2. Kapitel


2. Kapitel

Die Sullanische Restaurationsherrschaft

Als nach Unterdrückung der den Senat in seiner Existenz bedrohenden Cinnanischen Revolution es der restaurierten Senatsregierung möglich ward, der inneren und äußeren Sicherheit des Reiches wiederum die erforderliche Aufmerksamkeit zu widmen, zeigten sich der Angelegenheiten genug, deren Lösung nicht verschoben werden konnte, ohne die wichtigsten Interessen zu verletzen und gegenwärtige Unbequemlichkeiten zu künftigen Gefahren anwachsen zu lassen. Abgesehen von der sehr ernsten Verwicklung in Spanien war es schlechterdings notwendig teils die Barbaren in Thrakien und den Donauländern, die Sulla bei seinem Marsch durch Makedonien nur oberflächlich hatte züchtigen können, nachhaltig zu Paaren zu treiben und die verwirrten Verhältnisse an der Nordgrenze der griechischen Halbinsel militärisch zu regulieren, teils den überall, namentlich aber in den östlichen Gewässern herrschenden Flibustierbanden gründlich das Handwerk zu legen, teils endlich in die unklaren kleinasiatischen Verhältnisse eine bessere Ordnung zu bringen. Der Friede, den Sulla im Jahre 670 (84) mit König Mithradates von Pontos abgeschlossen hatte und von dem der Vertrag mit Murena 673 (81) wesentlich eine Wiederholung war, trug durchaus den Stempel eines notdürftig für den Augenblick hergestellten Provisoriums; und das Verhältnis der Römer zu König Tigranes von Armenien, mit dem sie doch faktisch Krieg geführt hatten, war in diesem Frieden ganz unberührt geblieben. Mit Recht hatte Tigranes darin die stillschweigende Erlaubnis gefunden, die römischen Besitzungen in Asien in seine Gewalt zu bringen. Wenn dieselben nicht preisgegeben bleiben sollten, war es notwendig in Güte oder Gewalt mit dem neuen Großkönig Asiens sich abzufinden.

Betrachten wir, nachdem in dem vorhergehenden Kapitel die mit dem demokratischen Treiben zusammenhängende Bewegung in Italien und Spanien und deren Überwältigung durch die senatorische Regierung dargestellt wurde, in diesem das äußere Regiment, wie die von Sulla eingesetzte Behörde es geführt oder auch nicht geführt hat.

Man erkennt noch Sullas kräftige Hand in den energischen Maßregeln, die in der letzten Zeit seiner Regentschaft der Senat ungefähr gleichzeitig gegen die Sertorianer, gegen die Dalmater und Thraker und gegen die kilikischen Piraten verfügte.

Die Expedition nach der griechisch-illyrischen Halbinsel hatte den Zweck, teils die barbarischen Stämme botmäßig oder doch zahm zu machen, die das ganze Binnenland vom Schwarzen bis zum Adriatischen Meere durchstreiften und unter denen vornehmlich die Besser (im großen Balkan), wie man damals sagte, selbst unter den Räubern als Räuber verrufen waren, teils die namentlich im dalmatischen Litoral sich bergenden Korsaren zu vernichten. Wie gewöhnlich ging der Angriff gleichzeitig von Dalmatien und von Makedonien aus, in welcher letzteren Provinz ein Heer von fünf Legionen hierzu gesammelt ward. Der gewesene Prätor Gaius Cosconius, welcher in Dalmatien den Befehl führte, durchstreifte das Land nach allen Richtungen und erstürmte nach zweijähriger Belagerung die Festung Salona. In Makedonien versuchte der Prokonsul Appius Claudius (676 bis 678 78-76) zunächst sich an der makedonisch-thrakischen Grenze der Berglandschaften am linken Ufer des Karasu zu bemeistern. Von beiden Seiten ward der Krieg mit arger Wildheit geführt; die Thraker zerstörten die eroberten Ortschaften und metzelten die Gefangenen nieder und die Römer vergalten Gleiches mit Gleichem. Ernstliche Erfolge aber wurden nicht erreicht; die beschwerlichen Märsche und die beständigen Gefechte mit den zahlreichen und tapferen Gebirgsbewohnern dezimierten nutzlos die Armee; der Feldherr selbst erkrankte und starb. Sein Nachfolger Gaius Scribonius Curio (679-681 75-73) wurde durch mancherlei Hindernisse, namentlich auch durch einen nicht unbedeutenden Militäraufstand bewogen, die schwierige Expedition gegen die Thraker fallen zu lassen und dafür sich nach der makedonischen Nordgrenze zu wenden, wo er die schwächeren Dardaner (in Serbien) unterwarf und bis an die Donau gelangte. Erst der tapfere und fähige Marcus Lucullus (682, 683 72, 71) rückte wieder gegen Osten vor, schlug die Besser in ihren Bergen, nahm ihre Hauptstadt Uscudama (Adrianopel) und zwang sie, der römischen Oberhoheit sich zu fügen. Der König der Odrysen, Sadalas, und die griechischen Städte an der Ostküste nördlich und südlich vom Balkangebirge: Istropolis, Tomoi, Kallatis, Odessos (bei Varna), Mesembria und andere, wurden abhängig von den Römern; Thrakien, von dem die Römer bisher kaum mehr inne gehabt hatten als die attalischen Besitzungen auf dem Chersones, ward jetzt ein freilich wenig botmäßiger Teil der Provinz Makedonien.

Aber weit nachteiliger als die immer doch auf einen geringen Teil des Reiches sich beschränkenden Raubzüge der Thraker und Dardaner war für den Staat wie für die einzelnen die Piraterie, die immer weiter um sich griff und immer fester sich organisierte. Der Seeverkehr war auf dem ganzen Mittelmeer in ihrer Gewalt. Italien konnte weder seine Produkte aus-, noch das Getreide aus den Provinzen einführen; dort hungerten die Leute, hier stockte wegen Mangels an Absatz die Bestellung der Getreidefelder. Keine Geldsendung, kein Reisender war mehr sicher; die Staatskasse erlitt die empfindlichsten Verluste; eine große Anzahl angesehener Römer wurde von den Korsaren aufgebracht und mußte mit schweren Summen sich ranzionieren, wenn es nicht gar den Piraten beliebte, an einzelnen derselben das Blutgericht zu vollstrecken, das dann auch wohl mit wildem Humor gewürzt ward. Die Kaufleute, ja die nach dem Osten bestimmten römischen Truppenabteilungen fingen an, ihre Fahrten vorwiegend in die ungünstige Jahreszeit zu verlegen und die Winterstürme weniger zu scheuen als die Piratenschiffe, die freilich selbst in dieser Jahreszeit doch nicht ganz vom Meere verschwanden. Aber wie empfindlich die Sperrung der See war, sie war eher zu ertragen als die Heimsuchung der griechischen und kleinasiatischen Inseln und Küsten. Ganz wie später in der Normannenzeit liefen die Korsarengeschwader bei den Seestädten an und zwangen sie, entweder mit großen Summen sich loszukaufen, oder belagerten und stürmten sie mit gewaffneter Hand. Wenn unter Sullas Augen nach geschlossenem Frieden mit Mithradates Samothrake, Klazomenä, Samos, Iassos von den Piraten ausgeraubt wurden (670 84), so kann man sich denken, wie es da zuging, wo weder eine römische Flotte noch ein römisches Heer in der Nähe stand. All die alten reichen Tempel an den griechischen und kleinasiatischen Küsten wurden nach der Reihe geplündert; allein aus Samothrake soll ein Schatz von 1000 Talenten (1500000 Talern) weggeführt worden sein. Apollon, heißt es bei einem römischen Dichter dieser Zeit, ist durch die Piraten so arm geworden, daß er, wenn die Schwalbe bei ihm auf Besuch ist, aus all seinen Schätzen auch nicht ein Quentchen Gold mehr ihr vorzeigen kann. Man rechnete über vierhundert von den Piraten eingenommene oder gebrandschatzte Ortschaften, darunter Städte wie Knidos, Samos, Kolophon; aus nicht wenigen früher blühenden Insel- und Küstenplätzen wanderte die gesamte Bevölkerung aus, um nicht von den Piraten fortgeschleppt zu werden. Nicht einmal im Binnenland mehr war man vor denselben sicher; es kam vor, daß sie ein bis zwei Tagemärsche von der Küste belegene Ortschaften überfielen. Die entsetzliche Verschuldung, der späterhin alle Gemeinden im griechischen Osten erliegen, stammt großenteils aus diesen verhängnisvollen Zeiten. Das Korsarenwesen hatte seinen Charakter gänzlich verändert. Es waren nicht mehr dreiste Schnapphähne, die in den kretischen Gewässern zwischen Kyrene und dem Peloponnes – in der Flibustiersprache dem „goldenen Meer“ – von dem großen Zug des italisch-orientalischen Sklaven- und Luxushandels ihren Tribut nahmen; auch nicht mehr bewaffnete Sklavenfänger, die „Krieg, Handel und Piraterie“ ebenmäßig nebeneinander betrieben, es war ein Korsarenstaat mit einem eigentümlichen Gemeingeist; mit einer festen, sehr respektablen Organisation, mit einer eigenen Heimat und den Anfängen einer Symmachie, ohne Zweifel auch mit bestimmten politischen Zwecken. Die Flibustier nannten sich Kiliker; in der Tat fanden auf ihren Schiffen die Verzweifelten und Abenteurer aller Nationen sich zusammen: die entlassenen Söldner von den kretischen Werbeplätzen, die Bürger der vernichteten Ortschaften Italiens, Spaniens und Asiens, die Soldaten und Offiziere aus Fimbrias und Sertorius‘ Heeren, überhaupt die verdorbenen Leute aller Nationen, die gehetzten Flüchtlinge aller überwundenen Parteien, alles was elend und verwegen war – und wo war nicht Jammer und Frevel in dieser unseligen Zeit? Es war keine zusammengelaufene Diebesbande mehr, sondern ein geschlossener Soldatenstaat, in dem die Freimaurerei der Ächtung und der Missetat an die Stelle der Nationalität trat und innerhalb dessen das Verbrechen, wie so oft, vor sich selbst sich rettete in den hochherzigsten Gemeinsinn. In einer zuchtlosen Zeit, wo Feigheit und Unbotmäßigkeit alle Bande der gesellschaftlichen Ordnung erschlafft hatten, mochten die legitimen Gemeinwesen sich ein Muster nehmen an diesem Bastardstaat der Not und Gewalt, in den allein von allen das unverbrüchliche Zusammenstehen, der kameradschaftliche Sinn, die Achtung vor dem gegebenen Treuwort und den selbstgewählten Häuptern, die Tapferkeit und die Gewandtheit sich geflüchtet zu haben schienen. Wenn auf der Fahne dieses Staats die Rache an der bürgerlichen Gesellschaft geschrieben war, die, mit Recht oder mit Unrecht, seine Mitglieder von sich ausgestoßen hatte, so ließ sich darüber streiten, ob diese Devise viel schlechter war als die der italischen Oligarchie und des orientalischen Sultanismus, die im Zuge schienen, die Welt unter sich zu teilen. Die Korsaren wenigstens fühlten jedem legitimen Staate sich ebenbürtig; von ihrem Räuberstolz, ihrer Räuberpracht und ihrem Räuberhumor zeugt noch manche echte Flibustiergeschichte toller Lustigkeit und ritterlicher Banditenweise; sie meinten, und rühmten sich dessen, in einem gerechten Krieg mit der ganzen Welt zu leben; was sie darin gewannen, das hieß ihnen nicht Raubgut, sondern Kriegsbeute; und wenn dem ergriffenen Flibustier in jedem römischen Hafen das Kreuz gewiß war, so nahmen auch sie als ihr Recht in Anspruch, jeden ihrer Gefangenen hinrichten zu dürfen. Ihre militärisch-politische Organisation war namentlich seit dem Mithradatischen Krieg festgeschlossen. Ihre Schiffe, größtenteils „Mauskähne“, das heißt kleine, offene, schnellsegelnde Barken, nur zum kleineren Teil Zwei- und Dreidecker, fuhren jetzt regelmäßig in Geschwader vereinigt und unter Admiralen, deren Barken in Gold und Purpur zu glänzen pflegten. Dem bedrohten Kameraden, mochte er auch völlig unbekannt sein, weigerte kein Piratenkapitän den erbetenen Beistand; der mit einem aus ihrer Mitte abgeschlossene Vertrag ward von der ganzen Gesellschaft unweigerlich anerkannt, aber auch jede einem zugefügte Unbill von allen geahndet. Ihre rechte Heimat war das Meer von den Säulen des Herkules bis in die syrischen und ägyptischen Gewässer; die Zufluchtsstätten, deren sie für sich und ihre schwimmenden Häuser auf dem Festlande bedurften, gewährten ihnen bereitwillig die mauretanischen und dalmatischen Gestade, die Insel Kreta, vor allem die an Vorsprüngen und Schlupfwinkeln reiche, die Hauptstraße des Seehandels jener Zeit beherrschende und so gut wie herrenlose Südküste Kleinasiens. Der lykische Städtebund daselbst und die pamphylischen Gemeinden hatten wenig zu bedeuten; die seit 652 (102) in Kilikien bestehende römische Station reichte zur Beherrschung der weitläufigen Küste bei weitem nicht aus; die syrische Herrschaft über Kilikien war immer nur nominell gewesen und seit kurzem gar ersetzt worden durch die armenische, deren Inhaber als echter Großkönig um das Meer gar nicht sich kümmerte und dasselbe bereitwillig den Kilikern zur Plünderung preisgab. So war es kein Wunder, wenn die Korsaren hier gediehen wie nirgends sonst. Nicht bloß besaßen sie hier überall am Ufer Signalplätze und Stationen, sondern auch weiter landeinwärts, in den abgelegensten Verstecken des unwegsamen und gebirgigen lykischen, pamphylischen, kilikischen Binnenlandes, hatten sie sich ihre Felsschlösser erbaut, in denen, während sie selbst zur See fuhren, sie ihre Weiber, Kinder und Schätze bargen, auch wohl in gefährlichen Zeiten selbst dort eine Zufluchtsstätte fanden. Namentlich gab es solche Korsarenschlösser in großer Zahl in dem rauhen Kilikien, dessen Waldungen zugleich den Piraten das vortrefflichste Holz zum Schiffbau lieferten und wo deshalb ihre hauptsächlichsten Schiffbaustätten und Arsenale sich befanden. Es war nicht zu verwundern, daß dieser geordnete Militärstaat unter den mehr oder minder sich selber überlassenen und sich selber verwaltenden griechischen Seestädten sich eine feste Klientel bildete, die mit den Piraten wie mit einer befreundeten Macht auf Grund bestimmter Verträge in Handelsverkehr trat und der Aufforderung der römischen Statthalter, Schiffe gegen sie zu stellen, nicht nachkam; wie denn zum Beispiel die nicht unbeträchtliche Stadt Side in Pamphylien den Piraten gestattete auf ihren Werften Schiffe zu bauen und die gefangenen Freien auf ihrem Marktplatz feilzubieten.

Eine solche Seeräuberschaft war eine politische Macht; und als politische Macht gab sie sich und ward sie genommen, seit zuerst der syrische König Tryphon sie als solche benutzt und seine Herrschaft auf sie gestützt hatte. Wir finden die Piraten als Verbündete des Königs Mithradates von Pontos sowie der römischen demokratischen Emigration; wir finden sie Schlachten liefern gegen die Flotten Sullas in den östlichen wie in den westlichen Gewässern. Wir finden einzelne Piratenfürsten, die über eine Kette von ansehnlichen Küstenplätzen gebieten. Es läßt sich nicht sagen, wieweit die innere politische Entwicklung dieses schwimmenden Staates bereits gediehen war; aber unleugbar liegt in diesen Bildungen der Keim eines Seekönigtums, das bereits sich ansässig zu machen beginnt und aus dem unter günstigen Verhältnissen wohl ein dauernder Staat sich hätte entwickeln mögen.

Es ist hiermit ausgesprochen und ward zum Teil schon früher bezeichnet, wie die Römer auf „ihrem Meere“ die Ordnung hielten oder vielmehr nicht hielten. Roms Schutzherrschaft über die Ämter bestand wesentlich in der militärischen Vormundschaft; für die in der Hand der Römer vereinigte Verteidigung zur See und zu Lande zahlten oder zinsten den Römern die Provinzialen. Aber wohl niemals hat ein Vormund seinen Mündel unverschämter betrogen als die römische Oligarchie die untertänigen Gemeinden. Statt daß Rom eine allgemeine Reichsflotte aufgestellt und die Seepolizei zentralisiert hätte, ließ der Senat die einheitliche Oberleitung des Seepolizeiwesens, ohne die ebenhier gar nichts auszurichten war, gänzlich fallen und überließ es jedem einzelnen Statthalter und jedem einzelnen Klientelstaat, sich der Piraten zu erwehren, wie jeder wollte und konnte. Statt daß Rom, wie es sich anheischig gemacht, das Flottenwesen mit seinem und der formell souverän gebliebenen Klientelstaaten Gut und Blut ausschließlich bestritten hätte, ließ man die italische Kriegsmarine eingehen und lernte sich behelfen mit den von den einzelnen Kaufstädten requirierten Schiffen oder noch häufiger mit den überall organisierten Strandwachen, wo dann in beiden Fällen alle Kosten und Beschwerden die Untertanen trafen. Die Provinzialen mochten sich glücklich schätzen, wenn der römische Statthalter die für die Küstenverteidigung ausgeschriebenen Requisitionen nur wirklich zu diesem Zwecke verwandte und nicht für sich unterschlug, oder wenn sie nicht, wie sehr häufig geschah, angewiesen wurden, für einen von den Seeräubern gefangenen vornehmen Römer die Ranzion zu bezahlen. Was etwa Verständiges begonnen ward, wie die Besetzung Kilikiens 652 (102), verkümmerte sicher in der Ausführung. Wer von den Römern dieser Zeit nicht gänzlich in der gangbaren duseligen Vorstellung von nationaler Größe befangen war, der hätte wünschen müssen, von der Rednerbühne auf dem Markte die Schiffsschnäbel herabreißen zu dürfen, um wenigstens nicht stets durch sie an die in besserer Zeit erfochtenen Seesiege sich gemahnt zu finden.

Indes tat doch Sulla, der in dem Kriege gegen Mithradates wahrlich hinreichend sich hatte überzeugen können, welche Gefahren die Vernachlässigung des Flottenwesens mit sich bringe, verschiedene Schritte, um dem Übel ernstlich zu steuern. Der Auftrag zwar, welchen er den von ihm in Asien eingesetzten Statthaltern zurückgelassen, in den Seestädten eine Flotte gegen die Seeräuber auszurüsten, hatte wenig gefruchtet, da Murena es vorzog, Krieg mit Mithradates anzufangen, und der Statthalter von Kilikien, Gnaeus Dolabella, sich ganz unfähig erwies. Deshalb beschloß im Jahre 675 (79) der Senat, einen der Konsuln nach Kilikien zu senden; das Los traf den tüchtigen Publius Servilius. Er schlug in einem blutigen Treffen die Flotte der Piraten und wandte sich darauf zur Zerstörung derjenigen Städte an der kleinasiatischen Südküste, die ihnen als Ankerplätze und Handelsstationen dienten. Die Festungen des mächtigen Seefürsten Zeniketes: Olympos, Korykos, Phaselis im östlichen Lykien, Attaleia in Pamphylien wurden gebrochen, und in den Flammen der Burg Olympos fand der Fürst selbst den Tod. Weiter ging es gegen die Isaurer, welche im nordwestlichen Winkel des rauben Kilikiens am nördlichen Abhang des Tauros ein mit prachtvollen Eichenwäldern bedecktes Labyrinth von steilen Bergrücken, zerklüfteten Felsen und tiefgeschnittenen Tälern bewohnten – eine Gegend, die noch heute von den Erinnerungen an die alte Räuberzeit erfüllt ist. Um diese isaurischen Felsennester, die letzten und sichersten Zufluchtsstätten der Flibustier, zu bezwingen, führte Servilius die erste römische Armee über den Tauros und brach die feindlichen Festungen Oroanda und vor allem Isaura selbst, das Ideal einer Räuberstadt, auf der Höhe eines schwer zugänglichen Bergzuges gelegen und die weite Ebene von Ikonion vollständig überschauend und beherrschend. Der erst im Jahre 679 (75) beendigte Krieg, aus dem Publius Servilius für sich und seine Nachkommen den Beinamen des Isaurikers heimbrachte, war nicht ohne Frucht; eine große Anzahl von Korsaren und Korsarenschiffen geriet durch denselben in die Gewalt der Römer; Lykien, Pamphylien, Westkilikien wurden arg verheert, die Gebiete der zerstörten Städte eingezogen und die Provinz Kilikien mit ihnen erweitert. Allein es lag in der Natur der Sache, daß die Piraterie doch damit keineswegs unterdrückt war, sondern nur sich zunächst nach andern Gegenden, namentlich nach der ältesten Herberge der Korsaren des Mittelmeers, nach Kreta, zog. Nur umfassend und einheitlich durchgeführte Repressivmaßregeln oder vielmehr nur die Einrichtung einer ständigen Seepolizei konnten hier durchgreifende Abhilfe gewähren.

In vielfacher Beziehung mit diesem Seekrieg standen die Verhältnisse des kleinasiatischen Festlandes. Die Spannung, die hier zwischen Rom und den Königen von Pontos und Armenien bestand, ließ nicht nach, sondern steigerte sich mehr und mehr. Auf der einen Seite griff König Tigranes von Armenien in der rücksichtslosesten Weise erobernd um sich. Die Parther, deren in dieser Zeit auch durch innere Unruhen zerrissener Staat tief daniederlag, wurden in andauernden Fehden weiter und weiter in das innere Asien zurückgedrängt. Von den Landschaften zwischen Armenien, Mesopotamien und Iran wurden Corduene (nördliches Kurdistan) und das Atropatenische Medien (Aserbeidschan) aus parthischen in armenische Lehnkönigreiche verwandelt und das Reich von Ninive (Mosul) oder Adiabene, wenigstens vorübergehend, gleichfalls gezwungen, in die armenische Klientel einzutreten. Auch in Mesopotamien, namentlich in und um Nisibis, ward die armenische Herrschaft begründet; nur die südliche, großenteils wüste Hälfte, scheint nicht in festen Besitz des neuen Großkönigs gekommen und namentlich Seleukeia am Tigris ihm nicht untertänig geworden zu sein. Das Reich von Edessa oder Osrhoene übergab er einem Stamme der schweifenden Araber, den er aus dem südlichen Mesopotamien hierher verpflanzte und hier ansässig machte, um durch ihn den Euphratübergang und die große Handelsstraße zu beherrschen9. Aber Tigranes beschränkte seine Eroberungen keineswegs auf das östliche Ufer des Euphrat. Vor allem Kappadokien war das Ziel seiner Angriffe und erlitt, wehrlos wie es war, von dem übermächtigen Nachbar vernichtende Schläge. Die östliche Landschaft Melitene riß Tigranes von Kappadokien ab und vereinigte sie mit der gegenüberliegenden armenischen Provinz Sophene, wodurch er den Euphratübergang mit der großen kleinasiatisch-armenischen Handelsstraße in seine Gewalt bekam. Nach Sullas Tode rückten die Armenier sogar in das eigentliche Kappadokien ein und führten die Bewohner der Hauptstadt Mazaka (später Caesarea) und elf anderer griechisch geordneter Städte weg nach Armenien. Nicht mehr Widerstand vermochte das in voller Auflösung begriffene Seleukidenreich dem neuen Großkönig entgegenzustellen. Hier herrschte im Süden von der ägyptischen Grenze bis nach Stratons Turm (Caesarea) der Judenfürst Alexandros Jannaeos, der im Kampfe mit den syrischen, ägyptischen und arabischen Nachbarn und mit den Reichsstädten seine Herrschaft Schritt vor Schritt erweiterte und befestigte. Die größeren Städte Syriens, Gaza, Stratons Turm, Ptolemais, Beröa versuchten, sich bald als freie Gemeinden, bald unter sogenannten Tyrannen auf eigene Hand zu behaupten; vor allem die Hauptstadt Antiocheia war so gut wie selbständig. Damaskos und die Libanostäler hatten sich dem nabatäischen Fürsten Aretas von Petra unterworfen. In Kilikien endlich herrschten die Seeräuber oder die Römer. Und um diese in tausend Splitter zerschellende Krone fuhren die Seleukidenprinzen, als gälte es das Königtum allen zum Spott und zum Ärgernis zu machen, beharrlich fort, untereinander zu hadern, ja, während von diesem gleich dem Hause des Laios zum ewigen Zwiste verfluchten Geschlechte die eigenen Untertanen alle abtrünnig wurden, sogar Ansprüche auf den durch den erblosen Abgang des Königs Alexander Il. erledigten Thron von Ägypten zu erheben. So griff König Tigranes hier ohne Umstände zu. Das östliche Kilikien ward mit Leichtigkeit von ihm unterworfen und die Bürgerschaften von Soloi und anderen Städten ebenwie die kappadokischen nach Armenien abgeführt. Ebenso wurde die obere syrische Landschaft, mit Ausnahme der tapfer verteidigten Stadt Seleukeia an der Mündung des Orontes, und der größte Teil von Phönike mit den Waffen bezwungen: um 680 (74) ward Ptolemais von den Armeniern eingenommen und schon der Judenstaat ernstlich von ihnen bedroht. Die alte Hauptstadt der Seleukiden Antiocheia ward eine der Residenzen des Großkönigs. Bereits von dem Jahre 671 (83) an, dem nächsten nach dem Frieden zwischen Sulla und Mithradates, wird Tigranes in den syrischen Jahrbüchern als der Landesherr bezeichnet und erscheint Kilikien und Syrien als eine armenische Satrapie unter dem Statthalter des Großkönigs Magadates. Die Zeit der Könige von Ninive, der Salmanassar und Sanherib, schien sich zu erneuern: wieder lastete der orientalische Despotismus schwer auf der handeltreibenden Bevölkerung der syrischen Küste, wie einst auf Tyros und Sidon; wieder warfen binnenländische Großstaaten sich auf die Landschaften am Mittelmeer; wieder standen asiatische Heere von angeblich einer halben Million Streiter an den kilikischen und syrischen Küsten. Wie einst Salmanassar und Nebukadnezar die Juden nach Babylon geführt hatten, so mußten jetzt aus allen Grenzlandschaften des neuen Reiches, aus Corduene, Adiabene, Assyrien, Kilikien, Kappadokien, die Einwohner, namentlich die griechischen oder halbgriechischen Stadtbürger, mit ihrer gesamten Habe bei Strafe der Konfiskation alles dessen, was sie zurücklassen würden, sich zusammensiedeln in der neuen Residenz, einer von jenen mehr die Nichtigkeit der Völker als die Größe der Herrscher verkündigenden Riesenstädten, wie sie in den Euphratlandschaften bei jedem Wechsel des Oberkönigtums auf das Machtwort des neuen Großsultans aus der Erde springen. Die neue „Tigranesstadt“, Tigranokerta, gegründet an der Grenze Armeniens und Mesopotamiens und bestimmt zur Hauptstadt der neu für Armenien gewonnenen Gebiete, ward eine Stadt wie Ninive und Babylon, mit Mauern von fünfzig Ellen Höhe und den zum Sultanismus nun einmal mitgehörigen Palast-, Garten- und Parkanlagen. Auch sonst verleugnete der neue Großkönig sich nicht: wie in der ewigen Kindheit des Ostens überhaupt die kindlichen Vorstellungen von den Königen mit wirklichen Kronen auf dem Haupte niemals verschwunden sind, so erschien auch Tigranes, wo er öffentlich sich zeigte, in Pracht und Tracht eines Nachfolgers des Dareios und Xerxes, mit dem purpurnen Kaftan, dem halb weißen, halb purpurnen Untergewand, den langen faltigen Beinkleidern, dem hohen Turban und der königlichen Stirnbinde, wo er ging und stand von vier „Königen“ in Sklavenart begleitet und bedient.

Bescheidener trat König Mithradates auf. Er enthielt sich in Kleinasien der Übergriffe und begnügte sich, was kein Traktat ihm verbot, seine Herrschaft am Schwarzen Meere fester zu begründen und die Landschaften, die das Bosporanische jetzt unter seiner Oberhoheit von seinem Sohn Machares beherrschte Königreich von dem Pontischen trennten, allmählich in bestimmtere Abhängigkeit zu bringen. Aber auch er wandte alle Anstrengungen darauf, seine Flotte und sein Heer instand zu setzen und namentlich das letztere nach römischem Muster zu bewaffnen und zu organisieren, wobei die römischen Emigranten, die in großer Zahl an seinem Hofe verweilten, ihm wesentliche Dienste leisteten.

Den Römern war nichts daran gelegen, in die orientalischen Angelegenheiten noch weiter verwickelt zu werden, als sie es bereits waren. Es zeigt sich dies namentlich mit schlagender Deutlichkeit darin, daß die Gelegenheit, die in dieser Zeit sich darbot, das Ägyptische Reich auf friedlichem Wege unter unmittelbare römische Herrschaft zu bringen, vom Senat verschmäht ward. Die legitime Deszendenz des Ptolemaeos Lagos Sohns war zu Ende gegangen, als der nach dem Tode des Ptolemaeos Soter II. Königs Lathyros von Sulla eingesetzte König Alexandros II., ein Sohn Königs Alexandros I., wenige Tage nach seiner Thronbesteigung bei einem Auflauf in der Hauptstadt getötet ward (673 81). Dieser Alexandros hatte in seinem Testament10 zum Erben die römische Gemeinde eingesetzt. Die Echtheit dieses Dokuments ward zwar bestritten; allein diese erkannte der Senat an, indem er auf Grund desselben die in Tyros für Rechnung des verstorbenen Königs niedergelegten Summen erhob. Nichtsdestoweniger gestattete er zwei notorisch illegitimen Söhnen des Königs Lathyros, dem einen, Ptolemaeos XI., der neue Dionysos oder der Flötenbläser (Auletes) genannt, Ägypten, dem andern, Ptolemäos dem Kyprier, Kypros tatsächlich in Besitz zu nehmen; sie wurden zwar vom Senat nicht ausdrücklich anerkannt, aber doch auch keine bestimmte Forderung auf Herausgabe der Reiche an sie gerichtet. Die Ursache, weshalb der Senat diesen unklaren Zustand fortdauern ließ und nicht dazu kam, in bindender Weise auf Ägypten und Kypros zu verzichten, war ohne Zweifel die ansehnliche Rente, welche jene gleichsam auf Bittbesitz herrschenden Könige für die Fortdauer desselben den römischen Koteriehäuptern fortwährend zahlten. Allein der Grund, jenem lockenden Erwerb überhaupt zu entsagen, liegt anderswo. Ägypten gab durch seine eigentümliche Lage und seine finanzielle Organisation jedem dort befehligenden Statthalter eine Geld- und Seemacht und überhaupt eine unabhängige Gewalt in die Hände, wie sie mit dem argwöhnischen und schwächlichen Regiment der Oligarchie sich schlechterdings nicht vertrug; von diesem Standpunkt aus war es verständig, dem unmittelbaren Besitz der Nillandschaft zu entsagen.

Weniger läßt es sich rechtfertigen, daß der Senat es unterließ, in die kleinasiatischen und syrischen Angelegenheiten unmittelbar einzugreifen. Die römische Regierung erkannte zwar den armenischen Eroberer nicht als König von Kappadokien und Syrien an; aber sie tat doch auch nichts, um ihn zurückzudrängen, wie nahe immer der Krieg, den sie 676 (78) notgedrungen in Kilikien gegen die Piraten begann, ihr namentlich das Einschreiten in Syrien legte. In der Tat gab sie, indem sie den Verlust Kappadokiens und Syriens ohne Kriegserklärung hinnahm, damit nicht bloß ihre Schutzbefohlenen, sondern die wichtigsten Grundlagen ihrer eigenen Machtstellung preis. Es war schon bedenklich, wenn sie in den griechischen Ansiedlungen und Reichen am Euphrat und Tigris die Vorwerke ihrer Herrschaft opferte; aber wenn sie die Asiaten am Mittelmeer sich festsetzen ließ, welches die politische Basis ihres Reiches war, so war dies nicht ein Beweis von Friedensliebe, sondern das Bekenntnis, daß die Oligarchie durch die Sullanische Restauration wohl oligarchischer, aber weder klüger noch energischer geworden war, und für die römische Weltmacht der Anfang des Endes.

Auch auf der andern Seite wollte man den Krieg nicht. Tigranes hatte keine Ursache, ihn zu wünschen, wenn Rom ihm auch ohne Krieg all seine Bundesgenossen preisgab. Mithradates, der denn doch nicht bloß Sultan war und Gelegenheit genug gehabt hatte, im Glück und Unglück Erfahrungen über Freunde und Feinde zu machen, wußte sehr wohl, daß er in einem zweiten römischen Krieg sehr wahrscheinlich ebenso allein stehen würde wie in dem ersten und daß er nichts Klügeres tun konnte, als sich ruhig zu verhalten und sein Reich im Innern zu stärken. Daß es ihm mit seinen friedlichen Erklärungen Ernst war, hatte er in dem Zusammentreffen mit Murena hinreichend bewiesen; er fuhr fort, alles zu vermeiden, was dazu führen mußte, die römische Regierung aus ihrer Passivität herauszudrängen.

Allein wie schon der Erste Mithradatische Krieg sich entsponnen hatte, ohne daß eine der Parteien ihn eigentlich wünschte, so entwickelte auch jetzt aus den entgegengesetzten Interessen sich gegenseitiger Argwohn, aus diesem gegenseitige Verteidigungsanstalten, und es führten diese endlich durch ihr eigenes Schwergewicht zum offenen Bruch. Das seit langem die römische Politik beherrschende Mißtrauen in die eigene Schlagfertigkeit und Kampfbereitschaft, welches bei dem Mangel stehender Armeen und dem wenig musterhaften kollegialischen Regiment wohl erklärlich ist, machte es gleichsam zu einem Axiom der römischen Politik, jeden Krieg nicht bloß bis zur Überwältigung, sondern bis zur Vernichtung des Gegners zu führen; man war insofern mit dem Frieden Sullas von Haus aus in Rom so wenig zufrieden wie einst mit den Bedingungen, die Scipio Africanus den Karthagern gewährt hatte. Die vielfach geäußerte Besorgnis, daß ein zweiter Angriff des pontischen Königs bevorstehe, ward einigermaßen gerechtfertigt durch die ungemeine Ähnlichkeit der gegenwärtigen Verhältnisse mit denen vor zwölf Jahren. Wieder traf ein gefährlicher Bürgerkrieg zusammen mit ernstlichen Rüstungen Mithradats; wieder überschwemmten die Thraker Makedonien und bedeckten die Korsarenflotten das ganze Mittelmeer; wieder kamen und gingen die Emissäre, wie einst zwischen Mithradates und den Italikern, so jetzt zwischen den römischen Emigranten in Spanien und denen am Hofe von Sinope. Schon im Anfang des Jahres 677 (77) ward es im Senat ausgesprochen, daß der König nur auf die Gelegenheit warte, während des italischen Bürgerkriegs über das römische Asien herzufallen; die römischen Armeen in Asia und Kilikien wurden verstärkt, um möglichen Ereignissen zu begegnen.

Andererseits verfolgte auch Mithradates mit steigender Besorgnis die Entwicklung der römischen Politik. Er mußte es fühlen, daß ein Krieg der Römer gegen Tigranes, wie sehr auch der schwächliche Senat davor sich scheute, doch auf die Länge kaum vermeidlich sei und er nicht umhin können werde, sich an demselben zu beteiligen. Der Versuch, das immer noch mangelnde schriftliche Friedensinstrument von dem römischen Senat zu erlangen, war in die Wirren der Lepidianischen Revolution gefallen und ohne Erfolg geblieben; Mithradates fand darin ein Anzeichen der bevorstehenden Erneuerung des Kampfes. Die Einleitung dazu schien die Expedition gegen die Seeräuber, die mittelbar doch auch die Könige des Ostens traf, deren Verbündete sie waren. Noch bedenklicher waren die schwebenden Ansprüche Roms auf Ägypten und Kypros; es ist bezeichnend, daß der pontische König den beiden Ptolemäern, denen der Senat fortfuhr, die Anerkennung zu weigern, seine beiden Töchter Mithradatis und Nyssa verlobte. Die Emigranten drängten zum Losschlagen; Sertorius‘ Stellung in Spanien, die zu erkunden Mithradates unter passenden Vorwänden Boten in das Pompeianische Hauptquartier abordnete, und die in der Tat eben um diese Zeit imposant war, eröffnete dem König die Aussicht, nicht wie in dem ersten Krieg gegen die beiden römischen Parteien, sondern mit der einen gegen die andere zu fechten. Ein günstigerer Moment konnte kaum gehofft werden, und am Ende war es immer besser, den Krieg zu erklären, als ihn sich erklären zu lassen. Da starb im Jahre 679 (75) König Nikomedes III. Philopator von Bithynien und hinterließ als der letzte seines Stammes – denn ein von der Nysa geborener Sohn war oder hieß unecht – sein Reich im Testament den Römern, welche diese mit der römischen Provinz grenzende und längst von römischen Beamten und Kaufleuten erfüllte Landschaft in Besitz zu nehmen nicht säumten. Gleichzeitig wurde auch Kyrene, das bereits seit dem Jahr 658 (96) den Römern angefallen war, endlich als Provinz eingerichtet und ein römischer Statthalter dorthin geschickt (679 75). Diese Maßregeln in Verbindung mit den um dieselbe Zeit an der Südküste von Kleinasien gegen die Piraten ausgeführten Angriffen müssen in dem Könige Besorgnisse erregt haben; die Einziehung Bithyniens namentlich machte die Römer zu unmittelbaren Nachbarn des Pontischen Reiches; und dies vermutlich gab den Ausschlag. Der König tat den entscheidenden Schritt und erklärte im Winter 679/80 (75/74) den Römern den Krieg.

Gern hätte Mithradates die schwere Arbeit nicht allein übernommen. Sein nächster und natürlicher Bundesgenosse war der Großkönig Tigranes; allein der kurzsichtige Mann lehnte den Antrag seines Schwiegervaters ab. So blieben nur die Insurgenten und die Piraten. Mithradates ließ es sich angelegen sein, mit beiden durch starke, nach Spanien und nach Kreta entsandte Geschwader sich in Verbindung zu setzen. Mit Sertorius ward ein förmlicher Vertrag abgeschlossen, durch den Rom an den König Bithynien, Paphlagonien, Galanen und Kappadokien abtrat – freilich lauter Erwerbungen, die erst auf dem Schlachtfeld ratifiziert werden mußten. Wichtiger war die Unterstützung, die der spanische Feldherr dem König durch Sendung römischer Offiziere zur Führung seiner Heere und Flotten gewährte. Die tätigsten unter den Emigranten im Osten, Lucius Magius und Lucius Fannius, wurden von Sertorius zu seinen Vertretern am Hofe von Sinope bestellt. Auch von den Piraten kam Hilfe; sie stellten in großer Anzahl im Pontischen Reich sich ein, und namentlich durch sie scheint es dem Könige gelungen zu sein, eine durch die Zahl wie durch die Tüchtigkeit der Schiffe imponierende Seemacht zu bilden. Die Hauptstütze blieben die eigenen Streitkräfte, mit denen der König, bevor die Römer in Asien eintreffen würden, sich ihrer Besitzungen daselbst bemächtigen zu können hoffte, zumal da in der Provinz Asia die durch die Sullanische Kriegssteuer hervorgerufene finanzielle Not, in Bithymen der Widerwille gegen das neue römische Regiment, in Kilikien und Pamphylien der von dem kürzlich beendigten verheerenden Krieg zurückgebliebene Brandstoff einer pontischen Invasion günstige Aussichten eröffnete. An Vorräten fehlte es nicht; in den königlichen Speichern lagen zwei Millionen Medimnen Getreide. Flotte und Mannschaft waren zahlreich und wohlgeübt, namentlich die bastarnischen Soldknechte eine auserlesene, selbst italischen Legionären gewachsene Schar. Auch diesmal war es der König, der die Offensive begann. Ein Korps unter Diophantos ruckte in Kappadokien ein, um die Festungen daselbst zu besetzen und den Römern den Weg in das Pontische Reich zu verlegen; der von Sertorius gesandte Führer, der Proprätor Marcus Marius, ging in Gemeinschaft mit dem pontischen Offizier Eumachos nach Phrygien, um die römische Provinz und das Taurusgebirge zu insurgieren; die Hauptarmee, über 100000 Mann nebst 16000 Reitern und 100 Sichelwagen, geführt von Taxiles und Hermokrates unter der persönlichen Oberleitung des Königs, und die von Aristonikos befehligte Kriegsflotte von 400 Segeln bewegten sich die kleinasiatische Nordküste entlang, um Paphlagonien und Bithymen zu besetzen. Römischerseits ward zur Führung des Krieges in erster Reihe der Konsul des Jahres 680 (74), Lucius Lucullus, ausersehen, der als Statthalter von Asien und Kilikien an die Spitze der in Kleinasien stehenden vier Legionen und einer fünften von ihm aus Italien mitgebrachten gestellt und angewiesen ward, mit dieser auf 30000 Mann zu Fuß und 1600 Reiter sich belaufenden Armee durch Phrygien in das Pontische Reich einzudringen. Sein Kollege Marcus Cotta ging mit der Flotte und einem anderen römischen Korps nach der Propontis, um Asia und Bithynien zu decken. Endlich wurde eine allgemeine Armierung der Küsten, namentlich der von der pontischen Flotte zunächst bedrohten thrakischen, angeordnet und die Säuberung der sämtlichen Meere und Küsten von den Piraten und ihren pontischen Genossen außerordentlicherweise einem einzigen Beamten übertragen, wofür die Wahl auf den Prätor Marcus Antonius fiel, den Sohn des Mannes, der dreißig Jahre zuvor zuerst die kilikischen Korsaren gezüchtigt hatte. Außerdem stellte der Senat dem Lucullus eine Summe von 72 Mill. Sesterzen (5½ Mill. Talern) zur Verfügung, um davon eine Flotte zu erbauen; was Lucullus indes ablehnte. Aus allem sieht man, daß die römische Regierung in der Vernachlässigung des Seewesens den Kern des Übels erkannte und hierin wenigstens so weit Ernst machte, als ihre Dekrete reichten.

So begann im Jahre 680 (74) der Krieg auf allen Punkten. Es war ein Unglück für Mithradates, daß eben im Moment seiner Kriegserklärung der Wendepunkt im Sertorianischen Kriege eintrat, wodurch von vornherein eine seiner hauptsächlichsten Hoffnungen ihm zugrunde ging und es der römischen Regierung möglich ward, ihre ganze Macht auf den See- und den kleinasiatischen Krieg zu verwenden. In Kleinasien dagegen erntete Mithradat die Vorteile der Offensive und der weiten Entfernung der Römer von dem unmittelbaren Kriegsschauplatz. Dem Sertorianischen Proprätor, der in der römischen Provinz Asia vorangestellt ward, öffneten eine beträchtliche Anzahl kleinasiatischer Städte die Tore und metzelten wie im Jahre 666 (88) die bei ihnen ansässigen römischen Familien nieder; die Pisider, Isaurer, Kiliker ergriffen gegen Rom die Waffen. Die Römer hatten an den bedrohten Punkten augenblicklich keine Truppen. Einzelne tüchtige Männer versuchten wohl auf ihre eigene Hand dieser Aufwiegelung der Provinzialen zu steuern – so verließ auf die Kunde von diesen Ereignissen der junge Gaius Caesar Rhodos, wo er seiner Studien wegen sich aufhielt, und warf sich mit einer rasch zusammengerafften Schar den Insurgenten entgegen; allein viel konnten solche Freikorps nicht ausrichten. Wenn nicht der tapfere Vierfürst des um Pessinus ansässigen Keltenstammes der Tolistoboger, Deiotarus, die Partei der Römer ergriffen und glücklich gegen die pontischen Feldherrn gefochten hätte, so hätte Lucullus damit beginnen müssen, das Binnenland der römischen Provinz dem Feind wiederabzunehmen. Auch so aber verlor er mit der Beruhigung der Landschaft und mit der Zurückdrängung des Feindes eine kostbare Zeit, die durch die geringen Erfolge, welche seine Reiterei dabei erfocht, nichts weniger als vergütet ward. Ungünstiger noch als in Phrygien gestalteten sich die Dinge für die Römer an der Nordküste Kleinasiens. Hier hatte die große Armee und die Flotte der Pontiker sich Bithyniens vollständig bemeistert und den römischen Konsul Cotta genötigt, mit seiner wenig zahlreichen Mannschaft und seinen Schiffen in den Mauern und dem Hafen von Kalchedon Schutz zu suchen, wo Mithradates sie blockiert hielt. Indes war diese Einschließung insofern ein günstiges Ereignis für die Römer, als, wenn Cotta die pontische Armee vor Kalchedon festhielt und Lucullus ebendahin sich wandte, die sämtlichen römischen Streitkräfte bei Kalchedon sich vereinigen und schon hier statt in dem ferneren und unwegsamen pontischen Land, die Waffenentscheidung erzwingen konnten. Lucullus schlug auch die Straße nach Kalchedon ein; allein Cotta, um noch vor dem Eintreffen des Kollegen auf eigene Hand eine Großtat auszuführen, ließ seinen Flottenführer Publius Rutilius Nudus einen Ausfall machen, der nicht bloß mit einer blutigen Niederlage der Römer endigte, sondern auch den Pontikern es möglich machte, den Hafen anzugreifen, die Kette, die denselben sperrte, zu sprengen und sämtliche daselbst befindliche römische Kriegsschiffe, gegen siebzig an der Zahl, zu verbrennen. Auf die Nachricht von diesen Unfällen, die Lucullus am Fluß Sangarios erhielt, beschleunigte derselbe seinen Marsch, zur großen Unzufriedenheit seiner Soldaten, welche nach ihrer Meinung Cotta nichts anging und die weit lieber ein unverteidigtes Land geplündert als ihre Kameraden siegen gelehrt hätten. Sein Eintreffen machte die erlittenen Unfälle zum Teil wieder gut: der König hob die Belagerung von Kalchedon auf, ging aber nicht nach Pontos zurück, sondern südwärts in die altrömische Provinz, wo er an der Propontis und am Hellespont sich ausbreitete, Lampsakos besetzte und die große und reiche Stadt Kyzikos zu belagern begann. Immer fester verrannte er sich also in die Sackgasse, die er eingeschlagen hatte, statt, was allein für ihn Erfolg versprach, die weiten Entfernungen gegen die Römer ins Spiel zu bringen. In Kyzikos hatte die alte hellenische Gewandtheit und Tüchtigkeit sich so rein erhalten wie an wenigen anderen Orten; ihre Bürgerschaft, obwohl sie in der unglücklichen Doppelschlacht von Kalchedon an Schiffen und Mannschaft starke Einbuße erlitten hatte, leistete dennoch den entschlossensten Widerstand. Kyzikos lag auf einer Insel unmittelbar dem Festland gegenüber und durch eine Brücke mit demselben verbunden. Die Belagerer bemächtigten sich sowohl des Höhenzuges auf dem Festland, der an der Brücke endigt, und der hier gelegenen Vorstadt, als auch auf der Insel selbst der berühmten Dindymenischen Höhen, und auf der Festland- wie auf der Inselseite boten die griechischen Ingenieure alle ihre Kunst auf, den Sturm möglich zu machen. Allein die Bresche, die endlich zu machen gelang, wurde während der Nacht wieder von den Belagerten geschlossen und die Anstrengungen der königlichen Armee blieben ebenso fruchtlos wie die barbarische Drohung des Königs, die gefangenen Kyzikener vor den Mauern töten zu lassen, wenn die Bürgerschaft noch länger die Übergabe verweigere. Die Kyzikener setzten die Verteidigung mit Mut und Glück fort; es fehlte nicht viel, so hätten sie im Laufe der Belagerung den König selbst gefangengenommen. Inzwischen hatte Lucullus sich einer sehr festen Position im Rücken der pontischen Armee bemächtigt, die ihm zwar nicht gestattete, der bedrängten Stadt unmittelbar zu Hilfe zu kommen, aber wohl dem Feinde alle Zufuhr zu Lande abzuschneiden. So stand die ungeheure, mit dem Troß auf 300000 Köpfe geschätzte Mithradatische Armee, weder imstande zu schlagen, noch zu marschieren, fest eingekeilt zwischen der unbezwinglichen Stadt und dem unbeweglich stehenden römischen Heer und für allen ihren Bedarf einzig angewiesen auf die See, die zum Glück für die Pontiker ihre Flotte ausschließlich beherrschte. Aber die schlechte Jahreszeit brach herein; ein Unwetter zerstörte einen großen Teil der Belagerungsbauten; der Mangel an Lebensmitteln und vor allem an Pferdefutter fing an unerträglich zu werden. Die Lasttiere und der Troß wurden unter Bedeckung des größten Teils der pontischen Reiterei weggesandt mit dem Auftrag, um jeden Preis sich durchzuschleichen oder durchzuschlagen; aber am Fluß Rhyndakos östlich von Kyzikos holte Lucullus sie ein und hieb den ganzen Haufen zusammen. Eine andere Reiterabteilung unter Metrophanes und Lucius Fannius mußte nach langer Irrfahrt im westlichen Kleinasien wieder in das Lager vor Kyzikos zurückkehren. Hunger und Seuchen räumten unter den pontischen Scharen fürchterlich auf. Als der Frühling herankam (681 73), verdoppelten die Belagerten ihre Anstrengungen und nahmen die auf dem Dindymon angelegten Schanzen; es blieb dem König nichts übrig, als die Belagerung aufzuheben und mit Hilfe der Flotte zu retten, was zu retten war. Er selber ging mit der Flotte nach dem Hellespont, erlitt aber teils bei der Abfahrt, teils unterwegs durch Stürme beträchtliche Einbuße. Eben dahin brach auch das Landheer unter Hermaeos und Marius auf, um in Lampsakos und von dessen Mauern geschützt sich einzuschiffen. Ihr Gepäck ließen sie im Stich, sowie die Kranken und Verwundeten, die von den erbitterten Kyzikenern sämtlich niedergemacht wurden. Unterwegs fügte ihnen Lucullus beim Übergang über die Flüsse Äsepos und Granikos sehr ansehnlichen Verlust zu; doch erreichten sie ihr Ziel: die pontischen Schiffe entführten die Überreste der großen Armee und die lampsakenische Bürgerschaft selbst aus dem Bereiche der Römer.

Lucullus‘ folgerechte und bedächtige Kriegführung hatte nicht bloß die Fehler seines Kollegen wieder gutgemacht, sondern auch, ohne eine Hauptschlacht zu liefern, den Kern der feindlichen Armee – angeblich 200 000 Soldaten – aufgerieben. Hätte er noch die Flotte gehabt, die im Hafen von Kalchedon verbrannt war, so würde er die ganze feindliche Armee vernichtet haben; so blieb das Zerstörungswerk unvollendet, und er mußte sogar es leiden, daß trotz der Katastrophe von Kyzikos die pontische Flotte in der Propontis sich aufstellte, Perinthos und Byzantion auf der europäischen Küste von ihr blockiert, Priapos auf der asiatischen ausgeraubt, das königliche Hauptquartier nach dem bithynischen Hafen Nikomedeia gelegt ward. Ja ein erlesenes Geschwader von fünfzig Segeln, das 10000 erlesene Leute, darunter Marcus Marius und den Kern der römischen Emigranten trug, fuhr sogar hinaus in das Ägäische Meer; es ging die Rede, daß es bestimmt sei, in Italien zu landen, um dort aufs neue den Bürgerkrieg zu entfachen. Indes fingen die Schiffe, die Lucullus nach dem Unfall von Kalchedon von den asiatischen Gemeinden eingefordert hatte, an, sich einzustellen und ein Geschwader lief aus, um das in das Ägäische Meer abgegangene feindliche aufzusuchen. Lucullus selbst, als Flottenführer erprobt, übernahm das Kommando. Vor dem Achäerhafen, in den Gewässern zwischen der troischen Küste und der Insel Tenedos, wurden dreizehn feindliche, auf der Fahrt nach Lemnos begriffene Fünfruderer unter Isidoros überfallen und versenkt. Bei der kleinen Insel Neä zwischen Lemnos und Skyros sodann, an welchem wenig besuchten Punkte die pontische Flottille von 32 Segeln auf den Strand gezogen lag, fand sie Lucullus, griff zugleich die Schiffe und die auf der Insel zerstreute Bemannung an und bemächtigte sich des ganzen Geschwaders. Hier fanden Marcus Marius und die tüchtigsten der römischen Emigrierten entweder im Kampfe oder nachher durch das Henkerbeil den Tod. Die ganze ägäische Flotte der Feinde war von Lucullus vernichtet. Den Krieg in Bithynien hatten inzwischen mit dem durch Nachsendungen aus Italien verstärkten Landheer und einem in Asien zusammengezogenen Geschwader Cotta und die Legaten Luculls Voconius, Gaius Valerius Triarius und Barba fortgesetzt. Barba nahm im Binnenland Prusias am Olymp und Nikäa, Triarius an der Küste Apameia (sonst Myrleia) und Prusias am Meer (sonst Kios). Man vereinigte sich dann zu einem gemeinschaftlichen Unternehmen gegen Mithradates selbst in Nikomedeia; indes der König, ohne nur den Kampf zu versuchen, entwich auf seine Schiffe und fuhr heimwärts, und auch dies gelang ihm nur, weil der mit der Blockierung des Hafens von Nikomedeia beauftragte römische Flottenführer Voconius zu spät eintraf. Unterwegs ward zwar das wichtige Herakleia an den König verraten und von ihm besetzt; aber ein Sturm in diesen Gewässern versenkte über sechzig seiner Schiffe und zerstreute die übrigen; fast allein gelangte der König nach Sinope. Die Offensive Mithradats endigte mit einer vollständigen und durchaus nicht, am wenigsten für den obersten Leiter, rühmlichen Niederlage der pontischen Land- und Seemacht.

Lucullus ging jetzt seinerseits zum Angriff vor. Triarius übernahm den Befehl über die Flotte mit dem Auftrag, vor allem den Hellespont zu sperren und den aus Kreta und Spanien rückkehrenden pontischen Schiffen aufzupassen, Cotta die Belagerung von Herakleia; das schwierige Verpflegungsgeschäft ward den treuen und tätigen Galaterfürsten und dem König Ariobarzanes von Kappadokien übertragen; Lucullus selbst rückte im Herbst 681 (73) ein in die gesegnete und seit langem von keinem Feinde betretene pontische Landschaft. Mithradates, jetzt entschlossen zur strengsten Defensive, wich, ohne eine Schlacht zu liefern, zurück von Sinope nach Amisos, von Amisos nach Kabeira (später Neo-Caesarea, jetzt Niksar) am Lykos, einem Nebenfluß des Iris; er begnügte sich, den Feind immer tiefer landeinwärts sich nachzuziehen und ihm die Zufuhren und Verbindungen zu erschweren. Rasch folgte Lucullus; Sinope blieb seitwärts liegen; die alte Grenze des römischen Machtgebiets, der Halys, ward überschritten, die ansehnlichen Städte Amisos, Eupatoria (am Iris), Themiskyra (am Thermodon) umstellt, bis endlich der Winter den Märschen, aber nicht den Einschließungen der Städte ein Ende machte. Die Soldaten Luculls murrten über das unaufhaltsame Vordringen, das ihnen nicht gestattete, die Früchte ihrer Anstrengungen zu ernten, und über die weitläufigen und in der rauben Jahreszeit beschwerlichen Blockaden. Allein es war nicht Lucullus‘ Art, auf dergleichen Klagen zu hören; im Frühjahr 682 (72) ging es sofort weiter gegen Kabeira unter Zurücklassung zweier Legionen vor Amisos unter Lucius Murena. Der König hatte während des Winters neue Versuche gemacht, den Großkönig von Armenien zum Eintritt in den Kampf zu bestimmen; sie blieben wie die früheren vergeblich oder führten doch nur zu leeren Verheißungen. Noch weniger bezeigten die Parther Lust, bei der verlorenen Sache sich zu beteiligen. Indes hatte sich, besonders durch Werbungen im Skythenland, wieder eine ansehnliche Armee unter Diophantos und Taxiles bei Kabeira zusammengefunden. Das römische Heer, das nur noch drei Legionen zählte und das an Reiterei den Pontikern entschieden nachstand, sah sich genötigt, das Blachfeld möglichst zu vermeiden, und gelangte nach Kabeira auf schwierigen Nebenpfaden, nicht ohne Beschwerden und Verluste. Bei dieser Stadt lagerten die beiden Armeen längere Zeit einander gegenüber. Gestritten ward hauptsächlich um die Zufuhr, die auf beiden Seiten knapp war; Mithradates bildete deswegen aus dem Kern seiner Reiterei und einer Abteilung erlesener Fußsoldaten unter Diophantos und Taxiles ein fliegendes Korps, das bestimmt war, zwischen dem Lykos und dem Halys zu streifen und die aus Kappadokien kommenden römischen Lebensmitteltransporte aufzufangen. Allein der Unterbefehlshaber Lucullus, Marcus Fabius Hadrianus, der einen solchen Zug eskortierte, schlug nicht bloß die ihm auflauernde Schar in dem Engpaß, wo sie ihn zu überfallen gedachte, vollständig aufs Haupt, sondern auch, nachdem er Verstärkung aus dem Lager erhalten hatte, die Armee des Diophantos und Taxiles selbst, so daß dieselbe völlig sich auflöste. Es war für den König ein unersetzlicher Verlust, daß seine Reiterei, auf die er allein vertraute, ihm hier zugrunde gegangen war; sowie er durch die ersten vom Schlachtfeld nach Kabeira gelangenden Flüchtlinge – bezeichnend genug die geschlagenen Generale selbst – die Hiobspost, früher noch als Lucullus die Nachricht von dem Sieg, erhalten hatte, beschloß er sofortigen weiteren Rückzug. Aber der gefaßte Entschluß des Königs verbreitete sich mit Blitzesschnelle unter seiner nächsten Umgebung; und wie die Soldaten die Vertrauten des Königs eiligst einpacken sahen, wurden auch sie von panischem Schreck ergriffen. Niemand wollte bei dem Aufbruch der letzte sein; Vornehme und Geringe liefen durcheinander wie gescheuchtes Wild; keine Autorität, nicht einmal die des Königs, ward noch beachtet und der König selbst fortgerissen in dem wilden Getümmel. Die Verwirrung gewahrend, griff Lucullus an, und fast ohne Widerstand zu leisten ließen die pontischen Scharen sich niedermetzeln. Hätten die Legionen Mannszucht zu halten und ihre Beutegier zu mäßigen vermocht, so wäre kaum ein Mann ihnen entronnen und der König ohne Zweifel selbst gefangen worden. Mit Not entkam Mithradates mit wenigen Begleitern durch die Berge nach Komana (unweit Tokat und der Irisquelle), von wo ihn aber auch bald eine römische Schar unter Marcus Pompeius wiederaufscheuchte und ihn verfolgte, bis er, von nicht mehr als 2000 Reitern begleitet, in Talaura in Klein-Armenien die Grenze seines Reiches überschritt. In dem Reiche des Großkönigs fand er eine Zufluchtsstätte, aber auch nicht mehr (Ende 682 72). Tigranes ließ seinem flüchtigen Schwiegervater zwar königliche Ehre erzeigen, aber er lud ihn nicht einmal an seinen Hof, sondern hielt ihn in der abgelegenen Grenzlandschaft, wo er sich befand, in einer Art von anständiger Haft. Ganz Pontos und Klein-Armenien überschwemmten die römischen Truppen und bis nach Trapezus hinauf unterwarf sich das platte Land ohne Widerstand dem Sieger. Auch die Befehlshaber der königlichen Schatzhäuser ergaben sich nach kürzerem oder längerem Zaudern und lieferten ihre Kassenvorräte aus. Die Frauen des königlichen Harems, die königlichen Schwestern, seine zahlreichen Gemahlinnen und Kebse ließ der König, da sie zu flüchten nicht möglich war, durch einen seiner Verschnittenen in Pharnakeia (Kerasunt) sämtlich töten. Hartnäckigen Widerstand leisteten nur die Städte. Zwar die wenigen im Binnenland, Kabeira, Amaseia, Eupatoria, waren bald in der Gewalt der Römer; aber die größeren Seestädte, Amisos und Sinope in Pontos, Amastris in Paphlagonien, Tios und das pontische Herakleia in Bithynien, wehrten sich wie Verzweifelte, teils begeistert durch die Anhänglichkeit an den König und die von ihm geschirmte freie hellenische Stadtverfassung, teils terrorisiert durch die Scharen der vom König herbeigerufenen Korsaren. Sinope und Herakleia ließen sogar die Schiffe gegen die Römer auslaufen, und das sinopische Geschwader bemächtigte sich einer römischen Flottille, die von der Taurischen Halbinsel für Lucullus‘ Heer Getreide brachte. Herakleia unterlag erst nach zweijähriger Belagerung, nachdem die römische Flotte der Stadt den Verkehr mit den griechischen Städten auf der Taurischen Halbinsel abgeschnitten hatte und in den Reihen der Besatzung Verräterei ausgebrochen war. Als Amisos aufs äußerste gebracht war, zündete die Besatzung die Stadt an und bestieg unter dem Schutze der Flammen ihre Schiffe. In Sinope, wo der kecke Piratenkapitän Seleukos und der königliche Verschnittene Bakchides die Verteidigung leiteten, plünderte die Besatzung die Häuser, bevor sie abzog, und steckte die Schiffe, die sie nicht mitnehmen konnte, in Brand; es sollen hier, obwohl der größte Teil der Verteidiger sich hatte einschiffen können, doch noch 8000 Korsaren von Lucullus getötet worden sein. Zwei volle Jahre nach der Schlacht von Kabeira und darüber (682-684 72-70) währten diese Städtebelagerungen, die Lucullus großenteils durch seine Unterbefehlshaber betrieb, während er selbst die Verhältnisse der Provinz Asia ordnete, die eine gründliche Reform erheischten und erhielten. Wie geschichtlich merkwürdig auch jener hartnäckige Widerstand der pontischen Kaufstädte gegen die siegreichen Römer ist, so kam doch zunächst wenig dabei heraus; die Sache des Königs Mithradates war darum nicht minder verloren. Der Großkönig hatte offenbar für jetzt wenigstens durchaus nicht die Absicht, ihn in sein Reich zurückzuführen. Die römische Emigration in Asien hatte durch die Vernichtung der ägäischen Flotte ihre Besten eingebüßt; von den Übriggebliebenen hatten nicht wenige, wie zum Beispiel die tätigen Führer Lucius Magius und Lucius Fannius, ihren Frieden mit Lucullus gemacht, und mit dem Tode des Sertorius, der in dem Jahre der Schlacht von Kabeira umkam, schwand die letzte Hoffnung der Emigration. Die eigene Macht Mithradats war vollständig zerschmettert und eine nach der andern brachen ihre noch übrigen Stützen zusammen: auch seine von Kreta und Spanien heimkehrenden Geschwader, siebzig Segel stark, wurden von Triarius bei der Insel Tenedos angegriffen und vernichtet; auch der Statthalter des Bosporanischen Reiches, des Königs eigener Sohn Machares, fiel von ihm ab und schloß als selbständiger Fürst des Taurischen Chersones auf eigene Hand mit den Römern Frieden und Freundschaft (684 70). Der König selbst saß nach nicht allzurühmlicher Gegenwehr in einem entlegenen armenischen Bergschloß, ein Flüchtling aus seinem Reiche und fast ein Gefangener seines Schwiegersohns. Mochten die Korsarenscharen noch auf Kreta sich behaupten und was aus Amisos und Sinope entkommen war, an die schwer zugängliche Ostküste des Schwarzen Meeres zu den Sanigen und Lazen sich retten: Lucullus‘ geschickte Kriegführung und seine verständige Mäßigung, die es nicht verschmähte, den gerechten Beschwerden der Provinzialen abzuhelfen und die reumütigen Emigranten als Offiziere in seinem Heere anzustellen, hatte mit mäßigen Opfern Kleinasien vom Feinde befreit und das Pontische Reich vernichtet, so daß dasselbe aus einem römischen Klientelstaat in eine römische Provinz verwandelt werden konnte. Eine Kommission des Senats ward erwartet, um in Gemeinschaft mit dem Oberfeldherrn die neue Provinzialorganisation festzustellen.

Aber noch waren die Verhältnisse mit Armenien nicht geschlichtet. Daß eine Kriegserklärung der Römer gegen Tigranes an sich gerechtfertigt, ja geboten war, wurde früher gezeigt. Lucullus, der die Verhältnisse aus größerer Nähe und mit höherem Sinn betrachtete als das Senatorenkollegium in Rom, erkannte deutlich die Notwendigkeit, Armenien über den Tigris zurückzuweisen und die verlorene Herrschaft Roms über das Mittelmeer wiederherzustellen. Er zeigte in der Leitung der asiatischen Angelegenheiten sich als keinen unwürdigen Nachfolger seines Lehrmeisters und Freundes Sulla; Philhellene wie wenige Römer seiner Zeit, war er nicht unempfänglich für die Verpflichtung, die Rom mit der Erbschaft Alexanders übernommen hatte: Schild und Schwert der Griechen im Osten zu sein. Persönliche Beweggründe, der Wunsch, auch jenseits des Euphrat Lorbeeren zu ernten, die Empfindlichkeit darüber, daß der Großkönig in einem Schreiben an ihn den Imperatorentitel weggelassen, können freilich Lucullus mitbestimmt haben; allein es ist ungerecht, kleinliche und egoistische Motive für Handlungen anzunehmen, zu deren Erklärung die pflichtmäßigen vollkommen ausreichen. Indes von dem ängstlichen, lässigen, schlecht unterrichteten und vor allen Dingen von ewiger Finanznot bedrängten römischen Regierungskollegium ließ sich nimmermehr erwarten, daß es, ohne unmittelbar dazu genötigt zu sein, die Initiative zu einer so weitschichtigen und kostspieligen Expedition ergreifen werde. Um das Jahr 682 (72) waren die legitimen Repräsentanten der Seleukidendynastie, Antiochos, der Asiate genannt, und dessen Bruder, veranlaßt durch die günstige Wendung des Pontischen Krieges, nach Rom gegangen, um eine römische Intervention in Syrien und nebenbei die Anerkennung ihrer Erbansprüche auf Ägypten zu erwirken. Wenn die letztere Anforderung nicht gewährt werden konnte, so ließen doch der Augenblick wie die Veranlassung sich nicht günstiger finden, um den längst notwendigen Krieg gegen Tigranes zu beginnen. Allein der Senat hatte die Prinzen wohl als die rechtmäßigen Könige Syriens anerkannt, aber sich nicht entschließen können, die bewaffnete Intervention zu verfügen. Sollte die gute Gelegenheit benutzt und gegen Armenien Ernst gemacht werden, so mußte Lucullus den Krieg ohne eigentlichen Auftrag des Senats auf eigene Hand und eigene Gefahr beginnen; auch er sah sich ebenwie Sulla in die Notwendigkeit versetzt, was er im offenbarsten Interesse der bestehenden Regierung tat, nicht mit ihr, sondern ihr zum Trotz ins Werk zu setzen. Erleichtert ward ihm der Entschluß durch die seit langem unklar zwischen Krieg und Frieden schwankenden Verhältnisse Roms zu Armenien, welche die Eigenmächtigkeit seines Verfahrens einigermaßen bedeckten und es an formellen Kriegsgründen nicht fehlen ließen. Die kappadokischen und syrischen Zustände boten Anlässe genug, und es hatten auch schon bei der Verfolgung des pontischen Königs römische Truppen das Gebiet des Großkönigs verletzt. Da indes Lucullus‘ Auftrag auf Führung des Krieges gegen Mithradates ging und er hieran anzuknüpfen wünschte, so zog er es vor, einen seiner Offiziere, Appius Claudius, an den Großkönig nach Antiochien zu senden, um Mithradates‘ Auslieferung zu fordern, was denn freilich zum Kriege führen mußte. Der Entschluß war ernst, zumal bei der Beschaffenheit der römischen Armee. Es war unvermeidlich, während des Feldzugs in Armenien das ausgedehnte pontische Gebiet stark besetzt zu halten, da sonst dem in Armenien stehenden Heer die Verbindung mit der Heimat verloren ging und überdies ein Einfall Mithradats in sein ehemaliges Reich leicht vorherzusehen war. Offenbar reichte die Armee, an deren Spitze Lucullus den Mithradatischen Krieg beendigt hatte, von beiläufig 30000 Mann für diese verdoppelte Aufgabe nicht aus. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde der Feldherr von seiner Regierung die Nachsendung einer zweiten Armee erbeten und erhalten haben; allein da Lucullus den Krieg der Regierung über den Kopf nehmen wollte und gewissermaßen mußte, sah er sich genötigt, hierauf zu verzichten und, ob er gleich selbst die gefangenen thrakischen Söldner des pontischen Königs seinen Truppen einreihte, dennoch mit nicht mehr als zwei Legionen oder höchstens 15000 Mann den Krieg über den Euphrat zu tragen. Schon dies war bedenklich; indes die Geringfügigkeit der Zahl mochte durch die erprobte Tapferkeit der durchaus aus Veteranen bestehenden Armee einigermaßen ersetzt werden. Weit schlimmer war die Stimmung der Soldaten, auf die Lucullus in seiner hochadligen Art viel zu wenig Rücksicht nahm. Lucullus war ein tüchtiger General und – nach aristokratischem Maßstab – ein rechtschaffener und wohlwollender Mann, aber nichts weniger als beliebt bei seinen Soldaten. Er war unpopulär als entschiedener Anhänger der Oligarchie, unpopulär, weil er in Kleinasien der greulichen Wucherei der römischen Kapitalisten nachdrücklich gesteuert hatte, unpopulär wegen der Arbeiten und Strapazen, die er dem Soldaten zumutete, unpopulär, weil er von seinen Soldaten strenge Mannszucht forderte und die Plünderung der griechischen Städte durch seine Leute möglichst verhinderte, daneben aber doch für sich selber manchen Wagen und manches Kamel mit den Schätzen des Ostens beladen ließ, unpopulär wegen seiner feinen, vornehmen, hellenisierenden, durchaus nicht kameradschaftlichen und, wo immer möglich, zu bequemem Wohlleben sich hinneigenden Weise. Nicht eine Spur des Zaubers war in ihm, der zwischen dem Feldherrn und dem Soldaten ein persönliches Band schlingt. Hierzu kam endlich, daß ein großer Teil seiner tüchtigsten Soldaten alle Ursache hatte, sich über die maßlose Verlängerung ihrer Dienstzeit zu beschweren. Seine beiden besten Legionen waren ebendiejenigen, die Flaccus und Fimbria 668 (86) nach dem Osten geführt hatten; ungeachtet ihnen vor kurzem nach der Schlacht von Kabeira der durch dreizehn Feldzüge wohlverdiente Abschied zugesichert worden war, führte sie Lucullus jetzt dennoch über den Euphrat, einem neuen unabsehbaren Krieg entgegen – es schien, als wolle man die Sieger von Kabeira schlimmer behandeln als die Geschlagenen von Cannae. Daß mit so schwachen und so gestimmten Truppen ein Feldherr auf eigene Faust und streng genommen verfassungswidrig eine Expedition begann in ein fernes und unbekanntes Land voll reißender Ströme und schneebedeckter Berge, das schon durch seine gewaltige Ausdehnung jeden leichtsinnig unternommenen Angriff gefährlich machte, war in der Tat mehr als gewagt. Vielfach und nicht ohne Grund wurde deshalb Lucullus‘ Verfahren in Rom getadelt; nur hätte man dabei nicht verschweigen sollen, daß zunächst die Verkehrtheit der Regierung dieses verwegene Vorgehen des Feldherrn veranlaßte und dasselbe wo nicht rechtfertigte, doch entschuldbar machte.

Schon die Sendung des Appius Claudius hatte neben der Aufgabe, den Krieg diplomatisch zu motivieren, den Zweck gehabt, die Fürsten und Städte zunächst Syriens gegen den Großkönig unter die Waffen zu bringen; im Frühling 685 (69) erfolgte der förmliche Angriff. Während des Winters hatte der König von Kappadokien im stillen für Transportschiffe gesorgt; auf diesen ward der Euphrat bei Melitene überschritten und der Marsch dann weiter über die Tauruspässe auf den Tigris gerichtet. Auch diesen überschritt Lucullus in der Gegend von Amida (Diarbekr) und rückte weiter vor auf die Straße zu, welche die an der südlichen Grenze Armeniens neu gegründete zweite Hauptstadt Tigranokerta11 mit der alten Metropole Artaxata verband. Bei jener stand der Großkönig, kurz zuvor aus Syrien zurückgekommen, nachdem er die Verfolgung seiner Eroberungspläne am Mittelmeer wegen der Verwicklung mit den Römern vorläufig vertagt hatte. Eben entwarf er einen Einfall in das römische Kleinasien von Kilikien und Lykaonien aus und überlegte bei sich, ob die Römer Asien sofort räumen oder vorher noch, etwa bei Ephesos, sich ihm zur Schlacht stellen würden, als ihm die Nachricht von dem Anmarsche Luculls gebracht ward, welcher ihn von der Verbindung mit Artaxata abzuschneiden drohte. Er ließ den Boten aufknüpfen, aber die lästige Wirklichkeit blieb wie sie war; so verließ er denn die neue Hauptstadt und begab sich in das innere Armenien, um dort, was bis jetzt nicht geschehen war, gegen die Römer zu rüsten. Inzwischen sollte Mithrobarzanes mit den eben zur Verfügung stehenden Truppen in Verbindung mit den schleunigst aufgebotenen benachbarten Beduinenstämmen die Römer beschäftigen. Allein das Korps des Mithrobarzanes ward schon von dem römischen Vortrab, die Araber von einem Detachement unter Sextilius zersprengt; Lucullus gewann die von Tigranokerta nach Artaxata führende Straße, und während auf dem rechten Tigrisufer ein römisches Detachement den nordwärts abziehenden Großkönig verfolgte, ging er selbst auf das linke über und rückte vor Tigranokerta. Der nie versiegende Pfeilregen, mit dem die Besatzung das römische Heer überschüttete, und die Anzündung der Belagerungsmaschinen durch Naphtha weihten hier die Römer ein in die neuen Gefahren der iranischen Kriege, und der tapfere Kommandant Mankäos behauptete die Stadt, bis endlich die große königliche Entsatzarmee aus allen Teilen des weiten Reiches und den angrenzenden, den armenischen Werbern offenstehenden Landschaften versammelt und durch die nordöstlichen Pässe zum Entsatz der Hauptstadt herangerückt war. Der in den Kriegen Mithradats erprobte Führer Taxiles riet, die Schlacht zu vermeiden und die kleine römische Schar durch die Reiterei zu umstellen und auszuhungern. Allein als der König den römischen Feldherrn, der sich entschieden hatte, die Schlacht zu liefern, ohne darum die Belagerung aufzuheben, mit nicht viel mehr als 10000 Mann gegen die zwanzigfache Übermacht ausrücken und keck das Gewässer überschreiten sah, das beide Heere trennte; als er auf der einen Seite diese kleine Schar überblickte, „zur Gesandtschaft zu viel, zum Heere zu wenig“, auf der andern seine ungeheuren Heerhaufen, in denen die Völker vom Schwarzen und vom Kaspischen mit denen vom Mittelmeer und vom Persischen Golf sich begegneten, deren gefürchtete eisenbedeckte Lanzenreiter allein zahlreicher waren als Lucullus‘ ganzes Heer und in denen es auch an römisch gerüstetem Fußvolk nicht mangelte: da entschloß er sich, die vom Feinde begehrte Schlacht ungesäumt anzunehmen. Während aber die Armenier noch sich dazu ordneten, erkannte Lucullus‘ scharfes Auge, daß sie es versäumt hatten, eine Höhe zu besetzen, die ihre ganze Reiterstellung beherrschte: er eilte sie mit zwei Kohorten einzunehmen, indem zugleich seine schwache Reiterei durch einen Flankenangriff die Aufmerksamkeit der Feinde von dieser Bewegung ablenkte, und sowie er oben angekommen war, führte er seinen kleinen Haufen der feindlichen Reiterei in den Rücken. Sie ward gänzlich zersprengt und warf sich auf die noch nicht völlig geordnete Infanterie, die davonlief, ohne auch nur zum Schlagen zu kommen. Das Bulletin des Siegers, daß 100000 Armenier und 5 Römer gefallen seien und der König Turban und Stirnbinde von sich werfend unerkannt mit wenigen Reitern davongesprengt sei, ist im Stile seines Meisters Sulla abgefaßt; allein nichtdestoweniger bleibt der am 6. Oktober 685 (69) vor Tigranokerta erfochtene Sieg einer der glänzendsten Sterne in der ruhmreichen Kriegsgeschichte Roms; und er war nicht minder erfolgreich als glänzend. Alle südlich vom Tigris den Parthern oder den Syrern entrissenen Landschaften waren damit strategisch den Armeniern verloren und gingen größtenteils ohne weiteres über in den Besitz des Siegers. Die neu erbaute zweite Hauptstadt selber machte den Anfang. Die in ihr sehr zahlreichen griechischen Zwangsansiedler empörten sich gegen die Besatzung und öffneten dem römischen Heere die Pforten der Stadt, die den Soldaten zur Plünderung preisgegeben ward. Sie war geschaffen für das neue Großreich und ward wie dieses von dem Sieger vertilgt. Aus Kilikien und Syrien hatte der armenische Satrap Magadates bereits alle Truppen herausgezogen, um die Entsatzarmee vor Tigranokerta zu verstärken. Lucullus rückte in die nördlichste Landschaft Syriens Kommagene ein und erstürmte die Hauptstadt Samosata; bis in das eigentliche Syrien kam er nicht, doch langten von den Dynasten und Gemeinden bis zum Roten Meere hinab, von Hellenen, Syrern, Juden, Arabern, Gesandte an, um den Römern als den neuen Oberherren zu huldigen. Selbst der Fürst von Corduene, der östlich von Tigranokerta gelegenen Landschaft, unterwarf sich; wogegen freilich in Nisibis und damit in Mesopotamien der Bruder des Großkönigs Guras sich behauptete. Durchaus trat Lucullus auf als Schirmherr der hellenischen Fürsten und Bürgerschaften; in Kommagene setzte er einen Prinzen des seleukidischen Hauses, Antiochos, auf den Thron; Antiochos den Asiaten, der nach dem Abzug der Armenier nach Antiocheia zurückgekehrt war, erkannte er an als König von Syrien; die gezwungenen Ansiedler von Tigranokerta entließ er wieder in ihre Heimatorte. Die unermeßlichen Vorräte und Schätze des Großkönigs – an Getreide wurden 30 Millionen Medimnen, an Geld allein in Tigranokerta 8000 Talente (12½ Mill. Taler) erbeutet – machten es Lucullus möglich, die Kosten des Krieges zu bestreiten, ohne die Staatskasse in Anspruch zu nehmen, und jedem seiner Soldaten außer reichlichster Verpflegung noch eine Verehrung von 800 Denaren (240 Taler) zu machen.

Der Großkönig war tief gedemütigt. Er war ein schwächlicher Charakter, übermütig im Glück, im Unglück verzagt; wahrscheinlich würde zwischen ihm und Lucullus ein Abkommen zustande gekommen sein, das der Großkönig mit ansehnlichen Opfern zu erkaufen, der römische Feldherr unter leidlichen Bedingungen zu gewähren beide alle Ursache hatten, wenn der alte Mithradates nicht gewesen wäre. Dieser hatte nicht teilgenommen an den Kämpfen um Tigranokerta. Durch die zwischen dem Großkönig und den Römern eingetretene Spannung nach zwanzigmonatlicher Haft um die Mitte des Jahres 684 (70) befreit, war er mit 10000 armenischen Reitern in sein ehemaliges Reich abgesandt worden, um die Kommunikationen des Feindes zu bedrohen. Zurückgerufen, noch ehe er hier etwas ausrichten konnte, als der Großkönig seine gesamte Macht aufbot, um die von ihm erbaute Hauptstadt zu entsetzen, kamen bei seinem Eintreffen vor Tigranokerta ihm schon die vom Schlachtfeld flüchtenden Haufen entgegen. Vom Großkönig bis zum gemeinen Soldaten schien allen alles verloren. Wenn aber Tigranes jetzt Frieden machte, so schwand für Mithradates nicht bloß die letzte Möglichkeit der Wiedereinsetzung in sein Reich, sondern seine Auslieferung war ohne Zweifel die erste Bedingung des Friedens; und sicher würde Tigranes gegen ihn nicht anders gehandelt haben als Bocchus einst gegen Jugurtha. Seine ganze Persönlichkeit setzte darum der König ein, um diese Wendung zu verhindern und den armenischen Hof zur Fortführung des Krieges zu bestimmen, bei der er nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatte; und flüchtig und entthront wie Mithradates war, war sein Einfluß an diesem Hofe nicht gering. Noch war er ein stattlicher und gewaltiger Mann, der, obwohl schon über sechzig Jahre alt, sich in voller Rüstung auf das Pferd schwang und im Handgemenge gleich dem Besten seinen Mann stand. Seinen Geist schienen die Jahre und die Schicksale gestählt zu haben: während er in früheren Zeiten seine Heerführer aussandte und selbst an dem Kriege nicht unmittelbar teilnahm, finden wir fortan als Greis ihn in der Schlacht selber befehligen und selber fechten. Ihm, der während seines fünfzigjährigen Regiments so viele unerhörte Glückswechsel erlebt hatte, schien die Sache des Großkönigs durch die Niederlage von Tigranokerta noch keineswegs verloren, vielmehr Lucullus‘ Stellung sehr schwierig und, wenn es jetzt nicht zum Frieden kam und der Krieg in zweckmäßiger Weise fortgeführt ward, sogar in hohem Maße bedenklich. Der vielerfahrene Greis, der fast wie ein Vater dem Großkönig gegenüberstand und jetzt persönlich auf denselben zu wirken vermochte, bezwang den schwachen Mann durch seine Energie und bestimmte ihn, nicht nur sich für die Fortsetzung des Krieges zu entscheiden, sondern auch ihn selber mit dessen politischer und militärischer Leitung zu betrauen. Aus einem Kabinettskrieg sollte der König jetzt ein national asiatischer werden, die Könige und die Völker Asiens sich vereinigen gegen die übermächtigen und übermütigen Okzidentalen. Es wurden die größten Anstrengungen gemacht, die Armenier und die Parther miteinander zu versöhnen und sie zum gemeinschaftlichen Kampfe gegen Rom zu bestimmen. Auf Mithradates‘ Betrieb erbot sich Tigranes, dem Arsakiden Phraates, dem Gott (regierte seit 684 70), die von den Armeniern eroberten Landschaften Mesopotamien, Adiabene, die „großen Täler“, zurückzugeben und mit ihm Freundschaft und Bündnis zu machen. Allein nach allem, was vorhergegangen war, konnte dieses Anerbieten kaum auf eine günstige Aufnahme rechnen; Phraates zog es vor, die Euphratgrenze durch einen Vertrag nicht mit den Armeniern, sondern mit den Römern sich zu sichern und zuzusehen, wie sich der verhaßte Nachbar und der unbequeme Fremdling untereinander aufrieben. Mit größerem Erfolg als an die Könige wandte Mithradates sich an die Völker des Ostens. Es hielt nicht schwer, den Krieg darzustellen als einen nationalen des Orients gegen den Okzident, denn er war es; gar wohl konnte er auch zum Religionskrieg gemacht und die Rede verbreitet werden, daß das Ziel des Lucullischen Heeres der Tempel der persischen Nanäa oder Anaitis in Elymais oder dem heutigen Luristan sei, das gefeiertste und das reichste Heiligtum der ganzen Euphratlandschaft12. Scharenweise drängten sich von nah und fern die Asiaten unter die Banner der Könige, welche sie aufriefen, den Osten und seine Götter vor den gottlosen Fremdlingen zu schirmen. Allein die Tatsachen hatten gezeigt, daß das bloße Zusammentreiben ungeheurer Heerhaufen nicht allein fruchtlos war, sondern durch die Einfügung in dieselben selbst die wirklich marschier- und schlagfähigen Scharen unbrauchbar gemacht und in das allgemeine Verderben mitverwickelt wurden. Mithradates suchte vor allem die Waffe auszubilden, die zugleich die schwächste der Okzidentalen und die stärkste der Asiaten war, die Reiterei: in der von ihm neugebildeten Armee war die Hälfte der Mannschaft beritten. Für den Dienst zu Fuß las er aus der Masse der aufgebotenen oder freiwillig sich meldenden Rekruten die dienstfähigen Leute sorgfältig aus und ließ diese durch seine pontischen Offiziere dressieren. Das ansehnliche Heer, das bald wieder unter den Fahnen des Großkönigs zusammenstand, war aber nicht bestimmt, auf der ersten Walstatt mit den römischen Veteranen sich zu messen, sondern sich auf die Verteidigung und auf den kleinen Krieg zu beschränken. Schon den letzten Krieg in seinem Reiche hatte Mithradates stetig zurückweichend und die Schlacht vermeidend geführt; auch diesmal wurde eine ähnliche Taktik angenommen und zum Kriegsschauplatz das eigentliche Armenien bestimmt, das vom Feinde noch vollkommen unberührte Erbland des Tigranes, durch seine physische Beschaffenheit ebenso wie durch den Patriotismus seiner Bewohner vortrefflich für diese Kriegsweise geeignet.

Das Jahr 686 (68) fand Lucullus in einer schwierigen und täglich bedenklicher sich gestaltenden Lage. Trotz seiner glänzenden Siege war man in Rom durchaus nicht mit ihm zufrieden. Der Senat empfand die Eigenmächtigkeit seines Verfahrens; die von ihm empfindlich verletzte Kapitalistenpartei setzte alle Mittel der Intrige und Bestechung in Bewegung, um seine Abberufung durchzusetzen. Täglich erscholl der Markt der Hauptstadt von gerechten und ungerechten Beschwerden über den tollkühnen, den habsüchtigen, den unrömischen, den hochverräterischen Feldherrn. Den Klagen über die Vereinigung einer so grenzenlosen Macht, zweier ordentlicher Statthalterschaften und eines wichtigen außerordentlichen Kommandos, in der Hand eines solchen Mannes gab auch der Senat insoweit nach, daß er die Provinz Asia einem der Prätoren, die Provinz Kilikien nebst drei neu ausgehobenen Legionen dem Konsul Quintus Marcius Rex bestimmte, und den Feldherrn auf das Kommando gegen Mithradates und Tigranes beschränkte.

Diese in Rom gegen den Feldherrn sich erhebenden Anklagen fanden einen gefährlichen Widerhall in den Quartieren am Iris und am Tigris: um so mehr, als einzelne Offiziere, darunter der eigene Schwager des Feldherrn, Publius Clodius, in diesem Sinne die Soldaten bearbeiteten. Das ohne Zweifel von diesen in Umlauf gesetzte Gerücht, daß Lucullus jetzt mit dem Pontisch-Armenischen Krieg noch eine Expedition gegen die Parther zu verbinden gedenke, nährte die Erbitterung der Truppen. Während aber also die schwierige Stimmung der Regierung wie der Soldaten den siegreichen Feldherrn mit Abberufung und Meuterei bedrohte, fuhr er selber fort, dem verzweifelten Spieler gleich, seinen Einsatz und sein Wagen zu steigern. Zwar gegen die Parther zog er nicht; aber als Tigranes sich weder bereit zeigte, Frieden zu machen, noch, wie Lucullus es wünschte, eine zweite Hauptschlacht zu bestehen, entschloß sich Lucullus von Tigranokerta durch die schwierige Berglandschaft am östlichen Ufer des Wansees in das Tal des östlichen Euphrat (oder des Arsanias, jetzt Murad Tschai) und aus diesem in das des Araxes vorzudringen, wo, am nördlichen Abhang des Ararat, die Hauptstadt des eigentlichen Armeniens Artaxata mit dem Erbschloß und dem Harem des Königs lag. Er hoffte den König durch die Bedrohung seiner angestammten Residenz entweder unterwegs oder mindestens doch vor Artaxata zum Schlagen zu zwingen. Unumgänglich notwendig war es freilich, bei Tigranokerta eine Abteilung zurückzulassen; und da das Marschheer unmöglich noch weiter vermindert werden konnte, so blieb nichts übrig als die Stellung im Pontos zu schwächen und von dort Truppen nach Tigranokerta zu berufen. Die Hauptschwierigkeit aber war die für militärische Unternehmungen so unbequeme Kürze des armenischen Sommers. Auf der armenischen Hochebene, die 5000 Fuß und mehr über der Meeresfläche liegt, sproßt bei Erzerum das Korn erst Anfang Juni, und mit der Ernte im September stellt auch schon der Winter sich ein; in höchstens vier Monaten mußte Artaxata erreicht und die Kampagne beendigt sein.

Im Mittsommer 686 (68) brach Lucullus von Tigranokerta auf und gelangte, ohne Zweifel durch den Bitlispaß und weiter westlich am Wansee hinauf marschierend, auf das Plateau von Musch und an den Euphrat. Der Marsch ging, unter beständigen sehr lästigen Scharmützeln mit der feindlichen Reiterei, namentlich den berittenen Bogenschützen, langsam, aber ohne wesentliches Hindernis vonstatten, und auch der Euphratübergang, den die armenische Reiterei ernstlich verteidigte, ward durch ein glückliches Treffen erzwungen; die armenische Infanterie zeigte sich, aber es glückte nicht, sie in das Gefecht zu verwickeln. So gelangte die Armee auf die eigentliche Hochebene Armeniens und marschierte weiter hinein in das unbekannte Land. Man hatte keinen eigentlichen Unfall erlitten; aber die bloße unabwendbare Verzögerung des Marsches durch die Terrainschwierigkeiten und die feindlichen Reiter war an sich schon ein sehr empfindlicher Nachteil. Lange bevor man Artaxata erreicht hatte, brach der Winter herein; und wie die italischen Soldaten Schnee und Eis um sich sahen, riß der allzu straff gespannte Bogen der militärischen Zucht. Eine förmliche Meuterei nötigte den Feldherrn, den Rückzug anzuordnen, den er mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit bewerkstelligte. Glücklich angekommen in Mesopotamien, wo die Jahreszeit noch weitere Unternehmungen gestattete, überschritt Lucullus den Tigris und warf sich mit der Masse seines Heeres auf die letzte hier den Armeniern gebliebene Stadt Nisibis. Der Großkönig, gewitzigt durch die vor Tigranokerta gemachte Erfahrung, überließ die Stadt sich selbst; trotz ihrer tapferen Verteidigung ward sie in einer finsteren Regennacht von den Belagerern erstürmt und Lucullus‘ Heer fand daselbst nicht minder reiche Beute und nicht minder bequeme Winterquartiere wie das Jahr vorher in Tigranokerta. Allein inzwischen fiel die ganze Gewalt der feindlichen Offensive auf die schwachen, im Pontos und in Armenien zurückgebliebenen römischen Korps. Hier zwang Tigranes den römischen Befehlshaber Lucius Fannius – denselben, der früher zwischen Sertorius und Mithradates den Vermittler gemacht hatte –, sich in eine Festung zu werfen und hielt ihn darin belagert. Dort rückte Mithradates ein mit 4000 armenischen und 4000 eigenen Reitern und rief als Befreier und Rächer die Nation auf gegen den Landesfeind. Alles fiel ihm zu; die zerstreuten römischen Soldaten wurden überall aufgehoben und getötet; als der römische Kommandant im Pontos, Hadrianus, seine Truppen gegen ihn führte, machten die ehemaligen Söldner des Königs und die zahlreichen, als Sklaven dem Heere folgenden Pontiker gemeinschaftliche Sache mit dem Feind. Zwei Tage nacheinander währte der ungleiche Kampf; nur daß der König nach zwei empfangenen Wunden vom Schlachtfeld weggetragen werden mußte, gab dem römischen Befehlshaber die Möglichkeit, die so gut wie verlorene Schlacht abzubrechen und mit dem kleinen Rest seiner Leute sich nach Kabeira zu werfen. Ein anderer von Lucullus‘ Unterbefehlshabern, der zufällig in diese Gegend kam, der entschlossene Triarius, sammelte zwar wieder einen Heerhaufen um sich und lieferte dem König ein glückliches Gefecht; allein er war viel zu schwach, um ihn wieder vom pontischen Boden zu vertreiben und mußte es geschehen lassen, daß der König Winterquartiere in Komana nahm.

So kam das Frühjahr 687 (67) heran. Die Vereinigung der Armee in Nisibis, die Muße der Winterquartiere, die häufige Abwesenheit des Feldherrn hatten die Unbotmäßigkeit der Truppen inzwischen noch gesteigert; sie verlangten nicht bloß ungestüm, zurückgeführt zu werden, sondern es war bereits ziemlich offenbar, daß sie, wenn der Feldherr sich weigerte, sie heimzuführen, von selbst aufbrechen würden. Die Vorräte waren knapp; Fannius und Triarius sandten in ihrer bedrängten Lage die inständigsten Bitten um Hilfeleistung an den Oberfeldherrn. Schweren Herzens entschloß sich Lucullus, der Notwendigkeit zu weichen, Nisibis und Tigranokerta aufzugeben und, auf all die glänzenden Hoffnungen seiner armenischen Expedition verzichtend, zurückzukehren auf das rechte Ufer des Euphrat. Fannius wurde befreit; im Pontos aber war es schon zu spät. Triarius, nicht stark genug, um mit Mithradates zu schlagen, hatte bei Gaziura (Turksal am Iris, westlich von Tokat) eine feste Stellung genommen, während das Gepäck bei Dadasa zurückblieb. Als indes Mithradates den letzteren Ort belagerte, zwangen die römischen Soldaten, um ihre Habseligkeiten besorgt, den Führer, seine gesicherte Stellung zu verlassen und zwischen Gaziura und Ziela (Zilleh) auf den Skotischen Anhöhen dem König eine Schlacht zu liefern. Was Triarius vorhergesehen hatte trat ein: trotz der tapfersten Gegenwehr durchbrach der Flügel, den der König persönlich führte, die römische Linie und drängte das Fußvolk in eine lehmige Schlucht zusammen, in der es weder vor noch seitwärts rücken konnte und erbarmungslos niedergehauen ward. Zwar ward durch einen römischen Centurio, der dafür sein Leben opferte, der König auf den Tod verwundet; aber die Niederlage war darum nicht minder vollständig. Das römische Lager ward genommen; der Kern des Fußvolks, fast alle Ober- und Unteroffiziere bedeckten den Boden; die Leichen blieben unbegraben auf dem Schlachtfeld liegen, und als Lucullus auf dem rechten Euphratufer ankam, erfuhr er nicht von den Seinigen, sondern durch die Berichte der Eingeborenen die Niederlage.

Hand in Hand mit dieser Niederlage ging der Ausbruch der Militärverschwörung. Ebenjetzt traf aus Rom die Nachricht ein, daß das Volk beschlossen habe, den Soldaten, deren gesetzmäßige Dienstzeit abgelaufen sei, das heißt den Fimbrianern, den Abschied zu bewilligen und einem der Konsuln des laufenden Jahres den Oberbefehl in Bithynien und Pontus zu übertragen; schon war der Nachfolger Luculls, der Konsul Manius Acilius Glabrio, in Kleinasien gelandet. Die Verabschiedung der tapfersten und unruhigsten Legionen und die Abberufung des Oberfeldherrn in Verbindung mit dem Eindruck der Niederlage von Ziela lösten in dem Heer alle Bande der Autorität auf, eben da der Feldherr ihrer am notwendigsten bedurfte. Bei Talaura in Klein-Armenien stand er den pontischen Truppen gegenüber, an deren Spitze Tigranes‘ Schwiegersohn, Mithradates von Medien, den Römern bereits ein glückliches Reitergefecht geliefert hatte; ebendahin war von Armenien her die Hauptmacht des Großkönigs in Anmarsch. Lucullus sandte an den neuen Statthalter von Kilikien, Quintus Marcius, der auf dem Marsch nach seiner Provinz soeben mit drei Legionen in Lykaonien angelangt war, um von ihm Hilfe zu erhalten; derselbe erklärte, daß seine Soldaten sich weigerten, nach Armenien zu marschieren. Er sandte an Glabrio mit dem Ersuchen, den ihm vom Volke übertragenen Oberbefehl zu übernehmen; derselbe bezeigte noch weniger Lust, dieser jetzt so schwierig und gefährlich gewordenen Aufgabe sich zu unterziehen. Lucullus, genötigt den Oberbefehl zu behalten, befahl, um nicht bei Talaura zugleich gegen die Armenier und die Pontiker schlagen zu müssen, den Aufbruch gegen das anrückende armenische Heer. Die Soldaten kamen dem Marschbefehl nach; allein da angelangt, wo die Straßen nach Armenien und nach Kappadokien sich schieden, schlug die Masse des Heeres die letztere ein und begab sich in die Provinz Asia. Hier begehrten die Fimbrianer ihren augenblicklichen Abschied; und obwohl sie auf die inständige Bitte des Oberfeldherrn und der übrigen Korps hiervon wieder abließen, beharrten sie doch dabei, wenn der Winter herankäme, ohne daß ihnen ein Feind gegenüberstände, sich auflösen zu wollen; was denn auch geschah. Mithradates besetzte nicht bloß abermals fast sein ganzes Königreich, sondern seine Reiter streiften durch ganz Kappadokien und bis nach Bithymen; gleich vergeblich bat König Ariobarzanes bei Quintus Marcius, bei Lucullus und bei Glabrio um Hilfe. Es war ein seltsamer, fast unglaublicher Ausgang des in so glorreicher Weise geführten Krieges. Wenn man bloß auf die militärischen Leistungen sieht, so hat kaum ein anderer römischer General mit so geringen Mitteln so viel ausgerichtet wie Lucullus; das Talent und das Glück Sullas schienen auf diesen seinen Schüler sich vererbt zu haben. Daß unter den obwaltenden Verhältnissen das römische Heer aus Armenien unversehrt nach Kleinasien zurückkam, ist ein militärisches Wunderwerk, das, soweit wir urteilen können, den Xenophontischen Rückzug weit übertrifft und wohl zunächst aus der Solidität des römischen und der Untüchtigkeit des orientalischen Kriegswesens sich erklärt, aber doch unter allen Umständen dem Leiter dieses Zuges einen ehrenvollen Platz unter den militärischen Kapazitäten ersten Ranges sichert. Wenn Lucullus‘ Name gewöhnlich nicht unter diesen genannt wird, so liegt die Ursache allem Anschein nach nur darin, daß teils kein militärisch auch nur leidlicher Bericht über seine Feldzüge auf uns gekommen ist, teils überall, und vor allem im Kriege, zunächst nichts gilt als das schließliche Resultat, und dies freilich kam einer vollständigen Niederlage gleich. Durch die letzte unglückliche Wendung der Dinge, hauptsächlich durch die Meuterei der Soldaten, waren alle Erfolge eines achtjährigen Krieges wieder verloren worden; man stand im Winter 687/88 (67/66) genau wieder an demselben Fleck wie im Winter 679/80 (75/74).

Nicht bessere Resultate als der Kontinentalkrieg lieferte der Seekrieg gegen die Piraten, der mit demselben zugleich begann und beständig mit ihm in der engsten Verbindung stand. Es ward bereits erzählt, daß der Senat im Jahre 680 (74) den verständigen Beschluß faßte, die Säuberung der Meere von den Korsaren einem einzigen höchstkommandierenden Admiral, dem Prätor Marcus Antonius, zu übertragen. Allein gleich von vornherein hatte man sich in der Wahl des Führers durchaus vergriffen, oder vielmehr diejenigen, welche diese an sich zweckmäßige Maßregel durchgesetzt hätten, hatten nicht berechnet, daß im Senat alle Personenfragen durch Cethegus‘ Einfluß und ähnliche Koterierücksichten entschieden wurden. Man hatte ferner versäumt, den gewählten Admiral in einer seiner umfassenden Aufgabe angemessenen Weise mit Geld und Schiffen auszustatten, so daß er durch seine ungeheuren Requisitionen den befreundeten Provinzialen fast ebenso lästig fiel wie die Korsaren. Die Erfolge waren entsprechend. In den kampanischen Gewässern brachte die Flotte des Antonius eine Anzahl Piratenschiffe auf. Mit den Kretensern aber, die mit den Piraten Freundschaft und Bündnis gemacht hatten und seine Forderung, von dieser Gemeinschaft abzulassen, schroff zurückwiesen, kam es zum Gefecht; und die Ketten, die Antonius vorsorglich auf seinen Schiffen in Vorrat gelegt hatte, um die gefangenen Flibustier damit zu fesseln, dienten dazu, den Quästor und die übrigen römischen Gefangenen an die Masten der eroberten römischen Schiffe zu schließen, als die kretischen Feldherren Lasthenes und Panares aus dem bei ihrer Insel den Römern gelieferten Seetreffen triumphierend nach Kydonia zurücksteuerten. Antonius, nachdem er mit seiner leichtsinnigen Kriegführung ungeheure Summen vergeudet und nicht das geringste ausgerichtet hatte, starb im Jahre 683 (71) auf Kreta. Teils der schlechte Erfolg seiner Expedition, teils die Kostbarkeit des Flottenbaus, teils der Widerwille der Oligarchie gegen jede umfassendere Beamtenkompetenz bewirkten, daß man nach der faktischen Beendigung dieser Unternehmung durch Antonius‘ Tod keinen Oberadmiral wieder ernannte und auf die alte Weise zurückkam, jeden Statthalter in seiner Provinz für die Unterdrückung der Piraterie sorgen zu lassen; wie denn zum Beispiel die von Lucullus hergestellte Flotte hierfür im Ägäischen Meer tätig war. Nur was die Kreter anbetrifft, schien eine Schmach wie die vor Kydonia erlittene doch selbst diesem gesunkenen Geschlecht allein durch die Kriegserklärung beantwortet werden zu können. Dennoch hätten die kretischen Gesandten, die im Jahre 684 (70) in Rom mit der Bitte erschienen, die Gefangenen zurücknehmen und das alte Bündnis wieder herstellen zu wollen, fast einen günstigen Senatsbeschluß erlangt; was die ganze Korporation eine Schande nannte, das verkaufte bereitwillig für klingenden Preis der einzelne Senator. Erst nachdem ein förmlicher Senatsbeschluß die Anlehen der kretischen Gesandten bei den römischen Bankiers klaglos gestellt, das heißt nachdem der Senat sich selber in die Unmöglichkeit versetzt hatte, sich bestechen zu lassen, kam das Dekret zustande, daß die kretischen Gemeinden außer den römischen Überläufern, die Urheber des vor Kydonia verübten Frevels, die Führer Lasthenes und Panares, den Römern zu geeigneter Bestrafung zu übergeben, ferner sämtliche Schiffe und Boote von vier oder mehr Rudern auszuliefern, 400 Geiseln zu stellen und eine Buße von 4000 Talenten (6250000 Taler) zu zahlen hätten, wofern sie den Krieg zu vermeiden wünschten. Als die Gesandten sich zur Eingebung solcher Bedingungen nicht bevollmächtigt erklärten, wurde einer der Konsuln des nächsten Jahres bestimmt, nach Ablauf seines Amtsjahres nach Kreta abzugehen, um dort entweder das Geforderte in Empfang zu nehmen oder den Krieg zu beginnen. Demgemäß erschien im Jahre 685 (69) der Prokonsul Quintus Metellus in den kretischen Gewässern. Die Gemeinden der Insel, voran die größeren Städte Gortyna, Knossos, Kydonia, waren entschlossen, lieber mit den Waffen sich zu verteidigen, als jenen übermäßigen Forderungen sich zu fügen. Die Kretenser waren ein ruchloses und entartetes Volk, mit deren öffentlicher und privater Existenz der Seeraub so innig verwachsen war wie der Landraub mit dem Gemeinwesen der Ätoler; allein sie glichen den Ätolern wie überhaupt in vielen Stücken so auch in der Tapferkeit, und es sind denn auch diese beiden griechischen Gemeinden die einzigen, die den Kampf um die Unabhängigkeit mutig und ehrenhaft geführt haben. Bei Kydonia, wo Metellus seine drei Legionen ans Land setzte, stand eine kretische Armee von 24000 Mann unter Lasthenes und Panares bereit, ihn zu empfangen; es kam zu einer Schlacht im offenen Felde, in der der Sieg nach hartem Kampf den Römern blieb. Allein die Städte trotzten dem römischen Feldherrn nichtsdestoweniger hinter ihren Mauern; Metellus mußte sich entschließen, eine nach der andern zu belagern. Zuerst ward Kydonia, wohin die Trümmer der geschlagenen Armee sich geworfen hatten, nach langer Belagerung von Panares gegen das Versprechen freien Abzuges für sich selber übergeben. Lasthenes, der aus der Stadt entwichen war, mußte zum zweiten Male in Knossos belagert werden, und da auch diese Festung im Begriff war zu fallen, vernichtete er seine Schätze und entschlüpfte abermals nach Orten, welche, wie Lyktos, Eleutherna und andere, die Verteidigung noch fortsetzten. Zwei Jahre (686, 687 68, 67) vergingen, bevor Metellus der ganzen Insel Herr und damit der letzte Fleck freier griechischer Erde in die Gewalt der übermächtigen Römer gekommen war; die kretischen Gemeinden, wie sie zuerst von allen griechischen die freie Stadtverfassung und die Seeherrschaft bei sich entwickelt hatten, sollten auch die letzten von allen jenen, einst das Mittelmeer erfüllenden griechischen Seestaaten sein, die der römischen Kontinentalmacht erlagen.

Alle Rechtsbedingungen waren erfüllt, um wiederum einen der üblichen pomphaften Triumphe zu feiern; das Geschlecht der Meteller konnte seinen makedonischen, numidischen, dalmatischen, baliarischen Titeln mit gleichem Recht den neuen kretischen beifügen, und Rom besaß einen stolzen Namen mehr. Nichtsdestoweniger stand die Macht der Römer auf dem Mittelmeer nie tiefer, die der Korsaren nie höher als in diesen Jahren. Wohl mochten die Kiliker und Kreter der Meere, die in dieser Zeit bis 1000 Schiffe gezählt haben sollen, des Isaurikers wie des Kretikers und ihrer nichtigen Siege spotten. Wie nachdrücklich die Seeräuber in den Mithradatischen Krieg eingriffen und wie die hartnäckige Gegenwehr der pontischen Seestädte ihre besten Kräfte aus dem Korsarenstaat zog, ward bereits erzählt. Aber derselbe machte auch auf eigene Hand kaum minder großartige Geschäfte. Fast unter den Augen der Flotte Luculls überfiel im Jahre 685 (69) der Pirat Athenodoros die Insel Delos, zerstörte deren vielgefeierte Heiligtümer und Tempel und führte die ganze Bevölkerung fort in die Sklaverei. Die Insel Lipara bei Sizilien zahlte den Piraten jährlich einen festen Tribut, um von ähnlichen Überfällen verschont zu bleiben. Ein anderer Piratenchef, Herakleon, zerstörte im Jahre 682 (72) das in Sizilien gegen ihn ausgerüstete Geschwader und wagte es, mit nicht mehr als vier offenen Booten in den Hafen von Syrakus einzufahren. Zwei Jahre später stieg sein Kollege Pyrganion in demselben Hafen sogar an das Land, setzte daselbst sich fest und schickte von dort aus Streifpartien in die Insel, bis ihn der römische Statthalter endlich zwang, sich wiedereinzuschiffen. Das war man am Ende nachgerade gewohnt, daß alle Provinzen Geschwader ausrüsteten und Strandwachen aufstellten oder doch für beides steuerten, und dennoch die Korsaren so regelmäßig erschienen, um die Provinzen auszuplündern wie die römischen Statthalter. Aber selbst den geweihten Boden Italiens respektierten jetzt die unverschämten Frevler nicht mehr: von Kroton führten sie den Tempelschatz der Lakinischen Hera mit sich fort; sie landeten in Brundisium, Misenum, Caieta, in den etruskischen Häfen, ja in Ostia selbst; sie brachten die vornehmsten römischen Offiziere als Gefangene auf, unter andern den Flottenführer der kilikischen Armee und zwei Prätoren mit ihrem ganzen Gefolge, mit den gefürchteten Beilen und Ruten selbst und allen Abzeichen ihrer Würde; sie entführten aus einer Villa bei Misenum die eigene Schwester des zur Vernichtung der Piraten ausgesandten römischen Oberadmirals Antonius; sie vernichteten im Hafen von Ostia die gegen sie ausgerüstete und von einem Konsul befehligte römische Kriegsflotte. Der latinische Bauersmann, der Reisende auf der Appischen Straße, der vornehme Badegast in dem irdischen Paradiese von Baiae waren ihrer Habe und ihres Lebens fürder keinen Augenblick sicher; aller Handel und aller Verkehr stockte; die entsetzlichste Teuerung herrschte in Italien und namentlich in der von überseeischem Korn lebenden Hauptstadt. Die Mitwelt wie die Geschichte sind freigebig mit Klagen über unerträglichen Notstand; hier dürfte die Bezeichnung passen.

Es ist bisher geschildert worden, wie der von Sulla restaurierte Senat die Grenzbewachung in Makedonien, die Disziplin über die Klientelkönige Kleinasiens, wie er endlich die Seepolizei geübt hat; die Resultate waren nirgends erfreulich. Nicht bessere Erfolge erzielte die Regierung in einer anderen, vielleicht noch dringenderen Angelegenheit, der Überwachung des provinzialen und vor allem des italischen Proletariats. Der Krebsschaden des Sklavenproletariats zehrte an dem Marke aller Staaten des Altertums und um so mehr, je mächtiger sie emporgeblüht waren; denn Macht und Reichtum des Staats führten unter den bestehenden Verhältnissen regelmäßig zu einer unverhältnismäßigen Vermehrung der Sklavenmenge. Natürlich litt demnach Rom darunter schwerer als irgendein anderer Staat des Altertums. Schon die Regierung des sechsten Jahrhunderts hatte gegen die Banden entlaufener Hirten- und Feldsklaven Truppen schicken müssen. Die unter den italischen Spekulanten mehr und mehr um sich greifende Plantagenwirtschaft hatte das gefährliche Übel ins unendliche gesteigert; in der Zeit der Gracchischen und der Marianischen Krise und mit denselben in engem Zusammenhang hatten Sklavenaufstände an zahlreichen Punkten des Römischen Reiches stattgehabt, in Sizilien sogar zu zwei blutigen Kriegen (619-622 und 652-654 135-132 und 102-100) sich entwickelt. Aber das Dezennium der Restaurationsherrschaft nach Sullas Tode ward die goldene Zeit wie für die Flibustier zur See so für die gleichartigen Banden auf dem Festland, vor allem in der bisher noch verhältnismäßig leidlich geordneten italischen Halbinsel. Von einem Landfrieden konnte daselbst kaum mehr die Rede sein. In der Hauptstadt und den minder bevölkerten Landschaften Italiens waren Räubereien alltäglich, Mordtaten häufig. Gegen Menschenraub an fremden Sklaven wie an freien Leuten erging – vielleicht in dieser Epoche – ein besonderer Volksschluß; gegen gewaltsame Besitzentziehung von Grundstücken ward um diese Zeit eine eigene summarische Klage neu eingeführt. Diese Verbrechen mußten besonders deswegen gefährlich erscheinen, weil sie zwar gewöhnlich begangen wurden von dem Proletariat, aber als moralische Urheber und Teilnehmer an dem Gewinn auch die vornehme Klasse in großem Umfang dabei mittätig war. Namentlich der Menschen- und der Ackerraub wurde sehr häufig durch die Aufseher der großen Güter veranlaßt und durch die daselbst vereinigten häufig bewaffneten Sklavenscharen ins Werk gesetzt; und gar mancher hochangesehene Mann verschmähte nicht, was einer seiner diensteifrigen Sklavenaufseher so für ihn erwarb wie Mephisto für Faust die Linden Philemons. Wie die Dinge standen, zeigt die verschärfte Bestrafung der durch bewaffnete Banden verübten Eigentumsfrevel, welche einer der besseren Optimaten, Marcus Lucullus, als Vorstand der hauptstädtischen Rechtspflege um das Jahr 676 (78) einführte13, mit der ausgesprochenen Absicht, die Eigentümer der großen Sklavenherden durch die Gefahr sich dieselben aberkannt zu sehen, zu nachdrücklicherer Beaufsichtigung derselben anzuhalten. Wo also im Auftrag der vornehmen Welt geplündert und gemordet ward, lag es diesen Sklaven- und Proletariermassen nahe, das gleiche Geschäft für eigene Rechnung zu treiben; es genügte ein Funke, um den furchtbaren Brennstoff in Flammen zu setzen und das Proletariat in eine Insurrektionsarmee zu verwandeln. Die Veranlassung fand sich bald.

Die Fechterspiele, die unter den Volkslustbarkeiten in Italien jetzt den ersten Rang behaupteten, hatten die Errichtung zahlreicher Anstalten namentlich in und um Capua herbeigeführt, worin diejenigen Sklaven teils aufbewahrt, teils eingeschult wurden, die bestimmt waren, zur Belustigung der souveränen Menge zu töten oder zu sterben – natürlich großenteils tapfere kriegsgefangene Leute, die es nicht vergessen hatten, einst gegen die Römer im Felde gestanden zu haben. Eine Anzahl solcher verzweifelter Menschen brach aus einer der capuanischen Fechterschulen aus (681 73) und warf sich auf den Vesuv. An ihrer Spitze standen zwei keltische Männer, die mit ihren Sklavennamen Krixos und Önomaos genannt werden, und der Thraker Spartacus. Dieser, vielleicht ein Sprößling des edlen, in der thrakischen Heimat wie in Pantikapäon sogar zu königlichen Ehren gelangten Geschlechts der Spartokiden, hatte unter den thrakischen Hilfstruppen im römischen Heer gedient, war desertiert und als Räuber in die Berge gegangen und hier wiedereingefangen und für die Kampfspiele bestimmt worden. Die Streifereien dieser kleinen, anfänglich nur vierundsiebzig Köpfe zählenden, aber rasch durch Zulauf aus der Umgegend anschwellenden Schar wurden den Bewohnern der reichen kampanischen Landschaft bald so lästig, daß dieselben, nachdem sie vergeblich versucht hatten, sich selber ihrer zu erwehren, gegen sie Hilfe von Rom erbaten. Es erschien eine schleunig zusammengeraffte Abteilung von 3000 Mann unter Führung des Clodius Glaber und besetzte die Aufgänge zum Vesuv, um die Sklavenschar auszuhungern. Aber die Räuber wagten es trotz ihrer geringen Anzahl und ihrer mangelhaften Bewaffnung, über jähe Abhänge hinabkletternd die römischen Posten zu überfallen; und als die elende Miliz den kleinen Haufen verzweifelter Männer unvermutet auf sich eindringen sah, gab sie Fersengeld und verlief sich nach allen Seiten. Dieser erste Erfolg verschaffte den Räubern Waffen und steigenden Zulauf. Wenngleich auch jetzt noch ein großer Teil von ihnen nichts führte als zugespitzte Knüttel, so fand die neue und stärkere Abteilung der Landwehr, zwei Legionen unter dem Prätor Publius Varinius, die von Rom her in Kampanien einrückte, sie schon fast wie ein Kriegsheer in der Ebene lagernd. Varinius hatte einen schwierigen Stand. Seine Milizen, genötigt, dem Feind gegenüber zu biwakieren, wurden durch die feuchte Herbstwitterung und die dadurch erzeugten Krankheiten arg mitgenommen; und schlimmer noch als die Epidemien lichteten Feigheit und Unbotmäßigkeit die Reihen. Gleich zu Anfang lief eine seiner Abteilungen vollständig auseinander, so daß die Flüchtigen nicht etwa auf das Hauptkorps zurück, sondern geradewegs nach Hause gingen. Als sodann der Befehl gegeben ward, gegen die feindlichen Verschanzungen vorzugehen und anzugreifen, weigerte sich der größte Teil der Leute, ihm Folge zu leisten. Nichtsdestoweniger brach Varinius mit denen, die standhielten, gegen die Räuberschar auf; allein er fand sie nicht mehr, wo er sie suchte. In tiefster Stille war sie aufgebrochen und hatte sich südwärts gegen Picentia (Vicenza bei Amalfi) gewendet, wo Varinius sie zwar einholte, aber es doch nicht wehren konnte, daß sie über den Silarus zurückwich bis in das innere Lucanien, das gelobte Land der Hirten und der Räuber. Auch dorthin folgte Varinius und hier endlich stellte der verachtete Feind sich zum Treffen. Alle Verhältnisse, unter denen der Kampf stattfand, waren zum Nachteil der Römer; die Soldaten, so ungestüm sie kurz zuvor die Schlacht gefordert hatten, schlugen dennoch sich schlecht; Varinius ward vollständig besiegt, sein Pferd und die Insignien seiner Amtswürde gerieten mit dem römischen Lager selbst in Feindeshand. Massenweise strömten die süditalischen Sklaven, namentlich die tapferen halbwilden Hirten, unter die Fahne der so unverhofft erschienenen Erlöser; nach den mäßigen Angaben stieg die Zahl der bewaffneten Insurgenten auf 40000 Mann. Kampanien, soeben geräumt, ward rasch wieder eingenommen, das daselbst unter dem Quästor des Varinius, Gaius Thoranius, zurückgebliebene römische Korps zersprengt und aufgerieben. Im ganzen Süden und Südwesten Italiens war das offene Land in den Händen der siegreichen Räuberhauptleute; selbst ansehnliche Städte, wie Consentia im bruttischen Land, Thurii und Metapont in Lucanien, Nola und Nuceria in Kampanien, wurden von ihnen erstürmt und erlitten alle Greuel, die siegreiche Barbaren über wehrlose Zivilisierte, entfesselte Sklaven über ihre gewesenen Herren zu bringen vermögen. Daß ein Kampf wie dieser überhaupt rechtlos und mehr eine Metzelei als ein Krieg war, versteht sich leider von selbst: die Herren schlugen jeden gefangenen Sklaven von Rechts wegen ans Kreuz; diese machten natürlich gleichfalls ihre Gefangenen nieder oder zwangen gar in noch höhnischerer Vergeltung die kriegsgefangenen Römer, im Fechtspiel einander selber zu morden; wie dies später mit dreihundert derselben bei der Leichenfeier eines im Kampfe gefallenen Räuberhauptmanns geschah. In Rom war man mit Recht in Besorgnis über den immer weiter um sich greifenden verheerenden Brand. Es ward beschlossen, das nächste Jahr (682 72) beide Konsuln gegen die furchtbaren Bandenchefs auszusenden. In der Tat gelang es dem Prätor Quintus Arrius, einem Unterfeldherrn des Konsuls Lucius Genius, den keltischen Haufen, der unter Krixos von der Masse des Räuberheers sich gesondert hatte und auf eigene Hand brandschatzte, in Apulien am Garganus zu fassen und zu vernichten. Aber um so glänzendere Siege erfocht Spartacus im Apennin und im nördlichen Italien, wo der Konsul Gnaeus Lentulus, während er die Räuber zu umzingeln und aufzuheben vermeinte, sodann sein Kollege Gellius und der soeben noch siegreiche Prätor Arrius, endlich bei Mutina der Statthalter des Diesseitigen Gallien, Gaius Cassius (Konsul 681 73), und der Prätor Gnaeus Manlius einer nach dem andern seinen Streichen erlagen. Die kaum bewaffneten Sklavenrotten waren der Schreck der Legionen; die Kette der Niederlagen erinnerte an die ersten Jahre des Hannibalischen Krieges. Was hätte kommen mögen, wenn nicht entlaufene Fechtersklaven, sondern die Volkskönige aus den Bergen der Auvergne oder des Balkan an der Spitze der siegreichen Scharen gestanden hätten, ist nicht zu sagen; wie die Bewegung einmal war, blieb sie trotz ihrer glänzenden Siege ein Räuberaufstand und unterlag weniger der Übermacht ihrer Gegner als der eignen Zwietracht und Planlosigkeit. Die Einigkeit gegen den gemeinschaftlichen Feind, die in den früheren sizilischen Sklavenkriegen in so bemerkenswerter Weise hervorgetreten war, wird in diesem italischen vermißt, wovon wohl die Ursache darin zu suchen ist, daß die sizilischen Sklaven in dem gemeinsamen Syrohellenismus einen gleichsam nationalen Einigungspunkt fanden, die italischen dagegen in die beiden Massen der Hellenobarbaren und der Keltogermanen sich schieden. Die Spaltung zwischen dem Kelten Krixos und dem Thraker Spartacus – Önomaos war gleich in einem der ersten Gefechte gefallen – und ähnlicher Hader lähmte die Benutzung der errungenen Erfolge und verschaffte den Römern manchen wichtigen Sieg. Aber noch weit nachteiliger als die keltisch-germanische Unbotmäßigkeit wirkte auf das Unternehmen der Mangel eines festen Planes und Zieles. Wohl stand Spartacus, nach dem Wenigen zu schließen, was wir von dem seltenen Mann erfahren, hierin über seiner Partei. Er verriet neben seinem strategischen ein nicht gemeines Organisationstalent, wie denn gleich von Haus aus die Gerechtigkeit, mit der er seiner Schar vorstand und die Beute verteilte, wenigstens ebensosehr wie seine Tapferkeit die Augen der Masse auf ihn gelenkt hatte. Um dem empfindlichen Mangel an Reiterei und an Waffen abzuhelfen, versuchte er mit Hilfe der in Unteritalien aufgegriffenen Pferdeherden, sich eine Kavallerie zu schulen und zu disziplinieren und, sowie er den Hafen von Thurii in die Hände bekam, von dort aus Eisen und Kupfer, ohne Zweifel durch Vermittlung der Piraten, sich zu verschaffen. Aber in den Hauptsachen vermochte auch er nicht die wilden Horden, die er anführte, auf feste Endziele hinzulenken. Gern hätte er den tollen Bacchanalien der Grausamkeit gewehrt, die die Räuber in den eingenommenen Städten sich gestatteten und die die hauptsächliche Ursache waren, weshalb keine italische Stadt freiwillig mit den Insurgenten gemeinschaftliche Sache machte; aber der Gehorsam, den der Räuberhauptmann im Kampfe fand, hörte mit dem Siege auf und seine Vorstellungen und Bitten waren vergeblich. Nach den im Apennin 682 (72) erfochtenen Siegen stand dem Sklavenheer nach jeder Richtung hin der Weg frei. Spartacus selbst soll beabsichtigt haben, die Alpen zu überschreiten, um sich und den Seinigen die Rückkehr in ihre keltische oder thrakische Heimat zu öffnen; wenn der Bericht gegründet ist, so zeigt er, wie wenig der Sieger seine Erfolge und seine Macht überschätzte. Da die Mannschaft sich weigerte, dem reichen Italien so rasch den Rücken zu wenden, schlug Spartacus den Weg nach Rom ein und soll daran gedacht haben, die Hauptstadt zu blockieren. Indes auch diesem zwar verzweifelten, aber doch planmäßigen Beginnen zeigten die Scharen sich abgeneigt; sie zwangen ihren Führer, da er Feldherr sein wollte, Räuberhauptmann zu bleiben und ziellos weiter in Italien auf Plünderung umherzuziehen. Rom mochte sich glücklich preisen, daß es also kam; auch so aber war guter Rat teuer. Es fehlte an geübten Soldaten wie an erprobten Feldherren; Quintus Metellus und Gnaeus Pompeius waren in Spanien, Marcus Lucullus in Thrakien, Lucius Lucullus in Kleinasien beschäftigt, und zur Verfügung standen nur rohe Milizen und höchstens mittelmäßige Offiziere. Man bekleidete mit dem außerordentlichen Oberbefehl in Italien den Prätor Marcus Crassus, der zwar kein namhafter Feldherr war, aber doch unter Sulla mit Ehren gefochten und wenigstens Charakter hatte, und stellte ihm eine wenn nicht durch ihre Qualität, doch durch ihre Zahl imponierende Armee von acht Legionen zur Verfügung. Der neue Oberfeldherr begann damit, die erste Abteilung, die wieder mit Wegwerfung ihrer Waffen vor den Räubern davonlief, nach der ganzen Strenge der Kriegsgesetze zu behandeln und den zehnten Mann davon hinrichten zu lassen; worauf in der Tat die Legionen sich wieder etwas mehr zusammennahmen. Spartacus, in dem nächsten Gefecht besiegt, zog sich zurück und suchte durch Lucanien nach Rhegion zu gelangen. Ebendamals beherrschten die Piraten nicht bloß die sizilischen Gewässer, sondern selbst den Hafen von Syrakus; mit Hilfe ihrer Boote gedachte Spartacus ein Korps nach Sizilien zu werfen, wo die Sklaven nur auf einen Anstoß warteten, um zum dritten Male loszuschlagen. Der Marsch nach Rhegion gelang, allein die Korsaren, vielleicht geschreckt durch die von dem Prätor Gaius Verres auf Sizilien eingerichteten Strandwachen, vielleicht auch von den Römern bestochen, nahmen von Spartacus den bedungenen Lohn, ohne ihm die Gegenleistung dafür zu gewähren. Crassus inzwischen war dem Räuberheer bis etwa an die Krathismündung gefolgt und ließ, ähnlich wie Scipio vor Numantia, seine Soldaten, da sie nicht schlugen, wie sie sollten, einen festungsähnlich verschanzten Wall in der Länge von sieben deutschen Meilen aufführen, der die Bruttische Halbinsel von dem übrigen Italien absperrte14 und dem von Rhegion zurückkehrenden Insurgentenheer den Weg verlegte und die Zufuhr abschnitt. Indes in einer dunklen Winternacht durchbrach Spartacus die feindlichen Linien und stand im Frühjahr 683 (71)15 wieder in Lucanien. Das mühsame Werk war also vergebens gewesen. Crassus fing an, an der Lösung seiner Aufgabe zu verzweifeln, und forderte vom Senat, daß er die in Makedonien unter Marcus Lucullus, im diesseitigen Spanien unter Gnaeus Pompeius stehenden Heere zu seiner Unterstützung nach Italien berufe. Es bedurfte indes dieses äußersten Notschrittes nicht; die Uneinigkeit und der Übermut der Räuberhaufen genügten, um ihre Erfolge wieder zu vereiteln. Abermals lösten sich die Kelten und Germanen von dem Bunde, dessen Haupt und Seele der Thraker war, um unter Führern ihrer eigenen Nation, Gannicus und Castus, sich vereinzelt den Römern ans Messer zu liefern. Einmal, am Lucanischen See, rettete sie Spartacus‘ rechtzeitiges Erscheinen; sie schlugen nun zwar wohl ihr Lager nahe bei dem seinigen auf, aber dennoch gelang es Crassus, den Spartacus durch die Reiterei zu beschäftigen und indessen die keltischen Haufen zu umstellen und zum Sonderkampf zu zwingen, in welchem sie sämtlich, man sagt 12300 Streiter, tapfer kämpfend fielen, alle auf dem Platze und mit den Wunden nach vorn. Spartacus versuchte darauf, sich mit seiner Abteilung in die Berge um Petelia (bei Strongoli in Kalabrien) zu werfen und schlug nachdrücklich die römische Vorhut, die dem Weichenden folgte. Allein dieser Sieg gereichte mehr dem Sieger als dem Besiegten zum Nachteil. Berauscht von dem Erfolg weigerten sich die Räuber, weiter zurückzuweichen, und nötigten ihren Feldherrn, sie durch Lucanien nach Apulien dem letzten entscheidenden Kampf entgegenzuführen. Vor der Schlacht stieß Spartacus sein Roß nieder; wie er im Glück und im Unglück treu bei den Seinen ausgeharrt hatte, so zeigte er ihnen jetzt durch die Tat, daß es ihm wie allen hier gehe um Sieg oder Tod. Auch in der Schlacht stritt er mit dem Mut eines Löwen: zwei Centurionen fielen von seiner Hand; verwundet und in die Knie gesunken noch führte er den Speer gegen die andringenden Feinde. Also starben der große Räuberhauptmann und mit ihm die besten seiner Gesellen den Tod freier Männer und ehrlicher Soldaten (683 71). Nach dem teuer erkauften Siege ward von den Truppen, die ihn erfochten, und von denen des Pompeius, die inzwischen nach Überwindung der Sertorianer aus Spanien eingetroffen waren, durch ganz Apulien und Lucanien eine Menschenhetze angestellt, wie sie noch nicht dagewesen war, um die letzten Funken des gewaltigen Brandes zu zertreten. Obwohl in den südlichen Landschaften, wo zum Beispiel das Städtchen Tempsa 683 (71) von einer Räuberschar eingenommen ward, und in dem durch Sullas Expropriationen schwer betroffenen Etrurien ein rechter Landfriede noch keineswegs sich einfand, galt doch derselbe offiziell als in Italien wiederhergestellt. Wenigstens die schmachvoll verlorenen Adler waren wiedergewonnen – allein nach dem Sieg über die Kelten brachte man deren fünf ein; und längs der Straße von Capua nach Rom zeugten die sechstausend Kreuze, die gefangene Sklaven trugen, von der neu begründeten Ordnung und dem abermaligen Siege des anerkannten Rechts über das rebellierende lebendige Eigen.

Blicken wir zurück auf die Ereignisse, die das Dezennium der sullanischen Restauration erfüllen. Eine gewaltige, den Lebensnerv der Nation notwendig berührende Gefahr war an sich in keiner der während dieser Zeit vorgekommenen äußeren oder inneren Bewegungen enthalten, weder in der Insurrektion des Lepidus, noch in den Unternehmungen der spanischen Emigranten, noch in den thrakisch-makedonischen und kleinasiatischen Kriegen, noch in den Piraten- und Sklavenaufständen; und dennoch hatte der Staat fast in all diesen Kämpfen um seine Existenz gefochten. Die Ursache war, daß die Aufgaben, solange sie noch mit Leichtigkeit lösbar waren, überall ungelöst blieben; die Vernachlässigung der einfachsten Vorsichtsmaßregeln erzeugte die entsetzlichsten Mißstände und Unglücksfälle und schuf abhängige Klassen und machtlose Könige in ebenbürtige Gegner um. Die Demokratie zwar, und die Sklaveninsurrektion hatte man besiegt; aber wie die Siege waren, ward durch sie der Sieger weder innerlich gehoben noch äußerlich gekräftigt. Es war keine Ehre, daß die beiden gefeiertsten Generale der Regierungspartei in einem achtjährigen, mit mehr Niederlagen als Siegen bezeichneten Kampf des Insurgentenchefs Sertorius und seiner spanischen Guerillas nicht Herr geworden waren, daß erst der Mordstahl seiner Freunde den Sertorianischen Krieg zu Gunsten der legitimen Regierung entschieden hatte. Die Sklaven nun gar war es viel weniger eine Ehre besiegt, als eine Schande, ihnen jahrelang in gleichem Kampfe gegenübergestanden zu haben. Wenig mehr als ein Jahrhundert war seit dem Hannibalischen Kriege verflossen; es mußte dem ehrbaren Römer das Blut in die Wangen treiben, wenn er den furchtbar raschen Rücktritt der Nation seit jener großen Zeit erwog. Damals standen die italischen Sklaven wie die Mauern gegen Hannibals Veteranen; jetzt stäubte die italische Landwehr vor den Knütteln ihrer entlaufenen Knechte wie Spreu auseinander. Damals machte jeder einfache Oberst im Fall der Not den Feldherrn und focht oft ohne Glück, doch immer mit Ehren; jetzt hielt es hart, unter all den vornehmen Offizieren nur einen Führer von gewöhnlicher Brauchbarkeit zu finden. Damals nahm die Regierung lieber den letzten Bauer vom Pflug, als daß sie darauf verzichtet hätte, Griechenland und Spanien zu erobern; jetzt war man drauf und dran, beide längst erworbene Gebiete wieder preiszugeben, nur um daheim der aufständischen Knechte sich erwehren zu können. Auch Spartacus hatte, so gut wie Hannibal, vom Po bis an die sizilische Meerenge Italien mit Heeresmacht durchzogen, beide Konsuln geschlagen und Rom mit der Blockade bedroht; wozu es gegen das ehemalige Rom des größten Feldherrn des Altertums bedurft hatte, das vermochte gegen das jetzige ein kecker Räuberhauptmann. War es ein Wunder, daß solchen Siegen über Insurgenten und Räuberführer kein frisches Leben entkeimte?

Ein noch minder erfreuliches Ergebnis aber hatten die äußeren Kriege herausgestellt. Zwar der thrakisch-makedonische hatte, wenn kein dem ansehnlichen Aufwand von Menschen und Feld entsprechendes, doch auch kein geradezu ungünstiges Resultat gegeben. Dagegen in dem kleinasiatischen und in dem Piratenkrieg hatte die Regierung vollständigen Bankrott gemacht. Jener schloß ab mit dem Verlust der gesamten, in acht blutigen Feldzügen gemachten Eroberungen, dieser mit der vollständigen Verdrängung der Römer von „ihrem Meer“. Einst hatte Rom im Vollgefühl der Unwiderstehlichkeit seiner Landmacht das Übergewicht auch auf das zweite Element übertragen; jetzt war der gewaltige Staat zur See ohnmächtig und, wie es schien, im Begriff, auch wenigstens über den asiatischen Kontinent die Herrschaft einzubüßen. Die materiellen Wohltaten des staatlichen Daseins: Sicherheit der Grenzen, ungestörter friedlicher Verkehr, Rechtsschutz, geordnete Verwaltung, fingen an, alle miteinander den sämtlichen im römischen Staat vereinigten Nationen zu verschwinden; die segnenden Götter alle schienen zum Olymp emporgestiegen zu sein und die jammervolle Erde den amtlich berufenen oder freiwilligen Plünderern oder Peinigern überlassen zu haben. Dieser Verfall des Staats ward auch nicht etwa bloß von dem, der politische Rechte und Bürgersinn hatte, als ein öffentliches Unglück gefühlt, sondern die Proletariatsinsurrektion und die an die Zeiten der neapolitanischen Ferdinande erinnernde Räuber- und Piratenwirtschaft trugen das Gefühl dieses Verfalls in das entlegenste Tal, in die niedrigste Hütte Italiens, ließen ihn jeden, der Handel und Verkehr trieb, der nur einen Scheffel Weizen kaufte, als persönlichen Notstand empfinden.

Wenn nach den Urhebern dieses heillosen und beispiellosen Jammers gefragt ward, so war es nicht schwer, mit gutem Recht gar viele deshalb anzuklagen. Die Sklavenwirte, deren Herz im Geldbeutel saß, die unbotmäßigen Soldaten, die bald feigen, bald unfähigen, bald tollkühnen Generale, die meist am falschen Ende hetzenden Demagogen des Marktes trugen ihren Teil der Schuld, oder vielmehr, wer trug an derselben nicht mit? Instinktmäßig ward es empfunden, daß dieser Jammer, diese Schande, diese Zerrüttung zu kolossal waren, um das Werk eines einzelnen zu sein. Wie die Größe des römischen Gemeinwesens nicht das Werk hervorragender Individuen, sondern das einer tüchtig organisierten Bürgerschaft gewesen ist, so ist auch der Verfall dieses gewaltigen Gebäudes nicht aus der verderblichen Genialität einzelner, sondern aus der allgemeinen Desorganisation hervorgegangen. Die große Majorität der Bürgerschaft taugte nichts und jeder morsche Baustein half mit zu dem Ruin des ganzen Gebäudes; es büßte die ganze Nation, was die ganze Nation verschuldete. Es war ungerecht, wenn man die Regierung als den letzten greifbaren Ausdruck des Staats für alle heilbaren und unheilbaren Krankheiten desselben verantwortlich machte; aber das allerdings war wahr, daß die Regierung in furchtbar schwerer Weise mittrug an dem allgemeinen Verschulden. In dem Kleinasiatischen Kriege zum Beispiel, wo kein einzelner der regierenden Herren sich in hervorragender Weise verfehlt, Lucullus sogar, militärisch wenigstens, tüchtig, ja glorreich sich geführt hatte, ward es nur um so deutlicher, daß die Schuld des Mißlingens in dem System und in der Regierung als solcher, hier zunächst in dem früheren schlaffen Preisgeben Kappadokiens und Syriens und in der schiefen Stellung des tüchtigen Feldherrn gegenüber dem keines energischen Beschlusses fähigen Regierungskollegium lag. Ebenso hatte in der Seepolizei der Senat den einmal gefaßten richtigen Gedanken einer allgemeinen Piratenjagd erst in der Ausführung verdorben und dann ihn gänzlich fallen lassen, um wieder nach dem alten törichten System gegen die Rosse des Meeres Legionen zu senden. Nach diesem System wurden die Expeditionen des Servilius und des Marcius nach Kilikien, des Metellus nach Kreta unternommen; nach diesem ließ Triarius die Insel Delos zum Schutz vor den Piraten mit einer Mauer umziehen. Solche Versuche, der Seeherrschaft sich zu versichern, erinnern an jenen persischen Großkönig, der das Meer mit Ruten peitschen ließ, um es sich untertänig zu machen. Wohl hatte also die Nation guten Grund, ihren Bankrott zunächst der Restaurationsregierung zur Last zu legen. Immer schon war mit der Wiederherstellung der Oligarchie ein ähnliches Mißregiment gekommen, nach dem Sturz der Gracchen wie nach dem des Marius und Saturninus; aber so gewaltsam und zugleich doch auch so schlaff, so verdorben und verderblich war dasselbe nie zuvor aufgetreten. Wenn aber eine Regierung nicht regieren kann, hört sie auf legitim zu sein und es hat, wer die Macht, auch das Recht, sie zu stürzen. Zwar ist es leider wahr, daß eine unfähige und verbrecherische Regierung lange Zeit das Wohl und die Ehre des Landes mit Füßen zu treten vermag, bevor die Männer sich finden, welche die von dieser Regierung selbst geschmiedeten entsetzlichen Waffen gegen sie schwingen und aus der sittlichen Empörung der Tüchtigen und dem Notstande der vielen die in solchem Fall legitime Revolution heraufbeschwören können und wollen. Aber wenn das Spiel mit dem Glücke der Völker ein lustiges sein mag und wohl lange Zeit hindurch ungestört gespielt werden kann, so ist es doch auch ein tückisches, das zu seiner Zeit die Spieler verschlingt; und niemand schilt dann die Axt, wenn sie dem Baum, der solche Früchte trägt, sich an die Wurzel legt. Für die römische Oligarchie war diese Zeit jetzt gekommen. Der Pontisch-Armenische Krieg und die Piratenangelegenheit wurden die nächsten Ursachen zum Umsturz der Sullanischen Verfassung und zur Einsetzung einer revolutionären Militärdiktatur.

  1. Das Reich von Edessa, dessen Gründung die einheimischen Chroniken 620 (134) setzen, kam erst einige Zeit nach seiner Entstehung unter die arabische Dynastie der Abgaros und Mannos, die wir später daselbst finden. Offenbar hängt dies zusammen mit der Ansiedlung vieler Araber durch Tigranes den Großen in der Gegend von Edessa, Kallirhoe, Karrhä (Plin. nat. 5, 20, 85; 21, 86; 6, 28, 142); wovon auch Plutarch (Luc. 21) berichtet, daß Tigranes, die Sitten der Zeltaraber umwandelnd, sie seinem Reiche näher ansiedelte, um durch sie des Handels sich zu bemächtigen. Vermutlich ist dies so zu verstehen, daß die Beduinen, die gewohnt waren, durch ihr Gebiet Handelsstraßen zu eröffnen und auf diesen feste Durchgangszölle zu erheben (Strab. 14, 748), dem Großkönig als eine Art von Zollkontrolleuren dienen und an der Euphratpassage für ihn und für sich Zölle erheben sollten. Diese „osrhoenischen Araber“ (Orei Arabes), wie sie Plinius nennt, müssen auch die Araber am Berg Amanos sein, die Afranius überwand (Plut. Pomp. 39).
  2. Die streitige Frage, ob dies angebliche oder wirkliche Testament von Alexander I. († 666 88) oder Alexander II. († 673 81) herrühre, wird gewöhnlich für die erste Alternative entschieden. Allein die Gründe sind unzulänglich; denn Cicero (leg. agr. 1, 4, 12; 15, 38; 16, 41) sagt nicht, daß Ägypten im Jahre 666 (88), sondern daß es in oder nach diesem Jahr an Rom gefallen sei; und wenn man daraus, daß Alexander I. im Ausland, Alexander II. in Alexandreia umkam, gefolgert hat, daß die in dem fraglichen Testament erwähnten in Tyros lagernden Schätze dem ersteren gehört haben werden, so ist übersehen, daß Alexander II. neunzehn Tage nach seiner Ankunft in Ägypten getötet ward (J. A. Letronne, Recueil des inscriptions grecques et latines de l’Egypte. Bd. 2, Paris 1848, S. 20), wo seine Kasse noch sehr wohl in Tyros sein konnte. Entscheidend ist dagegen der Umstand, daß der zweite Alexander der letzte echte Lagide war, da bei den ähnlichen Erwerbungen von Pergamon Kyrene und Bithynien Rom stets von dem letzten Sproß der berechtigten Herrscherfamilie eingesetzt worden ist. Das alte Staatsrecht, wie es wenigstens für die römischen Klientelstaaten maßgebend gewesen ist, scheint dem Regenten das letztwillige Verfügungsrecht über sein Reich nicht unbedingt, sondern nur in Ermangelung erbberechtigter Agnaten zugestanden zu haben. Vgl. Gutschmids Anmerkung zu der deutschen Übersetzung von S. Sharper, Geschichte Ägyptens. Bd. 2, S. 17. Ob das Testament echt oder falsch war, ist nicht auszumachen und auch ziemlich gleichgültig; besondere Gründe, eine Fälschung anzunehmen, liegen nicht vor.
  3. Daß Tigranokerta in der Gegend von Mardin etwa zwei Tagemärsche westlich von Nisibis gelegen hat, hat die von K. E. Sachau (Über die Lage von Tigranokerta, Abh. der Berliner Akademie, 1880) an Ort und Stelle angestellte Untersuchung erwiesen, wenn auch die von Sachau vorgeschlagene genauere Fixierung der Örtlichkeit nicht außer Zweifel ist. Dagegen steht seiner Auseinandersetzung über den Feldzug Luculls das Bedenken entgegen, daß auf der dabei angenommenen Route von einer Überschreitung des Tigris in der Tat nicht die Rede sein kann.
  4. Cicero (imp. Cn. Pomp. 9, 23) meint schwerlich einen anderen als einen der reichen Tempel der Landschaft Elymais, wohin die Raubzüge der syrischen wie der parthischen Könige regelmäßig sich richteten (Strab. 16, 744; Polyb. 31, 11; 1. Makk. 6 u. a. m.), und wahrscheinlich diesen als den bekanntesten; auf keinen Fall darf an den Tempel von Komana oder überhaupt irgendein Heiligtum im Pontischen Reiche gedacht werden.
  5. Aus diesen Bestimmungen hat sich der Begriff des Raubes als eines besonderen Verbrechens entwickelt, während das ältere Recht den Raub unter dem Diebstahl mitbegriff.
  6. Da die Linie sieben deutsche Meilen (Sall. hist. 4, 19 Dietsch; Plut. Crass. 10) lang war, so ging sie wohl nicht von Squillace nach Pizzo, sondern nördlicher, etwa bei Castrovillari und Cassano über die hier in gerader Linie etwa sechs deutsche Meilen breite Halbinsel.
  7. Daß Crassus noch 682 (72) den Oberbefehl übernahm, ergibt sich aus der Beseitigung der Konsuln (Plot. Crass. 10); daß der Winter 682/83 (72/71) den beiden Heeren am Bruttischen Wall verstrich, aus der „Schneenacht (Plot. a. a. O.).

11. Kapitel


11. Kapitel

Die alte Republik und die neue Monarchie

Der neue Monarch von Rom, der erste Herrscher über das ganze Gebiet römisch-hellenischer Zivilisation, Gaius Iulius Caesar, stand im sechsundfünfzigsten Lebensjahr (geb. 12. Juli 652 ? 102), als die Schlacht bei Thapsus, das letzte Glied einer langen Kette folgenschwerer Siege, die Entscheidung über die Zukunft der Welt in seine Hände legte. Weniger Menschen Spannkraft ist also auf die Probe gestellt worden wie die dieses einzigen schöpferischen Genies, das Rom, und des letzten, das die alte Welt hervorgebracht und in dessen Bahnen sie denn auch bis zu ihrem eigenen Untergange sich bewegt hat. Der Sprößling einer der ältesten Adelsfamilien Latiums, welche ihren Stammbaum auf die Helden der Ilias und die Könige Roms, ja auf die beiden Nationen gemeinsame Venus-Aphrodite zurückführte, waren seine Knaben- und ersten Jünglingsjahre vergangen, wie sie der vornehmen Jugend jener Epoche zu vergehen pflegten. Auch er hatte von dem Becher des Modelebens den Schaum wie die Hefen gekostet, hatte rezitiert und deklamiert, auf dem Faulbett Literatur getrieben und Verse gemacht, Liebeshändel jeder Gattung abgespielt und sich einweihen lassen in alle Rasier-, Frisier- und Manschettenmysterien der damaligen Toilettenweisheit, sowie in die noch weit geheimnisvollere Kunst, immer zu borgen und nie zu bezahlen. Aber der biegsame Stahl dieser Natur widerstand selbst diesem zerfahrenen und windigen Treiben; Caesar blieb sowohl die körperliche Frische ungeschwächt wie die Spannkraft des Geistes und des Herzens. Im Fechten und im Reiten nahm er es mit jedem seiner Soldaten auf, und sein Schwimmen rettete ihm bei Alexandreia das Leben; die unglaubliche Schnelligkeit seiner gewöhnlich des Zeitgewinns halber nächtlichen Reisen – das rechte Gegenstück zu der prozessionsartigen Langsamkeit, mit der Pompeius sich von einem Ort zum andern bewegte – war das Erstaunen seiner Zeitgenossen und nicht die letzte Ursache seiner Erfolge. Wie der Körper war der Geist. Sein bewunderungswürdiges Anschauungsvermögen offenbarte sich in der Sicherheit und Ausführbarkeit all seiner Anordungen, selbst wo er befahl, ohne mit eigenen Augen zu sehen. Sein Gedächtnis war unvergleichlich und es war ihm geläufig, mehrere Geschäfte mit gleicher Sicherheit nebeneinander zu betreiben.: Obgleich Gentleman, Genie und Monarch hatte er dennoch ein Herz. Solange er lebte, bewahrte er für seine würdige Mutter Aurelia – der Vater starb ihm früh – die reinste Verehrung; seinen Frauen und vor allem seiner Tochter Iulia widmete er eine ehrliche Zuneigung, die selbst auf die politischen Verhältnisse nicht ohne Rückwirkung blieb. Mit den tüchtigsten und kernigsten Männern seiner Zeit, hohen und niederen Ranges, stand er in einem schönen Verhältnis gegenseitiger Treue, mit jedem nach seiner Art. Wie er selbst niemals einen der Seinen in Pompeius‘ kleinmütiger und gefühlloser Art fallen ließ und, nicht bloß aus Berechnung, in guter und böser Zeit ungeirrt an den Freunden festhielt, so haben auch von diesen manche, wie Aulus Hirtius und Gaius Matius, noch nach seinem Tode ihm in schönen Zeugnissen ihre Anhänglichkeit bewahrt. Wenn in einer so harmonisch organisierten Natur überhaupt eine einzelne Seite als charakteristisch hervorgehoben werden kann, so ist es die, daß alle Ideologie und alles Phantastische ihm fern lag. Es versteht sich von selbst, daß Caesar ein leidenschaftlicher Mann war, denn ohne Leidenschaft gibt es keine Genialität; aber seine Leidenschaft war niemals mächtiger als er. Er hatte eine Jugend gehabt, und Lieder, Liebe und Wein waren auch in sein Gemüt in lebendigem Leben eingezogen; aber sie drangen ihm doch nicht bis in den innerlichsten Kern seines Wesens. :Die Literatur beschäftigte ihn lange und ernstlich; aber wenn Alexandern der homerische Achill nicht schlafen ließ, so stellte Caesar in seinen schlaflosen Stunden Betrachtungen über die Beugungen der lateinischen Haupt- und Zeitwörter an. Er machte Verse wie damals jeder, aber sie waren schwach; dagegen interessierten ihn astronomische und naturwissenschaftliche Gegenstände. Wenn der Wein für Alexander der Sorgenbrecher war und blieb, so mied nach durchschwärmter Jugendzeit der nüchterne Römer denselben durchaus. Wie allen denen, die in der Jugend der volle Glanz der Frauenliebe umstrahlt hat, blieb ein Schimmer davon unvergänglich auf ihm ruhen: noch in späteren Jahren begegneten ihm Liebesabenteuer und Erfolge bei Frauen und blieb ihm eine gewisse Stutzerhaftigkeit im äußeren Auftreten oder richtiger das erfreuliche Bewußtsein der eigenen männlich schönen Erscheinung. Sorgfältig deckte er mit dem Lorbeerkranz, mit dem er in späteren Jahren öffentlich erschien, die schmerzlich empfundene Glatze und hätte ohne Zweifel manchen seiner Siege darum gegeben, wenn er damit die jugendlichen Locken hätte zurückkaufen können. Aber wie gern er auch noch als Monarch mit den Frauen verkehrte, so hat er doch nur mit ihnen gespielt und ihnen keinerlei Einfluß über sich eingeräumt; selbst sein vielbesprochenes Verhältnis zu der Königin Kleopatra ward nur angesponnen, um einen schwacher Punkt in seiner politischen Stellung zu maskieren. Caesar war durchaus Realist und Verstandesmensch; und was er angriff und tat, war von der genialen Nüchternheit durchdrungen und getragen, die seine innerste Eigentümlichkeit bezeichnet. Ihr verdankte er das Vermögen, unbeirrt durch Erinnern und Erwarten energisch im Augenblick zu leben; ihr die Fähigkeit, in jedem Augenblick mit gesammelter Kraft zu handeln und auch dem kleinsten und beiläufigsten Beginnen seine volle Genialität zuzuwenden; ihr die Vielseitigkeit, mit der er erfaßte und beherrschte, was der Verstand begreifen und der Wille zwingen kann; ihr die sichere Leichtigkeit, mit der er seine Perioden fügte, wie seine Feldzüge entwarf; ihr die „wunderbare Heiterkeit“, die in guten und bösen Tagen ihm treu blieb; ihr die vollendete Selbständigkeit, die keinem Liebling und keiner Mätresse, ja nicht einmal dem Freunde Gewalt über sich gestattete. Aus dieser Verstandesklarheit rührt es aber auch her, daß Cäsar sich über die Macht des Schicksals und das Können des Menschen niemals Illusionen machte; für ihn war der holde Schleier gehoben, der dem Menschen die Unzulänglichkeit seines Wirkens verdeckt. Wie klug er auch plante und alle Möglichkeiten bedachte, das Gefühl wich doch nie aus seiner Brust, daß in allen Dingen das Glück, das heißt der Zufall das gute Beste tun müsse; und damit mag es denn auch zusammenhängen, daß er so oft dem Schicksal Paroli geboten und namentlich mit verwegener Gleichgültigkeit seine Person wieder und wieder auf das Spiel gesetzt hat. Wie ja wohl überwiegend verständige Menschen in das reine Hasardspiel sich flüchten, so war auch in Caesars Rationalismus ein Punkt, wo er mit dem Mystizismus gewissermaßen sich berührte.

Aus einer solchen Anlage konnte nur ein Staatsmann hervorgehen. Von früher Jugend an war denn auch Caesar ein Staatsmann im tiefsten Sinne des Wortes und sein Ziel das höchste, das dem Menschen gestattet ist sich zu stecken: die politische, militärische, geistige und sittliche Wiedergeburt der tiefgesunkenen eigenen und der noch tiefer gesunkenen, mit der seinigen innig verschwisterten hellenischen Nation. Die harte Schule dreißigjähriger Erfahrungen änderte seine Ärasichten über die Mittel, wie dies Ziel zu erreichen sei; das Ziel blieb ihm dasselbe in den Zeiten hoffnungsvoller Erniedrigung wie unbegrenzter Machtvollkommenheit, in den Zeiten, wo er als Demagog und Verschworener auf dunklen Wegen zu ihm hinschlich, wie da er als Mitinhaber der höchsten Gewalt und sodann als Monarch vor den Augen einer Welt im vollen Sonnenschein an seinem Werke schuf. Alle zu den verschiedensten Zeiten von ihm ausgegangenen Maßregeln bleibender Art ordnen in den großen Bauplan zweckmäßig sich ein. Von einzelnen Leistungen Caesars sollte darum eigentlich nicht geredet werden; er hat nichts Einzelnes geschaffen. Mit Recht rühmt man den Redner Caesar wegen seiner aller Advokatenkunst spottenden männlichen Beredsamkeit, die wie die klare Flamme zugleich erleuchtete und erwärmte. Mit Recht bewundert man an dem Schriftsteller Caesar die unnachahmliche Einfachheit der Komposition, die einzige Reinheit und Schönheit der Sprache. Mit Recht haben die größten Kriegsmeister aller Zeiten den Feldherrn Caesar gepriesen, der wie kein anderer ungeirrt von Routine und Tradition immer diejenige Kriegführung zu finden wußte, durch welche in dem gegebenen Falle der Feind besiegt wird und welche also in dem gegebenen Falle die rechte ist; der mit divinatorischer Sicherheit für jeden Zweck das rechte Mittel fand; der nach der Niederlage schlagfertig dastand, wie Wilhelm von Oranien, und mit dem Siege ohne Ausnahme den Feldzug beendigte; der das Element der Kriegführung, dessen Behandlung das militärische Genie von der gewöhnlichen Offiziertüchtigkeit unterscheidet, die rasche Bewegung der Massen mit unübertroffener Vollkommenheit handhabte und nicht in der Massenhaftigkeit der Streitkräfte, sondern in der Geschwindigkeit ihrer Bewegung, nicht im langen Vorbereiten, sondern im raschen, ja verwegenen Handeln, selbst mit unzulänglichen Mitteln, die Bürgschaft des Sieges fand. Allein alles dieses ist bei Caesar nur Nebensache; er war zwar ein großer Redner, Schriftsteller und Feldherr, aber jedes davon ist er nur geworden, weil er ein vollendeter Staumann war. Namentlich spielt der Soldat in ihm eine durchaus beiläufige Rolle, und es ist eine der hauptsächlichsten Eigentümlichkeiten, die ihn von Alexander, Hannibal und Napoleon unterscheidet, daß in ihm nicht der Offizier, sondern der Demagog der Ausgangspunkt der politischen Tätigkeit war. Seinem ursprünglichsten Plan zufolge hatte er sein Ziel wie Perikles und Gaius Gracchus ohne Waffengewalt zu erreichen gedacht, und achtzehn Jahre hindurch hatte er als Führer der Popularpartei ausschließlich in politischen Plänen und Intrigen sich bewegt, bevor er, ungern sich überzeugend von der Notwendigkeit eines militärischen Rückhalts, schon ein Vierziger, an die Spitze einer Armee trat. Es war erklärlich, daß er auch späterhin immer noch mehr Staatsmann blieb als General – ähnlich wie Cromwell, der auch aus dem Oppositionsführer zum Militärchef und Demokratenkönig sich umschuf und der überhaupt, wie wenig der Puritanerfürst dem lockeren Römer zu gleichen scheint, doch in seiner Entwicklung wie in seinen Zielen und Erfolgen vielleicht unter allen Staatsmännern Caesar am nächsten verwandt ist. Selbst in seiner Kriegführung ist diese improvisierte Feldherrnschaft noch wohl zu erkennen; in Napoleons Unternehmungen gegen Ägypten und gegen England ist der zum Feldherrn aufgediente Artillerieleutnant nicht deutlicher sichtbar wie in den gleichartigen Caesars der zum Feldherrn metamorphosierte Demagog. Ein geschulter Offizier würde es schwerlich fertig gebracht haben, aus politischen Rücksichten nicht durchaus zwingender Natur die gegründetsten militärischen Bedenken in der Art beiseite zu schieben, wie dies Caesar mehrmals, am auffallendsten bei seiner Landung in Epirus getan hat. Einzelne seiner Handlungen sind darum militärisch tadelhaft; aber der Feldherr verliert nur, was der Staatsmann gewinnt. Die Aufgabe des Staatsmanns ist universeller Natur wie Caesars Genie: wenn er die vielfältigsten und voneinander entlegensten Dinge angriff, so gingen sie doch alle ohne Ausnahme zurück auf das eine große Ziel, dem er mit unbedingter Treue und Folgerichtigkeit diente; und nie hat er von den vielfältigen Seiten und Richtgen seiner großen Tätigkeit eine vor der andern bevorzugt. Obwohl ein Meister der Kriegskunst, hat er doch aus staatsmännischen Rücksichten das Äußerste getan, um den Bürgerkrieg abzuwenden und um, da er dennoch begann, wenigstens so unblutige Lorbeeren wie möglich zu ernten. Obwohl der Begründer der Militärmonarchie, hat er doch mit einer in der Geschichte beispiellosen Energie weder Marschallshierarchie noch Prätorianerregiment aufkommen lassen. Wenn überhaupt eine Seite der bürgerlichen Verdienste, so wurden von ihm vielmehr die Wissenschafter, und die Künste des Friedens vor den militärischen bevorzugt. Die bemerkenswerteste Eigentümlichkeit seines staatsmännischen Schaffens ist dessen vollkommene Harmonie. In der Tat waren alle Bedingungen zu dieser schwersten aller menschlichen Leistungen in Caesar vereinigt. Durch und durch Realist, ließ er die Bilder der Vergangenheit und die ehrwürdige Tradition nirgends sich anfechten: ihm galt nichts in der Politik als die lebendige Gegenwart und das verständige Gesetz, ebenwie er, auch als Grammatiker die historisch-antiquarische Forschung beiseite schob und nichts anerkannte als einerseits den lebendigen Sprachgebrauch, andererseits die Regel der Gleichmäßigkeit Ein geborener Herrscher, regierte er die Gemüter der Menschen, wie der Wind die Wolken zwingt, und nötigte die verschiedenartigsten Naturen, ihm sich zu eigen zu geben, den schlichten Bürger und den derben Unteroffizier, die vornehmen Damen Roms und die schönen Fürstinnen Ägyptens und Mauretaniens, den glänzenden Kavalleriegeneral und den kalkulierenden Bankier. Sein Organisationstalent ist wunderbar; nie hat ein Staatsmann seine Bündnisse, nie ein Feldherr seine Armee aus ungefügen und widerstrebenden Elementen so entschieden zusammengezwungen und so fest zusammengehalten wie Caesar seine Koalitionen und seine Legionen; nie ein Regent mit so scharfem Blick seine Werkzeuge beurteilt und ein jedes an den ihm angemessenen Platz gestellt. Er war Monarch; aber nie hat er den König gespielt. Auch als unumschränkter Herr von Rom blieb er in seinem Auftreten der Parteiführer; vollkommen biegsam und geschmeidig, bequem und anmutig in der Unterhaltung, zuvorkommend gegen jeden, schien er nichts sein zu wollen als der Erste unter seinesgleichen. Den Fehler so vieler ihm sonst ebenbürtiger Männer, den militärischen Kommandoton auf die Politik zu übertragen, hat Caesar durchaus vermieden; wie vielen Anlaß das verdrießliche Verhältnis zum Senat ihm auch dazu gab, er hat nie zu Brutalitäten gegriffen, wie die des achtzehnten Brumaire eine war. Caesar war Monarch; aber nie hat ihn der Tyrannenschwindel erfaßt. Er ist vielleicht der einzige unter den Gewaltigen des Herrn, welcher im großen wie im kleinen nie nach Neigung oder Laune, sondern ohne Ausnahme nach seiner Regentenpflicht gehandelt hat, und der, wenn er auf sein Leben zurücksah, wohl falsche Rechnungen zu bedauern, aber keinen Fehltritt der Leidenschaft zu bereuen fand. Es ist nichts in Caesars Lebensgeschichte, das auch nur im kleinen82 sich vergleichen ließe mit jenen poetisch-sinnlichen Aufwallungen, mit der Ermordung des Kleitos oder dem Brand von Persepolis, welche die Geschichte von seinem großen Vorgänger im Osten berichtet. Er ist endlich vielleicht der einzige unter jenen Gewaltigen, der den staatsmännischen Takt für das Mögliche und Unmögliche bis an das Ende seiner Laufbahn sich bewahrt hat und nicht gescheitert ist an derjenigen Aufgabe, die für großartig angelegte Naturen von allen die schwerste ist, an der Aufgabe, auf der Zinne des Erfolgs dessen natürliche Schranken zu erkennen. Was möglich war, hat er geleistet und nie um des unmöglichen Besseren willen das mögliche Gute unterlassen, nie es verschmäht, unheilbare Übel durch Palliative wenigstens zu lindern. Aber wo er erkannte, daß das Schicksal gesprochen, hat er immer gehorcht. Alexander am Hypanis, Napoleon in Moskau kehrten um, weil sie mußten, und zürnten dem Geschick, daß es auch seinen Lieblingen nur begrenzte Erfolge gönnt; Caesar ist an der Themse und am Rhein freiwillig zurückgegangen und gedachte auch an der Donau und am Euphrat nicht ungemessene Pläne der Weltüberwindung, sondern bloß wohlerwogene Grenzregulierungen ins Werk zu setzen.

