Ich komme wieder zu Gelde. – Mein Abenteuer in Dolo. – Analyse eines langen Briefes von meiner Freundin. – Übler Streich, den P. C. mir in Vicenza spielt. – Tragikomischer Aufritt im Gasthof.

Da nun einmal die Not, diese herrische Gebieterin und meine einzige Entschuldigung, mich so ziemlich zum Teilhaber eines Schnapphahns gemacht hatte, blieb nur noch die Schwierigkeit, die erforderlichen dreihundert Zechinen aufzutreiben; ehe ich jedoch hiermit mich beschäftigte, wollte ich erst die zum Rupfen ausersehenen Opfer und das Idol, an das sie ihre Huldigungen richteten, kennen lernen. Croce führte mich nach dem Prato della valle, wo wir im Kaffeehause die gnädige Frau von einem Kreise fremder Herren umringt fanden. Sie war hübsch; da jedoch ein Sekretär des kaiserlichen Gesandten Grafen Rosenberg sich ihr angeschlossen hatte, so wagte kein venetianischer Nobile sich in ihre Nähe. Die Herren, für die ich mich zu interessieren hatte, waren der Schwede Gilenspetz, der Engländer Mendex, von dem ich schon gesprochen habe, ein Hamburger und drei oder vier andere, auf die Croce mich aufmerksam machte.

Wir hatten ein ausgezeichnetes Essen, und nach der Mahlzeit verlangten alle Gäste eine Pharaobank; aber Croce ließ sich nicht darauf ein; dies überraschte mich, denn als geschickter Spieler hätte er mit dreihundert Zechinen das Glück schon auf die Probe stellen können. Die Sache war mir verdächtig; er ließ mich jedoch nicht lange in der Ungewißheit, sondern führte mich in sein Kabinett und zeigte mir fünfzig doblones da ocho; dies machte mehr als dreihundert Zechinen3. Als ich sah, daß der Glücksverbesserer mich nicht aufs Korn genommen hatte, um mich zu prellen, sagte ich ihm, ich würde die Summe beschaffen, und sofort lud er alle Anwesenden für den nächsten Tag zum Abendessen ein. Wir verabredeten, daß wir jeden Abend teilen wollten und daß er unbare Sätze nicht halten dürfte.

Ich mußte also das Geld auftreiben, aber an wen sollte ich mich wenden? Ich wußte niemand, den ich darum hätte bitten können, außer Herrn von Bragadino. Der gute und großmütige alte Herr besaß die Summe nicht, denn seine Kasse war wie gewöhnlich leer; aber er fand einen Wucherer – zum Verderben der Jugend fehlt es ja leider nie an diesem Gezücht – und dieser gab mir auf einen von ihm mitunterzeichneten Schuldschein tausend venetianische Dukaten zu fünf Prozent monatlich; die Zinsen für den ersten Monat zog er sich gleich ab. Es war gerade die Summe, die ich brauchte.

Ich fand mich zum Abendessen ein; Croce hielt bis zum Morgengrauen die Bank, und wir teilten uns sechzehn hundert Zechinen. Am nächsten Tage wurde wieder gespielt; Gilenspetz allein verlor zweitausend Zechinen, der Jude Mendex tausend. Dem Sonntag zu Ehren wurde eine Pause gemacht, aber am Montag gewann die Bank viertausend Zechinen. Am Dienstag speisten wir alle zusammen und gleich nach dem Essen begann wieder das Spiel; kaum aber waren ein paar Abzüge gemacht, da trat ein Polizeigefreiter des Podesta ein und sagte zu Croce, er habe Befehl, mit ihm zwei Worte unter vier Worte zu sprechen. Sie gingen miteinander hinaus; kurz darauf kam Croce mit etwas bestürztem Gesicht wieder herein und sagte uns, er habe soeben Befehl erhalten, nicht mehr in seiner Wohnung Bank zu halten. Die Schöne sank in Ohnmacht, die Spieler drückten sich, und ich folgte ihrem Beispiele, nachdem ich die Hälfte des auf dem Tische liegenden Goldes eingesteckt hatte. Ich hatte Furcht, es könnte noch schlimmer kommen; darum entfernte ich mich. Beim Abschied sagte Croce mir, wir würden uns in Venedig wiedersehen, denn er hätte Befehl erhalten, binnen vierundzwanzig Stunden den Ort zu verlassen. Ich war darauf gefaßt, denn er war allzubekannt; sein größtes Verbrechen aber war in den Augen des Podesta, daß er den Spielern ihr Geld abnahm, denn man wünschte, daß sie es ins Foyer der Oper trugen, wo die meisten Bankhalter venetianische Nobili waren.

Bei abscheulichem Wetter ritt ich nach Einbruch der Nacht mit verhängten Zügeln davon; nichts hätte mich zurückhalten können, denn frühmorgens am nächsten Tage sollte ich einen Brief von meiner lieben Eingesperrten erhalten. Sechs Meilen vor Padua stürzte mein Pferd, und mein linkes Bein lag unter seinem Leibe. Ich hatte weiche Stiefel an und fürchtete mich verletzt zu haben. Der Postillon, der vor mir her ritt, hatte das Geräusch des Sturzes gehört; er eilte herbei und befreite mich; ich war unversehrt, aber mein Pferd war lahm. Ich machte von meinem Recht Gebrauch und bestieg das Pferd des Postillons, aber der unverschämte Kerl packte es am Gebiß und wollte mich nicht weiter reiten lassen. Ich suchte ihm klar zu machen, daß er im Unrecht sei, aber er wollte keine Vernunft annehmen und ließ mich nicht los. Da ich Eile hatte, nach Venedig zu kommen, brannte ich einen Pistolenschuß auf ihn los, traf ihn jedoch nicht; erschrocken lief er weg, und ich ritt Hals über Kopf davon. In Dolo angekommen, ging ich in den Stall und sattelte eigenhändig ein Pferd, das der Postillon, dem ich einen Taler geschenkt hatte, mir als vorzüglich bezeichnete. Man fand nichts dabei, daß mein anderer Postillon zurückgeblieben war, und wir ritten ab.

