Croce wird aus Venedig ausgewiesen. – Sgombro. – Sein niederträchtiges Verbrechen und sein Tod. – Meiner geliebten C. C. stößt ein Unglück zu. – Ich erhalte einen anonymen Brief von einer Nonne und antworte darauf. – Liebeshandel.

Mein Gevatter, der, wie gesagt, ein geschickter und kühner Verbesserer des Glücks war, machte in Venedig ausgezeichnete Geschäfte, und da er liebenswürdig war und der sogenannten guten Gesellschaft angehörte, so hätte er es noch lange Zeit in gleicher Weise treiben können, wenn er sich auf das Spiel beschränkt hätte; denn die Staatsinquisitoren hätten zuviel zu tun, wollten sie sich damit abgeben, die Toren anzuhalten, daß sie mit ihrem Vermögen haushalten, die Dummköpfe, daß sie verständig werden, und die Gauner, daß sie die Dummköpfe nicht betrügen. Aber Croce wurde aus einem ganz außerordentlichen Anlaß ausgewiesen, der ihm keine Ehre machte, gleichviel ob er in jugendlicher Unbesonnenheit oder aus sittlicher Verderbtheit gehandelt hatte.

Ein edler Venetianer – edel von Geburt, sehr unedel von Sitten – ein gewisser Sgombro aus der Familie Gritti, verliebte sich in ihn, und Croce war nicht grausam gegen ihn, sei es, daß er sich einen Spaß machen wollte, sei es, daß er seinen Geschmack teilte. Unglücklicherweise wurde nicht die Zurückhaltung beobachtet, die der Anstand erfordert, und der Skandal wurde so öffentlich, daß die Regierung sich gezwungen sah, meinem Croce die Aufforderung zu schicken, er möge sofort die Stadt verlassen und sein Glück anderswo versuchen.

Kurz nachher verführte der infame Sgombro seine beiden jungen Söhne. Zu seinem Unglück versetzte er den jüngeren in die Notwendigkeit, bei einem Arzt Hilfe zu suchen. Die niederträchtige Handlung wurde bekannt, und das arme Kind gestand, es habe nicht den Mut gehabt, gegen seinen Erzeuger ungehorsam zu sein. Mit Recht fand man, eine solche Unterwürfigkeit gehöre nicht zu den Pflichten, die ein Sohn seinem Vater gegenüber habe, und die Staatsinquisitoren schickten den scheußlichen Vater in die Zitadelle von Cattaro, wo er nach einjähriger Gefangenschaft starb.

Die tödliche Wirkung der Luft, die man in Cattaro atmet, ist so bekannt, daß das Gericht nur solche Verbrecher dazu verdammt, die man nicht öffentlich zum Tode zu verurteilen wagt, weil man fürchtet, ein öffentlicher Prozeß würde zu großes Entsetzen erregen.

Nach Cattaro schickte der Rat der Zehn vor fünfzehn Jahren den berühmten Advokaten Contarini, einen Nobile, der durch seine Beredsamkeit sich zum Herrn des großen Rates gemacht hatte und die Staatsverfassung ändern wollte. Er starb in Cattaro nach einem Jahr; von seinen Mitschuldigen hielt das Tribunal für genügend, nur vier oder fünf zu bestrafen und die anderen unbeachtet zu lassen. Diese kehrten denn auch aus Furcht stillschweigend zu ihrer Pflicht zurück.

Der Sgombro, von dem ich vorhin sprach, hatte eine reizende Frau, die, wie ich glaube, noch lebt. Sie hieß Cornelia Gritti, war ebenso berühmt durch die Schönheit ihrer Gestalt wie durch die ihres Geistes und hat den Jahren zum Trotz sich ihre Schönheit bewahrt. Als sie durch den Tod ihres unwürdigen Gatten ihre eigene Herrin geworden war, hütete sie sich wohl, eine neue Ehe einzugehen; ihre Unabhängigkeit war ihr zu lieb. Da sie jedoch nicht unempfindlich gegen die Freuden der Liebe war, so erhörte sie die Bewerbungen der Anbeter, die sie nach ihrem Geschmack fand.

Gegen Ende Juli weckte eines Montags bei Tagesanbruch mein Diener mich, indem er mir sagte, Laura wolle mich sprechen. Ich ahnte ein Unglück und ließ sie sofort eintreten. Sie übergab mir einen Brief, der folgendermaßen lautete:

»Mein lieber Freund, ein Unglück, das mir gestern abend zugestoßen ist, macht mich untröstlich, und um so mehr, da ich gezwungen bin, es vor dem ganzen Kloster geheim zu halten. Ich habe eine schreckliche Blutung und weiß nicht, was ich anfangen soll, um das Blut zu stillen, denn ich habe nicht viel Wäsche, und Laura hat mir gesagt, ich würde eine große Menge nötig haben, wenn die Blutung andauern sollte; ich kann mich keinem Menschen anvertrauen außer Dir, und ich bitte Dich, mir soviel Weißzeug zu schicken, wie Du nur kannst. Du siehst, ich habe mich Laura anvertrauen müssen, denn sie allein kann zu jeder Stunde bei mir aus- und eingehen. Wenn ich sterbe, mein teurer Gatte, so wird das ganze Kloster erfahren, woran ich gestorben bin; aber ich denke an Dich und ich zittere. Was wirst Du in Deinem Schmerz anfangen? Ach, mein Herz, wie schade!«

