Karl Raimund Popper

Leben

Der Philosoph, Soziologe und Wissenschaftstheoretiker Sir Karl Raimund Popper (* 28. Juli 1902 in Wien, †  17. September 1994 in London) begann in den 1920-er Jahren sein Studium, dominierte für eine kurze Zeit die politische Linke in Wien. Popper engagierte sich dort – zunächst vor allem an pädagogischen Fragen interessiert – auch in der sozialistischen Jugendbewegung. Für kurze Zeit war er sogar kommunistisch organisiert. Nachdem er miterlebt hatte, wie bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Kommunisten und der Wiener Polizei acht Menschen ums Leben kamen, wandte er sich aber schnell wieder von der Bewegung ab.

Nach der Promotion mit einem mathematischen Thema bei dem Psychologen und Sprachtheoretiker Karl Bühler im Jahre 1928 erwarb Popper 1929 die Lehrberechtigung für die Hauptschule in den Fächern Mathematik und Physik. Popper nahm Kontakt zum Wiener Kreis auf. Da er viele wichtige Ansätze des Kreises kritisierte, gestaltete sich dies zunächst als schwierig. Allerdings fühlten sich die Wiener gezwungen, auf seine begründeten Vorwürfe einzugehen. Sein wissenschaftstheoretisches Hauptwerk Logik der Forschung erschien schließlich, obwohl Popper darin ihren Positivismus kritisiert, bei einer Schriftreihe des Wiener Kreises. Es wurde vom Wiener Kreis als ein ihren Diskussionen entsprungenes Werk gewürdigt. Die darin beschriebene Forderung nach Falsifizierbarkeit von Aussagen gilt heute vielen als Grundlage der modernen wissenschaftlichen Arbeit.

1937 wanderte Popper nach Neuseeland aus, um der Machtübernahme der Nazis in Österreich zu entgehen. Versuche, in die USA oder nach Großbritannien zu entkommen zerschlugen sich.

1946 nahm Popper einen Lehrauftrag für Philosophie an der London School of Economics and Political Science in England an. Vor allem Friedrich August von Hayek unterstützte ihn beim Erreichen dieser Stellung. Obwohl sie sich methodologisch nahe standen und Popper grundlegende Konzepte von Hayek übernahm (z.B. das Prinzip der spontanen Ordnung), misstraute Popper den reinen Marktmechanismen. Popper propagierte eine sozial orientierte Reformpolitik, die jedoch nicht in Staatsgehorsam enden dürfe.

Bedeutende Schüler Poppers waren Hans Albert und Paul Feyerabend. Letztgenannter wurde später sein Kritiker.

Wissenschaftstheorie

Popper legte seine Ansichten zur Wissenschaftstheorie im Werk Logik der Forschung dar, das 1934 zuerst auf Deutsch erschien und in nachfolgenden englischen und deutschen Ausgaben stetig erweitert und überarbeitet wurde.

Popper behauptet darin, dass wissenschaftlicher Fortschritt dadurch geschehe, dass bestimmte Theorien durch Experimente widerlegt („falsifiziert“) werden. In einem evolutionsartigen Selektionsprozess setzen sich so diejenigen Theorien durch, die „wahrheitsnäher“ sind. Sicheres Wissen kann dabei allerdings nie erreicht werden; alles Wissen ist vorläufig.

Da wissenschaftliche Sätze niemals bewiesen werden können, ist das einzige Kriterium für die Wissenschaftlichkeit eines Satzes seine (prinzipielle) Falsifizierbarkeit. Ein Satz, der etwas über die Realität aussagt, muss widerlegt werden können; Sätze, die nicht widerlegt werden können (etwa Morgen regnet es oder auch nicht), sagen nichts über die Realität aus und liefern keinen Erkenntnisgewinn.

So können wir zwar nicht sicher wissen, ob eine Theorie wahr ist, aber sehr wohl, dass eine bestimmte Theorie falsch ist: nämlich wenn ein Experiment sie widerlegt. Durch dieses „Aussieben“ falscher Theorien kommen wir, so Popper, der Wahrheit immer näher, ohne sie jemals zu erreichen. Durch diese Umkehrung des klassischen Versuchs, Theorien zu „beweisen“, kommt Popper zur ungewohnten Forderung: Wissenschaftler sollten versuchen, ihre Theorien zu widerlegen bzw. mit entscheidenden Experimenten (experimentum crucis) Theorien auszusieben. Er betont zwar auch die Notwendigkeit der Kreativität beim Aufstellen einer Theorie; wichtig für den Fortschritt sei allerdings vor allem die kritische Überprüfung, die nur von den „wahrheitsnächsten“ Theorien bestanden wird.