Es war ein Uhr nachts; von dem Gewitterregen waren die Wege grundlos geworden, und es war so finster, daß man keine zwei Schritte weit sah. Der Morgen begann zu dämmern, als ich in Fusine ankam.

Die Bootsknechte sagten mir, es werde ein neues Unwetter geben; ich aber trotzte jeder Gefahr, bestieg einen vierrudrigen Schleppkahn und kam heil und gesund, aber auch bis auf die Knochen durchnäßt, bei mir zu Hause an. Ich war noch keine Viertelstunde da, als die Botenfrau von Murano mir einen Brief übergab; sie sagte, in zwei Stunden würde sie wiederkommen, um die Antwort abzuholen. Der Brief war ein sieben Seiten langes Tagebuch, dessen wortgetreue Wiedergabe den Leser vielleicht langweilen würde; ich gebe daher nur einen Auszug.

Nach der Unterredung mit Herrn von Bragadinò war C. C.’s Vater nach Hause gekommen, hatte Mutter und Tochter in sein Zimmer beschieden und hatte meine Geliebte freundlich gefragt, wo sie mich kennen gelernt hätte. Sie antwortete ihm, sie habe vier- oder fünfmal auf dem Zimmer ihres Bruders mit mir gesprochen: dort habe ich sie gefragt, ob sie damit einverstanden sei, meine Frau zu werden, und sie habe darauf geantwortet, dies hänge von ihrem Vater und von ihrer Mutter ab. Ihr Vater hatte darauf gesagt, sie sei noch zu jung, um ans Heiraten denken zu können; außerdem sei ich noch nicht in selbständiger Lage. Nachdem er diesen Machtspruch getan, ging er in das Zimmer seines Sohnes und verschloß die kleine Tür, desgleichen die zum Zimmer der Mutter führende Verbindungstür. Seiner Tochter befahl er, mir sagen zu lassen, sie sei aufs Land gegangen, falls ich bei ihr vorsprechen sollte, um ihr einen Besuch zu machen.

Zwei Tage später suchte er sie auf und fand sie am Krankenbett ihrer Mutter sitzen. Er sagte ihr, ihre Muhme würde sie ins Kloster bringen, und dort würde sie als Pensionärin bis zu dem Augenblick bleiben, wo sie aus den Händen ihrer Eltern einen Gatten empfinge. Sie hatte ihm geantwortet, sie unterwerfe sich vollständig seinem Willen und gehorche ihm mit Freuden. Erfreut über ihre Gefügigkeit, versprach ihr Vater ihr, sie zu besuchen, und versicherte ihr, ihre Mutter werde ebenfalls kommen, sobald sie wieder gesund sei. Man hatte ihr ihr Bett und ihre Kleider ins Kloster geschickt; sie war sehr zufrieden mit ihrem Zimmer und mit der Nonne, der sie zugewiesen war und zu gehorchen hatte. Sie hatte ihr unter Androhung des päpstlichen Bannfluches, der ewigen Verdammnis und etlicher anderer Kleinigkeiten verboten, Briefe oder Besuche zu empfangen oder an irgend einen Menschen zu schreiben; indessen hatte ebendieselbe Nonne ihr Bücher, Papier und Tinte gegeben, und bei Nacht überschritt meine Freundin die Klosterregeln, indem sie mir alle diese Einzelheiten aufschrieb. Sie teilte mir mit, sie halte die Botin für verschwiegen und treu und sie glaube, daß sie es bleiben werde, denn sie sei arm und meine Zechinen seien ein kleines Vermögen für sie.

Sie schrieb mir in scherzhaften Ausdrücken, die schönste von allen Nonnen des Klosters sei rasend in sie verliebt; sie gebe ihr täglich zweimal Unterricht in der französischen Sprache und habe ihr freundschaftlich verboten, Bekanntschaften mit den anderen Pensionärinnen anzuknüpfen. Diese Nonne sei erst zweiundzwanzig Jahre alt, sie sei schön, reich und freigebig; alle anderen Nonnen seien sehr rücksichtsvoll gegen sie. »Wenn wir allein sind,« – so schrieb mir meine Freundin – »gibt sie mir so zärtliche Küsse, daß du eifersüchtig auf sie werden würdest, wenn sie nicht ein Weib wäre.« Uber den Entführungsplan schrieb sie nur, sie halte die Ausführung desselben nicht für schwierig; doch müsse die Vorsicht uns raten, so lange zu warten, bis sie sich genügend mit der Örtlichkeit vertraut gemacht habe; bis jetzt kenne sie diese erst unvollkommen. Sie ermahnte mich zur Treue, als einer Bürgschaft der Beständigkeit, und bat mich schließlich, ihr mein Bildnis in einem Ring zu schenken, doch solle es geheim angebracht sein, so daß außer uns kein Mensch davon wisse. Ich könnte ihr den Ring durch ihre Mutter zukommen lassen; diese sei wieder genesen und gehe jeden Tag zur ersten Messe in ihre Pfarrkirche. Ihre gute Mutter werde hocherfreut sein, mich wiederzusehen, und werde alles tun, was ich von ihr verlangen könnte. »Übrigens«, so schloß sie, »hoffe ich binnen einigen Monaten in einem Zustande zu sein, der dem Kloster Ärgernis bereiten soll, wenn man mich durchaus nicht hinauslassen will.«

Ich war grade mit meiner Antwort fertig, als die Botin Laura wieder kam, um sie abzuholen. Nachdem ich ihr die versprochene Zechine geschenkt hatte, gab ich ihr ein Paket mit Siegellack, Papier, Federn und Feuerzeug. Sie versprach es an meine Schöne zu bestellen. Meine Freundin hatte ihr gesagt, ich sei ihr Vetter, und Laura tat, als glaubte sie es.

