7. Kapitel
Die Unterwerfung des Westens
Wenn von dem armseligen Einerlei des politischen Egoismus, der in der Kurie und auf den Straßen der Hauptstadt seine Schlachten schlug, sich der Gang der Geschichte wieder zu Dingen wendet, die wichtiger sind als die Frage, ob der erste Monarch Roms Gnaeus, Gaius oder Marcus heißen wird, so mag es wohl gestattet sein, an der Schwelle eines Ereignisses, dessen Folgen noch heute die Geschicke der Welt bestimmen, einen Augenblick umzuschauen und den Zusammenhang zu bezeichnen, in welchem die Eroberung des heutigen Frankreich durch die Römer und ihre ersten Berührungen mit den Bewohnern Deutschlands und Großbritanniens weltgeschichtlich aufzufassen sind.
Kraft des Gesetzes, daß das zum Staat entwickelte Volk die politisch unmündigen, das zivilisierte die geistig unmündigen Nachbarn in sich auflöst – kraft dieses Gesetzes, das so allgemeingültig und so sehr Naturgesetz ist wie das Gesetz der Schwere, war die italische Nation, die einzige des Altertums, welche die höhere politische Entwicklung und die höhere Zivilisation, wenn auch letztere nur in unvollkommener und äußerlicher Weise, miteinander zu verbinden vermocht hat, befugt, die zum Untergang reifen griechischen Staaten des Ostens sich untertan zu machen und die Völkerschaften niedrigerer Kulturgrade im Westen, Libyer, Iberer, Kelten, Germanen, durch ihre Ansiedler zu verdrängen – eben wie England mit gleichem Recht in Asien eine ebenbürtige, aber politisch impotente Zivilisation sich unterworfen, in Amerika und Australien ausgedehnte barbarische Landschaften mit dem Stempel seiner Nationalität bezeichnet und geadelt hat und noch fortwährend bezeichnet und adelt. Die Vorbedingung dieser Aufgabe, die Einigung Italiens, hatte die römische Aristokratie vollbracht; die Aufgabe selber hat sie nicht gelöst, sondern die außeritalischen Eroberungen stets nur entweder als notwendiges Übel oder auch als einen gleichsam außerhalb des Staates stehenden Rentenbesitz betrachtet. Es ist der unvergängliche Ruhm der römischen Demokratie oder Monarchie – denn beides fällt zusammen –, daß sie jene höchste Bestimmung richtig begriffen und kräftig verwirklicht hat. Was die unwiderstehliche Macht der Verhältnisse durch den wider seinen Willen die Grundlagen der künftigen römischen Herrschaft im Westen wie im Osten feststellenden Senat vorbereitet hatte, was dann die römische Emigration in die Provinzen, die zwar als Landplage kam, aber in die westlichen Landschaften doch auch als Pionier einer höheren Kultur, instinktmäßig betrieb, das hat der Schöpfer der römischen Demokratie Gaius Gracchus mit staatsmännischer Klarheit und Sicherheit erfaßt und durchzuführen begonnen. Die beiden Grundgedanken der neuen Politik: das Machtgebiet Roms, soweit es hellenisch war, zu reunieren, soweit es nicht hellenisch war, zu kolonisieren, waren mit der Einziehung des Attalischen Reiches, mit den transalpinischen Eroberungen des Flaccus bereits in der gracchischen Zeit praktisch anerkannt worden; aber die obsiegende Reaktion ließ sie wieder verkümmern. Der römische Staat blieb eine wüste Ländermasse ohne intensive Okkupation und ohne gehörige Grenzen; Spanien und die griechisch-asiatischen Besitzungen waren durch weite, kaum in ihren Küstensäumen den Römern untertänige Gebiete von dem Mutterland geschieden, an der afrikanischen Nordküste nur die Gebiete von Karthago und Kyrene inselartig okkupiert, selbst von dem untertänigen Gebiet große Strecken, namentlich in Spanien, den Römern nur dem Namen nach unterworfen: von Seiten der Regierung aber geschah zur Konzentrierung und Arrondierung der Herrschaft schlechterdings nichts, und der Verfall der Flotte schien endlich das letzte Band zwischen den entlegenen Besitzungen zu lösen. Wohl versuchte die Demokratie, wie sie nur wieder ihr Haupt erhob, auch die äußere Politik im Geiste des Gracchus zu gestalten, wie denn namentlich Marius mit solchen Ideen sich trug; aber da sie nicht auf die Dauer ans Ruder kam, blieb es bei Entwürfen. Erst als mit dem Sturz der Sullanischen Verfassung im Jahre 684 (70) die Demokratie tatsächlich das Regiment in die Hand nahm, trat auch in dieser Hinsicht ein Umschwung ein. Vor allen Dingen ward die Herrschaft auf dem Mittelländischen Meere wiederhergestellt, die erste Lebensfrage für einen Staat wie der römische war. Gegen Osten wurde weiter durch die Einziehung der pontischen und syrischen Landschaften die Euphratgrenze gesichert. Aber noch war es übrig, jenseits der Alpen zugleich das römische Gebiet gegen Norden und Westen abzuschließen und der hellenischen Zivilisation, der noch keineswegs gebrochenen Kraft des italischen Stammes hier einen neuen jungfräulichen Boden zu gewinnen. Dieser Aufgabe hat Gaius Caesar sich unterzogen. Es ist mehr als ein Irrtum, es ist ein Frevel gegen den in der Geschichte mächtigen heiligen Geist, wenn man Gallien einzig als den Exerzierplatz betrachtet, auf dem Caesar sich und seine Legionen für den bevorstehenden Bürgerkrieg übte. Wenn auch die Unterwerfung des Westens für Caesar insofern ein Mittel zum Zweck war, als er in den transalpinischen Kriegen seine spätere Machtstellung begründet hat, so ist ebendies das Privilegium des staatsmännischen Genius, daß seine Mittel selbst wieder Zwecke sind. Caesar bedurfte wohl für seine Parteizwecke einer militärischen Macht; Gallien aber hat er nicht als Parteimann erobert. Es war zunächst für Rom eine politische Notwendigkeit, der ewig drohenden Invasion der Deutschen schon jenseits der Alpen zu begegnen und dort einen Damm zu ziehen, der der römischen Welt den Frieden sicherte. Aber auch dieser wichtige Zweck war noch nicht der höchste und letzte, weshalb Gallien von Caesar erobert ward. Als der römischen Bürgerschaft die alte Heimat zu eng geworden war und sie in Gefahr stand zu verkümmern, rettete die italische Eroberungspolitik des Senats dieselbe vom Untergang. Jetzt war auch die italische Heimat wieder zu eng geworden; wieder siechte der Staat an denselben in gleicher Art, nur in größeren Verhältnissen sich wiederholenden sozialen Mißständen. Es war ein genialer Gedanke, eine großartige Hoffnung, welche Caesar über die Alpen führte: der Gedanke und die Zuversicht, dort seinen Mitbürgern eine neue, grenzenlose Heimat zu gewinnen und den Staat zum zweitenmal dadurch zu regenerieren, daß er auf eine breitere Basis gestellt ward.
Gewissermaßen läßt sich zu den auf die Unterwerfung des Westens abzielenden Unternehmungen schon der Feldzug rechnen, den Caesar im Jahre 693 (61) im Jenseitigen Spanien unternahm. Wielange auch Spanien schon den Römern gehorchte, immer noch war selbst nach der Expedition des Decimus Brutus gegen die Callaeker das westliche Gestade von den Römern wesentlich unabhängig geblieben und die Nordküste noch gar von ihnen nicht betreten worden; und die Raubzüge, denen von dort aus die untertänigen Landschaften fortwährend sich ausgesetzt sahen, taten der Zivilisierung und Romanisierung Spaniens nicht geringen Eintrag. Hiergegen richtete sich Caesars Zug an der Westküste hinauf. Er überschritt die den Tajo nördlich begrenzende Kette der Herminischen Berge (Sierra de Estrella), nachdem er die Bewohner derselben überwunden und zum Teil in die Ebene übergesiedelt hatte, unterwarf die Landschaft zu beiden Seiten des Duero und gelangte bis an die nordwestliche Spitze der Halbinsel, wo er mit Hilfe einer von Gades herbeigezogenen Flottille Brigantium (Coruña) einnahm. Dadurch wurden die Anwohner des Atlantischen Ozeans, Lusitaner und Callaeker zur Anerkennung der römischen Suprematie gezwungen, während der Überwinder zugleich darauf bedacht war, durch Herabsetzung der nach Rom zu entrichtenden Tribute und Regulierung der ökonomischen Verhältnisse der Gemeinden die Lage der Untertanen überhaupt leidlicher zu gestalten.
Indes wenn auch schon in diesem militärischen und administrativen Debüt des großen Feldherrn und Staatsmannes dieselben Talente und dieselben leitenden Gedanken durchschimmern, die er später auf größeren Schauplätzen bewährt hat, so war doch seine Wirksamkeit auf der Iberischen Halbinsel viel zu vorübergehend, um tief einzugreifen, um so mehr als bei deren eigentümlichen physischen und nationalen Verhältnissen nur eine längere Zeit hindurch mit Stetigkeit fortgesetzte Tätigkeit hier eine dauernde Wirkung äußern konnte.
Eine bedeutendere Rolle in der romanischen Entwicklung des Westens war der Landschaft bestimmt, welche zwischen den Pyrenäen und dem Rheine, dem Mittelmeer und dem Atlantischen Ozean sich ausbreitet und an der seit der augustinischen Zeit der Name des Keltenlandes, Gallien, vorzugsweise haftet, obwohl genau genommen das Keltenland teils enger ist, teils viel weiter sich erstreckt und jene Landschaft niemals eine nationale und nicht vor Augustus eine politische Einheit gebildet hat. Es ist eben darum nicht leicht, von den in sich sehr ungleichartigen Zuständen, die Caesar bei seinem Eintreffen daselbst im Jahre 696 (58) vorfand, ein anschauliches Bild zu entwerfen.
In der Landschaft am Mittelmeer, welche ungefähr, im Westen der Rhone Languedoc, im Osten Dauphiné und Provence umfassend, seit sechzig Jahren römische Provinz war, hatten seit dem kimbrischen Sturm, der auch über sie hingebraust war, die römischen Waffen selten geruht. 664 (90) hatte Gaius Caelius mit den Salyern um Aquae Sextiae, 674 (80) Gaius Flaccus auf dem Marsch nach Spanien mit anderen keltischen Gauen gekämpft. Als im Sertorianischen Krieg der Statthalter Lucius Manlius, genötigt, seinen Kollegen jenseits der Pyrenäen zu Hilfe zu eilen, geschlagen von Ilerda (Lerida) zurückkam und auf dem Heimweg von den westlichen Nachbarn der römischen Provinz, den Aquitanern, zum zweitenmal besiegt ward (um 676 78), scheint dies einen allgemeinen Aufstand der Provinzialen zwischen den Pyrenäen und der Rhone, vielleicht selbst derer zwischen Rhone und Alpen hervorgerufen zu haben. Pompeius mußte sich durch das empörte Gallien seinen Weg nach Spanien mit dem Schwerte bahnen und gab zur Strafe für die Empörung die Marken der Volker-Arekomiker und der Helvier (Departement Gard und Ardèche) den Massalioten zu eigen; der Statthalter Manius Fonteius (678-680 76-74) führte diese Anordnungen aus und stellte die Ruhe in der Provinz wieder her, indem er die Vocontier (Departement Drôme) niederwarf, Massalia vor den Aufständischen schützte und die römische Hauptstadt Narbo, die sie berannten, wieder befreite. Die Verzweiflung indes und die ökonomische Zerrüttung, welche die Mitleidenschaft unter dem Spanischen Krieg und überhaupt die amtlichen und nichtamtlichen Erpressungen der Römer über die gallischen Besitzungen brachten, ließ dieselben nicht zur Ruhe kommen und namentlich der von Narbo am weitesten entfernte Kanton der Allobrogen war in beständiger Gärung, von der die „Friedensstiftung“, die Gaius Piso dort 688 (66) vornahm, sowie das Verhalten der allobrogischen Gesandtschaft in Rom bei Gelegenheit des Anarchistenkomplotts 691 (63) Zeugnis ablegen und die bald darauf (693 61) in offene Empörung ausbrach. Catugnatus, der Führer der Allobrogen in diesem Kriege der Verzweiflung, ward, nachdem er anfangs nicht unglücklich gefochten, bei Solonium nach rühmlicher Gegenwehr von dem Statthalter Gaius Pomptinus überwunden.