Besonderen Wert legt Popper darauf, dass der wissenschaftliche Fortschritt nicht durch logische Induktion erfolge und nicht mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung beschreibbar sei. Diese Ansichten hatten von Aristoteles ausgehend die meisten Wissenschafttheoretiker vertreten, auch Mitglieder des Wiener Kreises. Zur Frage der Induktion beharrt Popper darauf, dass man aus Einzelfällen kein allgemeines Gesetz ableiten, sondern nur allgemeine Sätze widerlegen könne. Auch die Versuche, aus Einzelfällen wenigstens Wahrscheinlichkeiten von Theorien abzuleiten, hält er für verfehlt und liefert in seinem Buch mehrere mathematische und philosophische Argumente, um die Unsinnigkeit von Sätzen wie Theorie A ist mit 80%iger Wahrscheinlichkeit wahr zu zeigen.

Popper betont, dass sein Ansatz allein methodologischer Art sei und keineswegs metaphysische Aussagen treffe. Die metaphysische Frage, ob es überhaupt „Naturgesetze“ gibt, lässt er bewusst offen, auch wenn er persönlich die Argumente dafür für überzeugender hält.

Außer in der Logik der Forschung legte Popper diese Ansichten in den Schriften Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie, Die Quantentheorie und das Schisma der Physik und Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf dar. In Vermutungen und Widerlegungen (englisch Conjectures and Refutations) wandte er die Methode auch praktisch an.

Poppers Ansatz wurde in philosophischen Kreisen vielfach und mit unterschiedlichen Argumenten kritisiert, insbesondere durch die relativistischen Positionen von Thomas Kuhn oder Paul Feyerabend, letzterer zweifelte sogar den Nutzen eines Faches wie der Wissenschaftstheorie überhaupt an. Imre Lakatos versuchte aufgrund der Kuhnschen Kritik eine Reformulierung des Falsifikationimus.

Neben dem „Falsifikationismus“ ist ein starker „Indeterminismus“ der wichtigste Bestandteil von Poppers Weltsicht. Er sah sich hierin vor allem von der Quantenmechanik bestätigt. Metaphorisch behauptete er einmal, bisher habe man sich auch Wolken wie sehr komplexe Uhrwerke vorgestellt; tatsächlich seien aber eher Uhrwerke nur scheinbar sehr geordnete Wolken. Diesen Indeterminismus übertrug er auch auf gesellschaftliche Zustände.

Gesellschaftstheorie

Poppers gesellschaftstheoretisches Hauptwerk ist The Open Society and Its Enemies (dt. Die offene Gesellschaft und ihre Feinde) aus dem Jahr 1945. Darin rechnet er mit den Gedankenmodellen von Platon, Hegel und Marx ab, die seiner Meinung nach totalitäre Systeme befördert haben. Als Gegenbild dieser geschlossenen Gesellschaften entwirft er eine Offene Gesellschaft, die nicht am Reißbrett geplant, sondern pluralistisch ist und sich in einem endlosen Prozess von Kritik und Verbesserungen fortentwickelt.

Dem göttlichen Philosophen Platon wirft Popper vor, insbesondere mit seinen späteren Werken Politeia (Der Staat) und Nomoi (Die Gesetze) das Grundmodell des totalitären Staates ausgearbeitet und propagiert zu haben. Damit habe er auch Verrat an seinem Lehrer Sokrates begangen, der, wie Popper darlegt, in Platons „idealem Staat“ als Aufrührer hingerichtet worden wäre. Platons Ablehnung der attischen Demokratie und seine Bevorzugung eines autoritären Regimes sogenannter Philosophenkönige, die nichts mehr mit dem sokratischen Philosophen zu tun haben und explizit Lügenpropaganda verwenden dürfen, versucht Popper mit vielen Textstellen zu belegen. Platon sei damit der erste und wichtigste Propagandist einer geschlossenen Gesellschaft gewesen, in der es keine Veränderung gibt und Eliten diktatorisch herrschen. Auch sei Platon ein Verbreiter der Verfallstheorie der Gesellschaft, nach der die Gesellschaft ursprünglich in einem „guten“ (geschlossenen) Naturzustand („Mythos von der Horde“) war und jede Öffnung, Liberalisierung und Emanzipation Zeichen von Dekadenz und Verfall sind. Diese Lehre sei wichtiger Bestandteil der Propaganda aller Diktaturen geworden.

Ähnliche, aber weniger umfangreiche Kritik übt Popper an Aristoteles.

Der zweite Band des Werkes gilt der Kritik der orakelnden Philosophen des 19. Jahrhunderts, insbesondere Hegel und Marx. Hegel hält Popper neben Fichte in erster Linie für einen Betrüger, in zweiter Linie für einen Apologeten der Staatsmacht, dessen Philosophie ebenfalls totalitäre Systeme begünstigt habe. Den Vorwurf des Betrugs – der übrigens von Arthur Schopenhauer und anderen, gegen Fichte auch von Immanuel Kant geteilt wurde – erhebt Popper mit Hinweis auf die dialektischen Methoden der Hegelschen Philosophie. Diese seien – soweit sie überhaupt verständlich sind – allein postuliert, um die Regeln der Logik auszuhebeln und etwa das autoritäre Preußen als Verwirklichung der Freiheit glorifizieren zu können. Hegel sei ein offizieller Staatsphilosoph gewesen, der mit seinem Rechtspositivismus („Was wirklich ist, ist vernünftig“) die bestehende Staatsmacht hofiert habe. Ein größerer Teil der Hegelschen Schriften sei des weiteren absichtlich unverständlich formuliert, um Kritik unmöglich zu machen. Popper versucht auch Verbindungen dieses Denkens zu Zentralismus, Etatismus und Nationalismus nachzuweisen.