Da ich nicht wußte, was ich in Venedig anfangen sollte, und überdies der Meinung war, meine Ehre erforderte, daß ich mich in Padua sehen ließe, weil man sonst glauben könnte, ich hätte denselben Ausweisungsbefehl erhalten, wie Croce, frühstückte ich in aller Eile und nahm dann einen gestempelten Fahrschein bei der römischen Post. Denn ich rechnete damit, daß mein Pistolenschuß und das gelähmte Pferd die Posthalter vielleicht unmutig gemacht hätten; aber sie konnten mir, falls überhaupt Pferde vorhanden waren, diese nicht verweigern, sobald ich meinen Stempelschein vorzeigte. In bezug auf den Pistolenschuß hatte ich keine Angst, denn ich hatte den unverschämten Postillon absichtlich gefehlt; und selbst wenn ich ihn zur Strecke gebracht hätte, so wäre weiter nichts dabei gewesen. In Fusine nahm ich einen zweirädrigen Wagen, denn ich war so ermüdet, daß ich nicht hätte reiten können. So kam ich nach Dolo, wo man mich wiedererkannte und mir Pferde verweigerte. Ich machte Lärm, der Posthalter kam heraus und drohte mir, er würde mich verhaften lassen, wenn ich ihm nicht das von mir zu Schanden gerittene Pferd bezahlte. Ich antwortete ihm, wenn das Pferd tot wäre, so würde ich mit dem Posthalter in Padua darüber abrechnen; er aber hätte mir unverzüglich frische Pferde zu liefern. Mit diesen Worten zeigte ich ihm den respekteinflößenden Stempelschein. Bei dessen Anblick stimmte er den Ton bedeutend herab; doch sagte er, wenn er mir auch Pferde gäbe, so würde mir das nichts nützen, denn ich hätte den Postillon so schlecht behandelt, daß niemand mich würde begleiten wollen. „Nun, dann werden Sie selber mich begleiten!“ rief ich. Er antwortete mir nicht, sondern lachte mir ins Gesicht und drehte mir den Rücken. Ich nahm zwei Zeugen und begab mich zu einem Notar, der ein Protokoll aufnahm, worin ich den Posthalter aufforderte, mir bei Buße von zehn Zechinen für jede Stunde Verzögerung sofort Pferde zu liefern.

Der Postmeister war ohne Zweifel darauf bereits vorbereitet, denn sowie er von meinem Schriftstück Kenntnis genommen hatte, ließ er zwei wilde Pferde aus dem Stall bringen. Ich sah, daß er den Vorsatz hatte, mich unterwegs umzuwerfen, vielleicht sogar in den Fluß zu stürzen; aber ich sagte ganz kaltblütig zum Postillon, im selben Augenblick, wo er mich umwürfe, würde ich ihm eine Pistolenkugel durch den Kopf schießen; voller Angst führte er seine Pferde wieder in den Stall und erklärte seinem Herrn, er würde mich nicht fahren. Im selben Augenblick erschien ein Kurier und verlangte sechs Wagenpferde und zwei Reitpferde.

Ich bedeutete dem Postmeister, daß niemand vor mir abreisen würde; sollte er Widerstand leisten wollen, so würde es zum Blutvergießen kommen; um die Drohung wirksamer zu machen, zog ich meine Pistolen hervor. Der Mann fluchte und wetterte. Da aber alle Anwesenden ihm unrecht gaben, so entfernte er sich.

Fünf Minuten später kam auf einmal Croce in einer schönen Berline mit seiner Frau, einer Kammerjungfer und zwei Lakaien in großer Livree. Er stieg aus, wir umarmten uns, und ich sagte ihm mit betrübter Miene, er dürfe nicht vor mir weiterreisen.

Ich erzählte ihm den Fall, er gab mir recht und schimpfte wie ein großer Herr, daß alles vor Furcht zitterte und bebte. Der Posthalter war verschwunden; seine Frau aber kam und befahl, mich zu bedienen. Inzwischen hatte Croce mir gesagt, ich täte gut daran, mich in Padua zu zeigen, denn dort ginge das Gerücht, ich wäre auf höheren Befehl abgereist. »Man hat außer mir auch Herrn de Goudoin, Oberst in modenesischen Diensten, ausgewiesen, weil er in seiner Wohnung Bank hielt.« Ich versprach ihm, im Laufe der nächsten Woche ihn zu besuchen; er war im Augenblick meiner Not gleichsam vom Himmel herab erschienen, um mir zu helfen. Er hatte an vier Spielabenden zehntausend Zechinen gewonnen, von denen ich die Hälfte erhielt. Schleunigst bezahlte ich meine Schulden und löste alle versetzten Wertsachen aus. Der Spitzbube hatte mir Glück gebracht, denn von Stund an verschwand das Pech, das sich bis dahin an meine Fersen geheftet hatte.

