lasse ich gelten; Zartgefühl verdirbt nichts. Aber sei nicht anders als sonst. Dein Brief hat mir Freude gemacht; du hast das Thema als Sachverständiger behandelt!«

Meine Geliebte war, wie ich vorhin sagte, mit bemerkenswerter Eleganz gekleidet; aber ich hätte hinzufügen sollen, daß diese Eleganz die der Grazien war und der Einfachheit und Ungezwungenheit ihres Wesens keinen Abbruch tat. Auffallend fand ich nur, daß sie sich geschminkt hatte; doch gefiel es mir, weil sie die Schminke nach Art der Versailler Damen aufgelegt hatte. Der Reiz dieser Malerei besteht in der Nachlässigkeit, womit man sie auf die Wangen aufträgt. Man will gar nicht, daß dieses Rot natürlich aussehen soll; man legt es auf, um den Augen eine Lust zu bereiten; denn diese sehen darin Anzeichen einer Trunkenheit der Sinne, die ihnen außergewöhnliche Genüsse und zauberhafte Liebesrasereien verspricht.

Sie sagte mir, sie habe sich dem Neugierigen zuliebe so geschmückt, denn er habe an dieser Art des Schminkens viel Vergnügen.

»An diesem Geschmack«, sagte ich, »errate ich, daß er Franzose ist.«

Bei diesen Worten gab sie mir einen Wink: der Freund war auf seinem Posten. Die Komödie begann:

»Je mehr ich dich ansehe, mein Engel, desto mehr finde ich dich meiner Anbetung würdig.«

»Aber du bist doch überzeugt, daß du nicht eine grausame Gottheit anbetest?«

»Gewiß; deshalb bringe ich dir ja auch keine Opfer dar, um dich zu besänftigen, sondern um dich zu entflammen. Du wirst die ganze Nacht hindurch die Glut meiner Verehrung spüren!«

»Du wirst mich nicht unempfindlich gegen deine Opfer finden.«

»Ich würde sie sofort beginnen, aber ich glaube, um ihrer Wirksamkeit um so gewisser zu sein, müssen wir erst soupieren; denn ich habe heute noch nichts zu mir genommen als eine Tasse Schokolade und einen Salat von hartem Eiweiß mit Luccaöl und Räuberessig.«

»Aber, lieber Freund, welche Torheit! Du mußt krank sein!«

»Ja, in diesem Augenblick; aber ich werde mich vortrefflich befinden, wenn ich diese Eier eins nach dem anderen deiner liebenden Seele eingeflößt habe.«

»Ich glaubte nicht, daß du Reizmittel nötig hättest.«

»Wer hätte solche bei dir nötig! Aber ich habe eine begründete Furcht: sollte es mir zustoßen, daß das Zündhütchen Feuer finge, ohne daß der Schuß losginge – so würde ich mir eine Kugel durch den Kopf schießen.«

»Mein lieber Schwarzkopf, das wäre gewiß ein Unglück; aber deswegen braucht man doch noch nicht in Verzweiflung zu geraten.«

»Du meinst, ich brauchte nur einfach den Angriff zu erneuern?«

»Natürlich!«

Während wir uns mit solchen erbaulichen Gesprächen ergötzten, war der Tisch gedeckt worden, und wir nahmen Platz. Sie aß für zwei und ich für vier, denn unser ausgezeichneter Appetit wurde durch die Vortrefflichkeit der Speisen noch angespornt. Der prachtvolle Nachtisch wurde in Schüsseln von vergoldetem Silber aufgetragen, die zu den beiden vierarmigen Tischleuchtern paßten. Als sie bemerkte, daß ich deren Schönheit bewunderte, sagte sie: »Sie sind ein Geschenk von meinem Geliebten.«

»Ein prachtvolles Geschenk. Hat er dir auch die Lichtputzer dazu gegeben?«

»Nein.«

»Danach möchte ich glauben, daß dein Freund ein großer Herr ist.«

»Wieso denn?«

»Große Herren wissen nicht, daß man die Kerzen putzt.«

»Unsere Kerzen haben Dochte, die man nicht zu putzen braucht.«

»Sage mir doch, von wem du dein Französisch gelernt hast?«

»Vom alten La Forest. Ich war sechs Jahre lang seine Schülerin. Er hat mich auch Verse machen gelehrt. Aber weißt du – du kennst eine Menge Wörter, die ich niemals von ihm gehört habe, wie z. B. à gogo, frustratoire, rater, dorloter. Von wem hast du sie gelernt?«

»Von der Pariser guten Gesellschaft und besonders von den Frauen.«

Nachdem sie den Punsch bereitet hatte, machten wir uns den Spaß, Austern auf die wollüstigste Art zu essen, die nur zwei sich anbetenden Liebenden möglich ist. Wir schlürften sie abwechselnd einander aus dem Munde, nachdem wir sie auf die Zunge gelegt hatten. Wollüstiger Leser – iß Austern auf diese Art und sage, ob dieses nicht ohne Frage der Nektar der Götter ist!

Endlich war genug getändelt; wir mußten an ausgiebigere Genüsse denken, und ich erinnerte sie daran. »Warte!« sagte sie; »ich werde das Kleid wechseln, in einem Augenblick bin ich dein.« Ich wußte nicht recht, was ich allein anfangen sollte, und stöberte in den Schubfächern ihres Schreibtisches herum. Mehrere Briefe, die ich fand, ließ ich unberührt; als ich aber eine Schachtel mit gewissen zur Verhütung der Empfängnis dienenden Futteralen fand, nahm ich den Inhalt an mich und legte an die Stelle des Gestohlenen folgende Verse:

Enfants de l’amitié, ministres de la peur,
Je suis l’Amour, tremblez! respectez le voleur!
Et toi, femme de Dieu, ne crains pas d’ètre mère;
Car si tu le deviens, Dieu seul sera le père.
S’il est dit cependant, que tu veux te barrer,
Parle: je suis tout prêt; je me ferai chatrer.

Kinder der Freundschaft, Diener der Furcht,
Ich bin Amor. Zittert! Respekt vor dem Dieb!
Und du göttliche Braut, fürchte nicht Mutter zu werden,
Denn wenn du es wirst, ist Gott allein der Vater.
Doch, wenn du durchaus dich versperren willst –
So sprich: Meine Mannheit zu opfern bin ich bereit!

Es dauerte nicht lange, so kehrte meine Liebste, wie eine Nymphe gekleidet, zurück. Ein Kleid aus indischem Musselin, mit goldenen Lilien bestickt, ließ zum Entzücken ihre wollüstigen Formen hervortreten, und ihr Häubchen aus echten Spitzen war einer Königin würdig. Ich warf mich ihr zu Füßen und bat sie, mein Glück nicht länger zu verzögern.

»Mäßige dein Feuer noch wenige Augenblicke,« sagte sie; »da ist der Altar, und in zwei Minuten wird das Opfer in deinen Armen liegen.«

Sie ging auf den Schreibtisch zu und fuhr fort: »Du sollst sehen, wie weit die zartfühlende Sorgfalt meines Freundes sich erstreckt!« Sie holte die Schachtel hervor und öffnete sie; aber statt der gesuchten Überzieherchen fand sie meine Verse. Nachdem sie diese gelesen und dann laut noch einmal gelesen hatte, nannte sie mich einen Dieb, gab mir eine Menge Küsse und bat mich, ich möchte meine Beute wieder herausgeben. Aber ich stellte mich, als wüßte ich von nichts. Sie las meine Verse noch einmal, dachte einen Augenblick nach, sagte, sie wolle eine bessere Feder holen und ging hinaus. »Ich will dich in gleicher Münze bezahlen,« rief sie dabei lachend. Einen Augenblick darauf kam sie wieder und schrieb folgenden Sechszeiler:

Ohne den Liebesgenuß zu verkürzen,
Erfüllt meine Wünsche was du mir gestohlen;
Geschützt vor Gefahr und darum zufrieden
Schwelgt meine Seele in höchster Wollust
Und willst in Sicherheit mit mir genießen du selbst,
Gib mir, mein süßer Freund, der Freundschaft Gaben zurück.

Einem solchen Angriff konnte ich unmöglich länger widerstehen, und ich gab ihr die Dinger zurück, die für eine der Venus opfernde Nonne so kostbar sind.

Es hatte Mitternacht geschlagen. Ich zeigte ihr den sehnsüchtigen kleinen Helden, und sie machte das Sofa zurecht, indem sie sagte, im Alkoven wäre es zu kalt und wir wollten lieber im Salon schlafen. In Wirklichkeit traf sie diese Anordnung, damit wir dem neugierigen Liebhaber sichtbar wären.

Leser! Jedes Gemälde braucht Schatten; auch das Schönste muß hier und da verschleiert werden. Um dir die fortwährend sich ändernde Szene zu schildern, die wir bis zur Morgendämmerung aufführten, müßte ich alle Farben von Aretinos reicher Palette zur Verfügung haben. Ich war glühend und kräftig, aber ich hatte es mit einer starken Gegnerin zu tun, und am Morgen nach dem Kampf waren wir völlig erschöpft. Ja, ich war in solchem Maße erschöpft, daß meine reizende Nonne sich ernstlich um mich beunruhigte. Sie hatte in der Tat während des letzten Opfers mein Blut auf ihren Busen spritzen sehen, und da sie auf eine solche Erscheinung nicht gefaßt war, erbleichte sie vor Schreck. Ich verscheuchte ihre Furcht durch allerlei Tollheiten, über die sie herzlich lachen mußte. Ich wusch ihren wundervollen Busen mit Rosenwasser, um ihn von dem Blut zu reinigen, das ihn zum erstenmal in ihrem Leben gefärbt hatte. Sie sprach mir ihre Furcht aus, sie könnte vielleicht einen Tropfen davon verschluckt haben; aber ich überzeugte sie leicht, daß dies nichts zu bedeuten hätte, selbst wenn es der Fall sein sollte. Sie zog ihr Nonnenkleid an und beschwor mich, zu Bett zu gehen und ihr noch vor meiner Rückkehr nach Venedig über mein Befinden zu schreiben. Auch sie wollte mir sogleich schreiben; erst nach einer halben Stunde hörte ich sie das Haus verlassen. Gewiß war sie die Zeit über bei ihrem Freunde geblieben.

Es wurde mir leicht, ihr zu gehorchen, denn ich hatte das größte Bedürfnis nach Ruhe; ich schlief bis zum Abend. Als ich erwachte, teilte ich ihr schnell mit, daß ich mich ausgezeichnet wohl befände und vollkommen dazu aufgelegt wäre, unsern köstlichen Kampf von neuem zu beginnen. Ich bat sie, mir zu schreiben, wie es ihr ginge, und fuhr nach Venedig zurück.

Einundzwanzigstes Kapitel


Ich schenke M. M. mein Bild. – Ihr Gegengeschenk. – Ich gehe mit ihr in die Oper. – Sie spielt und bringt mich wieder zu Gelde. – Philosophische Unterhaltung mit ihr. – Brief von C. C.; sie weiß alles. – Ball im Kloster; meine Heldentaten als Pierrot. – Anstelle von M. M. kommt C. C. ins Kasino. – Dumme Nacht, die ich mit ihr verbringe.

Meine liebe M. M. hatte den Wunsch geäußert, mein Bildnis zu besitzen; es sollte in der Art wie das von C. C. sein, aber größer, um es als Medaillon tragen zu können. Es sollte mit dem Bilde irgend eines Heiligen oder einer Heiligen bedeckt sein und eine unsichtbare Feder besitzen, um den Deckel aufspringen zu lassen, so daß das Bild zum Vorschein käme. Um mein Versprechen zu erfüllen, ging ich zu dem Maler, der mir das erste Miniaturbild angefertigt hatte. In drei Sitzungen erhielt ich das Gewünschte. Der gleiche Maler machte mir eine Verkündigung worauf der Engel Gabriel mit schwarzen Locken und die heilige Jungfrau als ein schönes blondes Weib dargestellt war, das ihm die Arme entgegenstreckte. Der berühmte Maler Mengs ahmte diese Idee nach in der Verkündigung, die er zwölf Jahre später in Madrid malte; ich weiß aber nicht, ob er die gleichen Gründe hatte wie mein Maler. Die Allegorie war genau von der gleichen Größe wie mein Bildnis, und der Goldschmied, der das Medaillon machte, brachte das heilige Bild so an, daß kein Mensch ahnen konnte, daß es nur als Hülle für einen ganz weltlichen Kopf dienen sollte.

Am 2. Januar 1754 sprach ich, bevor ich mich ins Casino begab, bei Laura vor, um ihr einen Brief für C. C. zu übergeben und von meiner kleinen Frau einen zu empfangen, über den ich herzlich lachen mußte. Meine Nonne hatte das junge Mädchen nicht nur in die Mysterien der Sappho, sondern auch in die hohe Metaphysik eingeweiht, denn C. C. war ein Freigeist geworden. Sie schrieb mir, sie wolle ihrem Beichtvater nichts mehr von ihren Angelegenheiten sagen, und da sie ihm auch keine Lügen erzählen wolle, so sage sie ihm gar nichts mehr. »Er hat mir gesagt, daß ich ihm vielleicht deshalb nichts sage, weil ich wohl mein Gewissen nicht scharf genug prüfe, und ich habe ihm geantwortet, ich hätte ihm nichts zu sagen, aber wenn ihm was daran läge, so würde ich irgend eine Sünde nur zu dem Zweck begehen, um ihm etwas sagen zu können.« Ich fand die Antwort eines vollendeten Sophisten würdig und lachte recht vergnügt darüber.

An demselben Tage empfing ich von meiner angebeteten Nonne folgenden Brief:

»Ich schreibe Dir von meinem Bett aus, mein lieber Schwarzkopf, denn es ist mir unmöglich, mich aufrecht zu halten; ich fühle mich wie gerädert. Aber ich beunruhige mich nicht darum; etwas Ruhe wird mich heilen, denn ich esse gut und schlafe ausgezeichnet. Du hast mir Balsam in mein Blut gegossen durch die Mitteilung, daß das Vergießen des Deinigen keine bösen Folgen gehabt hat; ich werde mich am Dreikönigstage in Venedig selber davon überzeugen, das heißt: wenn Du willst. Du wirst mir darüber Bescheid geben. Solltest Du Dich meinen Wünschen ergeben, liebes Herz, so bitte ich Dich, mit mir in die Oper zu gehen. Übrigens denke daran, daß ich Dir für die Zukunft den Eiweißsalat streng verbiete; denn ich wünsche etwas weniger Genuß und dafür mehr Sicherheit in bezug auf Deine teure Gesundheit. Wenn Du künftighin nach Murano ins Kasino gehst, so frage, ob jemand da sei; und wenn man Dir bejahend antwortet, so entferne Dich; mein Freund wird es ebenso machen. Auf diese Weise lauft ihr keine Gefahr, euch zu begegnen; aber dieses etwas gezwungene Verhältnis wird nur noch kurze Zeit dauern, wenn es Dir recht ist, denn mein Freund ist ganz in Dich vernarrt und hat den brennenden Wunsch, Deine Bekanntschaft zu machen. Er sagte mir, er hätte es nie geglaubt, wenn er es nicht mit angesehen hätte, daß ein Mann solche Leistungen vollbringen könnte; aber er behauptet, Du forderst den Tod heraus, wenn Du Dich dem Liebesgenuß in solcher Weise hingibst; denn er versichert, das Blut, das Du vergossen habest, müsse aus dem Gehirn kommen. Aber was wird er sagen, wenn er erfährt, daß Du Dich darüber nur lustig machst! Paß auf, jetzt wirst Du aber lachen: er will Eiweißsalat essen, und ich soll Dich bitten, mir von Deinem Essig zu geben; denn er behauptet, in Venedig bekomme man nicht den richtigen. Er sagte mir, er habe eine köstliche Nacht verbracht, obwohl er wegen der Folgen unserer Liebeskämpfe Befürchtungen hege; denn er findet, daß meine Anstrengungen zu viel gewesen seien für die zarten Kräfte meines Geschlechtes. Das kann wohl sein, mein lieber Schwarzkopf, einstweilen bin ich ganz entzückt, mich selber übertroffen und eine so köstliche Probeleistung meiner Kraft abgelegt zu haben. Ohne Dich, mein Herz, hätte ich so hingelebt, ohne mich selbst zu erkennen, und ich frage mich, ob es möglich wäre, daß die Natur ein Weib hervorgebracht hätte, das in Deinen Armen gefühllos bleiben könnte, das nicht vielmehr an Deiner Brust ein neues Leben empfangen müßte. Es ist nicht genug, daß ich sage, ich liebe Dich: ich bete Dich an, ich vergöttere Dich, und meine Lippen schicken in der Hoffnung, den Deinigen zu begegnen, tausend Küsse in die Lüfte. Ich brenne vor Verlangen, Dein göttliches Bildnis zu besitzen, um in holder Täuschung das Feuer zu ersticken, das meine liebenden Lippen verzehrt. Ich hoffe, mein Bild wird Dir ebenso teuer sein, denn mich dünkt, die Natur hat uns beide füreinander geschaffen; und ich verwünsche den unseligen Augenblick, da ich aus eigenem Willen ein Hindernis unserer Vereinigung schuf. Ich schicke Dir anbei den Schlüssel zu meinem Schmuckschrank. Suche darin und nimm das Päckchen, das Du mit den Worten: »Für meinen Engel« bezeichnet finden wirst. Es ist ein kleines Geschenk, das ich Dir auf Wunsch meines Freundes als Gegengabe für das mir von Dir geschenkte herrliche Nachthäubchen verehre. Leb wohl!«

Der kleine Schlüssel, der in dem Brief lag, gehörte zu einem Schränkchen, das sich im Boudoir befand. Ungeduldig zu erfahren, was das auf Veranlassung ihres Freundes mir gemachte Geschenk wohl sein möchte, öffnete ich sofort und fand ein Päckchen, das einen Brief und ein Lederkästchen enthielt.

»Was Dir, wie ich hoffe,« – so hieß es in dem Brief, – »dies Geschenk wertvoll machen wird, ist das Bild einer Frau, die Dich anbetet. Unser Freund besaß zwei davon, aber seine Freundschaft für Dich hat ihm den glücklichen Gedanken eingegeben, das eine zu Deinen Gunsten herzugeben. Die Dose enthält mein Bild in doppelter Gestalt unter zwei verschiedenen Geheimverschlüssen: wenn Du den einen Boden der Tabaksdose der Länge nach zur Seite schiebst, wirst Du mich als Nonne sehen ; drückst Du hierauf auf die schmale Seite, so wirst Du einen Deckel auffpringen sehen, und dann werde ich mich Deinen Augen im Zustande der einfachen Natur darbieten. Unmöglich, mein holder Freund, kann jemals ein Weib Dich so geliebt haben, wie ich Dich liebe. Unser Freund schürt meine Leidenschaft durch die schmeichelhafte Anerkennung, womit er von Dir spricht. Ich vermag nicht zu entscheiden, welches für mich ein größeres Glück ist: einen solchen Freund oder einen solchen Geliebten zu besitzen, denn ich kann mir nicht vorstellen, wie ihr beide übertroffen werden könntet.«

Das Lederkästchen enthielt eine Tabaksdose, und einige Körner spanischen Tabaks bewiesen, daß sie benutzt worden war. Ich befolgte die Anweisungen des Briefes und sah zunächst meine Geliebte als Nonne, stehend und halb im Profil dargestellt. Das zweite Bild zeigte sie mir nackt auf einem schwarzen Atlaspolster in der Stellung der Correggioschen Magdalena ausgestreckt. Sie blickte nach einem Amor, der seinen Köcher vor sich liegen hatte und anmutig auf ihren Nonnenkleidern saß. Es war ein so schönes Geschenk, daß ich mich desselben nicht für würdig hielt. Ich schrieb ihr einen Brief, die lebhafteste Dankbarkeit sich mit den Ausdrücken der glühendsten Liebe mischte. Das Schränkchen enthielt in seinen Schubläden alle ihre Diamanten und vier Börsen voll von Zechinen. Ich bewunderte ihr vornehmes Zutrauen und schloß das Schränkchen wieder zu, indem ich gewissenhaft alles an seinem Platze ließ. Dann fuhr ich nach Venedig zurück. Hätte ich mich der Herrschaft des Glückes entziehen können – ich meine: Hätte ich aufgehört zu spielen, so wäre ich in jeder Hinsicht glücklich gewesen.

Mein Porträt war mit vollendeter Kunst gefaßt; da es dazu hestimmt war, am Halse getragen zu werden, befestigte ich es an sechs Ellen venezianischer Kette mit spanischer Masche und machte auf diese Art ein sehr vornehmes Geschenk daraus. Die geheime Feder lag in dem Ring, an welchem das Medaillon hing, wodurch es sehr schwer wurde, sie zu entdecken; man mußte kräftig und auf ganz bestimmte Art an dem Ring ziehen, um die Feder wirken zu lassen und das Bild zu entblößen. Wenn man das Medaillon wieder schloß, sah man nur die Verkündigung, und alsdann war es ein schönes Schmuckstück für eine Nonne.

Am Abend des Dreikönigstages ging ich, mit meinem Medaillon in der Tasche, schon frühzeitig nach der Piazza San Giovanni e San Paolo und stellte mich als Schildwache an die schöne Bildsäule, die dem Helden Colleoni errichtet wurde, nachdem man ihn hatte vergiften lassen, wenn die Geheimgeschichte nicht lügt. Sit divus, modo non vivus; Sei er Gott – aber tot ist ein Wort des aufgeklärten Despotismus, das stets gelten wird, solange es Könige gibt. Punkt zwei Uhr sah ich meine Geliebte aus der Gondel steigen, sie war in weiblicher Tracht und sehr gut maskiert. Wir besuchten die Oper im Teatro San Samuele; nach dem zweiten Ballett gingen wir nach dem Ridotto, wo es ihr viel Spaß machte, die adligen Damen sich anzusehen, die allein das Vorrecht hatten, sich mit entblößtem Gesicht hinzusetzen. Nachdem wir eine halbe Stunde in den Sälen herumspaziert waren, gingen wir in den großen Spielsaal. Sie blieb am Tische des Herrn von Mocenigo stehen, der zu jener Zeit der nobelste von den adligen Bankhaltern war. Da niemand bei ihm spielte, saß er in nachlässiger Haltung da und ließ sich von einer maskierten Dame, die ich erkannte, etwas ins Ohr erzählen. Es war Frau Pisani, und er war ihr Anbeter.

M. M. fragte mich, ob ich spielen wollte, und ich antwortete:

»Nein.«

»Ich spiele mit dir halbpart,« sagte sie zu mir, und ohne meine Antwort abzuwarten, zog sie eine Börse hervor und setzte eine Rolle Gold auf eine Karte.

Ohne sich in seinem Gespräch stören zu lassen, nahm der Bankhalter das Spiel Karten, mischte und zog ab; meine Freundin gewann ihre Karte und gewann noch einmal das Paroli. Der Bankier zahlte, nahm ein anderes Spiel Karten und plauderte ruhig weiter mit seiner Dame, obwohl meine Schöne jetzt vierhundert Zechinen auf ihrer Karte stehen hatte. M. M. sagte zu mir in gutem Französisch:

»Unser Spiel ist nicht hoch genug, um den Herrn zu interessieren; wir wollen gehen.«

Sie zog ihre Karte zurück, und ich strich das Geld ein und steckte es in meine Taschen, ohne Herrn Mocenigo zu antworten, der zu mir sagte:

»Ihre Maske ist aber wirklich zu intolerant.«

Ich ging meiner schönen Spielerin nach, die bereits von einem Kreise von Neugierigen umringt war.

Bald darauf blieben wir am Tisch des Herrn Pietro Mareello stehen, eines liebenswürdigen jungen Kavaliers; neben ihm saß Signora Veniero, die Schwester des Herrn von Momolo. Meine Geliebte spielte und verlor fünf Goldrollen hintereinander. Als sie kein Geld mehr hatte, nahm sie ein paar Händevoll Gold aus meiner Tasche, und nach vier oder fünf Taillen lag die Bank in den letzten Zügen. Sie hörte auf, und der edle Bankhalter machte ihr mit einer Verbeugung ein Kompliment über ihr Glück. Nachdem ich das ganze gewonnene Geld eingesteckt hatte, reichte ich ihr den Arm und wir gingen; ich bemerke, daß einige Neugierige uns folgten, und nahm eine Überfahrtsgondel, die ich an irgend einem beliebigen Ort landen ließ. Auf diese Weise entzieht man sich in Venedig stets den allzu neugierigen Augen.

Nach dem Essen zählte ich unsern Gewinn und fand, daß auf meinen Teil tausend Zechinen kamen. Aus dem Rest machte ich Rollen, und meine Freundin bat mich, diese zu dem anderen Geld in ihren kleinen Schrank zu legen. Als dieses erledigt war, zog ich mein Medaillon aus der Tasche und hängte es ihr um den Hals, was ihr die größte Freude machte. Nachdem sie sich lange damit abgemüht hatte, die Feder zu suchen, ohne sie jedoch entdecken zu können, zeigte ich ihr endlich das Geheimnis. Sie fand mein Bild sehr ähnlich.

Da wir nur drei Stunden vor uns hatten, um sie den Mysterien der Liebe zu weihen, so bat ich sie um Erlaubnis, davon Gebrauch machen zu dürfen.

»Ja,« sagte sie, »aber sei vernünftig! Unser Freund behauptet, du könntest auf der Stelle tot bleiben.«

»Und warum glaubt er, daß du gegen diese Gefahr gefeit seist? Deine Verzückungen sind ja doch viel häufiger als die meinen.«

»Er sagt, der Saft, den wir von uns geben, komme nicht aus dem Gehirn, wie bei euch, und die Zeugungsteile der Frau stehen nicht im Zusammenhange mit der Intelligenz. Hieraus folge, daß das Kind in bezug auf das Gehirn, das der Sitz der Vernunft sei, nicht von der Mutter abstamme, sondern vom Vater. Und dies scheint mir wahr zu sein. Bei dem so wichtigen Akt hat die Frau höchstens so viel Vernunft, wie sie selber notwendig braucht, und es bleibt ihr keine übrig, um dem Wesen, das sie erzeugt, einen Teil davon abzugeben.«

»Dein Freund ist gelehrt. Aber höre, mir geht auf einmal ein Licht auf. Wenn diese Theorie richtig ist, so muß man offenbar den Frauen alle Torheiten verzeihen, die sie aus Liebe begehen, während der Mann unentschuldbar ist. Ich wäre in Verzweiflung, wenn ich schuld daran wäre, daß du Mutter würdest.«

»Ich werde binnem kurzem wissen, ob es so ist. Und wenn es wirklich der Fall wäre – nun, um so besser! Ich habe meinen Entschluß gefaßt.«

»Und was ist das für ein Entschluß?«

»Mich gänzlich euch beiden zu überlassen! Ich bin sicher, daß weder du noch er mich im Kloster niederkommen lassen werdet.«

»Dies wäre ein verhängnisvolles Ereignis, das unser ganzes Schicksal bestimmen würde. Ich würde dich nach England entführen und dort heiraten.«

»Mein Freund glaubt, man könnte einen Arzt bestechen, der mir irgend eine erdichtete Krankheit zuschriebe und mir den Gebrauch von Mineralwasser in irgend einem Bade verordnete; dazu kann der Bischof seine Erlaubnis geben. In dem Badeort würde ich dann genesen und hierauf in mein Kloster zurückkehren. Aber viel lieber wäre es mir, wenn wir unsere Geschicke bis zum Tode vereinten. Sage mir, Freund, könntest du überall so wie hier nach deiner Bequemlichkeit leben?«

»Leider nein, liebes Herz. Aber könnte ich mit dir unglücklich sein? Wir wollen hierauf zurückkommen, wenn es Zeit ist. Laß uns zu Bett gehen!«

»Gern. Wenn ich ein Kind bekomme, will mein Freund als Vater dafür sorgen.«

»Kann er sich vorstellen, daß er der Vater ist?«

»Ihr könnt euch beide damit schmeicheln, es zu sein. Aber irgend eine Ähnlichkeit wird mir entdecken, wer der wirkliche Vater ist.«

»Ja. Wenn es zum Beispiel mit der Zeit Verse zu machen versteht, so wirst du annehmen, daß es von ihm ist.«

»Wer hat dir gesagt, daß er Verse machen kann?«

»Gib zu, daß er die sechs machte, die du als Antwort auf meine Verse schriebst!«

»Ich werde mich wohl hüten, eine solche Lüge zu sagen. Denn, seien sie nun gut oder schlecht, jedenfalls sind sie mein Gewächs. Damit du daran nicht länger zweifelst, will ich dich auf der Stelle überzeugen.«

»O, das ist durchaus nicht nötig. Ich glaube dir auf dein Wort. Laß uns zu Bett gehen; dort mag Amor den Gott des Parnasses zum Zweikampf herausfordern.«

»Gut. Aber nimm diesen Bleistift und schreib! Ich bin Apollo; sei du Amor!

Je ne me battrai pas: je te cède la place
Si Vènus est ma soeur, l’Amour est de ma race
Je seis faire des vers. Un instant de perdu
N’offense point l’Amour, si je l’ai convaincu.“

»Ich bitte dich kniefällig um Verzeihung, meine göttliche Freundin. Aber konnte ich soviel Talent bei einer jungen zweiundzwanzigjährigen Venetianerin vermuten, die noch dazu in einem Kloster erzogen worden ist?«

»Ich bin unersättlich in meiner Begierde, mich immer mehr deiner würdig zu zeigen. Hast du mich geschickt im Spiel gefunden?«

»So geschickt, daß der unerschrockenste Bankhalter vor dir zittern muß.«

»Ich spiele nicht immer so glänzend; aber ich hatte dich zum Partner genommen, und darum forderte ich das Glück heraus. Warum hast du nicht gespielt?«

»Weil ich vorige Woche viertausend Zechinen verloren habe. Deshalb hatte ich kein Geld bei mir. Morgen aber werde ich spielen, und das Glück wird mir günstig sein. Doch heute – siehe, ich habe hier ein Büchlein, das ich in deinem Boudoir fand. Es sind die Stellungen des Pietro Aretino. Ich will einige von ihnen mit dir darstellen.«

»Der Gedanke ist deiner würdig; aber einige von den Stellungen sind unausführbar und sogar geradezu abgeschmackt.«5

»Das ist wahr, aber ich habe vier sehr interessante ausgewählt.«

Mit diesen köstlichen Arbeiten verbrachten wir den Rest der Nacht bis zu dem Augenblick, wo der Wecker uns zur Trennung mahnte. Ich begleitete meine angebetete Nonne bis zu ihrer Gondel; dann legte ich mich zu Bett, aber ich konnte nicht schlafen. Ich stand auf und ging aus, um einige dringende Schulden zu bezahlen; denn einer der größten Genüsse, die nach meiner Meinung ein Verschwender sich verschaffen kann, ist die Bezahlung gewisser Schulden. Das Geld, das meine Geliebte für mich gewonnen hatte, brachte mir Glück, denn es verging kein Tag des Karnevals, ohne daß ich gewann.

Drei Tage nach den. Dreikönigstage ging ich ins Kasino von Murano, um ein Dutzend Goldrollen in M. M.s Schränkchen zu legen; bei dieser Gelegenheit gab die Hausbesorgerin nur einen Brief, und einige Augenblicke vorher hatte ich durch Laura einen anderen von C. C. erhalten.

Meine neue Geliebte schrieb mir über ihr Befinden und bat mich dann, mich bei meinem Goldschmied zu erkundigen, ob er nicht etwa einen Ring angefertigt hätte, dessen Kasten eine heilige Katharina, aber darunter zweifellos ein Porträt enthielte; sie wünschte das Geheimnis dieses Ringes zu erfahren.

»Die Besitzerin«, schrieb sie, »ist eine junge und schöne Pensionärin, meine Freundin. Der Ring muß ein geheimes Fach haben, aber sie weiß selber nichts davon.«

Ich antwortete ihr, ich würde ihren Wunsch buchstäblich erfüllen. Nun aber C. C.s Brief! Er brachte mich in eine recht spaßhafte Verlegenheit. Übrigens war er ganz frischen Datums, während M. M.s Brief schon zwei Tage alt war.

»Ach, wie ich mich freue, mein liebes Männchen!« schrieb C. C.

»Du liebst Mutter M. M., meine liebe Freundin. Sie hat ein Medaillon von gleicher Arbeit wie mein Ring, und sie kann es nur von Dir erhalten haben: ich bin überzeugt, daß unter der Verkündigung sich Dein geliebtes Bildnis befindet. Ich habe den Pinsel des Malers erkannt: es ist zweifelsohne derselbe, der auch meine Schutzheilige gemalt hat, und derselbe Goldschmied, der meinen Ring gefaßt hat, muß auch das Medaillon angefertigt haben. Ich bin völlig gewiß, daß Mutter M. M. das Geschenk von Dir hat.

Ich war zufrieden damit, daß ich alles wußte, und wollte es darum nicht darauf ankommen lassen, sie zu betrüben, indem ich ihr sagte, daß ihr Geheimnis mir bekannt wäre. Aber meine liebe Freundin, die entweder offenherziger oder neugieriger ist, hat nicht so gehandelt wie ich. Sie sagte mir, sie sei überzeugt, daß die heilige Katharina nur dazu da sei, um einem Bilde meines Geliebten als Deckel zu dienen. Da es nicht gut anders ging, habe ich ihr gesagt, der Ring ist allerdings ein Geschenk von meinem Geliebten, aber ich wisse nichts davon, daß vielleicht sein Bild darin verborgen sei.

»Wenn dies so ist,« sagte sie darauf zu mir, »und wenn es dir nicht unangenehm ist, so will ich versuchen, das Geheimnis zu entdecken, und du sollst dann auch das meinige erfahren.« Überzeugt, daß sie nichts finden würde, gab ich ihr den Ring, indem ich ihr sagte, eine solche Entdeckung würde mir große Freude machen.

In demselben Augenblick wurde ich zu meiner Tante gerufen; ich ließ daher den Ring in M. M.s Händen, und diese gab ihn mir am Nachmittag zurück. Sie sagte, sie habe das Geheimnis nicht herausbringen können; aber sie glaube nach wie vor, daß eins vorhanden sei. Ich gebe Dir die Versicherung, daß sie von mir niemals etwas erfahren wird; denn wenn sie Dich sähe, würde sie alles erraten, und dann wäre ich genötigt, ihr zu sagen wer Du bist. Es tut mir leid, zu dieser Zurückhaltung ihr gegenüber gezwungen zu sein; aber es tut mir gar nicht leid, daß ihr beiden euch liebt. Ich bedaure nur von ganzem Herzen, daß ihr durch ein abscheuliches Gitter getrennt von eurer Liebe sprechen müßt. Wie herzlich gerne möchte ich, o mein Freund, Dir meinen Platz abtreten können. Da würde ich im Nu zwei Menschen glücklich machen! Lebe wohl.«

Ich antwortete ihr, sie habe richtig erraten, daß das Medaillon ihrer Freundin ein Geschenk von mir sei und daß es mein Porträt enthalte; sie müsse aber das Geheimnis bewahren, und sie könne fest überzeugt sein, daß mein Freundschaftsverhältnis zu M. M. der Liebe, die mich für mein ganzes Leben an sie selber fessele, durchaus keinen Abbruch tue.

Ich verhehlte mir vor mir selber nicht, daß ich den Mantel nach dem Winde trug und daß mein Verhalten nicht frei und offen war; aber ich suchte mich selber zu täuschen. Denn das ist und bleibt wahr: eine Frau, so schwach sie ist, ist durch das Gefühl, das sie einflößt, stärker als der stärkste Mann. Wie dem auch sei – ich beging die Schwäche, ein Liebesverhältnis noch weiter fortführen zu wollen, obgleich ich sah, daß es infolge des vertraulichen Verhältnisses zwischen den beiden befreundeten Nebenbuhlerinnen dem unvermeidlichen Ende zueilte.

Laura hatte nur gesagt, daß an einem der nächsten Tage im großen Sprechzimmer des Klosters ein Ball stattfinden solle, und ich hatte beschlossen, maskiert hinzugehen, mich jedoch so zu verkleiden, daß meine beiden Freundinnen mich nicht erkennen könnten. Ich maskierte mich als Pierrot, da diese Tracht am besten Gestalt und Haltung verbirgt. Ich war sicher, daß meine beiden reizenden Geliebten hinter dem Gitter sitzen würden, und daß ich das Vergnügen haben würde, sie zu sehen und ganz in der Nähe miteinander zu vergleichen.

In Venedig erlaubt man während des Karnevals dieses unschuldige Vergnügen in den Nonnenklöstern. Das Publikum tanzt im Sprechzimmer, und die Nonnen sitzen im inneren Raum hinter ihren Gittern und nehmen als Zuschauerinnen am Feste teil. Wenn der Tag zu Ende geht, ist auch der Ball aus; alles entfernt sich, und die armen Gefangenen sind noch lange glücklich in der Erinnerung an ihre Augenweide. Der Ball sollte am selben Tage stattfinden, für den ich mit M. M. ein Zusammentreffen im Kasino von Murano verabredet hatte; aber dies konnte mich nicht abhalten, das Fest zu besuchen: ich hatte das Bedürfnis, C. C. zu sehen.

Wie ich schon bemerkte, verbirgt die Pierrottracht von allen Verkleidungen am besten Gestalt und Haltung. Sie bietet noch den weiteren Vorteil, daß unter der großen Mütze die Haare verborgen sind, und die weiße Gaze, die das Gesicht bedeckt, verhindert die Farbe der Augen und der Brauen zu entdecken. Damit jedoch die Kleider die Maske nicht in ihrer Bewegungsfreiheit hindern, darf man nichts darunter tragen, und zur Winterszeit ist ein einfacher Leinenanzug recht unangenehm. Aber daraus machte ich mir nichts; nachdem ich eine Suppe gegessen hatte, stieg ich in eine Gondel und fuhr nach Murano. Ich war ohne Mantel und in meinen Taschen hatte ich weiter nichts als mein Schnupftuch, meine Börse und den Schlüssel zum Kasino.

Ich trat ein; das Sprechzimmer war voll von Menschen; aber dank meinem Anzug machte ein jeder mir gerne Platz, denn in Venedig sieht man außerordentlich selten einen Pierrot. Mit tölpelhaften Schritten, wie es der Charakter der Kleider erfordert, kam ich näher und stellte mich in den Ring, der sich um die Tanzenden gebildet hatte. Nachdem ich mir die Pulcinelle, die Pantaloni, die Arlechini und die Scaramucci angesehen hatte, ging ich an die Sprechgitter und sah hinter ihnen alle Nonnen und Pensionärinnen teils sitzen, teils stehen. Ich verweilte bei keiner im Besonderen, aber ich sah meine beiden Freundinnen nebeneinander stehen und sehr aufmerksam diesem festlichen Treiben zusehen. Dann machte ich die Runde durch den ganzen Saal; und wenn’s mir beliebte, musterte ich die anderen Masken von oben bis unten. Ich wurde allgemein sehr beachtet.

Schließlich machte ich mich an eine hübsche Arlechina heran, indem ich ihr linkisch die Hand bot, um mit ihr ein Menuett zu tanzen. Alles lachte und machte uns Platz. Meine Partnerin tanzte ausgezeichnet im Charakter ihrer Rolle und ich ebenso gut im Charakter der meinigen; ich brachte die ganze Gesellschaft zum Lachen. Nach dem Menuett tanzte ich mit der größten Lebendigkeit zwölf Furlanen. Ganz außer Atem, ließ ich mich hinsinken und tat, als ob ich schliefe; sobald man mich schnarchen hörte, ehrte alle Welt Pierrots Schlaf. Es wurde ein Kontertanz getanzt, der eine Stunde dauerte und in den ich mich lieber nicht einmischen zu sollen glaubte. Kaum aber war der Tanz zu Ende, so kam ein Arlechino und begann, auf die seinem Kleide gestattete Unverschämtheit pochend, mir mit derben Pritschenschlägen den Hintern zu bearbeiten. Die Pritsche ist Arlechinos Waffe. Da ich als Pierrot keine Waffe hatte, packte ich ihn am Gürtel und trug ihn laufend im ganzen Saal herum, während er immerzu mit seiner Pritsche auf mich los schlägt. Nun kommt seine Arlechina, das artige Mädchen, mit welcher ich getanzt, ihm zu Hilfe und schlägt gleichfalls auf mich los. Ich lasse ihn los, entreiße ihm seine Pritsche, setze hurtig seine Arlechina auf meine Schultern und treibe ihn mit verdoppelten Schlägen vor mir her – unter dem lauten Gelächter der Zuschauer und unter dem Geschrei Arlechinas, welche befürchtete, ich könnte fallen und dabei möchte die Versammlung ihren Taufschein sehen. Sie hatte recht. Denn plötzlich kam ein dummer Pulcinell von hinten und stellte mir ein Bein, so daß ich hinfallen mußte. Alle Welt zischte ihn aus. Ich aber sprang auf, und da ich mich sehr geärgert hatte, so begann ich ein regelrechtes Handgemenge mit dem Unverschämten. Er war von meiner Größe und wußte von seinen Kräften keinen Gebrauch zu machen. Ich warf ihn zu Boden und schüttelte ihn so derb, daß er seinen falschen Bauch und Buckel verlor. Unter lautem Gelächter der Gesellschaft und unter dem Händeklatschen aller Nonnen, die niemals ein solches Schauspiel gesehen hatten, benutzte ich einen günstigen Augenblick, drängte mich durch die Menge hindurch und verschwand.

Ich war durchnäßt von Schweiß, und das Wetter war kalt; ich warf mich in eine Gondel, stieg aber beim Ridotto aus, um mich nicht zu erkälten. Ich hatte noch zwei Stunden Zeit, ehe ich ins Kasino auf Murano gehen konnte, und ich konnte es kaum erwarten, mich an der Überraschung meiner schönen Nonne zu ergötzen, wenn sie Monsieur Pierrot vor sich sehen würde. Ich brachte die beiden Stunden damit hin, daß ich an allen kleinen Banken spielte; ich gewann, verlor und beging tausenderlei Unfug, da ich sicher war, daß niemand mich kannte. So genoß ich der Gegenwart, forderte die Zukunft in die Schranken – und lachte über all die Toren, die ihre Vernunft nur dazu anwenden, Maßregeln gegen befürchtetes Unglück zu treffen und die damit alle Freude zerstören, die sie in der Gegenwart sich verschaffen könnten.

Endlich schlug es zwei[R1: Zwei Stunden nach Sonnenuntergang.] und erinnerte mich, daß Amor und Comus mich zu neuen Genüssen riefen. Die Taschen voll von Gold und Silber verlasse ich den Ridotto, eile nach Murano, betrete das Heiligtum und sehe meine Göttin gegen den Kamin gelehnt. Sie war im Nonnenkleide. Um sie zu überraschen, schleiche ich auf den Fußspitzen näher. Ich sehe sie an – und bleibe wie versteinert stehen. Die Nonne, die ich vor mir sehe, ist nicht M. M.

Es ist C. C. im Nonnengewande. Noch mehr erstaunt als ich, spricht sie keine Silbe, stößt nicht einmal einen Seufzer aus, macht keine Bewegung. Ich werfe mich in einen Lehnstuhl, um Zeit zu gewinnen und mich von meinem Erstaunen erholen zu können. Ihr Anblick hatte mich völlig vernichtet, und meine Seele war betäubt wie mein Körper; ich fühlte mich in einem Labyrinth, woraus es kein Entrinnen gab. . »Diesen Streich spielt mir M. M.«, sagte ich zu mir selber. »Aber wie hat sie’s herausgebracht, daß ich C. C.s Geliebter bin? Hat diese das Geheimnis ausgeplaudert? Aber wenn sie mich verraten hat, wie kann sie dann die Stirn haben, sich vor meinen Augen sehen zu lassen? Wenn M. M. mich liebt, wie hat sie sich selber der Freude berauben können, mich hier zu sehen; wie kann sie sich durch ihre Nebenbuhlerin vertreten lassen? Als eine Gefälligkeit für mich kann ich dies nicht auffassen, denn soweit treibt man die Gefälligkeit nicht. Ich erblicke darin nur ein Zeichen der Verachtung, eine willkürliche Beleidigung.«

Meine Eigenliebe bemühte sich Gründe aufzufinden, um die Möglichkeit einer solchen Verachtung zu leugnen; aber vergebens. Ich versank in eine finstere Erbitterung; ich hielt mich für gefoppt, betrogen, verachtet, und so verbrachte ich eine halbe Stunde in düsterem Schweigen. Ich verwandte kein Auge von C. C., die in ihrer Verlegenheit, weil sie nicht wußte, wem sie sich gegenüber befand, kein Wort hervorbrachte und kaum zu atmen wagte; denn sie konnte in mir bestenfalls den Pierrot wieder erkennen, den sie auf dem Ball gesehen hatte.

Ich war in M. M. verliebt und nur um ihretwillen ins Kasino gegangen; darum war ich nicht in der Stimmung, mit dem Ersatz fürlieb zu nehmen, obgleich ich C. C. durchaus nicht verachtete, sie vielmehr zum mindesten ebenso hoch stellte wie M. M. Ich liebte sie zärtlich, ich betete sie an, aber in diesem Augenblick wollte ich nicht sie, und zwar deshalb nicht, weil ihre Anwesenheit mir sofort den Eindruck einer Mystifikation gemacht hatte. Mir wars, als beginge ich ein Verbrechen an mir selber, wenn ich mich dazu herbeiließe, C. C. Beweise meiner Liebe zu geben; ich sagte mir, meine Ehre verböte mir, zu solcher Täuschung meine Hand zu reichen. Außerdem war es mir, ohne daß es ganz deutlich mir zum Bewußtsein kam, im Grunde recht lieb, M. M. eine Gleichgültigkeit vorwerfen zu können, die wahrer Liebe fremd sein sollte, und ich wollte mich so benehmen, daß sie niemals sollte annehmen können, sie hätte mir mit ihrem Streich ein Vergnügen gemacht. Außerdem glaubte ich, M. M. sei in dem Kabinett und vielleicht ihr Freund mit ihr.

Ich mußte einen Entschluß fassen, denn ich konnte nicht die ganze Nacht im Pierrotkostüm dasitzen, ohne ein Wort zu sprechen. Zuerst dachte ich daran, mich zu entfernen, zumal da weder C. C. noch ihre Freundin ganz sicher sein konnte, daß Pierrot und ich einundderselbe wären; bald aber verwarf ich diesen Einfall mit Abscheu, denn ich dachte an den tödlichen Schmerz, den C. C. empfinden würde, wenn sie erführe, daß ich der Pierrot wäre. Endlich fiel mir ein, sie möchte dieses wohl schon gar vermuten, und ich versetzte mich in das peinliche Gefühl, das ihr dieser Gedanke bereiten mochte. Ich hatte sie verführt; ich hatte ihr das Recht gegeben, mich ihren Gatten zu nennen. Diese Betrachtungen zerrissen mir das Herz.