So war dieser einzige Mann, den zu schildern so leicht scheint und doch so unendlich schwer ist. Seine ganze Natur ist durchsichtige Klarheit; und die Überlieferung bewahrt über ihn ausgiebigere und lebendigere Kunde als über irgendeinen seiner Pairs in der antiken Welt. Eine solche Persönlichkeit konnte wohl flacher oder tiefer, aber nicht eigentlich verschieden aufgefaßt werden; jedem nicht ganz verkehrten Forscher ist das hohe Bild mit denselben wesentlichen Zügen erschienen, und doch ist dasselbe anschaulich wiederzugeben noch keinem gelungen. Das Geheimnis liegt in dessen Vollendung. Menschlich wie geschichtlich steht Caesar in dem Gleichungspunkt, in welchem die großen Gegensätze des Daseins sich ineinander aufheben. Von gewaltiger Schöpferkraft und doch zugleich vom durchdringendsten Verstande; nicht mehr Jüngling und noch nicht Greis; vom höchsten Wollen und vom höchsten Vollbringen; erfüllt von republikanischen Idealen und zugleich geboren zum König; ein Römer im tiefsten Kern seines Wesens und wieder berufen, die römische und die hellenische Entwicklung in sich wie nach außen hin zu versöhnen und zu vermählen, ist Caesar der ganze und vollständige Mann. Darum fehlt es denn auch bei ihm mehr als bei irgendeiner anderen geschichtlichen Persönlichkeit an den sogenannten charakteristischen Zügen, welche ja doch nichts anderes sind als Abweichungen von der naturgemäßen menschlichen Entwicklung. Was dem ersten oberflächlichen Blick dafür gilt, zeigt sich bei näherer Betrachtung nicht als Individualität, sondern als Eigentümlichkeit der Kulturepoche oder der Nation; wie denn seine Jugendabenteuer ihm mit allen gleichgestellten begabteren Zeitgenossen gemein sind, sein unpoetisches, aber energisch logisches Naturell das Naturell der Römer überhaupt ist. Es gehört dies mit zu Caesars voller Menschlichkeit, daß er im höchsten Grade durch Zeit und Ort bedingt ward; denn eine Menschlichkeit an sich gibt es nicht, sondern der lebendige Mensch kann eben nicht anders als in einer gegebenen Volkseigentümlichkeit und in einem bestimmten Kulturzug stehen. Nur dadurch war Caesar ein voller Mann, weil er wie kein anderer mitten in die Strömungen seiner Zeit sich gestellt hatte und weil er die kernige Eigentümlichkeit der römischen Nation, die reale bürgerliche Tüchtigkeit vollendet wie kein anderer in sich trug; wie denn auch sein Hellenismus nur der mit der italischen Nationalität längst innig verwachsene war. Aber eben hierin liegt auch die Schwierigkeit, man darf vielleicht sagen die Unmöglichkeit, Caesar anschaulich zu schildern. Wie der Künstler alles machen kann, nur nicht die vollendete Schönheit, so kann auch der Geschichtschreiber, wo ihm alle tausend Jahre einmal das Vollkommene begegnet, nur darüber schweigen. Denn es läßt die Regel wohl sich aussprechen, aber sie gibt uns nur die negative Vorstellung von der Abwesenheit des Mangels; das Geheimnis der Natur, in ihren vollendetsten Offenbarungen Normalität und Individualität miteinander zu verbinden, ist unaussprechlich. Uns bleibt nichts, als diejenigen glücklich zu preisen, die dieses Vollkommene schauten, und eine Ahnung desselben aus dem Abglanz zu gewinnen, der auf den von dieser großen Natur geschaffenen Werken unvergänglich ruht. Zwar tragen auch diese den Stempel der Zeit. Der römische Mann selbst stellte seinem jugendlichen griechischen Vorgänger nicht bloß ebenbürtig, sondern überlegen sich an die Seite; aber die Welt war inzwischen alt geworden und ihr Jugendschimmer verblaßt. Caesars Tätigkeit ist nicht mehr wie die Alexanders ein freudiges Vorwärtsstreben in die ungemessene Weite; er baute auf und aus Ruinen und war zufrieden, in den einmal angewiesenen weiten, aber begrenzten Räumen möglichst erträglich und möglichst sicher sich einzurichten. Mit Recht hat denn auch der feine Dichtertakt der Völker um den unpoetischen Römer sich nicht bekümmert und dagegen den Sohn des Philippos mit allem Goldglanz der Poesie, mit allen Regenbogenfarben der Sage bekleidet. Aber mit gleichem Recht hat das staatliche Leben der Nationen seit Jahrtausenden wieder und wieder auf die Linien zurückgelenkt, die Caesar gezogen hat, und wenn die Völker, denen die Welt gehört, noch heute mit seinem Namen die höchsten ihrer Monarchen nennen, so liegt darin eine tiefsinnige, leider auch eine beschämende Mahnung.

Wenn es gelingen sollte, aus den alten in jeder Hinsicht heillosen Zuständen herauszukommen und das Gemeinwesen zu verjüngen, so mußte vor allen Dingen das Land tatsächlich beruhigt und der Boden von den Trümmern, die von der letzten Katastrophe her überall ihn bedeckten, gesäubert werden. Caesar ging dabei aus von dem Grundsatz der Versöhnung der bisherigen Parteien oder, richtiger gesagt – denn von wirklicher Ausgleichung kann bei unversöhnlichen Gegensätzen nicht gesprochen werden –, von dem Grundsatz, daß der Kampfplatz, auf dem die Nobilität und die Popularen bisher miteinander gestritten hatten, von beiden Teilen aufzugeben sei und beide auf dem Boden der neuen monarchischen Verfassung sich zusammenzufinden hätten. Vor allen Dingen also galt aller ältere Hader der republikanischen Vergangenheit als abgetan für immer und ewig. Während Caesar die auf die Nachricht von der Pharsalischen Schlacht von dem hauptstädtischen Pöbel umgestürzten Bildsäulen Sullas wiederaufzurichten befahl und also es anerkannte, daß über diesen großen Mann einzig der Geschichte Gericht zu halten gebühre, hob er zugleich die letzten noch nachwirkenden Folgen seiner Ausnahmegesetze auf, rief die noch von den cinnanischen und sertorianischen Wirren her Verbannten aus dem Exil zurück und gab den Kindern der von Sulla Geächteten die verlorene passive Wahlfähigkeit wieder. Ebenso wurden alle diejenigen restituiert, die in dem vorbereitenden Stadium der letzten Katastrophe durch Zensorenspruch oder politischen Prozeß, namentlich durch die auf Grund der Exzeptionalgesetze von 702 (52) erhobenen Anklagen, ihren Sitz im Senat oder ihre bürgerliche Existenz eingebüßt hatten. Nur blieben, wie billig, diejenigen, die Geächtete für Geld getötet hatten, auch ferner bescholten und ward der verwegenste Condottiere der Senatspartei, Milo, von der allgemeinen Begnadigung ausgeschlossen.

Weit schwieriger als die Ordnung dieser im wesentlichen bereits der Vergangenheit anheimgefallenen Fragen war die Behandlung der im Augenblick sich gegenüberstehenden Parteien: teils des eigenen demokratischen Anhangs Caesars, teils der gestürzten Aristokratie. Daß jener mit Caesars Verfahren nach dem Sieg und mit seiner Aufforderung, den alten Parteistandpunkt aufzugeben, womöglich noch minder einverstanden war als diese, versteht sich von selbst. Caesar selbst wollte wohl im ganzen dasselbe, was Gaius Gracchus im Sinne getragen hatte; allein die Absichten der Caesarianer waren nicht mehr die der Gracchaner. Die römische Popularpartei war in immer steigender Progression aus der Reform in die Revolution, aus der Revolution in die Anarchie, aus der Anarchie in den Krieg gegen das Eigentum gedrängt worden; sie feierte unter sich das Andenken der Schreckensherrschaft und schmückte, wie einst der Gracchen, so jetzt des Catilina Grab mit Blumen und Kränzen; sie hatte unter Caesars Fahne sich gestellt, weil sie von ihm das erwartete, was Catilina ihr nicht hatte verschaffen können. Als nun aber sehr bald sich herausstellte, daß Caesar nichts weniger sein wollte als der Testamentsvollstrecker Catilinas, daß die Verschuldeten von ihm höchstens Zahlungserleichterungen und Prozeßmilderungen zu hoffen hatten, da ward die erbitterte Frage laut, für wen denn die Volkspartei gesiegt habe, wenn nicht für das Volk? und fing das vornehme und niedere Gesindel dieser Art vor lauter Ärger über die fehlgeschlagenen politisch-ökonomischen Saturnalien erst an, mit den Pompeianern zu liebäugeln, dann sogar während Caesars fast zweijähriger Abwesenheit von Italien (Januar 706 48 bis Herbst 707 47) daselbst einen Bürgerkrieg im Bürgerkriege anzuzetteln. Der Prätor Marcus Caelius Rufus, ein guter Adliger und schlechter Schuldenbezahler, von einigem Talent und vieler Bildung, als ein heftiger und redefertiger Mann bisher im Senat und auf dem Markte einer der eifrigsten Vorkämpfer für Caesar, brachte, ohne höheren Auftrag, bei dem Volke ein Gesetz ein, das den Schuldnern ein sechsjähriges zinsfreies Moratorium gewährte, sodann, da man ihm hierbei in den Weg trat, ein zweites, das gar alle Forderungen aus Darlehen und laufenden Hausmieten kassiert; worauf der Caesarische Senat ihn seines Amtes entsetzte. Es war eben die Zeit vor der Pharsalischen Schlacht, und die Waagschale in dem großen Kampfe schien sich auf die Seite der Pompeianer zu neigen; Rufus trat mit dem alten senatorischen Bandenführer Milo in Verbindung und beide stifteten eine Konterrevolution an, die teils die republikanische Verfassung, teils Kassation der Forderungen und Freierklärung der Sklaven auf ihr Panier schrieb. Milo verließ seinen Verbannungsort Massalia und rief in der Gegend von Thurii die Pompeianer und die Hirtensklaven unter die Waffen; Rufus machte Anstalt, sich durch bewaffnete Sklaven der Stadt Capua zu bemächtigen. Allein der letztere Plan ward vor der Ausführung entdeckt und durch die capuanische Bürgerwehr vereitelt; Quintus Pedius, der mit einer Legion in das thurinische Gebiet einrückte, zerstreute die daselbst hausende Bande; und der Fall der beiden Führer machte dem Skandal ein Ende (706 48). Dennoch fand sich das Jahr darauf (707 47) ein zweiter Tor, der Volkstribun Publius Dolabella, der, gleich verschuldet, aber ungleich weniger begabt als sein Vorgänger, dessen Gesetz über die Forderungen und Hausmieten abermals einbrachte und mit seinem Kollegen Lucius Trebellius darüber noch einmal – es war das letzte Mal – den Demagogenkrieg begann; es gab arge Händel zwischen den, beiderseitigen bewaffneten Banden und vielfachen Straßenlärm, bis der Kommandant von Italien, Marcus Antonius, das Militär einschreiten ließ und bald darauf Caesars Rückkehr aus dem Osten dem tollen Treiben vollständig ein Ziel setzte. Caesar legte diesen hirnlosen Versuchen, die Catilinarischen Projekte wieder aufzuwärmen, so wenig Gewicht bei, daß er selbst den Dolabella in Italien duldete, ja nach einiger Zeit ihn sogar wieder zu Gnaden annahm. Gegen solches Gesindel, dem es nicht um irgend welche politische Frage, sondern einzig um den Krieg gegen das Eigentum zu, tun ist, genügt, wie gegen die Räuberbanden, das bloße Dasein einer starken Regierung; und Caesar war zu groß und zu besonnen, um mit der Angst, die die italischen Trembleurs vor diesen damaligen Kommunisten empfanden, Geschäfte zu machen und damit seiner Monarchie eine falsche Popularität zu erschwindeln.

Wenn Caesar also die gewesene demokratische Partei ihrem schon bis an die äußerste Grenze vorgeschrittenen Zersetzungsprozeß überlassen konnte und überließ, so hatte er dagegen gegenüber der bei weitem lebenskräftigeren ehemaligen aristokratischen Partei durch die gehörige Verbindung des Niederdrückens und des Entgegenkommens die Auflösung nicht herbeizuführen – dies vermochte nur die Zeit – sondern sie vorzubereiten und einzuleiten. Es war das wenigste, daß Caesar, schon aus natürlichem Anstandsgefühl, es vermied, die gestürzte Partei durch leeren Hohn zu erbittern, über die besiegten Mitbürger nicht triumphierte83, des Pompeius oft und immer mit Achtung gedachte und sein vom Volke umgestürztes Standbild am Rathaus bei der Herstellung des Gebäudes an dem früheren ausgezeichneten Platze wiederum errichten ließ. Der politischen Verfolgung nach dem Siege steckte Caesar die möglichst engen Grenzen. Es fand keine Untersuchung statt über die vielfachen Verbindungen, die die Verfassungspartei auch mit nominellen Caesarianern gehabt hatte; Caesar warf die in den feindlichen Hauptquartieren von Pharsalos und Thapsus vorgefundenen Papierstöße ungelesen ins Feuer und verschonte sich und das Land mit politischen Prozessen gegen des Hochverrats verdächtige Individuen. Ferner gingen straffrei aus alle gemeinen Soldaten, die ihren römischen oder provinzialen Offizieren in den Kampf gegen Caesar gefolgt waren. Eine Ausnahme ward nur gemacht mit denjenigen römischen Bürgern, die in dem Heere des numidischen Königs Juba Dienste genommen hatten; ihnen wurde zur Strafe des Landesverrates das Vermögen eingezogen. Auch den Offizieren der besiegten Partei hatte Caesar bis zum Ausgang des spanischen Feldzugs 705 (49) uneingeschränkte Begnadigung gewährt; allein er überzeugte sich, daß er hiermit zu weit gegangen und daß die Beseitigung wenigstens der Häupter unvermeidlich sei. Die Regel, die er von jetzt an zur Richtschnur nahm, war, daß wer nach der Kapitulation von Ilerda im feindlichen Heere als Offizier gedient oder im Gegensenat gesessen hatte, wenn er das Ende des Kampfes erlebte, sein Vermögen und seine politischen Rechte verlor und für Lebenszeit aus Italien verbannt ward, wenn er das Ende des Kampfes nicht erlebte, wenigstens sein Vermögen an den Staat fiel, wer aber von diesen früher von Caesar Gnade angenommen hatte und abermals in den feindlichen Reihen betroffen ward, damit das Leben verwirkt hatte. In der Ausführung indes wurden diese Sätze wesentlich gemildert. Todesurteile wurden nur gegen die wenigsten unter den zahlreichen Rückfälligen wirklich vollstreckt. Bei der Konfiskation des Vermögens der Gefallenen wurden nicht nur die auf den einzelnen Massen haftenden Schulden sowie die Mitgiftforderungen der Witwen wie billig ausgezahlt, sondern auch den Kindern der Toten ein Teil des väterlichen Vermögens gelassen. Von denjenigen endlich, die jenen Regeln zufolge Verbannung und Vermögenskonfiskation traf, wurden nicht wenige sogleich ganz begnadigt oder kamen, wie die zu Mitgliedern des Senats von Utica gepreßten afrikanischen Großhändler, mit Geldbußen davon. Aber auch den übrigen ward fast ohne Ausnahme Freiheit und Vermögen zurückgegeben, wenn sie nur es über sich gewannen, deshalb bittend bei Caesar einzukommen; manchem, der dessen sich weigerte, wie zum Beispiel dem Konsular Marcus Marcellus, ward die Begnadigung auch ungebeten oktroyiert und endlich im Jahre 710 (44) für alle noch nicht Zurückberufenen eine allgemeine Amnestie erlassen.

Die republikanische Opposition ließ sich denn begnadigen; aber sie war nicht versöhnt. Unzufriedenheit mit der neuen Ordnung der Dinge und Erbitterung gegen den ungewohnten Herrscher waren allgemein. Zu offenem politischen Widerstand gab es freilich keine Gelegenheit mehr – es kam kaum in Betracht, daß einige oppositionelle Tribune bei Gelegenheit der Titelfrage durch demonstratives Einschreiten gegen die, welche Caesar König genannt hatten, sich die republikanische Märtyrerkrone erwarben; aber um so entschiedener äußerte der Republikanismus sich als Gesinnungsopposition und im geheimen Treiben und Wühlen. Keine Hand regte sich, wenn der Imperator öffentlich erschien. Es regnete Maueranschläge und Spottverse voll bitterer und treffender Volkssatire gegen die neue Monarchie. Wo ein Schauspieler eine republikanische Anspielung wagte, begrüßte ihn der lauteste Beifall. Catos Lob und Preis war das Modethema der oppositionellen Broschürenschreiber, und die Schriften derselben fanden nur ein um so dankbareres Publikum, weil auch die Literatur nicht mehr frei war. Caesar bekämpfte zwar auch jetzt noch die Republikaner auf dem eigenen Gebiet; er selbst und seine fähigeren Vertrauten antworteten auf die Catoliteratur mit Anticatonen, und es ward zwischen den republikanischen und den Caesarischen Skribenten um den toten Mann von Utica gestritten wie zwischen Troern und Hellenen um die Leiche des Patroklos; allein es verstand sich von selbst, daß in diesem Kampfe, in dem das durchaus republikanisch gestimmte Publikum Richter war, die Caesarianer den kürzeren zogen. Es blieb nichts übrig, als die Schriftsteller zu terrorisieren; weshalb denn unter den Verbannten die literarisch bekannten und gefährlichen Männer, wie Publius Nigidius Figulus und Aulus Caecina, schwerer als andere die Erlaubnis zur Rückkehr nach Italien erhielten, die in Italien geduldeten oppositionellen Schriftsteller aber einer tatsächlichen Zensur unterworfen wurden, die um so peinlicher fesselte, weil das Maß der zu befürchtenden Strafe durchaus arbiträr war84. Das Wühlen und Treiben der gestürzten Parteien gegen die neue Monarchie wird zweckmäßiger in einem andern Zusammenhang dargestellt werden; hier genügt es zu sagen, daß Prätendenten- wie republikanische Aufstände unaufhörlich im ganzen Umfange des Römischen Reiches gärten, daß die Flamme des Bürgerkrieges, bald von den Pompeianern, bald von den Republikanern angefacht, an verschiedenen Orten hell wieder emporschlug und in der Hauptstadt die Verschwörung gegen das Leben des Herrschers in Permanenz blieb, Caesar aber durch die Anschläge sich nicht einmal bewegen ließ, auf die Dauer sich mit einer Leibwache zu umgeben und in der Regel sich begnügte, die entdeckten Konspirationen durch öffentliche Anschläge bekannt zu machen. Wie sehr Caesar alle seine persönliche Sicherheit angehenden Dinge mit gleichgültiger Verwegenheit zu behandeln pflegte, die ernste Gefahr konnte er doch sich unmöglich verhehlen, mit der diese Masse Mißvergnügter nicht bloß ihn, sondern auch seine Schöpfungen bedrohte. Wenn er dennoch, alles Warnens und Hetzens seiner Freunde nicht achtend, ohne über die Unversöhnlichkeit auch der begnadigten Gegner sich zu täuschen, mit einer wunderbar kaltblütigen Energie dabei beharrte, der bei weitem größeren Anzahl derselben zu verzeihen, so war dies weder ritterliche Hochherzigkeit einer stolzen, noch Gefühlsmilde einer weichen Natur, sondern es war die richtige staatsmännische Erwägung, daß überwundene Parteien rascher und mit minderem Schaden für den Staat innerhalb des Staats sich absorbieren, als wenn man sie durch Ächtung auszurotten oder durch Verbannung aus dem Gemeinwesen auszuscheiden versucht. Caesar konnte für seine hohen Zwecke die Verfassungspartei selbst nicht entbehren, die ja nicht etwa bloß die Aristokratie, sondern alle Elemente des Freiheits- und des Nationalsinns innerhalb der italischen Bürgerschaft in sich schloß; für seine Pläne zur Verjüngung des alternden Staats bedurfte er der ganzen Masse von Talenten, Bildung, ererbtem und selbsterworbenem Ansehen, die diese Partei in sich schloß; und wohl in diesem Sinne mag er die Begnadigung der Gegner den schönsten Lohn des Siegs genannt haben. So wurden denn zwar die hervorragendsten Spitzen der geschlagenen Parteien beseitigt; aber den Männern zweiten und dritten Ranges und namentlich der jüngeren Generation ward die volle Begnadigung nicht vorenthalten, jedoch ihnen auch nicht gestattet, in passiver Opposition zu schmollen, sondern dieselben durch mehr oder minder gelinden Zwang veranlaßt, sich an der neuen Verwaltung tätig zu beteiligen und Ehren und Ämter von ihr anzunehmen. Wie für Heinrich IV. und Wilhelm von Oranien so begannen auch für Caesar die größten Schwierigkeiten erst nach dem Siege. Jeder revolutionäre Sieger macht die Erfahrung, daß, wenn er nach Überwältigung der Gegner nicht, wie Cinna und Sulla, Parteihaupt bleibt, sondern wie Caesar, wie Heinrich IV. und Wilhelm von Oranien, an die Stelle des notwendig einseitigen Parteiprogramms die Wohlfahrt des Gemeinwesens setzen will, augenblicklich alle Parteien, die eigene wie die besiegt, sich gegen das neue Oberhaupt vereinigen; und um so mehr, je größer und reiner dasselbe seinen neuen Beruf auffaßt. Die Verfassungsfreunde und die Pompeianer, wenn sie auch mit den Lippen Caesar huldigten, grollten doch im Herzen entweder der Monarchie oder wenigstens der Dynastie; die gesunkene Demokratie war, seit sie begriffen, daß Caesars Zwecke keineswegs die ihrigen waren, gegen denselben in offenem Aufruhr; selbst die persönlichen Anhänger Caesars murrten, als sie ihr Haupt statt eines Condottierstaats eine allen gliche und gerechte Monarchie gründen und die auf sie treffenden Gewinnportionen durch das Hinzutreten der Besiegten sich verringern sahen. Diese Ordnung des Gemeinwesens war keiner Partei genehm und mußte den Genossen nicht minder als den Gegnern oktroyiert werden. Caesars eigene Stellung war jetzt in gewissem Sinne gefährdeter als vor dem Siege; aber was er verlor, gewann der Staat. Indem er die Parteien vernichtete und die Parteimänner nicht bloß schonte, sondern jeden Mann von Talent oder auch nur von guter Herkunft, ohne Rücksicht auf seine politische Vergangenheit, zu Ämtern gelangen ließ, gewann er nicht bloß für seinen großen Bau alle im Staate vorhandene Arbeitskraft, sondern das freiwillige oder gezwungene Schaffen der Männer aller Parteien an demselben Werke führte auch unmerklich die Nation hinüber auf den neubereiteten Boden. Wenn diese Ausgleichung der Parteien für den Augenklick nur äußerlicher Art war und dieselben sich für jetzt viel weniger in der Anhänglichkeit an die neuen Zustände begegneten als in dem Hasse gegen Caesar, so irrte dies ihn nicht; er wußte es wohl, daß die Gegensätze doch in solcher äußerlichen Vereinigung sich abstumpfen und daß nur auf diesem Wege der Staatsmann der Zeit vorarbeitet, welche freilich allein vermag, solchen Hader schließlich zu sühnen, indem sie das alte Geschlecht ins Grab legt. Noch weniger fragte er, wer ihn haßte oder auf Mord gegen ihn sann. Wie jeder echte Staatsmann diente er dem Volke nicht um Lohn, auch nicht um den Lohn seiner Liebe, sondern gab die Gunst der Zeitgenossen hin für den Segen der Zukunft und vor allem für die Erlaubnis, seien Nation retten und verjüngen zu dürfen.

Versuchen wir im einzelnen Rechenschaft zu geben von der Überführung der alten Zustände in die neue Bahn, so ist zunächst daran zu erinnern, daß Caesar nicht kam um anzufangen, sondern um zu vollenden. Der Plan zu einer zeitgemäßen Politik, längst von Gaius Gracchus entworfen, war von seinen Anhängern und Nachfolgern wohl mit mehr oder minder Geist und Glück, aber ohne Schwanken festgehalten worden. Caesar, von Haus aus und gleichsam schon nach Erbrecht das Haupt der Popularpartei, hatte seit dreißig Jahren deren Schild hoch emporgehalten, ohne je die Farbe zu wechseln oder auch nur zu decken; er blieb Demokrat auch als Monarch. Wie er die Erbschaft seiner Partei, abgesehen natürlich von den catilinarischen und clodischen Verkehrtheiten, unbeschränkt antrat, der Aristokratie und den echten Aristokraten den bittersten, selbst persönlichen Haß zollte und die wesentlichen Gedanken der römischen Demokratie: die Milderung der Lage der Schuldner, die überseeische Kolonisation, die allmähliche Nivellierung der unter den Klassen der Staatsangehörigen bestehenden Rechtsverschiedenheiten, die Emanzipierung der exekutiven Gewalt vom Senat, unverändert festhielt, so war auch seine Monarchie so wenig mit der Demokratie im Widerspruch, daß vielmehr diese erst durch jene zur Vollendung und Erfüllung gelangte. Denn diese Monarchie war nicht die orientalische Despotie von Gottes Gnaden, sondern die Monarchie, wie Gaius Gracchus sie gründen wollte, wie Perikles und Cromwell sie gründeten: die Vertretung der Nation durch ihren höchsten und unumschränkten Vertrauensmann. Es waren insofern die Gedanken, die dem Werke Caesars zu Grunde lagen, nicht eigentlich neue; aber ihm gehört ihre Verwirklichung, die zuletzt überall die Hauptsache bleibt, und ihm die Großheit der Ausführung, die selbst den genialen Entwerfer, wenn er sie hätte schauen können, überrascht haben möchte und die jeden, dem sie in lebendiger Wirklichkeit oder im Spiegel der Geschichte entgegengetreten ist, welcher geschichtlichen Epoche und welcher politischen Farbe immer er angehöre, je nach dem Maß seiner Fassungskraft für menschliche und geschichtliche Größe mit tiefer und tieferer Bewegung und Bewunderung ergriffen hat und ewig ergreifen wird.

Wohl aber wird es gerade hier am Orte sein, das, was der Geschichtschreiber stillschweigend überall voraussetzt, einmal ausdrücklich zu fordern und Einspruch zu tun gegen die der Einfalt und der Perfidie gemeinschaftliche Sitte, geschichtliches Lob und geschichtlichen Tadel, von den gegebenen Verhältnissen abgelöst, als allgemein gültige Phrase zu verbrauchen, in diesem Falle das Urteil über Caesar in ein Urteil über den sogenannten Caesarismus umzudeuten. Freilich soll die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte die Lehrmeisterin des laufenden sein; aber nicht in dem gemeinen Sinne, als könne man die Konjunkturen der Gegenwart in den Berichten über die Vergangenheit nur einfach wiederaufblättern und aus denselben der politischen Diagnose und Rezeptierkunst die Symptome und Spezifika zusammenlesen; sondern sie ist lehrhaft einzig insofern, als die Beobachtung der älteren Kulturen die organischen Bedingungen der Zivilisation überhaupt, die überall gleichen Grundkräfte und die überall verschiedene Zusammensetzung derselben offenbart und statt zum gedankenlosen Nachahmen vielmehr zum selbständigen Nachschöpfen anleitet und begeistert. In diesem Sinne ist die Geschichte Caesars und des römischen Caesarentums, bei aller unübertroffenen Großheit des Werkmeisters, bei aller geschichtlichen Notwendigkeit des Werkes, wahrlich eine schärfere Kritik der modernen Autokratie, als eines Menschen Hand sie zu schreiben vermag. Nach dem gleichen Naturgesetz, weshalb der geringste Organismus unendlich mehr ist als die kunstvollste Maschine, ist auch jede noch so mangelhafte Verfassung, die der freien Selbstbestimmung einer Mehrzahl von Bürgern Spielraum läßt, unendlich mehr als der genialste und humanste Absolutismus; denn jene ist der Entwicklung fähig, also lebendig, dieser ist was er ist, also tot. Dieses Naturgesetz hat auch an der römischen absoluten Militärmonarchie sich bewährt und nur um so vollständiger sich bewährt, als sie, unter dem genialen Impuls ihres Schöpfers und bei der Abwesenheit aller wesentlichen Verwicklungen mit dem Ausland, sich reiner und freier als irgendein ähnlicher Staat gestaltet hat. Von Caesar an hielt, wie die späteren Bücher dies darlegen werden und Gibbon längst es dargelegt hat, das römische Wesen nur noch äußerlich zusammen und ward nur mechanisch erweitert, während es innerlich eben mit ihm völlig vertrocknete und abstarb. Wenn in den Anfängen der Autokratie und vor allem in Caesars eigener Seele noch der hoffnungsreiche Traum einer Vereinigung freier Volksentwicklung und absoluter Herrschaft waltet, so hat schon das Regiment der hochbegabten Kaiser des Julianischen Geschlechts in schrecklicher Weise gelehrt, inwiefern es möglich ist, Feuer und Wasser in dasselbe Gefäß zu fassen. Caesars Werk war notwendig und heilsam, nicht weil es an sich Segen brachte oder auch nur bringen konnte, sondern weil, bei der antiken, auf Sklavenrum gebauten, von der republikanisch-konstitutionellen Vertretung völlig abgewandten Volksorganisation und gegenüber der legitimen, in der Entwicklung eines halben Jahrtausends zum oligarchischen Absolutismus herangereiften Stadtverfassung, die absolute Militärmonarchie der logisch notwendige Schlußstein und das geringste Übel war. Wenn einmal in Virginien und den Carolinas die Sklavenhalteraristokratie es so weit gebracht haben wird wie ihre Wahlverwandten in dem sullanischen Rom, so wird dort auch der Caesarismus vor dem Geist der Geschichte legitimiert sein85; wo er unter andern Entwicklungsverhältnissen auftritt, ist er zugleich eine Fratze und eine Usurpation. Die Geschichte aber wird sich nicht bescheiden, dem rechten Caesar deshalb die Ehre zu verkürzen, weil ein solcher Wahlspruch den schlechten Caesaren gegenüber die Einfalt irren und der Bosheit zu Lug und Trug Gelegenheit geben kann. Sie ist auch eine Bibel, und wenn sie so wenig wie diese, weder dem Toren es wehren kann sie mißzuverstehen, noch dem Teufel sie zu zitieren, so wird auch sie imstande sein, beides zu ertragen wie zu vergiften.

Die Stellung des neuen Staatsoberhaupts erscheint formell, zunächst wenigstens, als Diktatur. Caesar übernahm dieselbe zuerst nach der Rückkehr aus Spanien im Jahre 705 (49), legte sie aber nach wenigen Tagen wieder nieder und führte den entscheidenden Feldzug des Jahres 706 (48) lediglich als Konsul – es war dies das Amt, über dessen Bekleidung zunächst der Bürgerkrieg ausgebrochen war. Aber im Herbst dieses Jahres, nach der Pharsalischen Schlacht, kam er wieder auf die Diktatur zurück und ließ sich dieselbe abermals übertragen, zuerst auf unbestimmte Zeit, jedoch vom 1. Januar 709 (45) an als Jahresamt, alsdann im Januar oder Februar 71086 (44) auf die Dauer seines Lebens, so daß er die früher vorbehaltene Niederlegung des Amtes schließlich ausdrücklich fallen ließ und der Lebenslänglichkeit des Amtes in dem neuen Titel dictator perpetuus formellen Ausdruck gab. Diese Diktatur, sowohl jene erste ephemere wie die zweite dauernde, ist nicht die der alten Verfassung, sondern das nur in dem Namen mit dieser zusammentreffende höchste Ausnahmeamt nach der Ordnung Sullas; ein Amt, dessen Kompetenz nicht durch die verfassungsmäßigen Ordnungen über das höchste Einzelamt, sondern durch besonderen Volksschluß festgestellt ward und zwar dahin, daß der Inhaber in dem Auftrag, Gesetze zu entwerfen und das Gemeinwesen zu ordnen, eine rechtlich unumschränkte, die republikanische Teilung der Gewalten aufhebende Amtsbefugnis empfing. Es sind nur Anwendungen von dieser allgemeinen Befugnis auf den einzelnen Fall, wenn dem Machthaber das Recht ohne Befragen des Senats und des Volkes über Krieg und Frieden zu entscheiden, die selbständige Verfügung über Heere und Kassen, die Ernennung der Provinzialstatthalter nach durch besondere Akte übertragen wurden. Selbst solche Befugnisse, welche außerhalb der magistratischen, ja außerhalb der Kompetenz der Staatsgewalten überhaupt lagen, konnte Caesar hiernach von Rechts wegen sich beilegen; und es erscheint fast als eine Konzession seinerseits, daß er darauf verzichtete, die Magistrate anstatt der Komitien zu ernennen, und sich darauf beschränkte, für einen Teil der Prätoren und der niederen Magistrate ein bindendes Vorschlagsrecht in Anspruch zu nehmen; daß er sich ferner zu der nach dem Herkommen überhaupt nicht statthaften Kreierung von Patriziern noch durch besonderen Volksschluß ermächtigen ließ.

Für andere Ämter im eigentlichen Sinn bleibt neben dieser Diktatur kein Raum. Die Zensur als solche hat Caesar nicht übernommen87, wohl aber die zensorischen Rechte, namentlich das wichtige der Senatorenernennung in umfassender Weise geübt.

Das Konsulat hat er häufig neben der Diktatur, einmal auch ohne Kollegen bekleidet, aber keineswegs dauernd an seine Person geknüpft und den Aufforderungen, dasselbe auf fünf oder gar auf zehn Jahre nacheinander zu übernehmen, keine Folge gegeben.

Die Oberaufsicht über den Kult brauchte Caesar nicht erst sich übertragen zu lassen, da er bereits Oberpontifex war. Es versteht sich, daß auch die Mitgliedschaft des Augurnkollegiums ihm zuteil ward und überhaupt alte und neue Ehrenrechte in Fülle, wie der Titel eines Vaters des Vaterlandes, die Benennung seines Geburtsmonats mit dem Namen, den er nach heute führt, des Julius, und andere, zuletzt in platte Vergötterung sich verlaufende Manifestationen des beginnenden Hoftons. Hervorgehoben zu werden verdienen nur zwei Einrichtungen: daß Caesar den Tribunen des Volkes namentlich in ihrer besonderen persönlichen Unverletzlichkeit gleichgestellt und daß die Imperatorenbenennung dauernd an seine Person geknüpft und neben den sonstigen Amtsbezeichnungen von ihm als Titel geführt ward88.

Für den Verständigen wird es weder dafür eines Beweises bedürfen, daß Caesar beabsichtigte, die höchste Gewalt dem Gemeinwesen einzufügen, und zwar nicht nur auf einige Jahre oder auch als persönliches Amt auf unbestimmte Zeit, etwa wie Sullas Regentschaft, sondern als wesentliches und bleibendes Organ, noch auch dafür, daß er für die neue Institution eine entsprechende und einfache Bezeichnung ausersah; denn wenn es ein politischer Fehler ist, inhaltlose Namen zu schaffen, so ist es kaum ein geringerer, den Inhalt der Machtfülle ohne Namen hinzustellen. Nur ist es freilich, teils weil in dieser Übergangszeit die ephemeren und die bleibenden Bauten sich noch nicht klar voneinander sondern, teils weil die dem Winke bereits zuvorkommende Devotion der Klienten den Herrn mit einer ohne Zweifel ihm selbst widerwärtigen Fülle von Vertrauensdekreten und Ehrengesetzen überschüttete, nicht leicht festzustellen, welche definitive Formulierung Caesar im Sinne gehabt hat. Am wenigsten konnte die neue Monarchie an das Konsulat anknüpfen, schon wegen der von diesem Amt nicht wohl zu trennenden Kollegialität, es hat auch Caesar offenbar darauf hingearbeitet, dieses bisher höchste Amt zum leeren Titel herabzusetzen und späterhin, wenn er es übernahm, dasselbe nicht das ganze Jahr hindurch geführt, sondern vor dem Ablauf an Personen zweiten Ranges abgegeben. Die Diktatur tritt praktisch am häufigsten und bestimmtesten hervor, aber wahrscheinlich nur, weil Caesar sie als das benutzen wollte, was sie von alters her im Verfassungsorganismus bedeutet hatte, als außerordentliche Vorstandschaft zur Überwindung außerordentlicher Krisen. Als Trägerin der neuen Monarchie dagegen empfahl sie sich wenig, da Exzeptionalität und Unpopularität diesem Amte einmal anhafteten und es dem Vertreter der Demokratie kaum zugetraut werden kann, diejenige Form, die der genialste Vorfechter der Gegenpartei für seine Zwecke geschaffen hatte, für die dauernde Organisation zu wählen. Bei weitem geeigneter für die Formulierung der Monarchie erscheint der neue Imperatorenname, schon darum, weil er in dieser Verwendung89 neu ist und kein bestimmter äußerer Anlaß zur Einführung desselben erhellt. Der neue Wein durfte nicht in alte Schläuche gefüllt werden: hier ist zu der neuen Sache der neue Name und in demselben in prägnantester Weise zusammengefaßt, was schon in dem Gabinischen Gesetz, nur mit minderer Schärfe, die demokratische Partei als Kompetenz ihres Oberhauptes formuliert hatte: die Konzentrierung und Perpetuierung der Amtsgewalt ( imperium) in der Hand eines vom Senat unabhängigen Volkshauptes. Auch begegnet auf Caesars Münzen, namentlich auf denen der letzten Zeit, neben der Diktatur vorwiegend der Imperatorentitel und scheint in Caesars Gesetz über politische Verbrechen der Monarch mit diesem Ausdruck bezeichnet worden zu sein. Es hat denn auch die Folgezeit, wenngleich nicht unmittelbar, die Monarchie an den Imperatornamen geknüpft. Um diesem neuen Amt zugleich die demokratische und die religiöse Weihe zu verleihen, beabsichtigte Caesar wahrscheinlich, mit demselben teils die tribunizische Gewalt, teils das Oberpontifikat ein für allemal zu verknüpfen.

Daß die neue Organisation nicht bloß auf die Lebenszeit ihres Stifters beschränkt bleiben sollte, ist unzweifelhaft; aber derselbe ist nicht dazu gelangt, die vor allem schwierige Frage der Nachfolge zu erledigen, und es muß dahingestellt bleiben, ob er die Aufstellung irgendeiner Form für die Nachfolgerwahl im Sinn gehabt hat, wie sie bei dem ursprünglichen Königtum bestanden hatte, oder ob er für das höchste Amt wie die Lebenslänglichkeit, so auch die Erblichkeit hat einführen wollen, wie dies sein Adoptivsohn späterhin behauptet hat90. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er die Absicht gehabt hat, beide Systeme gewissermaßen miteinander zu verbinden und die Nachfolge, ähnlich wie Cromwell und wie Napoleon, in der Weise zu ordnen, daß dem Herrscher der Sohn in der Herrschaft nachfolgt, wenn er aber keinen Sohn hat oder der Sohn ihm nicht zur Nachfolge geeignet scheint, der Herrscher in der Form der Adoption den Nachfolger nach freier Wahl ernennt.

Staatsrechtlich lehnte das neue Imperatorenamt sich an an die Stellung, welche die Konsuln oder Prokonsuln außerhalb der Bannmeile einnahmen, so daß zunächst das militärische Kommando, daneben aber auch die höchste richterliche und folgeweise auch die administrative Gewalt darin enthalten war91. Insofern aber war die Gewalt des Imperators qualitativ der konsularisch-prokonsularischen überlegen, als jene nicht nach Zeit und Raum begrenzt, sondern lebenslänglich und auch in der Hauptstadt wirksam war92, als der Imperator nicht, wohl aber der Konsul, durch gleich mächtige Kollegen gehemmt werden konnte und als alle im Laufe der Zeit der ursprünglicher. höchsten Amtsgewalt gesetzten Beschränkungen, namentlich die Verpflichtung der Provokation stattzugeben und die Ratschläge des Senats zu beachten, für den Imperator wegfielen. Um es mit einem Worte zu sagen: dies neue Imperatorenamt war nichts anderes als das wiederhergestellte uralte Königtum; denn ebenjene Beschränkungen in der zeitlichen und örtlichen Begrenzung der Gewalt, in der Kollegialität und der für gewisse Fälle notwendigen Mitwirkung des Rats oder der Gemeinde waren es ja, die den Konsul vom König unterschieden. Es ist kaum ein Zug der neuen Monarchie, der nicht in der alten sich wiederfände: die Vereinigung der höchsten militärischen, richterlichen und administrativen Gewalt in der Hand des Fürsten; eine religiöse Vorstandschaft über das Gemeinwesen; das Recht, Verordnungen mit bindender Kraft zu erlassen; die Herabdrückung des Senats zum Staatsrat; die Wiedererweckung des Patriziats und der Stadtpräfektur. Aber schlagender noch als diese Analogien ist die innere Gleichartigkeit der Monarchie des Servius Tullius und der Monarchie Caesars: wenn jene alten Könige vor. Rom bei all ihrer Vollgewalt doch Herrn einer freien Gemeinde und eben sie die Schutzmänner des gemeinen Mannes gegen den Adel gewesen waren, so war auch Caesar nicht gekommen, um die Freiheit aufzulösen, sondern um sie zu erfüllen, und zunächst, um das unerträgliche Joch der Aristokratie zu brechen. Es darf auch nicht befremden, daß Caesar, nichts weniger als ein politischer Antiquarius, ein halbes Jahrtausend zurückgriff, um zu seinem neuen Staat das Muster zu finden; denn da das höchste Amt des römischen Gemeinwesens zu allen Zeiten ein durch eine Anzahl Spezialgesetze eingeschränktes Königtum geblieben war, war auch der Begriff des Königtums selbst keineswegs verschollen. Zu den verschiedensten Zeiten und von sehr verschiedenen Seiten her, in der Dezemviralgewalt, in der Sullanischen und in seiner eigenen Diktatur, war man während der Republik praktisch auf denselben zurückgekommen; ja mit einer gewissen logischen Notwendigkeit trat überall, wo das Bedürfnis einer Ausnahmegewalt .sich zeigte, im Gegensatz gegen das gewöhnliche beschränkte das unbeschränkte Imperium hervor, welches eben nichts anderes war als die königliche Gewalt. Endlich empfahlen auch äußere Rücksichten dies Zurückgehen auf das ehemalige Königtum. Die Menschheit gelangt zu Neuschöpfungen unsäglich schwer und hegt darum die einmal entwickelten Formen als ein heiliges Erbstück. Darum knüpfte Caesar mit gutem Bedacht an Servius Tullius in ähnlicher Weise an, wie später Karl der Große an ihn angeknüpft hat und Napoleon an Karl den Großen wenigstens anzuknüpfen versuchte. Er tat dies auch nicht etwa auf Umwegen und heimlich, sondern so gut wie seine Nachfahren in möglichst offenkundiger Weise; es war ja eben der Zweck dieser Anknüpfung, eine klare, nationale und populäre Formulierung für den neuen Staat zu finden. Seit alter Zeit standen auf dem Kapitol die Standbilder derjenigen sieben Könige, welche die konventionelle Geschichte Roms aufzuführen pflegte; Caesar befahl, daneben das seinige als das achte zu errichten. Er erschien öffentlich in der Tracht der alten Könige von Alba. In seinem neuen Gesetz über politische Verbrechen war die hauptsächlichste Abweichung von dem Sullanischen die, daß neben die Volksgemeinde und auf eine Linie mit ihr der Imperator als der lebendige und persönliche Ausdruck des Volkes gestellt ward. In der für die politischen Eide üblichen Formel ward zu dem Jovis und den Penaten des römischen Volkes der Genius des Imperator hinzugefügt. Das äußere Kennzeichen der Monarchie war nach der im ganzen Altertum verbreiteten Ansicht das Bild des Monarchen auf den Münzen: seit dem Jahre 710 (44) erscheint auf denen des römischen Staats der Kopf Caesars. Man konnte hiernach wenigstens darüber sich nicht beschweren, daß Caesar das Publikum über die Auffassung seiner Stellung im dunkeln ließ; so bestimmt und so förmlich wie möglich trat er auf, nicht bloß als Monarch, sondern eben als König von Rom. Möglich ist es sogar, obwohl nicht gerade wahrscheinlich und auf jeden Fall von untergeordneter Bedeutung, daß er im Sinne gehabt hat, seine Amtsgewalt nicht mit dem neuen Imperatoren-, sondern geradezu mit dem alten Königsnamen zu bezeichnen93. Schon bei seinen Lebzeiten waren viele seiner Feinde wie seine Freunde der Ansicht, daß er beabsichtige, sich ausdrücklich zum König von Rom ernennen zu lassen; ja einzelne seiner leidenschaftlichsten Anhänger legten ihm die Aufsetzung der Krone auf verschiedenen Wegen und zu verschiedenen Zeiten nahe; am auffallendsten Marcus Antonius, indem er als Konsul vor allem Volke Caesar das Diadem darbot (15. Februar 710 44). Caesar aber wies diese Anträge ohne Ausnahme von der Hand. Wenn er zugleich gegen diejenigen einschritt, die diese Vorfälle benutzten, um republikanische Opposition zu machen, so folgt daraus noch keineswegs, daß es ihm mit der Zurückweisung nicht Ernst war. Die Annahme nun gar, daß diese Aufforderungen auf sein Geheiß erfolgt seien, um die Menge auf das ungewohnte Schauspiel des römischen Diadems vorzubereiten, verkennt völlig die gewaltige Macht der Gesinnungsopposition, mit welcher Caesar zu rechnen hatte und die durch eine solche öffentliche Anerkennung ihrer Berechtigung von Seiten Caesars selbst nicht nachgiebiger werden konnte, vielmehr notwendig dadurch weiteren Boden gewann. Es kann der unberufene Eifer leidenschaftlicher Anhänger allein diese Auftritte veranlaßt haben; es kann auch sein, daß Caesar die Szene mit Antonius nur zuließ oder auch veranstaltete, um durch die vor den Augen der Bürgerschaft erfolgte und auf seinen Befehl selbst in die Kalender des Staats eingetragene, in der Tat nicht wohl wieder zurückzunehmende Ablehnung des Königstitels dem unbequemen Klatsch auf möglichst eklatante Weise ein Ende zu machen. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß Caesar, der den Wert einer geläufigen Formulierung ebenso würdigte wie die mehr an die Namen als an das Wesen der Dinge sich heftenden Antipathien der Menge, entschlossen war, den mit uraltem Bannfluch behafteten und den Römern seiner Zeit mehr noch für die Despoten des Orients als für ihren Numa und Servius geläufigen Königsnamen zu vermeiden und das Wesen des Königtums unter dem Imperatorentitel sich anzueignen.

Indes wie auch die definitive Titulatur gedacht gewesen sein mag, der Herr war da, und sogleich richtete denn auch der Hof in obligatem Pomp und obligater Geschmacklosigkeit und Leerheft sich ein. Caesar erschien öffentlich statt in dem mit Purpurstreifen verbrämten Gewande der Konsuln in dem ganzpurpurnen, das im Altertum als das Königskleid galt, und empfing, auf seinem Goldsessel sitzend, ohne sich von demselben zu erheben, den feierlichen Zug des Senats. Die Geburtstags-, Sieges- und Gelübdefeste zu seinen Ehren füllten den Kalender. Wenn Caesar nach der Hauptstadt kam, zogen die vornehmsten seiner Diener scharenweise auf weite Strecken ihm entgegen ihn einzuholen. Ihm nahe zu sein fing an so viel zu bedeuten, daß die Mietpreise in dem von ihm bewohnten Stadtviertel in die Höhe gingen. Durch die Menge der zur Audienz sich drängenden Personen ward die persönliche Verhandlung mit ihm so erschwert, daß Caesar sogar mit seinen Vertrauten vielfach schriftlich zu verkehren sich genötigt sah und daß auch die Vornehmsten stundenlang im Vorzimmer zu warten hatten. Man empfand es, deutlicher als es Caesar selber lieb war, daß man nicht mehr zu einem Mitbürger kam. Es entstand ein monarchischer Adel, welcher in merkwürdiger Weise zugleich neu und alt war und aus dem Gedanken entsprang, den Adel der Oligarchie durch den des Königtums, die Nobilität durch das Patriziat in Schatten zu stellen. Noch immer bestand die Patrizierschaft, wenngleich ohne wesentliche ständische Vorrechte, doch als geschlossene Junkergilde fort; aber da sie keine neuen Geschlechter aufnehmen konnte, war sie im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr zusammengestorben: nicht mehr als fünfzehn bis sechzehn Patriziergeschlechter waren zu Caesars Zeit noch vorhanden. Indem Caesar, selber einem derselben entsprossen, das Recht, neue patrizische Geschlechter zu kreieren, durch Volksbeschluß dem Imperator erteilen ließ, gründete er, im Gegensatz zu der republikanischen Nobilität, den neuen Adel des Patriziats, der alle Erfordernisse eines monarchischen Adels: altersgrauen Zauber, vollständige Abhängigkeit von der Regierung und gänzliche Bedeutungslosigkeit auf das glücklichste vereinigte. Nach allen Seiten hin offenbarte sich das neue Herrenrum.

Unter einem also tatsächlich unumschränkten Monarchen konnte kaum von einer Verfassung die Rede sein, geschweige denn von denn Fortbestand des bisherigen, auf dem gesetzlichen Zusammenwirken der Bürgerschaft, des Senats und der einzelner. Beamten beruhenden Gemeinwesens. Mit voller Bestimmtheit ging Caesar zurück auf die Überlieferung der Königszeit: die Bürgerschaftsversammlung blieb, was sie schon in der Königszeit gewesen war, neben und mit dem König der höchste und letzte Ausdruck des souveränen Volkswillens; der Senat ward wieder auf seine ursprüngliche Bestimmung zurückgeführt, dem Herrn auf dessen Verlangen Rat zu erteilen; der Herrscher endlich konzentrierte in seiner Person aufs neue die gesamte Beamtengewalt, so daß es einen anderen selbständigen Staatsbeamten neben ihm so wenig gab wie neben den Königen der ältesten Zeit.

Für die Gesetzgebung hielt der demokratische Monarch fest an dem uralten Satz des römischen Staatsrechts, daß nur die Volksgemeinde in Gemeinschaft mit dem sie berufenden König vermögend sei, das Gemeinwesen organisch zu regulieren, und sanktionierte seine konstitutiven Verfügungen regelmäßig durch Volksschluß. Die freie Kraft und die sittlich-staatliche Autorität, die das Ja oder Nein jener alten Wehrmannschaften in sich getragen hatte, ließ sich freilich den sogenannten Komitien dieser Zeit nicht wiedereinflößen; die Mitwirkung der Bürgerschaft bei der Gesetzgebung, die in der alten Verfassung höchst beschränkt, aber wirklich und lebendig gewesen war, war in der neuen in praktischer Hinsicht ein wesenloser Schatten. Besonderer beschränkender Maßregeln gegen die Komitien bedurfte es darum auch nicht; eine vieljährige Erfahrung hatte gezeigt, daß mit diesem formellen Souverän jede Regierung, die Oligarchie wie der Monarch, bequem auskam. Nur insofern, als diese Caesarischen Komitien dazu dienten, die Volkssouveränität prinzipiell festzuhalten und energisch gegen den Sultanismus zu protestieren, waren sie ein wichtiges Moment in dem Caesarischen System und mittelbar von praktischer Bedeutung.

Daneben aber wurde, wie nicht bloß an sich klar, sondern auch bestimmt bezeugt ist, schon von Caesar selbst und nicht erst von seinen Nachfolgern auch der andere Satz des ältesten Staatsrechts wieder aufgenommen, daß, was der höchste oder vielmehr einzige Beamte befiehlt, unbedingt Gültigkeit hat, solange er im Amte bleibt, und die Gesetzgebung zwar nur dem König und der Bürgerschaft gemeinschaftlich zukommt, die königliche Verordnung aber, wenigstens bis zum Abgang ihres Urhebers, dem Gesetz gleichsteht.

Wenn der Demokratenkönig also der Volksgemeinde wenigstens einen formellen Anteil an der Souveränität zugestand, so war es dagegen keineswegs seine Absicht, mit der bisherigen Regierung, dem Senatorenkollegium, die Gewalt zu teilen. Caesars Senat sollte – ganz anders als der spätere Augusteische – nichts sein als ein höchster Reichsrat, den er benutzte, um die Gesetze mit ihm vorzuberaten und die wichtigeren administrativer. Verfügungen durch ihn oder wenigstens unter seinem Namen zu erlassen, denn es kam freilich auch vor, daß Senatsbeschlüsse ergingen, von denen selbst von den als bei der Redaktion gegenwärtig aufgeführten Senatoren keiner eine Ahnung hatte. Es hatte keine wesentlichen Formschwierigkeiten, den Senat wieder auf seine ursprüngliche beratende Stellung zurückzuführen, aus der er mehr tatsächlich als rechtlich herausgetreten war; dagegen war es hier notwendig, sich vor praktischem Widerstand zu schützen, da der römische Senat ebenso der Herd der Opposition gegen Caesar war wie der attische Areopag derjenige gegen Perikles. Hauptsächlich aus diesem Grunde wurde die Zahl der Senatoren, die bisher höchstens sechshundert im Normalbestand betragen hatte und durch die letzten Krisen stark zusammengeschwunden war, durch außerordentliche Ergänzung bis auf neunhundert gebracht und zugleich, um sie mindestens auf dieser Höhe zu halten, die Zahl der jährlich zu ernennenden Quästoren, das heißt der jährlich in den Senat eintretenden Mitglieder, von zwanzig auf vierzig erhöht94. Die außerordentliche Ergänzung des Senats nahm der Monarch allein vor. Bei der ordentlichen sicherte er einen dauernden Einfluß sich dadurch, daß die Wahlkollegien durch Gesetz95 verpflichtet wurden, den ersten zwanzig vom Monarchen mit Empfehlungsschreiben versehenen Bewerbern um die Quästur ihre Stimmen zu geben; überdies stand es der Krone frei, die an die Quästur oder ein derselben übergeordnetes Amt geknüpften Ehrenrechte, also namentlich den Sitz im Senat, ausnahmsweise auch an nichtqualifizierte Individuen zu vergeben. Die außerordentlichen Ergänzungswahlen fielen natürlich wesentlich auf Anhänger der neuen Ordnung der Dinge und brachten neben angesehenen Rittern auch manche zweifelhafte und plebejische Individuen in die hohe Korporation: ehemalige, durch den Zensor oder infolge eines Richterspruchs von der Liste gestrichene Senatoren, Ausländer aus Spanien und Gallien, welche zum Teil erst im Senat ihr Lateinisch zu lernen hatten, gewesene Unteroffiziere, die bisher nicht einmal den Ritterring gehabt, Söhne von freigelassenen Leuten oder von solchen, die unehrenhafte Gewerbe betrieben, und dergleichen Elemente mehr. Die exklusiven Kreise der Nobilität, denen diese Umgestaltung des senatorischen Personals natürlich zum bittersten Ärger gereichte, sahen darin eine absichtliche Herabwürdigung der Institution des Senats selbst. Einer solchen sich selber vernichtenden Staatskunst war Caesar nicht fähig; er war ebenso entschlossen, sich nicht von seinem Rat regieren zu lassen, als überzeugt von der Notwendigkeit des Instituts an sich. Richtiger hätten sie in diesem Verfahren die Absicht des Monarchen erkannt, dem Senat seinen bisherigen Charakter der ausschließlichen Repräsentation des oligarchischen Adels zu nehmen und ihn wieder zu dem zu machen, was er in der Königszeit gewesen war: zu einem alle Klassen der Staatsangehörigen durch ihre intelligentesten Elemente vertretenden und auch den niedrig geborenen und selbst den fremden Mann nicht mit Notwendigkeit ausschließenden Reichsrat – gerade wie jene ältesten Könige Nichtbürger, zog Caesar Nichtitaliker in seinen Senat.

Wenn hiermit das Regiment der Nobilität beseitigt und ihre Existenz untergraben, der Senat in seiner neuen Gestalt aber nichts als ein Werkzeug des Monarchen war, so wurde zugleich in der Verwaltung und Regierung des Staats die Autokratie in der schärfsten Weise durchgeführt und die gesamte Exekutive in der Hand des Monarchen vereinigt. Vor allen Dingen entschied natürlich in jeder irgend wesentlichen Frage der Imperator in eigener Person. Caesar hat es vermocht, das persönliche Regiment in einer Ausdehnung durchzuführen, die für uns geringe Menschen kaum faßlich ist und die doch nicht allein aus der beispiellosen Raschheit und Sicherheit seines Arbeitens sich erklärt, sondern außerdem noch begründet ist in einer allgemeineren Ursache. Wenn wir Caesar, Sulla, Gaius Gracchus, überhaupt die römischen Staatsmänner durchweg eine unsere Vorstellungen von menschlicher Arbeitskraft übersteigende Tätigkeit entwickeln sehen, so liegt die Ursache nicht in der seit jener Zeit veränderten Menschennatur, sondern in der seit jener Zeit veränderten Organisation des Hauswesens. Das römische Haus war eine Maschine, in der dem Herrn auch die geistigen Kräfte seiner Sklaven und Freigelassenen zuwuchsen; ein Herr, der diese zu regieren verstand, arbeitete gleichsam mit unzähligen Geistern. Es war das Ideal bürokratischer Zentralisation, dem unser Kontorwesen zwar mit Eifer nachstrebt, aber doch hinter dem Urbild ebenso weit zurückbleibt wie die heutige Kapitalherrschaft hinter dem antiken Sklavensystem. Caesar verstand diesen Vorteil zu nutzen: wo ein Posten besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt, sehen wir grundsätzlich, soweit irgend andere Rücksichten es gestatten, ihn denselben mit seinen Sklaven, Freigelassenen, niedrig geborenen Klienten besetzen. Seine Werke im ganzen zeigen, was ein organisierendes Genie wie das seinige mit einem solchen Werkzeug auszurichten vermochte; auf die Frage, wie im einzelnen diese wunderbaren Leistungen durchgeführt wurden, haben wir keine hinreichende Antwort – die Bürokratie gleicht der Fabrik auch darin, daß das geschaffene Werk nicht als das des einzelnen erscheint, der es gearbeitet hat, sondern als das der Fabrik, die es stempelt. Nur das ist vollkommen klar, daß Caesar durchaus keinen Gehilfen bei seinem Werke gehabt hat, der von persönlichem Einfluß auf dasselbe oder auch nur in den ganzen Plan eingeweiht gewesen wäre; er war nicht nur allein Meister, sondern er arbeitete auch ohne Gesellen, nur mit Handlangern.

Im einzelnen versteht sich von selbst, daß in den eigentlich politischen Angelegenheiten Caesar soweit irgend möglich jede Stellvertretung vermied. Wo sie unumgänglich war, wie denn Caesar namentlich während seiner häufigen Abwesenheit von Rom eines höheren Organs daselbst durchaus bedurfte, wurde in bezeichnender Weise hierzu nicht der legale Stellvertreter des Monarchen, der Stadtpräfekt, bestimmt, sondern ein Vertrauensmann ohne offiziell anerkannte Kompetenz, gewöhnlich Caesars Bankier, der kluge und geschmeidige phönikische Kaufmann Lucius Cornelius Balbus aus Gades. In der Verwaltung war Caesar vor allem darauf bedacht, die Schlüssel der Staatskasse, die der Senat nach dem Sturze des Königtums sich zugeeignet und mittels deren er sich des Regiments bemächtigt hatte, wiederum an sich zu nehmen und sie nur solchen Dienern anzuvertrauen, die mit ihrem Kopfe unbedingt und ausschließlich ihm hafteten. Zwar dem Eigentum nach blieb das Privatvermögen des Monarchen von dem Staatsgut natürlich streng geschieden; aber die Verwaltung des ganzen Finanz- und Geldwesens des Staates nahm Caesar in die Hand und führte sie durchaus in der Art, wie er, und überhaupt die römischen Großen, die Verwaltung ihres eigenen Vermögens zu führen pflegten. Für die Zukunft wurden die Erhebung der Provinzialgefälle und in der Hauptsache auch die Leitung des Münzwesens den Sklaven und Freigelassenen des Imperators übertragen und die Männer senatorischen Standes davon ausgeschlossen – ein folgenreicher Schritt, aus dem im Laufe der Zeit der so wichtige Prokuratorenstand und das „kaiserliche Haus“ sich entwickelt haben. Dagegen von den Statthalterschaften, die, nachdem sie ihre finanziellen Geschäfte an die neuen kaiserlichen Steuereinnehmer abgegeben, mehr noch als bisher wesentlich Militärkommandos waren, ging nur das ägyptische Kommando an die eigenen Leute des Monarchen über. Die in eigentümlicher Art geographisch isolierte und politisch zentralisierte Landschaft am Nil war, wie schon die während der letzten Krise mehrfach vorgekommenen Versuche bedrängter italischer Parteichefs, daselbst sich festzusetzen, hinreichend bewiesen, wie kein anderer Distrikt geeignet, unter einem fähigen Führer auf die Dauer sich von der Zentralgewalt loszumachen. Wahrscheinlich war es eben diese Rücksicht, die Caesar bestimmte, das Land nicht förmlich zur Provinz zu erklären, sondern die ungefährlichen Lagiden daselbst zu belassen; und sicher wurden aus diesem Grunde die in Ägypten stationierenden Legionen nicht einem dem Senat, das heißt der ehemaligen Regierung angehörigen Manne anvertraut, sondern dieses Kommando, ähnlich wie die Steuereinnehmerstellen, als ein Gesindeposten behandelt. Im allgemeinen aber überwog bei Caesar die Rücksicht, die Soldaten Roms nicht, wie die der Könige des Ostens, durch Lakaien kommandieren zu lassen. Es blieb Regel, die bedeutenderen Statthalterschaften mit gewesenen Konsuln, die geringeren mit gewesenen Prätoren zu besetzen; anstatt des fünfjährigen Zwischenraums, den das Gesetz von 702 (52) vorgeschrieben, knüpfte wahrscheinlich wieder in alter Weise der Anfang der Statthalterschaft unmittelbar an das Ende der städtischen Amtstätigkeit an. Dagegen die Verteilung der Provinzen unter die qualifizierten Kandidaten, die bisher bald durch Volks- oder Senatsbeschluß, bald durch Vereinbarung der Beamten oder durch das Los erfolgt war, ging über an den Monarchen; und indem die Konsuln häufig veranlaßt wurden, vor Ende des Jahres abzudanken und nachgewählten Konsuln (consules suffecti) Platz zu machen, ferner die Zahl der jährlich ernannten Prätoren von acht auf sechzehn erhöht und dem Imperator die Ernennung der Hälfte derselben in ähnlicher Art wie die der Hälfte der Quästoren übertragen ward, endlich demselben das Recht reserviert blieb, zwar nicht Titularkonsuln, aber doch Titularprätoren wie Titularquästoren zu ernennen, sicherte Caesar sich für die Besetzung der Statthalterschaften eine hinreichende Zahl ihm genehmer Kandidaten. Die Abberufung blieb natürlich dem Ermessen des Regenten anheimgestellt, ebenso wie die Ernennung; als Regel wurde angenommen, daß der konsularische Statthalter nicht über zwei, der prätorische nicht über ein Jahr in der Provinz bleiben solle. Was endlich die Verwaltung der Haupt- und Residenzstadt anlangt, so beabsichtigte der Imperator eine Zeitlang offenbar, auch diese in ähnlicher Weise von ihm ernannten Beamten anzuvertrauen. Er rief die alte Stadtverweserschaft der Königszeit wieder ins Leben; zu verschiedenen Malen übertrug er während seiner Abwesenheit die Verwaltung der Hauptstadt einem oder mehreren solchen von ihm ohne Befragen des Volkes und auf unbestimmte Zeit ernannten Stellvertretern, welche die Geschäfte der sämtlichen Verwaltungsbeamten in sich vereinigten und sogar das Recht besaßen, mit eigenem Namen, obwohl natürlich nicht mit eigenem Bilde, Münze zu schlagen. In dem Jahre 707 (47) und in den ersten neun Monaten des Jahres 709 (45) gab es ferner weder Prätoren noch kurulische Ädilen noch Quästoren; auch die Konsuln wurden in jenem Jahre erst gegen das Ende ernannt, und in diesem war gar Caesar Konsul ohne Kollegen. Es sieht dies ganz aus wie ein Versuch, die alte königliche Gewalt auch innerhalb der Stadt Rom, bis auf die durch die demokratische Vergangenheit des neuen Monarchen gebotenen Beschränkungen, vollständig zu erneuern, also von Beamten, außer dem König selbst, nur den Stadtpräfekten während des Königs Abwesenheit und die zum Schutz der Volksfreiheit bestellten Tribunen und Volksädilen bestehen zu lassen, aber das Konsulat, die Zensur, die Prätur, die kurulische Ädilität und die Quästur wiederabzuschaffen96. Indes ging Caesar hiervon später wieder ab: weder nahm er selbst den Königstitel an, noch tilgte er jene ehrwürdigen, mit der glorreichen Geschichte der Republik verwachsenen Namen. Den Konsuln, Prätoren, Ädilen, Tribunen und Quästoren blieb im wesentlichen ihre bisherige formelle Kompetenz, allein ihre Stellung ward dennoch gänzlich umgewandelt. Es war der politische Grundgedanke der Republik, daß das Römische Reich in der Stadt Rom aufgehe, und deshalb waren konsequent die hauptstädtischen Munizipal- durchaus als Reichsbeamte behandelt worden. In Caesars Monarchie fiel mit jener Auffassung auch diese Folge weg; die Beamten Roms bildeten fortan nur die erste unter den vielen Reichsmunizipalitäten, und namentlich das Konsulat ward ein reiner Titularposten, der nur durch die daran geknüpfte Expektanz einer höheren Statthalterschaft eine gewisse praktische Bedeutung bewahrte. Das Schicksal, das die römische Gemeinde den unterworfenen zu bereiten gewohnt gewesen, widerfuhr durch Caesar ihr selber: ihre Souveränität über das Römische Reich verwandelte sich in eine beschränkte Kommunalfreiheit innerhalb des römischen Staates. Daß zugleich die Zahl der Prätoren und Quästoren verdoppelt ward, wurde schon erwähnt; das gleiche geschah hinsichtlich der Volksädilen, zu denen zwei neue „Getreideädilen“ (aediles Ceriales) zur Überwachung der hauptstädtischen Zufuhr hinzukamen. Die Besetzung dieser Ämter blieb der Gemeinde und ward hinsichtlich der Konsuln, vielleicht auch der Volkstribune und der Volksädilen, nicht beschränkt; daß für die Hälfte der jährlich zu ernennenden Prätoren, kurulischen Ädilen und Quästoren der Imperator ein die Wähler bindendes Vorschlagsrecht erhielt, ward in der Hauptsache schon erwähnt. Überhaupt wurden die altheiligen Palladien der Volksfreiheit nicht angetastet; was natürlich nicht hinderte, gegen den einzelnen aufsätzigen Volkstribun ernstlich einzuschreiten, ja ihn abzusetzen und von der Liste der Senatoren zu streichen. Indem also der Imperator für die allgemeineren und wichtigeren Fragen sein eigener Minister war; indem er die Finanzen durch seine Bedienten, das Heer durch seine Adjutanten beherrschte; indem die alten republikanischen Staatsämter wieder in Gemeindeämter der Stadt Rom umgewandelt waren, war die Autokratie hinreichend begründet.

In der geistlichen Hierarchie dagegen hat Caesar, obwohl er auch über diesen Teil des Staatshaushalts ein ausführliches Gesetz erließ, nichts Wesentliches geneuert, außer daß er das Oberpontifikat und vielleicht die Mitgliedschaft der höheren Priesterkollegien überhaupt mit der Person des Regenten verknüpfte; womit es teilweise zusammenhängt, daß in den drei höchsten Kollegien je eine, in dem vierten der Schmausherren drei neue Stellen geschaffen wurden. Hatte die römische Staatskirche bisher der herrschenden Oligarchie zur Stütze gedient, so konnte sie ebendenselben Dienst auch der neuen Monarchie leisten. Die konservative Religionspolitik des Senats ging über auf die neuen Könige von Rom; als der streng konservative Varro um diese Zeit seine ‚Altertümer der göttlichen Dinge‘, das Haupt- und Grundbuch der römischen Staatstheologie, bekannt machte, durfte er dieselben dem Oberpontifex Caesar zueignen. Der matte Glanz, den der Joviskult noch zu geben vermochte, umfloß den neugegründeten Thron, und der alte Landesglaube ward in seinen letzten Stadien das Werkzeug eines freilich von Haus aus hohlen und schwächlichen Caesaropapismus.

Im Gerichtswesen ward zunächst die alte königliche Gerichtsbarkeit wiederhergestellt. Wie der König ursprünglich in Kriminal- und Zivilsachen Richter gewesen war, ohne in jenen an die Gnadeninstanz des Volkes, in diesen an die Überweisung der Entscheidung der streitigen Frage an Geschworene rechtlich gebunden zu sein: so nahm auch Caesar das Recht in Anspruch, Blutgerichte wie Privatprozesse zu alleiniger und endgültiger Entscheidung an sich zu ziehen und sie im Falle seiner Anwesenheit selbst, im Fall seiner Abwesenheit durch den Stadtverweser zu erledigen. In der Tat finden wir ihn, ganz nach der Weise der alten Könige, teils öffentlich auf dem Markte der Hauptstadt zu Gericht sitzen über des Hochverrats angeklagte römische Bürger, teils in seinem Hause Gericht halten über die des gleichen Vergehens beschuldigten Klientelfürsten; so daß das Vorrecht, das die römischen Bürger vor den übrigen Untertanen des Königs voraus hatten, allein in der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung bestanden zu haben scheint. Indes dieses wiedererweckte königliche Oberrichtertum konnte, wenngleich Caesar mit Unparteilichkeit und Sorgfalt sich demselben unterzog, doch der Natur der Sache nach tatsächlich nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen. Für den gewöhnlichen Rechtsgang in Kriminal- und Zivilsachen blieb daneben die bisherige republikanische Rechtspflege im wesentlichen bestehen. Die Kriminalsachen fanden nach wie vor ihre Erledigung vor den verschiedener, für die einzelnen Verbrechen kompetenten Geschworenenkommissionen, die Zivilsachen teils vor dem Erbschafts- oder dem sogenannten „Hundertmännergericht“, teils vor den Einzelgeschworenen; die Leitung der Gerichte ward, wie bisher, in der Hauptstadt hauptsächlich von den Prätoren, in den Provinzen von den Statthaltern beschafft. Auch die politischen Verbrechen blieben selbst unter der Monarchie einer Geschworenenkommission überwiesen; die neue Ordnung, die Caesar für dieselbe erließ, spezifizierte die gesetzlich strafbaren Handlungen genau und in liberaler, jede Gesinnungsverfolgung ausschließender Weise und setzte als Strafe nicht den Tod fest, sondern die Verbannung. Hinsichtlich der Auswahl der Geschworenen, die die Senatorenpartei ausschließlich aus dem Senat, die strengen Gracchaner ausschließlich aus dem Ritterstand erkoren wissen wollten, ließ Caesar, getreu dem Grundsatz der Versöhnung der Parteien, es bei dem Transaktionsgesetze Cottas, jedoch mit der wahrscheinlich schon durch das Gesetz des Pompeius vom Jahre 699 (55) vorbereiteten Modifikation, daß die aus den unteren Schichten des Volkes hervorgegangenen Ärartribunen beseitigt, damit also ein Geschworenenzensus von mindestens 400000 Sesterzen (30000 Taler) festgesetzt ward, und Senatoren und Ritter in die Geschworenenfunktionen, die so lange der Zankapfel zwischen ihnen gewesen waren, jetzt sich teilten.

Das Verhältnis der königlichen und der republikanischen Gerichtsbarkeit war im ganzen konkurrierender Art, so daß jede Sache sowohl vor dem Königsgericht als vor dem beikommenden republikanischen Gerichtshof anhängig gemacht werden konnte, wobei im Kollisionsfall natürlich der letztere zurückstand; wenn dagegen das eine oder das andere Gericht den Spruch gefällt hatte, die Sache damit endgültig erledigt war.

Zur Umstoßung eines in einer Zivil- oder in einer Kriminalsache von den berufenen Geschworenen gefällten Verdikts war auch der neue Herrscher nicht befugt, ausgenommen wo besondere Momente, zum Beispiel Bestechung oder Gewalt, schon nach dem Recht der Republik die Kassation des Geschworenenspruchs herbeiführten. Dagegen erhielt der Satz, daß wegen eines jeden bloß magistratischen Dekrets der dadurch Beschwerte an den Vorgesetzten des Dezernenten zu appellieren befugt sei, wahrscheinlich schon jetzt die große Ausdehnung, aus der die spätere kaiserliche Appellationsinstanz hervorgegangen ist: es wurden vielleicht sämtliche rechtsprechende Magistrate, mindestens aber die Statthalter der sämtlichen Provinzen insofern als Unterbeamte des Herrschers angesehen, daß von jedem ihrer Dekrete Berufung an denselben eingelegt werden konnte.

Allerdings haben diese Neuerungen, von denen die wichtigste, die Generalisierung der Appellation, nicht einmal unbedingt zu den Besserungen gezählt werden kann, die Schäden, an denen die römische Rechtspflege daniederlag, keineswegs ausgeheilt. Der Kriminalprozeß kann in keinem Sklavenstaat gesund sein, da das Verfahren gegen Sklaven wenn nicht rechtlich, doch tatsächlich in der Hand des Herrn liegt. Der römische Herr ahndete begreiflicherweise das Verbrechen seines Knechts durchgängig nicht als solches, sondern nur insofern es den Sklaven ihm unbrauchbar oder unangenehm machte; die Verbrechersklaven wurden eben nur ausrangiert, etwa wie die stößigen Ochsen, und, wie diese an den Schlächter, so jene in die Fechtbude verkauft. Aber auch der Kriminalprozeß gegen Freie, der von Haus aus politischer Prozeß gewesen und zum guten Teil immer geblieben war, hatte in dem wüsten Treiben der letzten Generationen aus einem ernstlichen Rechtshandel sich umgewandelt in eine mit Gunst, Geld und Gewalt zu schlagende Cliquenschlacht. Die Schuld lag an allen Beteiligten zugleich, an den Beamten, der Jury, den Parteien, sogar dem Zuschauerpublikum; aber die unheilbarsten Wunden schlug dem Rechte das Treiben der Advokaten. Indem die Schmarotzerpflanze der römischen Advokatenberedsamkeit gedieh, wurden alle positiven Rechtsbegriffe zersetzt und der dem Publikum so schwer einleuchtende Unterschied zwischen Meinung und Beweis aus der römischen Kriminalpraxis recht eigentlich ausgetrieben. „Ein recht schlechter Angeklagter“, sagt ein vielerfahrener römischer Advokat dieser Zeit, „kann auf jedes beliebige Verbrechen, das er begangen oder nicht begangen hat, angeklagt werden und wird sicher verurteilt.“ Es sind aus dieser Epoche zahlreiche Plädoyers in Kriminalsachen erhalten; kaum eines ist darunter, das auch nur ernstlich versuchte, das fragliche Verbrechen zu fixieren und den Beweis oder Gegenbeweis zu formulieren97. Daß der gleichzeitige Zivilprozeß ebenfalls vielfach ungesund war, bedarf kaum der Erwähnung; auch er litt unter den Folgen der in alles sich mengenden Parteipolitik, wie denn zum Beispiel in dem Prozeß des Publius Quinctius (671-673 83-81) die widersprechendsten Entscheidungen fielen, je nachdem Cinna oder Sulla in Rom die Oberhand hatte; und die Anwälte, häufig Nichtjuristen, stifteten auch hier absichtlich und unabsichtlich Verwirrung genug. Aber es lag doch in der Natur der Sache, daß teils die Partei hier nur ausnahmsweise sich einmengte, teils die Advokatenrabulistik nicht so rasch und nicht so tief die Rechtsbegriffe aufzulösen vermochte; wie denn auch die Zivilplädoyers, die wir aus dieser Epoche besitzen, zwar nicht nach unseren strengeren Begriffen gute Advokatenschriften, aber doch weit weniger libellistischen und weit mehr juristischen Inhalts sind als die gleichzeitigen Kriminalreden. Wenn Caesar der Advokatenberedsamkeit den von Pompeius ihr angelegten Maulkorb ließ oder gar ihn noch verschärfte, war damit wenigstens nichts verloren; und viel war gewonnen, wenn besser gewählte und besser beaufsichtigte Beamte und Geschworene ernannt wurden und die handgreifliche Bestechung und Einschüchterung der Gerichte ein Ende nahm. Aber das heilige Rechtsgefühl und die Ehrfurcht vor dem Gesetz, schwer in den Gemütern der Menge zu zerrütten, sind schwerer noch wiederzuerzeugen. Wie auch der Gesetzgeber mannigfaltigen Mißbrauch abstellte, den Grundschaden vermochte er nicht zu heilen; und man durfte zweifeln, ob die Zeit, die alles Heilbare heilt, hier Hilfe bringen werde.

Das römische Heerwesen dieser Zeit war ungefähr in derselben Verfassung wie das karthagische zur Zeit Hannibals. Die regierenden Klassen sendeten nur noch die Offiziere; die Untertanenschaft, Plebejer und Provinzialen, bildeten das Heer. Der Feldherr war von der Zentralregierung finanziell und militärisch fast unabhängig und im Glück wie im Unglück wesentlich auf sich selbst und auf die Hilfsquellen seines Sprengels angewiesen. Bürger- und sogar Nationalsinn waren aus dem Heere verschwunden und als innerliches Band einzig der Korpsgeist übriggeblieben. Die Armee hatte aufgehört ein Werkzeug des Gemeinwesens zu sein; politisch hatte sie einen eigenen Willen nicht, wohl aber vermochte sie den des Werkmeisters sich anzueignen; militärisch sank sie unter den gewöhnlichen elenden Führern zu einer aufgelösten, unbrauchbaren Rotte herab, entwickelte aber auch unter dem rechten Feldherrn sich zu einer dem Bürgerheer unerreichbaren militärischen Vollkommenheit. Der Offiziersstand vor allem war im tiefsten Verfall. Die höheren Stände, Senatoren und Ritter entwöhnten immer mehr sich der Waffen. Wenn man sonst um die Stabsoffizierstellen eifrig geworben hatte, so war jetzt jeder Mann von Ritterrang, welcher dienen mochte, einer Kriegstribunenstelle sicher und schon mußten manche dieser Posten mit Männern niedrigeren Standes besetzt werden; wer aber überhaupt von den Vornehmen noch diente, suchte wenigstens seine Dienstzeit in Sizilien oder einer anderen Provinz abzutun, wo man sicher war, nicht vor den Feind zu kommen. Offiziere von gewöhnlicher Bravour und Brauchbarkeit wurden wie Meerwunder angestaunt; wie denn namentlich mit Pompeius seine Zeitgenossen eine sie in jeder Hinsicht kompromittierende militärische Vergötterung trieben. Zum Ausreißen wie zur Meuterei gab in der Regel der Stab das Signal; trotz der sträflichen Nachsicht der Kommandierenden waren Anträge auf Kassation vornehmer Offiziere alltägliche Vorfälle. Noch besitzen wir das von Caesars eigener Hand nicht ohne Ironie gezeichnete Bild, wie in seinem eigenen Hauptquartier, als es gegen Ariovist gehen sollte, geflucht und geweint und an Testamenten und sogar an Urlaubsgesuchen gearbeitet ward. In der Soldatenschaft war von den besseren Ständen keine Spur mehr zu entdecken. Gesetzlich bestand die allgemeine Wehrpflicht noch, allein die Aushebung erfolgte, wenn es neben der Anwerbung dazu kam, in regelloser Weise; zahlreiche Pflichtige wurden übergangen und die einmal Eingetretenen dreißig Jahre und länger bei den Adlern festgehalten. Die römische Bürgerreiterei vegetierte nur noch als eine Art berittener Nobelgarde, deren salbenduftende Kavaliere und ausgesuchte Luxuspferde einzig bei den hauptstädtischen Festen eine Rolle spielten; das sogenannte Bürgerfußvolk war eine aus den niedrigsten Schichten der Bürgerbevölkerung zusammengeraffte Lanzknechttruppe; die Untertanen stellten die Reiterei und die leichten Truppen ausschließlich und fingen an, auch im Fußvolk immer stärker mitverwendet zu werden. Die Rottenführerstellen in den Legionen, auf denen bei der damaligen Kriegführung die Tüchtigkeit der Abteilungen wesentlich beruhte und zu denen nach der nationalen Kriegsverfassung der Soldat mit der Pike sich empordiente, wurden jetzt nicht bloß regelmäßig nach Gunst vergeben, sondern sogar nicht selten an den Meistbietenden verkauft. Die Zahlung des Soldes erfolgte bei der schlechten Finanzwirtschaft der Regierung und der Feilheit und Betrügerei der großen Majorität der Beamten höchst mangelhaft und unregelmäßig.

Die notwendige Folge hiervon war, daß im gewöhnlichen Laufe der Dinge die römischen Armeen die Provinzen ausraubten, gegen die Offiziere meuterten und vor dem Feinde davonliefen; es kam vor, daß beträchtliche Heere, wie das makedonische des Piso im Jahre 697 (57), ohne eigentliche Niederlage, bloß durch diese Mißwirtschaft vollständig ruiniert wurden. Fähige Führer dagegen, wie Pompeius, Caesar, Gabinius, bildeten wohl aus dem vorhandenen Material tüchtige und schlagfertige, zum Teil musterhafte Armeen; allein es gehörten diese Armeen viel mehr ihrem Heerführer als dem Gemeinwesen. Der noch weit vollständigere Verfall der römischen Marine, die zu allem andern den Römern antipathisch geblieben und nie völlig nationalisiert worden war, bedarf kaum der Erwähnung. Es war eben auch hier nach allen Seiten hin unter dem oligarchischen Regiment ruiniert worden, was überhaupt ruiniert werden konnte.

Caesars Reorganisation des römischen Militärwesens beschränkte sich im wesentlichen darauf, die unter der bisherigen schlaffen und unfähigen Oberleitung gelockerten Zügel der Disziplin wieder straff und fest anzuziehen. Einer radikalen Reform schien ihm das römische Heerwesen entweder nicht bedürftig oder auch nicht fähig; die Elemente der Armee akzeptierte er, ebenwie Hannibal sie akzeptiert hatte. Die Bestimmung seiner Gemeindeordnung, daß, um vor dem dreißigsten Jahre ein Gemeindeamt zu bekleiden oder im Gemeinderat zu sitzen, ein dreijähriger Dienst zu Pferde – das heißt als Offizier – oder ein sechsjähriger zu Fuß erforderlich sei, beweist wohl, daß er die besseren Stände in das Heer zu ziehen wünschte, aber ebenso deutlich auch, daß bei dem immer mehr einreißenden unkriegerischen Geist der Nation er selbst es nicht mehr für möglich hielt, die Bekleidung eines Ehrenamtes an die Überstehung der Dienstzeit unbedingt wie ehedem zu knüpfen. Ebendaraus wird es sich erklären, daß Caesar keinen Versuch gemacht hat, die römische Bürgerreiterei wiederherzustellen. Die Aushebung ward besser geordnet, die Dienstzeit geregelt und abgekürzt; übrigens blieb es dabei, daß die Linieninfanterie vorwiegend aus den niederen Ständen der römischen Bürgerschaft, die Reiterei und die leichte Infanterie aus der Untertanenschaft ausgehoben ward – daß für die Reorganisation der Kriegsflotte nichts geschah, ist auffallend. Eine ohne Zweifel ihrem Urheber selbst bedenkliche Neuerung, zu der die Unzuverlässigkeit der Untertanenreiterei zwang, war es, daß Caesar zuerst von dem altrömischen System abwich, niemals mit Söldnern zu fechten, und in die Reiterei gemietete Ausländer, namentlich Deutsche, einstellte. Eine andere Neuerung war die Einsetzung der Legionsadjutanten (legati legionis). Bis dahin hatten die teils von der Bürgerschaft, teils von dem betreffenden Statthalter ernannten Kriegstribune in der Art die Legionen geführt, daß jeder derselben je sechs vorgesetzt waren und unter diesen das Kommando wechselte; einen Einzelkommandanten der Legion bestellte nur vorübergehend und außerordentlicherweise der Feldherr. In späterer Zeit dagegen erscheinen jene Legionsobersten oder Legionsadjutanten teils als eine bleibende und organische Institution, teils als ernannt nicht mehr von dem Statthalter, dem sie gehorchen, sondern von dem Oberkommando in Rom; beides scheint auf Caesars an das Gabinische Gesetz anknüpfende Einrichtungen zurückzugehen. Der Grund der Einführung dieser wichtigen Zwischenstufe in die militärische Hierarchie wird teils in dem Bedürfnis einer energischen Zentralisierung des Kommandos, teils in dem fühlbaren Mangel an fähigen Oberoffizieren, teils und vor allem in der Absicht zu suchen sein, durch Zuordnung eines oder mehrerer vom Imperator ernannten Obersten dem Statthalter ein Gegengewicht zu geben. Die wesentlichste Veränderung im Heerwesen bestand in der Aufstellung eines bleibenden Kriegshauptes in dem Imperator, welcher anstatt des bisherigen unmilitärischen und in jeder Beziehung unfähigen Regierungskollegiums das gesamte Armeeregiment in seinen Händen vereinigte und dasselbe also aus einer meist bloß nominellen Direktion in ein wirkliches und energisches Oberkommando umschuf. Wir sind nicht gehörig darüber unterrichtet, in welcher Weise dies Oberkommando sich zu den bis dahin in ihren Sprengeln allmächtigen Spezialkommandos stellte. Wahrscheinlich lag dabei im allgemeinen die Analogie des zwischen dem Prätor und dem Konsul oder auch dem Konsul und dem Diktator obwaltenden Verhältnisses zu Grunde, so daß der Statthalter zwar an sich die höchste militärische Gewalt in seinem Sprengel behielt, aber der Imperator in jedem Augenblick dieselbe ihm ab und sie für sich oder seine Beauftragten zu nehmen befugt war und daß, während die Gewalt des Statthalters auf den Sprengel beschränkt war, die des Imperators wieder, wie die königliche und die ältere konsularische, sich über das gesamte Reich erstreckte. Ferner ist höchst wahrscheinlich schon jetzt die Ernennung der Offiziere, sowohl der Kriegstribune als der Centurionen, soweit sie bisher dem Statthalter zugestanden98, ebenso wie die Ernennung der neuen Legionsadjutanten unmittelbar an den Imperator gekommen und ebenso mögen schon jetzt die Anordnung der Aushebungen, die Abschiedserteilung, die wichtigeren Kriminalfälle an das Oberkommando gezogen worden sein. Bei dieser Beschränkung der Kompetenz der Statthalter und bei der regulierten Kontrolle des Imperators war fernerhin nicht leicht, weder eine völlige Verwahrlosung der Armeen noch eine Umwandlung derselben in persönliche Gefolgschaften der einzelnen Offiziere zu befürchten. Indes, so entschieden auch die Verhältnisse zur Militärmonarchie hindrängten und so bestimmt Caesar das Oberkommando ausschließlich für sich nahm, war er dennoch keineswegs gesonnen, seine Gewalt durch und auf das Heer zu begründen. Er hielt zwar eine stehende Armee notwendig für seinen Staat, aber nur, weil derselbe seiner geographischen Lage nach einer umfassenden Grenzregulierung und stehender Grenzbesatzungen bedurfte. Teils in früheren Epochen, teils während des letzten Bürgerkrieges hatte er an Spaniens Befriedigung gearbeitet und in Afrika längs der großen Wüste, im Nordwesten des Reiches an der Rheinlinie feste Stellungen für die Grenzverteidigung eingerichtet. Mit ähnlichen Plänen beschäftigte er sich für die Landschaften am Euphrat und an der Donau. Vor allen Dingen gedachte er gegen die Parther zu ziehen und den Tag von Karrhä zu rächen; er hatte drei Jahre für diesen Krieg bestimmt und war entschlossen, mit diesen gefährlichen Feinden ein für allemal und ebenso vorsichtig wie gründlich abzurechnen. Ebenso hatte er den Plan entworfen, den zu beiden Seiten der Donau gewaltig um sich greifenden Getenkönig Burebistas anzugreifen und auch im Nordosten Italien durch ähnliche Marken zu schützen, wie er sie ihm im Keltenland geschaffen. Dagegen liegen durchaus keine Beweise dafür vor, daß Caesar gleich Alexander einen Siegeslauf in die unendliche Ferne im Sinn hatte; es wird wohl erzählt, daß er von Parthien aus an das Kaspische und von diesem an das Schwarze Meer, sodann an dem Nordufer desselben bis zur Donau zu ziehen, ganz Skythien und Germanien bis an den – nach damaliger Vorstellung vom Mittelmeer nicht allzu fernen – nördlichen Ozean zum Reiche zu bringen und durch Gallien heimzukehren beabsichtigt habe; allein keine irgend glaubwürdige Autorität verbürgt die Existenz dieser fabulosen Projekte. Bei einem Staat, der, wie der römische Caesars, bereits eine schwer zu bewältigende Masse barbarischer Elemente in sich schloß und mit deren Assimilierung noch auf Jahrhunderte hinaus mehr als genug zu tun hatte, wären solche Eroberungen, auch ihre militärische Ausführbarkeit angenommen, doch nichts gewesen als noch weit glänzendere und noch weit schlimmere Fehler als die indische Heerfahrt Alexanders. Sowohl nach Caesars Verfahren in Britannien und Deutschland wie nach dem Verhalten derjenigen, die die Erben seiner politischen Gedanken wurden, ist es in hohem Grade wahrscheinlich, daß Caesar, mit Scipio Aemilianus, die Götter nicht anrief, das Reich zu mehren, sondern es zu erhalten, und daß seine Eroberungspläne sich beschränkten auf eine, freilich nach seinem großartigen Maßstab bemessene, Grenzregulierung, welche die Euphratlinie sichern und anstatt der völlig schwankenden und militärisch nichtigen nordöstlichen Reichsgrenze die Donaulinie feststellen und verteidigungsfähig machen sollte. Indes wenn es nur wahrscheinlich bleibt, daß Caesar nicht in dem Sinne als Welteroberer bezeichnet werden darf wie Alexander und Napoleon, so ist das vollkommen gewiß, daß er seine neue Monarchie nicht zunächst auf die Armee zu stützen, überhaupt nicht die militärische Gewalt über die bürgerliche zu setzen, sondern sie dem bürgerlichen Gemeinwesen ein- und soweit möglich unterzuordnen gedachte. Die unschätzbaren Stützen eines Soldatenstaates, jene alten vielgefeierten gallischen Legionen, wurden eben wegen ihres mit einem bürgerlichen Gemeinwesen unverträglichen Korpsgeistes in ehrenvoller Weise annulliert und ihre ruhmvollen Namen pflanzten nur sich fort in neugegründeten städtischen Gemeinden. Die von Caesar bei der Entlassung mit Landlosen beschenkten Soldaten wurden nicht wie die Sullas in eigenen Kolonien gleichsam militärisch zusammengesiedelt, sondern, namentlich soweit sie in Italien ansässig wurden, möglichst vereinzelt und durch die ganze Halbinsel zerstreut; nur war es freilich nicht zu vermeiden, daß auf den zur Verfügung gebliebenen Teilen des kampanischen Ackers die alten Soldaten Caesars dennoch in Masse sich zusammenfanden. Der schwierigen Aufgabe, die Soldaten einer stehenden Armee innerhalb der Kreise des bürgerlichen Lebens zu halten, suchte Caesar zu genügen teils durch Festhaltung der bisherigen nur gewisse Dienstjahre, nicht aber einen eigentlich stehenden, das heißt durch keine Entlassung unterbrochenen Dienst vorschreibenden Ordnung, teils durch die schon erwähnte Verkürzung der Dienstzeit, welche einen rascheren Wechsel des Soldatenpersonals herbeiführte, teils durch regelmäßige Ansiedlung der ausgedienten Soldaten als Ackerkolonisten, teils und vornehmlich dadurch, daß die Armee von Italien und überhaupt von den eigentlichen Sitzen des bürgerlichen und politischen Lebens der Nation ferngehalten und der Soldat dahin gewiesen ward, wo er nach der Meinung des großen Königs allein an seinem Platze war: in die Grenzstationen zur Abwehr des auswärtigen Feindes. Das rechte Kriterium des Militärstaates, die Entwicklung und Bevorzugung der Gardetruppe, findet ebenfalls bei Caesar sich nicht. Obwohl in der aktiven Armee das Institut einer besonderen Leibwache des Feldherrn bereits seit langem bestand, so tritt diese doch in Caesars Heerführung vollständig in den Hintergrund; seine prätorische Kohorte scheint wesentlich nur aus Ordonnanzoffizieren oder nichtmilitärischen Begleitern bestanden zu haben und niemals ein eigentliches Elitenkorps, also auch niemals Gegenstand der Eifersucht der Linientruppen gewesen zu sein. Wenn Caesar schon als Feldherr die Leibwache tatsächlich fallen ließ, so duldete er um so weniger als König eine Garde um sich. Obwohl beständig, und ihm wohl bewußt, von Mördern umschlichen, wies er dennoch den Antrag des Senats auf Errichtung einer Nobelgarde zurück, entließ, sowie die Dinge einigermaßen sich beruhigten, die spanische Eskorte, deren er in der ersten Zeit in der Hauptstadt sich bedient hatte, und begnügte sich mit dem Gefolge von Gerichtsdienern, wie es für die römischen Oberbeamten hergebracht war. Wie viel auch Caesar von dem Gedanken seiner Partei und seiner Jugend, ein perikleisches Regiment in Rom nicht kraft des Säbels, sondern kraft des Vertrauens der Nation zu begründen, im Kampfe mit den Realitäten hatte müssen fallen lassen – den Grundgedanken, keine Militärmonarchie zu stiften, hielt er auch jetzt noch mit einer Energie fest, zu der die Geschichte kaum eine Parallele darbietet. Allerdings war auch dies ein unausführbares Ideal – es war die einzige Illusion, in der das sehnsüchtige Verlangen in diesem starken Geiste mächtiger war als der klare Verstand. Ein Regiment, wie es Caesar im Sinne trug, war nicht bloß notwendig höchst persönlicher Natur und mußte mit dem Tode des Urhebers ebenso zugrunde gehen wie die verwandten Schöpfungen Perikles‘ und Cromwells mit dem Tode ihrer Stifter; sondern bei dem tief zerrütteten Zustand der Nation war es nicht einmal glaublich, daß es dem achten König von Rom auch nur für seine Lebenszeit gelingen werde, so wie seine sieben Vorgänger seine Mitbürger bloß kraft Gesetz und Recht zu beherrschen, und ebensowenig wahrscheinlich, daß es ihm gelingen werde, das stehende Heer, nachdem es im letzten Bürgerkrieg seine Macht kennengelernt und die Scheu verlernt hatte, wieder als dienendes Glied in die bürgerliche Ordnung einzufügen. Wer kaltblütig erwog, bis zu welchem Grade die Furcht vor dem Gesetz aus den untersten wie aus den obersten Schichten der Gesellschaft entwichen war, dem mußte die erstere Hoffnung vielmehr ein Traum dünken; und wenn mit der Marianischen Reform des Heerwesens der Soldat überhaupt aufgehört hat, Bürger zu sein, so zeigten die kampanische Meuterei und das Schlachtfeld von Thapsus mit leidiger Deutlichkeit, in welcher Art jetzt die Armee dem Gesetze ihren Arm lieh. Selbst der große Demokrat vermochte die Gewalten, die er entfesselt hatte, nur mühsam und mangelhaft wieder zu bändigen; Tausende von Schwertern flogen noch auf seinen Wink aus der Scheide, aber zurück in die Scheide kehrten sie schon nicht mehr auf seinen Wink. Das Verhängnis ist mächtiger als das Genie. Caesar wollte der Wiederhersteller des bürgerlichen Gemeinwesens werden und ward der Gründer der von ihm verabscheuten Militärmonarchie; er stürzte den Aristokraten- und Bankierstaat im Staate nur, um an deren Platz den Soldatenstaat im Staate zu setzen, und das Gemeinwesen blieb wie bisher tyrannisiert und exploitiert von einer privilegierten Minorität. Aber dennoch ist es ein Privilegium der höchsten Naturen, also schöpferisch zu irren. Die genialen Versuche großer Männer, das Ideal zu realisieren, wenn sie auch ihr Ziel nicht erreichen, bilden den besten Schatz der Nationen. Es ist Caesars Werk, daß der römische Militärstaat erst nach mehreren Jahrhunderten zum Polizeistaat ward und daß die römischen Imperatoren, wie wenig sie sonst auch dem großen Begründer ihrer Herrschaft glichen, doch den Soldaten wesentlich nicht gegen den Bürger verwandten, sondern gegen den Feind, und Nation und Armee beide zu hoch achteten, um diese zum Konstabler über jene zu setzen.

Die Ordnung des Finanzwesens machte bei den soliden Grundlagen, die die ungeheure Größe des Reiches und der Ausschluß des Kreditsystems gewährten, verhältnismäßig geringe Schwierigkeit. Wenn der Staat bisher in beständiger Finanzverlegenheit sich befunden hatte, so war daran die Unzulänglichkeit der Staatseinnahmen am wenigsten schuld; vielmehr hatten diese eben in den letzten Jahren sich ungemein vermehrt. Zu der älteren Gesamteinnahme, die auf 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler) angeschlagen wird, waren durch die Einrichtung der Provinzen Bithynien-Pontus und Syrien 85 Mill. Sesterzen (6500000 Taler) gekommen; welcher Zuwachs, nebst den sonstigen neueröffneten oder gesteigerten Einnahmequellen, namentlich durch den beständig steigenden Ertrag der Luxusabgaben, den Verlust der kampanischen Pachtgelder weit überwog. Außerdem waren durch Lucullus, Metellus, Pompeius, Cato und andere außerordentlicherweise dem Staatsschatz ungeheure Summen zugeflossen. Die Ursache der finanziellen Verlegenheiten lag vielmehr teils in den gesteigerten ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben, teils in der geschäftlichen Verwirrung. Unter jenen nahm die Getreideverteilung an die hauptstädtische Menge fast unerschwingliche Summen in Anspruch: durch die von Cato 691 (63) ihr gegebene Ausdehnung stieg die jährliche Ausgabe dafür auf 30 Mill. Sesterzen (2300000 Taler), und seit Abschaffung der bisher gezahlten Vergütung im Jahre 696 (58) verschlang dieselbe gar den fünften Teil der Staatseinkünfte. Auch das Militärbudget war gestiegen, seit zu den Besatzungen von Spanien, Makedonien und den übrigen Provinzen noch die von Kilikien, Syrien und Gallien hinzukamen. Unter den außerordentlichen Ausgaben sind in erster Linie die großen Kosten der Flottenrüstungen zu nennen, wofür zum Beispiel fünf Jahre nach der großen Razzia von 687 (67) auf einmal 34 Mill. Sesterzen (2600000 Taler) verausgabt wurden. Dazu kamen die sehr ansehnlichen Summen, welche die Kriegszüge und Kriegsvorbereitungen wegnahmen, wie denn bloß für Ausrüstung des makedonischen Heeres an Piso auf einmal 18 Mill. Sesterzen (1370000 Taler), an Pompeius für die Unterhaltung und Besoldung der spanischen Armee gar jährlich 24 Mill. Sesterzen (1826000 Taler) und ähnliche Summen an Caesar für die gallischen Legionen gezahlt wurden. So beträchtlich aber auch diese Ansprüche waren, die an die römische Staatskasse gemacht wurden, so hätte dennoch dieselbe ihnen zu genügen vermocht, wenn nicht ihre einst so musterhafte Verwaltung von der allgemeinen Schlaffheit und Unehrlichkeit dieser Zeit mitergriffen worden wäre; oft stockten die Zahlungen des Ärars bloß deshalb, weil man dessen ausstehende Forderungen einzumahnen versäumte. Die vorgesetzten Beamten, zwei von den Quästoren, junge, jährlich gewechselte Menschen, verhielten im besten Fall sich passiv; unter dem früherhin seiner Ehrenhaftigkeit wegen mit Recht hoch angesehenen Schreiber- und sonstigen Büropersonal waren jetzt, namentlich seit diese Posten käuflich geworden waren, die ärgsten Mißbräuche im Schwange.

Sowie indes die Fäden des römischen Staatsfinanzwesens nicht mehr wie bisher im Senat, sondern in Caesars Kabinett zusammenliefen, kam von selbst neues Leben, strengere Ordnung und festerer Zusammenhang in alle Räder und Triebfedern dieser großen Maschine. Die beiden von Gaius Gracchus herrührenden und Krebsschäden gleich das römische Finanzwesen zerfressenden Institutionen: die Verpachtung der direkten Abgaben und die Getreideverteilungen, wurden teils abgeschafft, teils umgestaltet. Caesar wollte nicht wie sein Vorläufer die Nobilität durch die Bankieraristokratie und den hauptstädtischen Pöbel in Schach halten, sondern sie beseitigen und das Gemeinwesen von sämtlichen Parasiten hohen und niederen Ranges befreien; und darum ging er in diesen beiden wichtigen Fragen nicht mit Gaius Gracchus, sondern mit dem Oligarchen Sulla. Das Verpachtungssystem blieb für die indirekten Abgaben bestehen, bei denen es uralt war und, bei der auch von Caesar unverbrüchlich festgehaltenen Maxime der römischen Finanzverwaltung, die Abgabenerhebung um jeden Preis einfach und übersichtlich zu erhalten, schlechterdings nicht entbehrt werden konnte. Die direkten Abgaben aber wurden fortan durchgängig entweder, wie die afrikanischen und sardinischen Korn- und Öllieferungen, behandelt als unmittelbar an den Staat abzuführende Naturalleistungen, oder, wie die kleinasiatischen Gefälle, in feste Geldabgaben verwandelt und die Einziehung der Einzelbeträge den Steuerdistrikten selbst überlassen. Die Kornverteilungen in der Hauptstadt waren bisher als nutzbares Recht der herrschenden und, weil sie herrschte, von den Untertanen zu speisenden Gemeinde angesehen worden. Dieser ehrlose Grundsatz ward von Caesar beseitigt; aber es konnte nicht übersehen werden, daß eine Menge gänzlich unvermögender Bürger lediglich durch diese Speisungen vor dem Verhungern geschützt worden war. In diesem Sinne hielt Caesar dieselben fest. Hatte nach der Sempronischen, von Cato wiedererneuerten Ordnung jeder in Rom angesessene römische Bürger rechtlich Anspruch gehabt auf unentgeltliches Brotkorn, so wurde diese Empfängerliste, welche zuletzt bis auf 320000 Nummern gestiegen war, durch Ausscheidung aller wohlhabenden oder anderweit versorgten Individuen auf 150000 herabgebracht und diese Zahl als Maximalzahl der Freikornstellen ein für allemal fixiert, zugleich eine jährliche Revision der Liste angeordnet, um die durch Austritt oder Tod leergewordenen Plätze mit den bedürftigsten unter den Bewerbern wieder zu besetzen. Indem also das politische Privilegium in eine Armenversorgung umgewandelt ward, trat ein in sittlicher wie in geschichtlicher Hinsicht bemerkenswerter Satz zum erstenmal in lebendige Wirksamkeit. Nur langsam und von Stufe zu Stufe ringt die bürgerliche Gesellschaft sich durch zu der Solidarität der Interessen; im früheren Altertum schützte der Staat die Seinigen wohl vor dem Landesfeind und dem Mörder, aber er war nicht verpflichtet, durch Verabreichung der notwendigen Subsistenzmittel den gänzlich hilflosen Mitbürger vor dem schlimmeren Feinde des Mangels zu bewahren. Die attische Zivilisation ist es gewesen, die in der Solonischen und nachsolonischen Gesetzgebung zuerst den Grundsatz entwickelt hat, daß es Pflicht der Gemeinde ist, für ihre Invaliden, ja für ihre Armen überhaupt zu sorgen; und zuerst Caesar hat, was in der beschränkten Enge des attischen Lebens Gemeindesache geblieben war, zu einer organischen Staatsinstitution entwickelt und eine Einrichtung, die für den Staat eine Last und eine Schmach war, umgeschaffen in die erste jener heute so unzählbaren wie segensreichen Anstalten, in denen das unendliche menschliche Erbarmen mit dem unendlichen menschlichen Elend ringt.

Außer diesen prinzipiellen Reformen fand eine durchgängige Revision des Einnahme- und Ausgabewesens statt. Die ordentlichen Einnahmen wurden überall reguliert und fixiert. Nicht wenigen Gemeinden, ja ganzen Landschaften ward, sei es mittelbar durch Verleihung des römischen oder latinischen Bürgerrechts, sei es unmittelbar durch Privilegium, die Steuerfreiheit bewilligt; so erhielten sie zum Beispiel alle sizilischen99 Gemeinden auf jenem, die Stadt Ilion auf diesem Wege. Noch größer war die Zahl derjenigen, deren Steuerquantum herabgesetzt ward; wie denn den Gemeinden im Jenseitigen Spanien schon nach Caesars Statthalterschaft auf dessen Betrieb eine Steuerherabsetzung vom Senat bewilligt worden war, und jetzt der am meisten gedrückten Provinz Asia nicht bloß die Hebung ihrer direkten Steuern erleichtert, sondern auch der dritte Teil derselben ganz erlassen ward. Die neu hinzukommenden Abgaben, wie die der in Illyrien unterworfenen und vor allem der gallischen Gemeinden, welche letztere zusammen 40 Mill. Sesterzen (3 Mill. Taler) jährlich entrichteten, waren durchgängig niedrig gegriffen. Freilich ward dagegen auch einzelnen Städten, wie Klein-Leptis in Afrika, Sulci auf Sardinien und mehreren spanischen Gemeinden, zur Strafe ihres Verhaltens während des letzten Krieges die Steuer erhöht. Die sehr einträglichen, in den letzten Zeiten der Anarchie abgeschafften italischen Hafenzölle wurden um so mehr wiederhergestellt, als diese Abgabe wesentlich die aus dem Osten eingehenden Luxuswaren traf. Zu diesen neu- oder wiedereröffneten ordentlichen Einnahmequellen kamen die Summen hinzu, die außerordentlicherweise, namentlich infolge des Bürgerkrieges, an den Sieger gelangten: die in Gallien gesammelte Beute; der hauptstädtische Kassenbestand; die aus den italischen und spanischen Tempeln entnommenen Schätze, die in Formen der Zwangsanleihe, des Zwangsgeschenkes oder der Buße von den abhängigen Gemeinden und Dynasten erhobenen Summen und die in ähnlicher Weise durch Rechtsspruch oder auch bloß durch Zusendung des Zahlungsbefehls einzelnen reichen Römern auferlegten Strafgelder; vor allen Dingen aber der Erlös aus dem Vermögen der geschlagenen Gegner. Wie ergiebig diese Einnahmequellen waren, mag man daraus abnehmen, daß allein die Buße der afrikanischen Großhändler, die in dem Gegensenat gesessen, sich auf 100 Mill. Sesterzen (7½ Mill. Taler) und der von den Käufern des Vermögens des Pompeius gezahlte Preis auf 70 Mill. Sesterzen (5300000 Taler) belief. Dieses Verfahren war notwendig, weil die Macht der geschlagenen Nobilität zum guten Teil auf ihrem kolossalen Reichtum ruhte und nur dadurch wirksam gebrochen werden konnte, daß ihr die Tragung der Kriegskosten auferlegt ward. Die Gehässigkeit der Konfiskationen aber ward einigermaßen dadurch gemildert, daß Caesar ihren Ertrag allein dem Staate zugute kommen ließ und, statt in Sullas Weise seinen Günstlingen jeden Unterschleif nachzusehen, selbst von seinen treuesten Anhängern, zum Beispiel von Marcus Antonius, die Kaufgelder mit Strenge beitrieb.

In den Ausgaben wurde zunächst durch die ansehnliche Beschränkung der Getreidespenden eine Verminderung erzielt. Die beibehaltene Kornverteilung an die hauptstädtischen Armen sowie die verwandte, von Caesar neu eingeführte Öllieferung für die hauptstädtischen Bäder ward wenigstens zum großen Teil ein- für allemal fundiert auf die Naturalabgaben von Sardinien und namentlich von Afrika und schied dadurch aus dem Kassenwesen ganz oder größtenteils aus. Andererseits stiegen die regelmäßigen Ausgaben für das Militärwesen, teils durch die Vermehrung des stehenden Heeres, teils durch die Erhöhung der bisherigen Löhnung des Legionärs, von jährlich 480 (36 Taler) auf jährlich 900 Sesterzen (68½ Taler). Beides war in der Tat unerläßlich. Eine ernstliche Grenzverteidigung mangelte ganz und die unerläßliche Voraussetzung derselben war eine ansehnliche Vermehrung der Armee. Die Verdoppelung des Soldes hat Caesar wohl benutzt, um seine Soldaten fest an sich zu ketten, aber nicht aus diesem Grunde als bleibende Neuerung eingeführt. Der bisherige Sold von 1 1/3 Sesterz (2 Groschen) den Tag war festgesetzt worden in uralten Zeiten, wo das Geld einen ganz anderen Wert hatte als in dem damaligen Rom; nur deshalb hatte er bis in eine Zeit hinein, wo der gemeine Tagelöhner in der Hauptstadt mit seiner Hände Arbeit täglich durchschnittlich 3 Sesterzen (5 Groschen) verdiente, beibehalten werden können, weil in diesen Zeiten der Soldat nicht des Soldes halber, sondern hauptsächlich wegen der größtenteils unerlaubten Akzidentien des Militärdienstes in das Heer eintrat. Zu einer ernstlichen Reform des Militärwesens und zur Beseitigung des meist den Provinzialen aufgebürdeten unregelmäßigen Soldatenverdienstes war die erste Bedingung eine zeitgemäße Erhöhung der regulären Löhnung; und die Fixierung derselben auf 2½ Sesterzen (4 Groschen) darf als eine billige, die dem Ärar dadurch aufgebürdete große Last als eine notwendige und in ihren Folgen segensreiche betrachtet werden. Von dem Belauf der außerordentlichen Ausgaben, die Caesar übernehmen mußte oder freiwillig übernahm, ist es schwer, sich eine Vorstellung zu machen. Die Kriege selbst fraßen ungeheure Summen; und vielleicht nicht geringere wurden erfordert, um die Zusicherungen zu erfüllen, die Caesar während des Bürgerkrieges zu machen genötigt worden war. Es war ein schlimmes und für die Folgezeit leider nicht verlorenes Beispiel, daß jeder gemeine Soldat für seine Teilnahme am Bürgerkrieg 20000 Sesterzen (1500 Taler), jeder Bürger der hauptstädtischen Menge für seine Nichtbeteiligung an demselben als Zulage zum Brotkorn 300 Sesterzen (22 Taler) empfing; Caesar indes, nachdem er einmal in dem Drange der Umstände sein Wort verpfändet, war zu sehr König, um davon abzudingen. Außerdem genügte Caesar unzähligen Anforderungen ehrenhafter Freigebigkeit und machte namentlich für das Bauwesen, das während der Finanznot der letzten Zeit der Republik schmählich vernachlässigt worden war, ungeheure Summen flüssig – man berechnete den Kostenbetrag seiner teils während der gallischen Feldzüge, teils nachher in der Hauptstadt ausgeführten Bauten auf 160 Mill. Sesterzen (12 Mill. Taler). Das Gesamtresultat der finanziellen Verwaltung Caesars ist darin ausgesprochen, daß er durch einsichtige und energische Reformen und durch die rechte Vereinigung von Sparsamkeit und Liberalität allen billigen Ansprüchen reichlich und völlig genügte und dennoch bereits im März 710 (44) in der Kasse des Staats 700, in seiner eigenen 100 Mill. Sesterzen (zusammen 61 Mill. Taler) bar lagen – eine Summe, die den Kassenbestand der Republik in ihrer blühendsten Zeit um das Zehnfache überstieg.

Aber die Aufgabe, die alten Parteien aufzulösen und das neue Gemeinwesen mit einer angemessenen Verfassung, einer schlagfertigen Armee und geordneten Finanzen auszustatten, so schwierig sie war, war nicht der schwierigste Teil von Caesars Werk. Sollte in Wahrheit die italische Nation wiedergeboren werden, so bedurfte es einer Reorganisation, die alle Teile des großen Reiches, Rom, Italien und die Provinzen, umwandelte. Versuchen wir auch hier sowohl die alten Zustände als auch die Anfänge einer neuen und leidlicheren Zeit zu schildern.

Aus Rom war der gute Stamm latinischer Nation längst völlig verschwunden. Es liegt in den Verhältnissen, daß die Hauptstadt ihr munizipales und selbst ihr nationales Gepräge schneller verschleift als jedes untergeordnete Gemeinwesen. Hier scheiden die höheren Klassen rasch aus dem städtischen Gemeinleben aus, um mehr in dem ganzen Staate als in einer einzelnen Stadt ihre Heimat zu finden; hier konzentriert sich unvermeidlich die ausländische Ansiedlung, die fluktuierende Bevölkerung von Vergnügens- und Geschäftsreisenden, die Masse des müßigen, faulen, verbrecherischen, ökonomisch und moralisch bankrotten und eben darum kosmopolitischen Gesindels. Auf Rom fand dies alles in hervorragender Weise Anwendung. Der wohlhabende Römer betrachtete sein Stadthaus häufig nur als ein Absteigequartier. Indem aus der städtischen Munizipalität die Reichsämter hervorgingen, das städtische Vogtding die Versammlung der Reichsbürger ward, kleinere, sich selber regierende Bezirks- oder sonstige Gemeinschaften innerhalb der Hauptstadt nicht geduldet wurden, hörte jedes eigentliche Kommunalleben für Rom auf. Aus dem ganzen Umfange des weitumfassenden Reiches strömte man nach Rom, um zu spekulieren, zu debauchieren, zu intrigieren, zum Verbrecher sich auszubilden oder auch daselbst vor dem Auge des Gesetzes sich zu verbergen. Diese Übel gingen aus dem hauptstädtischen Wesen gewissermaßen mit Notwendigkeit hervor; andere, mehr zufällige und vielleicht noch ernstere gesellten sich dazu. Es hat vielleicht nie eine Großstadt gegeben, die so durchaus nahrungslos war wie Rom; teils die Einfuhr, teils die häusliche Fabrikation durch Sklaven machten hier jede freie Industrie von vornherein unmöglich. Die nachteiligen Folgen des Grundübels der Staatenbildung im Altertum überhaupt, des Sklavensystems, traten in der Hauptstadt schärfer als irgendwo sonst hervor. Nirgends häuften solche Sklavenmassen sich an wie in den hauptstädtischen Palästen der großen Familien oder der reichen Emporkömmlinge. Nirgends mischten sich so wie in der hauptstädtischen Sklavenschaft die Nationen dreier Weltteile, Syrer, Phryger und andere Halbhellenen mit Libyern und Mohren, Geten und Iberer mit den immer zahlreicher einströmenden Kelten und Deutschen. Die von der Unfreiheit unzertrennliche Demoralisation und der scheußliche Widerspruch des formellen und des sittlichen Rechts kamen weit greller zum Vorschein bei dem halb oder ganz gebildeten, gleichsam vornehmen Stadtsklaven als bei dem Ackerknecht, der das Feld gleich dem gefesselten Stier in Ketten bestellte. Schlimmer noch als die Sklavenmassen waren die der rechtlich oder auch bloß tatsächlich freigegebenen Leute, ein Gemisch bettelhaften Gesindels und schwerreicher Parvenus, nicht mehr Sklaven und doch nicht völlig Bürger, ökonomisch und selbst rechtlich von ihrem Herrn abhängig und doch mit den Ansprüchen freier Männer; und eben die Freigelassenen zogen sich vor allem nach der Hauptstadt, wo es Verdienst mancherlei Art gab und der Kleinhandel wie das kleine Handwerk fast ganz in ihren Händen waren. Ihr Einfluß auf die Wahlen wird ausdrücklich bezeugt; und daß sie auch bei den Straßenkrawallen voran waren, zeigt schon das gewöhnliche Signal, wodurch diese von den Demagogen gleichsam angesagt wurden, die Schließung der Buden und Verkaufslokale. Zu allem dem kam, daß die Regierung nicht bloß nichts tat, um dieser Korrumpierung der hauptstädtischen Bevölkerung entgegenzuwirken, sondern sogar ihrer egoistischen Politik zuliebe ihr Vorschub leistete. Die verständige Gesetzvorschrift, welche dem wegen Kapitalverbrechens verurteilten Individuum den Aufenthalt in der Hauptstadt untersagte, ward von der schlaffen Polizei nicht zur Ausführung gebracht. Die dringend nahegelegte polizeiliche Überwachung der Assoziation des Gesindels ward anfangs vernachlässigt, späterhin als freiheitswidrige Volksbeschränkung sogar für strafbar erklärt. Die Volksfeste hatte man so anwachsen lassen, daß die sieben ordentlichen allein, die römischen, die plebejischen, die der Göttermutter, der Ceres, des Apoll, der Flora und der Victoria, zusammen zweiundsechzig Tage währten, wozu dann noch die Fechterspiele und unzählige andere außerordentliche Lustbarkeiten kamen. Die bei einem solchen, durchaus von der Hand in den Mund lebenden Proletariat unumgängliche Fürsorge für niedrige Getreidepreise ward mit dem gewissenlosesten Leichtsinn gehandhabt, und die Preisschwankungen des Brotkorns waren fabelhafter und unberechenbarer Art100. Endlich, die Getreideverteilungen luden das gesamte nahrungslose und arbeitsscheue Bürgerproletariat offiziell ein, seinen Sitz in der Hauptstadt aufzuschlagen. Es war eine arge Saat und die Ernte entsprach ihr. Das Klub- und Bandenwesen auf dem politischen Gebiet, auf dem religiösen der Isisdienst und der gleichartige fromme Schwindel hatten hier ihre Wurzeln. Man war beständig im Angesicht einer Teuerung und nicht selten in voller Hungersnot. Nirgends war man seines Lebens weniger sicher als in der Hauptstadt: der gewerbsmäßig betriebene Banditenmord war das einzige derselben eigene Handwerk; es war die Einleitung zur Ermordung, daß das Schlachtopfer nach Rom gelockt ward; niemand wagte sich ohne bewaffnetes Gefolge in die Umgegend der Hauptstadt. Auch die äußere Beschaffenheit derselben entsprach dieser inneren Zerrüttung und schien eine lebendige Satire auf das aristokratische Regiment. Für die Regulierung des Tiberstromes ward nichts getan; kaum daß man die einzige Brücke, mit der man immer noch sich behalf, wenigstens bis zur Tiberinsel von Stein aufführen ließ. Für die Planierung der Siebenhügelstadt war ebensowenig etwas geschehen, außer wo etwa die Schutthaufen ausgeglichen hatten. Die Straßen gingen eng und winkelig Hügel auf und ab und waren elend gehalten, die Trottoirs schmal und schlecht gepflastert. Die gewöhnlichen Häuser waren von Ziegeln ebenso liederlich wie schwindelnd hoch gebaut, meistens von spekulierenden Baumeistern für Rechnung der kleinen Besitzer, wobei jene steinreich, diese zu Bettlern wurden. Wie einzelne Inseln in diesem Meer von elenden Gebäuden erschienen die glänzenden Paläste der Reichen, die den kleinen Häusern ebenso den Raum verengten wie ihre Besitzer den kleinen Leuten ihr Bürgerrecht im Staat und neben deren Marmorsäulen und griechischen Statuen die verfallenden Tempel mit ihren großenteils noch holzgeschnitzten Götterbildern eine traurige Figur machten. Von einer Straßen-, einer Ufer-, Feuer- und Baupolizei war kaum die Rede; wenn die Regierung um die alljährlich eintretenden Überschwemmungen, Feuersbrünste und Häusereinstürze überhaupt sich bekümmerte, so geschah es, um von den Staatstheologen Bericht und Bedenken über den wahren Sinn solcher Zeichen und Wunder zu begehren. Man versuche sich ein London zu denken mit der Sklavenbevölkerung von New Orleans, mit der Polizei von Konstantinopel, mit der Industrielosigkeit des heutigen Rom und bewegt von einer Politik nach dem Muster der Pariser von 1848, und man wird eine ungefähre Vorstellung von der republikanischen Herrlichkeit gewinnen, deren Untergang Cicero und seine Genossen in ihren Schmollbriefen betrauern.

Caesar trauerte nicht, aber er suchte zu helfen, soweit zu helfen war. Rom blieb natürlich, was es war, eine Weltstadt. Der Versuch ihm wiederum einen spezifisch italischen Charakter zu geben, wäre nicht bloß unausführbar gewesen, sondern hätte auch in Caesars Plan nicht gepaßt. Ähnlich wie Alexander für sein griechisch-orientalisches Reich eine angemessene Hauptstadt in dem hellenisch-jüdisch-ägyptischen und vor allem kosmopolitischen Alexandreia fand, so sollte auch die im Mittelpunkt des Orients und Okzidents gelegene Hauptstadt des neuen römisch-hellenischen Weltreichs nicht eine italische Gemeinde sein, sondern die denationalisierte Kapitale vieler Nationen. Darum duldete es Caesar, daß neben dem Vater Jovis die neu angesiedelten ägyptischen Götter verehrt wurden, und gestattete sogar den Juden die freie Übung ihres seltsam fremdartigen Rituals auch in der Hauptstadt des Reiches. Wie widerlich bunt immer die parasitische, namentlich hellenisch-orientalische Bevölkerung in Rom sich mischte, er trat ihrer Ausbreitung nirgends in den Weg; es ist bezeichnend, daß er bei seinen hauptstädtischen Volksfesten Schauspiele nicht bloß in lateinischer und griechischer, sondern auch in anderen Zungen, vermutlich in phönikischer, hebräischer, syrischer, spanischer aufführen ließ.

Aber wenn Caesar den Grundcharakter der Hauptstadt so, wie er ihn fand, mit vollem Bewußtsein akzeptierte, so wirkte er doch energisch hin auf die Besserung der daselbst obwaltenden kläglichen und schimpflichen Zustände. Leider waren eben die Grundübel am wenigsten austilgbar. Die Sklaverei mit ihrem Gefolge von Landplagen konnte Caesar nicht abstellen; es muß dahingestellt bleiben, ob er mit der Zeit versucht haben würde, die Sklavenbevölkerung in der Hauptstadt wenigstens zu beschränken, wie er dies auf einem anderen Gebiete unternahm. Ebensowenig vermochte Caesar eine freie hauptstädtische Industrie aus dem Boden zu zaubern; doch halfen die ungeheuren Bauten der Nahrungslosigkeit daselbst einigermaßen ab und eröffneten dem Proletariat eine Quelle schmalen, aber ehrlichen Erwerbes. Dagegen wirkte Caesar energisch darauf hin, die Masse des freien Proletariats zu vermindern. Der stehende Zufluß von solchen, die die Getreidespenden nach Rom führten, ward durch Verwandlung derselben in eine auf eine feste Kopfzahl beschränkte Armenversorgung wenn nicht ganz verstopfte101, doch sehr wesentlich beschränkt. Unter dem vorhandenen Proletariat räumten einerseits die Gerichte auf, die angewiesen wurden, mit unnachsichtlicher Strenge gegen das Gesindel einzuschreiten, andererseits die umfassende überseeische Kolonisation; von den 80000 Kolonisten, die Caesar in den wenigen Jahren seiner Regierung über das Meer führte, wird ein sehr großer Teil den unteren Schichten der hauptstädtischen Bevölkerung entnommen sein, wie denn die meisten korinthischen Ansiedler Freigelassene waren. Daß in Abweichung von der bisherigen Ordnung, die dem Freigelassenen jedes städtische Ehrenamt verschloß, Caesar ihnen in seinen Kolonien die Türe des Rathauses eröffnete, geschah ohne Zweifel, um die besser gestellten von ihnen für die Auswanderung zu gewinnen. Diese Auswanderung muß aber auch mehr gewesen sein als eine bloß vorübergehende Veranstaltung; Caesar, überzeugt wie jeder andere verständige Mann, daß die einzige wahrhafte Hilfe gegen das Elend des Proletariats in einem wohlregulierten Kolonisierungssystem besteht, und durch die Beschaffenheit des Reiches in den Stand gesetzt, dasselbe in fast ungemessener Ausdehnung zu verwirklichen, wird die Absicht gehabt haben, hiermit dauernd fortzufahren und dem stets wieder sich erzeugenden Übel einen bleibenden Abzug zu eröffnen. Maßregeln wurden ferner ergriffen, um den argen Preisschwankungen der wichtigsten Nahrungsmittel auf den hauptstädtischen Märkten Grenzen zu setzen. Die neu geordneten und liberal verwalteten Staatsfinanzen lieferten hierzu die Mittel und zwei neu ernannte Beamte, die Getreideädilen, übernahmen die spezielle Beaufsichtigung der Lieferanten und des Marktes der Hauptstadt. Dem Klubwesen wurde wirksamer, als es durch Prohibitivgesetze möglich war, gesteuert durch die veränderte Verfassung, indem mit der Republik und den republikanischen Wahlen und Gerichten die Bestechung und Vergewaltigung der Wahl- und Richterkollegien, überhaupt die politischen Saturnalien der Kanaille von selbst ein Ende hatten. Außerdem wurden die durch das Clodische Gesetz ins Leben getretenen Verbindungen aufgelöst und das ganze Assoziationswesen unter die Oberaufsicht der Regierungsbehörden gestellt. Mit Ausnahme der althergebrachten Zünfte und Vergesellschaftungen, der religiösen Vereinigungen der Juden und anderer besonders ausgenommener Kategorien, wofür die einfache Anzeige an den Senat genügt zu haben scheint, wurde die Erlaubnis, eine bleibende Gesellschaft mit festen Versammlungsfristen und stehenden Einschüssen zu konstituieren, an eine vom Senat und regelmäßig wohl erst nach eingeholter Willensmeinung des Monarchen zu erteilende Konzession geknüpft. Dazu kam eine strengere Kriminalrechtspflege und eine energische Polizei. Die Gesetze, namentlich hinsichtlich des Verbrechens der Vergewaltigung, wurden verschärft und die unvernünftige Bestimmung des republikanischen Rechts, daß der überwiesene Verbrecher befugt sei, durch Selbstverbannung einem Teil der verwirkten Strafe sich zu entziehen, wie billig beseitigt. Das detaillierte Regulativ, das Caesar über die hauptstädtische Polizei erließ, ist großenteils noch erhalten und es kann, wer da will, sich überzeugen, daß der Imperator es nicht verschmähte, die Hausbesitzer zur Instandsetzung der Straßen und zur Pflasterung der Trottoirs in ihrer ganzen Breite mit behauenen Steinen anzuhalten und geeignete Bestimmungen über das Tragen der Sänften und das Fahren der Wagen zu erlassen, die bei der Beschaffenheit der Straßen nur zur Abend- und Nachtzeit in der Hauptstadt frei zirkulieren durften. Die Oberaufsicht über die Lokalpolizei blieb wie bisher hauptsächlich den vier Ädilen, welche, wenn nicht schon früher, wenigstens jetzt angewiesen wurden, jeder einen bestimmt abgegrenzten Polizeidistrikt innerhalb der Hauptstadt zu überwachen. Endlich das hauptstädtische Bauwesen und die damit zusammenhängende Fürsorge für die gemeinnützigen Anstalten überhaupt nahm durch Caesar, der die Baulust des Römers und des Organisators in sich vereinigte, plötzlich einen Aufschwung, der nicht bloß die Mißwirtschaft der letzten anarchischen Zeiten beschämte, sondern auch alles, was die römische Aristokratie in ihrer besten Zeit geleistet hatte, so weit hinter sich ließ wie Caesars Genie das redliche Bemühen der Marcier und der Aemilier. Es war nicht bloß die Ausdehnung der Bauten an sich und die Größe der darauf verwandten Summen, durch die Caesar seine Vorgänger übertraf, sondern der echt staatsmännische und gemeinnützige Sinn, der das, was Caesar für die öffentlichen Anstalten Roms tat, vor allen ähnlichen Leistungen auszeichnet. Er baute nicht, wie seine Nachfolger, Tempel und sonstige Prachtgebäude, sondern er entlastete den Markt von Rom, auf dem sich immer noch die Bürgerversammlungen, die Hauptgerichtsstätten, die Börse und der tägliche Geschäftsverkehr wie der tägliche Müßiggang zusammendrängten, wenigstens von den Versammlungen und den Gerichten, indem er für jene eine neue Dingstätte, die Saepta Iulia auf dem Marsfeld, für diese einen besonderen Gerichtsmarkt, das Forum Iulium zwischen Kapitol und Palatin, anlegen ließ. Verwandten Geistes ist die von ihm herrührende Einrichtung, daß den hauptstädtischen Bädern jährlich 3 Millionen Pfund Öl, größtenteils aus Afrika, geliefert und diese dadurch in den Stand gesetzt wurden, den Badenden das zum Salben des Körpers erforderliche Öl unentgeltlich zu verabfolgen – eine nach der alten wesentlich auf Baden und Salben gegründeten Diätetik höchst zweckmäßige Maßregel der Reinlichkeits- und Gesundheitspolizei. Indes diese großartigen Einrichtungen waren nur die ersten Anfänge einer vollständigen Umwandlung Roms. Bereits waren die Entwürfe gemacht zu einem neuen Rathaus, einem neuen prachtvollen Basar, einem mit dem Pompeischen wetteifernden Theater, einer öffentlichen lateinischen und griechischen Bibliothek nach dem Muster der kürzlich zugrunde gegangenen von Alexandreia – die erste Anstalt derart in Rom –, endlich zu einem Tempel des Mars, der an Reichtum und Herrlichkeit alles bisher Dagewesene überboten haben würde. Genialer noch war der Gedanke, einmal durch die Pomptinischen Sümpfe einen Kanal zu legen und deren Wasser nach Tarracina abzuleiten, sodann den unteren Lauf des Tiberstroms zu ändern und ihn von dem heutigen Ponte Molle an, statt zwischen dem Vaticanischen und dem Marsfelde hindurch, vielmehr um das Vaticanische Feld und das Ianiculum herum nach Ostia zu führen, wo die schlechte Reede einem vollgenügenden Kunsthafen Platz machen sollte. Durch diesen Riesenplan wurde einerseits der gefährlichste Feind der Hauptstadt, die böse Luft der Nachbarschaft, gebannt, andrerseits auf einen Schlag die äußerst beschränkte Baugelegenheit in der Hauptstadt in der Art erweitert, daß das damit auf das linke Tiberufer verlegte Vaticanische Feld an die Stelle des Marsfeldes treten und das geräumige Marsfeld für öffentliche und Privatbauten verwendet werden konnte, während sie zugleich den so schmerzlich vermißten sicheren Seehafen erhielt. Es schien, als wolle der Imperator Berge und Flüsse versetzen und mit der Natur selber den Wettlauf wagen. Indessen so sehr auch durch die neue Ordnung die Stadt Rom an Bequemlichkeit und Herrlichkeit gewann, ihre politische Suprematie ging ihr, wie schon gesagt ward, durch ebendieselbe unwiderbringlich verloren. Daß der römische Staat mit der Stadt Rom zusammenfalle, war zwar im Laufe der Zeit immer unnatürlicher und verkehrter geworden; aber der Satz war doch so innig mit dem Wesen der römischen Republik verwachsen, daß er nicht vor dieser selbst zugrunde gehen konnte. Erst in dem neuen Staate Caesars ward er, etwa mit Ausnahme einiger legaler Fiktionen, vollständig beseitigt und das hauptstädtische Gemeinwesen rechtlich auf eine Linie mit allen übrigen Munizipalitäten gestellt; wie denn Caesar, hier wie überall bemüht, nicht bloß die Sache zu ordnen, sondern auch sie offiziell bei dem rechten Namen zu nennen, seine italische Gemeindeordnung, ohne Zweifel absichtlich, zugleich für die Hauptstadt und für die übrigen Stadtgemeinden erließ. Man kann hinzufügen, daß Rom, eben weil es eines lebendigen Kommunalwesens als Hauptstadt nicht fähig war, hinter den übrigen Munizipalitäten der Kaiserzeit sogar wesentlich zurückstand. Das republikanische Rom war eine Räuberhöhle, aber zugleich der Staat; das Rom der Monarchie, obwohl es mit allen Herrlichkeiten dreier Weltteile sich zu schmücken und in Gold und Marmor zu schimmern begann, war doch nichts im Staate als das Königsschloß in Verbindung mit dem Armenhaus, das heißt ein notwendiges übel.

Wenn es in der Hauptstadt sich nur darum handelte, durch polizeiliche Ordnungen im größten Maßstab handgreifliche Übelstände hinwegzuräumen, so war es dagegen eine bei weitem schwierigere Aufgabe, der tief zerrütteten italischen Volkswirtschaft aufzuhelfen. Die Grundleiden waren die bereits früher ausführlich hervorgehobenen, das Zusammenschwinden der ackerbauenden und die unnatürliche Vermehrung der kaufmännischen Bevölkerung, woran ein unabsehbares Gefolge anderer Übelstände sich anschloß. Wie es mit der italischen Bodenwirtschaft stand, wird dem Leser unvergessen sein. Trotz der ernstlichsten Versuche, der Vernichtung des kleinen Grundbesitzes zu steuern, war doch in dieser Epoche kaum mehr in einer Landschaft des eigentlichen Italien, etwa mit Ausnahme der Apenninen- und Abruzzentäler, die Bauernwirtschaft die vorwiegende Wirtschaftsweise. Was die Gutswirtschaft anlangt, so ist zwischen der früher dargestellten Catonischen und derjenigen, die uns Varro schildert, kein wesentlicher Unterschied wahrzunehmen, nur daß die letztere im Guten wie im Schlimmen von dem gesteigerten großstädtischen Leben in Rom die Spuren zeigt. „Sonst“, sagt Varro, „war die Scheune auf dem Gut größer als das Herrenhaus; jetzt pflegt es umgekehrt zu sein.“ In der tusculanischen und tiburtinischen Feldmark, an den Gestaden von Tarracina und Baiae erhoben sich da, wo die alten latinischen und italischen Bauernschaften gesät und geerntet hatten, jetzt in unfruchtbarem Glanz die Landhäuser der römischen Großen, von denen manches mit den dazu gehörigen Gartenanlagen und Wasserleitungen, den Süß- und Salzwasserreservoirs zur Aufbewahrung und Züchtung von Fluß- und Seefischen, den Schnecken- und Siebenschläferzüchtungen, den Wildschonungen zur Hegung von Hasen, Kaninchen, Hirschen, Rehen und Wildschweinen und den Vogelhäusern, in denen selbst Kraniche und Pfauen gehalten wurden, den Raum einer mäßigen Stadt bedeckte. Aber der großstädtische Luxus macht auch manche fleißige Hand reich und ernährt mehr Arme als die almosenspendende Menschenliebe. Jene Vogelhäuser und Fischteiche der vornehmen Herren waren natürlich in der Regel eine sehr kostspielige Liebhaberei. Allein extensiv und intensiv hatte diese Wirtschaft sich so hoch entwickelt, daß zum Beispiel der Bestand eines Taubenhauses bis auf 100000 Sesterzen (7600 Taler) geschätzt ward; daß eine rationelle Mästungswirtschaft entstanden war und der in den Vogelhäusern gewonnene Dünger landwirtschaftlich in Betracht kam; daß ein einziger Vogelhändler auf einmal 5000 Krammetsvögel – denn auch diese wußte man zu hegen – das Stück zu 3 Denaren (21 Groschen), ein einziger Fischteichbesitzer 2000 Muränen zu liefern imstande war und aus den von Lucius Lucullus hinterlassenen Fischen 40000 Sesterzen (3050 Taler) gelöst wurden. Begreiflicherweise konnte unter solchen Umständen, wer diese Wirtschaft geschäftlich und intelligent betrieb, mit verhältnismäßig geringem Anlagekapital sehr hohen Gewinn erzielen. Ein kleiner Bienenzüchter dieser Zeit verkaufte von seinem nicht mehr als einen Morgen großen, in der Nähe von Falerii gelegenen Thymiangärtchen Jahr aus Jahr ein an Honig für mindestens 10000 Sesterzen (760 Taler). Der Wetteifer der Obstzüchter ging so weit, daß in eleganten Landhäusern die marmorgetäfelte Obstkammer nicht selten zugleich als Tafelzimmer eingerichtet, auch wohl gekauftes Prachtobst dort zur Schau als eigenes Gewächs gestellt ward. In dieser Zeit wurden auch zuerst die kleinasiatische Kirsche und andere ausländische Fruchtbäume in den italischen Gärten angepflanzt. Die Gemüsegärten, die Rosen- und Veilchenbeete in Latium und Kampanien warfen reichen Ertrag ab und der „Naschmarkt“ (forum cupedinis) neben der Heiligen Straße, wo Früchte, Honig und Kränze feilgeboten zu werden pflegten, spielte eine wichtige Rolle im hauptstädtischen Leben. Überhaupt stand die Gutswirtschaft, Plantagenwirtschaft wie sie war, ökonomisch auf einer schwer zu übertreffenden Höhe der Entwicklung. Das Tal von Rieti, die Umgegend des Fuciner Sees, die Landschaften am Liris und Volturnus, ja Mittelitalien überhaupt, waren landwirtschaftlich in dem blühendsten Zustand; selbst gewisse Industrien, die geeignet waren, sich an den Betrieb des Guts mittels Sklaven anzuschließen, wurden von den intelligenten Landwirten mit aufgenommen und, wo die Verhältnisse günstig waren, Wirtshäuser, Webereien und besonders Ziegeleien auf dem Gute angelegt. Die italischen Produzenten, namentlich von Wein und Öl, versorgten nicht bloß die italischen Märkte, sondern machten auch in beiden Artikeln ansehnliche überseeische Ausfuhrgeschäfte. Eine schlichte fachwissenschaftliche Schrift dieser Zeit vergleicht Italien einem großen Fruchtgarten; und die Schilderungen, die ein gleichzeitiger Dichter von seinem schönen Heimatland entwirft, wo die wohlbewässerte Wiese, das üppige Kornfeld, der lustige Rebenhügel von der dunklen Zeile der Ölbäume umsäumt wird, wo der Schmuck des Landes, lachend in mannigfaltiger Anmut, die holdesten Gärten in seinem Schoße hegt und selber von nahrunggebenden Bäumen umkränzt wird diese Schilderungen, offenbar treue Gemälde der dem Dichter täglich vor Augen stehenden Landschaft, versetzen uns in die blühendsten Striche von Toscana und Terra di lavoro. Die Weidewirtschaft freilich, die aus den früher entwickelten Ursachen besonders im Süden und Südosten Italiens immer weiter vordrang, war in jeder Beziehung ein Rückschritt; allein auch sie nahm doch bis zu einem gewissen Grade teil an der allgemeinen Steigerung des Betriebes, wie denn für die Verbesserung der Rassen vieles geschah und zum Beispiel Zuchtesel mit 60000 (4600 Taler), 100000 (7570 Taler), ja 400000 Sesterzen (30000 Taler) bezahlt wurden. Die gediegene italische Bodenwirtschaft erzielte in dieser Zeit, wo die allgemeine Entwicklung der Intelligenz und die Fülle der Kapitalien sie befruchtete, bei weitem glänzendere Resultate als jemals die alte Bauernwirtschaft hatte geben können, und ging sogar schon hinaus über die Grenzen Italiens, indem der italische Ökonom auch in den Provinzen große Strecken viehzüchtend und selbst kornbauend exploitierte.

Welche Dimensionen aber neben dieser auf dem Ruin der kleinen Bauernschaft unnatürlich gedeihenden Gutswirtschaft die Geldwirtschaft angenommen, wie die italische Kaufmannschaft mit den Juden um die Wette in alle Provinzen und Klientelstaaten des Reiches sich ergossen hatte, alles Kapital endlich in Rom zusammenfloß, dafür wird es, nach dem früher darüber Gesagten, hier genügen, auf die einzige Tatsache hinzuweisen, daß auf dem hauptstädtischen Geldmarkt der regelmäßige Zinsfuß in dieser Zeit sechs vom Hundert, das Geld daselbst also um die Hälfte billiger war als sonst durchschnittlich im Altertume.

Infolge dieser agrarisch wie merkantil auf Kapitalmassen und Spekulation begründeten Volkswirtschaft ergab sich das fürchterlichste Mißverhältnis in der Verteilung des Vermögens. Die oft gebrauchte und oft gemißbrauchte Rede von einem aus Millionären und Bettlern zusammengesetzten Gemeinwesen trifft vielleicht nirgends so vollständig zu wie bei dem Rom der letzten Zeit der Republik; und nirgends wohl auch ist der Kernsatz des Sklavenstaats, daß der reiche Mann, der von der Tätigkeit seiner Sklaven lebt, notwendig respektabel, der arme Mann, der von seiner Hände Arbeit lebt, notwendig gemein ist, mit so grauenvoller Sicherheit als der unwidersprechliche Grundgedanke des ganzen öffentlichen und privaten Verkehrs anerkannt worden102

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Aber die gebildete Kaufmannschaft und der tüchtige Gutsbesitzerstand wird weit überwuchert von den beiden tonangebenden Klassen der Gesellschaft: dem Bettelvolk und der eigentlichen vornehmen Welt. Wir haben keine statistischen Ziffern, um das relative Maß der Armut und des Reichtums für diese Epoche scharf zu bezeichnen; doch darf hier wohl wieder an die Äußerung erinnert werden, die etwa fünfzig Jahre früher ein römischer Staatsmann tat: daß die Zahl der Familien von festgegründetem Reichtum innerhalb der römischen Bürgerschaft nicht auf 2000 sich belaufe. Die Bürgerschaft war seitdem eine andere geworden; aber daß das Mißverhältnis zwischen arm und reich sich wenigstens gleichgeblieben war, dafür sprechen deutliche Spuren. Die fortschreitende Verarmung der Menge offenbart sich nur zu grell in dem Zudrang zu den Getreidespenden und zur Anwerbung unter das Heer; die entsprechende Steigerung des Reichtums bezeugt ausdrücklich ein Schriftsteller dieser Generation, indem er, von den Verhältnissen der marianischen Zeit sprechend, ein Vermögen von 2 Mill. Sesterzen (152 000 Taler) „nach damaligen Verhältnissen Reichtum“ nennt; und ebendahin führen die Angaben, die wir über das Vermögen einzelner Individuen finden. Der schwerreiche Lucius Domitius Ahenobarbus verhieß zwanzigtausend Soldaten jedem vier Jugera Land aus eigenem Besitz; das Vermögen des Pompeius belief sich auf 70 Mill. Sesterzen (5300000 Taler), das des Schauspielers Aesopus auf 20 (1520000 Taler); Marcus Crassus, der reichste der Reichen, besaß am Anfang seiner Laufbahn 7 (530000 Taler), am Ausgang derselben nach Verspendung ungeheurer Summen an das Volk 170 Millionen Sesterzen (13 Mill. Taler). Die Folgen solcher Armut und solchen Reichtums waren nach beiden Seiten eine äußerlich verschiedene, aber wesentlich gleichartige ökonomische und sittliche Zerrüttung. Wenn der gemeine Mann einzig durch die Unterstützung aus Staatsmitteln vor dem Verhungern gerettet ward, so war es die notwendige Folge dieses Bettlerelends, die freilich wechselwirkend auch wieder als Ursache auftrat, daß er der Bettlerfaulheit und dem bettlerhaften Wohlleben sich ergab. Statt zu arbeiten, gaffte der römische Plebejer lieber im Theater; die Schenken und Bordelle hatten solchen Zuspruch, daß die Demagogen ihre Rechnung dabei fanden, vorwiegend die Besitzer derartiger Etablissements in ihr Interesse zu ziehen. Die Fechterspiele, die Offenbarung wie die Nahrung der ärgsten Demoralisation in der alten Welt, waren zu solcher Blüte gelangt, daß mit dem Verkauf der Programme derselben ein einträgliches Geschäft gemacht ward, und nahmen in dieser Zeit die entsetzliche Neuerung auf, daß über Leben und Tod des Besiegten nicht das Duellgesetz oder die Willkür des Siegers, sondern die Laune des zuschauenden Publikums entschied und nach dessen Wink der Sieger den daniederliegenden Besiegten entweder verschonte oder durchbohrte. Das Handwerk des Fechters war so im Preise gestiegen oder auch die Freiheit so im Preise gesunken, daß die Unerschrockenheit und der Wetteifer, die auf den Schlachtfeldern dieser Zeit vermißt wurden, in den Heeren der Arena allgemein waren und, wo das Duellgesetz es mit sich brachte, jeder Gladiator lautlos und ohne zu zucken sich durchbohren ließ, ja daß freie Männer nicht selten sich den Unternehmern für Kost und Lohn als Fechtknechte verkauften. Auch die Plebejer des fünften Jahrhunderts hatten gedarbt und gehungert, aber ihre Freiheit hatten sie nicht verkauft; und noch weniger würden die Rechtweiser jener Zeit sich dazu hergegeben haben, den ebenso sitten- wie rechtswidrigen Kontrakt eines solchen Fechtknechts, „sich unweigerlich fesseln, peitschen, brennen oder töten zu lassen, wenn die Gesetze der Anstalt dies mit sich bringen würden“, auf unfeinen juristischen Schleichwegen als statthaft und klagbar hinzustellen.

In der vornehmen Welt kam nun dergleichen nicht vor; aber im Grunde war sie kaum anders, am wenigsten besser. Im Nichtstun nahm es der Aristokrat dreist mit dem Proletarier auf; wenn dieser auf dem Pflaster lungerte, dehnte jener sich bis in den hellen Tag hinein in den Feldern. Die Verschwendung regierte hier ebenso maß- wie geschmacklos. Sie warf sich auf die Politik wie auf das Theater, natürlich zu beider Verderben: man kaufte das Konsulamt um unglaublichen Preis – im Sommer 700 (54) ward allein die erste Stimmabteilung mit 10 Mill. Sesterzen (760000 Talern) bezahlt – und verdarb durch den tollen Dekorationsluxus dem Gebildeten alle Freude am Bühnenspiel. Die Mietpreise scheinen in Rom durchschnittlich vierfach höher als in den Landstädten sich gestellt zu haben; ein Haus daselbst ward einmal für 15 Mill. Sesterzen (1150000 Taler) verkauft. Das Haus des Marcus Lepidus (Konsul 676 78), als Sulla starb, das schönste in Rom, war ein Menschenalter später noch nicht der hundertste in der Rangfolge der römischen Paläste. Des mit den Landhäusern getriebenen Schwindels ward bereits gedacht; wir finden, daß für ein solches, das hauptsächlich seines Fischteiches wegen geschätzt war, 4 Mill. Sesterzen (300000 Taler) bezahlt wurden; und der ganz vornehme Mann bedurfte jetzt schon wenigstens zweier Landhäuser, eines in den Sabiner- oder Albaner Bergen bei der Hauptstadt und eines zweiten in der Nähe der kampanischen Bäder, dazu noch womöglich eines Gartens unmittelbar vor den Toren Roms. Noch unsinniger als diese Villen- waren die Grabpaläste, von denen einzelne noch bis auf den heutigen Tag es bezeugen, welches himmelhohen Quaderhaufens der reiche Römer bedurfte, um standesmäßig gestorben zu sein. Die Pferde- und Hundeliebhaber fehlten auch nicht; für ein Luxuspferd waren 24000 Sesterzen (1830 Taler) ein nicht ungewöhnlicher Preis. Man raffinierte auf Möbel von feinem Holz – ein Tisch von afrikanischem Zypressenholz ward mit 1 Mill. Sesterzen (67000 Taler) bezahlt; auf Gewänder von Purpurstoffen oder durchsichtiger Gaze und daneben auch auf die zierlich vor dem Spiegel zurechtgelegten Falten – der Redner Hortensius soll einen Kollegen wegen Injurien belangt haben, weil er ihm im Gedränge den Rock zerknittert; auf Edelsteine und Perlen, die zuerst in dieser Zeit an die Stelle des alten, unendlich schöneren und kunstvolleren Goldschmucks traten: es war schon vollkommenes Barbarentum, wenn bei Pompeius‘ Triumph über Mithradates das Bild des Siegers ganz von Perlen gearbeitet erschien und wenn man im Speisesaal die Sofas und die Etageren mit Silber beschlagen, ja das Küchengeschirr von Silber fertigen ließ. Gleicher Art ist es, wenn die Sammler dieser Zeit aus den alten Silberbechern die kunstvollen Medaillons herausbrachen um sie in goldene Gefäße wiedereinzusetzen. Auch der Reiseluxus ward nicht vermißt. „Wenn der Statthalter reiste“, erzählt Cicero von einem der sizilischen, „was natürlich im Winter nicht geschah, sondern erst mit Frühlingsanfang, nicht dem des Kalenders, sondern dem Anfang der Rosenzeit, so ließ er, wie es bei den Königen von Bithynien Brauch war, sich auf einer Achtträgersänfte befördern, sitzend auf Kissen von maltesischer Gaze und mit Rosenblättern gestopft, einen Kranz auf dem Kopf, einen zweiten um den Hals geschlungen, ein feines, leinenes, kleingetüpfeltes, mit Rosen angefülltes Riechsäckchen an die Nase haltend; und so ließ er bis vor sein Schlafzimmer sich tragen.“ Aber keine Gattung des Luxus blühte so wie die roheste von allen, der Luxus der Tafel. Die ganze Villeneinrichtung und das ganze Villenleben lief schließlich hinaus auf das Dinieren; man hatte nicht bloß verschiedene Tafelzimmer für Winter und Sommer, sondern auch in der Bildergalerie, in der Obstkammer, im Vogelhaus wurde serviert oder auf einer im Wildpark aufgeschlagenen Estrade, um welche dann, wenn der bestellte „Orpheus“ im Theaterkostüm erschien und Tusch blies, die dazu abgerichteten Rehe und Wildschweine sich drängten. So ward für Dekoration gesorgt, aber die Realität darüber durchaus nicht vergessen. Nicht bloß der Koch war ein graduierter Gastronom, sondern oft machte der Herr selbst den Lehrmeister seiner Köche. Längst war der Braten durch Seefische und Austern in den Schatten gestellt; jetzt waren die italischen Flußfische völlig von der guten Tafel verbannt und galten die italischen Delikatessen und die italischen Weine fast für gemein. Es wurden jetzt schon bei Volksfesten außer dem italischen Falerner drei Sorten ausländischen Weines – Sizilianer, Lesbier, Chier – verteilt, während ein Menschenalter zuvor es auch bei großen Schmäusen genügt hatte, einmal griechischen Wein herumzugeben; in dem Keller des Redners Hortensius fand sich ein Lager von 10000 Krügen (zu 33 Berliner Quart) fremden Weines. Es war kein Wunder, daß die italischen Weinbauer anfingen, über die Konkurrenz der griechischen Inselweine zu klagen. Kein Naturforscher kann eifriger die Länder und Meere nach neuen Tieren und Pflanzen durchsuchen, als es von den Eßkünstlern jener Zeit wegen neuer Küchenelegantien geschah104

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Daß Sittlichkeit und Familienleben unter solchen Verhältnissen in allen Schichten der Gesellschaft zur Antiquität wurden, versteht sich von selbst. Es war nicht mehr der ärgste Schimpf und das schlimmste Verbrechen, arm zu sein, sondern das einzige: um Geld verkaufte der Staatsmann den Staat, der Bürger seine Freiheit; um Geld war die Offizierstelle wie die Kugel des Geschworenen feil; um Geld gab die vornehme Dame so gut sich preis wie die gemeine Dirne; Urkundenfälschung und Meineide waren so gemein geworden, daß bei einem Volkspoeten dieser Zeit der Eid „das Schuldenpflaster“ heißt. Man hatte vergessen, was Ehrlichkeit war; wer eine Bestechung zurückwies, galt nicht für einen rechtschaffenen Mann, sondern für einen persönlichen Feind. Die Kriminalstatistik aller Zeiten und Länder wird schwerlich ein Seitenstück bieten zu einem Schaudergemälde so mannigfaltiger, so entsetzlicher und so widernatürlicher Verbrechen, wie es der Prozeß des Aulus Cluentius in dem Schoß einer der angesehensten Familien einer italischen Ackerstadt vor uns aufrollt.