Ich kam glücklich in Padua an, und der Postillon, der mich, vielleicht aus Angst, ausgezeichnet gefahren hatte, war mit mir zufrieden. Ich beschenkte ihn reichlich, weil ich mit derartigen Leuten nicht in Unfrieden leben wollte. Meine drei Freunde waren über meine Ankunft hocherfreut, denn meine eilige Abreise hatte sie sehr beunruhigt. Herr von Bragadino freilich hatte sich keine Sorgen gemacht, denn ich hatte ihm den Tag vor meinem Fortgehen meine Kassette übergeben; seine beiden Freunde dagegen glaubten an das in der Stadt umgehende Gerücht, daß der Podestà auch mir den Ausweisungsbefehl geschickt hätte. Sie hatten nicht bedacht, daß man gegen mich als venetianischen Bürger nicht eine derartige Zwangsmaßregel anwenden konnte, ohne sich den höheren Behörden gegenüber verantwortlich zu machen.

Ich war müde; aber anstatt mich ins Bett zu legen, machte ich große Toilette und ging unmaskiert in die Oper. Ich sagte meinen Freunden, ich müsse mich zeigen, um das Geschwätz der bösen Zungen Lügen zu strafen. De la Haye bemerkte: »Ich freue mich außerordentlich, wenn alles, was man sich erzählt hat, unwahr ist; aber Sie haben ganz alleine Schuld, denn Ihre übereilte Abreise lieferte reichlichen Stoff zu Mutmaßungen.«

»Und zur Verleumdung…«

»Das kann sein ; aber das Publikum will alles wissen, und was es nicht erraten kann, erfindet es.«

»Und Dummköpfe und Böswillige beeifern sich, diese Erfindungen zu verbreiten.«

»Es steht aber doch fest, daß Sie den Postillon haben erschießen wollen. Ist das auch eine Verleumdung?«

»Die größte von allen! Glauben Sie, eine sichere Hand könne unabsichtlich einen Mann auf Armlänge fehlen?«

»Das ist freilich schwer denkbar; aber soviel ist doch mindestens gewiß, daß das Pferd tot ist und daß Sie es bezahlen werden.«

»Nein. Nicht einmal, wenn es Ihr Pferd wäre, brauchte ich es zu bezahlen, denn der Postillon ritt vor mir. Sie wissen doch so viel – kennen Sie denn nicht die Postvorschrift? Übrigens war ich in Eile, denn ich hatte einer hübschen Frau versprochen, heute morgen mit ihr zu frühstücken, und eine solche Zusage darf man nicht brechen, wie Sie wohl wissen.«

Herr de la Haye schien sich ein wenig verletzt zu fühlen durch die etwas beißende Ironie, mit der ich dieses Zwiegespräch würzte. Er war aber noch viel tiefer verletzt, als ich eine Rolle Zechinen aus der Tasche zog und ihm die Summe zurückgab, die er mir in Wien geliehen hatte. Man ist nie so schlagfertig, wie wenn man eine gutgespickte Börse in der Tasche hat; dann findet man so leicht das rechte Wort, es sei denn, daß man von einer stürmischen Leidenschaft umnebelt ist. Herr von Bragadino fand meine Absicht, mich unmaskiert in der Oper zu zeigen, sehr gut.

Als ich im Parterre erschien, machte alles erstaunte Gesichter, und eine Menge von Leuten beglückwünschte mich, vielleicht aufrichtig, vielleicht auch nicht. Nach dem ersten Ballett ging ich in den Spielsaal und gewann in vier Taillen fünfhundert Zechinen.

Halbtot vor Hunger und Müdigkeit ging ich nach Hause, um meinen Sieg bei den drei Freunden auszuposaunen. Freund Bavois, der grade da war, benutzte die Gelegenheit, um von mir fünfzig Zechinen zu borgen, die er mir niemals wiedergegeben hat; billigerweise muß ich allerdings sagen, daß ich sie niemals von ihm verlangt habe.

Meine Gedanken waren stets mit meiner geliebten C. C. beschäftigt, und ich brachte den ganzen nächsten Tag damit zu, von einem geschickten Piemonteser Maler, der damals auf der Durchreise in Padua war und später in Venedig viel Geld verdiente, mein Miniaturbildnis malen zu lassen. Als dieses Porträt fertig war, malte er mir in der gleichen Größe eine hübsche Heilige Katharina, und ein geschickter Juwelier aus Venedig machte mir einen Ring von ganz ausgezeichneter Arbeit. Im Kasten war nur die Heilige sichtbar, aber ein fast unbemerkbarer blauer Punkt auf dem weißen Emailgrunde entsprach einer Feder, die mein Bild erscheinen ließ, sobald man mit einer Nadelspitze auf den Punkt drückte.

Am Freitag wurde mir in dem Augenblick, wo wir vom Tisch aufstanden, ein Briefchen übergeben. Zu meiner großen Überraschung erkannte ich P. C.’s Handschrift. Er teilte mir mit, ich möchte ihn im Gatsthof zum Stern aufsuchen; er hätte eine Nachricht für mich, die mich sehr interessieren würde. Da ich dachte, es könnte wohl etwas sein, das seine Schwester beträfe, so ging ich sofort hin.

Ich fand ihn mit Frau C. zusammen; nachdem ich ihm zu seiner Befreiung Glück gewünscht hatte, fragte ich ihn, was er mir denn mitzuteilen hätte. »Ich weiß bestimmt,« sagte er, »daß meine Schwester in einem Kloster ist, und ich werde Ihnen den Namen dieses Klosters sagen können, sobald ich wieder in Venedig bin.« Ich tat, als wüßte ich von gar nichts, und sagte ihm: »Sie werden mich sehr verbinden.«

Aber diese Neuigkeit war nur ein Vorwand gewesen, um mich zu einem Besuch bei ihm zu bewegen, und sein großer Eifer hatte eine ganz andere Ursache als den Wunsch, mir zu Diensten zu sein.