»Wenn M. M. im Geheimkabinett ist,« dachte ich bei mir, »wird sie sich selbst zeigen, sobald es Zeit ist.« Und so nahm ich denn das Taschentuch ab, das meine Gaze festhielt und zeigte mein Gesicht. Meine reizende C. C. stieß einen Seufzer aus und sagte: »Ich atme auf! Du mußtest es sein; mein Herz sagte es mir. Du schienst überrascht zu sein, als du mich sahst, mein Freund. Wußtest du denn nicht, daß ich dich hier erwarten würde?«

»Nein, gewiß nicht. Ich wußte von gar nichts.«

»Wenn du böse darüber bist, so bringt mich das in Verzweiflung. Aber ich habe keine Schuld.«

»Angebetete Freundin, komm in meine Arme, und glaube niemals, daß ich böse auf dich sein kann! Ich bin entzückt, dich zu sehen; du bist immer meine geliebte Gattin. Aber ich bitte dich, befreie meine Seele aus einer grausamen Ungewißheit! Du kannst nicht hier sein, ohne mein Geheimnis verraten zu haben!«

»Ich! Dazu wäre ich niemals imstande gewesen, und hätte ich darum sterben sollen!«

»Wie kannst du denn hier sein? Wie hat denn deine gute Freundin es angefangen, alles zu entdecken. Niemand außer dir kann ihr gesagt haben, daß ich dein Gatte bin. Vielleicht hat Laura ….«

»Nein, Laura ist treu, lieber Freund. Aber ich habe keine Ahnung . . . «

»Aber wie hast du dich denn überreden lassen, in diesem Maskenaufzug hierher zu kommen? Du verläßt das Kloster – von diesem wichtigen Geheimnis hast du mir doch niemals ein Wort gesagt!“

„Kannst du glauben, daß ich dir nicht sofort Bericht erstattet hätte, wenn ich nur ein einziges Mal außerhalb gewesen wäre? Vor zwei Stunden hab ich es zum erstenmal verlassen, und nichts ist so einfach, so natürlich, als wie ich dazu gekommen bin.“

„Erzähle mir das alles, liebe Freundin; meine Neugier ist aufs höchste gespannt.“

„Ich freue mich über diese Neugier und will dir alles anvertrauen. Du weißt, wie sehr M. M. und ich uns lieben. Aus allem, was ich dir schrieb, mußt du wissen, daß unser Verhältnis gar nicht zärtlicher sein könnte. Vor zwei Tagen bat nun meine liebe Freundin die Äbtissin und meine Tante, mich in ihrem Zimmer schlafen zu lassen, da ihre Laienschwester stark erkältet war und in den Krankensaal kam, um sich dort auszuhusten. Die Erlaubnis wurde ihr gewährt, und du kannst dir unsere Freude denken, als wir zum erstenmal in einem und demselben Bett schlafen konnten. Heute verließ meine liebe M. M. mit mir den festlichen Trubel unmittelbar nach deinem Fortgang aus dem Sprechzimmer, wo wir so herzlich über dich gelacht hatten, ohne die geringste Ahnung zu haben, daß der entzückende Pierrot unser lieber Freund wäre. Sobald wir allein waren, sagte sie mir, sie wünschte, daß ich ihr einen Dienst erwiese, von dem ihr Glück abhinge. Wie du dir wohl denken kannst, antwortete ich ihr, sie brauche nur zu sprechen. Sie öffnete hierauf eine Schublade und zog mir zu meinem großen Erstaunen die Kleider an, in denen du mich hier siehst. Sie lachte, und ich lachte auch, ohne zu wissen, worauf der ganze Scherz hinaus wollte. Als sie mich vollständig als Nonne verkleidet sah, sagte sie zu mir, sie wolle mir ein großes Geheimnis anvertrauen, und sie tue es ohne jede Furcht: ‚Laß dir sagen, liebe Freundin,‘ fuhr sie fort, ‚daß ich heute das Kloster verlassen wollte, um erst morgen früh zurückzukommen; jetzt aber ist es entschieden, daß nicht ich ausgehen werde, sondern daß du es tun wirst. Du brauchst nichts zu befürchten und hast keine Unterweisung nötig; denn ich bin sicher, daß du nicht in Verlegenheit geraten wirst. In einer Stunde wird eine Laienschwester hierher kommen, ich werde ihr heimlich zwei Worte sagen, und sie wird dich auffordern, mitzukommen. Du gehst mit ihr zur Hintertür hinaus, durch den Garten bis an das hintere Ufer. Hier steigst du in eine Gondel und sagst dem Gondoliere weiter nichts als die zwei Worte: Ins Kasino! In fünf Minuten wirst du dort sein, du steigst aus und gelangst in eine kleine Wohnung, wo du ein behagliches Feuer finden wirst. Du wirst dort allein sein und hast zu warten. – ›Auf wen?‹ fragte ich sie. – ›Mehr darfst du jetzt nicht wissen. Aber verlaß dich drauf, dir wird nichts Unangenehmes zustoßen: vertraue meinem Wort. Du wirst dort zu Abend essen und auch schlafen, wenn du Lust hast. Kein Mensch wird dich belästigen. Frage mich jetzt nichts weiter, denn ich kann dir nicht mehr sagen.‹

Dies, lieber Freund, ist die reine Wahrheit. Sage mir jetzt: was konnte ich nach dieser Rede machen? Ich hatte ihr ja mein Wort gegeben, daß ich alles tun würde, was sie wünschte. Kränke mich nicht durch Mißtrauen! Mein Mund kann nur die Wahrheit sprechen! Ich lachte und machte mich auf ein sehr angenehmes Abenteuer gefaßt. Als die Laienschwester kam, ging ich sofort mit ihr, und so bin ich hier. Nachdem ich mich dreiviertel Stunden gelangweilt hatte, sah ich Pierrot. Glaube mir: im Augenblick, da ich dich erscheinen sah, sagte mein Herz mir, daß du es seist: aber sofort darauf wurde ich wie von einem Blitz getroffen, als ich dich zurückschrecken sah. Denn da sah ich deutlich, daß du mich nicht zu finden erwartetest. Dein düsteres Schweigen erschreckte mich, und ich durfte nicht wagen, es zuerst zu brechen, um so weniger, da ich ja, trotz der Stimme meines Herzens, mich täuschen konnte. Unter Pierrots Maske konnte sich ein anderer verbergen als du, und ganz gewiß hätte ich einen anderen Mann an diesem Ort nur mit Abscheu sehen können. Bedenke, daß man seit acht Monaten mich gewaltsam des Glückes beraubt, dich zu umarmen! Und jetzt, da du von meiner Unschuld überzeugt sein mußt, laß mich dir Glück dazu wünschen, daß du dieses Kasino kennst. Du bist glücklich, und ich spreche dir meine Freude darüber aus. M. M. ist nächst mir das einzige Weib, das deiner Zärtlichkeit würdig ist. Sie ist die einzige, mit der ich deine Zärtlichkeit teilen kann. Ich beklagte dich. Jetzt beklage ich dich nicht mehr, und dein Glück macht mich glücklich. Umarme mich!«

Ich wäre allzu undankbar, ja ich wäre ein Barbar gewesen, hätte ich sie nicht mit der innigsten Zärtlichkeit an mein Herz gedrückt. Denn dieser Engel an Güte und Schönheit war doch nur durch hochherzige Freundschaft mir zugeführt worden.

Nachdem ich ihr wiederholt versichert hatte, daß ich nicht im geringsten mehr an ihrer Unschuld zweifle, sagte ich ihr, ich fände das Benehmen ihrer Freundin sehr zweideutig und könne es kaum in günstigem Sinne auslegen. Abgesehen von der Freude, die ihr Anblick mir bereite, habe ihre Freundin mir einen boshaften Streich gespielt, der mir durchaus mißfallen müsse, denn mir sei die Beleidigung, die darin liege, empfindlich fühlbar.

»Da bin ich nicht deiner Meinung«, antwortete C. C. »Meine liebe M. M. wird auf irgend eine Art – wie, weiß ich nicht – herausgebracht haben, daß du vor deiner Bekanntschaft mit ihr mein Geliebter warst. Sie durfte wohl glauben, daß du mich immer noch liebtest, und da hat sie gedacht – denn ich kenne ihre Seele – sie könnte uns keinen größeren Beweis ihrer Liebe geben, als indem sie uns, ohne vorher etwas davon zu sagen, gerade das verschaffte, was zwei Liebende am heißesten wünschen müssen. Sie hat uns glücklich machen wollen, und ich kann ihr darob nicht böse sein.«

»Du hast recht, daß du so denkst, liebe Freundin; aber ich befinde mich in einer ganz anderen Lage als du. Du hast keinen anderen Geliebten und kannst keinen haben; ich aber bin frei, und da ich dich nicht sehen konnte, vermochte ich M. M.s Reizen nicht zu widerstehen. Ich bin maßlos in sie verliebt, sie weiß es; und klug wie sie ist, hat sie das, was sie tat, nur tun können, um mir ihre Verachtung zu zeigen. Ich gestehe dir, daß dies mich aufs tiefste verletzt. Wenn sie mich liebte, wie ich sie liebe, hätte sie niemals darauf verfallen können, mir die empörende Höflichkeit zu erweisen und dich als ihre Stellvertreterin hierher zu schicken.«

»Ich denke anders als du, lieber Freund. Ihre Seele ist ebenso vornehm, wie ihr Herz edel ist. So wenig wie ich es übel nehme, daß ihr euch liebt und euch zu beglücken wißt, so wenig nimmt sie es übel, daß wir uns lieben; sie ist im Gegenteil entzückt, uns zeigen zu können, daß sie sich dessen freut. Ohne Zweifel hat sie dir dartun wollen, daß sie dich um deiner selbst willen liebt, daß deine Freuden auch die ihrigen sind und daß sie nicht eifersüchtig darauf ist, wenn ihre beste Freundin ihre Nebenbuhlerin ist. Um dich zu überzeugen, daß du nicht böse sein darfst, weil sie unser Geheimnis entdeckt hat, läßt sie mich als ihre Stellvertreterin hierher kommen und erklärt dir dadurch, daß es ihr recht ist, wenn du dein Herz zwischen ihr und mir teilst. Du weißt wohl, daß sie mich liebt, und daß ich oft ihre Frau oder ihr kleiner Mann bin; und gerade so wie du nichts dabei findest, daß ich dein Nebenbuhler bin und sie oft so glücklich mache, wie es mir eben möglich ist, gerade so will sie nicht, daß du dir einbilden könntest, ihre Liebe gliche dem Haß. Denn dies tut die Liebe eines eifersüchtigen Herzens.«

»Du sprichst wie ein Engel für die Sache deiner Freundin; aber, meine liebe kleine Frau, du siehst die Sache nicht in dem richtigen Licht. Du bist klug und reinen Herzens, aber du hast keine Erfahrung. M. M. hat mich nur aus Laune geliebt, und sie weiß wohl, daß ich nicht dumm genug bin, dies alles für bare Münze zu nehmen. Ich bin unglücklich. Und das ist ihr Werk!«

»Da hätte ich also ebenfalls Grund, mich über sie zu beklagen; denn sie gibt mir zu erkennen, daß sie die Geliebte meines Liebhabers ist, und nachdem sie ihn mir weggenommen hat, kostet es ihr keine Überwindung, ihn mir zurückzugeben. Ohne Zweifel zeigt sie mir auch, daß sie die Zärtlichkeit, die ich für sie empfinde, gering schätzt denn sie bringt mich in die Lage, diese einem anderen zu bezeigen.«

»Oh, liebes Herz, da denkst du aber falsch; denn die Beziehungen zwischen euch beiden sind von ganz anderer Art. Euer Liebesverhältnis ist nur eine Tändelei, eine Sinnestäuschung. Die Wonnen, die ihr miteinander genießet, schließen nicht jede andere Liebe aus. Damit ihr aufeinander eifersüchtig sein könntet, müßte eine von euch ein gleiches Liebesverhältnis mit einer anderen Frau haben. Aber M. M. könnte es dir nicht übel nehmen, wenn du einen Geliebten hättest, ebensowenig wie du, wenn sie einen hätte; vorausgesetzt natürlich, daß der Geliebte der einen nicht zugleich der der anderen ist.«

»Dies aber ist gerade hier der Fall. Nein, du irrst dich. Wir sind gar nicht böse, daß du uns alle beide liebst. Habe ich dir nicht geschrieben, daß ich dir gerne meinen Platz abtreten möchte? Du mußt also glauben, daß auch ich dich gering schätze.«

»Liebe Freundin, dein Wunsch, mir deinen Platz abzutreten, als du nicht wußtest, daß ich glücklich war, entsprang mehr deiner Freundschaft als deiner Liebe, und für jetzt muß es mir lieb sein, daß deine Freundschaft stärker ist als deine Liebe; aber ich habe allen Anlaß, darüber empört zu sein, daß dieses selbe Gefühl auch M. M. bewegt. Ich liebe sie, ohne sie heiraten zu können; begreifst du mich, mein Engel? Von dir bin ich sicher, daß du meine Frau sein wirst, und deshalb bin ich auch unserer Liebe sicher, denn sie wird wieder erwachen, sobald wir beisammen sind. Mit M. M.s Liebe ist es nicht das Gleiche; diese wird nicht wiederkehren. Ist es nicht demütigend für mich, daß ich ihr nur ein flüchtiges Gefühl habe einflößen können? Du freilich mußt sie anbeten. Sie hat dich in alle ihre Mysterien eingeweiht, und du schuldest ihr ewige Freundschaft und Dankbarkeit.«

Es war Mitternacht geworden, und wir vergeudeten immer noch unsere Zeit mit derartigen Redereien, als die sorgsame Hausmeisterin kam und aus eigenem Antrieb uns ein ausgezeichnetes Abendessen brachte. Ich rührte nichts davon an; mir war das Herz zu schwer. Meine liebe kleine Frau aber speiste mit gutem Appetit. Ich mußte unwillkürlich lachen, als ich einen Eiweißsalat sah, und C. C. fand es spaßhaft, daß man die Dotter entfernt hatte. In ihrer Unschuld ahnte sie nichts von der Absicht ihrer Freundin, die die Zusammensetzung des Mahls angeordnet hatte. Während sie aß, sah ich sie genauer an, und ich konnte mir nicht verhehlen, daß sie schöner und reifer geworden war. C. C. war eine vollkommene Schönheit, trotzdem blieb ich kalt. Ich war stets der Meinung, daß es kein Verdienst ist, treu zu bleiben, wenn man wahrhaft liebt.

Zwei Stunden vor Tagesanbruch setzten wir uns wieder vor den Kamin. C. C. sah, daß ich traurig war, und nahm die zarteste Rücksicht auf meine Lage. Sie erlaubte sich keine Neckerei, jede Gebärde war züchtig und anständig. Ihre Worte waren zärtlich und von einer gewissen Hingebung, und es lag in ihnen niemals auch nur ein leiser Vorwurf, den ich durch meine Kälte vielleicht verdient hätte.

Zum Schluß unseres langen Gespräches fragte sie mich, was sie ihrer Freundin sagen sollte, wenn sie wieder im Kloster wäre.

»Meine liebe M. M. erwartet mich fröhlich und voller Dankbarkeit für das kostbare Geschenk zu sehen, das sie mir heute Nacht zu machen glaubte; aber was wünschest du, daß ich ihr sage?«

»Die volle Wahrheit. Vor allem verhehle ihr kein Wort von unserer Unterhaltung, sofern dein Gedächtnis sie aufbewahrt hat, und sage ihr im Besonderen, daß sie mich für lange Zeit unglücklich gemacht hat.«

»Nein, damit würde ich ihr einen zu großen Kummer bereiten, denn sie liebt dich zärtlich; sie vergöttert ja das Medaillon, das dein Bild enthält. Ich werde im Gegenteil mein Bestes tun, um die Verstimmung zu beseitigen; und diese wird nicht lange dauern, denn meine Freundin hat gar kein Unrecht, und du bist nur gekränkt, aber ohne Grund. Ich werde dir meinen Brief durch Laura schicken, wenn du nicht etwa mir versprichst, ihn dir selber bei ihr abzuholen.«

»Deine Briefe werden mir stets teuer sein; aber du wirst sehen, daß M. M. sich auf eine Rechtfertigung nicht wird einlassen wollen. Sie wird dir alles glauben, nur eins nicht!«

»Das glaube ich auch. Du meinst, sie wird nicht glauben, daß wir so standhaft gewesen sind, eine ganze Nacht so unschuldig wie Bruder und Schwester miteinander zu verbringen. Wenn sie dich ebenso gut kennt wie ich, so wird ihr das unmöglich erscheinen.«

»In diesem Fall sage ihr, wenn du willst, grade das Gegenteil.«

»Glaube nur das nicht! Ich liebe die Lüge nicht, und ganz gewiß werde ich niemals eine Lüge solcher Art sagen! Dies wäre sehr schlecht angebracht. Ich habe dich nicht weniger lieb, o mein Freund, obgleich du mir in dieser Nacht nicht ein einziges Mal deine Liebe hast beweisen wollen.«

»Glaube mir, süße Freundin, ich bin krank vor Kummer. Ich liebe dich von ganzer Seele, aber ich befinde mich in einer Lage …«

»Du weinst, mein Freund? Du? O‘ ich bitte dich, schone meines Herzens! Ich bin in Verzweiflung, daß ich dir vorhin das gesagt habe; aber sei gewiß, ich habe nicht die Absicht gehabt, dir wehe zu tun. Ich weiß bestimmt, in einer Viertelstunde wird auch M. M. weinen.«

Der Wecker rasselte. Ich hatte keine Hoffnung, daß M. M. erscheinen würde, um sich zu rechtfertigen. So umarmte ich denn C. C. und gab ihr den Schlüssel zum Kasino, um ihn in meinem Namen M. M. zurückzugeben. Dann nahm ich meine Maske vor und ging, denn für meine Freundin war es Zeit, ins Kloster zurückzukehren.

  1. Das Büchlein sind jedenfalls nicht die wollüstigen Gonetti, die Pietro Aretino zu den Raimondischen Stichen nach den Bildern des Giulio Romano schrieb (siehe meine Einleitung und Übersetzung in den »Dichtungen und Gesprächen des göttlichen Aretino«, Privatdruck 1903). Denn das Urteil, daß »unausführbare“ Stellungen angegeben seien, trifft nur auf ein einziges Sonett, das sechste, zu. Dagegen passt die Kritik auf ein anderes Werkchen, das »Gespräch zwischen »Maddalena und Giulia«, das unter dem falschen Titel »La Putana errante« allgemein dem Aretino zugeschrieben wurde und ihm hauptsächlich zu seinem schlechten Ruf verholfen hat, aber ganz zweifellos nicht von ihm herrührt. In diesem Machwerk werden 35 Stellungen beschrieben, die zum Teil ganz töricht sind. (Eine Übersetzug befindet sich ebenfalls in den »Dichtungen und Gesprächen des göttlichen Aretino«.) Dr. H. Conrad

Siebzehntes Kapitel


Croce wird aus Venedig ausgewiesen. – Sgombro. – Sein niederträchtiges Verbrechen und sein Tod. – Meiner geliebten C. C. stößt ein Unglück zu. – Ich erhalte einen anonymen Brief von einer Nonne und antworte darauf. – Liebeshandel.

Mein Gevatter, der, wie gesagt, ein geschickter und kühner Verbesserer des Glücks war, machte in Venedig ausgezeichnete Geschäfte, und da er liebenswürdig war und der sogenannten guten Gesellschaft angehörte, so hätte er es noch lange Zeit in gleicher Weise treiben können, wenn er sich auf das Spiel beschränkt hätte; denn die Staatsinquisitoren hätten zuviel zu tun, wollten sie sich damit abgeben, die Toren anzuhalten, daß sie mit ihrem Vermögen haushalten, die Dummköpfe, daß sie verständig werden, und die Gauner, daß sie die Dummköpfe nicht betrügen. Aber Croce wurde aus einem ganz außerordentlichen Anlaß ausgewiesen, der ihm keine Ehre machte, gleichviel ob er in jugendlicher Unbesonnenheit oder aus sittlicher Verderbtheit gehandelt hatte.

Ein edler Venetianer – edel von Geburt, sehr unedel von Sitten – ein gewisser Sgombro aus der Familie Gritti, verliebte sich in ihn, und Croce war nicht grausam gegen ihn, sei es, daß er sich einen Spaß machen wollte, sei es, daß er seinen Geschmack teilte. Unglücklicherweise wurde nicht die Zurückhaltung beobachtet, die der Anstand erfordert, und der Skandal wurde so öffentlich, daß die Regierung sich gezwungen sah, meinem Croce die Aufforderung zu schicken, er möge sofort die Stadt verlassen und sein Glück anderswo versuchen.

Kurz nachher verführte der infame Sgombro seine beiden jungen Söhne. Zu seinem Unglück versetzte er den jüngeren in die Notwendigkeit, bei einem Arzt Hilfe zu suchen. Die niederträchtige Handlung wurde bekannt, und das arme Kind gestand, es habe nicht den Mut gehabt, gegen seinen Erzeuger ungehorsam zu sein. Mit Recht fand man, eine solche Unterwürfigkeit gehöre nicht zu den Pflichten, die ein Sohn seinem Vater gegenüber habe, und die Staatsinquisitoren schickten den scheußlichen Vater in die Zitadelle von Cattaro, wo er nach einjähriger Gefangenschaft starb.

Die tödliche Wirkung der Luft, die man in Cattaro atmet, ist so bekannt, daß das Gericht nur solche Verbrecher dazu verdammt, die man nicht öffentlich zum Tode zu verurteilen wagt, weil man fürchtet, ein öffentlicher Prozeß würde zu großes Entsetzen erregen.

Nach Cattaro schickte der Rat der Zehn vor fünfzehn Jahren den berühmten Advokaten Contarini, einen Nobile, der durch seine Beredsamkeit sich zum Herrn des großen Rates gemacht hatte und die Staatsverfassung ändern wollte. Er starb in Cattaro nach einem Jahr; von seinen Mitschuldigen hielt das Tribunal für genügend, nur vier oder fünf zu bestrafen und die anderen unbeachtet zu lassen. Diese kehrten denn auch aus Furcht stillschweigend zu ihrer Pflicht zurück.

Der Sgombro, von dem ich vorhin sprach, hatte eine reizende Frau, die, wie ich glaube, noch lebt. Sie hieß Cornelia Gritti, war ebenso berühmt durch die Schönheit ihrer Gestalt wie durch die ihres Geistes und hat den Jahren zum Trotz sich ihre Schönheit bewahrt. Als sie durch den Tod ihres unwürdigen Gatten ihre eigene Herrin geworden war, hütete sie sich wohl, eine neue Ehe einzugehen; ihre Unabhängigkeit war ihr zu lieb. Da sie jedoch nicht unempfindlich gegen die Freuden der Liebe war, so erhörte sie die Bewerbungen der Anbeter, die sie nach ihrem Geschmack fand.

Gegen Ende Juli weckte eines Montags bei Tagesanbruch mein Diener mich, indem er mir sagte, Laura wolle mich sprechen. Ich ahnte ein Unglück und ließ sie sofort eintreten. Sie übergab mir einen Brief, der folgendermaßen lautete:

»Mein lieber Freund, ein Unglück, das mir gestern abend zugestoßen ist, macht mich untröstlich, und um so mehr, da ich gezwungen bin, es vor dem ganzen Kloster geheim zu halten. Ich habe eine schreckliche Blutung und weiß nicht, was ich anfangen soll, um das Blut zu stillen, denn ich habe nicht viel Wäsche, und Laura hat mir gesagt, ich würde eine große Menge nötig haben, wenn die Blutung andauern sollte; ich kann mich keinem Menschen anvertrauen außer Dir, und ich bitte Dich, mir soviel Weißzeug zu schicken, wie Du nur kannst. Du siehst, ich habe mich Laura anvertrauen müssen, denn sie allein kann zu jeder Stunde bei mir aus- und eingehen. Wenn ich sterbe, mein teurer Gatte, so wird das ganze Kloster erfahren, woran ich gestorben bin; aber ich denke an Dich und ich zittere. Was wirst Du in Deinem Schmerz anfangen? Ach, mein Herz, wie schade!«

In aller Hast mich ankleidend, fragte ich Laura aus. Sie sagte mir ganz offen, es sei eine Frühgeburt, und wir müßten mit der größten Vorsicht handeln, um den Ruf meiner Freundin zu schonen. Übrigens brauchte sie weiter nichts als eine große Menge Wäsche; es hätte sonst nichts auf sich. Es waren die üblichen Redensarten, und sie besänftigten durchaus nicht die Angst, die ich empfand. Ich ging mit Laura zu einem Juden, dem ich eine Anzahl Bettlaken und zweihundert Handtücher abkaufte; nachdem ich alles in einen großen Sack gesteckt hatte, fuhr ich mit ihr nach Murano. Unterwegs schrieb ich meiner Freundin mit Bleistift, sie solle in Laura volles Vertrauen setzen; ich versicherte ihr, ich würde Murano nicht eher verlassen, als bis sie außer Gefahr wäre. Ehe wir ausstiegen, sagte Laura zu mir: damit ich nicht bemerkt würde, täte ich gut daran, mich bei ihr verborgen zu halten. Zu jeder anderen Zeit wäre das so gut gewesen, wie wenn sie den Wolf in die Hürde eingelassen hätte. Sie ließ mich in einem armseligen Kämmerchen im Erdgeschoß allein, brachte selber an ihrem Leibe soviel Weißzeug unter, wie sie nur verstecken konnte, und eilte dann zu der Kranken, die sie seit dem vorigen Abend nicht gesehen hatte. Ich hoffte, sie würde sie außer Gefahr finden, und sah sehnsüchtig dem Augenblick entgegen, wo sie mir diese Nachricht bringen würde.

Sie war eine volle Stunde fort; endlich kam sie mit sehr traurigem Gesicht zurück und sagte mir, meine arme Freundin hätte während der Nacht viel Blut verloren; sie läge sehr schwach im Bett, und wir müßten sie Gottes Gnade empfehlen; denn wenn die Blutung nicht bald aufhörte, könnte sie unmöglich noch vierundzwanzig Stunden leben.

Als ich die Wäsche sah, die sie unter ihrem Rock hervorzog, wich ich entsetzt zurück und glaubte mich dem Tode nahe. Eine wahre Schlächterei! Laura glaubte mich zu trösten, indem sie mir sagte, ich könnte sicher sein, daß das Geheimnis nicht verraten würde.

»Ei, was macht mir das aus!« rief ich; »wenn sie nur am Leben bleibt, dann mag die ganze Welt wissen, das sie mein Weib ist!« In einem andern Augenblick hätte ich über die dumme Bemerkung der guten Laura lachen müssen ; aber in dieser traurigen Minute besaß ich nicht die Kraft dazu und auch nicht die Lust.

»Die liebe Kranke«, sagte sie, »hat gelächelt, als sie Ihr Briefchen las; sie hat mir versichert, da Sie so dicht in ihrer Nähe seien, so werde sie nicht sterben.«

Diese Worte taten mir wohl. Wie wenig ist doch nötig, um einen Menschen zu trösten oder seine Leiden zu mildern!

»Wenn die Nonnen beim Essen sind,« fuhr Laura fort, »werde ich wieder hingehen und soviel Wäsche mitnehmen, wie ich tragen kann; unterdessen werde ich diese hier waschen.«

»Hat sie Besuche gehabt?«

»O, natürlich das ganze Kloster. Aber kein Mensch hat eine Ahnung.«

»Aber bei dieser Hitze kann sie nur eine leichte Decke haben und man muß doch unbedingt die vielen Handtücher bemerken, die so großen Raum einnehmen.«

»Das ist nicht zu befürchten, denn sie sitzt im Bett aufrecht.«

»Was ißt sie?«

»Nichts; denn sie darf nicht essen.«

Bald darauf ging Laura fort und ich ebenfalls. Ich suchte einen Arzt auf, bei dem ich Zeit und Geld verlor, um mir ein langes Rezept schreiben zu lassen, das ich nicht verwenden konnte, denn dadurch würde die Sache sofort im ganzen Kloster bekannt geworden sein oder vielmehr in der ganzen Welt, denn Nonnengeheimnis dringt gar bald durch die Klostermauern. Übrigens wäre der Klosterarzt vielleicht der erste gewesen, aus Rachsucht das Geheimnis auszuplaudern.

In Lauras Hause ging ich traurig wieder in meine armselige Kammer, und eine halbe Stunde später kam die Bötin mit Tränen in den Augen zurück und übergab mir einen fast unleserlichen Brief: »Ich habe nicht mehr die Kraft, Dir zu schreiben, denn ich werde immer schwächer; ich verliere all mein Blut und fange an zu glauben, daß meine Krankheit unheilbar ist. Ich überlasse mich Gottes Willen und danke ihm, daß meine Ehre nicht in Gefahr ist. Sei nicht zu traurig! Mein einziger Trost ist, daß ich Dich so dicht bei mir weiß. Ach, wenn ich Dich nur einen Augenblick sehen könnte, würde ich zufrieden sterben.«

Der Anblick von einem Dutzend Tüchern, die Laura mir zeigte, machte mich erschaudern. Die gute Frau glaubte mich zu trösten, indem sie mir sagte, mit einer einzigen Flasche Blut könnte man ebenso viele Tücher völlig durchtränken. Meine Seele war nicht in der Stimmung, aus derartigen Versicherungen Trost zu schöpfen. Ich war in Verzweiflung und machte mir die furchtbarsten Vorwürfe, den Tod des unschuldigen Mädchens herbeigeführt zu haben. Ich warf mich auf ein Bett und blieb dort länger als sechs Stunden wie betäubt liegen, bis Laura mit etwa zwanzig blutgetränkten Servietten aus dem Kloster zurückkehrte. Da es inzwischen Nacht geworden war, konnte sie bis zum nächsten Morgen nicht wieder hingehen. Ich verbrachte eine entsetzliche Nacht, ohne etwas zu essen, ohne schlafen zu können; ich war mir selber zum Ekel und wies schroff die Pflege zurück, die Lauras Töchter mir anboten.

Kaum war der Tag angebrochen, da kam Laura und sagte mir mit kläglicher Miene, meine Freundin blute nicht mehr. Ich glaubte sie sei tot, und schrie: »Sie lebt nicht mehr!«

»Sie lebt, Herr! Aber ich fürchte, sie wird den Tag nicht überleben, denn sie ist völlig erschöpft; sie hat fast nicht mehr die Kraft, die Augen zu öffnen, und ihr Puls ist kaum noch zu spüren.«

Ich atmete auf. Ich fühlte, mein Engel war gerettet.

»Laura,« sagte ich, »diese Nachricht ist durchaus nicht schlecht, wenn die Blutung gänzlich aufgehört hat, so ist weiter nichts nötig, als ihr etwas leichte Nahrung zu geben.«

»Man hat einen Arzt rufen lassen; er wird anordnen, was ihr gegeben werden soll; aber wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen soll – ich habe keine große Hoffnung.«

»Gib mir nur die Versicherung, daß sie lebt!«

»Ja, das versichere ich Ihnen; aber Sie werden begreifen, daß sie dem Doktor nicht die Wahrheit sagen wird, und Gott mag wissen, was er ihr verschreibt. Ich habe ihr ins Ohr geflüstert, sie solle keine Medizin einnehmen, und sie hat mich verstanden.«

»Du bist ein göttliches Weib! Ja, wenn sie nicht von heute auf morgen an Schwäche stirbt, ist sie gerettet: Natur und Liebe werden sie geheilt haben!«

»Das gebe Gott! Heute Mittag sehen Sie mich wieder.«

»Warum nicht vorher?«

»Weil ihr Zimmer voll von Leuten sein wird.«

Ich war ganz schwach vor Erschöpfung; da ich aber stark sein mußte, um meine Hoffnung aufrecht zu erhalten, ließ ich mir etwas Essen zurechtmachen und setzte mich hin, meiner Freundin zu schreiben, damit sie den Brief in dem Augenblick erhielte, wo sie ihn lesen könnte. Die Augenblicke der Reue sind sehr traurig, und ich war wirklich zu beklagen. Ich hatte das größte Bedürfnis, Laura zu sehen, um zu erfahren, was der Arzt gesagt hätte. Ich hatte starke Gründe, über Orakel zu lachen; ich weiß nicht, woher diese Schwachheit kam, aber ich brauchte das Orakel des Arztes, und zwar vor allen Dingen ein günstiges Orakel.

Lauras junge Töchter brachten mir das Essen, aber es war mir unmöglich, einen Bissen hinunterzubringen; doch machte es mir Spaß, die drei Schwestern mein Essen verschlingen zu sehen, sobald ich sie nur dazu eingeladen. Die älteste, ein sehr appetitlicher Bissen, schlug nicht ein einziges Mal ihre großen Augen zu mir auf; die beiden jüngeren kamen mir so vor, als ob sie wohl liebenswürdig sein könnten; aber ich beschäftigte mich mit ihnen nur, um mich noch tiefer in meine bittere Reue zu verbeißen.

Endlich kam Laura, die ich schon mit der größten Ungeduld erwartet hatte; sie sagte mir, meine geliebte Kranke läge immer noch in demselben Zustand völliger Ermattung da; ihre Schwäche hätte den Arzt überrascht und er könnte sie sich nicht erklären. »Er hat ihr Stärkungsmittel und leichte Suppen verordnet, und wenn sie schlafen kann, wird sie nach seiner Behauptung sicher davonkommen. Der Doktor hat ferner angeordnet, daß nachts eine Wärterin bei ihr sein soll, und die Kranke hat ihre Hand nach mir ausgestreckt, wie wenn sie mich bezeichnen wollte. Jetzt verspreche ich Ihnen, sie Tag und Nacht nicht mehr zu verlassen, außer um Ihnen Bescheid zu bringen.«

Ich dankte ihr und versprach ihr, sie reichlich zu belohnen. Mit großer Freude vernahm ich, daß die Mutter zum Besuch dagewesen, nichts bemerkt habe und sehr liebevoll und zärtlich gewesen sei.

Ich fühlte mich viel ruhiger, gab Laura sechs Zechinen und jeder ihrer Töchter eine und aß etwas zu Abend; dann legte ich mich in eines der elenden Betten, die in demselben Zimmer standen. Als die beiden jüngeren mich im Bett sahen, zogen sie sich ohne Umstände aus und legten sich beide in das zweite Bett, das ganz dicht neben dem meinigen stand. Dies unschuldige Vertrauen gefiel mir. Die ältere, die wohl schon Erfahrungen hatte, legte sich im Nebenzimmer zu Bett; sie hatte einen Liebhaber, der sie binnen kurzem heiraten sollte. Ich war nicht vom Teufel des Fleisches besessen und ließ die Unschuld friedlich schlafen, ohne den geringsten Anschlag auf sie zu unternehmen.

Am anderen Morgen in aller Frühe kam Laura und brachte Nachrichten, die ein Balsam für mich waren. Mit fröhlichem Gesicht sagte sie mir, die Kranke habe gut geschlafen, und sie würde gleich wieder hingehen, um ihr ein Süppchen zu geben. Ich war wie berauscht, als ich dies hörte, und Äskulaps Orakel schien mir tausendmal sicherer zu sein als das Orakel Apolls. Doch waren wir noch nicht so weit, Viktoria rufen zu können, denn meine Freundin mußte erst wieder zu Kräften kommen und all das verlorene Blut wieder ersetzen; dies konnten nur die Zeit und fortwährende sorgsame Pflege bewirken. Ich blieb noch acht Tage bei Laura und verließ Murano erst, als meine Freundin in einem vier Seiten langen Brief es mir sozusagen befohlen hatte.

Laura weinte vor Glück, als sie sich von mir mit der ganzen schönen Wäsche beschenkt sah, die ich für meine C. C. gekauft hatte; und ihre Töchter weinten augenscheinlich darüber, daß sie in den zehn Tagen, die ich bei ihnen verbracht, mich nicht hatten verleiten können, ihnen einen einzigen Kuß zu geben.

In Venedig nahm ich meine alten Gewohnheiten wieder auf; aber wie hätte ich bei meinem Naturell ohne ein wirkliches Liebesverhältnis glücklich sein können? Ich hatte kein anderes Vergnügen als das, jeden Mittwoch einen Brief von meiner lieben Gefangenen zu erhalten; sie ermutigte mich, auf sie zu warten, anstatt mich aufzufordern, sie zu entführen. Laura sagte mir, sie sei schöner geworden und ich starb vor Verlangen, sie zu sehen. Bald bot sich die Gelegenheit dazu, und ich ließ mir diese nicht entgehen. Eine Nonne sollte den Schleier nehmen, und diese Feierlichkeit zieht stets eine große Menge von Zuschauern herbei. Da infolgedessen die Nonnen viele Besuche empfangen, so war es wahrscheinlich, daß die Pfleglinge ebenfalls im Sprechzimmer sein würden. Es war keine Gefahr vorhanden, daß ich an diesem Tage mehr auffallen könnte als irgendein anderer, denn ich würde in der Menge völlig verschwinden. Ich begab mich also nach dem Kloster, ohne Laura etwas davon zu sagen und ohne meine kleine Frau vorher zu benachrichtigen, und ich glaubte, vor Aufregung umzusinken, als ich sie plötzlich auf vier Schritte vor mir stehen und mich in einer Art von Ekstase betrachten sah. Ich fand sie größer und mehr entwickelt, und sie schien mir schöner zu sein als früher. Ich hatte nur für sie Augen, sie nur für mich, und ich war der letzte, der den Ort verließ, der an diesem Tage mir als ein Tempel des Glücks erschien.

Drei Tage darauf empfing ich einen Brief von ihr. Sie schilderte mir so glühend die Wonne, die meine Gegenwart ihr bereitet hätte, daß ich auf Mittel und Wege sann, ihr diese Freude so oft wie möglich zu verschaffen. Ich antwortete ihr sofort, sie würde mich an jedem Feiertag zur Messe in ihrer Kirche sehen. Dies machte mir keine Mühe. Ich sah sie nicht, aber ich wußte, daß sie mich sähe, und ihre Freude war auch die meine. Ich brauchte nichts zu befürchten, denn es war fast unmöglich, daß man in dieser Kirche, die nur von Bürgersleuten von Murano besucht wurde, mich hätte erkennen können.

»Nachdem ich zwei oder drei Messen gehört hatte, nahm ich eine Uberfahrtsgondel, deren Bootsmann nicht neugierig sein konnte, mich zu kennen. Indessen war ich vorsichtig, denn ich wußte, daß C. C.s Vater wollte, seine Tochter sollte mich vergessen, und daß er sie Gott weiß wohin gebracht haben würde, wenn er nur den geringsten Argwohn gehabt hätte, daß ich ihren Aufenthalt wüßte.

So dachte ich in der Furcht, daß mir jeder Verkehr mit meiner Freundin abgeschnitten werden könnte; aber ich kannte noch nicht den Charakter und die Schlauheit der frommen Töchter des Herrn. Ebensowenig glaubte ich, daß meine Person irgendetwas Auffallendes an sich haben könnte – wenigstens für ein Kloster nicht; aber ich war noch ein Neuling, der die Neugier der Frauen und besonders die Neugier müßiger Seelen nicht kannte. Bald hatte ich Gelegenheit, mich eines Besseren belehren zu lassen.

Ich hatte erst etwa einen Monat oder fünf Wochen lang meine Feiertagsbesuche gemacht, als meine liebe C. C. mir scherzend schrieb, ich sei das Rätsel des ganzen Klosters geworden, und zwar sowohl für die Pensionärinnen, wie für die Nonnen, selbst die ältesten nicht ausgenommen. Das ganze Chor warte auf die Minute, wo ich erscheinen würde; man stoße sich an, wenn man mich eintreten und das Weihwasser nehmen sehe. Man habe bemerkt, daß ich niemals nach dem Gitter blicke, hinter welchem die Klosterinsassen sitzen müßten, und daß ich niemals eine Frau ansehe, die die Kirche betrete oder verlasse. Die Alten sagten, ich müßte irgendeinen großen Kummer haben, von dem ich nur durch die Gnade ihrer heiligen Jungfrau mich zu befreien hoffte; die Jungen sagten, ich müßte ein Melancholiker oder ein Menschenfeind sein. Meine liebe Frau, die es besser wußte als die anderen und nicht auf Mutmaßungen angewiesen war, amüsierte sich sehr darüber und amüsierte auch mich, indem sie mir das alles erzählte. Ich schrieb ihr: wenn sie befürchtete, daß ich erkannt werden könnte, würde ich nicht mehr hingehen. Sie antwortete mir, ich könnte ihr keine schmerzlichere Entbehrung auferlegen, und sie bäte mich, nach wie vor zu kommen. Immerhin glaubte ich nicht mehr zu Laura gehen zu sollen, denn möglicherweise hätten die klatschhaften Betschwestern dies erfahren, und dadurch konnten sie viel mehr entdecken, als sie wissen durften. Aber diese Lebensweise mergelte mich aus und konnte nicht lange mehr so fortgehen. Ich war dazu geschaffen, eine Geliebte zu haben und mit ihr glücklich zu leben. Da ich nicht wußte, was ich anfangen sollte, spielte ich und gewann fast immer; trotzdem wurde ich infolge meiner unbefriedigten Stimmung zusehends magerer.

Nachdem ich durch meinen Gevatter Croce in Padua fünftausend Zechinen gewonnen hatte, war ich dem Rat des Herrn von Bragadino gefolgt, hatte ein Kasino gemietet und hielt dort eine Pharaobank auf gemeinsame Rechnung mit einem Matador, der mich gegen die hinterlistigen Streiche gewisser gewalttätiger Aristokraten schützte, gegen deren Tyrannei ein einfacher Privatmann in meiner Vaterstadt stets unrecht bekommt.

Als ich am Allerheiligentage des Jahres 1753 nach dem Anhören der Messe in eine Gondel steigen wollte, um nach Venedig zurückzufahren, sah ich eine Frau von der Art Lauras, die, als sie an mir vorüberging, mich ansah und einen Brief fallen ließ. Ich hob diesen auf und bemerkte, daß die Frau, als sie den Brief in meinen Händen sah, ruhig ihren Weg fortsetzte. Der Brief war ohne Aufschrift, das Siegel stellte eine Schlinge dar. Ich sprang schnell in die Gondel und sobald ich auf dem offenen Wasser war, brach ich das Siegel und las folgendes:

»Eine Nonne, die seit dritthalb Monaten Sie jeden Feiertag in ihrer Kirche sieht, wünscht Ihre Bekanntschaft zu machen. Eine Broschüre, die Sie verloren haben und die durch Zufall in ihre Hände geraten ist, läßt vermuten, daß Sie französisch sprechen; wenn Sie jedoch vorziehen, ihr auf italienisch zu antworten, so können Sie dies tun, denn ihr kommt es vor allem auf Klarheit und Genauigkeit an. Sie ladet Sie nicht ein, sie ins Sprechzimmer rufen zu lassen, denn Sie wünscht, daß Sie Sie erst sehen, hevor Sie mit ihr sprechen; deshalb wird Sie Ihnen eine Dame bezeichnen, die Sie ins Sprechzimmer begleiten können. Diese Dame wird Sie nicht kennen und wird folglich nicht nötig haben, Sie vorzustellen, wenn Sie etwa zufällig wünschen sollten, nicht bekannt zu werden.

Sollten Sie glauben, daß diese Art, eine Bekanntschaft zu schließen, nicht passend sei, So wird die Nonne Ihnen ein Kasino in Murano nennen, wo Sie sie an einem beliebigen von Ihnen zu bestimmenden Tage um sieben Uhr Abend allein finden werden. Sie können bei ihr zum Abendessen bleiben oder auch nach einer Viertelstunde sich entfernen, wenn Sie anderweitig zu tun haben.

Würden Sie vielleicht lieber ihr in Venedig ein Abendessen geben? Bestimmen Sie Tag, Stunde und Ort, wohin sie kommen soll, und Sie werden Sie maskiert aus einer Gondel steigen sehen; nur müssen Sie maskiert und mit einer Laterne in der Hand allein am Ufer sein.

Ich bin überzeugt, daß Sie mir antworten werden und daß Sie erraten, mit welcher Ungeduld ich Ihre Antwort erwarte; ich bitte Sie daher, diese morgen derselben Frau zu übergeben, von der Sie diesen Brief bekommen werden; Sie finden sie eine Stunde vor Mittag in der Kirche San Canciano am ersten Altar rechter Hand.

Bedenken Sie, daß ich mich niemals zu einem Schritt entschlossen haben würde, der Ihnen einen ungünstigen Begriff von mir beibringen könnte, wenn ich Ihnen nicht ein edles Herz und einen hohen Geist zutraute.«

Der Ton dieses Briefes, den ich wörtlich abschreibe, überraschte mich noch mehr als die Sache selbst. Ich hatte zu tun, aber ich ließ alles liegen, um mich in meinem Zimmer einzuschließen und zu antworten. Dem Anschein nach kam der Brief von einer überspannten Person, aber ich fand darin zugleich eine Art Würde und eine Originalität, die mich anzogen. Mir kam der Gedanke, es könnte wohl die Nonne sein, die meiner Freundin Unterricht gäbe. Sie hatte sie mir als schön, reich, galant und freigebig geschildert. Meine liebe Frau konnte irgendeine Unvorsichtigkeit begangen haben; tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf; aber ich wies jeden Gedanken zurück, der nicht der mir zulächelnden Aussicht günstig war. Übrigens hatte meine Freundin mir geschrieben, die Nonne, die ihr französische Stunden gebe, sei nicht die einzige, die diese Sprache spreche. Ich konnte durchaus nicht annehmen, daß C. C. es mir nicht gesagt haben sollte, wenn sie ihrer Freundin etwas von unserem Geheimnis anvertraut hätte.

Trotzdem konnte die Nonne, die an mich schrieb, wohl die schöne Freundin meiner kleinen Frau sein; es konnte aber auch eine ganz andere sein. Diese Möglichkeit setzte mich in eine ziemliche Verlegenheit. Schließlich glaubte ich ihr folgendes schreiben zu können, ohne mich bloßzustellen:

»Ich antworte Ihnen französisch, Madame, und hoffe, daß mein Brief die Klarheit und Genauigkeit besitzen wird, von denen Sie mir ein Beispiel geben.

Die Sache ist außerordentlich interessant, und sie scheint mir in Anbetracht der Umstände von der größten Wichtigkeit zu sein. Da ich nun antworten muß, ohne zu wissen, wem ich antworte, so begreifen Sie, meine Gnädigste, daß ich ein eitler Geck sein müßte, wenn ich nicht eine Mystifikation befürchtete, und daß ich daher auf der Hut sein muß.

Wenn es also wahr ist, daß die Feder, die mir schrieb, von einer ehrenwerten Dame geführt wurde, die mir Gerechtigkeit widerfahren läßt, indem sie bei mir dieselben edlen Gesinnungen voraussetzt wie bei sich selber, so wird sie, wie ich hoffe, finden, daß ich ihr nicht anders antworten kann, als wie ich hiermit die Ehre haben werde zu tun.

Wenn Sie, meine Gnädige, mich der Ehre für würdig gehalten haben, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, obgleich Sie nur nach dem äußeren Anschein sich ein Urteil über mich haben bilden können, so halte ich mich für verpflichtet, Ihnen zu gehorchen, sei es auch nur, damit Sie Ihren Irrtum einsehen können, falls ich Sie etwa ohne meinen Willen zu einem solchen verleitet haben sollte. Von den drei Wegen, die Sie mir gütigst vorgeschlagen haben, wage ich nur den ersten zu wählen, und zwar mit der Einschränkung, die Ihr durchdringender Geist mir angedeutet hat: ich werde eine Dame, die mich^ nicht kennt und mich daher nicht vorstellen kann, in Ihr Sprechzimmer begleiten.

Urteilen Sie nicht zu strenge, meine Gnädigste, über die heiklen Gründe, die mich nötigen, mich nicht zu nennen, und empfangen Sie mein ehrenwörtliches Versprechen, daß ich Ihren Namen nur erfahren werde, um Ihnen Ehre zu erweisen. Wenn Sie es für angebracht halten, das Wort an mich zu richten, werde ich Ihnen nur mit den Bezeigungen tiefster Ehrfurcht antworten. Erlauben Sie mir die Hoffnung zu hegen, daß Sie allein an das Gitter kommen werden, und gestatten Sie mir, Ihnen nebenbei zu sagen, daß ich Venetianer und in der vollsten Bedeutung des Wortes mein freier Herr bin. Wenn ich nicht einen der beiden Vorschläge wähle, die mir an sich besser gefallen hätten als der erste – denn sie bedeuten für mich eine unendliche Ehre – so geschieht das, gestatten Sie mir, es zu wiederholen, einzig und allein deshalb, weil ich fürchte, zum besten gehalten zu werden. Aber diese beiden anderen Möglichkeiten sind ja nicht verloren, sobald Sie mich kennen und ich Sie gesehen habe. Ich bitte Sie, an meine Aufrichtigkeit zu glauben und meine Ungeduld nach der Ihrigen zu bemessen. Morgen werde ich mir zur selben Stunde und am selben Ort Ihre Antwort holen.«

Ich begab mich nach der bezeichneten Stelle, fand die Liebesbötin, gab ihr meinen Brief und eine Zechine und sagte ihr, ich würde am nächsten Tage wieder ebendort sein, um die Antwort zu holen. Pünktlich war ich da und fand sie. Sobald sie mich sah, kam sie auf mich zu und gab mir die Zechine, die ich ihr geschenkt hatte, und einen Brief, indem sie mich bat, ich möchte diesen lesen und ihr dann sagen, ob sie auf Antwort zu warten hätte. Ich entfernte mich, um den Brief zu lesen, der folgendermaßen lautete:

»Ich glaube, mein Herr, mich in keiner Hinsicht getäuscht zu haben. Ich verabscheue wie Sie die Lüge, wenn sie wichtige Folgen haben kann; aber ich betrachte sie nur als einen Spaß, wenn sie niemandem schaden kann. Sie haben von meinen drei Vorschlägen denjenigen gewählt, der Ihrem Geist am meisten Ehre macht. Ich achte die Gründe, die sie abhalten, sich zu erkennen zu geben, und schreibe der Gräfin S. beiliegenden Brief, den ich Sie zu lesen bitte. Wollen Sie ihn, bitte, versiegeln, ehe Sie ihn ihr überbringen; sie wird durch einen anderen Brief vorher davon in Kenntnis gesetzt sein. Gehen Sie zu ihr, wann es Ihnen paßt; Sie wird Ihnen die Stunde nennen, und Sie begleiten Sie in ihrer Gondel hierher. Die Gräfin wird keine einzige Frage an Sie richten, und Sie brauchen ihr durchaus keine Erklärung zu geben. Von einer Vorstellung ist nicht die Rede; da Sie aber bei dieser Gelegenheit meinen Namen erfahren werden, können Sie dann später maskiert kommen und nach mir fragen; lassen Sie mich im Namen der Gräfin ins Sprechzimmer rufen. Auf diese Weise wird unsere Bekanntschaft gemacht sein, ohne daß Sie sich einen Zwang anzutun brauchen und ohne daß Sie bei Nacht Zeit verlieren, die Ihnen vielleicht kostbar ist. Ich habe der Magd befohlen, auf Ihre Antwort zu warten, für den Fall, daß die Gräfin Ihnen nicht angenehm sein sollte, weil Sie Ihr vielleicht bekannt sind. Wenn meine Wahl Ihnen gefällt, sagen Sie dem Mädchen, Sie haben mir keine Antwort zu geben.«

Da ich sicher war, daß Gräfin S. mich nicht kannte, sagte ich dem Mädchen, ich habe ihrer Herrin keine Antwort zu geben, und sie ging.

