11. Kapitel


11. Kapitel

Das Gemeinwesen und seine Ökonomie

Ein neunzigjähriger Zeitraum, vierzig Jahr tiefen Friedens, fünfzig einer fast permanenten Revolution liegen hinter uns. Es ist diese Epoche die ruhmloseste, die die römische Geschichte kennt. Zwar wurden in westlicher und östlicher Richtung die Alpen überschritten und gelangten die römischen Waffen auf der spanischen Halbinsel bis zum Atlantischen Ozean, auf der makedonisch-griechischen bis zur Donau; aber es waren so wohlfeile wie unfruchtbare Lorbeeren. Der Kreis der „auswärtigen Völkerschaften in der Willkür, Botmäßigkeit, Herrschaft oder Freundschaft der römischen Bürgerschaft“107 ward nicht wesentlich erweitert; man begnügte sich, den Erwerb einer besseren Zeit zu realisieren und die in loseren Formen der Abhängigkeit an Rom geknüpften Gemeinden mehr und mehr in die volle Untertänigkeit zu bringen. Hinter dem glänzenden Vorhang der Provinzialreunionen verbarg sich ein sehr fühlbares Sinken der römischen Macht. Während die gesamte antike Zivilisation immer bestimmter in dem römischen Staat zusammengefaßt, immer altgemeingültiger in demselben formuliert ward, fingen zugleich jenseits der Alpen und jenseits des Euphrat die von ihr ausgeschlossenen Nationen an, aus der Verteidigung zum Angriff überzugehen. Auf den Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae, von Chäroneia und Orchomenos wurden die ersten Schläge desjenigen Gewitters vernommen, das über die italisch-griechische Welt zu bringen die germanischen Stämme und die asiatischen Horden bestimmt waren und dessen letztes dumpfes Rollen fast noch bis in unsere Gegenwart hineinreicht. Aber auch in der inneren Entwicklung trägt diese Epoche denselben Charakter. Die alte Ordnung stürzt unwiederbringlich zusammen. Das römische Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde, welche durch ihre freie Bürgerschaft sich selber die Herren und die Gesetze gab, welche von diesen wohlberatenen Herren innerhalb dieser gesetzlichen Schranken mit königlicher Freiheit geleitet ward, um welche teils die italische Eidgenossenschaft als ein Inbegriff freier, der römischen wesentlich gleichartiger und stammverwandter Stadtgemeinden, teils die außeritalische Bundesgenossenschaft als ein Inbegriff griechischer Freistädte und barbarischer Völker und Herrschaften, beide von der Gemeinde Rom mehr bevormundet als beherrscht, in zweifachem Kreise sich schlossen. Es war das letzte Ergebnis der Revolution – und beide Parteien, die nominell konservative wie die demokratische Partei, hatten dazu mitgewirkt und trafen darin zusammen –, daß von diesem ehrwürdigen Bau, der am Anfang der gegenwärtigen Epoche zwar rissig und schwankend, aber doch noch aufrecht gestanden, am Schluß derselben kein Stein mehr auf dem andern geblieben war. Der souveräne Machthaber war jetzt entweder ein einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie bald der Vornehmen, bald der Reichen. Die Bürgerschaft hatte jeden rechtlichen Anteil am Regiment verloren. Die Beamten waren unselbständige Werkzeuge in der Hand des jedesmaligen Machthabers. Die Stadtgemeinde Rom hatte durch ihre widernatürliche Erweiterung sich selber zersprengt. Die italische Eidgenossenschaft war aufgegangen in die Stadtgemeinde. Die außeritalische Bundesgenossenschaft war im vollen Zug sich in eine Untertanenschaft zu verwandeln. Die gesamte organische Gliederung des römischen Gemeinwesens war zugrunde gegangen und nichts übrig geblieben, als eine rohe Masse mehr oder minder disparater Elemente. Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere und äußere Auflösung des Staats überzugehen. Die politische Bewegung lenkte durchaus nach dem Ziele der Despotie; nur darüber noch ward gestritten, ob der geschlossene Kreis der vornehmen Familien oder der Kapitalistensenat oder ein Monarch Despot sein solle. Die politische Bewegung ging durchaus die zum Despotismus führenden Wege: der Grundgedanke des freien Gemeinwesens, daß die ringenden Mächte gegenseitig sich auf mittelbaren Zwang beschränken, war allen Parteien gleichmäßig abhanden gekommen, und hüben und drüben fingen zuerst die Knüttel, bald auch die Schwerter an, um die Herrschaft zu fechten. Die Revolution, insofern zu Ende, als die alte Verfassung von beiden Seiten als definitiv beseitigt anerkannt und Ziel und Weg der neuen politischen Entwicklung deutlich festgestellt war, hatte doch für diese Reorganisation des Staates selbst bis jetzt nur provisorische Lösungen gefunden; weder die Gracchische noch die Sullanische Konstituierung der Gemeinde trugen einen abschließenden Charakter. Das aber war das Bitterste dieser bitteren Zeit, daß dem klarsehenden Patrioten selbst das Hoffen und das Streben sich versagten. Die Sonne der Freiheit mit all ihrer unendlichen Segensfülle ging unaufhaltsam unter, und die Dämmerung senkte sich über die eben noch so glänzende Welt. Es war keine zufällige Katastrophe, der Vaterlandsliebe und Genie hätten wehren können; es waren uralte soziale Schäden, im letzten Kern der Ruin des Mittelstandes durch das Sklavenproletariat, an denen das römische Gemeinwesen zugrunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann war in der Lage des Arztes, dem es gleich peinlich ist, die Agonie zu verlängern und zu verkürzen. Ohne Zweifel war Rom um so besser beraten, je rascher und durchgreifender ein Despot alle Reste der alten freiheitlichen Verfassung beseitigte und für das bescheidene Maß menschlichen Gedeihens, wofür in dem Absolutismus Raum ist, die neuen Formen und Formeln fand; der innere Vorzug, der der Monarchie unter den gegebenen Verhältnissen gegenüber jeder Oligarchie zukam, lag wesentlich ebendarin, daß ein solcher energisch nivellierender und energisch aufbauender Despotismus von einer kollegialischen Behörde nimmermehr geübt werden konnte. Allein diese kühlen Erwägungen machen keine Geschichte; nicht der Verstand, nur die Leidenschaft baut für die Zukunft. Man mußte eben erwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren werde, nicht leben und nicht sterben zu können, und ob es schließlich an einer mächtigen Natur seinen Meister und, soweit dies möglich war, seinen Neuschöpfer finden oder in Elend und Schwäche zusammenstürzen werde.

Es bleibt noch übrig, die ökonomische und soziale Seite dieses Verlaufs hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits früher geschehen ist.

Der Staatshaushalt ruhte seit dem Anfang dieser Epoche wesentlich auf den Einkünften aus den Provinzen. In Italien ward die Grundsteuer, die hier stets nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen Gefällen als außerordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der Schlacht von Pydna nicht wieder erhoben, so daß die unbedingte Grundsteuerfreiheit anfing, als ein verfassungsmäßiges Vorrecht des römischen Grundbesitzers betrachtet zu werden. Die Regalien des Staats, wie das Salzmonopol und das Münzrecht, wurden, wenn überhaupt je, so wenigstens jetzt nicht als Einnahmequellen behandelt. Auch die neue Erbschaftssteuer ließ man wieder schwinden oder schaffte sie vielleicht geradezu ab. Demnach zog die römische Staatskasse aus Italien einschließlich des diesseitigen Galliens nichts als teils den Domänenertrag, namentlich von dem kampanischen Gebiet und den Goldgruben im Lande der Kelten, teils die Abgabe von den Freilassungen und den nicht zu eigenem Verbrauch des Einführenden in das römische Stadtgebiet zur See eingehenden Waren, welche beide wesentlich als Luxussteuern betrachtet werden können und allerdings durch die Ausdehnung des römischen Stadt- und zugleich Zollgebiets auf ganz Italien, wahrscheinlich mit Einschluß des diesseitigen Galliens, ansehnlich gesteigert werden mußten.

In den Provinzen nahm der römische Staat zunächst als Privateigentum in Anspruch teils in den nach Kriegsrecht vernichteten Staaten die gesamte Mark, teils in denjenigen Staaten, wo die römische Regierung an die Stelle der ehemaligen Herrscher getreten war, den von diesen innegehaltenen Grundbesitz, kraft welches Rechts die Feldmarken von Leontinoi, Karthago, Korinth, das Domanialgut der Könige von Makedonien, Pergamon und Kyrene, die Gruben in Spanien und Makedonien als römische Domänen galten und, ähnlich wie das Gebiet von Capua, von den römischen Zensoren an Privatunternehmer gegen Abgabe einer Ertragsquote oder einer bestimmten Geldsumme verpachtet wurden. Daß Gaius Gracchus noch weiter ging, das gesamte Provinzialland als Domäne ansprach und zunächst für die Provinz Asia diesen Satz insofern praktisch durchführte, als er den Bodenzehnten, die Hut- und Hafengelder daselbst rechtlich motivierte durch das Eigentumsrecht des römischen Staats an Acker, Wiese und Küste der Provinz, mochten diese nun früher dem König oder Privaten gehört haben, ward bereits früher ausgeführt.

Nutzbare Staatsregalien scheint es in dieser Zeit auch den Provinzen gegenüber noch nicht gegeben zu haben; die Untersagung des Wein- und Ölbaues im Transalpinischen Gallien kam der Staatskasse als solcher nicht zugute. Dagegen wurden direkte und indirekte Steuern in großem Umfang erhoben. Die als vollständig souverän anerkannten Klientelstaaten, also zum Beispiel die Königreiche Numidien und Kappadokien, die Bundesstädte (civitates foederatae) Rhodos, Messana, Tauromenion, Massalia, Gades waren rechtlich steuerfrei und durch ihren Vertrag nur verpflichtet, die römische Republik in Kriegszeiten teils durch regelmäßige Stellung einer festen Anzahl von Schiffen oder Mannschaften auf ihre Kosten, teils, wie natürlich, im Notfall durch außerordentliche Hilfsleistung jeder Art zu unterstützen. Das übrige Provinzialgebiet dagegen, selbst mit Einschluß der Freistädte, unterlag durchgängig der Besteuerung, und nur die mit römischem Bürgerrecht beliehenen Städte, wie Narbo, und die speziell mit der Steuerfreiheit beschenkten Gemeinden (civitates immunes), wie Kentoripa in Sizilien, waren hiervon ausgenommen. Die direkten Abgaben bestanden teils, wie in Sizilien und Sardinien, in einem Anrecht auf den Zehnten108 der Garben und sonstigen Feldfrüchte wie der Trauben und Oliven, oder, wenn das Land zur Weide lag, einem entsprechenden Hutgeld; teils, wie in Makedonien, Achaia, Kyrene, dem größten Teil von Africa, beiden Spanien, nach Sulla auch in Asia, in einer von jeder einzelnen Gemeinde jährlich nach Rom zu entrichtenden festen Geldsumme (stipendium, tributum), welche zum Beispiel für ganz Makedonien 600000 (183000 Taler), für die kleine Insel Gyaros bei Andros 150 Denare (46 Taler) betrug und allem Anschein nach im ganzen niedrig und geringer war als die vor der römischen Herrschaft entrichtete Abgabe. Jene Bodenzehnten und Hutgelder verdang der Staat gegen Lieferung fester Quantitäten Korn oder fester Geldsummen an Privatunternehmer; dieser Geldabgaben wegen hielt er sich an die einzelnen Gemeinden und überließ es diesen, den Betrag nach den von der römischen Regierung im allgemeinen festgestellten Prinzipien auf die Steuerpflichtigen zu repartieren und von diesen einzuziehen109. Die indirekten Abgaben bestanden, abgesehen von den untergeordneten Chaussee-, Brücken- und Kanalgeldern, wesentlich in den Zöllen. Die Zölle des Altertums waren, wo nicht ausschließlich doch sehr vorwiegend Hafen-, seltener Landgrenzzölle auf die zur Feilbietung bestimmten ein- und ausgehenden Waren und wurden von jeder Gemeinde in ihren Häfen und ihrem Gebiet nach Ermessen erhoben. Die Römer erkannten dies auch insofern im allgemeinen an, als sich ihr ursprüngliches Zollgebiet nicht weiter erstreckte als der römische Bürgerbezirk, und die Reichsgrenze keineswegs Zollgrenze, ein allgemeiner Reichszoll also unbekannt war; nur auf dem Wege des Staatsvertrages ward in den Klientelgemeinden für den römischen Staat wohl durchaus Zollfreiheit, für den römischen Bürger vielfach wenigstens Zollbegünstigung ausbedungen. Aber in denjenigen Bezirken, die nicht zum Bündnis mit Rom zugelassen waren, sondern in eigentlicher Untertänigkeit standen, auch nicht die Immunität erworben hatten, fielen die Zölle doch selbstverständlich an den eigentlichen Souverän, das heißt an die römische Gemeinde; und infolgedessen wurden einzelne größere Gebiete innerhalb des Reiches als besondere römische Zolldistrikte konstituiert, in welchen die einzelnen verbündeten oder mit Immunität beliehenen Gemeinden als vom römischen Zoll befreit enklaviert wurden. So bildete Sizilien schon seit der karthagischen Zeit einen geschlossenen Zollbezirk, an dessen Grenze von allen aus- und eingehenden Waren eine Abgabe von fünf Prozent vom Wert erhoben ward; so ward an den Grenzen von Asia infolge des Sempronischen Gesetzes eine ähnliche Abgabe von zweieinhalb Prozent erhoben; so ward in ähnlicher Weise die Provinz Narbo, ausschließlich der Feldmark der römischen Kolonie, als römischer Zollbezirk organisiert. Bei dieser Einrichtung mag außer den fiskalischen Zwecken auch die löbliche Absicht mitgewirkt haben, der aus den mannigfaltigen Kommunalzöllen unvermeidlich entstehenden Verwirrung durch gleichmäßige Grenzzollregulierung zu steuern. Zur Erhebung wurden die Zölle gleich den Zehnten ohne Ausnahme an Mittelsmänner verdungen.

Hierauf waren die ordentlichen Lasten der römischen Steuerpflichtigen beschränkt, wobei übrigens nicht übersehen werden darf, daß die Erhebungskosten höchst beträchtlich waren und die Kontribuablen unverhältnismäßig mehr zahlten, als die römische Regierung empfing. Denn wenn das System der Steuereinziehung durch Mittelsmänner, namentlich durch Generalpächter, schon an sich von allen das verschwenderischste ist, so ward in Rom noch durch die geringe Teilung der Pachtungen und die ungeheure Assoziation des Kapitals die wirksame Konkurrenz aufs äußerste erschwert.

Zu diesen ordentlichen Belastungen aber kommen noch erstlich die Requisitionen hinzu. Die Kosten der Militärverwaltung trug von Rechts wegen die römische Gemeinde. Sie versah die Kommandanten jeder Provinz mit den Transportmitteln und allen sonstigen Bedürfnissen; sie besoldete und versorgte die römischen Soldaten in der Provinz. Nur Dach und Fach, Holz, Heu und ähnliche Gegenstände hatten die Provinzialgemeinden den Beamten und Soldaten unentgeltlich zu gewähren; ja die freien Städte waren sogar auch von der Wintereinquartierung – feste Standlager kannte man noch nicht – regelmäßig befreit. Wenn der Statthalter also Getreide, Schiffe, Sklaven zu deren Bemannung, Leinwand, Leder, Geld oder anderes bedurfte, so stand es ihm zwar im Kriege unbedingt und nicht viel anders auch in Friedenszeiten frei, solche Lieferungen nach Ermessen und Bedürfnis von den Untertanengemeinden oder den souveränen Klientelstaaten einzufordern, allein dieselben wurden, gleich der römischen Grundsteuer, rechtlich als Käufe oder Vorschüsse behandelt und der Wert von der römischen Staatskasse sogleich oder später ersetzt. Aber dennoch wurden, wenn nicht in der staatsrechtlichen Theorie, so doch praktisch, diese Requisitionen eine der drückendsten Belastungen der Provinzialen; um so mehr, als die Entschädigungsziffer regelmäßig von der Regierung oder gar dem Statthalter einseitig festgesetzt ward. Es begegnen wohl einzelne gesetzliche Beschränkungen dieses gefährlichen Requisitionsrechts der römischen Oberbeamten – so die schon erwähnte Vorschrift, daß in Spanien dem Landmann durch Getreiderequisitionen nicht mehr als die zwanzigste Garbe entzogen und auch hierfür der Preis nicht einseitig ausgemacht werden dürfte; die Bestimmung eines Maximalquantums des von dem Statthalter für seine und seines Gefolges Bedürfnisse zu requirierenden Getreides; die vorgängige Anordnung einer festbestimmten und hochgegriffenen Vergütung für das Getreide, das wenigstens in Sizilien häufig für die Bedürfnisse der Hauptstadt eingefordert ward. Allein durch dergleichen Festsetzungen wurde der Druck jener Requisitionen auf die Ökonomie der Gemeinden und der einzelnen in den Provinzen wohl hier und da gelindert, aber keineswegs beseitigt. In außerordentlichen Krisen steigerte dieser Druck sich unvermeidlich und oft ins Grenzenlose, wie denn auch alsdann die Lieferungen nicht selten in der Form der Strafausschreibung oder in der der erzwungenen freiwilligen Beiträge erfolgten, die Vergütung also ganz wegfiel. So zwang Sulla im Jahre 670/71 (84/83) die kleinasiatischen Provinzialen, die allerdings sich aufs schwerste gegen Rom vergangen hatten, jedem bei ihnen einquartierten Gemeinen vierzigfachen (für den Tag 16 Denare = 3 2/3 Taler), jedem Centurio fünfundsiebzigfachen Sold zu gewähren, außerdem Kleidung und Tisch nebst dem Recht, nach Belieben Gäste einzuladen; so schrieb derselbe Sulla bald nachher eine allgemeine Umlage auf die Klientel- und Untertanengemeinden aus, von deren Erstattung natürlich keine Rede war.

Ferner sind die Gemeindelasten nicht aus den Augen zu lassen. Sie müssen verhältnismäßig sehr ansehnlich gewesen sein110, da die Verwaltungskosten, die Instandhaltung der öffentlichen Gebäude, überhaupt alle Zivilausgaben von den städtischen Budgets getragen wurden und die römische Regierung lediglich das Militärwesen aus ihrer Kasse zu bestreiten übernahm. Sogar von diesem Militärbudget aber wurden noch beträchtliche Posten auf die Gemeinden abgewälzt – so die Anlage- und Unterhaltungskosten der nichtitalischen Militärstraßen, die der Flotten in den nichtitalischen Meeren, ja selbst zu einem großen Teil die Ausgaben für das Heerwesen, insofern die Wehrmannschaft der Klientelstaaten wie die der Untertanen auf Kosten ihrer Gemeinden innerhalb ihrer Provinz regelmäßig zum Dienst herangezogen wurden und auch außerhalb derselben Thraker in Afrika, Afrikaner in Italien und so weiter an jedem beliebigen Ort immer häufiger anfingen, mitverwendet zu werden. Wenn nur die Provinzen, nicht aber Italien direkte Abgaben an die Regierung entrichtete, so war dies wo nicht politisch, doch finanziell billig, solange als Italien die Lasten und Kosten des Militärwesens allein trug; seit dies aber aufgegeben ward, waren die Provinzialen auch finanziell entschieden überlastet.

Endlich ist das große Kapitel des Unrechts nicht zu vergessen, durch das die römischen Beamten und Steuerpächter in der mannigfaltigsten Weise die Steuerlast der Provinzen steigerten. Man mochte jedes Geschenk, das der Statthalter nahm, gesetzlich als erpreßtes Gut behandeln, und selbst das Recht zu kaufen ihm durch Gesetz beschränken, seine öffentliche Tätigkeit bot ihm, wenn er unrecht tun wollte, dennoch der Handhaben mehr als genug. Die Einquartierung der Truppen; die freie Wohnung der Beamten und des Schwarmes von Adjutanten senatorischen oder Ritterranges, von Schreibern, Gerichtsdienern, Herolden, Ärzten und Pfaffen; das den Staatsboten zukommende Recht unentgeltlicher Beförderung; die Approbierung und der Transport der schuldigen Naturallieferungen; vor allem die Zwangsverkäufe und die Requisitionen gaben allen Beamten Gelegenheit, aus den Provinzen fürstliche Vermögen heimzubringen; und das Stehlen ward immer allgemeiner, je mehr die Kontrolle der Regierung sich als null erwies und die der Kapitalistengerichte sogar als gefährlich allein für den ehrlichen Beamten. Die durch die Häufigkeit der Klagen über Beamtenerpressung in den Provinzen veranlaßte Einrichtung einer stehenden Kommission für dergleichen Fälle im Jahre 605 (149) und die rasch sich folgenden und die Strafe stets steigernden Erpressungsgesetze zeigen, wie die Flutmesser den Wasserstand, die immer wachsende Höhe des Übels.

Unter all diesen Verhältnissen konnte selbst eine der Anlage nach mäßige Besteuerung effektiv äußerst drückend werden, und daß sie dies war, ist außer Zweifel, wenngleich der ökonomische Druck, den die italischen Kaufleute und Bankiers auf die Provinzen übten, noch weit schwerer auf denselben gelastet haben mag als die Besteuerung mit allen daran hängenden Mißbräuchen.

Fassen wir zusammen, so war die Einnahme, welche Rom aus den Provinzen zog, nicht eigentlich eine Besteuerung der Untertanen in dem Sinn, den wir jetzt damit verbinden, sondern vielmehr überwiegend eine den attischen Tributen vergleichbare Hebung, womit der führende Staat die Kosten des von demselben übernommenen Kriegswesens bestritt. Daraus erklärt sich auch die auffallende Geringfügigkeit des Roh- wie des Reinertrags. Es findet sich eine Angabe, wonach die römische Einnahme, vermutlich mit Ausschluß der italischen Einkünfte und des von den Zehntpächtern in Natur nach Italien abgelieferten Getreides, bis zum Jahr 691 (63) nicht mehr betrug als 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler); also nur zwei Drittel der Summe, die der König von Ägypten jährlich aus seinem Lande zog. Nur auf den ersten Blick kann das Verhältnis befremden. Die Ptolemäer beuteten das Niltal aus wie große Plantagenbesitzer und zogen ungeheure Summen aus dem von ihnen monopolisierten Handelsverkehr mit dem Orient; das römische Ärar war nicht viel mehr als die Bundeskriegskasse der unter Roms Schutz geeinigten Gemeinden. Der Reinertrag war wahrscheinlich verhältnismäßig noch geringer. Einen ansehnlichen Überschuß lieferten wohl nur Sizilien, wo das karthagische Besteuerungssystem galt, und vor allem Asia, seit Gaius Gracchus, um seine Getreideverteilung möglich zu machen, daselbst die Bodenkonfiskation und die allgemeine Domanialbesteuerung durchgesetzt hatte; nach vielfältigen Zeugnissen ruhten die römischen Staatsfinanzen wesentlich auf den Abgaben von Asia. Die Versicherung klingt ganz glaublich, daß die übrigen Provinzen durchschnittlich ungefähr so viel kosteten als sie einbrachten; ja diejenigen, welche eine bedeutende Besatzung erforderten, wie beide Spanien, das Jenseitige Gallien, Makedonien, mögen oft mehr gekostet als getragen haben. Im ganzen blieb dem römischen Ärar allerdings in gewöhnlichen Zeiten ein Überschuß, welcher es möglich machte, die Staats- und Stadtbauten reichlich zu bestreiten und einen Notpfennig aufzusammeln; aber auch die für diese Beträge vorkommenden Ziffern, zusammengehalten mit dem weiten Gebiet der römischen Herrschaft, sprechen für die Geringfügigkeit des Reinertrags der römischen Steuern. In gewissem Sinne hat also der alte, ebenso ehrenwerte wie verständige Grundsatz: die politische Hegemonie nicht als nutzbares Recht zu behandeln, ebenwie die römisch-italische so auch noch die provinziale Finanzverfassung beherrscht. Was die römische Gemeinde von ihren überseeischen Untertanen erhob, ward der Regel nach auch für die militärische Sicherung der überseeischen Besitzungen wieder verausgabt; und wenn diese römischen Hebungen dadurch die Pflichtigen schwerer trafen als die ältere Besteuerung, daß sie großenteils im Ausland verausgabt wurden, so schloß dagegen die Ersetzung der vielen kleinen Herren und Heere durch eine einzige Herrschaft und eine zentralisierte Militärverwaltung eine sehr ansehnliche ökonomische Ersparnis ein. Aber freilich erscheint dieser Grundsatz einer besseren Vorzeit in der Provinzialorganisation doch von vornherein innerlich zerstört und durchlöchert durch die zahlreichen Ausnahmen, die man davon sich gestattete. Der hieronisch-karthagische Bodenzehnte in Sizilien ging weit hinaus über den Betrag eines jährlichen Kriegsbeitrags. Mit Recht ferner sagt Scipio Aemilianus bei Cicero, daß es der römischen Bürgerschaft übel anstehe, zugleich den Gebieter und den Zöllner der Nationen zu machen. Die Aneignung der Hafenzölle war mit dem Grundsatz der uneigennützigen Hegemonie nicht vereinbar, und die Höhe der Zollsätze sowie die vexatorische Erhebungsweise nicht geeignet, das Gefühl des hier zugefügten Unrechts zu beschwichtigen. Es gehört wohl schon dieser Zeit an, daß der Name des Zöllners den östlichen Völkerschaften gleichbedeutend mit dem des Frevlers und des Räubers ward; keine Belastung hat so wie diese dazu beigetragen, den römischen Namen besonders im Osten widerwärtig und gehässig zu machen. Als dann aber Gaius Gracchus und diejenige Partei an das Regiment kam, die sich in Rom die populäre nannte, ward die politische Herrschaft unumwunden für ein Recht erklärt, das jedem der Teilhaber Anspruch gab auf eine Anzahl Scheffel Korn, ward die Hegemonie geradezu in Bodeneigentum verwandelt, das vollständige Exploitierungssystem nicht bloß eingeführt, sondern mit unverschämter Offenherzigkeit rechtlich motiviert und proklamiert. Sicher war es auch kein Zufall, daß dabei eben die beiden am wenigsten kriegerischen Provinzen Sizilien und Asia das härteste Los traf.

Einen ungefähren Messer des römischen Finanzstandes dieser Zeit gewähren in Ermangelung bestimmter Angaben noch am ersten die öffentlichen Bauten. In den ersten Dezennien dieser Epoche wurden dieselben in größtem Umfange betrieben, und vor allem die Chausseeanlagen sind zu keiner Zeit so energisch gefördert worden. In Italien schloß sich an die große, vermutlich schon ältere Südchaussee, die als Verlängerung der Appischen von Rom über Capua, Beneventum, Venusia nach den Häfen von Tarent und Brundisium lief, eine Seitenstraße an von Capua bis zur sizilischen Meerenge, ein Werk des Publius Popillius, Konsul 622 (132). An der Ostküste, wo bisher nur die Strecke von Fanum nach Ariminum als Teil der Flaminischen Straße chaussiert gewesen war, wurde die Küstenstraße südwärts bis nach Brundisium, nordwärts über Hatria am Po bis nach Aquileia verlängert und wenigstens das Stück von Ariminum bis Hatria von dem ebengenannten Popillius in dem gleichen Jahr angelegt. Auch die beiden großen etrurischen Chausseen, die Küsten- oder Aurelische Straße von Rom nach Pisa und Luna, an der unter anderem im Jahre 631 (123) gebaut ward, und die über Sutrium und Clusium nach Arretium und Florentia geführte Cassische, die nicht vor 583 (171) gebaut zu sein scheint, dürften als römische Staatschausseen erst dieser Zeit angehören. Um Rom selbst bedurfte es neuer Anlagen nicht; doch wurde die Mulvische Brücke (Ponte Molle), auf der die Flaminische Straße unweit Rom den Tiber überschritt, im Jahre 645 (109) von Stein hergestellt. Endlich in Norditalien, das bis dahin keine andere als die bei Placentia endigende Flaminisch-Ämilische Kunststraße gehabt hatte, wurde im Jahre 606 (148) die große Postumische Straße gebaut, die von Genua über Dertona, wo wahrscheinlich gleichzeitig eine Kolonie gegründet ward, weiter über Placentia, wo sie die Flaminisch-Ämilische Straße aufnahm, Cremona und Verona nach Aquileia führte und also das Tyrrhenische und das Adriatische Meer miteinander verband; wozu noch die im Jahre 645 (109) durch Marcus Aemilius Scaurus hergestellte Verbindung zwischen Luna und Genua hinzukam, welche die Postumische Straße unmittelbar mit Rom verknüpfte. In einer anderen Weise war Gaius Gracchus für das italische Wegewesen tätig. Er sicherte die Instandhaltung der großen Landstraßen, indem er bei der Ackerverteilung längs derselben Grundstücke anwies, auf denen die Verpflichtung der Wegebesserung als dingliche Last haftete; auf ihn ferner oder doch auf die Ackerverteilungskommission scheint, wie die Sitte, die Feldgrenze durch ordentliche Marksteine zu bezeichnen, so auch die der Errichtung von Meilensteinen zurückzugehen; er sorgte endlich für gute Vizinalwege, um auch hierdurch den Ackerbau zu fördern. Aber weit folgenreicher noch war die ohne Zweifel eben in dieser Epoche beginnende Anlage von Reichschausseen in den Provinzen: die Domitische Straße stellte nach langen Vorbereitungen den Landweg von Italien nach Spanien sicher und hing mit der Gründung von Aquae Sextiae und Narbo eng zusammen; die Gabinische und die Egnatische führten von den Hauptplätzen an der Ostküste des Adriatischen Meeres, jene von Salona, diese von Apollonia und Dyrrhachion, in das Binnenland hinein; das unmittelbar nach der Einrichtung der asiatischen Provinz im Jahre 625 (129) von Manius Aquillius angelegte Straßennetz führte von der Hauptstadt Ephesus nach verschiedenen Richtungen bis an die Reichsgrenze – alles Anlagen, über deren Entstehung in der trümmerhaften Überlieferung dieser Epoche keine Angabe zu finden ist, die aber nichtsdestoweniger mit der Konsolidierung der römischen Herrschaft in Gallien, Dalmatien, Makedonien und Kleinasien unzweifelhaft in Zusammenhang standen und für die Zentralisierung des Staats und die Zivilisierung der unterworfenen barbarischen Distrikte von der größten Bedeutung geworden sind.

Wie für die Straßen war man wenigstens in Italien auch für die großen Entsumpfungsarbeiten tätig. So ward im Jahre 594 (160) die Trockenlegung der Pomptinischen Sümpfe, die Lebensfrage für Mittelitalien, mit großem Kraftaufwand und wenigstens vorübergehendem Erfolg angegriffen; so im Jahre 645 (109) in Verbindung mit den norditalischen Chausseebauten zugleich die Entsumpfung der Niederungen zwischen Parma und Placentia bewerkstelligt. Endlich tat die Regierung viel für die zur Gesundheit und Annehmlichkeit der Hauptstadt ebenso unentbehrlichen wie kostspieligen römischen Wasserleitungen. Nicht bloß wurden die beiden seit den Jahren 442 (312) und 492 (262) bereits bestehenden, die Appische und die Anioleitung, im Jahre 610 (144) von Grund aus repariert, sondern auch zwei neue Leitungen angelegt: im Jahre 610 (144) die Marcische, die an Güte und Fülle des Wassers auch später unübertroffen blieb, und neunzehn Jahre nachher die sogenannte Laue. Welche Operationen die römische Staatskasse, ohne vom Kreditsystem Gebrauch zu machen, mittels reiner Barzahlung auszuführen vermochte, zeigt nichts deutlicher als die Art, wie die Marcische Leitung zustande kam: die dazu erforderliche Summe von 180 Mill. Sesterzen (in Gold 13½ Mill. Taler) ward innerhalb dreier Jahre disponibel gemacht und verwandt. Es läßt dies schließen auf eine sehr ansehnliche Reserve des Staatsschatzes, die denn auch schon im Anfang dieser Periode nahe an 6 Mill. Taler betrug und ohne Zweifel beständig im Steigen war.

Alle diese Tatsachen zusammengenommen, lassen allerdings auf einen im allgemeinen günstigen Stand der römischen Finanzen dieser Zeit schließen. Nur darf auch in finanzieller Hinsicht nicht übersehen werden, daß die Regierung während der ersten zwei Drittel dieses Zeitabschnitts zwar glänzende und großartige Bauten ausführte, aber dafür andere wenigstens ebenso notwendige Ausgaben zu machen unterließ. Wie ungenügend sie für das Militärwesen sorgte, ist bereits hervorgehoben worden: in den Grenzlandschaften, ja im Potal plünderten die Barbaren, im Innern hausten selbst in Kleinasien, Sizilien, Italien die Räuberbanden. Die Flotte gar ward völlig vernachlässigt; römische Kriegsschiffe gab es kaum mehr und die Kriegsschiffe, die man durch die Untertanenstädte bauen und erhalten ließ, reichten nicht aus, so daß man nicht bloß schlechterdings keinen Seekrieg zu führen, sondern nicht einmal den Piraten das Handwerk zu legen imstande war. In Rom selbst unterblieben eine Menge der notwendigsten Verbesserungen und namentlich die Flußbauten wurden seltsam vernachlässigt. Immer noch besaß die Hauptstadt keine andere Brücke über den Tiber als den uralten hölzernen Steg, der über die Tiberinsel nach dem Ianiculum führte; immer noch ließ man den Tiber jährlich die Straßen unter Wasser setzen und Häuser, ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen, ohne etwas für die Uferbefestigung zu tun; immer mehr ließ man, wie gewaltig auch der überseeische Handel sich entwickelte, die an sich schon schlechte Reede von Ostia versanden. Eine Regierung, die unter den günstigsten Verhältnissen und in einer Epoche vierzigjährigen Friedens nach außen und innen solche Pflichten versäumt, kann leicht Steuern schwinden lassen und dennoch einen jährlichen Überschuß der Einnahme über die Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz erzielen; aber eine derartige Finanzverwaltung verdient keineswegs Lob wegen ihrer nur scheinbar glänzenden Ergebnisse, sondern vielmehr dieselben Vorwürfe der Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der verkehrten Volksschmeichelei, die auf jedem andern politischen Gebiet gegen das senatorische Regiment dieser Epoche erhoben werden mußten.

Weit schlimmer gestalteten sich natürlich die finanziellen Verhältnisse, als die Stürme der Revolution hereinbrachen. Die neue und, auch bloß finanziell betrachtet, höchst drückende Belastung, die dem Staat aus der durch Gaius Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung erwuchs, den hauptstädtischen Bürgern das Getreide zu Schleuderpreisen zu verabfolgen, ward allerdings durch die in der Provinz Asia neu eröffneten Einnahmequellen zunächst wieder ausgeglichen. Nichtsdestoweniger scheinen die öffentlichen Bauten seitdem fast gänzlich ins Stocken gekommen zu sein. So zahlreich die erweislichermaßen von der Schlacht bei Pydna bis auf Gaius Gracchus angelegten öffentlichen Werke sind, so werden dagegen aus der Zeit nach 632 (122) kaum andere genannt als die Brücken-, Straßen und Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Zensor 645 (109) anordnete. Es muß dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der Kornverteilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge des gesteigerten Sparschatzsystems, wie es sich schickt für ein immer mehr zur Oligarchie erstarrendes Regiment, und wie es angedeutet ist in der Angabe, daß der römische Reservefonds seinen höchsten Stand im Jahre 663 (91) erreichte. Der fürchterliche Insurrektions- und Revolutionssturm in Verbindung mit dem fünfjährigen Ausbleiben der kleinasiatischen Gefälle war die erste nach dem Hannibalischen Krieg wieder den römischen Finanzen zugemutete ernste Probe; sie haben dieselbe nicht bestanden. Nichts vielleicht zeichnet so klar den Unterschied der Zeiten, als daß im Hannibalischen Krieg erst im zehnten Kriegsjahre, als die Bürgerschaft den Steuern fast erlag, der Sparschatz angegriffen, dagegen der Bundesgenossenkrieg gleich von Haus aus auf den Kassenbestand fundiert ward und, als schon nach zwei Feldzügen derselbe bis auf den letzten Pfennig ausgegeben war, man lieber die öffentlichen Plätze in der Hauptstadt versteigerte und die Tempelschätze angriff, als eine Steuer auf die Bürger ausschrieb. Indes der Sturm, so arg er war, ging vorüber; Sulla stellte, freilich unter ungeheuren, namentlich den Untertanen und den italischen Revolutionären aufgebürdeten ökonomischen Opfern, die Ordnung in den Finanzen wieder her und sicherte, indem er die Getreidespenden aufhob, die asiatischen Abgaben aber, wenn auch gemindert, doch beibehielt, dem Gemeinwesen wenigstens in dem Sinn einen befriedigenden ökonomischen Zustand, als die ordentlichen Ausgaben weit unter den ordentlichen Einnahmen blieben.

In der Privatökonomie dieser Zeit tritt kaum ein neues Moment hervor; die früher dargelegten Vorzüge und Nachteile der sozialen Verhältnisse Italiens werden nicht verändert, sondern nur weiter und schärfer entwickelt. In der Bodenwirtschaft sahen wir bereits früher die steigende römische Kapitalmacht den mittleren und kleinen Grundbesitz in Italien sowohl wie in den Provinzen allmählich verzehren, wie die Sonne die Regentropfen aufsaugt. Die Regierung sah nicht bloß zu ohne zu wehren, sondern förderte noch die schädliche Bodenteilung durch einzelne Maßregeln, vor allem durch das zu Gunsten der großen italischen Grundbesitzer und Kaufleute ausgesprochene Verbot der transalpinischen Wein- und Ölproduktion111. Zwar wirkten sowohl die Opposition als die auf die Reformideen eingehende Fraktion der Konservativen energisch dem übel entgegen: indem die beiden Gracchen die Aufteilung fast des gesamten Domaniallandes durchsetzten, gaben sie dem Staat 80000 neue italische Bauern; indem Sulla 120000 Kolonisten in Italien ansiedelte, ergänzte er wenigstens einen Teil der von der Revolution und von ihm selbst in die Reihen der italischen Bauernschaft gerissenen Lücken; allein dem durch stetigen Abfluß sich leerenden Gefäß ist nicht durch Einschöpfen auch beträchtlicher Massen, sondern nur durch Herstellung eines stetigen Zuflusses zu helfen, welche vielfach versucht ward, aber nicht gelang. In den Provinzen nun gar geschah nicht das Geringste, um den dortigen Bauernstand vor dem Auskaufen durch die römischen Spekulanten zu retten: die Provinzialen waren ja bloß Menschen und keine Partei. Die Folge war, daß mehr und mehr auch die außeritalische Bodenrente nach Rom floß. Übrigens war die Plantagenwirtschaft, die um die Mitte dieser Epoche selbst in einzelnen Landschaften Italiens, zum Beispiel in Etrurien, bereits durchaus überwog, bei dem Zusammenwirken eines energischen und rationellen Betriebs und reichlicher Geldmittel in ihrer Art zu hoher Blüte gelangt. Die italische Weinproduktion vor allem, die teils die Eröffnung gezwungener Märkte in einem Teil der Provinzen, teils das zum Beispiel in dem Aufwandgesetz von 593 (161) ausgesprochene Verbot der ausländischen Weine in Italien auch künstlich förderten, erzielte sehr bedeutende Erfolge; der Amineer und der Falerner fingen an, neben dem Thasier und Chier genannt zu werden, und der „Opimische Wein“ vom Jahre 633 (121), der römische Elfer, blieb im Andenken, lange nachdem der letzte Krug geleert war.

Von Gewerben und Fabrikation ist nichts zu sagen, als daß die italische Nation in dieser Hinsicht in einer an Barbarei grenzenden Passivität verharrte. Man zerstörte wohl die korinthischen Fabriken, die Depositare so mancher wertvollen gewerblichen Tradition, aber nicht um selbst ähnliche Fabriken zu gründen, sondern um zu Schwindelpreisen zusammenzukaufen, was die griechischen Häuser an korinthischen Ton- oder Kupfergefäßen und ähnlichen „alten Arbeiten“ bewahrten. Was von Gewerken noch einigermaßen gedieh, wie zum Beispiel die mit dem Bauwesen zusammenhängenden, trug für das Gemeinwesen deshalb kaum einen Nutzen, weil auch hier bei jeder größeren Unternehmung die Sklavenwirtschaft sich ins Mittel legte; wie denn zum Beispiel die Anlage der Marcischen Wasserleitung in der Art erfolgte, daß die Regierung mit 3000 Meistern zugleich Bau- und Lieferungsverträge abschloß, von denen dann jeder mit seiner Sklavenschar die übernommene Arbeit beschaffte.

Die glänzendste oder vielmehr die allein glänzende Seite der römischen Privatwirtschaft ist der Geldverkehr und der Handel. An der Spitze stehen die Domanial- und die Steuerpachtungen, durch die ein großer, vielleicht der größte Teil der römischen Staatseinnahmen in die Taschen der römischen Kapitalisten floß. Der Geldverkehr ferner war im ganzen Umfang des römischen Staats von den Römern monopolisiert; jeder in Gallien umgesetzte Pfennig, heißt es in einer bald nach dem Ende dieser Periode herausgegebenen Schrift, geht durch die Bücher der römischen Kaufleute, und so war es ohne Zweifel überall. Wie das Zusammenwirken der rohen ökonomischen Zustände und der rücksichtslosen Ausnutzung der politischen Übermacht zu Gunsten der Privatinteressen eines jeden vermögenden Römers eine wucherliche Zinswirtschaft allgemein machte, zeigt zum Beispiel die Behandlung der von Sulla der Provinz Asia 670 (84) auferlegten Kriegssteuer, die die römischen Kapitalisten vorschossen; sie schwoll mit gezahlten und nichtgezahlten Zinsen binnen vierzehn Jahren auf das Sechsfache ihres ursprünglichen Betrags an. Die Gemeinden mußten ihre öffentlichen Gebäude, ihre Kunstwerke und Kleinodien, die Eltern ihre erwachsenen Kinder verkaufen, um dem römischen Gläubiger gerecht zu werden; es war nichts Seltenes, daß der Schuldner nicht bloß der moralischen Tortur unterworfen, sondern geradezu auf die Marterbank gelegt ward. Hierzu kam endlich der Großhandel. Italiens Ausfuhr und Einfuhr waren sehr beträchtlich. Jene bestand vornehmlich in Wein und Öl, womit Italien neben Griechenland fast ausschließlich – die Weinproduktion in der massaliotischen und turdetanischen Landschaft kann damals nur gering gewesen sein – das gesamte Mittelmeergebiet versorgte; italischer Wein ging in bedeutenden Quantitäten nach den Balearischen Inseln und Keltiberien, nach Africa, das nur Acker- und Weideland war, nach Narbo und in das innere Gallien. Bedeutender noch war die Einfuhr nach Italien, wo damals aller Luxus sich konzentrierte und die meisten Luxusartikel, Speisen, Getränke, Stoffe, Schmuck, Bücher, Hausgerät, Kunstwerke, über See eingeführt wurden. Vor allem aber der Sklavenhandel nahm infolge der stets steigenden Nachfrage der römischen Kaufleute einen Aufschwung, dessengleichen man im Mittelmeergebiet noch nicht gekannt hatte und der mit dem Aufblühen der Piraterie im engsten Zusammenhang steht; alle Länder und alle Nationen wurden dafür in Kontribution gesetzt, die Hauptfangplätze aber waren Syrien und das innere Kleinasien. In Italien konzentrierte die überseeische Einfuhr sich vorzugsweise in den beiden großen Emporien am Tyrrhenischen Meer, Ostia und Puteoli. Nach Ostia, dessen Reede wenig taugte, das aber, als der nächste Hafen an Rom, für weniger werthafte Waren der geeignetste Stapelplatz war, zog sich die für die Hauptstadt bestimmte Korneinfuhr, dagegen der Luxushandel mit dem Osten überwiegend nach Puteoli, das durch seinen guten Hafen für Schiffe mit wertvoller Ladung sich empfahl und in der mehr und mehr mit Landhäusern sich füllenden Gegend von Baiae den Kaufleuten einen dem hauptstädtischen wenig nachstehenden Markt in nächster Nähe darbot. Lange Zeit ward dieser letztere Verkehr durch Korinth und nach dessen Vernichtung durch Delos vermittelt, wie denn in diesem Sinne Puteoli bei Lucilius das italische „Klein-Delos“ heißt; nach der Katastrophe aber, die Delos im Mithradatischen Kriege betraf, und von der es sich nicht wieder erholt hat, knüpften die Puteolaner direkte Handelsverbindungen mit Syrien und Alexandreia an und entwickelte damit ihre Stadt immer entschiedener sich zu dem ersten überseeischen Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloß der Gewinn, der bei der italischen Aus- und Einfuhr gemacht ward, fiel wesentlich den Italikern zu; auch in Narbo konkurrierten sie im keltischen Handel mit den Massalioten, und überhaupt leidet es keinen Zweifel, daß die überall fluktuierend oder ansässig anzutreffende römische Kaufmannschaft den besten Teil aller Spekulationen für sich nahm.

Fassen wir diese Erscheinungen zusammen, so erkennen wir als den hervorstechenden Zug der Privatwirtschaft dieser Epoche die der politischen ebenbürtig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der römischen Kapitalisten. In ihren Händen vereinigt sich die Bodenrente fast des ganzen Italiens und der besten Stücke des Provinzialgebiets, die wucherliche Rente des von ihnen monopolisierten Kapitals, der Handelsgewinn aus dem gesamten Reiche, endlich in Form der Pachtnutzung ein sehr beträchtlicher Teil der römischen Staatseinkünfte. Die immer zunehmende Anhäufung der Kapitalien zeigt sich in dem Steigen des Durchschnittsatzes des Reichtums: 3 Mill. Sesterzen (228000 Taler) war jetzt ein mäßiges senatorisches, 2 Mill. (152000 Taler) ein anständiges Rittervermögen; das Vermögen des reichsten Mannes der Gracchischen Zeit, des Publius Crassus, Konsul 623 131), ward auf 100 Mill. Sesterzen (7½Mill. Taler) geschätzt. Es ist kein Wunder, wenn dieser Kapitalistenstand die äußere Politik vorwiegend bestimmt, wenn er aus Handelsrivalität Karthago und Korinth zerstört, wie einst die Etrusker Alalia, die Syrakusier Caere zerstörten, wenn er dem Senat zum Trotz die Gründung von Narbo aufrecht erhält. Es ist ebenfalls kein Wunder, wenn diese Kapitalistenoligarchie in der inneren Politik der Adelsoligarchie eine ernstliche und oft siegreiche Konkurrenz macht. Es ist aber auch kein Wunder, wenn ruinierte reiche Leute sich an die Spitze empörter Sklavenhaufen stellen und das Publikum sehr unsanft daran erinnert, daß aus dem eleganten Bordell der Übergang zu der Räuberhöhle leicht gefunden ist. Es ist kein Wunder, wenn jeder finanzielle Babelturm mit seiner nicht rein ökonomischen, sondern der politischen Übermacht Roms entlehnten Grundlage bei jeder ernsten politischen Krise ungefähr in derselben Art schwankt wie unser sehr ähnlicher Staatspapierbau. Die ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg der italisch-asiatischen Bewegungen 664f. (90) über den römischen Kapitalistenstand hereinbrach, die Bankrotte des Staates und der Privaten, die allgemeine Entwertung der Grundstücke und der Gesellschaftsparten können wir im einzelnen nicht mehr verfolgen; wohl aber lassen im allgemeinen keinen Zweifel an ihrer Art und ihrer Bedeutung ihre Resultate: die Ermordung des Gerichtsherrn durch einen Gläubigerhaufen, der Versuch, alle nicht von Schulden freien Senatoren aus dem Senat zu stoßen, die Erneuerung des Zinsmaximum durch Sulla, die Kassation von 75 Prozent aller Forderungen durch die revolutionäre Partei. Die Folge dieser Wirtschaft war natürlich in den Provinzen allgemeine Verarmung und Entvölkerung, wogegen die parasitische Bevölkerung reisender oder auf Zeit ansässiger Italiker überall im Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tage 80000 Menschen italischer Abkunft umgekommen sein. Wie zahlreich dieselben auf Delos waren, beweisen die noch auf der Insel vorhandenen Denksteine und die Angabe, daß hier 20000 Fremde, meistens italische Kaufleute, auf Mithradates‘ Befehl getötet wurden. In Afrika waren der Italiker so viele, daß sogar die numidische Stadt Cirta hauptsächlich durch sie gegen Jugurtha verteidigt werden konnte. Auch Gallien, heißt es, war angefüllt mit römischen Kaufleuten; nur für Spanien finden sich, vielleicht nicht zufällig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst ist dagegen der Stand der freien Bevölkerung in dieser Epoche ohne Zweifel im ganzen zurückgegangen. Allerdings haben die Bürgerkriege hierzu wesentlich mitgewirkt, welche nach allgemeingehaltenen und freilich wenig zuverlässigen Angaben 100000 bis 150000 Köpfe von der römischen Bürgerschaft, 300000 von der italischen Bevölkerung überhaupt weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der ökonomische Ruin des Mittelstandes und die maßlose Ausdehnung der kaufmännischen Emigration, die einen großen Teil der italischen Jugend während ihrer kräftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlaßte. Einen Ersatz sehr zweifelhaften Wertes gewährte dafür die freie parasitische hellenisch-orientalische Bevölkerung, die als königliche oder Gemeindediplomaten, als Ärzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente, Schmarotzer und in den tausendfachen Ämtern der Industrieritter- und Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Händler und Schiffer namentlich in Ostia, Puteoli und Brundisium verweilten. Noch bedenklicher war das unverhältnismäßige Steigen der Sklavenmenge auf der Halbinsel. Die italische Bürgerschaft zählte nach der Schätzung des Jahres 684 (70) 910000 waffenfähige Männer, wobei, um den Betrag der freien Bevölkerung auf der Halbinsel zu erhalten, die in der Schätzung zufällig übergangenen, die Latiner in der Landschaft zwischen den Alpen und dem Po und die in Italien domizilierten Ausländer, hinzu-, die auswärts domizilierten römischen Bürger dagegen abzurechnen sind. Es wird demnach kaum möglich sein, die freie Bevölkerung der Halbinsel höher als auf 6 bis 7 Mill. Köpfe anzusetzen. Wenn die damalige Gesamtbevölkerung derselben der gegenwärtigen gleichkam, so hätte man danach eine Sklavenmasse von 13 bis 14 Mill. Köpfen anzunehmen. Es bedarf indes solcher trüglichen Berechnungen nicht, um die gefährliche Spannung dieser Verhältnisse anschaulich zu machen; laut genug reden die partiellen Sklaveninsurrektionen und der seit dem Beginn der Revolutionen am Schlusse eines jeden Aufstandes erschallende Aufruf an die Sklaven, die Waffen gegen ihre Herren zu ergreifen und die Freiheit sich zu erfechten. Wenn man sich England vorstellt mit seinen Lords, seinen Squires und vor allem seiner City, aber die Freeholders und Pächter in Proletarier, die Arbeiter und Matrosen in Sklaven verwandelt, so wird man ein ungefähres Bild der damaligen Bevölkerung der italischen Halbinsel gewinnen.

Wie im klaren Spiegel liegen die ökonomischen Verhältnisse dieser Epoche noch heute uns vor in dem römischen Münzwesen. Die Behandlung desselben zeigt durchaus den einsichtigen Kaufmann. Seit langer Zeit standen Gold und Silber als allgemeine Zahlmittel nebeneinander, so daß zwar zum Zweck allgemeiner Kassebilanzen ein festes Wertverhältnis zwischen beiden Metallen gesetzlich normiert war, aber doch regelmäßig es nicht freistand, ein Metall für das andere zu geben, sondern je nach dem Inhalt der Verschreibung in Gold oder Silber zu zahlen war. Auf diesem Wege wurden die großen Übelstände vermieden, die sonst an die Aufstellung eines doppelten Wertmetalls unvermeidlich sich knüpfen; die starken Goldkrisen – wie denn zum Beispiel um 600 (150) infolge der Entdeckung der tauriskischen Goldlager das Gold gegen Silber auf einmal in Italien um 33 2/3 Prozent abschlug – wirkten wenigstens nicht direkt auf die Silbermünze und den Kleinverkehr ein. Es lag in der Natur der Sache, daß, je mehr der überseeische Verkehr sich ausdehnte, desto entschiedener das Gold aus der zweiten in die erste Stelle eintrat, was denn auch die Angaben über die Staatskassenbestände und die Staatskassengeschäfte bestätigen; aber die Regierung ließ sich dadurch nicht bewegen, das Gold auch in die Münze einzuführen. Die in der Not des Hannibalischen Krieges versuchte hatte man längst wieder fallen lassen; die wenigen Goldstücke, die Sulla als Regent schlug, sind kaum mehr gewesen als Gelegenheitsmünze für seine Triumphalgeschenke. Nach wie vor zirkulierte als wirkliche Münze ausschließlich das Silber; das Gold ward, mochte es nun, wie gewöhnlich, in Barren umlaufen oder ausländisches oder allenfalls auch inländisches Gepräge tragen, lediglich nach dem Gewicht genommen. Dennoch standen Gold und Silber als Verkehrsmittel gleich, und die betrügliche Legierung des Goldes wurde gleich der Prägung falscher Silbermünzen rechtlich als Münzvergehen betrachtet. Man erreichte hierdurch den unermeßlichen Vorteil, bei dem wichtigsten Zahlmittel selbst die Möglichkeit der Münzdefraude und Münzveruntreuung abzuschneiden. übrigens war die Münzprägung ebenso reichlich wie musterhaft. Nachdem im Hannibalischen Kriege das Silberstück von 1/72 auf 1/84 Pfund reduziert worden war, ist dasselbe mehr als drei Jahrhunderte hindurch vollkommen gleich schwer und gleich fein geblieben; eine Legierung fand nicht statt. Die Kupfermünze wurde um den Anfang dieser Periode völlig zur Scheidemünze und hörte auf, wie früher, im Großverkehr gebraucht zu werden; aus diesem Grunde wurde etwa seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts der As nicht mehr geschlagen und die Kupferprägung beschränkt auf die im Silber nicht füglich herzustellenden Kleinwerte von einem Semis (fast 3 Pfennig) und darunter. Die Münzsorten waren nach einem einfachen Prinzip geordnet und in der damals kleinsten Münze gewöhnlicher Prägung, dem Quadrans (1½ Pfennig), hinabgeführt bis an die Grenze der fühlbaren Werte. Es war ein Münzsystem, das an prinzipieller Verständigkeit der Grundlagen wie an eisern strenger Durchführung derselben im Altertum einzig dasteht und auch in der neueren Zeit nur selten erreicht worden ist. Doch hat auch dies seinen wunden Fleck. Nach einer im ganzen Altertum gemeinen, in ihrer höchsten Entwicklung in Karthago auftretenden Sitte gab auch die römische Regierung mit den guten silbernen Denaren zugleich kupferne, mit Silber plattierte aus, welche gleich jenen genommen werden mußten und nichts waren als ein unserem Papiergeld analoges Zeichengeld mit Zwangskurs und Fundierung auf die Staatskasse, insofern auch diese nicht befugt war, die plattierten Stücke zurückzuweisen. Eine offizielle Falschmünzerei war dies so wenig wie unsere Papiergeldfabrikation, da man die Sache ganz offen betrieb: Marcus Drusus beantragte 663 (91), um die Mittel für seine Kornspenden zu gewinnen, die Emission von einem plattierten auf je sieben silberne, neu aus der Münze hervorgehende Denare; allein nichtsdestoweniger bot diese Maßregel nicht bloß der privaten Falschmünzerei eine bedenkliche Handhabe, sondern sie ließ auch das Publikum absichtlich darüber im ungewissen, ob es Silber- oder Zeichengeld empfange und in welchem Gesamtbetrag das letztere in Umlauf sei. In der bedrängten Zeit des Bürgerkrieges und der großen finanziellen Krise scheint man der Planierung sich so über die Gebühr bedient zu haben, daß zu der Finanzkrise eine Münzkrise sich gesellte und die Masse der falschen und faktisch entwerteten Stücke den Verkehr höchst unsicher machte. Deshalb wurde während des Cinnanischen Regiments von den Prätoren und Tribunen, zunächst von Marcus Marius Gratidianus, die Einlösung des sämtlichen Zeichengeldes durch Silbergeld verfügt und zu dem Ende ein Probierbüro eingerichtet. Inwieweit die Aufrufung durchgeführt ward, ist nicht überliefert; die Zeichengeldprägung selbst blieb bestehen.

Was die Provinzen anlangt, so ward in Gemäßheit der grundsätzlichen Beseitigung der Goldmünze die Goldprägung nirgends, auch in den Klientelstaaten nicht gestattet; so daß die Goldprägung in dieser Zeit nur vorkommt, wo Rom gar nichts zu sagen hatte, namentlich bei den Kelten nordwärts von den Cevennen und bei den gegen Rom sich auflehnenden Staaten, wie denn die Italiker sowohl wie auch Mithradates Eupator Goldmünzen schlugen. Auch die Silberprägung zeigt die Regierung sich bestrebt, mehr und mehr in ihre Hand zu bringen, vornehmlich im Westen. In Afrika und Sardinien mag die karthagische Gold- und Silbermünze auch nach dem Sturz des karthagischen Staats im Umlauf geblieben sein; aber geschlagen wurde daselbst in Edelmetallen weder auf karthagischen noch auf römischen Fuß, und sicher hat sehr bald nach der Besitzergreifung der Römer auch in dem Verkehr beider Landschaften der von Italien eingeführte Denar das Übergewicht erhalten. In Spanien und Sizilien, die früher an Rom gekommen sind und überhaupt eine mildere Behandlung erfuhren, ist zwar unter römischer Herrschaft in Silber geprägt, ja in dem ersteren Lande die Silberprägung erst durch die Römer und auf römischen Fuß ins Leben gerufen worden; aber es sind gute Gründe vorhanden für die Annahme, daß auch in diesen beiden Landschaften wenigstens seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts die provinziale und städtische Prägung sich auf die kupferne Scheidemünze hat beschränken müssen. Nur im Narbonesischen Gallien konnte der altverbündeten und ansehnlichen Freistadt Massalia das Recht der Silberprägung nicht entzogen werden; und dasselbe gilt vermutlich von den illyrischen Griechenstädten Apollonia und Dyrrhachion. Indes beschränkte man doch diesen Gemeinden indirekt ihr Münzrecht dadurch, daß der Dreivierteldenar, der nach Anordnung der römischen Regierung dort wie hier geprägt ward und der unter dem Namen des Victoriatus in das römische Münzsystem aufgenommen worden war, um die Mitte des 7. Jahrhunderts in diesem beseitigt ward; wovon die Folge sein mußte, daß das massaliotische und illyrische Courant aus Oberitalien verdrängt wurde und außer seinem einheimischen Gebiete nur noch etwa in den Alpen- und Donaulandschaften gangbar blieb. So weit war man also bereits in dieser Epoche, daß in der gesamten Westhälfte des römischen Staates der Denarfuß ausschließlich herrschte: denn Italien, Sizilien – von dem es für den Anfang der nächsten Epoche ausdrücklich bezeugt ist, daß daselbst kein anderes Silbergeld umlief als der Denar –, Sardinien, Afrika brauchten ausschließlich römisches Silbergeld, und das in Spanien noch umlaufende Provinzialsilber sowie die Silbermünze der Massalioten und Illyriker war wenigstens auf Denarfuß geschlagen. Anders war es im Osten. Hier, wo die Zahl der seit alter Zeit münzenden Staaten und die Masse der umlaufenden Landesmünze sehr ansehnlich war, drang der Denar nicht in größerem Umfang ein, wenn er auch vielleicht gesetzlich gangbar erklärt ward: vielmehr blieb hier entweder der bisherige Münzfuß, wie zum Beispiel Makedonien noch als Provinz, wenn auch teilweise mit Hinzufügung der Namen von römischen Beamten zu dem der Landschaft, seine attischen Tetradrachmen geschlagen und gewiß wesentlich kein anderes Geld gebracht hat; oder es wurde unter römischer Autorität ein den Verhältnissen entsprechender eigentümlicher Münzfuß neu eingeführt, wie denn bei der Einrichtung der Provinz Asia derselben ein neuer Stater, der sogenannte Cistophorus, von der römischen Regierung geordnet und dieser seitdem von den Bezirkshauptstädten daselbst unter römischer Oberaufsicht geschlagen ward. Diese wesentliche Verschiedenheit des okzidentalischen und des orientalischen Münzwesens ist von der größten geschichtlichen Bedeutung geworden: die Romanisierung der unterworfenen Länder hat in der Annahme der römischen Münze einen ihrer wichtigsten Hebel gefunden, und es ist kein Zufall, daß dasjenige, was wir in dieser Epoche als Gebiet des Denars bezeichnet haben, späterhin zu der lateinischen, dagegen das Gebiet der Drachme späterhin zu der griechischen Reichshälfte geworden ist. Noch heutigentags stellt jenes Gebiet im wesentlichen den Inbegriff der romanischen Kultur dar, während dieses dagegen aus der europäischen Zivilisation sich ausgeschieden hat.

Wie bei solchen ökonomischen Zuständen die sozialen Verhältnisse sich gestalten mußten, ist im allgemeinen leicht zu ermessen, die Steigerung aber des Raffinements, der Preise, des Ekels und der Leere im besonderen zu verfolgen weder erfreulich noch lehrreich. Verschwendung und sinnlicher Genuß war die Losung überall, bei den Parvenus so gut wie bei den Liciniern und Metellern; nicht der feine Luxus gedieh, der die Blüte der Zivilisation ist, sondern derjenige, der in der verkommenden hellenischen Zivilisation Kleinasiens und Alexandreias sich entwickelt hatte, der alles Schöne und Bedeutende zur Dekoration entadelte und auf den Genuß studierte mit einer mühseligen Pedanterie, einer zopfigen Tüftelei, die ihn dem sinnlich wie dem geistig frischen Menschen gleich ekelhaft macht. Was die Volksfeste anlangt, so wurde, es scheint um die Mitte dieses Jahrhunderts, durch einen von Gnaeus Aufidius beantragten Bürgerschluß die in der catonischen Zeit untersagte Einfuhr überseeischer Bestien förmlich wieder gestattet, wodurch denn die Tierhetzen in schwunghaften Betrieb kamen und ein Hauptstück der Bürgerfeste wurden. Um 651 (103) erschienen in der römischen Arena zuerst mehrere Löwen, 655 (99) die ersten Elefanten; 661 (93) ließ Sulla als Prätor schon hundert Löwen auftreten. Dasselbe gilt von den Fechterspielen. Wenn die Altvordern die Bilder großer Schlachten öffentlich ausgestellt hatten, so fingen die Enkel an, dasselbe von ihren Gladiatorenspielen zu tun und mit solchen Haupt- und Staatsaktionen der Zeit sich selber vor den Nachkommen zu verspotten. Welche Summen dafür und für die Begräbnisfeierlichkeiten überhaupt aufgingen, kann man aus dem Testament des Marcus Aemilius Lepidus (Konsul 567, 579 187, 175; † 592 152) abnehmen; derselbe befahl seinen Kindern, da die wahrhafte letzte Ehre nicht in leerem Gepränge, sondern in der Erinnerung an die eigenen und der Ahnen Verdienste bestehe, auf seine Bestattung nicht mehr als 1 Mill. Asse (76000 Taler) zu verwenden. Auch der Bau- und Gartenluxus war im Steigen; das prachtvolle und namentlich wegen der alten Bäume des Gartens berühmte Stadthaus des Redners Crassus († 663 91) ward mit den Bäumen auf 6 Mill. Sesterzen (457000 Taler), ohne diese auf die Hälfte geschätzt, während der Wert eines gewöhnlichen Wohnhauses in Rom etwa auf 60000 Sesterzen (4600 Taler) angeschlagen werden kann112. Wie rasch die Preise der Luxusgrundstücke stiegen, zeigt das Beispiel der Misenischen Villa, die Cornelia, die Mutter der Gracchen, für 75000 Sesterzen (5700 Taler), Lucius Lucullus, Konsul 680 (74) um den dreiunddreißigfachen Preis erstand. Die Villenbauten und das raffinierte Land- und Badeleben machten Baiae und überhaupt die Umgegend des Golfs von Neapel zum Eldorado des vornehmen Müßiggangs. Die Hasardspiele, bei denen es keineswegs mehr, wie bei dem italischen Knöchelspiel, um Nüsse ging, wurden gemein und schon 639 (115) ein zensorisches Edikt dagegen erlassen. Gazestoffe, die die Formen mehr zeigten als verhüllten, und seidene Kleider fingen an, bei Frauen und selbst bei Männern die alten wollenen Röcke zu verdrängen. Gegen die rasende Verschwendung, die mit ausländischen Parfümerien getrieben ward, stemmten sich vergeblich die Aufwandgesetze. Aber der eigentliche Glanz- und Brennpunkt dieses vornehmen Lebens war die Tafel. Man bezahlte Schwindelpreise – bis 100000 Sesterzen (7600 Taler) – für einen ausgesuchten Koch; man baute mit Rücksicht darauf und versah namentlich die Landhäuser an der Küste mit eigenen Salzwasserteichen, um Seefische und Austern jederzeit frisch auf die Tafel liefern zu können; man nannte es schon ein elendes Diner, wenn das Geflügel ganz und nicht bloß die erlesenen Stücke den Gästen vorgelegt wurden und wenn diesen zugemutet ward, von den einzelnen Gerichten zu essen und nicht bloß zu kosten; man bezog für schweres Geld ausländische Delikatessen und griechischen Wein, der bei jeder anständigen Mahlzeit wenigstens einmal herumgereicht werden mußte. Vor allem bei der Tafel glänzte die Schar der Luxussklaven, die Kapelle, das Ballett, das elegante Mobiliar, die goldstrotzenden oder gemäldeartig gestickten Teppiche, die Purpurdecken, das antike Bronzegerät, das reiche Silbergeschirr. Hiergegen zunächst richteten sich die Luxusgesetze, die häufiger (593, 639, 665, 673 161, 115, 89, 82) und ausführlicher als je ergingen: eine Menge Delikatessen und Weine wurden darin gänzlich untersagt, für andere nach Gewicht und Preis ein Maximum festgesetzt, ebenso die Quantität des silbernen Tafelgeschirrs gesetzlich beschränkt, endlich allgemeine Maximalbeträge der Kosten der gewöhnlichen und der Festtagsmahlzeit vorgeschrieben, zum Beispiel 593 (161) von 10 und 100 (17½ Groschen und 5½ Taler), 673 (81) von 30 und 300 Sesterzen (1 Taler, 22 Groschen und 17 Taler). Zur Steuer der Wahrheit muß leider hinzugefügt werden, daß von allen vornehmen Römern nicht mehr als drei, und zwar keineswegs die Gesetzgeber selber, diese staatlichen Gesetze befolgt haben sollen; auch diesen dreien aber beschnitt nicht das Gesetz des Staates den Küchenzettel, sondern das der Stoa. Es lohnt der Mühe, einen Augenblick noch bei dem trotz all dieser Gesetze steigenden Luxus im Silbergerät zu verweilen. Im sechsten Jahrhundert war silbernes Tafelgeschirr mit Ausnahme des althergebrachten silbernen Salzfasses eine Ausnahme; die karthagischen Gesandtschaften spotteten darüber, daß sie in jedem Hause, wo man sie eingeladen, dasselbe silberne Tafelgerät wiedergefunden hätten. Noch Scipio Aemilianus besaß nicht mehr als 32 Pfund (800 Taler) an verarbeitetem Silber; sein Neffe Quintus Fabius (Konsul 633 121) brachte es zuerst auf 1000 (25 000 Taler), Marcus Drusus (Volkstribun 633 121) schon auf 10000 Pfund (250000 Taler); in Sullas Zeit zählte man in der Hauptstadt bereits gegen 150 hundertpfündige silberne Prachtschüsseln, von denen manche ihren Besitzer auf die Proskriptionsliste brachte. Um die hierfür verschwendeten Summen zu ermessen, muß man sich erinnern, daß auch die Arbeit schon mit ungeheuren Preisen bezahlt ward, wie denn für ausgezeichnetes Silbergerät Gaius Gracchus den fünfzehn-, Lucius Crassus (Konsul 659 95) den achtzehnfachen Metallwert bezahlte, der letztere für ein Becherpaar eines namhaften Silberarbeiters 100 000 Sesterzen (7600 Taler) gab. So war es verhältnismäßig überall.

Wie es um Ehe und Kinderzeugung stand, zeigen schon die Gracchischen Ackergesetze, die zuerst darauf eine Prämie setzten. Die Scheidung, einst in Rom fast unerhört, war jetzt ein alltägliches Ereignis; wenn bei der ältesten römischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so hätte man den jetzigen vornehmen Römern vorschlagen mögen, um zu der Sache auch den Namen zu haben, eine Ehemiete einzuführen. Selbst ein Mann .wie Metellus Macedonicus, der durch seine ehrenwerte Häuslichkeit und seine zahlreiche Kinderschar die Bewunderung seiner Zeitgenossen war, schärfte als Zensor 623 (131) den Bürgern die Pflicht, im Ehestande zu leben, in der Art ein, daß er denselben bezeichnete als eine drückende, aber von den Patrioten pflichtmäßig zu übernehmende öffentliche Last.113

Allerdings gab es Ausnahmen. Die landstädtischen Kreise, namentlich die der größeren Gutsbesitzer, hatten die alte ehrenwerte latinische Nationalsitte treuer bewahrt. In der Hauptstadt aber war die catonische Opposition zur Phrase geworden; die moderne Richtung herrschte souverän und, wenn auch einzelne fest und fein organisierte Naturen, wie Scipio Aemilianus, römische Sitte mit attischer Bildung zu vereinigen wußten, war doch bei der großen Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit geistiger und sittlicher Verderbnis. Den Rückschlag dieser sozialen Übelstände auf die politischen Verhältnisse darf man niemals aus den Augen verlieren, wenn man die römische Revolution verstehen will. Es war nicht gleichgültig, daß von den beiden vornehmen Männern, die im Jahre 662 (92) als oberste Sittenmeister der Gemeinde fungierten, der eine dem andern öffentlich vorrückte, daß er einer Muräne, dem Stolz seines Fischteichs, bei ihrem Tode Tränen nachgeweint habe, und dieser wieder jenem, daß er drei Frauen begraben und um keine eine Träne geweint habe. Es war nicht gleichgültig, daß im Jahre 593 (161) auf offenem Markt ein Redner folgende Schilderung eines senatorischen Zivilgeschworenen zum besten geben konnte, den der angesetzte Termin in dem Kreise seiner Zechbrüder findet. „Sie spielen Hasard, fein parfümiert, die Mätressen um sie herum. Wie der Nachmittag herankommt, lassen sie den Bedienten kommen und heißen ihn auf der Dingstätte sich umhören, was auf dem Markt vorgefallen sei, wer für und wer gegen den neuen Gesetzvorschlag gesprochen, welche Distrikte dafür, welche dagegen gestimmt hätten. Endlich gehen sie selbst auf den Gerichtsplatz, eben früh genug, um sich den Prozeß nicht selbst auf den Hals zu ziehen. Unterwegs ist in keinem Winkelgäßchen eine Gelegenheit, die sie nicht benutzen, denn sie haben sich den Leib voll Wein geschlagen. Verdrossen kommen sie auf die Dingstätte und geben den Parteien das Wort. Die, die es angeht, tragen ihre Sache vor. Der Geschworene heißt die Zeugen auftreten; er selbst geht beiseite. Wie er zurückkommt, erklärt er alles gehört zu haben und fordert die Urkunden. Ersieht hinein in die Schriften; kaum hält er vor Wein die Augen auf. Wie er sich dann zurückzieht, das Urteil auszufüllen, läßt er zu seinen Zechbrüdern sich vernehmen: ‚Was gehen mich die langweiligen Leute an? Warum gehen wir nicht lieber einen Becher Süßen mit griechischem Wein trinken und essen dazu einen fetten Krammetsvogel und einen guten Fisch, einen veritablen Hecht von der Tiberinsel?'“ Die den Redner hörten, lachten; aber war es nicht auch sehr ernsthaft, daß dergleichen Dinge belacht wurden?

  1. Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave populi Romani (Lex repetund. v. 1), die offizielle Bezeichnung der nichtitalischen Untertanen und Klienten im Gegensatz der italischen „Eidgenossen und Stammverwandten“ (socii nominisve Latini).
  2. Dieser Steuerzehnte, den der Staat von dem Privatgrundeigentum erhebt, ist wohl zu unterscheiden von dem Eigentümerzehnten, den er auf das Dominalland legt. Jener ward in Sizilien verpachtet und stand ein für allemal fest; diesen, insonderheit den des Leontinischen Ackers, verpachteten die Zensoren in Rom und regulierten die zu entrichtende Ertragsquote und die sonstigen Bedingungen nach Ermessen (Cic. Verr. 3, 6, 13; 5, 21, 53; leg. 1, 2, 4; 2, 18, 48). Vgl. mein Römisches Staatsrecht, Bd. 3, S. 730.
  3. Das Verfahren war, wie es scheint, folgendes. Die römische Regierung bestimmte zunächst die Gattung und die Höhe der Abgabe: so zum Beispiel ward in Asien auch nach der Sullanisch-Caesarischen Ordnung die zehnte Garbe erhoben (App. civ. 5 4); so steuerten nach Caesars Verordnung die Juden jedes andere Jahr ein Viertel der Aussaat (Ios. ant. Iud. 4, 10, 6; vgl. 2, 5); so ward in Kilikien und Syrien später 5 vom Hundert des Vermögens (App. Syr. 50) und auch in Africa eine, wie es scheint, ähnliche Abgabe entrichtet, wobei übrigens das Vermögen nach gewissen Präsumtionen, z. B. nach der Größe des Bodenbesitzes, der Zahl der Türöffnungen, der Kopfzahl der Kinder und Sklaven abgeschätzt worden zu sein scheint (exactio capitum atque ostiorum, Cic. ad fam. 3, 8, 5, von Kilikien; φόρος επί τή γή καί τοίς σώμασιν , App. Pun. 135, für Africa). Nach dieser Norm wurde von den Gemeindebehörden unter Oberaufsicht des römischen Statthalters (Cic. ad Q. fr. 1, 1, 8; SC. de Asclep. 22, 23) festgestellt, wer steuerpflichtig und was von jedem einzelnen Steuerpflichtigen zu leisten sei (imperata επικεφάλια Cic. Att. 5, I6); wer dies nicht rechtzeitig entrichtete, dessen Steuerschuld ward ebenwie in Rom verkauft, d. h. einem Unternehmer mit einem Zuschlag zur Einziehung übertragen (venditio tributorum Cic. ad fam. 3, 8, 5; ωνάς omnium venditas, ders. Att. 5, 16). Der Ertrag dieser Steuern floß den Hauptgemeinden zu, wie zum Beispiel die Juden ihr Korn nach Sidon zu senden hatten, und aus deren Kassen wurde sodann der festgesetzte Geldbetrag nach Rom abgeführt. Auch diese Steuern also wurden mittelbar erhoben, und der Vermittler behielt je nach den Umständen, entweder einen Teil des Ertrags der Steuer für sich oder setzte aus eigenem Vermögen zu; der Unterschied dieser Erhebung von der anderen durch Publikanen lag lediglich darin, daß dort die Gemeindebehörde der Kontribuablen, hier römische Privatunternehmer den Vermittler machten.
  4. Beispielsweise entrichtete in Judäa die Stadt Joppe 26075 römische Scheffel Korn, die übrigen Juden die zehnte Garbe an den Volksfürsten; wozu dann noch der Tempelschoß und die für die Römer bestimmte sidonische Abgabe kamen. Auch in Sizilien ward neben dem römischen Zehnten eine sehr ansehnliche Gemeindeschatzung vom Vermögen erhoben.
  5. 3, 170. Damit mag auch die Bemerkung des nach Cato und vor Varro lebenden römischen Landwirts Saserna (bei Colum. 1, 1, 5) zusammenhängen, daß der Wein- und Ölbau sich beständig weiter nach Norden ziehe. Auch der Senatsbeschluß wegen Übersetzung der Magonischen Bücher gehört hierher.
  6. In dem Hause, das Sulla als junger Mann bewohnte, zahlte er für das Erdgeschoß 3000, der Mieter des obern Stockes 2000 Sesterzen Miete (Plut. Sull. 1), was zu 2/3 des gewöhnlichen Kapitalzinses kapitalisiert, ungefähr den obigen Betrag ergibt. Dies war eine wohlfeile Wohnung. Wenn ein hauptstädtischer Mietzins von 6000 Sesterzen (460 Taler) für das Jahr 629 (125) ein hoher genannt wird (Vell. 1, 10), so müssen dabei besondere Umstände obgewaltet haben.
  7. „Wenn wir könnten, ihr Bürger“, hieß es in seiner Rede, würden wir freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es so eingerichtet hat, daß weder mit den Frauen sich bequem, noch ohne die Frauen überhaupt sich leben läßt, so ziemt es sich auf dauernde Wohlfahrt mehr zu sehen als auf kurzes Wohlleben.“

12. Kapitel


12. Kapitel

Nationalität, Religion, Erziehung

In dem großen Kampfe der Nationalitäten innerhalb des weiten Umfangs des Römischen Reiches erscheinen die sekundären Nationen in dieser Zeit im Zurückweichen oder im Verschwinden. Die bedeutendste unter allen, die phönikische, empfing durch die Zerstörung Karthagos die Todeswunde, an der sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften Italiens, die ihre alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten, Etrurien und Samnium, wurden nicht bloß von den schwersten Schlägen der Sullanischen Reaktion getroffen, sondern die politische Nivellierung Italiens nötigte ihnen auch im öffentlichen Verkehr die lateinische Sprache und Weise auf und drückte die alten Landessprachen herab zu rasch verkümmernden Volksdialekten. Nirgendmehr erscheint im ganzen Umfange des römischen Staates eine Nationalität als befugt, mit der römischen und der griechischen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv wie intensiv die latinische Nationalität im entschiedensten Aufschwung. Wie seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstück jedem Italiker zu vollem römischen Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott römische Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der transpadanischen Landschaft seitdem das römische Recht mit Beseitigung aller anderen Stadt- und Landrechte ausschließlich gilt: so ist damals die römische Sprache auch die allgemeine Geschäfts- und bald gleichfalls die allgemeine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie beschränkte sich schon nicht mehr auf diese natürlichen Grenzen. Die in Italien zusammenströmende Kapitalmasse, der Reichtum seiner Produkte, die Intelligenz seiner Landwirte, die Gewandtheit seiner Kaufleute fand keinen hinreichenden Spielraum auf der Halbinsel; hierdurch und durch den öffentlichen Dienst wurden die Italiker massenweise in die Provinzen geführt. Ihre privilegierte Stellung daselbst privilegierte auch die römische Sprache und das römische Recht, selbst wo nicht bloß Römer miteinander verkehrten; überall standen die Italiker zusammen als festgeschlossene und organisierte Massen, die Soldaten in ihren Legionen, die Kaufleute jeder größeren Stadt als eigene Korporationen, die in dem einzelnen provinzialen Gerichtssprengel domizilierten oder verweilenden römischen Bürger als „Kreise“ (conventus civium Romanorum) mit ihrer eigenen Geschworenenliste und gewissermaßen mit Gemeindeverfassung; und wenn auch diese provinzialen Römer regelmäßig früher oder später nach Italien zurückgingen, so bildete sich dennoch allmählich aus ihnen der Stamm einer festen, teils römischen, teils an die römische sich anlehnenden Mischbevölkerung der Provinzen. Daß in Spanien, wo das römische Heer zuerst stehend ward, auch zuerst eigene Provinzialstädte italischer Verfassung, Carteia 583 (171), Valentia 616 (133), später Palma und Pollentia organisiert worden sind, ward bereits erwähnt. Wenn das Binnenland noch wenig zivilisiert war, das Gebiet der Vaccäer zum Beispiel noch lange nach dieser Zeit unter den rauhesten und widerwärtigsten Aufenthaltsorten für den gebildeten Italiker genannt wird, so bezeugen dagegen Schriftsteller und Inschriftsteine, daß schon um die Mitte des siebenten Jahrhunderts um Neukarthago und sonst an der Küste die lateinische Sprache in gemeinem Gebrauch war. In bewußter Weise entwickelte zuerst Gaius Gracchus den Gedanken, die Provinzen des römischen Staats durch die italische Emigration zu kolonisieren, das heißt zu romanisieren, und legte Hand an die Ausführung desselben; und obgleich die konservative Opposition gegen den kühnen Entwurf sich auflehnte, die gemachten Anfänge größtenteils zerstörte und die Fortführung hemmte, so blieb doch die Kolonie Narbo erhalten, schon an sich eine bedeutende Erweiterung des lateinischen Sprachgebiets und noch bei weitem wichtiger als der Merkstein eines großen Gedankens, der Grundstein eines gewaltigen künftigen Baues. Der antike Gallizismus, ja das heutige Franzosentum sind von dort ausgegangen und in ihrem letzten Grunde Schöpfungen des Gaius Gracchus. Aber die latinische Nationalität erfüllte nicht bloß die italischen Grenzen und fing an sie zu überschreiten, sondern sie gelangte auch in sich zu tieferer geistiger Begründung. Wir finden sie im Zuge, eine klassische Literatur, einen eigenen höheren Unterricht sich zu schaffen; und wenn man im Vergleich mit den hellenischen Klassikern und der hellenischen Bildung sich versucht fühlen kann, die schwächliche italische Treibhausproduktion gering zu achten, so kam es doch für die geschichtliche Entwicklung zunächst weit weniger darauf an, wie die lateinische klassische Literatur und die lateinische Bildung, als darauf, daß sie neben der griechischen stand; und herabgekommen wie die gleichzeitigen Hellenen auch literarisch waren, durfte man wohl das Wort des Dichters auch hier anwenden, daß der lebendige Tagelöhner mehr ist als der tote Achill.

Wie rasch und ungestüm aber die lateinische Sprache und Nationalität vorwärts dringt, sie erkennt zugleich die hellenische an als durchaus gleich, ja früher und besser berechtigt und tritt mit dieser überall in das engste Bündnis oder durchdringt sich mit ihr zu gemeinschaftlicher Entwicklung. Die italische Revolution, die sonst alle nichtlatinischen Nationalitäten auf der Halbinsel nivellierte, rührte nicht an die Griechenstädte Tarent, Rhegion, Neapolis, Lokri. Ebenso blieb Massalia, obwohl jetzt umschlossen von römischem Gebiet, fortwährend eine griechische Stadt und eben als solche fest verbunden mit Rom. Mit der vollständigen Latinisierung Italiens ging die steigende Hellenisierung Hand in Hand. In den höheren Schichten der italischen Gesellschaft wurde die griechische Bildung zum integrierenden Bestandteil der eigenen. Der Konsul des Jahres 623 (131), der Oberpontifex Publius Crassus, erregte des Staunen selbst der geborenen Griechen, da er als Statthalter von Asia seine gerichtlichen Entscheidungen, wie der Fall es erforderte, bald in gewöhnlichem Griechisch abgab, bald in einem der vier zu Schriftsprachen gewordenen Dialekte. Und wenn die italische Literatur und Kunst längst unverwandt nach Osten blickten, so begann jetzt auch die hellenische das Antlitz nach Westen zu wenden. Nicht bloß die griechischen Städte in Italien blieben fortwährend zu regem geistigen Verkehr mit Griechenland, Kleinasien, Ägypten und gönnten den dort gefeierten griechischen Poeten und Schauspielern auch bei sich den gleichen Verdienst und die gleichen Ehren; auch in Rom kamen, nach dem von dem Zerstörer Korinths bei seinem Triumph 608 (146) gegebenen Beispiel, die gymnastischen und musischen Spiele der Griechen: Wettkämpfe im Ringen sowie im Musizieren, Spielen, Rezitieren und Deklamieren in Aufnahme114. Die griechischen Literaten schlugen schon ihre Fäden bis in die vornehme römische Gesellschaft, vor allem in den Scipionischen Kreis, dessen hervorragende griechische Mitglieder, der Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panätios, bereits mehr der römischen als der griechischen Entwicklungsgeschichte angehören. Aber auch in anderen, minderhochstehenden Zirkeln begegnen ähnliche Beziehungen. Wir gedenken eines anderen Zeitgenossen Scipios, des Philosophen Kleitomachos, weil in seinem Leben zugleich die gewaltige Völkermischung dieser Zeit sinnlich vor das Auge tritt: ein geborener Karthager, sodann in Athen Zuhörer des Karneades und später dessen Nachfolger in seiner Professur, verkehrte er von Athen aus mit den gebildetsten Männern Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem Dichter Lucilius, und widmete teils dem römischen Konsul, der die Belagerung Karthagos eröffnete, Lucius Censorinus, ein wissenschaftliches Werk, teils seinen als Sklaven nach Italien geführten Mitbürgern eine philosophische Trostschrift. Hatten namhafte griechische Literaten bisher wohl vorübergehend als Gesandte, Verbannte oder sonstwie ihren Aufenthalt in Rom genommen, so fingen sie jetzt schon an, dort sich niederzulassen; wie zum Beispiel der schon genannte Panätios in Scipios Hause lebte, und der Hexametermacher Archias von Antiocheia im Jahre 652 (102) sich in Rom niederließ und von der Improvisierkunst und von Heldengedichten auf römische Konsulare sich anständig ernährte. Sogar Gaius Marius, der schwerlich von seinem Carmen eine Zeile verstand und überhaupt zum Mäzen möglichst übel sich schickte, konnte nicht umhin, den Verskünstler zu patronisieren. Während also das geistige und literarische Leben wenn nicht die reineren, doch die vornehmeren Elemente der beiden Nationen miteinander in Verbindung brachte, flossen andererseits durch das massenhafte Eindringen der kleinasiatischen und syrischen Sklavenscharen und durch die kaufmännische Einwanderung aus dem griechischen und halbgriechischen Osten die rohesten und stark mit orientalischen und überhaupt barbarischen Bestandteilen versetzten Schichten des Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und gaben auch diesem eine hellenische Färbung. Die Bemerkung Ciceros, daß neue Sprache und neue Weise zuerst in den Seestädten aufkommt, dürfte zunächst auf das halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium sich beziehen, wo mit der fremden Ware auch die fremde Sitte zuerst Eingang und von da aus weiteren Vertrieb fand.

Das unmittelbare Resultat dieser vollständigen Revolution in den Nationalitätsverhältnissen war allerdings nichts weniger als erfreulich. Italien wimmelte von Griechen, Syrern, Phönikern, Juden, Ägyptern, die Provinzen von Römern; die scharf ausgeprägten Volkstümlichkeiten rieben sich überall aneinander und verschliffen sich zusehends; es schien nichts übrigbleiben zu sollen als der allgemeine Charakter der Vernutzung. Was das lateinische Wesen an Ausdehnung gewann, verlor es an Frische; vor allem in Rom selbst, wo der Mittelstand am frühesten und vollständigsten verschwand und nichts übrig blieb als die großen Herren und die Bettler, beide in gleichem Maße Kosmopoliten. Cicero versichert, daß um 660 (190) die allgemeine Bildung in den launischen Städten höher gestanden habe als in Rom; dies bestätigt die Literatur dieser Zeit, deren erfreulichste, gesundeste und eigentümlichste Erzeugnisse, wie die nationale Komödie und die Lucilische Satire, mit größerem Recht latinisch heißen als römisch. Daß der italische Hellenismus der unteren Schichten in der Tat nichts war als ein zugleich mit allen Auswüchsen der Kultur und mit oberflächlich übertünchter Barbarei behafteter widerwärtiger Kosmopolitismus, versteht sich von selbst; aber auch für die bessere Gesellschaft blieb der feine Sinn des Scipionischen Kreises nicht auf die Dauer maßgebend. Je mehr die Masse der Gesellschaft anfing, sich für das griechische Wesen zu interessieren, desto entschiedener griff sie statt zu der klassischen Literatur vielmehr zu den modernsten und frivolsten Erzeugnissen des griechischen Geistes; statt im hellenischen Sinn das römische Wesen zu gestalten, begnügte man sich mit Entlehnung desjenigen Zeitvertreibs, der den eigenen Geist möglichst wenig in Tätigkeit setzte. In diesem Sinn äußerte der arpinatische Gutsbesitzer Marcus Cicero, der Vater des Redners, daß der Römer, wie der syrische Sklave, immer um so weniger tauge, je mehr er griechisch verstehe.

Diese nationale Dekomposition ist unerquicklich wie die ganze Zeit, aber auch wie diese bedeutsam und folgenreich. Der Völkerkreis, den wir die alte Welt zu nennen gewohnt sind, schreitet fort von der äußerlichen Einigung unter der Machtgewalt Roms zu der inneren unter der Herrschaft der modernen, wesentlich auf hellenischen Elementen ruhenden Bildung. Über den Trümmern der Völkerschaften zweiten Ranges vollzieht sich zwischen den beiden herrschenden Nationen stillschweigend der große geschichtliche Kompromiß; die griechische und die lateinische Nationalität schließen miteinander Frieden. Auf dem Gebiete der Bildung verzichten die Griechen, auf dem politischen die Römer auf ihre exklusive Sprachherrschaft; im Unterricht wird dem Latein eine freilich beschränkte und unvollständige Gleichstellung mit dem Griechischen eingeräumt; andererseits gestattet zuerst Sulla den fremden Gesandten, vor dem römischen Senat ohne Dolmetscher griechisch zu reden. Die Zeit kündigt sich an, wo das römische Gemeinwesen in einen zwiesprachigen Staat übergehen und der rechte Erbe des Thrones und der Gedanken Alexanders des Großen im Westen aufstehen wird, zugleich ein Römer und ein Grieche.

Was schon der Überblick der nationalen Verhältnisse also zeigt, die Unterdrückung der sekundären und die gegenseitige Durchdringung der beiden primären Nationalitäten, das ist im Gebiete der Religion, der Volkserziehung, der Literatur und der Kunst noch im einzelnen genauer darzulegen.

Die römische Religion war mit dem römischen Gemeinwesen und dem römischen Haushalt so innig verwachsen, so gar nichts anderes als die fromme Widerspiegelung der römischen Bürgerwelt, daß die politische und soziale Revolution notwendigerweise auch das Religionsgebäude über den Haufen warf. Der alte italische Volksglaube stürzt zusammen; über seinen Trümmern erheben sich, wie über den Trümmern des politischen Gemeinwesens Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen Seite der Unglaube, die Staatsreligion, der Hellenismus, auf der anderen der Aberglaube, das Sektenwesen, die Religion der Orientalen. Allerdings gehen die Anfänge von beiden, wie ja auch die Anfänge der politisch-sozialen Revolution, bereits in die vorige Epoche zurück. Schon damals rüttelte die hellenische Bildung der höheren Kreise im stillen an dem Glauben der Väter; schon Ennius bürgerte die Allegorisierung und Historisierung der hellenischen Religion in Italien ein; schon der Senat, der Hannibal bezwang, mußte die Übersiedlung des kleinasiatischen Kybelekults nach Rom gutheißen und gegen anderen noch schlimmeren Aberglauben, namentlich das bakchische Muckertum, aufs ernstlichste einschreiten. Indes wie überhaupt in der vorhergehenden Periode die Revolution mehr in den Gemütern sich vorbereitete als äußerlich sich vollzog, so ist auch die religiöse Umwälzung im wesentlichen dort erst das Werk der gracchischen und sullanischen Zeit.

Versuchen wir zunächst die an den Hellenismus sich anlehnende Richtung zu verfolgen. Die hellenische Nation, weit früher als die italische erblüht und abgeblüht, hatte längst die Epoche des Glaubens durchmessen und seitdem sich ausschließlich bewegt auf dem Gebiet der Spekulation und Reflexion; seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur noch Philosophie. Aber auch die philosophische Tätigkeit des hellenischen Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die Epoche der produktiven Spekulation bereits weit hinter sich und war in dem Stadium angekommen, wo nicht bloß keine wahrhaft neuen Systeme mehr entstehen, sondern wo auch die Fassungskraft für die vollkommensten der älteren zu schwinden beginnt und man auf die schulmäßige und bald scholastische Überlieferung der unvollkommneren Philosopheme der Vorfahren sich beschränkt; in dem Stadium also, wo die Philosophie, statt den Geist zu vertiefen und zu befreien, vielmehr ihn verflacht und ihn in die schlimmsten aller Fesseln, die selbstgeschmiedeten, schlägt. Der Zaubertrank der Spekulation, immer gefährlich, ist, verdünnt und abgestanden, sicheres Gift. So schal und verwässert reichten die gleichzeitigen Griechen ihn den Römern, und diese verstanden weder ihn zurückzuweisen noch von den lebenden Schulmeistern auf die toten Meister zurückzugehen. Platon und Aristoteles, um von den vorsokratischen Weisen zu schweigen, sind ohne wesentlichen Einfluß auf die römische Bildung geblieben, wenngleich die erlauchten Namen gern genannt, ihre faßlicheren Schriften auch wohl gelesen und übersetzt wurden. So wurden denn die Römer in der Philosophie nichts als schlechter Lehrer schlechtere Schüler. Außer der historisch-rationalistischen Auffassung der Religion, welche die Mythen auflöste in Lebensbeschreibungen verschiedener in grauer Vorzeit lebender Wohltäter des Menschengeschlechtes, aus denen der Aberglaube Götter gemacht habe, oder dem sogenannten Euhemerismus, sind hauptsächlich drei Philosophenschulen für Italien von Bedeutung geworden: die beiden dogmatischen des Epikuros († 484 270) und des Zenon († 491 263) und die skeptische des Arkesilas († 513 241) und Karneades (541-625 231-129) oder mit den Schulnamen der Epikureismus, die Stoa und die Neuere Akademie. Die letzte dieser Richtungen, welche von der Unmöglichkeit des überzeugten Wissens ausging und an dessen Stelle nur ein für das praktische Bedürfnis ausreichendes vorläufiges Meinen als möglich zugab, bewegte sich hauptsächlich polemisch, indem sie jeden Satz des positiven Glaubens wie des philosophischen Dogmatismus in den Schlingen ihrer Dilemmen fing. Sie steht insofern ungefähr auf einer Linie mit der älteren Sophistik, nur daß begreiflicherweise die Sophisten mehr gegen den Volksglauben, Karneades und die Seinen mehr gegen ihre philosophischen Kollegen ankämpften. Dagegen trafen Epikuros und Zenon überein sowohl in dem Ziel einer rationellen Erklärung des Wesens der Dinge als auch in der physiologischen, von dem Begriff der Materie ausgehenden Methode. Auseinander gingen sie, insofern Epikuros, der Atomenlehre Demokrits folgend, das Urwesen als starre Materie faßt und diese nur durch mechanische Verschiedenheiten in die Mannigfaltigkeit der Dinge überführt, Zenon dagegen, sich anlehnend an den Ephesier Herakleitos, schon in den Urstoff eine dynamische Gegensätzlichkeit und eine auf- und niederwogende Bewegung hineinlegt; woraus denn die weiteren Unterschiede sich ableiten: daß im epikureischen System die Götter gleichsam nicht vorhanden und höchstens der Traum der Träume sind, die stoischen Götter die ewig rege Seele der Welt und als Geist, als Sonne, als Gott mächtig über den Körper, die Erde, die Natur; daß Epikuros nicht, wohl aber Zenon eine Weltregierung und eine persönliche Unsterblichkeit der Seele anerkennt; daß das Ziel des menschlichen Strebens nach Epikuros ist das unbedingte, weder von körperlichem Begehren noch von geistigem Streiten aufgeregte Gleichgewicht, dagegen nach Zenon die durch das stetige Gegeneinanderstreben des Geistes und Körpers immer gesteigerte und zu dem Einklang mit der ewig streitenden und ewig friedlichen Natur aufstrebende menschliche Tätigkeit. In einem Punkte aber stimmten der Religion gegenüber alle diese Schulen zusammen: daß der Glaube als solcher nichts sei und notwendig ersetzt werden müsse durch die Reflexion, mochte diese übrigens mit Bewußtsein darauf verzichten, zu einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie, oder die Vorstellungen des Volksglaubens verwerfen, wie die Schule Epikurs, oder dieselben teils motiviert festhalten, teils modifizieren, wie die Stoiker taten.

