Ich finde Giulietta wieder und bei ihr den angeblichen Grafen Celi, der inzwischen Graf Alfani geworden ist. – Ich beschließe nach Neapel zu reisen. – Ein Erlebnis, das mich auf einen anderen Weg bringt.

Als ich nach einem kurzen Spaziergang in meinen Gasthof in Cesena zurückkam, gab der Wirt mir den Theaterzettel, worauf vier Vorstellungen der Metastasioschen Dido im Spadatheater angekündigt wurden. Da ich sah, daß weder unter den Künstlern noch unter den Künstlerinnen Bekannte von mir waren, entschloß ich mich, mir die Abendvorstellung anzusehen und erst am anderen Morgen mit der Post abzureisen. Mich stachelte immer noch ein kleines bißchen Furcht vor der Inquisition, und es war mir, wie wenn sie mir schon dicht auf den Hacken säße.

Bevor ich den Zuschauerraum betrat, ging ich in das Ankleidezimmer der Schauspielerinnen, und die erste kam mir recht appetitlich vor. Sie war Bologneserin und hieß Narici. Ich begrüßte sie und fragte sie nach einigen Komplimenten, ob sie frei sei.

»Ich bin«, antwortete sie, »nur der Direktion gegenüber verpflichtet.«

»Haben Sie einen Liebhaber?«

»Nein.«

»Ich erbiete mich als solchen, wenn Sie Lust haben.«

Sie lächelte spöttisch und sagte: »Ach, nehmen Sie mir doch vier Karten zu den vier Vorstellungen ab.«

Ich zog zwei Zechinen aus meiner Börse, die ich absichtlich so hielt, daß sie sehen mußte, wie gut sie gespickt war; dann nahm ich die vier Karten, gab sie ihrer Zofe, die hübscher war als sie, und ging ohne weiter ein Wort zu sagen. Sie rief mich zurück; ich tat aber, als hörte ich sie nicht, und nahm mir einen Parkettplatz. Da ich alles höchst mittelmäßig fand, stand ich nach dem ersten Ballet auf, um fortzugehen. Als ich dabei zufällig einen Blick auf die große Loge warf, sah ich zu meinem großen Erstaunen den Venetianer Manzoni mit der berühmten Giulietta, deren famosen Ball mit der Ohrfeige der Leser wohl noch in Erinnerung haben wird.

Da ich sah, daß man mich nicht bemerkte, fragte ich meinen Nachbar, wer wohl die schöne Dame mit den vielen Diamanten sei. Er antwortete mir: »Das ist Signora Querini aus Venedig; der Eigentümer des Theaters, General Graf Spada, den Sie an ihrer Seite sehen, hat sie aus seiner Heimat Faenza hierher gebracht.«

Es freute mich sehr, daß Herr Querini sie endlich geheiratet hatte, aber ich dachte nicht daran, mich ihr zu nähern – aus Gründen, die der Leser ebenso wenig vergessen haben wird wie die Vorfälle, als ich sie auf ihr Verlangen als Abbaten verkleiden mußte. Ich wollte also gehen; aber im selben Augenblick gewahrte sie mich und winkte mich heran. Ich kam; da ich aber nicht bekannt sein wollte, sagte ich ihr leise, ich nenne mich Farussi. Manzoni sagte mir, ich spräche mit Ihrer Excellenz Signora Querini. »Ich weiß es«, sagte ich zu ihm, »aus einem Brief, den ich aus Venedig erhielt, und ich wünsche der gnädigen Frau von Herzen Glück dazu.«

Giulietta verstand mich, machte mich auf der Stelle zum Baron und stellte mich dem Grafen Spada vor. Sofort lud der Herr mich sehr liebenswürdig ein, in seine Loge zu kommen. Nachdem er mich gefragt hatte, wober ich käme, wohin ich ginge und so weiter, bat er mich, ihm die Ehre zu erweisen und bei ihm zu Nacht zu speisen.