In aller Hast mich ankleidend, fragte ich Laura aus. Sie sagte mir ganz offen, es sei eine Frühgeburt, und wir müßten mit der größten Vorsicht handeln, um den Ruf meiner Freundin zu schonen. Übrigens brauchte sie weiter nichts als eine große Menge Wäsche; es hätte sonst nichts auf sich. Es waren die üblichen Redensarten, und sie besänftigten durchaus nicht die Angst, die ich empfand. Ich ging mit Laura zu einem Juden, dem ich eine Anzahl Bettlaken und zweihundert Handtücher abkaufte; nachdem ich alles in einen großen Sack gesteckt hatte, fuhr ich mit ihr nach Murano. Unterwegs schrieb ich meiner Freundin mit Bleistift, sie solle in Laura volles Vertrauen setzen; ich versicherte ihr, ich würde Murano nicht eher verlassen, als bis sie außer Gefahr wäre. Ehe wir ausstiegen, sagte Laura zu mir: damit ich nicht bemerkt würde, täte ich gut daran, mich bei ihr verborgen zu halten. Zu jeder anderen Zeit wäre das so gut gewesen, wie wenn sie den Wolf in die Hürde eingelassen hätte. Sie ließ mich in einem armseligen Kämmerchen im Erdgeschoß allein, brachte selber an ihrem Leibe soviel Weißzeug unter, wie sie nur verstecken konnte, und eilte dann zu der Kranken, die sie seit dem vorigen Abend nicht gesehen hatte. Ich hoffte, sie würde sie außer Gefahr finden, und sah sehnsüchtig dem Augenblick entgegen, wo sie mir diese Nachricht bringen würde.

Sie war eine volle Stunde fort; endlich kam sie mit sehr traurigem Gesicht zurück und sagte mir, meine arme Freundin hätte während der Nacht viel Blut verloren; sie läge sehr schwach im Bett, und wir müßten sie Gottes Gnade empfehlen; denn wenn die Blutung nicht bald aufhörte, könnte sie unmöglich noch vierundzwanzig Stunden leben.

Als ich die Wäsche sah, die sie unter ihrem Rock hervorzog, wich ich entsetzt zurück und glaubte mich dem Tode nahe. Eine wahre Schlächterei! Laura glaubte mich zu trösten, indem sie mir sagte, ich könnte sicher sein, daß das Geheimnis nicht verraten würde.

»Ei, was macht mir das aus!« rief ich; »wenn sie nur am Leben bleibt, dann mag die ganze Welt wissen, das sie mein Weib ist!« In einem andern Augenblick hätte ich über die dumme Bemerkung der guten Laura lachen müssen ; aber in dieser traurigen Minute besaß ich nicht die Kraft dazu und auch nicht die Lust.

»Die liebe Kranke«, sagte sie, »hat gelächelt, als sie Ihr Briefchen las; sie hat mir versichert, da Sie so dicht in ihrer Nähe seien, so werde sie nicht sterben.«

Diese Worte taten mir wohl. Wie wenig ist doch nötig, um einen Menschen zu trösten oder seine Leiden zu mildern!

»Wenn die Nonnen beim Essen sind,« fuhr Laura fort, »werde ich wieder hingehen und soviel Wäsche mitnehmen, wie ich tragen kann; unterdessen werde ich diese hier waschen.«

»Hat sie Besuche gehabt?«

»O, natürlich das ganze Kloster. Aber kein Mensch hat eine Ahnung.«

»Aber bei dieser Hitze kann sie nur eine leichte Decke haben und man muß doch unbedingt die vielen Handtücher bemerken, die so großen Raum einnehmen.«

»Das ist nicht zu befürchten, denn sie sitzt im Bett aufrecht.«

»Was ißt sie?«

»Nichts; denn sie darf nicht essen.«

Bald darauf ging Laura fort und ich ebenfalls. Ich suchte einen Arzt auf, bei dem ich Zeit und Geld verlor, um mir ein langes Rezept schreiben zu lassen, das ich nicht verwenden konnte, denn dadurch würde die Sache sofort im ganzen Kloster bekannt geworden sein oder vielmehr in der ganzen Welt, denn Nonnengeheimnis dringt gar bald durch die Klostermauern. Übrigens wäre der Klosterarzt vielleicht der erste gewesen, aus Rachsucht das Geheimnis auszuplaudern.

In Lauras Hause ging ich traurig wieder in meine armselige Kammer, und eine halbe Stunde später kam die Bötin mit Tränen in den Augen zurück und übergab mir einen fast unleserlichen Brief: »Ich habe nicht mehr die Kraft, Dir zu schreiben, denn ich werde immer schwächer; ich verliere all mein Blut und fange an zu glauben, daß meine Krankheit unheilbar ist. Ich überlasse mich Gottes Willen und danke ihm, daß meine Ehre nicht in Gefahr ist. Sei nicht zu traurig! Mein einziger Trost ist, daß ich Dich so dicht bei mir weiß. Ach, wenn ich Dich nur einen Augenblick sehen könnte, würde ich zufrieden sterben.«

Der Anblick von einem Dutzend Tüchern, die Laura mir zeigte, machte mich erschaudern. Die gute Frau glaubte mich zu trösten, indem sie mir sagte, mit einer einzigen Flasche Blut könnte man ebenso viele Tücher völlig durchtränken. Meine Seele war nicht in der Stimmung, aus derartigen Versicherungen Trost zu schöpfen. Ich war in Verzweiflung und machte mir die furchtbarsten Vorwürfe, den Tod des unschuldigen Mädchens herbeigeführt zu haben. Ich warf mich auf ein Bett und blieb dort länger als sechs Stunden wie betäubt liegen, bis Laura mit etwa zwanzig blutgetränkten Servietten aus dem Kloster zurückkehrte. Da es inzwischen Nacht geworden war, konnte sie bis zum nächsten Morgen nicht wieder hingehen. Ich verbrachte eine entsetzliche Nacht, ohne etwas zu essen, ohne schlafen zu können; ich war mir selber zum Ekel und wies schroff die Pflege zurück, die Lauras Töchter mir anboten.

