Einleitung


Einleitung

Die Geschichte der römischen Kaiserzeit stellt ähnliche Probleme wie diejenige der früheren Republik.

Was aus der literarischen Überlieferung unmittelbar entnommen werden kann, ist nicht bloß ohne Farbe und Gestalt, sondern in der Tat meistens ohne Inhalt. Das Verzeichnis der römischen Monarchen ist ungefähr ebenso glaubwürdig wie das der Konsuln der Republik und ungefähr ebenso instruktiv. Die den ganzen Staat erschütternden großen Krisen sind in ihren Umrissen erkennbar; viel besser aber als über die Samnitenkriege sind wir auch nicht unterrichtet über die germanischen unter den Kaisern Augustus und Marcus. Der republikanische Anekdotenschatz ist sehr viel ehrbarer als der gleiche der Kaiserzeit; aber die Erzählungen von Fabricius und die vom Kaiser Gaius sind ziemlich gleich flach und gleich verlogen. Die innerliche Entwicklung des Gemeinwesens liegt vielleicht für die frühere Republik in der Überlieferung vollständiger vor als für die Kaiserzeit; dort bewahrt sie eine, wenn auch getrübte und verfälschte Schilderung der schließlich wenigstens auf dem Markte Roms endigenden Wandlungen der staatlichen Ordnung; hier vollzieht sich diese im kaiserlichen Kabinett und gelangt in der Regel nur mit ihren Gleichgültigkeiten in die Öffentlichkeit. Dazu kommt die ungeheure Ausdehnung des Kreises und die Verschiebung der lebendigen Entwicklung vom Zentrum in die Peripherie. Die Geschichte der Stadt Rom hat sich zu der des Landes Italien, diese zu der der Welt des Mittelmeers erweitert, und worauf es am meisten ankommt, davon erfahren wir am wenigsten. Der römische Staat dieser Epoche gleicht einem gewaltigen Baum, um dessen im Absterben begriffenen Hauptstamm mächtige Nebentriebe rings emporstreben. Der römische Senat und die römischen Herrscher entstammen bald jedem anderen Reichsland ebensosehr wie Italien; die Quiriten dieser Epoche, welche die nominellen Erben der weltbezwingenden Legionäre geworden sind, haben zu den großen Erinnerungen der Vorzeit ungefähr dasselbe Verhältnis wie unsere Johanniter zu Rhodos und Malta und betrachten ihre Erbschaft als ein nutzbares Recht, als stiftungsmäßige Versorgung arbeitsscheuer Armer. Wer an die sogenannten Quellen dieser Epoche, auch die besseren, geht, bemeistert schwer den Unwillen über das Sagen dessen, was verschwiegen zu werden verdiente, und das Verschweigen dessen, was notwendig war zu sagen. Denn groß Gedachtes und weithin Wirkendes ist auch in dieser Epoche geschaffen worden; die Führung des Weltregiments ist selten so lange in geordneter Folge verblieben, und die festen Verwaltungsnormen, wie sie Caesar und Augustus ihren Nachfolgern vorzeichneten, haben sich im ganzen mit merkwürdiger Festigkeit behauptet, trotz allem Wechsel der Dynastien und der Dynasten, welcher in der nur darauf blickenden und bald zu Kaiserbiographien zusammenschwindenden Überlieferung mehr als billig im Vordergrunde steht. Die scharfen Abschnitte, welche in der landläufigen, durch jene Oberflächlichkeit der Grundlage geirrten Auffassung die Regierungswechsel machen, gehören weit mehr dem Hoftreiben an als der Reichsgeschichte. Das eben ist das Großartige dieser Jahrhunderte, daß das einmal angelegte Werk, die Durchführung der lateinisch-griechischen Zivilisierung in der Form der Ausbildung der städtischen Gemeindeverfassung, die allmähliche Einziehung der barbarischen oder doch fremdartigen Elemente in diesen Kreis, eine Arbeit, welche ihrem Wesen nach Jahrhunderte stetiger Tätigkeit und ruhiger Selbstentwicklung erforderte, diese lange Frist und diesen Frieden zu Lande und zur See gefunden hat. Das Greisenalter vermag nicht neue Gedanken und schöpferische Tätigkeit zu entwickeln, und das hat auch das römische Kaiserregiment nicht getan; aber es hat in seinem Kreise, den die, welche ihm angehörten, nicht mit Unrecht als die Welt empfanden, den Frieden und das Gedeihen der vielen vereinigten Nationen länger und vollständiger gehegt, als es irgendeiner anderen Vormacht je gelungen ist. In den Ackerstädten Afrikas, in den Winzerheimstätten an der Mosel, in den blühenden Ortschaften der lykischen Gebirge und des syrischen Wüstenrandes ist die Arbeit der Kaiserzeit zu suchen und auch zu finden. Noch heute gibt es manche Landschaft des Orients wie des Okzidents, für welche die Kaiserzeit den an sich sehr bescheidenen, aber doch vorher wie nachher nie erreichten Höhepunkt des guten Regiments bezeichnet; und wenn einmal ein Engel des Herrn die Bilanz aufmachen sollte, ob das von Severus Antoninus beherrschte Gebiet damals oder heute mit größerem Verstande und mit größerer Humanität regiert worden ist, ob Gesittung und Völkerglück im allgemeinen seitdem vorwärts- oder zurückgegangen sind, so ist es sehr zweifelhaft, ob der Spruch zu Gunsten der Gegenwart ausfallen würde. Aber wenn wir finden, daß dieses also war, so fragen wir die Bücher, die uns geblieben sind, meistens umsonst, wie dieses also geworden ist. Sie geben darauf sowenig eine Antwort, wie die Überlieferung der früheren Republik die gewaltige Erscheinung des Rom erklärt, welches in Alexanders Spuren die Welt unterwarf und zivilisierte.

Ausfüllen läßt sich die eine Lücke sowenig wie die andere. Aber es schien des Versuches wert, einmal abzusehen sowohl von den Regentenschilderungen mit ihren bald grellen, bald blassen und nur zu oft gefälschten Farben wie auch von dem scheinhaft chronologischen Aneinanderreihen nicht zusammenpassender Fragmente, und dafür zu sammeln und zu ordnen, was für die Darstellung des römischen Provinzialregiments die Überlieferung und die Denkmäler bieten, der Mühe wert, durch diese oder durch jene zufällig erhaltene Nachrichten, in dem Gewordenen aufbewahrte Spuren des Werdens, allgemeine Institutionen in ihrer Beziehung auf die einzelnen Landesteile, mit den für jeder. derselben, durch die Natur des Bodens und der Bewohner gegebenen Bedingungen, durch die Phantasie, welche wie aller Poesie so auch aller Historie Mutter ist, nicht zu einem Ganzen, aber zu dem Surrogat eines solchen zusammenzufassen. Aber die Epoche Diocletians habe ich dabei nicht hinausgehen wollen, weil das neue Regiment, welches damals geschaffen wurde, höchstens im zusammenfassenden Ausblick den Schlußstein dieser Erzählung bilden kann; seine volle Würdigung verlangt eine besondere Erzählung und einen anderen Weltrahmen, ein bei schärferem Verständnis des Einzelnen in dem großen Sinn und mit dem weiten Blick Gibbons durchgeführtes selbständiges Geschichtswerk. Italien und seine Inseln sind ausgeschlossen worden, da diese Darstellung von der des allgemeinen Reichsregiments nicht getrennt werden kann. Die sogenannte äußere Geschichte der Kaiserzeit ist aufgenommen als integrierender Teil der Provinzialverwaltung; was wir Reichskriege nennen würden, sind gegen das Ausland unter der Kaiserzeit nicht geführt worden, wenngleich die durch die Arrondierung oder Verteidigung der Grenzen hervorgerufenen Kämpfe einige Male Verhältnisse annahmen, daß sie als Kriege zwischen zwei gleichartigen Mächten erscheinen, und der Zusammensturz der römischen Herrschaft in der Mitte des dritten Jahrhunderts, welcher einige Dezennien hindurch ihr definitives Ende werden zu sollen schien, aus der an mehreren Stellen gleichzeitig unglücklich geführten Grenzverteidigung sich entwickelte. Die große Vorschiebung und Regulierung der Nordgrenze, wie sie unter Augustus teilweise ausgeführt ward, teilweise mißlang, leitet die Erzählung ein. Auch sonst sind die Ereignisse auf einem jeden der drei hauptsächlichsten Schauplätze der Grenzverteidigung, des Rheins, der Donau, des Euphrat, zusammengefaßt worden. Im übrigen ist die Darstellung nach den Landschaften geordnet. Im einzelnen fesselndes Detail, Stimmungsschilderungen und Charakterköpfe hat sie nicht zu bieten; es ist dem Künstler, aber nicht dem Geschichtschreiber erlaubt, das Antlitz des Arminius zu erfinden. Mit Entsagung ist dies Buch geschrieben und mit Entsagung möchte es gelesen sein.

1. Kapitel


1. Kapitel

Die Nordgrenze Italiens

Die römische Republik hat ihr Gebiet hauptsächlich auf den Seewegen gegen Westen, Süden und Osten erweitert; nach derjenigen Richtung hin, in welcher Italien und die von ihm abhängigen beiden Halbinseln im Westen und im Osten mit dem großen Kontinent Europas zusammenhängen, war dies wenig geschehen. Das Hinterland Makedoniens gehorchte den Römern nicht und nicht einmal der nördliche Abhang der Alpen; nur das Hinterland der gallischen Südküste war durch Caesar zum Reiche gekommen. Bei der Stellung, die das Reich im allgemeinen einnahm, durfte dies so nicht bleiben; die Beseitigung des trägen und unsicheren Regiments der Aristokratie mußte vor allem an dieser Stelle sich geltend machen. Nicht so geradezu wie die Eroberung Britanniens hatte Caesar die Ausdehnung des römischen Gebiets am Nordabhang der Alpen und am rechten Ufer des Rheins den Erben seiner Machtstellung aufgetragen; aber der Sache nach war die letztere Grenzerweiterung bei weitem näher gelegt und notwendiger als die Unterwerfung der überseeischen Kelten, und man versteht es, daß Augustus diese unterließ und jene aufnahm. Dieselbe zerfiel in drei große Abschnitte: die Operationen an der Nordgrenze der griechisch-makedonischen Halbinsel im Gebiet der mittleren und unteren Donau, in Illyricum; die an der Nordgrenze Italiens selbst, im oberen Donaugebiet, in Rätien und Noricum; endlich die am rechten Rheinufer, in Germanien. Meistens selbständig geführt, hängen die militärisch-politischen Vornahmen in diesen Gebieten doch innerlich zusammen, und wie sie sämtlich aus der freien Initiative der römischen Regierung hervorgegangen sind, können sie auch in ihrem Gelingen wie in ihrem teilweisen Mißlingen nur in ihrer Gesamtheit militärisch und politisch verstanden werden. Sie werden darum auch mehr im örtlichen als wie zeitlichen Zusammenhang dargelegt werden; das Gebäude, von dem sie doch nur Teile sind, wird besser in seiner inneren Geschlossenheit als in der Zeitfolge der Bauten betrachtet.

Das Vorspiel zu dieser großen Gesamtaktion machen die Einrichtungen, welche Caesar der Sohn, so wie er in Italien und Sizilien freie Hand gewonnen hatte, an den oberen Küsten des Adriatischen Meeres und im angrenzenden Binnenland vornahm. In den hundertundfünfzig Jahren, die seit der Gründung Aquileias verflossen waren, hatte wohl der römische Kaufmann von dort aus sich des Verkehrs mehr und mehr bemächtigt, aber der Staat unmittelbar nur geringe Fortschritte gemacht. An den Haupthäfen der dalmatinischen Küste, ebenso auf der von Aquileia in das Savetal führenden Straße bei Nauportus (Ober-Laibach) hatten sich ansehnliche Handelsniederlassungen gebildet; Dalmatien, Bosnien, Istrien und die Krain galten als römisches Gebiet und wenigstens das Küstenland war in der Tat botmäßig; aber die rechtliche Städtegründung stand noch ebenso aus wie die Bändigung des unwirtlichen Binnenlandes. Hier aber kam noch ein anderes Moment hinzu. In dem Kriege zwischen Caesar und Pompeius hatten die einheimischen Dalmater ebenso entschieden für den letzteren Partei ergriffen wie die dort ansässigen Römer für Caesar; auch nach der Niederlage des Pompeius bei Pharsalos und nach der Verdrängung der Pompeianischen Flotte aus den illyrischen Gewässern setzten die Eingeborenen den Widerstand energisch und erfolgreich fort. Der tapfere und fähige Publius Vatinius, der früher in diese Kämpfe mit großem Erfolg eingegriffen hatte, wurde mit einem starken Heere nach Illyricum gesandt, wie es scheint in dem Jahre vor Caesars Tode und nur als Vorhut des Hauptheeres, mit welchem der Diktator selbst nachfolgend die eben damals mächtig emporstrebenden Daker niederzuwerfen und die Verhältnisse im ganzen Donaugebiet zu ordnen beabsichtigte. Diesen Plan schnitten die Dolche der Mörder ab; man mußte sich glücklich schätzen, daß die Daker nicht ihrerseits in Makedonien eindrangen, und Vatinius selbst focht gegen die Dalmater unglücklich und mit starken Verlusten. Als dann die Republikaner im Osten rüsteten, ging das illyrische Heer in das des Brutus über und die Dalmatiner blieben längere Zeit unangefochten. Nach der Niederwerfung der Republikaner ließ Antonius, dem bei der Teilung des Reiches Makedonien zugefallen war, im Jahre 715 (39) die unbotmäßigen Dardaner im Nordwesten und die Parthiner an der Küste (östlich von Durazzo) zu Paaren treiben, wobei der berühmte Redner Gaius Asinius Pollio die Ehren des Triumphes gewann. In Illyricum, welches unter Caesar stand, konnte nichts geschehen, solange dieser seine ganze Macht auf den sizilischen Krieg gegen Sextus Pompeius wenden mußte; aber nach dessen glücklicher Beendigung warf Caesar selbst sich mit aller Kraft auf diese Aufgabe. Die kleinen Völkerschaften von Doclea (Cernagora) bis zu den Japuden (bei Fiume) wurden in dem ersten Feldzug (719 35) zur Botmäßigkeit zurückgebracht oder jetzt zuerst gebändigt. Es war kein großer Krieg mit namhaften Feldschlachten, aber die Gebirgskämpfe gegen die tapferen und verzweifelnden Stämme und das Brechen der festen, zum Teil mit römischen Maschinen ausgerüsteten Burgen waren keine leichte Aufgabe; in keinem seiner Kriege hat Caesar in gleichem Grade eigene Energie und persönliche Tapferkeit entwickelt. Nach der mühsamen Unterwerfung des Japudengebiets marschierte er noch in demselben Jahre im Tal der Kulpa aufwärts zu deren Mündung in die Save; die dort gelegene feste Ortschaft Siscia (Sziszek), der Hauptwaffenplatz der Pannonier, gegen den bisher die Römer noch nie mit Erfolg vorgegangen waren, ward jetzt besetzt und zum Stützpunkt bestimmt für den Krieg gegen die Daker, den Caesar demnächst aufzunehmen gedachte. In den beiden folgenden Jahren (720, 721 34, 33) wurden die Dalmater, die seit einer Reihe von Jahren gegen die Römer in Waffen standen, nach dem Fall ihrer Feste Promona (Promina bei Dernis, oberhalb Sebenico) zur Unterwerfung gezwungen. Wichtiger aber als diese Kriegserfolge war das Friedenswerk, das zugleich sich vollzog und zu dessen Sicherung sie dienen sollten. Ohne Zweifel in diesen Jahren erhielten die Hafenplätze an der istrischen und dalmatinischen Küste, soweit sie in dem Machtbereich Caesars lagen, Tergeste (Triest), Pola, Iader (Zara), Salome (bei Spalato), Narona (an der Narentamündung), nicht minder jenseits der Alpen, auf der Straße von Aquileia über die Julische Alpe zur Save, Emona (Laibach), durch den zweiten Julier zum Teil städtische Mauern, sämtlich städtisches Recht. Die Plätze selbst bestanden wohl alle schon längst als römische Flecken; aber es war immer von wesentlicher Bedeutung, daß sie jetzt unter die italischen Gemeinden gleichberechtigt eingereiht wurden.

Der Dakerkrieg sollte folgen; aber der Bürgerkrieg ging zum zweitenmal ihm vor. Statt nach Illyricum rief er den Herrscher in den Osten; und der große Entscheidungskampf zwischen Caesar und Antonius warf seine Wellen bis in das ferne Donaugebiet. Das durch den König Burebista geeinigte und gereinigte Volk der Daker, jetzt unter dem König Cotiso, sah sich von beiden Gegnern umworben – Caesar wurde sogar beschuldigt, des Königs Tochter zur Ehe begehrt und ihm dagegen die Hand seiner fünfjährigen Tochter Julia angetragen zu haben. Daß der Daker im Hinblick auf die von dem Vater geplante, von dem Sohn durch die Befestigung Siscias eingeleitete Invasion sich auf Antonius‘ Seite schlug, ist begreiflich; und hätte er ausgeführt, was man in Rom besorgte, wäre er, während Caesar im Osten focht, vom Norden her in das wehrlose Italien eingedrungen, oder hätte Antonius nach dem Vorschlag der Daker die Entscheidung statt in Epirus vielmehr in Makedonien gesucht und dort die dakischen Scharen an sich gezogen, so wären die Würfel des Kriegsglücks vielleicht anders gefallen. Aber weder das eine noch das andere geschah; zudem brach eben damals der durch Burebistas kräftige Hand geschaffene Dakerstaat wieder auseinander; die inneren Unruhen, vielleicht auch von Norden her die Angriffe der germanischen Bastarner und der späterhin Dakien nach allen Richtungen umklammernden sarmatischen Stämme, verhinderten die Daker, in den auch über ihre Zukunft entscheidenden römischen Bürgerkrieg einzugreifen.

Unmittelbar nachdem die Entscheidung in diesem gefallen war, wandte sich Caesar zu der Regulierung der Verhältnisse an der unteren Donau. Indes da teils die Daker selbst nicht mehr so wie früher zu fürchten waren, teils Caesar jetzt nicht mehr bloß über Illyricum, sondern über die ganze griechisch-makedonische Halbinsel gebot, wurde zunächst diese die Basis der römischen Operationen. Vergegenwärtigen wir uns die Völker und die Herrschaftsverhältnisse; die Augustus dort vorfand.

Makedonien war seit Jahrhunderten römische Provinz. Als solche reichte es nicht hinaus nördlich über Stobi und östlich über das Rhodopegebirge; aber der Machtbereich Roms erstreckte sich weit über die eigentliche Landesgrenze, obwohl in schwankendem Umfang und ohne feste Form. Ungefähr scheinen die Römer damals bis zum Haemus (Balkan) die Vormacht gehabt zu haben, während das Gebiet jenseits des Balkan bis zur Donau wohl einmal von römischen Truppen betreten, aber keineswegs von Rom abhängig war1. Jenseits des Rhodopegebirges waren die Makedonien benachbarten thrakischen Dynasten, namentlich die der Odrysen, denen der größte Teil der Südküste und ein Teil der Küste des Schwarzen Meeres botmäßig war, durch die Expedition des Lucullus unter römische Schutzherrschaft gekommen, während die Bewohner der mehr binnenländischen Gebiete, namentlich die Besser an der oberen Mariza Untertanen wohl hießen, aber nicht waren und ihre Einfälle in das befriedete Gebiet sowie die Vergeltungszüge in das ihrige stetig fortgingen. So hatte um das Jahr 694 (60) der leibliche Vater des Augustus, Gaius Octavius, und im Jahre 711 (43) während der Vorbereitungen zu dem Kriege gegen die Triumvirn Marcus Brutus gegen sie gestritten. Eine andere thrakische Völkerschaft, die Dentheleten (in der Gegend von Sofia), hatten noch in Ciceros Zeit bei einem Einfall in Makedonien Miene gemacht, dessen Hauptstadt Thessalonike zu belagern. Mit den Dardanern, den westlichen Nachbarn der Thraker, einem Zweig der illyrischen Völkerfamilie, welche das südliche Serbien und den Distrikt Prisrend bewohnten, hatte der Amtsvorgänger des Lucullus, Curio, mit Erfolg und ein Dezennium später Ciceros Kollege im Konsulat, Gaius Antonius, im Jahre 692 (62) unglücklich gefochten. Unterhalb des dardanischen Gebiets, unmittelbar an der Donau, saßen wieder thrakische Stämme, die einstmals mächtigen, jetzt herabgekommenen Triballer im Tal des Oescus (in der Gegend von Plewna), weiterhin an beiden Ufern der Donau bis zur Mündung Daker, oder wie sie am rechten Donauufer mit dem alten, auch den asiatischen Stammgenossen gebliebenen Volksnamen gewöhnlich genannt wurden, Myser oder Möser, wahrscheinlich zu Burebistas Zeit ein Teil seines Reiches, jetzt wieder in verschiedene Fürstentümer zersplittert. Die mächtigste Völkerschaft aber zwischen Balkan und Donau waren damals die Bastarner. Wir sind diesem tapferen und zahlreichen Stamm, dem östlichsten Zweig der großen germanischen Sippe, schon mehrfach begegnet. Eigentlich ansässig hinter den transdanuvianischen Dakern jenseits der Gebirge, die Siebenbürgen von der Moldau scheiden, an den Donaumündungen und in dem weiten Gebiet von da zum Dnjestr, befanden sie sich selber außerhalb des römischen Bereichs; aber vorzugsweise aus ihnen hatte sowohl König Philipp von Makedonien wie König Mithradates von Pontus seine Heere gebildet und in dieser Weise hatten die Römer schon früher oft mit ihnen gestritten. Jetzt hatten sie in großen Massen die Donau überschritten und sich nördlich vom Haemus festgesetzt; insofern der dakische Krieg, wie ihn Caesar der Vater und dann der Sohn geplant hatten, ohne Zweifel der Gewinnung des rechten Ufers der unteren Donau galt, war er nicht minder gegen sie gerichtet wie gegen die rechtsufrigen dakischen Möser. Die griechischen Küstenstädte in dem Barbarenland Odessos (bei Varna), Tomis, Istropolis, schwer bedrängt durch dies Völkergewoge, waren hier wie überall die geborenen Klienten der Römer.

Zur Zeit der Diktatur Caesars, als Burebista auf der Höhe seiner Macht stand, hatten die Daker an der Küste bis hinab nach Apollonia jenen fürchterlichen Verheerungszug ausgeführt, dessen Spuren noch nach anderthalb Jahrhunderten nicht verwischt waren. Es mag wohl zunächst dieser Einfall gewesen sein, welcher Caesar den Vater bestimmte, den Dakerkrieg zu unternehmen; und nachdem der Sohn jetzt auch über Makedonien gebot, mußte er allerdings sich verpflichtet fühlen, eben hier sofort und energisch einzugreifen. Die Niederlage, die Ciceros Kollege Antonius bei Istropolis durch die Bastarner erlitten hatte, darf als ein Beweis dafür genommen werden, daß diese Griechen wieder einmal der Hilfe der Römer bedurften.

In der Tat wurde bald nach der Schlacht bei Actium (725 29) Marcus Licinius Crassus, der Enkel des bei Karrhä gefallenen, von Caesar als Statthalter nach Makedonien gesandt und beauftragt, den zweimal verhinderten Feldzug nun auszuführen. Die Bastarner, welche eben damals in Thrakien eingefallen waren, fügten sich ohne Widerstand, als Crassus sie auffordern ließ, das römische Gebiet zu verlassen; aber ihr Rückzug genügte dem Römer nicht. Er überschritt seinerseits den Haemus2, schlug am Einfluß des Cibrus (Tzibritza) in die Donau die Feinde, deren König Deldo auf der Wahlstatt blieb, und nahm, was aus der Schlacht in eine nahe Festung entkommen war, mit Hilfe eines zu den Römern haltenden Dakerfürsten gefangen. Ohne weiteren Widerstand zu leisten, unterwarf sich dem Überwinder der Bastarner das gesamte mösische Gebiet. Diese kamen im nächsten Jahr wieder, um die erlittene Niederlage wettzumachen; aber sie unterlagen abermals und mit ihnen, was von den mösischen Stämmen wieder zu den Waffen gegriffen hatte. Damit waren diese Feinde von dem rechten Donauufer ein für allemal ausgewiesen und dieses vollständig der römischen Herrschaft unterworfen. Zugleich wurden die noch nicht botmäßigen Thraker gebändigt, den Bessern das nationale Heiligtum des Dionysos genommen und die Verwaltung desselben den Fürsten der Odrysen übertragen, welche überhaupt seitdem unter dem Schutz der römischen Obergewalt die Oberherrlichkeit über die thrakischen Völkerschaften südlich vom Haemus führten oder doch führen sollten. Unter seinen Schutz wurden ferner die griechischen Küstenstädte am Schwarzen Meere gestellt und auch das übrige eroberte Gebiet verschiedenen Lehnsfürsten zugeteilt, auf die somit zunächst der Schutz der Reichsgrenze überging3; eigene Legionen hatte Rom für diese fernen Landschaften nicht übrig. Makedonien wurde dadurch zur Binnenprovinz, die der militärischen Verwaltung nicht ferner bedurfte. Das Ziel, das bei jenen dakischen Kriegsplänen ins Auge gefaßt worden war, war erreicht.

Allerdings war dieses Ziel nur ein vorläufiges. Aber bevor Augustus die definitive Regulierung der Nordgrenze in die Hand nahm, wandte er sich zu der Reorganisation der schon zum Reiche gehörigen Landschaften; über ein Dezennium verging mit der Ordnung der Dinge in Spanien, Gallien, Asien, Syrien. Wie er dann, als dort das Nötige geschehen war, das umfassende Werk angriff, soll nun erzählt werden.

Italien, das über drei Weltteile gebot, war, wie gesagt, noch keineswegs unbedingt Herr im eigenen Hause. Die Alpen, die es gegen Norden beschirmen, waren in ihrer ganzen Ausdehnung von einem Meer zum andern angefüllt mit kleinen, wenig zivilisierten Völkerschaften illyrischer, rätischer, keltischer Nationalität, deren Gebiete zum Teil hart angrenzten an die der großen Städte der Transpadana – so das der Trumpiliner (Val Trompia) an die Stadt Brixia, das der Camunner (Val Camonica, oberhalb des Lago d’Iseo) an die Stadt Bergomum, das der Salasser (Val d’Aosta) an Eporedia (Ivrea), und die keineswegs friedliche Nachbarschaft pflogen. Oft genug überwunden und als besiegt auf dem Kapitol proklamiert, plünderten diese Stämme, allen Lorbeeren der vornehmen Triumphatoren zum Trotz, fortwährend die Bauern und die Kaufleute Oberitaliens. Ernstlich zu steuern war dem Unwesen nicht, solange die Regierung sich nicht entschloß, die Alpenhöhen zu überschreiten und auch den nördlichen Abhang in ihre Gewalt zu bringen; denn ohne Zweifel strömten beständig zahlreiche dieser Raubgesellen über die Berge herüber, um das reiche Nachbarland zu brandschatzen. Auch nach Gallien hin war noch in gleicher Weise zu tun; die Völkerschaften im oberen Rhonethal (Wallis und Waadt) waren zwar von Caesar unterworfen worden, aber sind auch unter denen genannt, die den Feldherren seines Sohnes zu schaffen machten. Andererseits klagten die friedlichen gallischen Grenzdistrikte über die stetigen Einfälle der Räter. Eine Geschichtserzählung leiden und fordern die zahlreichen Expeditionen nicht, welche Augustus dieser Mißstände halber veranstaltet hat; in den Triumphalfasten sind sie nicht verzeichnet und gehören auch nicht hinein, aber sie gaben Italien zum ersten Mal Befriedung des Nordens. Erwähnt mögen werden die Niederwerfung der oben erwähnten Camunner im Jahre 738 (16) durch den Statthalter von Illyricum und die gewisser ligurischer Völkerschaften in der Gegend von Nizza im Jahre 740 (14), weil sie zeigen, wie noch um die Mitte der augustischen Zeit diese unbotmäßigen Stämme unmittelbar auf Italien drückten. Wenn der Kaiser späterhin in dem Gesamtbericht über seine Reichsverwaltung erklärte, daß gegen keine dieser kleinen Völkerschaften von ihm zu Unrecht Gewalt gebraucht worden sei, so wird dies dahin zu verstehen sein, daß ihnen Gebietsabtretungen und Sitzwechsel angesonnen wurden und sie sich dagegen zur Wehr setzten; nur der unter König Cottius von Segusio (Susa) vereinigte kleine Gauverband fügte sich ohne Kampf in die neue Ordnung.

Der Schauplatz dieser Kämpfe waren die südlichen Abhänge und die Täler der Alpen. Es folgte die Festsetzung auf dem Nordabhang der Gebirge und in dem nördlichen Vorlande im Jahre 739 (15). Die beiden dem kaiserlichen Hause zugezählten Stiefsöhne Augusts, Tiberius, der spätere Kaiser, und sein Bruder Drusus, wurden damit in die ihnen bestimmte Feldherrnlaufbahn eingeführt – es waren sehr sichere und sehr dankbare Lorbeeren, die ihnen in Aussicht gestellt wurden. Von Italien aus das Tal der Etsch hinauf drang Drusus in die rätischen Berge ein und erfocht hier einen ersten Sieg; für das weitere Vordringen reichte ihm der Bruder, damals Statthalter Galliens, vom helvetischen Gebiet aus die Hand; auf dem Bodensee selbst schlugen die römischen Trieren die Boote der Vindeliker; an dem Kaisertag, dem 1. August 739 (15), wurde in der Umgegend der Donauquellen die letzte Schlacht geschlagen, durch die Rätien und das Vindelikerland, das heißt Tirol, die Ostschweiz und Bayern, fortan Bestandteile des Römischen Reiches wurden. Kaiser Augustus selbst war nach Gallien gegangen, um den Krieg und die Einrichtung der neuen Provinz zu überwachen. Da wo die Alpen am Golf von Genua endigen, auf der Höhe oberhalb Monaco, wurde einige Jahre darauf von dem dankbaren Italien dem Kaiser Augustus ein weit in das Tyrrhenische Meer hinausschauendes, noch heute nicht ganz verschwundenes Denkmal dafür errichtet, daß unter seinem Regiment die Alpenvölker alle vom oberen zum unteren Meer – ihrer sechsundvierzig zählt die Inschrift auf – in die Gewalt des römischen Volkes gebracht worden waren. Es war nicht mehr als die einfache Wahrheit, und dieser Krieg das, was der Krieg sein soll, der Schirmer und der Bürge des Friedens.

Schwieriger wohl als die eigentliche Kriegsarbeit war die Organisation des neuen Gebietes; insbesondere auch deshalb, weil die inneren politischen Verhältnisse hier zum Teil recht störend eingriffen. Da nach der Lage der Dinge das militärische Schwergewicht nicht in Italien liegen durfte, so mußte die Regierung darauf bedacht sein, die großen Militärkommandos aus der unmittelbaren Nähe Italiens möglichst zu entfernen; ja es hat wohl bei der Besetzung Rätiens selbst das Bestreben mitgewirkt, das Kommando, welches wahrscheinlich bis dahin in Oberitalien selbst nicht hatte entbehrt werden können, definitiv von dort wegzulegen, wie es dann auch zur Ausführung kam. Was man zunächst erwarten sollte, daß für die in dem neugewonnenen Gebiet unentbehrlichen militärischen Aufstellungen ein großer Mittelpunkt am Nordabhang der Alpen geschaffen worden wäre, davon geschah das gerade Gegenteil. Es wurde zwischen Italien einer- und den großen Rhein- und Donaukommandos andererseits ein Gürtel kleinerer Statthalterschaften gezogen, die nicht bloß alle vom Kaiser, sondern auch durchaus mit dem Senat nicht angehörigen Männern besetzt wurden. Italien und die südgallische Provinz wurden geschieden durch die drei kleinen Militärdistrikte der Seealpen (Departement der Seealpen und Provinz Cuneo), der Kottischen mit der Hauptstadt Segusio (Susa) und wahrscheinlich der Graischen (Ostsavoyen), unter denen der zweite, von dem schon genannten Gaufürsten Cottius und seinen Nachkommen eine Zeitlang in den Formen der Klientel verwaltete4 am meisten bedeutete, die aber alle eine gewisse Militärgewalt besaßen und deren nächste Bestimmung war, in dem betreffenden Gebiet und vor allem auf den wichtigen, dasselbe durchschneidenden Reichsstraßen die öffentliche Sicherheit zu erhalten. Das obere Rhonetal dagegen, also das Wallis, und das neu eroberte Rätien wurden einem nicht im Rang, aber wohl an Macht höher stehenden Befehlhaber untergeben; ein relativ ansehnliches Korps war hier nun einmal unumgänglich erforderlich. Indes wurde, um dasselbe möglichst verringern zu können, Rätien durch Entfernung seiner Bewohner im großen Maßstab entvölkert. Den Ring schloß die ähnlich organisierte Provinz Noricum, den größten Teil des heutigen deutschen Osterreich umfassend. Diese weite und fruchtbare Landschaft hatte sich ohne wesentlichen Widerstand der römischen Herrschaft unterworfen, wahrscheinlich in der Form, daß hier zunächst ein abhängiges Fürstenrum entstand, bald aber der König dem kaiserlichen Prokurator wich, von dem er ohnehin sich nicht wesentlich unterschied. Von den Rhein- und Donaulegionen erhielten allerdings einige ihre Standlager in der unmittelbaren Nähe, einerseits der rätischen Grenze bei Vindonissa, andererseits der norischen bei Poetovio, offenbar, um auf die Nachbarprovinz zu drücken; aber Armeen ersten Ranges mit Legionen unter senatorischen Generalen gab es in jenem Zwischenbereich so wenig wie senatorische Statthalter. Das Mißtrauen gegen das neben dem Kaiser den Staat regierende Kollegium findet in dieser Einrichtung einen sehr drastischen Ausdruck.

Nächst der Befriedung Italiens war der Hauptzweck dieser Organisation die Sicherung seiner Kommunikationen mit dem Norden, die für den Handelsverkehr von nicht minder einschneidender Bedeutung war wie in militärischer Beziehung. Mit besonderer Energie griff Augustus diese Aufgabe an und es ist wohl verdient, daß in den Namen Aosta und Augsburg, vielleicht auch in dem der Julischen Alpen der seinige noch heute fortlebt. Die alte Küstenstraße, die Augustus von der ligurischen Küste durch Gallien und Spanien bis an den Atlantischen Ozean teils erneuerte, teils herstellte, hat nur Handelszwecken dienen können. Auch die Straße über die Kottische Alpe, schon durch Pompeius eröffnet, ist unter Augustus durch den schon erwähnten Fürsten von Susa ausgebaut und nach ihm benannt worden; ebenfalls eine Handelsstraße, verknüpft sie Italien über Turin und Susa mit der Handelshauptstadt Südgalliens Arelate. Aber die eigentliche Militärlinie, die unmittelbare Verbindung zwischen Italien und den Rheinlagern führt durch das Tal der Dora Baltea aus Italien teils nach der Hauptstadt Galliens, Lyon, teils nach dem Rhein. Hatte die Republik sich darauf beschränkt, den Eingang jenes Tals durch die Anlegung von Eporedia (Ivrea) in ihre Gewalt zu bringen, so nahm Augustus dasselbe ganz in Besitz in der Weise, daß er dessen Bewohner, die immer noch unruhigen und schon während des dalmatinischen Krieges von ihm bekämpften Salasser, nicht bloß unterwarf, sondern geradezu austilgte – ihrer 36000, darunter 8000 streitbare Männer, wurden auf dem Markt von Eporedia unter dem Hammer in die Sklaverei verkauft und den Käufern auferlegt, binnen zwanzig Jahre keinem derselben die Freiheit zu gewähren. Das Feldlager selbst, von dem aus sein Feldherr Varro Murena im Jahre 729 (25) sie schließlich aufs Haupt geschlagen hatte, wurde die Festung, welche, besetzt mit 3000 der Kaisergarde entnommenen Ansiedlern, die Verbindungen sichern sollte, die Stadt Augusta Praetoria, das heutige Aosta, deren damals errichtete Mauern und Tore noch heute stehen. Sie beherrschte später zwei Alpenstraßen, sowohl die über die Grafische Alpe oder den Kleinen St. Bernhard an der oberen Isère und der Rhone nach Lyon führende wie die, welche über die Pöninische Alpe, den Großen St. Bernhard, zum Rhonetal und zum Genfer See und von da in die Täler der Aare und des Rheins lief. Aber für die erste dieser Straßen ist die Stadt angelegt worden, da sie ursprünglich nur nach Osten und Westen führende Tore gehabt hat, und es konnte dies auch nicht anders sein, da die Festung ein Dezennium vor der Besetzung Rätiens gebaut ward, auch in jenen Jahren die spätere Organisation der Rheinlager noch nicht bestand und die direkte Verbindung der Hauptstädte Italiens und Galliens durchaus in erster Reihe stand. In der Richtung auf die Donau zu ist der Anlage von Emona an der oberen Save auf der alten Handelsstraße von Aquileia über die Julische Alpe in das pannonische Gebiet schon gedacht worden; diese Straße war zugleich die Hauptader der militärischen Verbindung von Italien mit dem Donaugebiet. Mit der Eroberung Rätiens endlich verband sich die Eröffnung der Straße, welche von der letzten italischen Stadt Tridentum (Trient) das Etschtal hinauf zu der im Lande der Vindeliker neu angelegten Augusta, dem heutigen Augsburg, und weiter zur oberen Donau führte. Als dann der Sohn des Feldherrn, der dieses Gebiet zuerst aufgeschlossen hatte, zur Regierung gelangte, ist dieser Straße der Name der Claudischen beigelegt worden5. Sie stellte zwischen Rätien und Italien die militärisch unentbehrliche Verbindung her; indes hat sie in Folge der relativ geringen Bedeutung der rätischen Armee und wohl auch in Folge der schwierigeren Kommunikation niemals die Bedeutung gehabt wie die Straße von Aosta.

Die Alpenpässe und der Nordabhang der Alpen waren somit in gesichertem römischen Besitz. Jenseits der Alpen erstreckte sich östlich vom Rhein das germanische Land, südwärts der Donau das der Pannonier und der Möser. Auch hier wurde kurz nach der Besetzung Rätiens, und ziemlich gleichzeitig nach beiden Seiten hin, die Offensive ergriffen. Betrachten wir zunächst die Vorgänge an der Donau.

Das Donaugebiet, allem Anschein nach bis zum Jahre 727 (27) mit Oberitalien zusammen verwaltet, wurde damals bei der Reorganisation des Reiches ein selbständiger Verwaltungsbezirk Illyricum unter eigenem Statthalter. Er bestand aus Dalmatien mit seinem Hinterland bis zum Drin, während die Küste weiter südwärts seit langem zur Statthalterschaft Makedonien gehörte, und den römischen Besitzungen im Lande der Pannonier an der Save. Das Gebiet zwischen dem Haemus und der Donau bis zum Schwarzen Meer, welches kurz zuvor Crassus in Reichsabhängigkeit gebracht hatte, sowie nicht minder Noricum und Rätien standen im Klientelverhältnis zu Rom, gehörten also zwar nicht zu diesem Sprengel, aber hingen doch zunächst von dem Statthalter Illyricums ab. Auch das noch keineswegs beruhigte Thrakien südlich vom Haemus fiel militärisch in denselben Bereich. Es ist eine bis in späte Zeit bestehende Fortwirkung dieser ursprünglichen Organisation gewesen, daß das ganze Donaugebiet von Rätien bis Mösien als ein Zollbezirk unter dem Namen Illyricum im weiteren Sinne zusammengefaßt worden ist. Legionen standen nur in dem eigentlichen Illyricum, in den übrigen Distrikten wahrscheinlich gar keine Reichstruppen, höchstens kleinere Detachements; das Oberkommando führte der aus dem Senat hervorgehende Prokonsul der neuen Provinz, während die Soldaten und die Offiziere selbstverständlich kaiserlich waren. Es zeugt von dem ernsten Charakter der nach der Eroberung Rätiens beginnenden Offensive, daß zunächst der Nebenherrscher Agrippa das Kommando im Donaugebiet übernahm, dem der Prokonsul von Illyricum von Rechts wegen sich unterzuordnen hatte, und dann, als Agrippas plötzlicher Tod im Frühjahr 742 (12) diese Kombination scheitern machte, im Jahre darauf Illyricum in kaiserliche Verwaltung überging, also die kaiserlichen Feldherren hier das Oberkommando erhielten. Bald bildeten sich hier drei militärische Mittelpunkte, welche dann auch die administrative Dreiteilung des Donaugebiets herbeiführten. Die kleinen Fürstentümer in dem von Crassus eroberten Gebiet machten der Provinz Mösien Platz, deren Statthalter fortan in dem heutigen Serbien und Bulgarien die Grenzwacht hielt gegen Daker und Bastarner. In der bisherigen Provinz Illyricum wurde ein Teil der Legionen an der Kerka und der Cettina postiert, um die immer noch schwierigen Dalmater im Zaum zu halten. Die Hauptmacht stand in Pannonien an der damaligen Reichsgrenze, der Save. Chronologisch genau läßt sich diese Dislokation der Legionen und Organisation der Provinzen nicht fixieren; wahrscheinlich haben die gleichzeitig geführten ernsthaften Kriege gegen die Pannonier und die Thraker, von denen wir gleich zu berichten haben werden, zunächst dazu geführt, die Statthalterschaft von Mösien einzurichten, und haben erst einige Zeit nachher die dalmatischen Legionen und die an der Save eigene Oberbefehlshaber erhalten.

Wie die Expeditionen gegen die Pannonier und die Germanen gleichsam eine Wiederholung des rätischen Feldzugs in erweitertem Maßstab sind, so waren auch die Führer, welche mit dem Titel kaiserlicher Legaten an die Spitze gestellt wurden, dieselben; wieder die beiden Prinzen des kaiserlichen Hauses, Tiberius, der an Agrippas Stelle das Kommando in Illyricum übernahm, und Drusus, der an den Rhein ging, beide jetzt nicht mehr unerprobte Jünglinge, sondern Männer in der Blüte ihrer Jahre und schwerer Arbeit wohl gewachsen.

An nächsten Anlässen für die Kriegführung fehlte es in der Donaugegend nicht. Raubgesindel aus Pannonien und selbst aus dem friedlichen Noricum plünderte im Jahre 738 (16) bis nach Istrien hinein. Zwei Jahre darauf ergriffen die illyrischen Provinzialen gegen ihre Herren die Waffen und obwohl sie dann, als Agrippa im Herbst des Jahres 741 (13) das Kommando übernahm, ohne Widerstand zu leisten zum Gehorsam zurückkehrten, sollen doch unmittelbar nach seinem Tode die Unruhen aufs neue begonnen haben. Wir vermögen nicht zu sagen, wieweit diese römischen Erzählungen der Wahrheit entsprechen; der eigentliche Grund und Zweck dieses Krieges war gewiß die durch die allgemeine politische Lage geforderte Vorschiebung der römischen Grenze. Über die drei Kampagnen des Tiberius in Pannonien 742 bis 744 (12-10) sind wir sehr unvollkommen unterrichtet. Als Ergebnis derselben wurde von der Regierung die Feststellung der Donaugrenze für die Provinz Illyricum angegeben. Daß diese seitdem in ihrem ganzen Laufe als die Grenze des römischen Gebiets angesehen wurde, ist ohne Zweifel richtig, aber eine eigentliche Unterwerfung oder gar eine Besetzung dieses ganzen weiten Gebiets ist damals keineswegs erfolgt. Hauptsächlichen Widerstand gegen Tiberius leisteten die schon früher für römisch erklärten Völkerschaften, insbesondere die Dalmater; unter den damals zuerst effektiv unterworfenen ist die namhafteste die der pannonischen Breuker an der unteren Save. Schwerlich haben die römischen Heere während dieser Feldzüge die Drau auch nur überschritten, auf keinen Fall ihre Standlager an die Donau verlegt. Das Gebiet zwischen Save und Drau wurde allerdings besetzt und das Hauptquartier der illyrischen Nordarmee von Siscia an der Save nach Poetovio (Pettau) an der mittleren Drau verlegt, während in dem vor kurzem besetzten norischen Gebiet die römischen Besatzungen bis an die Donau bei Carnuntum reichten (Petronell bei Wien), damals die letzte norische Stadt gegen Osten. Das weite und große Gebiet zwischen der Drau und der Donau, das heutige westliche Ungarn, ist allem Anschein nach damals nicht einmal militärisch besetzt worden. Es entsprach dies dem Gesamtplan der begonnenen Offensive; man suchte die Fühlung mit dem gallischen Heer, und für die neue Reichsgrenze im Nordosten war der natürliche Stützpunkt nicht Ofen, sondern Wien.

Gewissermaßen eine Ergänzung zu dieser pannonischen Expedition des Tiberius bildet diejenige, welche gleichzeitig gegen die Thraker von Lucius Piso unternommen ward, vielleicht dem ersten eigenen Statthalter, den Mösien gehabt hat. Die beiden großen benachbarten Nationen, die Illyriker und die Thraker, von denen in einem späteren Abschnitt eingehender gehandelt werden wird, standen damals gleichmäßig zur Unterwerfung. Die Völkerschaften des inneren Thrakiens erwiesen sich noch störriger als die Illyriker und den von Rom ihnen gesetzten Königen wenig botmäßig; im Jahre 738 (16) mußte ein römisches Heer dort einrücken und den Fürsten gegen die Besser zu Hilfe kommen. Wenn wir genauere Berichte über die dort wie hier in den Jahren 741 bis 743 (13-11) geführten Kämpfe hätten, würde das gleichzeitige Handeln der Thraker und der Illyriker vielleicht als gemeinschaftliches erscheinen. Gewiß ist es, daß die Masse der Thrakerstämme südlich vom Haemus und vermutlich auch die in Mösien sitzenden sich an diesem Nationalkrieg beteiligten, und daß die Gegenwehr der Thraker nicht minder hartnäckig war als die der Illyriker. Es war für sie zugleich ein Religionskrieg; das den Bessern genommene und den römisch gesinnten Odrysenfürsten überwiesene Dionysosheiligtum6 war nicht vergessen; ein Priester dieses Dionysos stand an der Spitze der Insurrektion und sie richtete sich zunächst eben gegen jene Odrysenfürsten. Der eine derselben wurde gefangen und getötet, der andere verjagt; die zum Teil nach römischem Muster bewaffneten und disziplinierten Insurgenten siegten indem ersten Treffen über Piso und drangen vor bis nach Makedonien und in den Thrakischen Chersones; man fürchtete für Asien. Indes die römische Zucht behielt doch schließlich das Übergewicht auch über diese tapferen Gegner; in mehreren Feldzügen wurde Piso des Widerstandes Herr, und das entweder schon bei dieser Gelegenheit oder bald nachher auf dem „thrakischen Ufer“ eingerichtete Kommando von Mösien brach den Zusammenhang der dakisch-thrakischen Völkerschaften, indem es die Stämme am linken Ufer der Donau und die verwandten südlich vom Haemus voneinander schied, und sicherte dauernd die römische Herrschaft im Gebiet der unteren Donau.

Näher noch als von den Pannoniern und den Thrakern ward es den Römern von den Germanen gelegt, daß der damalige Zustand der Dinge auf die Dauer nicht bleiben könne. Die Reichsgrenze war seit Caesar der Rhein, vom Bodensee bis zu seiner Mündung. Eine Völkerscheide war er nicht, da schon von alters her im Nordosten Galliens die Kelten sich vielfach mit Deutschen gemischt hatten, die Treuerer und die Nervier Germanen wenigstens gern gewesen wären, am mittleren Rhein Caesar selbst die Reste der Scharen des Ariovistus, Triboker (im Elsaß), Nemeter (um Speyer), Vangionen (um Worms) seßhaft gemacht hatte. Freilich hielten diese linksrheinischen Deutschen fester zu der römischen Herrschaft als die keltischen Gaue und nicht sie haben den Landsleuten auf dem rechten Ufer die Pforten Galliens geöffnet. Aber diese, seit langem der Plunderzüge über den Fluß gewohnt und der mehrfach halb geglückten Versuche, dort sich festzusetzen, keineswegs vergessen, kamen auch ungerufen. Die einzige germanische Völkerschaft jenseits des Rheines, die schon in Caesars Zeit sich von ihren Landsleuten getrennt und unter römischen Schutz gestellt hatte, die Ubier, hatten vor dem Haß ihrer erbitterten Stammgenossen weichen und auf dem römischen Ufer Schutz und neue Wohnsitze suchen müssen (716 38); Agrippa, obwohl persönlich in Gallien anwesend, hatte unter dem Druck des damals bevorstehenden sizilischen Krieges nicht vermocht, ihnen in anderer Weise zu helfen, und den Rhein nur überschritten, um die Überführung zu bewirken. Aus dieser ihrer Siedlung ist später unser Köln erwachsen. Nicht bloß die auf dem rechten Rheinufer Handel treibenden Römer wurden vielfältig von den Germanen geschädigt, so daß sogar im Jahre 729 (25) deswegen ein Vorstoß über den Rhein ausgeführt ward und Agrippa im Jahre 734 (20) vom Rhein herübergekommene germanische Schwärme aus Gallien hinauszuschlagen hatte; es geriet im Jahre 738 (16) das jenseitige Ufer in eine allgemeinere, auf einen Einbruch in großem Maßstab hinauslaufende Bewegung. Die Sugambrer an der Ruhr gingen voran, mit ihnen ihre Nachbarn, nördlich im Lippetal die Usiper, südlich die Tencterer; sie griffen die bei ihnen verweilenden römischen Händler auf und schlugen sie ans Kreuz, überschritten dann den Rhein, plünderten weit und breit die gallischen Gaue, und als ihnen der Statthalter von Germanien den Legaten Marcus Lollius mit der fünften Legion entgegenschickte, fingen sie erst deren Reiterei ab und schlugen dann die Legion selbst in schimpfliche Flucht, wobei ihnen sogar deren Adler in die Hände fiel. Nach allem diesem kehrten sie unangefochten zurück in ihre Heimat. Dieser Mißerfolg der römischen Waffen, wenn auch an sich nicht von Gewicht, war doch der germanischen Bewegung und selbst der schwierigen Stimmung in Gallien gegenüber nichts weniger als unbedenklich; Augustus selbst ging nach der angegriffenen Provinz, und es mag dieser Vorgang wohl die nächste Veranlassung gewesen sein zur Aufnahme jener großen Offensive, die, mit dem Rätischen Krieg 739 (15) beginnend, weiter zu den Feldzügen des Tiberius in Illyricum und des Drusus in Germanien führte.

Nero Claudius Drusus, geboren im Jahre 716 (38) von Livia im Hause ihres neuen Gemahls, des späteren Augustus, und von diesem gleich einem Sohn – die bösen Zungen sagten, als sein Sohn – geliebt und gehalten, ein Bild männlicher Schönheit und von gewinnender Anmut im Verkehr, ein tapferer Soldat und ein tüchtiger Feldherr, dazu ein erklärter Lobredner der alten republikanischen Ordnung und in jeder Hinsicht der populärste Prinz des kaiserlichen Hauses, übernahm bei Augustus‘ Rückkehr nach Italien (741 13) die Verwaltung von Gallien und den Oberbefehl gegen die Germanen, deren Unterwerfung jetzt ernstlich in das Auge gefaßt ward. Wir vermögen weder die Stärke der damals am Rhein stehenden Armee noch die bei den Germanen obwaltenden Zustände genügend zu erkennen; nur das tritt deutlich hervor, daß die letzteren nicht imstande waren, dem geschlossenen Angriff in entsprechender Weise zu begegnen. Das Neckargebiet, ehemals von den Helvetiern besessen, dann lange Zeit streitiges Grenzland zwischen ihnen und den Germanen, lag verödet und beherrscht einerseits durch die jüngst unterworfene Landschaft der Vindeliker, andererseits durch die römisch gesinnten Germanen um Straßburg, Speyer und Worms. Weiter nordwärts, in der oberen Maingegend, saßen die Markomannen, vielleicht der mächtigste der suebischen Stämme, aber mit den Germanen des Mittelrheins seit alters her verfeindet. Nordwärts des Mains folgten zunächst im Taunus die Chatten, weiter rheinabwärts die schon genannten Tencterer, Sugambrer und Usiper; hinter ihnen die mächtigen Cherusker an der Weser, außerdem eine Anzahl Völkerschaften zweiten Ranges. Wie diese mittelrheinischen Stämme, voran die Sugambrer, jenen Angriff auf das römische Gallien ausgeführt hatten, so richtete sich auch der Vergeltungszug des Drusus hauptsächlich gegen sie, und sie auch verbanden sich gegen Drusus zur gemeinschaftlichen Abwehr und zur Aufstellung eines aus dem Zuzug aller dieser Gaue zu bildenden Volksheers. Aber die friesischen Stämme an der Nordseeküste schlossen sich nicht an, sondern verharrten in der ihnen eigenen Isolierung.

Es waren die Germanen, die die Offensive ergriffen. Die Sugambrer und ihre Verbündeten griffen wieder alle Römer auf, deren sie auf ihrem Ufer habhaft werden konnten, und schlugen die Centurionen darunter, ihrer zwanzig an der Zahl, ans Kreuz. Die verbündeten Stämme beschlossen, abermals in Gallien einzufallen, und teilten auch die Beute im voraus – die Sugambrer sollten die Leute, die Cherusker die Pferde, die suebischen Stämme das Gold und Silber erhalten. So versuchten sie im Anfang des Jahres 742 (12) wieder den Rhein zu überschreiten und hofften auf die Unterstützung der linksrheinischen Germanen und selbst auf eine Insurrektion der eben damals durch das ungewohnte Schätzungsgeschäft erregten gallischen Gaue. Aber der junge Feldherr traf seine Maßregeln gut: er erstickte die Bewegung im römischen Gebiet, noch ehe sie recht in Gang kam, warf die Eindringenden bei dem Flußübergang selbst zurück und ging dann seinerseits über den Strom, um das Gebiet der Usiper und Sugambrer zu brandschatzen. Dies war eine vorläufige Abwehr; der eigentliche Kriegsplan, in größerem Stil angelegt, ging aus von der Gewinnung der Nordseeküste und der Mündungen der Eins und der Elbe. Der zahlreiche und tapfere Stamm der Bataver im Rheindelta ist, allem Anschein nach damals und durch gütliche Vereinbarung, dem Römischen Reiche einverleibt worden; mit ihrer Hilfe wurde vom Rheine zur Zuidersee und aus dieser in die Nordsee eine Wasserverbindung hergestellt, welche der Rheinflotte einen sichereren und kürzeren Weg zur Ems- und Elbemündung eröffnete. Die Friesen an der Nordküste folgten dem Beispiel der Bataver und fügten sich gleichfalls der Fremdherrschaft. Es war wohl mehr noch die maßhaltende Politik als die militärische Übergewalt, die hier den Römern den Weg bahnte: diese Völkerschaften blieben fast ganz steuerfrei und wurden zum Kriegsdienst in einer Weise herangezogen, die nicht schreckte, sondern lockte. Von da ging die Expedition an der Nordseeküste hinauf; im offenen Meer wurde die Insel Burchanis (vielleicht Borkum vor Ostfriesland) mit stürmender Hand genommen, auf der Ems die Bootflotte der Bructerer von der römischen Flotte besiegt; bis an die Mündung der Weser zu den Chaukern ist Drusus gelangt. Freilich geriet die Flotte heimkehrend auf die gefährlichen und unbekannten Watten, und wenn die Friesen nicht der schiffbrüchigen Armee sicheres Geleit gewährt hätten, wäre sie in sehr kritische Lage geraten. Nichtsdestoweniger war durch diesen ersten Feldzug die Küste von der Rhein- zur Wesermündung römisch geworden.

Nachdem also die Küste umfaßt war, begann im nächsten Jahr (743 11) die Unterwerfung des Binnenlandes. Sie wurde wesentlich erleichtert durch den Zwist unter den mittelrheinischen Germanen. Zu dem im Jahre vorher versuchten Angriff auf Gallien hatten die Chatten den versprochenen Zuzug nicht gestellt; in begreiflichem, aber noch vielmehr unpolitischem Zorn hatten die Sugambrer mit gesamter Hand das Chattenland überfallen, und so wurde ihr eigenes Gebiet sowie das ihrer nächsten Nachbarn am Rhein ohne Schwierigkeit von den Römern besetzt. Die Chatten unterwarfen sich dann den Feinden ihrer Feinde ohne Gegenwehr; nichtsdestoweniger wurden sie angewiesen, das Rheinufer zu räumen und dafür dasjenige Gebiet zu besetzen, das bis dahin die Sugambrer innegehabt hatten. Nicht minder unterlagen weiter landeinwärts die mächtigen Cherusker an der mittleren Weser. Die an der unteren sitzenden Chauker wurden, wie ein Jahr zuvor von der Seeseite, so jetzt zu Lande angegriffen und damit das gesamte Gebiet zwischen Rhein und Weser wenigstens an den militärisch entscheidenden Stellen in Besitz genommen. Der Rückweg wäre allerdings, eben wie im vorigen Jahre, fast verhängnisvoll geworden; bei Arbalo (unbekannter Lage) sahen sich die Römer in einem Engpaß von allen Seiten von den Germanen umzingelt und ihrer Verbindungen verlustig; aber die feste Zucht der Legionäre und daneben die übermütige Siegesgewißheit der Deutschen verwandelten die drohende Niederlage in einen glänzenden Sieg7. Im nächsten Jahr (744 10) standen die Chatten auf, erbittert über den Verlust ihrer alten schönen Heimstatt; aber jetzt blieben sie ihrerseits allein und wurden nach hartnäckiger Gegenwehr und nicht ohne empfindlichen Verlust von den Römern überwältigt (745 9). Die Markomannen am oberen Main, die nach der Einnahme des Chattengebiets zunächst dem Angriff ausgesetzt waren, wichen ihm aus und zogen sich rückwärts in das Land der Boier, das heutige Böhmen, ohne von hier aus, wo sie dem unmittelbaren Machtkreise Roms entrückt waren, in die Kämpfe am Rhein einzugreifen. In dem ganzen Gebiet zwischen Rhein und Weser war der Krieg zu Ende. Drusus konnte im Jahre 745 (9) im Cheruskergau das rechte Weserufer betreten und von da vorgehen bis an die Elbe, die er nicht überschritt, vermutlich angewiesen war, nicht zu überschreiten. Manches harte Gefecht wurde geliefert, erfolgreicher Widerstand nirgends geleistet. Aber auf dem Rückweg, der, wie es scheint, die Saale hinauf und von da zur Weser genommen ward, traf die Römer ein schwerer Schlag, nicht durch den Feind, aber durch einen unberechenbaren Unglücksfall. Der Feldherr stürzte mit dem Pferd und brach den Schenkel; nach dreißigtägigen Leiden verschied er in dem fernen Lande zwischen Saale und Weser8, das nie vor ihm eine römische Armee betreten hatte, in den Armen des aus Rom herbeigeeilten Bruders, im dreißigsten Jahre seines Alters, im Vollgefühl seiner Kraft und seiner Erfolge, von den Seinigen und dem ganzen Volke tief und lange betrauert, vielleicht glücklich zu preisen, weil die Götter ihm gaben, jung aus dem Leben zu scheiden und den Enttäuschungen und Bitterkeiten zu entgehen, welche die Höchstgestellten am schmerzlichsten treffen, während in der Erinnerung der Welt noch heute seine glänzende Heldengestalt fortlebt.

In dem großen Gang der Dinge änderte, wie billig, der Tod des tüchtigen Feldherrn nichts. Sein Bruder Tiberius kam früh genug, nicht bloß um ihm die Augen zuzudrücken, sondern auch um mit seiner sicheren Hand das Heer zurück und die Eroberung Germaniens weiter zu führen. Er kommandierte dort während der beiden folgenden Jahre (746, 747 8, 7); zu größeren Kämpfen ist es während derselben nicht gekommen, aber weit und breit zwischen Rhein und Elbe zeigten sich die römischen Truppen, und als Tiberius die Forderung stellte, daß sämtliche Gaue die römische Herrschaft förmlich anzuerkennen hätten, und zugleich erklärte, die Anerkennung nur von sämtlichen Gauen zugleich entgegennehmen zu können, fügten sie sich ohne Ausnahme, zuletzt von allen die Sugambrer, für die es freilich einen wirklichen Frieden nicht gab. Wie weit man militärisch gelangt war, beweist die wenig später fallende Expedition des Lucius Domitius Ahenobarbus. Dieser konnte als Statthalter von Illyricum, wahrscheinlich von Vindelizien aus, einem unsteten Hermundurenschwarm im Markomannenlande selbst Sitze anweisen und gelangte bei dieser Expedition bis an und über die obere Elbe, ohne auf Widerstand zu treffen9. Die Markomannen in Böhmen waren völlig isoliert, und das übrige Germanien zwischen Rhein und Elbe eine, wenn auch noch keineswegs befriedete, römische Provinz.

Die militärisch-politische Organisation Germaniens, wie sie damals angelegt ward, vermögen wir nur unvollkommen zu erkennen, da uns einmal über die in früherer Zeit zum Schutz der gallischen Ostgrenze getroffenen Einrichtungen jede genaue Kunde fehlt, andererseits diejenigen der beiden Brüder durch die spätere Entwicklung der Dinge großenteils zerstört worden sind. Eine Verlegung der römischen Grenzhut vom Rhein weg hat keineswegs stattgefunden; so weit wollte man vielleicht kommen, aber war man nicht. Ähnlich wie in Illyricum damals die Donau, war die Elbe wohl die politische Reichsgrenze, aber der Rhein die Linie der Grenzverteidigung, und von den Rheinlagern liefen die rückwärtigen Verbindungen nach den großen Städten Galliens und nach dessen Häfen10. Das große Hauptquartier während dieser Feldzüge ist das spätere sogenannte „alte Lager“, Castra vetera (Birten bei Xanten), die erste bedeutende Höhe abwärts Bonn am linken Rheinufer, militärisch etwa dem heutigen Wesel am rechten entsprechend. Dieser Platz, besetzt vielleicht seit den Anfängen der Römerherrschaft am Rhein, ist von Augustus eingerichtet worden als Zwingburg für Germanien; und wenn die Festung zu allen Zeiten der Stützpunkt für die römische Defensive am linken Rheinufer gewesen ist, so war sie für die Invasion des rechten nicht weniger wohl gewählt, gelegen gegenüber der Mündung der weit hinauf schiffbaren Lippe und mit dem rechten Ufer durch eine feste Brücke verbunden. Den Gegensatz zu diesem „alten Lager“ an der Mündung der Lippe, bildete wahrscheinlich das an der Mündung des Main, Mogontiacum, das heutige Mainz, allem Anschein nach eine Schöpfung des Drusus; wenigstens zeigen die schon erwähnten, den Chatten auferlegten Gebietsabtretungen, sowie die weiterhin zu erwähnenden Anlagen im Taunus, daß Drusus die militärische Wichtigkeit der Mainlinie und also auch die ihres Schlüssels auf dem linken Rheinufer deutlich erkannt hat. Wenn das Legionslager an der Aare, wie es scheint, eingerichtet worden ist, um die Räter und Vindeliker im Gehorsam zu erhalten, so fällt dessen Anlage vermutlich schon in diese Zeit, aber es ist dann auch mit den gallisch-germanischen Militäreinrichtungen nur äußerlich verknüpft gewesen. Das Straßburger Legionslager reicht schwerlich bis in so frühe Zeit hinauf. Die Basis der römischen Heerstellung bildet die Linie von Mainz bis Wesel. Daß Drusus und Tiberius, abgesehen von der damals nicht mehr kaiserlichen narbonensischen Provinz, sowohl die Statthalterschaft von ganz Gallien wie auch das Kommando der sämtlichen rheinischen Legionen gehabt haben, ist ausgemacht; von diesen Prinzen abgesehen, mag damals wohl die Zivilverwaltung Galliens von dem Kommando der Rheintruppen getrennt gewesen sein, aber schwerlich war das letztere damals schon in zwei koordinierte Kommandos geteilt11.

Über den Bestand der damaligen Rheinarmee können wir nur etwa sagen, daß die Armee des Drusus schwerlich stärker, vielleicht geringer war als die, welche zwanzig Jahre später in Germanien stand, von fünf bis sechs Legionen, etwa 50000 bis 60000 Mann.

Diesen militärischen Einrichtungen am linken Rheinufer sind die am rechten getroffenen korrelat. Zunächst nahmen die Römer dieses selbst in Besitz. Es traf dies vor allem die Sugambrer, wobei allerdings die Vergeltung für den erbeuteten Adler und die ans Kreuz geschlagenen Centurionen mitgewirkt hat. Die zur Erklärung der Unterwerfung abgesandten Boten, die Vornehmsten der Nation, wurden gegen das Völkerrecht als Kriegsgefangene behandelt und kamen in den italischen Festungen elend um. Von der Masse des Volkes wurden 40000 Köpfe aus ihrer Heimat entfernt und auf dem gallischen Ufer angesiedelt, wo sie später vielleicht unter dem Namen der Cugerner begegnen. Nur ein geringer und ungefährlicher Überrest des mächtigen Stammes durfte in den alten Wohnsitzen bleiben. Auch suebische Haufen sind nach Gallien übergeführt, andere Völkerschaften weiter landeinwärts gedrängt worden, wie die Marser und ohne Zweifel auch die Chatten; am Mittelrhein wurde überall die eingeborene Bevölkerung des rechten Ufers verdrängt oder doch geschwächt. Längs dieses Rheinufers wurden ferner befestigte Posten, fünfzig an der Zahl, eingerichtet. Vorwärts Mogontiacum wurde das den Chatten abgenommene Gebiet, seitdem der Gau der Mattfiaker bei dem heutigen Wiesbaden, in die römischen Linien gezogen und die Höhe des Taunus stark befestigt12. Vor allem aber wurde von Vetera aus die Lippelinie in Besitz genommen; von der doppelten, von Tagemarsch zu Tagemarsch mit Kastellen besetzten Militärstraße an den beiden Ufern des Flusses ist wenigstens die rechtsuferige sicher ebenso das Werk des Drusus wie dies bezeugt ist von der Festung Aliso im Quellgebiet der Lippe, wahrscheinlich dem heutigen Dorfe Elsen unweit Paderborn13

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Dazu kam der schon erwähnte Kanal von der Rheinmündung zur Zuidersee und ein von Lucius Domitius Ahenobarbus durch eine längere Sumpfstrecke zwischen der Eins und dem Unterrhein gezogener Damm, die sogenannten „langen Brücken“. Außerdem standen durch das ganze Gebiet zerstreut einzelne römische Posten; dergleichen werden späterhin erwähnt bei den Friesen und den Chaukern, und in diesem Sinne mag es richtig sein, daß die römischen Besatzungen bis zur Weser und bis zur Elbe reichten. Endlich lagerte das Heer wohl im Winter am Rhein, im Sommer aber, auch wenn nicht eigentlich Expeditionen unternommen wurden, durchgängig im eroberten Lande, in der Regel bei Aliso.

Aber nicht bloß militärisch richteten die Römer in dem neugewonnenen Gebiet sich ein. Die Germanen wurden angehalten, wie andere Provinzialen, von dem römischen Statthalter Recht zu nehmen und die Sommerexpeditionen des Feldherrn entwickelten sich allmählich zu den üblichen Gerichtsreisen des Statthalters. Anklage und Verteidigung der Angeschuldigten fand in lateinischer Zunge statt; die römischen Sachwalter und Rechtsbeistände begannen wie diesseits so jenseits des Rheines ihre überall schwer empfundene, hier die solcher Dinge ungewohnten Barbaren tief erbitternde Wirksamkeit. Es fehlte viel zur völligen Durchführung der provinzialen Einrichtung; an förmliche Umlage der Schatzung, an regulierte Aushebung für das römische Heer ward noch nicht gedacht. Aber wie der neue Gauverband eben jetzt in Gallien im Anschluß an die daselbst eingeführte göttliche Verehrung des Monarchen eingerichtet ward, so wurde eine ähnliche Einrichtung auch in dem neuen Germanien getroffen; als Drusus für Gallien den Augustusaltar in Lyon weihte, wurden die zuletzt auf dem linken Rheinufer angesiedelten Germanen, die Ubier, nicht in diese Vereinigung aufgenommen, sondern in ihrem Hauptort, der der Lage nach für Germanien ungefähr war, was Lyon für die drei Gallien, ein gleichartiger Altar für die germanischen Gaue errichtet, dessen Priestertum im Jahre 9 der junge Cheruskerfürst Segimundus, des Segestes Sohn, verwaltete.

Den vollen militärischen Erfolg brach oder unterbrach doch die kaiserliche Familienpolitik. Das Zerwürfnis zwischen Tiberius und seinem Stiefvater führte dazu, daß jener im Anfang des Jahres 748 (6) das Kommando niederlegte. Das dynastische Interesse gestattete es nicht, umfassende militärische Operationen anderen Generalen als Prinzen des kaiserlichen Hauses anzuvertrauen; und nach Agrippas und Drusus‘ Tod und Tiberius‘ Rücktritt gab es fähige Feldherrn in demselben nicht. Allerdings werden in den zehn Jahren, wo Statthalter mit gewöhnlicher Befugnis in Illyricum und in Germanien schalteten, die militärischen Operationen daselbst wohl nicht so vollständig unterbrochen worden sein, wie es uns erscheint, da die höfisch gefärbte Überlieferung über die mit und die ohne Prinzen geführten Kampagnen nicht in gleicher Weise berichtet; aber das Stocken ist unverkennbar, und dieses selbst war ein Rückschritt. Ahenobarbus, der infolge seiner Verschwägerung mit dem kaiserlichen Hause – seine Gattin war die Schwestertochter Augusts – freiere Hand hatte als andere Beamte und der in seiner illyrischen Statthalterschaft die Elbe überschritten hatte, ohne Widerstand zu finden, erntete später als Statthalter Germaniens dort keine Lorbeeren. Nicht bloß die Erbitterung, auch der Mut der Germanen waren wieder im Steigen und im Jahre 2 erscheint das Land wieder im Aufstand, die Cherusker und die Chauker unter den Waffen. Inzwischen hatte am Kaiserhofe der Tod sich ins Mittel geschlagen und der Wegfall der jungen Söhne des Augustus diesen und Tiberius ausgesöhnt. Kaum war diese Versöhnung durch die Annahme an Kindesstatt besiegelt und proklamiert (4), so nahm Tiberius das Werk da wieder auf, wo es unterbrochen worden war, und führte abermals in diesem und den beiden folgenden Sommern (5-6) die Heere über den Rhein. Es war eine Wiederholung und Steigerung der früheren Feldzüge. Die Cherusker wurden im ersten Feldzug, die Chauker im zweiten zum Gehorsam zurückgebracht; die den Batavern benachbarten und an Tapferkeit nicht nachstehenden Cannenefaten, die im Quellgebiet der Lippe und an der Ems sitzenden Bructerer und andere Gaue mehr unterwarfen sich, ebenso die hier zuerst erwähnten mächtigen Langobarden, damals hausend zwischen der Weser und Elbe. Der erste Feldzug führte über die Weser hinein in das Innere; in dem zweiten standen an der Elbe selbst die römischen Legionen dem germanischen Landsturm am anderen Ufer gegenüber. Vom Jahre 4 auf 5 nahm, es scheint zum ersten Mal, das römische Heer das Winterlager auf germanischem Boden bei Aliso. Alles dies wurde erreicht ohne erhebliche Kämpfe; die umsichtige Kriegführung brach nicht die Gegenwehr, sondern machte sie unmöglich. Diesem Feldherrn war es nicht um unfruchtbare Lorbeeren zu tun, sondern um dauernden Erfolg. Nicht minder wurde die Seefahrt wiederholt; wie die erste Kampagne des Drusus, so ist die letzte des Tiberius ausgezeichnet durch die Beschiffung der Nordsee. Aber die römische Flotte gelangte diesmal weiter: die ganze Küste der Nordsee bis zum Vorgebirge der Kimbrer, das heißt zur jütischen Spitze, ward von ihr erkundet und sie vereinigte sich dann, die Elbe hinauffahrend, mit dem an dieser aufgestellten Landheer. Diese zu überschreiten, hatte der Kaiser ausdrücklich untersagt; aber die Völker jenseits der Elbe, die eben genannten Kimbrer im heutigen Jütland, die Charuden südlich von ihnen, die mächtigen Semnonen zwischen Elbe und Oder traten wenigstens in Beziehung zu den neuen Nachbarn.

Man konnte meinen, am Ziel zu sein. Aber eines fehlte doch noch zur Herstellung des eisernen Ringes, der Großdeutschland umklammern sollte: es war die Herstellung der Verbindung zwischen der mittleren Donau und der oberen Elbe, die Besitznahme des alten Boierheims, das in seinem Bergkranz gleich einer gewaltigen Festung zwischen Noricum und Germanien sich einschob. Der König Maroboduus, aus edlem Markomannengeschlecht, aber in jungen Jahren durch längeren Aufenthalt in Rom eingeführt in dessen straffere Heer- und Staatsordnung, hatte nach der Heimkehr, vielleicht während der ersten Feldzüge des Drusus und der dadurch herbeigeführten Übersiedlung der Markomannen vom Main an die obere Elbe, sich nicht bloß zum Fürsten seines Volkes erhoben, sondern auch diese seine Herrschaft nicht in der lockeren Weise des germanischen Königtums, sondern, man möchte sagen, nach dem Muster der augustischen gestaltet. Außer seinem eigenen Volk gebot er über den mächtigen Stamm der Lugier (im heutigen Schlesien) und seine Klientel muß sich über das ganze Gebiet der Elbe erstreckt haben, da die Langobarden und die Semnonen als ihm untertänig bezeichnet werden. Bisher hatte er den Römern wie den übrigen Germanen gegenüber völlige Neutralität beobachtet; er gewährte wohl den flüchtigen Römerfeinden in seinem Lande eine Freistatt, aber tätig mischte er sich in den Kampf nicht, nicht einmal, als die Hermunduren von dem römischen Statthalter auf markomannischem Gebiet Wohnsitze angewiesen erhielten und als das linke Elbufer den Römern botmäßig ward. Er unterwarf sich ihnen nicht, aber er nahm alle jene Vorgänge hin, ohne darum die freundlichen Beziehungen zu den Römern zu unterbrechen. Durch diese gewiß nicht großartige und schwerlich auch nur kluge Politik hatte er erreicht, als der letzte angegriffen zu werden; nach den vollkommen gelungenen germanischen Feldzügen der Jahre 4 und 5 kam die Reihe an ihn. Von zwei Seiten her, von Germanien und Noricum aus, rückten die römischen Heere vor gegen den böhmischen Bergring; den Main hinauf, die dichten Wälder vom Spessart zum Fichtelgebirge mit Axt und Feuer lichtend, ging Gaius Sentius Saturninus, von Carnuntum aus, wo die illyrischen Legionen durch den Winter 5 auf 6 gelagert hatten, Tiberius selbst gegen die Markomannen vor; die beiden Heere, zusammen zwölf Legionen, waren den Gegnern, deren Streitmacht auf 70000 Mann zu Fuß und 4000 Reiter geschätzt wurde, schon der Zahl nach fast um das Doppelte überlegen. Die umsichtige Strategik des Feldherrn schien den Erfolg auch diesmal völlig sichergestellt zu haben, als ein plötzlicher Zwischenfall den weiteren Vormarsch der Römer unterbrach.

Die dalmatinischen Völkerschaften und die pannonischen wenigstens des Savegebietes gehorchten seit kurzem den römischen Statthaltern; aber sie ertrugen das neue Regiment mit immer steigendem Groll, vor allem wegen der ungewohnten und schonungslos gehandhabten Steuern. Als Tiberius später einen der Führer nach den Gründen des Abfalls fragte, antwortete ihm dieser, es sei geschehen, weil die Römer ihren Herden zu Hütern nicht Hunde noch Hirten, sondern Wölfe setzten. Jetzt waren die Legionen aus Dalmatien an die Donau geführt und die wehrhaften Leute aufgeboten worden, um eben dahin zur Verstärkung der Armeen gesendet zu werden. Diese Mannschaften machten den Anfang und ergriffen die Waffen nicht für, sondern gegen Rom; ihr Führer war ein Daesitiate (um Serajevo), Bato. Dem Beispiel folgten die Pannonier unter Führung zweier Breuker, eines anderen Bato und des Pinnes. Mit unerhörter Schnelligkeit und Einträchtigkeit erhob sich ganz Illyricum; auf 200000 zu Fuß und 9000 zu Pferde wurde die Zahl der insurgierten Mannschaften geschätzt. Die Aushebung für die Auxiliartruppen, welche namentlich bei den Pannoniern in bedeutendem Maße stattfand, hatte die Kunde des römischen Kriegswesens, zugleich mit der römischen Sprache und selbst der römischen Bildung in weiterem Umfang verbreitet; diese gedienten römischen Soldaten bildeten jetzt den Kern der Insurrektion15. Die in den insurgierten Gebieten in großer Zahl angesessenen oder verweilenden römischen Bürger, die Kaufleute und vor allem die Soldaten, wurden überall aufgegriffen und erschlagen. Wie die provinzialen Völkerschaften kamen auch die unabhängigen in Bewegung. Die den Römern ganz ergebenen Fürsten der Thraker führten allerdings ihre ansehnlichen und tapferen Scharen den römischen Feldherrn zu; aber vom anderen Ufer der Donau brachen die Daker, mit ihnen die Sarmaten, in Mösien ein. Das ganze weite Donaugebiet schien sich verschworen zu haben, um der Fremdherrschaft ein jähes Ende zu bereiten.

Die Insurgenten waren nicht gemeint, den Angriff abzuwarten, sondern sie planten einen Überfall Makedoniens und sogar Italiens. Die Gefahr war ernst; über die Julischen Alpen hinüber konnten die Aufständischen in wenigen Tagen wiederum vor Aquileia und Tergeste stehen – sie hatten den Weg dahin noch nicht verlernt – und in zehn Tagen vor Rom, wie der Kaiser selbst im Senat es aussprach, allerdings um sich der Zustimmung desselben zu den umfassenden und drückenden militärischen Veranstaltungen zu versichern. In schleunigster Eile wurden neue Mannschaften auf die Beine gebracht und die zunächst bedrohten Städte mit Besatzung versehen; ebenso, was irgendwo von Truppen entbehrlich war, nach den bedrohten Punkten geschickt. Der erste zur Stelle war der Statthalter von Mösien, Aulus Caecina Severus, und mit ihm der thrakische König Rhoemetalkes; bald folgten andere Truppen aus den überseeischen Provinzen nach. Vor allen Dingen aber mußte Tiberius, statt in Böhmen einzudringen, zurückkehren nach Illyricum. Hätten die Insurgenten abgewartet, bis die Römer mit Maroboduus im Kampfe lagen, oder dieser mit ihnen gemeinschaftliche Sache gemacht, so konnte die Lage für die Römer eine sehr kritische werden. Aber jene schlugen zu früh los, und dieser, getreu seinem System der Neutralität, ließ sich dazu herbei, eben jetzt auf der Basis des Status quo mit den Römern Frieden zu schließen. So mußte Tiberius zwar die Rheinlegionen zurücksenden, da Germanien unmöglich von Truppen entblößt werden konnte, aber sein illyrisches Heer konnte er mit den aus Mösien, Italien und Syrien anlangenden Truppen vereinigen und gegen die Insurgenten verwenden. In der Tat war der Schrecken größer als die Gefahr. Die Dalmater brachen zwar zu wiederholten Malen in Makedonien ein und plünderten die Küste bis nach Apollonia hinab; aber zu dem Einfall in Italien kam es nicht, und bald war der Brand auf seinen ursprünglichen Herd beschränkt.

Dennoch war die Kriegsarbeit nicht leicht: auch hier wie überall war die abermalige Niederwerfung der Unterworfenen mühsamer als die Unterwerfung selbst. Niemals ist in augustischer Zeit eine gleiche Truppenmasse unter demselben Kommando vereinigt gewesen; schon im ersten Kriegsjahre bestand das Heer des Tiberius aus zehn Legionen nebst den entsprechenden Hilfsmannschaften, dazu zahlreichen freiwillig wieder eingetretenen Veteranen und anderen Freiwilligen, zusammen etwa 120000 Mann; späterhin hatte er fünfzehn Legionen unter seinen Fahnen vereinigt16. Im ersten Feldzug (6) wurde mit sehr abwechselndem Glück gestritten; es gelang wohl, die großen Ortschaften, wie Siscia und Sirmium, gegen die Insurgenten zu schützen, aber der Dalmatiner Bato focht ebenso hartnäckig und zum Teil glücklich gegen den Statthalter von Pannonien, Marcus Valerius Messalla, des Redners Sohn, wie sein pannonischer Namensgenosse gegen den von Mösien, Aulus Caecina. Vor allem der kleine Krieg machte den römischen Truppen viel zu schaffen. Auch das folgende Jahr (7), in welchem neben Tiberius sein Neffe, der junge Germanicus, auf den Kriegsschauplatz trat, brachte kein Ende der ewigen Kämpfe. Erst im dritten Feldzug (8) gelang es, zunächst die Pannonier zu unterwerfen, hauptsächlich, wie es scheint, dadurch, daß ihr Führer Bato, von den Römern gewonnen, seine Truppen bewog, am Fluß Bathinus samt und sonders die Waffen zu strecken und den Kollegen im Oberbefehl, Pinnes, den Römern auslieferte, wofür er von diesen als Fürst der Breuker anerkannt ward. Zwar traf den Verräter bald die Strafe: sein dalmatinischer Namensgenosse fing ihn und ließ ihn hinrichten, und noch einmal flackerte bei den Breukern der Aufstand auf; aber er ward rasch wieder erstickt und der Dalmater beschränkt auf die Verteidigung der eigenen Heimat. Hier hatte Germanicus und andere Korpsführer in diesem wie noch im folgenden Jahr (9) in den einzelnen Gauen heftige Kämpfe zu bestehen; in dem letzteren wurden die Pirusten (an der epirotischen Grenze) und der Gau, dem der Führer selbst angehörte, die Daesitiaten bezwungen, ein tapfer verteidigtes Kastell nach dem andern gebrochen. Noch einmal im Laufe des Sommers erschien Tiberius selbst wieder im Felde und setzte die gesamten Streitkräfte gegen die Reste der Insurrektion in Bewegung. Auch Bato, in dem festen Andetrium (Muck, oberhalb Salome), seiner letzten Zufluchtstau, von dem römischen Heere eingeschlossen, gab die Sache verloren. Er verließ die Stadt, da er nicht vermochte, die Verzweifelten zur Unterwerfung zu bestimmen, und unterwarf sich dem Sieger, bei dem er ehrenvolle Behandlung fand; er ist, als politischer Gefangener interniert, in Ravenna gestorben. Ohne den Führer setzte die Mannschaft den vergeblichen Kampf noch eine Zeitlang fort, bis die Römer das Kastell mit stürmender Hand einnahmen – wahrscheinlich diesen Tag, den 3. August, verzeichnen die römischen Kalender als den Jahrestag des von Tiberius in Illyricum erfochtenen Sieges.

Auch die Daker jenseits der Donau traf die Vergeltung. Wahrscheinlich in dieser Zeit, nachdem der illyrische Krieg sich zu Gunsten Roms entschieden hatte, führte Gnaeus Lentulus ein starkes römisches Heer über die Donau, gelangte bis an den Marisus (Marosch) und schlug sie nachdrücklich in ihrem eigenen Lande, das damals zuerst eine römische Armee betrat. Fünfzigtausend gefangene Daker wurden in Thrakien ansässig gemacht.

Die Späteren haben den „Batonischen Krieg“ der Jahre 6 bis 9 den schwersten genannt, den Rom seit dem Hannibalischen gegen einen auswärtigen Feind zu bestehen gehabt hat. Dem illyrischen Land hat er arge Wunden geschlagen; in Italien war die Siegesfreude grenzenlos, als der junge Germanicus die Botschaft des entscheidenden Erfolges nach der Hauptstadt überbrachte. Lange hat der Jubel nicht gewährt; fast gleichzeitig mit der Kunde von diesem Erfolg kam die Nachricht von einer Niederlage nach Rom, wie sie Augustes in seiner fünfzigjährigen Regierung nur einmal erlebt hat und die in ihren Folgen noch viel bedeutsamer war als in sich selbst.

Die Zustände in der Provinz Germanien sind früher dargelegt worden. Der Gegenschlag, der auf jede Fremdherrschaft mit der Unvermeidlichkeit eines Naturereignisses folgt und der soeben in dem illyrischen Lande eingetreten war, bereitete auch dort, in den mittelrheinischen Gauen, sich vor. Die Reste der unmittelbar am Rhein sitzenden Stämme waren freilich völlig entmutigt, aber die weiter zurück wohnenden, vornehmlich die Cherusker, Chatten, Bructerer, Marser, kaum minder geschädigt und keineswegs ohnmächtig. Wie immer in solchen Lagen, bildete sich in jedem Gau eine Partei der fügsamen Römerfreunde und eine nationale, die Wiedererhebung im Verborgenen vorbereitende. Die Seele von dieser war ein junger, sechsundzwanzigjähriger Mann aus dem Fürstengeschlecht der Cherusker, Arminius, des Sigimer Sohn; er und sein Bruder Flavus waren vom Kaiser Augustes mit dem römischen Bürgerrecht und mit Ritterrang beschenkt worden17 und beide hatten als Offiziere in den letzten römischen Feldzügen unter Tiberius mit Auszeichnung gefochten; der Bruder diente noch im römischen Heer und hatte sich in Italien eine Heimstatt begründet. Begreiflicherweise galt auch Arminius den Römern als ein Mann besonderen Vertrauens; die Anschuldigungen, die sein besser unterrichteter Landsmann Segestes gegen ihn vorbrachte, vermochten dies Zutrauen bei der wohlbekannten, zwischen beiden bestehenden Verfeindung nicht zu erschüttern. Von den weiteren Vorbereitungen haben wir keine Kunde; daß der Adel und vor allem die adlige Jugend auf der Seite der Patrioten stand, versteht sich von selbst und findet darin deutlichen Ausdruck, daß Segestes‘ eigene Tochter Thusnelda wider das Verbot ihres Vaters sich dem Arminius vermählte, auch ihr Bruder Segimundus und Segestes‘ Bruder Segimer sowie sein Neffe Sesithacus bei der Insurrektion eine hervorragende Rolle spielten. Weiten Umfang hat sie nicht gehabt, bei weitem nicht den der illyrischen Erhebung; kaum darf sie, streng genommen, eine germanische genannt werden. Die Bataver, die Friesen, die Chauker an der Küste waren nicht daran beteiligt, ebensowenig was von suebischen Stämmen unter römischer Herrschaft stand, noch weniger König Marobod; es erhoben sich in der Tat nur diejenigen Germanen, die einige Jahre zuvor sich gegen Rom konföderiert hatten und gegen die Drusus‘ Offensive zunächst gerichtet gewesen war. Der illyrische Aufstand hat die Gärung in Germanien ohne Zweifel gefördert, aber von verbindenden Fäden zwischen den beiden gleichartigen und fast gleichzeitigen Insurrektionen fehlt jede Spur; auch würden, hätten sie bestanden, die Germanen schwerlich mit dem Losschlagen gewartet haben, bis der pannonische Aufstand überwältigt war und in Dalmatien eben die letzten Burgen kapitulierten. Arminius war der tapfere und verschlagene und vor allen Dingen glückliche Führer in dem Verzweiflungskampf um die verlorene nationale Unabhängigkeit; nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Es war mehr die Schuld der Römer als das Verdienst der Insurgenten, wenn deren Plan gelang. Insofern hat der illyrische Krieg hier allerdings eingegriffen. Die tüchtigen Führer und allem Anschein nach auch die erprobten Truppen waren vom Rhein an die Donau gezogen worden. Vermindert war das germanische Heer, wie es scheint, nicht, aber der größte Teil desselben bestand aus neuen, während des Krieges gebildeten Legionen. Schlimmer noch war es um die Führerschaft bestellt. Der Statthalter Publius Quinctilius Varus18 war wohl der Gemahl einer Nichte des Kaisers und ein Mann von übel erworbenem, aber fürstlichem Reichtum und von fürstlicher Hoffart, aber von trägem Körper und stumpfem Geist und ohne jede militärische Begabung und Erfahrung, einer jener vielen hochgestellten Römer, welche infolge des Festhaltens an der alten Zusammenwerfung der Administrativ- und der Oberoffiziersstellungen die Feldherrnschärpe nach dem Muster Ciceros trugen. Er wußte die neuen Untertanen weder zu schonen noch zu durchschauen; Bedrückung und Erpressung wurden geübt, wie er es von seiner früheren Statthalterschaft über das geduldige Syrien her gewohnt war; das Hauptquartier wimmelte von Advokaten und Klienten, und in dankbarer Demut nahmen insbesondere die Verschworenen bei ihm Urteil und Recht, während sich das Netz um den hoffärtigen Prätor dichter und dichter zusammenzog.

Die Lage der Armee war die damals normale. Es standen mindestens fünf Legionen in der Provinz, von denen zwei ihr Winterlager in Mogontiacum, drei in Vetera oder auch in Aliso hatten. Das Sommerlager hatten die letzteren im Jahre 9 an der Weser genommen. Die natürliche Verbindungsstraße von der oberen Lippe zur Weser führt über den niederen Höhenzug des Osning und des Lippischen Waldes, welcher das Tal der Ems von dem der Weser scheidet, durch die Dörenschlucht in das Tal der Werre, die bei Rehme unweit Minden in die Weser fällt. Hier also ungefähr lagerten damals die Legionen des Varus. Selbstverständlich war dieses Sommerlager mit Aliso, dem Stützpunkt der römischen Stellungen am rechten Rheinufer, durch eine Etappenstraße verbunden. Die gute Jahreszeit ging zu Ende und man schickte sich zum Rückmarsch an. Da kam die Meldung, daß ein benachbarter Gau im Aufstand sei, und Varus entschloß sich, statt auf jener Etappenstraße das Heer zurückzuführen, einen Umweg zu nehmen und unterwegs die Abgefallenen zum Gehorsam zurückzubringen19. So brach man auf; das Heer bestand nach zahlreichen Detachierungen aus drei Legionen und neun Abteilungen der Truppen zweiter Klasse, zusammen etwa 20000 Mann20. Als nun die Armee sich von ihrer Kommunikationslinie hinreichend entfernt hatte und tief genug in das unwegsame Land eingedrungen war, standen in den benachbarten Gauen die Konföderierten auf, machten die bei ihnen stationierten kleinen Truppenabteilungen nieder und brachen von allen Seiten aus den Schluchten und Wäldern gegen das marschierende Heer des Statthalters vor. Arminius und die namhaftesten Führer der Patrioten waren bis zum letzten Augenblick im römischen Hauptquartier geblieben, um Varus sicher zu machen; noch am Abend vor dem Tage, an dem die Insurrektion losbrach, hatten sie im Feldherrnzelt bei Varus gespeist und Segestes, indem er den bevorstehenden Ausbruch des Aufstandes ankündigte, den Feldherrn beschworen, ihn selbst sowie die Angeschuldigten sofort verhaften zu lassen und die Rechtfertigung seiner Anklage von den Tatsachen zu erwarten. Varus‘ Vertrauen war nicht zu erschüttern. Von der Tafel weg ritt Arminius zu den Insurgenten und stand den anderen Tag vor den Wällen des römischen Lagers. Die militärische Situation war weder besser noch schlimmer als die der Armee des Drusus vor der Schlacht bei Arbalo und als sie unter ähnlichen Verhältnissen oftmals für römische Armeen eingetreten ist; die Kommunikationen waren für den Augenblick verloren, die mit schwerem Troß beschwerte Armee in dem pfadlosen Lande und in schlimmer, regnerischer Herbstzeit durch mehrere Tagemärsche von Aliso getrennt, die Angreifer der Zahl nach ohne Zweifel den Römern weit überlegen. In solchen Lagen entscheidet die Tüchtigkeit der Truppe; und wenn die Entscheidung hier einmal zu Ungunsten der Römer fiel, so wird die Unerfahrenheit der jungen Soldaten und vor allen Dingen die Kopf- und Mutlosigkeit des Feldherrn dabei wohl das meiste getan haben. Nach erfolgtem Angriff setzte das römische Heer seinen Marsch, jetzt ohne Zweifel in der Richtung auf Aliso, noch drei Tage fort, unter stetig steigender Bedrängnis und steigender Demoralisation. Auch die höheren Offiziere taten teilweise ihre Schuldigkeit nicht; einer von ihnen ritt mit der gesamten Reiterei vom Schlachtfeld weg und ließ das Fußvolk allein den Kampf bestehen. Der erste, der völlig verzagte, war der Feldherr selbst; verwundet im Kampfe, gab er sich den Tod, ehe die letzte Entscheidung gefallen war, so früh, daß die Seinigen noch den Versuch machten, die Leiche zu verbrennen und der Verunehrung durch den Feind zu entziehen. Seinem Beispiel folgte eine Anzahl der Oberoffiziere. Als dann alles verloren war, kapitulierte der übriggebliebene Führer und gab auch das aus der Hand, was diesen letzten noch blieb, den ehrlichen Soldatentod. So ging in einem der Täler der das Münsterland begrenzenden Höhenzüge im Herbst des Jahres 9 n. Chr. das germanische Heer Zugrunde21

22

Die Niederlage war insofern bald wieder ausgeglichen, als die Rheinarmee sofort nicht bloß ergänzt, sondern ansehnlich verstärkt ward. Tiberius übernahm abermals das Kommando derselben und wenn aus dem auf die Varusschlacht folgenden Jahr (10) die Kriegsgeschichte Gefechte nicht zu verzeichnen hatte, so ist wahrscheinlich damals die Besetzung der Rheingrenze mit acht Legionen und wohl gleichzeitig die Teilung dieses Kommandos in das der oberen Armee mit dem Hauptquartier Mainz und das der unteren mit dem Hauptquartier Vetera, überhaupt also diejenige Einrichtung daselbst getroffen worden, die dann durch Jahrhunderte maßgebend geblieben ist. Man mußte erwarten, daß auf diese Vermehrung der Rheinarmee die energische Wiederaufnahme der Operationen auf dem rechten Rheinufer gefolgt wäre. Der römisch-germanische Kampf war nicht ein Kampf zwischen zwei in politischem Gleichgewicht stehenden Mächten, in welchem die Niederlage der einen einen ungünstigen Friedensschluß rechtfertigen kann; es war der Kampf eines zivilisierten und organisierten Großstaates gegen eine tapfere, aber politisch und militärisch barbarische Nation, in welchem das schließliche Ergebnis von vornherein feststeht und ein vereinzelter Mißerfolg in dem vorgezeichneten Plan so wenig etwas ändern darf, wie das Schiff darum seine Fahrt aufgibt, weil ein Windstoß es aus der Bahn wirft. Aber es kam anders. Wohl ging Tiberius im folgenden Jahr (11) über den Rhein; aber diese Expedition glich den früheren nicht. Er blieb den Sommer drüben und feierte dort des Kaisers Geburtstag, aber die Armee hielt sich in der unmittelbaren Nähe des Rheins und von Zügen an die Weser und an die Elbe war keine Rede – es sollte offenbar den Germanen nur gezeigt werden, daß die Römer den Weg in ihr Land noch zu finden wußten, vielleicht auch diejenigen Einrichtungen am rechten Rheinufer getroffen werden, welche die veränderte Politik erforderte.

Das große, beide Heere umfassende Kommando blieb und es blieb also auch im kaiserlichen Hause. Germanicus hatte es schon im Jahre 11 neben Tiberius geführt; im folgenden (12), wo ihn die Verwaltung des Konsulats in Rom festhielt, kommandierte Tiberius allein am Rhein; mit dem Anfang des Jahres 13 übernahm Germanicus den alleinigen Oberbefehl. Man betrachtete sich als im Kriegsstand gegen die Germanen; aber es waren tatenlose Jahre23. Ungern ertrug der feurige und ehrgeizige Erbprinz den ihm auferlegten Zwang, und man begreift es von dem Offizier, daß er die drei Adler in Feindeshand nicht vergaß, von dem leiblichen Sohn des Drusus, daß er dessen zerstörten Bau wieder aufzurichten wünschte. Bald bot sich ihm dazu die Gelegenheit oder er nahm sie. Am 19. August des Jahres 14 starb Kaiser Augustus. Der erste Thronwechsel in der neuen Monarchie verlief nicht ohne Krise und Germanicus hatte Gelegenheit, durch Taten seinem Vater zu beweisen, daß er gesonnen war, ihm die Treue zu wahren. Darin aber fand er zugleich die Rechtfertigung, die lange gewünschte Invasion Germaniens auch ungeheißen wieder aufzunehmen; er erklärte, die nicht unbedenkliche, durch den Thronwechsel bei den Legionen hervorgerufene Gärung durch diesen frischen Kriegszug ersticken zu müssen. Ob dies ein Grund oder ein Vorwand war, wissen wir nicht und wußte vielleicht er selber nicht. Dem Kommandanten der Rheinarmee konnte das Überschreiten der Grenze überall nicht gewehrt werden, und es hing immer bis zu einem gewissen Grade von ihm ab, wie weit gegen die Germanen vorgegangen werden sollte. Vielleicht auch glaubte er, im Sinne des neuen Herrschers zu handeln, der ja wenigstens ebensoviel Anspruch wie sein Bruder auf den Namen des Besiegers von Germanien hatte und dessen angekündigtes Erscheinen im Rheinlager wohl so aufgefaßt werden konnte, als komme er, um die auf Augustus‘ Geheiß abgebrochene Eroberung Germaniens wieder aufzunehmen. Wie dem auch sei, die Offensive jenseits des Rheins begann aufs neue. Noch im Herbst des Jahres 14 führte Germanicus selbst Detachements aller Legionen bei Vetera über den Rhein und drang an der Lippe hinauf ziemlich tief in das Binnenland vor, weit und breit das Land verheerend, die Eingeborenen niedermachend, die Tempel – so den hochgeehrten der Tanfana – zerstörend. Die Betroffenen, es waren vornehmlich Bructerer, Tubanten und Usiper, suchten dem Kronprinzen auf der Heimkehr das Schicksal des Varus zu bereiten; aber an der energischen Haltung der Legionen prallte der Angriff ab. Da dieser Vorstoß keinen Tadel fand, vielmehr dem Feldherrn dafür Danksagungen und Ehrenbezeugungen dekretiert wurden, ging er weiter. Im Frühling des Jahres 15 versammelte er seine Hauptmacht zunächst am Mittelrhein und ging selbst von Mainz vor gegen die Chatten bis an die oberen Zuflüsse der Weser, während das untere Heer weiter nordwärts die Cherusker und die Marser angriff. Eine gewisse Rechtfertigung für dies Vorgehen lag darin, daß die römisch gesinnten Cherusker, welche unter dem unmittelbaren Eindruck der Katastrophe des Varus sich den Patrioten hatten anschließen müssen, jetzt wieder mit der viel stärkeren Nationalpartei in offenem Kampfe lagen und die Intervention des Germanicus anriefen. In der Tat gelang es, den von seinen Landsleuten hart bedrängten Römerfreund Segestes zu befreien und dabei dessen Tochter, die Gattin des Arminius, in die Gewalt zu bekommen; auch des Segestes Bruder Segimerus, einst neben Arminius der Führer der Patrioten, unterwarf sich; die inneren Zerwürfnisse der Germanen ebneten einmal mehr der Fremdherrschaft die Wege. Noch im selben Jahre unternahm Germanicus den Hauptzug nach dem Emsgebiet; Caecina rückte von Vetera aus an die obere Ems, er selbst ging mit der Flotte von der Rheinmündung aus eben dorthin; die Reiterei zog die Küste entlang durch das Gebiet der treuen Friesen. Wieder vereinigt, verwüsteten die Römer das Land der Bructerer und das ganze Gebiet zwischen Ems und Lippe und machten von da aus einen Zug nach der Unglücksstätte, wo sechs Jahre zuvor das Heer des Varus geendigt hatte, um den gefallenen Kameraden das Grabmal zu errichten. Bei dem weiteren Vormarsch wurde die römische Reiterei von Arminius und den erbitterten Patriotenscharen in einen Hinterhalt gelockt und wäre aufgerieben worden, wenn nicht die anrückende Infanterie größeres Unheil verhindert hätte. Schwerere Gefahren brachte die Heimkehr von der Ems, welche auf denselben Wegen angetreten ward wie der Hinmarsch. Die Reiterei gelangte unbeschädigt in das Winterlager. Dafür das Fußvolk der vier Legionen die Flotte bei der schwierigen Fahrt – es war um die Zeit der Herbstnachtgleiche – nicht genügte, so schiffte Germanicus zwei derselben wieder aus und ließ sie am Strande zurückgehen; aber mit dem Verhältnis von Ebbe und Flut in dieser Jahreszeit ungenügend bekannt, verloren sie ihr Gepäck und gerieten in Gefahr, massenweise zu ertrinken. Der Rückmarsch der vier Legionen des Caecina von der Ems zum Rhein glich genau dem des Varus, ja das schwere sumpfige Land bot wohl noch größere Schwierigkeiten als die Schluchten der Waldgebirge. Die ganze Masse der Eingeborenen, an ihrer Spitze die beiden Cheruskerfürsten, Arminius und dessen hochangesehener Oheim Inguiomerus, warf sich auf die abziehenden Truppen in der sicheren Hoffnung, ihnen das gleiche Schicksal zu bereiten, und füllte ringsum die Sümpfe und Wälder. Der alte Feldherr aber, in vierzigjährigem Kriegsdienst erprobt, blieb kaltblütig auch in der äußersten Gefahr und hielt seine verzagenden und hungernden Mannschaften fest in der Hand. Dennoch hätte auch er vielleicht das Unheil nicht abwenden können, wenn nicht nach einem glücklichen Angriff während des Marsches, bei dem die Römer einen großen Teil ihrer Reiterei und fast das ganze Gepäck einbüßten, die siegesgewissen und beutelustigen Deutschen gegen Arminius Rat dem anderen Führer gefolgt wären und statt der weiteren Umstellung des Feindes geradezu den Sturm auf das Lager versucht hätten. Caecina ließ die Germanen bis an die Wälle herankommen, brach aber dann aus allen Toren und Pforten mit solcher Gewalt auf die Stürmenden ein, daß sie eine schwere Niederlage erlitten und infolgedessen der weitere Rückzug ohne wesentliche Hinderung stattfand. Am Rhein hatte man die Armee schon verloren gegeben und war im Begriff gewesen, die Brücke bei Vetera abzuwerfen, um wenigstens das Eindringen der Germanen in Gallien zu verhindern; nur die entschlossene Einrede einer Frau, der Gattin des Germanicus, der Tochter Agrippas, hatte den verzagten und schimpflichen Entschluß vereitelt.

Die Wiederaufnahme der Unterwerfung Germaniens begann also nicht gerade mit Glück. Das Gebiet zwischen Rhein und Weser war wohl wieder betreten und durchschritten worden, aber entscheidende Erfolge hatten die Römer nicht aufzuzeigen, und der ungeheure Verlust an Material, namentlich an Pferden, wurde schwer empfunden, so daß, wie in Scipios Zeiten, die Städte Italiens und der westlichen Provinzen bei dem Ersatz des Verlorenen mit patriotischen Beisteuern sich beteiligten.

Germanicus änderte für den nächsten Feldzug (16) seinen Kriegsplan: er versuchte, die Unterwerfung Germaniens auf die Nordsee und die Flotte zu stützen, teils weil die Völkerschaften an der Küste, die Bataver, Friesen, Chauker mehr oder minder zu den Römern hielten, teils um die zeitraubenden und verlustvollen Märsche vom Rhein zur Weser und zur Elbe und wieder zurück abzukürzen. Nachdem er dieses Frühjahr wie das vorige zu raschen Vorstößen am Main und an der Lippe verwendet hatte, schiffte er im Anfang des Sommers auf der inzwischen fertiggestellten gewaltigen Transportflotte von 1000 Segeln sein gesamtes Heer an der Rheinmündung ein und gelangte in der Tat ohne Verlust bis an die der Ems, wo die Flotte blieb, und weiter, vermutlich die Ems hinauf bis an die Haasemündung und dann an dieser hinauf in das Werretal, durch dieses an die Weser. Damit war die Durchführung der bis 80000 Mann starken Armee durch den Teutoburger Wald, welche namentlich für die Verpflegung mit großen Schwierigkeiten verbunden war, vermieden, in dem Flottenlager für die Zufuhr ein sicherer Rückhalt gegeben, und die Cherusker auf dem rechten Ufer der Weser statt von vorn in der Flanke angegriffen. Auf diesem trat den Römern das Gesamtaufgebot der Germanen entgegen, wiederum geführt von den beiden Häuptern der Patriotenpartei, Arminius und Inguiomerus; über welche Streitkräfte dieselben geboten, beweist, daß sie im Cheruskerland zunächst an der Weser selbst, dann etwas weiter landeinwärts24, zweimal kurz nacheinander gegen das gesamte römische Heer in offener Feldschlacht schlugen und in beiden den Sieg hart bestritten. Allerdings fiel dieser den Römern zu und von den germanischen Patrioten blieb ein beträchtlicher Teil auf den Schlachtfeldern – Gefangene wurden nicht gemacht und von beiden Seiten mit äußerster Erbitterung gefochten; das zweite Tropaeum des Germanicus sprach von der Niederwerfung aller germanischen Völker zwischen Rhein und Elbe; der Sohn stellte diese seine Kampagne neben die glänzenden des Vaters und berichtete nach Rom, daß er im nächsten Feldzug die Unterwerfung Germaniens vollendet haben werde. Aber Arminius entkam, obwohl verwundet, und blieb auch ferner an der Spitze der Patrioten, und ein unvorhergesehenes Unheil verdarb den Waffenerfolg. Auf der Heimkehr, die von dem größten Teil der Legionen zu Schiff gemacht wurde, geriet die Transportflotte in die Herbststürme der Nordsee; die Schiffe wurden nach allen Seiten über die Inseln der Nordsee und bis an die britische Küste hin geschleudert, ein großer Teil ging zugrunde und die sich retteten, hatten größtenteils Pferde und Gepäck über Bord werfen und froh sein müssen, das nackte Leben zu bergen. Der Fahrtverlust kam, wie in den Zeiten der Punischen Kriege, einer Niederlage gleich; Germanicus selbst, mit dem Admiralschiff einzeln verschlagen an den öden Strand der Chauker, war in Verzweiflung über diesen Mißerfolg drauf und dran, seinen Tod in demselben Ozean zu suchen, dessen Beistand er im Beginn dieses Feldzuges so ernstlich und so vergeblich angerufen hatte. Wohl erwies sich späterhin der Menschenverlust nicht ganz so groß, wie es anfänglich geschienen hatte, und einige erfolgreiche Schläge, die der Feldherr nach der Rückkehr an den Rhein den nächstwohnenden Barbaren versetzte, hoben den gesunkenen Mut der Truppen. Aber im ganzen genommen endigte der Feldzug des Jahres 16, verglichen mit dem des vorigen, wohl mit glänzenderen Siegen, aber auch mit viel empfindlicherer Einbuße.

Germanicus Abberufung war zugleich die Aufhebung des Oberkommandos der rheinischen Armee. Die bloße Teilung des Kommandos setzte der bisherigen Kriegführung ein Ziel; daß Germanicus nicht bloß abberufen ward, sondern keinen Nachfolger erhielt, kam hinaus auf die Anordnung der Defensive am Rhein. So ist denn auch der Feldzug des Jahres 16 der letzte gewesen, den die Römer geführt haben, um Germanien zu unterwerfen und die Reichsgrenze vom Rhein an die Elbe zu verlegen. Daß die Feldzüge des Germanicus dieses Ziel hatten, lehrt ihr Verlauf selbst und das die Elbgrenze feiernde Tropaeum. Auch die Wiederherstellung der rechtsrheinischen militärischen Anlagen, der Taunuskastelle sowohl wie der Festung Aliso und der diese mit Vetera verbindenden Linie, gehört nur zum Teil zu derjenigen Besetzung des rechten Rheinufers, wie sie auch mit dem beschränkten Operationsplan nach der Varusschlacht sich vertrug, zum Teil griff sie weit über denselben hinaus. Aber was der Feldherr wollte, wollte der Kaiser nicht oder nicht ganz. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Tiberius die Unternehmungen des Germanicus am Rhein von Haus aus mehr hat geschehen lassen, und gewiß, daß er durch dessen Abberufung im Winter 16/17 denselben ein Ziel hat setzen wollen. Ohne Zweifel ist zugleich ein guter Teil des Erreichten aufgegeben, namentlich aus Aliso die Besatzung zurückgezogen worden. Wie Germanicus von dem im Teutoburger Walde errichteten Siegesdenkmal schon das Jahr darauf keinen Stein mehr fand, so sind auch die Ergebnisse seiner Siege wie ein Schlag ins Wasser verschwunden, und keiner seiner Nachfolger hat auf diesem Grunde weiter gebaut.

Wenn Augustus das eroberte Germanien nach der Varusschlacht verloren gegeben hatte, wenn Tiberius jetzt, nachdem die Eroberung abermals in Angriff genommen worden war, sie abzubrechen befahl, so ist die Frage wohl berechtigt, welche Motive die beiden bedeutenden Regenten hierbei geleitet haben und was diese wichtigen Vorgänge für die allgemeine Reichspolitik bedeuten.

Die Varusschlacht ist ein Rätsel, nicht militärisch, aber politisch, nicht in ihrem Verlauf, aber in ihren Folgen. Augustus hatte nicht unrecht, wenn er seine verlorenen Legionen nicht von dem Feind oder dem Schicksal, sondern von dem Feldherrn zurückforderte; es war ein Unglücksfall, wie ungeschickte Korpsführer sie von Zeit zu Zeit für jeden Staat herbeiführen; schwer begreift man, daß die Aufreibung einer Armee von 20000 Mann ohne weitere unmittelbare militärische Konsequenzen der großen Politik eines einsichtig regierten Weltstaates eine entscheidende Wendung gegeben hat. Und doch haben die beiden Herrscher jene Niederlage mit einer beispiellosen und für die Stellung der Regierung, der Armee wie den Nachbarn gegenüber bedenklichen und gefährlichen Geduld ertragen; doch haben sie den Friedensschluß mit Marobod, der ohne Zweifel eigentlich nur eine Waffenruhe sein sollte, zu einem definitiven werden lassen und nicht weiter versucht, das obere Elbtal in die Hand zu bekommen. Es muß Tiberius nicht leicht angekommen sein, den großen, mit dem Bruder gemeinschaftlich begonnenen, dann nach dessen Tode von ihm fast vollendeten Bau zusammenstürzen zu sehen; der gewaltige Eifer, womit er, sowie er in das Regiment wieder eingetreten war, den vor zehn Jahren begonnenen germanischen Krieg aufgenommen hatte, läßt ermessen, was diese Entsagung ihn gekostet haben muß. Wenn dennoch nicht bloß Augustus bei derselben beharrte, sondern auch nach dessen Tode er selbst, so ist dafür ein anderer Grund nicht zu finden, als daß sie die durch zwanzig Jahre hindurch verfolgten Pläne zur Veränderung der Nordgrenze als unausführbar erkannten und die Unterwerfung und Behauptung des Gebietes zwischen dem Rhein und der Elbe ihnen die Kräfte des Reiches zu übersteigen schien.

Wenn die bisherige Reichsgrenze von der mittleren Donau bis an deren Quelle und den oberen Rhein und dann rheinabwärts lief, so wurde sie allerdings durch die Verlegung an die in ihrem Quellgebiet der mittleren Donau sich nähernde Elbe und an deren ganzen Lauf wesentlich verkürzt und verbessert; wobei wahrscheinlich außer dem evidenten militärischen Gewinn auch noch das politische Moment in Betracht kam, daß die möglichst weite Entfernung der großen Kommandos von Rom und Italien eine der leitenden Maximen der Augusteischen Politik war und ein Elbheer in der weiteren Entwicklung Roms schwerlich dieselbe Rolle gespielt haben würde, wie sie die Rheinheere nur zu bald übernahmen. Die Vorbedingungen dazu, die Niederwerfung der germanischen Patriotenpartei und des Suebenkönigs in Böhmen, waren keine leichten Aufgaben; indes man hatte dem Gelingen derselben schon einmal ganz nahe gestanden und bei richtiger Führung konnten diese Erfolge nicht verfehlt werden. Aber eine andere Frage war es, ob nach der Einrichtung der Elbgrenze die Truppen aus dem zwischenliegenden Gebiet weggezogen werden konnten; diese Frage hatte der dalmatisch-pannonische Krieg in sehr ernster Weise der römischen Regierung gestellt. Wenn schon das bevorstehende Einrücken der römischen Donauarmee in Böhmen einen mit Anstrengung aller militärischen Hilfsmittel erst nach vierjährigem Kampf niedergeworfenen Volksaufstand in Illyricum hervorgerufen hatte, so durfte weder zur Zeit noch auf lange Jahre hinaus dies weite Gebiet sich selbst überlassen werden. Ähnlich stand es ohne Zweifel am Rhein. Das römische Publikum pflegte wohl sich zu rühmen, daß der Staat ganz Gallien in Unterwürfigkeit halte durch die 1200 Mann starke Besatzung von Lyon; aber die Regierung konnte nicht vergessen, daß die beiden großen Armeen am Rhein nicht bloß die Germanen abwehrten, sondern auch für die keineswegs durch Fügsamkeit sich auszeichnenden gallischen Gaue gar sehr in Betracht kamen. An der Weser oder gar an der Elbe aufgestellt, hätten sie diesen Dienst nicht in gleichem Maße geleistet; und sowohl den Rhein wie die Elbe besetzt zu halten, vermochte man nicht. So mochte Augustus wohl zu dem Schluß kommen, daß mit dem damaligen, allerdings seit kurzem erheblich verstärkten, aber immer noch tief unter dem Maß des wirklich Erforderlichen stehenden Heerbestand jene große Grenzregulierung nicht auszuführen sei; die Frage ward damit aus einer militärischen zu einer Frage der inneren Politik und insonderheit zu einer Finanzfrage. Die Kosten der Armee noch weiter zu steigern, hat weder Augustus noch Tiberius sich getraut. Man kann dies tadeln. Der lähmende Doppelschlag der illyrischen und der germanischen Insurrektion mit ihren schweren Katastrophen, das hohe Alter und die erlahmende Kraft des Herrschers, die zunehmende Abneigung des Tiberius gegen frisches Handeln und große Initiative und vor allem gegen jede Abweichung von der Politik des Augustus, haben dabei ohne Zweifel bestimmend mit- und vielleicht zum Nachteil des Staates gewirkt. Man fühlt es in dem nicht zu billigenden, aber wohl erklärlichen Auftreten des Germanicus, wie das Militär und die Jugend das Aufgeben der neuen Provinz Germanien empfanden. Man erkennt in dem dürftigen Versuch, mit Hilfe der paar linksrheinischen deutschen Gaue wenigstens dem Namen nach das verlorene Germanien festzuhalten, in den zweideutigen und unsicheren Worten, mit denen Augustus selbst in seinem Rechenschaftsbericht Germanien als römisch in Anspruch nimmt oder auch nicht, wie verlegen die Regierung in dieser Sache der öffentlichen Meinung gegenüber stand. Der Griff nach der Elbgrenze war ein gewaltiger, vielleicht überkühner gewesen; vielleicht von Augustus, dessen Flug im allgemeinen so hoch nicht ging, erst nach jahrelangem Zaudern und wohl nicht ohne den bestimmenden Einfluß des ihm vor allen nahestehenden jüngeren Stiefsohns unternommen. Aber einen allzu kühnen Schritt zurückzutun ist in der Regel nicht eine Verbesserung des Fehlers, sondern ein zweiter. Die Monarchie brauchte die unbefleckte kriegerische Ehre und den unbedingten kriegerischen Erfolg in ganz anderer Weise als das ehemalige Bürgermeisterregiment; das Fehlen der seit der Varusschlacht niemals ausgefüllten Nummern 17, 18 und 19 in der Reihe der Regimenter paßte wenig zu dem militärischen Prestige, und den Frieden mit Marobod aufgrund des Status quo konnte die loyalste Rhetorik nicht in einen Erfolg umreden. Anzunehmen, daß Germanicus einem eigentlichen Befehl seiner Regierung zuwider jene weit aussehenden Unternehmungen begonnen hat, verbietet seine ganze politische Stellung; aber den Vorwurf, daß er seine doppelte Stellung als Höchstkommandierender der ersten Armee des Reiches und als künftiger Thronfolger dazu benutzt hat, um seine politisch-militärischen Pläne auf eigene Faust durchzuführen, wird man ihm so wenig ersparen können wie dem Kaiser den nicht minder schweren, zurückgescheut zu sein vielleicht vor dem Fassen, vielleicht auch nur vor dem klaren Aussprechen und dem scharfen Durchführen der eigenen Entschlüsse. Wenn Tiberius die Wiederaufnahme der Offensive wenigstens geschehen ließ, so muß er empfunden haben, wieviel für eine kräftigere Politik sprach; wie es überbedächtige Leute wohl tun, mag er wohl sozusagen dem Schicksal die Entscheidung überlassen haben, bis dann der wiederholte und schwere Mißerfolg des Kronprinzen die Politik der Verzagtheit abermals rechtfertigte. Leicht war es für die Regierung nicht, einer Armee Halt zu gebieten, die von den verlorenen drei Adlern zwei zurückgebracht hatte; aber es geschah. Was immer die sachlichen und die persönlichen Motive gewesen sein mögen, wir stehen hier an einem Wendepunkt der Völkergeschicke. Auch die Geschichte hat ihre Flut und ihre Ebbe; hier tritt nach der Hochflut des römischen Weltregiments die Ebbe ein. Nordwärts von Italien hatte wenige Jahre hindurch die römische Herrschaft bis an die Elbe gereicht; seit der Varusschlacht sind ihre Grenzen der Rhein und die Donau. Ein Märchen, aber ein altes, berichtet, daß dem ersten Eroberer Germaniens, dem Drusus, auf seinem letzten Feldzug an der Elbe eine gewaltige Frauengestalt germanischer Art erschienen sei und ihm in seiner Sprache das Wort zugerufen habe „Zurück!“ Es ist nicht gesprochen worden, aber es hat sich erfüllt.

Indes die Niederlage der Augusteischen Politik, wie der Friede mit Maroboduus und die Hinnahme der Teutoburger Katastrophe wohl bezeichnet werden darf, war kaum ein Sieg der Germanen. Nach der Varusschlacht muß wohl durch die Gemüter der Besten die Hoffnung gegangen sein, daß der Nation aus dem herrlichen Sieg der Cherusker und ihrer Verbündeten und aus dem Zurückweichen des Feindes im Westen wie im Süden eine gewisse Einigung erwachsen werde. Den sonst sich fremd gegenüberstehenden Sachsen und Sueben mag vielleicht eben in diesen Krisen das Gefühl der Einheit aufgegangen sein. Daß die Sachsen vom Schlachtfelde weg den Kopf des Varus an den Suebenkönig schickten, kann nichts sein als der wilde Ausdruck des Gedankens, daß für alle Germanen die Stunde gekommen sei, in gemeinschaftlichem Ansturm sich auf das Römische Reich zu stürzen und des Landes Grenze und des Landes Freiheit so zu sichern, wie sie allein gesichert werden können, durch Niederschlagen des Erbfeindes in seinem eigenen Heim. Aber der gebildete Mann und staatskluge König nahm die Gabe der Insurgenten nur an, um den Kopf dem Kaiser Augustus zur Beisetzung zu senden; er tat nichts für, aber auch nichts gegen die Römer und beharrte unerschütterlich in seiner Neutralität. Unmittelbar nach dem Tode des Augustus hatte man in Rom den Einbruch der Markomannen in Rätien gefürchtet, aber, wie es scheint, ohne Ursache, und als dann Germanicus die Offensive gegen die Germanen vom Rhein aus wieder aufnahm, hatte der mächtige Markomannenkönig untätig zugesehen. Diese Politik der Feinheit oder der Feigheit in der wild bewegten, von patriotischen Erfolgen und Hoffnungen trunkenen germanischen Welt grub sich ihr eigenes Grab. Die entfernteren, nur lose mit dem Reich verknüpften Suebenstämme, die Semnonen, Langobarden und Gothonen, sagten dem König ab und machten gemeinschaftliche Sache mit den sächsischen Patrioten; es ist nicht unwahrscheinlich, daß die ansehnlichen Streitkräfte, über welche Arminius und Inguiomerus in den Kämpfen gegen Germanicus offenbar geboten, ihnen großenteils von daher zugeströmt sind. Als bald darauf der römische Angriff plötzlich abgebrochen ward, wendeten sich die Patrioten (17) zum Angriff gegen Maroboduus, vielleicht zum Angriff auf das Königtum überhaupt, wenigstens wie dieser es nach römischem Muster verwaltete25. Aber auch unter ihnen selbst waren Spaltungen eingetreten; die beiden nah verwandten cheruskischen Fürsten, die in den letzten Kämpfen die Patrioten wenn nicht siegreich, doch tapfer und ehrenvoll geführt und bisher stets Schulter an Schulter gefochten hatten, standen in diesem Krieg nicht mehr zusammen. Der Oheim Inguiomerus ertrug es nicht noch länger, neben dem Neffen der zweite zu sein, und trat bei dem Ausbruch des Krieges auf Maroboduus‘ Seite. So kam es zur Entscheidungsschlacht zwischen Germanen und Germanen, ja zwischen denselben Stämmen; denn in beiden Armeen fochten sowohl Sueben wie Cherusker. Lange schwankte der Kampf; beide Heere hatten von der römischen Taktik gelernt, und auf beiden Seiten war die Leidenschaft und die Erbitterung gleich. Einen eigentlichen Sieg erfocht Arminius nicht, aber der Gegner überließ ihm das Schlachtfeld, und da Maroboduus den kürzeren gezogen zu haben schien, verließen ihn die bisher noch zu ihm gehalten hatten und fand er sich auf sein eigenes Reich beschränkt. Als er römische Hilfe gegen die übermächtigen Landsleute erbat, erinnerte ihn Tiberius an sein Verhalten nach der Varusschlacht und erwiderte, daß jetzt die Römer ebenfalls neutral bleiben würden. Es ging nun schleunig mit ihm zu Ende. Schon im folgenden Jahr (18) wurde er von einem Gothonenfürsten Catualda, den er früher persönlich beleidigt hatte und der dann mit den übrigen außerböhmischen Sueben von ihm abgefallen war, in seinem Königssitz selbst überfallen und rettete, von den Seinigen verlassen, mit Not sich zu den Römern, die ihm die erbetene Freistatt gewährten – als römischer Pensionär ist er viele Jahre später in Ravenna gestorben.

Also waren Arminius‘ Gegner wie seine Nebenbuhler flüchtig geworden, und die germanische Nation sah auf keinen andern als auf ihn. Aber diese Größe war seine Gefahr und sein Verderben. Seine eigenen Landsleute, vor allem sein eigenes Geschlecht schuldigte ihn an, den Weg Marobods zu gehen und nicht bloß der Erste, sondern auch der Herr und der König der Germanen sein zu wollen – ob mit Grund oder nicht und ob, wenn er dies wollte, er damit nicht vielleicht das Rechte wollte, wer vermag es zu sagen? Es kam zum Bürgerkrieg zwischen ihm und diesen Vertretern der Volksfreiheit; zwei Jahre nach Maroboduus‘ Verbannung fiel auch er, gleich Caesar, durch den Mordstahl ihm nahestehender, republikanisch gesinnter Adliger. Seine Gattin Thusnelda und sein in der Gefangenschaft geborener Sohn Thumelicus, den er nie mit Augen gesehen hat, zogen bei dem Triumph des Germanicus (26. Mai 17) unter den anderen vornehmen Germanen gefesselt mit auf das Kapitol; der alte Segestes ward für seine Treue gegen die Römer mit einem Ehrenplatz bedacht, von wo aus er dem Einzug seiner Tochter und seines Enkels zuschauen durfte. Sie alle sind im Römerreich gestorben; mit Maroboduus fanden auch Gattin und Sohn seines Gegners im Exil von Ravenna sich zusammen. Wenn Tiberius bei Abberufung des Germanicus bemerkte, daß es gegen die Deutschen der Kriegführung nicht bedürfe und daß sie das für Rom Erforderliche schon weiter selber besorgen würden, so kannte er seine Gegner; darin allerdings hat die Geschichte ihm recht gegeben. Aber dem hochsinnigen Mann, der sechsundzwanzigjährig seine sächsische Heimat von der italischen Fremdherrschaft erlöst hatte, der dann in siebenjährigem Kampfe für die wiedergewonnene Freiheit Feldherr wie Soldat gewesen war, der nicht bloß Leib und Leben, sondern auch Weib und Kind für seine Nation eingesetzt hatte, um dann siebenunddreißigjährig von Mörderhand zu fallen, diesem Mann gab sein Volk, was es zu geben vermochte, ein ewiges Gedächtnis im Heldenlied.

  1. Dies sagt ausdrücklich Dio (51, 23) zum Jahre 725 (29): τέος μέν ούν ταύτ εποίουν (d. h. solange die Bastarner nur die Triballer – bei Oescus in Niedermösien – und die Dardaner in Obermösien angriffen), ουδέν σφίσι πράγμα πρός τούς Ρωμαίους ήν. Επεί δέ τόν τε Αίμον υπερέβεσαν καί τήν Θράκην τήν Δενθελήτων ένσπονδον αυτοίς ούσαν κατέδραμον κ. τ. λ. Die Bundesgenossen in Mösien, von denen Dio 38, 10 spricht, sind die Küstenstädte.
  2. Wenn Dio sagt (51, 23): τήν Σεγετικήν κακουμένην προσεποιήσατο καί ες τήν Μυσίδα ενέβαλε, so kann jene Stadt wohl nur Serdica sein, das heutige Sofia, am oberen Oescus, der Schlüssel für das mösische Land.
  3. Nach dem Feldzug des Crassus ist das eroberte Land wahrscheinlich in der Weise organisiert worden, daß die Küste zum Thrakischen Reich kam, wie dies G. Zippel (Die römische Herrschaft in Illyricum bis auf Augustus. Leipzig 1877, S. 243) dargetan hat, der westliche Teil aber, ähnlich wie Thrakien den einheimischen Fürsten zu Lehen gegeben ward, an deren eines Stelle der noch unter Tiberius fungierende praefectus civitatium Moesiae et Triballiae (CIL V, 1838) getreten sein muß. Die übliche Annahme, daß Mösien anfänglich mit Illyricum verbunden gewesen sei, ruht nur darauf, daß dasselbe bei der Aufzählung der im Jahre 727 (27) zwischen Kaiser und Senat geteilten Provinzen bei Dio 53, 12 nicht genannt werde und also in „Dalmatien“ enthalten sei. Aber auf die Lehnsstaaten und die prokuratorischen Provinzen erstreckt sich diese Aufzählung überhaupt nicht und insofern ist bei jener Annahme alles in Ordnung. Dagegen sprechen gegen die gewöhnliche Auffassung schwerwiegende Argumente. Wäre Mösien ursprünglich ein Teil der Provinz Illyricum gewesen, so hätte es diesen Namen behalten; denn bei Teilung der Provinz pflegt der Name zu bleiben und nur ein Determinativ hinzuzutreten. Die Benennung Illyricum aber, die Dio ohne Zweifel a. a. O. wiedergibt, hat sich in dieser Verbindung immer beschränkt auf das obere (Dalmatien) und das untere (Pannonien). Ferner bleibt, wenn Mösien ein Teil von Illyricum war, für jenen Präfekten von Mösien und Triballien, resp. seinen königlichen Vorgänger kein Raum. Endlich ist es wenig wahrscheinlich, daß im Jahre 727 (27) einem einzigen senatorischen Statthalter ein Kommando von dieser Ausdehnung und Wichtigkeit anvertraut worden ist. Dagegen erklärt sich alles einfach, wenn nach dem Kriege des Crassus in Mösien kleine Klientelstaaten entstanden; diese standen als solche von Haus aus unter dem Kaiser, und da bei deren sukzessiver Einziehung und Umwandlung in eine Statthalterschaft der Senat nicht mitwirkte, konnte sie leicht in den Annalen ausfallen. Vollzogen hat sie sich in oder vor dem Jahre 743 (11), da der damals den Krieg gegen die Thraker führende Statthalter L. Calpurnius Piso, dem Dio 54, 34 irrig die Provinz Pamphylien beilegt, als Provinz nur Pannonien oder Mösien gehabt haben kann und da in Pannonien damals Tiberius als Legat fungierte, für ihn nur Mösien übrig bleibt. Im Jahre 6 n. Chr. erscheint sicher ein kaiserlicher Statthalter von Mösien.
  4. Der offizielle Titel des Cottius war nicht König, wie der seines Vaters Donnus, sondern „Gauverbandsvorstand“ (praefectus civitatium), wie er auf dem noch stehenden, im Jahre 745/46 (9/8) von ihm zu Ehren des Augustus errichteten Bogen von Susa genannt wird. Aber die Stellung war ohne Zweifel lebenslänglich und, unter Vorbehalt der Bestätigung des Lehnsherrn, auch erblich, also insofern der Verband allerdings ein Fürstentum, wie er auch gewöhnlich heißt.
  5. Wir kennen diese Straße nur in der Gestalt, die der Sohn des Erbauers, Kaiser Claudius, ihr gab; ursprünglich kann sie natürlich nicht via Claudia Augusta geheißen haben, sondern nur via Augusta, und schwerlich als ihr Endpunkt in Italien Altinum, ungefähr das heutige Venedig, betrachtet worden sein, da unter Augustus noch alle Reichsstraßen nach Rom führten. Daß die Straße auch durch das obere Etschtal lief, ist erwiesen durch den bei Meran gefundenen Meilenstein (CIL V 8003); daß sie an die Donau führte, ist bezeugt, die Verbindung dieses Straßenbaus mit der Anlage von Augusta Vindelicum, wenn dies auch zunächst nur Marktflecken (forum) war, mehr als wahrscheinlich (CIL III, p. 711); auf welchem Wege von Meran aus Augsburg und die Donau erreicht wurden, wissen wir nicht. Späterhin ist die Straße dahin korrigiert worden, daß sie bei Bozen die Etsch verläßt und das Eisacktal hinauf über den Brenner nach Augsburg führt.
  6. Die Örtlichkeit, „in welcher die Besser den Gott Dionysos verehren“ und die Crassus ihnen nahm und den Odrysen gab (Dio 51, 25), ist gewiß derselbe Liberi patris lucus, in welchem Alexander opferte und der Vater des Augustus, cum per secreta Thraciae exercitum duceret, das Orakel wegen seines Sohnes befragte (Suet. Aug. 94) und das schon Herodot (2, 111; vgl. Eur. Hek. 1267) als unter Obhut der Besser stehendes Orakelheiligtum erwähnt. Gewiß ist es nordwärts der Rhodope zu suchen; wiedergefunden ist es noch nicht.
  7. Daß die Schlacht bei Arbalo (Plin. nat. 11, 17, 55) in dieses Jahr gehört, zeigt Obsequens 72 und also geht auf sie die Erzählung bei Dio 54, 33.
  8. Daß der Sturz des Drusus in der Saalegegend erfolgte, wird aus Strabon 7,1, 3 p. 291 gefolgert werden dürfen, obwohl er nur sagt, daß er auf dem Heerzuge zwischen Salas und Rhein umkam und die Identifikation des Salas mit der Saale allein auf der Namensähnlichkeit beruht. Von der Unglücksstätte wurde er dann bis in das Sommerlager transportiert (Sen. dial. ad Marciam 3: ipsis illum hostibus aegrum cum veneratione et pace mutua prosequentibus nec optare quod expediebat audentibus) und in diesem ist er gestorben (Suet. Claud. 1). Dies lag tief im Barbarenland (Val. Max. 5, 5, 3) und nicht allzuweit von dem Schlachtfelde des Varus (Tac. ann. 2, 7, wo die vetus ara Druso sita gewiß auf den Sterbeplatz zu beziehen ist); man wird dasselbe im Wesergebiet suchen dürfen. Die Leiche wurde dann in das Winterlager geschafft (Dio 55, 2) und dort verbrannt; diese Stätte galt nach römischem Gebrauch auch als Grabstätte, obwohl die Beisetzung der Asche in Rom stattfand, und darauf ist der honorarius tumulus mit der jährlichen Leichenfeier zu beziehen (Suet. a. a. O.). Wahrscheinlich hat man dessen Stätte in Vetera zu suchen. Wenn ein späterer Schriftsteller (Eutr. 7, 13) von dem monumentum des Drusus bei Mainz spricht, so ist dies nicht wohl das Grabmal, sondern das anderweitig erwähnte Tropaeum (Flor. epit. 2, 30: Marcomanorum spoliis et insignibus quendam editum tumulum in tropaei modum excoluit).
  9. Die Mitteilung Dios (55, IOa), zum Teil bestätigt durch Tacitus (arm. 4, 44) kann nicht anders aufgefaßt werden. Diesem Statthalter muß ausnahmsweise auch Noricum und Rätien unterstellt gewesen sein oder der Lauf der Operationen veranlaßte ihn, die Grenze seiner Statthalterschaft zu überschreiten. Daß er Böhmen selbst durchschritten habe, was in noch größere Schwierigkeiten verwickeln würde, fordert der Bericht nicht.
  10. Auf eine rückwärtige Verbindung der Rheinlager mit dem Hafen von Boulogne dürfte die viel bestrittene Notiz des Florus (epit. 2, 30) zu beziehen sein: Bonnam (oder Bormam) et Gessoriacum pontibus iunxit classibusque firmavit, womit zu vergleichen sind die von demselben Schriftsteller erwähnten Kastelle an der Maas. Bonn kann damals füglich die Station der Rheinflotte gewesen sein; Boulogne ist auch in späterer Zeit noch Flottenstation gewesen. Drusus konnte wohl Veranlassung haben den kürzesten und sichersten Landweg zwischen den beiden Flottenlagern für Transporte brauchbar zu machen, wenn auch der Schreiber wahrscheinlich, um das Auffallende bemüht, durch zugespitzte Ausdrucksweise Vorstellungen erweckt, die so nicht richtig sein können.
  11. Über die administrative Teilung Galliens fehlt es, abgesehen von der Abtrennung der Narbonensis, an allen Nachrichten, da sie nur auf kaiserlichen Verfügungen beruhte und darüber nichts in die Senatsprotokolle kam. Aber von der Existenz eines gesonderten ober- und untergermanischen Kommandos geben die erste Kunde die Feldzüge des Germanicus, und die Varusschlacht ist unter jener Voraussetzung kaum zu verstehen; hier erscheinen wohl die hiberna inferiora, die von Vetera (Vell. 2, 120), und den Gegensatz dazu, die superiora können nur die von Mainz gemacht haben, aber auch diese stehen nicht unter einem Kollegen, sondern unter dem Neffen, also einem Unterbefehlshaber des Varus. Wahrscheinlich hat die Teilung erst in Folge der Niederlage in den letzten Jahren des Augustus stattgefunden.
  12. Das von Drusus in monte Tauno angelegte praesidium (Tac. ann. 1, 56) und das mit Aliso zusammengestellte (φρούριον εν Χα`αττοις παρ‘ αυτώ τώ Ρήνω (Dio 54, 33) sind wahrscheinlich identisch, und die besondere Stellung des Mattiakergaus hängt augenscheinlich mit der Anlage von Mogontiacum zusammen.
  13. Daß das „Kastell am Zusammenfluß des Lupias und des Helison“ bei Dio 54, 33 identisch ist mit dem öfter genannten Aliso und dies an der oberen Lippe gesucht werden muß, ist keinem Zweifel unterworfen, und daß das römische Winterlager an den Lippequellen (ad caput Lupiae, Vell. 2, 105), unseres Wissens das einzige derartige auf germanischem Boden, eben dort zu suchen ist, wenigstens sehr wahrscheinlich. Daß die beiden an der Lippe hin laufenden Römerstraßen und deren befestigte Marschlager wenigstens bis in die Gegend von Lippstadt führten, haben namentlich Hölzermanns Untersuchungen dargetan. Die obere Lippe hat nur einen namhaften Zufluß, die Alme, und da unweit der Mündung dieser in die Lippe das Dorf Elsen liegt, so darf hier der Namensähnlichkeit einiges Gewicht beigelegt werden.
  14. Der Ansetzung von Aliso an der Mündung der Glenne (und Liese) in die Lippe, welche unter andern Schmidt vertritt, steht vornehmlich entgegen, daß das Lager ad caput Lupiae dann von Aliso verschieden gewesen sein muß, überhaupt dieser Punkt von der Weserlinie zu weit abliegt, während von Elsen aus der Weg geradezu durch die Dörenschlucht in das Werretal führt. überhaupt bemerkt Schmidt (Westfälische Zeitschrift für Gesch. und Alterthumskunde 20, 1862, S. 259), kein Anhänger der Identifikation von Aliso und Elsen, daß die Höhen von Wever (unweit Elsen) und überhaupt der linke Talrand der Alme der Mittelpunkt eines Halbkreises sind, welchen die vorliegenden Gebirge bilden, und diese hochgelegene, trockene, bis zu dem Gebirge eine genaue Übersicht gestattende Gegend, welche das ganze lippische Land deckt und selbst in der Front durch die Alme gedeckt ist, sich gut eignet zum Ausgangspunkt eines Zuges gegen die Weser.
  15. Das und nicht mehr sagt Velleius (2, 110): in omnibus Pannoniis non disciplinae (= Kriegszucht) tantummodo, sed linguae quoque notitia Romanae, plerisque etiam litterarum Usus et familiaris animorum erat exercitatio. Es sind das dieselben Erscheinungen, wie sie bei den Cheruskerfürsten begegnen, nur in gesteigertem Maße; und sie sind vollkommen begreiflich, wenn man sich der von Augustus aufgestellten pannonischen und breukischen Alen und Kohorten erinnert.
  16. Nimmt man an, daß von den zwölf Legionen, die gegen Maroboduus im Marsch waren (Tac. ann. 2, 46), so viele, als wir bald nachher in Germanien finden, also fünf, auf dieses Heer kommen, so zählte das illyrische Heer des Tiberius sieben, und die Zahl von zehn (Vell. 2, 113) kann füglich bezogen werden auf den Zuzug aus Mösien und Italien, die fünfzehn auf den Zuzug aus Ägypten oder Syrien und auf die weiteren Aushebungen in Italien, von wo die neu ausgehobenen Legionen zwar nach Germanien, aber die dadurch abgelösten zu Tiberius‘ Heer kamen. Ungenau spricht Velleius (2, 112) gleich im Beginn des Krieges von fünf durch A. Caecina und Plautius Silvanus ex transmarinis provinciis herangeführten Legionen; einmal konnten die überseeischen Truppen nicht sofort zur Stelle sein, und zweitens sind die Legionen des Caecina natürlich die mösischen. Vgl. meinen Kommentar zum Monumentum Ancyranum (Res gestae divi Augusti), 2. Aufl. 1883, S. 71.
  17. Das sagt Velleius (2, 118): adsiduus militiae nostrae prioris comes, iure etiam civitatis Romanae eius equestres consequens gradus; was mit dem ductor popularium des Tacitus (ann. 2, 10) zusammenfällt. In dieser Zeit müssen dergleichen Offiziere nicht selten vorgekommen sein; so fochten in dem dritten Feldzug des Drusus inter primores Chumstinctus et Avectius tribuni ex civitate Nerviorum (Liv. ep. 141) und unter Germanicus Chariovalda dux Batavorum (Tac. ann. 2, 11).
  18. Das Bildnis des Varus zeigt eine Kupfermünze der afrikanischen Stadt Achulla, geschlagen unter seinem Prokonsulat von Afrika im Jahre 747/48 (7/6) (L. Müller, Numismatique de l’ancienne Afrique. Kopenhagen 18674, Bd. 2, S. 44, vgl. S. 52). Die Basis, welche einst die ihm von der Stadt Pergamon gesetzte Bildsäule trug, haben die Ausgrabungen daselbst wieder ans Licht gebracht; die Unterschrift lautet: ο δήμος [ετίμησεν] Πόπλιον Κοινκτίλιον Σέξτου υιόν Ουάρ[ον] πάσης αρετή[ς ένεκα].
  19. Der Dionische Bericht, der einzige, der diese Katastrophe in einigem Zusammenhang überliefert, erklärt den Verlauf derselben in genügender Weise, wenn man nur, was Dio allerdings nicht hervorhebt, das allgemeine Verhältnis des Sommer- und des Winterlagers hinzunimmt und die von Ranke (Weltgeschichte. Leipzig 1881-88. Bd. 3, 2, S. 275) mit Recht gestellte Frage, wie gegen eine lokale Insurrektion das ganze Heer hat marschieren können, damit beantwortet. Der Bericht des Florus beruht keineswegs auf ursprünglich anderen Quellen, wie derselbe Gelehrte annimmt, sondern lediglich auf dem dramatischen Zusammenrücken der Motive, wie es allen Historikern dieses Schlages eigen ist. Die friedliche Rechtspflege des Varus und die Erstürmung des Lagers kennt die bessere Überlieferung beide auch und in ihrem ursächlichen Zusammenhang; die lächerliche Schilderung, daß, während Varus auf dem Gerichtsstuhl sitzt und der Herold die Parteien vorladet, die Germanen zu allen Toren in das Lager einbrechen, ist nicht Überlieferung, sondern aus dieser verfertigtes Tableau. Daß dieses außer mit der gesunden Vernunft auch mit Tacitus‘ Schilderung der drei Marschlager in unlösbarem Widerspruch steht, leuchtet ein.
  20. Die normale Stärke der drei Alen und der sechs Kohorten ist insofern nicht genau zu berechnen, als darunter einzelne Doppelabteilungen (miliariae) gewesen sein können; aber viel über 20000 Mann kann das Heer nicht gezählt haben. Andererseits liegt keine Ursache vor, eine wesentliche Differenz der effektiven Stärke von der normalen anzunehmen. Die zahlreichen Detachierungen, deren Erwähnung geschieht (Dio 56, 19), finden ihren Ausdruck in der verhältnismäßig geringen Zahl der Auxilien, die immer dafür vorzugsweise verwendet wurden.
  21. Da Germanicus, von der Ems kommend, das Gebiet zwischen Ems und Lippe, das heißt das Münsterland, verheert, und nicht weit davon der Teutoburgiensis saltus liegt, wo Varus‘ Heer zugrunde ging (Tat. ann. 1, 61), so liegt es am nächsten, diese Bezeichnung, welche auf das flache Münsterland nicht paßt, von dem das Münsterland nordöstlich begrenzenden Höhenzug, dem Osning zu verstehen; aber auch an das etwas weiter nördlich parallel mit dem Osning von Minden zur Huntequelle streichende Wiehengebirge kann gedacht werden. Den Punkt an der Weser, an dem das Sommerlager stand, kennen wir nicht; indes ist nach der Lage von Aliso bei Paderborn und nach den zwischen diesem und der Weser bestehenden Verbindungen wahrscheinlich dasselbe etwa bei Minden gewesen. Die Richtung des Rückmarsches kann jede andere, nur nicht die nächste nach Aliso gewesen sein, und die Katastrophe erfolgte also nicht auf der militärischen Verbindungslinie zwischen Minden und Paderborn selbst, sondern in größerer oder geringerer Entfernung von dieser. Varus mag von Minden etwa in der Richtung auf Osnabrück marschiert sein, dann nach dem Angriff von dort aus nach Paderborn zu gelangen versucht und auf diesem Marsch in einem jener beiden Höhenzüge sein Ende gefunden haben. Seit Jahrhunderten ist in der Gegend von Venne an der Huntequelle eine auffallend große Anzahl von römischen Gold-, Silber- und Kupfermünzen gefunden worden, wie sie in augustischer Zeit umliefen, während spätere Münzen daselbst so gut wie gar nicht vorkommen (vgl. die Nachweisungen bei Paul Höfen Der Feldzug des Germanicus im Jahre 16. Gotha 1884, S. 82 f.). Einem Münzschatz können diese Funde nicht angehören, wegen des zerstreuten Vorkommens und der Verschiedenheit der Metalle; einer Handelsstätte auch nicht, wegen der zeitlichen Geschlossenheit; sie sehen ganz aus wie der Nachlaß einer großen aufgeriebenen Armee, und die vorliegenden Berichte über die Varusschlacht lassen sich mit dieser Lokalität vereinigen.
  22. Über das Jahr der Katastrophe hätte nie gestritten werden sollen; die Verschiebung in das Jahr 10 ist ein bloßes Versehen. Die Jahreszeit wird einigermaßen dadurch bestimmt, daß zwischen der Anordnung der illyrischen Siegesfeier und dem Eintreffen der Unglücksbotschaft in Rom nur fünf Tage liegen und jene wahrscheinlich den Sieg vom 3. August zur Voraussetzung hat wenn sie auch nicht unmittelbar auf diesen gefolgt ist. Danach wird die Niederlage etwa im September oder Oktober stattgefunden haben, was auch dazu stimmt, daß der letzte Marsch des Varus offenbar der Rückmarsch aus dem Sommer- in das Winterlager gewesen ist.
  23. Den fortdauernden Kriegsstand bezeugen Tacitus (ann. 1, 9) und Dio (56, 26); aber berichtet wird gar nichts aus den nominellen Feldzügen der Sommer 12, 13 und 14, und die Expedition vom Herbst des Jahres 14 erscheint als die erste von Germanicus unternommene. Allerdings ist Germanicus wahrscheinlich noch bei Augustus‘ Lebzeiten als Imperator ausgerufen worden (Monumentum Ancyranum, S. 17); aber es steht nichts im Wege, dies auf den Feldzug des Jahres 11 zu beziehen, in dem Germanicus mit prokonsularischer Gewalt neben Tiberius kommandierte (Dio 56, 25). Im Jahre 12 war er in Rom zur Verwaltung des Konsulats, welche er das ganze Jahr hindurch behielt und mit welcher es damals noch ernsthaft genommen wurde; dies erklärt, weshalb Tiberius, wie dies jetzt erwiesen ist (Hermann Schulz, Quaestiones Ovidianae. Greifswald 1883, S. 15 f.), noch im Jahre 12 nach Germanien ging und sein Rheinkommando erst im Anfang des Jahres 13 mit der pannonischen Siegesfeier niederlegte.
  24. Die Annahme Schmidts (Westfälische Zeitschrift 20, 1862, S. 301), daß die erste Schlacht auf dem Idistavisischen Feld, etwa bei Bückeburg, geschlagen sei, die zweite, wegen der dabei erwähnten Sümpfe, vielleicht am Steinhuder See, bei dem südlich von diesem liegenden Dorf Bergkirchen, wird von der Wahrheit sich nicht weit entfernen und kann wenigstens als Veranschaulichung gelten. Auf ein gesichertes Ergebnis muß bei diesem wie bei den meisten Taciteischen Schlachtberichten verzichtet werden.
  25. Die Angabe des Tacitus (ann. 2, 45), daß dies eigentlich ein Krieg der Republikaner gegen die Monarchisten gewesen sei, ist wohl nicht frei von Übertragung hellenisch-römischer Anschauungen auf die sehr verschiedene germanische Welt. Soweit der Krieg eine ethisch-politische Tendenz gehabt hat, wird ihn nicht das nomen regis, wie Tacitus sagt, sondern das certum imperium visque regia des Velleius (2, 108) hervorgerufen haben.