Vor zehn Jahren war er Giuliettas Freund in Wien gewesen, als Maria Theresia in Anbetracht des bösen Einflusses ihrer Reize sie ausweisen zu müssen glaubte. Sie hatte in Venedig die Bekanntschaft mit ihm erneuert und hatte ihn veranlaßt, sie zu einer Vergnügungspartie mit sich nach Bologna mitzunehmen; und ihr alter Anbeter, Herr Manzoni, der mir dies alles erzählte, begleitete sie, um Herrn Querini über ihre gute Aufführung berichten zu können. Er war allerdings kein sehr gut gewählter Tugendwächter. In Venedig wollte sie überall die Meinung verbreiten, daß Herr Querini sie im Geheimen geheiratet habe; aber in einer Entfernung von fünfzig Meilen hielt sie diese Formalität nicht für angebracht, und der General hatte sie bereits dem ganzen Adel von Cesena als Signora Querini Papozze vorgestellt. Ubrigens hätte Herr Querini unrecht gehabt, wenn er auf den General eifersüchtig gewesen wäre, denn dieser war ein so alter Bekannter, daß es nicht darauf ankommen konnte, wenn er der Schönen den Hof machte. Übrigens gilt es bei gewissen Frauen als ausgemacht, daß ein Mann, der als neuester Liebhaber sich auf einen alten Bekannten eifersüchtig zeigt, nur ein Dummkopf sein kann und als solcher zu behandeln ist. Giulietta hatte mich schnell gerufen, weil sie ohne Zweifel meine Indiskretion fürchtete; als sie aber sah, daß ich ebenfalls die ihrige zu fürchten hatte, da beruhigte sie sich; ich war so vernünftig, sie von Anfang an mit allen ihrem Stande schuldigen Rücksichten zu behandeln.

Beim General fand ich zahlreiche Gesellschaft und ziemlich hübsche Frauen. Da ich Giulietta nicht sah, fragte ich Herrn Manzoni nach ihr, und er sagte mir, sie sitze am Pharaotische und verliere ihr Geld. Ich ging in den Spielsaal und sah sie zur Linken des Bankhalters sitzen, welcher bei meinem Anblick erbleichte. Er war der angebliche Graf Celi. Er bot mir ein Buch1 an, ich wies es höflich zurück, nahm aber Giuliettas Anerbieten an, Halbpart mit ihr zu spielen. Sie hatte etwa fünfzig Zechinen vor sich liegen; ich gab ihr ebenso viel und setzte mich neben sie. Nach Schluß der Taille fragte sie mich, ob ich den Bankhalter kenne, und ich bemerkte, daß er es gehört hatte. Ich sagte Nein. Die Dame, die zu meiner Linken saß, sagte mir, es sei der Graf Alfani. Eine halbe Stunde später hatte Frau Querini ein Sept et le va von achtzig Zechinen auf einer Karte stehen2, und der Abzug war entscheidend; ich stand auf und heftete meine Blicke auf die Hände des Bankhalters. Trotzdem schlug er die Volte und die Signora verlor.

Im selben Augenblick kam der General und holte Sie zu Tisch; sie ließ den Rest ihres Goldes liegen und stand auf; nach dem Dessert kehrte sie an den Spieltisch zurück und verlor alles.

Ich belebte das Mahl durch eine Menge kleiner Geschichten und feiner Scherze und gewann mir dadurch die Freundschaft der ganzen Gesellschaft, ganz besonders die des Generals. Als er von mir gehört hatte, ich ginge nur um einer verliebten Laune willen nach Neapel, beschwor er mich, einen Monat bei ihm zu verbringen und ihm zuliebe meine Laune zu opfern. Sein Bitten war jedoch vergeblich; denn da mein Herz leer war, so drängte es mich, Lucrezia und Teresa wiederzusehen, von deren Reizen ich nach fünf Jahren nur noch eine verworrene Erinnerung hatte. Doch erklärte ich mich bereit, die vier Tage in Cesena zu bleiben, die er noch dort verbringen wollte.

Als ich mich am anderen Morgen anzog, sah ich den Feigling Alfani-Celi erscheinen. Ich empfing ihn mit einem spöttischen Lächeln, indem ich ihm sagte, ich hätte ihn erwartet.