Kaum war der Tag angebrochen, da kam Laura und sagte mir mit kläglicher Miene, meine Freundin blute nicht mehr. Ich glaubte sie sei tot, und schrie: »Sie lebt nicht mehr!«

»Sie lebt, Herr! Aber ich fürchte, sie wird den Tag nicht überleben, denn sie ist völlig erschöpft; sie hat fast nicht mehr die Kraft, die Augen zu öffnen, und ihr Puls ist kaum noch zu spüren.«

Ich atmete auf. Ich fühlte, mein Engel war gerettet.

»Laura,« sagte ich, »diese Nachricht ist durchaus nicht schlecht, wenn die Blutung gänzlich aufgehört hat, so ist weiter nichts nötig, als ihr etwas leichte Nahrung zu geben.«

»Man hat einen Arzt rufen lassen; er wird anordnen, was ihr gegeben werden soll; aber wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen soll – ich habe keine große Hoffnung.«

»Gib mir nur die Versicherung, daß sie lebt!«

»Ja, das versichere ich Ihnen; aber Sie werden begreifen, daß sie dem Doktor nicht die Wahrheit sagen wird, und Gott mag wissen, was er ihr verschreibt. Ich habe ihr ins Ohr geflüstert, sie solle keine Medizin einnehmen, und sie hat mich verstanden.«

»Du bist ein göttliches Weib! Ja, wenn sie nicht von heute auf morgen an Schwäche stirbt, ist sie gerettet: Natur und Liebe werden sie geheilt haben!«

»Das gebe Gott! Heute Mittag sehen Sie mich wieder.«

»Warum nicht vorher?«

»Weil ihr Zimmer voll von Leuten sein wird.«

Ich war ganz schwach vor Erschöpfung; da ich aber stark sein mußte, um meine Hoffnung aufrecht zu erhalten, ließ ich mir etwas Essen zurechtmachen und setzte mich hin, meiner Freundin zu schreiben, damit sie den Brief in dem Augenblick erhielte, wo sie ihn lesen könnte. Die Augenblicke der Reue sind sehr traurig, und ich war wirklich zu beklagen. Ich hatte das größte Bedürfnis, Laura zu sehen, um zu erfahren, was der Arzt gesagt hätte. Ich hatte starke Gründe, über Orakel zu lachen; ich weiß nicht, woher diese Schwachheit kam, aber ich brauchte das Orakel des Arztes, und zwar vor allen Dingen ein günstiges Orakel.

Lauras junge Töchter brachten mir das Essen, aber es war mir unmöglich, einen Bissen hinunterzubringen; doch machte es mir Spaß, die drei Schwestern mein Essen verschlingen zu sehen, sobald ich sie nur dazu eingeladen. Die älteste, ein sehr appetitlicher Bissen, schlug nicht ein einziges Mal ihre großen Augen zu mir auf; die beiden jüngeren kamen mir so vor, als ob sie wohl liebenswürdig sein könnten; aber ich beschäftigte mich mit ihnen nur, um mich noch tiefer in meine bittere Reue zu verbeißen.

Endlich kam Laura, die ich schon mit der größten Ungeduld erwartet hatte; sie sagte mir, meine geliebte Kranke läge immer noch in demselben Zustand völliger Ermattung da; ihre Schwäche hätte den Arzt überrascht und er könnte sie sich nicht erklären. »Er hat ihr Stärkungsmittel und leichte Suppen verordnet, und wenn sie schlafen kann, wird sie nach seiner Behauptung sicher davonkommen. Der Doktor hat ferner angeordnet, daß nachts eine Wärterin bei ihr sein soll, und die Kranke hat ihre Hand nach mir ausgestreckt, wie wenn sie mich bezeichnen wollte. Jetzt verspreche ich Ihnen, sie Tag und Nacht nicht mehr zu verlassen, außer um Ihnen Bescheid zu bringen.«

Ich dankte ihr und versprach ihr, sie reichlich zu belohnen. Mit großer Freude vernahm ich, daß die Mutter zum Besuch dagewesen, nichts bemerkt habe und sehr liebevoll und zärtlich gewesen sei.

Ich fühlte mich viel ruhiger, gab Laura sechs Zechinen und jeder ihrer Töchter eine und aß etwas zu Abend; dann legte ich mich in eines der elenden Betten, die in demselben Zimmer standen. Als die beiden jüngeren mich im Bett sahen, zogen sie sich ohne Umstände aus und legten sich beide in das zweite Bett, das ganz dicht neben dem meinigen stand. Dies unschuldige Vertrauen gefiel mir. Die ältere, die wohl schon Erfahrungen hatte, legte sich im Nebenzimmer zu Bett; sie hatte einen Liebhaber, der sie binnen kurzem heiraten sollte. Ich war nicht vom Teufel des Fleisches besessen und ließ die Unschuld friedlich schlafen, ohne den geringsten Anschlag auf sie zu unternehmen.