Trotz aller dieser Kämpfe wurden die Grenzer. des römischen Gebiets nicht wesentlich vorgeschoben; Lugudunum Convenarum, wo Pompeius die Trümmer der Sertorianischen Armee angesiedelt hatte, Tolosa, Vienna und Genava waren immer noch die äußersten römischen Ortschaften gegen Westen und Norden. Dabei aber war die Bedeutung dieser gallischen Besitzungen für das Mutterland beständig im Steigen; das herrliche, dem italischen verwandte Klima, die günstigen Bodenverhältnisse, das dem Handel so förderliche große und reiche Hinterland mit seinen bis nach Britannien reichenden Kaufstraßen, der bequeme Land- und Seeverkehr mit der Heimat gaben rasch dem südlichen Kettenland eine ökonomische Wichtigkeit für Italien, die viel ältere Besitzungen, wie zum Beispiel die spanischen, in Jahrhunderten nicht erreicht hatten; und wie die politisch schiffbrüchigen Römer in dieser Zeit vorzugsweise in Massalia eine Zufluchtsstätte suchten und dort italische Bildung wie italischen Luxus wiederfanden, so zogen sich auch die freiwilligen Auswanderer aus Italien mehr und mehr an die Rhone und die Garonne. „Die Provinz Gallien“, heißt es in einer zehn Jahre vor Caesars Ankunft entworfenen Schilderung, „ist voll von Kaufleuten; sie wimmelt von römischen Bürgern. Kein Gallier macht ein Geschäft ohne Vermittlung eines Römers; jeder Pfennig, der in Gallien aus einer Hand in die andere kommt, geht durch die Rechnungsbücher der römischen Bürger“. Aus derselben Schilderung ergibt sich, daß in Gallien auch außer den Kolonisten von Narbo römische Landwirte und Viehzüchter in großer Anzahl sich aufhielten; wobei übrigens nicht außer acht zu lassen ist, daß das meiste von Römern besessene Provinzland, eben wie in frühester Zeit der größte Teil der englischen Besitzungen in Nordamerika, in den Händen des hohen, in Italien lebenden Adels war und jene Ackerbauer und Viehzüchter zum größten Teil aus deren Verwaltern, Sklaven oder Freigelassenen bestanden. Es ist begreiflich, daß unter solchen Verhältnissen die Zivilisierung und die Romanisierung unter den Eingeborenen rasch um sich griff. Diese Kelten liebten den Ackerbau nicht; ihre neuen Herren aber zwangen sie, das Schwert mit dem Pfluge zu vertauschen, und es ist sehr glaublich, daß der erbitterte Widerstand der Allobrogen zum Teil eben durch dergleichen Anordnungen hervorgerufen ward. In älteren Zeiten hatte der Hellenismus auch diese Landschaften bis zu einem gewissen Grade beherrscht; die Elemente höherer Gesittung, die Anregungen zu Wein- und Ölbau, zum Gebrauche der Schrift32 und zur Münzprägung kamen ihnen von Massalia. Auch durch die Römer ward die hellenische Kultur hier nichts weniger als verdrängt; Massalia gewann durch sie mehr an Einfluß als es verlor, und noch in der römischen Zeit wurden griechische Ärzte und Rhetoren in den gallischen Kantons von Gemeinde wegen angestellt. Allein begreiflicherweise erhielt doch der Hellenismus im südlichen Keltenland durch die Römer denselben Charakter wie in Italien: die spezifisch hellenische Zivilisation wich der lateinisch-griechischen Mischkultur, die bald hier Proselyten in großer Anzahl machte. Die „Hosengallier“, wie man im Gegensatz zu den norditalischen „Galliern in der Toga“ die Bewohner des südlichen Keltenlandes nannte, waren zwar nicht wie jene bereits vollständig romanisiert, aber sie unterschieden sich doch schon sehr merklich von den „langhaarigen Galliern“ der noch unbezwungenen nördlichen Landschaften. Die bei ihnen sich einbürgernde Halbkultur gab zwar Stoff genug her zu Spöttereien über ihr barbarisches Latein, und man unterließ es nicht, dem, der im Verdacht keltischer Abstammung stand, seine „behoste Verwandtschaft“ zu Gemüte zu führen; aber dies schlechte Latein reichte doch dazu aus, daß selbst die entfernten Allobrogen mit den römischen Behörden in Geschäftsverkehr treten und sogar in römischen Gerichten ohne Dolmetsch Zeugnis ablegen konnten.
Wenn also die keltische und ligurische Bevölkerung dieser Gegenden auf dem Wege war, ihre Nationalität einzubüßen und daneben siechte und verkümmerte unter einem politischen und ökonomischen Druck, von dessen Unerträglichkeit die hoffnungslosen Aufstände hinreichend Zeugnis ablegen, so ging doch hier der Untergang der eingeborenen Bevölkerung Hand in Hand mit der Einbürgerung derselben höheren Kultur, welche wir in dieser Zeit in Italien finden. Aquae Sextiae und mehr noch Narbo waren ansehnliche Ortschaften, die wohl neben Benevent und Capua genannt werden mochten; und Massalia, die bestgeordnete, freieste, wehrhafteste, mächtigste unter allen von Rom abhängigen griechischen Städten, unter ihrem streng aristokratischen Regiment, auf das die römischen Konservativen wohl als auf das Muster einer guten Stadtverfassung hinwiesen, im Besitz eines bedeutenden und von den Römern noch ansehnlich vergrößerten Gebiets und eines ausgebreiteten Handels, stand neben jenen launischen Städten wie in Italien neben Capua und Benevent Rhegion und Neapolis.
Anders sah es aus, wenn man die römische Grenze überschritt. Die große keltische Nation, die in den südlichen Landschaften schon von der italischen Einwanderung anfing unterdrückt zu werden, bewegte sich nördlich der Cevennen noch in althergebrachter Freiheit. Es ist nicht das erste Mal, daß wir ihr begegnen; mit den Ausläufern und Vorposten des ungeheuren Stammes hatten die Italiker bereits am Tiber und am Po, in den Bergen Kastiliens und Kärntens, ja tief im inneren Kleinasien gefochten, erst hier aber ward der Hauptstock in seinem Kerne von ihren Angriffen erfaßt. Der Keltenstamm hatte bei seiner Ansiedlung in Mitteleuropa sich vornehmlich über die reichen Flußtäler und das anmutige Hügelland des heutigen Frankreich mit Einschluß der westlichen Striche Deutschlands und der Schweiz ergossen und von hier aus wenigstens den südlichen Teil von England, vielleicht schon damals ganz Großbritannien und Irland besetzt33; mehr als irgendwo sonst bildete er hier eine breite, geographisch geschlossene Völkermasse. Trotz der Unterschiede in Sprache und Sitte, die natürlich innerhalb dieses weiten Gebietes nicht fehlten, scheint dennoch ein enger gegenseitiger Verkehr, ein geistiges Gefühl der Gemeinschaft die Völkerschaften von der Rhone und Garonne bis zum Rhein und der Themse zusammengeknüpft zu haben; wogegen dieselben mit den Kelten in Spanien und im heutigen Österreich wohl örtlich gewissermaßen zusammenhingen, aber doch teils die gewaltigen Bergscheiden der Pyrenäen und der Alpen, teils die hier ebenfalls einwirkenden Obergriffe der Römer und der Germanen den Verkehr und den geistigen Zusammenhang der Stammverwandten ganz anders unterbrachen als der schmale Meerarm den der kontinentalen und der britischen Kelten. Leider ist es uns nicht vergönnt, die innere Entwicklungsgeschichte des merkwürdigen Volkes in diesen seinen Hauptsitzen von Stufe zu Stufe zu verfolgen; wir müssen uns begnügen, dessen kulturhistorischen und politischen Zustand, wie er hier zu Caesars Zeit uns entgegentritt, wenigstens in seinen Umrissen darzustellen.
Gallien war nach den Berichten der Alten verhältnismäßig wohl bevölkert. Einzelne Angaben lassen schließen, daß in den belgischen Distrikten etwa 900 Köpfe auf die Quadratmeile kamen – ein Verhältnis, wie es heutzutage etwa für Wallis und für Livland gilt, – in dem helvetischen Kanton etwa 110034
Dem Zusammensiedeln waren die Gallier von Haus aus geneigt; offene Dörfer gab es überall und allein der helvetische Kanton zählte deren im Jahre 696 (58) vierhundert außer einer Menge einzelner Höfe. Aber es fehlte auch nicht an ummauerten Städten, deren Mauern von Fachwerk sowohl durch ihre Zweckmäßigkeit als durch die zierliche Ineinanderfügung von Balken und Steinen den Römern auffielen, während freilich selbst in den Städten der Allobrogen die Gebäude allein aus Holz aufgeführt waren. Solcher Städte hatten die Helvetier zwölf und ebensoviele die Suessionen; wogegen allerdings in den nördlicheren Distrikten, zum Beispiel bei den Nerviern, es wohl auch Städte gab, aber doch die Bevölkerung im Kriege mehr in den Sümpfen und Wäldern als hinter den Mauern Schutz suchte und jenseits der Themse gar die primitive Schutzwehr der Waldverhacke durchaus an die Stelle der Städte trat und im Krieg die einzige Zufluchtsstätte für Menschen und Herden war. Mit der verhältnismäßig bedeutenden Entwicklung des städtischen Lebens steht in enger Verbindung die Regsamkeit des Verkehrs zu Lande und zu Wasser. Überall gab es Straßen und Brücken. Die Flußschiffahrt, wozu Ströme wie Rhone, Garonne, Loire und Seine von selber aufforderten, war ansehnlich und ergiebig. Aber weit merkwürdiger noch ist die Seeschiffahrt der Kelten. Nicht bloß sind die Kelten allem Anschein nach diejenige Nation, die zuerst den Atlantischen Ozean regelmäßig befahren hat, sondern wir finden auch hier die Kunst, Schiffe zu bauen und zu lenken, auf einer bemerkenswerten Höhe. Die Schiffahrt der Völker des Mittelmeers ist, wie dies bei der Beschaffenheit der von ihnen befahrenen Gewässer begreiflich ist, verhältnismäßig lange bei dem Ruder stehengeblieben: die Kriegsfahrzeuge der Phöniker, Hellenen und Römer waren zu allen Zeiten Rudergaleeren, auf welchen das Segel nur als gelegentliche Verstärkung des Ruders verwendet wurde; nur die Handelsschiffe sind in der Epoche der entwickelten antiken Zivilisation eigentliche Segler gewesen36. Die Gallier dagegen bedienten zwar auf dem Kanal sich zu Caesars Zeit wie noch lange nachher einer Art tragbarer lederner Kähne, die im wesentlichen gewöhnliche Ruderboote gewesen zu sein scheinen; aber an der Westküste Galliens fuhren die Santonen, die Pictonen, vor allem die Veneter mit großen, freilich plump gebauten Schiffen, die nicht mit Rudern bewegt wurden, sondern mit Ledersegeln und eisernen Ankerketten versehen waren, und verwandten diese nicht nur für ihren Handelsverkehr mit Britannien, sondern auch im Seegefecht. Hier also begegnen wir nicht bloß zuerst der Schiffahrt auf dem freien Ozean, sondern hier hat auch zuerst das Segelschiff völlig den Platz des Ruderbootes eingenommen – ein Fortschritt, den freilich die sinkende Regsamkeit der alten Welt nicht zu nutzen verstanden hat und dessen unübersehliche Resultate erst unsere verjüngte Kulturperiode beschäftigt ist, allmählich zu ziehen.