Da mein Friseur anwesend war, antwortete er nichts; sobald wir aber allein waren, fragte er mich: »Welche Gründe können Sie haben, mich zu erwarten?«

»Meine Gründe sind Wahrscheinlichkeiten, die Sie im einzelnen hören werden, sobald Sie mir hundert Zechinen aufgezählt haben, was Sie sofort tun werden.«

»Hier sind fünfzig, die ich Ihnen überbringen wollte; mehr können Sie nicht verlangen.«

»Ich nehme fie als Abzahlung an; aber ich warne Sie im Guten, sich heute abend nicht beim Grafen einzufinden, denn Sie werden dort nicht empfangen werden; und das wird man mir zu verdanken haben.«

»Ich hoffe, Sie werden es sich überlegen, ehe Sie eine solch schlechte Handlung begehen.«

»Ich habe es mir bereits genügend überlegt. Aber schnell, machen Sie, daß Sie fortkommen!«

Es klopfte an meiner Tür, und der angebliche Alfani verschwand, ohne daß ich nötig hatte, ihm meine Aufforderung zu wiederholen. Der neue Besucher war der neue Kastrat, der mich im Auftrag der Narici zum Essen einladen sollte. Ich fand die Einladung spaßhaft und nahm sie lachend an. Dieser Kastrat und Komiker hieß Niccola Peretti und behauptete, der Enkel eines natürlichen Sohnes von Sixtus dem Fünften zu fein, was sehr leicht möglich sein kann. Fünfzehn Jahre später werde ich von ihm sprechen. Beim Eintreten sah ich den Grafen Alfani, der mich ganz gewiß nicht erwartete; mir kam die Idee, er müsse mich für seinen bösen Geist halten. Er begrüßte mich mit großer Höflichkeit und bat mich, zwei Worte unter vier Augen mit mir sprechen zu dürfen.

»Ich gebe Ihnen noch fünfzig Zechinen«, sagte er zu mir; »aber als Ehrenmann können Sie diese nur annehmen, um sie Frau Querini wiederzugeben: wie aber wollen Sie sie ihr auszahlen, ohne ihr zu sagen, daß Sie mich zu dieser Rückerstattung genötigt haben? Sie werden fühlen, welche Folgen dies haben könnte.«

»Ich werde sie ihr übergeben, wenn Sie nicht mehr hier sind; unterdessen werde ich verschwiegen sein; aber hüten Sie sich, in meiner Gegenwart das Glück zu verbessern, denn ich würde Ihnen einen bösen Streich spielen.«

»Verdoppeln Sie meine Bank, und Sie bekommen Halbpart.«

»Ihr Vorschlag ist eine Beleidigung.«

Ich erhielt die fünfzig Zechinen und versprach ihm, das Geheimnis zu bewahren.

Bei der Schauspielerin war zahlreiche Gesellschaft, besonders junge Leute, die nach dem Essen sämtlich ihr Geld verloren. Ich spielte nicht, und dadurch fühlte die Schöne sich enttäuscht; denn sie hatte mich nur eingeladen, weil sie dachte, ich müßte auch einer von derselben Sorte sein, wie die anderen. Als einfacher Zuschauer hatte ich die Gelegenheit, zu beobachten, wie sehr Mohammed recht hatte, daß er alle Glücksspiele verbot.

Am Abend nach der Oper legte der Graf eine Bank auf; ich spielte und verlor zweihundert Zechinen; doch konnte ich mich deswegen nur an die Launen des Glücks halten; Frau Querini gewann. Am nächsten Abend sprengte ich vor dem Abendessen beinahe seine Bank; gleich nach dem Essen ging ich zu Bett, da ich mich müde fühlte und mit meinem Gewinn zufrieden war.

Am nächsten Morgen in der Frühe ging ich zum General und erfuhr, daß sein Adjutant dem angeblichen Alfani die Karten ins Gesicht geworfen hatte und daß sie sich mittags treffen sollten. Ich suchte den Offizier auf seinem Zimmer auf und bot mich ihm als Sekundanten an, indem ich ihm versicherte, es würde kein Blut vergossen werden. Er dankte mir und sagte mir bei Tisch, ich hätte richtig geraten, denn der Graf Alfani wäre nach Rom abgereist. »Nun,« sagte ich zur Gesellschaft, »so werde ich Ihnen heute abend eine Bank legen.« Nach dem Essen nahm ich Frau Querini auf die Seite, erzählte ihr die Geschichte und reichte ihr die fünfzig Zechinen, die ich für sie aufbewahrt hatte.

