6. Kapitel
Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus
Gaius Marius ward, eines armen Tagelöhners Sohn, geboren im Jahre 599 (155) in dem damals arpinatischen Dorfe Cereatae, das später als Cereatae Marianae Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen „Mariusheimat“ (Casamare) trägt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so dürftigen Verhältnissen, daß sie ihm selbst zu den Gemeindeämtern von Arpinum den Zugang zu verschließen schienen; er lernte früh, was er später noch als Feldherr übte, Hunger und Durst, Sonnenbrand und Winterkälte ertragen und auf der harten Erde schlafen. Sowie das Alter es ihm erlaubte, war er in das Heer eingetreten und hatte in der schweren Schule der Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier emporgedient; in Scipios Numantinischem Kriege zog er, damals dreiundzwanzigjährig, des strengen Feldherrn Augen auf sich durch die saubere Haltung seines Pferdes und seiner Waffen wie durch seine Tapferkeit im Gefecht und sein ehrbares Betragen im Lager. Er war heimgekehrt mit ehrenvollen Narben und kriegerischen Abzeichen und mit dem lebhaften Wunsch, in der rühmlich betretenen Laufbahn sich einen Namen zu machen; allein unter den damaligen Verhältnissen konnte zu den politischen Ämtern, die allein zu höheren Militärstellen führten, auch der verdienteste Mann nicht gelangen ohne Vermögen und ohne Verbindungen. Beides ward dem jungen Offizier zuteil durch glückliche Handelsspekulationen und durch die Verbindung mit einem Mädchen aus dem altadligen Geschlecht der Julier; so gelangte er unter großen Anstrengungen und nach vielfachen Mißerfolgen im Jahre 639 (115) bis zur Prätur, in welcher er als Statthalter des jenseitigen Spaniens seine militärische Tüchtigkeit aufs neue zu bewähren Gelegenheit fand. Wie er sodann der Aristokratie zum Trotz im Jahre 647 (107) das Konsulat übernahm und als Prokonsul (648, 649 106, 105) den Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem Unglückstag von Arausio zur Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen berufen, unter viermal vom Jahre 650 (104) bis zum Jahre 653 (101) wiederholter, in den Annalen der Republik beispielloser Erneuerung des Konsulats, die Kimbrer jenseits, die Teutonen diesseits der Alpen überwand und vernichtete, ist bereits erzählt worden. In seinem Kriegsamt hatte er sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen Mann, der unparteiisch Recht sprach, über die Beute mit seltener Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit verfügte und durchaus unbestechlich war; als einen geschickten Organisator, der die einigermaßen eingerostete Maschine des römischen Heerwesens wieder in brauchbaren Stand gesetzt hatte; als einen fähigen Feldherrn, der den Soldaten in Zucht und doch bei guter Laune erhielt und zugleich im kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe gewann, dem Feinde aber kühn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit ihm schlug. Eine militärische Kapazität im eminenten Sinn war er, soweit wir urteilen können, nicht; allein die sehr achtungswerten Eigenschaften, die er besaß, genügten unter den damals bestehenden Verhältnissen vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu verschaffen, und auf diesen gestützt war er in einer beispiellos ehrenvollen Weise eingetreten unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er paßte darum nicht besser in den glänzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und laut, sein Blick wild, als sähe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich und nicht wohlerzogene und parfümierte Kollegen. Daß er abergläubisch war wie ein echter Lanzknecht, daß er zur Bewerbung um sein erstes Konsulat sich nicht durch den Drang seiner Talente, sondern zunächst durch die Aussagen eines etruskischen Eingeweidebeschauers bestimmen ließ, und bei dem Feldzug gegen die Teutonen eine syrische Prophetin Martha mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war nicht eigentlich unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie zu allen Zeiten die höchsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft. Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar löblich, daß er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man denken von einem der verfassungsmäßigen Etikette so unkundigen Konsul, daß er im Triumphalkostüm im Senat erschien! Auch sonst hing die Rotüre ihm an. Er war nicht bloß – nach aristokratischer Terminologie – ein armer Mann, sondern, was schlimmer war, genügsam und ein abgesagter Feind aller Bestechung und Durchstecherei. Nach Soldatenart war er nicht wählerisch, aber becherte gern, besonders in späteren Jahren; Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen schlechten Koch. Ebenso übel war es, daß der Konsular nur Lateinisch verstand und die griechische Konversation sich verbitten mußte; daß er bei den griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen – er war vermutlich nicht der einzige –, aber daß er sich zu seiner Langenweile bekannte, war naiv. So blieb er zeit seines Lebens ein unter die Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das wie diese selber zu verachten er denn doch nicht über sich vermochte. Nicht viel weniger wie außerhalb der Gesellschaft stand Marius außerhalb der Parteien. Die Maßregeln, die er in seinem Volkstribunat (635 119) durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der Abgabe der Stimmtäfelchen zur Abstellung der argen dabei stattfindenden Betrügereien und die Verhinderung ausschweifender Anträge auf Spenden an das Volk, tragen nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den der demokratischen, sondern zeigen nur, daß ihm Unrechtfertigkeit und Unvernunft verhaßt waren; und wie hätte auch ein Mann wie dieser, Bauer von Geburt und Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionär sein können? Die Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar später in das Lager der Gegner der Regierung getrieben, und rasch sah er sich hier auf den Schild gehoben zunächst als Feldherr der Opposition und demnächst vielleicht bestimmt zu noch höheren Dingen. Allein es war dies weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der Verhältnisse und des allgemeinen Bedürfnisses der Opposition nach einem Haupte als sein eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48 (107/06) kaum vorübergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt. Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie über die Kimbrer so über die Teutonen, nach Rom zurück, um den verschobenen Triumph nun zwiefach zu feiern, entschieden der erste Mann in Rom und doch zugleich politischer Anfänger. Es war unwidersprechlich ausgemacht, nicht bloß daß Marius Rom gerettet habe, sondern daß er der einzige Mann sei, der Rom habe retten können; sein Name war auf allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; bei dem Volk war er populär wie keiner vor oder nach ihm, populär durch seine Tugenden wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische Uneigennützigkeit nicht minder wie durch seine bäurische Derbheit; er hieß der Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den Göttern wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn er seinen Zug von Afrika ins Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos von Erdteil zu Erdteil verglich und sich für seinen Gebrauch einen Becher – keinen von den kleinsten – nach dem Muster des Bakchischen fertigen ließ. Es war ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser taumelnden Begeisterung des Volkes, die wohl einen Mann von kälterem Blut und gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht hätte. Marius‘ Werk schien seinen Bewunderern keineswegs vollendet. Schwerer als die Barbaren lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem ersten Manne Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition kam es zu, Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und Soldaten, das hauptstädtische politische Treiben fremd und unbequem; er sprach so schlecht, wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und Schwertern der Feinde gegenüber eine weit festere Haltung als gegen die klatschende oder zischende Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an. Hoffnungen binden. Seine militärische und politische Stellung war von der Art, daß, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der Nation nicht täuschen, seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden wollte, er der Mißverwaltung der öffentlichen Angelegenheiten steuern und dem Restaurationsregiment ein Ende machen mußte, und wenn er nur die inneren Eigenschaften eines Volkshauptes besaß, so konnte er dessen, was zum Volksführer ihm abging, allerdings entraten.