10. Kapitel


10. Kapitel

Syrien und das Nabatäerland

Sehr allmählich haben die Römer sich dazu entschlossen, nach der westlichen auch der östlichen Hälfte der Küsten des Mittelmeeres sich zu bemächtigen; nicht an dem Widerstand, auf den sie hier verhältnismäßig in geringem Maße trafen, sondern an der wohlbegründeten Scheu vor den denationalisierenden Konsequenzen dieser Eroberungen hat es gelegen, daß sie so lange wie möglich sich nur bemühten, in jenen Gegenden den entscheidenden politischen Einfluß zu bewahren, und daß die eigentliche Einverleibung wenigstens Syriens und Ägyptens erst stattfand, als der Staat schon fast eine Monarchie war. Wohl wurde dadurch das Römerreich geographisch geschlossen, das Mittelmeer, Roms eigentliche Basis, seit es eine Großmacht war, nach allen Seiten hin ein römischer Binnensee, Schiffahrt und Handel auf und an demselben zum Segen aller Anwohner staatlich geeinigt. Aber der geographischen Geschlossenheit zur Seite ging die nationale Zweiteilung. Durch Griechenland und Makedonien wäre der Römerstaat nie binational geworden, so wenig wie die Griechenstädte Neapolis und Massalia Kampanien und die Provence hellenisiert haben. Aber wenn in Europa und Afrika das griechische Gebiet gegenüber der geschlossenen Masse des lateinischen verschwindet, so gehört, was von dem dritten Erdteil mit dem von Rechts wegen dazu gehörigen Niltal in diesen Kulturkreis hineingezogen ward, ausschließlich den Griechen, und namentlich Antiocheia und Alexandreia sind die rechten Träger der in Alexander ihren Höhepunkt erreichenden hellenischen Entwicklung, Mittelpunkte hellenischen Lebens und hellenischer Bildung und Großstädte wie Rom auch. Nachdem in dem vorhergehenden Kapitel der die ganze Kaiserzeit ausfüllende Kampf des Ostens und des Westens in und um Armenien und Mesopotamien dargestellt worden ist, wenden wir uns dazu, die Verhältnisse der syrischen Landschaften zu schildern, wie sie gleichzeitig sich gestalteten. Gemeint ist das Gebiet, das der Bergstock Pisidiens, Isauriens und Westkilikiens von Kleinasien, die östliche Fortsetzung desselben Gebirges und der Euphrat von Armenien und Mesopotamien, die arabische Wüste von dem Parthischen Reiche und von Ägypten scheiden; nur schien es angemessen, die eigenartigen Schicksale Judäas in einem besonderen Abschnitt zu behandeln. Der Verschiedenheit der politischen Entwicklung unter dem Kaiserregiment entsprechend soll zunächst von dem eigentlichen Syriens dem nördlichen Teil dieses Gebiets und von der unter dem Libanos sich hinziehenden phönikischen Küste, weiter von dem Hinterlande Palästinas, dem Gebiet der Nabatäer gesprochen werden. Was über Palmyra zu sagen war, hat schon im vorigen Kapitel seinen Platz gefunden.

Seit der Teilung der Provinzen zwischen dem Kaiser und dem Senat hat Syrien unter kaiserlicher Verwaltung gestanden und ist im Orient, wie Gallien im Westen, der Schwerpunkt der kaiserlichen zivilen und militärischen Verwaltung gewesen. Diese Statthalterschaft war von Anfang an von allen die angenehmste und wurde dies im Lauf der Zeit nur noch in höherem Grade. Ihr Inhaber führte, gleich den Statthaltern der beiden Germanien, das Kommando über vier Legionen, und während den Kommandanten der Rheinarmee die Verwaltung der inneren gallischen Landschaften abgenommen ward und schon in ihrem Nebeneinanderstehen eine gewisse Beschränkung lag, behielt der Statthalter von Syrien auch die Zivilverwaltung der ganzen großen Provinz ungeschmälert und führte lange Zeit in ganz Asien allein ein Kommando ersten Ranges. Unter Vespasian erhielt er zwar an den Statthaltern von Palästina und von Kappadokien zwei ebenfalls Legionen befehligende Kollegen; andererseits aber wuchsen durch die Einziehung des Königreichs Kommagene und bald darauf auch der Fürstentümer im Libanos deren Gebiete seiner Verwaltung zu. Erst im Laufe des zweiten Jahrhunderts trat eine Schmälerung seiner Befugnisse ein, indem Hadrian eine der vier Legionen dem Statthalter von Syrien nahm und sie dem von Palästina überwies. Den ersten Platz in der römischen Militärhierarchie hat erst Severus dem syrischen Statthalter entzogen. Nachdem dieser die Provinz, die wie einst ihren Statthalter Vespasian, so damals den Niger zum Kaiser hatte machen wollen, unter Widerstreben namentlich der Hauptstadt Antiocheia unterworfen hatte, verfügte er die Teilung derselben in eine nördliche und eine südliche Hälfte und gab dem Statthalter jener, der sogenannten Syria Koile, zwei, dem Statthalter dieser, der Provinz Syrophoenicia, eine Legion.

Auch insofern darf Syrien mit Gallien zusammengestellt werden, als dieser kaiserliche Verwaltungsbezirk schärfer als die meisten sich in befriedete Landschaften und schutzbedürftige Grenzdistrikte schied. Wenn die ausgedehnte Küste Syriens und die westlichen Landschaften überhaupt feindlichen Angriffen nicht ausgesetzt waren und die Deckung an der Wüstengrenze gegen die schweifenden Beduinen den arabischen und jüdischen Fürsten und späterhin den Truppen der Provinz Arabien, auch den Palmyrenern, mehr oblag als den syrischen Legionen, so erforderte, namentlich bevor Mesopotamien römisch ward, die Euphratgrenze eine ähnliche Bewachung gegen die Parther wie der Rhein gegen die Germanen. Aber wenn die syrischen Legionen an der Grenze zur Verwendung kamen, so konnte man doch auch in dem westlichen Syrien ihrer nicht entraten380. Die Rheintruppen waren allerdings auch der Gallier wegen da; dennoch durften die Römer mit berechtigtem Stolz sagen, daß für die große Hauptstadt Galliens und die drei gallischen Provinzen eine unmittelbare Besatzung von 1200 Mann ausreiche. Aber für die syrische Bevölkerung und insbesondere für die Hauptstadt des römischen Asiens genügte es nicht, die Legionen am Euphrat aufzustellen. Nicht bloß am Saum der Wüste, sondern auch in den Schlupfwinkeln der Gebirge hausten in der Nachbarschaft der reichen Äcker und der großen Städte, nicht in dem Grade wie heutzutage, aber doch auch damals stetig, verwegene Räuberbanden und plünderten, oft als Kaufleute oder Soldaten verkleidet, die Landhäuser und die Dörfer. Aber auch die Städte selbst, vor allem Antiocheia, verlangten, wie Alexandreia, eigene Besatzung. Ohne Zweifel ist dies der Grund gewesen, weshalb eine Teilung in Zivil- und Militärbezirke, wie sie für Gallien schon Augustus verfügte, in Syrien niemals auch nur versucht worden ist und weshalb die großen, auf sich selbst stehenden Lageransiedlungen, aus denen zum Beispiel Mainz am Rhein, Leon in Spanien, Chester in England hervorgegangen sind, im römischen Orient gänzlich fehlen. Ohne Zweifel aber ist dies auch der Grund, weshalb die syrische Armee in Zucht und Geist so sehr zurückstand gegen die der Westprovinzen; weshalb die stramme Disziplin, wie sie in den militärischen Standlagern des Okzidents gehandhabt ward, in den städtischen Kantonnements des Ostens nie Fuß fassen konnte. Wo der stehenden Truppe neben ihrer nächsten Bestimmung noch die Aufgabe der Polizei zufällt, wirkt dies an sich demoralisierend, und nur zu oft wird, wo sie unruhige städtische Massen in Zucht halten soll, vielmehr ihre eigene Disziplin dadurch untergraben. Die früher geschilderten syrischen Kriege liefern dazu den unerfreulichen Kommentar; keiner derselben fand eine kriegsfähige Armee vor und regelmäßig bedurfte es erst herangezogener okzidentalischer Truppen, um dem Kampfe die Wendung zu geben.

Syrien im engeren Sinne und seine Nebenländer, das ebene Kilikien und Phoenike haben unter den römischen Kaisern eine Geschichte im eigentlichen Sinne nicht gehabt. Die Bewohner dieser Landschaften gehören dem gleichen Stamme an wie die Bewohner Judäas und Arabiens, und die Stammväter der Syrer und der Phöniker haben in ferner Zeit an einem Orte gesessen mit denen der Juden und der Araber und eine Sprache geredet. Aber wenn die letzteren an ihrer Eigenart und an ihrer Sprache festgehalten haben, so haben die Syrer und die Phöniker sich hellenisiert, schon bevor sie unter römische Herrschaft gelangten. Es vollzog sich diese Hellenisierung durchgängig in der Bildung von hellenischen Politien. Den Grund dazu hatte freilich die einheimische Entwicklung gelegt, namentlich an der phönikischen Küste die alten und großen Kaufstädte. Aber vor allem hat die Staatenbildung Alexanders und der Alexandriden, eben wie die der römischen Republik, zu ihrem Fundament nicht den Stamm, sondern die Stadtgemeinde; nicht das altmakedonische Erbfürstentum, sondern die griechische Politie hat Alexander in den Osten getragen, und nicht aus Stämmen, sondern aus Städten gedachte er und gedachten die Römer ihr Reich zusammenzusetzen. Der Begriff der autonomen Bürgerschaft ist ein dehnbarer und die Autonomie Athens und Thebens eine andere als die der makedonischen und der syrischen Stadt, eben wie im römischen Kreis die Autonomie des freien Capua einen anderen Inhalt hatte als die der latinischen Pflanzstädte der Republik oder gar der Stadtgemeinden des Kaiserreichs; aber der Grundgedanke ist überall das sich selbst verwaltende, in seinem Mauerring souveräne Bürgertum. Nach dem Sturz des Perserreichs ist Syrien nebst dem benachbarten Mesopotamien als die militärische Verbindungsbrücke zwischen dem Westen und dem Osten wie kein anderes Land mit makedonischen Ansiedlungen bedeckt worden; die dort in weitester Ausdehnung übernommenen, sonst im ganzen Alexanderreich nirgends also sich wiederfindenden makedonischen Ortsnamen beweisen es, daß hier der Kern der hellenischen Eroberer des Ostens angesiedelt wurde und daß Syrien für diesen Staat das Neu-Makedonien werden sollte; wie denn auch, solange das Reich Alexanders eine Zentralregierung behielt, diese dort ihren Sitz gehabt hat. Den syrischen Reichsstädten hatten dann die Wirren der letzten Seleukidenzeit zu größerer Selbständigkeit verholfen. Diese Einrichtungen fanden die Römer vor. Unmittelbar vom Reich verwaltete, nicht städtische Distrikte gab es schon nach der von Pompeius vorgenommenen Organisation in Syrien wahrscheinlich gar nicht, und wenn die abhängigen Fürstentümer in der ersten Epoche der römischen Herrschaft einen großen Teil des südlichen Binnenlandes der Provinz umfaßten, so waren diese meist gebirgigen und schwach bewohnten Distrikte doch von untergeordneter Bedeutung. Im ganzen genommen blieb den Römern in Syrien für die Hebung der städtischen Entwicklung nicht viel zu tun übrig, weniger als in Kleinasien. Eigentliche Städtegründung ist daher aus der Kaiserzeit für Syrien kaum zu berichten. Die wenigen Kolonien, welche hier angelegt worden sind, wie unter Augustus Berytus und wahrscheinlich auch Heliopolis, haben keinen anderen Zweck gehabt als die nach Makedonien geführten, nämlich die Unterbringung der Veteranen.

Wie sich die Griechen und die ältere Bevölkerung in Syrien zueinander stellten, läßt sich schon an den örtlichen Benennungen deutlich verfolgen. Landschaften und Städte tragen hier der Mehrzahl nach griechische Namen, großenteils, wie bemerkt, der makedonischen Heimat entlehnte wie Pieria, Anthemus, Arethusa, Beroea, Chalkis, Edessa, Europos, Kyrrhos, Larisa, Pella, andere benannt nach Alexander oder den Gliedern des seleukidischen Hauses, wie Alexandreia, Antiocheia, Seleukis und Seleukeia, Apameia, Laodikeia, Epiphaneia. Die alten einheimischen Namen behaupten sich wohl daneben, wie Beroea, zuvor aramäisch Chaleb, auch Chalybon, Edessa oder Hierapolis, zuvor Mabog, auch Bambyke, Epiphaneia, zuvor Hamat, auch Amathe genannt wird. Aber meistens traten die älteren Benennungen vor den fremden zurück und nur wenige Landschaften und größere Orte wie Kommagene, Samosata, Hemesa, Damaskos entbehren neugeschöpfter griechischer Namen. Das östliche Kilikien hat wenig makedonische Gründungen aufzuweisen; aber die Hauptstadt Tarsos hat sich früh und vollständig hellenisiert und ist lange vor der römischen Zeit eines der Zentren der hellenischen Bildung geworden. Etwas anderes ist es in Phoenike: die altberühmten Kaufstädte Arados, Byblos, Berytos, Sidon, Tyros haben die einheimischen Namen nicht eigentlich abgelegt; aber wie auch hier das Griechische die Oberhand gewann, zeigt die hellenisierende Umbildung eben dieser Namen, und noch deutlicher, daß Neu-Arados uns nur unter dem griechischen Namen Antarados bekannt ist, ebenso die von den Tyriern, den Sidoniern und den Aradiern gemeinschaftlich an dieser Küste gegründete neue Stadt nur unter dem Namen Tripolis, und beide ihre heutigen Benennungen Tartus und Tarabulus aus den griechischen entwickelt haben. Schon in der Seleukidenzeit tragen die Münzen im eigentlichen Syrien ausschließlich, die der phönikischen Städte weit überwiegend griechische Aufschrift; und von Anfang der Kaiserzeit an steht die Alleinherrschaft des Griechischen hier fest381.

Nur die nicht bloß durch weite Wüstenstrecken geschiedene, sondern auch eine gewisse politische Selbständigkeit bewahrende Oase Palmyra macht, wie wir sahen, hierin eine Ausnahme. Aber in dem Verkehr blieben die einheimischen Idiome. In den Bergen des Libanos und des Antilibanos, wo auch in Hemesa (Roms), Chalkis, Abila (beide zwischen Berytus und Damaskos) kleine Fürstenhäuser einheimischen Ursprungs bis gegen das Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. schalteten, hat die einheimische Sprache in der Kaiserzeit wahrscheinlich die Alleinherrschaft gehabt, wie denn in den schwer zugänglichen Gebirgen der Drusen die Sprache Arams erst in neuerer Zeit dem Arabischen gewichen ist. Aber vor zwei Jahrtausenden war dieselbe in der Tat in ganz Syrien die Sprache des Volkes382. Daß bei den doppelnamigen Städten im gewöhnlichen Leben die syrische Benennung ebenso überwog wie in der Literatur die griechische, zeigt sich darin, daß heute Beroea-Chalybon Haleb (Aleppo), Epiphaneia-Amathe Hama, Hierapolis-Bambyke-Mabog Membidj, Tyros mit seinem phönikischen Namen Sur genannt wird; daß die uns aus den Urkunden und den Schriftstellern nur als Heliopolis bekannte syrische Stadt ihren uralten einheimischen Namen Baalbek noch heute führt, überhaupt allgemein die heutigen Ortsnamen nicht aus den griechischen, sondern aus den aramäischen hervorgegangen sind.

Ebenso zeigt der Kultus das Fortleben des syrischen Volkstums. Die Syrer von Beroea bringen ihre Weihgeschenke mit griechischer Aufschrift dem Zeus Malbachos, die von Apameia dem Zeus Belos, die von Berytus als römische Bürger dem Jupiter Balmarcodes, alles Gottheiten, an denen weder Zeus noch Jupiter wirklichen Teil hatten. Jener Zeus Belos ist kein anderer als der in Palmyra in syrischer Sprache verehrte Malach Belos. Wie lebendig die heimische Götterverehrung in Syrien gewesen und geblieben ist, dafür legt das deutlichste Zeugnis ab, daß die Dame von Hemesa, die durch ihre Verschwägerung mit dem Severischen Hause für ihren Tochtersohn im Anfang des 3. Jahrhunderts die Kaiserwürde erlangte, nicht damit zufrieden, daß der Knabe Oberpontifex des römischen Volkes hieß, ihn auch anhielt, sich den Oberpriester des heimischen Sonnengottes Elagabalus vor allen Römern zu titulieren. Die Römer mochten die Syrer besiegen; aber die römischen Götter haben in ihrer eigenen Heimat vor den syrischen das Feld geräumt.

Nicht minder sind die zahlreichen auf uns gekommenen syrischen Eigennamen überwiegend ungriechisch und Doppelnamen nicht selten; der Messias heißt auch Christos, der Apostel Thomas auch Didymos, die von Petrus wiedererweckte Frau aus Joppe das „Reh“, Tabitha oder Dorkas. Aber für die Literatur und vermutlich auch für den Geschäftsverkehr und den Verkehr der Gebildeten war das syrische Idiom so wenig vorhanden wie im Westen das keltische; in diesen Kreisen herrschte ausschließlich das Griechische, abgesehen von dem auch im Osten für das Militär geforderten Latein. Ein Literat aus der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, den der früher erwähnte König von Armenien Sohaemos an seinen Hof zog, hat einen Roman, der in Babylon spielt, einiges über seine eigene Lebensgeschichte eingelegt, das diese Verhältnisse erläutert. Er sei, sagt er, ein Syrer, aber nicht von den eingewanderten Griechen, sondern von Vater- und Mutterseite einheimischer Abkunft, Syrer nach Sprache und Sitte, auch babylonischer Sprache und persischer Magie kundig. Aber eben dieser, das hellenische Wesen in gewissem Sinne ablehnende Mann fügt hinzu, daß er hellenische Bildung sich angeeignet habe, und ist ein angesehener Jugendlehrer in Syrien und ein namhafter Romanschriftsteller der späteren griechischen Literatur geworden383.

Wenn späterhin das syrische Idiom wieder zur Schriftsprache geworden ist und eine eigene Literatur entwickelt hat, so ist dies nicht auf eine Ermannung des Nationalgefühls zurückzuführen, sondern auf das unmittelbare Bedürfnis der christlichen Propaganda: jene syrische Literatur, ausgegangen von der Übersetzung der christlichen Bekenntnisschriften in das Syrische, blieb gebannt in den Kreis der spezifischen Bildung des christlichen Klerus und nahm daher von der allgemeinen hellenischen Bildung nur den kleinen Bruchteil auf, den die Theologen jener Zeit ihren Zwecken zuträglich oder doch damit verträglich fanden384; ein höheres Ziel als die Übertragung der griechischen Klosterbibliothek auf die Maronitenklöster hat diese Schriftstellerei nicht erreicht und wohl auch nicht erstrebt. Sie reicht auch schwerlich weiter zurück als in das zweite Jahrhundert unserer Zeitrechnung und hat ihren Mittelpunkt nicht in Syrien, sondern in Mesopotamien, namentlich in Edessa385, wo wahrscheinlich, anders als in dem älteren römischen Gebiet, sich die Anfänge einer vorchristlichen Literatur in der Landessprache entwickelt hatten.

Unter den mannigfaltigen Bastardformen, welche der Hellenismus in seiner zugleich zivilisierenden und degenerierenden Propaganda angenommen hat, ist die syrohellenische wohl diejenige, in welcher die beiden Elemente am meisten im Gleichgewicht standen, vielleicht aber zugleich diejenige, die die Gesamtentwicklung des Reiches am entschiedensten beeinflußt hat. Die Syrer empfingen wohl die griechische Städteordnung und eigneten sich hellenische Sprache und Sitte an; dennoch hörten sie nie auf, sich als Orientalen zu fühlen oder vielmehr als Träger einer doppelten Zivilisation. Nirgends vielleicht ist dies schärfer ausgesprochen als in dem kolossalen Grabtempel, welchen im ersten Anfang der Kaiserzeit König Antiochos von Kommagene sich auf einem einsamen Berggipfel unweit des Euphrat errichtet hat. Er nennt in der ausführlichen Grabschrift sich einen Perser; im persischen Gewande, wie das Herkommen seines Geschlechts es erheischt, soll der Priester des Heiligtums ihm die Gedächtnisopfer darbringen; aber wie die Perser nennt er auch die Hellenen die gesegneten Wurzeln seines Geschlechts und fleht den Segen aller Götter der Persis wie der Maketis, das heißt des persischen wie des makedonischen Landes auf seine Nachkommen herab. Denn er ist der Sohn eines einheimischen Königs vom Geschlecht der Achämeniden und einer griechischen Fürstentochter aus dem Hause des Seleukos, und dem entsprechend schmückten das Grabmal in langer Doppelreihe die Abbilder einerseits seiner väterlichen Ahnen bis auf den ersten Dareios, andererseits seiner mütterlichen bis zu dem Marschall Alexanders. Die Götter aber, die er verehrt, sind zugleich persisch und griechisch, Zeus Oromasdes, Apollon Mithras Helios Hermes, Artagnes Herakles Ares, und dieses letzteren Bild zum Beispiel trägt die Keule des griechischen Heros und zugleich die persische Tiara. Dieser persische Fürst, der zugleich sich einen Freund der Hellenen und als loyaler Untertan des Kaisers einen Freund der Römer nennt, wie nicht minder jener von Marcus und Lucius auf den Thron von Armenien berufene Achämenide Sohaemos, sind echte Vertreter der einheimischen, die persischen Erinnerungen und die römisch-hellenische Gegenwart gleichmäßig im Sinne tragenden Aristokratie des kaiserlichen Syriens. Aus solchen Kreisen ist der persische Mithraskult in den Okzident gelangt. Aber die Bevölkerung, welche zugleich unter diesem persischen oder sich persisch nennenden Großadel und unter dem Regiment der makedonischen und später der italienischen Herren stand, war in Syrien wie in Mesopotamien und in Babylonien aramäisch; sie erinnert vielfach an die heutigen Rumänen gegenüber den vornehmen Sachsen und Magyaren. Sicher waren sie das verderbteste und das verderbendste Element in dem römisch-hellenischen Völkerkonglomerat. Von dem sogenannten Caracalla, der als Sohn eines afrikanischen Vaters und einer syrischen Mutter in Lyon geboren war, wird gesagt, daß er die Laster dreier Stämme in sich vereinigt habe, die gallische Leichtfertigkeit, die afrikanische Wildheit und die syrische Spitzbüberei.

Diese Durchdringung des Orients und des Hellenismus, die nirgends so vollständig wie in Syrien sich vollzogen hat, tritt uns überwiegend in der Gestalt entgegen, daß in der Mischung das Gute und Edle zugrunde geht. Indes ist dies nicht überall der Fall; die spätere Entwicklung der Religion wie der Spekulation, das Christentum und der Neuplatonismus, sind aus der gleichen Paarung hervorgegangen; wenn mit jenem der Osten in den Westen dringt, so ist dieser die Umgestaltung der okzidentalischen Philosophie im Sinn und Geist des Ostens, eine Schöpfung zunächst des Ägypters Plotinos (204 bis 270) und seines bedeutendsten Schülers, des Tyriers Malchos oder Porphyrios (233 bis nach 300), und dann vorzugsweise in den Städten Syriens gepflegt. Beide welthistorischen Bildungen zu erörtern, ist hier nicht der Platz; vergessen aber dürfen sie auch bei der Würdigung der syrischen Verhältnisse nicht werden.

Die syrische Art findet ihren eminenten Ausdruck in der Hauptstadt des Landes und vor Konstantinopels Gründung des römischen Ostens überhaupt, der Volkszahl nach in dieser Epoche nur hinter Rom und Alexandreia und etwa noch dem babylonischen Seleukeia zurückstehend, Antiocheia, bei welchem es erforderlich scheint, einen Augenblick zu verweilen. Die Stadt, eine der jüngsten Syriens und heutzutage von geringer Bedeutung, ist nicht durch die natürlichen Verkehrsverhältnisse Großstadt geworden, sondern eine Schöpfung monarchischer Politik. Die makedonischen Eroberer haben sie ins Leben gerufen zunächst aus militärischen Rücksichten, als geeignete Zentralstelle für eine Herrschaft, die zugleich Kleinasien, das Euphratgebiet und Ägypten umspannte und auch dem Mittelmeer nahe sein wollte386. Das gleiche Ziel und die verschiedenen Wege der Seleukiden und der Lagiden finden ihren treuen Ausdruck in der Gleichartigkeit und dem Gegensatz von Antiocheia und Alexandreia; wie dieses für die Seemacht und die maritime Politik der ägyptischen Herrscher, so ist Antiocheia der Mittelpunkt für die kontinentale Orientmonarchie der Herrscher Asiens. Zu verschiedenen Malen haben die späteren Seleukiden hier große Neugründungen vorgenommen, so daß die Stadt, als sie römisch wurde, aus vier selbständigen und ummauerten Bezirken bestand, die wieder alle eine gemeinsame Mauer einschloß. Auch an Einwanderern aus der Ferne fehlte es nicht. Als das eigentliche Griechenland unter die Herrschaft der Römer geriet und Antiochos der Große vergeblich versucht hatte, diese dort zu verdrängen, gewährte er wenigstens den auswandernden Euböern und Ätolern in seiner Residenz eine Freistatt. Wie in der Hauptstadt Ägyptens ist auch in derjenigen Syriens den Juden ein gewissermaßen selbständiges Gemeinwesen und eine privilegierte Stellung eingeräumt worden, und ihre Stellung als Zentren der jüdischen Diaspora ist nicht das schwächste Element in der Entwicklung beider Städte geworden. Einmal zur Residenz und zum Sitz der obersten Verwaltung eines großen Reiches gemacht, blieb Antiocheia auch in römischer Zeit die Hauptstadt der asiatischen Provinzen Roms. Hier residierten die Kaiser, wenn sie im Orient verweilten, und regelmäßig der Statthalter von Syrien; hier wurde die Reichsmünze für den Osten geschlagen und hier vornehmlich, daneben in Damaskos und in Edessa befanden sich die Reichswaffenfabriken. Freilich hatte die Stadt für das Römerreich ihre militärische Bedeutung verloren und unter den veränderten Verhältnissen wurde die schlechte Verbindung mit dem Meer als ein großer Übelstand empfunden, nicht so sehr wegen der Entfernung als weil der Hafen, die zugleich mit Antiocheia angelegte Stadt Seleukeia, für den großen Verkehr wenig geeignet war. Ungeheure Summen haben die römischen Kaiser von den Flaviern an bis auf Constantius aufgewandt, um in die diese Örtlichkeit umgebenden Felsenmassen die erforderlichen Docks mit den Zuzugs-Kanälen zu brechen und genügende Molen herzustellen; aber die Kunst der Ingenieure, welcher an der Mündung des Nil die höchsten Würfe glücklich gelangen, rang in Syrien vergeblich mit den unüberwindlichen Schwierigkeiten des Terrains. Selbstverständlich hat die größte Stadt Syriens an der Fabrikation und dem Handel dieser Provinz, wovon noch weiter die Rede sein wird, sich lebhaft beteiligt; dennoch war sie mehr ein Sitz der Verzehrenden als der Erwerbenden. Im ganzen Altertum gab es keine Stadt, in welcher das Genießen des Lebens so sehr die Hauptsache, und dessen Pflichten so beiläufig waren wie in „Antiocheia bei Daphne“, wie die Stadt bezeichnend genannt wird, etwa wie wenn wir sagen würden „Wien beim Prater“. Denn Daphne387 ist der Lustgarten, eine deutsche Meile von der Stadt, von zwei Meilen im Umkreis, berühmt durch seine Lorbeerbäume, wonach er heißt, durch seine alten Zypressen, die noch die christlichen Kaiser zu schonen befahlen, seine fließenden und springenden Wasser, seinen glänzenden Apollotempel und die prachtvolle vielbesuchte Festfeier des 10. August. Die ganze Umgegend der Stadt, die zwischen zwei bewaldeten Bergzügen in dem Tale des wasserreichen Orontes, drei deutsche Meilen aufwärts von der Mündung desselben liegt, ist noch heute trotz aller Vernachlässigung ein blühender Garten und einer der anmutigsten Flecke der Erde. Der Stadt selbst tat es an Pracht und Glanz der öffentlichen Anlagen im ganzen Reiche keine zuvor. Die Hauptstraße, welche in der Ausdehnung von 36 Stadien, nahezu einer deutschen Meile, mit einer bedeckten Säulenhalle zu beiden Seiten und in der Mitte einem breiten Fahrweg, die Stadt in gerader Richtung längs des Flusses durchschnitt, ist in vielen antiken Städten nachgeahmt worden, aber hat ihresgleichen nicht einmal in dem kaiserlichen Rom. Wie in jedem guten Hause in Antiocheia das Wasser lief388, so wandelte man in jenen Hallen durch die ganze Stadt zu allen Jahrzeiten geschützt vor Regen wie vor Sonnenglut, auch des Abends in erleuchteten Straßen, was sonst von keiner Stadt des Altertums berichtet wird389.

Aber in diesem üppigen Treiben fanden die Musen sich nicht zurecht; der Ernst der Wissenschaft und die nicht minder ernste Kunst haben in Syrien und namentlich in Antiocheia niemals rechte Pflege gefunden. Wie vollkommen analog Ägypten und Syrien sonst sich entwickelt hatten, so scharf war ihr Gegensatz in literarischer Hinsicht: diesen Teil der Erbschaft des großen Alexanders traten die Lagiden allein an. Pflegten sie die hellenische Literatur und förderten wissenschaftliche Forschung in aristotelischem Sinn und Geist, so haben die besseren Seleukiden wohl durch ihre politische Stellung den Griechen den Orient erschlossen – Seleukos‘ I. Sendung des Megasthenes nach Indien an König Tschandragupta und die Erkundung des Kaspischen Meeres durch seinen Zeitgenossen, den Admiral Patrokles, haben in dieser Hinsicht Epoche gemacht; aber von unmittelbarem Eingreifen in die literarischen Interessen von seiten der Seleukiden weiß die Geschichte der griechischen Literatur nichts weiter zu melden, als daß Antiochos der sogenannte Große den Dichter Euphorion zu seinem Bibliothekar gemacht hat. Vielleicht darf die Geschichte der lateinischen Literatur für Berytus, die lateinische Insel im Meer des orientalischen Hellenismus, den Ernst wissenschaftlicher Arbeit in Anspruch nehmen. Es ist vielleicht kein Zufall, daß die Reaktion gegen die literarisch modernisierende Tendenz der julisch-claudischen Epoche und die Zurückführung der Sprache und der Schriften der republikanischen Zeit in die Schule wie in die Literatur ausgegangen ist von einem dem Mittelstand angehörigen Berytier, dem Marcus Valerius Probus, welcher in den zurückgebliebenen Schulen seiner entlegenen Heimat noch an den alten Klassikern sich gebildet hatte und dann in energischer, mehr kritisch schriftstellerischer als eigentlich lehrender Tätigkeit für den Klassizismus der späteren Kaiserzeit den Grund legte. Dasselbe Berytos ist später der Sitz des Studiums der für die Beamtenlaufbahn erforderlichen Rechtswissenschaft für den ganzen Osten geworden und die ganze Kaiserzeit hindurch geblieben. In der hellenischen Literatur sind freilich die Poesie des Epigramms und der Witz des Feuilletons in Syrien zu Hause; mehrere der namhaftesten griechischen Kleindichter, wie Meleagros und Philodemos von Gadara und Antipatros von Sidon, sind Syrer und in sinnlichem Reiz wie in raffinierter Verskunst unübertroffen; und der Vater der Feuilletonliteratur ist Menippos von Gadara. Aber diese Leistungen liegen meistens vor und zum Teil beträchtlich vor der Kaiserzeit. In der griechischen Literatur dieser Epoche ist keine Landschaft so geringfügig vertreten wie die syrische, und Zufall ist dies schwerlich, wenngleich bei der universalen Stellung des Hellenismus in der Kaiserzeit auf die Heimat der einzelnen Schriftsteller nicht allzu viel Gewicht gelegt werden darf. Dagegen hatte die in dieser Epoche um sich greifende untergeordnete Schriftstellerei, die gedanken- und formlosen Liebes-, Räuber-, Piraten-, Kuppler-, Wahrsager- und Traumgeschichten und die Fabelreisen wahrscheinlich eben hier ihren Hauptsitz. Unter den Kollegen des schon genannten Iamblichos, Verfassers der babylonischen Geschichte, werden die Landsleute desselben zahlreich gewesen sein; die Berührung dieser griechischen Literatur mit der gleichartigen orientalischen ist wohl ohne Zweifel durch die Syrer vermittelt worden. Das Lügen brauchten die Griechen freilich nicht von den Orientalen zu lernen; aber die nicht mehr plastische, sondern phantastische Fabulierung ihrer späteren Zeit ist aus Scheherazades Füllhorn, nicht aus dem Scherz der Chariten erwachsen. Vielleicht nicht zufällig macht die Satire dieser Zeit, indem sie den Homer als den Vater der Lügenreisen betrachtet, denselben zu einem Babylonier mit eigentlichem Namen Tigranes. Abgesehen von dieser Unterhaltungslektüre, deren auch die sich einigermaßen schämten, die damit schreibend oder lesend die Zeit verdarben, ist aus diesen Gegenden kaum ein anderer hervorragender Name zu nennen als der Zeitgenosse jenes Iamblichos, der Kommagener Lukianos. Auch er hat nichts geschrieben als in Nachahmung des Menippos Essays und Feuilletons, recht nach syrischer Art, witzig und lustig in der persönlichen Persiflage, aber wo diese zu Ende ist, unfähig, die ernste Wahrheit lachend zu sagen oder gar die Plastik der Komik zu handhaben. Diesem Volke galt nur der Tag. Keine griechische Landschaft hat so wenig Denksteine aufzuweisen wie Syrien; das große Antiocheia, die dritte Stadt des Reiches, hat, um von dem Lande der Hieroglyphen und der Obelisken nicht zu reden, weniger Inschriften hinterlassen als manches kleine afrikanische oder arabische Dorf. Mit Ausnahme des Rhetors Libanios aus der Zeit Julians, welcher auch mehr bekannt ist als bedeutend, hat diese Stadt der Literatur keinen einzigen Schriftstellernamen geliefert. Nicht mit Unrecht nannte der tyanitische Messias des Heidentums oder sein für ihn redender Apostel die Antiochener ein ungebildetes und halb barbarisches Volk und meinte, daß Apollon wohl tun werde, sie auch wie ihre Daphne zu verwandeln; denn in Antiocheia verständen wohl die Zypressen zu flüstern, aber nicht die Menschen zu reden. In dem künstlerischen Kreis hat Antiocheia eine führende Stellung nur gehabt in Betreff des Theaters und der Spiele überhaupt. Die Vorstellungen, welche das antiochenische Publikum fesselten, waren, nach der Sitte dieser Zeit, weniger eigentlich dramatische als rauschende Musikaufführungen, Ballette, Tierhetzen und Fechterspiele. Das Klatschen oder Zischen dieses Publikums entschied den Ruf des Tänzers im ganzen Reich. Die Jockeys und die sonstigen Circus- und Theaterhelden kamen vorzugsweise aus Syrien390. Die Ballettänzer und die Musiker sowie die Gaukler und Possenreißer, welche Lucius Verus von der – seinerseits in Antiocheia abgemachten – orientalischen Kampagne nach Rom zurückbrachte, haben in der Geschichte des italischen Schauspielwesens Epoche gemacht. Mit welcher Leidenschaft das Publikum in Antiocheia diesem Vergnügen sich hingab, dafür ist charakteristisch, daß der Überlieferung nach die schwerste Katastrophe, welche in dieser Periode über Antiocheia gekommen ist, die Einnahme durch die Perser im Jahre 260, die Bürger der Stadt im Theater überraschte und von der Höhe des Berges, an welchen dasselbe angelehnt war, die Pfeile in die Reihen der Zuschauer flogen. In Gaza, der südlichsten Stadt Syriens, wo das Heidentum an dem berühmten Marnas-Tempel eine feste Burg besaß, liefen am Ende des 4. Jahrhunderts bei den Rennspielen die Pferde eines eifrigen Heiden und eines eifrigen Christen, und als dabei „Christus den Marnas schlug“, da, erzählt der heilige Hieronymus, ließen zahlreiche Heiden sich taufen.

In Zügellosigkeit der Sitte wetteiferten zwar die Großstädte des Römischen Reiches alle; aber der Preis gebührt hierin wahrscheinlich Antiocheia. Der ehrbare Römer, den der derbe Sittenmaler der traianischen Zeit schildert, wie er seiner Heimat den Rücken wendet, weil sie eine Griechenstadt geworden, setzt hinzu, daß von dem Unrat die Achäer der geringste Teil seien; längst habe der syrische Orontes sich in den Tiberfluß ergossen und seine Sprache und seine Art, seine Musikanten, Harfenistinnen, Triangelschlägerinnen und die Scharen seiner Freudenmädchen über Rom ergossen. Von der syrischen Flötistin, der Ambubaia391, sprachen die Römer Augusts wie wir von der Pariser Kokotte. In den syrischen Städten, sagt schon in der letzten Zeit der römischen Republik Poseidonios, ein bedeutender, selbst in dem syrischen Apameia heimischer Schriftsteller, haben die Bürger der harten Arbeit sich entwöhnt; man denkt dort nur an Schmausen und Zechen, und alle Reunionen und Kränzchen dienen diesem Zweck; an der königlichen Tafel wird jedem Gast ein Kranz aufgesetzt und dieser dann mit babylonischen Parfüms besprengt; Flötenspiel und Harfenschlagen schallt durch die Gassen; die Turnanstalten sind in Warmbäder verwandelt – mit letzterem ist die wahrscheinlich in Syrien zuerst aufgekommene und späterhin allgemein gewordene Einrichtung der sogenannten Thermen gemeint, die im wesentlichen eine Verbindung von Turn- und Warmbadanstalten waren. Vierhundert Jahre später ging es in Antiocheia nicht anders zu. Nicht so sehr um des Kaisers Bart entspann sich der Zank zwischen Julian und diesen Städtern, sondern weil er in dieser Stadt der Kneipen, die, wie er sich ausdrückt, nichts im Sinne habe als Tanzen und Trinken, den Wirten die Preise regulierte. Von dieser wüsten und sinnlichen Wirtschaft ist auch und vor allem das religiöse Wesen der syrischen Landschaft durchdrungen. Der Kultus der syrischen Götter war oft eine Sukkursale des syrischen Bordells392.

Es würde ungerecht sein, die römische Regierung für diese syrischen Zustände verantwortlich zu machen; sie sind dieselben unter dem Diadochenregiment gewesen und auf die Römer nur vererbt. Aber in der Geschichte dieser Zeit ist das syrohellenische Element ein wesentlicher Faktor, und obwohl sein indirekter Einfluß bei weitem mehr ins Gewicht fällt, hat dasselbe doch auch mehrfach unmittelbar in der Politik sich bemerklich gemacht. Von eigentlicher politischer Parteiung kann bei den Antiochenern dieser und jeder Zeit noch weniger die Rede sein als bei den Bürgerschaften der übrigen Großstädte des Reiches; aber im Mokieren und Räsonnieren haben sie es allem Anschein nach allen übrigen, selbst den auch hierin mit ihnen wetteifernden Alexandrinern zuvorgetan. Revolution gemacht haben sie nie, aber jeden Prätendenten, den die syrische Armee aufstellte, bereitwillig und ernstlich unterstützt, den Vespasianus gegen Vitellius, den Cassius gegen Marcus, den Niger gegen Severus, immer bereit, wo sie Rückhalt zu haben meinten, der bestehenden Regierung den Gehorsam aufzukündigen. Das einzige Talent, das ihnen unwidersprochen zukommt, die Meisterschaft des Spottens, übten sie nicht bloß gegen die Schauspieler ihrer Bühne, sondern nicht minder gegen die in der Residenz des Orients verweilenden Herrscher, und der Spott war ganz der gleiche gegen den Akteur wie gegen den Kaiser: er galt der persönlichen Erscheinung und den individuellen Eigentümlichkeiten, gleich als ob ihr Landesherr auch nur da sei, um sie mit seiner Rolle zu amüsieren. So bestand zwischen dem Publikum von Antiocheia und den Herrschern, namentlich denjenigen, die längere Zeit daselbst verweilten, Hadrian, Verus, Marcus, Severus, Julian, sozusagen ein dauernder Hohnkrieg, aus welchem ein Aktenstück, die Replik des letztgenannten Kaisers gegen die antiochenischen „Bartspötter“, noch heute erhalten ist. Wenn dieser kaiserliche Literat den Spottreden mit Spottschriften begegnete, so haben zu anderen Zeiten die Antiochener ihre schlimmen Reden und ihre übrigen Sünden schwerer zu büßen gehabt. So entzog ihnen Hadrian das Recht der Silberprägung, Marcus das Versammlungsrecht und schloß auf einige Zeit das Theater. Severus nahm sogar der Stadt den Primat von Syrien und übertrug diesen auf das in stetem Nachbarkrieg mit der Hauptstadt stehende Laodikeia; und wenn diese beiden Anordnungen bald wieder zurückgenommen wurden, so ist die Teilung der Provinz, welche bereits Hadrian angedroht hatte, unter Severus, wie gesagt ward, zur Ausführung gekommen, und nicht zum wenigsten deswegen, weil die Regierung die unbotmäßige Großstadt demütigen wollte. Selbst den schließlichen Untergang hat diese Stadt sich herangespottet. Als im Jahre 540 der Perserkönig Chosroes Nuschirwan vor den Mauern Antiocheias erschien, wurde er von den Zinnen derselben nicht bloß mit Pfeilschüssen empfangen, sondern mit den üblichen unflätigen Spottrufen; und dadurch gereizt, erstürmte der König nicht bloß die Stadt, sondern führte auch ihre Einwohner hinweg in das von ihm unweit Ktesiphon angelegte Neu-Antiocheia.

Die glänzende Seite der syrischen Zustände ist die ökonomische; in Fabrikation und Handel nimmt Syrien neben Ägypten unter den Provinzen des römischen Kaiserreichs den ersten Platz ein und behauptet in gewisser Beziehung auch vor Ägypten den Vorrang. Die Bodenkultur gedieh unter dem dauernden Friedensstand und unter der einsichtigen, namentlich auf Hebung der Bewässerung gerichteten Verwaltung in einem Umfang, der die heutige Zivilisation beschämt. Freilich sind manche Teile Syriens noch heute von üppigster Fülle; das Tal des unteren Orontes, den reichen Garten um Tripolis mit seinen Palmengruppen, Orangenhainen, Granat- und Jasmingebüschen, die fruchtbare Küstenebene nord- und südwärts von Gaza haben weder die Beduinen noch die Paschas bis jetzt vermocht zu veröden. Aber ihr Werk ist dennoch nicht gering anzuschlagen. Apameia im mittleren Tal des Orontes, jetzt eine Felsenwildnis ohne Fluren und Bäume, wo die dürftigen Herden auf den spärlichen Weideplätzen von den Räubern des Gebirges dezimiert werden, ist weit und breit mit Ruinen besät, und es ist urkundlich bezeugt, daß unter dem Statthalter Syriens Quirinius, demselben, den die Evangelien nennen, diese Stadt mit Einschluß des Gebiets 117000 freie Einwohner gezählt hat. Ohne Frage ist einst das ganze Tal des wasserreichen Orontes – schon bei Hemesa ist er 30 bis 40 Meter breit und 1½ bis 3 Meter tief – eine große Kulturstätte gewesen. Aber auch von den Strichen, die jetzt völlige Wüste sind und wo dem heutigen Reisenden das Leben und Gedeihen des Menschen unmöglich scheint, war ein beträchtlicher Teil ehemals das Arbeitsfeld rühriger Arme. Östlich von Hemesa, wo jetzt kein grünes Blatt und kein Tropfen Wasser ist, haben sich massenweise die schweren Basaltplatten ehemaliger Ölpressen gefunden. Während heute nur in den quelligen Tälern des Libanos spärliche Oliven wachsen, müssen einst die Ölwälder weit über das Orontestal hinausgegangen sein. Wer jetzt von Hemesa nach Palmyra reist, führt das Wasser auf dem Rücken der Kamele mit sich, und diese ganze Wegstrecke ist bedeckt mit den Resten einstmaliger Villen und Dörfer393. Den Marsch Aurelians auf dieser Strecke vermöchte jetzt keine Armee zu unternehmen. Von dem, was heutzutage Wüste heißt, ist ein guter Teil vielmehr Verwüstung der gesegneten Arbeit besserer Zeiten. „Ganz Syrien“, sagt eine Erdbeschreibung aus der Mitte des 4. Jahrhunderts, „hat Überfluß an Getreide, Wein und Öl.“ Aber ein eigentliches Exportland für die Bodenfrüchte, wie Ägypten und Afrika, ist Syrien auch im Altertum nicht gewesen, wenn auch die edlen Weine, zum Beispiel der von Damaskos nach Persien, die von Laodikeia, Askalon, Gaza nach Ägypten und von da aus bis nach Äthiopien und Indien versandt wurden, und auch die Römer den Wein von Byblos, von Tyros, von Gaza zu schätzen wußten.

Weit mehr ins Gewicht fielen für die allgemeine Stellung der Provinz die syrischen Fabriken. Eine Reihe von Industrien, die eben für den Export in Betracht kommen, sind hier heimisch, insbesondere von Leinen, von Purpur, von Seide, von Glas. Die Flachsweberei, von alters her in Babylonien zu Hause, ist von da früh nach Syrien verpflanzt worden; „ihr Leinen“, sagt jene Erdbeschreibung, „versenden Skytopolis (in Palästina), Laodikeia, Byblos, Tyros, Berytos in die ganze Welt“, und in dem Tarifgesetz Diocletians werden dem entsprechend als feine Leinenwaren die der drei erstgenannten Städte neben denen des benachbarten Tarsos und ägyptischen aufgeführt, und die syrischen haben vor allen den Vorrang. Daß der Purpur von Tyros, so viele Konkurrenten ihm auch entstanden, stets den ersten Platz behauptet hat, ist bekannt; und neben der tyrischen gab es in Syrien zahlreiche ebenfalls berühmte Purpurfärbereien an der Küste ober- und unterhalb Tyros, in Sarepta, Dora, Caesarea, selbst im Binnenland, in dem palästinensischen Neapolis und in Lydda. Die Rohseide kam in dieser Epoche aus China und vorzugsweise über das Kaspische Meer, also nach Syrien; verarbeitet ward sie hauptsächlich in den Fabriken von Berytos und von Tyros, in welchem letzteren Orte besonders auch die viel gebrauchte und hoch bezahlte Purpurseide hergestellt ward. Die Glasfabriken von Sidon behaupteten in der Kaiserzeit ihren uralten Ruf, und zahlreiche Glasgefäße unserer Museen tragen den Stempel eines sidonischen Fabrikanten. Zu dem Vertrieb dieser Waren, die ihrer Natur nach dem Weltmarkt angehörten, kam weiter die ganze Warenmasse, welche aus dem Orient auf den Euphratstraßen in das Abendland gelangte. Freilich wendete der arabische und der indische Import in dieser Zeit sich von dieser Straße ab und nahm hauptsächlich den Weg über Ägypten; aber nicht bloß der mesopotamische Verkehr blieb notwendig den Syrern, sondern es standen auch die Emporien der Euphratmündung in regelmäßigem Karawanenverkehr mit Palmyra und bedienten sich also der syrischen Häfen. Wie bedeutend dieser Verkehr mit den östlichen Nachbarn war, zeigt nichts so deutlich wie die gleichartige Silberprägung im römischen Orient und im parthischen Babylonien; in den Provinzen Syrien und Kappadokien prägte die römische Regierung Silber, abweichend von der Reichswährung, auf die Sorten und auf den Fuß des Nachbarreiches. Die syrische Fabrikation selbst, zum Beispiel von Leinen und Seide, ist eben durch den Import der gleichartigen babylonischen Handelsartikel angeregt worden, und wie diese, so sind auch die Leder- und die Pelzwaren, die Salben, die Spezereien, die Sklaven des Orients während der Kaiserzeit zu einem sehr beträchtlichen Teil über Syrien nach Italien und überhaupt dem Westen gekommen. Das aber ist diesen Ursitzen des Handelsverkehrs immer geblieben, daß die sidonischen Männer und ihre Landesgenossen, hierhin sehr verschieden von den Ägyptern, ihre Waren nicht bloß den Ausländern verkauften, sondern sie ihnen selber brachten, und wie die Schiffskapitäne in Syrien einen hervorragenden und geachteten Stand bildeten394, so waren syrische Kaufleute und syrische Faktoreien in der Kaiserzeit ungefähr ebenso überall zu finden wie in den fernen Zeiten, von denen Homer erzählt. Die Tyrier hatten derzeit Faktoreien in den beiden großen Importhäfen Italiens, Ostia und Puteoli, und wie diese selbst in ihren Urkunden ihre Anstalten als die größten und stattlichsten dieser Art bezeichnen, so wird in der öfter angeführten Erdbeschreibung Tyros für Handel und Verkehr der erste Platz des Orients genannt395; ebenso hebt Strabon bei Tyros und bei Arados die ungewöhnlich hohen, aus vielen Stockwerken bestehenden Häuser als eine Besonderheit hervor. Ähnliche Faktoreien haben auch Berytos und Damaskos und gewiß noch viele andere syrische und phönikische Handelsstädte in den italienischen Häfen gehabt396

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Die Verhältnisse der Juden in der römischen Kaiserzeit sind so eigenartig und man möchte sagen so wenig abhängig von der Provinz, die in der früheren Kaiserzeit mit ihrem, in der späteren vielmehr mit dem wiedererweckten Namen der Philistäer oder Palästinenser benannt ward, daß es, wie schon gesagt ward, angemessen erschien, diese in einem besonderen Abschnitt zu behandeln. Das Wenige, was über das Land Palästina zu bemerken ist, insbesondere die nicht unbedeutende Beteiligung der Küsten- und zum Teil auch der binnenländischen Städte an der syrischen Industrie und dem syrischen Handel, ist in der darüber gegebenen Auseinandersetzung miterwähnt worden. Die jüdische Diaspora hatte schon vor der Zerstörung des Tempels sich in einer Weise erweitert, daß Jerusalem, auch als es noch stand, mehr ein Symbol als eine Heimat war, ungefähr wie die Stadt Rom für die sogenannten römischen Bürger der späteren Zeit. Die Juden von Antiocheia und Alexandreia und die zahlreichen ähnlichen Gemeinschaften minderen Rechts und geringeren Ansehens haben sich selbstverständlich an dem Handel und Verkehr ihrer Wohnsitze beteiligt. Ihr Judentum kommt dabei nur etwa insofern in Betracht, als die Gefühle gegenseitigen Hasses und gegenseitiger Verachtung, wie sie seit Zerstörung des Tempels und den mehrfach sich wiederholenden national-religiösen Kriegen zwischen Juden und Nichtjuden sich entwickelt oder vielmehr gesteigert hatten, auch in diesen Kreisen ihre Wirkung geübt haben werden. Da die im Ausland sich aufhaltenden syrischen Kaufleute sich zunächst für den Kultus ihrer heimatlichen Gottheiten zusammenfanden, so kann der syrische Jude in Puteoli den dortigen syrischen Kaufmannsgilden nicht wohl angehört haben; und wenn der Kult der syrischen Götter im Ausland mehr und mehr Anklang fand, so zog, was den übrigen Syrern zugute kam, zwischen den mosaisch-gläubigen Syrern und den Italikern eine Schranke mehr. Schlossen sich diejenigen Juden, die eine Heimat außer Palästina gefunden hatten, außerhalb derselben nicht ihren Wohnsitz-, sondern ihren Religionsgenossen an, wie das nicht hat anders sein können, so verzichteten sie damit auf die Geltung und die Duldung, welche den Alexandrinern und den Antiochenern und so weiter im Ausland entgegenkam, und wurden genommen, wie sie sich gaben, als Juden. Die palästinensischen Juden des Okzidents aber waren zum größten Teil nicht hervorgegangen aus der kaufmännischen Emigration, sondern kriegsgefangene Leute oder Nachkommen solcher und in jeder Hinsicht heimatlos; die Pariastellung, welche die Kinder Abrahams vor allem in der römischen Hauptstadt einnahmen, der Betteljude, dessen Hausrat in dem Heubündel und dem Schacherkorb besteht und dem kein Verdienst zu gering und zu gemein ist, knüpft an den Sklavenmarkt an. Unter diesen Umständen begreift es sich, weshalb im Okzident die Juden während der Kaiserzeit neben den Syrern eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Die religiöse Gemeinschaft der kaufmännischen und der Proletariereinwanderung drückte auf die Gesamtheit der Juden noch neben der allgemeinen mit ihrer Stellung verbundenen Zurücksetzung. Mit Palästina aber hat jene wie diese Diaspora wenig zu schaffen.

Es bleibt noch ein Grenzgebiet zu betrachten, von dem nicht häufig die Rede ist und das dennoch wohl Berücksichtigung verdient: es ist die römische Provinz Arabia. Sie führt ihren Namen mit Unrecht; der Kaiser, der sie eingerichtet hat, Traianus, war ein Mann großer Taten, aber noch größerer Worte. Die arabische Halbinsel, weiche das Euphratgebiet wie das Niltal voneinander scheidet, regenarm, ohne Flüsse, allerseits mit felsiger und hafenarmer Küste, ist für den Ackerbau wie für den Handel wenig geeignet und in alter Zeit zum weitaus größten Teil den nicht seßhaften Wüstenbewohnern zum unbestrittenen Erbteil verblieben. Insonderheit die Römer, welche überhaupt in Asien wie in Ägypten besser als irgendeine andere der wechselnden Vormächte es verstanden haben, ihren Besitz zu beschränken, haben niemals auch nur versucht, die arabische Halbinsel zu unterwerfen. Ihre wenigen Unternehmungen gegen den südöstlichen Teil derselben, den produktenreichsten und wegen der Beziehung zu Indien auch für den Handel wichtigsten, werden bei der Erörterung der ägyptischen Verkehrsverhältnisse ihre Darstellung finden. Das römische Arabien umfaßt schon als römischer Klientelstaat und vor allem als römische Provinz nur einen mäßigen Teil vom Norden der Halbinsel, außerdem aber das Land südlich und östlich von Palästina zwischen diesem und der großen Wüste bis über Bostra hinaus. Mit diesem betrachten wir die zu Syrien gehörige Landschaft zwischen Bostra und Damaskos, die jetzt nach dem Haurângebirge benannt zu werden pflegt, nach der alten Bezeichnung Trachonitis und Batanaea.

Diese ausgedehnten Gebiete sind für die Zivilisation nur unter besonderen Verhältnissen zu gewinnen. Das eigentliche Steppenland (Hamâd) östlich von der Gegend, mit der wir uns hier beschäftigen, bis zum Euphrat ist nie von den Römern in Besitz genommen worden und aller Kultur unfähig; nur die schweifenden Wüstenstämme, wie heute zum Beispiel die Aneze, durchziehen dasselbe, um ihre Rosse und ihre Kamele im Winter am Euphrat, im Sommer in den Gebirgen südlich von Bostra zu weiden und oft mehrmals im Jahre die Trift zu wechseln. Schon auf einem höheren Grade der Kultur stehen westwärts der Steppe die seßhaften Hirtenstämme, die namentlich Schafzucht in großer Ausdehnung betreiben. Aber auch für den Ackerbau ist in diesen Strecken vielfach Raum. Die rote Erde des Haurân, zersetzte Lava, erzeugt im Urzustand viel wilden Roggen, wilde Gerste und wilden Hafer und bestellt den schönsten Weizen. Einzelne Tieftäler mitten zwischen den Steinwüsten, wie das „Saatfeld“, die Ruhbe, in der Trachonitis, sind die fruchtbarsten Strecken in ganz Syrien; ohne daß gepflügt, geschweige denn gedüngt wird, trägt der Weizen durchschnittlich achtzig-, die Gerste hundertfältig und 26 Halme von einem Weizenkorn sind keine Seltenheit. Dennoch bildet sich hier kein fester Wohnsitz, da in den Sommermonaten die große Hitze und der Mangel an Wasser und Weide die Bewohner zwingt, nach den Gebirgsweiden des Haurân zu wandern. Aber auch an Gelegenheit zu fester Ansiedelung fehlt es nicht. Das von dem Baradâfluß in vielfachen Armen durchströmte Gartenrevier um die Stadt Damaskos und die fruchtbaren, noch heute volkreichen Bezirke, die dasselbe nach Osten, Norden und Süden einschließen, waren in alter wie in neuer Zeit die Perle Syriens. Die Ebene um Bostra, namentlich westlich davon die sogenannte Nukra, ist heute für Syrien die Kornkammer, obgleich durch Regenmangel durchschnittlich jede vierte Ernte verlorengeht und die aus der nahen Wüste oftmals einbrechenden Heuschrecken eine unvertilgbare Landplage bleiben. Wo immer die Wasserläufe der Gebirge in die Ebene geführt werden, blüht unter ihnen das frische Leben auf. „Die Fruchtbarkeit dieser Landschaft“, sagt ein genauer Kenner, „ist unerschöpflich; und noch heutigentags, wo die Nomaden dort weder Baum noch Strauch übrig gelassen haben, gleicht das Land, so weit das Auge reicht, einem Garten.“ Auch auf den Lavaplateaus der gebirgigen Strecken haben die Lavaströme nicht wenige Stellen (Kâ‘ im Aurân genannt) für den Anbau freigelassen.

Diese Naturbeschaffenheit hat regelmäßig die Landschaft den Hirten und den Räubern überliefert. Die notwendige Unstetigkeit eines großen Teils der Bevölkerung führt zu ewigen Fehden namentlich um die Weideplätze und zu stetigen Überfällen derjenigen Gegenden, die sich für feste Ansiedlung eignen; mehr noch als anderswo bedarf es hier der Bildung solcher staatlicher Gewalten, die imstande sind, in weiterem Umfange Ruhe und Frieden zu schaffen, und für diese fehlt in der Bevölkerung die rechte Unterlage. Es gibt in der weiten Welt kaum eine Landschaft, wo gleich wie in dieser die Zivilisation nicht aus sich selbst erwachsen, sondern allein durch übermächtige Eroberung von außen her ins Leben gerufen werden kann. Wenn Militärstationen die schweifenden Stämme der Wüste eindämmen und diejenigen innerhalb der Kulturgrenze zum friedlichen Hirtenleben zwingen, wenn in die kulturfähigen Gegenden Kolonisten geführt und die Wasser der Berge von Menschenhand in die Ebene geleitet werden, so, aber auch nur so, gedeiht hier fröhliches und reichliches Leben.

Die vorrömische Zeit hatte diesen Landschaften solchen Segen nicht gebracht. Die Bewohner des gesamten Gebiets gehören bis gegen Damaskos hin zu dem arabischen Zweig des großen semitischen Stammes; die Personennamen wenigstens sind durchgängig arabisch. Es begegneten sich in demselben, wie in dem nördlichen Syrien, orientalische und okzidentalische Zivilisation; doch hatten bis zu der Kaiserzeit beide nur geringe Fortschritte gemacht. Die Sprache und die Schrift, deren die Nabatäer sich bedienen, sind die Syriens und der Euphratländer und können nur von dort her den Eingeborenen zugekommen sein. Andererseits erstreckte die griechische Festsetzung in Syrien sich zum Teil wenigstens auch auf diese Landschaften. Die große Handelsstadt Damaskos war mit dem übrigen Syrien griechisch geworden. Auch in das transjordanische Gebiet, insbesondere in die nördliche Dekapolis hatten die Seleukiden die griechische Städtegründung getragen; weiter südlich war hier wenigstens das alte Rabbath Ammon durch die Lagiden die Stadt Philadelpheia geworden. Aber weiter abwärts und in den östlichen, an die Wüste grenzenden Strichen hatten die nabatäischen Könige nicht viel mehr als dem Namen nach den syrischen oder den ägyptischen Alexandriden gehorcht, und Münzen oder Inschriften und Bauwerke, welche dem vorrömischen Hellenismus beigelegt werden könnten, sind hier nirgends zum Vorschein gekommen.

Als Syrien römisch ward, war Pompeius bemüht, das hellenische Städtewesen, das er vorfand, zu festigen; wie denn die Städte der Dekapolis späterhin von dem Jahre 690/1 (64/63), in dem Palästina zum Reich gekommen war, ihre Jahre zählten399. Hauptsächlich aber blieb in diesem Gebiet das Regiment wie die Zivilisierung den beiden Vasallenstaaten, dem jüdischen und dem arabischen, überlassen.

Von dem König der Juden, Herodes und seinem Hause, wird anderweitig noch die Rede sein; hier haben wir seiner Tätigkeit zu gedenken für die Ausdehnung der Zivilisation gegen Osten. Sein Herrschaftsgebiet erstreckte sich über beide Ufer des Jordan in seiner ganzen Ausdehnung, nordwärts bis wenigstens nach Chelbon, nordwestlich von Damaskos, südlich bis an das Tote Meer, während die Landschaft weiter östlich zwischen seinem Reich und der Wüste dem Araberkönig überwiesen war. Er und seine Nachkommen, die hier noch nach der Einziehung der Herrschaft von Jerusalem bis auf Traian das Regiment führten und späterhin in Ceasarea Paneas im südlichen Libanos residierten, waren energisch bemüht, die Eingeborenen zu zähmen. Die ältesten Zeugnisse einer gewissen Kultur in diesen Gegenden sind wohl die Höhlenstädte, von denen im Buch der Richter die Rede ist, große unterirdische, durch Luftlöcher bewohnbar gemachte Samtverstecke mit Gassen und Brunnen, geeignet, Menschen und Herden zu bergen, schwer zu finden und auch gefunden schwer zu bezwingen. Ihr bloßes Dasein zeigt die Vergewaltigung der friedlichen Bewohner durch die unsteten Söhne der Steppe. „Diese Striche“, sagt Josephus, wo er die Zustände im Haurân unter Augustus schildert, „wurden bewohnt von wilden Stämmen ohne Städte und ohne feste Äcker, welche mit ihren Herden unter der Erde in Höhlen mit schmalem Eingang und weiten verschlungenen Gassen hausten, aber mit Wasser und Vorräten reichlich versehen, schwer zu bezwingen waren.“ Einzelne dieser Höhlenstädte fassen bis 400 Köpfe. Ein merkwürdiges Edikt des ersten oder zweiten Agrippa, wovon sich Bruchstücke in Kanatha (Kanawât) gefunden haben, fordert die Einwohner auf, von ihren „Tierzuständen“ zu lassen und das Höhlenleben mit zivilisierter Existenz zu vertauschen. Die nicht ansässigen Araber lebten hauptsächlich vom Ausplündern teils der benachbarten Bauern, teils der durchziehenden Karawanen; die Unsicherheit wurde dadurch gesteigert, daß der kleine Fürst Zenodoros von Abila nordwärts Damaskos im Antilibanos, dem Augustus die Aufsicht über den Trachon übertragen hatte, es vorzog, mit den Räubern gemeinschaftliche Sache zu machen, und sich an ihrem Gewinn im stillen beteiligte. Eben infolgedessen wies der Kaiser dies Gebiet dem Herodes zu, und dessen rücksichtsloser Energie gelang einigermaßen die Bändigung dieser Räuberwirtschaft. Der König scheint an der Ostgrenze eine Linie befestigter und königlichen Kommandanten (έπαρχοι) unterstellter Militärposten eingerichtet zu haben. Er hätte noch mehr erreicht, wenn das nabatäische Gebiet den Räubern nicht eine Freistatt geboten hätte; es war dies eine der Ursachen der Entzweiung zwischen ihm und seinem arabischen Kollegen400. Die hellenisierende Tendenz tritt auf diesem Gebiete ebenso stark und minder unerfreulich hervor wie in seinem Regiment in der Heimat. Wie alle Münzen des Herodes und der Herodeer griechisch sind, so trägt im transjordanischen Land zwar das älteste Denkmal mit Inschrift, das wir kennen, der Tempel des Baalsamin bei Kanatha, eine aramäische Dedikation; aber die dort aufgestellten Ehrenbasen, darunter eine für Herodes den Großen401, sind zweisprachig oder bloß griechisch; unter seinen Nachfolgern herrscht das Griechische allein.

Neben dem jüdischen stand der schon früher erwähnte „König von Nabat“, wie er selber sich nennt. Die Residenz dieser Araberfürsten war die „Felsenstadt“, aramäisch Sela, griechisch Petra, eine mittwegs zwischen dem Toten Meere und der nordöstlichen Spitze des Arabischen Meerbusens gelegene Felsenburg, von jeher ein Stapelplatz für den Verkehr Indiens und Arabiens mit dem Mittelmeergebiet. Von der arabischen Halbinsel besaßen diese Herrscher die nördliche Hälfte; ihre Gewalt erstreckte sich am Arabischen Meerbusen bis nach Leuke Kome gegenüber der ägyptischen Stadt Berenike, im Binnenland wenigstens bis in die Gegend des alten Thaema402. Nördlich von der Halbinsel reichte ihr Gebiet bis nach Damaskos, das unter ihrem Schutze stand403

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Unter Traianus trat an die Stelle dieser beiden Klientelstaaten die unmittelbare römische Herrschaft. Im Anfang seiner Regierung starb König Agrippa II., und es wurde sein Gebiet mit der Provinz Syrien vereinigt. Nicht lange darauf, im Jahre 106, löste der Statthalter Aulus Cornelius Palma das bisherige Reich der Könige von Nabat auf und machte aus dem größeren Teil desselben die römische Provinz Arabia, während Damaskos zu Syrien kam und was der Nabatäerkönig im Binnenland Arabiens besessen hatte, von den Römern aufgegeben ward. Die Einrichtung Arabiens wird als Unterwerfung bezeichnet, und auch die Münzen, welche die Besitzergreifung von Arabien feiern, sprechen dafür, daß die Nabatäer sich zur Wehr setzten, wie denn überhaupt die Beschaffenheit ihres Gebiets sowie ihr bisheriges Verhalten eine relative Selbständigkeit dieser Fürsten annehmen lassen. Aber nicht in dem Kriegserfolg darf die geschichtliche Bedeutung dieser Vorgänge gesucht werden; die beiden ohne Zweifel zusammengehörigen Einziehungen waren nicht mehr als vielleicht mit militärischer Gewalt durchgeführte Verwaltungsakte, und die Tendenz, diese Gebiete der Zivilisation und speziell dem Hellenismus zu gewinnen, wird dadurch nur gesteigert, daß die römische Regierung die Arbeit selbst auf sich nimmt. Der Hellenismus des Orients, wie ihn Alexander zusammengefaßt hat, war eine streitende Kirche, eine politisch, religiös, wirtschaftlich, literarisch vordringende, durchaus erobernde Macht. Hier an dem Saum der Wüste, unter dem Druck des antihellenischen Judentums und gehandhabt von dem geistlosen und unsteten Seleukidenregiment, hatte er bisher wenig ausgerichtet. Aber jetzt das Römertum durchdringend, entwickelt er eine treibende Kraft, welche sich zu der früheren verhält wie die Macht der jüdischen und der arabischen Lehnsfürsten zu derjenigen des Römischen Reiches. In diesem Lande, wo alles darauf ankam und ankommt, durch Aufstellung einer überlegenen und ständigen Militärmacht den Friedensstand zu schirmen, war die Einrichtung eines Legionslagers in Bostra unter einem Kommandanten senatorischen Ranges ein epochemachendes Ereignis. Von diesem Mittelpunkt aus wurden an den zweckmäßigen Stellen die erforderlichen Posten eingerichtet und mit Besatzung versehen. Beispielsweise verdient Erwähnung das Kastell -von Namara (Nemâra), einen starken Tagemarsch jenseits der Grenzen des eigentlich bewohnbaren Berglandes, inmitten der Steinwüste, aber gebietend über den einzigen, innerhalb derselben befindlichen Brunnen und die daran sich anschließenden bei der schon erwähnten Oase von Ruhbe und weiterhin am Djebel Ses; diese Besatzungen zusammen beherrschen das gesamte Vorland des Haurân. Eine andere Reihe von Kastellen, dem syrischen Kommando und zunächst dem der bei Danava postierten Legion unterstellt und in gleichmäßigen Distanzen von drei zu drei Stunden angelegt, sicherte die Straße von Damaskos nach Palmyra; das am besten bekannte davon, das zweite in der Reihe, ist das von Dmer, ein längeres Viereck von je 300 und 350 Schritt, auf jeder Seite mit sechs Türmen und einem fünfzehn Schritte breiten Portal versehen und umfaßt von einer einstmals außen mit schönen Quadern bekleideten Ringmauer von sechzehn Fuß Dicke.

Niemals war eine solche Ägide über dieses Land gebreitet worden. Es wurde nicht eigentlich denationalisiert. Die arabischen Namen bleiben bis in die späteste Zeit hinab, wenngleich nicht selten, eben wie in Syrien, dem örtlichen ein römisch-hellenischer beigefügt wird: so nennt sich ein Scheich „Adrianos oder Soaidos, Sohn des Malechos“405. Auch der einheimische Kultus bleibt unangetastet: die Hauptgottheit der Nabatäer, der Dusaris, wird wohl mit dem Dionysos geglichen, aber regelmäßig unter seinem örtlichen Namen auch ferner verehrt, und bis in späte Zeit feiern die Bostrener zu seinen Ehren die Dusarien406. In gleicher Weise werden in der Provinz Arabia dem Aumu oder dem Helios, dem Vasaeathu, dem Theandritos, dem Ethaos auch ferner Tempel geweiht und Opfer dargebracht. Die Stämme und die Stammordnung bleiben nicht minder: die Inschriften nennen Reihen von „Phylen“ einheimischen Namens und öfter Phylarchen oder Ethnarchen. Aber neben der hergebrachten Weise schreitet die Zivilisierung und die Hellenisierung vorwärts. Wenn aus vortraianischer Zeit im Bereich des Nabatäerstaats kein griechisches Denkmal nachgewiesen werden kann, so ist umgekehrt daselbst kein nachtraianisches in der Landessprache gefunden worden407; allem Anschein nach hat die Reichsregierung den Schriftgebrauch des Aramäischen gleich bei der Einziehung unterdrückt, obwohl dasselbe sicher die eigentliche Landessprache blieb, wie dies außer den Eigennamen auch der „Dolmetsch der Steuereinnehmer“ bezeugt.

Über die Hebung des Ackerbaues fehlen uns redende Zeugen; aber wenn auf der ganzen östlichen und südlichen Abdachung des Haurân von den Spitzen des Gebirges bis zur Wüste hin die Steine, mit denen diese vulkanische Ebene einst besät war, zu Haufen geworfen oder in langen Zeilen geschichtet und so die herrlichsten Äcker gewonnen sind, so darf man darin die Hand der einzigen Regierung erkennen, die dieses Land so regiert hat, wie es regiert werden kann und regiert werden sollte. In der Ledjâ, einem dreizehn Stunden langen und acht bis neun breiten Lavaplateau, das jetzt fast menschenleer ist, wuchsen einst Reben und Feigen zwischen den Lavaströmen; quer durch dasselbe führt die Bostra mit Damaskos verbindende Römerstraße; in der Ledjâ und um sie zählt man die Ruinen von 12 größeren und 39 kleineren Ortschaften. Erweislich ist auf Geheiß desselben Statthalters, der die Provinz Arabia eingerichtet hat, der mächtige Aquädukt angelegt worden, welcher das Wasser vom Gebirge des Haurân nach Kanatha (Kerak) in der Ebene führte, und nicht weit davon ein ähnlicher in Arrha (Rahâ), Bauten Traians, die neben dem Hafen von Ostia und dem Forum von Rom genannt werden dürfen. Für das Aufblühen des Handelsverkehrs spricht die Wahl selbst der Hauptstadt der neuen Provinz. Bostra bestand unter der nabatäischen Regierung und es hat sich dort eine Inschrift des Königs Malichu gefunden; aber seine militärische und kommerzielle Bedeutung beginnt mit dem Eintritt des unmittelbaren römischen Regiments. „Bostra“, sagt Wetzstein, „hat unter allen ostsyrischen Städten die günstigste Lage; selbst Damaskos, welches seine Größe der Menge seines Wassers und seiner durch den östlichen Trachon geschützten Lage verdankt, wird Bostra nur unter einer schwachen Regierung überstrahlen, während letzteres unter einem starken und weisen Regiment sich in wenigen Jahrzehnten zu einer märchenhaften Blüte emporschwingen muß. Es ist der große Markt für die syrische Wüste, das arabische Hochgebirge und die Peraea, und seine langen Reihen steinerner Buden legen noch jetzt in der Verödung Zeugnis ab von der Realität einer früheren und der Möglichkeit einer künftigen Größe.“ Die Reste der von dort über Salchat und Ezrak zum Persischen Meerbusen führenden römischen Straße beweisen, daß Bostra neben Petra und Palmyra den Verkehr vom Osten zum Mittelmeer vermittelte. Diese Stadt hat wahrscheinlich schon Traian hellenisch konstituiert; wenigstens heißt sie seitdem „das neue traianische Bostra“, und die griechischen Münzen beginnen mit Plus, während später infolge der Erteilung des Kolonialrechts durch Alexander die Aufschrift lateinisch wird.

Auch Petra hat schon unter Hadrian griechische Stadtverfassung gehabt und noch einzelne andere Ortschaften späterhin Stadtrecht empfangen; überwogen aber hat in diesem Arabergebiet bis in die späteste Zeit der Stamm und das Stammdorf.

Aus der Mischung nationaler und griechischer Elemente entwickelte sich in diesen Landschaften in dem halben Jahrtausend zwischen Traian und Mohammed eine eigenartige Zivilisation. Es ist uns davon ein volleres Abbild erhalten als von anderen Gestaltungen der antiken Welt, indem die zum großen Teil aus dem Felsen herausgearbeiteten Anlagen von Petra und die bei dem Mangel des Holzes ganz aus Stein aufgeführten Bauwerke im Haurân, verhältnismäßig wenig beschädigt durch die mit dem Islam hier wieder in ihr altes Unrecht eingesetzte Beduinenherrschaft, zu einem beträchtlichen Teil noch heute vorhanden sind und auf die Kunstfertigkeit und Lebensweise jener Jahrhunderte helles Licht werfen. Der oben erwähnte Tempel des Baalsamin von Kanatha, sicher unter Herodes gebaut, zeigt in seinen ursprünglichen Teilen eine völlige Verschiedenheit von der griechischen Architektur und in der architektonischen Anlage merkwürdige Analogien mit dem Tempelbau desselben Königs in Jerusalem, während die bei diesem vermiedenen bildlichen Darstellungen hier keineswegs fehlen. Ähnliches ist auch bei den in Petra gefundenen Denkmälern beobachtet worden. Später ging man weiter. Wenn unter den jüdischen und den nabatäischen Herrschern die Kultur nur langsam sich von den Einflüssen des Orients löste, so scheint mit der Verlegung der Legion nach Bostra hier eine neue Zeit begonnen zu haben. „Das Bauen“, sagt ein vortrefflicher französischer Beobachter, Melchior de Vogue, „erhielt damit einen Anstoß, der nicht wieder zum Stillstand kam. Überall erhoben sich Häuser, Paläste, Bäder, Tempel, Theater, Aquädukte, Triumphbogen; Städte stiegen aus dem Boden binnen weniger Jahre mit der regelmäßigen Anlage, den symmetrisch geführten Säulenreihen, die die Städte ohne Vergangenheit bezeichnen und für diesen Teil Syriens während der Kaiserzeit gleichsam die unvermeidliche Uniform sind.“ Die östliche und südliche Abdachung des Haurân weist ungefähr dreihundert derartige verödete Städte und Dörfer auf, während dort jetzt nur fünf neue Ortschaften vorhanden sind; einzelne von jenen, zum Beispiel Bûsân, zählen bis 800 ein- bis zweistöckige Häuser, durchaus aus Basalt gebaut, mit wohlgefügten, ohne Zement verbundenen Quadermauern, meist ornamentierten, oft auch mit Inschriften versehenen Türen, die flache Decke gebildet durch Steinbalken, welche von Steinbogen getragen und oben durch eine Zementlage regenfrei gestellt werden. Die Stadtmauer wird gewöhnlich nur durch die zusammengeschlossenen Rückseiten der Häuser gebildet und ist durch zahlreiche Türme geschützt. Die dürftigen Rekolonisierungsversuche der neuesten Zeiten finden die Häuser bewohnbar vor; es fehlt nur die fleißige Menschenhand oder vielmehr der starke Arm, der sie beschützt. Vor den Toren liegen die oft unterirdischen oder mit künstlichem Steindach versehenen Zisternen, von denen manche noch heute, wo diese Städtewüste zum Weideland geworden ist, von den Beduinen im Stande gehalten werden, um daraus im Sommer ihre Herden zu tränken. Die Bauweise und die Kunstübung haben wohl einzelne Überreste der älteren orientalischen Weise bewahrt, zum Beispiel die häufige Grabform des mit einer Pyramide gekrönten Würfels, vielleicht auch die oft dem Grabmal beigefügten, noch heute in ganz Syrien häufigen Taubentürme, ist aber, im ganzen genommen, die gewöhnliche griechische der Kaiserzeit. Nur hat das Fehlen des Holzes hier eine Entwicklung des Steinbogens und der Kuppel hervorgerufen, die technisch wie künstlerisch diesen Bauten einen originellen Charakter verleiht. Im Gegensatz zu der anderswo üblichen gewohnheitsmäßigen Wiederholung der überlieferten Formen herrscht hier eine den Bedürfnissen und den Bedingungen selbständig genügende, in der Ornamentik maßhaltende, durchaus gesunde und rationelle und auch der Eleganz nicht entbehrende Architektur. Die Grabstätten, welche in die östlich und westlich von Petra aufsteigenden Felswände und in deren Seitentäler eingebrochen sind, mit ihren oft in mehreren Reihen übereinandergestellten dorischen oder korinthischen Säulenfassaden und ihren an das ägyptische Theben erinnernden Pyramiden und Propyläen sind nicht künstlerisch erfreulich, aber imponierend durch Masse und Reichtum. Nur ein reges Leben und ein hoher Wohlstand hat also für seine Toten zu sorgen vermocht. Diesen architektonischen Denkmälern gegenüber befremdet es nicht, wenn die Inschriften eines Theaters in dem „Dorf“ (κώμη) Sakkaea, eines „theaterförmigen Odeons“ in Kanatha Erwähnung tun und ein Lokalpoet von Namara in der Batanaea sich selber feiert als den „Meister der herrlichen Kunst stolzen ausonischen Lieds“408. Also ward an dieser Ostgrenze des Reiches der hellenischen Zivilisation ein Grenzgebiet gewonnen, das mit dem romanisierten Rheinland zusammengestellt werden darf; die Bogen- und Kuppelbauten Ostsyriens halten wohl den Vergleich aus mit den Schlössern und Grabmälern der Edlen und der Kaufherren der Belgica.

Aber es kam das Ende. Von den aus dem Süden hierher einwandernden Araberstämmen schweigt die geschichtliche Überlieferung der Römer, und was die späten Aufzeichnungen der Araber über die der Ghassaniden und deren Vorläufer berichten, ist wenigstens chronologisch kaum zu fixieren409. Aber die Sabäer, nach denen der Ort Borechath (Brêka nördlich von Kanawat) genannt wird, scheinen in der Tat südarabische Auswanderer zu sein; und diese saßen hier bereits im 3. Jahrhundert. Sie und ihre Genossen mögen in Frieden gekommen und unter römischer Ägide seßhaft geworden sein, vielleicht sogar die hochentwickelte und üppige Kultur des südwestlichen Arabien nach Syrien getragen haben. Solange das Reich fest zusammenhielt und jeder dieser Stämme unter seinem Scheich stand, gehorchten alle dem römischen Oberherrn. Aber um den unter einem König geeinigten Arabern oder, wie sie jetzt heißen, Sarazenen des Perserreiches besser zu begegnen, unterwarf Justinian während des Persischen Krieges im Jahre 531 sämtliche Phylarchen der den Römern untertänigen Sarazenen dem Arethas, des Gabala Sohn, und verlieh diesem den Königstitel, was bis dahin, wie hinzugesetzt wird, niemals geschehen war. Dieser König der sämtlichen in Syrien ansässigen Araberstämme war noch des Reiches Lehnsträger; aber indem er seine Landsleute abwehrte, bereitete er zugleich ihnen die Stätte. Ein Jahrhundert später, im Jahre 637, unterlag Arabien und Syrien dem Islam.

  1. Die Standquartiere der syrischen Legionen genau zu bestimmen, vermögen wir nicht; doch ist, was hier gesagt ist, wesentlich gesichert. Unter Nero stand die 10. Legion in Raphaneae südwestlich von Hamath (Ios. bel. Iud. 7, 1, 3) und ebendaselbst oder doch ungefähr in dieser Gegend unter Tiberius die 6. (Tac. ann. 2, 79); wahrscheinlich in oder bei Antiocheia die 12. unter Nero (Ios. bel. Iud. 2, 18, 9). Wenigstens eine Legion stand am Euphrat; für die Zeit vor der Einziehung Kommagenes bezeugt dies Ios. bel. Iud. 7, 1, 3, und späterhin hatte eine der syrischen Legionen ihr Hauptquartier in Samosata (Ptol. geogr. 5; 15, 11; Inschrift aus Severus‘ Zeit CIL VI, 1409; Itin. Anton. Aug. p. 186). Wahrscheinlich hatten die Stäbe der meisten syrischen Legionen ihren Sitz in den westlichen Distrikten und geht die immer wiederkehrende Beschwerde, daß das Lagern in den Städten die syrische Armee zerrütte, hauptsächlich auf diese Einrichtung. Ob in der besseren Zeit an dem Wüstensaum eigentliche Legionshauptquartiere bestanden haben, ist zweifelhaft; bei den Grenzposten daselbst haben auch Detachements der Legionen Verwendung gefunden, und namentlich ist der besonders unruhige Distrikt zwischen Damaskos und Bostra stark mit Legionären belegt worden, die einerseits das Kommando von Syrien stellte, andererseits das arabische seit Einrichtung desselben durch Traian.
  2. Von Byblos gibt es eine Münze aus Augustus‘ Zeit mit griechischer und phönikischer Aufschrift (Imhoof-Blumer, Monnaies grecques, Leipzig 1883, S. 443).
  3. Johannes Chrysostomos aus Antiocheia († 407) weist mehrfach (De sanctis martyros. Opera. Paris 1718 ff. Vol. 2, p. 651; homil. 19, a. a. O., p. 188) hin auf die ετεροφονία, die βάρβαρος φονή des λαός im Gegensatz zu der Sprache der Gebildeten.
  4. Der Auszug des Photios aus dem Roman des Iamblichos c. 11, welcher den Verfasser irrig zu einem Babylonier macht, wird durch das Scholion dazu wesentlich berichtigt und ergänzt. Der Geheimschreiber der Großkönigs, der unter den traianischen Gefangenen nach Syrien kommt, dort des Iamblichos Erzieher wird und ihn in der „barbarischen Weisheit“ unterweist, ist natürlich eine Figur des in Babylon spielenden Romans, den Iamblichos von diesem seinem Lehrmeister vernommen haben will; aber charakteristisch für die Zeit ist der armenische Hofliterat und Prinzenerzieher (denn als „guten Rhetor“ hat ihn doch wohl Sohaemos nach Valarschapat berufen) selbst, der kraft seiner magischen Kunst nicht bloß den Fliegenzauber und die Geisterbeschwörung versteht, sondern auch dem Verus den Sieg über Vologasos vorhersagt und zugleich Geschichten, wie sie auch in ‚Tausendundeiner Nacht‘ stehen könnten, den Griechen griechisch erzählt.
  5. Die syrische Literatur besteht fast ausschließlich aus Übersetzungen griechischer Werke. Unter den Profanschriften stehen in erster Reihe Aristotelische und Plutarchische Traktate, dann praktische Schriften juristischen oder agronomischen Inhalts und populäre Unterhaltungsbücher wie der Alexanderroman, Aesops Fabeln, Menanders Sentenzen.
  6. Die syrische Übersetzung des Neuen Testaments, der älteste uns bekannte syrische Sprachtext, ist wahrscheinlich in Edessa entstanden; die στρατιώται der Apostelgeschichte heißen hier „Römer“.
  7. Dies sagt Diodor (20, 47) von der Vorläuferin Antiocheias, der nur etwa eine Meile weiter flußaufwärts angelegten Stadt Antigoneia. Antiocheia ist für das Syrien der alten Zeit ungefähr gewesen, was für das heutige Aleppo ist, der Knotenpunkt des inneren Verkehrs; nur daß bei jener Gründung, wie schon die gleichzeitige Anlage des Hafens von Seleukeia beweist, die unmittelbare Verbindung mit dem Mittelmeer beabsichtigt und daher die Anlage weiter nach Westen gelegt ward.
  8. Der Raum zwischen Antiocheia und Daphne war mit Landhäusern und Vignen gefüllt (Lib. or. 2 p. 213 Reiske), und es gab hier auch eine Vorstadt Herakleia oder auch Daphne (K. O. Müller, Antiquitates Antiochiae, S. 44; vgl. vita Veri 7); aber wenn Tac. ann. 2, 83 diese Vorstadt Epidaphne nennt, so ist dies einer seiner seltsamsten Schnitzer. Plinius (nat. 5, 21, 79) sagt korrekt: Antiochia Epidaphnes cognominata.
  9. „Womit wir vornehmlich alle schlagen“, sagt der Antiochener Libanios in der unter Constantius gehaltenen Lobrede auf seine Heimat (or. 1, 354 R.), nachdem er die Quellen der Daphne und die von dort nach der Stadt geführten Leitungen geschildert hat, „das ist die Bewässerung unserer Stadt; wenn sonst auch jemand es mit uns aufnehmen mag, so geben sie alle nach, sowie die Rede kommt auf das Wasser, seine Fülle wie seine Trefflichkeit. In den öffentlichen Bädern hat jeder Strom das Maß eines Flusses, in den privaten manche das gleiche, die übrigen nicht viel weniger. Wer die Mittel hat, ein neues Bad anzulegen, tut dies unbesorgt um hinreichenden Zufluß und braucht nicht zu fürchten, daß, wenn fertig, es ihm trocken liegen werde. Deshalb ist jeder Stadtbezirk [es gab deren achtzehn] auf die besondere Eleganz seiner Badeanstalt bedacht; es sind diese Bezirksbadeanstalten um so viel schöner als die allgemeinen, als sie kleiner sind als diese, und die Bezirksgenossen wetteifern immer die einen, die anderen zu übertreffen. Man ermißt die Fülle der fließenden Wasser an der Menge der (guten) Wohnhäuser; denn soviel der Wohnhäuser, soviel sind auch der fließenden Wasser, ja sogar in den einzelnen Häusern oft mehrere; und auch die Mehrzahl der Werkstätten hat den gleichen Vorzug. Darum schlagen wir uns auch nicht an den öffentlichen Brunnen darum, wer zuerst zum Schöpfen kommt, an welchem Übelstand so viele ansehnliche Städte leiden, wo um die Brunnen ein heftiges Gedränge ist und Lärm um die zerbrochenen Krüge. Bei uns fließen die öffentlichen Brunnen zur Zierde, da jeder innerhalb der Türen sein Wasser hat. Und es ist dies Wasser so klar, daß der Eimer leer scheint, und so anmutend, daß es zum Trinken einladet.“
  10. „Das Sonnenlicht“, sagt derselbe Redner p. 363, „lösen andere Lichter ab, Leuchten, die das ägyptische Illuminationsfest hinter sich lassen; und bei uns unterscheidet sich die Nacht vom Tage nur durch die Verschiedenheit der Beleuchtung; die fleißigen Hände finden keinen Unterschied und schmieden weiter und wer da will, singt und tanzt, so daß Hephaestos und Aphrodite hier in die Nacht sich teilen.“ Bei dem Straßensport, den der Prinz Gallus sich gestattete, waren die antiochenischen Laternen ihm sehr unbequem (Amm. 14, 1, 9).
  11. Die merkwürdige Reichsbeschreibung aus der Zeit des Constantius (C. Müller, Geographi Graeci Minores. Bd. 2, S. 513 f.), die einzige derartige Schrift, worin die gewerblichen Zustände eine gewisse Berücksichtigung finden, sagt von Syrien in dieser Hinsicht: „Antiocheia hat alles, was man begehrt, in Fülle, vor allem aber seine Rennspiele. Rennspiele haben auch Laodikeia, Berytos, Tyros, Kaesareia (in Palästina). Nach auswärts sendet Laodikeia Jockeys, Tyros und Berytos Schauspieler, Caesareia Tänzer (pantomimi), Heliopolis am Libanos Flötenbläser (choraulae), Gaza Musiker (auditores, womit ακροάματα inkorrekt wiedergegeben ist), Askalon Ringkämpfer (athletae), Kastabala (eigentlich schon in Kilikien) Faustkämpfer.“
  12. Von dem syrischen Wort abbuba Pfeife.
  13. Das Schriftchen Lukians von der zu Hierapolis vom ganzen Orient verehrten syrischen Göttin gibt eine Probe der wilden und wollüstigen Fabulierung, welche dem syrischen Kultus eigen ist. In dieser Erzählung – der Quelle von Wielands ‚Kombabus‘ – wird die Selbstverstümmelung ironisiert, wie sie den Frommen als ein Akt hoher Moralität und gottseligen Glaubens galt.
  14. Der österreichische Ingenieur Joseph Tschernik (Ergänzungsheft 44 zu Petermanns geographischen Mittheilungen, 1875, S. 3, 9) fand Basaltplatten von Ölpressen nicht bloß auf dem wüsten Plateau bei Kala’at el-Hossn zwischen Hemesa und dem Meer, sondern auch in der Zahl von über zwanzig östlich von Hemesa bei el-Ferklûs, wo der Basalt selbst nicht vorkommt, sowie ebendaselbst zahlreiche gemauerte Terrassen und Ruinenhügel; Terrassierungen auf der ganzen Strecke von 16 Meilen zwischen Hemesa und Palmyra. K. E. Sachau (Reise in Syrien und Mesopotamien. Leipzig 1883, S. 23, 55) fand Reste von Wasserleitungen an verschiedenen Stellen der Straße von Damaskos nach Palmyra. Die in den Fels gehauenen Zisternen von Arados, deren schon Strabon (16, 2, 13 p. 753) gedenkt, tun noch heute ihren Dienst (J. E. Renan, Mission de Phénicie. Paris 1874, S. 40).
  15. In Arados, einer zu Strabons Zeit (16, 2, 13 p. 753) sehr volkreichen Stadt, erscheint unter Augustus ein πρόβουλος τών ναυαρχησάνιων (CIG 4736 h, besser bei Renan, Mission de Phénicie, S. 31).
  16. Totius orbis descriptio c. 24: nulla forte civitas Orientis est eius spissior in negotio. Die Urkunden der statio (CIG 5853; CIL X, 1601) geben von diesen Faktoreien ein lebendiges Bild. Sie dienen zunächst religiösen Zwecken, das heißt für den Kult der tyrischen Götter am fremden Ort; zu diesem Zwecke wird in der größeren Station von Ostia von den tyrischen Schiffern und Kaufleuten eine Abgabe erhoben und aus deren Ertrag der kleineren ein jährlicher Zuschuß von 1000 Sesterzen gewährt, der für die Miete des Lokals verwendet wird; die übrigen Kosten werden von den Tyriern in Puteoli, ohne Zweifel durch freiwillige Beiträge, aufgebracht.
  17. Für Berytos beweist dies die Puteolaner Inschrift CIL X,1634; für Damaskos legt es die dem Jupiter optimus maximus Damascensus daselbst gesetzte X, 1576 wenigstens nahe.
  18. Übrigens zeigt sich auch hier, mit wie gutem Grund Puteoli Klein-Delos heißt. Auf Delos begegnen in der letzten Zeit seiner Blüte, das heißt etwa in dem Jahrhundert vor dem Mithradatischen Krieg, die syrischen Faktoreien und die syrischen Kulte in ganz gleicher Weise und in noch größerer Fülle: wir finden dort die Gilde der Herakleisten von Tyros (τό κοινόν τών Τυρίων Ηρακλειστών εμπόρων καί ναυκλήρων CIG 2271), der Poseidoniasten von Berytos (τό κοινόν Βηρυτίων Ποσειδωνιαστών εμπόρων καί ναυκλήρων καί εγδοχέων, BCH 7, 1883, S. 468), der Verehrer des Adad und der Atargatis von Hierapolis (BCH 6, 1882, S. 495f.), abgesehen von den zahlreichen Denksteinen syrischer Kaufleute. Vgl. Homolle, BCH 8, 1884, S. 110f.
  19. Daß diese syrisch-christliche, zu dem Gegensatz des orientalischen und okzidentalischen Klerus in Beziehung stehende Diaspora mit der jüdischen nicht zusammengeworfen werden darf, zeigt der Bericht bei Gregorius deutlich; sie hat offenbar viel höher gestanden und durchgängig den besseren Ständen angehört.
  20. Daß die Dekapolis und die Reorganisation des Pompeius wenigstens bis nach Kanata (Kerak) nordwestlich von Bostra reichte, steht durch die Zeugnisse der Schriftsteller und durch die nach der pompeianischen Ära datierten Münzen fest (Waddington zu 2412 d). Wahrscheinlich gehören derselben Stadt die Münzen mit dem Namen Γαβείνια Κάναθα und Daten derselben Ära (Reichard, Zeitschrift für Numismatik 7,1880, S. 53); es würde danach dieser Ort zu den zahlreichen von Gabinius restituierten gehören (Ios. ant. Iud. 14, 5, 3). Waddington freilich (zu 2329) gibt diese Münzen, so weit er sie kannte, dem zweiten Ort dieses Namens, dem heutigen Kanawât, der eigentlichen Hauptstadt des Haurân, nordwärts von Bostra; aber es ist wenig wahrscheinlich, daß Pompeius‘ und Gabinius‘ Organisation sich so weit ostwärts erstreckt hat. Vermutlich ist diese zweite Stadt jünger und benannt nach der ersten, der östlichsten der Dekapolis.
  21. Die „flüchtigen Leute aus der Tetrarchie des Philippos“, welche im Heer des Tetrarchen von Galiläa Herodes Antipas dienen und in der Schlacht gegen den Araber Aretas zum Feinde übergehen (Ios. ant. Iud. 18, 5, 1), sind ohne Zweifel auch aus der Trachonitis ausgetriebene Araber.
  22. Waddington 2366 = Vogue, Inscriptions du Haouran, n. 3. Zweisprachig ist auch die älteste Grabschrift dieser Gegend aus Suweda, Waddington 2320 = Vogue n. 1, die einzige im Haurân, die das stumme Jota ausdrückt. Die Aufschriften sind auf beiden Denkmälern so angebracht, daß nicht zu bestimmen ist, welche Sprache voransteht.
  23. Bei Medain Sâlih oder Hidjr, südlich von Teimâ, dem alten Thaema, sind kürzlich von den Reisenden Doughty und Huber eine Reihe nabatäischer Inschriften aufgefunden worden, die, großenteils datiert, von der Zeit des Augustus bis zum Tode Vespasians reichen. Lateinische Inschriften fehlen, und die wenigen griechischen sind spätester Zeit; allem Anschein nach ist bei der Umwandlung des Nabatäischen Reiches in eine römische Provinz, was von dem inneren Arabien zu jenem gehörte, von den Römern aufgegeben worden.
  24. Die Stadt Damaskos unterwarf sich freiwillig unter den letzten Seleukiden um die Zeit der Diktatur Sullas dem damaligen König der Nabatäer, vermutlich dem Aretas mit dem Scaurus schlug (Ios. ant. Iud. 13, 15). Auch die Münzen mit der Aufschrift βασιλεύς Αρέτου φιλέλληνος; (Eckhel 3, 330; Luynes, Revue numismatique N. S. 3, 1858, S. 311) sind vielleicht in Damaskos geschlagen, als dies von den Nabatäern abhängig war; die Jahreszahl auf einer derselben ist zwar nicht mit Sicherheit bezogen, führt aber vermutlich in die letzte Zeit der römischen Republik. Wahrscheinlich hat diese Abhängigkeit der Stadt von den nabatäischen Königen fortbestanden, solange es überhaupt solche gab. Daraus, daß die Stadt Münzen mit den Köpfen der römischen Kaiser geprägt hat, folgt wohl die Abhängigkeit von Rom und daneben die Selbstverwaltung, aber nicht die Unabhängigkeit von dem römischen Lehnsfürsten; die derartigen Schutzverhältnisse sind so mannigfaltig gestaltet daß diese Ordnungen wohl sich miteinander vertragen konnten. Für die Fortdauer des Nabatäerregiments spricht teils, daß der Ethnarch des Königs Aretas in Damaskos den Apostel Paulus, wie dieser im 2. Brief an die Korinther (11, 32) schreibt, verhaften lassen wollte, teils die seit kurzem festgestellte Tatsache (Anm. 405), daß die Herrschaft der Nabatäer nordöstlich von Damaskos noch unter Traian fortdauerte.
  25. Indem man umgekehrt davon ausging, daß, wenn Aretas in Damaskos herrscht, die Stadt nicht römisch sein kann hat man auf verschiedenen Wegen versucht, jenen Vorgang im Leben des Paulus chronologisch zu fixieren. Man hat an die Verwicklung zwischen Aretas und der römischen Regierung in den letzten Jahren des Tiberius gedacht; aber wie diese verlief, ist es nicht wahrscheinlich, daß sie in dem Besitzstand des Aretas eine dauernde Veränderung herbeigeführt hat. Melchior de Vogue (Mélanges d’archéologie orientale. Paris 1869, S. 33) hat darauf hingewiesen daß zwischen Tiberius und Nero – genauer zwischen den Jahren 33 und 62 (F. C. Saulcy, Numismatique de la Terre-Sainte. Paris 1874, S. 36) – Kaisermünzen von Damaskos fehlen und das Regiment der Nabatäer daselbst in diese Zwischenzeit gesetzt, indem er annahm, daß Kaiser Gaius wie so vielen anderen Lehnsfürsten, auch dem Araber seine Huld erwiesen und ihn mit Damaskos belehnt habe. Aber derartige Unterbrechungen der Prägung treten häufig auf und fordern keine so tiefgreifende Erklärung. Man wird wohl darauf verzichten müssen, an dem Schalten des Nabatäerkönigs in Damaskos für die Lebensgeschichte des Paulus einen chronologischen Haltpunkt zu finden und überhaupt Paulus Aufenthalt in dieser Stadt der Zeit nach zu definieren. Wenn der auf jeden Fall stark verschobenen Darstellung des Vorgangs in der Apostelgeschichte 9 insoweit zu trauen ist, ging Paulus nach Damaskos vor der Bekehrung, um die Christenverfolgung, in welcher Stephanos umgekommen war, dort fortzusetzen, und beschlossen dann, als er bekehrt in Damaskos vielmehr für die Christen eintrat die dortigen Juden ihn umzubringen, wobei also vorausgesetzt werden muß, daß der Beamte des Aretas, ähnlich wie Pilatus, der Ketzer-Verfolgung der Juden Raum gab. Aus den zuverlässigen Angaben des Galaterbriefes folgt ferner, daß die Bekehrung bei Damaskos stattfand (denn dies zeigt das υπέστρεψα) und Paulus von da nach Arabien ging; ferner daß er drei Jahre nach der Bekehrung zum ersten und siebzehn Jahre nach derselben zum zweiten Mal nach Jerusalem kam, wonach die apokryphen Berichte der Apostelgeschichte über seine Jerusalemreisen zu berichtigen sind (E. Zeller, Die Apostelgeschichte kritisch untersucht. Stuttgart 1854, S. 216). Aber weder ist die Zeit des Todes des Stephanos genau bestimmbar, noch viel weniger der Zeitraum zwischen diesem und der Flucht des bekehrten Paulus aus Damaskos, noch die Zwischenzeit zwischen seiner zweiten Reise nach Jerusalem und der Abfassung des Galaterbriefes, noch das Jahr der Abfassung desselben selbst.
  26. Waddington 2196: Αδριανού τού καί Σοαίδου Μαλέχου εθνάρχου στρατηγού νομάδων τό μνημίον.
  27. Epiphanius (haeres. 51 p. 483 Dind.) führt aus, daß der 25. Dezember, der Geburtstag Christi, schon in Rom in dem Saturnalienfest, in Alexandreia in dem (auch im Dekret von Kanopos erwähnten) Fest der Kikellia und in anderen heidnischen Kulturen in analoger Art festlich begangen worden sei. „Dies geschieht in Alexandreia in dem sogenannten Jungfrauenheiligtum (Κόριον) … und wenn man die Leute fragt, was dies Mysterium bedeute, so antworten und sagen sie, daß heute in dieser Stunde die Jungfrau den Ewigen (τόν αιώνα) geboren habe. Dies geschieht in gleicher Weise in Petra, der Hauptstadt von Arabia, in dem dortigen Tempel, und in arabischer Sprache besingen sie die Jungfrau, welche sie auf arabisch Chaamu nennen, das heißt das Mädchen, und den aus ihr Geborenen Dusares, das heißt den Eingeborenen des Herrn.“ Der Name Chaamu ist vielleicht verwandt mit dem Aumu oder Aumos der griechischen Inschriften dieser Gegend, der mit Υεύς ανίκητος Ήλιος geglichen wird (Waddington 2392-2395, 2441, 2455, 2456).
  28. Dabei ist abgesehen von der merkwürdigen, in Harrân unweit Zorava gefundenen arabisch-griechischen Inschrift (man beachte die Folge) vom Jahre 568 n. Chr., gesetzt von dem Phylarchen Asaraelos, Sohn des Talemos (Waddington 2464). Dieser Christ ist ein Vorläufer Mohammeds.
  29. Αυσονίων μούσης υψινόου πρύτανις. G. Kaibel, Epigrammata Graeca. Berlin 1878, 440.
  30. Nach den arabischen Berichten wanderten die Benu Sâlih aus der Gegend von Mekka (um 190 n. Chr. nach den Ansetzungen von A. P. Caussin de Perceval, Essai sur l’histoire des Arabes avant l’Islamisme. Bd. 1. Paris 1847, S. 212) nach Syrien und siedelten sich hier an neben den Benu-Samaida, in denen Waddington die φυλή Σομαιθηνών einer Inschrift von Suweda (n. 2308) wiederfindet. Die Ghassaniden, die (nach Caussin um 205) von Batn-Marr ebenfalls nach Syrien in dieselbe Gegend einwanderten, wurden von den Salihîten auf Anweisung der Römer gezwungen, Tribut zu zahlen und entrichteten diesen eine Zeitlang, bis sie (nach demselben um das Jahr 292) die Salihîten überwanden und ihr Führer Thalaba, Sohn Amts, von den Römern als Phylarch anerkannt ward. Diese Erzählung mag richtige Elemente enthalten; aber maßgebend bleibt immer der im Text wiedergegebene Bericht Prokops (Pers. 1, 17). Die Phylarchen einzelner Provinzen, von Arabia (d. h. Provinz Bostra: nov. 102 c. 1) und von Palästina (d. h. Provinz Petra: Prok. Pers. 1, 19) sind älter, aber wohl nicht um viel. Wäre ein Oberscheich dieser Art in vorjustinianischer Zeit von den Römern anerkannt worden, so würden die römischen Schriftsteller und die Inschriften davon wohl die Spuren aufweisen; aber aus vorjustinianischer Zeit fehlt es an solchen.

5. Kapitel


5. Kapitel

Der Parteienkampf während Pompeius‘ Abwesenheit

Mit dem Gabinischen Gesetze wechselten die hauptstädtischen Parteien die Rollen. Seit der erwählte Feldherr der Demokratie das Schwert in der Hand hielt, war seine Partei oder was dafür galt auch in der Hauptstadt übermächtig. Wohl stand die Nobilität noch geschlossen zusammen und gingen nach wie vor aus der Komitialmaschine nur Konsuln hervor, die nach dem Ausdrucke der Demokraten schon in den Windeln zum Konsulate designiert waren; die Wahlen zu beherrschen und hier den Einfluß der alten Familien zu brechen, vermochten selbst die Machthaber nicht. Aber leider fing das Konsulat, ebenda man es so weit gebracht hatte, die „neuen Menschen“ so gut wie vollständig davon auszuschließen, selber an, vor dem neu aufgehenden Gestirn der; exzeptionellen Militärgewalt zu erbleichen. Die Aristokratie empfand es, wenn sie auch nicht gerade es sich gestand; sie gab sich selber verloren. Außer Quintus Catulus, der mit achtbarer Festigkeit auf seinem wenig erfreulichen Posten als Vorfechter einer überwundenen Partei bis zu seinem Tode (694 60) ausharrte, ist aus den obersten Reihen der Nobilität kein Optimat zu nennen, der die Interessen der Aristokratie mit Mut und Stetigkeit vertreten hätte. Eben ihre talentvollsten und gefeiertsten Männer, wie Quintus Metellus Pius und Lucius Lucullus, abdizierten tatsächlich und zogen sich, soweit es irgend schicklicherweise anging, auf ihre Villen zurück, um über Gärten und Bibliotheken, über Vogelhäusern und Fischteichen den Markt und das Rathaus möglichst zu vergessen. Noch viel mehr gilt dies natürlich von der jüngeren Generation der Aristokratie, die entweder ganz in Luxus und Literatur unterging oder der aufgehenden Sonne sich zuwandte. Ein einziger unter den Jüngeren machte hiervon eine Ausnahme: es ist Marcus Porcius Cato (geboren 659 95), ein Mann vom besten Willen und seltener Hingebung, und doch eine der abenteuerlichsten und eine der unerfreulichsten Erscheinungen in dieser an politischen Zerrbildern überreichen Zeit. Ehrlich und stetig, ernsthaft im Wollen und im Handeln, voll Anhänglichkeit an sein Vaterland und die angestammte Verfassung, aber ein langsamer Kopf und sinnlich wie sittlich ohne Leidenschaft, hätte er allenfalls einen leidlichen Staatsrechenmeister abgeben mögen. Unglücklicherweise aber geriet er früh unter die Gewalt der Phrase, und, teils beherrscht von den Redensarten der Stoa, wie sie in abstrakter Kahlheit und geistloser Abgerissenheit in der damaligen vornehmen Welt im Umlauf waren, teils von dem Exempel seines Urgroßvaters, den zu erneuern er für seine besondere Aufgabe hielt, fing er an, als Musterbürger und Tugendspiegel in der sündigen Hauptstadt umherzuwandeln, gleich dem alten Cato auf die Zeiten zu schelten, zu Fuß zu gehen statt zu reiten, keine Zinsen zu nehmen, soldatische Ehrenzeichen abzulehnen und die Wiederherstellung der guten alten Zeit damit einzuleiten, daß er nach König Romulus‘ Vorgang ohne Hemd ging. Eine seltsame Karikatur seines Ahnen, des greisen Bauern, den Haß und Zorn zum Redner machten, der den Pflug wie das Schwert meisterlich führte, der mit seinem bornierten, aber originellen und gesunden Menschenverstand in der Regel den Nagel auf den Kopf traf, war dieser junge kühle Gelehrte, dem die Schulmeisterweisheit von den Lippen troff und den man immer mit dem Buche in der Hand sitzen sah, dieser Philosoph, der weder das Kriegs- noch sonst irgendein Handwerk verstand, dieser Wolkenwandler im Reiche der abstrakten Moral. Dennoch gelangte er zu sittlicher und dadurch selbst zu politischer Bedeutung. In einer durchaus elenden und feigen Zeit imponierten sein Mut und seine negativen Tugenden der Menge; er machte sogar Schule, und es gab einzelne – freilich waren sie danach –, die die lebendige Philosophenschablone weiter kopierten und abermals karikierten. Auf derselben Ursache beruht auch sein politischer Einfluß. Da er der einzige namhafte Konservative war, der wo nicht Talent und Einsicht, doch Ehrlichkeit und Mut besaß und immer bereitstand, wo es nötig und nicht nötig war, seine Person in die Schanze zu schlagen, so ward er, obwohl weder sein Alter noch sein Rang noch sein Geist ihn dazu berechtigten, dennoch bald der anerkannte Vormann der Optimatenpartei. Wo das Ausharren eines einzelnen entschlossenen Mannes entscheiden konnte, hat er auch wohl einen Erfolg erzielt und in Detailfragen, namentlich finanzieller Art, oft zweckmäßig eingegriffen, wie er denn in keiner Senatssitzung fehlte und mit seiner Quästur in der Tat Epoche machte, auch solange er lebte das öffentliche Budget im einzelnen kontrollierte und natürlich denn auch darüber mit den Steuerpächtern in beständigem Kriege lebte. übrigens fehlte ihm zum Staatsmann nicht mehr als alles. Er war unfähig, einen politischen Zweck auch nur zu begreifen und politische Verhältnisse zu überblicken; seine ganze Taktik bestand darin, gegen jeden Front zu machen, der von dem traditionellen moralisch-politischen Katechismus der Aristokratie abwich oder ihm abzuweichen schien, womit er denn natürlich ebensooft dem Gegner wie dem Parteigenossen in die Hände gearbeitet hat. Der Don Quichotte der Aristokratie, bewährte er durch sein Wesen und sein Tun, daß damals allenfalls noch eine Aristokratie vorhanden, die aristokratische Politik aber nichts mehr war als eine Chimäre.

Mit dieser Aristokratie den Kampf fortzusetzen, brachte geringe Ehre. Natürlich ruhten die Angriffe der Demokratie gegen den überwundenen Feind darum nicht. Wie die Troßbuben über ein erobertes Lager, stürzte sich die populäre Meute auf die gesprengte Nobilität, und wenigstens die Oberfläche der Politik ward von dieser Agitation zu hohen Schaumwellen emporgetrieben. Die Menge ging um so bereitwilliger mit, als namentlich Gaius Caesar sie bei guter Laune hielt durch die verschwenderische Pracht seiner Spiele (689 65), bei welchen alles Gerät, selbst die Käfige der wilden Bestien, aus massivem Silber erschien, und überhaupt durch eine Freigebigkeit, welche darum nur um so mehr fürstlich war, weil sie einzig auf Schuldenmachen beruhte. Die Angriffe auf die Nobilität waren von der mannigfaltigsten Art. Reichen Stoff gewährten die Mißbräuche des aristokratischen Regiments: liberale oder liberal schillernde Beamte und Sachverwalter wie Gaius Cornelius, Aulus Gabinius, Marcus Cicero fuhren fort, die ärgerlichsten und schändlichsten Seiten der Optimatenwirtschaft systematisch zu enthüllen und Gesetze dagegen zu beantragen. Der Senat ward angewiesen, den auswärtigen Boten an bestimmten Tagen Zutritt zu gewähren, um dadurch der üblichen Verschleppung der Audienzen Einhalt zu tun. Die von fremden Gesandten in Rom aufgenommenen Darlehen wurden klaglos gestellt, da dies das einzige Mittel sei, den Bestechungen, die im Senat an der Tagesordnung waren, ernstlich zu steuern (687 67). Das Recht des Senats, in einzelnen Fällen von den Gesetzen zu dispensieren, wurde beschränkt (687 67); ebenso der Mißbrauch, daß jeder vornehme Römer, der in den Provinzen Privatgeschäfte zu besorgen hatte, sich dazu vom Senat den Charakter eines römischen Gesandten erteilen ließ (691 63). Man schärfte die Strafen gegen Stimmenkauf und Wahlumtriebe (687, 691 67, 63), welche letztere namentlich in ärgerlicher Weise gesteigert wurden durch die Versuche der aus dem Senat gestoßenen Individuen, durch Wiederwahl in denselben zurückzugelangen. Es wurde gesetzlich ausgesprochen, was bis dahin sich nur von selbst verstanden hatte, daß die Gerichtsherren verbunden seien in Gemäßheit der nach römischer Weise zu Anfang des Amtes von ihnen aufgestellten Normen Recht zu sprechen (687 67).

Vor allem aber arbeitete man daran, die demokratische Restauration zu vervollkommnen und die leitenden Gedanken der gracchischen Zeit in zeitgemäßer Form zu verwirklichen. Die Wahl der Priester durch die Komitien, wie sie Gnaeus Domitius eingeführt, Sulla wieder abgeschafft hatte, ward durch ein Gesetz des Volkstribuns Titus Labienus im Jahre 691 (63) hergestellt. Man wies gern darauf hin, wieviel zur Wiederherstellung der Sempronischen Getreidegesetze in ihrem vollen Umfang noch fehle, und überging dabei mit Stillschweigen, daß unter den veränderten Umständen, bei der bedrängten Lage der öffentlichen Finanzen und der so sehr vermehrten Zahl der vollberechtigten römischen Bürger, diese Wiederherstellung schlechterdings unausführbar war. In der Landschaft zwischen dem Po und den Alpen nährte man eifrig die Agitation um politische Gleichberechtigung mit den Italikern. Schon 686 (68) reiste Gaius Caesar zu diesem Zweck daselbst von Ort zu Ort; 689 (65) machte Marcus Crassus als Zensor Anstalt, die Einwohner geradewegs in die Bürgerliste einzuschreiben, was nur an dem Widerstand seines Kollegen scheiterte; bei den folgenden Zensuren scheint dieser Versuch sich regelmäßig wiederholt zu haben. Wie einst Gracchus und Flaccus die Patrone der Latiner gewesen waren, so warfen sich die gegenwärtigen Führer der Demokratie zu Beschützern der Transpadaner auf, und Gaius Piso (Konsul 687 67) hatte es schwer zu bereuen, daß er gewagt hatte, an einem dieser Klienten des Caesar und Crassus sich zu vergreifen. Dagegen zeigten sich dieselben Führer keineswegs geneigt, die politische Gleichberechtigung der Freigelassenen zu befürworten; der Volkstribun Gaius Manilius, der in einer nur von wenigen Leuten besuchten Versammlung das Sulpicische Gesetz über das Stimmrecht der Freigelassenen hatte erneuern lassen (31. Dezember 687 67), ward von den leitenden Männern der Demokratie alsbald desavouiert und mit ihrer Zustimmung das Gesetz schon am Tage nach seiner Durchbringung vom Senate kassiert. In demselben Sinn wurden im Jahre 689 (65) durch Volksbeschluß die sämtlichen Fremden, die weder römisches noch latinisches Bürgerrecht besaßen, aus der Hauptstadt ausgewiesen. Man sieht, der innere Widerspruch der Gracchischen Politik, zugleich dem Bestreben der Ausgeschlossenen um Aufnahme in den Kreis der Privilegierten und dem der Privilegierten um Aufrechterhaltung ihrer Sonderrechte Rechnung zu tragen, war auch auf ihre Nachfolger übergegangen: während Caesar und die Seinen einerseits den Transpadanern das Bürgerrecht in Aussicht stellten, gaben sie andererseits ihre Zustimmung zu der Fortdauer der Zurücksetzung der Freigelassenen und zu der barbarischen Beseitigung der Konkurrenz, die die Industrie und das Handelsgeschick der Hellenen und Orientalen in Italien selber den Italikern machte. Charakteristisch ist die Art, wie die Demokratie hinsichtlich der alten Kriminalgerichtsbarkeit der Komitien verfuhr. Sulla hatte dieselbe nicht eigentlich aufgehoben, aber tatsächlich waren doch die Geschworenenkommissionen über Hochverrat und Mord an ihre Stelle getreten, und an eine ernstliche Wiederherstellung des alten, schon lange vor Sulla durchaus unpraktischen Verfahrens konnte kein vernünftiger Mensch denken. Aber da doch die Idee der Volkssouveränität eine Anerkennung der peinlichen Gerichtsbarkeit der Bürgerschaft wenigstens im Prinzip zu fordern schien, so zog der Volkstribun Titus Labienus im Jahre 691 (63) den alten Mann, der vor achtunddreißig Jahren den Volkstribun Lucius Saturninus erschlagen hatte oder haben sollte, vor dasselbe hochnotpeinliche Halsgericht, kraft dessen, wenn die Chronik recht berichtete, der König Tullus den Schwestermörder Horatius verrechtfertigt hatte. Der Angeklagte war ein gewisser Gaius Rabirius, der den Saturninus wenn nicht getötet, doch wenigstens mit dem abgehauenen Kopf desselben an den Tafeln der Vornehmen Parade gemacht hatte, und der überdies unter den apulischen Gutsbesitzern wegen seiner Menschenfängerei und seiner Bluttaten verrufen war. Es war, wenn nicht dem Ankläger selbst, doch den klügeren Männern, die hinter ihm standen, durchaus nicht darum zu tun, diesen elenden Gesellen den Tod am Kreuze sterben zu lassen; nicht ungern ließ man es geschehen, daß zunächst die Form der Anklage vom Senat wesentlich gemildert, sodann die zur Aburteilung des Schuldigen berufene Volksversammlung unter irgendeinem Vorwand von der Gegenpartei aufgelöst und damit die ganze Prozedur beseitigt ward. Immer waren durch dies Verfahren die beiden Palladien der römischen Freiheit, das Provokationsrecht der Bürgerschaft und die Unverletzlichkeit des Volkstribunats, noch einmal als praktisches Recht festgestellt und der demokratische Rechtsboden neu ausgebessert worden.

Mit noch größerer Leidenschaftlichkeit trat die demokratische Reaktion in allen Personenfragen auf, wo sie nur irgend konnte und durfte. Zwar gebot ihr die Klugheit, die Rückgabe der von Sulla eingezogenen Güter an die ehemaligen Eigentümer nicht zu betonen, um nicht mit den eigenen Verbündeten sich zu entzweien und zugleich mit den materiellen Interessen in einen Kampf zu geraten, dem die Tendenzpolitik selten gewachsen ist; auch die Rückberufung der Emigrierten hing mit dieser Vermögensfrage zu eng zusammen, um nicht ebenso unrätlich zu erscheinen. Dagegen machte man große Anstrengungen, um den Kindern der Geächteten die ihnen entzogenen politischen Rechte zurückzugegeben (691 63) und die Spitzen der Senatspartei wurden von persönlichen Angriffen unablässig verfolgt. So hing Gaius Memmius dem Marcus Lucullus im Jahre 688 (66) einen Tendenzprozeß an. So ließ man dessen berühmteren Bruder vor den Toren der Hauptstadt drei Jahre auf den wohlverdienten Triumph harren (688-691 66-63). Ähnlich wurden Quintus Rex und der Eroberer von Kreta, Quintus Metellus, insultiert. Größeres Aufsehen noch machte es, daß der junge Führer der Demokratie Gaius Caesar im Jahre 691 (63) nicht bloß sich es herausnahm, bei der Bewerbung um das höchste Priesteramt mit den beiden angesehensten Männern der Nobilität, Quintus Catulus und Publius Servilius, dem Sieger von Isaura, zu konkurrieren, sondern sogar bei der Bürgerschaft ihnen den Rang ablief. Die Erben Sullas, namentlich sein Sohn Faustus, sahen sich beständig bedroht von einer Klage auf Rückerstattung der von dem Regenten angeblich unterschlagenen öffentlichen Gelder. Man sprach sogar von der Wiederaufnahme der im Jahre 664 (99) sistierten demokratischen Anklagen auf Grund des Varischen Gesetzes. Am nachdrücklichsten wurden begreiflicherweise die bei den Sullanischen Exekutionen beteiligten Individuen gerichtlich verfolgt. Wenn der Quästor Marcus Cato in seiner täppischen Ehrlichkeit selber den Anfang damit machte, ihnen die empfangenen Mordprämien als widerrechtlich dem Staate entfremdetes Gut wiederabzufordern (689 65), so kann es nicht befremden, daß das Jahr darauf (690 64) Gaius Caesar als Vorsitzender in dem Mordgericht die Klausel in der Sullanischen Ordnung, welche die Tötung eines Geächteten straflos erklärte, kurzweg als nichtig behandelte und die namhaftesten unter den Schergen Sullas, Lucius Catilina, Lucius Bellienus, Lucius Luscius, vor seine Geschworenen stellen und zum Teil auch verurteilen ließ. Endlich unterließ man nicht, die lange verfemten Namen der Helden und Märtyrer der Demokratie jetzt wieder öffentlich zu nennen und ihre Andenken zu feiern. Wie Saturninus durch den gegen seinen Mörder gerichteten Prozeß rehabilitiert ward, ist schon erzählt worden. Aber einen anderen Klang noch hatte der Name des Gaius Marius, bei dessen Nennung einst alle Herzen geklopft hatten; und es traf sich, daß derselbe Mann, dem Italien die Errettung von den nordischen Barbaren verdankte, zugleich der Oheim des gegenwärtigen Führers der Demokratie war. Laut hatte die Menge gejubelt, als im Jahre 686 (68) Gaius Caesar es wagte, den Verboten zuwider bei der Beerdigung der Witwe des Marius die verehrten Züge des Helden auf dem Markte öffentlich zu zeigen. Aber als gar drei Jahre nachher (689 65) die Siegeszeichen, die Marius auf dem Kapitol hatte errichten und Sulla umstürzen lassen, eines Morgens, allen unerwartet, wieder an der alten Stelle frisch in Gold und Marmor glänzten, da drängten sich die Invaliden aus dem Afrikanischen und Kimbrischen Kriege, Tränen in den Augen, um das Bild des geliebten Feldherrn, und den jubelnden Massen gegenüber wagte der Senat nicht, an den Trophäen sich zu vergreifen, welche dieselbe kühne Hand den Gesetzen zum Trotz erneuert hatte.

Indes all dieses Treiben und Hadern, soviel Lärm es auch machte, war politisch betrachtet von sehr untergeordneter Bedeutung. Die Oligarchie war überwunden, die Demokratie ans Ruder gelangt. Daß die Kleinen und Kleinsten herbeieilten, um dem am Boden liegenden Feind noch einen Fußtritt zu versetzen; daß auch die Demokraten ihren Rechtsboden und ihren Prinzipienkult hatten; daß ihre Doktrinäre nicht ruhten, bis die sämtlichen Privilegien der Gemeinde in allen Stücken wiederhergestellt waren und dabei gelegentlich sich lächerlich machten, wie Legitimisten es pflegen – das alles war ebenso begreiflich wie gleichgültig. Im ganzen genommen ist die Agitation ziellos und sieht man ihr die Verlegenheit der Urheber an, einen Gegenstand für ihre Tätigkeit zu finden, wie sie sich denn auch fast durchaus um wesentlich schon erledigte oder um Nebensachen dreht. Es konnte nicht anders sein. In dem Kampfe gegen die Aristokratie waren die Demokraten Sieger geblieben; aber sie hatten nicht allein gesiegt und die Feuerprobe stand ihnen noch bevor – die Abrechnung nicht mit dem bisherigen Feind, sondern mit dem übermächtigen Bundesgenossen, dem sie in dem Kampfe mit der Aristokratie wesentlich den Sieg verdankten und dem sie jetzt eine beispiellose militärische und politische Gewalt selbst in die Hände gegeben hatten, weil sie nicht wagten, sie ihm zu verweigern. Noch war der Feldherr des Ostens und der Meere beschäftigt, Könige ein- und abzusetzen; wielange Zeit er dazu sich nehmen, wann er das Kriegsgeschäft für beendet erklären werde, konnte keiner sagen als er selbst, da wie alles andere, so auch der Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Italien, das heißt der Entscheidung in seine Hand gelegt war. Die Parteien in Rom inzwischen saßen und harrten. Die Optimaten freilich sahen der Ankunft des gefürchteten Feldherrn verhältnismäßig ruhig entgegen; bei dem Bruch zwischen Pompeius und der Demokratie, dessen Herannahen auch ihnen nicht entging, konnten sie nicht verlieren, sondern nur gewinnen. Dagegen die Demokraten warteten mit peinlicher Angst und suchten während der durch Pompeius‘ Abwesenheit noch vergönnten Frist gegen die drohende Explosion eine Kontermine zu legen. Hierin trafen sie wieder zusammen mit Crassus, dem nichts übrig blieb, um dem beneideten und gehaßten Nebenbuhler zu begegnen, als sich neu und enger als zuvor mit der Demokratie zu verbünden. Schon bei der ersten Koalition hatten Caesar und Crassus als die beiden Schwächeren sich besonders nahe gestanden; das gemeinschaftliche Interesse und die gemeinschaftliche Gefahr zog das Band noch fester, das den reichsten und den verschuldetsten Mann von Rom zu engster Allianz verknüpfte. Während öffentlich die Demokraten den abwesenden Feldherrn als das Haupt und den Stolz ihrer Partei bezeichneten und alle ihre Pfeile gegen die Aristokratie zu richten schienen, ward im stillen gegen Pompeius gerüstet; und diese Versuche der Demokratie, sich der drohenden Militärdiktatur zu entwinden, haben geschichtlich eine weit höhere Bedeutung als die lärmende und größtenteils nur als Maske benutzte Agitation gegen die Nobilität. Freilich bewegten sie sich in einem Dunkel, in das unsere Überlieferung nur einzelne Streiflichter fallen läßt; denn nicht die Gegenwart allein, auch die Folgezeit hatte ihre Ursachen, einen Schleier darüber zu werfen. Indes im allgemeinen sind sowohl der Gang wie das Ziel dieser Bestrebungen vollkommen klar. Der Militärgewalt konnte nur durch eine andere Militärgewalt wirksam Schach geboten werden. Die Absicht der Demokraten war, sich nach dem Beispiel des Marius und Cinna der Zügel der Regierung zu bemächtigen, sodann einen ihrer Führer sei es mit der Eroberung Ägyptens, sei es mit der Statthalterschaft Spaniens oder einem ähnlichen ordentlichen oder außerordentlichen Amte zu betrauen und in ihm und seinem Heer ein Gegengewicht gegen Pompeius und dessen Armee zu finden. Dazu bedurften sie einer Revolution, die zunächst gegen die nominelle Regierung, in der Tat gegen Pompeius ging als den designierten Monarchen; und um diese Revolution zu bewirken, war von der Erlassung der Gabinisch-Manilischen Gesetze an bis auf Pompeius‘ Rückkehr (688 – 692 66 – 62) die Verschwörung in Rom in Permanenz25. Die Hauptstadt war in ängstlicher Spannung; die gedrückte Stimmung der Kapitalisten, die Zahlungsstockungen, die häufigen Bankrotte waren Vorboten der gärenden Umwälzung, die zugleich eine gänzlich neue Stellung der Parteien herbeiführen zu müssen schien. Der Anschlag der Demokratie, der über den Senat hinweg auf Pompeius zielte, legte eine Ausgleichung zwischen diesen nahe. Die Demokratie aber, indem sie der Diktatur des Pompeius die eines ihr genehmeren Mannes entgegenzustellen versuchte, erkannte genau genommen auch ihrerseits das Militärregiment an und trieb in der Tat den Teufel aus durch Beelzebub; unter den Händen ward ihr die Prinzipien- zur Personenfrage.

Die Einleitung zu der von den Führern der Demokratie entworfenen Revolution sollte also der Sturz der bestehenden Regierung durch eine zunächst in Rom von demokratischen Verschworenen angestiftete Insurrektion sein. Der sittliche Zustand der niedrigsten wie der höchsten Schichten der hauptstädtischen Gesellschaft bot hierzu den Stoff in beklagenswerter Fülle. Wie das freie und das Sklavenproletariat der Hauptstadt beschaffen waren, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Es ward schon das bezeichnende Wort vernommen, daß nur der Arme den Armen zu vertreten fähig sei – der Gedanke regte sich also, daß die Masse der Armen so gut wie die Oligarchie der Reichen sich als selbständige Macht konstituieren und, statt sich tyrannisieren zu lassen, auch wohl ihrerseits den Tyrannen spielen könne. Aber auch in den Kreisen der vornehmen Jugend fanden ähnliche Gedanken einen Widerhall. Das hauptstädtische Modeleben zerrüttete nicht bloß das Vermögen, sondern auch die Kraft des Leibes und des Geistes. Jene elegante Welt der duftenden Haarlocken, der modischen Stutzbärte und Manschetten, so lustig es auch darin bei Tanz und Zitherspiel und früh und spät beim Becher herging, barg doch in sich einen erschreckenden Abgrund sittlichen und ökonomischen Verfalls, gut oder schlecht verhehlter Verzweiflung und wahnsinniger oder bübischer Entschlüsse. In diesen Kreisen ward unverhohlen geseufzt nach der Wiederkehr der cinnanischen Zeit mit ihren Ächtungen und Konfiskationen und ihrer Vernichtung der Schuldbücher; es gab Leute genug, darunter nicht wenige von nicht gemeiner Herkunft und ungewöhnlichen Anlagen, die nur auf das Signal warteten, um wie eine Räuberschar über die bürgerliche Gesellschaft herzufallen und das verlotterte Vermögen sich wieder zu erplündern. Wo eine Bande sich bildet, fehlt es an Führern nicht; auch hier fanden sich bald Männer, die zu Räuberhauptleuten sich eigneten. Der gewesene Prätor Lucius Catilina, der Quästor Gnaeus Piso zeichneten unter ihren Genossen nicht bloß durch ihre vornehme Geburt und ihren höheren Rang sich aus. Sie hatten die Brücke vollständig hinter sich abgebrochen und imponierten ihren Spießgesellen durch ihre Ruchlosigkeit ebensosehr wie durch ihre Talente. Vor allem Catilina war einer der frevelhaftesten dieser frevelhaften Zeit. Seine Bubenstücke gehören in die Kriminalakten, nicht in die Geschichte; aber schon sein Äußeres, das bleiche Antlitz, der wilde Blick, der bald träge, bald hastige Gang verrieten seine unheimliche Vergangenheit. In hohem Grade besaß er die Eigenschaften, die von dem Führer einer solchen Rotte verlangt werden: die Fähigkeit, alles zu genießen und alles zu entbehren, Mut, militärisches Talent, Menschenkenntnis, Verbrecherenergie und jene entsetzliche Pädagogik des Lasters, die den Schwachen zu Falle zu bringen, den Gefallenen zum Verbrecher zu erziehen versteht.

Aus solchen Elementen eine Verschwörung zum Umsturz der bestehenden Ordnung zu bilden, konnte Männern, die Geld und politischen Einfluß besaßen, nicht schwerfallen. Catilina, Piso und ihresgleichen gingen bereitwillig auf jeden Plan ein, der ihnen Ächtungen und Kassation der Schuldbücher in Aussicht stellte; jener war überdies noch mit der Aristokratie speziell verfeindet, weil sie sich der Bewerbung des verworfenen und gefährlichen Menschen um das Konsulat widersetzt hatte. Wie er einst als Scherge Sullas an der Spitze einer Keltenschar auf die Geächteten Jagd gemacht und unter anderen seinen eigenen hochbejahrten Schwager mit eigener Hand niedergestoßen hatte, so ließ er jetzt sich bereitwillig dazu herbei, der Gegenpartei ähnliche Dienst zuzusagen. Ein geheimer Bund ward gestiftet. Die Zahl der in denselben aufgenommenen Individuen soll 400 überstiegen haben; er zählte Affiliierte in allen Landschaften und Stadtgemeinden Italiens; überdies verstand es sich von selbst, daß einer Insurrektion, die das zeitgemäße Programm der Schuldentilgung auf ihre Fahne schrieb, aus den Reihen der liederlichen Jugend zahlreiche Rekruten ungeheißen zuströmen würden.

Im Dezember 688 (66) – so wird erzählt – glaubten die Leiter des Bundes den geeigneten Anlaß gefunden zu haben, um loszuschlagen. Die beiden für 689 (65) erwählten Konsuln Publius Cornelius Sulla und Publius Autronius Paetus waren vor kurzem der Wahlbestechung gerichtlich überwiesen und deshalb nach gesetzlicher Vorschrift ihrer Anwartschaft auf das höchste Amt verlustig erklärt worden. Beide traten hierauf dem Bunde bei. Die Verschworenen beschlossen, ihnen das Konsulat mit Gewalt zu verschaffen und dadurch sich selbst in den Besitz der höchsten Gewalt im Staate zu setzen. An dem Tage, wo die neuen Konsuln ihr Amt antreten würden, dem 1. Januar 689 (65) sollte die Kurie von Bewaffneten gestürmt, die neuen Konsuln und die sonst bezeichneten Opfer niedergemacht und Sulla und Paetus nach Kassierung des gerichtlichen Urteils, das sie ausschloß, als Konsuln proklamiert werden. Crassus sollte sodann die Diktatur, Caesar das Reiterführeramt übernehmen, ohne Zweifel, um eine imposante Militärmacht auf die Beine zu bringen, während Pompeius fern am Kaukasus beschäftigt war. Hauptleute und Gemeine waren gedungen und angewiesen; Catilina wartete an dem bestimmten Tage in der Nähe des Rathauses auf das verabredete Zeichen, das auf Crassus‘ Wink ihm von Caesar gegeben werden sollte. Allein er wartete vergebens; Crassus fehlte in der entscheidenden Senatssitzung, und daran scheiterte für diesmal die projektierte Insurrektion. Ein ähnlicher noch umfassenderer Mordplan ward dann für den 5. Februar verabredet; allein auch dieser ward vereitelt, da Catilina das Zeichen zu früh gab, bevor noch die bestellten Banditen sich alle eingefunden hatten. Darüber ward das Geheimnis ruchbar. Die Regierung wagte zwar nicht, offen der Verschwörung entgegenzutreten, aber sie gab doch den zunächst bedrohten Konsuln Wachen bei und stellte der Bande der Verschworenen eine von der Regierung bezahlte entgegen. Um Piso zu entfernen, wurde der Antrag gestellt, ihn als Quästor mit prätorischen Befugnissen nach dem diesseitigen Spanien zu senden; worauf Crassus einging, in der Hoffnung, durch denselben die Hilfsquellen dieser wichtigen Provinz für die Insurrektion zu gewinnen. Weitergehende Vorschläge wurden durch die Tribune verhindert.

Also lautet die Überlieferung, welche offenbar die in den Regierungskreisen umlaufende Version wiedergibt und deren Glaubwürdigkeit im einzelnen in Ermangelung jeder Kontrolle dahingestellt bleiben muß. Was die Hauptsache anlangt, die Beteiligung von Caesar und Crassus, so kann allerdings das Zeugnis ihrer politischen Gegner nicht als ausreichender Beweis dafür angesehen werden. Aber es paßt doch ihre offenkundige Tätigkeit in dieser Epoche auffallend genau zu der geheimen, die dieser Bericht ihnen beimißt. Daß Crassus, der in diesem Jahre Zensor war, als solcher den Versuch machte, die Transpadaner in die Bürgerliste einzuschreiben, war schon geradezu ein revolutionäres Beginnen. Noch bemerkenswerter ist es, daß Crassus bei derselben Gelegenheit Anstalt machte, Ägypten und Kypros in das Verzeichnis der römischen Domänen einzutragen26 und daß Caesar um die gleiche Zeit (689 oder 690 65 oder 64) durch einige Tribune bei der Bürgerschaft den Antrag stellen ließ, ihn nach Ägypten zu senden, um den von den Alexandrinern vertriebenen König Ptolemaeos wiedereinzusetzen. Diese Machinationen stimmen mit den von den Gegnern erhobenen Anklagen in bedenklicher Weise zusammen. Gewisses läßt sich hier nicht ermitteln; aber die große Wahrscheinlichkeit ist dafür, daß Crassus und Caesar den Plan entworfen hatten, sich während Pompeius‘ Abwesenheit der Militärdiktatur zu bemächtigen; daß Ägypten zur Basis dieser demokratischen Militärmacht ausersehen war; daß endlich der Insurrektionsversuch von 689 (65) angezettelt worden ist, um diese Entwürfe zu realisieren und Catilina und Piso also Werkzeuge in den Händen von Crassus und Caesar gewesen sind.