Wie aber im tiefen Grunde des Volkslebens der Schlamm immer giftiger und immer bodenloser sich sammelte, so legte sich um so viel glatter und gleißender über die Oberfläche der Firnis feiner Sitten und allgemeiner Freundschaft. Alle Welt besuchte sich einander, so daß in den vornehmen Häusern es schon nötig wird, die jeden Morgen zum Lever sich einstellenden Personen in einer gewissen, von dem Herrn oder gelegentlich auch dem Kammerdiener festgesetzten Reihenfolge vorzulassen, auch nur den namhafteren einzeln Audienz zu geben, die übrigen aber teils in Gruppen, teils schließlich in Masse abzufertigen, mit welcher Scheidung Gaius Gracchus, auch hierin der Pfadfinder der neuen Monarchie, vorangegangen sein soll. Eine ebenso große Ausdehnung wie die Höflichkeitsbesuche hat auch der Höflichkeitsbriefwechsel gewonnen; zwischen Personen, die weder ein persönliches Verhältnis noch Geschäfte miteinander haben, fliegen dennoch die „freundschaftlichen“ Briefe über Land und Meer, und umgekehrt kommen eigentliche und förmliche Geschäftsbriefe fast nur da noch vor, wo das Schreiben an eine Korporation gerichtet ist. In der gleichen Weise werden die Einladungen zur Tafel, die üblichen Neujahrsgeschenke, die häuslichen Feste ihrem Wesen entfremdet und fast in öffentliche Festlichkeiten verwandelt; ja, der Tod selbst befreit nicht von diesen Rücksichten auf die unzähligen „Nächsten“, sondern, um anständig gestorben zu sein, muß der Römer jeden derselben wenigstens mit einem Andenken bedacht haben. Ebenwie in gewissen Kreisen unserer Börsenwelt war der eigentliche innige häusliche und hausfreundliche Zusammenhang dem damaligen Rom so vollständig abhanden gekommen, daß mit den inhaltlos gewordenen Formen und Floskeln desselben der gesamte Geschäfts- und Bekanntenverkehr sich staffieren und dann allmählich an die Stelle der wirklichen jenes Gespenst der „Freundschaft“ treten konnte, welches unter den mancherlei über den Ächtungen und Bürgerkriegen dieser Zeit schwebenden Höllengeistern nicht den letzten Platz einnimmt.

Ein ebenso charakteristischer Zug in dem schimmernden Verfall dieser Zeit ist die Emanzipation der Frauenwelt. ökonomisch hatten die Frauen längst sich selbständig gemacht; in der gegenwärtigen Epoche begegnen schon eigene Frauenanwälte, die einzelnstehenden reichen Damen bei ihrer Vermögensverwaltung und ihren Prozessen dienstbeflissen zur Hand gehen, durch Geschäfts- und Rechtskenntnis ihnen imponieren und damit reichlichere Trinkgelder und Erbschaftsquoten herausschlagen als andere Pflastertreter der Börse. Aber nicht bloß der ökonomischen Vormundschaft des Vaters oder des Mannes fühlten die Frauen sich entbunden. Liebeshändel aller Art waren beständig auf dem Tapet. Ballettänzerinnen ( mimae) nahmen an Mannigfaltigkeit und Virtuosität ihrer Industrien mit den heutigen es vollkommen auf; ihre Primadonnen, die Cytheris und wie sie weiter heißen, beschmutzen selbst die Blätter der Geschichte. Indes ihrem gleichsam konzessionierten Gewerbe tat sehr wesentlichen Abbruch die freie Kunst der Damen der aristokratischen Kreise. Liaisons in den ersten Häusern waren so häufig geworden, daß nur ein ganz ausnehmendes Ärgernis sie zum Gegenstand besonderen Klatsches machen konnte; ein gerichtliches Einschreiten nun gar schien beinahe lächerlich. Ein Skandal ohnegleichen, wie ihn Publius Clodius 693 (61) bei dem Weiberfest im Hause des Oberpontifex aufführte, obwohl tausendmal ärger als die Vorfälle, die noch fünfzig Jahre zuvor zu einer Reihe von Todesurteilen geführt hatten, ging fast ohne Untersuchung und ganz ohne Strafe hin. Die Badesaison – im April, wo die Staatsgeschäfte ruhten und die vornehme Welt in Baiae und Puteoli zusammenströmte – zog ihren Hauptreiz mit aus den erlaubten und unerlaubten Verhältnissen, die neben Musik und Gesang und eleganten Frühstücken im Nachen oder am Ufer die Gondelfahrten belebten. Hier herrschten die Damen unumschränkt; indes begnügten sie sich keineswegs mit dieser ihnen von Rechts wegen zustehenden Domäne, sondern sie machten auch Politik, erschienen in Parteizusammenkünften und beteiligten sich mit ihrem Geld und ihren Intrigen an dem wüsten Koterietreiben der Zeit. Wer diese Staatsmänninnen auf der Bühne Scipios und Catos agieren sah und daneben den jungen Elegant, wie er mit glattem Kinn, feiner Stimme und trippelndem Gang, mit Kopf- und Busentüchern, Manschettenhemden und Frauensandalen das lockere Dirnchen kopierte, dem mochte wohl grauen vor der unnatürlichen Welt, in der die Geschlechter die Rollen schienen wechseln zu wollen. Wie man in den Kreisen dieser Aristokratie über Ehescheidung dachte, läßt das Verfahren ihres besten und sittlichsten Mannes Marcus Cato erkennen, der auf Bitten eines heiratslustigen Freundes von seiner Frau sich zu scheiden, keinen Anstand nahm und ebensowenig daran, nach dem Tode dieses Freundes dieselbe Frau zum zweitenmal zu heiraten. Ehe- und Kinderlosigkeit griffen vornehmlich in den höheren Ständen immer weiter um sich. Wenn unter diesen die Ehe längst als eine Last galt, die man höchstens im öffentlichen Interesse über sich nahm, so begegnen wir jetzt schon auch bei Cato und Catos Gesinnungsgenossen der Maxime, aus der ein Jahrhundert zuvor Polybios den Verfall von Hellas ableitete: daß es Bürgerpflicht sei, die großen Vermögen zusammenzuhalten und darum nicht zu viel Kinder zu zeugen. Wo waren die Zeiten, als die Benennung „Kinderzeuger“ ( proletarius) für den Römer ein Ehrenname gewesen war!

Infolge dieser sozialen Zustände schwand der latinische Stamm in Italien in erschreckender Weise zusammen und legte sich über die schönen Landschaften teils die parasitische Einwanderung, teils die reine Öde. Ein ansehnlicher Teil der Bevölkerung Italiens strömte in das Ausland. Schon die Summe von Kapazitäten und Arbeitskräften, welche die Lieferung von italischen Beamten und italischen Besatzungen für das gesamte Mittelmeergebiet in Anspruch nahm, überstieg die Kräfte der Halbinsel, zumal da die also in die Fremde gesandten Elemente zum großen Teil der Nation für immer verloren gingen. Denn je mehr die römische Gemeinde zu einem viele Nationen umfassenden Reiche erwuchs, desto mehr entwöhnte sich die regierende Aristokratie, Italien als ihre ausschließliche Heimat zu betrachten; von der zum Dienst ausgehobenen oder angeworbenen Mannschaft aber ging ein ansehnlicher Teil in den vielen Kriegen, namentlich in dem blutigen Bürgerkriege zugrunde, und ein anderer ward durch die lange, zuweilen auf ein Menschenalter sich erstreckende Dienstzeit der Heimat völlig entfremdet. In gleicher Weise wie der öffentliche Dienst hielt die Spekulation einen Teil der Grundbesitzer- und fast die ganze Kaufmannschaft wenn nicht auf zeitlebens, doch auf lange Zeit außer Landes fest und entwöhnte namentlich die letztere in dem demoralisierenden Handelsreiseleben überhaupt der bürgerlichen Existenz im Mutterlande und der vielfach bedingten innerhalb der Familie. Als Ersatz dafür erhielt Italien teils das Sklaven- und Freigelassenenproletariat, teils die aus Kleinasien, Syrien und Ägypten einströmenden Handwerker und Händler, die vornehmlich in der Hauptstadt und mehr noch in den Hafenstädten Ostia, Puteoli, Brundisium wucherten. Aber in dem größten und wichtigsten Teil Italiens trat nicht einmal ein solcher Ersatz der reinen Elemente durch unreine ein, sondern schwand die Bevölkerung sichtlich hin. Vor allem galt dies von den Weidelandschaften, wie denn das gelobte Land der Viehzucht, Apulien, von Gleichzeitigen der menschenleerste Teil Italiens genannt wird, und von der Umgegend Roms, wo die Campagna unter der steten Wechselwirkung des zurückgehenden Ackerbaues und der zunehmenden bösen Luft jährlich mehr verödete. Labici, Gabii, Bovillae, einst freundliche Landstädtchen, waren so verfallen, daß es schwer hielt, Vertreter derselben für die Zeremonie des Latinerfestes aufzutreiben. Tusculum, obwohl immer noch eine der angesehensten Gemeinden Latiums, bestand fast nur noch aus einigen vornehmen Familien, die in der Hauptstadt lebten, aber ihr tusculanisches Heimatrecht festhielten, und stand an Zahl der stimmfähigen Bürger weit zurück selbst hinter kleinen Gemeinden des inneren Italiens. Der Stamm der waffenfähigen Mannschaft war in diesem Landstrich, auf dem einst Roms Wehrhaftigkeit wesentlich beruht hatte, so vollständig ausgegangen, daß man die im Vergleich mit den gegenwärtigen Verhältnissen fabelhaft klingenden Berichte der Chronik von den Äquer- und Volskerkriegen mit Staunen und vielleicht mit Grauen las. Nicht überall war es so arg, namentlich nicht in den übrigen Teilen Mittelitaliens und in Kampanien: aber dennoch „standen“, wie Varro klagt, durchgängig einst menschenreiche Städte verödet.

Es ist ein grauenvolles Bild, dies Bild Italiens unter dem Regiment der Oligarchie. Zwischen der Welt der Bettler und der Welt der Reichen ist der verhängnisvolle Gegensatz durch nichts vermittelt oder gemildert. Je deutlicher und peinlicher er auf beiden Seiten empfunden ward, je schwindelnd höher der Reichtum stieg, je tiefer der Abgrund der Armut gähnte, desto häufiger ward in dieser wechselvollen Welt der Spekulation und des Glücksspiels der einzelne aus der Tiefe in die Höhe und wieder aus der Höhe in die Tiefe geschleudert. Je weiter äußerlich die beiden Welten auseinanderklafften, desto vollständiger begegneten sie sich in der gleichen Vernichtung des Familienlebens, das doch aller Nationalität Keim und Kern ist, in der gleichen Faulheit und Üppigkeit, der gleichen bodenlosen Ökonomie, der gleichen unmännlichen Abhängigkeit, der gleichen, nur im Tarif unterschiedenen Korruption, der gleichen Verbrecherentsittlichung, dem gleichen Gelüsten, mit dem Eigentum den Krieg zu beginnen. Reichtum und Elend im innigen Bunde treiben die Italiker aus Italien aus und füllen die Halbinsel halb mit Sklavengewimmel, halb mit schauerlicher Stille. Es ist ein grauenvolles Bild, aber kein eigentümliches; überall, wo das Kapitalistenregiment im Sklavenstaat sich vollständig entwickelt, hat es Gottes schöne Welt in gleicher Weise verwüstet. Wie die Ströme in verschiedenen Farben spiegeln, die Kloake aber überall sich gleich sieht, so gleicht auch das Italien der ciceronischen Epoche wesentlich dem Hellas des Polybios und bestimmter noch dem Karthago der hannibalischen Zeit, wo in ganz ähnlicher Weise das allmächtig regierende Kapital den Mittelstand zugrunde gerichtet, den Handel und die Gutswirtschaft zur höchsten Blüte gesteigert und schließlich eine gleißend übertünchte sittliche und politische Verwesung der Nation herbeigeführt hatte. Alles, was in der heutigen Welt das Kapital an argen Sünden gegen Nation und Zivilisation begangen hat, bleibt so tief unter den Greueln der alten Kapitalistenstaaten, wie der freie Mann, sei er auch noch so arm, über dem Sklaven bleibt; und erst wenn Nordamerikas Drachensaat reift, wird die Welt wieder ähnliche Früchte zu ernten haben.

Diese Leiden, an denen die italische Volkswirtschaft daniederlag, waren ihrem tiefsten Kerne nach unheilbar, und was daran noch geheilt werden konnte, mußte wesentlich das Volk und die Zeit bessern; denn auch die weiseste Regierung vermag so wenig wie der geschickteste Arzt, die verdorbenen Säfte des Organismus in frische zu verwandeln oder bei tieferliegenden Übeln mehr zu tun, als die Zufälligkeiten abzuwehren, die die Heilkraft der Natur in ihrem Wirken hindern. Eine solche Abwehr gewährte an sich schon die friedliche Energie des neuen Regiments, durch welche einige der ärgsten Auswüchse von selber wegfielen, wie zum Beispiel die künstliche Großziehung des Proletariats, die Straflosigkeit der Verbrechen, der Ämterkauf und anderes mehr. Allein etwas mehr konnte die Regierung doch tun als bloß nicht schaden. Caesar gehörte nicht zu den überklugen Leuten, die das Meer darum nicht eindämmen, weil der Springflut doch kein Deich zu trotzen vermag. Es ist besser, wenn die Nation und ihre Ökonomie von selbst die naturgemäße Bahn geht; aber da sie aus dieser ausgewichen war, so setzte Caesar alle seine Energie ein, um von oben herab die Nation in das heimatliche und Familienleben zurückzubringen und die Volksökonomie durch Gesetz und Dekret zu reformieren. Um der dauernden Abwesenheit der Italiker aus Italien zu steuern und die vornehme Welt und die Kaufmannschaft zur Gründung eigener Herde in der Heimat zu veranlassen, wurde nicht bloß die Dienstzeit der Soldaten verkürzt, sondern auch den Männern senatorischen Standes überhaupt untersagt, anders als in öffentlichen Geschäften ihren Aufenthalt außerhalb Italiens zunehmen, den übrigen Italikern in heiratsfähigem Alter (vom zwanzigsten bis zum vierzigsten Jahr) vorgeschrieben, nicht über drei Jahre hintereinander von Italien abwesend zu sein. In demselben Sinn hatte Caesar schon in seinem ersten Konsulat bei Gründung der Kolonie Capua die Väter mehrerer Kinder vorzugsweise bedacht und setzte nun als Imperator den Vätern zahlreicher Familien außerordentliche Belohnungen aus, während er zugleich als oberster Richter der Nation Scheidung und Ehebruch mit einem nach römischen Begriffen unerhörten Rigorismus behandelte. Er verschmähte es sogar nicht, ein detailliertes Luxusgesetz zu erlassen, das unter anderm die Bauverschwendung wenigstens in einem ihrer unsinnigsten Auswüchse, den Grabmonumenten, beschnitt, den Gebrauch von Purpurgewändern und Perlen auf gewisse Zeiten, Alters- und Rangklassen beschränkte und ihn erwachsenen Männern ganz untersagte, dem Tafelaufwand ein Maximum setzte und eine Anzahl Luxusgerichte geradezu verbot. Dergleichen Verordnungen waren freilich nicht neu; neu aber war es, daß der „Sittenmeister“ ernstlich über deren Befolgung hielt, die Eßwarenmärkte durch bezahlte Aufpasser überwachte, ja, den vornehmen Herren durch seine Gerichtsdiener die Tafel revidieren und die verbotenen Schüsseln auf dieser selbst konfiszieren ließ. Durch solche theoretische und praktische Unterweisung in der Mäßigkeit, welche die neue monarchische Polizei der vornehmen Welt erteilte, konnte freilich kaum mehr erreicht werden, als daß der Luxus sich etwas mehr in die Verborgenheit zurückzog; allein wenn die Heuchelei die Huldigung ist, die das Laster der Tugend darbringt, so war unter den damaligen Verhältnissen selbst eine polizeilich hergestellte Scheinehrbarkeit ein nicht zu verachtender Fortschritt zum Bessern.

Ernsterer Art waren und mehr Erfolg versprachen die Maßregeln Caesars zur besseren Regulierung der italischen Geld- und Bodenwirtschaft. Zunächst handelte es sich hier um transitorische Bestimmungen hinsichtlich des Geldmangels und der Schuldenkrise überhaupt. Das durch den Lärm über die zurückgehaltenen Kapitalien hervorgerufene Gesetz, daß niemand über 60000 Sesterzen (4600 Taler) an barem Gold und Silber vorrätig haben dürfe, mag wohl nur erlassen sein, um den Zorn des blinden Publikums gegen die Wucherer zu beschwichtigen; die Form der Publikation, wobei fingiert ward, daß hiermit nur ein älteres, in Vergessenheit geratenes Gesetz wieder eingeschärft werde, zeigt es, daß Caesar dieser Verfügung sich schämte, und schwerlich wird von ihr wirklich Anwendung gemacht sein. Eine weit ernstere Frage war die Behandlung der schwebenden Forderungen, deren vollständigen Erlaß die Partei, die sich die seine nannte, von Caesar mit Ungestüm begehrte. Daß derselbe auf dieses Begehren so nicht einging, ward schon gesagt; indes wurden doch, und zwar schon im Jahre 705 (49), den Schuldnern zwei wichtige Zugeständnisse gemacht. Einmal wurden die rückständigen Zinsen niedergeschlagen106 und die gezahlten vom Kapital abgezogen. Zweitens ward der Gläubiger genötigt, die bewegliche und unbewegliche Habe des Schuldners an Zahlungs Statt nach demjenigen Taxwert anzunehmen, welchen die Sachen vor dem Bürgerkrieg und der durch denselben herbeigeführten allgemeinen Entwertung gehabt hatten. Die letztere Festsetzung war nicht unbillig; wenn der Gläubiger tatsächlich als der Eigentümer der Habe seines Schuldners bis zum Belauf der ihm geschuldeten Summe anzusehen war, so war es wohl gerechtfertigt, daß er an der allgemeinen Entwertung des Besitzes seinen Anteil mittrug. Dagegen die Annullierung der geleisteten oder ausstehenden Zinszahlungen, durch welche der Sache nach die Gläubiger außer den Zinsen selbst von dem, was sie zur Zeit der Erlassung des Gesetzes an Kapital zu fordern hatten, durchschnittlich 25 Prozent einbüßten, war in der Tat nichts anderes als eine teilweise Gewährung der von den Demokraten so ungestüm begehrten Kassation der aus Darlehen herrührenden Forderungen; und wie arg auch die Zinswucherer gewirtschaftet haben mochten, so ist es doch nicht möglich, damit die rückwirkende Vernichtung aller Zinsforderungen ohne Unterschied zu rechtfertigen. Um diese Agitation wenigstens zu begreifen, muß man sich erinnern, wie die demokratische Partei zu der Zinsfrage stand. Das gesetzliche Verbot, Zinsen zu nehmen, das die alte Plebejeropposition im Jahre 412 (342) erzwungen hatte, war zwar durch die mittels der Prätur den Zivilprozeß beherrschende Nobilität tatsächlich außer Anwendung gesetzt, aber doch formell seit jener Zeit in Gültigkeit geblieben; und die Demokraten des siebenten Jahrhunderts, die sich durchaus als die Fortsetzer jener alten ständisch-sozialen Bewegung betrachteten, hatten die Nichtigkeit der Zinszahlungen zu jeder Zeit behauptet, auch schon in den Wirren der marianischen Zeit dieselbe wenigstens vorübergehend praktisch geltend gemacht. Es ist nicht glaublich, daß Caesar die kruden Ansichten seiner Partei über die Zinsfrage teilte; wenn er in seinem Bericht über die Liquidationsangelegenheit der Verfügung über die Hingabe der Habe der Schuldner an Zahlungs Statt gedenkt, aber von der Kassation der Zinsen schweigt, so ist dies vielleicht ein stummer Selbstvorwurf. Allein wie jeder Parteiführer hing doch auch er von seiner Partei ab und konnte die traditionellen Sätze der Demokratie in der Zinsfrage nicht geradezu verleugnen; um so mehr, als er über diese Frage nicht als der allmächtige Sieger von Pharsalos, sondern schon vor seinem Abgang nach Epirus zu entscheiden hatte. Wenn er aber diesen Bruch in die Rechtsordnung und das Eigentum vielleicht mehr zuließ als bewirkte, so ist es sicher sein Verdienst, daß jenes ungeheuerliche Begehren der Kassation sämtlicher Darlehnsforderungen zurückgewiesen ward: und es darf wohl als eine Ehrenrettung für ihn angesehen werden, daß die Schuldner über das ihnen gemachte, nach ihrer Ansicht höchst ungenügende Zugeständnis noch weit ungehaltener waren als die verkürzten Gläubiger und unter Caelius und Dolabella jene törichten und, wie bereits früher erzählt, rasch vereitelten Versuche machten, das, was Caesar ihnen verweigert hatte, durch Krawall und Bürgerkrieg zu erzwingen.

Aber Caesar beschränkte sich nicht darauf, dem Schuldner für den Augenblick zu helfen, sondern er tat, was er als Gesetzgeber tun konnte, um die fürchterliche Allmacht des Kapitals auf die Dauer zu beugen. Vor allen Dingen ward der große Rechtssatz proklamiert, daß die Freiheit nicht ein dem Eigentum kommensurables Gut ist, sondern ein ewiges Menschenrecht, das der Staat nur dem Schuldigen, nicht dem Schuldner abzuerkennen das Recht hat. Es ist Caesar, der, vielleicht auch hier angeregt durch die humanere ägyptische und griechische, besonders die Solonische Gesetzgebung107, dieses den Satzungen der älteren Konkursordnung schnurstracks widersprechende Prinzip eingeführt hat in das gemeine Recht, wo es seit ihm unangefochten sich behauptet. Nach römischem Landrecht ward der zahlungsunfähige Schuldner Knecht seines Gläubigers. Das Poetelische Gesetz hatte zwar dem nur durch Verlegenheiten, nicht durch wahre Überschuldung augenblicklich zahlungsunfähig Gewordenen verstattet, durch Abtretung seiner Habe die persönliche Freiheit zu retten; für den wirklich Überschuldeten jedoch war jener Rechtssatz wohl in Nebenpunkten gemildert, aber in der Hauptsache durch ein halbes Jahrtausend unverändert festgehalten worden; ein zunächst auf das Vermögen gerichteter Konkurs kam nur ausnahmsweise vor dann, wenn der Schuldner tot oder seines Bürgerrechts verlustig gegangen oder nicht aufzufinden war. Erst Caesar gab dem überschuldeten Manne das Recht, worauf noch unsere heutigen Konkursordnungen beruhen: durch förmliche Abtretung der Habe an die Gläubiger, mochte sie zu ihrer Befriedigung ausreichen oder nicht, allemal seine persönliche Freiheit, wenn auch mit geschmälerten Ehren- und politischen Rechten, zu erretten und eine neue Vermögensexistenz zu beginnen, in der er wegen der aus der älteren Zeit herrührenden und im Konkurs nicht gedeckten Forderungen nur dann eingeklagt werden durfte, wenn er sie bezahlen konnte, ohne wiederum sich ökonomisch zu ruinieren. Wenn also dem großen Demokraten die unvergängliche Ehre zuteil ward, die persönliche Freiheit prinzipiell vom Kapital zu emanzipieren, so versuchte er ferner, die Übermacht des Kapitals durch Wuchergesetze auch polizeilich einzudämmen. Die demokratische Antipathie gegen die Zinsverträge verleugnete auch er nicht. Für den italischen Geldverkehr wurde eine Maximalsumme der dem einzelnen Kapitalisten zu gestattenden Zinsdarlehen festgestellt, welche sich nach dem einem jeden zuständigen italischen Grundbesitz gerichtet zu haben scheint und vielleicht die Hälfte des Wertes desselben betrug. Übertretungen dieser Bestimmung wurden, nach Art des in den republikanischen Wuchergesetzen vorgeschriebenen Verfahrens, als Kriminalvergehen behandelt und vor eine eigene Geschworenenkommission gewiesen. Wenn es gelang, diese Vorschriften praktisch durchzuführen, so wurde jeder italische Geschäftsmann dadurch genötigt, vor allem zugleich auch italischer Grundbesitzer zu werden, und die Klasse der bloß von ihren Zinsen zehrenden Kapitalisten verschwand in Italien gänzlich. Mittelbar wurde damit auch die nicht minder schädliche Kategorie der überschuldeten und der Sache nach nur für ihre Gläubiger das Gut verwaltenden Grundeigentümer wesentlich beschränkt, indem die Gläubiger, wenn sie ihr Zinsgeschäft fortführen wollten, gezwungen wurden, selber sich anzukaufen. Schon hierin übrigens liegt es, daß Caesar keineswegs jenes naive Zinsverbot der alten Popularpartei einfach erneuern, sondern vielmehr das Zinsnehmen innerhalb gewisser Grenzen gestatten wollte. Sehr wahrscheinlich aber hat er dabei sich nicht auf jene bloß für Italien gültige Anordnung eines Maximalsatzes der auszuleihenden Summen beschränkt, sondern auch, namentlich mit Rücksicht auf die Provinzen, für die Zinsen selbst Maximalsätze vorgeschrieben. Die Verfügungen, daß es unstatthaft sei, höhere Zinsen als eins vom Hundert monatlich oder von rückständigen Zinsen wieder Zinsen zu nehmen oder endlich an rückständigen Zinsen mehr als eine dem Kapital gleichkommende Summe gerichtlich geltend zu machen, wurden, wahrscheinlich ebenfalls nach griechisch-ägyptischem Muster108, im Römischen Reiche zuerst von Lucius Lucullus für Kleinasien aufgestellt und daselbst von seinen besseren Nachfolgern beibehalten, sodann bald auch auf andere Provinzen durch Statthalterverordnungen übertragen und endlich wenigstens ein Teil derselben durch einen Beschluß des römischen Senats vom Jahre 704 (50) mit Gesetzeskraft in allen Provinzen versehen. Wenn diese Lucullischen Verfügungen späterhin in ihrem vollen Umfang als Reichsgesetz erscheinen und durchaus die Grundlage der römischen, ja der heutigen Zinsgesetzgebung geworden sind, so darf auch dies vielleicht auf eine Bestimmung Caesars zurückgeführt werden.

Hand in Hand mit diesen Bestrebungen, der Kapitalübermacht zu wehren, gingen die Bemühungen, die Bodenwirtschaft in diejenige Bahn zurückzuleiten, die dem Gemeinwesen die förderlichste war. Sehr wesentlich war hierfür schon die Verbesserung der Rechtspflege und der Polizei. Wenn bisher niemand in Italien seines Lebens und seines beweglichen oder unbeweglichen Eigentums sicher gewesen war, wenn zum Beispiel die römischen Bandenführer in den Zwischenzeiten, wo ihre Leute nicht in der Hauptstadt Politik machen halfen, in den Wäldern Etruriens dem Raube obgelegen oder auch die Landgüter ihrer Soldherren durch Eroberungen arrondiert hatten, so hatte dergleichen Faustrecht nunmehr ein Ende; und vor allem die ackerbauende Bevölkerung aller Klassen mußte davon die wohltätigen Folgen empfinden. Auch Caesars Baupläne, die sich durchaus nicht auf die Hauptstadt beschränkten, waren bestimmt, hier einzugreifen; so sollte zum Beispiel die Anlegung einer bequemen Fahrstraße von Rom durch die Apenninenpässe zum Adriatischen Meer den italischen Binnenverkehr beleben, die Niedrigerlegung des Fuciner Sees der marsischen Bauernschaft zugute kommen. Allein auch unmittelbar griff Caesar in die wirtschaftlichen Zustände Italiens ein. Den italischen Viehzüchtern wurde auferlegt, wenigstens den dritten Teil ihrer Hirten aus freigeborenen, erwachsenen Leuten zu nehmen, wodurch zugleich dem Banditenwesen gesteuert und dem freien Proletariat eine Erwerbsquelle geöffnet ward. In der agrarischen Frage ging Caesar, der bereits in seinem ersten Konsulat in die Lage gekommen war, sie zu regulieren, verständiger als Tiberius Gracchus, nicht darauf aus, die Bauernwirtschaft wiederherzustellen um jeden Preis, selbst um den einer unter juristischen Klauseln versteckten Revolution gegen das Eigentum; ihm wie jedem andern echten Staatsmann galt vielmehr als die erste und unverbrüchlichste aller politischen Maximen die Sicherheit dessen, was Eigentum ist oder doch im Publikum als Eigentum gilt, und nur innerhalb der hierdurch gezogenen Schranken suchte er die Hebung des italischen Kleinbesitzes, die auch ihm als eine Lebensfrage der Nation erschien, zu bewerkstelligen. Es ließ auch so noch viel in dieser Beziehung sich tun. Jedes Privatrecht, mochte es Eigentum oder titulierter Erbbesitz heißen, auf Gracchus oder auf Sulla zurückgehen, ward unbedingt von ihm respektiert. Dagegen das sämtliche wirkliche Domanialland in Italien, mit Einschluß eines ansehnlichen Teils der in den Händen geistlicher Innungen befindlichen, rechtlich dem Staate zuständigen Liegenschaften, wurde von Caesar, nachdem er in seiner streng sparsamen, auch im kleinen keine Verschleuderung und Vernachlässigung duldenden Weise durch die wiedererweckte Zwanzigerkommission eine allgemeine Revision der italischen Besitztitel veranstaltet hatte, zur Verteilung in gracchanischer Weise bestimmt, natürlich soweit es sich zum Ackerbau eignete – die dem Staate gehörigen apulischen Sommer- und samnitischen Winterweiden blieben auch ferner Domäne; und es war wenigstens die Absicht des Imperators, wenn diese Domänen nicht ausreichen würden, das weiter erforderliche Land durch Ankauf italischer Grundstücke aus der Staatskasse zu beschaffen. Bei der Auswahl der neuen Bauern wurden natürlich vor allen die gedienten Soldaten berücksichtigt und soweit möglich die Last, welche die Aushebung für das Mutterland war, dadurch in eine Wohltat umgewandelt, daß Caesar den als Rekruten ausgehobenen Proletarier ihm als Bauer zurückgab; bemerkenswert ist es auch, daß die verödeten latinischen Gemeinden, wie zum Beispiel Veii und Capena, vorzugsweise mit neuen Kolonisten bedacht worden zu sein scheinen. Die Vorschrift Caesars, daß die neuen Eigentümer erst nach zwanzig Jahren befugt sein sollten, die empfangenen Ländereien zu veräußern, war ein glücklicher Mittelweg zwischen der völligen Freigebung des Veräußerungsrechts, die den größten Teil des verteilten Landes rasch wieder in die Hände der großen Kapitalisten zurückgeführt haben würde, und den bleibenden Beschränkungen der Verkehrsfreiheit, wie sie Tiberius Gracchus und Sulla, beide gleich vergeblich, verfügt hatten.

Wenn also die Regierung energisch dazu tat, die kranken Elemente des italischen Volkslebens zu entfernen und die gesunden zu stärken, so sollte endlich das neu regulierte Munizipalwesen, nachdem sich dasselbe erst jüngst aus der Krise des Bundesgenossenkriegs in und neben dem Staatswesen entwickelt hatte, der neuen absoluten Monarchie das mit ihr verträgliche Gemeindeleben mitteilen und die stockende Zirkulation der edelsten Elemente des öffentlichen Lebens wieder zu rascheren Pulsschlägen erwecken. Als leitender Grundsatz in den beiden im Jahre 705 (49) für das Cisalpinische Gallien, im Jahre 709 (45) für Italien erlassenen Gemeindeordnungen109, von denen namentlich die letztere für die ganze Folgezeit Grundgesetz blieb, erscheint teils die strenge Reinigung der städtischen Kollegien von allen unsittlichen Elementen, während von politischer Polizei darin keine Spur vorkommt, teils die möglichste Beschränkung des Zentralisierens und die möglichst freie Bewegung der Gemeinden, denen auch jetzt noch die Wahl der Beamten und eine wenngleich beschränkte Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit verblieb. Die allgemeinen polizeilichen Bestimmungen, zum Beispiel die Beschränkungen des Assoziationsrechts, griffen freilich auch hier Platz.

Dies sind die Ordnungen, durch die Caesar versuchte, die italische Volkswirtschaft zu reformieren. Es ist leicht, sowohl ihre Unzulänglichkeit darzutun, indem auch sie noch eine Menge von Übelständen bestehen ließen, als auch nachzuweisen, daß sie vielfach schädlich wirkten, indem sie die Verkehrsfreiheit zum Teil sehr empfindlich beschränkten. Es ist noch leichter nachzuweisen, daß die Schäden der italischen Volkswirtschaft überhaupt unheilbarer Art waren. Aber trotzdem wird der praktische Staatsmann das Werk wie den Meister bewundern. Es war schon etwas, daß da, wo ein Mann wie Sulla, an Abhilfe verzweifelnd, mit einer bloß formalen Reorganisation sich begnügt hatte, das Übel an seinem eigentlichen Sitze angefaßt und hier mit ihm gerungen ward; und wir dürfen wohl urteilen, daß Caesar mit seinen Reformen dem Maße des Möglichen so nahe kam, als zu kommen dem Staatsmann und dem Römer gegeben war. Die Verjüngung Italiens hat auch er von ihnen nicht erwarten können noch erwartet, sondern diese vielmehr auf einem sehr verschiedenen Wege zu erreichen gesucht, den darzulegen es nötig wird, zunächst die Lage der Provinzen, wie Caesar sie vorfand, ins Auge zu fassen.

Die Provinzen, welche Caesar vorfand, waren vierzehn an der Zahl; sieben europäische: das Jenseitige und das Diesseitige Spanien; das Transalpinische Gallien; das Italische Gallien mit Illyricum; Makedonien mit Griechenland; Sizilien; Sardinien mit Korsika; fünf asiatische: Asia; Bithynien und Pontus; Kilikien mit Kypros; Syrien; Kreta; und zwei afrikanische: Kyrene und Afrika; wozu Caesar durch die Einrichtung der beiden neuen Statthalterschaften des Lugdunensischen Galliens und Belgiens und durch Konstituierung Illyricums als einer eigenen Provinz noch drei neue Sprengel hinzufügte110.

In dem Regiment über diese Provinzen war die oligarchische Mißwirtschaft auf einem Punkte angekommen, wie ihn wenigstens im Okzident, trotz mancher achtbarer Leistungen in diesem Fach, keine zweite Regierung jemals erreicht hat und wo nach unserer Fassungskraft eine Steigerung nicht mehr möglich scheint. Allerdings traf die Verantwortung hierfür die Römer nicht allein. Fast überall hatte bereits vor ihnen das griechische, phönikische oder asiatische Regiment den Völkern den höheren Sinn und das Rechts- und Freiheitsgefühl besserer Zeiten ausgetrieben. Es war wohl arg, daß jeder angeschuldigte Provinziale auf Verlangen in Rom persönlich zur Verantwortung sich zu stellen verpflichtet war; daß der römische Statthalter beliebig in die Rechtspflege und in die Verwaltung der abhängigen Gemeinden eingriff, Bluturteile fällte und Verhandlungen des Gemeinderats kassierte; daß er im Kriegsfall mit den Milizen nach Gutdünken und oft in schandbarer Weise schaltete, wie zum Beispiel Cotta bei der Belagerung des pontischen Herakleia der Miliz alle gefährlichen Posten anwies, um seine Italiker zu schonen, und, da die Belagerung nicht nach Wunsch ging, seinen Werkmeistern den Kopf vor die Füße zu legen befahl. Es war wohl arg, daß keine Vorschrift der Sittlichkeit oder des Strafrechts weder die römischen Vögte noch ihr Gefolge band und daß Vergewaltigungen, Schändungen und Ermordungen mit oder ohne Form Rechtens in den Provinzen alltägliche Auftritte waren. Allein es war dies wenigstens nichts Neues: fast überall war man sklavischer Behandlung längst gewohnt und es kam am Ende wenig darauf an, ob ein karthagischer Vogt, ein syrischer Satrap oder ein römischer Prokonsul den Lokaltyrannen spielte. Das materielle Wohlbefinden, ziemlich das einzige, wofür man in den Provinzen noch Sinn hatte, ward durch jene Vorgänge, die zwar bei den vielen Tyrannen viele, aber doch nur einzelne Individuen trafen, weit minder gestört als durch die auf allen zugleich lastende finanzielle Exploitierung, welche mit solcher Energie doch niemals noch aufgetreten war. Die Römer bewährten ihre alte Meisterschaft im Geldwesen jetzt auf diesem Gebiet in einer entsetzlichen Weise. Es ist früher versucht worden, das römische System der Provinzialbelastung in seinen bescheidenen und verständigen Grundlagen wie in seiner Steigerung und Verderbung darzustellen. Daß die letztere progressiv zunahm, versteht sich von selbst. Die ordentlichen Abgaben wurden weit drückender durch die Ungleichheit der Steuerverteilung und durch das verkehrte Hebesystem als durch ihre Höhe. Über die Einquartierungslast äußerten römische Staatsmänner selbst, daß eine Stadt ungefähr gleich viel leide, wenn der Feind sie erstürme und wenn ein römisches Heer Winterquartier in ihr nehme. Während die Besteuerung nach ihrem ursprünglichen Charakter die Vergütung für die von Rom übernommene Kriegslast gewesen war und die steuernde Gemeinde also ein Recht darauf hatte, vom ordentlichen Dienst verschont zu bleiben, wurde jetzt, wie zum Beispiel für Sardinien bezeugt ist, der Besatzungsdienst größtenteils den Provinzialen aufgebürdet und sogar in den ordentlichen Heeren außer anderen Leistungen die ganze schwere Last des Reiterdienstes auf sie abgewälzt. Die außerordentlichen Leistungen, wie zum Beispiel die Kornlieferungen gegen geringe oder gar keine Vergütung zum Besten des hauptstädtischen Proletariats, die häufigen und kostspieligen Flottenrüstungen und Strandverteidigungen, um der Piraterie zu steuern, die Aufgaben, Kunstwerke, wilde Bestien oder andere Bedürfnisse des wahnwitzigen römischen Theater- und Tierhetzenluxus herbeizuschaffen, die militärischen Requisitionen im Kriegsfall, waren ebenso häufig wie erdrückend und unberechenbar. Ein einzelnes Beispiel mag zeigen, wie weit die Dinge gingen. Während der dreijährigen Verwaltung Siziliens durch Gaius Verres sank die Zahl der Ackerwirte in Leontinoi von 84 auf 32, in Motuka von 187 auf 86, in Herbita von 252 auf 120, in Agyrion von 250 auf 80; so daß in vier der fruchtbarsten Distrikte Siziliens von hundert Grundbesitzern 59 ihre Äcker lieber brach liegen ließen, als sie unter diesem Regiment bestellten. Und diese Ackerwirte waren, wie schon ihre geringe Zahl zeigt und auch ausdrücklich gesagt wird, keineswegs kleine Bauern, sondern ansehnliche Plantagenbesitzer und zum großen Teil römische Bürger!

In den Klientelstaaten waren die Formen der Besteuerung etwas verschieden, aber die Lasten selbst womöglich noch ärger, da außer den Römern hier auch noch die einheimischen Höfe erpreßten. In Kappadokien und Ägypten war der Bauer wie der König bankrott und jener den Steuereinnehmer, dieser den römischen Gläubiger zu befriedigen außerstande. Dazu kamen denn die eigentlichen Erpressungen nicht bloß des Statthalters selbst, sondern auch seiner „Freunde“, von denen jeder gleichsam eine Anweisung auf den Statthalter zu haben meinte und ein Anrecht, durch ihn aus der Provinz als ein gemachter Mann zurückzukommen. Die römische Oligarchie glich in dieser Beziehung vollständig einer Räuberbande und betrieb das Plündern der Provinzialen berufs- und handwerksmäßig: ein tüchtiges Mitglied griff nicht allzu säuberlich zu, da man ja mit den Sachwaltern und den Geschworenen zu teilen hatte und je mehr, um desto sicherer stahl. Auch die Diebesehre war bereits entwickelt: der große Räuber sah auf den kleinen, dieser auf den bloßen Dieb geringschätzig herab; wer einmal wunderbarerweise verurteilt worden war, tat groß mit der hohen Ziffer der als erpreßt ihm nachgewiesenen Summen. So wirtschafteten in den Ämtern die Nachfolger jener Männer, die von ihrer Verwaltung nichts nach Hause zu bringen gewohnt gewesen als den Dank der Untertanen und den Beifall der Mitbürger.

Aber womöglich noch ärger und noch weniger einer Kontrolle unterworfen hausten die italischen Geschäftsmänner unter den unglücklichen Provinzialen. Die einträglichsten Stücke des Grundbesitzes und das gesamte Handels- und Geldwesen in den Ämtern konzentrierten sich in ihren Händen. Die Güter in den überseeischen Gebieten, welche italischen Vornehmen gehörten, waren allem Elend der Verwalterwirtschaft ausgesetzt und sahen niemals ihren Herrn, ausgenommen etwa die Jagdparke, welche schon in dieser Zeit im Transalpinischen Gallien mit einem Flächeninhalt bis fast zu einer deutschen Quadratmeile vorkommen. Die Wucherei florierte wie nie zuvor. Die kleinen Landeigentümer in Illyricum, Asia, Ägypten wirtschafteten schon zu Varros Zeit größtenteils tatsächlich als Schuldknechte ihrer römischen oder nichtrömischen Gläubiger, ebenwie einst die Plebejer für ihre patrizischen Zinsherren. Es kam vor, daß Kapitalien selbst an Stadtgemeinden zu vier Prozent monatlich verborgt wurden. Es war etwas Gewöhnliches, daß ein energischer und einflußreicher Geschäftsmann zu besserer Betreibung seiner Geschäfte entweder vom Senat sich den Gesandten-111 oder auch vom Statthalter den Offizierstitel geben ließ und womöglich auch Mannschaft dazu; in beglaubigter Weise wird ein Fall erzählt, wo einer dieser ehrenwerten kriegerischen Bankiers wegen einer Forderung an die Stadt Salamis auf Kypros den Gemeinderat derselben im Rathaus so lange blockiert hielt, bis fünf der Ratsmitglieder Hungers gestorben waren.

Zu dieser gedoppelten Pressung, von denen jede allein unerträglich war und deren Ineinandergreifen immer besser sich regulierte, kamen dann die allgemeinen Drangsale hinzu, von denen doch auch die römische Regierung die Schuld, zum großen Teil wenigstens mittelbar trug. In den vielfachen Kriegen wurden bald von den Barbaren, bald von den römischen Heeren große Kapitalien aus dem Lande weggeschleppt und größere verdorben. Bei der Nichtigkeit der römischen Land- und Seepolizei wimmelte es überall von Land- und Seeräubern. In Sardinien und im inneren Kleinasien war die Bandenwirtschaft endemisch; in Afrika und im Jenseitigen Spanien machte sie es nötig, alle außerhalb der städtischen Ringmauern angelegten Gebäude mit Mauern und Türmen zu befestigen. Das furchtbare Übel der Piraterie ward bereits in einem anderen Zusammenhang geschildert. Die Panazeen des Prohibitivsystems, mit denen der römische Statthalter dazwischenzufahren pflegte, wenn, wie das unter solchen Verhältnissen nicht fehlen konnte, Geldklemme oder Brotteuerung eintrat, die Verbote der Gold- und Getreideausfuhr aus der Provinz, machten denn auch die Sache nicht besser. Die Kommunalverhältnisse waren fast überall, außer durch den allgemeinen Notstand, auch noch durch lokale Wirren und Unterschleife der Gemeindebeamten zerrüttet. Wo solche Bedrängnisse nicht etwa vorübergehend, sondern Menschenalter hindurch auf den Gemeinden und den einzelnen mit unabwendbar stetigem, jährlich steigendem Drucke lasteten, mußte wohl der bestgeordnete öffentliche oder Privathaushalt ihnen erliegen und das unsäglichste Elend über alle Nationen vom Tajo bis zum Euphrat sich ausbreiten. „Alle Gemeinden“, heißt es in einer schon 684 (70) veröffentlichten Schrift „sind zugrunde gerichtet“; ebendasselbe wird für Spanien und das Narbonensische Gallien, also die verhältnismäßig ökonomisch noch am leidlichsten gestellten Provinzen, insbesondere bezeugt. In Kleinasien gar standen Städte wie Samos und Halikarnassos fast leer; der rechtliche Sklavenstand schien hier, verglichen mit den Peinigungen, denen der freie Provinziale unterlag, ein Hafen der Ruhe, und sogar der geduldige Asiate war, nach den Schilderungen römischer Staatsmänner selbst, des Lebens überdrüssig geworden. Wen zu ergründen gelüstet, wie tief der Mensch sinken kann, sowohl in dem frevelhaften Zufügen wie in dem nicht minder frevelhaften Ertragen alles denkbaren Unrechts, der mag aus den Kriminalakten dieser Zeit zusammenlesen, was römische Große zu tun, was Griechen, Syrer und Phöniker zu leiden vermochten. Selbst die eigenen Staatsmänner räumten öffentlich und ohne Umschweife ein, daß der römische Name durch ganz Griechenland und Asien unaussprechlich verhaßt sei; und wenn die Bürger des pontischen Herakleia einmal die römischen Zöllner sämtlich erschlugen, so war dabei nur zu bedauern, daß dergleichen nicht öfter geschah.

Die Optimaten spotteten über den neuen Herrn, der seine „Meierhöfe“ einen nach dem andern selbst zu besichtigen kam; in der Tat forderte der Zustand aller Provinzen den ganzen Ernst und die ganze Weisheit eines jener seltenen Männer, denen der Königsname es verdankt, daß er den Völkern nicht bloß gilt als leuchtendes Exempel menschlicher Unzulänglichkeit. Die geschlagenen Wunden mußte die Zeit heilen; daß sie es konnte und daß nicht ferner neue geschlagen wurden, dafür sorgte Caesar. Das Verwaltungswesen ward durchgreifend umgestaltet. Die Sullanischen Prokonsuln und Proprätoren waren in ihrem Sprengel wesentlich souverän und tatsächlich keiner Kontrolle unterworfen gewesen; die Caesarischen waren die wohl in Zucht gehaltenen Diener eines strengen Herrn, der schon durch die Einheit und die lebenslängliche Dauer seiner Macht zu den Untertanen ein natürlicheres und leidlicheres Verhältnis hatte als jene vielen, jährlich wechselnden kleinen Tyrannen. Die Statthalterschaften wurden zwar auch ferner unter die jährlich abtretenden zwei Konsuln und sechzehn Prätoren verteilt, aber dennoch, indem der Imperator acht von den letzteren geradezu ernannte und die Verteilung der Provinzen unter die Konkurrenten lediglich von ihm abhing, der Sache nach von dem Imperator vergeben. Auch die Kompetenz der Statthalter ward tatsächlich beschränkt. Es blieb ihnen die Leitung der Rechtspflege und die administrative Kontrolle der Gemeinden, aber ihr Kommando ward paralysiert durch das neue Oberkommando in Rom und dessen, dem Statthalter zur Seite gestellte Adjutanten, das Hebewesen wahrscheinlich schon jetzt, auch in den Provinzen wesentlich an kaiserliche Bediente übertragen, so daß der Statthalter fortan mit einem Hilfspersonal umringt war, welches entweder durch die Gesetze der militärischen Hierarchie oder durch die noch strengeren der häuslichen Zucht unbedingt von dem Imperator abhing. Wenn bisher der Prokonsul und sein Quästor erschienen waren gleichsam als die zur Einziehung der Brandschatzung abgesandten Mitglieder einer Räuberbande, so waren Caesars Beamte dazu da, um den Schwachen gegen den Starken zu beschützen; und an die Stelle der bisherigen, schlimmer als nichtigen Kontrolle der Ritter- oder senatorischen Gerichte trat für sie die Verantwortung vor einem gerechten und unnachsichtigen Monarchen. Das Gesetz über Erpressungen, dessen Bestimmungen Caesar schon in seinem ersten Konsulat verschärft hatte, wurde gegen die Oberkommandanten in den Ämtern von ihm mit unerbittlicher, selbst über den Buchstaben desselben hinausgehender Schärfe zur Anwendung gebracht; und die Steuerbeamten gar, wenn sie ja es wagten, sich eine Unrechtfertigkeit zu erlauben, büßten ihrem Herrn, wie Knechte und Freigelassene nach dem grausamen Hausrecht jener Zeit zu büßen pflegten. Die außerordentlichen öffentlichen Lasten wurden auf das richtige Maß und den wirklichen Notfall zurückgeführt, die ordentlichen wesentlich vermindert. Der durchgreifenden Regulierung des Steuerwesens ward bereits früher gedacht: die Ausdehnung der Steuerfreiheiten, die durchgängige Herabsetzung der direkten Abgaben, die Beschränkung des Zehntsystems auf Afrika und Sardinien, die vollständige Beseitigung der Mittelsmänner bei der Einziehung der direkten Abgaben waren für die Provinzialen segensreiche Reformen. Daß Caesar nach dem Beispiel eines seiner größten demokratischen Vorgänger, des Sertorius, die Untertanen von der Einquartierungslast hat befreien und die Soldaten anhalten wollen, sich selber bleibende stadtartige Standlager zu errichten, ist zwar nicht nachzuweisen; aber er war, wenigstens nachdem er die Prätendenten- mit der Königsrolle vertauscht hatte, nicht der Mann, den Untertan dem Soldaten preiszugeben; und es war in seinem Geiste gedacht, als die Erben seiner Politik solche Kriegslager und aus diesen Kriegslagern wieder Städte erschufen, in denen die italische Zivilisation Brennpunkte inmitten der barbarischen Grenzlandschaften fand.

Bei weitem schwieriger als dem Beamtenunwesen zu steuern war es, die Provinzialen von der erdrückenden Übermacht des römischen Kapitals zu befreien. Geradezu brechen ließ dieselbe sich nicht, ohne Mittel anzuwenden, die noch gefährlicher waren als das Übel; die Regierung konnte vorläufig nur einzelne Mißbräuche abstellen, wie zum Beispiel Caesar die Benutzung des Staatsgesandtentitels zu wucherlichen Zwecken untersagte, und der offenbaren Vergewaltigung und dem handgreiflichen Wucher durch scharfe Handhabung der allgemeinen Straf- und der auch auf die Provinzen sich erstreckenden Wuchergesetze entgegentreten, eine gründlichere Heilung des Übels aber von dem unter der besseren Verwaltung wiederaufblühenden Wohlstand der Provinzialen erwarten. Transitorische Verfügungen, um der Überschuldung einzelner Provinzen abzuhelfen, waren in den letzten Zeiten mehrfach ergangen. Caesar selbst hatte 694 (60) als Statthalter des Jenseitigen Spaniens den Gläubigern zwei Drittel der Einnahmen ihrer Schuldner zugewiesen, um daraus sich bezahlt zu machen. Ähnlich hatte schon Lucius Lucullus als Statthalter von Kleinasien einen Teil der maßlos angeschwollenen Zinsreste geradezu kassiert, für den übrigen Teil die Gläubiger angewiesen auf den vierten Teil des Ertrages der Ländereien ihrer Schuldner sowie auf eine angemessene Quote der aus Hausmiete oder Sklavenarbeit denselben zufließenden Nutzungen. Es ist nicht überliefert, daß Caesar nach dem Bürgerkrieg ähnliche allgemeine Schuldenliquidationen in den Provinzen veranlaßt hätte; doch kann es, nach dem eben Bemerkten und nach dem, was für Italien geschah, kaum bezweifelt werden, daß Caesar darauf ebenfalls hingearbeitet hat oder dies wenigstens in seinem Plan lag.

Wenn also der Imperator, soweit Menschenkraft es vermochte, die Provinzialen der Bedrückungen durch die Beamten und Kapitalisten Roms entlastete, so durfte man zugleich von der durch ihn neu erstarkenden Regierung mit Sicherheit erwarten, daß sie die wilden Grenzvölker verscheuchen und die Land- und Seepiraten zerstreuen werde, wie die aufsteigende Sonne die Nebel verjagt. Wie auch noch die alten Wunden schmerzten, mit Caesar erschien den vielgeplagten Untertanen die Morgenröte einer erträglicheren Zeit, seit Jahrhunderten wieder die erste intelligente und humane Regierung und eine Friedenspolitik, die nicht auf der Feigheit, sondern auf der Kraft beruhte. Wohl mochten mit den besten Römern vor allem die Untertanen an der Leiche des großen Befreiers trauern.

Allein diese Abstellung der bestehenden Mißbräuche war nicht die Hauptsache in Caesars Provinzialreform. In der römischen Republik waren, nach der Ansicht der Aristokratie wie der Demokratie, die Ämter nichts gewesen als wie sie häufig genannt werden: Landgüter des römischen Volkes, und als solche waren sie benutzt und ausgenutzt worden. Damit war es jetzt vorbei. Die Provinzen als solche sollten allmählich untergehen, um der verjüngten hellenisch-italischen Nation eine neue und geräumigere Heimat zu bereiten, von deren einzelnen Bezirken keiner nur um eines andern willen da war, sondern alle für einen und einer für alle; die Leiden und Schäden der Nation, für die in dem alten Italien keine Hilfe war, sollte das neue Dasein in der verjüngten Heimat, das frischere, breitere, großartigere Volksleben von selber überwinden. Bekanntlich waren diese Gedanken nicht neu. Die seit Jahrhunderten stehend gewordene Emigration aus Italien in die Provinzen hatte längst, freilich den Emigranten selber unbewußt, eine solche Ausdehnung Italiens vorbereitet. In planmäßiger Weise hatte zuerst Gaius Gracchus, der Schöpfer der römischen demokratischen Monarchie, der Urheber der transalpinischen Eroberungen, der Gründer der Kolonien Karthago und Narbo, die Italiker über Italiens Grenzen hinausgelenkt, sodann der zweite geniale Staatsmann, den die römische Demokratie hervorgebracht, Quintus Sertorius, damit begonnen, die barbarischen Okzidentalen zur latinischen Zivilisation anzuleiten; er gab der vornehmen spanischen Jugend römische Tracht und hielt sie an, lateinisch zu sprechen und auf der von ihm gegründeten Bildungsanstalt in Osca sich die höhere italische Bildung anzueignen. Bei Caesars Regierungsantritt war bereits eine massenhafte, freilich der Stetigkeit wie der Konzentration großenteils ermangelnde italische Bevölkerung in allen Provinzen und Klientelstaaten vorhanden – um von den förmlich italischen Städten in Spanien und dem südlichen Gallien zu schweigen, erinnern wir nur an die zahlreichen Bürgertruppen, die Sertorius und Pompeius in Spanien, Caesar in Gallien, Juba in Numidien, die Verfassungspartei in Afrika, Makedonien, Griechenland, Kleinasien und Kreta aushoben; an die freilich übelgestimmte lateinische Leier, auf der die Stadtpoeten von Corduba schon im Sertorianischen Kriege der römischen Feldherren Lob und Preis sangen; an die eben ihrer sprachlichen Eleganz wegen geschätzten Übersetzungen griechischer Poesien, die der älteste namhafte außeritalische Poet, der Transalpiner Publius Terentius Varro von der Aude, kurz nach Caesars Tode veröffentlichte.

Andererseits war die Durchdringung des latinischen und des hellenischen Wesens, man möchte sagen, so alt wie Rom. Schon bei der Einigung Italiens hatte die obsiegende latinische Nation alle anderen besiegten Nationalitäten sich assimiliert, nur die einzige griechische, so wie sie war, sich eingefügt, ohne sie äußerlich mit sich zu verschmelzen. Wohin der römische Legionär kam, dahin folgte der griechische Schulmeister, in seiner Art nicht minder ein Eroberer, ihm nach; schon früh finden wir namhafte griechische Sprachlehrer ansässig am Guadalquivir, und in der Anstalt von Osca ward so gut griechisch gelehrt wie lateinisch. Die höhere römische Bildung selbst war ja durchaus nichts anderes als die Verkündung des großen Evangeliums hellenischer Art und Kunst im italischen Idiom; gegen die bescheidene Anmaßung der zivilisierenden Eroberer, dasselbe zunächst in ihrer Sprache den Barbaren des Westens zu verkündigen, konnte der Hellene wenigstens nicht laut protestieren. Schon längst erblickte der Grieche überall, und am entschiedensten eben da, wo das Nationalgefühl am reinsten und am stärksten war, an den von barbarischer Denationalisierung bedrohten Grenzen, wie zum Beispiel in Massalia, am Nordgestade des Schwarzen Meeres und am Euphrat und Tigris, den Schild und das Schwert des Hellenismus in Rom; und in der Tat nahmen Pompeius‘ Städtegründungen im fernen Osten nach jahrhundertelanger Unterbrechung Alexanders segensreiches Werk wieder auf.

Der Gedanke eines italisch-hellenischen Reiches mit zweien Sprachen und einer einheitlichen Nationalität war nicht neu – er wäre sonst auch nichts gewesen als ein Fehler; aber daß er aus schwankenden Entwürfen zu sicherer Fassung, aus zerstreuten Anfängen zu konzentrierter Grundlegung fortschritt, ist das Werk des dritten und größten der demokratischen Staatsmänner Roms.

Die erste und wesentlichste Bedingung zu der politischen und nationalen Nivellierung des Reichs war die Erhaltung und Ausdehnung der beiden zu gemeinschaftlichem Herrschen bestimmten Nationen, unter möglichst rascher Beseitigung der neben ihr stehenden barbarischen oder barbarisch genannten Stämme. In gewissem Sinne könnte man allerdings neben Römern und Griechen noch eine dritte Nationalität nennen, die mit denselben in der damaligen Welt an Ubiquität wetteiferte und auch in dem neuen Staate Caesars eine nicht unwesentliche Rolle zu spielen bestimmt war. Es sind dies die Juden. Das merkwürdige, nachgiebig zähe Volk war in der alten wie in der heutigen Welt überall und nirgends heimisch und überall und nirgends mächtig. Die Diadochen Davids und Salomos bedeuteten für die Juden jener Zeit kaum mehr, als heutzutage Jerusalem für sie bedeutet; die Nation fand wohl für ihre religiöse und geistige Einheit einen sichtbaren Anhalt in dem kleinen Königreich von Jerusalem, aber sie selbst bestand keineswegs in der Untertanenschaft der Hasmonäer, sondern in den zahllos durch das ganze Parthische und das ganze Römische Reich zerstreuten Judenschaften. In Alexandreia namentlich und ähnlich in Kyrene bildeten die Juden innerhalb dieser Städte eigene, administrativ und selbst lokal abgegrenzte Gemeinwesen, den Judenvierteln unserer Städte nicht ungleich, aber freier gestellt und von einem „Volksherrn“ als oberstem Richter und Verwalter geleitet. Wie zahlreich selbst in Rom die jüdische Bevölkerung bereits vor Caesar war, und zugleich, wie landsmannschaftlich eng die Juden auch damals zusammenhielten, beweist die Bemerkung eines Schriftstellers dieser Zeit, daß es für den Statthalter bedenklich sei, den Juden in seiner Provinz zu nahe zu treten, weil er dann sicher darauf zählen dürfe, nach seiner Heimkehr von dem hauptstädtischen Pöbel ausgepfiffen zu werden. Auch zu jener Zeit war das vorwiegende Geschäft der Juden der Handel: mit dem erobernden römischen Kaufmann zog damals der jüdische Händler ebenso überall hin wie später mit dem genuesischen und venezianischen, und neben der römischen strömte das Kapital allerorts bei der jüdischen Kaufmannschaft zusammen. Auch zu jener Zeit endlich begegnen wir der eigentümlichen Antipathie der Okzidentalen gegen diese so gründlich orientalische Rasse und ihre fremdartigen Meinungen und Sitten. Dies Judentum, obwohl nicht der erfreulichste Zug in dem nirgends erfreulichen Bilde der damaligen Völkermengung, war nichtsdestoweniger ein im natürlichen Verlauf der Dinge sich entwickelndes geschichtliches Moment, das der Staatsmann weder sich ableugnen noch bekämpfen durfte und dem Caesar vielmehr, ebenwie sein Vorgänger Alexander, in richtiger Erkenntnis der Verhältnisse möglichst Vorschub tat. Wenn Alexander, der Stifter des alexandrinischen Judentums, damit nicht viel weniger für die Nation tat wie ihr eigener David durch den Tempelbau von Jerusalem, so förderte auch Caesar die Juden in Alexandreia wie in Rom durch besondere Begünstigungen und Vorrechte und schützte namentlich ihren eigentümlichen Kult gegen die römischen wie gegen die griechischen Lokalpfaffen. Die beiden großen Männer dachten natürlich nicht daran, der hellenischen oder italisch-hellenischen Nationalität die jüdische ebenbürtig zur Seite zu stellen. Aber der Jude, der nicht wie der Okzidentale die Pandoragabe politischer Organisation empfangen hat und gegen den Staat sich wesentlich gleichgültig verhält; der ferner ebenso schwer den Kern seiner nationalen Eigentümlichkeit aufgibt als bereitwillig denselben mit jeder beliebigen Nationalität umhüllt und bis zu einem gewissen Grad der fremden Volkstümlichkeit sich anschmiegt – der Jude war ebendarum wie geschaffen für einen Staat, welcher auf den Trümmern von hundert lebendigen Politien erbaut und mit einer gewissermaßen abstrakten und von vornherein verschliffenen Nationalität ausgestattet werden sollte. Auch in der alten Welt war das Judentum ein wirksames Ferment des Kosmopolitismus und der nationalen Dekomposition und insofern ein vorzugsweise berechtigtes Mitglied in dem Caesarischen Staate, dessen Politie doch eigentlich nichts als Weltbürgertum, dessen Volkstümlichkeit im Grunde nichts als Humanität war.

Indes die positiven Elemente des neuen Bürgertums blieben ausschließlich die latinische und die hellenische Nationalität. Mit dem spezifisch italischen Staat der Republik war es also zu Ende; jedoch war es nichts als ein sehr erklärliches, aber auch sehr albernes Gerede des grollenden Adels, daß Caesar Italien und Rom absichtlich zugrunde richte, um den Schwerpunkt des Reiches in den griechischen Osten zu verlegen und zur Hauptstadt desselben Ilion oder Alexandreia zu machen. Vielmehr behielt in Caesars Organisation die latinische Nationalität immer das Übergewicht; wie sich dies schon darin ausspricht, daß er jede Verfügung in lateinischer, aber die für die griechisch redenden Landschaften bestimmten daneben in griechischer Sprache erließ. Im allgemeinen ordnete er die Verhältnisse der beiden großen Nationen in seiner Monarchie ebenwie sie in dem geeinigten Italien seine republikanischen Vorgänger geordnet hatten: die hellenische Nationalität wurde geschützt, wo sie bestand, die italische nach Vermögen erweitert und ihr die Erbschaft der aufzulösenden Rassen bestimmt. Es war dies schon deshalb notwendig, weil eine völlige Gleichstellung des griechischen und lateinischen Elements im Staate aller Wahrscheinlichkeit nach in sehr kurzer Zeit diejenige Katastrophe herbeigeführt haben würde, die manche Jahrhunderte später der Byzantinismus vollzog; denn das Griechentum war nicht bloß geistig nach allen Richtungen hin dem römischen Wesen überlegen, sondern auch an Masse, und hatte in Italien selbst an den Schwärmen der gezwungen oder freiwillig nach Italien wandernden Hellenen und Halbhellenen eine Unzahl unscheinbarer, aber in ihrem Einfluß nicht hoch genug anzuschlagender Apostel. Um nur der eminentesten Erscheinung auf diesem Gebiete zu gedenken, so ist das Regiment der griechischen Lakaien über die römischen Monarchen so alt wie die Monarchie: der erste in der ebenso langen wie widerwärtigen Liste dieser Individuen ist Pompeius‘ vertrauter Bedienter Theophanes von Mytilene, welcher durch seine Gewalt über den schwachen Herrn wahrscheinlich mehr als irgendein anderer Mann zu dem Ausbruch des Krieges zwischen Pompeius und Caesar beigetragen hat. Nicht ganz mit Unrecht ward er nach seinem Tode von seinen Landsleuten göttlich verehrt: eröffnete er doch die Kammerdienerregierung der Kaiserzeit, die gewissermaßen eben auch eine Herrschaft der Hellenen über die Römer war. Die Regierung hatte demnach allen Grund, die Ausbreitung des Hellenismus wenigstens im Westen nicht noch von oben herab zu fördern. Wenn Sizilien nicht bloß des Zehntendrucks entlastet, sondern auch seinen Gemeinden das latinische Recht bestimmt ward, dem seiner Zeit vermutlich die volle Gleichstellung mit Italien nachfolgen sollte, so kann Caesars Absicht nur gewesen sein, die herrliche, aber damals verödete und wirtschaftlich zum größten Teil in italische Hände gelangte Insel, welche die Natur nicht so sehr zum Nachbarland Italiens bestimmt hat als zu der schönsten seiner Landschaften, völlig in Italien aufgehen zu lassen. Im übrigen aber ward das Griechentum, wo es bestand, erhalten und geschützt. Wie nahe auch die politischen Krisen es dem Imperator legten, die festen Pfeiler des Hellenismus im Okzident und in Ägypten umzustürzen, Massalia und Alexandreia wurden weder vernichtet noch denationalisiert.

Dagegen das römische Wesen ward durch Kolonisierung wie durch Latinisierung mit allen Kräften und an den verschiedensten Punkten des Reiches von der Regierung gehoben. Der zwar aus einer argen Vereinigung formeller Rechts- und brutaler Machtentwicklung hervorgegangene, aber, um freie Hand gegen die zur Vernichtung bestimmten Nationen zu haben, unumgänglich notwendige Satz, daß an allem, nicht durch besonderen Akt der Regierung an Gemeinden oder Private abgetretenen Grund und Boden in den Provinzen der Staat das Eigentum, der zeitige Inhaber nur einen geduldeten und jederzeit widerruflichen Erbbesitz habe, wurde auch von Caesar festgehalten und durch ihn aus einer demokratischen Parteitheorie zu einem Fundamentalprinzip des monarchischen Rechts erhoben. In erster Linie kam für die Ausbreitung der römischen Nationalität natürlich Gallien in Frage. Gallien diesseits der Alpen erhielt durch die längst von der Demokratie als vollzogen angenommene und nun (705 49) durch Caesar schließlich vollzogene Aufnahme der transpadanischen Gemeinden in den römischen Bürgerverband durchgängig, was ein großer Teil der Bewohner längst gehabt: politische Gleichberechtigung mit dem Hauptland. Tatsächlich hatte sich diese Provinz in den vierzig Jahren, die seit Erteilung des Latinerrechts verflossen waren, bereits vollständig latinisiert. Die Exklusiven mochten spotten über den breiten und gurgelnden Akzent des Kettenlateins und ein „ich weiß nicht was von hauptstädtischer Anmut“ bei dem Insubrer und Veneter vermissen, der sich als Caesars Legionär mit dem Schwert einen Platz auf dem römischen Markt und sogar in der römischen Kurie erobert hatte. Nichtsdestoweniger war das Cisalpinische Gallien mit seiner dichten, vorwiegend bauernschaftlichen Bevölkerung schon vor Caesar der Sache nach eine italische Landschaft und blieb Jahrhunderte lang der rechte Zufluchtsort italischer Sitte und italischer Bildung; wie denn die Lehrer der latinischen Literatur nirgends sonst außerhalb der Hauptstadt so vielen Zuspruch und Anklang fanden. Wenn also das Cisalpinische Gallien wesentlich in Italien aufging, so trat zugleich an die Stelle, die es bisher eingenommen hatte, die transalpinische Provinz, die ja durch Caesars Eroberungen aus einer Grenz- in eine Binnenprovinz umgewandelt worden war und die durch ihre Nähe wie durch ihr Klima vor allen anderen Gebieten sich dazu eignete, mit der Zeit gleichfalls eine italische Landschaft zu werden. Dorthin hauptsächlich, nach dem alten Zielpunkt der überseeischen Ansiedlungen der römischen Demokratie, ward der Strom der italischen Emigration gelenkt. Es wurden daselbst teils die alte Kolonie Narbo durch neue Ansiedler verstärkt, teils in Baeterrae (Béziers) unweit Narbo, in Arelate (Arles) und Arausio (Orange) an der Rhone und in der neuen Hafenstadt Forum Iulii (Fréjus) vier neue Bürgerkolonien angelegt, deren Namen zugleich das Andenken der tapferen Legionen bewahrten, die das nördliche Gallien zum Reiche gebracht hatten112. Die nicht mit Kolonisten belegten Ortschaften scheinen zugleich, wenigstens größtenteils, in derselben Art wie einst das transpadanische Kettenland, der Romanisierung entgegengeführt worden zu sein durch Verleihung latinischen Stadtrechts; namentlich wurde Nemausus (Nîmes) als der Hauptort des den Massalioten infolge ihrer Auflehnung gegen Caesar aberkannten Gebiets aus einem massaliotischen Flecken in eine latinische Stadtgemeinde umgewandelt und mit ansehnlichem Gebiet und selbst mit Münzrecht ausgestattet113. Indem also das Cisalpinische Gallien von der vorbereitenden Stufe zur vollen Gleichstellung mit Italien fortschritt, rückte gleichzeitig die narbonensische Provinz in jenes vorbereitende Stadium nach; ganz wie bisher im Cisalpinischen Gallien hatten die ansehnlichsten Gemeinden daselbst das volle Bürger-, die übrigen latinisches Recht.

In den anderen nichtgriechischen und nichtlatinischen Landschaften des Reiches, welche der Einwirkung Italiens und dem Assimilationsprozeß noch ferner standen, beschränkte Caesar sich darauf, einzelne Brennpunkte für die italische Zivilisation zu gründen, wie dies bisher in Gallien Narbo gewesen war, um durch sie die künftige vollständige Ausgleichung vorzubereiten. Solche Anfänge lassen, mit Ausnahme der ärmsten und geringsten von allen, der sardinischen, in sämtlichen Provinzen des Reiches sich nachweisen. Wie Caesar im nördlichen Gallien verfuhr, ward schon dargelegt; die lateinische Sprache erhielt hier, wenn auch noch nicht für alle Zweige des öffentlichen Verkehrs, durchgängig offizielle Geltung und es entstand am Lemansee als die nördlichste Stadt italischer Verfassung die Kolonie Noviodunum (Nyon).

In Spanien, vermutlich damals der am dichtesten bevölkerten Landschaft des Römischen Reiches, wurden nicht bloß in der wichtigen hellenisch-iberischen Hafenstadt Emporiae neben der alten Bevölkerung Caesarische Kolonisten angesiedelt, sondern, wie neuerdings aufgefundene Urkunden gezeigt haben, auch eine Anzahl wahrscheinlich überwiegend dem hauptstädtischen Proletariat entnommener Kolonisten in der Stadt Urso (Osuna), unweit Sevilla im Herzen von Andalusien, und vielleicht noch in mehreren anderen Ortschaften dieser Provinz versorgt. Die alte und reiche Kaufstadt Gades, deren Munizipalwesen Caesar schon als Prätor zeitgemäß umgestaltet hatte, erhielt jetzt von dem Imperator das volle Recht der italischen Munizipien (705 49) und wurde, was in Italien Tusculum gewesen war, die erste außeritalische, nicht von Rom gegründete Gemeinde, die in den römischen Bürgerverband eintrat. Einige Jahre nachher (709 45) wurde das gleiche Recht auch einigen anderen spanischen Gemeinden und vermutlich noch mehreren das latinische zuteil.

In Afrika wurde, was Gaius Gracchus nicht hatte zu Ende führen sollen, jetzt ins Werk gesetzt und an derjenigen Stätte, wo die Stadt der Erbfeinde Roms gestanden, 3000 italische Kolonisten und eine große Anzahl der im karthagischen Gebiet ansässigen Pacht- und Bittbesitzer angesiedelt; und zum Erstaunen rasch wuchs unter den unvergleichlich günstigen Lokalverhältnissen die neue „Venuskolonie“, das römische Karthago, wieder empor. Utica, bis dahin die Haupt- und erste Handelsstadt der Provinz, war schon im vorweg, es scheint durch Erteilung des latinischen Rechts, für die Wiedererweckung des überlegenen Konkurrenten einigermaßen entschädigt worden. In dem neu zum Reiche gefügten numidischen Gebiet erhielten das wichtige Cirta und die übrigen, dem römischen Condottiere Publius Sittius für sich und die Seinigen überwiesenen Gemeinden das Recht römischer Militärkolonien. Die stattlichen Provinzstädte freilich, die das wahnsinnige Wüten Jubas und der verzweifelten Reste der Verfassungspartei in Schutthaufen verwandelt hatte, erhoben sich nicht so rasch wieder, wie sie eingeäschert worden waren, und manche Trümmerstätte erinnerte noch lange nachher an diese verhängnisvolle Zeit; allein die beiden neuen Julischen Kolonien, Karthago und Cirta, wurden und blieben die Mittelpunkte der afrikanisch-römischen Zivilisation.

In dem verödeten griechischen Land beschäftigte Caesar außer mit anderen Plänen, zum Beispiel der Anlage einer römischen Kolonie in Buthroton (Korfu gegenüber), vor allem sich mit der Wiederherstellung von Korinth; nicht bloß wurde eine ansehnliche Bürgerkolonie dorthin geführt, sondern auch der Plan entworfen, durch den Durchstich des Isthmus die gefährliche Umschiffung des Peloponnes abzuschneiden und den ganzen italisch-asiatischen Verkehr durch den Korinthisch-Saronischen Meerbusen zu leiten. Endlich rief selbst in dem entlegenen hellenischen Osten der Monarch italische Ansiedlungen ins Leben: so am Schwarzen Meer in Herakleia und in Sinope, welche Städte die italischen Kolonisten ähnlich wie Emporiae mit den alten Bewohnern teilten; so an der syrischen Küste in dem wichtigen Hafen von Berytos, das wie Sinope italische Verfassung erhielt; ja sogar in Ägypten wurde auf der den Hafen von Alexandreia beherrschenden Leuchtturminsel eine römische Station gegründet.

Durch diese Anordnungen ward die italische Gemeindefreiheit in weit umfassenderer Weise, als es bisher geschehen war, in die Provinzen getragen. Die Vollbürgergemeinden, also sämtliche Städte der cisalpinischen Provinz und die in dem Transalpinischen Gallien und sonst zerstreuten Bürgerkolonien und Bürgermunizipien, standen den italischen insofern gleich, als sie sich selber verwalteten und selbst eine, allerdings beschränkte, Gerichtsbarkeit ausübten: wogegen freilich die wichtigeren Prozesse vor die hier kompetenten römischen Behörden, in der Regel den Statthalter des Sprengels gehörten114. Die formell autonomen latinischen und die sonstigen befreiten Gemeinden, also jetzt die sizilischen und die des Narbonensischen Galliens, soweit sie nicht Bürgergemeinden waren, alle und auch in anderen Provinzen eine beträchtliche Zahl, hatten nicht bloß die freie Verwaltung, sondern wahrscheinlich unbeschränkte Gerichtsbarkeit, so daß der Statthalter hier nur kraft seiner allerdings sehr arbiträren Verwaltungskontrolle einzugreifen befugt war. Wohl hatte es auch früher schon Vollbürgergemeinden innerhalb der Statthaltersprengel gegeben, wie zum Beispiel Aquileia und Narbo, und hatten ganze Statthaltersprengel, wie das Diesseitige Gallien, aus Gemeinden mit italischer Verfassung bestanden; aber wenn nicht rechtlich, war es doch politisch eine ungemein wichtige Neuerung, daß es jetzt eine Provinz gab, die so gut wie Italien lediglich von römischen Bürgern bevölkert war115, und daß andere es zu werden versprachen. Es fiel damit der eine große tatsächliche Gegensatz, in dem Italien zu den Provinzen gestanden hatte; und auch der zweite, daß in Italien regelmäßig keine Truppen standen, wohl aber in den Provinzen, war gleichermaßen im Verschwinden: die Truppen standen jetzt nur da, wo es eine Grenze zu verteidigen gab, und die Kommandanten der Provinzen, bei denen dies nicht zutraf, wie zum Beispiel bei Narbo und Sizilien, waren nur dem Namen nach noch Offiziere. Der formelle Gegensatz zwischen Italien und den Provinzen, der zu allen Zeiten auf anderen Unterschieden beruht hatte, blieb allerdings auch jetzt bestehen, Italien der Sprengel der bürgerlichen Rechtspflege und der Konsuln-Prätoren, die Provinzen kriegsrechtliche Jurisdiktionsbezirke und den Prokonsuln und Proprätoren unterworfen; allein der Prozeß nach Bürger- und nach Kriegsrecht fiel längst praktisch zusammen, und die verschiedene Titulatur der Beamten hatte wenig zu bedeuten, seit über allen der eine Imperator stand.

Offenbar ist in all diesen einzelnen munizipalen Gründungen und Ordnungen, die wenigstens dem Plan, wenn auch vielleicht nicht alle der Ausführung nach, auf Caesar zurückgehen, ein bestimmtes System. Italien ward aus der Herrin der unterworfenen Völkerschaften umgewandelt in die Mutter der verjüngten italisch-hellenischen Nation. Die dem Mutterlande vollständig gleichgestellte cisalpinische Provinz verhieß und verbürgte es, daß in der Monarchie Caesars, ebenwie in der frischeren Epoche der Republik, jede latinisierte Landschaft erwarten durfte, den älteren Schwestern und der Mutter selbst ebenbürtig an die Seite zu treten. Auf der Vorstufe zur vollen nationalen und politischen Ausgleichung mit Italien standen dessen Nebenländer, das griechische Sizilien und das rasch sich latinisierende südliche Gallien. Auf einer entfernteren Stufe zu dieser Ausgleichung standen die übrigen Landschaften des Reiches, in denen, wie bisher in Südgallien Narbo römische Kolonie gewesen war, jetzt die großen Seestädte: Emporiae, Gades, Karthago, Korinth, Herakleia im Pontos, Sinope, Berytos, Alexandreia, italische oder hellenisch-italische Gemeinden wurden, die Stützpunkte einer italischen Zivilisation selbst im griechischen Osten, die Grundpfeiler der künftigen nationalen und politischen Nivellierung des Reiches. Die Herrschaft der Stadtgemeinde Rom über das Litoral des Mittelmeeres war zu Ende; an ihre Stelle trat der neue Mittelmeerstaat und sein erster Akt war die Sühnung der beiden größten Untaten, die jene Stadtgemeinde an der Zivilisation begangen hatte. Wenn die Zerstörung der beiden größten Handelsplätze im römischen Gebiet den Wendepunkt bezeichnete, wo die Schutzherrschaft der römischen Gemeinde in politische Tyrannisierung und finanzielle Ausnutzung der untertänigen Landschaften überging, so bezeichnete jetzt die sofortige und glänzende Wiederherstellung von Karthago und Korinth die Begründung des neuen, alle Landschaften am Mittelmeer zu nationaler und politischer Gleichheit, zu wahrhaft staatlicher Einigung heranbildenden großen Gemeinwesens. Wohl durfte Caesar der Stadt Korinth zu ihrem vielberühmten alten den neuen Namen der „Julischen Ehre“ verleihen.

Wenn also das neue einheitliche Reich mit einer Nationalität ausgestattet ward, die freilich notwendigerweise der volkstümlichen Individualität entbehrte und mehr ein unlebendiges Kunstprodukt als ein frischer Trieb der Natur war, so bedurfte dasselbe ferner der Einheit in denjenigen Institutionen, in denen das allgemeine Leben der Nationen sich bewegt: in Verfassung und Verwaltung, in Religion und Rechtspflege, in Münze, Maß und Gewicht; wobei natürlich lokale Besonderheiten mannigfaltigster Art mit wesentlicher Einigung sich vollkommen vertrugen. Überall kann auf diesen Gebieten nur von Anfängen die Rede sein, da die einheitliche Durchbildung der Monarchie Caesars in der Zukunft lag und er nichts tat, als für den Bau von Jahrhunderten den Grund legen. Aber von den Linien, die der große Mann auf diesen Gebieten gezogen hat, lassen noch manche sich erkennen; und es ist erfreulicher, hier ihm nachzugehen, als in dem Trümmerbau der Nationalitäten.

Hinsichtlich der Verfassung und Verwaltung wurden bereits in einem anderen Zusammenhang die wichtigsten Momente der neuen Einheit hervorgehoben: der Übergang der Souveränität von dem römischen Gemeinderat auf den Alleinherrscher der Mittelmeermonarchie; die Umwandlung jenes Gemeinderats in einen höchsten, Italien wie die Provinzen repräsentierenden Reichsrat: vor allem die begonnene Übertragung der römischen und überhaupt der italischen Gemeindeordnung auf die Provinzialgemeinden. Es führte dieser letztere Weg, die Verleihung latinischen und demnach römischen Rechts an die zum vollständigen Eintritt in den Einheitsstaat reifen Gemeinden, gleichmäßige kommunale Ordnungen allmählich von selbst herbei. Nur in einer Hinsicht konnte man hierauf nicht warten. Das neue Reich bedurfte sofort einer Institution, die der Regierung die hauptsächlichen Grundlagen der Verwaltung, die Bevölkerungs- und Vermögensverhältnisse der einzelnen Gemeinden, übersichtlich vor Augen legte, das heißt eines verbesserten Zensus. Zunächst ward der italische reformiert. Nach Caesars Verordnung116, die freilich wohl nur die infolge des Bundesgenossenkrieges wenigstens im Prinzip getroffenen Anordnungen zur Ausführung brachte, sollten künftig, wenn in der römischen Gemeinde die Schatzung stattfand, gleichzeitig in jeder italischen der Name eines jeden Gemeindebürgers und der seines Vaters oder Freilassers, sein Bezirk, sein Alter und sein Vermögen von der höchsten Behörde der Gemeinde aufgezeichnet und diese Listen an den römischen Schatzmeister so früh abgeliefert werden, daß dieser das allgemeine Verzeichnis der römischen Bürger und der römischen Habe rechtzeitig vollenden konnte. Daß es Caesars Absicht war, ähnliche Institutionen auch in den Provinzen einzuführen, dafür bürgt teils die von Caesar angeordnete Vermessung und Katastrierung des gesamten Reiches, teils die Einrichtung selbst; denn es war ja damit die allgemeine Formel gefunden, um so gut in den italischen wie in den nichtitalischen Gemeinden des Staats die für die Zentralverwaltung erforderlichen Aufnahmen zu bewirken. Offenbar war es auch hier Caesars Absicht, auf die Traditionen der älteren republikanischen Zeit zurückzugehen und die Reichsschatzung wiedereinzuführen, welche die ältere Republik, wesentlich in derselben Weise wie Caesar die italische, durch analoge Ausdehnung des Instituts der städtischen Zensur mit seinen Fristen und sonstigen wesentlichen Normen auf die sämtlichen Untertanengemeinden Italiens und Siziliens bewirkt hatte. Es war dies eines der ersten Institute gewesen, das die erstarrende Aristokratie verfallen und damit der obersten Verwaltungsbehörde jede Übersicht über die disponiblen Mannschaften und Steuerkräfte und also jede Möglichkeit einer wirksamen Kontrolle verloren gehen ließ. Die vorhandenen Spuren und der Zusammenhang der Dinge selbst zeigen unwidersprechlich, daß Caesar die Erneuerung der seit Jahrhunderten verschollenen Reichsschatzung vorbereitete.

Daß in der Religion und in der Rechtspflege an eine durchgreifende Nivellierung nicht gedacht werden konnte, ist kaum nötig zu sagen; doch bedurfte der neue Staat bei aller Toleranz gegen Lokalglauben und Munizipalstatute eines gemeinsamen, der italisch-hellenischen Nationalität entsprechenden Kultus und einer allgemeinen, den Munizipalstatuten übergeordneten Rechtssatzung. Er bedurfte ihrer: denn beides war tatsächlich schon da. Auf dem religiösen Gebiet war man seit Jahrhunderten tätig gewesen, den italischen und den hellenischen Kult teils durch äußerliche Aufnahme, teils durch innerliche Ausgleichung der Gottheitsbegriffe ineinanderzuarbeiten und bei der nachgiebigen Formlosigkeit der italischen Götter hatte es nicht einmal große Schwierigkeit gemacht, den Jupiter in dem Zeus, die Venus in der Aphrodite und so jede wesentliche Idee des latinischen Glaubens in ihrem hellenischen Gegenbild aufzuheben. Die italisch-hellenische Religion stand bereits in den Grundzügen fertig da; wie sehr man eben auf diesem Gebiete sich dessen bewußt war, über die spezifisch römische hinaus und zu einer italisch-hellenischen Quasinationalität fortgeschritten zu sein, beweist zum Beispiel die in Varros schon erwähnter Theologie aufgestellte Unterscheidung der „gemeinen“, d. h. der von den Römern wie den Griechen anerkannten Götter, von den besonderen der römischen Gemeinde.

Im Rechtswesen hatte es auf dem Gebiete des Kriminal- und Polizeirechts, wo die Regierung unmittelbar eingreift und dem rechtlichen Bedürfnis wesentlich durch eine verständige Legislation genügt wird, keine Schwierigkeit, auf dem Wege der gesetzgeberischen Tätigkeit denjenigen Grad materieller Gleichförmigkeit zu erreichen, der allerdings auch hier für die Reichseinheit notwendig war. Im Zivilrecht dagegen, wo die Initiative dem Verkehr, dem Gesetzgeber nur die Formulierung zusteht, war das einheitliche Reichszivilrecht, das der Gesetzgeber zu schaffen freilich nicht vermocht hätte, längst auch bereits auf naturgemäßem Wege durch den Verkehr selber entwickelt worden. Das römische Stadtrecht zwar beruhte rechtlich immer noch auf der in den Zwölf Tafeln enthaltenen Formulierung des latinischen Landrechts. Die späteren Gesetze hatten wohl im einzelnen mancherlei zeitgemäße Verbesserungen eingeführt, unter denen leicht die wichtigste sein mochte die Abschaffung der alten ungeschickten Prozeßeröffnung durch stehende Spruchformeln der Parteien und ihre Ersetzung durch eine von dem prozeßleitenden Beamten schriftlich abgefaßte Instruktion für den Einzelgeschworenen (formula); allein in der Hauptsache hatte die Volkslegislation nur über jene altersgraue Grundlage einen den englischen Statutargesetzen vergleichbaren unübersehlichen Wust großenteils längst veralteter und vergessener Spezialgesetze aufgeschichtet. Die Versuche wissenschaftlicher Formulierung und Systematisierung hatten die verschlungenen Gänge des alten Zivilrechts allerdings zugänglich gemacht und erhellt; allein dem Grundmangel, daß ein vor vierhundert Jahren abgefaßtes städtisches Weistum mit seinen ebenso diffusen wie konfusen Nachträgen jetzt als das Recht eines großen Staates dienen sollte, konnte kein römischer Blackstone abhelfen. Gründlicher half der Verkehr sich selbst. Längst hatte in Rom der rege Verkehr zwischen Römern und Nichtrömern ein internationales Privatrecht ( ius gentium; 1, 167) entwickelt, das heißt einen Komplex von Satzungen namentlich über Verkehrsverhältnisse, nach welchen römische Richter dann sprachen, wenn eine Sache weder nach ihrem eigenen noch nach irgendeinem anderen Landrecht entschieden werden konnte, sondern sie genötigt waren, von den römischen, hellenischen, phönikischen und sonstigen Rechtseigentümlichkeiten absehend, auf die allem Verkehr zu Grunde liegenden gemeinsamen Rechtsanschauungen zurückzugehen. Hier knüpfte die neuere Rechtsbildung an. Zunächst als Richtschnur für den rechtlichen Verkehr der römischen Bürger unter sich setzte sie an die Stelle des alten, praktisch unbrauchbar gewordenen tatsächlich ein neues Stadtrecht, das materiell beruhte auf einem Kompromiß zwischen dem nationalen Zwölftafelrecht und dem internationalen oder dem sogenannten Rechte der Völker. An jenem wurde wesentlich, wenn auch natürlich mit zeitgemäßen Modifikationen, festgehalten im Ehe-, Familien- und Erbfolgerecht; dagegen ward in allen Bestimmungen, die den Vermögensverkehr betrafen, also für Eigentum und Kontrakte, das Internationalrecht maßgebend; ja hier wurde sogar dem lokalen Provinzialrecht manche wichtige Einrichtung entlehnt, zum Beispiel die Wuchergesetzgebung und das Hypothekarinstitut. Ob auf einmal oder allmählich, ob durch einen oder mehrere Urheber, durch wen, wann und wie diese tiefgreifende Neuerung ins Leben trat, sind Fragen, auf die wir eine genügende Antwort schuldig bleiben müssen; wir wissen nur, daß diese Reform, wie natürlich, zunächst ausging von dem Stadtgericht, daß sie zuerst sich formulierte in den jährlich von dem neu antretenden Stadtrichter zur Nachachtung für die Parteien ergehenden Belehrungen über die wichtigsten, in dem beginnenden Gerichtsjahr einzuhaltenden Rechtsmaximen (edictum annuum oder perpetuum praetoris urbani de iuris dictione) und daß sie, wenn auch manche vorbereitende Schritte in früheren Zeiten getan sein mögen, sicher erst in dieser Epoche ihre Vollendung fand. Die neue Rechtssatzung war theoretisch abstrakt, insofern die römische Rechtsanschauung darin ihrer nationalen Besonderheit insoweit sich entäußert hatte, als sie derselben sich bewußt worden war; sie war aber zugleich praktisch positiv, indem sie keineswegs in die trübe Dämmerung allgemeiner Billigkeit oder gar in das reine Nichts des sogenannten Naturrechts verschwamm, sondern von bestimmten Behörden für bestimmte konkrete Fälle nach festen Normen angewandt ward und einer gesetzlichen Formulierung nicht bloß fähig, sondern in dem Stadtedikt wesentlich schon teilhaft geworden war. Diese Satzung entsprach ferner materiell den Bedürfnissen der Zeit, insofern sie für Prozeß, Eigentumserwerb, Kontraktabschluß die durch den gesteigerten Verkehr geforderten bequemeren Formen darbot. Sie war endlich bereits im wesentlichen im ganzen Umfang des römischen Reiches allgemein subsidiäres Recht geworden, indem man die mannigfaltigen Lokalstatuten für diejenigen Rechtsverhältnisse, die nicht zunächst Verkehrsverhältnisse sind, sowie für den Lokalverkehr zwischen Gliedern desselben Rechtssprengels beibehielt, dagegen den Vermögensverkehr zwischen Reichsangehörigen verschiedener Rechtskreise durchgängig nach dem Muster des, rechtlich auf diese Fälle freilich nicht anwendbaren, Stadtediktes sowohl in Italien wie in den Provinzen regulierte. Das Recht des Stadtedikts hatte also wesentlich dieselbe Stellung in jener Zeit, die in unserer staatlichen Entwicklung das römische Recht eingenommen hat: auch dies ist, soweit solche Gegensätze sich vereinigen lassen, zugleich abstrakt und positiv; auch dies empfahl sich durch seine, verglichen mit dem älteren Satzungsrecht, geschmeidigen Verkehrsformen und trat neben den Lokalstatuten als allgemeines Hilfsrecht ein. Nur darin hatte die römische Rechtsentwicklung vor der unsrigen einen wesentlichen Vorzug, daß die denationalisierte Gesetzgebung nicht, wie bei uns, vorzeitig und durch Kunstgeburt, sondern rechtzeitig und naturgemäß sich einfand.

Diesen Rechtszustand fand Caesar vor. Wenn er den Plan entwarf zu einem neuen Gesetzbuch, so ist es nicht schwer zu sagen, was er damit beabsichtigt hat. Es konnte dies Gesetzbuch einzig das Recht der römischen Bürger zusammenfassen und allgemeines Reichsgesetzbuch nur insofern sein, als ein zeitgemäßes Gesetzbuch der herrschenden Nation von selbst im ganzen Umfange des Reiches allgemeines Subsidiarrecht werden mußte. Im Kriminalrecht, wenn überhaupt der Plan sich auf dies miterstreckte, bedurfte es nur einer Revision und Redaktion der Sullanischen Ordnungen. Im Zivilrecht war für einen Staat, dessen Nationalität eigentlich die Humanität war, die notwendige und einzig mögliche Formulierung jenes schon aus dem rechtlichen Verkehr freiwillig hervorgewachsene Stadtedikt in gesetzlicher Sicherung und Präzisierung. Den ersten Schritt zu dieser hatte das Cornelische Gesetz von 687 (67) getan, indem es den Richter an die zu Anfang seines Amtes aufgestellten Maximen band und ihm vorschrieb, nicht willkürlich anderes Recht zu sprechen – eine Bestimmung, die wohl mit dem Zwölftafelgesetz verglichen werden darf und für die Fixierung des neueren Stadtrechts fast ebenso bedeutsam geworden ist wie jenes für die Fixierung des älteren. Aber wenn auch seit dem Cornelischen Volksschluß das Edikt nicht mehr unter dem Richter stand, sondern gesetzlich der Richter unter dem Edikt; wenn auch das neue Gesetzbuch im Gerichtsgebrauch wie im Rechtsunterricht das alte Stadtrecht tatsächlich verdrängt hatte, so stand es doch noch jedem Stadtrichter frei, bei Antritt seines Amtes das Edikt unbeschränkt und willkürlich zu verändern, und überwog das Zwölftafelrecht mit seinen Zusätzen formell immer noch das Stadtedikt, so daß in jedem einzelnen Kollisionsfall die veraltete Satzung durch arbiträres Eingreifen der Beamten, also genau genommen durch Verletzung des formellen Rechts, beseitigt werden mußte. Die subsidiäre Anwendung des Stadtedikts in dem Fremdengericht in Rom und in den verschiedenen Provinzialgerichtshöfen war nun gar gänzlich in die Willkür der einzelnen Oberbeamten gestellt. Offenbar war es notwendig, das alte Stadtrecht, soweit es nicht in das neuere übergegangen war, definitiv zu beseitigen und in dem letzteren der willkürlichen Änderung durch jeden einzelnen Stadtrichter angemessene Grenzen zu setzen, etwa auch die subsidiäre Anwendung desselben neben den Lokalstatuten zu regulieren. Dies war Caesars Absicht, als er den Plan zu einem Gesetzbuch entwarf; denn dies mußte sie sein. Der Plan ward nicht ausgeführt und damit jener lästige Übergangszustand in dem römischen Rechtswesen verewigt, bis nach sechshundert Jahren, und auch dann nur unvollkommen, diese notwendige Reform von einem der Nachfolger Caesars, dem Kaiser Justinianus, vollzogen ward.

Endlich in Münze, Maß und Gewicht war die wesentliche Ausgleichung des latinischen und des hellenischen Systems längst im Zuge. Sie war uralt in den für Handel und Verkehr unentbehrlichen Bestimmungen des Gewichts, der Körper- und Längenmaße und in dem Münzwesen wenig jünger als die Einführung der Silberprägung. Indes reichten diese älteren Gleichungen nicht aus, da in der hellenischen Welt selbst die verschiedenartigsten metrischen und Münzsysteme nebeneinander bestanden; es war notwendig und lag auch ohne Zweifel in Caesars Plan, in dem neuen einheitlichen Reich, soweit es nicht bereits früher schon geschehen war, römische Münze, römisches Maß und römisches Gewicht jetzt überall in der Art einzuführen, daß im offiziellen Verkehr allein danach gerechnet, und die nichtrömischen Systeme teils auf lokale Geltung beschränkt, teils zu den römischen in ein ein für allemal reguliertes Verhältnis gesetzt wurden117. Nachweisen indes läßt Caesars Tätigkeit sich nur auf zweien der wichtigsten dieser Gebiete, in dem Geld- und im Kalenderwesen.

Das römische Geldwesen beruhte auf den beiden neben und in einem festen Verhältnis zueinander umlaufenden edlen Metallen, von denen das Gold nach dem Gewicht118, das Silber nach dem Gepräge gegeben und genommen ward, tatsächlich aber infolge des ausgedehnten überseeischen Verkehrs das Gold bei weitem das Silber überwog. Ob nicht schon früher im ganzen Umfange des Reiches die Annahme des römischen Silbergeldes obligatorisch war, ist ungewiß; auf jeden Fall vertrat die Stelle des Reichsgeldes im ganzen römischen Gebiet wesentlich das ungemünzte Gold, um so mehr als die Römer in allen Provinzen und Klientelstaaten die Goldprägung untersagt hatten, und hatte der Denar außer in Italien auch im Cisalpinischen Gallien, in Sizilien, in Spanien und sonst vielfach, namentlich im Westen, gesetzlich oder faktisch sich eingebürgert. Mit Caesar aber beginnt die Reichsmünze. Ebenwie Alexander bezeichnete auch er die Gründung der neuen, die zivilisierte Welt umfassenden Monarchie dadurch, daß das einzig weltenvermittelnde Metall auch in der Münze den ersten Platz erhielt. In wie großartigem Umfang sogleich das neue Caesarische Goldstück (zu 7 Taler, 18 Groschen nach heutigem Metallwert) geprägt ward, beweist die Tatsache, daß in einem einzelnen, sieben Jahre nach Caesars Tode vergrabenen Schatz sich 80000 dieser Stücke beisammen gefunden haben. Freilich mögen hier nebenbei auch finanzielle Spekulationen von Einfluß gewesen sein119. Was das Silbergeld anlangt, so ward durch Caesar die Alleinherrschaft des römischen Denars im gesamten Westen, zu der der Grund schon früher gelegt worden war, schließlich festgestellt, indem er die einzige okzidentalische Münzstätte, die im Silbercourant noch mit der römischen konkurrierte, die massaliotische, definitiv schloß. Die Prägung von silberner oder kupferner Scheidemünze blieb einer Anzahl okzidentalischer Gemeinden erlaubt, wie denn Dreivierteldenare von einigen latinischen Gemeinden des südlichen Galliens, halbe Denare von mehreren nordgallischen Gauen, kupferne Kleinmünzen vielfach auch noch nach Caesar von Kommunen des Westens geschlagen worden sind; allein auch diese Scheidemünze war durchgängig auf römischen Fuß geprägt und ihre Annahme überdies wahrscheinlich nur im Lokalverkehr obligatorisch. An eine einheitliche Regulierung des Münzwesens im Osten, wo große Massen groben, großenteils zu leicht ausgebrachten oder vernutzten Silbergeldes, zum Teil sogar, wie in Ägypten, eine unserem Papiergeld verwandte Kupfermünze umlief, auch die syrischen Handelsstädte den Mangel ihrer bisherigen, dem mesopotamischen Courant entsprechenden Landesmünze sehr schwer empfunden haben würden, scheint Caesar so wenig gedacht zu haben wie die frühere Regierung. Wir finden hier später die Einrichtung, daß der Denar überall gesetzlichen Kurs hat und offiziell nur nach ihm gerechnet wird120, die Lokalmünzen aber innerhalb ihres beschränkten Rayons zwar auch Legalkurs, aber nach einem für sie ungünstigen Tarif gegen den Denar haben121; dieselbe ist wahrscheinlich nicht auf einmal und zum Teil auch wohl schon von Caesar eingeführt worden, auf jeden Fall aber die wesentliche Ergänzung der Caesarischen Reichsmünzordnung, deren neues Goldstück in dem ungefähr gleich schweren Alexanders sein unmittelbares Muster fand und wohl ganz besonders auf die Zirkulation im Orient berechnet war.

Verwandter Art war die Kalenderreform. Der republikanische Kalender, unglaublicherweise immer noch der alte, aus der vormetonischen Oktaeteris verunstaltete Dezemviralkalender, war durch die Verbindung elendester Mathematik und elendester Administration dahin gelangt, um volle 67 Tage der wahren Zeit voranzugehen und zum Beispiel das Blütenfest statt am 28. April am 11. Juli zu feiern. Caesar beseitigte endlich diesen Mißstand und führte mit Hilfe des griechischen Mathematikers Sosigenes das nach dem ägyptischen Eudoxischen Kalender geordnete italische Bauernjahr sowie ein verständiges Einschaltungssystem in den religiösen und offiziellen Gebrauch ein, indem zugleich das alte Kalenderneujahr des 1. März abgeschafft, dagegen der zunächst für den Amtswechsel der höchsten Magistrate festgestellte und infolgedessen längst im bürgerlichen Leben überwiegende Termin des 1. Januar auch als Kalenderepoche für den Jahreswechsel angenommen ward. Beide Änderungen traten mit dem 1. Januar 709 der Stadt, 45 vor Chr., ins Leben und mit ihnen der Gebrauch des von seinem Urheber benannten Julianischen Kalenders, der lange nach dem Untergang der Monarchie Caesars in der gebildeten Welt maßgebend geblieben und in der Hauptsache es noch ist. Zur Erläuterung ward in einem ausführlichen Edikt ein den ägyptischen Himmelsbeobachtungen entnommener und, freilich nicht geschickt, auf Italien übertragener Sternkalender hinzugefügt, welcher den Auf- und Untergang der namhaften Gestirne nach Kalendertagen bestimmte122

123

Dies waren die Grundlagen der Mittelmeermonarchie Caesars. Zum zweitenmal war in Rom die soziale Frage zu einer Krise gelangt, wo die Gegensätze, so wie sie aufgestellt waren, unauflöslich, so wie sie ausgesprochen waren, unversöhnlich nicht bloß schienen, sondern waren. Damals war Rom dadurch gerettet worden, daß Italien in Rom und Rom in Italien aufging und in der neuen erweiterten und verwandelten Heimat jene alten Gegensätze nicht ausgeglichen wurden, sondern wegfielen. Wieder ward jetzt Rom dadurch gerettet, daß die Landschaften des Mittelmeeres in ihm aufgingen oder zum Aufgehen vorbereitet wurden; der Krieg der italischen Armen und Reichen, der in dem alten Italien nur mit der Vernichtung der Nation endigen konnte, hatte in dem Italien dreier Weltteile kein Schlachtfeld und keinen Sinn mehr. Die latinischen Kolonien schlossen die Kluft, die im fünften Jahrhundert die römische Gemeinde zu verschlingen drohte; den tieferen Riß des siebenten Jahrhunderts füllten Gaius Gracchus‘ und Caesars transalpinische und überseeische Kolonisationen. Für das einzige Rom hat die Geschichte nicht bloß Wunder getan, sondern auch seine Wunder wiederholt und zweimal die im Staate selbst unheilbare innere Krise dadurch geheilt, daß sie den Staat verjüngte. Wohl ist viel Verwesung in dieser Verjüngung; wie die Einigung Italiens auf den Trümmern der samnitischen und etruskischen Nation sich vollzog, so erbaute auch die Mittelmeermonarchie sich auf den Ruinen unzähliger, einst lebendiger und tüchtiger Staaten und Stämme; aber es ist eine Verwesung, der frische und zum Teil noch heute grünende Saaten entkeimten. Was zugrunde ging um des neuen Gebäudes willen, waren nur die längst schon von der nivellierenden Zivilisation zum Untergang bezeichneten sekundären Nationalitäten. Caesar hat, wo er zerstörend auftrat, nur den ausgefällten Spruch der geschichtlichen Entwicklung vollzogen, die Keime der Kultur aber geschützt, wo und wie er sie fand, in seinem eigenen Lande so gut wie bei der verschwisterten Nation der Hellenen. Er hat das Römertum gerettet und erneuert, aber auch das Griechentum hat er nicht bloß geschont, sondern mit derselben sicheren Genialität, womit er die Neugründung Roms vollbrachte, auch der Regeneration der Hellenen sich unterzogen und das unterbrochene Werk des großen Alexander wiederaufgenommen, dessen Bild, wohl mag man es glauben, niemals aus Caesars Seele wich. Er hat diese beiden großen Aufgaben nicht bloß nebeneinander, sondern eine durch die andere gelöst. Die beiden großen Wesenheiten des Menschentums, die allgemeine und die individuelle Entwicklung oder Staat und Kultur, einst im Keime vereinigt in jenen alten, fern von den Küsten und Inseln des Mittelmeers in urväterlicher Einfachheit ihre Herden weidenden Graecoitalikern, hatten sich geschieden, als dieselben sich sonderten in Italiker und Hellenen, und waren seitdem durch Jahrtausende geschieden geblieben. Jetzt erschuf der Enkel des troischen Fürsten und der latinischen Königstochter aus einem Staat ohne eigene Kultur und einer kosmopolitischen Zivilisation ein neues Ganzes, in welchem auf dem Gipfel menschlichen Daseins, in der reichen Fülle des glückseligen Alters Staat und Kultur wiederum sich zusammenfanden und den einem solchen Inhalt angemessenen Umkreis würdig erfüllten.

Die Linien sind dargelegt, welche Caesar für dieses Werk gezogen hat, nach denen er selbst arbeitete und nach denen die Späteren, viele Jahrhunderte hindurch gebannt in die von diesem Manne vorgezeichneten Bahnen, wo nicht mit dem Geiste und der Energie, doch im ganzen nach den Intentionen des großen Meisters weiter zu arbeiten versuchten. Vollendet ist wenig, gar manches nur angelegt. Ob der Plan vollständig ist, mag entscheiden, wer mit einem solchen Mann in die Wette zu denken wagt; wir bemerken keine wesentlichen Lücken in dem, was vorliegt, jeder einzelne Baustein genug, um einen Mann unsterblich zu machen, und doch wieder alle zusammen ein harmonisches Ganzes. Fünf und ein halbes Jahr, nicht halb so lange wie Alexander, schaltete Caesar als König von Rom; zwischen sieben großen Feldzügen, die ihm nicht mehr als zusammen fünfzehn Monate124 in der Hauptstadt seines Reiches zu verweilen erlaubten, ordnete er die Geschicke der Welt für die Gegenwart und die Zukunft; von der Feststellung der Grenzlinie zwischen Zivilisation und Barbarei an bis hinab zu der Beseitigung der Regenpfützen auf den Gassen der Hauptstadt, und behielt dabei noch Zeit und Heiterkeit genug, um den Preisstücken im Theater aufmerksam zu folgen und dem Sieger den Kranz mit improvisierten Versen zu erteilen. Die Schnelligkeit und Sicherheit der Ausführung des Planes beweist, daß er lange durchdacht und in allen Teilen im einzelnen festgestellt war; allein auch so bleibt sie nicht viel weniger wunderbar als der Plan selbst. Die Grundzüge waren gegeben und damit der neue Staat für alle Zukunft bestimmt; vollenden konnte den Bau nur die grenzenlose Zukunft. Insofern durfte Caesar sich sagen, daß sein Ziel erreicht sei, und das wohl mochten die Worte bedeuten, die man zuweilen aus seinem Munde vernahm, daß er genug gelebt habe. Aber eben weil der Bau ein unendlicher war, fügte der Meister, solange er lebte, rastlos Stein auf Stein, mit immer gleicher Geschmeidigkeit und immer gleicher Spannkraft tätig an seinem Werk, ohne je zu überstürzen oder zu verschieben, eben als gebe es für ihn nur ein Heute und kein Morgen. So wirkte und schaffte er wie nie ein Sterblicher vor und nach ihm, und als ein Wirkender und Schaffender lebt er noch nach Jahrtausenden im Gedächtnis der Nationen, der erste und doch auch der einzige Imperator Caesar.

  1. Wenn der Handel mit Laberius, den der bekannte Prolog erzählt, als ein Beispiel von Caesars Tyrannenlaunen angeführt worden ist, so hat man die Ironie der Situation wie des Dichters gründlich verkannt; ganz abgesehen von der Naivität, den sein Honorar bereitwillig einstreichenden Poeten als Märtyrer zu behandeln.
  2. Auch der Triumph nach der später zu erzählenden Schlacht bei Munda galt wohl nur den zahlreich in dem besiegten Heer dienenden Lusitanern.
  3. Wer alte und neue Schriftstellerbedrängnisse zu vergleichen wünscht, wird in dem Briefe des Caecina (Cic. ad fam. 6, 7) Gelegenheit dazu finden.
  4. Als dies geschrieben wurde, im Jahre 1857, konnte man noch nicht wissen, wie bald durch den gewaltigsten Kampf und den herrlichsten Sieg, den die Geschichte des Menschengeschlechts bisher verzeichnet hat, demselben diese furchtbare Probe erspart und dessen Zukunft der unbedingten, durch keinen fokalen Cäsarismus auf dir Dauer zu hemmenden sich selbst beherrschenden Freiheit gesichert werden sollte.
  5. Am 26. Januar 710 (44) heißt Caesar noch dictator IIII (Triumphaltafel); am 25. Februar des Jahres war er bereits dictator perpetuus (Cic. Phil. 2, 34, 87). Vgl. Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl. S. 726.
  6. Die Formulierung jener Diktatur scheint die „Sittenbesserung“ ausdrücklich mithervorgehoben zu haben; aber ein eigenes Amt derart hat Caesar nicht bekleidet (Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 705).
  7. Caesar führt die Bezeichnung Imperator immer ohne Iterationsziffer und immer hinter dem Namen an erster Stelle (Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 767, A. 1).
  8. In republikanischer Zeit wird der Imperatorname, der den siegreichen Feldherrn bezeichnet, abgelegt mit dem Ende des Feldzugs; als dauernde Titulatur erscheint er bei Caesar zuerst.
  9. Daß bei Caesars Lebzeiten das Imperium sowohl wie das Oberpontifikat für seine agnatische – leibliche oder durch Adoption vermittelte – Deszendenz durch einen förmlichen legislatorischen Akt erblich gemacht worden ist, hat Caesar der Sohn als seinen Rechtstitel zur Herrschaft geltend gemacht. Nach der Beschaffenheit unserer Überlieferung muß die Existenz eines derartigen Gesetzes oder Senatsbeschlusses entschieden in Abrede gestellt werden; es bleibt aber wohl möglich, daß Caesar die Erlassung eines solchen beabsichtigt hat. Vgl. Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 767, 1106.
  10. Die verbreitete Meinung, die in dem kaiserlichen Imperatorenamt nichts als die lebenslängliche Reichsfeldherrnwürde sieht, wird weder durch die Bedeutung des Wortes noch durch die Auffassung der alten Berichterstatter gerechtfertigt. Imperium ist die Befehlsgewalt, imperator der Inhaber derselben; in diesen Worten wie in den entsprechenden griechischen Ausdrucken κράτωρ, αυτοκράτωρ liegt so wenig eine spezifisch militärische Beziehung, daß es vielmehr eben das Charakteristische der römischen Amtsgewalt ist, wo sie rein und vollständig auftritt, Krieg und Prozeß, das ist die militärische und die bürgerliche Befehlsgewalt, als ein untrennbares Ganze in sich zu enthalten. Ganz richtig sagt Dio Cassius (53, 17, vgl. 43, 44; 52, 41), daß der Name Imperator von den Kaisern angenommen ward „zur Anzeige ihrer Vollgewalt anstatt des Königs- und Diktaturtitels (πρός δήλωσιν τής αυτοτελούς σφών εξουσίας, αντί τής τού βασιλέως τού τε δικτάτωρος επικλήσεως); denn diese älteren Titel sind dem Namen nach verschwunden, der Sache nach aber gibt der Imperatorname dieselben Befugnisse (τό δέ δή έργον αυτών τή τού αυτοκράτωρος προςηγορία βεβαισύνται), zum Beispiel das Recht, Soldaten auszuheben, Steuern; auszuschreiben, Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, über Bürger und Nichtbürger in und außer der Stadt die höchste Gewalt zu üben und jeden an jedem Orte am Leben oder sonst zu strafen., überhaupt der mit dem höchsten Imperium in ältester Zeit verbundenen Befugnisse sich anzumaßen“. Deutlicher kann es wohl nicht gesagt werden, daß imperator eben gar nichts ist als ein Synonym für rex, so gut wie imperare mit regere zusammenfällt.
  11. Als Augustus bei Konstituierung des Prinzipats das Caesarische Imperium wiederaufnahm, geschah dies mit der Beschränkung, daß es räumlich und in gewissem Sinn auch zeitlich begrenzt sein solle; die prokonsularische Gewalt der Kaiser, welche nichts ist als ebendies Imperium, sollte für Rom und Italien nicht zur Anwendung kommen (Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3, Aufl., S. 854j. Auf diesem Moment ruht der wesentliche Unterschied des Caesarischen Imperiums und des Augustfischen Prinzipats, sowie andererseits auf der schon prinzipiell und mehr noch praktisch unvollständigen Verwirklichung jener Schranke die reale Gleichheit beider Institutionen.
  12. Über diese Frage läßt sich streiten; dagegen muß die Annahme, daß es Caesars Absicht gewesen, die Römer als Imperator, die Nichtrömer als Rex zu beherrschen, einfach verworfen werden. Sie stützt sich einzig auf die Erzählung, daß in der Senatssitzung, in welcher Caesar ermordet ward, von einem der Orakelpriester Lucius Cotta ein Sibyllenspruch, wonach die Parther nur von einem „König“ könnten überwunden werden, habe vorgelegt und infolgedessen der Beschluß gefaßt werden sollen, Caesar das Königtum über die römischen Provinzen zu übertragen. Diese Erzählung war allerdings schon unmittelbar nach Caesars Tod in Umlauf. Allein nicht bloß findet sie nirgends irgendwelche auch nur mittelbare Bestätigung, sondern sie wird von dem Zeitgenossen Cicero (div. 2, 54, 119) sogar ausdrücklich für falsch erklärt und von den späteren Geschichtschreibern, namentlich von Sueton (79) und Dio (44, 15) nur als ein Gerücht berichtet, das sie weit entfernt sind, verbürgen zu wollen; und sie wird denn auch dadurch nicht besser beglaubigt, daß Plutarch (Caes. 60, 64; Brut. 10) und Appian (civ. 2, 110) ihrer Gewohnheit gemäß jener anekdotenhaft, dieser pragmatisierend, sie wiederholen. Es ist diese Erzählung aber nicht bloß unbezeugt, sondern auch innerlich unmöglich. Wenn man auch davon absehen will, daß Caesar zu viel Geist und zu viel politischen Takt hatte, um nach Oligarchenart wichtige Staatsfragen durch einen Schlag mit der Orakelmaschine zu entscheiden, so konnte er doch nimmermehr daran denken, den Staat, den er nivellieren wollte, also förmlich und rechtlich zu spalten.
  13. Nach der früher angenommenen Wahrscheinlichkeitsrechnung würde dies eine durchschnittliche Gesamtzahl von 1000-1200 Senatoren ergeben.
  14. Dasselbe bezog sich allerdings nur auf die Wahlen für das Jahr 711 (43) und 712 (42) (Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 730); aber gewiß sollte die Einrichtung bleibend werden.
  15. Daher denn auch die vorsichtigen Wendungen bei Erwähnung dieser Ämter in Caesars Gesetzen: cum censor aliusve quis magistratus Romae populi censum aget (Lex Iul. munic., Z. 144); praetor isve quei Romae iure deicundo praerit (Lex Rubr. oft); quaestor urbanes queive aerario praerit (Lex Iul. munic., Z. 37 u. ö.).
  16. „Weit öfter“, sagt Cicero in seiner Anweisung zur Redekunst (De orat. 2, 42, 178), zunächst in Beziehung auf den Kriminalprozeß, „bestimmen Abneigung oder Zuneigung oder Parteilichkeit oder Erbitterung oder Schmerz oder Freude oder Hoffnung oder Furcht oder Täuschung oder überhaupt eine Leidenschaft den Wahrspruch der Leute als der Beweis oder die Vorschrift oder eine Rechtsregel oder die Prozeßinstruktion oder die Gesetze.“ Darauf wird denn die weitere Unterweisung für den angehenden Sachwalter begründet.
  17. An die Ernennung eines Teiles der Kriegstribune durch die Bürgerschaft hat Caesar, auch hierin Demokrat, nicht gerührt.
  18. Den Wegfall der sizilischen Zehnten bezeugt Varro in einer nach Ciceros Tode publizierten Schrift (rust. 2 praef.), indem er als die Kornprovinzen, aus denen Rom seine Subsistenz entnimmt, nur Afrika und Sardinien, nicht mehr Sizilien nennt. Die Latinität, wie sie Sizilien erhielt, muß also wohl die Immunität eingeschlossen haben (vgl. Römisches Staatsrecht, Bd. 3, S. 684).
  19. In dem Produktionsland Sizilien ward der römische Scheffel innerhalb weniger Jahre zu 2 und zu 20 Sesterzen verkauft; man rechne danach, wie die Preisschwankungen in Rom sich stellen mußten, das von überseeischem Korn lebte und der Sitz der Spekulanten war.
  20. Es ist nicht ohne Interesse, daß ein späterer, aber einsichtiger politischer Schriftsteller, der Verfasser der unter Sallustius‘ Namen an Caesar gerichteten Briefe, diesem den Rat erteilt, die hauptstädtische Getreideverteilung in die einzelnen Munizipien zu verlegen. Die Kritik hat ihren guten Sinn; wie denn bei der großartigen munizipalen Waisenversorgung unter Traian offenbar ähnliche Gedanken gewaltet haben.
  21. Charakteristisch ist die folgende Auseinandersetzung in Ciceros ‚Pflichtenlehre‘ (off. 1, 42): „Darüber, welche Geschäfte und Erwerbszweige als anständig gelten können und welche als gemein, herrschen im allgemeinen folgende Vorstellungen. Bescholten sind zunächst die Erwerbszweige, wobei man den Haß des Publikums sich zuzieht, wie der der Zolleinnehmer, der der Geldverleiher. Unanständig und gemein ist auch das Geschäft der Lohnarbeiter, denen ihre körperliche, nicht ihre Geistesarbeit bezahlt wird; denn für diesen selben Lohn verkaufen sie gleichsam sich in die Sklaverei. Gemeine Leute sind auch die von dem Kaufmann zu sofortigem Verschleiß einkaufenden Trödler; denn sie kommen nicht fort, wenn sie nicht über alle Maßen lügen, und nichts ist minder ehrenhaft als der Schwindel. Auch die Handwerker treiben sämtlich gemeine Geschäfte; denn man kann nicht Gentleman sein in der Werkstatt. Am wenigsten ehrbar sind die Handwerker, die der Schlemmerei an die Hand gehen, zum Beispiel: ‚Wurstmacher, Salzfischhändler, Koch, Geflügelverkäufer, Fischer‘ mit Terenz (Eun. 2, 2, 26) zu reden; dazu noch etwa die Parfümerienhändler, die Tanzmeister und die ganze Sippschaft der Spielbuden. Diejenigen Erwerbszweige aber, welche entweder eine höhere Bildung voraussetzen oder einen nicht geringen Ertrag abwerfen, wie die Heilkunst, die Baukunst, der Unterricht in anständigen Gegenständen, sind anständig für diejenigen, deren Stande sie angemessen sind. Der Handel aber, wenn er Kleinhandel ist, ist gemein; der große Kaufmann freilich, der aus den verschiedensten Ländern eine Menge von Waren einführt und sie an eine Menge von Leuten ohne Schwindel absetzt, ist nicht gerade sehr zu schelten; ja wenn er, des Gewinstes satt oder vielmehr mit dem Gewinste zufrieden, wie oft zuvor vom Meere in den Hafen, so schließlich aus dem Hafen selbst zu Grundbesitz gelangt, so darf man wohl mit gutem Recht ihn loben. Aber unter allen Erwerbszweigen ist keiner besser, keiner ergiebiger, keiner erfreulicher, keiner dem freien Manne anständiger als der Grundbesitz.“
  22. Also der anständige Mann muß streng genommen Gutsbesitzer sein; das Kaufmannsgewerbe passiert ihm nur, insofern es Mittel zu diesem letzten Zweck ist, die Wissenschaft als Profession nur den Griechen und den nicht den herrschenden Ständen angehörigen Römern, welche damit sich in den vornehmen Kreisen allenfalls für ihre Person eine gewisse Duldung erkaufen dürfen. Es ist die vollkommen ausgebildete Plantagenbesitzeraristokratie, mit einer starken Schattierung von kaufmännischer Spekulation und einer leisen Nuance von allgemeiner Bildung.
  23. Wir haben noch (Macr. Sat. 3, 13) den Speisezettel derjenigen Mahlzeit, welche Lucius Lentulus Niger vor 691 (63) bei Antritt seines Pontifikats gab und an der die Pontifices – darunter Caesar –, die Vestalischen Jungfrauen und einige andere Priester und nah verwandte Damen Anteil nahmen. Vor der Mahlzeit kamen Meerigel; frische Austern soviel die Gäste wollten; Gienmuscheln; Lazarusklappen; Krammetsvögel mit Spargeln; gemästetes Huhn; Auster- und Muschelpastete; schwarze und weiße Meereicheln; noch einmal Lazarusklappen; Glykymarismuscheln; Nesselmuscheln; Feigenschnepfen; Rehrippen; Schweinsrippen; Geflügel in Mehl gebacken; Feigenschnepfen; Purpurmuscheln, zwei Sorten. Die Mahlzeit selbst bestand aus Schweinsbrust, Schweinskopf; Fischpastete; Schweinspastete; Enten; Kriechenten gekocht; Hasen; gebratenem Geflügel; Kraftmehlbackwerk; pontischem Backwerk.
  24. Das sind die Kollegienschmäuse, von denen Varro (rust. 3, 2, 16) sagt, daß sie die Preise aller Delikatessen in die Höhe trieben. Derselbe zählt in einer seiner Satiren als die namhaftesten ausländischen Delikatessen folgende auf: Pfauen von Samos; Haselhühner aus Phrygien; Kraniche von Melos; Zicklein von Ambrakia; Thunfische von Kalchedon; Muränen aus der Gaditanischen Meerenge; Edelfische (?) von Pessinus. Austern und Muscheln von Tarent; Störe (?) von Rhodos; Scarusfische (?) von Kilikien; Nüsse von Thasos; Datteln aus Ägypten; spanische Eicheln.
  25. Dieses ist zwar nicht überliefert, folgt aber notwendig aus der Gestattung, die durch Barzahlung oder Anweisung gezahlten Zinsen ( si quid usurae nomine numeratum auf perscriptum fuisset: Suet. Caes. 42) als gesetzwidrig gezahlt an dem Kapital zu kürzen.
  26. Die ägyptischen Königsgesetze (Diod. 1, 79) und ebenso das Solonische Recht (Plut. Sol. 13, 15) untersagten die Schuldbriefe, worin auf die Nichtzahlung der Verlust der persönlichen Freiheit des Schuldners gesetzt war; und wenigstens das letztere legte auch im Falle des Konkurses dem Schuldner nicht mehr auf als die Abtretung seiner sämtlichen Aktiva.
  27. Wenigstens der letztere Satz kehrt wieder in den alten ägyptischen Königsgesetzen (Diod. 1, 79). Dagegen kennt das Solonische Recht keine Zinsbeschränkungen, erlaubt vielmehr ausdrücklich, Zinsen von jeder beliebigen Höhe auszumachen.
  28. Von beiden Gesetzen sind beträchtliche Bruchstücke noch vorhanden.
  29. Da nach Caesars Ordnung jährlich sechzehn Proprätoren und zwei Prokonsuln in die Statthalterschaften sich teilten und die letzteren zwei Jahre im Amt blieben, so möchte man schließen daß er die Zahl der Provinzen insgesamt auf zwanzig zu bringen beabsichtigte. Zu einer Gewißheit ist indes hier um so weniger zu gelangen, als Caesar vielleicht absichtlich weniger Ämter einrichtete als Kandidaturen.
  30. Dies ist die sogenannte „freie Gesandtschaft“ (libera legatio), nämlich eine Gesandtschaft ohne eigentliche öffentliche Aufträge.
  31. Narbo heißt Kolonie der Decimaner, Baeterrae der Septimaner, Forum Iulii der Octavaner, Arelate der Sextaner, Arausio der Secundaner. Die neunte Legion fehlt, weil sie ihre Nummer durch die Meuterei von Placentia entehrt hatte. Daß übrigens die Kolonisten dieser Kolonien den eponymen Legionen angehörten, wird nicht gesagt und ist nicht glaublich; die Veteranen selbst wurden wenigstens der großen Mehrzahl nach in Italien angesiedelt. Ciceros Klage, daß Caesar „ganze Provinzen und Landschaften auf einen Schlag konfisziert habe“ (off. 2, 7, 27, vgl. Phil. 13,15; 31, 32), geht ohne Zweifel, wie schon die enge Verknüpfung derselben mit dem Tadel des Triumphs über die Massalioten beweist, auf die dieser Kolonien wegen in der narbonensischen Provinz vorgenommenen Landeinziehungen und zunächst auf die Massalia auferlegten Gebietsverluste.
  32. Ausdrücklich überliefert ist es nicht, von wem das latinische Recht der nichtkolonisierten Ortschaften dieser Gegend und namentlich von Nemausus herrührt. Aber da Caesar selbst (civ. 1, 35) so gut wie geradezu sagt, daß Nemausus bis 705 (49) ein massaliotisches Dorf war; da nach dem Livianischen Bericht (Dio 41, 25; Flor. epit. 2, 13; Oros. hist. 6, 15) eben dieser Teil des Gebietes den Massalioten von Caesar entzogen ward da endlich schon auf voraugustischen Münzen und sodann bei Strabon die Stadt als Gemeinde latinischen Rechts vorkommt, so kann nur Caesar der Urheber dieser Latinitätsverleihung sein. Von Ruscino (Roussillon bei Perpignan) und anderen, im Narbonensischen Gallien früh zu latinischer Stadtverfassung gelangten Gemeinden läßt sich nur vermuten, daß sie dieselbe gleichzeitig mit Nemausus empfingen.
  33. Daß keiner Vollbürgergemeinde mehr als beschränkte Gerichtsbarkeit zustand, ist ausgemacht. Auffallend ist es aber, was aus der Caesarischen Gemeindeordnung für das Cisalpinische Gallien bestimmt hervorgeht, daß die jenseits der munizipalen Kompetenz liegenden Prozesse aus dieser Provinz nicht vor den Statthalter derselben, sondern vor den römischen Prätor gehen; denn im übrigen ist der Statthalter ja in seinem Sprengel ebensowohl anstatt des Prätors, der zwischen Bürgern, wie anstatt dessen, der zwischen Bürgern und Nichtbürgern Recht spricht, und durchaus für alle Prozesse kompetent. Ohne Zweifel ist dies ein Überrest der vorsullanischen Ordnung, wo in dem ganzen festländischen Gebiet bis zu den Alpen lediglich die Stadtbeamten kompetent waren und also hier sämtliche Prozesse, wo sie die munizipale Kompetenz überschritten, notwendig vor die Prätoren in Rom kamen. Dagegen in Narbo, Gades, Karthago, Korinth gingen die Prozesse in diesem Fall sicher an den betreffenden Statthalter; wie denn auch schon aus praktischen Rücksichten nicht wohl an einen Rechtszug nach Rom gedacht werden kann.
  34. Warum die Erteilung des römischen Bürgerrechts an eine Landschaft insgesamt und der Fortbestand der Provinzialverwaltung für dieselbe als sich einander ausschließende Gegensätze gedacht zu werden pflegen, ist nicht abzusehen. Überdies erhielt notorisch das Cisalpinische Gallien durch den Roscischen Volksschluß vom 11. März 705 (49) die Civität, während es Provinz blieb, solange Caesar lebte, und erst nach seinem Tode mit Italien vereinigt ward (Dio 48, 12), auch die Statthalter bis 711 (43) nachweisbar sind. Schon daß die Caesarische Gemeindeordnung die Landschaft nie als Italien, sondern als Cisalpinisches Gallien bezeichnet, mußte auf das Richtige führen.
  35. Das Fortbestehen der munizipalen Schatzungsbehörden spricht dafür, daß die örtliche Abhaltung des Zensus bereits infolge des Bundesgenossenkriegs für Italien fortgesetzt worden war (Römisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 368); wahrscheinlich aber ist die Durchführung dieses Systems Caesars Werk.
  36. Kürzlich zum Vorschein gekommene pompeianische Gewichte legen die Annahme nahe, daß im Anfang der Kaiserzeit neben dem römischen Pfund die attische Mine (vermutlich im Verhältnis von 3 : 4) als zweites Reichsgewicht Geltung gehabt hat (Heymes 16, 1880, S. 311).
  37. Die Goldstücke, die Sulla und gleichzeitig Pompeius, beide in geringer Zahl, schlagen ließen, heben diesen Satz nicht auf: denn sie wurden wahrscheinlich lediglich nach dem Gewicht genommen ähnlich wie die goldenen Philippeer, die auch bis nach Caesars Zeit im Umlauf gewesen sind. Merkwürdig sind sie allerdings, insofern sie das Caesarische Reichsgold ähnlich einleiten wie Sullas Regentschaft die neue Monarchie.
  38. Es scheint nämlich, daß man in älterer Zeit die auf Silber lautenden Forderungen der Staatsgläubiger nicht wider deren Willen in Gold, nach dem legalen Kurs desselben zum Silber, bezahlen konnte; wogegen es keinen Zweifel leidet, daß seit Caesar das Goldstück unweigerlich für 100 Silbersesterzen angenommen werden mußte. Es war dies ebendamals um so wichtiger, als infolge der durch Caesar in Umlauf gebrachten großen Quantitäten Goldes dasselbe eine Zeitlang im Handelskurs 25 Prozent unter dem Legalkurs stand.
  39. Es gibt wohl keine Inschrift der Kaiserzeit, die Geldsummen anders als in römischer Münze angäbe.
  40. So gilt die attische Drachme, obwohl merklich schwerer als der Denar, doch diesem gleich; das antiochische Tetradrachmon, durchschnittlich 15 Gramm Silber schwer, gleich 3 römischen Denaren, die nur gegen 12 Gramm wiegen; so der kleinasiatische Cistophorus nach Silberwert über 3, nach dem Legaltarif 2 Denare; so die rhodische halbe Drachme nach Silberwert ¾, nach dem Legaltarif 5/8 Denare und so weiter.
  41. Die Identität dieses vielleicht von Marcus Flavius redigierten Edikts (Macr. Sat. I, 14, 2) und der angeblichen Schrift Caesars von den Gestirnen beweist der Scherz Ciceros (Plut. Caes. 59), daß jetzt die Leier nach Verordnung aufgehe.
  42. Übrigens wußte man schon vor Caesar, daß das Sonnenjahr von 365 Tagen sechs Stunden, das dem ägyptischen Kalender zugrunde lag und das er seinem Kalender zugrunde legte, etwas zu lang angesetzt sei. Die genaueste Berechnung des tropischen Jahres, die die alte Welt kannte, die des Hipparchos, setzte dasselbe auf 365 Tage 5 Stunden 52′ 12″; die wahre Länge ist 365 Tage 5 Stunden 48′ 48″.
  43. Caesar verweilte in Rom im April und Dezember 705 (49), beide Male auf wenige Tage; vom September bis Dezember 707 (47); etwa vier Herbstmonate des fünfzehnmonatlichen Jahres 708 (46) und vom Oktober 709 (45) bis zum März 710 (44).

12. Kapitel


12. Kapitel

Religion, Bildung, Literatur und Kunst

In der religiös-philosophischen Entwicklung tritt in dieser Epoche kein neues Moment hervor. Die römisch-hellenische Staatsreligion und die damit untrennbar verbundene stoische Staatsphilosophie waren für jede Regierung, Oligarchie, Demokratie oder Monarchie, nicht bloß ein bequemes Instrument, sondern deshalb geradezu unentbehrlich, weil es ebenso unmöglich war, den Staat ganz ohne religiöse Elemente zu konstruieren als irgendeine neue zur Ersetzung der alten geeignete Staatsreligion aufzufinden. So fuhr denn zwar der revolutionäre Besen gelegentlich sehr unsanft in die Spinnweben der auguralen Vogelweisheit hinein; aber die morsche, in allen Fugen krachende Maschine überdauerte dennoch das Erdbeben, das die Republik selber verschlang, und rettete ihre Geistlosigkeit und ihre Hoffart ungeschmälert hinüber in die neue Monarchie. Es versteht sich, daß sie zunahm an Ungnade bei allen denen, die ein freies Urteil sich bewahrten. Zwar gegen die Staatsreligion verhielt die öffentliche Meinung sich wesentlich gleichgültig; sie war allerseits als eine Institution politischer Konvenienz anerkannt und es bekümmerte sich niemand sonderlich um sie, mit Ausnahme der politischen und antiquarischen Gelehrten. Aber gegen ihre philosophische Schwester entwickelte sich in dem unbefangenen Publikum jene Feindseligkeit, die die leere und doch auch perfide Phrasenheuchelei auf die Länge nie verfehlt zu erwecken. Daß der Stoa selbst von ihrer eigenen Nichtigkeit eine Ahnung aufzugehen begann, beweist ihr Versuch, auf dem Wege des Synkretismus sich wieder einigen Geist künstlich einzuflößen: Antiochos von Askalon (blüht 675 79), der mit dem stoischen System das platonisch-aristotelische zu einer organischen Einheit zusammengeklittert zu haben behauptete, brachte es in der Tat dahin, daß seine mißgeschaffene Doktrin die Modephilosophie der Konservativen seiner Zeit und von den vornehmen Dilettanten und Literaten Roms gewissenhaft studiert ward. Wer irgend in geistiger Frische sich regte, opponierte der Stoa oder ignorierte sie. Es war hauptsächlich der Widerwille gegen die großmauligen und langweiligen römischen Pharisäer, daneben freilich auch der zunehmende Hang, sich aus dem praktischen Leben in schlaffe Apathie oder nichtige Ironie zu flüchten, dem während dieser Epoche das System Epikurs seine Ausbreitung in weiteren Kreisen und die Diogenische Hundephilosophie ihre Einbürgerung in Rom verdankte. Wie matt und gedankenarm auch jenes sein mochte, eine Philosophie, die nicht in der Veränderung der hergebrachten Bezeichnungen den Weg zur Freiheit suchte, sondern mit den vorhandenen sich begnügte und durchaus nur die sinnliche Wahrnehmung als wahr gelten ließ, war immer noch besser als das terminologische Geklapper und die hohlen Begriffe der stoischen Weisheit; und die Hundephilosophie gar war von allen damaligen philosophischen Systemen insofern bei weitem das vorzüglichste, als ihr System sich darauf beschränkte, gar kein System zu haben, sondern alle Systeme und alle Systematiker zu verhöhnen. Auf beiden Gebieten wurde gegen die Stoa mit Eifer und Glück Krieg geführt; für ernste Männer predigte der Epikureer Lucretius mit dem vollen Akzent der innigen Überzeugung und des heiligen Eifers gegen den stoischen Götter- und Vorsehungsglauben und die stoische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele; für das große lachbereite Publikum traf der Kyniker Varro mit den flüchtigen Pfeilen seiner vielgelesenen Satiren noch schärfer zum Ziel. Wenn also die tüchtigsten Männer der älteren Generation die Stoa befehdeten, so stand dagegen die jüngere, wie zum Beispiel Catullus, zu ihr in gar keinem innerlichen Verhältnis mehr und kritisierte sie noch bei weitem schärfer durch vollständiges Ignorieren.

Indes wenn hier ein glaubenloser Glaube aus politischer Konvenienz aufrecht erhalten ward, so brachte man dies anderswo reichlich wieder ein. Unglaube und Aberglaube, verschiedene Farbenbrechungen desselben geschichtlichen Phänomens, gingen auch in der damaligen römischen Welt Hand in Hand und es fehlte nicht an Individuen, welche sie beide in sich vereinigten, mit Epikuros die Götter leugneten und doch vor jeder Kapelle beteten und opferten. Natürlich galten nur noch die aus dem Orient gekommenen Götter, und wie die Menschen fortfuhren, aus den griechischen Landschaften nach Italien zu strömen, so wanderten auch die Götter des Ostens in immer steigender Zahl nach dem Westen hinüber. Was der phrygische Kult damals in Rom bedeutete, beweist sowohl die Polemik bei den älteren Männern, wie bei Varro und Lucretius, als auch die poetische Verherrlichung desselben bei dem modernen Catullus, die mit der charakteristischen Bitte schließt, daß die Göttin geneigen möge, nur andere, nicht den Dichter selbst verrückt zu machen. Neu trat hinzu der persische Götterdienst, der zuerst durch Vermittlung der von Osten und von Westen her auf dem Mittelmeere sich begegnenden Piraten zu den Okzidentalen gelangt sein soll und als dessen älteste Kultstätte im Westen der Berg Olympos in Lykien bezeichnet wird. Dafür, daß man bei der Aufnahme der orientalischen Kulte im Okzident das, was sie von höheren spekulativen und sittlichen Elementen enthielten, durchgängig fallen ließ, ist es ein merkwürdiger Beleg, daß der höchste Gott der reinen Lehre Zarathustras, Ahuramazda, im Westen so gut wie unbekannt blieb und hier die Verehrung sich vorzugsweise wieder demjenigen Gott zuwandte, der in der alten persischen Volksreligion den ersten Platz eingenommen hatte und durch Zarathustra an den zweiten gerückt worden war, dem Sonnengott Mithra. Rascher noch als die lichteren und milderen persischen Himmelsgestalten traf der langweilig geheimnisvolle Schwarm der ägyptischen Götterkarikaturen in Rom ein, die Naturmutter Isis mit ihrem ganzen Gefolge, dem ewig sterbenden und ewig wiederauflebenden Osiris, dem finsteren Sarapis, dem schweigsam ernsten Harpokrates, dem hundsköpfigen Anubis. In dem Jahre, wo Clodius die Klubs und Konventikel freigab (696 58), und ohne Zweifel eben infolge dieser Emanzipation des Pöbels, machte jener Schwarm sogar Anstalt, in die alte Burg des römischen Jupiter auf dem Kapitol seinen Einzug zu halten, und kaum gelang es, von hier ihn noch abzuwehren und die unvermeidlichen Tempel wenigstens in die Vorstädte Roms zu bannen. Kein Kult war in den unteren Schichten der hauptstädtischen Bevölkerung gleich populär: als der Senat die innerhalb der Ringmauer angelegten Isistempel einzureißen befahl, wagte kein Arbeiter, die erste Hand daran zu legen, und der Konsul Lucius Paullus mußte selber den ersten Axtschlag tun (704 50); man konnte darauf wetten, daß je lockerer ein Dirnchen war, es desto frommer die Isis verehrte. Daß Loswerfen, Traumdeuten und dergleichen freie Künste ihren Mann ernährten, versteht sich von selbst. Das Horoskopstellen ward schon wissenschaftlich betrieben: Lucius Tarutius aus Firmum, ein angesehener und in seiner Art gelehrter, mit Varro und Cicero befreundeter Mann, stellte ganz ernsthaft den Königen Romulus und Numa und der Stadt Rom selbst die Nativität und erhärtete zur Erbauung der beiderseitigen Gläubigen mittels seiner chaldäischen und ägyptischen Weisheit die Berichte der römischen Chronik. Aber bei weitem die merkwürdigste Erscheinung auf diesem Gebiet ist der erste Versuch, das rohe Glauben mit dem spekulativen Denken zu verquicken, das erste Hervortreten derjenigen Tendenzen, die wir als neuplatonische zu bezeichnen gewohnt sind, in der römischen Welt. Ihr ältester Apostel daselbst war Publius Nigidius Figulus, ein vornehmer Römer von der strengsten Fraktion der Aristokratie, der 696 (58) die Prätur bekleidete und im Jahre 709 (45) als politischer Verbannter außerhalb Italiens starb. Mit staunenswerter Vielgelehrtheit und noch staunenswerterer Glaubensstärke schuf er aus den disparatesten Elementen einen philosophisch-religiösen Bau, dessen wunderlichen Grundriß er mehr wohl noch in mündlichen Verkündigungen entwickelte als in seinen theologischen und naturwissenschaftlichen Schriften. In der Philosophie griff er, Erlösung suchend von den Totengerippen der umgehenden Systeme und Abstraktionen, zurück auf den verschütteten Born der vorsokratischen Philosophie, deren alten Weisen der Gedanke selber noch mit sinnlicher Lebendigkeit erschienen war. Die naturwissenschaftliche Forschung, die, zweckmäßig behandelt, dem mystischen Schwindel und der frommen Taschenspielerei auch jetzt noch so vortreffliche Handhaben darbietet und im Altertum, bei der mangelhafteren Einsicht in die physikalischen Gesetze, sie noch bequemer darbot, spielte begreiflicherweise auch hier eine ansehnliche Rolle. Seine Theologie beruhte wesentlich auf dem wunderlichen Gebräu, in dem den geistesverwandten Griechen orphische und andere uralte oder sehr neue einheimische Weisheit mit persischen, chaldäischen und ägyptischen Geheimlehren zusammengeflossen war und in welches Figulus noch die Quasiresultate der tuskischen Forschung in das Nichts und die einheimische Vogelfluglehre zu weiterer harmonischer Konfusion einarbeitete. Dem ganzen System gab die politisch-religiös-nationale Weihe der Name des Pythagoras, des ultrakonservativen Staatsmannes, dessen oberster Grundsatz war, „die Ordnung zu fördern und der Unordnung zu wehren“, des Wundermannes und Geisterbeschwörers, des in Italien heimischen, selbst in Roms Sagengeschichte verflochtenen und auf dem römischen Markte im Standbilde zu schauenden uralten Weisen. Wie Geburt und Tod miteinander verwandt sind, so, schien es, sollte Pythagoras nicht bloß an der Wiege der Republik stehen als des weisen Numa Freund und der klugen Mutter Egeria Kollege, sondern auch als der letzte Hort der heiligen Vogelweisheit an ihrem Grabe. Das neue System war aber nicht bloß wunderhaft, es wirkte auch Wunder: Nigidius verkündigte dem Vater des nachmaligen Kaisers Augustus an dem Tage selbst, wo dieser geboren ward, die künftige Größe des Sohnes; ja die Propheten bannten den Gläubigen Geister und, was mehr sagen will, sie wiesen ihnen die Plätze nach, wo ihre verlorenen Münzen lagen. Die neu-alte Weisheit, wie sie nun eben war, machte doch auf die Zeitgenossen einen tiefen Eindruck; die vornehmsten, gelehrtesten, tüchtigsten Männer der verschiedensten Parteien, der Konsul des Jahres 705 (49), Appius Claudius, der gelehrte Marcus Varro, der tapfere Offizier Publius Vatinius, machten das Geisterzitieren mit, und es scheint sogar, daß gegen das Treiben dieser Gesellschaften polizeilich eingeschritten werden mußte. Diese letzten Versuche, die römische Theologie zu retten, machen, ähnlich wie Catos verwandte Bestrebungen auf dem politischen Gebiet, zugleich einen komischen und einen wehmütigen Eindruck; man darf über das Evangelium wie über die Apostel lächeln, aber immer ist es eine ernsthafte Sache, wenn auch die tüchtigen Männer anfangen, sich dem Absurden zu ergeben.

Die Jugendbildung bewegte sich, wie sich von selbst versteht, in dem in der vorigen Epoche vorgezeichneten Kreise zwiesprachiger Humanität, und mehr und mehr ging die allgemeine Bildung auch der römischen Welt ein auf die von den Griechen dafür festgestellten Formeln. Selbst die körperlichen Übungen schritten von dem Ballspiel, dem Laufen und Fechten fort zu den kunstmäßiger entwickelten griechischen Turnkämpfen; wenn es auch für diese noch keine öffentlichen Anstalten gab, pflegte doch in den vornehmen Landhäusern schon neben den Badezimmern die Palästra nicht zu fehlen. In welcher Art der Kreis der allgemeinen Bildung sich in der römischen Welt im Laufe eines Jahrhunderts umgewandelt hatte, zeigt die Vergleichung der Catonischen ‚Encyklopädie‘ mit der gleichartigen Schrift Varros ‚Von den Schulwissenschaften‘. Als Bestandteile der nichtfachwissenschaftlichen Bildung erscheinen bei Cato die Redekunst, die Ackerbau-, Rechts-, Kriegs- und Arzneikunde, bei Varro – nach wahrscheinlicher Vermutung – Grammatik, Logik oder Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Astronomie, Musik, Medizin und Architektur. Es sind also im Verlaufe des siebenten Jahrhunderts Kriegs-, Rechts- und Ackerbaukunde aus allgemeinen zu Fachwissenschaften geworden. Dagegen tritt bei Varro die hellenische Jugendbildung bereits in ihrer ganzen Vollständigkeit auf: neben dem grammatisch-rhetorisch-philosophischen Kursus, der schon früher in Italien eingeführt war, findet jetzt auch der länger spezifisch hellenisch gebliebene geometrisch-arithmetisch-astronomisch-musikalische125 sich ein. Daß namentlich die Astronomie, die in der Nomenklatur der Gestirne dem gedankenlosen gelehrten Dilettantismus der Zeit, in ihren Beziehungen zur Astrologie dem herrschenden religiösen Schwindel entgegenkam, in Italien von der Jugend regelmäßig und eifrig studiert ward, läßt sich auch anderweitig belegen: Aratos‘ astronomische Lehrgedichte fanden unter allen Werken der alexandrinischen Literatur am frühesten Eingang in den römischen Jugendunterricht. Zu diesem hellenischen Kursus trat dann noch die aus dem älteren römischen Jugendunterricht stehengebliebene Medizin und endlich die dem damaligen statt des Ackers Häuser und Villen bauenden vornehmen Römer unentbehrliche Architektur.

Im Vergleich mit der vorigen Epoche nimmt die griechische wie die lateinische Bildung an Umfang und an Schulstrenge ebenso zu wie ab an Reinheit und an Feinheit. Der steigende Drang nach griechischem Wissen gab dem Unterricht von selbst einen gelehrten Charakter. Horneros oder Euripides zu exponieren war am Ende keine Kunst; Lehrer und Schüler fanden besser ihre Rechnung bei den alexandrinischen Poesien, welche überdies auch ihrem Geiste nach der damaligen römischen Welt weit näher standen als die echte griechische Nationalpoesie und die, wenn sie nicht ganz so ehrwürdig wie die Ilias waren, doch bereits ein hinreichend achtbares Alter besaßen, um Schulmeistern als Klassiker zu gelten. Euphorions Liebesgedichte, Kalkmachos‘ ‚Ursachen‘ und seine ‚Ibis‘, Lykophrons komisch dunkle ‚Alexandra‘ enthielten in reicher Fülle seltene Vokabeln ( glossae), die zum Exzerpieren und Interpretieren sich eigneten, mühsam verschlungene und mühsam aufzulösende Sätze, weitläufige Exkurse voll Zusammengeheimnissung verlegener Mythen, überhaupt Vorrat zu beschwerlicher Gelehrsamkeit aller Art. Der Unterricht bedurfte immer schwierigerer Übungsstücke; jene Produkte, großenteils Musterarbeiten von Schulmeistern, eigneten sich vortrefflich zu Lehrstücken für Musterschüler. So nahmen die alexandrinischen Poesien in dem italischen Schulunterricht, namentlich als Probeaufgaben, bleibenden Platz und förderten allerdings das Wissen, aber auf Kosten des Geschmacks und der Gescheitheit. Derselbe ungesunde Bildungshunger drängte ferner die römische Jugend, den Hellenismus so viel wie möglich an der Quelle zu schöpfen. Die Kurse bei den griechischen Meistern in Rom genügten nur noch für den ersten Anlauf; wer irgend wollte mitsprechen können, hörte griechische Philosophie in Athen, griechische Rhetorik in Rhodos und machte eine literarische und Kunstreise durch Kleinasien, wo noch am meisten von den alten Kunstschätzen der Hellenen an Ort und Stelle anzutreffen war und, wenn auch handwerksmäßig, die musische Bildung derselben sich fortgepflanzt hatte; wogegen das fernere und mehr als Sitz der strengen Wissenschaften gefeierte Alexandreia weit seltener das Reiseziel der bildungslustigen jungen Leute war.

Ähnlich wie der griechische steigert sich auch der lateinische Unterricht. Zum Teil geschah dies schon durch die bloße Rückwirkung des griechischen, dem er ja seine Methode und seine Anregungen wesentlich entlehnte. Ferner trugen die politischen Verhältnisse, der durch das demokratische Treiben in immer weitere Kreise getragene Zudrang zu der Rednerbühne auf dem Markte, zur Verbreitung und Steigerung der Redeübungen nicht wenig bei; „wo man hinblickt“, sagt Cicero, „ist alles von Rhetoren voll“. Es kam hinzu, daß die Schriften des sechsten Jahrhunderts, je weiter sie in die Vergangenheit zurücktraten, desto entschiedener als klassische Texte der goldenen Zeit der lateinischen Literatur zu gelten anfingen und damit dem wesentlich auf sie sich konzentrierenden Unterricht ein größeres Schwergewicht gaben. Endlich gab die von vielen Seiten her einreißende und einwandernde Barbarei und die beginnende Latinisierung ausgedehnter keltischer und spanischer Landschaften der lateinischen Sprachlehre und dem lateinischen Unterricht von selbst eine höhere Bedeutung, als er sie hatte haben können, solange nur Latium lateinisch sprach: der Lehrer der lateinischen Literatur hatte in Comum und Narbo von Haus aus eine andere Stellung als in Praeneste und Ardea. Im ganzen genommen war die Bildung mehr im Sinken als im Steigen. Der Ruin der italischen Landstädte, das massenhafte Eindringen fremder Elemente, die politische, ökonomische und sittliche Verwilderung der Nation, vor allem die zerrüttenden Bürgerkriege verdarben auch in der Sprache mehr, als alle Schulmeister der Welt wieder gutmachen konnten. Die engere Berührung mit der hellenischen Bildung der Gegenwart, der bestimmtere Einfluß der geschwätzigeren athenischen Weisheit und der rhodischen und kleinasiatischen Rhetorik führten vorwiegend eben die schädlichsten Elemente des Hellenismus der römischen Jugend zu. Die propagandistische Mission, die Latium unter den Kelten, Iberern und Libyern übernahm, wie stolz die Aufgabe auch war, mußte doch für die lateinische Sprache ähnliche Folgen haben, wie die Hellenisierung des Ostens sie für die hellenische gehabt hatte. Wenn das römische Publikum dieser Zeit die wohlgefügte und rhythmisch kadenzierte Periode des Redners beklatschte und dem Schauspieler ein sprachlicher oder metrischer Verstoß teuer zu stehen kam, so zeigt dies wohl, daß die schulmäßig reflektierte Einsicht in die Muttersprache in immer weiteren Kreisen Gemeingut ward: aber daneben klagen urteilsfähige Zeitgenossen, daß die hellenische Bildung in Italien um 690 (64) weit tiefer gestanden als ein Menschenalter zuvor; daß man das reine gute Latein nur selten mehr, am ersten noch aus dem Munde älterer gebildeter Frauen zu hören bekomme; daß die Überlieferung echter Bildung, der alte, gute lateinische Mutterwitz, die Lucilische Feinheit, der gebildete Leserkreis der scipionischen Zeit allmählich ausgingen. Daß Wort und Begriff der „Urbanität“, das heißt der feinen nationalen Gesittung, in dieser Zeit aufkamen, beweist nicht, daß sie herrschte, sondern daß sie im Verschwinden war und daß man in der Sprache und dem Wesen der latinisierten Barbaren oder barbarisierten Lateiner die Abwesenheit dieser Urbanität schneidend empfand. Wo noch der urbane Konversationston begegnet, wie in Varros Satiren und Ciceros Briefen, da ist es ein Nachklang der alten in Reate und Arpinum noch nicht so wie in Rom verschollenen Weise.

So blieb die bisherige Jugendbildung ihrem Wesen nach unverändert, nur daß sie, nicht so sehr durch ihren eigenen als durch den allgemeinen Verfall der Nation, weniger Gutes und mehr Übles stiftete als in der vorhergegangenen Epoche. Eine Revolution auch auf diesem Gebiet leitete Caesar ein. Wenn der römische Senat die Bildung erst bekämpft und sodann höchstens geduldet hatte, so mußte die Regierung des neuen italisch-hellenischen Reiches, dessen Wesen ja die Humanität war, dieselbe notwendig in hellenischer Weise von oben herab fördern. Wenn Caesar sämtlichen Lehrern der freien Wissenschaften und sämtlichen Ärzten der Hauptstadt das römische Bürgerrecht verlieh, so darf darin wohl eine gewisse Einleitung gefunden werden zu jenen Anstalten, in denen späterhin für die höhere zwiesprachige Bildung der Jugend des Reiches von Staats wegen gesorgt ward und die der prägnanteste Ausdruck des neuen Staates der Humanität sind; und wenn Caesar ferner die Gründung einer öffentlichen griechischen und lateinischen Bibliothek in der Hauptstadt beschlossen und bereits den gelehrtesten Römer der Zeit, Marcus Varro, zum Oberbibliothekar ernannt hatte, so liegt darin unverkennbar die Absicht, mit der Weltmonarchie die Weltliteratur zu verknüpfen.

Die sprachliche Entwicklung dieser Zeit knüpfte an den Gegensatz an zwischen dem klassischen Latein der gebildeten Gesellschaft und der Vulgärsprache des gemeinen Lebens. Jenes selbst war ein Erzeugnis der spezifischen italischen Bildung; schon in dem Scipionischen Kreise war das „reine Latein“ Stichwort gewesen und wurde die Muttersprache nicht mehr völlig naiv gesprochen, sondern in bewußtem Unterschied von der Sprache des großen Haufens. Diese Epoche eröffnet mit einer merkwürdigen Reaktion gegen den bisher in der höheren Umgangssprache und demnach auch in der Literatur alleinherrschenden Klassizismus, einer Reaktion, die innerlich und äußerlich mit der gleichartigen Sprachreaktion in Griechenland eng zusammenhing. Eben um diese Zeit begannen der Rhetor und Romanschreiber Hegesias von Magnesia und die zahlreichen, an ihn sich anschließenden kleinasiatischen Rhetoren und Literaten sich aufzulehnen gegen den orthodoxen Attizismus. Sie forderten das Bürgerrecht für die Sprache des Lebens, ohne Unterschied, ob das Wort und die Wendung in Attika entstanden sei oder in Karien und Phrygien; sie selber sprachen und schrieben nicht für den Geschmack der gelehrten Cliquen, sondern für den des großen Publikums. Gegen den Grundsatz ließ sich nicht viel einwenden; nur freilich konnte das Resultat nicht besser sein als das damalige kleinasiatische Publikum war, das den Sinn für Strenge und Reinheit der Produktion gänzlich verloren hatte und nur nach dem Zierlichen und Brillanten verlangte. Um von den aus dieser Richtung entsprungenen Afterkunstgattungen, namentlich dem Roman und der romanhaften Geschichte, hier zu schweigen, so war schon der Stil dieser Asiaten begreiflicherweise zerhackt und ohne Kadenz und Periode, verzwickt und weichlich, voll Flitter und Bombast, durchaus gemein und manieriert; „wer Hegesias kennt“, sagt Cicero, „der weiß, was albern ist“.