Eine furchtbare Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten Armee. Bis auf seine Zeit hatte man von dem Grundgedanken der Servianischen Verfassung, die Aushebung lediglich auf die vermögenden Bürger zu beschränken und die Unterschiede der Waffengattungen allein nach den Vermögensklassen zu ordnen, wohl schon manches nachlassen müssen: es war das zum Eintritt in das Bürgerheer verpflichtende Minimalvermögen von 11000 Assen (300 Talern) herabgesetzt worden auf 4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die älteren sechs in den Waffengattungen unterschiedenen Vermögensklassen beschränkt worden auf drei, indem man zwar wie nach der Servianischen Ordnung die Reiter aus den vermögendsten, die Leichtbewaffneten aus den ärmsten Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigentliche Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermögen, sondern nach dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, Principes und Triarier ordnet. Man hatte ferner schon längst die italischen Bundesgenossen in sehr ausgedehntem Maße zum Kriegsdienst mitherangezogen, indes auch hier, ganz wie bei der römischen Bürgerschaft, die Militärpflicht vorzugsweise auf die besitzenden Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger ruhte das römische Militärwesen bis auf Marius im wesentlichen auf jener uralten Bürgerwehrordnung. Allein für die veränderten Verhältnisse paßte dieselbe nicht mehr. Die besseren Klassen der Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und mehr sich zurück, teils schwand der römische und italische Mittelstand überhaupt zusammen; dagegen waren einesteils die beträchtlichen Streitmittel der außeritalischen Bundesgenossen und Untertanen verfügbar geworden, andererseits bot das italische Proletariat, richtig verwandt, ein militärisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die Bürgerreiterei, die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im Felddienst schon vor Marius tatsächlich eingegangen. Als wirklicher Heerkörper wird sie zuletzt genannt in dem spanischen Feldzug von 614 (140), wo sie den Feldherrn durch ihren höhnischen Hochmut und ihre Unbotmäßigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Gewissenlosigkeit geführter Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur noch als eine Art Nobelgarde für den Feldherrn und fremde Prinzen; von da an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Ergänzung der Legionen mit gehörig qualifizierten Pflichtigen schon im gewöhnlichen Lauf der Dinge schwierig, so daß Anstrengungen, wie sie nach der Schlacht von Arausio nötig waren, unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften über die Dienstpflicht wohl in der Tat materiell unausführbar gewesen sein würden. Andererseits wurden schon vor Marius, namentlich in der Kavallerie und der leichten Infanterie, die außeritalischen Untertanen, die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte afrikanische Reiterei, das vortreffliche leichte Fußvolk der bebenden Ligurer, die Schleuderer von den Balearen, in immer größerer Anzahl auch außerhalb ihrer Provinzen bei den römischen Heeren mitverwendet; und zugleich drängten sich, während an qualifizierten Bürgerrekruten Mangel war, die nichtqualifizierten ärmeren Bürger ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse des arbeitslosen oder arbeitsscheuen Bürgergesindels und bei den ansehnlichen Vorteilen, die der römische Kriegsdienst abwarf, die Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein konnte. Es war demnach nichts als eine notwendige Konsequenz der politischen und sozialen Umwandlung des Staats, daß man im Militärwesen überging von dem System des Bürgeraufgebots zu dem Zuzug- und Werbesystem, die Reiterei und die leichten Truppen wesentlich aus den Kontingenten der Untertanen bildete, wie denn für den kimbrischen Feldzug schon bis nach Bithynien Zuzug angesagt ward, für die Linieninfanterie aber zwar die bisherige Dienstpflichtordnung nicht aufhob, allein daneben jedem freigeborenen Bürger den freiwilligen Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst Marius 647 (107) tat.
Hierzu kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die gleichfalls auf Marius zurückgeht. Die römische Weise aristokratischer Gliederung hatte bis dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die vier Treffen der Leichten, der Hastaten, der Principes, der Triarier oder, wie man auch sagen kann, der Vorhut, der ersten, zweiten und dritten Linie hatten bis dahin jedes seine besondere Qualifikation nach Vermögens- oder Dienstalter und großenteils auch verschiedene Bewaffnung, jedes seinen ein für allemal bestimmten Platz in der Schlachtordnung, jedes seinen bestimmten militärischen Rang und sein eigenes Feldzeichen gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt über den Haufen. Wer überhaupt als Legionär zugelassen ward, bedurfte keiner weiteren Qualifikation, um in jeder Abteilung zu dienen; über die Einordnung entschied einzig das Ermessen der Offiziere. Alle Unterschiede der Bewaffnung fielen weg und somit wurden auch alle Rekruten gleichmäßig geschult. Ohne Zweifel in Verbindung damit stehen die vielfachen Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen des Gepäcks und ähnlichen Dingen von Marius herrühren und ein rühmliches Zeugnis ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des Kriegshandwerks und seiner Fürsorge für die Soldaten; vor allem aber das neue, von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius Rutilius Rufus (Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist bezeichnend, daß dasselbe die militärische Ausbildung des einzelnen Mannes beträchtlich steigerte und wesentlich sich anlehnte an die in den damaligen Fechterschulen übliche Ausbildung der künftigen Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward eine gänzlich andere. An die Stelle der 30 Fähnlein (manipuli) schwerer Infanterie, die – jedes zu zwei Zügen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden ersten und je 30 Mann im dritten Treffen – bisher die taktische Einheit gebildet hatten, traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und jeder zu sechs, oft auch nur zu fünf Zügen von je 100 Mann; so daß, obgleich gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200 Mann erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf 5000 bis 6000 Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb bestehen, allein wenn bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkörper gebildet hatte, so war es in Zukunft dem Feldherrn überlassen, die Kohorten, über die er disponierte, in die drei Linien nach Ermessen zu verteilen. Den militärischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der einzelnen Legionsteile, der Wolf, der mannköpfige Stier, das Roß, der Eber, die bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren Infanterie waren vorgetragen worden, verschwanden; dafür traten die Fähnlein der neuen Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der gesamten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der Legion jede Spur der bisherigen bürgerlichen und aristokratischen Gliederung verschwand und unter den Legionären fortan nur noch rein soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte sich dagegen schon einige Jahrzehnte früher aus zufälligen Anlässen eine bevorzugte Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache des Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den bundesgenössischen Kontingenten die persönliche Bedeckung des Feldherrn gebildet; römische Legionäre oder gar freiwillig sich erbietende Mannschaften zum persönlichen Dienst bei dem selben zu verwenden, widerstritt der strengen Gebundenheit des gewaltigen Gemeinwesens. Aber als der Numantinische Krieg ein beispiellos demoralisiertes Heer großgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der berufen ward, dem wüsten Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung hatte durchsetzen können, völlig neue Truppen unter die Waffen zu rufen, ward es ihm wenigstens gewährt, außer einer Anzahl von Mannschaften, die ihm die abhängigen Könige und Freistädte des Auslandes zur Verfügung stellten, aus freiwilligen römischen Bürgern eine persönliche Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese Kohorte, teils aus den besseren Ständen, teils aus der niederen persönlichen Klientel des Feldherrn hervorgegangen und daher bald die der Freunde, bald die des Hauptquartiers (praetoriani) genannt, hatte den Dienst in diesem (praetorium), wofür sie vom Lager- und Schanzdienst frei war, und genoß höheren Sold und größeres Ansehen.
Diese vollständige Revolution der römischen Heerverfassung scheint allerdings wesentlich aus rein militärischen Motiven hervorgegangen und überhaupt weniger das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstände gebotene Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen gewesen zu sein. Es ist wahrscheinlich, daß die Einführung des inländischen Werbesystems durch Marius ebenso den Staat militärisch vom Untergang gerettet hat, wie manches Jahrhundert später Arbogast und Stilicho durch Einführung des ausländischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten. Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich eine vollständige politische Revolution. Die republikanische Verfassung ruhte zumeist darauf, daß der Bürger zugleich Soldat, der Soldat vor allem Bürger war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich bildete. Hierzu mußte schon das neue Exerzierreglement führen mit seiner dem Kunstfechter abgeborgten Routine; der Kriegsdienst ward allmählich Kriegshandwerk. Weit rascher noch wirkte die wenn auch beschränkte Zuziehung des Proletariats zum Militärdienst, besonders in Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit sehr soliden republikanischen Institutionen verträgliches arbiträres Belohnungsrecht seiner Soldaten einräumten und dem tüchtigen und glücklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil der beweglichen Beute, vom Staat ein Stück des gewonnenen Ackers zu heischen. Wenn der ausgehobene Bürger und Bauer in dem Kriegsdienst nichts sah als eine für das gemeine Beste zu übernehmende Last und im Kriegsgewinn nichts als einen geringen Entgelt für den ihm aus dem Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der geworbene Proletarier nicht bloß für den Augenblick allein angewiesen auf seinen Sold, sondern auch für die Zukunft mußte er, den nach der Entlassung kein Invaliden-, ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm, wünschen, zunächst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders zu verlassen als mit Begründung seiner bürgerlichen Existenz. Seine einzige Heimat war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg, seine einzige Hoffnung der Feldherr – was hierin lag, leuchtet ein. Als Marius nach dem Treffen auf dem Raudischen Feld zwei Kohorten italischer Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse das Bürgerrecht auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig verlieh, rechtfertigte er später sich damit, daß er im Lärm der Schlacht die Stimme der Gesetze nicht habe unterscheiden können. Wenn einmal in wichtigeren Fragen das Interesse des Heers und des Feldherrn in verfassungswidrigem Begehren sich begegneten, wer mochte dafür stehen, daß alsdann nicht noch andere Gesetze über dem Schwertergeklirr nicht würden vernommen werden? Man hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie in der bürgerlichen Verfassung, so standen auch in der militärischen bereits alle Pfeiler der künftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem Monarchen. Wie die zwölf Adler um den Palatinischen Hügel kreisten, da riefen sie dem Königtum; der neue Adler, den Gaius Marius den Legionen verlieh, verkündete das Reich der Kaiser.
Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß Marius einging auf die glänzenden Aussichten, die seine militärische und politische Stellung ihm eröffnete. Es war eine trübe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem ersten gewaltigen Anprall der Nordländer auf Rom, wo nach überstandener Krise im frischen Gefühl der Genesung alle Kräfte sich neu geregt, wo sie in üppiger Entfaltung das Verlorene rasch und reichlich ersetzt hatten. Alle Welt fühlte, daß, mochten auch tüchtige Feldherren noch aber und abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das Gemeinwesen darum nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der restaurierten Oligarchie; aber alle Welt fühlte auch, daß die Zeit nicht mehr war, wo in solchen Fällen die Bürgerschaft sich selber half, und daß nichts besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer blieb. Wie tief die Menge die nach dem Verschwinden jener beiden hohen Jünglinge, welche der Revolution das Tor geöffnet hatten, zurückgebliebene Lücke empfand, freilich auch wie kindisch sie nach jedem Schatten des Ersatzes griff, beweist der falsche Sohn des Tiberius Gracchus, welcher, obwohl die eigene Schwester der beiden Gracchen ihn auf offenem Markte des Betruges zieh, dennoch einzig seines usurpierten Namens wegen vom Volke für 655 (99) zum Tribun gewählt ward. In demselben Sinne jubelte die Menge dem Gaius Marius entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn irgendeiner, schien er der rechte Mann; war er doch der erste Feldherr und der populärste Name seiner Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und selbst durch seine von dem Parteitreiben entfernte Stellung zum Regenerator des Staats, empfohlen – wie hätte nicht das Volk, wie hätte er selbst nicht sich dafür halten sollen! Die öffentliche Meinung war so entschieden wie möglich oppositionell; es ist bezeichnend dafür, daß die Besetzung der in den höchsten geistlichen Kollegien erledigten Stellen durch die Bürgerschaft anstatt durch die Kollegien selbst, die die Regierung noch im Jahre 609 (145) durch Anregung der religiösen Bedenken in den Komitien zu Fall gebracht hatte, im Jahre 650 (104) auf den Antrag des Gnaeus Domitius durchging, ohne daß der Senat es hätte wagen können, sich auch nur ernstlich zu widersetzen. Durchaus schien es nur an einem Haupte zu fehlen, das der Opposition einen festen Mittelpunkt und ein praktisches Ziel gab; und dies war jetzt in Marius gefunden.
Zur Durchführung seiner Aufgabe bot sich ihm ein doppelter Weg: Marius konnte die Oligarchie zu stürzen versuchen als Imperator an der Spitze der Armee oder auf dem für konstitutionelle Änderungen verfassungsmäßig bezeichneten Weg; dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der Vorgang des Gracchus. Es ist sehr begreiflich, daß er den ersteren Weg nicht betrat, vielleicht nicht einmal die Möglichkeit dachte, ihn zu betreten. Der Senat war oder schien so macht- und ratlos, so verhaßt und verachtet, daß Marius gegen ihn kaum einer anderen Stütze als seiner ungeheuren Popularität zu bedürfen, nötigenfalls aber trotz der Auflösung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, daß Marius, im Hinblick auf Gracchus‘ leichten und scheinbar fast vollständigen Sieg und auf seine eigenen, denen des Gracchus weit überlegenen Hilfsmittel, den Umsturz einer vierhundertjährigen, mit dem nach komplizierter Hierarchie geordneten Staatskörper und der mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig verwachsenen Verfassung für weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer tiefer in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius wahrscheinlich tat, mochte erwägen, daß das Heer, obwohl im Übergang begriffen von der Bürgerwehr zur Söldnerschar, doch während dieses Übergangszustandes noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines Staatsstreiches sich schickte und daß ein Versuch, die widerstrebenden Elemente durch militärische Mittel zu beseitigen, die Widerstandsfähigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben würde. Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, mußte auf den ersten Blick überflüssig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man war eben am Anfang der Krise und die Gegensätze von ihrem letzten, kürzesten und einfachsten Ausdruck noch weit entfernt.
Marius entließ also der bestehenden Ordnung gemäß nach dem Triumph sein Heer und schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein, vermittels der Übernahme der verfassungsmäßigen Staatsämter die Oberhauptschaft im Staate an sich zu bringen. Er fand sich damit angewiesen auf die sogenannte Volkspartei und in deren damaligen Führern um so mehr seine Bundesgenossen, als der siegreiche General die zur Gassenherrschaft erforderlichen Gaben und Erfahrungen durchaus nicht besaß. So gelangte die demokratische Partei nach langer Nichtigkeit plötzlich wieder zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem langen Interim von Gaius Gracchus bis auf Marius sich wesentlich verschlechtert. Wohl war das Mißvergnügen über das senatorische Regiment jetzt nicht geringer als damals; aber manche der Hoffnungen, die den Gracchen ihre treuesten Anhänger zugeführt hatten, war inzwischen als Illusion erkannt worden und die Ahnung inzwischen manchem aufgegangen, daß diese Gracchische Agitation auf ein Ziel hinausliefe, wohin ein sehr großer Teil der Mißvergnügten keineswegs zu folgen willig war; wie denn überhaupt in dem zwanzigjährigen Hetzen und Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der frischen Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen Reinheit des Strebens, die die Anfangsstadien der Revolutionen bezeichnen. Aber wenn die demokratische Partei nicht mehr war, was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die Führer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei, als Gaius Gracchus hoch über derselben gestanden hatte. Es lag dies in der Natur der Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es wagte, wie Gaius Gracchus nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die Führer nur Lückenbüßer sein: entweder politische Anfänger, die ihre jugendliche Oppositionslust austobten und sodann, als sprudelnde Feuerköpfe und beliebte Sprecher legitimiert, mit mehr oder minder Geschicklichkeit ihren Rückzug in das Lager der Regierungspartei bewerkstelligten; oder auch Leute, die an Vermögen und Einfluß nichts zu verlieren, an Ehre gewöhnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten, und die aus persönlicher Erbitterung oder auch aus bloßer Lust am Lärmschlagen sich ein Geschäft daraus machten, die Regierung zu hindern und zu ärgern. Der ersten Gattung gehörten zum Beispiel an Gaius Memmius und der bekannte Redner Lucius Crassus, die ihre in den Reihen der Opposition gewonnenen oratorischen Lorbeern demnächst als eifrige Regierungsmänner verwerteten. Die namhaftesten Führer der Popularpartei aber um diese Zeit waren Männer der zweiten Gattung: sowohl Gaius Servilius Glaucia, von Cicero der römische Hyperbolos genannt, ein gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschämtester Straßenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefürchtet wegen seiner drastischen Witze, als auch sein besserer und fähigerer Genosse Lucius Appuleius Saturninus, der selbst nach den Berichten seiner Feinde ein feuriger und eindringlicher Sprecher war und wenigstens nicht von gemein eigennützigen Motiven geleitet ward. Ihm war als Quästor die in üblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch Beschluß des Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsführung als um das eben damals populäre Amt lieber einem der Häupter der Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner der herrschenden Familien angehörigen jungen Manne zuzuwenden. Diese Kränkung hatte den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition gedrängt; und er vergalt als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit Zinsen. Ein ärgerlicher Handel hatte damals den anderen gedrängt. Er hatte die von den Gesandten des Königs Mithradates in Rom bewirkten Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache gebracht – diese den Senat aufs höchste kompromittierenden Enthüllungen hätten fast dem kühnen Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger Numidiens Quintus Metellus, als derselbe sich für 652 (102) um die Zensur bewarb, einen Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten, bis die Ritter ihn nicht ohne Blutvergießen befreiten; des Zensors Metellus Vergeltung, die schimpfliche Ausstoßung des Saturninus wie des Glaucia aus dem Senat bei Gelegenheit der Revision des Senatorenverzeichnisses, war nur gescheitert an der Schlaffheit des dem Metellus zugegebenen Kollegen. Er hauptsächlich hatte jenes Ausnahmegericht gegen Caepio und dessen Genossen trotz des heftigsten Widerstrebens der Regierungspartei, er gegen dieselben die lebhaft bestrittene Wiederwahl des Marius zum Konsul für 652 (102) durchgesetzt. Saturninus war entschieden der energischste Feind des Senats und der tätigste und beredteste Führer der Volkspartei seit Gaius Gracchus, freilich auch gewalttätig und rücksichtslos wie keiner vor ihm, immer bereit, in die Straße hinabzusteigen und statt mit Worten den Gegner mit Knütteln zu widerlegen.
