Fortsetzung des vorigen Kapitels. – Besuch im Sprechzimmer des Klosters und Unterhaltung mit M. M. – Ein Brief von ihr und meine Antwort darauf. – Neue Zusammenkunft im Kasino von Murano unter den Augen ihres Liebhabers.

Wie ich’s M. M. versprochen hatte, besuchte ich sie am dritten Tage; aber sobald sie das Sprechzimmer betrat, sagte sie mir, ihr Geliebter habe sich anmelden lassen, sie erwarte ihn jeden Augenblick und hoffe, mich am nächsten Tage wieder zu sehen. Ich ging also. In der Nähe der Brücke sah ich einen schlecht maskierten Kavalier aus einer Gondel steigen. Ich sah mir den Gondoliere an und bemerkte, daß er einer von den Leuten des französischen Gesandten war.

»Also der ist’s!« sagte ich zu mir selber. Ohne ihn anscheinend zu beobachten, sah ich ihn ins Kloster eintreten. Jetzt war kein Zweifel mehr möglich, und ich fuhr ganz entzückt über meine Entdeckung nach Venedig zurück; aber ich beschloß, meiner Geliebten nichts zu sagen.

Am nächsten Morgen sah ich sie, und wir hatten folgendes Gespräch miteinander:

»Mein Freund«, sagte sie, »kam gestern, um bis zum Weihnachtsfest Abschied von mir zu nehmen. Er geht nach Padua. Aber es sind alle Anordnungen getroffen, daß wir in seinem Kasino soupieren können, sobald wir Lust haben.«

»Und warum nicht in Venedig?«

»Er hat mich gebeten, während seiner Abwesenheit nicht nach Venedig zu gehen. Er ist klug und vorsichtig: ich durfte ihm seine Bitte nicht abschlagen.«

»Das läßt sich hören. Wann werden wir miteinander speisen!«

»Sonntag, wenn du willst.«

»Wenn ich will – ist nicht gut gesagt. Denn ich will immer. Sonntag werde ich also in der Dämmerung hingehen, werde auf dich warten und mir die Zeit mit Lesen vertreiben. Hast du deinem Freund gesagt, daß du in meinem kleinen Palazzo nicht übel aufgehoben warst?«

»Alles – er weiß alles. Aber mein Herz, eins beunruhigt ihn: er fürchtet die verhängnisvolle Schwangerschaft.«

»Ich will sterben, wenn ich daran gedacht habe! Aber meine Liebe, bist du bei ihm nicht derselben Gefahr ausgesetzt?«

»Nein, das ist ausgeschlossen.«

»Ich verstehe. Da müssen wir also in Zukunft recht vernünftig sein. Da fällt mir ein: neun Tage vor Weihnachten hört die Maskenfreiheit auf. Da werde ich mich in der Gondel nach deinem Kasino begeben müssen; sonst könnte ich leicht von dem Spion erkannt werden, der mir schon einmal nachgegangen ist.«

»Ja, das ist ein sehr verständiger Gedanke. Ich werde dir die Lage des Hauses am Kanal so beschreiben, daß du es leicht finden kannst. Ich hoffe, du wirst auch während der Fastenzeit kommen können, obwohl es, wie man sagt, Gottes Wille ist, daß wir dann unser Fleisch abtöten. Ist es nicht scherzhaft, daß es eine Zeit gibt, wo wir nach Gottes Willen uns wie toll belustigen sollen, und eine andere, wo wir ganz enthaltsam leben müssen, um ihm zu gefallen? Was kann denn nur dieser oder jener Gedenktag mit der Gottheit zu tun haben, und wie kann die Handlungsweise des Geschöpfes dem Schöpfer irgendetwas ausmachen, den meine Vernunft sich doch nur als unabhängig vorstellen kann? Mir scheint, wenn Gott den Menschen so geschaffen hätte, daß er ihn beleidigen könnte, so hätte der Mensch recht, wenn er alles täte, was Gott ihm verboten hatte, denn seine mangelhafte Anlage wäre Gottes Werk. Kann man sich vorstellen, daß Gott während der Fastenzeit traurig ist?«

»Meine reizende Freundin, du sprichst ausgezeichnet. Aber willst du mir nicht sagen, wo du so denken gelernt hast? Wie hast du, in einem Kloster, über den Graben springen können?«

»Mein Freund hat mir gute Bücher gegeben, die ich eifrig gelesen habe, und das Licht der Wahrheit hat die Finsternisse verscheucht, die meinen Blick umhüllten. Ich versichere dir: wenn ich über mich selber nachdenke, finde ich mein Glück, daß ich jemanden fand, der meinen Geist aufklärte, viel größer als mein Unglück, daß ich den Schleier nahm. Denn das größte Glück besteht ohne Zweifel darin, ruhig leben und ruhig sterben zu können; und darauf kann man kaum hoffen, wenn man auf das Gefasel hört, womit die Priester uns die Ohren sprengen.«

»Ich bin ganz deiner Meinung. Aber ich bewundere dich. Denn einen Geist aufzuklären, der so voreingenommen sein mußte wie der deine, das kann nicht das Werk einiger Monate gewesen sein.«