Bei diesem regelmäßigen Seeverkehr zwischen der britischen und der gallischen Küste ist die überaus enge politische Verbindung zwischen den beiderseitigen Anwohnern des Kanals ebenso erklärlich wie das Aufblühen des überseeischen Handels und der Fischerei. Es waren die Kelten, namentlich der Bretagne, die das Zinn der Gruben von Cornwallis aus England holten und es auf den Fluß- und Landstraßen des Keltenlandes nach Narbo und Massalia verfuhren. Die Angabe, daß zu Caesars Zeit einzelne Völkerschaften an der Rheinmündung von Fischen und Vogeleiern lebten, darf man wohl darauf beziehen, daß hier die Seefischerei und das Einsammeln der Seevögeleier in ausgedehntem Umfang betrieben ward. Faßt man die vereinzelten und spärlichen Angaben, die über den keltischen Handel und Verkehr uns geblieben sind, in Gedanken ergänzend zusammen, so begreift man es, daß die Zölle der Fluß- und Seehäfen in den Budgets einzelner Kantons, zum Beispiel in denen der Häduer und der Veneter, eine große Rolle spielten und daß der Hauptgott der Nation ihr galt als der Beschützer der Straßen und des Handels und zugleich als Erfinder der Gewerke. Ganz nichtig kann danach auch die keltische Industrie nicht gewesen sein; wie denn die ungemeine Anstelligkeit der Kelten und ihr eigentümliches Geschick, jedes Muster nachzuahmen und jede Anweisung auszuführen auch von Caesar hervorgehoben wird. In den meisten Zweigen scheint aber doch das Gewerk bei ihnen sich nicht über das Maß des Gewöhnlichen erhoben zu haben; die später im mittleren und nördlichen Gallien blühende Fabrikation leinener und wollener Stoffe ist nachweislich erst durch die Römer ins Leben gerufen worden. Eine Ausnahme, und soviel wir wissen die einzige, macht die Bearbeitung der Metalle. Das nicht selten technisch vorzügliche und noch jetzt geschmeidige Kupfergerät, das in den Gräbern des Keltenlandes zum Vorschein kommt, und die sorgfältig justierten arvernischen Goldmünzen sind heute noch lebendige Zeugen der Geschicklichkeit der keltischen Kupfer- und Goldarbeiter; und wohl stimmen dazu die Berichte der Alten, daß die Römer von den Biturigen das Verzinnen, von den Alesiern das Versilbern lernten – Erfindungen, von denen die erste durch den Zinnhandel nahe genug gelegt war und die doch wahrscheinlich beide noch in der Zeit der keltischen Freiheit gemacht worden sind. Hand in Hand mit der Gewandtheit in der Bearbeitung der Metalle ging die Kunst, sie zu gewinnen, die zum Teil, namentlich in den Eisengruben an der Loire, eine solche bergmännische Höhe erreicht hatte, daß die Grubenarbeiter bei den Belagerungen eine bedeutende Rolle spielten. Die den Römern dieser Zeit geläufige Meinung, daß Gallien eines der goldreichsten Länder der Erde sei, wird freilich widerlegt durch die wohlbekannten Bodenverhältnisse und durch die Fundbestände der keltischen Gräber, in denen Gold nur sparsam und bei weitem minder häufig erscheint als in den gleichartigen Funden der wahren Heimatländer des Goldes; es ist auch diese Vorstellung wohl nur hervorgerufen worden durch das, was griechische Reisende und römische Soldaten, ohne Zweifel nicht ohne starke Übertreibung, ihren Landsleuten von der Pracht der arvernischen Könige und den Schätzen der tolosanischen Tempel zu erzählen wußten. Aber völlig aus der Luft griffen die Erzähler doch nicht. Es ist sehr glaublich, daß in und an den Flüssen, welche aus den Alpen und den Pyrenäen strömen, Goldwäschereien und Goldsuchereien, die bei dem heutigen Wert der Arbeitskraft unergiebig sind, in roheren Zeiten und bei Sklavenwirtschaft mit Nutzen und in bedeutendem Umfang betrieben wurden; überdies mögen die Handelsverhältnisse Galliens, wie nicht selten die der halbzivilisierten Völker, das Aufhäufen eines toten Kapitals edler Metalle begünstigt haben.
Bemerkenswert ist der niedrige Stand der bildenden Kunst, der bei der mechanischen Geschicklichkeit in Behandlung der Metalle nur um so greller hervortritt. Die Vorliebe für bunte und glänzende Zieraten zeigt den Mangel an Schönheitssinn, und eine leidige Bestätigung gewähren die gallischen Münzen mit ihren bald übereinfach, bald abenteuerlich, immer aber kindisch entworfenen und fast ohne Ausnahme mit unvergleichlicher Roheit ausgeführten Darstellungen. Es ist vielleicht ohne Beispiel, daß eine Jahrhunderte hindurch mit einem gewissen technischen Geschick geübte Münzprägung sich wesentlich darauf beschränkt hat, zwei oder drei griechische Stempel immer wieder und immer entstellter nachzuschneiden. Dagegen wurde die Dichtkunst von den Kelten hoch geschätzt und verwuchs eng mit den religiösen und selbst mit den politischen Institutionen der Nation; wir finden die geistliche wie die Hof- und Bettelpoesie in Blüte. Auch Naturwissenschaft und Philosophie fanden, wenngleich in den Formen und den Banden der Landestheologie, bei den Kelten eine gewisse Pflege und der hellenische Humanismus eine bereitwillige Aufnahme, wo und wie er an sie herantrat. Die Kunde der Schrift war wenigstens bei den Priestern allgemein. Meistenteils bediente man in dem freien Gallien zu Caesars Zeit sich der griechischen, wie unter andern die Helvetier taten; nur in den südlichsten Distrikten desselben war schon damals infolge des Verkehrs mit den romanisierten Kelten die lateinische überwiegend, der wir zum Beispiel auf den arvernischen Münzen dieser Zeit begegnen.
Auch die politische Entwicklung der keltischen Nation bietet sehr bemerkenswerte Erscheinungen. Die staatliche Verfassung ruht bei ihr wie überall auf dem Geschlechtsgau mit dem Fürsten, dem Rat der Ältesten und der Gemeinde der freien waffenfähigen Männer; dies aber ist ihr eigentümlich, daß sie über diese Gauverfassung niemals hinausgelangt ist. Bei den Griechen und Römern trat sehr früh an die Stelle des Gaues als die Grundlage der politischen Einheit der Mauerring: wo zwei Gaue in denselben Mauern sich zusammenfanden, verschmolzen sie zu einem Gemeinwesen; wo eine Bürgerschaft einem Teil ihrer Mitbürger einen neuen Mauerring anwies, entstand regelmäßig damit auch ein neuer, nur durch die Bande der Pietät und höchstens der Klientel mit der Muttergemeinde, verknüpfter Staat. Bei den Kelten dagegen bleibt die „Bürgerschaft“ zu allen Zeiten der Clan; dem Gau und nicht irgendeiner Stadt stehen Fürst und Rat vor, und der allgemeine Gautag bildet die letzte Instanz im Staate. Die Stadt hat, wie im Orient, nur merkantile und strategische, nicht politische Bedeutung; weshalb denn auch die gallischen Ortschaften, selbst ummauerte und sehr ansehnliche wie Vienna und Genava, den Griechen und Römern nichts sind als Dörfer. Zu Caesars Zeit bestand die ursprüngliche Clanverfassung noch wesentlich ungeändert bei den Inselkelten und in den nördlichen Gauen des Festlandes: die Landesgemeinde behauptete die höchste Autorität; der Fürst ward in wesentlichen Fragen durch ihre Beschlüsse gebunden; der Gemeinderat war zahlreich – er zählte in einzelnen Clans sechshundert Mitglieder –, scheint aber nicht mehr bedeutet zu haben als der Senat unter den römischen Königen. Dagegen in dem regsameren Süden des Landes war ein oder zwei Menschenalter vor Caesar – die Kinder der letzten Könige lebten noch zu seiner Zeit – wenigstens bei den größeren Clans, den Arvernern, Häduern, Sequanern, Helvetiern, eine Umwälzung eingetreten, die die Königsherrschaft beseitigte und dem Adel die Gewalt in die Hände gab. Es ist nur die Kehrseite des ebenbezeichneten vollständigen Mangels städtischer Gemeinwesen bei den Kelten, daß der entgegengesetzte Pol der politischen Entwicklung, das Rittertum, in der keltischen Clanverfassung so völlig überwiegt. Die keltische Aristokratie war allem Anschein nach ein hoher Adel, größtenteils vielleicht die Glieder der königlichen oder ehemals königlichen Familien, wie es denn bemerkenswert ist, daß die Häupter der entgegengesetzten Parteien in demselben Clan sehr häufig dem gleichen Geschlecht angehören. Diese großen Familien vereinigten in ihrer Hand die ökonomische, kriegerische und politische Übermacht. Sie monopolisierten die Pachtungen der nutzbaren Rechte des Staates. Sie nötigen die Gemeinfreien, die die Steuerlast erdrückte, bei ihnen zu borgen und zuerst tatsächlich als Schuldner, dann rechtlich als Hörige sich ihrer Freiheit zu begeben. Sie entwickelten bei sich das Gefolgwesen, das heißt das Vorrecht des Adels, sich mit einer Anzahl gelöhnter reisiger Knechte, sogenannter Ambakten37
Wenn also die einzelnen Gaue unheilbar hinsiechten, so regte sich wohl daneben mächtig in der Nation das Gefühl der Einheit und suchte in mancherlei Weise Form und Halt zu gewinnen. Jenes Zusammenschließen des gesamten keltischen Adels im Gegensatz gegen die einzelnen Gauverbände zerrüttete zwar die bestehende Ordnung der Dinge, aber weckte und nährte doch auch die Vorstellung der Zusammengehörigkeit der Nation. Ebendahin wirkten die von außen her gegen die Nation gerichteten Angriffe und die fortwährende Schmälerung ihres Gebiets im Kriege mit den Nachbarn. Wie die Hellenen in den Kriegen gegen die Perser, die Italiker in denen gegen die cisalpinischen Kelten, so scheinen die transalpinischen Gallier in den Kriegen gegen Rom des Bestehens und der Macht der nationalen Einheit sich bewußt geworden zu sein. Unter dem Hader der rivalisierenden Clans und all jenem feudalistischen Gezänk machten doch auch die Stimmen derer sich bemerklich, die die Unabhängigkeit der Nation um den Preis der Selbständigkeit der einzelnen Gaue und selbst um den der ritterschaftlichen Herrenrechte zu erkaufen bereit waren. Wie durchweg populär die Opposition gegen die Fremdherrschaft war, bewiesen die Kriege Caesars, dem gegenüber die keltische Patriotenpartei eine ganz ähnliche Stellung hatte wie die deutschen Patrioten gegen Napoleon: für ihre Ausdehnung und ihre Organisation zeugt unter anderem die Telegraphengeschwindigkeit, mit der sie sich Nachrichten mitteilte.