Einen Augenblick kam die Verschwörung ins Stocken. Die Wahlen für 690 (64) fanden statt, ohne daß Crassus und Caesar ihren Versuch sich des Konsulats zu bemeistern, dabei erneuert hätten; wozu mit beigetragen haben mag, daß ein Verwandter des Führers der Demokratie, Lucius Caesar, ein schwacher und von seinem Geschlechtsfreund nicht selten als Werkzeug benutzter Mann, diesmal um das Konsulat sich bewarb. Indes drängten die Berichte aus Asien zur Eile. Die kleinasiatischen und armenischen Angelegenheiten waren bereits vollständig geordnet. So klar auch die demokratischen Strategen es bewiesen, daß der Mithradatische Krieg erst mit der Gefangennahme des Königs als beendigt gelten könne und daß es deshalb notwendig sei, die Hetzjagd um das Schwarze Meer herum zu beginnen, vor allen Dingen aber von Syrien fernzubleiben – Pompeius war, unbekümmert um solches Geschwätz, im Frühjahr 690 (64) aus Armenien aufgebrochen und nach Syrien marschiert. Wenn Ägypten wirklich zum Hauptquartier der Demokratie ausersehen war, so war keine Zeit zu verlieren; leicht konnte sonst Pompeius eher als Caesar in Ägypten stehen. Die Verschwörung von 688 (66) durch die schlaffen und ängstlichen Repressivmaßregeln keineswegs gesprengt, regte sich wieder, als die Konsulwahlen für 691 (63) herankamen. Die Personen waren vermutlich wesentlich dieselben und auch der Plan nur wenig verändert. Die Leiter der Bewegung hielten wieder sich im Hintergrund. Als Bewerber um das Konsulat hatten sie diesmal aufgestellt: Catilina selbst und Gaius Antonius, den jüngeren Sohn des Redners, einen Bruder des von Kreta her übel berufenen Feldherrn. Catilinas war man sicher; Antonius, ursprünglich Sullaner wie Catilina und wie dieser vor einigen Jahren von der demokratischen Partei deshalb vor Gericht gestellt und aus dem Senat ausgestoßen, übrigens ein schlaffer, unbedeutender, in keiner Hinsicht zum Führer berufener, vollständig bankrotter Mann, gab um den Preis des Konsulats und der daran geknüpften Vorteile sich den Demokraten willig zum Werkzeug hin. Durch diese Konsuln beabsichtigten die Häupter der Verschwörung, sich des Regiments zu bemächtigen, die in der Hauptstadt zurückgebliebenen Kinder des Pompeius als Geiseln festzunehmen und in Italien und den Provinzen gegen Pompeius zu rüsten. Auf die erste Nachricht von dem in der Hauptstadt gefallenen Schlage sollte der Statthalter Gnaeus Piso im diesseitigen Spanien die Fahne der Insurrektion aufstecken. Die Kommunikation mit ihm konnte auf dem Seeweg nicht stattfinden, da Pompeius das Meer beherrschte; man zählte dafür auf die Transpadaner, die alten Klienten der Demokratie, unter denen es gewaltig gärte und die natürlich sofort das Bürgerrecht erhalten haben würden, ferner auf verschiedene keltische Stämme27. Bis nach Mauretanien hin liefen die Fäden dieser Verbindung. Einer der Mitverschworenen, der römische Großhändler Publius Sittius aus Nuceria, durch finanzielle Verwicklungen gezwungen, Italien zu meiden, hatte daselbst und in Spanien einen Trupp verzweifelter Leute bewaffnet und zog mit diesen als Freischarenführer im westlichen Afrika herum, wo er alte Handelsverbindungen hatte.

Die Partei strengte alle ihre Kräfte für den Wahlkampf an. Crassus und Caesar setzten ihr Geld – eigenes oder geborgtes -und ihre Verbindungen ein, um Catilina und Antonius das Konsulat zu verschaffen; Catilinas Genossen spannten jeden Nerv an, um den Mann an das Ruder zu bringen, der ihnen die Ämter und Priestertümer, die Paläste und Landgüter ihrer Gegner und vor allen Dingen Befreiung von ihren Schulden verhieß und von dem man wußte, daß er Wort halten werde. Die Aristokratie war in großer Not, hauptsächlich weil sie nicht einmal Gegenkandidaten aufzustellen vermochte. Daß ein solcher seinen Kopf wagte, war offenbar; und die Zeiten waren nicht mehr, wo der Posten der Gefahr den Bürger lockte – jetzt schwieg selbst der Ehrgeiz vor der Angst. So begnügte sich die Nobilität, einen schwächlichen Versuch zu machen, den Wahlumtrieben durch Erlassung eines neuen Gesetzes über den Stimmenkauf zu steuern -was übrigens an der Interzession eines Volkstribunen scheiterte – und ihre Stimmen auf einen Bewerber zu werfen, der ihr zwar auch nicht genehm, aber doch wenigstens unschädlich war. Es war dies Marcus Cicero, notorisch ein politischer Achselträger28, gewohnt bald mit den Demokraten, bald mit Pompeius, bald aus etwas weiterer Ferne mit der Aristokratie zu liebäugeln und jedem einflußreichen Beklagten ohne Unterschied der Person oder Partei – auch Catilina zählte er unter seinen Klienten – Advokatendienste zu leisten, eigentlich von keiner Partei oder, was ziemlich dasselbe ist, von der Partei der materiellen Interessen, die in den Griechen dominierte und den beredten Sachwalter, den höflichen und witzigen Gesellschafter gern hatte. Er hatte Verbindungen genug in der Hauptstadt und den Landstädten, um neben den vor der Demokratie aufgestellten Kandidaten eine Chance zu haben; und da auch die Nobilität, obwohl nicht gern, und die Pompeianer für ihn stimmten, ward er mit großer Majorität gewählt. Die beiden Kandidaten der Demokratie erhielten fast gleich viele Stimmen, jedoch fielen auf Antonius, dessen Familie angesehener war als die seines Konkurrenten, einige mehr. Dieser Zufall vereitelte die Wahl Catilinas und rettete Rom vor einem zweiten Cinna. Schon etwas früher war Piso, es hieß auf Anstiften seines politischen und persönlichen Feindes Pompeius, in Spanien von seiner einheimischen Eskorte niedergemacht worden29. Mit dem Konsul Antonius allein war nichts anzufangen; Cicero sprengte das lockere Band, das ihn an die Verschwörung knüpfte, noch ehe sie beide ihre Ämter antraten, indem er auf die von Rechts wegen ihm zustehende Losung um die Konsularprovinzen Verzicht leistete und dem tief verschuldeten Kollegen die einträgliche Statthalterschaft Makedonien überließ. Die wesentlichen Vorbedingungen auch dieses Anschlags waren also gefallen.

Inzwischen entwickelten die orientalischen Verhältnisse sich immer bedrohlicher für die Demokratie. Die Ordnung Syriens schritt rasch vorwärts; schon waren von Ägypten Aufforderungen an Pompeius ergangen, daselbst einzurücken und das Land für Rom einzuziehen; man mußte fürchten, demnächst zu vernehmen, daß Pompeius selbst das Niltal in Besitz genommen habe. Eben hierdurch mag Caesars Versuch, sich geradezu vom Volke nach Ägypten senden zu lassen, um dem Könige gegen seine aufrührerischen Untertanen Beistand zu leisten, hervorgerufen worden sein; er scheiterte, wie es scheint, an der Abneigung der Großen und Kleinen, irgend etwas gegen Pompeius‘ Interesse zu unternehmen. Pompeius‘ Heimkehr und damit die wahrscheinliche Katastrophe rückten immer näher; wie oft auch die Sehne gerissen war, es mußte doch wieder versucht werden, denselben Boten zu spannen. Die Stadt war in dumpfer Gärung: häufige Konferenzen der Häupter der Bewegung deuteten an, daß wieder etwas im Werke sei. Was das sei, ward offenbar, als die neuen Volkstribune ihr Amt antraten (10. Dezember 690 64) und sogleich einer von ihnen, Publius Servillius Rullus, ein Ackergesetz beantragte, das den Führern der Demokraten eine ähnliche Stellung verschaffen sollte, wie sie infolge der Gabinisch-Manilischen Anträge Pompeius einnahm. Der nominelle Zweck war die Gründung von Kolonien in Italien, wozu der Boden indes nicht durch Expropriation gewonnen werden sollte – vielmehr wurden alle bestehenden Privatrechte garantiert, ja sogar die widerrechtlichen Okkupationen der jüngsten Zeit in volles Eigentum umgewandelt. Nur die verpachtete kampanische Domäne sollte parzelliert und kolonisiert werden, im übrigen die Regierung das zur Assignation bestimmte Land durch gewöhnlichen Kauf erwerben. Um die hierzu nötigen Summen zu beschaffen, sollte das übrige italische und vor allem alles außeritalische Domanialland sukzessiv zum Verkauf gebracht werden; worunter namentlich die ehemaligen königlichen Tafelgüter in Makedonien, dem Thrakischen Chersones, Bithynien, Pontus, Kyrene, ferner die Gebiete der nach Kriegsrecht zu vollem Eigen gewonnenen Städte in Spanien, Afrika, Sizilien, Hellas, Kilikien verstanden waren. Verkauft werden sollte ingleichen alles, was der Staat an beweglichen und unbeweglichem Gut seit dem Jahre 666 (88) erworben und worüber er nicht früher verfügt hatte; was hauptsächlich auf Ägypten und Kypros zielte. Zu dem gleichen Zweck wurden alle untertänigen Gemeinden mit Ausnahme der Städte latinischen Rechts und der sonstigen Freistädte mit sehr hoch gegriffenen Gefällen und Zehnten belastet. Ebenfalls ward endlich für jene Ankäufe bestimmt der Ertrag der neuen Provinzialgefälle, anzurechnen vom Jahre 692 (62) und der Erlös aus der sämtlichen, noch nicht gesetzmäßig verwandten Beute; welche Anordnungen auf die neuen, von Pompeius im Osten eröffneten Steuerquellen und auf die in den Händen des Pompeius und der Erben Sullas befindlichen öffentlichen Gelder sich bezog. Zur Ausführung dieser Maßregel sollten Zehnmänner mit eigener Jurisdiktion und eigenem Imperium ernannt werden, welche fünf Jahre im Amte zu bleiben und mit 200 Unterbeamten aus dem Ritterstand sich zu umgeben hatten; bei der Wahl der Zehnmänner aber sollten nur die Kandidaten, die persönlich sich melden würden, berücksichtigt werden dürfen und, ähnlich wie bei den Priesterwahlen, nur siebzehn durch Los aus den fünfunddreißig zu bestimmende Bezirke wählen. Es war ohne großen Scharfsinn zu erkennen, daß man in diesem Zehnmännerkollegium eine der des Pompeius nachgebildete, nur etwas weniger militärisch und mehr demokratisch gefärbte Gewalt zu schaffen beabsichtigte. Man bedurfte der Gerichtsbarkeit namentlich, um die ägyptische Frage zu entscheiden, der Militärgewalt, um gegen Pompeius zu rüsten; die Klausel, welche die Wahl eines Abwesenden untersagte, schloß Pompeius aus, und die Verminderung der stimmberechtigten Bezirke sowie die Manipulation des Auslosens sollten die Lenkung der Wahl im Sinne der Demokratie erleichtern.

Indes dieser Versuch verfehlte gänzlich sein Ziel. Die Menge, die es bequemer fand, das Getreide im Schatten der römischen Hallen aus den öffentlichen Magazinen sich zumessen zu lassen, als es im Schweiße des Angesichts selber zu bauen, nahm den Antrag an sich schon mit vollkommener Gleichgültigkeit auf. Sie fühlte auch bald heraus, daß Pompeius einen solchen, in jeder Hinsicht ihn verletzenden Beschluß sich nimmermehr gefallen lassen werde und daß es nicht gut stehen könne mit einer Partei, die in ihrer peinlichen Angst sich zu so ausschweifenden Anerbietungen herbeilasse. Unter solchen Umständen fiel es der Regierung nicht schwer, den Antrag zu vereiteln; der neue Konsul Cicero nahm die Gelegenheit wahr, sein Talent, offene Türen einzulaufen, auch hier geltend zu machen; noch ehe die bereitstehenden Tribune interzedierten, zog der Urheber selbst den Vorschlag zurück (1. Januar 691 62). Die Demokratie hatte nichts gewonnen als die unerfreuliche Belehrung, daß die große Menge in Liebe oder in Furcht fortwährend noch zu Pompeius hielt und daß jeder Antrag sicher fiel, den das Publikum als gegen Pompeius gerichtet erkannte.

Ermüdet von all diesem vergeblichen Wühlen und resultatlosem Planen, beschloß Catilina, die Sache zur Entscheidung zu treiben und ein für allemal ein Ende zu machen. Er traf im Laufe des Sommers seine Maßregeln, um den Bürgerkrieg zu eröffnen. Faesulae (Fiesole), eine sehr feste Stadt in dem von Verarmten und Verschworenen wimmelnden Etrurien und fünfzehn Jahre zuvor der Herd des Lepidianischen Aufstandes, ward wiederum zum Hauptquartier der Insurrektion ausersehen. Dorthin gingen die Geldsendungen, wozu namentlich die in die Verschwörung verwickelten vornehmen Damen der Hauptstadt die Mittel hergaben; dort wurden Waffen und Soldaten gesammelt; ein alter sullanischer Hauptmann, Gaius Manlius, so tapfer und so frei von Gewissensskrupeln wie nur je ein Lanzknecht, übernahm daselbst vorläufig den Oberbefehl. Ähnliche wenn auch minder ausgedehnte Zurüstungen wurden an andern Punkten Italiens gemacht. Die Transpadaner waren so aufgeregt, daß sie nur auf das Zeichen zum Losschlagen zu warten schienen. Im bruttischen Lande, an der Ostküste Italiens, in Capua, wo überall große Sklavenmassen angehäuft waren, schien eine zweite Sklaveninsurrektion, gleich der des Spartacus, im Entstehen. Auch in der Hauptstadt bereitete etwas sich vor; wer die trotzige Haltung sah, in der die vorgeforderten Schuldner vor dem Stadtprätor erschienen, mußte der Szenen gedenken, die der Ermordung des Asellio vorangegangen waren. Die Kapitalisten schwebten in namenloser Angst; es zeigte sich nötig, das Verbot der Gold- und Silberausfuhr einzuschärfen und die Haupthäfen überwachen zu lassen. Der Plan der Verschworenen war, bei der Konsulwahl für 692 (62) zu der Catilina sich wieder gemeldet hatte, den wahlleitenden Konsul sowie die unbequemen Mitbewerber kurzweg niederzumachen und Catilinas Wahl um jeden Preis durchzusetzen, nötigenfalls selbst bewaffnete Scharen von Faesulae und den anderen Sammelpunkten gegen die Hauptstadt zu führen und mit ihnen den Widerstand zu brechen.

Cicero, beständig durch seine Agenten und Agentinnen von den Verhandlungen der Verschworenen rasch und vollständig unterrichtet, denunzierte an dem anberaumten Wahltag (20. Oktober) die Verschwörung in vollem Senat und im Beisein ihrer hauptsächlichsten Führer. Catilina ließ sich nicht dazu herab zu leugnen; er antwortete trotzig, wenn die Wahl zum Konsul auf ihn fallen sollte, so werde es allerdings der großen hauptlosen Partei gegen die kleine, von elenden Häuptern geleitete an einem Führer nicht länger fehlen. Indes da handgreifliche Beweise des Komplotts nicht vorlagen, war von dem ängstlichen Senat nichts weiter zu erreichen, als daß er in der üblichen Weise den von den Beamten zweckmäßig befundenen Ausnahmemaßregeln im voraus seine Sanktion erteilte (21. Oktober). So nahte die Wahlschlacht, diesmal mehr eine Schlacht als eine Wahl; denn auch Cicero hatte aus den jüngeren Männern namentlich des Kaufmannsstandes sich eine bewaffnete Leibwache gebildet; und seine Bewaffneten waren es, die am 28. Oktober, auf welchen Tag die Wahl vom Senat verschoben worden war, das Marsfeld bedeckten und beherrschten. Den Verschworenen gelang es weder, den wahlleitenden Konsul niederzumachen noch die Wahlen in ihrem Sinne zu entscheiden.

Inzwischen aber hatte der Bürgerkrieg begonnen. Am 27. Oktober hatte Gaius Manlius bei Faesulae den Adler aufgepflanzt, um den die Armee der Insurrektion sich scharen sollte – es war einer der Marianischen aus dem Kimbrischen Kriege –, und die Räuber aus den Bergen wie das Landvolk aufgerufen, sich ihm anzuschließen. Seine Proklamationen forderten, anknüpfend an die alten Traditionen der Volkspartei, Befreiung von der erdrückendem Schuldenlast und Milderung des Schuldprozesses, der, wenn der Schuldbestand in der Tat das Vermögen überstieg, allerdings immer noch rechtlich den Verlust der Freiheit für den Schuldner nach sich zog. Es schien, als wolle das hauptstädtische Gesindel, indem es gleichsam als legitimer Nachfolger der alten plebejischen Bauernschaft auftrat und unter den ruhmvollen Adlern des Kimbrischen Krieges seine Schlachten schlug, nicht bloß die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit Roms beschmutzen. Indes blieb diese Schilderhebung vereinzelt; in den anderen Sammelpunkten kam die Verschwörung nicht hinaus über Waffenaufhäufung und Veranstaltung geheimer Zusammenkünfte, da es überall an entschlossenen Führern gebrach. Es war ein Glück für die Regierung; denn wie offen auch seit längerer Zeit der bevorstehende Bürgerkrieg angekündigt war, hatten doch die eigene Unentschlossenheit und die Schwerfälligkeit der verrosteten Verwaltungsmaschinerie ihr nicht gestattet, irgendwelche militärische Vorbereitungen zu treffen. Erst jetzt ward der Landsturm aufgerufen und wurden in die einzelnen Landschaften Italiens höhere Offiziere kommandiert, um jeder in seinem Bezirk die Insurrektion zu unterdrücken, zugleich aus der Hauptstadt die Fechtersklaven ausgewiesen und wegen der befürchteten Brandstiftungen Patrouillen angeordnet. Catilina war in einer peinlichen Lage. Nach seiner Absicht hatte bei den Konsularwahlen gleichzeitig in der Hauptstadt und in Etrurien Iosgeschlagen werden sollen; das Scheitern der ersteren und das Ausbrechen der zweiten Bewegung gefährdete ihn persönlich wie den ganzen Erfolg seines Unternehmens. Nachdem einmal die Seinigen bei Faesulae die Waffen gegen die Regierung erhaben hatten, war in Rom seines Bleibens nicht mehr; und dennoch lag ihm nicht bloß alles daran, die hauptstädtische Verschwörung jetzt wenigstens zum raschen Losschlagen zu bestimmen, sondern wußte dies auch geschehen sein, bevor er Rom verließ – denn er kannte seine Gehilfen zu gut, um sich dafür auf sie zu verlassen. Die angesehenen unter den Mitverschworenen, Publius Lentulus Sura, Konsul 683 (71), später aus dem Senat gestoßen und jetzt, um in den Senat zurückzugelangen, wieder Prätor, und die beiden gewesenen Prätoren Publius Autronius und Lucius Cassius waren unfähige Menschen, Lentulus ein gewöhnlicher Aristokrat von großen Warten und großen Ansprüchen, aber langsam im Begreifen und unentschlossen im Handeln, Autronius durch nichts ausgezeichnet als durch seine gewaltige Kreischstimme; von Lucius Cassius gar begriff es niemand, wie ein so dicker und so einfältiger Mensch unter die Verschwörer geraten sei. Die fähigeren Teilnehmer aber, wie den jungen Senator Gaius Cethegus und die Ritter Lucius Statilius und Publius Gabinius Capito, durfte Catilina nicht wagen, an die Spitze zu stellen, da selbst unter den Verschworenen noch die traditionelle Standeshierarchie ihren Platz behauptete und auch die Anarchisten nicht meinten, obsiegen zu können, wenn nicht ein Konsular oder mindestens ein Prätorier an der Spitze stand. Wie dringend darum immer die Insurrektionsarmee nach ihrem Feldherrn verlangte und wie mißlich es für diesen war, nach dem Ausbruch des Aufstandes länger am Sitze der Regierung zu verweilen, entschloß Catilina sich dennoch, vorläufig noch in Rom zu bleiben. Gewohnt, durch seinen kecken Übermut den feigen Gegnern zu imponieren, zeigte er sich öffentlich auf dem Markte wie im Rathaus und antwortete auf die Drohungen, die dort gegen ihn fielen, daß man sich hüten möge, ihn aufs äußerste zu treiben; wem man das Haus anzünde, der werde genötigt, den Brand unter Trümmern zu löschen. In der Tat wagten es weder Private noch Behörden, auf den gefährlichen Menschen die Hand zulegen; es war ziemlich gleichgültig, daß ein junger Adliger ihn wegen Vergewaltigung vor Gericht zog, denn bevor der Prozeß zu Ende kommen konnte, mußte längst anderweitig entschieden sein. Aber auch Catilinas Entwürfe scheiterten, hauptsächlich daran, daß die Agenten der Regierung sich in den Kreis der Verschworenen gedrängt hatten und dieselbe stets von allem Detail des Kornplatts genau unterrichtet hielten. Als zum Beispiel die Verschworenen vor dem festen Praeneste erschienen (1. November), das sie durch einen Handstreich zu überrumpeln gehofft hatten, fanden sie die Bewohner gewarnt und gerüstet; und in ähnlicher Weise schlug alles fehl. Catilina fand bei all seiner Tollkühnheit es doch geraten, jetzt seine Abreise auf einen der nächsten Tage festzusetzen; vorher aber wurde noch auf seine dringende Mahnung in einer letzten Zusammenkunft der Verschworenen in der Nacht vom 6. auf den 7. November beschlossen, den Konsul Cicero, der die Kontermine hauptsächlich leitete, noch vor der Abreise des Führers zu ermorden und, um jedem Verrat zuvorzukommen, diesen Beschluß augenblicklich ins Werk zu setzen. Früh am Morgen des 7. November pochten denn auch die erkorenen Mörder an dem Hause des Konsuls; aber sie sahen die Wachen verstärkt und sich selber abgewiesen – auch diesmal hatten die Spione der Regierung den Verschworenen den Rang abgelaufen. Am Tage darauf (8. November) berief Cicero den Senat. Noch jetzt wagte es Catilina zu erscheinen und gegen die zornigen Angriffe des Konsuls, der ihm ins Gesicht die Vorgänge der letzten Tage enthüllte, eine Verteidigung zu versuchen, aber man hörte nicht mehr auf ihn und in der Nähe des Platzes, auf dem er saß, leerten sich die Bänke. Er verließ die Sitzung und begab sich, wie er übrigens auch ohne diesen Zwischenfall ohne Zweifel getan haben würde, der Verabredung gemäß nach Etrurien. Hier rief er sich selber zum Konsul aus und nahm eine zuwartende Stellung, um auf die erste Meldung von dem Ausbruch einer Insurrektion in der Hauptstadt die Truppen gegen dieselbe in Bewegung zu setzen. Die Regierung erklärte die beiden Führer Catilina und Manlius sowie diejenigen ihrer Genossen, die nicht bis zu einem bestimmten Tag die Waffen niedergelegt haben würden, in die Acht und rief neue Milizen ein; aber an die Spitze des gegen Catilina Gestimmten Heeres ward der Konsul Gaius Antonius gestellt, der notorisch in die Verschwörung verwickelt war und bei dessen Charakter es durchaus vom Zufall abhing, ob er seine Truppen gegen Catilina oder ihm zuführen werde. Man schien es geradezu darauf angelegt zu haben, aus diesem Antonius einen zweiten Lepidus zu machen. Ebensowenig ward eingeschritten gegen die in der Hauptstadt zurückgebliebenen Leiter der Verschwörung, obwohl jedermann mit Fingern auf sie wies und die Insurrektion in der Hauptstadt von den Verschworenen nichts weniger als aufgegeben, vielmehr der Plan derselben noch von Catilina selbst vor seinem Abgang von Rom festgelegt worden war. Ein Tribun sollte durch Berufung einer Volksversammlung das Zeichen geben, die Nacht darauf Cethegus den Konsul Cicero aus dem Wege räumen, Gabinius und Statilius die Stadt an zwölf Stellen zugleich in Brand stecken und mit dem inzwischen herangezogenen Heere Catilinas die Verbindung in möglichster Geschwindigkeit hergestellt werden. Hätten Cethegus‘ dringende Vorstellungen gefruchtet und Lentulus, der nach Catilinas Abreise an die Spitze der Verschworenen gestellt war, sich zu raschem Losschlagen entschlossen, so konnte die Verschwörung auch jetzt noch gelingen. Allein die Konspiratoren waren gerade ebenso unfähig und ebenso feig wie ihre Gegner; Wochen verflossen und es kam zu keiner Entscheidung.

Endlich führte die Kontermine sie herbei. In seiner weitläufigen und gern die Säumigkeit in dem Nächsten und Notwendigen durch die Entwerfung fernliegender und weitsichtiger Pläne bedeckenden Art hatte Lentulus sich mit den eben in Rom anwesenden Deputierten eines Keltengaus, der Allobrogen, eingelassen und diese, die Vertreter eines gründlich zerrütteten Gemeinwesens und selber tief verschuldet, versucht in die Verschwörung zu verwickeln, auch ihnen bei ihrer Abreise Boten und Briefe an die Vertrauten mitgegeben. Die Allobrogen verließen Rom, wurden aber in der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember hart an den Toren von den römischen Behörden angehalten und ihre Papiere ihnen abgenommen. Es zeigte sich, daß die allobrogischen Abgeordneten sich zu Spionen der römischen Regierung hergegeben und die Verhandlungen nur deshalb geführt hatten, um dieser die gewünschten Beweisstücke gegen die Hauptleiter der Verschwörung in die Hände zu spielen. Am Morgen darauf wurden von Cicero in möglichster Stille Verhaftsbefehle gegen die gefährlichsten Führer des Komplotts erlassen und gegen Lentulus, Cethegus, Gabinius und Statilius auch vollzogen, während einige andere durch die Flucht der Festnehmung entgingen. Die Schuld der Ergriffenen wie der Flüchtigen war vollkommen evident. Unmittelbar nach der Verhaftung wurden dem Senat die weggenommenen Briefschaften vorgelegt, zu deren Siegel und Handschrift die Verhafteten nicht umhin konnten, sich zu bekennen, und die Gefangenen und Zeugen verhört; weitere bestätigende Tatsachen, Waffenniederlagen in den Häusern der Verschworenen, drohende Äußerungen, die sie getan, ergaben sich alsbald; der Tatbestand der Verschwörung war vollständig und rechtskräftig festgestellt und die wichtigsten Aktenstücke sogleich auf Ciceros Veranstaltung durch fliegende Blätter publiziert.

Die Erbitterung gegen die anarchistische Verschwörung war allgemein. Gern hätte die oligarchische Partei die Enthüllungen benutzt, um mit der Demokratie überhaupt und namentlich mit Caesar abzurechnen, allein sie war viel zu gründlich gesprengt, um dies durchsetzen und ihm das Ende bereiten zu können, das sie vor Zeiten den beiden Gracchen und dem Saturninus bereitet hatte; in dieser Hinsicht blieb es bei dem guten Willen. Die hauptstädtische Menge empörten namentlich die Brandstiftungspläne der Verschworenen. Die Kaufmannschaft und die ganze Partei der materiellen Interessen erkannte in diesem Krieg der Schuldner gegen die. Gläubiger natürlich einen Kampf um ihre Existenz; in stürmischer Aufregung drängte sich ihre Jugend, die Schwerter in den Händen, um das Rathaus und zückte dieselben gegen die offenen und heimlichen Parteigenossen Catilinas. In der Tat war für den Augenblick die Verschwörung paralysiert; wenn auch vielleicht ihre letzten Urheber noch auf freien Füßen waren, so war doch der ganze mit der Ausführung beauftragte Stab der Verschwörung entweder gefangen oder auf der Flucht; der bei Faesulae versammelte Haufen konnte ohne Unterstützung durch eine Insurrektion in der Hauptstadt unmöglich viel ausrichten.

In einem leidlich geordneten Gemeinwesen wäre die Sache hiermit politisch zu Ende gewesen und hätten das Militär und die Gerichte das weitere übernommen. Allein in Rom war es so weit gekommen, daß die Regierung nicht einmal ein paar angesehene Adlige in sicherem Gewahrsam zu halten imstande war. Die Sklaven und Freigelassenen des Lentulus und der übrigen Verhafteten regten sich; Pläne, hieß es, seien geschmiedet, um sie mit Gewalt aus den Privathäusern, in denen sie gefangen saßen, zu befreien; es fehlte, dank dem anarchischen Treiben der letzten Jahre, in Rom nicht an Bandenführern, die nach einer gewissen Taxe Aufläufe und Gewalttaten in Akkord nahmen; Catilina endlich war von dem Ereignis benachrichtigt und nahe genug, um mit seinen Scharen einer. dreisten Streich zu versuchen. Wieviel an diesen Reden Wahres war, läßt sich nicht sagen; die Besorgnisse aber waren gegründet, da der Verfassung gemäß in der Hauptstadt der Regierung weder Truppen noch auch nur eine achtunggebietende Polizeimacht zu Gebote stand und sie in der Tat jedem Banditenhaufen preisgegeben war. Der Gedanke ward laut, eile etwaigen Befreiungsversuche durch sofortige Hinrichtung der Gefangenen abzuschneiden. Verfassungmäßig war dies nicht möglich. Nach dem altgeheiligten Provokationsrecht konnte über den Gemeindebürger ein Todesurteil nur von der gesamten Bürgerschaft und sonst von keiner andren Behörde verhängt werden; seit die Bürgerschaftsgerichte selbst zur Antiquität geworden waren, ward überhaupt nicht mehr auf den Tod erkannt. Gern hätte Cicero das bedenkliche Ansinnen zurückgewiesen; so gleichgültig auch an sich die Rechtsfrage dem Advokaten sein mochte, er wußte wohl, wie nützlich es ebendiesem ist, liberal zu heißen, und verspürte wenig Lust, durch dies vergossene Blut sich auf ewig von der demokratischen Partei zu scheiden. Indes seine Umgebung, namentlich seine vornehme Gemahlin drängten ihn, seine Verdienste um das Vaterland durch diesen kühnen Schritt zu krönen; der Konsul, wie alle Feigen ängstlich bemüht, den Schein der Feigheit zu vermeiden und doch auch vor der furchtbaren Verantwortung zitternd, berief in seiner Not den Senat und überließ es diesem, über Leben und Tod der vier Gefangenen zu entscheiden. Freilich hatte dies keinen Sinn; denn da der Senat verfassungmäßig noch viel weniger hierüber erkennen konnte als der Konsul, so fiel rechtlich doch immer alle Verantwortung auf den letzteren zurück; aber wann ist je die Feigheit konsequent gewesen? Caesar bot alles auf, um die Gefangenen zu retten, und seine Rede voll versteckter Drohungen vor der künftigen unausbleiblichen Rache der Demokratie machte den tiefsten Eindruck. Obwohl bereits sämtliche Konsulare und die große Majorität des Senats sich für die Hinrichtung ausgesprochen hatten, schienen doch nun wieder die meisten, Cicero voran, sich zur Enthaltung der rechtlichen Schranken zu neigen. Allein indem Cato nach Rabulistenart die Verfechter der milderen Meinung der Mitwisserschaft an dem Komplott verdächtigte und auf die Vorbereitungen zur Befreiung der Gefangenen durch einen Straßenaufstand hinwies, wußte er die schwankenden Seelen wieder in eine andere Furcht zu werfen und für die sofortige Hinrichtung der Verbrecher die Majorität zu gewinnen. Die Vollziehung des Beschlusses lag natürlich dem Konsul ob, der ihn hervorgerufen hatte. Spät am Abend des fünften Dezembers wurden die Verhafteten aus ihren bisherigen Quartieren abgeholt und über den immer noch dicht von Menschen vollgedrängten Marktplatz in das Gefängnis gebracht, worin die zum Tode verurteilten Verbrecher aufbewahrt zu werden pflegten. Es war ein unterirdisches, zwölf Fuß tiefes Gewölbe am Fuß des Kapitols, das ehemals als Brunnenhaus gedient hatte. Der Konsul selbst führte den Lentulus, Prätoren die übrigen, alle von starken Wachen begleitet; doch fand der Befreiungsversuch, den man erwartete, nicht statt. Niemand wußte, ob die Verhafteten in ein gesichertes Gewahrsam oder zur Richtstätte geführt wurden. An der Türe des Kerkers wurden sie den Dreimännern übergeben, die die Hinrichtungen leiteten, und in dem unterirdischen Gewölbe bei Fackelschein erdrosselt. Vor der Türe hatte, bis die Exekutionen vollzogen waren, der Konsul gewartet und rief darauf über den Markt hin mit seiner lauten wohlbekannten Stimme der stumm harrenden Menge die Worte zu: „Sie sind tot!“ Bis tief in die Nacht hinein wogten die Haufen durch die Straßen und begrüßten jubelnd den Konsul, dem sie meinten, die Sicherung ihrer Häuser und ihrer Habe schuldig geworden zu sein. Der Rat ordnete öffentliche Dankfeste an und die ersten Männer der Nobilität, Marcus Cato und Quintus Catulus, begrüßten den Urheber des Todesurteils mit dem – hier zuerst vernommenen – Namen eines Vaters des Vaterlandes.

Aber es war eine grauenvolle Tat und nur um so grauenvoller, weil sie einem ganzen Volke als groß und preisenswert erschien. Elender hat sich wohl nie ein Gemeinwesen bankrott erklärt, als Rom durch diesen, mit kaltem Blute von der Majorität der Regierung gefaßten, von der öffentlichen Meinung gebilligten Beschluß, einige politische Gefangene, die nach den Gesetzen zwar strafbar waren, aber das Leben nicht verwirkt hatten, eiligst umzubringen, weil man der Sicherheit der Gefängnisse nicht traute und es keine ausreichende Polizei gab! Es war der humoristische Zug, der selten einer geschichtlichen Tragödie fehlt, daß dieser Akt der brutalsten Tyrannei von dem haltungslosesten und ängstlichsten aller römischen Staatsmänner vollzogen werden mußte und daß der „erste demokratische Konsul“ dazu ausersehen war, das Palladium der alten römischen Gemeindefreiheit, das Provokationsrecht, zu zerstören.

Nachdem in der Hauptstadt die Verschwörung erstickt worden war noch bevor sie zum Ausbruch kam, blieb es noch übrig, der Insurrektion in Etrurien ein Ende zu machen. Der Heerbestand von etwa 2000 Mann, den Catilina vorfand, hatte sich durch die zahlreich herbeiströmenden Rekruten nahezu verfünffacht und bildete schon zwei ziemlich vollzählige Legionen, worin freilich nur etwa der vierte Teil der Mannschaft genügend bewaffnet war. Catilina hatte sich mit ihnen in die Berge geworfen und ein Schlacht mit den Truppen des Antonius vermieden, um die Organisierung seiner Scharen zu vollenden und den Ausbruch des Aufstandes in Rom abzuwarten. Aber die Nachricht von dem Scheitern desselben sprengte auch die Armee der Insurgenten: die Masse der minder Kompromittierten ging daraufhin wieder nach Hause. Der zurückbleibende Rest entschlossener oder vielmehr verzweifelter Leute machte einen Versuch, sich durch die Apenninenpässe nach Gallien durchzuschlagen; aber als die kleine Schar an dem Fuß des Gebirges bei Pistoria (Pistoja) anlangte, fand sie sich hier von zwei Heeren in die Mitte genommen. Vor sich hatte sie das Korps des Quintus Metellus, das von Ravenna und Ariminum herangezogen war, um den nördlichen Abhang des Apennin zu besetzen; hinter sich die Armee des Antonius, der dem Drängen seiner Offiziere endlich nachgegeben und sich zu einem Winterfeldzuge verstanden hatte. Catilina war nach beiden Seiten hin eingekeilt und die Lebensmittel gingen zu Ende; es blieb nichts übrig, als sich auf den näherstehenden Feind, das heißt auf Antonius zu werfen. In einem engen von felsigen Bergen eingeschlossenen Tale kam es zum Kampfe zwischen den Insurgenten und den Truppen des Antonius, welche derselbe, um die Exekution gegen seine ehemaligen Verbündeten wenigstens nicht selbst vollstrecken zu müssen, für diesen Tag unter einem Vorwand einem tapferen, unter den Waffen ergrauten Offizier, dem Marcus Petreius, anvertraut hatte. Die Übermacht der Regierungsarmee kam bei der Beschaffenheit des Schlachtfeldes wenig in Betracht. Catilina wie Petreius stellten ihre zuverlässigsten Leute in die vordersten Reihen; Quartier ward weder gegeben noch genommen. Lange stand der Kampf und von beiden Seiten fielen viele tapfere Männer; Catilina, der vor dem Anfange der Schlacht sein Pferd und die der sämtlichen Offiziere zurückgeschickt hatte, bewies an diesem Tage, daß ihn die Natur zu nicht gewöhnlichen Dingen bestimmt hatte und daß er es verstand, zugleich als Feldherr zu kommandieren und als Soldat zu fechten. Endlich sprengte Petreius mit seiner Garde das Zentrum des Feindes und faßte, nachdem er dies geworfen hatte, die beiden Flügel von innen; der Sieg war damit entschieden. Die Leichen der Catilinarier – man zählte ihrer 3000 – deckten gleichsam in Reihe und Glied den Boden, wo sie gefochten hatten; die Offiziere und der Feldherr selbst hatten, da alles verloren war, sich in die Feinde gestürzt und dort den Tod gesucht und gefunden (Anfang 692 62). Antonius ward wegen dieses Sieges vom Senat mit dem Imperatorentitel gebrandmarkt und neue Dankfeste bewiesen, daß Regierung und Regierte anfingen, sich an den Bürgerkrieg zu gewöhnen.

Das anarchistische Komplott war also in der Hauptstadt wie in Italien mit blutiger Gewalt niedergeschlagen worden; man ward nur noch an dasselbe erinnert durch die Kriminalprozesse, die in den etruskischen Landstädten und in der Hauptstadt unter den Affiliierten der geschlagenen Partei aufräumten, und durch die anschwellenden italischen Räuberbanden, wie deren zum Beispiel eine aus den Resten der Heere des Spartacus und des Catilina erwachsene im Jahre 694 (60) im Gebiet von Thurii durch Militärgewalt vernichtet ward. Aber es ist wichtig, es im Auge zu behalten, daß der Schlag keineswegs bloß die eigentlichen Anarchisten traf, die zur Anzündung der Hauptstadt sich verschworen und bei Pistoria gefochten hatten, sondern die ganze demokratische Partei. Daß diese, insbesondere Crassus und Caesar, hier so gut wie bei dem Komplott von 688 (66) die Hand im Spiele hatten, darf als eine nicht juristisch, aber historisch ausgemachte Tatsache angesehen werden. Zwar daß Catulus und die übrigen Häupter der Senatspartei den Führer der Demokraten der Mitwisserschaft um das anarchistische Komplott ziehen und daß dieser als Senator gegen den von der Oligarchie beabsichtigten brutalen Justizmord sprach und stimmte, konnte nur von der Parteischikane als Beweis seiner Beteiligung an den Plänen Catilinas geltend gemacht werden. Aber mehr ins Gewicht fällt eine Reihe anderer Tatsachen. Nach ausdrücklichen und unabweisbaren Zeugnissen waren es vor allen Crassus und Caesar, die Catilinas Bewerbung um das Konsulat unterstützten. Als Caesar 690 (64) die Schergen Sullas vor das Mordgericht zog, ließ er die übrigen verurteilen, den schuldigsten und schädlichsten aber von ihnen allen, den Catilina, freisprechen. Bei den Enthüllungen des dritten Dezember nannte Cicero zwar unter den Namen der bei ihm angezeigten Verschworenen die der beiden einflußreichen Männer nicht; allein es ist notorisch, daß die Denunzianten nicht bloß auf diejenigen aussagten, gegen die nachher die Untersuchung gerichtet ward, sondern außerdem noch auf „viele Unschuldige“, die der Konsul Cicero aus dem Verzeichnis zu streichen für gut fand; und in späteren Jahren, als er keine Ursache hatte, die Wahrheit zu entstellen, hat eben er ausdrücklich Caesar unter den Mitwissern genannt. Eine indirekte, aber sehr verständliche Bezichtigung liegt auch darin, daß von den vier am dritten Dezember Verhafteten die beiden am wenigsten gefährlichen, Statilius und Gabinius, den Senatoren Caesar und Crassus zur Bewachung übergeben wurden; offenbar sollten sie entweder, wenn sie sie entrinnen ließen, vor der öffentlichen Meinung als Mitschuldige oder, wenn sie in der Tat sie festhielten, vor ihren Mitverschworenen als Abtrünnige kompromittiert werden. Bezeichnend für die Situation ist die folgende im Senat vorgefallene Szene. Unmittelbar nach der Verhaftung des Lentulus und seiner Genossen wurde ein von den Verschworenen in der Hauptstadt an Catilina abgesandter Bote von den Agenten der Regierung aufgegriffen und derselbe, nachdem ihm Straflosigkeit zugesichert war, in voller Senatssitzung ein umfassendes Geständnis abzulegen veranlaßt. Wie er aber an die bedenklichen Teile seiner Konfession kam und namentlich als seinen Auftraggeber den Crassus nannte, ward er von den Senatoren unterbrochen und auf Ciceros Vorschlag beschlossen, die ganze Angabe ohne weitere Untersuchung zu kassieren, ihren Urheber aber ungeachtet der zugesicherten Amnestie so lange einzusperren, bis er nicht bloß die Angabe zurückgenommen, sondern auch bekannt haben werde, wer ihn zu solchem falschen Zeugnis aufgestiftet habe! Hier liegt es deutlich zu Tage, nicht bloß daß jener Mann die Verhältnisse recht genau kannte, der auf die Aufforderung, einen Angriff auf Crassus zu machen, zur Antwort gab, er habe keine Lust, den Stier der Herde zu reizen, sondern auch daß die Senatsmajorität, Cicero an der Spitze, unter sich einig geworden war, die Enthüllungen nicht über eine bestimmte Grenze vorschreiten zu lassen. Das Publikum war so heikel nicht; die jungen Leute, die zur Abwehr der Mordbrenner die Waffen ergriffen hatten, waren gegen keinen so erbittert wie gegen Caesar; sie richteten am fünften Dezember, als er die Kurie verließ, die Schwerter auf seine Brust und es fehlte nicht viel, daß er schon jetzt an derselben Stelle sein Leben gelassen hätte, wo siebzehn Jahre später ihn der Todesstreich traf; längere Zeit hat er die Kurie nicht wieder betreten. Wer überall den Verlauf der Verschwörung unbefangen erwägt, wird des Argwohns sich nicht zu erwehren vermögen, daß während dieser ganzen Zeit hinter Catilina mächtigere Männer standen, welche, gestützt auf den Mangel rechtlich vollständiger Beweise und auf die Lauheit und Feigheit der nur halb eingeweihten und nach jedem Vorwande zur Untätigkeit begierig greifenden Senatsmehrheit, es verstanden, jedes ernstliche Einschreiten der Behörden gegen die Verschwörung zu hemmen, dem Chef der Insurgenten freien Abzug zu verschaffen und selbst die Kriegserklärung und Truppensendungen gegen die Insurrektion so zu lenken, daß sie beinahe auf die Sendung einer Hilfsarmee hinauslief. Wenn also der Gang der Ereignisse selbst dafür zeugt, daß die Fäden des Catilinarischen Komplotts weit höher hinaufreichen als bis zu Lentulus und Catilina, so wird auch das Beachtung verdienen, daß in viel späterer Zeit, als Caesar an die Spitze des Staates gelangt war, er mit dem einzigen noch übrigen Catilinarier, dem mauretanischen Freischarenführer Publius Sittius, im engsten Bündnis stand, und daß er das Schuldrecht ganz in dem Sinne milderte, wie es die Proklamationen des Manlius begehrten.

All diese einzelnen Inzichten reden deutlich genug; wäre das aber auch nicht, die verzweifelte Lage der Demokratie gegenüber der seit den Gabinisch-Manilischen Gesetzen drohender als je ihr zur Seite sich erhebenden Militärgewalt macht es an sich schon fast zur Gewißheit, daß sie, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt, in den geheimen Komplotten und dem Bündnis mit der Anarchie eine letzte Hilfe gesucht hat. Die Verhältnisse waren denen der cinnanischen Zeit sehr ähnlich. Wenn im Osten Pompeius eine Stellung einnahm ungefähr wie damals Sulla, so suchten Crassus und Caesar ihm gegenüber in Italien eine Gewalt aufzurichten, wie Marius und Cinna sie besessen hatten, um sie dann womöglich besser als diese zu benutzen. Der Weg dahin ging wieder durch Terrorismus und Anarchie, und diesen zu bahnen war Catilina allerdings der geeignete Mann. Natürlich hielten die reputierlicheren Führer der Demokratie sich hierbei möglichst im Hintergrund und überließen den unsauberen Genossen die Ausführung der unsauberen Arbeit, deren politisches Resultat sie späterhin sich zuzueignen hofften. Noch mehr wandten, als das Unternehmen gescheitert war, die höhergestellten Teilnehmer alles an, um ihre Beteiligung daran zu verhüllen. Und auch in späterer Zeit, als der ehemalige Konspirator selbst die Zielscheibe der politischen Komplotte geworden war, zog ebendarum über diese düsteren Jahre in dem Leben des großen Mannes der Schleier nur um so dichter sich zusammen und wurden in diesem Sinne sogar eigene Apologien für ihn geschrieben30.

Seit fünf Jahren stand Pompeius im Osten an der Spitze seiner Heere und Flotten; seit fünf Jahren konspirierte die Demokratie daheim, um ihn zu stürzen. Das Ergebnis war entmutigend. Mit unsäglichen Anstrengungen hatte man nicht bloß nichts erreicht, sondern moralisch wie materiell ungeheure Einbuße gemacht. Schon die Koalition vom Jahre 683 (71) mußte den Demokraten vom reinen Wasser ein Ärgernis sein, obwohl die Demokratie damals nur mit zwei angesehenen Männern der Gegenpartei sich einließ und diese auf ihr Programm verpflichtete. Jetzt aber hatte die demokratische Partei gemeinschaftliche Sache gemacht mit einer Bande von Mördern und Bankerottierern, die fast alle gleichfalls Überläufer aus dem Lager der Aristokratie waren, und hatte deren Programm, das heißt den Cinnanischen Terrorismus, wenigstens vorläufig akzeptiert. Die Partei der materiellen Interessen, eines der Hauptelemente der Koalition von 683 (71) wurde hierdurch der Demokratie entfremdet und zunächst den Optimaten, überhaupt aber jeder Macht, die Schutz vor der Anarchie gewähren wollte und konnte, in die Arme getrieben. Selbst die hauptstädtische Menge, die zwar gegen einen Straßenkrawall nichts einzuwenden hatte, aber es doch unbequem fand, sich das Haus über dem Kopfe anzünden zu lassen, ward einigermaßen scheu. Es ist merkwürdig, daß eben in diesem Jahr (691 63) die volle Wiederherstellung der Sempronischen Getreidespenden stattfand, und zwar von Seiten des Senats auf den Antrag Catos. Offenbar hatte der Bund der Demokratenführer mit der Anarchie zwischen jene und die Stadtbürgerschaft einen Keil getrieben, und suchte die Oligarchie, nicht ohne wenigstens augenblicklichen Erfolg, diesen Riß zu erweitern und die Massen auf ihre Seite hinüberzuziehen. Endlich war Gnaeus Pompeius durch all diese Kabalen teils gewarnt, teils erbittert worden; nach allem, was vorgefallen war, und nachdem die Demokratie die Bande, die sie mit Pompeius verknüpften, selber so gut wie zerrissen hatte, konnte sie nicht mehr schicklicherweise von ihm begehren, was im Jahre 684 (70) eine gewisse Billigkeit für sich gehabt hatte, daß er die demokratische Macht, die er und die ihn emporgebracht, nicht selber mit dem Schwerte zerstöre. So war die Demokratie entehrt und geschwächt; vor allen Dingen aber war sie lächerlich geworden durch die unbarmherzige Aufdeckung ihrer Ratlosigkeit und Schwäche. Wo es sich um die Demütigung des gestürzten Regiments und ähnliche Nichtigkeiten handelte, war sie groß und gewaltig; aber jeder ihrer Versuche, einen wirklich politischen Erfolg zu erreichen, war platt zur Erde gefallen. Ihr Verhältnis zu Pompeius war so falsch wie kläglich. Während sie ihn mit Lobsprüchen und Huldigungen überschüttete, spann sie gegen ihn eine Intrige nach der anderen, die eine nach der anderen, Seifenblasen gleich, von selber zerplatzten. Der Feldherr des Ostens und der Meere, weit entfernt, sich dagegen zur Wehr zu setzen, schien das ganze geschäftige Treiben nicht einmal zu bemerken und seine Siege über sie zu erfechten wie Herakles den über die Pygmäen, ohne selber darum gewahr zu werden. Der Versuch, den Bürgerkrieg zu entflammen, war jämmerlich gescheitert; hatte die anarchistische Fraktion wenigstens einige Energie entwickelt, so hatte die reine Demokratie die Rotten wohl zu dingen verstanden, aber weder sie zu führen, noch sie zu retten, noch mit ihnen zu sterben. Selbst die alte todesmatte Oligarchie hatte, gestärkt durch die aus den Reihen der Demokratie zu ihr übertretenden Massen und vor allem durch die in dieser Angelegenheit unverkennbare Gleichheit ihrer Interessen und derjenigen des Pompeius, es vermocht, diesen Revolutionsversuch niederzuschlagen und damit noch einen letzten Sieg über die Demokratie zu erfechten. Inzwischen war König Mithradates gestorben, Kleinasien und Syrien geordnet, Pompeius‘ Heimkehr nach Italien jeden Augenblick zu erwarten. Die Entscheidung war nicht fern; aber konnte in der Tat noch die Rede sein von einer Entscheidung zwischen dem Feldherrn, der ruhmvoller und gewaltiger als je zurückkam, und der beispiellos gedemütigten und völlig machtlosen Demokratie? Crassus schickte sich an, seine Familie und sein Gold zu Schiffe zu bringen und irgendwo im Osten eine Freistatt aufzusuchen; und selbst eine so elastische und so energische Natur wie Caesar schien im Begriff, das Spiel verloren zu geben. In dieses Jahr (691 63) fällt seine Bewerbung um die Stelle des Oberpontifex; als er am Morgen der Wahl seine Wohnung verließ, äußerte er, wenn auch dieses ihm fehlschlage, werde er, die Schwelle seines Hauses nicht wieder überschreiten.

  1. Wer die Gesamtlage der politischen Verhältnisse dieser Zeit übersieht, wird spezieller Beweise nicht bedürfen, um zu der Einsicht zu gelangen, daß das letzte Ziel der demokratischen Machinationen 688f. (66) nicht der Sturz des Senats war, sondern der des Pompeius. Doch fehlt es auch an solchen Beweisen nicht. Daß die Gabinisch-Manilischen Gesetze der Demokratie einen tödlichen Schlag versetzten, sagt Sallust (Cat. 39); daß die Verschwörung 688-689 (66-65) und die Servilische Rogation speziell gegen Pompeius gerichtet waren, ist gleichfalls bezeugt (Sall. Cat. 19; Val. Max. 6, 2, 4; Cic. leg. agr. 2, 17, 46). Überdies zeigt Crassus‘ Stellung zu der Verschwörung allein schon hinreichend, daß sie gegen Pompeius gerichtet war.
  2. Plut. Crass. 13; Cic. leg. agr. 2, 17, 44. In dies Jahr (689 65) gehört Ciceros Rede De rege Alexandrino, die man unrichtig in das Jahr 698 (56) gesetzt hat. Cicero widerlegt darin, wie die Fragmente deutlich zeigen, Crassus‘ Behauptung, daß durch das Testament des Königs Alexandros Ägypten römisches Eigentum geworden sei. Diese Rechtsfrage konnte und mußte im Jahre 689 (65) diskutiert werden; im Jahre 698 (56) aber war sie durch das Julische Gesetz von 695 (59) bedeutungslos geworden. Auch handelte es sich im Jahre 698 (56) gar nicht um die Frage, wem Ägypten gehöre, sondern um die Zurückführung des durch einen Aufstand vertriebenen Königs, und es hat bei dieser uns genau bekannten Verhandlung Crassus keine Rolle gespielt. Endlich war Cicero nach der Konferenz von Luca durchaus nicht in der Lage, gegen einen der Triumvirn ernstlich zu opponieren.
  3. Die Ambrani (Suet. Caes. 9) sind wohl nicht die mit den Kimbern zusammen genannten Ambronen (Plot. Mar. 19), sondern verschrieben für Arverni.
  4. Naiver kann dies nicht ausgesprochen werden, als es in der seinem Bruder untergeschobenen Denkschrift geschieht (pet. 1, 5; 13, 51 53 vom Jahre 690 64); der Bruder selbst würde schwerlich sich so offenherzig öffentlich geäußert haben. Als authentisches Belegstück dazu werden unbefangene Leute nicht ohne Interesse die zweite Rede gegen Rullus lesen, wo der „erste demokratische Konsul“, in sehr ergötzlicher Weise das liebe Publikum nasführend, ihm die „richtige Demokratie“ entwickelt.
  5. Seine noch vorhandene Grabschrift lautet: Cn. Calpurnius Cn, f. Piso quaestor pro pr. ex s. c. provinciam Hispaniam citeriorem optinuit.
  6. Eine solche ist der ‚Catilina‘ des Sallustius, der von dem Verfasser, einem notorischen Caesarianer, nach dem Jahre 708 (46) entweder unter Caesars Alleinherrschaft oder wahrscheinlicher unter dem Triumvirat seiner Erben veröffentlicht wurde; offenbar als politische Tendenzschrift, welche sich bemüht, die demokratische Partei, auf welcher ja die römische Monarchie beruht, zu Ehren zu bringen und Caesars Andenken von dem schwärzesten Fleck, der darauf haftete, zu reinigen, nebenher auch den Oheim des Trimvirn Marcus Antonius möglichst weißzuwaschen (vgl. z. B. c. 59 mit Dio 37, 39). Ganz ähnlich soll der ‚Jugurtha‘ desselben Verfassers teils die Erbärmlichkeit des oligarchischen Regiments aufdecken, teils den Koryphäen der Demokratie Gaius Marius verherrlichen. Daß der gewandte Schriftsteller den apologetischen und akkusatorischen Charakter dieser seiner Bücher zurücktreten läßt, beweist nicht, daß sie keine, sondern daß sie gute Parteischriften sind.

6. Kapitel


6. Kapitel

Pompeius‘ Rücktritt und die Koalition der Prätendenten

Als Pompeius nach Erledigung der ihm aufgetragenen Verrichtungen seine Blicke wieder der Heimat zuwandte, fand er zum zweiten Male das Diadem zu seinen Füßen. Längst neigte die Entwicklung des römischen Gemeinwesens einer solchen Katastrophe sich zu; es war jedem Unbefangenen offenbar und war tausendmal gesagt worden, daß, wenn der Herrschaft der Aristokratie ein Ende gemacht sein werde, die Monarchie unausbleiblich sei. Jetzt war der Senat gestürzt zugleich durch die bürgerliche, liberale Opposition und die soldatische Gewalt; es konnte sich nur noch darum handeln, für die neue Ordnung der Dinge die Personen, die Namen und Formen festzustellen, die übrigens in den teils demokratischen, teils militärischen Elementen der Umwälzung bereits klar genug angedeutet waren. Die Ereignisse der letzten fünf Jahre hatten auf diese bevorstehende Umwandlung des Gemeinwesens gleichsam das letzte Siegel gedrückt. In den neu eingerichteten asiatischen Provinzen, die in ihrem Ordner den Nachfolger des großen Alexander königlich verehrten und schon seine begünstigten Freigelassenen wie Prinzen empfingen, hatte Pompeius den Grund seiner Herrschaft gelegt und zugleich die Schätze, das Heer und den Nimbus gefunden, deren der künftige Fürst des römischen Staats bedurfte. Die anarchistische Verschwörung aber in der Hauptstadt mit dem daran sich knüpfenden Bürgerkrieg hatte es jedem, der politische oder auch nur materielle Interessen hegte, mit empfindlicher Schärfe dargelegt, daß eine Regierung ohne Autorität und ohne militärische Macht, wie die des Senats war, den Staat der ebenso lächerlichen wie furchtbaren Tyrannei der politischen Industrieritter aussetzte und daß eine Verfassungsänderung, welche die Militärgewalt enger mit dem Regiment verknüpfte, eine unabweisliche Notwendigkeit war, wenn die gesellschaftliche Ordnung ferner Bestand haben sollte. So war im Osten der Herrscher aufgestanden, in Italien der Thron errichtet; allem Anschein nach war das Jahr 692 (62) das letzte der Republik, das erste der Monarchie.

Zwar ohne Kampf war an dieses Ziel nicht zu gelangen. Die Verfassung, die ein halbes Jahrtausend gedauert hatte und unter der die unbedeutende Stadt am Tiber zu beispielloser Größe und Herrlichkeit gediehen war, hatte ihre Wurzeln man wußte nicht wie tief in den Boden gesenkt, und es ließ sich durchaus nicht berechnen, bis in welche Schichten hinab der Versuch, sie umzustürzen, die bürgerliche Gesellschaft aufwühlen werde. Mehrere Nebenbuhler waren in dem Wettlauf nach dem großen Ziel von Pompeius überholt, aber nicht völlig beseitigt worden. Es lag durchaus nicht außer der Berechnung, daß alle diese Elemente sich verbanden, um den neuen Machthaber zu stürzen und Pompeius sich gegenüber Quintus Catulus und Marcus Cato mit Marcus Crassus, Gaius Caesar und Titus Labienus vereinigt fand. Aber nicht leicht konnte der unvermeidliche und unzweifelhaft ernste Kampf unter günstigeren Verhältnissen aufgenommen werden. Es war in hohem Grade wahrscheinlich, daß unter dem frischen Eindrucke des Catilinarischen Aufstandes einem Regimente, das Ordnung und Sicherheit, wenngleich um den Preis der Freiheit, verhieß, die gesamte Mittelpartei sich fügen werde, vor allem die einzig um ihre materiellen Interessen bekümmerte Kaufmannschaft, aber nicht minder ein großer Teil der Aristokratie, die, in sich zerrüttet und politisch hoffnungslos, zufrieden sein mußte, durch zeitige Transaktion mit dem Fürsten sich Reichtum, Rang und Einfluß zu sichern; vielleicht sogar mochte ein Teil der von den letzten Schlägen schwer getroffenen Demokratie sich bescheiden, von einem durch sie auf den Schild gehobenen Militärchef die Realisierung eines Teils ihrer Forderungen zu erhoffen. Aber wie auch immer die Parteiverhältnisse sich stellten, was kam, zunächst wenigstens, auf die Parteien in Italien überhaupt noch an, Pompeius gegenüber und seinem siegreichen Heer? Zwanzig Jahre zuvor hatte Sulla, nachdem er mit Mithradates einen Notfrieden abgeschlossen hatte, gegen die gesamte, seit Jahren massenhaft rüstende liberale Partei, von den gemäßigten Aristokraten und der liberalen Kaufmannschaft an bis hinab zu den Anarchisten, mit seinen fünf Legionen eine der natürlichen Entwicklung der Dinge zuwiderlaufende Restauration durchzusetzen vermocht. Pompeius‘ Aufgabe war weit minder schwer. Er kam zurück, nachdem er zur See und zu Lande seine verschiedenen Aufgaben vollständig und gewissenhaft gelöst hatte. Er durfte erwarten, auf keine andere ernstliche Opposition zu treffen als auf die der verschiedenen extremen Parteien, von denen jede einzeln gar nichts vermochte und die, selbst verbündet, immer nicht mehr waren als eine Koalition eben noch hitzig sich befehdender und innerlich gründlich entzweiter Faktionen. Vollkommen ungerüstet waren sie ohne Heer und Haupt, ohne Organisation in Italien, ohne Rückhalt in den Provinzen, vor allen Dingen ohne einen Feldherrn; es war in ihren Reihen kaum ein namhafter Militär, geschweige denn ein Offizier, der es hätte wagen dürfen, die Bürger zum Kampfe gegen Pompeius aufzurufen. Auch das durfte in Anschlag kommen, daß der jetzt seit siebzig Jahren rastlos flammende und an seiner eigenen Glut zehrende Vulkan der Revolution sichtlich ausbrannte und anfing, in sich selber zu erlöschen. Es war sehr zweifelhaft, ob es jetzt gelingen werde, die Italiker so für Parteiinteressen zu bewaffnen, wie noch Cinna und Carbo dies vermocht hatten. Wenn Pompeius zugriff, wie konnte es ihm fehlen, eine Staatsumwälzung durchzusetzen, die in der organischen Entwicklung des römischen Gemeinwesens mit einer gewissen Naturnotwendigkeit vorgezeichnet war?

Pompeius hatte den Moment erfaßt, indem er die Mission nach dem Orient übernahm; er schien fortfahren zu wollen. Im Herbste des Jahres 691 (63) traf Quintus Metellus Nepos aus dem Lager des Pompeius in der Hauptstadt ein und trat auf als Bewerber um das Tribunat, in der ausgesprochenen Absicht, als Volkstribun Pompeius das Konsulat für das Jahr 693 (61) und zunächst durch speziellen Volksbeschluß die Führung des Krieges gegen Catilina zu verschaffen. Die Aufregung in Rom war gewaltig. Es war nicht zu bezweifeln, daß Nepos im direkten oder indirekten Auftrag des Pompeius handelte; Pompeius‘ Begehren, in Italien an der Spitze seiner asiatischen Legionen als Feldherr aufzutreten und daselbst die höchste militärische und die höchste bürgerliche Gewalt zugleich zu verwalten, ward aufgefaßt als ein weiterer Schritt auf dem Wege zum Throne, Nepos‘ Sendung als die halboffizielle Ankündigung der Monarchie.

Es kam alles darauf an, wie die beiden großen politischen Parteien zu diesen Eröffnungen sich verhielten; ihre künftige Stellung und die Zukunft der Nation hingen davon ab. Die Aufnahme aber, die Nepos fand, war selbst wieder bestimmt durch das damalige Verhältnis der Parteien zu Pompeius, das sehr eigentümlicher Art war. Als Feldherr der Demokratie war Pompeius nach dem Osten gegangen. Er hatte Ursache genug, mit Caesar und seinem Anhang unzufrieden zu sein, aber ein offener Bruch war nicht erfolgt. Es ist wahrscheinlich, daß Pompeius, der weit entfernt und mit andern Dingen beschäftigt war, überdies der Gabe, sich politisch zu orientieren, durchaus entbehrte, den Umfang und den Zusammenhang der gegen ihn gesponnenen demokratischen Umtriebe damals wenigstens keineswegs durchschaute, vielleicht sogar in seiner hochmütigen und kurzsichtigen Weise einen gewissen Stolz darein setzte, diese Maulwurfstätigkeit zu ignorieren. Dazu kam, was bei einem Charakter von Pompeius‘ Art sehr ins Gewicht fiel, daß die Demokratie den äußeren Respekt gegen den großen Mann nie aus den Augen gesetzt, ja eben jetzt (691 63), unaufgefordert wie er es liebte, ihm durch einen besonderen Volksschluß unerhörte Ehren und Dekorationen gewährt hatte. Indes wäre auch alles dies nicht gewesen, so lag es in Pompeius‘ eigenem wohlverstandenen Interesse, sich wenigstens äußerlich fortwährend zur Popularpartei zu halten; Demokratie und Monarchie stehen in so enger Wahlverwandtschaft, daß Pompeius, indem er nach der Krone griff, kaum anders konnte, als sich wie bisher den Vorfechter der Volksrechte nennen. Wie also persönliche und politische Gründe, zusammenwirkten, um trotz allem Vorgefallenen Pompeius und die Führer der Demokratie bei ihrer bisherigen Verbindung festzuhalten, so geschah auf der entgegengesetzten Seite nichts, um die Kluft auszufüllen, die ihn seit seinem Übertritt in das Lager der Demokratie von seinen sullanischen Parteigenossen trennte. Sein persönliches Zerwürfnis mit Metellus und Lucullus übertrug sich auf deren ausgedehnte und einflußreiche Koterien. Eine kleinliche, aber für einen so kleinlich zugeschnittenen Charakter eben ihrer Kleinlichkeit wegen um so tiefer erbitternde Opposition des Senats hatte ihn auf seiner ganzen Feldherrnlaufbahn begleitet. Er empfand es schmerzlich, daß der Senat nicht das geringste getan, um den außerordentlichen Mann nach Verdienst, das heißt außerordentlich zu ehren. Endlich ist es nicht aus der Acht zu lassen, daß die Aristokratie eben damals von ihrem frischen Siege berauscht, die Demokratie tief gedemütigt war, und daß die Aristokratie von dem bocksteifen und halb närrischen Cato, die Demokratie von dem schmiegsamen Meister der Intrige Caesar geleitet ward.

In diese Verhältnisse traf das Auftreten des von Pompeius gesandten Emissärs. Die Aristokratie betrachtete nicht bloß die Anträge, die derselbe zu Pompeius‘ Gunsten ankündigte, als eine Kriegserklärung gegen die bestehende Verfassung, sondern behandelte sie auch öffentlich als solche und gab sich nicht die mindeste Mühe, ihre Besorgnis und ihren Ingrimm zu verhehlen: in der ausgesprochenen Absicht, diese Anträge zu bekämpfen, ließ sich Marcus Cato mit Nepos zugleich zum Volkstribun wählen und wies Pompeius‘ wiederholten Versuch, sich ihm persönlich zu nähern, schroff zurück. Es ist begreiflich, daß Nepos hiernach sich nicht veranlaßt fand, die Aristokratie zu schonen, dagegen den Demokraten sich um so bereitwilliger anschloß, als diese, geschmeidig wie immer, in das Unvermeidliche sich fügten und das Feldherrnamt in Italien wie das Konsulat lieber freiwillig zugestanden als es mit den Waffen sich abzwingen ließen. Das herzliche Einverständnis offenbarte sich bald. Nepos bekannte sich (Dezember 691 63) öffentlich zu der demokratischen Auffassung der von der Senatsmajorität kürzlich verfügten Exekutionen als verfassungswidriger Justizmorde; und daß auch sein Herr und Meister sie nicht anders ansah, bewies sein bedeutsames Stillschweigen auf die voluminöse Rechtfertigungsschrift, die ihm Cicero übersandt hatte. Andererseits war es der erste Akt, womit Caesar seine Prätur eröffnete, daß er den Quintus Catulus wegen der bei dem Wiederaufbau des Kapitolinischen Tempels angeblich von ihm unterschlagenen Gelder zur Rechenschaft zog und die Vollendung des Tempels an Pompeius übertrug. Es war das ein Meisterzug. Catulus baute an dem Tempel jetzt bereits im sechzehnten Jahr und schien gute Lust zu haben, als Oberaufseher der kapitolinischen Bauten wie zu leben so zu sterben; ein Angriff auf diesen, nur durch das Ansehen des vornehmen Beauftragten zugedeckten Mißbrauch eines öffentlichen Auftrags war der Sache nach vollkommen begründet und in hohem Maße populär. Indem aber zugleich dadurch Pompeius die Aussicht eröffnet ward, an dieser stolzesten Stelle der ersten Stadt des Erdkreises den Namen des Catulus tilgen und den seinigen eingraben zu dürfen, ward ihm ebendas geboten, was ihn vor allem reizte und der Demokratie nicht schadete, überschwengliche, aber leere Ehre, und ward zugleich die Aristokratie, die doch ihren besten Mann unmöglich fallen lassen konnte, auf die ärgerlichste Weise mit Pompeius verwickelt.

Inzwischen hatte Nepos seine Pompeius betreffenden Anträge bei der Bürgerschaft eingebracht. Am Tage der Abstimmung interzedierten Cato und sein Freund und Kollege Quintus Minucius. Als Nepos sich daran nicht kehrte und mit der Verlesung fortfuhr, kam es zu einem förmlichen Handgemenge: Cato und Minucius warfen sich über ihren Kollegen und zwangen ihn innezuhalten; eine bewaffnete Schar befreite ihn zwar und vertrieb die aristokratische Fraktion vom Markte; aber Cato und Minucius kamen wieder, nun gleichfalls von bewaffneten Haufen begleitet, und behaupteten schließlich das Schlachtfeld für die Regierung. Durch diesen Sieg ihrer Bande über die des Gegners ermutigt, suspendierte der Senat den Tribun Nepos sowie den Prätor Caesar, der denselben bei der Einbringung des Gesetzes nach Kräften unterstützt hatte, von ihren Ämtern; die Absetzung, die im Senat beantragt ward, wurde, mehr wohl wegen ihrer Verfassungs- als wegen ihrer Zweckwidrigkeit, von Cato verhindert. Caesar kehrte sich an den Beschluß nicht und fuhr in seinen Amtshandlungen fort, bis der Senat Gewalt gegen ihn brauchte. Sowie dies bekannt ward, erschien die Menge vor seinem Hause und stellte sich ihm zur Verfügung; es hätte nur von ihm abgehangen, den Straßenkampf zu beginnen oder wenigstens die von Metellus gestellten Anträge jetzt wiederaufzunehmen und Pompeius das von ihm gewünschte Militärkommando in Italien zu verschaffen; allein dies lag nicht in seinem Interesse, und so bewog er die Haufen, sich wieder zu zerstreuen, worauf der Senat die gegen ihn verhängte Strafe zurücknahm. Nepos selbst hatte sogleich nach seiner Suspension die Stadt verlassen und sich nach Asien eingeschifft, um Pompeius von dem Erfolg seiner Sendung Bericht zu erstatten.

Pompeius hatte alle Ursache, mit der Wendung der Dinge zufrieden zu sein. Der Weg zum Thron ging nun einmal notwendig durch den Bürgerkrieg; und diesen mit gutem Fug beginnen zu können dankte er Catos unverbesserlicher Verkehrtheit. Nach der rechtswidrigen Verurteilung der Anhänger Catilinas, nach den unerhörten Gewaltsamkeiten gegen den Volkstribun Metellus konnte Pompeius ihn führen zugleich als Verfechter der beiden Palladien der römischen Gemeindefreiheit, des Berufungsrechts und der Unverletzlichkeit des Volkstribunats, gegen die Aristokratie und als Vorkämpfer der Ordnungspartei gegen die Catilinarische Bande. Es schien fast unmöglich, daß Pompeius dies unterlassen und mit sehenden Augen sich zum zweitenmal in die peinliche Situation begeben werde, in die die Entlassung seiner Armee im Jahre 684 (70) ihn versetzt und aus der erst das Gabinische Gesetz ihn erlöst hatte. Indes, wie nahe es ihm auch gelegt war, die weiße Binde um seine Stirn zu legen, wie sehr seine eigene Seele danach gelüstete: als es galt, den Griff zu tun, versagten ihm abermals Herz und Hand. Dieser in allem, nur in seinen Ansprüchen nicht, ganz gewöhnliche Mensch hätte wohl gern außerhalb des Gesetzes sich gestellt, wenn dies nur hätte geschehen können, ohne den gesetzlichen Boden zu verlassen. Schon sein Zaudern in Asien ließ dies ahnen. Er hätte, wenn er gewollt, sehr wohl im Januar 692 (62) mit Flotte und Heer im Hafen von Brundisium eintreffen und Nepos hier empfangen können. Daß er den ganzen Winter 691/92 (63/62) in Asien säumte, hatte zunächst die nachteilige Folge, daß die Aristokratie, die natürlich den Feldzug gegen Catilina nach Kräften beschleunigte, inzwischen mit dessen Banden fertiggeworden war und damit der schicklichste Vorwand, die asiatischen Legionen in Italien zusammenzuhalten, hinwegfiel. Für einen Mann von Pompeius‘ Art, der in Ermangelung des Glaubens an sich und an seinen Stern sich im öffentlichen Leben ängstlich an das formale Recht anklammerte, und bei dem der Vorwand ungefähr ebensoviel wog wie der Grund, fiel dieser Umstand schwer ins Gewicht. Er mochte sich ferner sagen, daß, selbst wenn er sein Heer entlasse, er dasselbe nicht völlig aus der Hand gebe und im Notfall doch noch eher als jedes andere Parteihaupt eine schlagfertige Armee aufzubringen vermöge; daß die Demokratie in unterwürfiger Haltung seines Winkes gewärtig und mit dem widerspenstigen Senat auch ohne Soldaten fertig zu werden sei und was weiter sich von solchen Erwägungen darbot, in denen gerade genug Wahres war, um sie dem, der sich selber betrügen wollte, plausibel erscheinen zu lassen. Den Anschlag gab natürlich wiederum Pompeius‘ eigenstes Naturell. Er gehörte zu den Menschen, die wohl eines Verbrechens fähig sind, aber keiner Insurbordination; im guten wie im schlimmen Sinne war er durch und durch Soldat. Bedeutende Individualitäten achten das Gesetz als die sittliche Notwendigkeit, gemeine als die hergebrachte alltägliche Regel; ebendarum fesselt die militärische Ordnung, in der mehr als irgendwo sonst das Gesetz als Gewohnheit auftritt, jeden nicht ganz in sich festen Menschen wie mit einem Zauberbann. Es ist oft beobachtet worden, daß der Soldat, auch wenn er den Entschluß gefaßt hat, seinen Vorgesetzten den Gehorsam zu versagen, dennoch, wenn dieser Gehorsam gefordert wird, unwillkürlich wieder in Reihe und Glied tritt; es war dies Gefühl, das Lafayette und Dumouriez im letzten Augenblick vor dem Treuebruch schwanken und scheitern machte, und eben demselben ist auch Pompeius unterlegen.

Im Herbst 692 (62) schiffte Pompeius nach Italien sich ein. Während in der Hauptstadt alles sich bereitete, den neuen Monarchen zu empfangen, kam der Bericht, daß Pompeius, kaum in Brundisium gelandet, seine Legionen aufgelöst und mit geringem Gefolge die Reise nach der Hauptstadt angetreten habe. Wenn es ein Glück ist, eine Krone mühelos zu gewinnen, so hat das Glück nie mehr für einen Sterblichen getan, als es für Pompeius tat; aber an den Mutlosen verschwenden die Götter alle Gunst und alle Gabe umsonst.

Die Parteien atmeten auf. Zum zweiten Male hatte Pompeius abgedankt; die schon überwundenen Mitbewerber konnten abermals den Wettlauf beginnen, wobei wohl das wunderlichste war, daß in diesem Pompeius wieder mitlief. Im Januar 693 (61) kam er nach Rom. Seine Stellung war schief und schwankte so unklar zwischen den Parteien, daß man ihm den Spottnamen Gnaeus Cicero verlieh. Er hatte es eben mit allen verdorben. Die Anarchisten sahen in ihm einen Widersacher, die Demokraten einen unbequemen Freund, Marcus Crassus einen Nebenbuhler, die vermögende Klasse einen unzuverlässigen Beschützer, die Aristokratie einen erklärten Feind31. Er war wohl immer noch der mächtigste Mann im Staat; sein durch ganz Italien zerstreuter militärischer Anhang, sein Einfluß in den Provinzen, namentlich den östlichen, sein militärischer Ruf, sein ungeheurer Reichtum gaben ihm ein Gewicht wie es kein anderer hatte; aber statt des begeisterten Empfanges, auf den er gezählt hatte, war die Aufnahme, die er fand, mehr als kühl, und noch kühler behandelte man die Forderungen, die er stellte. Er begehrte für sich, wie er schon durch Nepos hatte ankündigen lassen, das zweite Konsulat, außerdem natürlich die Bestätigung der vor. ihm im Osten getroffenen Anordnungen und die Erfüllung des seinen Soldaten gegebenen Versprechens, sie mit Ländereien auszustatten. Hiergegen erhob sich im Senat eine systematische Opposition, zu der die persönliche Erbitterung des Lucullus und des Metellus Creticus, der alte Groll des Crassus und Catos gewissenhafte Torheit die hauptsächlichsten Elemente hergaben. Das gewünschte zweite Konsulat ward sofort und unverblümt verweigert. Gleich die erste Bitte, die der heimkehrende Feldherr an den Senat richtete, die Wahl der Konsuln für 693 (61) bis nach seinem Eintreffen in der Hauptstadt aufzuschieben, war ihm abgeschlagen worden; viel weniger war daran zu denken, die erforderliche Dispensation von dem Gesetze Sullas über die Wiederwahl vom Senat zu erlangen. Für die in den östlichen Provinzen von ihm getroffenen Anordnungen begehrte Pompeius die Bestätigung natürlich im ganzen; Lucullus setzte es durch, daß über jede Verfügung besonders verhandelt und abgestimmt ward, womit für endlose Trakasserien und eine Menge Niederlagen im einzelnen das Feld eröffnet war. Das Versprechen einer Landschenkung an die Soldaten der asiatischen Armee ward vom Senat wohl im allgemeinen ratifiziert, jedoch zugleich ausgedehnt auf die kretischen Legionen des Metellus und, was schlimmer war, es wurde nicht ausgeführt, da die Gemeindekasse leer und der Senat nicht gemeint war, die Domänen für diesen Zweck anzugreifen. Pompeius, daran verzweifelnd, der zähen und tückischen Opposition des Rates Herr zu werden, wandte sich an die Bürgerschaft. Allein auf diesem Gebiet verstand er noch weniger sich zu bewegen. Die demokratischen Führer, obwohl sie ihm nicht offen entgegentraten, hatten doch auch durchaus keine Ursache, seine Interessen zu den ihrigen zu machen und hielten sich beiseite. Pompeius‘ eigene Werkzeuge, wie zum Beispiel die durch seinen Einfloß und zum Teil durch sein Geld gewählten Konsuln Marcus Pupius Piso 693 (61) und Lucius Afranius 694 (60), erwiesen sich als ungeschickt und unbrauchbar. Als endlich durch den Volkstribun Lucius Flavius in Form eines allgemeinen Ackergesetzes die Landanweisung für Pompeius‘ alte Soldaten an die Bürgerschaft gebracht :ward, blieb der von den Demokraten nicht unterstützte, von den Aristokraten offen bekämpfte Antrag in der Minorität (Anfang 694 60). Fast demütig buhlte der hochgestellte Feldherr jetzt um die Gunst der Massen, wie denn auf seinem Antrieb durch ein von dem Prätor Metellus Nepos eingebrachtes Gesetz die italischen Zölle abgeschafft wanden (694 60). Aber er spielte den Demagogen ohne Geschick und ohne Glück; sein Ansehen litt darunter, und was er wollte, erreichte er nicht. Er hatte sich vollständig festgezogen. Einer seiner Gegner fußt seine damalige politische Stellung dahin zusammen, daß er bemüht sei, „seinen gestickten Triumphalmantel schweigend zu konservieren“. Es blieb ihm in der Tat nichts übrig, als sich zu ärgern.

Da bot sich eine neue Kombination dar. Der Führer der demokratischem Partei hatte die politische Windstille, die zunächst auf den Rücktritt des bisherigen Machthabers gefolgt war, in seinem Interesse tätig benutzt. Als Pompeius aus Asien zurückkam, war Caesar wenig mehr gewesen als was auch Catilina war: der Chef einer fast zu einem Verschwörerklub eingeschwundenen politischen Partei und ein bankrotter Mann. Seitdem aber hatte er nach verwalteter Prätur (692 62) die Statthalterschaft des Jenseitigen Spanien übernommen und dadurch Mittel gefunden, teils seiner Schulden sich zu entledigen; teils zu seinem militärischen Ruf den Grund zu legen. Sein alter Freund und Bundesgenosse Crassus hatte durch die Hoffnung, den. Rückhalt gegen Pompeius, den er an Piso verloren, jetzt an Caesar wiederzufinden, sich bestimmen lassen, ihn noch vor seinem Abgang in die Provinz von dem drückendsten Teil seiner Schuldenlast zu befreien. Er selbst hatte den kurzen Aufenthalt daselbst energisch benutzt. Im Jahre 694 (60) mit gefüllten Kassen und als Imperator mit wohlgegründeten Ansprüchen auf den Triumph aus Spanien zurückgekehrt, trat er für das folgende Jahr als Bewerber um das Konsulat auf, um dessentwillen er, da der Senat ihm die Erlaubnis, abwesend sich zu der Konsulwahl zu melden, abschlug, die Ehre des Triumphes unbedenklich darangab. Seit Jahren hatte die Demokratie danach gerungen, einen der Ihrigen in den Besitz des höchsten Amtes zu bringen, um auf dieser Brücke zu einer eigenen militärischen Macht zu gelangen. Längst war es ja den Einsichtigen aller Farben klar geworden, daß der Parteienstreit nicht durch bürgerlichen Kampf, sondern nur noch durch Militärmacht entschieden werden könne; der Verlauf aber der Koalition zwischen der Demokratie und den mächtigen Militärchefs, durch die der Senatsherrschaft ein Ende gemacht worden war, zeigte mit unerbittlicher Schärfe, daß jede solche Allianz schließlich auf eine Unterordnung der bürgerlichen unter die militärischen Elemente hinauslief und daß die Volkspartei, wenn sie wirklich herrschen wollte, nicht mit ihr eigentlich fremden, ja feindlichen Generalen sich verbünden, sondern ihre Führer selbst zu Generalen machen müsse. Die dahin zielenden Versuche, Catilinas Wahl zum Konsul durchzusetzen, in Spanien oder Ägypten einen militärischen Rückhalt zu gewinnen, waren gescheitert; jetzt bot sich ihr die Möglichkeit, ihrem bedeutendsten Manne das Konsulat und die Konsularprovinz auf dem gewöhnlichen, verfassungsmäßigen Wege zu verschaffen und durch Begründung, wenn man so sagen darf, einer demokratischen Hausmacht sich von dem zweifelhaften und gefährlichen Bundesgenossen Pompeius unabhängig zu machen.

Aber je mehr der Demokratie daran gelegen sein mußte, sich diese Bahn zu eröffnen, die ihr nicht so sehr die günstigste als die einzige Aussicht auf ernstliche Erfolge darbot, desto gewisser konnte sie dabei auf den entschlossenen Widerstand ihrer politischen Gegner zählen. Es kam darauf an, wen sie hierbei sich gegenüber fand. Die Aristokratie vereinzelt war nicht furchtbar; aber es hatte doch soeben in der Catilinarischen Angelegenheit sich herausgestellt, daß sie da allerdings noch etwas vermochte, wo sie von den Männern der materiellen Interessen und von den Anhängern des Pompeius mehr oder minder offen unterstützt ward. Sie hatte Catilinas Bewerbung um das Konsulat mehrmals vereitelt, und daß sie das gleiche gegen Caesar versuchen werde, war gewiß genug. Aber wenn auch vielleicht Caesar ihr zum Trotze gewählt ward, so reichte die Wahl allein nicht aus. Er bedurfte mindestens einige Jahre ungestörter Wirksamkeit außerhalb Italiens, um eine feste militärische Stellung zu gewinnen, und sicherlich ließ die Nobilität kein Mittel unversucht, um während dieser Vorbereitungszeit seine Pläne zu durchkreuzen. Der Gedanke lag nahe, ob es nicht gelingen könne, die Aristokratie wieder, wie im Jahre 683/84 (71 /70) zu isolieren und zwischen den Demokraten nebst ihrem Bundesgenossen Crassus einer- und Pompeius und der hohen Finanz andererseits ein auf gemeinschaftlichen Vorteil fest begründetes Bündnis aufzurichten. Für Pompeius war ein solches allerdings ein politischer Selbstmord. Sein bisheriges Gewicht im Staate beruhte darauf, daß er das einzige Parteihaupt war, das zugleich über Legionen, wenn auch jetzt aufgelöste, doch immer noch in einem gewissen Maße verfügte. Der Plan der Demokratie war ebendarauf gerichtet, ihn dieses Übergewichtes zu berauben und ihm in ihrem eigenen Haupt einen militärischen Nebenbuhler zur Seite zu stellen. Nimmermehr durfte er hierauf eingehen, am allerwenigsten aber einem Manne wie Caesar, der schon als bloßer politischer Agitator ihm genug zu schaffen gemacht und soeben in Spanien die glänzendsten Beweise auch militärischer Kapazität gegeben hatte, selber zu einer Oberfeldherrnstelle verhelfen. Allein auf der anderen Seite war, infolge der schikanösen Opposition des Senats und der Gleichgültigkeit der Menge für Pompeius und Pompeius‘ Wünsche, seine Stellung, namentlich seinen alten Soldaten gegenüber, so peinlich und so demütigend geworden, daß man bei seinem Charakter wohl erwarten konnte, um den Preis der Erlösung aus dieser unbequemen Lage ihn für eine solche Koalition zu gewinnen. Was aber die sogenannte Ritterpartei anlangt, so fand diese überall da sich ein, wo die Macht war, und es verstand sich von selbst, daß sie nicht lange auf sich werde warten lassen, wenn sie Pompeius und die Demokratie aufs neue ernstlich sich verbünden sah. Es kam hinzu, daß wegen Catos übrigens sehr löblicher Strenge gegen die Steuerpächter die hohe Finanz eben jetzt wieder mit dem Senat in heftigem Hader lag.

So ward im Sommer 694 (60) die zweite Koalition abgeschlossen. Caesar ließ sich das Konsulat für das folgende Jahr und demnächst die Statthalterschaft zusichern; Pompeius ward die Ratifikation seiner im Osten getroffenen Verfügungen und Anweisung von Ländereien an die Soldaten der asiatischen Armee zugesagt; der Ritterschaft versprach Caesar gleichfalls das, was der Senat verweigert hatte, ihr durch die Bürgerschaft zu verschaffen; Crassus endlich, der unvermeidliche, durfte wenigstens dem Bunde sich anschließen, freilich ohne für den Beitritt, den er nicht verweigern konnte, bestimmte Zusagen zu erhalten. Es waren genau dieselben Elemente, ja dieselben Personen, die im Herbst 683 (71) und die im Sommer 684 (70) den Bund miteinander schlossen; aber wie so ganz anders standen doch damals und jetzt die Parteien! Damals war die Demokratie nichts als eine politische Partei, ihre Verbündeten siegreiche, an der Spitze ihrer Armeen stehende Feldherren; jetzt war der Führer der Demokraten selber ein sieggekrönter, von großartigen militärischen Entwürfen erfüllter Imperator, die Bundesgenossen gewesene Generale ohne Armee. Damals siegte die Demokratie in Prinzipienfragen und räumte um diesen Preis die höchsten Staatsämter ihren beiden Verbündeten ein; jetzt war sie praktischer geworden und nahm die höchste bürgerliche und militärische Gewalt für sich selber, wogegen nur in untergeordneten Dingen den Bundesgenossen Konzessionen gemacht und, bezeichnend genug, nicht einmal Pompeius‘ alte Forderung eines zweiten Konsulats berücksichtigt wurde. Damals gab sich die Demokratie ihren Verbündeten hin; jetzt mußten diese sich ihr anvertrauen. Alle Verhältnisse sind vollständig verändert, am meisten jedoch der Charakter der Demokratie selbst. Wohl hatte dieselbe, seit sie überhaupt war, im innersten Kern ein monarchisches Element in sich getragen; allein das Verfassungsideal, wie es ihren besten Köpfen in mehr oder minder deutlichen Umrissen vorschwebte, blieb doch immer ein bürgerliches Gemeinwesen, eine perikleische Staatsordnung, in der die Macht des Fürsten darauf beruhte, daß er die Bürgerschaft in edelster und vollkommenster Weise vertrat und der vollkommenste und edelste Teil der Bürgschaft ihren rechten Vertrauensmann in ihm erkannte. Auch Caesar ist von solchen Anschauungen ausgegangen; aber es waren nun einmal Ideale, die wohl auf die Realitäten einwirken, aber nicht geradezu realisiert werden konnten. Weder die einfache bürgerliche Gewalt, wie Gaius Gracchus sie besessen, noch die Bewaffnung der demokratischen Partei, wie sie Cinna, freilich in sehr unzulänglicher Art, versucht hatte, vermochten in dem römischen Gemeinwesen als dauerndes Schwergewicht sich zu behaupten; die nicht für eine Partei, sondern für einen Feldherrn fechtende Heeresmaschine, die rohe Macht der Condottieri zeigte sich, nachdem sie zuerst im Dienste der Restauration auf den Schauplatz getreten war, bald allen politischen Parteien unbedingt überlegen. Auch Caesar mußte im praktischen Parteitreiben hiervon sich überzeugen und also reifte in ihm der verhängnisvolle Entschluß, diese Heeresmaschine selbst seinen Idealen dienstbar zu machen und das Gemeinwesen, wie er es im Sinne trug, durch Condottiergewalt aufzurichten. In dieser Absicht schloß er im Jahre 683 (71) den Bund mit den Generalen der Gegenpartei, welcher, ungeachtet dieselben das demokratische Programm akzeptiert hatten, doch die Demokratie und Caesar selbst an den Rand des Unterganges führte. In der gleichen Absicht trat elf Jahre später er selber als Condottiere auf. Es geschah in beiden Fällen mit einer gewissen Naivität, mit dem guten Glauben an die Möglichkeit, ein freies Gemeinwesen wo nicht durch fremde, doch durch den eigenen Säbel begründen zu können. Man sieht es ohne Mühe ein, daß dieser Glaube trog und daß niemand den bösen Geist zum Diener nimmt, ohne ihm selbst zum Knecht zu werden; aber die größten Männer sind nicht die, welche am wenigsten irren. Wenn noch nach Jahrtausenden wir ehrfurchtsvoll uns neigen vor denn, was Caesar gewollt und getan hat, so liegt die Ursache nicht darin, daß er eine Krone begehrt und gewonnen hat, was an sich so wenig etwas Großes ist wie die Krone selbst, sondern darin, daß sein mächtiges Ideal: eines freien Gemeinwesens unter einem Herrscher – ihn nie verlassen und auch als Monarchen ihn davor bewahrt hat, in das gemeine Königtum zu versinken.

Ohne Schwierigkeit ward von den vereinigten Parteien Caesars Wahl zum Konsul für das Jahr 695 (59) durchgesetzt. Die Aristokratie mußte zufrieden sein, durch einen selbst in dieser Zeit tiefster Korruption Aufsehen erregenden Stimmenkauf, wofür der ganze Herrenstand die Mittel zusammenschoß, ihm in der Person des Marcus Bibulus einen Kollegen zuzugesellen, dessen bornierter Starrsinn in ihren Kreisen als konservative Energie betrachtet ward und an dessen gutem Willen wenigstens es nicht lag, wenn die vornehmen Herren ihre patriotischen Auslagen nicht wieder herausbekamen.

Als Konsul brachte Caesar zunächst die Begehren seiner Verbündeten zur Verhandlung, unter denen die Landanweisung an die Veteranen des asiatischen Heeres bei weitem das wichtigste war. Das zu diesem Ende von Caesar entworfene Ackergesetz hielt im allgemeinen fest an den Grundzügen, wie sie der das Jahr zuvor in Pompeius‘ Auftrag eingebrachte, aber gescheiterte Gesetzesentwurf aufgestellt hatte. Zur Verteilung ward nur das italische Domanialland bestimmt, das heißt wesentlich das Gebiet von Capua, und, wenn dies nicht ausreichen sollte, anderer italischer Grundbesitz, der aus dem Ertrage der neuen östlichen Provinzen zu dem in den zensorischen Listen verzeichneten Taxationswert angekauft werden sollte; alle bestehenden Eigentums- und Erbbesitzrechte blieben also unangetastet. Die einzelnen Parzellen waren klein. Die Landempfänger sollten arme Bürger, Väter von wenigstens drei Kindern sein; der bedenkliche Grundsatz, daß der geleistete Militärdienst Anspruch auf Grundbesitz gebe, ward nicht aufgestellt, sondern es wurden nur, wie es billig und zu allen Zeiten geschehen war, die alten Soldaten sowie nicht minder die auszuweisenden Zeitpächter den Landausteilern vorzugsweise zur Berücksichtigung empfohlen. Die Ausführung ward einer Kommission von zwanzig Männern übertragen, in die Caesar bestimmt erklärte, sich selber nicht wählen lassen zu wollen.

Die Opposition hatte gegen diesen Vorschlag einen schweren Stand. Es ließ sich vernünftigerweise nicht leugnen, daß die Staatsfinanzen nach Einrichtung der Provinzen Pontus und Syrien imstande sein mußten, auf die kampanischen Pachtgelder zu verzichten; daß es unverantwortlich war, einen der schönsten und eben zum Kleinbesitz vorzüglich geeigneten Distrikt Italiens dem Privatverkehr zu entziehen; daß es endlich ebenso ungerecht wie lächerlich war, noch jetzt nach der Erstreckung des Bürgerrechts auf ganz Italien der Ortschaft Capua die Munizipalrechte vorzuenthalten. Der ganze Vorschlag trug den Stempel der Mäßigung, der Ehrlichkeit und der Solidarität, womit sehr geschickt der demokratische Parteicharakter verbunden war; denn im wesentlichen lief derselbe doch hinaus auf die Wiederherstellung der in der marianischen Zeit gegründeten und von Sulla wiederaufgehobenen capuanischen Kolonie. Auch in der Form beobachtete Caesar jede mögliche Rücksicht. Er legte den Entwurf des Ackergesetzes, sowie zugleich den Antrag, die von Pompeius im Osten erlassenen Verfügungen in Bausch und Bogen zu ratifizieren und die Petition der Steuerpächter um Nachlaß eines Drittels der Pachtsummen, zunächst dem Senat zur Begutachtung vor und erklärte sich bereit, Abänderungsvorschläge entgegenzunehmen und zu diskutieren. Das Kollegium hatte jetzt Gelegenheit, sich zu überzeugen, wie töricht es gehandelt hatte, durch Verweigerung dieser Begehren Pompeius und die Ritterpartei dem Gegner in die Arme zu treiben. Vielleicht war es das stille Gefühl hiervon, das die hochgeborenen Herren zu dem lautesten und mit dem gehaltenen Auftreten Caesars übel kontrastierenden Widerbellen trieb. Das Ackergesetz ward von ihnen einfach und selbst ohne Diskussion zurückgewiesen. Der Beschluß über Pompeius‘ Einrichtungen in Asien fand ebensowenig Gnade vor ihren Augen. Den Antrag hinsichtlich der Steuerpächter versuchte Cato nach der unlöblichen Sitte des römischen Parlamentarismus totzusprechen, das heißt bis zu der gesetzlichen Schlußstunde der Sitzung seine Rede fortzuspinnen; als Caesar Miene machte, den störrigen Mann verhaften zu lassen, ward schließlich auch dieser Antrag verworfen.

Natürlich gingen nun sämtliche Anträge an die Bürgerschaft. Ohne sich weit von der Wahrheit zu entfernen, konnte Caesar der Menge sagen, daß der Senat die vernünftigsten und notwendigsten, in der achtungsvollsten Form an ihn gebrachten Vorschläge, bloß weil sie von dem demokratischen Konsul kamen, schnöde zurückgewiesen habe. Wenn er hinzufügte, daß die Aristokraten ein Komplott gesponnen hätten, um die Verwerfung der Anträge zu bewirken, und die Bürgerschaft, namentlich Pompeius selbst und dessen alte Soldaten, aufforderte, gegen List und Gewalt ihm beizustehen, so war auch dies keineswegs aus der Luft gegriffen. Die Aristokratie, voran der eigensinnige Schwachkopf Bibulus und der standhafte Prinzipiennarr Cato, hatte in der Tat vor, die Sache bis zu offenbarer Gewalt zu treiben. Pompeius, von Caesar veranlaßt, sich über seine Stellung zu der obschwebenden Frage auszusprechen, erklärte unumwunden, wie es sonst seine Art nicht war, daß, wenn jemand wagen sollte, das Schwert zu zücken, auch er nach dem seinigen greifen und dann den Schild nicht zu Hause lassen werde; ebenso sprach Crassus sich aus. Pompeius‘ alte Soldaten wurden angewiesen, am Tage der Abstimmung, die ja zunächst sie anging, zahlreich mit Waffen unter den Kleidern auf dem Stimmplatz zu erscheinen.

Die Nobilität ließ dennoch kein Mittel unversucht, um die Anträge Caesars zu vereiteln. An jedem Tage, wo Caesar vor dem Volke auftrat, stellte sein Kollege Bibulus die bekannten politischen Wetterbeobachtungen an, die alle öffentlichen Geschäfte unterbrachen; Caesar kümmerte sich um den Himmel nicht, sondern fuhr fort, seine irdischen Geschäfte zu betreiben. Die tribunizische Interzession ward eingelegt; Caesar begnügte sich, sie nicht zu beachten. Bibulus und Cato sprangen auf die Rednertribüne, harangierten die Menge und veranlaßten den gewöhnlichen Krawall; Caesar ließ sie durch Gerichtsdiener vom Markte hinwegführen und übrigens dafür sorgen, daß ihnen kein Leides geschah – es lag auch in seinem Interesse, daß die politische Komödie das blieb, was sie war. Alles Schikanierens und alles Folterns der Nobilität ungeachtet, wurden das Ackergesetz, die Bestätigung der asiatischen Organisationen und der Nachlaß für die Steuerpächter von der Bürgerschaft angenommen, die Zwanzigerkommission, an ihrer Spitze Pompeius und Crassus, erwählt und in ihr Amt eingesetzt; mit allen ihren Anstrengungen hatte die Aristokratie nichts weiter erreicht, als daß ihre blinde und gehässige Widersetzlichkeit die Bande der Koalition noch fester gezogen und ihre Energie, deren sie bald bei. wichtigeren Dingen bedürfen sollte, an diesen im Grunde gleichgültigen Angelegenheiten sich erschöpft hatte. Man beglückwünschte sich untereinander über den bewiesenen Heldenmut; daß Bibulus erklärt hatte, lieber sterben als weichen zu wollen, daß Cato noch in den Händen der Büttel fortgefahren hatte zu perorieren, waren große patriotische Taten; übrigens ergab man sich in sein Schicksal. Der Konsul Bibulus schloß sich für den noch übrigen Teil des Jahres in sein Haus ein, wobei er zugleich durch öffentlichen Anschlag bekannt machte, daß er die fromme Absicht habe, an allen in diesem Jahr zu Volksversammlungen geeigneten Tagen nach Himmelszeichen zu spähen. Seine Kollegen bewunderten wieder den großen Mann, der, gleich wie Ennius von dem alten Fabius gesagt, „den Staat durch Zaudern errette“, und taten wie er; die meisten derselben, darunter Cato, erschienen nicht mehr im Senat und halfen innerhalb ihrer vier Wände ihrem Konsul sich ärgern, daß der politischen Astronomie zum Trotz die Weltgeschichte weiterging. Dem Publikum erschien diese Passivität des Konsuls sowie der Aristokratie überhaupt wie billig als politische Abdikation; und die Koalition war natürlich sehr wohl damit zufrieden, daß man sie die weiteren Schritte fast ungestört tun ließ. Der wichtigste darunter war die Regulierung der künftigen Stellung Caesars. Verfassungsmäßig lag es dem Senat ob, die Kompetenzen des zweiten konsularischen Amtsjahrs nach vor der Wahl der Konsuln festzustellen; demgemäß hatte er denn auch, in Voraussicht der Wahl Caesars, dazu für 696 (58) zwei Provinzen ausersehen, in denen der Statthalter nichts anderes vorzunehmen fand als Straßenbauten und dergleichen nützliche Dinge mehr. Natürlich konnte es nicht dabei bleiben; es war unter den Verbündeten ausgemacht, daß Caesar ein außerordentliches nach dem Muster der Gabinisch-Manilischen Gesetze zugeschnittenes Kommando durch Volksschluß erhalten solle. Caesar indes hatte öffentlich erklärt, keinen Antrag zu seinen eigenen Gunsten einbringen zu wollen; der Volkstribun Publius Vatinius übernahm es also, den Antrag bei der Bürgerschaft zu stellen, die natürlich unbedingt gehorchte. Caesar erhielt dadurch die Statthalterschaft des cisalpinischen Galliens und den Oberbefehl der drei daselbst stehenden, schon im Grenzkrieg unter Lucius Afranius erprobten Legionen, ferner proprätorischen Rang für seine Adjutanten, wie die Pompeianischen ihn gehabt hatten; auf fünf Jahre hinaus, auf längere Zeit, als je früher ein überhaupt auf bestimmte Zeit beschränkter Feldherr bestellt worden war, ward dies Amt ihm gesichert. Den Kern seiner Statthalterschaft bildeten die Transpadaner, seit Jahren schon, in Hoffnung auf das Bürgerrecht, die Klienten der demokratischen Partei in Rom und insbesondere Caesars. Sein Sprengel erstreckte sich südlich bis zum Arnus und zum Rubico und schloß Luca und Ravenna ein. Nachträglich ward dann noch die Provinz Narbo mit der einen daselbst befindlichen Legion zu Caesars Amtsbezirk hinzugefügt, was auf Pompeius‘ Antrag der Senat beschloß, um wenigstens nicht auch dies Kommando durch außerordentlichen Bürgerschaftsbeschluß auf Caesar übergehen zu sehen. Man hatte damit, was man wollte. Da verfassungsmäßig in dem eigentlichen Italien keine Truppen stehen durften, so beherrschte der Kommandant der norditalischen und gallischen Legionen auf die nächsten fünf Jahre zugleich Italien und Rom; und wer auf fünf Jahre, ist auch Herr auf Lebenszeit. Caesars Konsulat hatte seinen Zweck erreicht. Es versteht sich, daß die neuen Machthaber nebenbei nicht versäumten, die Menge durch Spiele und Lustbarkeiten aller Art bei guter Laune zu erhalten, und daß sie jede Gelegenheit ergriffen, ihre Kasse zu füllen; wie denn zum Beispiel dem König von Ägypten der Volksschluß, der ihn als legitimen Herrscher anerkannte, von der Koalition um hohen Preis verkauft ward, und ebenso andere Dynasten und Gemeinden Freibriefe und Privilegien bei dieser Gelegenheit erwarben.

Auch die Dauerhaftigkeit der getroffenen Einrichtungen schien hinlänglich gesichert. Das Konsulat ward wenigstens für das nächste Jahr sicheren Händen anvertraut. Das Publikum glaubte anfangs, daß es Pompeius und Crassus selber bestimmt sei; die Machthaber zogen es indes vor, zwei untergeordnete, aber zuverlässige Männer ihrer Partei, Aulus Gabinius, den besten unter Pompeius‘ Adjutanten, und Lucius Piso, der minder bedeutend, aber Caesars Schwiegervater war, für 696 (58) zu Konsuln wählen zu lassen. Pompeius übernahm es persönlich, Italien zu bewachen, wo er an der Spitze der Zwanzigerkommission die Ausführung des Ackergesetzes betrieb und gegen 20000 Bürger, großenteils alte Soldaten aus seiner Armee, im Gebiete von Capua mit Grundbesitz ausstattete; als Rückhalt gegen die hauptstädtische Opposition dienten ihm Caesars norditalische Legionen. Auf einen Bruch unter den Machthabern selbst war zunächst wenigstens keine Aussicht. Die von Caesar als Konsul erlassenen Gesetze, an deren Aufrechterhaltung Pompeius wenigstens ebensoviel gelegen war als Caesar, verbürgten die Fortdauer der Spaltung zwischen Pompeius und der Aristokratie, deren Spitzen, namentlich Cato, fortfuhren, die Gesetze als nichtig zu behandeln, und damit den Fortbestand der Koalition. Es kam hinzu, daß auch die persönlichen Bande zwischen ihren Häuptern sich enger zusammenzogen. Caesar hatte seinen Verbündeten redlich und treulich Wort gehalten, ohne sie in dem Versprochenen zu beknappen oder zu schikanieren, und namentlich das in Pompeius‘ Interesse beantragte Ackergesetz völlig wie seine eigene Sache mit Gewandtheit und Energie durchgefochten; Pompeius war nicht unempfänglich für rechtliches Verhalten und gute Treue und wohlwollend gestimmt gegen denjenigen, der ihm über die seit drei Jahren gespielte armselige Petentenrolle mit einem Schlag hinweggeholfen hatte. Der häufige und vertraute Verkehr mit einem Manne von der unwiderstehlichen Liebenswürdigkeit Caesars tat das übrige, um den Bund der Interessen in einen Freundschaftsbund umzugestalten. Das Ergebnis und das Unterpfand dieser Freundschaft, freilich zugleich auch eine öffentliche, schwer mißzuverstehende Ankündigung der neubegründeten Gesamtherrschaft, war die Ehe, die Pompeius mit Caesars einziger, dreiundzwanzigjähriger Tochter einging. Julia, die die Anmut ihres Vaters geerbt hatte, lebte mit ihrem um das doppelte älteren Gemahl in der glücklichsten Häuslichkeit, und die nach so vielen Nöten und Krisen Ruhe und Ordnung herbeisehnende Bürgerschaft sah in diesem Ehebündnis die Gewähr einer friedlichen und gedeihlichen Zukunft.

Je fester und enger also das Bündnis zwischen Pompeius und Caesar sich knüpfte, desto hoffnungsloser gestaltete sich die Sache der Aristokratie. Sie fühlte das Schwert über ihrem Haupte schweben und kannte Caesar hinlänglich, um nicht zu bezweifeln, daß er, wenn nötig, es unbedenklich brauchen werde. „Von allen Seiten“, schrieb einer von ihnen, „stehen wir im Schach; schon haben wir aus Furcht vor dem Tode oder vor der Verbannung auf die ‚Freiheit‘ verzichtet; jeder seufzt, zu reden wagt keiner“. Mehr konnten die Verbündeten nicht verlangen. Aber wenn auch die Majorität der Aristokratie in dieser wünschenswerten Stimmung sich befand, so fehlte es doch natürlich in dieser Partei auch nicht an Heißspornen. Kaum hatte Caesar das Konsulat niedergelegt, als einige der hitzigsten Aristokraten, Lucius Domitius und Gaius Memmius, im vollen Senat den Antrag stellten, die Julischen Gesetze zu kassieren. Es war das freilich nichts als eine Torheit, die nur zum Vorteil der Koalition ausschlug; denn da Caesar nun selbst darauf bestand, daß der Senat die Gültigkeit der angefochtenen Gesetze untersuchen möge, konnte dieser nicht anders, als deren Legalität förmlich anerkennen. Allein begreiflicherweise fanden dennoch die Machthaber hierin eine neue Aufforderung, an einigen der namhaftesten und vorlautesten Opponenten ein Exempel zu statuieren, und dadurch sich zu versichern, daß die übrige Masse bei jenem zweckmäßigen Seufzen und Schweigen beharre. Anfangs hatte man gehofft, daß die Klausel des Ackergesetzes, welche wie üblich den Eid auf das neue Gesetz von den sämtlichen Senatoren bei Verlust ihrer politischen Rechte forderte, die heftigsten Widersacher bestimmen werde, nach dem Vorgange des Metellus Numidicus sich durch die Eidverweigerung selber zu verbannen. Allein so gefällig erwiesen sich dieselben doch nicht; selbst der gestrenge Cato bequemte sich zu schwören, und seine Sanchos folgten ihm nach. Ein zweiter wenig ehrbarer Versuch, die Häupter der Aristokratie wegen eines angeblich gegen Pompeius gesponnenen Mordanschlags mit Kriminalanklagen zu bedrohen und dadurch sie in die Verbannung zu treiben, ward durch die Unfähigkeit der Werkzeuge vereitelt; der Denunziant, ein gewisser Vettius, übertrieb und widersprach sich so arg und der Tribun Vatinius, der die unsaubere Maschine dirigierte, zeigte sein Einverständnis mit jenem Vettius so deutlich, daß man es geraten fand, den letzteren im Gefängnis zu erdrosseln und die ganze Sache fallen zu lassen. Indes hatte man bei dieser Gelegenheit von der vollständigen Auflösung der Aristokratie und der grenzenlosen Angst der vornehmen Herren sich sattsam überzeugt; selbst ein Mann wie Lucius Lucullus hatte sich persönlich Caesar zu Füßen geworfen und öffentlich erklärt, daß er seines hohen Alters wegen sich genötigt sehe, vom öffentlichen Leben zurückzutreten. Man ließ sich denn endlich an einigen wenigen Opfern genügen. Hauptsächlich galt es Cato zu entfernen, welcher seiner Überzeugung von der Nichtigkeit der sämtlichen Julischen Gesetze keinen Hehl hatte, und der Mann war so, wie er dachte zu handeln. Ein solcher Mann war freilich Marcus Cicero nicht, und man gab sich nicht die Mühe, ihn zu fürchten. Allein die demokratische Partei, die in der Koalition die erste Rolle spielte, konnte den Justizmord des 5. Dezember 691 (63), den sie so laut und mit so gutem Rechte getadelt hatte, unmöglich nach ihrem Siege ungeahndet lassen. Hätte man die wirklichen Urheber des verhängnisvollen Beschlusses zur Rechenschaft ziehen wollen, so maßte man freilich sich nicht an den schwachmütigen Konsul halten, sondern an die Fraktion der strengen Aristokratie, die den ängstlichen Mann zu jener Exekution gedrängt hatte. Aber nach formellem Recht waren für dieselbe allerdings nicht die Ratgeber des Konsuls, sondern der Konsul selbst verantwortlich, und vor allem war es der mildere Weg, nur den Konsul zur Rechenschaft zu ziehen und das Senatskollegium ganz aus dem Spiele zu lassen, weshalb auch in den Motiven des gegen Cicero gerichteten Antrags der Senatsbeschluß, kraft dessen derselbe die Hinrichtung anordnete, geradezu als untergeschoben bezeichnet ward. Selbst gegen Cicero hätten die Machthaber gern Aufsehen erregende Schritte vermieden; allein derselbe konnte es nicht über sich gewinnen, weder den Machthabern die verlangten Garantien zu geben, noch unter einem der mehrfach ihm dargebotenen schicklichen Vorwände sich selbst von Rom zu verbannen, noch auch nur zu schweigen. Bei dem besten Willen, jeden Anstoß zu vermeiden, und der aufrichtigsten Angst hatte er doch nicht Haltung genug, um vorsichtig zu sein; das Wort maßte heraus, wenn ein petulanter Witz ihn prickelte oder wenn sein durch das Lob so vieler adliger Herren fast übergeschnapptes Selbstbewußtsein die wohlkadenzierten Perioden des plebejischen Advokaten schwellte. Die Ausführung der gegen Cato und Cicero beschlossenen Maßregeln ward dem lockeren und wüsten, aber gescheiten und vor allen Dingen dreisten Publius Clodius übertragen, der seit Jahren mit Cicero in der bittersten Feindschaft lebte und, um diese befriedigen und als Demagog eine Rolle spielen zu können, unter Caesars Konsulat sich durch eilige Adoption aus einem Patrizier in einen Plebejer verwandelt und dann für das Jahr 696 (58) zum Volkstribun hatte wählen lassen. Als Rückhalt für Clodius verweilte der Prokonsul Caesar, bis der Schlag gegen die beiden Opfer gefallen war, in der unmittelbaren Nähe der Hauptstadt. Den erhaltenen Aufträgen gemäß schlug Clodius der Bürgerschaft vor, Cato mit der Regulierung der verwickelten Gemeindeverhältnisse der Byzantier und mit der Einziehung des Königreichs Kypros zu beauftragen, welches ebenso wie Ägypten durch das Testament Alexanders II. den Römern angefallen war und nicht, wie Ägypten, die römische Einziehung abgekauft, dessen König überdies den Clodius vor Zeiten persönlich beleidigt hatte. Hinsichtlich Ciceros brachte Clodius einen Gesetzentwurf ein, welcher die Hinrichtung eines Bürgers ohne Urteil und Recht als ein mit Landesverweisung zu bestrafendes Verbrechen bezeichnete. Cato also ward durch eine ehrenvolle Sendung entfernt, Cicero wenigstens mit der möglichst gelinden Strafe belegt, überdies in dem Antrag doch nicht mit Namen genannt. Das Vergnügen aber versagte man sich nicht, einerseits einen notorisch zaghaften und zu der Gattung der politischen Wetterfahnen zählenden Mann wegen von ihm bewiesener Energie zu bestrafen, andererseits den verbissenen Gegner aller Eingriffe der Bürgerschaft in die Administration und aller außerordentlichen Kommandos durch Bürgerschaftsbeschluß selbst mit einem solchen auszustatten; und mit gleichem Humor ward der Cato betreffende Antrag motiviert mit der abnormen Tugendhaftigkeit dieses Mannes, welche ihn vor jedem andern geeignet erscheinen lasse, einen so kitzlichen Auftrag, wie die Einziehung des ansehnlichen kyprischen Kronschatzes war, auszuführen, ohne zu stehlen. Beide Anträge tragen überhaupt den Charakter rücksichtsvoller Deferenz und kühler Ironie, der Caesars Verhalten dem Senat gegenüber durchgängig bezeichnet. Auf Widerstand stießen sie nicht. Es half natürlich nichts, daß die Senatsmajorität, um doch auf irgendeine Art gegen die Verhöhnung und Brandmarkung ihres Beschlusses in der Catilinarischen Sache zu protestieren, öffentlich das Trauergewand anlegte und daß Cicero selbst, nun da es zu spät war, bei Pompeius kniefällig um Gnade bat; er mußte, noch bevor das Gesetz durchging, das ihm die Heimat verschloß, sich selber verbannen (April 696 58). Cato ließ es gleichfalls nicht darauf ankommen, durch Ablehnung des ihm gewordenen Auftrags schärfere Maßregeln zu provozieren, sondern nahm denselben an und schiffte sich ein nach dem Osten. Das Nächste war getan; auch Caesar konnte Italien verlassen, um sich ernsteren Aufgaben zu widmen.

 

  1. Der Eindruck der ersten Ansprache, die Pompeius nach seiner Rückkehr an die Bürgerschaft richtete, wird von Cicero (Art. 1, 14) so geschildert: prima contio Pornpei non iucunda miseris, inanis improbis, beatis non grata, bonis non gravis;

7. Kapitel


7. Kapitel

Die Unterwerfung des Westens

Wenn von dem armseligen Einerlei des politischen Egoismus, der in der Kurie und auf den Straßen der Hauptstadt seine Schlachten schlug, sich der Gang der Geschichte wieder zu Dingen wendet, die wichtiger sind als die Frage, ob der erste Monarch Roms Gnaeus, Gaius oder Marcus heißen wird, so mag es wohl gestattet sein, an der Schwelle eines Ereignisses, dessen Folgen noch heute die Geschicke der Welt bestimmen, einen Augenblick umzuschauen und den Zusammenhang zu bezeichnen, in welchem die Eroberung des heutigen Frankreich durch die Römer und ihre ersten Berührungen mit den Bewohnern Deutschlands und Großbritanniens weltgeschichtlich aufzufassen sind.

Kraft des Gesetzes, daß das zum Staat entwickelte Volk die politisch unmündigen, das zivilisierte die geistig unmündigen Nachbarn in sich auflöst – kraft dieses Gesetzes, das so allgemeingültig und so sehr Naturgesetz ist wie das Gesetz der Schwere, war die italische Nation, die einzige des Altertums, welche die höhere politische Entwicklung und die höhere Zivilisation, wenn auch letztere nur in unvollkommener und äußerlicher Weise, miteinander zu verbinden vermocht hat, befugt, die zum Untergang reifen griechischen Staaten des Ostens sich untertan zu machen und die Völkerschaften niedrigerer Kulturgrade im Westen, Libyer, Iberer, Kelten, Germanen, durch ihre Ansiedler zu verdrängen – eben wie England mit gleichem Recht in Asien eine ebenbürtige, aber politisch impotente Zivilisation sich unterworfen, in Amerika und Australien ausgedehnte barbarische Landschaften mit dem Stempel seiner Nationalität bezeichnet und geadelt hat und noch fortwährend bezeichnet und adelt. Die Vorbedingung dieser Aufgabe, die Einigung Italiens, hatte die römische Aristokratie vollbracht; die Aufgabe selber hat sie nicht gelöst, sondern die außeritalischen Eroberungen stets nur entweder als notwendiges Übel oder auch als einen gleichsam außerhalb des Staates stehenden Rentenbesitz betrachtet. Es ist der unvergängliche Ruhm der römischen Demokratie oder Monarchie – denn beides fällt zusammen –, daß sie jene höchste Bestimmung richtig begriffen und kräftig verwirklicht hat. Was die unwiderstehliche Macht der Verhältnisse durch den wider seinen Willen die Grundlagen der künftigen römischen Herrschaft im Westen wie im Osten feststellenden Senat vorbereitet hatte, was dann die römische Emigration in die Provinzen, die zwar als Landplage kam, aber in die westlichen Landschaften doch auch als Pionier einer höheren Kultur, instinktmäßig betrieb, das hat der Schöpfer der römischen Demokratie Gaius Gracchus mit staatsmännischer Klarheit und Sicherheit erfaßt und durchzuführen begonnen. Die beiden Grundgedanken der neuen Politik: das Machtgebiet Roms, soweit es hellenisch war, zu reunieren, soweit es nicht hellenisch war, zu kolonisieren, waren mit der Einziehung des Attalischen Reiches, mit den transalpinischen Eroberungen des Flaccus bereits in der gracchischen Zeit praktisch anerkannt worden; aber die obsiegende Reaktion ließ sie wieder verkümmern. Der römische Staat blieb eine wüste Ländermasse ohne intensive Okkupation und ohne gehörige Grenzen; Spanien und die griechisch-asiatischen Besitzungen waren durch weite, kaum in ihren Küstensäumen den Römern untertänige Gebiete von dem Mutterland geschieden, an der afrikanischen Nordküste nur die Gebiete von Karthago und Kyrene inselartig okkupiert, selbst von dem untertänigen Gebiet große Strecken, namentlich in Spanien, den Römern nur dem Namen nach unterworfen: von Seiten der Regierung aber geschah zur Konzentrierung und Arrondierung der Herrschaft schlechterdings nichts, und der Verfall der Flotte schien endlich das letzte Band zwischen den entlegenen Besitzungen zu lösen. Wohl versuchte die Demokratie, wie sie nur wieder ihr Haupt erhob, auch die äußere Politik im Geiste des Gracchus zu gestalten, wie denn namentlich Marius mit solchen Ideen sich trug; aber da sie nicht auf die Dauer ans Ruder kam, blieb es bei Entwürfen. Erst als mit dem Sturz der Sullanischen Verfassung im Jahre 684 (70) die Demokratie tatsächlich das Regiment in die Hand nahm, trat auch in dieser Hinsicht ein Umschwung ein. Vor allen Dingen ward die Herrschaft auf dem Mittelländischen Meere wiederhergestellt, die erste Lebensfrage für einen Staat wie der römische war. Gegen Osten wurde weiter durch die Einziehung der pontischen und syrischen Landschaften die Euphratgrenze gesichert. Aber noch war es übrig, jenseits der Alpen zugleich das römische Gebiet gegen Norden und Westen abzuschließen und der hellenischen Zivilisation, der noch keineswegs gebrochenen Kraft des italischen Stammes hier einen neuen jungfräulichen Boden zu gewinnen. Dieser Aufgabe hat Gaius Caesar sich unterzogen. Es ist mehr als ein Irrtum, es ist ein Frevel gegen den in der Geschichte mächtigen heiligen Geist, wenn man Gallien einzig als den Exerzierplatz betrachtet, auf dem Caesar sich und seine Legionen für den bevorstehenden Bürgerkrieg übte. Wenn auch die Unterwerfung des Westens für Caesar insofern ein Mittel zum Zweck war, als er in den transalpinischen Kriegen seine spätere Machtstellung begründet hat, so ist ebendies das Privilegium des staatsmännischen Genius, daß seine Mittel selbst wieder Zwecke sind. Caesar bedurfte wohl für seine Parteizwecke einer militärischen Macht; Gallien aber hat er nicht als Parteimann erobert. Es war zunächst für Rom eine politische Notwendigkeit, der ewig drohenden Invasion der Deutschen schon jenseits der Alpen zu begegnen und dort einen Damm zu ziehen, der der römischen Welt den Frieden sicherte. Aber auch dieser wichtige Zweck war noch nicht der höchste und letzte, weshalb Gallien von Caesar erobert ward. Als der römischen Bürgerschaft die alte Heimat zu eng geworden war und sie in Gefahr stand zu verkümmern, rettete die italische Eroberungspolitik des Senats dieselbe vom Untergang. Jetzt war auch die italische Heimat wieder zu eng geworden; wieder siechte der Staat an denselben in gleicher Art, nur in größeren Verhältnissen sich wiederholenden sozialen Mißständen. Es war ein genialer Gedanke, eine großartige Hoffnung, welche Caesar über die Alpen führte: der Gedanke und die Zuversicht, dort seinen Mitbürgern eine neue, grenzenlose Heimat zu gewinnen und den Staat zum zweitenmal dadurch zu regenerieren, daß er auf eine breitere Basis gestellt ward.

Gewissermaßen läßt sich zu den auf die Unterwerfung des Westens abzielenden Unternehmungen schon der Feldzug rechnen, den Caesar im Jahre 693 (61) im Jenseitigen Spanien unternahm. Wielange auch Spanien schon den Römern gehorchte, immer noch war selbst nach der Expedition des Decimus Brutus gegen die Callaeker das westliche Gestade von den Römern wesentlich unabhängig geblieben und die Nordküste noch gar von ihnen nicht betreten worden; und die Raubzüge, denen von dort aus die untertänigen Landschaften fortwährend sich ausgesetzt sahen, taten der Zivilisierung und Romanisierung Spaniens nicht geringen Eintrag. Hiergegen richtete sich Caesars Zug an der Westküste hinauf. Er überschritt die den Tajo nördlich begrenzende Kette der Herminischen Berge (Sierra de Estrella), nachdem er die Bewohner derselben überwunden und zum Teil in die Ebene übergesiedelt hatte, unterwarf die Landschaft zu beiden Seiten des Duero und gelangte bis an die nordwestliche Spitze der Halbinsel, wo er mit Hilfe einer von Gades herbeigezogenen Flottille Brigantium (Coruña) einnahm. Dadurch wurden die Anwohner des Atlantischen Ozeans, Lusitaner und Callaeker zur Anerkennung der römischen Suprematie gezwungen, während der Überwinder zugleich darauf bedacht war, durch Herabsetzung der nach Rom zu entrichtenden Tribute und Regulierung der ökonomischen Verhältnisse der Gemeinden die Lage der Untertanen überhaupt leidlicher zu gestalten.

Indes wenn auch schon in diesem militärischen und administrativen Debüt des großen Feldherrn und Staatsmannes dieselben Talente und dieselben leitenden Gedanken durchschimmern, die er später auf größeren Schauplätzen bewährt hat, so war doch seine Wirksamkeit auf der Iberischen Halbinsel viel zu vorübergehend, um tief einzugreifen, um so mehr als bei deren eigentümlichen physischen und nationalen Verhältnissen nur eine längere Zeit hindurch mit Stetigkeit fortgesetzte Tätigkeit hier eine dauernde Wirkung äußern konnte.

Eine bedeutendere Rolle in der romanischen Entwicklung des Westens war der Landschaft bestimmt, welche zwischen den Pyrenäen und dem Rheine, dem Mittelmeer und dem Atlantischen Ozean sich ausbreitet und an der seit der augustinischen Zeit der Name des Keltenlandes, Gallien, vorzugsweise haftet, obwohl genau genommen das Keltenland teils enger ist, teils viel weiter sich erstreckt und jene Landschaft niemals eine nationale und nicht vor Augustus eine politische Einheit gebildet hat. Es ist eben darum nicht leicht, von den in sich sehr ungleichartigen Zuständen, die Caesar bei seinem Eintreffen daselbst im Jahre 696 (58) vorfand, ein anschauliches Bild zu entwerfen.

In der Landschaft am Mittelmeer, welche ungefähr, im Westen der Rhone Languedoc, im Osten Dauphiné und Provence umfassend, seit sechzig Jahren römische Provinz war, hatten seit dem kimbrischen Sturm, der auch über sie hingebraust war, die römischen Waffen selten geruht. 664 (90) hatte Gaius Caelius mit den Salyern um Aquae Sextiae, 674 (80) Gaius Flaccus auf dem Marsch nach Spanien mit anderen keltischen Gauen gekämpft. Als im Sertorianischen Krieg der Statthalter Lucius Manlius, genötigt, seinen Kollegen jenseits der Pyrenäen zu Hilfe zu eilen, geschlagen von Ilerda (Lerida) zurückkam und auf dem Heimweg von den westlichen Nachbarn der römischen Provinz, den Aquitanern, zum zweitenmal besiegt ward (um 676 78), scheint dies einen allgemeinen Aufstand der Provinzialen zwischen den Pyrenäen und der Rhone, vielleicht selbst derer zwischen Rhone und Alpen hervorgerufen zu haben. Pompeius mußte sich durch das empörte Gallien seinen Weg nach Spanien mit dem Schwerte bahnen und gab zur Strafe für die Empörung die Marken der Volker-Arekomiker und der Helvier (Departement Gard und Ardèche) den Massalioten zu eigen; der Statthalter Manius Fonteius (678-680 76-74) führte diese Anordnungen aus und stellte die Ruhe in der Provinz wieder her, indem er die Vocontier (Departement Drôme) niederwarf, Massalia vor den Aufständischen schützte und die römische Hauptstadt Narbo, die sie berannten, wieder befreite. Die Verzweiflung indes und die ökonomische Zerrüttung, welche die Mitleidenschaft unter dem Spanischen Krieg und überhaupt die amtlichen und nichtamtlichen Erpressungen der Römer über die gallischen Besitzungen brachten, ließ dieselben nicht zur Ruhe kommen und namentlich der von Narbo am weitesten entfernte Kanton der Allobrogen war in beständiger Gärung, von der die „Friedensstiftung“, die Gaius Piso dort 688 (66) vornahm, sowie das Verhalten der allobrogischen Gesandtschaft in Rom bei Gelegenheit des Anarchistenkomplotts 691 (63) Zeugnis ablegen und die bald darauf (693 61) in offene Empörung ausbrach. Catugnatus, der Führer der Allobrogen in diesem Kriege der Verzweiflung, ward, nachdem er anfangs nicht unglücklich gefochten, bei Solonium nach rühmlicher Gegenwehr von dem Statthalter Gaius Pomptinus überwunden.

Trotz aller dieser Kämpfe wurden die Grenzer. des römischen Gebiets nicht wesentlich vorgeschoben; Lugudunum Convenarum, wo Pompeius die Trümmer der Sertorianischen Armee angesiedelt hatte, Tolosa, Vienna und Genava waren immer noch die äußersten römischen Ortschaften gegen Westen und Norden. Dabei aber war die Bedeutung dieser gallischen Besitzungen für das Mutterland beständig im Steigen; das herrliche, dem italischen verwandte Klima, die günstigen Bodenverhältnisse, das dem Handel so förderliche große und reiche Hinterland mit seinen bis nach Britannien reichenden Kaufstraßen, der bequeme Land- und Seeverkehr mit der Heimat gaben rasch dem südlichen Kettenland eine ökonomische Wichtigkeit für Italien, die viel ältere Besitzungen, wie zum Beispiel die spanischen, in Jahrhunderten nicht erreicht hatten; und wie die politisch schiffbrüchigen Römer in dieser Zeit vorzugsweise in Massalia eine Zufluchtsstätte suchten und dort italische Bildung wie italischen Luxus wiederfanden, so zogen sich auch die freiwilligen Auswanderer aus Italien mehr und mehr an die Rhone und die Garonne. „Die Provinz Gallien“, heißt es in einer zehn Jahre vor Caesars Ankunft entworfenen Schilderung, „ist voll von Kaufleuten; sie wimmelt von römischen Bürgern. Kein Gallier macht ein Geschäft ohne Vermittlung eines Römers; jeder Pfennig, der in Gallien aus einer Hand in die andere kommt, geht durch die Rechnungsbücher der römischen Bürger“. Aus derselben Schilderung ergibt sich, daß in Gallien auch außer den Kolonisten von Narbo römische Landwirte und Viehzüchter in großer Anzahl sich aufhielten; wobei übrigens nicht außer acht zu lassen ist, daß das meiste von Römern besessene Provinzland, eben wie in frühester Zeit der größte Teil der englischen Besitzungen in Nordamerika, in den Händen des hohen, in Italien lebenden Adels war und jene Ackerbauer und Viehzüchter zum größten Teil aus deren Verwaltern, Sklaven oder Freigelassenen bestanden. Es ist begreiflich, daß unter solchen Verhältnissen die Zivilisierung und die Romanisierung unter den Eingeborenen rasch um sich griff. Diese Kelten liebten den Ackerbau nicht; ihre neuen Herren aber zwangen sie, das Schwert mit dem Pfluge zu vertauschen, und es ist sehr glaublich, daß der erbitterte Widerstand der Allobrogen zum Teil eben durch dergleichen Anordnungen hervorgerufen ward. In älteren Zeiten hatte der Hellenismus auch diese Landschaften bis zu einem gewissen Grade beherrscht; die Elemente höherer Gesittung, die Anregungen zu Wein- und Ölbau, zum Gebrauche der Schrift32 und zur Münzprägung kamen ihnen von Massalia. Auch durch die Römer ward die hellenische Kultur hier nichts weniger als verdrängt; Massalia gewann durch sie mehr an Einfluß als es verlor, und noch in der römischen Zeit wurden griechische Ärzte und Rhetoren in den gallischen Kantons von Gemeinde wegen angestellt. Allein begreiflicherweise erhielt doch der Hellenismus im südlichen Keltenland durch die Römer denselben Charakter wie in Italien: die spezifisch hellenische Zivilisation wich der lateinisch-griechischen Mischkultur, die bald hier Proselyten in großer Anzahl machte. Die „Hosengallier“, wie man im Gegensatz zu den norditalischen „Galliern in der Toga“ die Bewohner des südlichen Keltenlandes nannte, waren zwar nicht wie jene bereits vollständig romanisiert, aber sie unterschieden sich doch schon sehr merklich von den „langhaarigen Galliern“ der noch unbezwungenen nördlichen Landschaften. Die bei ihnen sich einbürgernde Halbkultur gab zwar Stoff genug her zu Spöttereien über ihr barbarisches Latein, und man unterließ es nicht, dem, der im Verdacht keltischer Abstammung stand, seine „behoste Verwandtschaft“ zu Gemüte zu führen; aber dies schlechte Latein reichte doch dazu aus, daß selbst die entfernten Allobrogen mit den römischen Behörden in Geschäftsverkehr treten und sogar in römischen Gerichten ohne Dolmetsch Zeugnis ablegen konnten.

Wenn also die keltische und ligurische Bevölkerung dieser Gegenden auf dem Wege war, ihre Nationalität einzubüßen und daneben siechte und verkümmerte unter einem politischen und ökonomischen Druck, von dessen Unerträglichkeit die hoffnungslosen Aufstände hinreichend Zeugnis ablegen, so ging doch hier der Untergang der eingeborenen Bevölkerung Hand in Hand mit der Einbürgerung derselben höheren Kultur, welche wir in dieser Zeit in Italien finden. Aquae Sextiae und mehr noch Narbo waren ansehnliche Ortschaften, die wohl neben Benevent und Capua genannt werden mochten; und Massalia, die bestgeordnete, freieste, wehrhafteste, mächtigste unter allen von Rom abhängigen griechischen Städten, unter ihrem streng aristokratischen Regiment, auf das die römischen Konservativen wohl als auf das Muster einer guten Stadtverfassung hinwiesen, im Besitz eines bedeutenden und von den Römern noch ansehnlich vergrößerten Gebiets und eines ausgebreiteten Handels, stand neben jenen launischen Städten wie in Italien neben Capua und Benevent Rhegion und Neapolis.

Anders sah es aus, wenn man die römische Grenze überschritt. Die große keltische Nation, die in den südlichen Landschaften schon von der italischen Einwanderung anfing unterdrückt zu werden, bewegte sich nördlich der Cevennen noch in althergebrachter Freiheit. Es ist nicht das erste Mal, daß wir ihr begegnen; mit den Ausläufern und Vorposten des ungeheuren Stammes hatten die Italiker bereits am Tiber und am Po, in den Bergen Kastiliens und Kärntens, ja tief im inneren Kleinasien gefochten, erst hier aber ward der Hauptstock in seinem Kerne von ihren Angriffen erfaßt. Der Keltenstamm hatte bei seiner Ansiedlung in Mitteleuropa sich vornehmlich über die reichen Flußtäler und das anmutige Hügelland des heutigen Frankreich mit Einschluß der westlichen Striche Deutschlands und der Schweiz ergossen und von hier aus wenigstens den südlichen Teil von England, vielleicht schon damals ganz Großbritannien und Irland besetzt33; mehr als irgendwo sonst bildete er hier eine breite, geographisch geschlossene Völkermasse. Trotz der Unterschiede in Sprache und Sitte, die natürlich innerhalb dieses weiten Gebietes nicht fehlten, scheint dennoch ein enger gegenseitiger Verkehr, ein geistiges Gefühl der Gemeinschaft die Völkerschaften von der Rhone und Garonne bis zum Rhein und der Themse zusammengeknüpft zu haben; wogegen dieselben mit den Kelten in Spanien und im heutigen Österreich wohl örtlich gewissermaßen zusammenhingen, aber doch teils die gewaltigen Bergscheiden der Pyrenäen und der Alpen, teils die hier ebenfalls einwirkenden Obergriffe der Römer und der Germanen den Verkehr und den geistigen Zusammenhang der Stammverwandten ganz anders unterbrachen als der schmale Meerarm den der kontinentalen und der britischen Kelten. Leider ist es uns nicht vergönnt, die innere Entwicklungsgeschichte des merkwürdigen Volkes in diesen seinen Hauptsitzen von Stufe zu Stufe zu verfolgen; wir müssen uns begnügen, dessen kulturhistorischen und politischen Zustand, wie er hier zu Caesars Zeit uns entgegentritt, wenigstens in seinen Umrissen darzustellen.

Gallien war nach den Berichten der Alten verhältnismäßig wohl bevölkert. Einzelne Angaben lassen schließen, daß in den belgischen Distrikten etwa 900 Köpfe auf die Quadratmeile kamen – ein Verhältnis, wie es heutzutage etwa für Wallis und für Livland gilt, – in dem helvetischen Kanton etwa 110034

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Dem Zusammensiedeln waren die Gallier von Haus aus geneigt; offene Dörfer gab es überall und allein der helvetische Kanton zählte deren im Jahre 696 (58) vierhundert außer einer Menge einzelner Höfe. Aber es fehlte auch nicht an ummauerten Städten, deren Mauern von Fachwerk sowohl durch ihre Zweckmäßigkeit als durch die zierliche Ineinanderfügung von Balken und Steinen den Römern auffielen, während freilich selbst in den Städten der Allobrogen die Gebäude allein aus Holz aufgeführt waren. Solcher Städte hatten die Helvetier zwölf und ebensoviele die Suessionen; wogegen allerdings in den nördlicheren Distrikten, zum Beispiel bei den Nerviern, es wohl auch Städte gab, aber doch die Bevölkerung im Kriege mehr in den Sümpfen und Wäldern als hinter den Mauern Schutz suchte und jenseits der Themse gar die primitive Schutzwehr der Waldverhacke durchaus an die Stelle der Städte trat und im Krieg die einzige Zufluchtsstätte für Menschen und Herden war. Mit der verhältnismäßig bedeutenden Entwicklung des städtischen Lebens steht in enger Verbindung die Regsamkeit des Verkehrs zu Lande und zu Wasser. Überall gab es Straßen und Brücken. Die Flußschiffahrt, wozu Ströme wie Rhone, Garonne, Loire und Seine von selber aufforderten, war ansehnlich und ergiebig. Aber weit merkwürdiger noch ist die Seeschiffahrt der Kelten. Nicht bloß sind die Kelten allem Anschein nach diejenige Nation, die zuerst den Atlantischen Ozean regelmäßig befahren hat, sondern wir finden auch hier die Kunst, Schiffe zu bauen und zu lenken, auf einer bemerkenswerten Höhe. Die Schiffahrt der Völker des Mittelmeers ist, wie dies bei der Beschaffenheit der von ihnen befahrenen Gewässer begreiflich ist, verhältnismäßig lange bei dem Ruder stehengeblieben: die Kriegsfahrzeuge der Phöniker, Hellenen und Römer waren zu allen Zeiten Rudergaleeren, auf welchen das Segel nur als gelegentliche Verstärkung des Ruders verwendet wurde; nur die Handelsschiffe sind in der Epoche der entwickelten antiken Zivilisation eigentliche Segler gewesen36. Die Gallier dagegen bedienten zwar auf dem Kanal sich zu Caesars Zeit wie noch lange nachher einer Art tragbarer lederner Kähne, die im wesentlichen gewöhnliche Ruderboote gewesen zu sein scheinen; aber an der Westküste Galliens fuhren die Santonen, die Pictonen, vor allem die Veneter mit großen, freilich plump gebauten Schiffen, die nicht mit Rudern bewegt wurden, sondern mit Ledersegeln und eisernen Ankerketten versehen waren, und verwandten diese nicht nur für ihren Handelsverkehr mit Britannien, sondern auch im Seegefecht. Hier also begegnen wir nicht bloß zuerst der Schiffahrt auf dem freien Ozean, sondern hier hat auch zuerst das Segelschiff völlig den Platz des Ruderbootes eingenommen – ein Fortschritt, den freilich die sinkende Regsamkeit der alten Welt nicht zu nutzen verstanden hat und dessen unübersehliche Resultate erst unsere verjüngte Kulturperiode beschäftigt ist, allmählich zu ziehen.

Bei diesem regelmäßigen Seeverkehr zwischen der britischen und der gallischen Küste ist die überaus enge politische Verbindung zwischen den beiderseitigen Anwohnern des Kanals ebenso erklärlich wie das Aufblühen des überseeischen Handels und der Fischerei. Es waren die Kelten, namentlich der Bretagne, die das Zinn der Gruben von Cornwallis aus England holten und es auf den Fluß- und Landstraßen des Keltenlandes nach Narbo und Massalia verfuhren. Die Angabe, daß zu Caesars Zeit einzelne Völkerschaften an der Rheinmündung von Fischen und Vogeleiern lebten, darf man wohl darauf beziehen, daß hier die Seefischerei und das Einsammeln der Seevögeleier in ausgedehntem Umfang betrieben ward. Faßt man die vereinzelten und spärlichen Angaben, die über den keltischen Handel und Verkehr uns geblieben sind, in Gedanken ergänzend zusammen, so begreift man es, daß die Zölle der Fluß- und Seehäfen in den Budgets einzelner Kantons, zum Beispiel in denen der Häduer und der Veneter, eine große Rolle spielten und daß der Hauptgott der Nation ihr galt als der Beschützer der Straßen und des Handels und zugleich als Erfinder der Gewerke. Ganz nichtig kann danach auch die keltische Industrie nicht gewesen sein; wie denn die ungemeine Anstelligkeit der Kelten und ihr eigentümliches Geschick, jedes Muster nachzuahmen und jede Anweisung auszuführen auch von Caesar hervorgehoben wird. In den meisten Zweigen scheint aber doch das Gewerk bei ihnen sich nicht über das Maß des Gewöhnlichen erhoben zu haben; die später im mittleren und nördlichen Gallien blühende Fabrikation leinener und wollener Stoffe ist nachweislich erst durch die Römer ins Leben gerufen worden. Eine Ausnahme, und soviel wir wissen die einzige, macht die Bearbeitung der Metalle. Das nicht selten technisch vorzügliche und noch jetzt geschmeidige Kupfergerät, das in den Gräbern des Keltenlandes zum Vorschein kommt, und die sorgfältig justierten arvernischen Goldmünzen sind heute noch lebendige Zeugen der Geschicklichkeit der keltischen Kupfer- und Goldarbeiter; und wohl stimmen dazu die Berichte der Alten, daß die Römer von den Biturigen das Verzinnen, von den Alesiern das Versilbern lernten – Erfindungen, von denen die erste durch den Zinnhandel nahe genug gelegt war und die doch wahrscheinlich beide noch in der Zeit der keltischen Freiheit gemacht worden sind. Hand in Hand mit der Gewandtheit in der Bearbeitung der Metalle ging die Kunst, sie zu gewinnen, die zum Teil, namentlich in den Eisengruben an der Loire, eine solche bergmännische Höhe erreicht hatte, daß die Grubenarbeiter bei den Belagerungen eine bedeutende Rolle spielten. Die den Römern dieser Zeit geläufige Meinung, daß Gallien eines der goldreichsten Länder der Erde sei, wird freilich widerlegt durch die wohlbekannten Bodenverhältnisse und durch die Fundbestände der keltischen Gräber, in denen Gold nur sparsam und bei weitem minder häufig erscheint als in den gleichartigen Funden der wahren Heimatländer des Goldes; es ist auch diese Vorstellung wohl nur hervorgerufen worden durch das, was griechische Reisende und römische Soldaten, ohne Zweifel nicht ohne starke Übertreibung, ihren Landsleuten von der Pracht der arvernischen Könige und den Schätzen der tolosanischen Tempel zu erzählen wußten. Aber völlig aus der Luft griffen die Erzähler doch nicht. Es ist sehr glaublich, daß in und an den Flüssen, welche aus den Alpen und den Pyrenäen strömen, Goldwäschereien und Goldsuchereien, die bei dem heutigen Wert der Arbeitskraft unergiebig sind, in roheren Zeiten und bei Sklavenwirtschaft mit Nutzen und in bedeutendem Umfang betrieben wurden; überdies mögen die Handelsverhältnisse Galliens, wie nicht selten die der halbzivilisierten Völker, das Aufhäufen eines toten Kapitals edler Metalle begünstigt haben.