»Mir wäre ohne Zweifel das Licht viel später aufgegangen, wenn ich weniger von Vorurteilen erfüllt gewesen wäre. Ein dichter Vorhang trennte in meinem Geist die Wahrheit vom Irrtum, und nur die Vernunft konnte ihn zur Seite schieben; aber man hatte es mir ja zum Gesetz gemacht, diese arme Vernunft zu fürchten, sie mir fern zu halten, wie wenn ihre Fackel mich hätte verbrennen müssen, statt mich aufzuklären. Seitdem mir nachgewiesen wurde, daß ein vernünftiges Wesen sich nur von der Vernunft dürfte leiten lassen, habe ich mich rückhaltlos ihrer Führung überlassen, und die Binde, die mir die Wahrheit verbarg, ist von meinen Augen gefallen. Die Wahrheit zeigte sich mit Glanz, die Dummheit ist verschwunden, und ich brauche nicht zu befürchten, daß sie wieder die Oberhand gewinnt, denn jeden Tag werde ich stärker, und ich kann sagen, ich habe Gott erst zu lieben begonnen, seitdem ich mich von dem Begriff freigemacht habe, den die Priester mir von ihm gegeben hatten.«

»Dazu wünsche ich dir Glück Du bist glücklicher gewesen als ich, denn du hast in einem Jahre einen längeren Weg zurückgelegt, als ich in zehn.«

»Du hast also nicht damit begonnen, die Schriften von Lord Bolinbroke zu lesen?

Vor fünf Monaten las ich Charons Buch ›De la sagesse‹, und unser Beichtvater bekam, ich weiß nicht wie, Kenntnis davon. Er wagte mir bei der Beichte zu sagen, ich müßte das Lesen derartiger Bücher aufgeben. Ich antwortete ihm: da mein Gewissen keine Unruhe empfände, könnte ich ihm nicht gehorchen. »Dann werde ich Sie nicht absolvieren,« versetzte er. »Ich werde trotzdem zum Abendmahl kommen,« sagte ich. – Hierüber ärgerte er sich, und da er nicht wußte, was er machen sollte, sprach er mit dem Bischof. Seine Eminenz besuchte mich, um mir klar zu machen, daß ich mich meinem Beichtvater fügen müßte. Ich antwortete ihm, wir hätten gegenseitige Pflichten: Die Aufgabe eines Priesters im Beichtstuhl wäre, mich anzuhören, mir eine angemessene Buße aufzuerlegen und mich freizusprechen; denn er dürfte sich nicht einmal erlauben, mir Ratschläge zu geben, wenn ich ihn nicht danach fragte. Der Beichtvater müßte jedenfalls Skandal vermeiden; wenn er sich aber sollte einfallen lassen, mir die Absolution zu verweigern – was er ja tun könnte – so würde ich trotzdem mit den anderen Nonnen zum Abendmahl gehen. Der Bischof sah, daß er bei mir sein Latein verlor, und befahl dem Beichtvater, mich nach meinem Gewissen handeln zu lassen. Dies war mir aber noch nicht genug. Mein Liebhaber verschaffte mir vom Papst ein Breve, das mich ermächtigt, zu beichten, bei wem ich will. Alle meine Mitschwestern sind eifersüchtig auf dieses Vorrecht; ich habe mich desselben aber nur ein einziges Mal bedient, gewissermaßen, um einen Präzedenzfall zu schaffen und mein Recht durch eine Tatsache zu bekräftigen; denn die ganze Geschichte ist nicht der Mühe wert. Ich beichte stets bei demselben Priester, und es wird ihm nicht schwer, mich zu absolvieren, denn ich sage ihm nur, was ich will.«

»Wegen der Übrigen absolvierst du dich selber?«

»Ich beichte Gott, der meine innersten Gedanken kennen und der allein darüber urteilen kann, ob meine Handlungen gut oder böse sind.«

Ich erkannte aus diesem Gespräch, daß meine Schöne ein sogenannter Freigeist war. Ich war darüber keineswegs erstaunt, denn sie hatte ein noch größeres Bedürfnis, ihr Gewissen zu beschwichtigen, als ihre Sinnenlust zu befriedigen.

Am Sonntag Nachmittag nahm ich eine Gondel mit zwei Ruderern und fuhr um die Insel Murano herum, um mir die Lage des Klosters von der Wasserseite einzuprägen und um mir die kleine Pforte zu merken, durch die meine Freundin das Kloster verließ. Es war verlorene Zeit und Mühe. Denn das Ufer, woran das Kloster lag, lernte ich erst während der Novene kennen und die kleine Pforte erst sechs Monate später, noch dazu mit Gefahr meines Lebens; ich werde davon sprechen, wenn wir so weit sind.

Als die Stunde nahte, ging ich in den Tempel der Liebe. Während ich auf meine Göttin wartete, belustigte ich mich damit, mir die Bücher einer kleinen Bibliothek anzusehen, die sich im Boudoir befand. Sie waren nicht zahlreich, aber sorgsam ausgewählt und so recht des Ortes würdig. Man fand da alle Schriften gegen die Religion und alles, was die wollüstigsten Federn über die Freuden der Liebe geschrieben haben – verführerische Bücher, deren Stil den Leser in Flammen setzt und ihn nötigt, die Wirklichkeit zu suchen, von der sie nur das Abbild schildern. Mehrere reich gebundene Foliobände enthielten nur laszive Kupferstiche. Ihr großes Verdienst bestand weit mehr in der Reinheit der Zeichnung als in der Geilheit der Stellungen. Es waren die englischen Stiche zum ›Portier des Chartreur‹, die Bilder zu Meursius‘ Aloysia Sigea Toletana und andere, und alle waren von seltener Schönheit. Zahlreiche kleine Gemälde bedeckten außerdem die Wände des Kabinetts – lauter Meisterwerke in derselben Art wie die Kupferstiche.