Solcher Art waren die beiden Führer der sogenannten Popularpartei, die mit dem siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche Sache machten. Es war natürlich; die Interessen und die Zwecke gingen zusammen, und auch schon bei Marius‘ früheren Bewerbungen hatte wenigstens Saturninus aufs entschiedenste und erfolgreichste für ihn Partei genommen. Sie wurden sich dahin einig, daß für 654 (100) Marius um das sechste Konsulat, Saturninus um das zweite Tribunat, Glaucia um die Prätur sich bewerben sollten, um im Besitz dieser Ämter die beabsichtigte Staatsumwälzung durchzuführen. Der Senat ließ die Ernennung des minder gefährlichen Glaucia geschehen, aber tat, was er konnte, um Marius‘ und Saturninus‘ Wahl zu hindern oder doch wenigstens jenem in Quintus Metellus einen entschlossenen Gegner als Kollegen im Konsulat an die Seite zu setzen. Von beiden Parteien wurden alle Hebel, erlaubte und unerlaubte, in Bewegung gesetzt; allein es gelang dem Senat nicht, die gefährliche Verschwörung im Keim zu ersticken. Marius selbst verschmähte es nicht, Stimmenbettel, es heißt sogar auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in den tribunizischen Wahlen neun Männer von der Liste der Regierungspartei proklamiert waren und auch die zehnte Stelle bereits einem achtbaren Mann derselben Farbe, Quintus Nunnius, gesichert schien, ward dieser von einem wüsten Haufen, der vorzugsweise aus entlassenen Soldaten des Marius bestanden haben soll, angefallen und erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich auf die gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewählt als Konsul, Glaucia als Prätor, Saturninus als Volkstribun für 654 (109): nicht Quintus Metellus, sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius Flaccus, erhielt die zweite Konsulstelle; die verbündeten Männer konnten daran gehen, ihre weiter beabsichtigten Pläne ins Werk zu setzen und das 633 (121) unterbrochene Werk zu vollenden.
Erinnern wir uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln er sie verfolgt hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach außen zu brechen, also teils die vom Senat völlig abhängig gewordene Beamtengewalt in ihre ursprünglichen souveränen Rechte wiedereinzusetzen und die Ratsversammlung aus der regierenden wieder in eine beratende Behörde umzuwandeln, teils der aristokratischen Gliederung des Staats in die drei Klassen der herrschenden Bürger-, der italischen Bundesgenossen- und der Untertanenschaft durch allmähliche Ausgleichung dieser mit einem nichtoligarchischen Regiment unverträglichen Gegensätze ein Ende zu machen. Diese Gedanken nahmen die drei verbündeten Männer wieder auf in den Kolonialgesetzen, die Saturninus als Volkstribun teils schon früher (651 103) eingebracht hatte, teils jetzt (654 100) einbrachte57. Schon in jenem Jahre war zunächst zu Gunsten der Marianischen Soldaten, der Bürger nicht bloß, sondern, wie es scheint, auch der italischen Bundesgenossen, die unterbrochene Verteilung des karthagischen Gebiets wieder aufgenommen und jedem dieser Veteranen ein Landlos von 100 Morgen oder etwa dem fünffachen Maß eines gewöhnlichen italischen Bauernhofs in der Provinz Africa zugesichert worden. Jetzt ward für die römisch-italische Emigration nicht bloß das bereits zur Verfügung stehende Provinzialland in weitester Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der rechtlichen Fiktion, daß den Römern durch die Besiegung der Kimbrer das gesamte von diesen besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles Land der noch unabhängigen Keltenstämme jenseits der Alpen. Zur Leitung der Landanweisungen wie der zu diesem Behuf etwa nötig erscheinenden weiteren Maßregeln ward Gaius Marius berufen; die unterschlagenen, aber von den schuldigen Aristokraten erstatteten oder noch zu erstattenden Tempelschätze von Tolosa wurden zur Ausstattung der neuen Landempfänger bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloß die Eroberungspläne jenseits der Alpen und die transalpinischen und überseeischen Kolonisationsentwürfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus sie entworfen hatten, im ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern indem es die Italiker neben den Römern zur Emigration zuließ und doch ohne Zweifel die sämtlichen neuen Gemeinden als Bürgerkolonien einzurichten vorschrieb, machte es einen Anfang, die so schwer durchzubringenden und doch unmöglich auf die Länge abzuweisenden Ansprüche der Italiker auf Gleichstellung mit den Römern zu befriedigen. Zunächst aber wurde, wenn das Gesetz durchging und Marius zur selbständigen Ausführung dieser ungeheuren Eroberungs- und Aufteilungspläne berufen ward, tatsächlich derselbe bis zur Realisierung jener Pläne oder vielmehr, bei der Unbestimmtheit und Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens Monarch von Rom; wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so Marius das Konsulat alljährlich sich erneuern zu lassen gedachte. überhaupt ist bei der sonstigen Übereinstimmung der für den jüngeren Gracchus und für Marius entworfenen politischen Stellungen in allen wesentlichen Stücken oder zwischen dem landanweisenden Tribun und dem landanweisenden Konsul darin ein sehr wesentlicher Unterschied, daß jener eine rein bürgerliche, dieser daneben eine militärische Stellung einnehmen sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber doch keineswegs allein aus den persönlichen Verhältnissen hervorging, unter denen die beiden Männer an die Spitze des Staates getreten waren.
Wenn also das Ziel beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich vorgesteckt hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch welche man den voraussichtlich hartnäckigen Widerstand der Regierungspartei zu brechen gedachte. Gaius Gracchus hatte seine Schlachten geschlagen mit dem Kapitalistenstand und dem Proletariat. Seine Nachfolger versäumten zwar nicht, auch diesen entgegenzukommen. Den Rittern ließ man nicht bloß die Gerichte, sondern ihre Geschworenengewalt wurde ansehnlich gesteigert teils durch eine verschärfte Ordnung für die den Kaufleuten vor allem wichtige stehende Kommission wegen Erpressungen seitens der Staatsbeamten in den Provinzen, welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem Jahr, durchbrachte, teils durch das wohl schon 651 (103) auf Saturninus‘ Antrag niedergesetzte Spezialgericht über die während der kimbrischen Bewegung in Gallien vorgekommenen Unterschlagungen und sonstigen Amtsvergehen. Zum Frommen des hauptstädtischen Proletariats ferner ward der bisher bei den Getreideverteilungen für den römischen Scheffel zu entrichtende Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf eine bloße Rekognitionsgebühr von 5/6 As. Indes obwohl man das Bündnis mit den Rittern und dem hauptstädtischen Proletariat nicht verschmähte, so ruhte doch die eigentlich zwingende Macht der Verbündeten wesentlich nicht darauf, sondern auf den entlassenen Soldaten der Marianischen Armee, welche ebendeshalb in den Kolonialgesetzen selbst in so ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch hierin tritt der vorwiegend militärische Charakter hervor, der hauptsächlich diesen Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet.