Bemerkenswert ist der niedrige Stand der bildenden Kunst, der bei der mechanischen Geschicklichkeit in Behandlung der Metalle nur um so greller hervortritt. Die Vorliebe für bunte und glänzende Zieraten zeigt den Mangel an Schönheitssinn, und eine leidige Bestätigung gewähren die gallischen Münzen mit ihren bald übereinfach, bald abenteuerlich, immer aber kindisch entworfenen und fast ohne Ausnahme mit unvergleichlicher Roheit ausgeführten Darstellungen. Es ist vielleicht ohne Beispiel, daß eine Jahrhunderte hindurch mit einem gewissen technischen Geschick geübte Münzprägung sich wesentlich darauf beschränkt hat, zwei oder drei griechische Stempel immer wieder und immer entstellter nachzuschneiden. Dagegen wurde die Dichtkunst von den Kelten hoch geschätzt und verwuchs eng mit den religiösen und selbst mit den politischen Institutionen der Nation; wir finden die geistliche wie die Hof- und Bettelpoesie in Blüte. Auch Naturwissenschaft und Philosophie fanden, wenngleich in den Formen und den Banden der Landestheologie, bei den Kelten eine gewisse Pflege und der hellenische Humanismus eine bereitwillige Aufnahme, wo und wie er an sie herantrat. Die Kunde der Schrift war wenigstens bei den Priestern allgemein. Meistenteils bediente man in dem freien Gallien zu Caesars Zeit sich der griechischen, wie unter andern die Helvetier taten; nur in den südlichsten Distrikten desselben war schon damals infolge des Verkehrs mit den romanisierten Kelten die lateinische überwiegend, der wir zum Beispiel auf den arvernischen Münzen dieser Zeit begegnen.

Auch die politische Entwicklung der keltischen Nation bietet sehr bemerkenswerte Erscheinungen. Die staatliche Verfassung ruht bei ihr wie überall auf dem Geschlechtsgau mit dem Fürsten, dem Rat der Ältesten und der Gemeinde der freien waffenfähigen Männer; dies aber ist ihr eigentümlich, daß sie über diese Gauverfassung niemals hinausgelangt ist. Bei den Griechen und Römern trat sehr früh an die Stelle des Gaues als die Grundlage der politischen Einheit der Mauerring: wo zwei Gaue in denselben Mauern sich zusammenfanden, verschmolzen sie zu einem Gemeinwesen; wo eine Bürgerschaft einem Teil ihrer Mitbürger einen neuen Mauerring anwies, entstand regelmäßig damit auch ein neuer, nur durch die Bande der Pietät und höchstens der Klientel mit der Muttergemeinde, verknüpfter Staat. Bei den Kelten dagegen bleibt die „Bürgerschaft“ zu allen Zeiten der Clan; dem Gau und nicht irgendeiner Stadt stehen Fürst und Rat vor, und der allgemeine Gautag bildet die letzte Instanz im Staate. Die Stadt hat, wie im Orient, nur merkantile und strategische, nicht politische Bedeutung; weshalb denn auch die gallischen Ortschaften, selbst ummauerte und sehr ansehnliche wie Vienna und Genava, den Griechen und Römern nichts sind als Dörfer. Zu Caesars Zeit bestand die ursprüngliche Clanverfassung noch wesentlich ungeändert bei den Inselkelten und in den nördlichen Gauen des Festlandes: die Landesgemeinde behauptete die höchste Autorität; der Fürst ward in wesentlichen Fragen durch ihre Beschlüsse gebunden; der Gemeinderat war zahlreich – er zählte in einzelnen Clans sechshundert Mitglieder –, scheint aber nicht mehr bedeutet zu haben als der Senat unter den römischen Königen. Dagegen in dem regsameren Süden des Landes war ein oder zwei Menschenalter vor Caesar – die Kinder der letzten Könige lebten noch zu seiner Zeit – wenigstens bei den größeren Clans, den Arvernern, Häduern, Sequanern, Helvetiern, eine Umwälzung eingetreten, die die Königsherrschaft beseitigte und dem Adel die Gewalt in die Hände gab. Es ist nur die Kehrseite des ebenbezeichneten vollständigen Mangels städtischer Gemeinwesen bei den Kelten, daß der entgegengesetzte Pol der politischen Entwicklung, das Rittertum, in der keltischen Clanverfassung so völlig überwiegt. Die keltische Aristokratie war allem Anschein nach ein hoher Adel, größtenteils vielleicht die Glieder der königlichen oder ehemals königlichen Familien, wie es denn bemerkenswert ist, daß die Häupter der entgegengesetzten Parteien in demselben Clan sehr häufig dem gleichen Geschlecht angehören. Diese großen Familien vereinigten in ihrer Hand die ökonomische, kriegerische und politische Übermacht. Sie monopolisierten die Pachtungen der nutzbaren Rechte des Staates. Sie nötigen die Gemeinfreien, die die Steuerlast erdrückte, bei ihnen zu borgen und zuerst tatsächlich als Schuldner, dann rechtlich als Hörige sich ihrer Freiheit zu begeben. Sie entwickelten bei sich das Gefolgwesen, das heißt das Vorrecht des Adels, sich mit einer Anzahl gelöhnter reisiger Knechte, sogenannter Ambakten37

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Wenn also die einzelnen Gaue unheilbar hinsiechten, so regte sich wohl daneben mächtig in der Nation das Gefühl der Einheit und suchte in mancherlei Weise Form und Halt zu gewinnen. Jenes Zusammenschließen des gesamten keltischen Adels im Gegensatz gegen die einzelnen Gauverbände zerrüttete zwar die bestehende Ordnung der Dinge, aber weckte und nährte doch auch die Vorstellung der Zusammengehörigkeit der Nation. Ebendahin wirkten die von außen her gegen die Nation gerichteten Angriffe und die fortwährende Schmälerung ihres Gebiets im Kriege mit den Nachbarn. Wie die Hellenen in den Kriegen gegen die Perser, die Italiker in denen gegen die cisalpinischen Kelten, so scheinen die transalpinischen Gallier in den Kriegen gegen Rom des Bestehens und der Macht der nationalen Einheit sich bewußt geworden zu sein. Unter dem Hader der rivalisierenden Clans und all jenem feudalistischen Gezänk machten doch auch die Stimmen derer sich bemerklich, die die Unabhängigkeit der Nation um den Preis der Selbständigkeit der einzelnen Gaue und selbst um den der ritterschaftlichen Herrenrechte zu erkaufen bereit waren. Wie durchweg populär die Opposition gegen die Fremdherrschaft war, bewiesen die Kriege Caesars, dem gegenüber die keltische Patriotenpartei eine ganz ähnliche Stellung hatte wie die deutschen Patrioten gegen Napoleon: für ihre Ausdehnung und ihre Organisation zeugt unter anderem die Telegraphengeschwindigkeit, mit der sie sich Nachrichten mitteilte.

Die Allgemeinheit und die Mächtigkeit des keltischen Nationalbewußtseins würden unerklärlich sein, wenn nicht bei der größten politischen Zersplitterung die keltische Nation seit langem religiös und selbst theologisch zentralisiert gewesen wäre. Die keltische Priesterschaft oder, mit dem einheimischen Namen, die Korporation der Druiden umfaßte sicher die Britischen Inseln und ganz Gallien, vielleicht noch andere Keltenländer mit einem gemeinsamen religiös-nationalen Bande. Sie stand unter einem eigenen Haupte, das die Priester selber sich wählten, mit eigenen Schulen, in denen die sehr umfängliche Tradition fortgepflanzt ward, mit eigenen Privilegien, namentlich Befreiung von Steuer und Kriegsdienst, welche jeder Clan respektierte, mit jährlichen Konzilien, die bei Chartres im „Mittelpunkt der keltischen Erde“ abgehalten wurden, und vor allen Dingen mit einer gläubigen Gemeinde, die an peinlicher Frömmigkeit und an blindem Gehorsam gegen ihre Priester den heutigen Iren nichts nachgegeben zu haben scheint. Es ist begreiflich, daß eine solche Priesterschaft auch das weltliche Regiment an sich zu reißen versuchte und teilweise an sich riß: sie leitete, wo das Jahrkönigtum bestand, im Fall eines Interregnums die Wahlen; sie nahm mit Erfolg das Recht in Anspruch, einzelne Männer und ganze Gemeinden von der religiösen und folgeweise auch der bürgerlichen Gemeinschaft auszuschließen; sie wußte die wichtigsten Zivilsachen, namentlich Grenz- und Erbschaftsprozesse an sich zu ziehen, sie entwickelte, gestützt wie es scheint auf ihr Recht, aus der Gemeinde auszuschließen, und vielleicht auch auf die Landesgewohnheit, daß zu den üblichen Menschenopfern vorzugsweise Verbrecher genommen wurden, eine ausgedehnte priesterliche Kriminalgerichtsbarkeit, die mit der der Könige und Vergobreten konkurrierte; sie nahm sogar die Entscheidung über Krieg und Frieden in Anspruch. Man war nicht fern von einem Kirchenstaat mit Papst und Konzilien, mit Immunitäten, Interdikten und geistlichen Gerichten; nur daß dieser Kirchenstaat nicht, wie der der Neuzeit, von den Nationen abstrahierte, sondern vielmehr vor allen Dingen national war.

Aber wenn also das Gefühl der Zusammengehörigkeit unter den keltischen Stämmen mit voller Lebendigkeit erwacht war, so blieb es dennoch der Nation versagt, zu einem Haltpunkt politischer Zentralisation zu gelangen, wie ihn Italien an der römischen Bürgerschaft, Hellenen und Germanen an den makedonischen und fränkischen Königen fanden. Die keltische Priester- und ebenso die Adelschaft, obwohl beide in gewissem Sinn die Nation vertraten und verbanden, waren doch einerseits ihrer ständisch-partikularistischen Interessen wegen unfähig, sie zu einigen, andererseits mächtig genug, um keinem König und keinem Gau das Werk der Einigung zu gestatten. Ansätze zu demselben fehlen nicht; sie gingen, wie die Gauverfassung es an die Hand gab, den Weg des Hegemoniesystems. Der mächtige Kanton bestimmte den schwächeren, sich ihm in der Art unterzuordnen, daß die führende Gemeinde nach außen die andere mitvertrat und in Staatsverträgen für sie mitstipulierte, der Klientelgau dagegen sich zur Heeresfolge, auch wohl zur Erlegung eines Tributs verpflichtete. Auf diesem Wege entstanden eine Reihe von Sonderbünden: einen führenden Gau für das ganze Keltenland, einen wenn auch noch so losen Verband der gesamten Nation gab es nicht. Es ward bereits erwähnt, daß die Römer bei dem Beginn ihrer transalpinischen Eroberungen dort im Norden einen britisch-belgischen Bund unter Führung der Suessionen, im mittleren und südlichen Gallien die Arvernerkonföderation vorfanden, mit welcher letzteren die Häduer mit ihrer schwächeren Klientel rivalisierten. In Caesars Zeit finden wir die Belgen im nordöstlichen Gallien zwischen Seine und Rhein noch in einer solchen Gemeinschaft, die sich indes wie es scheint auf Britannien nicht mehr erstreckt; neben ihnen erscheint in der heutigen Normandie und Bretagne der Bund der aremorikanischen, das heißt der Seegaue; im mittleren oder dem eigentlichen Gallien ringen wie ehemals zwei Parteien um die Hegemonie, an deren Spitze einerseits die Häduer stehen, andererseits, nachdem die Arverner, durch die Kriege mit Rom geschwächt, zurückgetreten waren, die Sequaner. Diese verschiedenen Eidgenossenschaften standen unabhängig nebeneinander; die führenden Staaten des mittleren Gallien scheinen ihre Klientel nie auf das nordöstliche und ernstlich wohl auch nicht auf den Nordwesten Galliens erstreckt zu haben. Der Freiheitsdrang der Nation fand in diesen Gauverbänden eine gewisse Befriedigung; aber sie waren doch in jeder Hinsicht ungenügend. Die Verbindung war von der lockersten, beständig zwischen Allianz und Hegemonie schwankenden Art, die Repräsentation der Gesamtheit im Frieden durch die Bundestage, im Kriege durch den Herzog40 im höchsten Grade schwächlich. Nur die belgische Eidgenossenschaft scheint etwas fester zusammengehalten zu haben; der nationale Aufschwung, aus dem die glückliche Abwehr der Kimbrer hervorging, mag ihr zugute gekommen sein. Die Rivalitäten um die Hegemonie machten einen Riß in jeden einzelnen Bund, den die Zeit nicht schloß, sondern erweiterte, weil selbst der Sieg des einen Nebenbuhlers dem Gegner die politische Existenz ließ und demselben, auch wenn er in die Klientel sich gefügt hatte, immer gestattet blieb, den Kampf späterhin zu erneuern. Der Wettstreit der mächtigeren Gaue entzweite nicht bloß diese, sondern in jedem abhängigen Clan, in jedem Dorfe, ja oft in jedem Hause setzte er sich fort, indem jeder einzelne nach seinen persönlichen Verhältnissen Partei ergriff. Wie Hellas sich aufrieb nicht so sehr in dem Kampfe Athens gegen Sparta als in dem inneren Zwist athenischer und lakedämonischer Faktionen in jeder abhängigen Gemeinde, ja in Athen selbst: so hat auch die Rivalität der Arverner und Häduer mit ihren Wiederholungen in kleinem und immer kleinerem Maßstab das Kelterwolk vernichtet.

Die Wehrhaftigkeit der Nation empfand den Rückschlag dieser politischen und sozialen Verhältnisse. Die Reiterei war durchaus die vorwiegende Waffe, woneben bei den Belgen und mehr noch auf den Britischen Inseln die altnationalen Streitwagen in bemerkenswerter Vervollkommnung erscheinen. Diese ebenso zahlreichen wie tüchtigen Reiter- und Wagenkämpferscharen wurden gebildet aus dem Adel und dessen Mannen, der denn auch echt ritterlich an Hunden und Pferden seine Lust hatte und es sich viel kosten ließ, edle Rosse ausländischer Rasse zu reiten. Für den Geist und die Kampfweise dieser Edelleute ist es bezeichnend, daß, wenn das Aufgebot erging, wer irgend von ihnen sich zu Pferde halten konnte, selbst der hochbejahrte Greis mit aufsaß, und daß sie, im Begriff mit einem gering geschätzten Feinde ein Gefecht zu beginnen, Mann für Mann schwuren, Haus und Hof meiden zu wollen, wenn ihre Schar nicht wenigstens zweimal durch die feindliche Linie setzen werde. Unter den gedungenen Mannen herrschte das Lanzknechttum mit all seiner entsittlichten und entgeistigten Gleichgültigkeit gegen fremdes und eigenes Leben – das zeigen die Erzählungen, wie anekdotenhaft sie auch gefärbt sind, von der keltischen Sitte, beim Gastmahl zum Scherz zu rapieren und gelegentlich auf Leben und Tod zu fechten; von dem dort herrschenden, selbst die römischen Fechterspiele noch überbietenden Gebrauch, sich gegen eine bestimmte Geldsumme oder eine Anzahl Fässer Wein zum Schlachten zu verkaufen und vor den Augen der ganzen Menge auf dem Schilde hingestreckt den Todesstreich freiwillig hinzunehmen.

Neben diesen Reisigen trat das Fußvolk in den Hintergrund. In der Hauptsache glich es wesentlich noch den Keltenscharen, mit denen die Römer in Italien und Spanien gefochten hatten. Der große Schild war wie damals die hauptsächlichste Wehr; unter den Waffen spielte dagegen statt des Schwertes jetzt die lange Stoßlanze die erste Rolle. Wo mehrere Gaue verbündet Krieg führten, lagerte und stritt natürlich Clan gegen Clan; es findet sich keine Spur, daß man das Aufgebot des einzelnen Gaues militärisch gegliedert und kleinere und regelrechtere taktische Abteilungen gebildet hätte. Noch immer schleppte ein langer Wagentroß dem Keltenheer das Gepäck nach; anstatt des verschanzten Lagers, wie es die Römer allabendlich schlugen, diente noch immer das dürftige Surrogat der Wagenburg. Von einzelnen Gauen, wie zum Beispiel den Nerviern, wird ausnahmsweise die Tüchtigkeit ihres Fußvolks hervorgehoben; bemerkenswert ist es, daß eben diese keine Ritterschaft hatten und vielleicht sogar kein keltischer, sondern ein eingewanderter deutscher Stamm waren. Im allgemeinen aber erscheint das keltische Fußvolk dieser Zeit als ein unkriegerischer und schwerfälliger Landsturm; am meisten in den südlicheren Landschaften, wo mit der Rohen auch die Tapferkeit geschwunden war. Der Kelte, sagt Caesar, wagt es nicht, dem Germanen im Kampfe ins Auge zu sehen; noch schärfer als durch dieses Urteil kritisierte der römische Feldherr die keltische Infanterie dadurch, daß, nachdem er sie in seinem ersten Feldzug kennengelernt hatte, er sie nie wieder in Verbindung mit der römischen verwandt hat.

Überblicken wir den Gesamtzustand der Kelten, wie ihn Caesar in den transalpinischen Landschaften vorfand, so ist, verglichen mit der Kulturstufe, auf der anderthalb Jahrhunderte zuvor die Kelten im Potal uns entgegentraten, ein Fortschritt in der Zivilisation unverkennbar. Damals überwog in den Heeren durchaus die in ihrer Art vortreffliche Landwehr (I, 340); jetzt nimmt die Ritterschaft den ersten Platz ein. Damals wohnten die Kelten in offenen Flecken; jetzt umgaben ihre Ortschaften wohlgefügte Mauern. Auch die lombardischen Gräberfunde stehen, namentlich in dem Kupfer- und Glasgerät, weit zurück hinter denen des nördlichen Keltenlandes. Vielleicht der zuverlässigste Messer der steigenden Kultur ist das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Nation; sowenig davon in den auf dem Boden der heutigen Lombardei geschlagenen Keltenkämpfen zu Tage tritt, so lebendig erscheint es in den Kämpfen gegen Caesar. Allem Anschein nach hatte die keltische Nation, als Caesar ihr gegenübertrat, das Maximum der ihr beschiedenen Kultur bereits erreicht und war schon wieder im Sinken. Die Zivilisation der transalpinischen Kelten in der caesarischen Zeit bietet selbst für uns, die wir nur sehr unvollkommen über sie berichtet sind, manche achtbare und noch mehr interessante Seite; in mehr als einer Hinsicht schließt sie sich enger der modernen an als der hellenisch-römischen, mit ihren Segelschiffen, ihrem Rittertum, ihrer Kirchenverfassung, vor allen Dingen mit ihren, wenn auch unvollkommenen Versuchen, den Staat nicht auf die Stadt, sondern auf den Stamm und in höherer Potenz auf die Nation zu bauen. Aber ebendarum, weil wir hier der keltischen Nation auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung begegnen, tritt um so bestimmter ihre mindere sittliche Begabung oder, was dasselbe ist, ihre mindere Kulturfähigkeit hervor. Sie vermochte aus sich weder eine nationale Kunst noch einen nationalen Staat zu erzeugen und brachte es höchstens zu einer nationalen Theologie und einem eigenen Adeltum. Die ursprüngliche naive Tapferkeit war nicht mehr; der auf höhere Sittlichkeit und zweckmäßige Ordnungen gestützte militärische Mut, wie er im Gefolge der gesteigerten Zivilisation eintritt, hatte nur in sehr verkümmerter Gestalt sich eingestellt in dem Rittertum. Wohl war die eigentliche Barbarei überwunden; die Zeiten waren nicht mehr, wo im Keltenland das fette Hüftstück dem tapfersten der Gäste zugeteilt ward, aber jedem der Mitgeladenen, der sich dadurch verletzt erachtete, freistand, den Empfänger deswegen zum Kampfe zu fordern, und wo man mit dem verstorbenen Häuptling seine treuesten Gefolgsmänner verbrannte. Aber doch dauerten die Menschenopfer noch fort, und der Rechtssatz, daß die Folterung des freien Mannes unzulässig, aber die der freien Frau erlaubt sei so gut wie die Folterung des Sklaven, wirft ein unerfreuliches Licht auf die Stellung, die das weibliche Geschlecht bei den Kelten auch noch in ihrer Kulturzeit einnahm. Die Vorzüge, die der primitiven Epoche der Nationen eigen sind, hatten die Kelten eingebüßt, aber diejenigen nicht erworben, die die Gesittung dann mit sich bringt, wenn sie ein Volk innerlich und völlig durchdringt.

Also war die keltische Nation in ihren inneren Zuständen beschaffen. Es bleibt noch übrig, ihre äußeren Beziehungen zu den Nachbarn darzustellen und zu schildern, welche Rolle sie in diesem Augenblick einnahmen in dem gewaltigen Wettlauf und Wettkampf der Nationen, in dem das Behaupten sich überall noch schwieriger erweist als das Erringen. An den Pyrenäen hatten die Verhältnisse der Völker längst sich friedlich geordnet und waren die Zeiten längst vorbei, wo die Kelten hier die iberische, das heißt baskische Urbevölkerung bedrängten und zum Teil verdrängten. Die Täler der Pyrenäen wie die Gebirge Bearns und der Gascogne und ebenso die Küstensteppen südlich von der Garonne standen zu Caesars Zeit im unangefochtenen Besitz der Aquitaner, einer großen Anzahl kleiner, wenig unter sich und noch weniger mit dem Ausland sich berührender Völkerschaften iberischer Abstammung; hier war nur die Garonnemündung selbst mit dem wichtigen Hafen Burdigala (Bordeaux) in den Händen eines keltischen Stammes, der Bituriger-Vivisker.

Von weit größerer Bedeutung waren die Berührungen der keltischen Nation mit dem Römervolk und mit den Deutschen. Es soll hier nicht wiederholt werden, was früher erzählt worden ist, wie die Römer in langsamem Vordringen die Kelten allmählich zurückgedrückt, zuletzt auch den Küstensaum zwischen den Alpen und den Pyrenäen besetzt und sie dadurch von Italien, Spanien und dem Mittelländischen Meer gänzlich abgeschnitten hatten, nachdem bereits Jahrhunderte zuvor durch die Anlage der hellenischen Zwingburg an der Rhonemündung diese Katastrophe vorbereitet worden war; daran aber müssen wir hier wieder erinnern, daß nicht bloß die Überlegenheit der römischen Waffen die Kelten bedrängte, sondern ebensosehr die der römischen Kultur, der die ansehnlichen Anfänge der hellenischen Zivilisation im Keltenlande ebenfalls in letzter Instanz zugute kamen. Auch hier bahnten Handel und Verkehr wie so oft der Eroberung den Weg. Der Kelte liebte nach nordischer Weise feurige Getränke; daß er den edlen Wein wie der Skythe unvermischt und bis zum Rausche trank, erregte die Verwunderung und den Ekel des mäßigen Südländers, aber der Händler verkehrt nicht ungern mit solchen Kunden. Bald ward der Handel nach dem Keltenland eine Goldgrube für den italischen Kaufmann; es war nichts Seltenes, daß daselbst ein Krug Wein um einen Sklaven getauscht ward. Auch andere Luxusartikel, wie zum Beispiel italische Pferde, fanden in dem Keltenland vorteilhaften Absatz. Es kam sogar bereits vor, daß römische Bürger jenseits der römischen Grenze Grundbesitz erwarben und denselben nach italischer Art nutzten, wie denn zum Beispiel römische Landgüter im Kanton der Segusiaver (bei Lyon) schon um 673 (81) erwähnt werden. Ohne Zweifel ist es hiervon eine Folge, daß, wie schon gesagt ward, selbst in dem freien Gallien, zum Beispiel bei den Arvernern, die römische Sprache schon vor der Eroberung nicht unbekannt war; obwohl sich freilich diese Kunde vermutlich noch auf wenige beschränkte und selbst mit den Vornehmen des verbündeten Gaues der Häduer durch Dolmetscher verkehrt werden mußte. So gut wie die Händler mit Feuerwasser und die Squatters die Besetzung Nordamerikas einleiteten, so wiesen und winkten diese römischen Weinhändler und Gutsbesitzer den künftigen Eroberer Galliens heran. Wie lebhaft man auch auf der entgegengesetzten Seite dies empfand, zeigt das Verbot, das einer der tüchtigsten Stämme des Keltenlandes, der Gau der Nervier, gleich einzelnen deutschen Völkerschaften, gegen den Handelsverkehr mit den Römern erließ.

Ungestümer noch als vom Mittelländischen Meere die Römer, drängten vom Baltischen und der Nordsee herab die Deutschen, ein frischer Stamm aus der großen Völkerwiege des Ostens, der sich Platz machte neben seinen älteren Brüdern mit jugendlicher Kraft, freilich auch mit jugendlicher Roheit. Wenn auch die nächst am Rhein wohnenden Völkerschaften dieses Stammes, die Usipeten, Tencterer, Sugambrer, Ubier, sich einigermaßen zu zivilisieren angefangen und wenigstens aufgehört hatten, freiwillig ihre Sitze zu wechseln, so stimmen doch alle Nachrichten dahin zusammen, daß weiter landeinwärts der Ackerbau wenig bedeutete und die einzelnen Stämme kaum noch zu festen Sitzen gelangt waren. Es ist bezeichnend dafür, daß die westlichen Nachbarn in dieser Zeit kaum eines der Völker des inneren Deutschlands seinem Gaunamen nach zu nennen wußten, sondern dieselben ihnen nur bekannt sind unter den allgemeinen Bezeichnungen der Sueben, das ist der schweifenden Leute, der Nomaden, und der Markomannen, das ist der Landwehr41 – Namen, die in Caesars Zeit schwerlich schon Gaunamen waren, obwohl sie den Römern als solche erschienen und später auch vielfach Gaunamen geworden sind. Der gewaltigste Andrang dieser großen Nation traf die Kelten. Die Kämpfe, die die Deutschen um den Besitz der Landschaften östlich vom Rheine mit den Kelten geführt haben mögen, entziehen sich vollständig unseren Blicken. Wir vermögen nur zu erkennen, daß um das Ende des siebenten Jahrhunderts Roms schon alles Land bis zum Rhein den Kelten verloren war, die Boier, die einst in Bayern und Böhmen gesessen haben mochten, heimatlos herumirrten und selbst der ehemals von den Helvetiern besessene Schwarzwald wenn auch noch nicht von den nächstwohnenden deutschen Stämmen in Besitz genommen, doch wenigstens wüstes Grenzstreitland war – vermutlich schon damals das, was es später hieß: die helvetische Einöde. Die barbarische Strategik der Deutschen, durch meilenweite Wüstlegung der Nachbarschaft sich vor feindlichen Überfällen zu sichern, scheint hier im größten Maßstab Anwendung gefunden zu haben.

Aber die Deutschen waren nicht stehen geblieben am Rheine. Der seinem Kern nach aus deutschen Stämmen zusammengesetzte Heereszug der Kimbrer und Teutonen, der fünfzig Jahre zuvor über Pannonien, Gallien, Italien und Spanien so gewaltig hingebraust war, schien nichts gewesen zu sein als eine großartige Rekognoszierung. Schon hatten westlich vom Rhein, namentlich dem untern Lauf desselben, verschiedene deutsche Stämme bleibende Sitze gefunden: als Eroberer eingedrungen, fuhren diese Ansiedler fort, von ihren gallischen Umwohnern gleich wie von Untertanen Geiseln einzufordern und jährlichen Tribut zu erheben. Dahin gehörten die Aduatuker, die aus einem Splitter der Kimbrermasse zu einem ansehnlichen Gau geworden waren, und eine Anzahl anderer, später unter dem Namen der Tungrer zusammengefaßter Völkerschaften an der Maas in der Gegend von Lüttich; sogar die Treverer (um Trier) und die Nervier (im Hennegau), zwei der größten und mächtigsten Völkerschaften dieser Gegend, bezeichnen achtbare Autoritäten geradezu als Germanen. Die vollständige Glaubwürdigkeit dieser Berichte muß allerdings dahingestellt bleiben, da es, wie Tacitus in Beziehung auf die zuletzt erwähnten beiden Völker bemerkt, späterhin wenigstens in diesen Strichen für eine Ehre galt, von deutschem Blute abzustammen und nicht zu der gering geachteten keltischen Nation zu gehören: doch scheint die Bevölkerung in dem Gebiet der Schelde, Maas und Mosel allerdings in der einen oder andern Weise sich stark mit deutschen Elementen gemischt oder doch unter deutschen Einflüssen gestanden zu haben. Die deutschen Ansiedlungen selbst waren vielleicht geringfügig; unbedeutend waren sie nicht, denn in dem chaotischen Dunkel, in dem wir um diese Zeit die Völkerschaften am rechten Rheinufer auf- und niederwogen sehen, läßt sich doch wohl erkennen, daß größere deutsche Massen auf der Spur jener Vorposten sich anschickten, den Rhein zu überschreiten. Von zwei Seiten durch die Fremdherrschaft bedroht und in sich zerrissen, war es kaum zu erwarten, daß die unglückliche keltische Nation sich jetzt noch emporraffen und mit eigener Kraft sich erretten werde. Die Zersplitterung und der Untergang in der Zersplitterung war bisher ihre Geschichte; wie sollte eine Nation, die keinen Tag nannte gleich denen von Marathon und Salamis, von Aricia und dem Raudischen Felde, eine Nation, die selbst in ihrer frischen Zeit keinen Versuch gemacht hatte, Massalia mit gesamter Hand zu vernichten, jetzt, da es Abend ward, so furchtbarer Feinde sich erwehren?

Je weniger die Kelten, sich selbst überlassen, den Germanen gewachsen waren, desto mehr Ursache hatten die Römer, die zwischen den beiden Nationen obwaltenden Verwicklungen sorgsam zu überwachen. Wenn auch die daraus entspringenden Bewegungen sie bis jetzt nicht unmittelbar berührt hatten, so waren sie doch bei dem Ausgang derselben mit ihren wichtigsten Interessen beteiligt. Begreiflicherweise hatte die innere Haltung der keltischen Nation sich mit ihren auswärtigen Beziehungen rasch und nachhaltig verflochten. Wie in Griechenland die lakedämonische Partei sich gegen die Athener mit Persien verband, so hatten die Römer von ihrem ersten Auftreten jenseits der Alpen an gegen die Arverner, die damals unter den südlichen Kelten die führende Macht waren, an deren Nebenbuhlern um die Hegemonie, den Häduern, eine Stütze gefunden und mit Hilfe dieser neuen „Brüder der römischen Nation“ nicht bloß die Allobrogen und einen großen Teil des mittelbaren Gebiets der Arverner sich untertänig gemacht, sondern auch in dem freigebliebenen Gallien durch ihren Einfluß den Übergang der Hegemonie von den Arvernern auf diese Häduer veranlaßt. Allein wenn den Griechen nur von einer Seite her für ihre Nationalität Gefahr drohte, so sahen sich die Kelten zugleich von zwei Landesfeinden bedrängt, und es war natürlich, daß man bei dem einen vor dem anderen Schutz suchte und daß, wenn die eine Keltenpartei sich den Römern anschloß, ihre Gegner dagegen mit den Deutschen Bündnis machten. Am nächsten lag dies den Belgen, die durch Nachbarschaft und vielfältige Mischung den überrheinischen Deutschen genähert waren und überdies bei ihrer minder entwickelten Kultur sich dem stammfremden Sueben wenigstens ebenso verwandt fühlen mochten als dem gebildeten allobrogischen oder helvetischen Landsmann. Aber auch die südlichen Kelten, bei welchen jetzt, wie schon gesagt, der ansehnliche Gau der Sequaner (um Besançon) an der Spitze der den Römern feindlichen Partei stand, hatten alle Ursache, gegen die sie zunächst bedrohenden Römer ebenjetzt die Deutschen herbeizurufen; das lässige Regiment des Senats und die Anzeichen der in Rom sich vorbereitenden Revolution, die den Kelten nicht unbekannt geblieben waren, ließen gerade diesen Moment als geeignet erscheinen, um des römischen Einflusses sich zu entledigen und zunächst deren Klienten, die Häduer, zu demütigen. Über die Zölle auf der Saône, die das Gebiet der Häduer von dem der Sequaner schied, war es zwischen den beiden Gauen zum Bruch gekommen und um das Jahr 683 (71) hatte der deutsche Fürst Ariovist mit etwa 15000 Bewaffneten als Condottiere der Sequaner den Rhein überschritten. Der Krieg zog manches Jahr unter wechselnden Erfolgen sich hin; im ganzen waren die Ergebnisse den Häduern ungünstig. Ihr Führer Eporedorix bot endlich die ganze Klientel auf und zog mit ungeheurer Übermacht aus gegen die Germanen. Diese verweigerten beharrlich den Kampf und hielten sich gedeckt in Sümpfen und Wäldern. Als aber dann die Clans, des Harrens müde, anfingen aufzubrechen und sich aufzulösen, erschienen die Deutschen in freiem Felde und nun erzwang bei Admagetobriga Ariovist die Schlacht, in der die Blüte der Ritterschaft der Häduer auf dem Kampfplatze blieb. Die Häduer, durch diese Niederlage gezwungen, auf die Bedingungen, wie der Sieger sie stellte, Frieden zu schließen, mußten auf die Hegemonie verzichten und mit ihrem ganzen Anhang in die Klientel der Sequaner sich fügen, auch sich anheischig machen, den Sequanern oder vielmehr dem Ariovist Tribut zu zahlen und die Kinder ihrer vornehmsten Adligen als Geiseln zu stellen, endlich eidlich versprechen, weder diese Geiseln je zurückzufordern noch die Intervention der Römer anzurufen. Dieser Friede ward, wie es scheint, um 693 (61) geschlossen42. Ehre und Vorteil geboten den Römern, dagegen aufzutreten; der vornehme Häduer Divitiacus, das Haupt der römischen Partei in seinem Clan und darum jetzt von seinen Landsleuten verbannt, ging persönlich nach Rom, um ihre Dazwischenkunft zu erbitten; eine noch ernstere Warnung war der Aufstand der Allobrogen 693 (61), der Nachbarn der Sequaner, welcher ohne Zweifel mit diesen Ereignissen zusammenhing. In der Tat ergingen Befehle an die gallischen Statthalter, den Häduern beizustehen; man sprach davon, Konsuln und konsularische Armeen über die Alpen zu senden; allein der Senat, an den diese Angelegenheiten zunächst zur Entscheidung kamen, krönte schließlich auch hier große Worte mit kleinen Taten: die allobrogische Insurrektion ward mit den Waffen unterdrückt, für die Häduer aber geschah nicht nur nichts, sondern es ward sogar Ariovist im Jahre 695 (59) in das Verzeichnis der den Römern befreundeten Könige eingeschrieben43. Der deutsche Kriegsfürst nahm dies begreiflicherweise als Verzicht der Römer auf das nicht von ihnen eingenommene Keltenland; er richtete demgemäß sich hier häuslich ein und fing an, auf gallischem Boden ein deutsches Fürstentum zu begründen. Die zahlreichen Haufen, die er mitgebracht hatte, die noch zahlreicheren, die auf seinen Ruf später aus der Heimat nachkamen – man rechnete, daß bis zum Jahre 696 (58) etwa 120000 Deutsche den Rhein überschritten –, diese ganze gewaltige Einwanderung der deutschen Nation, welche durch die einmal geöffneten Schleusen stromweise über den schönen Westen sich ergoß, gedachte er daselbst ansässig zu machen und auf dieser Grundlage seine Herrschaft über das Keltenland aufzubauen. Der Umfang der von ihm am linken Rheinufer ins Leben gerufenen deutschen Ansiedlungen läßt sich nicht bestimmen; ohne Zweifel reichte er weit und noch viel weiter seine Entwürfe. Die Kelten wurden von ihm als eine im ganzen unterworfene Nation behandelt und zwischen den einzelnen Gauen kein Unterschied gemacht. Selbst die Sequaner, als deren gedungener Feldhauptmann er den Rhein überschritten hatte, mußten dennoch, als wären auch sie besiegte Feinde, ihm für seine Leute ein Drittel ihrer Mark abtreten – vermutlich den später von den Tribokern bewohnten oberen Elsaß, wo Ariovist sich mit den Seinigen auf die Dauer einrichtete; ja als sei dies nicht genug, ward ihnen nachher für die nachgekommenen Haruder noch ein zweites Drittel abverlangt. Ariovist schien im Keltenland die Rolle des makedonischen Philipp übernehmen und über die germanisch gesinnten Kelten nicht minder wie über die den Römern anhängenden den Herrn spielen zu wollen.

Das Auftreten des kräftigen deutschen Fürsten in einer so gefährlichen Nähe, das schon an sich die ernstesten Besorgnisse der Römer erwecken mußte, erschien noch bedrohlicher insofern, als dasselbe keineswegs vereinzelt stand. Auch die am rechten Rheinufer ansässigen Usipeten und Tencterer waren, der unaufhörlichen Verheerung ihres Gebiets durch die übermütigen Suebenstämme müde, das Jahr bevor Caesar in Gallien eintraf (695 59) aus ihren bisherigen Sitzen aufgebrochen, um sich andere an der Rheinmündung zu suchen. Schon hatten sie dort den Menapiern den auf dem rechten Ufer belegenen Teil ihres Gebiets weggenommen, und es war vorherzusehen, daß sie den Versuch machen würden, auch auf dem linken sich festzusetzen. Zwischen Köln und Mainz sammelten ferner sich suebische Haufen und drohten in dem gegenüberliegenden Keltengau der Treverer als ungeladene Gäste zu erscheinen. Endlich ward auch das Gebiet des östlichsten Clans der Kelten, der streitbaren und zahlreichen Helvetier, immer nachdrücklicher von den Germanen heimgesucht, so daß die Helvetier, die vielleicht schon ohnehin durch das Zurückströmen ihrer Ansiedler aus dem verlorenen Gebiet nordwärts vom Rheine an Überbevölkerung litten, überdies durch die Festsetzung Ariovists im Gebiet der Sequaner, einer völligen Isolierung von ihren Stammgenossen entgegengingen, den verzweifelten Entschluß faßten, ihr bisheriges Gebiet freiwillig den Germanen zu räumen und westlich vom Jura geräumigere und fruchtbarere Sitze und zugleich womöglich die Hegemanie im inneren Gallien zu gewinnen – ein Plan, den schon während der kimbrischen Invasion einige ihrer Distrikte gefaßt und auszuführen versucht hatten. Die Rauraker, deren Gebiet (Basel und der südliche Elsaß) in ähnlicher Weise bedroht war, ferner die Reste der Boier, die bereits früher von den Germanen gezwungen waren, ihrer Heimat den Rücken zu kehren, und nun unstet umherirrten, und andere kleinere Stämme machten mit den Helvetiern gemeinschaftliche Sache. Bereits 693 (61) kamen ihre Streiftrupps über den Jura und selbst bis in die römische Provinz; der Aufbruch selbst konnte nicht mehr lange sich verzögern; unvermeidlich rückten alsdann germanische Ansiedler nach in die von ihren Verteidigern verlassene wichtige Landschaft zwischen dem Boden- und dem Genfersee. Von den Rheinquellen bis zum Atlantischen Ozean waren die deutschen Stämme in Bewegung, die ganze Rheinlinie von ihnen bedroht; es war ein Moment wie da die Alamannen und Franken sich über das sinkende Reich der Caesaren warfen, und jetzt gleich schien gegen die Kelten ebendas ins Werk gesetzt werden zu sollen, was ein halbes Jahrtausend später gegen die Römer gelang.

Unter diesen Verhältnissen traf der neue Statthalter Gaius Caesar im Frühling 696 (58) in dem Narbonensischen Gallien ein, das zu seiner ursprünglichen, das Diesseitige Gallien nebst Istrien und Dalmatien umfassenden Statthalterschaft durch Senatsbeschluß hinzugefügt worden war. Sein Amt, das ihm zuerst auf fünf (bis Ende 700 54), dann im Jahre 699 (55) auf weitere fünf Jahre (bis Ende 705 49) übertragen ward, gab ihm das Recht, zehn Unterbefehlshaber von proprätorischem Rang zu ernennen, und – wenigstens nach seiner Auslegung – aus der besonders im Diesseitigen Gallien zahlreichen Bürgerbevölkerung des ihm gehorchenden Gebiets nach Gutdünken seine Legionen zu ergänzen oder auch neue zu bilden. Das Heer, das er in den beiden Provinzen übernahm, bestand an Linienfußvolk aus vier geschulten und kriegsgewohnten Legionen, der siebenten, achten, neunten und zehnten, oder höchstens 24000 Mann, wozu dann, wie üblich, die Untertanenkontingente hinzutraten. Reiterei und Leichtbewaffnete waren außerdem vertreten durch Reiter aus Spanien und numidische, kretische, balearische Schützen und Schleuderer. Caesars Stab, die Elite der hauptstädtischen Demokratie, enthielt neben nicht wenigen unbrauchbaren, vornehmen jungen Männern einzelne fähige Offiziere, wie Publius Crassus, den jüngeren Sohn des alten politischen Bundesgenossen Caesars, und Titus Labienus, der dem Haupt der Demokratie als treuer Adjutant vom Forum auf das Schlachtfeld gefolgt war. Bestimmte Aufträge hatte Caesar nicht erhalten; für den Einsichtigen und Mutigen lagen sie in den Verhältnissen. Auch hier war nachzuholen, was der Senat versäumt hatte, und vor allen Dingen der Strom der deutschen Völkerwanderung zu hemmen. Ebenjetzt begann die mit der deutschen eng verflochtene und seit langen Jahren vorbereitete helvetische Invasion. Um die verlassenen Hütten nicht den Germanen zu gönnen, und um sich selber die Rückkehr unmöglich zu machen, hatten die Helvetier ihre Städte und Weiler niedergebrannt, und ihre langen Wagenzüge, mit Weibern, Kindern und dem besten Teil der Fahrnis beladen, trafen von allen Seiten her am Leman bei Genava (Genf) ein, wo sie und ihre Genossen sich zum 28. März44 dieses Jahres Rendezvous gegeben hatten. Nach ihrer eigenen Zählung bestand die gesamte Masse aus 368000 Köpfen, wovon etwa der vierte Teil imstande war, die Waffen zu tragen. Das Juragebirge, das vom Rhein bis zur Rhone sich erstreckend die helvetische Landschaft gegen Westen fast vollständig abschloß und dessen schmale Defileen für den Durchzug einer solchen Karawane ebenso schlecht geeignet waren wie gut für die Verteidigung, hatten darum die Führer beschlossen, in südlicher Richtung zu umgehen und den Weg nach Westen sich da zu eröffnen, wo zwischen dem südwestlichen und höchsten Teil des Jura und den savoyischen Bergen bei dem heutigen Fort de l’Ecluse die Rhone die Gebirgsketten durchbrochen hat. Allein am rechten Ufer treten hier die Felsen und Abgründe so hart an den Fluß, daß nur ein schmaler, leicht zu sperrender Pfad übrig bleibt und die Sequaner, denen dies Ufer gehörte, den Helvetiern mit Leichtigkeit den Paß verlegen konnten. Sie zogen es darum vor, oberhalb des Durchbruchs der Rhone auf das linke allobrogische Ufer überzugehen, um weiter stromabwärts, wo die Rhone in die Ebene eintritt, wieder das rechte zu gewinnen und dann weiter nach dem ebenen Westen Galliens zu ziehen; dort war der fruchtbare Kanton der Santonen (Saintonge, das Tal der Charente) am Atlantischen Meer von den Wanderern zu ihrem neuen Wohnsitz ausersehen. Dieser Marsch führte, wo er das linke Rhoneufer betrat, durch römisches Gebiet; und Caesar, ohnehin nicht gemeint, sich die Festsetzung der Helvetier im westlichen Gallien gefallen zu lassen, war fest entschlossen, ihnen den Durchzug nicht zu gestatten. Allein von seinen vier Legionen standen drei weit entfernt bei Aquileia; obwohl er die Milizen der jenseitigen Provinz schleunigst aufbot, schien es kaum möglich, mit einer so geringen Mannschaft dem zahllosen Keltenschwarm den Übergang über die Rhone, von ihrem Austritt aus dem Leman bei Genf bis zu ihrem Durchbruch, auf einer Strecke von mehr als drei deutschen Meilen, zu verwehren. Caesar gewann indes durch Unterhandlungen mit den Helvetiern, die den Übergang über den Fluß und den Marsch durch das allobrogische Gebiet gern in friedlicher Weise bewerkstelligt hätten, eine Frist von fünfzehn Tagen, welche dazu benutzt ward, die Rhonebrücke bei Genava (Genf) abzubrechen und das südliche Ufer der Rhone durch eine fast vier deutsche Meilen lange Verschanzung dem Feinde zu sperren – es war die erste Anwendung des von den Römern später in so ungeheurem Umfang durchgeführten Systems, mittels einer Kette einzelner, durch Wälle und Gräben miteinander in Verbindung gesetzter Schanzen die Reichsgrenze militärisch zu schließen. Die Versuche der Helvetier, auf Kähnen oder mittels Furten an verschiedenen Stellen das andere Ufer zu gewinnen, wurden in diesen Linien von den Römern glücklich vereitelt und die Helvetier genötigt, von dem Rhoneübergang abzustehen. Dagegen vermittelte die den Römern feindlich gesinnte Partei in Gallien, die an den Helvetiern eine mächtige Verstärkung zu erhalten hoffte, namentlich der Häduer Dumnorix, des Divitiacus Bruder und in seinem Gau wie dieser an der Spitze der römischen so seinerseits an der Spitze der nationalen Partei, ihnen den Durchmarsch durch die Jurapässe und das Gebiet der Sequaner. Dies zu verbieten hatten die Römer keinen Rechtsgrund; allein es standen für sie bei dem helvetischen Heerzug andere und höhere Interessen auf dem Spiel als die Frage der formellen Integrität des römischen Gebiets – Interessen, die nur gewahrt werden konnten, wenn Caesar, statt, wie alle Statthalter des Senats, wie selbst Marius getan, auf die bescheidene Aufgabe der Grenzbewachung sich zu beschränken, an der Spitze einer ansehnlichen Armee die bisherige Reichsgrenze überschritt. Caesar war Feldherr nicht des Senats, sondern des Staates: er schwankte nicht. Sogleich von Genava aus hatte er sich in eigener Person nach Italien begeben und mit der ihm eigenen Raschheit die drei dort kantonnierenden sowie zwei neugebildete Rekrutenlegionen herangeführt. Diese Truppen vereinigte er mit dem bei Genava stehenden Korps und überschritt mit der gesamten Macht die Rhone. Sein unvermutetes Erscheinen im Gebiete der Häduer brachte natürlich daselbst sofort wieder die römische Partei ans Regiment, was der Verpflegung wegen nicht gleichgültig war. Die Helvetier fand er beschäftigt, die Saône zu passieren und aus dem Gebiet der Sequaner in das der Häduer einzurücken; was von ihnen noch am linken Saôneufer stand, namentlich das Korps der Tigoriner, ward von den rasch vordringenden Römern aufgehoben und vernichtet. Das Gros des Zuges war indes bereits auf das rechte Ufer des Flusses übergesetzt; Caesar folgte ihnen und bewerkstelligte den Übergang, den der ungeschlachte Zug der Helvetier in zwanzig Tagen nicht hatte vollenden können, in vierundzwanzig Stunden. Die Helvetier, durch diesen Übergang der römischen Armee über den Fluß gehindert, ihren Marsch in westlicher Richtung fortzusetzen, schlugen die Richtung nach Norden ein, ohne Zweifel in der Voraussetzung, daß Caesar nicht wagen werde, ihnen weit in das innere Gallien hinein zu folgen, und in der Absicht, wenn er von ihnen abgelassen habe, sich wieder ihrem eigentlichen Ziel zuzuwenden. Fünfzehn Tage marschierte das römische Heer in dem Abstand etwa einer deutschen Meile von dem feindlichen hinter demselben her, an seine Fersen sich heftend und auf einen günstigen Augenblick hoffend, um den feindlichen Heereszug unter den Bedingungen des Sieges anzugreifen und zu vernichten. Allein dieser Augenblick kam nicht; wie schwerfällig auch die helvetische Karawane einherzog, die Führer wußten einen Überfall zu verhüten und zeigten sich wie mit Vorräten reichlich versehen, so durch ihre Spione von jedem Vorgang im römischen Lager aufs genaueste unterrichtet. Dagegen fingen die Römer an, Mangel an dem Notwendigsten zu leiden, namentlich als die Helvetier sich von der Saône entfernten und der Flußtransport aufhörte. Das Ausbleiben der von den Häduern versprochenen Zufuhren, aus dem diese Verlegenheit zunächst hervorging, erregte um so mehr Verdacht, als beide Heere immer noch auf ihrem Gebiete sich herumbewegten. Ferner zeigte sich die ansehnliche, fast 4000 Pferde zählende römische Reiterei völlig unzuverlässig – was freilich erklärlich war, da dieselbe fast ganz aus keltischer Ritterschaft, namentlich den Reitern der Häduer unter dem Befehl des wohlbekannten Römerfeindes Dumnorix bestand und Caesar selbst sie mehr noch als Geiseln denn als Soldaten übernommen hatte. Man hatte guten Grund zu glauben, daß eine Niederlage, die sie von der weit schwächeren helvetischen Reiterei erlitten, durch sie selbst herbeigeführt worden war, und daß durch sie der Feind von allen Vorfällen im römischen Lager unterrichtet ward. Caesars Lage wurde bedenklich; in leidiger Deutlichkeit kam es zu Tage, was selbst bei den Häduern, trotz ihres offiziellen Bündnisses mit Rom und der nach Rom sich neigenden Sonderinteressen dieses Gaus, die keltische Patriotenpartei vermochte; was sollte daraus werden, wenn man in die gärende Landschaft tiefer und tiefer sich hineinwagte und von den Verbindungen immer weiter sich entfernte? Eben zogen die Heere an der Hauptstadt der Häduer, Bibracte (Autun), in mäßiger Entfernung vorüber; Caesar beschloß, dieses wichtigen Ortes sich mit gewaffneter Hand zu bemächtigen, bevor er den Marsch in das Binnenland fortsetzte, und es ist wohl möglich, daß er überhaupt beabsichtigte, von weiterer Verfolgung abzustehen und in Bibracte sich festzusetzen. Allein da er, von der Verfolgung ablassend, sich gegen Bibracte wendete, meinten die Helvetier, daß die Römer zur Flucht Anstalt machten, und griffen nun ihrerseits an. Mehr hatte Caesar nicht gewünscht. Auf zwei parallel laufenden Hügelreihen stellten die beiden Heere sich auf; die Kelten begannen das Gefecht, sprengten die in die Ebene vorgeschobene römische Reiterei auseinander und liefen an gegen die am Abhang des Hügels postierten römischen Legionen, mußten aber hier vor Caesars Veteranen weichen. Als darauf die Römer, ihren Vorteil verfolgend, nun ihrerseits in die Ebene hinabstiegen, gingen die Kelten wieder gegen sie vor und ein zurückgehaltenes keltisches Korps nahm sie zugleich in die Flanke. Dem letzteren ward die Reserve der römischen Angriffskolonne entgegengeworfen; sie drängte dasselbe von der Hauptmasse ab auf das Gepäck und die Wagenburg, wo es aufgerieben ward. Auch das Gros des helvetischen Zuges ward endlich zum Weichen gebracht und genötigt, den Rückzug in östlicher Richtung zu nehmen – der entgegengesetzten von derjenigen, in die ihr Zug sie führte. Den Plan der Helvetier, am Atlantischen Meer sich neue Wohnsitze zu gründen, hatte dieser Tag vereitelt und die Helvetier der Willkür des Siegers überliefert; aber es war ein heißer auch für die Sieger gewesen. Caesar, der Ursache hatte, seinem Offizierkorps nicht durchgängig zu trauen, hatte gleich zu Anfang alle Offizierspferde fortgeschickt, um die Notwendigkeit standzuhalten den Seinigen gründlich klar zu machen; in der Tat würde die Schlacht, hätten die Römer sie verloren, wahrscheinlich die Vernichtung der römischen Armee herbeigeführt haben. Die römischen Truppen waren zu erschöpft, um die Überwundenen kräftig zu verfolgen; allein infolge der Bekanntmachung Caesars, daß er alle, die die Helvetier unterstützen würden, wie diese selbst als Feinde der Römer behandeln werde, ward, wohin die geschlagene Armee kam, zunächst in dem Gau der Lingonen (um Langres), ihr jede Unterstützung verweigert und, aller Zufuhr und ihres Gepäcks beraubt und belastet von der Masse des nicht kampffähigen Trosses, mußten sie wohl dem römischen Feldherrn sich unterwerfen. Das Los der Besiegten war ein verhältnismäßig mildes. Den heimatlosen Boiern wurden die Häduer angewiesen, in ihrem Gebiet Wohnsitze einzuräumen; und diese Ansiedlung der überwundenen Feinde inmitten der mächtigsten Kettengaue tat fast die Dienste einer römischen Kolonie. Die von den Helvetiern und Raurakern noch übrigen, etwas mehr als ein Drittel der ausgezogenen Mannschaft, wurden natürlich in ihr ehemaliges Gebiet zurückgesandt. Dasselbe wurde der römischen Provinz einverleibt, aber die Bewohner zum Bündnis mit Rom unter günstigen Bedingungen zugelassen, um unter römischer Hoheit am oberen Rhein die Grenze gegen die Deutschen zu verteidigen. Nur die südwestliche Spitze des helvetischen Gaus wurde von den Römern in unmittelbaren Besitz genommen und späterhin hier, an dem anmutigen Gestade des Leman, die alte Keltenstadt Noviodunum (jetzt Nyon) in eine römische Grenzfestung, die Julische Reiterkolonie45, umgewandelt.

Am Oberrhein also war der drohenden Invasion der Deutschen vorgebeugt und zugleich die den Römern feindliche Partei unter den Kelten gedemütigt. Auch am Mittelrhein, wo die Deutschen bereits vor Jahren übergegangen waren und die in Gallien mit der römischen wetteifernde Macht des Ariovist täglich weiter um sich griff, mußte in ähnlicher Weise durchgegriffen werden, und leicht war die Veranlassung zum Bruche gefunden. Im Vergleich mit dem von Ariovist ihnen drohenden oder bereits auferlegten Joch mochte hier dem größeren Teil der Kelten jetzt die römische Suprematie das geringere Übel dünken; die Minorität, die an ihrem Römerhaß festhielt, mußte wenigstens verstummen. Ein unter römischem Einfluß abgehaltener Landtag der Keltenstämme des mittleren Galliens ersuchte im Namen der keltischen Nation den römischen Feldherrn um Beistand gegen die Deutschen. Caesar ging darauf ein. Auf seine Veranlassung stellten die Häduer die Zahlung des vertragsmäßig an Ariovist zu entrichtenden Tributes ein und forderten die gestellten Geiseln zurück, und da Ariovist wegen dieses Vertragsbruchs die Klienten Roms angriff, nahm Caesar davon Veranlassung, mit ihm in direkte Verhandlung zu treten und, außer der Rückgabe der Geiseln und dem Versprechen, mit den Häduern Frieden zu halten, namentlich zu fordern, daß Ariovist sich anheischig mache, keine Deutschen mehr über den Rhein nachzuziehen. Der deutsche Feldherr antwortete dem römischen in dem Vollgefühl ebenbürtigen Rechtes. Ihm sei das nördliche Gallien so gut nach Kriegsrecht untertänig geworden wie den Römern das südliche; wie er die Römer nicht hindere, von den Allobrogen Tribut zu nehmen, so dürften auch sie ihm nicht wehren, seine Untertanen zu besteuern. In späteren geheimen Eröffnungen zeigte es sich, daß der Fürst der römischen Verhältnisse wohl kundig war: er erwähnte der Aufforderungen, die ihm von Rom aus zugekommen seien, Caesar aus dem Wege zu räumen, und erbot sich, wenn Caesar ihm das nördliche Gallien überlassen wolle, ihm dagegen zur Erlangung der Herrschaft über Italien behilflich zu sein – wie ihm der Parteihader der keltischen Nation den Eintritt in Gallien eröffnet hatte, so schien er von dem Parteihader der italischen die Befestigung seiner Herrschaft daselbst zu erwarten. Seit Jahrhunderten war den Römern gegenüber diese Sprache der vollkommen ebenbürtigen und ihre Selbständigkeit schroff und rücksichtslos äußernden Macht nicht geführt worden, wie man sie jetzt von dem deutschen Heerkönig vernahm: kurzweg weigerte er sich zu kommen, als der römische Feldherr nach der bei Klientelfürsten hergebrachten Übung ihm ansann, vor ihm persönlich zu erscheinen. Um so notwendiger war es, nicht zu zaudern: sogleich brach Caesar auf gegen Ariovist. Ein panischer Schrecken ergriff seine Truppen, vor allem seine Offiziere, als sie daran sollten, mit den seit vierzehn Jahren nicht unter Dach und Fach gekommenen deutschen Kernscharen sich zu messen – auch in Caesars Lager schien die tiefgesunkene römische Sitten- und Kriegszucht sich geltend machen und Desertion und Meuterei hervorrufen zu wollen. Allein der Feldherr, indem er erklärte, nötigenfalls mit der zehnten Legion allein gegen den Feind zu ziehen, wußte nicht bloß durch solche Ehrenmahnung diese, sondern durch den kriegerischen Wetteifer auch die übrigen Regimenter an die Adler zu fesseln und etwas von seiner eigenen Energie den Truppen einzuhauchen. Ohne ihnen Zeit zu lassen, sich zu besinnen, führte er in raschen Märschen sie weiter und kam glücklich Ariovist in der Besetzung der sequanischen Hauptstadt Vesontio (Besançon) zuvor. Eine persönliche Zusammenkunft der beiden Feldherrn, die auf Ariovists Begehren stattfand, schien einzig einen Versuch gegen Caesars Person bedecken zu sollen; zwischen den beiden Zwingherren Galliens konnten nur die Waffen entscheiden. Vorläufig kam der Krieg zum Stehen. Im unteren Elsaß, etwa in der Gegend von Mülhausen, eine deutsche Meile vom Rhein46, lagerten die beiden Heere in geringer Entfernung voneinander, bis es Ariovist gelang, mit seiner sehr überlegenen Macht an dem römischen Lager vorbeimarschierend, sich ihm in den Rücken zu legen und die Römer von ihrer Basis und ihren Zufuhren abzuschneiden. Caesar versuchte sich aus seiner peinlichen Lage durch eine Schlacht zu befreien; allein Ariovist nahm sie nicht an. Dem römischen Feldherrn blieb nichts übrig, als trotz seiner geringen Stärke, die Bewegung des Feindes nachzuahmen und seine Verbindungen dadurch wieder zu gewinnen, daß er zwei Legionen am Feinde vorbeiziehen und jenseits des Lagers der Deutschen eine Stellung nehmen ließ, während vier in dem bisherigen Lager zurückblieben. Ariovist, da er die Römer geteilt sah, versuchte einen Sturm auf ihr kleineres Lager; allein die Römer schlugen ihn ab. Unter dem Eindruck dieses Erfolges ward das gesamte römische Heer zum Angriff vorgeführt; und auch die Deutschen stellten in Schlachtordnung sich auf, in langer Linie, jeder Stamm für sich, hinter sich, um die Flucht zu erschweren, die Karren der Armee mit dem Gepäck und den Weibern. Der rechte Flügel der Römer unter Caesars eigener Führung stürzte sich rasch auf den Feind und trieb ihn vor sich her; dasselbe gelang dem rechten Flügel der Deutschen. Noch stand die Waage gleich; allein die Taktik der Reserven entschied, wie so manchen anderen Kampf gegen Barbaren, so auch den gegen die Germanen zu Gunsten der Römer; ihre dritte Linie, die Publius Crassus rechtzeitig zur Hilfe sandte, stellte auf dem linken Flügel die Schlacht wieder her und damit war der Sieg entschieden. Bis an den Rhein ward die Verfolgung fortgesetzt; nur wenigen, darunter dem König, gelang es, auf das andere Ufer zu entkommen (696 58).

So glänzend kündigte dem mächtigen Strom, den hier die italischen Soldaten zum erstenmal erblickten, das römische Regiment sich an; mit einer einzigen glücklichen Schlacht war die Rheinlinie gewonnen. Das Schicksal der deutschen Ansiedlungen am linken Rheinufer lag in Caesars Hand; der Sieger konnte sie vernichten, aber er tat es nicht. Die benachbarten keltischen Gaue, die Sequaner, Leuker, Mediomatriker, waren weder wehrhaft noch zuverlässig; die übersiedelten Deutschen versprachen nicht bloß tapfere Grenzhüter, sondern auch bessere Untertanen Roms zu werden, da sie von den Kelten die Nationalität, von ihren überrheinischen Landsleuten das eigene Interesse an der Bewahrung der neugewonnenen Wohnsitze schied und sie bei ihrer isolierten Stellung nicht umhin konnten, an der Zentralgewalt festzuhalten. Caesar zog hier wie überall die überwundenen Feinde den zweifelhaften Freunden vor; er ließ den von Ariovist längs des linken Rheinufers angesiedelten Germanen, den Tribokern um Straßburg, den Nemetern um Speyer, den Vangionen um Worms, ihre neuen Sitze und vertraute ihnen die Bewachung der Rheingrenze gegen ihre Landsleute an47.

Die Sueben aber, die am Mittelrhein das treverische Gebiet bedrohten, zogen auf die Nachricht von Ariovists Niederlage wieder zurück in das innere Deutschland, wobei sie unterwegs durch die nächstwohnenden Völkerschaften ansehnliche Einbuße erlitten.

Die Folgen dieses einen Feldzuges waren unermeßlich; noch Jahrtausende nachher wurden sie empfunden. Der Rhein war die Grenze des Römischen Reiches gegen die Deutschen geworden. In Gallien, das nicht mehr vermochte, sich selber zu gebieten, hatten bisher die Römer an der Südküste geherrscht, seit kurzem die Deutschen versucht, weiter oberwärts sich festzusetzen. Die letzten Ereignisse hatten es entschieden, daß Gallien nicht nur zum Teil, sondern ganz der römischen Oberhoheit zu verfallen und daß die Naturgrenze, die der mächtige Fluß darbietet, auch die staatliche Grenze zu werden bestimmt war. In seiner besseren Zeit hatte der Senat nicht geruht, bis Roms Herrschaft Italiens natürliche Grenzen, die Alpen und das Mittelmeer und dessen nächste Inseln, erreicht hatte. Einer ähnlichen militärischen Abrundung bedurfte auch das erweiterte Reich; aber die gegenwärtige Regierung überließ dieselbe dem Zufall und sah höchstens darauf, nicht daß die Grenzen verteidigt werden konnten, sondern daß sie nicht unmittelbar von ihr selbst verteidigt zu werden brauchten. Man fühlte es, daß jetzt ein anderer Geist und ein anderer Arm die Geschicke Roms zu lenken begannen.

Die Grundmauern des künftigen Gebäudes standen; um aber dasselbe auszubauen und bei den Galliern die Anerkennung der römischen Herrschaft und der Rheingrenze bei den Deutschen vollständig durchzuführen, fehlte doch noch gar viel. Ganz Mittelgallien zwar von der römischen Grenze bis hinauf nach Chartres und Trier fügte sich ohne Widerrede dem neuen Machthaber, und am oberen und mittleren Rhein war auch von den Deutschen vorläufig kein Angriff zu besorgen. Allein die nördlichen Landschaften, sowohl die aremorikanischen Gaue in der Bretagne und der Normandie als auch die mächtigere Konföderation der Belgen, waren von den gegen das mittlere Gallien geführten Schlägen nicht mitgetroffen worden und fanden sich nicht veranlaßt, dem Besieger Ariovists sich zu unterwerfen. Es kam hinzu, daß, wie bemerkt, zwischen den Belgen und den überrheinischen Deutschen sehr enge Beziehungen bestanden und auch an der Rheinmündung germanische Stämme sich fertig machten, den Strom zu überschreiten. Infolgedessen brach Caesar mit seinem jetzt auf acht Legionen vermehrten Heer im Frühjahr 697 (57) auf gegen die belgischen Gaue. Eingedenk des tapferen und glücklichen Widerstandes, den sie fünfzig Jahre zuvor mit gesamter Hand an der Landgrenze den Kimbrern geleistet hatte, und gespornt durch die zahlreich aus Mittelgallien zu ihnen geflüchteten Patrioten, sandte die Eidgenossenschaft der Belgen ihr gesamtes erstes Aufgebot, 300000 Bewaffnete unter Anführung des Königs der Suessionen, Galba, an ihre Südgrenze, um Caesar daselbst zu empfangen. Nur ein einziger Gau, der der mächtigen Remer (um Reims), ersah in dieser Invasion der Fremden die Gelegenheit, das Regiment abzuschütteln, das ihre Nachbarn, die Suessionen, über sie ausübten, und schickte sich an, die Rolle, die in Mittelgallien die Häduer gespielt hatten, im nördlichen zu übernehmen. In ihrem Gebiet trafen das römische und das belgische Heer fast gleichzeitig ein. Caesar unternahm es nicht, dem tapferen, sechsfach stärkeren Feinde eine Schlacht zu liefern; nordwärts der Aisne, unweit des heutigen Pontavert, zwischen Reims und Laon, nahm er sein Lager auf einem teils durch den Fluß und durch Sümpfe, teils durch Gräben und Redouten von allen Seiten fast unangreifbar gemachten Plateau und begnügte sich, die Versuche der Belgen, die Aisne zu überschreiten und ihn damit von seinen Verbindungen abzuschneiden, durch defensive Maßregeln zu vereiteln. Wenn er darauf zählte, daß die Koalition demnächst unter ihrer eigenen Schwere zusammenbrechen werde, so hatte er richtig gerechnet. König Galba war ein redlicher, allgemein geachteter Mann; aber der Lenkung einer Armee von 300000 Mann auf feindlichem Boden war er nicht gewachsen. Man kam nicht weiter und die Vorräte gingen auf die Neige; Unzufriedenheit und Entzweiung fingen an, im Lager der Eidgenossen sich einzunisten. Die Bellovaker vor allem, den Suessionen an Macht gleich und schon verstimmt darüber, daß die Feldhauptmannschaft des eidgenössischen Heeres nicht an sie gekommen war, waren nicht länger zu halten, seit die Meldung eingetroffen war, daß die Häduer als Bundesgenossen der Römer Anstalt machten, in das bellovakische Gebiet einzurücken. Man beschloß, sich aufzulösen und nach Hause zu gehen; wenn Schande halber die sämtlichen Gaue zugleich sich verpflichteten, dem zunächst angegriffenen mit gesamter Hand zu Hilfe zu eilen, so ward durch solche unausführbare Stipulationen das klägliche Auseinanderlaufen der Eidgenossenschaft nur kläglich beschönigt. Es war eine Katastrophe, welche lebhaft an diejenige erinnert, die im Jahre 1792 fast auf demselben Boden eintrat; und gleichwie in dem Feldzug in der Champagne war die Niederlage nur um so schwerer, weil sie ohne Schlacht erfolgt war. Die schlechte Leitung der abziehenden Armee gestattete dem römischen Feldherrn, dieselbe zu verfolgen, als wäre sie eine geschlagene, und einen Teil der bis zuletzt gebliebenen Kontingente aufzureiben. Aber die Folgen des Sieges beschränkten sich hierauf nicht. Wie Caesar in die westlichen Kantone der Belgen einrückte, gab einer nach dem andern fast ohne Gegenwehr sich verloren: die mächtigen Suessionen (um Soissons), ebenso wie ihre Nebenbuhler, die Bellovaker (um Beauvais) und die Ambianer (um Amiens). Die Städte öffneten die Tore, als sie die fremdartigen Belagerungsmaschinen, die auf die Mauern zurollenden Türme erblickten; wer sich dem fremden Herrn nicht ergeben mochte, suchte eine Zuflucht jenseits des Meeres in Britannien. Aber in den östlichen Kantonen regte sich energischer das Nationalgefühl. Die Viromanduer (um Arras), die Atrebaten (um Saint-Quentin), die deutschen Aduatuker (um Namur), vor allem aber die Nervier (im Hennegau) mit ihrer nicht geringen Klientel, an Zahl den Suessionen und Bellovakern wenig nachgebend, an Tapferkeit und kräftigem Vaterlandssinn ihnen weit überlegen, schlossen einen zweiten und engeren Bund und zogen ihre Mannschaften an der oberen Samtire zusammen. Keltische Spione unterrichteten sie aufs genaueste über die Bewegungen der römischen Armee; ihre eigene Ortskunde sowie die hohen Verzäunungen, welche in diesen Landschaften überall angelegt waren, um den dieselben oft heimsuchenden berittenen Räuberscharen den Weg zu versperren, gestatteten den Verbündeten, ihre eigenen Operationen dem Blick der Römer größtenteils zu entziehen. Als diese an der Sambre unweit Bavay anlangten und die Legionen eben beschäftigt waren, auf dem Kamm des linken Ufers das Lager zu schlagen, die Reiterei und leichte Infanterie die jenseitigen Höhen zu erkunden, wurden auf einmal die letzteren von der gesamten Masse des feindlichen Landsturms überfallen und den Hügel hinab in den Fluß gesprengt. In einem Augenblick hatte der Feind auch diesen überschritten und stürmte mit todverachtender Entschlossenheit die Höhen des linken Ufers. Kaum blieb den schanzenden Legionären die Zeit, um die Hacke mit dem Schwert zu vertauschen; die Soldaten, viele unbehelmt, mußten fechten, wo sie eben standen, ohne Schlachtlinie, ohne Plan, ohne eigentliches Kommando, denn bei der Plötzlichkeit des Überfalls und dem von hohen Hecken durchschnittenen Terrain hatten die einzelnen Abteilungen die Verbindung völlig verloren. Statt der Schlacht entspann sich eine Anzahl zusammenhangloser Gefechte. Labienus mit dem linken Flügel warf die Atrebaten und verfolgte sie bis über den Fluß. Das römische Mitteltreffen drängte die Viromanduer den Abhang hinab. Der rechte Flügel aber, bei dem der Feldherr selbst sich befand, wurde von den weit zahlreicheren Nerviern um so leichter überflügelt, als das Mitteltreffen, durch seinen Erfolg fortgerissen, den Platz neben ihm geräumt hatte, und selbst das halbfertige Lager von den Nerviern besetzt; die beiden Legionen, jede einzeln in ein dichtes Knäuel zusammengeballt und von vorn und in beiden Flanken angegriffen, ihrer meisten Offiziere und ihrer besten Soldaten beraubt, schienen im Begriff, gesprengt und zusammengehauen zu werden. Schon flohen der römische Troß und die Bundestruppen nach allen Seiten; von der keltischen Reiterei jagten ganze Abteilungen, wie das Kontingent der Treverer, mit verhängten Zügeln davon, um vom Schlachtfelde selbst die willkommene Kunde der erlittenen Niederlage daheim zu melden. Es stand alles auf dem Spiel. Der Feldherr selbst ergriff den Schild und focht unter den Vordersten; sein Beispiel, sein auch jetzt noch begeisternder Zuruf brachten die schwankenden Reihen wieder zum Stehen. Schon hatte man einigermaßen sich Luft gemacht und wenigstens die Verbindung der beiden Legionen dieses Flügels wiederhergestellt, als Succurs herbeikam: teils von dem Uferkamm herab, wo währenddessen mit dem Gepäck die römische Nachhut eingetroffen war, teils vom anderen Flußufer her, wo Labienus inzwischen bis an das feindliche Lager vorgedrungen war und sich dessen bemächtigt hatte und nun, endlich die auf dem rechten Flügel drohende Gefahr gewahrend, die siegreiche zehnte Legion seinem Feldherrn zu Hilfe sandte. Die Nervier, von ihren Verbündeten getrennt und von allen Seiten zugleich angegriffen, bewährten jetzt, wo das Glück sich wandte, denselben Heldenmut, wie da sie sich Sieger glaubten; noch von den Leichenbergen der Ihrigen herunter fochten sie bis auf den letzten Mann. Nach ihrer eigenen Angabe überlebten von ihren sechshundert Ratsherren nur drei diesen Tag. Nach dieser vernichtenden Niederlage mußten die Nervier, Atrebaten und Viromanduer wohl die römische Hoheit anerkennen. Die Aduatuker, zu spät eingetroffen, um an dem Kampfe an der Sambre teilzunehmen, versuchten zwar noch, in der festesten ihrer Städte (auf dem Berge Falhize an der Maas unweit Huy) sich zu halten, allein bald unterwarfen auch sie sich. Ein noch nach der Ergebung gewagter nächtlicher Überfall des römischen Lagers vor der Stadt schlug fehl und der Treubruch ward von den Römern mit furchtbarer Strenge geahndet. Die Klientel der Aduatuker, die aus den Eburonen zwischen Maas und Rhein und anderen kleinen, benachbarten Stämmen bestand, wurde von den Römern selbständig erklärt, die gefangenen Aduatuker aber in Masse zu Gunsten des römischen Schatzes unter dem Hammer verkauft. Es schien, als ob das Verhängnis, das die Kimbrer betroffen hatte, auch diesen letzten kimbrischen Splitter noch verfolge. Den übrigen unterworfenen Stämmen begnügte sich Caesar eine allgemeine Entwaffnung und Geiselstellung aufzuerlegen. Die Remer wurden natürlich der führende Gau im belgischen wie die Häduer im mittleren Gallien; sogar in diesem begaben sich manche mit den Häduern verfeindete Clans vielmehr in die Klientel der Reiner. Nur die entlegenen Seekantone der Moriner (Artois) und der Menapier (Flandern und Brabant) und die großenteils von Deutschen bewohnte Landschaft zwischen Schelde und Rhein blieben für diesmal von der römischen Invasion noch verschont und im Besitz ihrer angestammten Freiheit.

Die Reihe kam an die aremorikanischen Gaue. Noch im Herbst 697 (57) ward Publius Crassus mit einem römischen Korps dahin gesandt; er bewirkte, daß die Veneter, die, als Herren der Häfen des heutigen Morbihan und einer ansehnlichen Flotte, in Schiffahrt und Handel unter allen keltischen Gauen den ersten Platz einnahmen, und überhaupt die Küstendistrikte zwischen Loire und Seine sich den Römern unterwarfen und ihnen Geiseln stellten. Allein es gereute sie bald. Als im folgenden Winter (697/98 57/5 römische Offiziere in diese Gegenden kamen, um Getreidelieferungen daselbst auszuschreiben, wurden sie von den Venetern als Gegengeiseln festgehalten. Dem gegebenen Beispiel folgten rasch nicht bloß die aremoricanischen, sondern auch die noch freigebliebenen Seekantone der Belgen; wo, wie in einigen Gauen der Normandie, der Gemeinderat sich weigerte, der Insurrektion beizutreten, machte die Menge ihn nieder und schloß mit verdoppeltem Eifer der Nationalsache sich an. Die ganze Küste von der Mündung der Loire bis zu der des Rheins stand auf gegen Rom; die entschlossensten Patrioten aus allen keltischen Gauen eilten dorthin, um mitzuwirken an dem großen Werke der Befreiung; man rechnete schon auf den Aufstand der gesamten belgischen Eidgenossenschaft, auf Beistand aus Britannien, auf das Einrücken der überrheinischen Germanen.

Caesar sandte Labienus mit der ganzen Reiterei an den Rhein, um die gärende belgische Landschaft niederzuhalten und nötigenfalls den Deutschen den Übergang über den Fluß zu wehren; ein anderer seiner Unterbefehlshaber, Quintus Titurius Sabinus, ging mit drei Legionen nach der Normandie, wo die Hauptmasse der Insurgenten sich sammelte. Allein der eigentliche Herd der Insurrektion waren die mächtigen und intelligenten Veneter; gegen sie ward zu Lande und zur See der Hauptangriff gerichtet. Die teils aus den Schiffen der untertänigen Keltengaue, teils aus einer Anzahl römischer, eiligst auf der Loire erbauter und mit Ruderern aus der Narbonensischen Provinz bemannter Galeeren gebildete Flotte führte der Unterfeldherr Decimus Brutus heran; Caesar selbst rückte mit dem Kern seiner Infanterie ein in das Gebiet der Veneter. Aber man war dort vorbereitet und hatte ebenso geschickt wie entschlossen die günstigen Verhältnisse benutzt, die das bretagnische Terrain und der Besitz einer ansehnlichen Seemacht darbot. Die Landschaft war durchschnitten und getreidearm, die Städte größtenteils auf Klippen und Landspitzen gelegen und vom Festlande her nur auf schwer zu passierenden Watten zugänglich; die Verpflegung wie die Belagerung waren für das zu Lande angreifende Heer gleich schwierig, während die Kelten durch ihre Schiffe die Städte leicht mit allem Nötigen versehen und im schlimmsten Fall die Räumung derselben bewerkstelligen konnten. Die Legionen verschwendeten in den Belagerungen der venetischen Ortschaften Zeit und Kraft, um zuletzt die wesentlichen Früchte des Sieges auf den Schiffen der Feinde verschwinden zu sehen. Als daher die römische Flotte, lange in der Loiremündung von Stürmen zurückgehalten, endlich an der bretagnischen Küste eintraf, überließ man es ihr, den Kampf durch eine Seeschlacht zu entscheiden. Die Kelten, ihrer Überlegenheit auf diesem Elemente sich bewußt, führten gegen die von Brutus befehligte römische Flotte die ihrige vor. Nicht bloß zählte diese zweihundertzwanzig Segel, weit mehr, als die Römer hatten aufbringen können; ihre hochbordigen, festgebauten Segelschiffe von flachem Boden waren auch bei weitem geeigneter für die hochgehenden Fluten des Atlantischen Meeres als die niedrigen leichtgefugten Rudergaleeren der Römer mit ihren scharfen Kielen. Weder die Geschosse noch die Enterbrücken der Römer vermochten das hohe Deck der feindlichen Schiffe zu erreichen und an den mächtigen Eichenplanken derselben prallten die eisernen Schnäbel machtlos ab. Allein die römischen Schiffsleute zerschnitten die Taue, durch welche die Rahen an den Masten befestigt waren, mittels an langen Stangen befestigter Sicheln; Rahen und Segel stürzten herab und, da man den Schaden nicht rasch zu ersetzen verstand, ward das Schiff dadurch zum Wrack, wie heutzutage durch Stürzen der Maste, und leicht gelang es den römischen Booten, durch vereinigten Angriff des gelähmten feindlichen Schiffes sich zu bemeistern. Als die Gallier dieses Manövers innewurden, versuchten sie von der Küste, an der sie den Kampf mit den Römern aufgenommen hatten, sich zu entfernen und die hohe See zu gewinnen, wohin die römischen Galeeren ihnen nicht folgen konnten; allein zum Unglück für sie trat plötzlich eine vollständige Windstille ein und die ungeheure Flotte, an deren Ausrüstung die Seegaue alle ihre Kräfte gesetzt hatten, ward von den Römern fast gänzlich vernichtet. So ward diese Seeschlacht – soweit die geschichtliche Kunde reicht, die älteste auf dem Atlantischen Ozean geschlagene – ebenwie zweihundert Jahre zuvor das Treffen bei Mylae trotz der ungünstigsten Verhältnisse durch eine von der Not eingegebene glückliche Erfindung zum Vorteil der Römer entschieden. Die Folge des von Brutus erfochtenen Sieges war die Ergebung der Veneter und der ganzen Bretagne. Mehr, um der keltischen Nation, nach so vielfältigen Beweisen von Milde gegen die Unterworfenen, jetzt durch ein Beispiel furchtbarer Strenge gegen die hartnäckig Widerstrebenden zu imponieren, als um den Vertragsbruch und die Festnahme der römischen Offiziere zu ahnden, ließ Caesar den gesamten Gemeinderat hinrichten und die Bürgerschaft des venetischen Gaus bis auf den letzten Mann in die Knechtschaft verkaufen. Durch dies entsetzliche Geschick wie durch ihre Intelligenz und ihren Patriotismus haben die Veneter mehr als irgendein anderer Keltenclan sich ein Anrecht erworben auf die Teilnahme der Nachwelt. Dem am Kanal versammelten Aufgebot der Küstenstaaten setzte Sabinus inzwischen dieselbe Taktik entgegen, durch die Caesar das Jahr zuvor den belgischen Landsturm an der Aisne überwunden hatte; er verhielt sich verteidigend, bis Ungeduld und Mangel in den Reihen der Feinde einrissen, und wußte sie dann durch Täuschung über die Stimmung und Stärke seiner Truppen und vor allem durch die eigene Ungeduld zu einem unbesonnenen Sturm auf das römische Lager zu verlocken und dabei zu schlagen, worauf die Milizen sich zerstreuten und die Landschaft bis zur Seine sich unterwarf.

Nur die Moriner und Menapier beharrten dabei, sich der Anerkennung der römischen Hoheit zu entziehen. Um sie dazu zu zwingen, erschien Caesar an ihren Grenzen: aber gewitzigt durch die von ihren Landsleuten gemachten Erfahrungen, vermieden sie es, den Kampf an der Landesgrenze aufzunehmen und wichen zurück in die damals von den Ardennen gegen die Nordsee hin fast ununterbrochen sich erstreckenden Wälder. Die Römer versuchten, sich durch dieselben mit der Axt eine Straße zu bahnen, zu deren beiden Seiten die gefällten Bäume als Verbacke gegen feindliche Überfälle aufgeschichtet wurden; allein selbst Caesar, verwegen wie er war, fand nach einigen Tagen mühseligsten Marschierens es ratsam, zumal da es gegen den Winter ging, den Rückzug anzuordnen, obwohl von den Morinern nur ein kleiner Teil unterworfen und die mächtigen Menapier gar nicht erreicht worden waren. Das folgende Jahr (699 55) ward, während Caesar selbst in Britannien beschäftigt war, der größte Teil des Heeres aufs neue gegen diese Völkerschaften gesandt; allein auch diese Expedition blieb in der Hauptsache erfolglos. Dennoch war das Ergebnis der letzten Feldzüge die fast vollständige Unterwerfung Galliens unter die Herrschaft der Römer. Wenn Mittelgallien ohne Gegenwehr sich unter dieselbe gefügt hatte, so waren durch den Feldzug des Jahres 697 (57) die belgischen, durch den des folgenden Jahres die Seegaue mit den Waffen zur Anerkennung der römischen Herrschaft gezwungen worden. Die hochfliegenden Hoffnungen aber, mit denen die keltischen Patrioten den letzten Feldzug begonnen, hatten nirgends sich erfüllt. Weder Deutsche noch Briten waren ihnen zu Hilfe gekommen, und in Belgien hatte Labienus‘ Anwesenheit genügt, die Erneuerung der vorjährigen Kämpfe zu verhüten.

Während also Caesar das römische Gebiet im Westen mit den Waffen zu einem geschlossenen Ganzen fortbildete, versäumte er nicht, der neu unterworfenen Landschaft, welche ja bestimmt war, die zwischen Italien und Spanien klaffende Gebietslücke auszufüllen, mit der italischen Heimat wie mit den spanischen Provinzen Kommunikationen zu eröffnen. Die Verbindung zwischen Gallien und Italien war allerdings durch die von Pompeius im Jahre 677 (77) angelegte Heerstraße über den Mont Genèvre wesentlich erleichtert worden; allein seit das ganze Gallien den Römern unterworfen war, bedurfte man einer aus dem Potal nicht in westlicher, sondern in nördlicher Richtung den Alpenkamm überschreitenden und eine kürzere Verbindung zwischen Italien und dem mittleren Gallien herstellenden Straße. Dem Kaufmann diente hierzu längst der Weg, der über den Großen Bernhard in das Wallis und an den Genfer See führt; um diese Straße in seine Gewalt zu bringen, ließ Caesar schon im Herbst 697 (57) durch Servius Galba Octodurum (Martigny) besetzen und die Bewohner des Wallis zur Botmäßigkeit bringen, was durch die tapfere Gegenwehr dieser Bergvölker natürlich nur verzögert, nicht verhindert ward.

Um ferner die Verbindung mit Spanien zu gewinnen, wurde im folgenden Jahr (698 56) Publius Crassus nach Aquitanien gesandt mit dem Auftrag, die daselbst wohnenden iberischen Stämme zur Anerkennung der römischen Herrschaft zu zwingen. Die Aufgabe war nicht ohne Schwierigkeit; die Iberer hielten fester zusammen als die Kelten und verstanden es besser als diese, von ihren Feinden zu lernen. Die Stämme jenseits der Pyrenäen, namentlich die tüchtigen Kantabrer sandten ihren bedrohten Landsleuten Zuzug; mit diesem kamen erfahrene, unter Sertorius‘ Führung römisch geschulte Offiziere, die soweit möglich die Grundsätze der römischen Kriegskunst, namentlich das Lagerschlagen, bei dem schon durch seine Zahl und seine Tapferkeit ansehnlichen aquitanischen Aufgebot einführten. Allein der vorzügliche Offizier, der die Römer führte, wußte alle Schwierigkeiten zu überwinden, und nach einigen hart bestrittenen, aber glücklich gewonnenen Feldschlachten die Völkerschaften von der Garonne bis nahe an die Pyrenäen zur Ergebung unter den neuen Herrn zu bestimmen.

Das eine Ziel, das Caesar sich gesteckt hatte, die Unterwerfung Galliens, war mit kaum nennenswerten Ausnahmen im wesentlichen soweit erreicht, als es überhaupt mit dem Schwert sich erreichen ließ. Allein die andere Hälfte des von Caesar begonnenen Werkes war noch bei weitem nicht genügend erledigt und die Deutschen noch keineswegs überall genötigt, den Rhein als Grenze anzuerkennen. Eben jetzt, im Winter 698/99 (56/55) hatte an dem unteren Laufe des Flusses, bis wohin die Römer noch nicht vorgedrungen waren, eine abermalige Grenzüberschreitung stattgefunden. Die deutschen Stämme der Usipeten und Tencterer, deren Versuche, in dem Gebiet der Menapier über den Rhein zu setzen, bereits erwähnt wurden, waren endlich doch, die Wachsamkeit ihrer Gegner durch einen verstellten Abzug täuschend, auf den eigenen Schiffen der Menapier übergegangen – ein ungeheurer Schwarm, der sich mit Einschluß der Weiber und Kinder auf 430000 Köpfe belaufen haben soll. Noch lagerten sie, es scheint in der Gegend von Nimwegen und Kleve; aber es hieß, daß sie, den Aufforderungen der keltischen Patriotenpartei folgend, in das Innere Galliens einzurücken beabsichtigten, und das Gerücht ward dadurch bestärkt, daß ihre Reiterscharen bereits bis an die Grenzen der Treuerer streiften. Indes als Caesar mit seinen Legionen ihnen gegenüber anlangte, schienen die vielgeplagten Auswanderer nicht nach neuen Kämpfen begierig, sondern gern bereit, von den Römern Land zu nehmen und es unter ihrer Hoheit in Frieden zu bestellen. Während darüber verhandelt ward, stieg in dem römischen Feldherrn der Argwohn auf, daß die Deutschen nur Zeit zu gewinnen suchten, bis die von ihnen entsendeten Reiterscharen wiedereingetroffen seien. Ob derselbe gegründet war oder nicht, läßt sich nicht sagen; aber darin bestärkt durch einen Angriff, den trotz des tatsächlichen Waffenstillstandes ein feindlicher Trupp auf seine Vorhut unternahm, und erbittert durch den dabei erlittenen empfindlichen Verlust, glaubte Caesar sich berechtigt, jede völkerrechtliche Rücksicht aus den Augen zu setzen. Als am anderen Morgen die Fürsten und Ältesten der Deutschen, den ohne ihr Vorwissen unternommenen Angriff zu entschuldigen, im römischen Lager erschienen, wurden sie festgehalten und die nichts ahnende, ihrer Führer beraubte Menge von dem römischen Heer plötzlich überfallen. Es war mehr eine Menschenjagd als eine Schlacht; was nicht unter den Schwertern der Römer fiel, ertrank im Rheine; fast nur die zur Zeit des Überfalls detachierten Abteilungen entkamen dem Blutbad und gelangten zurück über den Rhein, wo ihnen die Sugambrer in ihrem Gebiet, es scheint an der Lippe, eine Freistatt gewährten. Das Verfahren Caesars gegen diese deutschen Einwanderer fand im Senat schweren und gerechten Tadel; allein wie wenig auch dasselbe entschuldigt werden kann, den deutschen Übergriffen war dadurch mit erschreckendem Nachdruck gesteuert. Doch fand es Caesar ratsam, noch einen Schritt weiter zu gehen und die Legionen über den Rhein zu führen. An Verbindungen jenseits desselben mangelte es ihm nicht. Den Deutschen auf ihrer damaligen Bildungsstufe fehlte noch jeder nationale Zusammenhang; an politischer Zerfahrenheit gaben sie, wenn auch aus anderen Ursachen, den Kelten nichts nach. Die Ubier (an der Sieg und Lahn), der zivilisierteste unter den deutschen Stämmen, waren vor kurzem von einem mächtigen suebischen Gau des Binnenlandes botmäßig und zinspflichtig gemacht worden und hatten schon 697 (57) Caesar durch ihre Boten ersucht, auch sie wie die Gallier von der suebischen Herrschaft zu befreien. Es war Caesars Absicht nicht, diesem Ansinnen, das ihn in endlose Unternehmungen verwickelt haben würde, ernstlich zu entsprechen; aber wohl schien es zweckmäßig, um das Erscheinen der germanischen Waffen diesseits des Rheines zu verhindern, die römischen jenseits desselben wenigstens zu zeigen. Der Schutz, den die entronnenen Usipeten und Tencterer bei den Sugambrern gefunden hatten, bot eine geeignete Veranlassung dar. In der Gegend, wie es scheint, zwischen Koblenz und Andernach schlug Caesar eine Pfahlbrücke über den Rhein und führte seine Legionen hinüber aus dem treverischen in das ubische Gebiet. Einige kleinere Gaue gaben ihre Unterwerfung ein; allein die Sugambrer, gegen die der Zug zunächst gerichtet war, zogen, wie das römische Heer herankam, mit ihren Schutzbefohlenen sich in das innere Land zurück. In gleicher Weise ließ der mächtige suebische Gau, der die Ubier bedrängte, vermutlich derjenige, der später unter dem Namen der Chatten auftritt, die zunächst an das ubische Gebiet angrenzenden Distrikte räumen und das nicht streitbare Volk in Sicherheit bringen, während alle waffenfähige Mannschaft angewiesen ward, im Mittelpunkt des Gaues sich zu versammeln. Diesen Handschuh aufzuheben hatte der römische Feldherr weder Veranlassung noch Lust; sein Zweck, teils zu rekognoszieren, teils durch einen Zug über den Rhein womöglich den Deutschen, wenigstens aber den Kelten und den Landsleuten daheim zu imponieren, war im wesentlichen erreicht; nach achtzehntägigem Verweilen am rechten Rheinufer traf er wieder in Gallien ein und brach die Rheinbrücke hinter sich ab (699 55).

Es blieben die Inselkelten. Bei dem engen Zusammenhang zwischen ihnen und den Kelten des Festlandes, namentlich den Seegauen, ist es begreiflich, daß sie an dem nationalen Widerstand wenigstens mit ihren Sympathien sich beteiligt hatten und den Patrioten wenn auch nicht bewaffneten Beistand, doch mindestens jedem von ihnen, für den die Heimat nicht mehr sicher war, auf ihrer meerbeschützten Insel eine ehrenvolle Freistatt gewährten. Eine Gefahr lag hierin allerdings, wenn nicht für die Gegenwart, doch für die Zukunft; es schien zweckmäßig, wo nicht die Eroberung der Insel selbst zu unternehmen, doch auch hier die Defensive offensiv zu führen und durch eine Landung an der Küste den Insulanern zu zeigen, daß der Arm der Römer auch über den Kanal reiche. Schon der erste römische Offizier, der die Bretagne betrat, Publius Crassus, war von dort nach den „Zinninseln“ an der Westspitze Englands (Scillyinseln) hinübergefahren (697 57); im Sommer 699 (55) ging Caesar selbst mit nur zwei Legionen da, wo er am schmalsten ist48, über den Kanal. Er fand die Küste mit feindlichen Truppenmassen bedeckt und fuhr mit seinen Schiffen weiter; aber die britischen Streitwagen bewegten sich ebenso schnell zu Lande fort wie die römischen Galeeren auf der See, und nur mit größter Mühe gelang es den römischen Soldaten unter dem Schutze der Kriegsschiffe, die durch Wurfmaschinen und Handgeschütze den Strand fegten, im Angesicht der Feinde teils watend, teils in Kähnen das Ufer zu gewinnen. Im ersten Schreck unterwarfen sich die nächsten Dörfer; allein bald wurden die Insulaner gewahr, wie schwach der Feind sei und wie er nicht wage, sich vom Ufer zu entfernen. Die Eingeborenen verschwanden in das Binnenland und kamen nur zurück, um das Lager zu bedrohen; die Flotte aber, die man auf der offenen Reede gelassen hatte, erlitt durch den ersten über sie hereinbrechenden Sturmwind sehr bedeutenden Schaden. Man mußte sich glücklich schätzen, die Angriffe der Barbaren abzuschlagen, bis man die Schiffe notdürftig repariert hatte, und mit denselben, noch ehe die schlimme Jahreszeit hereinbrach, die gallische Küste wiederzuerreichen.

Caesar selbst war mit den Ergebnissen dieser leichtsinnig und mit unzulänglichen Mitteln unternommenen Expedition so unzufrieden, daß er sogleich (Winter 699/700 55/54) eine Transportflotte von 800 Segeln instand setzen ließ und im Frühling 700 (54), diesmal mit fünf Legionen und 2000 Reitern, zum zweitenmal nach der kentischen Küste unter Segel ging. Vor der gewaltigen Armada wich die auch diesmal am Ufer versammelte Streitmacht der Briten, ohne einen Kampf zu wagen; Caesar trat sofort den Marsch ins Binnenland an und überschritt nach einigen glücklichen Gefechten den Fluß Stour; allein er mußte sehr wider seinen Willen innehalten, weil die Flotte auf der offenen Reede wiederum von den Stürmen des Kanals halb vernichtet worden war. Bis man die Schiffe auf den Strand gezogen und für die Reparatur umfassende Vorkehrungen getroffen, ging eine kostbare Zeit verloren, die die Kelten weislich benutzten. Der tapfere und umsichtige Fürst Cassivellaunus, der in dem heutigen Middlesex und der Umgegend gebot, sonst der Schreck der Kelten südlich von der Themse, jetzt aber Hort und Vorfechter der ganzen Nation, war an die Spitze der Landesverteidigung getreten. Er sah bald, daß mit dem keltischen Fußvolk gegen das römische schlechterdings nichts auszurichten und die schwer zu ernährende und schwer zu regierende Masse des Landsturms der Verteidigung nur hinderlich war; also entließ er diesen und behielt nur die Streitwagen, deren er 4000 zusammenbrachte und deren Kämpfer, geübt vom Wagen herabspringend zu Fuß zu fechten, gleich der Bürgerreiterei des ältesten Rom in zwiefacher Weise verwendet werden konnten. Als Caesar den Marsch wieder fortzusetzen imstande war, fand er denselben nirgend sich verlegt; aber die britischen Streitwagen zogen stets dem römischen Heer vorauf und zur Seite, bewirkten die Räumung des Landes, die bei dem Mangel an Städten keine große Schwierigkeit machte, hinderten jede Detachierung und bedrohten die Kommunikationen. Die Themse ward – wie es scheint zwischen Kingston und Brentford oberhalb London – von den Römern überschritten; man kam vorwärts, aber nicht eigentlich weiter; der Feldherr erfocht keinen Sieg, der Soldat machte keine Beute und das einzige wirkliche Resultat, die Unterwerfung der Trinobanten im heutigen Essex, war weniger die Folge der Furcht vor den Römern als der tiefen Verfeindung dieses Gaus mit Cassivellaunus. Mit jedem Schritte vorwärts stieg die Gefahr, und der Angriff, den die Fürsten von Kent nach Cassivellaunus‘ Anordnung auf das römische Schiffslager machten, mahnte, obwohl er abgeschlagen ward, doch dringend zur Umkehr. Die Erstürmung eines großen britischen Verhacks, in dem eine Menge Vieh den Römern in die Hände fiel, gab für das ziellose Vordringen einen leidlichen Abschluß und einen erträglichen Vorwand für die Umkehr. Auch Cassivellaunus war einsichtig genug, den gefährlichen Feind nicht aufs Äußerste zu treiben, und versprach, wie Caesar verlangte, die Trinobanten nicht zu beunruhigen, Abgaben zu zahlen und Geiseln zu stellen; von Auslieferung der Waffen oder Zurücklassung einer römischen Besatzung war nicht die Rede, und selbst jene Versprechungen wurden vermutlich, soweit sie die Zukunft betrafen, ernstlich weder gegeben noch genommen. Nach Empfang der Geiseln kehrte Caesar in das Schiffslager und von da nach Gallien zurück. Wenn er, wie es allerdings scheint, gehofft hatte, Britannien diesmal zu erobern, so war dieser Plan teils an dem klugen Verteidigungssystem des Cassivellaunus, teils und vor allem an der Unbrauchbarkeit der italischen Ruderflotte auf den Gewässern der Nordsee vollkommen gescheitert; denn daß der bedungene Tribut niemals erlegt ward, ist gewiß. Der nächste Zweck aber: die Inselkelten aus ihrer trotzigen Sicherheit aufzurütteln und sie zu veranlassen, in ihrem eigenen Interesse ihre Inseln nicht länger zum Herd der festländischen Emigration herzugeben, scheint allerdings erreicht worden zu sein; wenigstens werden Beschwerden über dergleichen Schutzverleihung späterhin nicht wieder vernommen.

Das Werk der Zurückweisung der germanischen Invasion und der Unterwerfung der festländischen Kelten war vollendet. Aber oft ist es leichter, eine freie Nation zu unterwerfen als eine unterworfene in Botmäßigkeit zu erhalten. Die Rivalität um die Hegemonie, an der mehr noch als an den Angriffen Roms die keltische Nation zugrunde gegangen war, ward durch die Eroberung gewissermaßen aufgehoben, indem der Eroberer die Hegemonie für sich selbst nahm. Die Sonderinteressen schwiegen; in dem gemeinsamen Druck fühlte man doch sich wieder als ein Volk, und was man, da man es besaß, gleichgültig verspielt hatte, die Freiheit und die Nationalität, dessen unendlicher Wert ward nun, da es zu spät war, von der unendlichen Sehnsucht vollständig ermessen. Aber war es denn zu spät? Mit zorniger Scham gestand man es sich, daß eine Nation, die mindestens eine Million waffenfähiger Männer zählte, eine Nation von altem und wohlbegründetem kriegerischen Ruhm, von höchstens 50000 Römern sich hatte das Joch auflegen lassen. Die Unterwerfung der Eidgenossenschaft des mittleren Galliens, ohne daß sie auch nur einen Schlag getan, die der belgischen, ohne daß sie mehr getan als schlagen wollen; dagegen wieder der heldenmütige Untergang der Nervier und Veneter, der kluge und glückliche Widerstand der Moriner und der Briten unter Cassivellaunus – alles, was im einzelnen versäumt und geleistet, gescheitert und erreicht war, spornte die Gemüter aller Patrioten zu neuen, womöglich einigeren und erfolgreicheren Versuchen. Namentlich unter dem keltischen Adel herrschte eine Gärung, die jeden Augenblick in einen allgemeinen Aufstand ausbrechen zu müssen schien. Schon vor dem zweiten Zug nach Britannien im Frühjahr 700 (54) hatte Caesar es notwendig gefunden, sich persönlich zu den Treverern zu begeben, die, seit sie 697 (57) in der Nervierschlacht sich kompromittiert hatten, auf den allgemeinen Landtagen nicht mehr erschienen waren und mit den überrheinischen Deutschen mehr als verdächtige Verbindungen angeknüpft hatten. Damals hatte Caesar sich begnügt, die namhaftesten Männer der Patriotenpartei, namentlich den Indutiomarus, unter dem treverischen Reiterkontingent mit sich nach Britannien zu führen; er tat sein mögliches, die Verschwörung nicht zu sehen, um nicht durch strenge Maßregeln sie zur Insurrektion zu zeitigen. Allein als der Häduer Dumnorix, der gleichfalls dem Namen nach als Reiteroffizier, in der Tat aber als Geisel sich bei dem nach Britannien bestimmten Heere befand, geradezu verweigerte sich einzuschiffen und statt dessen nach Hause ritt, konnte Caesar nicht umhin, ihn als Ausreißer verfolgen zu lassen, wobei er von der nachgeschickten Abteilung eingeholt und, da er gegen dieselbe sich zur Wehre setzte, niedergehauen ward (700 54). Daß der angesehenste Ritter des mächtigsten und noch am wenigsten abhängigen Keltengaus von den Römern getötet worden, war ein Donnerschlag für den ganzen keltischen Adel; jeder, der sich ähnlicher Gesinnung bewußt war – und es war dies die ungeheure Majorität –, sah in jener Katastrophe das Bild dessen, was ihm selber bevorstand. Wenn Patriotismus und Verzweiflung die Häupter des keltischen Adels bestimmt hatte sich zu verschwören, so trieb jetzt Furcht und Notwehr die Verschworenen zum Losschlagen. Im Winter 700/01 (54/53) lagerte, mit Ausnahme einer in die Bretagne und einer zweiten in den sehr unruhigen Gau der Carnuten (bei Chartres) verlegten Legion, das gesamte römische Heer, sechs Legionen stark, im belgischen Gebiet. Die Knappheit der Getreidevorräte hatte Caesar bewogen, seine Truppen weiter, als er sonst zu tun pflegte, auseinander und in sechs verschiedene, in den Gauen der Bellovaker, Ambianer, Moriner, Nervier, Reiner und Eburonen, errichtete Lager zu verlegen. Das am weitesten gegen Osten im eburonischen Gebiet, wahrscheinlich unweit des späteren Aduatuca, des heutigen Tongern, angelegte Standlager, das stärkste von allen, bestehend aus einer Legion unter einem der angesehensten Caesarischen Divisionsführer, dem Quintus Titurius Sabinus, und außerdem verschiedenen, von dem tapferen Lucius Aurunculeius Cotta, geführten Detachements zusammen von der Stärke einer halben Legion49, fand sich urplötzlich von dem Landsturm der Eburonen unter den Königen Ambiorix und Catuvolcus umzingelt. Der Angriff kam so unerwartet, daß die eben vom Lager abwesenden Mannschaften nicht einberufen werden konnten und von den Feinden aufgehoben wurden; übrigens war zunächst die Gefahr nicht groß, da es an Vorräten nicht mangelte und der Sturm, den die Eburonen versuchten, an den römischen Verschanzungen machtlos abprallte. Aber König Ambiorix eröffnete dem römischen Befehlshaber, daß die sämtlichen römischen Lager in Gallien an demselben Tage in gleicher Weise angegriffen und die Römer unzweifelhaft verloren seien, wenn die einzelnen Korps nicht rasch aufbrächen und miteinander sich vereinigten; daß Sabinus damit um so mehr Ursache habe zu eilen, als gegen ihn auch die überrheinischen Deutschen bereits im Anmarsch seien; daß er selbst aus Freundschaft für die Römer ihnen freien Abzug bis zu dem nächsten, nur zwei Tagemärsche entfernten römischen Lager zusichere. Einiges in diesen Angaben schien nicht erfunden; daß der kleine, von den Römern besonders begünstigte Gau der Eburonen den Angriff auf eigene Hand unternommen habe, war in der Tat unglaublich und bei der Schwierigkeit, mit den anderen, weit entfernten Lagern sich in Verbindung zu setzen, die Gefahr von der ganzen Masse der Insurgenten angegriffen und vereinzelt aufgerieben zu werden, keineswegs gering zu achten; nichtsdestoweniger konnte es nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß sowohl die Ehre wie die Klugheit gebot, die vom Feinde angebotene Kapitulation zurückzuweisen und an dem anvertrauten Posten auszuharren. Auch im Kriegsrat vertraten zahlreiche Stimmen, namentlich die gewichtige des Lucius Aurunculeius Cotta diese Ansicht. Dennoch entschied sich der Kommandant dafür, den Vorschlag des Ambiorix anzunehmen. Die römischen Truppen zogen also am anderen Morgen ab; aber in einem schmalen Tal, kaum eine halbe Meile vom Lager, angelangt, fanden sie sich von den Eburonen umzingelt und jeden Ausweg gesperrt. Sie versuchten, mit den Waffen sich den Weg zu öffnen; allein die Eburonen ließen sich auf kein Nahgefecht ein und begnügten sich, aus ihren unangreifbaren Stellungen ihre Geschosse in den Knäuel der Römer zu entsenden. Wie verwirrt, als ob er Rettung vor dem Verrat bei dem Verräter suchte, begehrte Sabinus eine Zusammenkunft mit Ambiorix; sie wurde gewährt und er und die ihn begleitenden Offiziere erst entwaffnet, dann niedergemacht. Nach dem Fall des Befehlshabers warfen sich die Eburonen von allen Seiten zugleich auf die erschöpften und verzweifelnden Römer und brachen ihre Reihen: die meisten, unter ihnen der schon früher verwundete Cotta, fanden bei diesem Angriff ihren Tod; ein kleiner Teil, dem es gelungen war, das verlassene Lager wiederzugewinnen, stürzte sich während der folgenden Nacht in die eigenen Schwerter. Der ganze Heerhaufen ward vernichtet.

Dieser Erfolg, wie die Insurgenten ihn selber kaum gehofft haben mochten, steigerte die Gärung unter den keltischen Patrioten so gewaltig, daß die Römer, mit Ausnahme der Häduer und der Reiner, keines einzigen Distrikts ferner sicher waren und an den verschiedensten Punkten der Aufstand losbrach. Vor allen Dingen verfolgten die Eburonen ihren Sieg. Verstärkt durch das Aufgebot der Aduatuker, die gern die Gelegenheit ergriffen, das von Caesar ihnen zugefügte Leid zu vergelten, und der mächtigen und noch unbezwungenen Menapier, erschienen sie in dem Gebiet der Nervier, welche sogleich sich anschlossen, und der ganze also auf 60000 Köpfe angeschwollene Schwarm rückte vor das im nervischen Gau befindliche römische Lager. Quintus Cicero, der hier kommandierte, hatte mit seinem schwachen Korps einen schweren Stand, namentlich als die Belagerer, von dem Feinde lernend, Wälle und Gräben, Schilddächer und bewegliche Türme in römischer Weise aufführten und die strohgedeckten Lagerhütten mit Brandschleudern und Brandspeeren überschütteten. Die einzige Hoffnung der Belagerten beruhte auf Caesar, der nicht allzuweit entfernt in der Gegend von Amiens mit drei Legionen im Winterlager stand. Allein – ein charakteristischer Beweis für die im Keltenland herrschende Stimmung – geraume Zeit hindurch kam dem Oberfeldherrn nicht die geringste Andeutung zu weder von der Katastrophe des Sabinus, noch von der gefährlichen Lage Ciceros. Endlich gelang es einem keltischen Reiter aus Ciceros Lager, sich durch die Feinde bis zu Caesar durchzuschleichen. Auf die erschütternde Kunde brach Caesar augenblicklich auf, zwar nur mit zwei schwachen Legionen, zusammen etwa 7000 Mann stark, und 400 Reitern; aber nichtsdestoweniger genügte die Meldung, daß Caesar anrückte, um die Insurgenten zur Aufhebung der Belagerung zu bestimmen. Es war Zeit; nicht der zehnte Mann in Ciceros Lager war unverwundet. Caesar, gegen den das Insurgentenheer sich gewandt hatte, täuschte die Feinde in der schon mehrmals mit Erfolg angewandten Weise über seine Stärke; unter den ungünstigsten Verhältnissen wagten sie einen Sturm auf das Römerlager und erlitten dabei eine Niederlage. Es ist seltsam, aber charakteristisch für die keltische Nation, daß infolge dieser einen verlorenen Schlacht, oder vielleicht mehr noch infolge von Caesars persönlichem Erscheinen auf dem Kampfplatz die so siegreich aufgetretene, so weithin ausgedehnte Insurrektion plötzlich und kläglich den Krieg abbrach. Nervier, Menapier, Aduatuker, Eburonen begaben sich nach Hause. Das gleiche taten die Mannschaften der Seegaue, die Anstalt gemacht hatten, die Legion in der Bretagne zu überfallen. Die Treverer, durch deren Führer Indutiomarus die Eburonen, die Klienten des mächtigen Nachbargaus, zu jenem so erfolgreichen Angriff hauptsächlich bestimmt worden waren, hatten auf die Kunde der Katastrophe von Aduatuca die Waffen ergriffen und waren in das Gebiet der Remer eingerückt, um die unter Labienus‘ Befehl dort kantonnierende Legion anzugreifen; auch sie stellten für jetzt die Fortsetzung des Kampfes ein. Nicht ungern verschob Caesar die weiteren Maßregeln gegen die aufgestandenen Distrikte auf das Frühjahr, um seine hart mitgenommenen Truppen nicht der ganzen Strenge des gallischen Winters auszusetzen und um erst dann wieder auf dem Kampfplatze zu erscheinen, wenn durch die angeordnete Aushebung von dreißig neuen Kohorten die vernichteten fünfzehn in imponierender Weise ersetzt sein würden. Die Insurrektion spann inzwischen sich fort, wenn auch zunächst die Waffen ruhten. Ihre Hauptsitze in Mittelgallien waren teils die Distrikte der Carnuten und der benachbarten Senonen (um Sens), welche letztere den von Caesar eingesetzten König aus dem Lande jagten, teils die Landschaft der Treverer, welche die gesamte keltische Emigration und die überrheinischen Deutschen zur Teilnahme an dem bevorstehenden Nationalkrieg aufforderten und ihre ganze Mannschaft aufboten, um mit dem Frühjahr zum zweitenmal in das Gebiet der Römer einzurücken, das Korps des Labienus aufzuheben und die Verbindung mit den Aufständischen an der Seine und Loire zu suchen. Die Abgeordneten dieser drei Gaue blieben auf dem von Caesar im mittleren Gallien ausgeschriebenen Landtag aus und erklärten damit ebenso offen den Krieg, wie es ein Teil der belgischen Gaue durch die Angriffe auf das Lager des Sabinus und Cicero getan hatte. Der Winter neigte sich zu Ende, als Caesar mit seinem inzwischen ansehnlich verstärkten Heer aufbrach gegen die Insurgenten. Die Versuche der Treverer, den Aufstand zu konzentrieren, waren nicht geglückt; die gärenden Landschaften wurden durch den Einmarsch römischer Truppen im Zaum gehalten, die in offener Empörung stehenden vereinzelt angegriffen. Zuerst wurden die Nervier von Caesar selbst zu Paaren getrieben. Das gleiche widerfuhr den Senonen und Carnuten. Auch die Menapier, der einzige Gau, der sich niemals noch den Römern unterworfen hatte, wurden durch einen von drei Seiten zugleich gegen sie gerichteten Gesamtangriff genötigt, der lange bewahrten Freiheit zu entsagen. Den Treverern bereitete inzwischen Labienus dasselbe Schicksal. Ihr erster Angriff war gelähmt worden teils durch die Weigerung der nächstwohnenden deutschen Stämme, ihnen Söldner zu liefern, teils dadurch, daß Indutiomarus, die Seele der ganzen Bewegung, in einem Scharmützel mit den Reitern des Labienus geblieben war. Allein sie gaben ihre Entwürfe darum nicht auf. Mit ihrem gesamten Aufgebot erschienen sie Labienus gegenüber und harrten der nachfolgenden deutschen Scharen; denn bessere Aufnahme als bei den Anwohnern des Rheines hatten ihre Werber bei den streitbaren Völkerschaften des inneren Deutschlands, namentlich, wie es scheint, den Chatten gefunden. Allein da Labienus Miene machte, diesen ausweichen und Hals über Kopf abmarschieren zu wollen, griffen die Treverer, noch ehe die Deutschen angelangt waren und in der ungünstigsten Örtlichkeit, die Römer an und wurden vollständig geschlagen. Den zu spät eintreffenden Deutschen blieb nichts übrig als umzukehren, dem treverischen Gau nichts als sich zu unterwerfen; das Regiment daselbst kam wieder an das Haupt der römischen Partei, an des Indutiomarus Schwiegersohn Cingetorix. Nach diesen Expeditionen Caesars gegen die Menapier und des Labienus gegen die Treverer traf in dem Gebiet der letzteren die ganze römische Armee wieder zusammen. Um den Deutschen das Wiederkommen zu verleiden, ging Caesar noch einmal über den Rhein, um womöglich gegen die lästigen Nachbarn einen nachdrücklichen Schlag zu führen; allein da die Chatten, ihrer erprobten Taktik getreu, sich nicht an ihrer Westgrenze, sondern weit landeinwärts, es scheint am Harz, zur Landesverteidigung sammelten, kehrte er sogleich wieder um und begnügte sich, an dem Rheinübergang Besatzung zurückzulassen. Mit den sämtlichen an dem Aufstand beteiligten Völkerschaften war also abgerechnet; nur die Eburonen waren übergangen, aber nicht vergessen. Seit Caesar die Katastrophe von Aduatuca erfahren hatte, trug er das Trauergewand und hatte geschworen, erst dann es abzulegen, wenn er seine nicht im ehrlichen Kriege gefallenen, sondern heimtückisch ermordeten Soldaten gerächt haben würde. Rat- und tatlos saßen die Eburonen in ihren Hütten und sahen zu, wie einer nach dem andern die Nachbargaue den Römern sich unterwarfen, bis die römische Reiterei vom treverischen Gebiet aus durch die Ardennen in ihr Land einrückte. Man war so wenig auf den Angriff gefaßt, daß sie beinahe den König Ambiorix in seinem Hause ergriffen hätte; mit genauer Not, während sein Gefolge für ihn sich aufopferte, entkam er in das nahe Gehölz. Bald folgten den Reitern zehn römische Legionen. Zugleich erging an die umwohnenden Völkerschaften die Aufforderung, mit den römischen Soldaten in Gemeinschaft die vogelfreien Eburonen zu hetzen und ihr Land zu plündern; nicht wenige folgten dem Ruf, sogar von jenseits des Rheines eine kecke Schar sugambrischer Reiter, die übrigens es den Römern nicht besser machte wie den Eburonen und fast durch einen kecken Handstreich das römische Lager bei Aduatuca überrumpelt hätte. Das Schicksal der Eburonen war entsetzlich. Wie sie auch in Wäldern und Sümpfen sich bargen, der Jäger waren mehr als des Wildes. Mancher gab sich selbst den Tod wie der greise Fürst Catuvolcus; nur einzelne retteten Leben und Freiheit, unter diesen wenigen aber der Mann, auf den die Römer vor allem fahndeten, der Fürst Ambiorix: mit nur vier Reitern entrann er über den Rhein. Auf diese Exekution gegen den Gau, der vor allen andern gefrevelt, folgten in den anderen Landschaften die Hochverratsprozesse gegen die einzelnen. Die Zeit der Milde war vorbei. Nach dem Spruche des römischen Prokonsuls ward der angesehene carnutische Ritter Acco von römischen Liktoren enthauptet (701 53) und die Herrschaft der Ruten und Beile damit förmlich eingeweiht. Die Opposition verstummte: überall herrschte Ruhe. Caesar ging, wie er pflegte, im Spätjahr 701 (53) über die Alpen, um den Winter hindurch die immer mehr sich verwickelnden Verhältnisse in der Hauptstadt aus der Nähe zu beobachten.

Der kluge Rechner hatte diesmal sich verrechnet. Das Feuer war gedämpft, aber nicht gelöscht. Den Streich, unter dem Accos Haupt fiel, fühlte der ganze keltische Adel. Eben jetzt bot die Lage der Dinge mehr Aussicht als je. Die Insurrektion des letzten Winters war offenbar nur daran gescheitert, daß Caesar selbst auf dem Kampfplatz erschienen war; jetzt war er fern, durch den nahe bevorstehenden Bürgerkrieg festgehalten am Po, und das gallische Heer, das an der oberen Seine zusammengezogen stand, weit getrennt von dem gefürchteten Feldherrn. Wenn jetzt ein allgemeiner Aufstand in Mittelgallien ausbrach, so konnte das römische Heer umzingelt, die fast unverteidigte altrömische Provinz überschwemmt sein, bevor Caesar wieder jenseits der Alpen stand, selbst wenn die italischen Verwicklungen nicht überhaupt ihn abhielten, sich ferner um Gallien zu kümmern. Verschworene aus allen mittelgallischen Gauen traten zusammen; die Carnuten, als durch Accos Hinrichtung zunächst betroffen, erboten sich voranzugehen. An dem festgesetzten Tage im Winter 701/02 (53/52) gaben die carnutischen Ritter Gutruatus und Conconnetodumnus in Cenabum (Orleans) das Zeichen zur Erhebung und machten die daselbst anwesenden Römer insgesamt nieder. Die gewaltigste Bewegung ergriff das ganze Keltenland; überall regten sich die Patrioten. Nichts aber ergriff so tief die Nation wie die Schilderhebung der Arverner. Die Regierung dieser Gemeinde, die einst unter ihren Königen die erste im südlichen Gallien gewesen und noch nach dem durch die unglücklichen Kriege gegen Rom herbeigeführten Zusammensturz ihres Prinzipats eine der reichsten, gebildetsten und mächtigsten in ganz Gallien geblieben war, hatte bisher unverbrüchlich zu Rom gehalten. Auch jetzt war die Patriotenpartei in dem regierenden Gemeinderat in der Minorität; ein Versuch, von demselben den Beitritt zu der Insurrektion zu erlangen, war vergeblich. Die Angriffe der Patrioten richteten sich also gegen den Gemeinderat und die bestehende Verfassung selbst, und um so mehr, als die Verfassungsänderung, die bei den Arvernern den Gemeinderat an die Stelle des Fürsten gesetzt hatte, nach den Siegen der Römer und wahrscheinlich unter dem Einfluß derselben erfolgt war. Der Führer der arvernischen Patrioten, Vercingetorix, einer jener Adligen, wie sie wohl bei den Kelten begegnen, von fast königlichem Ansehen in und außer seinem Gau, dazu ein stattlicher, tapferer, kluger Mann, verließ die Hauptstadt und rief das Landvolk, das der herrschenden Oligarchie ebenso feind war wie den Römern, zugleich zur Wiederherstellung des arvernischen Königtums und zum Krieg gegen Rom auf. Rasch fiel die Menge ihm zu; die Wiederherstellung des Thrones des Luerius und Betuhus war zugleich die Erklärung des Nationalkriegs gegen Rom. Den einheitlichen Halt, an dessen Mangel alle bisherigen Versuche der Nation, das fremdländische Joch von sich abzuschütteln, gescheitert waren, fand sie jetzt in dem neuen selbsternannten König der Arverner. Vercingetorix ward für die Kelten des Festlandes, was für die Inselkelten Cassivellaunus; gewaltig durchdrang die Massen das Gefühl, daß er oder keiner der Mann sei, die Nation zu erretten. Rasch war der Westen von der Mündung der Garonne bis zu der der Seine von der Insurrektion erfaßt und Vercingetorix hier von allen Gauen als Oberfeldherr anerkannt; wo der Gemeinderat Schwierigkeit machte, nötigte ihn die Menge zum Anschluß an die Bewegung; nur wenige Gaue, wie der der Biturigen, ließen zum Beitritt sich zwingen, und vielleicht auch diese nur zum Schein. Weniger günstigen Boden fand der Aufstand in den Landschaften östlich von der oberen Loire. Alles kam hier auf die Häduer an; und diese schwankten. Die Patriotenpartei war in diesem Gau sehr mächtig; aber der alte Antagonismus gegen die führenden Arverner hielt ihrem Einfluß die Waage – zum empfindlichsten Nachteil der Insurrektion, da der Anschluß der östlichen Kantone, namentlich der Sequaner und der Helvetier, durch den Beitritt der Häduer bedingt war und überhaupt in diesem Teile Galliens die Entscheidung bei ihnen stand. Während also die Aufständischen daran arbeiteten, teils die noch schwankenden Kantone, vor allen die Häduer, zum Beitritt zu bewegen, teils sich Narbos zu bemächtigen – einer ihrer Führer, der verwegene Lucterius, hatte bereits innerhalb der Grenzen der alten Provinz am Tarn sich gezeigt –, erschien plötzlich im tiefen Winter, Freunden und Feinden gleich unerwartet, der römische Oberfeldherr diesseits der Alpen. Rasch traf er nicht bloß die nötigen Anstalten, um die alte Provinz zu decken, sondern sandte auch über die schneebedeckten Cevennen einen Haufen in das arvernische Gebiet; aber seines Bleibens war nicht hier, wo ihn jeden Augenblick der Zutritt der Häduer zu dem gallischen Bündnis von seiner um Sens und Langres lagernden Armee abschneiden konnte. In aller Stille ging er nach Vienna und von da, nur von wenigen Reitern begleitet, durch das Gebiet der Häduer zu seinen Truppen. Die Hoffnungen schwanden, welche die Verschworenen zum Losschlagen bestimmt hatten; in Italien blieb es Friede und Caesar stand abermals an der Spitze seiner Armee.

Was aber sollten sie beginnen? Es war eine Torheit, unter solchen Umständen auf die Entscheidung der Waffen es ankommen zu lassen; denn diese hatten bereits unwiderruflich entschieden. Man konnte ebensogut versuchen, mit Steinwürfen die Alpen zu erschüttern, wie die Legionen mit den keltischen Haufen, mochten dieselben nun in ungeheuren Massen zusammengeballt oder vereinzelt ein Gau nach dem andern preisgegeben werden. Vercingetorix verzichtete darauf, die Römer zu schlagen. Er nahm ein ähnliches Kriegssystem an, wie dasjenige war, durch das Cassivellaunus die Inselkelten gerettet hatte. Das römische Fußvolk war nicht zu besiegen; aber Caesars Reiterei bestand fast ausschließlich aus dem Zuzug des keltischen Adels und war durch den allgemeinen Abfall tatsächlich aufgelöst. Es war der Insurrektion, die ja eben wesentlich aus dem keltischen Adel bestand, möglich, in dieser Waffe eine solche Überlegenheit zu entwickeln, daß sie weit und breit das Land öde legen, Städte und Dörfer niederbrennen, die Vorräte vernichten, die Verpflegung und die Verbindungen des Feindes gefährden konnte, ohne daß derselbe es ernstlich zu hindern vermochte. Vercingetorix richtete demzufolge all seine Anstrengung auf die Vermehrung der Reiterei und der nach damaliger Fechtweise regelmäßig damit verbundenen Bogenschützen zu Fuß. Die ungeheuren und sich selber lähmenden Massen der Linienmiliz schickte er zwar nicht nach Hause, ließ sie aber doch nicht vor den Feind und versuchte, ihnen allmählich einige Schanz-, Marschier- und Manövrierfähigkeit und die Erkenntnis beizubringen, daß der Soldat nicht bloß bestimmt ist, sich zu raufen. Von den Feinden lernend, adoptierte er namentlich das römische Lagersystem, auf dem das ganze Geheimnis der taktischen Überlegenheit der Römer beruhte; denn infolgedessen vereinigte jedes römische Korps alle Vorteile der Festungsbesatzung mit allen Vorteilen der Offensivarmee50. Freilich war jenes dem städtearmen Britannien und seinen rauhen, entschlossenen und im ganzen einigen Bewohnern vollkommen angemessene System auf die reichen Landschaften an der Loire und deren schlaffe, in vollständiger politischer Auflösung begriffene Bewohner nicht unbedingt übertragbar. Vercingetorix setzte wenigstens durch, daß man nicht wie bisher jede Stadt zu halten versuchte und darum keine hielt; man ward sich einig, die der Verteidigung nicht fähigen Ortschaften, bevor der Angriff sie erreichte, zu vernichten, die starken Festungen aber mit gesamter Hand zu verteidigen. Daneben tat der Arvernerkönig, was er vermochte, um durch unnachsichtliche Strenge die Feigen und Säumigen, durch Bitten und Vorstellungen die Schwankenden, die Habsüchtigen durch Gold, die entschiedenen Gegner durch Zwang an die Sache des Vaterlandes zu fesseln und selbst dem vornehmen oder niedrigen Gesindel einigen Patriotismus aufzunötigen oder abzulisten.

Noch bevor der Winter zu Ende war, warf er sich auf die im Gebiet der Häduer von Caesar angesiedelten Boier, um diese fast einzigen zuverlässigen Bundesgenossen Roms zu vernichten, bevor Caesar herankam. Die Nachricht von diesem Angriff bestimmte auch Caesar, mit Zurücklassung des Gepäcks und zweier Legionen in den Winterquartieren von Agedincum (Sens), sogleich und früher, als er sonst wohl getan haben würde, gegen die Insurgenten zu marschieren. Dem empfindlichen Mangel an Reiterei und leichtem Fußvolk half er einigermaßen ab durch nach und nach herbeigezogene deutsche Söldner, die statt ihrer eigenen kleinen und schwachen Klepper mit italischen und spanischen, teils gekauften, teils von den Offizieren requirierten Pferden ausgerüstet wurden. Caesar, nachdem er unterwegs die Hauptstadt der Carnuten, Cenabum, die das Zeichen zum Abfall gegeben, hatte plündern und in Asche legen lassen, rückte über die Loire in die Landschaft der Biturigen. Er erreichte damit, daß Vercingetorix die Belagerung der Stadt der Boier aufgab und gleichfalls sich zu den Biturigen begab. Hier zuerst sollte die neue Kriegführung sich erproben. Auf Vercingetorix‘ Geheiß gingen an einem Tage mehr als zwanzig Ortschaften der Biturigen in Flammen auf; die gleiche Selbstverwüstung verhängte der Feldherr über die benachbarten Gaue, soweit sie von römischen Streifparteien erreicht werden konnten. Nach seiner Absicht sollte auch die reiche und feste Hauptstadt der Biturigen Avaricum (Bourges) dasselbe Schicksal treffen; allein die Majorität des Kriegsrats gab den kniefälligen Bitten der biturigischen Behörden nach und beschloß, diese Stadt vielmehr mit allem Nachdruck zu verteidigen. So konzentrierte sich der Krieg zunächst um Avaricum. Vercingetorix stellte sein Fußvolk inmitten der der Stadt benachbarten Sümpfe in einer so unnahbaren. Stellung auf, daß es, auch ohne von der Reiterei gedeckt zu sein, den Angriff der Legionen nicht zu fürchten brauchte. Die keltische Reiterei bedeckte alle Straßen und hemmte die Kommunikation. Die Stadt wurde stark besetzt und zwischen ihr und der Armee vor den Mauern die Verbindung offen gehalten. Caesars Lage war sehr schwierig. Der Versuch, das keltische Fußvolk zum Schlagen zu bringen, mißlang; es rührte sich nicht aus seinen unangreifbaren Linien. Wie tapfer vor der Stadt auch seine Soldaten schanzten und fochten, die Belagerten wetteiferten mit ihnen an Erfindsamkeit und Mut, und fast wäre es ihnen gelungen, das Belagerungszeug der Gegner in Brand zu stecken. Dabei ward die Aufgabe, ein Heer von beiläufig 60000 Mann in einer weithin öde gelegten und von weit überlegenen Reitermassen durchstreiften Landschaft mit Lebensmitteln zu versorgen, täglich schwieriger. Die geringen Vorräte der Boier waren bald verbraucht; die von den Häduern versprochene Zufuhr blieb aus; schon war das Getreide aufgezehrt und der Soldat ausschließlich auf Fleischrationen gesetzt. Indes rückte der Augenblick heran, wo die Stadt, wie todverachtend auch die Besatzung kämpfte, nicht länger zu halten war. Noch war es nicht unmöglich, die Truppen bei nächtlicher Weile in der Stille herauszuziehen und die Stadt zu vernichten, bevor der Feind sie besetzte. Vercingetorix traf die Anstalten dazu, allein das Jammergeschrei, das im Augenblick des Abmarsches die zurückbleibenden Weiber und Kinder erhoben, machte die Römer aufmerksam; der Abzug mißlang. An dem folgenden trüben und regnichten Tage überstiegen die Römer die Mauern und schonten, erbittert durch die hartnäckige Gegenwehr, in der eroberten Stadt weder Geschlecht noch Alter. Die reichen Vorräte, die die Kelten in derselben aufgehäuft hatten, kamen den ausgehungerten Soldaten Caesars zugute. Mit der Einnahme von Avaricum (Frühling 702 52) war über die Insurrektion ein erster Erfolg erfochten und nach früheren Erfahrungen mochte Caesar wohl erwarten, daß damit dieselbe sich auflösen und es nur noch erforderlich sein werde, einzelne Gaue zu Paaren zu treiben. Nachdem er also mit seiner gesamten Armee sich in dem Gau der Häduer gezeigt und durch diese imposante Demonstration die gärende Patriotenpartei daselbst genötigt hatte, für den Augenblick wenigstens, sich ruhig zu verhalten, teilte er sein Heer und sandte Labienus zurück nach Agedincum, um in Verbindung mit den dort zurückgelassenen Truppen an der Spitze von vier Legionen die Bewegung zunächst in dem Gebiet der Carnuten und Senonen, die auch diesmal wieder voranstanden, zu unterdrücken, während er selber mit den sechs übrigen Legionen sich südwärts wandte und sich anschickte, den Krieg in die arvernischen Berge, das eigene Gebiet des Vercingetorix, zu tragen.

Labienus rückte von Agedincum aus das linke Seineufer hinauf, um der auf einer Insel in der Seine gelegenen Stadt der Parisier, Lutetia (Paris), sich zu bemächtigen und von dieser gesicherten und im Herzen der aufständischen Landschaft befindlichen Stellung aus diese wieder zu unterwerfen. Allein hinter Melodunum (Melun) fand er sich den Weg verlegt durch das gesamte Insurgentenheer, das unter der Führung des greisen Camulogenus zwischen unangreifbaren Sümpfen hier sich aufgestellt hatte. Labienus ging eine Strecke zurück, überschritt bei Melodunum die Seine und rückte auf dem rechten Ufer derselben ungehindert gegen Lutetia; Camulogenus ließ diese Stadt abbrennen und die auf das linke Ufer führenden Brücken abbrechen und nahm Labienus gegenüber eine Stellung ein, in welcher dieser weder ihn zum Schlagen zu bringen, noch unter den Augen der feindlichen Armee den Übergang zu bewirken imstande war.

Die römische Hauptarmee ihrerseits rückte am Allier hinab in den Arvernergau. Vercingetorix versuchte, ihr den Übergang auf das linke Ufer des Allier zu verwehren, allein Caesar überlistete ihn und stand nach einigen Tagen vor der arvernischen Hauptstadt Gergovia51. Indes hatte Vercingetorix, ohne Zweifel schon, während er Caesar am Allier gegenüberstand, in Gergovia hinreichende Vorräte zusammenbringen und vor den Mauern der auf der Spitze eines ziemlich steil sich erhebenden Hügels gelegenen Stadt ein mit starken Steinwällen versehenes Standlager für seine Truppen anlegen lassen; und da er hinreichenden Vorsprung hatte, langte er vor Caesar bei Gergovia an und erwartete in dem befestigten Lager unter der Festungsmauer den Angriff. Caesar mit seiner verhältnismäßig schwachen Armee konnte den Platz weder regelrecht belagern, noch auch nur hinreichend blockieren; er schlug sein Lager unterhalb der von Vercingetorix besetzten Anhöhe und verhielt sich notgedrungen ebenso untätig wie sein Gegner. Für die Insurgenten war es fast ein Sieg, daß Caesars von Triumph zu Triumph fortschreitender Lauf an der Seine wie am Allier plötzlich gestockt war. In der Tat kamen die Folgen dieser Stockung für Caesar beinahe denen einer Niederlage gleich. Die Häduer, die bisher immer noch geschwankt hatten, machten jetzt ernstlich Anstalt, der Patriotenpartei sich anzuschließen; schon war die Mannschaft, die Caesar nach Gergovia entboten hatte, auf dem Marsche durch die Offiziere bestimmt worden, sich für die Insurgenten zu erklären; schon hatte man gleichzeitig im Kanton selbst angefangen, die daselbst ansässigen Römer zu plündern und zu erschlagen. Noch hatte Caesar, indem er jenem auf Gergovia zurückenden Korps der Häduer mit zwei Dritteln des Blockadeheeres entgegengegangen war, dasselbe durch sein plötzliches Erscheinen wieder zum nominellen Gehorsam zurückgebracht; allein es war mehr als je ein hohles und brüchiges Verhältnis, dessen Fortbestand fast zu teuer erkauft worden war durch die große Gefahr der vor Gergovia zurückgelassenen beiden Legionen. Denn auf diese hatte Vercingetorix, Caesars Abmarsch rasch und entschlossen benutzend, während dessen Abwesenheit einen Angriff gemacht, der um ein Haar mit der Überwältigung derselben und der Erstürmung des römischen Lagers geendigt hätte. Nur Caesars unvergleichliche Raschheit wandte eine zweite Katastrophe wie die von Aduatuca hier ab. Wenn auch die Häduer jetzt wieder gute Worte gaben, war es doch vorherzusehen, daß sie, wenn die Blockade sich noch länger ohne Erfolg hinspann, sich offen auf die Seite der Aufständischen schlagen und dadurch Caesar nötigen würden, dieselbe aufzuheben; denn ihr Beitritt würde die Verbindung zwischen ihm und Labienus unterbrochen und namentlich den letzteren in seiner Vereinzelung der größten Gefahr ausgesetzt haben. Caesar war entschlossen, es hierzu nicht kommen zu lassen, sondern, wie peinlich und selbst gefährlich es auch war, unverrichteter Sache von Gergovia abzuziehen, dennoch, wenn es einmal geschehen mußte, lieber sogleich aufzubrechen und, in den Gau der Häduer einrückend, deren förmlichen Übertritt um jeden Preis zu verhindern. Ehe er indes diesen, seinem raschen und sicheren Naturell wenig zusagenden Rückzug antrat, machte er noch einen letzten Versuch, sich aus seiner peinlichen Verlegenheit durch einen glänzenden Erfolg zu befreien. Während die Masse der Besatzung von Gergovia beschäftigt war, die Seite, auf der der Sturm erwartet ward, zu verschanzen, ersah der römische Feldherr sich die Gelegenheit, einen anderen, weniger bequem gelegenen, aber augenblicklich entblößten Aufgang zu überrumpeln. In der Tat überstiegen die römischen Sturmkolonnen die Lagermauer und besetzten die nächstliegenden Quartiere des Lagers; allein schon war auch die ganze Besatzung alarmiert und bei den geringen Entfernungen fand es Caesar nicht rätlich, den zweiten Sturm auf die Stadtmauer zu wagen. Er gab das Zeichen zum Rückzug; indes die vordersten Legionen, vom Ungestüm des Sieges hingerissen, hörten nicht oder wollten nicht hören, und drangen unaufhaltsam vor bis an die Stadtmauer, einzelne sogar bis in die Stadt. Aber immer dichtere Massen warfen den Eingedrungenen sich entgegen; die vordersten fielen, die Kolonnen stockten; vergeblich stritten Centurionen und Legionäre mit dem aufopferndsten Heldenmut; die Stürmenden wurden mit sehr beträchtlichem Verlust aus der Stadt hinaus und den Berg hinuntergejagt, wo die von Caesar in der Ebene aufgestellten Truppen sie aufnahmen und größeres Unglück verhüteten. Die gehoffte Einnahme von Gergovia hatte sich in eine Niederlage verwandelt, und der beträchtliche Verlust an Verwundeten und Toten – man zählte 700 gefallene Soldaten, darunter 46 Centurionen – war der kleinste Teil des erlittenen Unfalls. Caesars imponierende Stellung in Gallien beruhte wesentlich auf seinem Siegernimbus; und dieser fing an zu erblassen. Schon die Kämpfe um Avaricum, Caesars vergebliche Versuche, den Feind zum Schlagen zu zwingen, die entschlossene Verteidigung der Stadt und ihre fast zufällige Erstürmung, trugen einen anderen Stempel als die früheren Keltenkriege und hatten den Kelten Vertrauen auf sich und ihren Führer eher gegeben als genommen. Weiter hatte das neue System der Kriegführung: unter dem Schutze der Festungen in verschanzten Lagern dem Feind die Stirne zu bieten – bei Lutetia sowohl wie bei Gergovia sich vollkommen bewährt. Diese Niederlage endlich, die erste, die Caesar selbst von den Kelten erlitten hatte, krönte den Erfolg, und sie gab denn auch gleichsam das Signal für einen zweiten Ausbruch der Insurrektion. Die Häduer brachen jetzt förmlich mit Caesar und traten mit Vercingetorix in Verbindung. Ihr Kontingent, das noch bei Caesars Armee sich befand, machte nicht bloß von dieser sich los, sondern nahm auch bei der Gelegenheit in Noviodunum an der Loire die Depots der Armee Caesars weg, wodurch die Kassen und Magazine, eine Menge Remontepferde und sämtliche Caesar gestellte Geiseln den Insurgenten in die Hände fielen. Wenigstens ebensowichtig war es, daß auf diese Nachrichten hin auch die Belgen, die bisher der ganzen Bewegung sich ferngehalten hatten, anfingen sich zu rühren. Der mächtige Gau der Bellovaker machte sich auf, um das Korps des Labienus, während es bei Lutetia dem Aufgebot der umliegenden mittelgallischen Gaue gegenüberstand, im Rücken anzugreifen. Auch sonst ward überall gerüstet; die Gewalt des patriotischen Aufschwungs riß selbst die entschiedensten und begünstigtsten Parteigänger Roms mit sich fort, wie zum Beispiel den König der Atrebaten, Commius, der seiner treuen Dienste wegen von den Römern wichtige Privilegien für seine Gemeinde und die Hegemonie über die Moriner empfangen hatte. Bis in die altrömische Provinz gingen die Fäden der Insurrektion: sie machte, vielleicht nicht ohne Grund, sich Hoffnung, selbst die Allobrogen gegen die Römer unter die Waffen zu bringen. Mit einziger Ausnahme der Reiner und der von den Remern zunächst abhängigen Distrikte der Suessionen, Leuker und Lingonen, deren Partikularismus selbst unter diesem allgemeinen Enthusiasmus nicht mürbe ward, stand jetzt in der Tat, zum ersten und zum letzten Male, die ganze keltische Nation von den Pyrenäen bis zum Rhein für ihre Freiheit und Nationalität unter den Waffen; wogegen, merkwürdig genug, die sämtlichen deutschen Gemeinden, die bei den bisherigen Kämpfen in erster Reihe gestanden hatten, sich ausschlossen, ja sogar die Treuerer und, wie es scheint, auch die Menapier durch ihre Fehden mit den Deutschen verhindert wurden, an dem Nationalkrieg tätigen Anteil zu nehmen.