Die Allgemeinheit und die Mächtigkeit des keltischen Nationalbewußtseins würden unerklärlich sein, wenn nicht bei der größten politischen Zersplitterung die keltische Nation seit langem religiös und selbst theologisch zentralisiert gewesen wäre. Die keltische Priesterschaft oder, mit dem einheimischen Namen, die Korporation der Druiden umfaßte sicher die Britischen Inseln und ganz Gallien, vielleicht noch andere Keltenländer mit einem gemeinsamen religiös-nationalen Bande. Sie stand unter einem eigenen Haupte, das die Priester selber sich wählten, mit eigenen Schulen, in denen die sehr umfängliche Tradition fortgepflanzt ward, mit eigenen Privilegien, namentlich Befreiung von Steuer und Kriegsdienst, welche jeder Clan respektierte, mit jährlichen Konzilien, die bei Chartres im „Mittelpunkt der keltischen Erde“ abgehalten wurden, und vor allen Dingen mit einer gläubigen Gemeinde, die an peinlicher Frömmigkeit und an blindem Gehorsam gegen ihre Priester den heutigen Iren nichts nachgegeben zu haben scheint. Es ist begreiflich, daß eine solche Priesterschaft auch das weltliche Regiment an sich zu reißen versuchte und teilweise an sich riß: sie leitete, wo das Jahrkönigtum bestand, im Fall eines Interregnums die Wahlen; sie nahm mit Erfolg das Recht in Anspruch, einzelne Männer und ganze Gemeinden von der religiösen und folgeweise auch der bürgerlichen Gemeinschaft auszuschließen; sie wußte die wichtigsten Zivilsachen, namentlich Grenz- und Erbschaftsprozesse an sich zu ziehen, sie entwickelte, gestützt wie es scheint auf ihr Recht, aus der Gemeinde auszuschließen, und vielleicht auch auf die Landesgewohnheit, daß zu den üblichen Menschenopfern vorzugsweise Verbrecher genommen wurden, eine ausgedehnte priesterliche Kriminalgerichtsbarkeit, die mit der der Könige und Vergobreten konkurrierte; sie nahm sogar die Entscheidung über Krieg und Frieden in Anspruch. Man war nicht fern von einem Kirchenstaat mit Papst und Konzilien, mit Immunitäten, Interdikten und geistlichen Gerichten; nur daß dieser Kirchenstaat nicht, wie der der Neuzeit, von den Nationen abstrahierte, sondern vielmehr vor allen Dingen national war.
Aber wenn also das Gefühl der Zusammengehörigkeit unter den keltischen Stämmen mit voller Lebendigkeit erwacht war, so blieb es dennoch der Nation versagt, zu einem Haltpunkt politischer Zentralisation zu gelangen, wie ihn Italien an der römischen Bürgerschaft, Hellenen und Germanen an den makedonischen und fränkischen Königen fanden. Die keltische Priester- und ebenso die Adelschaft, obwohl beide in gewissem Sinn die Nation vertraten und verbanden, waren doch einerseits ihrer ständisch-partikularistischen Interessen wegen unfähig, sie zu einigen, andererseits mächtig genug, um keinem König und keinem Gau das Werk der Einigung zu gestatten. Ansätze zu demselben fehlen nicht; sie gingen, wie die Gauverfassung es an die Hand gab, den Weg des Hegemoniesystems. Der mächtige Kanton bestimmte den schwächeren, sich ihm in der Art unterzuordnen, daß die führende Gemeinde nach außen die andere mitvertrat und in Staatsverträgen für sie mitstipulierte, der Klientelgau dagegen sich zur Heeresfolge, auch wohl zur Erlegung eines Tributs verpflichtete. Auf diesem Wege entstanden eine Reihe von Sonderbünden: einen führenden Gau für das ganze Keltenland, einen wenn auch noch so losen Verband der gesamten Nation gab es nicht. Es ward bereits erwähnt, daß die Römer bei dem Beginn ihrer transalpinischen Eroberungen dort im Norden einen britisch-belgischen Bund unter Führung der Suessionen, im mittleren und südlichen Gallien die Arvernerkonföderation vorfanden, mit welcher letzteren die Häduer mit ihrer schwächeren Klientel rivalisierten. In Caesars Zeit finden wir die Belgen im nordöstlichen Gallien zwischen Seine und Rhein noch in einer solchen Gemeinschaft, die sich indes wie es scheint auf Britannien nicht mehr erstreckt; neben ihnen erscheint in der heutigen Normandie und Bretagne der Bund der aremorikanischen, das heißt der Seegaue; im mittleren oder dem eigentlichen Gallien ringen wie ehemals zwei Parteien um die Hegemonie, an deren Spitze einerseits die Häduer stehen, andererseits, nachdem die Arverner, durch die Kriege mit Rom geschwächt, zurückgetreten waren, die Sequaner. Diese verschiedenen Eidgenossenschaften standen unabhängig nebeneinander; die führenden Staaten des mittleren Gallien scheinen ihre Klientel nie auf das nordöstliche und ernstlich wohl auch nicht auf den Nordwesten Galliens erstreckt zu haben. Der Freiheitsdrang der Nation fand in diesen Gauverbänden eine gewisse Befriedigung; aber sie waren doch in jeder Hinsicht ungenügend. Die Verbindung war von der lockersten, beständig zwischen Allianz und Hegemonie schwankenden Art, die Repräsentation der Gesamtheit im Frieden durch die Bundestage, im Kriege durch den Herzog40 im höchsten Grade schwächlich. Nur die belgische Eidgenossenschaft scheint etwas fester zusammengehalten zu haben; der nationale Aufschwung, aus dem die glückliche Abwehr der Kimbrer hervorging, mag ihr zugute gekommen sein. Die Rivalitäten um die Hegemonie machten einen Riß in jeden einzelnen Bund, den die Zeit nicht schloß, sondern erweiterte, weil selbst der Sieg des einen Nebenbuhlers dem Gegner die politische Existenz ließ und demselben, auch wenn er in die Klientel sich gefügt hatte, immer gestattet blieb, den Kampf späterhin zu erneuern. Der Wettstreit der mächtigeren Gaue entzweite nicht bloß diese, sondern in jedem abhängigen Clan, in jedem Dorfe, ja oft in jedem Hause setzte er sich fort, indem jeder einzelne nach seinen persönlichen Verhältnissen Partei ergriff. Wie Hellas sich aufrieb nicht so sehr in dem Kampfe Athens gegen Sparta als in dem inneren Zwist athenischer und lakedämonischer Faktionen in jeder abhängigen Gemeinde, ja in Athen selbst: so hat auch die Rivalität der Arverner und Häduer mit ihren Wiederholungen in kleinem und immer kleinerem Maßstab das Kelterwolk vernichtet.
Die Wehrhaftigkeit der Nation empfand den Rückschlag dieser politischen und sozialen Verhältnisse. Die Reiterei war durchaus die vorwiegende Waffe, woneben bei den Belgen und mehr noch auf den Britischen Inseln die altnationalen Streitwagen in bemerkenswerter Vervollkommnung erscheinen. Diese ebenso zahlreichen wie tüchtigen Reiter- und Wagenkämpferscharen wurden gebildet aus dem Adel und dessen Mannen, der denn auch echt ritterlich an Hunden und Pferden seine Lust hatte und es sich viel kosten ließ, edle Rosse ausländischer Rasse zu reiten. Für den Geist und die Kampfweise dieser Edelleute ist es bezeichnend, daß, wenn das Aufgebot erging, wer irgend von ihnen sich zu Pferde halten konnte, selbst der hochbejahrte Greis mit aufsaß, und daß sie, im Begriff mit einem gering geschätzten Feinde ein Gefecht zu beginnen, Mann für Mann schwuren, Haus und Hof meiden zu wollen, wenn ihre Schar nicht wenigstens zweimal durch die feindliche Linie setzen werde. Unter den gedungenen Mannen herrschte das Lanzknechttum mit all seiner entsittlichten und entgeistigten Gleichgültigkeit gegen fremdes und eigenes Leben – das zeigen die Erzählungen, wie anekdotenhaft sie auch gefärbt sind, von der keltischen Sitte, beim Gastmahl zum Scherz zu rapieren und gelegentlich auf Leben und Tod zu fechten; von dem dort herrschenden, selbst die römischen Fechterspiele noch überbietenden Gebrauch, sich gegen eine bestimmte Geldsumme oder eine Anzahl Fässer Wein zum Schlachten zu verkaufen und vor den Augen der ganzen Menge auf dem Schilde hingestreckt den Todesstreich freiwillig hinzunehmen.
Neben diesen Reisigen trat das Fußvolk in den Hintergrund. In der Hauptsache glich es wesentlich noch den Keltenscharen, mit denen die Römer in Italien und Spanien gefochten hatten. Der große Schild war wie damals die hauptsächlichste Wehr; unter den Waffen spielte dagegen statt des Schwertes jetzt die lange Stoßlanze die erste Rolle. Wo mehrere Gaue verbündet Krieg führten, lagerte und stritt natürlich Clan gegen Clan; es findet sich keine Spur, daß man das Aufgebot des einzelnen Gaues militärisch gegliedert und kleinere und regelrechtere taktische Abteilungen gebildet hätte. Noch immer schleppte ein langer Wagentroß dem Keltenheer das Gepäck nach; anstatt des verschanzten Lagers, wie es die Römer allabendlich schlugen, diente noch immer das dürftige Surrogat der Wagenburg. Von einzelnen Gauen, wie zum Beispiel den Nerviern, wird ausnahmsweise die Tüchtigkeit ihres Fußvolks hervorgehoben; bemerkenswert ist es, daß eben diese keine Ritterschaft hatten und vielleicht sogar kein keltischer, sondern ein eingewanderter deutscher Stamm waren. Im allgemeinen aber erscheint das keltische Fußvolk dieser Zeit als ein unkriegerischer und schwerfälliger Landsturm; am meisten in den südlicheren Landschaften, wo mit der Rohen auch die Tapferkeit geschwunden war. Der Kelte, sagt Caesar, wagt es nicht, dem Germanen im Kampfe ins Auge zu sehen; noch schärfer als durch dieses Urteil kritisierte der römische Feldherr die keltische Infanterie dadurch, daß, nachdem er sie in seinem ersten Feldzug kennengelernt hatte, er sie nie wieder in Verbindung mit der römischen verwandt hat.
Überblicken wir den Gesamtzustand der Kelten, wie ihn Caesar in den transalpinischen Landschaften vorfand, so ist, verglichen mit der Kulturstufe, auf der anderthalb Jahrhunderte zuvor die Kelten im Potal uns entgegentraten, ein Fortschritt in der Zivilisation unverkennbar. Damals überwog in den Heeren durchaus die in ihrer Art vortreffliche Landwehr (I, 340); jetzt nimmt die Ritterschaft den ersten Platz ein. Damals wohnten die Kelten in offenen Flecken; jetzt umgaben ihre Ortschaften wohlgefügte Mauern. Auch die lombardischen Gräberfunde stehen, namentlich in dem Kupfer- und Glasgerät, weit zurück hinter denen des nördlichen Keltenlandes. Vielleicht der zuverlässigste Messer der steigenden Kultur ist das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Nation; sowenig davon in den auf dem Boden der heutigen Lombardei geschlagenen Keltenkämpfen zu Tage tritt, so lebendig erscheint es in den Kämpfen gegen Caesar. Allem Anschein nach hatte die keltische Nation, als Caesar ihr gegenübertrat, das Maximum der ihr beschiedenen Kultur bereits erreicht und war schon wieder im Sinken. Die Zivilisation der transalpinischen Kelten in der caesarischen Zeit bietet selbst für uns, die wir nur sehr unvollkommen über sie berichtet sind, manche achtbare und noch mehr interessante Seite; in mehr als einer Hinsicht schließt sie sich enger der modernen an als der hellenisch-römischen, mit ihren Segelschiffen, ihrem Rittertum, ihrer Kirchenverfassung, vor allen Dingen mit ihren, wenn auch unvollkommenen Versuchen, den Staat nicht auf die Stadt, sondern auf den Stamm und in höherer Potenz auf die Nation zu bauen. Aber ebendarum, weil wir hier der keltischen Nation auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung begegnen, tritt um so bestimmter ihre mindere sittliche Begabung oder, was dasselbe ist, ihre mindere Kulturfähigkeit hervor. Sie vermochte aus sich weder eine nationale Kunst noch einen nationalen Staat zu erzeugen und brachte es höchstens zu einer nationalen Theologie und einem eigenen Adeltum. Die ursprüngliche naive Tapferkeit war nicht mehr; der auf höhere Sittlichkeit und zweckmäßige Ordnungen gestützte militärische Mut, wie er im Gefolge der gesteigerten Zivilisation eintritt, hatte nur in sehr verkümmerter Gestalt sich eingestellt in dem Rittertum. Wohl war die eigentliche Barbarei überwunden; die Zeiten waren nicht mehr, wo im Keltenland das fette Hüftstück dem tapfersten der Gäste zugeteilt ward, aber jedem der Mitgeladenen, der sich dadurch verletzt erachtete, freistand, den Empfänger deswegen zum Kampfe zu fordern, und wo man mit dem verstorbenen Häuptling seine treuesten Gefolgsmänner verbrannte. Aber doch dauerten die Menschenopfer noch fort, und der Rechtssatz, daß die Folterung des freien Mannes unzulässig, aber die der freien Frau erlaubt sei so gut wie die Folterung des Sklaven, wirft ein unerfreuliches Licht auf die Stellung, die das weibliche Geschlecht bei den Kelten auch noch in ihrer Kulturzeit einnahm. Die Vorzüge, die der primitiven Epoche der Nationen eigen sind, hatten die Kelten eingebüßt, aber diejenigen nicht erworben, die die Gesittung dann mit sich bringt, wenn sie ein Volk innerlich und völlig durchdringt.