Das Briefchen, das meine Nonne der Gräfin schrieb, und das ich dieser überbringen sollte, lautete: »Ich bitte Dich, liebe Freundim, zu einer Besprechung zu mir zu kommen, sobald Du Zeit hast und der Maske, die Dir diese Zeilen überbringt, eine Dir passende Stunde zu nennen, damit sie Dich begleiten kann. Sie wird pünktlich sein. Lebwohl; mit bestem Dank Deine Freundin.«

Dieses Briefchen schien mir großartig zu sein durch den Geist der Intrigue, der daraus sprach, und mich dünkte, er habe etwas Erhabenes an sich, das mich sehr anzog, obgleich ich wohl fühlte, daß man mich eine Rolle spielen ließ, als ob man mir eine Gnade erwiese.

In ihrem letzten Brief tat meine Nonne, als sei es ihr einerlei, wer ich wäre; sie billigte meine Wahl und heuchelte Gleichgültigkeit in bezug auf nächtliche Zusammenkünfte; aber sie schien gewiß zu sein, daß ich sie würde ins Sprechzimmer rufen lassen, nachdem ich sie gesehen hätte. Ich wußte schon, woran ich war, denn worauf sollte die Intrigue hinauslaufen, wenn nicht auf eine Liebschaft und ein Stelldichein? Indessen vermehrte ihre Sicherheit oder vielmehr ihre Zuversicht meine Neugier, und ich fühlte, daß sie ein Recht hatte, darauf zu hoffen, wenn sie jung und hübsch war. Es hätte nur an mir gelegen, die Sache um ein paar Tage hinauszuschieben und von C. C. zu erfahren, wer wohl die Nonne sein mochte; aber erstens wäre das unredlich gewesen, zweitens fürchtete ich mir damit das Abenteuer zu verderben, was mir vielleicht hinterher leid getan hätte. Sie sagte mir, ich möchte die Gräfin aufsuchen, wann es mir paßte; aber dies war nur geschehen, weil ihre Würde von ihr verlangte, sich nicht zu eifrig zu zeigen; außerdem konnte sie sich denken, daß ich selber ungeduldig sein würde. Sie schien mir in Dingen der Galanterie zu wohl bewandert zu sein, als daß ich sie für eine unerfahrene Anfängerin hätte halten können; ich fürchtete daher meine Zeit zu verlieren; aber mit dieser Möglichkeit fand ich mich ab und beschloß mich selber tüchtig auszulachen, wenn ich mich irgendeiner bejahrten Schönen gegenüber finden sollte. Ganz gewiß hätte ich nicht den geringsten Schritt getan, wäre ich nicht neugierig gewesen; ich wollte durchaus wissen, wie eine Nonne aussah, die sich erboten hatte, nach Venedig zu kommen und mit mir zu soupieren. Übrigens war ich sehr erstaunt über die Freiheit, deren die frommen Nonnen genossen, und über die Leichtigkeit, womit sie den Klosterbann zu brechen wußten.

Um drei Uhr begab ich mich zur Gräfin und ließ ihr mein Briefchen zustellen; sie erschien und sagte mir, ich würde ihr ein Vergnügen bereiten, wenn ich am nächsten Tage zur selben Stunde wiederkäme. Wir machten uns gegenseitig eine schöne Verbeugung und trennten uns. Diese Gräfin war ein famoses Weib, zwar schon etwas über die Blüte hinaus, aber immer noch schön.

Der nächste Tag war ein Sonntag, und ich versäumte nicht, zur Messe zu gehen. Ich war elegant gekleidet und frisiert und in der Phantasie bereits meiner lieben C. C. untreu; denn ich dachte mehr daran, mich der Nonne zu zeigen, mochte sie nun jung oder alt sein, als mich den Blicken meiner reizenden kleinen Frau darzubieten.

Am Nachmittag legte ich wieder meine Maske an und ging um die verabredete Stunde zur Gräfin, die mich bereits erwartete. Wir stiegen in eine Gondel mit zwei Ruderern und kamen beim Kloster an, ohne von etwas anderem gesprochen zu haben als vom schönen Wetter. Am Gitter angekommen, ließ sie M. M. rufen. Dieser Name setzte mich in Erstaunen, denn seine Trägerin war berühmt. Man ließ uns in ein kleines Besuchszimmer eintreten, und einige Minuten später sah ich eine Nonne erscheinen, die geraden Weges auf das Gitter losging und auf einen Knopf drückte. Vier Fensterscheiben sprangen zur Seite und ließen eine geräumige Öffnung frei, durch die die beiden Freundinnen sich in aller Bequemlichkeit umarmen konnten. Unmittelbar darauf wurde das sinnreiche Fenster sorgfältig wieder verschlossen. Die Offnung war mindestens achtzehn Zoll im Geviert groß, und ein Mann von meinem Wuchs hätte bequem hindurchschlüpfen können. Die Gräfin setzte sich der Nonne gegenüber, und ich nahm ein wenig zur Seite Platz, jedoch so, daß ich ganz bequem eine der schönsten Frauen betrachten konnte, die man überhaupt zu sehen vermag. Ich bezweifelte nicht, daß es die Nonne war, die meiner lieben C. C. französische Stunden gab und von der diese mir gesprochen hatte. Vor Bewunderung war ich in einer Art von Bezauberung befangen, so daß ich kein Wort von ihrem ganzen Gespräch vernahm. Meine schöne Nonne richtete kein Wort an mich, sondern gönnte mir nicht einmal die Ehre eines einzigen Blickes. Sie konnte zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre alt sein, und der Schnitt ihres Gesichtes war von der schönsten Form. Ihr Wuchs ging weit über Mittelmaß hinaus, ihre sehr weiße Gesichtsfarbe war ein wenig blaß, ihr Ausdruck edel und kühn, aber zugleich zurückhaltend und bescheiden; ihre wohlgeschnittenen Augen waren von schöner himmelblauer Farbe, ihre Miene war sanft und lachend, ihre Lippen waren schön und feucht von der süßesten Sinnlichkeit, ihre Zähne zwei Reihen Perlen vom glänzendsten Schmelz. Die Haare konnte ich ihrer Haube wegen nicht sehen; aber wenn sie welche hatte, mußten sie schön hellbraun sein; das konnte ich an den Augenbrauen sehen. Was mich am meisten entzückte, war ihre Hand und ihr Vorderarm, den ich bis zum Ellbogen sah. Der Meißel des Praxiteles hat niemals etwas schöner gerundetes, volleres und anmutigeres geformt. Trotz allem, was ich sah und erriet, bereute ich es nicht, die beiden Stelldichein ausgeschlagen zu haben, die die Schöne mir angeboten hatte, denn ich fühlte mich sicher, daß ich binnen wenigen Tagen sie besitzen würde, und es war mir ein Genuß, ihr meine Begierden zum Opfer weihen zu können. Ich sehnte mich nach dem Augenblick, wo ich mit ihr allein am Sprechgitter sein würde, und ich hätte ihr einen Schimpf angetan geglaubt, wenn ich nicht gleich am nächsten Tage hingegangen wäre, um ihr zu versichern, daß ich ihr alle Ge- rechtigkeit wiederfahren ließe, die sie verdiente. Sie sah mich während der ganzen Zeit nicht einen einzigen Augenblick an, aber diese Art von Zurückhaltung gefiel mir im Grunde. Plötzlich senkten die bei- den Freundinnen die Stimme, und Zartgefühl machte mir zur Pflicht, mich zu entfernen. Ihre geheime Unterhaltung dauerte eine Viertelstunde, die ich damit verbrachte, mir zum Schein ein Gemälde anzusehen. Nach Ablauf dieser Zeit umarmten sie sich wieder wie zu Anfang; die Nonne schloß das bewegliche Gitter wieder zu, drehte uns den Rücken und ging, ohne mir auch nur einen einzigen Blick zuzuwerfen.

Auf der Rückfahrt nach Venedig wurde die Gräfin vielleicht meines Schweigens überdrüssig und sagte lächelnd zu mir: »M. M. ist schön und sehr geistvoll.«

»Das eine habe ich gesehen, und das andere glaube ich.«

»Sie hat kein Wort zu Ihnen gesagt.«

»Da ich ihr nicht vorgestellt werden wollte, hat sie mich bestraft, indem sie so tat, als ob sie meine Anwesenheit gar nicht bemerkte.«

Die Gräfin antwortete nicht, und wir kamen bei ihrem Hause an, ohne noch ein weiteres Wort auszutauschen. Ich verließ sie an der Tür, da eine schöne Verbeugung und die Worte: Leben Sie wohl, mein Herr! mir bedeuteten, daß ich nicht weiter mitzugehen hätte. Übrigens hatte ich dazu auch gar keine Lust; ich ging an einen anderen Ort, um meinen Gedanken über dieses eigenartige Abenteuer nachzuhängen, auf dessen Weiterentwicklung ich sehr gespannt war.

Achtzehntes Kapitel


Die Gräfin Coronini. – Liebesverdruß. – Versöhnung. – Erste Zusammenkunft. – Philosophische Abschweifung.

Meine schöne Nonne hatte nicht mit mir gesprochen, und das war mir ganz recht; denn ich war so verblüfft, so von Bewunderung hingerissen, daß sie durch die unzusammenhängenden Antworten, die ich wahrscheinlich auf ihre Fragen gegeben hätte, vielleicht einen sehr niedrigen Begriff von meinem Geiste bekommen haben würde. Ich sah ein, daß sie überzeugt sein müßte, sie würde die Demütigung einer verneinenden Antwort nicht zu befürchten haben; aber ich bewunderte trotzdem ihren Mut, daß sie in ihrer Lage sich immerhin einer solchen Gefahr aussetzte. Ich konnte mir die Kühnheit nur schwer erklären, und ich begriff nicht, wie sie sich ihre Freiheit verschaffen konnte, deren sie sich offenbar erfreute. Ein Kasino in Murano! Die Möglichkeit, in Venedig mit einem jungen Mann unter vier Augen zu Nacht zu speisen! Dies alles war mir unklar, und ich kam schließlich zu der Annahme, daß sie einen offiziellen Liebhaber haben müßte, der seine Freude daran hätte, sie glücklich zu machen, indem er ihre Launen befriedigte. Dieser Gedanke verletzte allerdings meinen Stolz ein wenig; aber das Ergebnis war zu pikant, die Schöne selber zu anziehend, als daß ich mich nicht über meine Bedenken hätte hinwegsetzen sollen. Ich sah mich auf bestem Wege, meiner lieben C. C. untreu zu werden, oder ich war es vielmehr in Gedanken bereits; aber ich gestehe, daß ich trotz meiner Liebe zu dem reizenden Mädchen durchaus keine Gewissensbisse darüber verspürte. Mir schien, an einer Untreue dieser Art könnte sie keinen Anstoß nehmen, wenn sie sie zufällig entdecken sollte; denn diese kleine Abweichung vom Wege war nur dazu angetan, mich in Atem zu erhalten und mich ihr zu retten, denn dadurch konnte ich dem Kummer entgehen, der mich dahinsiechen ließ.

Durch eine mit Herrn Dandolo verwandte Nonne war ich der Gräfin Coronini vorgestellt worden. Diese Gräfin war sehr schön gewesen und hatte viel Geist; als sie sich nicht mehr mit den Hofintriguen beschäftigen mochte, die bis dahin ihr ganzes Leben ausgefüllt hatten, zog sie sich ins Kloster Santa Giustina zurück, um dort die Ruhe zu suchen, nach der sie verlangte, als alles andere ihr zum Ekel geworden war. Da sie eines hohen Rufes genossen hatte, sah sie an ihrem Sprechgitter noch immer alle fremden Gesandten und die ersten Würdenträger der Republik. Die Kosten der Unterhaltung wurden auf beiden Seiten von der Neugierde bestritten; die Gräfin wußte in ihren Klostermauern alles, was in der Stadt vorfiel, und zuweilen behauptete sie sogar mehr zu wissen als dies. Die Dame nahm mich stets sehr gut auf, indem sie mich als jungen Menschen behandelte, dem sie jedesmal, wenn er sie besuchte, sehr angenehme moralische Lehren gab. Ich war sicher, bei geschicktem Verhalten irgendetwas über M. M. zu erfahren, und beschloß daher, gleich am nächsten Morgen nach meinem Besuch bei der schönen Nonne der Gräfin meine Aufwartung zu machen.

Sie empfing mich auf die gewohnte Weise. Nachdem wir über allerlei Nichtigkeiten geplaudert hatten, wie man es in der guten Gesellschaft zu tun pflegt, bevor man zu einem vernünftigen Gespräch kommt, brachte ich die Unterhaltung auf die Klöster von Venedig. Wir sprachen von dem Geist und Ansehen einer Nonne, namens Celsi, die trotz ihrer Häßlichkeit in allen Angelegenheiten, die ihr am Herzen lagen, einen bedeutenden Einfluß ausübte. Hierauf unterhielten wir uns von der reizenden jungen Schwester Micheli, die den Schleier genommen hatte, um ihrer Mutter zu beweisen, daß sie die Klügere sei. Dann kam das Gespräch auf mehrere andere, von denen man sagte, daß sie galant seien, und ich nannte M. M., indem ich die Bemerkung machte, diese müsse wohl auch zu den galanten gehören, aber sie sei ein Rätsel. Die Gräfin antwortete mir lächelnd, im allgemeinen sei das allerdings richtig, aber das Rätsel bestehe nicht für alle Welt. »Unbegreiflich ist nur, warum sie die Laune gehabt hat, den Schleier zu nehmen, obgleich sie schön, reich, unabhängig, klug, sehr gebildet, und, soviel ich weiß, ein Freigeist ist. Sie nahm den Schleier ohne jeden körperlichen oder moralischen Grund, es war einfach eine Laune von ihr.«

»Halten Sie sie für glücklich, Frau Gräfin ?«

»Ja; wenn sie nicht etwa ihren Schritt bereut oder später dazu kommt, ihn zu bereuen. Sollte aber dieser Fall je eintreten, so halte ich sie für vernünftig genug, es niemanden merken zu lassen.«

Die geheimnisvolle Miene der Gräfin brachte mich zu der Überzeugung, daß M. M. einen Liebhaber haben müsse. Ich beschloß jedoch, mir darüber nicht den Kopf zu zerbrechen, sondern maskierte mich und fuhr am Nachmittag nach Murano. An der Klosterpforte läutete ich und fragte klopfenden Herzens nach M. M.; ich käme im Auftrage der Gräfin S. Das kleine Sprechzimmer war geschlossen; die Pförtnerin zeigte mir ein anderes, in das ich eintreten sollte. Ich tat dies, nahm meine Maske ab, setzte mich und wartete auf das Kommen meiner Göttin.

Mein Herz schlug Sturmmarsch. Ich wartete voll Ungeduld, und trotzdem war das Warten mir angenehm; denn ich fürchtete mich vor dem Augenblick der ersten Begegnung. Eine Stunde verging mir ziemlich schnell; dann aber begann mir das Warten doch ein bißchen lang zu werden. Ich dachte die Pförtnerin hätte mich vielleicht nicht richtig verstanden; daher klingelte ich nochmals am Eingang und fragte, ob man Schwester M. M. benachrichtigt hätte. Eine Stimme antwortete mir: Ja. Ich setzte mich wieder, und nach einigen Minuten kam eine zahnlose alte Nonne zu mir herein und sagte mir: »Mutter M. M. ist für den ganzen Tag beschäftigt.« Hierauf ging sie hinaus, ohne mir soviel Zeit zu lassen, daß ich ein einziges Wort hätte sprechen können.

Dies war nun einer von den schrecklichen Augenblicken, wie sie einer, der Abenteuern nachjagt, zuweilen erlebt. Sie sind der bitterste Schmerz, den es gibt. Sie demütigen, schmettern nieder, töten!

Ich fühlte mich erniedrigt. Meine erste Empfindung war größte Verachtung meiner selbst, die an Wut grenzte; mein zweites Gefühl war unwillige Verachtung der Nonne, über die ich das strenge Urteil fällte, das sie zu verdienen schien und das allein mich in meinem Schmerz tröstete. Wahnsinnig, elend, schamlos mußte ich sie nennen, um nur mich selbst zu trösten. So konnte sie gegen mich nur gehandelt haben, wenn sie das schamloseste aller Weiber und wenn sie jeder Vernunft bar war; denn die beiden Briefe, die ich von ihr hatte, genügten, um ihre Ehre zu vernichten, wenn ich hätte rächen wollen; und auf meine Rache mußte sie doch gefaßt sein. Sie mußte wahnsinnig sein, diese Rache herauszufordern. Ich hätte sie auch unbedingt für wahnsinnig gehalten, wenn ich nicht ihr Gespräch mit der Gräfin angehört hätte.

Aber ich erhob mich aus dem Tumult von Scham und Zorn, der meine Seele niederbeugte, während einzelner heller Momente, die nur anbrachen. Zeit bringt Rat, sagte ich bei mir selber; sie bringt auch Ruhe, und durch Überlegung kommt Klarheit in die Gedanken. Im Grunde war es doch ein ganz gewöhnliches Erlebnis und es würde mir als solches von Anfang an erschienen sein, wenn nicht die Reize der Nonne und meine eigene Eitelkeit mich geblendet hätten. Schließlich fühlte ich, daß es nur an mir läge, über das Mißgeschick zu lachen, und daß kein Mensch würde merken können, ob ich wirklich aufrichtig darüber lachte oder nur so täte. Sophismen sind ja so schnell bei der Hand!

Trotz allen diesen schönen Vorsätzen dachte ich aber doch an Rache. Nur durfte nichts Niedriges sich in diese einmischen. Ich wollte ihr nicht den Triumph gönnen, mich mit ihrem schlechten Spaß angeführt zu haben, und darum durfte ich mich nicht beleidigt zeigen. Sie hatte mir sagen lassen, sie wäre beschäftigt. So war mir meine Rolle vorgeschrieben, ich mußte den Gleichgültigen spielen. Ohne Zweifel sagte ich mir, wird sie ein anderes Mal nicht beschäftigt sein; aber sie soll es nur versuchen, mich noch einmal in ihr Netz zu locken! Ich werde ihr zeigen, daß ich über ihr schändliches Benehmen nur gelacht habe. Selbstverständlich mußte ich ihre Briefe zurückschicken; aber dies mußte mit einem Briefchen geschehen, dessen Galanterie ihr kein Lächeln der Befriedigung entlocken würde. Am unangenehmsten war es mir, daß ich verpflichtet war, in ihre Kirche zu gehen; aller Wahrscheinlichkeit nach wußte sie nicht, daß ich C. C. zuliebe hinging, und sie hätte sich einbilden können, ich käme nur in der Hoffnung, ihr Gelegenheit zu geben, daß sie sich bei mir entschuldigte und mit mir ein neues Stelldichein verabredete. Sie sollte an meiner Verachtung durchaus nicht zweifeln können ; außerdem glaubte ich, daß die Zusammenkünfte, die sie mir angeboten hatte, nur in ihrer Phantasie möglich wären und daß sie Sie mir nur vorgespiegelt hätte, um damit Eindruck auf mich zu machen.

Mit dem Bedürfnis der Rache legte ich mich zu Bett; darüber nachdenkend schlief ich ein, und ich erwachte mit dem Entschluß, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Ich schrieb an sie; da ich aber sicher sein wollte, daß meinem Brief nicht der Liebesverdruß anzumerken wäre, der an mir nagte, so ließ ich ihn auf meinem Schreibtisch liegen, um ihn am nächsten Tag ruhigen Blutes nochmal zu lesen. Diese Vorsicht war gut, denn als ich vierundzwanzig Stunden später den Brief wieder durchlas, fand ich ihn unwürdig und zerriß ihn in tausend Fetzen. In dem Brief kamen Sätze vor, in denen sich meine Schwäche, meine Liebe, mein Verdruß verrieten, die daher nicht nur nicht sie gedemütigt, sondern im Gegenteil ihr Stoff geliefert hätten, sich über mich lustig zu machen.

Am Mittwoch schrieb ich an C. C., triftige Gründe zwängen mich, die Messen in ihrer Klosterkirche nicht mehr zu besuchen. Hierauf verfaßte ich einen anderen Brief an meine Nonne, der am Donnerstag dasselbe Schicksal wie der vorige hatte, weil ich beim Durchlesen wieder die gleichen Mängel entdeckte. Es kam mir vor, als könnte ich überhaupt nicht mehr schreiben; nach Verlauf von zehn Tagen bemerkte ich, daß ich zu verliebt war, um mich anders ausdrücken zu können als wie mein Herz es verlangte:

Sincerum est nisi vas, quodcunque in fundis acescit.
Ist das Gefäß nicht rein, wird sicherlich sauer der Inhalt.

M. M.s Gesicht hatte auf mich einen so tiefen Eindruck daß dieser nur durch das abstrakteste aller Wesen, die Zeit, verwischt werden konnte.

In der dummen Lage, in der ich mich befand, war ich hundertmal in der Versuchung, zur Gräfin S. zu gehen und mich bei ihr zu beklagen; Gott sei Dank aber war ich so vorsichtig, niemals ihre Schwelle zu überschreiten. Der Gedanke, daß die unbedachte Nonne in tausend Ängsten schweben müßte, da in meinen Händen zwei Briefe sich befanden, die ihren guten Ruf vernichten und dem Kloster großen Schaden zufügen konnten – dieser Gedanke brachte mich endlich nach zehn Tagen zu dem Beschluß, ihr die Briefe mit folgendem Begleitschreiben zurückzuschicken:

»Ich bitte Sie, mir zu glauben, Madame, daß ich nur aus reiner Vergeßlichkeit Ihnen Ihre beiden Briefe noch nicht zurückschickte. Sie finden sie anbei. Niemals habe ich daran gedacht, den Grund meines Wesens zu verleugnen und gegen Sie eine feige Rache auszuüben. Ich verzeihe Ihnen recht leicht die beiden riesigen Unbesonnenheiten, die Sie begangen haben, sei es, daß Sie dabei ganz gedankenlos Ihrer Natur gefolgt sind, sei es, daß Sie vielleicht sich über mich lustig machen wollten. Gestatten Sie mir jedoch, Ihnen den Rat zu geben, einem anderen gegenüber es nicht ebenso zu machen, denn Sie könnten an jemanden geraten, der nicht so zartfühlend wäre wie ich. Ich kenne Ihren Namen, ich weiß, wer Sie sind. Aber seien Sie ruhig, es ist so gut, wie wenn ich gar nichts wüßte. Übrigens ist es ja möglich, daß Sie meiner Verschwiegenheit wenig Wert beimessen; aber wenn das der Fall ist, so finde ich Sie sehr bedauernswert. Wie Sie sich wohl denken können, Madame, werden Sie mich nicht mehr in Ihrer Kirche sehen; aber seien Sie überzeugt, daß dies für mich kein Opfer bedeutet: ich brauche nur einfach anderswohin zu gehen, um die Messe zu hören. Doch muß ich Ihnen sagen, aus welchem Grunde ich künftighin nicht mehr in Ihrem Kloster erscheinen werde: Ich finde es ganz natürlich, wenn Sie zu den beiden von Ihnen begangenen Unbesonnenheiten noch eine dritte nicht minder große hinzugefügt haben: nämlich die, sich Ihrer Heldentaten einer Mitnonne gegenüber zu rühmen, und ich will Ihnen keinen Stoff liefern, in Ihrer Zelle oder in Ihrem Boudoir über mich zu lachen. Finden Sie es nicht allzu lächerlich, daß ich trotz den fünf oder sechs Jahren, die ich älter bin als Sie, noch nicht alle Scham abgestreift und noch nicht das ganze mir überkommene Anstandsgefühl mit Füßen getreten habe – oder, wenn Sie es lieber so ausgedrückt sehen wollen: daß ich noch einige Vorurteile mir bewahrt habe. Ich bin der Meinung, es gibt Vorurteile, die man niemals gänzlich von sich abschütteln darf. Lassen Sie sich, Madame, diesen kleinen Denkzettel gefallen, denn auch ich nehme ja gutmütig genug den hin, den Sie offenbar nur zum Spaß mir erteilt haben; ich verspreche Ihnen, ihn für mein ganzes Leben mir zur Lehre dienen zu lassen.«

Ich hielt diesen Brief den Umständen nach für sehr zahm. Nachdem ich ihn fertig gemacht hatte, maskierte ich mich und suchte mir einen Forlanen oder Friauler, der mich nicht kennen konnte. Ich gab ihm eine halbe Zechine und versprach ihm den gleichen Betrag für den Augenblick, wo er mir melden würde, daß er den Brief richtig im Kloster auf Murano abgegeben hätte. Ich gab ihm alle nötigen Weisungen und nahm ihm das Versprechen ab, daß er sich entfernen würde, sobald er den Brief der Pförtnerin übergeben hätte, selbst wenn man ihm sagen sollte, daß er warten möchte. Ich muß hier bemerken, daß die Forlanen in Venedig Dienstmänner waren, die ein besonderes Vertrauen genossen; man hatte niemals gehört, daß einem von ihnen auch nur der geringste Vertrauensbruch vorgeworfen werden konnte. Dasselbe galt früher auch von den Savoyarden in Paris; aber alles wird anders auf dieser Welt. Ich begann die Geschichte zu vergessen – jedenfalls weil ich unbewußt dachte, ich hätte zwischen ihr und mir eine unüberschreitbare Schranke aufgerichtet. Da bemerkte ich zehn Tage später beim Verlassen der Oper denselben Forlanen mit seiner Laterne in der Hand. Ohne mir etwas dabei zu denken, rief ich ihn an und fragte ihn, ob er mich kenne. Die Maske behielt ich vor dem Gesicht. Er sah mich an, musterte mich von oben bis unten und verneinte meine Frage.

»Hast du deinen Auftrag in Murano gut ausgerichtet?«

»Ah, Gott sei gelobt, Herr, daß ich das Glück habe Sie zu finden.

Ich habe Ihnen wichtige Dinge mitzuteilen. Ich habe Ihren Brief hingebracht, habe ihn abgeliefert, wie Sie mir’s befohlen hatten, und bin sofort weggegangen, als ich ihn in den Händen der Pförtnerin sah, obgleich die Nonne mir sagte, ich möchte warten.

Bei meiner Rückkehr fand ich Sie nicht mehr vor – aber einerlei. Am anderen Morgen in aller Frühe kam einer meiner Kameraden, der an der Klosterpforte gewesen war, als ich den Brief abgab, weckte mich auf und sagte mir, ich müßte nach Murano kommen, die Pförtnerin wollte durchaus mit mir sprechen. Ich ging hin. Nachdem ich ein paar Augenblicke hatte warten müssen, ließ die Schwester mich ins Sprechzimmer eintreten, wo eine Nonne, schön wie der Tag, länger als eine Stunde mich mit allen möglichen Fragen bestürmte, die sämtlich darauf hinausgingen, daß ich ihr sagen sollte, wer Sie wären, oder doch wenigstens, an welchem Orte ich Sie finden könnte. Wie Sie wissen, konnte ich ihr keine befriedigende Antwort geben. Schließlich ging sie hinaus, befahl mir aber zu warten und kam zwei Stunden darauf mit einem Brief wieder, den sie mir übergab. Sie sagte mir, wenn es mir gelänge, Brief an Sie zu bestellen und ihr eine Antwort zu überbringen, so würde sie mir zwei Zechinen geben. Unterdessen sollte ich, bis ich Sie aufgefunden hätte, jeden Tag ins Kloster kommen und ihr den Brief zeigen; dafür würde ich jedesmal vierzig Soldi erhalten. Bis jetzt habe ich auf diese Art zwanzig Lire verdient; ich fürchte sie wird des Dinges überdrüssig, und es steht nur bei Ihnen, guter Herr, mich zwei Zechinen verdienen zu lassen, indem Sie zwei Zeilen auf den Brief antworten.«

»Wo ist dieser Brief?«

Bei mir zu Hause, eingeschlossen; denn ich habe immer Angst, ich könnte ihn verlieren.«

»Ja, wie soll ich ihn denn dann beantworten?«

Haben Sie die Güte, hier auf mich zu warten; in weniger als einer Viertelstunde bin ich mit dem Brief wieder hier.«

»Ich werde nicht auf dich warten, denn diese Antwort hat gar kein Interesse für mich. Aber sage mir, wie hast du der Nonne Hoffnung machen können, daß du mich auffinden würdest? Du bist ein Spitzbube; denn es ist nicht wahrscheinlich, daß sie dir den Brief anvertraut haben würde, wenn du ihr nicht Hoffnung gemacht hättest, du würdest mich ausfindig machen!«

»Ich bin kein Spitzbube, denn ich habe genau ausgeführt, was Sie mir aufgetragen hatten. Aber ich habe ihr allerdings Ihren Anzug,Ihre Schnallen, Ihren Wuchs genau beschrieben; und ich versichere Ihnen, seit zehn Tagen sehe ich mir ganz genau jede Maske von Ihrer Figur an. Aber vergeblich. Jetzt erkenne ich allerdings Ihre Schuhschnallen wieder, ich glaube aber, Sie haben heute einen anderen Rock an. Ach, Herr! es kostet Ihnen doch nichts, eine einzige Zeile zu schreiben. Seien Sie doch so gut und warten Sie in dem Kaffeehause hier einen Augenblick auf mich!«

Ich konnte meiner Neugier nicht länger widerstehen und entschloß mich, nicht auf ihn zu warten, wohl aber ihn nach seinem Hause zu begleiten. Ich brauchte nur zu schreiben: Ich habe den Brief erhalten. Damit verschaffte ich mir eine Genugtuung und ließ fogleich den Forlanen zwei Zechinen verdienen. Am nächsten Tage wechselte ich Schuhschnallen und Maske und konnte dann aller Nachforschungen lachen.

Ich begleitete also meinen Fertanen bis an seine Tür; er ging hinein und brachte mir den Brief heraus. Ich gehe mit ihm in ein Wirtshaus, lasse mir ein Zimmer geben, ein gutes Feuer anmachen und sage dem Mann, er solle warten. Ich öffne den dicken Brief, und das erste, was meine Augen sehen, sind die beiden Briefe, die ich ihr zurückgeschickt hatte, um sie wegen der Folgen ihrer Unbesonnenheit zu beruhigen.

Bei diesem Anblick bekam ich so heftiges Herzklopfen, daß ich mich setzen mußte: die Rücksendung der Briefe war ein sicheres Zeichen meiner Niederlage. Außer diesen beiden Briefen sah ich ein kleines Briefchen, das an M. M. überschrieben und mit S. unterzeichnet war. Ich las es, es enthielt nur folgende Worte: »Die Maske, die mich hin- und zurückbegleitete, hätte, glaube ich, überhaupt nicht den Mund aufgetan, wenn ich nicht die Bemerkung gemacht hätte, die Reize Deines Geistes seien noch verführerischer als die Deines Antlitzes. Er antwortete mir: Das eine habe ich gesehen, und das andere glaube ich. Ich fuhr fort, ich könnte nicht begreifen, warum Du gar nicht mit ihm gesprochen hättest, und er antwortete lächelnd: Ich wollte mich ihr nicht vorstellen lassen; sie hat mich dafür bestraft, indem sie von meiner Anwesenheit keine Notiz nahm. Das war unser ganzes Gespräch. Ich wollte Dir dies Briefchen heute früh schicken, aber es war mir unmöglich. Lebe wohl!«

Nachdem ich dies Billett gelesen hatte, das genau der Wahrheit entsprach und der Nonne als Entlastungsbeweis dienen konnte, verminderte sich mein Herzklopfen. Die Aussicht, mich einer Ungerechtigkeit überführt zu sehen, entzückte mich; ich faßte Mut und las folgenden Brief:

»Eine Schwachheit, die ich für sehr verzeihlich halte, machte mich neugierig, zu erfahren, was sie unterwegs zur Gräfin über mich gesagt hatten; ich benutzte einen günstigen Augenblick, um ihr unbemerkt zu sagen, sie möchte mir spätestens am nächsten Morgen Mitteilung darüber machen, denn ich sah voraus, daß Sie mir im Laufe des Nachmittags einen pflichtschuldigen Besuch abstatten würden. Ihr Briefchen, das ich Ihnen sende, mit der Bitte, es zu lesen, ist mir erst zugegangen, als Sie seit einer halben Stunde fort waren.

Erstes Verhängnis.

Da ich diesen Brief noch nicht erhalten hatte, als Sie mich rufen ließen, besaß ich nicht die Kraft, Ihren Besuch anzunehmen. Dies war eine gräßliche Schwachheit – die Sie aber, wie ich hoffe, für ebenso verzeihlich halten werden. Denn es war das zweite Verhängnis. Ich befahl der Laienschwester Ihnen zu sagen: ich sei für den ganzen Tag krank. Dies war eine sehr berechtigte Entschuldigung, einerlei, ob sie wahr oder falsch war; denn es war eine Anstandslüge, die durch die Worte: für den ganzen Tag als bloße Ausrede erkennbar war. Sie waren schon fortgegangen, und es war mir nicht mehr möglich, Sie zurückholen zu lassen, als das alberne alte Weib mir meldete, sie habe Ihnen gesagt, ich sei beschäftigt.

Dies war das dritte Verhängnis!

Sie können sich nicht vorstellen, was ich der dummen Nonne am liebsten alles gesagt und angetan hätte; aber hier im Kloster darf man gar nichts sagen oder tun; man muß Geduld haben und sich verstellen und noch obendrein Gott danken, daß die Versehen in Dummheit und nicht in Bosheit ihren Ursprung haben; denn das letztere kommt in Klöstern gar nicht selten vor. Ich sah sofort – wenigstens zum Teil – voraus, wie es denn auch wirklich gekommen ist; denn alles konnte wohl, glaube ich, menschliche Vernunft doch nicht voraussehen. Ich erriet, daß Sie sich für genasführt hielten, und daß Sie empört sein würden, und ich empfand darob einen unaussprechlichen Kummer; denn ich sah keine Möglichkeit, Ihnen vor dem nächsten Feiertag die Wahrheit kundzugeben. Mein Herz rief diesen Tag mit glühender Sehnsucht herbei: wie hätte ich wohl ahnen können, daß Sie den Entschluß fassen würden, nicht mehr in unsere Messe zu gehen. Geduldig trug ich mein Unglück bis zum nächsten Sonntag; aber als ich mich in meiner Hoffnung getäuscht sah, da wurde mein Schmerz unerträglich; und er wird mich töten, wenn Sie sich weigern, meine Rechtfertigung anzuerkennen. Ihr Brief hat mich völlig unglücklich gemacht, und ich werde meiner Verzweiflung erliegen, wenn Sie bei dem grausamen Entschluß beharren, von dem Ihr Brief mir spricht. Sie halten sich für gefoppt. Weiter können Sie nichts sagen. Aber wird nun dieser mein Brief Sie von Ihrem Irrtum überführen? Selbst wenn Sie glaubten, ich hätte Sie schmachvoll betrogen, so konnten Sie – dies müssen Sie zugeben! – mir einen so schrecklichen Brief doch nur schreiben, wenn Sie mich für ein gradezu abscheuliches Ungeheuer hielten, wie eine Frau von vornehmer Geburt und Erziehung es unmöglich sein kann. Ich lege die beiden Briefe wieder bei, die Sie mir zurückschickten, weil Sie glaubten, dadurch meine Unruhe zu beschwichtigen, die Sie aber grausamerweise einer ganz falschen Ursache zuschreiben. Ich verstehe mich besser als Sie auf Gesichter; seien Sie überzeugt: was ich tat, habe ich nicht aus Unbesonnenheit getan; denn ich habe Sie niemals auch nur einer unschönen Handlungsweise für fähig gehalten, geschweige denn einer Schlechtigkeit. Sie müssen in meinen Gesichtszügen nur die Seele eines schamlosen Tollkopfes entdeckt haben – und das bin ich nicht. Sie werden vielleicht an meinem Tode schuld sein oder zum mindesten mich für mein ganzes Leben unglücklich machen, wenn Sie es unterlassen, nun auch sich zu rechtfertigen; denn ich meinerseits glaube mich im vollsten Maße gerechtfertigt zu haben.

Ich hoffe, Sie werden, selbst wenn Ihnen an meinem Leben nichts liegen sollte, doch einsehen, daß Ihre Ehre erheischt, mich zu einer Unterredung aufzusuchen. Kommen Sie selber und nehmen Sie alles zurück, was Sie mir geschrieben haben! Sie müssen es, und ich verdiene es! Sollten Sie nicht begreifen, wie verhängnisvoll Ihr Brief auf mich gewirkt hat, wie verhängnisvoll er auf das Herz jeder unschuldigen und nicht gradezu wahnwitzigen Frau wirken müßte – so könnte ich, trotz meinem Unglück, Sie nur bedauern; denn alsdann hätten Sie gar keine Kenntnis vom Menschenherzen. Aber ich bin gewiß, Sie werden wiederkommen – wenn es nur dem Mann, dem ich diesen Brief übergebe, gelingt, Sie aufzufinden. Leben Sie wohl! Ich erwarte von Ihnen Leben oder Tod!«

Ich brauchte diesen Brief nicht zweimal zu lesen. Ich war verwirrt, verzweifelt. M.M. hatte recht. Ich ließ sofort den Friauler hereinkommen und fragte ihn, ob er am Morgen mit ihr gesprochen und ob sie krank ausgesehen hätte. Er antwortete mir, er hätte sie jeden Tag trauriger und abgespannter gefunden und sie hätte rote Augen.

»Warte draußen auf mich!«

Ich setzte mich zum Schreiben nieder und war erst bei Tagesanbruch mit meinem wortreichen Geschreibsel fertig. Mein Brief an das edelste Weib, das ich in meinem Ärger so falsch beurteilt hatte, lautete folgendermaßen:

»Ich bin schuldig, Madame, und kann gar nichts zu meiner Verteidigung anführen. Von ihrer Unschuld aber bin ich vollkommen überzeugt. Ich wäre untröstlich, wenn ich nicht die süße Hoffnung hegte, meine Verzeihung zu erlangen, und Sie werden mir diese nicht verweigern, wenn Sie gütigst bedenken, was mich hat schuldig werden lassen. Ich sah Sie, Sie blendeten meine Augen, und ich konnte ein Glück nicht fassen, das mir als eine Chimäre erschien; ich glaubte, ich wäre in einem jener köstlichen Träume befangen, die beim Erwachen verschwinden. Erst vierundzwanzig Stunden später konnte ich Gewißheit erlangen, ob meine Zweifel wirklich unberechtigt wären; und wer könnte die Ungeduld schildern, womit ich auf diesen glücklichen Augenblick wartete. Endlich war er da, und von Begierde und Hoffnung getrieben flog mein Herz Ihnen entgegen, während ich im Sprechzimmer saß und die Minuten zählte. Eine Stunde verging mir jedoch ziemlich schnell; dies war eine natürliche Wirkung meiner Ungeduld und der Art von Rührung, in die mich der Gedanke versetzte, daß ich Sie würde eintreten sehen. Aber gerade in dem Augenblick, wo ich ganz sicher glaubte, ich würde das geliebte Gesicht sehen, dessen Züge sich auf den ersten Blick unauslöschlich in mein Herz eingegraben hatten – da sah ich die widerlichste alte Vettel, die mir mit kalter, mürrischer Miene sagte, Sie seien für den ganzen Tag beschäftigt. Ehe ich noch zu mir kommen konnte, war sie schon wieder fort. Stellen Sie sich meine Betäubung und alle meine Gefühle vor. Der Blitz hätte mich nicht plötzlicher und furchtbarer treffen können. Hätten Sie mir durch dieselbe Laienschwester zwei Zeilen geschickt, zwei Zeilen von Ihrer Hand – ich wäre, wenn auch nicht zufrieden, so doch gefaßt und Ihrem Willen gehorsam fortgegangen.

Aber nun kommt ein viertes Verhängnis, das Sie bei Ihrer köstlichen pikanten Rechtfertigung nicht mit aufgeführt haben. Ich hielt mich für gefoppt, mein Stolz empörte sich und Entrüstung brachte für einen Augenblick meine Liebe zum Schweigen. Die Scham erstickte mich. Ich glaubte, jedermann müßte auf meinem Gesicht das ganze Entsetzen lesen, das ich in mir verspürte; ich sah in Ihnen nur ein entsetzliches Ungeheuer, in Engelsgestalt. Mein Geist war ganz über den Haufen geworfen, und nach elf Tagen verlor ich den kleinen Rest von Vernunft, der mir noch geblieben war. Dies muß ich wenigstens annehmen, denn an jenem Tage schrieb ich den Brief, über den Sie mit Recht sich beklagen, den ich aber damals für ein Meisterstück von Mäßigung hielt.

Jetzt ist, hoffe ich, alles in Ordnung, und schon heute früh um elf Uhr werden Sie mich zärtlich, gehorsam und reuig zu Ihren Füßen sehen. Sie werden mir vergeben, himmlisches Weib, oder ich selber räche Sie für die Unbill, die ich Ihnen angetan habe. Nur um eine einzige Gnade wage ich Sie zu bitten: verbrennen Sie meinen Brief und lassen Sie zwischen uns niemals mehr von ihm die Rede sein. Ich habe ihn erst abgesandt, nachdem ich vier andere einen nach dem andern zerrissen hatte. Ermessen Sie daraus, in welcher Gemütsverfassung ich mich befand.

Ich lasse den Dienstmann sofort nach Ihrem Kloster gehen, damit Ihnen beim Erwachen schon mein Brief übergeben wird. Der Mann würde mich niemals entdeckt haben, wenn mich nicht mein guter Geist getrieben hätte, ihn anzusprechen, als ich aus der Oper kam. Ich werde seiner nicht mehr bedürfen. Antworten Sie mir nicht und empfangen Sie die aufrichtigsten Beteuerungen eines Herzens, das Sie anbetet!«

Als der Brief fertig war, rief ich meinen Friauler herein, gab ihm eine Zechine und ließ mir von ihm versprechen, sofort nach Murano zu fahren und der Nonne meinen Brief nur zu ihren eigenen Händen zu übergeben. Sobald er fort war, warf ich mich auf das Bett, aber vor Ungeduld und Sehnsucht konnte ich kein Auge zutun.

Der Leser kann sich denken, daß ich in meiner Ungeduld pünktlich zur Stelle war. Man ließ mich in das kleine Sprechzimmer eintreten, wo ich sie zum erstenmal gesehen hatte, und bald kam sie.

Als ich sie hinter dem Gitter sah, sank ich auf beide Knie nieder; aber sie bat mich schnell wieder aufzustehen, weil man mich sehen könnte. Ihr Gesicht war wie von Feuer übergossen, ihr Blick aber erschien mir himmlisch. Sie setzte sich, und ich nahm auf einem Stuhle ihr gegenüber Platz. So saßen wir mehrere Minuten lang und sahen uns an, ohne ein Wort zu sagen. Endlich brach ich jedoch das Schweigen, indem ich in zärtlichem aber halb ersticktem Ton sie fragte, ob ich auf meine Vergebung hoffen könnte. Sie streckt nur durch das Gitter hindurch ihre schöne Hand entgegen, und ich bedeckte diese mit Tränen und mit Küssen.

»Unsere Bekanntschaft«, hub sie an, »hat mit einem heftigen Gewitter begonnen; hoffen wir, daß sie fortan vollkommen und auf die Dauer ruhig sein werde. Wir sprechen uns heute zum erstenmal, aber nach dem zwischen uns Vorgefallenen müssen wir uns gegenseitig vollkommen kennen. Ich hoffe, unser Bund wird ebenso zärtlich wie aufrichtig sein, und wir werden uns gegenseitig unsere Fehler zu vergeben wissen.«

»Kann ein Engel wie Sie Fehler haben?«

»Oh, lieber Freund, wer hätte denn keine?«

»Wann werde ich das Glück haben können, Sie ohne allen Zwang und ganz der Freude meines Herzens folgend, von der Tiefe meiner Gefühle überzeugen zu dürfen?«

»Wir speisen in meinem Kasino zu Abend, sobald Sie wollen; nur muß ich es zwei Tage vorher wissen. Oder auch: ich komme nach Venedig, und wir essen bei Ihnen, wenn Ihnen das nicht unbequem ist.«

»Es würde nur mein Glück erhöhen. Ich glaube Ihnen sagen zu müssen, daß ich mich in sehr angenehmen Verhältnissen befinde; daß ich Geldausgaben nicht scheue, sondern im Gegenteil liebe. Alles aber, was ich habe, gehört dem Wesen, das ich anbete.«

»Ihre Mitteilung, lieber Freund, ist mir sehr angenehm, um so angenehmer, da auch ich Ihnen sagen kann, daß ich reich bin und meinem Geliebten keinen Wunsch versagen kann.«

»Sie haben aber gewiß schon einen?«

»Ja ; und er ist es, der mich reich macht. Er ist mein unumschränkter Gebieter. Ich habe niemals Heimlichkeiten vor ihm. Wenn wir übermorgen unter vier Augen sind und ich ganz die Ihre bin, sollen Sie mehr darüber erfahren .«

»Aber ich hoffe doch, Ihr Liebhaber . . .«

»Wird nicht dabei sein – verlassen Sie sich darauf. Haben Sie auch eine Geliebte?«

»Ich hatte eine. Aber ach, man hat sie nur mit Gewalt entrissen, und ich lebe seit sechs Monaten in vollkommenem Zölibat.«

»Sie lieben sie noch?«

»Ich kann nicht an sie zurückdenken, ohne sie zu lieben. Sie kommt Ihnen fast gleich an Schönheit und Reiz, aber ich sehe voraus, um Ihretwillen werde ich sie vergessen!«

»Wenn Sie glücklich waren, beklage ich Sie aufrichtig. Man entriß sie Ihnen, und Sie flohen die Welt, um sich Ihrem Kummer hinzugeben. Ich habe Sie erraten; aber wenn es so kommt, daß ich mich des Platzes bemächtige, den sie noch in Ihrem Herzen einnimmt, dann, mein holder Freund, soll kein Mensch mich daraus vertreiben!«

»Aber was wird Ihr Liebhaber dazu sagen?«

»Er wird entzückt sein, mich mit einem Geliebten wie Sie zärtlich und glücklich zu sehen. Dies ist nun mal sein Charakter.«

»Ein bewunderungswürdiger Charakter! Zu solchem Heroismus würde mir Charakter und Kraft fehlen.«

»Was für ein Leben führen Sie in Venedig?«

»Ich besuche Theatergesellschaften, Kasinos und kämpfe dort mit dem Glück, das mir bisweilen hold, bisweilen auch feindlich ist.«

»Besuchen Sie die fremden Gesandten?«

»Nein; ich stehe in allzu engen Beziehungen zu Patriziern; aber ich kenne sie alle.«

»Wie kommt es, daß Sie sie kennen, da Sie doch nicht mit ihnen verkehren?«

»Ich habe Sie im Ausland kennen gelernt: in Parma den spanischen Botschafter, Herzog von Montalegre; in Wien den Grafen Rosenberg; in Paris vor ungefähr zwei Jahren den französischen Botschafter.«

»Es wird gleich Mittag läuten, lieber Freund, es ist Zeit, daß wir uns trennen. Kommen Sie übermorgen zur selben Stunde, und ich werde Ihnen die nötigen Unterweisungen geben, damit Sie abends mit mir zusammen speisen können.«

»Unter vier Augen?«

»Das versteht sich.«

»Darf ich wagen, Sie um ein Unterpfand Ihres Versprechens zu bitten? Denn das Glück, das Sie mir verheißen, ist ja so groß!«

»Was für ein Unterpfand wollen Sie?«

»Daß Sie sich an das kleine Fenster stellen und mir erlauben, mich an die Stelle der Gräfin S. zu versetzen.«

Sie stand auf und drückte mit dem anmutigsten Lächeln auf die Feder; nachdem ich den innigsten Kuß empfangen hatte, ging ich. Ihre Augen begleiteten mich bis an die Tür, und ihr liebevoller Blick hätte mich dort festgehalten, wenn sie nicht endlich gegangen wäre.

Ich verbrachte die beiden Tage des Wartens in solcher Freude und Ungeduld, daß ich nicht essen noch schlafen konnte; mir schien, ich hätte noch niemals solches Glück in der Liebe gehabt, oder vielmehr: mir schien, als sollte ich zum erstenmal in meinem Leben wirklich glücklich sein.

Meine neue Eroberung war von vornehmer Herkunft, war schön und geistvoll; aber zu diesen tatsächlichen Vorzügen kam noch ein eingebildeter hinzu, der nur mein Glück beinahe unfaßbar machte: ich hatte mit einer Vestalin zu tun. Eine verbotene Frucht wurde mir geboten, und wer wüßte nicht, daß seit Evas Tagen bis auf unsere Zeit gerade die verbotene Frucht uns immer am süßesten dünkt. Ich sollte einem allmächtigen Gatten ins Gehege kommen; und darum stand in meinen Augen M. M. hoch über allen Königinnen.

Wäre nicht in diesen Augenblicken meine Vernunft von der Leidenschaft verblendet gewesen, So hätte ich wohl gesehen, daß diese Nonne auch nicht anders beschaffen sein konnte als alle die hübschen Frauen, die ich in den dreizehn Jahren gekannt, seitdem ich zum erstenmal das Schlachtfeld der Liebe betreten hatte. Aber welcher Verliebte würde sich wohl mit solchem Gedanken abgeben! Er weist ihn verächtlich von sich, wenn er ihm zufällig sich aufdrängen sollte. M. M. mußte durchaus hoch über der schönsten Frau der Welt stehen.

Die animalische Natur – was die Chemiker das animalische Reich nennen – verschafft sich instinktmäßig die drei Mittel, die sie notwendig braucht, um sich in Ewigkeit fortzupflanzen.