»Sie wollen«, antwortete sie mir, »mit Hilfe dieses Märchens mir fünfzig Zechinen zum Geschenk machen, aber ich will sie nicht – ich habe kein Geld nötig.«

»Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich den Spitzbuben gezwungen habe, sie mir wiederzugeben und zugleich mit ihnen die anderen Zechinen, die er von mir hatte.«

»Das kann wohl sein, aber ich will Ihnen nicht glauben; merken Sie sich übrigens, daß ich nicht dumm genug zu sein glaube, um mich betrügen, geschweige denn bestehlen zu lassen.«

Die Philosophie verbietet, zu bereuen, daß man eine gute Handlung vollbracht hat; aber es kann erlaubt sein, sich darüber zu ärgern, wenn durch böswillige Auslegung versucht wird, einem einen Vorwurf daraus zu machen.

Am Abend nach der letzten Vorstellung legte ich, meinem Versprechen gemäß, beim General eine Bank auf; ich verlor einige Zechinen, aber man erwies mir viel Liebes. Dies ist ein viel süßeres Gefühl, als wenn man gewinnt, vorausgesetzt, daß der Spieler sich nicht in der Notwendigkeit befindet, auf sein Geld sehen zu müssen.

Graf Spada, der eine Zuneigung zu mir gefaßt hatte, bat mich, mit ihm nach Brisighetta zu gehen, aber ich widerstand, denn ich wollte durchaus nach Neapel reisen.

Am andern Morgen wurde ich durch einen furchtbaren Spektakel aufgeweckt, den man fast unmittelbar vor meiner Zimmertür vollführte. Ich sprang aus dem Bett und öffnete meine Tür, um zu sehen, was los wäre. Ich sah eine Bande von Sbirren und einen anständig aussehenden Mann, der auf lateinisch aus vollem Halse auf dies Gezüchte, eine wahre Pest Italiens, schimpfte, sowie auf den dabeistehenden Wirt, der die Schändlichkeit begangen hätte, ihnen die Tür zu öffnen.

Ich fragte den Wirt, worum es sich handle, und der Kerl antwortete mir: »Dieser Herr, der dem Anschein nach nur Latein spricht, liegt mit einem Mädchen im Bett, und die Häscher des Bischofs sind gekommen, um festzustellen, ob sie seine Frau ist; die Sache ist ganz einfach; ist es seine Frau, so braucht er es den Leuten nur durch irgend ein Zeugnis zu beweisen, und alles ist in Ordnung; ist sie es aber nicht, so muß er freilich sich gefallen lassen, mit dem Mädchen ins Gefängnis zu gehen; dazu wird es jedoch nicht kommen, denn ich verpflichte mich, mittels zwei oder drei Zechinen die Sache gütlich beizulegen. Ich werde mit ihrem Anführer sprechen, und alle die Leute hier werden sofort gehen. Wenn Sie Latein sprechen, so gehen Sie hinein und bringen Sie ihn zur Vernunft.«

»Wer hat die Zimmertür gesprengt?«

»Man hat sie nicht gesprengt, sondern ich habe sie geöffnet; das ist meine Pflicht.«

»Solche Pflicht mag ein Straßenräuber haben, aber nicht ein ehrenwerter Wirt.« Entrüstet über eine derartige Niedertracht glaubte ich mich in die Sache einmischen zu müssen. Die Nachtmütze auf dem Kopf, trat ich ein und erzählte dem Herrn alle einzelnen Umstände dieser Schererei. Er antwortete mir lachend: erstens könnte man überhaupt nicht wissen, ob die Person, die neben ihm im Bett liege, eine Frau wäre, denn man hätte sie nur als Offizier gekleidet gesehen; zweitens wäre er der Meinung, daß kein Mensch ihn zwingen könnte, Rechenschaft darüber abzulegen, ob sie seine Frau oder seine Geliebte wäre, angenommen, daß die im Bette liegende Person überhaupt ein Weib wäre. »Übrigens«, fuhr er fort, »bin ich entschlossen, nicht einen einzigen Taler auszugeben, um diese Geschichte zu erledigen; ich werde das Bett nicht eher verlassen, als bis meine Tür wieder verschlossen ist. Sobald ich angezogen bin, werde ich Ihnen eine hübsche Entwicklung der Komödie zeigen: ich werde die ganze Spitzbubenbande mit Säbelhieben hinausjagen.«

Ich blickte mich um und sah in der einen Ecke des Zimmers einen Säbel und eine ungarische Tracht, die wie eine Uniform aussah. Ich fragte ihn, ob er Offizier sei.