Am anderen Morgen in aller Frühe kam Laura und brachte Nachrichten, die ein Balsam für mich waren. Mit fröhlichem Gesicht sagte sie mir, die Kranke habe gut geschlafen, und sie würde gleich wieder hingehen, um ihr ein Süppchen zu geben. Ich war wie berauscht, als ich dies hörte, und Äskulaps Orakel schien mir tausendmal sicherer zu sein als das Orakel Apolls. Doch waren wir noch nicht so weit, Viktoria rufen zu können, denn meine Freundin mußte erst wieder zu Kräften kommen und all das verlorene Blut wieder ersetzen; dies konnten nur die Zeit und fortwährende sorgsame Pflege bewirken. Ich blieb noch acht Tage bei Laura und verließ Murano erst, als meine Freundin in einem vier Seiten langen Brief es mir sozusagen befohlen hatte.

Laura weinte vor Glück, als sie sich von mir mit der ganzen schönen Wäsche beschenkt sah, die ich für meine C. C. gekauft hatte; und ihre Töchter weinten augenscheinlich darüber, daß sie in den zehn Tagen, die ich bei ihnen verbracht, mich nicht hatten verleiten können, ihnen einen einzigen Kuß zu geben.

In Venedig nahm ich meine alten Gewohnheiten wieder auf; aber wie hätte ich bei meinem Naturell ohne ein wirkliches Liebesverhältnis glücklich sein können? Ich hatte kein anderes Vergnügen als das, jeden Mittwoch einen Brief von meiner lieben Gefangenen zu erhalten; sie ermutigte mich, auf sie zu warten, anstatt mich aufzufordern, sie zu entführen. Laura sagte mir, sie sei schöner geworden und ich starb vor Verlangen, sie zu sehen. Bald bot sich die Gelegenheit dazu, und ich ließ mir diese nicht entgehen. Eine Nonne sollte den Schleier nehmen, und diese Feierlichkeit zieht stets eine große Menge von Zuschauern herbei. Da infolgedessen die Nonnen viele Besuche empfangen, so war es wahrscheinlich, daß die Pfleglinge ebenfalls im Sprechzimmer sein würden. Es war keine Gefahr vorhanden, daß ich an diesem Tage mehr auffallen könnte als irgendein anderer, denn ich würde in der Menge völlig verschwinden. Ich begab mich also nach dem Kloster, ohne Laura etwas davon zu sagen und ohne meine kleine Frau vorher zu benachrichtigen, und ich glaubte, vor Aufregung umzusinken, als ich sie plötzlich auf vier Schritte vor mir stehen und mich in einer Art von Ekstase betrachten sah. Ich fand sie größer und mehr entwickelt, und sie schien mir schöner zu sein als früher. Ich hatte nur für sie Augen, sie nur für mich, und ich war der letzte, der den Ort verließ, der an diesem Tage mir als ein Tempel des Glücks erschien.

Drei Tage darauf empfing ich einen Brief von ihr. Sie schilderte mir so glühend die Wonne, die meine Gegenwart ihr bereitet hätte, daß ich auf Mittel und Wege sann, ihr diese Freude so oft wie möglich zu verschaffen. Ich antwortete ihr sofort, sie würde mich an jedem Feiertag zur Messe in ihrer Kirche sehen. Dies machte mir keine Mühe. Ich sah sie nicht, aber ich wußte, daß sie mich sähe, und ihre Freude war auch die meine. Ich brauchte nichts zu befürchten, denn es war fast unmöglich, daß man in dieser Kirche, die nur von Bürgersleuten von Murano besucht wurde, mich hätte erkennen können.

»Nachdem ich zwei oder drei Messen gehört hatte, nahm ich eine Uberfahrtsgondel, deren Bootsmann nicht neugierig sein konnte, mich zu kennen. Indessen war ich vorsichtig, denn ich wußte, daß C. C.s Vater wollte, seine Tochter sollte mich vergessen, und daß er sie Gott weiß wohin gebracht haben würde, wenn er nur den geringsten Argwohn gehabt hätte, daß ich ihren Aufenthalt wüßte.

So dachte ich in der Furcht, daß mir jeder Verkehr mit meiner Freundin abgeschnitten werden könnte; aber ich kannte noch nicht den Charakter und die Schlauheit der frommen Töchter des Herrn. Ebensowenig glaubte ich, daß meine Person irgendetwas Auffallendes an sich haben könnte – wenigstens für ein Kloster nicht; aber ich war noch ein Neuling, der die Neugier der Frauen und besonders die Neugier müßiger Seelen nicht kannte. Bald hatte ich Gelegenheit, mich eines Besseren belehren zu lassen.