Es war ein schwerer, entscheidungsvoller Augenblick, als nach dem Abzug von Gergovia und dem Verlust von Noviodunum in Caesars Hauptquartier über die nun zu ergreifenden Maßregeln Kriegsrat gehalten ward. Manche Stimmen sprachen sich für den Rückzug über die Cevennen in die altrömische Provinz aus, welche jetzt der Insurrektion von allen Seiten her offenstand und allerdings der zunächst doch zu ihrem Schutze von Rom gesandten Legionen dringend bedurfte. Allein Caesar verwarf diese ängstliche, nicht durch die Lage der Dinge, sondern durch Regierungsinstruktionen und Verantwortungsfurcht bestimmte Strategie. Er begnügte sich, in der Provinz den Landsturm der dort ansässigen Römer unter die Waffen zu rufen und durch ihn, so gut es eben ging, die Grenzen besetzen zu lassen. Dagegen brach er selbst in entgegengesetzter Richtung auf und rückte in Gewaltmärschen auf Agedincum zu, auf das er Labienus sich in möglichster Eile zurückzuziehen befahl. Die Kelten versuchten natürlich, die Vereinigung der beiden römischen Heere zu verhindern. Labienus hätte wohl, über die Marne setzend und am rechten Seineufer flußabwärts marschierend, Agedincum erreichen können, wo er seine Reserve und sein Gepäck zurückgelassen hatte; aber er zog es vor, den Kelten nicht abermals das Schauspiel des Rückzugs römischer Truppen zu gewähren. Er ging daher, statt über die Marne, vielmehr unter den Augen des getäuschten Feindes über die Seine und lieferte am linken Ufer derselben den feindlichen Massen eine Schlacht, in welcher er siegte und unter vielen andern auch der keltische Feldherr selbst, der alte Camulogenus, auf der Walstatt blieb. Ebensowenig gelang es den Insurgenten, Caesar an der Loire aufzuhalten; Caesar gab ihnen keine Zeit, dort größere Massen zu versammeln, und sprengte die Milizen der Häduer, die er allein dort vorfand, ohne Mühe auseinander. So ward die Vereinigung der beiden Heerhaufen glücklich bewerkstelligt. Die Aufständischen inzwischen hatten über die weitere Kriegführung in Bibracte (Autun), der Hauptstadt der Häduer, geratschlagt; die Seele dieser Beratungen war wieder Vercingetorix, dem nach dem Siege von Gergovia die Nation begeistert anhing. Zwar schwieg der Partikularismus auch jetzt nicht; die Häduer machten noch in diesem Todeskampf der Nation ihre Ansprüche auf die Hegemonie geltend und stellten auf der Landesversammlung den Antrag, an die Stelle des Vercingetorix einen der Ihrigen zu setzen. Allein die Landesvertreter hatten dies nicht bloß abgelehnt und Vercingetorix im Oberbefehl bestätigt, sondern auch seinen Kriegsplan unverändert angenommen. Es war im wesentlichen derselbe, nach dem er bei Avaricum und bei Gergovia operiert hatte. Zum Angelpunkt der neuen Stellung ward die feste Stadt der Mandubier, Alesia (Alise Sainte-Reine bei Semur im Departement Côte d’Or52), ausersehen und unter deren Mauern abermals ein verschanztes Lager angelegt. Ungeheure Vorräte wurden hier aufgehäuft und die Armee von Gergovia dorthin beordert, deren Reiterei nach Beschluß der Landesversammlung bis auf 15000 Pferde gebracht ward. Caesar schlug mit seiner gesamten Heeresmacht, nachdem er sie bei Agedincum wiedervereinigt hatte, die Richtung auf Vesontio ein, um sich nun der geängsteten Provinz zu nähern und sie vor einem Einfall zu beschützen, wie denn in der Tat sich Insurgentenscharen schon in dem Gebiet der Helvier am Südabhang der Cevennen gezeigt hatten. Alesia lag fast auf seinem Wege; die Reiterei der Kelten, die einzige Waffe, mit der Vercingetorix operieren mochte, griff unterwegs ihn an, zog aber zu aller Erstaunen den kürzeren gegen Caesars neue deutsche Schwadronen und die zu deren Rückhalt aufgestellte römische Infanterie. Vercingetorix eilte um so mehr, sich in Alesia einzuschließen; und wenn Caesar nicht überhaupt auf die Offensive verzichten wollte, blieb ihm nichts übrig, als zum drittenmal in diesem Feldzug gegen eine, unter einer wohlbesetzten und verproviantierten Festung gelagerte und mit ungeheuren Reitermassen versehene Armee mit einer weit schwächeren Angriffsweise vorzugehen. Allein, wenn den Kelten bisher nur ein Teil der römischen Legionen gegenübergestanden, so war in den Linien um Alesia Caesars ganze Streitmacht vereinigt und es gelang Vercingetorix nicht, wie es ihm bei Avaricum und Gergovia gelungen war, sein Fußvolk unter dem Schutz der Festungsmauern aufzustellen und durch seine Reiterei seine Verbindungen nach außen hin sich offen zu halten, während er die des Feindes unterbrach. Die keltische Reiterei, schon entmutigt durch jene von den geringgeschätzten Gegnern ihnen beigebrachte Niederlage, wurde von Caesars deutschen Berittenen in jedem Zusammentreffen geschlagen. Die Umwallungslinie der Belagerer erhob sich in der Ausdehnung von zwei deutschen Meilen um die ganze Stadt mit Einschluß des an sie angelehnten Lagers. Auf einen Kampf unter den Mauern war Vercingetorix gefaßt gewesen, aber nicht darauf, in Alesia belagert zu werden – dazu genügten für seine angeblich 80000 Mann Infanterie und 15000 Reiter zählende Armee und die zahlreiche Stadtbewohnerschaft die aufgespeicherten Vorräte, wie ansehnlich sie waren, doch bei weitem nicht. Vercingetorix mußte sich überzeugen, daß sein Kriegsplan diesmal zu seinem eigenen Verderben ausgeschlagen und er verloren war, wofern nicht die gesamte Nation herbeieilte und ihren eingeschlossenen Feldherrn befreite. Noch reichten, als die römische Umwallung sich schloß, die vorhandenen Lebensmittel aus auf einen Monat und vielleicht etwas darüber; im letzten Augenblick, wo der Weg wenigstens für Berittene noch frei war, entließ Vercingetorix seine gesamte Reiterei und entsandte zugleich an die Häupter der Nation die Weisung, alle Mannschaft aufzubieten und sie zum Entsatz von Alesia heranzuführen. Er selbst, entschlossen, die Verantwortung für den von ihm entworfenen und fehlgeschlagenen Kriegsplan auch persönlich zu tragen, blieb in der Festung, um im Guten und Bösen das Schicksal der Seinigen zu teilen. Caesar aber machte sich gefaßt, zugleich zu belagern und belagert zu werden. Er richtete seine Umwallungslinie auch an der Außenseite zur Verteidigung ein und versah sich auf längere Zeit mit Lebensmitteln. Die Tage verflossen; schon hatte man in der Festung keinen Malter Getreide mehr, schon die unglücklichen Stadtbewohner austreiben müssen, um zwischen den Verschanzungen der Kelten und der Römer, an beiden unbarmherzig zurückgewiesen, elend umzukommen. Da, in der letzten Stunde, zeigten hinter Caesars Linien sich die unabsehbaren Züge des keltisch-belgischen Entsatzheeres, angeblich 250000 Mann zu Fuß und 8000 Reiter. Vom Kanal bis zu den Cevennen hatten die insurgierten Gaue jeden Nerv angestrengt, um den Kern ihrer Patrioten, den Feldherrn ihrer Wahl zu retten – einzig die Bellovaker hatten geantwortet, daß sie wohl gegen die Römer, aber nicht außerhalb der eigenen Grenzen zu fechten gesonnen seien. Der erste Sturm, der die Belagerten von Alesia und die Entsatztruppen draußen auf die römische Doppellinie unternahmen, ward abgeschlagen; aber als nach eintägiger Rast derselbe wiederholt ward, gelang es an einer Stelle, wo die Umwallungslinie über den Abhang eines Berges hinlief und von dessen Höhe herab angegriffen werden konnte, die Gräben zuzuschütten und die Verteidiger von dem Wall herunterzuwerfen. Da nahm Labienus, von Caesar hierher gesandt, die nächsten Kohorten zusammen und warf sich mit vier Legionen auf den Feind. Unter den Augen des Feldherrn, der selbst in dem gefährlichsten Augenblick erschien, wurden im verzweifelten Nahgefecht die Stürmenden zurückgejagt und die mit Caesar gekommenen, die Flüchtenden in den Rücken fassenden Reiterscharen vollendeten die Niederlage. Es war mehr als ein großer Sieg; über Alesia, ja über die keltische Nation war damit unwiderruflich entschieden. Das Keltenheer, völlig entmutigt, verlief unmittelbar vom Schlachtfeld sich nach Hause. Vercingetorix hätte vielleicht noch jetzt fliehen, wenigstens durch das letzte Mittel des freien Mannes sich erretten können; er tat es nicht, sondern erklärte im Kriegsrat, daß, da es ihm nicht gelungen sei, die Fremdherrschaft zu brechen, er bereit sei, sich als Opfer hinzugeben und soweit möglich das Verderben von der Nation auf sein Haupt abzulenken. So geschah es. Die keltischen Offiziere lieferten ihren von der ganzen Nation feierlich erwählten Feldherrn dem Landesfeind zu geeigneter Bestrafung aus. Hoch zu Roß und im vollen Waffenschmucke erschien der König der Arverner vor dem römischen Prokonsul und umritt dessen Tribunal; darauf gab er Roß und Waffen ab und ließ schweigend auf den Stufen zu Caesars Füßen sich nieder (702 52). Fünf Jahre später ward er im Triumph durch die Gassen der italischen Hauptstadt geführt und als Hochverräter an der römischen Nation, während sein Überwinder den Göttern derselben den Feierdank auf der Höhe des Kapitols darbrachte, an dessen Fuß enthauptet. Wie nach trübe verlaufenem Tage wohl die Sonne im Sinken durchbricht, so verleiht das Geschick noch untergehenden Völkern wohl einen letzten großartigen Mann. Also steht am Ausgang der phönikischen Geschichte Hannibal, also an dem der keltischen Vercingetorix. Keiner von beiden vermochte seine Nation von der Fremdherrschaft zu erretten, aber sie haben ihr die letzte noch übrige Schande, einen ruhmlosen Untergang, erspart. Auch Vercingetorix hat ebenwie der Karthager nicht bloß gegen den Landesfeind kämpfen müssen, sondern vor allem gegen die antinationale Opposition verletzter Egoisten und aufgestörter Feiglinge, wie sie die entartete Zivilisation regelmäßig begleitet; auch ihm sichern seinen Platz in der Geschichte nicht seine Schlachten und Belagerungen, sondern daß er es vermocht hat, einer zerfahrenen und im Partikularismus verkommenen Nation in seiner Person einen Mittel- und Haltpunkt zu geben. Und doch gibt es wieder kaum einen schärferen Gegensatz als der ist zwischen dem nüchternen Bürgersmann der phönikischen Kaufstadt mit seinen, auf das eine große Ziel hin fünfzig Jahre hindurch mit unwandelbarer Energie gerichteten Plänen, und dem kühnen Fürsten des Keltenlandes, dessen gewaltige Taten zugleich mit seiner hochherzigen Aufopferung, ein kurzer Sommer einschließt. Das ganze Altertum kennt keinen ritterlicheren Mann in seinem innersten Wesen wie in seiner äußeren Erscheinung. Aber der Mensch soll kein Ritter sein und am wenigsten der Staatsmann. Es war der Ritter, nicht der Held, der es verschmähte, sich aus Alesia zu retten, während doch an ihm allein der Nation mehr gelegen war als an hunderttausend gewöhnlichen tapferen Männern. Es war der Ritter, nicht der Held, der sich da zum Opfer hingab, wo durch dieses Opfer nichts weiter erreicht ward, als daß die Nation sich öffentlich entehrte und ebenso feig wie widersinnig mit ihrem letzten Atemzug ihren weltgeschichtlichen Todeskampf ein Verbrechen gegen ihren Zwingherrn nannte. Wie so ganz anders hat in den gleichen Lagen Hannibal gehandelt! Es ist nicht möglich, ohne geschichtliche und menschliche Teilnahme von dem edlen Arvernerkönig zu scheiden; aber es gehört zur Signatur der keltischen Nation, daß ihr größter Mann doch nur ein Ritter war.

Der Fall von Alesia und die Kapitulation der daselbst eingeschlossenen Armee war für die keltische Insurrektion ein furchtbarer Schlag; indes es hatten schon ebensoschwere die Nation betroffen und doch war der Kampf wieder erneuert worden. Aber Vercingetorix‘ Verlust war unersetzlich. Mit ihm war die Einheit in die Nation gekommen; mit ihm schien sie auch wieder entwichen. Wir finden nicht, daß die Insurrektion einen Versuch machte, die Gesamtverteidigung fortzusetzen und einen anderen Oberfeldherrn zu bestellen; der Patriotenbund fiel von selbst auseinander und jedem Clan blieb es überlassen, wie es ihm beliebte, mit den Römern zu streiten oder auch sich zu vertragen. Natürlich überwog durchgängig das Verlangen nach Ruhe. Auch Caesar hatte ein Interesse daran, rasch zu Ende zu kommen. Von den zehn Jahren seiner Statthalterschaft waren sieben verstrichen. Das letzte aber durch seine politischen Gegner in der Hauptstadt ihm in Frage gestellt; nur auf zwei Sommer noch konnte er mit einiger Sicherheit rechnen und wenn sein Interesse wie seine Ehre verlangte, daß er die neu gewonnenen Landschaften seinem Nachfolger in einem leidlichen und einigermaßen beruhigten Friedensstand übergab, so war, um einen solchen herzustellen, die Zeit wahrlich karg zugemessen. Gnade zu üben war in diesem Falle noch mehr als für die Besiegten Bedürfnis für den Sieger; und er durfte seinen Stern preisen, daß die innere Zerfahrenheit und das leichte Naturell der Kelten ihm hierin auf halbem Wege entgegenkam. Wo, wie in den beiden angesehensten mittelgallischen Kantons, dem der Häduer und dem der Arverner, eine starke römisch gesinnte Partei bestand, wurde den Landschaften sogleich nach dem Fall von Alesia die vollständige Wiederherstellung ihres früheren Verhältnisses zu Rom gewährt und selbst ihre Gefangenen, 20000 an der Zahl, ohne Lösegeld entlassen, während die der übrigen Clans in die harte Knechtschaft der siegreichen Legionäre kamen. Wie die Häduer und die Arverner ergab sich überhaupt der größere Teil der gallischen Distrikte in sein Schicksal und ließ ohne weitere Gegenwehr die unvermeidlichen Strafgerichte über sich ergehen. Aber nicht wenige harrten auch in törichtem Leichtsinn oder dumpfer Verzweiflung bei der verlorenen Sache aus, bis die römischen Exekutionstruppen innerhalb ihrer Grenzen erschienen. Solche Expeditionen wurden noch im Winter 702/03 (52/51) gegen die Biturigen und die Carnuten unternommen. Ernsteren Widerstand leisteten die Bellovaker, die das Jahr zuvor von dem Entsatz Alesias sich ausgeschlossen hatten; sie schienen beweisen zu wollen, daß sie an jenem entscheidenden Tage wenigstens nicht aus Mangel an Mut und an Freiheitsliebe gefehlt hatten. Es beteiligten sich an diesem Kampfe die Atrebaten, Ambianer, Caleten und andere belgische Gaue; der tapfere König der Atrebaten, Commius, dem die Römer seinen Beitritt zur Insurrektion am wenigsten verziehen und gegen den kürzlich Labienus sogar einen widerwärtig tückischen Mordversuch gerichtet hatte, führte den Bellovakern 500 deutsche Reiter zu, deren Wert der vorjährige Feldzug hatte kennen lehren. Der entschlossene und talentvolle Bellovaker Correus, dem die oberste Leitung des Krieges zugefallen war, führte den Krieg, wie Vercingetorix ihn geführt hatte, und mit nicht geringem Erfolg; Caesar, obwohl er nach und nach den größten Teil seines Heeres heranzog, konnte das Fußvolk der Bellovaker weder zum Schlagen bringen noch auch nur dasselbe verhindern, andere, gegen Caesars verstärkte Streitmacht besseren Schutz gewährende Stellungen einzunehmen; die römischen Reiter aber, namentlich die keltischen Kontingente, erlitten in verschiedenen Gefechten durch die feindliche Reiterei, besonders die deutsche des Commius, die empfindlichsten Verluste. Allein nachdem in einem Scharmützel mit den römischen Fouragierern Correus den Tod gefunden, war der Widerstand auch hier gebrochen; der Sieger stellte erträgliche Bedingungen, auf die hin die Bellovaker nebst ihren Verbündeten sich unterwarfen. Die Treuerer wurden durch Labienus zum Gehorsam zurückgebracht und beiläufig das Gebiet der verfemten Eburonen noch einmal durchzogen und verwüstet. Also ward der letzte Widerstand der belgischen Eidgenossenschaft gebrochen. Noch einen Versuch, der Römerherrschaft sich zu erwehren, machten die Seegaue in Verbindung mit ihren Nachbarn an der Loire. Insurgentenscharen aus dem andischen, dem carnutischen und anderen umliegenden Gauen sammelten sich an der unteren Loire und belagerten in Lemonum (Poitiers) den römisch gesinnten Fürsten der Pictonen. Allein bald trat auch hier eine ansehnliche römische Macht ihnen entgegen; die Insurgenten gaben die Belagerung auf und zogen ab, um die Loire zwischen sich und den Feind zu bringen, wurden aber auf dem Marsche dahin eingeholt und geschlagen, worauf die Carnuten und die übrigen aufständischen Kantons, selbst die Seegaue ihre Unterwerfung einsandten. Der Widerstand war zu Ende; kaum daß ein einzelner Freischarenführer hie und da noch das nationale Banner aufrecht hielt. Der kühne Drappes und des Vercingetorix treuer Waffengefährte Lucterius sammelten nach der Auflösung der an der Loire vereinigten Armee die Entschlossensten und warfen sich mit diesen in die feste Bergstadt Uxellodunum am Lot53, die ihnen unter schweren und verlustvollen Gefechten ausreichend zu verproviantieren gelang. Trotz des Verlustes ihrer Führer, von denen Drappes gefangen, Lucterius von der Stadt abgesprengt ward, wehrte die Besatzung sich auf das äußerste; erst als Caesar selbst erschien und auf seine Anordnung die Quelle, aus der die Belagerten ihr Wasser holten, mittels unterirdischer Stollen abgeleitet ward, fiel die Festung, die letzte Burg der keltischen Nation. Um die letzten Verfechter der Sache der Freiheit zu kennzeichnen, befahl Caesar, der gesamten Besatzung die Hände abzuhauen und sie also, einen jeden in seine Heimat, zu entlassen. Dem König Commius, der noch in der Gegend von Arras sich hielt und daselbst bis in den Winter 703/04 (51/50) mit den römischen Truppen sich herumschlug, gestattete Caesar, dem alles daran lag, in ganz Gallien wenigstens dem offenen Widerstand ein Ziel zu setzen, seinen Frieden zu machen und ließ es sogar hingehen, daß der erbitterte und mit Recht mißtrauische Mann trotzig sich weigerte, persönlich im römischen Lager zu erscheinen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Caesar in ähnlicher Weise bei den schwer zugänglichen Distrikten im Nordwesten wie im Nordosten Galliens mit einer nur nominellen Unterwerfung, vielleicht sogar schon mit der faktischen Waffenruhe sich genügen ließ54.

Also ward Gallien, das heißt das Land westlich vom Rhein und nördlich von den Pyrenäen, nach nur achtjährigen Kämpfen (696 bis 703 58-51) den Römern untertänig. Kaum ein Jahr nach der völligen Beruhigung des Landes, zu Anfang des Jahres 705 (49), mußten die römischen Truppen infolge des nun endlich in Italien ausgebrochenen Bürgerkrieges über die Alpen zurückgezogen werden und es blieben nichts als höchstens einige schwache Rekrutenabteilungen im Keltenland zurück. Dennoch standen die Kelten nicht wieder gegen die Fremdherrschaft auf; und während in allen alten Provinzen des Reichs gegen Caesar gestritten ward, blieb allein die neugewonnene Landschaft ihrem Besieger fortwährend botmäßig. Auch die Deutschen haben ihre Versuche, auf dem linken Rheinufer sich erobernd festzusetzen, während dieser entscheidenden Jahre nicht wiederholt. Ebensowenig kam es in Gallien während der nachfolgenden Krisen zu einer neuen nationalen Insurrektion oder deutschen Invasion, obgleich sie die günstigsten Gelegenheiten darboten. Wenn ja irgendwo Unruhen ausbrachen, wie zum Beispiel 708 (46) die Bellovaker gegen die Römer sich erhoben, so waren diese Bewegungen so vereinzelt und so außer Zusammenhang mit den Verwicklungen in Italien, daß sie ohne wesentliche Schwierigkeit von den römischen Statthaltern unterdrückt wurden. Allerdings ward dieser Friedenszustand höchst wahrscheinlich, ähnlich wie Jahrhunderte lang der spanische, damit erkauft, daß man den entlegensten und am lebendigsten von dem Nationalgefühl durchdrungenen Landschaften, der Bretagne, den Scheldedistrikten, der Pyrenäengegend, vorläufig gestattete, sich in mehr oder minder bestimmter Weise der römischen Botmäßigkeit tatsächlich zu entziehen. Aber darum nicht weniger erwies sich Caesars Bau, wie knapp er auch dazu zwischen anderen, zunächst noch dringenderen Arbeiten die Zeit gefunden, wie unfertig und nur notdürftig abgeschlossen er ihn auch verlassen hatte, dennoch, sowohl hinsichtlich der Zurückweisung der Deutschen als der Unterwerfung der Kelten, in dieser Feuerprobe im wesentlichen als haltbar.

In der Oberverwaltung blieben die von dem Statthalter des Narbonensischen Galliens neu gewonnenen Gebiete vorläufig mit der Provinz Narbo vereinigt; erst als Caesar dieses Amt abgab (710 44), wurden aus dem von ihm eroberten Gebiet zwei neue Statthalterschaften, das eigentliche Gallien und Belgica, gebildet. Daß die einzelnen Gaue ihre politische Selbständigkeit verloren, lag im Wesen der Eroberung. Sie wurden durchgängig der römischen Gemeinde steuerpflichtig. Ihr Steuersystem indes war natürlich nicht dasjenige, mittels dessen die adlige und finanzielle Aristokratie Asia ausnutzte, sondern es wurde, wie in Spanien geschah, einer jeden einzelnen Gemeinde eine ein für allemal bestimmte Abgabe auferlegt und deren Erhebung ihr selbst überlassen. Auf diesem Wege flossen jährlich 40 Mill. Sesterzen (3 Mill. Taler) aus Gallien in die Kassen der römischen Regierung, die dafür freilich die Kosten der Verteidigung der Rheingrenze übernahm. Daß außerdem die in den Tempeln der Götter und den Schatzkammern der Großen aufgehäuften Goldmassen infolge des Krieges ihren Weg nach Rom fanden, versteht sich von selbst; wenn Caesar im ganzen Römischen Reich sein gallisches Gold ausbot und davon auf einmal solche Massen auf den Geldmarkt brachte, daß das Gold gegen Silber um 25 Prozent fiel, so läßt dies ahnen, welche Summen Gallien durch den Krieg eingebüßt hat.

Die bisherigen Gauverfassungen mit ihren Erbkönigen oder ihren feudal-oligarchischen Vorstandschaften blieben auch nach der Eroberung im wesentlichen bestehen, und selbst das Klientelsystem, das einzelne Kantons von anderen, mächtigeren abhängig machte, ward nicht abgeschafft, obwohl freilich mit dem Verlust der staatlichen Selbständigkeit ihm die Spitze abgebrochen war; Caesar war nur darauf bedacht, unter Benutzung der bestehenden dynastischen, feudalistischen und hegemonischen Spaltungen die Verhältnisse im Interesse Roms zu ordnen und überall die der Fremdherrschaft genehmen Männer an die Spitze zu bringen. Überhaupt sparte Caesar keine Mühe, um in Gallien eine römische Partei zu bilden; seinen Anhängern wurden ausgedehnte Belohnungen an Geld und besonders an konfiszierten Landgütern bewilligt und ihnen durch seinen Einfluß Plätze im Gemeinderat und die ersten Gemeindeämter in ihren Gauen verschafft. Diejenigen Gaue, in denen eine hinreichend starke und zuverlässige römische Partei bestand, wie die der Remer, der Lingonen, der Häduer, wurden durch Erteilung einer freieren Kommunalverfassung – des sogenannten Bündnisrechts – und durch Bevorzugungen bei der Ordnung des Hegemoniewesens gefördert. Den Nationalkult und dessen Priester scheint Caesar von Anfang an soweit irgend möglich geschont zu haben; von Maßregeln, wie sie in späterer Zeit von den römischen Machthabern gegen das Druidenwesen ergriffen wurden, findet bei ihm sich keine Spur, und wahrscheinlich damit hängt es zusammen, daß seine gallischen Kriege, soviel wir sehen, den Charakter des Religionskrieges durchaus nicht in der Art tragen, wie er bei den britannischen später so bestimmt hervortritt.

Wenn Caesar also der besiegten Nation jede zulässige Rücksicht bewies und ihre nationalen, politischen und religiösen Institutionen soweit schonte, als es mit der Unterwerfung unter Rom irgend sich vertrug, so geschah dies nicht, um auf den Grundgedanken seiner Eroberung, die Romanisierung Galliens, zu verzichten, sondern um denselben in möglichst schonender Weise zu verwirklichen. Auch begnügte er sich nicht, dieselben Verhältnisse, die die Südprovinz bereits großenteils romanisiert hatten, im Norden ihre Wirkung ebenfalls tun zu lassen, sondern er förderte, als echter Staatsmann, von oben herab die naturgemäße Entwicklung und tat dazu, die immer peinliche Übergangszeit möglichst zu verkürzen. Um zu schweigen von der Aufnahme einer Anzahl vornehmer Kelten in den römischen Bürgerverband, ja einzelner vielleicht schon in den römischen Senat, so ist wahrscheinlich Caesar es gewesen, der in Gallien auch innerhalb der einzelnen Gaue als offizielle Sprache anstatt der einheimischen die lateinische, wenn auch noch mit gewissen Einschränkungen, und anstatt des nationalen das römische Münzsystem in der Art einführte, daß die Gold- und die Denarprägung den römischen Behörden vorbehalten blieb, dagegen die Scheidemünze von den einzelnen Gauen und nur zur Zirkulation innerhalb der Gaugrenzen, aber doch auch nach römischem Fuß geschlagen werden sollte. Man mag lächeln über das kauderwelsche Latein, dessen die Anwohner der Loire und Seine fortan verordnungsmäßig sich beflissen55; es lag doch in diesen Sprachfehlern eine größere Zukunft als in dem korrekten, hauptstädtischen Latein. Vielleicht geht es auch auf Caesar zurück, wenn die Gauverfassung im Keltenland späterhin der italischen Stadtverfassung genähert erscheint und die Hauptorte des Gaues sowie die Gemeinderäte in ihr schärfer hervortreten, als dies in der ursprünglichen keltischen Ordnung wahrscheinlich der Fall war. Wie wünschenswert in militärischer wie in politischer Hinsicht es gewesen wäre, als Stützpunkte der neuen Herrschaft und Ausgangspunkte der neuen Zivilisation eine Reihe transalpinischer Kolonien zu begründen, mochte niemand mehr empfinden als der politische Erbe des Gaius Gracchus und des Marius. Wenn er dennoch sich beschränkte auf die Ansiedlung seiner keltischen oder deutschen Reiter in Noviodunum und auf die der Boier im Häduergau, welche letztere Niederlassung in dem Krieg gegen Vercingetorix schon völlig die Dienste einer römischen Kolonie tat, so war die Ursache nur die, daß seine weiteren Pläne ihm noch nicht gestatteten, seinen Legionen statt des Schwertes den Pflug in die Hand zu geben. Was er in späteren Jahren für die altrömische Provinz in dieser Beziehung getan, wird seines Orts dargelegt werden; es ist wahrscheinlich, daß nur die Zeit ihm gemangelt hat, um das gleiche auch auf die von ihm neu unterworfenen Landschaften zu erstrecken.

Mit der keltischen Nation war es zu Ende. Ihre politische Auflösung war durch Caesar eine vollendete Tatsache geworden, ihre nationale eingeleitet und im regelmäßigen Fortschreiten begriffen. Es war dies kein zufälliges Verderben, wie das Verhängnis es auch entwicklungsfähigen Völkern wohl zuweilen bereitet, sondern eine selbstverschuldete und gewissermaßen geschichtlich notwendige Katastrophe. Schon der Verlauf des letzten Krieges beweist dies, mag man ihn nun im ganzen oder im einzelnen betrachten. Als die Fremdherrschaft gegründet werden sollte, leisteten ihr nur einzelne, noch dazu meistens deutsche oder halbdeutsche Landschaften energischen Widerstand. Als die Fremdherrschaft gegründet war, wurden die Versuche, sie abzuschütteln, entweder ganz kopflos unternommen, oder sie waren mehr als billig das Werk einzelner hervorragender Adliger und darum mit dem Tod oder der Gefangennahme eines Indutiomarus, Camulogenus, Vercingetorix, Correus sogleich und völlig zu Ende. Der Belagerungs- und der kleine Krieg, in denen sich sonst die ganze sittliche Tiefe der Volkskriege entfaltet, waren und blieben in diesem keltischen von charakteristischer Erbärmlichkeit. Jedes Blatt der keltischen Geschichte bestätigt das strenge Wort eines der wenigen Römer, die es verstanden, die sogenannten Barbaren nicht zu verachten, daß die Kelten dreist die künftige Gefahr herausfordern, vor der gegenwärtigen aber der Mut ihnen entsinkt. In dem gewaltigen Wirbel der Weltgeschichte, der alle nicht gleich dem Stahl harten und gleich dem Stahl geschmeidigen Völker unerbittlich zermalmt, konnte eine solche Nation auf die Länge sich nicht behaupten; billig erlitten die Kelten des Festlandes dasselbe Schicksal von den Römern, das ihre Stammgenossen auf der irischen Insel bis in unsere Tage hinein von den Sachsen erleiden: das Schicksal, als Gärungsstoff künftiger Entwicklung aufzugehen in eine staatlich überlegene Nationalität. Im Begriff, von der merkwürdigen Nation zu scheiden, mag es gestattet sein, noch daran zu erinnern, daß in den Berichten der Alten über die Kelten an der Loire und Seine kaum einer der charakteristischen Züge vermißt wird, an denen wir gewohnt sind, Paddy zu erkennen. Es findet alles sich wieder: die Lässigkeit in der Bestellung der Felder; die Lust am Zechen und Raufen; die Prahlhansigkeit – wir erinnern an jenes in dem heiligen Hain der Arverner nach dem Sieg von Gergovia aufgehangene Schwert des Caesar, das sein angeblicher ehemaliger Besitzer an der geweihten Stätte lächelnd betrachtete und das heilige Gut sorgfältig zu schonen befahl; die Rede voll von Vergleichen und Hyperbeln, von Anspielungen und barocken Wendungen; der drollige Humor – ein vorzügliches Beispiel davon ist die Satzung, daß, wenn jemand einem öffentlich Redenden ins Wort fällt, dem Störenfried von Polizei wegen ein derbes und wohl sichtbares Loch in den Rock geschnitten wird; die innige Freude am Singen und Sagen von den Taten der Vorzeit und die entschiedenste Redner- und Dichtergabe; die Neugier – kein Kaufmann wird durchgelassen, bevor er auf offener Straße erzählt hat, was er an Neuigkeiten weiß oder nicht weiß – und die tolle Leichtgläubigkeit, die auf solche Nachrichten hin handelt, weshalb in den besser geordneten Kantons den Wandersleuten bei strenger Strafe verboten war, unbeglaubigte Berichte andern als Gemeindebeamten mitzuteilen; die kindliche Frömmigkeit, die in dem Priester den Vater sieht und ihn in allen Dingen um Rat fragt; die unübertroffene Innigkeit des Nationalgefühls und das fast familienartige Zusammenhalten der Landsleute gegen den Fremden; die Geneigtheit, unter dem ersten besten Führer sich aufzulehnen und Banden zu bilden, daneben aber die völlige Unfähigkeit, den sicheren, von Übermut wie von Kleinmut entfernten Mut sich zu bewahren, die rechte Zeit zum Abwarten und zum Losschlagen wahrzunehmen, zu irgendeiner Organisation, zu irgend fester militärischer oder politischer Disziplin zu gelangen oder auch nur sie zu ertragen. Es ist und bleibt zu allen Zeiten und aller Orten dieselbe faule und poetische, schwachmütige und innige, neugierige, leichtgläubige, liebenswürdige, gescheite, aber politisch durch und durch unbrauchbare Nation, und darum ist denn auch ihr Schicksal immer und überall dasselbe gewesen.

Aber daß dieses große Volk durch Caesars transalpinische Kriege zugrunde ging, ist noch nicht das bedeutendste Ergebnis dieses großartigen Unternehmens; weit folgenreicher als das negative war das positive Resultat. Es leidet kaum einen Zweifel, daß, wenn das Senatsregiment sein Scheinleben noch einige Menschenalter länger gefristet hätte, die sogenannte Völkerwanderung vierhundert Jahre früher eingetreten sein würde, als sie eingetreten ist, und eingetreten sein würde zu einer Zeit, wo die italische Zivilisation sich weder in Gallien noch an der Donau noch in Afrika und Spanien häuslich niedergelassen hatte. Indem der große Feldherr und Staatsmann Roms mit sicherem Blick in den deutschen Stämmen den ebenbürtigen Feind der römisch-griechischen Welt erkannte; indem er das neue System offensiver Verteidigung mit fester Hand selbst bis ins einzelne hinein begründete und die Reichsgrenzen durch Flüsse oder künstliche Wälle verteidigen, längs der Grenze die nächsten Barbarenstämme zur Abwehr der entfernteren kolonisieren, das römische Heer durch geworbene Leute aus den feindlichen Ländern rekrutieren lehrte, gewann er der hellenisch-italischen Kultur die nötige Frist, um den Westen ebenso zu zivilisieren, wie der Osten bereits von ihr zivilisiert war. Gewöhnliche Menschen schauen die Früchte ihres Tuns; der Same, den geniale Naturen streuen, geht langsam auf. Es dauerte Jahrhunderte, bis man begriff, daß Alexander nicht bloß ein ephemeres Königreich im Osten errichtet, sondern den Hellenismus nach Asien getragen habe; wieder Jahrhunderte, bis man begriff, daß Caesar nicht bloß den Römern eine neue Provinz erobert, sondern die Romanisierung der westlichen Landschaften begründet habe. Auch von jenen militärisch leichtsinnigen und zunächst erfolglosen Zügen nach England und Deutschland haben erst die späten Nachfahren den Sinn erkannt. Ein ungeheurer Völkerkreis, von dessen Dasein und Zuständen bis dahin kaum der Schiffer und der Kaufmann einige Wahrheit und viele Dichtung berichtet hatten, ward durch sie der römisch-griechischen Welt aufgeschlossen. „Täglich“, heißt es in einer römischen Schrift vom Mai 698 (56), „melden die gallischen Briefe und Botschaften uns bisher unbekannte Namen von Völkern, Gauen und Landschaften“. Diese Erweiterung des geschichtlichen Horizonts durch Caesars Züge jenseits der Alpen war ein weltgeschichtliches Ereignis, so gut wie die Erkundung Amerikas durch europäische Scharen. Zu dem engen Kreis der Mittelmeerstaaten traten die mittel- und nordeuropäischen Völker, die Anwohner der Ost- und der Nordsee hinzu, zu der alten Welt eine neue, die fortan durch jene mitbestimmt ward und sie mitbestimmte. Es hat nicht viel gefehlt, daß bereits von Ariovist das durchgeführt ward, was später dem gotischen Theoderich gelang. Wäre dies geschehen, so würde unsere Zivilisation zu der römisch-griechischen schwerlich in einem innerlicheren Verhältnis stehen als zu der indischen und assyrischen Kultur. Daß von Hellas und Italien vergangener Herrlichkeit zu dem stolzeren Bau der neueren Weltgeschichte eine Brücke hinüberführt, daß Westeuropa romanisch, das germanische Europa klassisch ist, daß die Namen Themistokles und Scipio für uns einen anderen Klang haben, als Asoka und Salmanassar, daß Homer und Sophokles nicht wie die Veden und Kalidasa nur den literarischen Botaniker anziehen, sondern in dem eigenen Garten uns blühen, das ist Caesars Werk; und wenn die Schöpfung seines großen Vorgängers im Osten von den Sturmfluten des Mittelalters fast ganz zertrümmert worden ist, so hat Caesars Bau die Jahrtausende überdauert, die dem Menschengeschlecht Religion und Staat verwandelt, den Schwerpunkt der Zivilisation selbst ihm verschoben haben, und für das, was wir Ewigkeit nennen, steht er aufrecht.

Um das Bild der Verhältnisse Roms zu den Völkern des Nordens in dieser Zeit zu vollenden, bleibt es noch übrig, einen Blick auf die Landschaften zu werfen, die nördlich der italischen und der griechischen Halbinsel, von den Rheinquellen bis zum Schwarzen Meer sich erstrecken. Zwar in das gewaltige Völkergetümmel, das auch dort damals gewogt haben mag, reicht die Fackel der Geschichte nicht und die einzelnen Streiflichter, die in dieses Gebiet fallen, sind, wie der schwache Schimmer in tiefer Finsternis, mehr geeignet zu verwirren als aufzuklären. Indes es ist die Pflicht des Geschichtschreibers, auch die Lücken in dem Buche der Völkergeschichte zu bezeichnen; er darf es nicht verschmähen, neben Caesars großartigem Verteidigungssystem der dürftigen Anstalten zu gedenken, durch die die Feldherren des Senats nach dieser Seite hin die Reichsgrenze zu schützen vermeinten.

Das nordöstliche Italien blieb nach wie vor den Angriffen der alpinischen Völkerschaften preisgegeben. Das im Jahre 695 (59) bei Aquileia lagernde starke römische Heer und der Triumph des Statthalters des Cisalpinischen Galliens, Lucius Afranius, lassen schließen, daß um diese Zeit eine Expedition in die Alpen stattgefunden; wovon es eine Folge sein mag, daß wir bald darauf die Römer in näherer Verbindung mit einem König der Noriker finden. Daß aber auch nachher Italien durchaus von dieser Seite nicht gesichert war, bewies der Überfall der blühenden Stadt Tergeste durch die alpinischen Barbaren im Jahre 702 (52), als die transalpinische Insurrektion Caesar genötigt hatte, Oberitalien ganz von Truppen zu entblößen.

Auch die unruhigen Völker, die den illyrischen Küstenstrich innehatten, machten ihren römischen Herren beständig zu schaffen. Die Dalmater, schon früher das ansehnlichste Volk dieser Gegend, vergrößerten durch Aufnahme der Nachbarn in ihren Verband sich so ansehnlich, daß die Zahl ihrer Ortschaften von zwanzig auf achtzig stieg. Als sie die Stadt Promona (nicht weit vom Kerkafluß), die sie den Liburniern entrissen hatten, diesen wiederherauszugeben sich weigerten, ließ Caesar nach der Pharsalischen Schlacht gegen sie marschieren; aber die Römer zogen hierbei zunächst den kürzeren, und infolgedessen ward Dalmatien für einige Zeit ein Herd der Caesar feindlichen Partei und wurde hier den Feldherren Caesars von den Einwohnern, in Verbindung mit den Pompeianern und mit den Seeräubern, zu Lande und zu Wasser energischer Widerstand geleistet.

Makedonien endlich nebst Epirus und Hellas war so verödet und heruntergekommen wie kaum ein anderer Teil des Römischen Reiches. Dyrrhachion, Thessalonike, Byzantion hatten noch einigen Handel und Verkehr; Athen zog durch seinen Namen und seine Philosophenschule die Reisenden und die Studenten an; im ganzen aber lag über Hellas‘ einst volkreichen Städten und menschenwimmelnden Häfen die Ruhe des Grabes. Aber wenn die Griechen sich nicht regten, so setzten dagegen die Bewohner der schwer zugänglichen makedonischen Gebirge nach alter Weise ihre Raubzüge und Fehden fort, wie denn zum Beispiel um 697/98 (57/56) Agräer und Doloper die ätolischen Städte, im Jahre 700 (54) die in den Drintälern wohnenden Pirusten das südliche Illyrien überrannten. Ebenso hielten es die Anwohner. Die Dardaner an der Nordgrenze wie die Thraker im Osten waren zwar in den achtjährigen Kämpfen 676 bis 683 (78-71) von den Römern gedemütigt worden; der mächtigste unter den thrakischen Fürsten, der Herr des alten Odrysenreichs Kotys, ward seitdem den römischen Klientelkönigen beigezählt. Allein nichtsdestoweniger hatte das befriedete Land nach wie vor von Norden und Osten her Einfälle zu leiden. Der Statthalter Gaius Antonius ward übel heimgeschickt, sowohl von den Dardanern, als auch von den in der heutigen Dobrudscha ansässigen Stämmen, welche mit Hilfe der vom linken Donauufer herbeigezogenen, gefürchteten Bastarner ihm bei Istropolis (Istere unweit Kustendsche) eine bedeutende Niederlage beibrachten (692-693 62-61). Glücklicher focht Gaius Octavius gegen Besser und Thraker (694 60). Dagegen machte Marcus Piso (697-698 57-56) wiederum als Oberfeldherr sehr schlechte Geschäfte, was auch kein Wunder war, da er um Geld Freunden und Feinden gewährte, was sie wünschten. Die thrakischen Dentheleten (am Strymon) plünderten unter seiner Statthalterschaft Makedonien weit und breit und stellten auf der großen, von Dyrrhachion nach Thessalonike führenden römischen Heerstraße selbst ihre Posten aus; in Thessalonike machte man sich darauf gefaßt, von ihnen eine Belagerung auszuhalten, während die starke römische Armee in der Provinz nur da zu sein schien, um zuzusehen, wie die Bergbewohner und die Nachbarvölker die friedlichen Untertanen Roms brandschatzten.

Dergleichen Angriffe konnten freilich Roms Macht nicht gefährden, und auf eine Schande mehr kam es längst nicht mehr an. Aber eben um diese Zeit begann jenseits der Donau, in den weiten dakischen Steppen, ein Volk sich staatlich zu konsolidieren, das eine andere Rolle in der Geschichte zu spielen bestimmt schien als die Besser und die Dentheleten. Bei den Geten oder Dakern war in uralter Zeit dem König des Volkes ein heiliger Mann zur Seite getreten, Zalmoxis genannt, der, nachdem er der Götter Wege und Wunder auf weiten Reisen in der Fremde erkundet und namentlich die Weisheit der ägyptischen Priester und der griechischen Pythagoreer ergründet hatte, in seine Heimat zurückgekommen war, um in einer Höhle des ‚Heiligen Berges‘ als frommer Einsiedler sein Leben zu beschließen. Nur dem König und dessen Dienern blieb er zugänglich und spendete ihm und durch ihn dem Volke seine Orakel für jedes wichtige Beginnen. Seinen Landsleuten galt er anfangs als Priester des höchsten Gottes und zuletzt selber als Gott, ähnlich wie es von Moses und Aaron heißt, daß der Herr den Aaron zum Propheten und zum Gotte des Propheten den Moses gesetzt habe. Es war hieraus eine bleibende Institution geworden: von Rechts wegen stand dem König der Geten ein solcher Gott zur Seite, aus dessen Munde alles kam oder zu kommen schien, was der König befahl. Diese eigentümliche Verfassung, in der die theokratische Idee der, wie es scheint, absoluten Königsgewalt dienstbar geworden war, mag den getischen Königen eine Stellung ihren Untertanen gegenüber gegeben haben, wie etwa die Kalifen sie gegenüber den Arabern haben; und eine Folge davon war die wunderbare religiös-politische Reform der Nation, welche um diese Zeit der König der Geten, Burebistas, und der Gott, Dekäneos, durchsetzten. Das namentlich durch beispiellose Völlerei sittlich und staatlich gänzlich heruntergekommene Volk ward durch das neue Mäßigkeits- und Tapferkeitsevangelium wie umgewandelt; mit seinen sozusagen puritanisch disziplinierten und begeisterten Scharen gründete König Burebistas binnen wenigen Jahren ein gewaltiges Reich, das auf beiden Ufern der Donau sich ausbreitete und südwärts bis tief in Thrakien, Illyrien und das nordische Land hinein reichte. Eine unmittelbare Berührung mit den Römern hatte noch nicht stattgefunden, und es konnte niemand sagen, was aus diesem sonderbaren, an die Anfänge des Islam erinnernden Staat werden möge; das aber mochte man, auch ohne Prophet zu sein, vorherzusagen, daß Prokonsuln wie Antonius und Piso nicht berufen waren, mit Göttern zu streiten.

  1. So ward zum Beispiel in Vaison im Vocontischen Gau eine in keltischer Sprache mit gewöhnlichem griechischen Alphabet geschriebene Inschrift gefunden. Sie lautet: σεγομαρος ουιλλονεος τοουτιους ναμαυσατις εωρουβηλησαμισοσιν νεμητον. Das letzte Wort heißt „heilig“.
  2. Auf eine längere Zeit hindurch fortgesetzte Einwanderung belgischer Kelten nach Britannien deuten die von belgischen Gauen entlehnten Namen englischer Völkerschaften an beiden Ufern der Themse, wie der Atrebaten, der Belgen, ja der Britanner selbst, welcher von den an der Somme unterhalb Amiens ansässigen Britonen zuerst auf einen englischen Gau und sodann auf die ganze Insel übertragen zu sein scheint. Auch die englische Goldmünzung ist aus der belgischen abgeleitet und ursprünglich mit ihr identisch.
  3. Das erste Aufgebot der belgischen Kantone ausschließlich der Remer, also der Landschaft zwischen Seine und Schelde und östlich bis gegen Reims und Andernach von 2000-2200 Quadratmeilen, wird auf etwa 300000 Mann berechnet; wonach, wenn man das für die Bellovaker angegebene Verhältnis des ersten Aufgebots zu der gesamten waffenfähigen Mannschaft als allgemein gültig betrachtet, die Zahl der waffenfähigen Belgen auf 500000 und danach die Gesamtbevölkerung auf mindestens 2 Millionen sich stellt. Die Helvetier mit den Nebenvölkern zählten vor ihrem Auszug 336000 Köpfe; wenn man annimmt, daß sie damals schon vom rechten Rheinufer verdrängt waren, kann ihr Gebiet auf ungefähr 300 Quadratmeilen angeschlagen werden. Ob die Knechte hierbei mitgezählt sind, läßt sich um so weniger entscheiden, als wir nicht wissen, welche Form die Sklaverei bei den Kelten angenommen hatte; was Caesar (Gall. 1, 4) von Orgetorix‘ Sklaven, Hörigen und Schuldnern erzählt, spricht eher für als gegen die Mitzählung.
  4. Daß übrigens jeder solche Versuch, das, was der alten Geschichte vor allen Dingen fehlt, die statistische Grundlage, durch Kombination zu ersetzen, mit billiger Vorsicht aufgenommen werden muß, wird der verständige Leser ebensowenig verkennen als ihn darum unbedingt wegwerfen.
  5. Dahin führt die Benennung des Kauffahrtei- oder des „runden“ im Gegensatz zu dem „langen“ oder dem Kriegsschiff und die ähnliche Gegeneinanderstellung der „Ruderschiffe“ (επίκωποι νήες) und der „Kauffahrer“ (ολκάδες“ Dion. Hal. 3, 44); ferner die geringe Bemannung der Kauffahrteischiffe, die auf den allergrößten nicht mehr betrug als 200 Mann (Rheinisches Museum N. F. 11, 1874, S. 625), während auf der gewöhnlichen Galeere von drei Verdecken schon 170 Ruderer gebraucht wurden. Vgl. F. K. Movers, Die Phönicier. Bonn-Berlin 1840-56, Bd. 2, 3, S. 167f.
  6. Dies merkwürdige Wort muß schon im sechsten Jahrhundert Roms bei den Kelten im Potal gebräuchlich gewesen sein; denn bereits Ennius kennt es, und es kann nur von da her in so früher Zeit den Italikern zugekommen sein. Es ist dasselbe aber nicht bloß keltisch, sondern auch deutsch, die Wurzel unseres „Amt“; wie ja auch das Gefolgwesen selbst den Kelten und den Deutschen gemeinsam ist. Von großer geschichtlicher Wichtigkeit wäre es, auszumachen ob das Wort und also auch die Sache zu den Kelten von den Deutschen oder zu den Deutschen von den Kelten kam. Wenn, wie man gewöhnlich annimmt, das Wort ursprünglich deutsch ist und zunächst den in der Schlacht dem Herrn „gegen den Rücken“ (and = gegen, bak = Rücken) stehenden Knecht bezeichnet, so ist dies mit dem auffallend frühen Vorkommen dieses Wortes bei den Kelten nicht gerade unvereinbar. Nach allen Analogien kann das Recht Ambakten, das ist δούλοι μισθωτοί, zu halten, dem keltischen Adel nicht von Haus aus zugestanden, sondern erst allmählich im Gegensatz zu dem älteren Königtum wie zu der Gleichheit der Gemeinfreien sich entwickelt haben. Wenn also das Ambaktentum bei den Kelten keine altnationale, sondern eine relativ junge Institution ist, so ist es auch, bei dem zwischen den Kelten und Deutschen Jahrhunderte lang bestehenden und weiterhin zu erörternden Verhältnis, nicht bloß möglich, sondern sogar wahrscheinlich, daß die Kelten, in Italien wie in Gallien, zu diesen gedungenen Waffenknechten hauptsächlich Deutsche nahmen. Die „Schweizer“ würden also in diesem Falle um einige Jahrtausende älter sein, als man meint.
  7. Sollte die Benennung, womit, vielleicht nach dem Beispiel der Kelten, die Römer die Deutschen als Nation bezeichnen, der Name Germani wirklich keltischen Ursprungs sein, so steht dies damit, wie man sieht, im besten Einklang.
  8. Freilich werden diese Annahmen immer zurückstehen müssen, falls es gelingt, das Wort ambactus in befriedigender Weise aus keltischer Wurzel zu erklären; wie denn J. K. Zeuß (Grammatica celtica. Leipzig 1853, S. 796), wenngleich zweifelnd, dasselbe auf ambi = um und ag = agere, = Herumbeweger oder Herumbewegter, also Begleiter, Diener zurückführt. Daß das Wort auch als keltischer Eigenname vorkommt (Zeuß, S. 77) und vielleicht noch in dem cambrischen amaeth = Bauer, Arbeiter erhalten ist (Zeuß, S. 156), kann nach keiner Seite hin entscheiden.
  9. Welche Stellung ein solcher Bundesfeldherr seinen Leuten gegenüber einnahm, zeigt die gegen Vercingetorix erhobene Anklage auf Landesverrat (Caes. Gall. 7, 20).
  10. So sind Caesars Sueben wahrscheinlich die Chatten; aber dieselbe Benennung kam sicher zu Caesars Zeit und noch viel später auch jedem anderen deutschen Stamme zu, der als ein regelmäßig wandernder bezeichnet werden konnte. Wenn also auch, wie nicht zu bezweifeln, der „König der Sueben“ bei Mela (3, 1) und Plinius (nat. 2, 67, 170) Ariovist ist, so folgt darum noch keineswegs, daß Ariovist ein Chatte war. Die Markomannen als ein bestimmtes Volk lassen sich vor Marbod nicht nachweisen; es ist sehr möglich, daß das Wort bis dahin nichts bezeichnet als was es etymologisch bedeutet, die Land- oder Grenzwehr. Wenn Caesar (Galt. 1, 51) unter den im Heere Ariovists fechtenden Völkern Markomannen erwähnt, so kann er auch hier eine bloß appellative Bezeichnung ebenso mißverstanden haben, wie dies bei den Sueben entschieden der Fall ist.
  11. Ariovists Ankunft in Gallien ist nach Caesar (Gall. 1, 36) auf 683 (71), die Schlacht von Admagetobriga (denn so heißt der einer falschen Inschrift zuliebe jetzt gewöhnlich Magetobriga genannte Ort) nach Caesar (Gall. 1, 35) und Cicero (Art. 1, 19) auf 693 (61) gesetzt worden.
  12. Um diesen Hergang der Dinge nicht unglaublich zu finden oder demselben gar tiefere Motive unterzulegen, als staatsmännische Unwissenheit und Faulheit sind, wird man wohltun, den leichtfertigen Ton sich zu vergegenwärtigen, in dem ein angesehener Senator wie Cicero in seiner Korrespondenz sich über diese wichtigen transalpinischen Angelegenheiten ausläßt.
  13. Nach dem unberichtigten Kalender. Nach der gangbaren Rektifikation, die indes hier keineswegs auf hinreichend zuverlässigen Daten beruht, entspricht dieser Tag dem 16. April des Julianischen Kalenders.
  14. Julia Equestris, wo der letzte Beiname zu fassen ist wie in anderen Kolonien Caesars die Beinamen sextanorum, decimanorum, u. a. m. Es waren keltische oder deutsche Reiter Caesars, die, natürlich unter Erteilung des römischen oder doch des latinischen Bürgerrechts, hier Landlose empfingen.
  15. F. W. A. Göler (Cäsars gallischer Krieg. Karlsruhe 1858, S. 45f.) meint, das Schlachtfeld bei Cernay unweit Mühlhausen aufgefunden zu haben, was im ganzen übereinkommt mit Napoleons ( précis p. 35) Ansetzung des Schlachtfeldes in der Gegend von Belfort. Diese Annahme ist zwar nicht sicher, aber den Umständen angemessen; denn daß Caesar für die kurze Strecke von Besançon bis dahin sieben Tagemärsche brauchte, erklärt er selbst (Lall. 1, 41) durch die Bemerkung, daß er einen Umweg von über zehn deutschen Meilen genommen, um die Bergwege zu vermeiden, und dafür, daß die Schlacht 5, nicht 50 Milien vom Rhein geschlagen ward, entscheidet bei gleicher Autorität der Überlieferung die ganze Darstellung der bis zum Rhein fortgesetzten und offenbar nicht mehrtägigen, sondern an dem Schlachttag selbst beendigten Verfolgung. Der Vorschlag W. Rüstows (Einleitung zu Caesars Kommentar, S. 117), das Schlachtfeld an die obere Saar zu verlegen, beruht auf einem Mißverständnis. Das von den Sequanern, Denkern, Lingonen erwartete Getreide soll dem römischen Heere nicht unterwegs auf dem Marsche gegen Ariovist zukommen, sondern vor dem Aufbruch nach Besançon geliefert und von den Truppen mitgenommen werden; wie dies sehr deutlich daraus hervorgeht, daß Caesar, indem er seine Truppen auf jene Lieferungen hinweist, daneben sie auf das unterwegs einzubringende Korn vertröstet. Von Besançon aus beherrschte Caesar die Gegend von Langres und Epinal und schrieb, wie begreiflich, seine Lieferungen lieber hier aus als in den ausfouragierten Distrikten, aus denen er kam.
  16. Das scheint die einfachste Annahme über den Ursprung dieser germanischen Ansiedlungen. Daß Ariovist jene Völker am Mittelrhein ansiedelte, ist deshalb wahrscheinlich, weil sie in seinem Heer fechten (Caes. Gall. 1, 51) und früher nicht vorkommen; daß ihnen Caesar ihre Sitze ließ, deshalb, weil er Ariovist gegenüber sich bereit erklärte, die in Gallien bereits ansässigen Deutschen zu dulden (Caes. Gall. 1, 35. 43), und weil wir sie später in diesen Sitzen finden. Caesar gedenkt der nach der Schlacht hinsichtlich dieser germanischen Ansiedlungen getroffenen Verfügungen nicht, weil er über alle in Gallien von ihm vorgenommenen organischen Einrichtungen grundsätzlich Stillschweigen beobachtet.
  17. Daß Caesars Überfahrten nach Britannien aus den Häfen der Küste von Calais bis Boulogne an die Küste von Kent gingen, ergibt die Natur der Sache sowie Caesars ausdrückliche Angabe. Die genauere Bestimmung der Örtlichkeit ist oft versucht worden, aber nicht gelungen. Überliefert ist nur, daß bei der ersten Fahrt die Infanterie in dem einen, die Reiterei in einem anderen, von jenem 8 Milien in östlicher Richtung entfernten Hafen sich einschiffte (Gall. 4, 22, 23, 28) und daß die zweite Fahrt aus demjenigen von diesen beiden Häfen, den Caesar am bequemsten gefunden, dem (sonst nicht weiter genannten) Irischen, von der britannischen Küste 30 (so nach Caesars Handschriften 5, 2) oder 40 (= 320 Stadien, nach Strab. 4, 5, 2, der unzweifelhaft aus Caesar schöpfte) Milien entfernten abging. Aus Caesars Worten (Gall. 4, 21), daß er „die kürzeste Überfahrt“ gewählt habe, kann man verständigerweise wohl folgern, daß er nicht durch den Kanal, sondern durch den Pas de Calais, aber keineswegs, daß er durch diesen auf der mathematisch kürzesten Linie fuhr. Es gehört der Inspirationsglaube der Lokaltopographen dazu, um mit solchen Daten in der Hand, von denen das an sich beste noch durch die schwankende Überlieferung der Zahl fast unbrauchbar wird, an die Bestimmung der Örtlichkeit zu gehen; doch möchte unter den vielen Möglichkeiten am meisten für sich zu haben, daß der Irische Hafen (den schon Strab. a. a. O. wahrscheinlich richtig mit demjenigen identifiziert, von dem bei der ersten Fahrt die Infanterie überging) bei Ambleteuse, westlich vom Cap Gris Nez, der Reiterhaufen bei Ecale (Wissant), östlich von demselben Vorgebirge, zu suchen ist, die Landung aber östlich von Dover bei Walmercastle stattfand.
  18. Daß Cotta, obwohl nicht Unterfeldherr des Sabinus, sondern gleich ihm Legat, doch der jüngere und minder angesehene General und wahrscheinlich im Fall einer Differenz sich zu fügen angewiesen war, ergibt sich sowohl aus den früheren Leistungen des Sabinus, als daraus, daß, wo beide zusammen genannt werden (Gall. 4, 22, 37; 5, 24, 26, 52; 6, 32; anders 6, 37), Sabinus regelmäßig voransteht, nicht minder aus der Erzählung der Katastrophe selbst. überdies kann man doch unmöglich annehmen, daß Caesar einem Lager zwei Offiziere mit gleicher Befugnis vorgesetzt und für den Fall der Meinungsverschiedenheit gar keine Anordnung getroffen haben soll. Auch zählen die fünf Kohorten nicht als Legion mit (vgl. Gall. 6, 32, 33), so wenig wie die zwölf Kohorten an der Rheinbrücke (Gall. 6, 29 vgl. 32, 33), und scheinen aus Detachements anderer Heerteile bestanden zu haben, die diesem den Germanen zunächst gelegenen Lager zur Verstärkung zugeteilt worden waren.
  19. Freilich war dies nur möglich, solange die Offensivwaffen hauptsächlich auf Hieb und Stich gerichtet waren. In der heutigen Kriegführung ist, wie dies Napoleon I. vortrefflich auseinandergesetzt hat, dies System deshalb unanwendbar geworden, weil bei unseren, aus der Ferne wirkenden Offensivwaffen die deployierte Stellung vorteilhafter ist als die konzentrische. In Caesars Zeit verhielt es sich umgekehrt.
  20. Man sucht diesen Ort auf einer Anhöhe eine Stunde südlich von der arvernischen Hauptstadt Nemetum, dem heutigen Clermont welche noch jetzt Gergoie genannt wird; und sowohl die bei den Ausgrabungen daselbst zu Tage gekommenen Überreste von rohen Festungsmauern, wie die urkundlich bis ins zehnte Jahrhundert hinauf verfolgte Überlieferung des Namens lassen an der Richtigkeit dieser Ortsbestimmung keinen Zweifel. Auch paßt dieselbe wie zu den übrigen Angaben Caesars, so namentlich dazu daß er Gergovia ziemlich deutlich als Hauptort der Arverner bezeichnet (Gall. 7, 4). Man wird demnach anzunehmen haben, daß die Arverner nach der Niederlage genötigt wurden, sich von Gergovia nach dem nahen, weniger festen Nemetum überzusiedeln.
  21. Die kürzlich viel erörterte Frage, ob Alesia nicht vielmehr in Alaise (25 Kilometer südlich von Besançon, Dep. Doubs) zu erkennen sei, ist von allen besonnenen Forschern mit Recht verneint worden.
  22. Man sucht dies gewöhnlich bei Capdenac unweit Figeac; F. W. A. Göler hat sich neuerlich für das auch früher schon in Vorschlag gebrachte Luzech westlich von Cahors erklärt.
  23. Bei Caesar selbst steht dies freilich begreiflicherweise nicht geschrieben; aber eine verständliche Andeutung in dieser Beziehung macht Sallust (hist. 1, 9 Kritz), obwohl auch er als Caesarianer schrieb. Weitere Beweise ergeben die Münzen.
  24. So lesen wir auf einem Semis, den ein Vergobret der Lexovier (Lisieux, Dep. Calvados) schlagen ließ, folgende Aufschrift: Cisiambos Cattos vercobreto; simissos (so) publicos Lixovio. Die oft kaum leserliche Schrift und das unglaublich abscheuliche Gepräge dieser Münzen stehen mit ihrem stammelnden Latein in bester Harmonie.

8. Kapitel


8. Kapitel

Pompeius‘ und Caesars Gesamtherrschaft

Unter den Demokratenchefs, die seit Caesars Konsulat sozusagen offiziell als die gemeinschaftlichen Beherrscher des Gemeinwesens, als die regierenden „Dreimänner“ anerkannt waren, nahm der öffentlichen Meinung zufolge durchaus die erste Stelle Pompeius ein. Er war es, der den Optimaten der „Privatdiktator“ hieß; vor ihm tat Cicero seinen vergeblichen Fußfall; ihm galten die schärfsten Sarkasmen in den Mauerplakaten des Bibulus, die giftigsten Pfeile in den Salonreden der Opposition. Es war dies nur in der Ordnung. Nach den vorliegenden Tatsachen war Pompeius unbestritten der erste Feldherr seiner Zeit, Caesar ein gewandter Parteiführer und Parteiredner, von unleugbaren Talenten, aber ebenso notorisch von unkriegerischem, ja weibischem Naturell. Diese Urteile waren seit langem geläufig; man konnte es von dem vornehmen Pöbel nicht erwarten, daß er um das Wesen der Dinge sich kümmere und einmal festgestellte Plattheiten wegen obskurer Heldentaten am Tajo aufgebe. Offenbar spielte Caesar in dem Bunde nur die Rolle des Adjutanten, der das für seinen Chef ausführte, was Flavius, Afranius und andere, weniger fähige Werkzeuge versucht und nicht geleistet hatten. Selbst seine Statthalterschaft schien dies Verhältnis nicht zu ändern. Eine sehr ähnliche Stellung hatte erst kürzlich Afranius eingenommen, ohne darum etwas Besonderes zu bedeuten; mehrere Provinzen zugleich waren in den letzten Jahren wiederholentlich einem Statthalter untergeben und schon oft weit mehr als vier Legionen in einer Hand vereinigt gewesen; da es jenseits der Alpen wieder ruhig und Fürst Ariovist von den Römern als Freund und Nachbar anerkannt war, so war auch keine Aussicht zur Führung eines irgend ins Gewicht fallenden Krieges. Die Vergleichung der Stellungen, wie sie Pompeius durch das Gabinisch-Manilische, Caesar durch das Vatinische Gesetz erhalten hatten, lag nahe; allein sie fiel nicht zu Caesars Vorteil aus. Pompeius gebot fast über das gesamte Römische Reich, Caesar über zwei Provinzen. Pompeius standen die Soldaten und die Kassen des Staats beinahe unbeschränkt zur Verfügung, Caesar nur die ihm angewiesenen Summen und ein Heer von 24000 Mann. Pompeius war es anheimgegeben, den Zeitpunkt seines Rücktritts selber zu bestimmen; Caesars Kommando war ihm zwar auf lange hinaus, aber doch nur auf eine begrenzte Frist gesichert. Pompeius endlich war mit den wichtigsten Unternehmungen zur See und zu Lande betraut worden; Caesar ward nach Norden gesandt, um von Oberitalien aus die Hauptstadt zu überwachen und dafür zu sorgen, daß Pompeius ungestört sie beherrsche.

Aber als Pompeius von der Koalition zum Beherrscher der Hauptstadt bestellt ward, übernahm er, was über seine Kräfte weit hinausging. Pompeius verstand vom Herrschen nichts weiter, als was sich zusammenfassen läßt in Parole und Kommando. Die Wellen des hauptstädtischen Treibens gingen hohl, zugleich von vergangenen und von zukünftigen Revolutionen; die Aufgabe, diese in jeder Hinsicht dem Paris des neunzehnten Jahrhunderts vergleichbare Stadt ohne bewaffnete Macht zu regieren, war unendlich schwer, für jenen eckigen vornehmen Mustersoldaten aber geradezu unlösbar. Sehr bald war er so weit, daß Feinde und Freunde, beide ihm gleich unbequem, seinetwegen machen konnten, was ihnen beliebte; nach Caesars Abgang von Rom beherrschte die Koalition wohl noch die Geschicke der Welt, aber nicht die Straßen der Hauptstadt. Auch der Senat, dem ja immer noch eine Art nominellen Regiments zustand, ließ die Dinge in der Hauptstadt gehen, wie sie gehen konnten und mochten; zum Teil, weil der von der Koalition beherrschten Fraktion dieser Körperschaft die Instruktionen der Machthaber fehlten, zum Teil, weil die grollende Opposition aus Gleichgültigkeit oder Pessimismus beiseite trat, hauptsächlich aber, weil die gesamte hochadlige Körperschaft ihre vollständige Ohnmacht wo nicht zu begreifen, doch zu fühlen begann. Augenblicklich also gab es in Rom nirgends eine Widerstandskraft irgendwelcher Regierung, nirgends eine wirkliche Autorität. Man lebte im Interregnum zwischen dem zertrümmerten aristokratischen und dem werdenden militärischen Regiment; und wenn das römische Gemeinwesen wie kein anderes alter oder neuer Zeit alle verschiedensten politischen Funktionen und Organisationen rein und normal dargestellt hat, so erscheint in ihm auch die politische Desorganisation, die Anarchie, in einer nicht beneidenswerten Schärfe. Es ist ein seltsames Zusammentreffen, daß in denselben Jahren, in welchen Caesar jenseits der Alpen ein Werk für die Ewigkeit schuf, in Rom eine der tollsten politischen Grotesken aufgeführt ward, die jemals über die Bretter der Weltgeschichte gegangen ist. Der neue Regent des Gemeinwesens regierte nicht, sondern schloß sich in sein Haus ein und maulte im stillen. Die ehemalige, halb abgesetzte Regierung regierte gleichfalls nicht, sondern seufzte, bald einzeln in den traulichen Zirkeln der Villen, bald in der Kurie im Chor. Der Teil der Bürgerschaft, dem Freiheit und Ordnung noch am Herzen lagen, war des wüsten Treibens übersatt; aber völlig führer- und ratlos verharrte er in nichtiger Passivität und mied nicht bloß jede politische Tätigkeit, sondern, soweit es anging, das politische Sodom selbst. Dagegen: das Gesindel aller Art hatte nie bessere Tage, nie lustigere Tummelplätze gehabt. Die Zahl der kleinen großen Männer war Legion. Die Demagogie ward völlig zum Handwerk, dem denn auch das Handwerkszeug nicht fehlte: der verschabte Mantel, der verwilderte Bart, das langflatternde Haar, die tiefe Baßstimme; und nicht selten war es ein Handwerk mit goldenem Boden. Für die stehenden Brüllaktionen waren die geprüften Gurgeln des Theaterpersonals ein begehrter Artikel56; Griechen und Juden, Freigelassene und Sklaven waren in den öffentlichen Versammlungen die regelmäßigsten Besucher und die lautesten Schreier; selbst wenn es zum Stimmen ging, bestand häufig nur der kleinere Teil der Stimmenden aus verfassungsmäßig stimmberechtigten Bürgern. „Nächstens“, heißt es in einem Briefe aus dieser Zeit, „können wir erwarten, daß unsere Lakaien die Freilassungssteuer abvotieren.“ Die eigentlichen Mächte des Tages waren die geschlossenen und bewaffneten Banden, die von vornehmen Abenteurern aus fechtgewohnten Sklaven und Lumpen aufgestellten Bataillone der Anarchie. Ihre Inhaber hatten von Haus aus meistenteils zur Popularpartei gezählt; aber seit Caesars Entfernung, der der Demokratie allein zu imponieren und allein sie zu lenken verstanden hatte, war aus derselben alle Disziplin entwichen und jeder Parteigänger machte Politik auf seine eigene Hand. Am liebsten fochten diese Leute freilich auch jetzt noch unter dem Panier der Freiheit; aber genau genommen waren sie weder demokratisch noch antidemokratisch gesinnt, sondern schrieben auf die einmal unentbehrliche Fahne, wie es fiel, bald den Volksnamen, bald den Namen des Senats oder den eines Parteichefs; wie denn zum Beispiel Clodius nacheinander für die herrschende Demokratie, für den Senat und für Crassus gefochten oder zu fechten vorgegeben hat. Farbe hielten die Bandenführer nur insofern, als sie ihre persönlichen Feinde, wie Clodius den Cicero, Milo den Clodius, unerbittlich verfolgten, wogegen die Parteistellung ihnen nur als Schachzug in diesen Personenfehden diente. Man könnte ebensogut ein Charivari auf Noten setzen als die Geschichte dieses politischen Hexensabbaths schreiben wollen; es liegt auch nichts daran, all die Mordtaten, Häuserbelagerungen, Brandstiftungen und sonstigen Räuberszenen inmitten einer Weltstadt aufzuzählen und nachzurechnen, wie oft die Skala vom Zischen und Schreien zum Anspeien und Niedertreten und von da zum Steinewerfen und Schwerterzücken durchgemacht ward. Der Protagonist auf diesem politischen Lumpentheater war jener Publius Clodius, dessen, wie schon erwähnt ward, die Machthaber sich gegen Cato und Cicero bedienten. Sich selbst überlassen, trieb dieser einflußreiche, talentvolle, energische und in seinem Metier in der Tat musterhafte Parteigänger während seines Volkstribunats (696 58) ultrademokratische Politik, gab den Städtern das Getreide umsonst, beschränkte das Recht der Zensoren, sittenlose Bürger zu bemäkeln, untersagte den Beamten, durch religiöse Formalitäten den Gang der Komitialmaschine zu hemmen, beseitigte die Schranken, die kurz zuvor (690 64), um dem Bandenwesen zu steuern, dem Assoziationsrecht der niederen Klassen gesetzt worden waren, und stellte die damals aufgehobenen „Straßenklubs“ ( collegia compitalicia) wieder her, welche nichts anderes waren als eine förmliche, nach den Gassen abgeteilte und fast militärisch gegliederte Organisation des gesamten hauptstädtischen Freien- oder Sklavenproletariats. Wenn dazu noch das weitere Gesetz, das Clodius ebenfalls bereits entworfen hatte und als Prätor 702 (52) einzubringen gedachte, den Freigelassenen und den im tatsächlichen Besitz der Freiheit lebenden Sklaven die gleichen politischen Rechte mit den Freigeborenen gab, so konnte der Urheber all dieser tapferen Verfassungsbesserungen sein Werk für vollendet erklären und als neuer Numa der Freiheit und Gleichheit den süßen Pöbel der Hauptstadt einladen, in dem auf einer seiner Brandstätten am Palatin von ihm errichteten Tempel der Freiheit ihn zur Feier des eingetretenen demokratischen Millenniums das Hochamt zelebrieren zu sehen. Natürlich schlossen diese Freiheitsbestrebungen den Schacher mit Bürgerschaftsbeschlüssen nicht aus; wie Caesar hielt auch Caesars Affe für seine Mitbürger Statthalterschaften und andere Posten und Pöstchen, für die untertänigen Könige und Städte die Herrlichkeitsrechte des Staates feil.

All diesen Dingen sah Pompeius zu, ohne sich zu regen. Wenn er es nicht empfand, wie arg er damit sich kompromittierte, so empfand es sein Gegner. Clodius ward so dreist, daß er über eine ganz gleichgültige Frage, die Rücksendung eines gefangenen armenischen Prinzen, mit dem Regenten von Rom geradezu anband; und bald ward der Zwist zur förmlichen Fehde, in der Pompeius‘ völlige Hilflosigkeit zu Tage kam. Das Haupt des Staates wußte dem Parteigänger nichts anders zu begegnen als mit dessen eigenen, nur weit ungeschickter geführten Waffen. War er von Clodius wegen des armenischen Prinzen schikaniert worden, so ärgerte er ihn wieder, indem er den von Clodius über alles gehaßten Cicero aus dem Exil erlöste, in das ihn Clodius gesandt hatte, und erreichte denn auch so gründlich seinen Zweck, daß er den Gegner in einen unversöhnlichen Feind verwandelte. Wenn Clodius mit seinen Banden die Straßen unsicher machte, so ließ der siegreiche Feldherr gleichfalls Sklaven und Fechter marschieren, in welchen Balgereien natürlich der General gegen den Demagogen den kürzeren zog, auf der Straße geschlagen, und von Clodius und dessen Spießgesellen Gaius Cato in seinem Garten fast beständig in Belagerung gehalten ward. Es ist nicht der am wenigsten merkwürdige Zug in diesem merkwürdigen Schauspiel, daß in ihrem Hader der Regent und der Schwindler beide wetteifernd um die Gunst der gestürzten Regierung buhlten, Pompeius, zum Teil auch, um dem Senat gefällig zu sein, Ciceros Zurückberufung zuließ, Clodius dagegen die Julischen Gesetze für nichtig erklärte und Marcus Bibulus aufrief, deren verfassungswidrige Durchbringung öffentlich zu bezeugen!

Ein positives Resultat konnte natürlicherweise aus diesem Brodel trüber Leidenschaften nicht hervorgehen; der eigentlichste Charakter desselben war eben seine bis zum Gräßlichen lächerliche Zwecklosigkeit. Selbst ein Mann von Caesars Genialität hatte es erfahren müssen, daß das demokratische Treiben vollständig abgenutzt war und sogar der Weg zum Thron nicht mehr durch die Demagogie ging. Es war nichts weiter als ein geschichtlicher Lückenbüßer, wenn jetzt, in dem Interregnum zwischen Republik und Monarchie, irgendein toller Geselle mit des Propheten Mantel und Stab, die Caesar selbst abgelegt hatte, sich noch einmal staffierte und noch einmal Gaius Gracchus‘ große Ideale parodisch verzerrt über die Szene gingen; die sogenannte Partei, von der diese demokratische Agitation ausging, war so wenig eine, daß ihr später in dem Entscheidungskampf nicht einmal eine Rolle zufiel. Selbst das läßt sich nicht behaupten, daß durch diesen anarchistischen Zustand das Verlangen nach einer starken, auf Militärmacht gegründeten Regierung in den Gemütern der politisch indifferent Gesinnten lebendig angefacht worden sei. Auch abgesehen davon, daß diese neutrale Bürgerschaft hauptsächlich außerhalb Roms zu suchen war und also von dem hauptstädtischen Krawallieren nicht unmittelbar berührt ward, so waren diejenigen Gemüter, die überhaupt durch solche Motive sich bestimmen ließen, schon durch frühere Erfahrungen, namentlich die Catilinarische Verschwörung, gründlich zum Autoritätsprinzip bekehrt worden; auf die eigentlichen Ängsterlinge aber wirkte die Furcht vor der von dem Verfassungsumsturz unzertrennlichen, ungeheuren Krise bei weitem nachdrücklicher als die Furcht vor der bloßen Fortdauer der im Grunde doch sehr oberflächlichen hauptstädtischen Anarchie. Das einzige Ergebnis derselben, das geschichtlich in Anschlag kommt, ist die peinliche Stellung, in die Pompeius durch die Angriffe der Clodianer geriet und durch die seine weiteren Schritte wesentlich mitbedingt wurden.

Wie wenig Pompeius auch die Initiative liebte und verstand, so ward er doch diesmal durch die Veränderung seiner Stellung sowohl Clodius als Caesar gegenüber gezwungen, aus seiner bisherigen Passivität herauszutreten. Die verdrießliche und schimpfliche Lage, in die ihn Clodius versetzt hatte, mußte auf die Länge selbst seine träge Natur zu Haß und Zorn entflammen. Aber weit wichtiger war die Verwandlung, die in seinem Verhältnis zu Caesar stattgefunden hatte. Wenn von den beiden verbündeten Machthabern Pompeius in der übernommenen Tätigkeit vollkommen bankrott geworden war, so hatte Caesar aus seiner Kompetenz etwas zu machen gewußt, was jede Berechnung wie jede Befürchtung weit hinter sich ließ. Ohne wegen der Erlaubnis viel anzufragen, hatte Caesar durch Aushebungen in seiner großenteils von römischen Bürgern bewohnten südlichen Provinz sein Heer verdoppelt, hatte mit diesem, statt von Norditalien aus über Rom Wache zu halten, die Alpen überschritten, eine neue kimbrische Invasion im Beginn erstickt und binnen zwei Jahren (696, 697 58, 57) die römischen Waffen bis an den Rhein und den Kanal getragen. Solchen Tatsachen gegenüber ging selbst der aristokratischen Taktik des Ignorierens und Verkleinerns der Atem aus. Der oft als Zärtling Verhöhnte war jetzt der Abgott der Armee, der gefeierte sieggekrönte Held, dessen junge Lorbeeren die welken des Pompeius überglänzten und dem sogar der Senat die nach glücklichen Feldzügen üblichen Ehrenbezeigungen schon 697 (57) in reicherem Maße zuerkannte, als sie je Pompeius zuteil geworden waren. Pompeius stand zu seinem ehemaligen Adjutanten, genau wie nach den Gabinisch-Manilischen Gesetzen dieser gegen ihn gestanden hatte. Jetzt war Caesar der Held des Tages und der Herr der mächtigsten römischen Armee, Pompeius ein ehemals berühmter Exgeneral. Zwar war es zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn noch zu keiner Kollision gekommen und das Verhältnis äußerlich ungetrübt; aber jedes politische Bündnis ist innerlich aufgelöst, wenn das Machtverhältnis der Beteiligten sich wesentlich verschiebt. Wenn der Zank mit Clodius nur ärgerlich war, so lag in der veränderten Stellung Caesars für Pompeius eine sehr ernste Gefahr: ebenwie einst Caesar und dessen Verbündete gegen ihn, so sah jetzt er sich genötigt, gegen Caesar einen militärischen Rückhalt zu suchen und, seine stolze Amtlosigkeit beiseitelegend, aufzutreten als Bewerber um irgendein außerordentliches Amt, das ihn in den Stand setzte, dem Statthalter der beiden Gallien mit gleicher und womöglich mit überlegener Macht zur Seite zu bleiben. Wie seine Lage, war auch seine Taktik genau die Caesars während des Mithradatischen Krieges. Um die Militärmacht des überlegenen, aber noch entfernten Gegners durch die Erlangung eines ähnlichen Kommandos aufzuwiegen, bedurfte Pompeius zunächst der offiziellen Regierungsmaschine. Anderthalb Jahre zuvor hatte diese unbedingt ihm zur Verfügung gestanden. Die Machthaber beherrschten den Senat damals sowohl durch die Komitien, die ihnen als den Herren der Straße unbedingt gehorchten, wie durch den von Caesar energisch terrorisierten Senat; als Vertreter der Koalition in Rom und als deren anerkanntes Haupt hätte Pompeius vom Senat wie von der Bürgerschaft ohne Zweifel jeden Beschluß erlangt, den er wünschte, selbst wenn er gegen Caesars Interesse war. Allein durch den ungeschickten Handel mit Clodius hatte Pompeius die Straßenherrschaft eingebüßt und konnte nicht daran denken, einen Antrag zu seinen Gunsten bei der Volksgemeinde durchzusetzen. Nicht ganz so ungünstig standen die Dinge für ihn im Senat; doch war es auch hier zweifelhaft, ob Pompeius nach dieser langen und verhängnisvollen Passivität die Zügel der Majorität noch fest genug in der Hand habe, um einen Beschluß, wie er ihn brauchte, zu bewirken.

Auch die Stellung des Senats, oder vielmehr der Nobilität überhaupt, war inzwischen eine andere geworden. Eben aus ihrer vollständigen Erniedrigung schöpfte sie frische Kräfte. Es war bei der Koalition von 694 (60) verschiedenes an den Tag gekommen, was für das Sonnenlicht noch keineswegs reif war. Die Entfernung Catos und Ciceros, welche die öffentliche Meinung, wie sehr auch die Machthaber dabei sich zurückhielten und sogar sich die Miene gaben, sie zu beklagen, mit ungeirrtem Takt auf ihre wahren Urheber zurückführte, und die Verschwägerung zwischen Caesar und Pompeius erinnerten mit unerfreulicher Deutlichkeit an monarchische Ausweisungsdekrete und Familienallianzen. Auch das größere Publikum, das den politischen Ereignissen ferner stand, ward aufmerksam auf die immer bestimmter hervortretenden Grundlagen der künftigen Monarchie. Von dem Augenblick an, wo dieses begriff, daß es Caesar nicht um eine Modifikation der republikanischen Verfassung zu tun sei, sondern daß es sich handle um Sein oder Nichtsein der Republik, werden unfehlbar eine Menge der besten Männer, die bisher sich zur Popularpartei gerechnet und in Caesar ihr Haupt verehrt hatten, auf die entgegengesetzte Seite übergetreten sein. Nicht mehr in den Salons und den Landhäusern des regierenden Adels allein wurden die Reden von den „drei Dynasten“, dem „dreiköpfigen Ungeheuer“ vernommen. Caesars konsularischen Reden horchte die Menge dichtgedrängt, ohne daß Zuruf oder Beifall aus ihr erscholl; keine Hand regte sich zum Klatschen, wenn der demokratische Konsul in das Theater trat. Wohl aber pfiff man, wo eines der Werkzeuge der Machthaber öffentlich sich sehen ließ, und selbst gesetzte Männer klatschten, wenn ein Schauspieler eine antimonarchische Sentenz oder eine Anspielung gegen Pompeius vorbrachte. Ja als Cicero ausgewiesen werden sollte, legten eine große Zahl – angeblich zwanzigtausend – Bürger, größtenteils aus den Mittelklassen, nach dem Beispiel des Senats das Trauergewand an. „Nichts ist jetzt populärer“, heißt es in einem Briefe aus dieser Zeit, „als der Haß der Popularpartei.“ Die Machthaber ließen Andeutungen fallen, daß durch solche Opposition leicht die Ritter ihre neuen Sonderplätze im Theater, der gemeine Mann sein Brotkorn einbüßen könne; man nahm darauf mit den Äußerungen des Unwillens sich vielleicht etwas mehr in acht, aber die Stimmung blieb die gleiche. Mit besserem Erfolg ward der Hebel der materiellen Interessen angesetzt. Caesars Gold floß in Strömen. Scheinreiche mit zerrütteten Finanzen, einflußreiche, in Geldverlegenheiten befangene Damen, verschuldete junge Adlige, bedrängte Kaufleute und Bankiers gingen entweder selbst nach Gallien, um an der Quelle zu schöpfen, oder wandten sich an Caesars hauptstädtische Agenten; und nicht leicht ward ein äußerlich anständiger Mann – mit ganz verlorenem Gesindel mied Caesar sich einzulassen – dort oder hier zurückgewiesen. Dazu kamen die ungeheuren Bauten, die Caesar für seine Rechnung in der Hauptstadt ausführen ließ und bei denen eine Unzahl von Menschen aller Stände vom Konsular bis zum Lastträger hinab Gelegenheit fand zu verdienen, sowie die unermeßlichen, für öffentliche Lustbarkeiten aufgewandten Summen. In beschränkterem Maße tat Pompeius das gleiche; ihm verdankte die Hauptstadt das erste steinerne Theater, und er feierte dessen Einweihung mit einer nie zuvor gesehenen Pracht. Daß solche Spenden eine Menge oppositionell Gesinnter, namentlich in der Hauptstadt, mit der neuen Ordnung der Dinge bis zu einem gewissen Grade aussöhnten, versteht sich ebenso von selbst, wie daß der Kern der Opposition diesem Korruptionssystem nicht erreichbar war. Immer deutlicher kam es zu Tage, wie tief die bestehende Verfassung im Volke Wurzel geschlagen hatte und wie wenig namentlich die dem unmittelbaren Parteitreiben ferner stehenden Kreise, vor allem die Landstädte, der Monarchie geneigt oder auch nur bereit waren, sie über sich ergehen zu lassen. Hätte Rom eine Repräsentativverfassung gehabt, so würde die Unzufriedenheit der Bürgerschaft ihren natürlichen Ausdruck in den Wahlen gefunden und, indem sie sich aussprach, sich gesteigert haben; unter den bestehenden Verhältnissen blieb den Verfassungstreuen nichts übrig als dem Senat, der, herabgekommen wie er war, doch immer noch als Vertreter und Verfechter der legitimen Republik erschien, sich unterzuordnen. So kam es, daß der Senat, jetzt da er gestürzt worden war, plötzlich eine weit ansehnlichere und weit ernstlicher getreue Armee zu seiner Verfügung fand, als da er in Macht und Glanz die Gracchen stürzte und, geschirmt durch Sullas Säbel, den Staat restaurierte. Die Aristokratie empfand es; sie fing wieder an sich zu regen. Eben jetzt hatte Marcus Cicero, nachdem er sich verpflichtet hatte, den Gehorsam im Senat sich anzuschließen und nicht bloß keine Opposition zu machen, sondern nach Kräften für die Machthaber zu wirken, von denselben die Erlaubnis zur Rückkehr erhalten. Obwohl Pompeius der Oligarchie hiermit nur beiläufig eine Konzession machte und vor allem dem Clodius einen Possen zu spielen, demnächst ein durch hinreichende Schläge geschmeidigtes Werkzeug in dem redefertigen Konsular zu erwerben bedacht war, so nahm man doch die Gelegenheit wahr, wie Ciceros Verbannung eine Demonstration gegen den Senat gewesen war, so seine Rückkehr zu republikanischen Demonstrationen zu benutzen. In möglichst feierlicher Weise, übrigens gegen die Clodianer durch die Bande des Titus Annius Milo geschützt, brachten beide Konsuln nach vorgängigem Senatsbeschluß einen Antrag an die Bürgerschaft, dem Konsular Cicero die Rückkehr zu gestatten, und der Senat rief sämtliche verfassungstreue Bürger auf, bei der Abstimmung nicht zu fehlen. Wirklich versammelte sich am Tage der Abstimmung (4. August 697 57) in Rom namentlich aus den Landstädten eine ungewöhnliche Anzahl achtbarer Männer. Die Reise des Konsulars von Brundisium nach der Hauptstadt gab Gelegenheit zu einer Reihe ähnlicher, nicht minder glänzender Manifestationen der öffentlichen Meinung. Das neue Bündnis zwischen dem Senat und der verfassungstreuen Bürgerschaft ward bei dieser Gelegenheit gleichsam öffentlich bekannt gemacht und eine Art Revue über die letztere gehalten, deren überraschend günstiges Ergebnis nicht wenig dazu beitrug, den gesunkenen Mut der Aristokratie wiederaufzurichten. Pompeius‘ Hilflosigkeit gegenüber diesen trotzigen Demonstrationen sowie die unwürdige und beinahe lächerliche Stellung, in die er Clodius gegenüber geraten war, brachten ihn und die Koalition um ihren Kredit; und die Fraktion des Senats, welche derselben anhing, durch Pompeius‘ seltene Ungeschicklichkeit demoralisiert und ratlos sich selber überlassen, konnte nicht verhindern, daß in dem Kollegium die republikanisch-aristokratische Partei wieder völlig die Oberhand gewann. Das Spiel dieser stand in der Tat damals – 697 (57) – für einen mutigen und geschickten Spieler noch keineswegs verzweifelt. Sie hatte jetzt, was sie seit einem Jahrhundert nicht gehabt, festen Rückhalt in dem Volke; vertraute sie diesem und sich selber, so konnte sie auf dem kürzesten und ehrenvollsten Wege zum Ziel gelangen. Warum nicht die Machthaber mit offenem Visier angreifen? Warum kassierte nicht ein entschlossener und namhafter Mann an der Spitze des Senats die außerordentlichen Gewalten als verfassungswidrig und rief die sämtlichen Republikaner Italiens gegen die Tyrannen und deren Anhang unter die Waffen? Möglich war es wohl, auf diesem Wege die Senatsherrschaft noch einmal zu restaurieren. Allerdings spielten die Republikaner damit hohes Spiel; aber vielleicht wäre auch hier, wie so oft, der mutigste Entschluß zugleich der klügste gewesen. Nur freilich war die schlaffe Aristokratie dieser Zeit eines solchen einfachen und mutigen Entschlusses kaum noch fähig. Aber es gab einen anderen, vielleicht sichereren, auf jeden Fall der Art und Natur dieser Verfassungsgetreuen angemesseneren Weg: sie konnten darauf hinarbeiten, die beiden Machthaber zu entzweien und durch diese Entzweiung schließlich selber ans Ruder zu gelangen. Das Verhältnis der den Staat beherrschenden Männer hatte sich verschoben und gelockert, seit Caesar übermächtig neben Pompeius sich gestellt und diesen genötigt hatte, um eine neue Machtstellung zu werben; es war wahrscheinlich, daß, wenn er dieselbe erlangte, es damit auf die eine oder die andere Weise zwischen ihnen zum Bruch und zum Kampfe kam. Blieb in diesem Pompeius allein, so war seine Niederlage kaum zweifelhaft, und die Verfassungspartei fand in diesem Fall nach beendigtem Kampfe nur statt unter der Zwei-, sich unter der Einherrschaft. Allein, wenn die Nobilität gegen Caesar dasselbe Mittel wandte, durch das dieser seine bisherigen Siege erfochten hatte, und mit dem schwächeren Nebenbuhler in Bündnis trat, so blieb mit einem Feldherrn wie Pompeius, mit einem Heere wie das der Verfassungstreuen war, der Sieg wahrscheinlich diesen; nach dem Siege aber mit Pompeius fertig zu werden, konnte, nach den Beweisen von politischer Unfähigkeit, die derselbe zeither gegeben, nicht als eine besonders schwierige Aufgabe erscheinen.

Die Dinge hatten sich dahin gewandt, eine Verständigung zwischen Pompeius und der republikanischen Partei beiden nahezulegen; ob es zu einer solchen Annäherung kommen und wie überhaupt das völlig unklar gewordene Verhältnis der beiden Machthaber und der Aristokratie gegeneinander zunächst sich stellen werde, mußte sich entscheiden, als im Herbst 697 (57) Pompeius mit dem Antrag an den Senat ging, ihn mit einer außerordentlichen Amtsgewalt zu betrauen. Er knüpfte wieder an an das, wodurch er elf Jahre zuvor seine Macht begründet hatte: an die Brotpreise in der Hauptstadt, die ebendamals wie vor dem Gabinischen Gesetz eine drückende Höhe erreicht hatten. Ob sie durch besondere Machinationen hinaufgetrieben worden waren, wie deren Clodius bald dem Pompeius, bald dem Cicero und diese wieder jenem Schuld gaben, läßt sich nicht entscheiden; die fortdauernde Piraterie, die Leere des öffentlichen Schatzes und die lässige und unordentliche Überwachung der Kornzufuhr durch die Regierung reichten übrigens auch ohne politischen Kornwucher an sich schon vollkommen aus, um in einer fast lediglich auf überseeische Zufuhr angewiesenen Großstadt Brotteuerungen herbeizuführen. Pompeius‘ Plan war, sich vom Senat die Oberaufsicht über das Getreidewesen im ganzen Umfang des Römischen Reiches und zu diesem Endzwecke teils das unbeschränkte Verfügungsrecht über die römische Staatskasse, teils Heer und Flotte übertragen zu lassen, sowie ein Kommando, welches nicht bloß über das ganze Römische Reich sich erstreckte, sondern dem auch in jeder Provinz das des Statthalters wich – kurz, er beabsichtigte, eine verbesserte Auflage des Gabinischen Gesetzes zu veranstalten, woran sich sodann die Führung des eben damals schwebenden Ägyptischen Krieges ebenso von selbst angeschlossen haben würde wie die des Mithradatischen an die Razzia gegen die Piraten. Wie sehr auch die Opposition gegen die neuen Dynasten in den letzten Jahren Boden gewonnen hatte, es stand dennoch, als diese Angelegenheit im September 697 (57) im Senat zur Verhandlung kam, die Majorität desselben noch unter dem Bann des von Caesar erregten Schreckens. Gehorsam nahm sie den Vorschlag im Prinzip an, und zwar auf Antrag des Marcus Cicero, der hier den ersten Beweis der in der Verbannung gelernten Fügsamkeit geben sollte und gab. Allein bei der Feststellung der Modalitäten wurden von dem ursprünglichen Plane, den der Volkstribun Gaius Messius vorlegte, doch sehr wesentliche Stücke abgedungen. Pompeius erhielt weder freie Verfügung über das Ärar, noch eigene Legionen und Schiffe, noch auch eine der der Statthalter übergeordnete Gewalt, sondern man begnügte sich, ihm zum Behuf der Ordnung des hauptstädtischen Verpflegungswesens ansehnliche Summen, fünfzehn Adjutanten und in allen Verpflegungsangelegenheiten volle prokonsularische Gewalt im ganzen römischen Gebiet auf die nächsten fünf Jahre zu bewilligen und dies Dekret von der Bürgerschaft bestätigen zu lassen. Es waren sehr mannigfaltige Ursachen, welche diese, fast einer Ablehnung gleichkommende Abänderung des ursprünglichen Planes herbeiführten: die Rücksicht auf Caesar, dem in Gallien selbst seinen Kollegen nicht bloß neben-, sondern überzuordnen eben die Furchtsamsten am meisten Bedenken tragen mußten; die versteckte Opposition von Pompeius‘ Erbfeind und widerwilligem Bundesgenossen Crassus, dem Pompeius selber zunächst das Scheitern seines Planes beimaß oder beizumessen vorgab; die Antipathien der republikanischen Opposition im Senat gegen jeden die Gewalt der Machthaber der Sache oder auch nur dem Namen nach erweiternden Beschluß; endlich und zunächst die eigene Unfähigkeit des Pompeius, der, selbst nachdem er hatte handeln müssen, es nicht über sich gewinnen konnte, zum Handeln sich zu bekennen, sondern wie immer seine wahre Absicht gleichsam im Inkognito durch seine Freunde vorführen ließ, selber aber in bekannter Bescheidenheit erklärte, auch mit Geringerem sich begnügen zu wollen. Kein Wunder, daß man ihn beim Worte nahm und ihm das Geringere gab. Pompeius war nichtsdestoweniger froh, wenigstens eine ernstliche Tätigkeit und vor allen Dingen einen schicklichen Vorwand gefunden zu haben, um die Hauptstadt zu verlassen; es gelang ihm auch, freilich nicht ohne daß die Provinzen den Rückschlag schwer empfanden, dieselbe mit reichlicher und billiger Zufuhr zu versehen. Aber seinen eigentlichen Zweck hatte er verfehlt; der Prokonsulartitel, den er berechtigt war in allen Provinzen zu führen, blieb ein leerer Name, solange er nicht über eigene Truppen verfügte. Darum ließ er bald darauf den zweiten Antrag an den Senat gelangen, daß derselbe ihm den Auftrag erteilen möge, den vertriebenen König von Ägypten, wenn nötig mit Waffengewalt, in seine Heimat zurückzuführen. Allein je mehr es offenbar ward, wie dringend er des Senats bedurfte, desto weniger nachgiebig und weniger rücksichtsvoll nahmen die Senatoren sein Anliegen auf. Zunächst ward in den Sibyllinischen Orakeln entdeckt, daß es gottlos sei, ein römisches Heer nach Ägypten zu senden; worauf der fromme Senat fast einstimmig beschloß, von der bewaffneten Intervention abzustehen. Pompeius war bereits so gedemütigt, daß er auch ohne Heer die Sendung angenommen haben würde; allein in seiner unverbesserlichen Hinterhältigkeit ließ er auch dies nur durch seine Freunde erklären und sprach und stimmte für die Absendung eines anderen Senators. Natürlich wies der Senat jenen Vorschlag zurück, der ein dem Vaterlande so kostbares Leben freventlich preisgab, und das schließliche Ergebnis der endlosen Verhandlungen war der Beschluß, überhaupt in Ägypten nicht zu intervenieren (Januar 698 56).

Diese wiederholten Zurückweisungen, die Pompeius im Senat erfuhr und, was schlimmer war, hingehen lassen mußte, ohne sie wettzumachen, galten natürlich, mochten sie kommen von welcher Seite sie wollten, dem großen Publikum als ebensoviele Siege der Republikaner und Niederlagen der Machthaber überhaupt; die Flut der republikanischen Opposition war demgemäß im stetigen Steigen. Schon die Wahlen für 698 (56) waren nur zum Teil im Sinne der Dynasten ausgefallen: Caesars Kandidaten für die Prätur, Publius Vatinius und Gaius Alfius, waren durchgegangen, dagegen zwei entschiedene Anhänger der gestürzten Regierung, Gnaeus Lentulus Marcellinus und Gnaeus Domitius Calvinus, jener zum Konsul, dieser zum Prätor gewählt worden. Für 699 (55) aber war als Bewerber um das Konsulat gar Lucius Domitius Ahenobarbus aufgetreten, dessen Wahl bei seinem Einfluß in der Hauptstadt und seinem kolossalen Vermögen schwer zu verhindern und von dem es hinreichend bekannt war, daß er sich nicht an verdeckter Opposition werde genügen lassen. Die Komitien also rebellierten; und der Senat stimmte ein. Es ward feierlich von ihm geratschlagt über ein Gutachten, das etruskische Wahrsager von anerkannter Weisheit über gewisse Zeichen und Wunder auf Verlangen des Senats abgegeben hatten. Die himmlische Offenbarung verkündete, daß durch den Zwist der höheren Stände die ganze Gewalt über Heer und Schatz auf einen Gebieter überzugehen und der Staat in Unfreiheit zu geraten drohe – es schien, daß die Götter zunächst auf den Antrag des Gaius Messius zielten. Bald stiegen die Republikaner vom Himmel auf die Erde herab. Das Gesetz über das Gebiet von Capua und die übrigen von Caesar als Konsul erlassenen Gesetze waren von ihnen stets als nichtig bezeichnet, und schon im Dezember 697 (57) im Senat geäußert worden, daß es erforderlich sei, sie wegen ihrer Formfehler zu kassieren. Am 6. April 698 (56) stellte der Konsular Cicero im vollen Senat den Antrag, die Beratung über die kampanische Ackerverteilung für den 15. Mai auf die Tagesordnung zu setzen. Es war die förmliche Kriegserklärung; und sie war um so bezeichnender, als sie aus dem Munde eines jener Männer kam, die nur dann ihre Farbe zeigen, wenn sie meinen, es mit Sicherheit tun zu können. Offenbar hielt die Aristokratie den Augenblick gekommen, um den Kampf nicht mit Pompeius gegen Caesar, sondern gegen die Tyrannis überhaupt zu beginnen. Was weiter folgen werde, war leicht zu sehen. Domitius hatte es kein Hehl, daß er als Konsul Caesars sofortige Abberufung aus Gallien bei der Bürgerschaft zu beantragen beabsichtige. Eine aristokratische Restauration war im Werke; und mit dem Angriff auf die Kolonie Capua warf die Nobilität den Machthabern den Handschuh hin.

Caesar, obwohl er über die hauptstädtischen Ereignisse von Tag zu Tag detaillierte Berichte empfing und, wenn die militärischen Rücksichten es irgend erlaubten, sie von seiner Südprovinz aus in möglichster Nähe verfolgte, hatte doch bisher sichtbar wenigstens nicht in dieselben eingegriffen. Aber jetzt hatte man ihm so gut wie seinen Kollegen, ja ihm vornehmlich, den Krieg erklärt, er mußte handeln und handelte rasch. Eben befand er sich in der Nähe; die Aristokratie hatte nicht einmal für gut befunden, mit dem Bruche zu warten, bis er wieder über die Alpen zurückgegangen sein würde. Anfang April 698 (56) verließ Crassus die Hauptstadt, um mit seinem mächtigeren Kollegen das Erforderliche zu verabreden; er fand Caesar in Ravenna. Von da aus begaben beide sich nach Luca und hier traf auch Pompeius mit ihnen zusammen, der bald nach Crassus (11. April), angeblich um die Getreidesendungen aus Sardinien und Afrika zu betreiben, sich von Rom entfernt hatte. Die namhaftesten Anhänger der Machthaber, wie der Prokonsul des diesseitigen Spaniens, Metellus Nepos, der Proprätor von Sardinien, Appius Claudius, und viele andere, folgten ihnen nach; hundertundzwanzig Liktoren, über zweihundert Senatoren zählte man auf dieser Konferenz, wo bereits, im Gegensatz zu dem republikanischen, der neue monarchische Senat repräsentiert war. In jeder Hinsicht stand das entscheidende Wort bei Caesar. Er benutzte es, um die bestehende Gesamtherrschaft auf einer neuen Basis gleichmäßigerer Machtverteilung wiederherzustellen und fester zu gründen. Die militärisch bedeutendsten Statthalterschaften, die es neben der der beiden Gallien gab, wurden den zwei Kollegen zugestanden: Pompeius die beider Spanien, Crassus die von Syrien, welche Ämter ihnen durch Volksschluß auf fünf Jahre (700-704 54-50) gesichert und militärisch wie finanziell angemessen ausgestattet werden sollten. Dagegen bedang Caesar sich die Verlängerung seines Kommandos, das mit dem Jahre 700 (54) zu Ende lief, bis zum Schluß des Jahres 705 (49) aus, sowie die Befugnis, seine Legionen auf zehn zu vermehren und die Übernahme des Soldes für die eigenmächtig von ihm ausgehobenen Truppen auf die Staatskasse. Pompeius und Crassus ward ferner für das nächste Jahr (699 55), bevor sie in ihre Statthalterschaften abgingen, das zweite Konsulat zugesagt, während Caesar es sich offen hielt, gleich nach Beendigung seiner Statthalterschaft im Jahre 706 (48), wo das gesetzlich zwischen zwei Konsulaten erforderliche zehnjährige Intervall für ihn verstrichen war, zum zweitenmal das höchste Amt zu verwalten. Den militärischen Rückhalt, dessen Pompeius und Crassus zur Regulierung der hauptstädtischen Verhältnisse um so mehr bedurften, als die ursprünglich hierzu bestimmten Legionen Caesars jetzt aus dem Transalpinischen Gallien nicht weggezogen werden konnten, fanden sie in den Legionen, die sie für die spanischen und syrischen Armeen neu ausheben und erst, wenn es ihnen selber angemessen schiene, von Italien aus an ihre verschiedenen Bestimmungsplätze abgehen lassen sollten. Die Hauptfragen waren damit erledigt; die untergeordneten Dinge, wie die Festsetzung der gegen die hauptstädtische Opposition zu befolgenden Taktik, die Regulierung der Kandidaturen für die nächsten Jahre und dergleichen mehr, hielten nicht lange auf. Die persönlichen Zwistigkeiten, die dem Verträgnis im Wege standen, schlichtete der große Meister der Vermittlung mit gewohnter Leichtigkeit und zwang die widerstrebenden Elemente, sich miteinander zu behaben. Zwischen Pompeius und Crassus ward äußerlich wenigstens ein kollegialisches Einvernehmen wiederhergestellt. Sogar Publius Clodius ward bestimmt, sich und seine Meute ruhig zu halten und Pompeius nicht ferner zu belästigen – keine der geringsten Wundertaten des mächtigen Zauberers.

Daß diese ganze Schlichtung der schwebenden Fragen nicht aus einem Kompromiß selbständiger und ebenbürtig rivalisierender Machthaber, sondern lediglich aus dem guten Willen Caesars hervorging, zeigen die Verhältnisse. Pompeius befand sich in Luca in der peinlichen Lage eines machtlosen Flüchtlings, welcher kommt, bei seinem Gegner Hilfe zu erbitten. Mochte Caesar ihn zurückweisen und die Koalition als gelöst erklären oder auch ihn aufnehmen und den Bund fortbestehen lassen, wie er eben war – Pompeius war sowieso politisch vernichtet. Wenn er in diesem Fall mit Caesar nicht brach, so war er der machtlose Schutzbefohlene seines Verbündeten. Wenn er dagegen mit Caesar brach und, was nicht gerade wahrscheinlich war, noch jetzt eine Koalition mit der Aristokratie zustande brachte, so war doch auch dieses notgedrungen und im letzten Augenblick abgeschlossene Bündnis der Gegner so wenig furchtbar, daß Caesar schwerlich, um dies abzuwenden, sich zu jenen Konzessionen verstanden hat. Eine ernstliche Rivalität des Crassus Caesar gegenüber war vollends unmöglich. Es ist schwer zu sage., welche Motive Caesar bestimmten, seine überlegene Stellung ohne Not aufzugeben und, was er seinem Nebenbuhler selbst bei dem Abschluß des Bundes 694 (60) versagt und dieser seitdem, in der offenbaren Absicht gegen Caesar gerüstet zu sein, auf verschiedenen Wegen ohne, ja gegen Caesars Willen vergeblich angestrebt hatte, das zweite Konsulat und die militärische Macht, jetzt freiwillig ihm einzuräumen. Allerdings ward nicht Pompeius allein an die Spitze eines Heeres gestellt, sondern auch sein alter Feind und Caesars langjähriger Verbündeter Crassus; und unzweifelhaft erhielt Crassus seine ansehnliche militärische Stellung nur als Gegengewicht gegen Pompeius‘ neue Macht. Allein nichtsdestoweniger verlor Caesar unendlich, indem sein Rival für seine bisherige Machtlosigkeit ein bedeutendes Kommando eintauschte. Es ist möglich, daß Caesar sich seiner Soldaten noch nicht hinreichend Herr fühlte, um sie mit Zuversicht in den Krieg gegen die formellen Autoritäten des Landes zu führen, und darum ihm daran gelegen war, nicht jetzt durch die Abberufung aus Gallien zum Bürgerkrieg gedrängt zu werden; allein ob es zum Bürgerkriege kam oder nicht, stand augenblicklich weit mehr bei der hauptstädtischen Aristokratie als bei Pompeius, und es wäre dies höchstens ein Grund für Caesar gewesen, nicht offen mit Pompeius zu brechen, um nicht durch diesen Bruch die Opposition zu ermutigen, nicht aber ihm das zuzugestehen, was er ihm zugestand. Rein persönliche Motive mochten mitwirken; es kann sein, daß Caesar sich erinnerte, einstmals in gleicher Machtlosigkeit Pompeius gegenübergestanden zu haben und nur durch dessen freilich mehr schwach- als großmütiges Zurücktreten vom Untergang gerettet worden zu sein; es ist wahrscheinlich, daß Caesar sich scheute, das Herz seiner geliebten und ihren Gemahl aufrichtig liebenden Tochter zu zerreißen – in seiner Seele war für vieles Raum noch neben dem Staatsmann. Allein die entscheidende Ursache war unzweifelhaft die Rücksicht auf Gallien. Caesar betrachtete – anders als seine Biographen – die Unterwerfung Galliens nicht als eine zur Gewinnung der Krone ihm nützliche beiläufige Unternehmung, sondern es hing ihm die äußerliche Sicherheit und die innere Reorganisation, mit einem Worte, die Zukunft des Vaterlandes daran. Um diese Eroberung ungestört vollenden zu können und nicht gleich jetzt die Entwirrung der italischen Verhältnisse in die Hand nehmen zu müssen, gab er unbedenklich seine Überlegenheit über seinen Rivalen daran und gewährte Pompeius hinreichende Macht, um mit dem Senat und dessen Anhang fertigzuwerden. Es war das ein arger politischer Fehler, wenn Caesar nichts wollte, als möglichst rasch König von Rom werden; allein der Ehrgeiz des seltenen Mannes beschränkte sich nicht auf das niedrige Ziel einer Krone. Er traute es sich zu, die beiden ungeheuren Arbeiten: die Ordnung der inneren Verhältnisse Italiens und die Gewinnung und Sicherung eines neuen und frischen Bodens für die italische Zivilisation, nebeneinander zu betreiben und zu vollenden. Natürlich kreuzten sich diese Aufgaben; seine gallischen Eroberungen haben ihn auf seinem Wege zum Thron viel mehr noch gehemmt als gefördert. Es trug ihm bittere Früchte, daß er die italische Revolution, statt sie im Jahre 698 (56) zu erledigen, auf das Jahr 706 (48) hinausschob. Allein als Staatsmann wie als Feldherr war Caesar ein überverwegener Spieler, der, sich selber vertrauend wie seine Gegner verachtend, ihnen immer viel und mitunter über alles Maß hinaus vorgab.

Es war nun also an der Aristokratie, ihren hohen Einsatz gutzumachen und den Krieg so kühn zu führen, wie sie kühn ihn erklärt hatte. Allein es gibt kein kläglicheres Schauspiel, als wenn feige Menschen das Unglück haben, einen mutigen Entschluß zu fassen. Man hatte sich eben auf gar nichts vorgesehen. Keinem schien es beigefallen zu sein, daß Caesar möglicherweise sich zur Wehr setzen, daß nun gar Pompeius und Crassus sich mit ihm aufs neue und enger als je vereinigen würden. Das scheint unglaublich; man begreift es, wenn man die Persönlichkeiten ins Auge faßt, die damals die verfassungstreue Opposition im Senate führten. Cato war noch abwesend57; der einflußreichste Mann im Senat war in dieser Zeit Marcus Bibulus, der Held des passiven Widerstandes, der eigensinnigste und stumpfsinnigste aller Konsulare. Man hatte die Waffen lediglich ergriffen, um sie zu strecken, sowie der Gegner nur an die Scheide schlug; die bloße Kunde von den Konferenzen in Luca genügte, um jeden Gedanken einer ernstlichen Opposition niederzuschlagen und die Masse der Ängstlichen, das heißt die ungeheure Majorität des Senats, wieder zu ihrer in unglücklicher Stunde verlassenen Untertanenpflicht zurückzubringen. Von der anberaumten Verhandlung zur Prüfung der Gültigkeit der Julischen Gesetze war nicht weiter die Rede; die von Caesar auf eigene Hand errichteten Legionen wurden durch Beschluß des Senats auf die Staatskasse übernommen; die Versuche, bei der Regulierung der nächsten Konsularprovinzen Caesar beide Gallien oder doch das eine derselben hinwegzudekretieren, wurden von der Majorität abgewiesen (Ende Mai 698 56). So tat die Körperschaft öffentlich Buße. Im geheimen kamen die einzelnen Herren, einer nach dem andern, tödlich erschrocken über ihre eigene Verwegenheit, um ihren Frieden zu machen und unbedingten Gehorsam zu geloben – keiner schneller als Marcus Cicero, der seine Wortbrüchigkeit zu spät bereute und hinsichtlich seiner jüngsten Vergangenheit sich mit Ehrentiteln belegte, die durchaus mehr treffend als schmeichelhaft waren58. Natürlich ließen die Machthaber sich beschwichtigen; man versagte keinem den Pardon, da keiner die Mühe lohnte, mit ihm eine Ausnahme zu machen. Um zu erkennen, wie plötzlich nach dem Bekanntwerden der Beschlüsse von Luca der Ton in den aristokratischen Kreisen umschlug, ist es der Mühe wert, die kurz zuvor von Cicero ausgegangenen Broschüren mit der Palinodie zu vergleichen, die er ausgehen ließ, um seine Reue und seine guten Vorsätze öffentlich zu konstatieren59.

Wie es ihnen gefiel und gründlicher als zuvor konnten also die Machthaber die italischen Verhältnisse ordnen. Italien und die Hauptstadt erhielten tatsächlich eine, wenn auch nicht unter den Waffen versammelte Besatzung und einen der Machthaber zum Kommandanten. Von den für Syrien und Spanien durch Crassus und Pompeius ausgehobenen Truppen gingen zwar die ersteren nach dem Osten ab; allein Pompeius ließ die beiden spanischen Provinzen durch seine Unterbefehlshaber mit der bisher dort stehenden Besatzung verwalten, während er die Offiziere und Soldaten der neu, dem Namen nach zum Abgang nach Spanien ausgehobenen Legionen auf Urlaub entließ und selbst mit ihnen in Italien blieb. Wohl steigerte sich der stille Widerstand der öffentlichen Meinung, je deutlicher und allgemeineres begriffen ward, daß die Machthaber daran arbeiteten, mit der alten Verfassung ein Ende zu machen und in möglichst schonender Weise die bestehenden Verhältnisse der Regierung und Verwaltung in die Formen der Monarchie zu fügen; allein man gehorchte, weil man mußte. Vor allen Dingen wurden alle wichtigeren Angelegenheiten und namentlich alle das Militärwesen und die äußeren Verhältnisse betreffenden, ohne den Senat deswegen zu fragen, bald durch Volksbeschluß, bald durch das bloße Gutfinden der Herrscher erledigt. Die in Luca vereinbarten Bestimmungen hinsichtlich des Militärkommandos von Gallien wurden durch Crassus und Pompeius, die Spanien und Syrien betreffenden durch den Volkstribun Gaius Trebonius unmittelbar an die Bürgerschaft gebracht, auch sonst wichtigere Statthalterschaften häufig durch Volksschluß besetzt. Daß für die Machthaber es der Einwilligung der Behörden nicht bedürfe, um ihre Truppen beliebig zu vermehren, hatte Caesar bereits hinreichend dargetan; ebensowenig trugen sie Bedenken, ihre Truppen sich untereinander zu borgen, wie zum Beispiel Caesar von Pompeius für den Gallischen, Crassus von Caesar für den Parthischen Krieg solche kollegialische Unterstützung empfing. Die Transpadaner, denen nach der bestehenden Verfassung nur das latinische Recht zustand, wurden von Caesar während seiner Verwaltung tatsächlich als römische Vollbürger behandelt60. Wenn sonst die Einrichtung neu erworbener Gebiete durch eine Senatskommission beschafft worden war, so organisierte Caesar seine ausgedehnten gallischen Eroberungen durchaus nach eigenem Ermessen und gründete zum Beispiel ohne jede weitere Vollmacht Bürgerkolonien, namentlich Novum Comum (Como) mit fünftausend Kolonisten. Piso führte den Thrakischen, Gabinius den Ägyptischen, Crassus den Parthischen Krieg, ohne den Senat zu fragen, ja ohne auch nur, wie es herkömmlich war, an den Senat zu berichten; in ähnlicher Weise wurden Triumphe und andere Ehrenbezeigungen bewilligt und vollzogen, ohne daß der Senat darum begrüßt ward. Offenbar liegt hierin nicht eine bloße Vernachlässigung der Formen, die um so weniger erklärlich wäre, als in den bei weitem meisten Fällen eine Opposition des Senats durchaus nicht zu erwarten war. Vielmehr war es die wohlberechnete Absicht, den Senat von dem militärischen und dem Gebiet der höheren Politik zu verdrängen und seine Teilnahme an der Verwaltung auf die finanziellen Fragen und die inneren Angelegenheiten zu beschränken; und auch die Gegner erkannten dies wohl und protestierten, soweit sie konnten, gegen dies Verfahren der Machthaber durch Senatsbeschlüsse und Kriminalklagen. Während die Machthaber also den Senat in der Hauptsache beiseite schoben, bedienten sie sich der minder gefährlichen Volksversammlungen auch ferner noch – es war dafür gesorgt, daß die Herren der Straße denen des Staats dabei keine Schwierigkeit mehr in den Weg legten; indes in vielen Fällen entledigte man sich auch dieses leeren Schemens und gebrauchte unverhohlen autokratische Formen.

Der gedemütigte Senat mußte wohl oder übel in seine Lage sich schicken. Der Führer der gehorsamen Majorität blieb Marcus Cicero. Er war brauchbar wegen seines Advokatentalents, für alles Gründe oder doch Worte zu finden, und es lag eine echt Caesarische Ironie darin, den Mann, mittels dessen vorzugsweise die Aristokratie ihre Demonstrationen gegen die Machthaber aufgeführt hatte, als Mundstück des Servilismus zu verwenden. Darum erteilte man ihm Verzeihung für sein kurzes Gelüsten, wider den Stachel zu löcken, jedoch nicht ohne sich vorher seiner Unterwürfigkeit in jeder Weise versichert zu haben. Gewissermaßen um als Geisel für ihn zu haften, hatte sein Bruder einen Offizierposten im gallischen Heere übernehmen müssen; ihn selbst hatte Pompeius genötigt, eine Unterbefehlshaberstelle unter ihm anzunehmen, welche eine Handhabe hergab, um ihn jeden Augenblick mit Manier zu verbannen. Clodius war zwar angewiesen worden, ihn bis weiter in Ruhe zu lassen, aber Caesar ließ ebensowenig um Ciceros willen den Clodius fallen wie den Cicero um des Clodius willen, und der große Vaterlandserretter wie der nicht minder große Freiheitsmann machten im Hauptquartier von Samarobriva sich eine Antichambrekonkurrenz, die gehörig zu illustrieren es leider an einem römischen Aristophanes gebrach. Aber nicht bloß ward dieselbe Rute über Ciceros Haupte schwebend erhalten, die ihn bereits einmal so schmerzlich getroffen hatte; auch goldene Fesseln wurden ihm angelegt. Bei seinen bedenklich verwickelten Finanzen waren ihm die zinsfreien Darlehen Caesars und die Mitaufseherschaft über die ungeheure Summen in Umlauf setzenden Bauten desselben in hohem Grade willkommen und manche unsterbliche Senatsrede erstickte in dem Gedanken an den Geschäftsträger Caesars, der nach dem Schluß der Sitzung ihm den Wechsel präsentieren möchte. Also gelobte er sich, „künftig nicht mehr nach Recht und Ehre zu fragen, sondern um die Gunst der Machthaber sich zu bemühen“ und „geschmeidig zu sein wie ein Ohrläppchen“. Man brauchte ihn denn, wozu er gut war: als Advokaten, wo es vielfach sein Los war, eben seine bittersten Feinde auf höheren Befehl verteidigen zu müssen, und vor allem im Senat, wo er fast regelmäßig den Dynasten als Organ diente und die Anträge stellte, „denen andere wohl zustimmten, er aber selbst nicht“; ja als anerkannter Führer der Majorität der Gehorsamen erlangte er sogar eine gewisse politische Bedeutung. In ähnlicher Weise wie mit Cicero verfuhr man mit den übrigen der Furcht, der Schmeichelei oder dem Golde zugänglichen Mitgliedern des regierenden Kollegiums, und es gelang, dasselbe im ganzen botmäßig zu erhalten.

Allerdings blieb eine Fraktion von Gegnern, die wenigstens Farbe hielten und weder zu schrecken noch zu gewinnen waren. Die Machthaber hatten sich überzeugt, daß Ausnahmemaßregeln, wie die gegen Cato und Cicero, der Sache mehr schadeten als nützten und daß es ein minderes Übel sei, die unbequeme republikanische Opposition zu ertragen, als aus den Opponenten Märtyrer der Republik zu machen. Darum ließ man es geschehen, daß Cato zurückkam (Ende 698 56) und von da an wieder im Senat und auf dem Markte, oft unter Lebensgefahr, den Machthabern eine Opposition machte, die wohl ehrenwert, aber leider doch auch zugleich lächerlich war. Man ließ es geschehen, daß er es bei Gelegenheit der Anträge des Trebonius auf dein Marktplatz wieder einmal bis zum Handgemenge trieb und daß er im Senat den Antrag stellte, den Prokonsul Caesar wegen seines treulosen Benehmens gegen die Usipeten und Tencterer diesen Barbaren auszuliefern. Man nahm es hin, daß Marcus Favonius, Catos Sancho, nachdem der Senat den Beschluß gefaßt hatte, die Legionen Caesars auf die Staatskasse zu übernehmen, zur Tür der Kurie sprang und die Gefahr des Vaterlandes auf die Gasse hinausrief; daß derselbe in seiner skurrilen Art die weiße Binde, die Pompeius um sein krankes Bein trug, ein deplaziertes Diadem hieß; daß der Konsular Lentulus Marcellinus, da man ihm Beifall klatschte, der Versammlung zurief, sich dieses Rechts, ihre Meinung zu äußern, jetzt ja fleißig zu bedienen, da es ihnen noch gestattet sei; daß der Volkstribun Gaius Ateius Capito den Crassus bei seinem Abzug nach Syrien in allen Formen damaliger Theologie öffentlich den bösen Geistern überantwortete. Im ganzen waren dies eitle Demonstrationen einer verbissenen Minorität: doch war die kleine Partei, von der sie ausgingen, insofern von Bedeutung, als sie teils der im stillen gärenden republikanischen Opposition Nahrung und Losung gab, teils ab und zu doch die Senatsmajorität, die ja im Grunde ganz dieselben Gesinnungen gegen die Machthaber hegte, zu einem gegen diese gerichteten Beschluß fortriß. Denn auch die Majorität fühlte das Bedürfnis, wenigstens zuweilen und in untergeordneten Dingen ihrem verhaltenen Groll Luft zu machen und namentlich, nach der Weise der widerwillig Servilen, ihren Groll gegen die großen Feinde wenigstens an den kleinen auszulassen. Wo es nur anging, ward den Werkzeugen der Machthaber ein leiser Fußtritt versetzt: so wurde Gabinius das erbetene Dankfest verweigert (698 56), so Piso aus der Provinz abberufen, so vom Senat Trauer angelegt, als der Volkstribun Gaius Cato die Wahlen für 699 (55) so lange hinderte, bis der der Verfassungspartei angehörige Konsul Marcellinus vom Amt abgetreten war. Sogar Cicero, wie demütig er immer vor den Machthabern sich neigte, ließ doch auch eine ebenso giftige wie geschmacklose Broschüre gegen Caesars Schwiegervater ausgehen. Aber sowohl diese oppositionellen Velleitäten der Senatsmajorität wie der resultatlose Widerstand der Minorität zeigen nur um so deutlicher, daß das Regiment, wie einst von der Bürgerschaft auf den Senat, so jetzt von diesem auf die Machthaber übergegangen und der Senat schon nicht viel mehr war als ein monarchischer, aber auch zur Absorbierung der antimonarchischen Elemente benutzter Staatsrat. „Kein Mensch“, klagten die Anhänger der gestürzten Regierung, „gilt das mindeste außer den dreien; die Herrscher sind allmächtig und sie sorgen dafür, daß keiner darüber im unklaren bleibe; der ganze Senat ist wie umgewandelt und gehorcht den Gebietern; unsere Generation wird einen Umschwung der Dinge nicht erleben.“ Man lebte eben nicht in der Republik, sondern in der Monarchie.

Aber wenn über die Lenkung des Staats von den Machthabern unumschränkt verfügt ward, so blieb noch ein von dem eigentlichen Regiment gewissermaßen abgesondertes politisches Gebiet, das leichter zu verteidigen und schwerer zu erobern war: das der ordentlichen Beamtenwahlen und das der Geschworenengerichte. Daß die letzteren nicht unmittelbar unter die Politik fallen, aber überall und vor allem in Rom von dem das Staatswesen beherrschenden Geiste mitbeherrscht werden, ist von selber klar. Die Wahlen der Beamten gehörten allerdings von Rechts wegen zu dem eigentlichen Regiment des Staates; allein da in dieser Zeit derselbe wesentlich durch außerordentliche Beamte oder auch ganz titellose Männer verwaltet ward und selbst die höchsten ordentlichen Beamten, wenn sie zu der antimonarchischen Partei gehörten, auf die Staatsmaschine in irgend fühlbarer Weise einzuwirken nicht vermochten, so sanken die ordentlichen Beamten mehr und mehr herab zu Figuranten, wie sich denn auch eben die oppositionellsten von ihnen geradezu und mit vollem Recht als machtlose Nullen bezeichneten, ihre Wahlen also zu Demonstrationen. So konnte, nachdem die Opposition von dem eigentlichen Schlachtfeld bereits gänzlich verdrängt war, dennoch die Fehde noch in den Wahlen und den Prozessen fortgeführt werden. Die Machthaber sparten keine Mühe, um auch hier Sieger zu bleiben. Hinsichtlich der Wahlen hatten sie bereits in Luca für die nächsten Jahre die Kandidatenlisten untereinander festgestellt und ließen kein Mittel unversucht, um die dort vereinbarten Kandidaten durchzubringen. Zunächst zum Zweck der Wahlagitation spendeten sie ihr Gold aus. Jährlich wurden aus Caesars und Pompeius‘ Heeren eine große Anzahl Soldaten auf Urlaub entlassen, um an den Abstimmungen in Rom teilzunehmen. Caesar pflegte selbst von Oberitalien aus in möglichster Nähe die Wahlbewegungen zu leiten und zu überwachen. Dennoch ward der Zweck nur sehr unvollkommen erreicht. Für 699 (55) wurden zwar, dem Vertrag von Luca entsprechend, Pompeius und Crassus zu Konsuln gewählt und der einzige ausharrende Kandidat der Opposition, Lucius Domitius, beseitigt; allein schon dies war nur durch offenbare Gewalt durchgesetzt worden, wobei Cato verwundet ward und andere höchst ärgerliche Auftritte vorfielen. In den nächsten Konsularwahlen für 700 (54) ward gar, allen Anstrengungen der Machthaber zum Trotz, Domitius wirklich gewählt, und auch Cato siegte jetzt ob in der Bewerbung um die Prätur, in der ihn das Jahr zuvor zum Ärgernis der ganzen Bürgerschaft Caesars Klient Vatinius aus dem Felde geschlagen hatte. Bei den Wahlen für 701 (53) gelang es der Opposition, unter andern Kandidaten auch die der Machthaber so unwidersprechlich der ärgerlichsten Wahlumtriebe zu überweisen, daß diese, auf die der Skandal zurückfiel, nicht anders konnten als sie fallen lassen. Diese wiederholten und argen Niederlagen der Dynasten auf dem Wahlschlachtfeld mögen zum Teil zurückzuführen sein auf die Unregierlichkeit der eingerosteten Maschinerie, die unberechenbaren Zufälligkeiten des Wahlgeschäfts, die Gesinnungsopposition der Mittelklassen, die mancherlei hier eingreifenden und die Parteistellung oft seltsam durchkreuzenden Privatrücksichten; die Hauptursache aber liegt anderswo. Die Wahlen waren in dieser Zeit wesentlich in der Gewalt der verschiedenen Klubs, in die die Aristokratie sich gruppierte; das Bestechungswesen war von denselben im umfassendsten Maßstab und mit größter Ordnung organisiert. Dieselbe Aristokratie also, die im Senat vertreten war, beherrschte auch die Wahlen; aber wenn sie im Senat grollend nachgab, wirkte und stimmte sie hier im geheimen und vor jeder Rechenschaft sicher den Machthabern unbedingt entgegen. Daß durch das strenge Strafgesetz gegen die klubbistischen Wahlumtriebe, das Crassus als Konsul 699 (55) durch die Bürgerschaft bestätigen ließ, der Einfluß der Nobilität auf diesem Felde keineswegs gebrochen ward, versteht sich von selbst und zeigen die Wahlen der nächsten Jahre.

Ebensogroße Schwierigkeiten machten den Machthabern die Geschworenengerichte. Bei ihrer dermaligen Zusammensetzung entschied in denselben, neben dem auch hier einflußreichen Senatsadel, vorwiegend die Mittelklasse. Die Festsetzung eines hochgegriffenen Geschworenenzensus durch ein von Pompeius 699 (55) beantragtes Gesetz ist ein bemerkenswerter Beweis dafür, daß die Opposition gegen die Machthaber ihren Hauptsitz in dem eigentlichen Mittelstand hatte und die hohe Finanz hier wie überall sich gefügiger erwies als dieser. Nichtsdestoweniger war der republikanischen Partei hier noch nicht aller Boden entzogen und sie ward nicht müde, mit politischen Kriminalanklagen, zwar nicht die Machthaber selbst, aber wohl deren hervorragende Werkzeuge zu verfolgen. Dieser Prozeßkrieg ward um so lebhafter geführt, als dem Herkommen gemäß das Anklagegeschäft der senatorischen Jugend zukam und begreiflicherweise unter diesen Jünglingen mehr als unter den älteren Standesgenossen noch republikanische Leidenschaft, frisches Talent und kecke Angriffslust zu finden war. Allerdings waren die Gerichte nicht frei; wenn die Machthaber Ernst machten, wagten sie so wenig wie der Senat den Gehorsam zu verweigern. Keiner von den Gegnern wurde von der Opposition mit so grimmigem, fast sprichwörtlich gewordenem Hasse verfolgt wie Vatinius, bei weitem der verwegenste und unbedenklichste unter den engeren Anhängern Caesars; aber sein Herr befahl, und er ward in allen gegen ihn erhobenen Prozessen freigesprochen. Indes Anklagen von Männern, die so wie Gaius Licinius Calvus und Gaius Asinius Pollio das Schwert der Dialektik und die Geißel des Spottes zu schwingen verstanden, verfehlten ihr Ziel selbst dann nicht, wenn sie scheiterten; und auch einzelne Erfolge blieben nicht aus. Meistens freilich wurden sie über untergeordnete Individuen davongetragen, allein auch einer der höchstgestellten und verhaßtesten Anhänger der Dynasten, der Konsulat Gabinius, ward auf diesem Wege gestürzt. Allerdings vereinigte mit dem unversöhnlichen Haß der Aristokratie, die ihm das Gesetz über die Führung des Seeräuberkrieges so wenig vergab wie die wegwerfende Behandlung des Senats während seiner syrischen Statthalterschaft, sich gegen Gabinius die Wut der hohen Finanz, der gegenüber er als Statthalter Syriens es gewagt hatte, die Interessen der Provinzialen zu vertreten, und selbst der Groll des Crassus, dem er bei Übergabe der Provinz Weitläufigkeiten gemacht hatte. Sein einziger Schutz gegen alle diese Feinde war Pompeius, und dieser hatte alle Ursache, seinen fähigsten, kecksten und treuesten Adjutanten um jeden Preis zu verteidigen; aber hier wie überall verstand er es nicht, seine Macht zu gebrauchen und seine Klienten so zu vertreten, wie Caesar die seinigen vertrat: Ende 700 (54) fanden die Geschworenen den Gabinius der Erpressungen schuldig und schickten ihn in die Verbannung.

Im ganzen waren also auf dem Gebiete der Volkswahlen und der Geschworenengerichte es die Machthaber, welche den kürzeren zogen. Die Faktoren, die darin herrschten, waren minder greifbar und darum schwerer zu terrorisieren oder zu korrumpieren als die unmittelbaren Organe der Regierung und Verwaltung. Die Gewalthaber stießen hier, namentlich in den Volkswahlen, auf die zähe Kraft der geschlossenen und in Koterien gruppierten Oligarchie, mit der man noch durchaus nicht fertig ist, wenn man ihr Regiment gestürzt hat, und die um so schwerer zu brechen ist, je verdeckter sie auftritt. Sie stießen hier ferner, namentlich in den Geschworenengerichten, auf den Widerwillen der Mittelklassen gegen das neue, monarchische Regiment, den mit allen daraus entspringenden Verlegenheiten sie ebensowenig zu beseitigen vermochten. Sie erlitten auf beiden Gebieten eine Reihe von Niederlagen, von denen die Wahlsiege der Opposition zwar nur den Wert von Demonstrationen hatten, da die Machthaber die Mittel besaßen und gebrauchten, um jeden mißliebigen Beamten tatsächlich zu annullieren, die oppositionellen Kriminalverurteilungen aber in empfindlicher Weise sie brauchbarer Gehilfen beraubten. Wie die Dinge standen, vermochten die Machthaber die Volkswahlen und die Geschworenengerichte weder zu beseitigen noch ausreichend zu beherrschen, und die Opposition, wie sehr sie auch hier sich eingeengt fand, behauptete bis zu einem gewissen Grade doch den Kampfplatz.

Noch schwieriger aber erwies es sich, der Opposition auf einem Felde zu begegnen, dem sie immer eifriger sich zuwandte, je mehr sie aus der unmittelbaren politischen Tätigkeit herausgedrängt ward. Es war dies die Literatur. Schon die gerichtliche Opposition war zugleich, ja, vor allem eine literarische, da die Reden regelmäßig veröffentlicht wurden und als politische Flugschriften dienten. Rascher und schärfer noch trafen die Pfeile der Poesie. Die lebhafte hocharistokratische Jugend, noch energischer vielleicht der gebildete Mittelstand in den italischen Landstädten, führten den Pamphleten- und Epigrammenkrieg mit Eifer und Erfolg. Nebeneinander fochten auf diesem Felde der vornehme Senatorensohn Gaius Licinius Calvus (672-706 82-48), der als Redner und Pamphletist ebenso wie als gewandter Dichter gefürchtet war, und die Munizipalen von Cremona und Verona, Marcus Furius Bibaculus (652-691 102-63) und Quintus Valerius Catullus (667 bis ca. 700 87-54), deren elegante und beißende Epigramme pfeilschnell durch Italien flogen und sicher ihr Ziel trafen. Durchaus herrscht in der Literatur dieser Jahre der oppositionelle Ton. Sie ist voll von grimmigem Hohn gegen den „großen Caesar“, „den einzigen Feldherrn“, gegen den liebevollen Schwiegervater und Schwiegersohn, welche den ganzen Erdkreis zugrunde richten, um ihren verlotterten Günstlingen Gelegenheit zu geben, die Spolien der langhaarigen Kelten durch die Straßen Roms zu paradieren, mit der Beute der fernsten Insel des Westens königliche Schmäuse auszurichten und als goldregnende Konkurrenten die ehrlichen Jungen daheim bei ihren Mädchen auszustechen. Es ist in den Catullischen Gedichten61 und den sonstigen Trümmern der Literatur dieser Zeit etwas von jener Genialität des persönlich-politischen Hasses, von jener in rasender Lust oder ernster Verzweiflung überschäumenden republikanischen Agonie, wie sie in mächtigerer Weise hervortreten in Aristophanes und Demosthenes. Wenigstens der einsichtigste der drei Herrscher erkannte es wohl, daß es ebenso unmöglich war, diese Opposition zu verachten wie durch Machtbefehl sie zu unterdrücken. Soweit er konnte, versuchte Caesar vielmehr die namhaftesten Schriftsteller persönlich zu gewinnen. Schon Cicero hatte die rücksichtsvolle Behandlung, die er vorzugsweise von Caesar erfuhr, zum guten Teil seinem literarischen Ruf zu danken; aber der Statthalter Galliens verschmähte es nicht, selbst mit jenem Catullus durch Vermittlung seines in Verona ihm persönlich bekannt gewordenen Vaters einen Spezialfrieden zu schließen; der junge Dichter, der den mächtigen General eben mit den bittersten und persönlichsten Sarkasmen überschüttet hatte, ward von demselben mit der schmeichelhaftesten Auszeichnung behandelt. Ja Caesar war genialisch genug, um seinen literarischen Gegnern auf ihr eigenes Gebiet zu folgen und als indirekte Abwehr vielfältiger Angriffe einen ausführlichen Gesamtbericht über die gallischen Kriege zu veröffentlichen, welcher die Notwendigkeit und Verfassungsmäßigkeit seiner Kriegführung mit glücklich angenommener Naivität vor dem Publikum entwickelte. Allein poetisch und schöpferisch ist nun einmal unbedingt und ausschließlich die Freiheit; sie, und sie allein, vermag es, noch in der elendesten Karikatur, noch mit ihrem letzten Atemzug frische Naturen zu begeistern. Alle tüchtigen Elemente der Literatur waren und blieben antimonarchisch, und wenn Caesar selbst sich auf dieses Gebiet wagen durfte ohne zu scheitern, so war der Grund doch nur, daß er selbst sogar jetzt noch den großartigen Traum eines freien Gemeinwesens im Sinne trug, den er freilich weder auf seine Gegner noch auf seine Anhänger zu übertragen vermochte. Die praktische Politik ward nicht unbedingter von den Machthabern beherrscht als die Literatur von den Republikanern62

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Es ward nötig, gegen diese zwar machtlose, aber immer lästiger und dreister werdende Opposition mit Ernst einzuschreiten. Den Ausschlag gab, wie es scheint, die Verurteilung des Gabinius (Ende 700 54). Die Herrscher kamen überein, eine wenn auch nur zeitweilige Diktatur eintreten zu lassen und mittels dieser neue Zwangsmaßregeln namentlich hinsichtlich der Wahlen und der Geschworenengerichte durchzusetzen. Als derjenige, dem zunächst die Regierung Roms und Italiens oblag, übernahm die Ausführung dieses Beschlusses Pompeius; sie trug denn auch den Stempel der ihm eigenen Schwerfälligkeit im Entschließen und im Handeln und seiner wunderlichen Unfähigkeit, selbst da, wo er befehlen wollte und konnte, mit der Sprache herauszugehen. Bereits Ausgang 700 (54) ward in Andeutungen und nicht durch Pompeius selbst die Forderung der Diktatur im Senat vorgebracht. Als ostensibler Grund diente die fortwährende Klub- und Bandenwirtschaft in der Hauptstadt, die durch Bestechungen und Gewalttätigkeiten allerdings auf die Wahlen wie auf die Geschworenengerichte den verderblichsten Druck ausübte und den Krawall daselbst in Permanenz hielt; man muß es zugeben, daß sie es den Machthabern leichtmachte, ihre Ausnahmemaßregeln zu rechtfertigen. Allein begreiflicherweise scheute sogar die servile Majorität davor zurück, das zu bewilligen, was der künftige Diktator selbst sich zu scheuen schien offen zu begehren. Als dann die beispiellose Agitation für die Wahlen zum Konsulat für 701 (53) die ärgerlichsten Auftritte herbeiführte, die Wahlen ein volles Jahr über die festgesetzte Zeit sich verschleppten und erst nach siebenmonatlichem Interregnum im Juli 701 (53) stattfanden, fand Pompeius darin den erwünschten Anlaß als das einzige Mittel, den Knoten wo nicht zu lösen, doch zu zerhauen, dem Senat jetzt bestimmt die Diktatur zu bezeichnen; allein das entscheidende Befehlswort ward immer noch nicht gesprochen. Vielleicht wäre es noch lange ungesprochen geblieben, wenn nicht bei den Konsularwahlen für 702 (52) gegen die Kandidaten der Machthaber Quintus Metellus Scipio und Publius Plautius Hypsaeus, beide dem Pompeius persönlich nahestehende und durchaus ergebene Männer, der verwegenste Parteigänger der republikanischen Opposition, Titus Annius Milo, als Gegenkandidat in die Schranken getreten wäre. Milo, ausgestattet mit physischem Mut, mit einem gewissen Talent zur Intrige und zum Schuldenmachen und vor allem mit reichlich angeborener und sorgfältig ausgebildeter Dreistigkeit, hatte unter den politischen Industrierittern jener Tage sich einen Namen gemacht und war in seinem Handwerk nächst Clodius der renommierteste Mann, natürlich also auch mit diesem in tödlichster Konkurrenzfeindschaft. Da dieser Achill der Straße von den Machthabern acquiriert worden war und mit ihrer Zulassung wieder den Ultrademokraten spielte, so ward der Hektor der Straße selbstverständlich Aristokrat, und die republikanische Opposition, die jetzt mit Catilina selbst Bündnis geschlossen haben würde, wenn er sich ihr angetragen hätte, erkannte Milo bereitwillig an als ihren rechtmäßigen Vorfechter in allen Krawallen. In der Tat waren die wenigen Erfolge, die sie auf diesem Schlachtfelde davon trug, das Werk Milos und seiner wohlgeschulten Fechterbande. So unterstützten denn hinwiederum Cato und die Seinigen Milos Bewerbung um das Konsulat; selbst Cicero konnte nicht umhin, seines Feindes Feind, seinen langjährigen Beschützer, zu empfehlen; und da Milo selbst weder Geld noch Gewalt sparte, um seine Wahl durchzusetzen, so schien dieselbe gesichert. Für die Machthaber wäre sie nicht bloß eine neue empfindliche Niederlage gewesen, sondern auch eine wirkliche Gefahr; denn es war vorauszusehen, daß der verwegene Parteigänger sich nicht so leicht wie Domitius und andere Männer der anständigen Opposition als Konsul werde annullieren lassen. Da begab es sich, daß zufällig unweit der Hauptstadt, auf der Appischen Straße, Achill und Hektor aufeinandertrafen und zwischen den beiderseitigen Banden eine Rauferei entstand, in welcher Clodius selbst einen Säbelhieb in die Schulter erhielt und genötigt ward, in ein benachbartes Haus sich zu flüchten. Es war dies ohne Auftrag Milos geschehen; da die Sache aber so weit gekommen war und der Sturm nun doch einmal bestanden werden mußte, so schien das ganze Verbrechen Milo wünschenswerter und selbst minder gefährlich als das halbe: er befahl seinen Leuten, den Clodius aus seinem Versteck hervorzuziehen und ihn niederzumachen (13. Januar 702 52). Die Straßenführer von der Partei der Machthaber, die Volkstribune Titus Munatius Plancus, Quintus Pompeius Rufus und Gaius Sallustius Crispus, sahen in diesem Vorfall einen passenden Anlaß, um im Interesse ihrer Herren Milos Kandidatur zu vereiteln und Pompeius‘ Diktatur durchzusetzen. Die Hefe des Pöbels, namentlich die Freigelassenen und Sklaven, hatten mit Clodius ihren Patron und künftigen Befreier eingebüßt: die erforderliche Aufregung war also leicht bewirkt. Nachdem der blutige Leichnam auf der Rednerbühne des Marktes in Parade ausgestellt und die dazu gehörigen Reden gehalten worden waren, ging der Krawall los. Zum Scheiterhaufen für den großen Befreier ward der Sitz der perfiden Aristokratie bestimmt: die Rotte trug den Körper in das Rathaus und zündete das Gebäude an. Hierauf zog der Schwarm vor Milos Haus und hielt dasselbe belagert, bis dessen Bande die Angreifer mit Pfeilschüssen vertrieb. Weiter ging es vor das Haus des Pompeius und seiner Konsularkandidaten, von denen jener als Diktator, diese als Konsuln begrüßt wurden, und von da vor das des Zwischenkönigs Marcus Lepidus, dem die Leitung der Konsulwahlen oblag. Da dieser pflichtmäßig sich weigerte, dieselben, wie die brüllenden Haufen es forderten, sofort zu veranstalten, so ward auch er fünf Tage lang in seiner Wohnung belagert gehalten.