Man ging also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stießen bei der Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies im Senat mit schlagenden Zahlen, daß jenes die öffentlichen Kassen bankrott machen müsse; Saturninus kümmerte sich nicht darum. Man erwirkte gegen beide Gesetze tribunizische Interzession; Saturninus ließ weiterstimmen. Man zeigte den die Abstimmung leitenden Beamten an, daß ein Donnerschlag vernommen worden sei, durch welches Zeichen nach altem Glauben die Götter befahlen, die Volksversammlung zu entlassen; Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat werde wohl tun, sich ruhig zu verhalten, sonst könne gar leicht nach dem Donner der Hagel folgen. Endlich trieb der städtische Quästor Quintus Caepio, vermutlich der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn58 und gleich seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem Haufen ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander. Allein die derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung nach Rom geströmt waren, sprengten, rasch zusammengerafft, wieder die städtischen Haufen, und so gelang es, auf dem wiedereroberten Stimmfeld die Abstimmung über die Appuleischen Gesetze zu Ende zu führen. Der Skandal war arg; als es indes zur Frage kam, ob der Senat der Klausel des Gesetzes genügen werde, daß binnen fünf Tagen nach dessen Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner Ratsherrnstelle auf getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten diesen Eid die sämtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus Metellus, der es vorzog, die Heimat zu verlassen. Nicht ungern sahen Marius und Saturninus den besten Feldherrn und den tüchtigsten Mann unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung aus dem Staate scheiden.
Man schien am Ziel; dem schärfer Sehenden mußte schon jetzt das Unternehmen als gescheitert erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens lag wesentlich in der ungeschickten Allianz eines politisch unfähigen Feldherrn und eines fähigen, aber rücksichtslos heftigen, und mehr von Leidenschaft als von staatsmännischen Zwecken erfüllten Demagogen von der Gasse. Man hatte sich vortrefflich vertragen, solange es sich nur noch um Pläne handelte; als es dann aber zur Ausführung kam, zeigte es sich sehr bald, daß der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war als eine Inkapazität; daß sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den Adligen an Titeln erreichen und womöglich überbieten möchte, nicht aber der des Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft fühlt; daß jedes Unternehmen, welches auf seine politische Persönlichkeit gebaut war, auch unter den sonst günstigsten Verhältnissen notwendig an ihm selber scheitern mußte.
Er wußte weder seine Gegner zu gewinnen noch seine Partei zu bändigen. Die Opposition gegen ihn und seine Genossen war an sich schon ansehnlich genug; denn nicht bloß die Regierungspartei in Masse gehörte dazu, sondern auch der große Teil der Bürgerschaft, der mit eifersüchtigen Blicken den Italikern gegenüber über seinen Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber, den die Dinge nahmen, wurde noch die gesamte begüterte Klasse zu der Regierung hinübergedrängt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus Herren und Diener des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fuße mit der Geldaristokratie, die zwar nichts dagegen hatte, mittels des Pöbels dem Senat einmal Schach zu bieten, aber Straßenaufläufe und arge Gewalttätigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus‘ erstem Tribunat hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich herumgeschlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun für 654 (100) stieß, zeigt deutlich, wie klein die ihm günstige Partei war. Es wäre Marius‘ Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe dieser Genossen sich nur mit Maßen zu bedienen und männiglich zu überzeugen, daß sie nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm, dem Herrscher, zu dienen. Da er das gerade Gegenteil davon tat und die Sache ganz das Ansehen gewann, als handle es sich nicht darum, einen intelligenten und kräftigen Herrn, sondern die reine Kanaille ans Regiment zu bringen, so schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenüber die Männer der materiellen Interessen, zum Tode erschrocken über das wüste Wesen, sich wieder eng an den Senat an. Während Gaius Gracchus, wohl erkennend, daß mit dem Proletariat allein keine Regierung gestürzt werden kann, vor allen Dingen bemüht gewesen war, die besitzenden Klassen auf seine Seite zu ziehen, fingen diese seine Fortsetzer damit an, die Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versöhnen.
Aber noch rascher als die Versöhnung der Feinde führte den Ruin des Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern Marius‘ mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief. Während die entscheidenden Anträge von seinen Genossen gestellt, von seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollständig leidend, gleich als ob der politische Führer nicht ebenso wie der militärische, wenn es zum Hauptangriff geht, überall und vor allen einstehen müßte mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor den Geistern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reißaus. Als seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht billigen konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht erreichen ließ, versuchte er in der üblichen Weise politisch-moralischer Konfusionäre sich von der Teilnahme an jenen Verbrechen reinzuwaschen und zugleich das Ergebnis derselben sich zunutze zu machen. Es gibt ein Geschichtchen, daß der General einst in zwei verschiedenen Zimmern seines Hauses in dem einen mit dem Saturninus und den Seinen, in dem anderen mit den Abgeordneten der Oligarchie geheime Unterhandlungen gepflogen habe, dort über das Losschlagen gegen dem Senat, hier über das Einschreiten gegen die Revolte, und daß er unter einem Vorwand, wie er der Peinlichkeit der Situation entsprach, zwischen beiden Konferenzen ab und zu gegangen sei – ein Geschichtchen, so sicherlich erfunden und so sicher treffend wie nur irgendein Einfall des Aristophanes. Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage, wobei er anfangs Miene machte, den durch die Appuleischen Gesetze geforderten Eid der bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler halber selbst zu verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt schwor, wofern die Gesetze wirklich rechtsbeständig seien; ein Vorbehalt, der den Eid selber aufhob, und den natürlich sämtliche Senatoren in ihren Schwur gleichfalls aufnahmen, so daß durch diese Weise der Beeidigung die Gültigkeit der Gesetze nicht gesichert, sondern vielmehr erst recht in Frage gestellt ward.
Die Folgen dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht deswegen die Revolution unternommen und dem Marius die Staatsoberhauptschaft verschafft, um sich von ihm verleugnen und aufopfern zu lassen; wenn Glaucia, der spaßhafte Volksmann, bisher den Marius mit den lustigsten Blumen seiner lustigen Beredsamkeit überschüttet hatte, so dufteten die Kränze, welche er jetzt ihm wand, keineswegs nach Rosen und Violen. Es kam zum vollständigen Bruch, womit beide Teile verloren waren; denn weder stand Marius fest genug, um allein das von ihm selbst in Frage gestellte Kolonialgesetz zu halten und der ihm darin bestimmten Stellung sich zu bemächtigen, noch waren Saturninus und Glaucia in der Lage, das für Marius begonnene Geschäft auf eigene Rechnung fortzuführen. Indes die beiden Demagogen waren so kompromittiert, daß sie nicht zurückkonnten und nur die Wahl hatten, ihre Ämter in gewöhnlicher Weise niederzulegen und damit ihren erbitterten Gegnern sich mit gebundenen Händen zu überliefern oder nun selber nach dem Szepter zu greifen, dessen Gewicht sie freilich fühlten nicht tragen zu können. Sie entschlossen sich zu dem letzteren; Saturninus wollte für 655 (99) abermals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten, Glaucia, obwohl Prätor und erst nach zwei Jahren wahlfähig zum Konsulat, um dieses sich bewerben. In der Tat wurden die tribunizischen Wahlen durchaus in ihrem Sinne entschieden und Marius‘ Versuch, den falschen Tiberius Gracchus an der Bewerbung um das Tribunat zu hindern, diente nur dazu, dem gefeierten Mann zu beweisen, was seine Popularität jetzt noch wert war; die Menge sprengte die Tür des Gefängnisses, in dem Gracchus eingesperrt saß, trug ihn im Triumph durch die Straßen und wählte ihn mit großer Majorität zu ihrem Tribun. Die wichtigere Konsulnwahl suchten Saturninus und Glaucia durch das im vorigen Jahr erprobte Mittel zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in die Hand zu bekommen; der Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius Memmius, derselbe, der elf Jahre zuvor gegen sie die Opposition geführt hatte, wurde von einem Haufen Gesindel überfallen und mit Knütteln erschlagen. Aber die Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes Ereignis der Art gewartet, um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Konsul Gaius Marius auf, einzuschreiten, und dieser gab in der Tat sich dazu her, das Schwert, das er von der Demokratie erhalten und für sie zu führen versprochen hatte, nun für die konservative Partei zu ziehen. Die junge Mannschaft ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen aus den öffentlichen Gebäuden ausgerüstet und militärisch geordnet; der Senat selbst erschien bewaffnet auf dem Markt, an der Spitze sein greiser Vormann Marcus Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im Straßenlärm überlegen, aber auf einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie mußte nun sich wehren, wie es ging. Man erbrach die Tore der Gefängnisse und rief die Sklaven zur Freiheit und unter die Waffen; man rief – so heißt es wenigstens – den Saturninus zum König oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die neuen Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dezember 654 (100), kam es auf dem Großen Markte zur Schlacht, der ersten, die, seit Rom stand, innerhalb der Mauern der Hauptstadt geliefert worden ist. Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft. Die Popularen wurden geschlagen und hinaufgedrängt auf das Kapitol, wo man ihnen das Wasser abschnitt und sie dadurch nötigte, sich zu ergeben. Marius, der den Oberbefehl führte, hätte gern seinen ehemaligen Verbündeten und jetzigen Gefangenen das Leben gerettet; laut rief Saturninus der Menge zu, daß alles, was er beantragt, im Einverständnis mit dem Konsul geschehen sei; selbst einem schlechteren Mann, als Marius war, mußte grauen vor der ehrlosen Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indes er war längst nicht mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend das Dach des Rathauses am Markt, in das man vorläufig die Gefangenen eingesperrt hatte, deckte die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben. So kam Saturninus um mit den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia ward in einem Versteck gefunden und gleichfalls getötet. Ohne Urteil und Recht starben an diesem Tage vier Beamte des römischen Volkes. ein Prätor, ein Quästor, zwei Volkstribune und eine Anzahl anderer bekannter und zum Teil guten Familien angehöriger Männer. Trotz der schweren und blutigen Verschuldungen, die die Häupter auf sich geladen hatten, durfte man dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten, die das Hauptheer im Stich läßt und sie nötigt, im verzweifelten Kampf zwecklos unterzugehen.