Es war danach nur folgerichtig, daß die erste Berührung der hellenischen Philosophie mit der römischen, ebenso glaubensfesten als antispekulativen Nation durchaus feindlicher Art war. Die römische Religion hatte vollkommen recht, von diesen philosophischen Systemen sowohl die Befehdung wie die Begründung sich zu verbitten, die beide ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der römische Staat, der in der Religion instinktmäßig sich selber angegriffen fühlte, verhielt sich billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die Eclaireurs der anrückenden Belagerungsarmee und wies schon 593 (161) mit den Rhetoren auch die griechischen Philosophen aus Rom aus. In der Tat war auch gleich das erste größere Debüt der Philosophie in Rom eine förmliche Kriegserklärung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlaßt durch die Okkupation von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung vor dem Senat diese drei der angesehensten Professoren der Philosophie, darunter den Meister der modernen Sophistik, Karneades, beauftragten (599 155). Die Wahl war insofern zweckmäßig, als der ganz schandbare Handel jeder Rechtfertigung im gewöhnlichen Verstand spottete; dagegen paßte es vollkommen für den Fall, wenn Karneades durch Rede und Gegenrede bewies, daß sich gerade ebenso viele und ebenso nachdrückliche Gründe zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen ließen wie zum Lobe der Gerechtigkeit, und wenn er in bester logischer Form dartat, daß man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen könne, Oropos herauszugeben und von den Römern, sich wieder zu beschränken auf ihre alten Strohhütten am Palatin. Die der griechischen Sprache mächtige Jugend ward durch den Skandal wie durch den raschen und emphatischen Vortrag des gefeierten Mannes scharenweise herbeigezogen; aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht unrecht geben, wenn er nicht bloß die dialektischen Gedankenreihen der Philosophen unhöflich genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern auch im Senat darauf drang, einen Menschen auszuweisen, der die Kunst verstand, Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu machen, und dessen Verteidigung in der Tat nichts war als ein schamloses und fast höhnisches Eingeständnis des Unrechts. Indes dergleichen Ausweisungen reichten nicht weit, um so weniger, da es doch der römischen Jugend nicht verwehrt werden konnte, in Rhodos oder Athen philosophische Vorträge zu hören. Man gewöhnte sich, die Philosophie zuerst wenigstens als notwendiges Übel zu dulden, bald auch für die in ihrer Naivität nicht mehr haltbare römische Religion in der fremden Weisheitslehre eine Stütze zu suchen, die als Glauben zwar sie ruinierte, aber dafür doch dem gebildeten Mann gestattete, die Namen und Formen des Volksglaubens anständigerweise einigermaßen festzuhalten. Indes diese Stütze konnte weder der Euhemerismus sein noch das System des Karneades oder des Epikuros. Die Mythenhistorisierung trat dem Volksglauben allzu schroff entgegen, indem sie die Götter geradezu für Menschen erklärte; Karneades zog gar ihre Existenz in Zweifel, und Epikuros sprach ihnen wenigstens jeden Einfluß auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen diesen Systemen und der römischen Religion war ein Bündnis unmöglich; sie waren und blieben verfemt. Noch in Ciceros Schriften wird es für Bürgerpflicht erklärt, dem Euhemerismus Widerstand zu leisten, der dem Gottesdienst zu nahe trete; und von den in seinen Gesprächen auftretenden Akademikern und Epikureern muß jener sich entschuldigen, daß er als Philosoph zwar ein Jünger des Karneades, aber als Bürger und Pontifex ein rechtgläubiger Bekenner des Kapitolinischen Jupiter sei, der Epikureer sogar schließlich sich gefangen geben und sich bekehren. Keines dieser drei Systeme ward eigentlich populär. Die platte Begreiflichkeit des Euhemerismus hat wohl eine gewisse Anziehungskraft auf die Römer geübt, namentlich auf die konventionelle Geschichte Roms nur zu tief eingewirkt mit ihrer zugleich kindischen und altersschwachen Historisierung der Fabel; auf die römische Religion aber blieb er deshalb ohne wesentlichen Einfluß, weil diese von Haus aus nur allegorisierte, nicht fabulierte und es dort nicht wie in Hellas möglich war, Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo, wie in Athen, die geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und überdies die langen Reihen gekommener und gegangener philosophischer Systeme hohe Schuttlagen geistiger Brandstätten aufgeschichtet hatten. Gegen den Epikurischen Quietismus endlich lehnte alles sich auf, was in dem römischen, so durchaus auf Tätigkeit gerichteten Wesen tüchtig und brav war. Dennoch fand er mehr sein Publikum als der Euhemerismus und die Sophistik, und es ist wahrscheinlich dies die Ursache, weshalb die Polizei fortgefahren hat, ihm am längsten und ernstlichsten den Krieg zu machen. Indes dieser römische Epikureismus war nicht so sehr ein philosophisches System als eine Art philosophischen Dominos, unter dem – sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Urhebers – der gedankenlose Sinnesgenuß für die gute Gesellschaft sich maskierte; wie denn einer der frühesten Bekenner dieser Sekte, Titus Albucius, in Lucilius‘ Gedichten figuriert als der Prototyp des übel hellenisierenden Römers.

Gar anders stand und wirkte in Italien die stoische Philosophie. Im geraden Gegensatz gegen jene Richtungen schloß sie an die Landesreligion so eng sich an, wie das Wissen sich dem Glauben zu akkommodieren überhaupt nur vermag. An dem Volksglauben mit seinen Göttern und Orakeln hielt der Stoiker insofern grundsätzlich fest, als er darin eine instinktive Erkenntnis sah, auf welche die wissenschaftliche Rücksicht zu nehmen, ja in zweifelhaften Fällen sich ihr unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk als eigentlich anderes: der wesentlich wahre und höchste Gott zwar war ihm die Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes war wiederum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als Heros ehrte, ja überhaupt jeder abgeschiedene Geist eines gewordenen Menschen. Diese Philosophie paßte in der Tat besser nach Rom als in die eigene Heimat. Der Tadel des frommen Gläubigen, daß der Gott des Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Körperlichkeit habe und aus einer Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland einen Sinn, nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisierung und sittliche Purifizierung, wie sie der stoischen Götterlehre eigen war, verdarb den besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer naiven Zeit dürftige plastische Kraft der Römer hatte nicht mehr erzeugt als eine leichte, ohne sonderlichen Schaden abzustreifende Umhüllung der ursprünglichen Anschauung oder des ursprünglichen Begriffes, woraus die Gottheit hervorgegangen war. Pallas Athene mochte zürnen, wenn sie sich plötzlich in den Begriff des Gedächtnisses verwandelt fand; Minerva war auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die supranaturalische stoische und die allegorische römische Theologie fielen in ihrem Ergebnis im ganzen zusammen. Selbst aber wenn der Philosoph einzelne Sätze der Priesterlehre als zweifelhaft oder als falsch bezeichnen mußte, wie denn zum Beispiel die Stoiker, die Vergötterungslehre verwerfend, in Hercules, Kastor, Pollux nichts als die Geister ausgezeichneter Menschen sahen, und ebenso das Götterbild nicht als Repräsentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war es wenigstens nicht die Art der Anhänger Zenons, gegen diese Irrlehren anzukämpfen und die falschen Götter zu stürzen; vielmehr bewiesen sie überall der Landesreligion Rücksicht und Ehrfurcht, auch in ihren Schwächen. Auch die Richtung der Stoa auf eine kasuistische Moral und auf die rationelle Behandlung der Fachwissenschaften war ganz im Sinne der Römer, zumal der Römer dieser Zeit, welche nicht mehr wie die Väter in unbefangener Weise Zucht und gute Sitte übten, sondern deren naive Sittlichkeit auflösten in einen Katechismus erlaubter und unerlaubter Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz überdies dringend eine methodische Behandlung erheischten, ohne jedoch die Fähigkeit zu besitzen, diese aus sich selber zu entwickeln. So inkorporierte diese Philosophie als ein zwar dem Ausland entlehntes, aber auf italischem Boden akklimatisiertes Gewächs sich durchaus dem römischen Volkshaushalt, und wir begegnen ihren Spuren auf den verschiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfänge reichen ohne Zweifel weiter zurück; aber zur vollen Geltung in den höheren Schichten der römischen Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den Kreis, der sich um Scipio Aemilianus gruppierte. Panätios von Rhodos, der Lehrmeister Scipios und aller ihm nahestehender Männer in der stoischen Philosophie und beständig in seinem Gefolge, sogar auf Reisen sein gewöhnlicher Begleiter, verstand es, das System geistreichen Männern nahe zu bringen, dessen spekulative Seite zurücktreten zu lassen und die Dürre der Terminologie, die Flachheit des Moralkatechismus einigermaßen zu mildern, namentlich auch durch Herbeiziehung der älteren Philosophen, unter denen Scipio selbst den Xenophonteischen Sokrates vorzugsweise liebte. Seitdem bekannten zur Stoa sich die namhaftesten Staatsmänner und Gelehrten, unter anderen die Begründer der wissenschaftlichen Philologie und der wissenschaftlichen Jurisprudenz, Stilo und Quintus Scaevola. Der schulmäßige Schematismus, der in diesen Fachwissenschaften seitdem wenigstens äußerlich herrscht und namentlich anknüpft an eine wunderliche, scharadenhaft geistlose Etymologisiermethode, stammt aus der Stoa. Aber unendlich wichtiger ist die aus der Verschmelzung der stoischen Philosophie und der römischen Religion hervorgehende neue Staatsphilosophie und Staatsreligion. Das spekulative Element, von Haus aus in dem Zenonischen System wenig energisch ausgeprägt und schon weiter abgeschwächt, als dasselbe in Rom Eingang fand, nachdem bereits ein Jahrhundert hindurch die griechischen Schulmeister sich beflissen hatten, diese Philosophie in die Knabenköpfe hinein und damit den Geist aus ihr hinauszutreiben, trat völlig zurück in Rom, wo niemand spekulierte als der Wechsler; es war wenig mehr die Rede von der idealen Entwicklung des in der Seele des Menschen waltenden Gottes oder göttlichen Weltgesetzes. Die stoischen Philosophen zeigten sich nicht unempfänglich für die recht einträgliche Auszeichnung, ihr System zur halboffiziellen römischen Staatsphilosophie erhoben zu sehen, und erwiesen sich überhaupt geschmeidiger, als man es nach ihren rigorosen Prinzipien hätte erwarten sollen. Ihre Lehre von den Göttern und vom Staat zeigte bald eine seltsame Familienähnlichkeit mit den realen Institutionen ihrer Brotherren; statt über den kosmopolitischen Philosophenstaat stellten sie Betrachtungen an über die weise Ordnung des römischen Beamtenwesens; und wenn die feineren Stoiker, wie Panätios, die göttliche Offenbarung durch Wunder und Zeichen als denkbar, aber ungewiß dahingestellt, die Sterndeuterei nun gar entschieden verworfen hatten, so verfochten schon seine nächsten Nachfolger jene Offenbarungslehre, das heißt die römische Auguraldisziplin, so steif und fest wie jeden anderen Schulsatz und machten sogar der Astrologie höchst unphilosophische Zugeständnisse. Das Hauptstück des Systems ward immer mehr die kasuistische Pflichtenlehre. Sie kam dem hohlen Tugendstolz entgegen, bei welchem die Römer dieser Zeit in der vielfach demütigenden Berührung mit den Griechen Entschädigung suchten, und formulierte den angemessenen Dogmatismus der Sittlichkeit, der, wie jede wohlerzogene Moral, mit herzerstarrender Rigorosität im ganzen die höflichste Nachsicht im einzelnen verbindet115. Ihre praktischen Resultate werden kaum viel höher anzuschlagen sein als daß, wie gesagt, in zwei oder drei vornehmen Häusern der Stoa zuliebe schlecht gegessen ward.

Dieser neuen Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere Seite ist die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das bewußte Festhalten der als irrationell erkannten Sätze des Volksglaubens aus äußeren Zweckmäßigkeitsgründen ist. Schon einer der hervorragendsten Männer des Scipionischen Kreises, der Grieche Polybios, spricht es unverhohlen aus, daß das wunderliche und schwerfällige römische Religionszeremoniell einzig der Menge wegen erfunden sei, die, da die Vernunft nichts über sie vermöge, mit Zeichen und Wundern beherrscht werden müsse, während verständige Leute allerdings der Religion nicht bedürften. Ohne Zweifel teilten Polybios‘ römische Freunde im wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie auch nicht in so kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion sich entgegensetzten. Weder Laelius noch Scipio Aemilianus können in der Auguraldisziplin, an die auch Polybios zunächst denkt, etwas anderes gesehen haben als eine politische Institution; doch war der Nationalsinn in ihnen zu mächtig und das Anstandsgefühl zu fein, als daß sie mit solchen bedenklichen Erörterungen öffentlich hätten auftreten mögen. Aber schon in der folgenden Generation trug der Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95; 3, 221; 336) wenigstens in seiner mündlichen Rechtsunterweisung unbedenklich die Sätze vor, daß es eine zweifache Religion gebe, eine verstandesmäßige philosophische und eine nichtverstandesmäßige traditionelle, daß jene sich nicht eigne zur Staatsreligion, da sie mancherlei enthalte, was dem Volk zu wissen unnütz oder sogar schädlich sei, daß demnach die überlieferte Staatsreligion bleiben müsse, wie sie sei. Nur eine weitere Entwicklung desselben Grundgedankens ist die Varronische Theologie, in der die römische Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der Staat, wird hier gelehrt, sei älter als die Götter des Staats, wie der Maler älter als das Gemälde; wenn es sich darum handelte, die Götter neu zu machen, würde man allerdings wohltun, sie zweckdienlicher und den Teilen der Weltseele prinzipmäßig entsprechender zu machen und zu benennen, auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Götterbilder116 und das verkehrte Opferwesen zu beseitigen; allein da diese Einrichtungen einmal beständen, so müsse jeder gute Bürger sie kennen und befolgen und dazu tun, daß der „gemeine Mann“ die Götter vielmehr höher achten als geringschätzen lerne. Daß der gemeine Mann, zu dessen Besten die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben jetzt verschmähte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von selbst und wird weiterhin sich zeigen. So war denn die römische Hochkirche fertig, eine scheinheilige Priester- und Levitenschaft und eine glaubenslose Gemeinde. Je unverhohlener man die Landesreligion für eine politische Institution erklärte, desto entschiedener betrachteten die politischen Parteien das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz für Angriff und Verteidigung; was namentlich in immer steigendem Maße der Fall war mit der Auguralwissenschaft und mit den Wahlen zu den Priesterkollegien. Die alte und natürliche Übung, die Bürgerversammlung zu entlassen, wenn ein Gewitter heraufzog, hatte unter den Händen der römischen Augurn sich zu einem weitläufigen System verschiedener Himmelszeichen und daran sich knüpfender Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten Dezennien dieser Epoche ward sogar durch das Älische und das Fufische Gesetz geradezu verordnet, daß jede Volksversammlung auseinanderzugehen genötigt sei, wenn es einem höheren Beamten einfalle, nach Gewitterzeichen am Himmel zu schauen; und die römische Oligarchie war stolz auf den schlauen Gedanken, fortan durch eine einzige fromme Lüge jedem Volksbeschluß den Stempel der Nichtigkeit aufdrücken zu können. Umgekehrt lehnte die römische Opposition sich auf gegen die alte Übung, daß die vier höchsten Priesterkollegien bei entstehenden Vakanzen sich selber ergänzten, und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf die Stellen selbst, wie sie für die Vorstandschaften dieser Kollegien schon früher eingeführt war. Es widersprach dies allerdings dem Geiste dieser Körperschaften, aber dieselben hatten kein Recht, darüber sich zu beklagen, nachdem sie ihrem Geiste selbst untreu geworden waren und zum Beispiel der Regierung mit religiösen Kassationsgründen politischer Akte auf Verlangen an die Hand gingen. Diese Angelegenheit ward ein Zankapfel der Parteien. Den ersten Sturm im Jahre 609 (145) schlug der Senat ab, wobei namentlich der Scipionische Kreis für die Verwerfung des Antrags den Ausschlag gab. Aber im Jahre 650 (104) ging sodann der Vorschlag durch mit der früher schon bei der Wahl der Vorstände gemachten Beschränkungen zum Besten bedenklicher Gewissen, daß nicht die ganze Bürgerschaft, sondern nur der kleinere Teil der Bezirke zu wählen habe. Dagegen stellte Sulla das Kooptationsrecht in vollem Umfang wieder her. Mit dieser Fürsorge der Konservativen für die reine Landesreligion vertrug es natürlich sich aufs beste, daß eben in den vornehmsten Kreisen mit derselben offen Spott getrieben ward. Die praktische Seite des römischen Priestertums war die priesterliche Küche; die Augural- und Pontifikalschmäuse waren gleichsam die offiziellen Silberblicke eines römischen Feinschmeckerlebens und manche derselben machten Epoche in der Geschichte der Gastronomie, wie zum Beispiel die Antrittsmahlzeit des Augurs Quintus Hortensius die Pfauenbraten aufgebracht hat. Sehr brauchbar ward auch die Religion befunden, um den Skandal pikanter zu machen. Es war ein Lieblingsvergnügen vornehmer junger Herren, zur Nachtzeit auf den Straßen die Götterbilder zu schänden oder zu verstümmeln. Gewöhnliche Liebeshändel waren längst gemein und Verhältnisse mit Ehefrauen fingen an es zu werden; aber ein Verhältnis zu einer Vestalin war so pikant wie in der Welt des Decamerone die Nonnenliebschaft und das Klosterabenteuer. Bekannt ist der arge Handel des Jahres 640 (114), in welchem drei Vestalinnen, Töchter der vornehmsten Familien, und deren Liebhaber, junge Männer gleichfalls aus den besten Häusern, zuerst vor dem Pontifikalkollegium und, da dies die Sache zu vertuschen suchte, vor einem durch eigenen Volksschluß eingesetzten außerordentlichen Gericht wegen Unzucht zur Verantwortung gezogen und sämtlich zum Tode verurteilt wurden. Solchen Skandal nun konnten freilich gesetzte Leute nicht billigen; aber dagegen war nichts einzuwenden, daß man die positive Religion im vertrauten Kreise albern fand: die Augurn konnten, wenn einer den andern fungieren sah, sich einander ins Gesicht lachen, unbeschadet ihrer religiösen Pflichten. Man gewinnt die bescheidene Heuchelei verwandter Richtungen ordentlich lieb, wenn man die krasse Unverschämtheit der römischen Priester und Leviten damit vergleicht. Ganz unbefangen ward die offizielle Religion behandelt als ein hohles, nur für die politischen Maschinisten noch brauchbares Gerüste; in dieser Eigenschaft konnte es mit seinen zahllosen Winkeln und Falltüren, wie es fiel, jeder Partei dienen und hat einer jeden gedient. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr Palladium in der Staatsreligion, vornehmlich in der Auguraldisziplin; aber auch die Gegenpartei machte keine prinzipielle Opposition gegen ein Institut, das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern betrachtete dasselbe im ganzen als eine Schanze, die aus dem Besitz des Feindes in den eigenen übergehen könne.

Im scharfen Gegensatz gegen dies eben geschilderte Religionsgespenst stehen die verschiedenen fremden Kulte, welche diese Epoche hegte und pflegte und denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht abgesprochen werden kann. Sie begegnen überall, bei den vornehmen Damen und Herren wie in den Sklavenkreisen, bei dem General wie bei dem Lanzknecht, in Italien wie in den Provinzen. Es ist unglaublich, wie hoch hinauf dieser Aberglaube bereits reicht. Als im Kimbrischen Krieg eine syrische Prophetin Martha sich erbot, die Wege und Mittel zur Überwindung der Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser zwar sie mit Verachtung zurück; aber die römischen Damen und namentlich Marius‘ eigene Gemahlin expedierten sie dennoch nach dem Hauptquartier, wo der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumführte, bis die Teutonen geschlagen waren. Die Führer der verschiedensten Parteien im Bürgerkrieg, Marias, Octavius, Sulla, trafen zusammen in dem Glauben an Zeichen und Orakel. Selbst der Senat maßte während desselben in den Wirren des Jahres 667 (87) sich dazu verstehen, den Faseleien einer verrückten Prophetin gemäß Anordnungen zu treffen. Für das Erstarren der römisch-hellenischen Religion, wie für das im Steigen begriffene Bedürfnis der Menge nach stärkeren religiösen Stimulantien ist es bezeichnend, daß der Aberglaube nicht mehr, wie in den Bakchenmysterien, anknüpft an die nationale Religion; selbst die etruskische Mystik ist bereits überflügelt; durchaus in erster Linie erscheinen die in den heißen Landschaften des Orients gezeitigten Kulte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte Eindringen kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevölkerung, teils durch die Sklaveneinfuhr, teils durch den gesteigerten Verkehr Italiens mit dem Osten. Die Macht dieser fremdländischen Religion tritt sehr scharf hervor in den Aufständen der sizilischen, größtenteils aus Syrien herstammenden Sklaven. Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen; die von den Sklaven in diesen Kriegen geschleuderten Bleikugeln tragen großenteils Götternamen, neben Zeus und Artetuis besonders den der geheimnisvollen von Kreta nach Sizilien gewanderten und daselbst eifrig verehrten Mütter. Ähnlich wirkte der Handelsverkehr, namentlich seitdem die Waren von Berytos und Alexandreia direkt nach den italischen Häfen gingen: Ostia und Puteoli wurden die großen Stapelplätze wie für die syrischen Salben und die ägyptische Leinwand so auch für den Glauben des Ostens. Überall ist mit der Völker- auch die Religionsmengung beständig im Steigen. Von allen erlaubten Kulten war der populärste der der pessinuntischen Göttermutter, der mit seinem Eunuchenzölibat, mit den Schmäusen, der Musik, den Bettelprozessionen und dem ganzen sinnlichen Gepränge der Menge imponierte; die Hauskollekten wurden bereits als eine ökonomische Last empfunden. In der gefährlichsten Zeit des Kimbrischen Krieges erschien der Hohepriester Battakes von Pessinus in eigener Person in Rom, um die Interessen des dortigen, angeblich entweihten Tempels seiner Göttin zu vertreten, redete im besonderen Auftrag der Göttermutter zum römischen Volk und tat auch verschiedene Wunder. Die verständigen Leute ärgerten sich, aber die Weiber und die große Menge ließen es sich nicht nehmen, dem Propheten beim Abzug in hellen Haufen das Geleit zu geben. Gelübde, nach dem Osten zu wallfahrten, waren bereits nichts Seltenes mehr, wie denn selbst Marius also seine Pilgerfahrt nach Pessinus unternahm; ja es gaben schon (zuerst 653 101) römische Bürger sich zu dem Eunuchenpriestertum her. Aber weit populärer noch waren natürlich die unerlaubten und Geheimkulte. Schon zu Catos Zeit hatte der chaldäische Horoskopensteller angefangen, dem etruskischen Eingeweide-, dem marsischen Vogelschauer Konkurrenz zu machen; bald war die Sternguckerei und Sterndeuterei in Italien ebenso zu Hause wie in ihrem traumseligen Heimatland. Schon 615 (139) wies der römische Fremdenprätor die sämtlichen „Chaldäer“ an, binnen zehn Tagen Rom und Italien zu räumen. Dasselbe Schicksal traf gleichzeitig die Juden, welche zu ihrem Sabbat italische Proselyten zugelassen hatten. Ebenso hatte Scipio das Lager von Numantia von Wahrsagern und frommen Industrierittern jeder Art zu reinigen. Einige Jahrzehnte später (657 97) sah man sogar sich genötigt, die Menschenopfer zu verbieten. Der wilde Kult der kappadokischen Ma oder, wie die Römer sie nannten, der Bellona, welcher bei den festlichen Aufzügen die Priester das eigene Blut zum Opfer verspritzten, und die düstere ägyptische Götterverehrung beginnen sich zu melden; schon Sulla erschien jene Kappadokierin im Traume, und von den späteren römischen Isis- und Osirisgemeinden führten die ältesten ihre Entstehung bis in die sullanische Zeit zurück. Man war irre geworden, nicht bloß an dem alten Glauben, sondern auch an sich selbst; die entsetzlichsten Krisen einer fünfzigjährigen Revolution, das instinktmäßige Gefühl, daß der Bürgerkrieg noch keineswegs am Ende sei, steigerten die angstvolle Spannung, die trübe Beklommenheit der Menge. Unruhig erklomm der irrende Gedanke jede Höhe und versenkte sich in jeden Abgrund, wo er neue Aus- und Einsichten in die drohenden Verhängnisse, neue Hoffnungen in dem verzweifelten Kampfe gegen das Geschick oder vielleicht auch nur neue Angst zu finden wähnte. Der ungeheuerliche Mystizismus fand in der allgemeinen politischen, ökonomischen, sittlichen, religiösen Zerfahrenheit den ihm genehmen Boden und gedieh mit erschreckender Schnelle: es war, als wären Riesenbäume über Nacht aus der Erde gewachsen, niemand wußte woher und wozu, und ebendieses wunderbar rasche Emporkommen wirkte neue Wunder und ergriff epidemisch alle nicht ganz befestigten Gemüter.

In ähnlicher Weise wie auf dem religiösen Gebiet vollendete sich die in der vorigen Epoche begonnene Revolution auf dem der Erziehung und Bildung. Wie der Grundgedanke des römischen Wesens, die bürgerliche Gleichheit, bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts auch auf diesem Gebiet ins Schwanken gekommen war, ist früher dargestellt worden. Schon zu Pictors und Catos Zeit war die griechische Bildung in Rom weit verbreitet und gab es eine eigene römische Bildung; allein man war doch mit beiden nicht über die Anfänge hinausgelangt. Was man unter römisch-griechischer Musterbildung in dieser Zeit ungefähr verstand, zeigt Catos ‚Encyklopädie‘; es ist wenig mehr als die Formulierung des alten römischen Hausvatertums und wahrlich, mit der damaligen hellenischen Bildung verglichen, dürftig genug. Auf wie niedriger Stufe noch im Anfang des siebenten Jahrhunderts der Jugendunterricht in Rom durchgängig stand, läßt aus den Äußerungen bei Polybios sich abnehmen, welcher in dieser einen Hinsicht gegenüber der verständigen privaten und öffentlichen Fürsorge seiner Landsleute die sträfliche Gleichgültigkeit der Römer tadelnd hervorhebt – in den dieser Gleichgültigkeit zu Grunde liegenden tieferen Gedanken der bürgerlichen Gleichheit hat kein Hellene, auch Polybios nicht sich zu finden vermocht.

Jetzt ward dies anders. Wie zu dem naiven Volksglauben der aufgeklärte stoische Supranaturalismus hinzutrat, so formulierte auch in der Erziehung neben dem einfachen Volksunterricht sich eine besondere Bildung, eine exklusive Humanitas und vertilgte die letzten Überreste der alten geselligen Gleichheit. Es wird nicht überflüssig sein, auf die Gestaltung des neuen Jugendunterrichts, sowohl des griechischen wie des höheren lateinischen, einen Blick zu werfen.

Es ist eine wundersame Fügung, daß derselbe Mann, der politisch die hellenische Nation definitiv überwand, Lucius Aemilius Paullus, zugleich zuerst oder als einer der ersten die hellenische Zivilisation vollständig anerkannte als das, was sie seitdem unwidersprochen geblieben ist, die Zivilisation der antiken Welt. Er selber zwar war ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde, die Homerischen Lieder im Sinn, hinzutreten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung genug, um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schönheit und die unbezwingliche Sehnsucht nach den goldenen Äpfeln der Hesperiden in seiner Seele heimzubringen; Dichter und Künstler hatten an dem fremden Mann einen ernsteren und innigeren Gläubigen gefunden, als irgendeiner war von den klugen Leuten des damaligen Griechenland. Er machte kein Epigramm auf Homeros oder Pheidias, aber er ließ seine Kinder einführen in die Reiche des Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu vernachlässigen, soweit es eine solche gab, sorgte er wie die Griechen für die physische Entwicklung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach römischen Begriffen unzulässigen Turnübungen, aber durch Unterweisung in der bei den Griechen fast kunstmäßig entwickelten Jagd, und steigerte den griechischen Unterricht in der Art, daß nicht mehr bloß die Sprache um des Sprechens willen gelernt und geübt, sondern nach griechischer Art der Gesamtstoff allgemeiner höherer Bildung an die Sprache geknüpft und aus ihr entwickelt ward – also vor allem die Kenntnis der griechischen Literatur mit der zu deren Verständnis nötigen mythologischen und historischen Kunde, sodann Rhetorik und Philosophie. Die Bibliothek des Königs Perseus war das einzige Stück, das Paullus aus der makedonischen Kriegsbeute für sich nahm, um sie seinen Söhnen zu schenken. Sogar griechische Maler und Bildner befanden sich in seinem Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner Kinder. Daß die Zeit vorüber war, wo man auf diesem Gebiet sich dem Hellenismus gegenüber bloß ablehnend verhalten konnte, hatte schon Cato empfunden; die Besseren mochten jetzt ahnen, daß der edle Kern römischer Art durch den ganzen Hellenismus weniger gefährdet werde als durch dessen Verstümmelung und Mißbildung: die Masse der höheren Gesellschaft Roms und Italiens machte die neue Weise mit. An griechischen Schulmeistern war seit langem in Rom kein Mangel; jetzt strömten sie scharenweise, und nicht bloß als Sprach-, sondern als Lehrer der Literatur und Bildung überhaupt, nach dem neu eröffneten ergiebigen Absatzmarkt ihrer Weisheit. Griechische Hofmeister und Lehrer der Philosophie, die freilich, auch wenn sie nicht Sklaven waren, regelmäßig wie Bediente117

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Aber ihm zur Seite entwickelte sich ein höherer lateinischer Unterricht. Es ist in der vorigen Epoche dargestellt worden, wie der lateinische Elementarunterricht sich innerlich gesteigert hatte; wie an die Stelle der Zwölf Tafeln gleichsam als verbesserte Fibel die lateinische Odyssee getreten war und nun der römische Knabe an dieser Übersetzung, wie der griechische an dem Original, die Kunde und den Vortrag der Muttersprache ausbildete; wie namhafte griechische Sprach- und Literaturlehrer, Andronicus, Ennius und andere mehr, die doch wahrscheinlich schon nicht eigentlich Kinder, sondern heranreifende Knaben und Jünglinge lehrten, es nicht verschmähten, neben der griechischen auch in der Muttersprache zu unterrichten. Es waren das die Anfänge eines höheren lateinischen Unterrichts, aber doch noch ein solcher nicht. Der Sprachunterricht kann den elementaren Kreis nicht überschreiten, solange es an einer Literatur mangelt. Erst als es nicht bloß lateinische Schulbücher, sondern eine lateinische Literatur gab und diese in den Werken der Klassiker des sechsten Jahrhunderts in einer gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Muttersprache und die einheimische Literatur wahrhaft ein in den Kreis der höheren Bildungselemente; und die Emanzipation von den griechischen Sprachmeistern ließ nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt durch die Homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Römer die rezitativen Werke auch ihrer Literatur, Naevius‘ ‚Punischen Krieg‘, Ennius‘ ‚Chronik‘, späterhin auch Lucilius‘ Gedichte zuerst einem erlesenen Kreis, dann öffentlich an fest bestimmten Tagen und unter großem Zulauf vorzutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen Grammatiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese literarischen Vorträge, die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar kein förmlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel, die Jugend in das Verständnis und den Vortrag der klassischen lateinischen Literatur einzuführen.

Ähnlich ging es mit der Bildung der lateinischen Rede. Die vornehme römische Jugend, die schon in frühem Alter mit Lob- und gerichtlichen Reden öffentlich aufzutreten angehalten ward, wird es an Redeübungen nie haben fehlen lassen; indes erst in dieser Epoche und infolge der neuen exklusiven Bildung entstand eine eigentliche Redekunst. Als der erste römische Sachwalter, der Sprache und Stoff kunstmäßig behandelte, wird Marcus Lepidus Porcina (Konsul 617 137) genannt; die beiden berühmten Advokaten der marianischen Zeit, der männliche und lebhafte Marcus Antonius (611-667143-87) und der feine, gehaltene Redner Lucius Crassus (614-663 140-91), waren schon vollständig Kunstredner. Die Übungen der Jugend im Sprechen stiegen natürlich an Umfang und Bedeutung, aber blieben doch, eben wie die lateinischen Literaturübungen, wesentlich darauf beschränkt, daß der Anfänger an den Meister der Kunst persönlich sich anschloß und durch sein Beispiel und seine Lehre sich ausbildete.

Förmliche Unterweisung sowohl in lateinischer Literatur als in lateinischer Redekunst gab zuerst um 650 (100) Lucius Aelius Praeconinus von Lanuvium, der „Griffelmann“ (Stilo) genannt, ein angesehener, streng konservativ gesinnter römischer Ritter, der mit einem auserlesenen Kreise jüngerer Männer – darunter Varro und Cicero – den Plautus und ähnliches las, auch wohl Entwürfe zu Reden mit den Verfassern durchging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab. Dies war ein Unterricht; aber ein gewerbmäßiger Schulmeister war Stilo nicht, sondern er lehrte Literatur und Redekunst, wie in Rom die Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein älterer Freund der aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener, jedem zu Gebote stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der schulmäßige höhere Unterricht im Lateinischen, getrennt sowohl von dem elementaren lateinischen als von dem griechischen Unterricht, und von bezahlten Lehrmeistern, in der Regel freigelassenen Sklaven, in besonderen Anstalten erteilt. Daß Geist und Methode durchaus den griechischen Literatur- und Sprachübungen abgeborgt wurden, versteht sich von selbst; und auch die Schüler bestanden wie bei diesen aus Jünglingen, nicht aus Knaben. Bald schied sich dieser lateinische Unterricht, wie der griechische, in einen zwiefachen Kursus, indem erstlich die lateinische Literatur wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-, Staats- und Gerichtsreden kunstmäßige Anleitung gegeben ward. Die erste römische Literaturschule eröffnete um Stilos Zeit Marcus Saevius Nicanor Postumus, die erste besondere Schule für lateinische Rhetorik um 660 (90) Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den lateinischen Literaturschulen Anleitung zur Redekunst gegeben. Dieser neue lateinische Schulunterricht war von der tiefgreifendsten Bedeutung. Die Anleitung zur Kunde lateinischer Literatur und lateinischer Rede, wie sie früher von hochgestellten Kennern und Meistern erteilt worden war, hatte den Griechen gegenüber eine gewisse Selbständigkeit sich bewahrt. Die Kenner der Sprache und die Meister der Rede standen wohl unter dem Einfluß des Hellenismus, aber nicht unbedingt unter dem der griechischen Schulgrammatik und Schulrhetorik; namentlich die letztere wurde entschieden perhorresziert. Der Stolz wie der gesunde Menschenverstand der Römer empörte sich gegen die griechische Behauptung, daß die Fähigkeit, über Dinge, die der Redner verstand und empfand, verständig und anregend in der Muttersprache zu seinesgleichen zu reden, in der Schule nach Schulregeln gelernt werden könne. Dem tüchtigen praktischen Advokaten mußte das gänzlich dem Leben entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren für den Anfänger schlimmer als gar keine Vorbereitung erscheinen; dem durchgebildeten und durch das Leben gereiften Manne dünkte die griechische Rhetorik schal und widerlich; dem ernstlich konservativ gesinnten entging die Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmäßig entwickelten Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der Scipionische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen, und wenn die griechischen Deklamationen bei bezahlten Meistern, zunächst wohl als Übungen im Griechischsprechen, geduldet wurden, so war doch die griechische Rhetorik damit weder in die lateinische Rede noch in den lateinischen Redeunterricht eingedrungen. In den neuen lateinischen Rhetorschulen aber wurden die römischen Jungen zu Männern und Staatsrednern dadurch gebildet, daß sie paarweise den bei der Leiche des Aias mit dem blutigen Schwerte desselben gefundenen Odysseus der Ermordung seines Waffengefährten anklagten und dagegen ihn verteidigten; daß sie den Orestes wegen Muttermordes belangten oder in Schutz nahmen; daß sie vielleicht auch dem Hannibal nachträglich mit einem guten Rat darüber aushalfen, ob er besser tue, der Vorladung nach Rom Folge zu leisten oder in Karthago zu bleiben oder die Flucht zu ergreifen. Es ist begreiflich, daß gegen diese widerwärtigen und verderblichen Wortmühlen noch einmal die catonische Opposition sich regte. Die Zensoren des Jahres 662 (92) erließen eine Warnung an Lehrer und Eltern, die jungen Menschen nicht den ganzen Tag mit Übungen hinbringen zu lassen, von denen die Vorfahren nichts gewußt hätten; und der Mann, von dem diese Warnung kam, war kein geringerer als der erste Gerichtsredner seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus. Natürlich sprach die Kassandra vergebens; lateinische Deklamierübungen über die gangbaren griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil des römischen Jugendunterrichts und taten das Ihrige, um schon die Knaben zu advokatischen und politischen Schauspielern zu erziehen und jede ernste und wahre Beredsamkeit im Keime zu ersticken.

Als Gesamtergebnis aber dieser modernen römischen Erziehung entwickelte sich der neue Begriff der sogenannten „Menschlichkeit“, der Humanität, welche bestand teils in der mehr oder minder oberflächlich angeeigneten musischen Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten oder nachgestümperten privilegierten lateinischen. Diese neue Humanität sagte, wie schon der Name andeutet, sich los von dem spezifisch römischen Wesen, ja trat dagegen in Opposition und vereinigte in sich, ebenwie unsere eng verwandte „allgemeine Bildung“, einen national kosmopolitischen und sozial exklusiven Charakter. Auch hier war die Revolution, die die Stände schied und die Völker verschmolz.

  1. Daß vor 608 (146) keine „griechischen Spiele“ in Rom gegeben seien (Tac. ann. 14, 21), ist nicht genau; schon 568 (186) traten griechische „Künstler“ (τεχνίται) und Athleten (Liv. 39, 22), 587 (167) griechische Flötenspieler, Tragöden und Faustkämpfer auf (Polyb. 30, 13).
  2. Ein ergötzliches Exempel kann man bei Cicero (off. 3, 12. 13) nachlesen.
  3. Auch in Varros Satire ‚Die Aboriginer‘ wurde in spöttischer Weise dargestellt, wie die Urmenschen sich nicht hätten genügen lassen mit dem Gott, den nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt hätten nach Götterpuppen und Götterbilderchen.
  4. Cicero sagt, daß er seinen gelehrten Sklaven Dionysios rücksichtsvoller behandelt habe als Scipio den Panätios; und in gleichem Sinne hieß es bei Lucilius:
  5. Nützlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel und Zeltdach
    Als der Philosoph.

13. Kapitel


13. Kapitel

Literatur und Kunst

Das sechste Jahrhundert ist, politisch wie literarisch, eine frische und große Zeit. Zwar begegnet auf dem schriftstellerischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen ein Mann ersten Ranges; Naevius, Ennius, Plautus, Cato, begabte und lebendige Schriftsteller von scharf ausgeprägter Individualität, sind nicht im höchsten Sinn schöpferische Talente; aber nichtsdestoweniger fühlt man dem Schwung, der Rührigkeit, der Keckheit ihrer dramatischen, epischen, historischen Versuche es an, daß sie ruhen auf den Riesenkämpfen der Punischen Kriege. Es ist vieles nur künstlich verpflanzt, in Zeichnung und Farbe vielfach gefehlt, Kunstform und Sprache unrein behandelt, Griechisches und Nationales barock ineinandergefügt; die ganze Leistung verleugnet den Stempel des schulmäßigen Urspungs nicht und ist unselbständig und unvollkommen; aber dennoch lebt in den Dichtern und Schriftstellern dieser Zeit, wo nicht die volle Kraft, das hohe Ziel zu erreichen, doch der Mut und die Hoffnung, mit den Griechen zu wetteifern. Anders ist es in dieser Epoche. Die Morgennebel sanken; was man im frischen Gefühl der im Kriege gestählten Volkskraft begonnen hatte, mit jugendlichem Mangel an Einsicht in die Schwierigkeit des Beginnens und in das Maß des eigenen Talents, aber auch mit jugendlicher Lust und Liebe zum Werke, das vermochte man nicht weiterzuführen, als teils die dumpfe Schwüle der heraufziehenden revolutionären Gewitter die Luft zu erfüllen begann, teils den Einsichtigeren allmählich die Augen aufgingen über die unvergleichliche Herrlichkeit der griechischen Poesie und Kunst und über die sehr bescheidene künstlerische Begabung der eigenen Nation. Die Literatur des sechsten Jahrhunderts war hervorgegangen aus der Einwirkung der griechischen Kunst auf halb gebildete, aber angeregte und empfängliche Gemüter. Die gesteigerte hellenische Bildung des siebenten rief eine literarische Reaktion hervor, welche die in jenen naiven Nachdichtungsversuchen doch auch enthaltenen Blütenkeime mit dem Winterfrost der Reflexion verdarb und Kraut und Unkraut der älteren Richtung miteinander ausreutete. Diese Reaktion ging zunächst und hauptsächlich hervor aus dem Kreise, der um Scipio Aemilianus sich schloß und dessen hervorragendste Glieder unter der römischen vornehmen Welt außer Scipio dessen älterer Freund und Berater Gaius Laelius (Konsul 614 140) und Scipios jüngere Genossen, Lucius Furius Philus (Konsul 618 136) und Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von Korinth, unter den römischen und griechischen Literaten der Komiker Terentius, der Satirenschreiber Lucilius, der Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panätios waren. Wem die Ilias, wem Xenophon und Menandros geläufig waren, dem konnte der römische Homer nicht imponieren und noch weniger die schlechten Übersetzungen Euripideischer Tragödien, wie Ennius sie geliefert hatte und Pacuvius sie zu liefern fortfuhr. Mochten der Kritik gegen die vaterländische Chronik patriotische Rücksichten Schranken stecken, so richtete doch Lucilius sehr spitzige Pfeile gegen „die traurigen Figuren aus den geschraubten Expositionen des Pacuvius“; und ähnliche strenge, aber nicht ungerechte Kritiken des Ennius, Plautus, Pacuvius, all dieser Dichter, „die einen Freibrief zu haben scheinen, schwülstig zu reden und unlogisch zu schließen“, begegnen bei dem feinen Verfasser der am Schlusse dieser Periode geschriebenen, dem Herennius gewidmeten Rhetorik. Man zuckte die Achseln über die Interpolationen, mit denen der derbe römische Volkswitz die eleganten Komödien des Philemon und des Diphilos staffiert hatte. Halb lächelnd, halb neidisch wandte man sich ab von den unzulänglichen Versuchen einer dumpfen Zeit, die diesem Kreise erscheinen mochten etwa wie dem gereiften Manne die Gedichtblätter aus seiner Jugend; auf die Verpflanzung des Wunderbaumes verzichtend, ließ man in Poesie und Prosa die höheren Kunstgattungen wesentlich fallen und beschränkte sich hier darauf, der Meisterwerke des Auslandes sich einsichtig zu erfreuen. Die Produktivität dieser Epoche bewegt sich vorwiegend auf den untergeordneten Gebieten, der leichteren Komödie, der poetischen Miszelle, der politischen Broschüre, den Fachwissenschaften. Das literarische Stichwort wird die Korrektheit, im Kunststil und vor allem in der Sprache, welche, wie ein engerer Kreis von Gebildeten aus dem gesamten Volke sich aussondert, sich ihrerseits ebenfalls zersetzt in das klassische Latein der höheren Gesellschaft und das vulgäre des gemeinen Mannes. „Reine Sprache“ verheißen die Terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement der Lucilischen Satire; und ebendamit hängt es zusammen, daß die griechische Schriftstellerei der Römer jetzt entschieden zurücktritt. Insofern ist ein Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es begegnen in dieser Epoche weit seltener unzulängliche, weit häufiger in ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die Zeit des Laelius und des Scipio die goldene des reinen unverfälschten Latein. Desgleichen steigt die literarische Tätigkeit in der öffentlichen Meinung allmählich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser Periode galt, wenn auch nicht die Veröffentlichung rezitativer Poesien, doch jedenfalls die Anfertigung von Theaterstücken als nicht schicklich für den vornehmen Römer: Pacuvius und Terentius lebten von ihren Stücken; das Dramenschreiben war lediglich ein Handwerk und keines mit goldenem Boden. Um die Zeit Sullas hatten die Verhältnisse sich völlig verwandelt. Schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, daß auch der beliebte dramatische Dichter damals auf eine Bezahlung Anspruch machen durfte, deren Höhe den Makel entfernte. Damit wurde die Bühnendichtung zur freien Kunst erhoben; und so finden wir denn auch Männer aus den höchsten adligen Kreisen, zum Beispiel Lucius Caesar (Ädil 664 90, † 667 87) für die römische Bühne tätig und stolz darauf, in der römischen „Dichtergilde“ neben dem ahnenlosen Accius zu sitzen. Die Kunst gewinnt an Teilnahme und an Ehre; aber der Schwung ist hin im Leben wie in der Literatur. Die nachtwandlerische Sicherheit, die den Dichter zum Dichter macht, und die vor allem bei Plautus sehr entschieden hervortritt, kehrt bei keinem der späteren wieder – die Epigonen der Hannibalskämpfer sind korrekt, aber matt.

Betrachten wir zuerst die römische Bühnenliteratur und die Bühne selbst. Im Trauerspiel treten jetzt zuerst Spezialitäten auf; die Tragödiendichter dieser Epoche kultivierten nicht, wie die der vorigen, nebenbei das Lustspiel und das Epos. Die Wertschätzung dieses Kunstzweiges in den schreibenden und lesenden Kreisen war offenbar im Steigen, schwerlich aber die tragische Dichtung selbst. Der nationalen Tragödie (praetexta), der Schöpfung des Naevius, begegnen wir nur noch bei dem gleich zu erwähnenden Pacuvius, einem Spätling der Ennianischen Epoche. Unter den wahrscheinlich zahlreichen Nachdichtern griechischer Tragödie erwerben nur zwei sich einen bedeutenden Namen. Marcus Pacuvius aus Brundisium (535 – ca. 625 219 bis 129), der in seinen früheren Jahren im Rom vom Malen, erst im höheren Alter vom Trauerspieldichten lebte, gehört seinen Jahren wie seiner Art nach mehr dem sechsten als dem siebenten Jahrhundert an, obwohl seine poetische Tätigkeit in dieses fällt. Er dichtete im ganzen in der Weise seines Landsmanns, Oheims und Meisters Ennius. Sorgsamer feilend und nach höherem Schwunge strebend als sein Vorgänger, galt er günstigen Kunstkritikern später als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils; in den auf uns gekommenen Bruchstücken fehlt es indes nicht an Belegen, die Ciceros sprachlichen und Lucilius‘ ästhetischen Tadel des Dichters rechtfertigen; seine Sprache erscheint holpriger als die seines Vorgängers, seine Dichtweise schwülstig und tüftelnd119

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Lesbarere und gewandtere Nachbildungen der griechischen Tragödie lieferte des Pacuvius jüngerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines Freigelassenen Sohn von Pisaurum (584 – nach 651 170-108), außer Pacuvius der einzige namhafte tragische Dichter des siebenten Jahrhunderts. Ohne Zweifel war er, ein auch literarhistorisch und grammatisch tätiger Schriftsteller, bemüht, statt der kruden Weise seiner Vorgänger größere Reinheit in Sprache und Stil in die lateinische Tragödie einzuführen; doch ward auch seine Ungleichheit und Inkorrektheit von den Männern der strengen Observanz, wie Lucilius, nachdrücklich getadelt.

Weit größere Tätigkeit und weit bedeutendere Erfolge begegnen auf dem Gebiete des Lustspiels. Gleich am Anfang dieser Periode erfolgte gegen die gangbare und volksmäßige Lustspieldichtung eine bemerkenswerte Reaktion. Ihr Vertreter Terentius (558-595 196-159) ist eine der geschichtlich interessantesten Erscheinungen in der römischen Literatur. Geboren im phönikischen Afrika, in früher Jugend als Sklave nach Rom gebracht und dort in die griechische Bildung der Zeit eingeführt, schien er von Haus aus dazu berufen, der neuattischen Komödie ihren kosmopolitischen Charakter zurückzugeben, den sie in der Zustutzung für das römische Publikum unter Naevius, Plautus und ihrer Genossen derben Händen einigermaßen eingebüßt hatte. Schon in der Wahl und der Verwendung der Musterstücke zeigt sich der Gegensatz zwischen ihm und demjenigen seiner Vorgänger, den wir jetzt allein mit ihm vergleichen können. Plautus wählt seine Stücke aus dem ganzen Kreise der neueren attischen Komödie und verschmäht die keckeren und populäreren Lustspieldichter, wie zum Beispiel den Philemon, durchaus nicht; Terenz hält sich fast ausschließlich an Menandros, den zierlichsten, feinsten und züchtigsten unter allen Poeten der neueren Komödie. Die Weise, mehrere griechische Stücke zu einem lateinischen zusammenzuarbeiten, wird von Terenz zwar beibehalten, da sie nach Lage der Sache für den römischen Bearbeiter nun einmal unvermeidlich war, aber mit unvergleichlich mehr Geschicklichkeit und Sorgsamkeit gehandhabt. Der Plautinische Dialog entfernte sich ohne Zweifel sehr häufig von seinen Mustern; Terenz rühmt sich des wörtlichen Anschlusses seiner Nachbildungen an die Originale, wobei freilich nicht an eine wörtliche Übersetzung in unserm Sinn gedacht werden darf. Die nicht selten rohe, aber immer drastische Auftragung römischer Lokaltöne auf den griechischen Grund, wie Plautus sie liebte, wird vollständig und absichtlich verbannt, nicht eine Anspielung erinnert an Rom, nicht ein Sprichwort, kaum eine Reminiszenz127

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Daß wahrscheinlich bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts zu der griechisch-römischen Komödie (palliata) die nationale (togata) hinzugetreten war als Abbild zwar nicht des spezifischen hauptstädtischen, aber doch des Tuns und Treibens im latinischen Land, ist früher gezeigt worden. Natürlich bemächtigte die Terenzische Schule rasch sich auch dieser Gattung; es war ganz in ihrem Sinn, die griechische Komödie einerseits in getreuer Übersetzung, andererseits in rein römischer Nachdichtung in Italien einzubürgern. Der Hauptvertreter dieser Richtung ist Lucius Afranius (blüht um 660 90). Die Bruchstücke, die uns von ihm vorliegen, geben keinen bestimmten Eindruck, aber sie widersprechen auch nicht dem, was die römischen Kunstkritiker über ihn bemerken. Seine zahlreichen Nationallustspiele waren der Anlage nach durchaus dem griechischen Intrigenstück nachgebildet, nur daß sie, wie bei der Nachdichtung natürlich ist, einfacher und kürzer ausfielen. Auch im einzelnen borgte er, was ihm gefiel, teils von Menandros, teils aus der älteren Nationalliteratur. Von den latinischen Lokaltönen aber, die bei dem Schöpfer dieser Kunstgattung, Titinius, so bestimmt hervortreten, begegnet bei Afranius nicht viel136; seine Sujets halten sich sehr allgemein und mögen wohl durchgängig Nachbildungen bestimmter griechischer Komödien nur mit verändertem Kostüm sein. Ein feiner Eklektizismus und eine gewandte Kunstdichtung – literarische Anspielungen kommen nicht selten vor – sind ihm eigen wie dem Terenz; auch die sittliche Tendenz, die seine Stücke dem Schauspiel näherte, die polizeimäßige Haltung, die reine Sprache hat er mit diesem gemein. Als Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisieren ihn hinreichend das Urteil der Späteren, daß er die Toga trage wie Menandros sie als Italiker getragen haben würde, und seine eigene Äußerung, daß ihm Terenz über alle andern Dichter gehe.

Neu trat in dieser Epoche in das Gebiet der lateinischen Literatur die Posse ein. Sie selbst war uralt; lange bevor Rom stand, mögen Latiums lustige Gesellen bei festlichen Gelegenheiten in den ein für allemal feststehenden Charaktermasken improvisiert haben. Einen festen lokalen Hintergrund erhielten diese Späße an dem lateinischen Schildburg, wozu man die im Hannibalischen Kriege zerstörte und damit der Komik preisgegebene ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem ward für diese Aufführungen der Name der „Oskischen Spiele“ oder „Spiele von Atella“ üblich137

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Was endlich die Entwicklung des Bühnenwesens anlangt, so sind wir nicht imstande, im einzelnen darzulegen, was im ganzen klar erhellt, daß das allgemeine Interesse an den Bühnenspielen beständig im Steigen war und dieselben immer häufiger und immer prachtvoller wurden. Nicht bloß ward jetzt wohl kaum ein ordentliches oder außerordentliches Volksfest ohne Bühnenspiele begangen, auch in den Landstädten und Privathäusern wurden Vorstellungen gemieteter Schauspielertruppen gewöhnlich. Zwar entbehrte, während wahrscheinlich manche Munizipalstadt schon in dieser Zeit ein steinernes Theater besaß, die Hauptstadt eines solchen noch immer; den schon verdungenen Theaterbau hatte der Senat im Jahre 599 (185) auf Veranlassung des Publius Scipio Nasica wieder inhibiert. Es war das ganz im Geiste der scheinheiligen Politik dieser Zeit, daß man aus Respekt vor den Sitten der Väter die Erbauung eines stehenden Theaters verhinderte, aber nichtsdestoweniger die Theaterspiele reißend zunehmen und Jahr aus Jahr ein ungeheure Summen verschwenden ließ, um Brettergerüste für dieselben aufzuschlagen und zu dekorieren. Die Bühneneinrichtungen hoben sich zusehends. Die verbesserte Inszenierung und die Wiedereinführung der Masken um die Zeit des Terenz hängt wohl ohne Zweifel damit zusammen, daß die Einrichtung und Instandhaltung der Bühne und des Bühnenapparats im Jahre 580 (74) auf die Staatskasse übernommen ward141. Epochemachend in der Theatergeschichte wurden die Spiele, welche Lucius Mummius nach der Einnahme von Korinth gab (609 145). Wahrscheinlich wurde damals zuerst ein nach griechischer Art akustisch gebautes und mit Sitzplätzen versehenes Theater aufgeschlagen und überhaupt auf die Spiele mehr Sorgfalt verwandt142. Nun ist auch von Erteilung eines Siegespreises, also von Konkurrenz mehrerer Stücke, von lebhafter Parteinahme des Publikums für und gegen die Hauptschauspieler, von Clique und Claque mehrfach die Rede. Dekorationen und Maschinerie wurden verbessert: kunstmäßig gemalte Kulissen und hörbare Theaterdonner kamen unter der Ädilität des Gaius Claudius Pulcher 655 (99) auf143, zwanzig Jahre später (675 79) unter der Ädilität der Brüder Lucius und Marcus Lucullus, die Verwandlung der Dekorationen durch Umdrehung der Kulissen. Dem Ende dieser Epoche gehört der größte römische Schauspieler an, der Freigelassene Quintus Roscius († um 692 62 hoch bejahrt), durch mehrere Generationen hindurch der Schmuck und Stolz der römischen Bühne144

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In der rezitativen Poesie fällt vor allem die Nichtigkeit des Epos auf, das im sechsten Jahrhundert unter der zum Lesen bestimmten Literatur entschieden den ersten Platz eingenommen hatte, im siebenten zwar zahlreiche Vertreter fand, aber nicht einen einzigen von auch nur vorübergehendem Erfolg. Aus der gegenwärtigen Epoche ist kaum etwas zu nennen als eine Anzahl roher Versuche, den Homer zu übersetzen und einige Fortsetzungen der Ennianischen Jahrbücher, wie des Hostius ‚Histrischer Krieg‘ und des Aulus Furius (um 650 100) ‚Jahrbücher (vielleicht) des Gallischen Krieges‘, die allem Anschein nach unmittelbar da fortfuhren, wo Ennius in der Beschreibung des Histrischen Krieges von 576 (178) und 577 (177) aufgehört hatte. Auch in der didaktischen und elegischen Poesie erscheint nirgends ein hervorragender Name. Die einzigen Erfolge, welche die rezitative Dichtkunst dieser Epoche aufzuweisen hat, gehören dem Gebiete der sogenannten Satura an, derjenigen Kunstgattung, die gleich dem Briefe oder der Broschüre jede Form zuläßt und jeden Inhalt aufnimmt, darum auch aller eigentlichen Gattungskriterien ermangelnd, durchaus nach der Individualität eines jeden Dichters sich individualisiert und nicht bloß auf der Grenze von Poesie und Prosa, sondern schon mehr als zur Hälfte außerhalb der eigentlichen Literatur steht. Die launigen poetischen Episteln, die einer der jüngeren Männer des Scipionischen Kreises, Spurius Mummius, der Bruder des Zerstörers von Korinth, aus dem Lager von Korinth an seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden noch ein Jahrhundert später gern gelesen; und es mögen dergleichen nicht zur Veröffentlichung bestimmte poetische Scherze aus dem reichen geselligen und geistigen Leben der besseren Zirkel Roms damals zahlreich hervorgegangen sein. Ihr Vertreter in der Literatur ist Gaius Lucilius (606-651 148-103), einer angesehenen Familie der latinischen Kolonie Suessa entsprossen und gleichfalls ein Glied des Scipionischen Kreises. Auch seine Gedichte sind gleichsam offene Briefe an das Publikum, ihr Inhalt, wie ein geistreicher Nachfahre anmutig sagt, das ganze Leben des gebildeten unabhängigen Mannes, der den Vorgängen auf der politischen Schaubühne vom Parkett und gelegentlich von den Kulissen aus zusieht, der mit den Besten seiner Zeit verkehrt als mit seinesgleichen, der Literatur und Wissenschaft mit Anteil und Einsicht verfolgt, ohne doch selbst für einen Dichter oder Gelehrten gelten zu wollen, und der endlich für alles, was im Guten und Bösen ihm begegnet, für politische Erfahrungen und Erwartungen, für Sprachbemerkungen und Kunsturteile, für eigene Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie für vernommene Anekdoten sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Kaustisch, kapriziös, durchaus individuell hat die Lucilische Poesie doch eine scharf ausgeprägte oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz, literarisch sowohl wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas von der Auflehnung der Landschaft gegen die Hauptstadt, herrscht das Selbstgefühl des rein redenden und ehrenhaft lebenden Suessaners im Gegensatz gegen das große Babel der Sprachmengerei und Sittenverderbnis. Die Richtung des Scipionischen Kreises auf literarische, namentlich sprachliche Korrektheit findet kritisch ihren vollendetsten und geistreichsten Vertreter in Lucilius. Er widmete gleich sein erstes Buch dem Begründer der römischen Philologie, Lucius Stilo, und bezeichnete als das Publikum, für das er schrieb, nicht die gebildeten Kreise reiner und mustergültiger Rede, sondern die Tarentiner, die Brettier, die Siculer, das heißt die Halbgriechen Italiens, deren Lateinisch allerdings eines Korrektivs wohl bedürfen mochte. Ganze Bücher seiner Gedichte beschäftigen sich mit der Feststellung der lateinischen Orthographie und Prosodie, mit der Bekämpfung pränestinischer, sabinischer, etruskischer Provinzialismen, mit der Ausmerzung gangbarer Solözismen, woneben der Dichter aber keineswegs vergißt, den geistlos schematischen Isokrateischen Wort- und Phrasenpurismus zu verhöhnen

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Jetzt aber am Fest- und Werkeltag
Den ganzen lieben langen Tag
Auf dem Markte von früh bis Spat
Drängen die Bürger und die sich vom Rat
Und weichen und wanken nicht von der Statt.
Ein Handwerk einzig und allein
Betreiben alle insgemein,
Den andern zu prellen mit Verstand,
Im Lügen zu haben die Vorderhand
Und zu werden im Schmeicheln und Heucheln gewandt.
All‘ untereinandern belauern sie sich,
Als läge jeder mit jedem im Krieg

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Die Erläuterungen zu diesem unerschöpflichen Text griffen schonungslos, ohne die Freunde, ja ohne den Dichter selbst zu vergessen, die Übelstände der Zeit an, das Koteriewesen, den endlosen spanischen Kriegsdienst und was dessen mehr war; gleich die Eröffnung seiner Satiren war eine große Debatte des olympischen Göttersenats über die Frage, ob Rom es noch ferner verdiene, des Schutzes der Himmlischen sich zu erfreuen. Körperschaften, Stände, Individuen wurden überall einzeln mit Namen genannt; die der römischen Bühne verschlossene Poesie der politischen Polemik ist das rechte Element und der Lebenshauch der Lucilischen Gedichte, die mit einer selbst in den auf uns gekommenen Trümmern noch entzückenden Macht des schlagendsten und bilderreichsten Witzes „gleichwie mit gezogenem Schwerte“ auf den Feind eindringen und ihn zermalmen. Hier, in dem sittlichen Übergewicht und dem stolzen Freiheitsgefühl des Dichters von Suessa, liegt der Grund, weshalb der feine Venusianer, der in der alexandrinischen Zeit der römischen Poesie die Lucilische Satire wiederaufnahm, trotz aller Überlegenheit im Formgeschick mit richtiger Bescheidenheit dem älteren Poeten weicht als „seinem Besseren“. Die Sprache ist die des griechisch und lateinisch durchgebildeten Mannes, der durchaus sich gehen läßt; ein Poet wie Lucilius, der angeblich vor Tisch zweihundert und nach Tisch wieder zweihundert Hexameter machte, ist viel zu eilig, um knapp zu sein; unnützige Weitläufigkeit, schluderige Wiederholung derselben Wendung, arge Nachlässigkeiten begegnen. häufig; das erste Wort, lateinisch oder griechisch, ist immer das beste. Ähnlich sind die Maße, namentlich der sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man die Worte umstellt, sagt sein geistreicher Nachahmer, so würde kein Mensch merken, daß er etwas anderes vor sich habe als einfache Prosa; der Wirkung nach lassen sie sich nur mit unseren Knüttelversen vergleichen153

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Von der an den Alexandrinismus anknüpfenden Poesie ist in Rom in dieser Epoche noch nichts zu nennen als kleinere, nach alexandrinischen Epigrammen übersetzte oder ihnen nachgebildete Gedichte, welche nicht ihrer selbst wegen, aber wohl als der erste Vorbote der jüngeren Literaturepoche Roms Erwähnung verdienen. Abgesehen von einigen wenig bekannten und auch der Zeit nach nicht mit Sicherheit zu bestimmenden Dichtern gehören hierher Quintus Catulus (Konsul 622 102) und Lucius Manlius, ein angesehener Senator, der im Jahre 657 (97) schrieb. Der letztere scheint manche der bei den Griechen landläufigen geographischen Märchen, zum Beispiel die delische Latonasage, die Fabeln von der Europa und von dem Wundervogel Phönix zuerst bei den Römern in Umlauf gebracht zu haben; wie es denn auch ihm vorbehalten war, auf seinen Reisen in Dodona jenen merkwürdigen Dreifuß zu entdecken und abzuschreiben, worauf das den Pelasgern vor ihrer Wanderung in das Land der Sikeler und Aboriginer erteilte Orakel zu lesen war – ein Fund, den die römischen Geschichtsbücher nicht versäumten, andächtig zu registrieren.

Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen bezeichnet durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Geburt noch nach seinem geistigen und literarischen Standpunkt der italischen Entwicklung angehört, der aber zuerst oder vielmehr allein die Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Geltung und Darstellung gebracht hat und dem alle späteren Geschlechter und auch wir das Beste verdanken, was wir von der römischen Entwicklung wissen. Polybios (ca. 546 – ca. 627 208-127) von Megalopolis im Peloponnes, des achäischen Staatsmannes Lykortas Sohn, machte, wie es scheint, schon 565 (189) den Zug der Römer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward später, vielfach namentlich während des Dritten Makedonischen Krieges, von seinen Landsleuten in militärischen und diplomatischen Geschäften verwendet. Nach der durch diesen Krieg in Hellas herbeigeführten Krise wurde er mit den anderen achäischen Geiseln nach Italien abgeführt, wo er siebzehn Jahre (587-604 167-150) in der Konfinierung lebte und durch die Söhne des Paullus in die vornehmen hauptstädtischen Kreise eingeführt ward. Die Rücksendung der achäischen Geiseln führte ihn in die Heimat zurück, wo er fortan den stehenden Vermittler zwischen seiner Eidgenossenschaft und den Römern machte. Bei der Zerstörung von Karthago und von Korinth (608 146) war er gegenwärtig. Er schien vom Schicksal gleichsam dazu erzogen, Roms geschichtliche Stellung deutlicher zu erfassen, als die damaligen Römer selbst es vermochten. Auf dem Platze, wo er stand, ein griechischer Staatsmann und ein römischer Gefangener, seiner hellenischen Bildung wegen geschätzt und gelegentlich beneidet von Scipio Aemilianus und überhaupt den ersten Männern Roms, sah er die Ströme, die so lange getrennt geflossen waren, zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte der Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der römischen Macht und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte Hellene, der mit ernster Überzeugung auf die Weltanschauung des Scipionischen Kreises einging und die Überlegenheit des Hellenismus auf dem geistigen, des Römertums auf dem politischen Gebiet als Tatsachen anerkannte, über die die Geschichte in letzter Instanz gesprochen hatte und denen man beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als praktischer Staatsmann und schrieb er seine Geschichte. Mochte er in der Jugend dem ehrenwerten, aber unhaltbaren achäischen Lokalpatriotismus gehuldigt haben, so vertrat er in seinen späteren Jahren, in deutlicher Einsicht der unvermeidlichen Notwendigkeit, in seiner Gemeinde die Politik des engsten Anschlusses an Rom. Es war das eine höchst verständige und ohne Zweifel wohlgemeinte, aber nichts weniger als hochherzige und stolze Politik. Auch von der Eitelkeit und Kleinlichkeit des derzeitigen hellenischen Staatsmannstums hat Polybios nicht vermocht, sich persönlich völlig frei zu machen. Kaum aus der Konfinierung entlassen, stellte er an den Senat den Antrag, daß er den Entlassenen, jedem in seiner Heimat, den ehemaligen Rang noch förmlich verbriefen möge, worauf Cato treffend bemerkte, ihm komme das vor, als wenn Odysseus noch einmal in die Höhle des Polyphemos zurückkehre, um sich von dem Riesen Hut und Gürtel auszubitten. Sein Verhältnis zu den römischen Großen hat er oft zum Besten seiner Landsleute benutzt, aber die Art, wie er der hohen Protektion sich unterwirft und sich berühmt, nähert sich doch einigermaßen dem Oberkammerdienertum. Durchaus denselben Geist, den seine praktische, atmet auch seine literarische Tätigkeit. Es war die Aufgabe seines Lebens, die Geschichte der Einigung der Mittelmeerstaaten unter der Hegemonie Roms zu schreiben. Vom ersten Punischen Krieg bis zur Zerstörung von Karthago und Korinth faßt sein Werk die Schicksale der sämtlichen Kulturstaaten, das heißt Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Ägyptens, Karthagos und Italiens zusammen und stellt deren Eintreten in die römische Schutzherrschaft im ursächlichen Zusammenhang dar; insofern bezeichnet er es als sein Ziel, die Zweck- und Vernunftmäßigkeit der römischen Hegemonie zu erweisen. In der Anlage wie in der Ausführung steht diese Geschichtschreibung in scharfem und bewußtem Gegensatz gegen die gleichzeitige römische wie gegen die gleichzeitige griechische Historiographie. In Rom stand man noch vollständig auf dem Chronikenstandpunkt; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung beschränkte sich – mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein individuellen und doch auch nicht über die Anfänge der Forschung wie der Darstellung hinausgelangten Schriften Catos – teils auf Ammenmärchen, teils auf Notizenbündel. Die Griechen hatten eine Geschichtsforschung und eine Geschichtschreibung allerdings gehabt; aber der zerfahrenen Diadochenzeit waren die Begriffe von Nation und Staat so vollständig abhanden gekommen, daß es keinem der zahllosen Historiker gelang, der Spur der großen attischen Meister im Geiste und in der Wahrheit zu folgen und den weltgeschichtlichen Stoff der Zeitgeschichte weltgeschichtlich zu behandeln. Ihre Geschichtschreibung war entweder rein äußerliche Aufzeichnung, oder es durchdrang sie der Phrasen- und Lügenkram der attischen Rhetorik, und nur zu oft die Feilheit und die Gemeinheit, die Speichelleckerei und die Erbitterung der Zeit. Bei den Römern wie bei den Griechen gab es nichts als Stadt- oder Stammgeschichten. Zuerst Polybios, ein Peloponnesier, wie man mit Recht erinnert hat, und geistig den Attikern wenigstens ebensofern stehend wie den Römern, überschritt diese kümmerlichen Schranken, behandelte den römischen Stoff mit hellenisch gereifter Kritik und gab zwar nicht eine universale, aber doch eine von den Lokalstaaten losgelöste und den im Werden begriffenen römisch-griechischen Staat erfassende Geschichte. Vielleicht niemals hat ein Geschichtschreiber so vollständig wie Polybios alle Vorzüge eines Quellenschriftstellers in sich vereinigt. Der Umfang seiner Aufgabe ist ihm vollkommen deutlich und jeden Augenblick gegenwärtig; und durchaus haftet der Blick auf dem wirklich geschichtlichen Hergang. Die Sage, die Anekdote, die Masse der wertlosen Chroniknotizen wird beiseite geworfen; die Schilderung der Länder und Völker, die Darstellung der staatlichen und merkantilen Verhältnisse, all die so unendlich wichtigen Tatsachen, die dem Annalisten entschlüpfen, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Jahr aufnageln lassen, werden eingesetzt in ihr lange verkümmertes Recht. In der Herbeischaffung des historischen Materials zeigt Polybios eine Umsicht und Ausdauer, wie sie im Altertum vielleicht nicht wiedererscheinen; er benutzt die Urkunden, berücksichtigt umfassend die Literatur der verschiedenen Nationen, macht von seiner günstigen Stellung zum Einziehen der Nachrichten von Mithandelnden und Augenzeugen den ausgedehntesten Gebrauch, bereist endlich planmäßig das ganze Gebiet der Mittelmeerstaaten und einen Teil der Küste des Atlantischen Ozeans156

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In einem seltsamen Gegensatz zu dieser großartigen Auffassung und Behandlung der römischen Geschichte durch einen Ausländer steht die gleichzeitige einheimische Geschichtsliteratur. Im Anfang dieser Periode begegnen noch einige griechisch geschriebene Chroniken, wie die schon erwähnte des Aulus Postumius (Konsul 603 151), voll übler Pragmatik, und die des Gaius Acilius (schloß in hohem Alter um 612 142); doch gewann unter dem Einfluß teils des catonischen Patriotismus, teils der feineren Bildung des Scipionischen Kreises die lateinische Sprache auf diesem Gebiet so entschieden die Vorhand, daß nicht bloß unter den jüngeren Geschichtswerken kaum ein oder das andere griechisch geschriebene vorkommt158, sondern auch die älteren griechischen Chroniken ins Lateinische übersetzt und wahrscheinlich vorwiegend in diesen Übersetzungen gelesen wurden. Leider ist nur an den lateinisch geschriebenen Chroniken dieser Epoche außer dem Gebrauch der Muttersprache kaum weiter etwas zu loben. Sie waren zahlreich und ausführlich genug – genannt werden zum Beispiel die des Lucius Cassius Hemina (um 608 146), des Lucius Calpurnius Piso (Konsul 621 188), des Gaius Sempronius Tuditanus (Konsul 625 129), des Gaius Fannius (Konsul 632 122). Dazu kommt die Redaktion der offiziellen Stadtchronik in achtzig Büchern, welche Publius Mucius Scaevola (Konsul 621 133), ein auch als Jurist angesehener Mann, als Oberpontifex veranstaltete und veröffentlichte und damit dem Stadtbuch insofern seinen Abschluß gab, als die Pontifikalaufzeichnungen seitdem, wenn nicht gerade aufhörten, doch wenigstens bei der steigenden Betriebsamkeit der Privatchronisten nicht weiter literarisch in Betracht kamen. Alle diese Jahrbücher, mochten sie nun als Privat- oder als offizielle Werke sich ankündigen, waren wesentlich gleichartige Zusammenarbeitungen des vorhandenen geschichtlichen und quasigeschichtlichen Materials; und der Quellen- wie der formelle Wert sank ohne Zweifel in demselben Maße, wie ihre Ausführlichkeit stieg. Allerdings gibt es in der Chronik nirgends Wahrheit ohne Dichtung, und es wäre sehr töricht, mit Naevius und Pictor zu rechten, daß sie es nicht anders gemacht als Hekatäos und Saxo Grammaticus; aber die späteren Versuche, aus solchen Nebelwolken Häuser zu bauen, stellen auch die geprüfteste Geduld auf eine harte Probe. Keine Lücke der Überlieferung klafft so tief, daß diese glatte und platte Lüge sie nicht mit spielender Leichtigkeit überkleisterte. Ohne Anstoß werden die Sonnenfinsternisse, Zensuszahlen, Geschlechtsregister, Triumphe vom laufenden Jahre bis auf Anno eins rückwärts geführt; es steht geschrieben zu lesen, in welchem Jahr, Monat und Tag König Romulus gen Himmel gefahren ist und wie König Servius Tullius zuerst am 25. November 183 (571) und wieder am 25. Mai 187 (567) über die Etrusker triumphiert hat. Damit steht es denn im besten Einklang, daß man in den römischen Docks den Gläubigen das Fahrzeug wies, auf welchem Aeneas von Ilion nach Latium gefahren war, ja sogar ebendieselbe Sau, welche Aeneas als Wegweiser gedient hatte, wohl eingepökelt im römischen Vestatempel konservierte. Mit dem Lügemut eines Dichters verbinden diese vornehmen Chronikschreiber die langweiligste Kanzlistengenauigkeit und behandeln durchaus ihren großen Stoff mit derjenigen Plattheit, die aus dem Austreiben zugleich aller poetischen und aller historischen Elemente notwendig resultiert. Wenn wir zum Beispiel bei Piso lesen, daß Romulus sich gehütet habe, dann zu pokulieren, wenn er den andern Tag eine Sitzung gehabt; daß die Tarpeia die Burg den Sabinern aus Vaterlandsliebe verraten habe, um die Feinde ihrer Schilde zu berauben: so kann das Urteil verständiger Zeitgenossen über diese ganze Schreiberei nicht befremden, „daß das nicht heiße Geschichte schreiben, sondern den Kindern Geschichten erzählen“. Weit vorzüglicher waren einzelne Werke über die Geschichte der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart, namentlich die Geschichte des Hannibalischen Krieges von Lucius Coelius Antipater (um 633 121) und des wenig jüngeren Publius Sempronius Asellio Geschichte seiner Zeit. Hier fand sich wenigstens schätzbares Material und ernster Wahrheitssinn, bei Antipater auch eine lebendige, wenngleich stark manierierte Darstellung; doch reichte, nach allen Zeugnissen und Bruchstücken zu schließen, keines dieser Bücher weder in markiger Form noch in Originalität an die „Ursprungsgeschichten“ Catos, der leider auf dem historischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen Schule gemacht hat. Stark vertreten sind auch, wenigsten der Masse nach, die untergeordneten, mehr individuellen und ephemeren Gattungen der historischen Literatur, die Memorien, die Briefe, die Reden. Schon zeichneten die ersten Staatsmänner Roms selbst ihre Erlebnisse auf: so Marcus Scaurus (Konsul 639 115), Publius Rufus (Konsul 649 105), Quintus Catulus (Konsul 652 102), selbst der Regent Sulla; doch scheint keine dieser Produktionen anders als durch ihren stofflichen Gehalt für die Literatur von Bedeutung gewesen zu sein. Die Briefsammlung der Cornelia, der Mutter der Gracchen, ist bemerkenswert teils durch die musterhaft reine Sprache und den hohen Sinn der Schreiberin, teils als die erste in Rom publizierte Korrespondenz und zugleich die erste literarische Produktion einer römischen Frau. Die Redeschriftstellerei bewahrte in dieser Periode den von Cato ihr aufgedrückten Stempel; Advokatenplädoyers wurden noch nicht als literarische Produktion angesehen, und was von Reden veröffentlicht ward, waren politische Pamphlete. Während der revolutionären Bewegung nahm diese Broschürenliteratur an Umfang und Bedeutung zu, und unter der Masse ephemerer Produkte fanden sich auch einzelne, die, wie Demosthenes‘ Philippiken und Couriers fliegende Blätter, durch die bedeutende Stellung ihrer Verfasser und durch ihr eigenes Schwergewicht einen bleibenden Platz in der Literatur sich erwarben. So die Staatsreden des Gaius Laelius und des Scipio Aemilianus, Musterstücke des trefflichsten Latein wie des edelsten Vaterlandsgefühls; so die sprudelnden Reden des Gaius Titius, von deren drastischen Lokal- und Zeitbildern – die Schilderung des senatorischen Geschworenen ward früher mitgeteilt – das nationale Lustspiel manches entlehnt hat; so vor allem die zahlreichen Reden des Gaius Gracchus, deren flammende Worte den leidenschaftlichen Ernst, die baldige Haltung und das tragische Verhängnis dieser hohen Natur im treuen Spiegelbild bewahrten.

In der wissenschaftlichen Literatur begegnet in der juristischen Gutachtensammlung des Marcus Brutus, die um das Jahr 600 (150) veröffentlicht ward, ein bemerkenswerter Versuch, die bei den Griechen übliche dialogische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe nach Rom zu verpflanzen und durch eine nach Personen, Zeit und Ort bestimmte Szenerie des Gesprächs der Abhandlung eine künstlerische, halb dramatische Form zu geben. Indes die späteren Gelehrten, schon der Philolog Stilo und der Jurist Scaevola, ließen sowohl in den allgemeinen Bildungs- wie in den spezielleren Fachwissenschaften diese mehr poetische als praktische Methode fallen. Der steigende Wert der Wissenschaft als solcher und das in Rom überwiegende stoffliche Interesse an derselben spiegelt sich deutlich in diesem raschen Abwerfen der Fessel künstlerischer Form. Im einzelnen ist von den allgemein humanen Wissenschaften, der Grammatik oder vielmehr der Philologie, der Rhetorik und der Philosophie, insofern schon gesprochen worden, als dieselben jetzt wesentliche Bestandteile der gewöhnlichen römischen Bildung wurden und dadurch jetzt zuerst von den eigentlichen Fachwissenschaften anfingen sich abzusondern. Auf dem literarischen Gebiet blüht die lateinische Philologie fröhlich auf, im engen Anschluß an die längst sicher gegründete philologische Behandlung der griechischen Literatur. Es ward bereits erwähnt, daß um den Anfang dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten und Textrevisoren fanden; ebenso ward hervorgehoben, daß nicht bloß der Scipionische Kreis überhaupt vor allem andern auf Korrektheit drang, sondern auch einzelne der namhaftesten Poeten, zum Beispiel Accius und Lucilius, sich mit Regulierung der Orthographie und der Grammatik beschäftigten. Gleichzeitig begegnen einzelne Versuche, von der historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln; freilich werden die Abhandlungen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie die des Hemina ‚über die Zensoren‘, des Tuditanus ‚über die Beamten‘ schwerlich besser geraten sein als ihre Chroniken. Interessanter sind die Bücher über die Ämter von dem Freunde des Gaius Gracchus, Marcus Iunius, als der erste Versuch, die Altertumsforschung für politische Zwecke nutzbar zu machen159, und die metrisch abgefaßten Didaskalien des Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Literargeschichte des lateinischen Dramas. Indes jene Anfänge einer wissenschaftlichen Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr dilettantisches Gepräge und erinnern lebhaft an unsere Orthographieliteratur der Bodmer-Klopstockischen Zeit; auch die antiquarischen Untersuchungen dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz verweisen dürfen. Derjenige Römer, der die lateinische Sprach- und Altertumsforschung im Sinne der alexandrinischen Meister wissenschaftlich begründete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (100). Er zuerst ging zurück auf die ältesten Sprachdenkmäler und kommentierte die Saliarischen Litaneien und das römische Stadtrecht. Er wandte der Komödie des sechsten Jahrhunderts seine besondere Aufmerksamkeit zu und stellte zuerst ein Verzeichnis der nach seiner Ansicht echten Plautinischen Stücke auf. Er suchte nach griechischer Art die Anfänge einer jeden einzelnen Erscheinung des römischen Lebens und Verkehrs geschichtlich zu bestimmen und für jede den „Erfinder“ zu ermitteln, und zog zugleich die gesamte annalistische Überlieferung in den Kreis seiner Forschung. Von dem Erfolg, der ihm bei seinen Zeitgenossen ward, zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichterischen und des bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius und der Geschichtsbücher des Antipater; und auch für die Zukunft hat dieser erste römische Philolog die Studien seiner Nation bestimmt, indem er seine zugleich sprachliche und sachliche Forschung auf seinen Schüler Varro vererbte.

Mehr untergeordneter Art war begreiflicherweise die literarische Tätigkeit auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts zu tun als Hand- und Übungsbücher nach dem Muster der griechischen Kompendien des Hermagoras und anderer zu schreiben, woran es denn freilich die Schulmeister, teils um des Bedürfnisses, teils um der Eitelkeit und des Geldes willen, nicht fehlen ließen. Von einem unbekannten Verfasser, der nach der damaligen Weise zugleich lateinische Literatur und lateinische Rhetorik lehrte und über beide schrieb, ist uns ein solches, unter Sullas Diktatur abgefaßtes Handbuch der Redekunst erhalten; eine nicht bloß durch die knappe, klare und sichere Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die verhältnismäßige Selbständigkeit den griechischen Mustern gegenüber bemerkenswerte Lehrschrift. Obwohl in der Methode gänzlich abhängig von den Griechen, weist der Römer doch bestimmt und sogar schroff alles das ab, „was die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig damit die Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine“. Der bitterste Tadel trifft die haarspaltende Dialektik, diese „geschwätzige Wissenschaft der Redeunkunst“, deren vollendeter Meister, vor lauter Angst, sich zweideutig auszudrücken, zuletzt nicht mehr seinen eigenen Namen auszusprechen wagt. Die griechische Schulterminologie wird durchgängig und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der Verfasser vor der Viellehrerei und schärft die goldene Regel ein, daß der Schüler von dem Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei, sich selbst zu helfen; ebenso ernstlich erkennt er es an, daß die Schule Neben-, das Leben die Hauptsache ist, und gibt in seinen durchaus selbständig gewählten Beispielen den Widerhall derjenigen Sachwalterreden, die während der letzten Dezennien in der römischen Advokatenwelt Aufsehen gemacht hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, daß die Opposition gegen die Auswüchse des Hellenismus, die früher gegen das Aufkommen einer eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte, nach deren Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt und damit der römischen Beredsamkeit im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen theoretisch und praktisch eine höhere Würde und eine größere Brauchbarkeit sichert.

Die Philosophie endlich ist in der Literatur noch nicht vertreten, da weder sich aus innerem Bedürfnis eine nationalrömische Philosophie entwickelte noch äußere Umstände eine lateinische philosophische Schriftstellerei hervorriefen. Mit Sicherheit als dieser Zeit angehörig sind nicht einmal lateinische Übersetzungen populärer philosophischer Kompendien nachzuweisen; wer Philosophie trieb, las und disputierte griechisch.

In den Fachwissenschaften ist die Tätigkeit gering. So gut man auch in Rom verstand zu ackern und zu rechnen, so fand doch die physikalische und mathematische Forschung dort keinen Boden. Die Folgen der vernachlässigten Theorie zeigen sich praktisch in dem niedrigen Stande der Arzneikunde und einesteils der militärischen Wissenschaften. Unter allen Fachwissenschaften blüht nur die Jurisprudenz. Wir können ihre innerliche Entwicklung nicht chronologisch genau verfolgen; im ganzen trat das Sakralrecht mehr und mehr zurück und stand am Ende dieser Periode ungefähr wie heutzutage das kanonische; die feinere und tiefere Rechtsauffassung dagegen, welche an die Stelle der äußerlichen Kennzeichen die innerlich wirksamen Momente setzt, zum Beispiel die Entwicklung der Begriffe der böswilligen und der fahrlässigen Verschuldung, des vorläufig schutzberechtigten Besitzes, war zur Zeit der Zwölf Tafeln noch nicht, wohl aber in der ciceronischen Zeit vorhanden und mag der gegenwärtigen Epoche ihre wesentliche Ausbildung verdanken. Die Rückwirkung der politischen Verhältnisse auf die Rechtsentwicklung ist schon mehrfach angedeutet worden; sie war nicht immer vorteilhaft. Durch die Einrichtung des Erbschaftsgerichtshofs der Hundertmänner zum Beispiel trat auch in dem Vermögensrecht ein Geschworenenkollegium auf, das gleich den Kriminalbehörden, statt das Gesetz einfach anzuwenden, sich über dasselbe stellte und mit der sogenannten Billigkeit die rechtlichen Institutionen untergrub; wovon unter anderm eine Folge die unvernünftige Satzung war, daß es jedem, den ein Verwandter im Testament übergangen hat, freisteht, auf Kassierung des Testaments vor dem Gerichtshof anzutragen, und das Gericht nach Ermessen entscheidet. Bestimmter läßt die Entwicklung der juristischen Literatur sich erkennen. Sie hatte bisher auf Formulariensammlungen und Worterklärungen zu den Gesetzen sich beschränkt; in dieser Periode bildete sich zunächst eine Gutachtenliteratur, die ungefähr unseren heutigen Präjudikatensammlungen entspricht. Die Gutachten, die längst nicht mehr bloß von Mitgliedern des Pontifikalkollegiums, sondern von jedem, der Befrager fand, zu Hause oder auf offenem Markt erteilt wurden, und an die schon rationelle und polemische Erörterungen und die der Rechtswissenschaft eigentümlichen stehenden Kontroversen sich anknüpften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts an, aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt gemacht zu werden; es geschah dies zuerst von dem jüngeren Cato († um 600 150) und von Marcus Brutus (etwa gleichzeitig), und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint, nach Materien geordnet160. Bald schritt man fort zu einer eigentlich systematischen Darstellung des Landrechts. Ihr Begründer war der Oberpontifex Quintus Mucius Scaevola (Konsul 659, † 672 95, 82), in dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das höchste Priestertum erblich war. Seine achtzehn Bücher ‚vom Landrecht, welche das positive juristische Material: die gesetzlichen Bestimmungen, die Präjudikate und die Autoritäten teils aus den älteren Sammlungen, teils aus der mündlichen Überlieferung in möglichster Vollständigkeit zusammenfaßten, sind der Ausgangspunkt und das Muster der ausführlichen römischen Rechtssysteme geworden; ebenso wurde seine resümierende Schrift ‚Definitionen‘ (όρος) die Grundlage der juristischen Kompendien und namentlich der Regelbücher. Obwohl diese Rechtsentwicklung natürlich im wesentlichen von dem Hellenismus unabhängig vor sich ging, so hat doch die Bekanntschaft mit dem philosophisch-praktischen Schematismus der Griechen im allgemeinen unzweifelhaft auch zu der mehr systematischen Behandlung der Rechtswissenschaft den Anstoß gegeben, wie denn der griechische Einfluß bei der zuletzt genannten Schrift schon im Titel hervortritt. Daß in einzelnen mehr äußerlichen Dingen die römische Jurisprudenz durch die Stoa bestimmt ward, ward schon bemerkt.

Die Kunst weist noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der Architektur, Skulptur und Malerei breitete zwar das dilettantische Wohlgefallen immer allgemeiner sich aus, aber die eigene Übung ging eher rück- als vorwärts. Immer gewöhnlicher ward es bei dem Aufenthalt in griechischen Gegenden, die Kunstwerke sich zu betrachten, wofür namentlich die Winterquartiere der Sullanischen Armee in Kleinasien 670/71 (84/83) epochemachend wurden. Die Kunstkennerschaft entwickelte sich auch in Italien. Mit silbernem und bronzenem Gerät hatte man angefangen; um den Anfang dieser Epoche begann man nicht bloß griechische Bildsäulen, sondern auch griechische Gemälde zu schätzen. Das erste im Rom öffentlich aufgestellte Bild war der Bakchos des Aristeides, den Lucius Mummius aus der Versteigerung der korinthischen Beute zurücknahm, weil König Attalos bis zu 6000 Denaren (1827 Taler) darauf bot. Die Bauten wurden glänzender, und namentlich kam der überseeische, besonders der hymettische Marmor (Cipollin) dabei in Gebrauch – die italischen Marmorbrüche waren noch nicht in Betrieb. Der prachtvolle, noch in der Kaiserzeit bewunderte Säulengang, den der Besieger Makedoniens, Quintus Metellus (Konsul 611 143), auf dem Marsfelde anlegte, schloß den ersten Marmortempel ein, den die Hauptstadt sah; bald folgten ähnliche Anlagen auf dem Kapitol durch Scipio Nasica (Konsul 616 138), nahe dem Rennplatz durch Gnaeus Octavius (Konsul 626 128). Das erste mit Marmorsäulen geschmückte Privathaus war das des Redners Lucius Crassus († 663 91) auf dem Palatin. Aber wo man plündern und kaufen konnte, statt selber zu schaffen, da geschah es; es ist ein schlimmes Armutszeugnis für die römische Architektur, daß sie schon anfing, die Säulen der alten griechischen Tempel zu verwenden, wie zum Beispiel das römische Kapitol durch Sulla mit denen des Zeustempels in Athen geschmückt ward. Was dennoch in Rom gearbeitet ward, ging aus den Händen von Fremden hervor; die wenigen römischen Künstler dieser Zeit, die namentlich erwähnt werden, sind ohne Ausnahme eingewanderte italische oder überseeische Griechen: so der Architekt Hermodoros aus dem kyprischen Salamis, der unter anderm die römischen Docks wiederherstellte und für Quintus Metellus (Konsul 611 143) den Tempel des Jupiter Stator in der von diesem angelegten Halle, für Decimus Brutus (Konsul 616 138) den Marstempel im Flaminischen Circus baute; der Bildhauer Pasiteles (um 665 89) aus Großgriechenland, der für römische Tempel Götterbilder aus Elfenbein lieferte; der Maler und Philosoph Metrodoros von Athen, der verschrieben ward, um die Bilder für den Triumph des Lucius Paullus (587 168) zu malen. Es ist bezeichnend, daß die Münzen dieser Epoche im Vergleich mit denen der vorigen zwar eine größere Mannigfaltigkeit der Typen, aber im Stempelschnitt eher einen Rück- als einen Fortschritt zeigen.

Endlich Musik und Tanz siedelten in gleicher Weise von Hellas über nach Rom, einzig, um daselbst zur Erhöhung des dekorativen Luxus verwandt zu werden. Solche fremdländischen Künste waren allerdings nicht neu in Rom; der Staat hatte seit alter Zeit bei seinen Festen etruskische Flötenbläser und Tänzer auftreten lassen und die Freigelassenen und die niedrigste Klasse des römischen Volkes auch bisher schon mit diesem Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, daß griechische Tänze und musikalische Aufführungen die stehende Begleitung einer vornehmen Tafel wurden; neu war eine Tanzschule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner Reden sie voll Unwillen schildert, in der über fünfhundert Knaben und Mädchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Männern in Amt und Würden durcheinander, von einem Ballettmeister Anweisung erhielten, zu wenig ehrbaren Kastagnettentänzen, zu entsprechenden Gesängen und zum Gebrauch der verrufenen griechischen Saiteninstrumente. Neu war es auch – nicht so sehr, daß ein Konsular und Oberpontifex, wie Publius Scaevola (Konsul 621 133), auf dem Spielplatz ebenso bebend die Bälle fing, wie er daheim die verwickeltsten Rechtsfragen löste, als daß vornehme junge Römer bei den Festspielen Sullas vor allem Volke ihre Jockeykünste produzierten. Die Regierung versuchte wohl einmal, diesem Treiben Einhalt zu tun; wie denn zum Beispiel im Jahre 639 (115) alle musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen einfachen Flöte von den Zensoren untersagt wurden. Aber Rom war kein Sparta; das schlaffe Regiment signalisierte mehr die Übelstände durch solche Verbote, als daß es durch scharfe und folgerichtige Anwendung ihnen abzuhelfen auch nur versucht hätte.

Werfen wir schließlich einen Blick zurück auf das Gesamtbild, das die Literatur und die Kunst Italiens von dem Tode des Ennius bis auf den Anfang der ciceronischen Zeit vor uns entfaltet, so begegnen wir auch hier in Vergleich mit der vorhergehenden Epoche dem entschiedensten Sinken der Produktivität. Die höheren Gattungen der Literatur sind abgestorben oder im Verkümmern, so das Epos, das Trauerspiel, die Geschichte. Was gedeiht, sind die untergeordneten Arten, die Übersetzung und die Nachbildung des Intrigenstücks, die Posse, die poetische und prosaische Broschüre; in diesem letzten, von der vollen Windsbraut der Revolution durchrasten Gebiet der Literatur begegnen wir den beiden größten literarischen Talenten dieser Epoche, dem Gaius Gracchus und dem Gaius Lucilius, die beide über eine Menge mehr oder minder mittelmäßiger Schriftsteller emporragen, wie in einer ähnlichen Epoche der französischen Literatur über eine Unzahl anspruchsvoller Nullitäten Courier und Béranger. Ebenso ist in den bildenden und zeichnenden Künsten die immer schwache Produktivität jetzt völlig null. Dagegen gedeiht der rezeptive Kunst- und Literaturgenuß; wie die Epigonen dieser Zeit auf dem politischen Gebiet die ihren Vätern angefallenen Erbschaften einziehen und ausnutzen, so finden wir sie auch hier als fleißige Schauspielbesucher, als Literaturfreunde, als Kunstkenner und mehr noch als Sammler. Die achtungswerteste Seite dieser Tätigkeit ist die gelehrte Forschung, die vor allem in der Rechtswissenschaft und in der Sprach- und Sachphilologie eigene geistige Anstrengung offenbart. Mit der Begründung dieser Wissenschaften, welche recht eigentlich in die gegenwärtige Epoche fällt, und zugleich mit den ersten geringen Anfängen der Nachdichtung der alexandrinischen Treibhauspoesie kündigt bereits die Epoche des römischen Alexandrinismus sich an. Alles, was diese Epoche geschaffen hat, ist glatter, fehlerfreier, systematischer als die Schöpfungen des sechsten Jahrhunderts; nicht ganz mit Unrecht sahen die Literaten und Literaturfreunde dieser Zeit auf ihre Vorgänger wie auf stümperhafte Anfänger herab. Aber wenn sie die Mangelhaftigkeit jener Anfängerarbeiten belächelten oder beschalten, so mochten doch auch eben die geistreichsten von ihnen sich es gestehen, daß die Jugendzeit der Nation vorüber war, und vielleicht diesen oder jenen doch wieder im stillen Grunde des Herzens die Sehnsucht beschleichen, den lieblichen Irrtum der Jugend abermals zu irren.