Seit einer Stunde war ich damit beschäftigt, alle diese Sachen mir anzusehen, und ihre Betrachtung hatte mich in eine nicht mehr zu bändigende Erregung versetzt, als ich meine schöne Geliebte in Nonnentracht eintreten sah. Ihr Anblick war nicht eben ein Beruhigungmittel, und ich rief daher: »Du kommst gerade im günstigsten Augenblick. Alle diese erotischen Bilder haben ein verzehrendes Feuer in meine Adern gegossen, und in deinem Nonnenkleide mußt du mir das Heilmittel gewähren, das meine Liebe von dir verlangt.«

»Laß mich erst mein gewöhnliches Kleid anziehen, Liebster; in fünf Minuten bin ich ganz dein!«

»In fünf Minuten werde ich schon glücklich gewesen sein; nachher kannst du gehen und dich umkleiden.«

»Aber laß mich doch mich meiner Wollröcke entledigen, die ich nicht liebe.«

»Nein, du mußt die Huldigung meiner Liebe in demselben Kleide empfangen, das du trugst, als du sie in mir wecktest.«

Mit dem demütigsten Gesicht sprach sie ein: Fiat voluntas tua – Dein Wille geschehe, das sie mit dem wollüstigsten Lächeln begleitete; dann ließ sie sich auf ein Sofa niedersinken, und wir vergaßen einen Augenblick die ganze Welt. Nach dieser süßen Entzückung half ich ihr sich auskleiden, und bald verwandelte ein einfaches Kleid aus indischem Musselin meine liebenswürdige Nonne in eine ganz entzückende Nymphe.

Nach emem köstlichen Mahl verabredeten wir uns, daß wir uns erst am ersten Tage der Novene wiedersehen wollten. Sie gab mir die Schlüssel zum Eingang von der Wasserseite und sagte mir, ich könnte bei Tage die Tür an einem aus dem Fenster unmittelbar darüber heraushängenden blauen Bande erkennen, damit ich mich abends nicht irrte. Ich versetzte sie in die höchste Freude, als ich ihr sagte, ich würde bis zur Rückkehr ihres Freundes einfach in ihrem Kasino wohnen bleiben. Während der zehn Tage, die ich in dem Hause verweilte, sah ich sie viermal, und jedesmal überzeugte ich sie, daß ich nur für sie lebte.

Ich vertrieb mir die Zeit mit Lesen und indem ich an C. C. schrieb; aber meine Zärtlichkeit für diese war ruhig geworden. In den Briefen, die sie mir schrieb, interessierte mich am meisten, was sie von ihrer Freundin sagte. Sie tadelte mich, daß ich die Bekanntschaft mit M. M. nicht eifriger gepflegt hatte, und ich antwortete, ich hätte das nicht getan, weil ich befürchtet hätte, erkannt zu werden. Zugleich forderte ich sie auf, unverbrüchliches Schweigen zu beobachten.

Ich glaube nicht, daß es möglich ist, zwei Wesen gleichzeitig in gleichem Maße zu lieben. Auch bleibt die Liebe nicht auf ihrer Höhe, wenn man ihr zu reichliche Nahrung oder wenn man ihr gar keine gibt. Meine Leidenschaft für M. M. bewahrte immer dieselbe Stärke, weil ich sie stets nur unter der größten Gefahr, sie zu verlieren, besitzen konnte. »Es ist unmöglich,« sagte ich zu ihr, »daß nicht ein oder das andere Mal irgendeine Nonne das Bedürfnis verspürt, mit dir zu sprechen, während du gerade abwesend bist.« – »Nein,« antwortete sie mir, »das kann nicht vorkommen, denn jede Nonne muß das Recht haben, sich unzugänglich zu machen, und kein Recht wird im Kloster heiliger gehalten, selbst von Seiten der Abtissin. Nur der Ausbruch eines Brandes wäre zu fürchten, denn alsdann würde alles in schrecklichster Verwirrung sein, und es würde unnatürlich erscheinen, wenn eine Nonne ruhig in ihrer Zelle bliebe, während sie in so großer Gefahr schwebte: dadurch würde dann ohne Zweifel ihre Entweichung bekannt werden. Ich habe die Laienschwester, den Gärtner und eine andere Nonne auf meine Seite zu bringen gewußt; meine Gewandtheit im Bunde mit dem Gelde meines Geliebten hat dieses Wunder gewirkt. Mein Geliebter bürgt mir für die Treue des Kochs und seiner Frau, deren Obhut das Kasino anvertraut ist. Desgleichen ist er auch der beiden Gondoliere sicher; obwohl der eine vor ihnen unfehlbar ein Spion der Staatsinquisitoren ist.«

Am Tage vor Weihnacht sagte sie mir, ihr Liebhaber würde zurückkommen; sie würde am Stefanstage [R1: 26. Dezember] mit ihm die Oper besuchen, und sie würden hierauf die Nacht miteinander verbringen. »Ich erwarte dich, mein süßer Freund, am letzten Tage des Jahres, und hier hast du einen Brief, den ich dich erst in deiner Wohnung zu lesen bitte.«