Diese Mittel sind drei wirkliche Bedürfnisse, die die Natur allen Geschöpfen eingepflanzt hat. Sie müssen sich nähren, und diese Notwendigkeit wäre eine dumme und verdrießliche Last für sie, wenn sie nicht die Empfindung des Hungers hätten und ein Vergnügen daran fänden, diesen zu befriedigen. Sie müssen ihre Art fortpflanzen; dies ist eine unumgängliche Notwendigkeit, in der sich die ganze Weisheit des Schöpfers offenbart; denn ohne Fortpflanzung und Vermehrung würde nach dem immer gültigen Gesetz der Entartung, des Vergehens und des Sterbens alles zunichte werden. Mögen nun der heilige Augustin und andere, die nicht vernünftiger sind als er, sagen, was sie wollen – die Geschöpfe würden sich mit der Arbeit der Fortpflanzung nicht befassen, wenn sie nicht ihr Vergnügen daran fänden und wenn das große Werk sie nicht durch einen unwiderstehlichen Reiz anzöge. Endlich haben alle Geschöpfe eine ganz entschiedene und unbewegliche Neigung, ihre Feinde zu vernichten. Und sicherlich kann es nichts Vernünftigeres geben; denn der Selbsterhaltungstrieb macht es ihnen zur Pflicht, die Zerstörung alles dessen, was ihnen schaden kann, mit allen Kräften zu wünschen und zu erstreben.

Wenn nun aber auch diese Gesetze allgemein gültig sind, so handelt doch jede Art für sich allein. Die drei Empfindungen Hunger, Lustbegierde, Haß werden von den Tieren rein gewohnheitsmäßig befriedigt, und wir brauchen sie nicht zu den Genüssen zu rechnen; denn von Genuß kann nur im Bezug auf ein Individuum die Rede sein. Der Mensch allein ist mit vollkommenen Organen begabt; daher ist wirklicher Genuß nur ihm eigentümlich, denn mit der erhabenen Fähigkeit des Denkens begabt, erkennt er den Genuß: er sucht ihn, mischt ihn mit anderen Genüssen, vervollkommnet ihn und erweitert ihn durch Überlegung und Erinnerung. Ich bitte dich, lieber Leser: ärgere dich nicht und begleite mich noch ein bißchen weiter. Ich bin heute ja nur noch der Schatten des munteren Casanova. Ich schwatze gern. Aber wenn du mir deshalb davonliefest, so wäre das nicht höflich oder jedenfalls nicht nett von dir.

Der Mensch ist nicht besser als ein Tier, wenn er sich den erwähnten drei Neigungen hingibt, ohne Vernunft und Urteil zu Hilfe zu rufen. Aber wenn die Neigungen durch ein geistiges Element ins Gleichgewicht gebracht werden, dann werden diese Empfindungen Genüsse, und zwar vollkommene Genüsse. Es ist ein unerklärliches Gefühl, durch das allein es uns möglich ist, sogenanntes Glück zu genießen, und das wir nur empfinden, ohne es beschreiben zu können.

Ein mit Vernunft begabter sinnlicher Mensch verschmäht die Völlerei, weist mit Verachtung Ausschweifung und Wollust von sich und will nichts von jener brutalen Rache wissen, die der ersten Zornesaufwallung entspringt. Aber er ist lecker und befriedigt seinen Appetit nur auf eine Weise, die seiner Natur entspricht. Er ist verliebt, aber er genießt des geliebten Wesens nur, wenn er sicher ist, daß es seinen Genuß teilt, und dies kann nur der Fall sein, wenn ihre Liebe gegenseitig ist. Wenn ihm eine Beleidigung widerfährt, rächt er sich erst, nachdem er mit kaltem Blut die sichersten Mittel erwogen hat, die ihm die Rache zu einem Genuß machen. Wenn er zuweilen grausamer ist, so tröstet er sich, weil er mit Überlegung gehandelt hat; endlich ist zuweilen seine Rache so edel, daß sie im Verzeihen besteht. Bei solcher Auffassung sind die drei Wandlungen das Werk der Seele, die sich zur Dienerin der Leidenschaften macht, um Genuß davon zu haben. Wir erdulden zuweilen Hunger, um uns die Speisen, die ihn stillen sollen, besser schmecken zu lassen; wir verzögern den Liebesgenuß, um ihn lebhafter zu machen, und wir verschieben den Augenblick der Rache, um sie sicherer zu machen. Andererseits freilich kann man an einem verdorbenen Magen sterben; in der Liebe lassen wir uns oft durch Sophismen täuschen, und der Mensch, den wir vernichten wollen, entgeht oft unserer Rache. Aber Vollkommenes gibt es eben nicht, und dieses Risiko nehmen wir daher gern in den Kauf.

Zwölftes Kapitel


Mein Aufenthalt in Wien. – Josef der Zweite. – Abreise nach Venedig.

So war ich also zum erstenmal in der österreichischen Hauptstadt. Ich war achtundzwanzig Jahre alt, gut mit Sachen versehen, aber ein bißchen knapp an Geld, weshalb ich bis zum Eintreffen eines auf Herrn von Bragadino gezogenen Wechselbetrages meine Ausgaben einschränken mußte. Der einzige Empfehlungsbrief, den ich hatte, war vom Dresdener Dichter Migliavacca an den berühmten Metastasio gerichtet, dessen Bekanntschaft zu machen ich sehr begierig war. Ich gab den Brief gleich am Tage nach meiner Ankunft ab und fand in einer stundenlangen Unterhaltung den Dichter noch gelehrter, als er in seinen Werken erscheint. Metastasio war außerdem so bescheiden, daß ich anfangs diese Bescheidenheit nicht für natürlich hielt; sehr bald aber überzeugte ich mich, daß sie vollkommen echt war, denn wenn er etwas von seinen Versen hersagte, war er der erste, der auf die guten Stellen und auf die Schönheiten aufmerksam machte. Dies tat er mit derselben Einfachheit, womit er schwache Partien hervorhob. Ich erwähnte seinen Lehrer Gravina, und er sagte bei dieser Gelegenheit fünf oder sechs noch ungedruckte Stanzen her, die er auf dessen Tod gedichtet hatte. Gerührt durch die Erinnerung an den Verlust seines Freundes und durch die Süßigkeit seiner eigenen Verse, hatte er während des Sprechens die Augen voll von Tränen. Als er geendet hatte, fragte er mich in einem Ton wahrhaft rührender Biederkeit: Ditemi il vero: si può dir meglio? – Sagen Sie mir die Wahrheit; kann man es besser ausdrücken? Ich antwortete, nur ihm selber stände es zu, dies für möglich zu halten. Als ich ihn hierauf fragte, ob seine schönen Verse ihm viele Mühe kosteten, zeigte er mir vier oder fünf Seiten Geschriebenes mit vielen Ausstreichungen. Es waren im ganzen nur vierzehn Verszeilen, und er versicherte mir, an einem Tage hätte er niemals mehr machen können. Er bestätigte mir damit eine mir schon bekannte Tatsache, nämlich die, daß gerade die Verse dem Dichter am meisten Mühe kosten, von denen der Durchschnittsleser glaubt, er habe sie nur so aus dem Ärmel geschüttet.

»Welche von Ihren Opern«, fragte ich ihn, »lieben Sie am meisten?«

»Attilio Regolo: ma questo non vuol già dire, che sia il migliore. – Attilius Regulus; aber damit ist noch nicht gesagt, daß sie die beste ist.«

»Man hat in Paris Ihre sämtlichen Werke in französische Prosa übersetzt; aber der Herausgeber hat sich damit zugrunde gerichtet, denn man kann sie nicht lesen: dies beweist, wie erhaben und kräftig Ihre Poesie ist.«

»Vor etlichen Jahren verlor ein anderer Dummkopf sein Vermögen, indem er Ariostos schöne Verse in französische Prosa übertrug. Ich lache, wenn jemand behauptet, ein Prosawerk könne Anspruch darauf erheben, für ein Gedicht zu gelten.«

»Ich bin vollkommen Ihrer Meinung.«

»Und mit Recht.«

Hierauf erzählte er mir, er habe niemals eine Ariette gedichtet, ohne sie selber in Musik zu setzen; doch zeige er für gewöhnlich seine Musik keinem Menschen.

»Es ist komisch,« fuhr er fort, »wie die Franzosen glauben können, daß es möglich sei, Verse einer bereits vorhandenen Musik anzupassen. Das ist gerade, wie wenn man einem Bildhauer sagte: Da hast du einen Marmorblock; mache mir eine Venus daraus. Aber ihr Gesicht muß zu erkennen sein, ehe du noch ihre Züge herausgemeißelt hast.«

Bei einem Besuch der Hofbibliothek begegnete ich zu meiner großen Überraschung Herrn de la Haye mit zwei Polen und einem jungen Venetianer, der von seinem Vater ihm zur Vollendung seiner Erziehung übergeben worden war. Ich hatte geglaubt, er wäre in Polen, und das Wiedersehen mit ihm war mir angenehm, da es interessante Erinnerungen in mir erweckte. Ich umarmte ihn herzlich mehrere Male. Er sagte mir, er sei Geschäfte halber in Wien und werde im Laufe des Sommers nach Venedig kommen. Wir machten uns gegenseitig Besuche, und als ich ihm sagte, daß ich nicht recht gut bei Kasse sei, lieh er mir fünfzig Dukaten, die ich ihm kurz nachher zurückgab. Er teilte mir mit, daß sein Freund Bavois bereits Oberstleutnant in venezianischen Diensten sei, und diese Nachricht machte mir wirkliche Freude. Er hatte das Glück gehabt, von Herrn Morosini zu seinem Generaladjutanten erwählt zu werden, als dieser nach seinem Rücktritt vom Pariser Botschafterposten zum Grenzkommissar ernannt worden war. Ich war entzückt, zwei Menschen glücklich zu wissen, die mich als den ersten Urheber ihres Glückes ansehen mußten. In Wien erfuhr ich bestimmt, daß de la Haye Jesuit war, aber darüber durfte man mit ihm nicht sprechen.

Da ich nicht wußte, wohin ich gehen sollte, jedoch große Lust hatte, mich zu amüsieren, so besuchte ich die Probe der Oper, die nach Ostern gegeben werden sollte; dort traf ich den mir von Turin her bekannten ersten Tänzer Bodin, der die schöne Geoffroi geheiratet hatte. Ferner traf ich dort den Gatten der schönen Ancilla, Campioni. Er sagte mir, er sei zur Trennung gezwungen gewesen, weil sie ihn zu öffentlich entehrt habe. Dieser Campioni war ein ebenso großer Spieler wie großer Tänzer; ich nahm Wohnung bei ihm.

In Wien war alles schön. Viel Geld und viel Luxus. Aber infolge der Frömmelei der Kaiserin war es außerordentlich schwer, sich Cytherens Freuden zu verschaffen, besonders für Fremde. Eine Legion erbärmlicher Spitzel, die man mit dem schönen Namen Keuschheitskommissäre schmückte, waren die unerbittlichen Verfolger aller Mädchen. Die Herrscherin besaß in bezug auf die sogenannte illegitime Liebe nicht die erhabene Tugend der Duldsamkeit; fromm bis zur Bigotterie glaubte sie sich ein großes Verdienst vor Gott zu erwerben, indem sie den natürlichsten Trieb beider Geschlechter auf das kleinlichste verfolgte. Indem sie das Verzeichnis der Todsünden in ihre kaiserliche Hand nahm, glaubte sie über sechs von ihnen hinwegsehen zu dürfen, um nur die Wollust zu treffen, die ihr unverzeihlich schien.

»Man kann«, sagte sie, »den Stolz verkennen, denn die Würde trägt sein Kleid. Der Geiz ist allerdings abscheulich; aber man kann sich dabei täuschen, denn er hat große Ähnlichkeit mit der Sparsamkeit. Der Zorn ist eine mörderische Krankheit, wenn er lostobt; aber auf Totschlag steht Todesstrafe. Die Völlerei mag vielleicht nur Leckerhaftigkeit sein, und diese Sünde wird von der Religion nicht bestraft; denn in guter Gesellschaft gilt sie sogar für einen Vorzug; übrigens ist sie vom Appetit abhängig, und wenn einer an einer Unverdaulichkeit stirbt, nun, so hat er eben seine Strafe weg. Der Neid ist eine niedrige Leidenschaft, die sich niemals offen kundgibt; um die Neidischen noch anders zu bestrafen als durch das ätzende Gift, das sie ohnehin verzehrt, müßte ich zunächst meinen ganzen Hof auf die Folter spannen lassen. Die Faulheit wird schon durch die Langeweile bestraft. Etwas anderes aber ist es mit der Unenthaltsamkeit; dieser kann meine keusche Seele nicht verzeihen, und ich erkläre ihr offenen Krieg. Mögen meine Untertanen alle hübschen Frauen hübsch finden, mögen die Frauen alles aufbieten, um hübsch auszusehen, möge man sich unterhalten, soviel man will. Das kann ich nicht verbieten; aber ich will nicht, daß man Begierden, von denen die Erhaltung der menschlichen Rasse abhängt, befriedigt, wenn man nicht in aller Form Rechtens verheiratet ist. Man wird daher alle jene Unglücklichen, die ihre Liebe und ihre von der Natur empfangenen Reize verkaufen, nach Temesvar schicken. Ich weiß wohl, man ist in dieser Hinsicht in Rom sehr milde; denn dort hat ja jede Eminenz ihre Geliebte, um ein größeres Verbrechen zu verhindern – das trotzdem doch nicht verhindert wird. Aber in Rom macht man dem Klima Zugeständnisse, die ich hier nicht zu machen brauche, denn hier ersetzen Flasche und Pfeife alle anderen Genüsse. (Die gekrönte Frau hätte hinzufügen können: und der Tisch, denn die Österreicher sind berühmt als gewaltige Fresser.) Auch Unordnungen, die in den Häusern vorkommen, werde ich nicht verschonen; sobald ich erfahre, daß eine Frau ihrem Gatten untreu ist, werde ich sie einfach einsperren lassen, mag man auch noch so viel behaupten, der Mann allein sei Herr über seine Frau; denn dieser Einwand ist nicht stichhaltig in meinen Staaten, wo die Ehemänner zu gleichgültig sind. Fanatische Ehemänner mögen meinetwegen schreien, soviel sie Lust haben, und mögen sich beklagen, ich entehre sie, indem ich ihre Frauen bestrafe; sie sind durch deren Untreue schon vorher entehrt.«

»Aber, Madame, die Entehrung kann nur darin bestehen, daß sie bekannt wird; übrigens können Sie sich geirrt haben, obgleich Sie Kaiserin sind.«

»Das weiß ich. Aber schweigen Sie! Ich gestehe Ihnen nicht das Recht zu, mir zu widersprechen.«

Derartige Gründe müssen Maria Theresia bewogen haben. Aber obgleich ihr Entschluß nur aus Beweggründen der Tugend hervorgegangen war, entstanden daraus alle jene Niederträchtigkeiten, die die Henker von Keuschheitskommissären ungestraft in ihrem Namen begingen. Zu allen Stunden des Tages und in allen Straßen Wiens wurden alleingehende Mädchen, die oft nur ausgegangen waren, um sich in Ehren ihren Lebensunterhalt zu verdienen, verhaftet und ins Gefängnis geschleppt. Es war eine Gemeinheit; denn wie konnte man wissen, daß das Mädchen zu einem Mann ging, um sich trösten zu lassen, oder daß sie auf der Straße einen Tröster suchte? Das war doch nicht so einfach. Ein Spion – die Polizei bezahlte ganze Scharen von solchen – folgte ihnen von fern, und da diese Halunken keine Uniform trugen, konnte man sie nicht erkennen. Die Folge war, daß man gegen jeden unbekannten Menschen mißtrauisch war.

Wenn ein Mädchen in ein Haus eintrat, wartete der sie verfolgende Spion unten an der Tür, hielt sie an, sobald sie wieder herauskam, und nahm sie ins Verhör. Wenn das arme Ding ein verlegenes Gesicht machte, wenn sie nur einen Augenblick zögerte, eine Antwort zu geben, die den Spitzel befriedigte, brachte der Kerl sie ins Gefängnis, nachdem er zunächst ihr alles Geld und allen Schmuck abgenommen hatte; diese Wertgegenstände waren verloren, denn niemals gelang es, ihre Rückerstattung zu bewirken. Wien war in dieser Beziehung eine wahre Räuberhöhle, voll von privilegierten Spitzbuhen. Eines Tages drückte bei einem Straßenauflauf in der Leopoldstadt ein junges Mädchen mir eine goldene Uhr in die Hand, damit der Spion, der sie verfolgte und ins Gefängnis bringen wollte, sie nicht bekäme. Ich kannte das arme Mädchen gar nicht, aber ich hatte das Glück, sie einen Monat später wiederzusehen. Sie war hübsch und hatte durch mehr als ein Opfer ihre Freiheit wieder erlangt. Ich freute mich sehr, ihr ihre Uhr wiedergeben zu können, und verlangte keinen Lohn für meine Ehrlichkeit, obgleich die Schöne der Mühe wert war. Um den Belästigungen zu entgehen, gab es für die Mädchen nur ein Mittel: sie mußten gesenkten Kopfes und mit einem Rosenkranz in der Hand über die Straße gehen; denn alsdann durfte das ekelhafte Gezücht sich nicht erlauben, sie ohne weiteres zu verhaften. Es wäre ja möglich gewesen, daß sie in die Kirche gehen wollten, und in diesem Fall hätte Maria Theresia den Keuschheitskommissär hängen lassen.

Diese Bande machte für die Fremden den Aufenthalt in Wien sehr unangenehm; denn es war schwer, selbst ganz natürliche Bedürfnisse zu befriedigen. Ich war sehr überrascht, als ich eines Tages in einem Gäßchen an der Mauer stand, von einem Strolch in runder Perücke angefahren zu werden, der mir sagte, ich sollte mich anderswohin scheren, sonst würde er mich verhaften lassen.

»Und warum, bitte?«

»Weil da links von Ihnen eine Frau ist, die Sie sehen kann.«

Ich blickte auf und sah im vierten Stock den Kopf einer Frau, die mit einem Fernrohr wohl hätte unterscheiden können, ob ich Christ oder Jude war. Lachend kam ich dem Befehl nach. Ich erzählte mein Erlebnis überall, aber kein Mensch wunderte sich darüber, denn so etwas kam jeden Tag hundertmal vor.

Um die Wiener Bräuche kennen zu lernen, aß ich bald hier bald dort. Als ich eines Tages mit Campioni zum Essen in den Gasthof zum Krebs ging, sah ich zu meiner großen Uberraschnng an der Gasttafel jenen Bepe il Cadetto sitzen, den ich während meiner Gefangenschaft beim spanischen Heere kennen gelernt, später in Venedig und dann noch in Lyon unter dem Namen Don Giuseppe Maratti wiedergesehen hatte. Campioni, der in Lyon sein Teilhaber gewesen war, umarmte ihn, sprach dann mit ihm abseits und sagte mir schließlich, der Herr habe seinen richtigen Namen wieder angenommen und heiße jetzt Graf Afflisio. Nach dem Essen werde man eine Pharaobank auflegen, woran ich beteiligt sein solle; man bitte mich daher, nicht zu spielen. Ich erklärte mich einverstanden. Afflisio gewann, und ein gewisser Hauptmann BecCaria warf ihm die Karten ins Gesicht – ein kleiner Scherz, woran der angebliche Graf bereits gewöhnt war und der daher nicht weiter auffiel. Nach dem Spiel gingen wir in ein Kaffeehaus, wo ein gut aussehender Offizier mich aufmerksam ansah. Endlich lächelte er, doch in einer Weise, die durchaus nichts Beleidigendes an sich hatte.

»Mein Herr,« fragte ich ihn höflich, »über wen mögen Sie wohl lachen?«

»Über Sie, mein Herr. Ich sehe, Sie erinnern sich meiner nicht.«

»Es ist mir so, als müßte ich bereits die Ehre gehabt haben, Sie irgendwo zu sehen. Aber wo? Das kann ich nicht sagen.«

»Vor neun Iahren, als ich auf Befehl des Fürsten Lobkowitz sie ans Tor von Rimini brachte.«

»Sie sind Baron Vais!«

»Ganz recht!«

Wir umarmten uns, und er bot mir seine Freundschaft an, indem er mir versprach, mir in Wien alle nur möglichen Vergnügungen zu verschaffen. Ich nahm dies natürlich an, und an demselben Abend stellte er mich einer Gräfin vor, bei der ich die Bekanntschaft des Abbate Testagrossa machte, den man Grosse Tête (Dickkopf) nannte. Er war Gesandter des Herzogs von Modena und bei Hofe gern gesehen, weil er die Heirat eines Erzherzogs mit der Prinzessin Beatrice von Este vermittelt hatte. Ich machte dort auch die Bekanntschaft der Grafen Rockendorf und Sarrotin und mehrerer adliger junger Damen, die man nach der Etikette nur als Fräulein anreden darf. Auch war dort eine Baronin, die danach aussah, als ob sie ein lockeres Leben geführt hätte, die aber wohl noch gefallen konnte. Wir speisten zu abend, und ich wurde dabei fortwährend als Baron angeredet. Vergebens sagte ich, ich wäre kein Baron und hätte überhaupt keinen Titel. »Sie müssen doch irgend etwas sein«, antwortete man mir, »und weniger als Baron können Sie nicht sein. Sie müssen sich Baron nennen lassen, wenn Sie in Wien irgendwo in Gesellschaften zugelassen werden wollen.«

»Nun so will ich denn meinetwegen Baron sein. Es hat ja nichts weiter auf sich.«

Die Baronin gab mir bald zu verstehen, daß sie mich nach ihrem Geschmack finde und daß es ihr angenehm sein würde, wenn ich ihr den Hof machte. Ich besuchte sie schon am nächsten Tage, und sie sagte mir: »Wenn Sie gern spielen, so kommen Sie heute Abend.« Ich lernte bei ihr mehrere Spieler und drei oder vier Fräuleins kennen, die sich ohne Furcht vor Keuschheitskommissären dem Dienst der Venus geweiht hatten und ihrem Beruf so ergeben waren, daß sie ihrem Adel nichts zu vergeben glaubten, wenn sie für ihre Gefälligkeiten einen kleinen Lohn annahmen. Da merkte ich, daß die Herren Keuschheitskommissäre nur für solche unbequem waren, die nicht in guten Häusern verkehrten.

Da die Baronin mir sagte, ich könne ihr meine Freunde vorstellen, so führte ich den Baron Vais, Campioni und Afflisio bei ihr ein. Der Graf spielte, hielt die Bank und gewann; Tramontini, den ich kennen gelernt hatte, stellte ihn seiner Frau vor, die Madame Tesi genannt wurde, und durch ihre Vermittlung machte Afflisio die ausgezeichnete Bekanntschaft des Prinzen von Sachsen-Hildburghausen. Dies war der Ausgangspunkt für die glänzende Laufbahn des Grafen eigener Mache; denn Tramontini, der sein Teilhaber bei allen großen Spielpartien geworden war, ließ durch seine Frau den Herzog bewegen, ihm zunächst den Rang eines Hauptmanns im Dienst Ihrer Kaiserlichen und Königlichen Majestät zu verschaffen. Drei Wochen später trug Afflisio die Uniform mit seinen Rangabzeichen. Als ich von Wien abreiste, war er im Besitz von hunderttausend Gulden. Die Majestäten liebten das Spiel, aber sie setzten nicht. Der Kaiser ließ vielmehr eine Bank halten. Er war ein guter, prachtliebender und haushälterischer Fürst. Ich sah ihn einmal in vollem kaiserlichen Ornat und war überrascht, daß er spanische Kleidung trug. Ich glaubte Karl den Fünften zu sehen, der diese Etikette eingeführt hatte; sie war noch immer im Brauch, obwohl nach ihm kein Kaiser Spanier gewesen ist und Franz der Erste mit der spanischen Nation gar nichts gemein hatte.

Später sah ich die gleiche Sonderbarkeit in Polen bei der Krönung von Stanislaus August Poniatowski, und die alten Paladine weinten vor Ärger, als sie diese Tracht sahen; aber sie mußten gute Miene zum bösen Spiel machen, denn unter dem russischen Despotismus war ihnen nichts anderes übrig geblieben, als sich in Geduld zu fassen.

Kaiser Franz der Erste war schön, und ich würde sein Gesicht stets angenehm gefunden haben, ob er nun ein Lodenwams oder den kaiserlichen Purpur getragen hätte. Er behandele seine Frau mit der größten Rücksicht und hinderte sie nicht, den Staat in Schulden zu stürzen, weil er die Kunst verstand, dessen Gläubiger zu werden. Er begünstigte den Handel, weil dieser ihm seine Kassen füllte. Er war galant, und die Kaiserin, die ihn stets nur ihren Herrn nannte, tat, als merkte sie nichts davon; denn sie wollte in der Welt nicht den Glauben aufkommen lassen, daß ihre Reize nicht mehr genügten, ihren erlauchten Gemahl zu fesseln, um so mehr, da man allgemein die Schönheit ihrer zahlreichen Nachkommenschaft bewunderte. Alle Erzherzoginnen, mit Ausnahme der ältesten, schienen mir schön; von den Knaben konnte ich nur den ältesten genauer beobachten; ich fand seine Gesichtszüge unglücklich, obwohl Abbé Dickkopf, der sich etwas auf seine physiognomischen Kenntnisse zugute tat, andrer Meinung war.

»Was bemerken Sie,« fragte er mich eines Tages, »an der Physiognomie des Prinzen?«

»Eigendünkel und Selbstmord.«

Ich war ein guter Prophet; denn Josef der Zweite hat sich tatsächlich selbst getötet, allerdings absichtslos, und sein Eigendünkel war schuld daran, daß er es nicht merkte. Er wußte etwas; aber seine eingebildeten Kenntnisse zerstörten die, die er wirklich besaß. Besonders gern sprach er mit Leuten, die ihm nicht zu antworten wußten, weil sie von seinen Gründen geblendet waren, oder weil sie wenigstens so taten. Dagegen mied er Pedanten – wie er sie nannte – die durch ein gesundes Urteil das schlecht gezimmerte Gerüst seiner Meinungen umstießen.

Als ich vor sieben Jahren in Laxenburg bei ihm war, sprach er mit berechtigtem Spott von einem Menschen, der mittels riesiger Summen und durch alle möglichen Kriechereien einen elenden Adelsbrief erworben hatte. Bei dieser Gelegenheit sagte er zu mir: »Ich verachte alle, die den Adel kaufen.«

»Mit Recht. Aber was soll man von denen halten, die ihn verkaufen?«

Nach dieser Frage drehte er mir den Rücken zu und hielt mich nicht mehr für würdig, ein Wort an mich zu richten.

Der hohe Hert hatte eine Leidenschaft fürs Erzählen, und er erzählte in der Tat hübsch und wußte die Einzelheiten einer Anekdote geschickt auszuschmücken; aber er wollte durchaus seine Zuhörer lachen sehen, denn wer nicht zu seinen Späßen lachte, war in seinen Augen ein Dummkopf, und leider blieben gerade die ernst, die ihn am besten kannten. Er zog Brambillas Rat, der ihm schließlich den Tod brachte, den Meinungen der Ärzte vor, die ihm vernünftige Verhaltungsmaßregeln gaben. Übrigens hat niemand ihm Furchtlosigkeit abgestritten; aber von der Kunst des Regierens hatte er keine Ahnung, denn er hatte nicht die geringste Kenntnis vom menschlichen Herzen, und er wußte weder sich zu verstellen noch ein Geheimnis zu bewahren. Er hatte seine Gesichtszüge so wenig in der Gewalt, daß er nicht einmal sein Vergnügen zu verbergen wußte, wenn er eine Strafe verhängte. Wenn er jemand sah, dessen Züge ihm nicht gefielen, schnitt er stets ein Gesicht, das sehr übel aussah.

Josef der Zweite ist einer wirklich furchtbaren Krankheit erlegen; denn er blieb bis zum letzten Augenblick bei vollem Bewußtsein, während er doch den unvermeidlichen Tod vor Augen sah. Ihm ist das Unglück widerfahren, alles bereuen zu müssen, was er getan hatte, und es nicht rückgängig machen zu können; teils weil das meiste nicht wieder gut zu machen war, teils weil er geglaubt hätte, sich zu entehren, wenn er aus Gründen der Vernunft zerstörte, was er aus Unvernunft geschaffen hatte; denn ohne Zweifel bewahrte er bis zum letzten Augenblick das Gefühl der seiner hohen Geburt anhaftenden Unfehlbarkeit, obgleich der schwankende Zustand seiner Seele ihm die Fehlbarkeit seiner Natur hätte zum Bewußtsein bringen müssen. Er hegte die größte Achtung für seinen Bruder, der heute an seiner Stelle regiert; trotzdem hatte er nicht den Mut, die wichtigen Ratschläge zu befolgen, die dieser ihm gab. In einer Regung von Seelengröße gab er dem geschickten und klugen Arzt, der ihm sein Todesurteil ankündigte, eine hohe Belohnung; aber in einer Schwäche entgegengesetzter Art hatte er einige Monate vorher die Ärzte und den Quacksalber belohnt, die ihm weismachten, er sei geheilt. Ferner hatte er das Unglück, genau zu wissen, daß man seinen Tod nicht betrauern würde – ein trostloser Gedanke, besonders für einen Herrscher. Seine von ihm innig geliebte Nichte starb vor ihm, und wenn die Personen seiner Umgebung ihn geliebt hätten, so würde ihm die herzzerreißende Nachricht erspart worden sein; denn es war handgreiflich, daß sein Ende unmittelbar bevorstand, und sein Groll wegen Vorenthaltens der Nachricht wäre daher nicht mehr zu fürchten gewesen.

Ich war entzückt von dem Wiener Leben und von den Genüssen, die ich bei den schönen Fräuleins fand, deren Bekanntschaft ich bei der Baronin gemacht hatte. Kurz vor meiner Abreise aus der schönen Stadt traf Baron Vais mich beim Hochzeitsfest des Grafen Durazzo und lud mich zu einem Picknick in Schönbrunn ein. Wir fuhren hin, und ich war dort in keiner Weise enthaltsam; als wir nach Wien zurückkamen, hatte ich mir denn auch dermaßen den Magen verdorben, daß ich vierundzwanzig Stunden später dem Tode nahe war.

Das letzte Fünkchen Vernunft, das ich in meinem erschöpften Zustand noch besaß, benutzte ich dazu, mir das Leben zu retten. Campioni und die Grafen Rockendorf und Sarrotin standen an meinem Bett. Sarrotin, mit dem ich sehr befreundet geworden war, hatte einen Arzt mitgebracht, obgleich ich auf das bestimmteste erklärt hatte, ich wollte keinen. Der neue Sangrado glaubte mir seine Kunst als Despot aufdrängen zu können und hatte einen Wundarzt kommen lassen, der mir gegen meinen Willen die Ader schlagen sollte. Ich war schon halb tot, aber einer mir selber unbegreiflichen Eingebung folgend, schlag ich die Augen auf und sah den Mann mit der Lanzette in der Hand und grade im Begriff, mir die Ader zu öffnen. »Nein, nein!« sagte ich und zog matt meinen Arm zurück; der Kerl aber wollte mir, wie der Arzt sich ausdrückte, auch gegen meinen Willen das Leben retten und packte von neuem meinen Arm. Grade in diesem Augenblick verspürte ich eine Belebung meiner Kräfte; ich streckte die Hand aus, ergriff eine meiner Pistolen, und die Kugel riß ihm eine seiner Locken vom Kopf. Dies genügte. Alle Anwesenden machten sich aus dem Staube, ausgenommen meine Magd, die nicht von mir ging, und mir soviel Wasser zu trinken gab, wie ich verlangte. Am vierten Tag war ich völlig wieder hergestellt.

Mein Erlebnis gab allen Wiener Müßiggängern ein paar Tage lang Stoff zur Erheiterung, und Abbé Dickkopf versicherte mir. wenn ich den armen Wundarzt erschossen hätte, so wäre er eben tot gewesen und weiter nichts, denn die anwesenden Zeugen würden der Wahrheit gemäß erklärt haben, man hätte mir mit Gewalt zur Ader lassen wollen; demgemäß wäre ich also in der Notwehr gewesen. Von mehreren Seiten wurde mir auch berichtet, die Wiener Ärzte hätten die Ansicht ausgesprochen, daß ich nicht mit dem Leben davon gekommen wäre, wenn man mir Blut abgezapft hätte; hätte mein Wassertrinken mich nicht geheilt, so würden die klugen Leute genau das Gegenteil behauptet haben. Ich fühlte jedoch, daß ich mich in acht nehmen müßte, um nicht in der deutschen Hauptstadt krank zu werden. Denn höchstwahrscheinlicher Weise hätte ich nur mit großer Schwierigkeit einen Arzt gefunden. In der Oper suchten viele Leute meine Bekanntschaft zu machen; man sah in mir einen Mann, der sich mit Pistolenschüssen gegen den Tod gewehrt hatte. Ein Miniaturenmaler, Morol, der sehr an Indigestionen litt und schließlich auch an einer solchen starb, hatte nur die Lehre gegeben: um von dem Unwohlsein zu genesen, sei nichts weiter nötig, als reichliche Mengen Wasser zu trinken und Geduld zu haben. Er starb, weil man ihm in einem Augenblick zur Ader ließ, wo er keinen Widerstand leisten konnte.

Meine Indigestion erinnerte mich an ein Witzwort eines Mannes, der sonst selten Witze machte, nämlich des Herrn von Maisonrouge. Er hatte sich eines Tages den Magen überladen und wurde sterbend nach Hause gebracht. Den Quinze-Vingts gegenüber mußte sein Wagen anhalten, weil einige Karren sich verfahren hatten; ein Armer trat an seinen Wagenschlag heran und bat ihn um ein Almosen, indem er sagte: »Ach, mein Herr, ich sterbe vor Hunger!« – »Ei, wie kannst du dich darüber beklagen, du Schelm,« antwortete ihm Maisonrouge stöhnend, »ich wollte, ich wäre an deiner Stelle.«

Etwa um dieselbe Zeit machte ich die Bekanntschaft einer Mailänder Tänzerin; sie war klug, hatte ein ausgezeichnetes Benehmen, besaß literarische Kenntnisse und war vor allen Dingen sehr hübsch. Sie empfing in ihrem Salon gute Gesellschaft, mit der sie ausgezeichnet umzugehen wußte. Bei ihr lernte ich einen Grafen Christoph Erdödy kennen, einen liebenswürdigen, reichen und freigebigen Kavalier, ferner einen Fürsten Kinsky, der ein höchst anmutiger Harlekin war. Ich verliebte mich in das Mädchen, aber vergeblich, denn sie war in den Florentiner Tänzer Angiolino verschossen. Ich umwarb sie, aber sie machte sich über mich lustig; eine Theaterdame, die in irgend jemand verliebt ist, ist eine uneinnehmbare Festung, falls man nicht in der Lage ist, eine goldene Brücke zu schlagen. Ich war aber nicht reich. Trotzdem gab ich die Hoffnung nicht auf, sondern verbrannte ausdauernd meinen Weihrauch auf ihrem Altar. Meine Gesellschaft war ihr angenehm, denn sie zeigte mir die von ihr verfertigten Briefe, und ich hob deren Schönheiten hervor. Sie besaß von sich ein Miniaturbildnis von überraschender Ähnlichkeit. Am Tage vor meiner Abreise beschloß ich, aus Arger über meine verlorene Zeit und über die von mir in der Verliebtheit begangenen Dummheiten, ihr dies Bildnis zu stehlen. Ein schwacher Trost für einen Unglücklichen, der sich vergeblich um das Original bemüht hatte! Bei meinem Abschiedsbesuch sah ich das Kleinod liegen; ich steckte es ein und reiste damit nach Preßburg, wohin Baron Vais mich nebst zwei schönen Fräuleins zu einer Lustpartie eingeladen hatte.

Als ich aus dem Wagen stieg, war der erste Mensch, dem ich sozusagen in die Arme lief, der Beschützer der Frau Condé-Labré, Chevalier Talvis, dem ich in Paris einen so tüchtigen Denkzettel gegeben hatte. Als er mich erkannte, ging er auf mich los und sagte ich sei ihm eine Revanchepartie schuldig.

»Ich verspreche sie Ihnen,« erwiderte ich, »doch gehe ich niemals eine Partie um einer anderen willen auf: wir werden uns wiedersehen!«

»Das genügt. Würden Sie mir die Ehre erweisen, mich den Damen vorzustellen?«

»Recht gern; aber nicht auf der Straße.«

Wir gingen in den Gasthof, er folgte uns. Da ich der Meinung war, der junge Mann, der im übrigen tapfer war wie nur irgend ein französischer Kavalier, könnte zu unserer Unterhaltung beitragen, so stellte ich ihn vor. Er wohnte seit ein paar Tagen in dem Wirtshaus, wo auch wir abgestiegen waren, und war in Trauer gekleidet. Er fragte uns, ob wir den Ball beim Fürstbischof besuchen würden. Wir wußten nichts von einem solchen, aber Vais bejahte seine Frage. »Man besucht den Ball«, sagte der Chevalier, »ohne vorgestellt zu sein, und deshalb gedenke auch ich hinzugehen, was ich sonst nicht könnte, denn mich kennt hier kein Mensch.« Hiermit ging er. Der Wirt, der erschien, um sich nach unseren Befehlen zu erkundigen, gab uns Auskunft über den Ball; da unsere schönen Fräuleins den Wunsch äußerten, hinzugehen, so erklärten wir uns bereit.

Allen Leuten unbekannt, durchstreiften wir in voller Freiheit alle Räume des Palastes, bis wir schließlich zu einem großen Tisch gelangten, woran der Fürstbischof saß und eine Pharaobank hielt. Der Goldhaufe, den der edle Prälat vor sich hatte, mochte nach unserer Schätzung etwa dreizehn oder vierzehntausend Gulden betragen. Chevalier Talvis stand zwischen unseren beiden Damen und machte ihnen Komplimente, während Seine Gnaden die Karten mischten. Der Fürst ließ abheben, sah den Chevalier an und lud ihn freundlich ein, doch auch eine Karte zu besetzen.

»Gern, gnädiger Herr; ich halte die Bank auf diese Karte.«

»Gilt!« sagt der Bischof, um sich nicht den Anschein zu geben, als ob er Furcht hätte. Er zieht ab, die Karte des Chevaliers gewinnt, und mein glücklicher Franzose zieht in aller Seelenruhe das ganze Geld des Prälaten ein und stopft sich die Taschen damit voll. Der Bischof ist verblüfft; ein wenig zu spät die Dummheit erkennend, die er gemacht hat, sagt er zum Chevalier: »Und wenn Ihre Karte verloren hätte, mein Herr, wie würden Sie es angefangen haben, mich zu bezahlen?«

»Gnädiger Herr, das wäre meine Sache gewesen.«

»Mein Herr, Sie haben mehr Glück als Verstand.«

»Das kann wohl sein, Euer Gnaden; aber das ist meine Sache.«

Der Chevalier ging hinaus, ich folgte ihm und holte ihn unten an der Treppe ein. Nachdem ich ihm mein Kompliment gemacht hatte, bat ich ihn, mir hundert Kaiserdukaten zu leihen. Er zählte sie mir augenblicklich auf, indem er mir die Versicherung gab, er sei entzückt, mir diesen Dienst leisten zu können.

»Ich werde Ihnen einen Schuldschein ausstellen.«

»Unsinn, nichts von Schuldschein.«

Ich steckte das Gold in die Tasche, ohne mich um die zahlreichen Masken zu bekümmern, die aus Neugier dem glücklichen Gewinner gefolgt und jetzt Zeugen des Vorfalls waren. Talvis entfernte sich, und ich ging wieder in den Spielsaal.

Rockendorf und Sarrotin, die zufällig auf dem Ball waren, hatten erfahren, daß der Chevalier mir Geld gegeben hätte, und fragten mich, wer er wäre. Ich erzählte ihnen eine aus Wahrem und Falschem gemischte Geschichte und sagte ihnen schließlich, mit dem Gelde, das er mir gegeben, habe der Chevalier eine Schuld getilgt, die er noch von Paris her an mich gehabt habe. Sie mußten mir dies glauben oder doch wenigstens so tun.

In unserem Gasthof erzählte uns der Wirt, der Chevalier sei Hals über Kopf zu Pferde davon gesprengt, und sein ganzes Gepäck hahe in einem Handköfferchen bestanden. Wir speisten zu Nacht, und zur Erheiterung des Mahles erzählte ich Vais und unseren schönen Fräuleins, auf welche Weise ich Talvis kennen gelernt und wie ich es angefangen hatte, meinen Anteil an der Beute zu erhalten.

In Wien war, als wir zurückkehrten, die Geschichte bereits das Tagesgespräch, man lachte über den Gaskogner und ulkte über den Bischof. Die bösen Zungen verschonten auch mich nicht, aber ich tat, als verstände ich die Anzüglichkeiten nicht, denn ich hielt es für zwecklos mich zu verteidigen.

Den Chevalier de Talvis kannte kein Mensch, und der französische Botschafter hatte niemals ein Wort von ihm gehört. Ich weiß nicht, ob er vielleicht später noch nach Preßburg hat von sich hören lassen.

Nachdem ich von allen Freunden und Freundinnen Abschied genommen hatte, reiste ich endlich mit der Post von Wien ab; am vierten Tage übernachtete ich in Triest. Tags darauf schiffte ich mich nach Venedig ein, wo ich am Nachmittag des zweiten Tages vor Himmelfahrt ankam. Ich hatte das Glück, nach einer dreijährigen Abwesenheit meinen herrlichen Beschützer, den Herrn von Bragadino, und seine beiden unzertrennlichen Freunde zu umarmen; sie waren sehr erfreut, mich vollkommen gesund und stattlich ausgerüstet wieder zu sehen.

Dreizehntes Kapitel


Ich gebe das von Wien mitgenommene Porträt heraus. – Ich gehe nach Padua; Abenteuer auf der Rückreise; Folgen dieses Abenteuers. – Ich finde Teresa Imer wieder. – Ich mache die Bekannschaft von Fräulein C.C.

Ich sah meine Vaterstadt mit jenem köstlichen Gefühl wieder, das alle wackeren Herzen empfinden, wenn sie die Stellen wieder begrüßen, wo sie die ersten dauernden Eindrücke empfangen haben. Ich hatte Erfahrungen gesammelt; ich kannte die Gebote der Ehre und der Höflichkeit; ich fühlte mich fast allen meinesgleichen überlegen und sehnte mich danach, meine alten Gewohnheiten wieder aufzunehmen; aber ich nahm mir vor, dabei in Zukunft mich mehr geregelt und zurückhaltend zu benehmen.

Mit Vergnügen sah ich beim Bieten meines Arbeitszimmers, daß dort der Status quo in höchster Vollkommenheit aufrecht erhalten worden war. Eine fingerdicke Staubschicht, die auf meinen Papieren lag, bezeugte zur Genüge, daß keine unbefugte Hand diese berührt hatte.

Am zweiten Tage nach meiner Ankunft überbrachte mir ein Barkarole einen Brief, gerade in dem Augenblick, als ich im Begriff war, auszugehen, um den Bucentoro zu begleiten, auf dem der Doge die gewohnte alljährliche Fahrt machen wollte, um sich der Adria zu vermählen, der Witwe so vieler Gatten, die trotzdem noch so frisch ist wie am Tage der Schöpfung. Der Brief war von einem jungen Nobile, Giovanni Grimani, dem es sehr wohl bewußt war, daß er kein Recht hatte, mich vor sich zu zitieren, und der mich daher sehr höflich bat, ich möchte doch freundlichst bei ihm vorsprechen, um einen Brief in Empfang zu nehmen, den er mir zu eigenen Händen zu übergeben beauftragt sei. Ich ging augenblicklich zu ihm, und nachdem wir die üblichen Komplimente ausgetauscht hatten, übergab er mir einen unversiegelten Brief, den er Tags zuvor erhalten hatte.

Dieser Brief lautete:

»Mein Herr, ich habe nach Ihrer Abreise vergeblich mein Porträt gesucht, und da ich nicht die Gewohnheit habe, Diebe bei mir zu empfangen, so bin ich überzeugt, daß es sich nur in Ihren Händen hefinden kann; ich bitte Sie, es der Person zu übergeben, von der Sie diesen Brief erhalten werden.

Fogliazzi.«

Zu meiner großen Freude hatte ich das Bild bei mir; ich zog es aus der Tasche und lieferte es sofort Herrn Grimani aus, der es mit großer Befriedigung, aber auch mit Überraschung in Empfang nahm; denn er hatte geglaubt, sein Auftrag werde schwieriger auszuführen sein.

»Offenbar hat die Liebe Sie dazu getrieben, diesen kleinen Raub zu begehen,« sagte er zu mir. »Nun, ich wünsche Ihnen Glück, daß sie offenbar nicht sehr stark ist.«

»Woraus schließen Sie das?«

»Aus der Bereitwilligkeit, womit Sie das Bild herausgeben.«

»Nicht jedem würde ich es so willig ausliefern.«

»Dafür danke ich Ihnen, und ich bitte Sie, in Zukunft zum Ersatz für diese Liebe auf meine Freundschaft rechnen zu wollen.«

»Ich schätze diese unendlich viel höher als das Porträt, ja sogar als das Original. Darf ich die Bitte wagen, ihr meine Antwort zuschicken zu wollen?«

»Das verspreche ich Ihnen. Hier haben Sie Papier, schreiben Sie sie sofort; Sie brauchen sie nicht zu versiegeln.«

Ich schrieb nun folgendes:

»Indem er das Bildnis herausgibt, empfindet Casanova eine viel innigere Freude, als in dem Augenblick, wo er, von einer elenden phantastischen Laune angetrieben, die Torheit beging, es in die Tasche zu stecken.«

Infolge des schlechten Wetters mußte die Wunderhochzeit auf den Sonntag verschoben werden, und da Herr von Bragadino am nächsten Tage nach Padua reiste, so begleitete ich ihn dorthin. Der liebenswürdige alte Herr überließ der Jugend die rauschenden Vergnügungen, die sich für ihn nicht mehr schickten, und verbrachte lieber in friedlicher Ruhe die Tage der venetianischen Feste, bei denen er sich nur noch langweilte.

Am nächsten Sonnabend speiste ich mit ihm zusammen; nach dem Essen küßte ich ihm die Hand, ging dann nach der Post und nahm einen Wagen, um nach Venedig zurückzukehren. Wäre ich von Padua zwei Minuten früher oder später abgereist, so wäre alles ganz anders gekommen, und mein Leben hätte eine ganz andere Wendung genommen – wenn anders es wahr ist, daß unser Leben von Zufällen abhängt. Möge der Leser selber urteilen.

Ich fuhr also in diesem verhängnisvollen Augenblick von Padua ab und begegnete bei Oriago einem Kabriolett, das mit zwei Postpferden bespannt in scharfem Trabe daher kam. In ihm saßen eine sehr hübsche Frau und ein Herr in deutscher Uniform. Einige Schritte von mir entfernt warf das neben dem Fluß entlangfahrende Kabriolett um, und die Frau, die über ihren Begleiter hinweggeschleudert wurde, schwebte in der größten Gefahr, in die Brenta zu rollen. Ich sprang aus meinem Wagen, ohne diesen erst halten zu lassen, und eilte der Dame zu Hilfe, indem ich zugleich mit züchtiger Hand die durch den Sturz verursachte Unordnung ihrer Kleider beseitigte.

Ihr Begleiter war unversehrt aufgestanden; er eilte herzu und fand seine Schöne ganz verblüfft auf der Erde sitzen; doch rührte ihre Verwirrung weniger von dem Sturz her als von ihrer Scham wegen ihrer Entblößung; ich hatte in der Tat gesehen, was eine anständige Frau niemals einem Unbekannten zeigt. Bei ihren Dankesbeteuerungen, die so lange dauerten, als ihr und mein Postillon brauchten, um das Kabriolett wieder aufzurichten, nannte sie mich oft ihren Retter, ihren Schutzengel. Nachdem der Schaden wieder ausgebessert war, setzte die Dame ihre Fahrt nach Padua und ich die meinige nach Venedig fort, wo ich nach meiner Ankunft kaum noch so viel Zeit hatte, um mich zu maskieren, um in die Oper zu gehen.

Am nächsten Morgen maskierte ich mich schon zu früher Stunde, um dem Bucentoro zu folgen, der bei dem schönen Wetter nach dem Lido fahren sollte, wo die große und lächerliche Feierlichkeit vor sich geht. Diese nicht nur eigentümliche, sondern geradezu einzige Feier hängt von dem Mut des Arsenaladmirals ab, denn dieser muß mit seinem Kopf dafür einstehen, daß beständig schönes Wetter sein wird. Der geringste widrige Wind könnte nämlich das Schiff zum Kentern bringen; dann ertränke der Doge mit dem ganzen durchlauchtigsten Senat, den fremden Gesandten und dem Nuntius des Papstes, des Trauzeugen dieser Ulkhochzeit, für die die Venetianer eine an Aberglauben grenzende Verehrung hegen. Das Unglück würde dadurch besonders empfindlich werden, daß ganz Europa darüber lachen und unfehlbar sagen würde, der Doge von Venedig habe endlich seine Ehe wirklich vollzogen.