Also war die keltische Nation in ihren inneren Zuständen beschaffen. Es bleibt noch übrig, ihre äußeren Beziehungen zu den Nachbarn darzustellen und zu schildern, welche Rolle sie in diesem Augenblick einnahmen in dem gewaltigen Wettlauf und Wettkampf der Nationen, in dem das Behaupten sich überall noch schwieriger erweist als das Erringen. An den Pyrenäen hatten die Verhältnisse der Völker längst sich friedlich geordnet und waren die Zeiten längst vorbei, wo die Kelten hier die iberische, das heißt baskische Urbevölkerung bedrängten und zum Teil verdrängten. Die Täler der Pyrenäen wie die Gebirge Bearns und der Gascogne und ebenso die Küstensteppen südlich von der Garonne standen zu Caesars Zeit im unangefochtenen Besitz der Aquitaner, einer großen Anzahl kleiner, wenig unter sich und noch weniger mit dem Ausland sich berührender Völkerschaften iberischer Abstammung; hier war nur die Garonnemündung selbst mit dem wichtigen Hafen Burdigala (Bordeaux) in den Händen eines keltischen Stammes, der Bituriger-Vivisker.
Von weit größerer Bedeutung waren die Berührungen der keltischen Nation mit dem Römervolk und mit den Deutschen. Es soll hier nicht wiederholt werden, was früher erzählt worden ist, wie die Römer in langsamem Vordringen die Kelten allmählich zurückgedrückt, zuletzt auch den Küstensaum zwischen den Alpen und den Pyrenäen besetzt und sie dadurch von Italien, Spanien und dem Mittelländischen Meer gänzlich abgeschnitten hatten, nachdem bereits Jahrhunderte zuvor durch die Anlage der hellenischen Zwingburg an der Rhonemündung diese Katastrophe vorbereitet worden war; daran aber müssen wir hier wieder erinnern, daß nicht bloß die Überlegenheit der römischen Waffen die Kelten bedrängte, sondern ebensosehr die der römischen Kultur, der die ansehnlichen Anfänge der hellenischen Zivilisation im Keltenlande ebenfalls in letzter Instanz zugute kamen. Auch hier bahnten Handel und Verkehr wie so oft der Eroberung den Weg. Der Kelte liebte nach nordischer Weise feurige Getränke; daß er den edlen Wein wie der Skythe unvermischt und bis zum Rausche trank, erregte die Verwunderung und den Ekel des mäßigen Südländers, aber der Händler verkehrt nicht ungern mit solchen Kunden. Bald ward der Handel nach dem Keltenland eine Goldgrube für den italischen Kaufmann; es war nichts Seltenes, daß daselbst ein Krug Wein um einen Sklaven getauscht ward. Auch andere Luxusartikel, wie zum Beispiel italische Pferde, fanden in dem Keltenland vorteilhaften Absatz. Es kam sogar bereits vor, daß römische Bürger jenseits der römischen Grenze Grundbesitz erwarben und denselben nach italischer Art nutzten, wie denn zum Beispiel römische Landgüter im Kanton der Segusiaver (bei Lyon) schon um 673 (81) erwähnt werden. Ohne Zweifel ist es hiervon eine Folge, daß, wie schon gesagt ward, selbst in dem freien Gallien, zum Beispiel bei den Arvernern, die römische Sprache schon vor der Eroberung nicht unbekannt war; obwohl sich freilich diese Kunde vermutlich noch auf wenige beschränkte und selbst mit den Vornehmen des verbündeten Gaues der Häduer durch Dolmetscher verkehrt werden mußte. So gut wie die Händler mit Feuerwasser und die Squatters die Besetzung Nordamerikas einleiteten, so wiesen und winkten diese römischen Weinhändler und Gutsbesitzer den künftigen Eroberer Galliens heran. Wie lebhaft man auch auf der entgegengesetzten Seite dies empfand, zeigt das Verbot, das einer der tüchtigsten Stämme des Keltenlandes, der Gau der Nervier, gleich einzelnen deutschen Völkerschaften, gegen den Handelsverkehr mit den Römern erließ.
Ungestümer noch als vom Mittelländischen Meere die Römer, drängten vom Baltischen und der Nordsee herab die Deutschen, ein frischer Stamm aus der großen Völkerwiege des Ostens, der sich Platz machte neben seinen älteren Brüdern mit jugendlicher Kraft, freilich auch mit jugendlicher Roheit. Wenn auch die nächst am Rhein wohnenden Völkerschaften dieses Stammes, die Usipeten, Tencterer, Sugambrer, Ubier, sich einigermaßen zu zivilisieren angefangen und wenigstens aufgehört hatten, freiwillig ihre Sitze zu wechseln, so stimmen doch alle Nachrichten dahin zusammen, daß weiter landeinwärts der Ackerbau wenig bedeutete und die einzelnen Stämme kaum noch zu festen Sitzen gelangt waren. Es ist bezeichnend dafür, daß die westlichen Nachbarn in dieser Zeit kaum eines der Völker des inneren Deutschlands seinem Gaunamen nach zu nennen wußten, sondern dieselben ihnen nur bekannt sind unter den allgemeinen Bezeichnungen der Sueben, das ist der schweifenden Leute, der Nomaden, und der Markomannen, das ist der Landwehr41 – Namen, die in Caesars Zeit schwerlich schon Gaunamen waren, obwohl sie den Römern als solche erschienen und später auch vielfach Gaunamen geworden sind. Der gewaltigste Andrang dieser großen Nation traf die Kelten. Die Kämpfe, die die Deutschen um den Besitz der Landschaften östlich vom Rheine mit den Kelten geführt haben mögen, entziehen sich vollständig unseren Blicken. Wir vermögen nur zu erkennen, daß um das Ende des siebenten Jahrhunderts Roms schon alles Land bis zum Rhein den Kelten verloren war, die Boier, die einst in Bayern und Böhmen gesessen haben mochten, heimatlos herumirrten und selbst der ehemals von den Helvetiern besessene Schwarzwald wenn auch noch nicht von den nächstwohnenden deutschen Stämmen in Besitz genommen, doch wenigstens wüstes Grenzstreitland war – vermutlich schon damals das, was es später hieß: die helvetische Einöde. Die barbarische Strategik der Deutschen, durch meilenweite Wüstlegung der Nachbarschaft sich vor feindlichen Überfällen zu sichern, scheint hier im größten Maßstab Anwendung gefunden zu haben.
Aber die Deutschen waren nicht stehen geblieben am Rheine. Der seinem Kern nach aus deutschen Stämmen zusammengesetzte Heereszug der Kimbrer und Teutonen, der fünfzig Jahre zuvor über Pannonien, Gallien, Italien und Spanien so gewaltig hingebraust war, schien nichts gewesen zu sein als eine großartige Rekognoszierung. Schon hatten westlich vom Rhein, namentlich dem untern Lauf desselben, verschiedene deutsche Stämme bleibende Sitze gefunden: als Eroberer eingedrungen, fuhren diese Ansiedler fort, von ihren gallischen Umwohnern gleich wie von Untertanen Geiseln einzufordern und jährlichen Tribut zu erheben. Dahin gehörten die Aduatuker, die aus einem Splitter der Kimbrermasse zu einem ansehnlichen Gau geworden waren, und eine Anzahl anderer, später unter dem Namen der Tungrer zusammengefaßter Völkerschaften an der Maas in der Gegend von Lüttich; sogar die Treverer (um Trier) und die Nervier (im Hennegau), zwei der größten und mächtigsten Völkerschaften dieser Gegend, bezeichnen achtbare Autoritäten geradezu als Germanen. Die vollständige Glaubwürdigkeit dieser Berichte muß allerdings dahingestellt bleiben, da es, wie Tacitus in Beziehung auf die zuletzt erwähnten beiden Völker bemerkt, späterhin wenigstens in diesen Strichen für eine Ehre galt, von deutschem Blute abzustammen und nicht zu der gering geachteten keltischen Nation zu gehören: doch scheint die Bevölkerung in dem Gebiet der Schelde, Maas und Mosel allerdings in der einen oder andern Weise sich stark mit deutschen Elementen gemischt oder doch unter deutschen Einflüssen gestanden zu haben. Die deutschen Ansiedlungen selbst waren vielleicht geringfügig; unbedeutend waren sie nicht, denn in dem chaotischen Dunkel, in dem wir um diese Zeit die Völkerschaften am rechten Rheinufer auf- und niederwogen sehen, läßt sich doch wohl erkennen, daß größere deutsche Massen auf der Spur jener Vorposten sich anschickten, den Rhein zu überschreiten. Von zwei Seiten durch die Fremdherrschaft bedroht und in sich zerrissen, war es kaum zu erwarten, daß die unglückliche keltische Nation sich jetzt noch emporraffen und mit eigener Kraft sich erretten werde. Die Zersplitterung und der Untergang in der Zersplitterung war bisher ihre Geschichte; wie sollte eine Nation, die keinen Tag nannte gleich denen von Marathon und Salamis, von Aricia und dem Raudischen Felde, eine Nation, die selbst in ihrer frischen Zeit keinen Versuch gemacht hatte, Massalia mit gesamter Hand zu vernichten, jetzt, da es Abend ward, so furchtbarer Feinde sich erwehren?