  1. So hieß es im ‚Paulus‘, einem Originalstück, wahrscheinlich in der Beschreibung des Passes von Pythion (2, 296):
  2. Qua vix caprigeno géneri gradilis gréssio est.
  3. Wo kaum
    Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbar der Gang.
  4. Und in einem andern Stück wird den Zuhörern angesonnen, folgende Beschreibung zu verstehen:
  5. Vierfüßig, langsamwandelnd, ackerheimisch, rauh,
    Niedrig, kurzköpfig, schlangenhalsig, starr zu schaun,
    Und, ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton.
  6. Worauf dieselben natürlich erwidern:
  7. Mit dichtverzäuntem Worte schilderst du uns ab,
    Was ratend schwerlich auch der kluge Mann durchschaut;
    Wenn du nicht offen redest, wir verstehn dich nicht.
  8. Es erfolgt nun das Geständnis, daß die Schildkröte gemeint ist. Übrigens fehlten solche Rätselreden auch bei den attischen Trauerspieldichtern nicht, die deshalb von der Mittleren Komödie oft und derb mitgenommen wurden.
  9. Vielleicht die einzige Ausnahme ist im ‚Mädchen von Andros‘ (4, 5) die Antwort auf die Frage, wie es gehe:
  10. Nun,
    Wie wir können, heißt’s ja, da, wie wir möchten, es nicht geht,
  11. mit Anspielung auf die freilich auch einem griechischen Sprichwort nachgebildete Zeile des Caecilius:
  12. Geht’s nicht so, wie du magst, so lebe wie du kannst.
  13. Das Lustspiel ist das älteste der Terenzischen und ward auf Empfehlung des Caecilius von dem Theatervorstand zur Aufführung gebracht. Der leise Dank ist bezeichnend.
  14. Er habe verlegt sich plötzlich auf die Poesie,
    Der Freunde Geist vertrauend, nicht aus eignem Drang;
  15. und in dem späteren (594 160) zu den ‚Brüdern‘ heißt es:
  16. Denn wenn Mißgünstige sagen, daß vornehme Herrn
    Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stück,
    So rechnet dies, was herber Tadel jenen scheint,
    Der Dichter zum Ruhm sich: daß den Männern er gefällt,
    Die euch und allem Volke wohlgefällig sind,
    Die in Kriegsläuften seinerzeit mit Rat und Tat
    Hilfreich erprobt ihr all‘ und ohne Übermut.
  17. Schon in der ciceronischen Zeit war es allgemeine Annahme, daß hier Laelius und Scipio Aemilianus gemeint seien; man bezeichnete die Szenen die von denselben herrühren sollten; man erzählte von den Fahrten des armen Dichters mit seinen vornehmen Gönnern auf ihre Güter bei Rom und fand es unverzeihlich, daß dieselben für die Verbesserung seiner ökonomischen Lage gar nichts getan hätten. Allein die sagenbildende Kraft ist bekanntlich nirgends mächtiger als in der Literaturgeschichte. Es leuchtet ein, und schon besonnene römische Kritiker haben es erkannt, daß diese Zeilen unmöglich auf den damals 25jährigen Scipio und auf seinen nicht viel älteren Freund Laelius gehen können. Verständiger wenigstens dachten andere an die vornehmen Poeten Quintus Labeo (Konsul 571 183) und Marcus Popillius (Konsul 581 173) und den gelehrten Kunstfreund und Mathematiker Lucius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166); doch ist auch dies offenbar nur Vermutung. Daß Terenz dem Scipionischen Hause nahe stand, ist übrigens nicht zu bezweifeln; es ist bezeichnend, daß die erste Aufführung der ‚Brüder‘ und die zweite der ‚Schwiegermutter‘ stattfand bei den Begräbnisfeierlichkeiten des Lucius Paullus, die dessen Söhne Scipio und Fabius ausrichteten.
  18. Dabei haben vermutlich auch äußerliche Umstände mitgewirkt. Nachdem infolge des Bundesgenossenkrieges alle italischen Gemeinden das römische Bürgerrecht erlangt hatten, war es nicht mehr erlaubt, die Szene eines Lustspiels in eine solche zu verlegen, und mußte der Dichter sich entweder allgemein halten oder untergegangene oder ausländische Orte auswählen. Gewiß hat auch dieser Umstand, der selbst bei der Aufführung der älteren Lustspiele in Betracht kam, auf das Nationallustspiel ungünstig eingewirkt.
  19. Es knüpfen sich an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von Irrtümern. Das arge Versehen griechischer Berichterstatter, daß diese Possen in Rom in oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit Recht jetzt allgemein verworfen; allein es stellt bei genauerer Betrachtung sich nicht minder als unmöglich heraus diese, in der Mitte des latinischen Stadt- und Landlebens stehenden Stücke überhaupt auf das national oskische Wesen zu beziehen. Die Benennung des „Atellanischen Spiels“ erklärt sich auf eine andere Weise. Die latinische Posse mit ihren festen Rollen und stehenden Späßen bedurfte einer bleibenden Szenerie; die Narrenwelt sucht überall sich ein Schildburg. Natürlich konnte bei der römischen Bühnenpolizei keine der römischen oder auch nur mit Rom verbündeten latinischen Gemeinden dazu genommen werden, obwohl die togatae in diese zu verlegen gestattet war. Atella aber, das mit Capua zugleich im Jahre 543 (211) rechtlich vernichtet ward, tatsächlich aber als ein von römischen Bauern bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu in jeder Beziehung. Zur Gewißheit wird diese Vermutung durch die Wahrnehmung, daß einzelne dieser Possen auch in anderen überhaupt oder doch rechtlich nicht mehr existierenden Gemeinden des lateinisch redenden Gebiets spielen: so des Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi und seine Quinquatria in Capua, des Novius milites Pometinenses in Suessa Pometia, während keine bestehende Gemeinde ähnlich gemißhandelt wird. Die wirkliche Heimat dieser Stücke ist also Latium, ihr poetischer Schauplatz die latinisierte Oskerlandschaft; mit der oskischen Nation haben sie nichts zu tun. Daß ein Stück des Naevius († nach 550 200) in Ermangelung eigentlicher Schauspieler von „Atellanenspielern“ aufgeführt ward und deshalb personata hieß (Festus u. d. W.), beweist hiergegen in keinem Fall; die Benennung „Atellanenspieler“ wird hier proleptisch stehen, und man könnte sogar danach vermuten, daß sie früher „Maskenspieler“ (personati) hießen.
  20. Ganz in gleicher Weise erklären sich endlich auch die „Lieder von Fescennium“, die gleichfalls zu der parodischen Poesie der Römer gehören und in der südetruskischen Ortschaft Fescennium lokalisiert wurden, ohne darum mehr zu der etruskischen Poesie gerechnet werden zu dürfen als die Atellanen zur oskischen. Daß Fescennium in historischer Zeit nicht Stadt, sondern Dorf war, läßt sich allerdings nicht unmittelbar beweisen, ist aber nach der Art, wie die Schriftsteller des Ortes gedenken und nach dem Schweigen der Inschriften im höchsten Grade wahrscheinlich.
  21. Auf! waffne dich! mit der Binsenkeule schlag ich dich tot!
  22. ganz wie Menanders ‚falscher Herakles‘ auftritt.
  23. Bisher hatte der Spielgeber die Bühne und den szenischen Apparat aus der ihm überwiesenen Pauschsumme oder auf eigene Kosten instand setzen müssen und wird wohl nicht oft hierauf viel Geld gewendet worden sein. Im Jahre 580 (174) aber gaben die Zensoren die Einrichtung der Bühne für die Spiele der Ädilen und Prätoren besonders in Verding (Liv. 41, 27); daß der Bühnenapparat jetzt nicht mehr bloß für einmal angeschafft ward, wird zu einer merklichen Verbesserung desselben geführt haben.
  24. Die Berücksichtigung der akustischen Vorrichtungen der Griechen folgt wohl aus Vitr. 5, 5, B. Über die Sitzplätze hat F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 227, XX) gesprochen; doch dürften (nach Plaut. Capt. prol. 11) nur diejenigen, welche nicht capite censi waren, Anspruch auf einen solchen gehabt haben. Wahrscheinlich gehen übrigens zunächst auf diese epochemachenden Theaterspiele des Mummius (Tac. arm. 14, 21) die Worte des Horaz, daß „das gefangene Griechenland den Sieger gefangen nahm“.
  25. Die Kulissen des Pulcher müssen ordentlich gemalt gewesen sein, da die Vögel versucht haben sollen, sich auf die Ziegel derselben zu setzen (Plin nat. 35, 4 23; Val. Max. 2, 4, 6). Bis dahin hatte die Donnermaschinerie darin bestanden, daß Nägel und Steine in einem kupfernen Kessel geschüttelt wurden; erst Pulcher stellte einen besseren Donner durch gerollte Steine her – das nannte man seitdem „Claudischen Donner“ (Festus v. Claudiana p. 57).
  26. Unter den wenigen, aus dieser Epoche erhaltenen kleineren Gedichten findet sich folgendes Epigramm auf diesen gefeierten Schauspieler:
  27. Constiteram, exorientem Auroram forte salutans,
    Cum subito a laeva Roscius exoritur.
    Pace mihi liceat, caelestes, dicere vestra:
    Mortalis visust pulchrior esse deo.
  28. Jüngsthin stand ich, die Sonne verehrend eben im Aufgehn:
    Da zur Linken mir, schau! plötzlich geht Roscius auf.
    Zürnet, ihr Himmlischen, nicht, wenn was ich gedacht ich gestehe:
    Schöner fürwahr als der Gott deuchte der Sterbliche mir.
  29. Der Verfasser dieses griechisch gehaltenen und von griechischem Kunstenthusiasmus eingegebenen Epigramms ist kein geringerer Mann als der Besieger der Kimbrer, Quintus Lutatius Catulus, Konsul 652 (102).
  30. Quam lepide λέξεις, compostae ut tesserulae omnes
    Arte pavimento atque emblemate vermiculato!
  31. Ei, die niedliche Phrasenfabrik!
    Gefügt so zierlich Stück für Stück,
    Wie die Stifte im bunten Mosaik.
  32. Quo facetior videare et scire plus quam ceteri,
  33. Daß du gebildeter als die andern heißest und ein feinerer Mann,
    – nicht pertaesum, sondern pertisum zu sagen.
  34. Nunc vero a mane ad noctem, festo atque profesto
    Toto itidem pariterque die populusque patresque
    Iactare endo foro se omnes, decedere nusquam.
    Uni se atque eidem studio omnes dedere et arti:
    Verba dare ut acute possint, pugnare dolose,
    Blanditia certare, bonun simulare virum se,
    Insidias facere ut si hostes sint omnibus omnes.
  35. Folgendes längere Bruchstück ist charakteristisch für die stilistische und metrische Behandlung, deren Lotterigkeit sich in deutschen Hexametern unmöglich wiedergeben läßt:
  36. Virtus, Albine, est pretium persolvere verum
    Queis in versamur, queis vivimu‘ rebu potesse;
    Virtus est homini scire id quod quaeque habeat res;
    Virtus scire homini rectum, utile quid sit, honestum,
    Quae bona, guae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum;
    Virtus quaerendae rei finem scire modumque;
    Virtus divitiis pretium persolvere posse;
    Virtus id dare quod re ipsa debetur honori,
    Hostem esse atque inimicum hominum morumque malorum.
    Contra defensorem hominum morumque bonorum,
    Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum;
    Commoda praeterea patriae sibi prima putare,
    Deinde parentum, tertia iam postremaque nostra.
  37. Tugend ist zahlen den rechten Preis
    Zu können nach ihrer Art und Weis
    Für jede Sach‘ in unserm Kreis;
    Tugend, zu wissen, was jedes Ding
    Mit sich für den Menschen bring‘;
    Tugend, zu wissen, was nützlich und recht,
    Was gut und übel, unnütz und schlecht;
    Tugend, wenn man dem Erwerb und Fleiß
    Zu setzen die rechte Grenze weiß
    Und dem Reichtum den rechten Preis;
    Tugend, dem Rang zu geben sein Recht,
    Feind zu sein Menschen und Sitten schlecht,
    Freund Menschen und Sitten gut und recht;
    Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu,
    Zu ihnen zu halten in Lieb‘ und Treu;
    Immer zu sehen am ersten Teil
    Auf des Vaterlandes Heil,
    Sodann auf das, was den Eltern frommt,
    Und drittens der eigene Vorteil kommt.
  38. Dergleichen gelehrte Reisen waren übrigens bei den Griechen dieser Zeit nichts Seltenes. So fragt bei Plautus (Men. 248 vgl. 235) jemand, der das ganze Mittelländische Meer durchschifft hat:
  39. Warum geh‘ ich nicht
    nach Hause, da ich doch keine Geschichte schreiben will?
  40. Die einzige wirkliche Ausnahme, soweit wir wissen, ist die griechische Geschichte des Gnaeus Aufidius, der in Ciceros (Tusc. 5, 38, 112) Knabenzeit, also um 660 (90) blühte. Die griechischen Memoiren des Publius Rutilius Rufus (Konsul 649 105) sind kaum als Ausnahme anzusehen, da ihr Verfasser sie im Exil zu Smyrna schrieb.
  41. Die Behauptung zum Beispiel, daß die Quästoren in der Königszeit von der Bürgerschaft, nicht vom König ernannt seien, ist ebenso sicher falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn trägt.
  42. Catos Buch führte wohl den Titel ‚De iuris disciplina‘ (Gell. 13, 20), das des Brutus den ‚De iure civili‘ (Cic. Cluent. 51, 141; De orat. 2, 55, 223); daß es wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt Cicero (De orat. 2, 33, 142).

3. Kapitel


3. Kapitel

Die Revolution und Gaius Gracchus

Tiberius Gracchus war tot; indes seine beiden Werke, die Landaufteilung wie die Revolution, überlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen Proletariat gegenüber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber nicht diesen Mord zur Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes benutzen; durch den wahnsinnigen Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz selbst weit mehr befestigt als erschüttert worden. Die reformistisch gesinnte Partei der Aristokratie, welche die Domanialteilung offen begünstigte, an ihrer Spitze Quintus Metellus, eben um diese Zeit (623 131) Zensor, und Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit der Partei des Scipio Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt war, selbst im Senat für jetzt die Oberhand, und ausdrücklich wies ein Senatsbeschluß die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach dem Sempronischen Gesetz sollten dieselben jährlich von der Gemeinde ernannt werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein bei der Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natürlich, daß die Wahl wieder und wieder auf dieselben Männer fiel und eigentliche Neuwahlen nur stattfanden, wo ein Platz durch den Tod sich erledigte. So trat für Tiberius Gracchus in dieselbe ein der Schwiegervater seines Bruders Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als dieser 624 (130) gefallen und auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das Teilungsgeschäft in Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der tätigsten Führer der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius Carbo. Schon die Namen dieser Männer bürgen dafür, daß man das Geschäft der Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer und Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafür nicht an Beweisen. Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius, derselbe, der die Blutgerichte gegen die Anhänger des Tiberius Gracchus leitete, verzeichnet auf einem öffentlichen Denkmal sich als „den ersten, der auf den Domänen die Hirten aus- und dafür die Bauern eingewiesen habe“, und auch sonst ist es überliefert, daß sich die Aufteilung über ganz Italien erstreckte und überall in den bisherigen Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward – denn nicht durch Gründung neuer Gemeinden, sondern durch Verstärkung der bestehenden die Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen Ackergesetzes. Den Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser Aufteilungen bezeugen die zahlreichen in der römischen Feldmesserkunst auf die Gracchischen Landanweisungen zurückgehenden Einrichtungen; wie denn zum Beispiel eine gehörige und künftigen Irrungen vorbeugende Marksteinsetzung zuerst durch die Gracchischen Grenzgerichte und Landaufteilungen ins Leben gerufen zu sein scheint. Am deutlichsten aber reden die Zahlen der Bürgerliste. Die Schätzung, die im Jahre 623 (131) veröffentlicht ward und tatsächlich wohl Anfang 622 (132) stattfand, ergab nicht mehr als 319000 waffenfähige Bürger, wogegen sechs Jahre später (629 125) statt des bisherigen Sinkens sich die Ziffer auf 395000, also um 76000 hebt – ohne allen Zweifel lediglich infolge dessen, was die Teilungskommission für die römische Bürgerschaft tat. Ob dieselbe auch bei den Italikern die Bauernstellen in demselben Verhältnis vermehrt hat, läßt sich bezweifeln; auf alle Fälle war das, was sie erreichte, ein großes und segensreiches Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab ohne vielfache Verletzung achtbarer Interessen und bestehender Rechte. Das Teilherrenamt, besetzt mit den entschiedensten Parteimännern und durchaus Richter in eigener Sache, ging mit seinen Arbeiten rücksichtslos und selbst tumultuarisch vor; öffentliche Anschläge forderten jeden, der dazu imstande sei, auf über die Ausdehnung des Domaniallandes Nachweisungen zu geben; unerbittlich wurde zurückgegangen auf die alten Erdbücher und nicht bloß neue und alte Okkupation ohne Unterschied wieder eingefordert, sondern auch vielfältig wirkliches Privateigentum, über das der Inhaber sich nicht genügend auszuweisen vermochte, mitkonfisziert. Wie laut und großenteils begründet auch die Klagen waren, der Senat ließ die Aufteiler gewähren: es war einleuchtend, daß, wenn man einmal die Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches rücksichtsloses Durchgreifen schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte dies Gewährenlassen doch seine Grenze. Das italische Domanialland war nicht lediglich in den Händen römischer Bürger; große Strecken desselben waren einzelnen bundesgenössischen Gemeinden durch Volks- oder Senatsbeschlüsse zu ausschließlicher Benutzung zugewiesen, andere Stücke von latinischen Bürgern erlaubter- oder unerlaubterweise okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese Besitzungen an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbürgern einfach okkupierten Stücke unzweifelhaft zulässig, nicht minder vermutlich die Einziehung des durch Senatsbeschlüsse, ja selbst des durch Gemeindebeschlüsse den italischen Gemeinden überwiesenen Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigentum verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser Bundes- oder Untertanengemeinden, daß Rom die in Kraft stehenden Abmachungen nicht einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt verletzten römischen Bürger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich mochten jene nicht besser begründet sein als diese; aber wenn es in diesem Falle sich um Privatinteressen von Staatsangehörigen handelte, so kam in Beziehung auf die latinischen Possessionen in Frage, ob es politisch richtig sei, die militärisch so wichtigen und schon durch zahlreiche rechtliche und faktische Zurücksetzungen Rom sehr entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese empfindliche Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen. Die Entscheidung lag in den Händen der Mittelpartei; sie war es gewesen, die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhängern die Reform gegen die Oligarchie geschützt hatte, und sie allein vermochte jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu setzen. Die Latiner wandten sich persönlich an den hervorragendsten Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu schützen; er sagte es zu, und wesentlich durch seinen Einfluß21 ward im Jahre 625 (129) durch Volksschluß der Teilkommission die Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was Domanial- und was Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an die Konsuln gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen zukam. Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren Domanialaufteilung in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs gracchanisch gesinnt und wenig geneigt, mit der bedenklichen Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr, zum illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene Geschäft unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber da die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch sie notgedrungen untätig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst Männer wie Publius Mucius und Quintus Metellus mißbilligten Scipios Zwischentreten. In anderen Kreisen begnügte man sich nicht mit der Mißbilligung. Auf einen der nächsten Tage hatte Scipio einen Vortrag über die Verhältnisse der Latiner angekündigt; am Morgen dieses Tages ward er tot in seinem Bette gefunden. Daß der sechsundfünfzigjährige in voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher öffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede für den nächsten Tag zu entwerfen, sich früher als gewöhnlich in sein Schlafgemach zurückgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes geworden ist, kann nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher der gegen ihn gerichteten Mordanschläge öffentlich erwähnt. Welche meuchelnde Hand den ersten Staatsmann und den ersten Feldherrn seiner Zeit bei nächtlicher Weile erwürgt hat, ist nie an den Tag gekommen, und es ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen Stadtklatsch überlieferten Gerüchte zu wiederholen noch den kindischen Versuch anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln. Nur daß der Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehört haben muß, ist einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fürchtend, daß ihre Führer, Gaius Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozeß möchten verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kräften der Einleitung einer Untersuchung; und auch die Aristokratie, die an Scipio ebensosehr einen Gegner wie einen Verbündeten verlor, ließ nicht ungern die Sache ruhen. Die Menge und die gemäßigten Männer standen entsetzt; keiner mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten gegen die Reform gemißbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen schaudernd sich abwandte und seinen vier Söhnen befahl, die Bahre des großen Gegners zur Feuerstätte zu tragen. Die Leichenbestattung ward beschleunigt; verhüllten Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht des Siegers von Zama hinausgetragen, ohne daß jemand zuvor des Toten Antlitz hätte sehen dürfen, und die Flammen des Scheiterhaufens verzehrten mit der Hülle des hohen Mannes zugleich die Spuren des Verbrechens.

Die Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio Aemilianus, aber keinen, der an sittlicher Reinheit, an völliger Abwesenheit des politischen Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm gleich kommt; vielleicht auch keinen, dem das Geschick eine tragischere Rolle zugewiesen hat. Des besten Willens und nicht gemeiner Fähigkeiten sich bewußt, war er dazu verurteilt, den Ruin seines Vaterlandes vor seinen Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch einer Rettung, in der klaren Einsicht, nur übel damit ärger zu machen, in sich niederzukämpfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica gutheißen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Mörder verteidigen zu müssen. Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst gelebt zu haben. Er war es, wenigstens ebensosehr wie der Urheber des Sempronischen Gesetzes, dem die römische Bürgerschaft einen Zuwachs von gegen 80000 neuen Bauernhufen verdankte; er war es auch, der diese Domanialteilung hemmte, als sie genützt hatte, was sie nützen konnte. Daß es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward zwar damals auch von wohlmeinenden Männern bestritten; aber die Tatsache, daß auch Gaius Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden und unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurückkam, spricht gar sehr dafür, daß Scipio im wesentlichen den richtigen Moment traf. Beide Maßregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der Aristokratie, die zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber mit seinem Leben. Es war Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld für sein Vaterland zu fechten und unverletzt heimzukehren, um dort den Tod von Mörderhand zu finden; aber er ist in seiner stillen Kammer nicht minder für Rom gestorben, als wenn er vor Karthagos Mauern gefallen wäre.

Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging an. Die revolutionäre Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine konstituierte Vorstandschaft besaß, hatte schon bei Scipios Lebzeiten hier und dort mit dem bestehenden Regiment geplänkelt; namentlich Carbo, eines der ausgezeichnetsten Rednertalente dieser Zeit, hatte als Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht wenig zu schaffen gemacht, die geheime Abstimmung in den Bürgerschaftsversammlungen durchgesetzt, soweit es nicht bereits früher geschehen war, und sogar den bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen die Wiederbewerbung um dasselbe Amt für das unmittelbar folgende Jahr freizugeben, also das Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunächst gescheitert war, gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand Scipios vereitelt worden; einige Jahre später, wie es scheint nach dessen Tode, wurde das Gesetz, wenn auch mit beschränkenden Klauseln, wieder ein- und durchgebracht22. Die hauptsächliche Absicht der Partei ging indes auf Reaktivierung des faktisch außer Tätigkeit gesetzten Teilungsamts: unter den Führern ward der Plan ernstlich besprochen, die Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen derselben entgegenstellten, durch Erteilung des Bürgerrechts an dieselben zu beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um ihr zu begegnen, ließ der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius Pennus die Ausweisung sämtlicher Nichtbürger aus der Hauptstadt beantragen und trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des Gaius Gracchus, und der durch diese gehässige Maßregel hervorgerufenen Gärung in den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629 125) als Konsul mit dem Antrag, den Bürgern der Bundesgemeinden die Gewinnung der römischen Bürgerrechte zu erleichtern und auch denen, die sie nicht gewonnen, gegen Straferkenntnisse die Provokation an die römischen Komitien einzuräumen; allein er stand fast allein – Carbo hatte inzwischen die Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius Gracchus abwesend als Quästor in Sardinien – und scheiterte an dem Widerstand nicht bloß des Senats, sondern auch der Bürgerschaft, die der Ausdehnung ihrer Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig geneigt war. Flaccus verließ Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten zu übernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen den großen Plänen der Demokratie vorarbeitend, zog er zugleich sich damit aus der üblen Lage heraus, gegen die von ihm selber aufgestifteten Bundesgenossen die Waffen tragen zu müssen. Fregellae, an der Grenze von Latium und Kampanien am Hauptübergang über den Liris inmitten eines großen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die zweite Stadt Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewöhnliche Wortführer für die sämtlichen latinischen Kolonien, begann infolge der Zurückweisung des von Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen Rom – seit hundertfünfzig Jahren der erste Fall einer ernstlichen, nicht durch auswärtige Mächte herbeigeführten Schilderhebung Italiens gegen die römische Hegemonie. Indes gelang es diesmal noch, den Brand, ehe er andere bundesgenössische Gemeinden ergriff, im Keime zu ersticken; nicht durch die Überlegenheit der römischen Waffen, sondern durch den Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward der Prätor Lucius Opimius rasch Meister über die empörte Stadt, die ihr Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward. Auf einem Teil ihres Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria gegründet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wurden unter die umliegenden Gemeinden verteilt. Das schnelle und furchtbare Strafgericht schreckte die Bundesgenossenschaft, und endlose Hochverratsprozesse verfolgten nicht bloß die Fregellaner, sondern auch die Führer der Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der Aristokratie als an dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen erschien Gaius Gracchus wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den gefürchteten Mann zuerst in Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie die übliche Ablösung unterließ und sodann, da er ohne hieran sich zu kehren dennoch zurückkam, ihn als einen der Urheber des Fregellanischen Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die Bürgerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh auf, bewarb sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewöhnlich zahlreich besuchten Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631 (123) ernannt. Der Krieg war also erklärt. Die demokratische Partei, immer arm an leitenden Kapazitäten, hatte neun Jahre hindurch notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der Waffenstillstand zu Ende und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als Carbo und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur Führerschaft berufen war.

Gaius Gracchus (601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um neun Jahre älteren Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem Treiben abgewandt, ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er hatte vor Numantia unter seinem Schwager und später in Sardinien mit Auszeichnung gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an Leidenschaft war er dem Tiberius entschieden überlegen. An der Klarheit und Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich später in dem Drang der verschiedenartigsten, zur praktischen Durchführung seiner zahlreichen Gesetze erforderlichen Geschäfte zu bewegen wußte, erkannte man die echte staatsmännische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum Tode getreuen Hingebung, mit der seine näheren Freunde an ihm hingen, die Liebefähigkeit dieses adligen Gemütes. Der Energie seines Wollens und Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene Zurückhaltung während der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht mit geminderter, nur mit verdichteter Glut flammte in ihm die tief in die innerste Brust zurückgedrängte Erbitterung gegen die Partei, die das Vaterland zerrüttet und ihm den Bruder ermordet hatte. Durch diese furchtbare Leidenschaft seines Gemütes ist er der erste Redner geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie würden wir ihn wahrscheinlich den ersten Staatsmännern aller Zeiten beizählen dürfen. Noch unter den wenigen Trümmern seiner aufgezeichneten Reden sind manche selbst in diesem Zustande von herzerschütternder Mächtigkeit23, und wohl begreift man, daß, wer sie hörte oder auch nur las, fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte. Dennoch, sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht selten ihn selber der Zorn, so daß dem glänzenden Sprecher die Rede trübe oder stockend floß. Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und Leidens. In Gaius‘ Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders, von jener etwas sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren Gutmütigkeit, die den politischen Gegner mit Bitten und Tränen umstimmen möchte; mit voller Sicherheit betrat er den Weg der Revolution und strebte er nach dem Ziel der Rache. „Auch mir“, schrieb ihm seine Mutter, „scheint nichts schöner und herrlicher, als dem Feinde zu vergelten, wofern dies geschehen kann, ohne daß das Vaterland zugrunde geht. Ist aber dies nicht möglich, da mögen unsere Feinde bestehen und bleiben, was. sie sind, tausendmal lieber, als daß das Vaterland verderbe.“ Cornelia kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntnis war eben das Gegenteil. Rache wollte er nehmen an der elenden Regierung, Rache um jeden Preis, mochte auch er selbst, ja das Gemeinwesen darüber zugrunde gehen – die Ahnung, daß das Verhängnis ihn so sicher ereilen werde wie den Bruder, trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem tödlich Verwundeten, der sich auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber auch den Sohn, diese tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus italienische Natur hat die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt, und sie hat recht daran getan.

Tiberius Gracchus war mit einer einzelnen Administrativreform vor die Bürgerschaft getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschläge einbrachte, war nichts anderes als eine vollständig neue Verfassung, als deren erster Grundstein die schon früher durchgesetzte Neuerung erscheint, daß es dem Volkstribun freistehen solle, sich für das folgende Jahr wiederwählen zulassen. Wenn hiermit für das Volkshaupt die Möglichkeit einer dauernden und den Inhaber schützenden Stellung gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle Macht zu sichern, das heißt die hauptstädtische Menge – denn daß auf das nur von Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlaß war, hatte sich sattsam gezeigt – mit ihren Interessen fest an den Führer zu knüpfen. Hierzu diente zuvörderst die Einführung der hauptstädtischen Getreideverteilung. Schon früher war das dem Staat aus den Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals zu Schleuderpreisen an die Bürgerschaft abgegeben worden. Gracchus verfügte, daß fortan jedem persönlich in der Hauptstadt sich meldenden Bürger monatlich eine bestimmte Quantität – es scheint 5 Modii (5/6 preuß. Scheffel) -aus den öffentlichen Magazinen verabfolgt werden solle, der Modius zu 6 1/3 As (2½ Groschen) oder noch nicht die Hälfte eines niedrigen Durchschnittspreises; zu welchem Ende durch Anlage der neuen Sempronischen Speicher die öffentlichen Kornmagazine erweitert wurden. Diese Verteilung, welche folgeweise die außerhalb der Hauptstadt lebenden Bürger ausschloß und notwendig die ganze Masse des Bürgerproletariats nach Rom ziehen mußte, sollte das hauptstädtische Bürgerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie abgehangen hatte, in die Klientel der Führer der Bewegungspartei bringen und damit dem neuen Herrn des Staats zugleich eine Leibwache und eine feste Majorität in den Komitien gewähren. Zu mehrerer Sicherheit hinsichtlich dieser wurde ferner die in den Zenturiatkomitien noch bestehende Stimmordnung, wonach die fünf Vermögensklassen in jedem Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben, abgeschafft; statt dessen sollten in Zukunft sämtliche Zenturien durcheinander in einer jedesmal durch das Los festzustellenden Reihenfolge stimmen. Wenn diese Bestimmungen wesentlich darauf hinzielten, durch das hauptstädtische Proletariat dem neuen Staatsoberhaupt die vollständige Herrschaft über die Hauptstadt und damit über den Staat, die freieste Disposition über die Maschine der Komitien und die Möglichkeit zu verschaffen, den Senat und die Beamten nötigenfalls zu terrorisieren, so faßte doch der Gesetzgeber daneben allerdings auch die Heilung der bestehenden sozialen Schäden mit Ernst und Nachdruck an. Zwar die italische Domänenfrage war in gewissem Sinne abgetan. Das Ackergesetz des Tiberius und selbst das Teilungsamt bestanden rechtlich noch fort; das von Gaius durchgebrachte Ackergesetz kann nichts neu festgesetzt haben als die Zurückgabe der verlorenen Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Daß hiermit nur das Prinzip gerettet werden sollte und die Ackerverteilung wenn überhaupt, doch nur in sehr beschränktem Umfang wiederaufgenommen ward, zeigt die Bürgerliste, die für die Jahre 629 (125) und 639 (115) genau dieselbe Kopfzahl ergibt. Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb nicht weiter, weil das von römischen Bürgern in Besitz genommene Domanialland wesentlich bereits verteilt war, die Frage aber wegen der von den Latinern benutzten Domänen nur in Verbindung mit der sehr schwierigen über die Ausdehnung des Bürgerrechts wiederaufgenommen werden durfte. Dagegen tat er einen wichtigen Schritt hinaus über das Ackergesetz des Tiberius, indem er die Gründung von Kolonien in Italien, namentlich in Tarent und vor allem in Capua, beantragte, also auch das von Gemeinde wegen verpachtete, bisher von der Aufteilung ausgeschlossene Domanialland zur Verteilung mitheranzog, und zwar nicht zur Verteilung nach dem bisherigen, die Gründung neuer Gemeinden ausschließenden Verfahren, sondern nach dem Kolonialsystem. Ohne Zweifel sollten auch diese Kolonien die Revolution, der sie ihre Existenz verdankten, dauernd verteidigen helfen. Bedeutender und folgenreicher noch war es, daß Gaius Gracchus zuerst dazu schritt, das italische Proletariat in den überseeischen Gebieten des Staats zu versorgen, indem er an die Stätte, wo Karthago gestanden, 6000 vielleicht nicht bloß aus den römischen Bürgern, sondern auch aus den italischen Bundesgenossen erwählte Kolonisten sendete und der neuen Stadt Iunonia das Recht einer römischen Bürgerkolonie verlieh. Die Anlage war wichtig, aber wichtiger noch das damit hingestellte Prinzip der überseeischen Emigration, womit für das italische Proletariat ein bleibender Abzugskanal und in der Tat eine mehr als provisorische Hilfe eröffnet, freilich aber auch der Grundsatz des bisherigen Staatsrechts aufgegeben ward, Italien als das ausschließlich regierende, das Provinzialgebiet als das ausschließlich regierte Land zu betrachten.

Zu diesen auf die große Frage hinsichtlich des Proletariats unmittelbar bezüglichen Maßregeln kam eine Reihe von Verfügungen, die hervorgingen aus der allgemeinen Tendenz, gegenüber der altväterischen Strenge der bestehenden Verfassung gelindere und zeitgemäßere Grundsätze zur Geltung zu bringen. Hierher gehören die Milderungen im Militärwesen. Hinsichtlich der Länge der Dienstzeit bestand nach altem Recht keine andere Grenze, als daß kein Bürger vor vollendetem siebzehnten und nach vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum ordentlichen Felddienst pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung Spaniens der Dienst anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich verfügt zu sein, daß, wer sechs Jahre hintereinander im Felde gestanden, dadurch zunächst ein Recht erhalte auf den Abschied, wenngleich dieser vor der Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht schützte; später, vielleicht um den Anfang dieses Jahrhunderts, kam der Satz auf, daß zwanzigjähriger Dienst zu Fuß oder zehnjähriger zu Roß überhaupt vom weiteren Kriegsdienst befreie24. Gracchus erneuerte die vermutlich öfter gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen Bürger vor dem begonnenen achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und beschränkte auch, wie es scheint, die zur vollen Befreiung von der Militärpflicht erforderliche Zahl von Feldzügen; überdies wurde den Soldaten die Kleidung, deren Betrag ihnen bisher am Solde gekürzt worden war, fortan vom Staat unentgeltlich geliefert.

Hierher gehört ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch noch mehr, als es schon geschehen war, zu beschränken, die zum Teil selbst in der Militärgerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit Einführung der Republik hatte der Beamte das Recht verloren, über den Bürger die Todesstrafe ohne Befragung der Gemeinde zu verhängen außer nach Kriegsrecht; wenn dies Provokationsrecht des Bürgers bald nach der Gracchenzeit auch im Lager anwendbar und das Recht des Feldherrn, Todesstrafen zu vollstrecken, auf Bundesgenossen und Untertanen beschränkt erscheint, so ist wahrscheinlich die Quelle hiervon zu suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber auch das Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhängen oder vielmehr zu bestätigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschränkt, daß Gracchus diejenigen gemeinen Verbrechen, die am häufigsten zu Todesurteilen Veranlassung gaben, Giftmischerei und überhaupt Mord, der Bürgerschaft entzog und an ständige Kommissionsgerichte überwies, welche nicht wie die Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns gesprengt werden konnten und von denen nicht bloß keine Appellation an die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprüche auch so wenig wie die der althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde unterlagen. Bei den Bürgerschaftsgerichten war es, namentlich bei den eigentlich politischen Prozessen, zwar auch längst Regel, daß der Angeklagte auf freiem Fuß prozessiert und ihm gestattet ward, durch Aufgebung seines Bürgerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten; denn die Vermögensstrafe so wie die Zivilverurteilung konnten auch den Exilierten noch treffen. Allein vorgängige Verhaftung und vollständige Exekution blieben hier wenigstens rechtlich möglich und wurden selbst gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel Lucius Hostilius Tubulus, Prätor 612 (142), der wegen eines schweren Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des Exilrechts festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem Zivilprozeß hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich von Haus aus Freiheit und Leben des Bürgers nicht antasten und höchstens auf Verbannung erkennen – diese, bisher eine dem schuldig befundenen Mann gestattete Strafmilderung, ward nun zuerst zur förmlichen Strafe. Auch dieses unfreiwillige Exil ließ gleich dem freiwilligen dem Verbannten das Vermögen, soweit es nicht zur Befriedigung der Ersatzforderungen und in Geldbußen daraufging.

Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus zwar nichts geneuert; doch behaupten sehr achtbare Zeugen, daß er den verschuldeten Leuten auf Minderung oder Erlaß der Forderungen Hoffnung gemacht habe, was, wenn es richtig ist, gleichfalls diesen radikal populären Maßregeln beizuzählen ist.

Während Gracchus also sich lehnte auf die Menge, die von ihm eine materielle Verbesserung ihrer Lage teils erwartete, teils empfing, arbeitete er mit gleicher Energie an dem Ruin der Aristokratie. Wohl erkennend, wie unsicher jede bloß auf das Proletariat gebaute Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war er vor allem darauf bedacht, die Aristokratie zu spalten und einen Teil derselben in sein Interesse zu ziehen. Die Elemente einer solchen Spaltung waren vorhanden. Die Aristokratie der Reichen, die sich wie ein Mann gegen Tiberius Gracchus erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei wesentlich ungleichen Massen, die man einigermaßen der Lords- und der Cityaristokratie Englands vergleichen kann. Die eine umfaßte den tatsächlich geschlossenen Kreis der regierenden senatorischen Familien, die der unmittelbaren Spekulation sich fernhielten und ihre ungeheuren Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils als stille Gesellschafter bei den großen Assoziationen verwerteten. Den Kern der zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschäftsführer dieser Gesellschaften oder auf eigene Hand die Groß- und Geldgeschäfte im ganzen Umfang der römischen Hegemonie betrieben. Es ist schon dargestellt worden, wie die letztere Klasse namentlich im Laufe des sechsten Jahrhunderts allmählich der senatorischen Aristokratie an die Seite trat und, wie die gesetzliche Ausschließung der Senatoren von dem kaufmännischen Betrieb durch den von dem Vorläufer der Gracchen Gaius Flaminius veranlaßten Claudischen Volksschluß, eine äußere Scheidewand zwischen den Senatoren und den Kauf- und Geldleuten zog. In der gegenwärtigen Epoche beginnt die kaufmännische Aristokratie unter dem Namen der „Ritterschaft“ einen entscheidenden Einfluß auch in politischen Angelegenheiten zu üben. Diese Bezeichnung, die ursprünglich nur der diensttuenden Bürgerreiterei zukam, übertrug sich allmählich, wenigstens im gewöhnlichen Sprachgebrauch, auf alle diejenigen, die als Besitzer eines Vermögens von mindestens 400000 Sesterzen zum Roßdienst im allgemeinen pflichtig waren, und begriff also die gesamte senatorische und nichtsenatorische vornehme römische Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor Gaius Gracchus die Inkompatibilität des Sitzes in der Kurie und des Reiterdienstes gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den Ritterfähigen ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im großen und ganzen genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat eingetretenen, namentlich also die jüngeren Glieder der senatorischen Familien nicht aufhörten, als Ritter zu dienen und also zu heißen, ja die eigentliche Bürgerreiterei, das heißt die achtzehn Ritterzenturien, infolge ihrer Zusammensetzung durch die Zensoren, fortfuhren, vorwiegend aus der jungen senatorischen Aristokratie sich zu ergänzen.

Dieser Stand der Ritter, das heißt wesentlich der vermögenden Kaufleute, berührte vielfältig sich unsanft mit dem regierenden Senat. Es war eine natürliche Antipathie zwischen den vornehmen Adligen und den Männern, denen mit dem Gelde der Rang gekommen war. Die regierenden Herren, vor allem die besseren von ihnen, standen der Spekulation ebenso fern, wie die politischen Fragen und Koteriefehden den Männern der materiellen Interessen gleichgültig waren. Jene und diese waren namentlich in den Provinzen schon öfter hart zusammengestoßen; denn wenn auch im allgemeinen die Provinzialen weit mehr Grund hatten, sich über die Parteilichkeit der römischen Beamten zu beschweren als die römischen Kapitalisten, so ließen doch die regierenden Herren vom Senat sich nicht dazu herbei, den Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten der Geldmänner auf Kosten der Untertanen so durchaus und unbedingt die Hand zu leihen, wie es von jenen begehrt ward. Trotz der Eintracht gegen einen gemeinschaftlichen Feind, wie Tiberius Gracchus gewesen war, klaffte zwischen der Adels- und Geldaristokratie ein tief gehender Riß; und geschickter als sein Bruder erweiterte ihn Gaius, bis das Bündnis gesprengt war und die Kaufmannschaft auf seiner Seite stand. Daß die äußeren Vorrechte, durch die späterhin die Männer von Ritterzensus von der übrigen Menge sich unterschieden – der goldene Fingerreif statt des gewöhnlichen eisernen oder kupfernen und der abgesonderte und bessere Platz bei den Bürgerfesten –, der Ritterschaft zuerst von Gaius Gracchus verliehen worden sind, ist nicht gewiß, aber nicht unwahrscheinlich. Denn aufgekommen sind sie auf jeden Fall um diese Zeit, und wie die Erstreckung dieser bisher im wesentlichen senatorischen Privilegien auf den von ihm emporgehobenen Ritterstand ganz in Gracchus‘ Art ist, so war es auch recht eigentlich sein Zweck, der Ritterschaft den Stempel eines zwischen der senatorischen Aristokratie und der gemeinen Menge in der Mitte stehenden, ebenfalls geschlossenen und privilegierten Standes aufzudrücken; und ebendies haben jene Standesabzeichen, wie gering sie an sich auch waren und wie viele Ritterfähige auch ihrer sich nicht bedienen mochten, mehr gefördert als manche an sich weit wichtigere Verordnung. Indes die Partei der materiellen. Interessen, wenn sie dergleichen Ehren auch keineswegs verschmäht, ist doch dafür allein nicht zu haben. Gracchus erkannte es wohl, daß sie zwar dem Meistbietenden von Rechts wegen zufällt, aber es auch eines hohen und reellen Gebotes bedurfte; und so bot er ihr die asiatischen Gefälle und die Geschworenengerichte.

Das System der römischen Finanzverwaltung, sowohl die indirekten Steuern wie auch die Domanialgefälle durch Mittelsmänner zu erheben, gewährte an sich schon dem römischen Kapitalistenstand auf Kosten der Steuerpflichtigen die ausgedehntesten Vorteile. Die direkten Abgaben indes bestanden entweder, wie in den meisten Ämtern, in festen, von den Gemeinden zu entrichtenden Geldsummen, was die Dazwischenkunft römischer Kapitalisten von selber ausschloß, oder, wie in Sizilien und Sardinien, in einem Bodenzehnten, dessen Erhebung für jede einzelne Gemeinde in den Provinzen selbst verpachtet ward und wobei also regelmäßig die vermögenden Provinzialen, und sehr häufig die zehntpflichtigen Gemeinden selbst, den Zehnten ihrer Distrikte pachteten und dadurch die gefährlichen römischen Mittelsmänner von sich abwehrten. Als sechs Jahre zuvor die Provinz Asia an die Römer gefallen war, hatte der Senat sie im wesentlichen nach dem ersten System einrichten lassen. Gaius Gracchus25 stieß diese Verfügung durch einen Volksschluß um und belastete nicht bloß die bis dahin fast steuerfreie Provinz mit den ausgedehntesten indirekten und direkten Abgaben, namentlich dem Bodenzehnten, sondern er verfügte auch, daß diese Hebungen für die gesamte Provinz und in Rom verpachtet werden sollten – eine Bestimmung, die die Beteiligung der Provinzialen tatsächlich ausschloß und die in der Mittelsmännerschaft für Zehnten, Hutgeld und Zölle der Provinz Asia eine Kapitalistenassoziation von kolossaler Ausdehnung ins Leben rief. Charakteristisch für Gracchus‘ Bestreben, den Kapitalistenstand vom Senat unabhängig zu machen, ist dabei noch die Bestimmung, daß der völlige oder teilweise Erlaß der Pachtsumme nicht mehr, wie bisher, vom Senat nach Ermessen bewilligt werden, sondern unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich eintreten solle. Wenn hier dem Kaufmannsstand eine Goldgrube eröffnet und in den Mitgliedern der neuen Gesellschaft ein selbst der Regierung imponierender Kern der hohen Finanz, ein „Senat der Kaufmannschaft“ konstituiert ward, so ward denselben zugleich in den Geschworenengerichten eine bestimmte öffentliche Tätigkeit zugewiesen. Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von Rechts wegen vor die Bürgerschaft gehörte, war bei den Römern von Haus aus sehr eng und ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die Zivilsachen, wurden entweder von Einzelgeschworenen oder von teils stehenden, teils außerordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher waren jene und diese ausschließlich aus dem Senat genommen worden; Gracchus überwies sowohl in den eigentlichen Zivilprozessen wie bei den ständigen und nichtständigen Kommissionen die Geschworenenfunktionen an den Ritterstand, indem er die Geschworenenlisten nach Analogie der Ritterzenturien aus den sämtlichen ritterfähigen Individuen jährlich neu formieren ließ und die Senatoren geradezu, die jungen Männer der senatorischen Familien durch Festsetzung einer gewissen Altersgrenze von den Gerichten ausschloß26. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Männer gelenkt ward, die in den großen kaufmännischen Assoziationen namentlich der asiatischen und sonstigen Steuerpächter die erste Rolle spielten, eben weil diese ein sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu sitzen; und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietäten in ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des also konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war, daß, während bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die Regierung als verwaltende und kontrollierende, die Bürgerschaft als legislative Behörde, die Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren, jetzt die Geldaristokratie nicht bloß auf der soliden Basis der materiellen Interessen als festgeschlossene und privilegierte Klasse sich zusammenfand, sondern auch als richtende und kontrollierende Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast ebenbürtig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute gegen den Adel mußten fortan in den Wahrsprüchen der Geschworenen einen nur zu praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthalter hatte der Senator nicht mehr wie bisher von seinesgleichen, sondern von Großhändlern und Bankiers die Entscheidung zu erwarten über seine bürgerliche Existenz. Die Fehden zwischen den römischen Kapitalisten und den römischen Statthaltern verpflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der Reichen war nicht bloß gespalten, sondern es war auch dafür gesorgt, daß der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand.

Mit den also bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand, ging Gracchus an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden Aristokratie. Den Senat stürzen hieß einerseits durch gesetzliche Neuerungen eine wesentliche Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch Maßregeln mehr persönlicher und transitorischer Art die bestehende Aristokratie zugrunde richten. Gracchus hat beides getan. Vor allem die Verwaltung hatte bisher dem Senat ausschließlich zugestanden; Gracchus nahm sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten Administrativfragen durch Komitialgesetze, das heißt tatsächlich durch tribunizische Machtsprüche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten den Senat möglichst beschränkte, teils selbst in der umfassendsten Weise die Geschäfte an sich zog. Die Maßregeln der ersten Gattung sind schon erwähnt: der neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu fragen, über die Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den öffentlichen Finanzen eine dauernde und drückende Last aufbürdete, über die Domänen, indem er Kolonien nicht wie bisher nach Senats- und Volks-, sondern allein nach Volksschluß aussandte, über die Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat der Provinz Asia gegebene Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstieß und eine durchaus andere an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den laufenden Geschäften des Senats, die willkürliche Feststellung der jedesmaligen Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der bisher dabei geübte indirekte Druck auf die höchsten Beamten dadurch beschränkt, daß der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen festzustellen, bevor die betreffenden Konsuln gewählt seien. Mit beispielloser Tätigkeit endlich konzentrierte Gaius die verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschäfte in seiner Person: Er selbst überwachte die Getreideverteilung, erlas die Geschworenen, gründete trotz des gesetzlich an die Stadt ihn fesselnden Amtes persönlich die Kolonien, regulierte das Wegewesen und schloß die Bauverträge ab, leitete die Senatsverhandlungen, bestimmte die Konsulwahlen – kurz er gewöhnte das Volk daran, daß in allen Dingen ein Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme Verwaltung des senatorischen Kollegiums durch sein kräftiges und gewandtes persönliches Regiment.

Noch energischer als in die Verwaltung griff Gracchus ein in die senatorische Gerichtsallmacht. Daß er die Senatoren als Geschworene beseitigte, ward schon gesagt; dasselbe geschah mit der Jurisdiktion, die der Senat als oberste Verwaltungsbehörde sich in Ausnahmefällen gestattete. Bei scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem erneuerten Provokationsgesetz27, die Niedersetzung außerordentlicher Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluß, wie diejenige gewesen war, welche nach seines Bruders Ermordung über dessen Anhänger zu Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Maßregeln ist, daß der Senat die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das Staatshaupt ihm zu lassen für gut befand. Indes diese konstitutiven Maßregeln genügten nicht; auch der gegenwärtig regierenden Aristokratie wurde unmittelbar zu Leibe gegangen. Ein bloßer Akt der Rache war es, daß dem zuletzt erwähnten Gesetz rückwirkende Kraft beigelegt und dadurch derjenige Aristokrat, den nach Nasicas inzwischen erfolgtem Tode der Haß der Demokraten hauptsächlich traf, Publius Popillius, genötigt ward, das Land zu meiden. Merkwürdigerweise ging dieser Antrag nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der Bezirksversammlung durch – ein Zeichen, was wenigstens in Fragen persönlichen Interesses noch der Einfluß der Aristokratie bei der Menge vermochte. Ein ähnliches, aber weit minder zu rechtfertigendes Dekret, den gegen Marcus Octavius gerichteten Antrag, daß, wer durch Volksschluß sein Amt verloren habe, auf immer unfähig sein solle, einen öffentlichen Posten zu bekleiden, nahm Gaius zurück auf Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die Schande, durch die Legalisierung einer notorischen Verfassungsverletzung das Recht offen zu verhöhnen und an einem Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius gesprochen und nur der Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie verstand, gemäß gehandelt hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von ganz anderer Wichtigkeit als diese Maßregeln war Gaius‘ freilich wohl schwerlich zur Ausführung gelangter Plan, den Senat durch 300 neue Mitglieder, das heißt ungefähr ebenso viele als er bisher hatte, zu verstärken und diese aus dem Ritterstand durch Komitien wählen zu lassen – eine Pairskreierung im umfassendsten Stil, die den Senat in die vollständigste Abhängigkeit von dem Staatsoberhaupt gebracht haben würde.

Dies ist die Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und während der beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in ihren wesentlichsten Punkten durchgeführt hat, soweit wir sehen, ohne auf irgendeinen nennenswerten Widerstand zu stoßen und ohne zur Erreichung seiner Zwecke Gewalt anwenden zu müssen. Die Reihenfolge, in der die Maßregeln durchgebracht sind, läßt in der zerrütteten Überlieferung sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende Frage müssen wir die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht, daß uns mit dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da über die Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius keineswegs wie sein Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und weiter gedrängt ward, sondern offenbar einen wohl überlegten, umfassenden Plan in einer Reihe von Spezialgesetzen im wesentlichen vollständig realisierte.

Daß nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmütige Leute in alter und neuer Zeit gemeint haben, die römische Republik auf neue demokratische Basen stellen, sondern vielmehr sie abschaffen und in der Form eines durch stehende Wiederwahl lebenslänglich und durch unbedingte Beherrschung der formell souveränen Komitien absolut gemachten Amtes, eines unumschränkten Volkstribunats auf Lebenszeit, anstatt der Republik die Tyrannis, das heißt nach heutigem Sprachgebrauch die nicht feudalistische und nicht theokratische, die napoleonisch absolute Monarchie einführen wollte, das offenbart die Sempronische Verfassung selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der Augen hat und haben will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte deutlich und deutlicher seine Werke es sagen, den Sturz des Senatsregiments bezweckte, was blieb in einem Gemeinwesen, das über die Urversammlungen hinaus und für das der Parlamentarismus nicht vorhanden war, nach dem Sturz des aristokratischen Regiments für eine andere politische Ordnung möglich als die Tyrannis? Träumer, wie sein Vorgänger einer war, und Schwindler, wie sie die Folgezeit heraufführte, mochten dies in Abrede stellen; Gaius Gracchus aber war ein Staatsmann, und wenn auch die Formulierung, die der große Mann für sein großes Werk bei sich selber aufstellte, uns nicht überliefert und in sehr verschiedener Weise denkbar ist, so wußte er doch unzweifelhaft, was er tat. Sowenig die beabsichtigte Usurpation der monarchischen Gewalt sich verkennen läßt, so wenig wird, wer die Verhältnisse übersieht, den Gracchus deswegen tadeln. Eine absolute Monarchie ist ein großes Unglück für die Nation, aber ein minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der Nation statt des größeren das kleinere Leiden auferlegt, den darf die Geschichte nicht schelten, am wenigsten eine so leidenschaftlich ernste und allem Gemeinen so fernstehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein nichtsdestoweniger darf sie es nicht verschweigen, daß durch die ganze Gesetzgebung desselben eine Zwiespältigkeit verderblichster Art geht, indem sie einerseits das gemeine Beste bezweckt, andererseits den persönlichen Zwecken, ja der persönlichen Rache des Herrschers dient. Gracchus war ernstlich bemüht, für die sozialen Schäden eine Abhilfe zu finden und dem einreißenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er zugleich durch seine Getreideverteilungen, die für alles arbeitsscheue hungernde Bürgergesindel eine Prämie werden sollten und wurden, ein hauptstädtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich groß. Gracchus tadelte mit den bittersten Worten die Feilheit des Senats und deckte namentlich den skandalösen Schacher, den Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen getrieben, mit schonungsloser und gerechter Strenge auf28. Aber es war desselben Mannes Werk, daß der souveräne Pöbel der Hauptstadt für seine Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren ließ. Gracchus mißbilligte lebhaft die schändliche Ausplünderung der Provinzen und veranlaßte nicht bloß, daß in einzelnen Fällen mit heilsamer Strenge eingeschritten ward, sondern auch die Abschaffung der durchaus unzureichenden senatorischen Gerichte, vor denen selbst Scipio Aemilianus, um die entschiedensten Frevler zur Strafe zu ziehen, sein ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch überlieferte er zugleich durch die Einführung der Kaufmannsgerichte die Provinzialen mit gebundenen Händen der Partei der materiellen Interessen und damit einer noch rücksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen war, und führte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die nach karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind und menschlich heißen konnte – beides, weil er teils der Partei der Geldmänner, teils für seine Getreideverteilungen und die sonstigen den Finanzen neu aufgebürdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen bedurfte. Gracchus wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und eine geordnete Rechtspflege, wie zahlreiche durchaus zweckmäßige Anordnungen bezeugen; dennoch beruht sein neues Verwaltungssystem auf einer fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell legalisierter Usurpationen; dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder geordnete Staat, soweit irgend möglich, zwar nicht über die politischen Parteien, aber doch außerhalb derselben zu stellen bemüht sein wird, absichtlich mitten in den Strudel der Revolution. Allerdings fällt die Schuld dieser Zwiespältigkeit in Gaius Gracchus‘ Tendenzen zu einem sehr großen Teil mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich hier an der Schwelle der Tyrannis entwickelt sich das verhängnisvolle sittlich-politische Dilemma, daß derselbe Mann zugleich, man möchte sagen, als Räuberhauptmann sich behaupten und als der erste Bürger den Staat leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles, Caesar, Napoleon bedenkliche Opfer haben bringen müssen. Indes ganz läßt sich Gaius Gracchus‘ Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklären; es wirkt daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die glühende Rache, die, den eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das Haus des Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er über seine Geschworenenordnung und ähnliche auf die Spaltung der Aristokratie abzweckende Maßregeln dachte; Dolche nannte er sie, die er auf den Markt geworfen, damit die Bürger – die vornehmen, versteht sich – mit ihnen sich untereinander zerfleischen möchten. Er war ein politischer Brandstifter; nicht bloß die hundertjährige Revolution, die von ihm datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des Gaius Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes entsetzlichen, von oben herab beschmeichelten und besoldeten hauptstädtischen Proletariats, das durch seine aus den Getreidespenden von selber folgende Vereinigung in der Hauptstadt teils vollständig demoralisiert, teils seiner Macht sich bewußt ward und mit seinen bald pinselhaften, bald bübischen Ansprüchen und seiner Fratze von Volkssouveränität ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem römischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und doch – dieser größte der politischen Verbrecher ist auch wieder der Regenerator seines Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der römischen Monarchie, der nicht zurückreichte bis auf Gaius Gracchus. Von ihm rührt der wohl in gewissem Sinne im Wesen des althergebrachten Kriegsrechts begründete, aber in dieser Ausdehnung und in dieser praktischen Anwendung doch dem älteren Staatsrecht fremde Satz her, daß aller Grund und Boden der untertänigen Gemeinden als Privateigentum des Staats anzusehen sei – ein Satz, der zunächst benutzt ward, um dem Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden beliebig zu besteuern, wie es in Asien, oder auch zur Anlegung von Kolonien zu verwenden, wie es in Afrika geschah, und der späterhin ein fundamentaler Rechtssatz der Kaiserzeit ward. Von ihm rührt die Taktik der Demagogen und Tyrannen her, auf die materiellen Interessen sich stützend die regierende Aristokratie zu sprengen, überhaupt aber durch eine strenge und zweckmäßige Administration anstatt des bisherigen Mißregiments die Verfassungsänderung nachträglich zu legitimieren. Auf ihn gehen vor allem zurück die Anfänge einer Ausgleichung zwischen Rom und den Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie unvermeidlich mit sich bringen mußte; der Versuch, das durch die italische Rivalität zerstörte Karthago wiederaufzubauen und überhaupt der italischen Emigration den Weg in die Provinzen zu eröffnen, ist das erste Glied in der langen Kette dieser folgen- und segensreichen Entwicklung. Es sind in diesem seltenen Mann und in dieser wunderbaren politischen Konstellation Recht und Schuld, Glück und Unglück so ineinander verschlungen, daß es hier sich wohl ziemen mag, was der Geschichte nur selten ziemt, mit dem Urteil zu verstummen.

Als Gracchus die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich vollendet hatte, legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk. Noch schwankte die Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen. Wie die Führer der demokratischen Partei darüber dachten, hatte sich sattsam gezeigt; sie wünschten natürlich die möglichste Ausdehnung des römischen Bürgerrechts, nicht bloß, um die von den Latinern okkupierten Domänen zur Verteilung bringen zu können, sondern vor allem, um mit der ungeheuren Masse der Neubürger ihre Klientel zu verstärken, um die Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung der berechtigten Wählerschaft immer vollständiger in ihre Gewalt zu bringen, überhaupt um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor. Allein hier stießen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und vornehmlich bei derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem, was sie verstand und nicht verstand, ihr souveränes Ja gab; aus dem einfachen Grunde, daß diesen Leuten das römische Bürgerrecht sozusagen wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch gab auf allerlei sehr handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie also ganz und gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionäre zu vermehren. Die Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl, der eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden Fraktion der Bürgerschaft als auch des ungeduldigen Drängens der Bundesgenossen. Gegen das Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte Gracchus, wahrscheinlich durch übernommene Verpflichtungen gegen die Bundesgenossen gedrängt, einen zweiten Versuch; in Gemeinschaft mit Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das früher von ihm ohne Erfolg beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das Volkstribunat übernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle Bürger-, den übrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht der Latiner zu gewähren. Allein der Antrag stieß auf die vereinigte Opposition des Senats und des hauptstädtischen Pöbels; welcher Art diese Koalition war und wie sie focht, zeigt scharf und bestimmt ein aus der Rede, die der Konsul Gaius Fannius vor der Bürgerschaft gegen den Antrag hielt, zufällig erhaltenes Bruchstück. „So meint ihr also“, sprach der Optimat, „wenn ihr den Latinern das Bürgerrecht erteilt, eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch künftig in der Bürgerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten Platz finden zu können? Glaubt ihr nicht vielmehr, daß jene Leute jeden Fleck besetzen werden?“ Bei der Bürgerschaft des fünften Jahrhunderts, die an einem Tage allen Sabinern das Bürgerrecht verlieh, hätte ein solcher Redner wohl mögen ausgezischt werden: die des siebenten fand seine Gründe ungemein einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen Preis der Assignation der latinischen Domänen weitaus zu niedrig. Schon daß der Senat es durchsetzte, die sämtlichen Nichtbürger vor dem entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt weisen zu dürfen, zeigte das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als dann vor der Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das Gesetz einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, daß Gracchus nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des Marcus Octavius zu bereiten.

Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der dem Senat den Mut gab, den Sturz des siegreichen Demagogen zu versuchen. Die Angriffsmittel waren wesentlich dieselben, mit denen früher Gracchus selbst operiert hatte. Gracchus‘ Macht ruhte auf der Kaufmannschaft und dem Proletariat, zunächst auf dem letzteren, das in diesem Kampf, in welchem militärischer Rückhalt beiderseits nicht vorhanden war, gleichsam die Rolle der Armee spielte. Es war einleuchtend, daß der Senat weder der Kaufmannschaft noch dem Proletariat ihre neuen Rechte abzuzwingen mächtig genug war; jeder Versuch, die Getreidegesetze oder die neue Geschworenenordnung anzugreifen, hätte, in etwas plumperer oder etwas zivilisierterer Form, zu einem Straßenkrawall geführt, dem der Senat völlig wehrlos gegenüberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend, daß Gracchus selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig zusammengehalten wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und daß sowohl die Männer der materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche Pöbel sein Brotkorn ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie von Gaius Gracchus. Gracchus‘ Institutionen standen, für den Augenblick wenigstens, unerschütterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner eigenen Oberhauptschaft. Die Schwäche dieser lag darin, daß in Gracchus‘ Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein Treuverhältnis nicht bestand und in der neuen Verfassung wohl alle anderen Elemente der Lebensfähigkeit vorhanden waren, nur ein einziges nicht: das sittliche Band zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das jeder Staat auf tönernen Füßen steht. In der Verwerfung des Antrags, die Latiner in den Bürgerverband aufzunehmen, war es mit schneidender Deutlichkeit zu Tage gekommen, daß die Menge in der Tat niemals für Gracchus stimmte, sondern immer nur für sich; die Aristokratie entwarf den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und Landanweisungen auf seinem eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht sich von selbst, daß der Senat dem Proletariat nicht bloß das gleiche bot, was Gracchus ihm an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch mehr. Im Auftrag des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus vor, den Gracchischen Landempfängern den auferlegten Zins zu erlassen und ihre Landlose für freies und veräußerungsfähiges Eigentum zu erklären; ferner, statt in den überseeischen, das Proletariat zu versorgen in zwölf italischen Kolonien, jede von 3000 Kolonisten, zu deren Ausführung das Volk die geeigneten Männer ernennen möge; nur Drusus selbst verzichtete – im Gegensatz gegen das Gracchische Familienkollegium – auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen Geschäft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen hätten, wurden vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes Domanialland von einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint nicht mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich einzelne Verfügungen des Drusus, wie die Bestimmung, daß dem latinischen Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von dem römischen Offizier Stockprügel sollten zuerkannt werden dürfen, die allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner für andere Verluste zu entschädigen. Der Plan war nicht von den feinsten. Die Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das Bestreben, das schöne Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere gemeinschaftliche Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen, die Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die italischen Domänen in der Hauptsache schon weggegeben waren – auch wenn man die gesamten, den Latinern überwiesenen konfiszierte –, das für zwölf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene Bürgerschaften erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein möge, endlich Drusus‘ Erklärung, daß er mit der Ausführung seines Gesetzes nichts zu tun haben wolle, so verwünscht gescheit, daß sie beinahe herzlich albern war. Indes für das plumpe Wild, das man fangen wollte, war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht entscheidend, daß Gracchus, auf dessen persönlichen Einfluß alles ankam, eben damals in Afrika die karthagische Kolonie einrichtete und sein Stellvertreter in der Hauptstadt, Marcus Flaccus, durch sein heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in die Hände arbeitete. Das „Volk“ ratifizierte demnach die Livischen Gesetze ebenso bereitwillig wie früher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem neuesten Wohltäter wie üblich dadurch, daß es dem früheren einen mäßigen Tritt versetzte und, als dieser sich für das Jahr 633 (121) zum drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwählte; wobei übrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus früher beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. Damit brach die Grundlage seiner Machthaberschaft unter ihm zusammen. Ein zweiter Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die nicht bloß im allgemeinen gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius der Mann, der als Prätor 629 (125) Fregellae erobert hatte, an die Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am wenigsten bedenklichen Häupter der strengen Adelspartei, ein Mann fest entschlossen, den gefährlichen Gegner bei erster Gelegenheit zu beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hörte Gracchus auf, Volkstribun zu sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nützlichste und die unpopulärste Maßregel des Gracchus, die Wiederherstellung von Karthago. Hatte man bisher die überseeischen Kolonien nur mittelbar durch die lockenderen italischen angegriffen, so wühlten jetzt afrikanische Hyänen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und die römischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, daß solches Wunder und Zeichen ausdrücklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der gottverfluchten Stätte. Der Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausführung der Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anlegung derselben ernannten Männern eben damals die Kolonisten auslas, erschien an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die Bürgerschaft berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu bewirken. Gewalttätigkeiten wünschte er zu vermeiden, um den Gegnern nicht den Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes hatte er nicht wehren können, daß ein großer Teil seiner Getreuen, der Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit den Absichten der Aristokratie, bewaffnet sich einfand, und bei der ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Händel kaum zu vermeiden. In der Halle des Kapitolinischen Tempels verrichtete der Konsul Lucius Opimius das übliche Brandopfer; einer der ihm dabei behilflichen Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen Eingeweide in der Hand, die „schlechten Bürger“ an, die Halle zu räumen, und schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstieß. Es entstand ein furchtbarer Lärm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen und die Urheberschaft der gotteslästerlichen Mordtat von sich abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund mehr, indem er, ohne dessen in dem Getümmel gewahr zu werden, einem eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede fiel, worauf ein verschollenes Statut aus der Zeit des alten Ständehaders die schwerste Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Maßregeln, um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die Vorgänge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand zu unterdrücken. Er selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel am Markte; mit dem frühesten Morgen füllte das Kapitol sich mit kretischen Bogenschützen, Rathaus und Markt mit den Männern der Regierungspartei, den Senatoren und der ihnen anhängigen Fraktion der Ritterschaft, welche auf Geheiß des Konsuls sämtlich bewaffnet und jeder von zwei bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es fehlte keiner von der Aristokratie; selbst der ehrwürdige, hochbejahrte und der Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert erschienen. Ein tüchtiger und in den spanischen Kriegen erprobter Offizier, Decimus Brutus, übernahm das Kommando der bewaffneten Macht; der Rat trat in der Kurie zusammen. Die Bahre mit der Leiche des Gerichtsdieners ward vor der Kurie niedergesetzt; der Rat gleichsam überrascht, erschien in Masse an der Tür, um die Leiche in Augenschein zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurück, um das weitere zu beschließen. Die Führer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in ihre Häuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum Straßenkrieg zu rüsten, während Gracchus es zu verschmähen schien, mit dem Verhängnis zu kämpfen. Als man am andern Morgen die auf dem Kapitol und dem Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben beide sich auf den Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den Kämpfen der Patrizier und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging Gracchus dorthin; Flaccus rief die Sklaven zu den Waffen und verschanzte sich im Tempel der Diana, während er zugleich seinen jüngeren Sohn Quintus in das feindliche Lager sandte, um womöglich einen Vergleich zu vermitteln. Dieser kam zurück mit der Meldung, daß die Aristokratie unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung des Senats an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen Verletzung der tribunizischen Majestät sich zu verantworten. Gracchus wollte der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und wiederholte stattdessen den ebenso verkehrten wie schwächlichen Versuch, solche Gegner zu einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der beiden vorgeladenen Führer bloß der junge Quintus Flaccus abermals sich einstellte, behandelte der Konsul die Weigerung jener, sich zu stellen, als den Anfang der offenen Insurrektion gegen die Regierung; er ließ den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf den Aventin, indem er zugleich in den Straßen ausrufen ließ, daß dem, der das Haupt des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe buchstäblich mit Gold aufwiegen werde, sowie daß sie jedem, der vor dem Beginn des Kampfs den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit gewährleiste. Die Reihen auf dem Aventin lichteten sich schnell; der tapfere Adel im Verein mit den Kretern und den Sklaven erstürmte den fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er vorfand, bei 250 meist geringe Leute. Marcus Flaccus flüchtete mit seinem ältesten Sohn in ein Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht wurden. Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva zurückgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als sein Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor, womöglich sich für bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus ließ sich bewegen, einen Versuch zu machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu entkommen; allein den Berg hinabeilend stürzte er und verstauchte sich den Fuß. Ihm Zeit zum Entrinnen zu geben, warfen seine beiden Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina unter dem Aventin, Publius Laetorius auf der Tiberbrücke, da wo einst Horatius Cocles allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern sich entgegen und ließen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur von seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer des Tiber. Hier im Hain der Furrina fand man später die beiden Leichen; es schien, als habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber den Tod gegeben. Die Köpfe der beiden gefallenen Führer wurden der Regierung, wie befohlen, eingehändigt, auch dem Überbringer des Kopfes des Gracchus, einem vornehmen Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene Preis und darüber ausgezahlt, dagegen die Mörder des Flaccus, geringe Leute, mit leeren Händen fortgeschickt. Die Körper der Getöteten wurden in den Fluß geworfen, die Häuser der Führer zur Plünderung der Menge preisgegeben. Gegen die Anhänger des Gracchus begann der Prozeßkrieg im großartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker aufgeknüpft worden sein, unter ihnen der achtzehnjährige Quintus Flaccus, der an dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner Jugend und seiner Liebenswürdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem Freiplatz unter dem Kapitol, wo der nach wiederhergestelltem innerem Frieden von Camillus geweihte Altar und andere, bei ähnlichen Veranlassungen errichtete Heiligtümer der Eintracht sich befanden, wurden diese kleinen Kapellen niedergerissen und aus dem Vermögen der getöteten oder verurteilten Hochverräter, das bis auf die Mitgift ihrer Frauen hin konfisziert ward, nach Beschluß des Senats von dem Konsul Lucius Opimius ein neuer glänzender Tempel der Eintracht mit dazugehöriger Halle errichtet – allerdings war es zeitgemäß, die Zeichen der alten Eintracht zu beseitigen und eine neue zu inaugurieren über den Leichen der drei Enkel des Siegers von Zama, die nun alle, zuerst Tiberius Gracchus, dann Scipio Aemilianus, endlich der jüngste und gewaltigste von ihnen, Gaius Gracchus, von der Revolution verschlungen worden waren. Der Gracchen Andenken blieb offiziell geächtet; nicht einmal das Trauergewand durfte Cornelia um den Tod ihres letzten Sohnes anlegen. Allein die leidenschaftliche Anhänglichkeit, die gar viele im Leben für die beiden edlen Brüder und vornehmlich für Gaius empfunden hatten, zeigte sich in rührender Weise auch nach ihrem Tode in der fast religiösen Verehrung, die die Menge ihrem Andenken und an den Stätten, wo sie gefallen waren, allen polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz fortfuhr zu zollen.

  1. Hierher gehört ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit nicht, wie man gesagt hat, ein Gesetz über Quästionengerichte gemeint ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv. ep. 28; oben S. 95).
  2. Die Restriktion, daß die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn es an anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht schwer zu umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den älteren Ordnungen anzugehören (Römisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473), sondern erst von den Gracchanern eingebracht zu sein.
  3. So die bei der Ankündigung seiner Gesetzvorschläge gesprochenen Worte: „Wenn ich zu euch redete und von euch begehrte, da ich von edler Herkunft bin und meinen Bruder um euretwillen eingebüßt habe und nun niemand weiter übrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius Gracchus Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich für jetzt feiern zu lassen, damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und ein Sprößling dieses Geschlechts übrig bleibe: so möchte wohl solches mir von euch bereitwillig zugestanden werden.“
  4. So möchte die Angabe Appians (Hisp. 78), daß sechsjähriger Dienst berechtige, den Abschied zu fordern, auszugleichen sein mit der bekannteren des Polybios (6, 19), über welche Marquardt (Handbuch, Bd. 6, S. 381) richtig urteilt. Die Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen, läßt sich nicht weiter bestimmen, als daß die erste wahrscheinlich schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die Gracchen, S. 231), die zweite sicher schon zu Polybios‘ Zeit bestand. Daß Gracchus die Zahl der gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint aus Asconius (Corn. p. 68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio fr. 83; 7 Bekker.
  5. Daß er und nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt jetzt Fronto in den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11, 10; Cic. rep. 3, 29 und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6.
  6. Die zunächst durch diese Veränderung des Richterpersonals veranlaßte neue Gerichtsordnung für die ständige Kommission wegen Erpressungen besitzen wir noch zum großen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des Servilischen oder vielmehr Acilischen Repetundengesetzes.
  7. Dies und das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur dürften identisch sein.
  8. Auf diesen Handel um den Besitz von Phrygien, welches nach der Einziehung des Attalischen Reiches von Manius Aquillius den Königen von Bithynien und von Pontos zu Kauf geboten und von dem letzteren durch Mehrgebot erstanden ward, bezieht sich ein noch vorhandenes längeres Redebruchstück des Gracchus. Er bemerkt darin, daß von den Senatoren keiner umsonst sich um die öffentlichen Angelegenheiten bekümmere, und fügt hinzu: in Beziehung auf das in Rede stehende Gesetz (über die Verleihung Phrygiens an König Mithradates) teile der Senat sich in drei Klassen: solcher, die dafür seien, solcher, die dagegen seien, und solcher, die stillschwiegen – die ersten seien bestochen von König Mithradates, die zweiten von König Nikomedes, die dritten aber seien die feinsten, denn diese ließen sich von den Gesandten beider Könige bezahlen und jede Partei glauben, daß in ihrem Interesse geschwiegen werde.

4. Kapitel


4. Kapitel

Die Restaurationsherrschaft

Das neue Gebäude, das Gaius Gracchus aufgeführt hatte, war mit seinem Tode eine Ruine. Wohl war sein Tod wie der seines Bruders zunächst nichts als ein Akt der Rache; allein es war doch zugleich ein sehr wesentlicher Schritt zur Restauration der alten Verfassung, daß aus der Monarchie, eben da sie im Begriff war, sich zu begründen, die Person des Monarchen beseitigt ward; und in diesem Falle um so mehr, weil nach der Katastrophe des Gaius und dem gründlichen Opimischen Blutgericht im Augenblick schlechterdings niemand vorhanden war, der, sei es durch Blutsverwandtschaft mit dem gefallenen Staatsoberhaupt, sei es durch überwiegende Fähigkeit, auch nur zu einem Versuch, den erledigten Platz einzunehmen, sich legitimiert gefühlt hätte. Gaius war ohne Kinder aus der Welt gegangen, und auch Tiberius‘ hinterlassener Knabe starb, bevor er zu seinen Jahren kam; die ganze sogenannte Volkspartei war buchstäblich ohne irgendeinen auch nur namhaft zu machenden Führer. Die Gracchische Verfassung glich einer Festung ohne Kommandanten; Mauern und Besatzung waren unversehrt, aber der Feldherr fehlte, und es war niemand vorhanden, der an den leeren Platz sich hätte setzen mögen als eben die gestürzte Regierung.

So kam es denn auch. Nach Gaius Gracchus‘ erblosem Abgang stellte das Regiment des Senats gleichsam von selber sich wieder her; und es war dies um so natürlicher, als dasselbe von dem Tribun nicht eigentlich formell abgeschafft, sondern nur durch die von ihm ausgehenden Ausnahmehandlungen tatsächlich zunichte gemacht worden war. Dennoch würde man sehr irren, wenn man in dieser Restauration nichts weiter sehen wollte als ein Zurückgleiten der Staatsmaschine in das alte, seit Jahrhunderten befahrene und ausgefahrene Geleise. Restauration ist immer auch Revolution; in diesem Falle aber ward nicht so sehr das alte Regiment restauriert als der alte Regent. Die Oligarchie erschien neu gerüstet in dem Heerzeug der gestürzten Tyrannis; wie der Senat den Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so fuhr er auch fort, in den wesentlichsten Stücken mit der Verfassung der Gracchen zu regieren, allerdings mit dem Hintergedanken, sie seiner Zeit wo nicht ganz zu beseitigen, doch gründlich zu reinigen von den der regierenden Aristokratie in der Tat feindlichen Elementen. Fürs erste reagierte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius Popillius nach Kassierung der ihn betreffenden Verfügungen aus der Verbannung zurück (633 121) und machte den Gracchanern den Prozeßkrieg; wogegen der Versuch der Volkspartei, den Lucius Opimius nach Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrats zur Verurteilung zu bringen, von der Regierungspartei vereitelt ward (634 120). Es ist für den Charakter dieser Restaurationsregierung bezeichnend, wie die Aristokratie an Gesinnungstüchtigkeit fortschritt. Gaius Carbo, einst Bundesgenosse der Gracchen, hatte seit langem sich bekehrt und noch kürzlich als Verteidiger des Opimius seinen Eifer und seine Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Überläufer; als gegen ihn von den Demokraten die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward, ließ ihn die Regierung nicht ungern fallen, und Carbo, zwischen beiden Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den Tod. So erwiesen die Männer der Reaktion in Personenfragen sich als lautere Aristokraten. Dagegen die Getreideverteilungen, die Besteuerung der Provinz Asia, die Gracchische Geschworenen- und Gerichtsordnung griff die Reaktion zunächst nicht an und schonte nicht bloß die Kaufmannschaft und das hauptstädtische Proletariat, sondern huldigte, wie bereits bei der Einbringung der Livischen Gesetze, so auch ferner diesen Mächten und vor allem dem Proletariat noch weit entschiedener, als die Gracchen dies getan hatten. Es geschah dies nicht bloß, weil die Gracchische Revolution in den Gemütern der Zeitgenossen noch lange nachzitterte und ihre Schöpfungen schützte: die Hegung und Pflegung wenigstens der Pöbelinteressen vertrug sich in der Tat aufs vollkommenste mit dem eigenen Vorteil der Aristokratie, und es ward dabei nichts weiter geopfert als bloß das gemeine Beste. Alle diejenigen Maßregeln, die von Gaius Gracchus zur Förderung des öffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich begreiflicherweise auch den unpopulärsten Teil seiner Gesetzgebung, ließ die Aristokratie fallen. Nichts wurde so rasch und so erfolgreich angegriffen wie der großartigste seiner Entwürfe: der Plan, zunächst die römische Bürgerschaft und Italien, sodann Italien und die Provinzen rechtlich gleichzustellen und, indem also der Unterschied zwischen bloß herrschenden und zehrenden und bloß dienenden und arbeitenden Staatsangehörigen weggeräumt ward, zugleich durch die umfassendste und systematischste Emigration, die die Geschichte kennt, die soziale Frage zu lösen. Mit der ganzen Verbissenheit und dem ganzen grämlichen Eigensinn der Altersschwäche drängte die restaurierte Oligarchie den Grundsatz der abgelebten Geschlechter, daß Italien das herrschende Land und Rom in Italien die herrschende Stadt bleiben müsse, der Gegenwart aufs neue auf. Schon bei Lebzeiten des Gracchus war die Zurückweisung der italischen Bundesgenossen eine vollendete Tatsache und war gegen den großen Gedanken der überseeischen Kolonisation ein sehr ernsthafter Angriff gerichtet worden, der die nächste Ursache zu Gracchus‘ Untergang geworden war. Nach seinem Tode wurde der Plan der Wiederherstellung Karthagos mit leichter Mühe von der Regierungspartei beseitigt, obgleich die einzelnen daselbst schon verteilten Landlose den Empfängern geblieben sind. Zwar daß der demokratischen Partei auf einem andern Punkte eine ähnliche Gründung gelang, konnte sie nicht wehren: im Verlauf der Eroberungen jenseits der Alpen, welche Marcus Flaccus begonnen hatte, wurde daselbst im Jahre 636 (118) die Kolonie Narbo (Narbonne) begründet, die älteste überseeische Bürgerstadt im Römischen Reiche, welche trotz vielfacher Anfechtungen der Regierungspartei, trotz des geradezu auf Aufhebung derselben vom Senat gestellten Antrags dennoch, geschützt wahrscheinlich durch die beteiligten kaufmännischen Interessen, dauernden Bestand gehabt hat. Indes abgesehen von dieser, in ihrer Vereinzelung nicht sehr bedeutenden Ausnahme gelang es der Regierung, die Landanweisung außerhalb Italiens durchgängig zu verhindern.

In gleichem Sinne wurde die italische Domanialfrage geordnet. Die italischen Kolonien des Gaius, vor allem Capua, wurden aufgehoben und, soweit sie bereits zur Ausführung gekommen waren, wieder aufgelöst; nur die unbedeutende tarentinische blieb in der Art bestehen, daß die neue Stadt Neptunia der bisherigen griechischen Gemeinde an die Seite trat. Was durch die nichtkoloniale Assignation von den Domänen bereits verteilt war, blieb den Empfängern; die darauf von Gracchus im Interesse des Gemeinwesens gelegten Beschränkungen, Erbzins und Veräußerungsverbot, hatte bereits Marcus Drusus aufgehoben. Dagegen die noch nach Okkupationsrecht besessenen Domänen, welche außer dem von den Latinern genutzten Domanialland zum größten Teil bestanden haben werden in dem gemäß des Gracchischen Maximum den Inhabern gebliebenen Grundbesitz, war man entschlossen, den bisherigen Okkupanten definitiv zuzuwenden und auch die Möglichkeit künftiger Aufteilung abzuschneiden. Freilich waren es zunächst diese Ländereien, aus denen die 36000 von Drusus verheißenen neuen Bauernhufen hätten gebildet werden sollen; allein man sparte sich die Untersuchung, wo denn unter dem Monde diese Hunderttausende von Morgen italischen Domaniallands belegen sein möchten, und legte das Livische Kolonialgesetz, das seinen Dienst getan, stillschweigend zu den Akten – nur etwa die kleine Kolonie von Scolacium (Squillace) mag auf das Koloniengesetz des Drusus zurückgehen. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des Senats der Volkstribun Spurius Thorius durchbrachte, das Teilungsamt im Jahre 635 (119) aufgehoben und den Okkupanten des Domaniallandes ein fester Zins auferlegt, dessen Ertrag dem hauptstädtischen Pöbel zugute kam – es scheint, indem die Kornverteilung zum Teil darauf fundiert ward: noch weitergehende Vorschläge, vielleicht eine Steigerung der Getreidespenden, wehrte der verständige Volkstribun Gaius Marius ab. Acht Jahre später (643 111) geschah der letzte Schritt, indem durch einen neuen Volksschluß29 das okkupierte Domanialland geradezu umgewandelt ward in zinsfreies Privateigentum der bisherigen Okkupanten. Man fügte hinzu, daß in Zukunft Domanialland überhaupt nicht okkupiert, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine Weide offenstehen solle; für den letzteren Fall ward durch Feststellung eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stück Groß- und fünfzig Stück Kleinvieh dafür gesorgt, daß nicht der große Herdenbesitzer den kleinen tatsächlich ausschließe – verständige Bestimmungen, in denen die Schädlichkeit des übrigen längst aufgegebenen Okkupationssystems nachträglich offizielle Anerkennung fand, die aber leider erst getroffen wurden, als dasselbe den Staat bereits wesentlich um seine Domanialbesitzungen gebracht hatte. Indem die römische Aristokratie also für sich selber sorgte und was von okkupiertem Lande noch in ihren Händen war, sich in Eigentum umwandeln ließ, beschwichtigte sie zugleich die italischen Bundesgenossen dadurch, daß sie denselben an dem von ihnen und namentlich von ihrer munizipalen Aristokratie genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigentum verlieh, aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte Recht daran ungeschmälert wahrte. Die Gegenpartei war in der üblen Lage, daß in den wichtigsten materiellen Fragen die Interessen der Italiker denen der hauptstädtischen Opposition schnurstracks entgegenliefen, ja jene mit der römischen Regierung eine Art Bündnis eingingen und gegen die ausschweifenden Absichten mancher römischen Demagogen bei dem Senat Schutz suchten und fanden.

Während also die restaurierte Regierung es sich angelegen sein ließ, die Keime zum Bessern, die in der Gracchischen Verfassung vorhanden waren, gründlich auszureuten, blieb sie den nicht zum Heil des Ganzen von Gracchus erweckten feindlichen Mächten gegenüber vollständig ohnmächtig. Das hauptstädtische Proletariat blieb bestehen in anerkannter Zehrberechtigung; die Geschworenen aus dem Kaufmannsstand ließ der Senat gleichfalls sich gefallen, so widerwärtig auch dieses Joch eben dem besseren und stolzeren Teil der Aristokratie fiel. Es waren unwürdige Fesseln, die die Aristokratie trug; aber wir finden nicht, daß sie ernstlich dazu tat, sich derselben zu entledigen. Das Gesetz des Marcus Aemilius Scaurus von 632 (122), das wenigstens die verfassungsmäßigen Beschränkungen des Stimmrechts der Freigelassenen einschärfte, war für lange Jahre der einzige, sehr zahme Versuch der senatorischen Regierung, ihren Pöbeltyrannen wieder zu bändigen. Der Antrag, den der Konsul Quintus Caepio siebzehn Jahre nach Einführung der Rittergerichte (648 106) einbrachte auf Zurückgabe der Prozesse an senatorische Geschworene, zeigte, was die Regierung wünschte, aber auch, was sie vermochte, wenn es sich nicht darum handelte, Domänen zu verschleudern, sondern einem einflußreichen Stande gegenüber eine Maßregel durchzusetzen: sie fiel damit durch30. Zu einer Emanzipation der Regierung von ihren unbequemen Machtgenossen kam es nicht; wohl aber trugen diese Maßregeln dazu bei, das niemals aufrichtige Einverständnis der regierenden Aristokratie mit der Kaufmannschaft und dem Proletariat noch ferner zu trüben. Beide wußten sehr genau, daß der Senat alle Zugeständnisse nur aus Angst und widerwillig gewährte; weder durch Dankbarkeits- noch durch Vorteilsrücksichten an die Herrschaft des Senats dauernd gefesselt, waren beide sehr bereit, jedem anderen Machthaber, der ihnen mehr oder auch nur das gleiche bot, dieselben Dienste zu leisten, und hatten nichts dagegen, wenn sich eine Gelegenheit gab, den Senat zu schikanieren oder zu hemmen. So regierte die Restauration weiter mit den Wünschen und Gesinnungen der legitimen Aristokratie und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der Tyrannis. Ihre Herrschaft ruhte nicht bloß auf den gleichen Basen wie die des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Pöbel im Bunde zweckmäßige Institutionen umstieß, aber den Gassenbanden wie den kaufmännischen Interessen gegenüber vollkommen machtlos. Sie saß auf dem erledigten Thron mit bösem Gewissen und geteilten Hoffnungen, den Institutionen des eigenen Staates grollend und doch unfähig, auch nur planmäßig sie anzugreifen, unsicher im Tun und Lassen außer, wo der eigene materielle Vorteil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Widerspruchs, der kläglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigennutzes, ein unübertroffenes Ideal der Mißregierung.

Es konnte nicht anders sein; die gesamte Nation war in intellektuellem und sittlichem Verfall, vor allem aber die höchsten Stände. Die Aristokratie vor der Gracchenzeit war wahrlich nicht überreich an Talenten und die Bänke des Senats vollgedrängt von feigem und verlottertem adligen Gesindel; indes es saßen doch in demselben auch Scipio Aemilianus, Gaius Laelius, Quintus Metellus, Publius Crassus, Publius Scaevola und zahlreiche andere achtbare und fähige Männer, und wer einigen guten Willen mitbrachte, konnte urteilen, daß der Senat in der Unrechtfertigkeit ein gewisses Maß und ein gewisses Dekorum in dem Mißregiment einhalte. Diese Aristokratie war gestürzt und sodann wiederhergestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der Restauration. Hatte die Aristokratie früher regiert schlecht und recht und seit mehr als einem Jahrhundert ohne jede fühlbare Opposition, so hatte die durchgemachte Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht ihr den Abgrund gezeigt, der vor ihren Füßen klaffte. War es ein Wunder, daß fortan der Groll immer und, wo sie es wagte, der Schrecken das Regiment der altadligen Herrenpartei bezeichnete? daß die Regierenden noch unendlich schroffer und gewaltsamer als bisher gegen die nichtregierende Menge als festgeschlossene Partei zusammenstanden? daß die Familienpolitik jetzt, eben wie in den schlimmsten Zeiten des Patriziats, wiederum sich griff und zum Beispiel die vier Söhne und (wahrscheinlich) die zwei Neffen des Quintus Metellus, mit einer einzigen Ausnahme lauter unbedeutende, zum Teil ihrer Einfalt wegen berufene Leute, innerhalb fünfzehn Jahren (631-645 123-109) sämtlich zum Konsulat, mit Ausnahme eines einzigen auch zum Triumph gelangten, von den Schwiegersöhnen und so weiter zu schweigen? daß, je gewalt- und grausamer einer der Ihrigen gegen die Gegenpartei aufgetreten war, er desto entschiedener von ihnen gefeiert, dem echten Aristokraten jeder Frevel, jede Schamlosigkeit verziehen ward? daß die Regierenden und die Regierten nur darin nicht zwei kriegführenden Parteien glichen, daß in ihrem Krieg kein Völkerrecht galt? Es war leider nur zu begreiflich, daß, wenn die alte Aristokratie das Volk mit Ruten schlug, diese restaurierte es mit Skorpionen züchtigte. Sie kam zurück; aber sie kam weder klüger noch besser. Nie hat es bis auf diese Zeit der römischen Aristokratie so vollständig an staatsmännischen und militärischen Kapazitäten gemangelt wie in dieser Restaurationsepoche zwischen der Gracchischen und der Cinnanischen Revolution. Bezeichnend dafür ist der Koryphäe der senatorischen Partei dieser Zeit, Marcus Aemilius Scaurus. Der Sohn hochadliger, aber unvermögender Eltern und darum genötigt, Gebrauch zu machen von seinen nicht gemeinen Talenten, schwang er sich auf zum Konsul (639 115) und Zensor (645 109), war lange Jahre Vormann des Senats und das politische Orakel seiner Standesgenossen und verewigte seinen Namen nicht bloß als Redner und Schriftsteller, sondern auch als Urheber einiger der ansehnlichsten in diesem Jahrhundert ausgeführten Staatsbauten. Indes wenn man näher zusieht, laufen seine vielgefeierten Großtaten darauf hinaus, daß er als Feldherr einige wohlfeile Dorftriumphe in den Alpen, als Staatsmann mit seinem Stimm- und Luxusgesetz einige ungefähr ebenso ernsthafte Siege über den revolutionären Zeitgeist erfocht, sein eigentliches Talent indes darin bestand, ganz ebenso zugänglich und bestechlich zu sein wie jeder andere ehrenwerte Senator, aber mit einiger Schlauheit den Augenblick, wo die Sache bedenklich zu werden anfing, zu wittern und vor allem durch seine vornehme und ehrwürdige Erscheinung vor dem Publikum den Fabricius zu agieren. In militärischer Hinsicht finden sich zwar einige ehrenvolle Ausnahmen tüchtiger Offiziere aus den höchsten Kreisen der Aristokratie; die Regel aber war, daß die vornehmen Herren, wenn sie an die Spitze der Armeen treten sollten, schleunigst aus den griechischen Kriegshandbüchern und den römischen Annalen zusammenlasen, was nötig war, um einen militärischen Diskurs zu führen und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Kommando einem niedrig geborenen Offizier von erprobter Fähigkeit und erprobter Bescheidenheit übergaben. In der Tat, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor der Senat einer Versammlung von Königen glich, so spielten diese ihre Nachfahren nicht übel die Prinzen. Aber der Unfähigkeit dieser restaurierten Adligen hielt völlig die Waage ihre politische und sittliche Nichtswürdigkeit. Wenn nicht die religiösen Zustände, auf die zurückzukommen sein wird, von der wüsten Zerfahrenheit dieser Zeit ein treues Spiegelbild böten und ebenso die äußere Geschichte in dieser Epoche die vollkommene Schlechtigkeit des römischen Adels als einen ihrer wesentlichsten Faktoren aufwiese, so würden die entsetzlichsten Verbrechen, die in den höchsten Kreisen Roms Schlag auf Schlag zum Vorschein kamen, allein denselben hinreichend charakterisieren.

Die Verwaltung war nach innen und nach außen, was sie sein konnte unter einem solchen Regiment. Der soziale Ruin Italiens griff mit erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie das Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte erlauben lassen, und in ihrem neuen Übermut das Austreiben derselben immer häufiger sich selbst erlaubte, verschwanden die Bauernstellen wie die Regentropfen im Meer. Wie mit der politischen die ökonomische Oligarchie mindestens Schritt hielt, zeigt die Äußerung, die ein gemäßigt demokratischer Mann, Lucius Marcius Philippus, um 650 (100) tat, daß es in der ganzen Bürgerschaft kaum 2000 vermögende Familien gebe. Den praktischen Kommentar dazu lieferten abermals die Sklavenaufstände, welche in den ersten Jahren des Kimbrischen Krieges alljährlich in Italien ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet von Thurii. Diese letzte Zusammenrottung war schon so bedeutend, daß gegen sie der städtische Prätor mit seiner Legion hatte marschieren müssen und dennoch nicht durch Waffengewalt, sondern nur durch tückischen Verrat der Insurrektion Herr geworden war. Auch das war eine bedenkliche Erscheinung, daß an der Spitze derselben kein Sklave gestanden hatte, sondern der römische Ritter Titus Vettius, den seine Schulden zu dem wahnsinnigen Schritt getrieben hatten, seine Sklaven frei und sich zu ihrem König zu erklären (650 104). Wie gefährlich die Anhäufung der Sklavenmassen in Italien der Regierung erschien, beweisen die Vorsichtsmaßregeln hinsichtlich der Goldwäschereien von Victumulae, die seit 611 (143) für Rechnung der römischen Regierung betrieben wurden: die Pächter wurden zuerst verpflichtet, nicht über 5000 Arbeiter anzustellen, später der Betrieb durch Senatsbeschluß gänzlich eingestellt. Unter einem Regiment wie dem gegenwärtigen war in der Tat alles zu fürchten, wenn, wie dies sehr möglich war, ein Heer von Transalpinern in Italien eindrang und die großenteils stammverwandten Sklaven zu den Waffen rief.