»Ich habe«, sagte er, »für fünfzehntausend Gulden meinen Proviantlieferungsvertrag auf drei Jahre verkauft; der Mann, mit dem ich dieses Geschäft abgeschlossen habe, erwirkte meine Freilassung aus dem Schuldgefängnis, indem er Bürgschaft für mich leistete; außerdem gab er mir einen Vorschuß von sechstausend Gulden in Gestalt von vier Wechseln.« Er zeigte mir die Papiere, die von einer mir unbekannten Unterschrift indossiert waren, die er als sehr gut pries, und fuhr dann fort: »Ich will in Vicenza für sechstausend Gulden Seidenstoffe kaufen, und ich werde den Fabrikanten diese Wechsel in Zahlung geben. Ich bin sicher, die Stoffe sehr schnell mit einem Gewinn von zehn aufs Hundert verkaufen zu können. Kommen Sie mit uns, ich gebe Ihnen für zweihundert Zechinen Stoffe ab, und auf diese Weise haben Sie Deckung für die Bürgschaft, die Sie so freundlich waren, für meinen Ring zu leisten. In vierundzwanzig Stunden ist alles erledigt.«

Die Geschichte war nicht nach meinem Geschmack, aber ich ließ mich durch den Wunsch verblenden, für die von mir verbürgte Summe Deckung zu erhalten, denn ich sah voraus, daß ich diese früher oder später würde bezahlen müssen. »Wenn ich nicht mitgehe,« dachte ich bei mir selber, »verkauft er die Stoffe mit fünfundzwanzig Prozent Verlust, und ich bekomme gar nichts.« Ich versprach ihm also, ich würde kommen. Er zeigte mir verschiedene Empfehlungsbriefe an die ersten Häuser von Vicenza, und wir verabredeten, am nächsten Morgen in der Frühe abreisen zu wollen.

Mit Tagesanbruch war ich im Stern. Ein vierspänniger Wagen fuhr vor, der Wirt kam mit seiner Rechnung, und P. C. bat mich, zu bezahlen. Die Rechnung betrug fünf Zechinen, darunter vier, die der Wirt dem Fuhrmann bezahlt hatte, mit dem sie von Fusine gekommen waren. Ich sah, daß ich geprellt wurde, machte aber gute Miene zum bösen Spiel und bezahlte; der Schelm war natürlich ohne einen Heller von Venedig abgereist.

Wir fuhren ab und gelangten in drei Stunden nach Vicenza, wo wir im »Hut« abstiegen. Herr P. C. bestellte ein feines Mittagessen und ließ mich dann mit seiner Dame allein, um seine Fabrikanten aufzusuchen.

Als ich mit ihr unter vier Augen war, begann sie mir in liebenswürdigem Ton Vorwürfe zu machen. »Seit achtzehn Jahren schon«, sagte sie, »liebe ich Sie, denn ich sah Sie zum erstenmal in Padua, als wir neun Jahre alt waren.« Ich erinnerte mich dessen wirklich nicht; aber es stimmte. Sie war die Tochter des mit Herrn Grimani befreundeten Antiquars, der mich bei der bösen Slavonierin untergebracht hatte. Ich mußte unwillkürlich lachen, denn mir fiel ein, daß ihre Mutter mich geliebt hatte.

Nach kurzer Zeit erschienen Ladendiener und brachten Stoffe, bei deren Anblick Frau C.’s Gesicht sich erheiterte. In weniger als zwei Stunden war das ganze Zimmer voll davon, und P. C. kam mit zwei Handelsherren zurück, die er zum Essen eingeladen hatte. Frau C. glänzte durch liebenswürdige Neckereien, das Essen wurde aufgetragen, und köstliche Weine flossen in Strömen. Nachmittags wurden noch mehr Waren gebracht; P.C. einigte sich mit den Herren wegen der Preise. Aber er verlangte noch mehr Ware, und sie versprachen ihm, er solle sie am nächsten Tage erhalten, obgleich dieser ein Feiertag sei.

In der Dämmerstunde kamen die Grafen; denn in Vincenza ist jeder Adlige Graf. P. C. hatte seine Empfehlungsbriefe bei ihnen abgegeben. Es war ein Velo, ein Sesso, ein Trento – lauter sehr liebenswürdige Herren. Sie luden uns ins adlige Kasino ein und C. glänzte dort durch ihre Reize und ihre Koketterie. Nachdem wir dort zwei Stunden verbracht hatten, lud P. C. alle anwesenden Herren zum Abendessen ein; größte Fröhlichkeit herrschte an der reichbesetzten Tafel. Mir war dies alles sehr langweilig, und infolgedessen war ich nicht liebenswürdig; darum sprach denn auch kein Mensch ein Wort mit mir. Ich ließ die lustige Gesellschaft bei Tisch sitzen, stand auf und ging zu Bett. Am anderen Morgen kam ich zum Frühstück herunter. Das Zimmer war ganz vollgepfropft von Waren, und es schien mir ausgeschlossen, daß P. C. diese mit seinen sechstausend Gulden bezahlen könnte. Er sagte mir, das ganze Geschäft würde den Tag darauf in Ordnung sein und wir wären zu einem Ball eingeladen, an dem der ganze Adel teilnehmen würde.