Da ich also ausziehen mußte, um einem anderen Platz zu machen, schnürte ich in aller Herrgottsfrühe mein Bündel und verließ das Asyl, wo ich zehn Tage lang so hoher Wonnen genossen hatte. Ich begab mich nach dem Palazzo Bragadino und las dort folgenden Brief:

»Du hast mich ein wenig verletzt, lieber Freund, als Du in bezug auf das Geheimnis, worin ich Dir gegenüber die Person meines Liebhabers hüllen muß, mir bemerktest, Du seist zufrieden, mein Herz zu besitzen, und lassest mir die volle Freiheit meines Geistes. Diese Scheidung von Herz und Geist erscheint mir als durchaus sophistisch, und wenn sie Dir nicht so erscheint, so mußt Du zugeben, daß Du mich nicht voll und ganz liebst. Denn unmöglich kann ich ohne Geist existieren, und unmöglich kannst Du mein Herz lieben, wenn es nicht mit meinem Geiste in Einklang steht. Wenn Deine Liebe sich mit dem Gegenteil begnügen kann, so ist sie nicht übermäßig zartfühlend. Da jedoch der Fall eintreten könnte, daß Du mich vielleicht überführen würdest, Dir gegenüber nicht mit der vollen Aufrichtigkeit gehandelt zu haben, die eine wahre Liebe einflößt und verlangen kann, so habe ich mich entschlossen, Dir ein Geheimnis zu entdecken, das meinen Freund betrifft, obwohl ich weiß, daß er fest auf meine Verschwiegenheit rechnet. Ich werde einen Verrat begehen, aber Du wirst mich darum nicht weniger lieben; denn da ich in der Zwangslage bin, zwischen euch beiden wählen und entweder den einen oder den anderen belügen zu müssen, so hat die Liebe den Sieg davongetragen. Aber bestrafe mich nicht dafür, denn ich habe meine Wahl nicht blindlings getroffen, und Du wirst die Gründe abwägen, die die Wagschale sich zu Deinen Gunsten senken ließen.

Als ich mich nicht mehr imstande fühlte, meinem Verlangen nach Deiner näheren Bekanntschaft zu widerstehen, konnte ich nur dadurch zum Ziel gelangen, daß ich mich meinem Freunde offenbarte, und ich zweifelte keinen Augenblick an seiner gefälligen Hilfe. Er bekam von Deinem Charakter einen sehr vorteilhaften Begriff, als er Deinen ersten Brief las – einmal, weil Du das Sprechzimmer für unsere erste Zusammenkunft wähltest, ferner, weil Du sein Kasino in Murano Deinem eigenen vorzogst. Aber er bat mich auch um die Gefälligkeit, ihm zu erlauben, bei unserem ersten Beisammensein anwesend zu sein, und zwar in einem kleinen Kabinett, einem richtigen Versteck, von wo aus man, ohne selber gesehen zu werden, alles sehen kann, was im Salon vorgeht, und alles hören kann, was dort gesprochen wird. Du hast dieses Kabinett noch nicht gesehen, denn man kann dessen Vorhandensein unmöglich erraten; aber Du wirst es am Silvesterabend sehen. Sage mir, mein Herz, konnte ich dem Manne, der mir so großes Entgegenkommen zeigte, diesen eigentümlichen Wunsch versagen? Ich stimmte seiner Bitte zu, und da war es dann ganz natürlich, daß wir die Sache vor Dir geheim hielten. Jetzt weißt Du, daß mein Freund Zeuge war von allem, was wir während unserer ersten Liebesnacht taten und sagten. Aber laß Dich dies nicht verdrießen, denn ihm hat alles an Dir gefallen, Dein Benehmen sowohl wie die hübschen Bemerkungen, mit denen Du mich erheitert hast. Als das Gespräch auf ihn kam, hatte ich eine rechte Angst, Du könntest etwas sagen, was seinem Selbstgefühl nicht schmeichelhaft sein würde; glücklicherweise aber hat er nur lauter Schmeichelhaftes hören können. Hiermit, mein Herz, habe ich Dir aufrichtig meinen ganzen Verrat gebeichtet; aber als Verliebter und kluger Mann wirst Du ihn mir verzeihen und zwar um so leichter, da Du keinen Schaden davon gehabt hast. Mein Freund ist höchst neugierig zu erfahren, wer Du bist. Aber höre: in jener Nacht warst Du natürlich und ganz und gar liebenswürdig; wärst Du es auch gewesen, wenn Du gewußt hättest, daß Du Dich unter den Augen eines Zeugen befandest? Das ist nicht wahrscheinlich, und wenn ich Dich eingeweiht hätte, so würdest Du möglicherweise Dich gar geweigert haben, und vielleicht hättest Du recht gehabt.

Jetzt, da wir uns kennen und da Du, wie ich hoffe, nicht mehr an unserer zärtlichen Liebe zweifelst, will ich mein Gewissen beruhigen und alles an alles setzen. Erfahre also, lieber Freund, daß am Neujahrsabend mein Geliebter im Kasino sein und daß er es erst am nächsten Morgen verlassen wird. Du wirst ihn nicht sehen, aber er wird uns sehen. Da er annimmt, daß Du von nichts wissest, so begreifst Du, wie natürlich in jeder Hinsicht Dein Benehmen sein muß; denn wenn Du nicht natürlich wärest, könnte er auf den Verdacht kommen, daß ich das Geheimnis verraten habe. Am meisten mußt Du auf Deine Worte acht geben. Mein Freund besitzt alle Tugenden mit Ausnahme der theologischen Tugend, die man Glauben nennt, und auf diesem Gebiet magst Du Dich nach Herzenslust ergehen. Über Literatur, Reisen, Politik wirst Du nach Deinem Belieben sprechen; in bezug auf Anekdoten brauchst Du Dich nicht zu genieren; Du kannst seiner Billigung gewiß sein.