Dennoch fand dieser neue Stil seinen Weg auch in die latinische Welt. Als die hellenische Moderhetorik, nachdem sie am Ende der vorigen Epoche in den latinischen Jugendunterricht sich eingedrängt hatte, zu Anfang der gegenwärtigen den letzten Schritt tat und mit Quintus Hortensius (640-704 114-50), dem gefeiertsten Sachwalter der sullanischen Zeit, die römische Rednerbühne selbst betrat, da schmiegte sie auch in dem lateinischen Idiom dem schlechten griechischen Zeitgeschmack eng sich an; und das römische Publikum, nicht mehr das rein und streng gebildete der scipionischen Zeit, beklatschte natürlich eifrig den Neuerer, der es verstand, dem Vulgarismus den Schein kunstgerechter Leistung zu geben. Es war dies von großer Bedeutung. Wie in Griechenland der Sprachstreit immer zunächst in den Rhetorenschulden geführt ward, so war auch in Rom die gerichtliche Rede gewissermaßen mehr noch als die Literatur maßgebend für den Stil, und es war deshalb mit dem Sachwalterprinzipat gleichsam von Rechts wegen die Befugnis verbunden, den Ton der modischen Sprech- und Schreibweise anzugeben. Hortensius‘ asiatischer Vulgarismus verdrängte also den Klassizismus von der römischen Rednerbühne und zum Teil auch aus der Literatur. Aber bald schlug in Griechenland wie in Rom die Mode wieder um. Dort war es die Rhodische Rhetorenschule, die ohne auf die ganze keusche Strenge des attischen Stils zurückzugehen, doch versuchte, zwischen ihm und der modernen Weise einen Mittelweg einzuschlagen; wenn die rhodischen Meister es mit der innerlichen Korrektheit des Denkens und Sprechens nicht allzu genau nahmen, so drangen sie doch wenigstens auf sprachliche und stilistische Reinheit, auf sorgfältige Auswahl der Wörter und Wendungen und durchgeführte Kadenzierung der Sätze. In Italien war es Marcus Tullius Cicero (648-711 106-43), der, nachdem er in seiner ersten Jugend die Hortensische Manier mitgemacht hatte, durch das Hören der rhodischen Meister und durch eigenen gereifteren Geschmack auf bessere Wege zurückgeführt ward und fortan sich strenger Reinheit der Sprache und durchgängiger Periodisierung und Kadenzierung der Rede befliß. Die Sprachmuster, an die er hierbei sich anschloß, fand er vor allen Dingen in denjenigen Kreisen der höheren römischen Gesellschaft, welche von dem Vulgarismus noch wenig oder gar nicht gelitten hatten; und wie schon gesagt ward, es gab deren noch, obwohl sie anfingen zu schwinden. Die ältere lateinische und die gute griechische Literatur, so bedeutend auch namentlich auf den Numerus der Rede die letztere eingewirkt hat, standen daneben doch nur in zweiter Linie; es war diese Sprachreinigung also keineswegs eine Reaktion der Buch- gegen die Umgangssprache, sondern eine Reaktion der Sprache der wirklich Gebildeten gegen den Jargon der falschen und halben Bildung. Caesar, auch auf dem Gebiet der Sprache der größte Meister seiner Zeit, sprach den Grundgedanken des römischen Klassizismus aus, indem er in Rede und Schrift jedes fremdartige Wort so zu vermeiden gebot, wie der Schiffer die Klippe meidet: man verwarf das poetische und das verschollene Wort der älteren Literatur ebenso, wie die bäurische oder der Sprache des gemeinen Lebens entlehnte Wendung und namentlich die, wie die Briefe dieser Zeit es beweisen, in sehr weitem Umfang in die Umgangssprache eingedrungenen griechischen Wörter und Phrasen. Aber nichtsdestoweniger verhielt dieser schulmäßige und künstliche Klassizismus der ciceronischen Zeit sich zu dem scipionischen, wie zu der Unschuld die bekehrte Sünde oder wie zu dem mustergültigen Französisch Molières und Boileaus das der napoleonischen Klassizisten; wenn jener aus dem vollen Leben geschöpft hatte, so fing dieser gleichsam die letzten Atemzüge eines unwiderbringlich untergehenden Geschlechts noch eben rechtzeitig auf. Wie er nun war, er breitete rasch sich aus. Mit dem Sachwalterprinzipat ging auch die Sprach- und Geschmacksdiktatur von Hortensius auf Cicero über, und die mannigfaltige und weitläufige Schriftstellerei des letzteren gab diesem Klassizismus, was ihm noch gefehlt hatte, ausgedehnte prosaische Texte. So wurde Cicero der Schöpfer der modernen klassischen lateinischen Prosa und knüpfte der römische Klassizismus durchaus und überall an Cicero als Stilisten an; dem Stilisten Cicero, nicht dem Schriftsteller, geschweige denn dem Staatsmanne, galten die überschwenglichen und doch nicht ganz phrasenhaften Lobsprüche, mit denen die begabtesten Vertreter des Klassizismus, namentlich Caesar und Catullus, ihn überhäufen.

Bald ging man weiter. Was Cicero in der Prosa, das führte in der Poesie gegen das Ende der Epoche die neurömische an die griechische Modepoesie sich anlehnende Dichterschule durch, deren bedeutendstes Talent Catullus war. Auch hier verdrängte die höhere Umgangssprache die bisher auf diesem Gebiet noch vielfach waltenden archaistischen Reminiszenzen und fügte wie die lateinische Prosa sich dem attischen Numerus, so die lateinische Poesie sich allmählich den strengen oder vielmehr peinlichen metrischen Gesetzen der Alexandriner; so zum Beispiel wird von Catullus an es nicht mehr verstattet, mit einem einsilbigen oder einem nicht besonders schwerwichtigen zweisilbigen Wort zugleich einen Vers zu beginnen und einen im vorigen begonnenen Satz zu schließen. Endlich trat denn die Wissenschaft hinzu, fixierte das Sprachgesetz und entwickelte die Regel, die nicht mehr aus der Empirie bestimmt ward, sondern den Anspruch machte, die Empirie zu bestimmen. Die Deklinationsendungen, die bisher noch zum Teil geschwankt hatten, sollten jetzt ein für allemal fixiert werden, wie zum Beispiel von den bisher nebeneinander gangbaren Genetiv- und Dativformen der sogenannten vierten Deklination (senatuis und senatus, senatui und senatu) Caesar ausschließlich die zusammengezogenen ( us und u) gelten ließ. In der Orthographie wurde mancherlei geändert, um die Schrift mit der Sprache wieder vollständiger ins gleiche zu setzen – so ward das inlautende u in Wörtern wie maxumus nach Caesars Vorgang durch i ersetzt und von den beiden überflüssig gewordenen Buchstaben k und q die Beseitigung des ersten durchgesetzt, die des zweiten wenigstens vorgeschlagen. Die Sprache war, wenn noch nicht erstarrt, doch im Erstarren begriffen, von der Regel zwar noch nicht gedankenlos beherrscht, aber doch bereits ihrer sich bewußt geworden. Daß für diese Tätigkeit auf dem Gebiete der lateinischen Grammatik die griechische nicht bloß im allgemeinen den Geist und die Methode hergab, sondern die lateinische Sprache auch wohl geradezu nach jener rektifiziert ward, beweist zum Beispiel die Behandlung des schließenden s, das bis gegen den Ausgang dieser Epoche nach Gefallen bald als Konsonant, bald nicht als solcher gegolten hatte, von den neumodischen Poeten aber durchgängig wie im Griechischen als konsonantischer Auslaut behandelt ward. Diese Sprachregulierung ist die eigentliche Domäne des römischen Klassizismus; in der verschiedensten Weise und ebendarum nur um so bedeutsamer wird bei den Koryphäen desselben, bei Cicero, Caesar, sogar in den Gedichten Catulls, die Regel eingeschärft und der Verstoß dagegen abgetrumpft; wogegen die ältere Generation sich über die auf dem sprachlichen Gebiet ebenso rücksichtslos wie auf dem politischen durchgreifende Revolution mit begreiflicher Empfindlichkeit äußert126. Indem aber der neue Klassizismus, das heißt das regulierte und mit dem mustergültigen Griechisch soweit möglich ins gleiche gesetzte mustergültige Latein, hervorgehend aus der bewußten Reaktion gegen den in die höhere Gesellschaft und selbst in die Literatur eingedrungenen Vulgarismus, sich literarisch fixierte und schematisch formulierte, räumte dieser doch keineswegs das Feld. Wir finden ihn nicht bloß naiv in den Werken untergeordneter, nur zufällig unter die Schriftsteller verschlagener Individuen, wie in dem Bericht über Caesars zweiten spanischen Krieg, sondern wir werden ihm auch in der eigentlichen Literatur, im Mimus, im Halbroman, in den ästhetischen Schriften Varros mehr oder weniger ausgeprägt begegnen; und charakteristisch ist es, daß er eben in den am meisten volkstümlichen Gebieten der Literatur sich behauptet und daß wahrhaft konservative Männer, wie Varro, ihn in Schutz nehmen. Der Klassizismus ruht auf dem Tode der italischen Sprache wie die Monarchie auf dem Untergang der italischen Nation; es war vollkommen konsequent, daß die Männer, in denen die Republik noch lebendig war, auch der lebenden Sprache fortfuhren, ihr Recht zu geben und ihrer relativen Lebendigkeit und Volkstümlichkeit zuliebe ihre ästhetischen Mängel ertrugen. So gehen denn die sprachlichen Meinungen und Richtungen dieser Epoche überall hin auseinander: neben der altfränkischen Poesie des Lucretius erscheint die durchaus moderne des Catullus, neben Ciceros kadenzierter Periode Varros absichtlich jede Gliederung verschmähender Satz. Auch hierin spiegelt sich die Zerrissenheit der Zeit.

In der Literatur dieser Periode fällt zunächst, im Vergleich mit der früheren, die äußere Steigerung des literarischen Treibens in Rom auf. Die literarische Tätigkeit der Griechen gedieh längst nicht mehr in der freien Luft der bürgerlichen Unabhängigkeit, sondern nur noch in den wissenschaftlichen Anstalten der größeren Städte und besonders der Höfe. Angewiesen auf Gunst und Schutz der Großen und durch das Erlöschen der Dynastien von Pergamon (621 133), Kyrene (658 96), Bithynien (679 75) und Syrien (690 64), durch den sinkenden Glanz der Hofhaltung der Lagiden aus den bisherigen Musensitzen verdrängt127

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Die literarische Tendenz dieser Zeit war keine einfache und konnte es nicht sein, da die Zeit selbst zwischen der alten und der neuen Weise geteilt war. Dieselben Richtungen, die auf dem politischen Gebiet sich bekämpften, die national-italische der Konservativen, die hellenisch-italische oder, wenn man will, kosmopolitische der neuen Monarchie, haben auch auf dem literarischen ihre Schlachten geschlagen. Jene lehnt sich auf die ältere lateinische Literatur, die auf dem Theater, in der Schule und in der gelehrten Forschung mehr und mehr den Charakter der Klassizität annimmt. Mit minderem Geschmack und stärkerer Parteitendenz, als die scipionische Epoche bewies, werden jetzt Ennius, Pacuvius und namentlich Plautus in den Himmel erhoben. Die Blätter der Sibylle steigen im Preise, je weniger ihrer werden; die relative Nationalität und relative Produktivität der Dichter des sechsten Jahrhunderts wurde nie lebhafter empfunden als in dieser Epoche des ausgebildeten Epigonentums, die in der Literatur ebenso entschieden wie in der Politik zu dem Jahrhundert der Hannibalskämpfer hinaufsah als zu der goldenen, leider unwiederbringlich dahingegangenen Zeit. Freilich war in dieser Bewunderung der alten Klassiker ein guter Teil derselben Hohlheit und Heuchelei, die dem konservativen Wesen dieser Zeit überhaupt eigen sind, und die Zwischengänger mangelten auch hier nicht. Cicero zum Beispiel, obwohl in der Prosa einer der Hauptvertreter der modernen Tendenz, verehrte dennoch die ältere nationale Poesie ungefähr mit demselben anbrüchigen Respekt, welchen er der aristokratischen Verfassung und der Auguraldisziplin zollte; „der Patriotismus erfordert es“, heißt es bei ihm, „lieber eine notorisch elende Übersetzung des Sophokles zu lesen als das Original“. Wenn also die moderne, der demokratischen Monarchie verwandte literarische Richtung selbst unter den rechtgläubigen Enniusbewunderern stille Bekenner genug zählte, so fehlte es auch schon nicht an dreisteren Urteilern, die mit der einheimischen Literatur ebenso unsäuberlich umgingen wie mit der senatorischen Politik. Man nahm nicht bloß die strenge Kritik der scipionischen Epoche wieder auf und ließ den Terenz nur gelten, um Ennius und mehr noch die Ennianisten zu verdammen, sondern die jüngere und verwegenere Welt ging weit darüber hinaus und wagte es schon, wenn auch nur noch in ketzerischer Auflehnung gegen die literarische Orthodoxie, den Plautus einen rohen Spaßmacher, den Lucilius einen schlechten Verseschmied zu heißen. Statt auf die einheimische lehnt sich diese moderne Richtung vielmehr auf die neuere griechische Literatur oder den sogenannten Alexandrinismus.

Es kann nicht umgangen werden, von diesem merkwürdigen Wintergarten hellenischer Sprache und Kunst hier wenigstens so viel zu sagen, als für das Verständnis der römischen Literatur dieser und der späteren Epochen erforderlich ist. Die alexandrinische Literatur ruht auf dem Untergang des reinen hellenischen Idioms, das seit der Zeit Alexanders des Großen im Leben ersetzt ward durch einen verkommenen, zunächst aus der Berührung des makedonischen Dialekts mit vielfachen griechischen und barbarischen Stämmen hervorgegangenen Jargon; oder genauer gesagt, die alexandrinische Literatur ist hervorgegangen aus dem Ruin der hellenischen Nation überhaupt, die, um die alexandrinische Weltmonarchie und das Reich des Hellenismus zu begründen, in ihrer volkstümlichen Individualität untergehen mußte und unterging. Hätte Alexanders Weltreich Bestand gehabt, so würde an die Stelle der ehemaligen nationalen und volkstümlichen eine nur dem Namen nach hellenische, wesentlich denationalisierte und gewissermaßen von oben herab ins Leben gerufene, aber allerdings die Welt beherrschende, kosmopolitische Literatur getreten sein; indes wie der Staat Alexanders mit seinem Tode aus den Fugen wich, gingen auch die Anfänge der ihm entsprechenden Literatur rasch zugrunde. Die griechische Nation aber gehörte darum nicht weniger mit allem, was sie gehabt, mit ihrer Volkstümlichkeit, ihrer Sprache, ihrer Kunst, der Vergangenheit an. Nur in einem verhältnismäßig engen Kreis nicht von Gebildeten, die es als solche nicht mehr gab, sondern von Gelehrten wurde die griechische Literatur noch als tote gepflegt, ihr reicher Nachlaß in wehmütiger Freude oder trockener Grübelei inventarisiert und auch wohl das lebendige Nachgefühl oder die tote Gelehrsamkeit bis zu einer Scheinproduktivität gesteigert. Diese posthume Produktivität ist der sogenannte Alexandrinismus. Er ist wesentlich gleichartig derjenigen Gelehrtenliteratur, welche, abstrahierend von den lebendigen romanischen Nationalitäten und ihren vulgären Idiomen, in einem philologisch gelehrten, kosmopolitischen Kreise als künstliche Nachblüte des untergegangenen Altertums während des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts erwuchs; der Gegensatz zwischen dem klassischen und dem Vulgärgriechisch der Diadochenzeit ist wohl minder schroff, aber nicht eigentlich ein anderer als der zwischen dem Latein des Manutius und dem Italienischen Macchiavellis.

Italien hatte bisher sich gegen den Alexandrinismus im wesentlichen ablehnend verhalten. Die relative Blütezeit desselben ist die Zeit kurz vor und nach dem Ersten Punischen Krieg; dennoch schlossen Naevius, Ennius, Pacuvius und schloß überhaupt die gesamte nationalrömische Schriftstellerei bis hinab auf Varro und Lucretius in allen Zweigen poetischer Produktion, selbst das Lehrgedicht nicht ausgenommen, nicht an ihre griechischen Zeitgenossen oder jüngsten Vorgänger sich an, sondern ohne Ausnahme an Homer, Euripides, Menandros und die anderen Meister der lebendigen und volkstümlichen griechischen Literatur. Die römische Literatur ist niemals frisch und national gewesen; aber solange es ein römisches Volk gab, griffen seine Schriftsteller instinktmäßig nach lebendigen und volkstümlichen Mustern und kopierten, wenn auch nicht immer aufs beste noch die besten, doch wenigstens Originale. Die ersten römischen Nachahmer – denn die geringen Anfänge aus der marianischen Zeit können kaum mitgezählt werden – fand die nach Alexander entstandene griechische Literatur unter den Zeitgenossen Ciceros und Caesars; und nun griff der römische Alexandrinismus mit reißender Schnelligkeit um sich. Zum Teil ging dies aus äußerlichen Ursachen hervor. Die gesteigerte Berührung mit den Griechen, namentlich die häufigen Reisen der Römer in die hellenischen Landschaften und die Ansammlung griechischer Literaten in Rom, verschafften natürlich der griechischen Tagesliteratur, den zu jener Zeit in Griechenland gangbaren epischen und elegischen Poesien, Epigrammen und milesischen Märchen, auch unter den Italikern ein Publikum. Indem ferner die alexandrinische Poesie, wie früher dargestellt ward, in dem italischen Jugendunterricht sich festsetzte, wirkte dies auf die lateinische Literatur um so mehr zurück, als diese von der hellenischen Schulbildung zu allen Zeiten wesentlich abhängig war und blieb. Es findet sich hier sogar eine unmittelbare Anknüpfung der neurömischen an die neugriechische Literatur: der schon genannte Parthenios, einer der bekannteren alexandrinischen Elegiker, eröffnete, es scheint um 700 (54), eine Literatur- und Poesieschule in Rom, und es sind noch die Exzerpte vorhanden, in denen er Stoffe für lateinische erotisch-mythologische Elegien nach dem bekannten alexandrinischen Rezept einem seiner vornehmen Schüler an die Hand gab. Aber es waren keineswegs bloß diese zufälligen Veranlassungen, die den römischen Alexandrinismus ins Leben riefen; er war vielmehr ein vielleicht nicht erfreuliches, aber durchaus unvermeidliches Erzeugnis der politischen und nationalen Entwicklung Roms. Einerseits löste, wie Hellas im Hellenismus, so jetzt Latium im Romanismus sich auf; die nationale Entwicklung Italiens überwuchs und zersprengte sich in ganz ähnlicher Weise in Caesars Mittelmeer – wie die hellenische in Alexanders Ostreich. Wenn andererseits das neue Reich darauf beruhte, daß die mächtigen Ströme der griechischen und lateinischen Nationalität, nachdem sie Jahrtausende hindurch in parallelen Betten geflossen, nun endlich zusammenfielen, so mußte auch die italische Literatur nicht bloß wie bisher an der griechischen überhaupt einen Halt suchen, sondern eben mit der griechischen Literatur der Gegenwart, das heißt mit dem Alexandrinismus sich ins Niveau setzen. Mit dem schulmäßigen Latein, der geschlossenen Klassikerzahl, dem exklusiven Kreise der klassikerlesenden „Urbanen“ war die volkstümliche lateinische Literatur tot und zu Ende; es entstand dafür eine durchaus epigonenhafte, künstlich großgezogene Reichsliteratur, die nicht auf einer bestimmten Volkstümlichkeit ruhte, sondern in zweien Sprachen das allgemeine Evangelium der Humanität verkündigte und geistig durchaus und bewußt von der hellenischen, sprachlich teils von dieser, teils von der altrömischen Volksliteratur abhing. Es war dies kein Fortschritt. Die Mittelmeermonarchie Caesars war wohl eine großartige und, was mehr ist, eine notwendige Schöpfung; aber sie war von oben herab ins Leben gerufen und darum nichts in ihr zu finden von dem frischen Volksleben, von der übersprudelnden Nationalkraft, wie sie jüngeren, beschränkteren, natürlicheren Gemeinwesen eigen sind, wie noch der Staat Italien des sechsten Jahrhunderts sie hatte aufzeigen können. Der Untergang der italischen Volkstümlichkeit, abgeschlossen in Caesars Schöpfung, brach der Literatur das Herzblatt aus. Wer ein Gefühl hat für die innige Wahlverwandtschaft der Kunst und der Nationalität, der wird stets sich von Cicero und Horaz ab zurück zu Cato und Lucretius wenden; und nur die, freilich auf diesem Gebiete verjährte, schulmeisterliche Auffassung der Geschichte wie der Literatur hat es vermocht, die mit der neuen Monarchie beginnende Kunstepoche vorzugsweise die goldene zu heißen. Aber wenn der römisch-hellenische Alexandrinismus der caesarischen und augusteischen Zeit zurückstehen muß hinter der, wie immer unvollkommenen, älteren nationalen Literatur, so ist er andererseits dem Alexandrinismus der Diadochenzeit ebenso entschieden überlegen wie Caesars Dauerbau der ephemeren Schöpfung Alexanders. Es wird später darzustellen sein, daß die augustische Literatur, verglichen mit der verwandten der Diadochenzeit, weit minder eine Philologen- und weit mehr eine Reichsliteratur gewesen ist als diese und darum auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft weit dauernder und weit allgemeiner als jemals der griechische Alexandrinismus gewirkt hat.

Nirgends sah es trübseliger aus als in der Bühnenliteratur. Trauerspiel wie Lustspiel waren in der römischen Nationalliteratur bereits vor der gegenwärtigen Epoche innerlich abgestorben. Neue Stücke wurden nicht mehr gespielt. Daß noch in der sullanischen Zeit das Publikum dergleichen zu sehen erwartete, zeigen die dieser Zeit angehörigen Wiederaufführungen Plautinischer Komödien mit gewechselten Titeln und Personennamen, wobei die Direktion wohl hinzufügte, daß es besser sei, ein gutes altes, als ein schlechtes neues Stück zu sehen. Davon hatte man denn nicht weit zu der völligen Einräumung der Bühne an die toten Poeten, die wir in der ciceronischen Zeit finden und der der Alexandrinismus sich gar nicht widersetzte. Seine Produktivität auf diesem Gebiete war schlimmer als keine. Eine wirkliche Bühnendichtung hat die alexandrinische Literatur nie gekannt; nur das Afterdrama, das zunächst zum Lesen, nicht zur Aufführung geschrieben ward, konnte durch sie in Italien eingebürgert werden, und bald fingen denn diese dramatischen Jamben auch an, in Rom ebenso wie in Alexandreia zu grassieren und namentlich das Trauerspielschreiben unter den stehenden Entwicklungskrankheiten zu figurieren. Welcher Art diese Produktionen waren, kann man ungefähr danach bemessen, daß Quintus Cicero, um die Langeweile des gallischen Winterquartiers homöopathisch zu vertreiben, in sechzehn Tagen vier Trauerspiele verfertigte. Einzig in dem „Lebensbild“ oder dem Mimus verwuchs der letzte noch grünende Trieb der nationalen Literatur, die Atellanenposse, mit den ethologischen Ausläufern des griechischen Lustspiels, die der Alexandrinismus mit größerer poetischer Kraft und besserem Erfolg als jeden anderen Zweig der Poesie kultivierte. Der Mimus ging hervor aus den seit langem üblichen Charaktertänzen zur Flöte, die teils bei anderen Gelegenheiten, namentlich zur Unterhaltung der Gäste während der Tafel, teils besonders im Parterre des Theaters während der Zwischenakte aufgeführt wurden. Es war nicht schwer, aus diesen Tänzen, bei denen die Rede wohl längst gelegentlich zur Hilfe genommen ward, durch Einführung einer geordneteren Fabel und eines regelrechten Dialogs kleine Komödien zu machen, die jedoch von dem früheren Lustspiel und selbst von der Posse sich doch dadurch noch wesentlich unterschieden, daß der Tanz und die von solchem Tanz unzertrennliche Laszivität hier fortfuhren, eine Hauptrolle zu spielen, und daß der Mimus, als nicht eigentlich auf den Brettern, sondern im Parterre zu Hause, jede szenische Idealisierung wie die Gesichtsmasken und die Theaterschuhe, beiseite warf und, was besonders wichtig war, die Frauenrollen auch von Frauen darstellen ließ. Dieser neue Mimus, der zuerst um 672 (82) auf die hauptstädtische Bühne gekommen zu sein scheint, verschlang bald die nationale Harlekinade, mit der er ja in den wesentlichsten Beziehungen zusammenfiel, und ward als das gewöhnliche Zwischen- und namentlich Nachspiel neben den sonstigen Schauspielen verwendet131

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Mit der Nichtigkeit der Bühnenliteratur Hand in Hand geht die Steigerung des Bühnenspiels und der Bühnenpracht. Dramatische Vorstellungen erhielten ihren regelmäßigen Platz im öffentlichen Leben nicht bloß der Hauptstadt, sondern auch der Landstädte; auch jene bekam nun endlich durch Pompeius ein stehendes Theater (699 55) und die kampanische Sitte, während des in alter Zeit stets unter freiem Himmel stattfindenden Schauspiels zum Schutze der Spieler und der Zuschauer Segeldecken über das Theater zu spannen, fand ebenfalls jetzt Eingang in Rom (676 78). Wie derzeit in Griechenland nicht die mehr als blassen Siebengestirne der alexandrinischen Dramatiker, sondern das klassische Schauspiel, vor allem die Euripideische Tragödie in reichster Entfaltung szenischer Mittel die Bühne behauptete, so wurden auch in Rom zu Ciceros Zeit vorzugsweise die Trauerspiele des Ennius, Pacuvius und Accius, die Lustspiele des Plautus gegeben. Wenn der letztere in der vorigen Periode durch den geschmackvolleren, aber an komischer Kraft freilich geringeren Terenz verdrängt worden war, so wirkten jetzt Roscius und Varro, das heißt das Theater und die Philologie zusammen, um ihm eine ähnliche Wiederaufstehung zu bereiten, wie sie Shakespeare durch Garrick und Johnson widerfuhr; und auch Plautus hatte dabei von der gesunkenen Empfänglichkeit und der unruhigen Hast des durch die kurzen und lotterigen Possen verwöhnten Publikums zu leiden, so daß die Direktion die Länge der Plautinischen Komödien zu entschuldigen, ja vielleicht auch zu streichen und zu ändern sich genötigt sah. Je beschränkter das Repertoire war, desto mehr richtete sich sowohl die Tätigkeit des dirigierenden und exekutierenden Personals, als auch das Interesse des Publikums auf die szenische Darstellung der Stücke. Kaum gab es in Rom ein einträglicheres Gewerbe als das des Schauspielers und der Tänzerin ersten Ranges. Das fürstliche Vermögen des tragischen Schauspielers Aesopus ward bereits erwähnt; sein noch höher gefeierter Zeitgenosse Roscius schlug seine Jahreseinnahme auf 600000 Sesterzen (46000 Taler) an133 und die Tänzerin Dionysia die ihrige auf 200000 Sesterzen (15000 Taler). Daneben wandte man ungeheure Summen auf Dekorationen und Kostüme: gelegentlich schritten Züge von sechshundert aufgeschirrten Maultieren über die Bühne und das troische Theaterheer ward dazu benutzt, um dem Publikum eine Musterkarte der von Pompeius in Asien besiegten Nationen vorzuführen. Die den Vortrag der eingelegten Gesangstücke begleitende Musik erlangte gleichfalls größere und selbständigere Bedeutung; wie der Wind die Wellen, sagt Varro, so lenkt der kundige Flötenspieler die Gemüter der Zuhörer mit jeder Abwandlung der Melodie. Sie gewöhnte sich, das Tempo rascher zu nehmen und nötigte dadurch den Schauspieler zu lebhafterer Aktion. Die musikalische und Bühnenkennerschaft entwickelte sich; der Habitué erkannte jedes Tonstück an der ersten Note und wußte die Texte auswendig; jeder musikalische oder Rezitationsfehler ward streng von dem Publikum gerügt. Lebhaft erinnert das römische Bühnenwesen der ciceronischen Zeit an das heutige französische Theater. Wie den losen Tableaus der Tagesstücke der römische Mimus entspricht, für den wie für jene nichts zu gut und nichts zu schlecht war, so findet auch in beiden sich dasselbe traditionell klassische Trauerspiel und Lustspiel, die zu bewundern oder mindestens zu beklatschen der gebildete Mann von Rechts wegen verpflichtet ist. Der Menge wird Genüge getan, indem sie in der Posse sich selber wiederfindet, in dem Schauspiel den dekorativen Pomp anstaunt und den allgemeinen Eindruck einer idealen Welt empfängt; der höher Gebildete kümmert im Theater sich nicht um das Stück, sondern einzig um die künstlerische Darstellung. Endlich die römische Schauspielkunst selbst pendelte in ihren verschiedenen Sphären, ähnlich wie die französische, zwischen der Chaumière und dem Salon. Es war nichts Ungewöhnliches, daß die römischen Tänzerinnen bei dem Finale das Obergewand abwarfen und dem Publikum einen Tanz im Hemde zum besten gaben; andererseits aber galt auch dem römischen Talma als das höchste Gesetz seiner Kunst nicht die Naturwahrheit, sondern das Ebenmaß.

In der rezitativen Poesie scheint es an metrischen Chroniken nach dem Muster der Ennianischen nicht gefehlt zu haben; aber sie dürften ausreichend kritisiert sein durch jenes artige Mädchengelübde, von dem Catullus singt: der heiligen Venus, wenn sie den geliebten Mann von seiner bösen politischen Poesie ihr wieder zurück in die Arme führe, das schlechteste der schlechten Heldengedichte zum Brandopfer darzubringen. In der Tat ist auf dem ganzen Gebiet der rezitativen Dichtung in dieser Epoche die ältere nationalrömische Tendenz nur durch ein einziges namhaftes Werk vertreten, das aber auch zu den bedeutendsten dichterischen Erzeugnissen der römischen Literatur überhaupt gehört. Es ist das Lehrgedicht des Titus Lucretius Carus (655-699 99-55) ‚Vom Wesen der Dinge‘, dessen Verfasser, den besten Kreisen der römischen Gesellschaft angehörig, vom öffentlichen Leben aber, sei es durch Kränklichkeit, sei es durch Abneigung ferngehalten, kurz vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges im besten Mannesalter starb. Als Dichter knüpft er energisch an Ennius an und damit an die klassische griechische Literatur. Unwillig wendet er sich weg von dem „hohlen Hellenismus“ seiner Zeit und bekennt sich mit ganzer Seele und vollem Herzen als den Schüler der „strengen Griechen“, wie denn selbst des Thukydides heiliger Ernst in einem der bekanntesten Abschnitte dieser römischen Dichtung keinen unwürdigen Widerhall gefunden hat. Wie Ennius bei Epicharmos und Euhemeros seine Weisheit schöpft, so entlehnt Lucretius die Form seiner Darstellung dem Empedokles, „dem herrlichsten Schatz des gabenreichen sizilischen Eilands“, und liest dem Stoffe nach „die goldenen Worte alle zusammen aus den Rollen des Epikuros“, „welcher die anderen Weisen überstrahlt, wie die Sonne die Sterne verdunkelt“. Wie Ennius verschmäht auch Lucretius die der Poesie von dem Alexandrinismus aufgelastete mythologische Gelehrsamkeit und fordert nichts von seinem Leser als die Kenntnis der allgemein geläufigen Sagen134. Dem modernen Purismus zum Trotz, der die Fremdwörter aus der Poesie auswies, setzt Lucretius, wie es Ennius getan, statt matten und undeutlichen Lateins lieber das bezeichnende griechische Wort. Die altrömische Alliteration, das Nichtineinandergreifen der Vers- und Satzeinschnitte und überhaupt die ältere Rede- und Dichtweise begegnen noch häufig in Lucretius‘ Rhythmen, und obwohl er den Vers melodischer behandelt als Ennius, so wälzen sich doch seine Hexameter nicht wie die der modernen Dichterschule zierlich hüpfend gleich dem rieselnden Bache, sondern mit gewaltiger Langsamkeit gleich dem Strome flüssigen Goldes. Auch philosophisch und praktisch lehnt Lucretius durchaus an Ennius sich an, den einzigen einheimischen Dichter, den sein Gedicht feiert; das Glaubensbekenntnis des Sängers von Rudiae:

Himmelsgötter freilich gibt es, sagt‘ ich sonst und sag‘ ich noch,
Doch sie kümmern keinesweges, mein‘ ich, sich um der Menschen Los

bezeichnet vollständig auch Lucretius‘ religiösen Standpunkt und nicht mit Unrecht nennt er deshalb selbst sein Lied gleichsam die Fortsetzung dessen,

Das uns Ennius sang, der des unverwelklichen Lorbeers
Kranz zuerst mitbracht‘ aus des Helikon lieblichem Haine,
Daß Italiens Völkern er strahl‘ in glänzender Glorie.

Noch einmal, zum letztenmal noch erklingt in Lucretius‘ Gedicht der ganze Dichterstolz und der ganze Dichterernst des sechsten Jahrhunderts, in welchem, in den Bildern von dem furchtbaren Pöner und dem herrlichen Scipiaden, die Anschauung des Dichters heimischer ist als in seiner eigenen gesunkenen Zeit135. Auch ihm klingt der eigene „aus dem reichen Gemüt anmutig quillende“ Gesang den gemeinen Liedern gegenüber „wie gegen das Geschrei der Kraniche das kurze Lied des Schwanes“; auch ihm schwillt das Herz, den selbsterfundenen Melodien lauschend, von hoher Ehren Hoffnung – ebenwie Ennius den Menschen, denen er „das Feuerlied kredenzet aus der tiefen Brust“, verbietet, an seinem, des unsterblichen Sängers Grabe zu trauern.

Es ist ein seltsames Verhängnis, daß dieses ungemeine, an ursprünglicher poetischer Begabung den meisten, wo nicht allen seinen Vorgängern weit überlegene Talent in eine Zeit gefallen war, in der es selber sich fremd und verwaist fühlte und infolgedessen in der wunderlichsten Weise sich im Stoffe vergriffen hat. Epikuros‘ System, welches das All in einen großen Atomenwirbel verwandelt und die Entstehung und das Ende der Welt sowie alle Probleme der Natur und des Lebens in rein mechanischer Weise abzuwickeln unternimmt, war wohl etwas weniger albern als die Mythenhistorisierung, wie Euhemeros und nach ihm Ennius sie versucht hatten; aber ein geistreiches und frisches System war es nicht, und die Aufgabe nun gar, diese mechanische Weltanschauung poetisch zu entwickeln, war von der Art, daß wohl nie ein Dichter an einen undankbareren Stoff Leben und Kunst verschwendet hat. Der philosophische Leser tadelt an dem Lucretischen Lehrgedicht die Weglassung der feineren Pointen des Systems, die Oberflächlichkeit namentlich in der Darstellung der Kontroversen, die mangelhafte Gliederung, die häufigen Wiederholungen mit ebensogutem Recht, wie der poetische an der rhythmisierten Mathematik sich ärgert, die einen großen Teil des Gedichtes geradezu unlesbar macht. Trotz dieser unglaublichen Mängel, denen jedes mittelmäßige Talent unvermeidlich hätte erliegen müssen, durfte dieser Dichter mit Recht sich rühmen, aus der poetischen Wildnis einen neuen Kranz davongetragen zu haben, wie die Musen noch keinen verliehen hatten; und es sind auch keineswegs bloß die gelegentlichen Gleichnisse und sonstigen eingelegten Schilderungen mächtiger Naturerscheinungen und mächtigerer Leidenschaften, die dem Dichter diesen Kranz erwarben. Die Genialität der Lebensanschauung wie der Poesie des Lucretius ruht auf seinem Unglauben, welcher mit der vollen Siegeskraft der Wahrheit und darum mit der vollen Lebendigkeit der Dichtung dem herrschenden Heuchel- oder Aberglauben gegenübertrat und treten durfte.

>Als danieder er sah das Dasein liegen der Menschheit
Jammervoll auf der Erd‘, erdrückt von der lastenden Gottfurcht,
Die vom Himmelsgewölb ihr Antlitz offenbarend,
Schauerlich anzusehen, hinab auf die Sterblichen drohte,
Wagt‘ es ein griechischer Mann zuerst das sterbliche Auge
Ihr entgegenzuheben, zuerst ihr entgegenzutreten;
Und die mutige Macht des Gedankens siegte; gewaltig
Trat hinaus er über die flammenden Schranken des Weltalls
Und der verständige Geist durchschritt das unendliche Ganze.

Also eiferte der Dichter, die Götter zu stürzen, wie Brutus die Könige gestürzt, und „die Natur von ihren strengen Herren zu erlösen“. Aber nicht gegen Jovis altersschwachen Thron wurden diese Flammenworte geschleudert; ebenwie Ennius kämpft Lucretius praktisch vor allen Dingen gegen den wüsten Fremd- und Aberglauben der Menge, den Kult der Großen Mutter zum Beispiel und die kindische Blitzweisheit der Etrusker. Das Grauen und der Widerwille gegen die entsetzliche Welt überhaupt, in der und für die der Dichter schrieb, haben dies Gedicht eingegeben. Es wurde verfaßt in jener hoffnungslosen Zeit, wo das Regiment der Oligarchie gestürzt und das Caesars noch nicht aufgerichtet war, in den schwülen Jahren, während deren der Ausbruch des Bürgerkrieges in langer peinlicher Spannung erwartet ward. Wenn man dem ungleichartigen und unruhigen Vortrag es anzufühlen meint, daß der Dichter täglich erwartete, den wüsten Lärm der Revolution über sich und sein Werk hereinbrechen zu sehen, so wird man auch bei seiner Anschauung der Menschen und der Dinge nicht vergessen dürfen, unter welchen Menschen und in Aussicht auf welche Dinge sie ihm entstand. War es doch in Hellas in der Epoche vor Alexander ein gangbares und von allen Besten tief empfundenes Wort, daß nicht geboren zu sein das Beste von allem, das nächstdem Beste aber sei zu sterben. Unter allen in der verwandten caesarischen Zeit einem zarten und poetisch organisierten Gemüt möglichen Weltanschauungen war diese die edelste und die veredelndste, daß es eine Wohltat für den Menschen ist, erlöst zu werden von dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und damit von der bösen die Menschen, gleichwie die Kinder die Angst im dunkeln Gemach, tückisch beschleichenden Furcht vor dem Tode und vor den Göttern; daß, wie der Schlaf der Nacht erquicklicher ist als die Plage des Tages, so auch der Tod, das ewige Ausruhen von allem Hoffen und Fürchten, besser ist als das Leben, wie denn auch die Götter des Dichters selber nichts sind noch haben als die ewige selige Ruhe; daß die Höllenstrafen nicht nach dem Leben den Menschen peinigen, sondern während desselben in den wilden und rastlosen Leidenschaften des klopfenden Herzens; daß die Aufgabe des Menschen ist, seine Seele zum ruhigen Gleichmaß zu stimmen, den Purpur nicht höher zu schätzen als das warme Hauskleid, lieber unter den Gehorchenden zu verharren, als in das Getümmel der Bewerber um das Herrenamt sich zu drängen, lieber am Bach im Grase zu liegen, als unter dem goldenen Plafond des Reichen dessen zahllose Schüsseln leeren zu helfen. Diese philosophisch-praktische Tendenz ist der eigentliche ideelle Kern des Lucretischen Lehrgedichts und durch alle öde physikalischer Demonstrationen nur verschüttet, nicht erdrückt. Wesentlich auf ihr beruht dessen relative Weisheit und Wahrheit. Der Mann, der mit einer Ehrfurcht vor seinen großen Vorgängern, mit einem gewaltsamen Eifer, wie sie dies Jahrhundert sonst nicht kennt, solche Lehre gepredigt und sie mit musischem Zauber verklärt hat, darf zugleich ein guter Bürger und ein großer Dichter genannt werden. Das Lehrgedicht vom Wesen der Dinge, wie vieles auch daran den Tadel herausfordert, ist eines der glänzendsten Gestirne in den sternenarmen Räumen der römischen Literatur geblieben, und billig wählte der größte deutsche Sprachenmeister die Wiederlesbarmachung des Lucretischen Gedichts zu seiner letzten und meisterlichsten Arbeit.

Lucretius, obwohl seine poetische Kraft wie seine Kunst schon von den gebildeten Zeitgenossen bewundert ward, blieb doch, Spätling wie er war, ein Meister ohne Schüler. In der hellenischen Modedichtung dagegen fehlte es an Schülern wenigstens nicht, die den alexandrinischen Meistern nachzueifern sich mühten. Mit richtigem Takt hatten die begabteren unter den alexandrinischen Poeten die größeren Arbeiten und die reinen Dichtgattungen, das Drama, das Epos, die Lyrik, vermieden; ihre erfreulichsten Leistungen waren ihnen, ähnlich wie den neulateinischen Dichtern, in „kurzatmigen“ Aufgaben gelungen und vorzugsweise in solchen, die auf den Grenzgebieten der Kunstgattungen, namentlich dem weiten, zwischen Erzählung und Lied in der Mitte liegenden sich bewegten. Lehrgedichte wurden vielfach geschrieben. Sehr beliebt waren ferner kleine heroisch-erotische Epen, vornehmlich aber eine diesem Altweibersommer der griechischen Poesie eigentümliche und für ihre philologische Hippokrene charakteristische, gelehrte Liebeselegie, wobei der Dichter die Schilderung der eigenen, vorwiegend sinnlichen Empfindungen mit epischen Fetzen aus dem griechischen Sagenkreis mehr oder minder willkürlich durchflocht. Festlieder wurden fleißig und künstlich gezimmert; überhaupt waltete bei dem Mangel an freiwilliger poetischer Erfindung das Gelegenheitsgedicht vor und namentlich das Epigramm, worin die Alexandriner Vortreffliches geleistet haben. Die Dürftigkeit der Stoffe und die sprachliche und rhythmische Unfrische, die jeder nicht volkstümlichen Literatur unvermeidlich anhaftet, suchte man möglichst zu verstecken unter verzwickten Themen, geschraubten Wendungen, seltenen Wörtern und künstlicher Versbehandlung, überhaupt dem ganzen Apparat philologisch-antiquarischer Gelehrsamkeit und technischer Gewandtheit.

Dies war das Evangelium, das den römischen Knaben dieser Zeit gepredigt ward, und sie kamen in hellen Haufen, um zu hören und auszuüben: schon um 700 (54) waren Euphorions Liebesgedichte und ähnliche alexandrinische Poesien die gewöhnliche Lektüre und die gewöhnlichen Deklamationsstücke der gebildeten Jugend136. Die literarische Revolution war da; aber sie lieferte zunächst mit seltenen Ausnahmen nur frühreife oder unreife Früchte. Die Zahl der „neumodischen Dichter“ war Legion, aber die Poesie war rar und Apollo, wie immer, wenn es so gedrang am Parnasse hergeht, genötigt, sehr kurzen Prozeß zu machen. Die langen Gedichte taugten niemals etwas, die kurzen selten. Auch in diesem literarischen Zeitalter war die Tagespoesie zur Landplage geworden; es begegnete wohl, daß einem der Freund zum Hohn als Festtagsgeschenk einen Stoß schofler Verse frisch vom Buchhändlerlager ins Haus schickte, deren Wert der zierliche Einband und das glatte Papier schon auf drei Schritte verriet. Ein eigentliches Publikum, in dem Sinne wie die volkstümliche Literatur ein Publikum hat, fehlte den römischen Alexandrinern so gut wie den hellenischen: es ist durchaus die Poesie der Clique oder vielmehr der Cliquen, deren Glieder eng zusammenhalten, dem Eindringling übel mitspielen, unter sich die neuen Poesien vorlesen und kritisieren, auch wohl in ganz alexandrinischer Weise die gelungenen Produktionen wieder poetisch feiern und vielfach durch Cliquenlob einen falschen und ephemeren Ruhm erschwindeln. Ein namhafter und selbst in dieser neuen Richtung poetisch tätiger Lehrer der lateinischen Literatur, Valerius Cato, scheint über den angesehensten dieser Zirkel eine Art Schulpatronat ausgeübt und über den relativen Wert der Poesien in letzter Instanz entschieden zu haben. Ihren griechischen Mustern gegenüber sind diese römischen Poeten durchgängig unfrei, zuweilen schülerhaft abhängig; die meisten ihrer Produkte werden nichts gewesen sein als die herben Früchte einer im Lernen begriffenen und noch keineswegs als reif entlassenen Schuldichtung. Indem man in der Sprache und im Maß weit enger, als je die volkstümliche lateinische Poesie es getan, an die griechischen Vorbilder sich anschmiegte, ward allerdings eine größere sprachliche und metrische Korrektheit und Konsequenz erreicht; aber es geschah auf Kosten der Biegsamkeit und Fülle des nationalen Idioms. Stofflich erhielten unter dem Einfluß teils der weichlichen Muster, teils der sittenlosen Zeit die erotischen Themen ein auffallendes, der Poesie wenig zuträgliches Übergewicht; doch wurden auch die beliebten metrischen Kompendien der Griechen schon vielfach übersetzt, so das astronomische des Aratos von Cicero und entweder am Ende dieser oder wahrscheinlicher am Anfang der folgenden Periode das geographische Lehrbuch des Eratosthenes von Publius Varro von der Aude und die physikalisch-medizinischen des Nikandros von Aemilius Macer. Es ist weder zu verwundern noch zu bedauern, daß von dieser zahllosen Dichterschar uns nur wenige Namen aufbehalten worden sind; und auch diese werden meistens nur genannt als Kuriositäten oder als gewesene Größen: so der Redner Quintus Hortensius mit seinen „fünfhunderttausend Zeilen“ langweiliger Schlüpfrigkeit und der etwas häufiger erwähnte Laevius, dessen ‚Liebesscherze‘ nur durch ihre verwickelten Maße und manierierten Wendungen ein gewisses Interesse auf sich zogen. Nun gar das Kleinepos ‚Smyrna‘ des Gaius Helvius Cinna († 710? 44), so sehr es von der Clique angepriesen ward, trägt sowohl in dem Stoff, der geschlechtlichen Liebe der Tochter zu dem eigenen Vater, wie in der neunjährigen darauf verwandten Mühsal die schlimmsten Kennzeichen der Zeit an sich. Eine originelle und erfreuliche Ausnahme machen allein diejenigen Dichter dieser Schule, die es verstanden, mit der Sauberkeit und der Formgewandtheit derselben den in dem republikanischen und namentlich dem landstädtischen Leben noch vorhandenen volkstümlichen Gehalt zu verbinden. Es galt dies, um von Laberius und Varro hier zu schweigen, namentlich von den drei schon oben erwähnten Poeten der republikanischen Opposition Marcus Furius Bibaculus (652-691 102-63), Gaius Licinius Calvus (672-706 82-48) und Quintus Valerius Catullus (667 bis ca. 700 87-54).

Von den beiden ersten, deren Schriften untergegangen sind, können wir dies freilich nur mutmaßen; über die Gedichte des Catullus steht auch uns noch ein Urteil zu. Auch er hängt in Stoff und Form ab von den Alexandrinern. Wir finden in seiner Sammlung Übersetzungen von Stücken des Kallimachos und nicht gerade von den recht guten, sondern von den recht schwierigen. Auch unter den Originalen begegnen gedrechselte Modepoesien, wie die überkünstlichen Galliamben zum Lobe der Phrygischen Mutter; und selbst das sonst so schöne Gedicht von der Hochzeit der Thetis ist durch die echt alexandrinische Einschachtelung der Ariadneklage in das Hauptgedicht künstlerisch verdorben. Aber neben diesen Schulstücken steht die melodische Klage der echten Elegie, steht das Festgedicht im vollen Schmuck individueller und fast dramatischer Durchführung, steht vor allem die solideste Kleinmalerei gebildeter Geselligkeit, die anmutigen sehr ungenierten Mädchenabenteuer, davon das halbe Vergnügen im Ausschwatzen und Poetisieren der Liebesgeheimnisse besteht, das liebe Leben der Jugend bei vollen Bechern und leeren Beuteln, die Reise- und die Dichterlust; die römische und öfter noch die veronesische Stadtanekdote und der launige Scherz in dem vertrauten Zirkel der Freunde. Jedoch nicht bloß in die Saiten greift des Dichters Apoll, sondern er führt auch den Bogen: der geflügelte Pfeil des Spottes verschont weder den langweiligen Versemacher noch den sprachverderbenden Provinzialen, aber keinen trifft er öfter und schärfer als die Gewaltigen, von denen der Freiheit des Volkes Gefahr droht. Die kurzzeiligen und kurzweiligen, oft von anmutigen Refrains belebten Maße sind von vollendeter Kunst und doch ohne die widerwärtige Glätte der Fabrik. Umeinander führen diese Gedichte in das Nil- und in das Potal; aber in dem letzteren ist der Dichter unvergleichlich besser zu Hause. Seine Dichtungen ruhen wohl auf der alexandrinischen Kunst, aber doch auch auf dem bürgerlichen, ja dem landstädtischen Selbstgefühl, auf dem Gegensatz von Verona zu Rom, auf dem Gegensatz des schlichten Munizipalen gegen die hochgeborenen, ihren geringen Freunden gewöhnlich übel mitspielenden Herren vom Senat, wie er in Catulls Heimat, dem blühenden und verhältnismäßig frischen Cisalpinischen Gallien, lebendiger noch als irgendwo anders empfunden werden mochte. In die schönsten seiner Lieder spielen die süßen Bilder vom Gardasee hinein und schwerlich hätte in dieser Zeit ein Hauptstädter ein Gedicht zu schreiben vermocht wie das tief empfundene auf des Bruders Tod oder das brave, echt bürgerliche Festlied zu der Hochzeit des Manlius und der Arunculeia. Catullus, obwohl abhängig von den alexandrinischen Meistern und mitten in der Mode- und Cliquendichtung jener Zeit stehend, war doch nicht bloß ein guter Schüler unter vielen mäßigen und schlechten, sondern seinen Meistern selbst um so viel überlegen, als der Bürger einer freien italischen Gemeinde mehr war als der kosmopolitische hellenische Literat. Eminente schöpferische Kraft und hohe poetische Intentionen darf man freilich bei ihm nicht suchen; er ist ein reichbegabter und anmutiger, aber kein großer Poet, und seine Gedichte sind, wie er selbst sie nennt, nichts als „Scherze und Torheiten“. Aber wenn nicht bloß die Zeitgenossen von diesen flüchtigen Liedchen elektrisiert wurden, sondern auch die Kunstkritiker der augustischen Zeit ihn neben Lucretius als den bedeutendsten Dichter dieser Epoche bezeichnen, so hatten die Zeitgenossen wie die Späteren vollkommen recht. Die lateinische Nation hat keinen zweiten Dichter hervorgebracht, in dem der künstlerische Gehalt und die künstlerische Form in so gleichmäßiger Vollendung wiedererscheinen wie bei Catullus; und in diesem Sinne ist Catullus‘ Gedichtsammlung allerdings das Vollkommenste, was die lateinische Poesie überhaupt aufzuweisen vermag.

Es beginnt endlich in dieser Epoche die Dichtung in prosaischer Form. Das bisher unwandelbar festgehaltene Gesetz der echten, naiven wie bewußten, Kunst, daß der poetische Stoff und die metrische Fassung sich einander bedingen, weicht der Vermischung und Trübung aller Kunstgattungen und Kunstformen, welche zu den bezeichnendsten Zügen dieser Zeit gehört. Zwar von Romanen ist noch weiter nichts anzuführen, als daß der berühmteste Geschichtschreiber dieser Epoche, Sisenna, sich nicht für zu gut hielt, die viel gelesenen Milesischen Erzählungen des Aristeides, schlüpfrige Modenovellen der plattesten Sorte, ins Lateinische zu übersetzen. Eine originellere und erfreulichere Erscheinung auf diesem zweifelhaften poetisch-prosaischen Grenzgebiet sind die ästhetischen Schriften Varros, der nicht bloß der bedeutendste Vertreter der lateinischen philologisch-historischen Forschung, sondern auch in der schönen Literatur einer der fruchtbarsten und interessantesten Schriftsteller ist. Einem in der sabinischen Landschaft heimischen, dem römischen Senat seit zweihundert Jahren angehörigen Plebejergeschlechte entsprossen, streng in altertümlicher Zucht und Ehrbarkeit erzogen137 und bereits am Anfang dieser Epoche ein reifer Mann, gehörte Marcus Terentius Varro von Reate (638-727 116-27) politisch, wie sich von selbst versteht, der Verfassungspartei an und beteiligte sich ehrlich und energisch an ihrem Tun und Leiden. Er tat dies teils literarisch, indem er zum Beispiel die erste Koalition, das „dreiköpfige Ungeheuer“ in Flugschriften bekämpfte, teils im ernsteren Kriege, wo wir ihn im Heere des Pompeius als Kommandanten des Jenseitigen Spaniens fanden. Als die Sache der Republik verloren war, ward Varro von seinem Überwinder zum Bibliothekar der neu zu schaffenden Bibliothek in der Hauptstadt bestimmt. Die Wirren der folgenden Zeit rissen den alten Mann noch einmal in ihren Strudel hinein, und erst siebzehn Jahre nach Caesars Tode, im neunundachtzigsten seines wohlausgefüllten Lebens rief der Tod ihn ab. Die ästhetischen Schriften, die ihm einen Namen gemacht haben, waren kürzere Aufsätze, teils einfach prosaische ernsteren Inhalts, teils launige Schilderungen, deren prosaisches Grundwerk vielfach eingelegte Poesien durchwirken. Jenes sind die ‚Philosophisch-historischen Abhandlungen‘ ( logistorici), dies die Menippischen Satiren. Beide schließen nicht an lateinische Vorbilder sich an, namentlich die Varronische Satura keineswegs an die Lucilische; wie denn überhaupt die römische Satura nicht eigentlich eine feste Kunstgattung, sondern nur negativ das bezeichnet, daß „das mannigfaltige Gedicht“ zu keiner der anerkannten Kunstgattungen gezählt sein will und darum denn auch die Saturapoesie bei jedem begabten Poeten wieder einen andern und eigenartigen Charakter annimmt. Es war vielmehr die voralexandrinische griechische Philosophie, in der Varro die Muster für seine strengeren wie für seine leichteren ästhetischen Arbeiten fand: für die ernsteren Abhandlungen in den Dialogen des Herakleides von Herakleia am Schwarzen Meer († um 450 300), für die Satiren in den Schriften des Menippos von Gadara in Syrien (blüht um 475 280). Die Wahl war bezeichnend. Herakleides, als Schriftsteller angeregt durch Platons philosophische Gespräche, hatte über deren glänzende Form den wissenschaftlichen Inhalt gänzlich aus den Augen verloren und die poetisch-fabulistische Einkleidung zur Hauptsache gemacht; er war ein angenehmer und vielgelesener Autor, aber nichts weniger als ein Philosoph. Menippos war es ebensowenig, sondern der echteste literarische Vertreter derjenigen Philosophie, deren Weisheit darin besteht, die Philosophie zu leugnen und die Philosophen zu verhöhnen, der Hundeweisheit des Diogenes; ein lustiger Meister ernsthafter Weisheit, bewies er in Exempeln und Schnurren, daß außer dem rechtschaffenen Leben alles auf Erden und im Himmel eitel sei, nichts aber eitler als der Hader der sogenannten Weisen. Dies waren die rechten Muster für Varro, einen Mann voll altrömischen Unwillens über die erbärmliche Zeit und voll altrömischer Laune, dabei durchaus nicht ohne plastisches Talent, aber für alles, was nicht wie Bild und Tatsache aussah, sondern wie Begriff oder gar wie System, vollständig vernagelt und vielleicht den unphilosophischsten unter den unphilosophischen Römern138. Allein Varro war kein unfreier Schüler. Die Anregung und im allgemeinen die Form entlehnte er von Herakleides und Mennippos; aber er war eine zu individuelle und zu entschieden römische Natur, um nicht seine Nachschöpfungen wesentlich selbständig und national zu halten. Für seine ernsten Abhandlungen, in denen ein moralischer Satz oder sonst ein Gegenstand von allgemeinem Interesse behandelt ward, verschmähte er in der Fabulierung an die Milesischen Märchen zu streifen, wie Herakleides es getan, und so gar kinderhafte Geschichten wie die vom Abaris und von dem nach siebentägigem Tode wieder zum Leben erwachenden Mädchen dem Leser aufzutischen. Nur selten entnahm er die Einkleidung den edleren Mythen der Griechen, wie in dem Aufsatz ‚Orestes oder vom Wahnsinn‘; regelmäßig gab ihm einen würdigeren Rahmen für seine Stoffe die Geschichte, namentlich die gleichzeitige vaterländische, wodurch diese Aufsätze zugleich, wie sie auch heißen, ‚Lobschriften‘ wurden auf geachtete Römer, vor allem auf die Koryphäen der Verfassungspartei. So war die Abhandlung ‚Vom Frieden‘ zugleich eine Denkschrift auf Metellus Pius, den letzten in der glänzenden Reihe der glücklichen Feldherrn des Senats; die ‚Von der Götterverehrung‘ zugleich bestimmt, das Andenken an den hochgeachteten Optimaten und Pontifex Gaius Curio zu bewahren; der Aufsatz ‚Über das Schicksal‘ knüpfte an Marius an, der ‚Über die Geschichtschreibung‘ an den ersten Historiker dieser Epoche, Sisenna, der ‚Über die Anfänge der römischen Schaubühne‘ an den fürstlichen Spielgeber Scaurus, der ‚Über die Zahlen‘ an den feingebildeten römischen Bankier Atticus. Die beiden philosophisch-historischen Aufsätze ‚Laelius oder von der Freundschaft, ‚Cato oder vom Alter‘, welche Cicero, wahrscheinlich nach dem Muster der Varronischen, schrieb, mögen von Varros halb lehrhafter, halb erzählender Behandlung dieser Stoffe ungefähr eine Vorstellung geben.

Ebenso originell in Form und Inhalt ward von Varro die Menippische Satire behandelt; die dreiste Mischung von Prosa und Versen ist dem griechischen Original fremd und der ganze geistige Inhalt von römischer Eigentümlichkeit, man möchte sagen von sabinischem Erdgeschmack durchdrungen. Auch diese Satiren behandeln, wie die philosophisch-historischen Aufsätze, irgendein moralisches oder sonst für das größere Publikum geeignetes Thema, wie dies schon einzelne Titel zeigen: ‚Hercules‘ Säulen oder vom Ruhm‘; ‚Der Topf findet den Deckel oder von den Pflichten des Ehemanns‘; ‚Der Nachttopf hat sein Maß oder vom Zechen‘; ‚Papperlapapp oder von der Lobrede‘. Die plastische Einkleidung, die auch hier nicht fehlen durfte, ist natürlich der vaterländischen Geschichte nur selten entlehnt, wie in der Satire ‚Serranus oder von den Wahlen‘. Dagegen spielt die Diogenische Hundewelt wie billig eine große Rolle: es begegnen der Hund Gelehrter, der Hund Rhetor, der Ritter-Hund, der Wassertrinker-Hund, der Hundekatechismus und dergleichen mehr. Ferner wird die Mythologie zu komischen Zwecken in Kontribution gesetzt: wir finden einen ‚Befreiten Prometheus‘, einen ‚Strohernen Aias‘, einen ‚Herkules Sokratiker‘, einen ‚Anderthalb Odysseus‘, der nicht bloß zehn, sondern fünfzehn Jahre in Irrfahrten sich umhergetrieben hat. Der dramatisch-novellistische Rahmen schimmert in einzelnen Stücken, zum Beispiel im ‚Befreiten Prometheus‘, in dem ‚Mann von sechzig Jahren‘, im ‚Frühauf‘ noch aus den Trümmern hervor; es scheint, daß Varro die Fabel häufig, vielleicht regelmäßig als eigenes Erlebnis erzählte, wie zum Beispiel im ‚Frühauf‘ die handelnden Personen zum Varro hingehen und ihm Vortrag halten, „da er als Büchermacher ihnen bekannt war“. Über den poetischen Wert dieser Einkleidung ist uns ein sicheres Urteil nicht mehr gestattet; einzeln begegnen noch in unseren Trümmern allerliebste Schilderungen voll Witz und Lebendigkeit – so eröffnet im ‚Befreiten Prometheus‘ der Heros nach Lösung seiner Fesseln eine Menschenfabrik, in welcher Goldschuh, der Reiche, sich ein Mädchen bestellt von Milch und feinstem Wachs, wie es die milesischen Bienen aus mannigfachen Blüten sammeln, ein Mädchen ohne Knochen und Sehnen, ohne Haut und Haar, rein und fein, schlank, glatt, zart, allerliebst. Der Lebensatem dieser Dichtung ist die Polemik – nicht so sehr die politische der Partei, wie Lucilius und Catullus sie übten, sondern die allgemeine sittliche des strengen Alten gegen die zügellose und verkehrte Jugend, des in seinen Klassikern lebenden Gelehrten gegen die lockere und schofle oder doch ihrer Tendenz nach verwerfliche moderne Poesie139

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Gewiß, niemals hat ein Kranker etwas je geträumt

So toll, was nicht gelehrt schon hätte ein Philosoph.

Es ist spaßhaft anzusehen, wie so ein Langbart- der etymologisierende Stoiker ist gemeint – ein jedes Wort bedächtig auf der Goldwaage wägt; aber nichts geht doch über den echten Philosophenzank – ein stoischer Faustkampf übertrifft weit jede Athletenbalgerei. In der Satire ‚Die Marcusstadt oder vom Regimente‘, wo Marcus sich ein Wolkenkuckucksheim nach seinem Herzen schuf, erging es, ebenwie in dem attischen, dem Bauern gut, dem Philosophen aber übel; der Schnell-durch-ein-Glied-Beweis ( Celer-δι΄-ενός-λήμματος-λόγος), Antipatros, des Stoikers Sohn, schlägt darin seinem Gegner, offenbar dem philosophischen Zweiglied (Dilemma), mit der Feldhacke den Schädel ein. Mit dieser sittlich polemischen Tendenz und diesem Talent, einen kaustischen und pittoresken Ausdruck für sie zu finden, das, wie die dialogische Einkleidung der im achtzigsten Jahre geschriebenen Bücher vom Landbau beweist, bis in das höchste Alter ihn nicht verließ, vereinigte sich auf das glücklichste Varros unvergleichliche Kunde der nationalen Sitte und Sprache, die in den philologischen Schriften seines Greisenalters kollektaneenartig, hier aber in ihrer ganzen unmittelbaren Fülle und Frische sich entfaltet. Varro war im besten und vollsten Sinne des Wortes ein Lokalgelehrter, der seine Nation in ihrer ehemaligen Eigentümlichkeit und Abgeschlossenheit wie in ihrer modernen Verschliffenheit und Zerstreuung aus vieljähriger eigener Anschauung kannte und seine unmittelbare Kenntnis der Landessitte und Landessprache durch die umfassendste Durchforschung der geschichtlichen und literarischen Archive ergänzt und vertieft hatte. Was insofern an verstandesmäßiger Auffassung und Gelehrsamkeit in unserem Sinn ihm abging, das gewann die Anschauung und die in ihm lebendige Poesie. Er haschte weder nach antiquarischen Notizen noch nach seltenen veralteten oder poetischen Wörtern142; aber er selbst war ein alter und altfränkischer Mann und beinah ein Bauer, die Klassiker seiner Nation ihm liebe, langgewohnte Genossen; wie konnte es fehlen, daß von der Sitte der Väter, die er über alles liebte und vor allen kannte, gar vielerlei in seinen Schriften erzählt ward, und daß seine Rede überfloß von sprichwörtlichen griechischen und lateinischen Wendungen, von guten alten, in der sabinischen Umgangssprache bewahrten Wörtern, von Ennianischen, Lucilischen, vor allem Plautinischen Reminiszenzen? Den Prosastil dieser ästhetischen Schriften aus Varros früherer Zeit darf man sich nicht vorstellen nach dem seines im hohen Alter geschriebenen und wahrscheinlich im unfertigen Zustand veröffentlichten sprachwissenschaftlichen Werkes, wo allerdings die Satzglieder am Faden der Relative aufgereiht werden wie die Drosseln an der Schnur; daß aber Varro grundsätzlich die strenge Stilisierung und die attische Periodisierung verwarf, wurde früher schon bemerkt, und seine ästhetischen Aufsätze waren zwar ohne den gemeinen Schwulst und die falschen Flitter des Vulgarismus, aber in mehr lebendig gefügten als wohl gegliederten Sätzen unklassisch und selbst schluderig geschrieben. Die eingelegten Poesien dagegen bewiesen nicht bloß, daß ihr Urheber die mannigfaltigsten Maße meisterlich wie nur einer der Modepoeten zu bilden verstand, sondern auch, daß er ein Recht hatte, denen sich zuzuzählen, welchen ein Gott es vergönnt hat, „die Sorgen aus dem Herzen zu bannen durch das Lied und die heilige Dichtkunst“143

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Dem da Romas liegt und Latiums Blühen am Herzen,

und sie behaupten denn auch einen ehrenvollen Platz in der Literatur wie in der Geschichte des italischen Volkes149

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Zu einer kritischen Geschichtschreibung in der Art, wie die Nationalgeschichte von den Attikern in ihrer klassischen Zeit, wie die Weltgeschichte von Polybios geschrieben ward, ist man in Rom eigentlich niemals gelangt. Selbst auf dem dafür am meisten geeigneten Boden, in der Darstellung der gleichzeitigen und der jüngst vergangenen Ereignisse, blieb es im ganzen bei mehr oder minder unzulänglichen Versuchen; in der Epoche namentlich von Sulla bis auf Caesar wurden die nicht sehr bedeutenden Leistungen, welche die vorhergehende auf diesem Gebiet aufzuweisen hatte, die Arbeiten Antipaters und Asellios, kaum auch nur erreicht. Das einzige diesem Gebiete angehörende namhafte Werk, das in der gegenwärtigen Epoche entstand, ist des Lucius Cornelius Sisenna (Prätor 676 78) Geschichte des Bundesgenossen- und Bürgerkrieges. Von ihr bezeugen die, welche sie lasen, daß sie an Lebendigkeit und Lesbarkeit die alten trockenen Chroniken weit übertraf, dafür aber in einem durchaus unreinen und selbst in das Kindische verfallenden Stil geschrieben war; wie denn auch die wenigen übrigen Bruchstücke eine kleinliche Detailmalerei des Gräßlichen157 und eine Menge neugebildeter oder der Umgangssprache entnommener Wörter aufzeigen. Wenn noch hinzugefügt wird, daß das Muster des Verfassers und sozusagen der einzige ihm geläufige griechische Historiker Kleitarchos war, der Verfasser einer zwischen Geschichte und Fiktion schwankenden Biographie Alexanders des Großen in der Art des Halbromans, der den Namen des Curtius trägt, so wird man nicht anstehen, in Sisennas vielgerühmtem Geschichtswerk nicht ein Erzeugnis echter historischer Kritik und Kunst zu erkennen, sondern den ersten römischen Versuch in der bei den Griechen so beliebten Zwittergattung von Geschichte und Roman, welche das tatsächliche Grundwerk durch erfundene Ausführung lebendig und interessant machen möchte und es dadurch schal und unwahr macht; und es wird nicht ferner Verwunderung erregen demselben Sisenna auch als Übersetzer griechischer Moderomane zu begegnen.

Daß es auf dem Gebiet der allgemeinen Stadt- und gar der Weltchronik noch weit erbärmlicher aussah, lag in der Natur der Sache. Die steigende Regsamkeit der antiquarischen Forschung ließ erwarten, daß aus Urkunden und sonstigen zuverlässigen Quellen die gangbare Erzählung rektifiziert werden würde; allein diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Je mehr und je tiefer man forschte, desto deutlicher trat es hervor, was es hieß, eine kritische Geschichte Roms schreiben. Schon die Schwierigkeiten, die der Forschung und Darstellung sich entgegenstellten, waren unermeßlich; aber die bedenklichsten Hindernisse waren nicht die literarischer Art. Die konventionelle Urgeschichte Roms, wie sie jetzt seit wenigstens zehn Menschenaltern erzählt und geglaubt ward, war mit dem bürgerlichen Leben der Nation aufs innigste zusammengewachsen; und doch mußte bei jeder eingehenden und ehrlichen Forschung nicht bloß einzelnes hie und da modifiziert, sondern das ganze Gebäude so gut umgeworfen werden wie die fränkische Urgeschichte vom König Pharamund und die britische vom König Arthur. Ein konservativ gesinnter Forscher, wie zum Beispiel Varro war, konnte an dieses Werk nicht Hand legen wollen; und hätte ein verwegener Freigeist sich dazu gefunden, so würde gegen diesen schlimmsten aller Revolutionäre, der der Verfassungspartei sogar ihre Vergangenheit zu nehmen Anstalt machte, von allen guten Bürgern das „Kreuzige“ erschollen sein. So führte die philologische und antiquarische Forschung von der Geschichtschreibung mehr ab als zu ihr hin. Varro und die Einsichtigeren überhaupt gaben die Chronik als solche offenbar verloren; höchstens daß man, wie Titus Pomponius Atticus tat, die Beamten- und Geschlechtsverzeichnisse in tabellarischer Anspruchslosigkeit zusammenstellte – ein Werk übrigens, durch das die synchronistische griechisch-römische Jahrzählung in der Weise, wie sie den Späteren konventionell feststand, zum Abschluß geführt worden ist. Die Stadtchronikenfabrik stellte aber darum ihre Tätigkeit natürlich nicht ein, sondern fuhr fort zu der großen, von der Langenweile für die Langeweile geschriebenen Bibliothek ihre Beiträge so gut in Prosa wie in Versen zu liefern, ohne daß die Buchmacher, zum Teil bereits Freigelassene, um die eigentliche Forschung irgend sich bekümmert hätten. Was uns von diesen Schriften genannt wird – erhalten ist keine derselben –, scheint nicht bloß durchaus untergeordneter Art, sondern großenteils sogar von unlauterer Fälschung durchdrungen gewesen zu sein. Zwar die Chronik des Quintus Claudius Quadrigarius (um 676? 78) war in einem altmodischen, aber guten Stil geschrieben und befliß in der Darstellung der Fabelzeit sich wenigstens einer löblichen Kürze. Aber wenn Gaius Licinius Macer († als gewesener Prätor 688 66), des Dichters Calvus Vater und ein eifriger Demokrat, mehr als irgendein anderer Chronist auf Urkundenforschung und Kritik Anspruch machte, so sind seine „leinenen Bücher“ und anderes ihm Eigentümliche im höchsten Grade verdächtig und wird wahrscheinlich eine sehr umfassende und zum Teil in die späteren Annalisten übergegangene Interpolation der gesamten Chronik zu demokratisch-tendenziösen Zwecken auf ihn zurückgehen. Valerius Antias endlich übertraf in der Weitläufigkeit wie in der kindischen Fabulierung alle seine Vorgänger. Die Zahlenlüge war hier systematisch bis auf die gleichzeitige Geschichte herab durchgeführt und die Urgeschichte Roms aus dem Platten abermals ins Platte gearbeitet; wie denn zum Beispiel die Erzählung, in welcher Art der weise Numa nach Anweisung der Nymphe Egeria die Götter Faunus und Picus mit Weine fing, und die schöne, von selbigem Numa hierauf mit Gott Jupiter gepflogene Unterhaltung allen Verehrern der sogenannten Sagengeschichte Roms nicht dringend genug empfohlen werden können, um womöglich auch sie, versteht sich ihrem Kerne nach, zu glauben. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn die griechischen Novellenschreiber dieser Zeit solche für sie wie gemachte Stoffe sich hätten entgehen lassen. In der Tat fehlte es auch nicht an griechischen Literaten, welche die römische Geschichte zu Romanen verarbeiteten: eine solche Schrift waren zum Beispiel des schon unter den in Rom lebenden griechischen Literaten erwähnten Polyhistors Alexandros fünf Bücher ‚Über Rom‘, ein widerwärtiges Gemisch abgestandener historischer Überlieferung und trivialer, vorwiegend erotischer Erfindung. Er vermutlich hat den Anfang dazu gemacht, das halbe Jahrtausend, welches mangelte, um Troias Untergang und Roms Entstehung in den durch die beiderseitigen Fabeln geforderten chronologischen Zusammenhang zu bringen, auszufüllen mit einer jener tatenlosen Königslisten, wie sie den ägyptischen und griechischen Chronisten leider geläufig waren; denn allem Anschein nach ist er es, der die Könige Aventinus und Tiberinus und das albanische Silviergeschlecht in die Welt gesetzt hat, welche dann im einzelnen mit Namen, Regierungszeit und mehrerer Anschaulichkeit wegen auch einem Konterfei auszustatten die Folgezeit nicht versäumte.

So dringt von verschiedenen Seiten her der historische Roman der Griechen in die römische Historiographie ein; und es ist mehr als wahrscheinlich, daß von dem, was man heute Tradition der römischen Urzeit zu nennen gewohnt ist, nicht der kleinste Teil aus Quellen herrührt von dem Schlage der ‚Amadis von Gallien‘ und der Fouquéschen Ritterromane – eine erbauliche Betrachtung wenigstens für diejenigen, die Sinn haben für den Humor der Geschichte und die Komik der noch in gewissen Zirkeln des neunzehnten Jahrhunderts für König Numa gehegten Pietät zu würdigen verstehen. Neu ein in die römische Literatur tritt in dieser Epoche neben der Landes- die Universal- oder, richtiger gesagt, die zusammengefaßte römisch-hellenische Geschichte. Cornelius Nepos aus Ticinum (ca. 650 – ca. 725 100-30) liefert zuerst eine allgemeine Chronik (herausgegeben vor 700 54) und eine nach gewissen Kategorien geordnete allgemeine Biographiensammlung politisch oder literarisch ausgezeichneter römischer und griechischer oder doch in die römische oder griechische Geschichte eingreifender Männer. Diese Arbeiten schließen an die Universalgeschichten sich an, wie sie die Griechen schon seit längerer Zeit schrieben; und ebendiese griechischen Weltchroniken begannen jetzt auch, wie zum Beispiel die im Jahre 698 (56) abgeschlossene des Kastor, Schwiegersohns des galatischen Königs Deiotarus, die bisher von ihnen vernachlässigte römische Geschichte in ihren Kreis zu ziehen. Diese Arbeiten haben allerdings, ebenwie Polybios, versucht, an die Stelle der lokalen die Geschichte der Mittelmeerwelt zu setzen; aber was bei Polybios aus großartig klarer Auffassung und tiefem geschichtlichen Sinn hervorging, ist in diesen Chroniken vielmehr das Produkt des praktischen Bedürfnisses für den Schul- und den Selbstunterricht. Der künstlerischen Geschichtschreibung können diese Weltchroniken, Lehrbücher für den Schulunterricht oder Handbücher zum Nachschlagen, und die ganze damit zusammenhängende, auch in lateinischer Sprache späterhin sehr weitschichtig gewordene Literatur kaum zugezählt werden; und namentlich Nepos selbst war ein reiner, weder durch Geist noch auch nur durch Planmäßigkeit ausgezeichneter Kompilator.

Merkwürdig und in hohem Grade charakteristisch ist die Historiographie dieser Zeit allerdings, aber freilich so unerfreulich wie die Zeit selbst. Das Ineinandergreifen der griechischen und der lateinischen Literatur tritt auf keinem Gebiet so deutlich hervor wie auf dem der Geschichte; hier setzen die beiderseitigen Literaturen in Stoff und Form am frühesten sich ins gleiche und die einheitliche Auffassung der hellenisch-italischen Geschichte, mit der Polybios seiner Zeit vorangeeilt war, lernte jetzt bereits der griechische wie der römische Knabe in der Schule. Allein wenn der Mittelmeerstaat einen Geschichtschreiber gefunden hatte, ehe er seiner selbst sich bewußt worden war, so stand jetzt, wo dies Bewußtsein sich eingestellt hatte, weder bei den Griechen noch bei den Römern ein Mann auf, der ihm den rechten Ausdruck zu leihen vermochte. Eine römische Geschichtschreibung, sagt Cicero, gibt es nicht; und soweit wir urteilen können, ist dies nicht mehr als die einfache Wahrheit. Die Forschung wendet von der Geschichtschreibung sich ab, die Geschichtschreibung von der Forschung; die historische Literatur schwankt zwischen dem Schulbuch und dem Roman. Alle reinen Kunstgattungen, Epos, Drama, Lyrik, Historie, sind nichtig in dieser nichtigen Welt; aber in keiner Gattung spiegelt doch der geistige Verfall der ciceronischen Zeit in so grauenvoller Klarheit sich wieder wie in ihrer Historiographie.

Die kleine historische Literatur dieser Zeit weist dagegen unter vielen geringfügigen und verschollenen Produktionen eine Schrift ersten Ranges auf: die Memoiren Caesars oder vielmehr der militärische Rapport des demokratischen Generals an das Volk, von dem er seinen Auftrag erhalten hatte. Der vollendete und allein von dem Verfasser selbst veröffentlichte Abschnitt, der die keltischen Feldzüge bis zum Jahre 702 (52) schildert, hat offenbar den Zweck, das formell verfassungswidrige Beginnen Caesars, ohne Auftrag der kompetenten Behörde ein großes Land zu erobern und zu diesem Ende sein Heer beständig zu vermehren, so gut wie möglich vor dem Publikum zu rechtfertigen; es ward geschrieben und bekannt gemacht im Jahre 703 (51), als in Rom der Sturm gegen Caesar losbrach und er aufgefordert ward, sein Heer zu entlassen und sich zur Verantwortung zu stellen158

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Verwandter Art sind die Briefwechsel von Staatsmännern und Literaten dieser Zeit, die in der folgenden Epoche mit Sorgfalt gesammelt und veröffentlicht wurden: so die Korrespondenz von Caesar selbst, von Cicero, Calvus und andern. Den eigentlich literarischen Leistungen können sie noch weniger beigezählt werden; aber für die geschichtliche wie für jede andere Forschung war diese Korrespondenzliteratur ein reiches Archiv und das treueste Spiegelbild einer Epoche, in der so viel würdiger Gehalt vergangener Zeiten und so viel Geist, Geschicklichkeit und Talent im kleinen Treiben sich verflüchtigte und verzettelte.

Eine Journalistik in dem heutigen Sinn hat bei den Römern niemals sich gebildet; die literarische Polemik blieb angewiesen auf die Broschürenliteratur und daneben allenfalls auf die zu jener Zeit allgemein verbreitete Sitte die für das Publikum bestimmten Notizen an öffentlichen Orten mit dem Pinsel oder dem Griffel anzuschreiben. Dagegen wurden untergeordnete Individuen dazu verwandt, für die abwesenden Vornehmen die Tagesvorfälle und Stadtneuigkeiten aufzuzeichnen; auch für die sofortige Veröffentlichung eines Auszugs aus den Senatsverhandlungen traf Caesar schon in seinem ersten Konsulat geeignete Maßregeln. Aus den Privatjournalen jener römischen Penny-a-liners und diesen offiziellen laufenden Berichten entstand eine Art von hauptstädtischem Intelligenzblatt (acta diurna), in dem das Resümee der vor dem Volke und im Senat verhandelten Geschäfte, ferner Geburten, Todesfälle und dergleichen mehr verzeichnet wurden. Dasselbe wurde eine nicht unwichtige geschichtliche Quelle, blieb aber ohne eigentliche politische wie ohne literarische Bedeutung.

Zu der historischen Nebenliteratur gehört von Rechts wegen auch die Redeschriftstellerei. Die Rede, aufgezeichnet oder nicht, ist ihrer Natur nach ephemer und gehört der Literatur nicht an; indes kann sie, wie der Bericht und der Brief, und sie noch leichter als diese, durch die Prägnanz des Moments und die Macht des Geistes, denen sie entspringt, eintreten unter die bleibenden Schätze der nationalen Literatur. So spielten denn auch in Rom die Aufzeichnungen der vor der Bürgerschaft oder den Geschworenen gehaltenen Reden politischen Inhalts nicht bloß seit langem eine große Rolle in dem öffentlichen Leben, sondern es wurden auch die Reden namentlich des Gaius Gracchus mit Recht gezählt zu den klassischen römischen Schriften. In dieser Epoche aber tritt hier nach allen Seiten hin eine seltsame Verwandlung ein. Die politische Redeschriftstellerei ist im Sinken wie die Staatsrede selbst. Die politische Rede fand, in Rom wie überhaupt in den alten Politien, ihren Höhepunkt in den Verhandlungen vor der Bürgerschaft: hier fesselten den Redner nicht, wie im Senat, kollegialische Rücksichten und lästige Formen, nicht, wie in den Gerichtsreden, die der Politik an sich fremden Interessen der Anklage und Verteidigung; hier allein schwoll ihm das Herz hoch vor der ganzen, an seinen Lippen hangenden großen und mächtigen römischen Volksgemeinde. Allein damit war es nun vorbei. Nicht als hätte es an Rednern gemangelt oder an der Veröffentlichung der vor der Bürgerschaft gehaltenen Reden; vielmehr ward die politische Schriftstellerei jetzt erst recht weitläufig und es fing an, zu den stehenden Tafelbeschwerden zu gehören, daß der Wirt die Gäste durch Vorlesung seiner neuesten Reden inkommodierte. Auch Publius Clodius ließ seine Volksreden als Broschüren ausgehen, ebenwie Gaius Gracchus; aber es ist nicht dasselbe, wenn zwei Männer dasselbe tun. Die bedeutenderen Führer selbst der Opposition, vor allem Caesar selbst, sprachen zu der Bürgerschaft nicht oft und veröffentlichten nicht mehr die vor ihr gehaltenen Reden; ja sie suchten zum Teil für ihre politischen Flugschriften sich eine andere Form als die hergebrachte der Contionen, in welcher Hinsicht namentlich die Lob- und Tadelschriften auf Cato bemerkenswert sind. Es ist das wohl erklärlich. Gaius Gracchus hatte zur Bürgerschaft gesprochen; jetzt sprach man zu dem Pöbel; und wie das Publikum, so die Rede. Kein Wunder, wenn der reputierliche politische Schriftsteller auch die Einkleidung vermied, als habe er seine Worte an die auf dem Markte der Hauptstadt versammelten Haufen gerichtet. Wenn also die Redeschriftstellerei in ihrer bisherigen literarischen und politischen Geltung in derselben Weise verfällt, wie alle naturgemäß aus dem nationalen Leben entwickelten Zweige der Literatur, so beginnt zugleich eine seltsame nichtpolitische Plädoyerliteratur. Bisher hatte man nichts davon gewußt, daß der Advokatenvortrag als solcher, außer für die Richter und die Parteien, auch noch für Mit- und Nachwelt zur literarischen Erbauung bestimmt sei; kein Sachwalter hatte seine Plädoyers aufgezeichnet und veröffentlicht, wofern dieselben nicht etwa zugleich politische Reden waren und insofern sich dazu eigneten, als Parteischriften verbreitet zu werden, und auch dies war nicht gerade häufig geschehen. Noch Quintus Hortensius (640-704 114-50), in den ersten Jahren dieser Periode der gefeiertste römische Advokat, veröffentlichte nur wenige und wie es scheint nur die ganz oder halb politischen Reden. Erst sein Nachfolger in dem Prinzipat der römischen Sachwalter, Marcus Tullius Cicero (648-711 106-43), war von Haus aus ebensosehr Schriftsteller wie Gerichtsredner; er publizierte seine Plädoyers regelmäßig und auch dann, wenn sie nicht oder nur entfernt mit der Politik zusammenhingen. Dies ist nicht Fortschritt, sondern Unnatur und Verfall. Auch in Athen ist das Auftreten der nichtpolitischen Advokatenreden unter den Gattungen der Literatur ein Zeichen der Krankheit; und zwiefach ist es dies in Rom, das diese Mißbildung nicht wie Athen aus dem überspannten rhetorischen Treiben mit einer gewissen Notwendigkeit erzeugt, sondern willkürlich und im Widerspruch mit den besseren Traditionen der Nation dem Ausland abgeborgt hat. Dennoch kam diese neue Gattung rasch in Aufnahme, teils weil sie mit der älteren politischen Redeschriftstellerei vielfach sich berührte und zusammenfloß, teils weil das unpoetische, rechthaberische, rhetorisierende Naturell der Römer für den neuen Samen einen günstigen Boden darbot, wie ja denn noch heute die Advokatenrede und selbst eine Art von Prozeßliteratur in Italien etwas bedeutet. Also erwarb die von der Politik emanzipierte Redeschriftstellerei das Bürgerrecht in der römischen Literatenwelt durch Cicero. Wir haben dieses vielseitigen Mannes schon mehrfach gedenken müssen. Als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht und Absicht, hat er nacheinander als Demokrat, als Aristokrat und als Werkzeug der Monarchen figuriert und ist nie mehr gewesen als ein kurzsichtiger Egoist. Wo er zu handeln schien, waren die Fragen, auf die es ankam, regelmäßig eben abgetan: so trat er im Prozeß des Verres gegen die Senatsgerichte auf, als sie bereits beseitigt waren; so schwieg er bei der Verhandlung über das Gabinische und verfocht das Manilische Gesetz; so polterte er gegen Catilina, als dessen Abgang bereits feststand, und so weiter. Gegen Scheinangriffe war er gewaltig und Mauern von Pappe hat er viele mit Geprassel eingerannt; eine ernstliche Sache ist nie, weder im guten noch im bösen, durch ihn entschieden worden und vor allem die Hinrichtung der Catilinarier hat er weit mehr geschehen lassen als selber bewirkt. In literarischer Hinsicht ist es bereits hervorgehoben worden, daß er der Schöpfer der modernen lateinischen Prosa war; auf seiner Stilistik ruht seine Bedeutung, und allein als Stilist auch zeigt er ein sicheres Selbstgefühl. Als Schriftsteller dagegen steht er vollkommen ebenso tief wie als Staatsmann. Er hat in den mannigfaltigsten Aufgaben sich versucht, in unendlichen Hexametern Marius‘ Groß- und seine eigenen Kleintaten besungen, mit seinen Reden den Demosthenes, mit seinen philosophischen Gesprächen den Platon aus dem Felde geschlagen und nur die Zeit hat ihm gefehlt, um auch den Thukydides zu überwinden. Er war in der Tat so durchaus Pfuscher, daß es ziemlich einerlei war, welchen Acker er pflügte. Eine Journalistennatur im schlechtesten Sinne des Wortes, an Worten, wie er selber sagt, überreich, an Gedanken über alle Begriffe arm, gab es kein Fach, worin er nicht mit Hilfe weniger Bücher rasch einen lesbaren Aufsatz übersetzend oder kompilierend hergestellt hätte. Am treuesten gibt seine Korrespondenz sein Bild wieder. Man pflegt sie interessant und geistreich zu nennen: sie ist es auch, solange sie das hauptstädtische oder Villenleben der vornehmen Welt widerspiegelt; aber wo der Schreiber auf sich selbst angewiesen ist, wie im Exil, in Kilikien und nach der Pharsalischen Schlacht, ist sie matt und leer, wie nur je die Seele eines aus seinen Kreisen verschlagenen Feuilletonisten. Daß ein solcher Staatsmann und ein solcher Literat auch als Mensch nicht anders sein konnte als von schwach überfirnißter Oberflächlichkeit und Herzlosigkeit, ist kaum noch nötig zu sagen. Sollen wir den Redner noch schildern? Der große Schriftsteller ist doch auch ein großer Mensch; und vor allem dem großen Redner strömt die Überzeugung und die Leidenschaft klarer und brausender aus den Tiefen der Brust hervor als den dürftigen vielen, die nur zählen und nicht sind. Cicero hatte keine Überzeugung und keine Leidenschaft; er war nichts als Advokat und kein guter Advokat. Er verstand es, seine Sacherzählung anekdotenhaft pikant vorzutragen, wenn nicht das Gefühl, doch die Sentimentalität seiner Zuhörer zu erregen und durch Witze oder Witzeleien meist persönlicher Art das trockene Geschäft der Rechtspflege zu erheitern; seine besseren Reden, wenngleich auch sie die freie Anmut und den sicheren Treff der vorzüglichsten Kompositionen dieser Art, zum Beispiel der Memoiren von Beaumarchais, bei weitem nicht erreichen, sind doch eine leichte und angenehme Lektüre. Werden aber schon die eben bezeichneten Vorzüge dem ernsten Richter als Vorzüge sehr zweifelhaften Wertes erscheinen, so muß der absolute Mangel politischen Sinnes in den staatsrechtlichen, juristischer Deduktion in den Gerichtsreden, der pflichtvergessene, die Sache stets über dem Anwalt aus den Augen verlierende Egoismus, die gräßliche Gedankenöde jeden Leser der Ciceronischen Reden von Herz und Verstand empören. Wenn hier etwas wunderbar ist, so sind es wahrlich nicht die Reden, sondern die Bewunderung, die dieselben fanden. Mit Cicero wird jeder Unbefangene bald im reinen sein; der Ciceronianismus ist ein Problem, das in der Tat nicht eigentlich aufgelöst, sondern nur aufgehoben werden kann in dem größeren Geheimnis der Menschennatur: der Sprache und der Wirkung der Sprache auf das Gemüt. Indem die edle lateinische Sprache, eben bevor sie als Volksidiom unterging, von jenem gewandten Stilisten noch einmal gleichsam zusammengefaßt und in seinen weitläufigen Schriften niedergelegt ward, ging auf das unwürdige Gefäß etwas über von der Gewalt, die die Sprache ausübt, und von der Pietät, die sie erweckt. Man besaß einen großen lateinischen Prosaiker; denn Caesar war, wie Napoleon, nur beiläufig Schriftsteller. War es zu verwundern, daß man in Ermangelung eines solchen wenigstens den Genius der Sprache ehrte in dem großen Stilisten? und daß, wie Cicero selbst, so auch Ciceros Leser sich gewöhnten zu fragen, nicht was, sondern wie er geschrieben? Gewohnheit und Schulmeisterei vollendeten dann, was die Macht der Sprache begonnen hatte. Ciceros Zeitgenossen übrigens waren begreiflicherweise in dieser seltsamen Abgötterei weit weniger befangen als viele der Späteren. Die Ciceronische Manier beherrschte wohl ein Menschenalter hindurch die römische Advokatenwelt, so gut wie die noch weit schlechtere des Hortensius es getan; allein die bedeutendsten Männer, zum Beispiel Caesar, hielten doch stets derselben sich fern, und unter der jüngeren Generation regte bei allen frischen und lebendigen Talenten sich die entschiedenste Opposition gegen jene zwitterhafte und schwächliche Redekunst. Man vermißte in Ciceros Sprache Knappheit und Strenge, in den Späßen das Leben, in der Anordnung Klarheit und Gliederung, vor allen Dingen aber in der ganzen Beredsamkeit das Feuer, das den Redner macht. Statt der rhodischen Eklektiker fing man an, auf die echten Attiker, namentlich auf Lysias und Demosthenes zurückzugehen und suchte eine kräftigere und männlichere Beredsamkeit in Rom einzubürgern. Dieser Richtung gehörten an der feierliche, aber steife Marcus Iunius Brutus (669-712 85-42), die beiden politischen Parteigänger Marcus Caelius Rufus (672-706 82-48) und Gaius Scribonius Curio († 705 49), beide als Redner voll Geist und Leben, der auch als Dichter bekannte Calvus (672-706 82-48), die literarische Koryphäe dieses jüngeren Rednerkreises, und der ernste und gewissenhafte Gaius Asinius Pollio (678-757 76-4 n. Chr.). Unleugbar war in dieser jüngeren Redeliteratur mehr Geschmack und mehr Geist als in der Hortensischen und Ciceronischen zusammengenommen; indes vermögen wir nicht zu ermessen, wie weit unter den Stürmen der Revolution, die diesen ganzen reichbegabten Kreis mit einziger Ausnahme des Pollio rasch wegrafften, die besseren Keime noch zur Entwicklung gelangten. Die Zeit war ihnen allzu kurz gemessen. Die neue Monarchie begann damit, der Redefreiheit den Krieg zu machen und unterdrückte die politische Rede bald ganz. Seitdem ward wohl noch die untergeordnete Gattung des reinen Advokatenplädoyers in der Literatur festgehalten; aber die höhere Redekunst und Redeliteratur, die durchaus ruht auf dem politischen Treiben, ging mit diesem selbst notwendig und für immer zu Grabe.

Endlich entwickelt sich in der ästhetischen Literatur dieser Zeit die künstlerische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe in der Form des stilisierten Dialogs, wie sie bei den Griechen sehr verbreitet und vereinzelt auch bereits früher bei den Römern vorgekommen war. Namentlich Cicero versuchte sich vielfach in der Darstellung rhetorischer und philosophischer Stoffe in dieser Form und in der Verschmelzung des Lehrbuchs mit dem Lesebuche. Seine Hauptschriften sind die ‚Vom Redner‘ (geschrieben 699 55), wozu die Geschichte der römischen Beredsamkeit (der Dialog ‚Brutus‘, geschrieben 708 46) und andere kleinere rhetorische Aufsätze ergänzend hinzutreten, und die Schrift ‚Vom Staat‘ (geschrieben 700 54), womit die Schrift ‚Von den Gesetzen‘ (geschrieben 702? 52) nach Platonischem Muster in Verbindung gesetzt ist. Es sind keine große Kunstwerke, aber unzweifelhaft diejenigen Arbeiten, in denen die Vorzüge des Verfassers am meisten und seine Mängel am wenigsten hervortreten. Die rhetorischen Schriften erreichen bei weitem nicht die lehrhafte Strenge und begriffliche Schärfe der dem Herennius gewidmeten Rhetorik, aber enthalten dafür einen Schatz von praktischer Sachwaltererfahrung und Sachwalteranekdoten aller Art in leichter und geschmackvoller Darstellung und lösen in der Tat das Problem einer amüsanten Lehrschrift. Die Schrift vom Staat führt in einem wunderlichen, geschichtlich-philosophischen Zwittergebilde den Grundgedanken durch, daß die bestehende Verfassung Roms wesentlich die von den Philosophen gesuchte ideale Staatsordnung sei; eine freilich eben so unphilosophische wie unhistorische, übrigens auch nicht einmal dem Verfasser eigentümliche Idee, die aber begreiflicherweise populär ward und blieb. Das wissenschaftliche Grundwerk dieser rhetorischen und politischen Schriften Ciceros gehört natürlich durchaus den Griechen und auch vieles einzelne, zum Beispiel der große Schlußeffekt in der Schrift vom Staate, der Traum des Scipio, ist geradezu ihnen abgeborgt; doch kommt denselben insofern eine relative Originalität zu, als die Bearbeitung durchaus römische Lokalfarbe zeigt und das staatliche Selbstgefühl, zu dem der Römer den Griechen gegenüber allerdings berechtigt war, den Verfasser sogar mit einer gewissen Selbständigkeit seinen griechischen Lehrmeistern entgegentreten ließ. Auch die Gesprächsform Ciceros ist zwar weder die echte Fragedialektik der besten griechischen Kunstdialoge noch der echte Konversationston Diderots oder Lessings; aber die großen Gruppen der um Crassus und Antonius sich versammelnden Advokaten und der älteren und jüngeren Staatsmänner des Scipionischen Zirkels geben doch einen lebendigen und bedeutenden Rahmen, passende Anknüpfungen für geschichtliche Beziehungen und Anekdoten und geschickte Ruhepunkte für die wissenschaftliche Erörterung. Der Stil ist ebenso durchgearbeitet und gefeilt wie in den bestgeschriebenen Reden und insofern erfreulicher als diese, als der Verfasser hier nicht oft einen vergeblichen Anlauf zum Pathos nimmt. Wenn diese philosophisch gefärbten rhetorischen und politischen Schriften Ciceros nicht ohne Verdienst sind, so fiel dagegen der Kompilator vollständig durch, als er in der unfreiwilligen Muße seiner letzten Lebensjahre (709, 710 45, 44) sich an die eigentliche Philosophie machte und mit ebenso großer Verdrießlichkeit wie Eilfertigkeit in ein paar Monaten eine philosophische Bibliothek zusammenschrieb. Das Rezept war sehr einfach. In roher Nachahmung der populären aristotelischen Schriften, in welchen die dialogische Form hauptsächlich zur Entwicklung und Kritisierung der verschiedenen älteren Systeme benutzt war, nähte Cicero die das gleiche Problem behandelnden epikureischen, stoischen und synkretistischen Schriften, wie sie ihm in die Hand kamen oder gegeben wurden, zu einem sogenannten Dialog aneinander, ohne von sich mehr dazu zu tun als teils irgendeine, aus der reichen Sammlung von Vorreden für künftige Werke, die er liegen hatte, dem neuen Buche vorgeschobene Einleitung, teils eine gewisse Popularisierung, indem er römische Beispiele und Beziehungen einflocht, auch wohl auf ungehörige, aber dem Schreiber wie dem Leser geläufigere Gegenstände, in der Ethik zum Beispiel auf den rednerischen Anstand, abschweifte, teils diejenige Verhunzung, ohne welche ein weder zum philosophischen Denken noch auch nur zum philosophischen Wissen gelangter, schnell und dreist arbeitender Literat dialektische Gedankenreihen nicht reproduziert. Auf diesem Wege konnten denn freilich sehr schnell eine Menge dicker Bücher entstehen – „es sind Abschriften“, schrieb der Verfasser selbst einem über seine Fruchtbarkeit verwunderten Freunde; „sie machen mir wenig Mühe, denn ich gebe nur die Worte dazu und die habe ich in Überfluß“. Dagegen war denn weiter nichts zu sagen; wer aber in solchen Schreibereien klassische Produktionen sucht, dem kann man nur raten sich in literarischen Dingen eines schönen Stillschweigens zu befleißigen.

Unter den Wissenschaften herrschte reges Leben nur in einer einzigen: es war dies die lateinische Philologie. Das von Stilo angelegte Gebäude sprachlicher und sachlicher Forschung innerhalb des latinischen Volksbereichs wurde vor allem von seinem Schüler Varro in der großartigsten Weise ausgebaut. Es erschienen umfassende Durcharbeitungen des gesamten Sprachschatzes, namentlich Figulus‘ weitschichtige grammatische Kommentarien und Varros großes Werk ‚Von der lateinischen Sprache‘; grammatische und sprachgeschichtliche Monographien, wie Varros Schriften vom lateinischen Sprachgebrauch, über die Synonymen, über das Alter der Buchstaben, über die Entstehung der lateinischen Sprache; Scholien zu der älteren Literatur, besonders zum Plautus; literargeschichtliche Arbeiten, Dichterbiographien, Untersuchungen über die ältere Schaubühne, über die szenische Teilung der Plautinischen Komödien und über die Echtheit derselben. Die lateinische Realphilologie, welche die gesamte ältere Geschichte und das aus der praktischen Jurisprudenz ausfallende Sakralrecht in ihren Kreis zog, wurde zusammengefaßt in Varros fundamentalen und für alle Zeiten fundamental gebliebenen ‚Altertümern der menschlichen und der göttlichen Dinge‘ (bekanntgemacht zwischen 687 und 709 67 und 45). Die erste Hälfte ‚Von den menschlichen Dingen‘ schilderte die Urzeit Roms, die Stadt- und Landeinteilung, die Wissenschaft von den Jahren, Monaten und Tagen, endlich die öffentlichen Handlungen daheim und im Kriege; in der zweiten Hälfte ‚Von den göttlichen Dingen‘ wurde die Staatstheologie, das Wesen und die Bedeutung der Sachverständigenkollegien, der heiligen Stätten, der religiösen Feste, der Opfer- und Weihgeschenke, endlich der Götter selbst übersichtlich entwickelt. Dazu kam außer einer Anzahl von Monographien – zum Beispiel über die Herkunft des römischen Volkes, über die aus Troia stammenden römischen Geschlechter, über die Distrikte – als ein größerer und selbständigerer Nachtrag die Schrift ‚Vom Leben des römischen Volkes‘; ein merkwürdiger Versuch einer römischen Sittengeschichte, die ein Bild des häuslichen finanziellen und Kulturzustandes in der Königs-, der ersten republikanischen, der hannibalischen und der jüngsten Zeit entwarf. Diese Arbeiten Varros ruhen auf einer so vielseitigen und in ihrer Art so großartigen empirischen Kenntnis der römischen Welt und ihres hellenischen Grenzgebiets, wie sie nie weder vor- noch nachher ein anderer Römer besessen hat und zu der die lebendige Anschauung der Dinge und das Studium der Literatur gleichmäßig beigetragen haben; das Lob der Zeitgenossen war wohlverdient, daß Varro seine in ihrer eigenen Welt fremden Landsleute in der Heimat orientiert und die Römer kennen gelehrt habe, wer und wo sie seien. Kritik aber und System wird man vergebens suchen. Die griechische Kunde scheint aus ziemlich trüben Quellen geflossen und es finden sich Spuren, daß auch in der römischen der Schreiber von dem Einfluß des historischen Romans seiner Zeit nicht frei war. Der Stoff ist wohl in ein bequemes und symmetrisches Fachwerk eingereiht, aber methodisch weder gegliedert noch behandelt und bei allem Bestreben, Überlieferung und eigene Beobachtung harmonisch zu verarbeiten, sind doch Varros wissenschaftliche Arbeiten weder von einem gewissen Köhlerglauben gegenüber der Tradition noch von unpraktischer Scholastik freizusprechen160. Die Anlehnung an die griechische Philologie besteht mehr im Nachahmen der Mängel als der Vorzüge derselben, wie denn vor allem das Etymologisieren auf bloßen Anklang hin sowohl bei Varro selbst wie bei den sonstigen Sprachgelehrten dieser Zeit sich in die reine Scharade und oft geradezu ins Alberne verläuft161. In ihrer empirischen Sicherheit und Fülle wie auch in ihrer empirischen Unzulänglichkeit und Unmethode erinnert die Varronische lebhaft an die englische Nationalphilologie und findet auch ebenwie diese ihren Mittelpunkt in dem Studium der älteren Schaubühne. Daß die monarchische Literatur im Gegensatz gegen diese sprachliche Empirie die Sprachregel entwickelte, ward bereits bemerkt. Es ist in hohem Grade bedeutsam, daß an der Spitze der modernen Grammatiker kein geringerer Mann steht als Caesar selbst, der in seiner Schrift über die Analogie (bekanntgemacht zwischen 696 und 704 68 und 50) es zuerst unternahm die freie Sprache unter die Gewalt des Gesetzes zu zwingen.

Neben dieser ungemeinen Regsamkeit auf dem Gebiet der Philologie fällt die geringe Tätigkeit in den übrigen Wissenschaften auf. Was von Belang in der Philosophie erschien, wie Lucretius‘ Darstellung des epikureischen Systems in dem poetischen Kinderkleide der vorsokratischen Philosophie und die besseren Schriften Ciceros, tat seine Wirkung und fand sein Publikum nicht durch, sondern trotz des philosophischen Inhalts einzig durch die ästhetische Form; die zahlreichen Übersetzungen epikureischer Schriften und die pythagoreischen Arbeiten, wie Varros großes Werk über die Elemente der Zahlen und das noch ausführlichere des Figulus von den Göttern, hatten ohne Zweifel weder wissenschaftlichen noch formellen Wert.

Auch in den Fachwissenschaften ist es schwach bestellt. Varros dialogisch geschriebene Bücher vom Landbau sind freilich methodischer als die seiner Vorgänger Cato und Saserna, auf die denn auch mancher tadelnde Seitenblick fällt, dafür aber im ganzen mehr aus der Schreibstube hervorgegangen als, wie jene älteren Werke, aus der lebendigen Erfahrung. Von desselben sowie des Servius Sulpicius Rufus (Konsul 703 51) juristischen Arbeiten ist kaum etwas weiter zu sagen, als daß sie zu dem dialektischen und philologischen Aufputz der römischen Jurisprudenz beigetragen haben. Weiter aber ist hier nichts zu nennen als etwa noch des Gaius Matius drei Bücher über Kochen, Einsalzen und Einmachen, unseres Wissens das älteste römische Kochbuch und als das Werk eines vornehmen Mannes allerdings eine bemerkenswerte Erscheinung. Daß Mathematik und Physik durch die gesteigerten hellenistischen und utilitarischen Tendenzen der Monarchie gefördert wurden, zeigt sich wohl in der steigenden Bedeutung derselben im Jugendunterricht und in einzelnen praktischen Anwendungen, wohin, außer der Reform des Kalenders, etwa noch gezählt werden können das Aufkommen der Wandkarten in dieser Zeit; die verbesserte Technik des Schiffsbaus und der musikalischen Instrumente; Anlagen und Bauten wie das von Varro angegebene Vogelhaus, die von Caesars Ingenieuren ausgeführte Pfahlbrücke über den Rhein, sogar zwei halbkreisförmige, zum Zusammenschieben eingerichtete, zuerst gesondert als zwei Theater, dann zusammen als Amphitheater benutzte Brettergerüste. Ausländische Naturmerkwürdigkeiten bei den Volksfesten öffentlich zur Schau zu stellen war nicht ungewöhnlich; und die Schilderungen merkwürdiger Tiere, die Caesar in seine Feldzugsberichte eingelegt hat, beweisen, daß ein Aristoteles, wenn er aufgetreten wäre, seinen Fürsten wiederum gefunden haben würde. Was aber von literarischen Leistungen auf diesem Gebiet erwähnt wird, hängt wesentlich an den Neupythagoreismus sich an; so des Figulus Zusammenstellung griechischer und barbarischer, d. h. ägyptischer Himmelsbeobachtungen und desselben Schriften von den Tieren, den Winden, den Geschlechtsteilen. Nachdem überhaupt die griechische Naturforschung von dem Aristotelischen Streben, im einzelnen das Gesetz zu finden, mehr und mehr zu der empirischen und meistens unkritischen Beobachtung des Äußerlichen und Auffallenden in der Natur abgeirrt war, konnte die Naturwissenschaft, indem sie als mystische Naturphilosophie auftrat, statt aufzuklären und anzuregen, nur noch mehr verdummen und lähmen; und solchem Treiben gegenüber ließ man es besser noch bei der Plattheit bewenden, welche Cicero als sokratische Weisheit vorträgt, daß die Naturforschung entweder nach Dingen sucht, die niemand wissen könne, oder nach solchen, die niemand zu wissen brauche.

Werfen wir schließlich noch einen Blick auf die Kunst, so zeigen auch hier sich dieselben unerfreulichen Erscheinungen, die das ganze geistige Leben dieser Periode erfüllen. Das Staatsbauwesen stockte in der Geldklemme der letzten Zeit der Republik so gut wie ganz. Von dem Bauluxus der Vornehmen Roms war bereits die Rede; die Architekten lernten infolgedessen den Marmor verschwenden – die farbigen Sorten wie der gelbe numidische (Giallo antico) und andere kamen in dieser Zeit in Aufnahme und auch die lunensischen (carrarischen) Marmorbrüche wurden jetzt zuerst benutzt – und fingen an, die Fußböden der Zimmer mit Mosaik auszulegen, die Wände mit Marmorplatten zu täfeln oder auch den Stuck marmorartig zu bemalen – die ersten Anfänge der späteren Zimmerwandmalerei. Die Kunst aber gewann nicht bei dieser verschwenderischen Pracht.

In den bildenden Künsten waren Kennerschaft und Sammelei in weiterem Zunehmen. Es war eine bloße Affektation catonischer Simplizität, wenn ein Advokat vor den Geschworenen von den Kunstwerken „eines gewissen Praxiteles“ sprach; alles reiste und schaute und das Handwerk der Kunstciceronen oder, wie sie damals hießen, der Exegeten, war keines von den schlechtesten. Auf alte Kunstwerke wurde förmlich Jagd gemacht – weniger freilich noch auf Statuen und Gemälde, als nach der rohen Art römischer Prachtwirtschaft auf kunstvolles Gerät und Zimmer- und Tafeldekoration aller Art. Schon zu jener Zeit wühlte man die alten griechischen Gräber von Capua und Korinth um wegen der Erz- und Tongefäße, die den Toten waren mit ins Grab gegeben worden. Für eine kleine Nippfigur von Bronze wurden 40000 (3000 Taler), für ein paar kostbare Teppiche 200000 Sesterzen (15000 Taler) bezahlt; eine gutgearbeitete kupferne Kochmaschine kam höher zu stehen als ein Landgut. Wie billig ward bei dieser barbarischen Kunstjagd der reiche Liebhaber von seinen Zuträgern häufig geprellt: aber der ökonomische Ruin namentlich des an Kunstwerken überreichen Kleinasiens brachte auch manches wirklich alte und seltene Prachtstück und Kunststück auf den Markt und von Athen, Syrakus, Kyzikos, Pergamon, Chios, Samos und wie die alten Kunststätten weiter hießen, wanderte alles, was feil war und gar manches, was es nicht war, in die Paläste und Villen der römischen Großen. Welche Kunstschätze zum Beispiel das Haus des Lucullus barg, der freilich wohl nicht mit Unrecht beschuldigt wurde, sein artistisches Interesse auf Kosten seiner Feldherrnpflichten befriedigt zu haben, ward bereits erwähnt. Die Kunstliebhaber drängten sich daselbst wie heutzutage in Villa Borghese und beklagten auch damals schon sich über die Verbannung der Kunstschätze auf die Paläste und Landhäuser der vornehmen Herren, wo sie schwierig und nur nach besonders von dem Besitzer eingeholter Erlaubnis gesehen werden konnten. Die öffentlichen Gebäude dagegen füllten sich keineswegs im Verhältnis mit berühmten Werken griechischer Meister, und vielfach standen noch in den Tempeln der Hauptstadt nichts als die alten holzgeschnitzten Götterbilder. Von Ausübung der Kunst ist so gut wie gar nichts zu berichten; kaum wird aus dieser Zeit ein anderer römischer Bildhauer oder Maler mit Namen genannt als ein gewisser Arellius, dessen Bilder reißend abgingen, nicht ihres künstlerischen Wertes wegen, sondern weil der arge Roué in den Bildern der Göttinnen getreue Konterfeie seiner jedesmaligen Mätressen lieferte.

Die Bedeutung von Musik und Tanz stieg im öffentlichen wie im häuslichen Leben. Wie die Theatermusik und das Tanzstück in der Bühnenentwicklung dieser Zeit zu selbständigerer Geltung gelangte, wurde bereits dargestellt; es kann noch hinzugefügt werden, daß jetzt in Rom selbst auf der öffentlichen Bühne schon sehr häufig von griechischen Musikern, Tänzern und Deklamatoren Vorstellungen gegeben wurden, wie sie in Kleinasien und überhaupt in der ganzen hellenischen und hellenisierenden Welt üblich waren162

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Indes gegen das Ende dieser Periode zeigen mit der beginnenden Monarchie sich auch in der Kunst die Anfänge einer besseren Zeit. Welchen gewaltigen Aufschwung das hauptstädtische Bauwesen durch Caesar nahm und das Reichsbauwesen nehmen sollte, ist früher erzählt worden. Sogar im Stempelschnitt der Münzen erscheint um das Jahr 700 (54) eine bemerkenswerte Änderung: das bis dahin größtenteils rohe und nachlässige Gepräge wird seitdem feiner und sorgsamer behandelt.

Wir stehen am Ende der römischen Republik. Wir sahen sie ein halbes Jahrtausend in Italien und in den Landschaften am Mittelmeer schalten; wir sahen sie nicht durch äußere Gewalt, sondern durch inneren Verfall politisch und sittlich, religiös und literarisch zugrunde gehen und der neuen Monarchie Caesars Platz machen. Es war in der Welt, wie Caesar sie vorfand, viel edle Erbschaft vergangener Jahrhunderte und eine unendliche Fülle von Pracht und Herrlichkeit, aber wenig Geist, noch weniger Geschmack und am wenigsten Freude im und am Leben. Wohl war es eine alte Welt; und auch Caesars genialer Patriotismus vermochte nicht, sie wieder jung zu machen. Die Morgenröte kehrt nicht wieder, bevor die Nacht völlig hereingebrochen ist. Aber doch kam mit ihm den vielgeplagten Völkern am Mittelmeer nach schwülem Mittag ein leidlicher Abend; und als sodann nach langer geschichtlicher Nacht der neue Völkertag abermals anbrach und frische Nationen in freier Selbstbewegung nach neuen und höheren Zielen den Lauf begannen, da fanden sich manche darunter, in denen der von Caesar ausgestreute Same aufgegangen war und die ihm ihre nationale Individualität verdankten und verdanken.

  1. Es sind dies, wie bekannt, die sogenannten sieben freien Künste, die mit dieser Unterscheidung der früher in Italien eingebürgerten drei und der nachträglich rezipierten vier Disziplinen sich durch das ganze Mittelalter behauptet haben.
  2. So sagt Varro (rust. 1, 2): ab aeditimo, ut dicere didicimus a patribus nostris; ut corrigimur ab recentibus urbanis, ab aedituo.
  3. Merkwürdig ist für diese Verhältnisse die Dedikation der auf den Namen des Skymnos gehenden poetischen Erdbeschreibung. Nachdem der Dichter seine Absicht erklärt hat, in dem beliebten menandrischen Maß einen für Schüler faßlichen und leicht auswendig zu lernenden Abriß der Geographie zu bearbeiten, widmet er, wie Apollodoros sein ähnliches historisches Kompendium dem König Attalos Philadelphos von Pergamon widmete,
  4. dem es ewigen Ruhm
    Gebracht, daß seinen Namen dies Geschichtswerk trägt,
  5. sein Handbuch dem König Nikomedes III. (663? – 679 91 – 75) von Bithynien:
  6. Daß, wie die Leute sagen, königliche Huld
    Von allen jetzigen Königen nur du erzeigst,
    Dies zu erproben an mir selbst, entschloß ich mich,
    Zu kommen und zu sehen, was ein König sei.
    Bestärkt in diesem durch Apolls Orakelwort,
    Nah‘ ich mich billig deinem fast, auf deinen Wink,
    Zu der Gelehrten insgemein gewordnen Herd.
  7. Daß der Mimus zu seiner Zeit an die Stelle der Atellane getreten sei, bezeugt Cicero (ad fam. 9 16); damit stimmt überein, daß die Mimen und Miminnen zuerst um die sullanische Zeit hervortreten (Rhet. Her. 1, 14, 24; 2, 13, 19; Atta com. 1 Ribbeck.; Plin. nat. 7, 48, 158; Plut. Sull. z. 36). Übrigens wird die Bezeichnung mimus zuweilen ungenau von dem Komöden überhaupt gebraucht. So war der bei der Apollonischen Festfeier 542/43 212/211 auftretende mimus (Festus v. salva res est; vgl. Cic. De orat. 2, 59, 242) offenbar nichts als ein Schauspieler der palliata, denn für wirkliche Mimen im spätem Sinn ist in dieser Zeit in der römischen Theaterentwicklung kein Raum.
  8. Zu dem Mimus der klassischen griechischen Zeit, prosaischen Dialogen, in denen Genrebilder, namentlich ländliche, dargestellt wurden, hat der römische Mimus keine nähere Beziehung.
  9. Vom Staat erhielt er für jeden Spieltag 1000 Denare (300 Taler) und außerdem die Besoldung für seine Truppe. In späteren Jahren wies er für sich das Honorar zurück.
  10. Einzelne scheinbare Ausnahmen, wie das Weihrauchland Panchaea, sind daraus zu erklären, daß dies aus dem Reiseroman des Euhemeros vielleicht schon in die Ennianische Poesie, auf jeden Fall in die Gedichte des Lucius Manlius (Plin. nat. 10, 2, 4) übergegangen und daher dem Publikum, für das Lucretius schrieb, wohlbekannt war.
  11. Naiv erscheint dies in den kriegerischen Schilderungen, in denen die heerverderbenden Seestürme, die die eigenen Leute zertretenden Elefantenscharen, also Bilder aus den Punischen Kriegen, erscheinen, als gehörten sie der unmittelbaren Gegenwart an. Vgl. 2, 41; 5, 1226, 1303, 1339.
  12. „Freilich“, sagt Cicero (Tusc. 3, 19, 45) in Beziehung auf Ennius, „wird der herrliche Dichter von unseren Euphorionrezitierern verachtet.“ „Ich bin glücklich angelangt“, schreibt derselbe an Atticus (7, 2 z. A.), „da uns von Epirus herüber der günstige Nordwind wehte. Diesen Spondaicus kannst du, wenn du Lust hast, einem von den Neumodischen als dein eigen verkaufen“ (ita belle nobis flavit ab Epiro lenissumus Onchesmites. Hunc σποδειάζοντα si cui voles τών νεοτέρων pro tuo vendito).
  13. „Mir als Knaben“, sagt er irgendwo, „genügte ein einziger Flausrock und ein einziges Unterkleid, Schuhe ohne Strümpfe, ein Pferd ohne Sattel; ein warmes Bad hatte ich nicht täglich, ein Flußbad selten.“ Wegen seiner persönlichen Tapferkeit erhielt er im Piratenkrieg, wo er eine Flottenabteilung führte, den Schiffskranz.
  14. Etwas Kindischeres gibt es kaum als Varros Schema der sämtlichen Philosophien, das erstlich alle nicht die Beglückung des Menschen als letztes Ziel aufstellenden Systeme kurzweg für nicht vorhanden erklärt und dann die Zahl der unter dieser Voraussetzung denkbaren Philosophien auf zweihundertachtundachtzig berechnet. Der tüchtige Mann war leider zu sehr Gelehrter um einzugestehen, daß er Philosoph weder sein könne noch sein möge, und hat deshalb als solcher zeit seines Lebens zwischen Stoa, Pythagoreismus und Diogenismus einen nicht schönen Eiertanz aufgeführt.
  15. „Willst du etwa“, schreibt er einmal, „die Redefiguren und Verse des Quintussklaven Clodius abgurgeln und ausrufen: O Geschick! o Schicksalsgeschick!“ Anderswo: „Da der Quintussklave Clodius eine solche Anzahl von Komödien ohne irgendeine Muse gemacht hat, sollte ich da nicht einmal ein einziges Büchlein mit Ennius zu reden ‚fabrizieren‘ können?“ Dieser sonst nicht bekannte Clodius muß wohl ein schlechter Nachahmer des Terenz gewesen sein, da zumal jene ihm spöttisch heimgegebenen Worte: „O Geschick! o Schicksalsgeschick!“ in einem Terenzischen Lustspiel sich wiederfinden. Die folgende Selbstvorstellung eines Poeten in Varros ‚Esel beim Lautenspiel‘:
  16. Schüler mich heißt man Pacuvs; er dann war des Ennius Schüler,
    Dieser der Musen; ich selbst nenne Pompilius mich
  17. könnte füglich die Einleitung des Lucretius parodieren, dem Varro schon als abgesagter Feind des epikurischen Systems nicht geneigt gewesen sein kann und den er nie anführt.
  18. Er selbst sagt einmal treffend, daß er veraltete Wörter nicht besonders liebe, aber öfter brauche, poetische Wörter sehr liebe, aber nicht brauche.
  19. Die folgende Schilderung ist dem ‚Marcussklaven‘ entnommen:
  20. Auf einmal, um die Zeit der Mitternacht etwa,
    Als uns mit Feuerflammen weit und breit gestickt
    Der luftige Raum den Himmelssternenreigen wies,
    Umschleierte des Himmels goldenes Gewölb
    Mit kühlem Regenflor der raschen Wolken Zug,
    Hinab das Wasser schüttend auf die Sterblichen,
    Und schossen, los sich reißend von dem eisigen Pol,
    Die Wind‘, heran, des Großen Bären tolle Brut,
    Fortführend mit sich Ziegel, Zweig‘ und Wetterwust.
    Doch wir, gestürzt, schiffbrüchig, gleich der Störche Schwarm,
    Die an zweizackigen Blitzes Glut die Flügel sich
    Versengt, wir fielen traurig jäh zur Erd‘ hinab.
  21. In der ‚Menschenstadt‘ heißt es:
  22. Nicht wird frei dir die Brust durch Gold und Fülle der Schätze;
    Nicht dem Sterblichen nimmt von der Seele der persische Goldberg
    Sorg‘ und Furcht, und auch der Saal nicht Crassus des Reichen.
    Aber auch leichtere Weise gelang dem Dichter. In ‚Der Topf hat sein Maß‘ stand folgender zierliche Lobspruch auf den Wein:
    Es bleibt der Wein für jedermann der beste Trank.
    Er ist das Mittel, das den Kranken macht gesund;
    Er ist der süße Keimeplatz der Fröhlichkeit,
    Er ist der Kitt, der Freundeskreis zusammenhält.
  23. Und in dem ‚Weltbohrer‘ schließt der heimkehrende Wandersmann also seinen Zuruf an die Schiffer:
  24. Laßt schießen die Zügel dem leisesten Hauch,
    Bis daß uns des frischeren Windes Geleit
    Rückführt in die liebliche Heimat!
  25. Die Skizzen Varros haben eine so ungemeine historische und selbst poetische Bedeutsamkeit und sind doch infolge der trümmerhaften Gestalt, in der uns die Kunde davon zugekommen ist, so wenigen bekannt und so verdrießlich kennenzulernen, daß es wohl erlaubt sein wird, einige derselben hier mit der wenigen zur Lesbarkeit unumgänglichen Restauration zu resümieren.
  26. Die Satire ‚Frühauf‘ schildert die ländliche Haushaltung. „Frühauf ruft mit der Sonne zum Aufstehen und führt selbst die Leute auf den Arbeitsplatz. Die Jungen machen selbst sich ihr Bett, das die Arbeit ihnen weich macht, und stellen sich selber Wasserkrug und Lampe dazu. Der Trank ist der klare frische Quell, die Kost Brot und als Zubrot Zwiebeln. In Haus und Feld gedeiht alles. Das Haus ist kein Kunstbau; aber der Architekt könnte Symmetrie daran lernen. Für den Acker wird gesorgt, daß er nicht unordentlich und wüst in Unsauberkeit und Vernachlässigung verkomme; dafür wehrt die dankbare Ceres den Schaden von der Frucht, daß die Schober hochgeschichtet das Herz des Landmannes erfreuen. Hier gilt noch das Gastrecht; willkommen ist, wer nur Muttermilch gesogen hat. Brotkammer und Weinfaß und der Wurstvorrat am Hausbalken, Schlüssel und Schloß sind dem Wandersmann dienstwillig, und hoch türmen vor ihm die Speisen sich auf; zufrieden sitzt der gesättigte Gast, nicht vor- noch rückwärts schauend, nickend am Herde in der Küche. Zum Lager wird der wärmste doppelwollige Schafpelz für ihn ausgebreitet. Hier gehorcht man noch als guter Bürger dem gerechten Gesetz, das weder aus Mißgunst Unschuldigen zu nahe tritt, noch aus Gunst Schuldigen verzeiht. Hier redet man nicht Böses wider den Nächsten. Hier rekelt man nicht mit den Füßen auf dem heiligen Herd, sondern ehrt die Götter mit Andacht und mit Opfern, wirft dem Hausgeist sein Stückchen Fleisch in das bestimmte Schüsselchen und geleitet, wenn der Hausherr stirbt, die Bahre mit demselben Gebet, mit welchem die des Vaters und des Großvaters hinweggetragen wurde.“
  27. In einer anderen Satire tritt ein „Lehrer der Alten auf, dessen die gesunkene Zeit dringender zu bedürfen scheint als des Jugendlehrers, und setzt auseinander, „wie einst alles in Rom keusch und fromm war und jetzt alles so ganz anders ist“. „Trügt mich mein Auge oder sehe ich Sklaven in Waffen gegen ihre Herren? – Einst ward, wer zur Aushebung sich nicht stellte, von Staats wegen als Sklave in die Fremde verkauft; jetzt heißt [der Aristokratie, 2, 225; 3, 358; 4, 103 u. 330] der Zensor, der Feigheit und alles hingehen läßt, ein großer Bürger und erntet Lob, daß er nicht darauf aus ist, sich durch Kränkung der Mitbürger einen Namen zu machen. – Einst ließ der römische Bauer sich alle Woche einmal den Bart scheren; jetzt kann der Ackersklave es nicht fein genug haben. – Einst sah man auf den Gütern einen Kornspeicher, der zehn Ernten faßte, geräumige Keller für die Weinfässer und entsprechende Keltern; jetzt hält der Herr sich Pfauenherden und läßt seine Türen mit afrikanischem Zypressenholz einlegen. – Einst drehte die Hausfrau mit der Hand die Spindel und hielt dabei den Topf auf dem Herd im Auge, damit der Brei nicht verbrenne; jetzt“ – heißt es in einer andern Satire –“bettelt die Tochter den Vater um ein Pfund Edelsteine, das Weib den Mann um einen Scheffel Perlen an. – Einst war der Mann in der Brautnacht stumm und blöde; jetzt gibt die Frau sich dem ersten besten Kutscher preis. – Einst war der Kindersegen der Stolz des Weibes, jetzt, wenn der Mann sich Kinder wünscht, antwortet sie: Weißt du nicht, was Ennius sagt?:
  28. Lieber will ich ja das Leben dreimal wagen in der Schlacht,
    Als ein einzig Mal gebären. –
  29. Einst war die Frau vollkommen zufrieden, wenn der Mann ein- oder zweimal im Jahre sie in dem ungepolsterten Wagen über Land fuhr“; jetzt – konnte er hinzusetzen (vgl. Cic. Mil. 21, 55) – schmollt die Frau, wenn der Mann ohne sie auf sein Landgut geht, und folgt der reisenden Dame das elegante griechische Bedientengesindel und die Kapelle nach auf die Villa.“
  30. In einer Schrift der ernsteren Gattung ‚Catus oder die Kinderzucht‘ belehrt Varro den Freund, der ihn deswegen um Rat gefragt, nicht bloß über die Gottheiten, denen nach altem Brauch für der Kinder Wohl zu opfern war, sondern, hinweisend auf die verständigere Kindererziehung der Perser und auf seine eigene streng verlebte Jugend, warnt er vor überfüttern und überschlafen, vor süßem Brot und feiner Kost – die jungen Hunde, meint der Alte, werden jetzt verständiger genährt als die Kinder –, ebenso vor dem Besiebnen und Besegnen, das in Krankheitsfällen so oft die Stelle des ärztlichen Rates vertrat. Er rät, die Mädchen zum Sticken anzuhalten, damit sie später die Stickereien und Webereien richtig zu beurteilen verständen, und sie nicht zu früh das Kinderkleid ablegen zu lassen; er warnt davor, die Knaben in die Fechterspiele zu führen, in denen früh das Herz verhärtet und die Grausamkeit gelernt wird.
  31. In dem ‚Mann von sechzig Jahren‘ erscheint Varro als ein römischer Epimenides, der, als zehnjähriger Knabe eingeschlafen, nach einem halben Jahrhundert wiedererwacht. Er staunt darüber, statt seines glattgeschorenen Knabenkopfes ein altes Glatzhaupt wiederzufinden, mit häßlicher Schnauze und wüsten Borsten gleich dem Igel; mehr noch aber staunt er über das verwandelte Rom. Die lucrinischen Austern, sonst eine Hochzeitschüssel, sind jetzt ein Alltagsgericht; dafür rüstet denn auch der bankrotte Schlemmer im stillen die Brandfackel. Wenn sonst der Vater dem Knaben vergab, so ist jetzt das Vergeben an den Knaben gekommen; das heißt, er vergibt dem Vater mit Gift. Der Wahlplatz ist zur Börse geworden, der Kriminalprozeß zur Goldgrube für die Geschworenen. Keinem Gesetze wird noch gehorcht, außer dem einen, daß nichts für nichts gegeben wird. Alle Tugenden sind geschwunden; dafür begrüßen den Erwachten als neue Insassen die Gotteslästerung, die Wortlosigkeit, die Geilheit. „O wehe dir, Marcus, über solchen Schlaf und solches Erwachen!“
  32. Die Skizze gleicht der catilinarischen Zeit, kurz nach welcher (um 697 57) sie der alte Mann geschrieben haben muß, und es lag eine Wahrheit in der bitteren Schlußwendung, wo der Marcus, gehörig ausgescholten wegen seiner unzeitgemäßen Anklagen und antiquarischen Reminiszenzen, mit parodischer Anwendung einer uralten römischen Sitte, als unnützer Greis auf die Brücke geschleppt und in den Tiber gestürzt wird. Es war allerdings für solche Männer in Rom kein Platz mehr.
  33. „Die Unschuldigen“, hieß es in einer Rede, „zitternd an allen Gliedern, schleppst du heraus und am hohen Uferrande des Flusses beim Morgengrauen (lässest du sie schlachten).“ Solche ohne Mühe einer Taschenbuchsnovelle einzufügende Phrasen begegnen mehrere.
  34. Daß die Schrift über den Gallischen Krieg auf einmal publiziert worden ist, hat man längst vermutet; den bestimmten Beweis dafür liefert die Erwähnung der Gleichstellung der Boier und der Häduer schon im ersten Buch (c. 28), während doch die Boier noch im siebenten (c. 10) als zinspflichtige Untertanen der Häduer vorkommen und offenbar erst wegen ihres Verhaltens und desjenigen der Häduer in dem Kriege gegen Vercingetorix gleiches Recht mit ihren bisherigen Herren erhielten. Andererseits wird, wer die Geschichte der Zeit aufmerksam verfolgt, in der Äußerung über die Milonische Krise (7, 6) den Beweis finden, daß die Schrift vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges publiziert ward; nicht weil Pompeius hier gelobt wird, sondern weil Caesar daselbst die Ausnahmegesetze vom Jahr 702 (52) billigt. Dies konnte und mußte er tun, solange er ein friedliches Abkommen mit Pompeius herbeizuführen suchte, nicht aber nach dem Bruch, wo er die aufgrund jener für ihn verletzenden Gesetze erfolgten Verurteilungen umstieß. Darum ist die Veröffentlichung dieser Schrift mit vollem Recht in das Jahr 703 (51) gesetzt worden.
  35. Die Tendenz der Schrift erkennt man am deutlichsten in der beständigen, oft, am entschiedensten wohl bei der aquitanischen Expedition, nicht glücklichen Motivierung jedes einzelnen Kriegsakts als einer nach Lage der Dinge unvermeidlichen Defensivmaßregel. Daß die Gegner Caesars Angriffe auf die Kelten und Deutschen vor allem als unprovoziert tadelten, ist bekannt (Suet. Caes. 24).
  36. Ein merkwürdiges Exempel ist in der Schrift von der Landwirtschaft die allgemeine Auseinandersetzung über das Vieh (2, 1), mit den neunmal neun Unterabteilungen der Viehzuchtlehre, mit der „unglaublichen“ aber „wahren“ Tatsache, daß die Stuten bei Olisipo (Lissabon) vom Winde befruchtet werden, überhaupt mit ihrem sonderbaren Gemenge philosophischer, historischer und landwirtschaftlicher Notizen.
  37. So leitet Varro facere her von facies, weil wer etwas macht, der Sache ein Ansehn gibt, volpes, den Fuchs, nach Stilo von volare pedibus als den Fliegefuß; Gaius Trebatius, ein philosophischer Jurist dieser Zeit, sacellum von sacra cella; Figulus frater von fere alter und so weiter. Dies Treiben, das nicht etwa vereinzelt, sondern als Hauptelement der philologischen Literatur dieser Zeit erscheint hat die größte Ähnlichkeit mit der Weise, wie man bis vor kurzem Sprachvergleichung trieb, ehe die Einsicht in den Sprachenorganismus hier den Empirikern das Handwerk legte.
  38. Dergleichen „griechische Spiele“ waren nicht bloß in den griechischen Städten Italiens, namentlich in Neapel (Cic. Arch. 5, 10; Plut. Brut. 21), sondern jetzt schon auch in Rom sehr häufig (Cic. ad. fam. 7, 1, 3; Att. 16, 5, 1; Suet. Caes. 39; Plut. Brut. 21). Wenn die bekannte Grabschrift der vierzehnjährigen Licinia Eucharis, die wahrscheinlich dem Ende dieser Epoche angehört, dieses „wohlunterrichtete und in allen Künsten von den Musen selbst unterwiesene Mädchen“, in den Privatvorstellungen der vornehmen Häuser als Tänzerin glänzen und öffentlich zuerst auf der griechischen Schaubühne auftreten läßt (modo nobilium ludos decoravi choro, Et Graeca in scaena prima populo apparui), so kann dies wohl nur heißen, daß sie das erste Mädchen war, das auf der öffentlichen griechischen Schaubühne in Rom erschien, wie denn überhaupt erst in dieser Epoche die Frauenzimmer in Rom anfingen, öffentlich aufzutreten.
  39. Diese „griechischen Spielen in Rom scheinen nicht eigentlich szenische gewesen zu sein, sondern vielmehr zu der Gattung der zusammengesetzten, zunächst musikalisch-deklamatorischen Aufführungen gehört zu haben, wie sie auch in Griechenland in späterer Zeit nicht selten vorkamen (F. G. Welcker, Die griechischen Tragödien. Bonn 1839-41, S. 1277). Dahin führt das Hervortreten des Flötenspiels bei Polybios (30, 13) des Tanzes in dem Berichte Suetons über die bei Caesars Spielen aufgeführten kleinasiatischen Waffentänze und in der Grabschrift der Eucharis; auch die Beschreibung des Kitharöden Her. Rhet. 4, 47, 60 (vgl. Vitr. 5, 7) wird solchen „griechischen Spielen“ entnommen sein. Bezeichnend ist noch die Verbindung dieser Vorstellungen in Rom mit griechischen Athletenkämpfen (Polyb. a. a. O.; Liv. 39, 22). Dramatische Rezitationen waren von diesen Mischspielen keineswegs ausgeschlossen, wie denn unter den Spielern, die Lucius Anicius 587 (167) in Rom auftreten ließ, ausdrücklich Tragödien miterwähnt werden; aber es wurden doch dabei nicht eigentlich Schauspiele aufgeführt, sondern vielmehr von einzelnen Künstlern entweder ganze Dramen oder wohl noch häufiger Stücke daraus deklamierend oder singend zur Flöte vorgetragen. Das wird denn auch in Rom vorgekommen sein; aber allem Anschein nach war für das römische Publikum die Hauptsache bei diesen griechischen Spielen Musik und Tanz, und die Texte mögen für sie wenig mehr bedeutet haben als heutzutage die der italienischen Oper für die Londoner und Pariser. Jene zusammengesetzten Spiele mit ihrem wüsten Potpourri eigneten sich auch weit besser für das römische Publikum und namentlich für die Aufführungen in Privathäusern als eigentlich szenische Aufführungen in griechischer Sprache; daß auch die letzteren in Rom vorgekommen sind, läßt sich nicht widerlegen, aber auch nicht beweisen.

3. Kapitel


3. Kapitel

Der Sturz der Oligarchie und die Herrschaft des Pompeius

Noch stand die Sullanische Verfassung unerschüttert. Der Sturm, den Lepidus und Sertorius gegen sie gewagt hatten, war mit geringer Einbuße zurückgeschlagen worden. Das halbfertige Gebäude mit dem energischen Geiste seines Urhebers auszubauen, hatte die Regierung freilich versäumt. Es zeichnet sie, daß sie die von Sulla zur Verteilung bestimmten, aber noch nicht von ihm selbst parzellierten Ländereien weder aufteilte noch auch den Anspruch auf dieselben geradezu aufgab, sondern die früheren Eigentümer ohne Regulierung des Titels vorläufig im Besitze duldete, manche noch unverteilte Strecke sullanischen Domaniallandes auch wohl gar von einzelnen Personen nach dem alten, durch die Gracchischen Reformen rechtlich und faktisch beseitigten Okkupationssystem willkürlich in Besitz nehmen ließ. Was den Optimaten unter den Sullanischen Bestimmungen gleichgültig oder unbequem war, wurde ohne Bedenken ignoriert oder kassiert; so die gegen ganze Gemeinden ausgesprochene Aberkennung des Staatsbürgerrechts; so das Verbot der Zusammenschlagung der neuen Bauernstellen; so manche der von Sulla einzelnen Gemeinden erteilten Freibriefe, natürlich ohne daß man die für diese Exemtionen gezahlten Summen den Gemeinden zurückgegeben hätte. Aber wenn auch diese Verletzungen der Ordnungen Sullas durch die Regierung selbst dazu beitrugen, die Fundamente seines Gebäudes zu erschüttern, waren und blieben doch die Sempronischen Gesetze im wesentlichen abgeschafft.

Wohl fehlte es nicht an Männern, die die Wiederherstellung der Gracchischen Verfassung im Sinn trugen, und nicht an Entwürfen, um das, was Lepidus und Sertorius im Wege der Revolution versucht hatten, stückweise auf dem Wege verfassungsmäßiger Reform zu erreichen. In die beschränkte Wiederherstellung der Getreidespenden hatte die Regierung bereits unter dem Druck der Agitation des Lepidus unmittelbar nach Sullas Tode gewilligt (676 78) und sie tat ferner was irgend möglich war, um in dieser Lebensfrage für das hauptstädtische Proletariat ihm zu Willen zu sein. Als trotz jener Verteilungen die hohen, hauptsächlich durch die Piraterie hervorgerufenen Kornpreise eine so drückende Teuerung in Rom hervorriefen, daß es darüber im Jahre 679 (75) zu einem heftigen Straßenauflauf kam, halfen zunächst außerordentliche Ankäufe von sizilischem Getreide für Rechnung der Regierung der ärgsten Not ab; für die Zukunft aber regelte ein von den Konsuln des Jahres 681 (78) eingebrachtes Getreidegesetz die Ankäufe des sizilischen Getreides und gab, freilich auf Kosten der Provinzialen, der Regierung die Mittel, um ähnliche Mißstände besser zu verhüten. Aber auch die minder materiellen Differenzpunkte, die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt in ihrem alten Umfang und die Beseitigung der senatorischen Gerichte, hörten nicht auf, Gegenstände populärer Agitation zu bilden, und hier leistete die Regierung nachdrücklicheren Widerstand. Den Streit um das tribunizische Amt eröffnete schon 678 (76), unmittelbar nach der Niederlage des Lepidus, der Volkstribun Lucius Sicinius, vielleicht ein Nachkomme des gleichnamigen Mannes, der mehr als vierhundert Jahre zuvor zuerst dieses Amt bekleidet hatte; allein er scheiterte an dem Widerstand, den der rührige Konsul Gaius Curio ihm entgegensetzte. Im Jahre 680 (74) nahm Lucius Quinctius die Agitation wieder auf, ließ sich aber durch die Autorität des Konsuls Lucius Lucullus bestimmen, von seinem Vorhaben abzustehen. Mit größerem Eifer trat das Jahr darauf in seine Fußstapfen Gaius Licinius Macer, der – bezeichnend für die Zeit – in das öffentliche Leben seine literarischen Studien hineintrug und, wie er es in der Chronik gelesen, der Bürgerschaft anriet, die Konskription zu verweigern.

Auch über die schlechte Handhabung der Rechtspflege durch die senatorischen Geschworenen wurden bald nur zu wohl begründete Beschwerden laut. Die Verurteilung eines einigermaßen einflußreichen Mannes war kaum mehr zu erlangen. Nicht bloß empfand der Kollege mit dem Kollegen, der gewesene oder künftige Angeklagte mit dem gegenwärtigen armen Sünder billiges Mitleid; auch die Käuflichkeit der Geschworenenstimmen war kaum noch eine Ausnahme. Mehrere Senatoren waren gerichtlich dieses Verbrechens überwiesen worden; auf andere gleich schuldige wies man mit Fingern; die angesehensten Optimaten, wie Quintus Catulus, räumten in offener Senatssitzung es ein, daß die Beschwerden vollkommen gegründet seien; einzelne besonders eklatante Fälle zwangen den Senat mehrmals, zum Beispiel im Jahre 680 (74), über Maßregeln gegen die Freiheit der Geschworenen zu deliberieren, natürlich nur so lange, bis der erste Lärm sich gelegt hatte und man die Sache unter das Eis gleiten lassen konnte. Die Folgen dieser elenden Rechtspflege zeigten sich namentlich in einem System der Plünderung und Peinigung der Provinzialen, mit dem verglichen selbst die bisherigen Frevel erträglich und gemäßigt erschienen. Das Stehlen und Rauben war gewissermaßen durch Gewohnheit legitim geworden; die Erpressungskommission konnte als eine Anstalt gelten, um die aus den Vogteien heimkehrenden Senatoren zu Gunsten ihrer daheimgebliebenen Kollegen zu besteuern. Aber als ein angesehener Sikeliote, weil er dem Statthalter nicht hatte zu einem Verbrechen die Hand bieten wollen, dafür von diesem abwesend und ungehört zum Tode verurteilt ward; als selbst römische Bürger, wenn sie nicht Ritter oder Senatoren waren, in der Provinz nicht mehr sicher waren vor den Ruten und Beilen des römischen Vogts, und die älteste Errungenschaft der römischen Demokratie, die Sicherheit des Leibes und Lebens, von der herrschenden Oligarchie anfing mit Füßen getreten zu werden: da hatte auch das Publikum auf dem römischen Markte ein Ohr für die Klagen über seine Vögte in den Provinzen und über die ungerechten Richter, die solche Untaten moralisch mitverschuldeten. Die Opposition unterließ es natürlich nicht, auf dem fast allein ihr übriggebliebenen Terrain, dem gerichtlichen, ihre Gegner anzugreifen. So zog der junge Gaius Caesar, der auch, soweit sein Alter es gestattete, sich bei der Agitation um die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt eifrig beteiligte, im Jahre 677 (77) einen der angesehensten Sullanischen Parteimänner, den Konsular Gnaeus Dolabella, und im folgenden Jahr einen andern Sullanischen Offizier, Gaius Antonius, vor Gericht; so Marcus Cicero 684 (70) den Gaius Verres, eine der elendesten unter den Kreaturen Sullas und eine der schlimmsten Geißeln der Provinzialen. Wieder und wieder wurden die Bilder jener finsteren Zeit der Ächtungen, die entsetzlichen Leiden der Provinzialen, der schmachvolle Stand der römischen Kriminalrechtspflege mit allem Pomp italienischer Rhetorik, mit aller Bitterkeit italienischen Spottes vor der versammelten Menge entfaltet und der gewaltige Tote sowie seine lebenden Schergen ihrem Zorn und Hohn unnachsichtlich preisgegeben. Die Wiederherstellung der vollen tribunizischen Gewalt, an deren Bestehen die Freiheit, die Macht und das Glück der Volksgemeinde wie durch uralt heiligen Zauber geknüpft schien, die Wiedereinführung der „strengen“ Gerichte der Ritterschaft, die Erneuerung der von Sulla beseitigten Zensur zur Reinigung der höchsten Staatsbehörde von den faulen und schädlichen Elementen wurden täglich mit lautem Ruf von den Rednern der Volkspartei gefordert.

Indes mit alledem kam man nicht weiter. Es gab Skandal und Lärm genug, aber ein eigentlicher Erfolg ward dadurch, daß man die Regierung nach und über Verdienst prostituierte, doch noch keineswegs erreicht. Die materielle Macht lag immer noch, solange militärische Einmischung fern blieb, in den Händen der hauptstädtischen Bürgerschaft; und dies „Volk“, das in den Gassen Roms sich drängte und auf dem Markt Beamte und Gesetze machte, war eben um nichts besser als der regierende Senat: Zwar mußte die Regierung mit der Menge sich abfinden, wo deren eigenes nächstes Interesse in Frage kam; dies ist die Ursache der Erneuerung des Sempronischen Korngesetzes. Allein daran war nicht zu denken, daß diese Bürgerschaft um einer Idee oder gar um einer zweckmäßigen Reform willen Ernst gemacht hätte. Mit Recht ward auf die Römer dieser Zeit angewandt, was Demosthenes von seinen Athenern sagte: daß die Leute gar eifrig täten, solange sie um die Rednerbühne ständen und die Vorschläge zu Reformen vernähmen; aber wenn sie nach Hause gekommen seien, denke keiner weiter an das, was er auf dem Markte gehört habe. Wie auch jene demokratischen Agitatoren die Flammen schürten, es half eben nichts, da der Brennstoff fehlte. Die Regierung wußte dies und ließ in den wichtigen Prinzipienfragen sich keinerlei Zugeständnis entreißen; höchstens daß sie sich dazu verstand (um 682 72), einem Teil der mit Lepidus landflüchtig gewordenen Leute die Amnestie zuzugestehen. Was von Konzessionen erfolgte, ging nicht so sehr aus dem Drängen der Demokratie hervor, als aus den Vermittlungsversuchen der gemäßigten Aristokratie. Allein von den beiden Gesetzen, die der einzige noch übrige Führer dieser Fraktion, Gaius Cotta, in seinem Konsulat 679 (75) durchsetzte, wurde das die Gerichte betreffende schon im nächsten Jahre wieder beseitigt, und auch das zweite, welches die Sullanische Bestimmung aufhob, daß die Bekleidung des Tribunats zur Übernahme anderer Magistraturen unfähig mache, die übrigen Beschränkungen aber bestehen ließ, erregte wie jede halbe Maßregel nur den Unwillen beider Parteien. Die Partei der reformistisch gesinnten Konservativen, die durch Cottas bald nachher (um 681 73) erfolgten frühen Tod ihr namhaftestes Haupt verlor, sank mehr und mehr in sich selbst zusammen, erdrückt zwischen den immer schroffer hervortretenden Extremen. Von diesen aber blieb die Partei der Regierung, schlecht und schlaff wie sie war, der gleich schlechten und gleich schlaffen Opposition gegenüber notwendig im Vorteil.

Aber dies der Regierung so günstige Verhältnis änderte sich, als die Differenzen zwischen ihr und denjenigen ihrer Parteigänger sich schärfer entwickelten, deren Hoffnungen über den Ehrensitz in der Kurie und das aristokratische Landhaus hinaus zu höheren Zielen sich erhoben. In erster Linie stand hier Gnaeus Pompeius. Wohl war er Sullaner; aber es ist früher gezeigt worden, wie wenig er unter seiner eigenen Partei sich zurechtfand, wie von der Nobilität, als deren Schild und Schwert er offiziell angesehen ward, ihn doch seine Herkunft, seine Vergangenheit, seine Hoffnungen immer wieder schieden. Der schon klaffende Riß hatte während der spanischen Feldzüge (677 – 683 77 – 71) des Feldherrn sich unheilbar erweitert. Unwillig und halb gezwungen hatte die Regierung ihn ihrem rechten Vertreter Quintus Metellus als Kollegen beigesellt; und wieder er beschuldigte, wohl nicht ohne Grund, den Senat durch die sei es liederliche, sei es böswillige Vernachlässigung der spanischen Armeen deren Niederlagen verschuldet und das Schicksal der Expedition aufs Spiel gesetzt zu haben. Nun kam er zurück als Sieger über die heimlichen Feinde, an der Spitze eines krieggewohnten und ihm ganz ergebenen Heeres, für seine Soldaten Landanweisungen begehrend, für sich Triumph und Konsulat. Die letzteren Forderungen verstießen gegen das Gesetz. Pompeius, obwohl mehrmals schon außerordentlicherweise mit der höchsten Amtsgewalt bekleidet, hatte noch kein ordentliches Amt, nicht einmal die Quästur verwaltet und war noch immer nicht Mitglied des Rats; und Konsul durfte nur werden, wer die Staffel der geringeren ordentlichen Ämter durchmessen, triumphieren nur, wer die ordentliche höchste Gewalt bekleidet hatte. Der Senat war gesetzlich befugt, ihn, wenn er um das Konsulat sich bewarb, auf die Bewerbung um die Quästur zu verweisen, wenn er den Triumph erbat, ihn an den großen Scipio zu erinnern, der unter gleichen Verhältnissen auf den Triumph über das eroberte Spanien verzichtet hatte. Nicht minder hing Pompeius hinsichtlich der seinen Soldaten versprochenen Domänen verfassungsmäßig ab von dem guten Willen des Senats. Indes wenn auch der Senat, wie es bei seiner Schwächlichkeit auch im Grollen wohl denkbar war, hierin nachgab und dem siegreichen Feldherrn für den gegen die Demokratenchefs geleisteten Schergendienst den Triumph, das Konsulat, die Landanweisungen zugestand, so war doch eine ehrenvolle Annulierung in ratsherrlicher Indolenz unter der langen Reihe der friedlichen senatorischen Imperatoren das günstigste Los, das die Oligarchie dem sechsunddreißigjährigen Feldherrn zu bereiten vermochte. Das, wonach sein Herz eigentlich verlangte, das Kommando im Mithradatischen Krieg freiwillig vom Senat bewilligt zu erhalten, konnte er nimmer erwarten; in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse durfte die Oligarchie es nicht zulassen, daß er den afrikanischen und europäischen noch die Trophäen des dritten Weltteils hinzufügte; die im Osten reichlich und bequem zu pflückenden Lorbeeren blieben auf jeden Fall der reinen Aristokratie vorbehalten. Wenn aber der gefeierte General bei der herrschenden Oligarchie seine Rechnung nicht fand, so blieb – da zu einer rein persönlichen, ausgesprochen dynastischen Politik weder die Zeit reif noch Pompeius‘ ganze Persönlichkeit geeignet war – ihm keine andere Wahl, als mit der Demokratie gemeinschaftliche Sache zu machen. An die Sullanische Verfassung band ihn kein eigenes Interesse: er konnte seine persönlichen Zwecke auch innerhalb einer mehr demokratischen ebensogut, wo nicht besser verfolgen. Dagegen fand er alles, was er brauchte, bei der demokratischen Partei. Die tätigen und gewandten Führer derselben waren bereit und fähig, dem unbehilflichen und etwas hölzernen Helden die mühselige politische Leitung abzunehmen, und doch viel zu gering, um dem gefeierten Feldherrn die erste Rolle und namentlich die militärische Oberleitung streitig machen zu können oder auch nur zu wollen. Selbst der weitaus bedeutendste von ihnen, Gaius Caesar, war nichts als ein junger Mensch, dem seine dreisten Fahrten und eleganten Schulden weit mehr als seine feurige demokratische Beredsamkeit einen Namen gemacht hatten und der sich sehr geehrt fühlen mußte, wenn der weltberühmte Imperator ihm gestattete, sein politischer Adjutant zu sein. Die Popularität, auf welche Menschen wie Pompeius, von größeren Ansprüchen als Fähigkeiten, mehr Wert zu legen pflegen, als sie gern sich selber gestehen, mußte im höchsten Maß dem jungen General zuteil werden, dessen Übertritt der fast aussichtslosen Sache der Demokratie den Sieg gab. Der von ihm für sich und seine Soldaten geforderte Siegeslohn fand damit sich von selbst. Überhaupt schien, wenn die Oligarchie gestürzt ward, bei dem gänzlichen Mangel anderer ansehnlicher Oppositionshäupter es nur von Pompeius abzuhängen, seine weitere Stellung sich selber zu bestimmen. Daran aber konnte kaum gezweifelt werden, daß der Übertritt des Feldherrn der soeben siegreich aus Spanien heimkehrenden und noch in Italien geschlossen zusammenstehenden Armee zur Oppositionspartei den Sturz der bestehenden Ordnung zur Folge haben müsse. Regierung und Opposition waren gleich machtlos; sowie die letztere nicht mehr bloß mit Deklamationen focht, sondern das Schwert eines siegreichen Feldherrn bereit war, ihren Anforderungen Nachdruck zu geben, war die Regierung jedenfalls, vielleicht sogar ohne Kampf, überwunden.

So sah man von beiden Seiten sich gedrängt zur Koalition. An persönlichen Abneigungen mochte es dort wie hier nicht fehlen; der siegreiche Feldherr konnte die Straßenredner unmöglich lieben, diese noch weniger den Henker des Carbo und Brutus mit Freuden als ihr Haupt begrüßen; indes die politische Notwendigkeit überwog, wenigstens für den Augenblick, jedes sittliche Bedenken.

Aber die Demokraten und Pompeius schlossen ihren Bund nicht allein. Auch Marcus Crassus war in einer ähnlichen Lage wie Pompeius. Obwohl Sullaner wie dieser, war doch auch seine Politik, ganz wie die des Pompeius, vor allem eine persönliche und durchaus nicht die der herrschenden Oligarchie; und auch er stand jetzt in Italien an der Spitze einer starken und siegreichen Armee, mit welcher er soeben den Sklavenaufstand niedergeschlagen hatte. Es blieb ihm die Wahl entweder gegen die Koalition mit der Oligarchie sich zu verbinden oder in die Koalition einzutreten; er wählte den letzteren und damit ohne Zweifel den sichereren Weg. Bei seinem kolossalen Vermögen und seinem Einfluß auf die hauptstädtischen Klubs war er überhaupt ein schätzbarer Bundesgenosse; unter den obwaltenden Umständen aber war es ein unberechenbarer Gewinn, wenn das einzige Heer, mit welchem der Senat den Truppen des Pompeius hätte begegnen können, der angreifenden Macht sich beigesellte. Die Demokraten überdies, denen bei der Allianz mit dem übermächtigen Feldherrn nicht wohl zu Mute sein mochte, sahen nicht ungern in Marcus Crassus ihm ein Gegengewicht und vielleicht einen künftigen Rivalen zur Seite gestellt.

So kam im Sommer des Jahres 683 (71) die erste Koalition zustande zwischen der Demokratie einer- und den beiden Sullanischen Generalen Gnaeus Pompeius und Marcus Crassus andererseits. Beide machten das Parteiprogramm der Demokratie zu dem ihrigen; es ward ihnen dafür zunächst das Konsulat auf das kommende Jahr, Pompeius überdies der Triumph und die begehrten Landlose für seine Soldaten, Crassus als dem Überwinder des Spartacus wenigstens die Ehre des feierlichen Einzugs in die Hauptstadt zugesichert.

Den beiden italischen Armeen, der hohen Finanz und der Demokratie, die also zum Sturz der Sullanischen Verfassung verbündet auftraten, hatte der Senat nichts gegenüberzustellen als etwa das zweite spanische Heer unter Quintus Metellus Pius. Allein Sulla hatte richtig vorhergesagt, daß das, was er getan, nicht zum zweitenmal geschehen werde: Metellus, durchaus nicht geneigt, sich in einen Bürgerkrieg zu verwickeln, hatte sofort nach Überschreitung der Alpen seine Soldaten entlassen. So blieb der Oligarchie nichts übrig, als in das Unvermeidliche sich zu fügen. Der Rat bewilligte die für Konsulat und Triumph erforderlichen Dispensationen; Pompeius und Crassus wurden, ohne Widerstand zu finden, zu Konsuln für das Jahr 684 (70) gewählt, während ihre Heere, angeblich in Erwartung des Triumphs, vor der Stadt lagerten. Noch vor dem Antritt seines Amtes bekannte sodann Pompeius in einer von dem Volkstribun Marcus Lollius Palicanus abgehaltenen Volksversammlung sich öffentlich und förmlich zu dem demokratischen Programm. Die Verfassungsänderung war damit im Prinzip entschieden.

Allen Ernstes ging man nun an die Beseitigung der sullanischen Institutionen. Vor allen Dingen erhielt das tribunizische Amt wieder seine frühere Geltung. Pompeius selbst als Konsul brachte das Gesetz ein, das den Volkstribunen ihre althergebrachten Befugnisse, namentlich auch die legislatorische Initiative zurückgab – freilich eine seltsame Gabe aus der Hand des Mannes, der mehr als irgend ein Lebender dazu getan hatte, der Gemeinde ihre alten Privilegien zu entreißen.

Hinsichtlich der Geschworenenstellung wurde die Bestimmung Sullas, daß das Verzeichnis der Senatoren als Geschworenenliste dienen solle, zwar abgeschafft; allein es kam doch keineswegs zu einer einfachen Wiederherstellung der Gracchischen Rittergerichte. Künftig, so bestimmte das neue Aurelische Gesetz, sollten die Geschworenenkollegien zu einem Dritteil aus Senatoren bestehen, zu zwei Dritteilen aus Männern vom Ritterzensus, von welchen letzteren wieder die Hälfte die Distriktvorsteherschaft oder das sogenannte Kassentribunat bekleidet haben mußte. Es war diese letzte Neuerung eine weitere, den Demokraten gemachte Konzession, indem hiernach wenigstens der dritte Teil der Kriminalgeschworenen mittelbar hervorging aus den Wahlen der Distrikte. Wenn dagegen der Senat nicht gänzlich aus den Gerichten verdrängt ward, so ist die Ursache davon wahrscheinlich teils in Crassus‘ Beziehungen zum Senat zu suchen, teils in dem Beitritt der senatorischen Mittelpartei zu der Koalition, mit dem es auch wohl zusammenhängt, daß der Bruder ihres kürzlich verstorbenen Führers, der Prätor Lucius Cotta, dies Gesetz einbrachte.

Nicht weniger wichtig war die Beseitigung der für Asien von Sulla festgesetzten Steuerordnung, welche vermutlich ebenfalls in dies Jahr fällt; der damalige Statthalter Asiens, Lucius Lucullus, ward angewiesen, das von Gaius Gracchus eingeführte Verpachtungssystem wiederherzustellen und damit der hohen Finanz diese wichtige Geld- und Machtquelle zurückzugeben.

Endlich ward die Zensur wieder ins Leben gerufen. Die Wahlen dafür, welche die neuen Konsuln kurz nach Antritt ihres Amtes anberaumten, fielen, in offenbarer Verhöhnung des Senats, auf die beiden Konsuln des Jahres 682 (73) Gnaeus Lentulus Clodianus und Lucius Genius, die wegen ihrer elenden Kriegführung gegen Spartacus durch den Senat vom Kommando entfernt worden waren. Es begreift sich, daß diese Männer alle Mittel, die ihr wichtiges und ernstes Amt ihnen zu Gebote stellte, in Bewegung setzten, um den neuen Machthabern zu huldigen und den Senat zu ärgern. Mindestens der achte Teil des Senats, vierundsechzig Senatoren, eine bis dahin unerhörte Zahl, wurden von der Liste gestrichen, darunter der einst von Gaius Caesar ohne Erfolg angeklagte Gaius Antonius und der Konsul des Jahres 683 (71), Publius Lentulus Sura, vermutlich auch nicht wenige der verhaßten Kreaturen Sullas.