Der im Band ebenfalls kritisierte, vielgescholtene Karl Marx kommt etwas besser weg. Popper bezeichnet Marx als bedeutenden Ökonomen und Soziologen und räumt ein, dass Marx nicht ausgeschlossen habe, dass der Weg zum Kommunismus auch auf nicht-revolutionäre Weise erreichbar wäre. Vehement kritisiert er jedoch Marx‘ von Hegel übernommene dialektische und historizistische Methode, die letztlich zu einem geschlossenen Weltbild führe. Auch große Teile der marxistischen Kapitalismustheorie seien verfehlt. Ihm zugute hält er ein ehrliches Mitgefühl an den Leiden der sozial Schwachen und echtes Interesse an einer Verbesserung der Welt; in einer später zugefügten Anmerkung revidiert Popper diese Meinung allerdings: Marx sei offenbar „weit weniger menschlich und freiheitsliebend gewesen“, als er es angenommen hatte; er verweist hierzu auf Leopold Schwarzschilds Buch „Der rote Preuße“.

Ein weiteres Werk aus diesem Themengebiet ist What is Dialectic. In diesem Werk kritisiert er die Marxsche und Hegelsche Dialektik nach den Begriffen der formalen Logik. Das 1957 schließlich als Buch erschienene The Poverty of Historicism (dt: Das Elend des Historizismus) greift wieder vor allem Marx und Hegel aufgrund ihrer Methodik an. Im Historizismus, dem Glauben, die Geschichte verlaufe gesetzmäßig und Gesellschaften ließen sich planen, sieht Popper ein Grundübel der Gesellschaftstheorie.

Positivismusstreit

Mit seiner Grundsatzdiskussion über die Logik der Sozialwissenschaften auf der Tübinger Arbeitstagung 1961 entfachte Popper den so genannten Positivismusstreit in der deutschen Soziologie. Ihm und seinem Schüler Hans Albert, die ausgehend vom Kritischen Rationalismus die Falsifizierbarkeit einer Theorie mit wissenschaftlichem Anspruch forderten, wurde dort von Vertretern der Frankfurter Schule, Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas, widersprochen.

Popper prägte den Begriff vom liberalen Rasiermesser, selbst bezeichnete er sich als nichtrevolutionären Liberalen.

„Drei-Welten-Theorie

In der Philosophie des Geistes wehrte sich Popper sowohl gegen den klassischen Körper-Geist-Dualismus als auch gegen alle neueren monistischen Theorien. Er schlug eine pluralistische Position vor, welche drei Welten voneinander unterscheidet: nämlich Welt 1, das ist die physikalische Welt, Welt 2, die Welt des Bewusstseins und Welt 3, die Welt der geistigen Gehalte. Popper zufolge hat die klassisch duale Trennung den Unterschied zwischen einem Bewusstseinserlebnis und beispielsweise dem logischen Gehalt einer Theorie ignoriert. Beides werde dort undifferenziert dem Mentalen zugeordnet.

Popper behauptet zudem, dass diese Welten insofern real sind, als sie kausal in Wechselbeziehung stehen, wobei Welt 2 als Mittler zwischen Welt 3 und Welt 1 auftritt. Ein Beispiel wäre ein Bauplan (Bewohner der Welt 3), welcher von einem Menschen erfasst wird (Welt 2: Ereignis) und dann physikalisch umgesetzt wird (Welt 1). Obwohl Popper Welt 3 für ein Erzeugnis der Menschen hält (im Gegensatz etwa zu Platons und Hegels Vorstellungen) glaubt Popper an eine Unabhängigkeit und Objektivität der Welt 3. Sein eigenes Beispiel ist die Erfindung der Zahlen, und das darauf folgende, ungeplante Auffinden der Primzahlen unabhängig von menschlichem Zutun.

Werke

  • Logik der Forschung
  • Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (2 Bände)
  • Vermutungen und Widerlegungen
  • Das Elend des Historizismus
  • Objektive Erkenntnis
  • Das Ich und sein Gehirn (gemeinsam mit John C. Eccles)
  • Auf der Suche nach einer besseren Welt
  • Die Zukunft ist offen. Das Altenberger Gespräch (gemeinsam mit Konrad Lorenz)
  • Alles Leben ist Problemlösen (1994)

Online-Texte

Literatur

  • Wilhelm Baum und Kay E. Gonzalez: Karl R. Popper. Morgenbuch-Verlag, Berlin 1994
  • Malachi Haim Hacohen: Karl Popper – the formative years. Politics and Philosophy in Interwar Vienna. Cambridge 2000
  • Martin Morgenstern und Robert Zimmer: Karl Popper. München 2002.

Weblinks