»Ich habe«, antwortete er, »meinen Namen und Stand in das Fremdenbuch des Wirtes eingeschrieben.« Erstaunt über die Frechheit des Wirts, befragte ich diesen, und er gab zu, daß es die Wahrheit wäre; aber nichtsdestoweniger behielte doch das geistliche Gericht das Recht, darüber zu wachen, daß kein Ärgernis stattfände.

»Der Schimpf, den Sie dem Offizier angetan haben, wird Ihnen teuer zu stehen kommen, Herr Wirt!«

Zur Antwort lachte er mir ins Gesicht. Ärgerlich, daß solch ein gemeiner Kerl mich zu verhöhnen wagte, wurde ich Feuer und Flamme für die Sache und fragte den Offizier, ob er das Vertrauen zu mir hätte, mir für ein paar Augenblicke seinen Paß zu geben.

»Ich besitze zwei und kann Ihnen sehr wohl den einen anvertrauen.« Mit diesen Worten zog er den Paß aus seiner Brieftasche und übergab ihn mir; er war vom Kardinal Albani unterschrieben. Der Offizier war Hauptmann in einem ungarischen Regiment der Kaiserin und Königin. Er kam von Rom nach Parma, um Herrn Dutillot, dem ersten Minister des Infanten, Herzog von Parma, Depeschen vom Kardinal Alessandro Albani zu überbringen. In diesem Augenblick kam mit lautem Fluchen ein Kerl ins Zimmer und bat mich, dem Herrn zu sagen, er möchte sich mit den Leuten auseinandersetzen, denn er wollte abreisen und könnte nicht länger warten. »Wer sind Sie?« – Er antwortete mir, er wäre der Fuhrmann, mit dem der Hauptmann abreisen sollte.

Ich sah nun, daß es sich um eine abgekartete Geschichte handelte, und bat den Offizier, die Angelegenheit mir zu überlassen, ich würde sie in Ehren zu Ende führen.

»Machen Sie alles, wie Sie wollen,« antwortete er mir. Ich wandte mich nun zum Fuhrmann und sagte zu ihm:

»Bringen Sie den Koffer des Herrn Hauptmann herauf; Sie werden bezahlt werden.«

Sobald der Koffer im Zimmer war, zog ich acht Zechinen aus meiner Börse und gab sie ihm, nachdem ich eine Quittung auf den Namen des Hauptmanns erhalten hatte, der nur deutsch, ungarisch und lateinisch sprach.

Der Fuhrmann ging, und mit ihm verschwanden, sehr verblüfft, die Sbirren, mit Ausnahme von zweien, die im Saal blieben.

»Herr Hauptmann,« sagte ich zum Ungarn, »wollen Sie, bitte, bis zu meiner Rückkehr in Ihrem Bett bleiben, ich gehe zum Bischof, um diesem die Sache vorzutragen und ihm klar zu machen, daß er Ihnen eine Genugtuung schuldet. Übrigens ist General Spada in Cesena und …«

Er ließ mich nicht ausreden.

»Ich kenne ihn!« rief er, »und hätte ich gewußt, daß er hier ist, so hätte ich dem Schuft von Wirt, der dem Gesindel meine Tür geöffnet hat, eine Kugel durch den Kopf gejagt!«

Ich zog mich in aller Hast an und begab mich unfrisiert und im Überrock zum Bischof, wo ich großen Lärm schlug und die Dienerschaft beinahe mit Gewalt zwang, mich in sein Zimmer zu führen. Der Lakai an der Tür sagte mir, Seine Gnaden lägen noch im Bett.

»Einerlei! Ich habe keine Zeit zum Warten.« Ich schob ihn zur Seite und trat ein. Ich erzählte dem Prälaten die ganze Geschichte, indem ich den Wirrwarr im Zimmer des fremden Herrn in den lebhaftesten Farben schilderte, auf die Unbilligkeit eines derartigen Vorgehens hinwies und gegen die Polizeischikanen wetterte, die sich einfach über Menschen- und Völkerrechte hinwegsetzten.