Nie hatte die Regierungspartei einen vollständigeren Sieg erfochten, nie die Opposition eine härtere Niederlage erlitten als an diesem 10. Dezember. Es war das wenigste, daß man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die jeden Tag durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten; schwerer fiel ins Gewicht, daß der einzige Mann, der damals imstande war, der Regierung gefährlich zu werden, sich selber öffentlich und vollständig vernichtet hatte; am schwersten, daß die beiden oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand und das Proletariat, gänzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das Werk der Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhältnisse, teils und vor allem die grobe Bauernfaust seines unfähigen Nachtreters hatten wieder aufgelöst, was unter Gaius Gracchus‘ gewandter Hand sich zusammenfügte; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung oder Glück der Regierung zum Siege verhalf. Eine kläglichere Stellung ist kaum zu erdenken, als wie sie der Held von Aquae und Vercellae nach jener Katastrophe einnahm – nur um so kläglicher, weil man nicht anders konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, der nur wenige Monate zuvor denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer noch auf demokratischer Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn bei der Besetzung der Ämter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht einmal wagen, sich 656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in den Osten, wie er sagte, um ein Gelübde dort zu lösen, in der Tat, um nicht von der triumphierenden Rückkehr seines Todfeindes, des Quintus Metellus, Zeuge zu sein; man ließ ihn gehen. Er kam wieder zurück und öffnete sein Haus; seine Säle standen leer. Immer hoffte er, daß es wieder Kämpfe und Schlachten geben und man seines erprobten Armes abermals bedürfen werde; er dachte sich im Osten, wo die Römer allerdings Ursache genug gehabt hätten, energisch zu intervenieren, Gelegenheit zu einem Kriege zu machen. Aber auch dies schlug ihm fehl wie jeder andere seiner Wünsche; es blieb tiefer Friede. Und dabei fraß der einmal in ihm aufgestachelte Hunger nach Ehren, je öfter er getäuscht ward, immer tiefer sich ein in sein Gemüt; abergläubisch wie er war, nährte er in seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben Konsulate verheißen hatte, und sann in finsteren Gedanken, wie es geschehen möge, daß dies Wort seine Erfüllung und er seine Rache bekomme, während er allen, nur sich selbst nicht, unbedeutend und unschädlich erschien.
Folgenreicher noch als die Beseitigung des gefährlichen Mannes war die tiefe Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die Schilderhebung des Saturninus in der Partei der materiellen Interessen zurückließ. Mit der rücksichtslosesten Härte verurteilten die Rittergerichte jeden, der zu den oppositionellen Ansichten sich bekannte; so ward Sextus Titius mehr noch als wegen seines Ackergesetzes deswegen verdammt, weil er des Saturninus Bild im Hause gehabt hatte; so Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das Verfahren gegen Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte. Sogar für ältere, von den Popularen der Aristokratien zugefügte Unbill wurde nun nicht ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten Genugtuung gefordert. Weil Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in Gemeinschaft mit Saturninus den Konsular Quintus Caepio ins Elend getrieben hatte, wurde er jetzt (659 95) auf Grund seines eigenen Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und lange schwankten die Geschworenen – nicht, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig, sondern ob sein Bundesgenosse oder sein Feind, Saturninus oder Caepio ihnen hassenswerter erscheine, bis sie denn doch zuletzt für Freisprechung sich entschieden. War man auch der Regierung an sich nicht geneigter als früher, so erschien doch nun, seit man sich, wenn auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen Pöbelherrschaft befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte, das bestehende Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend und staatsverderberisch, aber die kümmerliche Furcht vor dem noch elenderen und noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte ihm einen relativen Wert verliehen. So ging jetzt die Strömung, daß die Menge einen Volkstribun zerriß, der es gewagt hatte, die Rückkehr des Quintus Metellus zu verzögern, und daß die Demokraten anfingen, ihr Heil zu suchen in dem Bündnis mit Mördern und Giftmischern, wie sie zum Beispiel des verhaßten Metellus durch Gift sich entledigten, oder gar in dem Bündnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von ihnen schon flüchteten an den Hof des Königs Mithradates, der im stillen zum Krieg rüstete gegen Rom.
Auch die äußeren Verhältnisse gestalteten für die Regierung sich günstig. Die römischen Waffen waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf den Bundesgenossenkrieg nur wenig, überall aber mit Ehren tätig. Ernstlich gestritten wurde nur in Spanien, wo während der letzten für Rom so schweren Jahre die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich reit ungewohnter Heftigkeit gegen die Römer aufgelehnt hatten; hier stellten in dem Jahre 656-661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der nördlichen und der Konsul Publius Crassus in der südlichen Provinz mit Tapferkeit und Glück nicht bloß das Obergewicht der römischen Waffen wieder her, sondern schleiften auch die wiederspenstigen Städte und versetzten, wo es nötig schien, die Bevölkerung der festen Bergstädte in die Ebenen. Daß um dieselbe Zeit die römische Regierung auch wieder des ein Menschenalter hindurch vernachlässigten Ostens gedachte und energischer, als seit langem erhört war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien auftrat, wird später darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn der Revolution war das Regiment der Restauration so fest begründet, so populär gewesen. Konsularische Gesetze lösten die tribunizischen, Freiheitsbeschränkungen die Fortschrittsmaßregeln ab. Die Kassierung der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die überseeischen Kolonien des Marius schwanden zusammen zu einer einzigen winzigen Ansiedelung auf der wüsten Insel Korsika. Als der Volkstribun Sextus Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und Ballspiel stärker war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin bestand, nachts auf den Straßen die Götterbilder zu zerschlagen, das Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte, konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religiösen Vorwand kassieren, ohne daß jemand dafür einzustehen auch nur versucht hätte; den Urheber straften, wie schon erwähnt ward, die Ritter in ihren Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) machte ein von den beiden Konsuln eingebrachtes Gesetz die übliche vierundzwanzigtägige Frist zwischen Ein- und Durchbringung eines Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot, mehrere verschiedenartige Bestimmungen in einen Antrag zusammenzufassen; wodurch die unvernünftige Ausdehnung der legislatorischen Initiative wenigstens etwas beschränkt und offenbare Überrumpelungen der Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden. Immer deutlicher zeigte es sich, daß die Gracchische Verfassung, die den Sturz ihres Urhebers überdauert hatte, jetzt, seit die Menge und die Geldaristokratie nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten schwankte. Wie diese Verfassung geruht hatte auf der Spaltung der Aristokratie, so schien die Zwiespältigkeit der Opposition sie zu Falle bringen zu müssen. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, um das unvollkommene Restaurationswerk von 633 (121) zu vollenden, um dem Tyrannen endlich auch seine Verfassung nachzusenden und die regierende Oligarchie in den Alleinbesitz der politischen Gewalt wiedereinzusetzen.