Verhältnismäßig mehr noch litten die Provinzen. Man versuche sich vorzustellen, wie es in Ostindien aussehen würde, wenn die englische Aristokratie wäre, was in jener Zeit die römische war, und man wird eine Vorstellung der Lage von Sizilien und Asia haben. Die Gesetzgebung, indem sie der Kaufmannschaft die Kontrolle der Beamten übertrug, nötigte diese, gewissermaßen gemeinschaftliche Sache mit jener zu machen und durch unbedingte Nachgiebigkeit gegen die Kapitalisten in den Provinzen sich unbeschränkte Plünderungsfreiheit und Schutz vor der Anklage zu erkaufen. Neben diesen offiziell und halboffiziell angestellten Räubern plünderten Land- und Seepiraten die sämtlichen Landschaften des Mittelmeers. Vor allem in den asiatischen Gewässern trieben die Flibustier es so arg, daß selbst die römische Regierung sich genötigt sah, im Jahre 652 (102) eine wesentlich aus den Schiffen der abhängigen Kaufstädte gebildete Flotte unter dem mit prokonsularischer Gewalt bekleideten Prätor Marcus Antonius nach Kilikien zu entsenden. Diese brachte nicht bloß eine Anzahl Korsarenschiffe auf und nahm einige Felsennester aus, sondern die Römer richteten hier sich sogar für die Dauer ein und besetzten zur Unterdrückung des Seeraubs in dem Hauptsitz desselben, dem rauhen oder westlichen Kilikien, feste militärische Positionen, was der Anfang war zur Einrichtung der seitdem unter den römischen Ämtern erscheinenden Provinz Kilikien31

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Aber nirgends kam die Ohnmacht und die Verkehrtheit der römischen Provinzialverwaltung in so nackter Blöße zu Tage wie in den Insurrektionen des Sklavenproletariats, welche mit der Restauration der Aristokratie zugleich in den vorigen Stand wieder eingesetzt zu sein schienen. Jene aus Aufständen zu Kriegen anschwellenden Schilderhebungen der Sklavenschaft, wie sie eben um das Jahr 620 (134) als eine und vielleicht die nächste Ursache der Gracchischen Revolution aufgetreten waren, erneuern und wiederholen sich in trauriger Einförmigkeit. Wieder gärte es wie dreißig Jahre zuvor in der gesamten Sklavenschaft im Römischen Reiche. Der italischen Zusammenrottungen ward schon gedacht. In den attischen Silberbergwerken standen die Grubenarbeiter auf, besetzten das Vorgebirge Sunion und plünderten längere Zeit hindurch von dort aus die Umgegend; an anderen Orten zeigten sich ähnliche Bewegungen. Vor allem war wieder der Hauptsitz dieser fürchterlichen Vorgänge Sizilien mit seinen Plantagen und den dort zusammenströmenden kleinasiatischen Sklavenhorden. Es ist charakteristisch für die Größe des Übels, daß ein Versuch der Regierung, den schlimmsten Unrechtfertigkeiten der Sklavenhalter zu steuern, die nächste Ursache der neuen Insurrektion ward. Daß die freien Proletarier in Sizilien wenig besser daran waren als die Sklavenschaft, hatte schon ihr Verhalten zu dem ersten Aufstand gezeigt; nach der Besiegung desselben nahmen die römischen Spekulanten ihre Revanche und steckten die freien Provinzialen massenweise unter die Sklavenschaften ein. Infolge einer hiergegen im Jahre 650 (204) vom Senat erlassenen scharfen Verfügung setzte der damalige Statthalter von Sizilien, Publius Licinius Nerva, in Syrakus ein Freiheitsgericht nieder, das in der Tat mit Ernst durchgriff; in kurzer Zeit war in achthundert Prozessen gegen die Sklavenbesitzer entschieden und die Zahl der anhängig gemachten Sachen immer noch im Steigen. Die erschreckten Plantagenbesitzer stürmten nach Syrakus, um von dem römischen Statthalter die Sistierung solcher unerhörten Rechtspflege zu erzwingen; Nerva war schwach genug, sich terrorisieren zu lassen und die prozeßbittenden Unfreien mit barschen Worten anzuweisen, daß sie sich des lästigen Verlangens von Recht und Gerechtigkeit zu begeben und augenblicklich zu denen zurückzukehren hätten, die sich ihre Herren nennten. Die Abgewiesenen rotteten statt dessen sich zusammen und gingen in die Berge. Der Statthalter war auf militärische Maßregeln nicht gefaßt und selbst der elende Landsturm der Insel nicht sogleich zur Hand; weshalb er ein Bündnis abschloß mit einem der bekanntesten Räuberhauptleute auf der Insel und durch das Versprechen eigener Begnadigung ihn bewog, die aufständischen Sklaven durch Verrat den Römern in die Hand zu spielen. Dieses Schwarmes ward man also Herr. Allein einer anderen Bande entlaufener Sklaven gelang es, dafür eine Abteilung der Besatzung von Enna (Castrogiovanni) zu schlagen, und dieser erste Erfolg verschaffte den Insurgenten, was sie vor allem bedurften, Waffen und Zulauf. Das Heergerät der gefallenen und flüchtigen Gegner gab die erste Grundlage für ihre militärische Organisation, und bald war die Zahl der Insurgenten auf viele Tausende angeschwollen. Diese Syrer in der Fremde schienen bereits, gleich ihren Vorgängern, sich nicht unwürdig, von Königen regiert zu werden wie ihre Landsleute daheim und – den Lumpenkönig der Heimat bis auf den Namen parodierend – stellten sie den Sklaven Salvius an ihre Spitze als König Tryphon. In dem Strich zwischen Enna und Leontinoi (Lentini), wo diese Haufen ihren Hauptsitz hatten, war das offene Land ganz in den Händen der Insurgenten und Morgantia und andere ummauerte Städte schon von ihnen belagert, als mit den eiligst zusammengerafften sizilischen und italischen Scharen der römische Statthalter das Sklavenheer vor Morgantia überfiel. Er besetzte das unverteidigte Lager; allein die Sklaven, obwohl überrascht, hielten stand, und wie es zum Gefecht kam, wich der Landsturm der Insel nicht bloß beim ersten Anprall, sondern, da die Sklaven jeden, der die Waffen wegwarf, ungehindert entkommen ließen, benutzten die Milizen fast ohne Ausnahme die gute Gelegenheit, ihren Abschied zu nehmen, und das römische Heer lief vollständig auseinander. Hätten die Sklaven in Morgantia mit ihren Genossen vor den Toren gemeinschaftliche Sache machen wollen, so war die Stadt verloren; sie zogen es indes vor, von ihren Herren gesetzmäßig die Freiheit geschenkt zu nehmen und halfen ihnen durch ihre Tapferkeit die Stadt retten, worauf sodann der römische Statthalter das den Sklaven von den Herren feierlich gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich erzwungen von Rechts wegen kassierte.

Während also im Innern der Insel der Aufstand in besorglicher Weise um sich griff, brach ein zweiter aus auf der Westküste. An der Spitze stand hier Athenion. Er war, eben wie Kleon, einst ein gefürchteter Räuberhauptmann in seiner Heimat Kilikien gewesen und von dort als Sklave nach Sizilien geführt worden. Ganz wie seine Vorgänger versicherte er sich der Gemüter der Griechen und Syrer vor allem durch Prophezeiungen und anderen erbaulichen Schwindel; aber kriegskundig und einsichtig wie er war, bewaffnete er nicht, wie die übrigen Führer, die ganze Masse der ihm zuströmenden Leute, sondern bildete aus den kriegstüchtigen Mannschaften ein organisiertes Heer, während er die Masse zu friedlicher Beschäftigung anwies. Bei der strengen Mannszucht, die in seinen Truppen jedes Schwanken und jede unbotmäßige Regung niederhielt, und der milden Behandlung der friedlichen Landbewohner und selbst der Gefangenen errang er rasche und große Erfolge. Die Hoffnung, daß die beiden Führer sich veruneinigen würden, schlug den Römern auch diesmal fehl; freiwillig fügte sich Athenion dem weit minder fähigen König Tryphon und erhielt damit die Einigkeit unter den Insurgenten. Bald herrschten diese so gut wie unumschränkt auf dem platten Lande, wo die freien Proletarier wieder mehr oder minder offen mit den Sklaven hielten; die römischen Behörden waren nicht imstande, gegen sie das Feld zu nehmen, und mußten sich begnügen, mit dem sizilischen und dem eiligst herangezogenen afrikanischen Landsturm die Städte zu schützen, welche sich in der beklagenswertesten Verfassung befanden. Die Rechtspflege stockte auf der ganzen Insel, und es regierte einzig das Faustrecht. Da kein Ackerbürger sich mehr vor das Tor, kein Landmann sich in die Stadt wagte, brach die fürchterlichste Hungersnot herein, und die städtische Bevölkerung dieser sonst Italien ernährenden Insel mußte von den römischen Behörden mit Getreidesendungen unterstützt werden. Dazu drohten überall im Innern die Verschwörungen der Stadtsklaven und vor den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst Messana um ein Haar von Athenion erobert worden wäre. So schwer es der Regierung fiel, während des ernsten Kimbrischen Krieges eine zweite Armee ins Feld zu stellen, sie konnte doch nicht umhin, im Jahre 651 (103) ein Heer von 14000 Römern und Italikern, umgerechnet die überseeischen Milizen, unter dem Prätor Lucius Lucullus nach der Insel zu entsenden. Das vereinigte Sklavenheer stand in den Bergen oberhalb Sciacca und nahm die Schlacht an, die Lucullus anbot. Die bessere militärische Organisation gab den Römern den Sieg: Athenion blieb für tot auf der Walstatt, Tryphon mußte sich in die Bergfestung Triokala werfen; die Insurgenten berieten ernstlich, ob es möglich sei, den Kampf länger fortzusetzen. Indes die Partei, die entschlossen war, auszuharren bis auf den letzten Mann, behielt die Oberhand; Athenion, der in wunderbarer Weise gerettet worden war, trat wieder unter die Seinigen und belebte den gesunkenen Mut; vor allem aber tat Lucullus unbegreiflicherweise nicht das geringste, um seinen Sieg zu verfolgen, ja er soll absichtlich die Armee desorganisiert und sein Feldgerät verbrannt haben, um die gänzliche Erfolglosigkeit seiner Amtsführung zu bedecken und von seinem Nachfolger nicht in Schatten gestellt zu werden. Mag dies wahr sein oder nicht, sein Nachfolger Gaius Servilius (652 102) erlangte nicht bessere Resultate, und beide Generale sind später ihrer Amtsführung wegen kriminell belangt und verurteilt worden, was freilich auch durchaus kein sicherer Beweis für ihre Schuld ist. Athenion, der nach Tryphons Tode (652 102) den Oberbefehl allein übernommen hatte, stand siegreich an der Spitze eines ansehnlichen Heeres, als im Jahre 653 (101) Manius Aquillius, der das Jahr zuvor unter Marius im Teutonenkriege sich ausgezeichnet hatte, als Konsul und Statthalter die Führung des Krieges übernahm. Nach zweijährigen harten Kämpfen – Aquillius soll mit Athenion persönlich gefochten und ihn im Zweikampf getötet haben – schlug der römische Feldherr endlich die verzweifelte Gegenwehr nieder und überwand die Insurgenten in ihren letzten Schlupfwinkeln durch Hunger. Den Sklaven auf der Insel wurde das Waffentragen untersagt und der Friede zog wieder auf ihr ein, das heißt die neuen Peiniger wurden abgelöst von den altgewohnten; wie denn namentlich der Sieger selbst unter den zahlreichen und energischen Räuberbeamten dieser Zeit eine hervorragende Stelle einnimmt. Für wen es aber noch eines Beweises bedurfte, wie das Regiment der restaurierten Aristokratie im Innern beschaffen war, den konnte man auf die Entstehung wie auf die Führung dieses zweiten fünfjährigen Sizilischen Sklavenkrieges verweisen.

Wo man aber auch hinsehen mochte in dem weiten Kreis der römischen Verwaltung, es traten dieselben Ursachen und dieselben Wirkungen hervor. Wenn der sizilische Sklavenkrieg zeigt, wie wenig die Regierung auch nur der einfachsten Aufgabe, das Proletariat niederzuhalten, gewachsen war, so offenbarten die gleichzeitigen Ereignisse in Afrika, wie man jetzt in Rom es verstand, Klientelstaaten zu regieren. Um dieselbe Zeit, wo der Sizilische Sklavenkrieg ausbrach, ward auch vor den Augen der erstaunten Welt das Schauspiel aufgeführt, daß gegen die gewaltige Republik, die die Königreiche Makedonien und Asien mit einem Schlag ihres schweren Armes zerschmettert hatte, ein unbedeutender Klientelfürst nicht mittels Waffen, sondern mittels der Erbärmlichkeit ihrer regierenden Herren eine vierzehnjährige Usurpation und Insurrektion durchzuführen vermochte.

Das Königreich Numidien dehnte vom Flusse Molochat sich aus bis an die Große Syrte, so daß es einerseits grenzte an das Mauretanische Reich von Tingis (das heutige Marokko), andererseits an Kyrene und Ägypten, und den schmalen Küstenstrich der römischen Provinz Africa westlich, südlich und östlich umschloß; es umfaßte außer den alten Besitzungen der numidischen Häuptlinge den bei weitem größten Teil desjenigen Gebiets, welches Karthago in den Zeiten seiner Blüte in Afrika besessen hatte, darunter mehrere bedeutende altphönikische Städte wie Hippo regius (Bona) und Groß-Leptis (Lebidah), überhaupt den größten und besten Teil des reichen nordafrikanischen Küstenlandes. Nächst Ägypten war ohne Frage Numidien der ansehnlichste unter allen römischen Klientelstaaten. Nach Massinissas Tode (605 149) hatte Scipio unter dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, die väterliche Herrschaft in der Art geteilt, daß der erstgeborene die Residenz und die Staatskasse, der zweite den Krieg, der dritte die Gerichtsbarkeit übernahm. Jetzt regierte nach dem Tode seiner beiden Brüder wieder allein Massinissas ältester Sohn Micipsa33

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Es war arg; bald kam es noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege der Verteidigung Adherbal um seine Hälfte bringen zu können, reizte Jugurtha denselben zum Kriege; indes da der schwache Mann, durch die gemachten Erfahrungen gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet ungehindert brandschatzen ließ und sich begnügte, in Rom Beschwerde zu führen, begann Jugurtha, ungeduldig über diese Weitläufigkeiten, auch ohne Vorwand den Krieg. In der Gegend des heutigen Philippeville ward Adherbal vollständig geschlagen und warf sich in seine nahe Hauptstadt Cirta. Während die Belagerung ihren Fortgang nahm und Jugurthas Truppen mit den in Cirta zahlreich ansässigen und bei der Verteidigung der Stadt lebhafter als die Afrikaner selbst sich beteiligenden Italikern täglich sich herumschlugen, erschien die von dem römischen Senat auf Adherbals erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natürlich junge unerfahrene Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewöhnlichen Staatssendungen regelmäßig verwandte. Die Gesandten verlangten, daß Jugurtha sie als von der Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die Stadt einlasse, überhaupt aber den Kampf einstelle und ihre Vermittlung annehme. Jugurtha schlug beides kurzweg ab und die Gesandten zogen schleunigst heim wie die Knaben, die sie waren, um an die Väter der Stadt zu berichten. Die Väter hörten den Bericht an und ließen ihre Landsleute in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte. Erst als im fünften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch die Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des Königs voll der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte derselbe sich auf und faßte wirklich einen Beschluß – nicht etwa den Krieg zu erklären, wie die Minorität es verlangte, sondern eine neue Gesandtschaft zu schicken, aber eine Gesandtschaft mit Marcus Scaurus an der Spitze, dem großen Bezwinger der Taurisker und der Freigelassenen, dem imponierenden Heros der Aristokratie, dessen bloßes Erscheinen genügen werde, den ungehorsamen König auf andere Gedanken zu bringen. In der Tat erschien Jugurtha, wie geheißen, in Utica, um mit Scaurus zu verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich die Konferenz geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat erreicht. Die Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklärt zu haben, nach Rom zurück und der König wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal sah sich aufs Äußerste gebracht und verzweifelte an der römischen Unterstützung; die Italiker in Cirta, der Belagerung müde und für ihre eigene Sicherheit fest vertrauend auf die Furcht vor dem römischen Namen, drängten überdies zur Übergabe. So kapitulierte die Stadt. Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter grausamen Martern hinzurichten, die sämtliche erwachsene männliche Bevölkerung der Stadt aber, Afrikaner wie Italiker, über die Klinge springen zu lassen (642 112).

Ein Schrei der Entrüstung ging durch ganz Italien. Die Minorität des Senats selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten einmütig diese Regierung, für die die Ehre und das Interesse des Landes nichts zu sein schienen als verkäufliche Artikel; am lautesten die Kaufmannschaft, die durch die Hinopferung der römischen und italischen Kaufleute in Cirta am nächsten getroffen worden war. Die Majorität des Senats sträubte sich zwar auch jetzt noch; sie appellierte an die Standesinteressen der Aristokratie und setzte alle Hebel der kollegialischen Geschäftsverschleppung in Bewegung, um den lieben Frieden noch ferner zu bewahren. Indes als der für 643 (111) gewählte Volkstribun Gaius Memmius, ein tätiger und beredter Mann, sofort nach Antritt seines Amtes den Handel öffentlich zur Sprache brachte und die schlimmsten Sünder zu gerichtlicher Verantwortung ziehen zu wollen drohte, ließ der Senat es geschehen, daß der Krieg an Jugurtha erklärt ward (642/43 112/11). Es schien ernst zu werden. Jugurthas Gesandte wurden, ohne vorgelassen zu sein, aus Italien ausgewiesen; der neue Konsul Lucius Calpurnius Bestia, der, unter seinen Standesgenossen wenigstens, durch Einsicht und Tätigkeit sich auszeichnete, betrieb die Rüstungen mit Energie; Marcus Scaurus selbst übernahm eine Befehlshaberstelle in der afrikanischen Armee; in kurzer Zeit stand ein römisches Heer auf afrikanischem Boden und rückte, am Bagradas (Medscherda) hinaufmarschierend, ein in das Numidische Königreich, wo die vor dem Sitz der königlichen Macht entlegensten Städte, wie Groß-Leptis, bereits freiwillig ihre Unterwerfung einsandten, während König Bocchus von Mauretanien, obwohl seine Tochter mit Jugurtha vermählt war, doch den Römern Freundschaft und Bündnis antrug. Jugurtha selbst verlor den Mut und sandte Boten in das römische Hauptquartier, um Waffenstillstand zu erbitten. Das Ende des Kampfes schien nahe und kam noch schneller, als man dachte. Der Vertrag mit König Bocchus scheiterte daran, daß der König, unbekannt mit den römischen Sitten, diesen den Römern vorteilhaften Vertrag umsonst abschließen zu können gemeint und deshalb versäumt hatte, seinen Boten den marktgängigen Preis römischer Bündnisse mitzugeben. Jugurtha kannte allerdings die römischen Institutionen besser und hatte nicht versäumt, seine Waffenstillstandsanträge durch die gehörigen Begleitgelder zu unterstützen; indes auch er hatte sich getäuscht. Nach den ersten Verhandlungen ergab es sich, daß im römischen Hauptquartier nicht bloß der Waffenstillstand feil sei, sondern auch der Friede. Die königliche Schatzkammer war noch von Massinissas Zeiten her wohl gefüllt; rasch war man handelseinig. Der Vertrag ward abgeschlossen, nachdem der Form halber derselbe dem Kriegsrat vorgelegt und nach einer unordentlichen und möglichst summarischen Verhandlung dessen Zustimmung erwirkt worden war. Jugurtha unterwarf sich auf Gnade und Ungnade; der Sieger aber übte Gnade und gab dem König sein Reich ungeschmälert zurück gegen eine mäßige Buße und die Auslieferung der römischen Oberläufer und der Kriegselefanten (643 111), welche letztere der König großenteils später wiedereinhandelte durch Verträge mit den einzelnen römischen Platzkommandanten und Offizieren.

Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt wußte, wie der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war zu haben, nur um einen höheren als den gemeinen senatorischen Durchschnittspreis. Die Rechtsbeständigkeit des Friedens ward im Senat ernstlich angefochten; Gaius Memmius erklärte, daß der König, wenn er wirklich unbedingt sich unterworfen habe, sich nicht weigern könne, in Rom zu erscheinen und man ihn demnach vorladen möge, um hinsichtlich der durchaus irregulären Friedensverhandlungen durch Vernehmung der beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen. Man fügte sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der König nicht als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich sicheres Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der König in der Tat in Rom und stellte sich zum Verhör vor dem versammelten Volke, das mühsam bewogen ward, das sichere Geleit zu respektieren und den Mörder der cirtensischen Italiker nicht auf der Stelle zu zerreißen. Allein kaum hatte Gaius Memmius die erste Frage an den König gerichtet, als einer seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und dem Könige befahl zu schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold mächtiger als der Wille des souveränen Volkes und seiner höchsten Beamten. Inzwischen gingen im Senat die Verhandlungen über die Gültigkeit des soeben abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius Albinus nahm eifrig Partei für den Antrag, denselben zu kassieren, in der Aussicht, daß dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde. Dies veranlaßte einen in Rom lebenden Enkel Massinissas, den Massiva, seine Ansprüche auf das erledigte Numidische Reich bei dem Senat geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der Vertrauten des Königs Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in dessen Auftrag, meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafür der Prozeß gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue, unter den Augen der römischen Regierung verübte Verbrechen bewirkte wenigstens so viel, daß der Senat nun den Frieden kassierte und den König aus der Stadt auswies (Winter 643/44 111/10). Der Krieg ging also wieder an, und der Konsul Spurius Albinus übernahm den Oberbefehl (644 110). Allein das afrikanische Heer war bis in die untersten Schichten hinab in derjenigen Zerrüttung, wie sie einer solchen politischen und militärischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloß von Disziplin war die Rede nicht mehr und die Plünderung der numidischen Ortschaften, ja des römischen Provinzialgebiets während der Waffenruhe das Hauptgeschäft der römischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche Einverständnisse angeknüpft mit dem Feinde. Daß ein solches Heer im Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch diesmal vom römischen Obergeneral die Untätigkeit kaufte, wie dies später gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er wahrlich ein übriges. Spurius Albinus also begnügte sich damit, nichts zu tun; dagegen sein Bruder, der nach seiner Abreise interimistisch den Oberbefehl übernahm, der ebenso tolldreiste als unfähige Aulus Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch einen kühnen Handstreich sich der Schätze des Königs zu bemächtigen, die in der schwer zugänglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (später Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und erreichte die Stadt; allein die Belagerung war erfolg- und aussichtslos, und als der König, der eine Zeitlang mit seinen Truppen vor der Stadt gestanden, in die Wüste ging, zog der römische Feldherr es vor, ihn zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch einen nächtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des Terrains und Jugurthas Einverständnisse in der römischen Armee zusammenwirkten, eroberten die Numidier das römische Lager und trieben die großenteils waffenlosen Römer in der vollständigsten und schimpflichsten Flucht vor sich her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug des römischen Heeres unter dem Joch, sofortige Räumung des ganzen numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat kassierten Bündnisvertrages, von Jugurtha diktiert und von den Römern angenommen wurden (Anfang 645 109).

Dies war denn doch zu arg. Während die Afrikaner jubelten und die plötzlich eröffnende Aussicht auf den kaum noch für möglich gehaltenen Sturz der Fremdherrschaft zahlreiche Stämme der freien und halbfreien Wüstenbewohner unter die Fahnen des siegreichen Königs führte, brauste in Italien die öffentliche Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene wie verderbliche Regierungsaristokratie und brach los in einem Prozeßsturm, der, genährt durch die Erbitterung der Kaufmannschaft, eine Reihe von Opfern aus den höchsten Kreisen des Adels wegraffte. Auf den Antrag des Volkstribuns Gaius Mamilius Limetanus ward trotz der schüchternen Versuche des Senats, das Strafgericht abzuwenden, eine außerordentliche Geschworenenkommission bestellt zur Untersuchung des in der numidischen Sukzessionsfrage vorgekommenen Landesverrats, und ihre Wahlsprüche sandten die beiden bisherigen Oberfeldherren, Gaius Bestia und Spurius Albinus, ferner den Lucius Opimius, das Haupt der ersten afrikanischen Kommission und nebenbei den Henker des Gaius Gracchus, außerdem zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und unschuldige Männer der Regierungspartei in die Verbannung. Daß indes diese Prozesse einzig darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger der am meisten kompromittierten Personen die aufgeregte öffentliche Meinung namentlich der Kapitalistenkreise zu beschwichtigen, und daß dabei von einer Auflehnung des Volkszorns gegen das recht- und ehrlose Regiment selbst nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt sehr deutlich die Tatsache, daß an den schuldigsten unter den Schuldigen, an den klugen und mächtigen Scaurus nicht bloß niemand sich wagte, sondern daß er eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu einem der Vorstände der außerordentlichen Hochverratskommission erwählt ward. Um so weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in ihre Kompetenz zu greifen, und es blieb lediglich dem Senat überlassen, dem numidischen Skandal in der für die Aristokratie möglichst gelinden Weise ein Ende zu machen; denn daß dies an der Zeit war, mochte wohl selbst der adligste Adlige anfangen zu begreifen.

Der Senat kassierte zunächst auch den zweiten Friedensvertrag – den Oberbefehlshaber, der ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie dies noch vor dreißig Jahren geschehen war, schien nach den neuen Begriffen von der Heiligkeit der Verträge nicht ferner nötig –, und die Erneuerung des Krieges ward diesmal allen Ernstes beschlossen. Man übergab den Oberbefehl in Afrika zwar wie natürlich einem Aristokraten, aber noch einem der wenigen vornehmen Männer, die militärisch und sittlich der Aufgabe gewachsen waren. Die Wahl fiel auf Quintus Metellus. Er war wie die ganze mächtige Familie, der er angehörte, seinen Grundsätzen nach ein starrer und rücksichtsloser Aristokrat, als Beamter ein Mann, der es zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des Staats Meuchelmörder zu dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat, vermutlich als unpraktische Donquichotterie verlacht haben würde, aber doch ein unbeugsamer, weder der Furcht noch der Bestechung zugänglicher Verwalter und ein einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser Hinsicht war er auch von seinen Standesvorurteilen so weit frei, daß er sich zu seinen Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, sondern den trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen seiner musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veränderten und verbesserten Exerzierreglements in militärischen Kreisen geschätzt ward, und den tapferen, von der Pike emporgedienten latinischen Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen fähigen Offizieren begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109) als Konsul und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so zerrütteten Zustand antraf, daß die Generale bisher nicht gewagt hatten, sie auf das feindliche Gebiet zu führen und sie niemand fürchterlich war als den unglücklichen Bewohnern der römischen Provinz. Streng und rasch wurde sie reorganisiert und im Frühling des Jahres 646 (108)35

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Als Metellus im Jahre 647 (107) wieder ins Feld rückte, hielt Jugurtha ihm nirgends stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit entfernten Punkt; es schien, als würde man ebenso leicht Herr werden über die Löwen wie über diese Reiter der Wüste. Eine Schlacht ward geschlagen, ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen hatte, war schwer zu sagen. Der König war verschwunden in die unabsehliche Weite. Im Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am Saum der großen Wüste, lag in quelliger Oase der feste Platz Thala37; dorthin hatte Jugurtha sich zurückgezogen mit seinen Kindern, seinen Schätzen und dem Kern seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwarten. Metellus wagte es, durch eine Einöde, wo das Wasser auf zehn deutsche Meilen in Schläuchen mitgeführt werden mußte, dem König zu folgen; Thala ward erreicht und fiel nach vierzigtägiger Belagerung; allein nicht bloß vernichteten die römischen Überläufer mit dem Gebäude, in dem sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten, zugleich den wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf mehr ankam, der König Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse entkommen. Numidien zwar war so gut wie ganz in den Händen der Römer; aber statt daß man damit am Ziele gestanden hätte, schien der Krieg nur über ein immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Süden begannen die freien gätulischen Stämme der Wüste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg gegen die Römer. Im Westen schien König Bocchus von Mauretanien, dessen Freundschaft die Römer in früherer Zeit verschmäht hatten, jetzt nicht abgeneigt, mit seinem Schwiegersohn gegen sie gemeinschaftliche Sache zu machen: er nahm ihn nicht bloß bei sich auf, sondern rückte auch, mit den eigenen zahllosen Reiterscharen Jugurthas Haufen vereinigend, in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im Winterquartier befand. Man begann zu unterhandeln; es war klar, daß er mit Jugurthas Person den eigentlichen Kampfpreis für Rom in Händen hielt. Was er aber beabsichtigte, ob den Römern den Schwiegersohn teuer zu verkaufen oder mit dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den Nationalkrieg aufzunehmen, wußten weder die Römer noch Jugurtha und vielleicht der König selbst nicht; derselbe beeilte sich auch keineswegs, aus seiner zweideutigen Stellung herauszutreten. Darüber verließ Metellus die Provinz, die er durch Volksbeschluß genötigt worden war, seinem ehemaligen Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius abzutreten und dieser übernahm für den nächsten Feldzug 648 (106) den Oberbefehl. Er verdankte ihn gewissermaßen einer Revolution. Im Vertrauen auf die von ihm geleisteten Dienste und nebenher auf die ihm zuteil gewordenen Orakel hatte er sich entschlossen, als Bewerber um das Konsulat aufzutreten. Wenn die Aristokratie die ebenso verfassungsmäßige wie sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des tüchtigen, durchaus nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstützt hätte, so würde dabei nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung eines neuen Geschlechts in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde der nicht adlige Mann, der die höchste Gemeinwürde für sich begehrte, von der ganzen regierenden Kaste als ein frecher Neuerer und Revolutionär geschmäht – vollkommen wie einst der plebejische Bewerber von den Patriziern behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen Rechtsgrund –, der tapfere Offizier mit spitzen Reden von Metellus verhöhnt – Marius möge mit seiner Kandidatur warten, hieß es, bis Metellus‘ Sohn, ein bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben könne – und kaum im letzten Augenblick aufs ungnädigste entlassen, um für das Jahr 647 (107), als Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten. Hier vergalt er das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem er vor der gaffenden Menge die Kriegführung und Verwaltung des Metellus in Afrika in einer ebenso unmilitärischen wie schmählich unbilligen Weise kritisierte, ja sogar es nicht verschmähte, dem lieben, ewig von geheimen, höchst unerhörten und höchst unzweifelhaften Konspirationen der vornehmen Herren munkelnden Pöbel das platte Märchen aufzutischen, daß Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie möglich Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies vollkommen ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der Regierung mißwollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte Kaufmannschaft, verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit, die Aristokratie an ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde nicht bloß mit ungeheurer Majorität zum Konsul gewählt, sondern ihm auch, während sonst nach dem Gesetze des Gaius Gracchus die Entscheidung über die jedesmaligen Kompetenzen der Konsuln dem Senat zustand, unter Umstoßung der vom Senat getroffenen Verfügung, die den Metellus an seiner Stelle ließ, durch Beschluß der souveränen Komitien der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg übertragen. Demgemäß trat er im Laufe des Jahres 647 (107) an Metellus‘ Stelle und führte das Kommando in dem Feldzuge des folgenden Jahres; allein die zuversichtliche Verheißung, es besser zu machen als sein Vorgänger und den Jugurtha an Händen und Füßen gebunden schleunigst nach Rom abzuliefern, war leichter gegeben als erfüllt. Marius schlug sich herum mit den Gätulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte Städte; er unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im äußersten Südosten des Königreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch überbot, nahm die Stadt durch Kapitulation und ließ trotz des Vertrages alle erwachsenen Männer darin töten – freilich das einzige Mittel, den Wiederabfall der fernliegenden Wüstenstadt zu verhüten; er griff ein am Fluß Molochath, der das numidische Gebiet vom mauretanischen schied, belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha seine Kasse geschafft hatte, und erstürmte, eben als er schon am Erfolg verzweifelnd von der Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger kühner Kletterer glücklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloß darauf angekommen wäre, durch dreiste Razzias das Heer abzuhärten und dem Soldaten Beute zu schaffen oder auch Metellus‘ Zug in die Wüste durch eine noch weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man diese Kriegführung gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel, worauf alles ankam und das Metellus mit fester Konsequenz im Auge behalten hatte, die Gefangennehmung des Jugurtha, dabei völlig beiseite gesetzt. Der Zug des Marius nach Capsa war ein ebenso zweckloses wie der des Metellus nach Thala ein zweckmäßiges Wagnis; die Expedition aber an den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische Gebiet streifte, war geradezu zweckwidrig. König Bocchus, in dessen Hand es lag, den Krieg zu einem für die Römer günstigen Ausgang zu bringen oder ihn ins Endlose zu verlängern, schloß jetzt mit Jugurtha einen Vertrag ab, in dem dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber versprach, den Schwiegersohn gegen Rom tätig zu unterstützen. Das römische Heer, das vom Fluß Molochath wieder zurückkehrte, sah sich eines Abends plötzlich umringt von ungeheuren Massen mauretanischer und numidischer Reiterei; man mußte fechten, wo und wie die Abteilungen eben standen, ohne daß eine eigentliche Schlachtordnung und ein leitendes Kommando sich hätten durchführen lassen, und sich glücklich schätzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander nicht weit entfernten Hügeln vorläufig für die Nacht in Sicherheit zu bringen. Indes die arge Nachlässigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner entriß ihnen die Folgen desselben; sie ließen sich von den während der Nacht einigermaßen wiedergeordneten römischen Truppen beim grauenden Morgen im tiefen Schlafe überfallen und wurden glücklich zerstreut. Darauf setzte das römische Heer in besserer Ordnung und mit größerer Vorsicht den Rückzug fort; allein noch einmal wurde es auf demselben von allen vier Seiten zugleich angefallen und schwebte in großer Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla zuerst die ihm gegenüberstehenden Reiterhaufen auseinanderstäubte und von deren Verfolgung rasch zurückkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus warf, da wo sie persönlich das römische Fußvolk im Rücken bedrängten. Also ward auch dieser Angriff glücklich abgeschlagen; Marius brachte sein Heer zurück nach Cirta und nahm daselbst das Winterquartier (648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber freilich begreiflich, daß man römischerseits um die Freundschaft des Königs Bocchus, die man anfangs verschmäht, sodann wenigstens nicht eben gesucht hatte, jetzt, nachdem er den Krieg begonnen hatte, anfing sich aufs eifrigste zu bemühen, wobei es den Römern zustatten kam, daß von mauretanischer Seite keine förmliche Kriegserklärung stattgefunden hatte. Nicht ungern trat König Bocchus zurück in seine alte zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit Jugurtha aufzulösen oder diesen zu entlassen, ließ er mit dem römischen Feldherrn sich ein auf Verhandlungen über die Bedingungen eines Bündnisses mit Rom. Als man einig geworden war oder zu sein schien, erbat sich der König, daß Marius zum Abschluß des Vertrages und zur Übernahme des königlichen Gefangenen den Lucius Sulla an ihn absenden möge, der dem König bekannt und genehm sei teils von der Zeit her, wo er als Gesandter des Senats am mauretanischen Hofe erschienen war, teils durch Empfehlungen der nach Rom bestimmten mauretanischen Gesandten, denen Sulla unterwegs Dienste geleistet hatte. Marius war in einer unbequemen Lage. Lehnte er die Zumutung ab, so führte dies wahrscheinlich zum Bruche; nahm er sie an, so gab er seinen adligsten und tapfersten Offizier einem mehr als unzuverlässigen Mann in die Hände, der, wie männiglich bekannt, mit den Römern und mit Jugurtha doppeltes Spiel spielte, und der fast den Plan entworfen zu haben schien, an Jugurtha und Sulla sich vorläufig nach beiden Seiten hin Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg zu Ende zu bringen, überwog jede andere Rücksicht, und Sulla verstand sich zu der bedenklichen Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er auf, geleitet von König Bocchus‘ Sohn Volux, und seine Entschlossenheit wankte selbst dann nicht, als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager des Jugurtha führte. Er wies die kleinmütigen Fluchtvorschläge seiner Begleiter zurück und zog, des Königs Sohn an der Seite, unverletzt durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewährte der kecke Offizier in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn endlich, ernstlich eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem Vorgeben, daß alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er von dem eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein Gefolge niedergemacht und er selbst gefangengenommen. So fiel der große Verräter durch den Verrat seiner Nächsten. Gefesselt brachte Lucius Sulla den listigen und rastlosen Afrikaner mit seinen Kindern in das römische Hauptquartier; damit war nach siebenjähriger Dauer der Krieg zu Ende. Der Sieg ging zunächst auf den Namen des Marius; seinem Triumphalwagen schritt in königlichem Schmuck und in Fesseln König Jugurtha mit seinen beiden Söhnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar 650 (104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wüste wenige Tage darauf in dem unterirdischen Stadtgefängnis, dem alten Brunnenhaus am Kapitol, dem „eisigen Badgemach“, wie der Afrikaner es nannte, als er die Schwelle überschritt, um daselbst sei es erdrosselt zu werden, sei es umzukommen durch Kälte und Hunger. Allein es ließ sich nicht leugnen, daß Marius an den wirklichen Erfolgen den geringsten Anteil hatte, daß Numidiens Eroberung bis an den Saum der Wüste das Werk des Metellus, Jugurthas Gefangennahme das des Sulla war und zwischen beiden Marius eine für einen ehrgeizigen Emporkömmling einigermaßen kompromittierende Rolle spielte. Marius ertrug es ungern, daß sein Vorgänger den Namen des Siegers von Numidien annahm; er brauste zornig auf, als König Bocchus später ein goldnes Bildwerk auf dem Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla darstellte; und doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler die Leistungen dieser beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in Schatten, vor allem Sullas glänzender Zug in die Wüste, der seinen Mut, seine Geistesgegenwart, seinen Scharfsinn, seine Macht über die Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der ganzen Armee zur Anerkennung gebracht hatte. An sich wäre auf diese militärischen Rivalitäten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen Parteikampf eingegriffen hätten; wenn nicht die Opposition durch Marius den senatorischen General verdrängt gehabt, nicht die Regierungspartei Metellus und mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die militärischen Koryphäen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen hätte – wir werden auf die verhängnisvollen Folgen dieser Verhetzungen in der Darstellung der inneren Geschichte zurückzukommen haben.

Im übrigen verlief diese Insurrektion des numidischen Klientelstaats, ohne weder in den allgemeinen politischen Verhältnissen noch auch nur in denen der afrikanischen Provinz eine merkliche Veränderung hervorzubringen. Abweichend von der sonst in dieser Zeit befolgten Politik ward Numidien nicht in eine römische Provinz umgewandelt; offenbar deshalb, weil das Land nicht ohne eine die Grenzen gegen die Wilden der Wüste deckende Armee zu behaupten und man keineswegs gemeint war, in Afrika ein stehendes Heer zu unterhalten. Man begnügte sich deshalb, die westlichste Landschaft Numidiens, wahrscheinlich den Strich vom Fluß Molochath bis zum Hafen von Saldae (Bougie) – das spätere Mauretanien von Caesarea (Provinz Algier) – zu dem Reich des Bocchus zu schlagen und das darum verkleinerte Königreich Numidien auf den letzten noch lebenden legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an Körper und Geist schwachen Halbbruder Gauda, zu übertragen, welcher bereits im Jahre 646 (108) auf Veranlassung des Marius seine Ansprüche bei dem Senat geltend gemacht hatte38. Zugleich wurden die gätulischen Stämme im inneren Afrika als freie Bundesgenossen unter die mit den Römern in Vertrag stehenden unabhängigen Nationen aufgenommen.

Wichtiger als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die politischen Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der Jugurthinischen Insurrektion, obgleich auch diese häufig zu hoch angeschlagen worden sind. Allerdings waren darin alle Schäden des Regiments in unverhüllter Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt nicht bloß notorisch, sondern sozusagen gerichtlich konstatiert, daß den regierenden Herren Roms alles feil war, der Friedensvertrag wie das Interzessionsrecht, der Lagerwall und das Leben der Soldaten; der Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache Wahrheit, als er bei seiner Abreise von Rom äußerte, wenn er nur Geld genug hätte, mache er sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze äußere und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel teuflischer Erbärmlichkeit. Für uns verschiebt der Zufall, daß uns der Krieg in Afrika durch bessere Berichte näher gerückt ist als die anderen gleichzeitigen militärischen und politischen Ereignisse, die richtige Perspektive; die Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthüllungen eben nichts, als was jedermann längst wußte und jeder unerschrockene Patriot längst mit Tatsachen zu belegen imstande war. Daß man für die nur durch ihre Unfähigkeit aufgewogene Niederträchtigkeit der restaurierten Senatsregierung jetzt einige neue, noch stärkere und noch unwiderleglichere Beweise in die Hände bekam, hätte dennoch von Wichtigkeit sein können, wenn es eine Opposition und eine öffentliche Meinung gegeben hätte, mit denen die Regierung genötigt gewesen wäre sich abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die Regierung prostituiert als die vollständige Nichtigkeit der Opposition offenbart. Es war nicht möglich, schlechter zu regieren als die Restauration in den Jahren 637-645 (117-109) es tat, nicht möglich, wehrloser und verlorener dazustehen, als der römische Senat im Jahre 645 (109) stand; hätte es in Rom eine wirkliche Opposition gegeben, das heißt eine Partei, die eine prinzipielle Abänderung der Verfassung wünschte und betrieb, so mußte diese notwendig jetzt wenigstens einen Versuch machen, den restaurierten Senat zu stürzen. Er erfolgte nicht; man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute in die Verbannung. Damit stand es also fest, daß die sogenannte Popularpartei als solche weder regieren konnte, noch regieren wollte; daß es in Rom schlechterdings nur zwei mögliche Regierungsformen gab, die Tyrannis und die Oligarchie; daß, solange es zufällig an einer Persönlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die ärgste Mißwirtschaft höchstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefährdete; daß dagegen, sowie ein solcher Prätendent auftrat, nichts leichter war, als die morschen kurulischen Stühle zu erschüttern. In dieser Hinsicht war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an sich so völlig unmotiviert war. Wenn die Bürgerschaft nach Albinus‘ Niederlage die Kurie gestürmt hätte, es wäre begreiflich, um nicht zu sagen in der Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus dem Numidischen Krieg gegeben hatte, konnte von schlechter Führung, geschweige denn von Gefahr für das Gemeinwesen wenigstens in dieser Beziehung nicht mehr die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten besten ehrgeizigen Offizier, das auszuführen, womit einst der ältere Africanus der Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten militärischen Kommandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen der Regierung zu verschaffen. Die öffentliche Meinung, nichtig in den Händen der sogenannten Popularpartei, ward zur unwiderstehlichen Waffe in der Hand des künftigen Königs von Rom. Es soll damit nicht gesagt werden, daß Marius beabsichtigte, den Prätendenten zu spielen, am wenigsten damals schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem Volke warb; aber mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat, es war augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen Regiment, wenn die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder, was ungefähr dasselbe war, wenn jeder populäre Offizier imstande war, in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges neues Element trat in diesen vorläufigen Krisen auf; es war das Hineinziehen der militärischen Männer und der militärischen Macht in die politische Revolution. Ob Marius‘ Auftreten unmittelbar die Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die Oligarchie durch die Tyrannis zu verdrängen, oder ob dasselbe, wie so manches Ähnliche, als vereinzelter Eingriff in die Prärogative der Regierung ohne weitere Folgen vorübergehen werde, ließ sich noch nicht bestimmen; wohl aber war es vorauszusehen, daß, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis zur Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie Gaius Gracchus, sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die gleichzeitige Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei der Bildung seiner nach Afrika bestimmten Armee von der bisher geforderten Vermögensqualifikation absah und auch dem ärmsten Bürger, wenn er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den Eintritt in die Legion gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militärischen Rücksichten veranstaltet worden sein; allein darum war es nichtsdestoweniger ein folgenreiches politisches Ereignis, daß das Heer nicht mehr, wie ehemals, aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in der jüngsten Zeit aus denen, die etwas zu verlieren hatten, gebildet ward, sondern anfing sich zu verwandeln in einen Haufen von Leuten, die nichts hatten als ihre Arme und was der Feldherr ihnen spendete. Die Aristokratie herrschte im Jahre 650 (104) ebenso unumschränkt wie im Jahre 620 (134); aber die Zeichen der herannahenden Katastrophe hatten sich gemehrt, und am politischen Horizont war neben der Krone das Schwert aufgegangen.

  1. Er ist großenteils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit dreihundert Jahren fortgepflanzten falschen Namen des Thorischen Ackergesetzes.
  2. Das zeigt, wie bekannt, der weitere Verlauf. Man hat dagegen geltend gemacht, daß bei Valerius Maximus Quintus Caepio Patron des Senats genannt werde; allein teils beweist dies nicht genug, teils paßt, was daselbst erzählt wird, schlechterdings nicht auf den Konsul des Jahres 648 (106), und es muß hier eine Irrung sein, sei es nun im Namen oder in den berichteten Tatsachen.
  3. Vielfältig wird angenommen, daß die Einrichtung der Provinz Kilikien erst erfolgte nach der kilikischen Expedition des Publius Servilius 676 f. (78), allein mit Unrecht; denn schon 662 (92) finden wir Sulla (App. Mithr. 57; civ. 1, 77; Aur. Vict. 75), 674 und 675 (80 79) Gnaeus Dolabella (Cic. Verr. 1, 16 44) als Statthalter von Kilikien, wonach nichts übrig bleibt, als die Einrichtung der Provinz in das Jahr 652 (102) zu setzen. Hierfür spricht ferner, daß in dieser Zeit die Züge der Römer gegen die Korsaren, wie zum Beispiel die balearischen, ligurischen, dalmatischen, regelmäßig gerichtet erscheinen auf Besetzung der Küstenpunkte, von wo der Seeraub ausging; natürlich, denn da die Römer keine stehende Flotte hatten, war das einzige Mittel, dem Seeraub wirksam zu steuern, die Besetzung der Küsten. Übrigens ist daran zu erinnern, daß der Begriff der provincia nicht unbedingt Besitz der Landschaft in sich schließt, sondern an sich nichts ist als ein selbständiges militärisches Kommando; es ist sehr möglich, daß die Römer zunächst in dieser rauhen Landschaft nichts nahmen als Station für Schiffe und Mannschaft.
  4. Das ebene Ostkilikien blieb bis auf den Krieg gegen Tigranes bei dem Syrischen Reich (App. Syr. 48); die ehemals zu Kilikien gerechneten Landschaften nördlich des Tauros, das sogenannte kappadokische Kilikien und Kataonien gehörten jenes seit der Auflösung des Attalischen Reiches (Iust. 37, 1; oben S. 62), dieses wohl schon seit dem Frieden mit Antiochos zu Kappadokien.
  5. Der Stammbaum der numidischen Fürsten ist folgender:
  6. Lektorat: Bild des Stammbaums fehlt!!!
  7. In der spannenden und geistreichen Darstellung dieses Krieges von Sallust ist die Chronologie mehr als billig vernachlässigt. Der Krieg ging im Sommer 649 (105) zu Ende (c. 114); wenn also Marius seine Kriegführung als Konsul 647 (107) begann, so führte er dort das Kommando in drei Kampagnen. Allein die Erzählung schildert nur zwei, und mit Recht. Denn eben wie Metellus allem Anschein nach zwar schon 645 (109) nach Afrika ging, aber, da er spät eintraf (c. 37, 44) und die Reorganisation des Heeres Zeit kostete (c. 44), seine Operationen erst im folgenden Jahr begann, trat auch Marius, der gleichfalls in Italien längere Zeit sich mit Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84), entweder als Konsul 647 (107) spät im Jahre und nach beendigtem Feldzug oder auch erst als Prokonsul 648 (106) den Oberbefehl an; so daß also die beiden Feldzüge des Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius 648, 649 (106, 105) fallen. Dazu paßt, daß Metellus erst im Jahre 648 (106) triumphierte (Eph. epigr. IV, S. 257). Dazu paßt ferner, daß die Schlacht am Muthul und die Belagerung von Zama nach dem Verhältnis, in dem sie zu Marius‘ Bewerbung um das Konsulat stehen, notwendig in das Jahr 646 (108) gesetzt werden müssen. Von Ungenauigkeiten ist der Schriftsteller auf keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar noch 649 (105) bei ihm Konsul genannt wird.
  8. Die Verlängerung des Kommandos des Metellus, die Sallustius (62, 10) berichtet, kann sich nach dem Platze, an dem sie steht, nur beziehen auf das Jahr 647 (107); als im Sommer 646 (108) auf Grund des Sempronischen Gesetzes die Provinzen der für 647 (107) zu wählenden Konsuln festzusetzen waren, bestimmte der Senat zwei andere Provinzen und ließ also Numidien dem Metellus. Diesen Senatsschluß stieß das 72, 7 erwähnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten Handschriften beider Familien lückenhaft überlieferten Worte sed Paulo …. decreverat: ea res frustra fuit müssen entweder die den Konsuln vom Senat bestimmten Provinzen genannt haben – etwa sed paulo [ante uti consulibus Italia et Gallia provinciae essent senatus] decreverat – oder, nach der Ergänzung der Vulgathandschriften: sed Paulo [ante senatus Metello Numidiam] decreverat.
  9. Die Örtlichkeit ist nicht wiedergefunden. Die frühere Annahme, daß Thelepte (bei Feriana, nördlich von Capsa) gemeint sei, ist willkürlich und die Identifikation mit einer auch heute Thala genannten Örtlichkeit östlich von Capsa auch nicht gehörig begründet.
  10. Sallusts politisches Genregemälde des jugurthinischen Krieges, in der sonst völlig verblaßten und verwaschenen Tradition dieser Epoche das einzige in frischen Farben übriggebliebene Bild, schließt mit Jugurthas Katastrophe, seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht historisch; und auch anderweitig fehlt es an einem zusammenhängenden Bericht über die Behandlung des Numidischen Reiches. Daß Gauda Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64) und Dio Cassius (fr. 79, 4 Bekk.) an und bestätigt eine Inschrift von Cartagena (Orelli 630), die ihn König und Vater Hiempsals II. nennt. Daß im Westen die zwischen Numidien einer- und dem römischen Afrika und Kyrene andererseits bestehenden Grenzverhältnisse unverändert blieben, zeigt Caesar (civ. 2, 38), Bell. Afr. 43, 77 und die spätere Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der Natur der Sache und wird auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, daß Bocchus‘ Reich bedeutend vergrößert ward; womit es unzweifelhaft zusammenhängt, daß Mauretanien, ursprünglich beschränkt auf die Landschaft von Tingis (Marokko), in späterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Hälfte der Provinz Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Römern vergrößert ward, zuerst 649 (105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann 708 (46) nach Auflösung des Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich die Landschaft von Caesarea bei der ersten, die von Sitifis bei der zweiten Vergrößerung hinzugekommen.

5. Kapitel


5. Kapitel

Die Völker des Nordens

Seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts beherrschte die römische Gemeinde die drei großen von dem nördlichen Kontinent in das Mittelmeer hineinragenden Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich innerhalb derselben fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den Ligurischen Apenninen und Alpentälern, in den Gebirgen Makedoniens und Thrakiens die ganz- oder halbfreien Völkerschaften fort, der schlaffen römischen Regierung zu trotzen. Ferner war die kontinentale Verbindung zwischen Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in der oberflächlichsten Weise hergestellt und die Landschaften jenseits der Pyrenäen, der Alpen und der Balkankette, die großen Stromgebiete der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich außerhalb des politischen Gesichtskreises der Römer. Es ist hier darzustellen, was römischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu sichern und zu arrondieren und wie zugleich die großen Völkermassen, die hinter jenem gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten, anfingen, an die Tore der nördlichen Gebirge zu pochen und die griechisch-römische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, daß sie mit Unrecht meine, die Erde für sich allein zu besitzen.

Fassen wir zunächst die Landschaft zwischen den Westalpen und den Pyrenäen ins Auge. Die Römer beherrschten diesen Teil der Küste des Mittelmeers seit langem durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der ältesten, treuesten und mächtigsten der von Rom abhängigen bundesgenössischen Gemeinden, deren Seestationen, westlich Agathe (Agde) und Rhode (Rosas), östlich Tauroention (Ciotat), Olbia (Hyères?), Antipolis (Antibes) und Nikäa (Nizza), die Küstenfahrt wie den Landweg von den Pyrenäen zu den Alpen sicherten und deren merkantile und politische Verbindungen weit ins Binnenland hineinreichten. Eine Expedition in die Alpen oberhalb Nizza und Antibes gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten ward im Jahre 600 (154) von den Römern teils auf Ansuchen der Massalioten, teils im eigenen Interesse unternommen und nach heftigen und zum Teil verlustvollen Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen, den Massalioten fortan stehende Geiseln zu geben und ihnen jährlichen Zins zu zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß um diese Zeit zugleich in dem ganzen von Massalia abhängigen Gebiete jenseits der Alpen der nach dem Muster des massaliotischen daselbst aufblühende Wein- und Ölbau im Interesse der italischen Gutsbesitzer und Kaufleute untersagt ward39. Einen ähnlichen Charakter finanzieller Spekulation trägt der Krieg, der wegen der Goldgruben und Goldwäschereien von Victumulae (in der Gegend von Vercelli und Bard und im ganzen Tal der Dora Baltea) von den Römern unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre 611 (143) gegen die Salasser geführt ward. Die große Ausdehnung dieser Wäschereien, welche den Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft das Wasser für ihre Äcker entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete Intervention der Römer hervor; der Krieg, obwohl die Römer auch ihn wie alle übrigen dieser Epoche mit einer Niederlage begannen, führte endlich zu der Unterwerfung der Salasser und der Abtretung des Goldbezirkes an das römische Ärar. Einige Jahrzehnte später (654 100) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Kolonie Eporedia (Ivrea) angelegt, hauptsächlich wohl, um durch sie den westlichen wie durch Aquileia den östlichen Alpenpaß zu beherrschen. Einen ernsteren Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als Marcus Fulvius Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als Konsul 629 (125) in dieser Gegend den Oberbefehl übernahm. Er zuerst betrat die Bahn der transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten keltischen Nation war um diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen seine wirkliche Hegemonie eingebüßt und nur eine Ehrenvorstandschaft behalten hatte, der effektiv führende Gau in dem Gebiet von den Pyrenäen bis zum Rhein und vom Mittelmeer bis zur Westsee der Arverner40, und es erscheint danach nicht gerade übertrieben, daß er bis 180000 Mann ins Feld zu stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst die Häduer (um Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; während in dem nordöstlichen Gallien die Könige der Suessionen (um Soissons) den bis nach Britannien hinüber sich erstreckenden Völkerbund der Belgen unter ihrer Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende jener Zeit wußten viel zu erzählen von der prachtvollen Hofhaltung des Arvernerkönigs Luerius, wie derselbe, umgeben von seinem glänzenden Clangefolge, den Jägern mit der gekoppelten Meute und der wandernden Sängerschar, auf dem silberbeschlagenen Wagen durch die Städte seines Reiches fuhr, das Gold mit vollen Händen auswerfend unter die Menge, vor allen aber das Herz des Dichters mit dem leuchtenden Regen erfreuend – die Schilderungen von der offenen Tafel, die er in einem Raume von 1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder des Wegs Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel Camachos. In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen arvernischen Goldmünzen dieser Zeit dafür, daß der Arvernergau zu ungemeinem Reichtum und einer verhältnismäßig hoch gesteigerten Zivilisation gediehen war. Flaccus‘ Angriff traf indes zunächst nicht auf die Arverner, sondern auf die kleineren Stämme in dem Gebiet zwischen den Alpen und der Rhone, wo die ursprünglich ligurischen Einwohner mit nachgerückten keltischen Scharen sich vermischt hatten und eine der keltiberischen vergleichbare keltoligurische Bevölkerung entstanden war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glück gegen die Salyer oder Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen ihre nördlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drôme), ebenso sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen die Allobrogen, einen mächtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der Isère, der auf die Bitte des landflüchtigen Königs der Salyer, Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land wiedererobern zu helfen, aber in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die Allobrogen indes nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkönig auszuliefern, drang Calvinus‘ Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in ihr eigenes Gebiet ein (632 122). Bis dahin hatte der führende keltische Stamm dem Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkönig Betuhus, jenes Luerius‘ Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen Schutzverhältnisses wegen, in dem die östlichen Gaue zu ihm stehen mochten, in einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als die Römer Miene machten, die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet anzugreifen, bot er seine Vermittlung an, deren Zurückweisung zur Folge hatte, daß er mit seiner gesamten Macht den Allobrogen zu Hilfe erschien; wogegen wieder die Häduer Partei ergriffen für die Römer. Auch die Römer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um in Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der südlichen Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluß der Isère in die Rhone, ward am 8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die über die Herrschaft im südlichen Gallien entschied. König Betuitus, wie er die zahllosen Haufen der abhängigen Clans auf der über die Rhone geschlagenen Schiffbrücke an sich vorüberziehen und gegen sie die dreimal schwächeren Römer sich aufstellen sah, soll ausgerufen haben, daß dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des Keltenheeres zu sättigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, erfocht dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbrücke unter der Masse der Flüchtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des größten Teils der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen ferner Beistand zu leisten der Arvernerkönig sich unfähig erklärte und denen er selber riet, mit Maximus ihren Frieden zu machen, unterwarfen sich dem Konsul, worauf derselbe, fortan der Allobrogiker genannt, nach Italien zurückging und die nicht mehr ferne Beendigung des arvernischen Krieges dem Ahenobarbus überließ. Dieser, auf König Betuitus persönlich erbittert, weil er die Allobrogen veranlaßt habe, sich dem Maximus und nicht ihm zu ergeben, bemächtigte sich in treuloser Weise der Person des Königs und sandte ihn nach Rom, wo der Senat den Bruch des Treuworts zwar mißbilligte, aber nicht bloß den verratenen Mann festhielt, sondern auch befahl, den Sohn desselben, Congonnetiacus, gleichfalls nach Rom zu senden. Dies scheint die Ursache gewesen zu sein, daß der fast schon beendigte arvernische Krieg noch einmal aufloderte und es bei Vindalium (oberhalb Avignon) am Einfluß der Sorgue in die Rhone zu einer zweiten Entscheidung durch die Waffen kam. Sie fiel nicht anders aus als die erste; es waren diesmal hauptsächlich die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer zerstreuten. Hierauf bequemten sich die Arverner zum Frieden und die Ruhe war in dem Keltenland wiederhergestellt41.

Das Ergebnis dieser militärischen Operationen war die Einrichtung einer neuen römischen Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenäen. Die sämtlichen Völkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von den Römern abhängig und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten, vermutlich schon jetzt den Römern tributär. In der Landschaft zwischen der Rhone und den Pyrenäen behielten die Arverner zwar die Freiheit und wurden nicht den Römern zinspflichtig; allein sie hatten den südlichsten Teil ihres mittel- oder unmittelbaren Gebiets, den Strich südlich der Cevennen bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der Garonne bis nach Tolosa (Toulouse), an die Römer abzutreten. Da der nächste Zweck dieser Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung zwischen Spanien und Italien war, so wurde unmittelbar nach der Besetzung gesorgt für die Chaussierung des Küstenweges. Zu diesem Ende wurde von den Alpen zur Rhone der Küstenstrich in der Breite von 1/5 bis 3/10 deutschen Meile den Massalioten, die ja bereits eine Reihe von Seestationen an dieser Küste besaßen, überwiesen mit der Verpflichtung, die Straße in gehörigem Stand zu halten; wogegen von der Rhone bis zu den Pyrenäen die Römer selbst eine Militärchaussee anlegten, die von ihrem Urheber Ahenobarbus den Namen der Domitischen Straße erhielt. Wie gewöhnlich verband mit dem Straßenbau sich die Anlage neuer Festungen. Im östlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die Kelten geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend wie die zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden; hier entstand eine römische Ortschaft, die „Bäder des Sextius“, Aquae Sextiae (Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Römer in Narbo sich an, einer uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluß Atax (Aude) in geringer Entfernung vom Meere, die bereits Hekatäos nennt und die schon vor ihrer Besetzung durch die Römer als lebhafter an dem britannischen Zinnhandel beteiligter Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae erhielt nicht Stadtrecht, sondern blieb ein stehendes Lager42; dagegen Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als Wacht- und Vorposten gegen die Kelten gegründet, ward als „Marsstadt“ römische Bürgerkolonie und der gewöhnliche Sitz des Statthalters der neuen transalpinischen Keltenprovinz oder, wie sie noch häufiger genannt wird, der Provinz Narbo.

Die Gracchische Partei, welche diese transalpinischen Gebietserwerbungen veranlaßte, wollte offenbar sich hier ein neues und unermeßliches Gebiet für ihre Kolonisationspläne eröffnen, das dieselben Vorzüge darbot wie Sizilien und Afrika und leichter den Eingeborenen entrissen werden konnte als die sizilischen und libyschen Äcker den italischen Kapitalisten. Der Sturz des Gaius Gracchus machte freilich auch hier sich fühlbar in der Beschränkung der Eroberungen und mehr noch der Stadtgründungen; indes wenn die Absicht nicht in vollem Umfang erreicht ward, so ward sie doch auch nicht völlig vereitelt. Das gewonnene Gebiet und mehr noch die Gründung von Narbo, welcher Ansiedelung der Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu bereiten suchte, blieben als unfertige, aber den künftigen Nachfolger des Gracchus an die Fortsetzung des Baus mahnende Ansätze stehen. Offenbar schützte die römische Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit Massalia in dem gallisch-britannischen Handel zu konkurrieren vermochte, diese Anlage vor den Angriffen der Optimaten.

Eine ähnliche Aufgabe wie im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten von Italien; sie ward gleichfalls nicht ganz vernachlässigt, aber noch unvollkommener als jene gelöst. Mit der Anlage von Aquileia (571 183) kam die Istrische Halbinsel in den Besitz der Römer; in Epirus und dem ehemaligen Gebiet des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits geraume Zeit früher. Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnenland hinein, und selbst an der Küste beherrschten sie kaum dem Namen nach den unwirtlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der in seinen wildverschlungenen, weder von Flußtälern noch von Küstenebenen unterbrochenen, schuppenartig aneinandergereihten Bergkesseln und in der längs des Ufers sich hinziehenden Kette felsiger Inseln Italien und Griechenland mehr scheidet als zusammenknüpft. Um die Stadt Delminium (an der Cettina bei Trigl) schloß sich hier die Eidgenossenschaft der Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren wie ihre Berge: während die Nachbarvölker bereits zu reicher Kulturentwicklung gelangt waren, kannte man in Dalmatien noch keine Münze und teilte den Acker, ohne daran ein Sondereigentum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf unter die gemeinsässigen Leute. Land- und Seeraub waren die einzigen bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese Völkerschaften hatten in früheren Zeiten in einem losen Abhängigkeitsverhältnis zu den Herren von Skodra gestanden und waren insofern mitbetroffen worden von den römischen Expeditionen gegen die Königin Teuta und Demetrios von Pharos; allein bei dem Regierungsantritt des Königs Genthios hatten sie sich losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das südliche Illyrien in den Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und es von Rom dauernd abhängig machte. Die Römer überließen die wenig lockende Landschaft gern sich selbst. Allein die Klagen der römischen Illyrier, namentlich der Daorser, die an der Narenta südlich von den Dalmatern wohnten, und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale Stationen Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spalato) von den Eingeborenen schwer zu leiden hatten, nötigten die römische Regierung, an diese eine Gesandtschaft abzuordnen und, da diese die Antwort zurückbrachte, daß die Dalmater um die Römer weder bisher sich gekümmert hätten noch künftig kümmern würden, im Jahre 598 (156) ein Heer unter dem Konsul Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er drang in Dalmatien ein, ward aber wieder zurückgedrängt bis auf das römische Gebiet. Erst sein Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 (155) die große und feste Stadt Delminium, worauf die Eidgenossenschaft sich zum Ziel legte und sich bekannte als den Römern untertänig. Indes war die arme und nur oberflächlich unterworfene Landschaft nicht wichtig genug, um als eigenes Amt verwaltet zu werden; man begnügte sich, wie man es schon für die wichtigeren Besitzungen in Epirus getan, sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten zu lassen; wobei es wenigstens als Regel auch dann blieb, als im Jahre 608 (146) die Provinz Makedonien eingerichtet und deren nordöstliche Grenze nördlich von Skodra festgestellt worden war43.

Aber ebendiese Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar abhängige Landschaft gab den Beziehungen Roms zu den Völkern im Nordosten größere Bedeutung, indem sie den Römern die Verpflichtung auferlegte, die überall offene Nord- und Ostgrenze gegen die angrenzenden barbarischen Stämme zu verteidigen; und in ähnlicher Weise ging nicht lange darauf (621 133) durch die Erwerbung des bisher zum Reich der Attaliden gehörigen Thrakischen Chersones (Halbinsel von Gallipoli) die bisher den Königen von Pergamon obliegende Verpflichtung, die Hellenen hier gegen die Thraker zu schützen, gleichfalls auf die Römer über. Von der zwiefachen Basis aus, die das Potal und die makedonische Landschaft darboten, konnten die Römer jetzt ernstlich gegen das Quellgebiet des Rheins und die Donau vorgehen und der nördlichen Gebirge wenigstens insoweit sich bemächtigen, als die Sicherheit der südlichen Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden war damals die mächtigste Nation das große Keltenvolk, welches der einheimischen Sage zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ozean sich um dieselbe Zeit südlich der Hauptalpenkette in das Potal und nördlich derselben in die Landschaften am oberen Rhein und an der Donau ergossen hatte. Von ihren Stämmen saßen auf beiden Ufern des Oberrheins die mächtigen, reichen und, da sie mit den Römern nirgends sich unmittelbar berührten, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebenden Helvetier, die damals vom Genfer See bis zum Main sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier, deren Sitze das heutige Bayern und Böhmen gewesen sein mögen44. Südöstlich von ihnen begegnen wir einem anderen Keltenstamm, der in der Steiermark und Kärnten unter dem Namen der Taurisker, später der Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der Karner auftritt. Ihre Stadt Noreia (unweit St. Veit nördlich von Klagenfurt) war blühend und weitbekannt durch die schon damals in dieser Gegend eifrig betriebenen Eisengruben; mehr noch wurden eben in dieser Zeit die Italiker dorthin gelockt durch die dort zu Tage gekommenen reichen Goldlager, bis die Eingeborenen sie ausschlossen und dies Kalifornien der damaligen Zeit für sich allein nahmen. Diese zu beiden Seiten der Alpen sich ergießenden keltischen Schwärme hatten nach ihrer Art vorwiegend nur das Flach- und Hügelland besetzt; die eigentliche Alpenlandschaft und ebenso das Gebiet der Etsch und des unteren Po war von ihnen unbesetzt und in den Händen der früher dort einheimischen Bevölkerung geblieben, welche, ohne daß über ihre Nationalität bis jetzt etwas Sicheres zu ermitteln gelungen wäre, unter dem Namen der Räter in den Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten dem der Euganeer und Veneter um Padua und Venedig auftreten, so daß an diesem letzten Punkt die beiden großen Keltenströme fast sich berühren und nur ein schmaler Streif eingeborener Bevölkerung die keltischen Cenomaner um Brescia von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter waren längst friedliche Untertanen der Römer; dagegen die eigentlichen Alpenvölker waren nicht bloß noch frei, sondern machten auch von ihren Bergen herab regelmäßig Streifzüge in die Ebene zwischen den Alpen und dem Po, wo sie sich nicht begnügten zu brandschatzen, sondern auch in den eingenommenen Ortschaften mit fürchterlicher Grausamkeit hausten und nicht selten die ganze männliche Bevölkerung bis zum Kinde in den Windeln niedermachten – vermutlich die tatsächliche Antwort auf die römischen Razzias in den Alpentälern. Wie gefährlich diese rätischen Einfälle waren, zeigt, daß einer derselben um das Jahr 660 (94) die ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete. Wenn bereits diese auf und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen und nichtkeltischen Stämme vielfach sich gemischt haben mögen, so ist die Völkermengung, wie begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den Landschaften an der unteren Donau, wo nicht, wie in den westlicheren, die hohen Gebirge als natürliche Scheidewände dienen. Die ursprünglich illyrische Bevölkerung, deren letzter reiner Überrest die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war durchgängig wenigstens im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und die keltische Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl überall eingeführt. Zunächst an die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng saßen, ein ursprünglich wohl illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm. An sie grenzten im Litoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe Gebirge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor allem mächtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den Keltenzügen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der unteren Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit die führende Nation, die weit und breit nach Mösien, Thrakien und Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen Sitten man sich schreckliche Dinge erzählte. Ihr Hauptwaffenplatz war das feste Segestica oder Siscia an der Mündung der Kulpa in die Save. Die Völker, die damals in Ungarn, Siebenbürgen, Rumänien, Bulgarien saßen, blieben für jetzt noch außerhalb des Gesichtskreises der Römer; nur mit den Thrakern berührte man sich an der Ostgrenze Makedoniens in den Rhodopegebirgen.

Es wäre für eine kräftigere Regierung, als die damalige römische es war, keine leichte Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete eine geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten; was unter den Auspizien der Restaurationsregierung für den wichtigen Zweck geschah, genügt auch den mäßigsten Anforderungen nicht. An Expeditionen gegen die Alpenbewohner scheint es nicht gefehlt zu haben; im Jahre 636 (118) ward triumphiert über die Stöner, die in den Bergen oberhalb Verona gesessen haben dürften; im Jahre 659 (95) ließ der Konsul Lucius Crassus die Alpentäler weit und breit durchstöbern und die Einwohner niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben genug zu erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem Rednerruhm den Siegerlorbeer paaren zu können. Allein da man es bei derartigen Razzias bewenden ließ, die die Eingeborenen nur erbitterten, ohne sie unschädlich zu machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen Überlauf die Truppen wieder wegzog, so blieb der Zustand in der Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, wie er war.

Auf der entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um die Nachbarn bekümmert zu haben; kaum daß im Jahre 651 (103) Gefechte mit den Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Mädern in den Grenzgebirgen zwischen Makedonien und Thrakien erwähnt werden.

Ernstlichere Kämpfe fanden statt im illyrischen Land, wo über die unruhigen Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der Adriatischen See beständig Beschwerde geführt ward; und an der völlig offenen Nordgrenze Makedoniens, welche nach dem bezeichnenden Ausdruck eines Römers so weit ging als die römischen Schwerter und Speere reichten, ruhten die Kämpfe mit den Nachbarn niemals. Im Jahre 619 (135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyäer oder Vardäer und die Pleräer oder Paralier, eine dalmatische Völkerschaft in dem Litoral nördlich der Narentamündung, die nicht aufhörte, auf dem Meer und an der gegenüberliegenden Küste Unfug zu treiben; auf Geheiß der Römer siedelten sie von der Küste weg im Binnenland, der heutigen Herzegowina, sich an und begannen den Acker zu bauen, verkümmerten aber in der rauben Gegend bei dem ungewohnten Beruf. Gleichzeitig ward von Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker gerichtet, die vermutlich mit den angegriffenen Küstenbewohnern gemeinschaftliche Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demütigte der Konsul Tuditanus in Verbindung mit dem tüchtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfänglich eine Niederlage erlitten, schließlich die römischen Waffen tief nach Dalmatien hinein bis an den Kerkafluß, 25 deutsche Meilen abwärts von Aquileia; die Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom in Freundschaft lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre später (635 119) die Dalmater sich aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den Skordiskern. Während gegen diese der Konsul Lucius Cotta kämpfte und dabei, wie es scheint, bis Segestica vordrang, zog gegen die Dalmater sein Kollege, der ältere Bruder des Besiegten von Numidien, Lucius Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, überwand sie und überwinterte in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der Hauptwaffenplatz der Römer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen Chaussee fällt, die von Salona in östlicher Richtung nach Andetrium (bei Much) und von da weiter landeinwärts führte. Mehr den Charakter des Eroberungskrieges trug die Expedition des Konsuls des Jahres 539 (115), Marcus Aemilius Scaurus, gegen die Taurisker45; er überstieg, der erste unter den Römern, die Kette der Ostalpen an ihrer niedrigsten Senkung zwischen Triest und Laibach und schloß mit den Tauriskern Gastfreundschaft, wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert ward, ohne daß doch die Römer, wie eine förmliche Unterwerfung dies nach sich gezogen haben würde, in die Völkerbewegungen nordwärts der Alpen hineingezogen worden wären.

Von den fast verschollenen Kämpfen mit den Skordiskern ist durch einen kürzlich in der Nähe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen Denkstein aus dem Jahr Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung deutlich redendes Blatt wieder zum Vorschein gekommen. Danach fiel in diesem Jahr der Statthalter Makedoniens Sextus Pompeius bei Argos (unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer diesen Kelten gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quästor Marcus Annius mit seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermaßen Herr geworden war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem König der Mäder (am oberen Strymon) Tipas in noch größeren Massen abermals ein, und mit Mühe erwehrten sich die Römer der andringenden Barbaren46. Die Dinge nahmen bald eine so drohende Gestalt an, daß es nötig wurde, konsularische Heere nach Makedonien zu entsenden47. Wenige Jahre darauf wurde der Konsul des Jahres 640 (114), Gaius Porcius Cato, in den serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern überfallen und sein Heer vollständig aufgerieben, während er selbst mit wenigen schimpflich entfloh; mühsam schirmte der Prätor Marcus Didius die römische Grenze. Glücklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius (641, 642 113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste römische Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus (644-647 110-107), der die Waffen längs der Morawa48 trug und die Skordisker nachdrücklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie bald nachher, im Bunde wieder mit den Mädern und den Dardanern, in das römische Gebiet und plünderten sogar das delphische Heiligtum; erst da machte Lucius Scipio dem zweiunddreißigjährigen Skordiskerkrieg ein Ende und trieb den Rest hinüber auf das linke Ufer der Donau49. Seitdem beginnen an ihrer Stelle die ebengenannten Dardaner (in Serbien) in dem Gebiet zwischen der Nordgrenze Makedoniens und der Donau die erste Rolle zu spielen.

Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten. Schon seit längerer Zeit irrte ein „unstetes Volk“ an dem nördlichen Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heißt die Chempho, die Kämpen oder, wie ihre Feinde übersetzten, die Räuber, welche Benennung indes allem Anschein nach schon vor ihrem Auszug zum Volksnamen geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stießen unter den Kelten zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in Böhmen. Genaueres über die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben die Zeitgenossen aufzuzeichnen versäumt50 und kann auch durch keine Mutmaßung ergänzt werden, da die derzeitigen Zustände nördlich von Böhmen und dem Main und östlich vom unteren Rheine unseren Blicken sich vollständig entziehen. Dagegen dafür, daß die Kimbrer und nicht minder der ihnen später sich anschließende gleichartige Schwarm der Teutonen ihrem Kerne nach nicht der keltischen Nation angehören, der die Römer sie anfänglich zurechneten, sondern der deutschen, sprechen die bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier kleiner gleichnamiger Stämme, allem Anschein nach in den Ursitzen zurückgebliebener Reste, der Kimbrer im heutigen Dänemark, der Teutonen im nordöstlichen Deutschland in der Nähe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des Großen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels gedenkt; die Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen Völkertafel unter den Ingävonen neben den Chaukern; das Urteil Caesars, der zuerst die Römer den Unterschied der Deutschen und der Kelten kennen lehrte und die Kimbrer, deren er selbst noch manchen gesehen haben muß, den Deutschen beizählt; endlich die Völkernamen selbst und die Angaben über ihre Körperbildung und ihr sonstiges Wesen, die zwar auf die Nordländer überhaupt, aber doch vorwiegend auf die Deutschen passen. Andererseits ist es begreiflich, daß ein solcher Schwarm, nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich befunden und auf seinen Zügen an und in dem Keltenland ohne Zweifel jeden Waffenbruder, der sich anschloß, willkommen geheißen hatte, eine Menge keltischer Elemente in sich schloß; so daß es nicht befremdet, wenn Männer keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen oder wenn die Römer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die Römer noch nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch nicht ein „heiliger Lenz“ in die Fremde wandernder junger Mannschaft, sondern ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und Gut auszog, eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der überall bei den noch nicht völlig seßhaft gewordenen Völkern des Nordens eine andere Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den Kelten durchgängig ins Lager mitgeführt ward, war hier gleichsam das Haus, wo unter dem übergespannten Lederdach neben dem Gerät Platz sich fand für die Frau und die Kinder und selbst für den Haushund. Die Südländer sahen mit Verwunderung diese hohen schlanken Gestalten mit den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen Frauen, die den Männern an Größe und Stärke wenig nachgaben, die Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die flachsköpfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die italischen, barhäuptig und bloß mit Schwert und Dolch fochten, sondern mit kupfernen, oft reichgeschmückten Helmen und mit einer eigentümlichen Wurfwaffe, der Materis; daneben war das große Schwert geblieben und der lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch einen Panzer trug. An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Römer in dieser Waffe ihnen überlegen. Die Schlachtordnung war wie früher eine rohe, angeblich ebensoviel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx, deren erstes Glied in gefährlichen Gefechten nicht selten die metallenen Leibgürtel mit Stricken zusammenknüpfte. Die Sitten waren rauh. Das Fleisch ward häufig roh verschlungen. Heerkönig war der tapferste und womöglich der längste Mann. Nicht selten ward, nach Art der Kelten und überhaupt der Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde ausgemacht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner Gegner zum Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf machten Verhöhnungen des Feindes durch unschickliche Gebärden und ein entsetzliches Gelärm, indem die Männer ihr Schlachtgebrüll erhoben und die Frauen und Kinder durch Rufpauken auf die ledernen Wagendeckel nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer – galt ihm doch der Tod auf dem Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes würdig war –, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste Bestialität und verhieß auch wohl im voraus den Schlachtgöttern, darzubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben würde. Dann wurden die Geräte zerschlagen, die Pferde getötet, die Gefangenen aufgeknüpft oder nur aufbehalten, um den Göttern geopfert zu werden. Es waren die Priesterinnen, greise Frauen in weißen linnenen Gewändern und unbeschuht, die wie Iphigeneia im Skythenland diese Opfer vollzogen und aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegsgefangenen oder Verbrechers die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten allgemeiner Brauch der nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, wie viel deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die Weise, nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer geleiten und leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art angesprochen werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbekannte Land, ein ungeheures Knäuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern deutscher Auswanderer von der Ostsee sich zusammengeballt hatte, nicht unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in unseren Zeiten ähnlich belastet und ähnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein übers Meer fahren; ihre schwerfällige Wagenburg mit der Gewandtheit, die ein langes Wanderleben gibt, hinüberführend über Ströme und Gebirge, gefährlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und die Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch vordringend, bald plötzlich stockend oder seitwärts und rückwärts sich wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren sie verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in der sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten hätte, das wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man später anfing, die Kette zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den Kreis der antiken Zivilisation berührt hat, ein Glied ist, war die unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen.

Dies heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der Donau, namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Süden vorzudringen, durchbrach diese Schranke infolge der von den Römern gegen die Donaukelten gerichteten Angriffe, sei es nun, daß die Donaukelten die kimbrischen Gegner zu Hilfe riefen gegen die vordringenden Legionen, oder daß jene durch den Angriff der Römer verhindert wurden, ihre Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch das Gebiet der Skordisker einrückend in das Tauriskerland, näherten sie im Jahre 641 (113) sich den Krainer Alpenpässen, zu deren Deckung der Konsul Gnaeus Papirius Carbo auf den Höhen unweit Aquileia sich aufstellte. Hier hatten siebzig Jahre zuvor keltische Stämme sich diesseits der Alpen anzusiedeln versucht, aber auf Geheiß der Römer den schon okkupierten Boden ohne Widerstand geräumt; auch jetzt erwies die Furcht der transalpinischen Völker vor dem römischen Namen sich mächtig. Die Kimbrer griffen nicht an; ja sie fügten sich, als Carbo sie das Gebiet der Gastfreunde Roms, der Taurisker, räumen hieß, wozu der Vertrag mit diesen ihn keineswegs verpflichtete, und folgten den Führern, die ihnen Carbo gegeben hatte, um sie über die Grenze zu geleiten. Allein diese Führer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in einen Hinterhalt zu locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es unweit Noreia im heutigen Kärnten zum Kampf, in dem die Verratenen über den Verräter siegten und ihm beträchtlichen Verlust beibrachten; nur ein Unwetter, das die Kämpfenden trennte, verhinderte die vollständige Vernichtung der römischen Armee. Die Kimbrer hätten sogleich ihren Angriff gegen Italien richten können; sie zogen es vor, sich westwärts zu wenden. Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den Sequanern als durch Gewalt der Waffen eröffneten sie sich den Weg auf das linke Rheinufer und über den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos Niederlage abermals in nächster Nähe das römische Gebiet. Die Rheingrenze und das zunächst gefährdete Gebiet der Allobrogen zu decken, erschien 645 (109) im südlichen Gallien ein römisches Heer unter Marcus Iunius Silanus. Die Kimbrer baten, ihnen Land anzuweisen, wo sie friedlich sich niederlassen könnten – eine Bitte, die sich allerdings nicht gewähren ließ. Der Konsul griff statt aller Antwort sie an; er ward vollständig geschlagen und das römische Lager erobert. Die neuen Aushebungen, welche durch diesen Unfall veranlaßt wurden, stießen bereits auf so große Schwierigkeit, daß der Senat deshalb die Aufhebung der vermutlich von Gaius Gracchus herrührenden, die Verpflichtung zum Kriegsdienst der Zeit nach einschränkenden Gesetze bewirkte. Indes die Kimbrer, statt ihren Sieg gegen die Römer zu verfolgen, sandten an den Senat nach Rom, die Bitte um Anweisung von Land zu wiederholen, und beschäftigten sich inzwischen, wie es scheint, mit der Unterwerfung der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor den Deutschen die römische Provinz und die neue römische Armee für den Augenblick Ruhe; dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland selbst. Die Helvetier, die in den steten Kämpfen mit ihren nordöstlichen Nachbarn viel zu leiden hatten, fühlten durch das Beispiel der Kimbrer sich gereizt, gleichfalls im westlichen Gallien sich ruhigere und fruchtbarere Sitze zu suchen, und hatten vielleicht schon, als die Kimbrerscharen durch ihr Land zogen, sich dazu mit ihnen verbündet; jetzt überschritten unter Divicos Führung die Mannschaften der Tougener (unbekannter Lage) und der Tigoriner (am See von Murten) den Jura51 und gelangten bis in das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen an der Garonne). Das römische Heer unter dem Konsul Lucius Cassius Longinus, auf das sie hier stießen, ließ sich von den Helvetiern in einen Hinterhalt locken, wobei der Feldherr selber und sein Legat, der Konsular Lucius Piso, mit dem größten Teil der Soldaten ihren Tod fanden; der interimistische Oberbefehlshaber der Mannschaft, die sich in das Lager gerettet hatte, Gaius Popillius, kapitulierte auf Abzug unter dem Joch gegen Auslieferung der Hälfte der Habe, die die Truppen mit sich führten, und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich standen die Dinge für die Römer, daß in ihrer eigenen Provinz eine der wichtigsten Städte, Tolosa, sich gegen sie erhob und die römische Besatzung in Fesseln schlug.

Indes da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und auch die Helvetier vorläufig die römische Provinz nicht weiter belästigten, hatte der neue römische Oberfeldherr Quintus Servilius Caepio volle Zeit, sich der Stadt Tolosa durch Verrat wieder zu bemächtigen und das alte und berühmte Heiligtum des Keltischen Apollon von den darin aufgehäuften ungeheuren Schätzen mit Muße zu leeren – ein erwünschter Gewinn für die bedrängte Staatskasse, nur daß leider die Gold- und Silberfässer auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der schwachen Bedeckung durch einen Räuberhaufen abgenommen wurden und spurlos verschwanden; wie es hieß, waren die Anstifter dieses Überfalles der Konsul selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen beschränkte man sich gegen den Hauptfeind auf die strengste Defensive und hütete mit drei starken Heeren die römische Provinz, bis es den Kimbrern gefallen würde, den Angriff zu wiederholen. Sie kamen im Jahre 649 (105) unter ihrem König Boiorix, diesmal ernstlich denkend an einen Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten Rhoneufer der Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und unter ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward völlig geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier gebracht, wo der kimbrische König, erzürnt über die stolze Warnung des gefangenen Römers, sich nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen, ihn niederstieß. Maximus befahl darauf seinem Kollegen, sein Heer über die Rhone zu führen; widerwillig sich fügend erschien dieser endlich bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses, wo nun die ganze römische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenüberstand und ihm durch ihre ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, daß die Kimbrer anfingen zu unterhandeln. Allein die beiden Führer lebten im heftigsten Zerwürfnis. Maximus, ein geringer und unfähiger Mann, war als Konsul seinem stolzeren und besser geborenen, aber nicht besser gearteten prokonsularischen Kollegen Caepio von Rechts wegen übergeordnet; allein dieser weigerte sich, ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und gemeinschaftlich die Operationen zu beraten, und behauptete nach wie vor sein selbständiges Kommando. Vergeblich versuchten Abgeordnete des römischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch eine persönliche Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen, erweiterte nur den Riß. Als Caepio den Maximus mit den Boten der Kimbrer verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer Unterwerfung allein zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein sich schleunigst auf den Feind. Er ward völlig vernichtet, so daß auch das Lager dem Feinde in die Hände fiel (6. Oktober 649 105); und sein Untergang zog die nicht minder vollständige Niederlage der zweiten römischen Armee nach sich. Es sollen 80000 römische Soldaten und halb soviel von dem ungeheuren und unbehilflichen Troß gefallen, nur zehn Mann entkommen sein – so viel ist gewiß, daß es nur wenigen von den beiden Heeren gelang, sich zu retten, da die Römer mit dem Fluß im Rücken gefochten hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und moralisch den Tag von Cannae weit überbot. Die Niederlagen des Carbo, des Silanus, des Longinus waren an den Italikern ohne nachhaltigen Eindruck vorübergegangen. Man war es schon gewohnt, jeden Krieg mit Unfällen zu eröffnen; die Unüberwindlichkeit der römischen Waffen stand so unerschütterlich fest, daß es überflüssig schien, die ziemlich zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das den unverteidigten Alpenpässen in erschreckender Weise sich nähernde Kimbrerheer, die sowohl in der römischen Landschaft jenseits der Alpen als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstärkt ausbrechende Insurrektion, der wehrlose Zustand Italiens rüttelten furchtbar auf aus diesen Träumen. Man gedachte wieder der nie völlig vergessenen Keltenstürme des vierten Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des Brandes von Rom; mit der doppelten Gewalt zugleich ältester Erinnerung und frischester Angst kam der Gallierschreck über Italien; im ganzen Okzident schien man es inne zu werden, daß die Römerherrschaft anfange zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht wurde durch Senatsbeschluß die Trauerzeit abgekürzt52. Die neuen Werbungen stellten den drückendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfähigen Italiker mußten schwören, Italien nicht zu verlassen; die Kapitäne der in den italischen Häfen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen dienstpflichtigen Mann an Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was hätte kommen mögen, wenn die Kimbrer sogleich nach ihrem Doppelsieg durch die Alpenpforten in Italien eingerückt wären. Indes sie überschwemmten zunächst das Gebiet der Arverner, die mühsam in ihren Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der Belagerung müde, nicht nach Italien, sondern westwärts gegen die Pyrenäen.

Wenn der erstarrte Organismus der römischen Politik noch aus sich selber zu einer heilsamen Krise gelangen konnte, so mußte sie jetzt eintreten, wo durch einen der wunderbaren Glücksfälle, an denen die Geschichte Roms so reich ist, die Gefahr nahe genug drohte, um alle Energie und allen Patriotismus in der Bürgerschaft aufzurütteln, und doch nicht so plötzlich hereinbrach, daß diesen Kräften kein Raum geblieben wäre, sich zu entwickeln. Allein es wiederholten sich nur ebendieselben Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den afrikanischen Niederlagen eingetreten waren. In der Tat waren die afrikanischen und die gallischen Unfälle wesentlich gleicher Art. Es mag sein, daß zunächst jene mehr der Oligarchie im ganzen, diese mehr einzelnen Beamten zur Last fielen; allein die öffentliche Meinung erkannte mit Recht in beiden vor allen Dingen den Bankrott der Regierung, welche in fortschreitender Entwicklung zuerst die Ehre des Staats und jetzt bereits dessen Existenz in Frage stellte. Man täuschte sich damals so wenig wie jetzt über den wahren Sitz des Übels, allein jetzt so wenig wie damals brachte man es auch nur zu einem Versuch, an der rechten Stelle zu bessern. Man sah es wohl, daß das System die Schuld trug; aber man blieb auch diesmal dabei stehen, einzelne Personen zur Verantwortung zu ziehen – nur entlud freilich über den Häuptern der Oligarchie dies zweite Gewitter sich mit um so viel schwereren Schlägen, als die Katastrophe von 649 (105) die von 645 (109) an Umfang und Gefährlichkeit übertraf. Das instinktmäßig sichere Gefühl des Publikums, daß es gegen die Oligarchie kein Mittel gebe als die Tyrannis, zeigte sich wiederum, indem dasselbe bereitwillig einging auf jeden Versuch namhafter Offiziere, der Regierung die Hand zu zwingen und unter dieser oder jener Form das oligarchische Regiment durch eine Diktatur zu stürzen.

Zunächst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten; mit Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunächst durch seine Unbotmäßigkeit herbeigeführt war, auch abgesehen von der wahrscheinlich gegründeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der tolosanischen Beute; indes trug zu der Wut, die die Opposition gegen ihn entwickelte, wesentlich auch das bei, daß er als Konsul einen Versuch gewagt hatte, den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu entreißen. Um seinetwillen ward der alte ehrwürdige Grundsatz, auch im schlechtesten Gefäß die Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, während gegen den Urheber des cannensischen Unglückstages der Tadel in die stille Brust verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio durch Volksbeschluß des Prokonsulats entsetzt und – was seit den Krisen, in denen das Königtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen war – sein Vermögen von der Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht lange nachher wurde derselbe durch einen zweiten Bürgerschluß aus dem Senat gestoßen (650 104). Aber dies genügte nicht; man wollte mehr Opfer und vor allem Caepios Blut. Eine Anzahl oppositionell gesinnter Volkstribune, an ihrer Spitze Lucius Appuleius Saturninus und Gaius Norbanus, beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in Gallien begangenen Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht niederzusetzen; trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der Todesstrafe für politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die Absicht unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil über ihn zu fällen und zu vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch tribunizische Interzession den Antrag zu beseitigen; allein die einsprechenden Tribune wurden mit Gewalt aus der Versammlung verjagt und bei dem heftigen Auflauf die ersten Männer des Senats durch Steinwürfe verletzt. Die Untersuchung war nicht zu verhindern und der Prozeßkrieg ging im Jahre 651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor; Caepio selbst, sein Kollege im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und zahlreiche andere angesehene Männer wurden verurteilt; mit Mühe gelang es einem mit Caepio befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner eigenen bürgerlichen Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben zu retten53

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Wichtiger als diese Maßregel der Rache war die Frage, wie der gefährliche Krieg jenseits der Alpen ferner geführt und zunächst, wem darin die Oberfeldherrnschaft übertragen werden sollte. Bei unbefangener Behandlung war es nicht schwer, eine passende Wahl zu treffen. Rom war zwar im Vergleich mit früheren Zeiten an militärischen Notabilitäten nicht reich; allein es hatten doch Quintus Maximus in Gallien, Marcus Aemilius Scaurus und Quintus Minucius in den Donauländern, Quintus Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in Afrika mit Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht darum, einen Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren des Nordens gegenüber die oft erprobte Überlegenheit römischer Waffen und römischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen, wozu es keines genialen, sondern nur eines strengen und tüchtigen Kriegsmanns bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher möglich war als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die Regierung war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische Krieg gezeigt hatte, in der öffentlichen Meinung so vollständig bankrott, daß ihre tüchtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn weichen mußten, sowie es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem Volk herunterzumachen und als Kandidat der Opposition von dieser sich an die Spitze der Geschäfte stellen zu lassen. Es war kein Wunder, daß, was nach den Siegen des Metellus geschehen war, gesteigert sich wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und Quintus Caepio. Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat mehr als einmal zu übernehmen verbot, auf als Bewerber um das höchste Staatsamt und nicht bloß ward er, während er noch in Afrika an der Spitze des dortigen Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der Oberbefehl in dem Gallischen Krieg übergeben, sondern es ward ihm auch fünf Jahre hintereinander (650-654 104-100) wieder und wieder das Konsulat übertragen, in einer Weise, welche aussah wie ein berechneter Hohn gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner ganzen Torheit und Kurzsichtigkeit bewährten exklusiven Geist der Nobilität, aber freilich auch in den Annalen der Republik unerhört und in der Tat mit dem Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unverträglich war. Namentlich in dem römischen Militärwesen, dessen im Afrikanischen Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Bürgerwehr in eine Söldnerschar Marius während seines fünfjährigen, durch die Not der Zeit mehr noch als durch die Klauseln seiner Bestallung unumschränkten Oberkommandos fortsetzte und vollendete, sind die tiefen Spuren dieser inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten demokratischen Generals für alle Zeit sichtbar geblieben.

Der neue Oberfeldherr Gaius Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits der Alpen, gefolgt von einer Anzahl erprobter Offiziere, unter denen der kühne Fänger des Jugurtha, Lucius Sulla, bald sich abermals hervortat, und von zahlreichen Scharen italischer und bundesgenössischer Soldaten. Zunächst fand er den Feind, gegen den er geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute, die bei Arausio gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward, nachdem sie die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, über die Pyrenäen gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den tapferen Bewohnern der Nordküste und des Binnenlandes herum; es schien, als wollten die Deutschen ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei ihrem ersten Auftreten in der Geschichte beweisen. So fand Marius volle Zeit, einesteils die abgefallenen Tektosagen zum Gehorsam zurückzubringen, die schwankende Treue der untertänigen gallischen und ligurischen Gaue wieder zu befestigen und innerhalb wie außerhalb der römischen Provinz von den gleich den Römern durch die Kimbrer gefährdeten Bundesgenossen, wie zum Beispiel von den Massalioten, den Allobrogen, den Sequanern, Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits durch strenge Mannszucht und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe das ihm anvertraute Heer zu disziplinieren und durch Märsche und ausgedehnte Schanzarbeiten – insbesondere die Anlegung eines später den Massalioten überwiesenen Rhonekanals zur leichteren Herbeischaffung der von Italien dem Heer nachgesandten Transporte – die Soldaten für die ernstere Kriegsarbeit tüchtig zu machen. Auch er verhielt sich in strenger Defensive und überschritt nicht die Grenzen der römischen Provinz. Endlich, es scheint im Laufe des Jahres 651 (103), flutete der Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem tapferen Widerstand der eingeborenen Völkerschaften, namentlich der Keltiberer sich gebrochen hatte, wieder zurück über die Pyrenäen und von da, wie es scheint, am Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen Männern sich unterwarf, von den Pyrenäen bis zur Seine. Erst hier, an der Landesgrenze der tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen sie auf ernstlichen Widerstand; allein eben auch hier, während sie im Gebiet der Veliocasser (bei Rouen) standen, kam ihnen ansehnlicher Zuzug. Nicht bloß drei Quartiere der Helvetier, darunter die Tigoriner und Tougener, welche früher an der Garonne gegen die Römer gefochten hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den Kimbrern, sondern es stießen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter ihrem König Teutobod, welche durch uns nicht überlieferte Fügungen aus ihrer Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen waren55. Aber auch die vereinigten Scharen vermochten den tapferen Widerstand der Belgen nicht zu überwältigen. Die Führer entschlossen sich daher, mit der also angeschwollenen Menge den schon mehrmals beratenen Zug nach Italien nun allen Ernstes anzutreten. Um nicht mit dem bisher zusammengeraubten Gut sich zu schleppen, wurde dasselbe hier zurückgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000 Mann, aus denen später nach mancherlei Irrfahrten die Völkerschaft der Aduatuker an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen Verpflegung auf den Alpenstraßen, sei es aus anderen Gründen, die Massen lösten sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine, die Kimbrer und Tigoriner, über den Rhein zurück und durch die schon im Jahre 641 (113) erkundeten Pässe der Ostalpen, der andere, die neuangelangten Teutonen, die Tougener und die schon in der Schlacht von Arausio bewährte kimbrische Kernschar der Ambronen, durch das römische Gallien und die Westpässe nach Italien eindringen sollte. Diese zweite Abteilung war es, die im Sommer 652 (102) abermals ungehindert die Rhone überschritt und am linken Ufer derselben mit den Römern den Kampf nach fast dreijähriger Pause wieder aufnahm. Marius erwartete sie in einem wohlgewählten und wohlverproviantierten Lager am Einfluß der Isère in die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals gangbaren Heerstraßen nach Italien, die über den Kleinen Bernhard und die an der Küste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen das Lager an, das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte der Sturm der Barbaren um die römischen Verschanzungen, aber der wilde Mut scheiterte an der Überlegenheit der Römer im Festungskrieg und an der Besonnenheit des Feldherrn. Nach hartem Verlust entschlossen sich die dreisten Gesellen, den Sturm aufzugeben und am Lager vorbei fürbaß nach Italien zu marschieren. Sechs Tage hintereinander zogen sie daran vorüber, ein Beweis mehr noch für die Schwerfälligkeit ihres Trosses als für ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr ließ es geschehen ohne anzugreifen; daß er durch den höhnischen Zuruf der Feinde, ob die Römer nicht Aufträge hätten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren ließ, ist begreiflich, aber daß er dies verwegene Vorbeidefilieren der feindlichen Kolonnen vor der konzentrierten römischen Masse nicht benutzte um zu schlagen, zeigt, wie wenig er seinen ungeübten Soldaten vertraute. Als der Zug vorüber war, brach auch er sein Lager ab und folgte dem Feinde auf dem Fuß, in strenger Ordnung und Nacht für Nacht sich sorgfältig verschanzend. Die Teutonen, die der Küstenstraße zustrebten, gelangten längs der Rhone hinabmarschierend bis in die Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Römern. Beim Wasserschöpfen stießen hier die leichten ligurischen Truppen der Römer mit der feindlichen Nachhut, den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Römer und verfolgten den weichenden Feind bis an die Wagenburg. Dieser erste glückliche Zusammenstoß erhöhte dem Feldherrn wie den Soldaten den Mut; am dritten Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Hügel, dessen Spitze das römische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht. Die Teutonen, längst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen, stürmten sofort den Hügel hinauf und begannen das Gefecht. Es war ernst und langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie die Mauern; allein die ungewohnte Glut der provencalischen Sonne erschlaffte ihre Sehnen und ein blinder Lärm in ihrem Rücken, wo ein Haufen römischer Troßbuben aus einem waldigen Versteck mit gewaltigem Geschrei hervorrannte, entschied vollends die Auflösung der schwankenden Reihen. Der ganze Schwarm ward gesprengt und, wie begreiflich in dem fremden Lande, entweder getötet oder gefangen; unter den Gefangenen war der König Teutobod, unter den Toten eine Menge Frauen, welche, nicht unbekannt mit der Behandlung, die ihnen als Sklavinnen bevorstand, teils auf ihren Karren in verzweifelter Gegenwehr sich hatten niedermachen lassen, teils in der Gefangenschaft, nachdem sie umsonst gebeten, sie dem Dienst der Götter und der heiligen Jungfrauen der Vesta zu widmen, sich selber den Tod gegeben hatten (Sommer 652 102).