Ich hatte erst etwa einen Monat oder fünf Wochen lang meine Feiertagsbesuche gemacht, als meine liebe C. C. mir scherzend schrieb, ich sei das Rätsel des ganzen Klosters geworden, und zwar sowohl für die Pensionärinnen, wie für die Nonnen, selbst die ältesten nicht ausgenommen. Das ganze Chor warte auf die Minute, wo ich erscheinen würde; man stoße sich an, wenn man mich eintreten und das Weihwasser nehmen sehe. Man habe bemerkt, daß ich niemals nach dem Gitter blicke, hinter welchem die Klosterinsassen sitzen müßten, und daß ich niemals eine Frau ansehe, die die Kirche betrete oder verlasse. Die Alten sagten, ich müßte irgendeinen großen Kummer haben, von dem ich nur durch die Gnade ihrer heiligen Jungfrau mich zu befreien hoffte; die Jungen sagten, ich müßte ein Melancholiker oder ein Menschenfeind sein. Meine liebe Frau, die es besser wußte als die anderen und nicht auf Mutmaßungen angewiesen war, amüsierte sich sehr darüber und amüsierte auch mich, indem sie mir das alles erzählte. Ich schrieb ihr: wenn sie befürchtete, daß ich erkannt werden könnte, würde ich nicht mehr hingehen. Sie antwortete mir, ich könnte ihr keine schmerzlichere Entbehrung auferlegen, und sie bäte mich, nach wie vor zu kommen. Immerhin glaubte ich nicht mehr zu Laura gehen zu sollen, denn möglicherweise hätten die klatschhaften Betschwestern dies erfahren, und dadurch konnten sie viel mehr entdecken, als sie wissen durften. Aber diese Lebensweise mergelte mich aus und konnte nicht lange mehr so fortgehen. Ich war dazu geschaffen, eine Geliebte zu haben und mit ihr glücklich zu leben. Da ich nicht wußte, was ich anfangen sollte, spielte ich und gewann fast immer; trotzdem wurde ich infolge meiner unbefriedigten Stimmung zusehends magerer.

Nachdem ich durch meinen Gevatter Croce in Padua fünftausend Zechinen gewonnen hatte, war ich dem Rat des Herrn von Bragadino gefolgt, hatte ein Kasino gemietet und hielt dort eine Pharaobank auf gemeinsame Rechnung mit einem Matador, der mich gegen die hinterlistigen Streiche gewisser gewalttätiger Aristokraten schützte, gegen deren Tyrannei ein einfacher Privatmann in meiner Vaterstadt stets unrecht bekommt.

Als ich am Allerheiligentage des Jahres 1753 nach dem Anhören der Messe in eine Gondel steigen wollte, um nach Venedig zurückzufahren, sah ich eine Frau von der Art Lauras, die, als sie an mir vorüberging, mich ansah und einen Brief fallen ließ. Ich hob diesen auf und bemerkte, daß die Frau, als sie den Brief in meinen Händen sah, ruhig ihren Weg fortsetzte. Der Brief war ohne Aufschrift, das Siegel stellte eine Schlinge dar. Ich sprang schnell in die Gondel und sobald ich auf dem offenen Wasser war, brach ich das Siegel und las folgendes:

»Eine Nonne, die seit dritthalb Monaten Sie jeden Feiertag in ihrer Kirche sieht, wünscht Ihre Bekanntschaft zu machen. Eine Broschüre, die Sie verloren haben und die durch Zufall in ihre Hände geraten ist, läßt vermuten, daß Sie französisch sprechen; wenn Sie jedoch vorziehen, ihr auf italienisch zu antworten, so können Sie dies tun, denn ihr kommt es vor allem auf Klarheit und Genauigkeit an. Sie ladet Sie nicht ein, sie ins Sprechzimmer rufen zu lassen, denn Sie wünscht, daß Sie Sie erst sehen, hevor Sie mit ihr sprechen; deshalb wird Sie Ihnen eine Dame bezeichnen, die Sie ins Sprechzimmer begleiten können. Diese Dame wird Sie nicht kennen und wird folglich nicht nötig haben, Sie vorzustellen, wenn Sie etwa zufällig wünschen sollten, nicht bekannt zu werden.

Sollten Sie glauben, daß diese Art, eine Bekanntschaft zu schließen, nicht passend sei, So wird die Nonne Ihnen ein Kasino in Murano nennen, wo Sie sie an einem beliebigen von Ihnen zu bestimmenden Tage um sieben Uhr Abend allein finden werden. Sie können bei ihr zum Abendessen bleiben oder auch nach einer Viertelstunde sich entfernen, wenn Sie anderweitig zu tun haben.

Würden Sie vielleicht lieber ihr in Venedig ein Abendessen geben? Bestimmen Sie Tag, Stunde und Ort, wohin sie kommen soll, und Sie werden Sie maskiert aus einer Gondel steigen sehen; nur müssen Sie maskiert und mit einer Laterne in der Hand allein am Ufer sein.

Ich bin überzeugt, daß Sie mir antworten werden und daß Sie erraten, mit welcher Ungeduld ich Ihre Antwort erwarte; ich bitte Sie daher, diese morgen derselben Frau zu übergeben, von der Sie diesen Brief bekommen werden; Sie finden sie eine Stunde vor Mittag in der Kirche San Canciano am ersten Altar rechter Hand.