Ich trank entblößten Gesichtes meinen Kaffee unter den Prokurazien des Markusplatzes, als eine schöne weibliche Maske mir einen galanten Fächerschlag auf die Schulter gab. Da ich die Maske nicht kannte, achtete ich nicht sonderlich auf die Neckerei; ich trank meinen Kaffee aus, nahm meine Maske wieder vors Gesicht und ging nach dem Bestattungsquai, wo die Gondel des Herrn von Bragadino auf mich wartete. In der Nähe der Strohbrücke bemerkte ich dieselbe Maske, die aufmerksam das Bild eines für zehn Soldi zur Schau gestellten Ungeheuers betrachtete. Ich trat an sie heran und fragte sie, mit welchem Recht sie mich geschlagen habe.

»Um Sie dafür zu strafen, daß Sie mich nicht kennen, nachdem Sie mir das Leben gerettet haben.« Ich erriet, daß sie die Schöne sein mußte, der ich am Tage vorher am Ufer der Brenta zu Hilfe gekommen war. Ich machte ihr mein Kompliment und fragte sie, ob sie mit dem Bucentoro hinausfahre.

»Das würde ich gerne tun, wenn ich eine sichere Gondel hätte«, antwortete sie.

Ich bot ihr die meinige an, die sehr groß war; sie beriet sich einen Augenblick mit ihrem ebenfalls maskierten Begleiter und nahm dann an. Als sie einsteigen wollten, lud ich sie ein, sich zu demaskieren, sie sagten mir jedoch, sie wünschten aus gewissen Gründen unerkannt zu bleiben. Hierauf bat ich sie, mir zu sagen, ob sie irgend einem Gesandten angehörten, denn in diesem Fall müßte ich sie, wenn gleich mit Bedauern, auszusteigen bitten; sie versicherten mir jedoch, sie seien Venetianer. Da die Gondel von den Bediensteten eines Patriziers geführt wurde, so hätte ich mich den Staatsinquisitoren gegenüber bloßstellen können, und dies wünschte ich zu vermeiden.

Wir fuhren also denm Bucentoro nach; neben der Dame sitzend erlaubte ich mir einige Freiheiten, sie brachte mich jedoch etwas aus der Fassung, indem sie den Platz wechselte. Nach der Feierlichkeit kehrten wir nach Venedig zurück, und der Offizier sagte mir, ich würde sie zu Dank verpflichten, wenn ich ihnen die Ehre erweisen wollte, mit ihnen im »Wilden Mann« zu speisen. Ich nahm die Einladung an, denn ich war neugierig, die Dame kennen zu lernen; was ich von ihr bei dem Sturz gesehen hatte, machte diese Neugierde sehr erklärlich. Der Offizier ließ mich mit ihr allein und ging voraus, um das Essen zu bestellen.

Sobald ich mit der Schönen allein war, sagte ich ihr unter dem Schutz der Maskensreiheit, ich sei in sie verliebt; ich besitze eine Loge in der Oper, die ich ihr zur Verfügung stelle, und wenn sie mir einige Hoffnung geben wolle, daß ich meine Zeit nicht verlieren werde, so sei ich bereit, während des ganzen Karnevals ihr zu dienen. Wenn sie aber die Absicht habe, grausam zu sein, so bitte ich sie, es mir offen heraus zu sagen.

»Und ich bitte Sie, mir zu sagen, mit wem Sie zu tun zu haben glauben.«

»Mit einer durchaus liebenswürdigen Frau, mögen Sie nun eine Prinzessin oder von niedrigstem Stande sein. Dabei wage ich zu hoffen, daß Sie mir schon heute Beweise Ihrer Güte geben werden; anderenfalls werde ich nach dem Essen die Ehre haben, mich Ihnen bestens zu empfehlen.«

»Tun Sie, was Sie wollen, ich hoffe indessen, Sie werden nach dem Essen eine andere Sprache führen; denn der Ton, den Sie jetzt anschlagen, ist nicht gerade ermunternd. Mir scheint, man müßte sich doch erst kennen lernen, bevor man zu einer derartigen Auseinandersetzung kommt. Fühlen Sie das nicht?«

»Gewiß fühle ich das; aber ich fürchte angeführt zu werden.«

»Das ist ja recht eigentümlich. Und wegen dieser Furcht fangen Sie damit an, womit man sonst aufhört?«

»Ich verlange für heute nur ein Wort der Ermutigung. Sagen Sie es mir, und Sie werden sehen, daß ich bescheiden, unterwürfig und verschwiegen bin.«

»Mäßigen Sie sich!«

Wir fanden den Offizier vor der Tür des »Wilden Mannes«, und wir gingen hinein. Sobald wir im Zimmer waren, nahm sie die Maske ab, und ich fand sie noch viel hübscher als am Tage zuvor. Der Form wegen mußte ich noch herausbringen, ob der Offizier ihr Gatte, ihr Liebhaber, ihr Verwandter oder ihr Zuhälter war; ich hatte schon so manches Abenteuer hinter mir und wünschte daher zu erfahren, von welcher Art dieses neu begonnene war.

Wir gingen zu Tisch, und das Benehmen des Herrn und der Dame nötigte mich, Obacht auf mich selber zu geben. Ich bot daher ihm meine Loge an, und er nahm sie an; da ich aber gar keine hatte, so schützte ich nach dem Essen Geschäfte vor und ging fort, um mir eine zu besorgen. Ich mietete eine Loge in der Komischen Oper, wo damals Pertici und Laschi glänzten. Nach der Vorstellung gab ich ihnen ein Abendessen in einem Gasthof und brachte sie dann in meiner Gondel nach Hause, wobei ich unter dem Schutze des nächtlichen Dunkels von der Schönen alle Gunstbezeigungen erhielt, die man in Gegenwart eines dritten, auf den Rücksicht genommen werden muß, bewilligen kann. Als wir uns trennten, sagte der Offizier zu mir: »Sie werden morgen von mir hören.«

»Wo und wie denn?«

»Machen Sie sich darum keine Sorge.«

Am nächsten Morgen meldete man mir einen Offizier; er war es selber. Nachdem wir die üblichen Komplimente ausgetauscht hatten, dankte ich ihm für die Ehre, die er mir am Tage vorher erwiesen hätte, und bat ihn, mir zu sagen, mit wem ich das Vergnügen hätte zu sprechen. Er antwortete mir hierauf in wohlgesetzten Worten, jedoch ohne mich anzusehen.

»Ich heiße P. C. Mein Vater ist reich und steht bei der Börse in gutem Ansehen; wir sind jedoch entzweit. Ich wohne am Markusufer. Die Dame, die Sie sahen, ist eine geborene O.; sie ist die Frau des Maklers C., und ihre Schwester ist die Gattin des Patriziers P. M. Frau C. hat sich meinetwegen mit ihrem Gemahl entzweit, wie ich ihretwegen in Unfrieden mit meinem Vater lebe. Ich trage meine Uniform dank einem österreichischen Hauptmannspatent; doch habe ich niemals gedient. Ich habe die Ochsenlieferung für den Staat Venedig, und ich beziehe meine Ware aus Steiermark und Ungarn. Diese Unternehmung ist ein glattes Geschäft, das mir einen jährlichen Nutzen von zehntausend Gulden sichert. Aber eine unvorhergesehene Verlegenheit, der ich sofort abhelfen muß, ein betrügerischer Bankerott und außerordentliche Ausgaben sind schuld, daß ich mich augenblicklich in großer Geldnot befinde. Vor vier Jahren hörte ich von Ihnen sprechen, und seitdem hatte ich stets den Wunsch, Ihre Bekanntschaft zu machen ; ich glaube, der Himmel selber hat Sie vorgestern herbeigeführt. Ich bitte Sie daher ohne Zaudern um eine bedeutende Gefälligkeit, die uns zu innigster Freundschaft verbinden wird. Sie können mir beispringen, ohne das geringste Risiko einzugehen, indem Sie diese drei Wechsel akzeptieren; und Sie brauchen nicht zu befürchten, daß Sie sie einlösen müssen; denn ich gebe Ihnen dafür diese drei anderen, die vor den Ihrigen fällig sind. Außerdem verpfände ich Ihnen die Ochsenlieferung für das ganze Jahr; Sie könnten, wenn ich Ihnen nicht Wort hielte, alle meine Ochsen in Triest mit Beschlag belegen; auf einem anderen Wege können sie nämlich nicht kommen.«

Ich war erstaunt über diese Rede und über den Plan, der mir auf unsicheren Füßen zu stehen schien und mir nur Verlegenheiten in Aussicht stellte; und vor solchen hatte ich Abscheu. Eigentümlich fand ich auch den Einfall dieses Menschen, sich einzubilden, ich würde leicht auf den Leim gehen, und mir daher den Vorzug vor hundert anderen zu geben, die er besser kennen mußte. Ich sagte ihm daher ohne Zögern, ich würde sein Anerbieten niemals annehmen. Er verdoppelte seine Beredsamkeit, um mich zu überzeugen, aber ich brachte ihn in Verlegenheit, als ich ihm sagte, ich müßte mich doch sehr darüber wundern, daß er mich allen seinen Bekannten vorzöge, da ich doch erst seit zwei Tagen die Ehre hätte, ihm bekannt zu sein. Er antwortete mir jedoch mit frecher Stirn: »Mein Herr, ich erkannte in Ihnen einen sehr klugen Mann und war daher überzeugt, Sie würden sofort das Vorteilhafte meines Anerbietens erkennen und daher ohne Schwierigkeit zur Annahme desselben bereit sein.«

»Sie müssen sich jetzt überzeugt haben, daß Sie sich in Ihrer Annahme irrten, und Sie werden mich ohne Zweifel für einen Dummkopf halten, indem Sie jetzt sehen, daß ich von Ihnen angeführt zu werden fürchte, wenn ich auf Ihren Vorschlag einginge.«

Er bat mich um Entschuldigung und ging, nachdem er mir noch gesagt hatte, er hoffe mich abends aus dem Markusplatz zu sehen; er werde mit Frau C. dort sein. Er hinterließ mir seine Adresse, indem er mir sagte, er habe ohne Wissen seines Vaters seine alte Wohnung im väterlichen Hause beibehalten. Dies hieß soviel, als daß ich seinen Besuch erwidern sollte; wäre ich vernünftig gewesen, so hätte ich mir dies geschenkt.

Ich ärgerte mich, daß der Mensch seine Absichten gerade auf mich geworfen hatte, und verspürte durchaus keine Lust mehr, mein Glück bei seiner Schönen zu versuchen; denn es kam mir vor, als habe das Pärchen beschlossen, mich auszubeuten, und da ich nicht die geringste Lust hatte, mich ausbeuten zu lassen, so vermied ich es, am Abend auf dem Markusplatze mit ihnen zusammenzutreffen. Bei diesem Verhalten hätte ich bleiben sollen; am nächsten Tage aber trieb mich mein böser Geist, ihn zu besuchen; ich dachte, ein Höflichkeitsbesuch würde nichts zu bedeuten haben.

Ein Bedienter führte mich in C.’s Zimmer; er empfing mich sehr liebenswürdig und machte mir freundliche Vorwürfe, daß ich mich am vorigen Abend nicht hätte sehen lassen. Hierauf sprach er wieder von seiner Unternehmung und zeigte mir einen ganzen Haufen von Papieren, was mich sehr langweilte. »Wenn Sie die drei Wechsel akzeptieren wollen,« sagte er, »mache ich Sie zum Teilhaber bei meinem Unternehmen.« Durch diesen außerordentlichen Freundschaftsbeweis schenkte er mir nach seiner Behauptung fünftausend Gulden jährlich; meine ganze Antwort bestand jedoch darin, daß ich ihn bat, niemals mehr mit mir davon zu sprechen. Als ich mich verabschiedete, sagte er mir, er wolle mich seiner Mutter und Schwester vorstellen.

Er ging und kam nach zwei Minuten mit ihnen wieder. Die Mutter war eine Frau von unbefangenem und ehrlichem Aussehen, die Schwester geradezu ein Muster von Schönheit. Ich war wie geblendet. Eine Viertelstunde darauf bat die allzu vertrauensselige Mutter mich um Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen; die Tochter aber blieb. Sie brauchte keine halbe Stunde, um mich völlig zu fesseln. Ich war bezaubert von allen ihren Vollkommenheiten, und ihr lebhafter Geist, von einer naiven, mir ganz neuen Art, ihre Unschuld und Treuherzigkeit, ihr natürliches und doch hohes Gefühl, ihre fröhliche und unschuldige Lebhaftigkeit, mit einem Wort ihr ganzes Wesen voll Schönheit, Klugheit und Unschuld – ein Wesen, dem ich niemals habe widerstehen können – dies alles machte mich zum Sklaven des vollkommensten Weibes, das die Phantasie sich ersinnen kann.

Fräulein C. C. ging stets nur mit ihrer Mutter aus, welche fromm und trotzdem nachsichtig war. Zum Lesen hatte sie nur die Bücher ihres Vaters, der als verständiger Mann gar keine Romane besaß; sie aber brannte vor Begierde, grade Solche Bücher zu lesen. Sie hatte auch die größte Lust, Venedig kennen zu lernen; da kein Mensch ihr Haus besuchte, so hatte ihr auch noch niemand gesagt, daß sie ein wahres Wunder war. Während ihr Bruder mit Schreiben beschäftigt war, unterhielt ich mich mit ihr, besser gesagt: ich beantwortete die zahlreichen Fragen, die sie an mich stellte; dies konnte ich nur tun, indem ich ihre Begriffe, die sie zu ihrem eigenen großen Erstaunen als schon vorhanden erkannte, noch erweiterte; ihre Seele befand sich noch im Zustande des Chaos. Nur eins sagte ich ihr nicht: daß sie schön sei und ich mich im höchsten Grade für sie interessiere; ich hatte dies schon so vielen anderen vorgelogen und fürchtete grade bei ihr, mich durch solche Äußerungen verdächtig zu machen.

Traurig und nachdenklich verließ ich ihr Haus; die seltenen Eigenschaften, die ich an der entzückenden Person entdeckt hatte, machten auf mich einen tiefen Eindruck, und ich nahm mir vor, sie niemals wiederzusehen; denn ich glaubte zu fühlen, daß ich nicht der Mann dazu war, ihr ganz und gar meine Freiheit zu opfern, indem ich sie zur Gattin verlangte; und doch hielt ich sie für geschaffen, mich glücklich zu machen.

Jch hatte seit meiner Rückkehr Frau Manzoni noch nicht wiedergesehen und lenkte nun meine Schritte ihrer Behausung zu. Ich fand die würdige Frau genau so, wie sie immer zu mir gewesen war, und sie empfing mich in der freundschaftlichsten Weise. Sie erzählte mir, Teresa Imer, das hübsche Mädchen, um dessentwillen ich vor dreizehn Jahren von Herrn von Malipiero einen Hieb mit dem Rohrstock erhalten, sei soeben von Bayreuth zurückgekehrt, wo sie als Geliebte des Markgrafen ein Vermögen erworben habe. Da sie Frau Manzoni gegenüber wohnte, beschloß diese, sie auf scherzhafte Art zu überraschen, und ließ sie bitten, auf einen Augenblick herüber zu kommen. Wirklich kam sie einige Augenblicke darauf mit einem bildschönen achtjährigen Knaben an der Hand. Er war ihr einziges Kind und stammte von ihrem Mann, der in Bayreuth Tänzer war. Unsere Überraschung bei diesem Wiedersehen war ebenso groß wie unser Vergnügen an den Erinnerungen unserer Kinderjahre. Diese Erinnerungen konnten sich freilich nur auf Kindereien beziehen. Ich beglückwünschte sie zu dem erlangten Vermögen, und sie glaubte, nach dem äußeren Anschein urteilend, mir dies Kompliment erwidern zu müssen. Ihr Glück wäre jedoch von festerem Bestande gewesen als das meinige, wenn sie in den späteren Jahren sich vernünftig benommen hätte. Aber sie hatte Launen, von denen ich dem Leser fünf Jahre später erzählen werde. Sie war eine große Sängerin geworden; doch verdankte sie keineswegs ihr ganzes Vermögen ihrem Talent; ihre Reize hatten dazu mehr als alles andere beigetragen. Sie erzählte mir ihre Erlebnisse, zweifelsohne mit einigen Ausschmückungen, und wir trennten uns erst, nachdem wir zwei volle Stunden geplaudert hatten. Sie lud mich ein, ihr das Vergnügen zu machen und am nächsten Morgen bei ihr zu frühstücken. Der Markgraf ließe sie beobachten, wie sie sagte; aber da ich ein alter Bekannter wäre, so könnte ich keinen Verdacht erregen. Das ist die Redensart aller galanten Damen. Sie sagte mir ferner, ich könnte sie am selben Abend in ihrer Loge besuchen; Herr Papafava würde mich mit Vergnügen sehen. Dieser war ihr Pate. Am nächsten Tage ging ich schon in der Frühe zu ihr. Ich fand sie im Bett mit ihrem Sohn, der als wohlerzogener Knabe sofort aufstand und hinausging, als er mich neben ihrem Bett Platz nehmen sah. Ich verbrachte mit ihr drei Stunden, von denen die letzte – dessen erinnere ich mich noch – köstlich war; in fünf Jahren wird der Leser die Folgen davon kennen lernen. Ich sah sie während der vierzehn Tage, die sie in Venedig verbrachte, noch ein zweites Mal, und bei ihrer Abreise versprach ich ihr, sie in Bayreuth zu besuchen; ich habe ihr aber nicht Wort gehalten.

Um diese Zeit mußte ich mich mit den Angelegenheiten meines nachgeborenen Bruders beschäftigen, der nach seiner Behauptung eine ganz göttliche Berufung zum Priestertum empfand; er brauchte aber dazu ein Vermögen. Unwissend, ganz unerzogen und ohne alle Vorzüge, außer einem hübschen Gesicht, erblickte er im geistlichen Stande sein Glück; er setzte große Hoffnungen auf das Predigen, wofür er nach der Behauptung der Frauen seiner Bekanntenkreise ein ausgesprochenes Talent besaß. Ich tat alle von ihm gewünschten Schritte, und es gelang mir, den Abbate Grimani dahin zu bringen, daß er ihm ein Einkommen aussetzte. Er war nämlich in unserer Schuld für alle Möbel unseres elterlichen Hauses, worüber er niemals Rechenschaft abgelegt hatte. Er übertrug ihm den lebenslänglichen Nießbrauch eines Hauses, und zwei Jahre später erhielt mein Bruder als Besitzer eines väterlichen Erbteils die Weihen. Übrigens war dieses Erbteil nur zum Schein vorhanden, denn das Haus war bereits in Höhe seines Wertes mit Hypotheken belastet; aber Herr Abbate Grimani war ein Stück Jesuit, und diesen heiligen Dienern Gottes sind alle Mittel recht, wenn sie ihnen nur Vorteil bringen. Ich werde von der Aufführung dieses unglücklichen Bruders sprechen, sobald wir an die Periode kommen, wo er in die Wechselfälle meines eigenen Lebens eintritt.

Zwei Tage nach meinem Besuch bei P. C. traf ich ihn auf der Straße. Er sagte mir, seine Schwester spreche unaufhörlich von mir, sie habe von meinen Bemerkungen eine Menge behalten, und ihre Mutter sei entzückt, daß sie meine Bekanntschaft gemacht habe. »Sie wäre«, sagte er, »eine gute Partie für Sie, denn sie bekommt eine Mitgift von zehntausend Silberdukaten. Wenn Sie morgen zu mir kommen, können wir mit meiner Mutter und mit meiner Schwester Kaffee trinken.«

Ich hatte mir vorgenommen, seine Wohnung nicht wieder zu betreten, aber ich hielt mir nicht Wort. Ubrigens kommt in dergleichen Fällen ein Mensch leicht dazu, seinem Vorsatz untreu zu werden. Ich verbrachte drei Stunden im Geplauder mit dem reizenden Kinde, und als ich von ihr ging, war ich verliebt bis über die Ohren. Beim Abschied sagte ich zu ihr, ich beneidete den Mann, der sie zur Frau gewinnen würde, und dieses Kompliment – das erste der Art, das ihr je gemacht wurde – bedeckte ihr schönes Gesicht mit hellster Röte. Als ich draußen war, prüfte ich den Charakter des Gefühles, das ich für sie empfand, und erschrak darüber, denn ich konnte C. C. gegenüber weder als ehrlicher Mensch noch als Wüstling handeln. Ich konnte mir nicht mit der Hoffnung schmeicheln, ihre Hand zu erlangen, und mir war zumute, als würde ich jeden erdolchen, der mir den Rat gäbe, sie zu verführen. – Ich empfand das Bedürfnis, mich zu zerstreuen; so ging ich spielen. Das Spiel ist zuweilen ein ausgezeichnetes Linderungsmittel gegen Aufregungen der Liebe. Ich spielte glücklich und ging mit einer goldgefüllten Börse nach Hause.

Auf dem Heimweg begegnete mir in einem menschenleeren Gäßchen ein Mann, dem das Alter und noch mehr das Elend den Rücken gebeugt hatte. Näherkommend erkannte ich in ihm den Grafen Bonafede. Sein Anblick erregte mein Mitleid. Er erkannte mich ebenfalls und erzählte mir allerlei; zum Schluß aber schilderte er mir das Elend, worin er durch die Notwendigkeit, für den Unterhalt seiner zahlreichen Familie zu sorgen, sich befände. »Ich schäme mich nicht, Sie um eine Zechine zu bitten, von der ich fünf oder sechs Tage werde leben können.« Ich beeilte mich, ihm zehn zu geben, und hielt mit Mühe die Ausbrüche seiner Dankbarkeit zurück; aber ich konnte ihn nicht verhindern, Tränen zu vergießen. Beim Abschied sagte er mir, um sein Unglück voll zu machen, sei seine Tochter eine Schönheit geworden; sie wolle aber lieber sterben als ihre Tugend der Not opfern. »Ich kann«, so schloß er, »sie in diesen Gefühlen weder bestärken noch sie dafür belohnen.«

Ich glaubte die Wünsche zu verstehen, die er in seiner Not hegen mußte, und ließ mir seine Adresse geben, indem ich ihm versprach, ihn besuchen zu wollen. Ich war neugierig zu sehen, was wohl aus einer Tugend geworden sein mochte, von der ich in den zehn Jahren, seitdem ich das Mädchen nicht gesehen, niemals eine große Meinung gehabt hatte. Am nächsten Tage ging ich hin. Ich fand ein Haus, worin fast jedes Hausgerät fehlte; das Mädchen war allein, was mich jedoch keineswegs überraschte. Die junge Gräfin hatte mich kommen sehen und empfing mich auf das liebenswürdigste oben an der Treppe. Sie war ziemlich gut gekleidet, und ich fand sie ebenso schön, lebhaft und liebenswürdig wie damals, als ich sie im Fort Sant‘ Andrea zum letztenmal gesehen hatte. Ihr Vater hatte ihr gesagt, daß ich sie besuchen würde, sie strahlte vor Freude und umarmte mich so zärtlich, wie man nur einen angebeteten Liebhaber umarmen kann. Sie führte mich in ihr Zimmer. Nachdem sie mir gesagt hatte, ihre Mutter liege krank im Bett und könne sich nicht sehen lassen, überließ sie sich einem neuen Freudenausbruch über das Glück, das ihr, wie sie sagte, unser Wiedersehen bereitete. Unter dem Vorwande der Freundschaft wurden stürmische Küsse gegeben und empfangen, die bald unsere Sinne entflammten, so daß mir schon nach der ersten Viertelstunde nichts mehr zu wünschen übrig blieb. Nachdem es geschehen war, mußten wir uns natürlich überrascht zeigen oder wenigstens stellen, und ehrenhalber konnte ich nicht umhin, der armen Gräfin zu versichern, daß ich in ihrer Hingabe nur das erste Pfand einer dauernden Liebe sehe. Sie glaubte mir dies oder tat doch so, wie übrigens auch ich in jenem Augenblick selber es glaubte. Als wir wieder ruhiger geworden waren, sprach sie mit mir von ihrer fürchterlichen Lage; sie erzählte mir, ihre Brüder trieben sich barfuß in den Straßen umher, und ihr Vater könnte ihnen tatsächlich nicht das tägliche Brot geben.

»Sie haben also keinen Liebhaber?«

»Wie? Einen Liebhaber? Welcher Mann hätte wohl den Mut, in einem derartigen Hause mein Liebhaber sein zu wollen? Und bin ich etwa dazu da, um schnöden Vorteils willen mich dem ersten besten für dreißig Soldi preiszugeben? Höher aber kann mich in Venedig niemand einschätzen, wenn er mich in diesem Hause sieht. Übrigens fühle ich keinen Beruf, mich zu prostituieren!«

Eine Unterhaltung solcher Art ist nicht lustig, sie vergoß Tränen, und das Bild ihrer Traurigkeit im Verein mit der elenden Umgebung, die ich vor Augen hatte, war nicht danach angetan, meine Liebe wieder zu erwecken. Beim Abschied versprach ich ihr, wiederzukommen, und drückte ihr dabei zwölf Zechinen in die Hand. Sie war erstaunt über eine derartige Summe, niemals hatte sie sich so reich gesehen. Ich habe stets bedauert, ihr nicht das Doppelte gegeben zu haben.

Am nächsten Tage besuchte P. C. mich und sagte mit freudestrahlendem Gesicht, seine Mutter habe ihrer Tochter erlaubt, mit ihm in die Oper zu gehen; die Kleine sei ganz entzückt davon, weil sie noch niemals dort gewesen sei, und wenn es mir Vergnügen mache, könne ich sie irgendwo erwarten.

»Aber weiß Ihre Schwester denn, daß Sie mich als Teilnehmer zulassen wollen?«

»Sie freut sich schon darauf.«

»Und Ihre Frau Mutter? Weiß die es?«

»Nein; aber wenn sie es erfahren sollte, wird es ihr nicht unangenehm sein, denn Sie haben ihr hohe Achtung eingeflößt.«

»Ich will versuchen, eine Loge zu beschaffen.«

»Vortrefflich. Erwarten Sie uns da und da.«

Der Bursche sprach nicht mehr von Wechseln. Da er sah, daß ich seiner Dame nicht mehr den Hof machte, dagegen in seine Schwester verliebt war, so hatte er den schönen Plan ausgeheckt, mir diese zu verkaufen. Ich beklagte Mutter und Tochter, die einem solchen Subjekt ihr Vertrauen Schenkten, aber ich war nicht tugendhaft genug, die Einladung abzulehnen. Ich überredete mich sogar, daß ich, eben weil ich C. C. liebte, die Einladung annehmen müßte, um sie vor anderen Hinterhalten zu bewahren; denn wenn ich abgelehnt hätte, so würde er vielleicht einen weniger Gewissenhaften und Feinfühlenden gefunden haben, und dieser Gedanke war mir unerträglich. Mir schien, von meiner Seite hätte sie keinerlei Gefahr zu besorgen.

Ich mietete eine Loge in der Oper San Samuele und erwartete sie lange vor der festgesetzten Zeit am verabredeten Orte. Sie kamen, und der Anblick meiner jungen Freundin entzückte mich. Sie war elegant maskiert, und ihr Bruder trug seine Uniform. Um das reizende Mädchen nicht der Gefahr auszusetzen, daß sie als Begleiterin ihres Bruders erkannt würde, ließ ich sie schnell in meine Gondel einsteigen. Er bat mich, ihn bei der Wohnung seiner Geliebten abzusetzen; sie wäre krank; wir möchten nur in unsere Loge gehen, er würde nachkommen. Zu meinem Erstaunen bekundete C. C. weder Überraschung noch Widerstreben, mit mir allein in der Gondel zu bleiben; über das Verschwinden ihres Bruders wunderte ich mich jedoch durchaus nicht, denn er verfolgte dabei offenbar seine Absichten. Ich sagte C. C., wir wollten bis zum Beginn der Vorstellung spazieren fahren; bei der starken Hitze müßte sie die Maske abnehmen. Dies tat sie denn auch augenblicklich. Ich hatte mir die Pflicht auferlegt, ihre Unschuld zu achten, und die edle Zuversicht, die aus ihren schönen Zügen und aus ihren vertrauensvollen Blicken leuchtete, die unschuldige Freude, die sie kundgab – dies alles vermehrte noch meine Liebe zu ihr.

Natürlich konnte ich ihr nur von meiner Liebe sprechen, da aber dies ein heikler Punkt war, so wußte ich nicht, was ich sagen sollte; ich begnügte mich daher damit, ihr reizendes Gesicht zu betrachten, denn aus Furcht, ihre Schamhaftigkeit zu beunruhigen, wagte ich nicht, meine Blicke auf zwei knospende Halbkugeln zu heften, die von den Liebesgöttern selber gerundet waren.

»Erzählen Sie mir doch irgend was!« rief sie; »Sie sehen mich ja nur immerfort an und sagen kein Wort; Sie bringen mir heute ein Opfer, denn mein Bruder hätte Sie sonst zu seiner Dame mitgenommen, die nach seiner Schilderung schön wie ein Engel sein muß.«

»Ich habe die Dame gesehen.«

»Sie muß sehr geistvoll sein.«

»Das mag sein. Ich habe davon nichts bemerken können, denn ich war niemals bei ihr, und habe auch nicht die Absicht, sie je zu besuchen. Glauben Sie also ja nicht, schöne C., daß ich Ihnen das geringste Opfer bringe!«

»Ich glaubte es; denn da Sie nicht sprachen, so dachte ich, Sie seien traurig.«

»Wenn ich nicht zu Ihnen spreche, so geschieht es vor Bewegung über das Glück, das Ihr engelhaftes Vertrauen mir bereitet.«

»Das freut mich außerordentlich. Aber wie sollte ich denn nicht Vertrauen zu Ihnen haben? Ich fühle mich bei Ihnen freier und viel sicherer als in Gegenwart meines Bruders. Meine Mutter selber sagt, man könne sich in Ihnen nicht täuschen, und Sie seien ganz gewiß ein hochanständiger Mann. Übrigens sind Sie unverheiratet; das war das erste, wonach ich meinen Bruder fragte. Erinnern Sie sich Ihrer Worte, Sie beneideten den, der mich zur Frau bekommen würde, um sein Glück? Ich sagte in demselben Augenblick, das Mädchen, das Sie einmal zum Gatten erhalte, werde die glücklichste Frau in ganz Venedig sein.«

Diese Worte, die sie mit der unbefangensten Naivität und in einem von Herzen kommenden Ton der Aufrichtigkeit sagte, machten auf mich einen Eindruck, den ich schwer beschreiben kann. Leider konnte ich nicht wagen, den zärtlichsten Kuß auf die Rosenlippen zu drücken, die diese Worte ausgesprochen hatten; zugleich aber empfand ich einen köstlichen Genuß, mich von diesem Engel geliebt zu sehen.

»Da also unsere Gefühle so übereinstimmen,« sagte ich, »so könnten wir, liebenswürdige C., das vollkommenste Glück erlangen, wenn wir untrennbar verbunden werden könnten. Aber ich könnte ja Ihr Vater sein!«

»Sie mein Vater! Welch ein Unsinn! Wissen Sie denn nicht, daß ich vierzehn Jahre alt bin.«

»Und wissen Sie nicht, daß ich achtundzwanzig zähle?«

»Nun, welcher Mann Ihres Alters hätte wohl ein Kind, so alt wie ich! Ich muß lachen, wenn ich daran denke, daß ich ganz gewiß niemals Angst vor meinem Vater haben würde, wenn er Ihnen ähnlich sähe. Ich könnte mich dann ihm gegenüber gar nicht mehr zurückhalten!«

Da es Zeit war, ins Theater zu gehen, so verließen wir die Gondel. Die Vorstellung nahm sie ganz und gar in Anspruch. Ihr Bruder erschien erst gegen Ende; so paßte es ihm in seinen Plan. Ich gab ihnen ein Abendessen in einem Gasthof, und über dem Vergnügen, das reizende Kind mit sehr gutem Appetit essen zu sehen, vergaß ich ganz, daß ich nicht zu Mittag gegessen hatte. Ich sprach während der ganzen Mahlzeit fast kein Wort, denn ich war liebeskrank und in einem Zustande der Erregung, der unmöglich lange dauern konnte. Zur Entschuldigung meines Schweigens schützte ich Zahnschmerzen vor; sie bedauerten mich und ließen mich schweigen.

Nach dem Essen sagte P. zu seiner Schwester, ich sei in sie verliebt und würde Erleichterung verspüren, wenn sie mir erlaubte, sie zu küssen. Ihre ganze Antwort bestand darin, daß sie mit lachenden, kußheischenden Lippen sich mir zuwandte. Ich glühte; aber ich hatte solche Achtung vor dem unschuldigen ahnungslosen Geschöpf, daß ich sie nur auf die Wange küßte, noch dazu auf anscheinend ganz kalte Art.

»Was ist das für ein Kuß!« rief da aber P. »Vorwärts, vorwärts, einen tüchtigen Liebeskuß!«

Ich rührte mich nicht; der schamlose Kuppler war mir lästig. Aber seine Schwester wandte den Kopf zur Seite und sagte traurig: »Dränge ihn nicht, ich habe nicht das Glück, ihm zu gefallen!«

Dieser Ausdruck brachte meine ganze Verliebtheit in Aufruhr; ich verlor die Selbstbeherrschung und rief feurig: »Wie, schöne C.? Sie wollen meine Zurückhaltung nicht dem Gefühl zuschreiben, das Sie mir eingeflößt haben? Sie glauben, Sie gefallen mir nicht? Wenn es nur eines Kusses bedarf, um Sie darüber zu beruhigen, so empfangen Sie ihn als Zeichen der innigen Gefühle, die ich für Sie empfinde.«

Mit diesen Worten schloß ich sie in meine Arme, preßte sie liebestrunken an meine Brust und drückte ihr auf den Mund einen langen, glühenden Kuß, den ihr zu geben mich schon längst die Sehnsucht verzehrte. Aber an diesem Kuß merkte die schüchterne Taube, daß sie in die Klauen des Geiers gefallen war. Ganz erstaunt, auf diese Weise meine Verliebtheit entdeckt zu haben, entwand sie sich meinen Armen. Ihr Bruder klatschte beifällig in die Hände, während sie ihre Maske wieder vornahm, um ihre Verwirrung zu verbergen. Ich fragte sie, ob sie noch immer glaube, daß sie mir nicht gefalle.

»Sie haben mich überzeugt; aber Sie dürfen mich nicht dafür strafen, daß Sie mir meinen Irrtum benommen haben.«

Ich fand diese Antwort sehr zartfühlend, denn sie war ihr vom Gefühl eingegeben. Ihr Bruder aber war nicht damit zufrieden und erklärte sie für dummes Gerede.

Wir legten unsere Masken an und gingen. Ich begleitete sie nach Hause und begab mich dann selber heim. Ich war sehr verliebt, im Grunde meines Herzens zufrieden und dennoch sehr traurig.

Der Leser wird in den nächsten Kapiteln sehen, welchen Fortgang meine Liebschaft nahm und in welche Abenteuer ich durch sie geriet.

Vierzehntes Kapitel


Fortgang meiner Liebschaft mit der schönen C. C.

Am nächsten Tage trat P. C. mit triumphierendem Gesicht in mein Zimmer und sagte mir, seine Schwester habe ihrer Mutter gesagt, wir liebten uns, und wenn sie sich verheiraten müßte, so könnte sie nur mit mir glücklich werden.

»Ich bete Ihre Schwester an,« erwiderte ich ihm; »aber glauben Sie, daß Ihr Vater mir ihre Hand wird bewilligen wollen?«

»Ich glaube, nein. Doch er ist alt. Einstweilen liebt euch nur ruhig. Meine Mutter erlaubt, daß sie heute abend mit uns die Oper besucht.«

»Gut, mein lieber Freund, wir werden also hingehen.«

»Ich sehe mich genötigt, Sie um einen kleinen Dienst zu bitten.«

»Befehlen Sie über mich.«

»Es ist ausgezeichneter Cyperwein billig zu verkaufen. Ich kann gegen einen Sechsmonatswechsel ein Faß bekommen. Ich bin sicher, dieses sofort mit Gewinn weiter verkaufen zu können; der Händler will jedoch eine Bürgschaft, und er will die Ihrige annehmen, wenn Sie sie für mich leisten wollen. Wollen Sie meinen Wechsel mit unterzeichnen?«

»Mit Vergnügen.«

Ich unterschrieb ohne Zaudern; denn welcher Verliebte auf Erden verweigerte wohl in solchem Fall einen Dienst jemandem, der ihn unglücklich machen könnte, um sich für die Weigerung zu rächen? Wir verabredeten uns hierauf für den Abend und trennten uns beide in zufriedener Stimmung.

Nachdem ich mich angekleidet hatte, ging ich aus und kaufte ein Dutzend Paar Handschuhe, ebensoviel seidene Strümpfe und ein Paar gestickter Strumpfbänder mit goldenen Schnallen; ich freute mich schon darauf, meiner neuen Freundin dieses erste Geschenk zu machen.

Ich brauche nicht zu sagen, daß ich pünktlich zur Stelle war; aber als ich eintraf, sah ich sie bereits Umschau nach mir halten. Wären nicht P. C.’s Absichten mir verdächtig gewesen, so würde eine derartige Zuvorkommenheit mir geschmeichelt haben. Kaum war ich bei ihnen, so sagte P. C. zu mir, er habe Geschäfte und lasse mich darum mit seiner Schwester allein; im Theater werde er uns dann treffen. Als er fort war, sagte ich zu C. C., es bliebe uns nichts anderes übrig, als bis zum Beginn der Opernvorstellung in der Gondel spazieren zu fahren. »O nein!« rief sie; »gehen wir doch lieber in einen der Gärten auf der Zuecca!«

»Sehr gern.«

Ich nahm eine Überfahrtsgondel, und wir fuhren nach San Biagio zu einem Garten, den ich kannte; ich mietete ihn für eine Zechine auf den ganzen Tag, so daß niemand mehr hinein durfte. Es stellte sich heraus, daß wir beide noch nicht zu Mittag gegessen hatten; ich bestellte daher ein gutes Essen, und wir gingen in ein Zimmer, wo wir unsere Maskenkleider ablegten. Dann begaben wir uns wieder in den Garten.

Die liebenswürdige C. C. hatte nur ein Taffetmieder und ein Röckchen von demselben Stoffe an; aber sie sah in dieser leichten Kleidung entzückend aus! Mein liebendes Auge drang durch diese Hüllen hindurch, und meine Seele sah sie nackt. Seufzend vor Lust und Begier hielt ich mich dennoch zurück.

Leichtfüßig wie ein Reh sprang meine junge Begleiterin, die ein solches Glück noch nie genossen hatte, nach rechts und links über den Rasen zur Seite der langen Allee. Sie jauchzte in der Fröhlichkeit ihres Herzens; als sie aber bald still stehen mußte, weil ihr der Atem ausging, lachte sie laut darüber auf, daß ich in einer Art von Verzückung stillschweigend ihr zusah. Gleich darauf forderte sie mich zu einem Wettlauf heraus. Der Vorschlag gefiel mir, und ich nahm ihn an, doch fiel mir ein, ihm durch eine Wette noch einen erhöhten Reiz zu verleihen. Ich sagte daher: »Wer verliert, muß tun, was der Sieger befiehlt.«

»Einverstanden.«

Wir bestimmten das Ziel und liefen los. Ich war des Sieges sicher, aber ich wollte verlieren, um zu sehen, zu was für eine Strafe sie mich verurteilen würde. Sie lief sofort so schnell sie nur konnte, während ich meine Kräfte schonte; so kam sie denn vor mir ans Ziel. Während sie frischen Atem schöpfte, dachte sie darüber nach, was für eine Buße sie mir auferlegen könnte; plötzlich versteckte sie sich hinter einem Baum und sagte mir, ich solle ihren Ring suchen. Sie hatte ihn an ihrem Leibe versteckt und dadurch brachte sie ihre ganze Person in meinen Besitz. Ich fand das reizend, denn ich sah darin deutlich die schalkhafte Absicht; doch fühlte ich, daß ich meinen Vorteil nicht mißbrauchen durfte; ihr unbefangenes Vertrauen mußte vielmehr ermutigt werden. Wir setzten uns auf den Rasen, ich durchsuchte ihre Taschen, die Falten ihres Mieders und ihres Rockes, ihre Schuhe und endlich sogar ihre Strumpsbänder, die sie oberhalb der Knie trug. Da ich nirgends etwas fand, setzte ich mein Suchen fort, denn da der Ring sich auf ihrem Leibe befinden sollte, so mußte ich ihn doch irgendwo finden. Der Leser errät gewiß, daß ich das reizende Versteck, wo meine Schöne den Ring verborgen hatte, recht wohl ahnte; aber bevor ich ihn fand, mußte ich mir doch erst eine Menge von Genüssen verschaffen, die ich recht mit Wonne auskostete. Schließlich wurde der Ring im Gehege der beiden schönsten Hügel entdeckt, die jemals die Natur gewölbt hat. Aber ich war, als ich ihn hervorholte, so aufgeregt, daß meine Hand sichtlich zitterte.

»Warum zittern Sie denn?« fragte sie.

»Ich zittere vor Freude, weil ich den Ring gefunden habe, denn Sie hatten ihn so gut versteckt. Aber Sie sind mir Revanche schuldig, und diesmal werden Sie mich nicht besiegen!«

»Das werden wir sehen!«

Wir liefen, und da ich sie sich nicht sehr beeilen sah, so glaubte ich, ich könnte sie nach Belieben jederzeit einholen. Aber ich täuschte mich. Sie hatte Ihre Kräfte geschont, und als wir zwei Drittel des Weges zurückgelegt hatten, legte sie sich plötzlich ins Zeug und gewann einen Vorsprung. Ich sah, daß ich verloren hatte. Da fiel mir eine List ein, die unfehlbar wirken mußte. Ich tat, als fiele ich der Länge nach hin, und stieß dabei einen Schmerzensschrei aus. Die arme Kleine blieb stehen und lief dann ganz erschreckt auf mich zu, um unter Ausrufen des Bedauerns mir beim Aufstehen zu helfen. Als ich wieder auf den Beinen war, fing ich plötzlich an zu lachen, lief davon und erreichte das Ziel lange vor ihr.

Die reizende Läuferin fragte mich ganz verblüfft: »Haben Sie sich denn nicht verletzt?«

»Nein, ich bin absichtlich hingefallen.«

»Absichtlich? Um mich zu täuschen? Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut. Auf betrügerische Weise zu siegen, ist nicht erlaubt. Also habe ich nicht verloren.«

»O doch! Sie haben verloren, denn ich habe das Ziel vor Ihnen erreicht. List gegen List! Gestehen Sie, daß auch Sie versucht haben, mich zu täuschen, indem Sie plötzlich schnell davon liefen.«

»Das ist aber erlaubt; Ihre List dagegen, lieber Freund, ist von ganz anderer Art.«

»Aber sie hat mir den Sieg verschafft, und:

Vincasi per fortuna o per inganno
Il vincer sempre p›u laudabil cosa.

Ob du durch Glück, ob du durch Täuschung siegtest –
Die Hauptsach‘ ist der Sieg: der ist stets rühmlich.«

»Das habe ich oft meinen Bruder sagen hören, niemals aber meinen Vater. Nun, ich gebe zu, daß ich verloren habe. Befehlen Sie, legen Sie mir meine Buße auf: ich werde gehorchen.«

»Warten Sie. Wir wollen uns setzen, denn ich muß erst nachdenken. –Ich verurteile Sie dazu, mit mir die Strumpfbänder zu tauschen.«

»Die Strumpfbänder? Sie haben sie gesehen; sie sind häßlich und nichts wert?«

»Einerlei; ich werde täglich zweimal an den geliebten Gegenstand denken, und ungefähr zu den gleichen Zeitpunkten werden Sie genötigt sein, an mich zu denken.«

»Der Einfall ist sehr hübsch und für mich schmeichelhaft. Ich verzeihe Ihnen jetzt, daß Sie mich getäuscht haben. Hier sind meine häßlichen Strumpfbänder!«

»Und hier die meinigen.«

»Ach, mein lieber Betrüger, wie sind die schön! Welch hübsches Geschenk! Wie werden sie meiner Mutter gefallen. Ganz gewiß sind sie ein Geschenk, das Ihnen gemacht worden ist; denn sie sind ja ganz neu!«

»Nein, es ist kein Geschenk. Ich habe sie für Sie gekauft, und ich habe mir den Kopf zerbrochen, wie ich Sie dazu bringen könnte, sie anzunehmen. Die Liebe gab mir den Gedanken ein, sie als Preis eines Wettlaufes zu verwenden. Jetzt können Sie sich meinen Kummer vorstellen, als ich sah, daß Sie abermals gewinnen würden. Der Verdruß darüber gab mir eine Täuschung ein; aber diese gründete sich auf ein Gefühl, das Ihnen Ehre macht; denn gestehen Sie, Sie hätten doch ein gar zu schlechtes Herz gezeigt, wenn Sie mir nicht zu Hilfe geeilt wären!«

»Und ich bin überzeugt, Sie hätten nicht von dieser List Gebrauch gemacht, wenn Sie hätten ahnen können, wie weh Sie mir damit getan haben.«

»Sie nehmen also recht lebhaften Anteil an mir?«

»Ich würde alles nur Menschenmögliche tun, um Sie davon zu überzeugen. Ich liebe über alle Maßen meine hübschen Strumpfbänder, ich will gar keine andern mehr tragen, und ich bürge Ihnen dafür, mein Bruder soll sie mir nicht stehlen!«

»Wäre er denn dazu imstande?«

»Oh, vollkommen! Besonders, wenn die Schnallen von Gold sind.«

»Sie sind es; aber sagen Sie ihm nur, es sei vergoldetes Kupfer.«

»Sie werden mir doch zeigen, wie diese hübschen Schnallen befestigt werden?«

»Ja, ganz gewiß!«

Wir gingen zum Essen. Nach dem Mahle, dem wir beide gleich viel Ehre antaten, wie ich mich noch jetzt erinnere, wurde sie immer lustiger und ich immer verliebter, aber auch um so beklagenswerter wegen des harten Gesetzes, das ich mir selber auferlegt hatte. Ungeduldig, ihre Strumpfbänder anzulegen, bat sie mich ihr zu helfen, aber in aller Unschuld und ohne jede kokette Nebenabsicht. Ein unschuldiges junges Mädchen, das trotz seinen fünfzehn Lenzen noch nicht geliebt hat und das weder mit anderen jungen Mädchen noch in der Gesellschaft verkehrt hat, ahnt nichts von der Heftigkeit der Liebesbegierden und ebensowenig von den Ursachen, wodurch solche hervorgerufen werden. Ganz gewiß hat sie keinen Begriff von den Gefahren eines Beisammenseins unter vier Augen. Wann der Naturtrieb sie zum erstenmal verliebt macht, glaubt sie, der Gegenstand ihrer Liebe sei jedes Vertrauens würdig, und sie glaubt dessen Liebe nur dadurch erringen zu können, daß sie ihm ein rückhaltloses Vertrauen bezeigt.

Da sich herausstellte, daß ihre Strümpfe zu kurz waren, um die Bänder oberhalb der Knie befestigen zu können, so sagte sie mir, sie würde sie anlegen wenn sie längere Strümpfe trüge; geschickt diesen Umstand benutzend, zog ich die von mir gekauften Strümpfe aus der Tasche und es gelang mir, sie zur Annahme derselben zu bewegen. Fröhlich und voll Dankbarkeit setzte sie sich auf meinen Schoß und gab mir in ihrer überströmenden Freude so viele Küsse, wie sie ihrem eigenen Vater gegeben haben würde, wenn er ihr ein solches Geschenk gemacht hätte. Gewaltsam, immer wieder die Heftigkeit meiner Begierden unterdrückend, gab ich ihr die Küsse zurück; ich sagte ihr nur, ein einziger ihrer Küsse sei mehr wert als ein Königreich.

Meine reizende C. C. zog ihre Strümpfe aus und legte ein Paar von den neuen an, die ihr bis an die Mitte des Oberschenkels reichten. Je unschuldiger ich sie fand, desto weniger wagte ich mich zu entschließen, mich dieser köstlichen Beute zu bemächtigen.

Wir gingen wieder in den Garten hinunter, wo wir bis zum Abend lustwandelten; dann gingen wir in die Oper, wo wir unsere Masken nicht ablegten; denn da das Theater klein war, so hätte man uns erkennen können, und meine reizende Freundin war überzeugt, daß ihr Vater sie nicht mehr hätte ausgehen lassen, wenn er erführe, daß sie solche Vergnügungen mitmachte.

Wir waren sehr erstaunt, ihren Bruder nicht zu sehen. Links von uns saß der spanische Gesandte, Marquis von Montalegre, mit seiner anerkannten Mätresse, Fräulein Bola, rechts von uns zwei Masken, ein Herr und eine Dame, die sich nicht demaskiert hatten. Diese beiden Masken sahen beständig zu uns hinüber, da aber meine junge Freundin ihnen den Rücken zukehrte, so konnte sie nichts davon bemerken. C. C. hatte während des Balletts das Operntextbuch auf die Logenbrüstung gelegt, plötzlich streckte der maskierte Herr die Hand aus und nahm es. Ich schloß daraus, daß wir ihm bekannt sein müßten, und sagte dies meiner Freundin, die sich umwandte und ihren Bruder erkannte. Die Dame konnte nur seine Freundin C. sein. Da P. C. die Nummer unserer Loge wußte, hatte er einfach die Nebenloge genommen; dies konnte er nicht ohne Absicht getan haben, und ich sah voraus, daß er seine Schwester mit der Frau zusammen essen lassen würde. Das ärgerte mich, aber ich konnte die Sache nur verhindern, wenn ich eine offene Aussprache herbeiführte. Und das wollte ich nicht; dazu war ich zu sehr verliebt.