Der Bischof antwortete mir nicht, aber er befahl, mich in seine Kanzlei zu führen.

Ich fand den Kanzler und wiederholte ihm, was ich bereits dem Bischof gesagt hatte, aber in wenig maßvollen Worten, die mehr aufreizend als besänftigend wirken mußten und durchaus nicht dazu angetan waren, die Freilassung des Offiziers herbeizuführen. Ich verstieg mich bis zu Drohungen und sagte, wenn ich der Offizier wäre, so würde ich eine eklatante Genugtuung fordern. Der Priester lachte mir ins Gesicht. Das war gerade was ich wollte. Er fragte mich, ob ich vielleicht nicht ganz richtig im Kopfe sei, und sagte mir, ich solle mich an den Anführer der Sbirren wenden.

»An ganz andere, Herr Abbate! an ganz andere, als einen Anführer der Sbirren!«

Hocherfreut, die Angelegenheit verschlimmert zu haben, ging ich fort und begab mich geraden Weges zu General Spada. Man sagte mir, er sei vor acht Uhr nicht sichtbar, und ich kehrte nach dem Gasthof zurück.

Aus dem Feuer, das mich beseelte, aus dem Eifer, womit ich mich der Angelegenheit angenommen hatte, hätte man schließen können – und ich könnte meine Leser bei diesem Glauben lassen – daß meine Entrüstung nur von dem Abscheu herrührte, womit ich sah, wie eine zügellose, unsittliche und schikanöse Polizei sich eine schändliche Verfolgung gegen einen Fremden erlaubte. Aber warum sollte ich einen wohlwollenden Leser hintergehen? Ich schulde ihm die Wahrheit, die ich ihm versprochen habe. Ich will also sagen, daß ich allerdings wirklich Entrüstung verspürte; was mich aber zu so heißem Eifer anspornte, war ein mehr persönlicher Grund; ich stellte mir das unter der Bettdecke verborgene Mädchen als entzückend vor; ich brannte vor Ungeduld, ihr Gesicht zu sehen, das ohne Zweifel die Scham ihr verboten hatte, mir zu zeigen. Sie hatte mich gehört, und mein Selbstbewußtsein erlaubte mir nicht, daran zu zweifeln, daß sie von mir eine bessere Meinung gefaßt hätte als von ihrem Hauptmann.

Da die Zimmertür offen geblieben war, trat ich ein und erstattete dem Hauptmann Bericht über alles, was ich getan hatte. Ich versicherte ihm, es werde im Laufe des Tages in seinem Belieben stehen, auf Kosten des Bischofs abzureisen, denn der General würde ihm auf jeden Fall volle Genugtuung verschaffen. Er dankte mir herzlich, gab mir meine acht Dukaten wieder und sagte, er würde erst am nächsten Tage abreisen.

»Was für ein Landsmann«, fragte ich ihn, »ist Ihr Reisekamerad?«

»Er ist Franzose und spricht nur seine Sprache.«

»Sie sprechen also französisch?«

»Kein Wort.«

»Das ist scherzhaft; Sie spielen also Pantomime?«

»Absolut.«

»Da tun Sie mir leid; denn das ist eine schwere Sprache.«

»Soweit es sich um die feineren Abstufungen der Gedanken handelt, allerdings; aber in materieller Hinsicht verstehen wir uns ausgezeichnet.«

»Kann ich Sie bitten, mit Ihnen frühstücken zu dürfen?«

»Fragen Sie ihn, ob ihm das Vergnügen machen wird.«

»Liebenswürdiger Begleiter des Herrn Hauptmanns,« sagte ich zu ihr, »wollen Sie mich als dritten zu Ihrem Frühstück zulassen?«

Sofort sah ich unter der Decke einen entzückenden, frischen, lachenden Kopf mit aufgelösten Haaren hervorkommen, der trotz seiner Männernachtmütze einem Geschlecht angehörte, ohne welches der Mann das unglücklichste Tier auf der Erde sein würde.