Je weniger die Kelten, sich selbst überlassen, den Germanen gewachsen waren, desto mehr Ursache hatten die Römer, die zwischen den beiden Nationen obwaltenden Verwicklungen sorgsam zu überwachen. Wenn auch die daraus entspringenden Bewegungen sie bis jetzt nicht unmittelbar berührt hatten, so waren sie doch bei dem Ausgang derselben mit ihren wichtigsten Interessen beteiligt. Begreiflicherweise hatte die innere Haltung der keltischen Nation sich mit ihren auswärtigen Beziehungen rasch und nachhaltig verflochten. Wie in Griechenland die lakedämonische Partei sich gegen die Athener mit Persien verband, so hatten die Römer von ihrem ersten Auftreten jenseits der Alpen an gegen die Arverner, die damals unter den südlichen Kelten die führende Macht waren, an deren Nebenbuhlern um die Hegemonie, den Häduern, eine Stütze gefunden und mit Hilfe dieser neuen „Brüder der römischen Nation“ nicht bloß die Allobrogen und einen großen Teil des mittelbaren Gebiets der Arverner sich untertänig gemacht, sondern auch in dem freigebliebenen Gallien durch ihren Einfluß den Übergang der Hegemonie von den Arvernern auf diese Häduer veranlaßt. Allein wenn den Griechen nur von einer Seite her für ihre Nationalität Gefahr drohte, so sahen sich die Kelten zugleich von zwei Landesfeinden bedrängt, und es war natürlich, daß man bei dem einen vor dem anderen Schutz suchte und daß, wenn die eine Keltenpartei sich den Römern anschloß, ihre Gegner dagegen mit den Deutschen Bündnis machten. Am nächsten lag dies den Belgen, die durch Nachbarschaft und vielfältige Mischung den überrheinischen Deutschen genähert waren und überdies bei ihrer minder entwickelten Kultur sich dem stammfremden Sueben wenigstens ebenso verwandt fühlen mochten als dem gebildeten allobrogischen oder helvetischen Landsmann. Aber auch die südlichen Kelten, bei welchen jetzt, wie schon gesagt, der ansehnliche Gau der Sequaner (um Besançon) an der Spitze der den Römern feindlichen Partei stand, hatten alle Ursache, gegen die sie zunächst bedrohenden Römer ebenjetzt die Deutschen herbeizurufen; das lässige Regiment des Senats und die Anzeichen der in Rom sich vorbereitenden Revolution, die den Kelten nicht unbekannt geblieben waren, ließen gerade diesen Moment als geeignet erscheinen, um des römischen Einflusses sich zu entledigen und zunächst deren Klienten, die Häduer, zu demütigen. Über die Zölle auf der Saône, die das Gebiet der Häduer von dem der Sequaner schied, war es zwischen den beiden Gauen zum Bruch gekommen und um das Jahr 683 (71) hatte der deutsche Fürst Ariovist mit etwa 15000 Bewaffneten als Condottiere der Sequaner den Rhein überschritten. Der Krieg zog manches Jahr unter wechselnden Erfolgen sich hin; im ganzen waren die Ergebnisse den Häduern ungünstig. Ihr Führer Eporedorix bot endlich die ganze Klientel auf und zog mit ungeheurer Übermacht aus gegen die Germanen. Diese verweigerten beharrlich den Kampf und hielten sich gedeckt in Sümpfen und Wäldern. Als aber dann die Clans, des Harrens müde, anfingen aufzubrechen und sich aufzulösen, erschienen die Deutschen in freiem Felde und nun erzwang bei Admagetobriga Ariovist die Schlacht, in der die Blüte der Ritterschaft der Häduer auf dem Kampfplatze blieb. Die Häduer, durch diese Niederlage gezwungen, auf die Bedingungen, wie der Sieger sie stellte, Frieden zu schließen, mußten auf die Hegemonie verzichten und mit ihrem ganzen Anhang in die Klientel der Sequaner sich fügen, auch sich anheischig machen, den Sequanern oder vielmehr dem Ariovist Tribut zu zahlen und die Kinder ihrer vornehmsten Adligen als Geiseln zu stellen, endlich eidlich versprechen, weder diese Geiseln je zurückzufordern noch die Intervention der Römer anzurufen. Dieser Friede ward, wie es scheint, um 693 (61) geschlossen42. Ehre und Vorteil geboten den Römern, dagegen aufzutreten; der vornehme Häduer Divitiacus, das Haupt der römischen Partei in seinem Clan und darum jetzt von seinen Landsleuten verbannt, ging persönlich nach Rom, um ihre Dazwischenkunft zu erbitten; eine noch ernstere Warnung war der Aufstand der Allobrogen 693 (61), der Nachbarn der Sequaner, welcher ohne Zweifel mit diesen Ereignissen zusammenhing. In der Tat ergingen Befehle an die gallischen Statthalter, den Häduern beizustehen; man sprach davon, Konsuln und konsularische Armeen über die Alpen zu senden; allein der Senat, an den diese Angelegenheiten zunächst zur Entscheidung kamen, krönte schließlich auch hier große Worte mit kleinen Taten: die allobrogische Insurrektion ward mit den Waffen unterdrückt, für die Häduer aber geschah nicht nur nichts, sondern es ward sogar Ariovist im Jahre 695 (59) in das Verzeichnis der den Römern befreundeten Könige eingeschrieben43. Der deutsche Kriegsfürst nahm dies begreiflicherweise als Verzicht der Römer auf das nicht von ihnen eingenommene Keltenland; er richtete demgemäß sich hier häuslich ein und fing an, auf gallischem Boden ein deutsches Fürstentum zu begründen. Die zahlreichen Haufen, die er mitgebracht hatte, die noch zahlreicheren, die auf seinen Ruf später aus der Heimat nachkamen – man rechnete, daß bis zum Jahre 696 (58) etwa 120000 Deutsche den Rhein überschritten –, diese ganze gewaltige Einwanderung der deutschen Nation, welche durch die einmal geöffneten Schleusen stromweise über den schönen Westen sich ergoß, gedachte er daselbst ansässig zu machen und auf dieser Grundlage seine Herrschaft über das Keltenland aufzubauen. Der Umfang der von ihm am linken Rheinufer ins Leben gerufenen deutschen Ansiedlungen läßt sich nicht bestimmen; ohne Zweifel reichte er weit und noch viel weiter seine Entwürfe. Die Kelten wurden von ihm als eine im ganzen unterworfene Nation behandelt und zwischen den einzelnen Gauen kein Unterschied gemacht. Selbst die Sequaner, als deren gedungener Feldhauptmann er den Rhein überschritten hatte, mußten dennoch, als wären auch sie besiegte Feinde, ihm für seine Leute ein Drittel ihrer Mark abtreten – vermutlich den später von den Tribokern bewohnten oberen Elsaß, wo Ariovist sich mit den Seinigen auf die Dauer einrichtete; ja als sei dies nicht genug, ward ihnen nachher für die nachgekommenen Haruder noch ein zweites Drittel abverlangt. Ariovist schien im Keltenland die Rolle des makedonischen Philipp übernehmen und über die germanisch gesinnten Kelten nicht minder wie über die den Römern anhängenden den Herrn spielen zu wollen.
Das Auftreten des kräftigen deutschen Fürsten in einer so gefährlichen Nähe, das schon an sich die ernstesten Besorgnisse der Römer erwecken mußte, erschien noch bedrohlicher insofern, als dasselbe keineswegs vereinzelt stand. Auch die am rechten Rheinufer ansässigen Usipeten und Tencterer waren, der unaufhörlichen Verheerung ihres Gebiets durch die übermütigen Suebenstämme müde, das Jahr bevor Caesar in Gallien eintraf (695 59) aus ihren bisherigen Sitzen aufgebrochen, um sich andere an der Rheinmündung zu suchen. Schon hatten sie dort den Menapiern den auf dem rechten Ufer belegenen Teil ihres Gebiets weggenommen, und es war vorherzusehen, daß sie den Versuch machen würden, auch auf dem linken sich festzusetzen. Zwischen Köln und Mainz sammelten ferner sich suebische Haufen und drohten in dem gegenüberliegenden Keltengau der Treverer als ungeladene Gäste zu erscheinen. Endlich ward auch das Gebiet des östlichsten Clans der Kelten, der streitbaren und zahlreichen Helvetier, immer nachdrücklicher von den Germanen heimgesucht, so daß die Helvetier, die vielleicht schon ohnehin durch das Zurückströmen ihrer Ansiedler aus dem verlorenen Gebiet nordwärts vom Rheine an Überbevölkerung litten, überdies durch die Festsetzung Ariovists im Gebiet der Sequaner, einer völligen Isolierung von ihren Stammgenossen entgegengingen, den verzweifelten Entschluß faßten, ihr bisheriges Gebiet freiwillig den Germanen zu räumen und westlich vom Jura geräumigere und fruchtbarere Sitze und zugleich womöglich die Hegemanie im inneren Gallien zu gewinnen – ein Plan, den schon während der kimbrischen Invasion einige ihrer Distrikte gefaßt und auszuführen versucht hatten. Die Rauraker, deren Gebiet (Basel und der südliche Elsaß) in ähnlicher Weise bedroht war, ferner die Reste der Boier, die bereits früher von den Germanen gezwungen waren, ihrer Heimat den Rücken zu kehren, und nun unstet umherirrten, und andere kleinere Stämme machten mit den Helvetiern gemeinschaftliche Sache. Bereits 693 (61) kamen ihre Streiftrupps über den Jura und selbst bis in die römische Provinz; der Aufbruch selbst konnte nicht mehr lange sich verzögern; unvermeidlich rückten alsdann germanische Ansiedler nach in die von ihren Verteidigern verlassene wichtige Landschaft zwischen dem Boden- und dem Genfersee. Von den Rheinquellen bis zum Atlantischen Ozean waren die deutschen Stämme in Bewegung, die ganze Rheinlinie von ihnen bedroht; es war ein Moment wie da die Alamannen und Franken sich über das sinkende Reich der Caesaren warfen, und jetzt gleich schien gegen die Kelten ebendas ins Werk gesetzt werden zu sollen, was ein halbes Jahrtausend später gegen die Römer gelang.