Es kam alles an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die Verwaltung der Provinzen, die hauptsächliche Grundlage des senatorischen Regiments, war von den Geschworenengerichten, namentlich von der Kommission wegen Erpressungen, in dem Maße abhängig geworden, daß der Statthalter die Provinz nicht mehr für den Senat, sondern für den Kapitalisten- und Kaufmannsstand zu verwalten schien. Wie bereitwillig immer die Geldaristokratie der Regierung entgegenkam, wenn es um Maßregeln gegen die Demokraten sich handelte, so unnachsichtlich ahndete sie jeden Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen Recht freiesten Schaltens in den Provinzen zu beschränken. Einzelne derartige Versuche wurden jetzt gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder an, sich zu fühlen und eben ihre besten Männer hielten sich verpflichtet, der entsetzlichen Mißwirtschaft in den Provinzen wenigstens für ihre Person entgegenzutreten. Am entschlossensten tat dies Quintus Mucius Scaevola, gleich seinem Vater Publius Oberpontifex und im Jahre 659 (95) Konsul, der erste Jurist und einer der vorzüglichsten Männer seiner Zeit. Als prätorischer Statthalter (um 656 98) von Asia, der reichsten und gemißhandeltsten unter allen Provinzen, statuierte er in Gemeinschaft mit seinem älteren, als Offizier, Jurist und Geschichtschreiber ausgezeichneten Freunde, dem Konsular Publius Rutilius Rufus, ein ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen Unterschied zwischen Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu machen, nahm er jede Klage an und zwang nicht bloß die römischen Kaufleute und Staatspächter wegen erwiesener Schädigungen, vollen Geldersatz zu leisten, sondern, als einige ihrer angesehensten und rücksichtslosesten Agenten todeswürdiger Verbrechen schuldig befunden wurden, ließ er diese, taub gegen alle Bestechungsanträge, ans Kreuz schlagen wie Rechtens. Der Senat billigte sein Verfahren und setzte sogar seitdem den Statthaltern von Asia es in die Instruktion, daß sie sich die Verwaltungsgrundsätze Scaevolas zum Muster nehmen möchten; allein die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und vielvermögenden Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefährten vor Gericht, zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten derselben, seinen Legaten Publius Rufus, der nur durch Verdienste und anerkannte Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang verteidigt war. Die Anklage, daß dieser Mann sich in Asia habe Erpressungen zuschulden kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen Lächerlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklägers, eines gewissen Apicius; allein man ließ dennoch die willkommene Gelegenheit, den Konsular zu demütigen, nicht vorübergehen, und da dieser, die falsche Beredsamkeit, die Trauergewänder, die Tränen verschmähend, sich kurz, einfach und sachlich verteidigte und den souveränen Kapitalisten die begehrte Huldigung stolz verweigerte, ward er in der Tat verurteilt und sein mäßiges Vermögen zur Befriedigung erdichteter Entschädigungsansprüche eingezogen. Der Verurteilte begab sich in die angeblich von ihm ausgeplünderte Provinz und verlebte daselbst, von sämtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit seines Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Muße die ihm noch übrigen Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der ärgste, aber keineswegs der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als solcher Mißbrauch der Justiz gegen Männer fleckenlosen Wandels, aber neuen Adels erbitterte es die senatorische Partei, daß der reinste Adel nicht mehr genügte, die etwaigen Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken. Kaum war Rufus aus dem Lande, als der angesehenste aller Aristokraten, seit zwanzig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjährige Marcus Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; nach aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig war. Das Anklägeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmäßig betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter schützte mehr vor den frevelhaftesten und gefährlichsten Angriffen. Die Erpressungskommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen ihre schlimmste Geißel; der offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er nur seine Mitthebe gewähren ließ und sich nicht weigerte, einen Teil der erpreßten Summen den Geschworenen zufließen zu lassen; aber jeder Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf Recht und Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung. Die römische Regierung schien in dieselbe Abhängigkeit von dem kontrollierenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst das Richterkollegium in Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In furchtbarer Weise erfüllte sich Gaius Gracchus‘ ahnungsvolles Wort, daß mit dem Dolche seines Geschworenengesetzes die vornehme Welt sich selber zerfleischen werde.
Ein Sturm auf die Rittergerichte war unvermeidlich. Wer in der Regierungspartei noch Sinn dafür hatte, daß das Regieren nicht bloß Rechte, sondern auch Pflichten in sich schließt, ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich empfand, mußte sich auflehnen gegen diese erdrückende und entehrende politische Kontrolle, die jede Möglichkeit, rechtschaffen zu verwalten, von vornherein abschnitt. Die skandalöse Verurteilung des Rutilius Rufus schien eine Aufforderung, den Angriff sofort zu beginnen, und Marcus Livius Drusus, der im Jahre 663 (91) Volkstribun war, betrachtete dieselbe als besonders an sich gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen Mannes, der dreißig Jahre zuvor zunächst den Gaius Gracchus gestürzt und später auch als Offizier durch die Unterwerfung der Skordisker sich einen Namen gemacht hatte, war Drusus, gleich seinem Vater, streng konservativ gesinnt und hatte diese seine Gesinnung bereits in dem Aufstand des Saturninus tatsächlich bewährt. Er gehörte den Kreisen des höchsten Adels an und war Besitzer eines kolossalen Vermögens; auch der Gesinnung nach war er ein echter Aristokrat – ein energisch stolzer Mann, der es verschmähte, mit den Ehrenzeichen seiner Ämter sich zu behängen, aber auf dem Totenbette es aussprach, daß nicht bald ein Bürger wiederkommen werde, der ihm gleich sei; ein Mann, dem das schöne Wort, daß der Adel verpflichtet, die Richtschnur seines Lebens ward und blieb. Mit der ganzen ernsten Leidenschaft seines Gemütes hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und Feilheit des vornehmen Pöbels; zuverlässig und sittenstreng war er bei den geringen Leuten, denen seine Tür und sein Beutel immer offenstanden, mehr geachtet als eigentlich beliebt und trotz seiner Jugend durch die persönliche Würde seines Charakters von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand er nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner Verteidigung in dem Prozeß wegen Erpressungen den Drusus öffentlich aufzufordern, Hand zu legen an die Reform der Geschworenenordnung; er sowie der berühmte Redner Lucius Crassus waren im Senat die eifrigsten Verfechter, vielleicht die Miturheber seiner Anträge. Indes die Masse der regierenden Aristokratie dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus und Crassus. Es fehlte im Senat nicht an entschiedenen Anhängern der Kapitalistenpartei, unter denen namentlich sich bemerkbar machten der derzeitige Konsul Lucius Marcius Philippus, der wie früher die Sache der Demokratie, so jetzt die des Ritterstandes mit Eifer und Klugheit verfocht, und der verwegene und rücksichtslose Quintus Caepio, den zunächst die persönliche Feindschaft gegen Drusus und Scaurus zu dieser Opposition bestimmte. Allein gefährlicher als diese entschiedenen Gegner war die feige und faule Masse der Aristokratie, die zwar die Provinzen lieber allein geplündert hätte, aber am Ende auch nicht viel dawider hatte, mit den Rittern die Beute zu teilen, und, statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes gegen die übermütigen Kapitalisten zu übernehmen, es viel billiger und bequemer fand, sich von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen Fußfall oder auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen. Nur der Erfolg konnte zeigen, wieweit es gelingen werde, diese Masse mit fortzureißen, ohne die es nun einmal nicht möglich war, zum Ziele zu gelangen.
Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Bürgern vom Ritterzensus zu entziehen und sie dem Senat zurückzugeben, welcher zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand gesetzt werden sollte, den vermehrten Obliegenheiten zu genügen; zur Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der Bestechlichkeit sich schuldig gemacht hätten oder schuldig machen würden, sollte eine eigene Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der nächste Zweck erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu berauben und sie für die verübte Unbill zur Verantwortung zu ziehen. Indes Drusus‘ Anträge und Absichten beschränkten sich hierauf keineswegs; seine Vorschläge waren keine Gelegenheitsmaßregeln, sondern ein umfassender und durchdachter Reformplan. Er beantragte ferner, die Getreideverteilung zu erhöhen und die Mehrkosten zu decken durch die dauernde Emission einer verhältnismäßigen Zahl von kupfernen plattierten neben den silbernen Denaren, sodann das gesamte noch unverteilte italische Ackerland, also namentlich die Kampanische Domäne, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von Bürgerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das römische Bürgerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier von aristokratischer Seite ebendieselben Herrschaftsstützen und ebendieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus‘ Verfassung beruht hatte – ein seltsames und doch sehr begreifliches Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, daß, wie die Tyrannis gegen die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stützte auf das besoldete und gewissermaßen organisierte Proletariat; hatte die Regierung früher die Ernährung des Proletariats auf Staatskosten als ein unvermeidliches Übel hingenommen, so dachte Drusus jetzt dasselbe, wenigstens für den Augenblick, gegen die Geldaristokratie zu gebrauchen. Es war nur in der Ordnung, daß der bessere Teil der Aristokratie, ebenwie ehemals auf das Ackergesetz des Tiberius Gracchus, so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen Reformmaßregeln, die, ohne die Oberhauptsfrage zu berühren, nur darauf abzweckten, die alten Schäden des Staats auszuheilen. In der Emigrations- und Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen wie die Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf dem freien Schalten über die Provinzen und durch jedes dauernde militärische Kommando gefährdet ward; die Gedanken, Italien und die Provinzen gleichzustellen und jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen mit den konservativen Prinzipien sich nicht. Allein die launischen und selbst die kampanischen Domänen so wie Sizilien konnte der Senat recht wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand zu heben und dennoch die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, daß man künftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch, daß alles irgend verfügbare Land von der Aristokratie selbst zur Aufteilung gebracht ward und für künftige Demagogen, nach Drusus‘ eigenem Ausdruck, nichts zu verteilen übrig blieb als der Gassenkot und das Morgenrot. Ebenso war es für die Regierung, mochte dies nun ein Monarch sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender Familien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum römischen Bürgerverband gehörte; und daher mußten wohl beiderseits die reformierenden Männer sich in dem Gedanken begegnen, durch zweckmäßige und rechtzeitige Erstreckung des Bürgerrechts die Gefahr abzuwenden, daß die Insurrektion von Fregellae in größerem Maßstab wiederkehre, nebenher auch an den zahl- und einflußreichen Italikern sich Bundesgenossen für ihre Pläne suchen. So scharf in der Oberhauptsfrage die Ansichten und Absichten der beiden großen politischen Parteien sich schieden, so vielfach berührten sich in den Operationsmitteln und in den reformistischen Tendenzen die besten Männer aus beiden Lagern; und wie Scipio Aemilianus ebenso unter den Widersachern des Tiberius Gracchus wie unter den Förderern seiner Reformbestrebungen genannt werden kann, so war auch Drusus der Nachfolger und Schüler nicht minder als der Gegner des Gaius. Die beiden hochgeborenen und hochsinnigen jugendlichen Reformatoren waren sich ähnlicher, als es auf den ersten Blick schien und auch persönlich beide nicht unwert, über dem trüben Nebel des befangenen Parteitreibens in reineren und höheren Anschauungen sich mit dem Kern ihrer patriotischen Bestrebungen zu begegnen.
Es handelte sich um die Durchbringung der von Drusus entworfenen Gesetze, von denen übrigens der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus, den bedenklichen Vorschlag, den italischen Bundesgenossen das römische Bürgerrecht zu verleihen, vorläufig zurückhielt und zunächst nur das Geschworenen-, Acker- und Getreidegesetz vorlegte. Die Kapitalistenpartei widerstand aufs heftigste und würde bei der Unentschlossenheit des größten Teils der Aristokratie und der Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die Verwerfung des Geschworenengesetzes durchgesetzt haben, wenn es allein zur Abstimmung gekommen wäre. Drusus faßte deshalb seine sämtlichen Anträge in einen einzigen zusammen; und indem also alle bei den Getreide- und Landverteilungen interessierten Bürger genötigt wurden, auch für das Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und durch die Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz bedrohten großen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und etruskischen, fest zu Drusus standen, das Gesetz durchzubringen – freilich erst, nachdem Drusus den Konsul Philippus, der nicht aufhörte zu widerstreben, hatte verhaften und durch den Büttel in den Kerker abführen lassen. Das Volk feierte den Tribun als seinen Wohltäter und empfing ihn im Theater mit Aufstehen und Beifallklatschen; allein die Abstimmung hatte den Kampf nicht so sehr entschieden als auf einen anderen Boden verlegt, da die Gegenpartei den Antrag des Drusus mit Recht als dem Gesetz von 656 (98) zuwiderlaufend und deshalb als nichtig bezeichnete. Der Hauptgegner des Tribuns, der Konsul Philippus, forderte den Senat auf, aus diesem Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu kassieren; allein die Majorität des Senats, erfreut, die Rittergerichte los zu sein, wies den Antrag zurück. Der Konsul erklärte darauf auf offenem Markte, daß mit einem solchen Senat zu regieren nicht möglich sei und er sich nach einem anderen Staatsrat umsehen werde; er schien einen Staatsstreich zu beabsichtigen. Der Senat, von Drusus deswegen berufen, sprach nach stürmischen Verhandlungen gegen den Konsul ein Tadels- und Mißtrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in einem großen Teil der Majorität die Angst vor der Revolution zu regen, mit der sowohl Philippus als ein großer Teil der Kapitalisten zu drohen schien. Andere Umstände kamen hinzu. Einer der tätigsten und angesehensten unter Drusus‘ Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus, starb plötzlich wenige Tage nach jener Senatssitzung (September 663 91). Die von Drusus mit den Italikern angeknüpften Verbindungen, die er anfangs nur wenigen seiner Vertrautesten mitgeteilt hatte, wurden allmählich ruchbar, und in das wütende Geschrei über Landesverrat, das die Gegner erhoben, stimmten viele, vielleicht die meisten Männer der Regierungspartei mit ein; selbst die edelmütige Warnung, die er dem Konsul Philippus zukommen ließ, bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg vor den von den Italikern ausgesandten Mördern sich zu hüten, diente nur dazu, ihn weiter zu kompromittieren, indem sie zeigte, wie tief er in die unter den Italikern gärenden Verschwörungen verwickelt war. Immer heftiger drängte Philippus auf Kassation des Livischen Gesetzes; immer lauer ward die Majorität in der Verteidigung desselben. Bald erschien die Rückkehr zu den früheren Verhältnissen der großen Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der einzige Ausweg, und der Kassationsbeschluß wegen formeller Mängel erfolgte. Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend, begnügte sich daran zu erinnern, daß der Senat also selbst die verhaßten Rittergerichte wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den Kassationsbeschluß durch Interzession ungültig zu machen. Der Angriff des Senats auf die Kapitalistenpartei war vollständig abgeschlagen, und willig oder unwillig fügte man sich abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe Finanz begnügte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends auf seinem Hausflur die wie gewöhnlich ihn begleitende Menge eben verabschieden wollte, stürzte er plötzlich vor dem Bilde seines Vaters zusammen; eine Mörderhand hatte ihn getroffen und so sicher, daß er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Täter war in der Abenddämmerung verschwunden, ohne daß jemand ihn erkannt hatte, und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die Aristokratie sich selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und grauenvolle Ende, das die demokratischen Reformatoren weggerafft hatte, war auch dem Gracchus der Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine tiefe und traurige Lehre. An dem Widerstand oder an der Schwäche der Aristokratie scheiterte die Reform, selbst wenn der Versuch zu reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine Kraft und sein Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu stürzen, die Emigration zu organisieren, den drohenden Bürgerkrieg abzuwenden; er sah noch selbst die Kaufleute unumschränkter regieren als je, sah alle seine Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewußtsein, daß seid jäher Tod das Signal zu dem fürchterlichsten Bürgerkrieg sein werde, der je das schöne italische Land verheert hat.
- Es ist nicht möglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was dem zweiten Tribunat des Saturninus angehört; um so weniger, als derselbe in beiden offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte. Das afrikanische Ackergesetz setzt die Schrift ‚De viris illustribus‘ (73, 1) mit Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der erst kurz vorher erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das zweite Ackergesetz gehört unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das Majestäts- und das Getreidegesetz sind nur vermutungsweise jenes in 651 (103), dieses in 654 (100) gesetzt worden.
- Dahin führen alle Spuren. Der ältere Quintus Caepio war 648 (106) Konsul, der jüngere 651 (103) oder 654 (100) Quästor, also jener um oder vor 605 (149), dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; daß jener starb, ohne Söhne zu hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht nicht, denn der jüngere Caepio fiel 664 (90) und der ältere, der im Exil zu Smyrna sein Leben beschloß, kann gar wohl ihn überlebt haben.