Bedenken Sie, daß ich mich niemals zu einem Schritt entschlossen haben würde, der Ihnen einen ungünstigen Begriff von mir beibringen könnte, wenn ich Ihnen nicht ein edles Herz und einen hohen Geist zutraute.«

Der Ton dieses Briefes, den ich wörtlich abschreibe, überraschte mich noch mehr als die Sache selbst. Ich hatte zu tun, aber ich ließ alles liegen, um mich in meinem Zimmer einzuschließen und zu antworten. Dem Anschein nach kam der Brief von einer überspannten Person, aber ich fand darin zugleich eine Art Würde und eine Originalität, die mich anzogen. Mir kam der Gedanke, es könnte wohl die Nonne sein, die meiner Freundin Unterricht gäbe. Sie hatte sie mir als schön, reich, galant und freigebig geschildert. Meine liebe Frau konnte irgendeine Unvorsichtigkeit begangen haben; tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf; aber ich wies jeden Gedanken zurück, der nicht der mir zulächelnden Aussicht günstig war. Übrigens hatte meine Freundin mir geschrieben, die Nonne, die ihr französische Stunden gebe, sei nicht die einzige, die diese Sprache spreche. Ich konnte durchaus nicht annehmen, daß C. C. es mir nicht gesagt haben sollte, wenn sie ihrer Freundin etwas von unserem Geheimnis anvertraut hätte.

Trotzdem konnte die Nonne, die an mich schrieb, wohl die schöne Freundin meiner kleinen Frau sein; es konnte aber auch eine ganz andere sein. Diese Möglichkeit setzte mich in eine ziemliche Verlegenheit. Schließlich glaubte ich ihr folgendes schreiben zu können, ohne mich bloßzustellen:

»Ich antworte Ihnen französisch, Madame, und hoffe, daß mein Brief die Klarheit und Genauigkeit besitzen wird, von denen Sie mir ein Beispiel geben.

Die Sache ist außerordentlich interessant, und sie scheint mir in Anbetracht der Umstände von der größten Wichtigkeit zu sein. Da ich nun antworten muß, ohne zu wissen, wem ich antworte, so begreifen Sie, meine Gnädigste, daß ich ein eitler Geck sein müßte, wenn ich nicht eine Mystifikation befürchtete, und daß ich daher auf der Hut sein muß.

Wenn es also wahr ist, daß die Feder, die mir schrieb, von einer ehrenwerten Dame geführt wurde, die mir Gerechtigkeit widerfahren läßt, indem sie bei mir dieselben edlen Gesinnungen voraussetzt wie bei sich selber, so wird sie, wie ich hoffe, finden, daß ich ihr nicht anders antworten kann, als wie ich hiermit die Ehre haben werde zu tun.

Wenn Sie, meine Gnädige, mich der Ehre für würdig gehalten haben, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, obgleich Sie nur nach dem äußeren Anschein sich ein Urteil über mich haben bilden können, so halte ich mich für verpflichtet, Ihnen zu gehorchen, sei es auch nur, damit Sie Ihren Irrtum einsehen können, falls ich Sie etwa ohne meinen Willen zu einem solchen verleitet haben sollte. Von den drei Wegen, die Sie mir gütigst vorgeschlagen haben, wage ich nur den ersten zu wählen, und zwar mit der Einschränkung, die Ihr durchdringender Geist mir angedeutet hat: ich werde eine Dame, die mich^ nicht kennt und mich daher nicht vorstellen kann, in Ihr Sprechzimmer begleiten.

Urteilen Sie nicht zu strenge, meine Gnädigste, über die heiklen Gründe, die mich nötigen, mich nicht zu nennen, und empfangen Sie mein ehrenwörtliches Versprechen, daß ich Ihren Namen nur erfahren werde, um Ihnen Ehre zu erweisen. Wenn Sie es für angebracht halten, das Wort an mich zu richten, werde ich Ihnen nur mit den Bezeigungen tiefster Ehrfurcht antworten. Erlauben Sie mir die Hoffnung zu hegen, daß Sie allein an das Gitter kommen werden, und gestatten Sie mir, Ihnen nebenbei zu sagen, daß ich Venetianer und in der vollsten Bedeutung des Wortes mein freier Herr bin. Wenn ich nicht einen der beiden Vorschläge wähle, die mir an sich besser gefallen hätten als der erste – denn sie bedeuten für mich eine unendliche Ehre – so geschieht das, gestatten Sie mir, es zu wiederholen, einzig und allein deshalb, weil ich fürchte, zum besten gehalten zu werden. Aber diese beiden anderen Möglichkeiten sind ja nicht verloren, sobald Sie mich kennen und ich Sie gesehen habe. Ich bitte Sie, an meine Aufrichtigkeit zu glauben und meine Ungeduld nach der Ihrigen zu bemessen. Morgen werde ich mir zur selben Stunde und am selben Ort Ihre Antwort holen.«

Ich begab mich nach der bezeichneten Stelle, fand die Liebesbötin, gab ihr meinen Brief und eine Zechine und sagte ihr, ich würde am nächsten Tage wieder ebendort sein, um die Antwort zu holen. Pünktlich war ich da und fand sie. Sobald sie mich sah, kam sie auf mich zu und gab mir die Zechine, die ich ihr geschenkt hatte, und einen Brief, indem sie mich bat, ich möchte diesen lesen und ihr dann sagen, ob sie auf Antwort zu warten hätte. Ich entfernte mich, um den Brief zu lesen, der folgendermaßen lautete:

»Ich glaube, mein Herr, mich in keiner Hinsicht getäuscht zu haben. Ich verabscheue wie Sie die Lüge, wenn sie wichtige Folgen haben kann; aber ich betrachte sie nur als einen Spaß, wenn sie niemandem schaden kann. Sie haben von meinen drei Vorschlägen denjenigen gewählt, der Ihrem Geist am meisten Ehre macht. Ich achte die Gründe, die sie abhalten, sich zu erkennen zu geben, und schreibe der Gräfin S. beiliegenden Brief, den ich Sie zu lesen bitte. Wollen Sie ihn, bitte, versiegeln, ehe Sie ihn ihr überbringen; sie wird durch einen anderen Brief vorher davon in Kenntnis gesetzt sein. Gehen Sie zu ihr, wann es Ihnen paßt; Sie wird Ihnen die Stunde nennen, und Sie begleiten Sie in ihrer Gondel hierher. Die Gräfin wird keine einzige Frage an Sie richten, und Sie brauchen ihr durchaus keine Erklärung zu geben. Von einer Vorstellung ist nicht die Rede; da Sie aber bei dieser Gelegenheit meinen Namen erfahren werden, können Sie dann später maskiert kommen und nach mir fragen; lassen Sie mich im Namen der Gräfin ins Sprechzimmer rufen. Auf diese Weise wird unsere Bekanntschaft gemacht sein, ohne daß Sie sich einen Zwang anzutun brauchen und ohne daß Sie bei Nacht Zeit verlieren, die Ihnen vielleicht kostbar ist. Ich habe der Magd befohlen, auf Ihre Antwort zu warten, für den Fall, daß die Gräfin Ihnen nicht angenehm sein sollte, weil Sie Ihr vielleicht bekannt sind. Wenn meine Wahl Ihnen gefällt, sagen Sie dem Mädchen, Sie haben mir keine Antwort zu geben.«

Da ich sicher war, daß Gräfin S. mich nicht kannte, sagte ich dem Mädchen, ich habe ihrer Herrin keine Antwort zu geben, und sie ging.

Das Briefchen, das meine Nonne der Gräfin schrieb, und das ich dieser überbringen sollte, lautete: »Ich bitte Dich, liebe Freundim, zu einer Besprechung zu mir zu kommen, sobald Du Zeit hast und der Maske, die Dir diese Zeilen überbringt, eine Dir passende Stunde zu nennen, damit sie Dich begleiten kann. Sie wird pünktlich sein. Lebwohl; mit bestem Dank Deine Freundin.«

Dieses Briefchen schien mir großartig zu sein durch den Geist der Intrigue, der daraus sprach, und mich dünkte, er habe etwas Erhabenes an sich, das mich sehr anzog, obgleich ich wohl fühlte, daß man mich eine Rolle spielen ließ, als ob man mir eine Gnade erwiese.

In ihrem letzten Brief tat meine Nonne, als sei es ihr einerlei, wer ich wäre; sie billigte meine Wahl und heuchelte Gleichgültigkeit in bezug auf nächtliche Zusammenkünfte; aber sie schien gewiß zu sein, daß ich sie würde ins Sprechzimmer rufen lassen, nachdem ich sie gesehen hätte. Ich wußte schon, woran ich war, denn worauf sollte die Intrigue hinauslaufen, wenn nicht auf eine Liebschaft und ein Stelldichein? Indessen vermehrte ihre Sicherheit oder vielmehr ihre Zuversicht meine Neugier, und ich fühlte, daß sie ein Recht hatte, darauf zu hoffen, wenn sie jung und hübsch war. Es hätte nur an mir gelegen, die Sache um ein paar Tage hinauszuschieben und von C. C. zu erfahren, wer wohl die Nonne sein mochte; aber erstens wäre das unredlich gewesen, zweitens fürchtete ich mir damit das Abenteuer zu verderben, was mir vielleicht hinterher leid getan hätte. Sie sagte mir, ich möchte die Gräfin aufsuchen, wann es mir paßte; aber dies war nur geschehen, weil ihre Würde von ihr verlangte, sich nicht zu eifrig zu zeigen; außerdem konnte sie sich denken, daß ich selber ungeduldig sein würde. Sie schien mir in Dingen der Galanterie zu wohl bewandert zu sein, als daß ich sie für eine unerfahrene Anfängerin hätte halten können; ich fürchtete daher meine Zeit zu verlieren; aber mit dieser Möglichkeit fand ich mich ab und beschloß mich selber tüchtig auszulachen, wenn ich mich irgendeiner bejahrten Schönen gegenüber finden sollte. Ganz gewiß hätte ich nicht den geringsten Schritt getan, wäre ich nicht neugierig gewesen; ich wollte durchaus wissen, wie eine Nonne aussah, die sich erboten hatte, nach Venedig zu kommen und mit mir zu soupieren. Übrigens war ich sehr erstaunt über die Freiheit, deren die frommen Nonnen genossen, und über die Leichtigkeit, womit sie den Klosterbann zu brechen wußten.

Um drei Uhr begab ich mich zur Gräfin und ließ ihr mein Briefchen zustellen; sie erschien und sagte mir, ich würde ihr ein Vergnügen bereiten, wenn ich am nächsten Tage zur selben Stunde wiederkäme. Wir machten uns gegenseitig eine schöne Verbeugung und trennten uns. Diese Gräfin war ein famoses Weib, zwar schon etwas über die Blüte hinaus, aber immer noch schön.

Der nächste Tag war ein Sonntag, und ich versäumte nicht, zur Messe zu gehen. Ich war elegant gekleidet und frisiert und in der Phantasie bereits meiner lieben C. C. untreu; denn ich dachte mehr daran, mich der Nonne zu zeigen, mochte sie nun jung oder alt sein, als mich den Blicken meiner reizenden kleinen Frau darzubieten.