Nach dem zweiten Ballett kam er mit seiner Schönen in unsere Loge. Die üblichen Komplimente wurden ausgetauscht; damit war die Bekanntschaft geschlossen, und wir mußten zum Essen in sein Kasino gehen. Sobald die beiden Damen die Masken abgenommen hatten, umarmten sie sich, und P. C›s. Geliebte überhäufte meine junge Freundin mit Lobeserhebungen und zuvorkommenden Redensarten. Bei Tisch trug sie eine außerordentliche Liebenswürdigkeit zur Schau, und C. C., die von der Welt noch keine Ahnung hatte, kam ihr mit größter Ehrerbietung entgegen. Indessen merkte ich doch, daß C. trotz all ihrer Verstellungskunst den Verdruß durchblicken ließ, den ihr der Anblick der weit überlegenen Reize verursachte, die ich den ihrigen vorgezogen hatte. P. C. war von ausgelassener Lustigkeit und machte unaufhörlich fade Späße, über die nur seine Schöne lachte; ich in meiner schlechten Laune zuckte nur die Achseln darüber, und seine Schwester verstand nichts davon und antwortete ihm daher auch gar nicht darauf. So war denn unsere schlecht zusammengesetzte Quadrille nicht sehr ergötzlich.

Beim Nachtisch küßte P. C., etwas von Wein erhitzt, seine Schöne und forderte mich auf, seinem Beispiel zu folgen und mit seiner Schwester das Gleiche zu tun. Ich antwortete ihm: da ich Fräulein C. C. wirklich liebte, würde ich mir solche Freiheiten nicht eher herausnehmen, als bis ich mir Anrechte auf ihr Herz erworben hätte. P. C. fing an darüber Scherze zu machen, aber C. gebot ihm Schweigen. Für diese anständige Handlungsweise dankbar, zog ich das von mir gekaufte Dutzend Handschuhe aus der Tasche, schenkte ihr sechs davon und bat meine Freundin, die anderen anzunehmen. P. C. stand hohnlachend vom Tisch auf, zog seine Geliebte, die ein bißchen im Weinberge des Herrn war, mit sich fort und warf sich mit ihr auf ein Kanapee. Da die Szene schlüpfrig wurde, stellte ich mich so hin, daß ich die Gruppe verdeckte und zog meine Freundin sanft in eine Fensternische hinein. Doch hatte ich nicht verhindern können, daß C. C. in einem Spiegel die Stellung der beiden Schamlosen sah. Sie war glühendrot im Gesicht; da ich aber nur ganz anständige Bemerkungen machte, so sprach sie von ihren schönen Handschuhen, die sie auf der Fensterbrüstung glattstrich. Nach seiner rohen Heldentat kam P. C. frech auf mich zu, um mich zu umarmen; seine schamlose Gefährtin folgte seinem Beispiel und küßte meine junge Freundin, indem sie sagte, sie sei überzeugt, daß sie nichts gesehen habe. C. C. antwortete ihr bescheiden, sie wüßte nicht, was sie hätte sehen können; aber ein Blick, den sie mir zusandte, ließ mich erraten, was sie dabei empfand. Wie mir selber dabei zumute war, das mag der Leser sich vorstellen, wenn er das Menschenherz kennt. Einen solchen Vorgang mußte ich ertragen in Gegenwart eines unschuldigen Mädchens, das ich anbetete! Und dabei mußte ich meine eigenen Begierden bekämpfen, um mich nicht gegen sie zu vergehen! Ich war wie auf glühenden Kohlen. Zorn und Entrüstung stritten in mir mit der Zurückhaltung, die geboten war, um mir das geliebte Wesen zu erhalten. Ich zitterte an allen Gliedern. Die Herren Erfinder der Hölle hätten gewiß auch diese Qual unter ihr Rüstzeug aufgenommen, wenn sie sie gekannt hätten. Der schamlose P. C hatte mit seinem rohen Streich mir einen großen Beweis seiner Freundschaft abzulegen geglaubt; aus der Entehrung seiner Geliebten und aus dem Zartgefühl seiner Schwester, die er der Prostitution preisgab, machte er sich eben gar nichts. Ich begreife noch jetzt nicht, wie ich es über mich gewann, ihn nicht zu erdrosseln. Als er am andern Tage mich besuchte, überschüttete ich ihn mit Vorwürfen; er suchte sich damit zu entschuldigen, daß er mir sagte, er würde es niemals getan haben, wenn er nicht überzeugt gewesen wäre, ich hätte bei unserem Alleinsein mit seiner Schwester bereits dasselbe gemacht, wie er vor unseren Augen mit seiner Geliebten.

Meine Liebe zu C. C wurde mit jedem neuen Tage inniger und heißer, und ich war entschlossen, alles zu wagen, um sie davor zu schützen, daß ihr elender Bruder sie an irgend jemanden verhandelte, der vielleicht weniger bedenklich sein möchte als ich. Die Sache schien mir dringlich zu sein. Welch ein Greuel! Was für eine unerhörte Verführung! Welch seltsames Verfahren, um meine Freundschaft zu gewinnen! Dabei sah ich mich in die harte Notwendigkeit versetzt, dem Menschen gegenüber, den ich auf der ganzen Welt am tiefsten verachtete, mich zu verstellen. Ich hatte durch meine Erkundigungen erfahren, daß er überschuldet war und daß er in Wien, wo er Frau und Kinder hatte, Bankerott gemacht hatte; daß er in Venedig seinen Vater in Ungelegenheiten gebracht hatte, so daß dieser ihn aus dem Hause jagen mußte und nur aus Mitleid sich stellte, als wüßte er nicht, daß er immer noch dort wohnte. Er hatte seine Frau oder vielmehr seine Geliebte verführt; deren Mann wollte nichts mehr von Ihr wissen, und nachdem er ihr ganzes Vermögen verzehrt hatte, suchte er daraus Nutzen zu ziehen, daß sie sich prostituierte, denn er wußte nicht mehr aus noch ein. Seine arme Mutter, die ihn vergötterte, hatte ihm alles gegeben, was sie besaß, sogar ihre Schmucksachen und Kleider. Auch ich sah voraus, daß er mich von neuem wegen irgend eines Darlehens oder wegen einer Gutsage belästigen würde; aber ich war fest entschlossen, ihm alles abzuschlagen. Unerträglich war mir der Gedanke, daß C. C. die unschuldige Ursache meines Ruins werden und ihrem Bruder als Werkzeug dienen sollte, um seinen ausschweifenden Lebenswandel fortführen zu können.

Von einem unwiderstehlichen Gefühl aufrichtiger Liebe angetrieben, suchte ich schon am nächsten Tage P. C. auf. Ich sagte ihm, daß ich seine Schwester mit den reinsten Absichten liebte, und machte ihm bemerklich, welche Qual er mir bereitet hätte, indem er alle Rücksichten und sogar jene Scham verletzt hätte, die auch der durchtriebenste Wüstling niemals außer acht lassen darf, wenn er Anspruch darauf machen will, zur guten Gesellschaft zu gehören.

»Und sollte ich selbst«, so rief ich, »auf das Vergnügen verzichten müssen, Ihre engelsgleiche Schwester noch fürderhin zu sehen, so bin ich entschlossen, nicht mehr mit Ihnen zusammenzukommen; aber ich sage Ihnen, ich werde zu verhindern wissen, daß sie mit Ihnen ausgeht; denn es soll nicht von neuem irgendein niederträchtiger Handel mit ihr getrieben werden.«

Abermals entschuldigte er sich mit seiner Trunkenheit; er habe auch nicht geglaubt, daß ich für seine Schwester eine Liebe empfände, die den Genuß ausschlösse. Er bat mich um Verzeihung, indem er mich weinend umarmte, und ich hätte mich vielleicht erweichen lassen, als plötzlich seine Mutter und Schwester eintraten und mir in überschwenglicher Weise für mein hübsches Geschenk dankten. Ich antwortete der Mutter, ich liebte ihre Tochter nur in der Hoffnung, daß sie sie mir zur Gattin geben würde.

»In dieser Hoffnung, gnädige Frau, werde ich mit Ihrem Herrn Gemahl sprechen, sobald ich mir eine sichere Stellung errungen habe, die mich in Stand setzt, sie angemessen zu unterhalten und sie glücklich zu machen.« Mit diesen Worten küßte ich ihr die Hand; ich war dabei so bewegt, daß mir die Tränen über die Wangen rollten. Meine Tränen waren ansteckend, und die gute Mutter ließ auch die ihrigen fließen. Nachdem sie mir herzlich gedankt hatte, ließ sie mich allein mit ihrer Tochter und mit ihrem Sohn, der starr wie eine Bildsäule dastand.

Es gibt auf der Welt viele Mütter dieser Art, und sehr oft sind dies gerade solche, die beständig keusch und züchtig gewesen sind: sie argwöhnen keine Täuschung, weil sie an sich selber keine anderen Beweggründe kennen als solche der Tugend; aber sie fallen fast alle ihrer Vertrauensseligkeit zum Opfer und der Zuversicht, die sie auf die von ihnen für rechtschaffen gehaltenen setzen. Die Worte, die ich der Mutter gesagt hatte, setzten die Tochter in Erstaunen; aber ihr Erstaunen wurde noch viel größer, als sie erfuhr, was ich zu ihrem Bruder gesagt hatte. Nachdem sie einen Augenblick nachgedacht hatte, sagte sie ihm, mit jedem anderen außer mir würde sie verloren gewesen sein; sie würde an Stelle seiner Dame ihm nicht verziehen haben; denn sein Benehmen habe diese ebenso tief entehrt wie ihn selber. P. C. weinte; aber der falsche Kerl vermochte seinen Tränen stets nach Belieben zu gebieten.

Es war Pfingstsonntag, und da deshalb im Theater keine Vorstellung war, so sagte er mir, wenn ich am nächsten Tage mich am selben Orte wie sonst einfinden wollte, würde er mir seine Schwester zuführen, und da die Ehre ihm nicht erlaubte, Frau C. allein zu lassen, so würden sie uns unsere volle Freiheit gönnen. »Ich gebe Ihnen meinen Schlüssel, und Sie bringen meine Schwester nach Hause, nachdem Sie mit ihr zu Abend gegessen haben, wo Sie Lust haben.«

Mit diesen Worten gab er mir den Schlüssel, den zurückzuweisen ich nicht stark genug war, und ließ uns allein. Einen Augenblick nach ihm ging auch ich, indem ich meiner Freundin sagte, wir würden am andern Tage in den Garten auf der Zuecca gehen.

»Mein Bruder«, sagte sie, »hat sich so anständig benommen, wie es unter diesen Umständen möglich war.«

Pünktlich war ich am verabredeten Ort und da ich vor Liebe glühte, so sah ich voraus, wie es kommen würde. Ich hatte natürlich eine Loge in der Oper besorgt, aber bis zum Abend gingen wir in unseren Garten. Da Festtag war, saßen mehrere kleine Gesellschaften an getrennten Tischen. Wir wollten nicht mit anderen Leuten in Berührung kommen und beschlossen daher, in den Zimmern zu bleiben, die wir uns anweisen ließen, und von der Oper uns nur den Schluß anzusehen. Ich bestellte demgemäß ein gutes Abendessen. Wir hatten sieben Stunden vor uns, und meine reizende Freundin sagte mir, wir würden uns nicht langweilen. Sie warf ihr Maskenkleid ab, setzte sich auf meinen Schoß und sagte mir, ich hätte sie vollends erobert durch die Art und Weise, wie ich sie nach jenem abscheulichen Abendessen geschont hätte. Alle unsere Gespräche aber waren von Küssen begleitet, die immer feuriger und feuriger wurden.

»Hast du gesehen,« fragte sie mich, »was mein Bruder mit seiner Dame machte, als sie sich rittlings auf ihn setzte? Ich sah es nur im Spiegel, aber ich konnte es mir wohl vorstellen.«

»Hast du nicht befürchtet, ich könnte dich ebenso behandeln?«

»Nein, das kann ich dir versichern! Wie hätte ich dies befürchten können? Ich weiß doch, wie sehr du mich liebst. Du würdest mich dadurch so gedemütigt haben, daß ich dich nicht mehr hätte lieben können. Wir sparen uns das solange auf, bis wir verheiratet sind, nicht wahr, mein lieber Freund! Du kannst dir gar nicht vorstellen, welche Freude ich empfand, als ich dich meiner Mutter gegenüber deine Gesinnungen erklären hörte. Wir werden uns ewig lieben. Aber da fällt mir ein, Liebster, erkläre mir doch die Worte, die auf den Strumpfbändern gestickt stehen.«

»Ist eine Inschrift darauf? Das wußte ich gar nicht.«

»O ja; sie ist französisch. Mache mir doch die Freude und lies sie.«

Auf mir sitzen bleibend, machte sie das eine Strumpfband ab, während ich ihr das andere löste. Die beiden Verse hätte ich lesen sollen, ehe ich ihr das Geschenk machte, sie lauteten:

En voyant chaque jour le bijou de ma belle, Vous lui direz, qu’amour veut, qu‘ il lui soit fidèle.

Ihr, die ihr täglich meiner Schönen Kleinod seht, Sagt ihm: die Liebe will, daß sie in Treu besteht.

Diese Verse waren ohne Zweifel sehr frei, aber sie schienen mir gut gemacht, komisch und geistvoll. Ich lachte laut auf und lachte noch lauter, als ich auf ihren dringenden Wunsch ihr den Inhalt übersetzen mußte. Da ihr der Gegenstand ganz neu war, mußte ich mich in eine Erklärung der Einzelheiten einlassen, wodurch wir beide in Feuer gerieten. »Ich werde nun nicht mehr wagen,« sagte sie, »meine Strumpfbänder irgend einem Menschen zu zeigen, und das tut mir leid.«

Und da ich ein nachdenkliches Gesicht machte, fuhr sie fort: »Sage mir, woran denkst du?«

»Ich denke, diese glücklichen Strumpfbänder genießen eines Vorzugs, den ich vielleicht niemals haben werde. Wie gerne möchte ich an ihrer Stelle sein. An diesem Wunsche werde ich vielleicht sterben, und ich werde glücklich sterben.«

»Nein, mein Freund! Mir geht es ja genau wie dir, und ich bin überzeugt, daß ich leben werde. Ubrigens können wir ja unsere Heirat beschleunigen. Ich bin bereit, mich schon morgen mit dir zu verloben, wenn du willst. Wir sind frei, und mein Vater wird seine Einwilligung geben müssen.«

»Da hast du recht; die Ehre würde ihn dazu zwingen. Ich beabsichtige jedoch, um ihm ein Zeichen meiner Ehrfurcht zu geben, ihn durch einen andern um deine Hand zu bitten; dann werden wir bald unser eigenes Heim haben. In acht oder zehn Tagen wird er meinen Antrag erhalten.«

»Sobald schon? Du wirst sehen, er antwortet, ich sei zu jung.«

»Und da hat er vielleicht recht.«

»Nein, denn ich bin zwar jung, aber nicht zu jung, und ich bin überzeugt, ich kann deine Frau sein.«

Ich befand mich auf glühenden Kohlen, und es war mir fast unmöglich, dem Feuer, das mich verzehrte, noch länger Widerstand zu leisten.

»Oh, meine holde Geliebte,« rief ich aus, »bist du auch davon überzeugt, daß ich dich liebe. Hältst du mich für fähig dich zu betrügen? Bist du auch sicher, daß du niemals bereuen wirst, meine Gattin geworden zu sein?«

»Ich bin dessen mehr als gewiß, mein Herz; denn du kannst mich nicht unglücklich machen wollen.«

»Nun, so laß uns denn gleich in diesem Augenblick uns vermählen. Gott allein wird Zeuge unserer Schwüre sein, und einen besseren Zeugen können wir nicht haben, denn er kennt die Reinheit unserer Absichten. Schwören wir uns gegenseitig Treue, vereinigen wir unsere Geschicke und seien wir glücklich. Wir werden das Band unserer Zärtlichkeit, das uns vereint, durch die Zustimmung deines Vaters und durch die feierlichen Handlungen der Religion verstärken, sobald es uns möglich sein wird. Bis dahin aber sei mein! sei ganz und gar mein!«

»Nimm mich hin, mein Freund! Ich verspreche Gott und dir: von diesem Augenblick an will ich mein ganzes Leben lang deine treue Gattin sein. Dies werde ich auch meinem Vater, dem Priester, der unseren Bund einsegnen wird, und überhaupt der ganzen Welt erklären.«

»Und ich schwöre dir das Gleiche, meine zärtliche Freundin, und ich versichere dir, wir sind hiermit in unanfechtbarer Weise verheiratet. Komm in meine Arme und vollende mein Glück.«

»O mein Gott! Ist es möglich, daß ich dem Glück so nahe bin!«

Nachdem ich sie zärtlich umarmt hatte, ging ich hinaus und sagte der Wirtin des Kasinos, sie sollte uns das Essen erst bringen, wenn wir sie rufen würden, und möchte uns nicht stören. Inzwischen hatte meine reizende C. C. sich völlig angekleidet aufs Bett geworfen, aber ich sagte ihr, unangebrachte Hüllen schüchterten den Gott der Liebe ein, und machte in weniger als einer Minute aus ihr eine neue Eva, nackt und schön, wie wenn sie eben erst aus den Händen des allerhöchsten Schöpfers hervorgegangen wäre. Ihre atlasglatte Haut war von blendender Weiße, die durch ihr prachtvolles ebenholzschwarzes Haar, das sich über ihre Alabasterschultern gebreitet hatte, noch mehr hervorgehoben wurde. Ihre schlanke Gestalt, ihre breiten Hüften, ihre tadellos gerundete Büste, ihre Rosenlippen, ihre lebhaft angehauchte Hautfarbe, ihre großen Augen, die sanft schimmerten und im nächsten Moment sehnend aufblitzten – alles an ihr war von vollendeter Schönheit und bot meinen gierigen Blicken die ganze Vollkommenheit der Mutter der Liebesgötter dar, noch vermehrt durch den Zauber, den die Schamhaftigkeit über die Reize eines schönen Weibes ausbreitet.

Ganz außer mir, begann ich schon zu fürchten, mein Glück sei nicht wirklich oder es werde der vollkommene Genuß ausbleiben, um es vollständig zu machen, da beliebte es dem schalkhaften Amor gerade in diesem so ernsten Augenblick mir Stoff zum Lachen zu bieten. »Sollte es etwa ein Gesetz sein,« fragte meine Gattin mich, »daß der Gatte sich nicht entkleiden darf?«

»Nein, mein Engel, nein! Und wenn es ein solches gäbe, würde ich es zu barbarisch finden, um mich ihm zu unterwerfen.« Im Nu hatte ich alle Kleider von mir abgeworfen, und nun überließ sich meine Liebste allen Antrieben ihres Instinkts und ihrer Neugier; denn alles an mir war ihr neu! Gleichsam berauscht von dem Genuß, den ihre Augen hatten, preßte sie mich endlich heftig gegen ihren Busen und rief: »O Liebster, welcher Unterschied ist zwischen dir und meinem Kopfkissen!«

»Deinem Kopfkissen, mein Herz? Aber du lachst ja – erkläre es mir doch!«

»Es ist eine Kinderei. Aber du wirst doch nicht böse darüber sein?«

»Böse? Könnte ich wohl im süßesten Augenblick meines Lebens dir böse sein?«

»So höre denn! Seit mehreren Tagen konnte ich nicht einschlafen, wenn ich nicht mein Kopfkissen in den Armen hielt: ich liebkoste es, nannte es meinen lieben Mann. Ich stellte mir vor, es sei du, und wenn ich dann nach süßem Genuß unbeweglich dalag, schlief ich ein, und am Morgen beim Erwachen fand ich mein großes Kissen immer noch in meinen Armen.«

Meine liebe C. C. wurde mit Heldenmut mein Weib, denn im Uberschwang ihrer Liebe wurde sogar der Schmerz ihr zur Wonne. Nachdem wir drei Stunden mit den süßesten Kämpfen verbracht hatten, stand ich auf und rief hinunter, man sollte uns das Essen bringen. Das Mahl war einfach, aber köstlich. Ohne zu sprechen sahen wir uns nur immer an, denn welche Worte hätten wir sagen können, um unsere Gefühle würdig auszudrücken. Wir fanden unser Glück übermenschlich, und wir gaben uns dem Genusse desselben hin in der Überzeugung, daß wir es nach unserm Belieben jederzeit erneuern könnten.

Die Wirtin kam nach oben, um uns zu sagen, ob wir irgend etwas wünschten und ob wir nicht in die Oper gingen, die – wie sie gehört hätte – so schön sein sollte.

»Sind Sie denn niemals drin gewesen.«

»Niemals. Für Leute unseres Standes ist so etwas zu teuer. Meine Tochter ist aber so neugierig darauf, daß ich – Gott verzeih‘ mir! – daß ich glaube, sie würde ihre Jungfernschaft hingeben, um ein einziges Mal das Vergnügen zu haben, die Oper zu besuchen!«

»Das wäre eine teure Bezahlung!« rief lachend meine kleine Frau. »Liebster, wir könnten sie doch glücklich machen, ohne daß es ihr so hoch zu stehen käme, denn das tut sehr weh!«

»Ich dachte auch schon daran, Liebste. Da hast du den Logenschlüssel, du kannst ihn ihnen schenken.«

Sie sagte darauf zur Wirtin: »Hier ist der Schlüssel zu einer Loge im Theater San Moisè. Sie kostet zwei Zechinen. Gehen Sie statt unserer hin und sagen Sie Ihrer Tochter, sie möchte ihre Rose für etwas Besseres aufsparen.«

»Und damit Sie sich gut unterhalten können, Mütterchen,« sagte ich zu ihr, »haben Sie hier noch zwei Zechinen: lassen Sie Ihre Tochter sich recht gut amüsieren!«

Die gute Frau war ganz verblüfft über die Freigebigkeit ihrer Gäste; sie lief eilends zu ihrer Tochter, wir aber wünschten uns Glück, daß wir auf diese Art uns in die Zwangslage versetzt hatten, uns wieder zu Bett legen zu müssen.

Die Wirtin kam mit ihrer Tochter zurück, einer schönen und sehr appetitlichen Blonden, die ihren Wohltätern durchaus die Hand küssen wollte. »Sie wird sofort mit ihrem Schatz fortgehen,« sagte die Mutter zu uns; »er ist unten, aber ich werde sie nicht alleine gehen lassen, denn er ist ein Schlingel, ich gehe mit ihnen!«

»Schön, gute Frau, aber wenn Sie wiederkommen, lassen Sie die Gondel warten, die Sie bringt; wir werden uns ihrer bedienen, um nach Venedig zurückzufahren.«

»Was? Sie wollen hier bleiben, bis wir zurückkommen?«

»Ja. Wir haben uns heute verheiratet.«

»Heute! Gott segne Sie!«

Als sie darauf an das Bett trat, um es zurechtzumachen, sah sie die ehrenvollen Beweise für die Jungfräulichkeit meiner Gattin. In einer freudigen Aufwallung lief Sie auf meine teure C. C. zu und umarmte Sie; hierauf begann sie eine Ansprache an ihre Tochter zu halten, indem sie ihr die Blutspuren zeigte, die nach ihrer Behauptung einer Neuvermählten unermeßliche Ehre machten. »Das sind ehrwürdige Zeichen,« rief sie, »die in unseren Tagen Hymen nur selten auf seinem Altare sieht!«

Die Tochter schlug ihre schönen blauen Augen nieder und antwortete ihr, sie sei überzeugt, daß es bei ihrer Hochzeit genau ebenso sein werde.

»Davon bin ich auch überzeugt; denn ich lasse dich nicht aus den Augen. Hole jetzt Wasser in dieser Schale und bringe es hierher; das reizende Bräutchen wird es nötig haben.«

Die Tochter gehorchte. Nachdem dann die Frauen wieder hinausgegangen waren, legten wir uns wieder zu Bett, und mit unglaublicher Schnelligkeit vergingen vier Stunden in köstlichen Verzückungen. Unser letzter Kampf würde länger gedauert haben, wenn nicht meiner reizenden Freundin die Laune gekommen wäre, die Rollen zu tauschen und meine Stelle einzunehmen. Erschöpft von Glück und Genuß, schliefen wir ein und erwachten erst, als die Wirtin kam und uns sagte, daß die Gondel auf uns wartete. Sofort stand ich auf und öffnete ihr. Ich hoffte, es würde etwas zu lachen geben, wenn sie uns von der Oper erzählte. Dies überließ sie aber ihrer Tochter, die mit ihr heraufgekommen war; sie selber ging in die Küche, um Kaffee für uns zu machen. Die Blonde half meiner Freundin beim Ankleiden; dabei warf sie mir von Zeit zu Zeit Blicke zu, die mich auf den Gedanken brachten, sie möchte wohl mehr Erfahrung haben, als ihre Mutter vermutete.

Die Augen meiner reizenden Freundin waren höchst verräterisch; sie trugen die unverkennbaren Spuren ihrer ersten Liebesleistungen; sie mußte aber auch wirklich nach einem solchen Kampf, wie sie ihn bestanden hatte, eine ganz andere geworden sein.

Wir tranken recht heißen Kaffee, und ich sagte der Wirtin, sie solle für den nächsten Tag ein leckeres Essen bereit stellen. Dann gingen wir. Der Morgen begann zu grauen, als wir, um die neugierigen Gondelführer auf falsche Spuren zu locken, am Platz Santa Sofia an Land gingen. Wir trennten uns glücklich, zufrieden und völlig überzeugt, daß wir uns in allen Ehren verheiratet hätten. Ich ging mit dem festen Vorsatz zu Bett, durch das Orakel Herrn von Bragadino zu verpflichten, daß er mir in aller Form Rechtens die Hand meiner angebeteten C. C. verschaffte. Ich blieb bis Mittag im Bett; den Rest des Tages verbrachte ich damit, unglücklich zu spielen, wie wenn das Glück mir hätte kundtun wollen, daß es mit meiner Liebe nicht einverstanden sei.

Fünfzehntes Kapitel


Forstsetzung meiner Liebschaft mit C. C. – Herr von Bragadino hält für mich um die Hand des jungen Mädchens an. – Ihr Vater sagt nein und schickt sie in ein Kloster. – De la Haye. – Ich verliere im Spiel. – Teilhaberschaft mit Croce, die mich wieder zu Geld bringt. – Verschiedene Erlebnisse.

Die Wonne, in die mich meine Liebe versetzte, hatte mich ziemlich unempfindlich gegen den erlittenen Verlust gemacht; mein Kopf war ganz von meiner liebenswürdigen Freundin eingenommen und schließlich gegen jeden Gedanken abgeschlossen, der nicht auf sie Bezug hatte.

Meine Gedanken waren am nächsten Morgen mit ihr beschäftigt, als mit freudestrahlendem Gesicht ihr Bruder bei mir eintrat und mir sagte: »Ich bin überzeugt, Sie haben bei meiner Schwester geschlafen, und der Gedanke entzückt mich. Sie will es nicht zugeben, aber ihr Leugnen ist nutzlos. Ich werde sie heute mitbringen.«

»Das wird mich sehr freuen, denn ich bete sie an, und ich werde bei Ihrem Herrn Vater auf eine Weise um ihre Hand anhalten lassen, daß er sie mir nicht wird abschlagen können.«

»Ich will es wünschen, aber ich zweifle daran. Inzwischen sehe ich mich genötigt, Sie um einen neuen Dienst zu bitten. Ich kann gegen einen in sechs Monaten fälligen Wechsel einen Ring bekommen, der zweihundert Zechinen wert ist, und ich bin sicher, ihn noch heute für diesen Preis wieder verkaufen zu können. Ich brauche das Geld unbedingt; aber ohne Ihre Bürgschaft wird der Juwelier, der Sie kennt, mir den Ring nicht geben. Werden Sie mir diese Gefälligkeit erweisen? Ich weiß, Sie haben gestern verloren; wenn Sie sie brauchen, werde ich Ihnen hundert Zechinen abgeben, die Sie mir zurückzahlen, wenn der Wechsel fällig wird.«

Wie hätte ich ihm den Dienst abschlagen können? Ich sah wohl, daß er mich prellen würde, aber ich liebte seine Schwester so heiß! Ich sagte daher zu ihm: »Ich bin bereit den Wechsel zu unterzeichnen; aber es ist unrecht von Ihnen, meine zärtliche Liebe zu Ihrer Schwester zu mißbrauchen.«

Wir gingen aus; der Kaufmann nahm meine Bürgschaft an, und das Geschäft war abgemacht. Der Juwelier, der mich gar nicht kannte, oder doch nur dem Namen nach, glaubte mir ein Kompliment zu machen, und sagte zu P. C., gegen meine Bürgschaft stehe ihm sein ganzer Laden zur Verfügung. Das Kompliment machte mir wenig Vergnügen, aber es erklärte mir P. C.’s Schelmentalent, das ihn unter hundert den einen Dummen entdecken ließ, der ohne jeden Grund mir sein Vertrauen schenkte; denn ich hatte ja nichts. So wurde meine engelgleiche C. C., die allem Anschein nach mich nur glücklich machen konnte, die unschuldige Ursache meines Ruins.

Mittags brachte P. C. seine Schwester zu mir. Ohne Zweifel nur um mir zu zeigen, daß er ein Ehrenmann sei – denn gerade die Spitzbuben geben sich Mühe darum – gab er mir den Wechsel für das auf meine Bürgschaft hin entnommene Faß Cyperwein zurück; zugleich versicherte er mir, bei unserem ersten Zusammentreffen werde er mir die hundert Zechinen übergeben, die er mir versprochen habe.

Ich führte wie gewöhnlich meine Freundin nach der Zuecca; den Garten ließ ich schließen, und wir aßen in einer Laube. Meine C. C. schien mir noch schöner geworden zu sein, seitdem sie mir gehörte; Gefühle der Freundschaft mischten sich in unsere Liebe und erfüllten uns mit einer süßen Befriedigung, die sich in unseren Zügen widerspiegelte. Die Wirtin, die mich freigebig gefunden hatte, setzte uns Wildbret und Fische vor, und ihr blondes Töchterlein bediente uns bei Tisch. Sie entkleidete auch meine Freundin, als wir nach oben gegangen waren, um uns den Wonnen unserer jungen Ehe zu überlassen.

Als wir allein waren, fragte meine Freundin mich, was es mit den hundert Zechinen auf sich hätte, die ihr Bruder mir bringen sollte; ich erzählte nun, was zwischen uns vorgegangen wäre.

»Ich bitte dich herzlich, Liebster,« rief sie, »schlage ihm in Zukunft rundweg alles ab; der Unglückselige ist so überschuldet, daß er schließlich auch dich mit sich in den Abgrund reißen würde, dem er unrettbar verfallen ist.«

Diesmal schienen unsere Genüsse uns von soliderer Art zu sein; wir kosteten sie inniger aus, sozusagen mit Verstand und Überlegung. »Ach, Geliebter,« rief sie aus, »tu doch dein Möglichstes, um mich zur Mutter zu machen, denn dann kann mein Vater nicht mehr den Vorwand brauchen, ich sei zu jung, um mich zu verheiraten.«

Ich konnte ihr nur mit großer Mühe begreiflich machen, daß die Erfüllung dieses Wunsches – obgleich auch ich ihn hegte – nicht nur einzig und allein von uns abhänge; doch sei es bei unseren Anlagen wahrscheinlich, daß es früher oder später dazu kommen werde.

Nachdem wir nach besten Kräften an der Vollbringung dieses großen Werkes gearbeitet hatten, verbrachten wir einige Stunden in einem köstlichen, tiefen Schlaf. Gleich nach unserem Erwachen ließ ich Kerzen und Kaffee bringen; hierauf gingen wir wieder ans Werk, in der Hoffnung, den gleichzeitigen Erguß herbeizuführen, der uns unser Glück sichern sollte. Mitten in den süßesten Liebesspielen überraschte uns die allzufrühe Morgenröte, und wir beeilten uns, nach Venedig noch früh genug zurückzukommen, um den Blicken der Neugier zu entgehen.

Am Freitag wiederholten wir den Ausflug. Doch so viel Vergnügen ich auch heute daran finde, mich so glücklicher Augenblicke zu erinnern, so werde ich doch den Leser mit einer Ausmalung unserer neuen Genüsse verschonen. Ich will nur noch erwähnen, daß beim Abschied meine Freundin und ich unser letztes Gartenfest auf den folgenden Montag, den letzten Tag der Maskenfreiheit, festsetzten. Nur der Tod hätte mich abhalten können, mich pünktlich einzufinden, denn es konnte möglicherweise der letzte Tag unserer Liebesgenüsse sein.

Nachdem am Montag morgen P. C. mir noch einmal Zeit und Ort bestätigt hatte, fand ich mich pünktlich ein. Schnell verging, trotz meiner Ungeduld, die erste Stunde, die zweite aber war von niederdrückender Langsamkeit. Trotzdem erwartete ich noch eine dritte, eine vierte Stunde, aber das ersehnte Paar kam nicht. Ich war in einer Gemütsverfassung, daß ich mir nur noch das gräßlichste Unglück ausmalte. Wenn C. C. nicht hatte ausgehen können, so hätte doch ihr Bruder kommen müssen, es mir zu sagen. Freilich war ja möglich, daß irgend ein unüberwindliches Hindernis ihn abgehalten hatte. Sie selber in ihrem Hause aufzusuchen war mir unmöglich; ich konnte es schon deshalb nicht, weil ich ja befürchten mußte, sie vielleicht unterwegs zu verfehlen. Endlich, im Augenblick wo die Kirchenglocken den Englischen Gruß läuteten, trat C. C. allein und maskiert auf mich zu.

»Ich wußte bestimmt,« sagte sie, »daß du hier sein würdest. Darum ließ ich meine Mutter reden. Hier bin ich also. Du mußt ja halb tot vor Hunger sein. Mein Bruder hat sich den ganzen Tag nicht sehen lassen. Schnell jetzt nach unserm Garten, denn auch ich habe Bedürfnis etwas zu essen. Nachher wird uns die Liebe trösten für alles, was wir heute erduldet haben!«

Dies alles hatte sie gesagt, ohne mir Zeit zu lassen, auch nur ein einziges Wörtchen dazwischen zu werfen. Ubrigens hatte ich nichts zu fragen; wir gingen und nahmen eine Gondel, um nach unserm Garten zu fahren. Es wehte ein schrecklicher Wind, eine Art Wirbelsturm, und da die Gondel nur einen einzigen Ruderer hatte, so schwebten wir tatsächlich in Gefahr. C. C. hatte keine Ahnung davon und trieb ihre Späße, wie wenn sie sich für den Zwang entschädigen wollte, den sie sich tagsüber hatte auferlegen müssen. Aber die Bewegungen, die sie machte, brachten den Bootsführer in Gefahr; wäre er ins Wasser gefallen, so hätte nichts uns retten können, und wir hätten den Tod gefunden statt der Wonne, die wir suchten. Ich sagte ihr, sie möchte sich ruhig verhalten; aber aus Furcht sie zu erschrecken, wagte ich ihr nichts von der Gefahr zu sagen, die uns bedrohte. Der Barkarole brauchte nicht dieselben Rücksichten zu nehmen und schrie uns mit Stentorstimme zu, wenn wir nicht ganz unbeweglich still säßen, wären wir alle drei verloren. Diese Drohung wirkte, und wir kamen unversehrt ans Ziel. Ich bezahlte den Schiffer überreichlich, und er lachte vor Freude, als er das Geld sah, das die Gefahr ihm eingebracht hatte.

Wir verbrachten in unserm Kasino sechs glückselige Stunden, in denen wir zahlreiche Heldentaten der Liebe verrichteten; von Schlafen war diesmal keine Rede. Nur ein Gedanke störte unsere Freude: die Maskenzeit war vorüber, und wir wußten nicht, wie wir späterhin neue Liebeszusammenkünfte ermöglichen sollten. Wir verabredeten, daß ich am Mittwoch Vormittag ihrem Bruder einen Besuch machen sollte und daß sie dann wie gewöhnlich erscheinen würde.

Wir verabschiedeten uns von der guten Gärtnersfrau, die uns ihr größtes Bedauern darüber aussprach, daß sie nun keine Hoffnung hätte, uns wieder bei sich zu sehen, und uns viel Glück und Segen wünschte. Hierauf brachte ich meine Freundin glücklich bis an ihre Tür und ging nach Hause.

Nachdem ich mittags aufgestanden war, sah ich zu meiner großen Überraschung de la Haye mit seinem Schüler Calvi, der ein hübscher Junge, aber im vollsten Sinne des Wortes der Affe seines Hofmeisters war. Er ging, sprach, lachte genau so wie dieser; seine Sprache war genau wie die des Jesuiten: ein korrektes aber steifes Französisch. Eine derartige übertriebene Nachahmung fand ich skandalös, und ich hielt es für angebracht, dem Herrn de la Haye zu sagen, er müsse unbedingt seinem Zöglinge diese Manieren abgewöhnen, denn eine derartige unterwürfige Nachäfferei werde dem jungen Mann unfehlbar bitteren Spott zuziehen. Während ich meine Ansichten über diesen Punkt zum besten gab, erschien Baron Bavois; auch dieser war vollkommen meiner Meinung, nachdem er eine Stunde in der Gesellschaft des Jünglings verbracht hatte. Der junge Calvi starb zwei oder drei Jahre später. De la Haye, der von der Sucht besessen war, junge Leute zu erziehen, wurde ein paar Monate nach Calvis Tode Hofmeister des jungen Ritters Morosini, dessen Oheim Bavois sein Glück zu verdanken hatte. Dieser Oheim war damals Kommissär der Republik bei der Grenzregulierung mit Österreich, das bei dieser Gelegenheit vom Grafen Christiani vertreten wurde.

Ich war über alle Maßen verliebt und glaubte daher einen Schritt nicht länger aufschieben zu dürfen, von dem, wie ich damals glaubte, mein Glück abhing. Ich bat daher nach dem Essen, sobald die Gesellschaft sich verabschiedet hatte, Herrn von Bragadino und seine Freunde, sich mit mir für zwei Stunden in einem Kabinett einzuschließen, zu welchem niemand Zutritt hatte. Ohne weitere Umschweife sagte ich ihnen dann, ich sei in C. C. verliebt und sei entschlossen, sie zu entführen, wenn sie nicht Mittel und Wege fänden, ihren Vater dahin zu bringen, daß er sie mir zur ehelichen Gattin gäbe. »Es handelt sich darum,« sagte ich zu Herrn von Bragadino, »mir eine Anstellung zu verschaffen, von der wir leben können, und für eine Summe von zehntausend Dukaten kurant, die das junge Mädchen als Mitgift erhalten würde, Bürgschaft zu leisten.« Sie antworteten mir, sie würden mit Vergnügen meinem Wunsche nachkommen, wenn Paralis ihnen die nötigen Weisungen gäbe. Mehr verlangte ich nicht. Zwei Stunden brachte ich damit hin, alle von ihnen gewünschten Zahlenpyramiden zu bauen, und schließlich kam dabei heraus, daß Herr von Bragadino in eigener Person den Vater für mich um die Hand seiner Tochter bitten sollte. Das Orakel erklärte diese Wahl damit, daß der Brautwerber derselbe sein müsse, der mit seinem ganzen augenblicklichen und künftigen Vermögen für die Mitgift zu bürgen habe. Da der Vater meiner Freundin zurzeit auf dem Lande war, so sagte ich ihnen, sie würden von seiner Rückkehr pünktlich benachrichtigt werden; sie müßten alle drei beisammen sein, wenn Herr von Bragadino seinen Antrag vorbrächte.

Sehr zufrieden mit dem Ergebnis meiner Bemühungen begab ich mich am nächsten Morgen zu P. C. Die alte Frau, die mich einließ, sagte mir, der Herr sei nicht zu Hause, aber seine Frau Mutter werde kommen und mit mir sprechen. Sie kam gleich darauf mit ihrer Tochter, und beide schienen mir sehr traurig zu sein. Dies erfüllte mich mit bösen Vorahnungen. C. C. sagte mir, ihr Bruder sei im Schuldgefängnis, und es sei schwer, ihn freizumachen, weil die Summen, die er schulde, zu beträchtlich seien. Die Mutter sagte mir weinend, sie sei in Verzweiflung, daß sie für ihn im Gefängnis nicht den Unterhalt bestreiten könne. Sie zeigte mir einen Brief, den er ihr geschrieben hatte und in dem er sie bat, einen anderen beigeschlossenen seiner Schwester zu geben. Ich fragte meine Freundin, ob ich diesen lesen dürfe; sie gab ihn mir, und ich sah, daß er sie bat, bei mir für ihn zu bitten. Ich gab ihr den Brief zurück, indem ich ihr sagte, sie möchte ihm schreiben, daß es mir ganz unmöglich sei, etwas für ihn zu tun. Zugleich drang ich in die Mutter, sie möchte zu seiner Unterstützung von mir fünfundzwanzig Zechinen annehmen, von denen sie ihm eine oder zwei zurzeit zukommen lassen könnte. Sie nahm das Geld erst an, nachdem ihre Tochter sie sehr darum gebeten hatte.

Nachdem diese wenig erquickliche Sache vorläufig erledigt war, berichtete ich ihnen über die Schritte, die ich getan hatte, um die Hand meiner Geliebten zu erhalten. Die alte Dame dankte mir; sie fand mein Vorgehen ehrenhaft und in der Ordnung; aber sie sagte mir, ich sollte mir keine Hoffnung machen, denn ihr Mann, der an seinen Plänen sehr fest hielte, hätte versprochen, sie erst im Alter von achtzehn Jahren zu verheiraten und zudem nur an einen Kaufmann. Wie sie mir sagte, sollte er noch am gleichen Tage nach Hause kommen. Als ich ging, steckte mir meine Liebste einen Zettel zu; sie schrieb darin, ich könnte ohne jede Besorgnis mittels des Schlüssels zur kleinen Tür, den ich schon hätte, um Mitternacht zu ihr kommen; ich würde sie im Zimmer ihres Bruders finden. Diese Botschaft machte mich überglücklich, denn trotz den Zweifeln der Mutter hoffte ich auf einen vollständigen Erfolg.

Ich ging nach Hause und teilte Herrn von Bragadino mit, daß der Vater meiner angebeteten C. C. baldigst zurückkehren werde; sofort setzte der ehrwürdige alte Herr sich hin und schrieb in meiner Gegenwart einen Brief an ihn. Er bat ihn, ihm die Stunde anzugeben, wo er ihn aufsuchen könnte, um mit ihm über eine wichtige Angelegenheit zu sprechen. Ich bat ihn, diesen Brief erst am nächsten Tage abzuschicken.

Wie der Leser sich denken kann, ließ ich um Mitternacht nicht auf mich warten. Ich gelangte ohne Hindernis ins Haus und fand meinen Engel, der mich mit offenen Armen empfing.

»Du hast nichts zu befürchten,« sagte sie; »mein Vater ist wohl und munter angekommen, und im Hause schläft alles.«

»Nur die Liebe nicht, die uns zur Freude ladet!« rief ich aus. »Sie wird uns beschützen, Geliebte, und morgen wird dein Vater von meinem würdigen Beschützer einen Brief bekommen.«

Bei diesen Worten erschauderte C. C., sie hatte eine nur zu richtige Vorahnung.

»Mein Vater,« sagte sie, »nach dessen Meinung ich jetzt noch ein bloßes Kind bin, wird seine Augen öffnen, und Gott weiß, was er tun wird, um über meine Aufführung sich Klarheit zu verschaffen. Jetzt sind wir glücklich – viel glücklicher noch, als damals bei unseren Besuchen auf der Zuecca, denn wir können uns ganz zwanglos jede Nacht sehen; aber was wird mein Vater tun, wenn er erfährt, daß ich einen Geliebten habe!«

»Was kann er machen? Wenn er mich abweist, entführe ich dich, und der Patriarch kann uns den Hochzeitssegen nicht verweigern. Wir werden einander fürs ganze Leben angehören!«

»Das ist mein glühendster Wunsch, und ich bin zu allem bereit um dies zu erreichen; aber, Geliebter, ich kenne meinen Vater!«

Wir verbrachten zwei Stunden miteinander, aber diese vergingen mehr in Schmerzen als in Wonnen. Als ich ging, versprach ich ihr, die nächste Nacht wiederzukommen. Traurig verbrachte ich den übrigen Teil der Nacht; gegen Mittag sagte Herr von Bragadino mir, er habe dem Vater den Brief geschickt, und dieser habe ihm antworten lassen, er werde am anderen Tage persönlich in seinem Palazzo erscheinen, um seine Befehle entgegenzunehmen. Etwa um Mitternacht war ich wieder bei meiner Geliebten und berichtete ihr über alles Vorgefallene. C. C. sagte mir, die Zuschrift des Senators habe ihn sehr beschäftigt; denn da er niemals etwas mit Herrn von Bragadino zu tun gehabt hatte, so konnte er sich nicht denken, was wohl der hohe Herr von ihm wollte. Die Ungewißheit, eine Art Furcht und eine wirre Hoffnung raubten unseren Liebesfreuden während der zwei Stunden, die wir beisammen waren, viel von ihrer Lebhaftigkeit. Ich war überzeugt, daß der Vater meiner Freundin, Herr Ch. C., nach seiner Unterredung mit Herrn von Bragadino sofort nach Hause gehen würde; jedenfalls würde er seine Tochter scharf ausfragen und in ihrer Verlegenheit könnte C. C. sich verraten. Sie fühlte dies selber und war offenbar sehr bekümmert darüber. Dies beunruhigte mich über alle Maßen, und es war mir furchtbar, ihr keinen Rat geben zu können, denn ich konnte nicht voraussehen, wie der Vater die Sache aufnehmen würde. Selbstverständlich mußte sie gewisse Umstände, die ihm eine schlechte Meinung von uns beibringen konnten, ihm verschweigen; im großen und ganzen aber müsse sie ihm die Wahrheit sagen und sich ihm sehr gefügig zeigen. Ich war in einer eigentümlichen Lage; vor allen Dingen tat es mir leid, den entscheidenden Schritt getan zu haben, eben weil dieser ein unwiderrufliches Ergebnis herbeiführen mußte. Ich sehnte mich, vor allem aus der fürchterlichen Ungewißheit herauszukommen, und war erstaunt darüber, daß meine junge Freundin viel weniger unruhig war als ich. Wir trennten uns mit angstvollem Herzen, aber doch in der Hoffnung, daß wir in der nächsten Nacht uns wiedersehen würden. Das Gegenteil erschien mir als etwas Unmögliches.

Am nächsten Nachmittag kam Herr Ch. C. zu Herrn von Bragadino. Ich ließ mich nicht sehen. Er verbrachte zwei Stunden mit meinen drei Freunden, und sobald er fort war, erfuhr ich, daß er geantwortet hatte, was die Mutter mir vorausgesagt, aber obendrein mit einem für mich sehr betrübenden Umstand: er wollte seine Tochter die vier Jahre, bis sie an eine Heirat denken könnte, in einem Kloster zubringen lassen. Gleichsam als eine Abschwächung seiner Weigerung hatte er ihnen gesagt, er könnte wohl unserer Verbindung zustimmen, wenn ich dann eine gesicherte Existenz hätte. Ich fand diese Antwort vernichtend; in der Verzweiflung, in der ich mich befand, wunderte ich mich denn auch nicht weiter, als ich in derselben Nacht die kleine Tür verschlossen fand.

Mehr tot als lebendig ging ich nach Hause; dort verbrachte ich vierundzwanzig Stunden in der entsetzlichen Ratlosigkeit, in der man sich befindet, wenn man einen Entschluß fassen muß, aber nicht weiß welchen. Ich dachte an eine Entführung, aber ich entdeckte tausend Schwierigkeiten, durch die sie mißlingen konnte; da der Bruder im Gefängnis war, so war es sehr schwer, einen Briefwechsel mit meiner Frau einzurichten; denn dies war C. C. in meinen Augen in höherem Maße, als wenn wir den Segen eines Priesters erhalten und einen Vertrag vor dem Notar abgeschlossen hätten.

Von tausend düsteren und verzweiflungsvollen Gedanken gequält, entschloß ich mich, am dritten Tag einen Besuch bei Frau C. zu machen. Eine Magd öffnete mir und sagte, die gnädige Frau sei aufs Land gegangen und man wisse nicht, wann sie zurück sein werde. Diese Nachricht traf mich wie ein Donnerschlag; bewegungslos wie eine Bildsäule stand ich da. Denn ich sah jetzt gar kein Mittel mehr, mir auch nur die geringste Auskunft zu verschaffen. Ich gab mir Mühe, in Gegenwart meiner drei Freunde ruhig zu erscheinen; aber ich befand mich in einem bejammernswerten Zustand, von dem der Leser sich vielleicht einen Begriff machen wird, wenn ich ihm sage, daß ich mich entschloß, P. C. in seinem Gefängnis aufzusuchen, weil ich hoffte, durch seine Vermittlung irgend etwas erfahren zu können.

Ich ging vergeblich; er wußte nichts, und ich wollte ihn auch nicht aufklären. Er erzählte mir eine Menge Lügen, die ich für bare Münze zu nehmen mich stellte. Nachdem ich ihm zwei Zechinen geschenkt hatte, verließ ich ihn mit dem Wunsch baldiger Befreiung.

Ich zermarterte mir das Hirn, wie ich von dem Zustand meiner Geliebten Kenntnis erhalten könnte. Ich vermutete, daß sie sich entsetzlich unglücklich fühlen müßte, und machte mir die bittersten Vorwürfe, die Ursache davon zu sein. Ich hatte fast völlig Appetit und Schlaf verloren.