So war man mit dem Jahre 684 (70) wieder im wesentlichen zurückgekommen auf die vor der sullanischen Restauration bestehenden Ordnungen. Wieder ward die hauptstädtische Menge aus der Staatskasse, das heißt von den Provinzen gespeist; wieder gab die tribunizische Gewalt jedem Demagogen den gesetzlichen Freibrief, die staatlichen Ordnungen zu verkehren; wieder erhob der Geldadel, als Inhaber der Steuerpachtungen und der gerichtlichen Kontrolle über die Statthalter, neben der Regierung sein Haupt so mächtig wie nur je zuvor; wieder zitterte der Senat vor dem Wahrspruch der Geschworenen des Ritterstandes und vor der zensorischen Rüge. Das System Sullas, das auf die politische Vernichtung der kaufmännischen Aristokratie und der Demagogie die Alleinherrschaft der Nobilität begründet hatte, war damit vollständig über den Haufen geworfen. Abgesehen von einzelnen untergeordneten Bestimmungen, deren Abschaffung erst später nachgeholt wurde, wie zum Beispiel der Zurückgabe des Selbstergänzungsrechts an die Priesterkollegien, blieb von Sullas allgemeinen Ordnungen hiernach nichts übrig als teils die Konzessionen, die er selbst der Opposition zu machen notwendig gefunden hatte, wie namentlich die Anerkennung des römischen Bürgerrechts der sämtlichen Italiker, teils Verfügungen ohne schroffe Parteitendenz, an denen deshalb auch die verständigen Demokraten nichts auszusetzen fanden, wie unter anderm die Beschränkung der Freigelassenen, die Regulierung der Beamtenkompetenzen und die materiellen Änderungen im Kriminalrecht.

Weniger einig als über diese prinzipiellen war die Koalition hinsichtlich der persönlichen Fragen, die eine solche Staatsumwälzung anregte. Begreiflicherweise ließen die Demokraten sich nicht genügen mit der allgemeinen Anerkennung ihres Programms, sondern auch sie forderten jetzt eine Restauration in ihrem Sinn: Wiederherstellung des Andenkens ihrer Toten, Bestrafung der Mörder, Rückberufung der Geächteten aus der Verbannung, Aufhebung der auf ihren Kindern lastenden politischen Zurücksetzung, Rückgabe der von Sulla eingezogenen Güter, Schadenersatz aus dem Vermögen der Erben und Gehilfen des Diktators. Es waren das allerdings die logischen Konsequenzen, die aus einem reinen Sieg der Demokratie sich ergaben; allein der Sieg der Koalition von 683 (71) war doch weit entfernt, ein solcher zu sein. Die Demokratie gab dazu den Namen und das Programm, die übergetretenen Offiziere aber, vor allen Pompeius, die Macht und die Vollendung; und nun- und nimmermehr konnten diese zu einer Reaktion ihre Zustimmung geben, die nicht bloß die bestehenden Verhältnisse bis in ihre Grundfesten erschüttert, sondern auch schließlich sich gegen sie selbst gewandt haben würde – war es doch noch im frischen Andenken, welcher Männer Blut Pompeius vergossen, wie Crassus zu seinem ugeheuren Vermögen den Grund gelegt hatte. So ist es wohl erklärlich, aber auch zugleich bezeichnend für die Schwäche der Demokratie, daß die Koalition von 683 (71) nicht das geringste tat, um den Demokraten Rache oder auch nur Rehabilitation zu gewähren. Die nachträgliche Einforderung aller der für erstandene konfiszierte Güter noch rückständigen oder auch von Sulla den Käufern erlassenen Kaufgelder, welche der Zensor Lentulus in einem besonderen Erlaß feststellte, kann kaum als Ausnahme bezeichnet werden; denn wenn auch nicht wenige Sullaner dadurch in ihren persönlichen Interessen empfindlich verletzt wurden, so war doch die Maßregel selbst wesentlich eine Bestätigung der von Sulla vorgenommenen Konfiskationen.

Sullas Werk war also zerstört; aber was nun werden sollte, war damit viel mehr in Frage gestellt als entschieden. Die Koalition, einzig zusammengehalten durch den gemeinschaftlichen Zweck, das Restaurationswerk zu beseitigen, löste sich, als dieser erreicht war, wenn nicht förmlich, doch der Sache nach von selber auf; für die Frage aber, wohin nun zunächst das Schwergewicht der Macht fallen sollte, schien sich eine ebenso rasche wie gewaltsame Lösung vorzubereiten. Die Heere des Pompeius und Crassus lagerten immer noch vor den Toren der Stadt. Jener hatte zwar zugesagt, nach dem Triumph (am letzten Dezember 683 71) seine Soldaten zu verabschieden; allein zunächst war es unterblieben, um unter dem Druck, den das spanische Heer vor der Hauptstadt auf diese und den Senat ausübte, die Staatsumwälzung ungestört zu vollenden, was denn in gleicher Weise auch auf die Armee des Crassus Anwendung fand. Diese Ursache bestand jetzt nicht mehr; aber dennoch unterblieb die Auflösung der Heere. Die Dinge nahmen die Wendung, als werde einer der beiden mit der Demokratie alliierten Feldherrn die Militärdiktatur ergreifen und Oligarchen und Demokraten in dieselben Fesseln schlagen. Dieser eine aber konnte nur Pompeius sein. Von Anfang an hatte Crassus in der Koalition eine untergeordnete Rolle gespielt; er hatte sich antragen müssen und verdankte selbst seine Wahl zum Konsulat hauptsächlich Pompeius‘ stolzer Verwendung. Weitaus der stärkere, war Pompeius offenbar der Herr der Situation; wenn er zugriff, so schien er werden zu müssen, als was ihn der Instinkt der Menge schon jetzt bezeichnete: der unumschränkte Gebieter des mächtigsten Staates der zivilisierten Welt. Schon drängte sich die ganze Masse der Servilen um den künftigen Monarchen. Schon suchten die schwächeren Gegner eine letzte Hilfe in einer neuen Koalition; Crassus, voll alter und neuer Eifersucht auf den jüngeren, so durchaus ihn überflügelnden Rivalen, näherte sich dem Senat und versuchte, durch beispiellose Spenden die hauptstädtische Menge an sich zu fesseln – als ob die durch Crassus selbst mitgebrochene Oligarchie und der ewig undankbare Pöbel vermocht haben würden, gegen die Veteranen der spanischen Armee irgendwelchen Schutz zu gewähren. Einen Augenblick schien es, als würde es vor den Toren der Hauptstadt zwischen den Heeren des Pompeius und Crassus zur Schlacht kommen.

Allein diese Katastrophe wandten die Demokraten durch ihre Einsicht und ihre Geschmeidigkeit ab. Auch ihrer Partei lag, ebenwie dem Senat und Crassus, alles daran, daß Pompeius nicht die Diktatur ergriff; aber mit richtigerer Einsicht in ihre eigene Schwäche und in den Charakter des mächtigen Gegners versuchten ihre Führer den Weg der Güte. Pompeius fehlte keine Bedingung, um nach der Krone zu greifen, als die erste von allen: der eigene königliche Mut. Wir haben den Mann früher geschildert, mit seinem Streben, zugleich loyaler Republikaner und Herr von Rom zu sein, mit seiner Unklarheit und Willenlosigkeit, mit seiner, unter dem Pochen auf selbständige Entschlüsse sich verbergenden Lenksamkeit. Es war dies die erste große Probe, auf die das Verhängnis ihn stellte; er hat sie nicht bestanden. Der Vorwand, unter dem Pompeius die Entlassung der Armee verweigerte, war, daß er Crassus mißtraute und darum nicht mit der Entlassung der Soldaten den Anfang machen könne. Die Demokraten bestimmten den Crassus, hierin entgegenkommende Schritte zu tun, dem Kollegen vor aller Augen zum Frieden die Hand zu bieten; öffentlich und insgeheim bestürmten sie diesen, daß er zu dem zwiefachen Verdienst, den Feind besiegt und die Parteien versöhnt zu haben, noch das dritte und größte fügen möge, dem Vaterland den inneren Frieden zu erhalten und das drohende Schreckbild des Bürgerkrieges zu bannen. Was nur immer auf einen eitlen, ungewandten, unsicheren Mann zu wirken vermag, alle Schmeichelkünste der Diplomatie, aller theatralische Apparat patriotischer Begeisterung wurde in Bewegung gesetzt, um das ersehnte Ziel zu erreichen; was aber die Hauptsache war, die Dinge hatten durch Crassus‘ rechtzeitige Nachgiebigkeit sich so gestaltet, daß Pompeius nur die Wahl blieb, entweder geradezu als Tyrann von Rom auf- oder zurückzutreten. So gab er endlich nach und willigte in die Entlassung der Truppen. Das Kommando im Mithradatischen Krieg, das zu erlangen er ohne Zweifel hoffte, als er sich für 684 (70) zum Konsul hatte wählen lassen, konnte er jetzt nicht wünschen, da mit dem Feldzuge von 683 (71) Lucullus diesen Krieg in der Tat beendigt zu haben schien; die vom Senat in Gemäßheit des Sempronischen Gesetzes ihm angewiesene Konsularprovinz anzunehmen, hielt er unter seiner Würde, und Crassus folgte darin seinem Beispiel. So zog Pompeius, als er nach Entlassung seiner Soldaten am letzten Tage des Jahres 684 (70) sein Konsulat niederlegte, sich zunächst ganz von den öffentlichen Geschäften zurück und erklärte, fortan als einfacher Bürger in stiller Muße leben zu wollen. Er hatte sich so gestellt, daß er nach der Krone greifen mußte und, da er dies nicht wollte, ihm keine Rolle übrig blieb als die nichtige eines resignierenden Thronkandidaten.

Der Rücktritt des Mannes, dem nach der Lage der Sachen die erste Stelle zukam, vom politischen Schauplatz führte zunächst ungefähr dieselbe Parteistellung wieder herbei, wie wir sie in der gracchischen und marianischen Epoche fanden. Sulla hatte dem Senat das Regiment nur befestigt, nicht gegeben; so blieb denn auch dasselbe, nachdem die von Sulla errichteten Bollwerke wieder gefallen waren, nichtsdestoweniger zunächst dem Senat, während die Verfassung freilich, mit der er regierte, im wesentlichen die wiederhergestellte Gracchische, durchdrungen war von einem der Oligarchie feindlichen Geiste. Die Demokratie hatte die Wiederherstellung der Gracchischen Verfassung bewirkt; aber ohne einen neuen Gracchus war diese ein Körper ohne Haupt, und daß weder Pompeius noch Crassus auf die Dauer dieses Haupt sein konnten, war an sich klar und durch die letzten Vorgänge noch deutlicher dargetan worden. So mußte die demokratische Opposition in Ermangelung eines Führers, der geradezu das Ruder in die Hand genommen hätte, vorläufig sich begnügen, die Regierung auf Schritt und Tritt zu hemmen und zu ärgern. Zwischen der Oligarchie aber und der Demokratie erhob sich zu neuem Ansehen die Kapitalistenpartei, welche in der jüngsten Krise mit der letzteren gemeinschaftliche Sache gemacht hatte, die aber zu sich hinüberzuziehen und an ihr ein Gegengewicht gegen die Demokratie zu gewinnen, die Oligarchen jetzt eifrig bemüht waren. Also von beiden Seiten umworben, säumten die Geldherren nicht, ihre vorteilhafte Lage sich zunutze zu machen und das einzige ihrer früheren Privilegien, das sie noch nicht zurückerlangt hatten, die dem Ritterstand reservierten vierzehn Bänke im Theater, sich jetzt (687 67) durch Volksschluß wiedergeben zu lassen. Im ganzen näherten sie, ohne mit der Demokratie schroff zu brechen, doch wieder mehr sich der Regierung. Schon die Beziehungen des Senats zu Crassus und seiner Klientel gehören in diesen Zusammenhang; hauptsächlich aber scheint ein besseres Verhältnis zwischen dem Senat und der Geldaristokratie dadurch hergestellt zu sein, daß dieser dem tüchtigsten unter den senatorischen Offizieren, Lucius Lucullus, auf Andringen der von demselben schwer gekränkten Kapitalisten im Jahre 686 (68) die Verwaltung der für diese so wichtigen Provinz Asia abnahm.

Während aber die hauptstädtischen Faktionen miteinander des gewohnten Haders pflegten, bei dem denn doch nimmermehr eine eigentliche Entscheidung herauskommen konnte, gingen im Osten die Ereignisse ihren verhängnisvollen Gang, wie wir ihn früher geschildert haben, und sie waren es, die den zögernden Verlauf der hauptstädtischen Politik zur Krise drängten. Der Land- wie der Seekrieg hatte dort die ungünstigste Wendung genommen. Im Anfang des Jahres 687 (67) war die pontische Armee der Römer aufgerieben, die armenische in voller Auflösung auf dem Rückzug, alle Eroberungen verloren, das Meer ausschließlich in der Gewalt der Piraten, die Kornpreise in Italien dadurch so in die Höhe getrieben, daß man eine förmliche Hungersnot befürchtete. Wohl hatten, wie wir sahen, die Fehler der Feldherren, namentlich die völlige Unfähigkeit des Admirals Marcus Antonius und die Verwegenheit des sonst tüchtigen Lucius Lucullus, diesen Notstand zum Teil verschuldet, wohl auch die Demokratie durch ihre Wühlereien zu der Auflösung des armenischen Heeres wesentlich beigetragen. Aber natürlich ward die Regierung jetzt für alles, was sie und was andere verdorben hatten, in Bausch und Bogen verantwortlich gemacht und die grollende hungrige Menge verlangte nur eine Gelegenheit, um mit dem Senat abzurechnen.

Es war eine entscheidende Krise. Die Oligarchie, wie auch herabgewürdigt und entwaffnet, war noch nicht gestürzt, dennoch lag die Führung der öffentlichen Angelegenheiten in den Händen des Senats; sie stürzte aber, wenn die Gegner diese, daß heißt namentlich die Oberleitung der militärischen Angelegenheiten, sich selber zueigneten; und jetzt war dies möglich. Wenn jetzt Vorschläge über eine andere und bessere Führung des Land- und Seekrieges an die Komitien gebracht wurden, so war bei der Stimmung der Bürgerschaft der Senat voraussichtlich nicht imstande, deren Durchsetzung zu verhindern; und eine Intervention der Bürgerschaft in diesen höchsten Verwaltungsfragen war tatsächlich die Absetzung des Senats und die Übertragung der Leitung des Staats an die Führer der Opposition. Wieder einmal brachte die Verkettung der Dinge die Entscheidung in die Hände des Pompeius. Seit mehr als zwei Jahren lebte der gefeierte Feldherr als Privatmann in der Hauptstadt. Seine Stimme ward im Rathaus wie auf dem Markte selten vernommen; dort war er nicht gern gesehen und ohne entscheidenden Einfluß, hier scheute er sich vor dem stürmischen Treiben der Parteien. Wenn er aber sich zeigte, geschah es mit dem vollständigen Hofstaat seiner vornehmen und geringen Klienten, und eben seine feierliche Zurückgezogenheit imponierte der Menge. Wenn er, an dem der volle Glanz seiner ungemeinen Erfolge noch unvermindert haftete, jetzt sich erbot, nach dem Osten abzugehen, so ward er ohne Zweifel mit aller von ihm selbst geforderten militärischen und politischen Machtvollkommenheit von der Bürgerschaft bereitwillig bekleidet. Für die Oligarchie, die in der politischen Militärdiktatur ihren sicheren Ruin, in Pompeius selbst seit der Koalition von 683 (71) ihren verhaßtesten Feind sah, war dies ein vernichtender Schlag; aber auch der demokratischen Partei konnte dabei nicht wohl zu Mute sein. So wünschenswert es ihr an sich sein mußte, dem Regiment des Senats ein Ende zu machen, so war es doch, wenn es in dieser Weise geschah, weit weniger ein Sieg ihrer Partei als ein persönlicher ihres übermächtigen Verbündeten. Leicht konnte in diesem der demokratischen Partei ein weit gefährlicherer Gegner aufstehen als der Senat war. Die wenige Jahre zuvor durch die Entlassung der spanischen Armee und Pompeius‘ Rücktritt glücklich vermiedene Gefahr kehrte in verstärktem Maße wieder, wenn Pompeius jetzt an die Spitze der Armeen des Ostens trat.

Diesmal indes griff Pompeius zu oder ließ es wenigstens geschehen, daß andere für ihn zugriffen. Es wurden im Jahre 687 (67) zwei Gesetzvorschläge eingebracht, von denen der eine außer der längst von der Demokratie geforderten Entlassung der ausgedienten Soldaten der asiatischen Armee die Abberufung des Oberfeldherrn derselben, Lucius Lucullus, und dessen Ersetzung durch einen der Konsuln des laufenden Jahres, Gaius Piso oder Manius Glabrio, verfügte, der zweite den sieben Jahre zuvor zur Reinigung der Meere von den Piraten vom Senat selbst aufgestellten Plan wiederaufnahm und erweiterte. Ein einziger, vom Senat aus den Konsularen zu bezeichnender Feldherr sollte bestellt werden, um zur See auf dem gesamten Mittelländischen Meer von den Säulen des Herkules bis an die pontische und syrische Küste ausschließlich, zu Lande über sämtliche Küsten bis zehn deutsche Meilen landeinwärts mit den betreffenden römischen Statthaltern konkurrierend, den Oberbefehl zu übernehmen. Auf drei Jahre hinaus war demselben das Amt gesichert. Ihn umgab ein Generalstab, wie Rom noch keinen gesehen hatte, von fünfundzwanzig Unterbefehlshabern senatorischen Standes, alle mit prätorischen Insignien und prätorischer Gewalt bekleidet, und von zwei Unterschatzmeistern mit quästorischen Befugnissen, sie alle erlesen durch den ausschließlichen Willen des höchstkommandierenden Feldherrn. Es ward demselben gestattet, bis zu 120000 Mann Fußvolk, 5000 Reitern, 500 Kriegsschiffen aufzustellen und zu dem Ende über die Mittel der Provinzen und Klientelstaaten unbeschränkt zu verfügen; überdies wurden die vorhandenen Kriegsschiffe und eine ansehnliche Truppenzahl sofort ihm überwiesen. Die Kassen des Staats in der Hauptstadt wie in den Provinzen sowie die der abhängigen Gemeinden sollten ihm unbeschränkt zu Gebot stehen und trotz der peinlichen Finanznot sofort aus der Staatskasse ihm eine Summe von 11 Mill. Talern (144 Mill. Sesterzen) ausgezahlt werden.

Es leuchtet ein, daß durch diese Gesetzentwürfe, namentlich durch den die Expedition gegen die Piraten betreffenden, das Regiment des Senats über den Haufen fiel. Wohl waren die von der Bürgerschaft ernannten ordentlichen höchsten Beamten von selbst die rechten Feldherren der Gemeinde und bedurften auch die außerordentlichen Beamten, um Feldherren sein zu können, wenigstens nach strengem Recht der Bestätigung durch die Bürgerschaft; aber auf die Besetzung der einzelnen Kommandos stand der Gemeinde verfassungsmäßig kein Einfluß zu und nur entweder auf Antrag des Senats oder doch auf Antrag eines an sich zum Feldherrnamt berechtigten Beamten hatten bisher die Komitien hin und wieder hier sich eingemischt und auch die spezielle Kompetenz vergeben. Hierin stand vielmehr, seit es einen römischen Freistaat gab, dem Senate das tatsächlich entscheidende Wort zu und es war diese seine Befugnis im Laufe der Zeit zu endgültiger Anerkennung gelangt. Freilich hatte die Demokratie auch hieran schon gerüttelt; allein selbst in dem bedenklichsten der bisher vorgekommenen Fälle, bei der Übertragung des afrikanischen Kommandos auf Gaius Marius 647 (107), war nur ein verfassungsmäßig zum Feldherrnamt überhaupt berechtigter Beamter durch den Schluß der Bürgerschaft mit einer bestimmten Expedition beauftragt worden. Aber jetzt sollte die Bürgerschaft einen beliebigen Privatmann nicht bloß mit der außerordentlichen höchsten Amtsgewalt ausstatten, sondern auch mit einer bestimmt von ihr normierten Kompetenz. Daß der Senat diesen Mann aus der Reihe der Konsulare zu erkiesen hatte, war eine Milderung nur in der Form; denn die Auswahl blieb demselben nur deshalb überlassen, weil es eben eine Wahl nicht war und der stürmisch aufgeregten Menge gegenüber der Senat den Oberbefehl der Meere und Küsten schlechterdings keinem andern übertragen konnte als einzig dem Pompeius. Aber bedenklicher noch als diese prinzipielle Negierung der Senatsherrschaft war die tatsächliche Aufhebung derselben durch die Einrichtung eines Amtes von fast unbeschränkter militärischer und finanzieller Kompetenz. Während das Feldherrnamt sonst auf eine einjährige Frist, auf eine bestimmte Provinz, auf streng zugemessene militärische und finanzielle Hilfsmittel beschränkt war, war dem neuen außerordentlichen Amt von vornherein eine dreijährige Dauer gesichert, die natürlich weitere Verlängerung nicht ausschloß, war demselben der größte Teil der sämtlichen Provinzen, ja sogar Italien selbst, das sonst von militärischer Amtsgewalt frei war, untergeordnet, waren ihm die Soldaten, Schiffe, Kassen des Staats fast unbeschränkt zur Verfügung gestellt. Selbst der eben erwähnte uralte Fundamentalsatz des republikanisch-römischen Staatsrechts, daß die höchste militärische und bürgerliche Amtsgewalt nicht ohne Mitwirkung der Bürgerschaft vergeben werden könne, ward zu Gunsten des neuen Oberfeldherrn gebrochen: indem das Gesetz den fünfundzwanzig Adjutanten, die er sich ernennen würde, im voraus prätorischen Rang und prätorische Befugnisse verlieh16, wurde das höchste Amt des republikanischen Rom einem neu geschaffenen untergeordnet, für das den geeigneten Namen zu finden der Zukunft überlassen blieb, das aber der Sache nach schon jetzt die Monarchie in sich enthielt. Es war eine vollständige Umwälzung der bestehenden Ordnung, zu der mit diesem Gesetzvorschlag der Grund gelegt ward.

Diese Maßregeln eines Mannes, der soeben noch von seiner Halbheit und Schwäche so auffallende Beweise geliefert hatte, befremden durch ihre durchgreifende Energie. Indes ist es doch wohl erklärlich, daß Pompeius diesmal entschlossener verfuhr als während seines Konsulats. Handelte es sich doch nicht darum, sofort als Monarch aufzutreten, sondern die Monarchie zunächst nur vorzubereiten durch eine militärische Ausnahmemaßregel, die, wie revolutionär sie ihrem Wesen nach war, doch noch in den Formen der bestehenden Verfassung vollzogen werden konnte, und die zunächst Pompeius dem alten Ziel seiner Wünsche, dem Kommando gegen Mithradates und Tigranes, entgegenführte. Auch gewichtige Zweckmäßigkeitsgründe sprachen für die Emanzipation der Militärgewalt von dem Senat. Pompeius konnte nicht vergessen haben, daß ein nach ganz gleichen Grundsätzen angelegter Plan zur Unterdrückung der Piraterie wenige Jahre zuvor an der verkehrten Ausführung durch den Senat gescheitert, daß der Ausgang des Spanischen Krieges durch die Vernachlässigung der Heere von sehen des Senats und dessen unverständige Finanzwirtschaft aufs höchste gefährdet worden war; er konnte nicht übersehen, wie die große Majorität der Aristokratie gegen ihn, den abtrünnigen Sullaner, gesinnt war und welchem Schicksal er entgegenging, wenn er als Feldherr der Regierung mit der gewöhnlichen Kompetenz sich nach dem Osten senden ließ. Begreiflich ist es daher, daß er als die erste Bedingung der Übernahme des Kommandos eine vom Senat unabhängige Stellung bezeichnete und daß die Bürgerschaft bereitwillig darauf einging. Es ist ferner in hohem Grade wahrscheinlich, daß Pompeius diesmal durch seine Umgebungen, die über sein Zurückweichen vor zwei Jahren vermutlich nicht wenig ungehalten waren, zu rascherem Handeln fortgerissen ward. Die Gesetzvorschläge über Lucullus‘ Abberufung und die Expedition gegen die Piraten wurden eingebracht von dem Volkstribun Aulus Gabinius, einem ökonomisch und sittlich ruinierten Mann, aber einem gewandten Unterhändler, dreisten Redner und tapferen Soldaten. So wenig ernsthaft auch Pompeius‘ Beteuerungen gemeint waren, daß er den Oberbefehl in dem Seeräuberkriege durchaus nicht wünsche und nur nach häuslicher Ruhe sich sehne, so ist doch davon wahrscheinlich so viel wahr, daß der kecke und bewegliche Klient, der mit Pompeius und dessen engerem Kreise im vertraulichen Verkehr stand und die Verhältnisse und die Menschen vollkommen durchschaute, seinem kurzsichtigen und unbehilflichen Patron die Entscheidung zum guten Teil über den Kopf nahm.

Die Demokratie, wie unzufrieden ihre Führer im stillen sein mochten, konnte doch nicht wohl öffentlich gegen den Gesetzvorschlag auftreten. Die Durchbringung desselben hätte sie allem Anschein nach auf keinen Fall zu hindern vermocht, wohl aber durch Opposition dagegen mit Pompeius offen gebrochen und dadurch ihn genötigt, entweder der Oligarchie sich zu nähern oder gar beiden Parteien gegenüber seine persönliche Politik rücksichtslos zu verfolgen. Es blieb den Demokraten nichts übrig, als ihre Allianz mit Pompeius, wie hohl sie immer war, auch diesmal noch festzuhalten und diese Gelegenheit zu ergreifen, um wenigstens den Senat endlich definitiv zu stürzen und aus der Opposition in das Regiment überzugehen, das weitere aber der Zukunft und Pompeius‘ wohlbekannter Charakterschwäche zu überlassen. So unterstützten denn auch ihre Führer, der Prätor Lucius Quinctius, derselbe, der sieben Jahre zuvor für die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt tätig gewesen war, und der gewesene Quästor Gaius Caesar, die Gabinischen Gesetzvorschläge.

Die privilegierten Klassen waren außer sich, nicht bloß die Nobilität, sondern ebenso die kaufmännische Aristokratie, die auch ihre Sonderrechte durch eine so gründliche Staatsumwälzung bedroht fühlte und wieder einmal ihren rechten Patron in dem Senat erkannte. Als der Tribun Gabinius nach Einbringung seiner Anträge in der Kurie sich zeigte, fehlte nicht viel, daß ihn die Väter der Stadt mit eigenen Händen erwürgt hätten, ohne in ihrem Eifer zu erwägen, wie höchst unvorteilhaft diese Methode zu argumentieren für sie ablaufen wußte. Der Tribun entkam auf den Markt und rief die Menge auf, das Rathaus zu stürmen, als eben zur rechten Zeit noch die Sitzung aufgehoben ward. Der Konsul Piso, der Vorkämpfer der Oligarchie, der zufällig der Menge in die Hände geriet, wäre sicher ein Opfer der Volkswut geworden, wenn nicht Gabinius darüber zugekommen wäre und, um nicht durch unzeitige Freveltaten seinen gewissen Erfolg auf das Spiel zu stellen, den Konsul befreit hätte. Inzwischen blieb die Erbitterung der Menge unvermindert und fand stets neue Nahrung in den hohen Getreidepreisen und den zahlreichen, zum Teil ganz tollen Gerüchten, zum Beispiel, daß Lucius Lucullus die ihm zur Kriegführung überwiesenen Gelder teils in Rom zinsbar belegt, teils mit denselben den Prätor Quinctius der Sache des Volkes abwendig zu machen versucht habe; daß der Senat dem „zweiten Romulus“, wie man Pompeius nannte, das Schicksal des ersten17 zu bereiten gedenke und dergleichen mehr. Darüber kam der Tag der Abstimmung heran. Kopf an Kopf gedrängt stand die Menge auf dem Markte; bis an die Dächer hinauf waren alle Gebäude, von wo aus die Rednerbühne gesehen werden konnte, mit Menschen bedeckt. Sämtliche Kollegen des Gabinius hatten dem Senat die Interzession zugesagt: aber den brausenden Wogen der Massen gegenüber schwiegen alle bis auf den einzigen Lucius Trebellius, der sich und dem Senat geschworen hatte, lieber zu sterben als zu weichen. Als dieser interzedierte, unterbrach Gabinius sogleich die Abstimmung über seine Gesetzvorschläge und beantragte bei dem versammelten Volke, mit seinem widerstrebenden Kollegen zu verfahren, wie einst auf Tiberius Gracchus‘ Antrag mit dem Octavius verfahren war, das heißt ihn sofort seines Amtes zu entsetzen. Es ward abgestimmt und die Verlesung der Stimmtafeln begann; als die ersten siebzehn Bezirke, die zur Verlesung kamen, sich für den Antrag erklärten und die nächste bejahende Stimme demselben die Majorität gab, zog Trebellius, seines Eides vergessend, die Interzession kleinmütig zurück. Vergeblich bemühte sich darauf der Tribun Otho zu bewirken, daß wenigstens die Kollegialität gewahrt und statt eines Feldherrn zwei gewählt werden möchten; vergeblich strengte der hochbejahrte Quintus Catulus, der geachtetste Mann im Senat, seine letzten Kräfte dafür an, daß die Unterfeldherren nicht vom Oberfeldherrn ernannt, sondern vom Volke gewählt werden möchten. Otho konnte in dem Toben der Menge nicht einmal sich Gehör verschaffen; dem Catulus verschaffte es Gabinius‘ wohlberechnete Zuvorkommenheit, und in ehrerbietigem Schweigen horchte die Menge den Worten des Greises; aber verloren waren sie darum nicht minder. Die Vorschläge wurden nicht bloß mit allen Klauseln unverändert zum Gesetz erhoben, sondern auch, was Pompeius noch im einzelnen nachträglich begehrte, augenblicklich und vollständig bewilligt.

Mit hochgespannten Hoffnungen sah man die beiden Feldherren Pompeius und Glabrio nach ihren Bestimmungsorten abgehen. Die Kornpreise waren nach dem Durchgehen der Gabinischen Gesetze sogleich auf die gewöhnlichen Sätze zurückgegangen: ein Beweis, welche Hoffnungen an die großartige Expedition und ihren ruhmvollen Führer sich knüpften. Sie wurden, wie später erzählt wird, nicht bloß erfüllt, sondern übertroffen; in drei Monaten war die Säuberung der Meere vollendet. Seit dem Hannibalischen Kriege war die römische Regierung nicht mit solcher Energie nach außen hin aufgetreten; gegenüber der schlaffen und unfähigen Verwaltung der Oligarchie hatte die demokratisch-militärische Opposition auf das glänzendste ihren Beruf dargetan, die Zügel des Staates zu fassen und zu lenken. Die ebenso unpatriotischen wie ungeschickten Versuche des Konsuls Piso, den Anstalten des Pompeius zu Unterdrückung der Piraterie im Narbonensischen Gallien kleinliche Hindernisse in den Weg zu legen, steigerten nur die Erbitterung der Bürgerschaft gegen die Oligarchie und ihren Enthusiasmus für Pompeius: einzig dessen persönliche Dazwischenkunft verhinderte es, daß die Volksversammlung nicht den Konsul kurzweg seines Amtes entsetzte.

Inzwischen war auf dem asiatischen Festland die Verwirrung nur noch ärger geworden. Glabrio, der an Lucullus‘ Stelle den Oberbefehl gegen Mithradates und Tigranes übernehmen sollte, war in Vorderasien sitzen geblieben und hatte zwar durch verschiedene Proklamationen die Soldaten gegen Lucullus aufgestiftet, aber den Oberbefehl nicht angetreten, so daß Lucullus denselben fortzuführen gezwungen war. Gegen Mithradates war natürlich nichts geschehen; die pontischen Reiter plünderten ungescheut und ungestraft in Bithynien und Kappadokien. Durch den Piratenkrieg war auch Pompeius veranlaßt worden, sich mit seinem Heer nach Kleinasien zu begeben; nichts lag näher, als ihm den Oberbefehl in dem Pontisch-Armenischen Kriege zu übertragen, dem er selbst seit langem nachtrachtete. Allein die demokratische Partei in Rom teilte begreiflicherweise die Wünsche ihres Generals nicht und hütete sich wohl, hierin die Initiative zu ergreifen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sie den Gabinius bestimmt hatte, den Mithradatischen und den Piratenkrieg nicht von vornherein beide zugleich an Pompeius, sondern den ersteren an Glabrio zu übertragen; auf keinen Fall konnte sie jetzt die Ausnahmestellung des schon allzumächtigen Feldherrn steigern und verewigen wollen. Auch Pompeius selbst verhielt nach seiner Gewohnheit sich leidend, und vielleicht wäre er in der Tat nach Vollziehung des ihm gewordenen Auftrags heimgekehrt, wenn nicht ein allen Parteien unerwarteter Zwischenfall eingetreten wäre. Ein gewisser Gaius Manilius, ein ganz nichtiger und unbedeutender Mensch, hatte als Volkstribun es durch seine ungeschickten Gesetzvorschläge zugleich mit der Aristokratie und der Demokratie verdorben. In der Hoffnung, sich unter des mächtigen Feldherrn Flügeln zu bergen, wenn er diesem verschaffe, was er, wie jedem bekannt war, sehnlichst wünschte, aber doch zu fordern sich nicht getraute, stellte er bei der Bürgerschaft den Antrag, die Statthalter Glabrio aus Bithynien und Pontos, Marcius Rex aus Kilikien abzuberufen und diese Ämter sowie die Führung des Krieges im Osten, wie es scheint ohne bestimmte Zeitgrenze und jedenfalls mit der freiesten Befugnis, Frieden und Bündnis zu schließen, dem Prokonsul der Meere und Küsten neben seinem bisherigen Amte zu übertragen (Anfang 688 66). Es zeigte hier sich einmal recht deutlich, wie zerrüttet die römische Verfassungsmaschine war, seit die gesetzgeberische Gewalt teils der Initiative nach jedem noch so geringen Demagogen, und der Beschlußfassung nach der unmündigen Menge in die Hände gegeben, teils auf die wichtigsten Verwaltungsfragen erstreckt war. Der Manilische Vorschlag war keiner der politischen Parteien genehm; dennoch fand er kaum irgendwo ernstlichen Widerstand. Die demokratischen Führer konnten aus denselben Gründen, die sie gezwungen hatten, das Gabinische Gesetz sich gefallen zu lassen, es nicht wagen, sich dem Manilischen geradezu zu widersetzen; sie verschlossen ihren Unwillen und ihre Besorgnisse in sich und redeten öffentlich für den Feldherrn der Demokratie. Die gemäßigten Optimaten erklärten sich für den Manilischen Antrag, weil nach dem Gabinischen Gesetz der Widerstand auf jeden Fall vergeblich war und weiterblickende Männer schon damals erkannten, daß es für den Senat die richtige Politik sei, sich Pompeius möglichst zu nähern und bei dem vorauszusehenden Bruch zwischen ihm und den Demokraten ihn auf ihre Seite hinüberzuziehen. Die Männer des Schaukelsystems endlich segneten den Tag, wo auch sie eine Meinung zu haben scheinen und entschieden auftreten konnten, ohne es mit einer der Parteien zu verderben – es ist bezeichnend, daß mit der Verteidigung des Manilischen Antrags Marcus Cicero zuerst die politische Rednerbühne betrat. Einzig die strengen Optimaten, Quintus Catulus an der Spitze, zeigten wenigstens Farbe und sprachen gegen den Vorschlag. Natürlich wurde derselbe mit einer an Einstimmigkeit grenzenden Majorität zum Gesetz erhoben. Pompeius erhielt dadurch zu seiner früheren ausgedehnten Machtfülle noch die Verwaltung der wichtigsten kleinasiatischen Provinzen, so daß es innerhalb der weiten römischen Grenzen kaum noch einen Fleck Landes gab, der ihm nicht gehorcht hätte, und die Führung eines Krieges, von dem man, wie von Alexanders Heerfahrt, wohl sagen konnte, wo und wann er begann, aber nicht, wo und wann er enden möge. Niemals noch, seit Rom stand, war solche Gewalt in den Händen eines einzigen Mannes vereinigt gewesen.

Die Gabinisch-Manilischen Anträge beendigten den Kampf zwischen dem Senat und der Popularpartei, den vor siebenundsechzig Jahren die Sempronischen Gesetze begonnen hatten. Wie die Sempronischen Gesetze die Revolutionspartei zunächst als politische Opposition konstituierten, so ging dieselbe mit den Gabinisch-Manilischen über aus der Opposition in das Regiment; und wie es ein großartiger Moment gewesen war, als mit der vergeblichen Interzession des Octavius der erste Bruch in die bestehende Verfassung geschah, so war es nicht minder ein bedeutungsvoller Augenblick, als mit dem Rücktritt des Trebellius das letzte Bollwerk des senatorischen Regiments zusammenbrach. Auf beiden Seiten ward dies wohl empfunden, und selbst die schlaffen Senatorenseelen zuckten auf in diesem Todeskampf; aber es lief doch die Verfassungsfehde in gar anderer und gar viel kümmerlicherer Weise zu Ende, als sie angefangen hatte. Ein in jedem Sinne adliger Jüngling hatte die Revolution eröffnet; sie ward beschlossen durch kecke Intriganten und Demagogen des niedrigsten Schlages. Wenn andererseits die Optimaten mit gemessenem Widerstand, mit einer selbst auf den verlorenen Posten ernst ausharrenden Verteidigung begonnen hatten, so endigten sie mit der Initiative zum Faustrecht, mit großwortiger Schwäche und jämmerlichem Eidbruch. Es war nun erreicht, was einst als ein kecker Traum erschienen war: der Senat hatte aufgehört zu regieren. Aber wenn die einzelnen alten Männer, die noch die ersten Stürme der Revolution gesehen, die Worte der Gracchen vernommen hatten, jene Zeit und diese miteinander verglichen, so fanden sie alles inzwischen verändert, Landschaft und Bürgerschaft, Staatsrecht und Kriegszucht, Leben und Sitte, und wohl mochte schmerzlich lächeln, wer die Ideale der Gracchenzeit mit ihrer Realisierung verglich. Indes solche Betrachtungen gehörten der Vergangenheit an. Für jetzt und wohl auch für die Zukunft war der Sturz der Aristokratie eine vollendete Tatsache. Die Oligarchen glichen einer vollständig aufgelösten Armee, deren versprengte Haufen noch eine andere Heeresmasse verstärken, aber selbst nirgends mehr das Feld halten, noch auf eigene Rechnung ein Gefecht wagen konnten. Aber indem der alte Kampf zu Ende lief, bereitete zugleich ein neuer sich vor: der Kampf der beiden bisher zum Sturz der aristokratischen Staatsverfassung verbündeten Mächte, der bürgerlich demokratischen Opposition und der immer übermächtiger aufstrebenden Militärgewalt. Pompeius‘ Ausnahmestellung war schon nach dem Gabinischen, um wie viel mehr nach dem Manilischen Gesetz mit einer republikanischen Staatsordnung unvereinbar. Er war, wie schon damals die Gegner mit gutem Grund sagten, durch das Gabinische Gesetz nicht zum Admiral, sondern zum Reichsregenten bestellt worden; nicht mit Unrecht heißt er einem mit den östlichen Verhältnissen vertrauten Griechen „König der Könige“. Wenn er dereinst, wiederum siegreich und mit erhöhtem Ruhm, mit gefüllten Kassen, mit schlagfertigen und ergebenen Truppen zurückkehrt aus dem Osten, nach der Krone die Hand ausstreckte – wer wollte dann ihm in den Arm fallen? Sollte etwa gegen den ersten Feldherrn seiner Zeit und seine erprobten Legionen der Konsular Quintus Catulus die Senatoren aufbieten? Oder der designierte Ädil Gaius Caesar die städtische Menge, deren Augen er soeben an seinen dreihundertzwanzig silbergerüsteten Fechterpaaren geweidet hatte? Bald werde man, rief Catulus, abermals auf die Felsen des Kapitols flüchten müssen, um die Freiheit zu retten. Es war nicht die Schuld des Propheten, wenn der Sturm nicht, wie er meinte, von Osten kam, sondern das Schicksal, buchstäblicher als er selbst es ahnte seine Worte erfüllend, das vernichtende Unwetter wenige Jahre später aus dem Keltenland heranführte.

  1. Die außerordentliche Amtsgewalt (pro consule, pro praetore, pro quaestore) konnte nach römischem Staatsrecht in dreifacher Weise entstehen. Entweder ging sie hervor aus dem für die nichtstädtische Amtstätigkeit geltenden Grundsatz, daß das Amt bis zu dem gesetzlichen Endtermin, die Amtsgewalt aber bis zum Eintreffen des Nachfolgers fortdauert, was der älteste, einfachste und häufigste Fall ist. Oder sie entstand auf dem Wege, daß die beikommenden Organe, namentlich die Komitien, in späterer Zeit auch wohl der Senat, einen nicht in der Verfassung vorgesehenen Oberbeamten ernannten, indem dieser zwar sonst dem ordentlichen Beamten gleichstand, aber doch zum Kennzeichen der Außerordentlichkeit seines Amtes sich nur „an Prätors“ oder „an Konsuls Statt“ nannte. Hierher gehören auch die in ordentlichem Wege zu Quästoren ernannten, dann aber außerordentlicherweise mit prätorischer oder gar konsularischer Amtsgewalt ausgestatteten Beamten (quaestores pro praetore oder pro consule), in welcher Eigenschaft zum Beispiel Publius Lentulus Marcellinus 679 (73) nach Kyrene (Sall. hist. 2, 39 Dietsch), Gnaeus Piso 689 (65) nach dem Diesseitigen Spanien (Sall. Cat. 19), Cato 696 (58) nach Kypros (Vell. 2, 45) gingen. Oder endlich es beruht die außerordentliche Amtsgewalt auf dem Mandierungsrecht des höchsten Beamten. Derselbe ist, wenn er seinen Amtsbezirk verläßt oder sonst behindert ist, sein Amt zu versehen, befugt, einen seiner Leute zu seinem Stellvertreter zu ernennen, welcher dann legatus pro praetore (Sall. Iug. 36-38) oder wenn die Wahl auf den Quästor fällt, quaestor pro praetore (Sall. Iug. 103) heißt. In gleicher Weise ist er befugt, wenn er keinen Quästor hat, dessen Geschäfte durch einen seines Gefolges versehen zu lassen, welcher dann legatus pro quaestore heißt und mit diesem Namen wohl zuerst auf den makedonischen Tetradrachmen des Sura, Unterbefehlshabers des Statthalters von Makedonien 665-667 (89-87) begegnet. Das aber ist dem Wesen der Mandierung zuwider und darum nach älterem Staatsrecht unzulässig, daß der höchste Beamte, ohne in seiner Funktionierung gehindert zu sein, gleich bei Antritt seines Amtes von vornherein einen oder mehrere seiner Untergebenen mit höchster Amtsgewalt ausstattet; und insofern sind die legati pro praetore des Prokonsuls Pompeius eine Neuerung und schon denen gleichartig, die in der Kaiserzeit eine so große Rolle spielen.
  2. Der Sage nach ward König Romulus von den Senatoren in Stücke zerrissen.

4. Kapitel


4. Kapitel

Pompeius und der Osten

Wir haben früher gesehen, wie trostlos im Osten zu Lande und zur See die Angelegenheiten Roms standen, als im Anfang des Jahres 687 (67) Pompeius zunächst die Führung des Krieges gegen die Piraten mit beinahe unumschränkter Machtvollkommenheit übernahm. Er begann damit, das ungeheure ihm überwiesene Gebiet in dreizehn Bezirke zu teilen und jeden derselben einem seiner Unterfeldherren zu überweisen, um daselbst Schiffe und Mannschaften zu rüsten, die Küsten abzusuchen und die Piratenboote aufzubringen oder einem der Kollegen ins Garn zu jagen. Er selbst ging mit dem besten Teil der vorhandenen Kriegsschiffe, unter denen auch diesmal die rhodischen sich auszeichneten, früh im Jahr in See und reinigte zunächst die sizilischen, afrikanischen und sardischen Gewässer, um vor allem die Getreidezufuhr aus diesen Provinzen nach Italien wieder in Gang zu bringen. Für die Säuberung der spanischen und gallischen Küsten sorgten inzwischen die Unterfeldherren. Es war bei dieser Gelegenheit, daß der Konsul Gaius Piso von Rom aus die Aushebungen zu hemmen versuchte, welche Pompeius‘ Legat Marcus Pomponius kraft des Gabinischen Gesetzes in der Provinz Narbo veranstaltete – ein unkluges Beginnen, dem zu steuern und zugleich die gerechte Erbitterung der Menge gegen den Konsul in den gesetzlichen Schranken zu halten Pompeius vorübergehend wieder in Rom erschien. Als nach vierzig Tagen im westlichen Becken des Mittelmeers die Schiffahrt überall freigemacht war, ging Pompeius mit seinen sechzig besten Fahrzeugen weiter in das östliche Meer, zunächst nach dem Ur- und Hauptsitz der Piraterie, den lykischen und kilikischen Gewässern. Auf die Kunde von dem Herannahen der römischen Flotte verschwanden nicht bloß die Piratenkähne überall von der offenen See; auch die starken lykischen Festen Antikragos und Kragos ergaben sich, ohne ernstlichen Widerstand zu leisten. Mehr noch als die Furcht öffnete Pompeius‘ wohlberechnete Milde die Tore dieser schwer zugänglichen Seeburgen. Seine Vorgänger hatten jeden gefangenen Seeräuber ans Kreuz heften lassen; er gab ohne Bedenken allen Quartier und behandelte namentlich die auf den genommenen Piratenbooten vorgefundenen gemeinen Ruderer mit ungewohnter Nachsicht. Nur die kühnen kilikischen Seekönige wagten einen Versuch, wenigstens ihre eigenen Gewässer mit den Waffen gegen die Römer zu behaupten: nachdem sie ihre Kinder und Frauen und ihre reichen Schätze in die Bergschlösser des Taurus geflüchtet hatten, erwarteten sie die römische Flotte an der Westgrenze Kilikiens, auf der Höhe von Korakesion. Aber Pompeius‘ wohlbemannte und mit allem Kriegszeug wohlversehene Schiffe erfochten hier einen vollständigen Sieg. Ohne weiteres Hindernis landete er darauf und begann die Bergschlösser der Korsaren zu stürmen und zu brechen, während er fortfuhr, ihnen selbst als Preis der Unterwerfung Freiheit und Leben zu bieten. Bald gab die große Menge es auf, in ihren Burgen und Bergen einen hoffnungslosen Krieg fortzusetzen und bequemte sich zur Ergebung. Neunundvierzig Tage nachdem Pompeius in der östlichen See erschienen, war Kilikien unterworfen und der Krieg zu Ende. Die rasche Überwältigung der Piraterie war eine große Erleichterung, aber keine großartige Tat: mit den Hilfsmitteln des römischen Staates, die in verschwenderischem Maße waren aufgeboten worden, konnten die Korsaren so wenig sich messen als die vereinigten Diebesbanden einer großen Stadt mit einer wohlorganisierten Polizei. Es war naiv, eine solche Razzia als einen Sieg zu feiern. Aber verglichen mit dem langjährigen Bestehen und der grenzenlosen, täglich weiter um sich greifenden Ausdehnung des Übels ist es erklärlich, daß die überraschend schnelle Überwältigung der gefürchteten Piraten auf das Publikum den gewaltigsten Eindruck machte; um so mehr, da dies die erste Probe des in einer Hand zentralisierten Regiments war und die Parteien gespannt darauf harrten, ob es verstehen werde, besser als das kollegialische zu regieren. Gegen 400 Schiffe und Boote, darunter 90 eigentliche Kriegsfahrzeuge, wurden teils von Pompeius genommen, teils ihm ausgeliefert; im ganzen sollen an 1300 Piratenfahrzeuge zugrunde gerichtet und außerdem die reichgefüllten Arsenale und Zeughäuser der Flibustier in Flammen aufgegangen sein. Von den Seeräubern waren gegen 10000 umgekommen, über 20000 dem Sieger lebend in die Hände gefallen, wogegen Publius Clodius, der Flottenführer der in Kilikien stehenden römischen Armee, und eine Menge anderer von den Piraten weggeführter, zum Teil daheim längst tot geglaubter Individuen durch Pompeius ihre Freiheit wiedererlangten. Im Sommer 687 (67), drei Monate nach dem Beginn des Feldzugs, gingen Handel und Wandel wieder ihren gewohnten Gang und anstatt der früheren Hungersnot herrschte in Italien Überfluß.

Ein verdrießliches Zwischenspiel auf der Insel Kreta trübte indes einigermaßen diesen erfreulichen Erfolg der römischen Waffen. Dort stand schon im zweiten Jahre Quintus Metellus, beschäftigt, die im wesentlichen bereits bewirkte Unterwerfung der Insel zu vollenden, als Pompeius in den östlichen Gewässern erschien. Eine Kollision lag nahe, denn nach dem Gabinischen Gesetz erstreckte sich Pompeius‘ Kommando konkurrierend mit dem des Metellus auf die ganze Ianggestreckte, aber nirgends über zwanzig deutsche Meilen breite Insel; doch war Pompeius so rücksichtsvoll, sie keinem seiner Unterbefehlshaber zu überweisen. Allein die noch widerstrebenden kretischen Gemeinden, die ihre unterworfenen Landsleute von Metellus mit der grausamsten Strenge zur Verantwortung hatten ziehen sehen und dagegen die milden Bedingungen vernahmen, welche Pompeius den ihm sich ergebenden Ortschaften des südlichen Kleinasiens zu stellen pflegte, zogen es vor, ihre Gesamtunterwerfung an Pompeius einzugeben, der sie auch in Pamphylien, wo er eben sich befand, von ihren Gesandten entgegennahm und ihnen seinen Legaten Lucius Octavius mitgab, um Metellus den Abschluß der Verträge anzuzeigen und die Städte zu übernehmen. Kollegialisch war dies Verfahren freilich nicht; allein das formelle Recht war durchaus auf seiten des Pompeius und Metellus im offenbarsten Unrecht, wenn er, den Vertrag der Städte mit Pompeius vollständig ignorierend, dieselben als feindliche zu behandeln fortfuhr. Vergeblich protestierte Octavius; vergeblich rief er, da er selbst ohne Truppen gekommen war, aus Achaia den dort stehenden Unterfeldherrn des Pompeius, Lucius Sisenna, herbei; Metellus, weder um Octavius noch um Sisenna sich bekümmernd, belagerte Eleutherna und nahm Lappa mit Sturm, wo Octavius selbst gefangengenommen und beschimpft entlassen, die mit ihm gefangenen Kreter aber dem Henker überliefert wurden. So kam es zu förmlichen Gefechten zwischen Sisennas Truppen, an deren Spitze nach dieses Führers Tode sich Octavius stellte, und denen des Metellus; selbst als jene nach Achaia zurückkommandiert worden waren, setzte Octavius in Gemeinschaft mit dem Kreter Aristion den Krieg fort, und Hierapytna, wo beide sich hielten, ward von Metellus erst nach der hartnäckigsten Gegenwehr bezwungen.

In der Tat hatte damit der eifrige Optimat Metellus gegen den Oberfeldherrn der Demokratie auf eigene Hand den förmlichen Bürgerkrieg begonnen; es zeugt von der unbeschreiblichen Zerrüttung der römischen Staatsverhältnisse, daß diese Auftritte zu nichts weiterem führten als zu einer bitteren Korrespondenz zwischen den beiden Generalen, die ein paar Jahre darauf wieder friedlich und sogar „freundschaftlich“ nebeneinander im Senate saßen.

Pompeius stand während dieser Vorgänge in Kilikien; für das nächste Jahr, wie es schien, einen Feldzug vorbereitend gegen die Kretenser oder vielmehr gegen Metellus, in der Tat des Winkes harrend, der ihn zum Eingreifen in die gründlich verwirrten Angelegenheiten des kleinasiatischen Kontinents berief. Was von Lucullus‘ Heer nach den erlittenen Verlusten und der Verabschiedung der Fimbrianischen Legionen noch übrig war, stand untätig am oberen Halys in der Landschaft der Trokmer an der Grenze des pontischen Gebietes. Den Oberbefehl führte einstweilen immer noch Lucullus, da sein ernannter Nachfolger Glabrio fortfuhr, in Vorderasien zu säumen. Ebenso untätig lagerten in Kilikien die drei von Quintus Marcius Rex befehligten Legionen. Das pontische Gebiet war wieder ganz in der Gewalt des Königs Mithradates, der die einzelnen Männer und Gemeinden, die den Römern sich angeschlossen hatten, wie zum Beispiel die Stadt Eupatoria, mit grausamer Strenge ihren Abfall büßen ließ. Zu einer ernsten Offensive gegen die Römer schritten die Könige des Ostens nicht, sei es daß sie überhaupt nicht in ihrem Plan lag, sei es, was auch behauptet wurde, daß Pompeius‘ Landung in Kilikien die Könige Mithradates und Tigranes bewog, von weiterem Vorgehen abzustehen. Rascher als Pompeius selbst es gehofft haben mochte, verwirklichte das Manilische Gesetz seine im stillen genährten Hoffnungen: Glabrio und Rex wurden abberufen und die Statthalterschaften Pontus-Bithynien und Kilikien mit den darin stehenden Truppen sowie die Führung des Pontisch-Armenischen Krieges nebst der Befugnis, mit den Dynasten des Ostens nach eigenem Gutdünken Krieg, Frieden und Bündnis zu machen, auf Pompeius übertragen. Über die Aussicht auf so reiche Ehren und Spolien vergaß Pompeius gern die Züchtigung eines übellaunigen und seine sparsamen Lorbeerblätter neidisch hütenden Optimaten, gab den Zug gegen Kreta und die fernere Verfolgung der Korsaren auf und bestimmte auch seine Flotte zu Unterstützung des Angriffs, den er gegen die Könige von Pontus und Armenien entwarf. Doch verlor er über diesen Landkrieg die immer wieder aufs neue ihr Haupt erhebende Piraterie keineswegs völlig aus den Augen. Ehe er Asien verließ (691 63), ließ er daselbst noch die nötigen Schiffe gegen die Korsaren instand setzen; auf seinen Antrag ward das Jahr darauf für Italien eine ähnliche Maßregel beschlossen und die dazu nötige Summe vom Senat bewilligt. Man fuhr fort, die Küsten mit Reiterbesatzungen und kleinen Geschwadern zu decken. Wenn man auch, wie schon die später zu erwähnenden Expeditionen gegen Kypros 696 (58) und gegen Ägypten 699 (55) beweisen, der Piraterie nicht durchaus Herr ward, so hat dieselbe doch nach der Expedition des Pompeius unter allen Wechselfällen und politischen Krisen Roms niemals wieder so ihr Haupt emporheben und so völlig die Römer an der See verdrängen können, wie es unter dem Regiment der verrotteten Oligarchie geschehen war.

Die wenigen Monate, die vor dem Beginn des kleinasiatischen Feldzugs noch übrig waren, wurden von dem neuen Oberfeldherrn mit angestrengter Tätigkeit zu diplomatischen und militärischen Vorbereitungen benutzt. Es gingen Gesandte an Mithradates, mehr um zu kundschaften, als um eine ernstliche Vermittlung zu versuchen. Am pontischen Hofe hoffte man, daß der König der Parther, Phraates, durch die letzten bedeutenden Erfolge, die die Verbündeten über Rom davongetragen hatten, sich zum Eintritt in das pontisch-armenische Bündnis bestimmen lassen werde. Dem entgegenzuwirken gingen römische Boten an den Hof von Ktesiphon; und ihnen kamen die inneren Wirren zu Hilfe, die das armenische Herrscherhaus zerrissen. Des Großkönigs Tigranes gleichnamiger Sohn hatte sich gegen seinen Vater empört, sei es daß er den Tod des Greises nicht abwarten mochte, sei es daß der Argwohn desselben, der schon mehreren seiner Brüder das Leben gekostet hatte, ihn die einzige Möglichkeit der Rettung in der offenen Empörung sehen ließ. Vom Vater überwunden, hatte er mit einer Anzahl vornehmer Armenier sich an den Hof des Arsakiden geflüchtet und intrigierte dort gegen den Vater. Es war zum Teil sein Werk, daß Phraates den Lohn für den Beitritt, der ihm von beiden Seiten geboten ward, den gesicherten Besitz Mesopotamiens, lieber aus der Hand der Römer nahm und den mit Lucullus hinsichtlich der Euphratgrenze abgeschlossenen Vertrag mit Pompeius erneuerte, ja sogar darauf einging, mit den Römern gemeinschaftlich gegen Armenien zu operieren. Noch größeren Schaden als durch die Förderung des Bündnisses zwischen den Römern und den Parthern tat der jüngere Tigranes den Königen Tigranes und Mithradates dadurch, daß sein Aufstand eine Spaltung zwischen ihnen selbst hervorrief. Der Großkönig näherte im geheimen den Argwohn, daß der Schwiegervater bei der Schilderhebung seines Enkels – die Mutter des jüngeren Tigranes, Kleopatra, war die Tochter Mithradats – die Hand im Spiel gehabt haben möge, und wenn es auch darüber nicht zum offenen Bruch kam, so war doch das gute Einverständnis der beiden Monarchen eben in dem Augenblick gestört, wo sie desselben am dringendsten bedurften.

Zugleich betrieb Pompeius die Rüstungen mit Energie. Die asiatischen Bundes- und Klientelgemeinden wurden gemahnt, den vertragsmäßigen Zuzug zu leisten. Öffentliche Anschläge forderten die entlassenen Veteranen der Legionen Fimbrias auf, als Freiwillige wieder unter die Fahnen zurückzutreten, und durch große Versprechungen und den Namen des Pompeius ließ ein ansehnlicher Teil derselben in der Tat sich bestimmen, dem Rufe zu folgen. Die gesamte Streitmacht, die unter Pompeius‘ Befehlen vereinigt war, mochte mit Ausschluß der Hilfsvölker sich auf etwa 40-50000 Mann belaufen18.

Im Frühjahr 688 (66) begab sich Pompeius nach Galatien, um den Oberbefehl über die Truppen Luculls zu übernehmen und mit ihnen in das pontische Gebiet einzurücken, wohin die kilikischen Legionen angewiesen waren zu folgen. In Danala, einer Ortschaft der Trokmer, trafen die beiden Feldherren zusammen; die Versöhnung aber, die die beiderseitigen Freunde zu bewirken gehofft hatten, ward nicht erreicht. Die einleitenden Höflichkeiten gingen bald über in bittere Erörterungen und diese in heftigen Wortwechsel; man schied verstimmter, als man gekommen war. Da Lucullus fortfuhr, gleich als wäre er noch im Amte, Ehrengeschenke zu machen und Ländereien zu verteilen, so erklärte Pompeius alle nach seinem Eintreffen von seinem Amtsvorgänger vollzogenen Handlungen für nichtig. Formell war er in seinem Recht; sittlichen Takt in der Behandlung eines verdienten und mehr als genug gekränkten Gegners durfte man bei ihm nicht suchen.

Sowie es die Jahreszeit erlaubte, überschritten die römischen Truppen die pontische Grenze. Gegen sie stand hier mit 30000 Mann zu Fuß und 3000 Reitern König Mithradates. Im Stich gelassen von seinen Verbündeten und mit verstärkter Macht und Energie von Rom angegriffen, machte er einen Versuch, Frieden zu erwirken; allein von unbedingter Unterwerfung, die Pompeius forderte, wollte er nichts hören – was konnte der unglücklichste Feldzug ihm Schlimmeres bringen? Um sein Heer, größtenteils Schützen und Reiter, nicht dem furchtbaren Stoß der römischen Linieninfanterie preiszugeben, wich er langsam vor dem Feinde zurück und nötigte die Römer, ihm auf seinen Kreuz- und Quermärschen zu folgen, wobei er, wo Gelegenheit dazu war, mit seiner überlegenen Reiterei der feindlichen standhielt und den Römern durch die Erschwerung der Verpflegung nicht geringe Drangsale bereitete. Ungeduldig gab endlich Pompeius es auf, die pontische Armee zu begleiten und ging, den König stehen lassend, daran, das Land zu unterwerfen: er rückte an den oberen Euphrat, überschritt ihn und betrat die östlichen Provinzen des Pontischen Reiches. Aber auch Mithradates folgte auf das linke Euphratufer nach, und in der Anaitischen oder Akilisenischen Landschaft angelangt, verlegte er den Römern den Weg bei der festen und mit Wasser wohl versehenen Burg Dasteira, von wo aus er mit seinen leichten Truppen das Blachfeld beherrschte. Pompeius, immer noch der kilikischen Legionen entbehrend und ohne sie nicht stark genug, um sich in dieser Lage zu behaupten, mußte über den Euphrat zurückgehen und in dem waldigen, von Felsschluchten und Tieftälern vielfach durchschnittenen Terrain des pontischen Armenien vor den Reitern und Bogenschützen des Königs Schutz suchen. Erst als die Truppen aus Kilikien eintrafen und es möglich machten, nun mit Übermacht die Offensive wiederaufzunehmen, ging Pompeius wieder vor, umschloß das Lager des Königs mit einer Postenkette von fast vier deutschen Meilen Länge und hielt ihn hier förmlich blockiert, während die römischen Detachements die Gegend weit umher durchstreiften. Die Not im pontischen Lager war groß; schon mußte die Bespannung niedergestoßen werden, endlich nach fünfundvierzigtägigem Verweilen ließ der König seine Kranken und Verwundeten, da er sie weder retten konnte, noch dem Feinde in die Hände fallen lassen wollte, durch die eigenen Leute niedermachen und brach zur Nachtzeit in möglichster Stille auf gegen Osten. Vorsichtig folgte Pompeius durch das unbekannte Land; schon näherte der Marsch sich der Grenze, die Mithradates‘ und Tigranes‘ Gebiete voneinander schied. Als der römische Feldherr erkannte, daß Mithradates nicht innerhalb seines Gebietes den Kampf zur Entscheidung zu bringen, sondern den Feind in die grenzenlosen Fernen des Ostens sich nachzuziehen gedenke, entschloß er sich, dies nicht zu gestatten. Die beiden Heere lagerten hart aneinander. Während der Mittagsrast brach das römische auf, ohne daß der Feind es bemerkte, umging ihn und besetzte die vorwärts liegenden und einen vom Feinde zu passierenden Engpaß beherrschenden Anhöhen am südlichen Ufer des Flusses Lykos (Jeschil Irmak) unweit des heutigen Enderes, da wo später Nikopolis erbaut ward. Den folgenden Morgen brachen die Pontiker in gewohnter Weise auf und, den Feind wie bisher hinter sich vermutend, schlugen sie nach zurückgelegtem Tagesmarsch ihr Lager eben in dem Tale, dessen Höhenring die Römer besetzt hatten. Plötzlich erscholl in der Stille der Nacht rings im Kreise um sie der gefürchtete Schlachtruf der Legionen und regneten von allen Seiten die Geschosse in die asiatischen Heerhaufen, in denen Soldaten und Troß, Wagen, Pferde, Kamele sich durcheinander schoben und in deren dichtem Knäuel trotz der Dunkelheit kein Geschoß fehlging. Als die Römer sich verschossen hatten, stürmten sie von den Höhen herab auf die in dem Scheine des inzwischen aufgegangen Mondes sichtbar gewordenen und fast wehrlos ihnen preisgegebenen Scharen, und was nicht von dem Eisen der Feinde fiel, ward in dem fürchterlichen Gedränge unter den Hufen und Rädern zermalmt. Es war das letzte Schlachtfeld, auf welchem der greise König mit den Römern gestritten hat. Mit drei Begleitern, zweien seiner Reiter und einer Kebse, die in Männertracht ihm zu folgen und tapfer neben ihm zu streiten gewohnt war, entrann er von dort zu der Feste Sinoria, wo sich ein Teil seiner Getreuen zu ihm fand. Er teilte seine hier aufbewahrten Schätze, 6000 Talente Goldes (11 Mill. Taler), unter sie aus, versah sie und sich mit Gift und eilte mit dem ihm gebliebenen Haufen den Euphrat hinauf, um mit seinem Verbündeten, dem Großkönig von Armenien, sich zu vereinigen.

Auch diese Hoffnung war eitel; das Bündnis, auf das vertrauend Mithradates den Weg nach Armenien einschlug, bestand damals bereits nicht mehr. Während der eben erzählten Kämpfe zwischen Mithradates und Pompeius war der Partherkönig, dem Drängen der Römer und vor allem dem des landflüchtigen armenischen Prinzen nachgebend, mit gewaffneter Hand in das Reich des Tigranes eingefallen und hatte denselben gezwungen, sich in die unzugänglichen Gebirge zurückzuziehen. Die Invasionsarmee begann sogar die Belagerung der Hauptstadt Artaxata; allein da dieselbe sich in die Länge zog, entfernte sich König Phraates mit dem größten Teil seiner Truppen, worauf Tigranes das zurückgebliebene parthische Korps und die von seinem Sohn geführten armenischen Emigranten überwältigte und in dem ganzen Reiche seine Herrschaft wiederherstellte. Begreiflicherweise indes war unter diesen Umständen der König wenig geneigt, mit den aufs neue siegreichen Römern zu schlagen, am wenigsten sich für Mithradates aufzuopfern, dem er minder traute als je, seit ihm die Meldung zugekommen war, daß sein rebellischer Sohn beabsichtige, sich zu dem Großvater zu begeben. So knüpfte er mit den Römern Unterhandlungen über einen Sonderfrieden an; aber er wartete den Abschluß des Vertrages nicht ab, um das Bündnis, das ihn an Mithradates fesselte, zu zerreißen. An der armenischen Grenze angelangt, mußte dieser vernehmen, daß der Großkönig Tigranes einen Preis von 100 Talenten (150000 Taler) auf seinen Kopf gesetzt, seine Gesandten festgenommen und sie den Römern ausgeliefert habe. König Mithradates sah sein Reich in den Händen des Feindes, seine Bundesgenossen im Begriff, mit demselben sich zu vergleichen; es war nicht möglich, den Krieg fortzusetzen; er mußte sich glücklich schätzen, wenn es ihm gelang, sich an die Ost- und Nordgestade des Schwarzen Meeres zu retten, vielleicht seinen abtrünnigen und mit den Römern in Verbindung getretenen Sohn Machares wieder aus dem Bosporanischen Reiche zu verdrängen und an der Mäotis für neue Entwürfe einen neuen Boden zu finden. So schlug er sich nordwärts. Als der König auf der Flucht die alte Grenze Kleinasiens, den Phasis, überschritten hatte, stellte Pompeius vorläufig seine Verfolgung ein; statt aber in das Quellgebiet des Euphrat zurückzukehren, wandte er sich seitwärts in das Gebiet des Araxes, um mit Tigranes ein Ende zu machen. Fast ohne Widerstand zu finden gelangte er in die Gegend von Artaxata (unweit Eriwan) und schlug drei deutsche Meilen von der Stadt sein Lager. Daselbst fand der Sohn des Großkönigs sich zu ihm, der nach dem Sturze des Vaters das armenische Diadem aus der Hand der Römer zu empfangen hoffte und darum den Abschluß des Vertrages zwischen seinem Vater und den Römern in jeder Weise zu hindern bemüht war. Der Großkönig war nur um so mehr entschlossen, den Frieden um jeden Preis zu erkaufen. Zu Pferd und ohne Purpurgewand, aber geschmückt mit der königlichen Stirnbinde und dem königlichen Turban erschien er an der Pforte des römischen Lagers und begehrte, vor den römischen Feldherrn geführt zu werden. Nachdem er hier auf Geheiß der Liktoren, wie die römische Lagerordnung es erheischte, sein Roß und sein Schwert abgegeben hatte, warf er nach Barbarenart sich dem Prokonsul zu Füßen und legte zum Zeichen der unbedingten Unterwerfung Diadem und Tiara in seine Hände. Pompeius, hocherfreut über den mühelosen Sieg, hob den gedemütigten König der Könige auf, schmückte ihn wieder mit den Abzeichen seiner Würde und diktierte den Frieden. Außer einer Zahlung von 9 Mill. Talern (6000 Talente) an die Kriegskasse und einem Geschenk an die Soldaten, wovon auf jeden einzelnen 50 Denare (15 Taler) kamen, trat der König alle gemachten Eroberungen wieder ab, nicht bloß die phönikischen, syrischen, kilikischen, kappadokischen Besitzungen, sondern auch am rechten Ufer des Euphrat Sophene und Korduene; er ward wieder beschränkt auf das eigentliche Armenien und mit seinem Großkönigtum war es von selber vorbei. In einem einzigen Feldzuge hatte Pompeius die beiden mächtigen Könige von Pontus und Armenien vollständig unterworfen. Am Anfang des Jahres 688 (66) stand kein römischer Soldat jenseits der Grenze der altrömischen Besitzungen, am Schlusse desselben irrte König Mithradates landflüchtig und ohne Heer in den Schluchten des Kaukasus und saß König Tigranes auf dem armenischen Thron nicht mehr als König der Könige, sondern als römischer Lehnfürst. Das gesamte kleinasiatische Gebiet westlich vom Euphrat gehorchte den Römern unbedingt; die siegreiche Armee nahm ihre Winterquartiere östlich von diesem Strom auf armenischem Boden, in der Landschaft vom oberen Euphrat bis an den aus welchem damals zuerst die Italiker ihre Rosse tränkten.

Aber das neue Gebiet, das die Römer hier betraten, erweckte ihnen neue Kämpfe. Unwillig sahen die tapferen Völkerschaften des mittleren und östlichen Kaukasus die fernen Okzidentalen auf ihrem Gebiet lagern. Es wohnten dort in der fruchtbaren und wasserreichen Hochebene des heutigen Georgien die Iberer, eine tapfere, wohlgeordnete, ackerbauende Nation, deren Geschlechtergaue unter ihren Ältesten das Land nach Feldgemeinschaft bestellten, ohne Sondereigentum der einzelnen Bauern. Heer und Volk waren eins; an der Spitze des Volkes standen teils die Herrengeschlechter, daraus immer der Älteste der ganzen iberischen Nation als König, der Nächstälteste als Richter und Heerführer vorstand, teils besondere Priesterfamilien, denen vornehmlich oblag, die Kunde der mit anderen Völkern geschlossenen Verträge zu bewahren und über deren Einhaltung zu wachen. Die Masse der Unfreien galten als Leibeigene des Königs. Auf einer weit niedrigeren Kulturstufe standen ihre östlichen Nachbarn, die Albaner oder Alaner, die am unteren Kur bis zum Kaspischen Meere hinab saßen. Vorwiegend ein Hirtenvolk, weideten sie, zu Fuß oder zu Pferde, ihre zahlreichen Herden auf den üppigen Wiesen des heutigen Schirwan; die wenigen Ackerfelder wurden noch mit dem alten Holzpflug ohne eiserne Schar bestellt. Münze war unbekannt und über hundert ward nicht gezählt. Jeder ihrer Stämme, deren sechsundzwanzig waren, hatten seinen eigenen Häuptling und sprach seinen besonderen Dialekt. An Zahl den Iberern weit überlegen, vermochten sich die Albaner an Tapferkeit durchaus nicht mit denselben zu messen. Die Fechtart beider Nationen war übrigens im ganzen die gleiche: sie stritten vorwiegend mit Pfeilen und leichten Wurfspießen, die sie häufig nach Indianerart aus Waldverstecken, hinter Baumstämmen hervor oder von den Baumwipfeln herab, auf den Feind entsendeten; die Albaner hatten auch zahlreiche, zum Teil nach medisch-armenischer Art mit schweren Kürassen und Schienen gepanzerte Reiter. Beide Nationen lebten auf ihren Äckern und Triften in vollkommener, seit unvordenklicher Zeit bewahrter Unabhängigkeit. Den Kaukasus scheint gleichsam die Natur selbst zwischen Europa und Asien als Damm gegen die Völkerfluten aufgerichtet zu haben: an ihm hatten einst die Waffen des Kyros wie die Alexanders ihre Grenze gefunden; jetzt schickte die tapfere Besatzung dieser Scheidewand sich an, sie auch gegen die Römer zu verteidigen. Aufgeschreckt durch die Kunde, daß der römische Oberfeldherr im nächsten Frühjahr das Gebirge zu überschreiten und den pontischen König jenseits des Kaukasus zu verfolgen beabsichtige – den Mithradates, vernahm man, überwinterte in Dioskurias (Iskuria zwischen Suchum Kale und Anaklia) am Schwarzen Meer –, überschritten zuerst die Albaner unter dem Fürsten Oroizes noch im Mittwinter 688/89 (66/65) den Kur und warfen sich auf das der Verpflegung wegen in drei größere Korps unter Quintus Metellus Celer, Lucius Flaccus und Pompeius selbst auseinander gelegte Heer. Aber Celer, den der Hauptangriff traf, hielt tapfer stand und Pompeius selbst verfolgte, nachdem er sich des gegen ihn geschickten Haufens entledigt, die auf allen Punkten geschlagenen Barbaren bis an den Kur. Der König der Iberer, Artokes, hielt sich ruhig und versprach Frieden und Freundschaft; allein Pompeius, davon benachrichtigt, daß er insgeheim rüste, um die Römer bei ihrem Marsche in den Pässen des Kaukasus zu überfallen, rückte im Frühjahr 689 (65), bevor er die Verfolgung des Mithradates wiederaufnahm, vor die beiden kaum eine halbe deutsche Meile voneinander entfernten Festungen Harmozika (Horumziche oder Armazi) und Seusamora (Tsumar), welche wenig oberhalb des heutigen Tiflis die beiden Flußtäler des Kur und seines Nebenflusses Aragua und damit die einzigen von Armenien nach Iberien führenden Pässe beherrschen. Artokes, eher er dessen sich versah, vom Feinde überrascht, brannte eiligst die Kurbrücke ab und wich unterhandelnd in das innere Land zurück. Pompeius besetzte die Festungen und folgte den Iberern auf das andere Ufer des Kur, wodurch er sie zu sofortiger Unterwerfung zu bestimmen hoffte. Artokes aber wich weiter und weiter in das innere Land zurück, und als er endlich am Fluß Peloros Halt machte, geschah es nicht, um sich zu ergeben, sondern um zu schlagen. Allein dem Anprall der Legionen standen doch die iberischen Schützen keinen Augenblick, und da Artokes auch den Peioros von den Römern überschritten sah, fügte er sich endlich den Bedingungen, die der Sieger stellte, und sandte seine Kinder als Geiseln. Pompeius marschierte jetzt, seinem früher entworfenen Plane gemäß, durch den Sarapanapaß aus dem Gebiet des Kur in das des Phasis und von da am Flusse hinab an das Schwarze Meer, wo an der kolchischen Küste die Flotte unter Servilius bereits seiner harrte. Aber es war ein unsicherer Gedanke und fast ein wesenloses Ziel, dem zuliebe man Heer und Flotte an den märchenreichen kolchischen Strand geführt hatte. Der soeben mühselig zurückgelegte Zug durch unbekannte und meist feindliche Nationen war nichts, verglichen mit dem, der noch bevorstand; und wenn es denn wirklich gelang, von der Phasismündung aus die Streitmacht nach der Krim zu führen, durch kriegerische und arme Barbarenstämme, auf unwirtlichen und unbekannten Gewässern, längs einer Küste, wo an einzelnen Stellen die Gebirge lotrecht in die See hinabfallen und es schlechterdings notwendig gewesen wäre, die Schiffe zu besteigen; wenn es gelang, diesen Zug zu vollenden, der vielleicht schwieriger war als die Heerfahrten Alexanders und Hannibals – was ward im besten Falle damit erzielt, das irgend den Mühen und Gefahren entsprach? Freilich war der Krieg nicht geendigt, solange der alte König noch unter den Lebenden war; aber wer bürgte dafür, daß es wirklich gelang, das königliche Wild zu fangen, um dessentwillen diese beispiellose Jagd angestellt werden sollte? War es nicht besser, selbst auf die Gefahr hin, daß Mithradates noch einmal die Kriegsfackel nach Kleinasien schleudere, von einer Verfolgung abzustehen, die so wenig Gewinn und so viele Gefahren verhieß? Wohl drängten den Feldherrn zahlreiche Stimmen im Heer, noch zahlreichere in der Hauptstadt, die Verfolgung unablässig und um jeden Preis fortzusetzen; aber es waren Stimmen teils tolldreister Hitzköpfe, teils derjenigen perfiden Freunde, die den allzumächtigen Imperator gern um jeden Preis von der Hauptstadt ferngehalten und ihn im Osten in unabsehbare Unternehmungen verwickelt hätten. Pompeius war ein zu erfahrener und zu bedächtiger Offizier, um im hartnäckigen Festhalten an einer so unverständigen Expedition seinen Ruhm und sein Heer auf das Spiel zu setzen; ein Aufstand der Albaner im Rücken des Heeres gab den Vorwand her, um die weitere Verfolgung des Königs aufzugeben und die Rückkehr anzuordnen. Die Flotte erhielt den Auftrag, in dem Schwarzen Meer zu kreuzen, die kleinasiatische Nordküste gegen jeden feindlichen Einfall zu decken, den Kimmerischen Bosporus aber streng zu blockieren unter Androhung der Lebensstrafe für jeden Kauffahrer, der die Blockade brechen würde. Die Landtruppen führte Pompeius nicht ohne große Beschwerden durch das kolchische und armenische Gebiet an den unteren Lauf des Kur und weiter, den Strom überschreitend, in die albanische Ebene. Mehrere Tage mußte das römische Heer in der glühenden Hitze durch dies wasserarme Blachland marschieren, ohne auf den Feind zu treffen; erst am linken Ufer des Abas (wahrscheinlich der sonst Alazonios, jetzt Alasan genannte Fluß) stellte unter Führung des Koses, Bruders des Königs Oroizes, sich die Streitmacht der Albaner den Römern entgegen; sie soll mit Einschluß des von den transkaukasischen Steppenbewohnern eingetroffenen Zuzuges 60000 Mann zu Fuß und 12000 Reiter gezählt haben. Dennoch hätte sie schwerlich den Kampf gewagt, wenn sie nicht gemeint hätte, bloß mit der römischen Reiterei fechten zu sollen; aber die Reiter waren nur vorangestellt und wie diese sich zurückzogen, zeigten sich dahinter verborgen die römischen Infanteriemassen. Nach kurzem Kampfe war das Heer der Barbaren in die Wälder versprengt, die Pompeius zu umstellen und anzuzünden befahl. Die Albaner bequemten sich hierauf, Frieden zu machen und dem Beispiele der mächtigeren Völker folgend, schlossen alle zwischen dem Kur und dem Kaspischen Meer sitzenden Stämme mit dem römischen Feldherrn Vertrag ab. Die Albaner, Iberer und überhaupt die südlich am und unter dem Kaukasus ansässigen Völkerschaften traten also wenigstens für den Augenblick in ein abhängiges Verhältnis zu Rom. Wenn dagegen auch die Völker zwischen dem Phasis und der Mäotis, Kolcher, Soaner, Heniocher, Zyger, Achäer, sogar die fernen Bastarner dem langen Verzeichnis der von Pompeius unterworfenen Nationen eingereiht wurden, so nahm man dabei offenbar es mit dem Begriff der Unterwerfung sehr wenig genau. Der Kaukasus bewährte sich abermals in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung; wie die persische und die hellenische fand auch die römische Eroberung an ihm ihre Grenze.

So blieb denn König Mithradates sich selbst und dem Verhängnis überlassen. Wie einst sein Ahnherr, der Gründer des Pontischen Staates, sein künftiges Reich zuerst betreten hatte, flüchtend vor den Häschern des Antigonos und nur von sechs Reitern begleitet, so hatte nun der Enkel die Grenzen seines Reiches wieder überschreiten und seine und seiner Väter Eroberungen mit dem Rücken ansehen müssen. Aber die Würfel des Verhängnisses hatten keinem öfter und launenhafter die höchsten Gewinste und die gewaltigsten Verluste zugeworfen als dem alten Sultan von Sinope, und rasch und unberechenbar wechseln die Geschicke im Osten. Wohl mochte Mithradates jetzt am Abend seines Lebens jeden neuen Wechselfall mit dem Gedanken hinnehmen, daß auch er nur wieder einen neuen Umschwung vorbereite und das einzig Stetige der ewige Wandel der Geschicke sei. War doch die römische Herrschaft der Orientalen im tiefsten Grunde ihres Wesens unerträglich und Mithradates selbst, im Guten wie im Bösen, der rechte Fürst des Ostens; bei der Schlaffheit des Regiments, wie der römische Senat es über die Provinzen übte, und bei dem gärenden und zum Bürgerkriege reifenden Hader der politischen Parteien in Rom konnte Mithradates, wenn es ihm glückte, seine Zeit abzuwarten, gar wohl noch zum drittenmal seine Herrschaft wiederherstellen. Darum eben, weil er hoffte und plante, solange Leben in ihm war, blieb er den Römern gefährlich, solange er lebte, als landflüchtiger Greis nicht minder wie da er mit seinen Hunderttausenden ausgezogen war, um Hellas und Makedonien den Römern zu entreißen. Der rastlose alte Mann gelangte im Jahre 689 (85) von Dioskurias unter unsäglichen Beschwerden teils zu Lande, teils zur See in das Reich von Pantikapäon, stürzte hier durch sein Ansehen und sein starkes Gefolge seinen abtrünnigen Sohn Machares vom Thron und zwang ihn, sich selber den Tod zu geben. Von hier aus versuchte er noch einmal, mit den Römern zu unterhandeln; er bat, ihm sein väterliches Reich zurückzugeben und erklärte sich bereit, die Oberhoheit Roms anzuerkennen und als Lehnfürst Zins zu entrichten. Allein Pompeius weigerte sich, dem König eine Stellung zu gewähren, in der er das alte Spiel aufs neue begonnen haben würde, und bestand darauf, daß er sich persönlich unterwerfe. Mithradates aber dachte nicht daran, sich dem Feinde in die Hände zu liefern, sondern entwarf neue und immer ausschweifendere Pläne. Mit Anspannung aller der Mittel, die seine geretteten Schätze und der Rest seiner Staaten ihm darboten, rüstete er ein neues, zum Teil aus Sklaven bestehendes Heer von 36000 Mann, das er nach römischer Art bewaffnete und einübte, und eine Kriegsflotte; dem Gerücht zufolge beabsichtigte er durch Thrakien, Makedonien und Pannonien westwärts zu ziehen, die Skythen in den sarmatischen Steppen, die Kelten an der Donau als Bundesgenossen mit sich fortzureißen und mit dieser Völkerlawine sich auf Italien zu stürzen. Man hat dies wohl großartig gefunden und den Kriegsplan des pontischen Königs mit dem Heereszug Hannibals verglichen; aber derselbe Entwurf, der in einem genialen Geiste genial ist, wird eine Torheit in einem verkehrten. Diese beabsichtigte Invasion der Orientalen in Italien war einfach lächerlich und nichts als die Ausgeburt einer ohnmächtigen phantasierenden Verzweiflung. Durch die vorsichtige Kaltblütigkeit ihres Führers blieben die Römer davor bewahrt, dem abenteuerlichen Gegner abenteuernd zu folgen und in der fernen Krim einen Angriff abzuwehren, dem, wenn er nicht in sich selber erstickte, immer noch früh genug am Fuße der Alpen begegnet ward. In der Tat, während Pompeius, ohne weiter um die Drohungen des ohnmächtigen Riesen sich zu bekümmern, das gewonnene Gebiet zu ordnen beschäftigt war, erfüllten ohne sein Zutun sich im entlegenen Norden die Geschicke des greisen Königs. Die unverhältnismäßigen Rüstungen hatten unter den Bosporanern, denen man die Häuser einriß, die Ochsen vom Pflug spannte und niederstieß, um Balken und Flechsen zum Maschinenbau zu gewinnen, die heftigste Gärung hervorgerufen. Auch die Soldaten gingen unlustig an die hoffnungslose italische Expedition. Stets war Mithradates umgeben gewesen von Argwohn und Verrat; er hatte nicht die Gabe, Liebe und Treue bei den Seinigen zu erwecken. Wie er in früheren Jahren seinen ausgezeichneten Feldherrn Archelaos genötigt hatte, im römischen Lager Schutz zu suchen, wie während der Feldzüge Luculls seine vertrautesten Offiziere Diokles, Phönix, sogar die namhaftesten römischen Emigranten zum Feind übergegangen waren, so folgte jetzt, wo sein Stern erblich und der alte, kranke, verbitterte Sultan keinem mehr als seinen Verschnittenen zugänglich war, noch rascher Abfall auf Abfall. Der Kommandant der Festung Phanagoria (auf der asiatischen Küste Kertsch gegenüber), Kastor, erhob zuerst die Fahne des Aufstandes; er proklamierte die Freiheit der Stadt und lieferte die in der Festung befindlichen Söhne Mithradats in die Hände der Römer. Während unter den bosporanischen Städten der Aufstand sich ausbreitete, Chersonesos (unweit Sevastopol), Theudosia (Kaffa) und andere sich den Phanagoriten anschlossen, ließ der König seinem Argwohn und seiner Grausamkeit den Lauf. Auf die Anzeige verächtlicher Eunuchen hin wurden seine Vertrautesten an das Kreuz geschlagen; die eigenen Söhne des Königs waren ihres Lebens am wenigsten sicher. Derjenige von ihnen, der des Vaters Liebling und wahrscheinlich von ihm zum Nachfolger bestimmt war, Pharnakes, entschloß sich und trat an die Spitze des Insurgenten. Die Häscher, welche Mithradates sandte, um ihn zu verhaften, die gegen ihn ausgeschickten Truppen gingen zu ihm über; das Korps der italischen Überläufer, vielleicht der tüchtigste unter den Mithradatischen Heerhaufen und ebendarum am wenigsten geneigt, die abenteuerliche und für die Überläufer besonders bedenkliche Expedition gegen Italien mitzumachen, erklärte sich in Masse für den Prinzen; die übrigen Heerabteilungen und die Flotte folgten dem gegebenen Beispiel. Nachdem die Landschaft und die Armee den König verlassen hatten, öffnete endlich auch die Hauptstadt Pantikapäon den Insurgenten die Tore und überlieferte ihnen den alten, in seinem Palaste eingeschlossenen König. Von der hohen Mauer seiner Burg flehte dieser den Sohn an, ihm wenigstens das Leben zu gewähren und nicht in das Blut des Vaters die Hände zu tauchen; aber die Bitte klang übel aus dem Munde eines Mannes, an dessen eigenen Händen das Blut der Mutter und das frisch vergossene seines unschuldigen Sohnes Xiphares klebte, und in seelenloser Härte und Unmenschlichkeit übertraf Pharnakes noch seinen Vater. Da es nun also zum Tode ging, so beschloß der Sultan, wenigstens zu sterben, wie er gelebt hatte: seine Frauen, seine Kebse und seine Töchter, unter diesen die jugendlichen Bräute der Könige von Ägypten und Kypros, sie alle mußten die Bitterkeit des Todes erleiden und den Giftbecher leeren, bevor auch er denselben nahm und dann, da der Trank nicht schnell genug wirkte, einem keltischen Söldner Betuitus den Nacken zum tödlichen Streiche darbot. So starb im Jahre 691 (63) Mithradates Eupator, im achtundsechzigsten Jahre seines Lebens, im siebenundfünfzigsten seiner Regierung, sechsundzwanzig Jahre nachdem er zum ersten Male gegen die Römer ins Feld gezogen war. Die Leiche, die König Pharnakes als Belegstück seiner Verdienste und seiner Loyalität an Pompeius sandte, ward auf dessen Anordnung beigesetzt in den Königsgräbern von Sinope.

Mithradates‘ Tod galt den Römern einem Siege gleich: lorbeerbekränzt, als hätten sie einen solchen zu melden, erschienen die Boten, welche dem Feldherrn die Katastrophe berichteten, im römischen Lager von Jericho. Ein großer Feind ward mit ihm zu Grabe getragen, ein größerer, als je noch in dem schlaffen Osten einer den Römern erstanden war. Instinktmäßig fühlte es die Menge; wie einst Scipio mehr noch über Hannibal als über Karthago triumphiert hatte, so wurde auch die Überwindung der zahlreichen Stämme des Ostens und des Großkönigs selbst fast vergessen über Mithradates‘ Tod, und bei Pompeius‘ feierlichem Einzug zog nichts mehr die Blicke der Menge auf sich als die Schildereien, in denen man den König Mithradates als Flüchtling sein Pferd am Zügel führen, dann ihn sterbend zwischen den Leichen seiner Töchter niedersinken sah. Wie man auch über die Eigenartigkeit des Königs urteilen mag, er ist eine bedeutende, im vollen Sinne des Wortes weltgeschichtliche Gestalt. Er war keine geniale, wahrscheinlich nicht einmal eine reichbegabte Persönlichkeit; aber er besaß die sehr respektable Gabe zu hassen, und mit diesem Hasse hat er den ungleichen Kampf gegen die übermächtigen Feinde ein halbes Jahrhundert hindurch zwar ohne Erfolg, aber mit Ehren bestanden. Bedeutungsvoller noch als durch seine Individualität ward er durch den Platz, auf den die Geschichte ihn gestellt hat. Als der Vorläufer der nationalen Reaktion des Orients gegen die Okzidentalen hat er den neuen Kampf des Ostens gegen den Westen eröffnet; und das Gefühl, daß man mit seinem Tode nicht am Ende, sondern am Anfang sei, blieb den Besiegten wie den Siegern.

Pompeius inzwischen war, nachdem er im Jahre 689 (65) mit den Völkern des Kaukasus gekriegt hatte, zurückgegangen in das Pontische Reich und bezwang daselbst die letzten noch Widerstand leistenden Schlösser, welche, um dem Räuberunwesen zu steuern, geschleift, die Schloßbrunnen durch hineingewälzte Felsblöcke unbrauchbar gemacht wurden. Von da brach er im Sommer 690 (64) nach Syrien auf, um dessen Verhältnisse zu ordnen.

Es ist schwierig, den aufgelösten Zustand, in dem die syrischen Landschaften damals sich befanden, anschaulich darzulegen. Zwar hatte infolge der Angriffe Luculls der armenische Statthalter Magadates im Jahre 685 (69), diese Provinzen geräumt, und auch die Ptolemäer, so gern sie die Versuche ihrer Vorfahren, die syrische Küste zu ihrem Reiche zu fügen, erneuert haben würden, scheuten sich doch, durch die Okkupation Syriens die römische Regierung zu reizen, um so mehr als diese noch nicht einmal für Ägypten ihren mehr als zweifelhaften Rechtstitel reguliert hatte und von den syrischen Prinzen mehrfach angegangen worden war, sie als die legitimen Erben des erloschenen Lagidenhauses anzuerkennen. Aber wenn auch die größeren Mächte sich augenblicklich sämtlich der Einmischung in die Angelegenheiten Syriens enthielten, so litt das Land doch weit mehr, als es unter einem großen Krieg hätte leiden können, durch die end- und ziellosen Fehden der Fürsten, Ritter und Städte. Die faktischen Herren im Seleukidenreich waren derzeit die Beduinen, die Juden und die Nabatäer. Die unwirtliche, quell- und baumlose Sandsteppe, die von der Arabischen Halbinsel aus bis an und über den Euphrat sich hinziehend gegen Westen bis an den syrischen Gebirgszug und seinen schmalen Küstensaum, gegen Osten bis zu den reichen Niederungen des Tigris und des unteren Euphrat reicht, diese asiatische Sahara ist die uralte Heimat der Söhne Ismaels; seit es eine Überlieferung gibt, finden wir dort den „Bedawin“, den „Sohn der Wüste“, seine Zelte schlagen und seine Kamele weiden oder auch auf seinem geschwinden Roß Jagd machen, bald auf den Stammfeind, bald auf den wandernden Handelsmann. Begünstigt früher durch König Tigranes, der sich ihrer für seine handelspolitischen Pläne bediente, nachher durch die vollständige Meisterlosigkeit in dem syrischen Lande, breiteten diese Kinder der Wüste über das nördliche Syrien sich aus; namentlich spielten diejenigen Stämme hier politisch fast die erste Rolle, die durch die Nachbarschaft der zivilisierten Syrer die ersten Anfänge einer geordneten Existenz in sich aufgenommen hatten. Die namhaftesten unter diesen Emiren waren Abgaros, der Häuptling des Araberstammes der Mardaner, den Tigranes um Edessa und Karrhä im oberen Mesopotamien angesiedelt hatte; dann westlich vom Euphrat Sampsikeramos, Emir der Araber von Hemesa (Homs) zwischen Damaskos und Antiocheia und Herr der starken Festung Arethusa; Azizos, das Haupt einer anderen, in derselben Gegend streifenden Horde; Alchaudonios, der Fürst der Rhambäer, der schon mit Lucullus sich in Verbindung gesetzt hatte, und andere mehr. Neben diesen Beduinenfürsten waren überall dreiste Gesellen aufgetreten, die es den Kindern der Wüste in dem edlen Gewerbe der Wegelagerung gleich- oder auch zuvortaten: so Ptolemaeos Mennaeos‘ Sohn, vielleicht der mächtigste unter diesen syrischen Raubrittern und einer der reichsten Männer dieser Zeit, der über das Gebiet der Ityräer – der heutigen Drusen – in den Tälern des Libanos wie an der Küste und über die nördlich vorliegende Marsyasebene mit den Städten Heliopolis (Baalbek) und Chalkis gebot und 8000 Reiter aus seiner Tasche besoldete; so Dionaysios und Kinyras, die Herren der Seestädte Tripolis (Tarablus) und Byblos (zwischen Tarablus und Beirut); so der Jude Silas in Lysias, einer Festung unweit Apameia am Orontes.

Im Süden Syriens dagegen schien der Stamm der Juden sich um diese Zeit zu einer politischen Macht konsolidieren zu wollen. Durch die fromme und kühne Verteidigung des uralten jüdischen Nationalkultus, den der nivellierende Hellenismus der syrischen Könige bedrohte, war das Geschlecht der Hasmonäer oder der Makkabi nicht bloß zum erblichen Prinzipal und allmählich zu königlichen Ehren gelangt, sondern es hatten auch die fürstlichen Hochpriester erobernd nach Norden, Osten und Süden um sich gegriffen. Als der tapfere Jannaeos Alexandros starb (675 79) erstreckte sich das Jüdische Reich gegen Süden über das ganze philistäische Gebiet bis an die ägyptische Grenze, gegen Südosten bis an die des Nabatäerreiches von Petra, von welchem Jannaeos beträchtliche Strecken am rechten Ufer des Jordan und des Toten Meeres abgerissen hatte, gegen Norden über Samaria und die Dekapolis bis zum See Genezareth; schon machte er hier Anstalt, Ptolemais (Acco) einzunehmen und die Übergriffe der Ityräer erobernd zurückzuweisen. Die Küste gehorchte den Juden vom Berg Karmel bis nach Rhinokorura mit Einschluß des wichtigen Gaza – nur Askalon war noch frei –, so daß das einst vom Meer fast abgeschnittene Gebiet der Juden jetzt mit unter den Freistätten der Piraterie aufgeführt werden konnte. Wahrscheinlich hätten, zumal da der armenische Sturm, eben als er sich den Grenzen Judäas nahte, durch Lucullus‘ Dazwischenkunft von dieser Landschaft abgewendet ward, die begabten Herrscher des Hasmonäischen Hauses ihre Waffen noch weiter getragen, wenn nicht die Machtentwicklung dieses merkwürdigen, erobernden Priesterstaates durch innere Spaltungen im Keime geknickt worden wäre. Der konfessionelle und der nationale Unabhängigkeitssinn, deren energische Vereinigung den Makkabäerstaat ins Leben gerufen hatte, traten rasch wieder aus- und sogar gegeneinander. Der jüdischen Orthodoxie oder dem sogenannten Pharisäismus genügte die freie Religionsübung, wie sie den syrischen Herrschern abgetrotzt worden war; ihr praktisches Ziel war eine von dem weltlichen Regiment wesentlich absehende, aus den Orthodoxen in aller Herren Ländern zusammengesetzte Judengemeinschaft, welche in der jedem gewissenhaften Juden obliegenden Steuer für den Tempel zu Jerusalem und in den Religionsschulen und geistlichen Gerichten ihre sichtbaren Vereinigungspunkte fand. Dieser von dem staatlichen Leben sich abwendenden, mehr und mehr in theologischer Gedankenlosigkeit und peinlichem Zeremonialdienst erstarrenden Orthodoxie gegenüber standen die Vertreter der nationalen Unabhängigkeit, erstarkt in den glücklichen Kämpfen gegen die Fremdherrschaft, vorschreitend zu dem Gedanken einer Wiederherstellung des jüdischen Staates, die Vertreter der alten großen Geschlechter, die sogenannten Sadduzäer, teils dogmatisch, indem sie nur die heiligen Bücher selber gelten ließen und den Vermächtnissen der Schriftgelehrten, das ist der kanonischen Tradition, nur Autorität, nicht Kanonizität zusprachen19; teils und vor allem politisch, indem sie anstatt des fatalistischen Zuwartens auf den starken Arm des Herrn Zebaoth das Heil der Nation erwarten lehrten von den Waffen dieser Welt und von der innerlichen und äußerlichen Stärkung des in den glorreichen Makkabäerzeiten wiederaufgerichteten Davidischen Reiches. Jene Orthodoxen fanden ihren Halt in der Priesterschaft und der Menge; sie bestritten den Hasmonäern die Legitimität ihrer Hohenpriesterschaft und fochten gegen die bösen Ketzer mit der ganzen rücksichtslosen Unversöhnlichkeit, womit die Frommen für den Besitz irdischer Güter zu streiten gewohnt sind. Die staatliche Partei dagegen stützte sich auf die von den Einflüssen des Hellenismus berührte Intelligenz, auf das Heer, in dem zahlreiche pisidische und kilikische Söldner dienten, und auf die tüchtigeren Könige, welche hier mit der Kirchengewalt rangen, ähnlich wie ein Jahrtausend später die Hohenstaufen mit dem Papsttum. Mit starker Hand hatte Jannaeos die Priesterschaft niedergehalten; unter seinen beiden Söhnen kam es (685f. 69) zu einem Bürger- und Bruderkrieg, indem die Pharisäer sich dem kräftigen Aristobulos widersetzten und versuchten, unter der nominellen Herrschaft seines Bruders, des gutmütigen und schlaffen Hyrkanos, ihre Zwecke zu erreichen. Dieser Zwist brachte nicht bloß die jüdischen Eroberungen ins Stocken, sondern gab auch auswärtigen Nationen Gelegenheit, sich einzumischen und dadurch im südlichen Syrien eine gebietende Stellung zu gewinnen. Zunächst gilt dies von den Nabatäern. Diese merkwürdige Nation ist oft mit ihren östlichen Nachbarn, den schweifenden Arabern, zusammengeworfen worden, aber näher als den eigentlichen Kindern Ismaels ist sie dem aramäischen Zweige verwandt. Dieser aramäische oder, nach der Benennung der Okzidentalen, syrische Stamm muß von seinen ältesten Sitzen um Babylon, wahrscheinlich des Handels wegen, in sehr früher Zeit eine Kolonie an die Nordspitze des Arabischen Meerbusens ausgeführt haben: dies sind die Nabatäer auf der Sinaitischen Halbinsel zwischen dem Golf von Suez und Aila und in der Gegend von Petra (Wadi Musa). In ihren Häfen wurden die Waren vom Mittelmeer gegen indische umgesetzt; die große südliche Karawanenstraße, die von Gaza zur Euphratmündung und dem Persischen Meerbusen lief, führte durch die Hauptstadt der Nabatäer Petra, deren heute noch prachtvolle Felspaläste und Felsengräber deutlicheres Zeugnis von der nabatäischen Zivilisation ablegen als die fast verschollene Überlieferung. Die Pharisäerführer, denen nach Priesterart der Sieg ihrer Partei um den Preis der Unabhängigkeit und Integrität des Landes nicht zu teuer erkauft schien, ersuchten den König der Nabatäer, Aretas, um Hilfe gegen Aristobulos, wofür sie alle von Jannäos ihm entrissenen Eroberungen an ihn zurückzugeben verhießen. Daraufhin war Aretas mit angeblich 50000 Mann in das jüdische Land eingerückt und, verstärkt durch den Anhang der Pharisäer, hielt er den König Aristobulos in seiner Hauptstadt belagert.

Unter dem Faust- und Fehderecht, die also von einem Ende Syriens zum andern herrschten, litten natürlich vor allen Dingen die größeren Städte, wie Antiocheia, Seleukeia, Damaskos, deren Bürger in ihrem Feldbau wie in ihrem See- und Karawanenhandel sich gelähmt sahen. Die Bürger von Byblos und Berytos (Beirut) vermochten weder ihre Äcker noch ihre Schiffe vor den Ityräern zu schützen, die von ihren Berg- und Seekastellen aus Land und Meer gleich unsicher machten. Die von Damaskos suchten der Angriffe der Ityräer und des Ptolemaeos dadurch sich zu erwehren, daß sie sich den entfernteren Königen der Nabatäer oder der Juden zu eigen gaben. In Antiocheia mischten sich Sampsikeramos und Azizos in die inneren Fehden der Bürgerschaft und fast wäre die hellenische Großstadt schon jetzt der Sitz eines arabischen Emirs geworden. Es waren Zustände, die an die königlosen Zeiten des deutschen Mittelalters erinnern, als Nürnberg und Augsburg nicht in des Königs Recht und Gericht, sondern einzig in ihren Wällen noch Schutz fanden; ungeduldig harrten die syrischen Kaufbürger des starken Arms, der ihnen Frieden und Verkehrssicherheit wiedergab. An einem legitimen König übrigens fehlte es in Syrien nicht; man hatte deren sogar zwei oder drei. Ein Prinz Antiochos aus dem Hause der Seleukiden war von Lucullus als Herr der nördlichsten syrischen Provinz Kommagene eingesetzt worden, Antiochos der Asiate, dessen Ansprüche auf den syrischen Thron sowohl bei dem Senat als bei Lucullus Anerkennung gefunden hatten, war nach dem Abzug der Armenier in Antiocheia aufgenommen und daselbst als König anerkannt worden. Ihm war dort sogleich ein dritter Seleukidenprinz, Philippos, als Nebenbuhler entgegengetreten, und es hatte die große, fast wie die alexandrinische bewegliche und oppositionslustige Bürgerschaft von Antiocheia sowie dieser und jener benachbarte arabische Emir sich eingemischt in den Familienzwist, der nun einmal von der Herrschaft der Seleukiden unzertrennlich schien. War es ein Wunder, daß die Legitimität den Untertanen zum Spott und zum Ekel ward und daß die sogenannten rechtmäßigen Könige noch etwas weniger im Lande galten als die kleinen Fürsten und Raubritter?

In diesem Chaos Ordnung zu schaffen, bedurfte es weder genialer Konzeptionen noch gewaltiger Machtentfaltung, wohl aber der klaren Einsicht in die Interessen Roms und seiner Untertanen, und der kräftigen und folgerechten Aufrichtung und Aufrechthaltung der als notwendig erkannten Institutionen. Die Legitimitätspolitik des Senats hatte sich sattsam prostituiert; den Feldherrn, den die Opposition ans Regiment gebracht, durften nicht dynastische Rücksichten leiten, sondern er hatte einzig darauf zu sehen, daß das Syrische Reich in Zukunft weder durch Zwist der Prätendenten noch durch die Begehrlichkeit der Nachbarn der römischen Klientel entzogen werde. Dazu aber gab es nur einen Weg: daß die römische Gemeinde durch einen von ihr gesandten Satrapen mit kräftiger Hand die Zügel der Regierung erfasse, die den Königen des regierenden Hauses mehr noch durch eigene Verschuldung als durch äußere Unfälle seit langem tatsächlich entglitten waren. Den Weg schlug Pompeius ein. Antiochos der Asiate erhielt auf seine Bitte, ihn als den angestammten Herrscher Syriens anzuerkennen, die Antwort, daß Pompeius einem Könige, der sein Reich weder zu behaupten noch zu regieren wisse, die Herrschaft nicht einmal auf die Bitte seiner Untertanen, geschweige denn gegen deren bestimmt ausgesprochene Wünsche zurückgeben werde. Mit diesem Briefe des römischen Prokonsuls war das Haus des Seleukos von dem Throne gestoßen, den es seit zweihundertfünfzig Jahren eingenommen hatte. Antiochos verlor bald darauf sein Leben durch die Hinterlist des Emirs Sampsikeramos, als dessen Klient er in Antiocheia den Herrn spielte; seitdem ist von diesen Schattenkönigen und ihren Ansprüchen nicht weiter die Rede. Wohl aber war es, um das neue römische Regiment zu begründen und eine leidliche Ordnung in die verwirrten Verhältnisse zu bringen, noch erforderlich, mit Heeresmacht in Syrien einzurücken und all die Störer der friedlichen Ordnung, die während der vieljährigen Anarchie emporgewachsen waren, durch die römischen Legionen zu schrecken oder niederzuwerfen. Schon während der Feldzüge im Pontischen Reiche und am Kaukasus hatte Pompeius den Angelegenheiten Syriens seine Aufmerksamkeit zugewandt und einzelne Beauftragte und Abteilungen wo es not tat eingreifen lassen. Aulus Gabinius – derselbe, der als Volkstribun Pompeius nach dem Osten gesandt hatte – war schon 689 (65) an den Tigris und sodann quer durch Mesopotamien nach Syrien marschiert, um die verwickelten Verhältnisse im jüdischen Lande zu schlichten. Ebenso war das schwer bedrängte Damaskos bereits durch Lollius und Metellus besetzt worden. Bald nachher traf ein anderer Adjutant des Pompeius, Marcus Scaurus, in Judäa ein, um die immer neu wieder daselbst ausbrechenden Fehden beizulegen. Auch Lucius Afrianus, der während Pompeius‘ Expedition nach dem Kaukasus das Kommando über die römischen Truppen in Armenien führte, hatte von Korduene (dem nördlichen Kurdistan) aus sich in das obere Mesopotamien begeben und, nachdem er durch die hilfreiche Teilnahme der in Karrhä angesiedelten Hellenen den gefährlichen Weg durch die Wüste glücklich zurückgelegt hatte, die Araber in Osrhoene zur Botmäßigkeit gebracht. Gegen Ende des Jahres 690 (64), langte dann Pompeius selbst in Syrien an20 und verweilte dort bis zum Sommer des folgenden Jahres, entschlossen durchgreifend und für jetzt und künftig die Verhältnisse ordnend. Zurückgehend auf die Zustände des Reiches in den besseren Zeiten der Seleukidenherrschaft, wurden alle usurpierten Gewalten beseitigt, die Raubherren aufgefordert, ihre Burgen zu übergeben, die arabischen Scheichs wieder auf ihr Wüstengebiet beschränkt, die Verhältnisse der einzelnen Gemeinden definitiv geregelt. Diesen strengen Befehlen Gehorsam zu verschaffen, standen die Legionen bereit, und ihr Einschreiten erwies sich insbesondere gegen die verwegenen Raubritter als notwendig. Silas, der Herr von Lysias, der Herr von Tripolis, Dionysios, der Herr von Byblos, Kinyras, wurden in ihren Burgen gefangengenommen und hingerichtet, die Berg- und Seeschlösser der Ityräer gebrochen, Ptolemaeos Mennaeos‘ Sohn in Chalkis gezwungen, mit 1000 Talenten (1827000 Taler) Lösegeld sich Freiheit und Herrschaft zu erkaufen. Im übrigen fanden die Befehle des neuen Machthabers meistenteils widerstandslosen Gehorsam. Nur die Juden schwankten. Die früher von Pompeius gesandten Vermittler, Gabinius und Scaurus, hatten – beide, wie es heißt, mit bedeutenden Summen bestochen – im Streite der beiden Brüder Hyrkanos und Aristobulos zu Gunsten des letzteren entschieden, auch den König Aretas veranlaßt, die Belagerung von Jerusalem aufzuheben und sich in seine Heimat zu begeben, wobei er auf dem Rückweg noch von Aristobulos eine Niederlage erlitt. Als aber Pompeius in Syrien eintraf, kassierte er die Anordnungen seiner Untergebenen und wies die Juden an, ihre alte Hochpriesterverfassung, wie der Senat sie um 593 (61) anerkannt hatte, wieder einzuführen und wie auf das Fürstentum selbst, so auch auf alle von den Hasmonäischen Fürsten gemachten Eroberungen zu verzichten. Es waren die Pharisäer, welche eine Gesandtschaft von zweihundert ihrer angesehensten Männer an den römischen Feldherrn gesandt und von ihm den Sturz des Königtums ausgewirkt hatten; nicht zum Vorteil der eigenen Nation, aber wohl zu dem der Römer, die der Natur der Sache nach auch hier zurückkommen mußten auf die alten Rechte der Seleukiden und eine erobernde Macht, wie die des Jannaeos war, innerhalb ihres Reiches nicht dulden konnten. Aristobulos schwankte, ob es besser sei, das Unvermeidliche geduldig über sich ergehen zu lassen oder mit den Waffen in der Hand dem Verhängnis zu erliegen; bald schien er im Begriff, sich Pompeius zu unterwerfen, bald die nationale Partei unter den Juden zum Kampfe gegen die Römer aufzurufen. Als endlich, da schon die Legionen vor den Toren standen, er sich dem Feinde ergab, weigerte sich der entschlossenere oder fanatisiertere Teil seiner Armee, den Befehlen des unfreien Königs Folge zu leisten. Die Hauptstadt unterwarf sich; den steilen Tempelfelsen verteidigte jene fanatische Schar drei Monate hindurch mit todesmutiger Hartnäckigkeit, bis endlich während der Sabbathruhe der Belagerten die Belagerer eindrangen, des Heiligtums sich bemächtigten und die Anstifter dieser verzweifelten Gegenwehr, soweit sie nicht unter den römischen Schwertern gefallen waren, unter die Beile der Liktoren sandten. Damit ging der letzte Widerstand in den neu zum römischen Staat gezogenen Gebieten zu Ende.

Das von Lucullus begonnene Werk hatte Pompeius vollendet: die bisher formell selbständigen Staaten Bithynien, Pontus und Syrien waren mit dem römischen vereinigt, die seit mehr als hundert Jahren als notwendig erkannte Vertauschung des schwächlichen Klientelsystems mit der unmittelbaren Herrschaft über die wichtigeren abhängigen Gebiete war endlich verwirklicht worden, sowie der Senat gestürzt und die Gracchische Partei ans Ruder gekommen war. Man hatte im Osten neue Grenzen erhalten, neue Nachbarn, neue freundliche und feindliche Beziehungen. Neu traten unter die mittelbar römischen Gebiete ein das Königreich Armenien und die kaukasischen Fürstentümer, ferner das Reich am Kimmerischen Bosporus, der geringe Überrest der ausgedehnten Eroberungen Mithradates Eupators, jetzt unter der Regierung seines Sohnes und Mörders Pharnakes ein römischer Klientelstaat; nur die Stadt Phanagoria, deren Befehlshaber Kastor das Signal zum Aufstand gegeben hatte, wurde dafür von den Römern als frei und unabhängig anerkannt. Nicht gleicher Erfolge konnte man gegen die Nabatäer sich rühmen. König Aretas hatte zwar, dem Begehren der Römer sich fügend, das jüdische Land geräumt; allein Damaskos war noch in seinen Händen und das Nabatäerland nun gar hatte noch kein römischer Soldat betreten. Um dies zu unterwerfen oder mindestens doch den neuen Nachbarn im arabischen Lande zu zeigen, daß jetzt am Orontes und am Jordan die römischen Adler geboten und daß die Zeit vorbei war, wo die syrischen Landschaften als herrenloses Gut zu brandschatzen jedem freistand, begann Pompeius im Jahre 691 (63) eine Expedition gegen Petra; allein aufgehalten durch den Aufstand der Juden, der während dieses Zuges zum Ausbruch kam, überließ er seinem Nachfolger Marcus Scaurus nicht ungern die Ausführung der schwierigen Unternehmung gegen die fern inmitten der Wüste gelegene Nabatäerstadt21. In der Tat sah auch Scaurus sich bald genötigt, unverrichteter Sache umzukehren. Er mußte sich begnügen, in den Wüsten am linken Ufer des Jordan die Nabatäer zu bekriegen, wo er sich auf die Juden zu stützen vermochte, aber doch auch nur sehr unbedeutende Erfolge davontrug. Schließlich überredete der gewandte jüdische Minister Antipatros aus Idumäa den Aretas, sich die Gewähr seiner sämtlichen Besitzungen mit Einschluß von Damaskos von dem römischen Statthalter um eine Geldsumme zu erkaufen; und dies ist denn der auf den Münzen des Scaurus verherrlichte Friede, wo König Aretas, das Kamel am Zügel, kniefällig, dem Römer den Ölzweig darreichend erscheint.

Bei weitem folgenreicher als diese neuen Beziehungen der Römer zu den Armeniern, Iberern, Bosporanern und Nabatäern war die Nachbarschaft, in welche sie durch die Okkupation Syriens zu dem parthischen Staate traten. So geschmeidig die römische Diplomatie gegen Phraates aufgetreten war, als noch der pontische und der armenische Staat aufrecht standen, so willig damals sowohl Lucullus als Pompeius ihm den Besitz der Landschaften jenseits des Euphrat zugestanden hatten, so schroff stellte jetzt der neue Nachbar sich neben den Arsakiden; und wenn die königliche Kunst, die eigenen Fehler zu vergessen, es ihm gestattete, mochte Phraates wohl jetzt sich der warnenden Worte Mithradats erinnern, daß der Parther durch das Bündnis mit den Okzidentalen gegen die stammverwandten Reiche erst diesen und sodann sich selber das Verderben bereite. Römer und Parther im Bunde hatten Armenien zugrunde gerichtet; als es gestürzt war, kehrte Rom, seiner alten Politik getreu, die Rollen um und begünstigte den gedemütigten Feind auf Kosten des allzumächtigen Bundesgenossen. Schon die auffallende Bevorzugung gehört hierher, die der Vater Tigranes seinem Sohne, dem Verbündeten und Tochtermann des Partherkönigs, gegenüber bei Pompeius fand; es war eine unmittelbare Beleidigung, als bald nachher auf Pompeius‘ Befehl der jüngere Tigranes mit seiner Familie zur Haft gebracht und selbst dann nicht freigegeben ward, als sich Phraates bei dem befreundeten Feldherrn für seine Tochter und seinen Schwiegersohn verwandte. Aber Pompeius blieb hierbei nicht stehen. Die Landschaft Korduene, auf welche sowohl Phraates als Tigranes Ansprüche erhoben, wurde auf Pompeius‘ Befehl durch römische Truppen für den letzteren okkupiert und die im Besitz befindlichen Parther über die Grenze hinausgeschlagen, ja bis nach Arbela in Adiabene verfolgt, ohne daß die Regierung von Ktesiphon auch nur vorher gehört worden wäre (689 65). Weitaus am bedenklichsten jedoch war es, daß die Römer keineswegs geneigt schienen, die traktatenmäßig festgestellte Euphratgrenze zu respektieren. Mehrmals marschierten römische, von Armenien nach Syrien bestimmte Abteilungen quer durch Mesopotamien; der arabische Emir Abgaros von Osrhoene ward unter auffallend günstigen Bedingungen in die römische Klientel aufgenommen; ja Oruros, das im oberen Mesopotamien etwa zwischen Nisibis und dem Tigris 50 deutsche Meilen östlich von dem kommagenischen Euphratübergang liegt, ward bezeichnet als östlicher Grenzpunkt der römischen Herrschaft, vermutlich der mittelbaren, insofern die größere und fruchtbarere nördliche Hälfte Mesopotamiens von den Römern ebenso wie Korduene dem Armenischen Reiche zugelegt worden war. Die Grenze zwischen Römern und Parthern ward also statt des Euphrat die große syrisch-mesopotamische Wüste; und auch dies schien nur vorläufig. Den parthischen Gesandten, die kamen, um auf das Einhalten der allerdings, wie es scheint, nur mündlich abgeschlossenen Verträge hinsichtlich der Euphratgrenze zu dringen, gab Pompeius die zweideutige Antwort, daß Roms Gebiet sich so weit erstrecke wie sein Recht. Ein Kommentar zu dieser Rede schien der auffällige Verkehr zwischen dem römischen Oberfeldherrn und den parthischen Satrapen der Landschaft Medien und selbst der fernen Provinz Elymais (zwischen Susiana, Medien und Persien im heutigen Luristan)22. Die Statthalter dieses letzteren, gebirgigen, kriegerischen und entlegenen Landes waren von je her bestrebt gewesen, eine von dem Großkönig unabhängige Stellung zu gewinnen; um so verletzender und bedrohlicher war es für die parthische Regierung, wenn Pompeius von diesem Dynasten die dargebotene Huldigung annahm. Nicht minder war es bezeichnend, daß der Titel des „Königs der Könige“, der dem Partherkönig bis dahin auch von den Römern im offiziellen Verkehr zugestanden worden war, jetzt auf einmal von ihnen mit dem einfachen Königstitel vertauscht ward. Es war das mehr noch eine Drohung als eine Verletzung der Etikette. Seit Rom die Erbschaft der Seleukiden getan, schien es fast, als gedenke man dort im gelegenen Augenblick auf jene alten Zeiten zurückzugreifen, da ganz Iran und Turan von Antiocheia aus beherrscht wurden und es doch kein Parthisches Reich gab, sondern nur eine parthische Satrapie. Der Hof von Ktesiphon hätte also Grund genug gehabt, mit Rom den Krieg zu beginnen; es schien die Einleitung dazu, daß er im Jahre 690 (64) wegen der Grenzfrage ihn an Armenien erklärte. Aber Phraates hatte doch nicht den Mut, eben jetzt, wo der gefürchtete Feldherr mit seiner starken Armee an den Grenzen des Parthischen Reiches stand, mit den Römern offen zu brechen. Als Pompeius Kommissarien sandte, um den Streit zwischen Parthien und Armenien gütlich beizulegen, fügte Phraates sich der aufgezwungenen römischen Vermittlung und ließ es sich gefallen, daß ihr Schiedsspruch den Armeniern Korduene und das nördliche Mesopotamien zuwies. Bald nachher schmückte seine Tochter mit ihrem Sohne und ihrem Gemahl den Triumph des römischen Feldherrn. Auch die Parther zitterten vor der römischen Übermacht; und wenn sie nicht wie die Pontiker und die Armenier den römischen Waffen erlegen waren, so schien die Ursache davon nur die zu sein, daß sie es nicht gewagt hatten, den Kampf zu bestehen.

Noch lag es dem Feldherrn ob, die inneren Verhältnisse der neugewonnenen Landschaften zu regulieren und die Spuren eines dreizehnjährigen, verheerenden Krieges soweit möglich zu tilgen. Das in Kleinasien von Lucullus und der ihm beigegebenen Kommission, auf Kreta von Metellus begonnene Organisationsgeschäft erhielt den endlichen Abschluß durch Pompeius. Die bisherige Provinz Asia, die Mysien, Lydien, Phrygien und Karien umfaßte, ward aus einer Grenz- eine Mittelprovinz; neu eingerichtet wurden die Provinz Bithynien und Pontus, welche gebildet ward aus dem gesamten ehemaligen Reiche des Nikomedes und der westlichen Hälfte des ehemaligen pontischen Staates bis an und über den Halys; die Provinz Kilikien, die zwar schon älter war, aber doch erst jetzt ihrem Namen entsprechend erweitert und organisiert ward und auch Pamphylien und Isaurien miteinschloß; die Provinz Syrien und die Provinz Kreta. Freilich fehlte viel, daß jene Ländermasse als römischer Territorialbesitz in dem heutigen Sinne des Wortes hätte betrachtet werden können. Form und Ordnung des Regiments blieben im wesentlichen, wie sie waren; nur trat an den Platz der bisherigen Monarchen die römische Gemeinde. Wie bisher bestanden jene asiatischen Landschaften aus einer bunten Mischung von Domanialbesitzungen, tatsächlich oder rechtlich autonomen Stadtgebieten, fürstlichen und priesterlichen Herrschaften und Königreichen, welche alle für die innere Verwaltung mehr oder minder sich selbst überlassen waren, übrigens aber bald in milderen, bald in strengeren Formen von der römischen Regierung und deren Prokonsuln in ähnlicher Weise abhingen, wie früher von dem Großkönig und dessen Satrapen. Wenigstens dem Range nach nahm unter den abhängigen Dynasten den ersten Platz ein der König von Kappadokien, dessen Gebiet schon Lucullus durch die Belehnung mit der Landschaft Melitene (um Malatia) bis an den Euphrat erweitert hatte und dem Pompeius noch teils an der Westgrenze einige von Kilikien abgerissene Bezirke von Kastabala bis nach Derbe bei Ikonion, teils an der Ostgrenze die am linken Euphratufer Melitene gegenüber gelegene, anfänglich dem armenischen Prinzen Tigranes zugedachte Landschaft Sophene verlieh, wodurch also die wichtigste Euphratpassage ganz in die Gewalt dieses Fürsten kam. Die kleine Landschaft Kommagene zwischen Syrien und Kappadokien mit der Hauptstadt Samosata (Samsat) blieb als abhängiges Königtum dem schon genannten Seleukiden Antiochos23: demselben wurden auch die wichtige, den südlicheren Übergang über den. Euphrat beherrschende Festung Seleukeia (bei Biradjik) und die nächsten Striche am linken Ufer des Euphrat zugeteilt und somit dafür gesorgt, daß die beiden Hauptübergänge über den Euphrat mit einem entsprechenden Gebiet am östlichen Ufer in den Händen zweier von Rom völlig abhängigen Dynasten blieben. Neben den Königen von Kappadokien und Kommagene und an wirklicher Macht ihnen bei weitem überlegen herrschte in Kleinasien der neue König Deiotarus. Einer der Vierfürsten des um Pessinus ansässigen Keltenstammes der Tolistoboger und von Lucullus und Pompeius mit den anderen kleinen römischen Klienten zur Heerfolge aufgeboten, hatte Deiotarus in diesen Feldzügen, im Gegensatz zu all den schlaffen Orientalen, seine Zuverlässigkeit und seine Tatkraft so glänzend bewährt, daß die römischen Feldherren zu seinem galatischen Erbe und seinen Besitzungen in der reichen Landschaft zwischen Amisos und der Halysmündung ihm noch die östliche Hälfte des ehemals Pontischen Reiches mit den Seestädten Pharnakia und Trapezus und das pontische Armenien bis zur kolchischen und großarmenischen Grenze als Königreich Klein-Armenien verliehen. Bald nachher vermehrte er sein schon ansehnliches Gebiet noch durch die Landschaft der keltischen Trokmer, deren Vierfürsten er verdrängte. So ward der geringe Lehnsmann einer der mächtigsten Dynasten Kleinasiens, dem die Hut eines wichtigen Teils der Reichsgrenze anvertraut werden konnte. Vasallen geringerer Bedeutung waren die übrigen zahlreichen galatischen Vierfürsten, von denen einer, der Trokmerfürst Bogodiatarus, wegen seiner im Mithradatischen Kriege bewährten Tüchtigkeit von Pompeius mit der ehemals pontischen Grenzstadt Mithradation beschenkt ward; der Fürst von Paphlagonien, Attalos, der sein Geschlecht auf das alte Herrscherhaus der Pylämeniden zurückführte; Aristarchos und andere kleine Herren im kolchischen Gebiet; Tarkondimotos, der im östlichen Kilikien in den Bergtälern des Amanos gebot; Ptolemaeos Mennaeos‘ Sohn, der fortfuhr, in Chalkis am Libanos zu herrschen; der Nabatäerkönig Aretas als Herr von Damaskos; endlich die arabischen Emirs in den Landschaften dies- und jenseits des Euphrat, Abgaros in Osrhoene, den die Römer, um ihn als vorgeschobenen Posten gegen die Parther zu benutzen, auf alle Weise in ihr Interesse zu ziehen sich bemühten, Sampsikeramos in Hemesa, Alchaudonios der Rhambäer, ein anderer Emir in Bostra. Dazu kamen ferner die geistlichen Herren, die im Osten häufig gleich den weltlichen Dynasten über Land und Leute geboten, und an deren in dieser Heimat des Fanatismus fest gegründeter Autorität zu rütteln oder auch nur die Tempel ihrer Schätze zu berauben die Römer klüglich sich enthielten: der Hochpriester der Göttin Mutter in Pessinus; die beiden Hochpriester der Göttin Ma in dem kappadokischen Komana (am oberen Saros) und in der gleichnamigen pontischen Stadt (Gümenek bei Tokat), welche beide Herren in ihren Landschaften nur dem König an Macht nachstanden und deren jeder noch in viel späterer Zeit ausgedehnte Liegenschaften mit eigener Gerichtsbarkeit und an sechstausend Tempelsklaven besaß – mit dem pontischen Hochpriesteramt ward Archelaos, der Sohn des gleichnamigen, von Mithradates zu den Römern übergegangenen Feldherrn, von Pompeius belehnt –; der Hochpriester des Venasischen Zeus in dem kappadokischen Amt Morimene, dessen Einkünfte sich auf jährlich 23300 Taler (15 Talente) beliefen; der „Erzpriester und Herr“ desjenigen Gebiets im Rauhen Kilikien, wo Teukros, des Aias Sohn, dem Zeus einen Tempel gegründet hatte, welche seine Nachkommen kraft Erbrechts vorstanden; der „Erzpriester und Herr des Volkes“ der Juden, dem Pompeius, nachdem er die Mauern der Hauptstadt und die königlichen Schatz- und Zwingburgen im Lande geschleift hatte, unter ernstlicher Verwarnung, Friede zu halten und nicht weiter auf Eroberungen auszugehen, die Vorstandschaft seiner Nation zurückgab. Neben diesen weltlichen und geistlichen Potentaten standen die Stadtgemeinden. Zum Teil waren dieselben zu größeren Verbänden zusammengeordnet, welche einer verhältnismäßigen Selbständigkeit sich erfreuten, wie namentlich der wohlgeordnete und zum Beispiel der Teilnahme an der wüsten Piratenwirtschaft stets ferngebliebene Bund der dreiundzwanzig lykischen Städte; wogegen die zahlreichen vereinzelt stehenden Gemeinden, selbst wenn sie die Selbstregierung verbrieft erhalten hatten, tatsächlich von den römischen Statthaltern durchaus abhängig waren. Die Römer verkannten es nicht, daß mit der Aufgabe, den Hellenismus zu vertreten und im Osten Alexanders Marken zu schirmen und zu erweitern, vor allem die Hebung des städtischen Wesens ihnen zur Pflicht geworden war; denn wenn die Städte überall die Träger der Gesittung sind, so faßte vor allem der Antagonismus der Orientalen und Okzidentalen in seiner ganzen Schärfe sich zusammen in dem Gegensatz der orientalischen, militärisch-despotischen Lebenshierarchie und des hellenisch-italischen gewerb- und handeltreibenden städtischen Gemeinwesens. Lucullus und Pompeius, sowenig sie auch sonst auf die Nivellierung der Zustände im Osten ausgingen, und sosehr auch der letztere in Detailfragen die Anordnungen seines Vorgängers zu meistern und zu ändern geneigt war, trafen doch vollständig zusammen in dem Grundsatz, das städtische Wesen in Kleinasien und Syrien bach Kräften zu fördern. Kyzikos, an dessen kräftiger Gegenwehr die erste Heftigkeit des letzten Krieges sich gebrochen hatte, empfing von Lucullus eine beträchtliche Erweiterung seines Gebietes. Das pontische Herakleia, wie energisch es auch den Römern widerstanden hatte, erhielt dennoch sein Gebiet und seine Häfen zurück, und Cottas barbarisches Wüten gegen die unglückliche Stadt erfuhr im Senat den schärfsten Tadel. Lucullus hatte es tief und aufrichtig beklagt, daß das Schicksal ihm das Glück versagt hatte, Sinope und Amisos von der Verheerung durch die pontische und die eigene Soldateska zu erretten; er tat wenigstens, was er vermochte, um sie wiederherzustellen, erweiterte ansehnlich ihre Gebiete, bevölkerte sie aufs neue teils mit den alten Bewohnern, die auf seine Einladung scharenweise in die geliebte Heimat zurückkehrten, teils mit neuen Ansiedlern hellenischer Abstammung und sorgte für den Wiederaufbau der zerstörten Gebäude. In gleichem Sinn und in noch größerem Maßstab verfuhr Pompeius. Schon nach der Überwindung der Piraten hatte er die Gefangenen, deren Zahl 20000 überstieg, statt nach dem Beispiel seiner Vorgänger sie zu kreuzigen, angesiedelt teils in den verödeten Städten des Ebenen Kilikien, wie in Mallos, Adana, Epiphaneia, und besonders in Soloi, das seitdem den Namen der Pompeiusstadt (Pompeiopolis) führte, teils in Dyme in Achaia, ja sogar in Tarent. Die Piratenkolonisierung fand vielfachen Tadel24, da sie gewissermaßen auf das Verbrechen eine Belohnung zu setzen schien; in der Tat war sie politisch und sittlich wohl gerechtfertigt, denn wie die Dinge damals standen, war die Piraterie etwas anderes als Räuberei und die Gefangenen billig, nach Kriegsrecht zu behandeln. Vor allen Dingen aber ließ Pompeius es sich angelegen sein, in den neuen römischen Provinzen das städtische Wesen emporzubringen. Wie städtearm das Pontische Reich war, ward schon bemerkt; die meisten Distrikte Kappadokiens hatten noch ein Jahrhundert später keine Städte, sondern nur Bergfestungen als Zufluchtsort für die ackerbauende Bevölkerung im Kriege: im ganzen östlichen Kleinasien wird es, abgesehen von den sparsam gesäten griechischen Kolonien an den Küsten, zu dieser Zeit nicht anders gewesen sein. Die Zahl der von Pompeius in diesen Landschaften neu gegründeten Städte wird einschließlich der kilikischen Ansiedlungen auf neununddreißig angegeben, von denen mehrere zu hoher Blüte gelangten. Die namhaftesten dieser Ortschaften in dem ehemaligen Pontischen Reiche sind Nikopolis, die „Siegesstadt“, gegründet an dem Orte, wo Mithradates die letzte einschneidende Niederlage erlitt – das schönste Siegesdenkmal des trophäenreichen Feldherrn; Megalopolis, nach Pompeius‘ Beinamen genannt, an der Grenze von Kappadokien und Klein-Armenien, das spätere Sebasteia (jetzt Siwas); Ziela, wo die Römer die unglückliche Schlacht lieferten, eine um den dasigen Tempel der Anaitis entstandene und bisher dem Hochpriester derselben eigene Ortschaft, der Pompeius städtische Form und städtisches Recht gab; Diopolis, früher Kabeira, später Neo-Caesarea (Niksar), gleichfalls eine der Walstätten des letzten Krieges; Magnopolis oder Pompeiopolis, das wiederhergestellte Eupatoria am Zusammenfluß des Lykos und des Iris, ursprünglich von Mithradates erbaut, aber wegen des Abfalls der Stadt zu den Römern wieder von ihm zerstört; Neapolis, sonst Phazemon, zwischen Amaseia und dem Halys. Die meisten dieser Stadtgründungen wurden nicht durch Kolonisten aus der Ferne bewirkt, sondern durch Niederlegung der Dörfer und Zusammenziehung ihrer Bewohnerin den neuen Mauerring; nur in Nikopolis siedelte Pompeius die Invaliden und Bejahrten seiner Armee an, die es vorzogen, statt später in Italien, hier sofort eine Heimat sich zu gründen. Aber auch an anderen Orten entstanden auf den Wink des Machthabers neue Brennpunkte der hellenischen Zivilisation. In Paphlagonien bezeichnete ein drittes Pompeiupolis die Stätte, wo Mithradates‘ Armee im Jahre 666 (88) den großen Sieg über die Bithyner erfocht. In Kappadokien, das vielleicht mehr als irgendeine andere Provinz durch den Krieg gelitten hatte, wurden die Residenz Mazaka (später Caesarea, jetzt Kayseri) und sieben andere Ortschaften von Pompeius wiederhergestellt und städtisch eingerichtet. In Kilikien und Koilesyrien zählte man zwanzig von Pompeius angelegte Städte. In den von den Juden geräumten Distrikten erhob sich Gadara in der Dekapolis auf Pompeius‘ Befehl aus seinen Trümmern und ward die Stadt Seleukis gegründet. Bei weitem der größte Teil des auf dem asiatischen Kontinent zur Verfügung stehenden Domaniallandes muß von Pompeius für seine neuen Ansiedlungen verwandt worden sein, wogegen auf Kreta, um das Pompeius sich wenig oder gar nicht kümmerte, der römische Domanialbesitz ziemlich ausgedehnt geblieben zu sein scheint.

Nicht minder wie auf Gründung neuer Ortschaften war Pompeius darauf bedacht, die bestehenden Gemeinden zu ordnen und zu heben. Die eingerissenen Mißbräuche und Usurpationen wurden nach Vermögen abgestellt; ausführliche und für die verschiedenen Provinzen mit Sorgfalt entworfene Gemeindeordnungen regelten im einzelnen das Munizipalwesen. Eine Reihe der ansehnlichsten Städte ward mit neuen Privilegien beschenkt. Die Autonomie erhielten Antiocheia am Orontes, die bedeutendste Stadt des römischen Asien und nur wenig zurückstehend hinter dem ägyptischen Alexandreia und hinter dem Bagdad des Altertums, der Stadt Seleukeia im Parthischen Reiche, ferner die Nachbarstadt von Antiocheia, das persische Seleukeia, das damit für seine mutige Gegenwehr gegen Tigranes den Lohn empfing; Gaza und überhaupt alle von der jüdischen Herrschaft befreite Städte; in Vorderasien Mytilene; Phanagoria am Schwarzen Meer.

So war der Bau des asiatischen Römerstaates vollendet, der mit seinen Lehnkönigen und Vasallen, den gefürsteten Priestern und der Reihe ganz- und halbfreier Städte lebhaft erinnert an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Er war kein Wunderwerk, weder hinsichtlich der überwundenen Schwierigkeiten, noch hinsichtlich der erreichten Vollendung, und ward es auch nicht durch all die großen Worte, mit denen in Rom die vornehme Welt zu Gunsten des Lucullus, die lautere Menge zum Preise des Pompeius freigebig waren. Pompeius namentlich ließ sich feiern und feierte sich selbst in einer Weise, daß man ihn fast für noch schwachköpfiger hätte halten mögen, als er in der Tat war. Wenn die Mytilenäer ihm eine Bildsäule errichteten als ihrem Erretter und Gründer, als demjenigen, der die den Erdkreis erfüllenden Kriege sowohl zu Lande wie zur See beendigt, so mochte eine solche Huldigung für den Bezwinger der Piraten und der Reiche des Ostens nicht allzu überschwenglich scheinen. Aber die Römer übertrafen diesmal die Griechen. Pompeius‘ eigene Triumphalinschriften rechneten 12 Millionen unterworfener Seelen und 1538 eroberte Städte und Burgen heraus – es schien, als solle die Quantität die Qualität ersetzen – und erstreckten den Kreis seiner Siege vom Mäotischen zum Kaspischen, von diesem zum Roten Meer, von welchen drei Meeren er keines je mit Augen gesehen hat; ja wenn er es auch nicht geradezu sagte, so veranlaßte er doch das Publikum zu meinen, daß die Einziehung Syriens, die wahrlich keine Heldentat war, den ganzen Osten bis nach Baktrien und Indien zum Römischen Reiche gebracht habe – in so nebelhafte Ferne verschwamm in seinen Angaben die Grenzlinie seiner östlichen Eroberungen. Die demokratische Servilität, die zu allen Zeiten mit der höfischen gewetteifert hat, ging bereitwillig auf dergleichen geschmacklosen Schwindel ein. Ihr genügte nicht der pomphafte Triumphalzug, der am 28. und 29. September 593 (61), dem sechsundvierzigsten Geburtstag Pompeius des Großen, durch die Gassen Roms sich bewegte, verherrlicht, um von den Kleinodien aller Art zu schweigen, durch die Kroninsignien Mithradats und durch die Kinder der drei mächtigsten Könige Asiens, des Mithradates, Tigranes und Phraates: sie lohnte ihrem Feldherrn, der zweiundzwanzig Könige besiegt, dafür mit königlichen Ehren und verlieh ihm den goldenen Kranz und die Insignien der Magistratur auf Lebenszeit. Die ihm zu Ehren geschlagenen Münzen zeigen gar die Weltkugel zwischen dem dreifachen, aus den drei Weltteilen heimgebrachten Lorbeer und über ihr schwebend jenen dem Triumphator über Afrika, Spanien und Asien von der Bürgerschaft verehrten Goldkranz. Es kann solchen kindischen Huldigungen gegenüber nicht wundernehmen, daß auch im entgegengesetzten Sinne Stimmen laut wurden. Unter der römischen vornehmen Welt war es eine geläufige Rede, daß das eigentliche Verdienst der Unterwerfung des Ostens Lucullus zukomme und Pompeius nur nach dem Osten gegangen sei, um Lucullus zu verdrängen und die von fremder Hand gebrochenen Lorbeeren um die eigene Stirn zu flechten. Beides war vollständig falsch; nicht Pompeius, sondern Glabrio ward nach Asien gesandt, um Lucullus abzulösen, und wie wacker auch Lucullus gefochten, es war Tatsache, daß, als Pompeius den Oberbefehl übernahm, die Römer all ihre früheren Erfolge wieder eingebüßt und keinen Fußbreit pontischen Bodens innehatten. Mehr zum Ziele traf der Spott der Hauptstädter, die nicht ermangelten, dem mächtigen Besieger des Erdballs die Namen der von ihm überwundenen Großmächte als Spitznamen beizulegen und ihn bald als „Sieger von Salem“ bald als „Emir“ (Arabarches), bald als den römischen Sampsikeramos begrüßten. Der unbefangene Urteiler wird indes weder in jene Überschwenglichkeiten noch in diese Verkleinerungen einstimmen. Lucullus und Pompeius haben, indem sie Asien unterwarfen und ordneten, sich nicht als Helden und Staatsschöpfer bewährt, aber wohl als einsichtige und kräftige Heerführer und Statthalter. Als Feldherr bewies Lucullus nicht gemeine Talente und ein an Verwegenheit grenzendes Selbstvertrauen, Pompeius militärische Einsicht und eine seltene Zurückhaltung, wie denn kaum je ein General mit solchen Streitkräften und einer so vollkommen freien Stellung so vorsichtig aufgetreten ist wie Pompeius im Osten. Die glänzendsten Aufgaben trugen von allen Seiten sich ihm gleichsam selber an: er konnte nach dem Kimmerischen Bosporus und gegen das Rote Meer hin aufbrechen; er hatte Gelegenheit, den Parthern den Krieg zu erklären; die aufständischen Landschaften Ägyptens luden ihn ein, den von Rom nicht anerkannten König Ptolemaeos vom Thron zu stoßen und das Testament Alexanders in Vollzug zu setzen; aber Pompeius ist weder nach Pantikapäon noch nach Petra, weder nach Ktesiphon noch nach Alexandreia gezogen; durchaus pflückte er nur diejenigen Früchte, die ihm von selber in die Hand fielen. Ebenso schlug er alle seine Schlachten zur See wie zu Lande mit einer erdrückenden Übermacht. Wäre diese Mäßigung hervorgegangen aus dem strengen Einhalten der erteilten Instruktionen, wie Pompeius vorzugehen pflegte, oder auch aus der Einsicht, daß Roms Eroberungen irgendwo eine Grenze finden müßten und neuer Gebietszuwachs dem Staat nicht förderlich sei, so würde sie ein höheres Lob verdienen, als die Geschichte es dem talentvollsten Offizier erteilt; allein wie Pompeius war, ist seine Zurückhaltung ohne Zweifel einzig das Resultat des ihm eigentümlichen Mangels an Sicherheit und an Initiative – Mängel freilich, die dem Staate in diesem Falle weit nützlicher wurden als die entgegengesetzten Vorzüge seines Vorgängers. Allerdings sind auch von Lucullus wie von Pompeius sehr arge Fehler begangen worden. Lucullus erntete deren Früchte selbst, indem sein unbesonnenes Verfahren ihm alle Resultate seiner Siege wieder entriß; Pompeius überließ es seinen Nachfolgern, die Folgen seiner falschen Politik gegen die Parther zu tragen. Er konnte diese entweder bekriegen, wenn er dessen sich getraute, oder mit ihnen Frieden halten und, wie er versprochen, den Euphrat als Grenze anerkennen; zu jenem war er zu zaghaft, zu diesem zu eitel, und so kam er denn zu der einfältigen Perfidie, die gute Nachbarschaft, die der Hof von Ktesiphon wünschte und seinerseits übte, durch die maßlosesten Übergriffe unmöglich zu machen, dennoch aber dem Feinde zu gestatten, sich die Zeit des Bruches und der Vergeltung selber wählen zu dürfen. Als Verwalter Asiens erwarb Lucullus ein mehr als fürstliches Vermögen, und auch Pompeius empfing als Lohn für seine Organisation von dem König von Kappadokien, von der reichen Stadt Antiocheia und anderen Herren und Gemeinden große Barsummen und noch ansehnlichere Schuldverschreibungen. Indes dergleichen Erpressungen waren fast eine gewohnheitsmäßige Steuer geworden, und beide Feldherren bewiesen doch nicht gerade in wichtigeren Fragen sich käuflich, ließen auch womöglich sich von der Partei bezahlen, deren Interessen mit denen Roms zusammenfielen. Wie die Zeiten einmal waren, hindert dies nicht, die Verwaltung beider Männer als eine relativ löbliche und zunächst im Interesse Roms, demnächst in dem der Provinzialen geführte zu bezeichnen. Die Verwandlung der Klienten in Untertanen, die bessere Regulierung der Ostgrenze, die Begründung eines einheitlichen und starken Regiments waren segensreich für die Herrscher wie für die Beherrschten. Der finanzielle Gewinn, den Rom machte, war unermeßlich; die neue Vermögenssteuer, die mit Ausnahme einzelner, besonders befreiter Gemeinden all jene Fürsten, Priester und Städte nach Rom zu zahlen hatten, steigerte die römischen Staatseinnahmen fast um die Hälfte ihres bisherigen Betrags. Freilich litt Asien schwer. Pompeius legte an Geld und Kleinodien einen Betrag von 15 Mill. Talern (200 Mill. Sesterzen) in die Staatskasse nieder und verteilte 29 Millionen (16000 Talente) unter seine Offiziere und Soldaten; wenn man hierzu die bedeutenden von Lucullus heimgebrachten Summen, die nichtoffiziellen Erpressungen der römischen Armee und den Betrag der Kriegsschäden selbst rechnet, so ist die finanzielle Erschöpfung des Landes begreiflich. Die römische Besteuerung Asiens war vielleicht an sich nicht schlimmer als die der früheren Regenten, aber lastete doch insofern schwerer auf dem Lande, als die Abgaben fortan in das Ausland gingen und nur zum kleineren Teil wieder in Asien verwandt wurden; und auf jeden Fall war sie in den alten wie in den neugewonnenen Provinzen basiert auf die systematische Ausbeutung der Landschaften zu Gunsten Roms. Aber die Verantwortung hierfür trifft weit weniger die Feldherren persönlich als die Parteien daheim, auf die jene Rücksicht zu nehmen hatten; Lucullus war sogar energisch bemüht, dem wucherischen Treiben der römischen Kapitalisten in Asien Schranken zu setzen, und sein Sturz ward wesentlich mit hierdurch herbeigeführt. Wie sehr es beiden Männern Ernst damit war, die heruntergekommenen Landschaften wieder in die Höhe zu bringen, beweist ihre Tätigkeit da, wo keine Rücksichten der Parteipolitik ihnen die Hände banden, namentlich ihre Fürsorge für die kleinasiatischen Städte. Wenn auch noch Jahrhunderte später manches in Ruinen liegende asiatische Dorf an die Zeiten des großen Krieges erinnerte, so mochte doch Sinope wohl mit dem Jahr der Wiederherstellung durch Lucullus eine neue Ära beginnen und fast alle ansehnlicheren Binnenstädte des Pontischen Reiches Pompeius als ihren Stifter dankbar verehren. Die Einrichtung des römischen Asien durch Lucullus und Pompeius darf bei all ihren unleugbaren Mängeln eine im ganzen verständige und löbliche genannt werden; wie schwere Übelstände aber auch ihr anhaften mochten, den vielgeplagten Asiaten mußte sie schon darum willkommen sein, weil sie zugleich kam mit dem so lange und so schmerzlich entbehrten inneren und äußeren Frieden.

Es blieb auch im wesentlichen Friede im Orient, bis der von Pompeius mit der ihm eigenen Zaghaftigkeit nur angedeutete Gedanke, die Landschaften östlich vom Euphrat zum Römischen Reiche zu fügen, von der neuen Triarchie der römischen Machthaber energisch, aber unglücklich wiederaufgenommen ward und bald darauf der Bürgerkrieg wie alle anderen so auch die östlichen Provinzen in seinen verhängnisvollen Strudel hineinzog. Daß in der Zwischenzeit die Statthalter Kilikiens beständig mit den Bergvölkern des Amanos, die von Syrien mit den Schwärmen der Wüste zu fechten hatten und namentlich in diesem Kriege gegen die Beduinen manche römische Truppe aufgerieben ward, ist ohne weitere Bedeutung. Bemerkenswerter ist der eigensinnige Widerstand, den die zähe jüdische Nation den Eroberern entgegensetzte. Teils des abgesetzten Königs Aristobulos Sohn Alexandros, teils Aristobulos selbst, dem es nach einiger Zeit gelang, aus der Gefangenschaft zu entkommen, erregten während der Statthalterschaft des Aulus Gabinius (697-700 57-54) drei verschiedene Aufstände gegen die neuen Machthaber, deren jedem die von Rom eingesetzte Regierung des Hochpriesters Hyrkanos ohnmächtig erlag. Es war nicht politische Überlegung, sondern der unbesiegbare Widerwille des Orientalen gegen das unnatürliche Joch, der sie zwang, gegen den Stachel zu löcken; wie denn auch der letzte und gefährlichste dieser Aufstände, zu welchem die durch die ägyptischen Krisen veranlaßte Wegziehung der syrischen Okkupationsarmee den nächsten Anstoß gab, begann mit der Ermordung der in Palästina ansässigen Römer. Nicht ohne Mühe gelang es dem tüchtigen Statthalter, die wenigen Römer, die diesem Schicksal sich entzogen und eine vorläufige Zuflucht auf dem Berge Garizim gefunden hatten, von den dort sie blockiert haltenden Insurgenten zu erretten und nach mehreren hart bestrittenen Feldschlachten und langwierigen Belagerungen den Aufstand zu bewältigen. Infolgedessen ward die Hohenpriestermonarchie abgeschafft und das jüdische Land, wie einst Makedonien, in fünf selbständige, von optimatisch geordneten Regierungskollegien verwaltete Kreise aufgelöst, auch Samaria und andere, von den Juden geschleifte Ortschaften wiederhergestellt, um ein Gegengewicht gegen Jerusalem zu bilden, endlich den Juden ein schwererer Tribut auferlegt als den übrigen syrischen Untertanen Roms.

Noch ist es übrig, auf das Königreich Ägypten nebst dem letzten ihm von den ausgedehnten Eroberungen der Lagiden übriggebliebenen Nebenland, der schönen Insel Kypros, einen Blick zu werfen. Ägypten war jetzt der einzige wenigstens dem Namen nach noch unabhängige Staat des hellenischen Ostens; ebenwie einst, als die Perser an der östlichen Hälfte des Mittelmeers sich festsetzten, Ägypten ihre letzte Eroberung war, säumten auch die mächtigen Eroberer aus dem Westen am längsten mit der Einziehung dieser reichen und eigenartigen Landschaft. Die Ursache lag, wie bereits angedeutet wurde, weder in der Furcht vor dem Widerstand Ägyptens noch in dem Mangel einer geeigneten Veranlassung. Ägypten war ungefähr ebenso machtlos wie Syrien und bereits im Jahre 673 (81) in aller Form Rechtens der römischen Gemeinde angestorben; das am Hofe von Alexandreia herrschende Regiment der königlichen Garde, welche Minister und gelegentlich Könige ein- und absetzte, für sich nahm, was ihr gefiel, und, wenn ihr die Erhöhung des Soldes verweigert ward, den König in seinem Palast belagerte, war im Lande oder vielmehr in der Hauptstadt – denn das Land mit seiner Ackersklavenbevölkerung kam überhaupt kaum in Betracht – ganz und gar nicht beliebt, und wenigstens eine Partei daselbst wünschte die Einziehung Ägyptens durch Rom und tat sogar Schritte, um sie herbeizuführen. Allein je weniger die Könige Ägyptens daran denken konnten, mit den Waffen gegen Rom zu streiten, desto energischer setzte das ägyptische Gold gegen die römischen Reunionspläne sich zur Wehre; und infolge der eigentümlichen despotisch-kommunistischen Zentralisation der ägyptischen Volkswirtschaft waren die Einkünfte des Hofes von Alexandreia der römischen Staatseinnahme, selbst nach deren Vermehrung durch Pompeius, noch ungefähr gleich. Die argwöhnische Eifersucht der Oligarchie, die weder die Eroberung noch die Verwaltung Ägyptens gern einem einzelnen gönnte, kam hinzu. So vermochten die faktischen Herren von Ägypten und Kypros durch Bestechung der führenden Männer im Senat sich ihre schwankenden Kronen nicht bloß zu fristen, sondern sogar neu zu befestigen und vom Senat die Bestätigung ihrer Königstitel zu erkaufen. Allein damit waren sie noch nicht am Ziel. Das formelle Staatsrecht forderte einen Beschluß der römischen Bürgerschaft; bevor dieser erlassen war, waren die Ptolemäer abhängig von der Laune jedes demokratischen Machthabers, und sie hatten also den Bestechungskrieg auch gegen die andere römische Partei zu eröffnen, welche als die mächtigere weit höhere Preise bedang. Der Ausgang war ungleich. Die Einziehung von Kypros ward im Jahre 696 (58) vom Volke, das heißt von den Führern der Demokratie verfügt, wobei als offizieller Grund, weshalb dieselbe jetzt vorgenommen werde, die Förderung der Piraterie durch die Kyprioten angegeben ward. Marcus Cato, von seinen Gegnern mit der Ausführung dieser Maßregel beauftragt, kam nach der Insel ohne Heer; allein es bedurfte dessen auch nicht. Der König nahm Gift; die Einwohner fügten sich, ohne Widerstand zu leisten, dem unvermeidlichen Verhängnis und wurden dem Statthalter von Kilikien untergeordnet. Der überreiche Schatz von fast 7000 Talenten (fast 13 Mill. Taler), den der ebenso habsüchtige wie geizige König sich nicht hatte überwinden können, für die zur Rettung seiner Krone erforderlichen Bestechungen anzugreifen, fiel mit dieser zugleich an die Römer und füllte in erwünschter Weise die leeren Gewölbe ihres Ärars.

Dagegen gelang es dem Bruder, der in Ägypten regierte, die Anerkennung durch Volksschluß von den neuen Herren Roms im Jahre 695 (59) zu erkaufen; der Kaufpreis soll 6000 Talente (11 Mill. Taler) betragen haben. Die Bürgerschaft freilich, längst gegen den guten Flötenbläser und schlechten Regenten erbittert und nun durch den definitiven Verlust von Kypros und den infolge der Transaktionen mit den Römern unerträglich gesteigerten Steuerdruck aufs äußerste gebracht (696 58), jagte ihn dafür aus dem Lande. Als der König darauf, gleichsam wie wegen Entwährung des Kaufobjekts, sich an seine Verkäufer wandte, waren diese billig genug einzusehen, daß es ihnen als redlichen Geschäftsmännern obliege, dem Ptolemaeos sein Reich wiederzuverschaffen; nur konnten die Parteien sich nicht einig werden, wem der wichtige Auftrag, Ägypten mit bewaffneter Hand zu besetzen, nebst den davon zu erhoffenden Sporteln zukommen solle. Erst als die Triarchie auf der Konferenz von Luca sich neu befestigte, wurde zugleich auch diese Angelegenheit geordnet, nachdem Ptolemaeos noch sich zur Erlegung weiterer 10000 Talente (18 Mill. Taler) verstanden hatte: der Statthalter Syriens, Aulus Gabinius, erhielt jetzt von den Machthabern Befehl, sofort zur Zurückführung des Königs die nötigen Schritte zu tun. Die Bürgerschaft von Alexandreia hatte inzwischen des vertriebenen Königs ältester Tochter Berenike die Krone aufgesetzt und ihr in der Person eines der geistlichen Fürsten des römischen Asien, des Hochpriesters von Komana Archelaos, einen Gemahl gegeben, der Ehrgeiz genug besaß, um an die Hoffnung, den Thron der Lagiden zu besteigen, seine gesicherte und ansehnliche Stellung zu setzen. Seine Versuche, die römischen Machthaber für sich zu gewinnen, blieben ohne Erfolg; aber er schrak auch nicht zurück vor dem Gedanken, sein neues Reich mit den Waffen in der Hand selbst gegen die Römer behaupten zu müssen. Gabinius, ohne ostensible Vollmacht, den Krieg gegen Ägypten zu beginnen, aber von den Machthabern dazu angewiesen, nahm die angebliche Förderung der Piraterie durch die Ägypter und den Flottenbau des Archelaos zum Vorwand und brach ungesäumt auf gegen die ägyptische Grenze (699 55). Der Marsch durch die Sandwüste zwischen Gaza und Pelusion, an der so manche gegen Ägypten gerichtete Invasion gescheitert war, ward diesmal glücklich zurückgelegt, was besonders .dem raschen und geschickten Führer der Reiterei, Marcus Antonius, verdankt ward. Auch die Grenzfestung Pelusion wurde von der dort stehenden jüdischen Besatzung ohne Gegenwehr übergeben. Vorwärts dieser Stadt trafen die Römer auf die Ägypter, schlugen sie, wobei Antonius wiederum sich auszeichnete, und gelangten, die erste römische Armee, an den Nil. Hier hatten Flotte und Heer der Ägypter zum letzten entscheidenden Kampfe sich aufgestellt; aber die Römer siegten abermals und Archelaos selbst fand mit vielen der Seinigen kämpfend den Tod. Sofort nach dieser Schlacht ergab sich die Hauptstadt und damit war jeder Widerstand am Ende. Das unglückliche Land ward seinem rechtmäßigen Zwingherrn überliefert: das Henken und Köpfen, womit ohne des ritterlichen Antonius‘ Dazwischenkunft Ptolemaeos die Wiederherstellung des legitimen Regiments bereits in Pelusion zu feiern begonnen haben würde, ging nun ungehemmt seinen Gang, und vor allen anderen ward die unschuldige Tochter von dem Vater auf das Schafott gesandt. Die Bezahlung des mit den Machthabern vereinbarten Lohnes scheiterte an der absoluten Unmöglichkeit, dem ausgesogenen Lande die verlangten ungeheuren Summen abzupressen, obwohl man dem armen Volke den letzten Pfennig nahm; dafür aber, daß das Land wenigstens ruhig blieb, sorgte die in der Hauptstadt zurückgelassene Besatzung von römischer Infanterie und keltischer und deutscher Reiterei, welche die einheimischen Prätorianer ablöste und übrigens nicht unglücklich ihnen nacheiferte. Die bisherige Hegemonie Roms über Ägypten ward damit in eine unmittelbare militärische Okkupation verwandelt und die nominelle Fortdauer des einheimischen Königtums war nicht so sehr eine Bevorzugung des Landes als eine zwiefache Belastung.