Unter diesen Verhältnissen traf der neue Statthalter Gaius Caesar im Frühling 696 (58) in dem Narbonensischen Gallien ein, das zu seiner ursprünglichen, das Diesseitige Gallien nebst Istrien und Dalmatien umfassenden Statthalterschaft durch Senatsbeschluß hinzugefügt worden war. Sein Amt, das ihm zuerst auf fünf (bis Ende 700 54), dann im Jahre 699 (55) auf weitere fünf Jahre (bis Ende 705 49) übertragen ward, gab ihm das Recht, zehn Unterbefehlshaber von proprätorischem Rang zu ernennen, und – wenigstens nach seiner Auslegung – aus der besonders im Diesseitigen Gallien zahlreichen Bürgerbevölkerung des ihm gehorchenden Gebiets nach Gutdünken seine Legionen zu ergänzen oder auch neue zu bilden. Das Heer, das er in den beiden Provinzen übernahm, bestand an Linienfußvolk aus vier geschulten und kriegsgewohnten Legionen, der siebenten, achten, neunten und zehnten, oder höchstens 24000 Mann, wozu dann, wie üblich, die Untertanenkontingente hinzutraten. Reiterei und Leichtbewaffnete waren außerdem vertreten durch Reiter aus Spanien und numidische, kretische, balearische Schützen und Schleuderer. Caesars Stab, die Elite der hauptstädtischen Demokratie, enthielt neben nicht wenigen unbrauchbaren, vornehmen jungen Männern einzelne fähige Offiziere, wie Publius Crassus, den jüngeren Sohn des alten politischen Bundesgenossen Caesars, und Titus Labienus, der dem Haupt der Demokratie als treuer Adjutant vom Forum auf das Schlachtfeld gefolgt war. Bestimmte Aufträge hatte Caesar nicht erhalten; für den Einsichtigen und Mutigen lagen sie in den Verhältnissen. Auch hier war nachzuholen, was der Senat versäumt hatte, und vor allen Dingen der Strom der deutschen Völkerwanderung zu hemmen. Ebenjetzt begann die mit der deutschen eng verflochtene und seit langen Jahren vorbereitete helvetische Invasion. Um die verlassenen Hütten nicht den Germanen zu gönnen, und um sich selber die Rückkehr unmöglich zu machen, hatten die Helvetier ihre Städte und Weiler niedergebrannt, und ihre langen Wagenzüge, mit Weibern, Kindern und dem besten Teil der Fahrnis beladen, trafen von allen Seiten her am Leman bei Genava (Genf) ein, wo sie und ihre Genossen sich zum 28. März44 dieses Jahres Rendezvous gegeben hatten. Nach ihrer eigenen Zählung bestand die gesamte Masse aus 368000 Köpfen, wovon etwa der vierte Teil imstande war, die Waffen zu tragen. Das Juragebirge, das vom Rhein bis zur Rhone sich erstreckend die helvetische Landschaft gegen Westen fast vollständig abschloß und dessen schmale Defileen für den Durchzug einer solchen Karawane ebenso schlecht geeignet waren wie gut für die Verteidigung, hatten darum die Führer beschlossen, in südlicher Richtung zu umgehen und den Weg nach Westen sich da zu eröffnen, wo zwischen dem südwestlichen und höchsten Teil des Jura und den savoyischen Bergen bei dem heutigen Fort de l’Ecluse die Rhone die Gebirgsketten durchbrochen hat. Allein am rechten Ufer treten hier die Felsen und Abgründe so hart an den Fluß, daß nur ein schmaler, leicht zu sperrender Pfad übrig bleibt und die Sequaner, denen dies Ufer gehörte, den Helvetiern mit Leichtigkeit den Paß verlegen konnten. Sie zogen es darum vor, oberhalb des Durchbruchs der Rhone auf das linke allobrogische Ufer überzugehen, um weiter stromabwärts, wo die Rhone in die Ebene eintritt, wieder das rechte zu gewinnen und dann weiter nach dem ebenen Westen Galliens zu ziehen; dort war der fruchtbare Kanton der Santonen (Saintonge, das Tal der Charente) am Atlantischen Meer von den Wanderern zu ihrem neuen Wohnsitz ausersehen. Dieser Marsch führte, wo er das linke Rhoneufer betrat, durch römisches Gebiet; und Caesar, ohnehin nicht gemeint, sich die Festsetzung der Helvetier im westlichen Gallien gefallen zu lassen, war fest entschlossen, ihnen den Durchzug nicht zu gestatten. Allein von seinen vier Legionen standen drei weit entfernt bei Aquileia; obwohl er die Milizen der jenseitigen Provinz schleunigst aufbot, schien es kaum möglich, mit einer so geringen Mannschaft dem zahllosen Keltenschwarm den Übergang über die Rhone, von ihrem Austritt aus dem Leman bei Genf bis zu ihrem Durchbruch, auf einer Strecke von mehr als drei deutschen Meilen, zu verwehren. Caesar gewann indes durch Unterhandlungen mit den Helvetiern, die den Übergang über den Fluß und den Marsch durch das allobrogische Gebiet gern in friedlicher Weise bewerkstelligt hätten, eine Frist von fünfzehn Tagen, welche dazu benutzt ward, die Rhonebrücke bei Genava (Genf) abzubrechen und das südliche Ufer der Rhone durch eine fast vier deutsche Meilen lange Verschanzung dem Feinde zu sperren – es war die erste Anwendung des von den Römern später in so ungeheurem Umfang durchgeführten Systems, mittels einer Kette einzelner, durch Wälle und Gräben miteinander in Verbindung gesetzter Schanzen die Reichsgrenze militärisch zu schließen. Die Versuche der Helvetier, auf Kähnen oder mittels Furten an verschiedenen Stellen das andere Ufer zu gewinnen, wurden in diesen Linien von den Römern glücklich vereitelt und die Helvetier genötigt, von dem Rhoneübergang abzustehen. Dagegen vermittelte die den Römern feindlich gesinnte Partei in Gallien, die an den Helvetiern eine mächtige Verstärkung zu erhalten hoffte, namentlich der Häduer Dumnorix, des Divitiacus Bruder und in seinem Gau wie dieser an der Spitze der römischen so seinerseits an der Spitze der nationalen Partei, ihnen den Durchmarsch durch die Jurapässe und das Gebiet der Sequaner. Dies zu verbieten hatten die Römer keinen Rechtsgrund; allein es standen für sie bei dem helvetischen Heerzug andere und höhere Interessen auf dem Spiel als die Frage der formellen Integrität des römischen Gebiets – Interessen, die nur gewahrt werden konnten, wenn Caesar, statt, wie alle Statthalter des Senats, wie selbst Marius getan, auf die bescheidene Aufgabe der Grenzbewachung sich zu beschränken, an der Spitze einer ansehnlichen Armee die bisherige Reichsgrenze überschritt. Caesar war Feldherr nicht des Senats, sondern des Staates: er schwankte nicht. Sogleich von Genava aus hatte er sich in eigener Person nach Italien begeben und mit der ihm eigenen Raschheit die drei dort kantonnierenden sowie zwei neugebildete Rekrutenlegionen herangeführt. Diese Truppen vereinigte er mit dem bei Genava stehenden Korps und überschritt mit der gesamten Macht die Rhone. Sein unvermutetes Erscheinen im Gebiete der Häduer brachte natürlich daselbst sofort wieder die römische Partei ans Regiment, was der Verpflegung wegen nicht gleichgültig war. Die Helvetier fand er beschäftigt, die Saône zu passieren und aus dem Gebiet der Sequaner in das der Häduer einzurücken; was von ihnen noch am linken Saôneufer stand, namentlich das Korps der Tigoriner, ward von den rasch vordringenden Römern aufgehoben und vernichtet. Das Gros des Zuges war indes bereits auf das rechte Ufer des Flusses übergesetzt; Caesar folgte ihnen und bewerkstelligte den Übergang, den der ungeschlachte Zug der Helvetier in zwanzig Tagen nicht hatte vollenden können, in vierundzwanzig Stunden. Die Helvetier, durch diesen Übergang der römischen Armee über den Fluß gehindert, ihren Marsch in westlicher Richtung fortzusetzen, schlugen die Richtung nach Norden ein, ohne Zweifel in der Voraussetzung, daß Caesar nicht wagen werde, ihnen weit in das innere Gallien hinein zu folgen, und in der Absicht, wenn er von ihnen abgelassen habe, sich wieder ihrem eigentlichen Ziel zuzuwenden. Fünfzehn Tage marschierte das römische Heer in dem Abstand etwa einer deutschen Meile von dem feindlichen hinter demselben her, an seine Fersen sich heftend und auf einen günstigen Augenblick hoffend, um den feindlichen Heereszug unter den Bedingungen des Sieges anzugreifen und zu vernichten. Allein dieser Augenblick kam nicht; wie schwerfällig auch die helvetische Karawane einherzog, die Führer wußten einen Überfall zu verhüten und zeigten sich wie mit Vorräten reichlich versehen, so durch ihre Spione von jedem Vorgang im römischen Lager aufs genaueste unterrichtet. Dagegen fingen die Römer an, Mangel an dem Notwendigsten zu leiden, namentlich als die Helvetier sich von der Saône entfernten und der Flußtransport aufhörte. Das Ausbleiben der von den Häduern versprochenen Zufuhren, aus dem diese Verlegenheit zunächst hervorging, erregte um so mehr Verdacht, als beide Heere immer noch auf ihrem Gebiete sich herumbewegten. Ferner zeigte sich die ansehnliche, fast 4000 Pferde zählende römische Reiterei völlig unzuverlässig – was freilich erklärlich war, da dieselbe fast ganz aus keltischer Ritterschaft, namentlich den Reitern der Häduer unter dem Befehl des wohlbekannten Römerfeindes Dumnorix bestand und Caesar selbst sie mehr noch als Geiseln denn als Soldaten übernommen hatte. Man hatte guten Grund zu glauben, daß eine Niederlage, die sie von der weit schwächeren helvetischen Reiterei erlitten, durch sie selbst herbeigeführt worden war, und daß durch sie der Feind von allen Vorfällen im römischen Lager unterrichtet ward. Caesars Lage wurde bedenklich; in leidiger Deutlichkeit kam es zu Tage, was selbst bei den Häduern, trotz ihres offiziellen Bündnisses mit Rom und der nach Rom sich neigenden Sonderinteressen dieses Gaus, die keltische Patriotenpartei vermochte; was sollte daraus werden, wenn man in die gärende Landschaft tiefer und tiefer sich hineinwagte und von den Verbindungen immer weiter sich entfernte? Eben zogen die Heere an der Hauptstadt der Häduer, Bibracte (Autun), in mäßiger Entfernung vorüber; Caesar beschloß, dieses wichtigen Ortes sich mit gewaffneter Hand zu bemächtigen, bevor er den Marsch in das Binnenland fortsetzte, und es ist wohl möglich, daß er überhaupt beabsichtigte, von weiterer Verfolgung abzustehen und in Bibracte sich festzusetzen. Allein da er, von der Verfolgung ablassend, sich gegen Bibracte wendete, meinten die Helvetier, daß die Römer zur Flucht Anstalt machten, und griffen nun ihrerseits an. Mehr hatte Caesar nicht gewünscht. Auf zwei parallel laufenden Hügelreihen stellten die beiden Heere sich auf; die Kelten begannen das Gefecht, sprengten die in die Ebene vorgeschobene römische Reiterei auseinander und liefen an gegen die am Abhang des Hügels postierten römischen Legionen, mußten aber hier vor Caesars Veteranen weichen. Als darauf die Römer, ihren Vorteil verfolgend, nun ihrerseits in die Ebene hinabstiegen, gingen die Kelten wieder gegen sie vor und ein zurückgehaltenes keltisches Korps nahm sie zugleich in die Flanke. Dem letzteren ward die Reserve der römischen Angriffskolonne entgegengeworfen; sie drängte dasselbe von der Hauptmasse ab auf das Gepäck und die Wagenburg, wo es aufgerieben ward. Auch das Gros des helvetischen Zuges ward endlich zum Weichen gebracht und genötigt, den Rückzug in östlicher Richtung zu nehmen – der entgegengesetzten von derjenigen, in die ihr Zug sie führte. Den Plan der Helvetier, am Atlantischen Meer sich neue Wohnsitze zu gründen, hatte dieser Tag vereitelt und die Helvetier der Willkür des Siegers überliefert; aber es war ein heißer auch für die Sieger gewesen. Caesar, der Ursache hatte, seinem Offizierkorps nicht durchgängig zu trauen, hatte gleich zu Anfang alle Offizierspferde fortgeschickt, um die Notwendigkeit standzuhalten den Seinigen gründlich klar zu machen; in der Tat würde die Schlacht, hätten die Römer sie verloren, wahrscheinlich die Vernichtung der römischen Armee herbeigeführt haben. Die römischen Truppen waren zu erschöpft, um die Überwundenen kräftig zu verfolgen; allein infolge der Bekanntmachung Caesars, daß er alle, die die Helvetier unterstützen würden, wie diese selbst als Feinde der Römer behandeln werde, ward, wohin die geschlagene Armee kam, zunächst in dem Gau der Lingonen (um Langres), ihr jede Unterstützung verweigert und, aller Zufuhr und ihres Gepäcks beraubt und belastet von der Masse des nicht kampffähigen Trosses, mußten sie wohl dem römischen Feldherrn sich unterwerfen. Das Los der Besiegten war ein verhältnismäßig mildes. Den heimatlosen Boiern wurden die Häduer angewiesen, in ihrem Gebiet Wohnsitze einzuräumen; und diese Ansiedlung der überwundenen Feinde inmitten der mächtigsten Kettengaue tat fast die Dienste einer römischen Kolonie. Die von den Helvetiern und Raurakern noch übrigen, etwas mehr als ein Drittel der ausgezogenen Mannschaft, wurden natürlich in ihr ehemaliges Gebiet zurückgesandt. Dasselbe wurde der römischen Provinz einverleibt, aber die Bewohner zum Bündnis mit Rom unter günstigen Bedingungen zugelassen, um unter römischer Hoheit am oberen Rhein die Grenze gegen die Deutschen zu verteidigen. Nur die südwestliche Spitze des helvetischen Gaus wurde von den Römern in unmittelbaren Besitz genommen und späterhin hier, an dem anmutigen Gestade des Leman, die alte Keltenstadt Noviodunum (jetzt Nyon) in eine römische Grenzfestung, die Julische Reiterkolonie45, umgewandelt.