So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon standen deren Waffenbrüder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern verbündet, waren die Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in das obere Rheintal gelangt, hatten die Alpenkette auf dem Brennerpaß überschritten und waren von da durch die Täler der Eisack und Etsch hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte der Konsul Quintus Lutatius Catulus die Pässe bewachen; allein der Gegend nicht völlig kundig und fürchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut, in die Alpen selbst vorzurücken, sondern unterhalb Trient am linken Ufer der Etsch sich aufgestellt und für alle Fälle den Rückzug auf das rechte durch Anlegung einer Brücke sich gesichert. Allein als nun die Kimbrer in dichten Scharen aus den Bergen hervordrangen, ergriff ein panischer Schreck das römische Heer und Legionäre und Reiter liefen davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene auf die nächste Anhöhe, die Sicherheit zu gewähren schien. Mit genauer Not brachte Catulus wenigstens den größten Teil seines Heeres durch eine Kriegslist wieder an den Fluß und über die Brücke zurück, ehe es den Feinden, die den oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Bäume und Balken gegen die Brücke hinabtreiben ließen, gelang, diese zu zerstören und damit dem Heer den Rückzug abzuschneiden. Eine Legion indes hatte der Feldherr auf dem anderen Ufer zurücklassen müssen und bereits wollte der feige Tribun, der sie führte, kapitulieren, als der Rottenführer Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstieß und mitten durch die Feinde auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich durchschlug. So war das Heer und einigermaßen selbst die Waffenehre gerettet; allein die Folgen der versäumten Besetzung der Pässe und des übereilten Rückzugs waren dennoch sehr empfindlich. Catulus mußte auf das rechte Ufer des Po sich zurückziehen und die ganze Ebene zwischen dem Po und den Alpen in der Gewalt der Kimbrer lassen, so daß man die Verbindung mit Aquileia nur zur See noch unterhielt. Dies geschah im Sommer 652 (102), um dieselbe Zeit, wo es zwischen den Teutonen und den Römern bei Aquae Sextiae zur Entscheidung kam. Hätten die Kimbrer ihren Angriff ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in eine sehr bedrängte Lage geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten, blieben sie auch diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die ungewohnten Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Bäder, die neuen reichlichen Speisen und Getränke sie einluden, es sich vorläufig wohl sein zu lassen. Dadurch gewannen die Römer Zeit, ihnen mit vereinigten Kräften in Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der demokratische General sonst wohl getan haben würde, den unterbrochenen Eroberungsplan des Keltenlandes, wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen haben, jetzt wieder aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde das siegreiche Heer an den Po geführt und nach kurzem Verweilen in der Hauptstadt, wo er den ihm angetragenen Triumph bis nach völliger Überwindung der Barbaren zurückwies, traf auch Marius selbst bei den vereinigten Armeen ein. Im Frühjahr 653 (101) überschritten sie, 50000 Mann stark, unter dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum den Po und zogen gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flußaufwärts marschiert zu sein scheinen, um den mächtigen Strom an seiner Quelle zu überschreiten. Unterhalb Vercellae unweit der Mündung der Sesia in den Po56, ebenda, wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden geschlagen hatte, trafen die beiden Heere aufeinander. Die Kimbrer wünschten die Schlacht und sandten, ihrer Landessitte gemäß, zu den Römern, Zeit und Ort dazu auszumachen: Marius willfahrte ihnen und nannte den nächsten Tag – es war der 30. Juli 653 (101) – und das Raudische Feld, eine weite Ebene, auf der die überlegene römische Reiterei einen vorteilhaften Spielraum fand. Hier stieß man auf den Feind, erwartet und doch überraschend; denn in dem dichten Morgennebel fand sich die kimbrische Reiterei im Handgemenge mit der stärkeren römischen, ehe sie es vermutete, und ward von ihr zurückgeworfen auf das Fußvolk, das eben zum Kampfe sich ordnete. Mit geringen Opfern ward ein vollständiger Sieg erfochten und die Kimbrer vernichtet. Glücklich mochte heißen, wer den Tod in der Schlacht fand, wie die meisten, unter ihnen der tapfere König Boiorix; glücklicher mindestens als die, die nachher verzweifelnd Hand an sich selbst legten oder gar auf dem Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen mußten, der dem einzelnen Nordmannen die Dreistigkeit vergalt, des schönen Südens begehrt zu haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner, die auf den Vorbergen der Alpen zurückgeblieben waren, um den Kimbrern später zu folgen, verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage in ihre Heimat. Die Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der Donau bis zum Ebro, von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert hatte, ruhte unter der Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der verlorene Posten der deutschen Wanderungen hatte seine Schuldigkeit getan; das heimatlose Volk der Kimbrer mit seinen Genossen war nicht mehr.

Über den Leichen haderten die politischen Parteien Roms ihren kümmerlichen Hader weiter, ohne um das große Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekümmern, davon hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur Raum zu geben dem reinen Gefühl, daß an diesem Tage Roms Aristokraten wie Roms Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die Rivalität der beiden Feldherren, die nicht bloß politische Gegner, sondern auch durch den so verschiedenen Erfolg der beiden vorjährigen Feldzüge militärisch gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum widerwärtigsten Ausbruch. Catulus mochte mit Recht behaupten, daß das Mitteltreffen, das er befehligte, den Sieg entschieden habe und daß von seinen Leuten einunddreißig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen eingebracht seien – seine Soldaten führten sogar die Abgeordneten der Stadt Parma durch die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, daß Marius tausend geschlagen habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger galt Marius als der eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht; nicht bloß, weil er kraft seines höheren Ranges an dem entscheidenden Tage den Oberbefehl geführt hatte und an militärischer Begabung und Erfahrung seinem Kollegen ohne Zweifel weit überlegen war, sondern vor allem, weil der zweite Sieg von Vercellae in der Tat nur möglich geworden war durch den ersten von Aquae Sextiae. Allein in der damaligen Zeit waren es weniger diese Erwägungen, die den Ruhm von den Kimbrern und Teutonen Rom errettet zu haben ganz und voll an Marius‘ Namen knüpften, als die politischen Parteirücksichten. Catulus war ein feiner und gescheiter Mann, ein so anmutiger Sprecher, daß der Wohllaut seiner Worte fast wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher Memoirenschreiber und Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher Kunstkenner und Kunstrichter; aber er war nichts weniger als ein Mann des Volkes und sein Sieg ein Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber des groben Bauern, welcher von dem gemeinen Volke auf den Schild gehoben war und das gemeine Volk zum Siege geführt hatte, diese Schlachten waren nicht bloß Niederlagen der Kimbrer und Teutonen, sondern auch Niederlagen der Regierung; es knüpften daran sich noch ganz andere Hoffnungen als die, daß man wieder ungestört jenseits der Alpen Geldgeschäfte machen oder diesseits den Acker bauen könne. Zwanzig Jahre waren verstrichen, seit Gaius Gracchus‘ blutende Leiche den Tiber hinabgetrieben war; seit zwanzig Jahren ward das Regiment der restaurierten Oligarchie ertragen und verwünscht; immer noch war dem Gracchus kein Rächer, seinem angefangenen Bau kein zweiter Meister erstanden. Es haßten und hofften viele, viele von den schlechtesten und viele von den besten Bürgern des Staats; war der Mann, der diese Rache und diese Wünsche zu erfüllen verstand, endlich gefunden in dem Sohn des Tagelöhners von Arpinum? Stand man wirklich an der Schwelle der neuen, vielgefürchteten und vielersehnten zweiten Revolution?

  1. Wenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im Jahre 625 (129) sagen läßt (rep. 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden kommen lassen, so bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung möglich. Auf Norditalien und Ligurien bezieht diese Verfügung sich nicht, wie schon der Weinbau der Genuaten im Jahre 637 (117) beweist; ebensowenig auf das unmittelbare Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; Poseid. fr. 25 Müller; Strab. 4, 179). Die starke Ausfuhr von Öl und Wein aus Italien nach dem Rhonegebiet im siebenten Jahrhundert der Stadt ist bekannt.
  2. In der Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht weit von Clermont.
  3. Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische Epitomator und Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte Folge führen Florus und Strabon (4, 191), und sie wird bestätigt teils dadurch, daß Maximus nach dem Auszug des Livius und Plinius (nat. 7, 50) die Gallier als Konsul besiegte, teils besonders durch die Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloß Maximus vor Ahenobarbus triumphierte, sondern auch jener über die Allobrogen und den Arvernerkönig, dieser nur über die Arverner. Es ist einleuchtend, daß die Schlacht gegen Allobrogen und Arverner früher stattgefunden haben muß als die gegen die Arverner allein.
  4. Aquae ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell (Strab. 4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1. Kopenhagen 1834, S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen Orten – so ist zum Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes gewesen als ein keltisches Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes römisches Lager und eine sehr ansehnliche Ortschaft.
  5. 3, 49. Die Pirusten in den Tälern des Drin gehörten zur Provinz Makedonien, streiften aber hinüber in das benachbarte Illyricum (Caes. Gall. 5, 1).
  6. „Zwischen dem Herkynischen Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb), dem Rhein und dem Main wohnten die Helvetier“, sagt Tacitus (Germ. 28), „weiterhin die Boier.“ Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt an, daß die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den Herkynischen Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der Rauhen Alb bis zum Böhmerwald. Wenn Caesar sie „jenseits des Rheines“ versetzt (Gall. 1, 5), so ist dies damit nicht im Widerspruch, denn da er hier von helvetischen Verhältnissen ausgeht, kann er sehr wohl die Landschaft nordöstlich vom Bodensee meinen; womit vollkommen übereinstimmt, daß Strabon die ehemals boische Landschaft als dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur daß er nicht ganz genau als Anwohner des Bodensees die Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort erst festsetzten, nachdem die Boier diese Striche geräumt hatten. Aus diesen ihren Sitzen waren die Boier von den Markomannen und anderen deutschen Stämmen schon vor Poseidonios‘ Zeit, also vor 650 (100) vertrieben; Splitter derselben irrten zu Caesars Zeit in Kärnten umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen von da zu den Helvetiern und in das westliche Gallien; ein anderer Schwarm fand neue Sitze am Plattensee, wo er dann von den Geten vernichtet ward, die Landschaft aber, die sogenannte „boische Einöde“, den Namen dieses geplagtesten aller keltischen Völker bewahrte. Vgl. 2, 193 A.
  7. Galli Karni heißen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn so ist statt des überlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben) bei Victor.
  8. Der Quästor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete (Aivati, 4 Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der Provinz, der Stadt 636 (118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist sonst nicht bekannt; der Prätor Sex. Pompeius, dessen Fall darin erwähnt wird, kann kein anderer sein als der Großvater des Pompeius, mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters Lucilius. Die Feinde werden bezeichnet als Γαλατών έθνος. Es wird hervorgehoben, daß Annius aus Schonung gegen die Provinzialen es unterließ, ihre Kontingente aufzubieten und mit den römischen Truppen allein die Barbaren zurücktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals eine faktisch stehende römische Besatzung erfordert.
  9. Ist Quintus Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien gegangen (CIG 1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z. Berlin 1854, S. 167), so muß auch er dort einen Mißerfolg erlitten haben, da Cicero (Pis. 16, 38) sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio imperio, consulari quidem nemo rediit, qui incolumis fuerit, quin triumpharit; denn die für diese Epoche vollständige Triumphalliste kennt nur die drei makedonischen Triumphe des Metellus 643 (111), des Drusus 644 (110) und des Minucius 648 (106).
  10. Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius und Eutrop die von Minucius besiegte Völkerschaft die Skordisker waren, so kann es nur ein Fehler von Florus sein, daß er statt des Margos (Morawa) den Hebros (die Maritza) nennt.
  11. Von dieser Vernichtung der Skordisker, während die Mäder und Dardaner zum Vertrag zugelassen wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und in der Tat sind seitdem die Skordisker aus dieser Gegend verschwunden. Wenn die schließliche Überwältigung im 32. Jahr από τής πρώτης εις Κελτούς πείρας stattgefunden hat, so scheint dies von einem zweiunddreißigjährigen Krieg zwischen den Römern und den Skordiskern verstanden werden zu müssen, dessen Beginn vermutlich nicht lange nach der Konstituierung der Provinz Makedonien (608 146) fällt und von dem die oben verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil sind. Daß die Überwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen Bürgerkriege, also wohl spätestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus Appians Erzählung hervor. Sie fällt zwischen 650 (104) und 656 (98), wenn ihr ein Triumph gefolgt ist, denn vor- und nachher ist das Triumphalverzeichnis vollständig; indes ist es möglich, daß es aus irgendeinem Grund zum Triumph nicht kam. Der Sieger ist weiter nicht bekannt; vielleicht ist es kein anderer als der Konsul des Jahres 671 (83), da dieser infolge der cinnanisch-marianischen Wirren füglich verspätet zum Konsulat gelangt sein kann.
  12. Denn der Bericht, daß an den Küsten der Nordsee durch Sturmfluten große Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung der Kimbrer veranlaßt worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns nicht wie denen, die ihn aufzeichneten, märchenhaft, allein ob er auf Überlieferung oder Vermutung sich gründet, ist doch nicht zu entscheiden.
  13. Die gewöhnliche Annahme, daß die Tougener und Tigoriner mit den Kimbrern zugleich in Gallien eingerückt seien, läßt sich auf Strabon 7, 293 nicht stützen und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der Helvetier. Die Überlieferung über diesen Krieg ist übrigens in einer Weise trümmerhaft, daß eine zusammenhängende Geschichtserzählung, völlig wie bei den Samnitischen Kriegen, nur Anspruch machen kann auf ungefähre Richtigkeit.
  14. Hierher gehört ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122.
  15. Die Amtsentsetzung des Prokonsuls Caepio, mit der die Vermögenseinziehung verbunden war (Liv. ep. 67), ward wahrscheinlich unmittelbar nach der Schlacht von Arausio (6. Oktober 649 105) von der Volksversammlung ausgesprochen. Daß zwischen der Absetzung und der eigentlichen Katastrophe einige Zeit verstrich, zeigt deutlich der im Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio gemünzte Antrag, daß Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat nach sich ziehen solle (Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus (p. 10: Cn. Manilius ob eandem causam quam et Caepio L. Saturnini rogatione e civitate est cito [?] eiectus; wodurch die Andeutung bei Cicero (De orat. 2, 28,125) klar wird, lehren jetzt, daß ein von Lucius Appuleius Saturninus vorgeschlagenes Gesetz diese Katastrophe herbeigeführt hat. Es ist dies offenbar kein anderes als das Appuleische Gesetz über die geschmälerte Majestät des römischen Staates (Cic. De orat. 2, 25, 107; 49, 201) oder, wie der Inhalt desselben schon früher (Bd. 2, S. 193 der ersten Auflage [Orig.]) bestimmt ward, Saturninus‘ Antrag auf Niedersetzung einer außerordentlichen Kommission zur Untersuchung der während der kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverrätereien. Die Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3, 30, 74) entsprang in ganz ähnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz, wie die dort weiter genannten Spezialgerichte über eine ärgerliche Richterbestechung aus dem Mucischen von 613 (141), die über die Vorgänge mit den Vestalinnen aus dem Peducäischen von 641 (113), die über den Jugurthinischen Krieg aus dem Mamilischen von 644 (110). Die Vergleichung dieser Fälle lehrt auch, daß von dergleichen Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst Strafen an Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird, der das Verfahren gegen Caepio veranlaßte und dafür später zur Verantwortung gezogen ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200. part. 30, 105 u. a. St.), so ist dies damit nicht in Widerspruch; denn der Antrag ging, wie gewöhnlich, von mehreren Volkstribunen aus (Rhet. Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197), und da Saturninus bereits tot war, als die aristokratische Partei daran denken konnte, Vergeltung zu üben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser zweiten und schließlichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewöhnliche, sehr unüberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95), zehn Jahre nach der Schlacht von Arausio setzt, bereits früher zurückgewiesen worden. Sie beruht lediglich darauf, daß Crassus als Konsul, also 659 (95) für Caepio sprach (Cic. Brut. 44,162); was er aber offenbar nicht als dessen Sachwalter tat, sondern als Norbanus wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659 (95) von Publius Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Früher wurde für diese zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, daß sie aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken zwischen dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros. hist. 5, 17; App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum zweiten Male Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden sich nicht, aber die sehr überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht für das erstere Jahr, teils weil dies den Unglücksfällen in Gallien näher steht, teils weil in den ziemlich ausführlichen Berichten über Saturninus‘ zweites Tribunat Quintus Caepio des Vaters und der gegen diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird. Daß die infolge der Urteilssprüche wegen der unterschlagenen tolosanischen Beute an den Staatsschatz zurückgezahlten Summen von Saturninus im zweiten Tribunat für seine Kolonisationspläne in Anspruch genommen werden (Vir. ill. 73, 5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht entscheidend und kann überdies leicht durch Verwechslung von dem ersten afrikanischen auf das zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus übertragen worden sein.
  16. Daß späterhin, als Norbanus belangt ward, dies eben auf Grund des von ihm mitveranlaßten Gesetzes geschah, ist eine dem römischen politischen Prozeß dieser Zeit gewöhnliche Ironie (Cic. Brut. 89, 305) und darf etwa nicht zu dem Glauben verleiten, als sei das Appuleische Gesetz schon, wie das spätere Cornelische, ein allgemeines Hochverratsgesetz gewesen.
  17. Diese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhältnismäßig zuverlässigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen ist: reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und bei Obsequens, mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die Teutonen schon früher, zum Teil, wie App. Celt. 13, schon in der Schlacht von Noreia, neben den Kimbrern auftreten lassen. Damit sind verbunden die Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2, 4 u. 29), da mit dem Zug der Kimbrer in die römische Provinz und nach Italien nur die Expedition von 652 (102) gemeint sein kann.
  18. Man hat nicht wohl getan, von der Überlieferung abweichend das Schlachtfeld nach Verona zu verlegen; wobei übersehen ward, daß zwischen den Gefechten an der Etsch und dem entscheidenden Treffen ein ganzer Winter und vielfache Truppenbewegungen liegen, und daß Catulus nach ausdrücklicher Angabe (Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Poufer zurückgewichen war. Auch die Angaben, daß am Po (Hier. chron. a. Abr.) und daß da, wo Stilicho später die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am Tanaro, die Kimbrer geschlagen wurden, führen, obwohl beide ungenau, doch viel eher nach Vercellae als nach Verona.

1. Kapitel


1. Kapitel

Die untertänigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit

Mit der Vernichtung des Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit Roms eine Tatsache, die von den Säulen des Hercules bis zu den Mündungen des Nil und des Orontes nicht bloß feststand, sondern gleichsam als das letzte Wort des Verhängnisses auf den Völkern lastete mit dem ganzen Druck der Unabwendbarkeit und ihnen nur die Wahl zu lassen schien, sich in hoffnungslosem Widerstreben oder in hoffnungslosem Dulden zu verzehren. Wenn nicht die Geschichte von dem ernsten Leser es als ihr Recht fordern dürfte, sie durch gute und böse Tage, durch Frühlings- und Winterlandschaft zu begleiten, so möchte der Geschichtschreiber versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu entziehen, diesem Kampf der Übermacht mit der Ohnmacht sowohl in den schon zum Römischen Reich gezogenen spanischen Landschaften wie in den noch nach Klientelrecht beherrschten afrikanischen, hellenischen, asiatischen Gebieten in seinen mannigfaltigen und doch eintönigen Wendungen zu folgen. Aber wie unbedeutend und untergeordnet auch die einzelnen Kämpfe erscheinen mögen, eine tiefe geschichtliche Bedeutung kommt ihnen in ihrer Gesamtheit dennoch zu; und vor allem die italischen Verhältnisse dieser Zeit werden erst verständlich durch die Einsicht in den Rückschlag, der von den Provinzen aus auf die Heimat traf.

Außer in den naturgemäß als Nebenländer Italiens anzusehenden Gebieten, wo übrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollständig unterworfen waren und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und Korsen fortwährend Gelegenheit zu „Dorftriumphen“ lieferten, bestand eine förmliche Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den beiden spanischen Provinzen, die den größeren östlichen und südlichen Teil der Pyrenäischen Halbinsel umfaßten. Es ist schon früher versucht worden, die Zustände der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten, Phöniker, Hellenen, Römer mischten sich hier bunt durcheinander; gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend bestanden daselbst die verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die altiberische Kultur neben vollständiger Barbarei, die Bildungsverhältnisse phönikischer und griechischer Kaufstädte neben der aufkeimenden Latinisierung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken zahlreich beschäftigten Italiker und durch die starke stehende Besatzung gefördert ward. In dieser Hinsicht erwähnenswert sind die römische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und die latinische Kolonie Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die erste überseeische Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. Italica wurde von dem älteren Scipio, noch ehe er Spanien verließ (548 206), für seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen gegründet, wahrscheinlich indes nicht als Bürgergemeinde, sondern nur als Marktort1; Carteias Gründung fällt in das Jahr 583 (171) und ward veranlaßt durch die Menge der von römischen Soldaten mit spanischen Sklavinnen erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven, tatsächlich als freie Italiker aufwuchsen und nun von Staats wegen freigesprochen und in Verbindung mit den alten Einwohnern von Carteia als latinische Kolonie konstituiert wurden. Beinahe dreißig Jahre nach der Ordnung der Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Gracchus (575, 576 179, 178) genossen die spanischen Landschaften im ganzen ungestört die Segnungen des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszügen gegen die Keltiberer und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse traten im Jahre 600 (154) ein. Unter Führung eines Häuptlings Punicus fielen die Lusitaner ein in das römische Gebiet, schlugen die beiden gegen sie vereinigten römischen Statthalter und töteten ihnen eine große Anzahl Leute. Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen Duero) wurden hierdurch bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche Sache zu machen; so verstärkt vermochten diese ihre Streifzüge bis an das Mittelländische Meer auszudehnen und sogar das Gebiet der Bastulophöniker unweit der römischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man nahm in Rom die Sache ernst genug, um die Absendung eines Konsuls nach Spanien zu beschließen, was seit 559 (195) nicht geschehen war, und ließ sogar zur Beschleunigung der Hilfsleistung die neuen Konsuln zwei und einen halben Monat vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten – es war dies die Ursache, weshalb der Amtsantritt der Konsuln vom 15. März sich auf den 1. Januar verschob und damit derjenige Jahresanfang sich feststellte, dessen wir noch heute uns bedienen. Allein ehe noch der Konsul Quintus Fulvius Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es zwischen dem Statthalter des Jenseitigen Spaniens, dem Prätor Lucius Mummius, und den jetzt nach Punicus‘ Fall von seinem Nachfolger Kaesarus geführten Lusitanern am rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften Treffen (601 158). Das Glück war anfangs den Römern günstig; das lusitanische Heer ward zersprengt, das Lager genommen. Allein, teils bereits vom Marsch ermüdet, teils in der Unordnung des Nachsetzens sich auflösend, wurden sie von den schon besiegten Gegnern schließlich vollständig geschlagen und büßten zu dem feindlichen Lager das eigene sowie an Toten 9000 Mann ein. Weit und breit loderte jetzt die Kriegsflamme auf. Die Lusitaner am linken Ufer des Tajo warfen sich unter Anführung des Kaukaenus auf die den Römern untertänigen Keltiker (in Alentejo) und nahmen ihre Stadt Conistorgis weg. Den Keltiberern sandten die Lusitaner die dem Mummius abgenommenen Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als Mahnung zu; und auch hier fehlte es nicht an Gärungsstoff. Zwei kleine, den mächtigen Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte Völkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten beschlossen, in eine ihrer Städte, Segeda, sich zusammenzusiedeln. Während sie mit dem Mauerbau beschäftigt waren, ward ihnen dieser römischerseits untersagt, da die Sempronischen Ordnungen den unterworfenen Gemeinden jede eigenmächtige Städtegründung verböten, und zugleich die vertragsmäßig schuldige, aber seit längerer Zeit nicht verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. Beiden Befehlen weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um Erweiterung, nicht um Gründung einer Stadt handle, die Leistungen aber nicht bloß suspendiert, sondern von den Römern erlassen seien. Darüber erschien Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000 Mann starken Heer, unter dem auch numidische Reiter und zehn Elefanten sich befanden. Noch standen die Mauern der neuen Stadt nicht vollständig; die meisten Segedaner unterwarfen sich. Allein die entschlossensten flüchteten mit Weib und Kind zu den mächtigen Arevakern und forderten sie auf, mit ihnen gegen die Römer gemeinschaftliche Sache zu machen. Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg der Lusitaner über Mummius, gingen darauf ein und wählten einen der flüchtigen Segedaner, Karus, zu ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach seiner Wahl war der tapfere Führer eine Leiche, aber das römische Heer geschlagen und bei 6000 römische Bürger getötet – der Tag des 23. August, das Fest der Volkanalien, blieb seitdem den Römern in schlimmer Erinnerung. Doch bewog der Fall ihres Feldherrn die Arevaker, sich in ihre festeste Stadt Numantia (Garray, eine Legua nördlich von Soria am Duero) zurückzuziehen, wohin Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern der Stadt kam es zu einem zweiten Treffen, in welchem die Römer anfänglich durch ihre Elefanten die Spanier in die Stadt zurückdrängten, aber dabei infolge der Verwundung eines der Tiere in Verwirrung gerieten und durch die abermals ausrückenden Feinde eine zweite Niederlage erlitten. Dieser und andere Unfälle, wie die Vernichtung eines zur Herbeirufung von Zuzugmannschaft ausgesandten römischen Reiterkorps, gestalteten die Angelegenheiten der Römer in der diesseitigen Provinz so ungünstig, daß die Festung Okilis, wo die Kasse und die Vorräte der Römer sich befanden, zum Feinde übertrat und die Arevaker daran denken konnten, freilich ohne Erfolg, den Römern den Frieden zu diktieren. Einigermaßen wurden indes diese Nachteile aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius in der südlichen Provinz erfocht. So geschwächt auch durch die erlittene Niederlage sein Heer war, gelang es ihm dennoch, mit demselben den unvorsichtig sich zerstreuenden Lusitanern am rechten Tajoufer eine Niederlage beizubringen und, übergehend auf das linke, wo die Lusitaner das ganze römische Gebiet überrannt, ja bis nach Afrika gestreift hatten, die südliche Provinz von den Feinden zu säubern. In die nördliche sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat außer beträchtlichen Verstärkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle des unfähigen Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon als Prätor 586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei Konsulaten sein Feldherrntalent bewährt hatte. Seine geschickte Führung und mehr noch seine Milde änderte die Lage der Dinge schnell: Okilis ergab sich ihm sofort, und selbst die Arevaker, von Marcellus in der Hoffnung bestärkt, daß ihnen gegen eine mäßige Buße Friede gewährt werden würde, schlossen Waffenstillstand und schickten Gesandte nach Rom. Marcellus konnte sich nach der südlichen Provinz begeben, wo die Vettonen und Lusitaner sich dem Prätor Marcus Atilius zwar botmäßig erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach seiner Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die römischen Verbündeten heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung wieder her, und während er in Corduba überwinterte, ruhten auf der ganzen Halbinsel die Waffen. Inzwischen ward in Rom über den Frieden mit den Arevakern verhandelt. Es ist bezeichnend für die inneren Verhältnisse Spaniens, daß vornehmlich die Sendlinge der bei den Arevakern bestehenden römischen Partei die Verwerfung der Friedensvorschläge in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, daß, wenn man die römisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die Wahl bleibe, entweder jährlich einen Konsul mit entsprechendem Heer nach der Halbinsel zu senden oder jetzt ein nachdrückliches Exempel zu statuieren. Infolgedessen wurden die Boten der Arevaker ohne entscheidende Antwort verabschiedet und die energische Fortsetzung des Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach genötigt, im folgenden Frühjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder zu beginnen. Indes sei es nun, wie behauptet wird, daß er den Ruhm, den Krieg beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht gönnte, sei es, was vielleicht wahrscheinlicher ist, daß er gleich Gracchus in der milden Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften Friedens sah – nach einer geheimen Zusammenkunft des römischen Feldherrn mit den einflußreichsten Männern der Arevaker kam unter den Mauern von Numantia ein Traktat zustande, durch den die Arevaker den Römern sich auf Gnade und Ungnade ergaben, aber unter Verpflichtung zu Geldzahlung und Geiselstellung in ihre bisherigen vertragsmäßigen Rechte wiedereingesetzt wurden.

Als der neue Oberfeldherr, der Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere eintraf, fand er den Krieg, den zu führen er gekommen war, bereits durch förmlichen Friedensschluß beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und vor allem Geld aus Spanien heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafür gab es Rat. Auf eigene Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der Arevaker, die Vaccäer, an, eine noch unabhängige keltiberische Nation, die mit den Römern im besten Einvernehmen lebte. Auf die Frage der Spanier, was sie denn gefehlt hätten, war die Antwort: der Überfall der Stadt Cauca (Coca, acht Leguas westlich von Segovia); und als die erschreckte Stadt mit schweren Geldopfern die Kapitulation erkauft zu haben meinte, rückten römische Truppen in sie ein und knechteten oder mordeten die Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach dieser Heldentat, die etwa 20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben soll, ging der Marsch weiter. Weit und breit standen die Dörfer und Ortschaften leer oder schlossen, wie das feste Intercatia und die Hauptstadt der Vaccäer, Pallantia (Palencia), dem römischen Heere ihre Tore. Die Habsucht hatte in ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine Gemeinde fand sich, die mit dem treubrüchigen Feldherrn eine Kapitulation hätte abschließen mögen, und die allgemeine Flucht der Bewohner machte nicht bloß die Beute karg, sondern auch das längere Verweilen in diesen unwirtlichen Gegenden fast unmöglich. Vor Intercatia gelang es einem angesehenen Kriegstribun, dem Scipio Aemilianus, leiblichem Sohn des Siegers von Pydna und Adoptivenkel des Siegers von Zama, durch sein Ehrenwort, da das des Feldherrn nichts mehr galt, die Bewohner zum Abschluß eines Vertrages zu bestimmen, infolgedessen das römische Heer gegen Lieferung von Vieh und Kleidungsstücken abzog. Aber die Belagerung von Pallantia mußte wegen Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das römische Heer ward auf dem Rückmarsch von den Vaccäern bis zum Duero verfolgt. Lucullus begab sich darauf nach der südlichen Provinz, wo der Prätor Servius Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern sich hatte schlagen lassen; beide überwinterten nicht fern voneinander, Lucullus im turdetanischen Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen im folgenden Jahr (604 150) gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus errang an der Gaditanischen Meerenge einige Vorteile über sie. Galba richtete mehr aus, indem er mit drei lusitanischen Stämmen am rechten Ufer des Tajo einen Vertrag abschloß und sie in bessere Wohnsitze überzusiedeln verhieß, worauf die Barbaren, die der gehofften Äcker wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei Abteilungen geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggeführt, teils niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit, Grausamkeit und Habgier Krieg geführt worden wie von diesen beiden Feldherren, die dennoch durch ihre verbrecherisch erworbenen Schätze der eine der Verurteilung, der andre sogar der Anklage entging. Den Galba versuchte der alte Cato noch in seinem fünfundachtzigsten Jahr, wenige Monate vor seinem Tode, vor der Bürgerschaft zur Verantwortung zu ziehen; aber die jammernden Kinder des Generals und sein heimgebrachtes Gold erwiesen dem römischen Volke seine Unschuld.

Nicht so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien erreicht hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des Dritten Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, daß man die spanischen Angelegenheiten zunächst wieder den gewöhnlichen Statthaltern überließ. So verwüsteten denn die Lusitaner, durch Galbas Treulosigkeit mehr erbittert als gedemütigt, unaufhörlich das reiche turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der römische Statthalter Gaius Vetilius (607/08 147/48)2 und schlug sie nicht bloß, sondern drängte auch den ganzen Haufen auf einen Hügel zusammen, wo derselbe rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie einst als Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden Tiere und Räuber, so jetzt in ernsteren Kämpfen ein gefürchteter Guerillachef und einer der wenigen, die dem treulosen Überfall Galbas zufällig entronnen waren, seine Landsleute warnte, auf römisches Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhieß, wenn sie ihm folgen wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer übertrug ihm den Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, sich in einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und zuverlässigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug der Seinigen deckte. Die Römer, denen es an leichter Kavallerie fehlte, wagten nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur Verfolgung zu zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch mit seinem Haufen das ganze römische Heer aufgehalten hatte, verschwand auch er plötzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der römische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten Hinterhalt, in dem er die Hälfte seines Heeres verlor und selber gefangen und getötet ward; kaum rettete der Rest der Truppen sich an die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst wurden vom Ebro her 5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstärkung der geschlagenen Römer gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch auf dem Marsch und gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so unumschränkt, daß die Römer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen. Viriathus, jetzt als Herr und König der sämtlichen Lusitaner anerkannt, verstand es, das volle Gewicht seiner fürstlichen Stellung mit dem schlichten Wesen des Hirten zu vereinigen. Kein Abzeichen unterschied ihn von dem gemeinen Soldaten; von der reichgeschmückten Hochzeitstafel seines Schwiegervaters, des Fürsten Astolpa im römischen Spanien, stand er auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen berührt zu haben, hob seine Braut auf das Roß und ritt mit ihr zurück in seine Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber daran, daß er es in Mäßigkeit und in Mühsal jedem der Seinigen zuvortat, nie anders als in voller Rüstung schlief und in der Schlacht allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gründlich prosaischen Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit erscholl in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere Nation meinte endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im nördlichen wie im südlichen Spanien bezeichneten die nächsten Jahre seiner Feldherrnschaft. Den Prätor Gaius Plautius (608/09 146) wußte er, nachdem er dessen Vorhut vernichtet hatte, hinüber auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn dort so nachdrücklich zu schlagen, daß der römische Feldherr mitten im Sommer in die Winterquartiere ging – später ward dafür gegen ihn die Anklage wegen Entehrung der römischen Gemeinde vor dem Volk erhoben und er genötigt, die Heimat zu meiden. Desgleichen wurde das Heer des Statthalters – es scheint, der diesseitigen Provinz – Claudius Unimanus vernichtet, das des Gaius Negidius überwunden und weithin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der römischen Statthalter und mit den Waffen der Legionen geschmückt waren; bestürzt und beschämt vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkönigs. Zwar übernahm jetzt ein zuverlässiger Offizier die Führung des Spanischen Krieges, der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus Fabius Maximus Aemilianus (609 145). Allein die krieggewohnten, eben von Makedonien und Afrika heimgekehrten Veteranen aufs neue in den verhaßten Spanischen Krieg zu senden, wagte man schon nicht mehr; die beiden Legionen, die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht viel minder unzuverlässig als das alte, gänzlich demoralisierte spanische Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder für die Lusitaner günstig ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest des Jahres seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna südöstlich von Sevilla) zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und nahm erst im folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine Truppen kampffähig geworden waren, wieder das Feld, wo er dann die Überlegenheit zu behaupten vermochte und nach glücklichen Waffentaten nach Corduba ins Winterlager ging. Als aber an Maximus‘ Stelle der feige und ungeschickte Prätor Quinctius den Befehl übernahm, erlitten die Römer wiederum eine Niederlage über die andere und schloß ihr Feldherr sich wieder mitten im Sommer in Corduba ein, während Viriathus‘ Scharen die südliche Provinz überschwemmten (611 143). Sein Nachfolger, des Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus Servilianus, mit zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der Halbinsel gesendet, versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen, allein nach einer Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem mühsam abgeschlagenen Sturm auf das römische Lager sah er sich genötigt, auf das römische Gebiet zurückzuweichen. Viriathus folgte ihm in die Provinz; da aber seine Truppen nach dem Brauch spanischer Insurgentenheere plötzlich sich verliefen, mußte auch er nach Lusitanien zurückkehren (612 142). Im nächsten Jahre (613 141) ergriff Servilianus wieder die Offensive, durchzog die Gegenden am Baetis und Anas und besetzte sodann, in Lusitanien einrückend, eine Menge Ortschaften. Eine große Zahl der Insurgenten fiel in seine Hand; die Führer – es waren deren gegen 500 – wurden hingerichtet, den aus römischem Gebiet zum Feinde Übergegangenen die Hände abgehauen, die übrige Masse in die Sklaverei verkauft. Aber der Spanische Krieg bewährte auch hier seine tückische Unbeständigkeit. Das römische Heer ward nach all diesen Erfolgen bei der Belagerung von Erisane von Viriathus angegriffen, geworfen und auf einen Felsen gedrängt, wo es gänzlich in der Gewalt der Feinde war. Viriathus indes begnügte sich, wie einst der Samnitenfeldherr in den Caudinischen Pässen, mit Servilianus einen Frieden abzuschließen, worin die Gemeinde der Lusitaner als souverän und Viriathus als König derselben anerkannt ward. Die Macht der Römer war nicht mehr gestiegen als das nationale Ehrgefühl gesunken; man war in der Hauptstadt froh, des lästigen Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem Vertrage die Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und Amtsnachfolger Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit wenig zufrieden und der Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu heimlichen Machinationen gegen den Viriathus zu bevollmächtigen und bald ihm den offenen, unbeschönigten Bruch des gegebenen Treuworts wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein und durchzog das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus vermied den Kampf mit der Übermacht und entzog sich durch geschickte Bewegungen dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139) nicht bloß Caepio den Angriff erneuerte, sondern auch das in der nördlichen Provinz inzwischen verfügbar gewordene Heer unter Marcus Popillius in Lusitanien erschien, bat Viriathus um Frieden unter jeder Bedingung. Er ward geheißen, alle aus dem römischen Gebiet zu ihm übergetretenen Leute, darunter seinen eigenen Schwiegervater, an die Römer auszuliefern; es geschah, und die Römer ließen dieselben hinrichten oder ihnen die Hände abhauen. Allein es war damit nicht genug; nicht auf einmal pflegten die Römer den Unterworfenen anzukündigen, was über sie verhängt war. Ein Befehl nach dem andern, und immer der folgende unerträglicher als die vorhergehenden, erging an die Lusitaner, und schließlich ward sogar die Auslieferung der Waffen von ihnen gefordert. Da gedachte Viriathus abermals des Schicksals seiner Landsleute, die Galba hatte entwaffnen lassen, und griff aufs neue zum Schwert, aber zu spät. Sein Schwanken hatte in seiner nächsten Umgebung die Keime des Verrats gesät; drei seiner Vertrauten, Audas, Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Möglichkeit, jetzt noch zu siegen, erwirkten von dem König die Erlaubnis, noch einmal mit Caepio Friedensunterhandlungen anzuknüpfen, und benutzten sie, um gegen Zusicherung persönlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben des lusitanischen Helden den Fremden zu verkaufen. Zurückgekehrt in das Lager, versicherten sie den König des günstigsten Erfolgs ihrer Verhandlungen und erdolchten die Nacht darauf den Schlafenden in seinem Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen Mann durch eine Totenfeier ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die Leichenspiele fochten; höher noch dadurch, daß sie den Kampf nicht aufgaben, sondern an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn ernannten. Kühn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den Römern Sagunt zu entreißen; allein der neue Feldherr besaß weder seines Vorgängers weise Mäßigung noch dessen Kriegsgeschick. Die Expedition scheiterte völlig, und auf der Rückkehr ward das Heer bei dem Übergang über den Baetis angegriffen und genötigt, sich unbedingt zu ergeben. Also, weit mehr durch Verrat und Mord von Fremden wie von Eingeborenen als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien bezwungen.

Während die südliche Provinz durch Viriathus und die Lusitaner heimgesucht ward, war nicht ohne deren Zutun in der nördlichen bei den keltiberischen Nationen ein zweiter, nicht minder ernster Krieg ausgebrochen. Viriathus‘ glänzende Erfolge bewogen im Jahre 610 (144) die Arevaker, gleichfalls gegen die Römer sich zu erheben, und es war dies die Ursache, weshalb der zur Ablösung des Maximus Aemilianus nach Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius Metellus nicht nach der südlichen Provinz ging, sondern gegen die Keltiberer sich wandte. Auch gegen sie bewährte er, namentlich während der Belagerung der für unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia, dieselbe Tüchtigkeit, die er bei der Überwindung des makedonischen Pseudophilipp bewiesen hatte; nach zweijähriger Verwaltung (611, 612 143, 142) war die nördliche Provinz zum Gehorsam zurückgebracht. Nur die beiden Städte Termantia und Numantia hatten noch den Römern die Tore nicht geöffnet; auch mit diesen aber war die Kapitulation fast schon abgeschlossen und der größte Teil der Bedingungen von den Spaniern erfüllt. Als es jedoch zur Ablieferung der Waffen kam, ergriff auch sie eben wie den Viriathus jener echt spanische Stolz auf den Besitz des wohlgeführten Schwertes, und es ward beschlossen, unter dem kühnen Megaravicus den Krieg fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das konsularische Heer, dessen Befehl 613 (141) der Konsul Quintus Pompeius übernahm, war viermal so stark als die gesamte waffenfähige Bevölkerung von Numantia. Allein der völlig kriegsunkundige Feldherr erlitt unter den Mauern beider Städte so harte Niederlagen (613, 614 141, 140), daß er endlich es vorzog, den Frieden, den er nicht erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu erwirken. Mit Termantia muß ein definitives Abkommen getroffen sein; auch den Numantinern sandte der römische Feldherr ihre Gefangenen zurück und forderte die Gemeinde unter dem geheimen Versprechen günstiger Behandlung auf, sich ihm auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Numantiner, des Krieges müde, gingen darauf ein, und der Feldherr beschränkte in der Tat seine Forderungen auf das möglichst geringe Maß. Gefangene, Überläufer, Geiseln waren abgeliefert und die bedungene Geldsumme größtenteils gezahlt, als im Jahre 615 (139) der neue Feldherr Marcus Popillius Laenas im Lager eintraf. Sowie Pompeius die Last des Oberbefehls auf fremde Schultern gewälzt sah, ergriff er, um sich der in Rom seiner wartenden Verantwortung für den nach römischen Begriffen ehrlosen Frieden zu entziehen, den Ausweg, sein Wort nicht etwa bloß zu brechen, sondern zu verleugnen und, als die Numantiner kamen, um die letzte Zahlung zu machen, ihren und seinen Offizieren ins Gesicht den Abschluß des Vertrages einfach in Abrede zu stellen. Die Sache ging zur rechtlichen Entscheidung an den Senat nach Rom; während dort darüber verhandelt ward, ruhte vor Numantia der Krieg und beschäftigte sich Laenas mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Numantinern benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat die Entscheidung kam, lautete sie auf Fortsetzung des Krieges – man beteiligte sich also von Staats wegen an dem Bubenstreich des Pompeius. Mit ungeschwächtem Mut und erhöhter Erbitterung nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf; Laenas focht unglücklich gegen sie und nicht minder sein Nachfolger Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die Katastrophe führten weit weniger die Waffen der Numantiner herbei als die schlaffe und elende Kriegszucht der römischen Feldherrn und die Folge derselben, die von Jahr zu Jahr üppiger wuchernde Liederlichkeit, Zuchtlosigkeit und Feigheit der römischen Soldaten. Das bloße, überdies falsche Gerücht, daß die Kantabrer und Vaccäer zum Entsatz von Numantia heranrückten, bewog das römische Heer, ungeheißen in der Nacht das Lager zu räumen, um sich in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior angelegten Verschanzungen zu bergen. Die Numantiner, von dem Aufbruch in Kenntnis gesetzt, drängten der fliehenden Armee nach und umzingelten sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen Frieden zu schließen. Mehr als der Konsul, der persönlich ein Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius Gracchus, der als Quästor im Heere diente, durch sein von dem Vater, dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den Keltiberern, daß die Numantiner sich mit einem billigen, von allen Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genügen ließen. Allein der Senat rief nicht bloß den Feldherrn sofort zurück, sondern ließ auch nach langer Beratung bei der Bürgerschaft darauf antragen, den Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heißt, ihm die Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafür auf diejenigen abzuwälzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen hätten dies sämtliche Offiziere sein müssen, die den Vertrag beschworen hatten; allein Gracchus und die übrigen wurden durch ihre Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der höchsten Aristokratie angehörte, ward bestimmt, für eigene und fremde Schuld zu büßen. Seiner Insignien entkleidet, ward der römische Konsular zu den feindlichen Vorposten geführt, und da die Numantiner ihn anzunehmen verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und die Hände auf den Rücken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von Numantia, Freunden und Feinden ein klägliches Schauspiel. Jedoch für Mancinus‘ Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius Lepidus, schien die bittere Lehre völlig verloren. Während die Verhandlungen über den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er unter nichtigen Vorwänden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das freie Volk der Vaccäer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein Senatsbeschluß befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger setzte er, unter dem Vorwand, daß die Umstände inzwischen sich geändert hätten, die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade so schlecht wie als Bürger; nachdem er so lange vor der großen und festen Stadt gelegen hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die Zufuhr ausgegangen war, mußte er mit Zurücklassung aller Verwundeten und Kranken den Rückzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die Hälfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu früh abgebrochen hätten, das schon in voller Auflösung begriffene römische Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben würden. Dafür ward denn dem hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbuße auferlegt. Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus Calpurnius Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu führen, und da sie eben gar nichts taten, kamen sie glücklich ohne Niederlage heim. Selbst die römische Regierung fing endlich an einzusehen, daß man so nicht länger fortfahren könne; man entschloß sich, die Bezwingung der kleinen spanischen Landstadt außerordentlicherweise dem ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu übertragen. Die Geldmittel zur Kriegführung wurden ihm freilich dabei mit verkehrter Kargheit zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten auszuheben, sogar geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die Furcht, der souveränen Bürgerschaft lästig zu werden, zusammengewirkt haben mögen. Indes begleitete ihn freiwillig eine große Anzahl von Freunden und Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der vor einigen Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert hatte. Gestützt auf diese zuverlässige Schar, die als Feldherrnwache konstituiert ward, begann Scipio das tief zerrüttete Heer zu reorganisieren (620 134). Vor allen Dingen mußte der Troß das Lager räumen – es fanden sich bis 2000 Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und Pfaffen von allen Sorten –, und da der Soldat zum Fechten unbrauchbar war, mußte er wenigstens schanzen und marschieren. Den ersten Sommer vermied der Feldherr jeden Kampf mit den Numantinern; er begnügte sich, die Vorräte in der Umgegend zu vernichten und die Vaccäer, die den Numantinern Korn verkauften, zu züchtigen und zur Anerkennung der Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst gegen den Winter zog Scipio sein Heer um Numantia zusammen; außer dem numidischen Kontingent von Reitern, Fußsoldaten und zwölf Elefanten unter Anführung des Prinzen Jugurtha und den zahlreichen spanischen Zuzügen waren es vier Legionen, überhaupt eine Heermasse von 60000 Mann, die eine Stadt mit einer waffenfähigen Bürgerschaft von höchstens 8000 Köpfen einschloß. Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf an; allein Scipio, wohl erkennend, daß die vieljährige Zuchtlosigkeit nicht mit einem Schlag sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht, und wo es dennoch bei den Ausfällen der Belagerten dazu kam, rechtfertigte die feige, kaum durch das persönliche Erscheinen des Feldherrn gehemmte Flucht der Legionäre diese Taktik nur zu sehr. Nie hat ein Feldherr seine Soldaten verächtlicher behandelt als Scipio die numantinische Armee; und nicht bloß mit bitteren Reden, sondern vor allem durch die Tat bewies er ihr, was er von ihr halte. Zum erstenmal führten die Römer, wo es nur auf sie ankam, das Schwert zu brauchen, den Kampf mit Hacke und Spaten. Rings um die ganze Stadtmauer von reichlich einer halben deutschen Meile im Umfang ward eine doppelt so ausgedehnte, mit Mauern, Türmen und Gräben versehene zwiefache Umwallungslinie aufgeführt und auch der Duerofluß, auf dem den Belagerten anfangs noch durch kühne Schiffer und Taucher einige Vorräte zugekommen waren, endlich abgesperrt. So mußte die Stadt, die zu stürmen man nicht wagte, wohl durch Hunger erdrückt werden, um so mehr, als es der Bürgerschaft nicht möglich gewesen war, sich während des letzten Sommers zu verproviantieren. Bald litten die Numantiner Mangel an allem. Einer ihrer kühnsten Männer, Retogenes, schlug sich mit wenigen Begleitern durch die feindlichen Linien durch, und seine rührende Bitte, die Stammesgenossen nicht hilflos untergehen zu lassen, war wenigstens in einer der Arevakerstädte, in Lutia, von großer Wirkung. Bevor aber die Bürger von Lutia sich entschieden hatten, erschien Scipio, benachrichtigt von den römisch Gesinnten in der Stadt, mit Übermacht vor ihren Mauern und zwang die Behörden, ihm die Führer der Bewegung, vierhundert der trefflichsten Jünglinge, auszuliefern, denen sämtlich auf Befehl des römischen Feldherrn die Hände abgehauen wurden. Die Numantiner, also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an Scipio, um über die Unterwerfung zu verhandeln, und riefen den tapferen Mann an, der Tapferen zu schonen; allein als die rückkehrenden Boten meldeten, daß Scipio unbedingte Ergebung verlange, wurden sie von der wütenden Menge zerrissen, und eine neue Frist verfloß, bis Hunger und Seuchen ihr Werk vollendet hatten. Endlich kam in das römische Hauptquartier eine zweite Botschaft, daß die Stadt jetzt bereit sei, auf Gnade und Ungnade sich zu unterwerfen. Als demnach die Bürgerschaft angewiesen wurde, am folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie um einige Tage Frist, um denjenigen Bürgern, die den Untergang der Freiheit nicht zu überleben beschlossen hätten, Zeit zum Sterben zu gestatten. Sie ward ihnen gewährt, und nicht wenige benutzten sie. Endlich erschien der elende Rest vor den Toren. Scipio las fünfzig der Ansehnlichsten aus, um sie in seinem Triumphe aufzuführen; die übrigen wurden in die Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden gleichgemacht, ihr Gebiet unter die Nachbarstädte verteilt. Das geschah im Herbst 621 (133), fünfzehn Monate nachdem Scipio den Oberbefehl übernommen hatte.

Mit Numantias Fall war die hier und da noch sich regende Opposition gegen Rom in der Wurzel getroffen; militärische Spaziergänge und Geldbußen reichten aus, um die römische Oberherrschaft im ganzen diesseitigen Spanien zur Anerkennung zu bringen.

Auch im jenseitigen ward durch die Überwindung der Lusitaner die römische Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der Konsul Decimus Iunius Brutus, der an Caepios Stelle trat, siedelte die kriegsgefangenen Lusitaner an in der Nähe von Sagunt und gab ihrer neuen Stadt Valentia (Valencia) gleich Carteia latinische Verfassung (616 138); er durchzog ferner (616-618 138-136) in verschiedenen Richtungen die iberische Westküste und gelangte zuerst von den Römern an das Gestade des Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern, Männern und Frauen, hartnäckig verteidigten Städte der dort wohnenden Lusitaner wurden durch ihn bezwungen, und die bis dahin unabhängigen Callaeker nach einer großen Schlacht, in der ihrer 50000 gefallen sein sollen, mit der römischen Provinz vereinigt. Nach Unterwerfung der Vaccäer, Lusitaner und Callaeker war jetzt mit Ausnahme der Nordküste die ganze Halbinsel wenigstens dem Namen nach den Römern untertan. Eine senatorische Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen mit Scipio das neugewonnene Provinzialgebiet römisch zu ordnen, und Scipio tat, was er konnte, um die Folgen der ehr- und kopflosen Politik seiner Vorgänger zu beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren schmachvolle Mißhandlung durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als Kriegstribun mit hatte ansehen müssen, von ihm eingeladen wurden, in ihre Stadt zurückzukehren und sie wiederaufzubauen. Es begann wiederum für Spanien eine leidlichere Zeit. Die Unterdrückung des Seeraubes, der auf den Balearen gefährliche Schlupfwinkel fand, durch Quintus Caecilius Metellus‘ Besetzung dieser Inseln im Jahre 631 (123) war dem Aufblühen des spanischen Handels ungemein förderlich, und auch sonst waren die fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst unübertroffenen Bevölkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz. Wie zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevölkerung auf der Halbinsel war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern in den Städten Palma und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen Inseln. Trotz mancher schwerer Mißstände bewahrte die römische Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den die catonische Zeit und zunächst Tiberius Gracchus ihr aufgeprägt hatten. Das römische Grenzgebiet zwar hatte von den Überfällen der halb oder gar nicht bezwungenen Stämme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei den Lusitanern namentlich tat die ärmere Jugend regelmäßig sich in Räuberbanden zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute oder die Nachbarn, weshalb noch in viel späterer Zeit die einzeln gelegenen Bauernhöfe in dieser Gegend festungsartig angelegt und im Notfall verteidigungsfähig waren; und es gelang den Römern nicht, diesem Räuberwesen in den unwirtlichen und schwer zugänglichen lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen Kriege nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den jeder leidlich tüchtige Statthalter mit den gewöhnlichen Mitteln niederzuhalten vermochte, und trotz dieser Heimsuchung der Grenzdistrikte war Spanien unter allen römischen Gebieten das blühendste und am besten organisierte Land; das Zehntensystem und die Mittelsmänner waren daselbst unbekannt, die Bevölkerung zahlreich und die Landschaft reich an Korn und Vieh.

In einem weit unleidlicheren Mittelzustand zwischen formeller Souveränität und tatsächlicher Untertänigkeit befanden sich die afrikanischen, griechischen und asiatischen Staaten, welche durch die Kriege der Römer gegen Karthago, Makedonien und Syrien und deren Konsequenzen in den Kreis der römischen Hegemonie gezogen worden waren. Der unabhängige Staat bezahlt den Preis seiner Selbständigkeit nicht zu teuer, indem er die Leiden des Krieges auf sich nimmt, wenn es sein muß; der Staat, der die Selbständigkeit eingebüßt hat, mag wenigstens einen Ersatz darin finden, daß der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor seinen Nachbarn. Allein diese Klientelstaaten Roms hatten weder Selbständigkeit noch Frieden. In Afrika bestand zwischen Karthago und Numidien tatsächlich ein ewiger Grenzkrieg. In Ägypten hatte zwar der römische Schiedsspruch den Sukzessionsstreit der beiden Brüder Ptolemaeos Philometor und Ptolemaeos des Dicken geschlichtet; allein die neuen Herren von Ägypten und von Kyrene führten nichtsdestoweniger Krieg um den Besitz von Kypros. In Asien waren nicht bloß die meisten Königreiche, Bithynien, Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch Erbfolgestreitigkeiten und dadurch hervorgerufene Interventionen der Nachbarstaaten innerlich zerrissen, sondern es wurden auch vielfache und schwere Kriege geführt zwischen den Attaliden und den Galatern, zwischen den Attaliden und den bithynischen Königen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso glimmten im eigentlichen Hellas die dort landüblichen zwerghaften Fehden, und selbst das sonst so ruhige makedonische Land verzehrte sich in dem inneren Hader seiner neuen demokratischen Verfassungen. Es war die Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, daß die letzte Lebenskraft und der letzte Wohlstand der Nationen in diesen ziellosen Fehden vergeudet ward. Die Klientelstaaten hätten einsehen müssen, daß der Staat, der nicht gegen jeden, überhaupt nicht Krieg führen kann und daß, da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser Staaten tatsächlich unter römischer Garantie stand, ihnen bei jeder Differenz nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Güte sich zu vergleichen oder die Römer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn die achäische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe gemahnt ward und ernstlich über deren Absendung beratschlagte (601 153), so war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der Führer der römisch gesinnten Partei damals aufstellte, daß es den Achäern nicht mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Römer Krieg zu führen, drückte, freilich mit übelklingender Schärfe, die einfache Wahrheit aus, daß die Souveränität der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war und jeder Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin führen mußte, auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer als der gegen die Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde zu richten. Es ist für den Menschen wie für den Staat keine leichte Aufgabe, in die eigene Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des Machthabers Pflicht und Recht ist es, entweder die Herrschaft aufzugeben oder durch Entwicklung einer imponierenden materiellen Überlegenheit die Beherrschten zur Resignation zu nötigen. Der römische Senat tat keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestürmt, griff der Senat beständig ein in den Gang der afrikanischen, hellenischen, asiatischen, ägyptischen Angelegenheiten, allein in einer so unsteten und schlaffen Weise, daß durch diese Schlichtungsversuche die Verwirrung gewöhnlich nur noch ärger ward. Es war die Zeit der Kommissionen. Beständig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago und Alexandreia, an die achäische Tagsatzung und die Höfe der vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibierten, berichteten, und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne Wissen und gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte geschehen, daß Kypros, welches der Senat dem Kyrenäischen Reich zugeschieden hatte, nichtsdestoweniger bei Ägypten blieb; daß ein syrischer Prinz den Thron seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Römern zugesprochen erhalten zu haben, während in der Tat ihm derselbe vom Senate ausdrücklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von Rom entkommen war; ja daß die offenkundige Ermordung eines römischen Kommissars, der im Auftrag des Senats vormundschaftlich das Regiment von Syrien führte, gänzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wußten zwar sehr wohl, daß sie nicht imstande seien, den römischen Legionen zu widerstehen; aber sie wußten nicht minder, wie wenig der Senat geneigt war, den Bürgern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil zu erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in der Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment brachte die Völker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um die der Ordnung. Für die Römer selbst aber war diese Lage der Dinge insofern bedenklich, als sie die Nord- und Ostgrenze gewissermaßen preisgab. Ohne daß Rom unmittelbar und rasch es zu verhindern vermochte, konnten hier, gestützt auf die außerhalb des Bereiches der römischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz gegen die schwachen römischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer für Rom gefährlichen und früher oder später mit ihm rivalisierenden Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermaßen der überall zerspaltene und nirgends einer großartigen staatlichen Entwicklung günstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, daß in dieser Zeit die Phalanx des Seleukos nicht mehr und die Legionen des Augustus noch nicht am Euphrat standen.

Diesem Zustand der Halbheit ein Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig mögliche Ende aber war die Verwandlung der Klientelstaaten in römische Ämter, was um so eher geschehen konnte, als ja die römische Provinzialverfassung wesentlich nur die militärische Gewalt in der Hand des römischen Vogts zusammenfaßte und Verwaltung und Gerichte in der Hauptsache den Gemeinden blieben oder doch bleiben sollten, also, was von der alten politischen Selbständigkeit überhaupt noch lebensfähig war, sich in der Form der Gemeindefreiheit bewahren ließ. Zu verkennen war die Notwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich nur, ob der Senat dieselbe verzögern und verkümmern, oder ob er den Mut und die Macht haben werde, das Notwendige klar einzusehen und energisch durchzuführen.

Blicken wir zunächst auf Afrika. Die von den Römern in Libyen gegründete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf dem Gleichgewicht des Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago. Während jenes unter Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment sich erweiterte, befestigte und zivilisierte, ward auch Karthago durch die bloßen Folgen des Friedensstandes wenigstens an Reichtum und Volkszahl wieder, was es auf der Höhe seiner politischen Macht gewesen war. Die Römer sahen mit übelverhehlter, neidischer Furcht die, wie es schien, unverwüstliche Blüte der alten Nebenbuhlerin; hatten sie bisher den beständig fortgesetzten Übergriffen Massinissas gegenüber derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt an, offen zu Gunsten des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als dreißig Jahren zwischen der Stadt und dem König schwebende Streit über den Besitz der Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der fruchtbarsten des karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von römischen Kommissarien dahin entschieden, daß die Karthager die noch in ihrem Besitz verbliebenen emporitanischen Städte zu räumen und als Entschädigung für die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente (860000 Taler) an den König zu zahlen hätten. Die Folge war, daß Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks an der Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der großen Felder am Bagradas, bemächtigte; den Karthagern blieb nichts übrig, als abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozeß anhängig zu machen. Nach langem und ohne Zweifel absichtlichem Zögern erschien in Afrika eine zweite Kommission (597 157); als aber die Karthager auf einen, ohne genaue vorgängige Untersuchung der Rechtsfrage von derselben zu fällenden Schiedsspruch nicht unbedingt kompromittieren wollten, sondern auf eingehender Erörterung der Rechtsfrage bestanden, kehrten die Kommissare ohne weiteres wieder zurück nach Rom. Die Rechtsfrage zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; aber die Sendung führte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser Kommission war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der einflußreichste Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen Kriege noch von dem vollen Pönerhaß und der vollen Pönerfurcht durchdrungen. Betroffen und mißgünstig hatte dieser mit eigenen Augen den blühenden Zustand der Erbfeinde Roms, die üppige Landschaft und die wogenden Gassen, die gewaltigen Waffenvorräte in den Zeughäusern und das reiche Flottenmaterial geschaut; schon sah er im Geiste einen zweiten Hannibal all diese Hilfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner ehrlichen und mannhaften, aber durchaus bornierten Weise kam er zu dem Ergebnis, daß Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago vom Erdboden verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese Ansicht sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Männer der Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kümmerlichen Politik mit großem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse vor einer Kaufstadt, deren phönikische Bewohner mehr und mehr der kriegerischen Künste und Gedanken sich entwöhnten, und die vollkommene Verträglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine römische Provinzialstadt wäre ausführbar, ja, verglichen mit dem gegenwärtigen Zustand, den Phönikern selbst vielleicht nicht unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung, sondern den Untergang der verhaßten Stadt. Seine Politik fand, wie es scheint, Bundesgenossen teils an den Staatsmännern, die geneigt waren, die überseeischen Gebiete in unmittelbare Abhängigkeit von Rom zu bringen, teils und vor allem an dem mächtigen Einfluß der römischen Bankiers und Großhändler, denen nach der Vernichtung der reichen Geld- und Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen mußte. Die Majorität beschloß, bei der ersten passenden Gelegenheit – eine solche abzuwarten forderte die Rücksicht auf die öffentliche Meinung – den Krieg mit Karthago oder vielmehr die Zerstörung der Stadt zu bewirken.

Die gewünschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Römer brachten in Karthago den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Führer der Patriotenpartei, welche, ähnlich der achäischen, zwar nicht daran dachte, gegen die römische Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens die den Karthagern vertragsmäßig zustehenden Rechte gegen Massinissa, wenn nötig mit den Waffen, zu verteidigen entschlossen war. Die Patrioten ließen vierzig der entschiedensten Anhänger Massinissas aus der Stadt verbannen und das Volk schwören, ihnen unter keiner Bedingung je die Rückkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern ein starkes Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154). Massinissa indes war klug genug, jetzt nicht zu rüsten, sondern sich wegen des streitigen Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch der Römer zu unterwerfen; und so konnte man römischerseits mit einigem Schein behaupten, daß die karthagischen Rüstungen gegen die Römer gerichtet sein müßten, und auf sofortige Entlassung des Heeres und Vernichtung der Flottenvorräte dringen. Der karthagische Rat wollte einwilligen, allein die Menge verhinderte die Ausführung des Beschlusses, und die römischen Boten, die diesen Bescheid nach Karthago überbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte seinen Sohn Gulussa nach Rom, um über die fortdauernden Vorbereitungen Karthagos für den Land- und den Seekrieg Bericht zu erstatten und die Kriegserklärung zu beschleunigen. Nachdem noch einmal eine Gesandtschaft von zehn Männern es bestätigt hatte, daß in Karthago in der Tat gerüstet werde (602 152), verwarf der Senat zwar die unbedingte Kriegserklärung, die Cato begehrte, beschloß aber in geheimer Sitzung, daß der Krieg erklärt sein solle, wenn die Karthager sich nicht dazu verstehen würden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen. Massinissa hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter Geleitschaft seines Sohnes Gulussa nach der Stadt zurückgesandt. Da die Karthager diesen die Tore schlossen, auch von den abziehenden Numidiern einige erschlugen, setzte Massinissa seine Truppen in Bewegung, und auch die karthagische Patriotenpartei machte sich kampffertig. Indes Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, war einer der gewöhnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren zu nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein Theaterkönig und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war der eitle und schwerfällige Mann wenig geeignet, den Helfer zu machen in einer Bedrängnis, die vielleicht selbst Hamilkars Geist und Hannibals Arm nicht mehr hätten abwenden können. Vor den Augen des Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun in der spanischen Armee, an Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn afrikanische Elefanten zuzuführen, und der bei dieser Gelegenheit von einem Berge herab „wie Zeus vom Ida“ der Schlacht zuschaute, lieferten die Karthager und die Numidier sich ein großes Treffen, in welchem jene, obwohl durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen zugeführte numidische Reiter verstärkt und an Zahl dem Feinde überlegen, dennoch den kürzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten sich die Karthager gegen Massinissa zu Gebietsabtretungen und Geldzahlungen, und Scipio versuchte auf ihr Anhalten, einen Vertrag zustande zu bringen; allein an der Weigerung der karthagischen Patrioten, die Überläufer auszuliefern, scheiterte das Friedensgeschäft. Hasdrubal aber, eng eingeschlossen von den Truppen des Gegners, wurde genötigt, alles zu bewilligen, was dieser forderte: Auslieferung der Überläufer, Rückkehr der Verbannten, Abgabe der Waffen, Abzug unter dem Joch, Zahlung von jährlich 100 Talenten (155000 Talern) für die nächsten fünfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde von den Numidiern nicht gehalten, sondern der entwaffnete Rest des karthagischen Heeres auf der Heimkehr von ihnen zusammengehauen.

Die Römer, die sich wohl gehütet hatten, den Krieg selbst durch zeitige Dazwischenkunft zu verhindern, hatten jetzt, was sie wünschten: einen brauchbaren Kriegsgrund – denn die Bestimmungen des Vertrags, nicht gegen römische Bundesgenossen noch außerhalb der eigenen Grenzen Krieg zu führen, waren jetzt allerdings von den Karthagern übertreten worden – und einen bereits im voraus geschlagenen Gegner. Schon wurden die italischen Kontingente nach Rom gemahnt und die Schiffe zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die Kriegserklärung da sein. Die Karthager boten alles auf, den drohenden Schlag abzuwenden. Die Führer der Patriotenpartei, Hasdrubal und Karthalo, wurden zum Tode verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom geschickt, um auf sie die Verantwortung zu wälzen. Allein, zugleich trafen Boten von Utica, der zweiten Stadt der libyschen Phöniker, dort ein, welche Vollmacht hatten, ihre Gemeinde den Römern völlig zu eigen zu geben – mit dieser zuvorkommenden Unterwürfigkeit verglichen, schien es fast Trotz, daß die Karthager sich begnügt hatten, die Hinrichtung ihrer angesehensten Männer unverlangt anzuordnen. Der Senat erklärte, daß die Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf die Frage, was denn genügen werde, hieß es, das sei den Karthagern ja bekannt. Freilich konnte man es wissen, was die Römer wollten; allein es schien doch wieder unmöglich zu glauben, daß nun wirklich für die liebe Heimatstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen karthagische Sendboten, diesmal ihrer dreißig und mit unbeschränkter Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg erklärt (Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer eingeschifft; doch versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollständige Unterwerfung zu beschwören. Der Senat beschied sie, daß Rom bereit sei, der karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre städtische Freiheit und ihr Landrecht, ihr Gemeinde- und Privatvermögen zu garantieren, wofern sie den soeben nach Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in Lilybäon 300 Geiseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen und die weiteren Befehle erfüllen würden, die ihnen die Konsuln nach ihrer Instruktion würden zugehen lassen. Man hat den Bescheid zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende Männer selbst unter den Karthagern hervorhoben. Daß alles, was man nur begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und daß keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika zu sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat verfuhr mit furchtbarer Härte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab er sich nicht. Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich kein Staatsmann, der die haltlose städtische Menge entweder zum vollen Widerstand oder zur vollen Resignation zu bewegen vermocht hätte. Als man zugleich das entsetzliche Kriegsdekret und die erträgliche Geiselforderung vernahm, fügte man zunächst sich dieser und hoffte weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was es heiße, sich der Willkür eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die Konsuln sandten die Geiseln von Lilybäon zurück nach Rom und beschieden die karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne Widerstand geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel verabfolgt. Als im Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von Karthago erschien, um die weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten die Konsuln zunächst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten, gegen die auf 20000 Mann angeschwollene Armee des dem Todesurteil durch die Flucht entronnenen Hasdrubal beschützen solle, ward ihnen erwidert, daß dies die Sorge der Römer sein werde. Gehorsam erschien demnach der Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, allen Kriegsvorräten der öffentlichen Zeughäuser, allen im Privatbesitz befindlichen Waffen – man zählte 3000 Wurfgeschütze und 200000 volle Rüstungen – und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob sich der Konsul Lucius Marcius Censorinus und eröffnete dem Rat, daß in Gemäßheit der vom Senat erlassenen Instruktion die bisherige Stadt zerstört werden müsse, den Bewohnern aber freistehe, sich wo sie sonst wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Meilen vom Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fürchterliche Befehl rüttelte in den Phönikern die ganze, soll man sagen hochherzige oder wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander und später die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen vermochte, ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat und Freiheit handelte, sondern um den eigenen, geliebten Boden der Vaterstadt und die altgewohnte teure Meeresheimat, die rasende Empörung der kaufmännischen und seefahrenden Bevölkerung. Von Hoffnung und Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne Frage auch jetzt sich zu fügen – aber die Stimme der wenigen, welche mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl wie der Ruf des Fährmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die in ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff, welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils die unschuldigen Träger der Botschaft, so viele von ihnen überhaupt heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten ließ, teils die zufällig in der Stadt verweilenden Italiker zerriß, um wenigstens an diesen die Rache vorwegzunehmen für die Vernichtung der Heimat. Man beschloß nicht sich zu wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies von selbst. Die Tore wurden geschlossen, auf die von Wurfgeschossen entblößten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal, den Tochtersohn Massinissas, übertragen, die Sklaven sämtlich frei erklärt. Das Emigrantenheer unter dem flüchtigen Hasdrubal, das mit Ausnahme der von den Römern besetzten Städte an der Ostküste, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt Utica, das ganze karthagische Gebiet innehatte und für die Verteidigung eine unschätzbare Stütze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in dieser höchsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt phönikischer Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der Demut versteckend, den Feind zu täuschen. Es ging eine Botschaft an die Konsuln, um dreißigtägigen Waffenstillstand zur Absendung einer Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die Karthager wußten wohl, daß die Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte weder gewähren wollten noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestärkt in der natürlichen Voraussetzung, daß nach dem ersten Ausbruch der Verzweiflung die gänzlich wehrlose Stadt sich fügen werde, und verschoben deshalb den Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt, um Wurfgeschütze und Rüstungen herzustellen; Tag und Nacht ward ohne Unterschied des Alters und Geschlechts an Maschinen und Waffen gezimmert und gehämmert; um Balken und Metall zu erlangen, wurden die öffentlichen Gebäude niedergerissen; um die für die Wurfgeschütze unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar; in unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Männer wieder bewehrt. Daß dies alles geschehen konnte, ohne daß die wenige Meilen entfernten Konsuln etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten wunderbare Zug in dieser wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja dämonischen Volkshaß getragenen Bewegung. Als endlich die Konsuln, des Wartens müde, aus dem Lager bei Utica aufbrachen und bloß mit Leitern die nackten Mauern ersteigen zu können meinten, fanden sie mit Staunen und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten gekrönt und die große volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken zu besetzen gehofft hatte, fähig und bereit, sich bis auf den letzten Mann zu verteidigen.

Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage3 wie durch die Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen Bewohner. In den weiten Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina, östlich Kap Bon begrenzen, springt in der Richtung von Westen nach Osten eine Landspitze vor, die an drei Seiten vom Meer umflossen ist und nur gegen Westen mit dem Festland zusammenhängt. Diese Landspitze, an der schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile breit und im ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier in den beiden Höhen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen die Fläche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem südlichen, mit der Höhe von Sidi bu Said abschließenden Teil derselben lag die Stadt Karthago. Der ziemlich steile Abfall jener Höhe gegen den Golf und dessen zahlreiche Klippen und Untiefen gaben an der Golfseite der Stadt natürliche Festigkeit, und es genügte hier eine einfache Umwallung. Dagegen auf die Mauer an der West- oder Landseite, wo die Natur keinen Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige Befestigungskunst vermochte. Sie bestand, wie die kürzlich aufgedeckten, mit der Beschreibung des Polybios genau übereinstimmenden Überreste gezeigt haben, aus einer Außenmauer von 6½ Fuß Dicke und an diese hinterwärts, wahrscheinlich in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten ungeheuren Kasematten, welche durch einen 6 Fuß breiten bedeckten Gang von der Außenmauer getrennt waren und, die jede reichlich 3 Fuß breiten Vorder- und Hintermauern nicht gerechnet, eine Tiefe von 11 Fuß hatten4

Außenmauer 2 Meter = 6½ Fuß
Korridor 9 Meter = 6 Fuß
Vordermauer der Kasematten 1 Meter = 3¼Fuß
Kasemattensäle 4,2 Meter = 14 Fuß
Hintermauer der Kasematten 1 Meter = 3¼Fuß
Gesamttiefe der Mauer 10,1 Meter = 33 Fuß

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Die schwierige Arbeit, eine so wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde noch dadurch erschwert, daß teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst und des noch immer 800 Ortschaften umfassenden und von der Emigrantenpartei größtenteils beherrschten Gebietes, teils die zahlreichen mit Massinissa verfeindeten Stämme der ganz oder halb freien Libyer den Karthagern gestatteten, sich nicht auf die Verteidigung der Stadt zu beschränken, sondern zugleich ein zahlreiches Heer im Felde zu halten, welches bei der verzweifelten Stimmung der Emigranten und der Brauchbarkeit der leichten numidischen Reiterei von den Belagerern nicht außer acht gelassen werden durfte.

Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte Aufgabe zu lösen, als sie nun doch sich genötigt sahen, die Belagerung regelrecht zu beginnen. Manius Manilius, der das Landheer befehligte, schlug sein Lager der Burgmauer gegenüber, während Lucius Censorinus mit der Flotte an dem See sich aufstellte und dort auf der Landzunge die Operationen begann. Die karthagische Armee unter Hasdrubal lagerte an dem andern Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo aus sie den zum Holzfällen für den Maschinenbau ausgeschickten römischen Soldaten ihre Arbeit erschwerte und namentlich der tüchtige Reiterführer Himilkon Phameas den Römern viele Leute tötete. Indes stellte Censorinus auf der Landzunge zwei große Sturmböcke her und brach mit ihnen Bresche an dieser schwächsten Stelle der Mauer; der Sturm indes mußte, da es Abend geworden, verschoben werden. In der Nacht gelang es den Belagerten, einen großen Teil der Bresche zu füllen und durch einen Ausfall die römischen Maschinen so zu beschädigen, daß sie am nächsten Tage nicht weiterarbeiten konnten. Dennoch wagten die Römer den Sturm; allein sie fanden die Bresche und die nächsten Mauerabschnitte und Häuser stark besetzt und gingen so unvorsichtig vor, daß sie mit starkem Verlust zurückgeschlagen wurden und noch weit größere Nachteile erlitten haben würden, wenn nicht der Kriegstribun Scipio Aemilianus, den Ausgang des tolldreisten Angriffs vorhersehend, seine Leute vor den Mauern zusammengehalten und mit ihnen die Flüchtenden aufgenommen hätte. Noch viel weniger richtete Manilius gegen die unbezwingliche Burgmauer aus. So zog die Belagerung sich in die Länge. Die durch die Sommerhitze im Lager erzeugten Krankheiten, die Abreise des fähigeren Feldherrn Censorinus, endlich die Verstimmung und Untätigkeit Massinissas, der begreiflicherweise die Römer sehr ungern die längst begehrte Beute für sich selber nehmen sah, und der bald darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod des neunzigjährigen Königs brachten die Offensivoperationen der Römer völlig ins Stocken. Sie hatten genug zu tun, um ihre Schiffe gegen die karthagischen Brander und ihr Lager gegen die nächtlichen Überfälle zu schützen und durch Anlegung eines Hafenkastells und Streifzüge in die Umgegend Nahrung für Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei gegen Hasdrubal gerichtete Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die erste hätte bei der schlechten Führung auf dem schwierigen Terrain fast mit einer förmlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg für den Feldherrn wie für das Heer verlief, so glänzend tat der Kriegstribun Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde auf das römische Lager, mit einigen Reiterschwadronen ausrückend und den Feind in den Rücken fassend, ihn zum Umkehren nötigte. Auf dem ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem Flußübergang, der wider seinen Rat stattgefunden hatte und fast das Verderben des Heeres geworden wäre, durch einen verwegenen Seitenangriff dem rückkehrenden Heer Luft und befreite eine schon verloren gegebene Abteilung durch seinen aufopfernden Heldenmut. Während die übrigen Offiziere, der Konsul vor allem, durch ihre Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen geneigten Städte und Parteiführer zurückschreckten, gelang es Scipio, einen der tüchtigsten von diesen, Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern zum Übertritt zu bestimmen. Endlich, nachdem er, den Auftrag des sterbenden Massinissa erfüllend, unter dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das Reich geteilt hatte, führte er in Gulussa einen seines Vaters würdigen Reiterführer dem römischen Heer zu und half damit dem bisher empfindlich gefühlten Mangel an leichter Reiterei ab. Sein feines und doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen leiblichen Vater erinnerte als an den, dessen Namen er trug, bezwang auch den Neid, und im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf allen Lippen. Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war, wandte wenige Monate vor seinem Tode – er starb am Ende des Jahres 605 (149), ohne den Wunsch seines Lebens, die Vernichtung Karthagos, erfüllt gesehen zu haben – auf den jungen Offizier und seine unfähigen Kameraden die Homerische Zeile an: „Einzig er ist ein Mann, die andern sind wandelnde Schatten6.“

Über diese Vorgänge war der Jahresschluß und damit der Kommandowechsel herangekommen: ziemlich spät erschien der Konsul Lucius Piso (606 148) und übernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den der Flotte. Indes, hatten die Vorgänger wenig geleistet, so geschah nun gar nichts. Statt mit der Belagerung Karthagos oder der Überwindung der Armee Hasdrubals beschäftigte Piso sich damit, die kleinen phönikischen Seestädte anzugreifen und auch dies meist ohne Erfolg, wie zum Beispiel Clupea ihn zurückschlug und er von Hippon Diarrhytos, nachdem er den ganzen Sommer davor verloren hatte und das Belagerungsgerät ihm zweimal verbrannt worden war, schimpflich abziehen mußte. Neapolis ward zwar genommen; aber die Plünderung der Stadt gegen das gegebene Ehrenwort war auch dem Fortgang der römischen Waffen nicht sonderlich günstig. Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer Scheik Bithyas ging mit 800 Pferden zu ihnen über; karthagische Gesandte konnten es versuchen, mit den Königen von Numidien und Mauretanien, ja, mit dem falschen Philippos von Makedonien Verbindungen einzuleiten. Vielleicht mehr die inneren Zerwürfnisse – Hasdrubal der Emigrant verdächtigte den gleichnamigen Feldherrn, der in der Stadt befehligte, wegen seiner Verwandtschaft mit Massinissa und ließ ihn im Rathause erschlagen – als die Tätigkeit der Römer verhinderten eine für Karthago noch günstigere Wendung der Dinge. So griff man in Rom, um dem besorglichen Stand der afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu schaffen, zu der außerordentlichen Maßregel, dem einzigen Mann, der bis jetzt von den libyschen Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein Name selbst für diesen Krieg empfahl, dem Scipio, statt der Ädilität, um die er eben sich bewarb, mit Beseitigung der entgegenstehenden Gesetze vor der Zeit das Konsulat und durch besonderen Beschluß die Führung des Afrikanischen Krieges zu übertragen. Er traf (607 147) in Utica in einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. Der römische Admiral Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung der Belagerung der Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem bewohnten Bezirk weit entlegene und kaum verteidigte Klippe an der schwer zugänglichen Seite der Außenstadt Magalia besetzt und fast seine gesamte, nicht zahlreiche Mannschaft dort vereinigt, in der Hoffnung, von hier aus in die Außenstadt eindringen zu können. In der Tat waren die Angreifer schon einen Augenblick innerhalb der Tore derselben gewesen, und schon war der Lagertroß in der Hoffnung auf Beute in Masse herbeigeströmt, als sie wieder auf die Klippe zurückgedrängt wurden und ohne Zufuhr und fast abgeschnitten in der größten Gefahr schwebten. So fand Scipio die Lage der Dinge. Kaum angekommen, entsandte er die mitgebrachte Mannschaft und die Miliz von Utica zu Schiff nach dem bedrohten Punkt, und es gelang, dessen Besatzung zu retten und die Klippe selbst zu behaupten. Nachdem diese Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr sich in das Lager Pisos, um das Heer zu übernehmen und nach Karthago zurückzuführen. Hasdrubal aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit, um ihr Lager unmittelbar an die Stadt zu rücken und den Angriff auf die Besatzung der Klippe von Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien Scipio mit dem Vortrab der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten abermals Beistand zu leisten. Danach begann von neuem und ernstlicher die Belagerung. Vor allen Dingen säuberte Scipio das Lager von der Masse des Trosses und der Marketender und zog die erschlafften Zügel der Disziplin wieder mit Strenge an. Bald nahmen auch die militärischen Operationen einen lebhafteren Gang. Bei einem nächtlichen Angriff auf die Außenstadt gelangten von einem Turme aus, der den Mauern an Höhe gleich vor denselben stand, die Römer auf die Zinnen und öffneten ein Pförtchen, durch das das ganze Heer eindrang. Die Karthager gaben die Außenstadt und das Lager vor den Toren auf und übertrugen den Oberbefehl über die auf 30000 Mann sich belaufende städtische Besatzung an Hasdrubal. Der neue Kommandant bewies seine Energie zuvörderst dadurch, daß er sämtliche römische Gefangenen auf die Mauerzinnen bringen und sie vor den Augen des Belagerungsheeres nach grausamen Martern in die Tiefe stürzen ließ; und als hierüber Stimmen des Tadels sich erhoben, wurde auch gegen die Bürger die Schreckensherrschaft eingeführt. Scipio inzwischen suchte, nachdem er die Stadt auf sich selber beschränkt hatte, ihr den Verkehr nach außen hin völlig abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier auf dem Erdrücken, durch den die karthagische Halbinsel mit dem Festland zusammenhängt, und schlug hier trotz der vielfachen Versuche der Karthager, den Bau zu stören, ein großes, diesen Rücken in seiner ganzen Breite schließendes Lager, das die Stadt nach der Landseite hin vollständig absperrte. Indes liefen noch immer Proviantschiffe in den Hafen ein, teils kühne Kauffahrer, die der hohe Gewinn lockte, teils Schiffe des Bithyas, der von Nepheris am Ende des Tunesischen Sees aus jeden günstigen Fahrwind benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu bringen; wie auch daselbst die Bürgerschaft schon litt, die Besatzung war noch hinreichend versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge zwischen See und Golf in den letzteren hinein einen Steindamm von 96 Fuß Breite, um damit die Hafenmündung zu sperren. Die Stadt schien verloren, als das Gelingen dieses anfangs von den Karthagern als unausführbar verspotteten Unternehmens offenbar ward. Aber eine Überraschung machte die andere wett. Während die römischen Arbeiter an dem Damm schanzten, wurde auch im karthagischen Hafen zwei Monate lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne daß selbst die Überläufer zu sagen wußten, was die Belagerten beabsichtigten. Plötzlich, als eben die Römer mit der Verbauung des Hafeneingangs fertig waren, segelten aus demselben Hafen fünfzig karthagische Dreidecker und eine Anzahl Boote und Kähne hinaus in den Golf -die Karthager hatten, während die Feinde die alte Hafenmündung gegen Süden sperrten, durch einen in östlicher Richtung gezogenen Kanal sich einen neuen Ausgang geschaffen, welcher bei der Tiefe des Meeres an dieser Stelle unmöglich gesperrt werden konnte. Hätten die Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu begnügen, sofort sich mit Entschlossenheit auf die halbabgetakelte und völlig unvorbereitete römische Flotte gestürzt, so war diese verloren; als sie am dritten Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht zu liefern, fanden sie die Römer gerüstet. Der Kampf verlief ohne Entscheidung; bei der Rückfahrt aber stopften sich die karthagischen Schiffe so sehr in und vor der Hafenmündung, daß der dadurch entstandene Schaden einer Niederlage gleichkam. Scipio richtete nun seine Angriffe auf den äußeren Hafenkai, welcher außerhalb der Stadtmauern lag und nur durch einen vor kurzem angelegten Erdwall notdürftig geschützt war. Die Maschinen wurden auf der Landzunge aufgestellt und eine Bresche war leicht gemacht; aber mit beispielloser Unerschrockenheit griffen die Karthager, die Untiefen durchwatend, das Belagerungszeug an, verjagten die Besatzungsmannschaft, welche so ins Laufen kam, daß Scipio seine eigenen Reiter auf sie einhauen lassen mußte, und zerstörten die Maschinen. Auf diese Weise gewannen sie Zeit, die Bresche zu schließen. Scipio stellte indes die Maschinen wieder her und schoß die Holztürme der Feinde in Brand, wodurch er den Kai und damit den Außenhafen in seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer an Höhe gleichkommender Wall wurde hier aufgeführt, und es war jetzt endlich die Stadt von der Land- wie von der Seeseite vollständig abgesperrt, da man nur durch den äußeren in den inneren Hafen gelangte. Um die Blockade vollständig zu sichern, ließ Scipio das Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes befehligte, von Gaius Laelius angreifen; durch eine glückliche Kriegslist ward es erobert und die ganze dort versammelte zahllose Menschenmasse getötet oder gefangen. Darüber war der Winter herangekommen, und Scipio stellte die Operationen ein, es dem Hunger und den Seuchen überlassend, das Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar die Gewaltigen des Herrn inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet hatten, während Hasdrubal freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen, zeigte sich, so wie im Frühling 608 (146) das römische Heer zum Angriff gegen die innere Stadt überging. Hasdrubal ließ den Außenhafen anzünden und machte sich bereit, den auf den Kothon erwarteten Sturm abzuschlagen; aber Laelius gelang es, weiter aufwärts die von der ausgehungerten Besatzung kaum noch verteidigte Mauer zu übersteigen und so bis an den inneren Hafen vorzudringen. Die Stadt war erobert, aber der Kampf noch keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an den kleinen Hafen anstoßenden Markt und drangen in den drei schmalen, von diesem nach der Burg zu führenden Straßen langsam vor – langsam, denn von den gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Häusern mußte eines nach dem andern erstürmt werden; auf den Dächern oder auf über die Straße gelegten Balken drang der Soldat von einem dieser festungsähnlichen Gebäude in das benachbarte oder gegenüberstehende vor und stieß nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen sechs Tage, schreckliche für die Bewohner der Stadt und auch für die Angreifer voll Not und Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf den sich Hasdrubal und die noch übrige Mannschaft zurückgezogen hatten. Um einen breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten Straßen anzuzünden und den Schutt zu planieren, bei welcher Veranlassung eine Menge in den Häusern versteckter kampfunfähiger Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der Burg zusammengedrängte Rest der Bevölkerung um Gnade. Das nackte Leben ward ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Männer und 25000 Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevölkerung. Einzig die römischen Überläufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal mit seiner Gattin und seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel des Heilgottes geworfen: für sie, für die desertierten Soldaten wie für den Mörder der römischen Gefangenen, gab es keinen Vertrag. Aber als nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten unter ihnen den Tempel anzündeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge zu sehen; einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefällig um sein Leben. Es ward ihm gewährt; aber wie seine Gattin, die mit ihren Kindern unter den übrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den Füßen Scipios erblickte, schwoll ihr das stolze Herz über diese Schändung der teuren untergehenden Heimat und den Gemahl mit bitteren Worten erinnernd, seines Lebens sorglich zu schonen, stürzte sie erst die Söhne und dann sich selber in die Flammen. Der Kampf war zu Ende. Der Jubel im Lager wie in Rom war grenzenlos; nur die Edelsten des Volkes schämten im stillen sich der neuesten Großtat der Nation. Die Gefangenen wurden größtenteils zu Sklaven verkauft; einzelne ließ man im Kerker verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als römische Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich behandelt. Das bewegliche Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder Weihgeschenk, ward den Soldaten zur Plünderung preisgegeben; von den Tempelschätzen ward die in besseren Zeiten von Karthago aus den sizilischen Städten weggeführte Beute diesen zurückgestellt, wie zum Beispiel der Stier des Phalaris den Akragantinern; das übrige, fiel an den römischen Staat.

Indes noch stand die Stadt zum bei weitem größten Teil. Es ist glaublich, daß Scipio die Erhaltung derselben wünschte; wenigstens richtete er deswegen noch eine besondere Anfrage an den Senat. Scipio Nasica versuchte noch einmal, die Forderungen der Vernunft und der Ehre geltend zu machen; es war vergebens. Der Senat befahl dem Feldherrn, die Stadt Karthago und die Außenstadt Magalia dem Boden gleich zu machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt mit Karthago gehalten; sodann über den Boden Karthagos den Pflug zu führen, um der Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen, und Grund und Boden auf ewige Zeiten zu verwünschen, also daß weder Haus noch Kornfeld je dort entstehen möge. Es geschah wie befohlen war. Siebzehn Tage brannten die Ruinen; als vor kurzem die Überreste der karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, fand man sie bedeckt mit einer vier bis fünf Fuß tiefen, von halb verkohlten Holzstücken, Eisentrümmern und Schleuderkugeln erfüllten Aschenlage. Wo die fleißigen Phöniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt hatten, weideten fortan römische Sklaven die Herden ihrer fernen Herren. Scipio aber, den die Natur zu einer edleren als zu dieser Henkerrolle bestimmt hatte, sah schaudernd auf sein eigenes Werk, und statt der Siegesfreude erfaßte den Sieger selber die Ahnung der solcher Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung.

Es blieb noch übrig, für die künftige Organisation der Landschaft die Einrichtungen zu treffen. Die frühere Weise, mit den gewonnenen überseeischen Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht ferner beliebt. Micipsa und seine Brüder behielten im wesentlichen ihr bisheriges Gebiet mit Einschluß der kürzlich am Bagradas und in Emporia den Karthagern entrissenen Distrikte; die lange genährte Hoffnung, Karthago zur Hauptstadt zu erhalten, ward für immer vereitelt; dafür verehrte ihnen der Senat die karthagischen Büchersammlungen. Die karthagische Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das heißt der schmale, Sizilien zunächst gegenüberliegende Küstenstrich von Afrika, vom Tuscafluß (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel Kerkena gegenüber), ward eine römische Provinz. Im Binnenland, wo die übergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwährend weiter beschränkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Königen gehörten, blieb den Numidiern, was sie besaßen. Allein die sorgfältige Regulierung der Grenze zwischen der römischen Provinz und dem auf drei Seiten dieselbe einschließenden numidischen Königreich zeugte davon, daß Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago verstattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa, andererseits darauf hinzudeuten schien, daß Rom die gegenwärtig abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die Oberverwaltung der neuen Provinz übernahm ein römischer Statthalter, dessen Sitz Utica wurde. Einer regelmäßigen Grenzverteidigung bedurfte dieselbe nicht, da das verbündete Numidische Reich sie überall von den Bewohnern der Wüste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im ganzen mit Milde. Diejenigen Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf seiten der Römer gestanden hatten – es waren dies nur die Seestädte Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, Achulla, Usalis und die Binnenstadt Theudalis –, behielten ihre Mark und wurden Freistädte; dasselbe Recht empfing die neugegründete Gemeinde der Überläufer. Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten Striches, und das der übrigen zerstörten Ortschaften ward römisches Domanialland, welches man durch Verpachtung verwertete. Die übrigen Ortschaften verloren gleichfalls dem Rechte nach ihr Bodeneigentum und ihre städtischen Freiheiten; doch wurde ihnen ihr Acker und ihre Verfassung bis auf weitere Anordnung der römischen Regierung vorläufig als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die Gemeinden für die Nutzung des römisch gewordenen Bodens jährlich nach Rom eine ein für allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits mittels einer Vermögenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstörung der ersten Handelsstadt des Westens waren die römischen Kaufleute, welche, sowie Karthago in Asche lag, scharenweise nach Utica strömten und von dort aus nicht bloß die römische Provinz, sondern auch die bis dahin ihnen verschlossenen numidischen und gätulischen Landschaften auszubeuten begannen.

Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand auch Makedonien aus der Reihe der Nationen. Die vier kleinen Eidgenossenschaften, in die die Weisheit des römischen Senats das alte Königreich zerstückelt hatte, konnten in sich und untereinander nicht zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein einzelner, zufällig erwähnter Vorfall in Phakos, wo der gesamte Regierungsrat einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften eines gewissen Damasippos ermordet wurde. Weder die Kommissionen, die der Senat abordnete (590 164), noch die nach griechischer Sitte von den Makedoniern herbeigerufenen fremden Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio Aemilianus (603 151), vermochten einen leidlichen Zustand herzustellen. Da erschien plötzlich in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos nannte, den Sohn des Königs Perseus, welchem er auffallend glich, und der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in der mysischen Stadt Adramytion verlebt; hier behauptete er die sicheren Beweise seiner hohen Abstammung erhalten zu haben. Mit diesen hatte er, nach einem vergeblichen Versuch, in seinem Heimatland sich geltend zu machen, sich an seiner Mutter Bruder, König Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es fanden sich in der Tat einige Männer, die dem Adramytener glaubten oder zu glauben vorgaben und den König bestürmten, den Prinzen entweder in sein angeerbtes Reich wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens abzutreten; worauf Demetrios, um dem tollen Treiben ein Ende zu machen, den Prätendenten festnahm und den Römern zuschickte. Indes der Senat achtete des Menschen so wenig, daß er ihn in einer italischen Stadt konfinierte, ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. So war er nach Milet entflohen, wo die städtischen Behörden ihn abermals aufgriffen und bei römischen Kommissarien anfragten, was sie mit dem Gefangenen machen sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es geschah. Jetzt versuchte er denn weiter in Thrakien sein Glück; und wunderbarerweise fand er hier Anerkennung und Unterstützung, nicht bloß bei den thrakischen Barbarenfürsten Teres, dem Gemahl seiner Vaterschwester, und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzantiern. Mit thrakischer Unterstützung drang der sogenannte Philipp in Makedonien ein, und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er doch bald einen Sieg über das makedonische Aufgebot in der Odomantike jenseits des Strymon und darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der ihm den Besitz von ganz Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine Erzählung klang und so entschieden es feststand, daß der echte Philippos Perseus‘ Sohn achtzehn Jahre alt in Alba gestorben und dieser Mensch nichts weniger als ein makedonischer Prinz, sondern der adramytenische Walker Andriskos sei, so war man doch in Makedonien der Königsherrschaft zu sehr gewohnt, um nicht mit der Legitimitätsfrage sich rasch abzufinden und gern in das alte Gleis wiedereinzulenken. Schon kamen Boten von den Thessalern, daß der Prätendent in ihr Gebiet eingerückt sei; der römische Kommissar Nasica, der in der Erwartung, daß das erste ernste Wort dem törichten Beginnen ein Ende machen werde, vom Senat ohne Soldaten nach Makedonien gesandt worden war, mußte die achäische und pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den Achäern Thessalien gegen die Übermacht, soweit es anging, schirmen, bis (605? 149) der Prätor Juventius mit einer Legion erschien. Dieser griff mit seiner geringen Streitmacht die Makedonier an; allein er selber fiel, sein Heer ging fast ganz zugrunde und Thessalien geriet zum größten Teil in die Gewalt des falschen Philippos, der sein Regiment hier und in Makedonien in grausamer und übermütiger Weise handhabte. Endlich betrat ein stärkeres römisches. Heer unter Quintus Caecilius Metellus den Kampfplatz und drang, unterstützt durch die pergamenische Flotte, in Makedonien ein. Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht die Makedonier die Oberhand; allein bald traten Spaltungen und Desertionen im makedonischen Heer ein, und der Fehler des Prätendenten, sein Heer zu teilen und die eine Hälfte nach Thessalien zu detachieren, verschaffte den Römern einen leichten und entscheidenden Sieg (606 148). Philippos flüchtete nach Thrakien zu dem Häuptling Byzes, wohin Metellus ihm folgte und nach einem zweiten Sieg seine Auslieferung erlangte.

Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem Prätendenten nicht freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der Gewalt gewichen. Nach der bisher befolgten Politik lag also kein Grund vor, den Makedoniern den Schatten von Selbständigkeit zu nehmen, den die Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen hatte; dennoch wurde das Reich Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von Metellus in eine römische Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, daß die römische Regierung ihr System geändert und das Klientel- durch das Untertanenverhältnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde die Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem ganzen Kreise der Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag empfunden. Die früher nach den ersten römischen Siegen von Makedonien abgerissenen Besitzungen in Epeiros, die Ionischen Inseln und die Häfen Apollonia und Epidamnos, welche bisher zu dem italischen Beamtensprengel gehört hatten, wurden jetzt wieder mit Makedonien vereinigt, so daß dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im Nordosten bis jenseits Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel die Schutzherrlichkeit, die Rom über das eigentliche Griechenland in Anspruch nahm, von selbst dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So erhielt Makedonien die Einigkeit zurück und auch ungefähr wieder die Grenzen, wie es sie in seiner blühendsten Zeit gehabt; aber es war nicht mehr ein einiges Reich, sondern eine einige Provinz, mit kommunaler und selbst wie es scheint landschaftlicher Organisation, jedoch unter einem italischen Vogt und Schatzmeister, deren Namen auch wohl auf den Landesmünzen neben dem der Landschaft erscheinen. Als Steuer blieb die alte mäßige Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte, eine Summe von 100 Talenten (155000 Talern), die in festen Beträgen auf die einzelnen Gemeinden umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner alten ruhmreichen Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach der Besiegung des falschen Philippos pflanzte ein anderer angeblicher Perseussohn, Alexander, am Nestos (Karasu) die Fahne der Insurrektion auf und hatte in kurzer Zeit 1600 Mann vereinigt; allein der Quästor Lucius Tremellius ward des Aufstandes ohne Mühe Herr und verfolgte den fliehenden Prätendenten bis nach Dardanien (612 142). Dies aber ist auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, der zwei Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so große Dinge vollbracht hatte; seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten, als daß sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation der Landschaft (608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zählen.

Fortan waren es die Römer, denen die Verteidigung der makedonischen Nord- und Ostgrenzen, das heißt der Grenze der hellenischen Zivilisation gegen die Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit unzulänglichen Streitkräften und im ganzen nicht mit der gebührenden Energie geführt; doch ist zunächst für diesen militärischen Zweck die große Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon zu Polybios‘ Zeit von den beiden Haupthäfen an der Westküste, Apollonia und Dyrrhachion, quer durch das Binnenland nach Thessalonike, später noch weiter bis an den Hebros (Maritza) lief7. Die neue Provinz ward die natürliche Basis teils für die Züge gegen die unruhigen Dalmater, teils für die zahlreichen Expeditionen gegen die nordwärts der griechischen Halbinsel ansässigen illyrischen, keltischen und thrakischen Stämme, die später in ihrem geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein werden.

Mehr als Makedonien hatte das eigentliche Griechenland sich der Gunst der herrschenden Macht zu erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten wohl der Ansicht sein, daß daselbst die Nachwehen des Perseischen Krieges im Verschwinden und die Verhältnisse überhaupt auf dem Wege zum Besseren seien. Die verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden Partei, Lykiskos der Ätoler, Mnasippos der Böoter, Chrematas der Akarnane, der schandbare Epeirote Charops, dem selbst ehrenhafte Römer ihr Haus verboten, stiegen einer nach dem andern ins Grab; ein anderes Geschlecht wuchs heran, in dem die alten Erinnerungen und die alten Gegensätze verblaßt waren. Der römische Senat meinte die Zeit des allgemeinen Vergebens und Vergessens gekommen und entließ im Jahre 604 (150) die noch übrigen der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten achäischen Patrioten, deren Freigebung die achäische Tagsatzung nicht aufgehört hatte zu fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den Römern mit all ihrem Philhellenentum gelungen war, den hellenischen Patriotismus innerlich zu versöhnen, offenbarte sich in nichts so deutlich wie in der Stellung der Griechen zu den Attaliden. König Eumenes II. war als Römerfreund in Griechenland im höchsten Grade verhaßt gewesen; kaum aber war zwischen ihm und den Römern eine Verstimmung eingetreten, als er in Griechenland plötzlich populär ward; wie früher von Makedonien erwartete der hellenische Euelpides den Erlöser aus der Fremdherrschaft jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen aber stieg in der sich selbst überlassenen hellenischen Kleinstaaterei zusehends die soziale Zerrüttung. Das Land verödete, nicht durch Krieg und Pest, sondern durch die immer weiter um sich greifende Abneigung der höheren Stände, mit Frau und Kindern sich zu plagen; dafür strömte wie bisher das verbrecherische oder leichtsinnige Gesindel vorwiegend nach Griechenland, um daselbst den Werbeoffizier zu erwarten. Die Gemeinden versanken in immer tiefere Verschuldung und in ökonomische Ehr- und die daranhängende Kreditlosigkeit; einzelne Städte, namentlich Athen und Theben, griffen in ihrer Finanznot geradezu zum Räuberhandwerk und plünderten die Nachbargemeinden aus. Auch der innere Hader in den Bünden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den gezwungenen Mitgliedern der Achäischen Eidgenossenschaft, war keineswegs beigelegt. Wenn die Römer, wie es scheint, glaubten, was sie wünschten, und der augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so sollten sie bald erfahren, daß die jüngere Generation in Hellas um nichts besser und um nichts klüger als die ältere war. Die Gelegenheit, um mit den Römern Händel anzufangen, brach man geradezu vom Zaune.

Um einen schmutzigen Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der zeitige Vorstand der Achäischen Eidgenossenschaft, Diäos, auf der Tagsatzung die Behauptung hin, daß die den Lakedaemoniern als Glied der Achäischen Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die Befreiung von der achäischen Kriminaljurisdiktion und das Recht, Sondergesandtschaften nach Rom zu schicken, ihnen keineswegs von den Römern gewährleistet seien. Es war eine freche Lüge; allein die Tagsatzung glaubte natürlich, was sie wünschte, und da sich die Achäer bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand wahrzumachen, gaben die schwächeren Spartaner vorläufig nach, oder vielmehr diejenigen, deren Auslieferung von den Achäern begehrt ward, verließen die Stadt, um als Kläger vor dem römischen Senat aufzutreten. Der Senat antwortete wie gewöhnlich, daß er eine Kommission zur Untersuchung der Sache senden werde; allein statt dieses Bescheides berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta und beide falsch, daß der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achäer, die wegen der soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den falschen Philippos sich mehr als je in bundesgenössischer Gleichheit und politischer Gewichtigkeit fühlten, rückten im Jahre 606 (148) unter ihrem Strategen Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte, von Metellus aufgefordert, eine nach Asien durchpassierende römische Gesandtschaft, Frieden zu halten und die Kommissarien des Senats zu erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei 1000 Spartaner fielen, und Sparta hätte genommen werden können, wenn Damokritos nicht als Offizier ebenso untüchtig gewesen wäre wie als Staatsmann. Er ward abgesetzt, und sein Nachfolger Diäos, der Anstifter all dieses Unfugs, setzte den Krieg eifrig fort, während er gleichzeitig den gefürchteten Kommandanten von Makedonien der vollen Botmäßigkeit der Achäischen Eidgenossenschaft versichern ließ. Darüber erschien die lange erwartete römische Kommission, an ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun ruhten die Waffen und die achäische Tagsatzung versammelte sich in Korinth, um ihre Eröffnungen entgegenzunehmen. Sie waren unerwarteter und unerfreulicher Art. Die Römer hatten sich entschlossen, die unnatürliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die achäischen Staaten wiederaufzuheben und überhaupt gegen die Achäer durchzugreifen. Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die ätolische Stadt Pleuron aus ihrem Bund entlassen müssen; jetzt wurden sie angewiesen auf sämtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg gemachte Erwerbungen, das heißt auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta im Peloponnes und Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder auf den Bestand am Ende des Hannibalischen Krieges zurückzuführen. Wie dies die achäischen Abgeordneten vernahmen, stürmten sie sofort auf den Markt, ohne die Römer auch nur auszuhören, und teilten die römischen Forderungen der Menge mit, worauf der regierende und der regierte Pöbel einhellig beschloß, zu allervörderst sämtliche in Korinth anwesende Lakedämonier festzusetzen, da ja Sparta dies Unglück über sie gebracht habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der tumultuarischsten Weise, so daß Lakonername oder Lakonerschuhe als hinreichende Einsperrungsgründe erschienen: ja man drang sogar in die Wohnungen der römischen Gesandten, um die dorthin geflüchteten Lakedaemonier festzunehmen, und es fielen gegen die Römer harte Reden, obgleich man an ihrer Person sich nicht vergriff. Indigniert kehrten dieselben heim und führten bittere, selbst übertriebene Beschwerde im Senat; dennoch beschränkte sich dieser mit derselben Mäßigung, die all seine Maßregeln gegen die Griechen bezeichnet, zunächst auf Vorstellungen. In der mildesten Form und der Genugtuung für die erlittenen Beleidigungen kaum erwähnend, wiederholte Sextus Iulius Caesar auf der Tagsatzung in Aegion (Frühling 607 147) die Befehle der Römer. Aber die Leiter der Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue Strateg Kritolaos (Strateg Mai 607 bis Mai 608 147/46), zogen als staatskluge und in der höheren Politik wohlbewanderte Leute daraus bloß den Schluß, daß die römischen Angelegenheiten gegen Karthago und Viriathus sehr schlecht stehen müßten, und fuhren fort, die Römer zugleich zu prellen und zu beleidigen. Caesar ward ersucht, zur Ausgleichung der Sache eine Zusammenkunft von Abgeordneten der streitenden Teile in Tegea zu veranstalten; es geschah, allein nachdem Caesar und die lakedämonischen Gesandten daselbst lange vergeblich auf die Achäer gewartet hatten, erschien endlich Kritolaos allein und zeigte an, daß lediglich die allgemeine Volksversammlung der Achäer in dieser Sache kompetent sei und dieselbe erst auf der Tagsatzung, das heißt in sechs Monaten, erledigt werden könne. Caesar ging darauf nach Rom zurück; die nächste Volksversammlung der Achäer aber erklärte auf Kritolaos‘ Antrag förmlich den Krieg gegen Sparta. Auch jetzt noch machte Metellus einen Versuch, den Zwist in Güte beizulegen, und schickte Gesandte nach Korinth; allein die lärmende Ekklesia, größtenteils bestehend aus dem Pöbel der reichen Handels- und Fabrikstadt, übertobte die Stimme der römischen Gesandten und zwang sie, die Rednerbühne zu verlassen. Kritolaos‘ Erklärung, daß man die Römer wohl zu Freunden, aber nicht zu Herren wünsche, ward mit unsäglichem Jubel aufgenommen, und als die Mitglieder der Tagsatzung sich ins Mittel legen wollten, schützte der Pöbel den Mann seines Herzens und beklatschte die Stichwörter von dem Landesverrat der Reichen und der notwendigen Militärdiktatur sowie die geheimnisvollen Winke über die nahe bevorstehende Schilderhebung unzähliger Völker und Könige gegen Rom. Von welchem Geist die Bewegung beseelt war, zeigten die beiden Beschlüsse, daß bis zum hergestellten Frieden alle Klubs permanent sein und alle Schuldklagen ruhen sollten. Man hatte also Krieg, ja sogar auch wirkliche Bundesgenossen: die Thebaner und Böoter nämlich und ferner die Chalkidenser. Schon zu Anfang des Jahres 608 (146) rückten die Achäer in Thessalien ein, um Herakleia am Öta, das in Gemäßheit des Senatsbeschlusses sich von der Achäischen Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu bringen. Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu senden beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach übernahm es Metellus mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schützen. Als dem achäisch-thebanischen Heer das Anrücken der Römer gemeldet ward, war von Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es wohl gelingen möchte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen; eiligst machte die Armee sich davon und versuchte nicht einmal, die Stellung bei den Thermopylen zu halten. Metellus indes beschleunigte die Verfolgung und erreichte und schlug das griechische Heer bei Skarpheia in Lokris. Der Verlust an Gefangenen und Toten war beträchtlich; von Kritolaos ward nach der Schlacht nie wieder eine Kunde vernommen. Die Trümmer der geschlagenen Armee irrten in einzelnen Trupps in den hellenischen Landschaften umher und baten überall umsonst um Aufnahme; die Abteilung von Paträ ward in Phokis, das arkadische Elitenkorps bei Chäroneia aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde geräumt, und von dem Achäerheer und der in Masse flüchtenden Bürgerschaft von Theben gelangte nur ein geringer Teil in den Peloponnes. Metellus suchte durch die möglichste Milde die Griechen zum Aufgeben des sinnlosen Widerstandes zu bestimmen und befahl zum Beispiel, alle Thebaner mit Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen; seine wohlgemeinten Versuche scheiterten nicht an der Energie des Volkes, sondern an der Desperation der um ihren eigenen Kopf besorgten Führer. Diäos, der nach Kritolaos‘ Fall wieder den Oberbefehl übernommen hatte, berief alle Waffenfähigen auf den Isthmos und befahl, 12000 in Griechenland geborene Sklaven in das Heer einzustellen; die Reichen wurden zu Vorschüssen angehalten und unter den Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeräumt. Der Kampf ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achäische Vorhut, die 4000 Mann stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief sich, sowie sie die römischen Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf dem Isthmos wollte Metellus eben angreifen lassen, als der Konsul Lucius Mummius mit wenigen Begleitern im römischen Hauptquartier eintraf und das Kommando übernahm. Inzwischen boten die Achäer, ermutigt durch einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen römischen Vorposten, der römischen um das Doppelte überlegenen Armee bei Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Römer zögerten nicht sie anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achäischen Reiter in Masse aus vor der sechsfach stärkeren römischen Reiterei; die Hopliten standen dem Feinde, bis ein Flankenangriff des römischen Elitenkorps auch in ihre Reihen Verwirrung brachte. Damit war der Widerstand zu Ende. Diäos floh in seine Heimat, tötete sein Weib und nahm selber Gift; die Städte unterwarfen sich sämtlich ohne Gegenwehr, und sogar das unbezwingliche Korinth, in das einzurücken Mummius drei Tage zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich von den Römern besetzt.

Die neue Regelung der griechischen Verhältnisse ward in Gemeinschaft mit einer Kommission von zehn Senatoren dem Konsul Mummius übertragen, der sich in dem eroberten Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken erwarb. Zwar war es, gelind gesagt, eine Torheit, daß er seiner Kriegs- und Siegestaten wegen den Namen des „Achaikers“ annahm und dem Hercules Sieger dankerfüllt einen Tempel erbaute; allein als Verwalter erwies er, der nicht in aristokratischem Luxus und aristokratischer Korruption aufgewachsen, sondern ein „neuer Mann“ und verhältnismäßig unbemittelt war, sich gerecht und mild. Es ist eine rednerische Übertreibung, daß von den Achäern bloß Diäos, von den Böotern bloß Pytheas umgekommen seien; in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im ganzen ward aber doch in den Strafgerichten Maß gehalten. Den Antrag, die Statuen des Begründers der achäischen Patriotenpartei, des Philopömen, umzustürzen, wies Mummius zurück; die den Gemeinden auferlegten Geldbußen wurden nicht für die römische Kasse, sondern für die geschädigten griechischen Städte bestimmt, größtenteils auch später erlassen und das Vermögen derjenigen Hochverräter, die Eltern oder Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, sondern diesen überwiesen. Nur die Kunstschätze wurden aus Korinth, Thespiä und anderen Städten weggeführt und teils in der Hauptstadt, teils in den Landstädten Italiens aufgestellt8, einzelne Stücke auch den isthmischen, delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der definitiven Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die Milde. Zwar wurden, wie es die Provinzialverfassung mit sich brachte, die Sondereidgenossenschaften, vor allem die achäische, als solche aufgelöst, die Gemeinden isoliert und durch die Bestimmung, daß niemand in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben dürfe, der Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus versucht hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt und in jeder Gemeinde einem aus den Vermögenden gebildeten Rat das Regiment in die Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste, nach Rom zu entrichtende Abgabe auferlegt und sie sämtlich dem Statthalter von Makedonien in der Art untergeordnet, daß diesem als oberstem Militärchef auch in Verwaltung und Gerichtsbarkeit eine Oberleitung zustand und er zum Beispiel wichtigere Kriminalprozesse zur Entscheidung an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den griechischen Gemeinden die „Freiheit“, das heißt eine, freilich durch die römische Hegemonie zum Namen zusammengeschwundene, formelle Souveränität, welche das Eigentum an Grund und Boden und das Recht eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit in sich schloß9

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Strengere Behandlung aber traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und Korinth. Es läßt sich nichts dawider erinnern, daß die ersten beiden entwaffnet und durch Niederreißung ihrer Mauern in offene Flecken umgewandelt wurden; dagegen bleibt die durchaus unmotivierte Zerstörung der ersten Handelsstadt Griechenlands, des blühenden Korinth, ein düsterer Schandfleck in den Jahrbüchern Roms. Auf ausdrücklichen Befehl des Senats wurden die korinthischen Bürger aufgegriffen, und was dabei nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht etwa bloß ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war, sondern dem Boden gleichgemacht und in den üblichen Bannformen jeder Wiederanbau der öden Stätte untersagt, das Gebiet derselben zum Teil an Sikyon gegeben unter der Auflage, anstatt Korinths die Kosten des isthmischen Nationalfestes zu bestreiten, größtenteils aber zu römischem Gemeinland erklärt. Also erlosch der „Augapfel von Hellas“, der letzte köstliche Schmuck des einst so städtereichen griechischen Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch einmal ins Auge, so muß die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die Griechen dieser Zeit selbst unumwunden eingestanden, daß an dem Kriege selbst nicht die Römer die Schuld trugen, sondern daß die unkluge Treubrüchigkeit und die schwächliche Tollkühnheit der Griechen die römische Intervention erzwangen. Die Beseitigung der Scheinsouveränität der Bünde und alles damit verknüpften unklaren und verderblichen Schwindels war ein Glück für das Land und das Regiment des römischen Oberfeldherrn von Makedonien, wieviel es auch zu wünschen übrig ließ, immer noch bei weitem besser als die bisherige Wirr- und Mißregierung der griechischen Eidgenossenschaften und der römischen Kommissionen. Der Peloponnes hörte auf, die große Söldnerherberge zu sein; es ist bezeugt und begreiflich, daß überhaupt mit dem unmittelbaren römischen Regiment Sicherheit und. Wohlstand einigermaßen zurückkehrten. Das Themistokleische Epigramm, daß der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde von den damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den Untergang der griechischen Selbständigkeit. Die ungemeine Nachsicht, welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Verfahren derselben Behörden gegen die Spanier und die Phöniker zusammenhält; Barbaren grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, aber wie später Kaiser Traianus hielten es auch die Römer dieser Zeit „für hart und barbarisch, Athen und Sparta den noch übrigen Schatten von Freiheit zu entreißen“. Um so schärfer kontrastiert mit dieser allgemeinen Milde die empörende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen und der numantinischen Katastrophe gemißbilligte Behandlung von Korinth, welche durch die auf den Gassen von Korinth gegen die römischen Abgeordneten ausgestoßenen Schmähreden auch nach römischem Völkerrecht nichts weniger als gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor aus der Brutalität eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius, sondern war eine vom römischen Rat erwogene und beschlossene Maßregel. Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei erkennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristokratie anfängt, in die Politik einzugreifen, und die in Korinth einen Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die römischen Großhändler bei der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so begreift man, weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und weshalb man nicht bloß die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch die Ansiedlung an dieser für den Handel so überaus günstigen Stätte für die Zukunft verbot. Für die auch in Hellas sehr zahlreichen römischen Kaufleute ward der Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos; wichtiger aber für den römischen Großhandel ward Delos, das, schon seit 586 (168) römischer Freihafen, einen guten Teil der Geschäfte von Rhodos an sich gezogen hatte und nun in ähnlicher Weise in die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb für längere Zeit der Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren11.

Unvollständiger als in der nur durch schmale Meere von Italien getrennten afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft entwickelte sich die römische Herrschaft in dem dritten entfernteren Weltteil.

In Vorderasien war durch die Zurückdrängung der Seleukiden das Reich von Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die Traditionen der Alexandermonarchien, einsichtig und kühl genug, um auf das Unmögliche zu verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und strebten nicht, ihre Grenzen zu erweitern noch der römischen Hegemonie sich zu entziehen, sondern den Wohlstand ihres Reiches, soweit die Römer es erlaubten, zu fördern und die Künste des Friedens zu pflegen. Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem Argwohn Roms nicht. Im Besitz der europäischen Küste der Propontis, der Westküste Kleinasiens und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur kappadokischen und kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen Königen, von denen Antiochos Epiphanes († 590 164) durch die Hilfe der Attaliden auf den Thron gelangt war, hatte König Eumenes II. durch seine bei dem immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher erscheinende Macht selbst den Begründern derselben Bedenken eingeflößt; es ist schon erzählt worden, wie der Senat darauf bedacht war, nach dem Dritten Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch unfeine diplomatische Künste zu demütigen und zu schwächen. Die an sich schon schwierigen Verhältnisse der Herren von Pergamon zu den ganz und halb freien Handelsstädten innerhalb ihres Reichs und zu den barbarischen Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese Verstimmung der Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war, ob nach dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushöhen in der pamphylischen und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum Pergamenischen Reich gehörten, leisteten die tapferen Selger, es scheint unter nomineller Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den Königen Eumenes Il. und Attalos II. langjährigen und energischen Widerstand in den schwer zugänglichen Gebirgen Pisidiens. Auch die asiatischen Kelten, welche eine Zeitlang unter Zulassung der Römer unter pergamenischer Botmäßigkeit gestanden hatten, fielen von Eumenes ab und begannen im Einverständnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem König Prusias von Bithynien, um 587 (167) plötzlich gegen ihn Krieg. Der König hatte keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine Einsicht und Tapferkeit konnte nicht verhindern, daß sie die asiatische Miliz schlugen und das Gebiet überschwemmten; wir kennen bereits die eigentümliche Vermittlung, zu der die Römer auf Eumenes‘ Bitte sich herbeiließen. Sowie er indes Zeit gefunden hatte, mit Hilfe seiner wohlgefüllten Kasse eine kampffähige Armee aufzustellen, trieb er auch die wilden Scharen schnell zurück über die Grenze seines Reiches; und obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnäckig fortgesetzten Versuche, dort die Hände im Spiel zu behalten, durch römischen Einfluß vereitelt wurden12, hinterließ er dennoch trotz aller offenen Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und die Römer gegen ihn gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das Reich in ungeschmälertem Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos († 616 138) wies den Versuch des Königs Pharnakes von Pontos, sich der Vormundschaft über Eumenes‘ unmündigen Sohn zu bemächtigen, mit römischer Hilfe zurück und regierte anstatt seines Neffen wie Antigonos Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tüchtig, fügsam, ein echter Attalide, verstand er es, den argwöhnischen Senat von der Nichtigkeit der früher gehegten Besorgnisse zu überzeugen. Die antirömische Partei beschuldigte ihn, daß er sich dazu hergebe, das Land für die Römer zu hüten und jede Beleidigung und Erpressung von ihnen sich gefallen lasse; indes konnte er, des römischen Schutzes sicher, in die syrischen, kappadokischen und bithynischen Thronstreitigkeiten entscheidend eingreifen. Auch aus dem gefährlichen bithynischen Krieg, den König Prusias II., der Jäger genannt (572 ? – 605 182-149), ein Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten Laster in sich vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die römische Intervention – freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt belagert und eine erste Mahnung der Römer von Prusias unbefolgt gelassen, ja verhöhnt worden war (598-600 156-154). Allein mit der Thronbezeigung seines Mündels Attalos III. Philometor (616-621 133-133) trat an die Stelle des friedlichen und mäßigen Bürgerkönigtums ein asiatisches Sultanregiment, unter dem es zum Beispiel vorkam, daß der König, um des unbequemen Rats seiner väterlichen Freunde sich zu entledigen, sie im Palast versammeln und erst sie, sodann ihre Frauen und Kinder von seinen Lanzknechten niedermachen ließ; nebenher schrieb er Bücher über den Gartenbau, zog Giftkräuter und bossierte in Wachs, bis ein plötzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht der Attaliden. In solchem Fall konnte nach dem wenigstens für die Klientelstaaten Roms gültigen Staatsrecht der letzte Regent testamentarisch über die Sukzession verfügen. Ob der Gedanke, das Reich den Römern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den wahnwitzigen Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der ihn bei Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloß eine weitere Anerkennung der tatsächlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu entscheiden. Das Testament lag vor13; die Römer traten die Erbschaft an und die Frage über das Land und den Schatz der Attaliden fiel in Rom als neuer Erisapfel unter die hadernden politischen Parteien. Aber auch in Asien entzündete dies Königstestament den Bürgerkrieg. Im Vertrauen auf die Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende Fremdherrschaft trat ein natürlicher Sohn Eumenes‘ II., Aristonikos in Leukä, einer kleinen Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokäa, als Kronprätendent auf. Phokäa und andere Städte fielen ihm zu; indes von den Ephesiern, die in dem festen Anschluß an Rom die einzige Möglichkeit erkannten, ihre Privilegien sich zu erhalten, zur See auf der Höhe von Kyme geschlagen, mußte er in das Binnenland flüchten. Schon glaubte man ihn verschollen; da erschien er plötzlich wieder an der Spitze der neuen „Bürger der Sonnenstadt“14, das heißt der von ihm in Masse zur Freiheit gerufenen Sklaven, bemächtigte, sich der lydischen Städte Thyateira und Apollonis sowie eines Teils der attalischen Ortschaften und rief Scharen thrakischer Lanzknechte unter seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft. Römische Truppen standen in Asien nicht; die asiatischen Freistädte und die Kontingente der Klientelfürsten von Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien, Pontos, Armenien konnten des Prätendenten sich nicht erwehren; er drang mit gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos ein und gebot schon fast über das gesamte väterliche Reich, als am Ende des Jahres 623 (131) ein römisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr, der Konsul und Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer der reichsten und zugleich einer der gebildetsten Männer Roms und als Redner wie als Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den Prätendenten in Leukä zu belagern, ließ aber während der Vorbereitungen dazu von dem allzu gering geschätzten Gegner sich überraschen und schlagen und ward selbst von einem thrakischen Haufen gefangen. Den Triumph aber, den Oberfeldherrn Roms als Gefangenen zur Schau zu stellen, gönnte er einem solchen Feinde nicht; er reizte die Barbaren, die ihn ergriffen hatten, ohne ihn zu kennen, ihm den Tod zu geben (Anfang 624 130), und erst als Leiche ward der Konsular erkannt. Mit ihm, wie es scheint, fiel König Ariarathes von Kappadokien. Indes ward Aristonikos nicht lange nach diesem Siege von Crassus‘ Nachfolger Marcus Perpenna überfallen, sein Heer zersprengt, er selbst in Stratonikeia belagert und gefangen und bald darauf in Rom hingerichtet. Die Unterwerfung der letzten, noch Widerstand leistenden Städte und die definitive Regulierung der Landschaft übernahm nach Perpennas plötzlichem Tode Manius Aquillius (625 129). Man verfuhr ähnlich wie im karthagischen Gebiet. Der östliche Teil des Attalidenreichs ward den Klientelkönigen überwiesen, um die Römer von dem Grenzschutz und damit von der Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien zu befreien; Telmissos kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europäischen Besitzungen in Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen; das übrige Gebiet ward als neue römische Provinz eingerichtet, der gleich der karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils beigelegt ward, in, dem sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt worden waren, wurden dem Lande erlassen und dasselbe mit gleicher Milde behandelt wie Hellas und Makedonien. So ward der ansehnlichste kleinasiatische Staat eine römische Vogtei.

Die zahlreichen andern Kleinstaaten und Städte Vorderasiens, das Königreich Bithynien, die paphlagonischen und gallischen Fürstentümer, die lykische und die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistädte Kyzikos und Rhodos blieben in ihren bisherigen beschränkten Verhältnissen bestehen.

Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem König Ariarathes V. Philopator (591 – 624 136 – 130), hauptsächlich durch Hilfe der Attaliden, sich gegen seinen von Syrien unterstützten Bruder und Nebenbuhler Holophernes behauptet hatte, wesentlich die pergamenische Politik, sowohl in der unbedingten Hingebung an Rom als in der Richtung auf hellenische Bildung. Durch ihn drang diese ein in das bis dahin fast barbarische Kappadokien und freilich auch sogleich ihre Auswüchse, wie der Bakchosdienst und das wüste Treiben der wandernden Schauspielertruppen, der sogenannten „Künstler“. Zum Lohn der Treue gegen Rom, die dieser Fürst in dem Kampfe gegen den pergamenischen Prätendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein unmündiger Erbe Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem König von Pontos versuchte Usurpation durch die Römer geschirmt, sondern ihm auch der südöstliche Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der östlich daran grenzenden, .in älterer Zeit zu Kilikien gerechneten Landschaft.

Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte „Kappadokien am Meer“ oder kurzweg der „Meerstaat“, Pontos, zu steigender Ausdehnung und Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von Magnesia hatte König Pharnakes I. sein Gebiet weit über den Halys bis nach Tios an, der bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des reichen Sinope sich bemächtigt, das aus einer griechischen Freistadt dieser Könige Residenz ward. Zwar hatten die durch diese Übergriffe gefährdeten Nachbarstaaten, König Eumenes II. an ihrer Spitze, deswegen Krieg gegen ihn geführt (571-575 183-179) und unter römischer Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und Paphlagonien zu räumen; allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, daß Pharnakes sowie sein Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? – 634 156 – 120), treue Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen Aristonikos, nicht bloß jenseits des Halys sitzen geblieben sind, sondern auch der Sache nach die Schutzherrlichkeit über die paphlagonischen und galatischen Dynasten behalten haben. Nur unter dieser Voraussetzung ist es erklärlich, wie Mithradates, angeblich wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, in der Tat für beträchtliche an den römischen Feldherrn gezahlte Summen, von demselben nach Auflösung des Attalischen Reiches Großphrygien empfangen konnte. Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die Euphratquellen das :Pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte, ist nicht genau zu bestimmen; doch scheint es den westlichen Teil von Armenien um Enderes und Diwirigi oder das sogenannte Klein-Armenien als abhängige Satrapie umfaßt zu haben, während Groß –Armenien und Sophene eigene unabhängige Reiche bildeten.

Wenn also auf der kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment führte und, so vieles auch ohne und gegen seinen Willen geschah, doch den Besitzstand im ganzen bestimmt, so blieben dagegen die weiten Strecken jenseits des Taurus und des oberen Euphrat bis hinab zum Niltal in der Hauptsache sich selber überlassen. Zwar der der Regulierung des Ostens von 565 (189) zugrunde gelegte Satz, daß der Halys die Ostgrenze der römischen Klientel bilden solle, ward vom Senat nicht eingehalten und trug auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der politische Horizont ist Selbsttäuschung so gut wie der physische; wenn dem Staate Syrien die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und Kriegselefanten im Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das syrische Heer auf Befehl des römischen Senats das halb gewonnene Ägypten räumte, so lag da in die vollständige Anerkennung der Hegemonie und der Klientel. Darum gingen denn auch die Thronstreitigkeiten in Syrien wie in Ägypten zur Beilegung an die römische Regierung. Dort stritten nach Antiochos Epiphanes‘ Tode (590 164) der als Geisel in Rom lebende Sohn Seleukos des vierten, Demetrios, später Soter genannt, und des letzten Königs Antiochos Epiphanes unmündiger Sohn Antiochos Eupator um die Krone; hier war von den beiden seit 584 (170) gemeinschaftlich regierenden Brüdern der ältere Ptolemaeos Philometor (573-608 146-131) durch den jüngeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den Dicken († 637 117) aus dem Lande getrieben worden (590 164) und, um seine Herstellung zu erwirken, persönlich in Rom erschienen. Beide Angelegenheiten ordnete der Senat lediglich auf diplomatischem Wege und wesentlich nach Maßgabe des römischen Vorteils. In Syrien ward Antiochos Eupator mit Beseitigung des besser berechtigten Demetrios als König anerkannt und mit der Führung der Vormundschaft über den königlichen Knaben der römische Senator Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher, wie begreiflich, durchaus im römischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und das Elefantenheer dem Friedensvertrag von 565 (189) gemäß reduzierte und im besten Zuge war, den militärischen Ruin des Landes zu vollenden. In Ägypten ward nicht bloß Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch, teils um dem Bruderzwist ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer ansehnliche Macht Ägyptens zu schwächen, Kyrene vom Reich getrennt und Euergetes mit demselben abgefunden. „Könige sind, wen die Römer wollen“, schrieb nicht lange nachher ein jüdischer Mann, „und wen sie nicht wollen, den verjagen sie von Land und Leuten“. Allein dies war für lange Zeit das letzte Mal, daß der römische Senat in den Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen Tüchtigkeit und Tatkraft auftrat, welche er in den Verwicklungen mit Philippos, Antiochos und Perseus durchgängig bewährt hatte. Der innerliche Verfall des Regiments wirkte am spätesten, aber wirkte doch endlich auch zurück auf die Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten. Das Regiment ward unstet und unsicher; man ließ die eben erfaßten Zügel erschlaffen und beinahe wieder fahren. Der vormundschaftliche Regent von Syrien ward in Laodikeia ermordet; der zurückgewiesene Prätendent Demetrios entfloh aus Rom und bemächtigte sich unter dem dreisten Vorgeben, daß der römische Senat ihn dazu bevollmächtigt habe, nach Beseitigung des königlichen Knaben der Regierung seines väterlichen Reiches (592 162). Bald nachher brach zwischen den Königen von Ägypten und Kyrene Krieg aus über den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat zuerst dem älteren, sodann dem jüngeren zugeschieden hatte, und im Widerspruch mit der neuesten römischen Entscheidung blieb dieselbe schließlich bei Ägypten. So wurde die römische Regierung, in der Fülle ihrer Macht und während des tiefsten inneren und äußeren Friedens daheim, von den ohnmächtigen Königen des Ostens mit ihren Dekreten verhöhnt, ihr Name gemißbraucht, ihr Mündel und ihr Kommissar ermordet. Als siebzig Jahre zuvor die Illyriker in ähnlicher Weise sich an römischen Abgeordneten vergriffen, hatte der damalige Senat dem Ermordeten auf dem Marktplatz ein Denkmal errichtet und mit Heer und Flotte die Mörder zur Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit ließ dem Gnaeus Octavius gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der Väter es vorschrieb; aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward Demetrios als König des Landes anerkannt – man war ja jetzt so mächtig, daß es überflüssig schien, die Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloß Kypros trotz des entgegenstehenden Senatsbeschlusses bei Ägypten, sondern als nach Philometors Tode (608 146) Euergetes ihm nachfolgte und dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt ward, ließ der Senat auch dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgängen war der römische Einfluß in diesen Landschaften tatsächlich gebrochen und entwickelten sich die Verhältnisse daselbst zunächst ohne Zutun der Römer; doch ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig, auch jetzt den näheren und selbst den ferneren Osten nicht völlig aus den Augen zu verlieren.

Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Ägypten der Status quo sich so leicht nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien dies- und jenseits des Euphrat während und zum Teil infolge dieser momentanen Stockung der römischen Oberleitung die Völker und Staaten sich wesentlich anders. Jenseits der großen iranischen Wüste hatten nicht lange nach Alexander dem Großen am Indus das Reich von Palimbothra unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der mächtige baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und der östlichsten Ausläufer hellenischer Zivilisation sich gebildet. Westwärts von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos dem Großen zwar geschmälert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont bis zu den medischen und persischen Landschaften sich erstreckte und das ganze Stromgebiet des Euphrat und Tigris in sich schloß. Noch jener König hatte seine Waffen bis jenseits der Wüste in das Gebiet der Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der gewaltige Staat angefangen sich aufzulösen. Nicht bloß Vorderasien war infolge der Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gänzliche Lösung der beiden Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien im Nordosten und der Landschaft Sophene im Südwesten, und ihre Verwandlung in selbständige Königreiche aus syrischen Lehnsfürstentümern, gehört dieser Zeit an. Von diesen Staaten gelangte namentlich Großarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer ansehnlichen Stellung. Vielleicht noch gefährlichere Wunden schlug dem Reiche seines Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175-164) törichte Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, daß sein Reich mehr einem Länderbündel als einem Staate glich und daß die Verschiedenheiten der Nationalitäten und der Religionen der Untertanen der Regierung die wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan, hellenisch-römische Weise und hellenisch-römischen Kultus überall in seinem Lande einzuführen und seine Völker in politischer wie in religiöser Hinsicht auszugleichen unter allen Umständen eine Torheit, auch abgesehen davon, daß dieser karikierte Joseph II. persönlich einem solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als gewachsen war und durch Tempelplünderung im großartigsten Maßstab und die tollste Ketzerverfolgung seine Reformen in der übelsten Weise einleitete. Die eine Folge hiervon war, daß die Bewohner der Grenzprovinz gegen Ägypten, die Juden, sonst bis zur Demütigkeit fügsame und äußerst tätige und betriebsame Leute, durch den systematischen Religionszwang zur offenen Empörung gedrängt wurden (um 587 167). Die Sache kam an den Senat, und da derselbe eben damals teils gegen Demetrios Soter mit gutem Grund erbittert war, teils eine Verbindung der Attaliden und Seleukiden besorgte, überhaupt aber die Herstellung einer Mittelmacht zwischen Syrien und Ägypten im Interesse Roms lag, so machte er keine Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der insurgierten Nation sofort anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von Rom für die Juden nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemühen; trotz der Klausel des zwischen den Römern und den Juden abgeschlossenen Vertrags, die den Juden, im Fall sie angegriffen würden, den Beistand Roms versprach, und trotz des an die Könige von Syrien und Ägypten gerichteten Verbots, ihre Truppen durch das jüdische Land zu führen, blieb es natürlich lediglich jenen selbst überlassen, der syrischen Könige sich zu erwehren. Mehr als die Briefe ihrer mächtigen Verbündeten tat für sie die tapfere und umsichtige Leitung des Aufstandes durch das Heldengeschlecht der Makkabäer und die innere Zerrissenheit des Syrischen Reiches: während des Haders zwischen den syrischen Königen Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die Autonomie und Steuerfreiheit förmlich zugestanden (612 142) und bald darauf sogar das Haupt des Makkabäerhauses, Simon, des Mattathias Sohn, von der Nation wie von dem syrischen Großkönig als Hochpriester und Fürst Israels förmlich anerkannt15 (615 139).

Folgenreicher noch als diese Insurrektion der Israeliten war die gleichzeitig und wahrscheinlich aus gleicher Ursache entstandene Bewegung in den östlichen Landschaften, wo Antiochos Epiphanes die Tempel der persischen Götter nicht minder leerte wie den von Jerusalem und dort den Anhängern des Ahuramazda und des Mithra es nicht besser gemacht haben wird wie hier denen des Jehova. Wie in Judäa, nur in weiterem Umfang und in großartigeren Verhältnissen, war das Ergebnis eine Reaktion der einheimischen Weise und der einheimischen Religion gegen den Hellenismus und die hellenischen Götter; die Träger dieser Bewegung waren die Parther und aus ihr entsprang das große Partherreich. Die „Parthwa“ oder Parther, die als eine der zahllosen in das große Perserreich aufgegangenen Völkerschaften früh, zuerst im heutigen Khorasan südöstlich vom Kaspischen Meere begegnen, erscheinen schon seit 500 (250) unter dem skythischen, das heißt turanischen Fürstengeschlecht der Arsakiden als ein selbständiger Staat, der indes erst ein Jahrhundert später aus seiner Dunkelheit hervortrat. Der sechste Arsakes, Mithradates I. (579? – 618? 175-136), ist der eigentliche Gründer der parthischen Großmacht. Ihm erlag das an sich weit mächtigere, aber teils durch die Fehden mit den skythischen Reiterscharen von Turan und mit den Staaten am Indus, teils durch innere Wirren bereits in allen Fugen erschütterte Baktrische Reich. Fast gleiche Erfolge errang er in den Landschaften westlich von der großen Wüste. Das Syrische Reich war eben damals, teils infolge der verfehlten Hellenisierungsversuche des Antiochos Epiphanes, teils durch die nach dessen Tode eintretenden Sukzessionswirren, aufs tiefste zerrüttet und die inneren Provinzen im vollen Zuge, sich von Antiocheia und der Küstenlandschaft abzulösen; in Kommagene zum Beispiel, der nördlichsten Landschaft Syriens an der kappadokischen Grenze, machte der Satrap Ptolemaeos, auf dem entgegengesetzten Ufer des Euphrat im nördlichen Mesopotamien oder der Landschaft Osrhoene der Fürst von Edessa, in der wichtigen Provinz Medien der Satrap Timarchos sich unabhängig; ja der letztere ließ sich vom römischen Senat seine Unabhängigkeit bestätigen und herrschte, gestützt auf das verbündete Armenien, bis hinab nach Seleukeia am Tigris. Unordnungen dieser Art waren im Asiatischen Reiche in Permanenz, sowohl die Provinzen unter ihren halb oder ganz unabhängigen Satrapen in ewigem Aufstand als auch die Hauptstadt mit ihrem gleich dem römischen und dem alexandrinischen zuchtlosen und widerspenstigen Pöbel. Die gesamte Meute der Nachbarkönige, Ägypten, Armenien, Kappadokien, Pergamon, mengte unaufhörlich sich in die Angelegenheiten Syriens und nährte die Erbfolgestreitigkeiten, so daß der Bürgerkrieg und die faktische Teilung der Herrschaft unter zwei oder mehr Prätendenten fast zur stehenden Landplage ward. Die römische Schutzmacht, wenn sie die Nachbarn nicht aufstiftete, sah untätig zu. Zu allem diesem drängte von Osten her das neue Partherreich, nicht bloß mit seiner materiellen Macht, sondern auch mit dem ganzen Übergewicht seiner nationalen Sprache und Religion, seiner nationalen Heer- und Staatsverfassung auf die Fremdlinge ein. Es ist hier noch nicht der Ort dies regenerierte Kyrosreich zu schildern; es genügt im allgemeinen, daran zu erinnern, daß, so mächtig auch in ihm noch der Hellenismus auftritt, dennoch der parthische Staat, verglichen mit dem der Seleukiden, auf einer nationalen und religiösen Reaktion beruht und die alte iranische Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die orientalische Lehnsverfassung, die Reiterei der Wüste und Pfeil und Bogen hier zuerst dem Hellenismus wieder übermächtig entgegentraten. Die Lage der Reichskönige diesem allem gegenüber war in der Tat beklagenswert. Das Geschlecht der Seleukiden war keineswegs so entnervt wie zum Beispiel das der Lagiden, und einzelnen derselben mangelte es nicht an Tapferkeit und Fähigkeit; sie wiesen auch wohl den einen oder den andern jener zahllosen Rebellen, Prätendenten und Intervenienten in seine Schranken zurück; aber es fehlte ihrer Herrschaft so sehr an einer festen Grundlage, daß sie dennoch der Anarchie nicht auch nur vorübergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein mußte. Die östlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschützten oder gar aufrührerischen Satrapen gerieten unter parthische Botmäßigkeit; Persien, Babylonien, Medien wurden auf immer vom Syrischen Reiche getrennt; der neue Staat der Parther reichte zu beiden Seiten der großen Wüste vom Oxus und Hindukusch bis zum Tigris und zur Arabischen Wüste, wiederum gleich dem Perserreich und all den älteren asiatischen Großstaaten eine reine Kontinentalmonarchie und wiederum eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde begriffen einerseits mit den Völkern von Turan, andererseits mit den Okzidentalen. Der Syrische Staat umfaßte außer der Küstenlandschaft höchstens noch Mesopotamien und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerrüttung als seiner Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Großstaaten. Wenn die mehrfach drohende gänzliche Unterjochung des Landes durch die Parther unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden, noch weniger dem Einfluß Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den vielfältigen inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem den Einfällen der turanischen Steppenvölker in dessen östliche Landschaften.

Diese Umwandlung der Völkerverhältnisse im inneren Asien ist der Wendepunkt in der Geschichte des Altertums. Auf die Völkerflut, die bisher von Westen nach Osten sich ergossen und in dem großen Alexander ihren letzten und höchsten Ausdruck gefunden hatte, folgt die Ebbe. Seit der Partherstaat besteht, ist nicht bloß verloren, was in Baktrien und am Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten haben mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurück in das seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte Geleise. Der römische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik Alexanders und leitet damit jene rückläufige Bewegung ein, deren letzte Ausläufer im Alhambra von Granada und in der Großen Moschee von Konstantinopel endigen. Solange noch das Land von Ragä und Persepolis bis zum Mittelmeer dem König von Antiochia gehorchte, erstreckte auch Roms Macht sich bis an die Grenze der großen Wüste; der Partherstaat, nicht weil er so gar mächtig war, sondern weil er seinen Schwerpunkt fern von der Küste, im inneren Asien fand, konnte niemals eintreten in die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander hatte die Welt den Okzidentalen allein gehört und schien der Orient für diese nur zu sein, was später Amerika und Australien für die Europäer wurden; mit Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen Bewegung. Die Welt hatte wieder zwei Herren.

Es ist noch übrig, auf die maritimen Verhältnisse dieser Zeit einen Blick zu werfen, obwohl darüber sich kaum etwas anderes sagen läßt, als daß es nirgends mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, Syriens Kriegsflotte vertragsmäßig zugrunde gerichtet, Ägyptens einst so gewaltige Kriegsmarine unter seinen gegenwärtigen schlaffen Regenten in tiefem Verfall. Die kleineren Staaten und namentlich die Kaufstädte hatten wohl einige bewaffnete Fahrzeuge, aber sie genügten nicht einmal für die im Mittelmeere so schwierige Unterdrückung des Seeraubs. Mit Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der führenden Macht im Mittelmeer. Wie ein Jahrhundert zuvor die Römer eben hierin mit besonderer und wohltätiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich im Osten ihre Suprematie zunächst eingeführt hatten durch die zum allgemeinen Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die vollständige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den furchtbar raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene Flotte besaß Rom nicht mehr; man begnügte sich, wenn es nötig schien, von den italischen, den kleinasiatischen und den sonstigen Seestädten Schiffe einzufordern. Die Folge war natürlich, daß das Flibustierwesen sich organisierte und konsolidierte. Zu dessen Unterdrückung geschah nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit die unmittelbare Macht der Römer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen Meer. Die gegen die dalmatischen und ligurischen Küsten in dieser Epoche gerichteten Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrückung des Seeraubs in den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im Jahre 631 (123) die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den mauretanischen und den griechischen Gewässern blieb es den Anwohnern und den Schiffern überlassen, mit den Korsaren auf die eine oder die andere Weise sich abzufinden, da die römische Politik daran festhielt sich um diese entfernteren Gegenden so wenig wie irgend möglich zu kümmern. Die zerrütteten und bankerotten Gemeinwesen in den also sich selbst überlassenen Küstenstaaten wurden hierdurch natürlich zu Freistätten der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien nicht. Am ärgsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch eine glückliche Lage und die Schwäche oder Schlaffheit der Großstaaten des Westens und Ostens allein unter allen griechischen Ansiedlungen seine Unabhängigkeit bewahrt hatte; die römischen Kommissionen kamen und gingen freilich auch auf dieser Insel, aber richteten hier noch weniger aus als selbst in Syrien und Ägypten. Fast schien es aber, als habe das Schicksal den Kretern die Freiheit nur gelassen um zu zeigen, was herauskomme bei der hellenischen Unabhängigkeit. Es war ein schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen war ähnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wüste Demokratie, der ritterliche Sinn der Bewohner in eine wilde Rauf- und Beutegier; ein achtbarer Hellene selbst bezeugt es, daß allein auf Kreta nichts für schimpflich gelte, was einträglich sei, und noch der Apostel Paulus führt billigend den Spruch eines kretischen Dichters an: „Lügner sind all, Faulranzen, unsaubere Tiere die Kreter.“ Die ewigen Bürgerkriege verwandelten trotz der römischen Friedensstiftungen auf der alten „Insel der hundert Städte“ eine blühende Ortschaft nach der andern in Ruinenhaufen. Ihre Bewohner durchstreiften als Räuber die Heimat und die Fremde, die Länder und die Meere; die Insel ward der Werbeplatz für die umliegenden Königreiche, seit dieser Unfug im Peloponnes nicht mehr geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der Piraterie, wie denn zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine kretische Korsarenflotte völlig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel zugefügten Schlägen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine letzten Kräfte in den Kriegen, die es zur Unterdrückung der Piraterie gegen die Kreter zu führen sich genötigt sah (um 600 150) und in denen die Römer zwar zu vermitteln suchten, indes ohne Ernst und, wie es scheint, ohne Erfolg.

Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, für diese Flibustierwirtschaft eine zweite Heimat zu werden; und es war nicht bloß die Ohnmacht der syrischen Herrscher, die ihr hier Vorschub tat: der Usurpator Diodotos Tryphon, der sich vom Sklaven zum König Syriens aufgeschwungen hatte (608-615 146-139), förderte, um durch Korsarenhilfe seinen Thron zu befestigen, in seinem Hauptsitz, dem Rauhen oder westlichen Kilikien, mit allen Mitteln von oben herab die Piraterie. Der ungemein gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die zugleich die hauptsächlichsten Sklavenfänger und Sklavenhändler waren, verschaffte ihnen bei dem kaufmännischen Publikum, sogar in Alexandreia, Rhodos und Delos eine gewisse Duldung, an der selbst die Regierungen wenigstens durch Passivität sich beteiligten. Das Übel ward so ernsthaft, daß der Senat um 611 (143) seinen besten Mann, Scipio Aemilianus, nach Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort und Stelle zu ermitteln, was sich dabei tun lasse. Allein diplomatische Vorstellungen der Römer machten die schwachen Regierungen nicht stark; es gab keine andere Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen Gewässern zu unterhalten, wozu es wieder der römischen Regierung an Energie und Konsequenz gebrach. So blieb eben alles beim alten, die Piratenflotte die einzige ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der Menschenfang das einzige daselbst blühende Gewerbe. Die römische Regierung sah den Dingen zu, die römischen Kaufleute aber standen als die besten Kunden auf dem Sklavenmarkt mit den Piratenkapitänen als den bedeutendsten Großhändlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in regem und freundlichem Geschäftsverkehr.

Wir haben die Umgestaltung der äußeren Verhältnisse Roms und der römisch-hellenischen Welt überhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht bei Pydna bis auf die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil und zum Euphrat begleitet. Es war eine große und schwierige Aufgabe, die Rom mit dem Regimente dieser römisch-hellenischen Welt übernahm; sie ward nicht völlig verkannt, aber keineswegs gelöst. Die Unhaltbarkeit des Gedankens der catonischen Zeit, den Staat auf Italien zu beschränken und außerhalb Italiens nur durch Klientel zu herrschen, ward von den leitenden Männern der folgenden Generation wohl begriffen und wohl die Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle dieses Klientelregiments eine die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare Herrschaft Roms zu setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch und gleichmäßig durchzuführen, wurden einzelne Landschaften eingezogen, wo eben Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu führten, wogegen der größere Teil des Klientelgebiets entweder in der unerträglichen Halbheit seiner bisherigen Stellung verblieb oder gar, wie namentlich Syrien, sich gänzlich dem Einfluß Roms entzog. Aber auch das Regiment selbst ging mehr und mehr auf in einem schwächlichen und kurzsichtigen Egoismus. Man begnügte sich von heute auf morgen zu regieren und nur eben die laufenden Geschäfte notdürftig zu erledigen. Man war gegen die Schwachen der strenge Herr – als die Stadt Mylasa in Karien dem Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines Sturmbocks einen andern Balken als den verlangten sandte, ward der Vorstand der Stadt deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein schlechter Mann und ein streng rechtlicher Beamter. Dagegen ward die Strenge da vermißt, wo sie an ihrem Platz gewesen wäre, wie gegen die angrenzenden Barbaren und gegen die Piraten. Indem die Zentralregierung auf jede Oberleitung und jede Übersicht der Provinzialverhältnisse Verzicht tat, gab sie dem jedesmaligen Vogt nicht bloß die Interessen der Untertanen, sondern auch die des Staates vollständig preis. Die spanischen Vorgänge, unbedeutend an sich, sind hierfür belehrend. Hier, wo die Regierung weniger als in den übrigen Provinzen sich auf die bloße Zuschauerrolle beschränken konnte, wurde nicht bloß von den römischen Statthaltern das Völkerrecht geradezu mit Füßen getreten und durch eine Wort- und Treulosigkeit sondergleichen, durch das frevelhafteste Spiel mit Kapitulationen und Verträgen, durch Niedermetzelung untertäniger Leute und Mordanstiftung gegen die feindlichen Feldherren die römische Ehre dauernd im Kote geschleift, sondern es ward auch gegen den ausgesprochenen Willen der römischen Oberbehörde Krieg geführt und Friede geschlossen und aus unbedeutenden Vorfällen; wie zum Beispiel dem Ungehorsam der Numantiner, durch eine seltene Vereinigung von Verkehrtheit und Verruchtheit eine für den Staat verhängnisvolle Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah, ohne daß in Rom auch nur eine ernstliche Bestrafung deswegen verfügt ward. Über die Besetzung der wichtigsten Stellen und die Behandlung der bedeutendsten politischen Fragen entschieden nicht bloß die Sympathien und Rivalitäten der verschiedenen Senatskoterien mit, sondern es fand selbst schon das Gold der auswärtigen Dynasten Eingang bei den Ratsherren von Rom. Als der erste, der mit Erfolg versuchte, den römischen Senat zu bestechen, wird Timarchos genannt, der Gesandte des Königs Antiochos Epiphanes von Syrien († 590 164); bald wurde die Beschenkung einflußreicher Senatoren durch auswärtige Könige so gewöhnlich, daß es auffiel, als Scipio Aemilianus die im Lager vor Numantia ihm von dem König von Syrien zugekommenen Gaben in die Kriegskasse einwarf. Durchaus ließ man den alten Grundsatz fallen, daß der Lohn der Herrschaft einzig die Herrschaft und die Herrschaft ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie ein Recht und ein Vorteil sei. So kam die neue Staatswirtschaft auf, welche von der Besteuerung der Bürger absah und dagegen die Untertanenschaft als einen nutzbaren Besitz der Gemeinde teils von Gemeinde wegen ausbeutete, teils der Ausbeutung durch die Bürger überlieferte; nicht bloß wurde dem rücksichtslosen Geldhunger des römischen Kaufmanns in der Provinzialverwaltung mit frevelhafter Nachgiebigkeit Spielraum gestattet, sondern es wurden sogar die ihm mißliebigen Handelsrivalen durch die Heere des Staats aus dem Wege geräumt und die herrlichsten Städte der Nachbarländer nicht der Barbarei der Herrschsucht, sondern der weit scheußlicheren Barbarei der Spekulation geopfert. Durch den Ruin der älteren, der Bürgerschaft allerdings schwere Opfer auferlegenden Kriegsordnung grub der am letzten Ende doch nur auf seinem militärischen Übergewicht ruhende Staat sich selber die Stütze ab. Die Flotte ließ man ganz eingehen, das Landkriegswesen in der unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung der asiatischen und afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen abgewälzt und was man nicht von sich abwälzen konnte, wie die italische, makedonische und spanische Grenzverteidigung, in der elendesten Weise verwaltet. Die besseren Klassen fingen an so sehr aus dem Heere zu verschwinden, daß es schon schwer hielt, für die spanischen Heere die erforderliche Anzahl von Offizieren aufzutreiben. Die immer steigende Abneigung namentlich gegen den spanischen Kriegsdienst in Verbindung mit der von den Beamten bei der Aushebung bewiesenen Parteilichkeit nötigten im Jahre 602 (152) zum Aufgeben der alten Übung, die Auswahl der erforderlichen Anzahl Soldaten aus der dienstpflichtigen Mannschaft dem freien Ermessen der Offiziere zu überlassen, und zu deren Ersetzung durch das Losen der sämtlichen Dienstpflichtigen – sicher nicht zum Vorteil des militärischen Gemeingeistes und der Kriegstüchtigkeit der einzelnen Abteilungen. Die Behörden, statt mit Strenge durchzugreifen, erstreckten die leidige Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal ein Konsul für den spanischen Dienst pflichtmäßig strenge Aushebungen veranstaltete, so machten die Tribune Gebrauch von ihrem verfassungsmäßigen Recht, ihn zu verhaften (603, 616 151,138); und es ward schon bemerkt, daß Scipios Ansuchen, ihm für den Numantinischen Krieg die Aushebung zu gestatten, vom Senat geradezu abgeschlagen ward. Schon erinnern denn auch die römischen Heere vor Karthago oder Numantia an jene syrischen Armeen, in denen die Zahl der Bäcker, Köche, Schauspieler und sonstigen Nichtkombattanten die der sogenannten Soldaten um das Vierfache überstieg; schon geben die römischen Generale ihren karthagischen Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und werden die Kriege in Afrika wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien regelmäßig mit Niederlagen eröffnet; schon schweigt man still zu der Ermordung des Gnaeus Octavius, schon ist Viriathus‘ Meuchelmord ein Meisterwerk der römischen Diplomatie, schon die Eroberung von Numantia eine Großtat. Wie völlig der Begriff von Volks- und Mannesehre bereits den Römern abhanden gekommen war, zeigte mit epigrammatischer Schärfe die Bildsäule des entkleideten und gebundenen Mancinus, welche dieser selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in Rom sich setzen ließ. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere Kraft wie seine äußere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkämpfen gewonnene Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal behauptet. Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu bewahren; jenes hatte der römische Senat vermocht, an diesem ist er gescheitert.

  1. Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et conciliabulum civium Romanorum hieß; ähnlich ist später Aquae Sextiae in Gallien entstanden. Die Entstehung überseeischer Bürgergemeinden beginnt erst später mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwürdig, daß in gewissem Sinne doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte.
  2. Die Chronologie des Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es steht fest, daß Viriathus‘ Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert (App. Hisp. 61; Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und daß er 615 (130) umkam (Diod. Vat. p. 110 u. a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht (App. Hisp. 63), zehn (Iust. 44, 2), elf (Diod. p. 597), fünfzehn (Liv. 54; Eutr. 4, 16; Oros. hist. 5, 4; Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre (Vell. 2, 90) berechnet. Der erste Ansatz hat deswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil Viriathus‘ Auftreten sowohl bei Diodor (p. 591; Vat. p. 107 108) wie auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die Zerstörung von Korinth angeknüpft wird. Von den römischen Statthaltern, mit denen sich Viriathus schlug, gehören ohne Zweifel mehrere der nördlichen Provinz an, da Viriathus zwar vorwiegend, aber nicht ausschließlich in der südlichen tätig war (Liv. 52); man darf also nicht nach der Zahl dieser Namen die Zahl der Jahre seiner Feldherrnschaft berechnen.
  3. Der Zug der Küste ist im Laufe der Jahrhunderte so verändert worden, daß man an der alten Stätte die ehemaligen Lokalverhältnisse nur unvollkommen wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap Kartadschena, auch von dem dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu Said genannt, die in den Golf hineinragende östliche Spitze der Halbinsel und ihr höchster 393 Fuß über dem Meere gelegener Punkt.
  4. Die von C. E. Beulé (Fouilles à Carthage. Paris 1861) mitgeteilten Tiefmaße sind in Metern und in griechischen Fuß (1 = 0,309):
  5. oder, wie Diodor (p. 522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1½ Fuß), während Livius (bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die eine andere, minder genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu haben scheinen, die Mauertiefe auf 30 Fuß ansetzen. Die dreifache Mauer Appians, über die bisher durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche Vorstellung verbreitet war, ist die Außenmauer, die Vorder- und die Hintermauer der Kasematten. Daß dies Zusammentreffen nicht zufällig ist und wir hier in der Tat die Überreste der berühmten karthagischen Mauer vor uns haben, wird jedem einleuchten; N. Davis‘ Einwürfe (Carthage and her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, daß gegen die wesentlichen Ergebnisse Beulés auch mit dem besten Willen wenig auszurichten ist. Nur muß man festhalten, daß die alten Berichterstatter die Angaben, um die es sich handelt, sämtlich nicht von der Burgmauer geben, sondern von der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Südseite des Burghügels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu stimmt, daß die Ausgrabungen auf dem Burghügel gegen Osten, Norden und Westen nirgends Spuren von Befestigungen, dagegen an der Südseite eben jene großartigen Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund vorhanden, dieselben als Überreste einer besonderen, von der Stadtmauer verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; weitere Grabungen in entsprechender Tiefe – das Fundament der an der Byrsa aufgefundenen Stadtmauer liegt 56 Fuß unter dem heutigen Boden – werden vermutlich längs der ganzen Landseite gleiche oder doch ähnliche Fundamente zu Tage fördern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt Magalia sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von Haus aus schwächer gewesen oder früh vernachlässigt worden ist. Wie lang die Mauer im ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; doch ergibt sich, da 300 Elefanten hier Stallung fanden und auch deren Futtermagazine und vielleicht noch andere Räumlichkeiten sowie die Tore in Anrechnung zu bringen sind, schon hieraus eine sehr ansehnliche Längenentwicklung. Daß die innere Stadt, in deren Mauer die Byrsa einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders ummauerten Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117; Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich.
  6. Οιος πέπυται, τοί δέ σκιαί αίσσουσιν.
  7. Als Handelsstraße zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als diejenige nämlich, in deren Mitte die kerkyräischen Weinkrüge den thasischen und lesbischen begegnen, kennt diese Straße schon der Verfasser der pseudo-aristotelischen Schrift ‚Von den merkwürdigen Dingen‘. Auch heute noch läuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung von Durazzo, die Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von Ochrida (Lychnitis) durchschneidend, über Monastir nach Saloniki.
  8. Aus den sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in Spanien sind noch mehrere mit Mummius‘ Namen bezeichnete Basen bekannt, die einst solche Beutegaben trugen.
  9. Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146) römische Provinz geworden sei oder nicht, läuft in der Hauptsache auf einen Wortstreit hinaus. Daß die griechischen Gemeinden durchgängig „frei“ blieben (CIG 1543, 15; Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar. 9, 31), ist ausgemacht; aber nicht minder ist es ausgemacht, daß Griechenland damals von den Römern „in Besitz genommen ward“ (Tac. arm. 14, 21; 1. Makk. 8, 9,10); daß von da an jede Gemeinde einen festen Zins nach Rom entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. prov. 3, 5), die kleine Insel Gyaros zum Beispiel jährlich 150 Drachmen (Strab. 10, 485); daß die „Ruten und Beile“ des römischen Statthalters fortan auch in Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, 21, 55) und derselbe die Oberaufsicht über die Stadtverfassungen (CIG 1543) sowie in gewissen Fällen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim. 2) fortan ebenso übte wie bis dahin der römische Senat; daß endlich die makedonische Provinzialära auch in Griechenland im Gebrauch war. Zwischen diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein anderer als derjenige, welcher überhaupt in der Stellung der freien Städte liegt, welche bald als außerhalb der Provinz stehend (z. B. Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, 26), bald als der Provinz zugeteilt (z. B. los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet werden. Der römische Domanialbesitz in Griechenland beschränkte sich zwar auf den Korinthischen Acker und etwa einige Stücke von Euböa (CIG 5879) und eigentliche Untertanen gab es dort gar nicht; allein darum konnte dennoch, wenn man auf das tatsächlich zwischen den griechischen Gemeinden und dem makedonischen Statthalter bestehende Verhältnis sieht, ebenso wie Massalia zur Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz Makedonien, auch Griechenland zu der makedonischen Provinz gerechnet werden. Es finden sich sogar noch viel weitergehende Fälle: Das Cisalpinische Gallien bestand seit 655 (89) aus lauter Bürger- oder latinischen Gemeinden und ward dennoch durch Sulla Provinz; ja in der caesarischen Zeit begegnen Landschaften, die ausschließlich aus Bürgergemeinden bestehen und die dennoch keineswegs aufhören, Provinzen zu sein. Sehr klar tritt hier der Grundbegriff der römischen provincia hervor; sie ist zunächst nichts als das „Kommando“ und alle Verwaltungs- und Jurisdiktionstätigkeit des Kommandanten sind ursprünglich Nebengeschäfte und Korollarien seiner militärischen Stellung.
  10. Andererseits muß dagegen, wenn man die formelle Souveränität der freien Gemeinden ins Auge faßt, zugestanden werden, daß durch die Ereignisse des Jahres 608 (146) Griechenlands Stellung staatsrechtlich sich nicht änderte: es waren mehr faktische als rechtliche Verschiedenheiten, daß statt der Achäischen Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden Achaias als tributäre Klientelstaaten neben Rom standen und daß seit Einrichtung der römischen Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt der hauptstädtischen Behörden die Oberaufsicht über die griechischen Klientelstaaten übernahm. Man kann demnach, je nachdem die tatsächliche oder die formelle Auffassung überwiegt, Griechenland als Teil des Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; indes wird der ersteren Auffassung mit Recht das Übergewicht eingeräumt.
  11. Ein merkwürdiger Beleg dafür ist die Benennung der feinen griechischen Bronze- und Kupferwaren die in der ciceronischen Zeit ohne Unterschied „korinthisches“ oder „delisches Kupfer“ genannt werden. Die Bezeichnung ist in Italien begreiflicherweise nicht von den Fabrikations-, sondern von den Exportplätzen hergenommen (Plin. nat. 34, 2, 9); womit natürlich nicht geleugnet wird, daß dergleichen Gefäße auch in Korinth und Delos selbst fabriziert wurden.
  12. Mehrere vor kurzem (SB München, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene Schreiben der Könige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester von Pessinus, welcher durchgängig Attis heißt (vgl. Polyb. 22, 20), erläutern diese Verhältnisse sehr anschaulich. Das älteste derselben und das einzige datierte, geschrieben im 34. Regierungsjahre des Eumenes am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiäos, also 590/91 der Stadt (164/63), bietet dem Priester militärische Hilfe an, um den (sonst nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu entreißen. Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den König als Partei in der Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen Bruder Aiorix. Ohne Zweifel gehörten beide Handlungen des Eumenes zu denjenigen, die in den Jahren 590f. (164) in Rom zur Anzeige kamen als Versuche desselben, sich in die gallischen Angelegenheiten auch fernerhin zu mengen und dort seine Parteigenossen zu stützen (Polyb. 31, 6, 9; 32, 3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben seines Nachfolgers Attalos hervor, wie sich die Zeiten geändert und die Wünsche herabgestimmt hatten. Der Priester Attis scheint auf einer Zusammenkunft in Apameia von Attalos abermals die Zusage bewaffneter Hilfe erhalten zu haben; nachher aber schreibt ihm der König, daß in einem deswegen abgehaltenen Staatsrat, dem Athenäos (sicher der bekannte Bruder des Königs), Sosandros, Menogenes, Chloros und andere Verwandte (αναγκαίοι) beigewohnt hätten, nach langem Schwanken endlich die Majorität dem Chloros dahin beigetreten sei, daß nichts geschehen dürfe, ohne die Römer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein Erfolg erreicht werde, setzte man sich dem Wiederverlust und dem bösen Verdacht aus, „den sie auch gegen den Bruder“ (Eumenes II.) „gehegt hätten“.
  13. In demselben Testament gab der König seiner Stadt Pergamon die „Freiheit“, das heißt die δημοκρατία, das städtische Selbstregiment. Laut einer merkwürdigen, kürzlich dort gefundenen Urkunde (Römisches Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloß nach Eröffnung des Testaments, aber vor dessen Bestätigung durch die Römer der also konstituierte Demos den bisher vom Bürgerrecht ausgeschlossenen Klassen der Bevölkerung, insbesondere den im Zensus aufgeführten Paröken und den in Stadt und Land wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das städtische Bürgerrecht zu verleihen, um also ein gutes Einverständnis in der gesamten Bevölkerung herbeizuführen. Offenbar wollte die Bürgerschaft, indem sie die Römer vor die vollendete Tatsache dieser umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem eigentlichen Eintreten der römischen Herrschaft sich gegen dieselbe in Verfassung setzen und den fremden Gebietern die Möglichkeit nehmen, die Rechtsverschiedenheiten innerhalb der Bevölkerung zur Sprengung der Gemeindefreiheit zu benutzen.
  14. Diese seltsamen „Heliopoliten“ sind, nach der mir von einem Freunde geäußerten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, daß die befreiten Sklaven als Bürger einer umgenannten oder auch vielleicht für jetzt nur gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die ihren Namen von dem in Syrien hochverehrten Sonnengott empfing.
  15. Von ihm rühren die Münzen her mit der Aufschrift „Shekel Israel“ und der Jahreszahl des „heiligen Jerusalem“ oder „der Erlösung Sions“. Die ähnlichen mit dem Namen Simons, des Fürsten (Nessi) Israel, gehören nicht ihm, sondern dem Insurgentenführer Bar Kochba unter Hadrian.

2. Kapitel


2. Kapitel

Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus

Ein volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der römische Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberfläche bewegten Ruhe. Das Gebiet dehnte über die drei Weltteile sich aus; der Glanz der römischen Macht und der Ruhm des römischen Namens waren in dauerndem Steigen; aller Augen ruhten auf Italien, alle Talente, aller Reichtum strömten dahin: eine goldene Zeit friedlicher Wohlfahrt und geistigen Lebensgenusses schien dort beginnen zu müssen. Mit Bewunderung erzählten sich die Orientalen dieser Zeit von der mächtigen Republik des Westens, „die die Königreiche bezwang fern und nah, und wer ihren Namen vernahm, der fürchtete sich; mit den Freunden und Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war bei den Römern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte keiner im Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn machten, auf den hörten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch Zwietracht.“

So schien es in der Ferne; in der Nähe sahen die Dinge anders aus. Das Regiment der Aristokratie war im vollen Zuge, sein eigenes Werk zu verderben. Nicht als wären die Söhne und Enkel der Besiegten von Cannae und der Sieger von Zama so völlig aus der Art ihrer Väter und Großväter geschlagen; es waren weniger andere Menschen, die jetzt im Senate saßen, als eine andere Zeit. Wo eine geschlossene Zahl alter Familien festgegründeten Reichtums und ererbter staatsmännischer Bedeutung das Regiment führt, wird sie in den Zeiten der Gefahr eine ebenso unvergleichlich zähe Folgerichtigkeit und heldenmütige Opferfähigkeit entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe kurzsichtig, eigensüchtig und schlaff regieren – zu dem einen wie dem andern liegen die Keime im Wesen der Erblichkeit und der Kollegialität. Der Krankheitsstoff war längst vorhanden, aber ihn zu entwickeln bedurfte es der Sonne des Glückes. In Catos Frage, was aus Rom werden solle, wenn es keinen Staat mehr zu fürchten haben werde, lag ein tiefer Sinn. Jetzt war man so weit: jeder Nachbar, den man hätte fürchten mögen, war politisch vernichtet, und von den Männern, welche unter der alten Ordnung der Dinge, in der ernsten Schule des Hannibalischen Krieges erzogen waren und aus denen der Nachklang jener gewaltigen Zeit bis in ihr spätestes Alter noch widerhallte, rief der Tod einen nach dem andern ab, bis endlich auch die Stimme des letzten von ihnen, des alten Cato, im Rathaus und auf dem Marktplatz verstummte. Eine jüngere Generation kam an das Regiment, und ihre Politik war eine arge Antwort auf jene Frage des alten Patrioten. Wie das Untertanenregiment und die äußere Politik unter ihren Händen sich gestalteten, ist bereits dargelegt worden. Womöglich noch mehr ließ man in den inneren Angelegenheiten das Schiff vor dem Winde treiben; wenn man unter innerem Regiment mehr versteht als die Erledigung der laufenden Geschäfte, so ward in dieser Zeit überhaupt in Rom nicht regiert. Der einzige leitende Gedanke der regierenden Korporation war die Erhaltung und womöglich Steigerung ihrer usurpierten Privilegien. Nicht der Staat hatte für sein höchstes Amt ein Anrecht auf den rechten und den besten Mann, sondern jedes Glied der Kamaraderie ein angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz der Standesgenossen noch durch Übergriffe der Ausgeschlossenen zu verkürzendes Anrecht auf das höchste Staatsamt. Darum steckte die Clique zu ihrem wichtigsten politischen Ziel sich die Beschränkung der Wiederwahl zum Konsulat und die Ausschließung der „neuen Menschen“; es gelang denn auch in der Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich untersagt zu erhalten16 und auszureichen mit einem Regiment adliger Nullitäten. Auch die Tatenlosigkeit der Regierung nach außen hin hängt ohne Zweifel mit dieser gegen die Bürgerlichen ausschließenden und gegen die einzelnen Standesglieder mißtrauischen Adelspolitik zusammen. Man konnte gemeine Leute, deren Adelsbrief ihre Taten waren, von den lauteren Kreisen der Aristokratie nicht sicherer fern halten, als indem man überhaupt es keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch würde dem bestehenden Regiment der allgemeinen Mittelmäßigkeit selbst ein adliger Eroberer Syriens oder Ägyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings fehlte es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis zu einem gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege. Die Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst oder gelegentlich durch außerordentliche Kommissionen über die Provinzialbeamten ausübte, reichte anerkanntermaßen nicht aus; es war eine für das ganze öffentliche Leben der römischen Gemeinde folgenreiche Neuerung, daß im Jahre 605 (149) auf Vorschlag des Lucius Calpurnius Piso eine ständige Senatorenkommission (quaestio ordinaria) niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die vorgesetzten römischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen Formen zu prüfen. Man suchte die Komitien von dem übermächtigen Einfluß der Aristokratie zu emanzipieren. Die Panazee auch der römischen Demokratie war die geheime Abstimmung in den Versammlungen der Bürgerschaft, welche zuerst für die Magistratswahlen durch das Gabinische (615 139), dann für die Volksgerichte durch das Cassische (617 137), endlich für die Abstimmung über Gesetzvorschläge durch das Papirische Gesetz (623 131) eingeführt ward. In ähnlicher Weise wurden bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluß angewiesen, bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf den bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu verzichten. In diesen auf die Emanzipation der Wählerschaft von dem regierenden Herrenstand gerichteten Maßregeln mochte die Partei, die sie veranlaßte, vielleicht den Anfang zu einer Regeneration des Staates erblicken; in der Tat ward dadurch in der Nichtigkeit und Unfreiheit des gesetzlich höchsten Organs der römischen Gemeinde auch nicht das mindeste geändert, ja dieselbe allen, die es anging und nicht anging, nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso eitel war die förmliche Anerkennung der Unabhängigkeit und Souveränität der Bürgerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres Versammlungsplatzes von der alten Dingstatt unter dem Rathaus auf den Marktplatz zuteil ward (um 609 145).

Aber diese Fehde der formalen Volkssouveränität gegen die tatsächlich bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die Parteiphrasen prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war in den wirklich und unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig zu spüren. Das ganze siebente Jahrhundert hindurch bildeten die jährlichen Gemeindewahlen zu den bürgerlichen Ämtern, namentlich zum Konsulat und zur Zensur, die eigentlich stehende Tagesfrage und den Brennpunkt des politischen Treibens; aber nur in einzelnen seltenen Fällen waren in den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte politische Prinzipien verkörpert; regelmäßig blieben dieselben rein persönliche Fragen und war es für den Gang der Angelegenheiten gleichgültig, ob die Majorität der Wahlkörper dem Cäcilier oder dem Cornelier zufiel. Man entbehrte also dessen, was die Übelstände des Parteilebens alle überträgt und vergütet, der freien und gemeinschaftlichen Bewegung der Massen nach dem als zweckmäßig erkannten Ziel, und duldete sie dennoch alle lediglich zum Frommen des kleinen Spiels der herrschenden Koterien.

Es war dem römischen Adligen verhältnismäßig leicht, die Ämterlaufbahn als Quästor und Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des Konsulats und der Zensur war auch ihm nur durch große und jahrelange Anstrengungen möglich. Der Preise waren viele, aber der lohnenden wenige; die Kämpfer liefen, wie ein römischer Dichter einmal sagt, wie in einer an den Schranken weiten, allmählich mehr und mehr sich verengenden Bahn. Das war recht, solange das Amt war, wie es hieß, eine „Ehre“, und militärische, politische, juristische Kapazitäten wetteifernd um die seltenen Kränze warben; jetzt aber hob die tatsächliche Geschlossenheit der Nobilität den Nutzen der Konkurrenz auf und ließ nur ihre Nachteile übrig. Mit wenigen Ausnahmen drängten die den regierenden Familien angehörenden jungen Männer sich in die politische Laufbahn, und der hastige und unreife Ehrgeiz griff bald zu wirksameren Mitteln, als nützliche Tätigkeit für das gemeine Beste war. Die erste Bedingung für die öffentliche Laufbahn wurden mächtige Verbindungen; dieselbe begann also nicht wie sonst im Lager, sondern in den Vorzimmern der einflußreichen Männer. Was sonst nur Schutzbefohlene und Freigelassene getan, daß sie ihrem Herrn am frühen Morgen aufzuwarten kamen und öffentlich in seinem Gefolge erschienen, das übertrug sich jetzt auf die neue vornehme Klientel. Aber auch der Pöbel ist ein großer Herr und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel fing an, es als sein Recht zu fordern, daß der künftige Konsul in jedem Lumpen von der Gasse das souveräne Volk erkenne und ehre und jeder Bewerber bei seinem „Umgang“ (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei Namen begrüße und ihm die Hand drücke. Bereitwillig ging die vornehme Welt ein auf diesen entwürdigenden Ämterbettel. Der richtige Kandidat kroch nicht bloß im Palast, sondern auch auf der Gasse und empfahl sich der Menge durch Liebäugeleien, Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von feinerer oder gröberer Qualität. Der Ruf nach Reformen und die Demagogie wurden dazu vernutzt, sich bei dem Publikum bekannt und beliebt zu machen; und sie wirkten um so mehr, je mehr sie nicht die Sache angriffen, sondern die Person. Es ward Sitte, daß die bartlosen Jünglinge vornehmer Geburt, um sich glänzend in das öffentliche Leben einzuführen, mit der unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften Beredsamkeit die Rolle Catos weiterspielten und aus eigener Machtvollkommenheit sich womöglich gegen einen recht hochstehenden und recht unbeliebten Mann zu Anwälten des Staats aufwarfen; man ließ es geschehen, daß das ernste Institut der Kriminaljustiz und der politischen Polizei ein Mittel für den Ämterbewerb ward. Die Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die Verheißung prachtvoller Volkslustbarkeiten war längst die gleichsam gesetzliche Vorbedingung zur Erlangung des Konsulats; jetzt begannen auch schon, wie das um 595 (159) dagegen erlassene Verbot bezeugt, die Stimmen der Wähler geradezu mit Geld erkauft zu werden. Vielleicht die schlimmste Folge des dauernden Buhlens der regierenden Aristokratie um die Gunst der Menge war die Unvereinbarkeit dieser Bettler- und Schmeichlerrolle mit derjenigen Stellung, welche der Regierung den Regierten gegenüber von Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch aus einem Segen für das Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, über Gut und Blut der Bürger zum Besten des Vaterlandes nach Bedürfnis zu verfügen. Man ließ die Bürgerschaft sich an den gefährlichen Gedanken gewöhnen, daß sie selbst von der vorschußweisen Entrichtung direkter Abgaben gesetzlich befreit sei – nach dem Kriege gegen Perseus ist kein Schoß mehr von der Gemeinde gefordert worden. Man ließ lieber das Heerwesen verfallen, als daß man die Bürger zu dem verhaßten überseeischen Dienst zwang; wie es den einzelnen Beamten erging, die die Konskription nach der Strenge des Gesetzes durchzuführen versuchten, ist schon gesagt worden.

In verhängnisvoller Weise verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die zwiefachen Mißstände einer ausgearteten Oligarchie und einer noch unentwickelten, aber schon im Keime vom Wurmfraß ergriffenen Demokratie. Ihren Parteinamen nach, welche zuerst in dieser Periode gehört werden, wollten die „Optimaten“ den Willen der Besten, die „Popularen“ den der Gemeinde zur Geltung bringen; in der Tat gab es in dem damaligen Rom weder eine wahre Aristokratie noch eine wahrhaft sich selber bestimmende Gemeinde. Beide Parteien stritten gleichermaßen für Schatten und zählten in ihren Reihen nur entweder Schwärmer oder Heuchler. Beide waren von der politischen Fäulnis gleichmäßig ergriffen und in der Tat beide gleich nichtig. Beide waren mit Notwendigkeit in den Status quo gebannt, da weder hüben noch drüben ein politischer Gedanke, geschweige denn ein politischer Plan sich fand, der über diesen hinausgegangen wäre, und so vertrugen denn auch beide sich miteinander so vollkommen, daß sie auf jeden Schritt sich in den Mitteln wie in den Zwecken begegneten und der Wechsel der Partei mehr ein Wechsel der politischen Taktik als der politischen Gesinnung war. Das Gemeinwesen hätte ohne Zweifel gewonnen, wenn entweder die Aristokratie statt der Bürgerschaftswahlen geradezu einen erblichen Turnus eingeführt oder die Demokratie ein wirkliches Demagogenregiment aus sich hervorgebracht hätte. Aber diese Optimaten und diese Popularen des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die einen für die andern viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und Leben zu bekriegen; sie konnten nicht bloß nicht einander vernichten, sondern, wenn sie es gekonnt hätten, hätten sie es nicht gewollt. Darüber wich denn freilich politisch wie sittlich das Gemeinwesen immer mehr aus den Fugen und ging seiner völligen Auflösung entgegen.

Es ging denn auch die Krise, durch welche die römische Revolution eröffnet ward, nicht aus diesem dürftigen politischen Konflikt hervor, sondern aus den ökonomischen und sozialen Verhältnissen, welche die römische Regierung wie alles andere lediglich gehen ließ und welche also Gelegenheit fanden, den seit langem gärenden Krankheitsstoff jetzt ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit uralter Zeit beruhte die römische Ökonomie auf den beiden ewig sich suchenden und ewig hadernden Faktoren, der bäuerlichen und der Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit dem großen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen Krieg geführt, der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und demnächst des ganzen Gemeinwesens endigen zu müssen schien, aber ohne eigentliche Entscheidung abgebrochen ward infolge der glücklichen Kriege und der hierdurch möglich gemachten umfänglichen und großartigen Domanialaufteilung. Es ward schon früher gezeigt, daß in derselben Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern unter veränderten Namen erneuerte, das unverhältnismäßig anschwellende Kapital einen zweiten Sturm gegen die bäuerliche Wirtschaft vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine Bauer ruiniert worden durch Vorschüsse, die ihn tatsächlich zum Meier seines Gläubigers herabdrückten; jetzt ward er erdrückt durch die Konkurrenz des überseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man schritt fort mit der Zeit; das Kapital führte gegen die Arbeit, das heißt gegen die Freiheit der Person, den Krieg, natürlich wie immer in strengster Form Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen Weise, daß der freie Mann der Schulden wegen Sklave ward, sondern von Haus aus mit rechtmäßig gekauften und bezahlten Sklaven; der ehemalige hauptstädtische Zinsherr trat auf in zeitgemäßer Gestalt als industrieller Plantagenbesitzer. Allein das letzte Ergebnis war in beiden Fällen das gleiche: die Entwertung der italischen Bauernstellen, die Verdrängung der Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen, sodann in Italien durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung auch dieser in Italien auf Viehzucht und auf Öl- und Weinbau; schließlich die Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen wie in Italien durch Sklaven. Eben wie die Nobilität deshalb gefährlicher war als das Patriziat, weil jene nicht wie dieses durch eine Verfassungsänderung sich beseitigen ließ, so war auch diese neue Kapitalmacht darum gefährlicher als die des vierten und fünften Jahrhunderts, weil gegen sie mit Änderungen des Landrechts nichts auszurichten war.

Ehe wir es versuchen, den Verlauf dieses zweiten großen Konflikts von Arbeit und Kapital zu schildern, wird es notwendig, über das Wesen und den Umfang der Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten. Wir haben es hier nicht zu tun mit der alten, gewissermaßen unschuldigen Feldsklaverei, wonach der Bauer entweder zugleich mit seinem Knechte ackert oder auch, wenn er mehr Land besitzt, als er bewirtschaften kann, denselben entweder als Verwalter oder auch unter Verpflichtung zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermaßen als Pächter über einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhältnisse bestanden zwar zu allen Zeiten – um Comum zum Beispiel waren sie noch in der Kaiserzeit die Regel –, allein als Ausnahmezustände bevorzugter Landschaften und milde verwalteter Güter. Hier ist die Großwirtschaft mit Sklaven gemeint, welche im römischen Staat wie einst im karthagischen aus der Übermacht des Kapitals sich entwickelte. Während für den Sklavenbestand der älteren Zeit die Kriegsgefangenschaft und die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht diese Sklavenwirtschaft, völlig wie die amerikanische, auf systematisch betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der Sklaven wenig Rücksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevölkerung beständig zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den Sklavenmarkt liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten. Kein Land, wo dieses jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon verschont; selbst in Italien war es keineswegs unerhört, daß der arme Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven eingestellt ward. Das Negerland jener Zeit aber war Vorderasien17, wo die kretischen und kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmäßigen Sklavenjäger und Sklavenhändler, die Küsten Syriens und die griechischen Inseln ausraubten, wo mit ihnen wetteifernd die römischen Zollpächter in den Klientelstaaten Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter ihr Sklavengesinde untersteckten – es geschah dies in solchem Umfang, daß um 650 (100) der König von Bithynien sich unfähig erklärte, den verlangten Zuzug zu leisten, da aus seinem Reich alle arbeitsfähigen Leute von den Zollpächtern weggeschleppt seien. Auf dem großen Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen Sklavenhändler ihre Ware an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an einem Tage bis zu 10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle verkauft gewesen sein – ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot überstieg. Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der römischen Ökonomie des sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden, daß dieselbe wie überhaupt die gesamte Großwirtschaft des Altertums auf dem Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer die Spekulation sich warf, ihr Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum Tier herabgesetzte Mensch. Durch Sklaven wurden großenteils die Handwerke betrieben, so daß der Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der Steuerpachtgesellschaft wurde die Erhebung der öffentlichen Gefälle in den untern Graden regelmäßig beschafft. Ihre Hände besorgten den Grubenbau, die Pechhütten und was derart sonst vorkommt; schon früh kam es auf, Sklavenherden nach den spanischen Bergwerken zu senden, deren Vorsteher sie bereitwillig annahmen und hoch verzinsten. Die Wein- und Olivenlese wurde in Italien nicht von den Leuten auf dem Gut bewirkt, sondern einem Sklavenbesitzer in Akkord gegeben. Die Hütung des Viehs ward allgemein durch Sklaven beschafft; der bewaffneten, häufig berittenen Hirtensklaven auf den großen Weidestrecken Italiens ist bereits gedacht worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward bald auch in den Provinzen ein beliebter Gegenstand der römischen Spekulation – so war zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155), als die römischen Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise die Viehzucht im großen zu betreiben. Aber in jeder Beziehung weit schlimmer noch war der eigentliche Plantagenbau, die Bestellung der Felder durch eine Herde nicht selten mit dem Eisen gestempelter Sklaven, welche mit Fußschellen an den Beinen unter Aufsehern des Tags die Feldarbeiten taten und nachts in dem gemeinschaftlichen, häufig unterirdischen Arbeiterzwinger zusammengesperrt wurden. Diese Plantagenwirtschaft war aus dem Orient nach Karthago gewandert und scheint durch die Karthager nach Sizilien gelangt zu sein, wo, wahrscheinlich aus diesem Grunde, die Plantagenwirtschaft früher und vollständiger als in irgendeinem anderen Gebiet der römischen Herrschaft durchgebildet auftritt18. Die Leontinische Feldmark von etwa 30 000 Jugera urbaren Landes, die als römische Domäne von den Zensoren verpachtet wurde, finden wir einige Dezennien nach der Gracchenzeit geteilt unter nicht mehr als 84 Pächter, von denen also durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und unter denen nur ein einziger Leontiner, die übrigen fremde, meistens römische Spekulanten waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die römischen Spekulanten hier in die Fußstapfen ihrer Vorgänger traten und welche großartigen Geschäfte mit sizilischem Vieh und sizilischem Sklavenkorn die römischen und nichtrömischen Spekulanten gemacht haben werden, die mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schöne Insel bedeckten. Italien indes blieb von dieser schlimmsten Form der Sklavenwirtschaft für jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in Etrurien, wo die Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu sein scheint und wo sie wenigstens vierzig Jahre später in ausgedehntestem Umfange bestand, höchstwahrscheinlich schon jetzt es an Arbeiterzwingern nicht fehlte, so ward doch die italische Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch überwiegend durch freie Leute oder doch durch ungefesselte Knechte, daneben durch Akkordierung größerer Arbeiten an Unternehmer betrieben. Recht deutlich zeigt sich der Unterschied des italischen Sklavenwesens von dem sizilischen darin, daß bei dem sizilischen Sklavenaufstand 619-622 (135-1 S2) allein die Sklaven der nach italischer Weise lebenden mamertinischen Gemeinde sich nicht beteiligten.

Das Meer von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller Proletariate sich vor unsern Augen auftut, mag ergründen, wer den Blick in solche Tiefen wagt; es ist leicht möglich, daß mit denen der römischen Sklavenschaft verglichen die Summe aller Negerleiden ein Tropfen ist. Hier kommt es weniger auf den Notstand der Sklavenschaft selbst an als auf die Gefahren, die sie über den römischen Staat brachte und auf das Verhalten der Regierung denselben gegenüber. Daß dies Proletariat weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch geradezu von ihr beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es hätte dies nur geschehen können durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen wären als das Übel. Der Regierung lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr für Eigentum und Leben, womit das Sklavenproletariat die Staatsangehörigen bedrohte, durch eine ernstliche Sicherheitspolizei abzuwenden, teils auf die möglichste Beschränkung des Proletariats durch Hebung der freien Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die römische Aristokratie diesen beiden Aufgaben nachkam.

Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die allerorts ausbrechenden Sklavenverschwörungen und Sklavenkriege. In Italien schienen die wüsten Vorgänge, wie sie in den unmittelbaren Nachwehen des Hannibalischen Krieges vorgekommen waren, sich jetzt zu erneuern; auf einmal mußte man in der Hauptstadt 150, in Minturnae 450, in Sinuessa gar 4000 Sklaven aufgreifen und hinrichten lassen (621 133). Noch schlimmer stand es begreiflicherweise in den Provinzen. Auf dem großen Sklavenmarkt zu Delos und in den attischen Silbergruben hatte man um dieselbe Zeit die aufständischen Sklaven mit den Waffen zu Paaren zu treiben. Der Krieg gegen Aristonikos und seine kleinasiatischen „Sonnenstädter“ war wesentlich ein Krieg der Besitzenden gegen die empörten Sklaven. Am ärgsten aber stand es natürlicherweise in dem gelobten Lande des Plantagensystems, in Sizilien. Die Räuberwirtschaft war daselbst, zumal im Binnenlande, längst ein stehendes Übel; sie fing an, sich zur Insurrektion zu steigern. Ein reicher und mit den italischen Herren in industrieller Exploitierung seines lebendigen Kapitals wetteifernder Pflanzer von Enna (Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen erbitterten Feldsklaven überfallen und ermordet; worauf die wilde Schar in die Stadt Enna strömte und dort derselbe Vorgang in größerem Maßstab sich erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren, töteten oder knechteten sie und riefen an die Spitze des schon ansehnlichen Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen Apameia, der Feuer zu speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave Eunus genannt, jetzt als Haupt der Insurgenten Antiochos der König der Syrer. Warum auch nicht? Hatte doch wenige Jahre zuvor ein anderer syrischer Knecht, der nicht einmal ein Prophet war, in Antiocheia selbst das königliche Stirnband der Seleukiden getragen. Der tapfere „Feldherr“ des neuen Königs, der griechische Sklave Achäos, durchstreifte die Insel, und nicht bloß die wilden Hirten strömten von nah und fern unter die seltsamen Fahnen – auch die freien Arbeiter, die den Pflanzern alles Üble gönnten, machten mit den empörten Sklaven gemeinschaftliche Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein kilikischer Sklave, Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Räuber, dem gegebenen Beispiel und besetzte Akragas, und da die Häupter miteinander sich vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren Erfolgen zuletzt, den Prätor Lucius Hypsaeus selbst mit seiner größtenteils aus sizilischen Milizen bestehenden Armee gänzlich zu schlagen und sein Lager zu erobern. Hierdurch kam fast die ganze Insel in die Gewalt der Aufständischen, deren Zahl nach den mäßigsten Angaben sich auf 70000 Waffenfähige belaufen haben soll; die Römer sahen sich genötigt, drei Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und konsularische Heere nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen unentschiedenen, ja zum Teil unglücklichen Gefechten endlich mit der Einnahme von Tauromenion und von Enna der Aufstand überwältigt war. Vor der letzteren Stadt, in die sich die entschlossenste Mannschaft der Insurgenten geworfen hatte, um sich in dieser unbezwinglichen Stellung zu verteidigen, wie sich Männer verteidigen, die an Rettung wie an Begnadigung verzweifeln, lagerten die Konsuln Lucius Calpurnius Piso und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch und bezwangen sie endlich mehr durch den Hunger als durch die Waffen19.

Das waren die Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem römischen Senat und dessen Beamten in Italien und den Provinzen gehandhabt ward. Wenn die Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die ganze Macht und Weisheit der Regierung erfordert und nur zu oft übersteigt, so ist dagegen die polizeiliche Niederhaltung desselben für jedes größere Gemeinwesen verhältnismäßig leicht. Es stände wohl um die Staaten, wenn die besitzlosen Massen ihnen keine andere Gefahr bereiteten, als wie sie auch droht von Bären und Wölfen; nur der Ängsterling und wer mit der albernen Angst der Menge Geschäfte macht, prophezeit den Untergang der bürgerlichen Ordnung in Sklavenaufständen oder Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe der Bändigung der gedrückten Massen ward von der römischen Regierung trotz des tiefsten Friedens und der unerschöpflichen Hilfsquellen des Staats keineswegs genügt. Es war dies ein Zeichen ihrer Schwäche; aber nicht ihrer Schwäche allein. Von Rechts wegen war der römische Statthalter verpflichtet, die Landstraßen rein zu halten und die aufgegriffenen Räuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen zu lassen; natürlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht möglich ohne Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch mitunter, wenn die Straßen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter eine Razzia veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht zu verderben, wurden die gefangenen Räuber von der Behörde in der Regel an ihre Herren zu gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese Herren waren sparsame Leute, welche ihren Hirtenknechten, wenn sie Kleider begehrten, mit Prügel antworteten und mit der Frage, ob denn die Reisenden nackt durch das Land zögen. Die Folge solcher Konnivenz war denn, daß nach Überwältigung des Sklavenaufstandes der Konsul Publius Rupilius alles, was lebend in seine Hände kam, es heißt über 20000 Menschen, ans Kreuz schlagen ließ. Es war freilich nicht länger möglich, das Kapital zu schonen.