  1. Pompeius verteilte unter seine Soldaten und Offiziere als Ehrengeschenk 384 Mill. Sesterzen (= 16000 Talente; App. Mithr. 116); da die Offiziere 100 Mill. empfingen (Plin. nat. 37, 2, 16), von den gemeinen Soldaten aber jeder 6000 Sesterzen (Plin., App.), so zählte das Heer noch bei dem Triumph etwa 40000 Mann.
  2. So verwarfen die Sadduzäer die Engel- und Geisterlehre und die Auferstehung der Toten. Die meisten überlieferten Differenzpunkte zwischen Pharisäern und Sadduzäern beziehen sich auf untergeordnete rituelle, juristische und Kalenderfragen. Charakteristisch ist es, daß die siegenden Pharisäer diejenigen Tage, an denen sie in den einzelnen Kontroversen definitiv die Oberhand behalten oder ketzerische Mitglieder aus dem Oberkonsistorium ausgestoßen hatten, in das Verzeichnis der Gedenk- und Festtage der Nation eingetragen haben.
  3. Den Winter 689/90 (65/64) brachte Pompeius noch in der Nähe des Kaspischen Meeres zu (Dio 37, 7). Im Jahre 690 (64) unterwarf er zunächst im Pontischen Reiche die letzten noch Widerstand leistenden Burgen und zog dann langsam, überall die Verhältnisse regelnd, gegen Süden. Daß die Ordnung Syriens 690 (64) begann, bestätigt sich dadurch, daß die syrische Provinzialära mit diesem Jahre anhebt und durch Ciceros Angabe hinsichtlich Kommagenes (ad. Q. fr. 2. 12, 2; vgl. Dio 37, 7). Den Winter 691/90 (64/63) scheint Pompeius in Antiocheia sein Hauptquartier gehabt zu haben (Ios. bel. Iud. 14, 3, 1 u. 2, wo die Verwirrung von Niese im Hermes 11, 1877, S. 471 berichtigt worden ist).
  4. Zwar lassen Orosius (6, 6) und Dio (37, 15), ohne Zweifel beide nach Livius, Pompeius bis nach Petra gelangen, auch wohl die Stadt einnehmen oder gar das Rote Meer erreichen; allein daß er im Gegenteil bald nach Empfang der Nachricht von dem Tode Mithradats, die ihm auf dem Marsche nach Jerusalem zukam, aus Syrien nach Pontus zurückging, sagt Plutarch (Pomp. 41, 42) und wird durch Florus (1, 39) und Josephus (bel. Iud. 14, 3, 3 u. 4) bestätigt. Wenn König Aretas unter den von Pompeius Besiegten in den Bulletins figuriert, so genügte hierfür sein durch Pompeius veranlaßter Abzug von Jerusalem.
  5. Diese Auffassung beruht auf der Erzählung Plutarchs (Pomp. 36), welche durch Strabons (16, 744) Schilderung der Stellung des Satrapen von Elymais unterstützt wird. Eine Ausschmückung davon ist es, wenn in den Verzeichnissen der von Pompeius besiegten Landschaften und Könige Medien und dessen König Dareios aufgeführt werden (Diod. fr. Vat. p. 140; App. Mithr. 117); und daraus weiter herausgesponnen ist Pompeius‘ Krieg mit den Medern (Vell. 2, 40; App. Mithr. 106, 114) und nun gar der Zug desselben nach Ekbatana (Oros. hist. 6, 5). Eine Verwechselung mit der fabelhaften gleichnamigen Stadt auf dem Karmel hat hier schwerlich stattgefunden; es ist einfach jene unleidliche, wie es scheint aus Pompeius‘ großartigen und absichtlich zweideutigen Bulletins sich herleitende, Übertreibung, die aus seiner Razzia gegen die Gätuler einen Zug an die afrikanische Westküste (Plut. Pomp. 38), aus seiner fehlgeschlagenen Expedition gegen die Nabatäer eine Eroberung der Stadt Petra, aus seinem Schiedsspruch hinsichtlich der Grenzen Armeniens eine Feststellung der römischen Reichsgrenze jenseits Nisibis gemacht hat.
  6. Der Krieg, den dieser Antiochos mit Pompeius geführt haben soll (App. Mithr. 106, 117), stimmt sehr wenig zu dem Vertrag, den derselbe mit Lucullus abschloß (Dio 36, 4) und seinem ungestörten Verbleiben in der Herrschaft; vermutlich ist auch er bloß daraus herausgesponnen, daß Antiochos von Kommagene unter den von Pompeius unterworfenen Königen figurierte.
  7. Hierauf zielt vermutlich Ciceros Vorwurf (off. 3, 12, 49): piratas immunes habemus, socios vectigales; insofern nämlich jene Piratenkolonien wahrscheinlich von Pompeius zugleich mit der Immunität beschenkt wurden, während bekanntlich die von Rom abhängigen Provinzialgemeinden durchschnittlich steuerpflichtig waren.

7. Kapitel


7. Kapitel

Die Empörung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution

Seitdem mit Pyrrhos‘ Überwindung der letzte Krieg, den die Italiker für ihre Unabhängigkeit geführt hatten, zu Ende gegangen war, das heißt seit fast zweihundert Jahren, hatte jetzt das römische Prinzipat in Italien bestanden, ohne daß es selbst unter den gefährlichsten Verhältnissen ein einziges Mal in seiner Grundlage geschwankt hätte. Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der Barleiden, vergeblich die Nachfolger des großen Alexander und der Achämeniden versucht, die italische Nation zum Kampf aufzurütteln gegen die übermächtige Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am Guadalquivir und an der Medscherda, am Tempepaß und am Sipylos erschienen und hatte mit dem besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die Untertänigkeit dreier Weltteile erfechten helfen. Ihre eigene Stellung indessen hatte sich wohl verändert, aber eher verschlechtert als verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich im allgemeinen nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere Grundbesitzer durch ganz Italien infolge der unverständigen römischen Korngesetzgebung litt, so gediehen dafür die größeren Gutsherren und mehr noch der Kaufmanns- und Kapitalistenstand, da die Italiker hinsichtlich der finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen denselben Schutz und dieselben Vorrechte genossen wie die römischen Bürger und also die materiellen Vorteile des politischen Übergewichts der Römer großenteils auch ihnen zugute kamen. Überhaupt waren die wirtschaftlichen und sozialen Zustände Italiens nicht zunächst abhängig von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise bundesgenössische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der freie Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentäler, in denen derselbe noch leidlich und zum Teil fast unberührt sich erhalten hatte – ähnlich wie sich gleiche Verschiedenheit auch in den verschiedenen römischen Bürgerdistrikten nachweisen läßt. Dagegen die politische Zurücksetzung ward immer herber, immer schroffer. Wohl fand ein förmlicher unverhüllter Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen nicht statt. Die Kommunalfreiheit, welche unter dem Namen der Souveränität den italischen Gemeinden vertragsmäßig zustand, wurde von der römischen Regierung im ganzen respektiert; den Angriff, den die römische Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den besser gestellten Gemeinden verbrieften römischen Domänen machte, hatte nicht bloß die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom ernstlich bekämpft, sondern auch die römische Opposition selbst sehr bald aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der führenden Gemeinde zustanden und zustehen mußten, die oberste Leitung des Kriegswesens und die Oberaufsicht über die gesamte Verwaltung, wurden in einer Weise ausgeübt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die Bundesgenossen geradezu für rechtlose Untertanen erklärt hätte. Die zahlreichen Milderungen des furchtbar strengen römischen Kriegsrechts, welche im Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingeführt wurden, scheinen sämtlich auf die römischen Bürgersoldaten beschränkt geblieben zu sein; von der wichtigsten, der Abschaffung der standrechtlichen Hinrichtungen, ist dies gewiß und der Eindruck leicht zu ermessen, wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg geschah, angesehene latinische Offiziere nach Urteil des römischen Kriegsrats enthauptet wurden, dem letzten Bürgersoldaten aber im gleichen Fall das Recht zustand, an die bürgerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In welchem Verhältnis die Bürger und die italischen Bundesgenossen zum Kriegsdienst angezogen werden sollten, war vertragsmäßig wie billig unbestimmt geblieben; allein während in früherer Zeit beide durchschnittlich die gleiche Zahl Soldaten gestellt hatten, wurden jetzt, obwohl das Bevölkerungsverhältnis wahrscheinlich eher zu Gunsten als zum Nachteil der Bürgerschaft sich verändert hatte, die Forderungen an die Bundesgenossen allmählich unverhältnismäßig gesteigert, so daß man ihnen teils den schwereren und kostbareren Dienst vorzugsweise aufbürdete, teils jetzt regelmäßig auf einen Bürger zwei Bundesgenossen aushob. Ähnlich wie die militärische Oberleitung wurde die bürgerliche Oberaufsicht, welche mit Einschluß der davon kaum zu trennenden obersten Administrativjurisdiktion die römische Regierung stets und mit Recht über die abhängigen italischen Gemeinden sich vorbehalten hatte, in einer Weise ausgedehnt, daß die Italiker fast nicht minder als die Provinzialen sich der Willkür eines jeden der zahllosen römischen Beamten schutzlos preisgegeben sahen. In Teanum Sidicinum, einer der angesehensten Bundesstädte, hatte ein Konsul den Bürgermeister der Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit Ruten stäupen lassen, weil seiner Gemahlin, die in dem Männerbad zu baden verlangte, die Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden ausgetrieben hatten und ihr das Bad nicht sauber erschienen war. Ähnliche Auftritte waren in Ferentinum, gleichfalls einer Stadt besten Rechts, ja in der alten und wichtigen latinischen Kolonie Cales vorgefallen. In der latinischen Kolonie Venusia war ein freier Bauersmann von einem durchpassierenden jungen, amtlosen römischen Diplomaten wegen eines Spaßes, den er sich über dessen Sänfte erlaubt hatte, angehalten, niedergeworfen und mit dem Tragriemen der Sänfte zu Tode gepeitscht worden. Dieser Vorfälle wird um die Zeit des fregellanischen Aufstandes gelegentlich gedacht; es leidet keinen Zweifel, daß ähnliche Unrechtfertigkeiten häufig vorkamen und ebensowenig, daß eine ernstliche Genugtuung für solche Missetaten nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht ungestraft verletzte Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des römischen Bürgers einigermaßen schützte. Es konnte nicht fehlen, daß infolge dieser Behandlung der Italiker seitens der römischen Regierung die Spannung, welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen und den sonstigen italischen Gemeinden sorgfältig unterhalten hatte, wenn nicht verschwand, so doch nachließ. Die Zwingburgen Roms und die durch die Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt unter dem gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran erinnern, daß sie beide in gleicher Weise „den Beilen unterworfen“ seien; die Vögte und die Knechte von ehemals vereinigte jetzt der gemeinsame Haß gegen den gemeinsamen Zwingherrn.

Wenn also der gegenwärtige Zustand der italischen Bundesgenossen aus einem leidlichen Abhängigkeitsverhältnis umgeschlagen war in die drückendste Knechtschaft, so war zugleich denselben jede Aussicht auf Erlangung besseren Rechts genommen worden. Schon mit der Unterwerfung Italiens hatte die römische Bürgerschaft sich abgeschlossen und die Erteilung des Bürgerrechts an ganze Gemeinden vollständig aufgegeben, die an einzelne Personen sehr beschränkt. Jetzt ging man noch einen Schritt weiter: bei Gelegenheit der die Erstreckung des römischen Bürgerrechts auf ganz Italien bezweckenden Agitation in den Jahren 628, 632 (126, 122) griff man das Übersiedlungsrecht selbst an und wies geradezu die sämtlichen in Rom sich aufhaltenden Nichtbürger durch Volks- und Senatbeschluß aus der Hauptstadt aus – eine ebenso durch ihre Illiberalität gehässige wie durch die vielfach dabei verletzten Privatinteressen gefährliche Maßregel. Kurz, wenn die italischen Bundesgenossen zu den Römern früher gestanden hatten teils als bevormundete Brüder, mehr beschützt als beherrscht und nicht zu ewiger Unmündigkeit bestimmt, teils als leidlich gehaltene und der Hoffnung auf die Freilassung nicht völlig beraubte Knechte, so standen sie jetzt sämtlich ungefähr in gleicher Untertänigkeit und gleicher Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und Beilen ihrer Zwingherren und durften höchstens als bevorrechtete Knechte sich es herausnehmen, die von den Herren empfangenen Fußtritte an die armen Provinzialen weiterzugeben.

Es liegt in der Natur solcher Zerwürfnisse, daß sie anfangs, zurückgehalten durch das Gefühl der nationalen Einheit und die Erinnerung gemeinschaftlich überdauerter Gefahr, leise und gleichsam bescheiden auftreten, bis allmählich der Riß sich erweitert und zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich ihre Macht ist, und den Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht als ihre Furcht, das unverhohlene Gewaltverhältnis sich offenbart. Bis zu der Empörung und Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die gleichsam offiziell den veränderten Charakter der römischen Herrschaft konstatierte, trug die Gärung unter den Italikern nicht eigentlich einen revolutionären Charakter. Das Begehren nach Gleichberechtigung hatte allmählich sich gesteigert von stillem Wunsch zu lauter Bitte, nur um, je bestimmter es auftrat, desto entschiedener abgewiesen zu werden. Sehr bald konnte man erkennen, daß eine gutwillige Gewährung nicht zu hoffen sei, und der Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen, wird nicht gefehlt haben; allein Roms damalige Stellung ließ den Gedanken, diesen Wunsch zur Tat zu machen, kaum aufkommen. Obwohl das Zahlenverhältnis der Bürger und Nichtbürger in Italien sich nicht gehörig ermitteln läßt, so kann es doch als ausgemacht gelten, daß die Zahl der Bürger nicht sehr viel geringer war als die der italischen Bundesgenossen und auf ungefähr 400000 waffenfähige Bürger mindestens 500000, wahrscheinlich 600000 Bundesgenossen kamen59. Solange bei einem solchen Verhältnis die Bürgerschaft einig und kein nennenswerter äußerer Feind vorhanden war, konnte die in eine Unzahl einzelner Stadt- und Gaugemeinden zersplitterte und durch tausendfache öffentliche und Privatverhältnisse mit Rom verknüpfte italische Bundesgenossenschaft zu einem gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr gelangen und mit mäßiger Klugheit es der Regierung nicht fehlen, die schwierigen und grollenden Untertanenschaften teils durch die kompakte Masse der Bürgerschaft, teils durch die sehr ansehnlichen Hilfsmittel, die die Provinzen darboten, teils eine Gemeinde durch die andere zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die Revolution Rom zu erschüttern begann; sowie aber diese ausgebrochen war, griffen auch sie ein in das Treiben und Wogen der römischen Parteien, um durch die eine oder die andere die Gleichberechtigung zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit der Volks-, sodann mit der Senatspartei und bei beiden gleich wenig erreicht. Sie hatten sich überzeugen müssen, daß zwar die besten Männer beider Parteien die Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer Forderungen anerkannten, daß aber diese besten Männer, Aristokraten wie Populare, gleich wenig vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen Forderungen Gehör zu verschaffen. Sie hatten es mitangesehen, wie die begabtesten, energischsten, gefeiertsten Staatsmänner Roms in demselben Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von ihren eigenen Anhängern verlassen gefunden hatten und deshalb gestürzt worden waren. In all den Wechselfällen der dreißigjährigen Revolution und Restauration waren Regierungen genug ein- und abgesetzt worden, aber wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige Engherzigkeit saß ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgänge hatten es deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die Berücksichtigung ihrer Ansprüche von Rom erwarteten. Solange sich die Begehren der Italiker mit denen der Revolutionspartei gemischt hatten und bei dieser an dem Unverstand der Massen gescheitert waren, konnte man sich noch dem Glauben überlassen, als sei die Oligarchie nur den Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als sei noch eine Möglichkeit vorhanden, daß der intelligentere Staat die mit dem Wesen der Oligarchie verträgliche und dem Senat heilsame Maßregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre, in denen der Senat wieder fast unumschränkt regierte, hatten über die Absichten auch der römischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit verbreitet. Statt der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95) ein konsularisches Gesetz, das den Nichtbürgern aufs strengste untersagte, des Bürgerrechts sich anzumaßen, und die Kontravenienten mit Untersuchung und Strafe bedrohte – ein Gesetz, das eine große Anzahl der angesehensten und bei der Gleichberechtigungsfrage am meisten interessierten Personen aus den Reihen der Römer in die der Italiker zurückwarf und das in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und staatsmännischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit jener berühmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung Nordamerikas vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die nächste Ursache des Bürgerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, daß die Urheber dieses Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten gehörten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein verehrte, freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum Rechtsgelehrten und vom Verhängnis zum Staatsmann bestimmte Quintus Scaevola, welcher durch seine ebenso ehrenwerte als schädliche Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den zwischen Römern und Italikern mehr als irgendein zweiter entzündet hat, und der Redner Lucius Crassus, der Freund und Bundesgenosse des Drusus und überhaupt einer der gemäßigtsten und einsichtigsten Optimaten. Inmitten der heftigen Gärung, die dies Gesetz und die daraus entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus Drusus. Was fast unmöglich gedünkt hatte, daß ein Konservativer die reformatorischen Gedanken der Gracchen aufnehmen und die Gleichberechtigung der Italiker durchfechten werde, war nun dennoch eingetreten; ein hocharistokratischer Mann hatte sich entschlossen, zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis an die Alpen hin und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten Eifer, all seine zuverlässige Hingebung an diese hochherzigen Reformpläne zu setzen. Ober wirklich, wie erzählt wird, sich an die Spitze eines Geheimbundes gestellt hat, dessen Fäden durch ganz Italien liefen und dessen Mitglieder sich eidlich60

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Die letzte Hoffnung, durch Vertrag die Aufnahme in den römischen Bürgerverband zu erlangen, ward den Italikern mit Marcus Drusus zu Grabe getragen. Wozu dieser konservative und energische Mann unter den günstigsten Verhältnissen seine eigene Partei nicht hatte bestimmen können, dazu war überhaupt auf dem Wege der Güte nicht zu gelangen. Den Italikern blieb nur die Wahl, entweder geduldig sich zu fügen oder den Versuch, der vor fünfunddreißig Jahren durch die Zerstörung von Fregellae im Keim erstickt worden war, noch einmal und womöglich mit gesamter Hand zu wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu vernichten und zu beerben, sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit Rom zu erzwingen. Es war dieser letztere Entschluß freilich ein Entschluß der Verzweiflung; wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung der einzelnen Stadtgemeinden gegen die römische Regierung gar leicht noch hoffnungsloser erscheinen als der Aufstand der amerikanischen Pflanzstädte gegen das Britische Imperium; allem Anschein nach konnte die römische Regierung mit mäßiger Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser zweiten Schilderhebung das Schicksal der früheren bereiten. Allein war es etwa minder ein Entschluß der Verzweiflung, wenn man stillsaß und die Dinge über sich kommen ließ? Wenn man sich erinnerte, wie die Römer ungereizt in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu erwarten, wo die angesehensten Männer in jeder italischen Stadt mit Drusus in einem Einverständnis gestanden hatten oder haben sollten – beides war hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe –, das geradezu gegen die jetzt siegreiche Partei gerichtet und füglich als Hochverrat zu qualifizieren war? Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt, ja allen, die nur der Teilhaberschaft verdächtigt werden konnten, blieb keine andere Wahl, als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, daß für eine allgemeine Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwärtige Augenblick noch verhältnismäßig günstige Aussichten darbot. Wir sind nicht genau darüber unterrichtet, inwieweit die Römer die Sprengung der größeren italischen Eidgenossenschaften durchgeführt hatten; es ist indes nicht unwahrscheinlich, daß die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die Samniten und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch bedeutungslos gewordenen, zum Teil wohl auf bloße Fest- und Opfergemeinschaft zurückgeführten Gemeindebünden zusammenstanden. Immer fand die beginnende Insurrektion jetzt noch an diesen Verbänden einen Stützpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die Römer ebendarum dazu schreiten würden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund ferner, an dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches oder gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und gewährte für die politische Organisation des Aufstandes einen wichtigen Anhalt, während die militärische daran anknüpfen konnte, daß jede Bundesstadt ihr eigenes Heerwesen und erprobte Soldaten besaß. Andrerseits war man in Rom auf nichts ernstlich gefaßt. Man vernahm wohl davon, daß unruhige Bewegungen in Italien stattfänden und die bundesgenössischen Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr unterhielten; aber statt schleunigst die Bürger unter die Waffen zu rufen, begnügte das regierende Kollegium sich damit, in herkömmlicher Art die Beamten zur Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um etwas Genaueres zu erfahren. Die Hauptstadt war so völlig unverteidigt, daß ein entschlossener marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo, einer von den vertrautesten Freunden des Drusus, den Plan entworfen haben soll, an der Spitze einer Schar zuverlässiger, unter den Gewändern Schwerter führender Männer sich in dieselbe einzuschleichen und sich ihrer durch einen Handstreich zu bemächtigen. Ein Aufstand bereitete also sich vor; Verträge wurden geschlossen, die Rüstungen still und tätig betrieben, bis endlich, wie gewöhnlich noch etwas früher, als die leitenden Männer beabsichtigt hatten, durch einen Zufall die Insurrektion zum Ausbruch kam. Der römische Prätor mit prokonsularischer Gewalt Gaius Servilius, durch seine Kundschafter davon benachrichtigt, daß die Stadt Asculum (Ascoli) in den Abruzzen an die Nachbargemeinden Geiseln sende, begab sich mit seinem Legaten Fonteius und wenigem Gefolge dorthin und richtete an die eben zur Feier der großen Spiele im Theater versammelte Menge eine donnernde Drohrede. Der Anblick der nur zu bekannten Beile, die Verkündigung der nur zu ernst gemeinten Drohungen warf den Funken in den seit Jahrhunderten aufgehäuften Zunder des erbitterten Hasses; die römischen Beamten wurden im Theater selbst von der Menge zerrissen und sofort, gleich als gelte es, durch einen furchtbaren Frevel jede Brücke der Versöhnung abzubrechen, die Tore auf Befehl der Obrigkeit geschlossen, die sämtlichen in Asculum verweilenden Römer niedergemacht und ihre Habe geplündert. Wie die Flamme durch die Steppe lief die Empörung durch die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche Volk der Marser in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen Eidgenossenschaften in den Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern, Frentanern und Vestinern; der schon genannte tapfere und kluge Quintus Silo war hier die Seele der Bewegung. Von den Marsern wurde zuerst den Römern förmlich abgesagt, wonach späterhin dem Krieg der Name des marsischen blieb. Dem gegebenen Beispiel folgten die samnitischen und überhaupt die Masse der Gemeinden vom Liris und den Abruzzen bis hinab nach Kalabrien und Apulien, so daß bald in ganz Mittel- und Süditalien gegen Rom gerüstet ward. Die Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu Rom, wie sie bereits früher mit den Rittern zusammengehalten hatten gegen Drusus. Es ist bezeichnend, daß in diesen Landschaften seit alten Zeiten die Grund- und Geldaristokratie übermächtig und der Mittelstand gänzlich verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der Bauernstand sich reiner und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst in Italien; der Bauern- und überhaupt der Mittelstand also war es, aus dem der Aufstand wesentlich hervorging, wogegen die munizipale Aristokratie auch jetzt noch Hand in Hand ging mit der hauptsächlichen Regierung. Danach ist es auch leicht erklärlich, daß in den aufständischen Distrikten einzelne Gemeinden und in den aufständischen Gemeinden Minoritäten festhielten an dem römischen Bündnis; wie zum Beispiel die Vestinerstadt Pinna für Rom eine schwere Belagerung aushielt und ein im Hirpinerland gebildetes Loyalistenkorps unter Minatus Magius von Aeclanum die römischen Operationen in Kampanien unterstützte. Endlich hielten fest an Rom die am besten gestellten bundesgenössischen Gemeinden, in Kampanien, Nola und Nuceria, und die griechischen Seestädte Neapolis und Rhegion, desgleichen wenigstens die meisten latinischen Kolonien, wie zum Beispiel Alba und Aesernia – ebenwie im Hannibalischen Kriege die latinischen und die griechischen Städte im ganzen für die sabellischen gegen Rom Partei genommen hatten. Die Vorfahren hatten Italiens Beherrschung auf die aristokratische Gliederung gegründet und mit geschickter Abstufung der Abhängigkeiten die schlechter gestellten Gemeinden durch die besseren Rechts, innerhalb jeder Gemeinde aber die Bürgerschaft durch die Munizipalaristokratie in Untertänigkeit gehalten. Erst jetzt, unter dem unvergleichlich schlechten Regiment der Oligarchie, erprobte es sich vollständig, wie fest und gewaltig die Staatsmänner des vierten und fünften Jahrhunderts ihre Werksteine ineinandergefügt hatten; auch diese Sturmflut hielt der vielfach erschütterte Bau noch aus. Freilich war damit, daß die besser gestellten Städte nicht auf den ersten Stoß von Rom ließen, noch keineswegs gesagt, daß sie auch jetzt, wie im Hannibalischen Kriege, auf die Länge und nach schweren Niederlagen ausdauern würden, ohne in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die Feuerprobe war noch nicht überstanden.

Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei große Heerlager auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen, noch gar viel an einer allgemeinen Schilderhebung der italischen Bundesgenossenschaft; dennoch hatte die Insurrektion schon eine vielleicht die Hoffnungen der Führer selbst übertreffende Ausdehnung gewonnen, und die Insurgenten konnten ohne Übermut daran denken, der römischen Regierung ein billiges Abkommen anzubieten. Sie sandten Boten nach Rom und machten sich anheischig, gegen Aufnahme in den Bürgerverband die Waffen niederzulegen; es war vergebens. Der Gemeinsinn, der so lange in Rom vermißt worden war, schien plötzlich wiedergekehrt zu sein, nun es sich darum handelte, einem gerechten und jetzt auch mit ansehnlicher Macht unterstützten Begehren der Untertanen mit starrer Borniertheit in den Weg zu treten. Die nächste Folge der italischen Insurrektion war, ähnlich wie nach den Niederlagen, die die Regierungspolitik in Afrika und Gallien erlitten hatte, die Eröffnung eines Prozeßkrieges, mittels dessen die Richteraristokratie Rache nahm an denjenigen Männern der Regierung, in denen man, mit Recht oder Unrecht, die nächste Ursache dieses Unheils sah. Auf den Antrag des Tribuns Quintus Varius ward trotz des Widerstandes der Optimaten und trotz der tribunizischen Interzession eine besondere Hochverratskommission, natürlich aus dem mit offener Gewalt für diesen Antrag kämpfenden Ritterstand, niedergesetzt zur Untersuchung der von Drusus angezettelten und, wie in Italien so auch in Rom, weitverzweigten Verschwörung, aus der die Insurrektion hervorgegangen war und die jetzt, da halb Italien in Waffen stand, der gesamten erbitterten und erschreckten Bürgerschaft als unzweifelhafter Landesverrat erschien. Die Urteile dieser Kommission räumten stark auf in den Reihen der senatorischen Vermittlungspartei; unter andern namhaften Männern ward Drusus‘ genauer Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die Verbannung gesandt, und mit Not entging der greise Marcus Scaurus dem gleichen Schicksal. Der Verdacht gegen die den Reformen des Drusus geneigten Senatoren ging soweit, daß bald nachher der Konsul Lupus aus dem Lager an den Senat berichtete über die Verbindungen, die zwischen den Optimaten in seinem Lager und dem Feinde beständig unterhalten würden; ein Verdacht, der sich freilich bald durch das Aufgreifen marsischer Spione als unbegründet auswies. Insofern konnte der König Mithradates nicht mit Unrecht sagen, daß der Hader der Faktionen ärger als der Bundesgenossenkrieg selbst den römischen Staat zerrüttete. Zunächst indes stellte der Ausbruch der Insurrektion und der Terrorismus, den die Hochverratskommission übte, wenigstens einen Schein her von Einigkeit und Kraft. Die Parteifehden schwiegen; die fähigen Offiziere aller Farben, Demokraten wie Gaius Marius, Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus wie Publius Sulpicius Rufus, stellten sich der Regierung zur Verfügung; die Getreideverteilungen wurden, wie es scheint, um diese Zeit durch Volksbeschluß wesentlich beschränkt, um die finanziellen Kräfte des Staates für den Krieg zusammenzuhalten, was um so notwendiger wir, als bei der drohenden Stellung des Königs Mithradates die Provinz Asia jeden Augenblick in Feindeshand geraten und damit eine der Hauptquellen des römischen Schatzes versiegen konnte; die Gerichte stellten mit Ausnahme der Hochverratskommission nach Beschluß des Senats vorläufig ihre Tätigkeit ein; alle Geschäfte stockten und man dachte an nichts als an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen.

Während also der führende Staat in Voraussicht des bevorstehenden schweren Krieges sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die schwierigere Aufgabe zu lösen, sich während des Kampfes politisch zu organisieren. In dem inmitten der marsischen, samnitischen, marrucinischen und vestinischen Gaue, also im Herzen der insurgierten Landschaften belegenen Gebiete der Päligner, in der schönen Ebene an dem Pescarafluß ward die Stadt Corfinium auserlesen zum Gegen-Rom oder zur Stadt Italia, deren Bürgerrecht den Bürgern sämtlicher insurgierter Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Größe Markt und Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fünfhundert Mitgliedern erhielt den Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Bürgerschaft aus den Männern senatorischen Ranges zwei Konsuln und zwölf Prätoren, die ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs Prätoren die höchste Amtsgewalt in Krieg und Frieden .übernahmen. Die lateinische Sprache, die damals schon bei den Marsern und Picentern die landübliche war, blieb in offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die samnitische als die im südlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider bediente man sich abwechselnd auf den Silbermünzen, die man nach römischen Mustern und nach römischem Fuß auf den Namen des neuen italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten von Rom ausgeübte Münzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von selbst versteht, daß die Italiker jetzt nicht mehr sich Gleichberechtigung von den Römern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten oder zu unterwerfen und einen neuen Staat zu bilden gedachten. Aber es geht daraus auch hervor, daß ihre Verfassung nichts war als ein reiner Abklatsch der römischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei den italischen Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik: eine Stadtordnung statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen von gleicher Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die römischen Komitien es waren, mit einem regierenden Kollegium, das dieselben Elemente der Oligarchie in sich trug wie der römische Senat, mit einer in gleicher Art durch eine Vielzahl konkurrierender höchster Beamten ausgeübten Exekutive – es geht diese Nachbildung bis in das kleinste Detail hinab, wie zum Beispiel der Konsul- oder Prätortitel des höchstkommandierenden Magistrats auch von den Feldherren der Italiker nach einem Siege vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es ändert sich eben nichts als der Name, ganz wie auf den Münzen der Insurgenten dasselbe Götterbild erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern Italia lautet. Nur darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich dies Insurgenten-Rom von dem ursprünglichen, daß das letztere denn doch eine städtische Entwicklung gehabt und seine unnatürliche Zwischenstellung zwischen Stadt und Staat wenigstens auf natürlichem Wege sich gebildet hatte, wogegen das neue Italia gar nichts war als der Kongreßplatz der Insurgenten und durch eine reine Legalfiktion die Bewohner der Halbinsel zu Bürgern dieser neuen Hauptstadt gestempelt wurden. Bezeichnend aber ist es, daß hier, wo die plötzliche Verschmelzung einer Anzahl einzelner Gemeinden zu einer neuen politischen Einheit den Gedanken einer Repräsentativverfassung im modernen Sinn so nahelegte, doch von einer solchen keine Spur, ja das Gegenteil sich zeigt62 und nur die kommunale Organisation in einer noch widersinnigeren Weise als bisher reproduziert wird. Vielleicht nirgends zeigt es sich so deutlich wie hier, daß dem Altertum die freie Verfassung unzertrennlich ist von dem Auftreten des souveränen Volkes in eigener Person in den Urversammlungen oder von der Stadt, und daß der große Grundgedanke des heutigen republikanisch-konstitutionellen Staates: die Volkssouveränität auszudrücken durch eine Repräsentantenversammlung, dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein Unding wäre, ganz und vollkommen modern ist. Selbst die italische Staatenbildung, obwohl sie in den gewissermaßen repräsentativen Senaten und in dem Zurücktreten der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich nähert, hat doch weder als Rom noch als Italia jemals die Grenzlinie zu überschreiten vermocht.

So begann wenige Monate nach Drusus‘ Tode im Winter 663/64 (91/90) der Kampf, wie eine der Insurgentenmünzen ihn darstellt, des sabellinischen Stiers gegen die römische Wölfin. Beiderseits rüstete man eifrig; in Italia wurden große Vorräte an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehäuft; in Rom bezog man aus den Provinzen, namentlich aus Sizilien, die erforderlichen Vorräte und setzte für alle Fälle die lange vernachlässigten Mauern in Verteidigungszustand. Die Streitkräfte waren einigermaßen gleich gewogen. Die Römer füllten die Lücken in den italischen Kontingenten teils durch gesteigerte Aushebung aus der Bürgerschaft und aus den schon fast ganz romanisierten Bewohnern der Keltenlandschaften diesseits der Alpen, von denen allein bei der kampanischen Armee 10000 dienten63, teils durch die Zuzüge der Numidier und anderer überseeischer Nationen, und brachten mit Hilfe der griechischen und kleinasiatischen Freistädte eine Kriegsflotte zusammen64. Beiderseits wurden, ohne die Besatzungen zu rechnen, bis 100000 Soldaten mobil gemacht65 und an Tüchtigkeit der Mannschaft, an Kriegstaktik und Bewaffnung standen die Italiker hinter den Römern in nichts zurück. Die Führung des Krieges war für die Insurgenten wie für die Römer deswegen sehr schwierig, weil das aufständische Gebiet sehr ausgedehnt und eine große Zahl zu Rom haltender Festungen in demselben zerstreut war; so daß einerseits die Insurgenten sich genötigt sahen, einen sehr zersplitternden und zeitraubenden Festungskrieg mit einer ausgedehnten Grenzdeckung zu verbinden, andrerseits die Römer nicht wohl anders konnten, als die nirgends recht zentralisierte Insurrektion in allen insurgierten Landschaften zu bekämpfen. Militärisch zerfiel das insurgierte Land in zwei Hälften: in der nördlichen, die von Picenum und den Abruzzen bis an die kampanische Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden Distrikte umfaßte, übernahmen italischerseits der Marser Quintus Silo, römischerseits Publius Rutilius Lupus, beide als Konsuln, den Oberbefehl; in der südlichen, welche Kampanien, Samnium und überhaupt die sabellisch redenden Landschaften in sich schloß, befehligte als Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius Mutilus, als römischer Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden Oberfeldherrn standen auf italischer Seite sechs, auf römischer fünf Unterbefehlshaber zur Seite, so daß ein jeder von diesen in einem bestimmten Bezirk den Angriff und die Verteidigung leitete, die konsularischen Heere aber die Bestimmung hatten, freier zu agieren und die Entscheidung zu bringen. Die angesehensten römischen Offiziere, wie zum Beispiel Gaius Marius, Quintus Catulus und die beiden im Spanischen Krieg erprobten Konsulare Titus Didius und Publius Crassus, stellten für diese Posten den Konsuln sich zur Verfügung; und wenn man auf Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen entgegenzustellen hatte, so bewies doch der Erfolg, daß ihre Führer den römischen militärisch in nichts nachstanden.

Die Offensive in diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen auf seiten der Römer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit auf. Es fällt auf, daß weder die Römer ihre Truppen zusammennahmen, um einen überlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszuführen, noch die Insurgenten den Versuch machten, in Latium einzurücken und sich auf die feindliche Hauptstadt zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen Verhältnissen zu wenig bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders hätte handeln können und inwieweit die Schlaffheit der römischen Regierung einer- und die lose Verbindung der föderierten Gemeinden andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in der Kriegführung beigetragen haben. Es ist begreiflich, daß bei diesem System es wohl zu Siegen und Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer endgültigen Erledigung; nicht minder aber auch, saß von einem solchen Krieg, der in eine Reihe von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald kombiniert operierender Korps sich auflöste, aus unserer beispiellos trümmerhaften Überlieferung ein anschauliches Bild sich nicht herstellen läßt.

Der erste Sturm traf selbstverständlich die in den insurgierten Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst ihre Tore schlossen und die bewegliche Habe vom Lande hereinschafften. Silo warf sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf die im Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia: dort wie hier trafen sie auf den entschlossensten Widerstand. Ähnliche Kämpfe mögen im Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Süden um Luceria, Benevent, Nola, Paestum getobt haben, bevor und während die römischen Heere sich an den Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem die Südarmee unter Caesar in der größtenteils noch zu Rom haltenden kampanischen Landschaft sich im Frühjahr 664 (90) gesammelt und Capua mit seinem für die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die bedeutenderen Bundesstädte mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie zur Offensive überzugehen und den kleineren, nach Samnium und Lucanien unter Marcus Marcellus und Publius Crassus vorausgesandten Abteilungen zu Hilfe zu kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern unter Publius Vettius Scato mit starkem Verlust zurückgewiesen, und die wichtige Stadt Venafrum trat hierauf über zu den Insurgenten, denen sie die römische Besatzung in die Hände lieferte. Durch den Abfall dieser Stadt, die auf der Heerstraße von Kampanien nach Samnium lag, war Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung sah sich jetzt ausschließlich auf den Mut und die Ausdauer ihrer Verteidiger und ihres Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte ein Streifzug, den Sulla mit derselben kühnen Verschlagenheit wie vor Jahren den Zug zu Bocchus glücklich zu Ende führte, den bedrängten Aeserninern für einen Augenblick Luft; allein dennoch wurden sie nach hartnäckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die äußerste Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genötigt, sich in Grumentum einzuschließen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien und die südlichen Landschaften hatte man ohnehin gänzlich sich selbst überlassen müssen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an der Spitze der samnitischen Armee in Kampanien einrückte, übergab die Bürgerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die römische Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mutilus‘ Befehl hingerichtet, die Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt, ging ganz Kampanien bis zum Vesuv den Römern verloren; Salernum, Stabiae, Pompeii, Herculaneum erklärten sich für die Insurgenten; Mutilus konnte in das Gebiet nördlich vom Vesuv vorrücken und mit seiner samnitisch-lucanischen Armee Acerrae belagern. Die Numidier, die in großer Zahl bei Caesars Armee standen, fingen an, scharenweise zu Mutilus überzugehen oder vielmehr zu Oxyntas, dem Sohne Jugurthas, der bei der Übergabe von Venusia den Samniten in die Hände gefallen war und nun im königlichen Purpur in den Reihen der Samniten erschien, so daß Caesar sich genötigt sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat zurückzuschicken. Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das römische Lager; allein er ward abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem Abzug die römische Reiterei in den Rücken gefallen war, ließen bei 6000 Tote auf dem Schlachtfeld. Es war der erste namhafte Erfolg, den in diesem Kriege die Römer errangen; das Heer rief den Feldherrn zum Imperator aus, und in der Hauptstadt fing der tief gesunkene Mut wieder an sich zu heben. Zwar ward nicht lange darauf die siegreiche Armee bei einem Flußübergang von Marius Egnatius angegriffen und so nachdrücklich geschlagen, daß sie bis Teanum zurückweichen und dort wieder organisiert werden mußte; indes gelang es den Anstrengungen des tätigen Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder in kriegsfähigen Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder einzunehmen unter den Mauern von Acerrae, das die samnitische Hauptarmee unter Mutilus fortfuhr zu belagern.

Gleichzeitig hatten die Operationen auch in Mittelitalien begonnen, wo der Aufstand von den Abruzzen und der Landschaft am Fuciner See aus in gefährlicher Nähe die Hauptstadt bedrohte. Ein selbständiges Korps unter Gnaeus Pompeius Strabo ward ins Picenische gesandt, um, auf Firmum und Falerio gestützt, Asculum zu bedrohen; die Hauptmasse dagegen der römischen Nordarmee stellte unter dem Konsul Lupus sich auf an der Grenze des latinischen und des marsischen Gebietes, wo an der Valerischen und der Salarischen Chaussee der Feind der Hauptstadt am nächsten stand; der kleine Fluß Tolenus (Turano), der zwischen Tibur und Alba die Valerische Straße schneidet und bei Rieti in den Velino fällt, schied die beiden Heere. Ungeduldig drängte der Konsul Lupus zur Entscheidung und überhörte den unbequemen Rat des Marius, die des Dienstes ungewohnte Mannschaft erst im kleinen Krieg zu üben. Zunächst ward ihm die 10000 Mann starke Abteilung des Gaius Perpenna vollständig geschlagen. Der Oberfeldherr entsetzte den geschlagenen General seines Kommandos und vereinigte den Rest des Korps mit dem unter Marius‘ Befehl stehenden, ließ sich aber dadurch nicht abhalten, die Offensive zu ergreifen und in zwei teils von ihm selbst, teils von Marius geführten Abteilungen auf zwei nicht weit voneinander geschlagenen Brücken den Tolenus zu überschreiten. Ihnen gegenüber stand Publius Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an der Stelle geschlagen, wo Marius den Bach überschritt, allein ehe der Übergang stattfand, sich mit Hinterlassung der bloßen Lagerposten von dort weggezogen und weiter flußaufwärts eine verdeckte Stellung genommen, in welcher er das römische Korps unter Lupus unvermutet während des Übergehens angriff und es teils niedermachte, teils in den Fluß sprengte (11. Juni 664 90). Der Konsul selbst und 8000 der Seinen blieben. Es konnte kaum ein Ersatz heißen, daß Marius, Scatos Abmarsch endlich gewahrend, über den Fluß gegangen war und nicht ohne Verlust der Feinde deren Lager besetzt hatte. Doch zwang dieser Flußübergang und gleichzeitig von dem Feldherrn Servius Sulpicius über die Paeligner erfochtener Sieg die Marser, ihre Verteidigungslinie etwas zurückzunehmen, und Marius, welcher nach Beschluß des Senats als Höchstkommandierender an Lupus‘ Stelle trat, verhinderte wenigstens, daß der Feind weitere Erfolge errang. Allein Quintus Caepio, der bald darauf ihm gleichberechtigt zur Seite gesetzt ward, weniger wegen eines glücklich von ihm bestandenen Gefechtes, als weil er den damals in Rom tonangebenden Rittern durch seine heftige Opposition gegen Drusus sich empfohlen hatte, ließ sich von Silo durch die Vorspiegelung, ihm sein Heer verraten zu wollen, in einen Hinterhalt locken und ward mit einem großen Teil seiner Mannschaft von den Marsern und Vestinern zusammengehauen. Marius, nach Caepios Fall wiederum alleiniger Oberbefehlshaber, hinderte durch seinen zähen Widerstand den Gegner, die errungenen Vorteile zu benutzen, und drang allmählich tief in das marsische Gebiet ein. Die Schlacht versagte er lange; als er endlich sie lieferte, überwand er seinen stürmischen Gegner, der unter anderen Toten den Hauptmann der Marruciner Herius Asinius auf der Walstatt zurückließ. In einem zweiten Treffen wirkten Marius‘ Heer und das zur Südarmee gehörige Korps des Sulla zusammen, um den Marsern eine noch empfindlichere Niederlage beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die Ehre dieses Tages aber blieb dem jüngeren Offizier, denn Marius hatte zwar die Schlacht geliefert und gewonnen, aber Sulla den Flüchtigen den Rückzug verlegt und sie aufgerieben.

Während also am Fuciner See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten ward, hatte auch das picenische Korps unter Strabo unglücklich und glücklich gestritten. Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus Asculum, Publius Vettius Scato und Titus Lafrenius hatten mit vereinten Kräften dasselbe angegriffen, es geschlagen und gezwungen, sich nach Firmum zu werfen, wo Lafrenius den Strabo belagert hielt, während Iudacilius in Apulien einrückte und Canusium, Venusia und die sonstigen dort noch zu Rom haltenden Städte zum Anschluß an die Aufständischen bestimmte. Allein auf der römischen Seite bekam Servius Sulpicius durch seinen Sieg über die Paeligner freie Hand, um in Picenum einzurücken und Strabo Hilfe zu bringen. Lafrenius ward, während von vorn Strabo ihn angriff, von Sulpicius in den Rücken gefaßt und sein Lager in Brand gesteckt; er selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in aufgelöster Flucht nach Asculum. So vollständig hatte im Picenischen die Lage der Dinge sich geändert, daß wie vorher die Römer auf Firmum, so jetzt die Italiker auf Asculum sich beschränkt sahen und der Krieg also sich abermals in eine Belagerung verwandelte.

Endlich war im Laufe des Jahres zu den beiden schwierigen und vielgeteilten Kriegen im südlichen und mittleren Italien noch ein dritter in der nördlichen Landschaft gekommen, indem die für Rom so gefährliche Lage der Dinge nach den ersten Kriegsmonaten einen großen Teil der umbrischen und einzelne etruskische Gemeinden veranlaßt hatte, sich für die Insurrektion zu erklären, so daß es nötig geworden war, gegen die Umbrer den Aulus Plotius, gegen die Etrusker den Lucius Porcius Cato zu entsenden. Hier indes stießen die Römer auf einen weit minder energischen Widerstand als im marsischen und samnitischen Land und behaupteten das entschiedenste Übergewicht im Felde.

So ging das schwere erste Kriegsjahr zu Ende, militärisch wie politisch trübe Erinnerungen und bedenkliche Aussichten hinterlassend. Militärisch waren beide Armeen der Römer, die marsische wie die kampanische, durch schwere Niederlagen geschwächt und entmutigt, die Nordarmee genötigt, vor allem auf die Deckung der Hauptstadt bedacht zu sein, die Südarmee bei Neapel in ihren Kommunikationen ernstlich bedroht, da die Insurgenten ohne viele Schwierigkeit aus dem marsischen oder samnitischen Gebiet hervorbrechen und zwischen Rom und Neapel sich festsetzen konnten; weswegen man es notwendig fand, wenigstens eine Postenkette von Cumae nach Rom zu ziehen. Politisch hatte die Insurrektion während dieses ersten Kampfjahres nach allen Seiten hin Boden gewonnen, der Obertritt von Nola, die rasche Kapitulation der festen und großen latinischen Kolonie Venusia, der umbrisch-etruskische Aufstand waren bedenkliche Zeichen, daß die römische Symmachie in ihren innersten Fugen wanke und nicht imstande sei, diese letzte Probe auszuhalten. Schon hatte man der Bürgerschaft das Äußerste zugemutet, schon, um jene Postenkette an der latinisch-kampanischen Küste zu bilden, gegen 6000 Freigelassene in die Bürgermiliz eingereiht, schon von den noch treugebliebenen Bundesgenossen die schwersten Opfer gefordert; es war nicht möglich, die Sehne des Bogens noch schärfer anzuziehen, ohne alles aufs Spiel zu setzen. Die Stimmung der Bürgerschaft war unglaublich gedrückt. Nach der Schlacht am Tolenus, als der Konsul und die zahlreichen mit ihm gefallenen namhaften Bürger von dem nahen Schlachtfeld nach der Hauptstadt als Leichen zurückgebracht und daselbst bestattet wurden, als die Beamten zum Zeichen der öffentlichen Trauer den Purpur und die Ehrenabzeichen von sich legten, als von der Regierung an die hauptstädtischen Bewohner der Befehl erging, in Masse sich zu bewaffnen, hatten nicht wenige sich der Verzweiflung überlassen und alles verloren gegeben. Zwar war die schlimmste Entmutigung gewichen nach den von Caesar bei Acerrae, von Strabo im Picenischen erfochtenen Siegen; auf die Meldung des ersteren hatte man in der Hauptstadt den Kriegsrock wieder mit dem Bürgerkleid vertauscht, auf die des zweiten die Zeichen der Landestrauer abgelegt; aber es war doch nicht zweifelhaft, daß im ganzen die Römer in diesem Waffengang den kürzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen war aus dem Senat wie aus der Bürgerschaft der Geist entwichen, der sie einst durch alle Krisen des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege getragen hatte. Man begann den Krieg wohl noch mit dem gleichen trotzigen Übermut wie damals, aber man wußte ihn nicht wie damals damit zu endigen; der starre Eigensinn, die zähe Konsequenz hatten einer schlaffen und feigen Gesinnung Platz gemacht. Schon nach dem ersten Kriegsjahr wurde die äußere und innere Politik plötzlich eine andere und wandte sich zur Transaktion. Es ist kein Zweifel, daß man damit das Klügste tat, was sich tun ließ; aber nicht weil man, durch die unmittelbare Gewalt der Waffen genötigt, nicht umhin konnte, sich nachteilige Bedingungen gefallen zu lassen, sondern weil das, worum gestritten ward, die Verewigung des politischen Vorranges der Römer vor den übrigen Italikern, dem Gemeinwesen selber mehr schädlich als förderlich war. Es trifft im öffentlichen Leben wohl, daß ein Fehler den anderen ausgleicht; hier machte, was der Eigensinn verschuldet hatte, die Feigheit gewissermaßen wieder gut. Das Jahr 664 (90) hatte begonnen mit der schroffsten Zurückweisung des von den Insurgenten angebotenen Vergleichs und mit der Eröffnung eines Prozeßkrieges, in welchem die leidenschaftlichsten Verteidiger des patriotischen Egoismus, die Kapitalisten, Rache nahmen an allen denjenigen, die im Verdacht standen, der Mäßigung und der rechtzeitigen Nachgiebigkeit das Wort geredet zu haben. Dagegen brachte der Tribun Marcus Plautius Silvanus, der am 10. Dezember desselben Jahres sein Amt antrat, ein Gesetz durch, das die Hochverratskommission den Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der freien, nicht ständisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, daß diese Kommission aus einer Geißel der Moderierten zu einer Geißel der Ultras ward und sie unter anderen ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die öffentliche Stimme die schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung des Quintus Metellus und die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die Verbannung sandte. Wichtiger als diese seltsam offenherzige politische Palinodie war die veränderte Richtung, die man in der Politik gegen die Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre waren verflossen, seit Rom zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren lassen müssen; Rom war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte, war derselbe nur möglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich erhoben hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstören, war die Fehde zu erbittert geworden, als daß man in Rom es über sich gewonnen hätte, ihnen die verlangten Zugeständnisse zu machen; und hätte man es getan, sie wären vielleicht jetzt von der anderen Seite zurückgewiesen worden. Indes wenn den bis jetzt noch treugebliebenen Gemeinden die ursprünglichen Forderungen unter gewissen Einschränkungen gewährt wurden, so ward damit teils der Schein freiwilliger Nachgiebigkeit gerettet, teils die sonst unvermeidliche Konsolidierung der Konföderation verhindert und damit der Weg zu ihrer Überwindung gebahnt. So taten denn die Pforten des römischen Bürgertums, die der Bitte so lange verschlossen geblieben waren, jetzt plötzlich sich auf, als die Schwerter daran pochten; jedoch auch jetzt nicht voll und ganz, sondern selbst für die Aufgenommenen in widerwilliger und kränkender Weise. Ein von dem Konsul Lucius Caesar66 durchgebrachtes Gesetz verlieh das römische Bürgerrecht den Bürgern aller derjenigen italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht Rom offen abgesagt hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius Silvanus und Gaius Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbürgerten und domizilierten Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm gestattet sein solle, durch Anmeldung bei einem römischen Beamten das römische Bürgerrecht zu gewinnen. Indes sollten diese Neubürger, ähnlich den Freigelassenen, im Stimmrecht in der Art beschränkt sein, daß von den fünfunddreißig Bezirken sie nur in acht, wie die Freigelassenen nur in vier, eingeschrieben werden konnten; ob die Beschränkung persönlich oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Diese Maßregel bezog sich zunächst auf das eigentliche Italien, das nördlich damals noch wenig über Ancona und Florenz hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen, das zwar rechtlich Ausland war, aber in der Administration wie in der Kolonisierung längst als Teil Italiens galt, wurden sämtliche latinische Kolonien behandelt wie die italischen Gemeinden. Im übrigen war hier diesseits des Po der größte Teil des Bodens nach Auflösung der alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem munizipalen Schema organisiert, stand aber doch im Eigentum römischer, meist in Marktflecken (fora) zusammenwohnender Bürger. Die nicht zahlreichen bundesgenössischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna, sowie die gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward infolge eines von dem Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes nach italischer Stadtverfassung organisiert, so daß die hierzu sich nicht eignenden Gemeinden, namentlich die Ortschaften in den Alpentälern, einzelnen Städten als abhängige und zinspflichtige Dörfer zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem römischen Bürgertum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiktion, daß sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet, welche bisher den latinischen Städten geringeren Rechts zugestanden hatten. Italien endigte also damals tatsächlich am Po, während die transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, nördlich vom Po, gab es außer Cremona, Eporedia und Aquileia keine Bürger- oder latinische Kolonien, und es waren auch die einheimischen Stämme hier keineswegs, wie südlich vom Po, verdrängt worden. Die Abschaffung der keltischen Gau- und die Einführung der italischen Stadtverfassung bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen Gebietes an; es war dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen Umgestaltung des gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr einstmals Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen Herren.

So ansehnlich diese Zugeständnisse waren, wenn man sie vergleicht mit der seit mehr als hundertfünfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit der römischen Bürgerschaft, so schlossen sie doch nichts weniger als eine Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten ein, sondern sollten teils die schwankenden und mit dem Abfall drohenden Gemeinden festhalten, teils möglichst viele Überläufer aus den feindlichen Reihen herüberziehen. In welchem Umfang diese Gesetze, namentlich das wichtigste derselben, das des Caesar, zur Anwendung gekommen sind, läßt sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der Insurrektion zur Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen anzugeben vermögen. Die Hauptsache war auf jeden Fall, daß die bisher latinischen Gemeinden, sowohl die Überreste der alten latinischen Eidgenossenschaft, wie Tibur und Praeneste, als auch besonders die latinischen Kolonien, mit Ausnahme der wenigen zu den Insurgenten übergegangenen, dadurch eintraten in den römischen Bürgerverband. Außerdem fand das Gesetz Anwendung auf die treugebliebenen Bundesstädte in Etrurien und besonders in Süditalien, wie Nuceria und Neapolis. Daß einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden über die Annahme des Bürgerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken trug, seinen bisherigen Vertrag mit Rom, der den Bürgern Freiheit vom Landdienst und ihre griechische Verfassung, vielleicht auch überdies Domanialnutzungen garantierte, gegen das beschränkte Neubürgerrecht hinzugeben, ist begreiflich; es ist wahrscheinlich aus den dieser Anstände wegen geschlossenen Vergleichen herzuleiten, daß diese Stadt, sowie auch Rhegion und vielleicht noch andere griechische Gemeinden in Italien, selbst nach dem Eintritt in den Bürgerverband ihre bisherige Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle unverändert beibehalten haben. Auf alle Fälle ward infolge dieser Gesetze der römische Bürgerverband außerordentlich erweitert durch das Aufgehen von zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen Meerenge bis zum Po zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, außerdem die Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Erteilung des besten bundesgenössischen Rechts gleichsam mit der gesetzlichen Anwartschaft auf das volle Bürgerrecht beliehen.

Gestützt auf diese Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen die Römer mit neuem Mute den Kampf auf gegen die aufständischen Distrikte. Man hatte von den bestehenden politischen Institutionen so viel niedergerissen, als notwendig schien, um die Ausbreitung des Brandes zu hindern; die Insurrektion griff fortan wenigstens nicht weiter um sich. Namentlich in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im Beginn war, wurde sie wohl mehr noch durch das Julische Gesetz als durch den Erfolg der römischen Waffen so auffallend rasch überwältigt. In den ehemaligen latinischen Kolonien, in der dicht bewohnten Polandschaft eröffneten sich reiche und jetzt zuverlässige Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der Bürgerschaft selbst konnte man daran gehen, den jetzt isolierten Brand zu bewältigen. Die beiden bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach Rom zurück, Caesar als erwählter Zensor, Marius, weil man seine Kriegführung als unsicher und langsam tadelte und den sechsundsechzigjährigen Mann für altersschwach erklärte. Sehr wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegründet; Marius bewies, indem er täglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens seine körperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in dem letzten Feldzug im ganzen die alte Tüchtigkeit bewährt zu haben; aber glänzende Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen Bankrott sich hätte in der öffentlichen Meinung rehabilitieren können, hatte er nicht erfochten, und so ward der gefeierte Degen zu seinem bitteren Kummer jetzt auch als Offizier ohne Umstände zu dem alten Eisen geworfen. An Marius‘ Stelle trat bei der marsischen Armee der Konsul dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit Auszeichnungen in Etrurien gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der Unterfeldherr Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge des vorigen Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als Konsul, das mit so großem Erfolg von ihm geführte Kommando im picenischen Gebiet.

So begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die Insurgenten eröffneten durch den kühnen, an den großartigen Gang der Samnitischen Kriege erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen von 15000 Mann der in Norditalien gärenden Insurrektion zu Hilfe nach Etrurien zu senden. Allein Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren hatte, verlegte ihm den Weg und schlug ihn vollständig; nur wenige gelangten zurück in die weit entfernte Heimat. Als dann die Jahreszeit den römischen Heeren gestattete, die Offensive zu ergreifen, betrat Cato das marsische Gebiet und drang unter glücklichen Gefechten in demselben vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei einem Sturm auf das feindliche Lager, wodurch die ausschließliche Oberleitung der Operationen in Mittelitalien auf Strabo überging. Dieser beschäftigte sich teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum, teils mit der Unterwerfung der marsischen, sabellischen und apulischen Landschaften. Zum Entsatz seiner bedrängten Heimatstadt erschien vor Asculum Iudacilius mit dem picentischen Aufgebot und griff die belagernde Armee an, während gleichzeitig die ausfallende Besatzung sich auf die römischen Linien warf. Es sollen an diesem Tage 75000 Römer gegen 60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den Römern, doch gelang es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in die Stadt zu werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierig67 durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte Verteidigung der Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die schreckliche Kriegserklärung innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius endlich nach mehrmonatlicher tapferer Verteidigung die Kapitulation herankommen sah, ließ er die Häupter der römisch gesinnten Fraktion der Bürgerschaft unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst den Tod. So wurden die Tore geöffnet und die römischen Exekutionen lösten die italischen ab: alle Offiziere und alle angesehenen Bürger wurden hingerichtet, die übrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, sämtliches Hab und Gut von Staats wegen eingezogen. Während der Belagerung und nach dem Fall von Asculum durchzogen zahlreiche römische Korps die benachbarten aufständischen Landschaften und bewogen eine nach der anderen zur Unterwerfung. Die Marruciner fügten sich, nachdem Servius Sulpicius sie bei Teate (Chieti) nachdrücklich geschlagen hatte. In Apulien drang der Prätor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia und Cannae und belagerte Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter Marius Egnatius der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die Römer zurückdrängte, gelang es dem römischen Feldherrn bei dem Übergang über den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres mußte in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Römer drangen wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz Apulien. Auch am Fuciner See und am Majellagebirg, in den Hauptsitzen der Insurrektion, stellten die Römer ihre Herrschaft wieder her; die Marser ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos, Quintus Metellus Pius und Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden Jahr (666 88) an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder die bescheidene pälignische Landstadt Corfinium; die Reste des italischen Senats flüchteten auf samnitisches Gebiet.

Die römische Südarmee, welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, hatte gleichzeitig die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind besetzte südliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert und zerstört (30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius, der indes, es scheint bei diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Länger widerstand Pompeii. Der samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam herbei, der Stadt Entsatz zu bringen, allein er ward von Sulla zurückgewiesen, und als er, durch Keltenscharen verstärkt, seinen Versuch wiederholte, hauptsächlich durch den Wankelmut dieser unzuverlässigen Gesellen so vollständig geschlagen, daß sein Lager erobert und er selbst mit dem größten Teil der Seinigen auf der Flucht nach Nola zu niedergehauen ward. Das dankbare römische Heer verlieh seinem Feldherrn den Graskranz, mit welchem schlichten Zeichen nach Lagerbrauch der Soldat geschmückt wurde, der durch seine Tüchtigkeit eine Abteilung seiner Kameraden gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung Nolas und den anderen von den Samniten noch besetzten kampanischen Städte sich aufzuhalten, rückte Sulla sofort in das innere Land ein, wo der Hauptherd der Insurrektion war. Die rasche Eroberung und fürchterliche Bestrafung von Aeclanum verbreitete Schrecken in der ganzen hirpinischen Landschaft; sie unterwarf sich, noch ehe der lucanische Zuzug herankam, der zu ihrem Beistand sich in Bewegung setzte, und Sulla konnte ungehindert vordringen, bis in das Gebiet der samnitischen Eidgenossenschaft. Der Paß, wo die samnitische Landwehr unter Mutilus ihn erwartete, wurde umgangen, die samnitische Armee im Rücken angegriffen und geschlagen; das Lager ging verloren, der Feldherr rettete sich verwundet nach Aesernia. Sulla rückte vor die Hauptstadt der samnitischen Landschaft Bovianum und zwang sie durch einen zweiten, unter ihren Mauern erfochtenen Sieg zu kapitulieren. Erst die vorgerückte Jahreszeit machte hier dem Feldzug ein Ende.

Es war der vollständigste Umschwung der Dinge. So gewaltig, so siegreich, so vordringend die Insurrektion den Feldzug des Jahres 665 (89) begonnen hatte, so tiefgebeugt, so überall geschlagen, so völlig hoffnungslos ging sie aus demselben hervor. Ganz Norditalien war beruhigt. In Mittelitalien waren beide Küsten völlig in römischer Gewalt, die Abruzzen fast vollständig, Apulien bis auf Venusia, Kampanien bis auf Nola in den Händen der Römer und durch die Besetzung des hirpinischen Gebietes die Verbindung gesprengt zwischen den beiden einzigen noch in offener Gegenwehr beharrenden Landschaften, der samnitischen und der lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet glich einer erlöschenden ungeheuren Brandstätte; überall traf das Auge auf Asche und Trümmer und verglimmende Brände, hie und da loderte noch zwischen den Ruinen die Flamme empor, aber man war des Feuers überall Meister und nirgends drohte mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, daß wir die Ursachen dieses plötzlichen Umschwunges in der oberflächlichen Überlieferung nicht mehr genügend erkennen. So unzweifelhaft Strabos und mehr noch Sullas geschickte Führung und namentlich die energischere Konzentrierung der römischen Streitkräfte, die raschere Offensive wesentlich dazu beigetragen hat, so mögen doch neben den militärischen auch politische Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der Insurgentenmacht im Spiel gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus und Carbo seinen Zweck, Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die Reihen der Feinde zu tragen, erfüllt haben, es mag, wie so oft, unter die lose verknüpften aufständischen Gemeinden das Unglück als Apfel der Zwietracht gefallen sein. Wir sehen nur – und es deutet auch dies auf eine sicher unter heftigen Konvulsionen erfolgte innerliche Auflösung der Italia –, daß die Samniten, vielleicht unter Leitung des Marsers Quintus Silo, der von Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und nach der Kapitulation der Marser landflüchtig zu dem Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich eine andere, rein landschaftliche Organisation gaben und, nachdem die „Italia“ überwunden war, es unternahmen, als „Safinen“ oder Samniten den Kampf noch weiter fortzusetzen68. Das feste Aesernia ward aus der Zwingburg der letzte Hort der samnitischen Freiheit; ein Heer sammelte sich von angeblich 30000 Mann zu Fuß und 1000 zu Pferd und ward durch Freisprechung und Einordnung von 20000 Sklaven verstärkt; fünf Feldherren traten an dessen Spitze, darunter als der erste Silo und neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach zweihundertjähriger Pause die Samnitenkriege aufs neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk abermals, ganz wie im fünften Jahrhundert, nachdem die italische Konföderation gescheitert war, noch einen Versuch machen, seine landschaftliche Unabhängigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen. Allein dieser Entschluß der tapfersten Verzweiflung änderte in der Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in Samnium und Lucanien noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die Insurrektion war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende.

Allerdings war inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die asiatischen Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit gemacht hatten, an König Mithradates von Pontos den Krieg zu erklären und für das nächste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine konsularische Armee nach Kleinasien zu bestimmen. Wäre dieser Krieg ein Jahr früher zum Ausbruch gekommen, so hätte die gleichzeitige Empörung des halben Italiens und der wichtigsten Provinz dem römischen Staat eine ungeheure Gefahr bereitet. Jetzt, nachdem in dem raschen Sturz der italischen Insurrektion das wunderbare Glück Roms sich abermals bewährt hatte, war dieser neu beginnende asiatische Krieg, trotzdem daß er mit dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht eigentlich bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Übermut die Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von der Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem. Die Zeiten waren nicht mehr, wo man einen italischen und einen überseeischen Krieg unbedenklich nebeneinander führte; die Staatskasse war nach zwei Kriegsjahren bereits vollständig erschöpft, die Bildung einer neuen Armee neben den bereits im Felde stehenden schien kaum ausführbar. Indes man half sich wie man konnte. Der Verkauf der seit alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plätze an die Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2½ Mill. Taler) gelöst wurden, lieferte die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht gebildet, sondern die in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach Asien sich einzuschiffen, sobald der Stand der Dinge im südlichen Italien es ihr gestatten würde sich zu entfernen; war bei den Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden Armee voraussichtlich bald geschehen konnte.

So begann der dritte Feldzug 666 (88) unter günstigen Aussichten für Rom. Strabo dämpfte den letzten Widerstand, der noch in den Abruzzen geleistet ward. In Apulien machte Cosconius‘ Nachfolger Quintus Metellus Pius, der Sohn des Überwinders von Numidien und an energisch konservativer Gesinnung wie an militärischer Begabung seinem Vater nicht ungleich, dem Widerstand ein Ende durch die Einnahme von Venusia, wobei 3000 Bewaffnete gefangen genommen wurden. In Samnium gelang zwar Silo die Wiedereinnahme von Bovianum; allein in einer Schlacht, die er dem römischen General Mamercus Aemilius lieferte, siegten die Römer, und was wichtiger war als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die Samniten auf der Walstatt ließen, war auch Silo. In Kampanien wurden die kleineren Ortschaften, die die Samniten noch besetzt hielten, von Sulla ihnen entrissen und Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der römische Feldherr Aulus Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge; allein nachdem er bei einem Angriff auf das feindliche Lager gefallen war, herrschte der Insurgentenführer Lamponius mit den Seinen wiederum fast ungestört in der weiten und öden lucanisch-brettischen Landschaft. Er machte sogar einen Versuch sich Rhegions zu bemächtigen, den indes der sizilische Statthalter Gaius Norbanus vereitelte. Trotz einzelner Unfälle näherte man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von Nola, die Unterwerfung von Samnium, die Möglichkeit, ansehnliche Streitkräfte für Asien verfügbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung der Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion unvermutet Luft machte.

Rom war in fürchterlicher Gärung. Drusus‘ Angriff auf die Rittergerichte und sein durch die Ritterpartei bewirkter jäher Sturz, sodann der zweischneidige Varische Prozeßkrieg hatten die bitterste Zwietracht gesät zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie zwischen den Gemäßigten und den Ultras. Die Ereignisse hatten der Partei der Nachgiebigkeit vollständig recht gegeben: was sie beantragt hatte, freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr als halb gezwungen zugestehen müssen; allein die Art, wie dies Zugeständnis erfolgt war, trug eben wie die frühere Weigerung den Charakter des eigensinnigen und kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das gleiche Recht zu gewähren, hatte man die Zurücksetzung nur anders formuliert. Man hatte eine große Anzahl italischer Gemeinden in den römischen Bürgerverband aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem ehrenrührigen Makel behaftet, die Neu- neben die Altbürger ungefähr wie die Freigelassenen neben die Freigeborenen gestellt. Man hatte die Gemeinden zwischen dem Po und den Alpen durch das Zugeständnis des latinischen Rechts mehr gereizt als befriedigt. Man hatte endlich einem ansehnlichen und nicht dem schlechtesten Teil der Italiker, sämtlichen wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden, nicht bloß das Bürgerrecht vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch den Aufstand vernichteten Verträge ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft, höchstens im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuert69

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Mit diesen Elementen politischer Konvulsionen verband sich der rasch fortschreitende Verfall der ehrbaren Kriegssitte und der militärischen Disziplin. Die Keime, welche die Einstellung der Proletarier in das Heer in sich trug, entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit während des demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfähigen Mann ohne Unterschied zum Dienst zuzulassen nötigte und der vor allem unmittelbar in das Hauptquartier wie in das Soldatenzelt die politische Propaganda trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem Erschlaffen aller Bande der militärischen Hierarchie. Während der Belagerung von Pompeii ward der Befehlshaber des Sullanischen Belagerungskorps, der Konsular Aulus Postumius Albinus, von seinen Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem Feinde verraten zu sein glaubten, mit Steinen und Knütteln erschlagen; und der Oberbefehlshaber Sulla begnügte sich, die Truppen zu ermahnen, durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung an diesen Vorgang auszulöschen. Die Urheber dieser Tat waren die Flottensoldaten, von jeher die am mindesten achtbare Truppe: bald folgte eine vorwiegend aus dem Stadtpöbel ausgehobene Abteilung der Legionäre dem gegebenen Beispiel. Angestiftet von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius, vergriff sie sich an dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging derselbe diesmal dem Tode; Titius aber ward zwar festgesetzt, indes nicht bestraft. Als Cato dann bald darauf wirklich in einem Gefechte umkam, wurden seine eigenen Offiziere, namentlich der jüngere Gaius Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht ist nicht auszumachen, als die Urheber seines Todes bezeichnet.

Zu dieser beginnenden politischen und militärischen kam die vielleicht noch entsetzlichere ökonomische Krise, die im Verfolg des Bundesgenossenkrieges und der asiatischen Unruhen über die römischen Geldmänner hereingebrochen war. Die Schuldner, unfähig, auch nur die Zinsen zu erschwingen, und dennoch von ihren Gläubigern unerbittlich gedrängt, hatten bei dem beikommenden Gerichtsvorstand, dem Stadtprätor Asellio, teils Aufschub erbeten, um ihre Besitzungen verkaufen zu können, teils die alten verschollenen Zinsgesetze wieder hervorgesucht und nach der vor Zeiten festgestellten Vorschrift den vierfachen Betrag der dem Gesetz zuwider gezahlten Zinsen von den Gläubigern eingeklagt. Asellio gab sich dazu her, das tatsächlich bestehende Recht durch dessen Buchstaben zu beugen, und instruierte in gewöhnlicher Weise die verlangten Zinsklagen; worauf die verletzten Gläubiger unter Leitung des Volkstribuns Lucius Cassius sich auf dem Markt zusammentaten und den Prätor, da er eben in priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte, vor dem Tempel der Eintracht überfielen und erschlugen – eine Freveltat, wegen deren nicht einmal eine Untersuchung stattfand (665 89). Andererseits ging in den Schuldnerkreisen die Rede, daß der leidenden Menge nicht anders geholfen werden könne als durch „neue Rechnungsbücher“, das heißt durch gesetzliche Vernichtung der Forderungen sämtlicher Gläubiger an sämtliche Schuldner. Es war genau wieder wie während des Ständestreits: wieder machten die Kapitalisten im Bunde mit der befangenen Aristokratie der gedrückten Menge und der zur Mäßigung des starren Rechtes mahnenden Mittelpartei den Krieg und den Prozeß; wieder stand man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte Schuldner den Gläubiger mit sich hinabreißt; nur war seitdem an die Stelle der einfach bürgerlichen und sittlichen Ordnung einer großen Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer Kapitale vieler Nationen und diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit dem Bettler sich begegnet; nur waren alle Mißverhältnisse breiter, schroffer, in grauenhafter Weise großartiger geworden. Indem der Bundesgenossenkrieg all die gärenden politischen und sozialen Elemente in der Bürgerschaft gegeneinander rüttelte, legte er den Grund zu einer neuen Revolution. Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall.

Der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus war es, der im Jahre 666 (88) bei der Bürgerschaft die Anträge stellte, jeden Senator, der über 2000 Denare (600 Taler) schulde, seiner Ratsstelle verlustig zu erklären; den durch unfreie Geschworenengerichte verurteilten Bürgern die Rückkehr in die Heimat freizugeben; die Neubürger durch sämtliche Distrikte zu verteilen und ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in allen Distrikten zu gestatten. Es waren Vorschläge, die aus dem Munde dieses Mannes zum Teil wenigstens überraschten. Publius Sulpicius Rufus (geboren 630 124) verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner adligen Geburt, seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerbten Reichtum als seinem ungemeinen Rednertalent, worin von den Altersgenossen keiner ihm gleichkam; die mächtige Stimme, die lebhaften, zuweilen an Theateraktion streifenden Gebärden, die üppige Fülle seines Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht überzeugten. Seiner Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des Senats, und sein erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage des der Regierungspartei tödlich verhaßten Norbanus gewesen. Unter den Konservativen gehörte er zu der Fraktion des Crassus und Drusus. Was ihn zunächst veranlaßte, sich für das Jahr 666 (88) um das Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen patrizischen Adel abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, daß auch er, wie die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionär verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionär geworden zu sein und keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen Prozeßsturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des Crassus und Drusus, sich berufen gefühlt haben, das Werk des Drusus zu vollenden und die noch bestehenden Zurücksetzungen der Neubürger schließlich zu beseitigen, wozu er des Tribunats bedurfte. Noch aus seinem Tribunat werden mehrere Handlungen von ihm erwähnt, die das gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten – so hinderte er durch sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des Varischen Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluß zu kassieren; und als der gewesene Ädil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit Überspringung der Prätur um das Konsulat für 667 (87) bewarb, wie es heißt in der Absicht, sich später die Führung des Asiatischen Krieges übertragen zu lassen, trat, entschlossener und schärfer als irgendein anderer, Sulpicius ihm entgegen. Ganz im Sinne des Drusus also forderte er von sich wie von andern zunächst und vor allem die Einhaltung der Verfassung. Aber freilich vermochte er ebensowenig wie Drusus das Unverträgliche zu vereinigen und die von ihm beabsichtigte, an sich verständige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der Altbürgerschaft auf gütlichem Wege niemals zu erlangende Verfassungsänderung in strenger Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch mit der mächtigen Familie der Iulier, unter denen namentlich der Bruder des Gaius, der Konsular Lucius Caesar, im Senat sehr einflußreich war, und mit der derselben anhängenden Fraktion der Aristokratie hat ohne Zweifel auch wesentlich mitgewirkt und den zornmütigen Mann durch persönliche Erbitterung über die ursprüngliche Absicht hinausgeführt. Aber der Charakter der von ihm eingebrachten Anträge ist doch von der Art, daß sie keineswegs die Persönlichkeit und die bisherige Parteistellung ihres Urhebers verleugnen. Die Gleichstellung der Neubürger mit den Altbürgern war nichts als die teilweise Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen Anträge zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfüllung der Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurückrufung der durch die Varischen Geschworenen Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der Unverletzlichkeit des Geschworenenwahrspruchs, für den Sulpicius eben noch selbst mit der Tat eingestanden war, aber sie kam zunächst wesentlich den eigenen Parteigenossen des Antragstellers, den gemäßigten Konservativen, zugute, und es läßt sich von dem stürmischen Mann recht wohl begreifen, daß er bei seinem ersten Auftreten eine solche Maßregel entschieden bekämpfte und dann, ergrimmt über den Widerstand, auf den er traf, sie selber beantragte. Die Maßregel gegen die Überschuldung der Senatoren war ohne Zweifel herbeigeführt durch die Bloßlegung der trotz alles äußeren Glanzes tief zerrütteten ökonomischen Lage der regierenden Familien bei Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar peinlich, aber an sich doch im wohlverstandenen Interesse der Aristokratie, wenn, wie dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein mußte, alle Individuen aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten, ihre Passiva rasch zu liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in der Überschuldung vieler Senatoren und ihrer dadurch herbeigeführten Abhängigkeit von den reichen Kollegen seinen hauptsächlichen Halt fand, durch die Beseitigung des notorisch feilen Senatorengesindels gedämpft ward – womit natürlich nicht geleugnet werden soll, daß Rufus eine den Senat so schroff und gehässig prostituierende Säuberung der Kurie, wie er sie vorschlug, ohne seine persönlichen Zerwürfnisse mit den herrschenden Koteriehäuptern sicher niemals beantragt haben würde. Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte unzweifelhaft zunächst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse zu machen; an sich aber war sie weder unmotiviert noch mit der aristokratischen Verfassung unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte, die Freigelassenen zum Militärdienst mit hinzuzuziehen, war ihre Forderung des Stimmrechts insofern gerechtfertigt, als Stimmrecht und Dienstpflicht stets Hand in Hand gegangen waren. Vor allen Dingen aber kam bei der Nichtigkeit der Komitien politisch sehr wenig darauf an, ob in diesen Sumpf noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die Möglichkeit, mit den Komitien zu regieren, ward für die Oligarchie eher gesteigert als gemindert durch die unbeschränkte Zulassung der Freigelassenen, welche ja zu einem sehr großen Teil von den regierenden Familien persönlich und ökonomisch abhängig waren und richtig verwandt eben ein Mittel für die Regierung abgeben konnten, die Wahlen gründlicher noch als bisher zu beherrschen. Wider die Tendenzen der reformistisch gesinnten Aristokratie lief diese Maßregel allerdings wie jede andere politische Begünstigung des Proletariats; allein sie war auch für Rufus schwerlich etwas anderes, als was das Getreidegesetz für Drusus gewesen war: ein Mittel, um das Proletariat auf seine Seite zu ziehen und mit dessen Hilfe den Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft gemeinnützigen Reformen zu brechen. Es ließ sich leicht voraussehen, daß dieser nicht gering sein, daß die bornierte Aristokratie und die bornierte Bourgeoisie ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem Ausbruch der Insurrektion jetzt nach ihrer Überwindung betätigen, daß die große Majorität aller Parteien die im Augenblick der furchtbarsten Gefahr gemachten halben Zugeständnisse im stillen oder auch laut als unzeitige Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung derselben sich leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus‘ Beispiel hatte gezeigt, was dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im Vertrauen auf die Senatsmajorität durchzusetzen unternahm; es war vollkommen erklärlich, daß sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten in Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu realisieren versuchte. Rufus gab demnach sich keine Mühe, durch den Köder der Geschworenengerichte den Senat für sich zu gewinnen. Besseren Rückhalt fand er bei den Freigelassenen und vor allem an dem bewaffneten Gefolge – dem Bericht seiner Gegner zufolge bestand es aus 3000 gedungenen Leuten und einem „Gegensenat“ von 600 jungen Männern aus der besseren Klasse –, mit dem er in den Straßen und auf dem Markte erschien. Seine Anträge stießen denn auch auf den entschiedensten Widerstand bei der Majorität des Senats, welche zunächst, um Zeit zu gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus Pompeius Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, außerordentliche religiöse Festlichkeiten anzuordnen, während deren die Volksversammlungen ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen Auflauf, bei welchem unter anderen Opfern der junge Quintus Pompeius, der Sohn des einen und Schwiegersohn des anderen Konsuls, den Tod fand und das Leben der beiden Konsuln selbst ernstlich bedroht ward – Sulla soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, daß Marius ihm sein Haus öffnete. Man mußte nachgeben; Sulla verstand sich dazu, die angekündigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Anträge gingen nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal noch keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt – zum erstenmal seit dem Beginn der Revolution – noch eine andere Macht in Italien, die nicht übersehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War auch Strabos politische Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der offenbaren Gewalt für den Augenblick gewichen war, nicht bloß mit der Senatsmajorität in vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem er die Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knüttelmänner oder die wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren, lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, daß der Gegner, jetzt wo er konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurückkehren werde, um den konservativen Demagogen mitsamt seinen Gesetzen über den Haufen zu werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wünschte den Krieg gegen Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem hauptstädtischen politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus und seiner unübertroffenen politischen Nonchalance hat es große Wahrscheinlichkeit, daß er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete, keineswegs beabsichtigte und daß er, wenn man ihn hätte gewähren lassen, nach der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch beschäftigte, unverweilt sich mit seinen Truppen nach Asien eingeschifft haben würde. Indes wie dem auch sein mag, Sulpicius entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla den Oberbefehl abzunehmen, und ließ zu diesem Ende mit Marius sich ein, dessen Name noch immer hinreichend populär war, um einen Antrag, den Oberbefehl im Asiatischen Kriege auf ihn zu übertragen, der Menge plausibel erscheinen zu lassen, und dessen militärische Stellung und Kapazität für den Fall eines Bruches mit Sulla eine Stütze werden konnte. Die Gefahr, die darin lag, den alten, ebenso unfähigen als rach- und ehrsüchtigen Mann an die Spitze der kampanischen Armee zu stellen, mochte Sulpicius nicht übersehen und ebensowenig die arge Abnormität, einem Privatmann ein außerordentliches Oberkommando durch Volksschluß zu übertragen; aber eben Marius‘ erprobte staatsmännische Unfähigkeit gab eine Art Garantie dafür, daß er die Verfassung nicht ernstlich würde gefährden können, und vor allem war Sulpicius‘ eigene Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte, daß dergleichen Rücksichten kaum mehr in Betracht kamen. Daß der abgestandene Held selbst bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als Condottiere gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem Oberbefehl nun gar in einem asiatischen Krieg gelüstete sein Herz seit vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach, einmal gründlich abzurechnen mit der Senatsmajorität. Demnach erhielt auf Antrag des Sulpicius durch Beschluß des Volkes Gaius Marius mit außerordentlicher höchster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das Kommando der kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates, und es wurden, um das Heer von Sulla zu übernehmen, zwei Volkstribune in das Lager von Nola abgesandt.

Die Botschaft kam an den unrechten Mann. Wenn irgend jemand berufen war, den Oberbefehl im Asiatischen Kriege zu führen, so war es Sulla. Er hatte wenige Jahre zuvor mit dem größten Erfolge auf demselben Kriegsschauplatz kommandiert: er hatte mehr als irgendein anderer Mann beigetragen zur Überwältigung der gefährlichen italischen Insurrektion; ihm als Konsul des Jahres, in welchem der Asiatische Krieg zum Ausbruch kam, war in der hergebrachten Weise und mit voller Zustimmung seines ihm befreundeten und verschwägerten Kollegen das Kommando in demselben übertragen worden. Es war ein starkes Ansinnen, einen unter solchen Verhältnissen übernommenen Oberbefehl nach Beschluß der souveränen Bürgerschaft von Rom abzugeben an einen alten militärischen und politischen Antagonisten, in dessen Händen die Armee, niemand mochte sagen zu welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, mißbraucht werden konnte. Sulla war weder gutmütig genug, um freiwillig einem solchen Befehl Folge zu leisten, noch abhängig genug, um es zu müssen. Sein Heer war, teils infolge der von Marius herrührenden Umgestaltungen des Heerwesens, teils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere und militärisch strenge Disziplin, wenig mehr als eine ihrem Führer unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer Kopf, dem die souveräne römische Bürgerschaft ein Pöbelhaufen war, der Held von Aquae Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle Legalität eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit halbverfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden konnte als Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten – es waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann – und setzte ihnen die von Rom angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, ihnen anzudeuten, daß der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer, sondern andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien führen werde. Die höheren Offiziere, immer noch mehr Bürger als Militärs, hielten sich zurück, und nur ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach früheren Erfahrungen in Asien einen bequemen Krieg und unendliche Beute zu finden hofften, brausten auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen Tribune zerrissen und von allen Seiten erscholl der Zuruf, daß der Feldherr sie auf Rom zu führen möge. Unverweilt brach der Konsul auf, und unterwegs seinen Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in raschen Märschen, wenig sich kümmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersäulen sich aufstellen an der Tiberbrücke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei Legionen in Reih‘ und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten Mauerring überschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne daß ein römisches Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen hätte; jetzt geschah es, zunächst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die einrückenden Legionen gingen vor bis auf die Höhe des Esquilin; als die von den Dächern heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel und, mit Brandpfeilen und Anzündung der Häuser drohend, brachen die Legionen sich Bahn bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S. Maria Maggiore). Hier wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius zusammengeraffte Mannschaft und warf die zuerst eindringenden Kolonnen durch die Überzahl zurück. Aber von den Toren kam denselben Verstärkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt, auf der Suburastraße die Verteidiger zu umgehen; sie mußten zurück. Am Tempel der Tellus, wo der Esquilin anfängt sich gegen den Großen Marktplatz zu senken, versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor Senat und Ritter und die gesamte Bürgerschaft, den Legionen sich entgegenzuwerfen. Aber er selbst hatte dieselben aus Bürgern in Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk wandte sich gegen ihn; sie gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem Feldherrn. Selbst als die Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden, sich zu bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei. Es blieb den Führern nichts übrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore zu entrinnen; nach wenigen Stunden war Sulla unumschränkter Herr von Rom. Diese Nacht brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Großen Marktplatz der Hauptstadt.

Die erste militärische Intervention in den bürgerlichen Fehden hatte es zur vollen Evidenz gebracht, sowohl daß die politischen Kämpfe auf dem Punkt angekommen waren, wo nur noch offene und unmittelbare Gewalt die Entscheidung gibt, als auch daß die Gewalt des Knüttels nichts ist gegen die Gewalt des Schwertes. Es ist die konservative Partei gewesen, die das Schwert zuerst gezogen und an der denn auch jenes ahnungsvolle Wort des Evangeliums über den, der zuerst das Schwert erhebt, seinerzeit sich erfüllt hat. Für jetzt triumphierte sie vollständig und durfte ihren Sieg nach Belieben selber formulieren. Von selbst verstand es sich, daß die Sulpicischen Gesetze als von Rechts wegen nichtig bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine namhaftesten Anhänger hatten sich geflüchtet; sie wurden, zwölf an der Zahl, von dem Senat als Vaterlandsfeinde zur Fahndung und Hinrichtung ausgeschrieben. Publius Sulpicius ward infolgedessen bei Laurentum ergriffen und niedergemacht und das an Sulla gesandte Haupt des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf ebenderselben Rednerbühne zur Schau gestellt, wo er selbst noch wenige Tage zuvor in voller Jugend- und Rednerkraft gestanden hatte. Die anderen Geächteten wurden verfolgt; auch dem alten Gaius Marius waren die Mörder auf den Fersen. Wie der Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage durch eine Kette von Erbärmlichkeiten getrübt haben mochte, jetzt, wo der Retter des Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger von Vercellae und mit atemloser Spannung vernahm man in ganz Italien die Ereignisse seiner wundersamen Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug bestiegen, um nach Afrika zu segeln; allein widrige Winde und Mangel an Vorräten zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut Glück in die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem Dach sich anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuß, oft vom Hunger gepeinigt, in die Nähe der römischen Kolonie Minturnae an der Mündung des Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden Reiter; mit genauer Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes Handelsschiff entzog ihn seinen Verfolgern; allein die ängstlichen Schiffer legten bald wieder an und suchten das Weite, während Marius am Strande schlief. In dem Strandsumpf von Minturnae, bis zum Gürtel in den Schlamm versunken und das Haupt unter einem Schilfhaufen verborgen, fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die Stadtbehörde von Minturnae. Er ward ins Gefängnis gelegt und der Stadtbüttel, ein kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche erschrak vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das Beil entsank ihm, als der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn anherrschte, ob er der Mann sei, den Gaius Marius zu töten. Als man dies vernahm, ergriff die Beamten von Minturnae die Scham, daß der Retter Roms größere Ehrfurcht finde bei den Sklaven, denen er die Knechtschaft, als bei den Mitbürgern, denen er die Freiheit gebracht hatte; sie lösten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und Reisegeld und sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme des Sulpicius fanden in diesen Gewässern sich allmählich zusammen; sie liefen am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die römischen Beamten wiesen sie in Sizilien wie in Afrika zurück. So entrannen sie nach Numidien, dessen öde Stranddünen ihnen einen Zufluchtsort für den Winter gewährten. Allein der König Hiempsal II., den sie zu gewinnen hofften und der auch eine Zeitlang sich die Miene gegeben hatte, mit ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur getan, um sie sicher zu machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu bemächtigen. Mit genauer Not entrannen die Flüchtlinge seinen Reitern und fanden vorläufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina (Kerkena) an der tunesischen Küste. Wir wissen es nicht, ob Sulla seinem Glücksstern auch dafür dankte, daß es ihm erspart blieb, den Kimbrersieger töten zu lassen; wenigstens scheint es nicht, daß die minturnensischen Beamten bestraft worden sind.

Um die vorhandenen Übelstände zu beseitigen und künftige Umwälzungen zu verhüten, veranlaßte Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen. Für die bedrängten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als daß man die Vorschriften über das Zinsmaximum einschärfte71; außerdem wurde die Ausführung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den Schlachten und Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwundene Senat ward ergänzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senatoren, deren Auswahl natürlich im optimatischen Interesse getroffen ward. Endlich wurden hinsichtlich des Wahlmodus und der legislatorischen Initiative wesentliche Änderungen vorgenommen. Die alte Servianische Stimmordnung der Zenturiatkomitien, nach der die erste Steuerklasse mit einem Vermögen von 100000 Sesterzen (7600 Talern) oder darüber allein fast die Hälfte der Stimmen inne hatte, trat wieder an die Stelle der im Jahre 513 (241) eingeführten, das Übergewicht der ersten Klasse mildernden Ordnungen. Tatsächlich ward damit für die Wahl der Konsuln, Prätoren und Zensoren ein Zensus eingeführt, der die nicht Wohlhabenden vom aktiven Wahlrecht der Sache nach ausschloß. Die legislatorische Initiative wurde den Volkstribunen dadurch beschränkt, daß jeder Antrag fortan von ihnen zunächst dem Senat vorgelegt werden mußte und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, an das Volk gelangen konnte.

Diese durch den Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen Verfügungen desjenigen Mannes, der darin als Schild und Schwert der Verfassungspartei aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz eigentümlichen Charakter. Sulla wagte es, ohne die Bürgerschaft oder Geschworene zu fragen, über zwölf der angesehensten Männer, darunter fungierende Beamte und den berühmtesten General seiner Zeit, das Todesurteil zu verhängen und öffentlich zu diesen Ächtungen sich zu bekennen, eine Verletzung der altheiligen Provokationsgesetze, die selbst von sehr konservativen Männern, wie zum Beispiel von Quintus Scaevola, strengen Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit anderthalb Jahrhunderten bestehende Wahlordnung umzustoßen und den seit langem verschollenen und verfemten Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es, das Recht der Legislation seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten und den Komitien, tatsächlich zu entziehen und es auf eine Behörde zu übertragen, die zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser Hinsicht besessen hatte als das, dabei um Rat gefragt werden zu können. Kaum hatte je ein Demokrat in so tyrannischen Formen Justiz geübt, mit so rücksichtsloser Kühnheit an den Fundamenten der Verfassung gerüttelt und gemodelt wie dieser konservative Reformator. Sieht man aber auf die Sache statt auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom beendigt worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche, in mehr oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld, überwunden zu sein, gleichsam als ein Verbrechen büßen. Wer sich erinnert an die prozessualischen Konsequenzen, wie sie die siegende Partei nach dem Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte, der fühlt sich geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen Markt das Lob der Offenheit und der relativen Mäßigung zu erteilen, indem er einmal ohne viel Umstände das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die geschlagenen Männer als rechtlose Feinde in die Acht erklärte; zweitens die Zahl der Opfer möglichst beschränkte und wenigstens das widerliche Wüten gegen die geringen Leute nicht gestattete. Eine ähnliche Mäßigung zeigt sich in den politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich der Gesetzgebung, die wichtigste und scheinbar durchgreifendste, brachte in der Tat nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben in Einklang. Die römische Legislation, wo jeder Konsul, Prätor oder Tribun jede beliebige Maßregel bei der Bürgerschaft beantragen und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus aus unvernünftig gewesen und mit der steigenden Nullität der Komitien es immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat sich das Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmäßig den ohne solche Vorberatung zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte durch politische oder religiöse Interzession. Diese Dämme hatte die Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen fing nun jenes absurde System an, seine Konsequenzen vollständig und jedem mutwilligen Buben den Umsturz des Staats in formell legaler Weise möglich zu machen. Was war unter solchen Umständen natürlicher, notwendiger, im rechten Sinne konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des Senats jetzt förmlich und ausdrücklich anzuerkennen? Etwas Ähnliches gilt von der Erneuerung des Wahlzensus. Die ältere Verfassung ruhte durchaus auf demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die Bevorzugung der Vermögenden nur beschränkt. Aber seit diesem Jahr war eine ungeheure finanzielle Umwandlung eingetreten, welche eine Erhöhung des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. Auch die neue Timokratie änderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem Geiste derselben treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schändlichen Stimmenkauf samt allem, was daran hing, in der möglichst milden Form zu wehren wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der Schuldner, die Wiederaufnahme der Kolonisationspläne gaben den redenden Beweis, daß Sulla, wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius‘ leidenschaftlichen Anträgen beizupflichten, doch eben wie er und wie Drusus, wie überhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht übersehen werden darf, daß er diese Maßregel nach dem Siege und durchaus freiwillig beantragte. Wenn man hiermit verbindet, daß Sulla die hauptsächlichen Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen ließ und weder an den Rittergerichten noch an den Kornverteilungen rüttelte, so wird man das Urteil gerechtfertigt finden, daß die Sullanische Ordnung von 666 (86) an dem seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status quo wesentlich festhielt und nur teils die dem bestehenden Regiment zunächst Gefahr drohenden überlieferten Satzungen zeitgemäß änderte, teils den vorhandenen sozialen Übeln nach Kräften abzuhelfen suchte, soweit beides sich tun ließ, ohne die tieferliegenden Schäden zu berühren. Energische Verachtung des konstitutionellen Formalismus in Verbindung mit einem lebendigen Gefühl für den inneren Gehalt der bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und löbliche Absichten bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit, wie denn namentlich sehr viel guter Wille dazu gehörte, um zu glauben, daß die Feststellung des Zinsmaximums den verwirrten Kreditverhältnissen aufhelfen und daß das Vorberatungsrecht des Senats sich gegen die künftige Demagogie widerstandsfähiger erweisen werde als bisher das Interzessionsrecht und die Religion.

In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen sehr bald neue Wolken auf. Die asiatischen Verhältnisse nahmen einen immer drohenderen Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, daß die Sulpicische Revolution den Abgang des Heeres nach Asien verzögert hatte, den schwersten Schaden erlitten; die Einschiffung konnte auf keinen Fall länger verschoben werden. Inzwischen hoffte Sulla teils in den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewählt würden, teils besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen Insurrektion beschäftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm auf die Oligarchie in Italien zurückzulassen. Allein in den Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings streng optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der zur entschiedensten Opposition gehörte. Vermutlich war es hauptsächlich die Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklärung hin, daß es ihn freue, die Bürger von ihrer verfassungsmäßigen Wahlfreiheit Gebrauch machen zu sehen, und begnügte sich, beiden Konsuln den Schwur abzunehmen auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an, da die kampanische größten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla ließ durch Volksschluß das Kommando über jene auf seinen treuergebenen Kollegen Quintus Rufus übertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo in möglichst schonender Weise zurückrufen, um so mehr als dieser der Ritterpartei angehörte und seine passive Haltung während der Sulpicischen Unruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt hatte. Rufus traf bei dem Heer ein und übernahm an Strabos Stelle den Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Soldaten erschlagen und Strabo trat wieder zurück in das kaum abgegebene Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiß ist es, daß er ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die Früchte der Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten strafte. Für Sulla war Rufus‘ Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft eine neue und ernste Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando abzunehmen. Als bald darauf sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich einerseits von seinem Nachfolger Cinna gedrängt, endlich nach Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings dringend not tat, andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht geladen; es war dem blödesten Auge klar, daß ein neuer Sturm gegen ihn und seine Partei sich vorbereitete und daß die Gegner seine Entfernung wünschten. Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es zum Bruche zu treiben und abermals auf Rom zu marschieren, oder die italischen Angelegenheiten gehen zu lassen, wie sie konnten und mochten und nach einem andern Weltteil sich zu entfernen. Sulla entschied sich – ob mehr aus Patriotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht werden – für die letztere Alternative, übergab das in Samnium zurückbleibende Korps dem zuverlässigen und kriegskundigen Quintus Metellus Pius, der an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl in Unteritalien übernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem Proprätor Appius Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87) mit seinen Legionen nach dem hellenischen Osten sich ein.

  1. Diese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70) entnommen; waffenfähige Bürger zählte man in jenem Jahr 394336, in diesem 910000 (nach Phlegon fr. 13 Müller, welchen Satz Clinton und dessen Ausschreiber fälschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen; nach Liv. ep. 98 wurden – nach der richtigen Lesung – 900000 Köpfe gezählt). Die einzige zwischen diesen beiden bekannte Zählungsziffer, die des Zensus von 668 (86), der nach Hieronymus 463000 Köpfe ergab, ist wohl nur deshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevölkerung Italiens in der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht denkbar ist, und selbst die Sullanischen Landanweisungen die Lücken, die der Krieg gerissen, höchstens gedeckt haben können, so darf der Überschuß von reichlich 500000 Waffenfähigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte Aufnahme der Bundesgenossen zurückgeführt werden. Indes ist es möglich und sogar wahrscheinlich, daß in diesen verhängnisvollen Jahren der Gesamtstand der italischen Bevölkerung vielmehr zurückging; rechnet man das Gesamtdefizit auf 100000 Waffenfähige, was nicht übertrieben erscheint, so kommen für die Zeit des Bundesgenossenkrieges in Italien auf zwei Bürger drei Nichtbürger.
  2. Die Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet: „Ich schwöre bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der römischen Vesta und bei dem angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei der nährenden Erde und bei den göttlichen Gründern und Mehrern (den Penaten) der Stadt Rom, daß mir Freund sein soll und Feind sein soll, wer Freund und Feind ist dem Drusus; ingleichen daß ich weder meines eigenen noch des Lebens meiner Kinder und meiner Eltern schonen will, außer insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen dieses Eides. Wenn ich aber Bürger werden sollte durch das Gesetz des Drusus, so will ich Rom achten als meine Heimat und Drusus als den größten meiner Wohltäter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbürger, als ich vermag; und schwöre ich recht, so gehe es mir wohl, schwöre ich falsch, so gehe es mir übel!“
  3. Indes wird man Wohltun, diesen Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er rührt entweder her aus den gegen Drusus von Philippus gehaltenen Reden (worauf die sinnlose, von dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte Überschrift ‚Eid des Philippus‘ zu führen scheint) oder im besten Fall aus den später über diese Verschwörung in Rom aufgenommenen Kriminalprozeßakten; und auch bei der letzteren Annahme bleibt es fraglich, ob diese Eidesformel aus den Inkulpaten heraus- oder in sie hineininquiriert ward.
  4. Selbst aus unserer dürftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und Strabon (5, 4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie denn zum Beispiel der letztere ausdrücklich sagt, daß die Bürgerschaft die Beamten wählte. Daß der Senat von Italia in anderer Weise gebildet werden und andere Kompetenz haben sollte als der römische, ist wohl behauptet, aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten Zusammensetzung natürlich für eine einigermaßen gleichmäßige Vertretung der insurgierten Städte gesorgt haben; allein daß die Senatoren von Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten, ist nirgends überliefert. Ebensowenig schließt der Auftrag an den Senat, die Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den Beamten und die Ratifikation durch die Volksversammlung aus.
  5. Die Schleuderbleie von Asculum beweisen, daß auch im Heere des Strabo die Gallier sehr zahlreich waren.
  6. Wir haben noch einen römischen Senatsbeschluß vom 22. Mai 676 (78), welcher dreien griechischen Schiffskapitänen von Karystos, Klazomenä und Miletos für die seit dem Beginn des Italischen Krieges (664 90) geleisteten treuen Dienste bei ihrer Entlassung Ehren und Vorteile zuerkennt. Gleichartig ist die Nachricht Memnons, daß von Herakleia am Schwarzen Meer für den Italischen Krieg zwei Trieren aufgeboten und dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben heimgekehrt seien.
  7. Daß diese Angaben Appians nicht übertrieben ist, beweisen die Schleuderbleie von Asculum, die unter anderen die fünfzehnte Legion nennen.
  8. Das Julische Gesetz muß in den letzten Monaten des Jahres 664 (90) erlassen sein, da während der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand; das Plautische ist wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen Anträge, unmittelbar nach dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember 664 (90) oder Januar 665 (89) durchgebracht worden.
  9. Schleuderbleie mit dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit Verwünschungen der „entlaufenen Sklaven“ – demnach römische – oder mit der Aufschrift entweder: „triff die Picenter“ oder „triff den Pompeius“ – jene römische, diese italische – finden sieh von jener Zeit her noch jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli.
  10. Dieser Epoche müssen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in oskischer Schrift angehören; denn solange die Italia von den Insurgenten festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveräne Macht Münzen mit dem eigenen Namen schlagen.
  11. Dediticiis, sagt Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87), omnibus [ci]vita[sJ data; qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV … cobortes miserunt worin der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis populis a senatu civltas data est) in teilweise schärferer Fassung wiedererscheint. Dediticii sind nach römischem Staatsrecht diejenigen peregrinischen Freien (Gaius inst. 13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die den Römern untertan geworden und zu keinem Bündnis zugelassen worden sind. Sie behalten nicht bloß Leben, Freiheit und Eigentum, sondern können auch in Gemeinden mit eigener Verfassung konstituiert sein. Απόλιδες, nullius certae civitatis cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48, 19, 17, 1), sind nur die durch rechtliche Fiktion den dediticii gleichgestellten Freigelassenen (ii qui dediticiorum numero sunt, nur mißbräuchlich und bei besseren Schriftstellern selten geradezu dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12; Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6) ebenso wie die verwandten liberti Latini Juniani. Aber die dediticii sind dennoch dem römischen Staate gegenüber insofern rechtlos, als nach römischem Staatsrecht jede Dedition notwendig unbedingt ist (Polyb. 21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2) und alle ihnen ausdrücklich oder stillschweigend zugestandenen Rechte nur precario, also auf beliebigen Widerruf zugestanden werden (App. Hisp. 44), der römische Staat also, was er auch gleich oder später über seine Deditizier verhängen mag, niemals gegen sie eine Rechtsverletzung begehen kann. Diese Rechtlosigkeit hört erst auf durch Abschließung eines Bündnisvertrages (Liv. 34, 57). Darum erscheinen deditio und foedus als staatsrechtlich sich ausschließende Gegenstände (Liv. 4, 30; 28, 34; Cod. Theod. 7, 13, 16 und dazu Gothofr.), und nichts anderes ist auch der den Juristen geläufige Gegensatz der Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die Latiner sind eben die Föderierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24, 54).
  12. Nach dem älteren Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht zahlreichen, infolge des Hannibalischen Krieges ihrer Verträge verlustig erklärten Gemeinden, keine italischen Deditizier; noch in dem Plautischen Gesetz von 664/65 (90/89) schloß die Bezeichnung: qui foederatis civitatibus adscripti fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich alle Italiker ein. Da nun aber unter den dediticii, die 667 (87) nachträglich das Bürgerrecht empfingen, doch nicht füglich bloß die Brettier und Picenter verstanden sein können, so wird man annehmen dürfen, daß alle Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und nicht nach dem Plautisch-Papirischen Gesetz das Bürgerrecht erworben hatten, als Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, daß ihre durch die Insurrektion von selbst kassierten Verträge (darum qui foederati fuerunt in der angeführten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der Ergebung nicht rechtlich erneuert wurden.
  13. Klar ist es nicht, was das „Zwölftelgesetz‘, der Konsuln Sulla und Rufus von 666 (88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme bleibt aber, darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357) zu sehen, so daß der höchste erlaubte Zinsfuß wieder 1/12 des Kapitals für das zehnmonatliche oder 10 Prozent für das zwölfmonatliche Jahr ward.

8. Kapitel


8. Kapitel

Der Osten und König Mithradates

Die atemlose Spannung, in welcher die Revolution mit ihrem ewig sich erneuernden Feuerlärm und Löschruf die römische Regierung erhielt, war die Ursache, daß dieselbe die Provinzialverhältnisse überhaupt aus den Augen verlor, am meisten aber die des asiatischen Ostens, dessen ferne und unkriegerische Nationen nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien und die transalpinischen Nachbarn der Beachtung der Regierung sich aufdrängten. Nach der Einziehung des Attalischen Königreiches, die mit dem Ausbruch der Revolution zusammenfällt, ist ein volles Menschenalter hindurch kaum irgendeine ernstliche Beteiligung Roms an den orientalischen Angelegenheiten nachzuweisen, mit Ausnahme der durch die maßlose Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den Römern abgedrungenen Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102), welche der Sache nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden Station für eine kleine römische Heer- und Flottenabteilung in den östlichen Gewässern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100) die Restaurationsregierung einigermaßen konsolidiert hatte, begann die römische Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige Aufmerksamkeit zuzuwenden.

In vieler Hinsicht waren die Verhältnisse noch, wie wir dreißig Jahre zuvor sie verließen. Das Reich Ägypten mit seinen beiden Nebenländern Kyrene und Kypros löste mit dem Tode Euergetes II. (637 117) teils rechtlich, teils tatsächlich sich auf. Kyrene kam an den natürlichen Sohn desselben, Ptolemaeos Apion, und trennte sich auf immer von dem Hauptland. Um die Herrschaft in diesem haderten die Witwe des letzten Königs, Kleopatra († 665 89), und dessen beide Söhne Soter II. Lathyros († 673 81) und Alexander I. († 666 88), was die Ursache ward, daß auch Kypros auf längere Zeit von Ägypten sich schied. Die Römer griffen in die Wirren nicht ein; ja als ihnen im Jahre 658 (96) das Kyrenische Reich durch das Testament des kinderlosen Königs Apion anfiel, schlugen sie diesen Erwerb zwar nicht geradezu aus, aber überließen doch die Landschaft im wesentlichen sich selbst, indem sie die griechischen Städte des Reiches, Kyrene, Ptolemais, Berenike, zu Freistädten erklärten und denselben sogar die Nutzung der königlichen Domänen überwiesen. Die Oberaufsicht des Statthalters von Africa über dieses Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch weit mehr eine bloß nominelle als die des Statthalters von Makedonien über die hellenischen Freistädte. Die Folgen dieser Maßregel, die ohne Zweifel nicht aus dem Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwäche und Nachlässigkeit der römischen Regierung hervorging, waren wesentlich dieselben, die unter gleichen Verhältnissen in Hellas eingetreten waren: Bürgerkriege und Usurpation zerrissen die Landschaft so, daß, als dort zufällig im Jahre 668 (86) ein höherer römischer Offizier erschien, die Einwohner ihn dringend ersuchten, ihre Verhältnisse zu ordnen und ein dauerhaftes Regiment bei ihnen zu begründen.

Auch in Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am wenigsten besser geworden. Während des zwanzigjährigen Erbfolgekrieges der beiden Halbbrüder Antiochos Grypos († 658 96) und Antiochos von Kyzikos († 659 95), der sich nach dem Tode derselben auf ihre Söhne forterbte, ward das Reich, um das man stritt, fast zu einem eitlen Namen, in dem die kilikischen Seekönige, die Araberscheichs der syrischen Wüste, die Fürsten der Juden und die Magistrate der größeren Städte in der Regel mehr zu sagen hatten als die Träger des Diadems. Inzwischen setzten im westlichen Kilikien die Römer sich fest und ging das wichtige Mesopotamien definitiv über an die Parther.

Die Monarchie der Arsakiden hatte, hauptsächlich infolge der Einfälle turanischer Stämme, um die Zeit der Gracchen eine gefährliche Krise durchzumachen gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der Große (630 ? – 667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine überwiegende Stellung in Innerasien zurückgegeben, die Skythen zurückgeschlagen und gegen Syrien und Armenien die Grenze des Reiches vorgeschoben, allein gegen das Ende seines Lebens lähmten neue Unruhen sein Regiment; und während die Großen des Reiches, ja der eigene Bruder Orodes gegen den König sich auflehnten und endlich dieser Bruder ihn stürzte und töten ließ, erhob sich das bis dahin unbedeutende Armenien. Dieses Land, das seit seiner Selbständigkeitserklärung in die nordöstliche Hälfte oder das eigentliche Armenien, das Reich der Artaxiaden, und die südwestliche oder Sophene, das Reich der Zariadriden, geteilt gewesen war, wurde durch den Artaxiaden Tigranes (regierte seit 660 94) zum erstenmal zu einem Königreich vereinigt, und teils diese Machtverdoppelung, teils die Schwäche der parthischen Herrschaft machten es dem neuen König von ganz Armenien möglich, nicht bloß aus der Klientel der Parther sich zu lösen und die früher an sie abgetretenen Landschaften zurückzugewinnen, sondern sogar das Oberkönigtum von Asien, wie es von den Achämeniden auf die Seleukiden und von diesen auf die Arsakiden übergegangen war, an Armenien zu bringen.

In Kleinasien endlich bestand die Länderteilung, wie sie nach der Auflösung des Attalischen Reiches unter römischer Einwirkung festgestellt worden war, noch wesentlich ungeändert. In dem Zustande der Klientelstaaten, der Königreiche Bithynien, Kappadokien, Pontus, der Fürstentümer Paphlagoniens und Galatiens, der zahlreichen Städtebünde und Freistädte, war eine äußerliche Änderung zunächst nicht wahrzunehmen. Innerlich hatte dagegen der Charakter der römischen Herrschaft allerdings überall sich wesentlich umgestaltet. Teils durch die bei jedem tyrannischen Regiment naturgemäß eintretende stetige Steigerung des Druckes, teils durch die mittelbare Einwirkung der römischen Revolution – man erinnere sich an die Einziehung des Bodeneigentums in der Provinz Asien durch Gaius Gracchus, an die römischen Zehnten und Zölle und an die Menschenjagden, die die Zöllner daselbst nebenbei betrieben – lastete die schon von Haus aus schwer erträgliche römische Herrschaft in einer Weise auf Asien, daß weder die Königskrone noch die Bauernhütte daselbst mehr sicher war vor Konfiskation, daß jeder Halm für den römischen Zehntherrn zu wachsen, jedes Kind freier Eltern für die römischen Sklavenzwinger geboren zu werden schien. Zwar ertrug der Asiate in seiner unerschöpflichen Passivität auch diese Qual; allein es waren nicht Geduld und Überlegung, die ihn ruhig tragen hießen, sondern der eigentümlich orientalische Mangel der Initiative, und es konnten in diesen friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen Nationen wunderbare, schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein Mann unter sie trat, der es verstand, das Zeichen zu geben.

Es regierte damals im Reiche Pontus König Mithradates VI. mit dem Beinamen Eupator (geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht von väterlicher Seite im sechzehnten Glied auf den König Dareios Hystaspes‘ Sohn, im achten auf den Stifter des Pontischen Reiches, Mithradates I., zurückführte, von mütterlicher den Alexandriden und Seleukiden entstammte. Nach dem frühen Tode seines Vaters Mithradates Euergetes, der in Sinope von Mörderhand fiel, war er um 634 (120) als elfjähriger Knabe König genannt worden; allein das Diadem brachte ihm nur Not und Gefahr. Die Vormünder, ja, wie es scheint, die eigene, durch des Vaters Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem königlichen Knaben nach dem Leben; es wird erzählt, daß er, um den Dolchen seiner gesetzlichen Beschützer sich zu entziehen, freiwillig in das Elend gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht für Nacht die Ruhestätte wechselnd, ein Flüchtling in seinem eigenen Reiche, ein heimatloses Jägerleben geführt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger Mann. Wenngleich unsere Berichte über ihn im wesentlichen auf schriftliche Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurückgehen, so hat nichtsdestoweniger die im Orient blitzschnell sich bildende Sage den mächtigen König früh geschmückt mit manchen der Züge ihrer Simson und Rustem; aber auch diese gehören zum Charakter ebenwie die Wolkenkrone zum Charakter der höchsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes erscheinen in beiden Fällen nur farbiger und phantastischer, nicht getrübt noch wesentlich geändert. Die Waffenstücke, die dem riesengroßen Leibe des Königs Mithradates paßten, erregten das Staunen der Asiaten und mehr noch der Italiker. Als Läufer überholte er das schnellste Wild; als Reiter bändigte er das wilde Roß und vermochte mit gewechselten Pferden an einem Tage 25 deutsche Meilen zurückzulegen; als Wagenlenker fuhr er mit sechzehn und gewann im Wettrennen manchen Preis – freilich war es gefährlich, in solchem Spiel dem König obzusiegen. Auf der Jagd traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde herab, ohne zu fehlen; aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen – er veranstaltete wohl Wettschmäuse und gewann darin selber die für den derbsten Esser und für den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise – und nicht minder in den Freuden des Harems, wie unter anderm die zügellosen Billets seiner griechischen Mätressen bewiesen, die sich unter seinen Papieren fanden. Seine geistigen Bedürfnisse befriedigte er im wüstesten Aberglauben –Traumdeuterei und das griechische Mysterienwesen füllten nicht wenige der Stunden des Königs aus – und in einer rohen Aneignung der hellenischen Zivilisation. Er liebte griechische Kunst und Musik, das heißt er sammelte Pretiosen, reiches Gerät, alte persische und griechische Prachtstücke – sein Ringkabinett war berühmt –, hatte stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen, Poeten in seiner Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den Preisen für Esser und Trinker auch welche aus für den drolligsten Spaßmacher und den besten Sänger. So war der Mensch; der Sultan entsprach ihm. Im Orient, wo das Verhältnis des Herrschers und der Beherrschten mehr den Charakter des Natur- als des sittlichen Gesetzes trägt, ist der Untertan hündisch treu und hündisch falsch, der Herrscher grausam und mißtrauisch. In beiden ist Mithradates kaum übertroffen worden. Auf seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger Haft wegen wirklicher oder angeblicher Verräterei seine Mutter, sein Bruder, seine ihm vermählte Schwester, drei seiner Söhne und ebenso viele seiner Töchter. Vielleicht noch empörender ist es, daß sich unter seinen geheimen Papieren im voraus aufgesetzte Todesurteile gegen mehrere seiner vertrautesten Diener vorfanden. Ebenso ist es echt sultanisch, daß er späterhin, nur um seinen Feinden die Siegestrophäen zu entziehen, seine beiden griechischen Gattinnen, seine Schwestern und seinen ganzen Harem töten ließ und den Frauen nur die Wahl der Todesart freigab. Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte betrieb er als einen wichtigen Zweig der Regierungsgeschäfte und versuchte, seinen Körper an einzelne Gifte zu gewöhnen. Verrat und Mord hatte er von früh auf von jedermann und zumeist von den Nächsten erwarten und gegen jedermann und zumeist gegen die Nächsten üben gelernt, wovon denn die notwendige und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war, daß all seine Unternehmungen schließlich mißlangen durch die Treulosigkeit seiner Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne Züge von hochherziger Gerechtigkeit; wenn er Verräter bestrafte, schonte er in der Regel diejenigen, welche nur durch ihr persönliches Verhältnis zu dem Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein dergleichen Anfälle von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was Mithradates in der Tat auszeichnet unter der großen Anzahl gleichartiger Sultane, ist seine grenzenlose Rührigkeit. Eines schönen Morgens war er aus seiner Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so daß man ihn bereits verloren gab; als er zurückkam, hatte er unerkannt ganz Vorderasien durchwandert und Land und Leute überall militärisch erkundet. Von gleicher Art ist es, daß er nicht bloß überhaupt ein redefertiger Mann war, sondern auch den zweiundzwanzig Nationen, über die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht sprach, ohne eines Dolmetschers zu bedürfen – ein bezeichnender Zug für den regsamen Herrscher des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter trägt seine ganze Regententätigkeit. Soweit wir sie kennen – denn von der inneren Verwaltung schweigt unsere Überlieferung leider durchaus –, geht sie auf wie die eines jeden anderen Sultans im Sammeln von Schätzen, im Zusammentreiben der Heere, die wenigstens in seinen früheren Jahren gewöhnlich nicht der König selbst, sondern irgendein griechischer Condottiere gegen den Feind führt, in dem Bestreben, neue Satrapien zu den alten zu fügen; von höheren Elementen, Förderung der Zivilisation, ernstlicher Führerschaft der nationalen Opposition, eigenartiger Genialität finden sich, in unserer Überlieferung wenigstens, bei Mithradates keine bewußten Spuren, und wir haben keinen Grund, auch nur mit den großen Regenten der Osmanen, wie Muhamed II. und Suleiman waren, ihn auf eine Linie zu stellen. Trotz der hellenischen Bildung, die ihm nicht viel besser sitzt als seinen Kappadokiern die römische Rüstung, ist er durchaus ein Orientale gemeinen Schlags, roh, voll sinnlichster Begehrlichkeit, abergläubisch, grausam, treu- und rücksichtslos, aber so kräftig organisiert, so gewaltig physisch begabt, daß sein trotziges Umsichschlagen, sein unverwüstlicher Widerstandsmut häufig wie Talent, zuweilen sogar wie Genie aussieht. Wenn man auch in Anschlag bringt, daß während der Agonie der Republik es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in den Zeiten Scipios oder Traians, und daß nur die Verschlingung der asiatischen Ereignisse mit den inneren Bewegungen Italiens es Mithradates möglich machte, doppelt so lange als Jugurtha den Römern zu widerstehen, so bleibt es darum doch nicht minder wahr, daß bis auf die Partherkriege er der einzige Feind ist, der im Osten den Römern ernstlich zu schaffen gemacht, und daß er gegen sie sich gewehrt hat wie gegen den Jäger der Löwe der Wüste. Aber mehr als solchen naturkräftigen Widerstand sind wir nach dem, was vorliegt, auch nicht berechtigt, in ihm zu erkennen.

Indes wie man immer über die Individualität des Königs urteilen möge, seine geschichtliche Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die Mithradatischen Kriege sind zugleich die letzte Regung der politischen Opposition von Hellas gegen Rom und der Anfang einer auf sehr verschiedenen und weit tieferen Gegensätzen beruhenden Auflehnung gegen die römische Suprematie, der nationalen Reaktion der Asiaten gegen die Okzidentalen. Wie Mithradates selbst so war auch sein Reich ein orientalisches, die Polygamie und das Haremwesen herrschend am Hofe und überhaupt unter den Vornehmen, die Religion der Landesbewohner wie die offizielle des Hofes vorwiegend der alte Nationalkult; der Hellenismus daselbst war wenig verschieden von dem Hellenismus der armenischen Tigraniden und der Arsakiden des Partherreichs. Es mochten die kleinasiatischen Griechen einen kurzen Augenblick für ihre politischen Träume an diesem König einen Halt zu finden meinen; in der Tat ward in seinen Schlachten um ganz andere Dinge gestritten, als worüber auf den Feldern von Magnesia und Pydna die Entscheidung fiel. Es war nach langer Waffenruhe ein neuer Gang in dem ungeheuren Zweikampf des Westens und des Ostens, welcher von den Kämpfen bei Marathon auf die heutige Generation sich vererbt hat und vielleicht seine Zukunft ebenso nach Jahrtausenden zählen mag wie seine Vergangenheit.

So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun des kappadokischen Königs das fremdartige und unhellenische Wesen hervortritt, so schwierig ist es, das hier obwaltende nationale Element bestimmt anzugeben, und kaum wird es je gelingen, in dieser Hinsicht über Allgemeinheiten hinaus und zu einer wirklichen Anschauung zu gelangen. In dem ganzen Kreis der antiken Zivilisation gibt es keinen Bezirk, in welchem so zahlreiche, so verschiedenartige, so seit fernster Zeit mannigfaltig verschlungene Stämme neben- und durcheinander geschoben und wo demzufolge die Verhältnisse der Nationalitäten weniger klar wären wie in Kleinasien. Die semitische Bevölkerung setzt sich von Syrien her in ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien fort, und es scheint ihr ferner auch an der Ostküste in der karischen lydischen Landschaft der Grundstock der Bevölkerung anzugehören, während die nordwestliche Spitze von den Bithynern, den Stammverwandten der europäischen Thraker, eingenommen wird. Dagegen das Binnenland und die Nordküste sind vorwiegend von indogermanischen, am nächsten den iranischen verwandten Völkerschaften erfüllt. Von der armenischen und der phrygischen Sprache72 ist es ausgemacht, von der kappadokischen höchstwahrscheinlich, daß sie zunächst an das Zend grenzten; und wenn von den Mysern angegeben wird, daß bei ihnen lydische und phrygische Sprache sich begegneten, so bezeichnet dies eben eine semitisch-iranische, etwa der assyrischen vergleichbare Mischbevölkerung. Was die zwischen Kilikien und Karien sich ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so mangelt es, trotz der gerade hier in Fülle vorhandenen Überreste einheimischer Sprache und Schrift, bis jetzt über dieselbe noch an gesicherten Ergebnissen, und es ist nur wahrscheinlich, daß diese Stämme eher den Indogermanen als den Semiten zuzuzählen sind. Wie dann überall dieses Völkergewirre sich zuerst ein Netz griechischer Kaufstädte, sodann der durch das kriegerische wie das geistige Übergewicht der griechischen Nation ins Leben gerufene Hellenismus gelegt hat, ist in seinen Umrissen bereits früher auseinandergesetzt worden.

In diesen Gebieten herrschte König Mithradates und zwar zunächst in Kappadokien am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen Landschaft, da wo, am nordöstlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu und mit diesem in steter Berührung, sich die iranische Nationalität vermutlich minder gemischt als irgendwo sonst in Kleinasien behauptet hatte. Nicht einmal der Hellenismus war hier tief eingedrungen. Mit Ausnahme der Küste, wo mehrere ursprünglich griechische Ansiedlungen bestanden, namentlich die bedeutenden Handelsplätze Trapezus, Amisos und vor allem die Geburts- und Residenzstadt Mithradats und die blühendste Stadt des Reiches, Sinope, war das Land noch in einem sehr primitiven Zustand. Nicht als hätte es wüst gelegen; vielmehr wie die pontische Landschaft noch heute eine der lachendsten der Erde ist, in der Getreidefelder mit Wäldern von wilden Obstbäumen wechseln, war sie ohne Zweifel auch zu Mithradates‘ Zeit wohl bebaut und verhältnismäßig auch bevölkert. Allein eigentliche Städte gab es daselbst kaum, sondern nur Burgen, die den Ackerleuten als Zufluchtsstätten und dem König als Schatzkammern zur Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie denn allein in Kleinarmenien fünfundsiebzig solcher kleiner königlicher Kastelle gezählt wurden. Wir finden nicht, daß Mithradates wesentlich dazu getan hätte, das städtische Wesen in seinem Reiche emporzubringen; und wie er gestellt war, in tatsächlicher, wenn auch vielleicht ihm selbst nicht völlig bewußter Reaktion gegen den Hellenismus, begreift sich dies wohl. Um so tätiger erscheint er, gleichfalls in ganz orientalischer Weise, bemüht, sein Reich, das schon nicht klein war, wenn auch der Umfang desselben wohl übertrieben auf 500 deutsche Meilen angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine Flotten und seine Botschafter tätig. Nirgends aber bot sich ihm ein so freier und so weiter Spielraum wie an den östlichen und den nördlichen Gestaden des Schwarzen Meeres, auf deren damalige Zustände hier einen Blick zu werfen nicht unterlassen werden darf, so schwierig oder vielmehr unmöglich es ist, ein wirklich anschauliches Bild davon zu geben. An dem östlichen Ufer des Schwarzen Meeres, das bisher fast unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und Imereti) mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen Fürsten entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie. Folgenreicher noch waren seine Unternehmungen in den nördlichen Landschaften73. Die weiten hügel- und waldlosen Steppen, die sich nördlich vom Schwarzen Meer, vom Kaukasus und von der Kaspischen See hinziehen, sind ihrer Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich wegen der zwischen dem Klima von Stockholm und von dem von Madeira schwankenden Temperaturdifferenz und der nicht selten eintretenden und bis zu 22 Monaten und länger anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit, für den Ackerbau und überhaupt für feste Ansiedlung wenig geeignet und waren dies immer, wenngleich vor zweitausend Jahren die klimatischen Verhältnisse vermutlich etwas weniger ungünstig standen, als dies heutzutage der Fall ist74. Die verschiedenen Stämme, die der Wandertrieb in diese Gegenden geführt hatte, fügten sich diesem Gebot der Natur und führten und führen zum Teil noch jetzt ein wanderndes Hirtenleben, indem sie mit ihren Rinder- oder häufiger noch mit ihren Roßherden Wohn- und Weideplätze wechselten und ihr Gerät auf Wagenhäusern sich nachführten. Auch die Bewaffnung und Kampfweise richtete sich hiernach: die Bewohner dieser Steppen fochten großenteils beritten und immer aufgelöst, mit Helm und Panzer von Leder und lederüberzogenem Schild gerüstet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und Bogen – die Vorfahren der heutigen Kosaken. Den ursprünglich hier ansässigen Skythen, die mongolischer Rasse und in Sitte und Körpergestalt den heutigen Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu sein scheinen, hatten sich, von Osten nach Westen vorrückend, sarmatische Stämme nachgeschoben, Sauromaten, Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich für slawischer Abkunft gehalten werden, obwohl diejenigen Eigennamen, welche man ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr mit medischen und persischen sich verwandt zeigen und vielleicht jene Völker vielmehr dem großen Zendstamme angehört haben. In entgegengesetzter Richtung fluteten thrakische Schwärme, namentlich die Geten, die bis zum Dnjestr gelangten; dazwischen drängten sich, wahrscheinlich als Ausläufer der großen germanischen Wanderung, deren Hauptmasse das Schwarze Meer nicht berührt zu haben scheint, am Dnjepr sogenannte Kelten, ebendaselbst die Bastarner, an der Donaumündung die Peukinen. Ein eigentlicher Staat bildete sich nirgends; es lebte jeder Stamm unter seinen Fürsten und Ältesten für sich. Zu all diesen Barbaren in scharfem Gegensatz standen die hellenischen Ansiedlungen, welche zur Zeit des gewaltigen Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von Miletos aus, an diesen Gestaden gegründet worden waren, teils als Emporien, teils als Stationen für den wichtigen Fischfang und selbst für den Ackerbau, für welchen, wie schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des Schwarzen Meeres im Altertum minder ungünstige Verhältnisse darbot, als dies heutzutage der Fall ist; für die Benutzung des Bodens zahlten hier die Hellenen, wie die Phöniker in Libyen, den einheimischen Herren Schoß und Grundzins. Die wichtigsten dieser Ansiedlungen waren die Freistadt Chersonesos (unweit Sevastopol), auf dem Gebiet der Skythen in der Taurischen Halbinsel (Krim) angelegt und unter nicht vorteilhaften Verhältnissen durch ihre gute Verfassung und den Gemeingeist ihrer Bürger in mäßigem Wohlstand sich behauptend; ferner auf der gegenüberliegenden Seite der Halbinsel an der Straße von dem Schwarzen in das Asowsche Meer Pantikapäon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297) Roms regiert von erblichen Bürgermeistern, später bosporanische Könige genannt, den Archäanaktiden, Spartokiden und Pärisaden. Der Getreidebau und der Fischfang im Asowschen Meer hatten die Stadt schnell zur Blüte gebracht. Ihr Gebiet umfaßte in der Mithradatischen Zeit noch die kleinere Osthälfte der Krim mit Einschluß der Stadt Theodosia und auf dem gegenüberliegenden asiatischen Kontinent die Stadt Phanagoria und die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten hatten die Herren von Pantikapäon zu Lande die Völker an der Ostküste des Asowschen Meeres und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze Meer beherrscht; allein Pantikapäon war nicht mehr, was es gewesen war. Nirgends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den traurigen Rückgang der hellenischen Nation. Athen in seiner guten Zeit ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die Pflichten der führenden Macht erfüllte, die allerdings auch den Athenern durch ihren Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt wurden. Von dem Sturz der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im ganzen sich selbst überlassen. Die griechischen Landmächte sind nie dazu gelangt, ernstlich hier einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders, und Lysimachos einigemal dazu ansetzten; und auch die Römer, auf welche mit der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische Verpflichtung überging, hier, wo die griechische Zivilisation dessen bedurfte, ihr starker Schild zu sein, vernachlässigten völlig das Gebot des Vorteils wie der Ehre. Der Fall von Sinope, das Sinken von Rhodos vollendeten die Isolierung der Hellenen am Nordgestade des Schwarzen Meeres. Ein lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren gegenüber gibt uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dnjeprmündung bei Očakov), die nicht allzulange vor der Mithradatischen Zeit gesetzt zu sein scheint. Die Bürgerschaft muß dem Barbarenkönig nicht bloß jährlichen Zins an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der Stadt lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen, in ähnlicher Weise auch geringere Häuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr übel, wenn die Gabe zu geringfügig erscheint. Die Stadtkasse ist bankrott, und man muß die Tempelkleinode zum Pfand setzen. Inzwischen drängen draußen vor den Toren sich die Stämme der Wilden: das Gebiet wird verwüstet, die Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja, was das ärgste ist, die schwächeren der barbarischen Nachbarn, die Skythen, suchen, um vor dem Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der ummauerten Stadt sich zu bemächtigen, so daß zahlreiche Bürger dieselbe verlassen und man schon daran denkt, sie ganz aufzugeben.

Diese Zustände fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den Kamm des Kaukasus überschreitend hinabstieg in die Täler des Kuban und Terek und gleichzeitig seine Flotte in den Gewässern der Krim sich zeigte. Kein Wunder, daß auch hier überall, wie es schon in Dioskurias geschehen war, die Hellenen den pontischen König mit offenen Armen empfingen und in dem Halbhellenen und seinen griechisch gerüsteten Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es zeigte sich, was Rom hier versäumt hatte. Den Herren von Pantikapäon waren ebendamals die Tributforderungen zu unerschwinglicher Höhe gesteigert worden; die Stadt Chersonesos sah sich von dem König der auf der Halbinsel hausenden Skythen, Skiluros, und dessen fünfzig Söhnen hart bedrängt; gern gaben jene ihre Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit hin, um ihr letztes Gut, ihr Hellenentum, zu retten. Es war nicht umsonst. Mithradates‘ tapfere Feldherren Diophantos und Neoptolemos und seine disziplinierten Truppen wurden leicht mit den Steppenvölkern fertig. Neoptolemos schlug sie in der Straße von Pantikapäon teils zu Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde befreit, die Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmäßig angelegte Festungen der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie sie später heißen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den Tauriern zu Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor seinen 6000 Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen Waffen75. So erwarb Mithradates hier sich ein zweites, mit dem pontischen verbundenes und gleich diesem wesentlich auf eine Anzahl griechischer Handelsstädte gegründetes Königreich, das Bosporanische genannt, das die heutige Krim mit der gegenüberliegenden asiatischen Landspitze umfaßte und jährlich 200 Talente (314000 Taler) und 180000 Scheffel Getreide in die königlichen Kassen und Magazine lieferte. Die Steppenvölker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur Donaumündung traten wenigstens zum großen Teil in Klientel oder in Vertrag mit dem pontischen König und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch wenigstens einen unerschöpflichen Werbeplatz für seine Armeen.

Während also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der König zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als die Einziehung Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhängigen Herrschaft zum integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die enge Verbindung, in die er mit dem König von Großarmenien trat. Er gab dem Tigranes nicht bloß seine Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern er war es auch wesentlich, durch dessen Unterstützung Tigranes sich der Herrschaft der Arsakiden entwand und ihre Stelle in Asien einnahm. Es scheint zwischen beiden eine Verabredung in der Art getroffen zu sein, daß Tigranes Syrien und das innere Asien, Mithradates Kleinasien und die Küsten des Schwarzen Meeres zu besetzen übernahmen unter Zusage gegenseitiger Unterstützung, und ohne Zweifel war es der tätigere und fähigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich den Rücken zu decken und einen mächtigen Bundesgenossen zu sichern.

In Kleinasien endlich richtete der König die Blicke auf das binnenländische Paphlagonien – die Küste gehörte seit langem zum Poptischen Reich – und auf Kappadokien76. Auf jenes machte man pontischerseits Ansprüche als durch Testament des letzten der Pylämeniden vermacht an den König Mithradates Euergetes; wogegen freilich legitime oder illegitime Prätendenten und das Land selbst protestierten. Was Kappadokien anlangt, so hatten die pontischen Herrscher nicht vergessen, daß dies Land und Kappadokien am Meer einst zusammengehört hatten, und trugen sich fortwährend mit Reunionsideen. Paphlagonien ward von Mithradates besetzt in Gemeinschaft mit König Nikomedes von Bithynien, mit dem er das Land teilte. Als der Senat dagegen Einspruch erhob, fügte sich Mithradates demselben, während Nikomedes einen seiner Söhne mit dem Namen Pylämenes ausstattete und unter diesem Titel die Landschaft an sich behielt. Noch schlimmere Wege ging die Politik der Verbündeten in Kappadokien. König Ariarathes VI. ward ermordet durch Gordios, es hieß im Auftrage, jedenfalls im Interesse des Schwagers, des Ariarathes Mithradates Eupator; sein junger Sohn Ariarathes wußte den Übergriffen des Königs von Bithynien nur zu begegnen vermittels der zweideutigen Hilfe seines Oheims, für welche dieser dann ihm ansann, dem flüchtig gewordenen Mörder seines Vaters die Rückkehr nach Kappadokien zu gestatten. Es kam hierüber zum Bruch und zum Krieg; jedoch als beide Heere zur Schlacht sich gegenüberstanden, begehrte der Oheim zuvor eine Zusammenkunft mit dem Neffen und stieß dabei den unbewaffneten Jüngling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Mörder des Vaters, übernahm hierauf im Auftrage Mithradats die Regierung; und obwohl die unwillige Bevölkerung sich gegen ihn erhob und den jüngeren Sohn des letzten Königs zur Herrschaft berief, vermochte dieser doch Mithradats überlegenen Streitkräften keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der baldige Tod des von dem Volke auf den Thron gesetzten Jünglings gab dem pontischen König um so mehr freie Hand, als mit diesem das kappadokische Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent ward, ebenwie in Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamiert, unter dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich verwaltete. Gewaltiger als seit langem ein einheimischer Monarch herrschte König Mithradates am nördlichen wie am südlichen Gestade des Schwarzen Meeres und weit in das innere Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des Königs für den Krieg zu Lande und zu Wasser schienen unermeßlich. Sein Werbeplatz reichte von der Donaumündung bis zum Kaukasus und dem Kaspischen Meer; Thraker, Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier, Iberer (im heutigen Georgien) drängten sich unter seine Fahne; vor allem rekrutierte er seine Kriegsscharen aus den tapferen Bastarnern. Für die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie außer Flachs, Hanf, Pech und Wachs das trefflichste, vom Kaukasus herabgeflößte Bauholz; Steuermänner und Offiziere wurden in Phönikien und Syrien gedungen. In Kappadokien, hieß es, sei der König eingerückt mit 600 Sichelwagen, 1000 Pferden und 8000 Mann zu Fuß; und er hatte für diesen Krieg bei weitem noch nicht aufgeboten, was er aufzubieten vermochte. Bei dem Mangel einer römischen oder sonst namhaften Seemacht beherrschte die pontische Flotte, gestützt auf Sinope und die Häfen der Krim, das Schwarze Meer ausschließlich.

Daß der römische Senat seine allgemeine Politik, die mehr oder minder von ihm abhängigen Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen geltend machte, beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem plötzlichen Tode Mithradates V. Dem unmündigen Knaben, der ihm folgte, wurde das dem Vater für seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos oder vielmehr für sein gutes Geld verliehene Großphrygien genommen und diese Landschaft dem unmittelbar römischen Gebiet hinzugefügt77. Aber nachdem dieser Knabe dann zu seinen Jahren gelangt war, bewies derselbe Senat gegen dessen allseitige Übergriffe und gegen diese imposante Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjährigen Zeitraum ausfüllt, völlige Passivität. Er ließ es geschehen, daß einer seiner Klientelstaaten sich militärisch zu einer Großmacht entwickelte, die über hunderttausend Bewaffnete gebot; daß er in die engste Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die Spitze der innerasiatischen Staaten gestellten Großkönig des Ostens; daß er die benachbarten asiatischen Königreiche und Fürstentümer unter Vorwänden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht berichtete und weit entfernte Schutzmacht klangen; daß er endlich sogar in Europa sich festsetzte und als König auf der Taurischen Halbinsel, als Schutzherr fast bis an die makedonisch-thrakische Grenze gebot. Wohl ward über diese Verhältnisse im Senat verhandelt; aber wenn das hohe Kollegium sich in der paphlagonischen Erbangelegenheit schließlich dabei beruhigte, daß Nikomedes sich auf seinen falschen Pylämenes berief, so war dasselbe offenbar nicht so sehr getäuscht als dankbar für jeden Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte. Inzwischen wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die Fürsten der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdrängt hatte, wandten sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch der traditionellen Maximen der römischen Politik gedachte, mußte sich erinnern, daß einst unter so ganz anderen Verhältnissen der Übergang des Königs Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen Chersones durch seine Truppen das Signal zu dem Asiatischen Krieg geworden war, und mußte begreifen, daß die Besetzung des taurischen durch den pontischen König jetzt noch viel weniger geduldet werden konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Königreichs Kappadokien, wegen welcher überdies Nikomedes von Bithymen, der auch seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in Besitz zu nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Prätendenten den seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die römische Regierung zur Intervention zu drängen. Der Senat beschloß, daß Mithradates die skythischen Fürsten wiedereinzusetzen habe – so weit war man durch die schlaffe Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen Politik gedrängt, daß man jetzt, statt die Hellenen gegen die Barbaren, umgekehrt die Skythen gegen die halben Landsleute unterstützen mußte. Paphlagonien wurde abhängig erklärt und der falsche Pylämenes des Nikomedes angewiesen, das Land zu räumen. Ebenso sollte der falsche Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen und, da die Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen, durch freie Volkswahl ihm wiederum ein König gesetzt werden. Die Beschlüsse klangen energisch genug; nur war es übel, daß man, statt ein Heer zu senden, den Statthalter von Kilikien, Lucius Sulla, mit der Handvoll Leute, die er daselbst gegen die Räuber und Piraten kommandierte, anwies, in Kappadokien zu intervenieren. Zum Glück vertrat im Osten die Erinnerung an die ehemalige Energie der Römer besser ihr Interesse als ihr gegenwärtiges Regiment und ergänzte die Energie und Gewandtheit des Statthalters, was der Senat an beiden vermissen ließ. Mithradates hielt sich zurück und begnügte sich, den Großkönig Tigranes von Armenien, der den Römern gegenüber eine freiere Stellung hatte als er, zu veranlassen, Truppen nach Kappadokien zu senden. Sulla nahm rasch seine Mannschaft und die Zuzüge der asiatischen Bundesgenossen zusammen, überstieg den Taurus und schlug den Statthalter Gordios samt seinen armenischen Hilfstruppen aus Kappadokien hinaus. Dies wirkte. Mithradates gab in allen Stücken nach; Gordios mußte die Schuld der kappadokischen Wirren auf sich nehmen und der falsche Ariarathes verschwand; die Königswahl, die der pontische Anhang vergebens auf Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den angesehenen Kappadokier Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner Expedition in die Gegend des Euphrat gelangte, in dessen Wellen damals zuerst römische Feldzeichen sich spiegelten, fand bei dieser Gelegenheit auch die erste Berührung statt zwischen den Römern und den Parthern, welche letztere infolge der Spannung zwischen ihnen und Tigranes Ursache hatten, den Römern sich zu nähern. Beiderseits schien man zu fühlen, daß etwas darauf ankam bei dieser ersten Berührung der beiden Großmächte des Westens und des Ostens, dem Anspruch auf die Herrschaft der Welt nichts zu vergeben; aber Sulla, kecker als der parthische Bote, nahm und behauptete in der Zusammenkunft den Ehrenplatz zwischen dem König von Kappadokien und dem parthischen Abgesandten. Mehr als durch seine Siege im Osten mehrte Sullas Ruhm sich durch diese vielgefeierte Konferenz am Euphrat; der parthische Gesandte büßte später seinem Herrn dafür mit dem Kopfe. Indes für den Augenblick hatte diese Berührung keine weitere Folge. Nikomedes unterließ es im Vertrauen auf die Gunst der Römer, Paphlagonien zu räumen; aber die gegen Mithradates gefaßten Senatsbeschlüsse wurden ferner vollzogen, die Wiederherstellung der skythischen Häuptlinge von ihm wenigstens zugesagt; der frühere Status quo im Osten schien wiederhergestellt (662 92).

So hieß es; in der Tat war von einer ernstlichen Zurückführung der früheren Ordnung der Dinge wenig zu verspüren. Kaum hatte Sulla Asien verlassen, als König Tigranes von Großarmenien über den neuen König von Kappadokien, Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle den pontischen Prätendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien, wo nach dem Tode des alten Königs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn Nikomedes III. Philopator vom Volk und vom römischen Senat als rechtmäßiger König anerkannt worden war. trat dessen jüngerer Bruder Sokrates als Kronprätendent auf und bemächtigte sich der Herrschaft. Es war klar, daß der eigentliche Urheber der kappadokischen wie der bithynischen Wirren kein anderer als Mithradates war, obwohl er sich jeder offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wußte, daß Tigranes nur handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit pontischen Truppen eingerückt und des rechtmäßigen Königs Leben durch Mithradates‘ Meuchelmörder bedroht. In der Krim gar und den benachbarten Landschaften dachte der pontische König nicht daran zurückzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter.

Die römische Regierung, von den Königen Ariobarzanes und Nikomedes persönlich um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur Unterstützung des dortigen Statthalters Lucius Cassius den Konsular Manius Aquillius, einen im Kimbrischen und im Sizilischen Krieg erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der Spitze einer Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen Klientelstaaten und namentlich den Mithradates an, nötigenfalls mit gewaffneter Hand Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der römische Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen römischen Korps, über das der Statthalter der Provinz Asia verfügte, und des Aufgebots der Phryger und der Galater; König Nikomedes und König Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwankenden Throne; Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung, Zuzug zu gewähren, unter verschiedenen Vorwänden, allein er leistete nicht bloß den Römern keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Prätendent Sokrates wurde sogar auf sein Geheiß getötet (664 90).

Es war eine sonderbare Verwicklung. Mithradates war vollkommen überzeugt, gegen die Römer in offenem Kampfe nichts ausrichten zu können und es nicht zum offenen Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen lassen zu dürfen. Wäre er nicht also entschlossen gewesen, so fand sich kein günstigerer Augenblick, den Kampf zu beginnen, als der gegenwärtige: eben damals, als Aquillius in Bithymen und Kappadokien einrückte, stand die italische Insurrektion auf dem Höhepunkt ihrer Macht und konnte selbst den Schwachen Mut machen, gegen Rom sich zu erklären; dennoch ließ Mithradates das Jahr 664 (90) ungenutzt verstreichen. Aber nichtsdestoweniger verfolgte er so zäh wie rührig seinen Plan, in Kleinasien sich auszubreiten. Diese seltsame Verbindung der Politik des Friedens um jeden Preis mit der der Eroberung war allerdings in sich unhaltbar und beweist nur aufs neue, daß Mithradates nicht zu den Staatsmännern rechter Art gehörte und weder zum Kampf zu rüsten wußte wie König Philippos noch sich zu fügen wie König Attalos, sondern in echter Sultansart ewig hin- und hergezogen ward zwischen begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefühl seiner eigenen Schwäche. Aber auch so läßt sich sein Beginnen nur begreifen, wenn man sich erinnert, daß Mithradates in zwanzigjähriger Erfahrung die damalige römische Politik kennengelernt hatte. Er wußte sehr genau, daß die römische Regierung nichts weniger als kriegslustig war, ja daß sie, im Hinblick auf die ernstliche Gefahr, die jeder berühmte General ihrer Herrschaft bereitete, in frischer Erinnerung an den Kimbrischen Krieg und Marius, den Krieg womöglich noch mehr fürchtete als er selbst. Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht, in einer Weise aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch egoistische Rücksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache und Anlaß zur Kriegserklärung gegeben haben würde; aber er vermied sorgfältig den offenen Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu versetzt hätte. Sowie Ernst gezeigt ward, wich er zurück, vor Sulla wie vor Aquillius; er hoffte unzweifelhaft darauf, daß nicht immer energische Feldherren ihm gegenüberstehen, daß auch er so gut wie Jugurtha auf seine Scaurus und Albinus treffen würde. Es muß zugestanden werden, daß diese Hoffnung nicht unverständig war, obwohl freilich eben Jugurthas Beispiel auch wieder gezeigt hatte, wie verkehrt es war, die Bestechung eines römischen Heerführers und die Korruption einer römischen Armee mit der Überwindung des römischen Volkes zu verwechseln. So standen die Dinge zwischen Frieden und Krieg und ließen ganz dazu an, noch lange sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber dies zuzulassen war Aquillius‘ Absicht nicht, und da er seine Regierung nicht zwingen konnte, Mithradates den Krieg zu erklären, so bediente er sich dazu des Königs Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des römischen Feldherrn gegeben und überdies noch für die abgelaufenen Kriegskosten und die dem Feldherrn persönlich zugesicherten Summen sein Schuldner, konnte sich dem Ansinnen desselben, mit Mithradates den Krieg zu beginnen, nicht entziehen. Die bithynische Kriegserklärung erfolgte; aber selbst als Nikomedes‘ Schiffe den pontischen den Bosporus sperrten, seine Truppen in die pontischen Grenzdistrikte einrückten und die Gegend von Amastris brandschatzten, blieb Mithradates noch unerschüttert bei seiner Friedenspolitik; statt die Bithyner über die Grenze zu werfen, führte er Klage bei der römischen Gesandtschaft und bat dieselbe, entweder vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung gestatten zu wollen. Allein er ward von Aquillius dahin beschieden, daß er unter allen Umständen sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten habe. Das freilich war deutlich. Genau dieselbe Politik hatte man gegen Karthago angewendet; man ließ das Schlachtopfer von der römischen Meute überfallen und verbot ihm, gegen dieselbe sich zu wehren. Auch Mithradates erachtete sich verloren, ebenwie die Karthager es getan hatten; aber wenn die Phöniker sich aus Verzweiflung ergaben, so tat dagegen der König von Sinope das Gegenteil und rief seine Truppen und Schiffe zusammen – „Wehrt nicht“, so soll er gesagt haben, „auch wer unterliegen muß, dennoch sich gegen den Räuber?“ Sein Sohn Ariobarzanes erhielt Befehl, in Kappadokien einzurücken; es ging noch einmal eine Botschaft an die römischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen, wozu die Notwehr den König gezwungen habe, und eine letzte Erklärung von ihnen zu fordern. Sie lautete, wie zu erwarten war. Obwohl weder der römische Senat noch König Mithradates noch König Nikomedes den Bruch gewollt hatten, Aquillius wollte ihn und man hatte Krieg (Ende 665 80).

Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und militärischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor allen Dingen knüpfte er das Bündnis mit König Tigranes von Armenien fester und erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das in Vorderasien einrücken und Grund und Boden daselbst für König Mithradates, die bewegliche Habe für König Tigranes in Besitz nehmen sollte. Der parthische König, verletzt durch das stolze Verhalten Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner, doch auch nicht als Bundesgenosse der Römer auf. Den Griechen war der König bemüht, sich in der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der griechischen Nation gegen die römische Fremdherrschaft darzustellen. Pontische Gesandte gingen an den König von Ägypten und an den letzten Überrest des freien Griechenlands, den kretensischen Städtebund, und beschworen sie, für die Rom auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt im letzten Augenblick einzustehen für die Rettung der hellenischen Nationalität; es war dies wenigstens auf Kreta nicht ganz vergeblich, und zahlreiche Kretenser nahmen Dienste im pontischen Heer. Man hoffte auf die sukzessive Insurrektion der kleineren und kleinsten Schutzstaaten, Numidiens, Syriens, der hellenischen Republiken, auf die Empörung der Provinzen, vor allem des maßlos gedrückten Vorderasiens. Man arbeitete an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an der Insurgierung Makedoniens. Die schon vorher blühende Piraterie wurde jetzt als willkommene Bundesgenossin überall entfesselt, und mit furchtbarer Raschheit erfüllten bald Korsarengeschwader, pontische Kaper sich nennend, weithin das Mittelmeer. Man vernahm mit Spannung und Freude die Kunde von den Gärungen innerhalb der römischen Bürgerschaft und von der zwar überwundenen, aber doch noch lange nicht unterdrückten italischen Insurrektion. Unmittelbare Beziehungen indes mit den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur wurde in Asien ein römisch bewaffnetes und organisiertes Fremdenkorps gebildet, dessen Kern römische und italische Flüchtlinge waren. Streitkräfte gleich denen Mithradats waren seit den Perserkriegen in Asien nicht gesehen worden. Die Angaben, daß er, das armenische Hilfsheer ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuß und 40 000 Reitern das Feld nahm, daß 300 pontische Deck- und 100 offene Schiffe in See stachen, scheinen nicht allzu übertrieben bei einem Kriegsherrn, der über die zahllosen Steppenbewohner verfügte. Die Feldherrn, namentlich die Brüder Neoptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige griechische Hauptleute; auch unter den Soldaten des Königs fehlte es nicht an tapferen todverachtenden Männern, und die gold- und silberblinkenden Rüstungen und reichen Gewänder der Skythen und Meder mischten sich lustig mit dem Erz und Stahl der griechischen Reisigen. Ein einheitlicher militärischer Organismus freilich hielt diese buntscheckigen Haufen nicht zusammen – auch die Armee des Mithradates war nichts als eine jener ungeheuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen, wie sie oft schon, zuletzt, genau ein Jahrhundert zuvor, bei Magnesia einer höheren militärischen Organisation unterlegen waren; immer aber stand doch der Osten gegen die Römer in Waffen, während auch in der westlichen Hälfte des Reichs es nichts weniger als friedlich aussah. So sehr es an sich für Rom eine politische Notwendigkeit war, Mithradates den Krieg zu erklären, so war doch gerade dieser Augenblick so übel gewählt wie möglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr wahrscheinlich, daß Manius Aquillius zunächst aus Rücksichten auf seine eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben jetzt herbeigeführt hat. Für den Augenblick hatte man in Asien keine anderen Truppen zur Verfügung als die kleine römische Abteilung unter Lucius Cassius und die vorderasiatischen Milizen, und bei der militärischen und finanziellen Klemme, in der man daheim sich infolge des Insurrektionskrieges befand, konnte eine römische Armee im günstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666 (88) in Asien landen. Bis dahin hatten die römischen Beamten daselbst einen schweren Stand; indes hoffte man, die römische Provinz decken und sich behaupten zu können, wo man stand: das bithynische Heer unter König Nikomedes in seiner im vorigen Jahr eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet zwischen Amastris und Sinope, weiter rückwärts in der bithynischen, galatischen, kappadokischen Landschaft die Abteilungen unter Lucius Cassius, Manius Aquillius, Quintus Oppius, während die bithynisch-römische Flotte fortfuhr, den Bosporus zu sperren.

Mit dem Beginn des Frühjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die Offensive. An einem Nebenfluß des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen Tesch köpri), stieß der pontische Vortrab, Reiterei und Leichtbewaffnete, auf die bithynische Armee und sprengte dieselbe trotz ihrer sehr überlegenen Zahl im ersten Anlauf so vollständig auseinander, daß das geschlagene Heer sich auflöste und Lager und Kriegskasse den Siegern in die Hände fielen. Es waren hauptsächlich Neoptolemos und Archelaos, denen der König diesen glänzenden Erfolg verdankte. Die weiter zurückstehenden, noch viel schlechteren asiatischen Milizen gaben hierauf sich überwunden, noch ehe sie mit dem Feinde zusammenstießen; wo Mithradates‘ Feldherren sich ihnen näherten, stoben sie auseinander. Eine römische Abteilung ward in Kappadokien geschlagen; Cassius suchte in Phrygien mit dem Landsturm das Feld zu halten, allein er entließ ihn wieder, ohne mit ihm eine Schlacht wagen zu mögen, und warf sich mit seinen wenigen zuverlässigen Leuten in die Ortschaften am oberen Mäander, namentlich nach Apameia; Oppius räumte in gleicher Weise Pamphylien und schloß in dem phrygischen Laodikeia sich ein; Aquillius ward im Zurückweichen am Sangarios im bithynischen Gebiet eingeholt und so vollständig geschlagen, daß er sein Lager verlor und sich in die römische Provinz nach Pergamon retten mußte; bald war auch diese überschwemmt und Pergamon selbst in den Händen des Königs, ebenso der Bosporus und die daselbst befindlichen Schiffe. Nach jedem Sieg hatte Mithradates sämtliche Gefangene der kleinasiatischen Miliz entlassen und nichts versäumt, die von Anfang an ihm zugewandten nationalen Sympathien zu steigern. Jetzt war die ganze Landschaft bis zum Mäander mit Ausnahme weniger Festungen in seiner Gewalt; zugleich erfuhr man, daß in Rom eine neue Revolution ausgebrochen, daß der gegen Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach Asien sich einzuschiffen, gegen Rom marschiert sei, daß die gefeiertsten römischen Generale sich untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem der Oberbefehl im Asiatischen Kriege gebühre. Rom schien eifrigst bemüht, sich selber zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, daß, wenngleich Minoritäten auch jetzt noch überall zu Rom hielten, doch die große Masse der Kleinasiaten den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die Asiaten vereinigten sich in dem Jubel, der den Befreier empfing; es ward üblich, den König, in dem wie in dem göttlichen Indersieger Asien und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu verehren unter dem Namen des neuen Dionysos. Die Städte und Inseln sandten, wo er hinkam, ihm Boten entgegen, „den rettenden Gott“ zu sich einzuladen, und festlich gekleidet strömte die Bürgerschaft vor die Tore, ihn zu empfangen. Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden römischen Offiziere gebunden an den König ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius78. Die ganze Wut des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine Macht bekommt, entlud sich über den unglücklichen Urheber des Krieges. Bald zu Fuß an einen gewaltigen berittenen Bastarner angefesselt, bald auf einen Esel gebunden und seinen eigenen Namen abrufend ward der bejahrte Mann durch ganz Kleinasien geführt und, als endlich das arme Schaustück wieder am königlichen Hof in Pergamon anlangte, auf Befehl des Königs, um seine Habgier, die eigentlich den Krieg veranlaßt habe, zu sättigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, daß er unter Qualen den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn, der allein hinreicht, seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der adligen Männer. Von Ephesos aus erließ König Mithradates an alle von ihm abhängigen Statthalter und Städte den Befehl, an einem und demselben Tage sämtliche in ihrem Bezirk sich aufhaltende Italiker, Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters zu töten und bei schwerer Strafe keinem der Verfemten zur Rettung behilflich zu sein, die Leichen der Erschlagenen den Vögeln zum Fraß hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur Hälfte an die Mörder, zur Hälfte an den König abzuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden mit Ausnahme weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos, pünktlich vollzogen und achtzig-, nach anderen Berichten hundertundfünfzigtausend wenn nicht unschuldige, so doch wehrlose Männer, Frauen und Kinder mit kaltem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet – eine grauenvolle Exekution, bei welcher die gute Gelegenheit, der Schulden sich zu entledigen und die dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereite asiatische Schergenwillfährigkeit wenigstens ebensosehr mitgewirkt haben wie das vergleichungsweise edle Gefühl der Rache. Politisch war diese Maßregel nicht bloß ohne jeden vernünftigen Zweck – denn der finanzielle ließ auch ohne diesen Blutbefehl sich erreichen, und die Kleinasiaten waren selbst durch das Bewußtsein der ärgsten Blutschuld nicht zum kriegerischen Eifer zu treiben –, sondern sogar zweckwidrig, indem sie einerseits den römischen Senat, soweit er irgend noch der Energie fähig war, zur ernstlichen Kriegführung zwang, andererseits nicht bloß die Römer traf, sondern ebensogut des Königs natürliche Bundesgenossen, die nichtrömischen Italiker. Es ist dieser ephesische Mordbefehl durchaus nichts als ein zweckloser Akt der tierisch blinden Rache, welcher nur durch die kolossalen Proportionen, in denen hier der Sultanismus auftritt, einen falschen Schein von Großartigkeit erhält.

Überhaupt ging des Königs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den Krieg begonnen, aber der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des gefürchteten Sulla ließen ihn übergehen zu den hochfahrendsten Hoffnungen. Er richtete sich häuslich in Vorderasien ein; der Sitz des römischen Statthalters, Pergamon, ward seine neue Hauptstadt; das alte Reich von Sinope wurde als Statthalterschaft an des Königs Sohn Mithradates zur Verwaltung übergeben; Kappadokien, Phrygien, Bithymen wurden organisiert als pontische Satrapien. Die Großen des Reichs und des Königs Günstlinge wurden mit reichen Gaben und Lehen bedacht und sämtlichen Gemeinden nicht bloß die rückständigen Steuern erlassen, sondern auch Steuerfreiheit auf fünf Jahre zugesichert – eine Maßregel, die ebenso verkehrt war wie die Ermordung der Römer, wenn der König dadurch sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte.