Jetzt, mein Freund, bleibt mir nur noch eins zu fragen: bist Du in der Laune, Dich in den Augenblicken, wo Du Dich der süßesten Wollust der Sinne überlieferst, von einem anderen Manne sehen zu lassen? Diese Ungewißheit ist jetzt meine Qual; und ich bitte Dich recht sehr: antworte mir mit einem Ja oder Nein. Begreifst Du, wie peinlich mir diese Befürchtung ist. Fühlst Du, wie schwer es mir werden muß, mich zu einem solchen Schritt zu entschließen. Ich sehe voraus, daß ich die nächste Nacht kein Auge schließen werde, denn ich werde keine Ruhe haben, bevor ich nicht Deine Antwort gesehen habe. Solltest Du glauben, in Gegenwart eines Dritten, zumal eines Unbekannten, nicht zärtlich sein zu können, so werde ich den Entschluß fassen, den die Liebe mir eingeben wird. Ich hoffe indessen, Du wirst kommen! Denn, wenn Du auch die Rolle des Liebenden nicht ganz vollkommen spielen solltest, so würde das weiter nicht schaden. Ich würde ihm einreden, Deine Liebe stände nicht mehr auf ihrem Höhepunkt.«

Dieser Brief überraschte mich. Aber wenn ich es mir recht überlegte, fand ich meine Rolle schöner als die, die der Liebhaber zu spielen gedachte, und so lachte ich herzlich darüber. Ich gestehe indessen, ich würde nicht gelacht haben, wenn ich nicht gewußt hätte, von welcher Art der Mann war, den ich zum Zeugen haben sollte. Da ich wußte, daß meine Freundin in großer Unruhe war, und da ich sie beruhigen wollte, schrieb ich ihr sofort folgendes:

»Du wünschest, göttliches Weib, daß ich Dir mit Ja oder Nein antworte. Voller Liebe zu Dir, will ich Dir meine Antwort noch vor Mittag zukommen lassen, damit Du ohne alle Unruhe essen kannst.

Ich werde die Neujahrsnacht mit Dir verbringen, und ich versichere Dir, wir werden dem Freunde ein Schauspiel bieten, dessen Paphos und Amathunt sich nicht hätten zu schämen brauchen. Er wird nichts sehen und hören, was ihn auf die Vermutung bringen könnte, ich wäre in sein Geheimnis eingeweiht; und verlaß Dich drauf, ich werde meine Rolle nicht als Dilettant, sondern als Meister spielen. Wenn der Mensch die Pflicht hat, stets Sklave seiner Vernunft zu sein; wenn er, soweit es von ihm selber abhängt, nichts sich erlauben darf, ohne ihrer Führung zu folgen – so werde ich niemals zu begreifen vermögen, daß ein Mensch sich schämen kann, sich einem Freunde in einem Augenblick zu zeigen, wo Natur und Liebe ihn gleichermaßen begünstigen.

Ich will Dir jedoch gestehen, daß Du übel daran getan haben würdest, mir das Geheimnis gleich beim erstenmal anzuvertrauen, und daß ich mich ohne Zweifel geweigert haben würde, in dieser Weise Dir gefällig zu sein. Nicht daß ich Dich damals weniger liebte, als ich Dich heute liebe – aber es gibt in der Natur so absonderliche Geschmacksverirrungen, daß ich mir vielleicht eingebildet hätte, es sei der Geschmack Deines Liebhabers, seinen Genuß im Anblick der Genüsse eines leidenschaftlichen und der süßesten Vereinigung sich schrankenlos hingebenden Liebespaares zu suchen. Dieser Gedanke hätte mir vielleicht einen unvorteilhaften Begriff von Dir gegeben und der Verdruß hätte vielleicht die Liebe abgekühlt, die Du mir eingeflößt hattest, die aber doch nur im ersten Entstehen begriffen war. Heute, meine reizende Freundin, liegt der Fall ganz anders, denn ich weiß vollkommen, welch einen Schatz ich in Deiner Liebe besitze. Aus allem, was Du mir über Deinen Freund erzählt hast, habe ich eine genaue Kenntnis seines Charakters gewonnen; ich liebe ihn und ich halte ihn für meinen Freund. Wenn Dich nicht ein Gefühl von Scham abhält, Dich in glühender zärtlicher Vereinigung mit mir von ihm sehen zu lassen, wie soll denn ich selber mich schämen, da doch im Gegenteil alles mich nur stolz machen kann. Ich kann, meine Göttin, weder darob erröten, daß ich Dich erobert habe, noch kann ich mich schämen, zu zeigen, mit welcher Freigebigkeit die Natur mir Schönheit und Kraft schenkte, die mir so lebhafte Genüsse geben und denen ich die Gewißheit verdanke, das von mir angebetete Weib an diesen Genüssen teilnehmen zu lassen. Ich weiß wohl, daß infolge eines Gefühls, das man natürlich nennt, das aber vielleicht nur ein Produkt der Zivilisation ist und aus jugendlichen Vorurteilen entspringt – ich weiß wohl, sage ich, daß es den meisten Menschen widerstrebt, sich in solchen Augenblicken sehen zu lassen. Diejenigen aber, die keine guten Gründe für solche Abneigung anführen können, müssen wohl etwas von der Natur der Katzen an sich haben; übrigens haben sie vielleicht recht gute Gründe und brauchen sich deshalb doch nicht für verpflichtet zu halten, sie irgend einem Menschen mitzuteilen, außer der Frau, die sich dadurch täuschen läßt. Ich entschuldige von ganzem Herzen alle diejenigen, die da wissen, daß sie nur das Mitleid der Zuschauer erregen würden; wir aber wissen, daß wir dieses traurige Gefühl gewiß nicht auslösen können! Alles, was Du mir von Deinem Freunde gesagt hast, gibt mir die Gewißheit, daß er unsere Genüsse teilen wird. Aber weißt Du auch, wie es kommen wird? Das Feuer unserer Leidenschaften wird die seine entflammen und – es tut mir leid um diesen ausgezeichneten Menschen – er wird nicht mehr an sich halten können, er wird sich mir zu Füßen werfen und mich bitten, ihm Dich abzutreten, die allein seine Erregung beruhigen kann. Was soll ich machen, wenn dieser Fall eintritt? Dich ihm überlassen? Ich könnte mich anstandshalber dessen nicht weigern; aber ich würde gehen, denn es wäre mir unmöglich, ruhiger Zuschauer zu sein.