Die Fabrikanten, mit denen er Geschäfte gemacht hatte, erschienen alle bei uns zum Essen, und das Mahl war wiederum mit größter Verschwendung hergerichtet.

Wir gingen auf den Ball; aber es dauerte nicht lange, so ärgerte ich mich ganz ernstlich, denn alle Gäste sprachen mit C. und mit P. C., der lauter fades Zeug redete. Wenn ich aber mal den Mund aufmachte, tat man, als hörte man mich nicht. Ich forderte eine Dame zum Menuett auf; sie tanzte mit mir, hielt aber dabei ihre Blicke bald nach links, bald nach rechts gewandt und ließ mich die Rolle eines Strohmanns spielen. Man trat zu einem Kontertanz an und richtete es so ein, daß ich dabei ausgeschlossen wurde; dieselbe Dame, die meine Aufforderung abgelehnt hatte, tanzte mit einem andern. Wäre ich bei guter Laune gewesen, so hätte ich mir eine derartige Behandlung nicht gefallen lassen. Aber ich warf ihr nur einen Blick voller Verachtung zu, und zog es vor, den Ball zu verlassen und zu Bett zu gehen. Ich begriff nicht, welchen Grund der Adel von Vicenza haben konnte, mich auf solche Weise zu behandeln. Vielleicht ließ man mich deshalb links liegen, weil in P. C.’s Empfehlungsbriefen mein Name nicht genannt war; aber man hätte doch die einfachen Gebote der Höflichkeit kennen müssen!

Ich fügte mich in Geduld, denn am andern Morgen sollten wir ohnehin abreisen.

Am Montag schlief das vom Ball ermüdete Pärchen bis Mittag; nach dem Essen ging P. C. fort, um die von ihm ausgesuchten Stoffe zu bezahlen.

Am Tage darauf, Dienstag, sollten wir abreisen, und in einer Art von Ahnung sehnte ich seufzend diesen Augenblick herbei. Die Grafen, die P. C. eingeladen hatte, waren entzückt von seiner Geliebten und erschienen zum Abendessen; ich vermied es jedoch, mich mit ihnen zu Tisch zu setzen.

Dienstag früh wurde mir gemeldet, das Frühstück sei aufgetragen. Ich verspätete mich ein bißchen, der Kellner kam noch einmal und sagte mir, meine Frau Gemahlin bitte mich, ich möchte mich beeilen. Beim Wort Gemahlin gab ich dem armen Kerl eine tüchtige Ohrfeige; in meiner Wut verfolgte ich ihn mit Fußtritten die ganze Treppe hinunter; in vier Sprüngen war er unten, auf die Gefahr hin sich den Hals zu brechen! Wütend stürzte ich in das Zimmer, wo ich erwartet wurde, und fragte P. C., welcher Lump mich im Gasthof für den Gatten der gnädigen Frau ausgegeben habe. Er antwortete mir, er wisse nichts davon, aber im selben Augenblick kam der Wirt mit einem großen Messer in der Hand herein und fragte mich zornig, warum ich seinen Kellner die Treppe heruntergeworfen hätte. Schnell ergriff ich ein Pistol, legte auf ihn an und forderte ihn gebieterisch auf, mir zu sagen, wer mich in seinem Gasthof für den Gatten der Dame ausgegeben habe. Der Wirt erwiderte: »Herr Hauptmann P. C. selber hat es so ins Fremdenbuch eintragen lassen.« Kaum hörte ich dies, so packte ich den Unverschämten am Kragen und stieß ihn kräftig gegen die Wand; wäre nicht der Wirt dazwischen gekommen, so hätte ich ihm mit dem Pistolenkolben den Schädel zerschmettert. Die Schöne tat, als fiele sie in Ohnmacht – Damen von ihrer Sorte haben ja stets Tränen und Ohnmachtsanfälle bei der Hand; dabei schrie der elende P. C. fortwährend: »Es ist nicht wahr! Es ist nicht wahr!«

Der Wirt lief hinaus und holte sein Fremdenbuch, hielt es mit wütendem Blick dem Feigling unter die Nase und forderte ihn auf, noch einmal zu sagen, daß nicht er selber diktiert hätte: P. C., kaiserlicher Hauptmann mit Herrn und Frau Casanova. Der Bursche antwortete, er habe ihn falsch verstanden, worauf der Wirt ihm das Buch so stark ins Gesicht schlug, daß er ganz betäubt gegen die Wand taumelte.

Als ich sah, daß der elende Feigling sich diese erniedrigende Behandlung gefallen ließ, ohne daran zu denken, daß er einen Degen an der Seite trug, ging ich hinaus, indem ich den Wirt bat, mir eine zweispännige Kalesche nach Padua zu besorgen. Schamrot und wutschnaubend ging ich auf mein Zimmer; zu spät erkannte ich den ungeheuren Fehler, den ich begangen hatte, indem ich mich mit einem Halunken einließ. In aller Eile packte ich meinen Handkoffer Ich wollte grade gehen, als die C. in mein Zimmer trat. »Gehen Sie!« sagte ich zu ihr; »ich könnte in meiner Wut die Achtung vergessen, die ich Ihrem Geschlecht schuldig bin.«

Unter strömenden Tränen warf sie sich auf einen Stuhl und flehte mich an ihr zu verzeihen; sie versicherte mir, sie sei unschuldig, denn sie sei nicht dabei gewesen, als der Schelm seine Angaben gemacht habe. Die Frau des Wirtes kam dazu und bestätigte diese Aussage. Mein Zorn tobte sich in Worten aus, und bald sah ich draußen den von mir bestellten Wagen mit zwei guten Pferden vorfahren. Ich ließ den Wirt kommen, um ihm meinen Anteil an der Zeche zu bezahlen; er antwortete mir, da ich nichts bei ihm bestellt hätte, wäre ich ihm auch nichts schuldig. Während wir darüber sprachen, erschien Graf Velo.