Entzückt über diese anmutige Erscheinung, sagte ich ihr, ich hätte das Glück gehabt, mich für sie zu interessieren, bevor ich sie noch gesehen hätte; jetzt aber, da ich das Vergnügen hätte, sie zu sehen, könnte mein Eifer, ihr nützlich zu sein, sich nur verdoppeln.

Sie antwortete mir mit einer Grazie und Lebhaftigkeit des Geistes, wie sie nur ihrer liebenswürdigen Nation eigen sind, und gab mir mein Kompliment mit einer Freiheit des Ausdrucks zurück, von der ich ganz entzückt war. Da meine Bitte genehmigt war, ging ich hinaus, um das Frühstück zu bestellen und sie allein zu lassen, damit sie sich in ihrem Bett aufrecht setzen könnten; denn sie waren entschlossen, das Bett nicht eher zu verlassen, als bis ihre Türe wieder verschlossen wäre. Der Kellner kam. Ich trat wieder ein und sah meine hübsche Französin im blauen Überrock und nachlässig als Mann frisiert, aber selbst in diesem Anzug entzückend. Ich konnte es kaum erwarten, sie aufgestanden zu sehen. Während des Frühstücks unterbrach sie mit keinem Wort den Offizier, der fortwährend auf mich einsprach und dem ich gar nicht oder nur halb zuhorchte, denn ich war förmlich wie behext.

Sofort nach dem Frühstück ging ich zum General und erzählte ihm die Geschichte mit einigen Übertreibungen, die darauf berechnet waren, seine militärische Eitelkeit zu stacheln. Ich sagte ihm: wenn er nicht Ordnung schaffte, wäre der Offizier entschlossen, einen reitenden Boten an seinen Beschützer, den Kardinal, zu schicken. Aber meine Beredsamkeit war überflüssig, denn der General wünschte, daß die Priester um die Himmelsangelegenheiten sich bekümmerten und die Nase nicht in die Angelegenheiten dieser Welt steckten.

»Ich werde«, sagte er, »dies Possenspiel zum guten Ende führen, indem ich daraus eine Sache von höchster Wichtigkeit mache.«

»Gehen Sie in den Gasthof,« sagte er zu seinem Adjutanten, »und laden Sie den Offizier und seinen Kameraden zum Mittagessen ein. Hierauf begeben Sie sich zum Bischof und teilen ihm mit, der Offizier, dem ein blutiger Schimpf widerfahren wäre, würde nicht eher abreisen, als bis er eine glänzende Genugtuung und die Summe Geldes empfangen werde, die er selbst als Entschädigung bestimmen würde. Sagen Sie ihm, daß ich, der General, dies mitteilen ließe, und daß im übrigen alle Ausgaben, die der Offizier hier machen würde, auf Rechnung des Bischofs gingen.«

Welcher Genuß für mich, bei diesem Befehl zugegen zu sein! Denn voller Eitelkeit betrachtete ich mich als Urheber desselben. Ich ging mit dem Adjutanten fort und stellte ihn dem Hauptmann vor. Dieser empfing ihn mit der Freude eines Soldaten, der einen Kameraden sieht. Der Adjutant lud ihn und seinen Freund ein und sagte ihm, er möchte aufschreiben, welche Genugtuung und Entschädigung er verlangte. Die Sbirren waren verschwunden, sowie sie den Adjutanten des Generals gesehen hatten. Ich gab dem Hauptmann Papier, Feder und Tinte, und er schrieb seine Forderung in einem für einen Ungarn recht guten Latein nieder. Der brave Mann wollte durchaus nur dreißig Zechinen verlangen, obwohl ich in ihn drang, er solle hundert fordern. Auch in bezug auf die Genugtuung war er viel zu bescheiden; denn er verlangte nur, daß der Wirt und die Sbirren ihn in Gegenwart des Adjutanten auf den Knien um Verzeihung bitten sollten. Er drohte dem Bischof, er würde einen reitenden Boten nach Rom an den Kardinal Alessandro schicken, wenn ihm sein Verlangen nicht binnen zwei Stunden erfüllt würde, und er würde auf seine Kosten in Cesena bleiben und täglich zehn Zechinen berechnen.

Der Offizier ging. Einen Augenblick darauf trat der Wirt ehrfurchtsvoll ein und sagte dem Hauptmann, er sei frei; als aber dieser ihm durch mich sagen ließ, er sei ihm zwanzig Stockhiebe schuldig, machte er schnell, daß er hinauskam.