Leb also wohl, mein Engel, alles wird gut gehen. Bereite Dich auf den athletischen Kampf vor, den wir miteinander bestehen müssen, und verlasse Dich auf den Glücklichen, der Dich anbetet!«

Ich verbrachte die sechs freien Tage mit meinen Freunden und im Ridotto, der zu jener Zeit am Stefanstage eröffnet wurde. Da ich nicht abziehen konnte – denn nur den Adligen war es erlaubt, im Patriziertalar die Bank zu halten –, so spielte ich morgens und abends und verlor beständig; denn wer nur setzt, muß verlieren. Der Verlust von vier- bis fünftausend Zechinen, die meinen ganzen Reichtum ausmachten, hatte aber nicht die Wirkung, meine Liebe abzukühlen, sondern schien ihr nur neue Glut zu verleihen.

Gegen Ende des Jahres 1774 erließ der Große Rat ein Gesetz, das alle Glücksspiele verbot und dessen erste Wirkung darin bestand, daß der Ridotto geschlossen werden mußte. Dieses Gesetz war ein wirkliches Wunder. Als die Stimmzettel der Urne entnommen waren, sahen die Senatoren sich gegenseitig ganz verdutzt an. Sie hatten ein Gesetz beschlossen, das sie gar nicht beschließen konnten, denn drei Viertel der Abstimmenden wollten nichts davon wissen, und trotzdem waren drei Viertel der Stimmen zugunsten des Gesetzes. Man sagte, es sei ein Wunder des heiligen Markus, den der damalige Großkorrektor, jetzige Kardinal Monsignore Kardinal Flangini, und die drei Staatsinquisitoren darum angefleht hätten.

Am verabredeten Tage erschien ich zur gewöhnlichen Stunde am gewöhnlichen Ort, und meine Freundin ließ mich nicht warten. Sie war im Kabinett, wo sie sich bereits hatte umkleiden können; sobald sie mich hörte, trat sie zu mir ins Zimmer. Sie war mit seltener Eleganz gekleidet.

»Der Freund ist noch nicht auf seinem Posten; sobald er aber da ist, werde ich dir einen Wink mit den Augen geben.«

»Wo ist denn dieses geheimnisvolle Kabinett?«

»Dort! Betrachte die Rücklehne des Kanapees an der Wand. Alle diese in Reliefs gearbeiteten Blumen haben in der Mitte ein Loch, durch welches man von dem dahinter befindlichen Kabinett aus hindurchsehen kann. Dieses enthält ein Bett, einen Tisch und was jemand sonst noch braucht, der darin die Nacht verbringen und zu seiner Belustigung sich ansehen will, was hier im Salon vorgeht. Ich werde es dir zeigen, sobald du willst.«

»Hat dein Liebhaber es so einrichten lassen?«

»Nein, gewiß nicht; denn er konnte nicht voraussehen, daß er je davon Gebrauch machen würde?«

»Ich begreife, daß solches Schauspiel ihm großes Vergnügen bereiten kann. Aber was wird er machen, wenn er in einem Augenblick, wo die Natur es gebieterisch fordert, dich nicht besitzen kann?«

»Das ist seine Sache. Übrigens kann er ja gehen, wenn er sich langweilt, oder schlafen, wenn er müde wird. Aber wenn du dich nach deiner Natur benimmst, wird er sich nicht langweilen.«

»Das werde ich tun; nur werde ich höflicher sein.«

»Keine Höflichkeiten, bitte, bitte! Denn wenn du höflich bist – ade Natur! Wo hast du je gesehen, ich bitte dich, daß zwei Liebende in der vollen Raserei der Liebe daran denken, Höflichkeitsformen zu beobachten?«

»Du hast recht, mein Herz; aber ich werde zart sein.«

»Das lasse ich gelten; Zartgefühl verdirbt nichts. Aber sei nicht anders als sonst. Dein Brief hat mir Freude gemacht; du hast das Thema als Sachverständiger behandelt!«

