Empirismus

Der Empirismus (griech. empeiria, lat. experientia Erfahrung) ist eine erkenntnistheoretische Richtung, welche im Gegensatz zum Rationalismus und zum Skeptizismus behauptet, dass alles Wissen über die Wirklichkeit aus der Sinneserfahrung stammt. Man könnte daher nihil est in intellectu quid non fuerit in sensu (nichts ist im Verstand, das nicht vorher durch die Sinne erfaßt worden wäre) als Grundsatz des Empirismus bezeichnen.

Konsequenz einer solchen Ansicht ist es, dass das Erkenntnissubjekt als dem Objekt passiv gegenüberstehend gedacht wird.

Der Empirismus ist damit zumeist mit einer der Richtungen des Realismus (jedoch nicht mit dem Begriffsrealismus) und dem Nominalismus verbunden.

Der Appell an die Sinneserfahrung als eine Quelle des unmittelbaren Wissens der Beobachtungsaussagen die zentrale These des Empirismus und wird von ihm verwendet, um den unendlichen Regreß der Rechtfertigungen zurückzuweisen. Theorien die diese These vertreten, werden dem Wissensempirismus (auch: Beweisempirismus) zugerechnet.

Die These schließt die Existenz von synthetisch apriorischen Urteilen aus. Jede Wahrheit, die unabhängig von der Erfahrung feststeht und in diesem Sinn notwendig ist, ist analytisch.

Der Empirismus argumentiert mit der Erfahrung auch gegen den unendlichen Regreß der Definitionen. Diesem Regreß hält er entgegengehalten, dass die Grundbegriffe Beobachtungsbegriffe sind bzw. dass ein Begriff nur dann einen Sinn hat, wenn die Regeln der Sprache direkt oder indirekt (über andere Ausdrücke) diesen mit Beobachtungsbegriffen verbinden.

Ein Empirismus der auf diese Weise den unendlichen Regreß der Definitionen zurückweist, nennt man Begriffsempirismus (auch: Bedeutungsempirismus).

Der Begriffsempirismus schließt die Existenz von apriorischen Begriffen aus.

Alle scheinbar apriorischen Begriffe können auf einfachere Begriffe, die von der Erfahrung abgeleitet werden, zurückgeführt werden oder sind inhaltsleer.

Der heutige Empirismus bezieht sich vor allem auf den Empirismus von Locke, Berkeley, Hume und J. S. Mill.

Der Empirismus hat auf verschiedene Weise Positionen in anderen als erkenntnistheoretischen Gebieten begründet.

In der Moralphilosophie des 18. Jahrhunderts (Shaftesbury, Hutcheson, Hume) wurde die Theorie des moral sense entwickelt, um die Entstehung moralischer Begriffe aus der inneren Erfahrung (dem Gefühlsleben) zu erklären.

Der Begriff moral sense (dt.: moralischer Sinn) bringt zum Ausdruck, dass moralische Wertungen einem Vermögen der Seele entspringen, die Harmonie oder Disharmonie ihres Zustandes zu empfinden und dabei in Form der sittlichen Entscheidung Stellung zu nehmen (Shaftesbury).

Der moral sense ist den anderen Sinnen darin ähnlich, dass er verschiedenen Menschen gleiche Erfahrungen vermittelt und daher zu erklären vermag, warum Menschen dieselben moralischen Urteile fällen, ohne auf die Annahme zurückzugreifen, dass es besondere moralische Tatsachen gebe.

Beim moral sense handelt es sich um ein Prinzip der menschlichen Natur, das nicht auf einfachere Erlebnisweisen oder auf die Vernunft zurückgeführt werden kann.

Hutcheson verwendete den Begriff moral sense, um eine Ethik aufzubauen. Der moral sense veranlaßt den Menschen zur Billigung altruistischer Motive bzw. Dispositionen und zur Mißbilligung menschenfeindlicher Neigungen. Er führt zu einer Form des Altruismus, i. S. einer wohlwollenden Einstellung des Menschen, die sich auf das größtmögliche Glück bzw. die größtmögliche Vervollkommnung eines sozialen Ganzen richtet.