Ich ließ die beiden allein, um mich anzukleiden, da ich mit ihnen zum General gehen wollte, der uns zum Essen eingeladen hatte. Eine Stunde später sah ich sie in sehr gut sitzenden Uniformen. Die Französin trug eine Phantasieuniform, aber eine sehr elegante; ich gab sofort meinen Plan der Reise nach Neapel auf und beschloß mit ihnen nach Parma zu gehen. Die Schönheit der hübschen Französin hatte mich bereits ganz gefangen genommen. Der Hauptmann streifte bereits die sechzig, und ich fand natürlich, daß ein solches Paar sehr schlecht zu einander passe. Ich setzte mir in den Kopf, mein Vorhaben müsse sich auf freundschaftliche Weise erreichen lassen.

Der Adjutant kam mit einem Priester von der bischöflichen Kanzlei zurück, und dieser sagte dem Hauptmann, die von ihm geforderte Genugtuung und Entschädigung würde ihm zu teil werden; doch müßte er sich mit fünfzehn Zechinen begnügen. »Dreißig oder nichts!« antwortete der Ungar trocken. Er erhielt sie, und alles war erledigt. Da dieser schöne Sieg meinen Bemühungen zu verdanken war, trug er mir die Freundschaft des Hauptmanns und seiner schönen Begleiterin ein.

Um sofort zu bemerken, daß der Reisekamerad des Hauptmanns kein Mann war, brauchte man nur die Hüften zu sehen. Sie war ein zu schönes Weib, um für einen Mann gelten zu können. Gewiß haben die Frauen sehr unrecht, wenn sie durch Verkleidung eine Ähnlichkeit mit uns Männern erreichen wollen; denn sie gestehen dadurch, daß ihnen einer der schönsten Vorzüge ihres Geschlechtes fehlt.

Kurz vor Essenszeit begaben wir uns zum General, der sich beeilte, die beiden Offiziere allen anwesenden Damen vorzustellen. Keine von ihnen ließ sich täuschen; da jedoch alle bereits die Geschichte kannten, so waren sie entzückt, mit dem Helden der Komödie zusammen zu speisen, und alle behandelten den jungen Offizier, wie wenn er ein Mann gewesen wäre, die Herren dagegen bezeigten ihm Huldigungen, die seinem wirklichen Geschlecht besser entsprachen.

Nur Signora Querini schmollte; denn da die schöne Französin die ganze Aufmerksamkeit auf sich lenkte, so litt die Eitelkeit der Venetianerin unter der Vernachlässigung. Sie richtete das Wort nur an sie, um mit ihrem Französisch großzutun, das sie in der Tat ziemlich gut sprach. Der arme Hauptmann sagte beinahe kein Wort, denn kein Mensch hatte Lust, Latein zu sprechen, und der General hatte ihm nicht viel auf Deutsch zu sagen.

Ein alter Abbate, der mit bei Tische war, suchte den Bischof zu rechtfertigen, indem er versicherte, der Wirt und die Sbirren hätten nur auf Befehl des heiligen Offiziums so gehandelt. »Aus diesem Grunde«, sagte er, »befinden sich in den Gasthöfen keine Türriegel, damit die Fremden sich nicht einschließen können. Die Inquisition will durchaus nicht erlauben, daß jemand mit einer anderen Frau schläft, als mit seiner eigenen.«

Zwanzig Jahre später fand ich in Spanien alle Türen mit einem Riegel von außen versehen, so daß die Reisenden sich im Gasthof wie in einem Gefängnis befanden und allen Plackereien nächtlicher Haussuchungen ausgesetzt waren. Diese Krankheit ist in Spanien so tief eingewurzelt, daß sie eines Tages die ganze Monarchie zu verschlingen droht, und es wäre gar nicht zu verwundern, wenn eines Tages der Großinquisitor den König schöre und sich auf dessen Thron setzte.

  1. Die dreizehn Karten, die der Spieler benützt, um darauf seine Einsätze zu machen.
  2. Sie hatte also auf die Karte dreimal gewonnen und den ursprünglichen Satz von zehn Zechinen nebst den Gewinnen stehen lassen.