Freilich füllte des Königs Schatz ohnehin sich reichlich durch die unermeßlichen Summen, die aus dem Vermögen der Italiker und anderen Konfiskationen einkamen; wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente (1250000 Taler), welche die Juden dort deponiert hatten, von Mithradates weggenommen wurden. Der nördliche Teil von Kleinasien und die meisten dazu gehörigen Inseln waren in des Königs Gewalt; außer einigen kleinen paphlagonischen Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk, der noch zu Rom hielt; das gesamte Ägäische Meer ward beherrscht von seinen Flotten. Nur der Südwesten, die Städtebünde von Karien und Lykien und die Stadt Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar Stratonikeia mit den Waffen bezwungen; Magnesia am Sipylos aber bestand glücklich eine schwere Belagerung, bei welcher Mithradates‘ tüchtigster Offizier Archelaos geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der Zufluchtsort der aus Asien entkommenen Römer, unter ihnen des Statthalters Lucius Cassius, wurde von Mithradates zu Wasser und zu Lande mit ungeheurer Übermacht angegriffen. Aber seine Seeleute, so mutig sie unter den Augen des Königs ihre Pflicht taten, waren ungeschickte Neulinge, und es kam vor, daß rhodische Geschwader vielfach stärkere pontische überwanden und mit erbeuteten Schiffen heimkehrten. Auch zu Lande rückte die Belagerung nicht vor; nachdem ein Teil der Arbeiten zerstört worden war, gab Mithradates das Unternehmen auf und die wichtige Insel sowie das gegenüberliegende Festland blieben in den Händen der Römer.

Aber nicht bloß die asiatische Provinz wurde, hauptsächlich infolge der zur ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast unverteidigt von Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon den Angriff auch gegen Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten die Grenznachbarn Makedoniens gegen Norden und Osten ihre Einfälle mit auffallender Heftigkeit und Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664, 665 (90, 89) überrannten die Thraker. Makedonien und ganz Epeiros und plünderten den Tempel von Dodona. Noch auffallender ist es, daß damit noch einmal der Versuch verbunden ward, einen Prätendenten auf den makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes aufzustellen. Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern unterhielt, war all diesen Vorgängen schwerlich fremd. Zwar erwehrte sich der Prätor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten dieser Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, daß ihm mächtigere Gegner kamen. Mithradates hatte, fortgerissen von seinen Erfolgen, den kühnen Entschluß gefaßt, wie Antiochos den Krieg um die Herrschaft über Asien in Griechenland zur Entscheidung zu bringen, und zu Lande oder zur See den Kern seiner Truppen dorthin dirigiert. Sein Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in das schwach verteidigte Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend und in pontische Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstützpunkte der pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, geführt von Mithradates‘ bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Ägäischen Meer, wo kaum ein römisches Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des römischen Handels in diesen Gewässern, ward besetzt und bei 20000 Menschen, größtenteils Italiker, daselbst niedergemetzelt; Euböa erlitt ein gleiches Schicksal; bald waren östlich vom Malfischen Vorgebirg alle Inseln in Feindes Hand; man konnte weitergehen zum Angriff auf das Festland selbst. Zwar den Angriff, den die pontische Flotte von Euböa aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug Bruttius Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit seiner Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und besetzte sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, daß der Feind im eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier wirkte Mithradates nicht bloß mit den Waffen, sondern zugleich mit der nationalen Propaganda. Sein Hauptwerkzeug für Athen war ein gewisser Aristion, seiner Geburt nach ein attischer Sklave, seines Handwerks ehemals Schulmeister der Epikurischen Philosophie, jetzt Günstling Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetäros, der durch die glänzende Karriere, die er bei Hof gemacht, den Pöbel zu blenden und ihm mit Aplomb zu versichern verstand, daß aus dem seit beiläufig sechzig Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe für Mithradates schon unterwegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht, daß die wenigen Verständigen aus Athen entwichen, der Pöbel aber und ein paar toll gewordene Literaten den Römern förmlich absagten. So ward aus dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der, gestützt auf seine pontische Söldnerbande, ein Schand- und Blutregiment begann, und aus dem Peiräeus ein pontischer Landungsplatz. Sowie Mithradats Truppen auf dem griechischen Kontinent standen, fielen die meisten der kleinen Freistaaten ihnen zu: Achäer, Lakonen, Böoter, bis hinauf nach Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstärkung herangezogen hatte, rückte in Böotien ein, um dem belagerten Thespiä Hilfe zu bringen, und schlug sich bei Chäroneia in dreitägigen Gefechten mit Archelaos und Aristion; aber sie führten zu keiner Entscheidung und Sura mußte zurückgehen, als die pontischen Verstärkungen aus dem Peloponnes sich näherten (Ende 666, Anfang 667 88, 87).

So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See, daß eine Botschaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte, einen Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals bereits verloren und der König wies das Ansinnen zurück.

Die Lage der römischen Regierung fing an bedenklich zu werden. Kleinasien und Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in Feindeshand; auf der See herrschte ohne Nebenbuhler die pontische Flagge. Dazu kam die italische Insurrektion, die, im ganzen zu Boden geschlagen, immer noch in weiten Gebieten Italiens unbestritten die Herrschaft führte; dazu die kaum beschwichtigte Revolution, die jeden Augenblick drohte, wiederum und furchtbarer emporzulodern; dazu endlich die durch die inneren Unruhen in Italien und die ungeheuren Verluste der asiatischen Kapitalisten hervorgerufene fürchterliche Handels- und Geldkrise und der Mangel an zuverlässigen Truppen. Die Regierung hätte dreier Armeen bedurft, um in Rom die Revolution niederzuhalten, in Italien die Insurrektion völlig zu ersticken und in Asien Krieg zu führen; sie hatte eine einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war unter dem unzuverlässigen Gnaeus Strabo nichts als eine Verlegenheit mehr. Die Wahl unter jenen drei Aufgaben stand bei Sulla; er entschied sich, wie wir sahen, für den asiatischen Krieg. Es war nichts Geringes, man darf vielleicht sagen eine große patriotische Tat, daß in diesem Konflikt des allgemeinen vaterländischen und des besonderen Parteiinteresses das erstere die Oberhand behielt und Sulla trotz der Gefahren, die seine Entfernung aus Italien für seine Verfassung und für seine Partei nach sich zog, dennoch im Frühling 667 (87) landete an der Küste von Epeiros. Aber er kam nicht, wie sonst römische Oberfeldherrn im Osten aufzutreten pflegten. Daß sein Heer von fünf Legionen oder höchstens 30000 Mann79 wenig stärker war als eine gewöhnliche Konsulararmee, war das wenigste. Sonst hatte in den östlichen Kriegen eine römische Flotte niemals gefehlt, ja ohne Ausnahme die See beherrscht; Sulla, gesandt, um zwei Kontinente und die Inseln des Ägäischen Meeres wiederzuerobern, kam ohne ein einziges Kriegsschiff. Sonst hatte der Feldherr eine volle Kasse mit sich geführt und den größten Teil seiner Bedürfnisse auf dem Seeweg aus der Heimat bezogen; Sulla kam mit leeren Händen – denn die für den Feldzug von 666 (88) mit Not flüssig gemachten Summen waren in Italien draufgegangen – und sah sich ausschließlich angewiesen auf Requisitionen. Sonst hatte der Feldherr seinen einzigen Gegner im feindlichen Lager gefunden und hatten dem Landesfeind gegenüber seit der Beendigung des Ständekampfes die politischen Faktionen ohne Ausnahme zusammengestanden; unter Mithradates‘ Feldzeichen fochten namhafte römische Männer, große Landschaften Italiens begehrten, mit ihm in Bündnis zu treten, und es war wenigstens zweifelhaft, ob die demokratische Partei das rühmliche Beispiel, das Sulla ihr gegeben, befolgen und mit ihm Waffenstillstand halten werde, solange er gegen den asiatischen König focht. Aber der rasche General, der mit all diesen Verlegenheiten zu ringen hatte, war nicht gewohnt, vor Erledigung der nächsten Aufgabe um die ferneren Gefahren sich zu bekümmern. Da seine an den König gerichteten Friedensanträge, die im wesentlichen auf die Wiederherstellung des Zustandes vor dem Kriege hinausliefen, keine Annahme fanden, so rückte er, wie er gelandet war, von den epeirotischen Häfen bis nach Böotien vor, schlug hier am Thilphossischen Berge die Feldherren der Feinde, Archelaos und Aristion, und bemächtigte sich nach diesem Siege fast ohne Widerstand des gesamten griechischen Festlandes mit Ausnahme der Festung Athen und des Peiräeus, wohin Aristion und Archelaos sich geworfen hatten und die durch einen Handstreich zu nehmen mißlang. Eine römische Abteilung unter Lucius Hortensius besetzte Thessalien und streifte bis in Makedonien; eine andere unter Munatius stellte vor Chalkis sich auf, um das unter Neoptolemos auf Euböa stehende feindliche Korps abzuwehren; Sulla selbst bezog ein Lager bei Eleusis und Megara, von wo aus er Griechenland und den Peloponnes beherrschte und die Belagerung der Stadt und des Hafens von Athen betrieb. Die hellenischen Städte, wie immer von der nächsten Furcht regiert, unterwarfen sich den Römern auf jede Bedingung und waren froh, wenn sie mit Lieferungen von Vorräten und Mannschaft und mit Geldbußen schwerere Strafen abkaufen durften. Minder rasch gingen die Belagerungen in Attika vonstatten. Sulla sah sich genötigt, in aller Form das schwere Belagerungszeug zu rüsten, wozu die Bäume der Akademie und des Lykeion das Holz liefern mußten. Archelaos leitete die Verteidigung ebenso kräftig wie besonnen; er bewaffnete seine Schiffsmannschaft, schlug also verstärkt die Angriffe der Römer mit überlegener Macht ab und machte häufige und nicht selten glückliche Ausfälle. Zwar die zum Entsatz herbeirückende pontische Armee des Dromichätes ward unter den Mauern Athens nach hartem Kampf, bei dem namentlich Sullas tapferer Unterfeldherr Lucius Licinius Murena sich hervortat, von den Römern geschlagen; aber die Belagerung schritt darum nicht rascher vor. Von Makedonien aus, wo die Kappadokier inzwischen sich definitiv festgesetzt hatten, kam reichliche und regelmäßige Zufuhr zur See, die Sulla nicht imstande war, der Hafenfestung abzuschneiden; in Athen gingen zwar die Vorräte auf die Neige, doch konnte bei der Nähe der beiden Festungen Archelaos mehrfache Versuche machen, Getreidetransporte nach Athen zu werfen, die nicht alle mißlangen. So verfloß in peinlicher Resultatlosigkeit der Winter 667/68 (87/86). Wie die Jahreszeit es erlaubte, warf Sulla sich mit Ungestüm auf den Peiräeus; in der Tat gelang es, durch Geschütze und Minen einen Teil der gewaltigen Perikleischen Mauern in Bresche zu legen, und sofort schritten die Römer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen, und als er wiederholt ward, fanden sich hinter den eingestürzten Mauerteilen halbmondförmige Verschanzungen errichtet, aus denen die Eindringenden sich von drei Seiten beschossen und zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla hob darauf die Belagerung auf und begnügte sich mit einer Blockade. In Athen waren inzwischen die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die Besatzung versuchte eine Kapitulation zustande zu bringen, aber Sulla wies ihre redefertigen Boten zurück mit dem Bedeuten, daß er nicht als Student, sondern als General vor ihnen stehe und nur unbedingte Unterwerfung annehme. Als Aristion, wohl wissend, welches Schicksal dann ihm bevorstand, damit zögerte, wurden die Leitern angelegt und die kaum noch verteidigte Stadt erstürmt (1. März 668 86). Aristion warf sich in die Akropolis, wo er bald darauf sich ergab. Der römische Feldherr ließ die Soldateska in der eroberten Stadt morden und plündern und die angeseheneren Rädelsführer des Abfalls hinrichten; die Stadt selbst aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzungen, sogar das wichtige Delos zurück und ward also noch einmal gerettet durch ihre herrlichen Toten.

Über den Epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indes Sullas Lage blieb im höchsten Grade peinlich, ja verzweifelt. Mehr als ein Jahr stand er nun im Felde, ohne irgendeinen nennenswerten Schritt vorwärtsgekommen zu sein, ein einziger Hafenplatz spottete all seiner Anstrengungen, während Asien gänzlich sich selbst überlassen, die Eroberung Makedoniens von Mithradates‘ Statthaltern kürzlich durch die Einnahme von Amphipolis vollendet war. Ohne Flotte – dies zeigte sich immer deutlicher – war es nicht bloß unmöglich, die Verbindungen und die Zufuhr von den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu sichern, sondern auch nur den Peiräeus, geschweige denn Asien und die Inseln wiederzugewinnen; und doch ließ sich nicht absehen, wie man zu Kriegsschiffen gelangen konnte. Schon im Winter 667/68 (87/86) hatte Sulla einen seiner fähigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius Licinius Lucullus, in die östlichen Gewässer entsandt, um dort womöglich Schiffe aufzutreiben. Mit sechs offenen Booten, die er von den Rhodiern und andern kleinen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief Lucullus aus; einem Piratengeschwader, das die meisten seiner Boote aufbrachte, entging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten Schiffen den Feind täuschend, gelangte er über Kreta und Kyrene nach Alexandreia; allein der ägyptische Hof schlug die Bitte um Unterstützung mit Kriegsschiffen ebenso höflich wie entschieden ab. Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich wie hier der tiefe Verfall des römischen Staats, der einst das Angebot der Könige von Ägypten, mit ihrer ganzen Seemacht den Römern beizustehen, dankbar abzulehnen vermocht hatte und jetzt selbst den alexandrinischen Staatsmännern schon bankrott erschien. Zu allem dem kam die finanzielle Bedrängnis; schon hatte Sulla die Schatzhäuser des Olympischen Zeus, des Delphischen Apollon, des Epidaurischen Asklepios leeren müssen, wofür die Götter entschädigt wurden durch die zur Straße eingezogene Halbscheid des thebanischen Gebiets. Aber weit schlimmer als all diese militärische und finanzielle Verlegenheit war der Rückschlag der politischen Umwälzung in Rom, deren rasche, durchgreifende, gewaltsame Vollendung die ärgsten Befürchtungen weit hinter sich gelassen hatte. Die Revolution führte in der Hauptstadt das Regiment; Sulla war abgesetzt, das asiatische Kommando an seiner Stelle dem demokratischen Konsul Lucius Valerius Flaccus übertragen worden, den man täglich in Griechenland erwarten konnte. Zwar hatte die Soldateska festgehalten an Sulla, der alles tat, um sie bei guter Laune zu erhalten; aber was ließ sich erwarten, wo Geld und Zufuhr ausblieben, wo der Feldherr abgesetzt und geächtet, sein Nachfolger im Anmarsch war und zu allem diesem der Krieg gegen den zähen seemächtigen Gegner aussichtslos sich hinspann!

König Mithradates übernahm es, den Gegner aus seiner bedenklichen Lage zu befreien. Allem Anschein nach war er es, der das Defensivsystem seiner Generale mißbilligte und ihnen Befehl schickte, den Feind fördersamst zu überwinden. Schon 667 (87) war sein Sohn Ariarathes aus Makedonien aufgebrochen, um Sulla im eigentlichen Griechenland zu bekämpfen; nur der plötzliche Tod, der den Prinzen auf dem Marsch am Tisäischen Vorgebirg in Thessalien ereilte, hatte die Expedition damals rückgängig gemacht. Sein Nachfolger Taxiles erschien jetzt (668 86), das in Thessalien stehende römische Korps vor sich hertreibend, mit einem Heer von angeblich 100000 Mann zu Fuß und 10000 Reitern an den Thermopylen. Mit ihm vereinigte sich Dromichätes. Auch Archelaos räumte – es scheint, weniger durch Sullas Waffen gezwungen als durch Befehle seines Herrn – den Peiräeus erst teilweise, sodann ganz und stieß in Böotien zu der pontischen Hauptarmee. Sulla, nachdem der Peiräeus mit all seinen vielbewunderten Bauwerken auf seinen Befehl zerstört worden war, folgte der pontischen Armee in der Hoffnung, vor dem Eintreffen des Flaccus eine Hauptschlacht liefern zu können. Vergeblich riet Archelaos, sich hierauf nicht einzulassen, sondern die See und die Küsten besetzt und den Feind hinzuhalten; wie einst unter Dareios und Antiochos, so stürzten auch jetzt die Massen der Orientalen, wie geängstigte Tiere in die Feuersbrunst, sich rasch und blindlings in den Kampf; und törichter als je war dies hier angewandt, wo die Asiaten vielleicht nur einige Monate hätten warten dürfen, um bei einer Schlacht zwischen Sulla und Flaccus die Zuschauer abzugeben. In der Ebene des Kephissos unweit Chäroneia im März 668 (86) trafen die Heere aufeinander. Selbst mit Einschluß der aus Thessalien zurückgedrängten Abteilung, der es geglückt war, ihre Verbindung mit der römischen Hauptarmee zu bewerkstelligen, und mit Einschluß der griechischen Kontingente fand sich das römische Heer einem dreifach stärkeren Feind gegenüber und namentlich einer weit überlegenen und bei der Beschaffenheit des Schlachtfeldes sehr gefährlichen Reiterei, gegen die Sulla seine Flanken durch verschanzte Gräben zu decken nötig fand, sowie er in der Front zum Schutz gegen die feindlichen Streitwagen zwischen seiner ersten und zweiten Linie eine Palisadenkette anbringen ließ. Als die Streitwagen den Kampf zu eröffnen heranrollten, zog sich das erste Treffen der Römer hinter diese Pfahlreihe zurück; die Wagen, an ihr abprallend und gescheucht durch die römischen Schleuderer und Schützen, warfen sich auf die eigene Linie und brachten Verwirrung sowohl in die makedonische Phalanx wie in das Korps der italischen Flüchtlinge. Archelaos zog eilig seine Reiterei von beiden Flanken herbei und schickte sie dem Feinde entgegen, um Zeit zu gewinnen, sein Fußvolk wieder zu ordnen; sie griff mit großem Feuer an und durchbrach die römischen Reihen; allein die römische Infanterie formierte sich rasch in geschlossene Massen und hielt den von allen Seiten auf sie anstürmenden Reitern mutig stand. Inzwischen führte Sulla selbst auf dem rechten Flügel seine Reiterei in die entblößte Flanke des Feindes; die asiatische Infanterie wich, ohne eigentlich zum Schlagen gekommen zu sein, und ihr Weichen brachte Unruhe auch in die Reitermassen. Ein allgemeiner Angriff des römischen Fußvolks, das durch die schwankende Haltung der feindlichen Reiter wieder Luft bekam, entschied den Sieg. Die Schließung der Lagertore, die Archelaos anordnete, um die Flucht zu hemmen, bewirkte nur, daß das Blutbad um so größer ward und, als die Tore endlich sich auftaten, die Römer mit den Asiaten zugleich eindrangen. Nicht den zwölften. Mann soll Archelaos nach Chalkis gerettet haben. Sulla folgte ihm bis an den Euripos; den schmalen Meeresarm zu überschreiten war er nicht imstande.

Es war ein großer Sieg, aber die Resultate waren geringfügig, was wegen des Mangels einer Flotte, teils weil der römische Sieger sich genötigt sah, statt die Besiegten zu verfolgen, zunächst vor seinen Landsleuten sich zu schützen. Die See war noch immer ausschließlich bedeckt von den pontischen Geschwadern, die jetzt selbst westlich vom Malfischen Vorgebirge sich zeigten; noch nach der Schlacht von Chäroneia setzte Archelaos auf Zakynthos Truppen ans Land und machte einen Versuch, auf dieser Insel sich festzusetzen. Ferner war inzwischen in der Tat Lucius Flaccus mit zwei Legionen in Epeiros gelandet, nicht ohne unterwegs durch Stürme und durch die im Adriatischen Meer kreuzenden feindlichen Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben; bereits standen seine Truppen in Thessalien; dorthin zunächst mußte Sulla sich wenden. Bei Melitäa am nördlichen Abhang des Othrysgebirges lagerten beide römischen Heere sich gegenüber; ein Zusammenstoß schien unvermeidlich. Indes Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte sich zu überzeugen, daß Sullas Soldaten keineswegs geneigt war ihren siegreichen Führer an den gänzlich unbekannten demokratischen Oberfeldherrn zu verraten, daß vielmehr seine eigene Vorhut anfing, in das Sullanische Lager zu desertieren, wich dem Kampfe aus, dem er in keiner Hinsicht gewachsen war, und brach auf gegen Norden, um durch Makedonien und Thrakien nach Asien zu gelangen und dort durch Überwältigung Mithradats sich den Weg zu weiteren Erfolgen zu bahnen. Daß Sulla den schwächeren Gegner ungehindert abziehen ließ und, statt ihm zu folgen, vielmehr zurück nach Athen ging, wo er den Winter 668/69 (86/85) verweilt zu haben scheint, ist militärisch betrachtet auffallend; vielleicht darf man annehmen, daß auch hier politische Beweggründe ihn leiteten und er gemäßigt und

Patriotisch genug dachte, um wenigstens so lange, als man doch mit den Asiaten zu tun hatte, gern einen Sieg über die Landsleute zu vermeiden und die erträglichste Lösung der leidigen Verwicklung darin zu finden, wenn die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit dem gemeinschaftlichen Feinde stritt.

Mit dem Frühling 669 (85) gab es in Europa wieder neue Arbeit. Mithradates, der in Kleinasien seine Rüstungen unermüdlich fortsetzte, hatte eine, der bei Chäroneia aufgeriebenen an Zahl nicht viel nachstehende Armee unter Dorylaos nach Euböa gesandt; von dort war dieselbe in Verbindung mit den Überbleibseln der Armee des Archelaos über den Euripos nach Böotien gegangen. Der pontische König, der in den Siegen über die bithynische und die kappadokische Miliz den Maßstab fand für die Leistungsfähigkeit seiner Armee, begriff die ungünstige Wendung nicht, die die Dinge in Europa nahmen; schon flüsterten die Kreise der Höflinge von Verrat des Archelaos; peremtorischer Befehl war gegeben, mit der neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und nun unfehlbar die Römer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, wo nicht im Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der Kephissosebene bei Orchomenos, begegneten sich die Römer und die Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren warf sich ungestüm auf das römische Fußvolk, das zu schwanken und zu weichen begann; die Gefahr ward so dringend, daß Sulla ein Feldzeichen ergriff und mit seinen Adjutanten und Ordonnanzen gegen den Feind vorgehend mit lauter Stimme den Soldaten zurief, wenn man daheim sie frage, wo sie ihren Feldherrn im Stich gelassen hätten, so möchten sie antworten: bei Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und überwältigten die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie mit leichter Mühe geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das Lager der Asiaten umstellt und erstürmt; der weitaus größte Teil derselben fiel oder kam in den Kopaischen Sümpfen um; nur wenige, unter ihnen Archelaos, gelangten nach Euböa. Die böotischen Gemeinden hatten den abermaligen Abfall von Rom schwer, zum Teil bis zur Vernichtung zu büßen. Dem Einmarsch in Makedonien und Thrakien stand nichts im Wege: Philippi ward besetzt, Abdera von der pontischen Besatzung freiwillig geräumt, überhaupt das europäische Festland von den Feinden gesäubert. Am Ende des dritten Kriegsjahres (669 85) konnte Sulla Winterquartiere in Thessalien beziehen, um im Frühjahr 670 (84)80 den asiatischen Feldzug zu beginnen, zu welchem Ende er Befehl gab, in den thessalischen Häfen Schiffe zu bauen.

Inzwischen hatten auch die kleinasiatischen Verhältnisse sich wesentlich geändert. Wenn König Mithradates einst aufgetreten war als der Befreier der Hellenen, wenn er mit Förderung der städtischen Unabhängigkeit und mit Steuererlassen seine Herrschaft eingeleitet hatte, so war auf diesen kurzen Taumel nur zu rasch und nur zu bitter die Enttäuschung gefolgt. Sehr bald war er in seinem wahren Charakter hervorgetreten und hatte eine die Tyrannei der römischen Vögte weit überbietende Zwingherrschaft zu üben begonnen, die sogar die geduldigen Kleinasiaten zu offener Auflehnung trieb. Der Sultan griff dagegen wieder zu den gewaltsamsten Mitteln. Seine Verordnungen verliehen den zugewandten Ortschaften die Selbständigkeit, den Insassen das Bürgerrecht, den Schuldnern vollen Schuldenerlaß, den Besitzlosen Äcker, den Sklaven die Freiheit; an 15000 solcher freigelassener Sklaven fochten im Heer des Archelaos. Die fürchterlichsten Szenen waren die Folge dieser von oben herab erfolgenden Umwälzung aller bestehenden Ordnung. Die ansehnlichsten Kaufstädte, Smyrna, Kolophon, Ephesos, Tralleis, Sardeis, schlossen den Vögten des Königs die Tore oder brachten sie um und erklärten sich für Rom81. Dagegen ließ der königliche Vogt Diodoros, ein namhafter Philosoph wie Aristion, von anderer Schule, aber gleich brauchbar zur schlimmsten Herrendienerei, im Auftrag seines Herrn den gesamten Stadtrat von Adramytion niedermachen. Die Chier, die der Hinneigung zu Rom verdächtig schienen, wurden zunächst um 2000 Talente (3150000 Taler) gebüßt und, da die Zahlung nicht richtig befunden wurde, in Masse auf Schiffe gesetzt und gebunden, unter Aufsicht ihrer eigenen Sklaven, an die kolchische Küste deportiert, während ihre Insel mit pontischen Kolonisten besetzt ward. Die Häuptlinge der kleinasiatischen Kelten befahl der König sämtlich an einem Tage mit ihren Weibern und Kindern umzubringen und Galatien in eine pontische Satrapie zu verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle wurden auch entweder an Mithradates‘ eigenem Hoflager oder im galatischen Lande vollstreckt, allein die wenigen Entronnenen stellten sich an die Spitze ihrer kräftigen Stämme und schlugen den Statthalter des Königs, Eumachos, aus ihren Grenzen hinaus. Daß diesen König die Dolche der Mörder verfolgten, ist begreiflich; sechzehnhundert Menschen wurden als in solche Komplotte verwickelt von den königlichen Untersuchungsgerichten zum Tode verurteilt.

Wenn also der König durch dies selbstmörderische Wüten seine derzeitigen Untertanen gegen sich unter die Waffen rief, so begannen gleichzeitig die Römer auch in Asien, ihn zur See und zu Lande zu drängen. Lucullus hatte, nachdem der Versuch, die ägyptische Flotte gegen Mithradates vorzuführen, gescheitert war, sein Bemühen, sich Kriegsschiffe zu verschaffen, in den syrischen Seestädten mit besserem Erfolg wiederholt und seine werdende Flotte in den kyprischen, pamphylischen und rhodischen Häfen verstärkt, bis er sich stark genug fand, zum Angriff überzugehen. Gewandt vermied er es, mit überlegenen Streitkräften sich zu messen und errang dennoch nicht unbedeutende Erfolge. Die knidische Insel und Halbinsel wurden von ihm besetzt, Samos angegriffen, Kolophon und Chios den Feinden entrissen.

Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee durch Makedonien und Thrakien nach Byzantion und von dort, die Meerenge passierend, nach Kalchedon gelangt (Ende 668 86). Hier brach gegen den Feldherrn eine Militärinsurrektion aus, angeblich weil er den Soldaten die Beute unterschlug; die Seele derselben war einer der höchsten Offiziere des Heeres, ein Mann, dessen Name in Rom sprichwörtlich geworden war für den rechten Pöbelredner, Gaius Flavius Fimbria, welcher, nachdem er mit seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das auf dem Markt begonnene Demagogengeschäft ins Lager übertrug. Flaccus ward von dem Heer abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit Kalchedon getötet; an seine Stelle trat nach Beschluß der Soldaten Fimbria. Es versteht sich, daß er seinen Leuten alles nachsah: in dem befreundeten Kyzikos zum Beispiel ward der Bürgerschaft befohlen, ihre gesamte Habe an die Soldaten bei Todesstrafe auszuliefern und zum warnenden Exempel zwei der angesehensten Bürger sogleich vorläufig hingerichtet. Allein militärisch war der Wechsel des Oberbefehls dennoch ein Gewinn; Fimbria war nicht wie Flaccus ein unfähiger General, sondern energisch und talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos westlich von Brussa) schlug er den jüngeren Mithradates, der als Statthalter der pontischen Satrapie ihm entgegengezogen war, vollständig in einem nächtlichen Überfall und öffnete sich durch diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt sonst der römischen Provinz, jetzt des pontischen Königs, Pergamon, von wo er den König vertrieb und ihn zwang, sich nach dem wenig entfernten Hafen Pitane zu retten, um dort sich einzuschiffen. Eben jetzt erschien Lucullus mit seiner Flotte in diesen Gewässern; Fimbria beschwor ihn, durch seinen Beistand ihm die Gefangennehmung des Königs möglich zu machen. Aber der Optimat war mächtiger in Lucullus als der Patriot; er segelte weiter, und der König entkam nach Mytilene. Auch so war Mithradates‘ Lage bedrängt genug. Am Ende des Jahres 669 (85) war Europa verloren, Kleinasien gegen ihn teils im Aufstand begriffen, teils von einem römischen Heer eingenommen und er selbst von diesem in unmittelbarer Nähe bedroht. Die römische Flotte unter Lucullus hatte an der Küste der troischen Landschaft in zwei glücklichen Seegefechten am Vorgebirg Lekton und bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie zog daselbst die inzwischen nach Sullas Anordnung in Thessalien erbauten Schiffe an sich und verbürgte in ihrer den Hellespont beherrschenden Stellung dem Feldherrn der römischen Senatsarmee für das nächste Frühjahr den sicheren und bequemen Übergang nach Asien.

Mithradates versuchte zu unterhandeln. Unter anderen Verhältnissen zwar hätte der Urheber des ephesischen Mordedikts nie und nimmermehr hoffen dürfen, zum Frieden mit Rom gelassen zu werden; allein bei den inneren Konvulsionen der römischen Republik, wo die herrschende Regierung den gegen Mithradates ausgesandten Feldherrn in die Acht erklärt hatte und daheim gegen seine Parteigenossen in der grauenhaftesten Weise wütete, wo ein römischer General gegen den andern und doch wieder beide gegen denselben Feind standen, hoffte er nicht bloß einen Frieden, sondern einen günstigen Frieden erlangen zu können. Er hatte die Wahl, sich an Sulla oder an Fimbria zu wenden; mit beiden ließ er unterhandeln, doch scheint seine Absicht von Haus aus gewesen zu sein, mit Sulla abzuschließen, der wenigstens in dem Horizont des Königs als seinem Nebenbuhler entschieden überlegen erschien. Sein Feldherr Archelaos forderte nach Anweisung seines Herrn Sulla auf, Asien an den König abzutreten und dafür die Hilfe desselben gegen die demokratische Partei in Rom zu gewärtigen. Aber Sulla, kühl und klar wie immer, wünschte zwar wegen der Lage der Dinge in Italien dringend die schleunige Erledigung der asiatischen Angelegenheiten, schlug aber die Vorteile der kappadokischen Allianz für den ihm in Italien bevorstehenden Krieg sehr niedrig an und war überhaupt viel zu sehr Römer, um in eine so entehrende und so nachteilige Abtretung zu willigen. In den Friedenskonferenzen, die im Winter 669/70 (85/84) zu Delion an der böotischen Küste, Euböa gegenüber, stattfanden, weigerte er sich bestimmt, auch nur einen Fußbreit Landes abzutreten, ging aber, der alten römischen Sitte, die vor dem Kampfe erhobenen Forderungen nach dem Siege nicht zu steigern, aus gutem Grunde getreu, über die früher gestellten Bedingungen nicht hinaus. Er forderte die Rückgabe aller von dem König gemachten und ihm noch nicht wiederentrissenen Eroberungen, Kappadokiens, Paphlagoniens, Galatiens, Bithyniens, Kleinasiens und der Inseln, die Auslieferung der Gefangenen und Überläufer, die Übergabe der achtzig Kriegsschiffe des Archelaos zur Verstärkung der immer noch geringen römischen Flotte, endlich Sold und Verpflegung für das Heer und Ersatz der Kriegskosten mit der sehr mäßigen Summe von 3000 Talenten (4¾ Mill. Taler). Die nach dem Schwarzen Meer weggeführten Chier sollten heimgesandt, den römisch gesinnten Makedoniern ihre weggeführten Familien zurückgegeben, den mit Rom verbündeten Städten eine Anzahl Kriegsschiffe zugestellt werden. Von Tigranes, der streng genommen gleichfalls mit in den Frieden hätte eingeschlossen werden sollen, schwieg man auf beiden Seiten, da an den endlosen Weiterungen, die seine Beiziehung machen mußte, keinem der kontrahierenden Teile gelegen war. Der Besitzstand also, den der König vor dem Kriege gehabt hatte, blieb ihm und es ward ihm keine ehrenkränkende Demütigung angesonnen82. Archelaos, deutlich erkennend, daß verhältnismäßig unerwartet viel erreicht und mehr nicht zu erreichen sei, schloß auf diese Bedingungen die Präliminarien und den Waffenstillstand ab und zog die Truppen aus den Plätzen heraus, die die Asiaten noch in Europa innehatten. Allein Mithradates verwarf den Frieden und begehrte wenigstens, daß die Römer auf die Auslieferung der Kriegsschiffe verzichten und ihm Paphlagonien einräumen wollten; indem er zugleich geltend machte, daß Fimbria ihm weit günstigere Bedingungen zu gewähren bereit sei. Sulla, beleidigt durch dies Gleichstellen seiner Anerbietungen mit denen eines amtlosen Abenteurers und bei dem äußersten Maß der Nachgiebigkeit bereits angelangt, brach die Unterhandlungen ab. Er hatte die Zwischenzeit benutzt, um Makedonien wiederzuordnen und die Dardaner, Sinter, Mäder zu züchtigen, wobei er zugleich seinem Heer Beute verschaffte und sich Asien näherte; denn dahin zu gehen war er auf jeden Fall entschlossen, um mit Fimbria abzurechnen. Nun setzte er sofort seine in Thrakien stehenden Legionen sowie seine Flotte in Bewegung nach dem Hellespont. Da endlich gelang es Archelaos, seinem eigensinnigen Herrn die widerstrebende Einwilligung zu dem Traktat zu entreißen; wofür er später am königlichen Hofe als der Urheber des nachteiligen Friedens scheel angesehen, ja des Verrats bezichtigt ward, so daß einige Zeit nachher er sich genötigt sah, das Land zu räumen und zu den Römern zu flüchten, die ihn bereitwillig aufnahmen und mit Ehren überhäuften. Auch die römischen Soldaten murrten; daß die gehoffte asiatische Kriegsbeute ihnen entging, mochte dazu freilich mehr beitragen als der an sich wohl gerechtfertigte Unwille, daß man den Barbarenfürsten, der achtzigtausend ihrer Landsleute ermordet und über Italien und Asien unsägliches Elend gebracht hatte, mit dem größten Teil der in Asien zusammengeplünderten Schätze ungestraft abziehen ließ in seine Heimat. Sulla selbst mag es schmerzlich empfunden haben, daß die politischen Verwicklungen seine militärisch so einfache Aufgabe in peinlichster Weise durchkreuzten und ihn zwangen, nach solchen Siegen sich mit einem solchen Frieden zu begnügen. Indes zeigt sich die Selbstverleugnung und die Einsicht, mit der er diesen ganzen Krieg geführt hat, nur aufs neue in diesem Friedensschluß; denn der Krieg gegen einen Fürsten, dem fast die ganze Küste des Schwarzen Meeres gehorchte und dessen Starrsinn noch die letzten Verhandlungen deutlich offenbarten, nahm selbst im günstigsten Fall Jahre in Anspruch, und die Lage Italiens war von der Art, daß es fast schon für Sulla zu spät schien, um mit den wenigen Legionen, die er besaß, der dort regierenden Partei entgegenzutreten83

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Sulla beschloß, diese beiden Legionen, denen er für den bevorstehenden Krieg doch nicht traute, in Asien zurückzulassen, wo die entsetzliche Krise noch lange in den einzelnen Städten und Landschaften nachzitterte. Das Kommando über dieses Korps und die Statthalterschaft im römischen Asien übergab er seinem besten Offizier Lucius Licinius Murena. Die revolutionären Maßregeln Mithradats, wie die Befreiung der Sklaven und die Kassation der Forderungen, wurden natürlich aufgehoben; eine Restauration, die freilich an vielen Orten nicht ohne Waffengewalt durchgesetzt werden konnte. Die Städte des östlichen Grenzgebiets unterlagen einer durchgreifenden Reorganisation und rechneten seit dem Jahre 670 (84) als dem ihrer Konstituierung. Es ward ferner Gerechtigkeit geübt, wie die Sieger sie verstanden. Die namhaftesten Anhänger Mithradats und die Urheber der an den Italikern verübten Mordtaten traf die Todesstrafe. Die Steuerpflichtigen mußten die sämtlichen von den letzten fünf Jahren her rückständigen Zehnten und Zölle sofort nach Abschätzung bar erlegen; außerdem hatten sie eine Kriegsentschädigung von 20000 Talenten (32 Mill. Talern) zu entrichten, zu deren Eintreibung Lucius Lucullus zurückblieb. Es waren die Maßregeln von furchtbarer Strenge und schrecklichen Folgen; wenn man sich indes des ephesischen Dekrets und seiner Exekution erinnert, so fühlt man sich geneigt, dieselben als eine verhältnismäßig noch gelinde Vergeltung zu betrachten. Daß die sonstigen Erpressungen nicht ungewöhnlich drückend waren, beweist der Betrag der später im Triumph aufgeführten Beute, der an edlem Metall sich nur auf etwa 8 Mill. Taler belief. Die wenigen treugebliebenen Gemeinden dagegen, namentlich die Insel Rhodos, die lykische Landschaft, Magnesia am Mäander wurden reich belohnt; Rhodos erhielt wenigstens einen Teil der nach dem Kriege gegen Perseus ihm entzogenen Besitzungen zurück. Desgleichen wurden die Chier für die ausgestandene Not, die Ilienser für die wahnsinnig grausame Mißhandlung, die ihnen Fimbria wegen der mit Sulla angeknüpften Verhandlungen zugefügt hatte, nach Möglichkeit durch Freibriefe und Vergünstigungen entschädigt. Die Könige von Bithynien und Kappadokien hatte Sulla schon in Dardanos mit dem pontischen König zusammengeführt und sie alle Frieden und gute Nachbarschaft geloben lassen; wobei freilich der stolze Mithradates sich geweigert hatte, den nicht von königlichem Blute stammenden Ariobarzanes, den Sklaven, wie er ihn nannte, persönlich vor sich zu lassen. Gaius Scribonius Curio ward beauftragt, in den beiden von Mithradates geräumten Reichen die Wiederherstellung der gesetzlichen Zustände zu überwachen.

So war man am Ziel. Nach vier Kriegsjahren war der pontische König wieder ein Klient der Römer und in Griechenland, Makedonien und Kleinasien ein einheitliches und geordnetes Regiment wiederhergestellt; die Gebote des Vorteils und der Ehre waren, wo nicht zur Genüge, doch zur Notdurft befriedigt. Sulla hatte nicht bloß als Soldat und Feldherr glänzend sich hervorgetan, sondern die schwere Mittelstraße zwischen kühnem Ausharren und klugem Nachgeben auf seinem von tausendfachen Hindernissen durchkreuzten Gange einzuhalten verstanden. Fast wie Hannibal hatte er gekriegt und gesiegt, um mit den Streitkräften, die der erste Sieg ihm gab, alsbald zu einem zweiten und schwereren Kampfe sich zu schicken. Nachdem er seine Soldaten durch die üppigen Winterquartiere in dem reichen Vorderasien einigermaßen für ihre ausgestandenen Strapazen entschädigt hatte, ging er im Frühjahr 671 (83) auf 1600 Schiffen von Ephesos nach dem Peiräeus und von da auf dem Landweg nach Paträ, wo die Schiffe wiederum bereit standen, um die Truppen nach Brundisium zu führen. Ihm vorauf ging ein Bericht an den Senat über seine Feldzüge in Griechenland und Asien, dessen Schreiber von seiner Absetzung nichts zu wissen schien; es war die stumme Ankündigung der bevorstehenden Restauration.

  1. Die als phrygisch angeführten Wörter Βαγαίος = Zeus und der alte Königsname Μάνις sind unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha = Gott und das deutsche Mannus, indisch Manus zurückgeführt worden. Chr. Lassen in: ZDMG, 10, 1888, S. 329f.
  2. Sie sind hier zusammengefaßt, da sie freilich zum Teil erst zwischen den ersten und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten Krieg mit Rom fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13; Eutr. 5, 5) und eine Erzählung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal schlechterdings nicht durchführen läßt. Auch das neu gefundene Dekret von Chersonesos hat in dieser Hinsicht keinen Aufschluß gegeben. Danach ist Diophantos zweimal gegen die taurischen Skythen gesandt worden; aber daß die zweite Schilderhebung derselben mit dem Beschluß des römischen Senats zu Gunsten der skythischen Fürsten in Verbindung steht, erhellt aus der Urkunde nicht und ist nicht einmal wahrscheinlich.
  3. Es hat viele Wahrscheinlichkeit, daß die ungemeine Trockenheit, die vornehmlich jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden überhaupt erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der Wälder des mittleren und südlichen Rußland, die ehemals bis zu einem gewissen Grad die Küstenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind schützten.
  4. Das kürzlich aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos für diesen Diophantos (SIG 252) bestätigt die Überlieferung durchaus. Es zeigt uns die Stadt in nächster Nähe – den Hafen von Balaklava müssen die Taurer, Simferopol die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben –, bedrängt teils von den Taurern an der Südküste der Krim, teils und vor allem von den Skythen, die das ganze Innere der Halbinsel und das angrenzende Festland in der Gewalt haben; es zeigt uns ferner, wie der Feldherr des Königs Mithradates nach allen Seiten hin der Griechenstadt Luft macht die Taurer niederschlägt und in ihrem Gebiet eine Zwingburg (wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen den westlichen und den östlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im Westen die Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfürsten Saumakos überwältigt, die Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich sie mit den Reuxinalern – so heißen hier, wo sie zuerst auftreten, die späteren Roxolaner – in der großen Feldschlacht besiegt, deren auch die schriftliche Überlieferung gedenkt. Eine formelle Unterordnung der Griechenstadt unter den König scheint nicht stattgefunden zu haben; Mithradates erscheint nur als schützender Bundesgenosse, der gegen die als unbesiegbar geltenden (τούς ανυποστάτους δοκούντασ ειμεν) Skythen für die Griechenstadt die Schlachten schlägt, welche wahrscheinlich zu ihm ungefähr in dem Verhältnis gestanden hat wie Massalia und Athen zu Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (υπάκοιοι) des Mithradates.
  5. Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist nur ungefähr zu bestimmen. Um 640 (114) etwa scheint Mithradates Eupator tatsächlich die Regierung angetreten zu haben; Sullas Intervention fand 662 (92) statt (Liv. ep. 70), womit die Berechnung der Mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von dreißig Jahren (662-691 92-63) zusammenstimmt (Plin. nat. 7, 26, 97). In die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen und kappadokischen Sukzessionshändel, mit denen die von Mithradates, wie es scheint, in Saturninus‘ erstem Tribunat 651 (103) in Rom versuchte Bestechung (Diod. 631) wahrscheinlich schon zusammenhängt. Marius, der 655 (99) Rom verließ und nicht lange im Osten verweilte, traf Mithradates schon in Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen seiner Übergriffe (Cic. Brut. 1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also damals schon ermordet.
  6. Ein vor kurzem in dem Dorfe Aresli südlich von Synnada gefundener Senatsbeschluß vom Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus Romanus usus sit, S. 51) bestätigt sämtliche, von dem König bis zu seinem Tode getroffenen Anordnungen und zeigt also, daß Großphrygien nach dem Tode des Vaters nicht bloß dem Sohn genommen ward, was auch Appian berichtet, sondern damit geradezu unter römische Botmäßigkeit kam.
  7. Die Urheber der Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf fünfundzwanzig Jahre später die Vergeltung, indem sie nach Mithradates‘ Tode dessen Sohn Pharnakes an die Römer übergab.
  8. Man muß sich erinnern, daß seit dem Bundesgenossenkrieg auf die Legion, da sie nicht mehr von italischen Kontingenten begleitet ist, mindestens nur die halbe Mannzahl kommt wie vordem.
  9. Die Chronologie dieser Ereignisse liegt, wie alle Einzelheiten überhaupt, in einem Dunkel, das die Forschung höchstens bis zur Dämmerung zu zerstreuen vermag. Daß die Schlacht von Chäroneia, wenn auch nicht an demselben Tage wie die Erstürmung von Athen (Paus. 1, 20), doch bald nachher, etwa im März 668 (86), stattfand, ist ziemlich sicher. Daß die darauf folgende thessalische und die zweite böotische Kampagne nicht bloß den Rest des Jahres 668 (86), sondern auch das ganze Jahr 669 (85) in Anspruch nahmen, ist an sich wahrscheinlich und wird es noch mehr dadurch, daß Sullas Unternehmungen in Asien nicht genügen, um mehr als einen Feldzug auszufüllen. Auch scheint Licinianus anzudeuten, daß Sulla für den Winter 668/69 (86/85) wieder nach Athen zurückging und hier die Untersuchungen und Bestrafungen vornahm; worauf dann die Schlacht von Orchomenos erzählt wird. Darum ist der Übergang Sullas nach Asien nicht 669 (85), sondern 670 (84) gesetzt worden.
  10. Es ist kürzlich (Waddington, Zusätze zu Lebas, 3, 136a) der desfällige Beschluß der Bürgerschaft von Ephesos aufgefunden worden. Sie seien, erklären die Bürger, in die Gewalt des „Königs von Kappadokien“ Mithradates geraten, erschreckt durch die Masse seiner Streitkräfte und die Plötzlichkeit seines Angriffs; wie aber die Gelegenheit dazu sich darbiete, erklärten sie „für die Herrschaft (ηγεμονία) der Römer und die gemeine Freiheit“ ihm den Krieg.
  11. Die Angabe, daß Mithradates den Städten, die seine Partei ergriffen hatten im Frieden Straflosigkeit ausbedungen habe (Memn. 35), erscheint schon nach dem Charakter des Siegers wie des Besiegten wenig glaublich und fehlt auch bei Appian wie bei Licinianus. Die schriftliche Abfassung des Friedensvertrages ward versäumt, was später zu vielen Entstellungen benutzt ward.
  12. Auch die armenische Tradition kennt den Ersten Mithradatischen Krieg. König Ardasches von Armenien, berichtet Moses von Khorene, begnügte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im Persischen (Parthischen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den Partherkönig Arschagan, ihm die höchste Gewalt abzutreten, worauf er in Persien sich einen Palast bauen und daselbst Münzen mit eigenem Bildnis schlagen ließ und den Arschagan zum Unterkönig Persiens, seinen Sohn Dicran (Tigranes) zum Unterkönig Armeniens bestellte, seine Tochter Ardaschama aber vermählte mit dem Großfürsten der Iberer Mihrdates (Mithradates), der von dem Mihrdates, Satrapen des Dareios und Statthalters Alexanders über die besiegten Iberer, abstammte und in den nördlichen Bergen sowie über das Schwarze Meer befahl. Ardasches nahm darauf den König der Lydier Krösos gefangen, unterwarf das Festland zwischen den beiden großen Meeren (Kleinasien) und ging über das Meer mit unzähligen Schiffen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der Hand seiner Leute. Nach Ardasches‘ Tode rückte sein Nachfolger Dicran gegen die Armee der Griechen (d. i. der Römer), die jetzt ihrerseits in das armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel, übergab seinem Schwager Mithradates die Verwaltung von Madschag (Mazaka in Kappadokien) und des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen Streitmacht und kehrte zurück nach Armenien. Viele Jahre später zeigte man noch in den armenischen Städten Statuen griechischer Götter von bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug.
  13. Man erkennt hier verschiedene Tatsachen des Ersten Mithradatischen Kriegs ohne Mühe wieder, aber die ganze Erzählung ist augenscheinlich durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusätzen ausgestattet und namentlich durch patriotische Fälschung auf Armenien übertragen. Ganz ebenso wird später der Sieg über Crassus den Armeniern beigelegt. Diese orientalischen Nachrichten sind mit um so größerer Vorsicht aufzunehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern teils die Nachrichten des Josephus, Eusebius und anderer, den Christen des fünften Jahrhunderts geläufiger Quellen darin mit den armenischen Traditionen verschmolzen, teils auch die historischen Romane der Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des Moses dafür ansehnlich in Kontribution gesetzt sind. So schlecht unsere okzidentalische Überlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der orientalischen in diesem und in ähnlichen Fällen, wie zum Beispiel der unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin führen, sie noch stärker zu trüben.

9. Kapitel


9. Kapitel

Cinna und Sulla

Die gespannten und unklaren Verhältnisse, in denen Sulla bei seiner Abfahrt nach Griechenland im Anfang des Jahres 667 (87) Italien zurückließ, sind früher dargelegt worden: die halb erstickte Insurrektion, die Hauptarmee unter dem mehr als halb usurpierten Kommando eines politisch sehr zweideutigen Generals, die Verwirrung und die vielfach tätige Intrige in der Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie durch Waffengewalt hatte trotz oder wegen seiner Mäßigung vielfältige Mißvergnügte gemacht. Die Kapitalisten, von den Schlägen der schwersten Finanzkrise, die Rom noch erlebt hatte, schmerzlich getroffen, grollten der Regierung wegen des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des Italischen und des Asiatischen Krieges, die sie nicht verhütet hatte. Die Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt, beklagten nicht bloß den Verlust ihrer stolzen Hoffnungen auf Erlangung gleicher Rechte mit der herrschenden Bürgerschaft, sondern auch den ihrer althergebrachten Verträge und ihre neue völlig rechtlose Untertanenstellung. Die Gemeinden zwischen Alpen und Po waren ebenfalls unzufrieden mit den ihnen gemachten halben Zugeständnissen und die Neubürger und Freigelassenen erbittert durch die Kassation der Sulpicischen Gesetze. Der Stadtpöbel litt unter der allgemeinen Bedrängnis und fand es unerlaubt, daß das Säbelregiment sich die verfassungsmäßige Knüttelherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen lassen. Der hauptstädtische Anhang der nach der Sulpicischen Umwälzung Geächteten, der infolge der ungemeinen Mäßigung Sullas sehr zahlreich geblieben war, arbeitete eifrig daran, diesen die Erlaubnis zur Rückkehr zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen sparten für diesen Zweck keine Mühe und kein Geld. Keine dieser Verstimmungen war eigentlich von der Art, daß sie einen neuen gewaltsamen Zusammenstoß der Parteien in nahe Aussicht stellte; größtenteils waren sie zielloser und vorübergehender Art: aber sie alle nährten das allgemeine Mißbehagen und hatten schon mehr oder minder mitgewirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten Mordversuchen gegen Sulla, dem zum Teil oppositionellen Ausfall der Konsul- und Tribunenwahlen für 667 (87). Der Name des Mannes, den die Mißvergnügten an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius Cornelius Cinna, war bis dahin kaum genannt worden, außer insofern er als Offizier im Bundesgenossenkrieg sich gut geschlagen hatte; über die Persönlichkeit desselben und seine ursprünglichen Absichten sind wir weniger unterrichtet als über die irgendeines andern Parteiführers in der römischen Revolution. Die Ursache ist allem Anschein nach keine andere, als daß dieser ganz gemeine und durch den niedrigsten Egoismus geleitete Gesell weitergehende politische Pläne von Haus aus gar nicht gehabt hat. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, daß er gegen ein tüchtiges Stück Geld sich den Neubürgern und der Koterie des Marius verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr glaublich aus; wäre sie aber auch falsch, so bleibt es nichtsdestoweniger charakteristisch, daß ein derartiger Verdacht, wie er nie gegen Saturninus und Sulpicius geäußert worden war, an Cinna haftete. In der Tat hat die Bewegung, an deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein der Geringhaltigkeit sowohl der Beweggründe wie der Ziele. Sie ging nicht so sehr von einer Partei aus als von einer Anzahl Mißvergnügter ohne eigentlich politische Zwecke und nennenswerten Rückhalt, die hauptsächlich die Rückberufung der Verbannten in gesetzlicher oder ungesetzlicher Weise durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna scheint in die Verschwörung nur nachträglich und nur deshalb hineingezogen zu sein, weil die Intrige, die infolge der Beschränkung der tribunizischen Gewalt zur Vorbringung ihrer Anträge einen Konsul brauchte, unter den Konsularkandidaten für 667 (87) in ihm das geeignetste Werkzeug ersah und dann ihn als den Konsul vorschob. Unter den in zweiter Linie erscheinenden Leitern der Bewegung fanden sich einige fähigere Köpfe, so der Volkstribun Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stürmische Volksberedsamkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus Sertorius, einer der talentvollsten römischen Offiziere und in jeder Hinsicht ein vorzüglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung um das Volkstribunat mit Sulla persönlich verfeindet und durch diesen Hader in die Reihen der Mißvergnügten geführt worden war, wohin er seiner Art nach keineswegs gehörte. Der Prokonsul Strabo, obwohl mit der Regierung gespannt, war dennoch weit entfernt, mit dieser Fraktion sich einzulassen.

Solange Sulla in Italien stand, hielten die Verbündeten aus guten Gründen sich still. Als indes der gefürchtete Prokonsul, nicht den Mahnungen des Konsuls Cinna, sondern dem dringenden Stand der Dinge im Osten nachgebend, sich eingeschifft hatte, legte Cinna, unterstützt von der Majorität des Tribunenkollegiums, sofort die Gesetzentwürfe vor, wodurch man übereingekommen war, gegen die Sullanische Restauration von 666 (88) teilweise zu reagieren; sie enthielten die politische Gleichstellung der Neubürger und der Freigelassenen, wie Sulpicius sie beantragt hatte, und die Wiedereinsetzung der infolge der Sulpicischen Revolution Geächteten in den vorigen Stand. In Masse strömten die Neubürger nach der Hauptstadt, um dort mit den Freigelassenen zugleich die Gegner einzuschüchtern und nötigenfalls zu zwingen. Aber auch die Regierungspartei war entschlossen, nicht zu weichen; es stand Konsul gegen Konsul, Gnaeus Octavius gegen Lucius Cinna, und Tribun gegen Tribun; beiderseits erschien man am Tage der Abstimmung großenteils bewaffnet auf dem Stimmplatz. Die Tribune von der Senatspartei legten Interzession ein; als gegen sie auf der Rednerbühne selbst die Schwerter gezückt wurden, brauchte Octavius gegen die Gewalttäter Gewalt. Seine geschlossenen Haufen bewaffneter Männer säuberten nicht bloß die Heilige Straße und den Marktplatz, sondern wüteten auch, der Befehle ihres milder gesinnten Führers nicht achtend, in grauenhafter Weise gegen die versammelten Massen. Der Marktplatz schwamm in Blut an diesem „Octaviustag“, wie niemals vor- oder nachher – auf zehntausend schätzte man die Zahl der Leichen. Cinna rief die Sklaven auf, sich durch Teilnahme an dem Kampf die Freiheit zu erkaufen; aber sein Ruf war ebenso erfolglos wie der gleiche des Marius das Jahr zuvor, und es blieb den Führern der Bewegung nichts übrig, als zu flüchten. Weiter gegen die Häupter der Verschwörung, solange ihr Amtsjahr lief, zu verfahren gab die Verfassung kein Mittel an die Hand. Allein ein vermutlich mehr loyaler als frommer Prophet hatte geweissagt, daß die Verbannung des Konsuls Cinna und der sechs mit ihm haltenden Volkstribune dem Lande Frieden und Ruhe wiedergeben werde; und in Gemäßheit zwar nicht der Verfassung, aber wohl dieses glücklich von den Orakelbewahrern aufgefangenen Götterratschlags wurde durch Beschluß des Senats der Konsul Cinna seines Amtes entsetzt, an seiner Stelle Lucius Cornelius Merula gewählt und gegen die flüchtigen Häupter die Acht ausgesprochen. Die ganze Krise schien damit endigen zu sollen, daß die Zahl der ausgetretenen Männer in Numidien um einige Köpfe sich vermehrte.

Ohne Zweifel wäre auch bei der Bewegung nichts weiter herausgekommen, wenn nicht teils der Senat in seiner gewöhnlichen Schlaffheit es unterlassen hätte, die Flüchtlinge rasch wenigstens zur Räumung Italiens zu nötigen, teils diese in der Lage gewesen wären, zu ihren Gunsten als der Verfechter der Emanzipation der Neubürger gewissermaßen den Aufstand der Italiker zu erneuern. Ungehindert erschienen sie in Tibur, in Praeneste, in allen bedeutenden Neubürgergemeinden Latiums und Kampaniens und forderten und erhielten überall zur Durchführung der gemeinschaftlichen Sache Geld und Mannschaft. So unterstützt zeigten sie sich bei der Belagerungsarmee von Nola. Die Heere dieser Zeit waren demokratisch und revolutionär gesinnt, wo immer nicht der Feldherr durch seine imponierende Persönlichkeit sie an sich selber fesselte; die Reden der flüchtigen Beamten, die überdies zum Teil, wie namentlich Cinna und Sertorius, aus den letzten Feldzügen in gutem Andenken bei den Soldaten standen, machten tiefen Eindruck; die verfassungswidrige Absetzung des popularen Konsuls, der Eingriff des Senats in die Rechte des souveränen Volkes wirkten auf den gemeinen Mann, und den Offizieren machte das Gold des Konsuls oder vielmehr der Neubürger den Verfassungsbruch deutlich. Das kampanische Heer erkannte den Cinna als Konsul an und schwor ihm Mann für Mann den Eid der Treue; es ward der Kern für die von den Neubürgern und selbst den bundesgenössischen Gemeinden herbeiströmenden Scharen. Bald bewegten ansehnliche, wenn auch meistens aus Rekruten bestehende Haufen sich von Kampanien auf die Hauptstadt zu. Andere Schwärme nahten ihr von Norden. Auf Cinnas Einladung waren die das Jahr zuvor Verbannten bei Telamon an der etruskischen Küste gelandet. Es waren nicht mehr als etwa 500 Bewaffnete, größtenteils Sklaven der Flüchtlinge und geworbene numidische Reiter; aber Gaius Marius, wie er das Jahr zuvor mit dem hauptstädtischen Gesindel hatte Gemeinschaft machen wollen, ließ jetzt die Zwinghäuser erbrechen, in denen die Gutsbesitzer dieser Gegend ihre Feldarbeiter zur Nachtzeit einschlossen, und die Waffen, die er diesen bot, um sich die Freiheit zu erfechten, wurden nicht verschmäht. Durch diese Mannschaft und die Zuzüge der Neubürger sowie der von allen Seiten mit ihrem Anhang herbeiströmenden landflüchtigen Leute verstärkt, zählte er bald 6000 Mann unter seinen Adlern und konnte vierzig Schiffe bemannen, die sich vor die Tibermündung legten und auf die nach Rom segelnden Getreideschiffe Jagd machten. Mit diesen stellte er sich dem „Konsul“ Cinna zur Verfügung. Die Führer der kampanischen Armee schwankten; die einsichtigeren, namentlich Sertorius, warnten ernstlich vor der allzuengen Gemeinschaft mit einem Manne, der durch seinen Namen an die Spitze der Bewegung geführt werden mußte und doch notorisch ebenso jedes staatsmännischen Handelns unfähig wie von wahnsinnigem Rachedurst gepeinigt war; indes Cinna achtete diese Bedenklichkeiten nicht und bestätigte dem Marius den Oberbefehl in Etrurien und zur See mit prokonsularischer Gewalt.

So zog sich das Gewitter um die Hauptstadt zusammen, und es konnte nicht länger verschoben werden, zu ihrem Schutz die Regierungstruppen heranzuziehen85. Aber die Streitkräfte des Metellus wurden in Samnium und vor Nola durch die Italiker festgehalten; Strabo allein war imstande, der Hauptstadt zu Hilfe zu eilen. Er erschien auch und schlug sein Lager am Collinischen Tor; mit seiner starken und krieggewohnten Armee wäre er wohl imstande gewesen, die noch schwachen Insurgentenhaufen rasch und völlig zu vernichten; allein dies schien nicht in seiner Absicht zu liegen. Vielmehr ließ er es geschehen, daß Rom von den Insurgenten in der Tat umstellt ward. Cinna mit seinem Korps und dem des Carbo stellten sich am rechten Tiberufer dem Ianiculum gegenüber auf, Sertorius am linken, Pompeius gegenüber gegen den Servianischen Wall zu. Marius, mit seinem allmählich auf drei Legionen angewachsenen Haufen und im Besitz einer Anzahl von Kriegsschiffen, besetzte einen Küstenplatz nach dem andern, bis zuletzt sogar Ostia durch Verrat in seine Gewalt kam und, gleichsam zum Vorspiel der herannahenden Schreckensherrschaft, der wilden Bande von dem Feldherrn zu Mord und Plünderung preisgegeben ward. Die Hauptstadt schwebte, schon durch die bloße Hemmung des Verkehrs, in großer Gefahr; auf Befehl des Senats wurden Mauern und Tore in Verteidigungszustand gesetzt und das Bürgeraufgebot auf das Ianiculum befehligt. Strabos Untätigkeit erregte bei Vornehmen und Geringen gleichmäßig Befremden und Entrüstung. Der Verdacht, daß er mit Cinna insgeheim unterhandle, lag nahe, war indes wahrscheinlich unbegründet; ein ernstliches Gefecht, das er dem Haufen des Sertorius lieferte, und die Unterstützung, die er dem Konsul Octavius gewährte, als Marius durch Einverständnis mit einem der Offiziere der Besatzung in das Ianiculum eingedrungen war, und durch die es in der Tat gelang, die Insurgenten mit starkem Verlust wieder hinauszuschlagen, bewiesen es, daß er nichts weniger beabsichtigte, als sich den Insurgentenführern anzuschließen oder vielmehr unterzuordnen. Vielmehr scheint seine Absicht gewesen zu sein, der geängsteten hauptstädtischen Regierung und Bürgerschaft seinen Beistand gegen die Insurrektion um den Preis des Konsulats für das nächste Jahr zu verkaufen und damit das Heft des Regiments selber in die Hände zu bekommen. Der Senat war indes nicht geneigt, um dem einen Usurpator zu entgehen, sich dem andern in die Arme zu werfen, und suchte sich anderweitig zu helfen. Den sämtlichen, an dem Aufstand der Bundesgenossen beteiligten italischen Gemeinden, die die Waffen niedergelegt und infolgedessen ihr altes Bündnis eingebüßt hatten, wurde durch Senatsbeschluß nachträglich das Bürgerrecht verliehen86. Es schien gleichsam offiziell konstatiert werden zu sollen, daß Rom in dem Krieg gegen die Italiker seine Existenz nicht um eines großen Zweckes, sondern um der eigenen Eitelkeit willen eingesetzt hatte: in der ersten augenblicklichen Verlegenheit wurde, um ein paar tausend Soldaten mehr auf die Beine zu bringen, alles aufgeopfert, was in dem Bundesgenossenkrieg um so fürchterlich teuren Preis errungen worden war. In der Tat kamen auch Truppen aus den Gemeinden, denen diese Nachgiebigkeit zugute kam; aber statt der versprochenen vielen Legionen betrug ihr Zuzug im ganzen nicht mehr als höchstens zehntausend Mann. Wichtiger noch wäre es gewesen, mit den Samniten und Nolanern zu einem Abkommen zu gelangen, um die Truppen des durchaus zuverlässigen Metellus zum Schutze der Hauptstadt verwenden zu können. Allein die Samniten stellten Forderungen, die an das Caudinische Joch erinnerten: Rückgabe des den Samniten abgenommenen Beuteguts und ihrer Gefangenen und Überläufer; Verzicht auf die samnitischerseits den Römern entrissene Beute; Bewilligung des Bürgerrechts an die Samniten selbst sowie an die zu ihnen übergetretenen Römer. Der Senat verwarf selbst in dieser Not so entehrende Friedensbedingungen, wies aber den noch den Metellus an, mit Zurücklassung einer kleinen Abteilung alle im südlichen Italien irgend entbehrlichen Truppen schleunigst selber nach Rom zu führen. Er gehorchte; aber die Folge war, daß die Samniten den gegen sie zurückgelassenen Legaten des Metellus Plautius mit seinem schwachen Haufen angriffen und schlugen, daß die nolanische Besatzung ausrückte und die benachbarte, mit Rom verbündete Stadt Abella in Brand steckte; daß ferner Cinna und Marius den Samniten alles bewilligten, was sie begehrten – was lag ihnen an römischer Ehre! -und samnitischer Zuzug die Reihen der Insurgenten verstärkte. Ein empfindlicher Verlust war es auch, daß nach einem für die Regierungstruppen unglücklichen Gefecht Ariminum von den Insurgenten besetzt und dadurch die wichtige Verbindung zwischen Rom und dem Potal, von wo Mannschaft und Zufuhren erwartet wurden, unterbrochen ward. Mangel und Hunger stellten sich ein. Die große volkreiche, stark mit Truppen besetzte Stadt war nur ungenügend mit Vorräten versehen; und namentlich Marius ließ es sich angelegen sein, ihr die Zufuhr mehr und mehr abzuschneiden. Schon früher hatte er den Tiber durch eine Schiffbrücke gesperrt; jetzt brachte er durch die Eroberung von Antium, Lanuvium, Aricia und anderen Ortschaften die noch offenen Landverbindungswege in seine Gewalt und kühlte zugleich vorläufig seine Rache, indem er, wo immer Gegenwehr geleistet worden war, die gesamte Bürgerschaft mit Ausnahme derer, die etwa die Stadt ihm verraten hatten, über die Klinge springen ließ. Ansteckende Krankheiten waren die Folge der Not und räumten in den dicht um die Hauptstadt zusammengedrängten Heermassen fürchterlich auf von Strabos Veteranenheer sollen 11000, von den Truppen des Octavius 6000 Mann denselben erlegen sein. Dennoch verzweifelte die Regierung nicht; und ein glückliches Ereignis für sie war Strabos plötzlicher Tod. Er starb an der Pest87; die aus vielen Gründen gegen ihn erbitterten Massen rissen seinen Leichnam von der Bahre und schleiften ihn durch die Straßen. Was von seinen Truppen übrig war, vereinigte der Konsul Octavius mit seiner Armee. Nach Metellus‘ Eintreffen und Strabos Abscheiden war die Regierungsarmee wieder ihren Gegnern wenigstens gewachsen und konnte am Albaner Gebirge gegen die Insurgenten zum Kampfe sich stellen. Allein die Gemüter der Regierungssoldaten waren tief erschüttert; als Cinna ihnen gegenüber erschien, empfingen sie ihn mit Zuruf, als wäre er noch ihr Feldherr und Konsul; Metellus fand es geraten, es nicht auf die Schlacht ankommen zu lassen, sondern die Truppen in das Lager zurückzuführen. Die Optimaten selbst wurden unsicher und unter sich uneins. Während eine Partei, an ihrer Spitze der ehrenwerte, aber störrige und kurzsichtige Konsul Octavius, sich beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte, versuchte der kriegskundigere und verständigere Metellus einen Vergleich zustande zu bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras beider Parteien: Cinna hieß dem Marius ein Schwächling, Metellus dem Octavius ein Verräter. Die Soldaten, ohnehin verstört und nicht ohne Ursache der Führung des unerprobten Octavius mißtrauend, sannen Metellus an, den Oberbefehl zu übernehmen, und begannen, da dieser sich weigerte, haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu desertieren. Die Stimmung der Bürgerschaft wurde täglich gedrückter und schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, daß den überlaufenden Sklaven die Freiheit zugesichert sei, strömten dieselben scharenweise aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Dem Vorschlage aber, daß der Senat den Sklaven, die in das Heer eintreten würden, die Freiheit zusichern solle, widersetzte Octavius sich entschieden. Die Regierung konnte es sich nicht verbergen, daß sie geschlagen war und daß nichts übrig blieb, als mit den Führern der Bande womöglich ein Abkommen zu treffen, wie der überwältigte Wanderer es trifft mit dem Räuberhauptmann. Boten gingen an Cinna; allein da sie törichterweise Schwierigkeiten machten, ihn als Konsul anzuerkennen und Cinna während dieser Weiterungen sein Lager hart vor die Stadttore verlegte, so griff das Überlaufen so sehr um sich, daß es nicht mehr möglich war, irgendwelche Bedingungen festzusetzen, sondern der Senat sich einfach dem in die Acht erklärten Konsul unterwarf, indem er nur die Bitte hinzufügte, des Blutvergießens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu, aber weigerte sich, sein Versprechen eidlich zu bekräftigen; Marius, ihm zur Seite den Verhandlungen beiwohnend, verharrte in finsterem Schweigen.

Die Tore der Hauptstadt öffneten sich. Der Konsul zog ein mit seinen Legionen; aber Marius, spöttisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte sich, die Stadt zu betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte, und eilig versammelten sich die Bürger auf dem Markt, um den kassierenden Beschluß zu fassen. So kam er denn und mit ihm die Schreckensherrschaft. Es war beschlossen, nicht einzelne Opfer auszuwählen, sondern die namhaften Männer der Optimatenpartei sämtlich niedermachen zu lassen und ihre Güter einzuziehen. Die Tore wurden gesperrt; fünf Tage und fünf Nächte währte unausgesetzt die Schlächterei; einzelne Entkommene oder Vergessene wurden auch nachher noch täglich erschlagen und monatelang ging die Blutjagd durch ganz Italien. Der Konsul Gnaeus Octavius war das erste Opfer. Seinem oft ausgesprochenen Grundsatz getreu, lieber den Tod zu leiden als den rechtlosen Leuten das geringste Zugeständnis zu machen, weigerte er auch jetzt sich zu fliehen, und im konsularischen Schmuck harrte er auf dem Ianiculum des Mörders, der nicht lange säumte. Es starben Lucius Caesar (Konsul 644 90), der gefeierte Sieger von Acerrae; sein Bruder Gaius, dessen unzeitiger Ehrgeiz den Sulpicischen Tumult heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und Dichter und als liebenswürdiger Gesellschafter; Marcus Antonius (Konsul 665 99), nach dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der erste Sachwalter seiner Zeit; Publius Crassus (Konsul 657 97), der im Spanischen und im Bundesgenossenkrieg und noch während der Belagerung Roms mit Auszeichnung kommandiert hatte: überhaupt eine Menge der angesehensten Männer der Regierungspartei, unter denen von den gierigen Häschern namentlich die reichen mit besonderem Eifer verfolgt wurden. Jammervoll vor allen schien der Tod des Lucius Merula, der sehr wider seinen Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und nun deswegen peinlich angeklagt und vor die Komitien geladen, um der unvermeidlichen Verurteilung zuvorzukommen, sich die Adern öffnete und am Altar des Höchsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der priesterlichen Kopfbinde, wie es die religiöse Pflicht des sterbenden Flamen mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod des Quintus Catulus (Konsul 652 102), einst in besseren Tagen in dem herrlichsten Sieg und Triumph der Gefährte desselben Marius, der jetzt für die flehenden Verwandten seines alten Kollegen keine andere Antwort hatte als den einsilbigen Bescheid: „Er muß sterben!“ Der Urheber all dieser Untaten war Gaius Marius. Er bezeichnete die Opfer und die Henker – nur ausnahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine Rechtsform beobachtet; nicht selten war ein Blick oder das Stillschweigen, womit er die Begrüßenden empfing, das Todesurteil, das stets sofort vollstreckt ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte seine Rache nicht; er verbot, die Leichen zu bestatten; er ließ – worin freilich Sulla ihm vorangegangen war – die Köpfe der getöteten Senatoren an die Rednerbühne auf dem Marktplatz heften; einzelne Leichen ließ er über den Markt schleifen, die des Gaius Caesar an der Grabstätte des vermutlich einst von Caesar angeklagten Quintus Varius noch einmal durchbohren; er umarmte öffentlich den Menschen, der ihm, während er bei Tafel saß, den Kopf des Antonius überreichte, den selber in seinem Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzubringen er kaum hatte abgehalten werden können. Hauptsächlich seine Sklavenlegionen, namentlich eine Abteilung Ardyäer, dienten ihm als Schergen und versäumten nicht, in diesen Saturnalien ihrer neuen Freiheit die Häuser ihrer ehemaligen Herren zu plündern und was ihnen darin vorkam, zu schänden und zu morden. Seine eigenen Genossen waren in Verzweiflung über dieses wahnsinnige Wüten; Sertorius beschwor den Konsul, demselben um jeden Preis Einhalt zu tun, und auch Cinna war erschrocken. Aber in Zeiten, wie diese waren, wird der Wahnsinn selbst eine Macht; man stürzt sich in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich zu retten. Es war nicht leicht, dem rasenden alten Mann und seiner Bande in den Arm zu fallen, und am wenigsten Cinna hatte den Mut dazu; er wählte den Marius vielmehr für das nächste Jahr zu seinem Kollegen im Konsulat. Das Schreckensregiment terrorisierte die gemäßigteren Sieger nicht viel weniger als die geschlagene Partei; nur die Kapitalisten waren nicht unzufrieden damit, daß eine fremde Hand sich dazu herlieh, die stolzen Oligarchen einmal gründlich zu demütigen, und zugleich infolge der umfassenden Konfiskationen und Versteigerungen der beste Teil der Beute an sie kam – sie erwarben in diesen Schreckenszeiten bei dem Volke sich den Beinamen der „Einsäckler“.

Dem Urheber dieses Terrorismus, dem alten Gaius Marius, hatte also das Verhängnis seine beiden höchsten Wünsche gewährt. Er hatte Rache genommen an der ganzen vornehmen Meute, die ihm seine Siege vergällt, seine Niederlagen vergiftet hatte; er hatte jeden Nadelstich mit einem Dolchstich vergelten können. Er trat ferner das neue Jahr noch einmal an als Konsul; das Traumbild des siebenten Konsulates, das der Orakelspruch ihm zugesichert, nach dem er seit dreizehn Jahren gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er wünschte, hatten die Götter ihm gewährt; aber auch jetzt noch, wie in der alten Sagenzeit, übten sie die verhängnisvolle Ironie, den Menschen zu verderben durch die Erfüllung seiner Wünsche. In seinen ersten Konsulaten der Stolz, im sechsten das Gespött seiner Mitbürger, stand er jetzt im siebenten belastet mit dem Fluche aller Parteien, mit dem Haß der ganzen Nation; er, der von Haus aus rechtliche, tüchtige, kernbrave Mann, gebrandmarkt als das wahnwitzige Oberhaupt einer ruchlosen Räuberbande. Er selbst schien es zu fühlen. Wie im Taumel vergingen ihm die Tage, und des Nachts versagte ihm seine Lagerstatt die Ruhe, so daß er zum Becher griff, um nur sich zu betäuben. Ein hitziges Fieber ergriff ihn; nach siebentägigem Krankenlager, in dessen wilden Phantasien er auf den kleinasiatischen Gefilden die Schlachten schlug, deren Lorbeer Sulla bestimmt war, am 13. Januar 668 (86) war er eine Leiche. Er starb, über siebzig Jahr alt, im Vollbesitz dessen, was er Macht und Ehre nannte, und in seinem Bette; aber die Nemesis ist mannigfaltig und sühnt nicht immer Blut mit Blut. Oder war es etwa keine Vergeltung, daß Rom und Italien bei der Nachricht von dem Tode des gefeierten Volkserretters jetzt aufatmeten wie kaum bei der Kunde von der Schlacht auf dem Raudischen Feld?

Auch nach seinem Tode zwar kamen einzelne Auftritte vor, die an die Schreckenszeit erinnerten; so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der wie kein anderer bei den Marianischen Schlächtereien seine Hand in Blut getaucht hatte, bei dem Leichenbegängnis des Marius selbst einen Versuch, den allgemein verehrten und selbst von Marius verschonten Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95) umzubringen und klagte dann, als derselbe von der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an, wegen des Verbrechens, wie er scherzhaft sich ausdrückte, daß er sich nicht habe wollen ermorden lassen. Aber die Orgien des Mordens waren doch vorüber. Unter dem Vorwand der Soldzahlung rief Sertorius die Marianischen Banditen zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlässigen keltischen Truppen und ließ sie, nach den geringsten Angaben 4000 an der Zahl, sämtlich niederhauen.

Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis gekommen. Cinna stand nicht bloß vier Jahre nacheinander (667-670 87-84) als Konsul an der Spitze des Staats, sondern er ernannte auch regelmäßig sich und seine Kollegen, ohne das Volk zu befragen; es war, als ob diese Demokraten die souveräne Volksversammlung mit absichtlicher Geringschätzung beiseite schöben. Kein anderes Haupt der Popularpartei vor- oder nachher hat eine so vollkommen absolute Gewalt in Italien wie in dem größten Teil der Provinzen so lange Zeit hindurch fast ungestört besessen wie Cinna; aber es ist auch keiner zu nennen, dessen Regiment so vollkommen nichtig und ziellos gewesen wäre. Man nahm natürlich das von Sulpicius und später von Cinna selbst beantragte, den Neubürgern und den Freigelassenen gleiches Stimmrecht mit den Altbürgern zusichernde Gesetz wieder auf und ließ dasselbe durch einen Senatsbeschluß förmlich als zu Recht bestehend bestätigen (670 84). Man ernannte Zensoren (668 86), um demgemäß sämtliche Italiker in die fünfunddreißig Bürgerbezirke zu verteilen – eine seltsame Fügung dabei war es, daß infolge des Mangels von fähigen Kandidaten zur Zensur derselbe Philippus, der als Konsul 663 (91) hauptsächlich den Plan des Drusus, den Italikern das Stimmrecht zu verleihen, hatte scheitern machen, jetzt dazu ausersehen ward, sie als Zensor in die Bürgerrollen einzuschreiben. Man stieß natürlich die von Sulla im Jahre 666 (88) begründeten reaktionären Institutionen um. Man tat einiges, um dem Proletariat sich gefällig zu erweisen – so wurden wahrscheinlich die vor einigen Jahren eingeführten Beschränkungen der Getreideverteilung jetzt wiederum beseitigt; so wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns Marcus Iunius Brutus die von Gaius Gracchus beabsichtigte Koloniegründung in Capua im Frühjahr 671 (83) in der Tat ins Werk gesetzt; so veranlaßte Lucius Valerius Flaccus der Jüngere ein Schuldgesetz, das jede Privatforderung auf den vierten Teil ihres Nominalbetrags herabsetzte und drei Viertel zu Gunsten der Schuldner kassierte. Diese Maßregeln aber, die einzigen konstitutiven während des ganzen Cinnanischen Regiments, sind ohne Ausnahme vom Augenblick diktiert; es liegt – und vielleicht ist dies das Entsetzlichste bei dieser ganzen Katastrophe – derselben nicht etwa ein verkehrter, sondern gar kein politischer Plan zu Grunde. Man liebkoste den Pöbel und verletzte ihn zugleich in höchst unnötiger Weise durch zwecklose Mißachtung der verfassungsmäßigen Wahlordnung. Man konnte an der Kapitalistenpartei einen Halt finden und schädigte sie aufs empfindlichste durch das Schuldgesetz. Die eigentliche Stütze des Regiments waren – durchaus ohne dessen Zutun – die Neubürger; man ließ sich ihren Beistand gefallen, aber es geschah nichts, um die seltsame Stellung der Samniten zu regeln, die dem Namen nach jetzt römische Bürger waren, aber offenbar tatsächlich ihre landschaftliche Unabhängigkeit als den eigentlichen Zweck und Preis des Kampfes betrachteten und diese gegen all und jeden zu verteidigen in Waffen blieben. Man schlug die angesehenen Senatoren tot wie tolle Hunde; aber nicht das geringste ward getan, um den Senat im Interesse der Regierung zu reorganisieren oder auch nur dauernd zu terrorisieren, so daß dieselbe auch seiner keineswegs sicher war. So hatte Gaius Gracchus den Sturz der Oligarchie nicht verstanden, daß der neue Herr sich auf seinem selbstgeschaffenen Thron verhalten könne, wie es legitime Nullkönige zu tun belieben. Aber diesen Cinna hatte nicht sein Wollen, sondern der reine Zufall emporgetragen; war es ein Wunder, daß er blieb, wo die Sturmflut der Revolution ihn hingespült hatte, bis eine zweite Sturmflut kam, ihn wiederfortzuschwemmen?

Dieselbe Verbindung der gewaltigsten Machtfülle mit der vollständigsten Impotenz und Inkapazität der Machthaber zeigte die Kriegführung der revolutionären Regierung gegen die Oligarchie, an der denn doch zunächst ihre Existenz hing. In Italien gebot sie unumschränkt. Unter den Altbürgern war ein sehr großer Teil grundsätzlich demokratisch gesinnt; die noch größere Masse der ruhigen Leute mißbilligte zwar die Marianischen Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration nichts als die Eröffnung eines zweiten Schreckensregiments der entgegengesetzten Partei. Der Eindruck der Untaten des Jahres 667 (87) auf die Nation insgesamt war verhältnismäßig gering gewesen, da sie vorwiegend doch nur die hauptstädtische Aristokratie betroffen hatten, und ward überdies einigermaßen ausgelöscht durch das darauffolgende dreijährige, leidlich ruhige Regiment. Die gesamte Masse der Neubürger endlich, vielleicht drei Fünftel der Italiker, stand entschieden wo nicht für die gegenwärtige Regierung, doch gegen die Oligarchie.

Gleich Italien hielten zu jener die meisten Provinzen: Sizilien, Sardinien, beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus Metellus, der den Mördern glücklich entkommen war, einen Versuch, diese Provinz für die Optimaten zu halten; zu ihm begab sich aus Spanien Marcus Crassus, der jüngste Sohn des in dem Marianischen Blutbad umgekommenen Publius Crassus, und verstärkte ihn durch einen in Spanien zusammengebrachten Haufen. Allein sie mußten, da sie sich untereinander entzweiten, dem Statthalter der revolutionären Regierung, Gaius Fabius Hadrianus, weichen. Asien war in den Händen Mithradats; somit blieb als einzige Freistatt der verfemten Oligarchie die Provinz Makedonien, soweit sie in Sullas Gewalt war. Dorthin retteten sich Sullas Gemahlin und Kinder, die mit Mühe dem Tode entgangen waren, und nicht wenige entkommene Senatoren, so daß bald in seinem Hauptquartier eine Art von Senat sich bildete. An Dekreten gegen den oligarchischen Prokonsul ließ es die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die Komitien seines Kommandos und seiner sonstigen Ehren und Würden entsetzt und geächtet, wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus, Appius Claudius und andere angesehene Flüchtlinge geschah; sein Haus in Rom wurde geschleift, seine Landgüter verwüstet. Indes damit freilich war die Sache nicht erledigt. Hätte Gaius Marius länger gelebt, so wäre er ohne Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschiert, wohin noch auf seinem Todbette die Fieberbilder ihn führten; welche Maßregeln nach seinem Tode die Regierung ergriff, ward schon erzählt. Lucius Valerius Flaccus der jüngere88, der nach Marius‘ Tode das Konsulat und das Kommando im Osten übernahm (668 86), war weder Soldat noch Offizier, sein Begleiter Gaius Fimbria nicht unfähig, aber unbotmäßig, das ihnen mitgegebene Heer schon der Zahl nach dreifach schwächer als die Sullanische Armee. Man vernahm nacheinander, daß Flaccus, um nicht von Sulla erdrückt zu werden, an ihm vorüber nach Asien abgezogen sei (668 86), daß Fimbria ihn beseitigt und sich selbst an seine Stelle gesetzt habe (Anfang 669 85), daß Sulla Frieden geschlossen habe mit Mithradates (669/70 85/84). Bis dahin hatte Sulla den in der Hauptstadt regierenden Behörden gegenüber geschwiegen; jetzt lief ein Schreiben von ihm an den Senat ein, worin er die Beendigung des Krieges berichtete und seine Rückkehr nach Italien ankündigte; die den Neubürgern erteilten Rechte werde er achten; Strafexekutionen seien zwar unvermeidlich, allein sie würden nicht die Massen, sondern die Urheber treffen. Diese Ankündigung schreckte Cinna aus seiner Untätigkeit auf; wenn er bisher nichts gegen Sulla getan hatte, als daß einige Mannschaft unter die Waffen gestellt und eine Anzahl Schiffe im Adriatischen Meere versammelt worden war, so beschloß er jetzt, schleunigst nach Griechenland überzugehen. Aber andererseits weckte Sullas Schreiben, das den Umständen nach äußerst gemäßigt zu nennen war, in der Mittelpartei Hoffnungen auf eine friedliche Ausgleichung. Die Majorität des Senats beschloß nach dem Vorschlag des älteren Flaccus, einen Sühneversuch einzuleiten und zu dem Ende Sulla aufzufordern, sich unter Verbürgung sicheren Geleits in Italien einzufinden, die Konsuln Cinna und Carbo aber zu veranlassen, bis zum Eingang von Sullas Antwort die Rüstungen einzustellen. Sulla wies die Vorschläge nicht unbedingt von der Hand; er kam zwar natürlich nicht selbst, aber ließ durch Boten erklären, daß er nichts fordere als Wiedereinsetzung der Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche Bestrafung der begangenen Verbrechen, Sicherheit übrigens nicht geleistet begehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Seine Abgesandten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich verändert. Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluß sich weiter zu bekümmern, sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die Einschiffung desselben betrieben. Die Aufforderung, in der bösen Jahreszeit sich dem Meer anzuvertrauen, rief unter den schon schwierigen Truppen im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor, deren Opfer Cinna ward (Anfang 670 84), worauf sein Kollege Carbo sich genötigt sah, die schon übergegangenen Abteilungen zurückzuführen und, auf das Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend, Winterquartiere in Ariminum zu beziehen. Sullas Anträge aber fanden darum keine bessere Aufnahme: der Senat wies seine Vorschläge zurück, ohne auch nur die Boten nach Rom zu lassen, und befahl ihm kurzweg, die Waffen niederzulegen. Es war nicht zunächst die Koterie der Marianer, welche dies entschiedene Auftreten bewirkte. Eben jetzt, wo es galt, mußte diese Faktion die bisher usurpierte Besetzung des höchsten Amtes abgeben und für das entscheidende Jahr 671 (83) wieder Konsulwahlen veranstalten. Die Stimmen vereinigten hierbei sich nicht auf den bisherigen Konsul Carbo noch auf einen der fähigen Offiziere der bis dahin regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Inkapazitäten, von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand, und von denen jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser als politischer Gegner der Oligarchie sich der Menge empfahlen. Die Marianer wurden nicht so sehr ihrer Untaten wegen verabscheut als ihrer Nichtigkeit wegen verachtet; aber wenn die Nation nichts von diesen, so wollte sie in ihrer großen Majorität noch viel weniger von Sulla und einer oligarchischen Restauration etwas wissen. Man dachte ernstlich an Abwehr. Während Sulla nach Asien überging, das Heer des Fimbria zum Übertritt bestimmte und dessen Führer durch seine eigene Hand fiel, benutzte die Regierung in Italien die durch diese Schritte Sullas ihr gegönnte weitere Jahresfrist zu energischen Rüstungen: es sollen bei Sullas Landung 100000, später sogar die doppelte Anzahl von Bewaffneten gegen ihn gestanden haben.

Gegen diese italische Macht hatte Sulla nichts in die Waagschale zu legen als seine fünf Legionen, die, auch mit Einrechnung einiger in Makedonien und im Peloponnes aufgebotener Zuzüge, kaum auf 40000 Mann sich belaufen mochten. Allerdings hatte dies Heer in siebenjährigen Kämpfen in Italien, Griechenland und Asien des Politisierens sich entwöhnt und hing seinem Feldherrn, der den Soldaten alles, Schwelgerei, Bestialität, sogar Meuterei gegen die Offiziere, nachsah, nichts verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn und für den Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit allem jenem soldatischen Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als dabei die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach römischer Sitte die Sullanischen Soldaten sich einander es zu, fest zusammenzuhalten, und freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn seinen Sparpfennig als Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so ansehnlich diese geschlossene Kernschar gegen die feindlichen Massen ins Gewicht fiel, so erkannte doch Sulla sehr wohl, daß Italien nicht mit fünf Legionen bezwungen werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig zusammenhielt. Mit der Popularpartei und ihren unfähigen Autokraten fertig zu werden, wäre nicht schwierig gewesen; aber er sah sich gegenüber und mit dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine oligarchische Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die gesamte Neubürgerschaft, sowohl diejenigen, die durch das Julische Gesetz von der Teilnahme an der Insurrektion sich hatten abhalten lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an den Rand des Verderbens geführt hatte. Sulla übersah vollkommen die Lage der Verhältnisse und war weit entfernt von der blinden Erbitterung und der eigensinnigen Starrheit, die die Majorität seiner Partei charakterisierten. Während das Staatsgebäude in vollen Flammen stand, während man seine Freunde ermordete, seine Häuser zerstörte, seine Familie ins Elend trieb, war er unbeirrt auf seinem Posten verblieben, bis der Landesfeind überwältigt und die römische Grenze gesichert war. In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Mäßigung behandelte er auch jetzt die italischen Verhältnisse und tat, was er irgend tun konnte, um die Gemäßigten und die Neubürger zu beruhigen und um zu verhindern, daß nicht unter dem Namen des Bürgerkrieges der weit gefährlichere Krieg zwischen den Altrömern und den italischen Bundesgenossen abermals emporlodere. Schon das erste Schreiben, das Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit gefordert und eine Schreckensherrschaft ausdrücklich zurückgewiesen; im Einklang damit stellte er nun allen denen, die noch jetzt von der revolutionären Regierung sich lossagen würden, unbedingte Begnadigung in Aussicht und veranlaßte seine Soldaten, Mann für Mann, zu schwören, daß sie den Italikern durchaus als Freunden und Mitbürgern begegnen würden. Die bündigsten Erklärungen sicherten den Neubürgern die von ihnen erworbenen politischen Rechte; so daß Carbo deshalb von jeder italischen Stadtgemeinde sich Geiseln wollte stellen lassen, was indes an der allgemeinen Indignation und an dem Widerspruch des Senats scheiterte. Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der Tat darin, daß bei der eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubürger allen Grund hatten, wenn nicht an seinen persönlichen Absichten, doch daran zu zweifeln, ob er es vermögen werde, seine Partei zum Worthalten nach dem Siege zu bestimmen.

Im Frühling 671 (83) landete Sulla mit seinen Legionen in dem Hafen von Brundisium. Der Senat erklärte auf die Nachricht davon das Vaterland in Gefahr und übertrug den Konsuln unbeschränkte Vollmacht; aber diese unfähigen Leiter hatten sich nicht vorgesehen und waren durch die seit Jahren in Aussicht stehende Landung dennoch überrascht. Das Heer befand sich noch in Ariminum, die Häfen waren unbesetzt und überhaupt unglaublicherweise in dem ganzen südöstlichen Litoral kein Mann unter den Waffen. Die Folgen zeigten sich bald. Gleich Brundisium selbst, eine ansehnliche Neubürgergemeinde, öffnete ohne Widerstand dem oligarchischen General die Tore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz Messapien und Apulien. Die Armee marschierte durch diese Gegenden wie durch Freundesland und hielt, ihres Eides eingedenk, durchgängig die strengste Mannszucht. Von allen Seiten strömten die versprengten Reste der Optimatenpartei in das Lager Sullas. Aus den Bergschluchten Liguriens, wohin er von Afrika sich gerettet hatte, kam Quintus Metellus und übernahm wieder, als Kollege Sullas, das im Jahr 667 (87) ihm übertragene und von der Revolution ihm aberkannte prokonsularische Kommando; ebenso erschien von Afrika her mit einer kleinen Schar Bewaffneter Marcus Crassus. Die meisten Optimaten freilich kamen als vornehme Emigranten mit großen Ansprüchen und geringer Kampflust, so daß sie von Sulla selbst bittere Worte zu hören bekamen über die adligen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten retten lassen und nicht einmal dazu zu bringen seien, ihre Sklaven zu bewaffnen. Wichtiger war es, daß schon Überläufer aus dem demokratischen Lager sich einstellten – so der feine und angesehene Lucius Philippus, nebst ein paar notorisch unfähigen Leuten der einzige Konsular, der mit der revolutionären Regierung sich eingelassen und unter ihr Ämter angenommen hatte; er fand bei Sulla die zuvorkommendste Aufnahme und erhielt den ehrenvollen und bequemen Auftrag, die Provinz Sardinien für ihn zu besetzen. Ebenso wurden Quintus Lucretius Ofelia und andere brauchbare Offiziere empfangen und sofort beschäftigt; selbst Publius Cethegus, einer der nach der Sulpicischen Erneute von Sulla geächteten Senatoren, erhielt Verzeihung und eine Stellung im Heer. Wichtiger noch als die einzelnen Übertritte war der der Landschaft Picenum, der wesentlich dem Sohne des Strabo, dem jungen Gnaeus Pompeius, verdankt ward. Dieser, gleich seinem Vater von Haus aus kein Anhänger der Oligarchie, hatte die revolutionäre Regierung anerkannt und sogar in Cinnas Heer Dienste genommen; allein es ward ihm nicht vergessen, daß sein Vater die Waffen gegen die Revolution getragen hatte; er sah sich vielfach angefeindet, ja sogar durch Anklage auf Herausgabe der nach der Einnahme von Asculum von seinem Vater wirklich oder angeblich unterschlagenen Beute mit dem Verlust seines sehr beträchtlichen Vermögens bedroht. Zwar wendete mehr als die Beredsamkeit des Konsulars Lucius Philippus und des jungen Quintus Hortensius der Schutz des ihm persönlich gewogenen Konsuls Carbo den ökonomischen Ruin von ihm ab; aber die Verstimmung blieb. Auf die Nachricht von Sullas Landung ging er nach Picenum, wo er ausgedehnte Besitzungen und von seinem Vater und dem Bundesgenossenkriege her die besten munizipalen Verbindungen hatte und pflanzte in Auximum (Osimo) die Fahne der optimatischen Partei auf. Die meistens von Altbürgern bewohnte Landschaft fiel ihm zu; die junge Mannschaft, welche großenteils mit ihm unter seinem Vater gedient hatte, stellte sich bereitwillig unter den beherzten Führer, der, noch nicht dreiundzwanzigjährig, ebensosehr Soldat wie General war, im Reitergefecht den Seinen voraussprengte und tüchtig mit in den Feind einhieb. Das picenische Freiwilligenkorps wuchs bald auf drei Legionen; den aus der Hauptstadt zur Dämpfung der picenischen Insurrektion ausgesandten Abteilungen unter Cloelius, Gaius Carrinas, Lucius Iunius Brutus Damasippus89 wußte der improvisierte Feldherr, die unter denselben entstandenen Zwistigkeiten geschickt benutzend, sich zu entziehen oder sie einzeln zu schlagen und mit dem Hauptheer Sullas, wie es scheint in Apulien, die Verbindung herzustellen. Sulla begrüßte ihn als Imperator, das heißt als einen im eigenen Namen kommandierenden und nicht unter, sondern nehmen ihm stehenden Offizier und zeichnete den Jüngling durch Ehrenbezeigungen aus, wie er sie keinem seiner vornehmen Klienten erwies – vermutlich nicht ohne die Nebenabsicht, der charakterlosen Schwäche seiner eigenen Parteigenossen damit eine indirekte Züchtigung zukommen zu lassen.

Also moralisch und materiell ansehnlich verstärkt gelangten Sulla und Metellus nach Apulien durch die immer noch insurgierten samnitischen Gegenden nach Kampanien. Hierhin wandte sich auch die feindliche Hauptmacht, und es schien die Entscheidung hier fallen zu müssen. Das Heer des Konsuls Gaius Norbanus stand bereits bei Capua, wo eben die neue Kolonie mit allem demokratischen Pomp sich konstituierte; die zweite Konsulararmee rückte ebenfalls auf der Appischen Straße heran. Aber bevor sie eintraf, stand Sulla schon dem Norbanus gegenüber. Ein letzter Vermittlungsversuch, den Sulla machte, führte nur dazu, daß man an seinen Boten sich vergriff. In frischer Erbitterung warfen seine kampfgewohnten Scharen sich auf den Feind; ihr gewaltiger Stoß vom Berge Tifata herab zersprengte den in der Ebene aufgestellten Feind im ersten Anlauf; mit dem Rest seiner Mannschaft warf sich Norbanus in die revolutionäre Kolonie Capua und die Neubürgerstadt Neapolis und ließ dort sich blockieren. Sullas Truppen, bisher nicht ohne Besorgnis ihre schwache Zahl mit den feindlichen Massen vergleichend, hatten durch diesen Sieg das Vollgefühl militärischer Überlegenheit gewonnen; statt mit der Belagerung der Trümmer der geschlagenen Armee sich aufzuhalten, ließ Sulla die Städte umstellen, wo sie sich befanden, und rückte auf der Appischen Straße vor gegen Teanum, wo Scipio stand. Auch ihm bot er, ehe der Kampf begann, noch einmal die Hand zum Frieden; es scheint in gutem Ernste. Scipio, schwach wie er war, ging darauf ein; ein Waffenstillstand ward geschlossen; zwischen Cales und Teanum kamen die beiden Feldherren, beide Glieder des gleichen Adelsgeschlechts, beide gebildet und feingesittet und langjährige Kollegen im Senat, persönlich zusammen; man ließ sich auf die einzelnen Fragen ein; schon war man so weit, daß Scipio einen Boten nach Capua absandte, um die Meinung seines Kollegen einzuholen. Inzwischen mischten sich die Soldaten beider Lager; die Sullaner, von ihrem Feldherrn reichlich mit Geld versehen, machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim Becher leicht begreiflich, daß es besser sei, sie zu Kameraden als zu Feinden zu haben; vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn, diesem gefährlichen Verkehr ein Ende zu machen. Die Verständigung, die so nahe geschienen, trat doch nicht ein; Scipio war es, welcher den Waffenstillstand kündigte. Aber Sulla behauptete, daß es zu spät und der Vertrag bereits abgeschlossen gewesen sei; und unter dem Vorwand, daß ihr Feldherr den Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, gingen Scipios Soldaten in Masse über in die feindlichen Reihen. Die Szene schloß mit einer allgemeinen Umarmung, der die kommandierenden Offiziere der Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla ließ den Konsul auffordern, sein Amt niederzulegen, was er tat, und ihn nebst seinem Stab durch seine Reiter dahin eskortieren, wohin sie begehrten; allein kaum in Freiheit gesetzt, legte Scipio die Abzeichen seiner Würde wieder an und begann aufs neue, Truppen zusammenzuziehen, ohne indes weiter etwas von Belang auszurichten. Sulla und Metellus nahmen Winterquartiere in Kampanien und hielten, nachdem ein zweiter Versuch, mit Norbanus sich zu verständigen, gescheitert war, Capua den Winter über blockiert.

Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren für Sulla die Unterwerfung von Apulien, Picenum und Kampanien, die Auflösung der einen, die Besiegung und Blockierung der anderen konsularischen Armee. Schon traten die italischen Gemeinden, genötigt, zwischen ihren zwiefachen Drängern jede für sich Partei zu ergreifen, zahlreich mit ihm in Unterhandlung und ließen sich die von der Gegenpartei erworbenen politischen Rechte durch förmliche Separatverträge von dem Feldherrn der Oligarchie garantieren; Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug sie absichtlich zur Schau, die revolutionäre Regierung in dem nächsten Feldzug niederzuwerfen und wieder in Rom einzuziehen.

Aber auch der Revolution schien die Verzweiflung neue Kräfte zu geben. Das Konsulat übernahmen zwei ihrer entschiedensten Führer, Carbo zum dritten Male und Gaius Marius der Sohn; daß der letztere eben zwanzigjährige Mann gesetzmäßig das Konsulat nicht bekleiden konnte, achtete man so wenig wie jeden anderen Punkt der Verfassung. Quintus Sertorius, der in dieser und in anderen Angelegenheiten eine unbequeme Kritik machte, wurde angewiesen, um neue Werbungen vorzunehmen, nach Etrurien und von da in seine Provinz, das Diesseitige Spanien, abzugehen. Die Kasse zu füllen, mußte der Senat die Einschmelzung des goldenen und silbernen Tempelgeräts der Hauptstadt verfügen; wie bedeutend der Ertrag war, erhellt daraus, daß nach mehrmonatlicher Kriegführung davon noch über 4 Millionen Taler (14000 Pfund Gold und 6000 Pfund Silber) vorrätig waren. In dem beträchtlichen Teile Italiens, der gezwungen oder freiwillig noch zu der Revolution hielt, wurden die Rüstungen lebhaft betrieben. Aus Etrurien, wo die Neubürgergemeinden sehr zahlreich waren, und dem Pogebiet kamen ansehnliche neu gebildete Abteilungen. Auf den Ruf des Sohnes stellten die Marianischen Veteranen in großer Anzahl sich bei den Fahnen ein. Aber nirgends ward zum Kampf gegen Sulla so leidenschaftlich gerüstet wie in dem insurgierten Samnium und einzelnen Strichen von Lucanien. Es war nichts weniger als Ergebenheit gegen die revolutionäre römische Regierung, daß zahlreicher Zuzug aus den oskischen Gegenden ihre Heere verstärkte; wohl aber begriff man daselbst, daß eine von Sulla restaurierte Oligarchie sich die jetzt faktisch bestehende Selbständigkeit dieser Landschaften nicht so gefallen lassen werde wie die schlaffe Cinnanische Regierung; und darum erwachte in dem Kampf gegen Sulla noch einmal die uralte Rivalität der Sabeller gegen die Latiner. Für Samnium und Latium war dieser Krieg so gut ein Nationalkampf wie die Kriege des fünften Jahrhunderts; man stritt nicht um ein Mehr oder Minder von politischen Rechten, sondern um den lange verhaltenen Haß durch Vernichtung des Gegners zu sättigen. Es war darum kein Wunder, wenn dieser Teil des Krieges einen ganz anderen Charakter trug als die übrigen Kämpfe, wenn hier keine Verständigung versucht, kein Quartier gegeben oder genommen, die Verfolgung bis aufs äußerste fortgesetzt ward.

So trat man den Feldzug des Jahres 672 (82) beiderseits mit verstärkten Streitkräften und gesteigerter Leidenschaft an. Vor allem die Revolution warf die Scheide weg; auf Carbos Antrag ächteten die römischen Komitien alle in Sullas Lager befindlichen Senatoren. Sulla schwieg; er mochte denken, daß man im voraus sich selber das Urteil spreche.

Die Armee der Optimaten teilte sich. Der Prokonsul Metellus übernahm es, gestützt auf die picenische Insurrektion, nach Oberitalien vorzudringen, während Sulla von Kampanien aus geradeswegs gegen die Hauptstadt marschierte. Jenem warf Carbo sich entgegen; der feindlichen Hauptarmee wollte Marius in Latium begegnen. Auf der Launischen Straße heranrückend, traf Sulla unweit Signia auf den Feind, der vor ihm zurückwich bis nach dem sogenannten „Hafen des Sacer“ zwischen Signia und dem Hauptwaffenplatz der Marianen dem festen Praeneste. Hier stellte Marius sich zur Schlacht. Sein Heer war etwa 40000 Mann stark und er an wildem Grimme und persönlicher Tapferkeit seines Vaters rechter Sohn; aber es waren nicht die wohlgeübten Scharen, mit denen dieser seine Schlachten geschlagen hatte, und noch minder durfte der unerfahrene junge Mann mit dem alten Kriegsmeister sich vergleichen. Bald wichen seine Truppen; der Übertritt einer Abteilung noch während des Gefechts beschleunigte die Niederlage. Über die Hälfte der Marianer waren tot oder gefangen; der Überrest, weder imstande, das Feld zu halten, noch, das andere Ufer des Tiber zu gewinnen, genötigt, in den benachbarten Festungen Schutz zu suchen; die Hauptstadt, die zu verproviantieren man versäumt hatte, unrettbar verloren. Infolgedessen gab Marius dem daselbst befehligten Prätor Lucius Brutus Damasippus den Befehl, sie zu räumen, vorher aber alle bisher noch verschonten angesehenen Männer der Gegenpartei niederzumachen. Der Auftrag, durch den der Sohn die Ächtungen des Vaters noch überbot, ward vollzogen; Damasippus berief unter einem Vorwand den Senat, und die bezeichneten Männer wurden teils in der Sitzung selbst, teils auf der Flucht vor dem Rathaus niedergestoßen. Trotz der vorhergegangenen gründlichen Aufräumung fanden sich doch noch einzelne namhaftere Opfer: so der gewesene Ädil Publius Antistius, der Schwiegervater des Gnaeus Pompeius, und der gewesene Prätor Gaius Carbo, der Sohn des bekannten Freundes und nachherigen Gegners der Gracchen, nach dem Tode so vieler ausgezeichneter Talente die beiden besten Gerichtsredner auf dem verödeten Markt; der Konsular Lucius Domitius und vor allem der ehrwürdige Oberpriester Quintus Scaevola, der dem Dolch des Fimbria nur entgangen war, um jetzt während der letzten Krämpfe der Revolution in der Halle des seiner Obhut anvertrauten Vestatempels zu verbluten. Mit stummem Entsetzen sah die Menge die Leichen dieser letzten Opfer des Terrorismus durch die Straßen schleifen und sie in den Fluß werfen.

Marius‘ aufgelöste Haufen warfen sich in die nahen und festen Neubürgerstädte Norba und Praeneste, er selbst mit der Kasse und dem größten Teil der Flüchtlinge in die letztere. Sulla ließ, ebenwie das Jahr zuvor vor Capua, vor Praeneste einen tüchtigen Offizier, den Quintus Ofelia, zurück, mit dem Auftrag, seine Kräfte nicht an die Belagerung der festen Stadt zu vergeuden, sondern sie mit einer weiten Blockadelinie einzuschließen und sie auszuhungern; er selbst rückte von verschiedenen Seiten auf die Hauptstadt zu, welche er wie die ganze Umgegend vom Feinde verlassen fand und ohne Gegenwehr besetzte. Kaum nahm er sich die Zeit, das Volk durch eine Ansprache zu beruhigen und die nötigsten Anordnungen zu treffen; sofort ging er weiter nach Etrurien, um in Verbindung mit Metellus die Gegner auch aus Norditalien zu vertreiben.

Metellus war inzwischen am Fluß Aesis (Esino zwischen Ancona und Sinigaglia), der die picenische Landschaft von der gallischen Provinz schied, auf Carbos Unterfeldherrn Carrinas gestoßen und hatte diesen geschlagen; als Carbo selbst mit seiner überlegenen Armee herbeikam, hatte er das weitere Vordringen aufgeben müssen. Allein auf die Nachricht von der Schlacht am Sacerhafen war Carbo, um seine Kommunikationen besorgt, zurückgegangen bis auf die Flaminische Chaussee, um in deren Knotenpunkt Ariminum sein Hauptquartier zu nehmen und von dort teils die Pässe des Apennin, teils das Potal zu behaupten. Bei dieser rückgängigen Bewegung gerieten nicht bloß verschiedene Abteilungen dem Feinde in die Hände, sondern ward auch von Pompeius Sena gallica erstürmt und Carbos Nachhut in einem glänzenden Reitergefecht zersprengt; indes erreichte Carbo im ganzen seinen Zweck. Der Konsulat Norbanus übernahm im Potal das Kommando; Carbo selbst begab sich nach Etrurien. Aber der Marsch Sullas mit seinen siegreichen Legionen nach Etrurien änderte die Lage der Dinge: bald reichten von Gallien, Umbrien und Rom aus drei Sullanische Heere einander die Hände. Metellus ging mit der Flotte an Ariminum vorbei nach Ravenna und schnitt bei Faventia die Verbindung ab zwischen Ariminum und dem Potal, in das auf der großen Straße nach Placentia er eine Abteilung vorgehen ließ unter Marcus Lucullus, dem Quästor Sullas und dem Bruder seines Flottenführers im Mithradatischen Krieg. Der junge Pompeius und sein Altersgenosse und Nebenbuhler Crassus drangen aus dem Picenischen auf Bergwegen in Umbrien ein und gewannen die Flaminische Straße bei Spoletium, wo sie Carbos Unterfeldherrn Carrinas schlugen und in die Stadt einschlossen; indes gelang es diesem in einer regnerischen Nacht, aus derselben zu entweichen und, wenngleich nicht ohne Verlust, zum Heer des Carbo durchzudringen. Sulla selbst rückte von Rom aus in zwei Heerhaufen in Etrurien ein, von denen der eine an der Küste vorgehend bei Saturnia (zwischen den Flüssen Ombrone und Albegna) das ihm entgegenstehende Korps schlug, der zweite unter Sullas eigener Führung im Clanistal auf die Armee des Carbo traf und ein glückliches Gefecht mit dessen spanischer Reiterei bestand. Aber die Hauptschlacht, die zwischen Carbo und Sulla in der Gegend von Chiusi geschlagen ward, endigte zwar ohne eigentliche Entscheidung, jedoch insofern zu Gunsten Carbos, als Sullas siegreiches Vordringen gehemmt ward. Auch in der Umgegend von Rom schienen die Dinge für die revolutionäre Partei sich günstiger wenden und der Krieg wieder sich hauptsächlich nach dieser Gegend ziehen zu wollen. Denn während die oligarchische Partei alle ihre Kräfte um Etrurien konzentrierte, machte die Demokratie aller Orten die äußerste Anstrengung, um die Blockade von Praeneste zu sprengen. Selbst der Statthalter von Sizilien, Marcus Perpenna, machte sich dazu auf; es scheint indes nicht, daß er nach Praeneste gelangte. Ebensowenig glückte dies dem von Carbo detachierten, sehr ansehnlichen Korps unter Marcius; von den bei Spoletium stehenden feindlichen Truppen überfallen und geschlagen, durch Unordnung, Mangel an Zufuhr und Meuterei demoralisiert, ging ein Teil zu Carbo zurück, ein anderer nach Ariminum, der Rest verlief sich. Ernstliche Hilfe dagegen kam aus Süditalien. Hier brachen die Samniten unter Pontius von Telesia, die Lucaner unter ihrem erprobten Feldherrn Marcus Lamponius auf, ohne daß der Abmarsch ihnen gewehrt worden wäre, zogen im Kampanien, wo Capua noch immer sich hielt, eine Abteilung der Besatzung unter Gutta an sich und rückten also, angeblich 70000 Mann stark, auf Praeneste zu. Sulla selbst kehrte darauf, mit Zurücklassung eines Korps gegen Carbo, nach Latium zurück und nahm in den Engpässen vorwärts Praeneste90 eine wohlgewählte Stellung, in der er dem Entsatzheer den Weg sperrte. Vergeblich versuchte die Besatzung, Ofelias Linien zu durchbrechen, vergeblich das Entsatzherr Sulla zu vertreiben; beide verharrten unbeweglich in ihren festen Stellungen, selbst nachdem, von Carbo gesendet, Damasippus mit zwei Legionen das Entsatzheer verstärkt hatte. Während aber der Gang des Krieges in Etrurien wie in Latium stockte, kam es im Potal zur Entscheidung. Hier hatte bisher der Feldherr der Demokratie Gaius Norbanus die Oberhand behauptet, den Unterfeldherrn des Metellus, Marcus Lucullus, mit überlegener Macht angegriffen und ihn genötigt, sich in Placentia einzuschließen, endlich sich gegen Metellus selbst gewandt. Bei Faventia traf er auf diesen und griff am späten Nachmittag mit seinen vom Marsch ermüdeten Truppen sofort an; die Folge war eine vollständige Niederlage und die totale Auflösung seines Korps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurückkamen. Auf die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und schlug die gegen ihn zurückgebliebene Abteilung bei Fidentia (zwischen Piacenza und Parma). Die lucanischen Truppen des Albinovanus traten in Masse über; ihr Führer machte seine anfängliche Zögerung wieder gut, indem er die vornehmsten Offiziere der revolutionären Armee zu einem Bankett bei sich einlud und sie dabei niedermachen ließ; überhaupt schloß, wer irgend nur durfte, jetzt seinen Frieden. Ariminum mit allen Vorräten und Kassen geriet in Metellus‘ Gewalt; Norbanus schiffte nach Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschäftigten Truppen konnten sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo die Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung. Obwohl er eine noch immer ansehnliche Truppenmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er dennoch heimlich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Afrika sich ein. Die im Stich gelassenen Truppen befolgten teils das Beispiel, mit dem der Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, teils wurden sie von Pompeius aufgerieben; die letzten Scharen nahm Carrinas zusammen und führte sie nach Latium zu der Armee von Praeneste. Hier hatte inzwischen nichts sich verändert; und die letzte Entscheidung nahte heran. Carrinas‘ Haufen waren nicht zahlreich genug, um Sullas Stellung zu erschüttern; schon näherte sich der Vortrab der bisher in Etrurien beschäftigten Armee der oligarchischen Partei unter Pompeius; in wenigen Tagen zog die Schlinge um das Heer der Demokraten und der Samniten sich zusammen. Da entschlossen sich die Führer desselben, von Praeneste abzulassen und mit gesamter Macht auf das nur einen starken Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militärisch waren sie damit verloren; ihre Rückzugslinie, die Latinische Straße, geriet durch diesen Marsch in Sullas Hand, und wenn sie auch Roms sich bemächtigten, so wurden sie, eingeschlossen in die zur Verteidigung keineswegs geeignete Stadt und eingekeilt zwischen Metellus und Sullas weit überlegene Armeen, darin unfehlbar erdrückt. Aber es handelte sich auch nicht mehr um Rettung, sondern einzig um Rache bei diesem Zug nach Rom, dem letzten Wutausbruch der leidenschaftlichen Revolutionäre und vor allem der verzweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was Pontius von Telesia den Seinigen zurief: um der Wölfe, die Italien die Freiheit geraubt hätten, loszuwerden, müsse man den Wald vernichten, in dem sie hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr geschwebt als am 1. November 672 (82), als Pontius, Lamponius, Carrinas, Damasippus auf der Latinischen Straße gegen Rom herangezogen, etwa eine Viertelmeile vom Collinischen Tor lagerten. Es drohte ein Tag wie der 20. Juli 365 der Stadt (389) und der 15. Juni 455 n. Chr., die Tage der Kelten und der Vandalen. Die Zeiten waren nicht mehr, wo ein Handstreich gegen Rom ein törichtes Unternehmen war, und an Verbindungen in der Hauptstadt konnte es den Anrückenden nicht fehlen. Die Freiwilligenschar, die aus der Stadt ausrückte, meist vornehme Jünglinge, zerstob wie Spreu vor der ungeheuren Übermacht. Die einzige Hoffnung der Rettung beruhte auf Sulla. Dieser war, auf die Nachricht vom Abmarsch des samnitischen Heeres in der Richtung auf Rom, gleichfalls eiligst aufgebrochen der Hauptstadt zu Hilfe. Den sinkenden Mut der Bürgerschaft belebte im Laufe des Morgens das Erscheinen seiner ersten Reiter unter Balbus; am Mittag erschien er selbst mit der Hauptmacht und ordnete sofort am Tempel der Erykinischen Aphrodite vor dem Collinischen Tor (unweit Porta Pia) die Reihen zur Schlacht. Seine Unterbefehlshaber beschworen ihn, nicht die durch den Gewaltmarsch erschöpften Truppen sofort in den Kampf zu schicken; aber Sulla erwog, was die Nacht über Rom bringen könne, und befahl noch am späten Nachmittag den Angriff. Die Schlacht war hart bestritten und blutig. Der linke Flügel Sullas, den er selbst anführte, wich zurück bis an die Stadtmauer, so daß es notwendig ward, die Stadttore zu schließen; schon brachten Versprengte die Nachricht an Ofelia, daß die Schlacht verloren sei. Allein auf den rechten Flügel warf Marcus Crassus den Feind und verfolgte ihn bis Antemnae, wodurch auch der andere Flügel wider Luft bekam und eine Stunde nach Sonnenuntergang seinerseits ebenfalls zum Vorrücken überging. Die ganze Nacht und noch den folgenden Morgen ward gefochten; erst der Übertritt einer Abteilung von 3000 Mann, die sofort die Waffen gegen die früheren Kameraden wandten, setzte dem Kampf ein Ziel. Rom war gerettet. Die Insurgentenarmee, für die es nirgends einen Rückzug gab, wurde vollständig aufgerieben. Die in der Schlacht gemachten Gefangenen, 3000 bis 4000 an der Zahl, darunter die Generale Damasippus, Carrinas und den schwer verwundeten Pontius, ließ Sulla am dritten Tage nach der Schlacht in das städtische Meierhaus auf dem Marsfeld führen und daselbst bis auf den letzten Mann niederhauen, so daß man in dem nahen Tempel der Bellona, wo Sulla eben eine Senatssitzung abhielt, deutlich das Klirren der Waffen und das Stöhnen der Sterbenden vernahm. Es war eine gräßliche Exekution und sie soll nicht entschuldigt werden; aber es ist nicht gerecht zu verschweigen, daß diese selben Menschen, die dort starben, wie eine Räuberbande über die Hauptstadt und die Bürgerschaft hergefallen waren und sie, wenn sie Zeit gefunden hätten, so weit vernichtet haben würden, als Feuer und Schwert eine Stadt und eine Bürgerschaft zu vernichten vermögen.

Damit war der Krieg in der Hauptsache zu Ende. Die Besatzung von Praeneste ergab sich, als die aus den über die Mauer geworfenen Köpfen des Carrinas und anderer Offiziere den Ausgang der Schlacht von Rom erfuhr. Die Führer, der Konsul Gaius Marius und der Sohn des Pontius, stürzten, nachdem ein Versuch zu entkommen ihnen vereitelt war, sich einer in des andern Schwert. Die Menge gab der Hoffnung sich hin und ward durch Cethegus darin bestärkt, daß der Sieger für sie auch jetzt noch Gnade walten lassen werde. Aber deren Zeiten waren vorbei. Je unbedingter Sulla bis zum letzten Augenblick den Übertretenden volle Verzeihung gewährt hatte, desto unerbittlicher erwies er sich gegen die Führer und Gemeinden, die ausgehalten hatten bis zuletzt. Von den praenestinischen Gefangenen, 12000 an der Zahl, wurden zwar außer den Kindern und Frauen die meisten Römer und einzelne Pränestiner entlassen, aber die römischen Senatoren, fast alle Pränestiner und sämtliche Samniten wurden entwaffnet und zusammengehauen, die reiche Stadt geplündert. Es ist begreiflich, daß nach solchem Vorgang die noch nicht übergegangenen Neubürgerstädte den Widerstand in hartnäckigster Weise fortsetzten. So töteten in der latinischen Stadt Norba, als Aemilius Lepidus durch Verrat daselbst eindrang, die Bürger sich untereinander und zündeten selbst ihre Stadt an, um nur ihren Henkern die Rache und die Beute zu entziehen. In Unteritalien war bereits früher Neapolis erstürmt und, wie es scheint, Capua freiwillig aufgegeben worden; Nola aber wurde erst im Jahr 674 (80) von den Samniten geräumt. Auf der Flucht von hier fiel der letzte noch übrige namhafte Führer der Italiker, der Insurgentenkonsul des hoffnungsreichen Jahres 664 (90), Gaius Papius Mutilus, abgewiesen von seiner Gattin, zu der er verkleidet sich durchgeschlichen und bei der er einen Zufluchtsort zu finden gedacht hatte, vor der Tür des eigenen Hauses in Teanum in sein Schwert. Was die Samniten anlangt, so erklärte der Diktator, daß Rom nicht Ruhe haben werde, solange Samnium bestehe, und daß darum der samnitische Name von der Erde vertilgt werden müsse; und wie er diese Worte an den vor Rom und in Praeneste Gefangenen in schrecklicher Weise wahr machte, so scheint er auch noch einen Verheerungszug durch die Landschaft unternommen, Aesernia91 eingenommen (674? 80) und die bis dahin blühende und bevölkerte Landschaft in die Einöde umgewandelt zu haben, die sie seitdem geblieben ist. Ebenso ward in Umbrien Tuder durch Marcus Crassus erstürmt. Länger wehrten sich in Etrurien Populonium und vor allem das unbezwingliche Volaterrae, das aus den Resten der geschlagenen Partei ein Heer von vier Legionen um sich sammelte und eine zweijährige, zuerst von Sulla persönlich, sodann von dem gewesenen Prätor Gaius Carbo, dem Bruder des demokratischen Konsuls, geleitete Belagerung aushielt, bis endlich im dritten Jahre nach der Schlacht am Collinischen Tor (675 79) die Besatzung gegen freien Abzug kapitulierte. Aber in dieser entsetzlichen Zeit galt weder Kriegsrecht noch Kriegszucht; die Soldaten schrien über Verrat und steinigten ihren allzu nachgiebigen Feldherrn; eine von der römischen Regierung geschickte Reiterschar hieb die gemäß der Kapitulation abziehende Besatzung nieder. Das siegreiche Heer wurde durch Italien verteilt und alle unsicheren Ortschaften mit starken Besatzungen belegt; unter der eisernen Hand der Sullanischen Offiziere verendeten langsam die letzten Zuckungen der revolutionären und nationalen Opposition.

Noch gab es in den Provinzen zu tun. Zwar Sardinien war dem Statthalter der revolutionären Regierung Quintus Antonius rasch durch Lucius Philippus entrissen worden (672 82) und auch das Transalpinische Gallien leistete geringen oder gar keinen Widerstand; aber in Sizilien, Spanien, Africa schien die Sache der in Italien geschlagenen Partei noch keineswegs verloren. Sizilien regierte für sie der zuverlässige Statthalter Marcus Perpenna. Quintus Sertorius hatte im Diesseitigen Spanien die Provinzialen an sich zu fesseln und aus den in Spanien ansässigen Römern eine nicht unansehnliche Armee sich zu bilden gewußt, welche zunächst die Pyrenäenpässe sperrte; er hatte auch hier wieder bewiesen, daß, wo immer man ihn hinstellte, er an seinem Platze und unter all den revolutionären Inkapazitäten er der einzige praktisch brauchbare Mann war. In Africa war der Statthalter Hadrianus zwar, da er das Revolutionieren allzu gründlich betrieb und den Sklaven die Freiheit zu schenken anfing, bei einem durch die römischen Kaufleute von Utica angezettelten Auflauf in seiner Amtswohnung überfallen und mit seinem Gesinde verbrannt worden (672 82); indes hielt die Provinz nichtsdestoweniger zu der revolutionären Regierung, und Cinnas Schwiegersohn, der junge fähige Gnaeus Domitius Ahenobarbus, übernahm daselbst den Oberbefehl. Es war sogar von dort aus die Propaganda in die Klientelstaaten Numidien und Mauretanien getragen worden. Deren legitime Regenten Hiempsal II., des Gauda, und Bogud, des Bocchus Sohn, hielten zwar mit Sulla; aber mit Hilfe der Cinnaner war jener durch den demokratischen Prätendenten Hiarbas vom Thron gestoßen worden, und ähnliche Fehden bewegten das Mauretanische Reich. Der aus Italien geflüchtete Konsul Carbo verweilte auf der Insel Kossyra (Pantellaria) zwischen Afrika und Sizilien, unschlüssig, wie es scheint, ob er nach Ägypten sich flüchten oder in einer der treuen Provinzen versuchen sollte, den Kampf zu erneuern.

Sulla sandte nach Spanien den Gaius Annius und den Gaius Valerius Flaccus, als Statthalter jenen der jenseitigen, diesen der Ebroprovinz. Das schwierige Geschäft, die Pyrenäenpässe mit Gewalt sich zu eröffnen, ward ihnen dadurch erspart, daß der von Sertorius dort hingestellte General durch einen seiner Offiziere ermordet ward und darauf die Truppen desselben sich verliefen. Sertorius, viel zu schwach, um sich im gleichen Kampfe zu behaupten, raffte eilig die nächststehenden Abteilungen zusammen und schiffte in Neukarthago sich ein – wohin, wußte er selbst nicht, vielleicht an die afrikanische Küste oder nach den Kanarischen Inseln, nur irgendwohin, wohin Sullas Arm nicht reiche. Spanien unterwarf hierauf sich willig den Sullanischen Beamten (um 673 81), und Flaccus focht glücklich mit den Kelten, durch deren Gebiet er marschierte, und mit den spanischen Keltiberern (674 80).

Nach Sizilien ward Gnaeus Pompeius als Proprätor gesandt und die Insel, als Pompeius mit 120 Segeln und sechs Legionen sich an der Küste zeigte, von Perpenna ohne Gegenwehr geräumt. Pompeius schickte von dort ein Geschwader nach Kossyra, das die daselbst verweilenden Marianischen Offiziere aufhob; Marcus Brutus und die übrigen wurden sofort hingerichtet, den Konsul Carbo aber hatte Pompeius befohlen, vor ihn selbst nach Lilybäon zu führen, um ihn hier, uneingedenk des in gefährlicher Zeit ihm von ebendiesem Manne zuteil gewordenen Schutzes, persönlich dem Henker zu überliefern (672 82). Von hier weiter beordert nach Afrika, schlug Pompeius die von Ahenobarbus und Hiarbas gesammelten, nicht unbedeutenden Streitkräfte mit seinem allerdings weit zahlreicheren Heer aus dem Felde und gab, die Begrüßung als Imperator vorläufig ablehnend, sogleich das Zeichen zum Sturm auf das feindliche Lager. So ward er an einem Tage der Feinde Herr; Ahenobarbus war unter den Gefallenen; mit Hilfe des Königs Bogud ward Hiarbas in Bulla ergriffen und getötet und Hiempsal in sein angestammtes Reich wiedereingesetzt; eine große Razzia gegen die Bewohner der Wüste, von denen eine Anzahl gätulischer, von Marius als frei anerkannter Stämme Hiempsal untergeben wurden, stellte auch hier die gesunkene Achtung des römischen Namens wieder her; in vierzig Tagen nach Pompeius‘ Landung in Afrika war alles zu Ende (674? 80). Der Senat wies ihn an, sein Heer aufzulösen, worin die Andeutung lag, daß er nicht zum Triumph gelassen werden solle, auf welchen er als außerordentlicher Beamter dem Herkommen nach keinen Anspruch machen durfte. Der Feldherr grollte heimlich, die Soldaten laut; es schien einen Augenblick, als werde die afrikanische Armee gegen den Senat revoltieren und Sulla gegen seinen Tochtermann zu Felde ziehen. Indes Sulla gab nach und ließ den jungen Mann sich berühmen, der einzige Römer zu sein, der eher Triumphator (12. März 675 79) als Senator geworden war; ja bei der Heimkehr von diesen bequemen Großtaten begrüßte der „Glückliche“, vielleicht nicht ohne einige Ironie, den Jüngling als den „Großen“.

Auch im Osten hatten nach Sullas Einschiffung im Frühling 671 (83) die Waffen nicht geruht. Die Restauration der alten Verhältnisse und die Unterwerfung einzelner Städte kostete, wie in Italien so auch in Asien, noch manchen blutigen Kampf; namentlich gegen die freie Stadt Mytilene mußte Lucius Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschöpft hatte, endlich Truppen führen, und selbst ein Sieg im freien Felde machte dem eigensinnigen Widerstand der Bürgerschaft kein Ende.

Mittlerweile war der römische Statthalter von Asien, Lucius Murena, mit dem König Mithradates in neue Verwicklungen geraten. Dieser hatte sich nach dem Frieden beschäftigt, seine auch in den nördlichen Provinzen erschütterte Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier beruhigt, indem er seinen tüchtigen Sohn Mithradates ihnen zum Statthalter setzte, dann diesen selbst aus dem Wege geräumt, und rüstete nun zu einem Zug in sein Bosporanisches Reich. Auf die Versicherungen des Archelaos hin, der inzwischen bei Murena eine Freistatt hatte suchen müssen, daß diese Rüstungen gegen Rom gerichtet seien, setzte sich Murena unter dem Vorgeben, daß Mithradates noch kappadokische Grenzdistrikte in Besitz habe, mit seinen Truppen nach dem kappadokischen Komana in Bewegung, verletzte also die pontische Grenze (671 83). Mithradates begnügte sich, bei Murena und, da dies vergeblich war, bei der römischen Regierung Beschwerde zu führen. In der Tat erschienen Beauftragte Sullas den Statthalter abzumahnen; allein er fügte sich nicht, sondern überschritt den Halys und betrat das unbestritten pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloß, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios mußte das römische Heer festhalten, bis der König mit weit überlegenen Streitkräften herankam und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit großem Verlust bis über die römische Grenze nach Phrygien zurückgeworfen, die römischen Besatzungen aus ganz Kappadokien vertrieben. Murena hatte zwar die Stirn, wegen dieser Vorgänge sich Sieger zu nennen und den Imperatorentitel anzunehmen (672 82); indes die derbe Lektion und eine zweite Mahnung Sullas bewogen ihn doch endlich, die Sache nicht weiterzutreiben; der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneuert (673 81).

Über diese törichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenäer verzögert worden; erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer Belagerung zu Lande und zur See, wobei die bithynische Flotte gute Dienste tat, die Stadt mit Sturm einzunehmen (675 79).

Die zehnjährige Revolution und Insurrektion war im Westen und im Osten zu Ende; der Staat hatte wieder eine einheitliche Regierung und Frieden nach außen und innen. Nach den fürchterlichen Konvulsionen der letzten Jahre war schon diese Rast eine Erleichterung; ob sie mehr gewähren sollte, ob der bedeutende Mann, dem das schwere Werk der Bewältigung des Landesfeindes, das schwerere der Bändigung der Revolution gelungen war, auch dem schwersten von allen, der Wiederherstellung der in ihren Grundfesten schwankenden sozialen und politischen Ordnung zu genügen vermochte, mußte demnächst sich entscheiden.

  1. Die ganze folgende Darstellung beruht wesentlich auf dem neu aufgefundenen Bericht des Licinianus, der eine Anzahl früher unbekannter Tatsachen mitteilt und vor allem die Folge und Verknüpfung dieser Vorgänge deutlicher, als bisher möglich war, erkennen läßt.
  2. 3, 258. Daß eine Bestätigung durch die Komitien nicht stattfand, geht aus Cic. Phil. 12, 11, 27 hervor. Der Senat scheint sich der Form bedient zu haben, die Frist des Plautisch-Papirischen Gesetzes einfach zu verlängern, was ihm nach Herkommen freistand und tatsächlich hinauslief auf Erteilung des Bürgerrechts an alle Italiker.
  3. Adflatus sidere wie Livius (nach Obsequens 56) sagt, heißt „von der Pest ergriffen“ (Petr. 2; Plin. nat. 2, 41, 108; Liv. 8, 9, 12), nicht „vom Blitz getroffen“, wie die Späteren es mißverstanden haben.
  4. Lucius Valerius Flaccus, den die Fasten als Konsul 668 (86) nennen, ist nicht der Konsul des Jahres 654 (100), sondern ein gleichnamiger jüngerer Mann, vielleicht des vorigen Sohn. Einmal ist das Gesetz, das die Wiederwahl zum Konsulat untersagte, von ca. 603 (151) bis 673 (81) rechtlich in Kraft geblieben, und es ist nicht wahrscheinlich, daß dasselbe, war für Scipio Aemilianus und Marius, auch für Flaccus geschah. Zweitens wird nirgends, wo der eine oder der andere Flaccus genannt wird, eines doppelten Konsulats gedacht, auch nicht, wo es notwendig war wie Cic. Flacc. 32, 77. Drittens kann der Lucius Valerius Flaccus, der im Jahre 669 (85) als Vormann des Senats, also als Konsulat in Rom tätig war (Liv. 83), nicht der Konsul des Jahres 668 (86) sein, da dieser damals bereits nach Asien abgegangen und wahrscheinlich schon tot war. Der Konsul 654 (100), Zensor 657 (97), ist derjenige, den Cicero (Att. 8, 3, 6) unter den 667 (87) in Rom anwesenden Konsulaten nennt; er war 669 (85) unzweifelhaft der älteste lebende Altzensor und also geeignet zum Vormann des Senats; er ist auch der Zwischenkönig und der Reiterführer von 672 (82). Dagegen ist der Konsul 668 (86), der in Nikomedeia umkam, der Vater des von Cicero verteidigten Lucius Flaccus (Flacc. 25, 61; vgl. 23, 55; 32, 77).
  5. Nur an diesen kann hier gedacht werden, da Marcus Brutus, der Vater des sogenannten Befreiers, im Jahr 671 (83) Volkstribun war, also nicht im Felde kommandieren konnte.
  6. Es wird gemeldet, daß Sulla in dem Engpaß stand, durch den Praeneste allein zugänglich war (App. I, 90); und die weiteren Ereignisse zeigen, daß sowohl ihm als dem Entsatzheer die Straße nach Rom offenstand. Ohne Zweifel stand Sulla auf der Querstraße, die von der Latinischen, auf der sie Samniten herankamen, bei Valmontono nach Palestrina abbiegt; in diesem Fall kommunizierte Sulla auf der praenestinischen, die Feinde auf der Launischen oder labicanischen mit der Hauptstadt.
  7. Ein anderer Name kann wohl kaum in der Korruptel Liv. 89 miam in Samnio sich verbergen; vgl. Strab. 5, 3, 10.

10. Kapitel


10. Kapitel

Die Sullanische Verfassung

Um die Zeit, als die erste Feldschlacht zwischen Römern und Römern geschlagen ward, in der Nacht des 6. Juli 671 (83), war der ehrwürdige Tempel, den die Könige errichtet, die junge Freiheit geweiht, die Stürme eines halben Jahrtausends verschont hatten, der Tempel des Römischen Jupiter, auf dem Kapitol in Flammen aufgegangen. Es war kein Anzeichen, aber wohl ein Abbild des Zustandes der römischen Verfassung. Auch diese lag in Trümmern und bedurfte eines neuen Aufbaus. Die Revolution war zwar besiegt, aber es fehlte doch viel, daß damit von selber das alte Regiment wieder sich hergestellt hätte. Allerdings meinte die Masse der Aristokratie, daß jetzt nach dem Tode der beiden revolutionären Konsuln es genügen werde, die gewöhnliche Ergänzungswahl zu veranstalten und es dem Senat zu überlassen, was ihm zur Belohnung der siegreichen Armee, zur Bestrafung der schuldigsten Revolutionäre, etwa auch zur Verhütung ähnlicher Ausbrüche weiter erforderlich erscheinen werde. Allein Sulla, in dessen Händen der Sieg für den Augenblick alle Macht vereinigt hatte, urteilte richtiger über die Verhältnisse und die Personen. Die Aristokratie Roms war in ihrer besten Epoche nicht hinausgekommen über ein halb großartiges, halb borniertes Festhalten an den überlieferten Formen; wie sollte das schwerfällige kollegialische Regiment dieser Zeit dazu kommen, eine umfassende Staatsreform energisch und konsequent durchzuführen? Und eben jetzt, nachdem die letzte Krise fast alle Spitzen des Senats weggerafft hatte, war in demselben die zu einem solchen Beginnen erforderliche Kraft und Intelligenz weniger als je zu finden. Wie unbrauchbar durchgängig das aristokratische Vollblut und wie wenig Sulla über dessen Nichtsnutzigkeit im unklaren war, beweist die Tatsache, daß mit Ausnahme des ihm verschwägerten Quintus Metellus er sich seine Werkzeuge sämtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei und den Überläufern aus dem demokratischen Lager – so Lucius Flaccus, Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie nur dem leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er begriff, wohl auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang – wie hätte er sonst überhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? –, aber doch besser als seine Partei, welchen ungeheuren Schwierigkeiten dieses Restaurationswerk unterlag. Als unumgänglich betrachtete er teils umfassende Konzessionen, soweit Nachgiebigkeit möglich war, ohne das Wesen der Oligarchie anzutasten, teils die Herstellung eines energischen Repressiv- und Präventivsystems; und er sah es deutlich, daß der Senat, wie er war, jede Konzession verweigern oder verstümmeln, jeden systematischen Neubau parlamentarisch ruinieren werde. Hatte Sulla schon nach der Sulpicischen Revolution, ohne viel zu fragen, in der einen und der andern Richtung durchgesetzt, was er für nötig erachtete, so war er auch jetzt unter weit schärferen und gespannteren Verhältnissen entschlossen, die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der Oligarchen auf eigene Hand zu restaurieren. Sulla aber war nicht wie damals Konsul, sondern bloß mit prokonsularischer, das heißt rein militärischer Gewalt ausgestattet; er bedurfte einer möglichst nahe an den verfassungsmäßigen Formen sich haltenden, aber doch außerordentlichen Gewalt, um Freunden und Feinden seine Reform zu oktroyieren. In einem Schreiben an den Senat eröffnete er demselben, daß es ihm unumgänglich scheine, die Ordnung des Staates in die Hände eines einzigen, mit unumschränkter Machtvollkommenheit ausgerüsteten Mannes zu legen, und daß er sich für geeignet halte, diese schwierige Aufgabe zu erfüllen. Dieser Vorschlag, so unbequem er vielen kam, war unter den obwaltenden Umständen ein Befehl. Im Auftrag des Senats brachte der Vormann desselben, der Zwischenkönig Lucius Valerius Flaccus der Vater, als interimistischer Inhaber der höchsten Gewalt bei der Bürgerschaft den Antrag ein, daß dem Prokonsul Lucius Cornelius Sulla für die Vergangenheit die nachträgliche Billigung aller von ihm als Konsul und Prokonsul vollzogenen Amtshandlungen, für die Zukunft aber das Recht erteilt werden möge, über Leben und Eigentum der Bürger in erster und letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomänen nach Gutdünken zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des Staats nach Ermessen zu verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzulösen oder zu gründen, über die Provinzen und die abhängigen Staaten zu verfügen, das höchste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Prokonsuln und Proprätoren zu ernennen, endlich durch neue Gesetze für die Zukunft den Staat zu ordnen; daß es in sein eigenes Ermessen gestellt werden solle, wann er seine Aufgabe gelöst und es an der Zeit erachte, dies außerordentliche Amt niederzulegen; daß endlich während desselben es von seinem Gutfinden abhängen solle, die ordentliche höchste Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Es versteht sich, daß die Annahme ohne Widerspruch stattfand (November 672 82), und nun erst erschien der neue Herr des Staates, der bisher als Prokonsul die Hauptstadt zu betreten vermieden hatte, innerhalb der Mauern von Rom. Den Namen entlehnte dies neue Amt von der seit dem Hannibalischen Kriege tatsächlich abgeschafften Diktatur; aber sie außer seinem bewaffneten Gefolge ihm doppelt so viele Liktoren vorausschritten als dem Diktator der älteren Zeit, so war auch in der Tat diese neue „Diktatur zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens“, wie die offizielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes ehemalige, der Zeit und der Kompetenz nach beschränkte, die Provokation an die Bürgerschaft nicht ausschließende und die ordentliche Magistratur nicht annullierende Amt. Es glich dasselbe vielmehr dem der „Zehnmänner zur Abfassung von Gesetzen“, die gleichfalls als außerordentliche Regierung mit unbeschränkter Machtvollkommenheit unter Beseitigung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und tatsächlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf einem Volksbeschluß ruhenden, durch keine Befristung und Kollegialität eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das alte Königtum, das ja eben auch beruhte auf der freien Verpflichtung der Bürgerschaft, einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen. Selbst von Zeitgenossen wird zur Rechtfertigung Sullas es geltend gemacht, daß ein König besser sei als eine schlechte Verfassung92, und vermutlich ward auch der Diktatortitel nur gewählt um anzudeuten, daß, wie die ehemalige Diktatur eine vielfach beschränkte, so diese neue eine vollständige Wiederaufnahme der königlichen Gewalt in sich enthalte. So fiel denn seltsamerweise Sullas Weg auch hier zusammen mit dem, den in so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus eingeschlagen hatte. Auch hier mußte die konservative Partei von ihren Gegnern borgen, der Schirmherr der oligarchischen Verfassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig andringende Tyrannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem letzten Siege der Oligarchie.

Sulla hatte die schwierige und grauenvolle Arbeit des Restaurationswerkes nicht gesucht und nicht gewünscht; da ihm aber keine andere Wahl blieb, als sie gänzlich unfähigen Händen zu überlassen oder sie selber zu übernehmen, griff er sie an mit rücksichtsloser Energie. Vor allen Dingen mußte eine Feststellung hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war an sich zum Verzeihen geneigt. Sanguinischen Temperaments wie er war, konnte er wohl zornig aufbrausen, und der mochte sich hüten, der sein Auge flammen und seine Wangen sich färben sah; aber die chronische Rachsucht, wie sie Marius in seiner greisenhaften Verbitterung eigen war, war seinem leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloß nach der Revolution von 666 (88) war er mit verhältnismäßig großer Milde aufgetreten; auch die zweite, die so furchtbare Greuel verübt und ihn persönlich so empfindlich getroffen hatte, hatte ihn nicht aus dem Gleichgewicht gebracht. In derselben Zeit, so der Henker die Körper seiner Freunde durch die Straßen der Hauptstadt schleifte, hatte er dem blutbefleckten Fimbria das Leben zu retten gesucht und, da dieser freiwillig den Tod nahm, Befehl gegeben, seine Leiche anständig zu bestatten. Bei der Landung in Italien hatte er ernstlich sich erboten, zu vergeben und zu vergessen, und keiner, der seinen Frieden zu machen kam, war zurückgewiesen worden. Noch nach den ersten Erfolgen hatte er in diesem Sinne mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutionspartei war es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloß abgebrochen, sondern nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz, die Mordtaten abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung der Stadt Rom sich mit dem uralten Landesfeind verschworen hatte. Nun war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklärte Sulla unmittelbar nach Übernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlands vogelfrei sämtliche Zivil- und Militärbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung zufolge rechtsbeständig abgeschlossenen, Vertrag mit Scipio noch für die Revolution tätig gewesen wären, und von den übrigen Bürgern diejenigen, die in auffallender Weise derselben Vorschub getan hätten. Wer einen dieser Vogelfreien tötete, war nicht bloß straffrei wie der Henker, der ordnungsmäßig eine Exekution vollzieht, sondern erhielt auch für die Hinrichtung eine Vergütung von 12000 Denaren (3600 Tälern); jeder dagegen, der eines Geächteten sich annahm, selbst der nächste Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermögen der Geächteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kinder und Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlossen, dennoch aber, insofern sie senatorischen Standes waren, verpflichtet, die senatorischen Lasten für ihren Teil zu übernehmen. Die letzten Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Güter und die Nachkommen derjenigen, die im Kampfe für die Revolution gefallen waren; was noch hinausging selbst über die im ältesten Recht gegen solche, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen. Das Schrecklichste in diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der aufgestellten Kategorien, gegen die sofort im Senat remonstriert ward und der Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, daß er die Namen der Geächteten öffentlich anschlagen ließ und als letzten Termin für den Schluß der Ächtungsliste den 1. Juni 673 (81) festsetzte. Sosehr diese täglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen steigende Bluttafel93 das gerechte Entsetzen der Bürger war, so war doch damit der reinen Schergenwillkür in etwa gesteuert. Es war wenigstens nicht der persönliche Groll des Regenten, dem die Masse dieser Opfer fiel; sein grimmiger Haß richtete sich einzig gegen die Marier, die Urheber der scheußlichen Metzeleien von 667 (87) und 672 (82). Auf seinen Befehl ward das Grab des Siegers von Aquae Sextiae wiederaufgerissen und die Asche desselben in den Anio gestreut, die Denkmäler seiner Siege über Afrikaner und Deutsche umgestürzt und, da ihn selbst sowie seinen Sohn der Tod seiner Rache entrückt hatte, sein Adoptivneffe Marcus Marius Gratidianus, der zweimal Prätor gewesen und bei der römischen Bürgerschaft sehr beliebt war, an dem Grabe des bejammernswertesten der Marianischen Schlachtopfer, des Catulus, unter den grausamsten Martern hingerichtet. Auch sonst hatte der Tod schon die namhaftesten der Gegner hingerafft; von den Führern waren nur noch übrig Gaius Norbanus, der in Rhodos Hand an sich selbst legte, während die Ekklesia über seine Auslieferung beriet; Lucius Scipio, dem seine Bedeutungslosigkeit und wohl auch seine vornehme Geburt Schonung verschafften und die Erlaubnis, in seiner Zufluchtsstätte Massalia seine Tage in Ruhe beschließen zu dürfen; und Quintus Sertorius, der landflüchtig an der mauretanischen Küste umherirrte. Aber dennoch häuften sich am Servilischen Bassin, da wo die Jugarische Gasse in den Marktplatz einmündete, die Häupter der getöteten Senatoren, welche hier öffentlich auszustellen der Diktator befohlen hatte, und vor allem unter den Männern zweiten und dritten Ranges hielt der Tod eine furchtbare Ernte. Außer denen, die für Ehre Dienste in der oder für die revolutionäre Armee ohne viele Wahl, zuweilen wegen eines einem der Offiziere derselben gemachten Vorschusses oder wegen der mit einem solchen geschlossenen Gastfreundschaft, in die Liste eingetragen wurden, traf namentlich jene Kapitalisten, die über die Senatoren zu Gericht gesessen und in Marianischen Konfiskationen spekuliert hatten, „die Einsäckler“, die Vergeltung; etwa sechzehnhundert der sogenannten Ritter94 waren auf der Ächtungsliste verzeichnet. Ebenso büßten die gewerbsmäßigen Ankläger, die schwerste Geißel der Vornehmen, die sich ein Geschäft daraus machten, die Männer senatorischen Standes vor die Rittergerichte zu ziehen – „Wie geht es nur zu“, fragte bald darauf ein Sachwalter, „daß sie uns die Gerichtsbänke gelassen haben, da sie doch Ankläger und Richter totschlugen?“ Die wildesten und schändlichsten Leidenschaften rasten viele Monate hindurch ungefesselt durch Italien. In der Hauptstadt war es ein Keltentrupp, dem zunächst die Exekutionen aufgetragen wurden, und Sullanische Soldaten und Unteroffiziere durchzogen zu gleichem Zweck die verschiedenen Distrikte Italiens; aber auch jeder Freiwillige war ja willkommen, und vornehmes und niederes Gesindel drängte sich herbei, nicht bloß, um die Mordprämie zu verdienen, sondern auch, um unter dem Deckmantel der politischen Verfolgung die eigene Rachsucht oder Habsucht zu befriedigen. Es kam wohl vor, daß der Eintragung in die Ächtungsliste die Ermordung nicht nachfolgte, sondern voranging. Ein Beispiel zeigt, in welcher Art diese Exekutionen erfolgten. In Larinum, einer marianisch gesinnten Neubürgerstadt, trat ein gewisser Statius Albius Oppianicus, der um einer Anklage wegen Mordes zu entgehen in das Sullanische Hauptquartier entwichen war, nach dem Sieg auf als Kommissarius des Regenten, setzte die Stadtobrigkeit ab und sich und seine Freunde an deren Stelle und ließ den, der ihn mit der Anklage bedroht hatte, nebst dessen nächsten Verwandten und Freunden ächten und töten. So fielen unzählige, darunter nicht wenige entschiedene Anhänger der Oligarchie, als Opfer der Privatfeindschaft oder ihres Reichtums; die fürchterliche Verwirrung und die sträfliche Nachsicht, die Sulla wie überall so auch hier gegen die ihm näher Stehenden bewies, verhinderten jede Ahndung auch nur der hierbei mit untergelaufenen gemeinen Verbrechen.

In ähnlicher Weise ward mit dem Beutegut verfahren. Sulla wirkte aus politischen Rücksichten dahin, daß die angesehenen Bürger sich bei dessen Ersteigerung beteiligten; ein großer Teil drängte übrigens freiwillig sich herbei, keiner eifriger als der junge Marcus Crassus. Unter den obwaltenden Umständen war die ärgste Schleuderwirtschaft nicht zu vermeiden, die übrigens zum Teil schon aus der römischen Weise folgte, die vom Staat eingezogenen Vermögen gegen eine Pauschalsumme zur Realisierung zu verkaufen; es kam noch hinzu, daß der Regent teils sich selbst nicht vergaß, teils besonders seine Gemahlin Metella und andere ihm nahestehende vornehme und geringe Personen, selbst Freigelassene und Kneipgenossen, bald ohne Konkurrenz kaufen ließ, bald ihnen den Kaufschilling ganz oder teilweise erließ – so soll zum Beispiel einer seiner Freigelassenen ein Vermögen von 6 Millionen (457000 Talern) für 2000 Sesterzen (152 Taler) ersteigert haben und einer seiner Unteroffiziere durch derartige Spekulationen zu einem Vermögen von 10 Mill. Sesterzen (761000 Talern) gelangt sein. Der Unwille war groß und gerecht; schon während Sollas Regentschaft fragte ein Advokat, ob der Adel den Bürgerkrieg nur geführt habe, um seine Freigelassenen und Knechte zu reichen Leuten zu machen. Trotz dieser Schleuderei indes betrug der Gesamterlös aus den konfiszierten Gütern nicht weniger als 350 Mill. Sesterzen (27 Mill. Taler), was von dem ungeheuren Umfang dieser hauptsächlich auf den reichsten Teil der Bürgerschaft fallenden Einziehungen einen ungefähren Begriff gibt. Es war durchaus ein fürchterliches Strafgericht. Es gab keinen Prozeß, keine Begnadigung mehr; bleischwer lastete der dumpfe Schrecken auf dem Lande, und das freie Wort war auf dem Markte der Haupt- wie der Landstadt verstummt. Das oligarchische Schreckensregiment trug wohl einen anderen Stempel als das revolutionäre; wenn Marius seine persönliche Rachsucht im Blute seiner Feinde gelöscht hatte, so schien Sulla den Terrorismus man möchte sagen abstrakt als zur Einführung der neuen Gewaltherrschaft notwendig zu erachten und die Metzelei fast gleichgültig zu betreiben oder betreiben zu lassen. Aber nur um so entsetzlicher erschien das Schreckensregiment, indem es von der konservativen Seite her und gewissermaßen ohne Leidenschaft auftrat; nur um so unrettbarer schien das Gemeinwesen verloren, indem der Wahnsinn und der Frevel auf beiden Seiten im Gleichgewicht standen.

In der Ordnung der Verhältnisse Italiens und der Hauptstadt hielt Sulla, obwohl er sonst im allgemeinen alle während der Revolution vorgenommenen, nicht bloß die laufenden Geschäfte erledigenden Staatshandlungen als nichtig behandelte, doch fest an dem von ihr aufgestellten Grundsatz, daß jeder Bürger einer italischen Gemeinde damit von selbst auch Bürger von Rom sei; die Unterschiede zwischen Bürgern und italischen Bundesgenossen, zwischen Altbürgern besseren und Neubürgern beschränkteren Rechts waren und blieben beseitigt. Nur den Freigelassenen ward das unbeschränkte Stimmrecht abermals entzogen und für sie das alte Verhältnis wiederhergestellt. Den aristokratischen Ultras mochte dies als eine große Konzession erscheinen; Sulla sah, daß den revolutionären Führern jene mächtigen Hebel notwendig aus der Hand gewunden werden mußten und daß die Herrschaft der Oligarchie durch die Vermehrung der Zahl der Bürger nicht wesentlich gefährdet ward. Aber mit dieser Nachgiebigkeit im Prinzip verband sich das härteste Gericht über die einzelnen Gemeinden in sämtlichen Landschaften Italiens, ausgeführt durch Spezialkommissare und unter Mitwirkung der durch die ganze Halbinsel verteilten Besatzungen. Manche Städte wurden belohnt, wie zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen hatte, Brundisium, jetzt die für diesen Seehafen so wichtige Zollfreiheit erhielt; mehrere bestraft. Den minder Schuldigen wurden Geldbußen, Niederreißung der Mauern, Schleifung der Burgen diktiert; den hartnäckigsten Gegnern konfiszierte der Regent einen Teil ihrer Feldmark, zum Teil sogar das ganze Gebiet, wie denn dies rechtlich allerdings als verwirkt angesehen werden konnte, mochte man nun sie als Bürgergemeinden behandeln, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen, oder als Bundesstaaten, die dem ewigen Friedensvertrag zuwider mit Rom Krieg geführt hatten. In diesem Falle ward zugleich allen aus dem Besitz gesetzten Bürgern, aber auch nur diesen, ihr Stadt- und zugleich das römische Bürgerrecht aberkannt, wogegen sie das schlechteste latinische empfingen95. Man vermied also an italischen Untertanengemeinden geringeren Rechts der Opposition einen Kern zu gewähren; die heimatlosen Expropriierten mußten bald in der Masse des Proletariats sich verlieren. In Kampanien ward nicht bloß, wie sich von selbst versteht, die demokratische Kolonie Capua aufgehoben und die Domäne an den Staat zurückgegeben, sondern auch, wahrscheinlich um diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia) entzogen. In Latium wurde die gesamte Mark der großen und reichen Stadt Praeneste und vermutlich auch die von Norba eingezogen, ebenso in Umbrien die von Spoletium. Sulmo in der pälignischen Landschaft ward sogar geschleift. Aber vor allem schwer lastete des Regenten eiserner Arm auf den beiden Landschaften, die bis zuletzt und noch nach der Schlacht am Collinischen Tor ernstlichen Widerstand geleistet hatten, auf Etrurien und Samnium. Dort traf die Gesamtkonfiskation eine Reihe der ansehnlichsten Kommunen, zum Beispiel Florentia, Faesulae, Arretium, Volaterrae. Von Samniums Schicksal ward schon gesprochen; hier ward nicht konfisziert, sondern das Land für immer verwüstet, seine blühenden Städte, selbst die ehemalige latinische Kolonie Aesernia, öde gelegt und die Landschaft der bruttischen und lucanischen gleichgestellt.

Diese Anordnungen über das italische Bodeneigentum stellten teils diejenigen römischen Domanialländereien, welche den ehemaligen Bundesgenossengemeinden zur Nutznießung übertragen waren und jetzt mit deren Auflösung an die römische Regierung zurückfielen, teils die eingezogenen Feldmarken der straffälligen Gemeinden zur Verfügung des Regenten; und er benutzte sie, um darauf die Soldaten der siegreichen Armee ansässig zu machen. Die meisten dieser neuen Ansiedlungen kamen nach Etrurien, zum Beispiel nach Faesulae und Arretium, andere nach Latium und Kampanien, wo unter andern Praeneste und Pompeii Sullanische Kolonien wurden. Samnium wiederzubevölkern lag, wie gesagt, nicht in der Absicht des Regenten. Ein großer Teil dieser Assignationen erfolgte in gracchanischer Weise, so daß die Angesiedelten zu einer schon bestehenden Stadtgemeinde hinzutraten. Wie umfassend die Ansiedelung war, zeigt die Zahl der verteilten Landlose, die auf 120000 angegeben wird; wobei dennoch einige Ackerkomplexe anderweitig verwandt wurden, wie zum Beispiel der Dianentempel auf dem Berg Tifata mit Ländereien beschenkt ward, andere, wie die volaterranische Mark und ein Teil der arretinischen, unverteilt blieben, andere endlich nach dem alten, gesetzlich untersagten, aber jetzt wiederauftauchenden Mißbrauch von Sullas Günstlingen nach Okkupationsrecht eingenommen wurden. Die Zwecke, die Sulla bei dieser Kolonisation verfolgte, waren mannigfacher Art. Zunächst löste er damit seinen Soldaten das gegebene Wort. Ferner nahm er damit den Gedanken auf, in dem die Reformpartei und die gemäßigten Konservativen zusammentrafen und demgemäß er selbst schon im Jahre 666 (88) die Gründung einer Anzahl von Kolonien angeordnet hatte: die Zahl der ackerbauenden Kleinbesitzer in Italien durch Zerschlagung größerer Besitzungen von Seiten der Regierung zu vermehren; wie ernstlich ihm hieran gelegen war, zeigt das erneuerte Verbot des Zusammenschlagens der Ackerlose. Endlich und vor allem sah er in diesen angesiedelten Soldaten gleichsam stehende Besatzungen, die mit ihrem Eigentumsrecht zugleich seine neue Verfassung schirmen würden; weshalb auch, wo nicht die ganze Mark eingezogen ward, wie zum Beispiel in Pompeii, die Kolonisten nicht mit der Stadtgemeinde verschmolzen, sondern die Altbürger und die Kolonisten als zwei in demselben Mauerring vereinigte Bürgerschaften konstituiert wurden. Diese Kolonialgründungen ruhten wohl auch wie die älteren auf Volksschluß, aber doch nur mittelbar, insofern sie der Regent auf Grund der desfälligen Klausel des Valerischen Gesetzes konstituierte; der Sache nach gingen sie hervor aus der Machtvollkommenheit des Herrschers und erinnerten insofern an das freie Schalten der ehemaligen königlichen Gewalt über das Staatsgut. Insofern aber, als der Gegensatz des Soldaten und des Bürgers, der sonst eben durch die Deduktion der Soldaten aufgehoben ward, bei den Sullanischen Kolonien noch nach ihrer Ausführung lebendig bleiben sollte und blieb, und als diese Kolonisten gleichsam das stehende Heer des Senats bildeten, werden sie nicht unrichtig im Gegensatz gegen die älteren als Militärkolonien bezeichnet.