Aber die Unternehmer dieser skandalösen Auftritte hatten ihre Rolle überspielt. Allerdings war auch ihr Herr und Meister entschlossen, diesen günstigen Zwischenfall zu benutzen, um nicht bloß Milo zu beseitigen, sondern auch die Diktatur zu ergreifen; allein er wollte sie nicht von einem Haufen Knüttelmänner empfangen, sondern vom Senat. Pompeius zog Truppen heran, um die in der Hauptstadt herrschende und in der Tat aller Welt unerträglich gewordene Anarchie niederzuschlagen; zugleich befahl er jetzt, was er bisher erbeten, und der Senat gab nach. Es war nur ein nichtiger Winkelzug, daß auf Vorschlag von Cato und Bibulus der Prokonsul Pompeius unter Belassung seiner bisherigen Ämter statt zum Diktator zum „Konsul ohne Kollegen“ ernannt ward (25. des Schaltmonats67 702 52) – ein Winkelzug, welcher eine mit zwiefachem inneren Widerspruch behaftete68 Benennung zuließ, um nur die einfach sachbezeichnende zu vermeiden, und der lebhaft erinnert an den weisen Beschluß des verschollenen Junkertums, den Plebejern nicht das Konsulat, sondern nur die konsularische Gewalt einzuräumen.

Also im legalen Besitz der Vollmacht, ging Pompeius an das Werk und schritt nachdrücklich vor gegen die in den Klubs und den Geschworenengerichten mächtige republikanische Partei. Die bestehenden Wahlvorschriften wurden durch ein besonderes Gesetz wiederholt eingeschärft und durch ein anderes gegen die Wahlumtriebe, das für alle seit 684 (70) begangenen Vergehen dieser Art rückwirkende Kraft erhielt, die bisher darauf gesetzten Strafen gesteigert. Wichtiger noch war die Verfügung, daß die Statthalterschaften, also die bei weitem bedeutendere und besonders die weit einträglichere Hälfte der Amtstätigkeit, an die Konsuln und Prätoren nicht sofort bei dem Rücktritt vom Konsulat oder der Prätur, sondern erst nach Ablauf von weiteren fünf Jahren vergeben werden sollten, welche Ordnung selbstverständlich erst nach vier Jahren ins Leben treten konnte und daher für die nächste Zeit die Besetzung der Statthalterschaften wesentlich von den zur Regulierung dieses Interim zu erlassenden Senatsbeschlüssen, also tatsächlich von der augenblicklich den Senat beherrschenden Person oder Fraktion abhängig machte. Die Geschworenenkommissionen blieben zwar bestehen, aber dem Rekusationsrecht wurden Grenzen gesetzt und, was vielleicht noch wichtiger war, die Redefreiheit in den Gerichten aufgehoben, indem sowohl die Zahl der Advokaten als die jedem zugemessene Sprechzeit durch Maximalsätze beschränkt und die eingerissene Unsitte: neben den Tat- auch noch Charakterzeugen oder sogenannte „Lobredner“ zugunsten des Angeklagten beizubringen, untersagt ward. Der gehorsame Senat dekretierte ferner auf Pompeius‘ Wink, daß durch den Raufhandel auf der Appischen Straße das Vaterland in Gefahr geraten sei; demnach wurde für alle mit demselben zusammenhängenden Verbrechen durch ein Ausnahmegesetz eine Spezialkommission bestellt und deren Mitglieder geradezu von Pompeius ernannt. Es ward auch ein Versuch gemacht, dem zensorischen Amt wieder eine ernstliche Bedeutung zu verschaffen und durch dasselbe die tief zerrüttete Bürgerschaft von dem schlimmsten Gesindel zu säubern.

Alle diese Maßregeln erfolgten unter dem Drucke des Säbels. Infolge der Erklärung des Senats, daß das Vaterland gefährdet sei, rief Pompeius in ganz Italien die dienstpflichtige Mannschaft unter die Waffen und nahm sie für alle Fälle in Eid und Pflicht; vorläufig ward eine ausreichende und zuverlässige Truppe auf das Kapitol gelegt; bei jeder oppositionellen Regung drohte Pompeius mit bewaffnetem Einschreiten und stellte während der Prozeßverhandlungen über die Ermordung des Clodius allem Herkommen zuwider auf der Gerichtsstätte selbst Wache auf.

Der Plan zur Wiederbelebung der Zensur scheiterte daran, daß unter der servilen Senatsmajorität niemand sittlichen Mut und Autorität genug besaß, um sich um ein solches Amt auch nur zu bewerben. Dagegen ward Milo von den Geschworenen verurteilt (8. April 702 52), Catos Bewerbung um das Konsulat für 703 (51) vereitelt. Die Reden- und Pamphletenopposition erhielt durch die neue Prozeßordnung einen Schlag, von dem sie sich nicht wieder erholt hat; die gefürchtete gerichtliche Beredsamkeit ward damit von dem politischen Gebiet verdrängt und trug fortan die Zügel der Monarchie. Verschwunden war die Opposition natürlich weder aus den Gemütern der großen Majorität der Nation noch auch nur völlig aus dem öffentlichen Leben – dazu hätte man die Volkswahlen, die Geschworenengerichte und die Literatur nicht bloß beschränken, sondern vernichten müssen. Ja eben bei diesen Vorgängen selbst tat Pompeius durch seine Ungeschicklichkeit und Verkehrtheit wieder dazu, daß den Republikanern selbst unter seiner Diktatur einzelne, für ihn empfindliche Triumphe zuteil wurden. Die Tendenzmaßregeln, die die Herrscher zur Befestigung ihrer Macht ergriffen, wurden natürlicherweise offiziell als im Interesse der öffentlichen Ruhe und Ordnung getroffene Verfügungen charakterisiert und jeder Bürger, der die Anarchie nicht wollte, als mit denselben wesentlich einverstanden bezeichnet. Mit dieser durchsichtigen Fiktion trieb es Pompeius aber so weit, daß er in die Spezialkommission zur Untersuchung des letzten Auflaufs statt sicherer Werkzeuge die achtbarsten Männer aller Parteien, sogar Cato einwählte und seinen Einfluß auf das Gericht wesentlich dazu anwandte, um die Ordnung zu handhaben und das in den Gerichten dieser Zeit hergebrachte Spektakeln seinen Anhängern so gut wie den Gegnern unmöglich zu machen. Diese Neutralität des Regenten sah man den Urteilen des Spezialhofes an. Die Geschworenen wagten zwar nicht, Milo selbst freizusprechen; aber die meisten untergeordneten Angeklagten von der Partei der republikanischen Opposition gingen frei aus, während die Verurteilung unnachsichtlich diejenigen traf, die in dem letzten Krawall für Clodius, das heißt für die Machthaber Partei genommen hatten, unter ihnen nicht wenige von Caesars und selbst von Pompeius‘ vertrautesten Freunden, sogar seinen Kandidaten zum Konsulat, Hypsaeus, und die Volkstribune Plancus und Rufus, die in seinem Interesse die Erneute dirigiert hatten. Wenn Pompeius deren Verurteilung nicht hinderte, um unparteiisch zu erscheinen, so war dies eine Albernheit, und eine zweite, daß er denn doch wieder in ganz gleichgültigen Dingen zu Gunsten seiner Freunde seine eigenen Gesetze verletzte, zum Beispiel im Prozeß des Plancus als Charakterzeuge auftrat, und einzelne ihm besonders nahestehende Angeklagte, wie den Metellus Scipio, in der Tat vor der Verurteilung schützte. Wie gewöhnlich wollte er auch hier entgegengesetzte Dinge: indem er versuchte, zugleich den Pflichten des unparteiischen Regenten und des Parteihauptes Genüge zu tun, erfüllte er weder diese noch jene und erschien der öffentlichen Meinung mit Recht als ein despotischer Regent, seinen Anhängern mit gleichem Recht als ein Führer, der die Seinigen entweder nicht schützen konnte oder nicht schützen wollte.

Indes wenn auch die Republikaner noch sich regten und sogar, hauptsächlich durch Pompeius‘ Fehlgriffe, hie und da ein einzelner Erfolg sie anfrischte, so war doch der Zweck, den die Machthaber bei jener Diktatur sich gesteckt hatten, im ganzen erreicht, der Zügel straffer angezogen, die republikanische Partei gedemütigt und die neue Monarchie befestigt. Das Publikum fing an sich in diese zu finden. Als Pompeius nicht lange nachher von einer ernsthaften Krankheit genas, ward seine Wiederherstellung durch ganz Italien mit den obligaten Freudenbezeigungen gefeiert, die bei solchen Gelegenheiten in Monarchien üblich sind. Die Machthaber zeigten sich befriedigt: schon am 1. August 702 (52) legte Pompeius die Diktatur nieder und teilte das Konsulat mit seinem Klienten Metellus Scipio.

  1. Das heißt cantorum convicio contiones celebrare (Cic. Sest. 55, 118).
  2. Cato war noch nicht in Rom, als Cicero am 11. März 698 (56) für Sestius sprach (Sest. 28, 60) und als im Senat infolge der Beschlüsse von Luca über Caesars Legionen verhandelt ward (Plut. Caes. 21); erst bei den Verhandlungen im Anfang 699 (55) finden wir ihn wieder tätig; und da er im Winter reiste (Plus. Cato min 38), kehrte er also Ende 698 (56) nach Rom zurück. Er kann daher auch nicht, wie man mißverständlich aus Asconius (p. 35, 53) gefolgert hat, im Februar 698 (56) verteidigt haben.
  3. Me asinum germanum fuisse (Art. 4, 5, 3).
  4. Diese Palinodie ist die noch vorhandene Rede über die den Konsuln des Jahres 699 (55) anzuweisenden Provinzen. Sie ist Ausgang Mai 698 (56) gehalten; die Gegenstücke dazu sind die Reden für Sestius und gegen Vatinius und die über das Gutachten der etruskischen Wahrsager aus den Monaten März und April, in denen das aristokratische Regime nach Kräften verherrlicht und namentlich in sehr kavalierem Ton behandelt wird. Man kann es nur billigen, daß Cicero, wie er selbst gesteht (Att. 4, 5, 1), sogar vertrauten Freunden jenes Dokument seines wiedergekehrten Gehorsams zu übersenden sich schämte.
  5. Überliefert ist dies nicht. Allein daß Caesar auf den latinischen Gemeinden, das heißt aus dem bei weitem größeren Teil seiner Provinz überhaupt keine Soldaten ausgehoben hat, ist an sich schon völlig unglaublich und wird geradezu widerlegt dadurch, daß die Gegenpartei die von Caesar ausgehobene Mannschaft geringschätzig bezeichnet als „größtenteils aus den transpadanischen Kolonie* gebürtig“ (Caes. civ. 3, 87); denn hier sind offenbar die launischen Kolonien Strabos (Ascon. Pis. p. 3; Suet. Caes. 8) gemeint. Von launischen Kohorten aber findet sich in Caesars gallischer Armee keine Spur; vielmehr sind nach seinen ausdrücklichen Angaben alle von ihm im Cisalpinischen Gallien ausgehobenen Rekruten den Legionen zu- oder in Legionen eingeteilt worden. Es ist möglich, daß Caesar mit der Aushebung die Schenkung des Bürgerrechts verband; aber wahrscheinlicher hielt er vielmehr in dieser Angelegenheit den Standpunkt seiner Partei fest, welche den Transpadanern das römische Bürgerrecht nicht so sehr zu verschaffen suchte, als vielmehr es ansah, als ihnen schon gesetzlich zustehend. Nur so konnte sich das Gerücht verbreiten, daß Caesar von sich aus bei den transpadanischen Gemeinden römische Munizipalverfassung eingeführt habe (Cic. Att. 5, 3, 2; ad fam. 8, 1 2). So erklärt es sich auch, warum Hirtius die transpadanischen Städte als „Kolonien römischer Bürger“ bezeichnet (Gall. 8, 24) und warum Caesar die von ihm gegründete Kolonie Comum als Bürgerkolonie behandelte (Suet. Caes. 28; Strab. 5, 1 p. 213; Plut. Caes. 29), während die gemäßigte Partei der Aristokratie ihr nur dasselbe Recht wie den übrigen transpadanischen Gemeinden, also das launische, zugestand, die Ultras sogar das den Ansiedlern erteilte Stadtrecht überhaupt für nichtig erklärten, also auch die an die Bekleidung eines launischen Munizipalamtes geknüpften Privilegien den Comensern nicht zugestanden (Cic. Att. 5, 11, 2; App. civ. 2, 26). Vgl. Hermes 16, 1880, S. 30.
  6. Die uns aufbehaltene Sammlung ist voll von Beziehungen auf die Ereignisse der Jahre 699 (55) und 700 (54) und ward ohne Zweifel in dem letzteren bekannt gemacht; der jüngste Vorfall, dessen sie gedenkt, ist der Prozeß des Vatinius (August 700 54). Hieronymus‘ Angabe, daß Catullus 697/98 (57/56) gestorben, braucht also nur um wenige Jahre verschoben zu sein. Daraus, daß Vatinius bei „seinem Konsulat sich verschwört“, hat man mit Unrecht geschlossen, daß die Sammlung erst nach Vatinius‘ Konsulat (707 47) erschienen ist; es folgt daraus nur, daß Vatinius, als sie erschien, schon darauf rechnen durfte, in einem bestimmten Jahre Konsul zu werden, wozu er bereits 700 (54) alle Ursache hatte; denn sicher stand sein Name mit auf der in Luca vereinbarten Kandidatenliste (Cic. Art. 4, 8 b, 2).
  7. Das folgende Gedicht Catulls (29) ist im Jahre 699 (53) oder 700 (54), nach Caesars britannischer Expedition und vor dem Tode der Julia, geschrieben.
  8. Wer kann es ansehn, wer vermag es auszustehn,
    Wer nicht ein Bock, ein Spieler oder Schlemmer ist,
    Daß jetzt Mamurra sein nennt das, was einst besaß
    Der Langhaarkelten und der fernen Briten Land?
    Du Schlappschwanz Romulus, das siehst und gibst du zu?
    Der also soll in Übermut und salbenschwer ,
    Als süßer Schnabelierer, als Adonis nun
    Hier ziehn in aller unsrer Mädchen Zimmer ein?
    Du Schlappschwanz Romulus, das siehst und gibst du zu?
    Ein Schlemmer bist du, bist ein Spieler, bist ein Bock!
    Drum also übersetztest, einziger General,
    Zum fernstentlegnen Eiland du des Okzidents,
    Damit hier euer ausgedienter Zeitvertreib
    Zwei Millionen könne oder drei vertun?
    Was heißt verkehrt freigebig sein, wenn dieses nicht?
    Hat nicht genug schon er verdorben und verpraßt?
    Zuerst verlottert ward das väterliche Gut,
    Sodann des Pontus Beute, dann Iberiens,
    Davon des Tajo goldbeschwerte Welle weiß.
    Den fürchtet, ihr Britanner; Kelten, fürchtet den!
    Was heget ihr den Lumpen, welcher gar nichts als
    Ein fettes Erbe durch die Gurgel jagen kann?
    Drum also ruiniertet ihr der Erde Kreis,
    Ihr liebevollen Schwiegervater-Schwiegersohn?
  9. Mamurra aus Formiae, Caesars Günstling und eine Zeitlang während der gallischen Kriege Offizier in dessen Heer, war, vermutlich kurz vor Abfassung dieses Gedichts, nach der Hauptstadt zurückgekehrt und wahrscheinlich damals beschäftigt mit dem Bau seines vielbesprochenen, mit verschwenderischer Pracht ausgestatteten Marmorpalastes auf dem Caelischen Berge. Die iberische Beute wird sich auf Caesars Statthalterschaft des Jenseitigen Spanien beziehen und Mamurra schon damals, wie sicher später in Gallien, in seinem Hauptquartier sich befunden haben; das pontische geht vermutlich auf Pompeius‘ Krieg gegen Mithradates, da zumal. nach der Andeutung des Dichters nicht bloß Caesar den Mamurra bereichert hat.
  10. Unschuldiger als diese giftige, von Caesar bitter empfundene Invektive (Suet. Caes. 73) ist ein anderes, ungefähr gleichzeitiges Gedicht desselben Poeten (11), das hier auch stehen mag, weil es mit seiner pathetischen Einleitung zu einer nichts weniger als pathetischen Kommission den Generalstab der neuen Machthaber, die aus der Spelunke plötzlich ins Hauptquartier avancierten Gabinius, Antonius und wie sie weiter heißen, sehr artig persifliert. Man erinnere sich, daß es in einer Zeit geschrieben ward, wo Caesar am Rhein und an der Themse kämpfte und wo die Expeditionen des Crassus nach Parthien, des Gabinius nach Ägypten vorbereitet wurden. Der Dichter, gleichsam auch von einem der Machthaber einen der vakanten Posten erhoffend, gibt zweien seiner Klienten die letzten Aufträge vor der Abreise:
  11. Furius und Aurelius, Adjutanten
    Ihr Catulls, mag ziehn er an Indiens Ende,
    Wo des Ostmeers brandende Welle weithin
    Hallend den Strand schlägt,
    Oder nach Hyrkanien und Arabien,
    In der pfeilfroh’n Parther Gebiet und Saker
    Oder wo den Spiegel des Meers der siebenfältige Nil färbt;
    Oder führt sein Weg ihn die Alpen über,
    Wo den Malstein setzte der große Caesar,
    Wo der Rhein fließt und an dem Erdrand hausen
    Wilde Britanner –
    Ihr, bereit, all das mit Catullus, was ihm
    Götterratsschluß davon bestimmt, zu teilen,
    Meinem Schatz noch bringet zuvor die kurze
    Leidige Botschaft!
    Mag sie stehn und gehen mit ihren Männern,
    Welche sie dreihundert zugleich umarmt hält,
    Keinem treulieb, aber zu jeder Stunde
    Jedem zu Willen.
    Nicht wie sonst nachblickte sie meiner Liebe,
    Die geknickt mutwillig sie, gleich dem Veilchen,
    Das entlang am Saume des Ackers wandelnd
    Streifte die Pflugschar.
  12. In diesem Jahr folgte auf den Januar mit 29 und den Februar mit 23 Tagen der Schaltmonat mit 28 und sodann der März.
  13. Consul heißt Kollege (I, 260) und ein Konsul, der zugleich Prokonsul ist, ist zugleich wirklicher und stellvertretender Konsul.

9. Kapitel


9. Kapitel

Crassus‘ Tod. Der Bruch der Gesamtherrscher

Unter den Häuptern des „dreiköpfigen Ungeheuers“ war Marcus Crassus jahrelang mitgerechnet worden, ohne eigentlich mitzuzählen. Er diente den wirklichen Machthabern Pompeius und Caesar als Gleichgewichtstein, oder genauer gesagt, er fiel in Caesars Waagschale gegen Pompeius. Diese Rolle ist nicht allzu ehrenvoll; aber Crassus ward nie durch leidenschaftliches Ehrgefühl gehindert, seinen Vorteil zu verfolgen. Er war Kaufmann und ließ mit sich handeln. Was ihm geboten ward, war nicht viel; da indes mehr nicht zu erhalten war, nahm er es an und suchte den nagenden Ehrgeiz und den Verdruß über seine der Macht so nahe und doch machtlose Stellung über den immer höher sich ihm häufenden Goldbergen zu vergessen. Aber die Konferenz zu Luca wandelte auch für ihn die Verhältnisse um: um gegen Pompeius nach den so ausgedehnten Zugeständnissen auch ferner im Übergewicht zu bleiben, gab Caesar seinem alten Verbündeten Crassus Gelegenheit, durch den Parthischen Krieg ebendahin in Syrien zu gelangen, wohin Caesar durch den keltischen in Gallien gelangt war. Es war schwer zu sagen, ob diese neuen Aussichten mehr den Heißhunger nach Gold reizten, der dem jetzt sechzigjährigen Manne zur anderen Natur geworden war und mit jeder neu erworbenen Million nur um so zehrender ward, oder mehr den in der Brust des Graukopfs lange mühsam niedergekämpften und jetzt mit unheimlichem Feuer in ihr glühenden Ehrgeiz. Bereits Anfang 700 (54) traf er in Syrien ein: nicht einmal den Ablauf seines Konsulats hatte er abgewartet um aufzubrechen. Voll hastiger Leidenschaft schien er jede Minute auskaufen zu wollen, um das Versäumte nachzuholen, zu den Schätzen des Westens noch die des Ostens einzutun, Feldherrnmacht und Feldherrnruhm rasch wie Caesar und mühelos wie Pompeius zu erjagen.

Er fand den Parthischen Krieg bereits eingeleitet. Pompeius‘ illoyales Verhalten gegen die Parther ist früher erzählt worden; er hatte die vertragsmäßige Euphratgrenze nicht respektiert und zu Gunsten Armeniens, das jetzt römischer Klientelstaat war, mehrere Landschaften vom Parthischen Reich abgerissen. König Phraates hatte sich das gefallen lassen: nachdem er aber von seinen beiden Söhnen Mithradates und Orodes ermordet worden war, erklärte der neue König Mithradates dem König von Armenien, des kürzlich verstorbenen Tigranes Sohn Artavasdes, sofort den Krieg (um 69869 56). Es war dies zugleich eine Kriegserklärung gegen Rom; sowie daher der Aufstand der Juden unterdrückt war, führte der tüchtige und mutige Statthalter Syriens, Gabinius, die Legionen über den Euphrat. Im Partherreich indes war inzwischen eine Umwälzung eingetreten; die Großen des Reiches, an ihrer Spitze der junge, kühne und talentvolle Großwesir, hatten den König Mithradates gestürzt und dessen Bruder Orodes auf den Thron gesetzt. Mithradates machte deshalb gemeinschaftliche Sache mit den Römern und begab sich in Gabinius‘ Lager. Alles versprach dem Unternehmen des römischen Statthalters den besten Erfolg, als er unvermutet Befehl bekam, den König von Ägypten mit Waffengewalt nach Alexandreia zurückzuführen. Er wußte gehorchen; aber in der Erwartung, bald wieder zurück zu sein, veranlaßte er den bei ihm um Hilfe bittenden entthronten Partherfürsten, den Krieg inzwischen auf eigene Faust zu eröffnen. Mithradates tat es und Seleukeia und Babylon erklärten sich für ihn; aber Seleukeia nahm der Wesir, er persönlich der erste auf der Zinne, mit stürmender Hand ein, und in Babylon wußte Mithradates selbst, durch Hunger bezwungen, sich ergeben, worauf er auf Befehl des Bruders hingerichtet ward. Sein Tod war ein fühlbarer Verlust für die Römer; aber die Gärung im Parthischen Reich war doch keineswegs damit zu Ende und auch der armenische Krieg währte noch fort. Eben war Gabinius im Begriff, nach Beendigung des ägyptischen Feldzuges die immer noch günstige Gelegenheit zu nutzen und den unterbrochenen Parthischen Krieg wiederaufzunehmen, als Crassus in Syrien eintraf und mit dem Kommando zugleich die Pläne seines Vorgängers übernahm. Voll hochfliegender Hoffnungen schlug er die Schwierigkeiten des Marsches gering, die Widerstandskraft der feindlichen Heere noch geringer an; zuversichtlich sprach er nicht bloß von der Unterwerfung der Panther, sondern eroberte schon in Gedanken die Reiche von Baktrien und Indien.

Eile indes hatte der neue Alexander nicht. Erfand, bevor er so große Pläne ins Werk setzte, noch Muße zu sehr weitläufigen und sehr einträglichen Nebengeschäften. Der Tempel der Derketo in Hierapolis Bambyke, des Jehova in Jerusalem und andere reiche Heiligtümer der syrischen Provinz wurden auf Crassus‘ Befehl ihrer Schätze beraubt und von allen Untertanen Zuzug oder lieber noch statt desselben Geldsummen beigetrieben. Die militärischen Operationen des ersten Sommers beschränkten sich auf eine umfassende Rekognoszierung in Mesopotamien: der Euphrat ward überschritten, bei Ichnä (am Belik, nördlich von Rakkah) der parthische Satrap geschlagen und die nächstliegenden Städte, darunter das ansehnliche Nikephorion (Rakkah), besetzt, worauf man mit Zurücklassung von Besatzungen in denselben wieder nach Syrien zurückging. Man hatte bisher geschwankt, ob es ratsamer sei, auf dem Umweg über Armenien oder auf der geraden Straße durch die mesopotamische Wüste nach Parthien zu marschieren. Der erste Weg durch gebirgige und von zuverlässigen Verbündeten beherrschte Landschaften empfahl sich durch die größere Sicherheit; König Artavasdes kam selbst in das römische Hauptquartier, um diesen Feldzugsplan zu befürworten. Allein jene Rekognoszierung entschied für den Marsch durch Mesopotamien. Die zahlreichen und blühenden griechischen und halbgriechischen Städte in den Landschaften am Euphrat und Tigris, vor allen die Weltstadt Seleukeia, waren der parthischen Herrschaft durchaus abgeneigt; wie früher die Bürger von Karrhä, so hatten jetzt alle von den Römern berührten griechischen Ortschaften es mit der Tat bewiesen, wie bereit sie waren, die unerträgliche Fremdherrschaft abzuschütteln und die Römer als Befreier, beinahe als Landsleute zu empfangen. Der Araberfürst Abgaros, der die Wüste von Edessa und Karrhä und damit die gewöhnliche Straße vom Euphrat an den Tigris beherrschte, hatte im Lager der Römer sich eingefunden, um dieselben seiner Ergebenheit persönlich zu versichern. Durchaus hatten die Parther sich unvorbereitet gezeigt. So ward denn der Euphrat (bei Biradjik) überschritten (701 53). Um von da an den Tigris zu gelangen, konnte man einen zwiefachen Weg wählen: entweder rückte das Heer am Euphrat hinab bis auf die Höhe von Seleukeia, wo der Euphrat und der Tigris nur noch wenige Meilen voneinander entfernt sind; oder man schlug sogleich nach dem Übergang auf der kürzesten Linie, quer durch die große mesopotamische Wüste, den Weg zum Tigris ein. Der erste Weg führte unmittelbar auf die parthische Hauptstadt Ktesiphon zu, die Seleukeia gegenüber am andern Ufer des Tigris lag; es erhoben sich für diesen im römischen Kriegsrat mehrere gewichtige Stimmen; namentlich der Quästor Gaius Cassius wies auf die Schwierigkeiten des Wüstenmarsches und auf die bedenklichen, von den römischen Besatzungen am linken Euphratufer über die parthischen Kriegsvorbereitungen einlaufender. Berichte hin. Allein damit im Widerspruch meldete der arabische Fürst Abgaros, daß die Parther beschäftigt seien, ihre westlichen Landschaften zu räumen. Bereits hätten sie ihre Schätze eingepackt und sich in Bewegung gesetzt, um zu den Hyrkanern und Skythen zu flüchten; nur durch einen Gewaltmarsch auf dem kürzesten Wege sei es überhaupt noch möglich, sie zu erreichen; durch einen solchen werde es aber auch wahrscheinlich gelingen, wenigstens den Nachtrab der großen Armee unter Sillakes und dem Wesir einzuholen und aufzureiben und die ungeheure Beute zu gewinnen. Diese Rapporte der befreundeten Beduinen entschieden über die Marschrichtung; das römische Heer, bestehend aus sieben Legionen, 4000 Reitern und 4000 Schleuderern und Schützen, wandte vom Euphrat sich ab und hinein in die unwirtlichen Ebenen des nördlichen Mesopotamiens. Weit und breit zeigte sich kein Feind; nur Hunger und Durst und die endlose Sandwüste schienen Wache zu halten an den Pforten des Ostens. Endlich, nach vieltägigem mühseligen Marsch, unweit des ersten Flusses, den das römische Heer zu überschreiten hatte, des Balissos (Belik), zeigten sich die ersten feindlichen Reiter. Abgaros mit seinen Arabern ward ausgesandt, um zu kundschaften; die parthischen Reiterscharen wichen zurück bis an und über den Fluß und verschwanden in der Ferne, verfolgt von Abgaros und den Seinen. Ungeduldig harrte man auf die Rückkehr desselben und auf genauere Kundschaft. Der Feldherr hoffte, hier endlich an den ewig zurückweichenden Feind zu kommen; sein junger tapferer Sohn Publius, der mit der größten Auszeichnung in Gallien unter Caesar gefochten hatte und von diesem an der Spitze einer keltischen Reiterschar zur Teilnahme an dem Parthischen Kriege entsandt worden war, brannte vor stürmischer Kampflust. Da keine Botschaft kam, entschloß man sich, auf gut Glück vorwärts zu gehen: das Zeichen zum Aufbruch ward gegeben, der Balissos überschritten, das Heer nach kurzer, ungenügender Mittagsrast ohne Aufenthalt im Sturmschritt weitergeführt. Da erschollen plötzlich rings umher die Kesselpauken der Parther; auf allen Seiten sah man ihre seidenen, goldgestickten Fahnen flattern, ihre Eisenhelme und Panzer im Strahl der heißen Mittagssonne glänzen; und neben dem Wesir hielt Fürst Abgaros mit seinen Beduinen.

Man begriff zu spät, in welches Netz man sich hatte verstricken lassen. Mit sicherem Blick hatte der Wesir sowohl die Gefahr durchschaut wie die Mittel, ihr zu begegnen. Mit orientalischem Fußvolk war gegen die römische Linieninfanterie nichts auszurichten: er hatte sich desselben entledigt und, indem er diese auf dem Hauptschlachtfeld unbrauchbare Masse unter König Orodes‘ eigener Führung gegen Armenien sandte, den König Artavasdes gehindert, die versprochenen 10000 schweren Reiter zu Crassus‘ Heer stoßen zu lassen, die dieser jetzt schmerzlich vermißte. Dagegen trat der römischen, in ihrer Art unübertrefflichen Taktik der Wesir mit einer vollkommen verschiedenen gegenüber. Sein Heer bestand ausschließlich aus Reiterei; die Linie bildeten die schweren Reiter, mit langen Stoßlanzen bewaffnet und Mann und Roß durch metallene Schuppenpanzer oder Lederkoller und durch ähnliche Schienen geschirmt; die Masse der Truppen bestand aus berittenen Bogenschützen. Diesen gegenüber waren die Römer in den gleichen Waffen sowohl der Zahl wie der Tüchtigkeit nach durchaus im Nachteil. Ihre Linieninfanterie, wie vorzüglich sie auch im Nahkampf, sowohl auf kurze Distanz mit dem schweren Wurfspeer als im Handgemenge mit dem Schwert, war, konnte doch eine bloß aus Reiterei bestehende Armee nicht zwingen, sich mit ihr einzulassen, und fand, wenn es zum Handgemenge kam, auch hier in den eisenstarrenden Scharen der Lanzenreiter einen ihr gewachsenen, wo nicht überlegenen Gegner. Einem Heer gegenüber, wie dies parthische war, stand das römische strategisch im Nachteil, weil die Reiterei die Kommunikationen beherrschte; taktisch, weil jede Nahwaffe der Fernwaffe unterliegen muß, wenn jene nicht zum Kampfe Mann gegen Mann gelangt. Die konzentrierte Stellung, auf der die ganze römische Kriegsweise beruhte, steigerte einem solchen Angriff gegenüber die Gefahr; je dichter die römische Kolonne sich scharte, desto unwiderstehlicher ward allerdings ihr Stoß, aber desto weniger fehlten auch die Fernwaffen ihr Ziel. Unter gewöhnlichen Verhältnissen, wo Städte zu verteidigen und Bodenschwierigkeiten zu berücksichtigen sind, hätte jene bloß mit Reiterei gegen Fußvolk operierende Taktik sich niemals vollständig durchführen lassen; in der mesopotamischen Wüste aber, wo das Heer, fast wie das Schiff auf der hohen See, viele Tagemärsche hindurch weder auf ein Hindernis noch auf einen strategischen Anhaltspunkt traf, war diese Kriegführung eben darum so unwiderstehlich, weil die Verhältnisse hier gestatteten, sie in ihrer ganzen Reinheit und also in ihrer ganzen Gewalt zu entwickeln. Hier vereinigte sich alles, um die fremden Fußgänger gegen die einheimischen Reiter in Nachteil zu setzen. Wo der schwerbeladene römische Infanterist mühsam durch den Sand oder die Steppe sich hinschleppte und auf dem pfadlosen, durch weit auseinandergelegene und schwer aufzufindende Quellen bezeichneten Wege vor Hunger und mehr noch vor Durst verkam, flog der parthische Reitersmann, von Kindesbeinen an gewohnt, auf seinem geschwinden Roß oder Kamel zu sitzen, ja fast auf demselben zu leben, leicht durch die Wüste, deren Ungemach er seit langem gelernt hatte sich zu erleichtern und im Notfall zu ertragen. Hier fiel kein Regen, der die unerträgliche Hitze gemildert und die Bogensehnen und Schleuderriemen der feindlichen Schützen und Schleuderer erschlafft hätte; hier waren in dem tiefen Sande an vielen Stellen kaum ordentliche Gräben und Wälle für das Lager zu ziehen. Kaum vermag die Phantasie eine Lage zu erdenken, in der die militärischen Vorteile alle mehr auf der einen, die Nachteile alle mehr auf der andern Seite waren.

Auf die Frage, unter welchen Verhältnissen bei den Parthern diese neue Taktik entstand, die erste nationale, die auf ihrem rechten Terrain sich der römischen überlegen erwies, können wir leider nur mit Mutmaßungen antworten. Die Lanzenreiter und berittenen Bogenschützen sind im Orient uralt und bildeten bereits die Kerntruppen in den Heeren des Kyros und Dareios; bisher aber waren diese Waffen nur in zweiter Reihe und wesentlich zur Deckung der durchaus unbrauchbaren orientalischen Infanterie verwendet worden. Auch die parthischen Heere wichen hierin von den übrigen orientalischen keineswegs ab; es werden dergleichen erwähnt, die zu fünf Sechsteln aus Fußvolk bestanden. In dem Feldzug des Crassus dagegen trat die Reiterei zum ersten Male selbständig auf, und es erhielt diese Waffe dadurch eine ganz neue Verwendung und einen ganz anderen Wert. Die unwiderstehliche Überlegenheit des römischen Fußvolks im Nahkampf scheint unabhängig voneinander die Gegner Roms in den verschiedensten Weltgegenden zu gleicher Zeit und mit ähnlichem Erfolg darauf geführt zu haben, ihm mit der Reiterei und dem Fernkampf entgegenzutreten. Was Cassivellaunus in Britannien vollständig, Vercingetorix in Gallien zum Teil gelang, was bis zu einem gewissen Grade schon Mithradates Eupator versuchte, das hat der Wesir des Orodes nur in größerem Maßstab und vollständiger durchgeführt: wobei es ihm namentlich zustatten kam, daß er in der schweren Kavallerie das Mittel, eine Linie zu bilden, in dem im Orient nationalen und vornehmlich in den persischen Landschaften mit meisterlicher Schützenkunst gehandhabten Bogen eine wirksame Fernwaffe, endlich in den Eigentümlichkeiten des Landes und des Volkes die Möglichkeit fand, seinen genialen Gedanken rein zu realisieren. Hier, wo die römische Nahwaffe und das römische Konzentrierungssystem zum ersten Male der Fernwaffe und dem Deployierungssystem unterlagen, bereitete diejenige militärische Revolution sich vor, die erst mit der Einführung des Feuergewehrs ihren vollständigen Abschluß erhalten hat.

Unter diesen Verhältnissen ward sechs Meilen südlich von Karrhä (Harran), wo römische Besatzung stand, in nördlicher Richtung etwas näher an Ichnä, inmitten der Sandwüste die erste Schlacht zwischen Römern und Parthern geschlagen. Die römischen Schützen wurden vorgesandt, wichen aber augenblicklich zurück vor der ungeheuren Überzahl und der weit größeren Spannkraft und Tragweite der parthischen Bogen. Die Legionen, die trotz der Mahnung der einsichtigeren Offiziere, sie möglichst entfaltet gegen den Feind zu führen, in ein dichtes Viereck von zwölf Kohorten an jeder Seite gestellt worden waren, waren bald überflügelt und von den furchtbaren Pfeilen überschüttet, die hier auch ungezielt ihren Mann trafen und denen die Soldaten mit nichts auch nur zu erwidern vermochten. Die Hoffnung, daß der Feind sich verschießen möge, verschwand bei einem Blick auf die endlose Reihe der mit Pfeilen beladenen Kamele. Immer weiter dehnten die Parther sich aus. Damit die Überflügelung nicht zur Umzingelung werde, rückte Publius Crassus mit einem auserlesenen Korps von Reitern, Schützen und Linieninfanterie zum Angriff vor. In der Tat gab der Feind es auf, den Kreis zu schließen, und wich zurück, hitzig verfolgt von dem ungestümen Führer der Römer. Als aber darüber das Korps des Publius die Hauptarmee ganz aus dem Gesicht verloren hatte, hielten die schweren Reiter ihm gegenüber stand, und wie ein Netz zogen die von allen Seiten herbeieilenden parthischen Haufen sich um dasselbe zusammen. Publius, der die Seinigen unter den Pfeilen der berittenen Schützen dicht und nutzlos um sich fallen sah, stürzte verzweifelt mit seiner unbepanzerten keltischen Reiterei sich auf die eisenstarrenden Lanzenreiter der Feinde; allein die todesverachtende Tapferkeit seiner Kelten, die die Lanzen mit den Händen packten oder von den Pferden sprangen, um die Feinde niederzustechen, tat ihre Wunder umsonst. Die Trümmer des Korps, unter ihnen der am Schwertarm verwundete Führer, wurden auf eine kleine Anhöhe gedrängt, wo sie den feindlichen Schützen erst recht zur bequemen Zielscheibe dienten. Mesopotamische Griechen, die der Gegend genau kundig waren, beschworen den Crassus, mit ihnen abzureiten und einen Versuch zu machen, sich zu retten; aber er weigerte sich, sein Schicksal von dem der tapferen Männer zu trennen, die sein verwegener Mut in den Tod geführt hatte, und ließ von der Hand seines Schildträgers sich durchbohren. Gleich ihm gaben die meisten noch übrigen Offiziere sich selbst den Tod. Von der ganzen gegen 6000 Mann starken Abteilung wurden nicht mehr als 500 gefangen; zu retten vermochte sich keiner. Gegen das Hauptheer hatte inzwischen der Angriff nachgelassen und man rastete nur zu gern. Als endlich das Ausbleiben jeder Meldung von dem entsandten Korps es aus der trügerischen Ruhe aufschreckte und es, um dasselbe aufzusuchen, der Walstatt sich näherte, ward dem Vater das Haupt des Sohnes auf einer Stange entgegengetragen; und abermals begann nun gegen das Hauptheer die schreckliche Schlacht, mit demselben Ungestüm und derselben hoffnungslosen Gleichförmigkeit. Man vermochte weder die Lanzenreiter zu sprengen noch die Schützen zu erreichen; erst die Nacht machte dem Morden ein Ende. Hätten die Parther auf dem Schlachtfeld biwakiert, es wäre schwerlich vom römischen Heer ein Mann entkommen. Allein nicht geübt, anders als beritten zu fechten, und darum besorgt vor einem Überfall, hatten sie die Gewohnheit, niemals hart am Feinde zu lagern; höhnisch riefen sie den Römern zu, daß sie dem Feldherrn eine Nacht schenkten, um seinen Sohn zu beweinen, und jagten davon, um am anderen Morgen wiederzukehren und das blutend am Boden liegende Wild abzufangen. Natürlich warteten die Römer den Morgen nicht ab. Die Unterfeldherren Cassius und Octavius – Crassus selbst hatte gänzlich den Kopf verloren – ließen sofort und in möglichster Stille, mit Zurücklassung der sämtlichen – angeblich 4000 – Verwundeten und Versprengten, die noch marschfähigen Leute aufbrechen, um in den Mauern von Karrhä Schutz zu suchen. Daß die Parther, als sie den folgenden Tag wiederkamen, zunächst sich daran machten, die zerstreut Zurückgelassenen aufzusuchen und niederzumetzeln, und daß die Besatzung und die Einwohnerschaft von Karrhä, durch Ausreißer frühzeitig von der Katastrophe in Kenntnis gesetzt, schleunigst der geschlagenen Armee entgegengerückt waren, rettete die Trümmer derselben vor der, wie es schien, unausbleiblichen Vernichtung. An eine Belagerung von Karrhä konnten die parthischen Reiterscharen nicht denken. Allein bald brachen die Römer freiwillig auf, sei es durch Mangel an Lebensmitteln genötigt, sei es infolge der mutlosen Übereilung des Oberfeldherrn, den die Soldaten vergeblich versucht hatten vom Kommando zu entfernen und durch Cassius zu ersetzen. Man schlug die Richtung nach den armenischen Bergen ein; die Nacht marschierend und am Tage rastend, erreichte Octavius mit einem Haufen von 5000 Mann die Festung Sinnaka, die nur noch einen Tagesmarsch von den sicheren Höhen entfernt war, und befreite sogar mit eigener Lebensgefahr den Oberfeldherrn, den der Führer irregeleitet und dem Feinde preisgegeben hatte. Da ritt der Wesir vor das römische Lager, um im Namen seines Königs den Römern Frieden und Freundschaft zu bieten und auf eine persönliche Zusammenkunft der beiden Feldherren anzutragen. Das römische Heer, demoralisiert wie es war, beschwor, ja zwang seinen Führer, das Anerbieten anzunehmen. Der Wesir empfing den Konsular und dessen Stab mit den üblichen Ehren und erbot sich aufs neue, einen Freundschaftspakt abzuschließen; nur forderte er, mit gerechter Bitterkeit an das Schicksal der mit Lucullus und Pompeius hinsichtlich der Euphratgrenze abgeschlossenen Verträge erinnernd, daß derselbe sogleich schriftlich abgefaßt werde. Ein reichgeschmückter Zelter ward vorgeführt: es war ein Geschenk des Königs für den römischen Oberfeldherrn; die Diener des Wesirs drängten sich um Crassus, beeifert, ihn aufs Pferd zu heben. Es schien den römischen Offizieren, als beabsichtige man, sich der Person des Oberfeldherrn zu bemächtigen; Octavius, unbewaffnet wie er war, riß einem Parther das Schwert aus der Scheide und stieß den Pferdeknecht nieder. In dem Anlauf, der sich hieraus entspann, wurden die römischen Offiziere alle getötet; auch der greise Oberfeldherr wollte, wie sein Großohm, dem Feinde nicht lebend als Trophäe dienen und suchte und fand den Tod. Die im Lager zurückgebliebene führerlose Menge ward zum Teil gefangen, zum Teil versprengt. Was der Tag von Karrhä begonnen hatte, vollendete der von Sinnaka (9. Juni 701 53); beide nahmen ihren Platz neben den Daten von der Allia, von Cannae und von Arausio. Die Euphratarmee war nicht mehr. Nur der Reiterschar des Gaius Cassius, welche bei dem Abmarsch von Karrhä von dem Hauptheer abgesprengt worden war, und einigen anderen zerstreuten Haufen und vereinzelten Flüchtlingen gelang es, sich den Parthern und den Beduinen zu entziehen und einzeln den Rückweg nach Syrien zu finden. Von über 40000 römischen Legionären, die den Euphrat überschritten hatten, kam nicht der vierte Mann zurück; die Hälfte war umgekommen; gegen 10000 römische Gefangene wurden von den Siegern im äußersten Osten ihres Reiches, in der Oase von Merv, nach parthischer Art als heerpflichtige Leibeigene angesiedelt. Zum ersten Male, seit die Adler die Legionen führten, waren dieselben in diesem Jahre zu Siegeszeichen in den Händen fremder Nationen, fast gleichzeitig eines deutschen Stammes im Westen und im Osten der Parther geworden. Von dem Eindruck, den die Niederlage der Römer im Osten machte, ist uns leider keine ausreichende Kunde geworden; aber tief und bleibend muß er gewesen sein. König Orodes richtete eben die Hochzeit seines Sohnes Pakoros mit der Schwester seines neuen Verbündeten, des Königs Artavasdes von Armenien, aus, als die Siegesbotschaft seines Wesirs bei ihm einlief und, nach orientalischer Sitte, zugleich mit ihr der abgehauene Kopf des Crassus. Schon war die Tafel aufgehoben; eine der wandernden kleinasiatischen Schauspielertruppen, wie sie in jener Zeit zahlreich bestanden und die hellenische Poesie und die hellenische Bühnenkunst bis tief in den Osten hineintrugen, führten eben vor dem versammelten Hofe Euripides‘ ‚Bakchen‘ auf. Der Schauspieler, der die Rolle der Agaue spielte, welche in wahnsinnig dionysischer Begeisterung ihren Sohn zerrissen hat und nun das Haupt desselben auf dem Thyrsus tragend, vom Kithäron zurückkehrt, vertauschte dieses mit dem blutigen Kopfe des Crassus, und zum unendlichen Jubel seines Publikums von halbhellenisierten Barbaren begann er aufs neue das wohlbekannte Lied:

Wir bringen vom Berge
Nach Hause getragen
Die herrliche Beute,
Das blutende Wild.

Es war seit den Zeiten der Achämeniden der erste ernsthafte Sieg, den die Orientalen über den Okzident erfochten; und wohl lag auch darin ein tiefer Sinn, daß zur Feier dieses Sieges das schönste Erzeugnis der okzidentalischen Welt, die griechische Tragödie, durch ihre herabgekommenen Vertreter in jener grausigen Groteske sich selber parodierte. Das römische Bürgertum und der Genius von Hellas fingen gleichzeitig an, sich auf die Ketten des Sultanismus zu schicken.

Die Katastrophe, entsetzlich an sich, schien auch in ihren Folgen furchtbar zu werden und die Grundfesten der römischen Macht im Osten erschüttern zu sollen. Es war das wenigste, daß jetzt die Parther. jenseits des Euphrat unbeschränkt schalteten, daß Armenien, nachdem es schon vor der Katastrophe des Crassus vom römischen Bündnis abgefallen war, durch dieselbe ganz in parthische Klientel geriet, daß den treuen Bürgern von Karrhä durch den von den Parthern ihnen gesetzten neuen Herrn, einen der verräterischen Wegweiser der Römer namens Andromachos, ihre Anhänglichkeit an die Okzidentalen bitter vergolten ward. Allen Ernstes schickten die Parther sich an, nun ihrerseits die Euphratgrenze zu überschreiten und im Verein mit den Armeniern und den Arabern die Römer aus Syrien zu vertreiben. Die Juden und andere Orientalen mehr harrten hier der Erlösung von der römischen Herrschaft nicht minder ungeduldig, wie die Hellenen jenseits des Euphrat der Erlösung von der parthischen; in Rom stand der Bürgerkrieg vor der Tür; der Angriff ebenhier und ebenjetzt war eine schwere Gefahr. Allein zum Glücke Roms hatten auf beiden Seiten die Führer gewechselt. Sultan Orodes verdankte dem heldenmütigen Fürsten, der ihm erst die Krone aufgesetzt und dann das Land von den Feinden gesäubert hatte, zu viel, um sich seiner nicht baldmöglichst durch den Henker zu entledigen. Seinen Platz als Oberfeldherr der nach Syrien bestimmten Invasionsarmee füllte ein Prinz aus, des Königs Sohn Pakoros, dem seiner Jugend und Unerfahrenheit wegen der Fürst Osakes als militärischer Ratgeber beigegeben werden mußte. Andererseits übernahm an Crassus‘ Stelle das Kommando in Syrien interimistisch der besonnene und entschlossene Quästor Gaius Cassius. Da die Parther, ebenwie früher Crassus, den Angriff nicht beeilten, sondern in den Jahren 701 (53) und 702 (52) nur schwache, leicht zurückgeworfene Streifscharen über den Euphrat sandten, so behielt Cassius Zeit, das Heer einigermaßen zu reorganisieren und die Juden, die die Erbitterung über die von Crassus verübte Spoliation des Tempels schon jetzt unter die Waffen getrieben hatte, mit Hilfe des treuen Anhängers der Römer, Herodos Antipatros, zum Gehorsam zurückzubringen. Die römische Regierung hätte also volle Zeit gehabt, zur Verteidigung dar bedrohten Grenze frische Truppen zu senden; allein es unterblieb über den Konvulsionen der beginnenden Revolution, und als endlich im Jahre 703 (51) die große parthische Invasionsarmee am Euphrat erschien, hatte Cassius immer noch nur die zwei schwachen, aus den Trümmern der Armee des Crassus gebildeten Legionen ihr entgegenzustellen. Natürlich konnte er damit weder den Übergang wehren noch die Provinz verteidigen. Syrien ward von den Parthern überrannt und ganz Vorderasien zitterte. Allein die Parther verstanden es nicht, Städte zu belagern. Von Antiocheia, in das Cassius mit seinen Truppen sich geworfen hatte, zogen sie nicht bloß unverrichteter Sache ab, sondern wurden auf dem Rückzug am Orontes noch durch Cassius‘ Reiterei in einen Hinterhalt gelockt und hier durch die römische Infanterie übel zugerichtet; Fürst Osakes selbst war unter den Toten. Freund und Feind ward hier inne, daß die parthische Armee unter einem gewöhnlichen Feldherrn und auf einem gewöhnlichen Terrain nicht viel mehr leiste als jede andere orientalische. Indes aufgegeben war der Angriff nicht. Noch im Winter 703/04 (51/50) lagerte Pakoros in Kyrrhestike diesseits des Euphrat; und der neue Statthalter Syriens, Marcus Bibulus, ein ebenso elender Feldherr wie unfähiger Staatsmann, wußte nichts Besseres zu tun, als sich in seine Festungen einzuschließen. Allgemein ward erwartet, daß der Krieg im Jahre 704 (50) mit erneuter Heftigkeit ausbrechen werde. Allein statt gegen die Römer wandte Pakoros die Waffen gegen seinen eigenen Vater und trat deshalb sogar mit dem römischen Statthalter in Einverständnis. Damit war zwar weder der Fleck von dem Schilde der römischen Ehre gewaschen noch auch Roms Ansehen im Orient wiederhergestellt, allein mit der parthischen Invasion in Vorderasien war es vorbei, und es blieb, vorläufig wenigstens, die Euphratgrenze erhalten.

In Rom wirbelte inzwischen der kreisende Vulkan der Revolution seine Rauchwolken sinnbetäubend empor. Man fing an, keinen Soldaten und keinen Denar mehr gegen den Landesfeind, keinen Gedanken mehr übrig zu haben für die Geschichte der Völker. Es ist eines der entsetzlichsten Zeichen der Zeit, daß das ungeheure Nationalunglück von Karrhä und Sinnaka den derzeitigen Politikern weit weniger zu denken und zu reden gab als jener elende Krawall auf der Appischen Straße, in dem ein paar Monate nach Crassus der Bandenführer Clodius umkam; aber es ist begreiflich und beinahe verzeihlich. Der Bruch zwischen den beiden Machthabern, lange als unvermeidlich gefühlt und oft so nahe verkündigt, rückte jetzt unaufhaltsam heran. Wie in der alten griechischen Schiffersage befand sich das Fahrzeug der römischen Gemeinde gleichsam zwischen zwei aufeinander zuschwimmenden Felsen; von Augenblick zu Augenblick den krachenden Zusammenstoß erwartend, starrten die, welche es trug, von namenloser Angst gebannt, in die hoch und höher strudelnde Brandung, und während jedes kleinste Rücken hier tausend Augen auf sich zog, wagte nicht eines, den Blick nach rechts oder links zu verwenden.

Nachdem auf der Zusammenkunft von Luca im April 698 (36) Caesar sich Pompeius gegenüber zu ansehnlichen Konzessionen verstanden und die Machthaber damit sich wesentlich ins Gleichgewicht gesetzt hatten, fehlte es ihrem Verhältnis nicht an den äußeren Bedingungen der Haltbarkeit, insoweit eine Teilung der an sich unteilbaren monarchischen Gewalt überhaupt haltbar sein kann. Eine andere Frage war es, ob die Machthaber, wenigstens für jetzt, entschlossen waren, zusammenzuhalten und gegenseitig sich ohne Hinterhalt als gleichberechtigt anzuerkennen. Daß dies bei Caesar insofern der Fall war, als er um den Preis der Gleichstellung mit Pompeius sich die zur Unterwerfung Galliens notwendige Frist erkauft hatte, ist früher dargelegt worden. Aber Pompeius war es schwerlich jemals auch nur vorläufig Ernst mit der Kollegialität. Er war eine von den kleinlichen und gemeinen Naturen, gegen die es gefährlich ist, Großmut zu üben: seinem kleinlichen Sinn erschien es sicher als Gebot der Klugheit, dem unwillig anerkannten Nebenbuhler bei erster Gelegenheit ein Bein zu stellen, und seine gemeine Seele dürstete nach der Möglichkeit, die durch Caesars Nachsicht erlittene Demütigung ihm umgekehrt zu vergelten. Wenn aber Pompeius wahrscheinlich nach seiner dumpfen und trägen Natur niemals recht sich dazu verstanden hatte, Caesar neben sich gelten zu lassen, so ist doch die Absicht, das Bündnis zu sprengen, ihm wohl erst allmählich zum klaren Bewußtsein gelangt. Auf keinen Fall wird das Publikum, das überhaupt Pompeius‘ An- und Absichten gewöhnlich besser durchschaute als er selbst, darin sich getäuscht haben, daß wenigstens mit dem Tode der schönen Julia, welche in der Blüte ihrer Jahre im Herbst 700 (54) starb und der ihr einziges Kind bald in das Grab nachfolgte, das persönliche Verhältnis zwischen ihrem Vater und ihrem Gemahl gelöst war. Caesar versuchte, die vom Schicksal getrennten verwandtschaftlichen Bande wiederherzustellen; er warb für sich um die Hand der einzigen Tochter des Pompeius und trug diesem seine jetzt nächste Verwandte, seiner Schwester Enkelin Octavia, als Gemahlin an; allein Pompeius ließ seine Tochter ihrem bisherigen Gatten Faustus Sulla, dem Sohn des Regenten, und vermählte sich selber mit der Tochter des Quintus Metellus Scipio. Der persönliche Bruch war unverkennbar eingetreten, und Pompeius war es, der die Hand zurückzog. Man erwartete, daß der politische ihm auf dem Fuße folgen werde; allein hierin hatte man sich getäuscht: in öffentlichen Angelegenheiten blieb vorläufig noch ein kollegialisches Einvernehmen bestehen. Die Ursache war, daß Caesar nicht geradezu das Verhältnis lösen wollte, bevor Galliens Unterwerfung eine vollendete Tatsache war, Pompeius nicht, bevor durch die Übernahme der Diktatur die Regierungsbehörden und Italien vollständig in seine Gewalt gebracht sein würden. Es ist sonderbar, aber wohl erklärlich, daß die Machthaber hierbei sich gegenseitig unterstützten; Pompeius überließ nach der Katastrophe von Aduatuca im Winter 700 (54) eine seiner auf Urlaub entlassenen italienischen Legionen leihweise an Caesar; andererseits gewährte Caesar Pompeius seine Einwilligung und seine moralische Unterstützung bei den Repressivmaßregeln, die dieser gegen die störrige republikanische Opposition ergriff. Erst nachdem Pompeius auf diesem Wege im Anfang des Jahres 702 (52) sich das ungeteilte Konsulat und einen durchaus den Caesars überwiegenden Einfluß in der Hauptstadt verschafft und die sämtliche waffenfähige Mannschaft in Italien den Soldateneid in seine Hände und auf seinen Namen abgeleistet hatte, faßte er den Entschluß, baldmöglichst mit Caesar förmlich zu brechen; und die Absicht trat auch klar genug hervor. Daß die nach dem Auflauf auf der Appischen Straße stattfindende gerichtliche Verfolgung eben Caesars alte demokratische Parteigenossen mit schonungsloser Härte traf, konnte vielleicht noch als bloße Ungeschicklichkeit hingehen. Daß das neue Gesetz gegen die Wahlumtriebe, indem es bis 684 (70) zurückgriff, auch die bedenklichen Vorgänge bei Caesars Bewerbung um das Konsulat miteinschloß, mochte gleichfalls nicht mehr sein, obgleich nicht wenige Caesarianer darin eine bestimmte Absicht zu erkennen meinten. Aber auch bei dem besten Willen konnte man nicht mehr die Augen verschließen, als Pompeius sich zum Kollegen im Konsulat nicht seinen früheren Schwiegervater Caesar erkor, wie es der Lage des Sache entsprach und vielfach gefordert ward, sondern in seinem neuen Schwiegervater Scipio sich einen von ihm völlig abhängigen Figuranten an die Seite setzte; noch weniger, als Pompeius sich gleichzeitig die Statthalterschaft beider Spanien auf weitere fünf Jahre, also bis 709 (45) verlängern und für die Besoldung seiner Truppen sich aus der Staatskasse eine ansehnliche feste Summe auswerfen ließ, nicht nur, ohne für Caesar die gleiche Verlängerung des Kommandos und die gleiche Geldbewilligung zu bedingen, sondern sogar durch die gleichzeitig ergangenen neuen Regulative über die Besetzung der Statthalterschaften von weitem hinarbeitend auf eine Abberufung Caesars vor dem früher verabredeten Termin. Unverkennbar waren diese Übergriffe darauf berechnet, Caesars Stellung zu untergraben und demnächst ihn zu stürzen. Der Augenblick konnte nicht günstiger sein. Nur darum hatte Caesar in Luca Pompeius so viel eingeräumt, weil Crassus und dessen syrische Armee bei einem etwaigen Bruch mit Pompeius notwendig in Caesars Waagschale fielen; denn auf Crassus, der seit der sullanischen Zeit mit Pompeius aufs tiefste verfeindet und fast ebensolange mit Caesar politisch und persönlich verbündet war, und der nach seiner Eigentümlichkeit allenfalls, wenn er nicht selbst König von Rom werden konnte, auch damit sich begnügt haben würde, des neuen Königs von Rom Bankier zu sein, durfte Caesar überhaupt zählen und auf keinen Fall besorgen, ihn sich gegenüber als Verbündeten seiner Feinde zu erblicken. Die Katastrophe von Juni 791 (53), in der Heer und Feldherr in Syrien zu Grunde gingen, war darum auch für Caesar ein furchtbar schwerer Schlag. Wenige Monate später loderte in Gallien, ebenda es vollständig unterworfen schien, die nationale Insurrektion gewaltiger empor als je und trat zum erstenmal hier gegen Caesar ein ebenbürtiger Gegner in dem Arvernerkönig Vercingetorix auf. Wieder einmal hatte das Geschick für Pompeius gearbeitet: Crassus war tot, ganz Gallien im Aufstand, Pompeius faktisch Diktator von Rom und Herr des Senats – was hätte kommen mögen, wenn er jetzt, statt in weite Ferne hinein gegen Caesar zu intrigieren, kurzweg die Bürgerschaft oder den Senat zwang, Caesar sofort aus Gallien abzurufen!

Aber Pompeius hat es nie verstanden, das Glück bei der Locke zu fassen. Er kündigte den Bruch deutlich genug an; bereits 702 (52) ließen seine Handlungen darüber keinen Zweifel und schon im Frühjahr 703 (51) sprach er seine Absicht, mit Caesar zu brechen, unverhohlen aus; aber er brach nicht und ließ ungenutzt die Monate verstreichen.

Indes wie auch Pompeius zögerte, die Krise rückte doch durch das Schwergewicht der Dinge selbst unaufhaltsam heran. Der bevorstehende Krieg war nicht etwa ein Kampf zwischen Republik und Monarchie – die Entscheidung darüber war bereits vor Jahren gefallen –, sondern ein Kampf um den Besitz der Krone Roms zwischen Pompeius und Caesar. Aber keiner der Prätendenten fand seine Rechnung dabei, die rechte Parole auszusprechen; er hätte damit den ganzen sehr ansehnlichen Teil der Bürgerschaft, der den Fortbestand der Republik wünschte und an dessen Möglichkeit glaubte, dem Gegner geradezu ins Lager getrieben. Die alten Schlachtrufe, wie sie Gracchus und Drusus, Cinna und Sulla angestimmt hatten, wie verbraucht und inhaltlos sie waren, blieben immer noch gut genug zum Feldgeschrei für den Kampf der beiden um die Alleinherrschaft ringenden Generale; und wenn auch für den Augenblick sowohl Pompeius wie Caesar offiziell sich zu der sogenannten Popularpartei rechneten, so konnte es doch keinen Augenblick zweifelhaft sein, daß Caesar das Volk und den demokratischen Fortschritt, Pompeius die Aristokratie und die legitime Verfassung auf sein Panier schreiben werde. Caesar hatte keine Wahl. Er war von Haus aus und sehr ernstlich Demokrat, die Monarchie, wie er sie verstand, mehr äußerlich als im Wesen selbst von dem gracchischen Volksregiment verschieden; und er war ein zu hochsinniger und zu tiefer Staatsmann, um seine Farbe zu decken und unter einem anderen als seinem eigenen Wappen zu fechten. Der unmittelbare Nutzen freilich, den dies Feldgeschrei ihm brachte, war gering; er beschränkte in der Hauptsache sich darauf, daß er dadurch der Unbequemlichkeit überhoben ward, das Königtum beim Namen zu nennen und mit dem verfemten Worte die Masse der Lauen und die eigenen Anhänger zu konsternieren. Positiven Gewinn trug die demokratische Fahne kaum noch ein, seit die gracchischen Ideale durch Clodius schändlich und lächerlich geworden waren; denn wo gab es jetzt, abgesehen etwa von den Transpadanern, einen Kreis von irgendwelcher Bedeutung, der durch die Schlachtrufe der Demokratie zur Teilnahme an dem Kampfe sich hätte bestimmen lassen?

Damit wäre auch Pompeius‘ Rolle in dem bevorstehenden Kampf entschieden gewesen, wenn nicht ohnehin schon es sich von selbst verstanden hätte, daß er in denselben eintreten wußte als der Feldherr der legitimen Republik. Ihn hatte, wenn je einen, die Natur zum Glied einer Aristokratie bestimmt, und nur sehr zufällige und sehr egoistische Motive hatten ihn als Überläufer aus dem aristokratischen in das demokratische Lager geführt. Daß er jetzt wieder auf seine sullanischen Traditionen zurückkam, war nicht bloß sachgemäß, sondern in jeder Beziehung von wesentlichem Nutzen. So verbraucht das demokratische Feldgeschrei war, von so gewaltiger Wirkung wußte das konservative sein, wenn es von dem rechten Mann ausging. Vielleicht die Majorität, auf jeden Fall der Kern der Bürgerschaft, gehörte der verfassungstreuen Partei an, und ihrer numerischen und moralischen Stärke nach war dieselbe wohl berufen, in dem bevorstehenden Prätendentenkampf in mächtiger, vielleicht in entscheidender Weise zu intervenieren. Es fehlte ihr nichts als ein Führer. Marcus Cato, ihr gegenwärtiges Haupt, tat als Vormann seine Schuldigkeit, wie er sie verstand, unter täglicher Lebensgefahr und vielleicht ohne Hoffnung auf Erfolg; seine Pflichttreue ist achtbar, aber der letzte auf einem verlorenen Posten zu sein, ist Soldaten-, nicht Feldherrnlob. Die gewaltige Reserve, die der Partei der gestürzten Regierung wie von selber in Italien erwachsen war, wußte er weder zu organisieren noch rechtzeitig in den Kampf zu ziehen; und, worauf am Ende alles ankam, die militärische Führung hat er aus guten Gründen niemals in Anspruch genommen. Wenn anstatt dieses Mannes, der weder Parteihaupt noch General zu sein verstand, ein Mann von Pompeius‘ politischer und militärischer Bedeutung das Banner der bestehenden Verfassung erhob, so strömten notwendig die Munizipalen Italiens haufenweise demselben zu, um darunter, zwar nicht für den König Pompeius, aber doch gegen den König Caesar fechten zu helfen. Hierzu kam ein anderes, wenigstens ebenso wichtiges Moment. Es war Pompeius‘ Art, selbst wenn er sich entschlossen hatte, nicht den Weg zur Ausführung seines Entschlusses finden zu können. Wenn er den Krieg vielleicht zu führen, aber gewiß nicht zu erklären verstand, so war die catonische Partei sicher unfähig, ihn zu führen, aber sehr fähig und vor allem sehr bereit gegen die in der Gründung begriffene Monarchie den Krieg zu motivieren. Nach Pompeius‘ Absicht sollte, während er selbst sich beiseite hielt und in seiner Art bald davon redete demnächst in seine spanischen Provinzen abgehen zu wollen, bald zur Übernahme des Kommandos am Euphrat sich reisefertig machte, die legitime Regierungsbehörde, das heißt der Senat, mit Caesar brechen, ihm den Krieg erklären und mit dessen Führung Pompeius beauftragen, der dann, dem allgemeinen Verlangen nachgebend, als Beschützer der Verfassung gegen demagogisch-monarchische Wühlereien, als rechtlicher Mann und Soldat der bestehenden Ordnung gegen die Wüstlinge und Anarchisten, als wohlbestallter Feldherr der Kurie gegen den Imperator von der Gasse aufzutreten und wieder einmal das Vaterland zu retten gedachte. Also gewann Pompeius durch die Allianz mit den Konservativen, teils zu seinen persönlichen Anhängern eine zweite Armee, teils ein angemessenes Kriegsmanifest – Vorteile, die allerdings erkauft wurden um den hohen Preis des Zusammengehens mit prinzipiellen Gegnern. Von den unzähligen Übelständen, die in dieser Koalition lagen, entwickelte sich vorläufig nur erst der eine, aber bereits sehr ernste, daß Pompeius es aus der Hand gab, wann und wie es ihm gefiel, gegen Caesar loszuschlagen, und in diesem entscheidenden Punkte sich abhängig machte von allen Zufälligkeiten und Launen einer aristokratischen Korporation.

So ward also die republikanische Opposition, nachdem sie sich Jahre lang mit der Zuschauerrolle hatte begnügen müssen und kaum hatte wagen dürfen zu pfeifen, jetzt durch den bevorstehenden Bruch der Machthaber wieder auf die politische Schaubühne zurückgeführt. Es war dies zunächst der Kreis, der in Cato seinen Mittelpunkt fand, diejenigen Republikaner, die den Kampf für die Republik und gegen die Monarchie unter allen Umständen und je eher desto lieber zu wagen entschlossen waren. Der klägliche Ausgang des im Jahre 698 (56) gemachten Versuchs hatte sie belehrt, daß sie für sich allein den Krieg weder zu führen noch auch nur hervorzurufen imstande waren; männiglich war es bekannt, daß selbst in dem Senat zwar die ganze Körperschaft mit wenigen vereinzelten Ausnahmen der Monarchie abgeneigt war, allein die Majorität doch das oligarchische Regiment nur dann restaurieren wollte, wenn es ohne Gefahr sich restaurieren ließ, womit es denn freilich gute Weile hatte. Gegenüber einesteils den Machthabern, andernteils dieser schlaffen Majorität, die vor allen Dingen und um jeden Preis Frieden verlangte und jedem entschiedenen Handeln, am meisten einem entschiedenen Bruch mit dem einen oder dem anderen der Machthaber abgeneigt war, lag für die Catonische Partei die einzige Möglichkeit, zu einer Restauration des alten Regiments zu gelangen, in der Koalition mit dem minder gefährlichen der Herrscher. Wenn Pompeius sich zu der oligarchischen Verfassung bekannte und für sie gegen Caesar zu streiten sich erbot, so konnte und mußte die republikanische Opposition ihn als ihren Feldherrn anerkennen und mit ihm im Bunde die furchtsame Majorität zur Kriegserklärung zwingen. Daß es Pompeius mit seiner Verfassungstreue nicht voller Ernst war, konnte zwar niemand entgehen; aber halb, wie er in allem war, war es ihm doch auch keineswegs so wie Caesar zum deutlichen und sicheren Bewußtsein gekommen, daß es das erste Geschäft des neuen Monarchen sein müsse, mit dem oligarchischen Gerümpel gründlich und abschließend aufzuräumen. Auf alle Fälle bildete der Krieg ein wirklich republikanisches Heer und wirklich republikanische Feldherren heran, und es konnte dann, nach dem Siege über Caesar, unter günstigeren Aussichten dazu geschritten werden, nicht bloß einen der Monarchen, sondern die im Werden begriffene Monarchie selbst zu beseitigen. Verzweifelt wie die Sache der Oligarchie stand, war das Anerbieten des Pompeius, mit ihr sich zu verbünden, für sie die möglichst günstige Fügung.

Der Abschluß der Allianz zwischen Pompeius und der catonischen Partei erfolgte verhältnismäßig rasch. Schon während Pompeius‘ Diktatur hatte beiderseits eine bemerkenswerte Annäherung stattgefunden. Pompeius ganzes Verhalten in der Milonischen Krise, seine schroffe Zurückweisung des die Diktatur ihm antragenden Pöbels, seine bestimmte Erklärung, nur vom Senat dies Amt annehmen zu wollen, seine unnachsichtige Strenge gegen die Ruhestörer jeder Art und namentlich gegen die Ultrademokraten, die auffallende Zuvorkommenheit, womit er Cato und dessen Gesinnungsgenossen behandelte, schienen ebenso darauf berechnet, die Männer der Ordnung zu gewinnen, wie sie für den Demokraten Caesar beleidigend waren. Andererseits hatten auch Cato und seine Getreuen den Antrag, Pompeius die Diktatur zu übertragen, statt ihn mit gewohntem Rigorismus zu bekämpfen, unter unwesentlichen Formänderungen zu dem ihrigen gemacht; zunächst aus den Händen des Bibulus und Cato hatte Pompeius das ungeteilte Konsulat empfangen. Wenn so schon zu Anfang des Jahres 702 (52) die Catonische Partei und Pompeius wenigstens stillschweigend sich verstanden, so durfte das Bündnis als förmlich abgeschlossen gelten, als bei den Konsulwahlen für 703 (51) zwar nicht Cato selbst gewählt ward, aber doch neben einem unbedeutenden Manne der Senatsmajorität einer der entschiedensten Anhänger Catos, Marcus Claudius Marcellus. Marcellus war kein stürmischer Eiferer und noch weniger ein Genie, aber ein charakterfester und strenger Aristokrat, eben der rechte Mann, um, wenn mit Caesar der Krieg begonnen werden sollte, denselben zu erklären. Wie die Verhältnisse lagen, kann diese nach den unmittelbar vorher gegen die republikanische Opposition ergriffenen Repressivmaßregeln so auffallende Wahl kaum anders erfolgt sein als mit Einwilligung oder wenigstens unter stillschweigender Zulassung des derzeitigen Machthabers von Rom. Langsam und schwerfällig, wie er pflegte, aber unverwandt schritt Pompeius auf den Bruch zu.

In Caesars Absicht lag es dagegen nicht, in diesem Augenblicke mit Pompeius sich zu überwerfen. Zwar ernstlich und auf die Dauer konnte er die Herrschergewalt mit keinem Kollegen teilen wollen, am wenigsten mit einem so untergeordneter Art, wie Pompeius war, und ohne Zweifel war er längst entschlossen, nach Beendigung der gallischen Eroberung die Alleinherrschaft für sich zu nehmen und nötigenfalls mit den Waffen zu erzwingen. Allein ein Mann wie Caesar, in dem der Offizier durchaus dem Staatsmann untergeordnet war, konnte nicht verkennen, daß die Regulierung des staatlichen Organismus durch Waffengewalt denselben in ihren Folgen tief und oft für immer zerrüttet, und mußte darum, wenn irgend möglich, die Verwicklung durch friedliche Mittel oder wenigstens ohne offenbaren Bürgerkrieg zu lösen suchen. War aber dennoch der Bürgerkrieg nicht zu vermeiden, so konnte er doch nicht wünschen, jetzt dazu gedrängt zu werden, wo in Gallien der Aufstand des Vercingetorix eben alles Erreichte aufs neue in Frage stellte und ihn vom Winter 701/02 (53/52) bis zum Winter 702/03 (52/51) unausgesetzt beschäftigte, wo Pompeius und die grundsätzlich ihm feindliche Verfassungspartei in Italien geboten. Darum suchte er das Verhältnis mit Pompeius und damit den Frieden aufrecht zu halten und, wenn irgend möglich, in friedlicher Weise zu dem bereits in Luca ihm zugesicherten Konsulat für 706 (48) zu gelangen. Ward er alsdann nach abschließender Erledigung der keltischen Angelegenheiten in ordnungsgemäßer Weise an die Spitze des Staates gestellt, so konnte er, der dem Staatsmann Pompeius noch weit entschiedener überlegen war als dem Feldherrn, wohl darauf rechnen, ohne besondere Schwierigkeit diesen in der Kurie und auf dem Forum auszumanövrieren. Vielleicht war es möglich, für seinen schwerfälligen, unklaren und hoffärtigen Nebenbuhler irgendeine ehrenvolle und einflußreiche Stellung zu ermitteln, in der dieser sich zu annullieren zufrieden war; die wiederholten Versuche Caesars, sich mit Pompeius verschwägert zu halten, mochten darauf abzielen, eine solche Lösung anzubahnen und in der Sukzession der aus beider Nebenbuhler Blut herstammenden Sprößlinge die letzte Schlichtung des alten Haders herbeizuführen. Die republikanische Opposition blieb dann führerlos, also wahrscheinlich ebenfalls ruhig und der Friede ward erhalten. Gelang dies nicht und mußten, wie es allerdings wahrscheinlich war, schließlich die Waffen entscheiden, so verfügte dann Caesar als Konsul in Rom über die gehorsame Senatsmajorität und konnte die Koalition der Pompeianer und der Republikaner erschweren, ja vielleicht vereiteln und den Krieg weit schicklicher und vorteilhafter führen, als wenn er jetzt als Prokonsul von Gallien gegen den Senat und dessen Feldherrn marschieren ließ. Allerdings hing das Gelingen dieses Planes davon ab, daß Pompeius gutmütig genug war, jetzt noch Caesar zu dem ihm in Luca zugesicherten Konsulat für 706 (48) gelangen zu lassen; aber selbst wenn er fehlschlug, war es für Caesar immer noch nützlich, die größte Nachgiebigkeit tatsächlich und wiederholt zu dokumentieren. Teils ward dadurch Zeit gewonnen, um inzwischen im Keltenland zum Ziele zu kommen, teils blieb den Gegnern die gehässige Initiative des Bruches und also des Bürgerkriegs, was sowohl der Senatsmajorität und der Partei der materiellen Interessen, also auch namentlich den eigenen Soldaten gegenüber für Caesar vom größten Belang war.

Hiernach handelte er. Er rüstete freilich: durch neue Aushebungen im Winter 702/03 (52/51) stieg die Zahl seiner Legionen, einschließlich der von Pompeius entlehnten, auf elf. Aber zugleich billigte er ausdrücklich und öffentlich Pompeius‘ Verhalten während der Diktatur und die durch ihn bewirkte Wiederherstellung der Ordnung in der Hauptstadt, wies die Warnungen geschäftiger Freunde als Verleumdungen zurück, rechnete jeden Tag, um den es gelang, die Katastrophe zu verzögern, sich zum Gewinn, übersah, was sich übersehen ließ, und ertrug, was ertragen werden konnte, unerschütterlich festhaltend nur an der einen und entscheidenden Forderung, daß, wenn mit dem Jahre 705 (49) seine Statthalterschaft zu Ende ging, das nach republikanischem Staatsrecht zulässige, von seinem Kollegen vertragsmäßig zugestandene zweite Konsulat für das Jahr 706 (48) ihm zuteil werde.

Ebendies wurde das Schlachtfeld des jetzt beginnenden diplomatischen Krieges. Wenn Caesar genötigt wurde, entweder sein Statthalteramt vor dem letzten Dezember 705 (49) niederzulegen oder die Übernahme des hauptstädtischen Amtes über den 1. Januar 706 (48) hinauszuschieben, er also eine Zeitlang zwischen Statthalterschaft und Konsulat ohne Amt, folglich der – nach römischem Recht nur gegen den amtlosen Mann zulässigen – Kriminalanklage ausgesetzt blieb, so hatte, da Cato längst bereit stand, ihn peinlich zu belangen, und da Pompeius ein mehr als zweifelhafter Beschützer war, das Publikum guten Grund, ihm in diesem Fall das Schicksal Milos zu prophezeien. Um aber jenes zu erreichen, gab es für Caesars Gegner ein sehr einfaches Mittel. Nach der bestehenden Wahlordnung war jeder Bewerber um das Konsulat verpflichtet, vor der Wahl, also ein halbes Jahr vor dem Amtsantritt, sich persönlich bei dem wahlleitenden Beamten zu melden und die Einzeichnung seines Namens in die offizielle Kandidatenliste zu bewirken. Es mag bei den Verträgen von Luca als selbstverständlich angesehen worden sein, daß Caesar von dieser rein formellen und sehr oft den Kandidaten erlassenen Verpflichtung dispensiert werde; allein das desfällige Dekret war noch nicht ergangen, und da Pompeius jetzt im Besitz der Dekretiermaschine war, hing Caesar in dieser Hinsicht von dem guten Willen seines Nebenbuhlers ab. Unbegreiflicherweise gab Pompeius diese vollkommen sichere Stellung freiwillig auf; mit seiner Einwilligung und während seiner Diktatur 702 (52) ward durch ein tribunizisches Gesetz Caesar die persönliche Meldung erlassen. Als indes bald darauf die neue Wahlordnung erging, war darin die Verpflichtung der Kandidaten, persönlich sich einschreiben zu lassen, allgemein wiederholt und keinerlei Ausnahme zu Gunsten der durch ältere Volksschlüsse davon Entbundenen hinzugefügt; nach formellem Recht war das zu Gunsten Caesars ergangene Privileg durch das jüngere allgemeine Gesetz aufgehoben. Caesar beschwerte sich, und die Klausel wurde auch nachgetragen, aber nicht durch besonderen Volksschluß bestätigt, so daß diese durch reine Interpolation dem schon promulgierten Gesetz eingefügte Bestimmung rechtlich nur als eine Nullität angesehen werden konnte. Was also Pompeius einfach hätte festhalten können, hatte er vorgezogen erst zu verschenken, sodann zurückzunehmen und diese Zurücknahme schließlich in illoyalster Weise zu bemänteln.

Wenn hiermit nur mittelbar auf Verkürzung der Statthalterschaft Caesars hingearbeitet ward, so verfolgte dagegen das gleichzeitig ergangene Regulativ über die Statthalterschaften dasselbe Ziel geradezu. Die zehn Jahre, auf welche, zuletzt durch das von Pompeius selbst in Gemeinschaft mit Crassus beantragte Gesetz, Caesar die Statthalterschaft gesichert worden war, liefen nach der hierfür üblichen Rechnung vom 1. März 695 (59) bis zum letzten Februar 705 (49). Da ferner nach der früheren Übung dem Prokonsul oder Proprätor das Recht zustand, unmittelbar nach Beendigung seines Konsulats oder seiner Prätur in sein Provinzialamt einzutreten, so war Caesars Nachfolger nicht aus den städtischen Beamten des Jahres 704 (50), sondern aus denen des Jahres 705 (49) zu ernennen und konnte also nicht vor dem 1. Januar 706 (48) eintreten. Insofern hatte Caesar auch noch während der letzten zehn Monate des Jahres 705 (49) ein Anrecht auf das Kommando, nicht auf Grund des Pompeisch-Licinischen Gesetzes, aber auf Grund der alten Regel, daß das befristete Kommando auch nach Ablauf der Frist bis zum Eintreffen des Nachfolgers fortdauert. Seitdem nun aber das neue Regulativ des Jahres 702 (52) nicht die abgehenden, sondern die vor fünf Jahren oder länger abgegangenen Konsuln und Prätoren zu den Statthalterschaften berief und also zwischen dem bürgerlichen Amt und dem Kommando, statt der bisherigen unmittelbaren Aufeinanderfolge, ein Intervall vorschrieb, war nichts mehr im Wege, jede gesetzlich erledigte Statthalterschaft sofort anderweitig zu besetzen, also in dem gegebenen Falle für die gallischen Provinzen den Kommandowechsel statt am 1. Januar 706 (48) vielmehr am 1. März 705 (49) herbeizuführen. Pompeius‘ kümmerliche Hinterhältigkeit und zögernde Tücke sind in diesen Veranstaltungen in merkwürdiger Weise gemischt mit dem knifflichen Formalismus und der konstitutionellen Gelehrsamkeit der Verfassungspartei. Jahre zuvor, ehe diese staatsrechtlichen Waffen gebraucht werden konnten, legte man sie sich zurecht und setzte sich in die Verfassung, teils Caesar vor dem Tage, wo die durch Pompeius‘ eigenes Gesetz ihm zugesicherte Frist zu Ende lief, also vom 1. März 705 (49) an, durch Sendung der Nachfolger zur Niederlegung des Kommandos nötigen, teils die bei den Wahlen für 706 (48) auf ihn lautenden Stimmtafeln als nichtige behandeln zu können. Caesar, nicht in der Lage, diese Schachzüge zu hindern, schwieg dazu und ließ die Dinge an sich kommen.

Allgemach rückte denn der verfassungsmäßige Schneckengang weiter. Nach der Observanz hatte der Senat über die Statthalterschaften des Jahres 705 (49), insofern sie an gewesene Konsuln kamen, zu Anfang des Jahres 703 (51), insofern sie an gewesene Prätoren kamen, zu Anfang des Jahres 704 (50) zu beraten; jene erstere Beratung gab den ersten Anlaß, die Ernennung von neuen Statthaltern für beide Gallien im Senat zur Sprache zu bringen und damit den ersten Anlaß zu offener Kollision zwischen der von Pompeius vorgeschobenen Verfassungspartei und den Vertretern Caesars im Senat. Der Konsul Marcus Marcellus brachte den Antrag ein, den beiden für 705 (49) mit Statthalterschaften auszustattenden Konsularen die beiden bisher von dem Prokonsul Gaius Caesar verwalteten vom 1. März jenes Jahres an zu überweisen. Die lange zurückgehaltene Erbitterung brach im Strom durch die einmal aufgezogene Schleuse; es kam bei diesen Unterhandlungen alles zur Sprache, was die Catonianer gegen Caesar im Sinn trugen. Für sie stand es fest, daß das durch Ausnahmegesetz dem Prokonsul Caesar gestattete Recht, sich abwesend zur Konsulwahl zu melden, durch späteren Volksschluß wieder aufgehoben, auch in diesem nicht in gültiger Weise vorbehalten sei. Der Senat sollte ihrer Meinung nach diesen Beamten veranlassen, da die Unterwerfung Galliens beendigt sei, die ausgedienten Soldaten sofort zu verabschieden. Die von Caesar in Oberitalien vorgenommenen Bürgerrechtsverleihungen und Koloniegründungen wurden von ihnen als verfassungswidrig und nichtig bezeichnet; davon zu weiterer Verdeutlichung verhängte Marcellus über einen angesehenen Ratsherrn der Caesarischen Kolonie Comum, der, selbst wenn diesem Ort nicht Bürger-, sondern nur latinisches Recht zukam, befugt war, das römische Bürgerrecht in Anspruch zu nehmen, die nur gegen Nichtbürger zulässige Strafe des Auspeitschens.

Caesars derzeitige Vertreter, unter denen Gaius Vibius Pansa, der Sohn eines von Sulla geächteten Mannes, aber dennoch in die politische Laufbahn gelangt, früher Offizier in Caesars Heer und in diesem Jahre Volkstribun, der namhafteste war, machten im Senat geltend, daß sowohl der Stand der Dinge in Gallien als auch die Billigkeit erfordere, nicht nur Caesar nicht vor der Zeit abzurufen, sondern vielmehr ihm das Kommando neben dem Konsulat zu lassen; sie wiesen ohne Zweifel darauf hin, daß vor wenigen Jahren Pompeius ganz ebenso die spanischen Statthalterschaften mit dem Konsulat vereinigt habe und noch gegenwärtig, außer dem wichtigen Oberaufsichtsamt über das hauptstädtische Verpflegungswesen, mit dem spanischen Oberkommando das von Italien kumuliere, ja dessen sämtliche waffenfähige Mannschaft von ihm eingeschworen und ihres Eides noch nicht entbunden sei.

Der Prozeß fing an sich zu formulieren, aber er kam darum nicht in rascheren Gang. Die Majorität des Senats, den Bruch kommen sehend, ließ es Monate lang zu keiner beschlußfähigen Sitzung kommen; und wieder andere Monate gingen über Pompeius‘ feierlichem Zaudern verloren. Endlich brach dieser das Schweigen und stellte sich zwar wie immer in rückhaltiger und unsicherer Weise, doch deutlich genug, gegen seinen bisherigen Verbündeten auf die Seite der Verfassungspartei. Die Forderung der Caesarianer, ihrem Herrn die Kumulierung des Konsulats mit dem Prokonsulat zu gestatten, wies er kurz und schroff von der Hand; dies Verlangen, fügte er mit plumper Grobheit hinzu, komme ihm nicht besser vor, als wenn der Sohn dem Vater Stockschläge anbiete. Dem Antrag des Marcellus stimmte er im Prinzip insofern bei, als auch er erklärte, Caesar den unmittelbaren Anschluß des Konsulats an das Prokonsulat nicht erlauben zu wollen. Indes ließ er durchblicken, ohne doch hierüber sich bindend zu erklären, daß man die Zulassung zu den Wahlen für 706 (48) unter Beseitigung der persönlichen Meldung sowie die Fortführung der Statthalterschaft bis zum 13. November 705 (49) äußersten Falls Caesar vielleicht gestatten werde. Zunächst aber willigte der unverbesserliche Zauderer in die Vertagung der Nachfolgerernennung bis nach dem letzten Februar 704 (50), was von Caesars Wortführern verlangt ward, wahrscheinlich auf Grund einer Klausel des Pompeisch-Licinischen Gesetzes, welche vor dem Anfang von Caesars letztem Statthalterjahr jede Verhandlung des Senats über die Nachfolgerernennung untersagte.

In diesem Sinne fielen denn die Beschlüsse des Senats aus (29. September 703 51). Die Besetzung der gallischen Statthalterschaften ward für den 1. März 704 (50) auf die Tagesordnung gebracht, schon jetzt aber die Sprengung der Armee Caesars, ähnlich wie es einst durch Volksschluß mit dem Heere des Lucullus geschehen war, in der Art in die Hand genommen, daß die Veteranen desselben veranlaßt wurden, sich wegen ihrer Verabschiedung an den Senat zu wenden. Caesars Vertreter bewirkten zwar, soweit sie verfassungsmäßig es konnten, die Kassation dieser Beschlüsse durch ihr tribunizisches Veto; allein Pompeius sprach sehr bestimmt aus, daß die Beamten verpflichtet seien, dem Staat unbedingt zu gehorchen und Interzessionen und ähnliche antiquierte Formalitäten hierin nichts ändern würden. Die oligarchische Partei, zu deren Organ Pompeius jetzt sich machte, verriet nicht undeutlich die Absicht, nach einem allfälligen Siege die Verfassung in ihrem Sinn zu revidieren und alles zu beseitigen, was wie Volksfreiheit auch nur aussah; wie sie denn auch, ohne Zweifel aus diesem Grunde, es unterließ, bei ihren gegen Caesar gerichteten Angriffen sich irgendwie der Komitien zu bedienen. Die Koalition zwischen Pompeius und der Verfassungspartei war also förmlich erklärt, auch über Caesar das Urteil offenbar bereits gefällt und nur der Termin der Eröffnung verschoben. Die Wahlen für das folgende Jahr fielen durchgängig gegen ihn aus.

Während dieser kriegsvorbereitenden Parteimanöver der Gegner war es Caesar gelungen, mit der gallischen Insurrektion fertigzuwerden und in dem ganzen unterworfenen Gebiet den Friedensstand herzustellen. Schon im Sommer 703 (51) zog er, unter dem schicklichen Vorwand der Grenzverteidigung, aber offenbar zum Zeichen dessen, daß die Legionen in Gallien jetzt anfingen entbehrt werden zu können, eine derselben nach Norditalien. Er mußte, wenn nicht früher, jedenfalls wohl jetzt erkennen, daß es ihm nicht erspart bleiben werde, das Schwert gegen seine Mitbürger zu ziehen; allein nichtsdestoweniger suchte er, da es höchst wünschenswert war, die Legionen noch eine Zeitlang in dem kaum beschwichtigten Gallien zu lassen, auch jetzt noch zu zögern und gab, wohl bekannt mit der extremen Friedensliebe der Senatsmajorität, die Hoffnung nicht auf, sie ungeachtet des von Pompeius auf sie ausgeübten Druckes von der Kriegserklärung noch zurückzuhalten. Selbst große Opfer scheute er nicht, um nur für jetzt nicht mit der obersten Regierungsbehörde in offenen Widerspruch zu geraten. Als der Senat (Frühling 704 50) auf Betrieb des Pompeius sowohl an diesen wie an Caesar das Ansuchen stellte, je eine Legion für den bevorstehenden Parthischen Krieg abzugeben, und als in Gemäßheit dieses Beschlusses Pompeius die vor mehreren Jahren an Caesar überlassene Legion von diesem zurückverlangte, um sie nach Syrien einzuschiffen, kam Caesar der zwiefachen Aufforderung nach, da an sich weder die Opportunität dieses Senatsbeschlusses noch die Berechtigung der Forderung des Pompeius sich bestreiten ließ und Caesar an der Einhaltung der Schranken des Gesetzes und der formalen Loyalität mehr gelegen war als an einigen tausend Soldaten mehr. Die beiden Legionen kamen ohne Verzug und stellten sich der Regierung zur Verfügung, aber statt sie an den Euphrat zu senden, hielt diese sie in Capua für Pompeius in Bereitschaft, und das Publikum hatte wieder einmal Gelegenheit, Caesars offenkundige Bemühungen, den Bruch abzuwenden, mit der perfiden Kriegsvorbereitung der Gegner zu vergleichen.

Für die Verhandlungen mit dem Senat war es Caesar gelungen, nicht nur den einen der beiden Konsuln des Jahres, Lucius Aemilius Paullus, zu erkaufen, sondern vor allem den Volkstribun Gaius Curio, wahrscheinlich das eminenteste unter den vielen liederlichen Genies dieser Epoche70: unübertroffen an vornehmer Eleganz, an fließender und geistreicher Rede, an Intrigengeschick und an jener Tatkraft, welche bei energisch angelegten, aber verlotterten Charakteren in den Pausen des Müßiggangs nur um so mächtiger sich regt; aber auch unübertroffen in wüster Wirtschaft, im Borgtalent – man schlug seine Schulden auf 60 Mill. Sesterzen (4½ Mill. Taler) an – und in sittlicher wie politischer Grundsatzlosigkeit. Schon früher hatte er Caesar sich zu Kauf angetragen und war abgewiesen worden: das Talent, das er seitdem in seinen Angriffen auf Caesar entwickelt hatte, bestimmte diesen, ihn nachträglich zu erstehen – der Preis war hoch, aber die Ware war es wert. Curio hatte in den ersten Monaten seines Volkstribunats den unabhängigen Republikaner gespielt und als solcher sowohl gegen Caesar wie gegen Pompeius gedonnert. Die anscheinend unparteiische Stellung, die dies ihm gab, benutzte er mit seltener Gewandtheit, um, als im März 704 (50) der Antrag über die Besetzung der gallischen Statthalterschaften für das nächste Jahr aufs neue im Senat zur Verhandlung kam, diesem Beschlusse vollständig beizupflichten, aber die gleichzeitige Ausdehnung desselben auch auf Pompeius und dessen außerordentliche Kommandos zu verlangen. Seine Auseinandersetzung, daß ein verfassungsmäßiger Zustand sich nur durch Beseitigung sämtlicher Ausnahmestellungen herbeiführen lasse, daß Pompeius, als nur vom Senat mit dem Prokonsulat betraut, noch viel weniger als Caesar demselben den Gehorsam verweigern könne, daß die einseitige Beseitigung des einen der beiden Generäle die Gefahr für die Verfassung nur steigere, leuchtete den politischen Halbweisen wie dem großen Publikum vollkommen ein, und Curios Erklärung, daß er jedes einseitige Vorschreiten gegen Caesar durch das verfassungsmäßig ihm zustehende Veto zu verhindern gedenke, fand in und außer dem Senat vielfach Billigung. Caesar erklärte sich mit Curios Vorschlag sofort einverstanden und erbot sich, Statthalterschaft und Kommando jeden Augenblick auf Anforderndes Senats niederzulegen, wofern Pompeius das gleiche tue; er durfte es, denn ohne sein italisch-spanisches Kommando war Pompeius nicht länger furchtbar. Dagegen konnte Pompeius eben deswegen nicht umhin sich zu weigern; seine Erwiderung, daß Caesar zuerst niederlegen müsse und er dem gegebenen Beispiel bald zu folgen gedenke, befriedigte um so weniger, als er nicht einmal einen bestimmten Termin für seinen Rücktritt ansetzte. Wieder stockte Monate lang die Entscheidung; Pompeius und die Catonianer, die bedenkliche Stimmung der Senatsmajorität erkennend, wagten es nicht, Curios Antrag zur Abstimmung zu bringen. Caesar benutzte den Sommer, um den Friedensstand in den von ihm eroberten Landschaften zu konstatieren, an der Schelde eine große Heerschau über seine Truppen und durch die ihm völlig ergebene norditalische Statthalterschaft einen Triumphzug zu halten; der Herbst fand ihn in der südlichen Grenzstadt seiner Provinz, in Ravenna. Die nicht länger zu verzögernde Abstimmung über Curios Antrag fand endlich statt und konstatierte die Niederlage der Partei des Pompeius und Cato in ihrem ganzen Umfang. Mit 370 gegen 30 Stimmen beschloß der Senat, daß die Prokonsuln von Spanien und Gallien beide aufzufordern seien, ihre Ämter zugleich niederzulegen; und mit grenzenlosem Jubel vernahmen die guten Bürger von Rom die frohe Botschaft von Curios rettender Tat. Pompeius ward also vom Senat nicht minder abberufen als Caesar, und während Caesar bereit stand, dem Befehl nachzukommen, verweigerte Pompeius geradezu den Gehorsam. Der vorsitzende Konsul Gaius Marcellus, des Marcus Marcellus Vetter und gleich diesem zur Catonischen Partei gehörig, hielt der servilen Majorität eine bittere Strafpredigt; und ärgerlich war es freilich, so im eigenen Lager geschlagen zu werden und geschlagen mittels der Phalanx der Memmen. Aber wo sollte der Sieg auch herkommen unter einem Führer, der, statt kurz und bestimmt den Senatoren seine Befehle zu diktieren, sich auf seine alten Tage bei einem Professor der Redekunst zum zweitenmal in die Lehre begab, um dem jugendfrischen glänzenden Talente Curios mit neu aufpolierter Eloquenz zu begegnen?

Die im Senat geschlagene Koalition war in der peinlichsten Lage. Die Catonische Fraktion hatte es übernommen, die Dinge zum Bruche zu treiben und den Senat mit sich fortzureißen und sah nun in der ärgerlichsten Weise ihr Fahrzeug auf den Sandbänken der schlaffen Majorität stranden. Von Pompeius mußten ihre Führer in den Konferenzen die bittersten Vorwürfe hören; er wies mit Nachdruck und mit vollem Recht auf die Gefahren des Scheinfriedens hin, und wenn es auch nur an ihm selber lag den Knoten durch eine rasche Tat zu durchhauen, so wußten seine Verbündeten doch sehr wohl, daß sie diese von ihm nimmermehr erwarten durften und daß es an ihnen war, wie sie es zugesagt, ein Ende zu machen. Nachdem die Vorfechter der Verfassung und des Senatsregiments bereits früher die verfassungsmäßigen Rechte der Bürgerschaft und der Volkstribune für inhaltlose Formalitäten erklärt hatten, sahen sie sich jetzt in die Notwendigkeit versetzt, die verfassungsmäßigen Entscheidungen des Senats selbst in ähnlicher Weise zu behandeln und, da die legitime Regierung nicht mit ihrem Willen sich wollte retten lassen, sie wider ihren Willen zu erretten. Es war das weder neu noch zufällig; in ganz ähnlicher Weise wie jetzt Cato und die Seinen hatten auch Sulla und Lucullus jeden im rechten Interesse der Regierung gefaßten energischen Entschluß derselben über den Kopf nehmen zu müssen: die Verfassungsmaschine war eben vollständig abgenutzt, und wie seit Jahrhunderten die Komitien, so jetzt auch der Senat nichts als ein lahmes, aus dem Geleise weichendes Rad.

Es ging die Rede (Oktober 704 50), daß Caesar vier Legionen aus dem Jenseitigen in das Diesseitige Gallien gezogen und bei Placentia aufgestellt habe. Obwohl diese Truppenverlegung an sich in den Befugnissen des Statthalters lag, Curio überdies die vollständige Grundlosigkeit des Gerüchts im Senat handgreiflich dartat und die Kurie den Antrag des Konsuls Gaius Marcellus, daraufhin Pompeius Marschbefehl gegen Caesar zu erteilen, mit Mehrheit verwarf, so begab sich dennoch der genannte Konsul in Verbindung mit den beiden für 705 (49) erwählten gleichfalls zur Catonischen Partei gehörigen Konsuln zu Pompeius, und diese drei Männer ersuchten kraft eigener Machtvollkommenheit den General, sich an die Spitze der beiden bei Capua stehenden Legionen zu stellen und nach Ermessen die italische Wehrmannschaft unter die Waffen zu rufen. Eine formwidrigere Vollmacht zur Eröffnung des Bürgerkrieges ließ schwer sich denken; allein man hatte keine Zeit mehr, auf solche Nebensachen Rücksicht zu nehmen: Pompeius nahm sie an. Die Kriegsvorbereitungen, die Aushebungen begannen; um sie persönlich zu fördern, verließ Pompeius im Dezember 704 (50) die Hauptstadt.

Caesar hatte es vollständig erreicht, den Gegnern die Initiative des Bürgerkrieges zuzuschieben. Er hatte, während er selber den Rechtsboden festhielt, Pompeius gezwungen, den Krieg zu erklären, und ihn zu erklären nicht als Vertreter der legitimen Gewalt, sondern als Feldherr einer offenbar revolutionären und die Mehrheit terrorisierenden Senatsminorität. Es war dieser Erfolg nicht gering anzuschlagen, wenngleich der Instinkt der Massen sich keinen Augenblick darüber täuschen konnte und täuschte, daß es in diesem Krieg sich um andere Dinge handelte als um formale Rechtsfragen. Nun, wo der Krieg erklärt war, lag es in Caesars Interesse, baldmöglichst zum Schlagen zu kommen. Die Rüstungen der Gegner waren erst im Beginnen und selbst die Hauptstadt unbesetzt. In zehn bis zwölf Tagen konnte daselbst eine den in Oberitalien stehenden Truppen Caesars dreifach überlegene Armee beisammen sein; aber noch war es nicht unmöglich, Rom unverteidigt zu überrumpeln, ja vielleicht durch einen raschen Winterfeldzug ganz Italien einzunehmen und den Gegnern ihre besten Hilfsquellen zu verschließen, bevor sie noch dieselben nutzbar zu machen vermochten. Der kluge und energische Curio, der nach Niederlegung seines Tribunats (9. Dezember 704 50) sofort zu Caesar nach Ravenna gegangen war, stellte seinem Meister die Lage der Dinge lebhaft vor, und es bedurfte dessen schwerlich, um Caesar zu überzeugen, daß jetzt längeres Zaudern nur schaden könne. Allein da er, um nicht den Gegnern Veranlassung zu Beschwerden zu geben, nach Ravenna selbst bisher keine Truppen gezogen hatte, konnte er für jetzt nichts tun, als seinen sämtlichen Korps den Befehl zum schleunigsten Aufbruch zufertigen und mußte warten, bis wenigstens die eine in Oberitalien stehende Legion in Ravenna eintraf. Inzwischen sandte er ein Ultimatum nach Rom, das, wenn zu nichts anderem, doch dazu nützlich war, daß es durch Nachgiebigkeit bis aufs äußerste seine Gegner noch weiter in der öffentlichen Meinung kompromittierte und vielleicht sogar, indem er selber zu zaudern schien, sie bestimmte, die Rüstungen gegen ihn lässiger zu betreiben. In diesem Ultimatum ließ Caesar alle früheren an Pompeius gestellten Gegenforderungen fallen und erbot sich seinerseits, bis zu der von dem Senate festgesetzten Frist sowohl die Statthalterschaft des Jenseitigen Galliens niederzulegen als auch von den zehn ihm eigenen Legionen acht aufzulösen; er erklärte sich befriedigt, wenn der Senat ihm entweder die Statthalterschaft des Diesseitigen Galliens und Illyriens mit einer oder auch die des Diesseitigen Galliens allein mit zwei Legionen, nicht etwa bis zur Übernahme des Konsulats, sondern bis nach Beendigung der Konsulwahlen für 706 (48) belasse. Er ging also auf diejenigen Vergleichsvorschläge ein, mit denen zu Anfang der Verhandlungen die Senatspartei, ja Pompeius selbst erklärt hatten, sich befriedigen zu wollen, und zeigte sich bereit, von der Wahl zum Konsulat bis zum Antritt desselben im Privatstand zu verharren. Ob es Caesar mit diesen erstaunlichen Zugeständnissen Ernst war und er sein Spiel gegen Pompeius selbst bei solchem Vorgeben durchführen zu können sich getraute oder ob er darauf rechnete, daß man auf der andern Seite bereits zu weit gegangen sei, um in diesen Vergleichsvorschlägen mehr zu finden als den Beweis dafür, daß Caesar seine Sache selbst als verloren betrachte, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit ist dafür, daß Caesar weit eher den Fehler allzukecken Spielens als den schlimmeren beging, etwas zu versprechen, was er nicht zu halten gesonnen war, und daß, wenn wunderbarerweise seine Vorschläge angenommen worden wären, er sein Wort gutgemacht haben würde. Curio übernahm es, seinen Herrn noch einmal in der Höhle des Löwen zu vertreten. In drei Tagen durchflog er die Straße von Ravenna nach Rom; als die neuen Konsuln Lucius Lentulus und Gaius Marcellus der jüngere71 zum erstenmal am 1. Januar 705 (49) den Senat versammelten, übergab er in voller Sitzung das von dem Feldherrn an den Senat gerichtete Schreiben. Die Volkstribune Marcus Antonius, in der Skandalchronik der Stadt bekannt als Curios vertrauter Freund und aller seiner Torheiten Genosse, aber zugleich auch aus den ägyptischen und gallischen Feldzügen als glänzender Reiteroffizier, und Quintus Cassius, Pompeius‘ ehemaliger Quästor, welche beide jetzt an Curios Stelle Caesars Sache in Rom führten, erzwangen die sofortige Verlesung der Depesche. Die ernsten und klaren Warte, in denen Caesar den drohenden Bürgerkrieg, den allgemeinen Wunsch nach Frieden, Pompeius‘ Übermut, seine eigene Nachgiebigkeit mit der ganzen unwiderstehlichen Macht der Wahrheit darlegte, die Vergleichsvorschläge von einer ohne Zweifel seine eigenen Anhänger überraschenden Mäßigung, die bestimmte Erklärung, daß hiermit die Hand zum Frieden zum letztenmal geboten sei, machten den tiefsten Eindruck. Trotz der Furcht vor den zahlreich in die Hauptstadt geströmten Soldaten des Pompeius war die Gesinnung der Majorität nicht zweifelhaft; man durfte nicht wagen, sie sich aussprechen zu lassen. Über den von Caesar erneuerten Vorschlag, daß beiden Statthaltern zugleich die Niederlegung ihres Kommandos aufgegeben werden möge, über alle durch sein Schreiben nahegelegten Vergleichsvorschläge und über den von Marcus Caelius Rufus und Marcus Calidius gestellten Antrag, Pompeius zur sofortigen Abreise nach Spanien zu veranlassen, weigerten sich die Konsuln, wie sie als Vorsitzende es durften, die Abstimmung zu eröffnen. Selbst der Antrag eines der entschiedensten Gesinnungsgenossen, der nur nicht gegen die militärische Lage der Dinge so blind war wie seine Partei, des Marcus Marcellus: die Beschlußfassung auszusetzen, bis der italische Landsturm unter Waffen stehe und den Senat zu schützen vermöge, durfte nicht zur Abstimmung gebracht werden. Pompeius ließ durch sein gewöhnliches Organ Quintus Scipio erklären, daß er jetzt oder nie die Sache des Senats aufzunehmen entschlossen sei und sie fallen lasse, wenn man noch länger zaudere. Der Konsul Lentulus sprach es unumwunden aus, daß es gar auf den Beschluß des Senats nicht mehr ankomme, sondern, wenn derselbe bei seiner Servilität verharren sollte, er von sich aus handeln und mit seinen mächtigen Freunden das weitere veranlassen werde. So terrorisiert, beschloß die Majorität, was ihr befohlen ward: daß Caesar bis zu einem bestimmten, nicht fernen Tage das Jenseitige Gallien an Lucius Domitius Ahenobarbus, das Diesseitige an Marcus Servilius Nonianus abzugeben und das Heer zu entlassen habe, widrigenfalls er als Hochverräter erachtet werde. Als die Tribune von Caesars Partei gegen diesen Beschluß ihres Interzessionsrechts sich bedienten, wurden sie nicht bloß, wie sie wenigstens behaupteten, in der Kurie selbst von Pompeianischen Soldaten mit den Schwertern bedroht und, um ihr Leben zu retten, in Sklavenkleidern aus der Hauptstadt zu flüchten gezwungen, sondern es behandelte auch der nun hinreichend eingeschüchterte Senat ihr formell durchaus verfassungsmäßiges Einschreiten wie einen Revolutionsversuch, erklärte das Vaterland in Gefahr und rief in den üblichen Formen die gesamte Bürgerschaft unter die Waffen und an die Spitze der Bewaffneten die sämtlichen verfassungstreuen Beamten (7. Januar 705 49).

Nun war es genug. Wie Caesar durch die schutzflehend zu ihm ins Lager flüchtenden Tribune von der Aufnahme in Kenntnis gesetzt ward, welche seine Vorschläge in der Hauptstadt gefunden hatten, rief er die Soldaten der dreizehnten Legion, die inzwischen aus ihren Kantonierungen bei Tergeste (Triest) in Ravenna eingetroffen war, zusammen und entwickelte vor ihnen den Stand der Dinge. Es war nicht bloß der geniale Herzenskündiger und Geisterbeherrscher, dessen glänzende Rede in diesem erschütternden Wendepunkt seines und des Weltgeschicks hoch emporleuchtete und flammte; nicht bloß der freigebige Heermeister und der sieghafte Feldherr, welcher zu den Soldaten sprach, die von ihm selbst unter die Waffen gerufen und seit acht Jahren mit immer steigender Begeisterung seinen Fahnen gefolgt waren; es sprach vor allem der energische und konsequente Staatsmann, der nun seit neunundzwanzig Jahren die Sache der Freiheit in guter und böser Zeit vertreten, für sie den Dolchen der Mörder und den Henkern der Aristokratie, den Schwertern der Deutschen und den Fluten des unbekannten Ozeans Trotz geboten hatte, ohne je zu weichen und zu wanken, der die Sullanische Verfassung zerrissen, das Regiment des Senats gestürzt, die wehr- und waffenlose Demokratie in dem Kampfe jenseits der Alpen beschildet und bewehrt hatte; und er sprach nicht zu dem clodianischen Publikum, dessen republikanischer Enthusiasmus längst zu Asche und Schlacken niedergebrannt war, sondern zu den jungen Mannschaften aus den Städten und Dörfern Norditaliens, die den mächtigen Gedanken der bürgerlichen Freiheit noch frisch und rein empfanden, die noch fähig waren, für Ideale zu fechten und zu sterben, die selbst für ihre Landschaft das von der Regierung ihnen versagte Bürgerrecht in revolutionärer Weise von Caesar empfangen hatten, die Caesars Sturz den Ruten und Beilen abermals preisgab und die die tatsächlichen Beweise bereits davon besaßen, wie unerbittlichen Gebrauch die Oligarchie davon gegen die Transpadaner zu machen gedachte. Vor solchen Zuhörern legte ein solcher Redner die Tatsachen dar: den Dank für die Eroberung Galliens, den der Adel dem Feldherrn und dem Heer bereitete, die geringschätzige Beseitigung der Komitien, die Terrorisierung des Senats, die heilige Pflicht, das vor einem halben Jahrtausend von den Vätern mit den Waffen in der Hand dem Adel abgezwungene Volkstribunat mit gewaffneter Hand zu schirmen, den alten Schwur zu halten, den jene für sich wie für die Enkel ihrer Enkel geleistet, für die Tribune der Gemeinde Mann für Mann einzustehen bis in den Tod. Als dann er, der Führer und Feldherr der Popularpartei, die Soldaten des Volkes aufrief, jetzt, nachdem der Güteversuch erschöpft, die Nachgiebigkeit an den äußersten Grenzen angelangt war, jetzt ihm zu folgen in den letzten, den unvermeidlichen, den entscheidenden Kampf gegen den ebenso verhaßten wie verachteten, ebenso perfiden wie unfähigen und bis zur Lächerlichkeit unverbesserlichen Adel – da war kein Offizier und kein Soldat, der sich zurückgehalten hätte. Der Aufbruch war befohlen; an der Spitze seines Vortrabs überschritt Caesar den schmalen Bach, der seine Provinz von Italien schied und jenseits dessen die Verfassung den Prokonsul von Gallien bannte. Indem er nach neunjähriger Abwesenheit den Boden des Vaterlandes wieder betrat, betrat er zugleich die Bahn der Revolution. „Die Würfel waren geworfen.“

  1. Tigranes lebte noch im Februar 698 (56) (Cic. Sest. 27, 59); dagegen herrschte Artavasdes schon vor 700 (54) (Iust. 42, 2, 4; Plut. Crass. 49).
  2. homo ingeniosissime nequam (Vell, 2, 48).
  3. Zu unterscheiden von dem gleichnamigen Konsul des Jahres 704 (SO); dieser war ein Vetter, der Konsul des Jahres 705 (49) ein Bruder des Marcus Marcellus, Konsul 703 (51).

10. Kapitel


10. Kapitel

Brundisium, Ilerda, Pharsalos und Thapsus

Zwischen den beiden bisherigen Gesamtherrschern von Rom sollten also die Waffen entscheiden, wer von ihnen berufen sei, Roms erster Alleinherrscher zu sein. Sehen wir, wie für die bevorstehende Kriegführung zwischen Caesar und Pompeius sich das Machtverhältnis gestellt hatte.

Caesars Macht ruhte zunächst auf der völlig unumschränkten Gewalt, deren er innerhalb seiner Partei genoß. Wenn die Ideen der Demokratie und der Monarchie in ihr zusammenflossen, so war dies nicht die Folge einer zufällig eingegangenen und zufällig lösbaren Koalition, sondern es war im tiefsten Wesen der Demokratie ohne Repräsentativverfassung begründet, daß Demokratie wie Monarchie zugleich ihren höchsten und letzten Ausdruck in Caesar fanden. Politisch wie militärisch entschied Caesar durchaus in erster und letzter Instanz. In wie hohen Ehren er auch jedes brauchbare Werkzeug hielt, so blieb es doch immer Werkzeug: Caesar stand innerhalb seiner Partei ohne Genossen, nur umgeben von militärisch-politischen Adjutanten, die in der Regel aus der Armee hervorgegangen und als Soldaten geschult waren, nirgends nach Grund und Zweck zu fragen, sondern unbedingt zu gehorchen. Darum vor allem hat in dem entscheidenden Augenblick, als der Bürgerkrieg begann, von allen Soldaten und Offizieren Caesars nur ein einziger ihm den Gehorsam verweigert; und es bestätigt nur diese Auffassung des Verhältnisses Caesars zu seinen Anhängern, daß dieser eine eben von allen der Erste war. Titus Labienus hatte mit Caesar alle Drangsale der düsteren catilinarischen Zeit wie allen Glanz der gallischen Siegeslaufbahn geteilt, hatte regelmäßig selbständig befehligt und häufig die halbe Armee geführt; er war ohne Frage wie der älteste, tüchtigste und treueste unter Caesars Adjutanten, so auch der höchstgestellte und am höchsten geehrte. Noch im Jahre 704 (50) hatte Caesar ihm den Oberbefehl im Diesseitigen Gallien übertragen, um teils diesen Vertrauensposten in sichere Hand zu geben, teils zugleich Labienus in seiner Bewerbung um das Konsulat damit zu fördern. Allein ebenhier trat Labienus mit der Gegenpartei in Verbindung, begab sich beim Beginn der Feindseligkeiten im Jahre 705 (49), statt in Caesars in Pompeius‘ Hauptquartier und kämpfte während des ganzen Bürgerkrieges mit beispielloser Erbitterung gegen seinen alten Freund und Kriegsherrn. Wir sind weder über Labienus‘ Charakter noch über die einzelnen Umstände seines Parteiwechsels genügend unterrichtet; im wesentlichen aber liegt hier sicher nichts vor als ein weiterer Beleg dafür, daß der Kriegsfürst weit sicherer auf seine Hauptleute als auf seine Marschälle zählen kann. Allem Anschein nach war Labienus eine jener Persönlichkeiten, die mit militärischer Brauchbarkeit vollständige staatsmännische Unfähigkeit vereinigen und die dann, wenn sie unglücklicherweise Politik machen wollen oder müssen, jenen tollen Schwindelanfällen ausgesetzt sind, wovon die Geschichte der Napoleonischen Marschälle so manches tragikomische Beispiel aufzeigt. Er mochte wohl sich berechtigt halten, als das zweite Haupt der Demokratie neben Caesar zu gelten; und daß er mit diesem Anspruch zurückgewiesen ward, wird ihn in das Lager der Gegner geführt haben. Es zeigte hier zum ersten Male sich die ganze Schwere des Übelstandes, daß Caesars Behandlung seiner Offiziere als unselbständiger Adjutanten keine zur Übernahme eines abgesonderten Kommandos geeigneten Männer in seinem Lager emporkommen ließ, während er doch bei der leicht vorherzusehenden Zersplitterung der bevorstehenden Kriegführung durch alle Provinzen des weiten Reiches ebensolcher Männer dringend bedurfte. Allein dieser Nachteil wurde dennoch weit aufgewogen durch die erste und nur um diesen Preis zu bewahrende Bedingung eines jeden Erfolgs, die Einheit der obersten Leitung.

Die einheitliche Leitung erhielt ihre volle Gewalt durch die Brauchbarkeit der Werkzeuge. Hier kam in erster Linie in Betracht die Armee. Sie zählte noch neun Legionen Infanterie oder höchstens 50000 Mann, welche aber alle vor dem Feinde gestanden und von denen zwei Drittel sämtliche Feldzüge gegen die Kelten mitgemacht hatten. Die Reiterei bestand aus deutschen und norischen Söldnern, deren Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit in dem Kriege gegen Vercingetorix erprobt worden war. Der achtjährige Krieg voll mannigfacher Wechselfälle gegen die tapfere, wenn auch militärisch der italischen entschieden nachstehende keltische Nation hatte Caesar die Gelegenheit gegeben, seine Armee zu organisieren, wie nur er zu organisieren verstand. Alle Brauchbarkeit des Soldaten setzt physische Tüchtigkeit voraus: bei Caesars Aushebungen wurde auf Stärke und Gewandtheit der Rekruten mehr als auf Vermögen und Moralität gesehen. Aber die Leistungsfähigkeit der Armee beruht, wie die einer jeden Maschine, vor allen Dingen auf der Leichtigkeit und Schnelligkeit der Bewegung: in der Bereitschaft zum sofortigen Aufbruch zu jeder Zeit und in der Schnelligkeit des Marschierens erlangten Caesars Soldaten eine selten erreichte und wohl nie übertroffene Vollkommenheit. Mut galt natürlich über alles: die Kunst, den kriegerischen Wetteifer und den Korpsgeist anzufachen, so daß die Bevorzugung einzelner Soldaten und Abteilungen selbst den Zurückstehenden als die notwendige Hierarchie der Tapferkeit erschien, übte Caesar mit unerreichter Meisterschaft. Er gewöhnte den Leuten das Fürchten ab, indem er, wo es ohne ernste Gefahr geschehen konnte, die Soldaten nicht selten von einem bevorstehenden Kampf nicht in Kenntnis setzte, sondern sie unvermutet auf den Feind treffen ließ. Aber der Tapferkeit gleich stand der Gehorsam. Der Soldat wurde angehalten, das Befohlene zu tun, ohne nach Ursache und Absicht zu fragen; manche zwecklose Strapaze wurde einzig als Übung in der schweren Kunst der blinden Folgsamkeit ihm auferlegt. Die Disziplin war streng, aber nicht peinlich: unnachsichtlich ward sie gehandhabt, wenn der Soldat vor dem Feinde stand; zu anderen Zeiten, vor allem nach dem Siege, wurden die Zügel nachgelassen, und wenn es dem sonst brauchbaren Soldaten dann beliebte, sich zu parfümieren oder mit eleganten Waffen und andern Dingen sich zu putzen, ja sogar, wenn er Brutalitäten oder Unrechtfertigkeiten selbst bedenklicher Art sich zu Schulden kommen ließ und nur nicht zunächst die militärischen Verhältnisse dadurch berührt wurden, so ging die Narrenteidung wie das Verbrechen ihm hin und die desfälligen Klagen der Provinzialen fanden bei dem Feldherrn ein taubes Ohr. Meuterei dagegen ward, nicht bloß den Anstiftern, sondern selbst dem Korps, niemals verziehen. Aber der rechte Soldat soll nicht bloß überhaupt tüchtig, tapfer und gehorsam, sondern er soll dies alles willig, ja freiwillig sein; und nur genialen Naturen ist es gegeben, durch Beispiel und durch Hoffnung und vor allem durch das Bewußtsein, zweckmäßig gebraucht zu werden, die beseelte Maschine, die sie regieren, zum freudigen Dienen zu bestimmen. Wenn der Offizier, um von seinen Leuten Tapferkeit zu verlangen, selbst mit ihnen der Gefahr ins Auge gesehen haben muß, so hatte Caesar auch als Feldherr Gelegenheit gehabt, den Degen zu ziehen und dann gleich dem Besten ihn gebraucht; an Tätigkeit aber und Strapazen mutete er stets sich selbst weit mehr zu als seinen Soldaten. Caesar sorgte dafür, daß an den Sieg, der zunächst freilich dem Feldherrn Gewinn bringt, doch auch für den Soldaten sich persönliche Hoffnungen knüpften. Daß er es verstand, die Soldaten für die Sache der Demokratie zu begeistern, soweit die prosaisch gewordene Zeit noch Begeisterung gestattet, und daß die politische Gleichstellung der transpadanischen Landschaft, der Heimat seiner meisten Soldaten, mit dem eigentlichen Italien als eines der Kampfziele hingestellt ward, wurde schon erwähnt. Es versteht sich, daß daneben auch materielle Prämien nicht fehlten, sowohl besondere für hervorragende Waffentaten, wie allgemeine für jeden tüchtigen Soldaten; daß die Offiziere dotiert, die Soldaten beschenkt und für den Triumph die verschwenderischsten Gaben in Aussicht gestellt wurden. Aber vor allen Dingen verstand es Caesar als wahrer Heermeister, in jedem einzelnen großen oder kleinen Triebrad des mächtigen Instruments das Gefühl zweckmäßiger Verwendung zu erwecken. Der gewöhnliche Mensch ist zum Dienen bestimmt und er sträubt sich nicht, Werkzeug zu sein, wenn er fühlt, daß ein Meister ihn lenkt. Allgegenwärtig und jederzeit ruhte der Adlerblick des Feldherrn auf dem ganzen Heer, mit unparteiischer Gerechtigkeit belohnend und bestrafend und der Tätigkeit eines jeden die zum Besten aller dienenden Wege weisend, so daß auch mit des Geringsten Schweiß und Blut nicht experimentiert oder gespielt, darum aber auch, wo es nötig war, unbedingte Hingebung bis in den Tod gefordert ward. Ohne dem einzelnen in das gesamte Triebwerk den Einblick zu gestatten, ließ Caesar ihn doch genug von dem politischen und militärischen Zusammenhang der Dinge ahnen, um als Staatsmann und Feldherr von dem Soldaten erkannt, auch wohl idealisiert zu werden. Durchaus behandelte er die Soldaten nicht als seinesgleichen, aber als Männer, welche Wahrheit zu fordern berechtigt und zu ertragen fähig waren, und die den Versprechungen und Versicherungen des Feldherrn Glauben zu schenken hatten, ohne Prellerei zu vermuten oder auf Gerüchte zu horchen; als langjährige Kameraden in Krieg und Sieg, unter denen kaum einer war, den er nicht mit Namen kannte und bei dem sich nicht in all den Feldzügen ein mehr oder minder persönliches Verhältnis zu dem Feldherrn gebildet hätte; als gute Genossen, mit denen er zutraulich und mit der ihm eigenen heiteren Elastizität schwatzte und verkehrte; als Schutzbefohlene, deren Dienste zu vergelten, deren Unbill und Tod zu rächen ihm heilige Pflicht war. Vielleicht nie hat es eine Armee gegeben, die so vollkommen war, was die Armee sein soll: eine für ihre Zwecke fähige und für ihre Zwecke willige Maschine in der Hand eines Meisters, der auf sie seine eigene Spannkraft überträgt. Caesars Soldaten waren und fühlten sich zehnfacher Übermacht gewachsen: wobei nicht übersehen werden darf, daß bei der durchaus auf das Handgemenge und vornehmlich den Schwertkampf berechneten römischen Taktik der geübte römische Soldat dem Neuling in noch weit höherem Grade überlegen war, als dies unter den heutigen Verhältnissen der Fall ist72. Aber noch mehr als durch die überlegene Tapferkeit fühlten die Gegner sich gedemütigt durch die unwandelbare und rührende Treue, mit der Caesars Soldaten an ihrem Feldherrn hingen. Es ist wohl ohne Beispiel in der Geschichte, daß, als der Feldherr seine Soldaten aufrief, ihm in den Bürgerkrieg zu folgen, mit der einzigen, schon erwähnten Ausnahme des Labienus kein römischer Offizier und kein römischer Soldat ihn im Stich ließ. Die Hoffnungen der Gegner auf eine ausgedehnte Desertion scheiterten ebenso schmählich wie der frühere Versuch, sein Heer wie das des Lucullus auseinander zu sprengen; selbst Labienus erschien in Pompeius‘ Lager wohl mit einem Haufen keltischer und deutscher Reiter, aber ohne einen einzigen Legionär. Ja die Soldaten, als wollten sie zeigen, daß der Krieg ganz ebenso ihre Sache sei wie die des Feldherrn, machten unter sich aus, daß sie den Sold, den ihnen Caesar beim Ausbruch des Bürgerkrieges zu verdoppeln versprochen hatte, bis zu dessen Beendigung dem Feldherrn kreditieren und inzwischen die ärmeren Kameraden aus allgemeinen Mitteln unterstützen wollten; überdies rüstete und besoldete jeder Unteroffizier einen Reiter aus seiner Tasche.

Wenn also Caesar das eine hatte, was not tat: unbeschränkte politische und militärische Gewalt und eine schlagfertige zuverlässige Armee, so dehnte seine Macht verhältnismäßig sich nur über einen sehr beschränkten Raum aus. Sie ruhte wesentlich auf der oberitalischen Provinz. Diese Landschaft war nicht bloß die am besten bevölkerte unter allen italischen, sondern auch der Sache der Demokratie als ihrer eigenen ergeben. Von der daselbst herrschenden Stimmung zeugt das Verhalten einer Abteilung Rekruten von Opitergium (Oderzo in der Delegation Treviso), die nicht lange nach dem Ausbruch des Krieges in den illyrischen Gewässern, auf einem elenden Floß von den feindlichen Kriegsschiffen umzingelt, den ganzen Tag bis zur sinkenden Sonne sich zusammenschießen ließen, ohne sich zu ergeben, und, soweit sie den Geschossen entgangen waren, in der folgenden Nacht mit eigener Hand sich den Tod gaben. Man begreift, was einer solchen Bevölkerung zugemutet werden konnte. Wie sie Caesar bereits die Mittel gewährt hatte, seine ursprüngliche Armee mehr als zu verdoppeln, so stellten auch nach Ausbruch des Bürgerkrieges zu den sofort angeordneten umfassenden Aushebungen die Rekruten zahlreich sich ein. In dem eigentlichen Italien dagegen war Caesars Einfluß dem der Gegner nicht entfernt zu vergleichen. Wenn er auch durch geschickte Manöver die Catonische Partei ins Unrecht zu setzen gewußt und alle, die einen Vorwand wünschten, um mit gutem Gewissen entweder neutral zu bleiben, wie die Senatsmajorität, oder seine Partei zu ergreifen, wie seine Soldaten und die Transpadaner, von seinem guten Recht hinreichend überzeugt hatte, so ließ sich doch die Masse der Bürgerschaft natürlich dadurch nicht irren und sah, als der Kommandant von Gallien seine Legionen gegen Rom in Bewegung setzte, allen formalen Rechtserörterungen zum Trotz, in Cato und Pompeius die Verteidiger der legitimen Republik, in Caesar den demokratischen Usurpator. Allgemein erwartete man ferner von dem Neffen des Marius, dem Schwiegersöhne des Cinna, dem Verbündeten des Catilina die Wiederholung der Marianisch-Cinnanischen Greuel, die Realisierung der von Catilina entworfenen Saturnalien der Anarchie; und wenn auch Caesar hierdurch allerdings Verbündete gewann, die politischen Flüchtlinge sofort in Masse sich ihm zur Verfügung stellten, die verlorenen Leute ihren Erlöser in ihm sahen, die niedrigsten Schichten des haupt- und landstädtischen Pöbels auf die Kunde von seinem Anmarsch in Gärung gerieten, so waren dies doch von den Freunden, die gefährlicher als die Feinde sind. Noch weniger als in Italien hatte Caesar in den Provinzen und den Klientelstaaten Einfluß. Das Transalpinische Gallien bis zum Rhein und zum Kanal gehorchte ihm zwar, und die Kolonisten von Narbo sowie die sonst daselbst ansässigen römischen Bürger waren ihm ergeben; allein selbst in der Narbonensischen Provinz hatte die Verfassungspartei zahlreiche Anhänger, und nun gar die neueroberten Landschaften waren für Caesar in dem bevorstehenden Bürgerkrieg weit mehr eine Last als ein Vorteil, wie er denn aus guten Gründen in demselben von dem keltischen Fußvolk gar keinen, von der Reiterei nur sparsamen Gebrauch machte. In den übrigen Provinzen und den benachbarten, halb oder ganz unabhängigen Staaten hatte Caesar wohl auch versucht, sich Rückhalt zu verschaffen, hatte den Fürsten reiche Geschenke gespendet, in manchen Städten große Bauten ausführen lassen und in Notfällen ihnen finanziellen und militärischen Beistand gewährt; allein im ganzen war natürlich damit nicht viel erreicht worden, und die Beziehungen zu den deutschen und keltischen Fürsten in den Rhein- und Donaulandschaften, namentlich die der Reiterwerbung wegen wichtige zu dem norischen König Voccio waren wohl die einzigen derartigen Verhältnisse, die für ihn etwas bedeuten mochten.

Wenn Caesar also in den Kampf eintrat nur als Kommandant von Gallien, ohne andere wesentliche Hilfsmittel als brauchbare Adjutanten, ein treues Heer und eine ergebene Provinz, so begann ihn Pompeius als tatsächliches Oberhaupt des römischen Gemeinwesens und im Vollbesitz aller der legitimen Regierung des großen römischen Reiches zur Verfügung stehenden Hilfsquellen. Allein wenn seine Stellung politisch und militärisch weit ansehnlicher war, so war sie dagegen auch weit minder klar und fest. Die Einheit der Oberleitung, die aus Caesars Stellung sich von selbst und mit Notwendigkeit ergab, war dem Wesen der Koalition zuwider; und obwohl Pompeius, zu sehr Soldat, um sich über die Unentbehrlichkeit derselben zu täuschen, sie der Koalition aufzuzwingen versuchte und sich vom Senat zum alleinigen und unumschränkten Oberfeldherrn zu Lande und zur See ernennen ließ, so konnte doch der Senat selbst nicht beseitigt und ein überwiegender Einfluß auf die politische, ein gelegentliches und darum doppelt schädliches Eingreifen in die militärische Oberleitung ihm nicht verwehrt werden. Die Erinnerung an den zwanzigjährigen, auf beiden Seiten mit vergifteten Waffen geführten Krieg zwischen Pompeius und der Verfassungspartei, das auf beiden Seiten lebhaft vorhandene und mühsam verhehlte Bewußtsein, daß die nächste Folge des erfochtenen Sieges der Bruch zwischen den Siegern sein werde, die Verachtung, die man gegenseitig und von beiden Seiten mit nur zu gutem Grund sich zollte, die unbequeme Anzahl angesehener und einflußreicher Männer in den Reihen der Aristokratie und die geistige und sittliche Inferiorität fast aller Beteiligten erzeugten überhaupt bei den Gegnern Caesars ein widerwilliges und widersetzliches Zusammenwirken, das mit dem einträchtigen und geschlossenen Handeln auf der anderen Seite den übelsten Kontrast bildet.

Wenn also alle Nachteile der Koalition unter sich feindlicher Mächte von Caesars Gegnern in ungewöhnlichem Maße empfunden wurden, so war doch allerdings auch diese Koalition eine sehr ansehnliche Macht. Die See beherrschte sie ausschließlich: alle Häfen, alle Kriegsschiffe, alles Flottenmaterial standen zu ihrer Verfügung. Die beiden Spanien, gleichsam Pompeius‘ Hausmacht so gut wie die beiden Gallien Caesars, waren ihrem Herrn treu anhänglich und in den Händen tüchtiger und zuverlässiger Verwalter. Auch in den übrigen Provinzen, natürlich mit Ausnahme der beiden Gallien, waren die Statthalter- und Kommandantenstellen während der letzten Jahre unter dem Einfluß von Pompeius und der Senatsminorität mit sicheren Männern besetzt worden. Durchaus und mit großer Entschiedenheit ergriffen die Klientelstaaten Partei gegen Caesar und für Pompeius. Die bedeutendsten Fürsten und Städte waren in den verschiedenen Abschnitten seiner mannigfaltigen Wirksamkeit zu Pompeius in die engsten persönlichen Beziehungen getreten – wie er denn in dem Kriege gegen die Marianer der Waffengenosse der Könige von Numidien und Mauretanien gewesen war und das Reich des ersteren wiederaufgerichtet hatte; wie er im Mithradatischen Kriege außer einer Menge anderer kleinerer geistlicher und weltlicher Fürstentümer die Königreiche Bosporus, Armenien und Kappadokien wiederhergestellt, das galatische des Deiotarus geschaffen hatte; wie zunächst auf seine Veranlassung der Ägyptische Krieg unternommen und durch seinen Adjutanten die Lagidenherrschaft neu befestigt worden war. Selbst die Stadt Massalia in Caesars eigener Provinz verdankte wohl auch diesem manche Vergünstigungen, aber Pompeius vom Sertorianischen Kriege her eine sehr ansehnliche Gebietserweiterung, und es stand außerdem die hier regierende Oligarchie mit der römischen in einem natürlichen und durch vielfache Zwischenbeziehungen befestigten Bunde. Diese persönlichen Rücksichten und Verhältnisse sowie die Glorie des Siegers in drei Weltteilen, welche in diesen abgelegeneren Teilen des Reiches die des Eroberers von Gallien noch weit überstrahlte, schadeten indes hier Caesar vielleicht weniger noch als die daselbst nicht unbekannt gebliebenen An- und Absichten des Erben des Gaius Gracchus über die Notwendigkeit der Reunion der abhängigen Staaten und die Nützlichkeit der Provinzialkolonisationen. Keiner unter den abhängigen Dynasten sah von dieser Gefahr sich näher bedroht als König Juba von Numidien. Nicht bloß war er vor Jahren, noch bei Lebzeiten seines Vaters Hiempsal, mit Caesar persönlich aufs heftigste zusammengeraten, sondern es hatte auch kürzlich derselbe Curio, der jetzt unter Caesars Adjutanten fast den ersten Platz einnahm, bei der römischen Bürgerschaft den Antrag auf Einziehung des Numidischen Reiches gestellt. Sollte endlich es so weit kommen, daß die unabhängigen Nachbarstaaten in den römischen Bürgerkrieg eingriffen, so war der einzige wirklich mächtige, der der Parther, durch die zwischen Pakoros und Bibulus angeknüpfte Verbindung tatsächlich bereits mit der aristokratischen Partei alliiert, während Caesar viel zu sehr Römer war, um aus Parteiinteressen sich mit den Überwindern seines Freundes Crassus zu verkuppeln.

Was Italien anlangt, so war, wie schon gesagt, die große Majorität der Bürgerschaft Caesar abgeneigt; vor allem natürlich die gesamte Aristokratie mit ihrem sehr beträchtlichen Anhang, nicht viel minder aber auch die hohe Finanz, die nicht hoffen durfte, bei einer durchgreifenden Reform des Gemeinwesens ihre parteiischen Geschworenengerichte und ihr Erpressungsmonopol zu konservieren. Ebenso antidemokratisch gesinnt waren die kleinen Kapitalisten, die Landgutsbesitzer und überhaupt alle Klassen, die etwas zu verlieren hatten; nur daß freilich in diesen Schichten die Sorge um die nächsten Zinstermine und um Saaten und Ernten in der Regel jede andere Rücksicht überwog.

Die Armee, über die Pompeius verfügte, bestand hauptsächlich in den spanischen Truppen, sieben krieggewohnten und in jeder Hinsicht zuverlässigen Legionen, wozu die weiter in Syrien, Asia, Makedonien, Afrika, Sizilien und sonst befindlichen, freilich schwachen und sehr zerstreuten Truppenabteilungen kamen. In Italien standen unter den Waffen zunächst nur die zwei von Caesar kürzlich abgegebenen Legionen, deren Effektivbestand sich nicht über 7000 Mann belief und deren Zuverlässigkeit mehr als zweifelhaft war, da sie, ausgehoben im Diesseitigen Gallien und alte Waffengefährten Caesars, über die unfeine Intrige, durch die man sie das Lager hatte wechseln machen, in hohem Grade mißvergnügt waren und ihres Feldherrn, der die für den Triumph jedem Soldaten versprochenen Geschenke ihnen vor ihrem Abmarsch großmütig vorausgezahlt hatte, sehnsüchtig gedachten. Allein abgesehen davon, daß die spanischen Truppen mit dem Frühjahr entweder auf dem Landweg durch Gallien oder zur See in Italien eintreffen konnten, konnten in Italien die Mannschaften der von den Aushebungen von 699 (55) noch übrigen drei Legionen sowie das im Jahre 702 (52) in Pflicht genommene italische Aufgebot aus dem Urlaub einberufen werden. Mit Einrechnung dieser stellte sich die Zahl der Pompeius im ganzen zur Verfügung stehenden Truppen, ohne die sieben Legionen in Spanien und die in den andern Provinzen zerstreuten zu rechnen, bloß in Italien auf zehn Legionen73 oder gegen 60000 Mann, so daß es eben keine Übertreibung war, wenn Pompeius behauptete, nur mit dem Fuße stampfen zu dürfen, um den Boden mit Bewaffneten zu bedecken. Freilich bedurfte es wenn auch kurzer, doch einiger Frist, um diese Truppen zu mobilisieren; die Anstalten dazu sowie zur Effektuierung der neuen, infolge des Ausbruchs des Bürgerkrieges vom Senat angeordneten Aushebungen waren aber auch bereits überall im Gange. Unmittelbar nach dem entscheidenden Senatsbeschluß (7. Januar 705 49), mitten im tiefen Winter, waren die angesehensten Männer der Aristokratie in die verschiedenen Landschaften abgegangen, um die Einberufung der Rekruten und die Anfertigung von Waffen zu beschleunigen. Sehr empfindlich war der Mangel an Reiterei, da man für diese gewohnt war, sich gänzlich auf die Provinzen und namentlich die keltischen Kontingente zu verlassen; um wenigstens einen Anfang zu machen, wurden dreihundert Caesar gehörende Gladiatoren aus den Fechtschulen von Capua entnommen und beritten gemacht, was indes so allgemeine Mißbilligung fand, daß Pompeius diese Truppe wieder auflöste und dafür aus den berittenen Hirtensklaven Apuliens 300 Reiter aushob.

In der Staatskasse war Ebbe wie gewöhnlich; man war beschäftigt, aus den Gemeindekassen und selbst den Tempelschätzen der Munizipien den unzureichenden Barbestand zu ergänzen.

Unter diesen Umständen ward zu Anfang Januar 705 (49) der Krieg eröffnet. Von marschfähigen Truppen hatte Caesar nicht mehr als eine Legion, 5000 Mann Infanterie und 300 Reiter, bei Ravenna, das auf der Chaussee etwa 50 deutsche Meilen von Rom entfernt war; Pompeius zwei schwache Legionen, 7000 Mann Infanterie und eine geringe Reiterschar, unter Appius Claudius‘ Befehlen bei Luceria, von wo man, ebenfalls auf der Chaussee, ungefähr ebensoweit nach der Hauptstadt hatte. Die anderen Truppen Caesars, abgesehen von den rohen, noch in der Bildung begriffenen Rekrutenabteilungen, standen zur Hälfte an der Saône und Loire, zur Hälfte in Belgien, während Pompeius‘ italische Reserven bereits von allen Seiten in den Sammelplätzen eintrafen; lange bevor auch nur die Spitze der transalpinischen Heerhaufen Caesars in Italien einrücken konnte, wußte hier ein weit überlegenes Heer bereit stehen, sie zu empfangen. Es schien eine Torheit, mit einem Haufen von der Stärke des Catilinarischen und augenblicklich ohne wirksame Reserve angreifend vorzugehen gegen eine überlegene und stündlich anwachsende Armee unter einem fähigen Feldherrn; allein es war eine Torheit im Geiste Hannibals. Wenn der Anfang des Kampfes bis zum Frühjahr sich hinauszog, so ergriffen Pompeius‘ spanische Truppen im Transalpinischen, seine italischen im Cisalpinischen Gallien die Offensive, und Pompeius, als Taktiker Caesar gewachsen, an Erfahrung ihm überlegen, war in einem solchen regelmäßig verlaufenden Feldzug ein furchtbarer Gegner. Jetzt ließ er vielleicht, gewohnt, mit überlegenen Massen langsam und sicher zu operieren, durch einen durchaus improvisierten Angriff sich deroutieren; und was Caesars dreizehnte Legion nach der ernsten Probe des gallischen Überfalls und der Januarkampagne im Bellovakerland nicht aus der Fassung bringen konnte, die Plötzlichkeit des Krieges und die Mühsal des Winterfeldzuges, maßte die Pompeianischen aus alten Caesarischen Soldaten oder auch schlecht geübten Rekruten bestehenden und noch in der Bildung begriffenen Heerhaufen desorganisieren.