Unendlich schwerer zu gewinnende, freilich auch unendlich reichere Früchte verhieß die Fürsorge der Regierung für Hebung der freien Arbeit und folgeweise für Beschränkung des Sklavenproletariats. Leider geschah in dieser Beziehung schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen Krise hatte man gesetzlich dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der Zahl seiner Sklavenarbeiter abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu verwenden. Jetzt ward auf Veranlassung der Regierung eine punische Schrift über den Landbau, ohne Zweifel eine Anweisung zur Plantagenwirtschaft nach karthagischer Art, zu Nutz und Frommen der italischen Spekulation ins Lateinische übersetzt -das erste und einzige Beispiel einer von dem römischen Senat veranlaßten literarischen Unternehmung! Dieselbe Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren Angelegenheit oder vielmehr in der Lebensfrage für Rom, in dem Kolonisierungssystem. Es bedurfte nicht der Weisheit, nur der Erinnerung an den Verlauf der ersten sozialen Krise Roms, um zu begreifen, daß gegen ein agrikoles Proletariat die einzige ernstliche Abhilfe in einem umfassenden und regularisierten Emigrationssystem bestand, wozu die äußeren Verhältnisse Roms die günstigste Gelegenheit darboten. Bis gegen das Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der Tat dem fortwährenden Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes durch fortwährende Gründung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war dies zwar keineswegs in dem Maße geschehen, wie es hätte geschehen können und sollen; man hatte nicht bloß das seit alten Zeiten von Privaten okkupierte Domanialland nicht eingezogen, sondern auch weitere Okkupationen neugewonnenen Landes gestattet und andere sehr wichtige Erwerbungen, wie namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der Okkupation preisgegeben, aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht, sondern als nutzbare Domäne verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung segensreich gewirkt, vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung gegeben. Allein, nach der Gründung von Luna (577 177) findet sich, außer der vereinzelt stehenden Anlage der picenischen Kolonie Auximum (Osimo) im Jahre 597 (157), von weiteren Landanweisungen auf lange hinaus keine Spur. Die Ursache ist einfach. Da seit der Besiegung der Boier und Apuaner außer den wenig lockenden ligurischen Tälern neues Gebiet in Italien nicht gewonnen ward, war daselbst kein anderes Land zu verteilen als das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen Antastung der Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm war wie vor dreihundert Jahren. Das außerhalb Italien! gewonnene Gebiet zur Verteilung zu bringen, schien aber aus politischen Gründen unzulässig; Italien sollte das herrschende Land bleiben und die Scheidewand zwischen italischen Herren und dienenden Provinzialen nicht fallen. Wenn man nicht die Rücksichten der höheren Politik oder gar die Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der Regierung nichts übrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen, und also geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Äcker ohne Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer gütlich abging – eine besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, während er im Felde stand, Weib und Kinder vom Hofe zu stoßen und ihn mittels der Theorie der vollendeten Tatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die Gutsbesitzer fuhren fort, statt der freien Arbeiter sich vorwiegend der Sklaven zu bedienen, schon deshalb, weil diese nicht wie jene zum Kriegsdienst abgerufen werden konnten, und dadurch das freie Proletariat auf das gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft herabzudrücken. Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische Sklavenkorn das italische von dem hauptstädtischen Markt zu verdrängen und dasselbe auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte die alte einheimische Aristokratie im Bunde mit den römischen Kapitalisten schon im Jahre 520 (184) es so weit gebracht, daß es dort keinen freien Bauern mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt laut gesagt werden, daß die Tiere ihr Lager hätten, den Bürgern aber nichts geblieben sei als Luft und Sonnenschein und daß die, welche die Herren der Welt hießen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten. Den Kommentar zu diesen Worten lieferten die Zählungslisten der römischen Bürgerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre 595 (159) ist die Bürgerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache wesentlich zu suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen Verteilungen von Domanialland; nach 595 (159), wo die Zählung 328000 waffenfähige Bürger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmäßiges Sinken, indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf 324000, im Jahre 607 (147) auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000 waffenfähige Bürger stellt – ein erschreckendes Ergebnis für eine Zeit tiefen inneren und äußeren Friedens. Wenn das so fortging, löste die Bürgerschaft sich auf in Pflanzer und Sklaven und konnte schließlich der römische Staat, wie es bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt kaufen.

So standen die äußeren und inneren Verhältnisse Roms, als der Staat eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin man auch das Auge wandte, fiel es auf Mißbräuche und Verfall; jedem einsichtigen und wohlwollenden Mann mußte die Erwägung sich aufdrängen, ob denn hier nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte an solchen in Rom nicht; aber keiner schien mehr berufen zu dem großen Werk der politischen und sozialen Reform als der Lieblingssohn des Aemilius Paullus, der Adoptivenkel des großen Scipio, der dessen glorreichen Afrikanernamen nicht bloß kraft Erb-, sondern auch kraft eigenen Rechtes trug, Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (570-625 184-129). Gleich seinem Vater war er ein maßvoller, durch und durch gesunder Mann, nie krank am Körper und nie unsicher über den nächsten und notwendigen Entschluß. Schon in seiner Jugend hatte er sich ferngehalten von dem gewöhnlichen Treiben der politischen Anfänger, dem Antichambrieren in den Zimmern der vornehmen Senatoren und den gerichtlichen Deklamationen. Dagegen liebte er die Jagd – als Siebzehnjähriger hatte er, nachdem er den Feldzug gegen Perseus unter seinem Vater mit Auszeichnung mitgemacht hatte, als Belohnung dafür sich freie Pirsch in dem seit vier Jahren unberührten Wildhag der Könige von Makedonien erbeten – und vor allen Dingen wandte er gern seine Muße auf wissenschaftlichen und literarischen Genuß. Durch die Fürsorge seines Vaters war er früh in diejenige echte griechische Bildung eingeführt worden, welche über das geschmacklose Hellenisieren der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch seine ernste und treffende Würdigung des Echten und des Schlechten in dem griechischen Wesen und durch sein adliges Auftreten imponierte dieser Römer den Höfen des Ostens, ja sogar den spottlustigen Alexandrinern. Seinen Hellenismus erkannte man vor allem in der feinen Ironie seiner Rede und in seinem klassisch reinen Latein. Obwohl nicht eigentlich Schriftsteller, zeichnete er doch wie Cato seine politischen Reden auf – sie wurden gleich den Briefen seiner Adoptivschwester, der Mutter der Gracchen, von den späteren Literatoren als Meisterstücke mustergültiger Prosa geschätzt – und zog mit Vorliebe die besseren griechischen und römischen Literaten in seinen Kreis, welcher plebejische Umgang ihm freilich nicht wenig verdacht ward von denjenigen Kollegen im Senat, die auf ihre edle Geburt als einzige Auszeichnung angewiesen waren. Ein sittlich fester und zuverlässiger Mann, galt sein Wort bei Freund und Feind; er mied Bauten und Spekulationen und lebte einfach; dafür handelte er in Geldangelegenheiten nicht bloß ehrlich und uneigennützig, sondern auch mit einer dem kaufmännischen Sinn seiner Zeitgenossen seltsam dünkenden Zartheit und Liberalität. Er war ein tüchtiger Soldat und Offizier; aus dem Afrikanischen Krieg brachte er den Ehrenkranz heim, der wegen Rettung gefährdeter Bürger mit eigener Lebensgefahr erteilt zu werden pflegte, und beendete den Krieg als Feldherr, den er als Offizier begonnen hatte; an wirklich schwierigen Aufgaben sein Feldherrngeschick zu erproben, boten die Umstände ihm keine Gelegenheit. Scipio war so wenig wie sein Vater eine geniale Natur – davon zeugt schon seine Vorliebe für Xenophon, den nüchternen Militär und korrekten Schriftsteller –, aber ein rechter und echter Mann, der vor andern berufen schien, dem beginnenden Verfall durch organische Reformen zu wehren. Um so bezeichnender ist es, daß er es nicht versucht hat. Zwar half er, wo und wie er konnte, Mißbräuche abstellen und verhindern und arbeitete namentlich hin auf Verbesserung der Rechtspflege. Hauptsächlich durch seinen Beistand vermochte Lucius Cassius, ein tüchtiger Mann von altväterischer Strenge und Ehrenhaftigkeit, gegen den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein Stimmgesetz durchzubringen, welches für die noch immer den wichtigsten Teil der Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime Abstimmung einführte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht hatte mitmachen mögen, in seinen reifen Jahren selbst mehrere der schuldigsten Männer der Aristokratie vor die Gerichte. In gleichem Geiste hat er als Feldherr vor Karthago und vor Numantia die Weiber und die Pfaffen zu den Toren des Lagers hinausgejagt und das Soldatengesindel wieder zurück gezwungen unter den eisernen Druck der alten Heereszucht, als Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der glattkinnigen Manschettenträger aufgeräumt und mit ernsten Worten die Bürgerschaft ermahnt, an den rechtschaffenen Sitten der Väter treulich zu halten. Aber niemand, und er selber am wenigsten, konnte es verkennen, daß die Verschärfung der Rechtspflege und das vereinzelte Dazwischenfahren nicht einmal Anfänge waren zur Heilung der organischen Übel, an denen der Staat krankte. An diese hat Scipio nicht gerührt. Gaius Laelius (Konsul 614 140), Scipios älterer Freund und sein politischer Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefaßt, die Einziehung des unvergebenen, aber vorläufig okkupierten italischen Domaniallandes vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends verfallenden italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand von dem Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff war, und ward fortan „der Verständige“ genannt. Auch Scipio dachte also. Er war von der Größe des Übels völlig durchdrungen und griff, wo er nur sich selber wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person rücksichtslos an und durch; allein er hatte sich auch überzeugt, daß dem Lande nur zu helfen sei um den Preis derselben Revolution, die im vierten und fünften Jahrhundert aus der Reformfrage sich entsponnen hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht, das Heilmittel schlimmer als das Übel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befürwortung des Cassischen Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch auch nicht genügte noch genügen wollte, während seines Lebens einsam, nach seinem Tode gefeiert von beiden Parteien, bald als Vormann der Aristokratie, bald als Begünstiger der Reform. Bis auf seine Zeit hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres Amtes die Götter angerufen, dem Staat größere Macht und Herrlichkeit zu verleihen; der Zensor Scipio betete, daß sie geneigen möchten, den Staat zu erhalten. Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf.

Aber wo der Mann verzagte, der zweimal das römische Heer aus tiefem Verfall zum Siege geführt hatte, da getraute sich ein tatenloser Jüngling, zum Retter Italiens sich aufzuwerfen. Er hieß Tiberius Sempronius Gracchus (591-621 163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul 577, 591; Zensor 585 177, 163;169) war das rechte Musterbild eines römischen Aristokraten. Die glänzende, nicht ohne Bedrückung der abhängigen Gemeinden zuwege gebrachte Pracht seiner ädilizischen Spiele hatte ihm schweren und verdienten Tadel vom Senat zugezogen, während er durch sein Einschreiten in dem leidigen Prozeß gegen die persönlich ihm verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein Standesgefühl, durch sein energisches Auftreten gegen die Freigelassenen in seiner Zensur seine konservative Gesinnung betätigte und als Statthalter der Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem durch Gerechtigkeit sich um sein Vaterland ein bleibendes Verdienst und zugleich in den Gemütern der unterworfenen Nation ein dauerndes Gedächtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb.

Seine Mutter Cornelia war die Tochter des Siegers von Zama, welcher ebenjenes hochherzigen Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner sich zum Schwiegersohn erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und bedeutende Frau, die nach dem Tode ihres viel älteren Gemahls die Hand des Königs von Ägypten zurückgewiesen hatte und im Andenken an den Gemahl und den Vater die drei ihr gebliebenen Kinder erzog. Der ältere von den beiden Söhnen, Tiberius, war eine gute und sittliche Natur, sanften Blicks und ruhigen Wesens, wie es schien, zu allem andern eher bestimmt als zum Agitator der Massen. Mit allen seinen Beziehungen und Anschauungen gehörte er dem Scipionischen Kreise an, dessen feine griechische und nationale Durchbildung er und seine Geschwister teilten. Scipio Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner Schwester Gemahl; unter ihm hatte Tiberius als Achtzehnjähriger die Erstürmung Karthagos mitgemacht und durch seine Tapferkeit das Lob des strengen Feldherrn und kriegerische Auszeichnungen erworben. Daß der tüchtige junge Mann die Anschauungen über den Verfall des Staats an Haupt und Gliedern, wie sie in diesem Kreise gangbar waren, die Gedanken namentlich über die Hebung des italischen Bauernstandes mit aller Lebendigkeit und allem Rigorismus der Jugend in sich aufnahm und steigerte, ist begreiflich; waren es doch nicht bloß die jungen Leute, denen das Zurückweichen des Laelius vor der Durchführung seiner Reformideen nicht verständig erschien, sondern schwach. Appius Claudius, der gewesene Konsul (611 143) und Zensor (618 136), einer der angesehensten Männer des Senats, tadelte mit all der gewaltsamen Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der Claudier erblich war und blieb, daß der Scipionische Kreis den Plan der Domänenaufteilung so rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer, wie es scheint, weil er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die Zensur in persönliche Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius Crassus Mucianus sich aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und Rechtsgelehrter im Senat wie in der Bürgerschaft allgemein verehrt. Sogar dessen Bruder Publius Mucius Scaevola, der Begründer der wissenschaftlichen Jurisprudenz in Rom, schien dem Reformplan nicht abgeneigt, und seine Stimme war von um so größerem Gewicht, als er gewissermaßen außerhalb der Parteien stand. Ähnlich dachte Quintus Metellus, der Überwinder Makedoniens und der Achäer, mehr aber noch als seiner Kriegstaten halber geachtet als ein Muster alter Zucht und Sitte in seinem häuslichen wie in seinem öffentlichen Leben. Tiberius Gracchus stand diesen Männern nahe, namentlich dem Appius, dessen Tochter er, und dem Mucianus, dessen Tochter sein Bruder zum Weib genommen hatte; es war kein Wunder, daß der Gedanke sich in ihm regte, den Reformplan selber wiederaufzunehmen, sobald er sich in einer Stellung befinden werde, die ihm verfassungsmäßig die Initiative gestatte. Persönliche Motive mochten ihn hierin bestärken. Der Friedensvertrag, den Mancinus 617 (147) mit den Numantinern abschloß, war wesentlich Gracchus‘ Werk; daß der Senat ihn kassiert hatte, daß der Feldherr deswegen den Feinden ausgeliefert worden und Gracchus mit den übrigen höheren Offizieren dem gleichen Schicksal nur durch die größere Gunst, deren er bei der Bürgerschaft genoß, entgangen war, konnte den jungen rechtschaffenen und stolzen Mann nicht milder stimmen gegen die herrschende Aristokratie. Die hellenischen Rhetoren, mit denen er gern philosophierte und politisierte, der Mytilenäer Diophanes, der Kymäer Gaius Blossius, nährten in seiner Seele die Ideale, mit denen er sich trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt wurden, fehlte es nicht an billigenden Stimmen, und mancher öffentliche Anschlag forderte den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes, der Rettung Italiens zu gedenken.

Am 10. Dezember 620 (134) übernahm Tiberius Gracchus das Volkstribunat. Die entsetzlichen Folgen der bisherigen Mißregierung, der politische, militärische, ökonomische, sittliche Verfall der Bürgerschaft lagen eben damals nackt und bloß jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln dieses Jahres focht der eine ohne Erfolg in Sizilien gegen die aufständischen Sklaven und war der andere, Scipio Aemilianus, seit Monaten beschäftigt, eine kleine spanische Landstadt nicht zu besiegen, sondern zu erdrücken. Wenn es noch einer besonderen Aufforderung bedurfte, um Gracchus‘ Entschluß zur Tat werden zu lassen, sie lag in diesen, jedes Patrioten Gemüt mit unnennbarer Angst erfüllenden Zuständen. Sein Schwiegervater versprach Beistand mit Rat und Tat, man durfte hoffen auf die Unterstützung des Juristen Scaevola, der kurz vorher zum Konsul für 621 (133) erwählt worden war. So beantragte Gracchus gleich nach Antritt seines Amtes die Erlassung eines Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war als eine Erneuerung des Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es sollten danach die sämtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne Entgelt benutzten Staatsländereien – die verpachteten, wie zum Beispiel das Gebiet von Capua, berührte das Gesetz nicht – von Staats wegen eingezogen werden, jedoch mit der Beschränkung, daß der einzelne Okkupant für sich 500 und für jeden Sohn 250, im ganzen jedoch nicht über 1000 Morgen zu bleibendem und garantiertem Besitz solle behalten oder dafür Ersatz in Land in Anspruch nehmen dürfen. Für etwaige, von den bisherigen Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebäude und Pflanzungen, scheint man Entschädigung bewilligt zu haben. Das also eingezogene Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und diese teils an Bürger, teils an italische Bundesgenossen verteilt werden, nicht als freies Eigentum, sondern als unveräußerliche Erbpacht, deren Inhaber das Land zum Feldbau zu benutzen und eine mäßige Rente an die Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Ein Kollegium von drei Männern, die als ordentliche und stehende Beamte der Gemeinde angesehen und jährlich von der Volksversammlung gewählt wurden, ward mit dem Einziehungs- und Aufteilungsgeschäft beauftragt, wozu später noch der wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich festzustellen, was Domanialland und was Privateigentum sei. Die Aufteilung war demnach angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend, bis daß die sehr ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen Domänen reguliert sein würden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz verglichen waren neu in dem Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel zu Gunsten der beerbten Besitzer, teils die für die neuen Landstellen beantragte Erbpachtgutsqualität und Unveräußerlichkeit, teils und vor allem die regulierte und dauernde Exekutive, deren Fehlen in dem älteren Gesetz hauptsächlich bewirkt hatte, daß dasselbe ohne nachhaltige praktische Anwendung geblieben war.

Den großen Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren wesentlichen Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklärt, und seit langem zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in ernsthafter Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm den Kampf auf in der für solche Fälle hergebrachten Weise, die Ausschreitungen des Beamtentums durch dieses selbst zu paralysieren. Ein Kollege des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von der Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes ernstlich überzeugter Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht werden sollte; womit verfassungsmäßig der Antrag beseitigt war. Gracchus sistierte nun seinerseits die Staatsgeschäfte und die Rechtspflege und legte seine Siegel auf die öffentlichen Kassen; man nahm es hin – es war unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. Gracchus, ratlos, brachte sein Gesetz zum zweitenmal zur Abstimmung; natürlich wiederholte Octavius seinen Einspruch, und auf die flehentliche Bitte seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die Rettung Italiens nicht zu wehren, mochte er erwidern, daß darüber, wie Italien gerettet werden könne, eben die Ansichten verschieden, sein verfassungsmäßiges Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines Veto sich zu bedienen, außer allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt den Versuch, Gracchus einen leidlichen Rückzug zu eröffnen; zwei Konsulare forderten ihn auf, die Angelegenheit in der Kurie weiterzuverhandeln, und eifrig ging der Tribun hierauf ein. Er suchte in diesen Antrag hineinzulegen, daß der Senat damit die Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe; allein weder lag dies darin, noch war der Senat irgend geneigt, in der Sache nachzugeben; die Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die verfassungsmäßigen Wege waren erschöpft. In früheren Zeiten hatte man unter solchen Verhältnissen es sich nicht verdrießen lassen, den gestellten Antrag für dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem folgenden ihn wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der Druck der öffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man rascher. Gracchus schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf die Reform überhaupt verzichten oder die Revolution beginnen mußte; er tat das letztere, indem er mit der Erklärung vor die Bürgerschaft trat, daß entweder er oder Octavius aus dem Kollegium ausscheiden müsse, und diesem ansann, die Bürger darüber abstimmen zu lassen, welchen von ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte sich natürlich, auf diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die Interzession war eben dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der Kollegen Raum zu gewähren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem Kollegen ab und wandte sich an die versammelte Menge mit der Frage, ob nicht der Volkstribun, der dem Volk zuwiderhandle, sein Amt verwirkt habe; und die Versammlung, längst gewohnt, zu allen an sie gebrachten Anträgen ja zu sagen und größtenteils zusammengesetzt aus dem vom Lande hereingeströmten und bei der Durchführung des Gesetzes persönlich interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast einstimmig die Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus‘ Befehl durch die Gerichtsdiener von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter allgemeinem Jubel das Ackergesetz durchgebracht und die ersten Teilungsherren ernannt. Die Stimmen fielen auf den Urheber des Gesetzes nebst seinem erst zwanzigjährigen Bruder Gaius und seinem Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie üblich an den Senat wandten, um ihre Ausstattungs- und Taggelder angewiesen zu erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24 Assen (10 Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward immer gehässiger und persönlicher. Das schwierige und verwickelte Geschäft der Abgrenzung, Einziehung und Aufteilung der Domänen trug den Hader in jede Bürgergemeinde, ja selbst in die verbündeten italischen Städte. Die Aristokratie hatte es kein Hehl, daß sie das Gesetz vielleicht, weil sie müsse, sich gefallen lassen, der unberufene Gesetzgeber aber ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die Ankündigung des Quintus Pompeius, daß er den Gracchus an demselben Tage, wo er das Tribunat niederlege, in Anklagestand versetzen werde, war unter den Drohungen, die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem nicht die schlimmste. Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine persönliche Sicherheit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr ohne eine Gefolge von drei- bis viertausend Menschen, worüber er selbst von dem der Reform an sich nicht abgeneigten Metellus im Senat bittere Worte hören wußte. Überhaupt, wenn er gemeint hatte, mit Durchbringung seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte er jetzt zu lernen, daß er erst am Anfang stand. Das „Volk“ war ihm zu Dank verpflichtet; aber er war ein verlorener Mann, wenn er keinen anderen Schirm mehr hatte als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich blieb und durch andere und weitergreifende Vorschläge neue und immer neue Interessen und Hoffnungen an sich knüpfte. Ebendamals war durch das Testament des letzten Königs von Pergamon den Römern Reich und Vermögen der Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk, den pergamenischen Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung des erforderlichen Beschlags zu verteilen und vindizierte überhaupt, gegen die bestehende Übung, der Bürgerschaft das Recht, über die neue Provinz definitiv zu entscheiden. Weitere populäre Gesetze, über Abkürzung der Dienstzeit, über Ausdehnung des Provokationsrechts, über die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren, ausschließlich als Zivilgeschworene zu fungieren, sogar über die Aufnahme der italischen Bundesgenossen in den römischen Bürgerverband, soll er vorbereitet haben; wie weit seine Entwürfe in der Tat gereicht haben, läßt sich nicht entscheiden, gewiß ist nur, daß Gracchus seine einzige Rettung darin sah, das Amt, das ihn schützte, von der Bürgerschaft auf ein zweites Jahr verliehen zu erhalten, und daß er, um diese verfassungswidrige Verlängerung zu bewirken, weitere Reformen in Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das Gemeinwesen zu retten, so wußte er jetzt schon, um sich zu retten, das Gemeinwesen aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der Tribunen für das nächste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre Stimmen für Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch schließlich wenigstens insoweit durch, daß die Versammlung unverrichteter Sache aufgelöst und die Entscheidung auf den folgenden Tag verschoben ward. Für diesen setzte Gracchus alle Mittel in Bewegung, erlaubte und unerlaubte: er zeigte sich dem Volke im Trauergewand und empfahl ihm seinen unmündigen Knaben; für den Fall, daß die Wahl abermals durch Einspruch gestört werden würde, traf er Vorkehrungen, den Anhang der Aristokratie mit Gewalt von dem Versammlungsplatz vor dem Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam der zweite Wahltag heran; die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden und wieder erfolgte der Einspruch; der Auflauf begann. Die Bürger zerstreuten sich; die Wahlversammlung war faktisch aufgehoben; der Kapitolinische Tempel ward geschlossen; man erzählte sich in der Stadt, bald daß Tiberius die sämtlichen Tribunen abgesetzt habe, bald daß er ohne Wiederwahl sein Amt fortzuführen entschlossen sei. Der Senat versammelte sich im Tempel der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die erbittertsten Gegner des Gracchus führten in der Sitzung das Wort; als Tiberius die Hand nach der Stirn bewegte, um in dem wilden Getümmel dem Volke zu erkennen zu geben, daß sein Leben bedroht sei, hieß es, er fordere schon die Leute auf, sein Haupt mit der königlichen Binde zu schmücken. Der Konsul Scaevola ward angegangen, den Hochverräter sofort töten zu lassen; als der gemäßigte, der Reform an sich keineswegs abgeneigte Mann das ebenso unsinnige wie barbarische Begehren unwillig zurückwies, rief der Konsular Publius Scipio Nasica, ein harter und leidenschaftlicher Aristokrat, die Gleichgesinnten auf, sich zu bewaffnen, wie sie könnten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten war zu den Wahlen fast niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk wich scheu auseinander, als es die vornehmen Männer mit Stuhlbeinen und Knütteln in den Händen zornigen Auges heranstürmen sah; Gracchus versuchte, von wenigen begleitet, zu entkommen. Aber er stürzte auf der Flucht am Abhang des Kapitols und ward von einem der Wütenden – Publius Satureius und Lucius Rufus stritten sich später um die Henkerehre – vor den Bildsäulen der sieben Könige am Tempel der Treue durch einen Knüttelschlag auf die Schläfe getötet; mit ihm dreihundert andere Männer, keiner durch Eisenwaffen. Als es Abend geworden war, wurden die Körper in den Tiberfluß gestürzt; vergebens bat Gaius, ihm die Leiche seines Bruders zur Bestattung zu vergönnen. Solch einen Tag hatte Rom noch nicht erlebt. Der mehr als hundertjährige Hader der Parteien während der ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe geführt, wie diejenige war, mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der Aristokratie mochte schaudern; indes man konnte nicht mehr zurück. Man hatte nur die Wahl, eine große Zahl der zuverlässigsten Parteigenossen der Rache der Menge preiszugeben oder die Verantwortung der Untat auf die Gesamtheit zu übernehmen; das letztere geschah. Man hielt offiziell daran fest, daß Gracchus die Krone habe nehmen wollen, und rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja man überwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus‘ Mitschuldige einer besonderen Kommission und ließ deren Vormann, den Konsul Publius Popillius, dafür sorgen, daß durch Blutsentenzen gegen eine große Anzahl geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachträglich eine Art rechtlichen Gepräges aufgedrückt ward (622 132). Nasica, gegen den vor allen anderen die Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut hatte, sich offen vor dem Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu vertreten, ward unter ehrenvollen Vorwänden nach Asien gesandt und bald darauf (624 130) abwesend mit dem Oberpontifikat bekleidet. Auch die gemäßigte Partei trennte sich hierin nicht von ihren Kollegen. Gaius Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen die Gracchaner; Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht hatte, verteidigte sie später im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner Rückkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich öffentlich darüber zu erklären, ob er die Tötung seines Schwagers billige oder nicht, gab er die wenigstens zweideutige Antwort, daß, wofern er nach der Krone getrachtet habe, er mit Recht getötet worden sei.

Versuchen wir über diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu gelangen. Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefährlichen Zusammenschwinden der Bauernschaft durch umfassende Gründung neuer Kleinstellen aus dem gesamten, dem Staat zur Verfügung stehenden italischen Grundbesitz entgegenzuwirken hatte, war freilich kein Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen Zustandes, aber unter den obwaltenden politischen und sozialen Verhältnissen zweckmäßig. Die Aufteilung der Domänen ferner war an sich keine politische Parteifrage; sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgeführt werden, ohne daß die bestehende Verfassung geändert, das Regiment der Aristokratie irgend erschüttert ward. Ebensowenig konnte hier von einer Rechtsverletzung die Rede sein. Anerkanntermaßen war der Eigentümer des okkupierten Landes der Staat; der Inhaber konnte als bloß geduldeter Besitzer in der Regel nicht einmal den gutgläubigen Eigentumsbesitz sich zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es konnte, stand ihm entgegen, daß gegen den Staat nach römischem Landrecht die Verjährung nicht lief. Die Domänenaufteilung war keine Aufhebung, sondern eine Ausübung des Eigentums; über die formelle Rechtsbeständigkeit derselben waren alle Juristen einig. Allein damit, daß die Domänenaufteilung weder der bestehenden Verfassung Eintrag tat noch eine Rechtsverletzung in sich schloß, war der Versuch, diese Rechtsansprüche des Staats jetzt durchzuführen, politisch noch keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl in unsern Tagen erinnert hat, wenn ein großer Grundherr rechtlich ihm zustehende, aber tatsächlich seit langen Jahren nicht erhobene Ansprüche plötzlich in ihrem ganzen Umfang geltend zu machen beginnt, konnte mit gleichem und besserem Rechte auch gegen die Gracchische Rogation eingewendet werden. Unleugbar hatten diese okkupierten Domänen zum Teil seit dreihundert Jahren sich in erblichem Privatbesitz befunden; das Bodeneigentum des Staats, das seiner Natur nach überhaupt leichter als das des Bürgers den privatrechtlichen Charakter verliert, war an diesen Grundstücken so gut wie verschollen und die jetzigen Inhaber durchgängig durch Kauf oder sonstigen lästigen Erwerb zu diesen Besitzungen gelangt. Der Jurist mochte sagen was er wollte; den Geschäftsleuten erschien die Maßregel als eine Expropriation der großen Grundbesitzer zum Besten des agrikolen Proletariats; und in der Tat konnte auch kein Staatsmann sie anders bezeichnen. Daß die leitenden Männer der catonischen Epoche nicht anders geurteilt hatten, zeigt sehr klar die Behandlung eines ähnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen Falles. Das im Jahre 543 (211) zur Domäne geschlagene Gebiet von Capua und den Nachbarstädten war in den folgenden unruhigen Zeiten tatsächlich größtenteils in Privatbesitz übergegangen. In den letzten Jahren des sechsten Jahrhunderts, wo man vielfältig, besonders durch Catos Einfluß bestimmt, die Zügel des Regiments wieder straffer anzog, beschloß die Bürgerschaft, das campanische Gebiet wieder an sich zu nehmen und zum Besten des Staatsschatzes zu verpachten (582 172). Dieser Besitz beruhte auf einer nicht durch vorgängige Aufforderung, sondern höchstens durch Konnivenz der Behörden gerechtfertigten und nirgends viel über ein Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation; dennoch wurden die Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des Senats von dem Stadtprätor Publius Lentulus ausgeworfene Entschädigungssumme aus dem Besitz gesetzt (ca. 589 165)20. Weniger bedenklich vielleicht, aber doch auch nicht unbedenklich war es, daß für die neuen Landlose Erbpachtqualität und Unveräußerlichkeit festgestellt ward. Die liberalsten Grundsätze in bezug auf die Verkehrsfreiheit hatten Rom groß gemacht, und es vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der römischen Institutionen, daß diese neuen Bauern von oben herab angehalten wurden, ihr Grundstück in einer bestimmten Weise zu bewirtschaften, und daß für dasselbe Retraktrechte und alle der Verkehrsbeschränkung anhängenden Einschnürungsmaßregeln festgestellt wurden.

Man wird einräumen, daß diese Einwürfe gegen das Sempronische Ackergesetz nicht leicht wogen. Dennoch entscheiden sie nicht. Jene tatsächliche Expropriation der Domänenbesitzer war sicher ein großes Übel; aber sie war dennoch das einzige Mittel, um einem noch viel größeren, ja den Staat geradezu vernichtenden, dem Untergang des italischen Bauernstandes, wenigstens auf lange hinaus zu steuern. Darum begreift man es wohl, warum die ausgezeichnetsten und patriotischsten Männer auch der konservativen Partei, an ihrer Spitze Gaius Laelius und Scipio Aemilianus, die Domänenaufteilung an sich billigten und wünschten.

Aber wenn der Zweck des Tiberius Gracchus wohl der großen Majorität der einsichtigen Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat dagegen der Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und patriotischen Mannes Billigung gefunden und finden können. Rom wurde um diese Zeit regiert durch den Senat. Wer gegen die Majorität des Senats eine Verwaltungsmaßregel durchsetzte, der machte Revolution. Es war Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die Domänenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches der Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmäßig beseitigte, die tribunizische Interzession durch die mit unwürdiger Sophistik gerechtfertigte Absetzung seines Kollegen nicht bloß für jetzt, sondern für alle Folgezeit zerstörte. Indes nicht hierin liegt die sittliche und politische Verkehrtheit von Gracchus‘ Tun. Für die Geschichte gibt es keine Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat zum Kampf aufruft gegen die andere, der ist gewiß ein Revolutionär, aber vielleicht zugleich ein einsichtiger und preiswürdiger Staatsmann. Der wesentliche Fehler der Gracchischen Revolution liegt in einer nur zu oft übersehenen Tatsache: in der Beschaffenheit der damaligen Bürgerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius Cassius und das des Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt und denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Männer nicht weniger verschieden als die ehemalige römische Bürgerschaft, welche mit den Latinern und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die die Provinzen Asia und Africa einrichten ließ. Jene war eine städtische Gemeinde, die zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein großer Staat, dessen Angehörige in einer und derselben Urversammlung zu vereinigen und diese Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso klägliches wie lächerliches Resultat gab. Es rächte sich hier der Grundfehler der Politie des Altertums, daß sie nie vollständig von der städtischen zur staatlichen Verfassung oder, was dasselbe ist, von dem System der Urversammlungen zum parlamentarischen fortgeschritten ist. Die souveräne Versammlung Roms war, was die souveräne Versammlung in England sein würde, wenn statt der Abgeordneten die sämtlichen Wähler Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von allen Interessen und allen Leidenschaften wüst bewegte Masse, in der die Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die Verhältnisse zu übersehen noch auch nur einen eigenen Entschluß zu fassen vermochte; eine Masse vor allem, in welcher, von seltenen Ausnahmefällen abgesehen, unter dem Namen der Bürgerschaft ein paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt zufällig aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Bürgerschaft fand sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen Repräsentanten in der Regel ungefähr ebenso genügend vertreten wie in den Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repräsentierenden dreißig Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluß nichts war als ein Beschluß desjenigen Magistrats, der die Gerichtsdiener zusammenrief, so war auch der Tribus- und Zenturienbeschluß in dieser Zeit wesentlich nichts als ein durch einige obligate Jaherren legalisierter Beschluß des vorschlagenden Beamten. Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man es auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Bürger erschienen, so war dagegen in den bloßen Volksversammlungen, den Kontionen, platz- und schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte, Ägypter und Juden, Gassenbuben und Sklaven. In den Augen des Gesetzes bedeutete allerdings ein solches Meeting nichts; es konnte nicht abstimmen noch beschließen. Allein tatsächlich beherrschte dasselbe die Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in Rom und kam etwas darauf an, ob diese wüste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt ward, schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den Redner auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen anzuherrschen, wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner Äußerung über den Tod seines Schwagers ihn auszischten: Ihr da, sprach er, denen Italien nicht Mutter ist sondern Stiefmutter, ihr habt zu schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr meint doch nicht, daß ich die losgebunden fürchten werde, die ich in Ketten auf den Sklavenmarkt geschickt habe?

Daß man der verrosteten Maschine der Komitien sich für die Wahlen und für die Gesetzgebung bediente, war schon übel genug. Aber wenn man diesen Massen, zunächst den Komitien und faktisch auch den Kontionen, Eingriffe in die Verwaltung gestattete und dem Senat das Werkzeug zur Verhütung solcher Eingriffe aus den Händen wand; wenn man gar diese sogenannte Bürgerschaft aus dem gemeinen Säckel sich selber Äcker samt Zubehör dekretieren ließ; wenn man einem jeden, dem die Verhältnisse und sein Einfluß beim Proletariat die Gelegenheit gab, die Gassen auf einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit eröffnete, seinen Projekten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens aufzudrücken, so war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht bei der Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten in der vorigen Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen nie an die Bürgerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat verhandelt. Darum bezeichnen Gracchus‘ Zeitgenossen, die Männer des Scipionischen Kreises, das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den ersten Schritt auf jener verhängnisvollen Bahn, als den Anfang des Verfalles der römischen Größe. Darum ließen dieselben den Urheber der Domanialteilung fallen und erblickten in seinem schrecklichen Ende gleichsam einen Damm gegen künftige ähnliche Versuche, während sie doch die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit aller Energie festhielten und nutzten – so jammervoll standen die Dinge in Rom, daß redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedrängt wurden, den Übeltäter preiszugeben und die Frucht der Übeltat sich anzueignen. Darum hatten auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne nicht unrecht, als sie ihn beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es ist für ihn viel mehr eine zweite Anklage als eine Rechtfertigung, daß dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich fremd war. Das aristokratische Regiment war so durchaus verderblich, daß der Bürger, der den Senat ab- und sich an dessen Stelle zu setzen vermochte, vielleicht dem Gemeinwesen mehr noch nützte, als er ihm schadete. Allein dieser kühne Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich fähiger, durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht wußte, was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den Pöbel beschwor und nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis die unerbittliche Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam drängte in die demagogisch-tyrannische Bahn, bis mit der Familienkommission, den Eingriffen in das öffentliche Kassenwesen, den durch Not und Verzweiflung erpreßten weiteren „Reformen“, der Leibwache von der Gasse und den Straßengefechten der bedauernswerte Usurpator Schritt für Schritt sich und andern klarer hervortrat, bis endlich die entfesselten Geister der Revolution den unfähigen Beschwörer packten und verschlangen. Die ehrlose Schlächterei, durch die er endigte, richtet sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie ausging; allein die Märtyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus‘ Namen geschmückt hat, kam hier wie gewöhnlich an den unrechten Mann. Die besten seiner Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus die Katastrophe gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: „Also verderb‘ ein jeder, der ähnliche Werke vollführt hat!“ Und als des Tiberius jüngerer Bruder Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten, schrieb ihm die eigene Mutter: „Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein Ende finden? Wo wird die Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend uns zu schämen, den Staat verwirrt und zerrüttet zu haben?“ So sprach nicht die besorgte Mutter, sondern die Tochter des Überwinders der Karthager, die noch ein größeres Unglück kannte und erfuhr als den Tod ihrer Kinder.

  1. Im Jahre 537 (217) wurde das die Wiederwahl zum Konsulat beschränkende Gesetz auf die Dauer des Krieges in Italien (also bis 551 203) suspendiert (Liv. 27, 6). Nach Marcellus‘ Tode 546 (208) aber sind Wiederwahlen zum Konsulat, wenn die abdizierenden Konsuln von 592 (162) nicht mitgerechnet werden, überhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547, 554, 560, 579, 585, 586, 591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169, 168, 163, 158, 155, 152); also nicht öfter in diesen sechsundfünfzig als zum Beispiel in den zehn Jahren 401-410 (353-344). Nur eine von diesen, und eben die letzte, ist mit Verletzung des zehnjährigen Intervalls erfolgt; und ohne Zweifel ist die seltsame Wahl des Marcus Marcellus, Konsul 588 (166) und 599 (155), zum dritten Konsulat für 602 (152), deren nähere Umstände wir nicht kennen, die Veranlassung der gesetzlichen Untersagung der Wiederwahl zum Konsulat überhaupt (Liv. ep. 56) geworden; zumal da dieser Antrag, als von Cato unterstützt (p. 55 Jordan), vor 605 (149) eingebracht worden sein muß.
  2. Auch damals wurde es geltend gemacht, daß die Menschenrasse daselbst durch besondere Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand eigne. Schon Plautus (Trip. 542) preist „den Syrerschlag, der mehr verträgt als ein andrer sonst“.
  3. Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses (ergastulum von εργάζομαι nach Analogie von stabulum, operculum) deutet darauf, daß diese Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen Sprachgebiets und in einer noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit den Römern zukam.
  4. Noch jetzt finden sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am wenigsten jäh ist, nicht selten römische Schleuderkugeln mit dem Namen des Konsuls von 621 (133): L. Piso L. f. cos.
  5. Die bisher nur aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19) teilweise bekannte Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des Licinianus (p. 4) wesentlich vervollständigt. Die beiden Berichte sind dahin zu vereinigen, daß Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm festgesetzte Entschädigungssumme expropriierte, bei den wirklichen Grundeigentümern aber nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren nicht befugt war und sie auf Verkauf sich nicht einlassen wollten.

7. Kapitel


7. Kapitel

Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode

In der Erstreckung der römischen Herrschaft bis an die Alpen- oder, wie man jetzt schon sagte, bis an die italische Grenze und in der Ordnung und Kolonisierung der keltischen Landschaften war Rom durch den Hannibalischen Krieg unterbrochen worden. Es verstand sich von selbst, daß man jetzt da fortfahren würde, wo man aufgehört hatte, und die Kelten begriffen es wohl. Schon im Jahre des Friedensschlusses mit Karthago (553 201) hatten im Gebiet der zunächst bedrohten Boier die Kämpfe wieder begonnen; und ein erster Erfolg, der ihnen gegen den eilig aufgebotenen römischen Landsturm gelang, sowie das Zureden eines karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos Expedition her in Norditalien zurückgeblieben war, veranlaßten im folgenden Jahr (554 200) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloß der beiden zunächst bedrohten Stämme, der Boier und Insubrer; auch die Ligurer trieb die näherrückende Gefahr in die Waffen, und selbst die cenomanische Jugend hörte diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen Behörden als auf den Notruf der bedrohten Stammgenossen. Von „den beiden Riegeln gegen die gallischen Züge“, Placentia und Cremona, ward der erste niedergeworfen – von der placentinischen Einwohnerschaft retteten nicht mehr als 2000 das Leben –, der zweite berannt. Eilig marschierten die Legionen heran, um zu retten, was noch zu retten war. Vor Cremona kam es zu einer großen Schlacht. Die geschickte und kriegsmäßige Leistung derselben von seiten des phönikischen Führers vermochte es nicht, die Mangelhaftigkeit seiner Truppen zu ersetzen; dem Andrang der Legionen hielten die Gallier nicht stand und unter den Toten, welche zahlreich das Schlachtfeld bedeckten, war auch der karthagische Offizier. Indes setzten die Kelten den Kampf fort; dasselbe römische Heer, welches bei Cremona gesiegt, wurde das nächste Jahr (555 199), hauptsächlich durch die Schuld des sorglosen Führers, von den Insubrern fast aufgerieben und erst 556 (198) konnte Placentia notdürftig wiederhergestellt werden. Aber der Bund der zu dem Verzweiflungskampf vereinigten Kantone ward in sich uneins; die Boier und die Insubrer gerieten in Zwist, und die Cenomanen traten nicht bloß zurück von dem Nationalbunde, sondern erkauften sich auch Verzeihung von den Römern durch schimpflichen Verrat der Landsleute, indem sie während einer Schlacht, die die Insubrer den Römern am Mincius lieferten, ihre Bundes- und Kampfgenossen von hinten angriffen und aufreiben halfen (557 197). So gedemütigt und im Stich gelassen, bequemten sich die Insubrer nach dem Fall von Comum gleichfalls zu einem Sonderfrieden (558 196). Die Bedingungen, welche Rom den Cenomanen und Insubrern vorschrieb, waren allerdings härter, als sie den Gliedern der italischen Eidgenossenschaft gewährt zu werden pflegten; namentlich vergaß man nicht, die Scheidewand zwischen Italikern und Kelten gesetzlich zu befestigen und zu verordnen, daß nie ein Bürger dieser beiden Keltenstämme das römische Bürgerrecht solle gewinnen können. Indes ließ man diesen transpadanischen Keltendistrikten ihre Existenz und ihre nationale Verfassung, so daß sie nicht Stadtgebiete, sondern Völkergaue bildeten, und legte ihnen auch wie es scheint keinen Tribut auf; sie sollten den römischen Ansiedlungen südlich vom Po als Bollwerk dienen und die nachrückenden Nordländer wie die räuberischen Alpenbewohner, welche regelmäßige Razzias in diese Gegenden zu unternehmen pflegten, von Italien abhalten. Übrigens griff auch in diesen Landschaften die Latinisierung mit großer Schnelligkeit um sich; die keltische Nationalität vermochte offenbar bei weitem nicht den Widerstand zu leisten wie die der zivilisierten Sabeller und Etrusker. Der gefeierte lateinische Lustspieldichter Statius Caecilius, der im Jahre 586 (168) starb, war ein freigelassener Insubrer; und Polybios, der gegen Ausgang des sechsten Jahrhunderts diese Gegenden bereiste, versichert, vielleicht nicht ohne eigene Übertreibung, daß daselbst nur noch wenige Dörfer unter den Alpen keltisch geblieben seien. Die Veneter dagegen scheinen ihre Nationalität länger behauptet zu haben.

Das hauptsächliche Bestreben der Römer war in diesen Landschaften begreiflicherweise darauf gerichtet, dem Nachrücken der transalpinischen Kelten zu steuern und die natürliche Scheidewand der Halbinsel und des inneren Kontinents auch zur politischen Grenze zu machen. Daß die Furcht vor dem römischen Namen schon zu den nächstliegenden keltischen Kantonen jenseits der Alpen gedrungen war, zeigt nicht bloß die vollständige Untätigkeit, mit der dieselben der Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Landsleute zusahen, sondern mehr noch die offizielle Mißbilligung und Desavouierung, welche die transalpinischen Kantone – man wird zunächst an die Helvetier (zwischen dem Genfer See und dem Main) und an die Karner oder Taurisker (in Kärnten und Steiermark) zu denken haben – gegen die beschwerdeführenden römischen Gesandten aussprachen über die Versuche einzelner keltischer Haufen, sich diesseits der Alpen in friedlicher Weise anzusiedeln, nicht minder die demütige Art, in welcher diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem römischen Senat um Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen Gebot, über die Alpen zurückzugehen, ohne Widerrede sich fügten (568 f., 575 186, 179) und die Stadt, die sie unweit des späteren Aquileia schon angelegt hatten, wieder zerstören ließen. Mit weiser Strenge gestattete der Senat keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, daß die Alpentore für die keltische Nation fortan geschlossen seien, und schritt mit schweren Strafen gegen diejenigen römischen Untertanen ein, die solche Übersiedlungsversuche von Italien aus veranlaßt hatten. Ein Versuch dieser Art, welcher auf einer bis dahin den Römern wenig bekannten Straße im innersten Winkel des Adriatischen Meeres stattfand, mehr aber noch, wie es scheint, der Plan Philipps von Makedonien, wie Hannibal von Westen so seinerseits von Osten her in Italien einzufallen, veranlaßten die Gründung einer Festung in dem äußersten nordöstlichen Winkel Italien, der nördlichsten italischen Kolonie Aquileia (571-573 183-181), die nicht bloß diesen Weg den Fremden für immer zu verlegen, sondern auch die für die dortige Schiffahrt vorzüglich bequem gelegene Meeresbucht zu sichern und der immer noch nicht ganz ausgerotteten Piraterie in diesen Gewässern zu steuern bestimmt war. Die Anlage Aquileias veranlaßte einen Krieg gegen die Istrier (576, 577 178, 177), der mit der Erstürmung einiger Kastelle und dem Fall des Königs Aepulo schnell beendigt war und durch nichts merkwürdig ist als durch den panischen Schreck, den die Kunde von der Überrumpelung des römischen Lagers durch eine Handvoll Barbaren bei der Flotte und sodann in ganz Italien hervorrief.

Anders verfuhr man in der Landschaft diesseits des Padus, die der römische Senat beschlossen hatte Italien einzuverleiben. Die Boier, die dies zunächst traf, wehrten sich mit verzweifelter Entschlossenheit. Es ward sogar der Padus von ihnen überschritten und ein Versuch gemacht, die Insubrer wieder unter die Waffen zu bringen (560 194); ein Konsul ward in seinem Lager von ihnen blockiert und wenig fehlte, daß er unterlag; Placentia hielt sich mühsam gegen die ewigen Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward die letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Römer siegten (561 193), und seitdem war der Kampf kein Krieg mehr, sondern eine Sklavenhetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald das römische Lager, in das der noch übrige bessere Teil der Bevölkerung sich zu flüchten begann; die Sieger konnten nach Rom berichten, ohne sehr zu übertreiben, daß von der Nation der Boier nichts mehr übrig sei als Kinder und Greise. So freilich mußte sie sich ergeben in das Schicksal, das ihr bestimmt war. Die Römer forderten Abtretung des halben Gebiets (563 191); sie konnte nicht verweigert werden, aber auch auf dem geschmälerten Bezirk, der den Boiern blieb, verschwanden sie bald und verschmolzen mit ihren Besiegern29.

Nachdem die Römer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die Festungen Placentia und Cremona, deren Kolonisten die letzten unruhigen Jahre großenteils hingerafft oder zerstreut hatten, wieder organisiert und neue Ansiedler dorthin gesandt; neu gegründet wurden in und bei dem ehemaligen senonischen Gebiet Potentia (bei Recanati unweit Ancona; 570 184) und Pisaurum (Pesaro; 570 184), ferner in der neu gewonnenen boischen Landschaft die Festungen Bonoma (565 189), Mutina (571 183) und Parma (571 183), von denen die Kolonie Mutina schon vor dem Hannibalischen Krieg angelegt und nur der Abschluß der Gründung durch diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband sich mit der Anlage der Festungen auch die von Militärchausseen. Es wurde die Flaminische Straße von ihrem nördlichen Endpunkt Ariminum unter dem Namen der Aemilischen bis Placentia verlängert (567 187). Ferner ward die Straße von Rom nach Arretium oder die Cassische, die wohl schon längst Munizipalchaussee gewesen war, wahrscheinlich im Jahre 583 (171) von der römischen Gemeinde übernommen und neu angelegt, schon 567 (187) aber die Strecke von Arretium über den Apennin nach Bononia bis an die neue Aemilische Straße hergestellt, wodurch man eine kürzere Verbindung zwischen Rom und den Pofestungen erhielt. Durch diese durchgreifenden Maßnahmen wurde der Apennin als die Grenze des keltischen und des italischen Gebiets tatsächlich beseitigt und ersetzt durch den Po. Diesseits des Po herrschte fortan wesentlich die italische Stadt-, jenseits desselben wesentlich die keltische Gauverfassung, und es war ein leerer Name, wenn auch jetzt noch das Gebiet zwischen Apennin und Po zur keltischen Landschaft gerechnet ward.

In dem nordwestlichen italischen Gebirgsland, dessen Täler und Hügel hauptsächlich von dem vielgeteilten ligurischen Stamm eingenommen waren, verfuhren die Römer in ähnlicher Weise. Was zunächst nordwärts vom Arno wohnte, ward vertilgt. Es traf dies hauptsächlich die Apuaner, die, auf dem Apennin zwischen dem Arno und der Magra wohnend, einerseits das Gebiet von Pisae, anderseits das von Bononia und Mutina unaufhörlich plünderten. Was hier nicht dem Schwert der Römer erlag, ward nach Unteritalien in die Gegend von Benevent übergesiedelt (574 180), und durch energische Maßregeln die ligurische Nation, weicher man noch im Jahre 578 (175) die von ihr eroberte Kolonie Mutina wieder abnehmen mußte, in den Bergen, die das Potal von dem des Arno scheiden, vollständig unterdrückt. Die 577 (177) auf dem ehemals apuanischen Gebiet angelegte Festung Luna unweit Spezzia deckte die Grenze gegen die Ligurer ähnlich wie Aquileia gegen die Transalpiner und gab zugleich den Römern einen vortrefflichen Hafen, der seitdem für die Überfahrt nach Massalia und nach Spanien die gewöhnliche Station ward. Die Chaussierung der Küsten- oder Aurelischen Straße von Rom nach Luna und der von Luca über Florenz nach Arretium geführten Querstraße zwischen der Aurelischen und Cassischen gehört wahrscheinlich in dieselbe Zeit.

Gegen die westlicheren ligurischen Stämme, die die genuesischen Apenninen und die Seealpen innehatten, ruhten die Kämpfe nie. Es waren unbequeme Nachbarn, die zu Lande und zur See zu plündern pflegten; die Pisaner und die Massalioten hatten von ihren Einfällen und ihren Korsarenschiffen nicht wenig zu leiden. Bleibende Ergebnisse wurden indes bei den ewigen Fehden nicht gewonnen, vielleicht auch nicht bezweckt; außer daß man, wie es scheint, um mit dem transalpinischen Gallien und Spanien neben der regelmäßigen See- auch eine Landverbindung zu haben, bemüht war, die große Küstenstraße von Luna über Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen freizumachen – jenseits der Alpen lag es dann den Massalioten ob, den römischen Schiffen die Küstenfahrt und den Landreisenden die Uferstraße offen zu halten. Das Binnenland mit seinen unwegsamen Tälern und seinen Felsennestern, mit seinen armen, aber gewandten und verschlagenen Bewohnern diente den Römern hauptsächlich als Kriegsschule zur Übung und Abhärtung der Soldaten wie der Offiziere.

Ähnliche sogenannte Kriege wie gegen die Ligurer führte man gegen die Korsen und mehr noch gegen die Bewohner des inneren Sardinien, welche die gegen sie gerichteten Raubzüge durch Überfälle der Küstenstriche vergalten. Im Andenken geblieben ist die Expedition des Tiberius Gracchus gegen die Sarden 577 (177) nicht so sehr, weil er der Provinz den „Frieden“ gab, sondern weil er bis 80000 der Insulaner erschlagen oder gefangen zu haben behauptete und Sklaven von dort in solcher Masse nach Rom schleppte, daß es Sprichwort ward: „spottwohlfeil wie ein Sarde“.

In Afrika ging die römische Politik wesentlich auf in dem einen, ebenso kurzsichtigen wie engherzigen Gedanken, das Wiederaufkommen der karthagischen Macht zu verhindern und deshalb die unglückliche Stadt beständig unter dem Druck und unter dem Damoklesschwert einer römischen Kriegserklärung zu erhalten. Schon die Bestimmung des Friedensvertrags, daß den Karthagern zwar ihr Gebiet ungeschmälert bleiben, aber ihrem Nachbarn Massinissa alle diejenigen Besitzungen garantiert sein sollten, die er oder sein Vorweser innerhalb der karthagischen Grenzen besessen hätten, sieht fast so aus, als wäre sie hineingesetzt, um Streitigkeiten nicht zu beseitigen, sondern zu erwecken. Dasselbe gilt von der durch den römischen Friedenstraktat den Karthagern auferlegten Verpflichtung, nicht gegen römische Bundesgenossen Krieg zu führen, so daß nach dem Wortlaut des Vertrags sie nicht einmal befugt waren, aus ihrem eigenen und unbestrittenen Gebiet den numidischen Nachbarn zu vertreiben. Bei solchen Verträgen und bei der Unsicherheit der afrikanischen Grenzverhältnisse überhaupt konnte Karthagos Lage gegenüber einem ebenso mächtigen wie rücksichtslosen Nachbarn einem Oberherrn, der zugleich Schiedsrichter und Partei war, nicht anders als peinlich sein; aber die Wirklichkeit war ärger als die ärgsten Erwartungen. Schon 561 (193) sah Karthago sich unter nichtigen Vorwänden überfallen und den reichsten Teil seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der Kleinen Syrte, teils von den Numidiern geplündert, teils sogar von ihnen in Besitz genommen. So gingen die Übergriffe beständig weiter; das platte Land kam in die Hände der Numidier, und mit Mühe behaupteten die Karthager sich in den größeren Ortschaften. Bloß in den letzten zwei Jahren, erklärten die Karthager im Jahre 582 (172), seien ihnen wieder siebzig Dörfer vertragswidrig entrissen worden. Botschaft über Botschaft ging nach Rom; die Karthager beschworen den römischen Senat, ihnen entweder zu gestatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, oder ein Schiedsgericht mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu regulieren, damit sie wenigstens ein- für allemal erführen, wieviel sie einbüßen sollten; besser sei es sonst, sie geradezu zu römischen Untertanen zumachen, als sie so allmählich den Libyern auszuliefern. Aber die römische Regierung, die schon 554 (200) ihrem Klienten geradezu Gebietserweiterungen, natürlich auf Kosten Karthagos, in Aussicht gestellt hatte, schien wenig dagegen zuhaben, daß er die ihm bestimmte Beute sich selber nahm; sie mäßigte wohl zuweilen das allzugroße Ungestüm der Libyer, die ihren alten Peinigern jetzt das Erlittene reichlich vergalten, aber im Grunde war ja eben dieser Quälerei wegen Massinissa von den Römern Karthago zum Nachbar gesetzt worden. Alle Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, daß entweder römische Kommissionen in Afrika erschienen, die nach gründlicher Untersuchung zu keiner Entscheidung kamen, oder bei den Verhandlungen in Rom Massinissas Beauftragte Mangel an Instruktionen vorschützten und die Sache vertagt ward. Nur phönikische Geduld war imstande, sich in eine solche Lage mit Ergebung zu schicken, ja dabei den Machthabern jeden Dienst und jede Artigkeit, die sie begehrten und nicht begehrten, mit unermüdlicher Beharrlichkeit zu erweisen und namentlich durch Kornsendungen um die römische Gunst zu buhlen.

Indes war diese Fügsamkeit der Besiegten doch nicht bloß Geduld und Ergebung. Es gab noch in Karthago eine Patriotenpartei und an ihrer Spitze stand der Mann, der, wo immer das Schicksal ihn hinstellte, den Römern furchtbar blieb. Sie hatte es nicht aufgegeben, unter Benutzung der leicht vorauszusehenden Verwicklungen zwischen Rom und den östlichen Mächten noch einmal den Kampf aufzunehmen und, nachdem der großartige Plan Hamilkars und seiner Söhne wesentlich an der karthagischen Oligarchie gescheitert war, für diesen neuen Kampf vor allem das Vaterland innerlich zu erneuern. Die bessernde Macht der Not und wohl auch Hannibals klarer, großartiger und der Menschen mächtiger Geist bewirkten politische und finanzielle Reformen. Die Oligarchie, die durch Erhebung der Kriminaluntersuchung gegen den großen Feldherrn wegen absichtlich unterlassener Einnahme Roms und Unterschlagung der italischen Beute das Maß ihrer verbrecherischen Torheiten voll gemacht hatte – diese verfaulte Oligarchie wurde auf Hannibals Antrag über den Haufen geworfen und ein demokratisches Regiment eingeführt, wie es den Verhältnissen der Bürgerschaft angemessen war (vor 559 195). Die Finanzen wurden durch Beitreibung der rückständigen und unterschlagenen Gelder und durch Einführung einer besseren Kontrolle so schnell wieder geordnet, daß die römische Kontribution gezahlt werden konnte, ohne die Bürger irgendwie mit außerordentlichen Steuern zu belasten. Die römische Regierung, eben damals im Begriff, den bedenklichen Krieg mit dem Großkönig von Asien zu beginnen, folgte diesen Vorgängen mit begreiflicher Besorgnis; es war keine eingebildete Gefahr, daß die karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter Hannibalischer Krieg dort sich entspinnen könne, während die römischen Legionen in Kleinasien fochten. Man kann darum die Römer kaum tadeln, wenn sie eine Gesandtschaft nach Karthago schickten (559 195), die vermutlich beauftragt war, Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden karthagischen Oligarchen, die Briefe über Briefe nach Rom sandten, um den Mann, der sie gestürzt, wegen geheimer Verbindungen mit den antirömisch gesinnten Mächten dem Landesfeind zu denunzieren, sind verächtlich, aber ihre Meldungen waren wahrscheinlich richtig; und so wahr es auch ist, daß in jener Gesandtschaft ein demütigendes Eingeständnis der Furcht des mächtigen Volkes vor dem einfachen Schofeten von Karthago lag, so begreiflich und ehrenwert es ist, daß der stolze Sieger von Zama im Senat Einspruch tat gegen diesen erniedrigenden Schritt, so war doch jenes Eingeständnis eben nichts anderes als die schlichte Wahrheit, und Hannibal eine so außerordentliche Natur, daß nur römische Gefühlspolitiker ihn länger an der Spitze des karthagischen Staats dulden konnten. Die eigentümliche Anerkennung, die er bei der feindlichen Regierung fand, kam ihm selbst schwerlich überraschend. Wie Hannibal und nicht Karthago den letzten Krieg geführt hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen, was den Besiegten trifft. Die Karthager konnten nichts tun als sich fügen und ihrem Stern danken, daß Hannibal, durch seine rasche und besonnene Flucht nach dem Orient die größere Schande ihnen ersparend, seiner Vaterstadt bloß die mindere ließ, ihren größten Bürger auf ewige Zeiten aus der Heimat verbannt, sein Vermögen eingezogen und sein Haus geschleift zu haben. Das tiefsinnige Wort aber, daß diejenigen die Lieblinge der Götter sind, denen sie die unendlichen Freuden und die unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also an Hannibal in vollem Maße sich bewährt.

Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal läßt es sich verantworten, daß die römische Regierung nach dessen Entfernung nicht aufhörte, die Stadt zu beargwohnen und zu plagen. Zwar gärten dort die Parteien nach wie vor; allein nach der Entfernung des außerordentlichen Mannes, der fast die Geschicke der Welt gewendet hätte, bedeutete die Patriotenpartei nicht viel mehr in Karthago als in Ätolien und in Achaia. Die verständigste Idee unter denen, welche damals die unglückliche Stadt bewegten, war ohne Zweifel die, sich an Massinissa anzuschließen und aus dem Dränger den Schutzherrn der Phöniker zu machen. Allein weder die nationale noch die libysch gesinnte Faktion der Patrioten gelangte an das Ruder, sondern es blieb das Regiment bei den römisch gesinnten Oligarchen, welche, soweit sie nicht überhaupt aller Gedanken an die Zukunft sich begaben, einzig die Idee festhielten, die materielle Wohlfahrt und die Kommunalfreiheit Karthagos unter dem Schutze Roms zu retten. Hierbei hätte man in Rom wohl sich beruhigen können. Allein weder die Menge noch selbst die regierenden Herren vom gewöhnlichen Schlag vermochten sich der gründlichen Angst vom Hannibalischen Kriege her zu entschlagen; die römischen Kaufleute aber sahen mit neidischen Augen die Stadt auch jetzt, wo ihre politische Macht dahin war, im Besitz einer ausgedehnten Handelsklientel und eines festgegründeten, durch nichts zu erschütternden Reichtums. Schon im Jahre 567 (187) erbot sich die karthagische Regierung die sämtlichen im Frieden von 553 (201) stipulierten Terminzahlungen sofort zu entrichten, was die Römer, denen an der Tributpflichtigkeit Karthagos weit mehr gelegen war als an den Geldsummen selbst, begreiflicherweise ablehnten und daraus nur die Überzeugung gewannen, daß aller angewandten Mühe ungeachtet die Stadt nicht ruiniert und nicht zu ruinieren sei. Immer aufs neue liefen Gerüchte über die Umtriebe der treulosen Phöniker durch Rom. Bald hatte ein Emissär Hannibals, Ariston von Tyros, sich in Karthago blicken lassen, um die Bürgerschaft auf die Landung einer asiatischen Kriegsflotte vorzubereiten (561 193); bald hatte der Rat in geheimer nächtlicher Sitzung im Tempel des Heilgottes den Gesandten des Perseus Audienz gegeben (581 173); bald sprach man von der gewaltigen Flotte, die in Karthago für den Makedonischen Krieg gerüstet werde (583 171). Es ist nicht wahrscheinlich, daß diesen und ähnlichen Dingen mehr als höchstens die Unbesonnenheiten einzelner zugrunde lagen; immer aber waren sie das Signal zu neuen diplomatischen Mißhandlungen von römischer, zu neuen Übergriffen von Massinissas Seite, und die Meinung stellte immer mehr sich fest, je weniger Sinn und Verstand in ihr war, daß ohne einen dritten punischen Krieg mit Karthago nicht fertig zu werden sei.

Während also die Macht der Phöniker in dem Lande ihrer Wahl ebenso dahinsank wie sie längst in ihrer Heimat erlegen war, erwuchs neben ihnen ein neuer Staat. Seit unvordenklichen Zeiten wie noch heutzutage ist das nordafrikanische Küstenland bewohnt von dem Volke, das sich selber Schilah oder Tamazigt heißt und welches die Griechen und Römer die Nomaden oder Numidier, das ist das Weidevolk, die Araber Berber nennen, obwohl auch sie dieselben wohl als „Hirten“ (Schâwie) bezeichnen, und das wir Berber oder Kabylen zu nennen gewohnt sind. Dasselbe ist, soweit seine Sprache bis jetzt erforscht ist, keiner anderen bekannten Nation verwandt. In der karthagischen Zeit hatten diese Stämme mit Ausnahme der unmittelbar um Karthago oder unmittelbar an der Küste hausenden wohl im ganzen ihre Unabhängigkeit behauptet, aber auch bei ihrem Hirten- und Reiterleben, wie es noch jetzt die Bewohner des Atlas führen, im wesentlichen beharrt, obwohl das phönikische Alphabet und überhaupt die phönikische Zivilisation ihnen nicht fremd blieb und es wohl vorkam, daß die Berberscheichs ihre Söhne in Karthago erziehen ließen und mit phönikischen Adelsfamilien sich verschwägerten. Die römische Politik wollte unmittelbare Besitzungen in Afrika nicht haben und zog es vor, einen Staat dort großzuziehen, der nicht genug bedeutete, um Roms Schutz entbehren zu können und doch genug, um Karthagos Macht, nachdem dieselbe auf Afrika beschränkt war, auch hier niederzuhalten und der gequälten Stadt jede freie Bewegung unmöglich zu machen. Was man suchte, fand man bei den eingeborenen Fürsten. Um die Zeit des Hannibalischen Krieges standen die nordafrikanischen Eingeborenen unter drei Oberkönigen, deren jedem nach dortiger Art eine Menge Fürsten gefolgspflichtig waren: dem König der Mauren, Bocchar, der, vom Atlantischen Meer bis zum Fluß Molochath (jetzt Mluia an der marokkanisch-französischen Grenze), dem König der Massäsyler, Syphax, der von da bis an das sogenannte Durchbohrte Vorgebirge (Siebenkap zwischen Djidjeli und Bona) in den heutigen Provinzen Oran und Algier, und dem König der Massyler, Massinissa, der von dem Durchbohrten Vorgebirge bis an die karthagische Grenze in der heutigen Provinz Constantine gebot. Der mächtigste von diesen, der König von Siga, Syphax, war in dem letzten Krieg zwischen Rom und Karthago überwunden und gefangen nach Italien abgeführt worden, wo er in der Haft starb; sein weites Gebiet kam im wesentlichen an Massinissa – der Sohn des Syphax, Vermina, obwohl er durch demütiges Bitten von den Römern einen kleinen Teil des väterlichen Besitzes zurückerlangte (554 200), vermochte doch den älteren römischen Bundesgenossen nicht um die Stellung des bevorzugten Drängens von Karthago zu bringen. Massinissa ward der Gründer des Numidischen Reiches; und nicht oft hat Wahl oder Zufall so den rechten Mann an die rechte Stelle gesetzt. Körperlich gesund und gelenkig bis in das höchste Greisenalter, mäßig und nüchtern wie ein Araber, fähig, jede Strapaze zu ertragen, vom Morgen bis zum Abend auf demselben Flecke zu stehen und vierundzwanzig Stunden zu Pferde zu sitzen, in den abenteuerlichen Glückswechseln seiner Jugend wie auf den Schlachtfeldern Spaniens als Soldat und als Feldherr gleich erprobt, und ebenso ein Meister der schwereren Kunst, in seinem zahlreichen Hause Zucht und in seinem Lande Ordnung zu erhalten, gleich bereit, sich dem mächtigen Beschützer rücksichtslos zu Füßen zu werfen wie den schwächeren Nachbar rücksichtslos unter die Füße zu treten und zu alledem mit den Verhältnissen Karthagos, wo er erzogen und in den vornehmsten Häusern aus- und eingegangen war, ebenso genau bekannt wie von afrikanisch bitterem Hasse gegen seine und seiner Nation Bedrängen erfüllt, ward dieser merkwürdige Mann die Seele des Aufschwungs seiner, wie es schien, im Verkommen begriffenen Nation, deren Tugenden und Fehler in ihm gleichsam verkörpert erschienen. Das Glück begünstigte ihn wie in allem so auch darin, daß es ihm zu seinem Werke die Zeit ließ. Er starb im neunzigsten Jahr seines Lebens (516-605 238-149), im sechzigsten seiner Regierung, bis an sein Lebensende im vollen Besitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte, und hinterließ einen einjährigen Sohn und den Ruf, der stärkste Mann und der beste und glücklichste König seiner Zeit gewesen zu sein. Es ist schon erzählt worden, mit welcher berechneten Deutlichkeit die Römer in ihrer Oberleitung der afrikanischen Angelegenheiten ihre Parteinahme für Massinissa hervortreten ließen, und wie dieser die stillschweigende Erlaubnis, auf Kosten Karthagos sein Gebiet zu vergrößern, eifrig und stetig benutzte. Das ganze Binnenland bis an den Wüstensaum fiel dem einheimischen Herrscher gleichsam von selber zu, und selbst das obere Tal des Bagradas (Medscherda) mit der reichen Stadt Vaga ward dem König untertan; aber auch an der Küste östlich von Karthago besetzte er die alte Sidonierstadt Groß-Leptis und andere Strecken, so daß sein Reich sich von der mauretanischen bis zur kyrenäischen Grenze erstreckte, das karthagische Gebiet zu Lande von allen Seiten umfaßte und überall in nächster Nähe auf die Phöniker drückte. Es leidet keinen Zweifel, daß er in Karthago seine künftige Hauptstadt sah; die libysche Partei daselbst ist bezeichnend. Aber nicht allein durch die Schmälerung des Gebiets geschah Karthagos Eintrag. Die schweifenden Hirten wurden durch ihren großen König ein anderes Volk. Nach dem Beispiel des Königs, der weithin die Felder urbar machte und jedem seiner Söhne bedeutende Ackergüter hinterließ, fingen auch seine Untertanen an, sich ansässig zu machen und Ackerbau zu treiben. Wie seine Hirten in Bürger, verwandelte er seine Plunderhorden in Soldaten, die von Rom neben den Legionen zu fechten gewürdigt wurden, und hinterließ seinen Nachfolgern eine reich gefüllte Schatzkammer, ein wohldiszipliniertes Heer und sogar eine Flotte. Seine Residenz Cirta (Constantine) ward die lebhafte Hauptstadt eines mächtigen Staates und ein Hauptsitz der phönikischen Zivilisation, die an dem Hofe des Berberkönigs eifrige und wohl auch auf das künftige karthagisch-numidische Reich berechnete Pflege fand. Die bisher unterdrückte libysche Nationalität hob sich dadurch in ihren eigenen Augen, und selbst in die altphönikischen Städte, wie Groß-Leptis, drang einheimische Sitte und Sprache ein. Der Berber fing an, unter der Ägide Roms sich dem Phöniker gleich, ja überlegen zu fühlen; die karthagischen Gesandten mußten in Rom es hören, daß sie in Afrika Fremdlinge seien und das Land den Libyern gehöre. Die selbst in der nivellierenden Kaiserzeit noch lebensfähig und kräftig dastehende phönikisch-nationale Zivilisation Nordafrikas ist bei weitem weniger das Werk der Karthager als das des Massinissa.

In Spanien fügten die griechischen und phönikischen Städte an der Küste, wie Emporiae, Saguntum, Neukarthago, Malaca, Gades, sich um so bereitwilliger der römischen Herrschaft, als sie sich selber überlassen, kaum imstande gewesen wären, sich gegen die Eingeborenen zu schützen; wie aus gleichen Gründen Massalia, obwohl bei weitem bedeutender und wehrhafter als jene Städte, es doch nicht versäumte, durch engen Anschluß an die Römer, denen Massalia wieder als Zwischenstation zwischen Italien und Spanien vielfach nützlich wurde, sich einen mächtigen Rückhalt zu sichern. Die Eingeborenen dagegen machten den Römern unsäglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs an Ansätzen zu einer national-iberischen Zivilisation, von deren Eigentümlichkeit freilich es uns nicht wohl möglich ist, eine deutliche Vorstellung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine weitverbreitete nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des Ebrotals und die andalusische, und jede von diesen vermutlich wieder in mannigfache Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr frühe Zeit hinaufzureichen und eher auf das altgriechische als auf das phönikische Alphabet zurückzugehen scheint. Von den Turdetanern (um Sevilla) ist sogar überliefert, daß sie Lieder aus uralter Zeit, ein metrisches Gesetzbuch von 6000 Verszeilen, ja sogar geschichtliche Aufzeichnungen besaßen; allerdings wird diese Völkerschaft die zivilisierteste unter allen spanischen genannt und zugleich die am wenigsten kriegerische, wie sie denn auch ihre Kriege regelmäßig mit fremden Söldnern führte. Auf dieselbe Gegend werden wohl auch Polybios‘ Schilderungen zu beziehen sein von dem blühenden Stand des Ackerbaus und der Viehzucht in Spanien, weshalb bei dem Mangel an Ausfuhrgelegenheit Korn und Fleisch dort um Spottpreise zu haben war, und von den prächtigen Königspalästen mit den goldenen und silbernen Krügen voll „Gerstenwein“. Auch die Kulturelemente, die die Römer mitbrachten, faßte wenigstens ein Teil der Spanier eifrig auf, so daß früher als irgendwo sonst in den überseeischen Provinzen sich in Spanien die Latinisierung vorbereitete. So kam zum Beispiel schon in dieser Epoche der Gebrauch der warmen Bäder nach italischer Weise bei den Eingeborenen auf. Auch das römische Geld ist allem Anschein nach weit früher als irgendwo sonst außerhalb Italien in Spanien nicht bloß gangbar, sondern auch nachgemünzt worden; was durch die reichen Silberbergwerke des Landes einigermaßen begreiflich wird. Das sogenannte „Silber von Osca“ (jetzt Huesca in Aragonien), das heißt spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon 559 (195) erwähnt, und viel später kann der Anfang der Prägung schon deshalb nicht gesetzt werden, weil das Gepräge dem der ältesten römischen Denare nachgeahmt ist. Allein mochte auch in den südlichen und östlichen Landschaften die Gesittung der Eingeborenen der römischen Zivilisation und der römischen Herrschaft soweit vorgearbeitet haben, daß diese dort nirgend auf ernstliche Schwierigkeiten stießen, so war dagegen der Westen und Norden und das ganze Binnenland besetzt von zahlreichen, mehr oder minder rohen Völkerschaften, die von keinerlei Zivilisation viel wußten – in Intercatia zum Beispiel war noch um 600 (154) der Gebrauch des Goldes und Silbers unbekannt – und sich ebensowenig untereinander wie mit den Römern vertrugen. Charakteristisch ist für diese freien Spanier der ritterliche Sinn der Männer und wenigstens ebenso sehr der Frauen. Wenn die Mutter den Sohn in die Schlacht entließ, begeisterte sie ihn durch die Erzählung von den Taten seiner Ahnen, und dem tapfersten Mann reichte die schönste Jungfrau unaufgefordert als Braut die Hand. Zweikämpfe waren gewöhnlich, sowohl um den Preis der Tapferkeit wie zur Ausmachung von Rechtshändeln – selbst Erbstreitigkeiten zwischen fürstlichen Vettern wurden auf diesem Wege erledigt. Es kam auch nicht selten vor, daß ein bekannter Krieger vor die feindlichen Reihen trat und sich einen Gegner bei Namen herausforderte; der Besiegte übergab dann dem Gegner Mantel und Schwert und machte auch wohl noch mit ihm Gastfreundschaft. Zwanzig Jahre nach dem Ende des Hannibalischen Krieges sandte die kleine keltiberische Gemeinde von Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem römischen Feldherrn Botschaft zu, daß er ihnen für jeden gefallenen Mann ein Pferd, einen Mantel und ein Schwert senden möge, sonst werde es ihm übel ergehen. Stolz auf ihre Waffenehre, so daß sie häufig es nicht ertrugen, die Schmach der Entwaffnung zu überleben, waren die Spanier dennoch geneigt, jedem Werber zu folgen und für jeden fremden Span ihr Leben einzusetzen – bezeichnend ist die Botschaft, die ein der Landessitte wohl kundiger römischer Feldherr einem keltiberischen, im Solde der Turdetaner gegen die Römer fechtenden Schwarm zusandte: entweder nach Hause zu kehren, oder für doppelten Sold in römische Dienste zu treten, oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte sich kein Werbeoffizier, so trat man auch wohl auf eigene Hand zu Freischaren zusammen, um die friedlicheren Landschaften zu brandschatzen, ja sogar die Städte einzunehmen und zu besetzen, ganz in kampanischer Weise. Wie wild und unsicher das Binnenland war, davon zeugt zum Beispiel, daß die Internierung westlich von Cartagena bei den Römern als schwere Strafe galt, und daß in einigermaßen aufgeregten Zeiten die römischen Kommandanten des jenseitigen Spaniens Eskorten bis zu 6000 Mann mit sich nahmen. Deutlicher noch zeigt es der seltsame Verkehr, den in der griechisch-spanischen Doppelstadt Emporiae an der östlichen Spitze der Pyrenäen die Griechen mit ihren spanischen Nachbarn pflogen. Die griechischen Ansiedler, die auf der Spitze der Halbinsel, von dem spanischen Stadtteil durch eine Mauer getrennt wohnten, ließen diese jede Nacht durch den dritten Teil ihrer Bürgerwehr besetzen und an dem einzigen Tor einen höheren Beamten beständig die Wache versehen; kein Spanier durfte die griechische Stadt betreten und die Griechen brachten den Eingeborenen die Waren nur zu in starken und wohleskortierten Abteilungen. Diese Eingeborenen voll Unruhe und Kriegslust, voll von dem Geiste des Cid wie des Don Quixote sollten denn nun von den Römern gebändigt und womöglich gesittigt werden. Militärisch war die Aufgabe nicht schwer. Zwar bewiesen die Spanier nicht bloß hinter den Mauern ihrer Städte oder unter Hannibals Führung, sondern selbst allein und in offener Feldschlacht sich als nicht verächtliche Gegner; mit ihrem kurzen zweischneidigen Schwert, welches später die Römer von ihnen annahmen, und ihren gefürchteten Sturmkolonnen brachten sie nicht selten selbst die römischen Legionen zum Wanken. Hätten sie es vermocht, sich militärisch zu disziplinieren und politisch zusammenzuschließen, so hätten sie vielleicht der aufgedrungenen Fremdherrschaft sich entledigen können; aber ihre Tapferkeit war mehr die des Guerillas als des Soldaten und es mangelte ihr völlig der politische Verstand. So kam es in Spanien zu keinem ernsten Krieg, aber ebensowenig zu einem ernstlichen Frieden; die Spanier haben sich, wie Caesar später ganz richtig ihnen vorhielt, nie im Frieden ruhig und nie im Kriege tapfer erwiesen. So leicht der römische Feldherr mit den Insurgentenhaufen fertig ward, so schwer war es dem römischen Staatsmanne, ein geeignetes Mittel zu bezeichnen, um Spanien wirklich zu beruhigen und zu zivilisieren: in der Tat konnte er, da das einzige wirklich genügende, eine umfassende latinische Kolonisierung, dem allgemeinen Ziel der römischen Politik dieser Epoche zuwiderlief, hier nur mit Palliativen verfahren.

Das Gebiet, welches die Römer im Laufe des Hannibalischen Krieges in Spanien erwarben, zerfiel von Haus aus in zwei Massen; die ehemals karthagische Provinz, die zunächst die heutigen Landschaften Andalusien, Granada, Murcia und Valencia umfaßte, und die Ebrolandschaft oder das heutige Aragonien und Katalonien, das Standquartier des römischen Heeres während des letzten Krieges; aus welchen Gebieten die beiden römischen Provinzen des Jen- und Diesseitigen Spaniens hervorgingen. Das Binnenland, ungefähr den beiden Kastilien entsprechend, das die Römer unter dem Namen Keltiberien zusammenfaßten, suchte man allmählich unter römische Botmäßigkeit zu bringen, während man die Bewohner der westlichen Landschaften, namentlich die Lusitaner im heutigen Portugal und dem spanischen Estremadura, von Einfällen in das römische Gebiet abzuhalten sich begnügte und mit den Stämmen an der Nordküste, den Callaekern, Asturern und Kantabrern überhaupt noch gar nicht sich berührte. Die Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war indes nicht durchzuführen ohne eine stehende Besatzung, indem dem Vorsteher des diesseitigen Spaniens namentlich die Bändigung der Keltiberer und dem des jenseitigen die Zurückweisung der Lusitaner jährlich zu schaffen machten. Es ward somit nötig, in Spanien ein römisches Heer von vier starken Legionen oder etwa 40000 Mann Jahr aus Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei dennoch sehr häufig zur Verstärkung der Truppen in den von Rom besetzten Landschaften der Landsturm aufgeboten werden mußte. Es war dies in doppelter Weise von großer Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in größerem Umfang, die militärische Besetzung des Landes bleibend und infolgedessen auch der Dienst anfängt dauernd zu werden. Die alte römische Weise, nur dahin Truppen zu senden, wohin das augenblickliche Kriegsbedürfnis sie rief, und außer in sehr schweren und wichtigen Kriegen die einberufenen Leute nicht über ein Jahr bei der Fahne zu halten, erwies sich als unverträglich mit der Behauptung der unruhigen, fernen und überseeischen spanischen Ämter; es war schlechterdings unmöglich, die Truppen von da wegzuziehen, und sehr gefährlich, sie auch nur in Masse abzulösen. Die römische Bürgerschaft fing an innezuwerden, daß die Herrschaft über ein fremdes Volk nicht bloß für den Knecht eine Plage ist, sondern auch für den Herrn, und murrte laut über den verhaßten spanischen Kriegsdienst. Während die neuen Feldherren mit gutem Grund sich weigerten, die Gesamtablösung der bestehenden Korps zu gestatten, meuterten diese und drohten, wenn man ihnen den Abschied nicht gebe, ihn sich selber zu nehmen.

Den Kriegen selbst, die in Spanien von den Römern geführt wurden, kommt nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit Scipios Abreise und währten, solange der Hannibalische Krieg dauerte. Nach dem Frieden mit Karthago (553 201) ruhten auch auf der Halbinsel die Waffen, jedoch nur auf kurze Zeit. Im Jahre 557 (197) brach in beiden Provinzen eine allgemeine Insurrektion aus; der Befehlshaber der Jenseitigen ward hart gedrängt, der der Diesseitigen völlig überwunden und selber erschlagen. Es ward nötig, den Krieg mit Ernst anzugreifen, und obwohl inzwischen der tüchtige Prätor Quintus Minucius über die erste Gefahr Herr geworden war, beschloß doch der Senat im Jahre 559 (195), den Konsul Marcus Cato selbst nach Spanien zu senden. Er fand auch in der Tat bei der Landung in Emporiae das ganze Diesseitige Spanien von den Insurgenten überschwemmt; kaum daß diese Hafenstadt und im inneren Land ein paar Burgen noch für Rom behauptet wurden. Es kam zur offenen Feldschlacht zwischen den Insurgenten und dem konsularischen Heer, in der nach hartem Kampf Mann gegen Mann endlich die römische Kriegskunst mit der gesparten Reserve den Tag entschied. Das ganze Diesseitige Spanien sandte darauf seine Unterwerfung ein; indes es war mit derselben so wenig ernstlich gemeint, daß auf das Gerücht von der Heimkehr des Konsuls nach Rom sofort der Aufstand abermals begann. Allein das Gerücht war falsch, und nachdem Cato die Gemeinden, die zum zweitenmal sich aufgelehnt hatten, schnell bezwungen und in Masse in die Sklaverei verkauft hatte, ordnete er eine allgemeine Entwaffnung der Spanier in der diesseitigen Provinz an und erließ an die sämtlichen Städte der Eingeborenen von den Pyrenäen bis zum Guadalquivir den Befehl, ihre Mauern an einem und demselben Tage niederzureißen. Niemand wußte, wie weit das Gebot sich erstreckte, und es war keine Zeit sich zu verständigen; die meisten Gemeinden gehorchten und auch von den wenigen widerspenstigen wagten es nicht viele, als das römische Heer demnächst vor ihren Mauern erschien, es auf den Sturm ankommen zu lassen.

Diese energischen Maßregeln waren allerdings nicht ohne nachhaltigen Erfolg. Allein nichtsdestoweniger hatte man fast jährlich in der „friedlichen Provinz“ ein Gebirgstal oder ein Bergkastell zum Gehorsam zu bringen, und die stetigen Einfälle der Lusitaner in die jenseitige Provinz führten gelegentlich zu derben Niederlagen der Römer; wie zum Beispiel 563 (191) ein römisches Heer nach starkem Verlust sein Lager im Stich lassen und in Eilmärschen in die ruhigeren Landschaften zurückkehren mußte. Erst ein Sieg, den der Prätor Lucius Aemilius Paullus 565 (189)30, und ein zweiter noch bedeutenderer, den der tapfere Prätor Gaius Calpurnius jenseits des Tagus 569 (185) über die Lusitaner erfocht, schafften auf einige Zeit Ruhe. Im diesseitigen Spanien ward die bis dahin fast nominelle Herrschaft der Römer über die keltiberischen Völkerschaften fester begründet durch Quintus Fulvius Flaccus, der nach einem großen Siege über dieselben 573 (181) wenigstens die nächstliegenden Kantone zur Unterwerfung zwang, und besonders durch seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575, 576 179, 178), welcher mehr noch als durch die Waffen, mit denen er dreihundert spanische Ortschaften sich unterwarf, durch sein geschicktes Eingehen auf die Weise der schlichten und stolzen Nation dauernde Erfolge erreichte. Indem er angesehene Keltiberer bestimmte, im römischen Heer Dienste zu nehmen, schuf er sich eine Klientel; indem er den schweifenden Leuten Land anwies und sie in Städten zusammenzog – die spanische Stadt Graccurris bewahrte des Römers Namen –, ward dem Freibeuterwesen ernstlich gesteuert; indem er die Verhältnisse der einzelnen Völkerschaften zu den Römern durch gerechte und weise Verträge regelte, verstopfte er soweit möglich die Quelle künftiger Empörungen. Sein Name blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken, und es trat in dem Lande seitdem, wenn auch die Keltiberer noch manches Mal unter dem Joch zuckten, doch vergleichungsweise Ruhe ein.

Das Verwaltungssystem der beiden spanischen Provinzen war dem sizilisch-sardinischen ähnlich, aber nicht gleich. Die Oberverwaltung ward wie hier so dort in die Hände zweier Nebenkonsuln gelegt, die zuerst im Jahr 557 (197) ernannt wurden, in welches Jahr auch die Grenzregulierung und die definitive Organisierung der neuen Provinzen fällt. Die verständige Anordnung des Baebischen Gesetzes (573 181), daß die spanischen Prätoren immer auf zwei Jahre ernannt werden sollten, kam infolge des steigenden Zudrangs zu den höchsten Beamtenstellen und mehr noch infolge der eifersüchtigen Überwachung der Beamtengewalt durch den Senat nicht ernstlich zur Ausführung, und es blieb, soweit nicht in außerordentlichem Wege Abweichungen eintraten, auch hier bei dem für diese entfernten und schwer kennenzulernenden Provinzen besonders unvernünftigen jährlichen Wechsel der römischen Statthalter. Die abhängigen Gemeinden wurden durchgängig zinspflichtig; allein statt der sizilischen und sardinischen Zehnten und Zölle wurden in Spanien vielmehr von den Römern, eben wie früher hier von den Karthagern, den einzelnen Städten und Stämmen feste Abgaben an Geld oder sonstigen Leistungen auferlegt, welche auf militärischere Wege beizutreiben der Senat infolge der Beschwerdeführung der spanischen Gemeinden im Jahr 583 (171) untersagte. Getreidelieferungen wurden hier nicht anders als gegen Entschädigung geleistet, und auch hierbei durfte der Statthalter nicht mehr als das zwanzigste Korn erheben und überdies gemäß der eben erwähnten Vorschrift der Oberbehörde den Taxpreis nicht einseitig feststellen. Dagegen hatte die Verpflichtung der spanischen Untertanen, zu den römischen Heeren Zuzug zu leisten, hier eine ganz andere Wichtigkeit als wenigstens in dem friedlichen Sizilien, und es ward dieselbe auch in den einzelnen Verträgen genau geordnet. Auch das Recht der Prägung von Silbermünzen römischer Währung scheint den spanischen Städten sehr häufig zugestanden und das Münzmonopol hier keineswegs so wie in Sizilien von der römischen Regierung in Anspruch genommen worden zu sein. Überall bedurfte man in Spanien zu sehr der Untertanen, um hier nicht die Provinzialverfassung in möglichst schonender Weise einzuführen und zu handhaben. Zu den besonders von Rom begünstigten Gemeinden zählten namentlich die großen Küstenplätze griechischer, phönikischer oder römischer Gründung, wie Saguntum, Gades, Tarraco, die als die natürlichen Pfeiler der römischen Herrschaft auf der Halbinsel zum Bündnis mit Rom zugelassen wurden. Im ganzen war Spanien für die römische Gemeinde militärisch sowohl wie finanziell mehr eine Last als ein Gewinn; und die Frage liegt nahe, weshalb die römische Regierung, in deren damaliger Politik der überseeische Ländererwerb offenbar noch nicht lag, sich dieser beschwerlichen Besitzungen nicht entledigt hat. Die nicht unbedeutenden Handelsverbindungen, die wichtigen Eisen- und die noch wichtigeren, selbst im fernen Orient seit alter Zeit berühmten Silbergruben31, welche Rom wie Karthago für sich nahm und deren Bewirtschaftung namentlich Marcus Cato regulierte (559 195), werden dabei ohne Zweifel mitbestimmend gewesen sein; allein die Hauptursache, weshalb man die Halbinsel in unmittelbarem Besitz behielt, war die, daß es dort an Staaten mangelte, wie im Keltenland die massaliotische Republik, in Libyen das numidische Königreich waren, und daß man Spanien nicht loslassen konnte, ohne die Erneuerung des spanischen Königreichs der Barleiden jedem unternehmenden Kriegsmann freizugeben.

  1. Nach Strabons Bericht wären diese italischen Boier von den Römern über die Alpen verstoßen worden und aus ihnen die boische Ansiedlung im heutigen Ungarn um Steinamanger und Ödenburg hervorgegangen, welche in der augustischen Zeit von den über die Donau gegangenen Geten angegriffen und vernichtet wurde, dieser Landschaft aber den Namen der boischen Einöde hinterließ. Dieser Bericht paßt sehr wenig zu der wohlbeglaubigten Darstellung der römischen Jahrbücher, nach der man sich römischerseits begnügte mit der Abtretung des halben Gebietes; und um das Verschwinden der italischen Boier zu erklären, bedarf es in der Tat der Annahme einer gewaltsamen Vertreibung nicht – verschwinden doch auch die übrigen keltischen Völkerschaften, obwohl von Krieg und Kolonisierung in weit minderem Grade heimgesucht, nicht viel weniger rasch und vollständig aus der Reihe der italischen Nationen. Anderseits führen andere Berichte vielmehr darauf, jene Boier am Neusiedler See herzuleiten von dem Hauptstock der Nation, der ehemals in Bayern und Böhmen saß, bis deutsche Stämme ihn südwärts drängten. Überall aber ist es sehr zweifelhaft, ob die Boier, die man bei Bordeaux, am Po, in Böhmen findet, wirklich auseinandergesprengte Zweige eines Stammes sind und nicht bloß eine Namensgleichheit obwaltet. Strabons Annahme dürfte auf nichts anderem beruhen als auf einem Rückschluß aus der Namensgleichheit, wie die Alten ihn bei den Kimbern, Venetern und sonst oft unüberlegt anwandten.
  2. Von diesem Statthalter ist kürzlich das folgende Dekret auf einer in der Nähe von Gibraltar aufgefundenen, jetzt im Pariser Museum aufbewahrten Kupfertafel zum Vorschein gekommen: „L. Aimilius, des Lucius Sohn, Imperator, hat verfügt, daß die in dem Turm von Laskuta [durch Münzen und Plin. 3, 1, 15 bekannt, aber ungewisser Lage] wohnhaften Sklaven der Hastenser [Hasta regia, unweit Jerez de la Frontera] frei sein sollen. Den Boden und die Ortschaft, die sie zur Zeit besitzen, sollen sie auch ferner besitzen und haben, so lange es dem Volk und dem Rat der Römer belieben wird. Verhandelt im Lager am 12. Januar [564 oder 565 der Stadt]. “ (L. Aimilius L. f. inpeirator decreivit, utei quei Hastensium seruei in turri Lascutana habitarent, leiberei essent. Agrum oppidumqu[e], quod ea tempestate posedisent, item possidere habereque iousit, dum poplus senatusque Romanus vellet. Act. in castreis a. d. XII k. Febr.) Es ist dies die älteste römische Urkunde, die wir im Original besitzen, drei Jahre früher abgefaßt als der bekannte Erlaß der Konsuln des Jahres 568 (186) in der Bacchanalienangelegenheit.
  3. 1. Makk. 8, 3: „Und Judas hörte, was die Römer getan hatten im Lande Hispanien, um Herren zu werden der Silber- und Goldgruben daselbst.“

8. Kapitel


8. Kapitel

Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg

Das Werk, welches König Alexander von Makedonien begonnen hatte, ein Jahrhundert zuvor, ehe die Römer in dem Gebiet, das er sein genannt, den ersten Fußbreit Landes gewonnen, dies Werk hatte im Verlauf der Zeit, bei wesentlicher Festhaltung des großen Grundgedankens, den Orient zu hellenisieren, sich verändert und erweitert zu dem Aufbau eines hellenisch-asiatischen Staatensystems. Die unbezwingliche Wander- und Siedellust der griechischen Nation, die einst ihre Handelsleute nach Massalia und Kyrene, an den Nil und in das Schwarze Meer geführt hatte, hielt jetzt fest, was der König gewonnen hatte, und überall in dem alten Reich der Achämeniden ließ unter dem Schutz der Sarissen griechische Zivilisation sich friedlich nieder. Die Offiziere, die den großen Feldherrn beerbten, vertrugen allmählich sich untereinander und es stellte ein Gleichgewichtssystem sich her, dessen Schwankungen selbst eine gewisse Regelmäßigkeit zeigen. Von den drei Staaten ersten Ranges, die demselben angehören, Makedonien, Asien und Ägypten, war Makedonien unter Philippos dem Fünften, der seit 534 (220) dort den Königsthron einnahm, im ganzen, äußerlich wenigstens, was es gewesen war unter dem zweiten Philippos, dem Vater Alexanders: ein gut arrondierter Militärstaat mit wohlgeordneten Finanzen. An der Nordgrenze hatten die ehemaligen Verhältnisse sich wiederhergestellt, nachdem die Fluten der gallischen Überschwemmung verlaufen waren; die Grenzwache hielt die illyrischen Barbaren wenigstens in gewöhnlichen Zeiten ohne Mühe im Zaum. Im Süden war Griechenland nicht bloß überhaupt von Makedonien abhängig, sondern ein großer Teil desselben: ganz Thessalien im weitesten Sinn von Olympos bis zum Spercheios und der Halbinsel Magnesia, die große und wichtige Insel Euböa, die Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika und im Peloponnes eine Anzahl einzelner Plätze, wie das Vorgebirge Sunion, Korinth, Orchomenos, Heräa, das triphylische Gebiet – alle diese Land- und Ortschaften waren Makedonien geradezu untertänig und empfingen makedonische Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen Festungen Demetrias in Magnesia, Chalkis auf Euböa und Korinth, „die drei Fesseln der Hellenen“. Die Macht des Staates aber lag vor allem in dem Stammland, in der makedonischen Landschaft. Zwar die Bevölkerung dieses weiten Gebiets war auffallend dünn; mit Anstrengung aller Kräfte vermochte Makedonien kaum soviel Mannschaft aufzubringen als ein gewöhnliches konsularisches Heer von zwei Legionen zählte, und es ist unverkennbar, daß in dieser Hinsicht sich das Land noch nicht von der durch die Züge Alexanders und den gallischen Einfall hervorgebrachten Entvölkerung erholt hatte. Aber während im eigentlichen Griechenland die sittliche und staatliche Kraft der Nation zerrüttet war und dort, da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben kaum mehr der Mühe wert schien, selbst von den Besseren der eine über dem Becher, der andere mit dem Rapier, der dritte bei der Studierlampe den Tag verdarb, während im Orient und in Alexandreia die Griechen unter die dichte einheimische Bevölkerung wohl befruchtende Elemente aussäen und ihre Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre Wissenschaft und Afterwissenschaft dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum genügte, um den Nationen die Offiziere, die Staatsmänner und die Schulmeister zu liefern, und viel zu gering war, um einen Mittelstand rein griechischen Schlages auch nur in den Städten zu bilden, bestand dagegen im nördlichen Griechenland noch ein guter Teil der alten kernigen Nationalität, aus der die Marathonkämpfer hervorgegangen waren. Daher rührt die Zuversicht, mit der die Makedonier, die Ätoler, die Akarnanen, überall wo sie im Osten auftreten, als ein besserer Schlag sich geben und genommen werden, und die überlegene Rolle, welche sie deswegen an den Höfen von Alexandreia und Antiocheia spielen. Die Erzählung ist bezeichnend von dem Alexandriner, der längere Zeit in Makedonien gelebt und dort Landessitte und Landestracht angenommen hat, und nun, da er in seine Vaterstadt heimkehrt, sich selber einen Mann und die Alexandriner gleich Sklaven achtet. Diese derbe Tüchtigkeit und der ungeschwächte Nationalsinn kamen vor allem dem makedonischen als dem mächtigsten und geordnetsten der nordgriechischen Staaten zugute. Wohl ist auch hier der Absolutismus emporgekommen gegen die alte gewissermaßen ständische Verfassung; allein Herr und Untertanen stehen doch in Makedonien keineswegs zueinander wie in Asien und Ägypten, und das Volk fühlt sich noch selbständig und frei. In festem Mut gegen den Landesfeind, wie er auch heiße, in unerschütterlicher Treue gegen die Heimat und die angestammte Regierung, in mutigem Ausharren unter den schwersten Bedrängnissen steht unter allen Völkern der alten Geschichte keines dem römischen so nah wie das makedonische, und die an das Wunderbare grenzende Regeneration des Staates nach der gallischen Invasion gereicht den leitenden Männern wie dem Volke, das sie leiteten, zu unvergänglicher Ehre.