Dieser faktischen Konstituierung einer stehenden Armee des Senats verwandt ist die Maßregel des Regenten, aus den Sklaven der Geächteten über 10000 der jüngsten und kräftigsten Männer auszuwählen und insgesamt freizusprechen. Diese neuen Cornelier, deren bürgerliche Existenz an die Rechtsbeständigkeit der Institutionen ihres Patrons geknüpft war, sollten eine Art von Leibwache für die Oligarchie sein und ihr den städtischen Pöbel beherrschen helfen, auf den nun einmal in der Hauptstadt in Ermangelung einer Besatzung alles ankam.

Diese außerordentlichen Stützen, auf die zunächst der Regent die Oligarchie lehnte, schwach und ephemer wie sie wohl auch ihrem Urheber erscheinen mochten, waren doch die einzig möglichen, wenn man nicht zu Mitteln greifen wollte, wie die förmliche Aufstellung eines stehendes Heeres in Rom und dergleichen Maßregeln mehr, die der Oligarchie noch weit eher ein Ende gemacht haben würden als ,die demagogischen Angriffe. Das dauernde Fundament der ordentlichen Regierungsgewalt der Oligarchie mußte natürlich der Senat sein mit einer so gesteigerten und so konzentrierten Gewalt, daß er an jedem einzelnen Angriffspunkt den nichtorganisierten Gegnern überlegen gegenüberstand. Das vierzig Jahre hindurch befolgte System der Transaktionen war zu Ende. Die Gracchische Verfassung, noch geschont in der ersten Sullanischen Reform von 666, ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die Regierung dem hauptstädtischen Proletariat gleichsam das Recht der Erneute zugestanden und es abgekauft durch regelmäßige Getreideverteilungen an die in der Hauptstadt domizilierten Bürger; Sulla schaffte dieselben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten und Zölle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den Kapitalistenstand organisiert und fundiert; Sulla hob das System der Mittelsmänner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der Asiaten in feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der Rückstände entworfenen Schätzungslisten auf die einzelnen Bezirke umgelegt wurden96. Gaius Gracchus hatte durch Übergabe der Geschworenenposten an die Männer vom Ritterzensus dem Kapitalistenstand eine indirekte Mitverwaltung und Mitregierung erwirkt, die nicht selten sich stärker als die offizielle Verwaltung und Regierung erwies; Sulla schaffte die Rittergerichte ab und stellte die senatorischen wieder her. Gaius Gracchus oder doch die gracchische Zeit hatte den Rittern einen Sonderstand bei den Volksfesten eingeräumt, wie ihn schon seit längerer Zeit die Senatoren besaßen; Sulla hob ihn auf und wies die Ritter zurück auf die Plebejerbänke97. Der Ritterstand, als solcher durch Gaius Gracchus geschaffen, verlor seine politische Existenz durch Sulla. Unbedingt, ungeteilt und auf die Dauer sollte der Senat die höchste Macht in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten überkommen und auch äußerlich nicht bloß als privilegierter, sondern als einzig privilegierter Stand auftreten.

Vor allem mußte zu diesem Ende die Regierungsbehörde ergänzt und selber unabhängig gestellt werden. Durch die letzten Krisen war die Zahl der Senatoren furchtbar zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch die Rittergerichte Verbannten jetzt die Rückkehr frei, wie dem Konsular Publius Rutilius Rufus, der übrigens von der Erlaubnis keinen Gebrauch machte, und dem Freunde des Drusus, Gaius Cotta; allein es war dies ein geringer Ersatz für die Lücken, die der revolutionäre wie der reaktionäre Terrorismus in die Reihen des Senats gerissen hatte. Deshalb wurde nach Sullas Anordnung der Senat außerordentlicherweise ergänzt durch etwa 300 neue Senatoren, welche die Distriktversammlung aus den Männern vom Ritterzensus zu ernennen hatte und die sie, wie begreiflich, vorzugsweise teils aus den jüngeren Männern der senatorischen Häuser, teils aus Sullanischen Offizieren und anderen, durch die letzte Umwälzung Emporgekommenen auslas. Aber auch für die Zukunft ward die Aufnahme in den Senat neu geordnet und auf wesentlich andere Grundlagen gestellt. Nach der bisherigen Verfassung trat man in den Senat ein entweder durch zensorische Berufung, was der eigentliche und ordentliche Weg war, oder durch die Bekleidung eines der drei kurulischen Ämter: des Konsulats, der Prätur oder der Ädilität, an welche seit dem Ovinischen Gesetz von Rechts wegen Sitz und Stimme im Senat geknüpft war; die Bekleidung eines niederen Amtes, des Tribunats oder der Quästur, gab wohl einen faktischen Anspruch auf einen Platz im Senat, insofern die zensorische Auswahl vorzugsweise auf diese Männer sich lenkte, aber keineswegs eine rechtliche Anwartschaft. Von diesen beiden Eintrittswegen hob Sulla den ersteren auf durch die wenigstens tatsächliche Beseitigung der Zensur und änderte den zweiten dahin ab, daß der gesetzliche Eintritt in den Senat statt an die Ädilität an die Quästur geknüpft und zugleich die Zahl der jährlich zu ernennenden Quästoren auf zwanzig98 erhöht ward. Die bisher den Zensoren rechtlich zustehende, obwohl tatsächlich längst nicht mehr in ihrem ursprünglichen ernstlichen Sinn geübte Befugnis, bei den von fünf zu fünf Jahren stattfindenden Revisionen jeden Senator unter Angabe von Gründen von der Liste zu streichen, fiel für die Zukunft ebenfalls fort; die bisherige faktische Unabsetzbarkeit der Senatoren ward also von Sulla schließlich festgestellt. Die Gesamtzahl der Senatoren, die bis dahin vermutlich die alte Normalzahl von 300 nicht viel überstiegen und oft wohl nicht einmal erreicht hatte, ward dadurch beträchtlich, vielleicht durchschnittlich um das Doppelte erhöht,99 was auch schon die durch die Übertragung der Geschworenenfunktionen stark vermehrten Geschäfte des Senats notwendig machten. Indem ferner sowohl die außerordentlich eintretenden Senatoren als die Quästoren ernannt wurden von den Tributkomitien, wurde der bisher mittelbar auf den Wahlen des Volkes ruhende Senat jetzt durchaus auf direkte Volkswahl gegründet, derselbe also einem repräsentativen Regiment so weit genähert, als dies mit dem Wesen der Oligarchie und den Begriffen des Altertums überhaupt sich vertrug. Aus einem nur zum Beraten der Beamten bestimmten Kollegium war im Laufe der Zeit der Senat eine den Beamten befehlende und selbstregierende Behörde geworden; es war hiervon nur eine konsequente Weiterentwicklung, wenn das den Beamten ursprünglich zustehende Recht, die Senatoren zu ernennen und zu kassieren, denselben entzogen und der Senat auf dieselbe rechtliche Grundlage gestellt wurde, auf welcher die Beamtengewalt selber ruhte. Die exorbitante Befugnis der Zensoren, die Ratliste zu revidieren und nach Gutdünken Namen zu streichen oder zuzusetzen, vertrug in der Tat sich nicht mit einer geordneten oligarchischen Verfassung. Indem jetzt durch die Quästorenwahl für eine genügende regelmäßige Ergänzung gesorgt ward, wurden die zensorischen Revisionen überflüssig und durch deren Wegfall das wesentliche Grundprinzip jeder Oligarchie, die Inamovibilität und Lebenslänglichkeit der zu Sitz und Stimme gelangten Glieder des Herrenstandes, endgültig konsolidiert.

Hinsichtlich der Gesetzgebung begnügte sich Sulla, die im Jahre 666 (88) getroffenen Bestimmungen wiederaufzunehmen und die legislatorische Initiative, wie sie längst tatsächlich dem Senat zustand, wenigstens den Tribunen gegenüber auch gesetzlich ihm zu sichern. Die Bürgerschaft blieb der formelle Souverän; allein was ihre Urversammlungen anlangt, so schien es dem Regenten notwendig, die Form zwar sorgfältig zu konservieren, aber jede wirkliche Tätigkeit derselben noch sorgfältiger zu verhüten. Sogar mit dem Bürgerrecht selbst ging Sulla in der geringschätzigsten Weise um; er machte keine Schwierigkeit, weder den Neubürgergemeinden es zuzugestehen noch Spanier und Kelten in Masse damit zu beschenken; ja es geschah, wahrscheinlich nicht ohne Absicht, schlechterdings gar nichts für die Feststellung der Bürgerliste, die doch nach so gewaltigen Umwälzungen einer Revision dringend bedurfte, wenn es überhaupt der Regierung noch mit den hieran sich knüpfenden Rechtsbefugnissen Ernst war. Geradezu beschränkt wurde die legislatorische Kompetenz der Komitien übrigens nicht; es war auch nicht nötig, da ja infolge der besser gesicherten Initiative des Senats das Volk ohnehin nicht leicht wider den Willen der Regierung in die Verwaltung, das Finanzwesen und die Kriminaljurisdiktion eingreifen konnte und seine legislative Mitwirkung wesentlich wieder zurückgeführt ward auf das Recht, zu Änderungen der Verfassung ja zu sagen.

Wichtiger war die Beteiligung der Bürgerschaft bei den Wahlen, deren man nun einmal nicht entbehren zu können schien, ohne mehr aufzurütteln, als Sullas obenhin sich haltende Restauration aufrütteln konnte und wollte. Die Eingriffe der Bewegungspartei in die Priesterwahlen wurden beseitigt; nicht bloß das Domitische Gesetz von 650 (104), das die Wahlen zu den höchsten Priesterämtern überhaupt dem Volke übertrug, sondern auch die älteren gleichartigen Verfügungen hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio wurden von Sulla kassiert und den Priesterkollegien das Recht der Selbstergänzung in seiner ursprünglichen Unbeschränktheit zurückgegeben. Hinsichtlich der Wahlen zu den Staatsämtern aber blieb es im ganzen bei der bisherigen Weise; außer insofern die sogleich zu erwähnende neue Regulierung des militärischen Kommandos allerdings folgeweise eine wesentliche Beschränkung der Bürgerschaft in sich schloß, ja gewissermaßen das Vergebungsrecht der Feldherrnstellen von der Bürgerschaft auf den Senat übertrug. Es scheint nicht einmal, daß Sulla die früher versuchte Restauration der Servianischen Stimmordnung jetzt wiederaufnahm, sei es nun, daß er es überhaupt als gleichgültig betrachtete, ob die Stimmabteilungen so oder so zusammengesetzt seien, sei es, daß diese ältere Ordnung ihm den gefährlichen Einfluß der Kapitalisten zu steigern schien. Nur die Qualifikationen wurden wiederhergestellt und teilweise gesteigert. Die zur Bekleidung eines jeden Amtes erforderliche Altersgrenze ward aufs neue eingeschärft; ebenso die Bestimmung, daß jeder Bewerber um das Konsulat vorher die Prätur, jeder Bewerber um die Prätur vorher die Quästur bekleidet haben müsse, wogegen es gestattet war, die Ädilität zu übergehen. Mit besonderer Strenge wurde, in Hinblick auf die jüngst mehrfach vorgenommenen Versuche, in der Form des durch mehrere Jahre hindurch fortgesetzten Konsulats die Tyrannis zu begründen, gegen diesen Mißbrauch eingeschritten und verfügt, daß zwischen der Bekleidung zweier ungleicher Ämter mindestens zwei, zwischen der zweimaligen Bekleidung desselben Amtes mindestens zehn Jahre verfließen sollten; mit welcher letzteren Bestimmung, anstatt der in der jüngsten ultraoligarchischen Epoche beliebten absoluten Untersagung jeder Wiederwahl zum Konsulat, wieder die ältere Ordnung vom Jahre 412 (342) aufgenommen ward. Im ganzen aber ließ Sulla den Wahlen ihren Lauf und suchte nur die Beamtengewalt in der Art zu fesseln, daß, wen auch immer die unberechenbare Laune der Komitien zum Amte berief, der Gewählte außerstande sein würde, gegen die Oligarchie sich aufzulehnen.

Die höchsten Beamten des Staats waren in dieser Zeit tatsächlich die drei Kollegien der Volkstribune, der Konsuln und Prätoren und der Zensoren. Sie alle gingen aus der Sullanischen Restauration mit wesentlich geschmälerten Rechten hervor; vor allem das tribunizische Amt, das dem Regenten erschien als ein zwar auch für das Senatsregiment unentbehrliches, aber dennoch, als von der Revolution erzeugt und stets geneigt, wieder Revolutionen aus sich zu erzeugen, strenger und dauernder Fesselung bedürftiges Werkzeug. Von dem Rechte, die Amtshandlungen der Magistrate durch Einschreiten zu kassieren, den Kontravenienten eventuell zu brächen und dessen weitere Bestrafung zu veranlassen, war die tribunizische Gewalt ausgegangen; dies blieb den Tribunen auch jetzt, nur daß auf den Mißbrauch des Interzessionsrechts eine schwere, die bürgerliche Existenz regelmäßig vernichtende Geldstrafe gesetzt ward. Die weitere Befugnis des Tribuns, mit dem Volke nach Gutdünken zu verhandeln, teils um Anklagen einzubringen, insbesondere gewesene Beamte vor dem Volk zur Rechenschaft zu ziehen, teils um Gesetze zur Abstimmung vorzulegen, war der Hebel gewesen, durch den die Gracchen, Saturninus, Sulpicius den Staat umgewälzt hatten; sie ward nicht aufgehoben, aber wohl von einer vorgängig bei dem Senat nachzusuchenden Erlaubnis abhängig gemacht100. Endlich wurde hinzugefügt, daß die Bekleidung des Tribunats in Zukunft zur Übernahme eines höheren Amtes unfähig machen solle – eine Bestimmung, die wie so manches andere in Sullas Restauration wieder auf die altpatrizischen Satzungen zurückkam und, ganz wie in den Zeiten vor der Zulassung der Plebejer zu den bürgerlichen Ämtern, das Tribunat einer- und die kurulischen Ämter andererseits miteinander unvereinbar erklärte. Auf diese Weise hoffte der Gesetzgeber der Oligarchie, der tribunizischen Demagogie zu wehren und alle ehrgeizigen und aufstrebenden Männer von dem Tribunat fernzuhalten, dagegen dasselbe festzuhalten als Werkzeug des Senats, sowohl zur Vermittlung zwischen diesem und der Bürgerschaft, als auch vorkommendenfalls zur Niederhaltung der Magistratur; und wie die Herrschaft des Königs und später der republikanischen Beamten über die Bürgerschaft kaum irgendwo so klar zu Tage tritt wie in dem Satze, daß ausschließlich sie das Recht haben, öffentlich zum Volke zu reden, so zeigt sich die jetzt zuerst rechtlich festgestellte Oberherrlichkeit des Senats am bestimmtesten in dieser von dem Vormann des Volkes für jede Verhandlung mit demselben vom Senat zu erbittenden Erlaubnis.

Auch Konsulat und Prätur, obwohl sie von dem aristokratischen Regenerator Roms mit günstigeren Augen betrachtet wurden als das an sich verdächtige Tribunat, entgingen doch keineswegs dem Mißtrauen gegen das eigene Werkzeug, welches durchaus die Oligarchie bezeichnet. Sie wurden in schonenderen Formen, aber in sehr fühlbarer Weise beschränkt. Sulla knüpfte hier an die Geschäftsteilung an. Zu Anfang dieser Periode bestand dafür die folgende Ordnung. Den beiden Konsuln lag immer noch, wie ehemals der Inbegriff der Geschäfte des höchsten Amtes überhaupt, so jetzt derjenige Inbegriff der höchsten Amtsgeschäfte ob, für welchen nicht gesetzlich besondere Kompetenzen festgestellt waren. Dies letztere war der Fall mit dem hauptstädtischen Gerichtswesen, womit die Konsuln sich nach einer unverbrüchlich festgehaltenen Regel nicht befassen durften, und mit den damals bestehenden überseeischen Ämtern: Sizilien, Sardinien und den beiden Spanien, in denen der Konsul das Kommando zwar führen konnte, aber nur ausnahmsweise führte. Im ordentlichen Lauf der Dinge wurden demnach sechs Spezialkompetenzen, die beiden hauptstädtischen Gerichtsvorstandschaften und die vier überseeischen Ämter unter die sechs Prätoren vergeben, woneben den beiden Konsuln kraft ihrer Generalkompetenz die Leitung der hauptstädtischen nichtgerichtlichen Geschäfte und das militärische Kommando in den festländischen Besitzungen oblag. Da diese Generalkompetenz also doppelt besetzt war, blieb der Sache nach der eine Konsul zur Verfügung der Regierung, und für gewöhnliche Zeiten kam man demnach mit jenen acht höchsten Jahresbeamten vollständig, ja reichlich aus. Für außerordentliche Fälle blieb es ferner vorbehalten, teils die nicht militärischen Kompetenzen zu kumulieren, teils die militärischen über die Endfrist hinaus fortdauern zu lassen (prorogare). Es war nicht ungewöhnlich, die beiden Gerichtsvorstandschaften demselben Prätor zu übertragen und die regelmäßig von den Konsuln zu beschaffenden hauptstädtischen Geschäfte durch den Stadtprätor versehen zu lassen; wogegen es verständigerweise möglichst vermieden ward, mehrere Kommandos in derselben Hand zu vereinigen. Hier half vielmehr die Regel aus, daß im militärischen Imperium es kein Interregnum gab, also dasselbe, obwohl gesetzlich befristet, doch nach Eintritt des Endtermines von Rechts wegen noch so lange fortdauerte, bis der Nachfolger erschien und dem Vorgänger das Kommando abnahm, oder, was dasselbe ist, daß der kommandierende Konsul oder Prätor nach Ablauf seiner Amtszeit, wenn der Nachfolger nicht erschien, an Konsuls oder Prätors Statt weiter fungieren konnte und mußte. Der Einfluß des Senats auf diese Geschäftsverteilung bestand darin, daß es observanzmäßig von ihm abhing, entweder die Regel walten, also die sechs Prätoren die sechs Spezialkompetenzen unter sich verlosen und die Konsuln die festländischen, nichtgerichtlichen Geschäfte besorgen zu lassen, oder irgendeine Abweichung von derselben anzuordnen, etwa dem Konsul ein augenblicklich besonders wichtiges überseeisches Kommando zuzuweisen oder eine außerordentliche militärische und gerichtliche Kommission, zum Beispiel das Flottenkommando oder eine wichtige Kriminaluntersuchung, unter die zur Verteilung kommenden Kompetenzen aufzunehmen und die dadurch weiter nötig werdenden Kumulationen und Fristerstreckungen zu veranlassen – wobei übrigens lediglich die Absteckung der jedesmaligen konsularischen und respektiv prätorischen Kompetenzen, nicht die Bezeichnung der für das einzelne Amt eintretenden Personen dem Senate zustand, die letztere vielmehr durchgängig durch Vereinbarung der konkurrierenden Beamten oder durch das Los erfolgte. Die Bürgerschaft war in der älteren Zeit wohl veranlaßt worden, die in dem Unterlassen der Ablösung enthaltene tatsächliche Verlängerung des Kommandos durch besonderen Gemeindebeschluß zu regularisieren; indes war dies mehr dem Geiste, als dem Buchstaben der Verfassung nach notwendig und bald griff die Bürgerschaft hierbei nicht weiter ein. Im Laufe des siebenten Jahrhunderts traten nun allmählich zu den bestehenden sechs Spezialkompetenzen sechs andere hinzu; die fünf neuen Statthalterschaften von Makedonien, Africa, Asia, Narbo und Kilikien und die Vorstandschaft in dem stehenden Kommissionsgericht wegen Erpressungen. Mit dem immer mehr sich ausdehnenden Wirkungskreise der römischen Regierung trat überdies immer häufiger der Fall ein, daß die Oberbeamten für außerordentliche militärische oder prozessualische Kommissionen in Anspruch genommen wurden. Dennoch wurde die Zahl der ordentlichen höchsten Jahrbeamten nicht vermehrt; und es kamen also auf acht jährlich zu ernennende Beamte, von allem andern abgesehen, mindestens zwölf jährlich zu besetzende Spezialkompetenzen. Natürlich war es nicht Zufall, daß man dies Defizit nicht durch Kreierung neuer Prätorenstellen ein für allemal deckte. Dem Buchstaben der Verfassung gemäß sollten die sämtlichen höchsten Beamten Jahr für Jahr von der Bürgerschaft ernannt werden; nach der neuen Ordnung oder vielmehr Unordnung, derzufolge die entstehenden Lücken wesentlich durch Fristerstreckung ausgefüllt wurden und den gesetzlich ein Jahr fungierenden Beamten in der Regel vom Senat ein zweites Jahr zugelegt, nach Befinden dasselbe aber auch verweigert ward, besetzte die wichtigsten und lukrativsten Stellen im Staate nicht mehr die Bürgerschaft, sondern aus einer durch die Bürgerschaftswahlen gebildeten Konkurrentenliste der Senat. Üblich ward es dabei, da unter diesen Stellen die überseeischen Kommandos als die einträglichsten vor allem gesucht waren, denjenigen Beamten, die ihr Amt entweder rechtlich oder doch tatsächlich an die Hauptstadt fesselte, also den beiden Vorstehern der städtischen Gerichtsbarkeit und häufig auch den Konsuln, nach Ablauf ihres Amtsjahrs ein überseeisches Kommando zu übertragen, was mit dem Wesen der Prorogation sich vertrug, da die Amtsgewalt des in Rom und des in der Provinz fungierenden Oberbeamten wohl anders bezogen, aber nicht eigentlich staatsrechtlich eine qualitativ andere war.

Diese Verhältnisse fand Sulla vor und sie lagen seiner neuen Ordnung zu Grunde. Der Grundgedanke derselben war die vollständige Scheidung der politischen Gewalt, welche in den Bürger-, und der militärischen, welche in den Nichtbürgerdistrikten regierte, und die durchgängige Erstreckung der Dauer des höchsten Amtes von einem Jahr auf zwei, von denen das erstere den bürgerlichen, das zweite den militärischen Geschäften gewidmet ward. Räumlich waren die bürgerliche und die militärische Gewalt allerdings längst schon durch die Verfassung geschieden, und endete jene an dem Pomerium, wo diese begann; allein immer noch hielt derselbe Mann die höchste politische und die höchste militärische Macht in seiner Hand vereinigt. Künftig sollte der Konsul und Prätor mit Rat und Bürgerschaft verhandeln, der Prokonsul und Proprätor die Armee kommandieren, jenem aber jede militärische, diesem jede politische Tätigkeit gesetzlich abgeschnitten sein. Dies führte zunächst zu der politischen Trennung der norditalischen Landschaft von dem eigentlichen Italien. Bisher hatten dieselben wohl in einem nationalen Gegensatz gestanden, insofern Norditalien vorwiegend von Ligurern und Kelten, Mittel- und Süditalien von Italikern bewohnt ward; allein politisch und administrativ stand das gesamte festländische Gebiet des römischen Staates von der Meerenge bis an die Alpen mit Einschluß der illyrischen Besitzungen, Bürger-, latinische und Nichtitalikergemeinden ohne Unterschied, im ordentlichen Laufe der Dinge unter der Verwaltung der in Rom eben fungierenden höchsten Beamten, wie denn ja auch die Kolonialgründungen sich durch dies ganze Gebiet erstreckten. Nach Sullas Ordnung wurde das eigentliche Italien, dessen Nordgrenze zugleich statt des Aesis der Rubico ward, als ein jetzt ohne Ausnahme von römischen Bürgern bewohntes Gebiet, den ordentlichen römischen Obrigkeiten untergeben und daß in diesem Sprengel regelmäßig keine Truppen und kein Kommandant standen, einer der Fundamentalsätze des römischen Staatsrechts; das Keltenland diesseits der Alpen dagegen, in dem schon der beständig fortwährenden Einfälle der Alpenvölker wegen ein Kommando nicht entbehrt werden konnte, wurde nach dem Muster der älteren überseeischen Kommandos als eigene Statthalterschaft konstituiert101

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Zunächst ward hiermit an die Stelle der bisherigen unordentlichen und zu allen möglichen schlechten Manövern und Intrigen einladenden Ämterverteilung eine klare und feste Regel gesetzt, dann aber auch den Ausschreitungen der Beamtengewalt nach Möglichkeit vorgebeugt und der Einfluß der obersten Regierungsbehörde wesentlich gesteigert. Nach der bisherigen Ordnung ward in dem Reiche rechtlich nur unterschieden die Stadt, welche der Mauerring umschloß, und die Landschaft außerhalb des Pomerium; die neue Ordnung setzte an die Stelle der Stadt das neue, fortan als ewig befriedet dem regelmäßigen Kommando entzogene Italien103 und ihm gegenüber das festländische und überseeische Gebiet, das umgekehrt notwendig unter Militärkommandanten steht, die von jetzt an sogenannten Provinzen. Nach der bisherigen Ordnung war derselbe Mann sehr häufig zwei, oft auch mehr Jahre in demselben Amte verblieben; die neue Ordnung beschränkte die hauptstädtischen Ämter wie die Statthalterposten durchaus auf ein Jahr, und die spezielle Verfügung, daß jeder Statthalter binnen dreißig Tagen, nachdem der Nachfolger in seinem Sprengel eingetroffen sei, denselben unfehlbar zu verlassen habe, zeigt sehr klar, namentlich wenn man damit noch das früher erwähnte Verbot der unmittelbaren Wiederwahl des gewesenen Beamten zu demselben oder einem anderen Volksamt zusammennimmt, was die Tendenz dieser Einrichtungen war: es war die alterprobte Maxime, durch die einst der Senat das Königtum sich dienstbar gemacht hatte, daß die Beschränkung der Magistratur der Kompetenz nach der Demokratie, die der Zeit nach der Oligarchie zugute komme. Nach der bisherigen Ordnung hatte Gaius Marius zugleich als Haupt des Senats und als Oberfeldherr des Staates amtiert; wenn er es nur seiner eigenen Ungeschicklichkeit zuzuschreiben hatte, daß es ihm mißlang, mittels dieser doppelten Amtsgewalt die Oligarchie zu stürzen, so schien nun dafür gesorgt, daß nicht etwa ein klügerer Nachfolger denselben Hebel besser gebrauche. Nach der bisherigen Ordnung hatte auch der vom Volke unmittelbar ernannte Beamte eine militärische Stellung haben können; die sullanische dagegen behielt diese ausschließlich denjenigen Beamten vor, die der Senat durch Erstreckung der Amtsfrist in ihrer Amtsgewalt bestätigte. Zwar war diese Amtsverlängerung jetzt stehend geworden; dennoch wurde sie den Auspizien und dem Namen, überhaupt der staatsrechtlichen Formulierung nach auch ferner als außerordentliche Fristerstreckung behandelt. Es war dies nicht gleichgültig. Den Konsul oder den Prätor konnte nur die Bürgerschaft seines Amtes entsetzen; den Prokonsul und den Proprätor ernannte und entließ der Senat, so daß durch diese Verfügung die gesamte Militärgewalt, auf die denn doch zuletzt alles ankam, formell wenigstens vom Senat abhängig wurde.

Daß endlich das höchste aller Ämter, die Zensur, nicht förmlich aufgehoben, aber in derselben Art beseitigt ward wie ehemals die Diktatur, ward schon bemerkt. Praktisch konnte man derselben allenfalls entraten. Für die Ergänzung des Senats war anderweitig gesorgt. Seit Italien tatsächlich steuerfrei war und das Heer wesentlich durch Werbung gebildet ward, hatte das Verzeichnis der Steuer- und Dienstpflichtigen in der Hauptsache seine Bedeutung verloren; und wenn in der Ritterliste und dem Verzeichnis der Stimmberechtigten Unordnung einriß, so mochte man dies nicht gerade ungern sehen. Es blieben also nur die laufenden Finanzgeschäfte, welche die Konsuln schon bisher verwaltet hatten, wenn, wie dies häufig vorkam, die Zensorenwahl unterblieben war, und nun als einen Teil ihrer ordentlichen Amtstätigkeit übernahmen. Gegen den wesentlichen Gewinn, daß der Magistratur in den Zensoren ihre höchste Spitze entzogen ward, kam nicht in Betracht und tat der Alleinherrschaft des höchsten Regierungskollegiums durchaus keinen Eintrag, daß, um die Ambition der jetzt so viel zahlreicheren Senatoren zu befriedigen, die Zahl der Pontifices und die der Augurn von neun, die der Orakelbewahrer von zehn auf je fünfzehn, die der Schmausherren von drei auf sieben vermehrt ward.

In dem Finanzwesen stand schon nach der bisherigen Verfassung die entscheidende Stimme bei dem Senat; es handelte sich demnach hier um die Wiederherstellung einer geordneten Verwaltung. Sulla hatte anfänglich sich in nicht geringer Geldnot befunden; die aus Kleinasien mitgebrachten Summen waren für den Sold des zahlreichen und stets anschwellenden Heeres bald verausgabt. Noch nach dem Siege am Collinischen Tor hatte der Senat, da die Staatskasse nach Praeneste entführt worden war, sich zu Notschritten entschließen müssen. Verschiedene Bauplätze in der Hauptstadt und einzelne Stücke der kampanischen Domäne wurden feilgeboten, die Klientelkönige, die befreiten und bundesgenössischen Gemeinden außerordentlicherweise in Kontribution gesetzt, zum Teil ihnen ihr Grundbesitz und ihre Zölle eingezogen, anderswo denselben für Geld neue Privilegien zugestanden. Indes der bei der Übergabe von Praeneste vorgefundene Rest der Staatskasse von beiläufig 4 Mill. Talern, die bald beginnenden Versteigerungen und andere außerordentliche Hilfsquellen halfen der augenblicklichen Verlegenheit ab. Für die Zukunft aber ward gesorgt weniger durch die asiatische Abgabenreform, bei der vorzugsweise die Steuerpflichtigen gewannen und die Staatskasse wohl nur nicht verlor, als durch die Wiedereinziehung der kampanischen Domäne, wozu jetzt noch Aenaria gefügt ward, und vor allem durch die Abschaffung der Kornverteilungen, die seit Gaius Gracchus wie ein Krebs an den römischen Finanzen gezehrt hatten.

Dagegen ward das Gerichtswesen wesentlich umgestaltet, teils aus politischen Rücksichten, teils um in die bisherige sehr unzulängliche und unzusammenhängende Prozeßlegislation größere Einheit und Brauchbarkeit zu bringen. Nach der bisherigen Ordnung gingen die Prozesse zur Entscheidung teils an die Bürgerschaft, teils an Geschworene. Die Gerichte, in denen die ganze Bürgerschaft auf Provokation von dem Urteil des Magistrats hin entschied, lagen bis auf Sulla in den Händen in erster Reihe der Volkstribune, in zweiter der Ädilen, indem sämtliche Prozesse, durch die ein Beamter oder Beauftragter der Gemeinde wegen seiner Geschäftsführung zur Verantwortung gezogen ward, mochten sie auf Leib und Leben oder auf Geldbußen gehen, von den Volkstribunen, alle übrigen Prozesse, in denen schließlich das Volk entschied, von den kurulischen oder plebejischen Ädilen in erster Instanz abgeurteilt, in zweiter geleitet wurden. Sulla hat den tribunizischen Rechenschaftsprozeß wenn nicht geradezu abgeschafft, so doch, ebenwie die legislatorische Initiative der Tribune, von der vorgängigen Einwilligung des Senats abhängig gemacht und vermutlich auch den ädilizischen Strafprozeß in ähnlicher Weise beschränkt. Dagegen erweiterte er die Kompetenz der Geschworenengerichte. Es gab damals ein doppeltes Verfahren vor Geschworenen. Das ordentliche, welches anwendbar war in allen nach unserer Auffassung zu einem Kriminal- oder Zivilprozeß sich eignenden Fällen, mit Ausnahme der unmittelbar gegen den Staat gerichteten Verbrechen, bestand darin, daß der eine der beiden hauptstädtischen Gerichtsherren die Sache instruierte und ein von ihm ernannter Geschworener auf Grund dieser Instruktion entschied. Der außerordentliche Geschworenenprozeß trat ein in einzelnen wichtigen Zivil- oder Kriminalfällen, wegen welcher durch besondere Gesetze anstatt des Einzelgeschworenen ein eigener Geschworenenhof bestellt worden war. Dieser Art waren teils die für einzelne Fälle konstituierten Spezialgerichtsstellen; teils die stehenden Kommissionalgerichtshöfe, wie sie für Erpressungen, für Giftmischerei und Mord, vielleicht auch für Wahlbestechung und andere Verbrechen im Laufe des siebenten Jahrhunderts niedergesetzt worden waren; teils endlich die beiden Höfe der Zehnmänner für den Freiheits- und der Hundertundfünf- oder kürzer der Hundertmänner für den Erbschaftsprozeß, auch von dem bei allem Eigentumsstreit gebrauchten Lanzenschaft das Schaftgericht (hasta) genannt. Der Zehnmännerhof (decemviri litibus iudicandis) war eine uralte Institution zum Schutze der Plebejer gegen ihre Herren. Zeit und Veranlassung der Entstehung des Schaftgerichts liegen im Dunkeln, werden aber vermutlich ungefähr dieselben sein wie bei den oben erwähnten wesentlich gleichartigen Kriminalkommissionen. Über die Leitung dieser verschiedenen Gerichtshöfe war in den einzelnen Gerichtsordnungen verschieden bestimmt; so standen dem Erpressungsgericht ein Prätor, dem Mordgericht ein aus den gewesenen Ädilen besonders ernannter Vorstand, dem Schaftgericht mehrere aus den gewesenen Quästoren genommene Direktoren vor. Die Geschworenen wurden wenigstens für das ordentliche wie für das außerordentliche Verfahren in Gemäßheit der Gracchischen Ordnung aus den nichtsenatorischen Männern von Ritterzensus genommen; die Auswahl stand im allgemeinen den Magistraten zu, die die Gerichtsleitung hatten, jedoch in der Weise, daß sie mit dem Antritt ihres Amts die Geschworenenliste ein für allemal aufzustellen hatten und dann das einzelne Geschworenenkollegium aus diesen nicht durch freie Auswahl des Magistrats, sondern durch Losung und durch Rejektion der Parteien gebildet ward. Aus der Volkswahl gingen nur die Zehnmänner für den Freiheitsprozeß hervor.

Sullas Reformen waren hauptsächlich dreifacher Art. Einmal vermehrte er die Zahl der Geschworenenhöfe sehr beträchtlich. Es gab späterhin besondere Geschworenenkommissionen für Erpressung; für Mord mit Einschluß von Brandstiftung und falschem Zeugnis; für Wahlbestechung; ferner für Hochverrat und jede Entehrung des römischen Namens; für die schwersten Betrugsfälle: Testaments- und Münzfälschung; für Ehebruch; für die schwersten Ehrverletzungen, namentlich Realinjurien und Störung des Hausfriedens; vielleicht auch für Unterschlagung öffentlicher Gelder, für Zinswucher und andere Vergehen; und wenigstens die meisten dieser Höfe sind von Sulla entweder vorgefunden oder ins Leben gerufen und von ihm mit einer besonderen Kriminal- und Kriminalprozeßordnung versehen worden. Übrigens blieb es der Regierung unbenommen, vorkommendenfalls für einzelne Gruppen von Verbrechen Spezialhöfe zu bestellen. Folgeweise wurden hierdurch die Volksgerichte im wesentlichen abgeschafft, namentlich die Hochverratsprozesse an die neue Hochverratskommission gewiesen, der ordentliche Geschworenenprozeß bedeutend beschränkt, indem ihm die schwereren Fälschungen und Injurien entzogen wurden. Was zweitens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so standen, wie schon erwähnt ward, jetzt für die Leitung der verschiedenen Geschworenenhöfe sechs Prätoren zur Disposition, denen noch für die am meisten in Anspruch genommene Kommission für Mordtaten eine Anzahl anderer Dirigenten zugegeben wurden. In die Geschworenenstellen traten drittens statt der gracchischen Ritter wieder die Senatoren ein.

Der politische Zweck dieser Verfügungen, der bisherigen Mitregierung der Ritter ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebensowenig läßt es sich verkennen, daß dieselben nicht bloß politische Tendenzmaßregeln waren, sondern hier der erste Versuch gemacht wurde, dem seit den ständischen Kämpfen immer mehr verwilderten römischen Kriminalprozeß und Kriminalrecht wiederaufzuhelfen. Von dieser Sullanischen Gesetzgebung datiert sich die dem älteren Recht unbekannte Scheidung von Kriminal- und Zivilsachen in dem Sinn, den wir noch heute damit verbinden: als Kriminalsache erscheint seitdem, was vor die von dem Prätor geleitete Geschworenenbank gehört, als Zivilsache dasjenige Verfahren, wo der oder die Geschworenen nicht unter prätorischem Vorsitz funktionieren. Die Gesamtheit der Sullanischen Quästionenordnungen läßt sich zugleich als das erste römische Gesetzbuch nach den Zwölf Tafeln und als das erste überhaupt je besonders erlassene Kriminalgesetzbuch bezeichnen. Aber auch im einzelnen zeigt sich ein löblicher und liberaler Geist. So seltsam es von dem Urheber der Proskriptionen klingen mag, so bleibt es darum nichtsdestoweniger wahr, daß er die Todesstrafe für politische Vergehen abgeschafft hat; denn da nach römischer, auch von Sulla unverändert festgehaltener Sitte nur das Volk, nicht die Geschworenenkommission auf Verlust des Lebens oder auf gefängliche Haft erkennen konnte, so kam die Übertragung der Hochverratsprozesse von der Bürgerschaft auf eine stehende Kommission hinaus auf die Abschaffung der Todesstrafe für solche Vergehen, während andererseits in der Beschränkung der verderblichen Spezialkommissionen für einzelne Hochverratsfälle, wie deren eine die Varische im Bundesgenossenkrieg gewesen war; gleichfalls ein Fortschritt zum Besseren lag. Die gesamte Reform ist von ungemeinem und dauerndem Nutzen gewesen und ein bleibendes Denkmal des praktischen, gemäßigten, staatsmännischen Geistes, der ihren Urheber wohl würdig machte, gleich den alten Dezemvirn als souveräner Vermittler mit der Rolle des Gesetzes zwischen die Parteien zu treten.

Als einen Anhang zu diesen Kriminalgesetzen mag man die polizeilichen Ordnungen betrachten, durch welche Sulla, das Gesetz an die Stelle des Zensors setzend, gute Zucht und strenge Sitte wieder einschärfte und durch Feststellung neuer Maximalsätze anstatt der alten längst verschollenen den Luxus bei Mahlzeiten, Begräbnissen und sonst zu beschränken versuchte.

Endlich ist wenn nicht Sullas, doch das Werk der sullanischen Epoche die Entwicklung eines selbständigen römischen Munizipalwesens. Dem Altertum ist der Gedanke, die Gemeinde als ein untergeordnetes politisches Ganze dem höheren Staatsganzen organisch einzufügen, ursprünglich fremd; die Despotie des Ostens kennt städtische Gemeinwesen im strengen Sinne des Worts nicht und in der ganzen hellenisch-italischen Welt fällt Stadt und Staat notwendig zusammen. Insofern gibt es in Griechenland wie in Italien von Haus aus ein eigenes Munizipalwesen nicht. Vor allem die römische Politik hielt mit der ihr eigenen zähen Konsequenz hieran fest; noch im sechsten Jahrhundert wurden die abhängigen Gemeinden Italiens entweder, um ihnen ihre munizipale Verfassung zu bewahren, als formell souveräne Nichtbürgerstaaten konstituiert oder, wenn sie römisches Bürgerrecht erhielten, zwar nicht gehindert, sich als Gesamtheit zu organisieren, aber doch der eigentlich munizipalen Rechte beraubt, so daß in allen Bürgerkolonien und Bürgermunizipien selbst die Rechtspflege und das Bauwesen von den römischen Prätoren und Zensoren verwaltet ward. Das Höchste, wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus ernannten Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen. Nicht anders verfuhr man in den Provinzen, außer daß hier an die Stelle der hauptstädtischen Behörden der Statthalter trat. In den freien, das heißt formell souveränen Städten ward die Zivil- oder Kriminaljurisdiktion von den Munizipalbeamten nach den Lokalstatuten verwaltet; nur daß freilich, wo nicht ganz besondere Privilegien entgegenstanden, jeder Römer sowohl als Beklagter wie als Kläger verlangen konnte, seine Sache vor italischen Richtern nach italischem Recht entschieden zu sehen. Für die gewöhnlichen Provinzialgemeinden war der römische Statthalter die einzige regelmäßige Gerichtsbehörde, der die Instruierung aller Prozesse oblag. Es war schon viel, wenn, wie in Sizilien, in dem Fall, daß der Beklagte ein Siculer war, der Statthalter durch das Provinzialstatut gehalten war, einen einheimischen Geschworenen zu geben und nach Ortsgebrauch entscheiden zu lassen; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom Gutfinden des instruierenden Beamten abgehangen zu haben.

Im siebenten Jahrhundert ward diese unbedingte Zentralisation des öffentlichen Lebens der römischen Gemeinde in dem einen Mittelpunkt Rom wenigstens für Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige städtische Gemeinde war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur sizilischen Meerenge reichte, mußte man wohl sich entschließen, innerhalb dieser großen wiederum kleinere Stadtgemeinden zu bilden. So ward Italien nach Vollbürgergemeinden organisiert, bei welcher Gelegenheit man zugleich die durch ihren Umfang gefährlichen größeren Gaue, soweit dies nicht schon früher geschehen war, in mehrere kleinere Stadtbezirke aufgelöst haben mag. Die Stellung dieser neuen Vollbürgergemeinden war ein Kompromiß zwischen derjenigen, die ihnen bis dahin als Bundesstaaten zugekommen war, und derjenigen, die ihnen als integrierenden Teilen der römischen Gemeinde nach älterem Recht zugekommen sein würde. Zugrunde lag im ganzen die Verfassung der bisherigen formell souveränen latinischen oder auch, insofern deren Verfassung in den Grundzügen der römischen gleich ist, die der römischen altpatrizisch-konsularischen Gemeinde; nur daß darauf gehalten ward, für dieselben Institutionen in dem Munizipium andere und geringere Namen zu verwenden als in der Hauptstadt, das heißt im Staat. Eine Bürgerversammlung tritt an die Spitze mit der Befugnis, Gemeindestatute zu erlassen und die Gemeindebeamten zu ernennen. Ein Gemeinderat von hundert Mitgliedern übernimmt die Rolle des römischen Senats. Das Gerichtswesen wird verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei ordentlichen Richtern, die den beiden Konsuln, zwei Marktrichtern, die den kurulischen Ädilen entsprechen. Die Zensurgeschäfte, die wie in Rom von fünf zu fünf Jahr sich erneuerten und allem Anschein nach vorwiegend in der Leitung der Gemeindebauten bestanden, wurden von den höchsten Gemeindebeamten, also den beiden ordentlichen Gerichtsherren, mit übernommen, welche in diesem Fall den auszeichnenden Titel der „Gerichtsherren mit zensorischer oder Fünfjahrgewalt“ annahmen. Die Gemeindekasse verwalteten zwei Quästoren. Für das Sakralwesen sorgten zunächst die beiden der ältesten latinischen Verfassung allein bekannten Kollegien priesterlicher Sachverständigen, die munizipalen Pontifices und Augurn.

Was das Verhältnis dieses sekundären politischen Organismus zu dem primären des Staates anlangt, so standen im allgemeinen jenem wie diesem die politischen Befugnisse vollständig zu und band also der Gemeindebeschluß und das Imperium der Gemeindebeamten den Gemeindebürger ebenso wie der Volksbeschluß und das konsularische Imperium den Römer. Dies führte im ganzen zu einer konkurrierenden Tätigkeit der Staats- und der Stadtbehörden: Es hatten beispielsweise beide das Recht der Schatzung und Besteuerung, ohne daß bei den etwaigen städtischen Schatzungen und Steuern die von Rom ausgeschriebenen oder bei diesen jene berücksichtigt worden wären; es durften öffentliche Bauten sowohl von den römischen Beamten in ganz Italien als auch von den städtischen in ihrem Sprengel angeordnet werden, und was dessen mehr ist. Im Kollisionsfall wich natürlich die Gemeinde dem Staat und brach der Volksschluß den Stadtschluß. Eine förmliche Kompetenzteilung fand wohl nur in der Rechtspflege statt, wo das reine Konkurrenzsystem zu der größten Verwirrung geführt haben würde; hier wurden im Kriminalprozeß vermutlich alle Kapitalsachen, im Zivilverfahren die schwereren, und ein selbständiges Auftreten der dirigierenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstädtischen Behörden und Geschworenen vorbehalten und die italischen Stadtgerichte auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr dringenden Rechtshändel beschränkt.

Die Entstehung dieses italischen Gemeindewesens ist nicht überliefert. Es ist wahrscheinlich, daß sie in ihren Anfängen zurückgeht auf Ausnahmebestimmungen für die großen Bürgerkolonien, die am Ende des sechsten Jahrhunderts gegründet wurden; wenigstens deuten einzelne, an sich gleichgültige formelle Differenzen zwischen Bürgerkolonien und Bürgermunizipien darauf hin, daß die neue, damals praktisch an die Stelle der latinischen tretende Bürgerkolonie ursprünglich eine bessere staatsrechtliche Stellung gehabt hat als das weit ältere Bürgermunizipium, und diese Bevorzugung kann wohl nur bestanden haben in einer der latinischen sich annähernden Gemeindeverfassung, wie sie späterhin sämtlichen Bürgerkolonien wie Bürgermunizipien zukam. Bestimmt nachweisen läßt sich die neue Ordnung zuerst für die revolutionäre Kolonie Capua, und keinem Zweifel unterliegt es, daß sie ihre volle Anwendung erst fand, als die sämtlichen bisher souveränen Städte Italiens infolge des Bundesgenossenkriegs als Bürgergemeinden organisiert werden mußten. Ob schon das Julische Gesetz, ob die Zensoren von 668 (86), ob erst Sulla das einzelne geordnet hat, läßt sich nicht entscheiden; die Übertragung der zensorischen Geschäfte auf die Gerichtsherren scheint zwar nach Analogie der Sullanischen, die Zensur beseitigenden Ordnung eingeführt zu sein, kann aber auch ebensogut auf die älteste latinische Verfassung zurückgehen, die ja auch die Zensur nicht kannte. Auf alle Fälle ist diese dem eigentlichen Staat sich ein- und unterordnende Stadtverfassung eines der merkwürdigsten und folgenreichsten Erzeugnisse der sullanischen Zeit und des römischen Staatslebens überhaupt. Staat und Stadt ineinanderzufügen hat allerdings das Altertum ebensowenig vermocht, als es vermocht hat, das repräsentative Regiment und andere große Grundgedanken unseres heutigen Staatslebens aus sich zu entwickeln; aber es hat seine politische Entwicklung bis an diejenigen Grenzen geführt, wo diese die gegebenen Maße überwächst und sprengt, und vor allem ist dies in Rom geschehen, das in jeder Beziehung an der Scheide und in der Verbindung der alten und der neuen geistigen Welt steht. In der Sullanischen Verfassung sind einerseits die Urversammlung und der städtische Charakter des Gemeinwesens Rom fast zur bedeutungslosen Form zusammengeschwunden, andererseits die innerhalb des Staates stehende Gemeinde schon in der italischen vollständig entwickelt; bis auf den Namen, der freilich in solchen Dingen die Hälfte der Sache ist, hat diese letzte Verfassung der freien Republik das Repräsentativsystem und den auf den Gemeinden sich aufbauenden Staat durchgeführt.

Das Gemeindewesen in den Provinzen ward hierdurch nicht geändert; die Gemeindebehörden der unfreien Städte blieben vielmehr, von besonderen Ausnahmen abgesehen, beschränkt auf Verwaltung und Polizei und auf diejenige Jurisdiktion, welche die römischen Behörden vorzogen, nicht selbst in die Hand zu nehmen.

Dieses war die Verfassung, die Lucius Cornelius Sulla der Gemeinde Rom gab. Senat und Ritterstand, Bürgerschaft und Proletariat, Italiker und Provinzialen nahmen sie hin, wie sie vom Regenten ihnen diktiert ward, wenn nicht ohne zu grollen, doch ohne sich aufzulehnen; nicht so die Sullanischen Offiziere. Das römische Heer hatte seinen Charakter gänzlich verändert. Es war allerdings durch die Marianische Reform wieder schlagfertiger und militärisch brauchbarer geworden, als da es vor den Mauern von Numantia nicht focht; aber es hatte zugleich sich aus einer Bürgerwehr in eine Schar von Lanzknechten verwandelt, welche dem Staat gar keine und dem Offizier nur dann Treue bewiesen, wenn er verstand, sie persönlich an sich zu fesseln. Diese völlige Umgestaltung des Armeegeistes hatte der Bürgerkrieg in gräßlicher Weise zur Evidenz gebracht: sechs kommandierende Generale, Albinus, Cato, Rufus, Flaccus, Cinna und Gaius Carbo, waren während desselben gefallen von der Hand ihrer Soldaten; einzig Sulla hatte bisher es vermocht, der gefährlichen Meute Herr zu bleiben, freilich nur, indem er allen ihren wilden Begierden den Zügel schießen ließ wie noch nie vor ihm ein römischer Feldherr. Wenn deshalb ihm der Verderb der alten Kriegszucht schuld gegeben wird, so ist dies nicht gerade unrichtig, aber dennoch ungerecht; er war eben der erste römische Beamte, der seiner militärischen und politischen Aufgabe nur dadurch zu genügen imstande war, daß er auftrat als Condottiere. Aber er hatte die Militärdiktatur nicht übernommen, um den Staat der Soldateska untertänig zu machen, sondern vielmehr, um alles im Staat, vor allem aber das Heer und die Offiziere, unter die Gewalt der bürgerlichen Ordnung zurückzuzwingen. Wie dies offenbar ward, erhob sich gegen ihn eine Opposition mit seinem eigenen Stab. Mochte den übrigen Bürgern gegenüber die Oligarchie den Tyrannen spielen; aber daß auch die Generale, die mit ihrem guten Schwert die umgestürzten Senatorensessel wieder aufgerichtet hatten, jetzt ebendiesem Senat unweigerlichen Gehorsam zu leisten aufgefordert wurden, schien unerträglich. Eben die beiden Offiziere, denen Sulla das meiste Vertrauen geschenkt hatte, widersetzten sich der neuen Ordnung der Dinge. Als Gnaeus Pompeius, den Sulla mit der Eroberung von Sizilien und Afrika beauftragt und zu seinem Tochtermanne erkoren hatte, nach Vollzug seiner Aufgabe vom Senat den Befehl erhielt, sein Heer zu entlassen, unterließ er es zu gehorsamen und wenig fehlte an offenem Aufstand. Quintus Ofella, dessen festem Ausharren vor Praeneste wesentlich der Erfolg des letzten und schwersten Feldzuges verdankt ward, bewarb sich in ebenso offenem Widerspruch gegen die neu erlassenen Ordnungen um das Konsulat, ohne die niederen Ämter bekleidet zu haben. Mit Pompeius kam, wenn nicht eine herzliche Aussöhnung, doch ein Vergleich zustande. Sulla, der seinen Mann genug kannte, um ihn nicht zu fürchten, nahm die Impertinenz hin, die Pompeius ihm ins Gesicht sagte, daß mehr Leute sich um die aufgehende Sonne kümmerten als um die untergehende, und bewilligte dem eitlen Jüngling die leeren Ehrenbezeigungen, an denen sein Herz hing. Wenn er hier sich läßlich zeigte, so bewies er dagegen Ofella gegenüber, daß er nicht der Mann war, sich von seinen Marschällen imponieren zu lassen: So wie dieser verfassungswidrig als Bewerber vor das Volk trat, ließ ihn Sulla auf öffentlichem Marktplatz niederstoßen und setzte sodann der versammelten Bürgerschaft auseinander, daß die Tat auf seinen Befehl und warum sie vollzogen sei. So verstummte zwar für jetzt diese bezeichnende Opposition des Hauptquartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber sie blieb bestehen und gab den praktischen Kommentar zu Sullas Worten, daß das, was er diesmal tue, nicht zum zweitenmal getan werden könne.

Eines blieb noch übrig -vielleicht das schwerste von allem: die Zurückführung der Ausnahmezustände in die neualten gesetzlichen Bahnen. Sie ward dadurch erleichtert, daß Sulla dieses letzte Ziel nie aus den Augen verloren hatte. Obwohl das Valerische Gesetz ihm absolute Gewalt und jeder seiner Verordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch dieser exorbitanten Befugnis sich nur bei Maßregeln bedient, die von vorübergehender Bedeutung waren und wo die Beteiligung Rat und Bürgerschaft bloß nutzlos kompromittiert haben würde, namentlich bei den Ächtungen. Regelmäßig hatte er schon selbst diejenigen Bestimmungen beobachtet, die er für die Zukunft vorschrieb. Daß das Volk befragt ward, lesen wir in dem Quästorengesetz, das zum Teil noch vorhanden ist, und von anderen Gesetzen, zum Beispiel dem Aufwandgesetz und denen über die Konfiskation der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei wichtigeren Administrativakten, zum Beispiel bei der Entsendung und Zurückberufung der afrikanischen Armee und bei Erteilung von städtischen Freibriefen, der Senat vorangestellt. In demselben Sinn ließ Sulla schon für 673 (81) Konsuln wählen, wodurch wenigstens die gehässige offizielle Datierung nach der Regentschaft vermieden ward; doch blieb die Macht noch ausschließlich bei dem Regenten und ward die Wahl auf sekundäre Persönlichkeiten geleitet. Aber im Jahre darauf (674 80) setzte Sulla die ordentliche Verfassung wieder vollständig in Wirksamkeit und verwaltete als Konsul in Gemeinschaft mit seinem Waffengenossen Quintus Metellus den Staat, während er die Regentschaft zwar noch beibehielt, aber vorläufig ruhen ließ. Er begriff es wohl, wie gefährlich es eben für seine eigenen Institutionen war, die Militärdiktatur zu verewigen. Da die neuen Zustände sich haltbar zu erweisen schienen, und von den neuen Einrichtungen zwar manches, namentlich in der Kolonisierung, noch zurück, aber doch das meiste und wichtigste vollendet war, so ließ er den Wahlen für 675 (79) freien Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Konsulat als mit seinen eigenen Verordnungen unvereinbar ab und legte, bald nachdem die neuen Konsuln Publius Servilius und Appius Claudius ihr Amt angetreten hatten, im Anfang des Jahres 675 (79) die Regentschaft nieder. Es ergriff selbst starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit dem Leben und dem Eigentum von Millionen nach Willkür geschaltet hatte, auf dessen Wink so viele Häupter gefallen waren, dem in jeder Gasse Roms, in jeder Stadt Italiens Todfeinde wohnten und der ohne einen ebenbürtigen Verbündeten, ja genau genommen ohne den Rückhalt einer festen Partei sein tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk der Reorganisation des Staates zu Ende geführt hatte, als dieser Mann auf den Marktplatz der Hauptstadt trat, sich seiner Machtfülle freiwillig begab, seine bewaffneten Begleiter verabschiedete, seine Gerichtsdiener entließ und die dichtgedrängte Bürgerschaft aufforderte zu reden, wenn einer von ihm Rechenschaft begehre. Alles schwieg; Sulla stieg herab von der Rednerbühne und zu Fuß, nur von den Seinigen begleitet, ging er mitten durch ebenjenen Pöbel, der ihm vor acht Jahren das Haus geschleift hatte, zurück nach seiner Wohnung.

Die Nachwelt hat weder Sulla selbst noch sein Reorganisationswerk richtig zu würdigen verstanden, wie sie denn unbillig zu sein pflegt gegen die Persönlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich entgegenstemmen. In der Tat ist Sulla eine von den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen eine einzige Erscheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein Sanguiniker, blauäugig, blond, von auffallend weißer, aber bei jeder leidenschaftlichen Bewegung sich rötender Gesichtsfarbe, übrigens ein schöner, feurig blickender Mann, schien er nicht eben bestimmt, dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen, die seit seines Großvaters Großvater Publius Cornelius Rufinus (Konsul 464, 477 290, 277), einem der angesehensten Feldherrn und zugleich dem prunkliebendsten Mann der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zweiten Ranges verharrt hatten. Er begehrte vom Leben nichts als heiteren Genuß. Aufgewachsen in dem Raffinement des gebildeten Luxus, wie er in jener Zeit auch in den minder reichen senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemächtigte er rasch und bebend sich der ganzen Fülle sinnlich geistiger Genüsse, welche die Verbindung hellenischer Feinheit und römischen Reichtums zu gewähren vermochten. Im adligen Salon und unter dem Lagerzelt war er gleich willkommen als angenehmer Gesellschafter und guter Kamerad; vornehme und geringe Bekannte fanden in ihm den teilnehmenden Freund und den bereitwilligen Helfer in der Not, der sein Geld weit lieber seinem bedrängten Genossen als seinem reichen Gläubiger gönnte. Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den Frauen; selbst in seinen späteren Jahren war er nicht mehr Regent, wenn er nach vollbrachtem Tagesgeschäft sich zur Tafel setzte. Ein Zug der Ironie, man könnte vielleicht sagen der Bouffonnerie, geht durch seine ganze Natur. Noch als Regent befahl er, während er die Versteigerung der Güter der Geächteten leitete, für ein ihm überreichtes schlechtes Lobgedicht dem Verfasser eine Verehrung aus der Beute zu verabreichen unter der Bedingung, daß er gelobe, ihn niemals wieder zu besingen. Als er vor der Bürgerschaft Ofenas Hinrichtung rechtfertigte, geschah es, indem er den Leuten die Fabel erzählte von dem Ackersmann und den Läusen. Seine Gesellen wählte er gern unter den Schauspielern und liebte es, nicht bloß mit Quintus Roscius, dem römischen Talma, sondern auch mit viel geringeren Bühnenleuten beim Weine zu sitzen; wie er denn auch selbst nicht schlecht sang und sogar zur Aufführung in seinem Zirkel selber Possen schrieb. Doch ging in diesen lustigen Bacchanalien ihm weder die körperliche noch die geistige Spannkraft verloren; noch in der ländlichen Muße seiner letzten Jahre lag er eifrig der Jagd ob, und daß er aus dem eroberten Athen die Aristotelischen Schriften nach Rom brachte, beweist doch wohl für sein Interesse auch an ernsterer Lektüre. Das spezifische Römertum stieß ihn eher ab. Von der plumpen Morgue, die die römischen Großen gegenüber den Griechen zu entwickeln liebten, und von der Feierlichkeit beschränkter großer Männer hatte Sulla nichts, vielmehr ließ er gern sich gehen, erschien wohl zum Skandal mancher seiner Landsleute in griechischen Städten in griechischer Tracht oder veranlaßte seine adligen Gesellen, bei den Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch weniger war ihm von den halb patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen geblieben, die in Ländern freier Verfassung jede jugendliche Kapazität auf den politischen Tummelplatz locken und die auch er wie jeder andere einmal empfunden haben mag; in einem Leben, wie das seine war, schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als nüchternem Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen. Wünschen und Streben mochte ihm eine Torheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom Zufall regiert ward und wo, wenn überhaupt auf etwas, man ja doch auf nichts spannen konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zug der Zeit, zugleich dem Unglauben und dem Aberglauben, sich zu ergeben folgte auch er. Seine wunderliche Gläubigkeit ist nicht der plebejische Köhlerglaube des Marius, der von dem Pfaffen für Geld sich wahrsagen und seine Handlungen durch ihn bestimmen läßt; noch weniger der finstere Verhängnisglaube des Fanatikers, sondern jener Glaube an das Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammenhängende Ordnung der Dinge durch und durch zurückgekommenen Menschen notwendig sich einstellt, der Aberglaube des glücklichen Spielers, der sich vom Schicksal privilegiert erachtet, jedesmal und überall die rechte Nummer zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den Anforderungen der Religion ironisch sich abzufinden. Als er die Schatzkammern der griechischen Tempel leerte, äußerte er, daß es demjenigen nimmermehr fehlen könne, dem die Götter selbst die Kasse füllten. Als die delphischen Priester ihm berichteten, daß sie sich scheuten, die verlangten Schätze zu senden, da die Zither des Gottes hell geklungen, als man sie berührt, ließ er ihnen zurücksagen, daß man sie nun um so mehr schicken möge, denn offenbar stimme der Gott seinem Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem Gedanken, der auserwählte Liebling der Götter zu sein, ganz besonders jener, der er bis in seine späten Jahre vor allen den Preis gab, der Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie rühmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Träumen und Anzeichen die Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig andere ein Recht, auf seine Taten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber stolz auf sein einzig treues Glück. Er pflegte wohl zu sagen, daß jedes improvisierte Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmäßig angelegte, und eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den Schlachten auf seiner Seite gefallenen Leute regelmäßig als null anzugeben, ist doch auch nichts als die Kinderei eines Glückskindes. Es war nur der Ausdruck der ihm natürlichen Stimmung, als er, auf dem Gipfel seiner Laufbahn angelangt und alle seine Zeitgenossen in schwindelnder Tiefe unter sich sehend, die Bezeichnung des Glücklichen, Sulla Felix, als förmlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern entsprechende Benennungen beilegte.

Nichts lag Sulla ferner als der planmäßige Ehrgeiz. Er war zu gescheit, um gleich den Dutzendaristokraten seiner Zeit die Verzeichnung seines Namens in die konsularischen Register als das Ziel seines Lebens zu betrachten; zu gleichgültig und zu wenig Ideolog, um sich mit der Reform des morschen Staatsgebäudes freiwillig befassen zu mögen. Er blieb, wo Geburt und Bildung ihn hinwiesen, in dem Kreis der vornehmen Gesellschaft und machte wie üblich die Ämterlaufbahn durch; Ursache sich anzustrengen hatte er nicht und überließ dies den politischen Arbeitsbienen, an denen es ja nicht fehlte. So führte ihn im Jahre 647 (107) bei der Verlosung der Quästorenstellen der Zufall nach Afrika in das Hauptquartier des Gaius Marius. Der unversuchte hauptstädtische Elegant ward von dem rauben bäurischen Feldherrn und seinem erprobten Stab nicht zum besten empfangen. Durch diese Aufnahme gereizt, machte Sulla, furchtlos und anstellig wie er war, im Fluge das Waffenhandwerk sich zu eigen und entwickelte auf dem verwegenen Zug nach Mauretanien zuerst jene eigentümliche Verbindung von Keckheit und Verschmitztheit, wegen deren seine Zeitgenossen von ihm sagten, daß er halb Löwe, halb Fuchs und der Fuchs in ihm gefährlicher sei als der Löwe. Dem jungen, hochgeborenen, brillanten Offizier, der anerkanntermaßen der eigentliche Beendiger des lästigen Numidischen Krieges war, öffnete jetzt sich die glänzendste Laufbahn; er nahm auch teil am Kimbrischen Krieg und offenbarte in der Leitung des schwierigen Verpflegungsgeschäftes sein ungemeines Organisationstalent; nichtsdestoweniger zogen ihn auch jetzt die Freuden des hauptstädtischen Lebens weit mehr an als Krieg oder gar Politik. In der Prätur, welches Amt er, nachdem er sich einmal vergeblich beworben hatte, im Jahre 661 (93) übernahm, fügte es sich abermals, daß ihm in seiner Provinz, der unbedeutendsten von allen, der erste Sieg über König Mithradates und der erste Vertrag mit den mächtigen Arsakiden sowie deren erste Demütigung gelang. Der Bürgerkrieg folgte. Sulla war es wesentlich, der den ersten Akt desselben, die italische Insurrektion zu Roms Gunsten entschied und dabei mit dem Degen das Konsulat sich gewann; er war es ferner, der als Konsul den Sulpicischen Aufstand mit energischer Raschheit zu Boden schlug. Das Glück schien sich ein Geschäft daraus zu machen, den alten Helden Marius durch diesen jüngeren Offizier zu verdunkeln. Die Gefangennehmung Jugurthas, die Besiegung Mithradats, die beide Marius vergeblich erstrebt hatte, wurden in untergeordneten Stellungen von Sulla vollführt; im Bundesgenossenkrieg, in dem Marius seinen Feldherrnruhm einbüßte und abgesetzt ward, gründete Sulla seinen militärischen Ruf und stieg empor zum Konsulat; die Revolution von 666 (88), die zugleich und vor allem ein persönlicher Konflikt zwischen den beiden Generalen war, endigte mit Marius‘ Ächtung und Flucht. Fast ohne es zu wollen war Sulla der berühmteste Feldherr seiner Zeit, der Hort der Oligarchie geworden. Es folgten neue und furchtbarere Krisen, der Mithradatische Krieg, die Cinnanische Revolution: Sullas Stern blieb immer im Steigen. Wie der Kapitän, der das brennende Schiff nicht löscht, sondern fortfährt, auf den Feind zu feuern, harrte Sulla, während die Revolution in Italien tobte, in Asien unerschüttert aus, bis der Landesfeind gezwungen war. Mit diesem fertig, zerschmetterte er die Anarchie und rettete die Hauptstadt vor der Brandfackel der verzweifelnden Samniten und Revolutionäre. Der Moment der Heimkehr war für Sulla ein überwältigender in Freude und in Schmerz; er selbst erzählt in seinen Memoiren, daß er die erste Nacht in Rom kein Auge habe zutun können, und wohl mag man es glauben. Aber immer noch war seine Aufgabe nicht zu Ende, sein Stern in weiterem Steigen. Absoluter Selbstherrscher wie nur je ein König und doch durchaus verharrend auf dem Boden des formellen Rechts, zügelte er die ultrareaktionäre Partei, vernichtete die seit vierzig Jahren die Oligarchie einengende Gracchische Verfassung und zwang zuerst die der Oligarchie Konkurrenz machenden Mächte der Kapitalisten und des hauptstädtischen Proletariats, endlich den im Schoße seines eigenen Stabes erwachsenen Übermut des Säbels wieder unter das neu befestigte Gesetz. Selbständiger als je stellte er die Oligarchie hin, legte die Beamtenmacht als dienendes Werkzeug in ihre Hände, verlieh ihr die Gesetzgebung, die Gerichte, die militärische und finanzielle Obergewalt und gab ihr eine Art Leibwache in den befreiten Sklaven, eine Art Heer in den angesiedelten Militärkolonisten. Endlich, als das Werk vollendet war, trat der Schöpfer zurück von seiner Schöpfung; freiwillig ward der absolute Selbstherrscher wieder einfacher Senator. In dieser ganzen langen militärischen und politischen Bahn hat Sulla nie eine Schlacht verloren, nie einen Schritt zurücktun müssen und ungeirrt von Feinden und Freunden sein Werk geführt bis an das selbstgesteckte Ziel. Wohl hatte er Ursache, seinen Stern zu preisen. Die launenhafte Göttin des Glücks schien hier einmal die Laune der Beständigkeit angewandelt und sie darin sich gefallen zu haben, auf ihren Liebling an Erfolgen und Ehren zu häufen, was er begehrte und nicht begehrte. Aber die Geschichte wird gerechter gegen ihn sein müssen, als er es gegen sich selber war, und ihn in eine höhere Reihe stellen als in die der bloßen Favoriten der Fortuna.

Nicht als wäre die Sullanische Verfassung ein Werk politischer Genialität, wie zum Beispiel die Gracchische und die Caesarische. Es begegnet in ihr, wie dies ja schon das Wesen der Restauration mit sich bringt, auch nicht ein staatsmännisch neuer Gedanke; alle ihre wesentlichsten Momente: der Eintritt in den Senat durch Bekleidung der Quästur, die Aufhebung des zensorischen Rechts, den Senator aus dem Senate zu stoßen, die legislatorische Initiative des Senats, die Verwandlung des tribunizischen Amtes in ein Werkzeug des Senats zur Fesselung des Imperiums, die Erstreckung der Dauer des Oberamts auf zwei Jahre, der Übergang des Kommandos von dem Volksmagistrat auf den senatorischen Prokonsul oder Proprätor, selbst die neue Kriminal- und Munizipalordnung sind nicht von Sulla geschaffene, sondern früher schon aus dem oligarchischen Regiment entwickelte und durch ihn nur regulierte und fixierte Institutionen. Ja selbst die seiner Restauration anhaftenden Greuel, die Ächtungen und Konfiskationen, sind sie, verglichen mit den Taten der Nasica, Popillius, Opimius, Caepio und so weiter, etwas anderes als die rechtliche Formulierung der hergebrachten oligarchischen Weise, sich der Gegner zu entledigen? Über die römische Oligarchie dieser Zeit nun gibt es kein Urteil als unerbittliche und rücksichtslose Verdammung; und wie alles andere, was ihr anhängt, ist davon auch die Sullanische Verfassung vollständig mitbetroffen. Das von der Genialität des Bösen bestochene Lob versündigt sich an dem heiligen Geist der Geschichte; aber daran wird man doch erinnern dürfen, daß weit weniger Sulla die Sullanische Restauration zu verantworten hat als die seit Jahrhunderten als Clique regierende und mit jedem Jahr mehr der greisenhaften Entnervung und Verbissenheit verfallende römische Aristokratie insgesamt, und daß alles, was darin schal, und alles, was darin verrucht ist, am letzten Ende auf diese zurückfällt. Sulla hat den Staat reorganisiert, aber nicht wie der Hausherr, der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde nach eigener Einsicht in Ordnung bringt, sondern wie der zeitweilige Geschäftsführer, der seiner Anweisung getreu nachkommt; es ist flach und falsch, in diesem Falle die schließliche und wesentliche Verantwortung von dem Geschäftsherrn ab auf den Verwalter zu wälzen. Man schlägt Sullas Bedeutung viel zu hoch an oder findet vielmehr mit jenen schauderhaften, nie wiedergutzumachenden und nie wiedergutgemachten Proskriptionen, Expropriationen und Restaurationen viel zu leicht sich ab, wenn man sie als das Werk eines zufällig an die Spitze des Staats geratenen Wüterichs ansieht. Adelstaten waren dies und Restaurationsterrorismus, Sulla aber nicht mehr dabei als, mit dem Dichter zu reden, das hinter dem bewußten Gedanken unbewußt herwandelnde Richtbeil. Diese Rolle hat Sulla mit wunderbarer, ja dämonischer Vollkommenheit durchgeführt; innerhalb der Grenzen aber, die sie ihm gezogen, hat er nicht bloß großartig, sondern selbst nützlich gewirkt. Nie wieder hat eine tief gesunkene und stetig tiefer sinkende Aristokratie, wie die römische damals war, einen Vormund gefunden, der so wie Sulla willig und fähig war, ohne jede Rücksicht auf eigenen Machtgewinn für sie den Degen des Feldherrn und den Griffel des Gesetzgebers zu führen. Es ist freilich ein Unterschied, ob ein Offizier aus Bürgersinn das Szepter verschmäht oder aus Blasiertheit es wegwirft; aber in der völligen Abwesenheit des politischen Egoismus – freilich auch nur in diesem einen – verdient Sulla neben Washington genannt zu werden. Aber nicht bloß die Aristokratie, das gesamte Land ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt gern sich eingestand. Sulla hat die italische Revolution, insoweit sie beruhte auf der Zurücksetzung einzelner minder berechtigter gegen andere besser berechtigte Distrikte, endgültig geschlossen und ist, indem er sich und seine Partei zwang, die Gleichberechtigung aller Italiker vor dem Gesetz anzuerkennen, der wahre und letzte Urheber der vollen staatlichen Einheit Italiens geworden – ein Gewinn, der mit endloser Not und Strömen von Blut dennoch nicht zu teuer erkauft war. Aber Sulla hat noch mehr getan. Seit länger als einem halben Jahrhundert war Roms Macht im Sinken und die Anarchie daselbst in Permanenz; denn das Regiment des Senats mit der Gracchischen Verfassung war Anarchie und gar das Regiment Cinnas und Carbos noch weit ärgere Meisterlosigkeit, deren grauenvolles Bild sich am deutlichsten in jenem ebenso verwirrten wie naturwidrigen Bündnis mit den Samniten widerspiegelt, der unklarste, unerträglichste, heilloseste aller denkbaren politischen Zustände, in der Tat der Anfang des Endes. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß das lange unterhöhlte römische Gemeinwesen notwendig hätte zusammenstürzen müssen, wenn nicht durch die Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz desselben gerettet hätte. Freilich hat Sullas Verfassung so wenig Bestand gehabt wie die Cromwells, und es war nicht schwer zu sehen, daß sein Bau kein solider war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit, darüber zu übersehen, daß ohne Sulla höchstwahrscheinlich der Bauplatz selbst von den Fluten wäre fortgerissen worden; und auch jener Tadel trifft zunächst nicht Sulla. Der Staatsmann baut nur, was er in dem ihm angewiesenen Kreise bauen kann. Was ein konservativ Gesinnter tun konnte, um die alte Verfassung zu retten, das hat Sulla getan; und geahnt hat er es selbst, daß er wohl eine Festung, aber keine Besatzung zu schaffen vermöge und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen jeden Versuch, die Oligarchie zu retten, vergeblich machen werde. Seine Verfassung glich einem in das brandende Meer hineingeworfenen Notdamm; es ist kein Vorwurf für den Baumeister, wenn ein Jahrzehnt später die Wellen den naturwidrigen und von den Geschützten selbst nicht verteidigten Bau verschlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung auf höchst löbliche Einzelformen, zum Beispiel des asiatischen Steuerwesens und der Kriminaljustiz, bedürfen, um Sullas ephemere Restauration nicht geringschätzig abzufertigen, sondern wird darin eine richtig entworfene und unter unsäglichen Schwierigkeiten im großen und ganzen konsequent durchgeführte Reorganisation des römischen Gemeinwesens bewundern und den Retter Roms, den Vollender der italischen Einheit unter, aber doch auch neben Cromwell stellen.

Freilich ist es nicht bloß der Staatsmann, der im Totengericht Stimme hat, und das empörte menschliche Gefühl wird mit Recht sich nie mit dem versöhnen, was Sulla getan oder das andere taten, gelitten hat. Sulla hat seine Gewaltherrschaft nicht bloß mit rücksichtsloser Gewaltsamkeit begründet, sondern dabei auch die Dinge mit einer gewissen zynischen Offenheit beim rechten Namen genannt, durch die er es unwiederbringlich verdorben hat mit der großen Masse der Schwachherzigen, die mehr vor dem Namen als vor der Sache sich entsetzen, durch die er aber allerdings auch dem sittlichen Urteil wegen der Kühle und Klarheit seines Frevels noch empörender erscheint als der leidenschaftliche Verbrecher. Ächtungen, Belohnungen der Henker, Güterkonfiskationen, kurzer Prozeß gegen unbotmäßige Offiziere waren hundertmal vorgekommen, und die stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Zivilisation hatte für diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war unerhört, daß die Namen der vogelfreien Männer öffentlich angeschlagen und die Köpfe öffentlich ausgestellt wurden, daß den Banditen eine feste Summe ausgesetzt und dieselbe in die öffentlichen Kassenbücher ordnungsmäßig eingetragen ward, daß das eingezogene Gut gleich der feindlichen Beute auf offenem Markt unter den Hammer kam, daß der Feldherr den widerspenstigen Offizier geradezu niederhauen ließ und vor allem Volk sich zu der Tat bekannte. Diese öffentliche Verhöhnung der Humanität ist auch ein politischer Fehler; er hat nicht wenig dazu beigetragen, spätere revolutionäre Krisen im voraus zu vergiften, und noch jetzt ruht deswegen verdientermaßen ein finsterer Schatten auf dem Andenken des Urhebers der Proskriptionen.

Mit Recht darf man ferner tadeln, daß Sulla, während er in allen wichtigen Dingen rücksichtslos durchgriff, doch in untergeordneten, namentlich in Personenfragen sehr häufig seinem sanguinischen Temperament nachgab und nach Neigung oder Abneigung verfuhr. Er hat, wo er wirklich einmal Haß empfand, wie gegen die Marier, ihm zügellos auch gegen Unschuldige den Lauf gelassen und von sich selbst gerühmt, daß niemand besser als er Freunden und Feinden vergolten habe104

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Wie er nun aber war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem Gusse. Sein ganzes Leben zeugt von dem innerlichen Gleichgewicht seines Wesens; in den verschiedensten Lagen blieb Sulla unverändert derselbe. Es war derselbe Sinn, der nach den glänzenden Erfolgen in Afrika ihn wieder den hauptstädtischen Müßiggang suchen und der nach dem Vollbesitz der absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden ließ in seiner cumanischen Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, daß ihm die öffentlichen Geschäfte eine Last seien, die er abwarf, so wie er durfte und konnte. Auch nach der Resignation blieb er völlig sich gleich, ohne Unmut und ohne Affektation, froh, der öffentlichen Geschäfte entledigt zu sein und dennoch hie und da eingreifend, wo die Gelegenheit sich bot. Jagd und Fischfang und die Abfassung seiner Memoiren füllten seine müßigen Stunden; dazwischen ordnete er auf Bitten der unter sich uneinigen Bürger die inneren Verhältnisse der benachbarten Kolonie Puteoli ebenso sicher und rasch wie früher die Verhältnisse der Hauptstadt. Seine letzte Tätigkeit auf dem Krankenlager bezog sich auf die Beitreibung eines Zuschusses zu dem Wiederaufbau des Kapitolinischen Tempels, den vollendet zu sehen ihm nicht mehr vergönnt war. Wenig über ein Jahr nach seinem Rücktritt, im sechzigsten Lebensjahr, frisch an Körper und Geist, ward er vom Tode ereilt; nach kurzem Krankenlager – noch zwei Tage vor seinem Tode schrieb er an seiner Selbstbiographie – raffte ein Blutsturz106 ihn hinweg (676 78). Sein getreues Glück verließ ihn auch im Tode nicht. Er konnte nicht wünschen, noch einmal in den widerwärtigen Strudel der Parteikämpfe hineingezogen zu werden und seine alten Krieger noch einmal gegen eine neue Revolution führen zu müssen; und nach dem Stande der Dinge bei seinem Tode in Spanien und in Italien hätte bei längerem Leben ihm dies kaum erspart bleiben können. Schon jetzt, da von seiner feierlichen Bestattung in der Hauptstadt die Rede war, wurden zahlreiche Stimmen, die bei seinen Lebzeiten geschwiegen hatten, dort gegen die letzte Ehre laut, die man dem Tyrannen zu erweisen gedachte. Aber noch war die Erinnerung zu frisch und die Furcht vor seinen alten Soldaten zu lebendig; es wurde beschlossen, die Leiche nach der Hauptstadt bringen zu lassen und dort die Exequien zu begehen. Nie hat Italien eine großartigere Trauerfeier gesehen. Überall wo der königlich geschmückte Tote hindurchgetragen ward, ihm vorauf seine wohlbekannten Feldzeichen und Rutenbündel, da schlossen die Einwohner und vor allem seine alten Lanzknechte an das Trauergefolge sich an; es schien, als wollte die gesamte Truppe um den Mann, der sie im Leben so oft und nie anders als zum Siege geführt hatte, noch einmal im Tode sich vereinigen. So gelangte der endlose Leichenzug in die Hauptstadt, wo die Gerichte feierten und alle Geschäfte ruhten und zweitausend goldene Kränze, als letzte Ehrengabe der treuen Legionen, der Städte und der näheren Freunde, des Toten harrten. Sulla hatte, dem Geschlechtsgebrauch der Cornelier gemäß, seinen Körper unverbrannt beizusetzen verordnet; aber andere waren besser als er dessen eingedenkt, was vergangene Tage gebracht hatten und künftige Tage bringen mochten – auf Befehl des Senats ward die Leiche des Mannes, der die Gebeine des Marius aus ihrer Ruhe im Grabe aufgestört hatte, den Flammen übergeben. Geleitet von allen Beamten und dem gesamten Senat, den Priestern und Priesterinnen in ihrer Amtstracht und der ritterlich gerüsteten adligen Knabenschar gelangte der Zug auf den großen Marktplatz; auf diesem von seinen Taten und fast noch von dem Klange seiner gefürchteten Worte erfüllten Platz ward dem Toten die Leichenrede gehalten und von dort die Bahre auf den Schultern der Senatoren nach dem Marsfeld getragen, wo der Scheiterhaufen errichtet war. Während er in Flammen loderte, hielten die Ritter und die Soldaten den Ehrenlauf um die Leiche; die Asche des Regenten aber ward auf dem Marsfeld neben den Gräbern der alten Könige beigesetzt, und ein Jahr hindurch haben die römischen Frauen um ihn getrauert.

  1. Satius est uti regibus quam uti malis legibus (Rhet. Her. 2, 22).
  2. Diese Gesamtzahl gibt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian (civ. 1, 9.5) wurden von Sulla geächtet gegen 40 Senatoren, wozu nachträglich noch einige hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus (2, 9; daraus Aug. civ. 3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch (Sull. 31) wurden in den ersten drei Tagen 520, nach Orosius (hist. 5, 21) in den ersten Tagen 580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen Berichten ist ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja teils nicht bloß Senatoren und Ritter getötet wurden, teils die Liste monatelang offenblieb, Wenn an einer anderen Stelle Appian (civ. 1, 103) als von Sulla getötet oder verbannt aufführt fünfzehn Konsulare, 90 Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der Zusammenhang zeigt, die Opfer des Bürgerkriegs überhaupt und die Opfer Sullas verwechselt. Die fünfzehn Konsulate sind Quintus Catulus Konsul 652 (102), Marcus Antonius 655 (99), Publius Crassus 657 (97) Quintus Scaevola 659 (95), Lucius Domitius 660 (94), Lucius Caesar 664 (90), Quintus Rufus 666 (88), Lucius Cinna 667-670 (87-84), Gnaeus Octavius 667 (87), Lucius Merula 667 (87), Lucius Flaccus 668 (86), Gnaeus Carbo 669, 670, 672 (85, 84, 82), Gaius Norbanus 671 (83), Lucius Scipio 671 (83), Gaius Marius 672 (82), von denen vierzehn getötet, einer, Lucius Scipio, verbannt wurde. Wenn dagegen der Livianische Bericht bei Eutrop (5, 9) und Orosius (5, 22) als im Bundesgenossen- und Bürgerkrieg weggerafft (consumpti) angibt 24 Konsulare, sieben Prätorier, sechs Ädilizier, 200 Senatoren, so sind hier teils die im Italischen Kriege gefallenen Männer mitgezählt, wie die Konsulare Aulus Albinus, Konsul 655 (99), Titus Didius 656 (98), Publius Lupus 664 (90), Lucius Cato 665 (89), teils vielleicht Quintus Metellus Numidicus, Manius Aquillius, Gaius Marius der Vater, Gnaeus Strabo, die man allenfalls auch als Opfer dieser Zeit ansehen konnte, oder andere Männer, deren Schicksal uns nicht bekannt ist. Von den vierzehn getöteten Konsularen sind drei, Rufus, Cinna und Flaccus, durch Militärrevolten, dagegen acht Sullanische, drei Marianische Konsulate als Opfer der Gegenpartei gefallen. Nach der Vergleichung der oben angegebenen Ziffern galten als Opfer des Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, als Opfer des Sulla 40 Senatoren und 1600 Ritter; es gibt dies einen wenigstens nicht ganz willkürlichen Maßstab zur Abschätzung des Umfangs der beiderseitigen Frevel.
  3. Einer von diesen ist der in Ciceros Rede für Publius Quinctius öfter genannte Senator Sextus Alfenus.
  4. Es kam hierbei noch die eigentümliche Erschwerung hinzu, daß das latinische Recht sonst regelmäßig, ebenwie das peregrinische, die Mitgliedschaft in einer bestimmten latinischen oder peregrinischen Gemeinde in sich schloß, hier aber – ähnlich wie bei den späteren Freigelassenen latinischen und deditizischen Rechts (vgl. 3, 258 A.) – ohne ein solches eigenes Stadtrecht auftrat. Die Folge war, daß diese Latiner die an die Stadtverfassung geknüpften Privilegien entbehrten, genau genommen auch nicht testieren konnten, da niemand anders ein Testament errichten kann als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber konnten sie aus römischen Testamenten erwerben und unter Lebenden unter sich wie mit Römern oder Latinern in den Formen des römischen Rechts verkehren.
  5. Daß Sullas Umlage der rückständigen fünf Jahresziele und der Kriegskosten auf die Gemeinden von Asia (App. Mithr. 62 und sonst) auch für die Zukunft maßgebend war, zeigt schon die Zurückführung der Einteilung Asias in vierzig Distrikte auf Sulla (Cassiod. chron. 670) und die Zugrundelegung der sullanischen Repartition bei späteren Ausschreibungen (Cic. Flacc. 14, 32), ferner, daß bei dem Flottenbau 672 (81) die hierzu verwandten Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia vectigali populo Romano) gekürzt werden (Cic. Verr. 1, 35, 89). Geradezu sagt endlich Cicero (ad Q. fr. 1, 11, 33), daß die Griechen „nicht imstande waren, von sich aus den von Sulla ihnen auferlegten Zins zu zahlen ohne Steuerpächter“.
  6. Überliefert ist es freilich nicht, von wem dasjenige Gesetz erlassen ward, welches die Erneuerung des älteren Privilegs durch das Roscische Theatergesetz 687 (67) nötig machte (Friedländer in Becker, Handbuch, Bd. 4, S. 531), aber nach der Lage der Sache war der Urheber dieses Gesetzes unzweifelhaft Sulla.
  7. Wieviele Quästoren bis dahin jährlich gewählt wurden, ist nicht bekannt. Im Jahre 487 (267) stellte sich die Zahl auf acht: zwei städtische, zwei Militär- und vier Flottenquästoren; wozu dann die in den Ämtern beschäftigten Quästoren hinzugetreten sind. Denn die Flottenquästuren in Ostia, Cales und so weiter gingen keineswegs ein, und auch die Militärquästoren konnten nicht anderweitig verwendet werden, da sonst der Konsul, wo er als Oberfeldherr auftrat, ohne Quästor gewesen sein würde. Da es nun bis auf Sulla neun Ämter gab, überdies nach Sizilien zwei Quästoren gingen, so könnte er möglicherweise schon achtzehn Quästoren vorgefunden haben. Wie indes auch die Zahl der Oberbeamten dieser Zeit beträchtlich geringer als die ihrer Kompetenzen gewesen und hier stets durch Fristerstreckung und andere Aushilfen Rat geschafft worden ist, überhaupt die Tendenz der römischen Regierung darauf ging, die Zahl der Beamten möglichst zu beschränken, so mag es auch mehr quästorische Kompetenzen gegeben haben als Quästoren, und es kann selbst sein, daß in kleine Provinzen, wie zum Beispiel Kilikien, in dieser Zeit gar kein Quästor ging. Aber sicher hat es doch schon vor Sulla mehr als acht Quästoren gegeben.
  8. Von einer festen Zahl der Senatoren kann genau genommen überhaupt nicht die Rede sein. Wenn auch die Zensoren vor Sulla jedesmal eine Liste von 300 Köpfen anfertigten, so traten doch zu dieser immer noch diejenigen Nichtsenatoren hinzu, die nach Abfassung der Liste bis zur Aufstellung der nächsten ein kurulisches Amt bekleideten; und nach Sulla gab es so viele Senatoren, als gerade Quästorier am Leben waren. Wohl aber ist anzunehmen, daß Sulla den Senat auf ungefähr 500 bis 600 Köpfe zu bringen bedacht war; und diese Zahl ergibt sich, wenn jährlich 20 neue Mitglieder von durchschnittlich 30 Jahren eintraten und man die durchschnittliche Dauer der senatorischen Würde auf 25 bis 30 Jahre ansetzt. In einer stark besuchten Senatssitzung der ciceronischen Zeit waren 417 Mitglieder anwesend.
  9. Darauf gehen die Worte des Lepidus bei Sallust (bist. 1, 41, 11 Dietsch): populus Romanus exutusiure agitandi, auf die Tacitus (ann. 3, 27) anspielt: statim turbidis Lepidi rogationibus neque multo post tribunis reddita licentia quoquo vellent populum agitandi. Daß die Tribune nicht überhaupt das Recht verloren, mit dem Volke zu verhandeln, zeigt deutlicher als Cic. leg. 3, 4, 10 das Plebiszit de Thermensibus, welches aber auch in der Eingangsformel sich bezeichnet als de senatus sententia erlassen. Daß die Konsuln dagegen auch nach der Sullanischen Ordnung ohne vorgängigen Senatsbeschluß Anträge an das Volk bringen konnten, beweist nicht bloß das Stillschweigen der Quellen, sondern auch der Verlauf der Revolutionen von 667 (87) und 676 (78), deren Führer eben aus diesem Grunde nicht Tribune, sondern Konsuln gewesen sind. Darum begegnen auch in dieser Zeit konsularische Gesetze über administrative Nebenfragen, wie zum Beispiel das Getreidegesetz von 681 (73), für die zu andern Zeiten sicher Plebiszite eingetreten sein würden.
  10. Für diese Annahme gibt es keinen anderen Beweis, als daß das italische Keltenland eine Provinz in dem Sinne, wo das Wort einen geschlossenen und von einem jährlich erneuerten Statthalter verwalteten Sprengel bedeutet, in den älteren Zeiten ebenso entschieden nicht ist wie allerdings in der caesarischen es eine ist (vgl. Licin. p. 39: Data erat et Sullae provincia Gallia cisalpina).
  11. Nicht viel anders steht es mit der Vorschiebung der Grenze; wir wissen, daß ehemals der Aesis, zu Caesars Zeit der Rubico, das Keltenland von Italien schied, aber nicht, wann die Vorrückung stattfand. Man hat zwar daraus, daß Marcus Terentius Varro Lucullus als Proprätor in dem Distrikt zwischen Aesis und Rubico eine Grenzregulierung vornahm (Orelli 570), geschlossen, daß derselbe wenigstens im Jahre nach Lucullus‘ Prätur 679 (75) noch Provinzialland gewesen sein müsse, da auf italischem Boden der Proprätor nichts zu schaffen habe. Indes nur innerhalb des Pomerium hört jedes prorogierte Imperium von selber auf; in Italien dagegen ist auch nach Sullas Ordnung ein solches zwar nicht regelmäßig vorhanden, aber doch zulässig, und ein außerordentliches ist das von Lucullus bekleidete Amt doch auf jeden Fall gewesen. Wir können aber auch nachweisen, wann und wie Lucullus ein solches in dieser Gegend bekleidet hat. Gerade er war schon vor der Sullanischen Reorganisation 672 (82) als kommandierender Offizier eben hier tätig und wahrscheinlich, ebenwie Pompeius, von Sulla mit proprätorischer Gewalt ausgestattet; in dieser Eigenschaft wird er 672 (82) oder 673 (81) (vgl. App. 1, 95) die fragliche Grenze reguliert haben. Aus dieser Inschrift folgt also für die rechtliche Stellung Norditaliens überhaupt nichts und am wenigsten für die Zeit nach Sullas Diktatur. Dagegen ist es ein bemerkenswerter Fingerzeig, daß Sulla das römische Pomerium vorschob (Sen. dial. 10, 14; Dio Cass. 43, 50), was nach römischem Staatsrecht nur dem gestattet war, der nicht etwa die Reichs-, sondern die Stadt-, d. h. die italische Grenze vorgerückt hatte.
  12. Die italische Eidgenossenschaft ist viel älter; aber sie ist ein Staatenbund, nicht, wie das sullanische Italien, ein innerhalb des Römischen Reiches einheitlich abgegrenztes Staatsgebiet.
  13. Euripides, Medeia, 807:
  14. Es soll mich keiner achten schwächlich und gering,
    Gutmütig nicht; ich bin gemacht aus anderm Stoff,
    Den Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll.
  15. Nicht die Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem einfachen Grunde, daß eine solche Krankheit nur in der Phantasie existiert.

6. Kapitel


6. Kapitel

Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus

Gaius Marius ward, eines armen Tagelöhners Sohn, geboren im Jahre 599 (155) in dem damals arpinatischen Dorfe Cereatae, das später als Cereatae Marianae Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen „Mariusheimat“ (Casamare) trägt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so dürftigen Verhältnissen, daß sie ihm selbst zu den Gemeindeämtern von Arpinum den Zugang zu verschließen schienen; er lernte früh, was er später noch als Feldherr übte, Hunger und Durst, Sonnenbrand und Winterkälte ertragen und auf der harten Erde schlafen. Sowie das Alter es ihm erlaubte, war er in das Heer eingetreten und hatte in der schweren Schule der Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier emporgedient; in Scipios Numantinischem Kriege zog er, damals dreiundzwanzigjährig, des strengen Feldherrn Augen auf sich durch die saubere Haltung seines Pferdes und seiner Waffen wie durch seine Tapferkeit im Gefecht und sein ehrbares Betragen im Lager. Er war heimgekehrt mit ehrenvollen Narben und kriegerischen Abzeichen und mit dem lebhaften Wunsch, in der rühmlich betretenen Laufbahn sich einen Namen zu machen; allein unter den damaligen Verhältnissen konnte zu den politischen Ämtern, die allein zu höheren Militärstellen führten, auch der verdienteste Mann nicht gelangen ohne Vermögen und ohne Verbindungen. Beides ward dem jungen Offizier zuteil durch glückliche Handelsspekulationen und durch die Verbindung mit einem Mädchen aus dem altadligen Geschlecht der Julier; so gelangte er unter großen Anstrengungen und nach vielfachen Mißerfolgen im Jahre 639 (115) bis zur Prätur, in welcher er als Statthalter des jenseitigen Spaniens seine militärische Tüchtigkeit aufs neue zu bewähren Gelegenheit fand. Wie er sodann der Aristokratie zum Trotz im Jahre 647 (107) das Konsulat übernahm und als Prokonsul (648, 649 106, 105) den Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem Unglückstag von Arausio zur Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen berufen, unter viermal vom Jahre 650 (104) bis zum Jahre 653 (101) wiederholter, in den Annalen der Republik beispielloser Erneuerung des Konsulats, die Kimbrer jenseits, die Teutonen diesseits der Alpen überwand und vernichtete, ist bereits erzählt worden. In seinem Kriegsamt hatte er sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen Mann, der unparteiisch Recht sprach, über die Beute mit seltener Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit verfügte und durchaus unbestechlich war; als einen geschickten Organisator, der die einigermaßen eingerostete Maschine des römischen Heerwesens wieder in brauchbaren Stand gesetzt hatte; als einen fähigen Feldherrn, der den Soldaten in Zucht und doch bei guter Laune erhielt und zugleich im kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe gewann, dem Feinde aber kühn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit ihm schlug. Eine militärische Kapazität im eminenten Sinn war er, soweit wir urteilen können, nicht; allein die sehr achtungswerten Eigenschaften, die er besaß, genügten unter den damals bestehenden Verhältnissen vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu verschaffen, und auf diesen gestützt war er in einer beispiellos ehrenvollen Weise eingetreten unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er paßte darum nicht besser in den glänzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und laut, sein Blick wild, als sähe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich und nicht wohlerzogene und parfümierte Kollegen. Daß er abergläubisch war wie ein echter Lanzknecht, daß er zur Bewerbung um sein erstes Konsulat sich nicht durch den Drang seiner Talente, sondern zunächst durch die Aussagen eines etruskischen Eingeweidebeschauers bestimmen ließ, und bei dem Feldzug gegen die Teutonen eine syrische Prophetin Martha mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war nicht eigentlich unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie zu allen Zeiten die höchsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft. Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar löblich, daß er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man denken von einem der verfassungsmäßigen Etikette so unkundigen Konsul, daß er im Triumphalkostüm im Senat erschien! Auch sonst hing die Rotüre ihm an. Er war nicht bloß – nach aristokratischer Terminologie – ein armer Mann, sondern, was schlimmer war, genügsam und ein abgesagter Feind aller Bestechung und Durchstecherei. Nach Soldatenart war er nicht wählerisch, aber becherte gern, besonders in späteren Jahren; Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen schlechten Koch. Ebenso übel war es, daß der Konsular nur Lateinisch verstand und die griechische Konversation sich verbitten mußte; daß er bei den griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen – er war vermutlich nicht der einzige –, aber daß er sich zu seiner Langenweile bekannte, war naiv. So blieb er zeit seines Lebens ein unter die Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das wie diese selber zu verachten er denn doch nicht über sich vermochte. Nicht viel weniger wie außerhalb der Gesellschaft stand Marius außerhalb der Parteien. Die Maßregeln, die er in seinem Volkstribunat (635 119) durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der Abgabe der Stimmtäfelchen zur Abstellung der argen dabei stattfindenden Betrügereien und die Verhinderung ausschweifender Anträge auf Spenden an das Volk, tragen nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den der demokratischen, sondern zeigen nur, daß ihm Unrechtfertigkeit und Unvernunft verhaßt waren; und wie hätte auch ein Mann wie dieser, Bauer von Geburt und Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionär sein können? Die Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar später in das Lager der Gegner der Regierung getrieben, und rasch sah er sich hier auf den Schild gehoben zunächst als Feldherr der Opposition und demnächst vielleicht bestimmt zu noch höheren Dingen. Allein es war dies weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der Verhältnisse und des allgemeinen Bedürfnisses der Opposition nach einem Haupte als sein eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48 (107/06) kaum vorübergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt. Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie über die Kimbrer so über die Teutonen, nach Rom zurück, um den verschobenen Triumph nun zwiefach zu feiern, entschieden der erste Mann in Rom und doch zugleich politischer Anfänger. Es war unwidersprechlich ausgemacht, nicht bloß daß Marius Rom gerettet habe, sondern daß er der einzige Mann sei, der Rom habe retten können; sein Name war auf allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; bei dem Volk war er populär wie keiner vor oder nach ihm, populär durch seine Tugenden wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische Uneigennützigkeit nicht minder wie durch seine bäurische Derbheit; er hieß der Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den Göttern wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn er seinen Zug von Afrika ins Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos von Erdteil zu Erdteil verglich und sich für seinen Gebrauch einen Becher – keinen von den kleinsten – nach dem Muster des Bakchischen fertigen ließ. Es war ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser taumelnden Begeisterung des Volkes, die wohl einen Mann von kälterem Blut und gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht hätte. Marius‘ Werk schien seinen Bewunderern keineswegs vollendet. Schwerer als die Barbaren lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem ersten Manne Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition kam es zu, Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und Soldaten, das hauptstädtische politische Treiben fremd und unbequem; er sprach so schlecht, wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und Schwertern der Feinde gegenüber eine weit festere Haltung als gegen die klatschende oder zischende Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an. Hoffnungen binden. Seine militärische und politische Stellung war von der Art, daß, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der Nation nicht täuschen, seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden wollte, er der Mißverwaltung der öffentlichen Angelegenheiten steuern und dem Restaurationsregiment ein Ende machen mußte, und wenn er nur die inneren Eigenschaften eines Volkshauptes besaß, so konnte er dessen, was zum Volksführer ihm abging, allerdings entraten.

Eine furchtbare Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten Armee. Bis auf seine Zeit hatte man von dem Grundgedanken der Servianischen Verfassung, die Aushebung lediglich auf die vermögenden Bürger zu beschränken und die Unterschiede der Waffengattungen allein nach den Vermögensklassen zu ordnen, wohl schon manches nachlassen müssen: es war das zum Eintritt in das Bürgerheer verpflichtende Minimalvermögen von 11000 Assen (300 Talern) herabgesetzt worden auf 4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die älteren sechs in den Waffengattungen unterschiedenen Vermögensklassen beschränkt worden auf drei, indem man zwar wie nach der Servianischen Ordnung die Reiter aus den vermögendsten, die Leichtbewaffneten aus den ärmsten Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigentliche Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermögen, sondern nach dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, Principes und Triarier ordnet. Man hatte ferner schon längst die italischen Bundesgenossen in sehr ausgedehntem Maße zum Kriegsdienst mitherangezogen, indes auch hier, ganz wie bei der römischen Bürgerschaft, die Militärpflicht vorzugsweise auf die besitzenden Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger ruhte das römische Militärwesen bis auf Marius im wesentlichen auf jener uralten Bürgerwehrordnung. Allein für die veränderten Verhältnisse paßte dieselbe nicht mehr. Die besseren Klassen der Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und mehr sich zurück, teils schwand der römische und italische Mittelstand überhaupt zusammen; dagegen waren einesteils die beträchtlichen Streitmittel der außeritalischen Bundesgenossen und Untertanen verfügbar geworden, andererseits bot das italische Proletariat, richtig verwandt, ein militärisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die Bürgerreiterei, die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im Felddienst schon vor Marius tatsächlich eingegangen. Als wirklicher Heerkörper wird sie zuletzt genannt in dem spanischen Feldzug von 614 (140), wo sie den Feldherrn durch ihren höhnischen Hochmut und ihre Unbotmäßigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Gewissenlosigkeit geführter Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur noch als eine Art Nobelgarde für den Feldherrn und fremde Prinzen; von da an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Ergänzung der Legionen mit gehörig qualifizierten Pflichtigen schon im gewöhnlichen Lauf der Dinge schwierig, so daß Anstrengungen, wie sie nach der Schlacht von Arausio nötig waren, unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften über die Dienstpflicht wohl in der Tat materiell unausführbar gewesen sein würden. Andererseits wurden schon vor Marius, namentlich in der Kavallerie und der leichten Infanterie, die außeritalischen Untertanen, die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte afrikanische Reiterei, das vortreffliche leichte Fußvolk der bebenden Ligurer, die Schleuderer von den Balearen, in immer größerer Anzahl auch außerhalb ihrer Provinzen bei den römischen Heeren mitverwendet; und zugleich drängten sich, während an qualifizierten Bürgerrekruten Mangel war, die nichtqualifizierten ärmeren Bürger ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse des arbeitslosen oder arbeitsscheuen Bürgergesindels und bei den ansehnlichen Vorteilen, die der römische Kriegsdienst abwarf, die Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein konnte. Es war demnach nichts als eine notwendige Konsequenz der politischen und sozialen Umwandlung des Staats, daß man im Militärwesen überging von dem System des Bürgeraufgebots zu dem Zuzug- und Werbesystem, die Reiterei und die leichten Truppen wesentlich aus den Kontingenten der Untertanen bildete, wie denn für den kimbrischen Feldzug schon bis nach Bithynien Zuzug angesagt ward, für die Linieninfanterie aber zwar die bisherige Dienstpflichtordnung nicht aufhob, allein daneben jedem freigeborenen Bürger den freiwilligen Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst Marius 647 (107) tat.

Hierzu kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die gleichfalls auf Marius zurückgeht. Die römische Weise aristokratischer Gliederung hatte bis dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die vier Treffen der Leichten, der Hastaten, der Principes, der Triarier oder, wie man auch sagen kann, der Vorhut, der ersten, zweiten und dritten Linie hatten bis dahin jedes seine besondere Qualifikation nach Vermögens- oder Dienstalter und großenteils auch verschiedene Bewaffnung, jedes seinen ein für allemal bestimmten Platz in der Schlachtordnung, jedes seinen bestimmten militärischen Rang und sein eigenes Feldzeichen gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt über den Haufen. Wer überhaupt als Legionär zugelassen ward, bedurfte keiner weiteren Qualifikation, um in jeder Abteilung zu dienen; über die Einordnung entschied einzig das Ermessen der Offiziere. Alle Unterschiede der Bewaffnung fielen weg und somit wurden auch alle Rekruten gleichmäßig geschult. Ohne Zweifel in Verbindung damit stehen die vielfachen Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen des Gepäcks und ähnlichen Dingen von Marius herrühren und ein rühmliches Zeugnis ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des Kriegshandwerks und seiner Fürsorge für die Soldaten; vor allem aber das neue, von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius Rutilius Rufus (Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist bezeichnend, daß dasselbe die militärische Ausbildung des einzelnen Mannes beträchtlich steigerte und wesentlich sich anlehnte an die in den damaligen Fechterschulen übliche Ausbildung der künftigen Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward eine gänzlich andere. An die Stelle der 30 Fähnlein (manipuli) schwerer Infanterie, die – jedes zu zwei Zügen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden ersten und je 30 Mann im dritten Treffen – bisher die taktische Einheit gebildet hatten, traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und jeder zu sechs, oft auch nur zu fünf Zügen von je 100 Mann; so daß, obgleich gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200 Mann erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf 5000 bis 6000 Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb bestehen, allein wenn bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkörper gebildet hatte, so war es in Zukunft dem Feldherrn überlassen, die Kohorten, über die er disponierte, in die drei Linien nach Ermessen zu verteilen. Den militärischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der einzelnen Legionsteile, der Wolf, der mannköpfige Stier, das Roß, der Eber, die bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren Infanterie waren vorgetragen worden, verschwanden; dafür traten die Fähnlein der neuen Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der gesamten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der Legion jede Spur der bisherigen bürgerlichen und aristokratischen Gliederung verschwand und unter den Legionären fortan nur noch rein soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte sich dagegen schon einige Jahrzehnte früher aus zufälligen Anlässen eine bevorzugte Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache des Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den bundesgenössischen Kontingenten die persönliche Bedeckung des Feldherrn gebildet; römische Legionäre oder gar freiwillig sich erbietende Mannschaften zum persönlichen Dienst bei dem selben zu verwenden, widerstritt der strengen Gebundenheit des gewaltigen Gemeinwesens. Aber als der Numantinische Krieg ein beispiellos demoralisiertes Heer großgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der berufen ward, dem wüsten Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung hatte durchsetzen können, völlig neue Truppen unter die Waffen zu rufen, ward es ihm wenigstens gewährt, außer einer Anzahl von Mannschaften, die ihm die abhängigen Könige und Freistädte des Auslandes zur Verfügung stellten, aus freiwilligen römischen Bürgern eine persönliche Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese Kohorte, teils aus den besseren Ständen, teils aus der niederen persönlichen Klientel des Feldherrn hervorgegangen und daher bald die der Freunde, bald die des Hauptquartiers (praetoriani) genannt, hatte den Dienst in diesem (praetorium), wofür sie vom Lager- und Schanzdienst frei war, und genoß höheren Sold und größeres Ansehen.

Diese vollständige Revolution der römischen Heerverfassung scheint allerdings wesentlich aus rein militärischen Motiven hervorgegangen und überhaupt weniger das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstände gebotene Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen gewesen zu sein. Es ist wahrscheinlich, daß die Einführung des inländischen Werbesystems durch Marius ebenso den Staat militärisch vom Untergang gerettet hat, wie manches Jahrhundert später Arbogast und Stilicho durch Einführung des ausländischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten. Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich eine vollständige politische Revolution. Die republikanische Verfassung ruhte zumeist darauf, daß der Bürger zugleich Soldat, der Soldat vor allem Bürger war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich bildete. Hierzu mußte schon das neue Exerzierreglement führen mit seiner dem Kunstfechter abgeborgten Routine; der Kriegsdienst ward allmählich Kriegshandwerk. Weit rascher noch wirkte die wenn auch beschränkte Zuziehung des Proletariats zum Militärdienst, besonders in Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit sehr soliden republikanischen Institutionen verträgliches arbiträres Belohnungsrecht seiner Soldaten einräumten und dem tüchtigen und glücklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil der beweglichen Beute, vom Staat ein Stück des gewonnenen Ackers zu heischen. Wenn der ausgehobene Bürger und Bauer in dem Kriegsdienst nichts sah als eine für das gemeine Beste zu übernehmende Last und im Kriegsgewinn nichts als einen geringen Entgelt für den ihm aus dem Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der geworbene Proletarier nicht bloß für den Augenblick allein angewiesen auf seinen Sold, sondern auch für die Zukunft mußte er, den nach der Entlassung kein Invaliden-, ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm, wünschen, zunächst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders zu verlassen als mit Begründung seiner bürgerlichen Existenz. Seine einzige Heimat war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg, seine einzige Hoffnung der Feldherr – was hierin lag, leuchtet ein. Als Marius nach dem Treffen auf dem Raudischen Feld zwei Kohorten italischer Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse das Bürgerrecht auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig verlieh, rechtfertigte er später sich damit, daß er im Lärm der Schlacht die Stimme der Gesetze nicht habe unterscheiden können. Wenn einmal in wichtigeren Fragen das Interesse des Heers und des Feldherrn in verfassungswidrigem Begehren sich begegneten, wer mochte dafür stehen, daß alsdann nicht noch andere Gesetze über dem Schwertergeklirr nicht würden vernommen werden? Man hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie in der bürgerlichen Verfassung, so standen auch in der militärischen bereits alle Pfeiler der künftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem Monarchen. Wie die zwölf Adler um den Palatinischen Hügel kreisten, da riefen sie dem Königtum; der neue Adler, den Gaius Marius den Legionen verlieh, verkündete das Reich der Kaiser.

Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß Marius einging auf die glänzenden Aussichten, die seine militärische und politische Stellung ihm eröffnete. Es war eine trübe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem ersten gewaltigen Anprall der Nordländer auf Rom, wo nach überstandener Krise im frischen Gefühl der Genesung alle Kräfte sich neu geregt, wo sie in üppiger Entfaltung das Verlorene rasch und reichlich ersetzt hatten. Alle Welt fühlte, daß, mochten auch tüchtige Feldherren noch aber und abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das Gemeinwesen darum nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der restaurierten Oligarchie; aber alle Welt fühlte auch, daß die Zeit nicht mehr war, wo in solchen Fällen die Bürgerschaft sich selber half, und daß nichts besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer blieb. Wie tief die Menge die nach dem Verschwinden jener beiden hohen Jünglinge, welche der Revolution das Tor geöffnet hatten, zurückgebliebene Lücke empfand, freilich auch wie kindisch sie nach jedem Schatten des Ersatzes griff, beweist der falsche Sohn des Tiberius Gracchus, welcher, obwohl die eigene Schwester der beiden Gracchen ihn auf offenem Markte des Betruges zieh, dennoch einzig seines usurpierten Namens wegen vom Volke für 655 (99) zum Tribun gewählt ward. In demselben Sinne jubelte die Menge dem Gaius Marius entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn irgendeiner, schien er der rechte Mann; war er doch der erste Feldherr und der populärste Name seiner Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und selbst durch seine von dem Parteitreiben entfernte Stellung zum Regenerator des Staats, empfohlen – wie hätte nicht das Volk, wie hätte er selbst nicht sich dafür halten sollen! Die öffentliche Meinung war so entschieden wie möglich oppositionell; es ist bezeichnend dafür, daß die Besetzung der in den höchsten geistlichen Kollegien erledigten Stellen durch die Bürgerschaft anstatt durch die Kollegien selbst, die die Regierung noch im Jahre 609 (145) durch Anregung der religiösen Bedenken in den Komitien zu Fall gebracht hatte, im Jahre 650 (104) auf den Antrag des Gnaeus Domitius durchging, ohne daß der Senat es hätte wagen können, sich auch nur ernstlich zu widersetzen. Durchaus schien es nur an einem Haupte zu fehlen, das der Opposition einen festen Mittelpunkt und ein praktisches Ziel gab; und dies war jetzt in Marius gefunden.

Zur Durchführung seiner Aufgabe bot sich ihm ein doppelter Weg: Marius konnte die Oligarchie zu stürzen versuchen als Imperator an der Spitze der Armee oder auf dem für konstitutionelle Änderungen verfassungsmäßig bezeichneten Weg; dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der Vorgang des Gracchus. Es ist sehr begreiflich, daß er den ersteren Weg nicht betrat, vielleicht nicht einmal die Möglichkeit dachte, ihn zu betreten. Der Senat war oder schien so macht- und ratlos, so verhaßt und verachtet, daß Marius gegen ihn kaum einer anderen Stütze als seiner ungeheuren Popularität zu bedürfen, nötigenfalls aber trotz der Auflösung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, daß Marius, im Hinblick auf Gracchus‘ leichten und scheinbar fast vollständigen Sieg und auf seine eigenen, denen des Gracchus weit überlegenen Hilfsmittel, den Umsturz einer vierhundertjährigen, mit dem nach komplizierter Hierarchie geordneten Staatskörper und der mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig verwachsenen Verfassung für weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer tiefer in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius wahrscheinlich tat, mochte erwägen, daß das Heer, obwohl im Übergang begriffen von der Bürgerwehr zur Söldnerschar, doch während dieses Übergangszustandes noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines Staatsstreiches sich schickte und daß ein Versuch, die widerstrebenden Elemente durch militärische Mittel zu beseitigen, die Widerstandsfähigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben würde. Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, mußte auf den ersten Blick überflüssig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man war eben am Anfang der Krise und die Gegensätze von ihrem letzten, kürzesten und einfachsten Ausdruck noch weit entfernt.

Marius entließ also der bestehenden Ordnung gemäß nach dem Triumph sein Heer und schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein, vermittels der Übernahme der verfassungsmäßigen Staatsämter die Oberhauptschaft im Staate an sich zu bringen. Er fand sich damit angewiesen auf die sogenannte Volkspartei und in deren damaligen Führern um so mehr seine Bundesgenossen, als der siegreiche General die zur Gassenherrschaft erforderlichen Gaben und Erfahrungen durchaus nicht besaß. So gelangte die demokratische Partei nach langer Nichtigkeit plötzlich wieder zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem langen Interim von Gaius Gracchus bis auf Marius sich wesentlich verschlechtert. Wohl war das Mißvergnügen über das senatorische Regiment jetzt nicht geringer als damals; aber manche der Hoffnungen, die den Gracchen ihre treuesten Anhänger zugeführt hatten, war inzwischen als Illusion erkannt worden und die Ahnung inzwischen manchem aufgegangen, daß diese Gracchische Agitation auf ein Ziel hinausliefe, wohin ein sehr großer Teil der Mißvergnügten keineswegs zu folgen willig war; wie denn überhaupt in dem zwanzigjährigen Hetzen und Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der frischen Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen Reinheit des Strebens, die die Anfangsstadien der Revolutionen bezeichnen. Aber wenn die demokratische Partei nicht mehr war, was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die Führer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei, als Gaius Gracchus hoch über derselben gestanden hatte. Es lag dies in der Natur der Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es wagte, wie Gaius Gracchus nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die Führer nur Lückenbüßer sein: entweder politische Anfänger, die ihre jugendliche Oppositionslust austobten und sodann, als sprudelnde Feuerköpfe und beliebte Sprecher legitimiert, mit mehr oder minder Geschicklichkeit ihren Rückzug in das Lager der Regierungspartei bewerkstelligten; oder auch Leute, die an Vermögen und Einfluß nichts zu verlieren, an Ehre gewöhnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten, und die aus persönlicher Erbitterung oder auch aus bloßer Lust am Lärmschlagen sich ein Geschäft daraus machten, die Regierung zu hindern und zu ärgern. Der ersten Gattung gehörten zum Beispiel an Gaius Memmius und der bekannte Redner Lucius Crassus, die ihre in den Reihen der Opposition gewonnenen oratorischen Lorbeern demnächst als eifrige Regierungsmänner verwerteten. Die namhaftesten Führer der Popularpartei aber um diese Zeit waren Männer der zweiten Gattung: sowohl Gaius Servilius Glaucia, von Cicero der römische Hyperbolos genannt, ein gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschämtester Straßenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefürchtet wegen seiner drastischen Witze, als auch sein besserer und fähigerer Genosse Lucius Appuleius Saturninus, der selbst nach den Berichten seiner Feinde ein feuriger und eindringlicher Sprecher war und wenigstens nicht von gemein eigennützigen Motiven geleitet ward. Ihm war als Quästor die in üblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch Beschluß des Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsführung als um das eben damals populäre Amt lieber einem der Häupter der Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner der herrschenden Familien angehörigen jungen Manne zuzuwenden. Diese Kränkung hatte den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition gedrängt; und er vergalt als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit Zinsen. Ein ärgerlicher Handel hatte damals den anderen gedrängt. Er hatte die von den Gesandten des Königs Mithradates in Rom bewirkten Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache gebracht – diese den Senat aufs höchste kompromittierenden Enthüllungen hätten fast dem kühnen Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger Numidiens Quintus Metellus, als derselbe sich für 652 (102) um die Zensur bewarb, einen Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten, bis die Ritter ihn nicht ohne Blutvergießen befreiten; des Zensors Metellus Vergeltung, die schimpfliche Ausstoßung des Saturninus wie des Glaucia aus dem Senat bei Gelegenheit der Revision des Senatorenverzeichnisses, war nur gescheitert an der Schlaffheit des dem Metellus zugegebenen Kollegen. Er hauptsächlich hatte jenes Ausnahmegericht gegen Caepio und dessen Genossen trotz des heftigsten Widerstrebens der Regierungspartei, er gegen dieselben die lebhaft bestrittene Wiederwahl des Marius zum Konsul für 652 (102) durchgesetzt. Saturninus war entschieden der energischste Feind des Senats und der tätigste und beredteste Führer der Volkspartei seit Gaius Gracchus, freilich auch gewalttätig und rücksichtslos wie keiner vor ihm, immer bereit, in die Straße hinabzusteigen und statt mit Worten den Gegner mit Knütteln zu widerlegen.

Solcher Art waren die beiden Führer der sogenannten Popularpartei, die mit dem siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche Sache machten. Es war natürlich; die Interessen und die Zwecke gingen zusammen, und auch schon bei Marius‘ früheren Bewerbungen hatte wenigstens Saturninus aufs entschiedenste und erfolgreichste für ihn Partei genommen. Sie wurden sich dahin einig, daß für 654 (100) Marius um das sechste Konsulat, Saturninus um das zweite Tribunat, Glaucia um die Prätur sich bewerben sollten, um im Besitz dieser Ämter die beabsichtigte Staatsumwälzung durchzuführen. Der Senat ließ die Ernennung des minder gefährlichen Glaucia geschehen, aber tat, was er konnte, um Marius‘ und Saturninus‘ Wahl zu hindern oder doch wenigstens jenem in Quintus Metellus einen entschlossenen Gegner als Kollegen im Konsulat an die Seite zu setzen. Von beiden Parteien wurden alle Hebel, erlaubte und unerlaubte, in Bewegung gesetzt; allein es gelang dem Senat nicht, die gefährliche Verschwörung im Keim zu ersticken. Marius selbst verschmähte es nicht, Stimmenbettel, es heißt sogar auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in den tribunizischen Wahlen neun Männer von der Liste der Regierungspartei proklamiert waren und auch die zehnte Stelle bereits einem achtbaren Mann derselben Farbe, Quintus Nunnius, gesichert schien, ward dieser von einem wüsten Haufen, der vorzugsweise aus entlassenen Soldaten des Marius bestanden haben soll, angefallen und erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich auf die gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewählt als Konsul, Glaucia als Prätor, Saturninus als Volkstribun für 654 (109): nicht Quintus Metellus, sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius Flaccus, erhielt die zweite Konsulstelle; die verbündeten Männer konnten daran gehen, ihre weiter beabsichtigten Pläne ins Werk zu setzen und das 633 (121) unterbrochene Werk zu vollenden.

Erinnern wir uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln er sie verfolgt hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach außen zu brechen, also teils die vom Senat völlig abhängig gewordene Beamtengewalt in ihre ursprünglichen souveränen Rechte wiedereinzusetzen und die Ratsversammlung aus der regierenden wieder in eine beratende Behörde umzuwandeln, teils der aristokratischen Gliederung des Staats in die drei Klassen der herrschenden Bürger-, der italischen Bundesgenossen- und der Untertanenschaft durch allmähliche Ausgleichung dieser mit einem nichtoligarchischen Regiment unverträglichen Gegensätze ein Ende zu machen. Diese Gedanken nahmen die drei verbündeten Männer wieder auf in den Kolonialgesetzen, die Saturninus als Volkstribun teils schon früher (651 103) eingebracht hatte, teils jetzt (654 100) einbrachte57. Schon in jenem Jahre war zunächst zu Gunsten der Marianischen Soldaten, der Bürger nicht bloß, sondern, wie es scheint, auch der italischen Bundesgenossen, die unterbrochene Verteilung des karthagischen Gebiets wieder aufgenommen und jedem dieser Veteranen ein Landlos von 100 Morgen oder etwa dem fünffachen Maß eines gewöhnlichen italischen Bauernhofs in der Provinz Africa zugesichert worden. Jetzt ward für die römisch-italische Emigration nicht bloß das bereits zur Verfügung stehende Provinzialland in weitester Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der rechtlichen Fiktion, daß den Römern durch die Besiegung der Kimbrer das gesamte von diesen besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles Land der noch unabhängigen Keltenstämme jenseits der Alpen. Zur Leitung der Landanweisungen wie der zu diesem Behuf etwa nötig erscheinenden weiteren Maßregeln ward Gaius Marius berufen; die unterschlagenen, aber von den schuldigen Aristokraten erstatteten oder noch zu erstattenden Tempelschätze von Tolosa wurden zur Ausstattung der neuen Landempfänger bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloß die Eroberungspläne jenseits der Alpen und die transalpinischen und überseeischen Kolonisationsentwürfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus sie entworfen hatten, im ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern indem es die Italiker neben den Römern zur Emigration zuließ und doch ohne Zweifel die sämtlichen neuen Gemeinden als Bürgerkolonien einzurichten vorschrieb, machte es einen Anfang, die so schwer durchzubringenden und doch unmöglich auf die Länge abzuweisenden Ansprüche der Italiker auf Gleichstellung mit den Römern zu befriedigen. Zunächst aber wurde, wenn das Gesetz durchging und Marius zur selbständigen Ausführung dieser ungeheuren Eroberungs- und Aufteilungspläne berufen ward, tatsächlich derselbe bis zur Realisierung jener Pläne oder vielmehr, bei der Unbestimmtheit und Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens Monarch von Rom; wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so Marius das Konsulat alljährlich sich erneuern zu lassen gedachte. überhaupt ist bei der sonstigen Übereinstimmung der für den jüngeren Gracchus und für Marius entworfenen politischen Stellungen in allen wesentlichen Stücken oder zwischen dem landanweisenden Tribun und dem landanweisenden Konsul darin ein sehr wesentlicher Unterschied, daß jener eine rein bürgerliche, dieser daneben eine militärische Stellung einnehmen sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber doch keineswegs allein aus den persönlichen Verhältnissen hervorging, unter denen die beiden Männer an die Spitze des Staates getreten waren.

Wenn also das Ziel beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich vorgesteckt hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch welche man den voraussichtlich hartnäckigen Widerstand der Regierungspartei zu brechen gedachte. Gaius Gracchus hatte seine Schlachten geschlagen mit dem Kapitalistenstand und dem Proletariat. Seine Nachfolger versäumten zwar nicht, auch diesen entgegenzukommen. Den Rittern ließ man nicht bloß die Gerichte, sondern ihre Geschworenengewalt wurde ansehnlich gesteigert teils durch eine verschärfte Ordnung für die den Kaufleuten vor allem wichtige stehende Kommission wegen Erpressungen seitens der Staatsbeamten in den Provinzen, welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem Jahr, durchbrachte, teils durch das wohl schon 651 (103) auf Saturninus‘ Antrag niedergesetzte Spezialgericht über die während der kimbrischen Bewegung in Gallien vorgekommenen Unterschlagungen und sonstigen Amtsvergehen. Zum Frommen des hauptstädtischen Proletariats ferner ward der bisher bei den Getreideverteilungen für den römischen Scheffel zu entrichtende Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf eine bloße Rekognitionsgebühr von 5/6 As. Indes obwohl man das Bündnis mit den Rittern und dem hauptstädtischen Proletariat nicht verschmähte, so ruhte doch die eigentlich zwingende Macht der Verbündeten wesentlich nicht darauf, sondern auf den entlassenen Soldaten der Marianischen Armee, welche ebendeshalb in den Kolonialgesetzen selbst in so ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch hierin tritt der vorwiegend militärische Charakter hervor, der hauptsächlich diesen Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet.

Man ging also ans Werk. Das Getreide- und das Kolonialgesetz stießen bei der Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies im Senat mit schlagenden Zahlen, daß jenes die öffentlichen Kassen bankrott machen müsse; Saturninus kümmerte sich nicht darum. Man erwirkte gegen beide Gesetze tribunizische Interzession; Saturninus ließ weiterstimmen. Man zeigte den die Abstimmung leitenden Beamten an, daß ein Donnerschlag vernommen worden sei, durch welches Zeichen nach altem Glauben die Götter befahlen, die Volksversammlung zu entlassen; Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat werde wohl tun, sich ruhig zu verhalten, sonst könne gar leicht nach dem Donner der Hagel folgen. Endlich trieb der städtische Quästor Quintus Caepio, vermutlich der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn58 und gleich seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem Haufen ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander. Allein die derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung nach Rom geströmt waren, sprengten, rasch zusammengerafft, wieder die städtischen Haufen, und so gelang es, auf dem wiedereroberten Stimmfeld die Abstimmung über die Appuleischen Gesetze zu Ende zu führen. Der Skandal war arg; als es indes zur Frage kam, ob der Senat der Klausel des Gesetzes genügen werde, daß binnen fünf Tagen nach dessen Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner Ratsherrnstelle auf getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten diesen Eid die sämtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus Metellus, der es vorzog, die Heimat zu verlassen. Nicht ungern sahen Marius und Saturninus den besten Feldherrn und den tüchtigsten Mann unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung aus dem Staate scheiden.

Man schien am Ziel; dem schärfer Sehenden mußte schon jetzt das Unternehmen als gescheitert erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens lag wesentlich in der ungeschickten Allianz eines politisch unfähigen Feldherrn und eines fähigen, aber rücksichtslos heftigen, und mehr von Leidenschaft als von staatsmännischen Zwecken erfüllten Demagogen von der Gasse. Man hatte sich vortrefflich vertragen, solange es sich nur noch um Pläne handelte; als es dann aber zur Ausführung kam, zeigte es sich sehr bald, daß der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war als eine Inkapazität; daß sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den Adligen an Titeln erreichen und womöglich überbieten möchte, nicht aber der des Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft fühlt; daß jedes Unternehmen, welches auf seine politische Persönlichkeit gebaut war, auch unter den sonst günstigsten Verhältnissen notwendig an ihm selber scheitern mußte.

Er wußte weder seine Gegner zu gewinnen noch seine Partei zu bändigen. Die Opposition gegen ihn und seine Genossen war an sich schon ansehnlich genug; denn nicht bloß die Regierungspartei in Masse gehörte dazu, sondern auch der große Teil der Bürgerschaft, der mit eifersüchtigen Blicken den Italikern gegenüber über seinen Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber, den die Dinge nahmen, wurde noch die gesamte begüterte Klasse zu der Regierung hinübergedrängt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus Herren und Diener des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fuße mit der Geldaristokratie, die zwar nichts dagegen hatte, mittels des Pöbels dem Senat einmal Schach zu bieten, aber Straßenaufläufe und arge Gewalttätigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus‘ erstem Tribunat hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich herumgeschlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun für 654 (100) stieß, zeigt deutlich, wie klein die ihm günstige Partei war. Es wäre Marius‘ Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe dieser Genossen sich nur mit Maßen zu bedienen und männiglich zu überzeugen, daß sie nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm, dem Herrscher, zu dienen. Da er das gerade Gegenteil davon tat und die Sache ganz das Ansehen gewann, als handle es sich nicht darum, einen intelligenten und kräftigen Herrn, sondern die reine Kanaille ans Regiment zu bringen, so schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenüber die Männer der materiellen Interessen, zum Tode erschrocken über das wüste Wesen, sich wieder eng an den Senat an. Während Gaius Gracchus, wohl erkennend, daß mit dem Proletariat allein keine Regierung gestürzt werden kann, vor allen Dingen bemüht gewesen war, die besitzenden Klassen auf seine Seite zu ziehen, fingen diese seine Fortsetzer damit an, die Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versöhnen.

Aber noch rascher als die Versöhnung der Feinde führte den Ruin des Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern Marius‘ mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief. Während die entscheidenden Anträge von seinen Genossen gestellt, von seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollständig leidend, gleich als ob der politische Führer nicht ebenso wie der militärische, wenn es zum Hauptangriff geht, überall und vor allen einstehen müßte mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor den Geistern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reißaus. Als seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht billigen konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht erreichen ließ, versuchte er in der üblichen Weise politisch-moralischer Konfusionäre sich von der Teilnahme an jenen Verbrechen reinzuwaschen und zugleich das Ergebnis derselben sich zunutze zu machen. Es gibt ein Geschichtchen, daß der General einst in zwei verschiedenen Zimmern seines Hauses in dem einen mit dem Saturninus und den Seinen, in dem anderen mit den Abgeordneten der Oligarchie geheime Unterhandlungen gepflogen habe, dort über das Losschlagen gegen dem Senat, hier über das Einschreiten gegen die Revolte, und daß er unter einem Vorwand, wie er der Peinlichkeit der Situation entsprach, zwischen beiden Konferenzen ab und zu gegangen sei – ein Geschichtchen, so sicherlich erfunden und so sicher treffend wie nur irgendein Einfall des Aristophanes. Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage, wobei er anfangs Miene machte, den durch die Appuleischen Gesetze geforderten Eid der bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler halber selbst zu verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt schwor, wofern die Gesetze wirklich rechtsbeständig seien; ein Vorbehalt, der den Eid selber aufhob, und den natürlich sämtliche Senatoren in ihren Schwur gleichfalls aufnahmen, so daß durch diese Weise der Beeidigung die Gültigkeit der Gesetze nicht gesichert, sondern vielmehr erst recht in Frage gestellt ward.

Die Folgen dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht deswegen die Revolution unternommen und dem Marius die Staatsoberhauptschaft verschafft, um sich von ihm verleugnen und aufopfern zu lassen; wenn Glaucia, der spaßhafte Volksmann, bisher den Marius mit den lustigsten Blumen seiner lustigen Beredsamkeit überschüttet hatte, so dufteten die Kränze, welche er jetzt ihm wand, keineswegs nach Rosen und Violen. Es kam zum vollständigen Bruch, womit beide Teile verloren waren; denn weder stand Marius fest genug, um allein das von ihm selbst in Frage gestellte Kolonialgesetz zu halten und der ihm darin bestimmten Stellung sich zu bemächtigen, noch waren Saturninus und Glaucia in der Lage, das für Marius begonnene Geschäft auf eigene Rechnung fortzuführen. Indes die beiden Demagogen waren so kompromittiert, daß sie nicht zurückkonnten und nur die Wahl hatten, ihre Ämter in gewöhnlicher Weise niederzulegen und damit ihren erbitterten Gegnern sich mit gebundenen Händen zu überliefern oder nun selber nach dem Szepter zu greifen, dessen Gewicht sie freilich fühlten nicht tragen zu können. Sie entschlossen sich zu dem letzteren; Saturninus wollte für 655 (99) abermals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten, Glaucia, obwohl Prätor und erst nach zwei Jahren wahlfähig zum Konsulat, um dieses sich bewerben. In der Tat wurden die tribunizischen Wahlen durchaus in ihrem Sinne entschieden und Marius‘ Versuch, den falschen Tiberius Gracchus an der Bewerbung um das Tribunat zu hindern, diente nur dazu, dem gefeierten Mann zu beweisen, was seine Popularität jetzt noch wert war; die Menge sprengte die Tür des Gefängnisses, in dem Gracchus eingesperrt saß, trug ihn im Triumph durch die Straßen und wählte ihn mit großer Majorität zu ihrem Tribun. Die wichtigere Konsulnwahl suchten Saturninus und Glaucia durch das im vorigen Jahr erprobte Mittel zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in die Hand zu bekommen; der Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius Memmius, derselbe, der elf Jahre zuvor gegen sie die Opposition geführt hatte, wurde von einem Haufen Gesindel überfallen und mit Knütteln erschlagen. Aber die Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes Ereignis der Art gewartet, um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Konsul Gaius Marius auf, einzuschreiten, und dieser gab in der Tat sich dazu her, das Schwert, das er von der Demokratie erhalten und für sie zu führen versprochen hatte, nun für die konservative Partei zu ziehen. Die junge Mannschaft ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen aus den öffentlichen Gebäuden ausgerüstet und militärisch geordnet; der Senat selbst erschien bewaffnet auf dem Markt, an der Spitze sein greiser Vormann Marcus Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im Straßenlärm überlegen, aber auf einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie mußte nun sich wehren, wie es ging. Man erbrach die Tore der Gefängnisse und rief die Sklaven zur Freiheit und unter die Waffen; man rief – so heißt es wenigstens – den Saturninus zum König oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die neuen Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dezember 654 (100), kam es auf dem Großen Markte zur Schlacht, der ersten, die, seit Rom stand, innerhalb der Mauern der Hauptstadt geliefert worden ist. Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft. Die Popularen wurden geschlagen und hinaufgedrängt auf das Kapitol, wo man ihnen das Wasser abschnitt und sie dadurch nötigte, sich zu ergeben. Marius, der den Oberbefehl führte, hätte gern seinen ehemaligen Verbündeten und jetzigen Gefangenen das Leben gerettet; laut rief Saturninus der Menge zu, daß alles, was er beantragt, im Einverständnis mit dem Konsul geschehen sei; selbst einem schlechteren Mann, als Marius war, mußte grauen vor der ehrlosen Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indes er war längst nicht mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend das Dach des Rathauses am Markt, in das man vorläufig die Gefangenen eingesperrt hatte, deckte die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben. So kam Saturninus um mit den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia ward in einem Versteck gefunden und gleichfalls getötet. Ohne Urteil und Recht starben an diesem Tage vier Beamte des römischen Volkes. ein Prätor, ein Quästor, zwei Volkstribune und eine Anzahl anderer bekannter und zum Teil guten Familien angehöriger Männer. Trotz der schweren und blutigen Verschuldungen, die die Häupter auf sich geladen hatten, durfte man dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten, die das Hauptheer im Stich läßt und sie nötigt, im verzweifelten Kampf zwecklos unterzugehen.

Nie hatte die Regierungspartei einen vollständigeren Sieg erfochten, nie die Opposition eine härtere Niederlage erlitten als an diesem 10. Dezember. Es war das wenigste, daß man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die jeden Tag durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten; schwerer fiel ins Gewicht, daß der einzige Mann, der damals imstande war, der Regierung gefährlich zu werden, sich selber öffentlich und vollständig vernichtet hatte; am schwersten, daß die beiden oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand und das Proletariat, gänzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das Werk der Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhältnisse, teils und vor allem die grobe Bauernfaust seines unfähigen Nachtreters hatten wieder aufgelöst, was unter Gaius Gracchus‘ gewandter Hand sich zusammenfügte; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung oder Glück der Regierung zum Siege verhalf. Eine kläglichere Stellung ist kaum zu erdenken, als wie sie der Held von Aquae und Vercellae nach jener Katastrophe einnahm – nur um so kläglicher, weil man nicht anders konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, der nur wenige Monate zuvor denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer noch auf demokratischer Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn bei der Besetzung der Ämter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht einmal wagen, sich 656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in den Osten, wie er sagte, um ein Gelübde dort zu lösen, in der Tat, um nicht von der triumphierenden Rückkehr seines Todfeindes, des Quintus Metellus, Zeuge zu sein; man ließ ihn gehen. Er kam wieder zurück und öffnete sein Haus; seine Säle standen leer. Immer hoffte er, daß es wieder Kämpfe und Schlachten geben und man seines erprobten Armes abermals bedürfen werde; er dachte sich im Osten, wo die Römer allerdings Ursache genug gehabt hätten, energisch zu intervenieren, Gelegenheit zu einem Kriege zu machen. Aber auch dies schlug ihm fehl wie jeder andere seiner Wünsche; es blieb tiefer Friede. Und dabei fraß der einmal in ihm aufgestachelte Hunger nach Ehren, je öfter er getäuscht ward, immer tiefer sich ein in sein Gemüt; abergläubisch wie er war, nährte er in seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben Konsulate verheißen hatte, und sann in finsteren Gedanken, wie es geschehen möge, daß dies Wort seine Erfüllung und er seine Rache bekomme, während er allen, nur sich selbst nicht, unbedeutend und unschädlich erschien.

Folgenreicher noch als die Beseitigung des gefährlichen Mannes war die tiefe Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die Schilderhebung des Saturninus in der Partei der materiellen Interessen zurückließ. Mit der rücksichtslosesten Härte verurteilten die Rittergerichte jeden, der zu den oppositionellen Ansichten sich bekannte; so ward Sextus Titius mehr noch als wegen seines Ackergesetzes deswegen verdammt, weil er des Saturninus Bild im Hause gehabt hatte; so Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das Verfahren gegen Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte. Sogar für ältere, von den Popularen der Aristokratien zugefügte Unbill wurde nun nicht ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten Genugtuung gefordert. Weil Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in Gemeinschaft mit Saturninus den Konsular Quintus Caepio ins Elend getrieben hatte, wurde er jetzt (659 95) auf Grund seines eigenen Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und lange schwankten die Geschworenen – nicht, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig, sondern ob sein Bundesgenosse oder sein Feind, Saturninus oder Caepio ihnen hassenswerter erscheine, bis sie denn doch zuletzt für Freisprechung sich entschieden. War man auch der Regierung an sich nicht geneigter als früher, so erschien doch nun, seit man sich, wenn auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen Pöbelherrschaft befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte, das bestehende Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend und staatsverderberisch, aber die kümmerliche Furcht vor dem noch elenderen und noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte ihm einen relativen Wert verliehen. So ging jetzt die Strömung, daß die Menge einen Volkstribun zerriß, der es gewagt hatte, die Rückkehr des Quintus Metellus zu verzögern, und daß die Demokraten anfingen, ihr Heil zu suchen in dem Bündnis mit Mördern und Giftmischern, wie sie zum Beispiel des verhaßten Metellus durch Gift sich entledigten, oder gar in dem Bündnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von ihnen schon flüchteten an den Hof des Königs Mithradates, der im stillen zum Krieg rüstete gegen Rom.

Auch die äußeren Verhältnisse gestalteten für die Regierung sich günstig. Die römischen Waffen waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf den Bundesgenossenkrieg nur wenig, überall aber mit Ehren tätig. Ernstlich gestritten wurde nur in Spanien, wo während der letzten für Rom so schweren Jahre die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich reit ungewohnter Heftigkeit gegen die Römer aufgelehnt hatten; hier stellten in dem Jahre 656-661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der nördlichen und der Konsul Publius Crassus in der südlichen Provinz mit Tapferkeit und Glück nicht bloß das Obergewicht der römischen Waffen wieder her, sondern schleiften auch die wiederspenstigen Städte und versetzten, wo es nötig schien, die Bevölkerung der festen Bergstädte in die Ebenen. Daß um dieselbe Zeit die römische Regierung auch wieder des ein Menschenalter hindurch vernachlässigten Ostens gedachte und energischer, als seit langem erhört war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien auftrat, wird später darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn der Revolution war das Regiment der Restauration so fest begründet, so populär gewesen. Konsularische Gesetze lösten die tribunizischen, Freiheitsbeschränkungen die Fortschrittsmaßregeln ab. Die Kassierung der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die überseeischen Kolonien des Marius schwanden zusammen zu einer einzigen winzigen Ansiedelung auf der wüsten Insel Korsika. Als der Volkstribun Sextus Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und Ballspiel stärker war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin bestand, nachts auf den Straßen die Götterbilder zu zerschlagen, das Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder ein- und durchbrachte, konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religiösen Vorwand kassieren, ohne daß jemand dafür einzustehen auch nur versucht hätte; den Urheber straften, wie schon erwähnt ward, die Ritter in ihren Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) machte ein von den beiden Konsuln eingebrachtes Gesetz die übliche vierundzwanzigtägige Frist zwischen Ein- und Durchbringung eines Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot, mehrere verschiedenartige Bestimmungen in einen Antrag zusammenzufassen; wodurch die unvernünftige Ausdehnung der legislatorischen Initiative wenigstens etwas beschränkt und offenbare Überrumpelungen der Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden. Immer deutlicher zeigte es sich, daß die Gracchische Verfassung, die den Sturz ihres Urhebers überdauert hatte, jetzt, seit die Menge und die Geldaristokratie nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten schwankte. Wie diese Verfassung geruht hatte auf der Spaltung der Aristokratie, so schien die Zwiespältigkeit der Opposition sie zu Falle bringen zu müssen. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, um das unvollkommene Restaurationswerk von 633 (121) zu vollenden, um dem Tyrannen endlich auch seine Verfassung nachzusenden und die regierende Oligarchie in den Alleinbesitz der politischen Gewalt wiedereinzusetzen.

Es kam alles an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die Verwaltung der Provinzen, die hauptsächliche Grundlage des senatorischen Regiments, war von den Geschworenengerichten, namentlich von der Kommission wegen Erpressungen, in dem Maße abhängig geworden, daß der Statthalter die Provinz nicht mehr für den Senat, sondern für den Kapitalisten- und Kaufmannsstand zu verwalten schien. Wie bereitwillig immer die Geldaristokratie der Regierung entgegenkam, wenn es um Maßregeln gegen die Demokraten sich handelte, so unnachsichtlich ahndete sie jeden Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen Recht freiesten Schaltens in den Provinzen zu beschränken. Einzelne derartige Versuche wurden jetzt gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder an, sich zu fühlen und eben ihre besten Männer hielten sich verpflichtet, der entsetzlichen Mißwirtschaft in den Provinzen wenigstens für ihre Person entgegenzutreten. Am entschlossensten tat dies Quintus Mucius Scaevola, gleich seinem Vater Publius Oberpontifex und im Jahre 659 (95) Konsul, der erste Jurist und einer der vorzüglichsten Männer seiner Zeit. Als prätorischer Statthalter (um 656 98) von Asia, der reichsten und gemißhandeltsten unter allen Provinzen, statuierte er in Gemeinschaft mit seinem älteren, als Offizier, Jurist und Geschichtschreiber ausgezeichneten Freunde, dem Konsular Publius Rutilius Rufus, ein ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen Unterschied zwischen Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu machen, nahm er jede Klage an und zwang nicht bloß die römischen Kaufleute und Staatspächter wegen erwiesener Schädigungen, vollen Geldersatz zu leisten, sondern, als einige ihrer angesehensten und rücksichtslosesten Agenten todeswürdiger Verbrechen schuldig befunden wurden, ließ er diese, taub gegen alle Bestechungsanträge, ans Kreuz schlagen wie Rechtens. Der Senat billigte sein Verfahren und setzte sogar seitdem den Statthaltern von Asia es in die Instruktion, daß sie sich die Verwaltungsgrundsätze Scaevolas zum Muster nehmen möchten; allein die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und vielvermögenden Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefährten vor Gericht, zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten derselben, seinen Legaten Publius Rufus, der nur durch Verdienste und anerkannte Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang verteidigt war. Die Anklage, daß dieser Mann sich in Asia habe Erpressungen zuschulden kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen Lächerlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklägers, eines gewissen Apicius; allein man ließ dennoch die willkommene Gelegenheit, den Konsular zu demütigen, nicht vorübergehen, und da dieser, die falsche Beredsamkeit, die Trauergewänder, die Tränen verschmähend, sich kurz, einfach und sachlich verteidigte und den souveränen Kapitalisten die begehrte Huldigung stolz verweigerte, ward er in der Tat verurteilt und sein mäßiges Vermögen zur Befriedigung erdichteter Entschädigungsansprüche eingezogen. Der Verurteilte begab sich in die angeblich von ihm ausgeplünderte Provinz und verlebte daselbst, von sämtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit seines Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Muße die ihm noch übrigen Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der ärgste, aber keineswegs der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als solcher Mißbrauch der Justiz gegen Männer fleckenlosen Wandels, aber neuen Adels erbitterte es die senatorische Partei, daß der reinste Adel nicht mehr genügte, die etwaigen Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken. Kaum war Rufus aus dem Lande, als der angesehenste aller Aristokraten, seit zwanzig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjährige Marcus Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; nach aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig war. Das Anklägeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmäßig betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter schützte mehr vor den frevelhaftesten und gefährlichsten Angriffen. Die Erpressungskommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen ihre schlimmste Geißel; der offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er nur seine Mitthebe gewähren ließ und sich nicht weigerte, einen Teil der erpreßten Summen den Geschworenen zufließen zu lassen; aber jeder Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf Recht und Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung. Die römische Regierung schien in dieselbe Abhängigkeit von dem kontrollierenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst das Richterkollegium in Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In furchtbarer Weise erfüllte sich Gaius Gracchus‘ ahnungsvolles Wort, daß mit dem Dolche seines Geschworenengesetzes die vornehme Welt sich selber zerfleischen werde.

Ein Sturm auf die Rittergerichte war unvermeidlich. Wer in der Regierungspartei noch Sinn dafür hatte, daß das Regieren nicht bloß Rechte, sondern auch Pflichten in sich schließt, ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich empfand, mußte sich auflehnen gegen diese erdrückende und entehrende politische Kontrolle, die jede Möglichkeit, rechtschaffen zu verwalten, von vornherein abschnitt. Die skandalöse Verurteilung des Rutilius Rufus schien eine Aufforderung, den Angriff sofort zu beginnen, und Marcus Livius Drusus, der im Jahre 663 (91) Volkstribun war, betrachtete dieselbe als besonders an sich gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen Mannes, der dreißig Jahre zuvor zunächst den Gaius Gracchus gestürzt und später auch als Offizier durch die Unterwerfung der Skordisker sich einen Namen gemacht hatte, war Drusus, gleich seinem Vater, streng konservativ gesinnt und hatte diese seine Gesinnung bereits in dem Aufstand des Saturninus tatsächlich bewährt. Er gehörte den Kreisen des höchsten Adels an und war Besitzer eines kolossalen Vermögens; auch der Gesinnung nach war er ein echter Aristokrat – ein energisch stolzer Mann, der es verschmähte, mit den Ehrenzeichen seiner Ämter sich zu behängen, aber auf dem Totenbette es aussprach, daß nicht bald ein Bürger wiederkommen werde, der ihm gleich sei; ein Mann, dem das schöne Wort, daß der Adel verpflichtet, die Richtschnur seines Lebens ward und blieb. Mit der ganzen ernsten Leidenschaft seines Gemütes hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und Feilheit des vornehmen Pöbels; zuverlässig und sittenstreng war er bei den geringen Leuten, denen seine Tür und sein Beutel immer offenstanden, mehr geachtet als eigentlich beliebt und trotz seiner Jugend durch die persönliche Würde seines Charakters von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand er nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner Verteidigung in dem Prozeß wegen Erpressungen den Drusus öffentlich aufzufordern, Hand zu legen an die Reform der Geschworenenordnung; er sowie der berühmte Redner Lucius Crassus waren im Senat die eifrigsten Verfechter, vielleicht die Miturheber seiner Anträge. Indes die Masse der regierenden Aristokratie dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus und Crassus. Es fehlte im Senat nicht an entschiedenen Anhängern der Kapitalistenpartei, unter denen namentlich sich bemerkbar machten der derzeitige Konsul Lucius Marcius Philippus, der wie früher die Sache der Demokratie, so jetzt die des Ritterstandes mit Eifer und Klugheit verfocht, und der verwegene und rücksichtslose Quintus Caepio, den zunächst die persönliche Feindschaft gegen Drusus und Scaurus zu dieser Opposition bestimmte. Allein gefährlicher als diese entschiedenen Gegner war die feige und faule Masse der Aristokratie, die zwar die Provinzen lieber allein geplündert hätte, aber am Ende auch nicht viel dawider hatte, mit den Rittern die Beute zu teilen, und, statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes gegen die übermütigen Kapitalisten zu übernehmen, es viel billiger und bequemer fand, sich von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen Fußfall oder auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen. Nur der Erfolg konnte zeigen, wieweit es gelingen werde, diese Masse mit fortzureißen, ohne die es nun einmal nicht möglich war, zum Ziele zu gelangen.

Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Bürgern vom Ritterzensus zu entziehen und sie dem Senat zurückzugeben, welcher zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand gesetzt werden sollte, den vermehrten Obliegenheiten zu genügen; zur Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der Bestechlichkeit sich schuldig gemacht hätten oder schuldig machen würden, sollte eine eigene Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der nächste Zweck erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu berauben und sie für die verübte Unbill zur Verantwortung zu ziehen. Indes Drusus‘ Anträge und Absichten beschränkten sich hierauf keineswegs; seine Vorschläge waren keine Gelegenheitsmaßregeln, sondern ein umfassender und durchdachter Reformplan. Er beantragte ferner, die Getreideverteilung zu erhöhen und die Mehrkosten zu decken durch die dauernde Emission einer verhältnismäßigen Zahl von kupfernen plattierten neben den silbernen Denaren, sodann das gesamte noch unverteilte italische Ackerland, also namentlich die Kampanische Domäne, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von Bürgerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das römische Bürgerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier von aristokratischer Seite ebendieselben Herrschaftsstützen und ebendieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus‘ Verfassung beruht hatte – ein seltsames und doch sehr begreifliches Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, daß, wie die Tyrannis gegen die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stützte auf das besoldete und gewissermaßen organisierte Proletariat; hatte die Regierung früher die Ernährung des Proletariats auf Staatskosten als ein unvermeidliches Übel hingenommen, so dachte Drusus jetzt dasselbe, wenigstens für den Augenblick, gegen die Geldaristokratie zu gebrauchen. Es war nur in der Ordnung, daß der bessere Teil der Aristokratie, ebenwie ehemals auf das Ackergesetz des Tiberius Gracchus, so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen Reformmaßregeln, die, ohne die Oberhauptsfrage zu berühren, nur darauf abzweckten, die alten Schäden des Staats auszuheilen. In der Emigrations- und Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen wie die Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf dem freien Schalten über die Provinzen und durch jedes dauernde militärische Kommando gefährdet ward; die Gedanken, Italien und die Provinzen gleichzustellen und jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen mit den konservativen Prinzipien sich nicht. Allein die launischen und selbst die kampanischen Domänen so wie Sizilien konnte der Senat recht wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand zu heben und dennoch die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, daß man künftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch, daß alles irgend verfügbare Land von der Aristokratie selbst zur Aufteilung gebracht ward und für künftige Demagogen, nach Drusus‘ eigenem Ausdruck, nichts zu verteilen übrig blieb als der Gassenkot und das Morgenrot. Ebenso war es für die Regierung, mochte dies nun ein Monarch sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender Familien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum römischen Bürgerverband gehörte; und daher mußten wohl beiderseits die reformierenden Männer sich in dem Gedanken begegnen, durch zweckmäßige und rechtzeitige Erstreckung des Bürgerrechts die Gefahr abzuwenden, daß die Insurrektion von Fregellae in größerem Maßstab wiederkehre, nebenher auch an den zahl- und einflußreichen Italikern sich Bundesgenossen für ihre Pläne suchen. So scharf in der Oberhauptsfrage die Ansichten und Absichten der beiden großen politischen Parteien sich schieden, so vielfach berührten sich in den Operationsmitteln und in den reformistischen Tendenzen die besten Männer aus beiden Lagern; und wie Scipio Aemilianus ebenso unter den Widersachern des Tiberius Gracchus wie unter den Förderern seiner Reformbestrebungen genannt werden kann, so war auch Drusus der Nachfolger und Schüler nicht minder als der Gegner des Gaius. Die beiden hochgeborenen und hochsinnigen jugendlichen Reformatoren waren sich ähnlicher, als es auf den ersten Blick schien und auch persönlich beide nicht unwert, über dem trüben Nebel des befangenen Parteitreibens in reineren und höheren Anschauungen sich mit dem Kern ihrer patriotischen Bestrebungen zu begegnen.

Es handelte sich um die Durchbringung der von Drusus entworfenen Gesetze, von denen übrigens der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus, den bedenklichen Vorschlag, den italischen Bundesgenossen das römische Bürgerrecht zu verleihen, vorläufig zurückhielt und zunächst nur das Geschworenen-, Acker- und Getreidegesetz vorlegte. Die Kapitalistenpartei widerstand aufs heftigste und würde bei der Unentschlossenheit des größten Teils der Aristokratie und der Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die Verwerfung des Geschworenengesetzes durchgesetzt haben, wenn es allein zur Abstimmung gekommen wäre. Drusus faßte deshalb seine sämtlichen Anträge in einen einzigen zusammen; und indem also alle bei den Getreide- und Landverteilungen interessierten Bürger genötigt wurden, auch für das Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und durch die Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz bedrohten großen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und etruskischen, fest zu Drusus standen, das Gesetz durchzubringen – freilich erst, nachdem Drusus den Konsul Philippus, der nicht aufhörte zu widerstreben, hatte verhaften und durch den Büttel in den Kerker abführen lassen. Das Volk feierte den Tribun als seinen Wohltäter und empfing ihn im Theater mit Aufstehen und Beifallklatschen; allein die Abstimmung hatte den Kampf nicht so sehr entschieden als auf einen anderen Boden verlegt, da die Gegenpartei den Antrag des Drusus mit Recht als dem Gesetz von 656 (98) zuwiderlaufend und deshalb als nichtig bezeichnete. Der Hauptgegner des Tribuns, der Konsul Philippus, forderte den Senat auf, aus diesem Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu kassieren; allein die Majorität des Senats, erfreut, die Rittergerichte los zu sein, wies den Antrag zurück. Der Konsul erklärte darauf auf offenem Markte, daß mit einem solchen Senat zu regieren nicht möglich sei und er sich nach einem anderen Staatsrat umsehen werde; er schien einen Staatsstreich zu beabsichtigen. Der Senat, von Drusus deswegen berufen, sprach nach stürmischen Verhandlungen gegen den Konsul ein Tadels- und Mißtrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in einem großen Teil der Majorität die Angst vor der Revolution zu regen, mit der sowohl Philippus als ein großer Teil der Kapitalisten zu drohen schien. Andere Umstände kamen hinzu. Einer der tätigsten und angesehensten unter Drusus‘ Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus, starb plötzlich wenige Tage nach jener Senatssitzung (September 663 91). Die von Drusus mit den Italikern angeknüpften Verbindungen, die er anfangs nur wenigen seiner Vertrautesten mitgeteilt hatte, wurden allmählich ruchbar, und in das wütende Geschrei über Landesverrat, das die Gegner erhoben, stimmten viele, vielleicht die meisten Männer der Regierungspartei mit ein; selbst die edelmütige Warnung, die er dem Konsul Philippus zukommen ließ, bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg vor den von den Italikern ausgesandten Mördern sich zu hüten, diente nur dazu, ihn weiter zu kompromittieren, indem sie zeigte, wie tief er in die unter den Italikern gärenden Verschwörungen verwickelt war. Immer heftiger drängte Philippus auf Kassation des Livischen Gesetzes; immer lauer ward die Majorität in der Verteidigung desselben. Bald erschien die Rückkehr zu den früheren Verhältnissen der großen Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der einzige Ausweg, und der Kassationsbeschluß wegen formeller Mängel erfolgte. Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend, begnügte sich daran zu erinnern, daß der Senat also selbst die verhaßten Rittergerichte wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den Kassationsbeschluß durch Interzession ungültig zu machen. Der Angriff des Senats auf die Kapitalistenpartei war vollständig abgeschlagen, und willig oder unwillig fügte man sich abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe Finanz begnügte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends auf seinem Hausflur die wie gewöhnlich ihn begleitende Menge eben verabschieden wollte, stürzte er plötzlich vor dem Bilde seines Vaters zusammen; eine Mörderhand hatte ihn getroffen und so sicher, daß er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Täter war in der Abenddämmerung verschwunden, ohne daß jemand ihn erkannt hatte, und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die Aristokratie sich selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und grauenvolle Ende, das die demokratischen Reformatoren weggerafft hatte, war auch dem Gracchus der Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine tiefe und traurige Lehre. An dem Widerstand oder an der Schwäche der Aristokratie scheiterte die Reform, selbst wenn der Versuch zu reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine Kraft und sein Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu stürzen, die Emigration zu organisieren, den drohenden Bürgerkrieg abzuwenden; er sah noch selbst die Kaufleute unumschränkter regieren als je, sah alle seine Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewußtsein, daß seid jäher Tod das Signal zu dem fürchterlichsten Bürgerkrieg sein werde, der je das schöne italische Land verheert hat.

  1. Es ist nicht möglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was dem zweiten Tribunat des Saturninus angehört; um so weniger, als derselbe in beiden offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte. Das afrikanische Ackergesetz setzt die Schrift ‚De viris illustribus‘ (73, 1) mit Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der erst kurz vorher erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das zweite Ackergesetz gehört unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das Majestäts- und das Getreidegesetz sind nur vermutungsweise jenes in 651 (103), dieses in 654 (100) gesetzt worden.
  2. Dahin führen alle Spuren. Der ältere Quintus Caepio war 648 (106) Konsul, der jüngere 651 (103) oder 654 (100) Quästor, also jener um oder vor 605 (149), dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; daß jener starb, ohne Söhne zu hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht nicht, denn der jüngere Caepio fiel 664 (90) und der ältere, der im Exil zu Smyrna sein Leben beschloß, kann gar wohl ihn überlebt haben.