Am Nachmittag legte ich wieder meine Maske an und ging um die verabredete Stunde zur Gräfin, die mich bereits erwartete. Wir stiegen in eine Gondel mit zwei Ruderern und kamen beim Kloster an, ohne von etwas anderem gesprochen zu haben als vom schönen Wetter. Am Gitter angekommen, ließ sie M. M. rufen. Dieser Name setzte mich in Erstaunen, denn seine Trägerin war berühmt. Man ließ uns in ein kleines Besuchszimmer eintreten, und einige Minuten später sah ich eine Nonne erscheinen, die geraden Weges auf das Gitter losging und auf einen Knopf drückte. Vier Fensterscheiben sprangen zur Seite und ließen eine geräumige Öffnung frei, durch die die beiden Freundinnen sich in aller Bequemlichkeit umarmen konnten. Unmittelbar darauf wurde das sinnreiche Fenster sorgfältig wieder verschlossen. Die Offnung war mindestens achtzehn Zoll im Geviert groß, und ein Mann von meinem Wuchs hätte bequem hindurchschlüpfen können. Die Gräfin setzte sich der Nonne gegenüber, und ich nahm ein wenig zur Seite Platz, jedoch so, daß ich ganz bequem eine der schönsten Frauen betrachten konnte, die man überhaupt zu sehen vermag. Ich bezweifelte nicht, daß es die Nonne war, die meiner lieben C. C. französische Stunden gab und von der diese mir gesprochen hatte. Vor Bewunderung war ich in einer Art von Bezauberung befangen, so daß ich kein Wort von ihrem ganzen Gespräch vernahm. Meine schöne Nonne richtete kein Wort an mich, sondern gönnte mir nicht einmal die Ehre eines einzigen Blickes. Sie konnte zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre alt sein, und der Schnitt ihres Gesichtes war von der schönsten Form. Ihr Wuchs ging weit über Mittelmaß hinaus, ihre sehr weiße Gesichtsfarbe war ein wenig blaß, ihr Ausdruck edel und kühn, aber zugleich zurückhaltend und bescheiden; ihre wohlgeschnittenen Augen waren von schöner himmelblauer Farbe, ihre Miene war sanft und lachend, ihre Lippen waren schön und feucht von der süßesten Sinnlichkeit, ihre Zähne zwei Reihen Perlen vom glänzendsten Schmelz. Die Haare konnte ich ihrer Haube wegen nicht sehen; aber wenn sie welche hatte, mußten sie schön hellbraun sein; das konnte ich an den Augenbrauen sehen. Was mich am meisten entzückte, war ihre Hand und ihr Vorderarm, den ich bis zum Ellbogen sah. Der Meißel des Praxiteles hat niemals etwas schöner gerundetes, volleres und anmutigeres geformt. Trotz allem, was ich sah und erriet, bereute ich es nicht, die beiden Stelldichein ausgeschlagen zu haben, die die Schöne mir angeboten hatte, denn ich fühlte mich sicher, daß ich binnen wenigen Tagen sie besitzen würde, und es war mir ein Genuß, ihr meine Begierden zum Opfer weihen zu können. Ich sehnte mich nach dem Augenblick, wo ich mit ihr allein am Sprechgitter sein würde, und ich hätte ihr einen Schimpf angetan geglaubt, wenn ich nicht gleich am nächsten Tage hingegangen wäre, um ihr zu versichern, daß ich ihr alle Ge- rechtigkeit wiederfahren ließe, die sie verdiente. Sie sah mich während der ganzen Zeit nicht einen einzigen Augenblick an, aber diese Art von Zurückhaltung gefiel mir im Grunde. Plötzlich senkten die bei- den Freundinnen die Stimme, und Zartgefühl machte mir zur Pflicht, mich zu entfernen. Ihre geheime Unterhaltung dauerte eine Viertelstunde, die ich damit verbrachte, mir zum Schein ein Gemälde anzusehen. Nach Ablauf dieser Zeit umarmten sie sich wieder wie zu Anfang; die Nonne schloß das bewegliche Gitter wieder zu, drehte uns den Rücken und ging, ohne mir auch nur einen einzigen Blick zuzuwerfen.

Auf der Rückfahrt nach Venedig wurde die Gräfin vielleicht meines Schweigens überdrüssig und sagte lächelnd zu mir: »M. M. ist schön und sehr geistvoll.«

»Das eine habe ich gesehen, und das andere glaube ich.«

»Sie hat kein Wort zu Ihnen gesagt.«

»Da ich ihr nicht vorgestellt werden wollte, hat sie mich bestraft, indem sie so tat, als ob sie meine Anwesenheit gar nicht bemerkte.«

Die Gräfin antwortete nicht, und wir kamen bei ihrem Hause an, ohne noch ein weiteres Wort auszutauschen. Ich verließ sie an der Tür, da eine schöne Verbeugung und die Worte: Leben Sie wohl, mein Herr! mir bedeuteten, daß ich nicht weiter mitzugehen hätte. Übrigens hatte ich dazu auch gar keine Lust; ich ging an einen anderen Ort, um meinen Gedanken über dieses eigenartige Abenteuer nachzuhängen, auf dessen Weiterentwicklung ich sehr gespannt war.