Der zweite von den Großstaaten, Asien, war nichts als das oberflächlich umgestaltete und hellenisierte Persien, das Reich des „Königs der Könige“, wie sein Herr sich, bezeichnend für seine Anmaßung wie für seine Schwäche, zu nennen pflegte, mit denselben Ansprüchen von Hellespont bis zum Pandschab zu gebieten und mit derselben kernlosen Organisation, ein Bündel von mehr oder minder abhängigen Dependenzstaaten, unbotmäßigen Satrapien und halbfreien griechischen Städten. Von Kleinasien namentlich, das nominell zum Reich der Seleukiden gezählt ward, war tatsächlich die ganze Nordküste und der größere Teil des östlichen Binnenlandes in den Händen einheimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen Keltenhaufen, von dem Westen ein guter Teil im Besitz der Könige von Pergamon, und die Inseln und Küstenstädte teils ägyptisch, teils frei, so daß dem Großkönig hier wenig mehr blieb als das innere Kilikien, Phrygien und Lydien und eine große Anzahl nicht wohl zu realisierender Rechtstitel gegen freie Städte und Fürsten – ganz und gar wie seiner Zeit die Herrschaft des deutschen Kaisers außer seinem Hausgebiet bestellt war. Das Reich verzehrte sich in den vergeblichen Versuchen, die Ägypter aus den Küstenlandschaften zu verdrängen, in dem Grenzhader mit den östlichen Völkern, den Parthern und Baktriern, in den Fehden mit den zum Unheil Kleinasiens daselbst ansässig gewordenen Kelten, in den beständigen Bestrebungen, den Emanzipationsversuchen der östlichen Satrapen und der kleinasiatischen Griechen zu steuern, und in den Familienzwisten und Prätendentenaufständen, an denen es zwar in keinem der Diadochenstaaten fehlt, wie überhaupt an keinem der Greuel, welche die absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge führt, allein die in dem Staate Asien deshalb verderblicher waren als anderswo, weil sie hier bei der losen Zusammenfügung des Reiches zu der Abtrennung einzelner Landesteile auf kürzere oder längere Zeit zu führen pflegten.

Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Ägypten ein festgeschlossener Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst der ersten Lagiden unter geschickter Benutzung des alten nationalen und religiösen Herkommens eine vollkommen absolute Kabinettsherrschaft begründet hatte und wo selbst das schlimmste Mißregiment weder Emanzipations- noch Zerspaltungsversuche herbeizuführen vermochte. Sehr verschieden von dem nationalen Royalismus der Makedonier, der auf ihrem Selbstgefühl ruhte und dessen politischer Ausdruck war, war in Ägypten das Land vollständig passiv, die Hauptstadt dagegen alles und diese Hauptstadt Dependenz des Hofes; weshalb hier mehr noch als in Makedonien und Asien die Schlaffheit und Trägheit der Herrscher den Staat lähmte, während umgekehrt in den Händen von Männern, wie der erste Ptolemaeos und Ptolemaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich äußerst brauchbar erwies. Zu den eigentümlichen Vorzügen Ägyptens vor den beiden großen Rivalen gehört es, daß die ägyptische Politik nicht nach Schatten griff, sondern klare und erreichbare Zwecke verfolgte. Makedonien, die Heimat Alexanders; Asien, das Land, in dem Alexander seinen Thron gegründet hatte, hörten nicht auf, sich als unmittelbare Fortsetzungen der alexandrischen Monarchie zu betrachten und lauter oder leiser den Anspruch zu erheben, dieselbe wenn nicht her-, so doch wenigstens darzustellen. Die Lagiden haben nie eine Weltmonarchie zu gründen versucht und nie von Indiens Eroberung geträumt; dafür aber zogen sie den ganzen Verkehr zwischen Indien und dem Mittelmeer von den phönikischen Häfen nach Alexandreia und machten Ägypten zu dem ersten Handels- und Seestaat dieser Epoche und zum Herrn des östlichen Mittelmeeres und seiner Küsten und Inseln. Es ist bezeichnend, daß Ptolemaeos III. Euergetes alle seine Eroberungen freiwillig an Seleukos Kallinikos zurückgab bis auf die Hafenstadt von Antiocheia. Teils hierdurch, teils durch die günstige geographische Lage kam Ägypten den beiden Kontinentalmächten gegenüber in eine vortreffliche militärische Stellung zur Verteidigung wie zum Angriff. Während der Gegner selbst nach glücklichen Erfolgen kaum imstande war, das ringsum für Landheere fast unzugängliche Ägypten ernstlich zu bedrohen, konnten die Ägypter von der See aus nicht bloß in Kyrene sich festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der phönikisch-syrischen und auf der ganzen Süd- und Westküste von Kleinasien, ja sogar in Europa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch die beispiellose Ausbeutung des fruchtbaren Niltals zum unmittelbaren Besten der Staatskasse und durch eine die materiellen Interessen ernstlich und geschickt fördernde und ebenso rücksichtslose wie einsichtige Finanzwirtschaft war der alexandrinische Hof seinen Gegner auch als Geldmacht beständig überlegen. Endlich die intelligente Munifizenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach ernster Forschung in allen Gebieten des Könnens und Wissens entgegenkamen und diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen und in die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nützte nicht bloß unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Maschinenbau den Einfluß der alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspürten, sondern machte auch diese neue geistige Macht, die bedeutendste und großartigste, welche das hellenische Volk nach seiner politischen Zersplitterung in sich hegte, soweit sie sich überhaupt zur Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des alexandrinischen Hofes. Wäre Alexanders Reich stehengeblieben, so hätte die griechische Kunst und Wissenschaft einen Staat gefunden, würdig und fähig, sie zu fassen; jetzt wo die Nation in Trümmer gefallen war, wucherte in ihr der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet Alexandreia, wo die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen unerschöpflich waren, die Könige Tragödien und die Minister Kommentare dazu schrieben und die Pensionen und Akademien florierten.

Das Verhältnis der drei Großstaaten zueinander ergibt sich aus dem Gesagten. Die Seemacht, welche die Küsten beherrschte und das Meer monopolisierte, mußte nach dem ersten großen Erfolg, der politischen Trennung des europäischen Kontinents von dem asiatischen, weiter hinarbeiten auf die Schwächung der beiden Großstaaten des Festlandes und also auf die Beschützung der sämtlichen kleineren Staaten, während umgekehrt Makedonien und Asien zwar auch untereinander rivalisierten, aber doch vor allen Dingen in Ägypten ihren gemeinschaftlichen Gegner fanden und ihm gegenüber zusammenhielten oder doch hätten zusammenhalten sollen.

Unter den Staaten zweiten Ranges ist für die Berührungen des Ostens mit dem Westen zunächst nur mittelbar von Bedeutung die Staatenreihe, welche vom südlichen Ende des Kaspischen Meeres zum Hellespont sich hinziehend das Innere und die Nordküste Kleinasiens ausfüllt: Atropatene (im heutigen Aserbeidschan südwestlich vom Kaspischen Meer), daneben Armenien, Kappadokien im kleinasiatischen Binnenland, Pontos am südöstlichen, Bithynien am südwestlichen Ufer des Schwarzen Meeres – sie alle Splitter des großen Perserreiches und beherrscht von morgenländischen, meistens altpersischen Dynastien, die entlegene Berglandschaft Atropatene namentlich die rechte Zufluchtsstätte des alten Persertums, an der selbst Alexanders Zug spurlos vorübergebraust war, und alle auch in derselben zeitweiligen und oberflächlichen Abhängigkeit von der griechischen Dynastie, die in Asien an die Stelle der Großkönige getreten war oder sein wollte.

Von größerer Wichtigkeit für die allgemeinen Verhältnisse ist der Keltenstaat in dem kleinasiatischen Binnenland. Hier mitten inne zwischen Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien und Phrygien hatten drei keltische Völkerschaften, die Tolistoager, Tectosagen und Trocmer sich ansässig gemacht, ohne darum weder von der heimischen Sprache und Sitte noch von ihrer Verfassung und ihrem Freibeuterhandwerk zu lassen. Die zwölf Vierfürsten, jeder einem der vier Kantone eines der drei Stämme vorgesetzt, bildeten mit ihrem Rate von dreihundert Männern die höchste Autorität der Nation und traten auf der „heiligen Stätte“ (Drunemetum) namentlich zur Fällung von Bluturteilen zusammen. Seltsam wie diese keltische Gauverfassung den Asiaten erschien, ebenso fremdartig dünkte ihnen der Wagemut und die Landsknechtsitte der nordischen Eindringlinge, welche teils ihren unkriegerischen Nachbarn die Söldner zu jedem Krieg lieferten, teils die umliegenden Landschaften auf eigene Faust plünderten oder brandschatzten. Diese rohen aber kräftigen Barbaren waren der allgemeine Schreck der verweichlichten umwohnenden Nationen, ja der asiatischen Großkönige selbst, welche, nachdem manches asiatische Heer von den Kelten war aufgerieben worden, und König Antiochos I. Soter sogar im Kampf gegen sie sein Leben verloren hatte (493 261) zuletzt selber zur Zinszahlung sich verstanden.

Dem kühnen und glücklichen Auftreten gegen diese gallischen Horden verdankte es ein reicher Bürger von Pergamon, Attalos, daß er von seiner Vaterstadt den Königstitel empfing und ihn auf seine Nachkommen vererbte. Dieser neue Hof war im kleinen was der alexandrinische im großen; auch hier war die Förderung der materiellen Interessen, die Pflege von Kunst und Literatur an der Tagesordnung und das Regiment eine umsichtige und nüchterne Kabinettspolitik, deren wesentlicher Zweck war, teils die Macht der beiden gefährlichen festländischen Nachbarn zu schwächen, teils einen selbständigen Griechenstaat im westlichen Kleinasien zu begründen. Der wohlgefüllte Schatz trug viel zu der Bedeutung dieser pergamenischen Herren bei; sie schossen den syrischen Königen bedeutende Summen vor, deren Rückzahlung später unter den römischen Friedensbedingungen eine Rolle spielte, und selbst Gebietserwerbungen gelangen auf diesem Wege, wie zum Beispiel Aegina, das die verbündeten Römer und Ätoler im letzten Krieg den Bundesgenossen Philipps, den Achäern, entrissen hatten, von den Ätolern, denen es vertragsmäßig zufiel, um 30 Talente (51000 Taler) an Attalos verkauft ward. Indes trotz des Hofglanzes und des Königstitels behielt das pergamenische Gemeinwesen immer etwas vom städtischen Charakter, wie es denn auch in seiner Politik gewöhnlich mit den Freistädten zusammenging. Attalos selbst, der Lorenzo de‘ Medici des Altertums, blieb sein lebelang ein reicher Bürgersmann, und das Familienleben der Attaliden, aus deren Hause ungeachtet des Königstitels die Eintracht und Innigkeit nicht gewichen war, stach sehr ab gegen die wüste Schandwirtschaft der adligeren Dynastien.

In dem europäischen Griechenland waren außer den römischen Besitzungen an der Ostküste, von denen in den wichtigsten, namentlich in Kerkyra römische Beamte residiert zu haben scheinen, und dem unmittelbar makedonischen Gebiet noch mehr oder minder imstande, eine eigene Politik zu verfolgen, die Epeiroten, Akarnanen und Ätoler im nördlichen, die Böoter und Athener im mittleren Griechenland und die Achäer, Lakedämonier, Messenier und Eleer im Peloponnes. Unter diesen waren die Republiken der Epeiroten, Akarnanen und Böoter in vielfacher Weise eng an Makedonien geknüpft, namentlich die Akarnanen, weil sie der von den Ätolern drohenden Unterdrückung einzig durch makedonischen Schutz zu entgehen vermochten; von Bedeutung war keine von ihnen. Die inneren Zustände waren sehr verschieden; wie es zum Teil aussah, dafür mag als Beispiel dienen, daß bei den Böotern, wo es freilich am ärgsten zuging, es Sitte geworden war, jedes Vermögen, das nicht in gerader Linie vererbte, an die Kneipgesellschaften zu vermachen, und es für die Bewerber um die Staatsämter manches Jahrzehnt die erste Wahlbedingung war, daß sie sich verpflichteten, keinem Gläubiger, am wenigsten einem Ausländer, die Ausklagung seiner Schuldner zu gestatten.

Die Athener pflegten von Alexandreia aus gegen Makedonien unterstützt zu werden und standen im engen Bunde mit den Ätolern; auch sie indes waren völlig machtlos, und fast nur der Nimbus attischer Kunst und Poesie hob diese unwürdigen Nachfolger einer herrlichen Vorzeit unter einer Reihe von Kleinstädten gleichen Schlages hervor.

Nachhaltiger war die Macht der ätolischen Eidgenossenschaft; das kräftige Nordgriechentum war hier noch ungebrochen, aber freilich ausgeartet in wüste Zucht- und Regimentlosigkeit – es war Staatsgesetz, daß der ätolische Mann gegen jeden, selbst gegen den mit den Ätolern verbündeten Staat als Reisläufer dienen könne, und auf die dringenden Bitten der übrigen Griechen, dies Unwesen abzustellen, erklärte die ätolische Tagsatzung, eher könne man Ätolien aus Ätolien wegschaffen als diesen Grundsatz aus ihrem Landrecht. Die Ätoler hätten dem griechischen Volke von großem Nutzen sein können, wenn sie ihm nicht durch diese organisierte Räuberwirtschaft, durch ihre gründliche Verfeindung mit der achäischen Eidgenossenschaft und durch die unselige Opposition gegen den makedonischen Großstaat noch viel mehr geschadet hätten.

Im Peloponnes hatte der Achäische Bund die besten Elemente des eigentlichen Griechenlands zusammengefaßt zu einer auf Gesittung, Nationalsinn und friedliche Schlagfertigkeit gegründeten Eidgenossenschaft. Indes die Blüte und namentlich die Wehrhaftigkeit derselben war trotz der äußerlichen Erweiterung geknickt worden durch Aratos‘ diplomatischen Egoismus, welcher den Achäischen Bund durch die leidigen Verwicklungen mit Sparta und die noch leidigere Anrufung makedonischer Intervention im Peloponnes der makedonischen Suprematie so vollständig unterworfen hatte, daß die Hauptfestungen der Landschaft seitdem makedonische Besatzungen empfingen und dort jährlich Philippos der Eid der Treue geschworen wurde. Die schwächeren Staaten im Peloponnes, Elis, Messene und Sparta, wurden durch ihre alte, namentlich durch Grenzstreitigkeiten genährte Verfeindung mit der achäischen Eidgenossenschaft in ihrer Politik bestimmt und waren ätolisch und antimakedonisch gesinnt, weil die Achäer es mit Philippos hielten. Einige Bedeutung unter diesen Staaten hatte einzig das spartanische Soldatenkönigtum, das nach dem Tode des Machanidas an einen gewissen Nabis gekommen war; er stützte sich immer dreister auf die Vagabunden und fahrenden Söldner, denen er nicht bloß die Häuser und Äcker, sondern auch die Frauen und Kinder der Bürger überwies, und unterhielt emsig Verbindungen, ja schloß geradezu eine Assoziation zum Seeraub auf gemeinschaftliche Rechnung mit der großen Söldner- und Piratenherberge, der Insel Kreta, wo er auch einige Ortschaften besaß. Seine Raubzüge zu Lande wie seine Piratenschiffe am Vorgebirge Malea waren weit und breit gefürchtet, er selbst als niedrig und grausam verhaßt; aber seine Herrschaft breitete sich aus, und um die Zeit der Schlacht bei Zama war es ihm sogar gelungen, sich in den Besitz von Messene zu setzen.

Endlich die unabhängigste Stellung unter den Mittelstaaten hatten die freien griechischen Kaufstädte an dem europäischen Ufer der Propontis sowie auf der ganzen kleinasiatischen Küste und auf den Inseln des Ägäischen Meeres; sie sind zugleich die lichteste Seite in dieser trüben Mannigfaltigkeit des hellenischen Staatensystems, namentlich drei unter ihnen, die seit Alexanders Tode wieder volle Freiheit genossen und durch ihren tätigen Seehandel auch zu einer achtbaren politischen Macht und selbst zu bedeutendem Landgebiet gelangt waren: Byzantion, die Herrin des Bosporos, reich und mächtig durch die Sundzölle und den wichtigen Kornhandel nach dem Schwarzen Meer; Kyzikos an der asiatischen Propontis, die Tochterstadt und die Erbin Milets, in engsten Beziehungen zu dem Hofe von Pergamon, und endlich und vor allen Rhodos. Die Rhodier, die gleich nach Alexanders Tode die makedonische Besatzung vertrieben hatten, waren durch ihre glückliche Lage für Handel und Schiffahrt Vermittler des Verkehrs in dem ganzen östlichen Mittelmeer geworden und die tüchtige Flotte wie der in der berühmten Belagerung von 450 (304) bewährte Mut der Bürger setzten sie in den Stand, in jener Zeit ewiger Fehden aller gegen alle vorsichtig und energisch eine neutrale Handelspolitik zu vertreten und wenn es galt zu verfechten; wie sie denn zum Beispiel die Byzantier mit den Waffen zwangen, den rhodischen Schiffen Zollfreiheit im Bosporos zu gestatten, und ebensowenig den pergamenischen Dynasten das Schwarze Meer zu sperren erlaubten. Vom Landkrieg hielten sie sich dagegen womöglich fern, obwohl sie an der gegenüberliegenden karischen Küste nicht unbeträchtliche Besitzungen erworben hatten, und führten ihn, wenn es nicht anders sein konnte, mit Söldnern. Nach allen Seiten hin, mit Syrakus, Makedonien und Syrien, vor allem aber mit Ägypten standen sie in freundschaftlichen Beziehungen und genossen hoher Achtung bei den Höfen, so daß nicht selten in den Kriegen der Großstaaten ihre Vermittlung angerufen ward. Ganz besonders aber nahmen sie sich der griechischen Seestädte an, deren es an den Gestaden des Pontischen, Bithynischen und Pergamenischen Reiches wie auf den von Ägypten den Seleukiden entrissenen kleinasiatischen Küsten und Inseln unzählige gab, wie zum Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos, Abydos, Mytilene, Chios, Smyrna, Samos, Halikarnassos und andere mehr. Alle diese waren im wesentlichen frei und hatten mit ihren Grundherren nichts zu schaffen, als die Bestätigung ihrer Privilegien von ihnen zu erbitten und höchstens ihnen einen mäßigen Zins zu entrichten; gegen etwaige Übergriffe der Dynasten wußte man bald schmiegsam, bald energisch sich zu wehren. Hauptsächlich hilfreich hierbei waren die Rhodier, welche zum Beispiel Sinope gegen Mithradates von Pontos nachdrücklich unterstützten. Wie fest sich unter dem Hader und eben durch die Zwiste der Monarchen die Freiheiten dieser kleinasiatischen Städte gegründet hatten, beweist zum Beispiel, daß einige Jahre nachher zwischen Antiochos und den Römern nicht über die Freiheit der Städte selbst gestritten ward, sondern darüber, ob sie die Bestätigung ihrer Freibriefe vom König nachzusuchen hätten oder nicht. Dieser Städtebund war wie in allem so auch in dieser eigentümlichen Stellung zu den Landesherren eine förmliche Hansa, sein Haupt Rhodos, das in Verträgen für sich und seine Bundesgenossen verhandelte und stipulierte. Hier ward die städtische Freiheit gegen die monarchischen Interessen vertreten, und während um die Mauern herum die Kriege tobten, blieb hier in verhältnismäßiger Ruhe Bürgersinn und bürgerlicher Wohlstand heimisch, und es gediehen hier Kunst und Wissenschaft, ohne durch wüste Soldatenwirtschaft zertreten oder von der Hofluft korrumpiert zu werden.

Also standen die Dinge im Osten, als die politische Scheidewand zwischen dem Orient und dem Okzident fiel und die östlichen Mächte, zunächst Philippos von Makedonien, veranlaßt wurden, in die Verhältnisse des Westens einzugreifen. Wie es geschah und wie der Erste Makedonische Krieg (540-549 214-205) verlief, ist zum Teil schon erzählt und angedeutet worden, was Philippos im Hannibalischen Kriege hätte tun können und wie wenig von dem geschah, was Hannibal hatte erwarten und berechnen dürfen. Es hatte wieder einmal sich gezeigt, daß unter allen Würfelspielen keines verderblicher ist als die absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der Mann, dessen Makedonien damals bedurfte; indes eine unbedeutende Natur war er nicht. Er war ein rechter König, in dem besten und dem schlimmsten Sinne des Wortes. Das lebhafte Gefühl, selbst und allein zu herrschen, war der Grundzug seines Wesens; er war stolz auf seinen Purpur, aber nicht bloß auf ihn, und er durfte stolz sein. Er bewies nicht allein die Tapferkeit des Soldaten und den Blick des Feldherrn, sondern auch einen hohen Sinn in der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten, wo immer sein makedonisches Ehrgefühl verletzt ward. Voll Verstand und Witz gewann er, wen er gewinnen wollte, vor allem eben die fähigsten und gebildetsten Männer, so zum Beispiel Flamininus und Scipio; er war ein guter Gesell beim Becher und den Frauen nicht bloß durch seinen Rang gefährlich. Allein er war zugleich eine der übermütigsten und frevelhaftesten Naturen, die jenes freche Zeitalter erzeugt hat. Er pflegte zu sagen, daß er niemand fürchte als die Götter; aber es schien fast, als seien diese Götter dieselben, denen sein Flottenführer Dikäarchos regelmäßige Opfer darbrachte, die Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das Leben seiner Ratgeber und der Begünstiger seiner Pläne war ihm heilig, noch verschmähte er es, seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos durch Zerstörung ehrwürdiger Denkmäler und namhafter Kunstwerke zu befriedigen; es wird als Staatsmaxime von ihm angeführt, daß, wer den Vater ermorden lasse, auch die Söhne töten müsse. Es mag sein, daß ihm nicht eigentlich die Grausamkeit eine Wollust war; allein fremdes Leben und Leiden war ihm gleichgültig, und die Inkonsequenz, die den Menschen allein erträglich macht, fand nicht Raum in seinem starren und harten Herzen. Er hat den Satz, daß für den absoluten König kein Versprechen und kein Moralgebot bindend sei, so schroff und grell zur Schau getragen, daß er eben dadurch seinen Plänen die wesentlichsten Hindernisse in den Weg legte. Einsicht und Entschlossenheit kann niemand ihm absprechen; aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei und Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Teil dadurch sich erklärt, daß er schon im achtzehnten Jahr zum absoluten Herrscher berufen ward und daß sein unbändiges Wüten gegen jeden, der durch Widerreden und Widerraten ihn in seinem Selbstregieren störte, alle selbständigen Ratgeber von ihm verscheuchte. Was alles in seiner Seele mitgewirkt haben mag, um die schwache und schmähliche Führung des Ersten Makedonischen Krieges hervorzurufen, läßt sich nicht sagen – vielleicht jene Lässigkeit der Hoffart, die erst gegen die nahegerückte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst Gleichgültigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen Plan und Eifersucht auf Hannibals ihn beschämende Größe. Gewiß ist, daß sein späteres Benehmen nicht den Philippos wiedererkennen läßt, an dessen Saumseligkeit Hannibals Plan scheiterte.

Philippos schloß den Vertrag mit den Ätolern und den Römern 548/49 (206/05) in der ernsten Absicht, mit Rom einen dauernden Frieden zu machen und sich künftig ausschließlich den Angelegenheiten des Ostens zu widmen. Es leidet keinen Zweifel, daß er Karthagos rasche Überwältigung ungern sah; es kann auch sein, daß Hannibal auf eine zweite makedonische Kriegserklärung hoffte und daß Philippos im stillen das letzte karthagische Heer mit Söldnern verstärkte. Allein sowohl die weitschichtigen Dinge, in die er mittlerweile im Osten sich einließ, als auch die Art der Unterstützung und besonders das völlige Stillschweigen der Römer über diesen Friedensbruch, da sie doch nach Kriegsgründen suchten, setzen es außer Zweifel, daß Philippos keineswegs im Jahre 551 (203) nachholen wollte, was er zehn Jahre zuvor hätte tun sollen.

Er hatte sein Auge nach einer ganz anderen Seite gewendet. Ptolemaeos Philopator von Ägypten war 549 (205) gestorben. Gegen seinen Nachfolger Ptolemaeos Epiphanes, ein fünfjähriges Kind, hatten die Könige von Makedonien und Asien Philippos und Antiochos sich vereinigt, um den alten Groll der Kontinentalmonarchien gegen den Seestaat gründlich zu sättigen. Der ägyptische Staat sollte aufgelöst werden, Ägypten und Kypros an Antiochos, Kyrene, Ionien und die Kykladen an Philippos fallen. Recht in Philippos‘ Art, der über solche Rücksichten lachte, begannen die Könige den Krieg, nicht bloß ohne Ursache, sondern selbst ohne Vorwand, „eben wie die großen Fische die kleinen auffressen“. Die Verbündeten hatten übrigens richtig gerechnet, besonders Philippos. Ägypten hatte genug zu tun, sich des näheren Feindes in Syrien zu erwehren, und mußte die kleinasiatischen Besitzungen und die Kykladen unverteidigt preisgeben, als Philippos auf diese als auf seinen Anteil an der Beute sich warf. In dem Jahr, wo Karthago mit Rom den Frieden abschloß (553 201), ließ derselbe eine von den ihm untertänigen Städten ausgerüstete Flotte Truppen an Bord nehmen und an der thrakischen Küste hinauf segeln. Hier ward Lysimacheia der ätolischen Besatzung entrissen, und Perinthos, das zu Byzanz im Klientelverhältnis stand, gleichfalls besetzt. So war mit den Byzantiern der Friede gebrochen, mit den Ätolern, die soeben mit Philippos Frieden gemacht, wenigstens das gute Einvernehmen gestört. Die Überfahrt nach Asien stieß auf keine Schwierigkeiten, da König Prusias von Bithynien mit Makedonien im Bunde war; zur Vergeltung half Philippos ihm die griechischen Kaufstädte in seinem Gebiet bezwingen. Kalchedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde erstürmt und dem Boden gleich, ja die Einwohner zu Sklaven gemacht – eine zwecklose Barbarei, über die Prusias selbst, der die Stadt unbeschädigt zu besitzen wünschte, verdrießlich war und die die ganze hellenische Welt aufs tiefste erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals die Ätoler, deren Strateg in Kios kommandiert hatte, und die Rhodier, deren Vermittlungsversuche von dem König schnöde und arglistig vereitelt worden waren. Aber wäre auch dies nicht gewesen, es standen die Interessen aller griechischen Kaufstädte auf dem Spiel. Unmöglich konnte man zugeben, daß die milde und fast nur nominelle ägyptische Herrschaft verdrängt ward durch das makedonische Zwingherrentum, mit dem die städtische Selbstregierung und der freie Handelsverkehr sich nimmermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte, daß es hier sich nicht um das Bestätigungsrecht der städtischen Freibriefe handelte, sondern um Tod und Leben für einen und für alle. Schon war Lampsakos gefallen und Thasos behandelt worden wie Kios; man mußte sich eilen. Der wackere Strateg von Rhodos, Theophiliskos, ermahnte seine Bürger der gemeinsamen Gefahr durch gemeinsame Abwehr zu begegnen und nicht geschehen zu lassen, daß die Städte und Inseln einzeln dem Feinde zur Beute würden. Rhodos entschloß sich und erklärte Philippos den Krieg. Byzanz schloß sich an; ebenso der hochbejahrte König Attalos von Pergamon, Philippos‘ persönlicher und politischer Feind. Während die Flotte der Verbündeten sich an der äolischen Küste sammelte, ließ Philippos durch einen Teil der seinigen Chios und Samos wegnehmen. Mit dem anderen erschien er selbst vor Pergamon, das er indes vergeblich berannte; er mußte sich begnügen, das platte Land zu durchstreifen und an den weit und breit zerstörten Tempeln die Spuren makedonischer Tapferkeit zurückzulassen. Plötzlich brach er auf und ging wieder zu Schiff, um sich mit seinem Geschwader, das bei Samos stand, zu vereinigen. Allein die rhodisch-pergamenische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht in der Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deckschiffe war geringer, allein die Menge ihrer offenen Kähne glich dies wieder aus und Philippos‘ Soldaten fochten mit großem Mute; doch unterlag. er endlich. Fast die Hälfte seiner Deckschiffe, vierundzwanzig Segel, wurden versenkt oder genommen, 6000 makedonische Matrosen, 3000 Soldaten kamen um, darunter der Admiral Demokrates, 2000 wurden gefangen. Den Bundesgenossen kostete der Sieg nicht mehr als 800 Mann und sechs Segel. Aber von den Führern der Verbündeten war Attalos von seiner Flotte abgeschnitten und gezwungen worden, sein Admiralschiff bei Erythrae auf den Strand laufen zu lassen; und Theophiliskos von Rhodos, dessen Bürgermut den Krieg und dessen Tapferkeit die Schlacht entschieden hatte, starb den Tag nach derselben an seinen Wunden. So konnte, während Attalos‘ Flotte in die Heimat ging und die rhodische vorläufig bei Chios blieb, Philippos, der fälschlich sich den Sieg zuschrieb, seine Fahrt weiter fortsetzen und sich nach Samos wenden, um die karischen Städte zu besetzen. An der karischen Küste lieferten die Rhodier, diesmal von Attalos nicht unterstützt, der makedonischen Flotte unter Herakleides ein zweites Treffen bei der kleinen Insel Lade vor dem Hafen von Milet. Der Sieg, den wieder beide Teile sich zuschrieben, scheint hier von den Makedoniern gewonnen zu sein, denn während die Rhodier nach Myndos und von da nach Kos zurückwichen, besetzten jene Milet und ein Geschwader unter dem Ätoler Dikäarchos die Kykladen. Philippos inzwischen verfolgte auf dem karischen Festland die Eroberung der rhodischen Besitzungen daselbst und der griechischen Städte; hätte er Ptolemaeos selbst angreifen wollen und es nicht vorgezogen, sich auf die Gewinnung seines Beuteanteils zu beschränken, so würde er jetzt selbst an einen Zug nach Ägypten haben denken können. In Karien stand zwar kein Heer den Makedoniern gegenüber, und Philippos durchzog ungehindert die Gegend von Magnesia bis Mylasa; aber jede Stadt in dieser Landschaft war eine Festung, und der Belagerungskrieg zog sich in die Länge, ohne erhebliche Resultate zu geben oder zu versprechen. Der Satrap von Lydien, Zeuxis, unterstützte den Bundesgenossen seines Herren ebenso lau, wie Philippos sich lau in der Förderung der Interessen des syrischen Königs bewiesen hatte, und die griechischen Städte gaben Unterstützung nur aus Furcht oder Zwang. Die Verproviantierung des Heeres ward immer schwieriger; Philippos mußte heute den plündern, der ihm gestern freiwillig gegeben hatte, und dann wieder gegen seine Natur sich bequemen zu bitten. So ging allmählich die gute Jahreszeit zu Ende, und in der Zwischenzeit hatten die Rhodier ihre Flotte verstärkt und auch die des Attalos wieder an sich gezogen, so daß sie zur See entschieden überlegen waren. Es schien fast, als könnten sie dem König den Rückzug abschneiden und ihn zwingen, Winterquartier in Karien zu nehmen, während doch die Angelegenheiten daheim, namentlich die drohende Intervention der Ätoler und der Römer, seine Rückkehr dringend erheischten. Philippos sah die Gefahr; er ließ Besatzungen, zusammen bis 3000 Mann, teils in Myrina, um Pergamon in Schach zu halten, teils in den kleinen Städten um Mylasa: Iassos, Bargylia, Euromos, Pedasa, um den trefflichen Hafen und einen Landungsplatz in Karien sich zu sichern; mit der Flotte gelang es ihm bei der Nachlässigkeit, mit welcher die Bundesgenossen das Meer bewachten, glücklich die thrakische Küste zu erreichen und noch vor dem Winter 553/54 (201/00) zu Hause zu sein.

In der Tat zog sich gegen Philipp im Westen ein Gewitter zusammen, welches ihm nicht länger gestattete, die Plünderung des wehrlosen Ägyptens fortzusetzen. Die Römer, die in demselben Jahre endlich den Frieden mit Karthago auf ihre Bedingungen abgeschlossen hatten, fingen an, sich ernstlich um diese Verwicklungen im Osten zu bekümmern. Es ist oft gesagt worden, daß sie nach der Eroberung des Westens sofort daran gegangen seien, den Osten sich zu unterwerfen; eine ernstliche Erwägung wird zu einem gerechteren Urteil führen. Nur die stumpfe Unbilligkeit kann es verkennen, daß Rom in dieser Zeit noch keineswegs nach der Herrschaft über die Mittelmeerstaaten griff, sondern nichts weiter begehrte, als in Afrika und in Griechenland ungefährliche Nachbarn zu haben; und eigentlich gefährlich für Rom war Makedonien nicht. Seine Macht war allerdings nicht gering und es ist augenscheinlich, daß der römische Senat den Frieden von 548/49 (206/05), der sie ganz in ihrer Integrität beließ, nur ungern gewährte; allein wie wenig man ernstliche Besorgnisse vor Makedonien in Rom hegte und hegen durfte, beweist am besten die geringe und doch nie gegen Übermacht zu fechten genötigte Truppenzahl, mit welcher Rom den nächsten Krieg geführt hat. Der Senat hätte wohl eine Demütigung Makedoniens gern gesehen; allein um den Preis eines in Makedonien mit römischen Truppen geführten Landkrieges war sie ihm zu teuer, und darum machte er nach dem Rücktritt der Ätoler sofort freiwillig Frieden auf Grundlage des Status quo. Es ist darum auch nichts weniger als ausgemacht, daß die römische Regierung diesen Frieden in der bestimmten Absicht schloß, den Krieg bei gelegenerer Zeit wieder zu beginnen, und sehr gewiß, daß augenblicklich bei der gründlichen Erschöpfung des Staats und der äußersten Unlust der Bürgerschaft auf einen zweiten überseeischen Krieg sich einzulassen, der Makedonische Krieg den Römern in hohem Grade unbequem kam. Aber jetzt war er unvermeidlich. Den makedonischen Staat, wie er im Jahre 549 (205) war, konnte man sich als Nachbar gefallen lassen; allein unmöglich durfte man gestatten, daß derselbe den besten Teil des kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die neutralen Handelsstaaten erdrückte und damit seine Macht verdoppelte. Es kam hinzu, daß der Sturz Ägyptens, die Demütigung, vielleicht die Überwältigung von Rhodos auch dem sizilischen und italischen Handel tiefe Wunden geschlagen haben würden; und konnte man überhaupt ruhig zusehen, wie der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden großen Kontinentalmächten abhängig ward? Gegen Attalos, den treuen Bundesgenossen aus dem Ersten Makedonischen Krieg, hatte Rom überdies die Ehrenpflicht zu wahren und zu hindern, daß Philippos, der ihn schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn nicht von Land und Leuten vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms, den schützenden Arm über alle Hellenen auszustrecken, keineswegs bloß Phrase; die Neapolitaner, Rheginer, Massalioten und Emporiten konnten bezeugen, daß dieser Schutz sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es, daß in dieser Zeit die Römer den Griechen näher standen als jede andere Nation und wenig ferner als die hellenisierten Makedonier. Es ist seltsam, den Römern das Recht zu bestreiten, über die frevelhafte Behandlung der Kianer und Thasier in ihren menschlichen wie in ihren hellenischen Sympathien sich empört zu fühlen. So vereinigten sich in der Tat alle politischen, kommerziellen und sittlichen Motive, um Rom zu dem zweiten Kriege gegen Philippos zu bestimmen, einem der gerechtesten, die die Stadt je geführt hat. Es gereicht dem Senat zur hohen Ehre, daß er sofort sich entschloß und sich weder durch die Erschöpfung des Staates noch durch die Impopularität einer solchen Kriegserklärung abhalten ließ, seine Anstalten zu treffen – schon 553 (201) erschien der Proprätor Marcus Valerius Laevinus mit der sizilischen Flotte von 38 Segeln in der östlichen See. Indes war die Regierung in Verlegenheit, einen ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu machen, dessen sie dem Volk gegenüber notwendig bedurfte, auch wenn sie nicht überhaupt viel zu einsichtig gewesen wäre, um die rechtliche Motivierung des Krieges in Philippos‘ Art gering zu schätzen. Die Unterstützung, die Philippos nach dem Frieden mit Rom den Karthagern gewährt haben sollte, war offenbar nicht erweislich. Die römischen Untertanen in der illyrischen Landschaft beschwerten sich zwar schon seit längerer Zeit über die makedonischen Obergriffe. Schon 551 (203) hatte ein römischer Gesandter an der Spitze des illyrischen Aufgebots Philippos‘ Scharen aus dem illyrischen Gebiet hinausgeschlagen und der Senat deswegen den Gesandten des Königs 552 (202) erklärt, wenn er Krieg suche, werde er ihn früher finden, als ihm lieb sei. Allein diese Übergriffe waren eben nichts als die gewöhnlichen Frevel, wie Philippos sie gegen seine Nachbarn übte; eine Verhandlung darüber hätte im gegenwärtigen Augenblick zur Demütigung und Sühnung, aber nicht zum Kriege geführt. Mit den sämtlichen kriegführenden Mächten im Osten stand die römische Gemeinde dem Namen nach in Freundschaft und hätte ihnen Beistand gegen den Angriff gewähren können. Allein Rhodos und Pergamon, die begreiflicherweise nicht säumten, die römische Hilfe zu erbitten, waren formell die Angreifer, und Ägypten, wenn auch alexandrinische Gesandte den römischen Senat ersuchten, die Vormundschaft über das königliche Kind zu übernehmen, scheint doch auch nicht eben sich beeilt zu haben, durch Anrufung unmittelbarer römischer Intervention zwar die augenblickliche Bedrängnis zu beendigen, aber zugleich der großen westlichen Macht das Ostmeer zu öffnen. Vor allen Dingen aber hätte die Hilfe für Ägypten zunächst in Syrien geleistet werden müssen und würde Rom in einen Krieg mit Asien und Makedonien zugleich verwickelt haben, was man natürlich um so mehr zu vermeiden wünschte, als man fest entschlossen war, wenigstens in die asiatischen Angelegenheiten sich nicht zu mischen. Es blieb nichts übrig, als vorläufig eine Gesandtschaft nach dem Osten abzuordnen, um teils von Ägypten zu erlangen, was den Umständen nach nicht schwer war, daß es die Einmischung der Römer in die griechischen Angelegenheiten geschehen ließ, teils den König Antiochos zu beschwichtigen, indem man ihm Syrien preisgab, teils endlich den Bruch mit Philippos möglichst zu beschleunigen und die Koalition der griechisch-asiatischen Kleinstaaten gegen ihn zu fördern (Ende 553 201). In Alexandreia erreichte man ohne Mühe, was man wünschte; der Hof hatte keine Wahl und mußte dankbar den Marcus Aemilius Lepidus aufnehmen, den der Senat abgesandt hatte, um als „Vormund des Königs“ dessen Interessen zu vertreten, soweit dies ohne eigentliche Intervention möglich war. Antiochos löste zwar seinen Bund mit Philipp nicht auf und gab den Römern nicht die bestimmten Erklärungen, welche sie wünschten; übrigens aber, sei es aus Schlaffheit, sei es bestimmt durch die Erklärung der Römer, in Syrien nicht intervenieren zu wollen, verfolgte er seine Pläne daselbst und ließ die Dinge in Griechenland und Kleinasien gehen.

Darüber war das Frühjahr 554 (200) herangekommen, und der Krieg hatte aufs neue begonnen. Philippos warf sich zunächst wieder auf Thrakien, wo er die sämtlichen Küstenplätze, namentlich Maroneia, Aenos, Eläos, Sestos besetzte; er wollte seine europäischen Besitzungen vor einer römischen Landung gesichert wissen. Alsdann griff er an der asiatischen Küste Abydos an, an dessen Gewinn ihm gelegen sein mußte, da er durch den Besitz von Sestos und Abydos mit seinem Bundesgenossen Antiochos in festere Verbindung kam und nicht mehr zu fürchten brauchte, daß die Flotte der Bundesgenossen ihm den Weg nach oder aus Kleinasien sperre. Diese beherrschte das Ägäische Meer, nachdem das schwächere makedonische Geschwader sich zurückgezogen hatte; Philippos beschränkte zur See sich darauf, auf dreien der Kykladen, Andros, Kythnos und Paros, Besatzungen zu unterhalten und Kaperschiffe auszurüsten. Die Rhodier gingen nach Chios und von da nach Tenedos, wo Attalos, der den Winter über bei Aegina gestanden und mit den Deklamationen der Athener sich die Zeit vertrieben hatte, mit seinem Geschwader zu ihnen stieß. Es wäre wohl möglich gewesen, den Abydenern, die sich heldenmütig verteidigten, zu Hilfe zu kommen; allein die Verbündeten rührten sich nicht, und so ergab sich endlich die Stadt, nachdem fast alle Waffenfähigen im Kampf vor den Mauern und nach der Kapitulation ein großer Teil der Einwohner durch eigene Hand gefallen waren, der Gnade des Siegers; sie bestand darin, daß den Abydenern drei Tage Frist gegeben wurden, um freiwillig zu sterben. Hier im Lager von Abydos traf die römische Gesandtschaft, die nach Beendigung ihrer Geschäfte in Syrien und Ägypten die griechischen Kleinstaaten besucht und bearbeitet hatte, mit dem König zusammen und entledigte sich ihrer vom Senat erhaltenen Aufträge: der König solle gegen keinen griechischen Staat einen Angriffskrieg führen, die dem Ptolemaeos entrissenen Besitzungen zurückgeben und wegen der den Pergamenern und Rhodiern zugefügten Schädigung sich ein Schiedsgericht gefallen lassen. Die Absicht des Senats, den König zur förmlichen Kriegserklärung zu reizen, ward nicht erreicht; der römische Gesandte Marcus Aemilius erhielt vom König nichts als die feine Antwort, daß er dem jungen schönen römischen Mann wegen dieser seiner drei Eigenschaften das Gesagte zugute halten wolle.

Indes war mittlerweile die von Rom gewünschte Veranlassung von einer anderen Seite her gekommen. Die Athener hatten in ihrer albernen und grausamen Eitelkeit zwei unglückliche Akarnanen hinrichten lassen, weil dieselben sich zufällig in ihre Mysterien verirrt hatten. Als die Akarnanen in begreiflicher Erbitterung von Philippos begehrten, daß er ihnen Genugtuung verschaffe, konnte dieser das gerechte Begehren seiner treuesten Bundesgenossen nicht weigern und gestattete ihnen, in Makedonien Mannschaft auszuheben und damit und mit ihren eigenen Leuten ohne förmliche Kriegserklärung in Attika einzufallen. Zwar war dies nicht bloß kein eigentlicher Krieg, sondern es ließ auch der Führer der makedonischen Schar, Nikanor, auf die drohenden Worte der gerade in Athen anwesenden römischen Gesandten sofort seine Truppen den Rückmarsch antreten (Ende 553 201). Aber es war zu spät. Eine athenische Gesandtschaft ging nach Rom, um über den Angriff Philipps auf einen alten Bundesgenossen Roms zu berichten, und aus der Art, wie der Senat sie empfing, sah Philippos deutlich, was ihm bevorstand; weshalb er zunächst, gleich im Frühling 554 (200) seinen Oberbefehlshaber in Griechenland, Philokles, anwies, das attische Gebiet zu verwüsten und die Stadt möglichst zu bedrängen.

Der Senat hatte jetzt, was er bedurfte, und konnte im Sommer 554 (200) die Kriegserklärung „wegen Angriffs auf einen mit Rom verbündeten Staat“ vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erstemal fast einstimmig verworfen; törichte oder tückische Volkstribunen querulierten über den Rat, der den Bürgern keine Ruhe gönnen wolle; aber der Krieg war einmal notwendig und genau genommen schon begonnen, so daß der Senat unmöglich zurücktreten konnte. Die Bürgerschaft ward durch Vorstellungen und Konzessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist bemerkenswert, daß diese Konzessionen wesentlich auf Kosten der Bundesgenossen erfolgten. Aus ihren im aktiven Dienst befindlichen Kontingenten wurden – ganz entgegen den sonstigen römischen Maximen – die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sizilien und Sardinien, zusammen 20000 Mann, ausschließlich genommen, die sämtlichen vom Hannibalischen Krieg her unter Waffen stehenden Bürgertruppen aber entlassen; nur Freiwillige sollten daraus zum Makedonischen Krieg aufgeboten werden dürfen, welches denn freilich, wie sich nachher fand, meistens gezwungene Freiwillige waren – es rief dies später im Herbst 555 (199) einen bedenklichen Militäraufstand im Lager von Apollonia hervor. Aus neu einberufenen Leuten wurden sechs Legionen gebildet, von denen je zwei in Rom und in Etrurien blieben und nur zwei in Brundisium nach Makedonien eingeschifft wurden, geführt von dem Konsul Publius Sulpicius Galba.

So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, daß für die weitläufigen und schwierigen Verhältnisse, in welche Rom durch seine Siege gebracht war, die souveränen Bürgerversammlungen mit ihren kurzsichtigen und vom Zufall abhängigen Beschlüssen schlechterdings nicht mehr paßten und daß deren verkehrtes Eingreifen in die Staatsmaschine zu gefährlichen Modifikationen der militärisch notwendigen Maßregeln und zu noch gefährlicherer Zurücksetzung der latinischen Bundesgenossen führte.

Philippos‘ Lage war sehr übel. Die östlichen Staaten, die gegen jede Einmischung Roms hätten zusammenstehen müssen und unter anderen Umständen auch vielleicht zusammengestanden wären, waren hauptsächlich durch seine Schuld so untereinander verhetzt, daß sie die römische Invasion entweder nicht zu hindern oder sogar zu fördern geneigt waren. Asien, Philipps natürlicher und wichtiger Bundesgenosse, war von ihm vernachlässigt worden und überdies zunächst durch die Verwicklung mit Ägypten und den syrischen Krieg an tätigem Eingreifen gehindert. Ägypten hatte ein dringendes Interesse daran, daß die römische Flotte dem Ostmeer fern blieb; selbst jetzt noch gab eine ägyptische Gesandtschaft in Rom sehr deutlich zu verstehen, wie bereit der alexandrinische Hof sei, den Römern die Mühe abzunehmen, in Attika zu intervenieren. Allein der zwischen Asien und Makedonien abgeschlossene Teilungsvertrag über Ägypten warf diesen wichtigen Staat geradezu den Römern in die Arme und erzwang die Erklärung des Kabinetts von Alexandreia, daß es in die Angelegenheiten des europäischen Griechenlands sich nur mit Einwilligung der Römer mischen werde. Ähnlich, aber noch bedrängter gestellt waren die griechischen Handelsstädte, an ihrer Spitze Rhodos, Pergamon, Byzanz; sie hätten unter anderen Umständen ohne Zweifel das Ihrige getan, um den Römern das Ostmeer zu verschließen, aber Philippos‘ grausame und vernichtende Eroberungspolitik hatte sie zu einem ungleichen Kampf gezwungen, in den sie ihrer Selbsterhaltung wegen alles anwenden mußten, die italische Großmacht zu verwickeln. Im eigentlichen Griechenland fanden die römischen Gesandten, die dort eine zweite Ligue gegen Philippos zu stiften beauftragt waren, gleichfalls vom Feinde wesentlich vorgearbeitet. Von der antimakedonischen Partei, den Spartanern, Eleern, Athenern und Ätolern, hätte Philippos die letzten vielleicht zu gewinnen vermocht, da der Friede von 548 (206) in ihren Freundschaftsbund mit Rom einen tiefen und keineswegs aufgeheilten Riß gemacht hatte; allein abgesehen von den alten Differenzen, die wegen der von Makedonien der ätolischen Eidgenossenschaft entzogenen thessalischen Städte Echinos, Larissa Kremaste, Pharsalos und des phthiotischen Thebae zwischen den beiden Staaten bestanden, hatte die Vertreibung der ätolischen Besatzungen aus Lysimacheia und Kios bei den Ätolern neue Erbitterung gegen Philippos hervorgerufen. Wenn sie zauderten, sich der Ligue gegen ihn anzuschließen, so lag der Grund wohl hauptsächlich in der fortwirkenden Verstimmung zwischen ihnen und den Römern.

Bedenklicher noch war es, daß selbst unter den fest an das makedonische Interesse geknüpften griechischen Staaten, den Epeiroten, Akarnanen, Böotern und Achäern, nur die Akarnanen und Böoter unerschüttert zu Philippos standen. Mit den Epeiroten verhandelten die römischen Gesandten nicht ohne Erfolg und namentlich der König der Athamanen, Amynander, schloß an Rom sich fest an. Sogar von den Achäern hatte Philippos durch die Ermordung des Aratos teils viele verletzt, teils überhaupt einer freieren Entwicklung der Eidgenossenschaft wieder Raum gegeben; sie hatte unter Philopömens (502-571 252-183, Strateg zuerst 546 208) Leitung ihr Heerwesen regeneriert, in glücklichen Kämpfen gegen Sparta das Zutrauen zu sich selber wiedergefunden und folgte nicht mehr, wie zu Aratos‘ Zeit, blind der makedonischen Politik. Einzig in ganz Hellas sah die achäische Eidgenossenschaft, die von Philippos‘ Vergrößerungssucht weder Nutzen noch zunächst Nachteil zu erwarten hatte, diesen Krieg vom unparteiischen und nationalhellenischen Gesichtspunkte an; sie begriff, was zu begreifen nicht schwer war, daß die hellenische Nation damit den Römern selber sich auslieferte, sogar ehe diese es wünschten und begehrten, und versuchte darum, zwischen Philippos und den Rhodiern zu vermitteln; allein es war zu spät. Der nationale Patriotismus, der einst den Bundesgenossenkrieg beendigt und der. ersten Krieg zwischen Makedonien und Rom wesentlich mit herbeigeführt hatte, war erloschen; die achäische Vermittlung blieb ohne Erfolg, und vergeblich bereiste Philippos die Städte und Inseln, um die Nation wieder zu entflammen – es war das die Nemesis für Kios und Abydos. Die Achäer, da sie nicht ändern konnten und nicht helfen mochten, blieben neutral.

Im Herbst des Jahres 554 (200) landete der Konsul Publius Sulpicius Galba mit seinen beiden Legionen und 1000 numidischen Reitern, ja sogar mit Elefanten, die aus der karthagischen Beute herrührten, bei Apollonia; auf welche Nachricht der König eilig vom Hellespont nach Thessalien zurückkehrte. Indes teils die schon weit vorgerückte Jahreszeit, teils die Erkrankung des römischen Feldherrn bewirkten, daß zu Lande dies Jahr nichts weiter vorgenommen ward als eine starke Rekognoszierung, bei der die nächstliegenden Ortschaften, namentlich die makedonische Kolonie Antipatreia, von den Römern besetzt wurden. Für das nächste Jahr ward mit den nördlichen Barbaren, namentlich mit Pleuratos, dem damaligen Herrn von Skodra, und dem Dardanerfürsten Bato, die selbstverständlich eilten, die gute Gelegenheit zu nutzen, ein gemeinschaftlicher Angriff auf Makedonien verabredet.

Wichtiger waren die Unternehmungen der römischen Flotte, die 100 Deck- und 80 leichte Schiffe zählte. Während die übrigen Schiffe bei Kerkyra für den Winter Station nahmen, ging eine Abteilung unter Gaius Claudius Cento nach dem Peiräeus, um den bedrängten Athenern Beistand zu leisten. Da Cento indes die attische Landschaft gegen die Streifereien der korinthischen Besatzung und die makedonischen Korsaren schon hinreichend gedeckt fand, segelte er weiter und erschien plötzlich vor Chalkis auf Euböa, dem Hauptwaffenplatz Philipps in Griechenland, wo die Magazine, die Waffenvorräte und die Gefangenen aufbewahrt wurden und der Kommandant Sopater nichts weniger als einen römischen Angriff erwartete. Die unverteidigte Mauer ward erstiegen, die Besatzung niedergemacht, die Gefangenen befreit und die Vorräte verbrannt; leider fehlte es an Truppen, um die wichtige Position zu halten. Auf die Kunde von diesem überfall brach Philippos in ungestümer Erbitterung sofort von Demetrias in Thessalien auf nach Chalkis, und da er hier nichts von dem Feind mehr fand als die Brandstätte, weiter nach Athen, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Allein die Überrumpelung mißlang und auch der Sturm war vergeblich, so sehr der König sein Leben preisgab; das Herannahen von Gaius Claudius vom Peiräeus, des Attalos von Aegina her zwangen ihn zum Abzug. Philippos verweilte indes noch einige Zeit in Griechenland; aber politisch und militärisch waren seine Erfolge gleich gering. Umsonst versuchte er die Achäer für sich in Waffen zu bringen; und ebenso vergeblich waren seine Angriffe auf Eleusis und den Peiräeus sowie ein zweiter auf Athen selbst. Es blieb ihm nichts übrig, als seine begreifliche Erbitterung in unwürdiger Weise durch Verwüstung der Landschaft und Zerstörung, der Bäume des Akademos zu befriedigen und nach dem Norden zurückzukehren. So verging der Winter. Mit dem Frühjahr 555 (199) brach der Prokonsul Publius Sulpicius aus seinem Winterlager auf, entschlossen, seine Legionen von Apollonia auf der kürzesten Linie in das eigentliche Makedonien zu führen. Diesen Hauptangriff von Westen her sollten drei Nebenangriffe unterstützen: in nördlicher Richtung der Einfall der Dardaner und Illyrier, in östlicher ein Angriff der kombinierten Flotte der Römer und der Bundesgenossen, die bei Aegina sich sammelte; endlich von Süden her sollten die Athamanen vordringen und, wenn es gelang, sie zur Teilnahme am Kampfe zu bestimmen, zugleich die Ätoler. Nachdem Galba die Berge, die der Apsos (jetzt Beratinó) durchschneidet, überschritten hatte und durch die fruchtbare dassaretische Ebene gezogen war, gelangte er an die Gebirgskette, die Illyrien und Makedonien scheidet und betrat, diese übersteigend, das eigentliche makedonische Gebiet. Philippos war ihm entgegengegangen; allein in den ausgedehnten und schwach bevölkerten Landschaften Makedoniens suchten sich die Gegner einige Zeit vergeblich, bis sie endlich in der lynkestischen Provinz, einer fruchtbaren aber sumpfigen Ebene, unweit der nordwestlichen Landesgrenze aufeinandertrafen und keine 1000 Schritt voneinander die Lager schlugen. Philippos‘ Heer zählte, nachdem er das zur Besetzung der nördlichen Pässe detachierte Korps an sich gezogen hatte, etwa 20000 Mann zu Fuß und 2000 Reiter; das römische war ungefähr ebenso stark. Indes die Makedonier hatten den großen Vorteil, daß sie, in der Heimat fechtend und mit Weg und Steg bekannt, mit leichter Mühe den Proviant zugeführt erhielten, während sie sich so dicht an die Römer gelagert hatten, daß diese es nicht wagen konnten, zu ausgedehnter Fouragierung sich zu zerstreuen. Der Konsul bot die Schlacht wiederholt an, allein der König versagte sie beharrlich und die Gefechte zwischen den leichten Truppen, wenn auch die Römer darin einige Vorteile erfochten, änderten in der Hauptsache nichts. Galba war genötigt, sein Lager abzubrechen und anderthalb Meilen weiter bei Oktolophos ein anderes aufzuschlagen, von wo er leichter sich verproviantieren zu können meinte. Aber auch hier wurden die ausgeschickten Abteilungen von den leichten Truppen und der Reiterei der Makedonier vernichtet; die Legionen mußten zu Hilfe kommen und trieben dann freilich die makedonische Vorhut, die zu weit vorgegangen war, mit starkem Verlust in das Lager zurück, wobei der König selbst das Pferd verlor und nur durch die hochherzige Hingebung eines seiner Reiter das Leben rettete. Aus dieser gefährlichen Lage befreite die Römer der bessere Erfolg der von Galba veranlaßten Nebenangriffe der Bundesgenossen oder vielmehr die Schwäche der makedonischen Streitkräfte. Obwohl Philippos in seinem Gebiet möglichst starke Aushebungen vorgenommen und römische Überläufer und andere Söldner hinzugeworben hatte, hatte er doch nicht vermocht, außer den Besatzungen in Kleinasien und Thrakien, mehr als das Heer, womit er selbst dem Konsul gegenüberstand, auf die Beine zu bringen, und überdies noch, um dieses zu bilden, die Nordpässe in der pelagonischen Landschaft entblößen müssen. Für die Deckung der Ostküste verließ er sich teils auf die von ihm angeordnete Verwüstung der Inseln Skiathos und Peparethos, die der feindlichen Flotte eine Station hätten bieten können, teils auf die Besatzung von Thasos und der Küste und auf die unter Herakleides bei Demetrias aufgestellte Flotte. Für die Südgrenze hatte er gar auf die mehr als zweifelhafte Neutralität der Ätoler rechnen müssen. Jetzt traten diese plötzlich dem Bunde gegen Makedonien bei und drangen sofort mit den Athamanen vereinigt in Thessalien ein, während zugleich die Dardaner und Illyrier die nördlichen Landschaften überschwemmten und die römische Flotte unter Lucius Apustius, von Kerkyra aufbrechend, in den östlichen Gewässern erschien, wo die Schiffe des Attalos, der Rhodier und der Istrier sich mit ihr vereinigten.

Philippos gab hiernach freiwillig seine Stellung auf und wich in östlicher Richtung zurück: ob es geschah, um den wahrscheinlich unvermuteten Einfall der Ätoler zurückzuschlagen oder um das römische Heer sich nach und ins Verderben zu ziehen oder um je nach den Umständen das eine oder das andere zu tun, ist nicht wohl zu entscheiden. Er bewerkstelligte seinen Rückzug so geschickt, daß Galba, der den verwegenen Entschluß faßte, ihm zu folgen, seine Spur verlor und es Philippos möglich ward, den Engpaß, der die Landschaften Lynkestis und Eordäa scheidet, auf Seitenwegen zu erreichen und zu besetzen, um die Römer hier zu erwarten und ihnen einen heißen Empfang zu bereiten. Es kam an der von ihm gewählten Stelle zur Schlacht. Aber die langen makedonischen Speere erwiesen sich unbrauchbar auf dem waldigen und ungleichen Terrain; die Makedonier wurden teils umgangen, teils durchbrochen und verloren viele Leute. Indes wenn auch Philippos‘ Heer nach diesem unglücklichen Treffen nicht länger imstande war, den Römern das weitere Vordringen zu wehren, so scheuten sich doch diese selber in dem unwegsamen und feindlichen Land, weiteren unbekannten Gefahren entgegenzuziehen, und kehrten zurück nach Apollonia, nachdem sie die fruchtbaren Landschaften Hochmakedoniens Eordäa, Elimea, Orestis verwüstet und die bedeutendste Stadt von Orestis, Keletron (jetzt Kastoria auf einer Halbinsel in dem gleichnamigen See), sich ihnen ergeben hatte – es war die einzige makedonische Stadt, die den Römern ihre Tore öffnete. Im illyrischen Land ward die Stadt der Dassaretier, Pelion, an den oberen Zuflüssen des Apsos, erstürmt und stark besetzt, um auf einem ähnlichen Zug künftig als Basis zu dienen.

Philippos störte die römische Hauptarmee auf ihrem Rückzug nicht, sondern wandte sich in Gewaltmärschen gegen die Ätoler und Athamanen, die in der Meinung, daß die Legionen den König beschäftigten, das reiche Tal des Peneios furcht- und rücksichtslos plünderten, schlug sie vollständig und nötigte, was nicht fiel, sich einzeln auf den wohlbekannten Bergpfaden zu, retten. Durch diese Niederlage und ebenso sehr durch die starken Werbungen, die in Ätolien für ägyptische Rechnung stattfanden, schwand die Streitkraft der Eidgenossenschaft nicht wenig zusammen. Die Dardaner wurden von dem Führer der leichten Truppen Philipps, Athenagoras, ohne Mühe und mit starkem Verlust über die Berge zurückgejagt. Die römische Flotte richtete auch nicht viel aus; sie vertrieb die makedonische Besatzung von Andros, suchte Euböa und Skiathos heim und machte dann Versuche auf die chalkidische Halbinsel, die aber die makedonische Besatzung bei Mende kräftig zurückwies. Der Rest des Sommers verging mit der Einnahme von Oreos auf Euböa, welche durch die entschlossene Verteidigung der makedonischen Besatzung lange verzögert ward. Die schwache makedonische Flotte unter Herakleides stand untätig bei Herakleia und wagte nicht den Feinden das Meer streitig zu machen. Frühzeitig gingen diese in die Winterquartiere, die Römer nach dem Peiräeus und Kerkyra, die Rhodier und Pergamener in die Heimat.

Im ganzen konnte Philipp zu den Ereignissen dieses Feldzuges sich Glück wünschen. Die römischen Truppen standen nach einem äußerst beschwerlichen Feldzug im Herbst genau da, von wo sie im Frühling aufgebrochen waren, und ohne das rechtzeitige Dareinschlagen der Ätoler und die unerwartet glückliche Schlacht am Paß von Eordäa hätte von der gesamten Macht vielleicht kein Mann das römische Gebiet wiedergesehen. Die vierfache Offensive hatte überall ihren Zweck verfehlt und Philippos sah im Herbste nicht bloß sein ganzes Gebiet vom Feind gereinigt, sondern er konnte noch einen, freilich vergeblichen, Versuch machen, die an der ätolisch-thessalischen Grenze gelegene und die Peneiosebene beherrschende feste Stadt Thaumakoi den Ätolern zu entreißen. Wenn Antiochos, um dessen Kommen Philippos vergeblich zu den Göttern flehte, sich im nächsten Feldzug mit ihm vereinigte, so durfte er große Erfolge erwarten. Es schien einen Augenblick, als schicke dieser sich dazu an; sein Heer erschien in Kleinasien und besetzte einige Ortschaften des Königs Attalos, der von den Römern militärischen Schutz erbat. Diese indes beeilten sich nicht, den Großkönig jetzt zum Bruch zu drängen; sie schickten Gesandte, die in der Tat es erreichten, daß Attalos‘ Gebiet geräumt ward. Von daher hatte Philippos nichts zu hoffen.

Indes der glückliche Ausgang des letzten Feldzugs hatte Philipps Mut oder Übermut so gehoben, daß, nachdem er der Neutralität der Achäer und der Treue der Makedonier sich durch die Aufopferung einiger festen Plätze und des verabscheuten Admirals Herakleides aufs neue versichert hatte, im nächsten Frühling 556 (198) er es war, der die Offensive ergriff und in die atintanische Landschaft einrückte, um in dem engen Paß, wo sich der Aoos (Viosa) zwischen den Bergen Aeropos und Asmaos durchwindet, ein wohlverschanztes Lager zu beziehen. Ihm gegenüber lagerte das durch neue Truppensendungen verstärkte römische Heer, über das zuerst der Konsul des vorigen Jahres, Publius Villius, sodann seit dem Sommer 556 (198) der diesjährige Konsul Titus Quinctius Flamininus den Oberbefehl führte. Flamininus, ein talentvoller, erst dreißigjähriger Mann, gehörte zu der jüngeren Generation, welche mit dem altväterischen Wesen auch den altväterischen Patriotismus von sich abzutun anfing und zwar auch noch an das Vaterland, aber mehr an sich und an das Hellenentum dachte. Ein geschickter Offizier und besserer Diplomat, war er in vieler Hinsicht für die Behandlung der schwierigen griechischen Verhältnisse vortrefflich geeignet; dennoch wäre es vielleicht für Rom wie für Griechenland besser gewesen, wenn die Wahl auf einen minder von hellenischen Sympathien erfüllten Mann gefallen und ein Feldherr dorthin gesandt worden wäre, den weder feine Schmeichelei bestochen noch beißende Spottrede verletzt hätte, der die Erbärmlichkeit der hellenischen Staatsverfassungen nicht über literarischen und künstlerischen Reminiszenzen vergessen und der Hellas nach Verdienst behandelt, den Römern aber es erspart hätte, unausführbaren Idealen nachzustreben.

Der neue Oberbefehlshaber hatte mit dem König sogleich eine Zusammenkunft, während die beiden Heere untätig sich gegenüberstanden. Philippos machte Friedensvorschläge; er erbot sich, alle eigenen Eroberungen zurückzugeben und wegen des den griechischen Städten zugefügten Schadens sich einem billigen Austrag zu unterwerfen; aber an dem Begehren, altmakedonische Besitzungen, namentlich Thessalien, aufzugeben, scheiterten die Verhandlungen. Vierzig Tage standen die beiden Heere in dem Engpaß des Aoos, ohne daß Philippos wich oder Flamininus sich entschließen konnte, entweder den Sturm anzuordnen oder den König stehenzulassen und die vorjährige Expedition wieder zu versuchen. Da half dem römischen General die Verräterei einiger Vornehmer unter den sonst gut makedonisch gesinnten Epeiroten, namentlich des Charops, aus der Verlegenheit. Sie führten auf Bergpfaden ein römisches Korps von 4000 Mann zu Fuß und 300 Reitern auf die Höhen oberhalb des makedonischen Lagers und wie alsdann der Konsul das feindliche Herr von vorn angriff, entschied das Anrücken jener unvermutet von den beherrschenden Bergen herabsteigenden römischen Abteilung die Schlacht. Philippos verlor Lager und Verschanzung und gegen 2000 Mann und wich eilig zurück bis an den Paß Tempel die Pforte des eigentlichen Makedoniens. Allen anderen Besitz gab er auf bis auf die Festungen; die thessalischen Städte, die er nicht verteidigen konnte, zerstörte er selbst – nur Pherae schloß ihm die Tore und entging dadurch dem Verderben. Teils durch diese Erfolge der römischen Waffen, teils durch Flamininus‘ geschickte Milde bestimmt, traten zunächst die Epeiroten vom makedonischen Bündnis ab. In Thessalien waren auf die erste Nachricht vom Siege der Römer sogleich die Athamanen und Ätoler eingebrochen, und die Römer folgten bald; das platte Land war leicht überschwemmt, allein die festen Städte, die gut makedonisch gesinnt waren und von Philippos Unterstützung empfingen, fielen nur nach tapferem Widerstand oder widerstanden sogar dem überlegenen Feind; so vor allem Atrax am linken Ufer des Peneios, wo in der Bresche die Phalanx statt der Mauer stand. Bis auf diese thessalischen Festungen und das Gebiet der treuen Akarnanen war somit ganz Nordgriechenland in den Händen der Koalition.

Dagegen war der Süden durch die Festungen Chalkis und Korinth, die durch das Gebiet der makedonisch gesinnten Böoter miteinander die Verbindung unterhielten, und durch die achäische Neutralität noch immer wesentlich in makedonischer Gewalt, und Flamininus entschloß sich, da es doch zu spät war, um dies Jahr noch in Makedonien einzudringen, zunächst Landheer und Flotte gegen Korinth und die Achäer zu wenden. Die Flotte, die wieder die rhodischen und pergamenischen Schiffe an sich gezogen hatte, war bisher damit beschäftigt gewesen, zwei kleinere Städte auf Euböa, Eretria und Karystos, einzunehmen und daselbst Beute zu machen; worauf beide indes ebenso wie Oreos wieder aufgegeben und von dem makedonischen Kommandanten von Chalkis, Philokles, aufs neue besetzt wurden. Die vereinigte Flotte wandte sich von da nach Kenchreae, dem östlichen Hafen von Korinth, um diese starke Festung zu bedrohen. Von der anderen Seite rückte Flamininus in Phokis ein und besetzte die Landschaft, in der nur Elateia eine längere Belagerung aushielt; diese Gegend, namentlich Antikyra am Korinthischen Meerbusen, war zum Winterquartier ausersehen. Die Achäer, die also auf der einen Seite die römischen Legionen sich nähern, auf der anderen die römische Flotte schon an ihrem eigenen Gestade sahen, verzichteten auf ihre sittlich ehrenwerte, aber politisch unhaltbare Neutralität; nachdem die Gesandten der am engsten an Makedonien geknüpften Städte Dyme, Megalopolis und Argos die Tagsatzung verlassen hatten, beschloß dieselbe den Beitritt zu der Koalition gegen Philippos. Kykliades und andere Führer der makedonischen Partei verließen die Heimat; die Truppen der Achäer vereinigten sich sofort mit der römischen Flotte und eilten, Korinth zu Lande einzuschließen, welche Stadt, die Zwingburg Philipps gegen die Achäer, ihnen römischerseits für ihren Beitritt zu dem Bunde zugesichert worden war. Die makedonische Besatzung indes, die 1300 Mann stark war und großenteils aus italischen Überläufern bestand, verteidigte entschlossen die fast uneinnehmbare Stadt; überdies kam von Chalkis Philokles herbei mit einer Abteilung von 1500 Mann, die nicht bloß Korinth entsetzte, sondern auch in das Gebiet der Achäer eindrang und im Einverständnis mit der makedonisch gesinnten Bürgerschaft ihnen Argos entriß. Allein der Lohn solcher Hingebung war, daß der König die treuen Argeier der Schreckensherrschaft des Nabis von Sparta auslieferte. Diesen, den bisherigen Bundesgenossen der Römer, hoffte er nach dem Beitritt der Achäer zu der römischen Koalition zu sich hinüberzuziehen; denn er war hauptsächlich nur deshalb römischer Bundesgenosse geworden, weil er in Opposition zu den Achäern und seit 550 (204) sogar in offenem Kriege mit ihnen sich befand. Allein Philippos‘ Angelegenheiten standen zu verzweifelt, als daß irgend jemand jetzt sich auf seine Seite zu schlagen Lust verspürt hätte. Nabis nahm zwar Argos von Philippos an, allein er verriet den Verräter und blieb im Bündnis mit Flamininus, welcher in der Verlegenheit, jetzt mit zwei untereinander im Krieg begriffenen Mächten verbündet zu sein, vorläufig zwischen den Spartanern und Achäern einen Waffenstillstand auf vier Monate vermittelte.

So kam der Winter heran. Philippos benutzte ihn abermals, um womöglich einen billigen Frieden zu erhalten. Auf einer Konferenz, die in Nikäa am Malischen Meerbusen abgehalten ward, erschien der König persönlich und versuchte, mit Flamininus zu einer Verständigung zu gelangen, indem er den petulanten Übermut der kleinen Herren mit Stolz und Feinheit zurückwies und durch markierte Deferenz gegen die Römer als die einzigen ihm ebenbürtigen Gegner von diesen erträgliche Bedingungen zu erhalten suchte. Flamininus war gebildet genug, um durch die Urbanität des Besiegten gegen ihn und die Hoffart gegen die Bundesgenossen, welche der Römer wie der König gleich verachten gelernt hatten, sich geschmeichelt zu fühlen; allein seine Vollmacht ging nicht so weit wie das Begehren des Königs: er gestand ihm gegen Einräumung von Phokis und Lokris einen zweimonatlichen Waffenstillstand zu und wies ihn in der Hauptsache an seine Regierung. Im römischen Senat war man sich längst einig, daß Makedonien alle seine auswärtigen Besitzungen aufgeben müsse; als daher Philippos‘ Gesandte in Rom erschienen, begnügte man sich zu fragen, ob sie Vollmacht hätten, auf ganz Griechenland, namentlich auf Korinth, Chalkis und Demetrias zu verzichten, und da sie dies verneinten, brach man sofort die Unterhandlungen ab und beschloß die energische Fortsetzung des Krieges. Mit Hilfe der Volkstribunen gelang es dem Senat, den so nachteiligen Wechsel des Oberbefehls zu verhindern und Flamininus das Kommando zu verlängern; er erhielt bedeutende Verstärkung, und die beiden früheren Oberbefehlshaber Publius Galba und Publius Villius wurden angewiesen, sich ihm zur Verfügung zu stellen. Auch Philippos entschloß sich, noch eine Feldschlacht zu wagen. Um Griechenland zu sichern, wo jetzt alle Staaten mit Ausnahme der Akarnanen und Böoter gegen ihn in Waffen standen, wurde die Besatzung von Korinth bis auf 6000 Mann verstärkt, während er selbst, die letzten Kräfte des erschöpften Makedoniens anstrengend und Kinder und Greise in die Phalanx einreihend, ein Heer von etwa 26000 Mann, darunter 16000 makedonische Phalangiten, auf die Beine brachte. So begann der vierte Feldzug 557 (197). Flamininus schickte einen Teil der Flotte gegen die Akarnanen, die in Leukas belagert wurden; im eigentlichen Griechenland bemächtigte er sich durch List der böotischen Hauptstadt Thebae, wodurch sich die Böoter gezwungen sahen, dem Bündnis gegen Makedonien wenigstens dem Namen nach beizutreten. Zufrieden, hierdurch die Verbindung zwischen Korinth und Chalkis gesprengt zu haben, wandte er sich nach Norden, wo allein die Entscheidung fallen konnte. Die großen Schwierigkeiten der Verpflegung des Heeres in dem feindlichen und großenteils öden Lande, die schon oft die Operationen gehemmt hatten, sollte jetzt die Flotte beseitigen, indem sie das Heer längs der Küste begleitete und ihm die aus Afrika, Sizilien und Sardinien gesandten Vorräte nachführte. Indes die Entscheidung kam früher, als Flamininus gehofft hatte. Philippos, ungeduldig und zuversichtlich wie er war, konnte es nicht aushalten, den Feind an der makedonischen Grenze zu erwarten; nachdem er bei Dion sein Heer gesammelt hatte, rückte er durch den Tempepaß in Thessalien ein und traf mit dem ihm entgegenrückenden feindlichen Heer in der Gegend von Skotussa zusammen. Beide Heere, das makedonische und das römische, das durch Zuzüge der Apolloniaten und Athamanen und die von Nabis gesandten Kretenser, besonders aber durch einen ansehnlichen ätolischen Haufen verstärkt worden war, zählten ungefähr gleich viel Streiter, jedes etwa 26000 Mann; doch waren die Römer an Reiterei dem Gegner überlegen. Vorwärts Skotussa, auf dem Plateau des Karadagh, traf während eines trüben Regentages der römische Vortrab unvermutet auf den feindlichen, der einen zwischen beiden Lagern gelegenen, hohen und steilen Hügel, die Kynoskephalae genannt, besetzt hielt. Zurückgetrieben in die Ebene, erhielten die Römer Verstärkung aus dem Lager von den leichten Truppen und dem trefflichen Korps der ätolischen Reiterei und drängten nun ihrerseits den makedonischen Vortrab auf und über die Höhe zurück. Hier aber fanden wiederum die Makedonier Unterstützung an ihrer gesamten Reiterei und dem größten Teil der leichten Infantrie; die Römer, die unvorsichtig sich vorgewagt hatten, wurden mit großem Verlust bis hart an ihr Lager zurückgejagt und hätten sich völlig zur Flucht gewandt, wenn nicht die ätolischen Ritter in der Ebene den Kampf so lange hingehalten hätten, bis Flamininus die schnell geordneten Legionen herbeiführte. Dem ungestümen Ruf der siegreichen, die Fortsetzung des Kampfes fordernden Truppen gab der König nach und ordnete auch seine Schwerbewaffneten eilig zu der Schlacht, die weder Feldherr noch Soldaten an diesem Tage erwartet hatten. Es galt, den Hügel zu besetzen, der augenblicklich von Truppen ganz entblößt war. Der rechte Flügel der Phalanx unter des Königs eigener Führung kam früh genug dort an, um sich ungestört auf der Höhe in Schlachtordnung zu stellen; der linke aber war noch zurück, als schon die leichten Truppen der Makedonier, von den Legionen gescheucht, den Hügel heraufstürmten. Philipp schob die flüchtigen Haufen rasch an der Phalanx vorbei in das Mitteltreffen, und ohne zu erwarten, bis auf dem linken Flügel Nikanor mit der anderen, langsamer folgenden Hälfte der Phalanx eingetroffen war, hieß er die rechte Phalanx mit gesenkten Speeren den Hügel hinab sich auf die Legionen stürzen und gleichzeitig die wieder geordnete leichte Infanterie sie umgehen und ihnen in die Flanke fallen. Der am günstigen Orte unwiderstehliche Angriff der Phalanx zersprengte das römische Fußvolk, und der linke Flügel der Römer ward völlig geschlagen. Auf dem anderen Flügel ließ Nikanor, als er den König angreifen sah, die andere Hälfte der Phalanx schleunig nachrücken; sie geriet dabei auseinander, und während die ersten Reihen schon den Berg hinab eilig dem siegreichen rechten Flügel folgten und durch das ungleiche Terrain noch mehr in Unordnung kamen, gewannen die letzten Glieder eben erst die Höhe. Der rechte Flügel der Römer ward unter diesen Umständen leicht mit dem feindlichen linken fertig; die Elefanten allein, die auf diesem Flügel standen, vernichteten die aufgelösten makedonischen Scharen. Während hier ein fürchterliches Gemetzel entstand, nahm ein entschlossener römischer Offizier zwanzig Fähnlein zusammen und warf sich mit diesen auf den siegreichen makedonischen Flügel, der, den römischen linken verfolgend, so weit vorgedrungen war, daß der römische rechte ihm im Rücken stand. Gegen den Angriff von hinten war die Phalanx wehrlos und mit dieser Bewegung die Schlacht zu Ende. Bei der vollständigen Auflösung der beiden Phalangen ist es begreiflich, daß man 13000 teils gefangene, teils gefallene Makedonier zählte, meistens gefallene, weil die römischen Soldaten das makedonische Zeichen der Ergebung, das Aufheben der Sarissen, nicht kannten; der Verlust der Sieger war gering. Philippos entkam nach Larissa und nachdem er alle seine Papiere verbrannt hatte, um niemanden zu kompromittieren, räumte er Thessalien und ging in seine Heimat zurück.

Gleichzeitig mit dieser großen Niederlage erlitten die Makedonier noch andere Nachteile auf allen Punkten, die sie noch besetzt hielten: in Karien schlugen die rhodischen Söldner das dort stehende makedonische Korps und zwangen dasselbe, sich in Stratonikeia einzuschließen; die korinthische Besatzung ward von Nikostratos und seinen Achäern mit starkem Verlust geschlagen, das akarnanische Leukas nach heldenmütiger Gegenwehr erstürmt. Philippos war vollständig überwunden; seine letzten Verbündeten, die Akarnanen, ergaben sich auf die Nachricht von der Schlacht bei Kynoskephalae.

Es lag vollständig in der Hand der Römer, den Frieden zu diktieren: sie nutzten ihre Macht, ohne sie zu mißbrauchen. Man konnte das Reich Alexanders vernichten; auf der Konferenz der Bundesgenossen ward dies Begehren von ätolischer Seite ausdrücklich gestellt. Allein was hieß das anders als den Wall hellenischer Bildung gegen Thraker und Kelten niederreißen? Schon war während des eben beendigten Krieges das blühende Lysimacheia auf dem Thrakischen Chersonesos von den Thrakern gänzlich zerstört worden – eine ernste Warnung für die Zukunft. Flamininus, der tiefe Blicke in die widerwärtigen Verfehdungen der griechischen Staaten getan hatte, konnte nicht die Hand dazu bieten, daß die römische Großmacht für den Groll der ätolischen Eidgenossenschaft die Exekution übernahm, auch wenn nicht seine hellenischen Sympathien für den feinen und ritterlichen König ebenso sehr gewonnen gewesen wären wie sein römisches Nationalgefühl verletzt war durch die Prahlerei der Ätoler, der „Sieger von Kynoskephalae“, wie sie sich nannten. Den Ätolern erwiderte er, daß es nicht römische Sitte sei, Besiegte zu vernichten, übrigens seien sie ja ihre eigenen Herren und stehe es ihnen frei, mit Makedonien ein Ende zu machen, wenn sie könnten. Der König ward mit aller möglichen Rücksicht behandelt, und nachdem er sich bereit erklärt hatte, auf die früher gestellten Forderungen jetzt einzugehen, ihm von Flamininus gegen Zahlung einer Geldsumme und Stellung von Geiseln, darunter seines Sohnes Demetrios, ein längerer Waffenstillstand bewilligt, den Philippos höchst nötig brauchte, um die Dardaner aus Makedonien hinauszuschlagen.

Die definitive Regulierung der verwickelten griechischen Angelegenheiten ward vom Senat einer Kommission von zehn Personen übertragen, deren Haupt und Seele wieder Flamininus war. Philippos erhielt von ihr ähnliche Bedingungen, wie sie Karthago gestellt worden waren. Er verlor alle auswärtigen Besitzungen in Kleinasien, Thrakien, Griechenland und auf den Inseln des Ägäischen Meeres; dagegen blieb das eigentliche Makedonien ungeschmälert bis auf einige unbedeutende Grenzstriche und die Landschaft Orestis, welche frei erklärt ward – eine Bestimmung, die Philippos äußerst empfindlich fiel, allein die die Römer nicht umhin konnten, ihm vorzuschreiben, da bei seinem Charakter es unmöglich war, ihm die freie Verfügung über einmal von ihm abgefallene Untertanen zu lassen. Makedonien wurde ferner verpflichtet, keine auswärtigen Bündnisse ohne Vorwissen Roms abzuschließen noch nach auswärts Besatzungen zu schicken; ferner nicht außerhalb Makedoniens gegen zivilisierte Staaten noch überhaupt gegen römische Bundesgenossen Krieg zu führen und kein Heer über 5000 Mann, keine Elefanten und nicht über fünf Deckschiffe zu unterhalten, die übrigen an die Römer auszuliefern. Endlich trat Philippos mit den Römern in Symmachie, die ihn verpflichtete, auf Verlangen Zuzug zu senden, wie denn gleich nachher die makedonischen Truppen mit den Legionen zusammen fochten. Außerdem zahlte er eine Kontribution von 1000 Talenten (1700000 Taler).

Nachdem Makedonien also zu vollständiger politischer Nullität herabgedrückt und ihm nur so viel Macht gelassen war, als es bedurfte, um die Grenze von Hellas gegen die Barbaren zu hüten, schritt man dazu, über die vom König abgetretenen Besitzungen zu verfügen. Die Römer, die eben damals in Spanien erfuhren, daß überseeische Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und die überhaupt keineswegs des Ländererwerbes wegen den Krieg begonnen hatten, nahmen nichts von der Beute für sich und zwangen dadurch auch ihre Bundesgenossen zur Mäßigung. Sie beschlossen, sämtliche Staaten Griechenlands, die bisher unter Philippos gestanden, frei zu erklären; und Flamininus erhielt den Auftrag, das desfällige Dekret den zu den Isthmischen Spielen versammelten Griechen zu verlesen (558 196). Ernsthafte Männer freilich mochten fragen, ob denn die Freiheit ein verschenkbares Gut sei und was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der Nation bedeute; doch war der Jubel groß und aufrichtig, wie die Absicht aufrichtig war, in der der Senat die Freiheit verlieh32.

Ausgenommen waren von dieser gemeinen Maßregel nur die illyrischen Landschaften östlich von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra, Pleuratos, fielen und diesen, ein Menschenalter zuvor von den Römern gedemütigten Land- und Seeräuberstaat wieder zu der mächtigsten unter all den kleinen Herrschaften in diesen Strichen machten; ferner einige Ortschaften im westlichen Thessalien, die Amynander besetzt hatte und die man ihm ließ, und die drei Inseln Paros, Skyros und Imbros, welche Athen für seine vielen Drangsale und seine noch zahlreicheren Dankadressen und Höflichkeiten aller Art zum Geschenk erhielt. Daß die Rhodier ihre karischen Besitzungen behielten und Aegina den Pergamenern blieb, versteht sich. Sonst ward den Bundesgenossen nur mittelbar gelohnt durch den Zutritt der neu befreiten Städte zu den verschiedenen Eidgenossenschaften. Am besten wurden die Achäer bedacht, die doch am spätesten der Koalition gegen Philippos beigetreten waren; wie es scheint, aus dem ehrenwerten Grunde, daß dieser Bundesstaat unter allen griechischen der geordnetste und ehrbarste war. Die sämtlichen Besitzungen Philipps auf dem Peloponnes und dem Isthmos, also namentlich Korinth, wurden ihrem Bunde einverleibt. Mit den Ätolern dagegen machte man wenig Umstände; sie durften die phokischen und lokrischen Städte in ihre Symmachie aufnehmen, allein ihre Versuche, dieselbe auch auf Akarnanien und Thessalien auszudehnen, wurden teils entschieden zurückgewiesen, teils in die Ferne geschoben, und die thessalischen Städte vielmehr in vier kleine selbständige Eidgenossenschaften geordnet. Dem Rhodischen Städtebund kam die Befreiung von Thasos und Lemnos, der thrakischen und kleinasiatischen Städte zugute.

Schwierigkeit machte die Ordnung der inneren Verhältnisse Griechenlands, sowohl der Staaten zueinander, als der einzelnen Staaten in sich. Die dringendste Angelegenheit war der zwischen den Spartanern und Achäern seit 550 (204) geführte Krieg, dessen Vermittlung den Römern notwendig zufiel. Allein nach vielfachen Versuchen, Nabis zum Nachgeben, namentlich zur Herausgabe der von Philippos ihm ausgelieferten achäischen Bundesstadt Argos zu bestimmen, blieb Flamininus doch zuletzt nichts übrig, als dem eigensinnigen kleinen Raubherrn, der auf den offenkundigen Groll der Ätoler gegen die Römer und auf Antiochos‘ Einrücken in Europa rechnete und die Rückstellung von Argos beharrlich weigerte, endlich von den sämtlichen Hellenen auf einer großen Tagfahrt in Korinth den Krieg erklären zu lassen und mit der Flotte und dem römisch-bundesgenössischen Heere, darunter auch einem von Philippos gesandten Kontingent und einer Abteilung lakedämonischer Emigranten unter dem legitimen König von Sparta, Agesipolis, in den Peloponnes einzurücken (559 195). Um den Gegner durch die überwältigende Übermacht sogleich zu erdrücken, wurden nicht weniger als 50000 Mann auf die Beine gebracht und mit Vernachlässigung der übrigen Städte sogleich die Hauptstadt selbst umstellt; allein der gewünschte Erfolg ward dennoch nicht erreicht. Nabis hatte eine beträchtliche Armee, bis 15000 Mann, darunter 5000 Söldner, ins Feld gestellt und seine Herrschaft durch ein vollständiges Schreckensregiment, die Hinrichtung in Masse der ihm verdächtigen Offiziere und Bewohner der Landschaft, aufs neue befestigt. Sogar als er selber nach den ersten Erfolgen der römischen Armee und Flotte sich entschloß, nachzugeben und die von Flamininus ihm gestellten verhältnismäßig sehr günstigen Bedingungen anzunehmen, verwarf „das Volk“, das heißt das von Nabis in Sparta angesiedelte Raubgesindel, nicht mit Unrecht die Rechenschaft nach dem Siege fürchtend und getäuscht durch obligate Lügen über die Beschaffenheit der Friedensbedingungen und das Heranrücken der Ätoler und der Asiaten, den von dem römischen Feldherrn gebotenen Frieden, und der Kampf begann aufs neue. Es kam zu einer Schlacht vor den Mauern und zu einem Sturm auf dieselben; schon waren sie von den Römern erstiegen, als das Anzünden der genommenen Straßen die Stürmenden wieder zur Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige Widerstand ein Ende. Sparta behielt seine Selbständigkeit und ward weder gezwungen, die Emigranten wieder aufzunehmen, noch dem Achäischen Bunde beizutreten; sogar die bestehende monarchische Verfassung und Nabis selbst blieben unangetastet. Dagegen mußte Nabis seine auswärtigen Besitzungen, Argos, Messene, die kretischen Städte und überdies noch die ganze Küste, abtreten, sich verpflichten, weder auswärtige Bündnisse zu schließen noch Krieg zu führen und keine anderen Schiffe zu halten als zwei offene Kähne, endlich alles Raubgut wieder abzuliefern, den Römern Geiseln zu stellen und eine Kriegskontribution zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die Städte an der lakonischen Küste gegeben und diese neue Volksgemeinde, die im Gegensatz zu den monarchisch regierten Spartanern sich die der „freien Lakonen“ nannte, angewiesen, in den Achäischen Bund einzutreten. Ihr Vermögen erhielten die Emigrierten nicht zurück, indem die ihnen angewiesene Landschaft dafür als Ersatz angesehen ward; wogegen verfügt wurde, daß ihre Weiber und Kinder nicht wider deren Willen in Sparta zurückgehalten werden sollten. Die Achäer, obwohl sie durch diese Verfügung außer Argos noch die freien Lakonen erhielten, waren dennoch wenig zufrieden; sie hatten die Beseitigung des gefürchteten und gehaßten Nabis, die Rückführung der Emigrierten und die Ausdehnung der achäischen Symmachie auf den ganzen Peloponnes erwartet. Der Unbefangene wird indes nicht verkennen, daß Flamininus diese schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht regelte, wie es möglich ist, wo zwei beiderseits unbillige und ungerechte politische Parteien sich gegenüberstehen. Bei der alten und tiefen Verfeindung zwischen den Spartanern und Achäern wäre die Einverleibung Spartas in den Achäischen Bund einer Unterwerfung Spartas unter die Achäer gleichgekommen, was der Billigkeit nicht minder zuwiderlief als der Klugheit. Die Rückführung der Emigranten und die vollständige Restauration eines seit zwanzig Jahren beseitigten Regiments würde nur ein Schreckensregiment an die Stelle eines anderen gesetzt haben; der Ausweg, den Flamininus ergriff, war eben darum der rechte, weil er beide extreme Parteien nicht befriedigte. Endlich schien dafür gründlich gesorgt, daß es mit dem spartanischen See- und Landraub ein Ende hatte und das Regiment daselbst, wie es nun eben war, nur der eigenen Gemeinde unbequem fallen konnte. Es ist möglich, daß Flamininus, der den Nabis kannte und wissen mußte, wie wünschenswert dessen persönliche Beseitigung war, davon abstand, um nur einmal zu Ende zu kommen und nicht durch unabsehbar sich fortspinnende Verwicklungen den reinen Eindruck seiner Erfolge zu trüben; möglich auch, daß er überdies an Sparta ein Gegengewicht gegen die Macht der Achäischen Eidgenossenschaft im Peloponnes zu konservieren suchte. Indes der erste Vorwurf trifft einen Nebenpunkt und in letzterer Hinsicht ist es wenig wahrscheinlich, daß die Römer sich herabließen, die Achäer zu fürchten.

Äußerlich wenigstens war somit zwischen den kleinen griechischen Staaten Friede gestiftet. Aber auch die inneren Verhältnisse der einzelnen Gemeinden gaben dem römischen Schiedsrichter zu tun. Die Böoter trugen ihre makedonische Gesinnung selbst noch nach der Verdrängung der Makedonier aus Griechenland offen zur Schau; nachdem Flamininus auf ihre Bitten ihren in Philippos‘ Diensten gestandenen Landsleuten die Rückkehr verstattet hatte, ward der entschiedenste der makedonischen Parteigänger, Brachyllas, zum Vorstand der Böotischen Genossenschaft erwählt und auch sonst Flamininus auf alle Weise gereizt. Er ertrug es mit beispielloser Geduld: indes die römisch gesinnten Böoter, die wußten, was nach dem Abzug der Römer ihrer warte, beschlossen den Tod des Brachyllas, und Flamininus, dessen Erlaubnis sie sich dazu erbitten zu müssen glaubten, sagte wenigstens nicht nein. Brachyllas ward demnach ermordet; worauf die Böoter sich nicht begnügten, die Mörder zu verfolgen, sondern auch den einzeln durch ihr Gebiet passierenden römischen Soldaten auflauerten und deren an 500 erschlugen. Dies war denn doch zu arg; Flamininus legte ihnen eine Buße von einem Talent für jeden Soldaten auf, und da sie diese nicht zahlten, nahm er die nächstliegenden Truppen zusammen und belagerte Koroneia (558 196). Nun verlegte man sich auf Bitten; in der Tat ließ Flamininus auf die Verwendung der Achäer und Athener gegen eine sehr mäßige Buße von den Schuldigen ab, und obwohl die makedonische Partei fortwährend in der kleinen Landschaft am Ruder blieb, setzten die Römer ihrer knabenhaften Opposition nichts entgegen als die Langmut der Übermacht. Auch im übrigen Griechenland begnügte sich Flamininus, soweit es ohne Gewalttätigkeit anging, auf die inneren Verhältnisse namentlich der neubefreiten Gemeinden einzuwirken, den Rat und die Gerichte in die Hände der Reicheren und die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die städtischen Gemeinwesen dadurch, daß er das, was in jeder Gemeinde nach Kriegsrecht an die Römer gefallen war, zu dem Gemeindegut der betreffenden Stadt schlug, möglichst an das römische Interesse zu knüpfen. Im Frühjahr 560 (194) war die Arbeit beendigt: Flamininus versammelte noch einmal in Korinth die Abgeordneten der sämtlichen griechischen Gemeinden, ermahnte sie zu verständigem und mäßigem Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und erbat sich als einzige Gegengabe für die Römer, daß man die italischen Gefangenen, die während des Hannibalischen Krieges nach Griechenland verkauft worden waren, binnen dreißig Tagen ihm zusende. Darauf räumte er die letzten Festungen, in denen noch römische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis nebst den davon abhängigen kleineren Forts auf Euböa, und Akrokorinth, also die Rede der Ätoler, daß Rom die Fesseln Griechenlands von Philippos geerbt, tatsächlich Lüge strafend, und zog mit den sämtlichen römischen Truppen und den befreiten Gefangenen in die Heimat.

Nur von der verächtlichen Unredlichkeit oder der schwächlichen Sentimentalität kann es verkannt werden, daß es mit der Befreiung Griechenlands den Römern vollkommen ernst war, und die Ursache, weshalb der großartig angelegte Plan ein so kümmerliches Gebäude lieferte, einzig zu suchen ist in der vollständigen sittlichen und staatlichen Auflösung der hellenischen Nation. Es war nichts Geringes, daß eine mächtige Nation das Land, welches sie sich gewöhnt hatte, als ihre Urheimat und als das Heiligtum ihrer geistigen und höheren Interessen zu betrachten, mit ihrem mächtigen Arm plötzlich zur vollen Freiheit führte und jeder Gemeinde desselben die Befreiung von fremder Schatzung und fremder Besatzung und die unbeschränkte Selbstregierung verlieh; bloß die Jämmerlichkeit sieht hierin nichts als politische Berechnung. Der politische Kalkül machte den Römern die Befreiung Griechenlands möglich, zur Wirklichkeit wurde sie durch die eben damals in Rom und vor allem in Flamininus selbst unbeschreiblich mächtigen hellenischen Sympathien. Wenn ein Vorwurf die Römer trifft, so ist es der, daß sie alle und vor allem den Flamininus, der die wohlbegründeten Bedenken des Senats überwand, der Zauber des hellenischen Namens hinderte, die Erbärmlichkeit des damaligen griechischen Staatenwesens in ihrem ganzen Umfang zu erkennen, und daß sie all den Gemeinden, die mit ihren in sich und gegeneinander gärenden ohnmächtigen Antipathien weder zu handeln noch sich ruhig zu halten verstanden, ihr Treiben auch ferner gestatteten. Wie die Dinge einmal standen, war es vielmehr nötig, dieser ebenso kümmerlichen als schädlichen Freiheit durch eine an Ort und Stelle dauernd anwesende Übermacht ein- für allemal ein Ende zu machen; die schwächliche Gefühlspolitik war bei all ihrer scheinbaren Humanität weit grausamer, als die strengste Okkupation gewesen sein würde. In Böotien zum Beispiel mußte Rom einen politischen Mord, wenn nicht veranlassen, doch zulassen, weil man sich einmal entschlossen hatte, die römischen Truppen aus Griechenland wegzuziehen und somit den römisch gesinnten Griechen nicht wehren konnte, daß sie landüblicher Weise sich selber halfen. Aber auch Rom selbst litt unter den Folgen dieser Halbheit. Der Krieg mit Antiochos wäre nicht entstanden ohne den politischen Fehler der Befreiung Griechenlands, und er wäre ungefährlich geblieben ohne den militärischen Fehler, aus den Hauptfestungen an der europäischen Grenze die Besatzungen wegzuziehen. Die Geschichte hat eine Nemesis für jede Sünde, für den impotenten Freiheitsdrang wie für den unverständigen Edelmut.

  1. Wir haben noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der Inschrift “ T. Quincti(us)„, unter dem Regiment des Befreiers der Hellenen in Griechenland geschlagen. Der Gebrauch der lateinischen Sprache ist eine bezeichnende Artigkeit.