Meine Geliebte war, wie ich vorhin sagte, mit bemerkenswerter Eleganz gekleidet; aber ich hätte hinzufügen sollen, daß diese Eleganz die der Grazien war und der Einfachheit und Ungezwungenheit ihres Wesens keinen Abbruch tat. Auffallend fand ich nur, daß sie sich geschminkt hatte; doch gefiel es mir, weil sie die Schminke nach Art der Versailler Damen aufgelegt hatte. Der Reiz dieser Malerei besteht in der Nachlässigkeit, womit man sie auf die Wangen aufträgt. Man will gar nicht, daß dieses Rot natürlich aussehen soll; man legt es auf, um den Augen eine Lust zu bereiten; denn diese sehen darin Anzeichen einer Trunkenheit der Sinne, die ihnen außergewöhnliche Genüsse und zauberhafte Liebesrasereien verspricht.

Sie sagte mir, sie habe sich dem Neugierigen zuliebe so geschmückt, denn er habe an dieser Art des Schminkens viel Vergnügen.

»An diesem Geschmack«, sagte ich, »errate ich, daß er Franzose ist.«

Bei diesen Worten gab sie mir einen Wink: der Freund war auf seinem Posten. Die Komödie begann:

»Je mehr ich dich ansehe, mein Engel, desto mehr finde ich dich meiner Anbetung würdig.«

»Aber du bist doch überzeugt, daß du nicht eine grausame Gottheit anbetest?«

»Gewiß; deshalb bringe ich dir ja auch keine Opfer dar, um dich zu besänftigen, sondern um dich zu entflammen. Du wirst die ganze Nacht hindurch die Glut meiner Verehrung spüren!«

»Du wirst mich nicht unempfindlich gegen deine Opfer finden.«

»Ich würde sie sofort beginnen, aber ich glaube, um ihrer Wirksamkeit um so gewisser zu sein, müssen wir erst soupieren; denn ich habe heute noch nichts zu mir genommen als eine Tasse Schokolade und einen Salat von hartem Eiweiß mit Luccaöl und Räuberessig.«

»Aber, lieber Freund, welche Torheit! Du mußt krank sein!«

»Ja, in diesem Augenblick; aber ich werde mich vortrefflich befinden, wenn ich diese Eier eins nach dem anderen deiner liebenden Seele eingeflößt habe.«

»Ich glaubte nicht, daß du Reizmittel nötig hättest.«

»Wer hätte solche bei dir nötig! Aber ich habe eine begründete Furcht: sollte es mir zustoßen, daß das Zündhütchen Feuer finge, ohne daß der Schuß losginge – so würde ich mir eine Kugel durch den Kopf schießen.«

»Mein lieber Schwarzkopf, das wäre gewiß ein Unglück; aber deswegen braucht man doch noch nicht in Verzweiflung zu geraten.«

»Du meinst, ich brauchte nur einfach den Angriff zu erneuern?«

»Natürlich!«

Während wir uns mit solchen erbaulichen Gesprächen ergötzten, war der Tisch gedeckt worden, und wir nahmen Platz. Sie aß für zwei und ich für vier, denn unser ausgezeichneter Appetit wurde durch die Vortrefflichkeit der Speisen noch angespornt. Der prachtvolle Nachtisch wurde in Schüsseln von vergoldetem Silber aufgetragen, die zu den beiden vierarmigen Tischleuchtern paßten. Als sie bemerkte, daß ich deren Schönheit bewunderte, sagte sie: »Sie sind ein Geschenk von meinem Geliebten.«

»Ein prachtvolles Geschenk. Hat er dir auch die Lichtputzer dazu gegeben?«

»Nein.«

»Danach möchte ich glauben, daß dein Freund ein großer Herr ist.«

»Wieso denn?«

»Große Herren wissen nicht, daß man die Kerzen putzt.«

»Unsere Kerzen haben Dochte, die man nicht zu putzen braucht.«

»Sage mir doch, von wem du dein Französisch gelernt hast?«

»Vom alten La Forest. Ich war sechs Jahre lang seine Schülerin. Er hat mich auch Verse machen gelehrt. Aber weißt du – du kennst eine Menge Wörter, die ich niemals von ihm gehört habe, wie z. B. à gogo, frustratoire, rater, dorloter. Von wem hast du sie gelernt?«

»Von der Pariser guten Gesellschaft und besonders von den Frauen.«

Nachdem sie den Punsch bereitet hatte, machten wir uns den Spaß, Austern auf die wollüstigste Art zu essen, die nur zwei sich anbetenden Liebenden möglich ist. Wir schlürften sie abwechselnd einander aus dem Munde, nachdem wir sie auf die Zunge gelegt hatten. Wollüstiger Leser – iß Austern auf diese Art und sage, ob dieses nicht ohne Frage der Nektar der Götter ist!

Endlich war genug getändelt; wir mußten an ausgiebigere Genüsse denken, und ich erinnerte sie daran. »Warte!« sagte sie; »ich werde das Kleid wechseln, in einem Augenblick bin ich dein.« Ich wußte nicht recht, was ich allein anfangen sollte, und stöberte in den Schubfächern ihres Schreibtisches herum. Mehrere Briefe, die ich fand, ließ ich unberührt; als ich aber eine Schachtel mit gewissen zur Verhütung der Empfängnis dienenden Futteralen fand, nahm ich den Inhalt an mich und legte an die Stelle des Gestohlenen folgende Verse:

Enfants de l’amitié, ministres de la peur,
Je suis l’Amour, tremblez! respectez le voleur!
Et toi, femme de Dieu, ne crains pas d’ètre mère;
Car si tu le deviens, Dieu seul sera le père.
S’il est dit cependant, que tu veux te barrer,
Parle: je suis tout prêt; je me ferai chatrer.