So rückte denn Caesar in Italien ein74. Zwei Chausseen führten damals aus der Romagna nach Süden: die Aemilisch-Cassische, die von Bononia über den Apennin nach Arretium und Rom, und die Popillisch-Flaminische, die von Ravenna an der Küste des Adriatischen Meeres nach Fanum und, dort sich teilend, in westlicher Richtung durch den Furlopaß nach Rom, in südlicher nach Ancona und weiter nach Apulien lief. Auf der ersteren gelangte Marcus Antonius bis Arretium; auf der zweiten drang Caesar selbst vor. Widerstand ward nirgends geleistet: die vornehmen Werbeoffiziere waren keine Militärs, die Rekrutenmassen keine Soldaten, die Landstädter nur besorgt, nicht in eine Belagerung verwickelt zu werden. Als Curio mit 1500 Mann auf Iguvium anrückte, wo ein paar tausend umbrische Rekruten unter dem Prätor Quintus Minucius Thermus sich gesammelt hatten, suchten, auf die bloße Meldung seines Anmarsches, General und Soldaten das Weite; und ähnlich ging es im kleinen überall. Caesar hatte die Wahl, entweder gegen Rom, dem seine Reiter in Arretium bereits auf 28 deutsche Meilen sich genähert hatten, oder gegen die bei Luceria lagernden Legionen zu marschieren. Er wählte das letztere. Die Konsternation der Gegenpartei war grenzenlos. Pompeius erhielt die Meldung von Caesars Anmarsch in Rom; er schien anfangs die Hauptstadt verteidigen zu wollen, aber als die Nachricht von Caesars Einrücken in das Picenische und von seinen ersten Erfolgen daselbst einlief, gab er sie auf und befahl die Räumung. Ein panischer Schreck, vermehrt durch das falsche Gerücht, daß vor den Toren sich Caesars Reiter gezeigt hätten, kam über die vornehme Welt. Die Senatoren, denen angezeigt worden war, daß man jeden in der Hauptstadt Zurückbleibenden als Mitschuldigen des Rebellen Caesar behandeln werde, strömten scharenweise aus den Toren. Die Konsuln selbst hatten so vollständig den Kopf verloren, daß sie nicht einmal die Kassen in Sicherheit brachten; als Pompeius sie aufforderte, dies nachzuholen, wozu ausreichend Zeit war, ließen sie ihm zurücksagen, daß sie es für sicherer hielten, wenn er zuvor Picenum besetze! Man war ratlos; also ward großer Kriegsrat in Teanum Sidicinum gehalten (23. Januar), dem Pompeius, Labienus und beide Konsuln beiwohnten. Zunächst lagen wieder Vergleichsvorschläge Caesars vor: selbst jetzt noch erklärte dieser sich bereit, sein Heer sofort zu entlassen, seine Provinzen den ernannten Nachfolgern zu übergeben und sich in regelrechter Weise um das Konsulat zu bewerben, wofern Pompeius nach Spanien abgehe und Italien entwaffnet werde. Die Antwort war, daß man, wenn Caesar sogleich in seine Provinz zurückkehre, sich anheischig mache, die Entwaffnung Italiens und die Abreise des Pompeius durch einen ordnungsmäßig in der Hauptstadt zu fassenden Senatsbeschluß herbeizuführen; was vielleicht nicht eine plumpe Prellerei, sondern eine Annahme des Vergleichsvorschlags sein sollte, jedenfalls aber der Sache nach das Gegenteil war. Die von Caesar gewünschte persönliche Zusammenkunft mit Pompeius lehnte dieser ab und mußte sie ablehnen, um nicht durch den Anschein einer neuen Koalition mit Caesar das schon rege Mißtrauen der Verfassungspartei noch mehr zu reizen. Die Kriegführung anlangend einigte man in Teanum sich dahin, daß Pompeius das Kommando der bei Luceria stehenden Truppen, auf denen trotz ihrer Unzuverlässigkeit doch alle Hoffnung beruhte, übernehmen, mit diesen in seine und Labienus‘ Heimat, in Picenum, einrücken, dort wie einst vor fünfunddreißig Jahren den Landsturm persönlich zu den Waffen rufen und an der Spitze der treuen picenischen und der kriegsgewohnten, ehemals Caesarischen Kohorten versuchen solle, dem Vordringen des Feindes eine Schranke zu setzen. Es kam nur darauf an, ob die picenische Landschaft sich so lange hielt, bis Pompeius zu ihrer Verteidigung herankam. Bereits war Caesar mit seiner wiedervereinigten Armee auf der Küstenstraße über Ancona in dieselbe eingedrungen. Auch hier waren die Rüstungen in vollem Gange; gleich in der nördlichsten picenischen Stadt Auximum stand ein ansehnlicher Haufe von Rekruten unter Publius Attius Varus beisammen; allein auf Ersuchen der Munizipalität räumte Varus die Stadt, noch ehe Caesar erschien, und eine Handvoll von dessen Soldaten, die den Trupp unweit Auximum einholten, zerstreuten ihn vollständig nach kurzem Gefecht – es war das erste in diesem Kriege. Ebenso räumten bald darauf Gaius Lucilius Hirrus mit 3000 Mann Camerinum, Publius Lentulus Spinther mit 5000 Asculum. Die Pompeius ganz ergebenen Mannschaften ließen zum größten Teil Haus und Hof willig im Stich und folgten den Führern über die Grenze: die Landschaft selbst aber war schon verloren, als der zur vorläufigen Leitung der Verteidigung von Pompeius gesandte Offizier Lucius Vibullius Rufus, kein vornehmer Senator, aber ein kriegskundiger Militär, daselbst eintraf; er mußte sich begnügen, die geretteten etwa 6000 bis 7000 Rekruten den unfähigen Werbeoffizieren abzunehmen und sie vorläufig nach dem nächsten Sammelplatz zu führen. Dies war Corfinium, der Mittelpunkt der Aushebungen im albensischen, marsischen und pälignischen Gebiet; die hier versammelte Rekrutenmasse von beiläufig 15000 Mann war das Kontingent der streitbarsten und der zuverlässigsten Landschaften Italiens und der Kern des in der Bildung begriffenen Heeres der Verfassungspartei. Als Vibullius hier eintraf, war Caesar noch mehrere Tagemärsche zurück; es war nichts im Wege, Pompeius‘ Instruktionen gemäß sofort aufzubrechen und die geretteten picenischen nebst den in Corfinium gesammelten Rekruten dem Hauptheer in Apulien zuzuführen. Allein in Corfinium kommandierte der designierte Nachfolger Caesars in der Statthalterschaft des Jenseitigen Gallien, Lucius Domitius, einer der borniertesten Starrköpfe der römischen Aristokratie; und dieser weigerte sich nicht bloß, Pompeius‘ Befehlen Folge zu leisten, sondern verhinderte auch den Vibullius, wenigstens mit der picenischen Mannschaft nach Apulien abzurücken. So fest hielt er sich überzeugt, daß Pompeius nur aus Eigensinn zaudere und notwendig zum Entsatz herbeikommen müsse, daß er kaum sich ernstlich auf die Belagerung gefußt machte und nicht einmal die in die umliegenden Städte verlegten Rekrutenhaufen in Corfinium zusammenzog. Pompeius aber erschien nicht und aus guten Gründen; denn seine beiden unzuverlässigen Legionen konnte er wohl als Rückhalt für den picenischen Landsturm verwenden, aber nicht mit ihnen allein Caesar die Schlacht anbieten. Dafür kam nach wenigen Tagen Caesar (14. Februar). Zu den Truppen desselben war in Picenum die zwölfte und vor Corfinium die achte von den transalpinischen Legionen gestoßen, und außerdem wurden teils aus den gefangenen oder freiwillig sich stellenden Pompeianischen Mannschaften, teils aus den überall sofort ausgehobenen Rekruten drei neue Legionen gebildet, so daß Caesar vor Corfinium bereits an der Spitze einer Armee von 40000 Mann, zur Hälfte gedienter Leute, stand. Solange Domitius auf Pompeius‘ Eintreffen hoffte, ließ er die Stadt verteidigen; als dessen Briefe ihn endlich enttäuscht hatten, beschloß er nicht etwa, auf dem verlorenen Posten auszuharren, womit er seiner Partei den größten Dienst geleistet haben würde, auch nicht einmal zu kapitulieren, sondern, während dem gemeinen Soldaten der Entsatz als nahe bevorstehend angekündigt ward, selber mit den vornehmen Offizieren in der nächsten Nacht auszureißen. Indes selbst diesen sauberen Plan ins Werk zu setzen verstand er nicht. Sein verwirrtes Benehmen verriet ihn. Ein Teil der Mannschaften fing an zu meutern: die marsischen Rekruten, die eine solche Schändlichkeit ihres Feldherrn nicht für möglich hielten, wollten gegen die Meuterer kämpfen; aber auch sie mußten sich widerwillig von der Wahrheit der Anschuldigung überzeugen, worauf denn die gesamte Besatzung ihren Stab festnahm und ihn, sich und die Stadt an Caesar übergab (20. Februar). Das 3000 Mann starke Korps in Alba und 1500 in Tarracina gesammelte Rekruten streckten hierauf die Waffen, sowie Caesars Reiterpatrouillen sich zeigten; eine dritte Abteilung in Sulmo von 3500 Mann war bereits früher genötigt worden zu kapitulieren.

Pompeius hatte Italien verloren gegeben, sowie Caesar Picenum eingenommen hatte; nur wollte er die Einschiffung so lange wie möglich verzögern, um von den Mannschaften zu retten, was noch zu retten war. Langsam hatte er demnach sich nach dem nächsten Hafenplatz Brundisium in Bewegung gesetzt. Hier fanden die beiden Legionen von Luceria und was Pompeius in dem menschenleeren Apulien an Rekruten in der Eile hatte zusammenraffen können, sowie die von den Konsuln und sonstigen Beauftragten in Kompanien ausgehobenen und eiligst nach Brundisium geführten Leute sich ein; ebendahin begab sich eine Menge politischer Flüchtlinge, unter ihnen die angesehensten Senatoren in Begleitung ihrer Familien. Die Einschiffung begann; allein die vorrätigen Fahrzeuge genügten nicht, um die ganze Masse, die sich doch noch auf 25000 Köpfe belief, auf einmal zu transportieren. Es blieb nichts übrig, als das Heer zu teilen. Die größere Hälfte ging vorauf (4. März), mit der kleineren von etwa 10000 Mann erwartete Pompeius in Brundisium die Rückkehr der Flotte; denn wie wünschenswert für einen etwaigen Versuch, Italien wieder einzunehmen, auch der Besitz von Brundisium war, so getraute man sich doch nicht, den Platz auf die Dauer gegen Caesar zu halten. Inzwischen traf Caesar vor Brundisium ein; die Belagerung begann. Caesar versuchte vor allem, die Hafenmündung durch Dämme und schwimmende Brücken zu schließen, um die rückkehrende Flotte auszusperren; allein Pompeius ließ die im Hafen liegenden Handelsfahrzeuge armieren und wußte die völlige Schließung des Hafens so lange zu verhindern, bis die Flotte erschien und die von Pompeius, trotz der Wachsamkeit der Belagerer und der feindlichen Gesinnung der Stadtbewohner, mit großer Geschicklichkeit bis auf den letzten Mann unbeschädigt aus der Stadt herausgezogenen Truppen aus Caesars Bereich nach Griechenland entführte (17. März). An dem Mangel einer Flotte scheiterte wie die Belagerung selbst, so auch die weitere Verfolgung.

In einem zweimonatlichen Feldzug, ohne ein einziges ernstliches Gefecht, hatte Caesar eine Armee von zehn Legionen so aufgelöst, daß mit genauer Not die kleinere Hälfte derselben in verwirrter Flucht über das Meer entkommen, die ganze italische Halbinsel aber mit Einschluß der Hauptstadt nebst der Staatskasse und allen daselbst aufgehäuften Vorräten in die Gewalt des Siegers geraten war. Nicht ohne Grund klagte die geschlagene Partei über die schauerliche Raschheit, Einsicht und Energie des „Ungeheuers“.

Indes es ließ sich fragen, ob Caesar durch die Eroberung Italiens mehr gewann oder mehr verlor. In militärischer Hinsicht wurden zwar jetzt sehr ansehnliche Hilfsquellen nicht bloß den Gegnern entzogen, sondern auch für Caesar flüssig gemacht; schon im Frühjahr 705 (49) zählte seine Armee infolge der überall angeordneten massenhaften Aushebungen außer den neun alten eine bedeutende Anzahl von Rekrutenlegionen. Andererseits aber wurde es jetzt nicht bloß nötig, in Italien eine ansehnliche Besatzung zurückzulassen, sondern auch Maßregeln zu treffen gegen die von den seemächtigen Gegnern beabsichtigte Sperrung des überseeischen Verkehrs und die infolgedessen namentlich der Hauptstadt drohende Hungersnot, wodurch Caesars bereits hinreichend verwickelte militärische Aufgabe noch weiter sich komplizierte. Finanziell war es allerdings von Belang, daß es Caesar geglückt war, der hauptstädtischen Kassenbestände sich zu bemächtigen; aber die hauptsächlichsten Einnahmequellen, namentlich die Abgaben aus dem Orient, waren doch in den Händen des Feindes und bei den so sehr vermehrten Bedürfnissen für das Heer sowie der neuen Verpflichtung, für die darbende hauptstädtische Bevölkerung zu sorgen, zerrannen die vorgefundenen ansehnlichen Summen so schnell, daß Caesar sich bald genötigt sah, den Privatkredit anzusprechen, und, da er unmöglich damit lange sich fristen zu können schien, allgemein als die einzig übrig bleibende Aushilfe umfassende Konfiskationen erwartet wurden.

Ernstere Schwierigkeiten noch bereiteten die politischen Verhältnisse, in welche Caesar mit der Eroberung Italiens eintrat. Die Besorgnis der besitzenden Klassen vor einer anarchischen Umwälzung war allgemein. Feinde und Freunde sahen in Caesar einen zweiten Catilina; Pompeius glaubte oder behauptete zu glauben, daß Caesar nur durch die Unmöglichkeit, seine Schulden zu bezahlen, zum Bürgerkrieg getrieben worden sei. Das war allerdings absurd; aber in der Tat waren Caesars Antezedentien nichts weniger als beruhigend und noch weniger beruhigend der Hinblick auf das Gefolge, das jetzt ihn umgab. Individuen des anbrüchigsten Rufes, stadtkundige Gesellen wie Quintus Hortensius, Gaius Curio, Marcus Antonius – dieser der Stiefsohn des auf Ciceros Befehl hingerichteten Catilinariers Lentulus – spielten darin die ersten Rollen; die höchsten Vertrauensposten wurden an Männer vergeben, die es längst aufgegeben hatten, ihre Schulden auch nur zu summieren; man sah Caesarische Beamte Tänzerinnen nicht bloß unterhalten – das taten andere auch –, sondern öffentlich in Begleitung solcher Dirnen erscheinen. War es ein Wunder, daß auch ernsthafte und politisch parteilose Männer Amnestie für alle landflüchtigen Verbrecher, Vernichtung der Schuldbücher, umfassende Konfiskations-, Acht- und Mordbefehle erwarteten, ja eine Plünderung Roms durch die gallische Soldateska?

Indes hierin täuschte das „Ungeheuer“ die Erwartungen seiner Feinde wie seiner Freunde. Schon wie Caesar die erste italische Stadt Ariminum besetzte, untersagte er allen gemeinen Soldaten, sich bewaffnet innerhalb der Mauern sehen zu lassen; durchaus und ohne Unterschied, ob sie ihn freundlich oder feindlich empfangen hatten, wurden die Landstädte vor jeder Unbill geschützt. Als die meuterische Garnison am späten Abend Corfinium übergab, verschob er, gegen jede militärische Rücksicht, die Besetzung der Stadt bis zum anderen Morgen, einzig, um die Bürgerschaft nicht einem nächtlichen Einmarsch seiner erbitterten Soldaten preiszugeben. Von den Gefangenen wurden die Gemeinen, als voraussetzlich politisch indifferent, in die eigene Armee eingereiht, die Offiziere aber nicht bloß verschont, sondern auch ohne Unterschied der Person und ohne Annahme irgendwelcher Zusagen frei entlassen, und was sie als Privateigentum in Anspruch nahmen, ohne auch nur die Berechtigung der Reklamationen mit Strenge zu untersuchen, ihnen ohne Weiterungen verabfolgt. So ward selbst Lucius Domitius behandelt, ja sogar dem Labienus das zurückgelassene Geld und Gepäck ins feindliche Lager nachgesandt. In der peinlichsten Finanznot wurden dennoch die ungeheuren Güter der anwesenden wie der abwesenden Gegner nicht angegriffen; ja Caesar borgte lieber bei den Freunden, als daß er auch nur durch Ausschreibung der formell zulässigen, aber tatsächlich antiquierten Grundsteuer die Besitzenden gegen sich aufgeregt hätte. Nur die Hälfte, und nicht die schwerere, seiner Aufgabe betrachtete der Sieger als mit dem Siege gelöst; die Bürgschaft der Dauer sah er nach seiner eigenen Äußerung allein in der unbedingten Begnadigung der Besiegten und hatte darum auch auf dem ganzen Marsche von Ravenna bis Brundisium unablässig die Versuche erneuert, eine persönliche Zusammenkunft mit Pompeius und einen erträglichen Vergleich einzuleiten. Aber wenn die Aristokratie schon früher von keiner Aussöhnung hatte wissen wollen, so hatte die unerwartete und so schimpfliche Emigration ihren Zorn bis zum Wahnsinn gesteigert, und das wilde Racheschnauben der Geschlagenen kontrastierte seltsam mit der Versöhnlichkeit des Siegers. Die aus dem Emigrantenlager den in Italien zurückgebliebenen Freunden regelmäßig zukommenden Mitteilungen flossen über von Entwürfen zu Konfiskationen und Proskriptionen, von Epurationsplänen des Senats und des Staats, gegen die Sullas Restaurationen Kinderspiel waren und die selbst die gemäßigten Parteigenossen mit Entsetzen vernahmen. Die tolle Leidenschaft der Ohnmacht, die weise Mäßigung der Macht taten ihre Wirkung. Die ganze Masse, der die materiellen Interessen über die politischen gingen, warf sich Caesar in die Arme. Die Landstädte vergötterten „die Rechtschaffenheit, die Mäßigung, die Klugheit“ des Siegers; und selbst die Gegner räumten ein, daß es mit diesen Huldigungen Ernst war. Die hohe Finanz, Steuerpächter und Geschworene verspürten nach dem argen Schiffbruch, der die Verfassungspartei in Italien betroffen hatte, keine besondere Lust, sich weiter denselben Steuermännern anzuvertrauen; die Kapitalien kamen wieder zum Vorschein und „die reichen Herren begaben sich wieder an ihr Tagewerk, die Zinsbücher zu schreiben“. Selbst die große Majorität des Senats, wenigstens der Zahl nach – denn allerdings befanden sich von den vornehmeren und einflußreichen Senatsmitgliedern nur wenige darunter – war, trotz der Befehle des Pompeius und der Konsuln, in Italien, zum Teil sogar in der Hauptstadt selbst zurückgeblieben und ließ Caesars Regiment sich gefallen. Caesars eben in ihrer scheinbaren Überschwenglichkeit wohlberechnete Milde erreichte ihren Zweck: die zappelnde Angst der besitzenden Klassen vor der drohenden Anarchie wurde einigermaßen beschwichtigt. Wohl war dies für die Folgezeit ein unberechenbarer Gewinn; die Abwendung der Anarchie und der fast nicht minder gefährlichen Angst vor der Anarchie war die Vorbedingung der künftigen Reorganisation des Gemeinwesens. Aber für den Augenblick war diese Milde für Caesar gefährlicher als die Erneuerung der cinnanischen und catilinarischen Raserei gewesen sein würde; sie verwandelte Feinde nicht in Freunde und Freunde in Feinde. Caesars catilinarischer Anhang grollte, daß das Morden und Plündern unterblieb; von diesen verwegenen, verzweifelten und zum Teil talentvollen Gesellen waren die bedenklichsten Quersprünge zu erwarten. Die Republikaner aller Schattierungen dagegen wurden durch die Gnade des Überwinders weder bekehrt noch versöhnt. Nach dem Credo der Catonischen Partei entband die Pflicht gegen das, was sie Vaterland nannte, von jeder anderen Rücksicht; selbst wer Caesar Freiheit und Leben verdankte, blieb befugt und verpflichtet, gegen ihn die Waffen zu ergreifen oder doch mindestens gegen ihn zu komplottieren. Die minder entschiedenen Fraktionen der Verfassungspartei ließen zwar allenfalls sich willig finden, von dem neuen Monarchen Frieden und Schutz anzunehmen; aber sie hörten doch darum nicht auf, die Monarchie wie den Monarchen von Herzen zu verwünschen. Je offenbarer die Verfassungsänderung hervortrat, desto bestimmter kam der großen Majorität der Bürgerschaft, sowohl in der politisch lebhaften, aufgeregten Hauptstadt wie in der energischen ländlichen und landstädtischen Bevölkerung, ihre republikanische Besinnung zum Bewußtsein; insofern berichteten die Verfassungsfreunde in Rom mit Recht an ihre Gesinnungsgenossen im Exil, daß daheim alle Klassen und alle Individuen pompeianisch gesinnt seien. Die schwierige Stimmung all dieser Kreise wurde noch gesteigert durch den moralischen Druck, den die entschiedeneren und vornehmeren Gesinnungsgenossen eben als Emigranten auf die Menge der Geringeren und Lauen ausübten. Dem ehrlichen Mann schlug über sein Verbleiben in Italien das Gewissen; der Halbaristokrat glaubte sich zu den Plebejern zu stellen, wenn er nicht mit den Domitiern und den Metellern ins Exil ging und gar, wenn er in dem Caesarischen Senat der Nullitäten mitsaß. Die eigene Milde des Siegers gab dieser stillen Opposition erhöhte politische Bedeutung: da Caesar nun einmal des Terrorismus sich enthielt, so schienen die heimlichen Gegner ihre Abneigung gegen sein Regiment ohne viele Gefahr betätigen zu können. Sehr bald machte er in dieser Beziehung merkwürdige Erfahrungen mit dem Senat. Caesar hatte den Kampf begonnen, um den terrorisierten Senat von seinen Unterdrückern zu befreien. Dies war geschehen; er wünschte also von dem Senat die Billigung des Geschehenen, die Vollmacht zu weiterer Fortsetzung des Krieges zu erlangen. Zu diesem Zwecke beriefen, als Caesar vor der Hauptstadt erschien (Ende März), die Volkstribune seiner Partei ihm den Senat (1. April). Die Versammlung war ziemlich zahlreich, aber selbst von den in Italien verbliebenen Senatoren waren doch die namhaftesten ausgeblieben, sogar der ehemalige Führer der servilen Majorität, Marcus Cicero, und Caesars eigener Schwiegervater Lucius Piso; und was schlimmer war, auch die Erschienenen waren nicht geneigt, auf Caesars Vorschläge einzugehen. Als Caesar von einer Vollmacht zur Fortsetzung des Krieges sprach, meinte der eine der zwei einzigen anwesenden Konsulare, Servius Sulpicius Rufus, ein urfurchtsamer Mann, der nichts wünschte als einen ruhigen Tod in seinem Bette, daß Caesar sich mehr um das Vaterland verdient machen werde, wenn er es aufgebe, den Krieg nach Griechenland und Spanien zu tragen. Als dann Caesar den Senat ersuchte, wenigstens seine Friedensvorschläge an Pompeius zu übermitteln, war man dem an sich zwar nicht entgegen, aber die Drohungen der Emigranten gegen die Neutralen hatten diese so in Furcht gesetzt, daß niemand sich fand, um die Friedensbotschaft zu übernehmen. An der Abneigung der Aristokratie, den Thron des Monarchen errichten zu helfen, und an derselben Schlaffheit des hohen Kollegiums, durch die kurz zuvor Caesar Pompeius‘ legale Ernennung zum Oberfeldherrn in dem Bürgerkrieg vereitelt hatte, scheiterte jetzt auch er mit dem gleichen Verlangen. Andere Hemmungen kamen hinzu. Caesar wünschte, um seine Stellung doch irgendwie zu regulieren, zum Diktator ernannt zu werden; es geschah nicht, weil ein solcher verfassungsmäßig nur von einem der Konsuln bestellt werden konnte und der Versuch, den Konsul Lentulus zu kaufen, wozu bei dessen zerrütteten Vermögensverhältnissen wohl Aussicht war, dennoch fehlschlug. Der Volkstribun Lucius Metellus ferner legte gegen sämtliche Schritte des Prokonsuls Protest ein und machte Miene, die Staatskasse, als Caesars Leute kamen, um sie zu leeren, mit seinem Leibe zu decken. Caesar konnte in diesem Falle nicht umhin, den Unverletzlichen so sänftiglich wie möglich beiseiteschieben zu lassen; übrigens blieb er dabei, sich aller Gewaltschritte zu enthalten. Dem Senat erklärte er, ebenwie es kurz zuvor die Verfassungspartei getan, daß er zwar gewünscht habe, auf gesetzlichem Wege und mit Beihilfe der höchsten Behörde die Verhältnisse zu ordnen; allein da diese verweigert werde, könne er ihrer auch entraten. Ohne weiter um den Senat und die staatsrechtlichen Formalien sich zu kümmern, übergab er die einstweilige Verwaltung der Hauptstadt dem Prätor Marcus Aemilius Lepidus als Stadtpräfekten und ordnete für die Verwaltung der ihm gehorchenden Landschaften und die Fortsetzung des Krieges das Erforderliche an. Selbst unter dem Getöse des Riesenkampfes und neben dem lockenden Klang der verschwenderischen Versprechungen Caesars machte es noch tiefen Eindruck auf die hauptstädtische Menge, als sie in ihrem freien Rom zum erstenmal den Monarchen als Monarchen schalten und die Tür der Staatskasse durch seine Soldaten aufsprengen sah. Allein die Zeiten waren nicht mehr, wo Eindrücke und Stimmungen der Masse den Gang der Ereignisse bestimmten; die Legionen entschieden und auf einige schmerzliche Empfindungen mehr oder weniger kam eben nichts weiter an.

Caesar eilte, den Krieg wiederaufzunehmen. Seine bisherigen Erfolge verdankte er der Offensive, und er gedachte auch ferner, dieselbe festzuhalten. Die Lage seines Gegners war seltsam. Nachdem der ursprüngliche Plan, den Feldzug zugleich von Italien und Spanien aus in den beiden Gallien offensiv zu führen, durch Caesars Angriff vereitelt war, hatte Pompeius nach Spanien zu gehen beabsichtigt. Hier hatte er eine sehr starke Stellung. Das Heer zählte sieben Legionen; es dienten darin eine große Anzahl von Pompeius‘ Veteranen, und die mehrjährigen Kämpfe in den lusitanischen Bergen hatten Soldaten und Offiziere gestählt. Unter den Anführern war Marcus Varro zwar nichts als ein berühmter Gelehrter und ein getreuer Anhänger; aber Lucius Afranius hatte mit Auszeichnung im Orient und in den Alpen gefochten, und Marcus Petreius, der Überwinder Catilinas, war ein ebenso unerschrockener wie fähiger Offizier. Wenn in der jenseitigen Provinz Caesar noch von seiner Statthalterschaft her mancherlei Anhang hatte, so war dagegen die wichtigere Ebroprovinz mit allen Banden der Verehrung und der Dankbarkeit an den berühmten General gefesselt, der zwanzig Jahre zuvor im Sertorianischen Kriege in ihr das Kommando geführt und nach dessen Beendigung sie neu eingerichtet hatte. Pompeius konnte nach der italischen Katastrophe offenbar nichts Besseres tun als mit den geretteten Heerestrümmern sich dorthin begeben und an der Spitze seiner gesamten Macht Caesar entgegentreten. Unglücklicherweise aber hatte er, in der Hoffnung, die in Corfinium stehenden Truppen noch retten zu können, so lange in Apulien sich verweilt, daß er statt der kampanischen Häfen das nähere Brundisium zum Einschiffungsort zu wählen genötigt war. Warum er, Herr der See und Siziliens, nicht späterhin auf den ursprünglichen Plan wieder zurück kam, läßt sich nicht entscheiden; ob vielleicht die Aristokratie in ihrer kurzsichtigen und mißtrauischen Art keine Lust bezeigte, sich den spanischen Truppen und der spanischen Bevölkerung anzuvertrauen – genug, Pompeius blieb im Osten und Caesar hatte die Wahl, den nächsten Angriff entweder gegen die Armee zu richten, die in Griechenland unter Pompeius‘ eigenem Befehl sich organisierte, oder gegen die schlagfertige seiner Unterfeldherren in Spanien. Er hatte für das letztere sich entschieden und, sowie der italische Feldzug zu Ende ging, Maßregeln getroffen, um neun seiner besten Legionen, ferner 6000 Reiter, teils in den Keltengauen von Caesar einzeln ausgesuchte Leute, teils deutsche Söldner, und eine Anzahl iberischer und ligurischer Schützen an der unteren Rhone zusammenzuziehen.

Aber ebenhier waren auch seine Gegner tätig gewesen. Der vom Senat an Caesars Stelle zum Statthalter des Jenseitigen Galliens ernannte Lucius Domitius hatte von Corfinium aus, sowie Caesar ihn freigegeben, sich mit seinem Gesinde und mit Pompeius‘ Vertrauensmann Lucius Vibullius Rufus nach Massalia auf den Weg gemacht und in der Tat die Stadt bestimmt, sich für Pompeius zu erklären, ja Caesars Truppen den Durchmarsch zu weigern. Von den spanischen Truppen blieben die zwei am wenigsten zuverlässigen Legionen unter Varros Oberbefehl in der jenseitigen Provinz stehen; dagegen hatten die fünf besten, verstärkt durch 40000 Mann spanischen Fußvolks, teils keltiberischer Linieninfanterie, teils lusitanischer und anderer Leichten, und durch 5000 spanische Reiter, unter Afranius und Petreius, den durch Vibullius überbrachten Befehlen des Pompeius gemäß sich aufgemacht, um die Pyrenäen dem Feinde zu sperren.

Hierüber traf Caesar selbst in Gallien ein und entsandte sogleich, da die Einleitung der Belagerung von Massalia ihn selber noch zurückhielt, den größten Teil seiner an der Rhone versammelten Truppen, sechs Legionen und die Reiterei, auf der großen, über Narbo (Narbonne) nach Rhode (Rosas) führenden Chaussee, um an den Pyrenäen dem Feinde zuvorzukommen. Es gelang; als Afranius und Petreius an den Pässen anlangten, fanden sie dieselben bereits besetzt von den Caesarianern und die Linie der Pyrenäen verloren. Sie nahmen darauf zwischen diesen und dem Ebro eine Stellung bei Ilerda (Lerida). Diese Stadt liegt vier Meilen nördlich vom Ebro an dem rechten Ufer eines Nebenflusses desselben, des Sicoris (Segre), über den nur eine einzige solide Brücke unmittelbar bei Ilerda führte. Südlich von Ilerda treten die das linke Ufer des Ebro begleitenden Gebirge ziemlich nahe an die Stadt hinan; nordwärts erstreckt sich zu beiden Seiten des Sicoris ebenes Land, das von dem Hügel, auf welchem die Stadt gebaut ist, beherrscht wird. Für eine Armee, die sich mußte belagern lassen, war es eine vortreffliche Stellung; aber die Verteidigung Spaniens konnte, nachdem die Besetzung der Pyrenäenlinie versäumt war, doch nur hinter dem Ebro ernstlich aufgenommen werden, und da weder eine feste Verbindung zwischen Ilerda und dem Ebro hergestellt, noch dieser Fluß überbrückt war, so war der Rückzug aus der vorläufigen in die wahre Verteidigungsstellung nicht hinreichend gesichert. Die Caesarianer setzten sich oberhalb Ilerda in dem Delta fest, das der Fluß Sicoris mit dem unterhalb Ilerda mit ihm sich vereinigenden Cinga (Cinca) bildet; indes ward es mit dem Angriff erst Ernst, nachdem Caesar im Lager eingetroffen war (23. Juni). Unter den Mauern der Stadt ward von beiden Teilen gleich erbittert und gleich tapfer mit vielfach wechselndem Erfolg gekämpft; ihren Zweck aber: zwischen dem Pompeianischen Lager und der Stadt sich festzusetzen und dadurch der Steinbrücke sich zu bemächtigen., erreichten die Caesarianer nicht und blieben also für ihre Kommunikation mit Gallien lediglich angewiesen auf zwei Brücken, welche sie über den Sicoris und zwar, da der Fluß bei Ilerda selbst zu solcher Überbrückung schon zu ansehnlich war, vier bis fünf deutsche Meilen weiter oberwärts in der Eile geschlagen hatten. Als dann mit der Schneeschmelze die Hochwasser kamen, wurden diese Notbrücken weggerissen; und da es an Schiffen fehlte, um die hochangeschwollenen Flüsse zu passieren, und unter diesen Umständen an Wiederherstellung der Brücken zunächst nicht gedacht werden konnte, so war die Caesarische Armee beschränkt auf den schmalen Raum zwischen der Cinca und dem Sicoris, das linke Ufer des Sicoris aber und damit die Straße, auf der die Armee mit Gallien und Italien kommunizierte, fast unverteidigt den Pompeianern preisgegeben, die den Fluß teils auf der Stadtbrücke, teils nach lusitanischer Art auf Schläuchen schwimmend passierten. Es war die Zeit kurz vor der Ernte; die alte Frucht war fast aufgebraucht, die neue noch nicht eingebracht und der enge Landstreif zwischen den beiden Bächen bald ausgezehrt. Im Lager herrschte förmliche Hungersnot – der preußische Scheffel Weizen kostete 300 Denare (90 Taler) – und brachen bedenkliche Krankheiten aus; dagegen häufte am linken Ufer Proviant und die mannigfaltigste Zufuhr sich an, dazu Mannschaften aller Art: Nachschub aus Gallien von Reiterei und Schützen, beurlaubte Offiziere und Soldaten, heimkehrende Streifscharen, im ganzen eine Masse von 6000 Köpfen, welche von den Pompeianern mit überlegener Macht angegriffen und mit großem Verlust in die Berge gedrängt wurden, während die Caesarianer am rechten Ufer dem ungleichen Gefecht untätig zusehen mußten. Die Verbindungen der Armee waren in den Händen der Pompeianer; in Italien blieben die Nachrichten aus Spanien plötzlich aus, und die bedenklichen Gerüchte, die dort umzulaufen begannen, waren von der Wahrheit nicht allzuweit entfernt. Hätten die Pompeianer ihren Vorteil mit einigem Nachdruck verfolgt, so konnte es ihnen nicht fehlen, die auf dem linken Ufer des Sicoris zusammengedrängte, kaum widerstandsfähige Masse entweder in ihre Gewalt zu bringen oder wenigstens nach Gallien zurückzuwerfen und dies Ufer so vollständig zu besetzen, daß ohne ihr Wissen kein Mann den Fluß überschritt. Allein beides war versäumt worden; jene Haufen waren wohl mit Verlust beiseite gedrängt, aber doch weder vernichtet noch völlig zurückgeworfen worden, und die Überschreitung des Flusses zu wehren, überließ man wesentlich dem Flusse selbst. Hierauf baute Caesar seinen Plan. Er ließ tragbare Kähne von leichtem Holzgestell und Korbgeflecht mit lederner Bekleidung, nach dem Muster der im Kanal bei den Briten und später den Sachsen üblichen, im Lager anfertigen und sie auf Wagen an den Punkt, wo die Brücken gestanden hatten, transportieren. Auf diesen gebrechlichen Nachen wurde das andere Ufer erreicht und, da man es unbesetzt fand, ohne große Schwierigkeit die Brücke wiederhergestellt; rasch war dann auch die Verbindungsstraße freigemacht und die sehnlich erwartete Zufuhr in das Lager geschafft. Caesars glücklicher Einfall riß also das Heer aus der ungeheuren Gefahr, in der es schwebte. Sofort begann dann Caesars an Tüchtigkeit der feindlichen weit überlegene Reiterei, die Landschaft am linken Ufer des Sicoris zu durchstreifen; schon traten die ansehnlichsten spanischen Gemeinden zwischen den Pyrenäen und dem Ebro, Osca, Tarraco, Dertosa und andere, ja selbst einzelne südlich vom Ebro auf Caesars Seite. Durch die Streiftrupps Caesars und die Übertritte der benachbarten Gemeinden wurde nun den Pompeianern die Zufuhr knapp; sie entschlossen sich endlich zum Rückzug hinter die Ebrolinie und gingen eiligst daran, unterhalb der Sicorismündung eine Schiffbrücke über den Ebro zu schlagen. Caesar suchte den Gegnern den Rückweg über den Ebro abzuschneiden und sie in Ilerda festzuhalten; allein solange die Feinde im Besitz der Brücke bei Ilerda blieben und er dort weder Furt noch Brücken in seiner Gewalt hatte, durfte er seine Armee nicht auf die beiden Flußufer verteilen und konnte Ilerda nicht einschließen. Seine Soldaten schanzten also Tag und Nacht, um durch Abzugsgräben den Fluß so viel tiefer zu legen, daß die Infanterie ihn durchwaten könne. Aber die Vorbereitungen der Pompeianer, den Ebro zu passieren, kamen früher zu Ende als die Anstalten der Caesarianer zur Einschließung von Ilerda; als jene nach Vollendung der Schiffbrücke den Marsch nach dem Ebro zu am linken Ufer des Sicoris antraten, schienen die Ableitungsgräben der Caesarianer dem Feldherrn doch nicht weit genug vorgerückt, um die Furt für die Infanterie zu benutzen; nur seine Reiter ließ er den Strom passieren und, dem Feinde an die Fersen sich heftend, wenigstens ihn aufhalten und schädigen. Allein als Caesars Legionen am grauenden Morgen die seit Mitternacht abziehenden feindlichen Kolonnen erblickten, begriffen sie mit der instinktmäßigen Sicherheit krieggewohnter Veteranen die strategische Bedeutung dieses Rückzugs, der sie nötigte, dem Gegner in ferne, unwegsame und von feindlichen Scharen erfüllte Landschaften zu folgen; auf ihre eigene Bitte wagte es der Feldherr, auch das Fußvolk in den Fluß zu führen, und obwohl den Leuten das Wasser bis an die Schultern ging, ward er doch ohne Unfall durchschritten. Es war die höchste Zeit. Wenn die schmale Ebene, welche die Stadt Ilerda von den den Ebro einfassenden Gebirgen trennt, einmal durchschritten und das Heer der Pompeianer in die Berge eingetreten war, so konnte der Rückzug an den Ebro ihnen nicht mehr verwehrt werden. Schon hatten dieselben, trotz der beständigen, den Marsch ungemein verzögernden Angriffe der feindlichen Reiterei, den Bergen sich bis auf eine Meile genähert, als sie, seit Mitternacht auf dem Marsche und unsäglich erschöpft, ihren ursprünglichen Plan, die Ebene noch an diesem Tage ganz zu durchschreiten, aufgaben und Lager schlugen. Hier holte Caesars Infanterie sie ein und lagerte am Abend und in der Nacht ihnen gegenüber, indem der anfänglich beabsichtigte nächtliche Weitermarsch von den Pompeianern aus Furcht vor den nächtlichen Angriffen der Reiterei wieder aufgegeben ward. Auch am folgenden Tage standen beide Heere unbeweglich, nur beschäftigt, die Gegend zu rekognoszieren. Am frühen Morgen des dritten brach Caesars Fußvolk auf, um, durch die pfadlosen Berge zur Seite der Straße die Stellung der Feinde umgehend, ihnen den Weg zum Ebro zu verlegen. Der Zweck des seltsamen Marsches, der anfangs in das Lager vor Ilerda sich zurückzuwenden schien, ward von den Pompeianischen Offizieren nicht sogleich erkannt. Als sie ihn faßten, opferten sie Lager und Gepäck und rückten im Gewaltmarsch auf der Hauptstraße vor, um den Uferkamm vor den Caesarianern zu gewinnen. Indes es war bereits zu spät; schon hielten, als sie herankamen, auf der großen Straße selbst die geschlossenen Massen des Feindes. Ein verzweifelter Versuch der Pompeianer, über die Bergsteile andere Wege zum Ebro ausfindig zu machen, ward von Caesars Reiterei vereitelt, welche die dazu vorgesandten lusitanischen Truppen umzingelte und zusammenhieb. Wäre es zwischen der Pompeianischen Armee, die die feindlichen Reiter im Rücken, das Fußvolk von vorne sich gegenüber hatte und gänzlich demoralisiert war, und den Caesarianern zu einer Schlacht gekommen, so war deren Ausgang kaum zweifelhaft, und die Gelegenheit zum Schlagen bot mehrfach sich dar; aber Caesar machte keinen Gebrauch davon und zügelte nicht ohne Mühe die ungeduldige Kampfeslust seiner siegesgewissen Soldaten. Die Pompeianische Armee war ohnehin strategisch verloren; Caesar vermied es, durch nutzloses Blutvergießen sein Heer zu schwächen und die arge Fehde noch weiter zu vergiften. Schon am Tage, nachdem es gelungen war, die Pompeianer vom Ebro abzuschneiden, hatten die Soldaten der beiden Heere miteinander angefangen zu fraternisieren und wegen der Übergabe zu unterhandeln, ja es waren bereits die von den Pompeianern geforderten Bedingungen, namentlich Schonung der Offiziere, von Caesar zugestanden worden, als Petreius mit seiner aus Sklaven und Spaniern bestehenden Eskorte über die Unterhändler zukam und die Caesarianer, deren er habhaft ward, niedermachen ließ. Caesar sandte dennoch die zu ihm in das Lager gekommenen Pompeianer ungeschädigt zurück und beharrte dabei, eine friedliche Lösung zu suchen. Ilerda, wo die Pompeianer noch Besatzung und ansehnliche Magazine hatten, ward jetzt das Ziel ihres Marsches; allein vor sich das feindliche Heer und zwischen sich und der Festung den Sicoris, marschierten sie, ohne ihrem Ziele näher zu kommen. Ihre Reiterei ward allmählich so eingeschüchtert, daß das Fußvolk sie in die Mitte nehmen und Legionen in die Nachhut gestellt werden mußten; die Beschaffung von Wasser und Fourage ward immer schwieriger; schon mußte man die Lasttiere niederstoßen, da man sie nicht ernähren konnte. Endlich fand die umherirrende Armee sich förmlich eingeschlossen, den Sicoris im Rücken, vor sich das feindliche Heer, das Wall und Graben um sie herumzog. Sie versuchte den Fluß zu überschreiten, aber Caesars deutsche Reiter und leichte Infanterie kamen in der Besetzung des entgegenstehenden Ufers ihr zuvor. Alle Tapferkeit und alle Treue konnten die unvermeidliche Kapitulation nicht länger abwenden (2. August 705 49). Caesar gewährte nicht bloß Offizieren und Soldaten Leben und Freiheit und sowohl den Besitz der ihnen noch gebliebenen Habe wie auch die Zurückgabe der bereits ihnen abgenommenen, deren vollen Wert er selber seinen Soldaten zu erstatten übernahm, sondern während er die in Italien gefangenen Rekruten zwangsweise in seine Armee eingereiht hatte, ehrte er diese alten Legionäre des Pompeius durch die Zusage, daß keiner wider seinen Willen genötigt werden solle, in sein Heer einzutreten. Er forderte nur, daß ein jeder die Waffen abgebe und sich in seine Heimat verfüge. Demgemäß wurden die aus Spanien gebürtigen Soldaten, etwa der dritte Teil der Armee, sogleich, die italischen an der Grenze des Jen- und Diesseitigen Galliens verabschiedet.

Das Diesseitige Spanien fiel mit der Auflösung dieser Armee von selbst in die Gewalt des Siegers. Im Jenseitigen, wo Marcus Varro für Pompeius den Oberbefehl führte, schien es diesem, als er die Katastrophe von Ilerda erfuhr, das rätlichste, sich in die Inselstadt Gades zu werfen und die beträchtlichen Summen, die er durch Einziehung der Tempelschätze und der Vermögen angesehener Caesarianer zusammengebracht hatte, die nicht unbedeutende von ihm aufgestellte Flotte und die ihm anvertrauten zwei Legionen dorthin in Sicherheit zu bringen. Allein auf das bloße Gerücht von Caesars Ankunft erklärten die namhaftesten Städte der Caesar seit langem anhänglichen Provinz sich für diesen und verjagten die Pompeianischen Besatzungen oder bestimmten sie zu gleichem Abfall: so Corduba, Carmo und Gades selbst. Auch eine der Legionen brach auf eigene Hand nach Hispalis auf und trat mit dieser Stadt zugleich auf Caesars Seite. Als endlich selbst Italica dem Varro die Tore sperrte, entschloß dieser sich zu kapitulieren.

Ungefähr gleichzeitig unterwarf sich auch Massalia. Mit seltener Energie hatten die Massalioten nicht bloß die Belagerung ertragen, sondern auch die See gegen Caesar behauptet; es war ihr heimisches Element und sie durften hoffen, auf diesem kräftige Unterstützung von Pompeius zu empfangen, welcher ja das Meer ausschließlich beherrschte. Indes Caesars Unterfeldherr, der tüchtige Decimus Brutus, derselbe, der über die Veneter den ersten Seesieg im Ozean erfochten hatte, wußte rasch eine Flotte herzustellen und, trotz der wackeren Gegenwehr der feindlichen, teils aus albiökischen Soldknechten der Massalioten, teils aus Hirtensklaven des Domitius bestehenden Flottenmannschaft, durch seine tapferen, aus den Legionen auserlesenen Schiffssoldaten die stärkere massaliotische Flotte zu überwinden und die größere Hälfte der Schiffe zu versenken oder zu erobern. Als dann ein kleines Pompeianisches Geschwader unter Lucius Nasidius aus dem Osten über Sizilien und Sardinien im Hafen von Massalia eintraf, erneuerten die Massalioten noch einmal ihre Seerüstung und liefen zugleich mit den Schiffendes Nasidius gegen Brutus aus. Hätten in dem Treffen, das auf der Höhe von Tauroeis (La Ciotat, östlich von Marseille) geschlagen ward, die Schiffe des Nasidius mit demselben verzweifelten Mut gestritten, den die massaliotischen an diesem Tage bewiesen, so möchte das Ergebnis desselben wohl ein verschiedenes gewesen sein; allein die Flucht der Nasidianer entschied den Sieg für Brutus und die Trümmer der Pompeianischen Flotte flüchteten nach Spanien. Die Belagerten waren von der See vollständig verdrängt. Auf der Landseite, wo Gaius Trebonius die Belagerung leitete, ward auch nachher noch die entschlossenste Gegenwehr fortgesetzt; allein trotz der häufigen Ausfälle der albiökischen Söldner und der geschickten Verwendung der ungeheuren, in der Stadt aufgehäuften Geschützvorräte rückten endlich doch die Arbeiten der Belagerer bis an die Mauer vor und einer der Türme stürzte zusammen. Die Massalioten erklärten, daß sie die Verteidigung aufgäben, aber mit Caesar selbst die Kapitulation abzuschließen wünschten, und ersuchten den römischen Befehlshaber, bis zu Caesars Ankunft die Belagerungsarbeiten einzustellen. Trebonius hatte von Caesar gemessenen Befehl, die Stadt so weit irgend möglich zu schonen; er gewährte den erbetenen Waffenstillstand. Allein da die Massalioten ihn zu einem tückischen Ausfall benutzten, in dem sie die eine Hälfte der fast unbewachten römischen Werke vollständig niederbrannten, begann von neuem und mit gesteigerter Erbitterung der Belagerungskampf. Der tüchtige Befehlshaber der Römer stellte mit überraschender Schnelligkeit die vernichteten Türme und den Damm wieder her; bald waren die Massalioten abermals vollständig eingeschlossen. Als Caesar, von der Unterwerfung Spaniens zurückkehrend, vor ihrer Stadt ankam, fand er dieselbe teils durch die feindlichen Angriffe, teils durch Hunger und Seuchen aufs Äußerste gebracht und zum zweitenmal, und diesmal ernstlich, bereit, auf jede Bedingung zu kapitulieren. Nur Domitius, der schmählich mißbrauchten Nachsicht des Siegers eingedenk, bestieg einen Nachen und schlich sich durch die römische Flotte, um für seinen unversöhnlichen Groll ein drittes Schlachtfeld zu suchen. Caesars Soldaten hatten geschworen, die ganze männliche Bevölkerung der treubrüchigen Stadt über die Klinge springen zu lassen und forderten mit Ungestüm von dem Feldherrn das Zeichen zur Plünderung. Allein Caesar, seiner großen Aufgabe, die hellenisch-italische Zivilisation im Westen zu begründen auch hier eingedenk, ließ sich nicht zwingen, zu der Zerstörung Korinths die Fortsetzung zu liefern. Massalia, von jenen einst so zahlreichen freien und seemächtigen Städten der alten ionischen Schiffernation die von der Heimat am weitesten entfernte und fast die letzte, in der das hellenische Seefahrerleben noch rein und frisch sich erhalten hatte, wie denn auch die letzte griechische Stadt, die zur See geschlagen hat – Massalia mußte zwar seine Waffen- und Flottenvorräte an den Sieger abliefern und verlor einen Teil seines Gebietes und seiner Privilegien, aber behielt seine Freiheit und seine Nationalität und blieb, wenn auch materiell in geschmälerten Verhältnissen, doch geistig nach wie vor der Mittelpunkt der hellenischen Kultur in der fernen, eben jetzt zu neuer geschichtlicher Bedeutung gelangenden keltischen Landschaft.

Während also in den westlichen Landschaften der Krieg nach manchen bedenklichen Wechselfällen schließlich sich durchaus zu Caesars Gunsten entschied und Spanien und Massalia unterworfen, die feindliche Hauptarmee bis auf den letzten Mann gefangengenommen wurde, hatte auch auf dem zweiten Kriegsschauplatze, auf welchem Caesar es notwendig gefunden, sofort nach der Eroberung Italiens die Offensive zu ergreifen, die Waffenentscheidung stattgefunden.

Es ward schon gesagt, daß die Pompeianer die Absicht hatten, Italien auszuhungern. Die Mittel dazu hatten sie in Händen. Sie beherrschten die See durchaus und arbeiteten allerorts, in Gades, Utica, Messana, vor allem im Osten, mit großem Eifer an der Vermehrung ihrer Flotte; sie hatten ferner die sämtlichen Provinzen inne, aus denen die Hauptstadt ihre Subsistenzmittel zog: Sardinien und Korsika durch Marcus Cotta, Sizilien durch Marcus Cato, Afrika durch den selbst ernannten Oberfeldherrn Titus Attius Varus und ihren Verbündeten, den König Juba von Numidien. Es war für Caesar unumgänglich nötig, diese Pläne des Feindes zu durchkreuzen und demselben die Getreideprovinzen zu entreißen. Quintus Valerius ward mit einer Legion nach Sardinien gesandt und zwang den Pompeianischen Statthalter, die Insel zu räumen. Die wichtigere Unternehmung, Sizilien und Afrika dem Feinde abzunehmen, wurde unter Beistand des tüchtigen und kriegserfahrenen Gaius Caninius Rebilus dem jungen Gaius Curio anvertraut. Sizilien ward von ihm ohne Schwertstreich besetzt; Cato, ohne rechte Armee und kein Mann des Degens, räumte die Insel, nachdem er in seiner rechtschaffenen Art die Sikelioten vorher gewarnt hatte, sich nicht durch unzulänglichen Widerstand nutzlos zu kompromittieren. Curio ließ zur Deckung dieser für die Hauptstadt so wichtigen Insel die Hälfte seiner Truppen zurück und schiffte sich mit der anderen, zwei Legionen und 500 Reitern, nach Afrika ein. Hier durfte er erwarten, ernsteren Widerstand zu finden: außer der ansehnlichen und in ihrer Art tüchtigen Armee Jubas hatte der Statthalter Varus aus den in Afrika ansässigen Römern zwei Legionen gebildet und auch ein kleines Geschwader von zehn Segeln aufgestellt. Mit Hilfe seiner überlegenen Flotte bewerkstelligte indes Curio ohne Schwierigkeit die Landung zwischen Hadrumetum, wo die eine Legion der Feinde nebst ihren Kriegsschiffen, und Utica, vor welcher Stadt die zweite Legion unter Varus selbst stand. Curio wandte sich gegen die letztere und schlug sein Lager unweit Utica, ebenda, wo anderthalb Jahrhunderte zuvor der ältere Scipio sein erstes Winterlager in Afrika genommen hatte. Caesar, genötigt, seine Kerntruppen für den Spanischen Krieg zusammenzuhalten, hatte die sizilisch-afrikanische Armee größtenteils aus den vom Feind übernommenen Legionen, namentlich den Kriegsgefangenen von Corfinium, zusammensetzen müssen; die Offiziere der Pompeianischen Armee in Afrika, die zum Teil bei denselben in Corfinium überwundenen Legionen gestanden hatten, ließen jetzt kein Mittel unversucht, ihre alten, nun gegen sie fechtenden Soldaten zu ihrem ersten Eidschwur wieder zurückzubringen. Indes Caesar hatte in seinem Stellvertreter sich nicht vergriffen. Curio verstand es, ebensowohl die Bewegung des Heeres und der Flotte zu lenken, als auch persönlichen Einfluß auf die Soldaten zu gewinnen; die Verpflegung war reichlich, die Gefechte ohne Ausnahme glücklich. Als Varus, in der Voraussetzung, daß es den Truppen Curios an Gelegenheit fehlte, auf seine Seite überzugehen, hauptsächlich, um ihnen diese zu verschaffen, sich entschloß, eine Schlacht zu liefern, rechtfertigte der Erfolg seine Erwartungen nicht. Begeistert durch die feurige Ansprache ihres jugendlichen Führers schlugen Curios Reiter die feindlichen in die Flucht und säbelten im Angesichte beider Heere die mit den Reitern ausgerückte leichte Infanterie der Feinde nieder; und ermutigt durch diesen Erfolg und durch Curios persönliches Beispiel, gingen auch seine Legionen durch die schwierige, die beiden Linien trennende Talschlucht vor zum Angriff, den die Pompeianer aber nicht erwarteten, sondern schimpflich in ihr Lager zurückflohen und auch dies die Nacht darauf räumten. Der Sieg war so vollständig, daß Curio sofort dazu schritt, Utica zu belagern. Als indes die Meldung eintraf, daß König Juba mit seiner gesamten Heeresmacht zum Entsatz heranrückte, entschloß sich Curio, ebenwie bei Syphax‘ Eintreffen Scipio getan, die Belagerung aufzuheben und in Scipios ehemaliges Lager zurückzugehen, bis aus Sizilien Verstärkung nachkommen werde. Bald darauf lief ein zweiter Bericht ein, daß König Juba durch Angriffe seiner Nachbarfürsten veranlaßt worden sei, mit seiner Hauptmacht wieder umzukehren, und den Belagerten nur ein mäßiges Korps unter Saburra zur Hilfe sende. Curio, der bei seinem lebhaften Naturell nur sehr ungern sich entschlossen hatte zu rasten, brach nun sofort wieder auf, um mit Saburra zu schlagen, bevor derselbe mit der Besatzung von Utica in Verbindung treten könne. Seiner Reiterei, die am Abend voraufgegangen war, gelang es in der Tat, das Korps des Saburra am Bagradas bei nächtlicher Weile zu überraschen und übel zuzurichten; und auf diese Siegesbotschaft beschleunigte Curio den Marsch der Infanterie, um durch sie die Niederlage zu vollenden. Bald erblickte man auf den letzten Abhängen der gegen den Bagradas sich senkenden Anhöhen das Korps des Saburra, das mit den römischen Reitern sich herumschlug; die heranrückenden Legionen halfen, dasselbe völlig in die Ebene hinabdrängen. Allein hier wendete sich das Gefecht. Saburra stand nicht, wie man meinte, ohne Rückhalt, sondern nicht viel mehr als eine deutsche Meile entfernt von der numidischen Hauptmacht. Bereits trafen der Kern des numidischen Fußvolks und 2000 gallische und spanische Reiter auf dem Schlachtfeld ein, um Saburra zu unterstützen, und der König selbst mit dem Gros der Armee und sechzehn Elefanten war im Anmarsch. Nach dem Nachtmarsch und dem hitzigen Gefecht waren von den römischen Reitern augenblicklich nicht viel über 200 beisammen, und diese sowie die Infanterie von den Strapazen und dem Fechten aufs äußerste erschöpft, alle in der weiten Ebene, in die man sich hatte verlocken lassen, rings eingeschlossen von den beständig sich mehrenden feindlichen Scharen. Vergeblich suchte Curio, handgemein zu werden; die libyschen Reiter wichen, wie sie pflegten, sowie eine römische Abteilung vorging, um, wenn sie umkehrte, sie zu verfolgen. Vergeblich versuchte er, die Höhen wiederzugewinnen; sie wurden von den feindlichen Reitern besetzt und versperrt. Es war alles verloren. Das Fußvolk ward niedergehauen bis auf den letzten Mann. Von der Reiterei gelang es einzelnen sich durchzuschlagen; und Curio hätte wohl sich zu retten vermocht, aber er ertrug es nicht, ohne das ihm anvertraute Heer allein vor seinem Herrn zu erscheinen, und starb mit dem Degen in der Hand. Selbst die Mannschaft, die im Lager vor Utica sich zusammenfand, und die Flottenbesatzung, die sich so leicht nach Sizilien hätte retten können, ergaben sich unter dem Eindruck der fürchterlich raschen Katastrophe den Tag darauf an Varus (August oder September 705 49).

So endigte die von Caesar angeordnete sizilisch-afrikanische Expedition. Sie erreichte insofern ihren Zweck, als durch die Besetzung Siziliens in Verbindung mit der von Sardinien wenigstens dem dringendsten Bedürfnis der Hauptstadt abgeholfen ward; die vereitelte Eroberung Afrikas, aus welcher die siegende Partei keinen weiteren wesentlichen Gewinn zog, und der Verlust zweier unzuverlässiger Legionen ließen sich verschmerzen. Aber ein unersetzlicher Verlust für Caesar, ja für Rom, war Curios früher Tod. Nicht ohne Ursache hatte Caesar dem militärisch unerfahrenen und wegen seines Lotterlebens berufenen jungen Mann das wichtigste selbständige Kommando anvertraut; es war ein Funken von Caesars eigenem Geist in dem feurigen Jüngling. Auch er hatte wie Caesar den Becher der Lust bis auf die Hefen geleert; auch er ward nicht darum Staatsmann, weil er Offizier war, sondern es gab seine politische Tätigkeit ihm das Schwert in die Hand; auch seine Beredsamkeit war nicht die der gerundeten Perioden, sondern die Beredsamkeit des tief empfundenen Gedankens; auch seine Kriegführung ruhte auf dem raschen Handeln mit geringen Mitteln; auch sein Wesen war Leichtigkeit und oft Leichtfertigkeit, anmutige Offenherzigkeit und volles Leben im Augenblick. Wenn, wie sein Feldherr von ihm sagt, Jugendfeuer und hoher Mut ihn zu Unvorsichtigkeiten hinrissen und wenn er, um nicht einen verzeihlichen Fehler sich verzeihen zu lassen, allzu stolz den Tod nahm, so fehlen Momente gleicher Unvorsichtigkeit und gleichen Stolzes auch in Caesars Geschichte nicht. Man darf es beklagen, daß es dieser übersprudelnden Natur nicht vergönnt war, auszuschäumen und sich aufzubewahren für die folgende, an Talenten so bettelarme, dem schrecklichen Regiment der Mittelmäßigkeiten so rasch verfallende Generation.

Inwiefern diese Kriegsvorgänge des Jahres 705 (49) in Pompeius‘ allgemeinen Feldzugsplan eingriffen, namentlich welche Rolle in diesem nach dem Verlust Italiens den wichtigen Heereskörpern im Westen zugeteilt war, läßt sich nur vermutungsweise bestimmen. Daß Pompeius die Absicht gehabt, seinem in Spanien fechtenden Heer zu Lande über Afrika und Mauretanien zu Hilfe zu kommen, war nichts als ein im Lager von Ilerda umherlaufendes abenteuerliches und ohne Zweifel durchaus grundloses Gerücht. Viel wahrscheinlicher ist es, daß er bei seinem früheren Plan, Caesar im Dies- und Jenseitigen Gallien von zwei Seiten anzugreifen, selbst nach dem Verlust von Italien noch beharrte und einen kombinierten Angriff zugleich von Spanien und Makedonien aus beabsichtigte. Vermutlich sollte die spanische Armee so lange an den Pyrenäen sich defensiv verhalten, bis die in der Organisation begriffene makedonische gleichfalls marschfähig war; worauf dann beide zugleich aufgebrochen sein und, je nach den Umständen, entweder an der Rhone oder am Po sich die Hand gereicht, auch die Flotte vermutlich gleichzeitig versucht haben würde, das eigentliche Italien zurückzuerobern. In dieser Voraussetzung, wie es scheint, hatte Caesar zunächst sich darauf gefaßt gemacht, einem Angriff auf Italien zu begegnen. Einer der tüchtigsten seiner Offiziere, der Volkstribun Marcus Antonius, befehligte hier mit proprätorischer Gewalt. Die südöstlichen Häfen Sipus, Brundisium, Tarent, wo am ersten ein Landungsversuch zu erwarten war, hatten eine Besatzung von drei Legionen erhalten. Außerdem zog Quintus Hortensius, des bekannten Redners ungeratener Sohn, eine Flotte im Tyrrhenischen, Publius Dolabella eine zweite im Adriatischen Meere zusammen, welche teils die Verteidigung unterstützten, teils für die bevorstehende Überfahrt nach Griechenland mitverwandt werden sollten. Falls Pompeius versuchen würde, zu Lande in Italien einzudringen, hatten Marcus Licinius Crassus, der älteste Sohn des alten Kollegen Caesars, die Verteidigung des Diesseitigen Galliens, des Marcus Antonius jüngerer Bruder Gaius die von Illyricum zu leiten. Indes der vermutete Angriff ließ lange auf sich warten. Erst im Hochsommer des Jahres ward man in Illyrien handgemein. Hier stand Caesars Statthalter Gaius Antonius mit seinen zwei Legionen auf der Insel Curicta (Veglia, im Golf von Quarnero), Caesars Admiral Publius Dolabella mit 40 Schiffen in dem schmalen Meerarm zwischen dieser Insel und dem Festland. Das letztere Geschwader griffen Pompeius‘ Flottenführer im Adriatischen Meer, Marcus Octavius mit der griechischen, Lucius Scribonius Libo mit der illyrischen Flottenabteilung an, vernichteten sämtliche Schiffe Dolabellas und schnitten Antonius auf seiner Insel ab. Ihn zu retten, kamen aus Italien ein Korps unter Basilus und Sallustius und das Geschwader des Hortensius aus dem Tyrrhenischen Meer; allein weder jenes noch dieses vermochten der weit überlegenen feindlichen Flotte etwas anzuhaben. Die Legionen des Antonius mußten ihrem Schicksal überlassen werden. Die Vorräte gingen zu Ende, die Truppen wurden schwierig und meuterisch; mit Ausnahme weniger Abteilungen, denen es gelang, auf Flößen das Festland zu erreichen, streckte das Korps, immer noch fünfzehn Kohorten stark, die Waffen und ward auf den Schiffen Libos nach Makedonien geführt, um dort in die Pompeianische Armee eingereiht zu werden, während Octavius zurückblieb, um die Unterwerfung der von Truppen entblößten illyrischen Küste zu vollenden. Die Delmater, jetzt in diesen Gegenden die bei weitem mächtigste Völkerschaft, die wichtige Inselstadt Issa (Lissa) und andere Ortschaften ergriffen die Partei des Pompeius; allein die Anhänger Caesars behaupteten sich in Salome (Spalato) und Lissos (Alessio) und hielten in der ersteren Stadt nicht bloß die Belagerung mutig aus, sondern machten, als sie aufs Äußerste gebracht waren, einen Ausfall mit solchem Erfolg, daß Octavius die Belagerung aufhob und nach Dyrrhachion abfuhr, um dort zu überwintern.

Dieser in Illyricum von der Pompeianischen Flotte erfochtene Erfolg, obwohl an sich nicht unbedeutend, wirkte doch auf den Gesamtgang des Feldzuges wenig ein; und zwerghaft gering erscheint er, wenn man erwägt, daß die Verrichtungen der unter Pompeius‘ Oberbefehl stehenden Land- und Seemacht während des ganzen ereignisreichen Jahres 705 (49) sich auf diese einzige Waffentat beschränkten und daß vom Osten her, wo der Feldherr, der Senat, die zweite große Armee, die Hauptflotte, ungeheure militärische und noch ausgedehntere finanzielle Hilfsmittel der Gegner Caesars vereinigt waren, da, wo es not tat, in jenen allentscheidenden Kampf im Westen gar nicht eingegriffen ward. Der aufgelöste Zustand der in der östlichen Hälfte des Reiches befindlichen Streitkräfte, die Methode des Feldherrn, nie anders als mit überlegenen Massen zu operieren, seine Schwerfälligkeit und Weitschichtigkeit und die Zerfahrenheit der Koalition mag vielleicht die Untätigkeit der Landmacht zwar nicht entschuldigen, aber doch einigermaßen erklären; aber daß die Flotte, die doch ohne Nebenbuhler das Mittelmeer beherrschte, so gar nichts tat, um den Gang der Dinge bestimmen zu helfen, nichts für Spanien, so gut wie nichts für die treuen Massalioten, nichts, um Sardinien, Sizilien, Afrika zu verteidigen und Italien wo nicht wieder zu besetzen, doch wenigstens ihm die Zufuhr abzusperren – das macht an unsere Vorstellungen von der im Pompeianischen Lager herrschenden Verwirrung und Verkehrtheit Ansprüche, denen wir nur mit Mühe zu genügen vermögen.

Das Gesamtresultat dieses Feldzugs war entsprechend. Caesars doppelte Offensive gegen Spanien und gegen Sizilien und Afrika war dort vollständig, hier wenigstens teilweise gelungen; dagegen ward Pompeius‘ Plan, Italien auszuhungern, durch die Wegnahme Siziliens in der Hauptsache, sein allgemeiner Feldzugsplan durch die Vernichtung der spanischen Armee vollständig vereitelt; und in Italien waren Caesars Verteidigungsanstalten nur zum kleinsten Teil zur Verwendung gekommen. Trotz der empfindlichen Verluste in Afrika und Illyrien ging doch Caesar in der entschiedensten und entscheidendsten Weise aus diesem ersten Kriegsjahr als Sieger hervor.

Wenn indes vom Osten aus nichts Wesentliches geschah, um Caesar an der Unterwerfung des Westens zu hindern, so arbeitete man doch wenigstens dort in der so schmählich gewonnenen Frist daran, sich politisch und militärisch zu konsolidieren. Der große Sammelplatz der Gegner Caesars ward Makedonien. Dorthin begab sich Pompeius selbst und die Masse der brundisinischen Emigranten; dorthin die übrigen Flüchtlinge aus dem Westen: Marcus Cato aus Sizilien, Lucius Domitius von Massalia; namentlich aber aus Spanien eine Menge der besten Offiziere und Soldaten der aufgelösten Armee, an der Spitze ihre Feldherrn Afranius und Varro. In Italien ward die Emigration unter den Aristokraten allmählich nicht bloß Ehren-, sondern fast Modesache, und neuen Schwung erhielt sie durch die ungünstigen Nachrichten, die über Caesars Lage vor Ilerda eintrafen; auch von den laueren Parteigenossen und den politischen Achselträgern kamen nach und nach nicht wenige an, und selbst Marcus Cicero überzeugte sich endlich, daß er seiner Bürgerpflicht nicht ausreichend damit genüge, wenn er eine Abhandlung über die Eintracht schreibe. Der Emigrantensenat in Thessalonike, wo das offizielle Rom seinen interimistischen Sitz aufschlug, zählte gegen 200 Mitglieder, darunter manche hochbejahrte Greise und fast sämtliche Konsulare. Aber freilich waren es Emigranten. Auch dieses römische Koblenz stellte die hohen Ansprüche und dürftigen Leistungen der vornehmen Welt Roms, ihre unzeitigen Reminiszenzen und unzeitigeren Rekriminationen, ihre politischen Verkehrtheiten und finanziellen Verlegenheiten in kläglicher Weise zur Schau. Es war das wenigste, daß man, während der alte Bau zusammensank, mit der peinlichsten Wichtigkeit jeden alten Schnörkel und Rostfleck der Verfassung in Obacht nahm: am Ende war es bloß lächerlich, wenn es den vornehmen Herren Gewissensskrupel machte, außerhalb des geheiligten städtischen Bodens ihre Ratversammlung Senat zu heißen und sie vorsichtig sich die „Dreihundert“ titulierten75; oder wenn man weitläufige staatsrechtliche Untersuchungen anstellte, ob und wie ein Kuriatgesetz von Rechts wegen sich anderswo zustande bringen lasse als im römischen Mauerring. Weit schlimmer war die Gleichgültigkeit der Lauen und die bornierte Verbissenheit der Ultras. Jene waren weder zum Handeln zu bringen noch auch nur zum Schweigen. Wurden sie aufgefordert, in einer bestimmten Weise für das gemeine Beste tätig zu sein, so betrachteten sie, mit der schwachen Leuten eigenen Inkonsequenz, jedes solche Ansinnen als einen böswilligen Versuch, sie noch weiter zu kompromittieren und taten das Befohlene gar nicht oder mit halbem Herzen. Dabei aber fielen sie natürlich mit ihrem verspäteten Besserwissen und ihren superklugen Unausführbarkeiten den Handelnden beständig zur Last; ihr Tagewerk bestand darin, jeden kleinen und großen Vorgang zu bekritteln, zu bespötteln und zu beseufzen und durch ihre eigene Lässigkeit und Hoffnungslosigkeit die Menge abzuspannen und zu entmutigen. Wenn hier die Atome der Schwäche zu schauen war, so stand dagegen deren Hypertonie bei den Ultras in voller Blüte. Hier hatte man es kein Hehl, daß die Vorbedingung für jede Friedensverhandlung die Überbringung von Caesars Kopf sei: jeder der Friedensversuche, die Caesar auch jetzt noch wiederholentlich machte, ward unbesehen von der Hand gewiesen oder nur benutzt, um auf heimtückische Weise den Beauftragten des Gegners nach dem Leben zu stellen. Daß die erklärten Caesarianer samt und sonders Leben und Gut verwirkt hatten, verstand sich von selbst; aber auch den mehr oder minder Neutralen ging es wenig besser. Lucius Domitius, der Held von Corfinium, machte im Kriegsrat alles Ernstes den Vorschlag, diejenigen Senatoren, die im Heer des Pompeius gefochten hätten, über alle, die entweder neutral geblieben oder zwar emigriert, aber nicht in das Heer eingetreten seien, abstimmen zu lassen und diese einzeln je nach Befinden freizusprechen oder mit Geldbuße oder auch mit dem Verlust des Lebens und des Vermögens zu bestrafen. Ein anderer dieser Ultras erhob bei Pompeius gegen Lucius Afranius wegen seiner mangelhaften Verteidigung Spaniens eine förmliche Anklage auf Bestechung und Verrat. Diesen in der Wolle gefärbten Republikanern nahm ihre politische Theorie fast den Charakter eines religiösen Glaubensbekenntnisses an; sie haßten denn auch die laueren Parteigenossen und den Pompeius mit seinem persönlichen Anhang womöglich noch mehr als die offenbaren Gegner, und durchaus mit jener Stupidität des Hasses, wie sie orthodoxen Theologen eigen zu sein pflegt; sie wesentlich verschuldeten die zahllosen und erbitterten Sonderfehden, welche die Emigrantenarmee und den Emigrantensenat zerrissen. Aber sie ließen es nicht bei Worten. Marcus Bibulus, Titus Labienus und andere dieser Koterie führten ihre Theorie praktisch durch und ließen, was ihnen von Caesars Armee an Offizieren oder Soldaten in die Hände fiel, in Masse hinrichten; was begreiflicherweise Caesars Truppen nicht gerade bewog, mit minderer Energie zu fechten. Wenn während Caesars Abwesenheit von Italien die Konterrevolution zu Gunsten der Verfassungsfreunde, zu der alle Elemente vorhanden waren, dennoch daselbst nicht ausbrach, so lag, nach der Versicherung einsichtiger Gegner Caesars, die Ursache hauptsächlich in der allgemeinen Besorgnis vor dem unbezähmbaren Wüten der republikanischen Ultras nach erfolgter Restauration. Die Besseren im Pompeianischen Lager waren in Verzweiflung über dies rasende Treiben. Pompeius, selbst ein tapferer Soldat, schonte, soweit er durfte und konnte, der Gefangenen; aber er war zu schwachmütig und in einer zu schiefen Stellung, um, wie es ihm als Oberfeldherrn zukam, alle Greuel dieser Art zu hemmen oder gar zu ahnden. Energischer versuchte der einzige Mann, der wenigstens mit sittlicher Haltung in den Kampf eintrat, Marcus Cato, diesem Treiben zu steuern, er erwirkte, daß der Emigrantensenat durch ein eigenes Dekret es untersagte, untertänige Städte zu plündern und einen Bürger anders als in der Schlacht zu töten. Ebenso dachte der tüchtige Marcus Marcellus. Freilich wußte es niemand besser als Cato und Marcellus, daß die extreme Partei ihre rettenden Taten wenn nötig allen Senatsbeschlüssen zum Trotze vollzog. Wenn aber bereits jetzt, wo man noch Klugheitsrücksichten zu beobachten hatte, die Wut der Ultras sich nicht bändigen ließ, so mochte man nach dem Siege auf eine Schreckensherrschaft sich gefaßt machen, von der Marius und Sulla selbst sich schaudernd abgewandt haben würden; und man begreift es, daß Cato, seinem eigenen Geständnis zufolge, mehr noch als vor der Niederlage, graute vor dem Siege seiner eigenen Partei.

Die Leitung der militärischen Vorbereitungen im makedonischen Lager lag in der Hand des Oberfeldherrn Pompeius. Die stets schwierige und gedrückte Stellung desselben hatte durch die unglücklichen Ereignisse des Jahres 705 (49) sich noch verschlimmert. In den Augen seiner Parteigenossen trug wesentlich er davon die Schuld. Es war das in vieler Hinsicht nicht gerecht. Ein guter Teil der erlittenen Unfälle kam auf Rechnung der Verkehrtheit und Unbotmäßigkeit der Unterfeldherren, namentlich des Konsuls Lentulus und des Lucius Domitius; von dem Augenblick an, wo Pompeius an die Spitze der Armee getreten war, hatte er sie geschickt und mutig geführt und wenigstens sehr ansehnliche Streitkräfte aus dem Schiffbruch gerettet; daß er Caesars jetzt von allen anerkanntem, durchaus überlegenem Genie nicht gewachsen war, konnte billigerweise ihm nicht vorgeworfen werden. Indes es entschied allein der Erfolg. Im Vertrauen auf den Feldherrn Pompeius hatte die Verfassungspartei mit Caesar gebrochen; die verderblichen Folgen dieses Bruches fielen auf den Feldherrn Pompeius zurück, und wenn auch bei der notorischen militärischen Unfähigkeit aller übrigen Chefs kein Versuch gemacht ward, das Oberkommando zu wechseln, so war doch wenigstens das Vertrauen zu dem Oberfeldherrn paralysiert. Zu diesen Nachwehen der erlittenen Niederlagen kamen die nachteiligen Einflüsse der Emigration. Unter den eintreffenden Flüchtlingen war allerdings eine Anzahl tüchtiger Soldaten und fähiger Offiziere namentlich der ehemaligen spanischen Armee; allein die Zahl derer, die kamen, um zu dienen und zu fechten, war ebenso gering, wie zum Erschrecken groß die der vornehmen Generale, die mit ebenso gutem Fug wie Pompeius sich Prokonsuln und Imperatoren nannten, und der vornehmen Herren, die mehr oder weniger unfreiwillig am aktiven Kriegsdienst sich beteiligten. Durch diese ward die hauptstädtische Lebensweise in das Feldlager eingebürgert, keineswegs zum Vorteil des Heeres: die Zelte solcher Herren waren anmutige Lauben, der Boden mit frischem Rasen zierlich bedeckt, die Wände mit Efeu bekleidet; auf dem Tisch stand silbernes Tafelgeschirr und oft kreiste dort schon am hellen Tage der Becher. Diese eleganten Krieger machten einen seltsamen Kontrast mit Caesars Grasteufeln, vor deren grobem Brot jene erschraken und die in Ermangelung dessen auch Wurzeln aßen und schwuren, eher Baumrinde zu kauen als vom Feinde abzulassen. Wenn ferner die unvermeidliche Rücksicht auf eine kollegialische und ihm persönlich abgeneigte Behörde Pompeius schon an sich in seiner Tätigkeit hemmte, so steigerte diese Verlegenheit sich ungemein, als der Emigrantensenat beinahe im Hauptquartier selbst seinen Sitz aufschlug und nun alles Gift der Emigration in diesen Senatssitzungen sich entleerte. Eine bedeutende Persönlichkeit endlich, die gegen all diese Verkehrtheiten ihr eigenes Gewicht hätte einsetzen können, war nirgends vorhanden. Pompeius selbst war dazu geistig viel zu untergeordnet und viel zu zögernd, schwerfällig und versteckt. Marcus Cato würde wenigstens die erforderliche moralische Autorität gehabt und auch des guten Willens, Pompeius damit zu unterstützen, nicht ermangelt haben; allein Pompeius, statt ihn zum Beistand aufzufordern, setzte ihn mit mißtrauischer Eifersucht zurück und übertrug zum Beispiel das so wichtige Oberkommando der Flotte lieber an den in jeder Beziehung unfähigen Bibulus als an Cato. Wenn somit Pompeius die politische Seite seiner Stellung mit der ihm eigenen Verkehrtheit behandelte und was an sich schon verdorben war, nach Kräften weiter verdarb, so widmete er dagegen mit anerkennenswertem Eifer sich seiner Pflicht, die bedeutenden, aber aufgelösten Streitkräfte der Partei militärisch zu organisieren. Den Kern derselben bildeten die aus Italien mitgebrachten Truppen, aus denen mit den Ergänzungen aus den illyrischen Kriegsgefangenen und den in Griechenland domizilierten Römern zusammen fünf Legionen gebildet wurden. Drei andere kamen aus dem Osten: die beiden aus den Trümmern der Armee des Crassus gebildeten syrischen und eine aus den zwei schwachen, bisher in Kilikien stehenden kombinierte. Der Wegziehung dieser Besatzungstruppen stellte sich nichts in den Weg, da teils die Pompeianer mit den Parthern im Einvernehmen standen und selbst ein Bündnis mit ihnen hätten haben können, wenn Pompeius nicht unwillig sich geweigert hätte, den geforderten Preis: die Abtretung der von ihm selbst zum Reiche gebrachten syrischen Landschaft, dafür zu zahlen; teils Caesars Plan, zwei Legionen nach Syrien zu entsenden und durch den in Rom gefangengehaltenen Prinzen Aristobulos die Juden abermals unter die Waffen zu bringen, zum Teil durch andere Ursachen, zum Teil durch Aristobulos‘ Tod vereitelt ward. Weiter wurden aus den in Kreta und Makedonien angesiedelten gedienten Soldaten eine, aus den kleinasiatischen Römern zwei neue Legionen ausgehoben. Zu allem dem kamen 2000 Freiwillige, die aus den Trümmern der spanischen Kernscharen und anderen ähnlichen Zuzügen hervorgingen, und endlich die Kontingente der Untertanen. Wie Caesar hatte Pompeius es verschmäht, von denselben Infanterie zu requirieren; nur zur Küstenbesatzung waren die epirotischen, ätolischen und thrakischen Milizen aufgeboten und außerdem an leichten Truppen 3000 griechische und kleinasiatische Schützen und 1200 Schleuderer angenommen worden. Die Reiterei dagegen bestand, außer einer aus dem jungen Adel Roms gebildeten, mehr ansehnlichen als militärisch bedeutenden Nobelgarde und den von Pompeius beritten gemachten apulischen Hirtensklaven, ausschließlich aus den Zuzügen der Untertanen und Klienten Roms. Den Kern bildeten die Kelten, teils von der Besatzung von Alexandreia, teils die Kontingente des Königs Deiotarus, der trotz seines hohen Alters an der Spitze seiner Reiterei in Person erschienen war, und der übrigen galatischen Dynasten. Mit ihnen wurden vereinigt die vortrefflichen thrakischen Reiter, die teils von ihren Fürsten Sadala und Rhaskuporis herangeführt, teils von Pompeius in der makedonischen Provinz angeworben waren; die kappadokische Reiterei; die von König Antiochos von Kommagene gesendeten, berittenen Schützen; die Zuzüge der Armenier von diesseits des Euphrat unter Taxiles, von jenseits desselben unter Megabares und die von König Juba gesandten numidischen Scharen – die gesamte Masse stieg auf 7000 Pferde.

Sehr ansehnlich endlich war die Pompeianische Flotte. Sie ward gebildet teils aus den von Brundisium mitgeführten oder später erbauten römischen Fahrzeugen, teils aus den Kriegsschiffen des Königs von Ägypten, der kolchischen Fürsten, des kilikischen Dynasten Tarkondimotos, der Städte Tyros, Rhodos, Athen, Kerkyra und überhaupt der sämtlichen asiatischen und griechischen Seestaaten und zählte gegen 500 Segel, wovon die römischen den fünften Teil ausmachten. An Getreide und Kriegsmaterial waren in Dyrrhachion ungeheure Vorräte aufgehäuft. Die Kriegskasse war wohlgefüllt, da die Pompeianer sich im Besitz der hauptsächlichen Einnahmequellen des Staats befanden und die Geldmittel der Klientelfürsten, der angesehenen Senatoren, der Steuerpächter und überhaupt der gesamten römischen und nichtrömischen Bevölkerung in ihrem Bereich für sich nutzbar machten. Was in Afrika, Ägypten, Makedonien, Griechenland, Vorderasien und Syrien das Ansehen der legitimen Regierung und Pompeius‘ oftgefeierte Königs- und Völkerklientel vermochte, war zum Schutz der römischen Republik in Bewegung gesetzt worden; wenn in Italien die Rede ging, daß Pompeius die Geten, Kolcher und Armenier gegen Rom bewaffne, wenn im Lager er der „König der Könige“ hieß, so waren dies kaum Übertreibungen zu nennen. Im ganzen gebot derselbe über eine Armee von 7000 Reitern und elf Legionen, von denen freilich höchstens fünf als kriegsgewohnt bezeichnet werden durften, und über eine Flotte von 500 Segeln. Die Stimmung der Soldaten, für deren Verpflegung und Sold Pompeius genügend sorgte und denen für den Fall des Sieges die überschwenglichsten Belohnungen zugesichert waren, war durchgängig gut, in manchen und eben den tüchtigsten Abteilungen sogar vortrefflich; indes bestand doch ein großer Teil der Armee aus neu ausgehobenen Truppen, deren Formierung und Exerzierung, wie eifrig sie auch betrieben ward, notwendigerweise Zeit erforderte. Die Kriegsmacht überhaupt war imposant, aber zugleich einigermaßen buntscheckig.

Nach der Absicht des Oberfeldherrn sollten bis zum Winter 705/06 (49/48) Heer und Flotte wesentlich vollständig an der Küste und in den Gewässern von Epirus vereinigt sein. Der Admiral Bibulus war auch bereits mit 110 Schiffen in seinem neuen Hauptquartier Kerkyra eingetroffen. Dagegen war das Landheer, dessen Hauptquartier während des Sommers zu Berrhöa am Haliakmon gewesen war, noch zurück; die Masse bewegte sich langsam auf der großen Kunststraße von Thessalonike nach der Westküste auf das künftige Hauptquartier Dyrrhachion zu; die beiden Legionen, die Metellus Scipio aus Syrien heranführte, standen gar noch bei Pergamon in Kleinasien im Winterquartier und wurden erst zum Frühjahr in Europa erwartet. Man nahm sich eben Zeit. Vorläufig waren die epirotischen Häfen außer durch die Flotte nur noch durch die Bürgerwehren und die Aufgebote der Umgegend verteidigt.

So war es Caesar möglich geblieben, trotz des dazwischenfallenden Spanischen Krieges auch in Makedonien die Offensive für sich zu nehmen, und er wenigstens säumte nicht. Längst hatte er die Zusammenziehung von Kriegs- und Transportschiffen in Brundisium angeordnet und nach der Kapitulation der spanischen Armee und dem Fall von Massalia die dort verwendeten Kerntruppen zum größten Teil ebendahin dirigiert. Die unerhörten Anstrengungen zwar, die also von Caesar den Soldaten zugemutet wurden, lichteten mehr als die Gefechte die Reihen, und die Meuterei einer der vier ältesten Legionen, der neunten, auf ihrem Durchmarsch durch Placentia war ein gefährliches Zeichen der bei der Armee einreißenden Stimmung; doch wurden Caesars Geistesgegenwart und persönliche Autorität derselben Herr, und von dieser Seite stand der Einschiffung nichts im Wege. Allein woran schon im März 705 (49) die Verfolgung des Pompeius gescheitert war, der Mangel an Schiffen, drohte auch diese Expedition zu vereiteln. Die Kriegsschiffe, die Caesar in den gallischen, sizilischen und italischen Häfen zu erbauen befohlen hatte, waren noch nicht fertig oder doch nicht zur Stelle; sein Geschwader im Adriatischen Meer war das Jahr zuvor bei Curicta vernichtet worden; er fand bei Brundisium nicht mehr als zwölf Kriegsschiffe und kaum Transportfahrzeuge genug, um den dritten Teil seiner nach Griechenland bestimmten Armee von zwölf Legionen und 10000 Reitern auf einmal überzuführen. Die ansehnliche feindliche Flotte beherrschte ausschließlich das Adriatische Meer und namentlich die sämtlichen festländischen und Inselhäfen der Ostküste. Unter solchen Umständen drängt die Frage sich auf, warum Caesar nicht statt des Seeweges den zu Lande durch Illyrien einschlug, welcher aller von der Flotte drohenden Gefahren ihn überhob und überdies für seine größtenteils aus Gallien kommenden Truppen kürzer war als der über Brundisium. Zwar waren die illyrischen Landschaften unbeschreiblich rauh und arm; aber sie sind doch von anderen Armeen nicht lange nachher durchschritten worden, und dieses Hindernis ist dem Eroberer Galliens schwerlich unübersteiglich erschienen. Vielleicht besorgte er, daß während des schwierigen illyrischen Marsches Pompeius seine gesamte Streitmacht über das Adriatische Meer führen möchte, wodurch die Rollen auf einmal sich umkehren, Caesar in Makedonien, Pompeius in Italien zu stehen kommen konnte; obwohl ein solcher rascher Wechsel dem schwerfälligen Gegner doch kaum zuzutrauen war. Vielleicht hatte Caesar auch in der Voraussetzung, daß seine Flotte inzwischen auf einen achtunggebietenden Stand gebracht sein würde, sich für den Seeweg entschieden, und als er nach seiner Rückkehr aus Spanien des wahren Standes der Dinge im Adriatischen Meere inne ward, mochte es zu spät sein, den Feldzugsplan zu ändern. Vielleicht, ja nach Caesars raschem, stets zur Entscheidung drängenden Naturell darf man sagen wahrscheinlich, fand er durch die augenblicklich noch unbesetzte, aber sicher in wenigen Tagen mit Feinden sich bedeckende epirotische Küste sich unwiderstehlich gelockt, den ganzen Plan des Gegners wieder einmal durch einen verwegenen Zug zu durchkreuzen. Wie dem auch sei, am 4. Januar 70676 (48) ging Caesar mit sechs, durch die Strapazen und Krankheiten sehr gelichteten Legionen und 600 Reitern von Brundisium nach der epirotischen Küste unter Segel. Es war ein Seitenstück zu der tollkühnen britannischen Expedition; indes wenigstens der erste Wurf war glücklich. Inmitten der akrokeraunischen (Chimara-) Klippen, auf der wenig besuchten Reede von Paleassa (Paljassa) ward die Küste erreicht. Man sah die Transportschiffe sowohl aus dem Hafen von Orikon (Bucht von Avlona), wo ein Pompeianisches Geschwader von achtzehn Schiffen lag, als auch aus dem Hauptquartier der feindlichen Flotte bei Kerkyra; aber dort hielt man sich zu schwach, hier war man nicht segelfertig, und ungehindert ward der erste Transport ans Land gesetzt. Während die Schiffe sogleich zurückgingen, um den zweiten nachzuholen, überstieg Caesar noch denselben Abend die akrokeraunischen Berge. Seine ersten Erfolge waren so groß wie die Überraschung der Feinde. Der epirotische Landsturm setzte nirgends sich zur Wehr; die wichtigen Hafenstädte Orikon und Apollonia nebst einer Menge kleinerer Ortschaften wurden weggenommen; Dyrrhachion, von den Pompeianern zum Hauptwaffenplatz ausersehen und mit Vorräten aller Art angefüllt, aber nur schwach besetzt, schwebte in der größten Gefahr.

Indes der weitere Verlauf des Feldzuges entsprach diesem glänzenden Anfange nicht. Bibulus machte die Nachlässigkeit, die er sich hatte zu Schulden kommen lassen, nachträglich durch verdoppelte Anstrengungen zum Teil wieder gut. Nicht bloß brachte er von den heimkehrenden Transportschiffen gegen dreißig auf, die er sämtlich mit Mann und Maus verbrennen ließ, sondern er richtete auch längs des ganzen von Caesar besetzten Küstenstrichs, von der Insel Sason (Saseno) bis zu den Häfen von Kerkyra, den sorgfältigsten Wachtdienst ein, so beschwerlich auch die rauhe Jahreszeit und die Notwendigkeit, den Wachtschiffen alle Bedürfnisse, selbst Holz und Wasser, von Kerkyra zuzuführen, denselben machten; ja sein Nachfolger Libo – er selbst unterlag bald den ungewohnten Strapazen – sperrte sogar eine Zeitlang den Hafen von Brundisium, bis ihn von der kleinen Insel vor demselben, auf der er sich festgesetzt hatte, der Wassermangel wieder vertrieb. Es war Caesars Offizieren nicht möglich, ihrem Feldherrn den zweiten Transport der Armee nachzuführen. Ebensowenig gelang ihm selbst die Wegnahme von Dyrrhachion. Pompeius erfuhr durch einen der Friedensboten Caesars von dessen Vorbereitungen zur Fahrt nach der epirotischen Küste und darauf den Marsch beschleunigend warf er sich noch eben zu rechter Zeit in diesen wichtigen Waffenplatz. Caesars Lage war kritisch. Obwohl er in Epirus so weit sich ausbreitete, als es bei seiner geringen Stärke nur irgend möglich war, so blieb die Subsistenz seiner Armee doch schwierig und unsicher, während die Feinde, im Besitz der Magazine von Dyrrhachion und Herren der See, Überfluß an allem hatten. Mit seinem vermutlich wenig über 20000 Mann starken Heer konnte er dem wenigstens doppelt so zahlreichen Pompeianischen keine Schlacht anbieten, sondern mußte sich glücklich schätzen, daß Pompeius methodisch zu Werke ging und, statt sofort die Schlacht zu erzwingen, zwischen Dyrrhachion und Apollonia am rechten Ufer des Apsos, Caesar auf dem linken gegenüber, das Winterlager bezog, um mit dem Frühjahr, nach dem Eintreffen der Legionen von Pergamon, mit unwiderstehlicher Übermacht den Feind zu vernichten. So verflossen Monate. Wenn der Eintritt der besseren Jahreszeit, die dem Feinde starken Zuzug und den freien Gebrauch seiner Flotte brachte, Caesar noch in derselben Lage fand, so war er, mit seiner schwachen Schar zwischen der ungeheuren Flotte und dem dreifach überlegenen Landheer der Feinde in den epirotischen Felsen eingekeilt, allem Anscheine nach verloren; und schon neigte der Winter sich zu Ende. Alle Hoffnung beruhte immer noch auf der Transportflotte: daß diese durch die Blockade sich durchschlich oder durchschlug, war kaum zu hoffen; aber nach der ersten freiwilligen Tollkühnheit war diese zweite durch die Notwendigkeit geboten. Wie verzweifelt Caesar selbst seine Lage erschien, beweist sein Entschluß, da die Flotte immer nicht kam, allein auf einer Fischerbarke durch das Adriatische Meer nach Brundisium zu fahren, um sie zu holen; was in der Tat nur darum unterblieb, weil sich kein Schiffer fand, die verwegene Fahrt zu unternehmen. Indes es bedurfte seines persönlichen Erscheinens nicht, um den treuen Offizier, der in Italien kommandierte, Marcus Antonius, zu bestimmen, diesen letzten Versuch zur Rettung seines Herrn zu machen. Abermals lief die Transportflotte, mit vier Legionen und 800 Reitern an Bord, aus dem Hafen von Brundisium aus und glücklich führte ein starker Südwind sie an Libos Galeeren vorüber. Allein derselbe Wind, der hier die Flotte rettete, machte es ihr unmöglich, wie ihr befohlen war, an der apolloniatischen Küste zu landen, und zwang sie, an Caesars und Pompeius‘ Lager vorbeizufahren und nördlich von Dyrrhachion nach Lissos zu steuern, welche Stadt zu gutem Glück noch zu Caesar hielt. Als sie an dem Hafen von Dyrrhachion vorüberfuhr, brachen die rhodischen Galeeren auf, um sie zu verfolgen, und kaum waren Antonius‘ Schiffe in den Hafen von Lissos eingefahren, als auch das feindliche Geschwader vor demselben erschien. Aber eben in diesem Augenblick schlug plötzlich der Wind um und warf die verfolgenden Galeeren wieder zurück in die offene See und zum Teil an die felsige Küste. Durch die wunderbarsten Glückszufälle war die Landung auch des zweiten Transportes gelungen. Noch standen zwar Antonius und Caesar etwa vier Tagemärsche voneinander, getrennt durch Dyrrhachion und die gesamte feindliche Armee; indes Antonius bewerkstelligte glücklich den gefährlichen Marsch um Dyrrhachion herum durch die Pässe des Graba Balkan und ward von Caesar, der ihm entgegengegangen war, am rechten Ufer des Apsos aufgenommen. Pompeius, nachdem er vergeblich versucht hatte, die Vereinigung der beiden feindlichen Armeen zu verhindern und das Korps des Antonius einzeln zum Schlagen zu zwingen, nahm eine neue Stellung bei Asparagion an dem Flusse Genusas (Uschkomobin), der dem Apsos parallel zwischen diesem und der Stadt Dyrrhachion fließt, und hielt hier sich wieder unbeweglich. Caesar fühlte jetzt sich stark genug, eine Schlacht zu liefern; aber Pompeius ging nicht darauf ein. Dagegen gelang es Caesar, den Gegner zu täuschen und unversehens mit seinen besser marschierenden Truppen sich, ähnlich wie bei Ilerda, zwischen das feindliche Lager und die Festung Dyrrhachion zu werfen, auf die dieses sich stützte. Die Kette des Graba Balkan, die in der Richtung von Osten nach Westen streichend am Adriatischen Meere in der schmalen dyrrhachinischen Landzunge endigt, entsendet drei Meilen östlich von Dyrrhachion in südwestlicher Richtung einen Seitenarm, der in bogenförmiger Richtung ebenfalls zum Meere sich wendet, und der Haupt- und der Seitenarm des Gebirges schließen zwischen sich eine kleine, um eine Klippe am Meeresstrand sich ausbreitende Ebene ein. Hier nahm Pompeius jetzt sein Lager, und obwohl die Caesarische Armee ihm den Landweg nach Dyrrhachion verlegt hielt, blieb er doch mit Hilfe seiner Flotte fortwährend mit dieser Stadt in Verbindung und ward von dort mit allem Nötigen reichlich und bequem versehen, während bei den Caesarianern, trotz starker Detachierungen in das Hinterland und trotz aller Anstrengungen des Feldherrn, ein geordnetes Fahrwesen und damit eine regelmäßige Verpflegung in Gang zu bringen, es doch mehr als knapp herging und Fleisch, Gerste, ja Wurzeln sehr häufig die Stelle des gewohnten Weizens vertreten maßten. Da der phlegmatische Gegner beharrlich bei seiner Passivität blieb, unternahm Caesar, den Höhenkreis zu besetzen, der die von Pompeius eingenommene Strandebene umschloß, um wenigstens die überlegene feindliche Reiterei festzustellen und ungestörter gegen Dyrrhachion operieren zu können, womöglich aber den Gegner entweder zur Schlacht oder zur Einschiffung zu nötigen. Von Caesars Truppen war beinahe die Hälfte ins Binnenland detachiert; es schien fast abenteuerlich, mit dem Rest eine vielleicht doppelt so zahlreiche, konzentriert aufgestellte, auf die See und die Flotte gestützte Armee gewissermaßen belagern zu wollen. Dennoch schlossen Caesars Veteranen unter unsäglichen Anstrengungen das Pompeianische Lager mit einer drei und eine halbe deutsche Meile langen Postenkette ein und fügten später, ebenwie vor Alesia, zu dieser inneren Linie noch eine zweite äußere hinzu, um sich vor Angriffen von Dyrrhachion aus und vor den mit Hilfe der Flotte so leicht ausführbaren Umgehungen zu schützen. Pompeius griff mehrmals einzelne dieser Verschanzungen an, um womöglich die feindliche Linie zu sprengen, allein durch eine Schlacht die Einschließung zu hindern versuchte er nicht, sondern zog es vor, auch seinerseits um sein Lager herum eine Anzahl Schanzen anzulegen und dieselben durch Linien miteinander zu verbinden. Beiderseits war man bemüht, die Schanzen möglichst weit vorzuschieben und die Erdarbeiten rückten unter beständigen Gefechten nur langsam vor. Zugleich schlug man auf der entgegengesetzten Seite des Caesarischen Lagers sich herum mit der Besatzung vor Dyrrhachion; durch Einverständnisse innerhalb der Festung hoffte Caesar sie in seine Gewalt zu bringen, ward aber durch die feindliche Flotte daran verhindert. Unaufhörlich ward an den verschiedensten Punkten – an einem der heißesten Tage an sechs Stellen zugleich – gefochten und in der Regel behielt in diesen Scharmützeln die erprobte Tapferkeit der Caesarianer die Oberhand; wie denn zum Beispiel einmal eine einzige Kohorte sich gegen vier Legionen mehrere Stunden lang in ihrer Schanze hielt, bis Unterstützung herbeikam. Ein Haupterfolg ward auf keiner Seite erreicht; doch machten sich die Folgen der Einschließung den Pompeianern allmählich in drückender Weise fühlbar. Die Stauung der von den Höhen in die Ebene sich ergießenden Bäche nötigte sie, sich mit sparsamem und schlechtem Brunnenwasser zu begnügen. Noch empfindlicher war der Mangel an Futter für die Lasttiere und die Pferde, dem auch die Flotte nicht genügend abzuhelfen vermochte; sie fielen zahlreich und es half nur wenig, daß die Pferde durch die Flotte nach Dyrrhachion geschafft wurden, da sie auch hier nicht ausreichend Futter fanden. Lange konnte Pompeius nicht mehr zögern, sich durch einen gegen den Feind geführten Schlag aus seiner unbequemen Lage zu befreien. Da ward er durch keltische Überläufer davon in Kenntnis gesetzt, daß der Feind es versäumt habe, den Strand zwischen seinen beiden 600 Fuß voneinander entfernten Schanzenketten durch einen Querwall zu sichern, und baute hierauf seinen Plan. Während er die innere Linie der Verschanzungen Caesars vom Lager aus durch die Legionen, die äußere durch die auf Schiffe gesetzten und jenseits der feindlichen Verschanzungen gelandeten leichten Truppen angreifen ließ, landete eine dritte Abteilung in dem Zwischenraum zwischen beiden Linien und griff die schon hinreichend beschäftigten Verteidiger derselben im Rücken an. Die zunächst am Meer befindliche Schanze wurde genommen und die Besatzung floh in wilder Verwirrung; mit Mühe gelang es dem Befehlshaber der nächsten Schanze, Marcus Antonius, diese zu behaupten und für den Augenblick dem Vordringen der Pompeianer ein Ziel zu setzen; aber, abgesehen von dem ansehnlichen Verlust, blieb die äußerste Schanze am Meer in den Händen der Pompeianer und die Linie durchbrochen. Um so eifriger ergriff Caesar die Gelegenheit, die bald darauf sich ihm darbot, eine unvorsichtig sich vereinzelnde Pompeianische Legion mit dem Gros seiner Infanterie anzugreifen. Allein die Angegriffenen leisteten tapferen Widerstand, und in dem mehrmals zum Lager größerer und kleinerer Abteilungen benutzten und kreuz und quer von Wällen und Gräben durchzogenen Terrain, auf dem gefochten ward, kam Caesars rechter Flügel nebst der Reiterei ganz vom Wege ab statt den linken im Angriff auf die Pompeianische Legion zu unterstützen, geriet er in einen engen, aus einem der alten Lager zum Fluß hingeführten Laufgraben. So fand Pompeius, der den Seinigen zu Hilfe mit fünf Legionen eiligst herbeikam, die beiden Flügel der Feinde voneinander getrennt und den einen in einer gänzlich preisgegebenen Stellung. Wie die Caesarianer ihn anrücken sahen, ergriff sie ein panischer Schreck; alles stürzte in wilder Flucht zurück, und wenn es bei dem Verlust von 1000 der besten Soldaten blieb und Caesars Armee nicht eine vollständige Niederlage erlitt, so hatte sie dies nur dem Umstand zu danken, daß auch Pompeius sich auf dem durchschnittenen Boden nicht frei entwickeln konnte und überdies, eine Kriegslist besorgend, seine Truppen anfangs zurückhielt. Aber auch so waren es unheilvolle Tage. Nicht bloß hatte Caesar die empfindlichsten Verluste erlitten und seine Verschanzungen, das Resultat einer viermonatlichen Riesenarbeit, auf einen Schlag eingebüßt: er war durch die letzten Gefechte wieder genau auf den Punkt zurückgeworfen, von welchem er ausgegangen war. Von der See war er vollständiger verdrängt als je, seit des Pompeius ältester Sohn Gnaeus Caesars wenige, im Hafen von Orikon lagernde Kriegsschiffe durch einen kühnen Angriff teils verbrannt, teils weggeführt und bald nachher die in Lissos zurückgebliebene Truppenflotte gleichfalls in Brand gesteckt hatte; jede Möglichkeit, von Brundisium noch weitere Verstärkungen zur See heranzuziehen, war damit für Caesar verloren. Die zahlreiche Pompeianische Reiterei, jetzt ihrer Fesseln entledigt, ergoß sich in die Umgegend und drohte Caesar die stets schwierige Verpflegung der Armee völlig unmöglich zu machen. Caesars verwegenes Unternehmen, gegen einen seemächtigen, auf die Flotte gestützten Feind ohne Schiffe offensiv zu operieren, war vollständig gescheitert. Auf dem bisherigen Kriegsschauplatz fand er sich einer unbezwinglichen Verteidigungsstellung gegenüber und weder gegen Dyrrhachion noch gegen das feindliche Heer einen ernstlichen Schlag auszuführen imstande; dagegen hing es jetzt nur von Pompeius ab, gegen den bereits in seinen Subsistenzmitteln sehr gefährdeten Gegner unter den günstigsten Verhältnissen zum Angriff überzugehen. Der Krieg war an einem Wendepunkt angelangt. Bisher hatte Pompeius, allem Anscheine nach, das Kriegsspiel ohne eigenen Plan gespielt und nur nach dem jedesmaligen Angriff seine Verteidigung bemessen; und es war dies nicht zu tadeln, da das Hinziehen des Krieges ihm Gelegenheit gab, seine Rekruten schlagfähig zu machen, seine Reserven heranzuziehen und das Übergewicht seiner Flotte im Adriatischen Meer immer vollständiger zu entwickeln. Caesar war nicht bloß taktisch, sondern auch strategisch geschlagen. Diese Niederlage hatte zwar nicht diejenige Folge, die Pompeius nicht ohne Ursache erhoffte: zu einer sofortigen völligen Auflösung der Armee durch Hunger und Meuterei ließ die eminente soldatische Energie der Veteranen Caesars es nicht kommen. Allein es schien doch nur von dem Gegner abzuhängen, durch zweckmäßige Verfolgung seines Sieges die volle Frucht desselben zu ernten.

An Pompeius war es, die Offensive zu ergreifen, und er war dazu entschlossen. Es boten sich ihm drei verschiedene Wege dar, um seinen Sieg fruchtbar zu machen. Der erste und einfachste war, von der überwundenen Armee nicht abzulassen und, wenn sie aufbrach, sie zu verfolgen. Ferner konnte Pompeius Caesar selbst und dessen Kerntruppen in Griechenland stehen lassen und selber, wie er längst vorbereitet hatte, mit der Hauptarmee nach Italien überfahren, wo die Stimmung entschieden antimonarchisch war und die Streitmacht Caesars, nach Entsendung der besten Truppen und des tapfern und zuverlässigen Kommandanten zu der griechischen Armee, nicht gar viel bedeuten wollte. Endlich konnte der Sieger sich auch in das Binnenland wenden, die Legionen des Metellus Scipio an sich liehen und versuchen, die im Binnenlande stehenden Truppen Caesars aufzuheben. Es hatte nämlich dieser, unmittelbar nachdem der zweite Transport bei ihm eingetroffen war, teils, um die Subsistenzmittel für seine Armee herbeizuschaffen, starke Detachements nach Ätolien und Thessalien entsandt, teils ein Korps von zwei Legionen unter Gnaeus Domitius Calvinus auf der Egnatischen Chaussee gegen Makedonien vorgehen lassen, das dem auf derselben Straße von Thessalonike her anrückenden Korps des Scipio den Weg verlegen und womöglich es einzeln schlagen sollte. Schon hatten Calvinus und Scipio sich bis auf wenige Meilen einander genähert, als Scipio sich plötzlich rückwärts wandte und, rasch den Haliakmon (Jadsche Karasu) überschreitend und dort sein Gepäck unter Marcus Favonius zurücklassend, in Thessalien eindrang, um die mit der Unterwerfung des Landes beschäftigte Rekrutenlegion Caesars unter Lucius Cassius Longinus mit Übermacht anzugreifen. Longinus aber zog sich über die Berge nach Ambrakia auf das von Caesar nach Ätolien gesandte Detachement unter Gnaeus Calvisius Sabinus zurück, und Scipio konnte ihn nur durch seine thrakischen Reiter verfolgen lassen, da Calvinus seine unter Favonius am Haliakmon zurückgelassene Reserve mit dem gleichen Schicksale bedrohte, welches er selbst dem Longinus zu bereiten gedachte. So trafen Calvinus und Scipio am Haliakmon wieder zusammen und lagerten hier längere Zeit einander gegenüber.

Pompeius konnte zwischen diesen Plänen wählen; Caesar blieb keine Wahl. Er trat nach jenem unglücklichen Gefechte den Rückzug auf Apollonia an. Pompeius folgte. Der Marsch von Dyrrhachion nach Apollonia auf einer schwierigen, von mehreren Flüssen durchschnittenen Straße war keine leichte Aufgabe für eine geschlagene und vom Feinde verfolgte Armee; indes die geschickte Leitung ihres Feldherrn und die unverwüstliche Marschfähigkeit der Soldaten nötigten Pompeius nach viertägiger Verfolgung, dieselbe als nutzlos einzustellen. Er hatte jetzt sich zu entscheiden zwischen der italischen Expedition und dem Marsch in das Binnenland; und so rätlich und lockend auch jene schien, so manche Stimmen auch dafür sich erhoben, er zog es doch vor, das Korps des Scipio nicht preiszugeben, um so mehr, als er durch diesen Marsch das des Calvinus in die Hände zu bekommen hoffte. Calvinus stand augenblicklich auf der Egnatischen Straße bei Herakleia Lynkestis, zwischen Pompeius und Scipio und, nachdem Caesar sich auf Apollonia zurückgezogen, von diesem weiter entfernt als von der großen Armee des Pompeius, zu allem dem ohne Kenntnis von den Vorgängen bei Dyrrhachion und von seiner bedenklichen Lage, da nach den bei Dyrrhachion erlangten Erfolgen die ganze Landschaft sich zu Pompeius neigte und die Boten Caesars überall aufgegriffen wurden. Erst als die feindliche Hauptmacht bis auf wenige Stunden sich ihm genähert hatte, erfuhr Calvinus aus den Erzählungen der feindlichen Vorposten selbst den Stand der Dinge. Ein rascher Aufbruch in südlicher Richtung gegen Thessalien zu entzog ihn im letzten Augenblick der drohenden Vernichtung; Pompeius mußte sich damit begnügen, Scipio aus seiner gefährdeten Stellung befreit zu haben. Caesar war inzwischen unangefochten nach Apollonia gelangt. Sogleich nach der Katastrophe von Dyrrhachion hatte er sich entschlossen, wenn möglich den Kampf von der Küste weg in das Binnenland zu verlegen, um die letzte Ursache des Fehlschlagens seiner bisherigen Anstrengungen, die feindliche Flotte, aus dem Spiel zu bringen. Der Marsch nach Apollonia hatte nur den Zweck gehabt, dort, wo seine Depots sich befanden, seine Verwundeten in Sicherheit zu bringen und seinen Soldaten die Löhnung zu zahlen; sowie dies geschehen war, brach er, mit Hinterlassung von Besatzungen in Apollonia, Orikon und Lissos, nach Thessalien auf. Nach Thessalien hatte auch das Korps des Calvinus sich in Bewegung gesetzt; und die aus Italien, jetzt auf dem Landwege durch Illyrien, anrückenden Verstärkungen, zwei Legionen unter Quintus Cornificius, konnte er gleichfalls hier leichter noch als in Epirus an sich ziehen. Auf schwierigen Pfaden im Tale des Aoos aufwärtssteigend und die Bergkette überschreitend, die Epirus von Thessalien scheidet, gelangte er an den Peneios; ebendorthin ward Calvinus dirigiert und die Vereinigung der beiden Armeen also auf dem kürzesten und dem Feinde am wenigsten ausgesetzten Wege bewerkstelligt. Sie erfolgte bei Aeginion unweit der Quelle des Peneios. Die erste thessalische Stadt, vor der die jetzt vereinigte Armee erschien, Gomphoi, schloß ihr die Tore; sie ward rasch erstürmt und der Plünderung preisgegeben, und dadurch geschreckt unterwarfen sich die übrigen Städte Thessaliens, sowie nur Caesars Legionen vor den Mauern sich zeigten. Über diesen Märschen und Gefechten und mit Hilfe der, wenn auch nicht allzureichlichen, Vorräte, die die Landschaft am Peneios darbot, schwanden allmählich die Spuren und die Erinnerungen der überstandenen unheilvollen Tage.

Unmittelbare Früchte also hatten die Siege von Dyrrhachion für die Sieger nicht viele getragen. Pompeius, mit seiner schwerfälligen Armee und seiner zahlreichen Reiterei, hatte dem beweglichen Feind in die Gebirge zu folgen nicht vermocht; Caesar wie Calvinus hatten der Verfolgung sich entzogen und beide standen vereinigt und in voller Sicherheit in Thessalien. Vielleicht wäre es das richtigste gewesen, wenn Pompeius jetzt ohne weiteres mit seiner Hauptmacht zu Schiff nach Italien gegangen wäre, wo der Erfolg kaum zweifelhaft war. Indes vorläufig ging nur eine Abteilung der Flotte nach Sizilien und Italien ab. Man betrachtete im Lager der Koalition durch die Schlachten von Dyrrhachion die Sache mit Caesar als so vollständig entschieden, daß es nur galt, die Früchte der Siege zu ernten, das heißt, die geschlagene Armee aufzusuchen und abzufangen. An die Stelle der bisherigen übervorsichtigen Zurückhaltung trat ein durch die Umstände noch weniger gerechtfertigter Übermut; man achtete es nicht, daß man in der Verfolgung doch eigentlich gescheitert war, daß man sich gefaßt halten mußte, in Thessalien auf eine völlig erfrischte und reorganisierte Armee zu treffen und daß es nicht geringe Bedenken hatte, vom Meere sich entfernend und auf die Unterstützung der Flotte verzichtend, dem Gegner auf das von ihm gewählte Schlachtfeld zu folgen. Man war eben entschlossen, um jeden Preis mit Caesar zu schlagen und darum baldmöglichst und auf dem möglichst bequemen Wege an ihn zu kommen. Cato übernahm das Kommando in Dyrrhachion, wo eine Besatzung von achtzehn Kohorten, und in Kerkyra, wo 300 Kriegsschiffe zurückblieben: Pompeius und Scipio begaben sich, jener wie es scheint die Egnatische Chaussee bis Pella verfolgend und dann die große Straße nach Süden einschlagend, dieser vom Haliakmon aus durch die Pässe des Olymp, an den unteren Peneios und trafen bei Larisa zusammen. Caesar stand südlich davon in der Ebene, die zwischen dem Hügelland von Kynoskephalä und dem Othrysgebirge sich ausbreitet und von dem Nebenfluß des Peneios, dem Enipeus, durchschnitten wird, am linken Ufer desselben bei der Stadt Pharsalos; ihm gegenüber, am rechten Ufer des Enipeus am Abhang der Höhen von Kynoskephalä, schlug Pompeius sein Lager77. Pompeius‘ Armee war vollständig beisammen; Caesar dagegen erwartete noch das früher nach Ätolien und Thessalien detachierte, jetzt unter Quintus Fufius Calenus in Griechenland stehende Korps von fast zwei Legionen und die auf dem Landweg von Italien ihm nachgesandten und bereits in Illyrien angelangten zwei Legionen des Cornificius. Pompeius‘ Heer, elf Legionen oder 47000 Mann und 7000 Pferde stark, war dem Caesar an Fußvolk um mehr als das Doppelte, an Reiterei um das Siebenfache überlegen; Strapazen und Gefechte hatten Caesars Truppen so dezimiert, daß seine acht Legionen nicht über 22000 Mann unter den Waffen, also bei weitem nicht die Hälfte des Normalbestandes zählten. Pompeius‘ siegreiche, mit einer zahllosen Reiterei und guten Magazinen versehene Armee hatte Lebensmittel in Fülle, während Caesars Truppen notdürftig sich hinhielten und erst von der nicht fernen Getreideernte bessere Verpflegung erhofften. Die Stimmung der Pompeianischen Soldaten, die in der letzten Kampagne den Krieg kennen und ihrem Führer vertrauen gelernt hatten, war die beste. Alle militärischen Gründe sprachen auf Pompeius‘ Seite dafür, da man nun einmal in Thessalien Caesar gegenüberstand, mit der Entscheidungsschlacht nicht lange zu zögern; und mehr wohl noch als diese wog im Kriegsrat die Emigrantenungeduld der vielen vornehmen Offiziere und Heerbegleiter. Seit den Ereignissen von Dyrrhachion betrachteten diese Herren den Triumph ihrer Partei als eine ausgemachte Tatsache; bereits wurde eifrig gehadert über die Besetzung von Caesars Oberpontifikat und Aufträge nach Rom gesandt, um für die nächsten Wahlen Häuser am Markt zu mieten. Als Pompeius Bedenken zeigte, den Bach, der beide Heere schied und den Caesar mit seinem viel schwächeren Heer zu passieren sich nicht getraute, seinerseits zu überschreiten, erregte dies großen Unwillen; Pompeius, hieß es, zaudere nur mit der Schlacht, um noch etwas länger über so viele Konsulare und Prätorier zu gebieten und seine Agamemnonrolle zu verewigen. Pompeius gab nach; und Caesar, der in der Meinung, daß es nicht zum Kampf kommen werde, eben eine Umgehung der feindlichen Armee entworfen hatte und dazu gegen Skotussa aufzubrechen im Begriff war, ordnete ebenfalls seine Legionen zur Schlacht, als er die Pompeianer sich anschicken sah, sie auf seinem Ufer ihm anzubieten. Also ward, fast auf derselben Walstatt, wo hundertfünfzig Jahre zuvor die Römer ihre Herrschaft im Osten begründet hatten, am 9. August 706 (48) die Schlacht von Pharsalos geschlagen. Pompeius lehnte den rechten Flügel an den Enipeus, Caesar ihm gegenüber den linken an das vor dem Enipeus sich ausbreitende durchschnittene Terrain; die beiden anderen Flügel standen in die Ebene hinaus, beiderseits gedeckt durch die Reiterei und die leichten Truppen. Pompeius‘ Absicht war, sein Fußvolk in der Verteidigung zu halten, dagegen mit seiner Reiterei die schwache Reiterschar, die, nach deutscher Art mit leichter Infanterie gemischt, ihr gegenüberstand, zu zersprengen und sodann Caesars rechten Flügel in den Rücken zu nehmen. Sein Fußvolk hielt den ersten Stoß der feindlichen Infanterie mutig aus und es kam das Gefecht hier zum Stehen. Labienus sprengte ebenfalls die feindliche Reiterei nach tapferem, aber kurzem Widerstand auseinander und entwickelte sich linkshin, um das Fußvolk zu umgehen. Aber Caesar, die Niederlage seiner Reiterei voraussehend, hatte hinter ihr auf der bedrohten Flanke seines rechten Flügels etwa 2000 seiner besten Legionäre aufgestellt. Wie die feindlichen Reiter, die Caesarischen vor sich hertreibend, heran und um die Linie herum jagten, prallten sie plötzlich auf diese unerschrocken gegen sie anrückende Kernschar und, durch den unerwarteten und ungewohnten Infanterieangriff78 rasch in Verwirrung gebracht, sprengten sie mit verhängten Zügeln vom Schlachtfeld. Die siegreichen Legionäre hieben die preisgegebenen feindlichen Schützen zusammen, rückten dann auf den linken Flügel des Feindes los und begannen nun ihrerseits dessen Umgehung. Zugleich ging Caesars bisher zurückgehaltenes drittes Treffen auf der ganzen Linie zum Angriff vor. Die unverhoffte Niederlage der besten Waffe des Pompeianischen Heeres, wie sie den Mut der Gegner hob, brach den der Armee und vor allem den des Feldherrn. Als Pompeius, der seinem Fußvolk von Haus aus nicht traute, die Reiter zurückjagen sah, ritt er sofort von dem Schlachtfeld zurück in das Lager, ohne auch nur den Ausgang des von Caesar befohlenen Gesamtangriffs abzuwarten. Seine Legionen fingen an zu schwanken und bald über den Bach in das Lager zurückzuweichen, was nicht ohne schweren Verlust bewerkstelligt ward. Der Tag war also verloren und mancher tüchtige Soldat gefallen, die Armee indes noch im wesentlichen intakt und Pompeius‘ Lage weit minder bedenklich als die Caesars nach der Niederlage von Dyrrhachion. Aber wenn Caesar in den Wechselfällen seiner Geschicke es gelernt hatte, daß das Glück auch seinen Günstlingen wohl auf Augenblicke sich zu entziehen liebt, um durch Beharrlichkeit von ihnen abermals bezwungen zu werden, so kannte Pompeius das Glück bis dahin nur als die beständige Göttin und verzweifelte an sich und an ihr, als sie ihm entwich; und wenn in Caesars großartiger Natur die Verzweiflung nur immer mächtigere Kräfte entwickelte, so versank Pompeius‘ dürftige Seele unter dem gleichen Druck in den bodenlosen Abgrund der Kümmerlichkeit. Wie er einst im Kriege mit Sertorius im Begriff gewesen war, das anvertraute Amt im Stiche lassend vor dem überlegenen Gegner auf und davon zu gehen, so warf er jetzt, da er die Legionen über den Bach zurückweichen sah, die verhängnisvolle Feldherrnschärpe von sich und ritt auf dem nächsten Weg dem Meere zu, um dort ein Schiff sich zu suchen. Seine Armee, entmutigt und führerlos – denn Scipio, obwohl von Pompeius als Kollege im Oberkommando anerkannt, war doch nur dem Namen nach Oberfeldherr –, hoffte hinter den Lagerwällen Schutz zu finden; aber Caesar gestattete ihr keine Rast: rasch wurde die hartnäckige Gegenwehr der römischen und thrakischen Lagerwachen überwältigt und die Masse genötigt, sich in Unordnung die Anhöhen von Krannon und Skotussa hinaufzuziehen, an deren Fuße das Lager geschlagen war. Sie versuchte, auf diesen Hügeln sich fortbewegend Larisa wiederzuerreichen; allein Caesars Truppen, weder der Beute noch der Müdigkeit achtend und auf besseren Wegen in die Ebene vorrückend, verlegten den Flüchtigen den Weg; ja, als am späten Abend die Pompeianer ihren Marsch einstellten, vermochten ihre Verfolger es noch, eine Schanzlinie zu ziehen, die den Flüchtigen den Zugang zu dem einzigen in der Nähe befindlichen Bach verschloß. So endigte der Tag von Pharsalos. Die feindliche Armee war nicht bloß geschlagen, sondern vernichtet. 15000 der Feinde lagen tot oder verwundet auf dem Schlachtfeld, während die Caesarianer nur 200 Mann vermißten; die noch zusammengebliebene Masse, immer noch gegen 20000 Mann, streckte am Morgen nach der Schlacht die Waffen; nur einzelne Trupps, darunter freilich die namhaftesten Offiziere, suchten eine Zuflucht in den Bergen; von den elf feindlichen Adlern wurden neun Caesar überbracht. Caesar, der schon am Tage der Schlacht die Soldaten erinnert hatte, im Feinde nicht den Mitbürger zu vergessen, behandelte die Gefangenen nicht wie Bibulus und Labienus es taten; indes auch er fand doch nötig, jetzt die Strenge walten zu lassen. Die gemeinen Soldaten wurden in das Heer eingereiht, gegen die Leute besseren Standes Geldbußen oder Vermögenskonfiskationen erkannt; die gefangenen Senatoren und namhaften Ritter erlitten, mit wenigen Ausnahmen, den Tod. Die Zeiten der Gnade waren vorbei; je länger er währte, desto rücksichtsloser und unversöhnlicher waltete der Bürgerkrieg.

Es dauerte einige Zeit, bevor die Folgen des 9. August 706 (48) vollständig sich übersehen ließen. Was am wenigsten Zweifel litt, war der Übertritt aller derer, die zu der bei Pharsalos überwundenen Partei nur als zu der mächtigeren sich geschlagen hatten, auf die Seite Caesars; die Niederlage war eine so völlig entscheidende, daß dem Sieger alles zufiel, was nicht für eine verlorene Sache streiten wollte oder mußte. Alle die Könige, Völker und Städte, die bisher Pompeius‘ Klientel gebildet hatten, riefen jetzt ihre Flotten- und Heereskontingente zurück und verweigerten den Flüchtlingen der geschlagenen Partei die Aufnahme – so Ägypten, Kyrene, die Gemeinden Syriens, Phönikiens, Kilikiens und Kleinasiens, Rhodos, Athen und überhaupt der ganze Osten. Ja, König Pharnakes vom Bosporus trieb den Diensteifer so weit, daß er auf die Nachricht von der Pharsalischen Schlacht nicht bloß die manches Jahr zuvor vom Pompeius frei erklärte Stadt Phanagoria und die Gebiete der von ihm bestätigten kolchischen Fürsten, sondern selbst das von demselben dem König Deiotarus verliehene Königreich Klein-Armenien in Besitz nahm. Fast die einzigen Ausnahmen von dieser allgemeinen Unterwerfung waren die kleine Stadt Megara, die von den Caesarianern sich belagern und erstürmen ließ, und König Juba von Numidien, der von Caesar die Einziehung seines Reiches schon längst und nach dem Siege über Curio nur um so sicherer zu gewärtigen hatte und also freilich, wohl oder übel, bei der geschlagenen Partei ausharren mußte. Ebenso wie die Klientelgemeinden sich dem Sieger von Pharsalos unterwarfen, kam auch der Schweif der Verfassungspartei, alle, die mit halbem Herzen mitgemacht hatten oder gar, wie Marcus Cicero und seinesgleichen, nur um die Aristokratie herumtrippelten wie die Halbhexen um den Blocksberg, herbei, um mit dem neuen Alleinherrscher ihren Frieden zu machen, den denn auch dessen geringschätzige Nachsicht den Bittstellern bereitwillig und höflich gewährte. Aber der Kern der geschlagenen Partei transigierte nicht. Mit der Aristokratie war es vorbei; aber die Aristokraten konnten doch sich nimmermehr zur Monarchie bekehren. Auch die höchsten Offenbarungen der Menschheit sind vergänglich; die einmal wahre Religion kann zur Lüge, die einst segenhafte Staatsordnung zum Fluche werden; aber selbst das vergangene Evangelium noch findet Bekenner, und wenn solcher Glaube nicht Berge versetzen kann wie der Glaube an die lebendige Wahrheit, so bleibt er doch sich selber bis zu seinem Untergange treu und weicht aus dem Reiche der Lebendigen nicht, bevor er seine letzten Priester und seine letzten Bürger sich nachgezogen hat und ein neues Geschlecht, von jenen Schemen des Gewesenen und Verwesenden befreit, über die verjüngte Welt regiert. So war es in Rom. In welchen Abgrund der Entartung auch jetzt das aristokratische Regiment versunken war, es war einst ein großartiges politisches System gewesen; das heilige Feuer, durch das Italien erobert und Hannibal besiegt worden war, glühte, wie getrübt und verdumpft, dennoch fort in dem römischen Adel, solange es einen solchen gab, und machte eine innerliche Verständigung zwischen den Männern des alten Regiments und dem neuen Monarchen unmöglich. Ein großer Teil der Verfassungspartei fügte sich wenigstens äußerlich und erkannte die Monarchie insofern an, als sie von Caesar Gnade annahmen und soweit möglich, sich ins Privatleben zurückzogen; was freilich regelmäßig nicht ohne den Hintergedanken geschah, sich damit auf einen künftigen Umschwung der Dinge aufzusparen. Vorzugsweise taten dies die minder namhaften Parteigenossen; doch zählte auch der tüchtige Marcus Marcellus, derselbe, der den Bruch mit Caesar herbeigeführt hatte, zu diesen Verständigen und verbannte sich freiwillig nach Lesbos. Aber in der Majorität der echten Aristokratie war die Leidenschaft mächtiger als die kühle Überlegung; wobei freilich auch Selbsttäuschungen über den noch möglichen Erfolg und Besorgnisse vor der unvermeidlichen Rache des Siegers mannigfaltig mitwirkten. Keiner wohl beurteilte mit so schmerzlicher Klarheit und so frei von Furcht wie von Hoffnung für sich die Lage der Dinge wie Marcus Cato. Vollkommen überzeugt, daß nach den Tagen von Ilerda und Pharsalos die Monarchie unvermeidlich sei, und sittlich fest genug, um auch diese bittere Wahrheit sich einzugestehen und danach zu handeln, schwankte er einen Augenblick, ob die Verfassungspartei den Krieg überhaupt noch fortsetzen dürfe, der notwendig für eine verlorene Sache vielen Opfer zumutete, die nicht wußten, wofür sie sie brachten. Aber wenn er sich entschloß, weiter gegen die Monarchie zu kämpfen, nicht um den Sieg, sondern um rascheren und ehrenvolleren Untergang, so suchte er doch soweit möglich in diesen Krieg keinen hineinzuziehen, der den Untergang der Republik überleben und mit der Monarchie sich abfinden mochte. Solange die Republik nur bedroht gewesen, meinte er, habe man das Recht und die Pflicht gehabt, auch den lauen und schlechten Bürger zur Teilnahme an dem Kampfe zu zwingen; aber jetzt sei es sinnlos und grausam, den einzelnen zu nötigen, daß er mit der verlorenen Republik sich zugrunde richte. Nicht bloß entließ er selbst jeden, der nach Italien heimzukehren begehrte; als der wildeste unter den wilden Parteimännern, Gnaeus Pompeius der Sohn, auf die Hinrichtung dieser Leute, namentlich des Cicero drang, war es einzig Cato, der sie durch seine sittliche Autorität verhinderte.

Auch Pompeius begehrte keinen Frieden. Wäre er ein Mann gewesen, der es verdiente, an dem Platze zu stehen, wo er stand, so möchte man meinen, er habe es begriffen, daß, wer nach der Krone greift, nicht wieder zurück kann in das Geleise der gewöhnlichen Existenz und darum für den, der fehlgegriffen, kein Platz mehr auf der Erde ist. Allein schwerlich dachte Pompeius zu groß, um eine Gnade zu erbitten, die der Sieger vielleicht hochherzig genug gewesen wäre, ihm nicht zu versagen, sondern vielmehr wahrscheinlich dazu zu gering. Sei es, daß er es nicht über sich gewann, Caesar sich anzuvertrauen, sei es, daß er in seiner gewöhnlichen unklaren und unentschiedenen Weise, nachdem der erste unmittelbare Eindruck der Katastrophe von Pharsalos geschwunden war, wieder anfing, Hoffnung zu schöpfen, Pompeius war entschlossen, den Kampf gegen Caesar fortzusetzen und nach dem Pharsalischen noch ein anderes Schlachtfeld sich zu suchen.

So ging also, wie Caesar immer durch Klugheit und Mäßigung den Groll seiner Gegner zu beschwichtigen und ihre Zahl zu mindern bemüht war, der Kampf nichtsdestoweniger unabänderlich weiter. Allein die führenden Männer hatten fast alle bei Pharsalos mitgefochten, und obwohl sie, mit Ausnahme von Lucius Domitius Ahenobarbus, der auf der Flucht niedergemacht ward, sämtlich sich retteten, wurden sie doch nach allen Seiten hin versprengt, weshalb sie nicht dazu kamen, einen gemeinschaftlichen Plan für die Fortsetzung des Feldzuges zu verabreden. Die meisten von ihnen gelangten, teils durch die öden makedonischen und illyrischen Gebirge, teils mit Hilfe der Flotte, nach Kerkyra, wo Marcus Cato die zurückgelassene Reserve kommandierte. Hier fand unter Catos Vorsitz eine Art Kriegsrat statt, dem Metellus Scipio, Titus Labienus, Lucius Afranius, Gnaeus Pompeius der Sohn und andere beiwohnten; allein teils die Abwesenheit des Oberfeldherrn und die peinliche Ungewißheit über sein Schicksal, teils die innere Zerfahrenheit der Partei verhinderte eine gemeinsame Beschlußfassung, und es schlug schließlich jeder den Weg ein, der ihm für sich oder für die gemeine Sache der zweckmäßigste zu sein schien. Es war in der Tat in hohem Grade schwierig, unter den vielen Strohhalmen, an die man etwa sich anklammern konnte, denjenigen zu bezeichnen, der am längsten über Wasser halten würde. Makedonien und Griechenland waren durch die Schlacht von Pharsalos verloren. Zwar hielt Cato, nachdem er auf die Nachricht von der Niederlage Dyrrhachion sogleich geräumt hatte, nach Kerkyra, Rutilius Lupus noch den Peloponnes eine Zeitlang für die Verfassungspartei. Einen Augenblick schien es auch, als wollten die Pompeianer sich in Paträ auf dem Peloponnes verteidigen; allein die Nachricht von Calenus‘ Anrücken genügte, um sie von hier zu verscheuchen. Kerkyra zu behaupten wurde ebensowenig versucht. An der italischen und sizilischen Küste hatten die nach den Siegen von Dyrrhachion dorthin entsandten Pompeianischen Geschwader gegen die Häfen von Brundisium, Messana und Vibo nicht unbedeutende Erfolge errungen und in Messana namentlich die ganze in der Ausrüstung begriffene Flotte Caesars niedergebrannt; allein die hier tätigen Schiffe, größtenteils kleinasiatische und syrische, wurden infolge der Pharsalischen Schlacht von ihren Gemeinden abberufen, so daß die Expedition damit von selber ein Ende nahm. In Kleinasien und Syrien standen augenblicklich gar keine Truppen, weder der einen noch der anderen Partei, mit Ausnahme der bosporanischen Armee des Pharnakes, die, angeblich für Rechnung Caesars, verschiedene Landschaften der Gegner desselben eingenommen hatte. In Ägypten stand zwar noch ein ansehnliches römisches Heer, gebildet aus den dort von Gabinius zurückgelassenen und seitdem aus italischen Landstreichern und syrischem oder kilikischem Räubergesindel rekrutierten Truppen; allein es verstand sich von selbst und ward durch die Rückberufung der ägyptischen Schiffe bald offiziell bestätigt, daß der Hof von Alexandreia keineswegs die Absicht hatte, bei der geschlagenen Partei auszuhalten oder gar ihr seine Truppenmacht zur Verfügung zu stellen. Etwas günstigere Aussichten boten sich den Besiegten im Westen dar. In Spanien waren unter der Bevölkerung die Pompeianischen Sympathien so mächtig, daß die Caesarianer den von dort aus gegen Afrika beabsichtigten Angriff deswegen unterlassen mußten und eine Insurrektion unausbleiblich schien, sowie ein namhafter Führer auf der Halbinsel sich zeigen würde. In Afrika aber hatte die Koalition oder vielmehr der eigentliche Machthaber daselbst, König Juba von Numidien, seit dem Herbst 705 (49) ungestört gerüstet. Wenn also der ganze Osten durch die Schlacht von Pharsalos der Koalition verloren war, so konnte sie dagegen in Spanien wahrscheinlich und sicher in Afrika den Krieg in ehrenhafter Weise weiterführen; denn die Hilfe des längst der römischen Gemeinde untertänigen Königs von Numidien gegen revolutionäre Mitbürger in Anspruch zu nehmen, war für den Römer wohl eine peinliche Demütigung, aber keineswegs ein Landesverrat. Wem freilich in diesem Kampfe der Verzweiflung weder Recht noch Ehre etwas weiter galt, der mochte auch, sich selber außerhalb des Gesetzes erklärend, die Räuberfehde eröffnen oder, mit unabhängigen Nachbarstaaten in Bündnis tretend, den Landesfeind in den inneren Streit hineinziehen oder endlich, die Monarchie mit den Lippen bekennend, die Restauration der legitimen Republik mit dem Dolch des Meuchelmörders betreiben. Daß die Überwundenen austraten und der neuen Monarchie absagten, war wenigstens der natürliche und insofern richtigste Ausdruck ihrer verzweifelten Lage. Das Gebirge und vor allem das Meer waren in jener Zeit seit Menschengedenken wie die Freistatt allen Frevels, so auch die des unerträglichen Elends und des unterdrückten Rechtes; Pompeianern und Republikanern lag es nahe, der Monarchie Caesars, die sie ausstieß, in den Bergen und auf den Meeren trotzig den Krieg zu machen, und namentlich nahe, die Piraterie in größerem Maßstab, in festerer Geschlossenheit, mit bestimmteren Zielen aufzunehmen. Selbst nach der Abberufung der aus dem Osten gekommenen Geschwader besaßen sie noch eine sehr ansehnliche eigene Flotte, während Caesar immer noch so gut wie ohne Kriegsschiffe war; und ihre Verbindung mit den Delmatern, die im eigenen Interesse gegen Caesar aufgestanden waren, ihre Herrschaft über die wichtigsten Meere und Hafenplätze, gaben für den Seekrieg, namentlich im kleinen, die vorteilhaftesten Aussichten. Wie einst Sullas Demokratenhetze geendigt hatte mit dem Sertorianischen Aufstand, der anfangs Piraten-, dann Räuberfehde war und schließlich doch ein sehr ernstlicher Krieg ward, so konnte, wenn in der catonischen Aristokratie oder unter den Anhängern des Pompeius so viel Geist und Feuer war wie in der marianischen Demokratie, und wenn in ihr der rechte Seekönig sich fand, auf dem noch unbezwungenen Meere wohl ein von Caesars Monarchie unabhängiges und vielleicht dieser gewachsenes Gemeinwesen entstehen.

In jeder Hinsicht weit schärfere Mißbilligung verdient der Gedanke, einen unabhängigen Nachbarstaat in den römischen Bürgerkrieg hineinzuziehen und durch ihn eine Konterrevolution herbeizuführen: Gesetz und Gewissen verurteilen den Überläufer strenger als den Räuber, und leichter findet die siegreiche Räuberschar den Rückweg zu einem freien und geordneten Gemeinwesen, als die vom Landesfeind zurückgeführte Emigration. Übrigens war es auch kaum wahrscheinlich, daß die geschlagene Partei auf diesem Wege eine Restauration würde bewirken können. Der einzige Staat, auf den sie versuchen konnte sich zu stützen, war der der Parther; und von diesem war es wenigstens zweifelhaft, ob er ihre Sache zu der seinigen machen, und sehr unwahrscheinlich, daß er gegen Caesar sie durchfechten werde. Die Zeit der republikanischen Verschwörungen aber war noch nicht gekommen.

Während also die Trümmer der geschlagenen Partei ratlos vom Schicksal sich treiben ließen und auch die den Kampf fortzusetzen entschieden waren nicht wußten, wie noch wo, hatte Caesar, wie immer rasch entschlossen und rasch handelnd, alles beiseite gelassen, um Pompeius zu verfolgen, den einzigen seiner Gegner, den er als Offizier achtete, und denjenigen, dessen persönliche Gefangennahme die eine und vielleicht die gefährlichere Hälfte seiner Gegner wahrscheinlich paralysiert haben würde. Mit weniger Mannschaft fuhr er über den Hellespont – seine einzelne Barke traf in demselben auf eine feindliche, nach dem Schwarzen Meere bestimmte Flotte und nahm die ganze, durch die Kunde von der Pharsalischen Schlacht wie mit Betäubung geschlagene Mannschaft derselben gefangen – und eilte, sowie die notwendigsten Anordnungen getroffen waren, Pompeius in den Osten nach. Dieser war vom Pharsalischen Schlachtfeld nach Lesbos gegangen, wo er seine Gemahlin und seinen zweiten Sohn Sextus abholte, und weiter um Kleinasien herum nach Kilikien und von da nach Kypros gesegelt. Er hätte zu seinen Parteigenossen nach Kerkyra oder Afrika gelangen können; allein der Widerwille gegen seine aristokratischen Verbündeten und der Gedanke an die Aufnahme, die nach dem Tage von Pharsalos und vor allem nach seiner schimpflichen Flucht ihn dort erwartete, scheinen ihn bewogen zu haben, seinen Weg für sich zu gehen und lieber in den Schutz des Partherkönigs als in den Catos sich zu begeben. Während er beschäftigt war, von den römischen Steuerpächtern und Kaufleuten auf Kypros Geld und Sklaven beizutreiben und einen Haufen von 2000 Sklaven zu bewaffnen, erhielt er die Nachricht, daß Antiocheia sich für Caesar erklärt habe und der Weg zu den Parthern nicht mehr offen sei. So änderte er seinen Plan und ging unter Segel nach Ägypten, wo in dem Heere eine Menge seiner alten Soldaten dienten und die Lage und die reichen Hilfsmittel des Landes Zeit und Gelegenheit gewährten, den Krieg zu reorganisieren.

In Ägypten hatten nach Ptolemaeos Auletes‘ Tode (Mai 703 51) dessen Kinder, die etwa sechzehnjährige Kleopatra und der zehnjährige Ptolemaeos Dionysos, nach dem Willen ihres Vaters gemeinschaftlich und als Gatten, den Thron bestiegen; allein bald hatte der Bruder oder vielmehr dessen Vormund Potheinos die Schwester aus dem Reiche getrieben und sie genötigt, eine Zuflucht in Syrien zu suchen, von wo aus sie Anstalten traf, um in ihr väterliches Reich zurückzugelangen. Ptolemaeos und Potheinos standen eben, um gegen sie die Ostgrenze zu decken, mit der ganzen ägyptischen Armee bei Pelusion, als Pompeius bei dem Kasischen Vorgebirge vor Anker ging und den König ersuchen ließ, ihm die Landung zu gestatten. Der ägyptische Hof, längst von der Katastrophe bei Pharsalos unterrichtet, war im Begriffe, Pompeius zurückzuweisen; allein der Hofmeister des Königs, Theodotos, wies darauf hin, daß in diesem Falle Pompeius wahrscheinlich seine Verbindungen in der ägyptischen Armee benutzen werde, um dieselbe aufzuwiegeln; es sei sicherer und auch mit Rücksicht auf Caesar vorzuziehen, wenn man die Gelegenheit wahrnehme, um Pompeius aus der Welt zu schaffen. Dergleichen politische Räsonnements verfehlten bei den Staatsmännern der hellenischen Welt nicht leicht ihre Wirkung. Der General der königlichen Truppen, Achillas, und einige von Pompeius‘ ehemaligen Soldaten fuhren mit einem Kahn an Pompeius‘ Schiff heran und luden ihn ein, zum König zu kommen und, da das Fahrwasser seicht sei, ihre Barke zu besteigen. Im Aussteigen stach der Kriegstribun Lucius Septimius ihn hinterrücks nieder, unter den Augen seiner Gattin und seines Sohnes, welche von dem Verdeck ihres Schiffes aus dem Morde zusehen mußten, ohne retten oder rächen zu können (28. September 706 48). An demselben Tage, an dem er dreizehn Jahre zuvor, über Mithradates triumphierend, in die Hauptstadt eingezogen war, endigte auf einer öden Düne des unwirtlichen kasischen Strandes durch die Hand eines seiner alten Soldaten der Mann, der ein Menschenalter hindurch der Große geheißen und Jahre lang Rom beherrscht hatte. Ein guter Offizier, übrigens aber von mittelmäßigen Gaben des Geistes und des Herzens, hatte das Schicksal mit dreißigjähriger dämonischer Beständigkeit alle glänzenden mühelosen Aufgaben nur darum ihm zu lösen gewährt, alle von anderen gepflanzten und gepflegten Lorbeeren nur darum ihm zu brechen gestattet, nur darum alle Bedingungen zur Erlangung der höchsten Gewalt ihm entgegengetragen, um an ihm ein Beispiel falscher Größe aufzustellen, wie die Geschichte kein zweites kennt. Unter allen kläglichen Rollen gibt es keine kläglichere als die, mehr zu gelten als zu sein; und es ist das Verhängnis der Monarchie, da doch kaum alle tausend Jahre in dem Volke ein Mann aufsteht, welcher König nicht bloß heißt, sondern auch ist, daß diese Kläglichkeit unvermeidlich an ihr haftet. Wenn dies Mißverhältnis zwischen Scheinen und Sein vielleicht nie so schroff hervorgetreten ist wie in Pompeius, so mag der ernste Gedanke wohl dabei verweilen, daß er eben in gewissem Sinn die Reihe der römischen Monarchen eröffnet.

Als Caesar, Pompeius‘ Spuren folgend, auf der Reede von Alexandreia eintraf, war bereits alles vorüber. Mit tiefer Erschütterung wandte er sich ab, als ihm der Mörder das Haupt des Mannes auf das Schiff entgegentrug, der sein Schwiegersohn und lange Jahre sein Genosse in der Herrschaft gewesen und den lebend in seine Gewalt zu bringen er nach Ägypten gekommen war. Die Antwort auf die Frage, wie Caesar mit dem gefangenen Pompeius verfahren sein würde, hat der Dolch des voreiligen Mörders abgeschnitten; aber wenn die menschliche Teilnahme, die in Caesars großer Seele noch neben dem Ehrgeiz Raum fand, ihm die Schonung des ehemaligen Freundes gebot, so forderte auch sein Interesse, denselben auf andere Art zu annullieren als durch den Henker. Pompeius war zwanzig Jahre lang der anerkannte Gebieter von Rom gewesen; eine so tief gewurzelte Herrschaft geht nicht unter mit dem Tode des Herrn. Pompeius‘ Tod löste die Pompeianer nicht auf, sondern gab ihnen statt eines bejahrten, unfähigen und vernutzten Hauptes an dessen beiden Söhnen Gnaeus und Sextus zwei Führer, welche beide jung und rührig und von denen der zweite eine entschiedene Kapazität war. Der neugegründeten Erbmonarchie heftete sogleich parasitisch sich das erbliche Prätendententum an, und es war sehr zweifelhaft, ob bei diesem Wechsel der Personen Caesar nicht mehr verlor, als er gewann.