Zwei Tage nach der Ablehnung meines Antrages waren Herr von Bragadino und seine beiden Freunde nach Padua gegangen, wo sie einen Monat verbringen wollten. Ich war allein im Palast geblieben, denn der traurige Zustand meiner Seele hatte es mir unmöglich gemacht, sie zu begleiten. Eine Ablenkung suchend, hatte ich gespielt und, da ich zerstreut war, beständig verloren; ich hatte alles verkauft, was nur irgend welchen Wert hatte, und war überall Geld schuldig. Hilfe hatte ich nur von meinen drei Wohltätern zu erwarten, aber ich schämte mich, ihnen meine Lage zu entdecken. Ich befand mich in einer Stimmung, wo man leicht zum Selbstmord kommt, und ich dachte grade daran, als ich mich vor einem Spiegel rasierte. In demselben Augenblick kam ein Bedienter und führte eine Frau ins Zimmer, die einen Brief für mich hatte. Die Frau kam näher und gab mir den Brief, indem sie fragte:

»Sind Sie der Herr, an den der Brief überschrieben ist?«

Ich sah den Abdruck eines Petschaftes, das ich C. C. gegeben hatte, und mir war, als sollte ich tot zur Erde sinken. Um mich zu beruhigen, sagte ich der Frau, sie möchte warten; ich wollte mich erst fertig rasieren; aber meine Hand versagte mir den Dienst. Ich legte das Schermesser hin, drehte der Botin den Rücken zu und las folgendes:

»Bevor ich Dir ausführlich schreibe, muß ich erst mich vergewissern, ob die Frau sicher ist. Ich bin in diesem Kloster als Pensionärin, werde sehr gut behandelt und bin ganz gesund trotz der seelischen Erregung, worin ich mich befinde. Die Oberin hat Befehl, mich keinen Menschen sehen zu lassen und mir durchaus keine Korrespondenz irgend welcher Art zu erlauben. Indessen bin ich schon gewiß, daß ich trotz dem Verbot Dir werde schreiben können. Ich zweifle nicht an Deiner Treue, mein geliebter Gatte, und ich bin überzeugt, Du wirst niemals an einem Herzen zweifeln, worin Du ganz allein herrschest. Rechne darauf, daß ich mit dem größten Eifer alles tun werde, was Du befiehlst; denn ich gehöre Dir, und nur Dir allein. Antworte mir nur wenige Worte, bis wir unserer Botin sicher sind. Murano, den 12. Juni.«

Das junge Mädchen hatte in kaum drei Wochen Weltweisheit gelernt; aber freilich war die Liebe ihre Lehrmeisterin gewesen, und nur die Liebe wirkt Wunder. Als ich den Brief meiner Freundin las, war mir zumute wie dem Verbrecher, der im Augenblick der Hinrichtung begnadigt wird, oder wie einem, der vom Tode wieder aufersteht. Ich brauchte mehrere Minuten Ruhe, um meine Besinnung und gewöhnliche Kaltblütigkeit wiederzugewinnen.

Ich fragte die Frau, ob sie lesen könnte.

»Ach ja, wenn ich das nicht könnte, Herr, da würde es mir ja sehr schlecht gehen. Wir sind unserer sieben Frauen im Dienst der frommen Nonnen von Murano. Jede von uns kommt einmal in der Woche an ihrem bestimmten Tage nach Venedig. Ich komme jeden Mittwoch und kann Ihnen in acht Tagen eine Antwort bringen, wenn Sie jetzt gleich einen Brief schreiben wollen.«

»Sie können also Briefe besorgen, die die Nonnen Ihnen anvertrauen?«

»Es gehört nicht zu meinem eigentlichen Dienst; da aber der wichtigste von allen unseren Aufträgen die getreue Briefbestellung ist, so könnte man uns nicht gebrauchen, wenn wir nicht imstande wären, die Adressen der uns anvertrauten Briefe zu lesen. Die Nonnen wollen sicher sein, daß wir nicht dem Peter einen Brief geben, der an Paul geschrieben ist. Unsere frommen Damen haben immer Angst, wir könnten einmal solch eine Tölpelei begehen. Sie werden mich also heute in acht Tagen zur selben Stunde sehen, aber geben Sie Befehl, daß Sie geweckt werden, wenn Sie schlafen sollten, denn die Minuten werden uns mit der Goldwage zugemessen. Vor allen Dingen verlassen Sie sich auf meine Verschwiegenheit, solange Sie mit mir zu tun haben; denn wenn ich nicht schweigen könnte, käme ich um Brot und Lohn, und was sollte ich dann anfangen als Witwe mit vier Kindern, einem achtjährigen Knaben und drei hübschen Mädchen, von denen das älteste erst sechzehn Jahre ist. Sie können sie sehen, wenn Sie mal nach Murano kommen. Ich wohne neben der Kirche nach dem Garten zu, und ich bin immer zu Hause oder sonst für das Kloster beschäftigt; denn da gibt es fortwährend was zu tun. Das Fräulein – ich weiß ihren Namen noch nicht, denn sie ist erst seit acht Tagen bei uns – hat mir das Briefchen zugesteckt. Aber wie geschickt hat sie das gemacht! Oh, sie muß wohl ebenso klug sein, wie sie schön ist; denn drei Nonnen, die dabei waren, haben nichts gemerkt. Sie gab mir zugleich mit dem Brief diesen Zettel für mich. Ich lasse Ihnen den ebenfalls hier. Das arme Kind! Sie bittet mich um Verschwiegenheit; aber darauf kann sie sich auch verlassen. Schreiben Sie ihr, bitte, daß sie ganz ruhig sein könne; verbürgen Sie sich nur ganz unbesorgt für mich! Von den anderen möchte ich das nicht so gewiß sagen. Ich halte sie ja alle für ehrlich – denn Gott soll mich davor behüten, von meinem Nächsten Schlechtes zu denken –, aber sehen Sie, sie sind alle unwissend, und ganz gewiß schwatzen sie zum mindesten in der Beichte. Ich aber weiß, Gott sei Dank, recht gut, daß ich meinem Beichtiger nur meine Sünden gestehen muß; und einen Brief einer Christin an einen Christenmenschen zu bestellen, das ist keine Sünde. Ubrigens ist mein Beichtvater ein guter, alter Mönch, und ich glaube, er ist taub, denn der gute Mann antwortet mir niemals; aber wenn er taub ist, so ist das seine Sache und nicht meine!«

Ich hatte nicht die Absicht, die Frau auszufragen; aber hätte ich das auch gewollt, so würde sie mir keine Zeit dazu gelassen haben; denn ohne daß ich eine Frage tat, erzählte sie mir alles, was zu erfahren ich nur wünschen konnte; sie verfolgte damit weiter keine Absicht, als daß sie mich dazu bewegen wollte, mich ausschließlich ihrer zu bedienen.

Ich setzte mich sofort hin, um meiner lieben Eingesperrten zu antworten; ich hatte die Absicht, ihr, ihrem Wunsch gemäß, nur wenige Zeilen zu schreiben. Aber ich hatte nicht genug Zeit, um ihr so wenig zu schreiben. Mein Brief war ein Worterguß von vier Seiten, und es stand vielleicht weniger darin als auf der einen Seite ihres Briefes. Ich sagte ihr, ihr Brief habe mir das Leben gerettet, und fragte, ob ich hoffen dürfte, sie sehen zu können. Ich schrieb ihr, ich hätte der Botin eine Zechine gegeben, und eine zweite würde sie unter dem Siegel des Briefes finden; ich würde ihr so viel Geld schicken, wie sie nötig hätte. Ich bat sie, mir pünktlich jeden Mittwoch zu schreiben; sie könnte überzeugt sein, daß ihre Briefe niemals lang genug sein würden; sie müßte mir alles ganz ausführlich schildern, nicht allein wie es ihr ginge und was sie dort machen müßte, sondern auch wie sie darüber dächte, ihre Ketten zu sprengen und alle Hindernisse zu zerstören, die sich unserem beiderseitigen Glück entgegenstellen könnten; denn ich wäre ganz der Ihre, wie sie sagte, daß sie ganz und gar die Meine wäre. Ich riet ihr alle ihre Klugheit aufzubieten, um sich bei den Nonnen und Zöglingen beliebt zu machen, doch dürfte sie sich keiner anvertrauen, auch müßte sie niemals Unzufriedenheit darüber verraten, daß sie ins Kloster geschickt worden wäre. Ich lobte sie, daß sie so geschickt gewesen wäre, Mittel und Wege zu finden, um mir trotz dem Verbot zu schreiben, und machte sie darauf aufmerksam, daß sie sich ja niemals beim Schreiben ihrer Briefe überraschen lassen dürfte; denn wenn dies vorkäme, so würde man unfehlbar ihr Zimmer durchsuchen und alles Geschriebene, das man dort fände, ihr fortnehmen. »Verbrenne alle meine Briefe, Geliebte, und finde Dich mit der Notwendigkeit ab, oft zur Beichte zu gehen, aber uns niemals bloßzustellen. Schreib mir all Deinen Kummer; er geht mir noch mehr zu Herzen als Deine Freuden.«

Ich versiegelte den Brief so, daß das Geldstück unter dem Siegel ganz unbemerkbar war; dann gab ich der Frau Geld, wobei ich ihr sagte, die gleiche Belohnung würde sie jedesmal erhalten, wenn sie mir einen Brief von meiner Freundin brächte. Als sie eine Zechine in ihrer Hand erblickte, fing die gute Frau vor Freuden zu weinen an; sie sagte mir, für sie gäbe es keine Klausur und sie könnte daher den Brief dem Fräulein geben, sobald sie mit ihr allein wäre.

Der Zettel, den C. C. der Frau zugleich mit dem Brief übergeben hatte, lautete folgendermaßen: »Der liebe Gott hat mir den Gedanken eingegeben, mich an Euch, gute Frau, zu wenden und nicht an eine andere. Bestellt diesen Brief an seine Adresse und wenn die betreffende Person nicht in Venedig ist, so bringt ihn mir wieder. Ihr müßt der Person den Brief zu eigenen Händen übergeben und wenn Ihr sie findet, so werdet Ihr sofort eine Antwort erhalten, die Ihr mir erst dann übergeben dürft, wenn Ihr sicher seid, nicht beobachtet zu werden.«

Die Liebe ist nur in der Hoffnung auf Genuß unvorsichtig; aber wenn es sich darum handelt, die Wiederkehr eines durch einen Unfall zerstörten Glückes herbeizuführen, so ist die Liebe so scharfsinnig, daß sie die kleinsten Umstände voraussieht. Der Brief meiner reizenden Frau bereitete mir die größte Freude; im Nu wandelte sich der tiefste Kummer zur höchsten Wonne. Ich war nun sicher, sie entführen zu können, und wären selbst die Mauern ihres Klosters mit Kanonen bestückt. Als die Botin fort war, dachte ich vor allem daran, wie ich die sieben Tage, die bis zum Empfang des zweiten Briefes vergehen mußten, am besten verbringen könnte. Nur das Spiel konnte mir Zerstreuung bringen, und alle meine Bekannten waren in Padua. Ich ließ meinen Koffer packen und sofort zum Burchiello bringen, der eben abfahren sollte. Ich selber fuhr nach Fusine und ritt von dort mit verhängten Zügeln nach Padua, wo ich in kaum drei Stunden vor dem Palazzo Bragadino eintraf. Mein teurer Beschützer kam im nämlichen Augenblick zum Mittagessen nach Hause. Er umarmte mich zärtlich und sagte, als er sah, daß ich ganz naß von Schweiß war: »Ich bin überzeugt, du hast es gar nicht so eilig.« – »Nein,« antwortete ich, »aber ich habe einen Bärenhunger.« Das brüderliche Dreiblatt freute sich von ganzem Herzen mich wiederzusehen, besonders als ich ihnen sagte, daß ich sechs Tage bei ihnen bleiben würde. De la Haye speiste mit uns; unmittelbar nach Tisch schloß er sich mit Herrn Dandolo ein, und sie waren zwei Stunden lang beisammen. Ich hatte mich während dieser Zeit schlafen gelegt, und Herr Dandolo kam an mein Bett, um mir zu sagen, ich sei gerade zur rechten Zeit angekommen, um wegen einer Angelegenheit, die ihn ganz persönlich betreffe, unser Orakel zu befragen. Er gab mir die Fragen und bat die Antworten darauf herauszubringen. Er wollte wissen, ob er gut daran tue, auf den Plan einzugehen, den de la Haye ihm vorgeschlagen habe.

Die Antwort des Orakels lautete verneinend.

Uberrascht stellte Herr Dandolo eine zweite Frage. Er fragte, welche Gründe den Geist Paralis zu seinem abschlägigen Bescheid bewögen.

Ich baute die kabbalistische Zahlenpyramide und ließ daraus folgende Antwort hervorgehen: »Ich wollte Casanovas Meinung wissen, und da diese gegen de la Hayes Vorschlag war, so will ich von der Sache nichts mehr wissen.«

Wie mächtig sind doch die Einbildungen! Der gute Mann freute sich, daß er die Schuld der Weigerung auf mich abwälzen konnte, und entfernte sich ganz befriedigt. Ich wußte nicht, worum es sich handeln mochte, und war nicht neugierig darauf; es widerstand mir nur, daß ein Jünger Loyolas sich einfallen ließ, bei meinen Freunden etwas ohne meine Vermittlung erreichen zu wollen, und ich wollte dem Intriganten bemerkbar machen, daß mein Einfluß größer war als der seinige.

Hierauf zog ich mich an und ging in die Oper, wo ich mich an einen Pharaotisch setzte und all mein Geld verlor. Das Glück wollte mich immer noch fühlen lassen, daß es nicht immer mit der Liebe im Einklang ist. Meine Lage machte mir das Herz schwer; kummervoll ging ich zu Bett. Beim Erwachen sah ich de la Haye mit strahlender Miene vor mir stehen; mit dem Ausdruck der ergebensten Freundschaft versicherte er mir in übertriebener Weise, daß er die innigsten Gefühle für mich hege. Ich wußte, woran ich war, und wartete ruhig ab, wie sich die Sache weiter entwickeln würde.

»Mein lieber Freund,« sagte er endlich, »aus welchem Grunde haben Sie Herrn Dandolo überredet, nicht auf meinen Vorschlag einzugehen?«

»Was haben Sie ihm denn vorgeschlagen?«

»Das wissen Sie ja.«

»Wenn ich’s wüßte, würde ich Sie nicht danach fragen.«

»Er hat mir selber gesagt, Sie hätten ihm abgeraten.«

»Daß ich ihm abgeraten habe, will ich zugeben; aber ich habe ihn keineswegs von seinem Entschluß abgebracht; denn wenn er entschlossen gewesen wäre, hätte er nicht nötig gehabt, mich um Rat zu fragen.«

»Wie Sie wollen. Aber darf ich Sie bitten, mir Ihre Gründe anzugeben?«

»Sagen Sie mir erst, worum es sich handelt.«

»Hat er es Ihnen nicht selber gesagt.«

»Das kann wohl sein. Aber wenn Sie wünschen, daß ich Ihnen meine Gründe sage, muß ich alles aus Ihrem Munde erfahren, denn er hat mit mir unter dem Siegel der Verschwiegen^ ge^ sprachen.«

»Was soll diese Zurückhaltung?«

»Jeder hat seine Grundsätze und seine Anschauungsweise. Ich habe von Ihnen eine zu gute Meinung, um nicht zu glauben, daß Sie es genau so machen würden wie ich; denn mir dünkt, ich habe Sie sagen hören, in geheimen Angelegenheiten müsse man sich vor Überrumpelungen sicherstellen.«

»Ich bin nicht der Mann, einen Freund zu überrumpeln; aber im allgemeinen betrachtet, gebe ich zu, ist Ihr Grundsatz gut. Ich liebe Vorsicht. Nun also, es handelt sich um folgendes. Wie Sie wissen, ist Frau Tripolo Witwe geblieben und Herr Dandolo macht ihr angelegentlich den Hof, wie es schon zu Lebzeiten ihres Gatten zehn Jahre lang geschah. Die noch junge, schöne und frische Dame, die übrigens sehr anständig lebt, wünscht nun seine Frau zu werden. Sie hat sich mir anvertraut, und da ich diese Vereinigung nur für sehr lobenswert halten kann, sowohl vom weltlichen wie vom religiösen Standpunkt – denn wir sind ja alle Menschen, wie Sie wissen – so habe ich mich mit aufrichtigem Vergnügen der Sache angenommen. Ich glaube sogar bemerkt zu haben, daß Herr Dandolo diesem Heiratsplan geneigt war, als er mir sagte, er würde mir heute seine Antwort mitteilen. Ich wundere mich durchaus nicht, daß er Sie wegen der Angelegenheit um Rat gefragt hat, denn ein vorsichtiger Mann tut gut daran, einen verständigen Freund zu befragen, bevor er sich zu einem entscheidenden Schritt von solcher Wichtigkeit entschließt. Ich will Ihnen jedoch offen sagen, daß es mich erstaunt hat, wie eine solche Heirat nicht Ihre Billigung findet. Entschuldigen Sie, wenn ich zu meiner Aufklärung den Wunsch äußere, zu erfahren, warum Sie anderer Ansicht sind als ich.«

Ich war hocherfreut, alles entdeckt zu haben, und gerade noch zur rechten Zeit gekommen zu sein, um meinen Freund, der die Güte selber war, von einer höchst lächerlichen Heirat zurückzuhalten. Ich antwortete meinem Tartüff, ich hätte Herrn Dandolo lieb und wäre, da ich dessen Temperament kennte, überzeugt, daß eine Heirat mit einer Frau wie Signora Tripolo sein Leben verkürzen würde. »Und darum werden Sie zugeben, daß ich als aufrichtiger Freund ihm abraten mußte. Erinnern Sie sich nicht, mir gesagt zu haben, daß derselbe Grund Sie davon abgehalten habe, sich zu verheiraten? Erinnern Sie sich nicht, daß Sie mir gegenüber in Parma sehr lebhaft zugunsten des Zölibats eintraten. Beachten Sie auch, bitte, daß jeder Mensch ein bißchen eigennützig ist, und daß auch ich dies ein bißchen sein und daher wohl daran denken darf, daß Herrn Dandolos Frau einen gewissen Einfluß auf ihn ausüben würde, und daß alles, was sie in dieser Hinsicht gewinnen würde, für mich einen Verlust zu bedeuten hätte. Sie sehen also wohl, daß es nicht natürlich wäre, wenn ich ihm zu einem Schritt raten würde, der ganz und gar zu meinem Nachteil wäre. Wenn Sie mir nachweisen können, daß die von mir angeführten Gründe nichtig oder sophistisch sind, so sprechen Sie. Dann werde ich Herrn Dandolo gegenüber alles zurücknehmen, was ich gesagt habe; Signora Tripolo wird nach unserer Rückkehr nach Venedig seine Frau werden; aber ich sage Ihnen vorher, ich ergebe mich nur, wenn Sie schlagende Beweise anführen können.«

»Ich halte mich nicht für stark genug, Sie überzeugen zu können. Ich werde an Frau Tripolo schreiben, daß sie sich an Sie wenden muß.«

»Schreiben Sie ihr das lieber nicht, denn sie würde glauben, Sie wollten sich über sie lustig machen. Glauben Sie denn, sie sei so dumm, um sich einbilden zu können, daß ich auf ihre Wünsche eingehen würde? Sie weiß, daß ich sie nicht liebe.«

»Woher sollte sie denn wissen, daß Sie sie nicht lieben?«

»Sie muß bemerkt haben, daß ich niemals den Wunsch hatte, mich von Herrn Dandolo bei ihr einführen zu lassen. Merken Sie sich: solange ich mit den drei Freunden zusammenlebe, werden sie keine Frau haben. Sie selber mögen sich verheiraten, soviel Sie Lust haben; ich verspreche Ihnen, Ihre Pläne nicht zu durchkreuzen; aber wenn Sie wünschen, daß wir Freunde bleiben, so geben Sie den Plan auf, mir meine Freunde zu verführen.«

»Sie sind heute morgen sehr bissig!«

»Ich hahe diese Nacht all mein Geld verloren.«

»Da habe ich also einen ungünstigen Zeitpunkt erwischt. Adieu!«

Von diesem Tage an wurde de la Haye mein geheimer Feind, und er hat nicht wenig dazu beigetragen, mich zwei Jahre später unter die Bleidächer zu bringen, nicht etwa durch Verleumdungen – (denn ich glaube nicht, daß er, obgleich Jesuit, dessen fähig war; auch bei diesen Leuten findet man zuweilen Charakter) –, wohl aber durch mystische Bemerkungen frommen Leuten gegenüber. Ich glaube meine Leser darauf aufmerksam machen zu müssen, daß sie meine Erinnerungen lieber nicht lesen sollen, wenn sie derartige Leute gern haben; denn auf solches Gezücht Rücksichten zu nehmen, bin ich nicht der Mann. Von der schönen Heirat war nicht mehr die Rede. Herr Dandolo ging nach wie vor alle Tage zu seiner schönen Witwe, und ich ließ mir durch mein Orakel verbieten, jemals ihr Haus zu betreten.

Im Augenblick, wo de la Haye mich verließ, kam ein junger Mailänder, Don Antonio Croce, zu mir zum Besuch. Ich hatte ihn in Reggio kennen gelernt; er war ein großer Spieler und abgefeimter Verbesserer widrigen Glücks. Er sagte mir, er habe mich mein Geld verlieren sehen und wolle mir einen Vorschlag machen, wie ich meinen Verlust wieder einbringen könne. Ich solle mich zur Hälfte an einer Bank beteiligen, die er in seiner Wohnung halten wolle; als Spieler habe er sieben oder acht reiche Ausländer zur Hand, die seiner Frau den Hof machten. »Du gibst mir dreihundert Zechinen in meine Bank und hilfst mir als Croupier. Ich habe ebenfalls dreihundert Zechinen, aber die genügen nicht, denn wir haben mit starken Spielern zu tun. Komm zu mir zum Essen; da wirst du ihre Bekanntschaft machen. Morgen ist Freitag, da können wir spielen, weil die Oper geschlossen ist. Verlaß dich darauf, wir werden Geld gewinnen, denn einem Schweden, namens Gilenspetz, können wir allein zwanzig tausend Zechinen abnehmen.

Ich hatte keine Hilfe zu erwarten oder konnte sie wenigstens nur von Herrn von Bragadino erhoffen, und an diesen mich zu wenden, schämte ich mich. Ich fühlte wohl, daß Croces Vorschlag im strengeren Sinne nicht moralisch war und daß ich mich wohl in besserer Gesellschaft hätte befinden können. Aber wenn ich seinen Antrag abgelehnt hätte, so wären darum die Börsen von Signora Croces Anbetern nicht weniger schlecht behandelt worden: ein anderer hätte sich die Konjunktur zunutze gemacht. Meine sittlichen Begriffe waren nicht streng genug, um mich zu veranlassen, ihm meine Beihilfe als Adjutant zu verweigern und meinen Anteil am Kuchen auszuschlagen. Ich nahm also seine Einladung zum Essen an.

Sechzehntes Kapitel


Ich komme wieder zu Gelde. – Mein Abenteuer in Dolo. – Analyse eines langen Briefes von meiner Freundin. – Übler Streich, den P. C. mir in Vicenza spielt. – Tragikomischer Aufritt im Gasthof.

Da nun einmal die Not, diese herrische Gebieterin und meine einzige Entschuldigung, mich so ziemlich zum Teilhaber eines Schnapphahns gemacht hatte, blieb nur noch die Schwierigkeit, die erforderlichen dreihundert Zechinen aufzutreiben; ehe ich jedoch hiermit mich beschäftigte, wollte ich erst die zum Rupfen ausersehenen Opfer und das Idol, an das sie ihre Huldigungen richteten, kennen lernen. Croce führte mich nach dem Prato della valle, wo wir im Kaffeehause die gnädige Frau von einem Kreise fremder Herren umringt fanden. Sie war hübsch; da jedoch ein Sekretär des kaiserlichen Gesandten Grafen Rosenberg sich ihr angeschlossen hatte, so wagte kein venetianischer Nobile sich in ihre Nähe. Die Herren, für die ich mich zu interessieren hatte, waren der Schwede Gilenspetz, der Engländer Mendex, von dem ich schon gesprochen habe, ein Hamburger und drei oder vier andere, auf die Croce mich aufmerksam machte.

Wir hatten ein ausgezeichnetes Essen, und nach der Mahlzeit verlangten alle Gäste eine Pharaobank; aber Croce ließ sich nicht darauf ein; dies überraschte mich, denn als geschickter Spieler hätte er mit dreihundert Zechinen das Glück schon auf die Probe stellen können. Die Sache war mir verdächtig; er ließ mich jedoch nicht lange in der Ungewißheit, sondern führte mich in sein Kabinett und zeigte mir fünfzig doblones da ocho; dies machte mehr als dreihundert Zechinen3. Als ich sah, daß der Glücksverbesserer mich nicht aufs Korn genommen hatte, um mich zu prellen, sagte ich ihm, ich würde die Summe beschaffen, und sofort lud er alle Anwesenden für den nächsten Tag zum Abendessen ein. Wir verabredeten, daß wir jeden Abend teilen wollten und daß er unbare Sätze nicht halten dürfte.

Ich mußte also das Geld auftreiben, aber an wen sollte ich mich wenden? Ich wußte niemand, den ich darum hätte bitten können, außer Herrn von Bragadino. Der gute und großmütige alte Herr besaß die Summe nicht, denn seine Kasse war wie gewöhnlich leer; aber er fand einen Wucherer – zum Verderben der Jugend fehlt es ja leider nie an diesem Gezücht – und dieser gab mir auf einen von ihm mitunterzeichneten Schuldschein tausend venetianische Dukaten zu fünf Prozent monatlich; die Zinsen für den ersten Monat zog er sich gleich ab. Es war gerade die Summe, die ich brauchte.

Ich fand mich zum Abendessen ein; Croce hielt bis zum Morgengrauen die Bank, und wir teilten uns sechzehn hundert Zechinen. Am nächsten Tage wurde wieder gespielt; Gilenspetz allein verlor zweitausend Zechinen, der Jude Mendex tausend. Dem Sonntag zu Ehren wurde eine Pause gemacht, aber am Montag gewann die Bank viertausend Zechinen. Am Dienstag speisten wir alle zusammen und gleich nach dem Essen begann wieder das Spiel; kaum aber waren ein paar Abzüge gemacht, da trat ein Polizeigefreiter des Podesta ein und sagte zu Croce, er habe Befehl, mit ihm zwei Worte unter vier Worte zu sprechen. Sie gingen miteinander hinaus; kurz darauf kam Croce mit etwas bestürztem Gesicht wieder herein und sagte uns, er habe soeben Befehl erhalten, nicht mehr in seiner Wohnung Bank zu halten. Die Schöne sank in Ohnmacht, die Spieler drückten sich, und ich folgte ihrem Beispiele, nachdem ich die Hälfte des auf dem Tische liegenden Goldes eingesteckt hatte. Ich hatte Furcht, es könnte noch schlimmer kommen; darum entfernte ich mich. Beim Abschied sagte Croce mir, wir würden uns in Venedig wiedersehen, denn er hätte Befehl erhalten, binnen vierundzwanzig Stunden den Ort zu verlassen. Ich war darauf gefaßt, denn er war allzubekannt; sein größtes Verbrechen aber war in den Augen des Podesta, daß er den Spielern ihr Geld abnahm, denn man wünschte, daß sie es ins Foyer der Oper trugen, wo die meisten Bankhalter venetianische Nobili waren.

Bei abscheulichem Wetter ritt ich nach Einbruch der Nacht mit verhängten Zügeln davon; nichts hätte mich zurückhalten können, denn frühmorgens am nächsten Tage sollte ich einen Brief von meiner lieben Eingesperrten erhalten. Sechs Meilen vor Padua stürzte mein Pferd, und mein linkes Bein lag unter seinem Leibe. Ich hatte weiche Stiefel an und fürchtete mich verletzt zu haben. Der Postillon, der vor mir her ritt, hatte das Geräusch des Sturzes gehört; er eilte herbei und befreite mich; ich war unversehrt, aber mein Pferd war lahm. Ich machte von meinem Recht Gebrauch und bestieg das Pferd des Postillons, aber der unverschämte Kerl packte es am Gebiß und wollte mich nicht weiter reiten lassen. Ich suchte ihm klar zu machen, daß er im Unrecht sei, aber er wollte keine Vernunft annehmen und ließ mich nicht los. Da ich Eile hatte, nach Venedig zu kommen, brannte ich einen Pistolenschuß auf ihn los, traf ihn jedoch nicht; erschrocken lief er weg, und ich ritt Hals über Kopf davon. In Dolo angekommen, ging ich in den Stall und sattelte eigenhändig ein Pferd, das der Postillon, dem ich einen Taler geschenkt hatte, mir als vorzüglich bezeichnete. Man fand nichts dabei, daß mein anderer Postillon zurückgeblieben war, und wir ritten ab.

Es war ein Uhr nachts; von dem Gewitterregen waren die Wege grundlos geworden, und es war so finster, daß man keine zwei Schritte weit sah. Der Morgen begann zu dämmern, als ich in Fusine ankam.

Die Bootsknechte sagten mir, es werde ein neues Unwetter geben; ich aber trotzte jeder Gefahr, bestieg einen vierrudrigen Schleppkahn und kam heil und gesund, aber auch bis auf die Knochen durchnäßt, bei mir zu Hause an. Ich war noch keine Viertelstunde da, als die Botenfrau von Murano mir einen Brief übergab; sie sagte, in zwei Stunden würde sie wiederkommen, um die Antwort abzuholen. Der Brief war ein sieben Seiten langes Tagebuch, dessen wortgetreue Wiedergabe den Leser vielleicht langweilen würde; ich gebe daher nur einen Auszug.

Nach der Unterredung mit Herrn von Bragadinò war C. C.’s Vater nach Hause gekommen, hatte Mutter und Tochter in sein Zimmer beschieden und hatte meine Geliebte freundlich gefragt, wo sie mich kennen gelernt hätte. Sie antwortete ihm, sie habe vier- oder fünfmal auf dem Zimmer ihres Bruders mit mir gesprochen: dort habe ich sie gefragt, ob sie damit einverstanden sei, meine Frau zu werden, und sie habe darauf geantwortet, dies hänge von ihrem Vater und von ihrer Mutter ab. Ihr Vater hatte darauf gesagt, sie sei noch zu jung, um ans Heiraten denken zu können; außerdem sei ich noch nicht in selbständiger Lage. Nachdem er diesen Machtspruch getan, ging er in das Zimmer seines Sohnes und verschloß die kleine Tür, desgleichen die zum Zimmer der Mutter führende Verbindungstür. Seiner Tochter befahl er, mir sagen zu lassen, sie sei aufs Land gegangen, falls ich bei ihr vorsprechen sollte, um ihr einen Besuch zu machen.

Zwei Tage später suchte er sie auf und fand sie am Krankenbett ihrer Mutter sitzen. Er sagte ihr, ihre Muhme würde sie ins Kloster bringen, und dort würde sie als Pensionärin bis zu dem Augenblick bleiben, wo sie aus den Händen ihrer Eltern einen Gatten empfinge. Sie hatte ihm geantwortet, sie unterwerfe sich vollständig seinem Willen und gehorche ihm mit Freuden. Erfreut über ihre Gefügigkeit, versprach ihr Vater ihr, sie zu besuchen, und versicherte ihr, ihre Mutter werde ebenfalls kommen, sobald sie wieder gesund sei. Man hatte ihr ihr Bett und ihre Kleider ins Kloster geschickt; sie war sehr zufrieden mit ihrem Zimmer und mit der Nonne, der sie zugewiesen war und zu gehorchen hatte. Sie hatte ihr unter Androhung des päpstlichen Bannfluches, der ewigen Verdammnis und etlicher anderer Kleinigkeiten verboten, Briefe oder Besuche zu empfangen oder an irgend einen Menschen zu schreiben; indessen hatte ebendieselbe Nonne ihr Bücher, Papier und Tinte gegeben, und bei Nacht überschritt meine Freundin die Klosterregeln, indem sie mir alle diese Einzelheiten aufschrieb. Sie teilte mir mit, sie halte die Botin für verschwiegen und treu und sie glaube, daß sie es bleiben werde, denn sie sei arm und meine Zechinen seien ein kleines Vermögen für sie.

Sie schrieb mir in scherzhaften Ausdrücken, die schönste von allen Nonnen des Klosters sei rasend in sie verliebt; sie gebe ihr täglich zweimal Unterricht in der französischen Sprache und habe ihr freundschaftlich verboten, Bekanntschaften mit den anderen Pensionärinnen anzuknüpfen. Diese Nonne sei erst zweiundzwanzig Jahre alt, sie sei schön, reich und freigebig; alle anderen Nonnen seien sehr rücksichtsvoll gegen sie. »Wenn wir allein sind,« – so schrieb mir meine Freundin – »gibt sie mir so zärtliche Küsse, daß du eifersüchtig auf sie werden würdest, wenn sie nicht ein Weib wäre.« Uber den Entführungsplan schrieb sie nur, sie halte die Ausführung desselben nicht für schwierig; doch müsse die Vorsicht uns raten, so lange zu warten, bis sie sich genügend mit der Örtlichkeit vertraut gemacht habe; bis jetzt kenne sie diese erst unvollkommen. Sie ermahnte mich zur Treue, als einer Bürgschaft der Beständigkeit, und bat mich schließlich, ihr mein Bildnis in einem Ring zu schenken, doch solle es geheim angebracht sein, so daß außer uns kein Mensch davon wisse. Ich könnte ihr den Ring durch ihre Mutter zukommen lassen; diese sei wieder genesen und gehe jeden Tag zur ersten Messe in ihre Pfarrkirche. Ihre gute Mutter werde hocherfreut sein, mich wiederzusehen, und werde alles tun, was ich von ihr verlangen könnte. »Übrigens«, so schloß sie, »hoffe ich binnen einigen Monaten in einem Zustande zu sein, der dem Kloster Ärgernis bereiten soll, wenn man mich durchaus nicht hinauslassen will.«

Ich war grade mit meiner Antwort fertig, als die Botin Laura wieder kam, um sie abzuholen. Nachdem ich ihr die versprochene Zechine geschenkt hatte, gab ich ihr ein Paket mit Siegellack, Papier, Federn und Feuerzeug. Sie versprach es an meine Schöne zu bestellen. Meine Freundin hatte ihr gesagt, ich sei ihr Vetter, und Laura tat, als glaubte sie es.

Da ich nicht wußte, was ich in Venedig anfangen sollte, und überdies der Meinung war, meine Ehre erforderte, daß ich mich in Padua sehen ließe, weil man sonst glauben könnte, ich hätte denselben Ausweisungsbefehl erhalten, wie Croce, frühstückte ich in aller Eile und nahm dann einen gestempelten Fahrschein bei der römischen Post. Denn ich rechnete damit, daß mein Pistolenschuß und das gelähmte Pferd die Posthalter vielleicht unmutig gemacht hätten; aber sie konnten mir, falls überhaupt Pferde vorhanden waren, diese nicht verweigern, sobald ich meinen Stempelschein vorzeigte. In bezug auf den Pistolenschuß hatte ich keine Angst, denn ich hatte den unverschämten Postillon absichtlich gefehlt; und selbst wenn ich ihn zur Strecke gebracht hätte, so wäre weiter nichts dabei gewesen. In Fusine nahm ich einen zweirädrigen Wagen, denn ich war so ermüdet, daß ich nicht hätte reiten können. So kam ich nach Dolo, wo man mich wiedererkannte und mir Pferde verweigerte. Ich machte Lärm, der Posthalter kam heraus und drohte mir, er würde mich verhaften lassen, wenn ich ihm nicht das von mir zu Schanden gerittene Pferd bezahlte. Ich antwortete ihm, wenn das Pferd tot wäre, so würde ich mit dem Posthalter in Padua darüber abrechnen; er aber hätte mir unverzüglich frische Pferde zu liefern. Mit diesen Worten zeigte ich ihm den respekteinflößenden Stempelschein. Bei dessen Anblick stimmte er den Ton bedeutend herab; doch sagte er, wenn er mir auch Pferde gäbe, so würde mir das nichts nützen, denn ich hätte den Postillon so schlecht behandelt, daß niemand mich würde begleiten wollen. „Nun, dann werden Sie selber mich begleiten!“ rief ich. Er antwortete mir nicht, sondern lachte mir ins Gesicht und drehte mir den Rücken. Ich nahm zwei Zeugen und begab mich zu einem Notar, der ein Protokoll aufnahm, worin ich den Posthalter aufforderte, mir bei Buße von zehn Zechinen für jede Stunde Verzögerung sofort Pferde zu liefern.

Der Postmeister war ohne Zweifel darauf bereits vorbereitet, denn sowie er von meinem Schriftstück Kenntnis genommen hatte, ließ er zwei wilde Pferde aus dem Stall bringen. Ich sah, daß er den Vorsatz hatte, mich unterwegs umzuwerfen, vielleicht sogar in den Fluß zu stürzen; aber ich sagte ganz kaltblütig zum Postillon, im selben Augenblick, wo er mich umwürfe, würde ich ihm eine Pistolenkugel durch den Kopf schießen; voller Angst führte er seine Pferde wieder in den Stall und erklärte seinem Herrn, er würde mich nicht fahren. Im selben Augenblick erschien ein Kurier und verlangte sechs Wagenpferde und zwei Reitpferde.

Ich bedeutete dem Postmeister, daß niemand vor mir abreisen würde; sollte er Widerstand leisten wollen, so würde es zum Blutvergießen kommen; um die Drohung wirksamer zu machen, zog ich meine Pistolen hervor. Der Mann fluchte und wetterte. Da aber alle Anwesenden ihm unrecht gaben, so entfernte er sich.

Fünf Minuten später kam auf einmal Croce in einer schönen Berline mit seiner Frau, einer Kammerjungfer und zwei Lakaien in großer Livree. Er stieg aus, wir umarmten uns, und ich sagte ihm mit betrübter Miene, er dürfe nicht vor mir weiterreisen.

Ich erzählte ihm den Fall, er gab mir recht und schimpfte wie ein großer Herr, daß alles vor Furcht zitterte und bebte. Der Posthalter war verschwunden; seine Frau aber kam und befahl, mich zu bedienen. Inzwischen hatte Croce mir gesagt, ich täte gut daran, mich in Padua zu zeigen, denn dort ginge das Gerücht, ich wäre auf höheren Befehl abgereist. »Man hat außer mir auch Herrn de Goudoin, Oberst in modenesischen Diensten, ausgewiesen, weil er in seiner Wohnung Bank hielt.« Ich versprach ihm, im Laufe der nächsten Woche ihn zu besuchen; er war im Augenblick meiner Not gleichsam vom Himmel herab erschienen, um mir zu helfen. Er hatte an vier Spielabenden zehntausend Zechinen gewonnen, von denen ich die Hälfte erhielt. Schleunigst bezahlte ich meine Schulden und löste alle versetzten Wertsachen aus. Der Spitzbube hatte mir Glück gebracht, denn von Stund an verschwand das Pech, das sich bis dahin an meine Fersen geheftet hatte.

Ich kam glücklich in Padua an, und der Postillon, der mich, vielleicht aus Angst, ausgezeichnet gefahren hatte, war mit mir zufrieden. Ich beschenkte ihn reichlich, weil ich mit derartigen Leuten nicht in Unfrieden leben wollte. Meine drei Freunde waren über meine Ankunft hocherfreut, denn meine eilige Abreise hatte sie sehr beunruhigt. Herr von Bragadino freilich hatte sich keine Sorgen gemacht, denn ich hatte ihm den Tag vor meinem Fortgehen meine Kassette übergeben; seine beiden Freunde dagegen glaubten an das in der Stadt umgehende Gerücht, daß der Podestà auch mir den Ausweisungsbefehl geschickt hätte. Sie hatten nicht bedacht, daß man gegen mich als venetianischen Bürger nicht eine derartige Zwangsmaßregel anwenden konnte, ohne sich den höheren Behörden gegenüber verantwortlich zu machen.

Ich war müde; aber anstatt mich ins Bett zu legen, machte ich große Toilette und ging unmaskiert in die Oper. Ich sagte meinen Freunden, ich müsse mich zeigen, um das Geschwätz der bösen Zungen Lügen zu strafen. De la Haye bemerkte: »Ich freue mich außerordentlich, wenn alles, was man sich erzählt hat, unwahr ist; aber Sie haben ganz alleine Schuld, denn Ihre übereilte Abreise lieferte reichlichen Stoff zu Mutmaßungen.«

»Und zur Verleumdung…«

»Das kann sein ; aber das Publikum will alles wissen, und was es nicht erraten kann, erfindet es.«

»Und Dummköpfe und Böswillige beeifern sich, diese Erfindungen zu verbreiten.«

»Es steht aber doch fest, daß Sie den Postillon haben erschießen wollen. Ist das auch eine Verleumdung?«

»Die größte von allen! Glauben Sie, eine sichere Hand könne unabsichtlich einen Mann auf Armlänge fehlen?«

»Das ist freilich schwer denkbar; aber soviel ist doch mindestens gewiß, daß das Pferd tot ist und daß Sie es bezahlen werden.«

»Nein. Nicht einmal, wenn es Ihr Pferd wäre, brauchte ich es zu bezahlen, denn der Postillon ritt vor mir. Sie wissen doch so viel – kennen Sie denn nicht die Postvorschrift? Übrigens war ich in Eile, denn ich hatte einer hübschen Frau versprochen, heute morgen mit ihr zu frühstücken, und eine solche Zusage darf man nicht brechen, wie Sie wohl wissen.«

Herr de la Haye schien sich ein wenig verletzt zu fühlen durch die etwas beißende Ironie, mit der ich dieses Zwiegespräch würzte. Er war aber noch viel tiefer verletzt, als ich eine Rolle Zechinen aus der Tasche zog und ihm die Summe zurückgab, die er mir in Wien geliehen hatte. Man ist nie so schlagfertig, wie wenn man eine gutgespickte Börse in der Tasche hat; dann findet man so leicht das rechte Wort, es sei denn, daß man von einer stürmischen Leidenschaft umnebelt ist. Herr von Bragadino fand meine Absicht, mich unmaskiert in der Oper zu zeigen, sehr gut.

Als ich im Parterre erschien, machte alles erstaunte Gesichter, und eine Menge von Leuten beglückwünschte mich, vielleicht aufrichtig, vielleicht auch nicht. Nach dem ersten Ballett ging ich in den Spielsaal und gewann in vier Taillen fünfhundert Zechinen.

Halbtot vor Hunger und Müdigkeit ging ich nach Hause, um meinen Sieg bei den drei Freunden auszuposaunen. Freund Bavois, der grade da war, benutzte die Gelegenheit, um von mir fünfzig Zechinen zu borgen, die er mir niemals wiedergegeben hat; billigerweise muß ich allerdings sagen, daß ich sie niemals von ihm verlangt habe.

Meine Gedanken waren stets mit meiner geliebten C. C. beschäftigt, und ich brachte den ganzen nächsten Tag damit zu, von einem geschickten Piemonteser Maler, der damals auf der Durchreise in Padua war und später in Venedig viel Geld verdiente, mein Miniaturbildnis malen zu lassen. Als dieses Porträt fertig war, malte er mir in der gleichen Größe eine hübsche Heilige Katharina, und ein geschickter Juwelier aus Venedig machte mir einen Ring von ganz ausgezeichneter Arbeit. Im Kasten war nur die Heilige sichtbar, aber ein fast unbemerkbarer blauer Punkt auf dem weißen Emailgrunde entsprach einer Feder, die mein Bild erscheinen ließ, sobald man mit einer Nadelspitze auf den Punkt drückte.

Am Freitag wurde mir in dem Augenblick, wo wir vom Tisch aufstanden, ein Briefchen übergeben. Zu meiner großen Überraschung erkannte ich P. C.’s Handschrift. Er teilte mir mit, ich möchte ihn im Gatsthof zum Stern aufsuchen; er hätte eine Nachricht für mich, die mich sehr interessieren würde. Da ich dachte, es könnte wohl etwas sein, das seine Schwester beträfe, so ging ich sofort hin.

Ich fand ihn mit Frau C. zusammen; nachdem ich ihm zu seiner Befreiung Glück gewünscht hatte, fragte ich ihn, was er mir denn mitzuteilen hätte. »Ich weiß bestimmt,« sagte er, »daß meine Schwester in einem Kloster ist, und ich werde Ihnen den Namen dieses Klosters sagen können, sobald ich wieder in Venedig bin.« Ich tat, als wüßte ich von gar nichts, und sagte ihm: »Sie werden mich sehr verbinden.«

Aber diese Neuigkeit war nur ein Vorwand gewesen, um mich zu einem Besuch bei ihm zu bewegen, und sein großer Eifer hatte eine ganz andere Ursache als den Wunsch, mir zu Diensten zu sein.

»Ich habe«, sagte er, »für fünfzehntausend Gulden meinen Proviantlieferungsvertrag auf drei Jahre verkauft; der Mann, mit dem ich dieses Geschäft abgeschlossen habe, erwirkte meine Freilassung aus dem Schuldgefängnis, indem er Bürgschaft für mich leistete; außerdem gab er mir einen Vorschuß von sechstausend Gulden in Gestalt von vier Wechseln.« Er zeigte mir die Papiere, die von einer mir unbekannten Unterschrift indossiert waren, die er als sehr gut pries, und fuhr dann fort: »Ich will in Vicenza für sechstausend Gulden Seidenstoffe kaufen, und ich werde den Fabrikanten diese Wechsel in Zahlung geben. Ich bin sicher, die Stoffe sehr schnell mit einem Gewinn von zehn aufs Hundert verkaufen zu können. Kommen Sie mit uns, ich gebe Ihnen für zweihundert Zechinen Stoffe ab, und auf diese Weise haben Sie Deckung für die Bürgschaft, die Sie so freundlich waren, für meinen Ring zu leisten. In vierundzwanzig Stunden ist alles erledigt.«

Die Geschichte war nicht nach meinem Geschmack, aber ich ließ mich durch den Wunsch verblenden, für die von mir verbürgte Summe Deckung zu erhalten, denn ich sah voraus, daß ich diese früher oder später würde bezahlen müssen. »Wenn ich nicht mitgehe,« dachte ich bei mir selber, »verkauft er die Stoffe mit fünfundzwanzig Prozent Verlust, und ich bekomme gar nichts.« Ich versprach ihm also, ich würde kommen. Er zeigte mir verschiedene Empfehlungsbriefe an die ersten Häuser von Vicenza, und wir verabredeten, am nächsten Morgen in der Frühe abreisen zu wollen.

Mit Tagesanbruch war ich im Stern. Ein vierspänniger Wagen fuhr vor, der Wirt kam mit seiner Rechnung, und P. C. bat mich, zu bezahlen. Die Rechnung betrug fünf Zechinen, darunter vier, die der Wirt dem Fuhrmann bezahlt hatte, mit dem sie von Fusine gekommen waren. Ich sah, daß ich geprellt wurde, machte aber gute Miene zum bösen Spiel und bezahlte; der Schelm war natürlich ohne einen Heller von Venedig abgereist.

Wir fuhren ab und gelangten in drei Stunden nach Vicenza, wo wir im »Hut« abstiegen. Herr P. C. bestellte ein feines Mittagessen und ließ mich dann mit seiner Dame allein, um seine Fabrikanten aufzusuchen.

Als ich mit ihr unter vier Augen war, begann sie mir in liebenswürdigem Ton Vorwürfe zu machen. »Seit achtzehn Jahren schon«, sagte sie, »liebe ich Sie, denn ich sah Sie zum erstenmal in Padua, als wir neun Jahre alt waren.« Ich erinnerte mich dessen wirklich nicht; aber es stimmte. Sie war die Tochter des mit Herrn Grimani befreundeten Antiquars, der mich bei der bösen Slavonierin untergebracht hatte. Ich mußte unwillkürlich lachen, denn mir fiel ein, daß ihre Mutter mich geliebt hatte.

Nach kurzer Zeit erschienen Ladendiener und brachten Stoffe, bei deren Anblick Frau C.’s Gesicht sich erheiterte. In weniger als zwei Stunden war das ganze Zimmer voll davon, und P. C. kam mit zwei Handelsherren zurück, die er zum Essen eingeladen hatte. Frau C. glänzte durch liebenswürdige Neckereien, das Essen wurde aufgetragen, und köstliche Weine flossen in Strömen. Nachmittags wurden noch mehr Waren gebracht; P.C. einigte sich mit den Herren wegen der Preise. Aber er verlangte noch mehr Ware, und sie versprachen ihm, er solle sie am nächsten Tage erhalten, obgleich dieser ein Feiertag sei.

In der Dämmerstunde kamen die Grafen; denn in Vincenza ist jeder Adlige Graf. P. C. hatte seine Empfehlungsbriefe bei ihnen abgegeben. Es war ein Velo, ein Sesso, ein Trento – lauter sehr liebenswürdige Herren. Sie luden uns ins adlige Kasino ein und C. glänzte dort durch ihre Reize und ihre Koketterie. Nachdem wir dort zwei Stunden verbracht hatten, lud P. C. alle anwesenden Herren zum Abendessen ein; größte Fröhlichkeit herrschte an der reichbesetzten Tafel. Mir war dies alles sehr langweilig, und infolgedessen war ich nicht liebenswürdig; darum sprach denn auch kein Mensch ein Wort mit mir. Ich ließ die lustige Gesellschaft bei Tisch sitzen, stand auf und ging zu Bett. Am anderen Morgen kam ich zum Frühstück herunter. Das Zimmer war ganz vollgepfropft von Waren, und es schien mir ausgeschlossen, daß P. C. diese mit seinen sechstausend Gulden bezahlen könnte. Er sagte mir, das ganze Geschäft würde den Tag darauf in Ordnung sein und wir wären zu einem Ball eingeladen, an dem der ganze Adel teilnehmen würde.