Kinder der Freundschaft, Diener der Furcht,
Ich bin Amor. Zittert! Respekt vor dem Dieb!
Und du göttliche Braut, fürchte nicht Mutter zu werden,
Denn wenn du es wirst, ist Gott allein der Vater.
Doch, wenn du durchaus dich versperren willst –
So sprich: Meine Mannheit zu opfern bin ich bereit!

Es dauerte nicht lange, so kehrte meine Liebste, wie eine Nymphe gekleidet, zurück. Ein Kleid aus indischem Musselin, mit goldenen Lilien bestickt, ließ zum Entzücken ihre wollüstigen Formen hervortreten, und ihr Häubchen aus echten Spitzen war einer Königin würdig. Ich warf mich ihr zu Füßen und bat sie, mein Glück nicht länger zu verzögern.

»Mäßige dein Feuer noch wenige Augenblicke,« sagte sie; »da ist der Altar, und in zwei Minuten wird das Opfer in deinen Armen liegen.«

Sie ging auf den Schreibtisch zu und fuhr fort: »Du sollst sehen, wie weit die zartfühlende Sorgfalt meines Freundes sich erstreckt!« Sie holte die Schachtel hervor und öffnete sie; aber statt der gesuchten Überzieherchen fand sie meine Verse. Nachdem sie diese gelesen und dann laut noch einmal gelesen hatte, nannte sie mich einen Dieb, gab mir eine Menge Küsse und bat mich, ich möchte meine Beute wieder herausgeben. Aber ich stellte mich, als wüßte ich von nichts. Sie las meine Verse noch einmal, dachte einen Augenblick nach, sagte, sie wolle eine bessere Feder holen und ging hinaus. »Ich will dich in gleicher Münze bezahlen,« rief sie dabei lachend. Einen Augenblick darauf kam sie wieder und schrieb folgenden Sechszeiler:

Ohne den Liebesgenuß zu verkürzen,
Erfüllt meine Wünsche was du mir gestohlen;
Geschützt vor Gefahr und darum zufrieden
Schwelgt meine Seele in höchster Wollust
Und willst in Sicherheit mit mir genießen du selbst,
Gib mir, mein süßer Freund, der Freundschaft Gaben zurück.

Einem solchen Angriff konnte ich unmöglich länger widerstehen, und ich gab ihr die Dinger zurück, die für eine der Venus opfernde Nonne so kostbar sind.

Es hatte Mitternacht geschlagen. Ich zeigte ihr den sehnsüchtigen kleinen Helden, und sie machte das Sofa zurecht, indem sie sagte, im Alkoven wäre es zu kalt und wir wollten lieber im Salon schlafen. In Wirklichkeit traf sie diese Anordnung, damit wir dem neugierigen Liebhaber sichtbar wären.

Leser! Jedes Gemälde braucht Schatten; auch das Schönste muß hier und da verschleiert werden. Um dir die fortwährend sich ändernde Szene zu schildern, die wir bis zur Morgendämmerung aufführten, müßte ich alle Farben von Aretinos reicher Palette zur Verfügung haben. Ich war glühend und kräftig, aber ich hatte es mit einer starken Gegnerin zu tun, und am Morgen nach dem Kampf waren wir völlig erschöpft. Ja, ich war in solchem Maße erschöpft, daß meine reizende Nonne sich ernstlich um mich beunruhigte. Sie hatte in der Tat während des letzten Opfers mein Blut auf ihren Busen spritzen sehen, und da sie auf eine solche Erscheinung nicht gefaßt war, erbleichte sie vor Schreck. Ich verscheuchte ihre Furcht durch allerlei Tollheiten, über die sie herzlich lachen mußte. Ich wusch ihren wundervollen Busen mit Rosenwasser, um ihn von dem Blut zu reinigen, das ihn zum erstenmal in ihrem Leben gefärbt hatte. Sie sprach mir ihre Furcht aus, sie könnte vielleicht einen Tropfen davon verschluckt haben; aber ich überzeugte sie leicht, daß dies nichts zu bedeuten hätte, selbst wenn es der Fall sein sollte. Sie zog ihr Nonnenkleid an und beschwor mich, zu Bett zu gehen und ihr noch vor meiner Rückkehr nach Venedig über mein Befinden zu schreiben. Auch sie wollte mir sogleich schreiben; erst nach einer halben Stunde hörte ich sie das Haus verlassen. Gewiß war sie die Zeit über bei ihrem Freunde geblieben.

Es wurde mir leicht, ihr zu gehorchen, denn ich hatte das größte Bedürfnis nach Ruhe; ich schlief bis zum Abend. Als ich erwachte, teilte ich ihr schnell mit, daß ich mich ausgezeichnet wohl befände und vollkommen dazu aufgelegt wäre, unsern köstlichen Kampf von neuem zu beginnen. Ich bat sie, mir zu schreiben, wie es ihr ginge, und fuhr nach Venedig zurück.