Indes in Ägypten hatte Caesar jetzt nichts weiter zu tun, und Römer und Ägypter erwarteten, daß er sofort wieder unter Segel gehen und sich an die Unterwerfung Afrikas und an das unermeßliche Organisationswerk machen werde, das ihm nach dem Siege bevorstand. Allein Caesar, seiner Gewohnheit getreu, wo er einmal in dem weiten Reiche sich befand, die Verhältnisse sogleich und persönlich endgültig zu regeln, und fest überzeugt, daß weder von der römischen Besatzung noch von dem Hofe irgendein Widerstand zu erwarten sei, überdies in dringender Geldverlegenheit, landete in Alexandreia mit den zwei ihn begleitenden, auf 3200 Mann zusammengeschmolzenen Legionen und 800 keltischen und deutschen Reitern, nahm Quartier in der königlichen Burg und ging daran, die nötigen Summen beizutreiben und die ägyptische Erbfolge zu ordnen, ohne sich stören zu lassen durch Potheinos‘ naseweise Bemerkung, daß Caesar doch über diese Kleinigkeiten nicht seine so wichtigen eigenen Angelegenheiten versäumen möge. Gegen die Ägypter verfuhr er dabei gerecht und selbst nachsichtig. Obwohl der Beistand, den sie Pompeius geleistet hatten, zur Auflegung einer Kriegskontribution berechtigte, ward doch das erschöpfte Land damit verschont und unter Erlaß dessen, was auf die im Jahre 695 (59) stipulierte und seitdem erst etwa zur Hälfte abbezahlte Summe weiter rückständig war, lediglich eine Schlußzahlung von 10 Mill. Denaren (3 Mill. Taler) gefordert. Den beiden kriegführenden Geschwistern ward die sofortige Einstellung der Feindseligkeiten anbefohlen und beide zur Untersuchung und Entscheidung des Streites vor den Schiedsherrn geladen. Man fügte sich; der königliche Knabe befand sich bereits in der Burg und auch Kleopatra stellte dort sich ein. Caesar sprach das Reich Ägypten, dem Testament des Auletes gemäß, den beiden geschwisterlichen Gatten Kleopatra und Ptolemaeos Dionysos zu und gab ferner unaufgefordert, unter Kassierung der früher verfügten Einziehung des Kyprischen Reiches, dieses als ägyptische Sekundogenitur an die jüngeren Kinder des Auletes Arsinoe und Ptolemaeos den Jüngeren.

Allein im stillen bereitete ein Ungewitter sich vor. Alexandreia war eine Weltstadt so gut wie Rom, an Einwohnerzahl der italischen Hauptstadt schwerlich nachstehend, an rührigem Handelsgeist, an Handwerkergeschick, an Sinn für Wissenschaft und Kunst ihr weit überlegen; in der Bürgerschaft war ein reges nationales Selbstgefühl und wenn kein politischer Sinn, doch ein unruhiger Geist, der sie ihre Straßenkrawalle so regelmäßig und so herzhaft abhalten ließ wie heutzutage die Pariser; man kann sich ihre Empfindungen denken, als sie in der Residenz der Lagiden den römischen Feldherrn schalten und ihre Könige vor seinem Tribunal Recht nehmen sah. Potheinos und der königliche Knabe, beide begreiflicherweise sehr unzufrieden sowohl mit der peremtorischen Einmahnung alter Schulden wie mit der Intervention in dem Thronstreit, welche nur zu Gunsten der Kleopatra ausfallen konnte und ausfiel, schickten zur Befriedigung der römischen Forderungen die Schätze der Tempel und das goldene Tischgerät des Königs mit absichtlicher Ostentation zum Einschmelzen in die Münze; mit tiefer Erbitterung schauten die abergläubisch frommen und der weltberühmten Pracht ihres Hofes wie eines eigenen Besitzes sich erfreuenden Ägypter die nackten Wände ihrer Tempel und die hölzernen Becher auf der Tafel ihres Königs. Auch die römische Okkupationsarmee, welche durch den langen Aufenthalt in Ägypten und die vielen Zwischenheiraten zwischen den Soldaten und ägyptischen Mädchen wesentlich denationalisiert war und überdies eine Menge alter Soldaten des Pompeius und verlaufener italischer Verbrecher und Sklaven in ihren Reihen zählte, grollte Caesar, auf dessen Befehl sie ihre Aktion an der syrischen Grenze hatte einstellen müssen, und seiner Handvoll hochmütiger Legionäre. Schon der Auflauf bei der Landung, als die Menge die römischen Beile in die alte Königsburg tragen sah, und die zahlreichen Meuchelmorde, welche gegen seine Soldaten in der Stadt verübt wurden, hatten Caesar darüber belehrt, in welcher ungeheuren Gefahr er mit seinen wenigen Leuten dieser erbitterten Menge gegenüber schwebte. Allein die Umkehr war wegen der in dieser Jahreszeit herrschenden Nordwestwinde schwierig, und der Versuch der Einschiffung konnte leicht das Signal zum Ausbruch der Insurrektion werden; überhaupt lag es nicht in Caesars Art, unverrichteter Sache sich davonzumachen. Er beorderte also zwar sogleich Verstärkungen aus Asien herbei, trug aber, bis diese eintrafen, zunächst die größte Sicherheit zur Schau. Nie war es lustiger in seinem Lager hergegangen als während dieser alexandrinischen Rast; und wenn die schöne und geistreiche Kleopatra mit ihren Reizen überhaupt nicht, und am wenigsten gegen ihren Richter, sparsam war, so schien auch Caesar unter all seinen Siegen die über schöne Frauen am höchsten zu schätzen. Es war ein lustiges Vorspiel zu sehr ernsten Auftritten. Unter Führung des Achillas und, wie später sich auswies, auf geheimen Befehl des Königs und seines Vormundes, erschien die in Ägypten stehende römische Okkupationsarmee unvermutet in Alexandreia; und sowie die Bürgerschaft sah, daß sie kam, um Caesar anzugreifen, machte sie mit den Soldaten gemeinschaftliche Sache. Mit einer Geistesgegenwart, die seine frühere Tolldreistigkeit gewissermaßen rechtfertigt, raffte Caesar schleunigst seine zerstreuten Mannschaften zusammen, bemächtigte sich der Person des Königs und seiner Minister, verschanzte sich in der königlichen Burg und dem benachbarten Theater, ließ, da es an Zeit gebrach, die in dem Haupthafen unmittelbar vor dem Theater stationierte Kriegsflotte in Sicherheit zu bringen, dieselbe anzünden und die den Hafen beherrschende Leuchtturminsel Pharos durch Boote besetzen. So war wenigstens eine beschränkte Verteidigungsstellung gewonnen und der Weg offen gehalten, um Zufuhr und Verstärkungen herbeizuschaffen. Zugleich ging dem Kornmandanten von Kleinasien sowie den nächsten untertänigen Landschaften, den Syrern und Nabatäern, den Kretensern und den Rhodiern, der Befehl zu, schleunigst Truppen und Schiffe nach Ägypten zu senden. Die Insurrektion, an deren Spitze die Prinzessin Arsinoe und deren Vertreter, der Eunuch Ganymedes, sich gestellt hatten, schaltete indes frei in ganz Ägypten und in dem größten Teil der Hauptstadt, in deren Straßen täglich gefochten ward, ohne daß es weder Caesar gelang, sich freier zu entwickeln und bis zu dem hinter der Stadt befindlichen Süßwassersee von Marea durchzubrechen, wo er sich mit Wasser und mit Fourage hätte versorgen können, noch den Alexandrinern, der Belagerten Herr zu werden und sie alles Trinkwassers zu berauben; denn als die Nilkanäle in Caesars Stadtteil durch hineingeleitetes Seewasser verdorben waren, fand sich unerwartet trinkbares Wasser in den am Strande gegrabenen Brunnen. Da Caesar von der Landseite nicht zu überwältigen war, richteten sich die Anstrengungen der Belagerer darauf, seine Flotte zu vernichten und ihn von der See abzuschneiden, auf der die Zufuhr ihm zukam. Die Leuchtturminsel und der Damm, durch den diese mit dem Festland zusammenhing, teilte den Hafen in eine westliche und eine östliche Hälfte, die durch zwei Bogenöffnungen des Dammes miteinander in Verbindung standen. Caesar beherrschte die Insel und den Osthafen, während der Damm und der Westhafen im Besitz der Bürgerschaft war, und seine Schiffe fuhren, da die alexandrinische Flotte verbrannt war, ungehindert ab und zu. Die Alexandriner, nachdem sie vergeblich versucht hatten, aus dem Westhafen in den östlichen Brander einzuführen, stellten darauf mit den Resten ihres Arsenals ein kleines Geschwader her und verlegten damit Caesars Schiffen den Weg, als dieselben eine Transportflotte mit einer aus Kleinasien nachgekommenen Legion hereinbugsierten; indes wurden Caesars vortreffliche rhodische Seeleute des Feindes Herr. Nicht lange darauf nahmen indes die Bürger die Leuchtturminsel weg79 und sperrten von da aus die schmale und klippige Mündung des Osthafens für größere Schiffe gänzlich; so daß Caesars Flotte genötigt war, auf der offenen Reede vor dem Osthafen zu stationieren und seine Verbindung mit der See nur noch an einem schwachen Faden hing. Caesars Flotte, auf jener Reede zu wiederholten Malen von der überlegenen feindlichen Seemacht angegriffen, konnte weder dem ungleichen Kampf ausweichen, da der Verlust der Leuchtturminsel ihr den inneren Hafen verschloß, noch auch das Weite suchen, da der Verlust der Reede Caesar ganz von der See abgesperrt haben würde. Wenn auch die tapfern Legionäre, unterstützt durch die Gewandtheit der rhodischen Matrosen, bisher noch immer diese Gefechte zu Gunsten der Römer entschieden hatten, so erneuerten und steigerten doch die Alexandriner mit unermüdeter Beharrlichkeit ihre Flottenrüstungen; die Belagerten mußten schlagen, so oft es den Belagerern beliebte, und wurden jene ein einziges Mal überwunden, so war Caesar vollständig eingeschlossen und wahrscheinlich verloren. Es ward schlechterdings nötig, einen Versuch zur Wiedergewinnung der Leuchtturminsel zu machen. Der zwiefache Angriff, der durch Boote von der Hafen-, durch die Kriegsschiffe von der Seeseite her gemacht ward, brachte in der Tat nicht bloß die Insel, sondern auch den unteren Teil des Dammes in Caesars Gewalt; erst bei der zweiten Bogenöffnung des Dammes befahl Caesar anzuhalten und den Damm hier gegen die Stadt zu durch einen Querwall zu sperren. Allein während hier um die Schanzenden ein hitziges Gefecht sich entspann, entblößten die römischen Truppen den unteren, an die Insel anstoßenden Teil des Dammes; unversehens landete hier eine Abteilung Ägypter, griff die auf dem Damm am Querwall zusammengedrängten römischen Soldaten und Matrosen von hinten an und sprengte die ganze Masse in wilder Verwirrung in das Meer. Ein Teil ward von den römischen Schiffen aufgenommen; die meisten ertranken. Etwa 400 Soldaten und eine noch größere Zahl von der Flottenmannschaft wurden das Opfer dieses Tages; der Feldherr selbst, der das Schicksal der Seinigen geteilt, hatte sich auf sein Schiff und, als dieses von Menschen überschwert sank, schwimmend auf ein anderes retten müssen. Indes so empfindlich auch der erlittene Verlust war, er ward durch den Wiedergewinn der Leuchtturminsel, die samt dem Damm bis zur ersten Bogenöffnung in Caesars Händen blieb, reichlich aufgewogen. Endlich kam der ersehnte Entsatz. Mithradates von Pergamon, ein tüchtiger Kriegsmann aus der Schule des Mithradates Eupator, dessen natürlicher Sohn er zu sein behauptete, führte zu Lande von Syrien her eine buntscheckige Armee heran: die Ityräer des Fürsten von Libanos, die Beduinen des Jamblichos, Sampsikeramos‘ Sohn, die Juden unter dem Minister Antipatros, überhaupt die Kontingente der kleinen Häuptlinge und Gemeinden Kilikiens und Syriens. Von Pelusion, das Mithradates am Tage seiner Ankunft zu besetzen geglückt war, schlug er, um das durchschnittene Terrain des Delta zu vermeiden und den Nil vor seiner Teilung zu überschreiten, die große Straße nach Memphis ein, wobei seine Truppen von den besonders in diesem Teil Ägyptens zahlreich ansässigen Juden vielfache landsmannschaftliche Unterstützung empfingen. Die Ägypter, jetzt den jungen König Ptolemaeos an der Spitze, welchen Caesar in der vergeblichen Hoffnung, die Insurrektion durch ihn zu beschwichtigen, zu den Seinigen entlassen hatte, entsandten ein Heer auf dem Nil, um Mithradates auf dessen jenseitigem Ufer festzuhalten. Dasselbe traf auch, noch jenseits Memphis bei dem sogenannten Judenlager, zwischen Omion und Heliopolis, auf den Feind; allein Mithradates, geübt, in römischer Weise zu manövrieren und zu lagern, gewann dennoch unter glücklichen Gefechten das andere Ufer bei Memphis. Caesar andererseits, sowie er von dem Eintreffen der Entsatzarmee Kunde erhielt, führte einen Teil seiner Truppen auf Schiffen an die Spitze des Sees von Marea westlich von Alexandreia und marschierte um diesen herum und den Nil hinab dem flußaufwärts herankommenden Mithradates entgegen. Die Vereinigung erfolgte, ohne daß der Feind sie zu hindern versucht hätte. Caesar rückte dann in das Delta, wohin der König sich zurückgezogen hatte, warf, trotz des tiefeingeschnittenen Kanals vor ihrer Front, die ägyptische Vorhut im ersten Anlauf und stürmte sofort das ägyptische Lager selbst. Es befand sich am Fuß einer Anhöhe zwischen dem Nil, von dem nur ein schmaler Weg es trennte, und schwer zugänglichen Sümpfen. Caesar ließ zugleich von vorn und seitwärts auf dem Weg am Nil das Lager berennen und während dieses Sturmes ein drittes Detachement die Anhöhen hinter dem Lager ungesehen ersteigen. Der Sieg war vollständig; das Lager ward genommen und was von den Ägyptern nicht unter den feindlichen Schwertern fiel, ertrank bei dem Versuch, zu der Nilflotte zu entkommen. Mit einem der Boote, die mit Menschen überladen sanken, verschwand auch der junge König in den Wellen seines heimischen Stromes. Unmittelbar vom Schlachtfeld rückte Caesar von der Landseite her geradeswegs an der Spitze seiner Reiterei in den von den Ägyptern besetzten Teil der Hauptstadt. Im Trauergewande, ihre Götterbilder in den Händen, empfingen ihn um Friede bittend die Feinde, die Seinigen aber, da sie ihn von der anderen Seite, als von der er ausgezogen als Sieger wiederkehren sahen, mit grenzenlosem Jubel. Das Schicksal der Stadt, die den Herrn der Welt in seinen Plänen zu kreuzen gewagt und um ein Haar seinen Untergang herbeigeführt hatte, lag in Caesars Hand; allein er war zu sehr Regent, um empfindlich zu sein, und verfuhr mit den Alexandrinern wie mit den Massalioten. Caesar, hinweisend auf die arg verwüstete und bei Gelegenheit des Flottenbrandes ihrer Kornmagazine, ihrer weltberühmten Bibliothek und anderer bedeutender öffentlicher Gebäude beraubte Stadt, ermahnte die Einwohnerschaft, sich künftig allein der Künste des Friedens ernstlich zu befleißigen und die Wunden zu heilen, die sie sich selber geschlagen; übrigens begnügte er sich, den in Alexandreia angesessenen Juden dieselben Rechte zu gewähren, deren die griechische Stadtbevölkerung genoß, und anstatt der bisherigen, wenigstens dem Namen nach den Königen von Ägypten gehorchenden römischen Okkupationsarmee eine förmliche römische Besatzung, zwei der daselbst belagerten und eine dritte später aus Syrien nachgekommene Legion, unter einem von ihm selbst ernannten Befehlshaber nach Alexandreia zu legen. Zu diesem Vertrauensposten ward absichtlich ein Mann ausersehen, dessen Geburt es ihm unmöglich machte, denselben zu mißbrauchen, Rufio, ein tüchtiger Soldat, aber eines Freigelassenen Sohn. Das Regiment Ägyptens unter Roms Oberhoheit erhielten Kleopatra und deren jüngerer Bruder Ptolemaeos; die Prinzessin Arsinoe ward, um nicht den nach orientalischer Art der Dynastie ebenso ergebenen wie gegen den einzelnen Dynasten gleichgültigen Ägyptern abermals als Vorwand für Insurrektionen zu dienen, nach Italien abgeführt; Kypros wurde wieder ein Teil der römischen Provinz Kilikien.

Dieser alexandrinische Aufstand, so geringfügig er an sich war und so wenig er innerlich zusammenhing mit den weltgeschichtlichen Ereignissen, die zugleich im römischen Staate sich vollzogen, griff dennoch insofern in dieselben folgenreich ein, als er den Mann, der alles in allem war und ohne den nichts gefördert und nichts gelöst werden konnte, vom Oktober 706 (48) bis zum März 707 (47) nötigte, seine eigentlichen Aufgaben liegen zu lassen, um mit Juden und Beduinen gegen einen Stadtpöbel zu kämpfen. Die Folgen des persönlichen Regiments fingen an, sich fühlbar zu machen. Man hatte die Monarchie; aber überall herrschte die entsetzlichste Verwirrung und der Monarch war nicht da. Ebenwie die Pompeianer waren augenblicklich auch die Caesarianer ohne obere Leitung; es entschied überall die Fähigkeit der einzelnen Offiziere und vor allen Dingen der Zufall.

In Kleinasien stand bei Caesars Abreise nach Ägypten kein Feind. Indes hatte Caesars Statthalter daselbst, der tüchtige Gnaeus Domitius Calvinus, Befehl erhalten, dem König Pharnakes wiederabzunehmen, was derselbe den Verbündeten des Pompeius ohne Auftrag entrissen hatte; und da dieser, ein starrköpfiger und übermütiger Despot wie sein Vater, die Räumung Klein-Armeniens beharrlich verweigerte, so blieb nichts übrig, als gegen ihn marschieren zu lassen. Calvinus hatte von den drei ihm zurückgelassenen, aus pharsalischen Kriegsgefangenen gebildeten Legionen zwei nach Ägypten absenden müssen; er ergänzte die Lücke durch eine eiligst aus den im Pontus domizilierten Römern zusammengeraffte und zwei nach römischer Art exerzierte Legionen des Deiotarus und rückte in Klein-Armenien ein. Allein das bosporanische, in zahlreichen Kämpfen mit den Anwohnern des Schwarzen Meeres erprobte Heer erwies sich tüchtiger als das seinige. In dem Treffen bei Nikopolis ward Calvinus‘ pontisches Aufgebot zusammengehauen und liefen die galatischen Legionen davon; nur die eine alte Legion der Römer schlug mit mäßigem Verlust sich durch. Statt Klein-Armenien zu erobern, konnte Calvinus nicht einmal verhindern, daß Pharnakes sich seiner pontischen „Erbstaaten“ wieder bemächtigte und über deren Bewohner, namentlich die unglücklichen Amisener, die ganze Schale seiner scheußlichen Sultanslaunen ausgoß (Winter 706/07 48/47). Als dann Caesar selbst in Kleinasien eintraf und ihm sagen ließ, daß der Dienst, den Pharnakes ihm persönlich geleistet, indem er Pompeius keine Hilfe gewährt habe, nicht in Betracht kommen dürfe gegen den dem Reiche zugefügten Schaden und daß vor jeder Unterhandlung er die Provinz Pontus räumen und das geraubte Gut zurückstellen müsse, erklärte er sich zwar bereit zu gehorchen; aber wohl wissend, wie guten Grund Caesar hatte, nach dem Westen zu eilen, machte er dennoch keine ernstlichen Anstalten zur Räumung. Er wußte nicht, daß Caesar abtat, was er angriff. Ohne weiter zu verhandeln, nahm Caesar die eine von Alexandreia mitgebrachte Legion und die Truppen des Calvinus und Deiotarus zusammen und rückte gegen Pharnakes‘ Lager bei Ziela. Wie die Bosporaner ihn kommen sahen, durchschritten sie keck den tiefen Bergspalt, der ihre Front deckte, und griffen den Hügel hinauf die Römer an. Caesars Soldaten waren noch mit dem Lagerschlagen beschäftigt und einen Augenblick schwankten die Reihen; allein die kriegsgewohnten Veteranen sammelten sich rasch und gaben das Beispiel zum allgemeinen Angriff und zum vollkommenen Siege (2. August 707 47). In fünf Tagen war der Feldzug beendigt – zu dieser Zeit, wo jede Stunde kostbar war, ein unschätzbarer Glücksfall. Mit der Verfolgung des Königs, der über Sinope heimgegangen war, beauftragte Caesar des Pharnakes illegitimen Bruder, den tapferen Mithradates von Pergamon, welcher zum Lohn für die in Ägypten geleisteten Dienste an Pharnakes‘ Stelle die bosporanische Königskrone empfing. Im übrigen wurden die syrischen und kleinasiatischen Angelegenheiten friedlich geschlichtet, die eigenen Bundesgenossen reich belohnt, die des Pompeius im ganzen mit Geldbußen oder Verweisen entlassen. Nur der mächtigste unter den Klienten des Pompeius, Deiotarus, wurde wieder auf sein angestammtes enges Gebiet, den tolistobogischen Gau, beschränkt. An seiner Stelle ward mit Klein-Armenien König Ariobarzanes von Kappadokien belehnt, mit dem von Deiotarus usurpierten Vierfürstentum der Trokmer aber der neue König des Bosporus, welcher wie von väterlicher Seite dem pontischen, so von mütterlicher einem der galatischen Fürstengeschlechter entstammte.

Auch in Illyrien hatten, während Caesar in Ägypten war, sehr ernsthafte Auftritte sich zugetragen. Die delmatische Küste war seit Jahrhunderten ein wunder Fleck der römischen Herrschaft und die Bewohner mit Caesar seit den Kämpfen um Dyrrhachion in offener Fehde; im Binnenland aber wimmelte es noch von dem thessalischen Kriege her von versprengten Pompeianern. Indes hatte Quintus Cornificius mit den aus Italien nachrückenden Legionen sowohl die Eingeborenen wie die Flüchtlinge im Zaum gehalten und zugleich der in diesen rauben Gegenden so schwierigen Verpflegung der Truppen genügt. Selbst als der tüchtige Marcus Octavius, der Sieger von Curicta, mit einem Teil der Pompeianischen Flotte in diesen Gewässern erschien, um hier zur See und zu Lande den Krieg gegen Caesar zu leiten, wußte Cornificius, gestützt auf die Schiffe und den Hafen der Iadestiner (Zara), nicht bloß sich zu behaupten, sondern bestand auch selbst zur See gegen die Flotte des Gegners manches glückliche Gefecht. Aber als der neue Statthalter von Illyrien, der von Caesar aus dem Exil zurückberufene Aulus Gabinius, mit fünfzehn Kohorten und 3000 Reitern im Winter 706/07 (48/47) auf dem Landweg in Illyrien eintraf, wechselte das System der Kriegführung. Statt wie sein Vorgänger sich auf den kleinen Krieg zu beschränken, unternahm der kühne tätige Mann sogleich, trotz der rauben Jahreszeit, mit seiner gesamten Streitmacht eine Expedition in die Gebirge. Aber die ungünstige Witterung, die Schwierigkeit der Verpflegung und der tapfere Widerstand der Delmater rieben das Heer auf; Gabinius mußte den Rückzug antreten, ward auf diesem von den Delmatern angegriffen und schmählich geschlagen, und erreichte mit den schwachen Überresten seiner stattlichen Armee mühsam Salome, wo er bald darauf starb. Die meisten illyrischen Küstenstädte ergaben sich hierauf der Flotte des Octavius; die an Caesar festhielten, wie Salome und Epidauros (Ragusa vecchia), wurden von der Flotte zur See, zu Lande von den Barbaren so heftig bedrängt, daß die Übergabe und die Kapitulation der in Salome eingeschlossenen Heerestrümmer nicht mehr fern schien. Da ließ der Kommandant des brundisischen Depots, der energische Publius Vatinius, in Ermangelung von Kriegsschiffen gewöhnliche Boote mit Schnäbeln versehen und sie mit den aus den Hospitälern entlassenen Soldaten bemannen und lieferte mit dieser improvisierten Kriegsflotte der weit überlegenen Octavianischen bei der Insel Tauris (Torcola zwischen Lelina und Curzola) ein Treffen, in dem die Tapferkeit des Anführers und der Schiffssoldaten wie so oft ersetzte, was den Schiffen abging, und die Caesarianer einen glänzenden Sieg erfochten. Marcus Octavius verließ diese Gewässer und begab sich nach Afrika (Frühjahr 707 47); die Delmater setzten zwar noch Jahre lang mit großer Hartnäckigkeit sich zur Wehr, allein es war dies nichts als ein örtlicher Gebirgskrieg. Als Caesar aus Ägypten zurückkam, hatte sein entschlossener Adjutant die in Illyrien drohende Gefahr bereits beseitigt.

Um so ernster stand es in Afrika, wo die Verfassungspartei vom Anfang des Bürgerkrieges an unumschränkt geherrscht und ihre Macht fortwährend gesteigert hatte. Bis zur Pharsalischen Schlacht hatte hier eigentlich König Juba das Regiment geführt; er hatte Curio überwunden, und die Kraft des Heeres waren seine flüchtigen Reiter und seine zahllosen Schützen; der Pompeianische Statthalter Varus spielte neben ihm eine so subalterne Rolle, daß er sogar diejenigen Soldaten Curios, die sich ihm ergeben hatten, dem König hatte ausliefern und deren Hinrichtung oder Abführung in das innere Numidien hatte mitansehen müssen. Dies änderte sich nach der Pharsalischen Schlacht. An eine Flucht zu den Parthern dachte, mit Ausnahme des Pompeius selbst, kein namhafter Mann der geschlagenen Partei. Ebensowenig versuchte man, die See mit vereinten Kräften zu behaupten; Marcus Octavius‘ Kriegführung in den illyrischen Gewässern stand vereinzelt und war ohne dauernden Erfolg. Die große Majorität der Republikaner wie der Pompeianer wandte sich nach Afrika, wo allein noch ein ehrenhafter und verfassungsmäßiger Kampf gegen den Usurpator möglich schien. Dort fanden die Trümmer der bei Pharsalos zersprengten Armee, die Besatzungstruppen von Dyrrhachion, Kerkyra und dem Peloponnes, die Reste der illyrischen Flotte sich allmählich zusammen; es trafen dort ein der zweite Oberfeldherr Metellus Scipio, die beiden Söhne des Pompeius, Gnaeus und Sextus, der politische Führer der Republikaner Marcus Cato, die tüchtigen Offiziere Labienus, Afranius, Petreius, Octavius und andere. Wenn die Kräfte der Emigration verringert waren, so hatte dagegen ihr Fanatismus sich womöglich noch gesteigert. Man fuhr nicht bloß fort, die Gefangenen und selbst die Parlamentäre Caesars zu ermorden, sondern König Juba, in dem die Erbitterung des Parteimannes mit der Wut des halbbarbarischen Afrikaners zusammenfloß, stellte die Maxime auf, daß in jeder der Sympathien mit dem Feinde verdächtigen Gemeinde die Bürgerschaft ausgerottet und die Stadt niedergebrannt werden müsse, und führte auch gegen einige Ortschaften, zum Beispiel das unglückliche Vaga bei Hadrumetum, diese Theorie in der Tat praktisch durch. Ja daß nicht die Hauptstadt der Provinz selber, das blühende, ebenwie einst Karthago von den numidischen Königen längst mit scheelem Auge angesehene Utica, von König Juba dieselbe Behandlung erfuhr und daß man gegen die, allerdings nicht mit Unrecht, der Hinneigung zu Caesar beschuldigte Bürgerschaft mit Vorsichtsmaßregeln sich begnügte, hatte sie nur Catos energischem Auftreten zu danken.

Da weder Caesar selbst noch einer seiner Statthalter das geringste gegen Afrika unternahm, so hatte die Koalition vollkommen Zeit, sich dort politisch und militärisch zu reorganisieren. Vor allem war es notwendig, die durch Pompeius‘ Tod erledigte Oberfeldherrnstelle aufs neue zu besetzen. König Juba hatte nicht übel Lust, die Stellung, die er bis auf die Pharsalische Schlacht in Afrika gehabt, auch ferner zu behaupten; wie er denn überhaupt nicht mehr als Klient der Römer, sondern als gleichberechtigter Verbündeter oder gar als Schutzherr auftrat und zum Beispiel es sich herausnahm, römisches Silbergeld mit seinem Namen und Wappen zu schlagen, ja sogar den Anspruch erhob, allein im Lager den Purpur zu führen und den römischen Heerführern ansann, den purpurnen Feldherrnmantel abzulegen. Metellus Scipio ferner forderte den Oberbefehl für sich, weil Pompeius ihn, mehr aus schwiegersöhnlichen als aus militärischen Rücksichten, im thessalischen Feldzug als sich gleichberechtigt anerkannt hatte. Die gleiche Forderung erhob Varus als – freilich selbsternannter – Statthalter von Afrika, da der Krieg in seiner Provinz geführt werden sollte. Endlich die Armee begehrte zum Führer den Proprätor Marcus Cato. Offenbar hatte sie recht. Cato war der einzige Mann, der für das schwere Amt die erforderliche Hingebung, Energie und Autorität besaß; wenn er kein Militär war, so war es doch unendlich besser, einen Nichtmilitär, der sich zu bescheiden und seine Unterfeldherrn handeln zu lassen verstand, als einen Offizier von unerprobter Fähigkeit, wie Varus, oder gar einen von erprobter Unfähigkeit, wie Metellus Scipio, zum Oberfeldherrn zu bestellen. Indes die Entscheidung fiel schließlich auf ebendiesen Scipio, und Cato selbst war es, der sie im wesentlichen bestimmte. Es geschah dies nicht, weil er jener Aufgabe sich nicht gewachsen fühlte oder weil seine Eitelkeit bei dem Ausschlagen mehr ihre Rechnung fand als bei dem Annehmen; noch weniger, weil er Scipio liebte oder achtete, mit dem er vielmehr persönlich verfeindet war und der überall bei seiner notorischen Untüchtigkeit einzig durch seine Schwiegervaterschaft zu einer gewissen Bedeutung gelangt war; sondern einzig und allein, weil sein verbissener Rechtsformalismus lieber die Republik von Rechts wegen zugrunde gehen ließ, als sie auf irreguläre Weise rettete. Als er nach der Pharsalischen Schlacht auf Kerkyra mit Marcus Cicero zusammentraf, hatte er sich erboten, diesem, der noch von seiner kilikischen Statthalterschaft her mit der Generalschaft behaftet war, als dem höherstehenden Offizier, wie es Rechtens war, das Kommando in Kerkyra zu übertragen und den unglücklichen Advokaten, der seine Lorbeeren vom Amanos jetzt tausendmal verwünschte, durch diese Bereitwilligkeit fast zur Verzweiflung, aber auch alle halbwegs einsichtigen Männer zum Erstaunen gebracht. Die gleichen Prinzipien wurden hier geritten, wo etwas mehr darauf ankam; Cato erwog die Frage, wem die Oberfeldherrnstelle gebühre, als handelte es sich um ein Ackerfeld bei Tusculum, und sprach sie dem Scipio zu. Durch diesen Ausspruch wurde seine eigene und die Kandidatur des Varus beseitigt. Er war es aber auch, und er allein, der mit Energie den Ansprüchen des Königs Juba entgegentrat und es ihn fühlen ließ, daß der römische Adel zu ihm nicht bittend komme wie zu dem Großfürsten der Parther, um bei dem Schutzherrn Beistand zu suchen, sondern befehlend und von dem Untertan Beistand fordernd. Bei dem gegenwärtigen Stande der römischen Streitkräfte in Afrika konnte Juba nicht umhin, etwas gelindere Saiten aufzuziehen, obgleich er freilich bei dem schwachen Scipio es dennoch durchsetzte, daß die Besoldung seiner Truppen der römischen Kasse aufgebürdet und für den Fall des Sieges ihm die Abtretung der Provinz Afrika zugesichert ward.

Dem neuen Oberfeldherrn zur Seite trat wiederum der Senat der „Dreihundert“, der in Utica seinen Sitz aufschlug und seine gelichteten Reihen durch Aufnahme der angesehensten und vermögendsten Männer des Ritterstandes ergänzte.

Die Rüstungen wurden, hauptsächlich durch Catos Eifer, mit der größten Energie gefördert und jeder waffenfähige Mann, selbst Freigelassene und Libyer, in die Legionen eingestellt; wodurch dem Ackerbau die Hände so sehr entzogen wurden, daß ein großer Teil der Felder unbestellt blieb, aber allerdings auch ein imposantes Resultat erzielt ward. Das schwere Fußvolk zählte vierzehn Legionen, wovon zwei bereits durch Varus aufgestellt, acht andere teils aus den Flüchtigen, teils aus den in der Provinz Konskribierten gebildet und vier römisch bewaffnete Legionen des Königs Juba waren. Die schwere Reiterei, bestehend aus den mit Labienus eingetroffenen Kelten und Deutschen und allerlei darunter eingereihten Leuten, war ohne Jubas römisch gerüstete Reiterschar 1600 Mann stark. Die leichten Truppen bestanden aus zahllosen Massen ohne Zaum und Zügel reitender und bloß mit Wurfspeeren bewaffneter Numidier, aus einer Anzahl berittener Bogenschützen und großen Schwärmen von Schützen zu Fuß. Dazu kamen endlich Jubas 120 Elefanten und die von Publius Varus und Marcus Octavius befehligte 55 Segel starke Flotte. Dem drückenden Geldmangel wurde einigermaßen durch eine Selbstbesteuerung des Senats abgeholfen, die um so ergiebiger war, als die reichsten afrikanischen Kapitalisten in denselben einzutreten veranlaßt worden waren. Getreide und andere Vorräte hatte man in den verteidigungsfähigen Festungen in ungeheuren Massen aufgehäuft, zugleich aus den offenen Ortschaften die Vorräte möglichst entfernt. Die Abwesenheit Caesars, die schwierige Stimmung seiner Legionen, die Gärung in Spanien und Italien hoben allmählich die Stimmung, und die Erinnerung an die Pharsalische Schlacht fing an, neuen Siegeshoffnungen zu weichen.

Die von Caesar in Ägypten verlorene Zeit rächte nirgend sich schwerer als hier. Hätte er unmittelbar nach Pompeius‘ Tode sich nach Afrika gewendet, so würde er daselbst ein schwaches, desorganisiertes und konsterniertes Heer und vollständige Anarchie unter den Führern vorgefunden haben; wogegen jetzt, namentlich durch Catos Energie, eine der bei Pharsalos geschlagenen an Zahl gleiche Armee unter namhaften Führern und unter einer geregelten Oberleitung in Afrika stand.

Es schien überhaupt über dieser afrikanischen Expedition Caesars ein eigener Unstern zu walten. Noch vor seiner Einschiffung nach Ägypten hatte Caesar in Spanien und Italien verschiedene Maßregeln zur Einleitung und Vorbereitung des afrikanischen Krieges angeordnet; aus allen war aber nichts als Unheil entsprungen. Von Spanien aus sollte, Caesars Anordnung zufolge, der Statthalter der südlichen Provinz, Quintus Cassius Longinus, mit vier Legionen nach Afrika übersetzen, dort den König Bogud von Westmauretanien80 an sich ziehen und mit ihm gegen Numidien und Afrika vorgehen. Aber jenes nach Afrika bestimmte Heer schloß eine Menge geborener Spanier und zwei ganze ehemals Pompeianische Legionen in sich; Pompeianische Sympathien herrschten in der Armee wie in der Provinz, und das ungeschickte und tyrannische Auftreten des Caesarischen Statthalters war nicht geeignet, sie zu beschwichtigen. Es kam förmlich zum Aufstande; Truppen und Städte ergriffen Partei für oder gegen den Statthalter; schon war es darauf oder daran, daß die, welche gegen den Statthalter Caesars sich erhoben hatten, offen die Fahne des Pompeius aufsteckten; schon hatte Pompeius‘ ältester Sohn Gnaeus, um diese günstige Wendung zu benutzen, sich von Afrika nach Spanien eingeschifft, als die Desavouierung des Statthalters durch die angesehensten Caesarianer selbst und das Einschreiten des Befehlshabers der nördlichen Provinz den Aufstand eben noch rechtzeitig unterdrückten. Gnaeus Pompeius, der unterwegs mit einem vergeblichen Versuch, sich in Mauretanien festzusetzen, Zeit verloren hatte, kam zu spät; Gaius Trebonius, den Caesar nach seiner Heimkehr aus dem Osten zur Ablösung des Cassius nach Spanien sandte (Herbst 707 47), fand überall unweigerlichen Gehorsam. Aber natürlich war über diesen Irrungen von Spanien aus nichts geschehen, um die Organisation der Republikaner in Afrika zu stören; ja es war sogar, infolge der Verwicklungen mit Longinus, König Bogud von Westmauretanien, der auf Caesars Seite stand und wenigstens König Juba einige Hindernisse hätte in den Weg legen können, mit seinen Truppen nach Spanien abgerufen worden.

Bedenklicher noch waren die Vorgänge unter den Truppen, die Caesar im südlichen Italien hatte zusammenziehen lassen, um mit ihnen nach Afrika überzuschiffen. Es waren größtenteils die alten Legionen, die in Gallien, Spanien, Thessalien Caesars Thron begründet hatten. Den Geist dieser Truppen hatten die Siege nicht gebessert, die lange Rast in Unteritalien vollständig zerrüttet. Die fast übermenschlichen Zumutungen, die der Feldherr an sie machte und deren Folgen in den schrecklich gelichteten Reihen nur zu grell hervortraten, ließen selbst in diesen Eisenmännern einen Sauerteig des Grolls zurück, der nur der Zeit und Ruhe bedurfte, um die Gemüter in Gärung zu bringen. Der einzige Mann, der ihnen imponierte, war seit einem Jahre fern und fast verschollen, ihre vorgesetzten Offiziere aber scheuten weit mehr sich vor den Soldaten als diese vor ihnen und sahen den Weltbesiegern jede Brutalität gegen ihre Quartiergeber und jede Indisziplin nach. Als nun der Befehl, sich nach Sizilien einzuschiffen, kam und der Soldat das üppige Wohlleben in Kampanien wieder mit einer dritten, der spanischen und thessalischen an Drangsalen sicher nicht nachstehenden Kampagne vertauschen sollte, rissen die allzulange gelockerten und allzuplötzlich wiederangezogenen Zügel. Die Legionen weigerten sich zu gehorchen, bevor die versprochenen Geschenke ihnen gezahlt seien, und wiesen die von Caesar gesandten Offiziere mit Hohnreden, ja mit Steinwürfen zurück. Ein Versuch, den beginnenden Aufstand durch Steigerung der versprochenen Summen zu dämpfen, hatte nicht bloß keinen Erfolg, sondern die Soldaten brachen massenweise auf, um die Erfüllung der Versprechungen in der Hauptstadt von dem Feldherrn zu erpressen. Einzelne Offiziere, die die meuterischen Rotten unterwegs zurückzuhalten versuchten, wurden erschlagen. Es war eine furchtbare Gefahr. Caesar ließ die wenigen in der Stadt befindlichen Soldaten die Tore besetzen, um die mit Recht befürchtete Plünderung wenigstens für den ersten Anlauf abzuwehren, und erschien plötzlich unter dem tobenden Haufen mit der Frage, was sie begehrten. Man rief: den Abschied. Augenblicklich ward er, wie gebeten, erteilt. Wegen der Geschenke, fügte Caesar hinzu, welche er für den Triumph seinen Soldaten zugesagt habe, sowie wegen der Äcker, die er ihnen nicht versprochen, aber bestimmt gehabt, möchten sie an dem Tage, wo er mit den anderen Soldaten triumphieren werde, sich bei ihm melden; an dem Triumphe selbst freilich könnten sie, als vorher entlassen, natürlich nicht teilnehmen. Auf diese Wendung waren die Massen nicht gefaßt; überzeugt, daß Caesar ihrer für den afrikanischen Feldzug nicht entraten könne, hatten sie den Abschied nur gefordert, um, wenn er ihnen verweigert werde, daran ihre Bedingungen zu knüpfen. Halb irre geworden in dem Glauben an ihre eigene Unentbehrlichkeit; zu unbehilflich um wieder einzulenken und die verfahrene Unterhandlung in das rechte Geleise zurückzubringen; als Menschen beschämt durch die Treue, mit der der Imperator auch seinen treuvergessenen Soldaten Wort hielt, und durch die Hochherzigkeit desselben, welche ebenjetzt weit mehr gewährte, als er je zugesagt hatte; als Soldaten tief ergriffen, da der Feldherr ihnen in Aussicht stellte, dem Triumph ihrer Kameraden als Bürgersleute zuschauen zu müssen und da er sie nicht mehr „Kameraden“ hieß, sondern „Bürger“ und mit dieser aus seinem Munde so fremdartig klingenden Anrede gleichsam mit einem Schlage ihre ganze stolze Soldatenvergangenheit zerstörte, und zu alledem unter dem Zauber des unwiderstehlich gewaltigen Menschen – standen die Soldaten eine Weile stumm und zaudernd, bis von allen Seiten der Ruf erscholl, daß der Feldherr sie wieder zu Gnaden annehmen und es ihnen wieder gestatten möge, Caesars Soldaten zu heißen. Caesar gestattete es, nachdem er hinreichend sich hatte bitten lassen; den Rädelsführern bei dieser Meuterei aber wurde an ihren Triumphalgeschenken ein Dritteil gekürzt. Ein größeres psychologisches Meisterstück kennt die Geschichte nicht, und keines, das vollständiger gelungen wäre.

Auf den afrikanischen Feldzug wirkte diese Meuterei immerhin wenigstens insofern nachteilig ein, als sie die Eröffnung desselben beträchtlich verzögerte. Als Caesar in dem zur Einschiffung bestimmten Hafen von Lilybäon eintraf, waren die zehn nach Afrika bestimmten Legionen dort bei weitem noch nicht vollständig versammelt und eben die erprobten Truppen noch am weitesten zurück. Indes kaum waren sechs Legionen, darunter fünf neu gebildete, daselbst angelangt und die nötigen Kriegs- und Transportschiffe angekommen, als Caesar mit denselben in See stach (25. Dezember 707 47 des unberichtigten, etwa 8. Oktober des Julianischen Kalenders). Die feindliche Flotte, die der herrschenden Äquinoktialstürme wegen bei der Insel Ägimuros vor der Karthagischen Bucht auf den Strand gezogen war, hinderte die Überfahrt nicht; allein dieselben Stürme zerstreuten die Flotte Caesars nach allen Richtungen, und als Caesar unweit Hadrumetum (Susa) die Gelegenheit zu landen ersah, konnte er nicht mehr als etwa 3000 Mann, größtenteils Rekruten, und 150 Reiter ausschiffen. Der Versuch, das vom Feinde stark besetzte Hadrumetum wegzunehmen, mißlang; dagegen bemächtigte Caesar sich der beiden nicht weit voneinander entfernten Hafenplätze Ruspina (Monastir bei Susa) und Klein-Leptis. Hier verschanzte er sich; aber seine Stellung war so unsicher, daß er seine Reiter auf den Schiffen und diese segelfertig und mit Wasservorrat versehen hielt, um jeden Augenblick, wenn er mit Übermacht sollte angegriffen werden, wieder sich einschiffen zu können. Indes war dies nicht nötig, da eben noch zu rechter Zeit die verschlagenen Schiffe anlangten (3. Januar 708 46). Gleich am folgenden Tage unternahm Caesar, dessen Heer infolge der von den Pompeianern getroffenen Anstalten Mangel an Getreide litt, mit drei Legionen einen Zug in das innere Land, ward aber nicht weit von Ruspina auf dem Marsche von den Heerhaufen angegriffen, die Labienus heranführte, um Caesar von der Küste zu vertreiben. Da Labienus ausschließlich Reiterei und Schützen, Caesar fast nichts als Linieninfanterie hatte, so wurden die Legionen rasch umzingelt und den Geschossen der Feinde preisgegeben, ohne sie erwidern oder mit Erfolg angreifen zu können. Zwar machte die Deployierung der ganzen Linie die Flügel wieder frei und mutige Angriffe retteten die Ehre der Waffen; allein der Rückzug war unvermeidlich, und wäre Ruspina nicht so nahe gewesen, so hätte der maurische Wurfspeer vielleicht hier dasselbe ausgerichtet, was bei Karrhä der parthische Bogen. Caesar, den dieser Tag von der ganzen Schwierigkeit des bevorstehenden Krieges überzeugt hatte, wollte seine unerprobten und durch die neue Gefechtsweise entmutigten Soldaten keinem solchen Angriff wieder aussetzen, sondern wartete das Eintreffen seiner Veteranenlegionen ab. Die Zwischenzeit wurde benutzt, um die drückende Überlegenheit des Feindes in den Fernwaffen einigermaßen auszugleichen. Daß die geeigneten Leute von der Flotte als leichte Reiter oder Schützen in die Landarmee eingereiht wurden, konnte nicht viel helfen. Etwas mehr wirkten die von Caesar veranlaßten Diversionen. Es gelang, die am südlichen Abhang des Großen Atlas gegen die Sahara zu schweifenden gaetulischen Hirtenstämme gegen Juba in Waffen zu bringen; denn selbst bis zu ihnen hatten die Schläge der marianisch-sullanischen Zeit sich erstreckt, und ihr Groll gegen den Pompeius, der sie damals den numidischen Königen untergeordnet hatte, machte sie den Erben des mächtigen, bei ihnen noch vom Jugurthinischen Feldzug her in gutem Andenken lebenden Marius von vorn herein geneigt. Die mauretanischen Könige, Bogud in Tingis, Bocchus in Jol, waren Jubas natürliche Rivalen und zum Teil längst mit Caesar in Bündnis. Endlich streifte in dem Grenzgebiet zwischen den Reichen des Juba und des Bocchus noch der letzte der Catilinarier, jener Publius Sittius aus Nuceria, der achtzehn Jahre zuvor aus einem bankrotten italischen Kaufmann sich in einen mauretanischen Freischarenführer verwandelt und seitdem in den libyschen Händeln sich einen Namen und ein Heergefolge geschaffen hatte. Bocchus und Sittius fielen vereinigt in das numidische Land, besetzten die wichtige Stadt Cirta, und ihr Angriff sowie der der Gätuler nötigte den König Juba, einen Teil seiner Truppen an seine Süd- und Westgrenze zu senden. Indes blieb Caesars Lage unbequem genug. Seine Armee war auf den Raum einer Quadratmeile zusammengedrängt; wenn auch die Flotte Getreide herbeischaffte, so ward doch der Mangel an Fourage von Caesars Reitern ebenso gefühlt wie vor Dyrrhachion von denen des Pompeius. Die leichten Truppen des Feindes blieben, aller Anstrengungen Caesars ungeachtet, den seinigen so unermeßlich überlegen, daß es fast unmöglich schien, die Offensive in das Binnenland hinein auch mit Veteranen durchzuführen. Wenn Scipio zurückwich und die Küstenstädte preisgab, so konnte er vielleicht einen Sieg erfechten wie die, welche des Orodes Wesir über Crassus, Juba über Curio davongetragen hatten, wenigstens aber den Krieg ins unendliche hinausziehen. Diesen Feldzugsplan ergab die einfachste Überlegung: selbst Cato, obwohl nichts weniger als ein Strateg, riet dazu und erbot sich, zugleich mit einem Korps nach Italien überzufahren und dort die Republikaner unter die Waffen zu rufen, was bei der gründlichen Verwirrung daselbst gar wohl Erfolg haben konnte. Allein Cato konnte nur raten, nicht befehlen; der Oberbefehlshaber Scipio entschied, daß der Krieg in der Küstenlandschaft geführt werden solle. Es war dies nicht bloß insofern verkehrt, als man damit einen sicheren Erfolg verheißenden Kriegsplan fahren ließ, sondern auch insofern, als die Landschaft, in die man den Krieg verlegte, in bedenklicher Gärung, und das Heer, das man Caesar gegenüberstellte, zum guten Teil ebenfalls schwierig war. Die fürchterlich strenge Aushebung, die Wegschleppung der Vorräte, die Verwüstung der kleineren Ortschaften, überhaupt das Gefühl einer von Haus aus fremden und bereits verlorenen Sache aufgeopfert zu werden, hatten die einheimische Bevölkerung erbittert gegen die auf afrikanischem Boden ihren letzten Verzweiflungskampf kämpfenden römischen Republikaner; und das terroristische Verfahren der letzteren gegen alle auch nur der Gleichgültigkeit verdächtigen Gemeinden hatte diese Erbitterung zum furchtbarsten Haß gesteigert. Die afrikanischen Städte erklärten, wo sie irgend es wagen konnten, sich für Caesar; unter den Gätulern und den Libyern, die unter den leichten Truppen und selbst in den Legionen in Menge dienten, riß die Desertion ein. Indes Scipio beharrte mit aller dem Unverstand eigenen Hartnäckigkeit auf seinem Plan, zog mit gesamter Heeresmacht von Utica her vor die von Caesar besetzten Städte Ruspina und Klein-Leptis, belegte nördlich davon Hadrumetum, südlich Thapsus (am Vorgebirge Râs Dimâs) mit starken Besatzungen und bot in Gemeinschaft mit Juba, der mit all seinen nicht durch die Grenzverteidigung in Anspruch genommenen Truppen gleichfalls vor Ruspina erschien, zu wiederholten Malen dem Feinde die Schlacht an. Aber Caesar war entschlossen, seine Veteranenlegionen zu erwarten. Als diese dann nach und nach eintrafen und auf dem Kampfplatz erschienen, verloren Scipio und Juba die Lust, eine Feldschlacht zu wagen, und Caesar hatte kein Mittel, sie bei ihrer außerordentlichen Überlegenheit an leichter Reiterei zu einer solchen zu zwingen. Über Märsche und Scharmützel in der Umgegend von Ruspina und Thapsus, die hauptsächlich um die Auffindung der landüblichen Kellerverstecke (Silos) und um Ausbreitung der Posten sich bewegten, verflossen fast zwei Monate. Caesar, durch die feindlichen Reiter genötigt, sich möglichst auf den Anhöhen zu halten oder auch seine Flanken durch verschanzte Linien zu decken, gewöhnte doch während dieser mühseligen und aussichtslosen Kriegführung allmählich seine Soldaten an die fremdartige Kampfweise. Freund und Feind erkannten in dem vorsichtigen Fechtmeister, der seine Leute sorgfältig und nicht selten persönlich einschulte, den raschen Feldherrn nicht wieder und wurden fast irre an dieser im Zögern wie im Zuschlagen sich gleichbleibenden Meisterschaft. Endlich wandte Caesar, nachdem er seine letzten Verstärkungen an sich gezogen hatte, sich seitwärts gegen Thapsus. Scipio hatte diese Stadt, wie gesagt, stark besetzt und damit den Fehler begangen, seinem Gegner ein leicht zu fassendes Angriffsobjekt darzubieten; zu dem ersten fügte er bald den zweiten, noch minder verzeihlichen hinzu, die von Caesar gewünschte und von Scipio mit Recht bisher verweigerte Feldschlacht jetzt zur Rettung von Thapsus auf einem Terrain zu liefern, das die Entscheidung in die Hände der Linieninfanterie gab. Unmittelbar am Strande, Caesars Lager gegenüber, traten Scipios und Jubas Legionen an, die vorderen Reihen kampffertig, die hinteren beschäftigt, ein verschanztes Lager zu schlagen; zugleich bereitete die Besatzung von Thapsus einen Ausfall vor. Den letzteren zurückzuweisen, genügten Caesars Lagerwachen. Seine kriegsgewohnten Legionen, schon nach der unsicheren Aufstellung und den schlecht geschlossenen Gliedern den Feind richtig würdigend, zwangen, während drüben noch geschanzt ward und ehe noch der Feldherr das Zeichen gab, einen Trompeter, zum Angriff zu blasen, und gingen auf der ganzen Linie vor, allen voran Caesar selbst, der, da er die Seinigen ohne seinen Befehl abzuwarten vorrücken sah, an ihrer Spitze auf den Feind eingaloppierte. Der rechte Flügel, den übrigen Abteilungen voran, scheuchte die ihm gegenüberstehende Linie der Elefanten – es war dies die letzte große Schlacht, in der die Bestien verwendet worden sind – durch Schleuderkugeln und Pfeile zurück auf ihre eigenen Leute. Die Deckungsmannschaft ward niedergehauen, der linke Flügel der Feinde gesprengt und die ganze Linie aufgerollt. Die Niederlage war um so vernichtender, als das neue Lager der geschlagenen Armee noch nicht fertig und das alte beträchtlich entfernt war; beide wurden nacheinander fast ohne Gegenwehr erobert. Die Masse der geschlagenen Armee warf die Waffen weg und bat um Quartier; aber Caesars Soldaten waren nicht mehr dieselben, die vor Ilerda willig der Schlacht sich enthalten, bei Pharsalos der Wehrlosen ehrenvoll geschont hatten. Die Gewohnheit des Bürgerkrieges und der von der Meuterei zurückgebliebene Groll machten auf dem Schlachtfelde von Thapsus in schrecklicher Weise sich geltend. Wenn der Hydra, mit der man kämpfte, stets neue Köpfe nachwuchsen, wenn die Armee von Italien nach Spanien, von Spanien nach Makedonien, von Makedonien nach Afrika geschleudert ward, die immer heißer ersehnte Ruhe immer nicht kam, so suchte, und nicht ganz ohne Ursache, der Soldat davon den Grund in Caesars unzeitiger Milde. Er hatte es sich geschworen nachzuholen, was der Feldherr versäumt, und blieb taub für das Flehen der entwaffneten Mitbürger wie für die Befehle Caesars und der höheren Offiziere. Die fünfzigtausend Leichen, die das Schlachtfeld von Thapsus bedeckten, darunter auch mehrere als heimliche Gegner der neuen Monarchie bekannte und deshalb bei dieser Gelegenheit von ihren eigenen Leuten niedergemachte Caesarische Offiziere, zeigten, wie der Soldat sich Ruhe schafft. Die siegende Armee dagegen zählte nicht mehr als fünfzig Tote (6. April 708 46).

Eine Fortsetzung des Kampfes fand nach der Schlacht von Thapsus so wenig in Afrika statt, wie anderthalb Jahre zuvor im Osten nach der Pharsalischen Niederlage. Cato als Kommandant von Utica berief den Senat, legte den Stand der Verteidigungsmittel dar und stellte es zur Entscheidung der Versammelten, ob man sich unterwerfen oder bis auf den letzten Mann sich verteidigen wolle, einzig sie beschwörend, nicht jeder für sich, sondern alle für einen zu beschließen und zu handeln. Die mutigere Meinung fand manchen Vertreter; es wurde beantragt, die waffenfähigen Sklaven von Staats wegen freizusprechen, was aber Cato als einen ungesetzlichen Eingriff in das Privateigentum zurückwies und statt dessen einen patriotischen Aufruf an die Sklaveneigentümer vorschlug. Allein bald verging der größtenteils aus afrikanischen Großhändlern bestehenden Versammlung diese Anwandlung von Entschlossenheit, und man ward sich einig zu kapitulieren. Als dann Faustus Sulla, des Regenten Sohn, und Lucius Afranius mit einer starken Abteilung Reiterei vom Schlachtfelde her in Utica eintrafen, machte Cato noch einen Versuch, durch sie die Stadt zu halten; allein ihre Forderung, sie zuvörderst die unzuverlässige Bürgerschaft von Utica insgesamt niedermachen zu lassen, wies er unwillig zurück und ließ lieber die letzte Burg der Republikaner dem Monarchen ohne Gegenwehr in die Hände fallen als die letzten Atemzüge der Republik durch eine solche Metzelei entweihen. Nachdem er, teils durch seine Autorität, teils durch freigebige Spenden, dem Wüten der Soldateska gegen die unglücklichen Uticenser nach Vermögen gesteuert und, soweit es in seiner Macht stand, denen, die Caesars Gnade sich nicht anvertrauen mochten, die Mittel zur Flucht, denen, die bleiben wollten, die Gelegenheit, unter möglichst leidlichen Bedingungen zu kapitulieren mit rührender Sorgfalt gewährt und durchaus sich überzeugt hatte, daß er niemand weiter Hilfe zu leisten vermöge, hielt er seines Kommandos sich entbunden, zog sich in sein Schlafgemach zurück und stieß sich das Schwert in die Brust. Auch von den übrigen geflüchteten Reitern retteten sich nur wenige. Die von Thapsus geflüchteten Reiter stießen auf die Scharen des Sittius und wurden von ihnen niedergehauen oder gefangen; ihre Führer Afranius und Faustus wurden an Caesar ausgeliefert und, da dieser sie nicht sogleich hinrichten ließ, von dessen Veteranen in einem Auflauf erschlagen. Der Oberfeldherr Metellus Scipio geriet mit der Flotte der geschlagenen Partei in die Gewalt der Kreuzer des Sittius und durchbohrte sich selbst, da man Hand an ihn legen wollte. König Juba, nicht unvorbereitet auf einen solchen Ausgang, hatte für diesen Fall beschlossen, zu enden, wie es ihm königlich dünkte, und auf dem Markte seiner Stadt Zama einen ungeheuren Scheiterhaufen rüsten lassen, der mit seinem Körper auch all seine Schätze und die Leichen der gesamten Bürgerschaft von Zama verzehren sollte. Allein die Stadtbewohner verspürten kein Verlangen, bei der Leichenfeier des afrikanischen Sardanapal sich als Dekoration verwenden zu lassen und schlossen dem König, da er, vom Schlachtfeld flüchtend, in Begleitung von Marcus Petreius vor der Stadt erschien, die Tore. Der König, eine jener im grellen und übermütigen Lebensgenuß verwilderten Naturen, die auch aus dem Tode sich ein Taumelfest bereiten, begab sich mit seinem Begleiter nach einem seiner Landhäuser, ließ einen reichlichen Schmaus auftragen und forderte nach geendeter Mahlzeit den Petreius auf, mit ihm im Zweikampf um den Tod zu fechten. Es war der Besieger Catilinas, der ihn von der Hand des Königs empfing; der König ließ darauf von einem seiner Sklaven sich durchbohren. Die wenigen angesehenen Männer, welche entkamen, wie Labienus und Sextus Pompeius, folgten dem älteren Bruder des letzteren nach Spanien und suchten, wie einst Sertorius, in den Gebirgen und Gewässern dieser immer noch halb unabhängigen Landschaften ein letztes Räuber- und Piratenasyl. Ohne Widerstand ordnete Caesar die afrikanischen Verhältnisse. Wie schon Curio beantragt hatte, ward das Reich des Massinissa aufgelöst. Der östlichste Teil oder die Landschaft von Sitifis ward mit dem Reich des Königs Bocchus von Ostmauretanien vereinigt, auch der treue König Bogud von Tingis mit ansehnlichen Gaben bedacht. Cirta (Constantine) und den umliegenden Landstrich, die bisher, unter Jubas Oberhoheit, der Fürst Massinissa und dessen Sohn Arabion besessen hatten, erhielt der Condottiere Publius Sittius, um seine halbrömischen Scharen daselbst anzusiedeln81; zugleich aber wurde dieser Distrikt sowie überhaupt der bei weitem größte und fruchtbarste Teil des bisherigen Numidischen Reiches als „Neuafrika“ mit der älteren Provinz Afrika vereinigt und die Verteidigung der Küstenlandschaft gegen die schweifenden Stämme der Wüste, welche die Republik einem Klientelkönig überlassen hatte, von dem neuen Herrscher auf das Reich selbst übernommen.

Der Kampf, den Pompeius und die Republikaner gegen Caesars Monarchie unternommen hatten, endigte also nach vierjähriger Dauer mit dem vollständigen Sieg des neuen Monarchen. Zwar die Monarchie ward nicht erst auf den Schlachtfeldern von Pharsalos und Thapsus festgestellt; sie durfte bereits sich datieren von dem Augenblick, wo Pompeius und Caesar im Bunde die Gesamtherrschaft begründet und die bisherige aristokratische Verfassung über den Haufen geworfen hatten. Doch waren es erst jene Bluttaufen des 9. August 706 (48) und des 6. April 708 (46), die das dem Wesen der Alleinherrschaft widerstreitende Gesamtregiment beseitigten und der neuen Monarchie festen Bestand und förmliche Anerkennung verliehen. Prätendenteninsurrektionen und republikanische Verschwörungen mochten nachfolgen und neue Erschütterungen, vielleicht sogar neue Revolutionen und Restaurationen hervorrufen; aber die während eines halben Jahrtausend ununterbrochene Kontinuität der freien Republik war durchrissen und im ganzen Umfang des weiten Römischen Reiches durch die Legitimität der vollendeten Tatsache die Monarchie begründet. Der verfassungsmäßige Kampf war zu Ende; und daß er zu Ende war, das sprach Marcus Cato aus, als er zu Utica sich in sein Schwert stürzte. Seit vielen Jahren war er in dem Kampfe der legitimen Republik gegen ihre Bedränger der Vormann gewesen; er hatte ihn fortgesetzt, lange nachdem jede Hoffnung zu siegen in ihm erloschen war. Jetzt aber war der Kampf selbst unmöglich geworden; die Republik, die Marcus Brutus begründet hatte, war tot und niemals wieder zum Leben zu erwecken; was sollten die Republikaner noch auf der Erde? Der Schatz war geraubt, die Schildwache damit abgelöst; wer konnte sie schelten, wenn sie heimging? Es ist mehr Adel und vor allem mehr Verstand in Catos Tode, als in seinem Leben gewesen war. Cato war nichts weniger als ein großer Mann; aber bei all jener Kurzsichtigkeit, jener Verkehrtheit, jener dürren Langweiligkeit und jenen falschen Phrasen, die ihn, für seine wie für alle Zeit, zum Ideal des gedankenlosen Republikanertums und zum Liebling aller damit spielenden Individuen gestempelt haben, war er dennoch der einzige, der das große, dem Untergang verfallene System in dessen Agonie ehrlich und mutig vertrat. Darum, weil vor der einfältigen Wahrheit die klügste Lüge innerlich sich zernichtet fühlt und weil alle Hoheit und Herrlichkeit der Menschennatur schließlich nicht auf der Klugheit beruht, sondern auf der Ehrlichkeit, darum hat Cato eine größere geschichtliche Rolle gespielt als viele an Geist ihm weit überlegene Männer. Es erhöht nur die tiefe und tragische Bedeutung seines Todes, daß er selber ein Tor war: eben weil Don Quichotte ein Tor ist, ist er ja eine tragische Gestalt. Es ist erschütternd, daß auf jener Weltbühne, darauf so viele große und weise Männer gewandelt und gehandelt hatten, der Narr bestimmt war zu epilogieren. Auch ist er nicht umsonst gestorben. Es war ein furchtbar schlagender Protest der Republik gegen die Monarchie, daß der letzte Republikaner ging, als der erste Monarch kam; ein Protest, der all jene sogenannte Verfassungsmäßigkeit, mit welcher Caesar seine Monarchie umkleidete, wie Spinneweben zerriß und das Schibboleth der Versöhnung aller Parteien, unter dessen Ägide das Herrentum erwuchs, in seiner ganzen gleisnerischen Lügenhaftigkeit prostituierte. Der unerbittliche Krieg, den das Gespenst der legitimen Republik Jahrhunderte lang, von Cassius und Brutus an bis auf Thrasea und Tacitus, ja noch viel weiter hinab, gegen die Caesarische Monarchie geführt hat – dieser Krieg der Komplotte und der Literatur ist die Erbschaft, die Cato sterbend seinem Feinde vermachte. Ihre ganze vornehme, rhetorisch transzendentale, anspruchsvoll strenge, hoffnungslose und bis zum Tode getreue Haltung hat diese republikanische Opposition von Cato übernommen und dann auch den Mann, der im Leben nicht selten ihr Spott und ihr Ärgernis gewesen war, schon unmittelbar nach seinem Tode als Heiligen zu verehren begonnen. Die größte aber unter diesen Huldigungen war die unfreiwillige, die Caesar ihm erwies, indem er von der geringschätzigen Milde, mit welcher er seine Gegner, Pompeianer wie Republikaner, zu behandeln gewohnt war, allein gegen Cato eine Ausnahme machte und noch über das Grab hinaus ihn mit demjenigen energischen Hasse verfolgte; welchen praktische Staatsmänner zu empfinden pflegen gegen die auf dem idealen Gebiet, ihnen ebenso gefährlich wie unerreichbar, opponierenden Gegner.

  1. Ein gefangener Centurio von der zehnten Legion Caesars erklärte dem feindlichen Oberfeldherrn daß er bereit sei, es mit zehn von seinen Leuten gegen die beste feindliche Kohorte (500 Mann) aufzunehmen (Bell. Afr. 45). „In der Fechtweise der Alten“, urteilt Napoleon I., „bestand die Schlacht aus lauter Zweikämpfen; in dem Munde des heutigen Soldaten würde es Prahlerei sein, was in dem jenes Centurionen nur richtig war.“ Von dem Soldatengeist, der Caesars Armee durchdrang, legen die seinen Memoiren angehängten Berichte über den Afrikanischen und den Zweiten Spanischen Krieg, von denen jener einen Offizier zweiten Ranges zum Verfasser zu haben scheint, dieser ein in jeder Beziehung subalternes Lagerjournal ist, lebendigen Beweis ab.
  2. Diese Ziffer gab Pompeius selbst an (Caes. civ. 1, 6) und es stimmt damit, daß er in Italien etwa 60 Kohorten oder 30000 Mann einbüßte und 25000 nach Griechenland überführte (Caes, civ. 3, 10).
  3. Der Senatsbeschluß war vom 7. Januar; am 18. wußte man schon in Rom seit mehreren Tagen, daß Caesar die Grenze überschritten habe (Cic. Att. 7, 10; 9, 10, 4); der Bote brauchte von Rom nach Ravenna allermindestens drei Tage. Danach fällt der Aufbruch um den 12. Januar, welcher nach der gangbaren Reduktion dem julianischen 24. November 704 (50) entspricht.
  4. Da nach formellem Recht die „gesetzliche Ratversammlung“ unzweifelhaft ebenso wie das „gesetzliche Gericht“ nur in der Stadt selbst oder innerhalb der Bannmeile stattfinden konnte, so nannte die bei dem afrikanischen Heer den Senat vertretende Versammlung sich die „Dreihundert“ (Bell. Afr. 88, 90; App. hist. 2, 95), nicht weil er aus 300 Mitgliedern bestand, sondern weil dies die uralte Normzahl der Senatoren war. Es ist sehr glaublich, daß diese Versammlung sich durch angesehene Ritter verstärkte; aber wenn Plutarch (Cato min. 59, 61) die Dreihundert zu italischen Großhändlern macht, so hat er seine Quelle (Bell. Afr. 90) mißverstanden. Ähnlich wird der Quasisenat schon in Thessalonike geordnet gewesen sein.
  5. Nach dem berichtigten Kalender am 5. November 705 (49).
  6. Die genaue Bestimmung des Schlachtfeldes ist schwierig. Appian (bist. 2, 75) setzt dasselbe ausdrücklich zwischen (Neu-) Pharsalos (jetzt Fersala) und den Enipeus. Von den beiden Gewässern, die hier allein von einiger Bedeutung und unzweifelhaft der Apidanos und Enipeus der Alten sind, dem Sofadhitiko und dem Fersaliti, hat jener seine Quellen auf den Bergen von Thaumakoi (Dhomoko) und den Dolopischen Höhen, dieser auf dem Othrys, und fließt nur der Fersaliti bei Pharsalos vorbei; da nun aber der Enipeus nach Strabon (9 p. 432) auf dem Othrys entspringt und bei Pharsalos vorbeifließt, so ist der Fersaliti mit vollem Recht von W. M. Leake (Travels in Northern Greece. Bd. 4. London 1835, S. 320) für den Enipeus erklärt worden und die von Göler befolgte Annahme, daß der Fersaliti der Apidanos sei, unhaltbar. Damit stimmen auch alle sonstigen Angaben der Alten über beide Flüsse. Nur muß freilich mit Leake angenommen werden, daß der durch die Vereinigung des Fersaliti und des Sofadhitiko gebildete, zum Peneios gehende Fluß von Vlokho bei den Alten, wie der Sofadhitiko, Apidanos hieß: was aber auch um so natürlicher ist als wohl der Sofadhitiko, nicht aber der Fersaliti beständig Wasser hat (Leake, Bd. 4, S. 321). Zwischen Fersala also und dem Fersaliti muß Altpharsalos gelegen haben, wovon die Schlacht den Namen trägt. Demnach ward die Schlacht am linken Ufer des Fersaliti gefochten, und zwar so, daß die Pompeianer, mit dem Gesicht nach Pharsalos stehend, ihren rechten Flügel an den Fluß lehnten (Caes. civ. 3, 83. Frontin. strat. 2, 3, 22). Aber das Lager der Pompeianer kann hier nicht gestanden haben, sondern nur am Abhang der Höhen von Kynoskephalae am rechten Ufer des Enipeus, teils weil sie Caesar den Weg nach Skotussa verlegten, teils weil ihre Rückzugslinie offenbar über die oberhalb des Lagers befindlichen Berge nach Larisa ging; hätten sie, nach Leakes (Bd. 4, S. 482) Annahme, östlich von Pharsalos am linken Ufer des Enipeus gelagert, so konnten sie nimmermehr durch diesen gerade hier tief eingeschnittenen Bach (Leake, Bd. 4, S. 469) nordwärts gelangen und Pompeius hätte statt nach Larisa, nach Lamia flüchten müssen. Wahrscheinlich schlugen also die Pompeianer am rechten Ufer des Fersaliti ihr Lager und passierten den Fluß, sowohl um zu schlagen, als um nach der Schlacht wieder in ihr Lager zu gelangen von wo sie sodann sich die Abhänge von Krannon und Skotussa hinaufzogen, die über dem letzteren Orte zu den Höhen von Kynoskephalae sich gipfeln. Unmöglich war dies nicht. Der Enipeus ist ein schmaler, langsam fließender Bach, den Leake im November zwei Fuß tief fand und der in der heißen Jahreszeit oft ganz trocken liegt (Leake, Bd. 1, S. 448 und Bd. 4, S. 472; vgl. Lucan. 6, 373), und die Schlacht ward im Hochsommer geschlagen. Ferner standen die Heere vor der Schlacht drei Viertelmeilen auseinander (App. civ. 2, 65), so daß die Pompeianer alle Vorbereitungen treffen und auch die Verbindung mit ihrem Lager durch Brücken gehörig sichern konnten. Wäre die Schlacht in eine völlige Deroute ausgegangen, so hätte freilich der Rückzug an und über den Fluß nicht ausgeführt werden können, und ohne Zweifel aus diesem Grunde verstand Pompeius nur ungern sich dazu, hier zu schlagen. Der am weitesten von der Rückzugsbasis entfernte linke Flügel der Pompeianer hat dies auch empfunden; aber der Rückzug wenigstens ihres Zentrums und ihres rechten Flügels ward nicht in solcher Hast bewerkstelligt, daß er unter den gegebenen Bedingungen unausführbar wäre. Caesar und seine Ausschreiber verschweigen die Überschreitung des Flusses, weil dieselbe die übrigens aus der ganzen Erzählung hervorgehende Kampfbegierde der Pompeianer zu deutlich ins Licht stellen würde, und ebenso die für diese günstigen Momente des Rückzugs.
  7. In diesen Zusammenhang gehört die bekannte Anweisung Caesars an seine Soldaten, nach den Gesichtern der feindlichen Reiter zu stoßen. Die Infanterie, welche hier in ganz irregulärer Weise offensiv gegen die Kavallerie auftrat, der mit den Säbeln nicht beizukommen war, sollte ihre Pila nicht abwerfen, sondern sie als Handspeere gegen die Reiter brauchen und, um dieser sich besser zu erwehren, damit nach oben zu stoßen (Plut. Pomp. 69. 71; Plut. Caes. 45; App, civ. 2, 76, 78; Flor. epit. 2, 13; Oros. hist. 6, 15; irrig Frontin strat. 4, 7, 32). Die anekdotenhafte Umwandlung dieser Instruktion, daß die Pompeianischen Reiter durch die Furcht vor Schmarren im Gesicht zum Weglaufen sollten gebracht werden und auch wirklich „die Hände vor die Augen haltend“ (Plutarch) davongaloppiert seien, fällt in sich selbst zusammen: denn sie hat nur dann eine Pointe, wenn die Pompeianische Reiterei hauptsächlich aus dem jungen Adel Roms, den „artigen Tänzern“, bestand; und dies ist falsch. Höchstens kann es sein, daß der Lagerwitz jener einfachen und zweckmäßigen militärischen Ordre diese sehr unsinnige, aber allerdings lustige Wendung gab.
  8. Der Verlust der Leuchtturminsel muß in der Lücke Bell. Alex. 12 ausgefallen sein, da die Insel anfänglich ja in Caesars Gewalt war (civ. 3,112; Bell. Alex. 8). Der Damm muß beständig in der Gewalt der Feinde gewesen sein, da Caesar mit der Insel nur durch Schiffe verkehrte.
  9. Die Staatengestaltung im nordwestlichen Afrika während dieser Zeit liegt sehr im Dunkel. Nach dem Jugurthinischen Kriege herrschte König Bocchus von Mauretanien wahrscheinlich vom westlichen Meere bis zum Hafen von Saldae, in dem heutigen Marokko und Algier; die von den mauretanischen Oberkönigen wohl von Haus aus verschiedenen Fürsten von Tingis (Tanger), die schon früher vorkommen (Plut. Sert. 9) und zu denen vermutlich Sallusts (hist. 3, 31 Kritz) Leptasta und Ciceros (Vat. 5, 12) Mastanesosus gehören, mögen in beschränkten Grenzen selbständig gewesen oder auch bei ihm zu Lehen gegangen sein; ähnlich wie schon Syphax über viele Stammfürsten gebot (App. Pun. 10) und um diese Zeit in dem benachbarten Numidien Cirta, wahrscheinlich doch unter Jubas Oberherrlichkeit, von dem Fürsten Massinissa besessen ward (App. civ. 4, 54). Um 672 (82) finden wir an Bocchus‘ Stelle einen König Bocud oder Bogud (Oros. hist. 5, 21, 14), des Bocchus Sohn. Von 705 (49) an erscheint das Reich geteilt zwischen dem König Bogud, der die westliche, und dem König Bocchus, der die östliche Hälfte besitzt und auf welche die spätere Scheidung Mauretaniens in Boguds Reich oder den Staat von Tingis und Bocchus‘ Reich oder den Staat von Jol (Caesarea) zurückgeht (Plin. nat. 5, 2, 19, vergl. Bell. Afr. 23).
  10. Die Inschriften der bezeichneten Gegend bewahren zahlreiche Spuren dieser Kolonisierung. Der Name der Sittier ist dort ungemein häufig; die afrikanische Ortschaft Milev führt als römische den Namen colonia Sarnensis (CIL VIII, p. 1094), offenbar von dem nucerinischen Flußgott Sarnus (Suet. rhet. 4).

3. Kapitel


3. Kapitel

Der Sturz der Oligarchie und die Herrschaft des Pompeius

Noch stand die Sullanische Verfassung unerschüttert. Der Sturm, den Lepidus und Sertorius gegen sie gewagt hatten, war mit geringer Einbuße zurückgeschlagen worden. Das halbfertige Gebäude mit dem energischen Geiste seines Urhebers auszubauen, hatte die Regierung freilich versäumt. Es zeichnet sie, daß sie die von Sulla zur Verteilung bestimmten, aber noch nicht von ihm selbst parzellierten Ländereien weder aufteilte noch auch den Anspruch auf dieselben geradezu aufgab, sondern die früheren Eigentümer ohne Regulierung des Titels vorläufig im Besitze duldete, manche noch unverteilte Strecke sullanischen Domaniallandes auch wohl gar von einzelnen Personen nach dem alten, durch die Gracchischen Reformen rechtlich und faktisch beseitigten Okkupationssystem willkürlich in Besitz nehmen ließ. Was den Optimaten unter den Sullanischen Bestimmungen gleichgültig oder unbequem war, wurde ohne Bedenken ignoriert oder kassiert; so die gegen ganze Gemeinden ausgesprochene Aberkennung des Staatsbürgerrechts; so das Verbot der Zusammenschlagung der neuen Bauernstellen; so manche der von Sulla einzelnen Gemeinden erteilten Freibriefe, natürlich ohne daß man die für diese Exemtionen gezahlten Summen den Gemeinden zurückgegeben hätte. Aber wenn auch diese Verletzungen der Ordnungen Sullas durch die Regierung selbst dazu beitrugen, die Fundamente seines Gebäudes zu erschüttern, waren und blieben doch die Sempronischen Gesetze im wesentlichen abgeschafft.

Wohl fehlte es nicht an Männern, die die Wiederherstellung der Gracchischen Verfassung im Sinn trugen, und nicht an Entwürfen, um das, was Lepidus und Sertorius im Wege der Revolution versucht hatten, stückweise auf dem Wege verfassungsmäßiger Reform zu erreichen. In die beschränkte Wiederherstellung der Getreidespenden hatte die Regierung bereits unter dem Druck der Agitation des Lepidus unmittelbar nach Sullas Tode gewilligt (676 78) und sie tat ferner was irgend möglich war, um in dieser Lebensfrage für das hauptstädtische Proletariat ihm zu Willen zu sein. Als trotz jener Verteilungen die hohen, hauptsächlich durch die Piraterie hervorgerufenen Kornpreise eine so drückende Teuerung in Rom hervorriefen, daß es darüber im Jahre 679 (75) zu einem heftigen Straßenauflauf kam, halfen zunächst außerordentliche Ankäufe von sizilischem Getreide für Rechnung der Regierung der ärgsten Not ab; für die Zukunft aber regelte ein von den Konsuln des Jahres 681 (78) eingebrachtes Getreidegesetz die Ankäufe des sizilischen Getreides und gab, freilich auf Kosten der Provinzialen, der Regierung die Mittel, um ähnliche Mißstände besser zu verhüten. Aber auch die minder materiellen Differenzpunkte, die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt in ihrem alten Umfang und die Beseitigung der senatorischen Gerichte, hörten nicht auf, Gegenstände populärer Agitation zu bilden, und hier leistete die Regierung nachdrücklicheren Widerstand. Den Streit um das tribunizische Amt eröffnete schon 678 (76), unmittelbar nach der Niederlage des Lepidus, der Volkstribun Lucius Sicinius, vielleicht ein Nachkomme des gleichnamigen Mannes, der mehr als vierhundert Jahre zuvor zuerst dieses Amt bekleidet hatte; allein er scheiterte an dem Widerstand, den der rührige Konsul Gaius Curio ihm entgegensetzte. Im Jahre 680 (74) nahm Lucius Quinctius die Agitation wieder auf, ließ sich aber durch die Autorität des Konsuls Lucius Lucullus bestimmen, von seinem Vorhaben abzustehen. Mit größerem Eifer trat das Jahr darauf in seine Fußstapfen Gaius Licinius Macer, der – bezeichnend für die Zeit – in das öffentliche Leben seine literarischen Studien hineintrug und, wie er es in der Chronik gelesen, der Bürgerschaft anriet, die Konskription zu verweigern.

Auch über die schlechte Handhabung der Rechtspflege durch die senatorischen Geschworenen wurden bald nur zu wohl begründete Beschwerden laut. Die Verurteilung eines einigermaßen einflußreichen Mannes war kaum mehr zu erlangen. Nicht bloß empfand der Kollege mit dem Kollegen, der gewesene oder künftige Angeklagte mit dem gegenwärtigen armen Sünder billiges Mitleid; auch die Käuflichkeit der Geschworenenstimmen war kaum noch eine Ausnahme. Mehrere Senatoren waren gerichtlich dieses Verbrechens überwiesen worden; auf andere gleich schuldige wies man mit Fingern; die angesehensten Optimaten, wie Quintus Catulus, räumten in offener Senatssitzung es ein, daß die Beschwerden vollkommen gegründet seien; einzelne besonders eklatante Fälle zwangen den Senat mehrmals, zum Beispiel im Jahre 680 (74), über Maßregeln gegen die Freiheit der Geschworenen zu deliberieren, natürlich nur so lange, bis der erste Lärm sich gelegt hatte und man die Sache unter das Eis gleiten lassen konnte. Die Folgen dieser elenden Rechtspflege zeigten sich namentlich in einem System der Plünderung und Peinigung der Provinzialen, mit dem verglichen selbst die bisherigen Frevel erträglich und gemäßigt erschienen. Das Stehlen und Rauben war gewissermaßen durch Gewohnheit legitim geworden; die Erpressungskommission konnte als eine Anstalt gelten, um die aus den Vogteien heimkehrenden Senatoren zu Gunsten ihrer daheimgebliebenen Kollegen zu besteuern. Aber als ein angesehener Sikeliote, weil er dem Statthalter nicht hatte zu einem Verbrechen die Hand bieten wollen, dafür von diesem abwesend und ungehört zum Tode verurteilt ward; als selbst römische Bürger, wenn sie nicht Ritter oder Senatoren waren, in der Provinz nicht mehr sicher waren vor den Ruten und Beilen des römischen Vogts, und die älteste Errungenschaft der römischen Demokratie, die Sicherheit des Leibes und Lebens, von der herrschenden Oligarchie anfing mit Füßen getreten zu werden: da hatte auch das Publikum auf dem römischen Markte ein Ohr für die Klagen über seine Vögte in den Provinzen und über die ungerechten Richter, die solche Untaten moralisch mitverschuldeten. Die Opposition unterließ es natürlich nicht, auf dem fast allein ihr übriggebliebenen Terrain, dem gerichtlichen, ihre Gegner anzugreifen. So zog der junge Gaius Caesar, der auch, soweit sein Alter es gestattete, sich bei der Agitation um die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt eifrig beteiligte, im Jahre 677 (77) einen der angesehensten Sullanischen Parteimänner, den Konsular Gnaeus Dolabella, und im folgenden Jahr einen andern Sullanischen Offizier, Gaius Antonius, vor Gericht; so Marcus Cicero 684 (70) den Gaius Verres, eine der elendesten unter den Kreaturen Sullas und eine der schlimmsten Geißeln der Provinzialen. Wieder und wieder wurden die Bilder jener finsteren Zeit der Ächtungen, die entsetzlichen Leiden der Provinzialen, der schmachvolle Stand der römischen Kriminalrechtspflege mit allem Pomp italienischer Rhetorik, mit aller Bitterkeit italienischen Spottes vor der versammelten Menge entfaltet und der gewaltige Tote sowie seine lebenden Schergen ihrem Zorn und Hohn unnachsichtlich preisgegeben. Die Wiederherstellung der vollen tribunizischen Gewalt, an deren Bestehen die Freiheit, die Macht und das Glück der Volksgemeinde wie durch uralt heiligen Zauber geknüpft schien, die Wiedereinführung der „strengen“ Gerichte der Ritterschaft, die Erneuerung der von Sulla beseitigten Zensur zur Reinigung der höchsten Staatsbehörde von den faulen und schädlichen Elementen wurden täglich mit lautem Ruf von den Rednern der Volkspartei gefordert.

Indes mit alledem kam man nicht weiter. Es gab Skandal und Lärm genug, aber ein eigentlicher Erfolg ward dadurch, daß man die Regierung nach und über Verdienst prostituierte, doch noch keineswegs erreicht. Die materielle Macht lag immer noch, solange militärische Einmischung fern blieb, in den Händen der hauptstädtischen Bürgerschaft; und dies „Volk“, das in den Gassen Roms sich drängte und auf dem Markt Beamte und Gesetze machte, war eben um nichts besser als der regierende Senat: Zwar mußte die Regierung mit der Menge sich abfinden, wo deren eigenes nächstes Interesse in Frage kam; dies ist die Ursache der Erneuerung des Sempronischen Korngesetzes. Allein daran war nicht zu denken, daß diese Bürgerschaft um einer Idee oder gar um einer zweckmäßigen Reform willen Ernst gemacht hätte. Mit Recht ward auf die Römer dieser Zeit angewandt, was Demosthenes von seinen Athenern sagte: daß die Leute gar eifrig täten, solange sie um die Rednerbühne ständen und die Vorschläge zu Reformen vernähmen; aber wenn sie nach Hause gekommen seien, denke keiner weiter an das, was er auf dem Markte gehört habe. Wie auch jene demokratischen Agitatoren die Flammen schürten, es half eben nichts, da der Brennstoff fehlte. Die Regierung wußte dies und ließ in den wichtigen Prinzipienfragen sich keinerlei Zugeständnis entreißen; höchstens daß sie sich dazu verstand (um 682 72), einem Teil der mit Lepidus landflüchtig gewordenen Leute die Amnestie zuzugestehen. Was von Konzessionen erfolgte, ging nicht so sehr aus dem Drängen der Demokratie hervor, als aus den Vermittlungsversuchen der gemäßigten Aristokratie. Allein von den beiden Gesetzen, die der einzige noch übrige Führer dieser Fraktion, Gaius Cotta, in seinem Konsulat 679 (75) durchsetzte, wurde das die Gerichte betreffende schon im nächsten Jahre wieder beseitigt, und auch das zweite, welches die Sullanische Bestimmung aufhob, daß die Bekleidung des Tribunats zur Übernahme anderer Magistraturen unfähig mache, die übrigen Beschränkungen aber bestehen ließ, erregte wie jede halbe Maßregel nur den Unwillen beider Parteien. Die Partei der reformistisch gesinnten Konservativen, die durch Cottas bald nachher (um 681 73) erfolgten frühen Tod ihr namhaftestes Haupt verlor, sank mehr und mehr in sich selbst zusammen, erdrückt zwischen den immer schroffer hervortretenden Extremen. Von diesen aber blieb die Partei der Regierung, schlecht und schlaff wie sie war, der gleich schlechten und gleich schlaffen Opposition gegenüber notwendig im Vorteil.

Aber dies der Regierung so günstige Verhältnis änderte sich, als die Differenzen zwischen ihr und denjenigen ihrer Parteigänger sich schärfer entwickelten, deren Hoffnungen über den Ehrensitz in der Kurie und das aristokratische Landhaus hinaus zu höheren Zielen sich erhoben. In erster Linie stand hier Gnaeus Pompeius. Wohl war er Sullaner; aber es ist früher gezeigt worden, wie wenig er unter seiner eigenen Partei sich zurechtfand, wie von der Nobilität, als deren Schild und Schwert er offiziell angesehen ward, ihn doch seine Herkunft, seine Vergangenheit, seine Hoffnungen immer wieder schieden. Der schon klaffende Riß hatte während der spanischen Feldzüge (677 – 683 77 – 71) des Feldherrn sich unheilbar erweitert. Unwillig und halb gezwungen hatte die Regierung ihn ihrem rechten Vertreter Quintus Metellus als Kollegen beigesellt; und wieder er beschuldigte, wohl nicht ohne Grund, den Senat durch die sei es liederliche, sei es böswillige Vernachlässigung der spanischen Armeen deren Niederlagen verschuldet und das Schicksal der Expedition aufs Spiel gesetzt zu haben. Nun kam er zurück als Sieger über die heimlichen Feinde, an der Spitze eines krieggewohnten und ihm ganz ergebenen Heeres, für seine Soldaten Landanweisungen begehrend, für sich Triumph und Konsulat. Die letzteren Forderungen verstießen gegen das Gesetz. Pompeius, obwohl mehrmals schon außerordentlicherweise mit der höchsten Amtsgewalt bekleidet, hatte noch kein ordentliches Amt, nicht einmal die Quästur verwaltet und war noch immer nicht Mitglied des Rats; und Konsul durfte nur werden, wer die Staffel der geringeren ordentlichen Ämter durchmessen, triumphieren nur, wer die ordentliche höchste Gewalt bekleidet hatte. Der Senat war gesetzlich befugt, ihn, wenn er um das Konsulat sich bewarb, auf die Bewerbung um die Quästur zu verweisen, wenn er den Triumph erbat, ihn an den großen Scipio zu erinnern, der unter gleichen Verhältnissen auf den Triumph über das eroberte Spanien verzichtet hatte. Nicht minder hing Pompeius hinsichtlich der seinen Soldaten versprochenen Domänen verfassungsmäßig ab von dem guten Willen des Senats. Indes wenn auch der Senat, wie es bei seiner Schwächlichkeit auch im Grollen wohl denkbar war, hierin nachgab und dem siegreichen Feldherrn für den gegen die Demokratenchefs geleisteten Schergendienst den Triumph, das Konsulat, die Landanweisungen zugestand, so war doch eine ehrenvolle Annulierung in ratsherrlicher Indolenz unter der langen Reihe der friedlichen senatorischen Imperatoren das günstigste Los, das die Oligarchie dem sechsunddreißigjährigen Feldherrn zu bereiten vermochte. Das, wonach sein Herz eigentlich verlangte, das Kommando im Mithradatischen Krieg freiwillig vom Senat bewilligt zu erhalten, konnte er nimmer erwarten; in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse durfte die Oligarchie es nicht zulassen, daß er den afrikanischen und europäischen noch die Trophäen des dritten Weltteils hinzufügte; die im Osten reichlich und bequem zu pflückenden Lorbeeren blieben auf jeden Fall der reinen Aristokratie vorbehalten. Wenn aber der gefeierte General bei der herrschenden Oligarchie seine Rechnung nicht fand, so blieb – da zu einer rein persönlichen, ausgesprochen dynastischen Politik weder die Zeit reif noch Pompeius‘ ganze Persönlichkeit geeignet war – ihm keine andere Wahl, als mit der Demokratie gemeinschaftliche Sache zu machen. An die Sullanische Verfassung band ihn kein eigenes Interesse: er konnte seine persönlichen Zwecke auch innerhalb einer mehr demokratischen ebensogut, wo nicht besser verfolgen. Dagegen fand er alles, was er brauchte, bei der demokratischen Partei. Die tätigen und gewandten Führer derselben waren bereit und fähig, dem unbehilflichen und etwas hölzernen Helden die mühselige politische Leitung abzunehmen, und doch viel zu gering, um dem gefeierten Feldherrn die erste Rolle und namentlich die militärische Oberleitung streitig machen zu können oder auch nur zu wollen. Selbst der weitaus bedeutendste von ihnen, Gaius Caesar, war nichts als ein junger Mensch, dem seine dreisten Fahrten und eleganten Schulden weit mehr als seine feurige demokratische Beredsamkeit einen Namen gemacht hatten und der sich sehr geehrt fühlen mußte, wenn der weltberühmte Imperator ihm gestattete, sein politischer Adjutant zu sein. Die Popularität, auf welche Menschen wie Pompeius, von größeren Ansprüchen als Fähigkeiten, mehr Wert zu legen pflegen, als sie gern sich selber gestehen, mußte im höchsten Maß dem jungen General zuteil werden, dessen Übertritt der fast aussichtslosen Sache der Demokratie den Sieg gab. Der von ihm für sich und seine Soldaten geforderte Siegeslohn fand damit sich von selbst. Überhaupt schien, wenn die Oligarchie gestürzt ward, bei dem gänzlichen Mangel anderer ansehnlicher Oppositionshäupter es nur von Pompeius abzuhängen, seine weitere Stellung sich selber zu bestimmen. Daran aber konnte kaum gezweifelt werden, daß der Übertritt des Feldherrn der soeben siegreich aus Spanien heimkehrenden und noch in Italien geschlossen zusammenstehenden Armee zur Oppositionspartei den Sturz der bestehenden Ordnung zur Folge haben müsse. Regierung und Opposition waren gleich machtlos; sowie die letztere nicht mehr bloß mit Deklamationen focht, sondern das Schwert eines siegreichen Feldherrn bereit war, ihren Anforderungen Nachdruck zu geben, war die Regierung jedenfalls, vielleicht sogar ohne Kampf, überwunden.

So sah man von beiden Seiten sich gedrängt zur Koalition. An persönlichen Abneigungen mochte es dort wie hier nicht fehlen; der siegreiche Feldherr konnte die Straßenredner unmöglich lieben, diese noch weniger den Henker des Carbo und Brutus mit Freuden als ihr Haupt begrüßen; indes die politische Notwendigkeit überwog, wenigstens für den Augenblick, jedes sittliche Bedenken.

Aber die Demokraten und Pompeius schlossen ihren Bund nicht allein. Auch Marcus Crassus war in einer ähnlichen Lage wie Pompeius. Obwohl Sullaner wie dieser, war doch auch seine Politik, ganz wie die des Pompeius, vor allem eine persönliche und durchaus nicht die der herrschenden Oligarchie; und auch er stand jetzt in Italien an der Spitze einer starken und siegreichen Armee, mit welcher er soeben den Sklavenaufstand niedergeschlagen hatte. Es blieb ihm die Wahl entweder gegen die Koalition mit der Oligarchie sich zu verbinden oder in die Koalition einzutreten; er wählte den letzteren und damit ohne Zweifel den sichereren Weg. Bei seinem kolossalen Vermögen und seinem Einfluß auf die hauptstädtischen Klubs war er überhaupt ein schätzbarer Bundesgenosse; unter den obwaltenden Umständen aber war es ein unberechenbarer Gewinn, wenn das einzige Heer, mit welchem der Senat den Truppen des Pompeius hätte begegnen können, der angreifenden Macht sich beigesellte. Die Demokraten überdies, denen bei der Allianz mit dem übermächtigen Feldherrn nicht wohl zu Mute sein mochte, sahen nicht ungern in Marcus Crassus ihm ein Gegengewicht und vielleicht einen künftigen Rivalen zur Seite gestellt.

So kam im Sommer des Jahres 683 (71) die erste Koalition zustande zwischen der Demokratie einer- und den beiden Sullanischen Generalen Gnaeus Pompeius und Marcus Crassus andererseits. Beide machten das Parteiprogramm der Demokratie zu dem ihrigen; es ward ihnen dafür zunächst das Konsulat auf das kommende Jahr, Pompeius überdies der Triumph und die begehrten Landlose für seine Soldaten, Crassus als dem Überwinder des Spartacus wenigstens die Ehre des feierlichen Einzugs in die Hauptstadt zugesichert.

Den beiden italischen Armeen, der hohen Finanz und der Demokratie, die also zum Sturz der Sullanischen Verfassung verbündet auftraten, hatte der Senat nichts gegenüberzustellen als etwa das zweite spanische Heer unter Quintus Metellus Pius. Allein Sulla hatte richtig vorhergesagt, daß das, was er getan, nicht zum zweitenmal geschehen werde: Metellus, durchaus nicht geneigt, sich in einen Bürgerkrieg zu verwickeln, hatte sofort nach Überschreitung der Alpen seine Soldaten entlassen. So blieb der Oligarchie nichts übrig, als in das Unvermeidliche sich zu fügen. Der Rat bewilligte die für Konsulat und Triumph erforderlichen Dispensationen; Pompeius und Crassus wurden, ohne Widerstand zu finden, zu Konsuln für das Jahr 684 (70) gewählt, während ihre Heere, angeblich in Erwartung des Triumphs, vor der Stadt lagerten. Noch vor dem Antritt seines Amtes bekannte sodann Pompeius in einer von dem Volkstribun Marcus Lollius Palicanus abgehaltenen Volksversammlung sich öffentlich und förmlich zu dem demokratischen Programm. Die Verfassungsänderung war damit im Prinzip entschieden.

Allen Ernstes ging man nun an die Beseitigung der sullanischen Institutionen. Vor allen Dingen erhielt das tribunizische Amt wieder seine frühere Geltung. Pompeius selbst als Konsul brachte das Gesetz ein, das den Volkstribunen ihre althergebrachten Befugnisse, namentlich auch die legislatorische Initiative zurückgab – freilich eine seltsame Gabe aus der Hand des Mannes, der mehr als irgend ein Lebender dazu getan hatte, der Gemeinde ihre alten Privilegien zu entreißen.

Hinsichtlich der Geschworenenstellung wurde die Bestimmung Sullas, daß das Verzeichnis der Senatoren als Geschworenenliste dienen solle, zwar abgeschafft; allein es kam doch keineswegs zu einer einfachen Wiederherstellung der Gracchischen Rittergerichte. Künftig, so bestimmte das neue Aurelische Gesetz, sollten die Geschworenenkollegien zu einem Dritteil aus Senatoren bestehen, zu zwei Dritteilen aus Männern vom Ritterzensus, von welchen letzteren wieder die Hälfte die Distriktvorsteherschaft oder das sogenannte Kassentribunat bekleidet haben mußte. Es war diese letzte Neuerung eine weitere, den Demokraten gemachte Konzession, indem hiernach wenigstens der dritte Teil der Kriminalgeschworenen mittelbar hervorging aus den Wahlen der Distrikte. Wenn dagegen der Senat nicht gänzlich aus den Gerichten verdrängt ward, so ist die Ursache davon wahrscheinlich teils in Crassus‘ Beziehungen zum Senat zu suchen, teils in dem Beitritt der senatorischen Mittelpartei zu der Koalition, mit dem es auch wohl zusammenhängt, daß der Bruder ihres kürzlich verstorbenen Führers, der Prätor Lucius Cotta, dies Gesetz einbrachte.

Nicht weniger wichtig war die Beseitigung der für Asien von Sulla festgesetzten Steuerordnung, welche vermutlich ebenfalls in dies Jahr fällt; der damalige Statthalter Asiens, Lucius Lucullus, ward angewiesen, das von Gaius Gracchus eingeführte Verpachtungssystem wiederherzustellen und damit der hohen Finanz diese wichtige Geld- und Machtquelle zurückzugeben.

Endlich ward die Zensur wieder ins Leben gerufen. Die Wahlen dafür, welche die neuen Konsuln kurz nach Antritt ihres Amtes anberaumten, fielen, in offenbarer Verhöhnung des Senats, auf die beiden Konsuln des Jahres 682 (73) Gnaeus Lentulus Clodianus und Lucius Genius, die wegen ihrer elenden Kriegführung gegen Spartacus durch den Senat vom Kommando entfernt worden waren. Es begreift sich, daß diese Männer alle Mittel, die ihr wichtiges und ernstes Amt ihnen zu Gebote stellte, in Bewegung setzten, um den neuen Machthabern zu huldigen und den Senat zu ärgern. Mindestens der achte Teil des Senats, vierundsechzig Senatoren, eine bis dahin unerhörte Zahl, wurden von der Liste gestrichen, darunter der einst von Gaius Caesar ohne Erfolg angeklagte Gaius Antonius und der Konsul des Jahres 683 (71), Publius Lentulus Sura, vermutlich auch nicht wenige der verhaßten Kreaturen Sullas.

So war man mit dem Jahre 684 (70) wieder im wesentlichen zurückgekommen auf die vor der sullanischen Restauration bestehenden Ordnungen. Wieder ward die hauptstädtische Menge aus der Staatskasse, das heißt von den Provinzen gespeist; wieder gab die tribunizische Gewalt jedem Demagogen den gesetzlichen Freibrief, die staatlichen Ordnungen zu verkehren; wieder erhob der Geldadel, als Inhaber der Steuerpachtungen und der gerichtlichen Kontrolle über die Statthalter, neben der Regierung sein Haupt so mächtig wie nur je zuvor; wieder zitterte der Senat vor dem Wahrspruch der Geschworenen des Ritterstandes und vor der zensorischen Rüge. Das System Sullas, das auf die politische Vernichtung der kaufmännischen Aristokratie und der Demagogie die Alleinherrschaft der Nobilität begründet hatte, war damit vollständig über den Haufen geworfen. Abgesehen von einzelnen untergeordneten Bestimmungen, deren Abschaffung erst später nachgeholt wurde, wie zum Beispiel der Zurückgabe des Selbstergänzungsrechts an die Priesterkollegien, blieb von Sullas allgemeinen Ordnungen hiernach nichts übrig als teils die Konzessionen, die er selbst der Opposition zu machen notwendig gefunden hatte, wie namentlich die Anerkennung des römischen Bürgerrechts der sämtlichen Italiker, teils Verfügungen ohne schroffe Parteitendenz, an denen deshalb auch die verständigen Demokraten nichts auszusetzen fanden, wie unter anderm die Beschränkung der Freigelassenen, die Regulierung der Beamtenkompetenzen und die materiellen Änderungen im Kriminalrecht.

Weniger einig als über diese prinzipiellen war die Koalition hinsichtlich der persönlichen Fragen, die eine solche Staatsumwälzung anregte. Begreiflicherweise ließen die Demokraten sich nicht genügen mit der allgemeinen Anerkennung ihres Programms, sondern auch sie forderten jetzt eine Restauration in ihrem Sinn: Wiederherstellung des Andenkens ihrer Toten, Bestrafung der Mörder, Rückberufung der Geächteten aus der Verbannung, Aufhebung der auf ihren Kindern lastenden politischen Zurücksetzung, Rückgabe der von Sulla eingezogenen Güter, Schadenersatz aus dem Vermögen der Erben und Gehilfen des Diktators. Es waren das allerdings die logischen Konsequenzen, die aus einem reinen Sieg der Demokratie sich ergaben; allein der Sieg der Koalition von 683 (71) war doch weit entfernt, ein solcher zu sein. Die Demokratie gab dazu den Namen und das Programm, die übergetretenen Offiziere aber, vor allen Pompeius, die Macht und die Vollendung; und nun- und nimmermehr konnten diese zu einer Reaktion ihre Zustimmung geben, die nicht bloß die bestehenden Verhältnisse bis in ihre Grundfesten erschüttert, sondern auch schließlich sich gegen sie selbst gewandt haben würde – war es doch noch im frischen Andenken, welcher Männer Blut Pompeius vergossen, wie Crassus zu seinem ugeheuren Vermögen den Grund gelegt hatte. So ist es wohl erklärlich, aber auch zugleich bezeichnend für die Schwäche der Demokratie, daß die Koalition von 683 (71) nicht das geringste tat, um den Demokraten Rache oder auch nur Rehabilitation zu gewähren. Die nachträgliche Einforderung aller der für erstandene konfiszierte Güter noch rückständigen oder auch von Sulla den Käufern erlassenen Kaufgelder, welche der Zensor Lentulus in einem besonderen Erlaß feststellte, kann kaum als Ausnahme bezeichnet werden; denn wenn auch nicht wenige Sullaner dadurch in ihren persönlichen Interessen empfindlich verletzt wurden, so war doch die Maßregel selbst wesentlich eine Bestätigung der von Sulla vorgenommenen Konfiskationen.

Sullas Werk war also zerstört; aber was nun werden sollte, war damit viel mehr in Frage gestellt als entschieden. Die Koalition, einzig zusammengehalten durch den gemeinschaftlichen Zweck, das Restaurationswerk zu beseitigen, löste sich, als dieser erreicht war, wenn nicht förmlich, doch der Sache nach von selber auf; für die Frage aber, wohin nun zunächst das Schwergewicht der Macht fallen sollte, schien sich eine ebenso rasche wie gewaltsame Lösung vorzubereiten. Die Heere des Pompeius und Crassus lagerten immer noch vor den Toren der Stadt. Jener hatte zwar zugesagt, nach dem Triumph (am letzten Dezember 683 71) seine Soldaten zu verabschieden; allein zunächst war es unterblieben, um unter dem Druck, den das spanische Heer vor der Hauptstadt auf diese und den Senat ausübte, die Staatsumwälzung ungestört zu vollenden, was denn in gleicher Weise auch auf die Armee des Crassus Anwendung fand. Diese Ursache bestand jetzt nicht mehr; aber dennoch unterblieb die Auflösung der Heere. Die Dinge nahmen die Wendung, als werde einer der beiden mit der Demokratie alliierten Feldherrn die Militärdiktatur ergreifen und Oligarchen und Demokraten in dieselben Fesseln schlagen. Dieser eine aber konnte nur Pompeius sein. Von Anfang an hatte Crassus in der Koalition eine untergeordnete Rolle gespielt; er hatte sich antragen müssen und verdankte selbst seine Wahl zum Konsulat hauptsächlich Pompeius‘ stolzer Verwendung. Weitaus der stärkere, war Pompeius offenbar der Herr der Situation; wenn er zugriff, so schien er werden zu müssen, als was ihn der Instinkt der Menge schon jetzt bezeichnete: der unumschränkte Gebieter des mächtigsten Staates der zivilisierten Welt. Schon drängte sich die ganze Masse der Servilen um den künftigen Monarchen. Schon suchten die schwächeren Gegner eine letzte Hilfe in einer neuen Koalition; Crassus, voll alter und neuer Eifersucht auf den jüngeren, so durchaus ihn überflügelnden Rivalen, näherte sich dem Senat und versuchte, durch beispiellose Spenden die hauptstädtische Menge an sich zu fesseln – als ob die durch Crassus selbst mitgebrochene Oligarchie und der ewig undankbare Pöbel vermocht haben würden, gegen die Veteranen der spanischen Armee irgendwelchen Schutz zu gewähren. Einen Augenblick schien es, als würde es vor den Toren der Hauptstadt zwischen den Heeren des Pompeius und Crassus zur Schlacht kommen.

Allein diese Katastrophe wandten die Demokraten durch ihre Einsicht und ihre Geschmeidigkeit ab. Auch ihrer Partei lag, ebenwie dem Senat und Crassus, alles daran, daß Pompeius nicht die Diktatur ergriff; aber mit richtigerer Einsicht in ihre eigene Schwäche und in den Charakter des mächtigen Gegners versuchten ihre Führer den Weg der Güte. Pompeius fehlte keine Bedingung, um nach der Krone zu greifen, als die erste von allen: der eigene königliche Mut. Wir haben den Mann früher geschildert, mit seinem Streben, zugleich loyaler Republikaner und Herr von Rom zu sein, mit seiner Unklarheit und Willenlosigkeit, mit seiner, unter dem Pochen auf selbständige Entschlüsse sich verbergenden Lenksamkeit. Es war dies die erste große Probe, auf die das Verhängnis ihn stellte; er hat sie nicht bestanden. Der Vorwand, unter dem Pompeius die Entlassung der Armee verweigerte, war, daß er Crassus mißtraute und darum nicht mit der Entlassung der Soldaten den Anfang machen könne. Die Demokraten bestimmten den Crassus, hierin entgegenkommende Schritte zu tun, dem Kollegen vor aller Augen zum Frieden die Hand zu bieten; öffentlich und insgeheim bestürmten sie diesen, daß er zu dem zwiefachen Verdienst, den Feind besiegt und die Parteien versöhnt zu haben, noch das dritte und größte fügen möge, dem Vaterland den inneren Frieden zu erhalten und das drohende Schreckbild des Bürgerkrieges zu bannen. Was nur immer auf einen eitlen, ungewandten, unsicheren Mann zu wirken vermag, alle Schmeichelkünste der Diplomatie, aller theatralische Apparat patriotischer Begeisterung wurde in Bewegung gesetzt, um das ersehnte Ziel zu erreichen; was aber die Hauptsache war, die Dinge hatten durch Crassus‘ rechtzeitige Nachgiebigkeit sich so gestaltet, daß Pompeius nur die Wahl blieb, entweder geradezu als Tyrann von Rom auf- oder zurückzutreten. So gab er endlich nach und willigte in die Entlassung der Truppen. Das Kommando im Mithradatischen Krieg, das zu erlangen er ohne Zweifel hoffte, als er sich für 684 (70) zum Konsul hatte wählen lassen, konnte er jetzt nicht wünschen, da mit dem Feldzuge von 683 (71) Lucullus diesen Krieg in der Tat beendigt zu haben schien; die vom Senat in Gemäßheit des Sempronischen Gesetzes ihm angewiesene Konsularprovinz anzunehmen, hielt er unter seiner Würde, und Crassus folgte darin seinem Beispiel. So zog Pompeius, als er nach Entlassung seiner Soldaten am letzten Tage des Jahres 684 (70) sein Konsulat niederlegte, sich zunächst ganz von den öffentlichen Geschäften zurück und erklärte, fortan als einfacher Bürger in stiller Muße leben zu wollen. Er hatte sich so gestellt, daß er nach der Krone greifen mußte und, da er dies nicht wollte, ihm keine Rolle übrig blieb als die nichtige eines resignierenden Thronkandidaten.

Der Rücktritt des Mannes, dem nach der Lage der Sachen die erste Stelle zukam, vom politischen Schauplatz führte zunächst ungefähr dieselbe Parteistellung wieder herbei, wie wir sie in der gracchischen und marianischen Epoche fanden. Sulla hatte dem Senat das Regiment nur befestigt, nicht gegeben; so blieb denn auch dasselbe, nachdem die von Sulla errichteten Bollwerke wieder gefallen waren, nichtsdestoweniger zunächst dem Senat, während die Verfassung freilich, mit der er regierte, im wesentlichen die wiederhergestellte Gracchische, durchdrungen war von einem der Oligarchie feindlichen Geiste. Die Demokratie hatte die Wiederherstellung der Gracchischen Verfassung bewirkt; aber ohne einen neuen Gracchus war diese ein Körper ohne Haupt, und daß weder Pompeius noch Crassus auf die Dauer dieses Haupt sein konnten, war an sich klar und durch die letzten Vorgänge noch deutlicher dargetan worden. So mußte die demokratische Opposition in Ermangelung eines Führers, der geradezu das Ruder in die Hand genommen hätte, vorläufig sich begnügen, die Regierung auf Schritt und Tritt zu hemmen und zu ärgern. Zwischen der Oligarchie aber und der Demokratie erhob sich zu neuem Ansehen die Kapitalistenpartei, welche in der jüngsten Krise mit der letzteren gemeinschaftliche Sache gemacht hatte, die aber zu sich hinüberzuziehen und an ihr ein Gegengewicht gegen die Demokratie zu gewinnen, die Oligarchen jetzt eifrig bemüht waren. Also von beiden Seiten umworben, säumten die Geldherren nicht, ihre vorteilhafte Lage sich zunutze zu machen und das einzige ihrer früheren Privilegien, das sie noch nicht zurückerlangt hatten, die dem Ritterstand reservierten vierzehn Bänke im Theater, sich jetzt (687 67) durch Volksschluß wiedergeben zu lassen. Im ganzen näherten sie, ohne mit der Demokratie schroff zu brechen, doch wieder mehr sich der Regierung. Schon die Beziehungen des Senats zu Crassus und seiner Klientel gehören in diesen Zusammenhang; hauptsächlich aber scheint ein besseres Verhältnis zwischen dem Senat und der Geldaristokratie dadurch hergestellt zu sein, daß dieser dem tüchtigsten unter den senatorischen Offizieren, Lucius Lucullus, auf Andringen der von demselben schwer gekränkten Kapitalisten im Jahre 686 (68) die Verwaltung der für diese so wichtigen Provinz Asia abnahm.

Während aber die hauptstädtischen Faktionen miteinander des gewohnten Haders pflegten, bei dem denn doch nimmermehr eine eigentliche Entscheidung herauskommen konnte, gingen im Osten die Ereignisse ihren verhängnisvollen Gang, wie wir ihn früher geschildert haben, und sie waren es, die den zögernden Verlauf der hauptstädtischen Politik zur Krise drängten. Der Land- wie der Seekrieg hatte dort die ungünstigste Wendung genommen. Im Anfang des Jahres 687 (67) war die pontische Armee der Römer aufgerieben, die armenische in voller Auflösung auf dem Rückzug, alle Eroberungen verloren, das Meer ausschließlich in der Gewalt der Piraten, die Kornpreise in Italien dadurch so in die Höhe getrieben, daß man eine förmliche Hungersnot befürchtete. Wohl hatten, wie wir sahen, die Fehler der Feldherren, namentlich die völlige Unfähigkeit des Admirals Marcus Antonius und die Verwegenheit des sonst tüchtigen Lucius Lucullus, diesen Notstand zum Teil verschuldet, wohl auch die Demokratie durch ihre Wühlereien zu der Auflösung des armenischen Heeres wesentlich beigetragen. Aber natürlich ward die Regierung jetzt für alles, was sie und was andere verdorben hatten, in Bausch und Bogen verantwortlich gemacht und die grollende hungrige Menge verlangte nur eine Gelegenheit, um mit dem Senat abzurechnen.

Es war eine entscheidende Krise. Die Oligarchie, wie auch herabgewürdigt und entwaffnet, war noch nicht gestürzt, dennoch lag die Führung der öffentlichen Angelegenheiten in den Händen des Senats; sie stürzte aber, wenn die Gegner diese, daß heißt namentlich die Oberleitung der militärischen Angelegenheiten, sich selber zueigneten; und jetzt war dies möglich. Wenn jetzt Vorschläge über eine andere und bessere Führung des Land- und Seekrieges an die Komitien gebracht wurden, so war bei der Stimmung der Bürgerschaft der Senat voraussichtlich nicht imstande, deren Durchsetzung zu verhindern; und eine Intervention der Bürgerschaft in diesen höchsten Verwaltungsfragen war tatsächlich die Absetzung des Senats und die Übertragung der Leitung des Staats an die Führer der Opposition. Wieder einmal brachte die Verkettung der Dinge die Entscheidung in die Hände des Pompeius. Seit mehr als zwei Jahren lebte der gefeierte Feldherr als Privatmann in der Hauptstadt. Seine Stimme ward im Rathaus wie auf dem Markte selten vernommen; dort war er nicht gern gesehen und ohne entscheidenden Einfluß, hier scheute er sich vor dem stürmischen Treiben der Parteien. Wenn er aber sich zeigte, geschah es mit dem vollständigen Hofstaat seiner vornehmen und geringen Klienten, und eben seine feierliche Zurückgezogenheit imponierte der Menge. Wenn er, an dem der volle Glanz seiner ungemeinen Erfolge noch unvermindert haftete, jetzt sich erbot, nach dem Osten abzugehen, so ward er ohne Zweifel mit aller von ihm selbst geforderten militärischen und politischen Machtvollkommenheit von der Bürgerschaft bereitwillig bekleidet. Für die Oligarchie, die in der politischen Militärdiktatur ihren sicheren Ruin, in Pompeius selbst seit der Koalition von 683 (71) ihren verhaßtesten Feind sah, war dies ein vernichtender Schlag; aber auch der demokratischen Partei konnte dabei nicht wohl zu Mute sein. So wünschenswert es ihr an sich sein mußte, dem Regiment des Senats ein Ende zu machen, so war es doch, wenn es in dieser Weise geschah, weit weniger ein Sieg ihrer Partei als ein persönlicher ihres übermächtigen Verbündeten. Leicht konnte in diesem der demokratischen Partei ein weit gefährlicherer Gegner aufstehen als der Senat war. Die wenige Jahre zuvor durch die Entlassung der spanischen Armee und Pompeius‘ Rücktritt glücklich vermiedene Gefahr kehrte in verstärktem Maße wieder, wenn Pompeius jetzt an die Spitze der Armeen des Ostens trat.

Diesmal indes griff Pompeius zu oder ließ es wenigstens geschehen, daß andere für ihn zugriffen. Es wurden im Jahre 687 (67) zwei Gesetzvorschläge eingebracht, von denen der eine außer der längst von der Demokratie geforderten Entlassung der ausgedienten Soldaten der asiatischen Armee die Abberufung des Oberfeldherrn derselben, Lucius Lucullus, und dessen Ersetzung durch einen der Konsuln des laufenden Jahres, Gaius Piso oder Manius Glabrio, verfügte, der zweite den sieben Jahre zuvor zur Reinigung der Meere von den Piraten vom Senat selbst aufgestellten Plan wiederaufnahm und erweiterte. Ein einziger, vom Senat aus den Konsularen zu bezeichnender Feldherr sollte bestellt werden, um zur See auf dem gesamten Mittelländischen Meer von den Säulen des Herkules bis an die pontische und syrische Küste ausschließlich, zu Lande über sämtliche Küsten bis zehn deutsche Meilen landeinwärts mit den betreffenden römischen Statthaltern konkurrierend, den Oberbefehl zu übernehmen. Auf drei Jahre hinaus war demselben das Amt gesichert. Ihn umgab ein Generalstab, wie Rom noch keinen gesehen hatte, von fünfundzwanzig Unterbefehlshabern senatorischen Standes, alle mit prätorischen Insignien und prätorischer Gewalt bekleidet, und von zwei Unterschatzmeistern mit quästorischen Befugnissen, sie alle erlesen durch den ausschließlichen Willen des höchstkommandierenden Feldherrn. Es ward demselben gestattet, bis zu 120000 Mann Fußvolk, 5000 Reitern, 500 Kriegsschiffen aufzustellen und zu dem Ende über die Mittel der Provinzen und Klientelstaaten unbeschränkt zu verfügen; überdies wurden die vorhandenen Kriegsschiffe und eine ansehnliche Truppenzahl sofort ihm überwiesen. Die Kassen des Staats in der Hauptstadt wie in den Provinzen sowie die der abhängigen Gemeinden sollten ihm unbeschränkt zu Gebot stehen und trotz der peinlichen Finanznot sofort aus der Staatskasse ihm eine Summe von 11 Mill. Talern (144 Mill. Sesterzen) ausgezahlt werden.

Es leuchtet ein, daß durch diese Gesetzentwürfe, namentlich durch den die Expedition gegen die Piraten betreffenden, das Regiment des Senats über den Haufen fiel. Wohl waren die von der Bürgerschaft ernannten ordentlichen höchsten Beamten von selbst die rechten Feldherren der Gemeinde und bedurften auch die außerordentlichen Beamten, um Feldherren sein zu können, wenigstens nach strengem Recht der Bestätigung durch die Bürgerschaft; aber auf die Besetzung der einzelnen Kommandos stand der Gemeinde verfassungsmäßig kein Einfluß zu und nur entweder auf Antrag des Senats oder doch auf Antrag eines an sich zum Feldherrnamt berechtigten Beamten hatten bisher die Komitien hin und wieder hier sich eingemischt und auch die spezielle Kompetenz vergeben. Hierin stand vielmehr, seit es einen römischen Freistaat gab, dem Senate das tatsächlich entscheidende Wort zu und es war diese seine Befugnis im Laufe der Zeit zu endgültiger Anerkennung gelangt. Freilich hatte die Demokratie auch hieran schon gerüttelt; allein selbst in dem bedenklichsten der bisher vorgekommenen Fälle, bei der Übertragung des afrikanischen Kommandos auf Gaius Marius 647 (107), war nur ein verfassungsmäßig zum Feldherrnamt überhaupt berechtigter Beamter durch den Schluß der Bürgerschaft mit einer bestimmten Expedition beauftragt worden. Aber jetzt sollte die Bürgerschaft einen beliebigen Privatmann nicht bloß mit der außerordentlichen höchsten Amtsgewalt ausstatten, sondern auch mit einer bestimmt von ihr normierten Kompetenz. Daß der Senat diesen Mann aus der Reihe der Konsulare zu erkiesen hatte, war eine Milderung nur in der Form; denn die Auswahl blieb demselben nur deshalb überlassen, weil es eben eine Wahl nicht war und der stürmisch aufgeregten Menge gegenüber der Senat den Oberbefehl der Meere und Küsten schlechterdings keinem andern übertragen konnte als einzig dem Pompeius. Aber bedenklicher noch als diese prinzipielle Negierung der Senatsherrschaft war die tatsächliche Aufhebung derselben durch die Einrichtung eines Amtes von fast unbeschränkter militärischer und finanzieller Kompetenz. Während das Feldherrnamt sonst auf eine einjährige Frist, auf eine bestimmte Provinz, auf streng zugemessene militärische und finanzielle Hilfsmittel beschränkt war, war dem neuen außerordentlichen Amt von vornherein eine dreijährige Dauer gesichert, die natürlich weitere Verlängerung nicht ausschloß, war demselben der größte Teil der sämtlichen Provinzen, ja sogar Italien selbst, das sonst von militärischer Amtsgewalt frei war, untergeordnet, waren ihm die Soldaten, Schiffe, Kassen des Staats fast unbeschränkt zur Verfügung gestellt. Selbst der eben erwähnte uralte Fundamentalsatz des republikanisch-römischen Staatsrechts, daß die höchste militärische und bürgerliche Amtsgewalt nicht ohne Mitwirkung der Bürgerschaft vergeben werden könne, ward zu Gunsten des neuen Oberfeldherrn gebrochen: indem das Gesetz den fünfundzwanzig Adjutanten, die er sich ernennen würde, im voraus prätorischen Rang und prätorische Befugnisse verlieh16, wurde das höchste Amt des republikanischen Rom einem neu geschaffenen untergeordnet, für das den geeigneten Namen zu finden der Zukunft überlassen blieb, das aber der Sache nach schon jetzt die Monarchie in sich enthielt. Es war eine vollständige Umwälzung der bestehenden Ordnung, zu der mit diesem Gesetzvorschlag der Grund gelegt ward.

Diese Maßregeln eines Mannes, der soeben noch von seiner Halbheit und Schwäche so auffallende Beweise geliefert hatte, befremden durch ihre durchgreifende Energie. Indes ist es doch wohl erklärlich, daß Pompeius diesmal entschlossener verfuhr als während seines Konsulats. Handelte es sich doch nicht darum, sofort als Monarch aufzutreten, sondern die Monarchie zunächst nur vorzubereiten durch eine militärische Ausnahmemaßregel, die, wie revolutionär sie ihrem Wesen nach war, doch noch in den Formen der bestehenden Verfassung vollzogen werden konnte, und die zunächst Pompeius dem alten Ziel seiner Wünsche, dem Kommando gegen Mithradates und Tigranes, entgegenführte. Auch gewichtige Zweckmäßigkeitsgründe sprachen für die Emanzipation der Militärgewalt von dem Senat. Pompeius konnte nicht vergessen haben, daß ein nach ganz gleichen Grundsätzen angelegter Plan zur Unterdrückung der Piraterie wenige Jahre zuvor an der verkehrten Ausführung durch den Senat gescheitert, daß der Ausgang des Spanischen Krieges durch die Vernachlässigung der Heere von sehen des Senats und dessen unverständige Finanzwirtschaft aufs höchste gefährdet worden war; er konnte nicht übersehen, wie die große Majorität der Aristokratie gegen ihn, den abtrünnigen Sullaner, gesinnt war und welchem Schicksal er entgegenging, wenn er als Feldherr der Regierung mit der gewöhnlichen Kompetenz sich nach dem Osten senden ließ. Begreiflich ist es daher, daß er als die erste Bedingung der Übernahme des Kommandos eine vom Senat unabhängige Stellung bezeichnete und daß die Bürgerschaft bereitwillig darauf einging. Es ist ferner in hohem Grade wahrscheinlich, daß Pompeius diesmal durch seine Umgebungen, die über sein Zurückweichen vor zwei Jahren vermutlich nicht wenig ungehalten waren, zu rascherem Handeln fortgerissen ward. Die Gesetzvorschläge über Lucullus‘ Abberufung und die Expedition gegen die Piraten wurden eingebracht von dem Volkstribun Aulus Gabinius, einem ökonomisch und sittlich ruinierten Mann, aber einem gewandten Unterhändler, dreisten Redner und tapferen Soldaten. So wenig ernsthaft auch Pompeius‘ Beteuerungen gemeint waren, daß er den Oberbefehl in dem Seeräuberkriege durchaus nicht wünsche und nur nach häuslicher Ruhe sich sehne, so ist doch davon wahrscheinlich so viel wahr, daß der kecke und bewegliche Klient, der mit Pompeius und dessen engerem Kreise im vertraulichen Verkehr stand und die Verhältnisse und die Menschen vollkommen durchschaute, seinem kurzsichtigen und unbehilflichen Patron die Entscheidung zum guten Teil über den Kopf nahm.

Die Demokratie, wie unzufrieden ihre Führer im stillen sein mochten, konnte doch nicht wohl öffentlich gegen den Gesetzvorschlag auftreten. Die Durchbringung desselben hätte sie allem Anschein nach auf keinen Fall zu hindern vermocht, wohl aber durch Opposition dagegen mit Pompeius offen gebrochen und dadurch ihn genötigt, entweder der Oligarchie sich zu nähern oder gar beiden Parteien gegenüber seine persönliche Politik rücksichtslos zu verfolgen. Es blieb den Demokraten nichts übrig, als ihre Allianz mit Pompeius, wie hohl sie immer war, auch diesmal noch festzuhalten und diese Gelegenheit zu ergreifen, um wenigstens den Senat endlich definitiv zu stürzen und aus der Opposition in das Regiment überzugehen, das weitere aber der Zukunft und Pompeius‘ wohlbekannter Charakterschwäche zu überlassen. So unterstützten denn auch ihre Führer, der Prätor Lucius Quinctius, derselbe, der sieben Jahre zuvor für die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt tätig gewesen war, und der gewesene Quästor Gaius Caesar, die Gabinischen Gesetzvorschläge.

Die privilegierten Klassen waren außer sich, nicht bloß die Nobilität, sondern ebenso die kaufmännische Aristokratie, die auch ihre Sonderrechte durch eine so gründliche Staatsumwälzung bedroht fühlte und wieder einmal ihren rechten Patron in dem Senat erkannte. Als der Tribun Gabinius nach Einbringung seiner Anträge in der Kurie sich zeigte, fehlte nicht viel, daß ihn die Väter der Stadt mit eigenen Händen erwürgt hätten, ohne in ihrem Eifer zu erwägen, wie höchst unvorteilhaft diese Methode zu argumentieren für sie ablaufen wußte. Der Tribun entkam auf den Markt und rief die Menge auf, das Rathaus zu stürmen, als eben zur rechten Zeit noch die Sitzung aufgehoben ward. Der Konsul Piso, der Vorkämpfer der Oligarchie, der zufällig der Menge in die Hände geriet, wäre sicher ein Opfer der Volkswut geworden, wenn nicht Gabinius darüber zugekommen wäre und, um nicht durch unzeitige Freveltaten seinen gewissen Erfolg auf das Spiel zu stellen, den Konsul befreit hätte. Inzwischen blieb die Erbitterung der Menge unvermindert und fand stets neue Nahrung in den hohen Getreidepreisen und den zahlreichen, zum Teil ganz tollen Gerüchten, zum Beispiel, daß Lucius Lucullus die ihm zur Kriegführung überwiesenen Gelder teils in Rom zinsbar belegt, teils mit denselben den Prätor Quinctius der Sache des Volkes abwendig zu machen versucht habe; daß der Senat dem „zweiten Romulus“, wie man Pompeius nannte, das Schicksal des ersten17 zu bereiten gedenke und dergleichen mehr. Darüber kam der Tag der Abstimmung heran. Kopf an Kopf gedrängt stand die Menge auf dem Markte; bis an die Dächer hinauf waren alle Gebäude, von wo aus die Rednerbühne gesehen werden konnte, mit Menschen bedeckt. Sämtliche Kollegen des Gabinius hatten dem Senat die Interzession zugesagt: aber den brausenden Wogen der Massen gegenüber schwiegen alle bis auf den einzigen Lucius Trebellius, der sich und dem Senat geschworen hatte, lieber zu sterben als zu weichen. Als dieser interzedierte, unterbrach Gabinius sogleich die Abstimmung über seine Gesetzvorschläge und beantragte bei dem versammelten Volke, mit seinem widerstrebenden Kollegen zu verfahren, wie einst auf Tiberius Gracchus‘ Antrag mit dem Octavius verfahren war, das heißt ihn sofort seines Amtes zu entsetzen. Es ward abgestimmt und die Verlesung der Stimmtafeln begann; als die ersten siebzehn Bezirke, die zur Verlesung kamen, sich für den Antrag erklärten und die nächste bejahende Stimme demselben die Majorität gab, zog Trebellius, seines Eides vergessend, die Interzession kleinmütig zurück. Vergeblich bemühte sich darauf der Tribun Otho zu bewirken, daß wenigstens die Kollegialität gewahrt und statt eines Feldherrn zwei gewählt werden möchten; vergeblich strengte der hochbejahrte Quintus Catulus, der geachtetste Mann im Senat, seine letzten Kräfte dafür an, daß die Unterfeldherren nicht vom Oberfeldherrn ernannt, sondern vom Volke gewählt werden möchten. Otho konnte in dem Toben der Menge nicht einmal sich Gehör verschaffen; dem Catulus verschaffte es Gabinius‘ wohlberechnete Zuvorkommenheit, und in ehrerbietigem Schweigen horchte die Menge den Worten des Greises; aber verloren waren sie darum nicht minder. Die Vorschläge wurden nicht bloß mit allen Klauseln unverändert zum Gesetz erhoben, sondern auch, was Pompeius noch im einzelnen nachträglich begehrte, augenblicklich und vollständig bewilligt.

Mit hochgespannten Hoffnungen sah man die beiden Feldherren Pompeius und Glabrio nach ihren Bestimmungsorten abgehen. Die Kornpreise waren nach dem Durchgehen der Gabinischen Gesetze sogleich auf die gewöhnlichen Sätze zurückgegangen: ein Beweis, welche Hoffnungen an die großartige Expedition und ihren ruhmvollen Führer sich knüpften. Sie wurden, wie später erzählt wird, nicht bloß erfüllt, sondern übertroffen; in drei Monaten war die Säuberung der Meere vollendet. Seit dem Hannibalischen Kriege war die römische Regierung nicht mit solcher Energie nach außen hin aufgetreten; gegenüber der schlaffen und unfähigen Verwaltung der Oligarchie hatte die demokratisch-militärische Opposition auf das glänzendste ihren Beruf dargetan, die Zügel des Staates zu fassen und zu lenken. Die ebenso unpatriotischen wie ungeschickten Versuche des Konsuls Piso, den Anstalten des Pompeius zu Unterdrückung der Piraterie im Narbonensischen Gallien kleinliche Hindernisse in den Weg zu legen, steigerten nur die Erbitterung der Bürgerschaft gegen die Oligarchie und ihren Enthusiasmus für Pompeius: einzig dessen persönliche Dazwischenkunft verhinderte es, daß die Volksversammlung nicht den Konsul kurzweg seines Amtes entsetzte.

Inzwischen war auf dem asiatischen Festland die Verwirrung nur noch ärger geworden. Glabrio, der an Lucullus‘ Stelle den Oberbefehl gegen Mithradates und Tigranes übernehmen sollte, war in Vorderasien sitzen geblieben und hatte zwar durch verschiedene Proklamationen die Soldaten gegen Lucullus aufgestiftet, aber den Oberbefehl nicht angetreten, so daß Lucullus denselben fortzuführen gezwungen war. Gegen Mithradates war natürlich nichts geschehen; die pontischen Reiter plünderten ungescheut und ungestraft in Bithynien und Kappadokien. Durch den Piratenkrieg war auch Pompeius veranlaßt worden, sich mit seinem Heer nach Kleinasien zu begeben; nichts lag näher, als ihm den Oberbefehl in dem Pontisch-Armenischen Kriege zu übertragen, dem er selbst seit langem nachtrachtete. Allein die demokratische Partei in Rom teilte begreiflicherweise die Wünsche ihres Generals nicht und hütete sich wohl, hierin die Initiative zu ergreifen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sie den Gabinius bestimmt hatte, den Mithradatischen und den Piratenkrieg nicht von vornherein beide zugleich an Pompeius, sondern den ersteren an Glabrio zu übertragen; auf keinen Fall konnte sie jetzt die Ausnahmestellung des schon allzumächtigen Feldherrn steigern und verewigen wollen. Auch Pompeius selbst verhielt nach seiner Gewohnheit sich leidend, und vielleicht wäre er in der Tat nach Vollziehung des ihm gewordenen Auftrags heimgekehrt, wenn nicht ein allen Parteien unerwarteter Zwischenfall eingetreten wäre. Ein gewisser Gaius Manilius, ein ganz nichtiger und unbedeutender Mensch, hatte als Volkstribun es durch seine ungeschickten Gesetzvorschläge zugleich mit der Aristokratie und der Demokratie verdorben. In der Hoffnung, sich unter des mächtigen Feldherrn Flügeln zu bergen, wenn er diesem verschaffe, was er, wie jedem bekannt war, sehnlichst wünschte, aber doch zu fordern sich nicht getraute, stellte er bei der Bürgerschaft den Antrag, die Statthalter Glabrio aus Bithynien und Pontos, Marcius Rex aus Kilikien abzuberufen und diese Ämter sowie die Führung des Krieges im Osten, wie es scheint ohne bestimmte Zeitgrenze und jedenfalls mit der freiesten Befugnis, Frieden und Bündnis zu schließen, dem Prokonsul der Meere und Küsten neben seinem bisherigen Amte zu übertragen (Anfang 688 66). Es zeigte hier sich einmal recht deutlich, wie zerrüttet die römische Verfassungsmaschine war, seit die gesetzgeberische Gewalt teils der Initiative nach jedem noch so geringen Demagogen, und der Beschlußfassung nach der unmündigen Menge in die Hände gegeben, teils auf die wichtigsten Verwaltungsfragen erstreckt war. Der Manilische Vorschlag war keiner der politischen Parteien genehm; dennoch fand er kaum irgendwo ernstlichen Widerstand. Die demokratischen Führer konnten aus denselben Gründen, die sie gezwungen hatten, das Gabinische Gesetz sich gefallen zu lassen, es nicht wagen, sich dem Manilischen geradezu zu widersetzen; sie verschlossen ihren Unwillen und ihre Besorgnisse in sich und redeten öffentlich für den Feldherrn der Demokratie. Die gemäßigten Optimaten erklärten sich für den Manilischen Antrag, weil nach dem Gabinischen Gesetz der Widerstand auf jeden Fall vergeblich war und weiterblickende Männer schon damals erkannten, daß es für den Senat die richtige Politik sei, sich Pompeius möglichst zu nähern und bei dem vorauszusehenden Bruch zwischen ihm und den Demokraten ihn auf ihre Seite hinüberzuziehen. Die Männer des Schaukelsystems endlich segneten den Tag, wo auch sie eine Meinung zu haben scheinen und entschieden auftreten konnten, ohne es mit einer der Parteien zu verderben – es ist bezeichnend, daß mit der Verteidigung des Manilischen Antrags Marcus Cicero zuerst die politische Rednerbühne betrat. Einzig die strengen Optimaten, Quintus Catulus an der Spitze, zeigten wenigstens Farbe und sprachen gegen den Vorschlag. Natürlich wurde derselbe mit einer an Einstimmigkeit grenzenden Majorität zum Gesetz erhoben. Pompeius erhielt dadurch zu seiner früheren ausgedehnten Machtfülle noch die Verwaltung der wichtigsten kleinasiatischen Provinzen, so daß es innerhalb der weiten römischen Grenzen kaum noch einen Fleck Landes gab, der ihm nicht gehorcht hätte, und die Führung eines Krieges, von dem man, wie von Alexanders Heerfahrt, wohl sagen konnte, wo und wann er begann, aber nicht, wo und wann er enden möge. Niemals noch, seit Rom stand, war solche Gewalt in den Händen eines einzigen Mannes vereinigt gewesen.

Die Gabinisch-Manilischen Anträge beendigten den Kampf zwischen dem Senat und der Popularpartei, den vor siebenundsechzig Jahren die Sempronischen Gesetze begonnen hatten. Wie die Sempronischen Gesetze die Revolutionspartei zunächst als politische Opposition konstituierten, so ging dieselbe mit den Gabinisch-Manilischen über aus der Opposition in das Regiment; und wie es ein großartiger Moment gewesen war, als mit der vergeblichen Interzession des Octavius der erste Bruch in die bestehende Verfassung geschah, so war es nicht minder ein bedeutungsvoller Augenblick, als mit dem Rücktritt des Trebellius das letzte Bollwerk des senatorischen Regiments zusammenbrach. Auf beiden Seiten ward dies wohl empfunden, und selbst die schlaffen Senatorenseelen zuckten auf in diesem Todeskampf; aber es lief doch die Verfassungsfehde in gar anderer und gar viel kümmerlicherer Weise zu Ende, als sie angefangen hatte. Ein in jedem Sinne adliger Jüngling hatte die Revolution eröffnet; sie ward beschlossen durch kecke Intriganten und Demagogen des niedrigsten Schlages. Wenn andererseits die Optimaten mit gemessenem Widerstand, mit einer selbst auf den verlorenen Posten ernst ausharrenden Verteidigung begonnen hatten, so endigten sie mit der Initiative zum Faustrecht, mit großwortiger Schwäche und jämmerlichem Eidbruch. Es war nun erreicht, was einst als ein kecker Traum erschienen war: der Senat hatte aufgehört zu regieren. Aber wenn die einzelnen alten Männer, die noch die ersten Stürme der Revolution gesehen, die Worte der Gracchen vernommen hatten, jene Zeit und diese miteinander verglichen, so fanden sie alles inzwischen verändert, Landschaft und Bürgerschaft, Staatsrecht und Kriegszucht, Leben und Sitte, und wohl mochte schmerzlich lächeln, wer die Ideale der Gracchenzeit mit ihrer Realisierung verglich. Indes solche Betrachtungen gehörten der Vergangenheit an. Für jetzt und wohl auch für die Zukunft war der Sturz der Aristokratie eine vollendete Tatsache. Die Oligarchen glichen einer vollständig aufgelösten Armee, deren versprengte Haufen noch eine andere Heeresmasse verstärken, aber selbst nirgends mehr das Feld halten, noch auf eigene Rechnung ein Gefecht wagen konnten. Aber indem der alte Kampf zu Ende lief, bereitete zugleich ein neuer sich vor: der Kampf der beiden bisher zum Sturz der aristokratischen Staatsverfassung verbündeten Mächte, der bürgerlich demokratischen Opposition und der immer übermächtiger aufstrebenden Militärgewalt. Pompeius‘ Ausnahmestellung war schon nach dem Gabinischen, um wie viel mehr nach dem Manilischen Gesetz mit einer republikanischen Staatsordnung unvereinbar. Er war, wie schon damals die Gegner mit gutem Grund sagten, durch das Gabinische Gesetz nicht zum Admiral, sondern zum Reichsregenten bestellt worden; nicht mit Unrecht heißt er einem mit den östlichen Verhältnissen vertrauten Griechen „König der Könige“. Wenn er dereinst, wiederum siegreich und mit erhöhtem Ruhm, mit gefüllten Kassen, mit schlagfertigen und ergebenen Truppen zurückkehrt aus dem Osten, nach der Krone die Hand ausstreckte – wer wollte dann ihm in den Arm fallen? Sollte etwa gegen den ersten Feldherrn seiner Zeit und seine erprobten Legionen der Konsular Quintus Catulus die Senatoren aufbieten? Oder der designierte Ädil Gaius Caesar die städtische Menge, deren Augen er soeben an seinen dreihundertzwanzig silbergerüsteten Fechterpaaren geweidet hatte? Bald werde man, rief Catulus, abermals auf die Felsen des Kapitols flüchten müssen, um die Freiheit zu retten. Es war nicht die Schuld des Propheten, wenn der Sturm nicht, wie er meinte, von Osten kam, sondern das Schicksal, buchstäblicher als er selbst es ahnte seine Worte erfüllend, das vernichtende Unwetter wenige Jahre später aus dem Keltenland heranführte.

  1. Die außerordentliche Amtsgewalt (pro consule, pro praetore, pro quaestore) konnte nach römischem Staatsrecht in dreifacher Weise entstehen. Entweder ging sie hervor aus dem für die nichtstädtische Amtstätigkeit geltenden Grundsatz, daß das Amt bis zu dem gesetzlichen Endtermin, die Amtsgewalt aber bis zum Eintreffen des Nachfolgers fortdauert, was der älteste, einfachste und häufigste Fall ist. Oder sie entstand auf dem Wege, daß die beikommenden Organe, namentlich die Komitien, in späterer Zeit auch wohl der Senat, einen nicht in der Verfassung vorgesehenen Oberbeamten ernannten, indem dieser zwar sonst dem ordentlichen Beamten gleichstand, aber doch zum Kennzeichen der Außerordentlichkeit seines Amtes sich nur „an Prätors“ oder „an Konsuls Statt“ nannte. Hierher gehören auch die in ordentlichem Wege zu Quästoren ernannten, dann aber außerordentlicherweise mit prätorischer oder gar konsularischer Amtsgewalt ausgestatteten Beamten (quaestores pro praetore oder pro consule), in welcher Eigenschaft zum Beispiel Publius Lentulus Marcellinus 679 (73) nach Kyrene (Sall. hist. 2, 39 Dietsch), Gnaeus Piso 689 (65) nach dem Diesseitigen Spanien (Sall. Cat. 19), Cato 696 (58) nach Kypros (Vell. 2, 45) gingen. Oder endlich es beruht die außerordentliche Amtsgewalt auf dem Mandierungsrecht des höchsten Beamten. Derselbe ist, wenn er seinen Amtsbezirk verläßt oder sonst behindert ist, sein Amt zu versehen, befugt, einen seiner Leute zu seinem Stellvertreter zu ernennen, welcher dann legatus pro praetore (Sall. Iug. 36-38) oder wenn die Wahl auf den Quästor fällt, quaestor pro praetore (Sall. Iug. 103) heißt. In gleicher Weise ist er befugt, wenn er keinen Quästor hat, dessen Geschäfte durch einen seines Gefolges versehen zu lassen, welcher dann legatus pro quaestore heißt und mit diesem Namen wohl zuerst auf den makedonischen Tetradrachmen des Sura, Unterbefehlshabers des Statthalters von Makedonien 665-667 (89-87) begegnet. Das aber ist dem Wesen der Mandierung zuwider und darum nach älterem Staatsrecht unzulässig, daß der höchste Beamte, ohne in seiner Funktionierung gehindert zu sein, gleich bei Antritt seines Amtes von vornherein einen oder mehrere seiner Untergebenen mit höchster Amtsgewalt ausstattet; und insofern sind die legati pro praetore des Prokonsuls Pompeius eine Neuerung und schon denen gleichartig, die in der Kaiserzeit eine so große Rolle spielen.
  2. Der Sage nach ward König Romulus von den Senatoren in Stücke zerrissen.