»Ich möchte wetten, Herr Graf, Sie haben geglaubt, die Dame hier sei meine Frau?«

»Das ist stadtbekannt.«

»Wie? Himmeldonnerwetter! Und Sie haben das glauben können, da Sie wissen, daß ich allein in diesem Zimmer wohne, und zumal da Sie gesehen haben, wie ich vorgestern abend allein den Ball verließ und gestern nicht mitspeiste, sondern die Dame unter all den Herren allein ließ?«

»Es gibt so bequeme Ehemänner.«

»Ich glaube nicht wie ein solcher auszusehen, und Sie verstehen sich nicht auf Ehrenmänner; kommen Sie mit, ich werde es Ihnen beweisen!«

Der Graf lief schnell die Treppe herunter und verließ den Gasthof. Die unglückliche C. war von Tränen halb erstickt; sie tat mir leid, denn Weibertränen sind eine Waffe, der ich in meinem Leben kaum je habe wiederstehen können. Ich überlegte mir, daß es nicht gut wäre, wenn ich fortginge, ohne etwas zu bezahlen; denn man konnte sich über mein Lärmschlagen lustig machen und mich in Verdacht haben, bei der Gaunerei mit im Bunde zu sein. Ich befahl daher dem Wirt, mir die Rechnung zu bringen; ich wollte die Hälfte bezahlen. Er ging fort, um sie zu holen. Plötzlich gab es eine neue Szene: Frau C. warf sich unter strömenden Tränen mir zu Füßen und rief, wenn ich sie im Stiche ließe, wäre sie verloren, denn sie hätte kein Geld und auch keine Sachen, die sie versetzen könnte.

»Wie, gnädige Frau? Haben Sie nicht Wechsel in Höhe von sechstausend Gulden oder doch zum mindesten die Stoffe, die Sie für diesen Betrag gekauft haben.«

»Stoffe sind nicht mehr da. Man hat sie alle wieder abgeholt, denn über die Wechsel, die sie sahen und die nach unserer Meinung bares Geld waren, haben die Fabrikherren nur gelacht. Sie haben alles wieder abholen lassen. Konnte man so etwas ahnen?«

»Der Spitzbube! Er hat vorausgesehen, wie alles kommen würde, und darum hat er mich aufgefordert mitzukommen. Geschieht mir recht! Ich muß die Strafe für meinen Fehler erleiden.«

Die Rechnung, die der Wirt mir brachte, belief sich auf vierzig Zechinen – eine Riesensumme für einen dreitägigen Aufenthalt, aber es waren dabei viele bare Auslagen des Wirtes. Ich begriff sofort, daß meine Ehre erforderte, die ganze Rechnung zu bezahlen, und zauderte daher keinen Augenblick. Doch war ich so vorsichtig, mir in Gegenwart von drei Zeugen eine Quittung ausstellen zu lassen. Hierauf gab ich dem Neffen des Wirts zwei Zechinen als Schmerzens- und Trostgeld für die erhaltenen Ohrfeigen und Fußtritte. Dagegen verweigerte ich die gleiche Summe der elenden C., die mich durch die Wirtin darum bitten ließ.

So endigte dieses häßliche Abenteuer, das mir eine derbe Lehre gab, die ich eigentlich nicht mehr hätte nötig haben sollen. Zwei oder drei Wochen darauf erfuhr ich, Graf Trento habe das traurige Paar, mit dem ich nichts mehr zu tun haben wollte, auf seine Kosten abreisen lassen. Einen Monat später geriet P. C. abermals ins Gefängnis, da der Mann, der für ihn gutgesagt hatte, Bankerott machte. Er war schamlos genug, in einem langen Brief mich flehentlich um meinem Besuch zu bitten; ich antwortete ihm nicht. Unerweichlich war ich auch gegen die C., der ich alle ihre Bitten um eine Zusammenkunft standhaft abschlug; sie geriet in das tiefste Elend.

Ich kehrte nach Padua zurück, wo ich mich aber nur solange aufhielt, wie nötig war, um meinen Ring abzuholen und mit Herrn von Bragadino zu speisen, der wenige Tage später nach Venedig zurückging.

Die Botin aus dem Kloster brachte mir in früher Morgenstunde meinen Brief; ich las ihn begierig; er war zärtlich, enthielt aber nichts Neues. In meiner Antwort schilderte ich meiner Freundin in allen Einzelheiten den abscheulichen Streich, den ihr Taugenichts von Bruder mir gespielt hatte; zugleich teilte ich ihr mit, daß der Ring fertig sei, und beschrieb dessen geheime Einrichtung.

Der mir von meiner C. C. gegebenen Anleitung folgend, begab ich mich eines schönen Morgens an einen Ort, von wo aus ich ihre Mutter in die Kirche eintreten sehen konnte. Ich betrat diese unmittelbar nach ihr, kniete neben ihr nieder und sagte ihr, ich müßte notwendig mit ihr sprechen. Sie folgte mir nach dem Kreuzgang.

Nachdem ich versucht hatte, ihr Mut einzusprechen, indem ich ihr versicherte, ich gehörte mit unverletzlicher Treue ihrer Tochter an, fragte ich sie, ob sie diese nächstens besuchen würde?