Die Fabrikanten, mit denen er Geschäfte gemacht hatte, erschienen alle bei uns zum Essen, und das Mahl war wiederum mit größter Verschwendung hergerichtet.

Wir gingen auf den Ball; aber es dauerte nicht lange, so ärgerte ich mich ganz ernstlich, denn alle Gäste sprachen mit C. und mit P. C., der lauter fades Zeug redete. Wenn ich aber mal den Mund aufmachte, tat man, als hörte man mich nicht. Ich forderte eine Dame zum Menuett auf; sie tanzte mit mir, hielt aber dabei ihre Blicke bald nach links, bald nach rechts gewandt und ließ mich die Rolle eines Strohmanns spielen. Man trat zu einem Kontertanz an und richtete es so ein, daß ich dabei ausgeschlossen wurde; dieselbe Dame, die meine Aufforderung abgelehnt hatte, tanzte mit einem andern. Wäre ich bei guter Laune gewesen, so hätte ich mir eine derartige Behandlung nicht gefallen lassen. Aber ich warf ihr nur einen Blick voller Verachtung zu, und zog es vor, den Ball zu verlassen und zu Bett zu gehen. Ich begriff nicht, welchen Grund der Adel von Vicenza haben konnte, mich auf solche Weise zu behandeln. Vielleicht ließ man mich deshalb links liegen, weil in P. C.’s Empfehlungsbriefen mein Name nicht genannt war; aber man hätte doch die einfachen Gebote der Höflichkeit kennen müssen!

Ich fügte mich in Geduld, denn am andern Morgen sollten wir ohnehin abreisen.

Am Montag schlief das vom Ball ermüdete Pärchen bis Mittag; nach dem Essen ging P. C. fort, um die von ihm ausgesuchten Stoffe zu bezahlen.

Am Tage darauf, Dienstag, sollten wir abreisen, und in einer Art von Ahnung sehnte ich seufzend diesen Augenblick herbei. Die Grafen, die P. C. eingeladen hatte, waren entzückt von seiner Geliebten und erschienen zum Abendessen; ich vermied es jedoch, mich mit ihnen zu Tisch zu setzen.

Dienstag früh wurde mir gemeldet, das Frühstück sei aufgetragen. Ich verspätete mich ein bißchen, der Kellner kam noch einmal und sagte mir, meine Frau Gemahlin bitte mich, ich möchte mich beeilen. Beim Wort Gemahlin gab ich dem armen Kerl eine tüchtige Ohrfeige; in meiner Wut verfolgte ich ihn mit Fußtritten die ganze Treppe hinunter; in vier Sprüngen war er unten, auf die Gefahr hin sich den Hals zu brechen! Wütend stürzte ich in das Zimmer, wo ich erwartet wurde, und fragte P. C., welcher Lump mich im Gasthof für den Gatten der gnädigen Frau ausgegeben habe. Er antwortete mir, er wisse nichts davon, aber im selben Augenblick kam der Wirt mit einem großen Messer in der Hand herein und fragte mich zornig, warum ich seinen Kellner die Treppe heruntergeworfen hätte. Schnell ergriff ich ein Pistol, legte auf ihn an und forderte ihn gebieterisch auf, mir zu sagen, wer mich in seinem Gasthof für den Gatten der Dame ausgegeben habe. Der Wirt erwiderte: »Herr Hauptmann P. C. selber hat es so ins Fremdenbuch eintragen lassen.« Kaum hörte ich dies, so packte ich den Unverschämten am Kragen und stieß ihn kräftig gegen die Wand; wäre nicht der Wirt dazwischen gekommen, so hätte ich ihm mit dem Pistolenkolben den Schädel zerschmettert. Die Schöne tat, als fiele sie in Ohnmacht – Damen von ihrer Sorte haben ja stets Tränen und Ohnmachtsanfälle bei der Hand; dabei schrie der elende P. C. fortwährend: »Es ist nicht wahr! Es ist nicht wahr!«

Der Wirt lief hinaus und holte sein Fremdenbuch, hielt es mit wütendem Blick dem Feigling unter die Nase und forderte ihn auf, noch einmal zu sagen, daß nicht er selber diktiert hätte: P. C., kaiserlicher Hauptmann mit Herrn und Frau Casanova. Der Bursche antwortete, er habe ihn falsch verstanden, worauf der Wirt ihm das Buch so stark ins Gesicht schlug, daß er ganz betäubt gegen die Wand taumelte.

Als ich sah, daß der elende Feigling sich diese erniedrigende Behandlung gefallen ließ, ohne daran zu denken, daß er einen Degen an der Seite trug, ging ich hinaus, indem ich den Wirt bat, mir eine zweispännige Kalesche nach Padua zu besorgen. Schamrot und wutschnaubend ging ich auf mein Zimmer; zu spät erkannte ich den ungeheuren Fehler, den ich begangen hatte, indem ich mich mit einem Halunken einließ. In aller Eile packte ich meinen Handkoffer Ich wollte grade gehen, als die C. in mein Zimmer trat. »Gehen Sie!« sagte ich zu ihr; »ich könnte in meiner Wut die Achtung vergessen, die ich Ihrem Geschlecht schuldig bin.«

Unter strömenden Tränen warf sie sich auf einen Stuhl und flehte mich an ihr zu verzeihen; sie versicherte mir, sie sei unschuldig, denn sie sei nicht dabei gewesen, als der Schelm seine Angaben gemacht habe. Die Frau des Wirtes kam dazu und bestätigte diese Aussage. Mein Zorn tobte sich in Worten aus, und bald sah ich draußen den von mir bestellten Wagen mit zwei guten Pferden vorfahren. Ich ließ den Wirt kommen, um ihm meinen Anteil an der Zeche zu bezahlen; er antwortete mir, da ich nichts bei ihm bestellt hätte, wäre ich ihm auch nichts schuldig. Während wir darüber sprachen, erschien Graf Velo.

»Ich möchte wetten, Herr Graf, Sie haben geglaubt, die Dame hier sei meine Frau?«

»Das ist stadtbekannt.«

»Wie? Himmeldonnerwetter! Und Sie haben das glauben können, da Sie wissen, daß ich allein in diesem Zimmer wohne, und zumal da Sie gesehen haben, wie ich vorgestern abend allein den Ball verließ und gestern nicht mitspeiste, sondern die Dame unter all den Herren allein ließ?«

»Es gibt so bequeme Ehemänner.«

»Ich glaube nicht wie ein solcher auszusehen, und Sie verstehen sich nicht auf Ehrenmänner; kommen Sie mit, ich werde es Ihnen beweisen!«

Der Graf lief schnell die Treppe herunter und verließ den Gasthof. Die unglückliche C. war von Tränen halb erstickt; sie tat mir leid, denn Weibertränen sind eine Waffe, der ich in meinem Leben kaum je habe wiederstehen können. Ich überlegte mir, daß es nicht gut wäre, wenn ich fortginge, ohne etwas zu bezahlen; denn man konnte sich über mein Lärmschlagen lustig machen und mich in Verdacht haben, bei der Gaunerei mit im Bunde zu sein. Ich befahl daher dem Wirt, mir die Rechnung zu bringen; ich wollte die Hälfte bezahlen. Er ging fort, um sie zu holen. Plötzlich gab es eine neue Szene: Frau C. warf sich unter strömenden Tränen mir zu Füßen und rief, wenn ich sie im Stiche ließe, wäre sie verloren, denn sie hätte kein Geld und auch keine Sachen, die sie versetzen könnte.

»Wie, gnädige Frau? Haben Sie nicht Wechsel in Höhe von sechstausend Gulden oder doch zum mindesten die Stoffe, die Sie für diesen Betrag gekauft haben.«

»Stoffe sind nicht mehr da. Man hat sie alle wieder abgeholt, denn über die Wechsel, die sie sahen und die nach unserer Meinung bares Geld waren, haben die Fabrikherren nur gelacht. Sie haben alles wieder abholen lassen. Konnte man so etwas ahnen?«

»Der Spitzbube! Er hat vorausgesehen, wie alles kommen würde, und darum hat er mich aufgefordert mitzukommen. Geschieht mir recht! Ich muß die Strafe für meinen Fehler erleiden.«

Die Rechnung, die der Wirt mir brachte, belief sich auf vierzig Zechinen – eine Riesensumme für einen dreitägigen Aufenthalt, aber es waren dabei viele bare Auslagen des Wirtes. Ich begriff sofort, daß meine Ehre erforderte, die ganze Rechnung zu bezahlen, und zauderte daher keinen Augenblick. Doch war ich so vorsichtig, mir in Gegenwart von drei Zeugen eine Quittung ausstellen zu lassen. Hierauf gab ich dem Neffen des Wirts zwei Zechinen als Schmerzens- und Trostgeld für die erhaltenen Ohrfeigen und Fußtritte. Dagegen verweigerte ich die gleiche Summe der elenden C., die mich durch die Wirtin darum bitten ließ.

So endigte dieses häßliche Abenteuer, das mir eine derbe Lehre gab, die ich eigentlich nicht mehr hätte nötig haben sollen. Zwei oder drei Wochen darauf erfuhr ich, Graf Trento habe das traurige Paar, mit dem ich nichts mehr zu tun haben wollte, auf seine Kosten abreisen lassen. Einen Monat später geriet P. C. abermals ins Gefängnis, da der Mann, der für ihn gutgesagt hatte, Bankerott machte. Er war schamlos genug, in einem langen Brief mich flehentlich um meinem Besuch zu bitten; ich antwortete ihm nicht. Unerweichlich war ich auch gegen die C., der ich alle ihre Bitten um eine Zusammenkunft standhaft abschlug; sie geriet in das tiefste Elend.

Ich kehrte nach Padua zurück, wo ich mich aber nur solange aufhielt, wie nötig war, um meinen Ring abzuholen und mit Herrn von Bragadino zu speisen, der wenige Tage später nach Venedig zurückging.

Die Botin aus dem Kloster brachte mir in früher Morgenstunde meinen Brief; ich las ihn begierig; er war zärtlich, enthielt aber nichts Neues. In meiner Antwort schilderte ich meiner Freundin in allen Einzelheiten den abscheulichen Streich, den ihr Taugenichts von Bruder mir gespielt hatte; zugleich teilte ich ihr mit, daß der Ring fertig sei, und beschrieb dessen geheime Einrichtung.

Der mir von meiner C. C. gegebenen Anleitung folgend, begab ich mich eines schönen Morgens an einen Ort, von wo aus ich ihre Mutter in die Kirche eintreten sehen konnte. Ich betrat diese unmittelbar nach ihr, kniete neben ihr nieder und sagte ihr, ich müßte notwendig mit ihr sprechen. Sie folgte mir nach dem Kreuzgang.

Nachdem ich versucht hatte, ihr Mut einzusprechen, indem ich ihr versicherte, ich gehörte mit unverletzlicher Treue ihrer Tochter an, fragte ich sie, ob sie diese nächstens besuchen würde?

»Sonntag«, antwortete sie mir, »gedenke ich mein liebes Kind zu umarmen, ich werde ihr von Ihnen erzählen, und das wird sie sehr freuen; aber zu meiner tiefsten Betrübnis darf ich Ihnen nicht sagen, wo sie ist.«

»Ich verlange gar nicht, daß Sie es mir sagen, gute Mutter. Erlauben Sie mir nur die Bitte, ihr diesen Ring zu übergeben. Er trägt das Bild ihrer Schutzheiligen, und Sie müssen sie ermahnen, ihn stets an ihrem Finger zu tragen; sie soll nur jeden Tag zu ihr beten, denn ohne ihren Beistand wird sie niemals meine Frau werden können. Sagen Sie ihr auch, daß ich meinerseits mich jeden Tag an den heiligen Jakob wende, indem ich ein Credo hersage.«

Entzückt über meine frommen Gefühle und über die Aussicht, ihrer Tochter diese neue fromme Gesinnung einflößen zu können, versprach die gute Frau mir alle meine Wünsche zu erfüllen. Ich verabschiedete mich von ihr, indem ich sie bat, zehn Zechinen, die ich ihr übergab, ihrer Tochter für ihre kleinen Bedürfnisse zukommen zu lassen. Sie nahm das Geld, erklärte mir dabei jedoch, ihr Mann sorge dafür, daß seine Tochter am Notwendigen niemals Mangel leide.

Der Brief, den mein Mädchen mir am nächsten Mittwoch schrieb, strömte über von den zärtlichsten und lebhaftesten Gefühlen. »Sobald ich allein bin,« schrieb sie, »ist flugs die Nadelspitze da, und die Heilige dreht sich herum, um meinen gierigen Küssen die holden Züge des Wesens darzubieten, das mein Alles ist. Unaufhörlich küsse ich Dich, selbst wenn diese oder jene Nonne mich überrascht, denn wenn sie mir zu nahe kommt, brauche ich nur den Deckel fallen zu lassen und meine gute Heilige verdeckt alles. Die Nonnen sind hocherbaut von meiner Frömmigkeit und von meinem Vertrauen auf den Schutz meiner heiligen Patronin, die, wie sie sagen, ganz und gar mein Abbild ist.« Es war nur ein aus freier Phantasie erschaffenes schönes Gesicht; aber meine liebe kleine Frau war so schön, daß Schönheit ihr stets ähnlich sah. Sie sagte mir, die Nonne, bei der sie französisch lerne, habe ihr fünfzig Zechinen für den Ring geboten, aber nur wegen der Ähnlichkeit des Bildnisses der Heiligen, nicht etwa aus Liebe zu ihrer Schutzheiligen; denn über diese mache sie sich lustig, indem sie ihr deren Lebensgeschichte vorlese. Sie dankte mir für die zehn Zechinen, die ich ihr geschickt hätte; denn da ihre Mutter ihr das Geld im Beisein mehrerer Nonnen übergeben hätte, so könnte sie jetzt allerlei Ausgaben machen, ohne den Verdacht der schwatzhaften und neugierigen Nonnen zu erwecken. Sie hatte Freude dran, den Pensionärinnen kleine Geschenke zu machen, und sah sich jetzt in der Lage, diese Neigung befriedigen zu können. »Meine Mutter«, so schrieb sie noch, »hat mir mit der höchsten Anerkennung von Deiner Frömmigkeit gesprochen. Sie ist ganz entzückt davon. Sprich mir bitte nicht mehr von meinem unwürdigen Bruder.«

Vier oder fünf Wochen lang war in ihren Briefen nur von der heiligen Katharina die Rede. Sie schrieb, sie zittere jedesmal vor Angst, wenn sie sie der mystischen Neugier irgend einer alten Klosterschwester anvertrauen müßte, die den Ring, um ihn mit ihrer Brille besser sehen zu können, sich auf Zweifingerbreite vor die Augen hielte und unausgesetzt an dem Email herumwischte. »Ich zittere davor, daß sie einmal aus Zufall auf den kaum wahrnehmbaren Knopf drücken! Denn was sollte ich anfangen, wenn meine Heilige plötzlich ihren Blicken ein göttliches, aber ganz und gar nicht nach einem Heiligen aussehendes Gesicht darböte? Sage mir, wie hätte ich in einem solchen Falle mich zu verhalten?«

Einen Monat nach P. C.’s zweiter Verhaftung legte der Kaufmann, bei dem ich mich für den Ring verbürgt hatte, mir meine Unterschrift vor. Ich traf mit ihm ein Abkommen, und er ließ mich in Ruhe, nachdem ich ihm zwanzig Zechinen bezahlt und ihm die alleinigen Ansprüche auf die Schuldforderung überlassen hatte. Der unwürdige P. C. belästigte mich von seinem Gefängnis aus unaufhörlich mit jammervollen Bettelbriefen.

Croce war in Venedig und machte viel von sich reden. Er machte ein großes Haus, gab gute Gastmähler und hielt eine Pharaobank, an der die Dummköpfe ihre Börsen leerten. Da ich voraussah, wie es früher oder später kommen mußte, hatte ich sein Haus nicht betreten; wenn wir uns aber irgendwo trafen, behandelten wir uns wie gute Freunde. Seine Frau bekam einen Jungen, und er bat mich, ihn bei der Taufe zu halten; dies glaubte ich ihm nicht abschlagen zu dürfen; aber nach der Tauffeierlichkeit und dem darauf sich anschließenden Souper betrat ich das Haus meines Gevatters nicht mehr, und daran tat ich wohl. Nicht immer habe ich so verständig gehandelt.

  1. Die Zechine galt etwa zwölf Franken, die Doblone ungefähr das siebenfache.

Erstes Kapitel


Ich finde Giulietta wieder und bei ihr den angeblichen Grafen Celi, der inzwischen Graf Alfani geworden ist. – Ich beschließe nach Neapel zu reisen. – Ein Erlebnis, das mich auf einen anderen Weg bringt.

Als ich nach einem kurzen Spaziergang in meinen Gasthof in Cesena zurückkam, gab der Wirt mir den Theaterzettel, worauf vier Vorstellungen der Metastasioschen Dido im Spadatheater angekündigt wurden. Da ich sah, daß weder unter den Künstlern noch unter den Künstlerinnen Bekannte von mir waren, entschloß ich mich, mir die Abendvorstellung anzusehen und erst am anderen Morgen mit der Post abzureisen. Mich stachelte immer noch ein kleines bißchen Furcht vor der Inquisition, und es war mir, wie wenn sie mir schon dicht auf den Hacken säße.

Bevor ich den Zuschauerraum betrat, ging ich in das Ankleidezimmer der Schauspielerinnen, und die erste kam mir recht appetitlich vor. Sie war Bologneserin und hieß Narici. Ich begrüßte sie und fragte sie nach einigen Komplimenten, ob sie frei sei.

»Ich bin«, antwortete sie, »nur der Direktion gegenüber verpflichtet.«

»Haben Sie einen Liebhaber?«

»Nein.«

»Ich erbiete mich als solchen, wenn Sie Lust haben.«

Sie lächelte spöttisch und sagte: »Ach, nehmen Sie mir doch vier Karten zu den vier Vorstellungen ab.«

Ich zog zwei Zechinen aus meiner Börse, die ich absichtlich so hielt, daß sie sehen mußte, wie gut sie gespickt war; dann nahm ich die vier Karten, gab sie ihrer Zofe, die hübscher war als sie, und ging ohne weiter ein Wort zu sagen. Sie rief mich zurück; ich tat aber, als hörte ich sie nicht, und nahm mir einen Parkettplatz. Da ich alles höchst mittelmäßig fand, stand ich nach dem ersten Ballet auf, um fortzugehen. Als ich dabei zufällig einen Blick auf die große Loge warf, sah ich zu meinem großen Erstaunen den Venetianer Manzoni mit der berühmten Giulietta, deren famosen Ball mit der Ohrfeige der Leser wohl noch in Erinnerung haben wird.

Da ich sah, daß man mich nicht bemerkte, fragte ich meinen Nachbar, wer wohl die schöne Dame mit den vielen Diamanten sei. Er antwortete mir: »Das ist Signora Querini aus Venedig; der Eigentümer des Theaters, General Graf Spada, den Sie an ihrer Seite sehen, hat sie aus seiner Heimat Faenza hierher gebracht.«

Es freute mich sehr, daß Herr Querini sie endlich geheiratet hatte, aber ich dachte nicht daran, mich ihr zu nähern – aus Gründen, die der Leser ebenso wenig vergessen haben wird wie die Vorfälle, als ich sie auf ihr Verlangen als Abbaten verkleiden mußte. Ich wollte also gehen; aber im selben Augenblick gewahrte sie mich und winkte mich heran. Ich kam; da ich aber nicht bekannt sein wollte, sagte ich ihr leise, ich nenne mich Farussi. Manzoni sagte mir, ich spräche mit Ihrer Excellenz Signora Querini. »Ich weiß es«, sagte ich zu ihm, »aus einem Brief, den ich aus Venedig erhielt, und ich wünsche der gnädigen Frau von Herzen Glück dazu.«

Giulietta verstand mich, machte mich auf der Stelle zum Baron und stellte mich dem Grafen Spada vor. Sofort lud der Herr mich sehr liebenswürdig ein, in seine Loge zu kommen. Nachdem er mich gefragt hatte, wober ich käme, wohin ich ginge und so weiter, bat er mich, ihm die Ehre zu erweisen und bei ihm zu Nacht zu speisen.

Vor zehn Jahren war er Giuliettas Freund in Wien gewesen, als Maria Theresia in Anbetracht des bösen Einflusses ihrer Reize sie ausweisen zu müssen glaubte. Sie hatte in Venedig die Bekanntschaft mit ihm erneuert und hatte ihn veranlaßt, sie zu einer Vergnügungspartie mit sich nach Bologna mitzunehmen; und ihr alter Anbeter, Herr Manzoni, der mir dies alles erzählte, begleitete sie, um Herrn Querini über ihre gute Aufführung berichten zu können. Er war allerdings kein sehr gut gewählter Tugendwächter. In Venedig wollte sie überall die Meinung verbreiten, daß Herr Querini sie im Geheimen geheiratet habe; aber in einer Entfernung von fünfzig Meilen hielt sie diese Formalität nicht für angebracht, und der General hatte sie bereits dem ganzen Adel von Cesena als Signora Querini Papozze vorgestellt. Ubrigens hätte Herr Querini unrecht gehabt, wenn er auf den General eifersüchtig gewesen wäre, denn dieser war ein so alter Bekannter, daß es nicht darauf ankommen konnte, wenn er der Schönen den Hof machte. Übrigens gilt es bei gewissen Frauen als ausgemacht, daß ein Mann, der als neuester Liebhaber sich auf einen alten Bekannten eifersüchtig zeigt, nur ein Dummkopf sein kann und als solcher zu behandeln ist. Giulietta hatte mich schnell gerufen, weil sie ohne Zweifel meine Indiskretion fürchtete; als sie aber sah, daß ich ebenfalls die ihrige zu fürchten hatte, da beruhigte sie sich; ich war so vernünftig, sie von Anfang an mit allen ihrem Stande schuldigen Rücksichten zu behandeln.

Beim General fand ich zahlreiche Gesellschaft und ziemlich hübsche Frauen. Da ich Giulietta nicht sah, fragte ich Herrn Manzoni nach ihr, und er sagte mir, sie sitze am Pharaotische und verliere ihr Geld. Ich ging in den Spielsaal und sah sie zur Linken des Bankhalters sitzen, welcher bei meinem Anblick erbleichte. Er war der angebliche Graf Celi. Er bot mir ein Buch1 an, ich wies es höflich zurück, nahm aber Giuliettas Anerbieten an, Halbpart mit ihr zu spielen. Sie hatte etwa fünfzig Zechinen vor sich liegen; ich gab ihr ebenso viel und setzte mich neben sie. Nach Schluß der Taille fragte sie mich, ob ich den Bankhalter kenne, und ich bemerkte, daß er es gehört hatte. Ich sagte Nein. Die Dame, die zu meiner Linken saß, sagte mir, es sei der Graf Alfani. Eine halbe Stunde später hatte Frau Querini ein Sept et le va von achtzig Zechinen auf einer Karte stehen2, und der Abzug war entscheidend; ich stand auf und heftete meine Blicke auf die Hände des Bankhalters. Trotzdem schlug er die Volte und die Signora verlor.

Im selben Augenblick kam der General und holte Sie zu Tisch; sie ließ den Rest ihres Goldes liegen und stand auf; nach dem Dessert kehrte sie an den Spieltisch zurück und verlor alles.

Ich belebte das Mahl durch eine Menge kleiner Geschichten und feiner Scherze und gewann mir dadurch die Freundschaft der ganzen Gesellschaft, ganz besonders die des Generals. Als er von mir gehört hatte, ich ginge nur um einer verliebten Laune willen nach Neapel, beschwor er mich, einen Monat bei ihm zu verbringen und ihm zuliebe meine Laune zu opfern. Sein Bitten war jedoch vergeblich; denn da mein Herz leer war, so drängte es mich, Lucrezia und Teresa wiederzusehen, von deren Reizen ich nach fünf Jahren nur noch eine verworrene Erinnerung hatte. Doch erklärte ich mich bereit, die vier Tage in Cesena zu bleiben, die er noch dort verbringen wollte.

Als ich mich am anderen Morgen anzog, sah ich den Feigling Alfani-Celi erscheinen. Ich empfing ihn mit einem spöttischen Lächeln, indem ich ihm sagte, ich hätte ihn erwartet.

Da mein Friseur anwesend war, antwortete er nichts; sobald wir aber allein waren, fragte er mich: »Welche Gründe können Sie haben, mich zu erwarten?«

»Meine Gründe sind Wahrscheinlichkeiten, die Sie im einzelnen hören werden, sobald Sie mir hundert Zechinen aufgezählt haben, was Sie sofort tun werden.«

»Hier sind fünfzig, die ich Ihnen überbringen wollte; mehr können Sie nicht verlangen.«

»Ich nehme fie als Abzahlung an; aber ich warne Sie im Guten, sich heute abend nicht beim Grafen einzufinden, denn Sie werden dort nicht empfangen werden; und das wird man mir zu verdanken haben.«

»Ich hoffe, Sie werden es sich überlegen, ehe Sie eine solch schlechte Handlung begehen.«

»Ich habe es mir bereits genügend überlegt. Aber schnell, machen Sie, daß Sie fortkommen!«

Es klopfte an meiner Tür, und der angebliche Alfani verschwand, ohne daß ich nötig hatte, ihm meine Aufforderung zu wiederholen. Der neue Besucher war der neue Kastrat, der mich im Auftrag der Narici zum Essen einladen sollte. Ich fand die Einladung spaßhaft und nahm sie lachend an. Dieser Kastrat und Komiker hieß Niccola Peretti und behauptete, der Enkel eines natürlichen Sohnes von Sixtus dem Fünften zu fein, was sehr leicht möglich sein kann. Fünfzehn Jahre später werde ich von ihm sprechen. Beim Eintreten sah ich den Grafen Alfani, der mich ganz gewiß nicht erwartete; mir kam die Idee, er müsse mich für seinen bösen Geist halten. Er begrüßte mich mit großer Höflichkeit und bat mich, zwei Worte unter vier Augen mit mir sprechen zu dürfen.

»Ich gebe Ihnen noch fünfzig Zechinen«, sagte er zu mir; »aber als Ehrenmann können Sie diese nur annehmen, um sie Frau Querini wiederzugeben: wie aber wollen Sie sie ihr auszahlen, ohne ihr zu sagen, daß Sie mich zu dieser Rückerstattung genötigt haben? Sie werden fühlen, welche Folgen dies haben könnte.«

»Ich werde sie ihr übergeben, wenn Sie nicht mehr hier sind; unterdessen werde ich verschwiegen sein; aber hüten Sie sich, in meiner Gegenwart das Glück zu verbessern, denn ich würde Ihnen einen bösen Streich spielen.«

»Verdoppeln Sie meine Bank, und Sie bekommen Halbpart.«

»Ihr Vorschlag ist eine Beleidigung.«

Ich erhielt die fünfzig Zechinen und versprach ihm, das Geheimnis zu bewahren.

Bei der Schauspielerin war zahlreiche Gesellschaft, besonders junge Leute, die nach dem Essen sämtlich ihr Geld verloren. Ich spielte nicht, und dadurch fühlte die Schöne sich enttäuscht; denn sie hatte mich nur eingeladen, weil sie dachte, ich müßte auch einer von derselben Sorte sein, wie die anderen. Als einfacher Zuschauer hatte ich die Gelegenheit, zu beobachten, wie sehr Mohammed recht hatte, daß er alle Glücksspiele verbot.

Am Abend nach der Oper legte der Graf eine Bank auf; ich spielte und verlor zweihundert Zechinen; doch konnte ich mich deswegen nur an die Launen des Glücks halten; Frau Querini gewann. Am nächsten Abend sprengte ich vor dem Abendessen beinahe seine Bank; gleich nach dem Essen ging ich zu Bett, da ich mich müde fühlte und mit meinem Gewinn zufrieden war.

Am nächsten Morgen in der Frühe ging ich zum General und erfuhr, daß sein Adjutant dem angeblichen Alfani die Karten ins Gesicht geworfen hatte und daß sie sich mittags treffen sollten. Ich suchte den Offizier auf seinem Zimmer auf und bot mich ihm als Sekundanten an, indem ich ihm versicherte, es würde kein Blut vergossen werden. Er dankte mir und sagte mir bei Tisch, ich hätte richtig geraten, denn der Graf Alfani wäre nach Rom abgereist. »Nun,« sagte ich zur Gesellschaft, »so werde ich Ihnen heute abend eine Bank legen.« Nach dem Essen nahm ich Frau Querini auf die Seite, erzählte ihr die Geschichte und reichte ihr die fünfzig Zechinen, die ich für sie aufbewahrt hatte.

»Sie wollen«, antwortete sie mir, »mit Hilfe dieses Märchens mir fünfzig Zechinen zum Geschenk machen, aber ich will sie nicht – ich habe kein Geld nötig.«

»Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich den Spitzbuben gezwungen habe, sie mir wiederzugeben und zugleich mit ihnen die anderen Zechinen, die er von mir hatte.«

»Das kann wohl sein, aber ich will Ihnen nicht glauben; merken Sie sich übrigens, daß ich nicht dumm genug zu sein glaube, um mich betrügen, geschweige denn bestehlen zu lassen.«

Die Philosophie verbietet, zu bereuen, daß man eine gute Handlung vollbracht hat; aber es kann erlaubt sein, sich darüber zu ärgern, wenn durch böswillige Auslegung versucht wird, einem einen Vorwurf daraus zu machen.

Am Abend nach der letzten Vorstellung legte ich, meinem Versprechen gemäß, beim General eine Bank auf; ich verlor einige Zechinen, aber man erwies mir viel Liebes. Dies ist ein viel süßeres Gefühl, als wenn man gewinnt, vorausgesetzt, daß der Spieler sich nicht in der Notwendigkeit befindet, auf sein Geld sehen zu müssen.

Graf Spada, der eine Zuneigung zu mir gefaßt hatte, bat mich, mit ihm nach Brisighetta zu gehen, aber ich widerstand, denn ich wollte durchaus nach Neapel reisen.

Am andern Morgen wurde ich durch einen furchtbaren Spektakel aufgeweckt, den man fast unmittelbar vor meiner Zimmertür vollführte. Ich sprang aus dem Bett und öffnete meine Tür, um zu sehen, was los wäre. Ich sah eine Bande von Sbirren und einen anständig aussehenden Mann, der auf lateinisch aus vollem Halse auf dies Gezüchte, eine wahre Pest Italiens, schimpfte, sowie auf den dabeistehenden Wirt, der die Schändlichkeit begangen hätte, ihnen die Tür zu öffnen.

Ich fragte den Wirt, worum es sich handle, und der Kerl antwortete mir: »Dieser Herr, der dem Anschein nach nur Latein spricht, liegt mit einem Mädchen im Bett, und die Häscher des Bischofs sind gekommen, um festzustellen, ob sie seine Frau ist; die Sache ist ganz einfach; ist es seine Frau, so braucht er es den Leuten nur durch irgend ein Zeugnis zu beweisen, und alles ist in Ordnung; ist sie es aber nicht, so muß er freilich sich gefallen lassen, mit dem Mädchen ins Gefängnis zu gehen; dazu wird es jedoch nicht kommen, denn ich verpflichte mich, mittels zwei oder drei Zechinen die Sache gütlich beizulegen. Ich werde mit ihrem Anführer sprechen, und alle die Leute hier werden sofort gehen. Wenn Sie Latein sprechen, so gehen Sie hinein und bringen Sie ihn zur Vernunft.«

»Wer hat die Zimmertür gesprengt?«

»Man hat sie nicht gesprengt, sondern ich habe sie geöffnet; das ist meine Pflicht.«

»Solche Pflicht mag ein Straßenräuber haben, aber nicht ein ehrenwerter Wirt.« Entrüstet über eine derartige Niedertracht glaubte ich mich in die Sache einmischen zu müssen. Die Nachtmütze auf dem Kopf, trat ich ein und erzählte dem Herrn alle einzelnen Umstände dieser Schererei. Er antwortete mir lachend: erstens könnte man überhaupt nicht wissen, ob die Person, die neben ihm im Bett liege, eine Frau wäre, denn man hätte sie nur als Offizier gekleidet gesehen; zweitens wäre er der Meinung, daß kein Mensch ihn zwingen könnte, Rechenschaft darüber abzulegen, ob sie seine Frau oder seine Geliebte wäre, angenommen, daß die im Bette liegende Person überhaupt ein Weib wäre. »Übrigens«, fuhr er fort, »bin ich entschlossen, nicht einen einzigen Taler auszugeben, um diese Geschichte zu erledigen; ich werde das Bett nicht eher verlassen, als bis meine Tür wieder verschlossen ist. Sobald ich angezogen bin, werde ich Ihnen eine hübsche Entwicklung der Komödie zeigen: ich werde die ganze Spitzbubenbande mit Säbelhieben hinausjagen.«

Ich blickte mich um und sah in der einen Ecke des Zimmers einen Säbel und eine ungarische Tracht, die wie eine Uniform aussah. Ich fragte ihn, ob er Offizier sei.

»Ich habe«, antwortete er, »meinen Namen und Stand in das Fremdenbuch des Wirtes eingeschrieben.« Erstaunt über die Frechheit des Wirts, befragte ich diesen, und er gab zu, daß es die Wahrheit wäre; aber nichtsdestoweniger behielte doch das geistliche Gericht das Recht, darüber zu wachen, daß kein Ärgernis stattfände.

»Der Schimpf, den Sie dem Offizier angetan haben, wird Ihnen teuer zu stehen kommen, Herr Wirt!«

Zur Antwort lachte er mir ins Gesicht. Ärgerlich, daß solch ein gemeiner Kerl mich zu verhöhnen wagte, wurde ich Feuer und Flamme für die Sache und fragte den Offizier, ob er das Vertrauen zu mir hätte, mir für ein paar Augenblicke seinen Paß zu geben.

»Ich besitze zwei und kann Ihnen sehr wohl den einen anvertrauen.« Mit diesen Worten zog er den Paß aus seiner Brieftasche und übergab ihn mir; er war vom Kardinal Albani unterschrieben. Der Offizier war Hauptmann in einem ungarischen Regiment der Kaiserin und Königin. Er kam von Rom nach Parma, um Herrn Dutillot, dem ersten Minister des Infanten, Herzog von Parma, Depeschen vom Kardinal Alessandro Albani zu überbringen. In diesem Augenblick kam mit lautem Fluchen ein Kerl ins Zimmer und bat mich, dem Herrn zu sagen, er möchte sich mit den Leuten auseinandersetzen, denn er wollte abreisen und könnte nicht länger warten. »Wer sind Sie?« – Er antwortete mir, er wäre der Fuhrmann, mit dem der Hauptmann abreisen sollte.

Ich sah nun, daß es sich um eine abgekartete Geschichte handelte, und bat den Offizier, die Angelegenheit mir zu überlassen, ich würde sie in Ehren zu Ende führen.

»Machen Sie alles, wie Sie wollen,« antwortete er mir. Ich wandte mich nun zum Fuhrmann und sagte zu ihm:

»Bringen Sie den Koffer des Herrn Hauptmann herauf; Sie werden bezahlt werden.«

Sobald der Koffer im Zimmer war, zog ich acht Zechinen aus meiner Börse und gab sie ihm, nachdem ich eine Quittung auf den Namen des Hauptmanns erhalten hatte, der nur deutsch, ungarisch und lateinisch sprach.

Der Fuhrmann ging, und mit ihm verschwanden, sehr verblüfft, die Sbirren, mit Ausnahme von zweien, die im Saal blieben.

»Herr Hauptmann,« sagte ich zum Ungarn, »wollen Sie, bitte, bis zu meiner Rückkehr in Ihrem Bett bleiben, ich gehe zum Bischof, um diesem die Sache vorzutragen und ihm klar zu machen, daß er Ihnen eine Genugtuung schuldet. Übrigens ist General Spada in Cesena und …«

Er ließ mich nicht ausreden.

»Ich kenne ihn!« rief er, »und hätte ich gewußt, daß er hier ist, so hätte ich dem Schuft von Wirt, der dem Gesindel meine Tür geöffnet hat, eine Kugel durch den Kopf gejagt!«

Ich zog mich in aller Hast an und begab mich unfrisiert und im Überrock zum Bischof, wo ich großen Lärm schlug und die Dienerschaft beinahe mit Gewalt zwang, mich in sein Zimmer zu führen. Der Lakai an der Tür sagte mir, Seine Gnaden lägen noch im Bett.

»Einerlei! Ich habe keine Zeit zum Warten.« Ich schob ihn zur Seite und trat ein. Ich erzählte dem Prälaten die ganze Geschichte, indem ich den Wirrwarr im Zimmer des fremden Herrn in den lebhaftesten Farben schilderte, auf die Unbilligkeit eines derartigen Vorgehens hinwies und gegen die Polizeischikanen wetterte, die sich einfach über Menschen- und Völkerrechte hinwegsetzten.

Der Bischof antwortete mir nicht, aber er befahl, mich in seine Kanzlei zu führen.

Ich fand den Kanzler und wiederholte ihm, was ich bereits dem Bischof gesagt hatte, aber in wenig maßvollen Worten, die mehr aufreizend als besänftigend wirken mußten und durchaus nicht dazu angetan waren, die Freilassung des Offiziers herbeizuführen. Ich verstieg mich bis zu Drohungen und sagte, wenn ich der Offizier wäre, so würde ich eine eklatante Genugtuung fordern. Der Priester lachte mir ins Gesicht. Das war gerade was ich wollte. Er fragte mich, ob ich vielleicht nicht ganz richtig im Kopfe sei, und sagte mir, ich solle mich an den Anführer der Sbirren wenden.

»An ganz andere, Herr Abbate! an ganz andere, als einen Anführer der Sbirren!«

Hocherfreut, die Angelegenheit verschlimmert zu haben, ging ich fort und begab mich geraden Weges zu General Spada. Man sagte mir, er sei vor acht Uhr nicht sichtbar, und ich kehrte nach dem Gasthof zurück.

Aus dem Feuer, das mich beseelte, aus dem Eifer, womit ich mich der Angelegenheit angenommen hatte, hätte man schließen können – und ich könnte meine Leser bei diesem Glauben lassen – daß meine Entrüstung nur von dem Abscheu herrührte, womit ich sah, wie eine zügellose, unsittliche und schikanöse Polizei sich eine schändliche Verfolgung gegen einen Fremden erlaubte. Aber warum sollte ich einen wohlwollenden Leser hintergehen? Ich schulde ihm die Wahrheit, die ich ihm versprochen habe. Ich will also sagen, daß ich allerdings wirklich Entrüstung verspürte; was mich aber zu so heißem Eifer anspornte, war ein mehr persönlicher Grund; ich stellte mir das unter der Bettdecke verborgene Mädchen als entzückend vor; ich brannte vor Ungeduld, ihr Gesicht zu sehen, das ohne Zweifel die Scham ihr verboten hatte, mir zu zeigen. Sie hatte mich gehört, und mein Selbstbewußtsein erlaubte mir nicht, daran zu zweifeln, daß sie von mir eine bessere Meinung gefaßt hätte als von ihrem Hauptmann.

Da die Zimmertür offen geblieben war, trat ich ein und erstattete dem Hauptmann Bericht über alles, was ich getan hatte. Ich versicherte ihm, es werde im Laufe des Tages in seinem Belieben stehen, auf Kosten des Bischofs abzureisen, denn der General würde ihm auf jeden Fall volle Genugtuung verschaffen. Er dankte mir herzlich, gab mir meine acht Dukaten wieder und sagte, er würde erst am nächsten Tage abreisen.

»Was für ein Landsmann«, fragte ich ihn, »ist Ihr Reisekamerad?«

»Er ist Franzose und spricht nur seine Sprache.«

»Sie sprechen also französisch?«

»Kein Wort.«

»Das ist scherzhaft; Sie spielen also Pantomime?«

»Absolut.«

»Da tun Sie mir leid; denn das ist eine schwere Sprache.«

»Soweit es sich um die feineren Abstufungen der Gedanken handelt, allerdings; aber in materieller Hinsicht verstehen wir uns ausgezeichnet.«

»Kann ich Sie bitten, mit Ihnen frühstücken zu dürfen?«

»Fragen Sie ihn, ob ihm das Vergnügen machen wird.«

»Liebenswürdiger Begleiter des Herrn Hauptmanns,« sagte ich zu ihr, »wollen Sie mich als dritten zu Ihrem Frühstück zulassen?«

Sofort sah ich unter der Decke einen entzückenden, frischen, lachenden Kopf mit aufgelösten Haaren hervorkommen, der trotz seiner Männernachtmütze einem Geschlecht angehörte, ohne welches der Mann das unglücklichste Tier auf der Erde sein würde.

Entzückt über diese anmutige Erscheinung, sagte ich ihr, ich hätte das Glück gehabt, mich für sie zu interessieren, bevor ich sie noch gesehen hätte; jetzt aber, da ich das Vergnügen hätte, sie zu sehen, könnte mein Eifer, ihr nützlich zu sein, sich nur verdoppeln.

Sie antwortete mir mit einer Grazie und Lebhaftigkeit des Geistes, wie sie nur ihrer liebenswürdigen Nation eigen sind, und gab mir mein Kompliment mit einer Freiheit des Ausdrucks zurück, von der ich ganz entzückt war. Da meine Bitte genehmigt war, ging ich hinaus, um das Frühstück zu bestellen und sie allein zu lassen, damit sie sich in ihrem Bett aufrecht setzen könnten; denn sie waren entschlossen, das Bett nicht eher zu verlassen, als bis ihre Türe wieder verschlossen wäre. Der Kellner kam. Ich trat wieder ein und sah meine hübsche Französin im blauen Überrock und nachlässig als Mann frisiert, aber selbst in diesem Anzug entzückend. Ich konnte es kaum erwarten, sie aufgestanden zu sehen. Während des Frühstücks unterbrach sie mit keinem Wort den Offizier, der fortwährend auf mich einsprach und dem ich gar nicht oder nur halb zuhorchte, denn ich war förmlich wie behext.

Sofort nach dem Frühstück ging ich zum General und erzählte ihm die Geschichte mit einigen Übertreibungen, die darauf berechnet waren, seine militärische Eitelkeit zu stacheln. Ich sagte ihm: wenn er nicht Ordnung schaffte, wäre der Offizier entschlossen, einen reitenden Boten an seinen Beschützer, den Kardinal, zu schicken. Aber meine Beredsamkeit war überflüssig, denn der General wünschte, daß die Priester um die Himmelsangelegenheiten sich bekümmerten und die Nase nicht in die Angelegenheiten dieser Welt steckten.

»Ich werde«, sagte er, »dies Possenspiel zum guten Ende führen, indem ich daraus eine Sache von höchster Wichtigkeit mache.«

»Gehen Sie in den Gasthof,« sagte er zu seinem Adjutanten, »und laden Sie den Offizier und seinen Kameraden zum Mittagessen ein. Hierauf begeben Sie sich zum Bischof und teilen ihm mit, der Offizier, dem ein blutiger Schimpf widerfahren wäre, würde nicht eher abreisen, als bis er eine glänzende Genugtuung und die Summe Geldes empfangen werde, die er selbst als Entschädigung bestimmen würde. Sagen Sie ihm, daß ich, der General, dies mitteilen ließe, und daß im übrigen alle Ausgaben, die der Offizier hier machen würde, auf Rechnung des Bischofs gingen.«

Welcher Genuß für mich, bei diesem Befehl zugegen zu sein! Denn voller Eitelkeit betrachtete ich mich als Urheber desselben. Ich ging mit dem Adjutanten fort und stellte ihn dem Hauptmann vor. Dieser empfing ihn mit der Freude eines Soldaten, der einen Kameraden sieht. Der Adjutant lud ihn und seinen Freund ein und sagte ihm, er möchte aufschreiben, welche Genugtuung und Entschädigung er verlangte. Die Sbirren waren verschwunden, sowie sie den Adjutanten des Generals gesehen hatten. Ich gab dem Hauptmann Papier, Feder und Tinte, und er schrieb seine Forderung in einem für einen Ungarn recht guten Latein nieder. Der brave Mann wollte durchaus nur dreißig Zechinen verlangen, obwohl ich in ihn drang, er solle hundert fordern. Auch in bezug auf die Genugtuung war er viel zu bescheiden; denn er verlangte nur, daß der Wirt und die Sbirren ihn in Gegenwart des Adjutanten auf den Knien um Verzeihung bitten sollten. Er drohte dem Bischof, er würde einen reitenden Boten nach Rom an den Kardinal Alessandro schicken, wenn ihm sein Verlangen nicht binnen zwei Stunden erfüllt würde, und er würde auf seine Kosten in Cesena bleiben und täglich zehn Zechinen berechnen.

Der Offizier ging. Einen Augenblick darauf trat der Wirt ehrfurchtsvoll ein und sagte dem Hauptmann, er sei frei; als aber dieser ihm durch mich sagen ließ, er sei ihm zwanzig Stockhiebe schuldig, machte er schnell, daß er hinauskam.

Ich ließ die beiden allein, um mich anzukleiden, da ich mit ihnen zum General gehen wollte, der uns zum Essen eingeladen hatte. Eine Stunde später sah ich sie in sehr gut sitzenden Uniformen. Die Französin trug eine Phantasieuniform, aber eine sehr elegante; ich gab sofort meinen Plan der Reise nach Neapel auf und beschloß mit ihnen nach Parma zu gehen. Die Schönheit der hübschen Französin hatte mich bereits ganz gefangen genommen. Der Hauptmann streifte bereits die sechzig, und ich fand natürlich, daß ein solches Paar sehr schlecht zu einander passe. Ich setzte mir in den Kopf, mein Vorhaben müsse sich auf freundschaftliche Weise erreichen lassen.

Der Adjutant kam mit einem Priester von der bischöflichen Kanzlei zurück, und dieser sagte dem Hauptmann, die von ihm geforderte Genugtuung und Entschädigung würde ihm zu teil werden; doch müßte er sich mit fünfzehn Zechinen begnügen. »Dreißig oder nichts!« antwortete der Ungar trocken. Er erhielt sie, und alles war erledigt. Da dieser schöne Sieg meinen Bemühungen zu verdanken war, trug er mir die Freundschaft des Hauptmanns und seiner schönen Begleiterin ein.

Um sofort zu bemerken, daß der Reisekamerad des Hauptmanns kein Mann war, brauchte man nur die Hüften zu sehen. Sie war ein zu schönes Weib, um für einen Mann gelten zu können. Gewiß haben die Frauen sehr unrecht, wenn sie durch Verkleidung eine Ähnlichkeit mit uns Männern erreichen wollen; denn sie gestehen dadurch, daß ihnen einer der schönsten Vorzüge ihres Geschlechtes fehlt.

Kurz vor Essenszeit begaben wir uns zum General, der sich beeilte, die beiden Offiziere allen anwesenden Damen vorzustellen. Keine von ihnen ließ sich täuschen; da jedoch alle bereits die Geschichte kannten, so waren sie entzückt, mit dem Helden der Komödie zusammen zu speisen, und alle behandelten den jungen Offizier, wie wenn er ein Mann gewesen wäre, die Herren dagegen bezeigten ihm Huldigungen, die seinem wirklichen Geschlecht besser entsprachen.

Nur Signora Querini schmollte; denn da die schöne Französin die ganze Aufmerksamkeit auf sich lenkte, so litt die Eitelkeit der Venetianerin unter der Vernachlässigung. Sie richtete das Wort nur an sie, um mit ihrem Französisch großzutun, das sie in der Tat ziemlich gut sprach. Der arme Hauptmann sagte beinahe kein Wort, denn kein Mensch hatte Lust, Latein zu sprechen, und der General hatte ihm nicht viel auf Deutsch zu sagen.

Ein alter Abbate, der mit bei Tische war, suchte den Bischof zu rechtfertigen, indem er versicherte, der Wirt und die Sbirren hätten nur auf Befehl des heiligen Offiziums so gehandelt. »Aus diesem Grunde«, sagte er, »befinden sich in den Gasthöfen keine Türriegel, damit die Fremden sich nicht einschließen können. Die Inquisition will durchaus nicht erlauben, daß jemand mit einer anderen Frau schläft, als mit seiner eigenen.«

Zwanzig Jahre später fand ich in Spanien alle Türen mit einem Riegel von außen versehen, so daß die Reisenden sich im Gasthof wie in einem Gefängnis befanden und allen Plackereien nächtlicher Haussuchungen ausgesetzt waren. Diese Krankheit ist in Spanien so tief eingewurzelt, daß sie eines Tages die ganze Monarchie zu verschlingen droht, und es wäre gar nicht zu verwundern, wenn eines Tages der Großinquisitor den König schöre und sich auf dessen Thron setzte.

  1. Die dreizehn Karten, die der Spieler benützt, um darauf seine Einsätze zu machen.
  2. Sie hatte also auf die Karte dreimal gewonnen und den ursprünglichen Satz von zehn Zechinen nebst den Gewinnen stehen lassen.