Die damit einhergehende moralische Billigung vollzieht sich unabhängig von Nützlichkeitsgesichtspunkten und Trieberfüllungen. Die gleichzeitige Annahme eines Ideals der Harmonie von Neigungen erlaubt es, auch den egoistischen Trieben eine positive Bedeutung beizumessen, sofern sie nur die innere Harmonie der Persönlichkeit nicht beeinträchtigen [1].

Hutcheson übte durch seine Kritik an der Begründung moralischer Erkenntnis aus der Vernunft (Clarke) und durch seine Lehre von der Verankerung der Moral im Gefühlsleben einen wichtigen Einfluß auf Hume und Jeremy Bentham aus.

In der Wissenschaftsphilosophie sind der Instrumentalismus und Szientismus Formen des Empirismus.

Als Instrumentalismus (lat. instrumentum, Hilfsmittel, Werkzeug) werden diejenigen erkenntnistheoretischen und wissenschaftsphilosophischen Auffassungen bezeichnet, die in den Wissenschaften nur ein intellektuelles Werkzeug sehen, um unsere Erfahrungen im Hinblick auf eine Verbesserung unserer Handlungsmöglichkeiten systematisieren zu können.

Wissenschaftliche Theorien sind eine Form von Schlussfolgerungs- und Rechenregeln, die den Übergang gegebener Basissätze (Daten) auf neue Beobachtungsaussagen (Voraussagungen) erlauben. Die in solchen Theorien scheinbar als Aussagen auftretenden Sätze sind daher weder wahr noch falsch. Sie sind keine Aussagen, sondern Regeln oder Definitionen. Damit ist der Instrumentalismus wohl eine Variante des wissenschaftstheoretischen Skeptizismus.

Ebenso sind für den Instrumentalismus die theoretischen Größen, mit denen sich wissenschaftliche Theorien beschäftigen (z. B. Gene, Elektronen), nicht Teile der Wirklichkeit, sondern nützliche Fiktionen oder heuristische Konstruktionen, die eingeführt werden, um die Erfahrungen auf eine zweckmäßige Weise zu ordnen.

Diese Ansicht, die bereits bei Berkeley zu finden ist, finden wir bei Mach, Carnap, Quine,, Toulmin, Kuhn und Feyerabend. Sie ist mit dem Konventionalismus und Operationalismus verwandt und bestreitet wie diese Richtungen den wissenschaftsphilosophischen Realismus.

In der Bewußtseinsphilosophie hat der Empirismus den Behaviorismus begründet.

Der klassische Empirismus versteht die Erfahrung subjektivistisch, d. h. als die Erfahrung des einzelnen Menschen in Form seiner eigenen privaten Erlebnisse. Er wirft damit das Begründungsproblem auf, wie objektive Erkenntnis (von äußeren Gegenständen, anderen Personen usw.) auf der Grundlage rein subjektiver Erkenntnis möglich sein kann. Mit der Verschärfung der empiristischen Position bei Hume erscheint dieses Problem als unlösbar, so dass der Empirismus in seiner konsequenten Gestalt zu einem subjektiven Idealismus oder Skeptizismus führen muss.

Der logische Empirismus emntwickelte sich aus dem Paradigma des Wiener Kreises. Wie der logische Empirismus ist auch der Emotivismus keine empiristische Position, sondern eine Kombination von Empirismus und Rationalismus.

Der phänomenalistische Empirismus behauptet, alle Erfahrung von physischen Objekten aus der Erfahrung von Sinnesdaten rekonstruieren zu können. Er bestreitet jede Form von Notwendigkeit für Erfahrungssätze und führt die Notwendigkeit von Sätzen auf Konventionen oder Bedeutungspostulate zurück, so dass uns notwendige Sätze nichts über die Wirklichkeit mitzuteilen vermögen.


[1] vgl. F. Hutcheson: Erläuterungen zum moralischen Sinn. Stuttgart 1984