»Sonntag«, antwortete sie mir, »gedenke ich mein liebes Kind zu umarmen, ich werde ihr von Ihnen erzählen, und das wird sie sehr freuen; aber zu meiner tiefsten Betrübnis darf ich Ihnen nicht sagen, wo sie ist.«

»Ich verlange gar nicht, daß Sie es mir sagen, gute Mutter. Erlauben Sie mir nur die Bitte, ihr diesen Ring zu übergeben. Er trägt das Bild ihrer Schutzheiligen, und Sie müssen sie ermahnen, ihn stets an ihrem Finger zu tragen; sie soll nur jeden Tag zu ihr beten, denn ohne ihren Beistand wird sie niemals meine Frau werden können. Sagen Sie ihr auch, daß ich meinerseits mich jeden Tag an den heiligen Jakob wende, indem ich ein Credo hersage.«

Entzückt über meine frommen Gefühle und über die Aussicht, ihrer Tochter diese neue fromme Gesinnung einflößen zu können, versprach die gute Frau mir alle meine Wünsche zu erfüllen. Ich verabschiedete mich von ihr, indem ich sie bat, zehn Zechinen, die ich ihr übergab, ihrer Tochter für ihre kleinen Bedürfnisse zukommen zu lassen. Sie nahm das Geld, erklärte mir dabei jedoch, ihr Mann sorge dafür, daß seine Tochter am Notwendigen niemals Mangel leide.

Der Brief, den mein Mädchen mir am nächsten Mittwoch schrieb, strömte über von den zärtlichsten und lebhaftesten Gefühlen. »Sobald ich allein bin,« schrieb sie, »ist flugs die Nadelspitze da, und die Heilige dreht sich herum, um meinen gierigen Küssen die holden Züge des Wesens darzubieten, das mein Alles ist. Unaufhörlich küsse ich Dich, selbst wenn diese oder jene Nonne mich überrascht, denn wenn sie mir zu nahe kommt, brauche ich nur den Deckel fallen zu lassen und meine gute Heilige verdeckt alles. Die Nonnen sind hocherbaut von meiner Frömmigkeit und von meinem Vertrauen auf den Schutz meiner heiligen Patronin, die, wie sie sagen, ganz und gar mein Abbild ist.« Es war nur ein aus freier Phantasie erschaffenes schönes Gesicht; aber meine liebe kleine Frau war so schön, daß Schönheit ihr stets ähnlich sah. Sie sagte mir, die Nonne, bei der sie französisch lerne, habe ihr fünfzig Zechinen für den Ring geboten, aber nur wegen der Ähnlichkeit des Bildnisses der Heiligen, nicht etwa aus Liebe zu ihrer Schutzheiligen; denn über diese mache sie sich lustig, indem sie ihr deren Lebensgeschichte vorlese. Sie dankte mir für die zehn Zechinen, die ich ihr geschickt hätte; denn da ihre Mutter ihr das Geld im Beisein mehrerer Nonnen übergeben hätte, so könnte sie jetzt allerlei Ausgaben machen, ohne den Verdacht der schwatzhaften und neugierigen Nonnen zu erwecken. Sie hatte Freude dran, den Pensionärinnen kleine Geschenke zu machen, und sah sich jetzt in der Lage, diese Neigung befriedigen zu können. »Meine Mutter«, so schrieb sie noch, »hat mir mit der höchsten Anerkennung von Deiner Frömmigkeit gesprochen. Sie ist ganz entzückt davon. Sprich mir bitte nicht mehr von meinem unwürdigen Bruder.«

Vier oder fünf Wochen lang war in ihren Briefen nur von der heiligen Katharina die Rede. Sie schrieb, sie zittere jedesmal vor Angst, wenn sie sie der mystischen Neugier irgend einer alten Klosterschwester anvertrauen müßte, die den Ring, um ihn mit ihrer Brille besser sehen zu können, sich auf Zweifingerbreite vor die Augen hielte und unausgesetzt an dem Email herumwischte. »Ich zittere davor, daß sie einmal aus Zufall auf den kaum wahrnehmbaren Knopf drücken! Denn was sollte ich anfangen, wenn meine Heilige plötzlich ihren Blicken ein göttliches, aber ganz und gar nicht nach einem Heiligen aussehendes Gesicht darböte? Sage mir, wie hätte ich in einem solchen Falle mich zu verhalten?«

Einen Monat nach P. C.’s zweiter Verhaftung legte der Kaufmann, bei dem ich mich für den Ring verbürgt hatte, mir meine Unterschrift vor. Ich traf mit ihm ein Abkommen, und er ließ mich in Ruhe, nachdem ich ihm zwanzig Zechinen bezahlt und ihm die alleinigen Ansprüche auf die Schuldforderung überlassen hatte. Der unwürdige P. C. belästigte mich von seinem Gefängnis aus unaufhörlich mit jammervollen Bettelbriefen.

Croce war in Venedig und machte viel von sich reden. Er machte ein großes Haus, gab gute Gastmähler und hielt eine Pharaobank, an der die Dummköpfe ihre Börsen leerten. Da ich voraussah, wie es früher oder später kommen mußte, hatte ich sein Haus nicht betreten; wenn wir uns aber irgendwo trafen, behandelten wir uns wie gute Freunde. Seine Frau bekam einen Jungen, und er bat mich, ihn bei der Taufe zu halten; dies glaubte ich ihm nicht abschlagen zu dürfen; aber nach der Tauffeierlichkeit und dem darauf sich anschließenden Souper betrat ich das Haus meines Gevatters nicht mehr, und daran tat ich wohl. Nicht immer habe ich so verständig gehandelt.

  1. Die Zechine galt etwa zwölf Franken, die Doblone ungefähr das siebenfache.