Am Oberrhein also war der drohenden Invasion der Deutschen vorgebeugt und zugleich die den Römern feindliche Partei unter den Kelten gedemütigt. Auch am Mittelrhein, wo die Deutschen bereits vor Jahren übergegangen waren und die in Gallien mit der römischen wetteifernde Macht des Ariovist täglich weiter um sich griff, mußte in ähnlicher Weise durchgegriffen werden, und leicht war die Veranlassung zum Bruche gefunden. Im Vergleich mit dem von Ariovist ihnen drohenden oder bereits auferlegten Joch mochte hier dem größeren Teil der Kelten jetzt die römische Suprematie das geringere Übel dünken; die Minorität, die an ihrem Römerhaß festhielt, mußte wenigstens verstummen. Ein unter römischem Einfluß abgehaltener Landtag der Keltenstämme des mittleren Galliens ersuchte im Namen der keltischen Nation den römischen Feldherrn um Beistand gegen die Deutschen. Caesar ging darauf ein. Auf seine Veranlassung stellten die Häduer die Zahlung des vertragsmäßig an Ariovist zu entrichtenden Tributes ein und forderten die gestellten Geiseln zurück, und da Ariovist wegen dieses Vertragsbruchs die Klienten Roms angriff, nahm Caesar davon Veranlassung, mit ihm in direkte Verhandlung zu treten und, außer der Rückgabe der Geiseln und dem Versprechen, mit den Häduern Frieden zu halten, namentlich zu fordern, daß Ariovist sich anheischig mache, keine Deutschen mehr über den Rhein nachzuziehen. Der deutsche Feldherr antwortete dem römischen in dem Vollgefühl ebenbürtigen Rechtes. Ihm sei das nördliche Gallien so gut nach Kriegsrecht untertänig geworden wie den Römern das südliche; wie er die Römer nicht hindere, von den Allobrogen Tribut zu nehmen, so dürften auch sie ihm nicht wehren, seine Untertanen zu besteuern. In späteren geheimen Eröffnungen zeigte es sich, daß der Fürst der römischen Verhältnisse wohl kundig war: er erwähnte der Aufforderungen, die ihm von Rom aus zugekommen seien, Caesar aus dem Wege zu räumen, und erbot sich, wenn Caesar ihm das nördliche Gallien überlassen wolle, ihm dagegen zur Erlangung der Herrschaft über Italien behilflich zu sein – wie ihm der Parteihader der keltischen Nation den Eintritt in Gallien eröffnet hatte, so schien er von dem Parteihader der italischen die Befestigung seiner Herrschaft daselbst zu erwarten. Seit Jahrhunderten war den Römern gegenüber diese Sprache der vollkommen ebenbürtigen und ihre Selbständigkeit schroff und rücksichtslos äußernden Macht nicht geführt worden, wie man sie jetzt von dem deutschen Heerkönig vernahm: kurzweg weigerte er sich zu kommen, als der römische Feldherr nach der bei Klientelfürsten hergebrachten Übung ihm ansann, vor ihm persönlich zu erscheinen. Um so notwendiger war es, nicht zu zaudern: sogleich brach Caesar auf gegen Ariovist. Ein panischer Schrecken ergriff seine Truppen, vor allem seine Offiziere, als sie daran sollten, mit den seit vierzehn Jahren nicht unter Dach und Fach gekommenen deutschen Kernscharen sich zu messen – auch in Caesars Lager schien die tiefgesunkene römische Sitten- und Kriegszucht sich geltend machen und Desertion und Meuterei hervorrufen zu wollen. Allein der Feldherr, indem er erklärte, nötigenfalls mit der zehnten Legion allein gegen den Feind zu ziehen, wußte nicht bloß durch solche Ehrenmahnung diese, sondern durch den kriegerischen Wetteifer auch die übrigen Regimenter an die Adler zu fesseln und etwas von seiner eigenen Energie den Truppen einzuhauchen. Ohne ihnen Zeit zu lassen, sich zu besinnen, führte er in raschen Märschen sie weiter und kam glücklich Ariovist in der Besetzung der sequanischen Hauptstadt Vesontio (Besançon) zuvor. Eine persönliche Zusammenkunft der beiden Feldherrn, die auf Ariovists Begehren stattfand, schien einzig einen Versuch gegen Caesars Person bedecken zu sollen; zwischen den beiden Zwingherren Galliens konnten nur die Waffen entscheiden. Vorläufig kam der Krieg zum Stehen. Im unteren Elsaß, etwa in der Gegend von Mülhausen, eine deutsche Meile vom Rhein46, lagerten die beiden Heere in geringer Entfernung voneinander, bis es Ariovist gelang, mit seiner sehr überlegenen Macht an dem römischen Lager vorbeimarschierend, sich ihm in den Rücken zu legen und die Römer von ihrer Basis und ihren Zufuhren abzuschneiden. Caesar versuchte sich aus seiner peinlichen Lage durch eine Schlacht zu befreien; allein Ariovist nahm sie nicht an. Dem römischen Feldherrn blieb nichts übrig, als trotz seiner geringen Stärke, die Bewegung des Feindes nachzuahmen und seine Verbindungen dadurch wieder zu gewinnen, daß er zwei Legionen am Feinde vorbeiziehen und jenseits des Lagers der Deutschen eine Stellung nehmen ließ, während vier in dem bisherigen Lager zurückblieben. Ariovist, da er die Römer geteilt sah, versuchte einen Sturm auf ihr kleineres Lager; allein die Römer schlugen ihn ab. Unter dem Eindruck dieses Erfolges ward das gesamte römische Heer zum Angriff vorgeführt; und auch die Deutschen stellten in Schlachtordnung sich auf, in langer Linie, jeder Stamm für sich, hinter sich, um die Flucht zu erschweren, die Karren der Armee mit dem Gepäck und den Weibern. Der rechte Flügel der Römer unter Caesars eigener Führung stürzte sich rasch auf den Feind und trieb ihn vor sich her; dasselbe gelang dem rechten Flügel der Deutschen. Noch stand die Waage gleich; allein die Taktik der Reserven entschied, wie so manchen anderen Kampf gegen Barbaren, so auch den gegen die Germanen zu Gunsten der Römer; ihre dritte Linie, die Publius Crassus rechtzeitig zur Hilfe sandte, stellte auf dem linken Flügel die Schlacht wieder her und damit war der Sieg entschieden. Bis an den Rhein ward die Verfolgung fortgesetzt; nur wenigen, darunter dem König, gelang es, auf das andere Ufer zu entkommen (696 58).
So glänzend kündigte dem mächtigen Strom, den hier die italischen Soldaten zum erstenmal erblickten, das römische Regiment sich an; mit einer einzigen glücklichen Schlacht war die Rheinlinie gewonnen. Das Schicksal der deutschen Ansiedlungen am linken Rheinufer lag in Caesars Hand; der Sieger konnte sie vernichten, aber er tat es nicht. Die benachbarten keltischen Gaue, die Sequaner, Leuker, Mediomatriker, waren weder wehrhaft noch zuverlässig; die übersiedelten Deutschen versprachen nicht bloß tapfere Grenzhüter, sondern auch bessere Untertanen Roms zu werden, da sie von den Kelten die Nationalität, von ihren überrheinischen Landsleuten das eigene Interesse an der Bewahrung der neugewonnenen Wohnsitze schied und sie bei ihrer isolierten Stellung nicht umhin konnten, an der Zentralgewalt festzuhalten. Caesar zog hier wie überall die überwundenen Feinde den zweifelhaften Freunden vor; er ließ den von Ariovist längs des linken Rheinufers angesiedelten Germanen, den Tribokern um Straßburg, den Nemetern um Speyer, den Vangionen um Worms, ihre neuen Sitze und vertraute ihnen die Bewachung der Rheingrenze gegen ihre Landsleute an47.
Die Sueben aber, die am Mittelrhein das treverische Gebiet bedrohten, zogen auf die Nachricht von Ariovists Niederlage wieder zurück in das innere Deutschland, wobei sie unterwegs durch die nächstwohnenden Völkerschaften ansehnliche Einbuße erlitten.
Die Folgen dieses einen Feldzuges waren unermeßlich; noch Jahrtausende nachher wurden sie empfunden. Der Rhein war die Grenze des Römischen Reiches gegen die Deutschen geworden. In Gallien, das nicht mehr vermochte, sich selber zu gebieten, hatten bisher die Römer an der Südküste geherrscht, seit kurzem die Deutschen versucht, weiter oberwärts sich festzusetzen. Die letzten Ereignisse hatten es entschieden, daß Gallien nicht nur zum Teil, sondern ganz der römischen Oberhoheit zu verfallen und daß die Naturgrenze, die der mächtige Fluß darbietet, auch die staatliche Grenze zu werden bestimmt war. In seiner besseren Zeit hatte der Senat nicht geruht, bis Roms Herrschaft Italiens natürliche Grenzen, die Alpen und das Mittelmeer und dessen nächste Inseln, erreicht hatte. Einer ähnlichen militärischen Abrundung bedurfte auch das erweiterte Reich; aber die gegenwärtige Regierung überließ dieselbe dem Zufall und sah höchstens darauf, nicht daß die Grenzen verteidigt werden konnten, sondern daß sie nicht unmittelbar von ihr selbst verteidigt zu werden brauchten. Man fühlte es, daß jetzt ein anderer Geist und ein anderer Arm die Geschicke Roms zu lenken begannen.
Die Grundmauern des künftigen Gebäudes standen; um aber dasselbe auszubauen und bei den Galliern die Anerkennung der römischen Herrschaft und der Rheingrenze bei den Deutschen vollständig durchzuführen, fehlte doch noch gar viel. Ganz Mittelgallien zwar von der römischen Grenze bis hinauf nach Chartres und Trier fügte sich ohne Widerrede dem neuen Machthaber, und am oberen und mittleren Rhein war auch von den Deutschen vorläufig kein Angriff zu besorgen. Allein die nördlichen Landschaften, sowohl die aremorikanischen Gaue in der Bretagne und der Normandie als auch die mächtigere Konföderation der Belgen, waren von den gegen das mittlere Gallien geführten Schlägen nicht mitgetroffen worden und fanden sich nicht veranlaßt, dem Besieger Ariovists sich zu unterwerfen. Es kam hinzu, daß, wie bemerkt, zwischen den Belgen und den überrheinischen Deutschen sehr enge Beziehungen bestanden und auch an der Rheinmündung germanische Stämme sich fertig machten, den Strom zu überschreiten. Infolgedessen brach Caesar mit seinem jetzt auf acht Legionen vermehrten Heer im Frühjahr 697 (57) auf gegen die belgischen Gaue. Eingedenk des tapferen und glücklichen Widerstandes, den sie fünfzig Jahre zuvor mit gesamter Hand an der Landgrenze den Kimbrern geleistet hatte, und gespornt durch die zahlreich aus Mittelgallien zu ihnen geflüchteten Patrioten, sandte die Eidgenossenschaft der Belgen ihr gesamtes erstes Aufgebot, 300000 Bewaffnete unter Anführung des Königs der Suessionen, Galba, an ihre Südgrenze, um Caesar daselbst zu empfangen. Nur ein einziger Gau, der der mächtigen Remer (um Reims), ersah in dieser Invasion der Fremden die Gelegenheit, das Regiment abzuschütteln, das ihre Nachbarn, die Suessionen, über sie ausübten, und schickte sich an, die Rolle, die in Mittelgallien die Häduer gespielt hatten, im nördlichen zu übernehmen. In ihrem Gebiet trafen das römische und das belgische Heer fast gleichzeitig ein. Caesar unternahm es nicht, dem tapferen, sechsfach stärkeren Feinde eine Schlacht zu liefern; nordwärts der Aisne, unweit des heutigen Pontavert, zwischen Reims und Laon, nahm er sein Lager auf einem teils durch den Fluß und durch Sümpfe, teils durch Gräben und Redouten von allen Seiten fast unangreifbar gemachten Plateau und begnügte sich, die Versuche der Belgen, die Aisne zu überschreiten und ihn damit von seinen Verbindungen abzuschneiden, durch defensive Maßregeln zu vereiteln. Wenn er darauf zählte, daß die Koalition demnächst unter ihrer eigenen Schwere zusammenbrechen werde, so hatte er richtig gerechnet. König Galba war ein redlicher, allgemein geachteter Mann; aber der Lenkung einer Armee von 300000 Mann auf feindlichem Boden war er nicht gewachsen. Man kam nicht weiter und die Vorräte gingen auf die Neige; Unzufriedenheit und Entzweiung fingen an, im Lager der Eidgenossen sich einzunisten. Die Bellovaker vor allem, den Suessionen an Macht gleich und schon verstimmt darüber, daß die Feldhauptmannschaft des eidgenössischen Heeres nicht an sie gekommen war, waren nicht länger zu halten, seit die Meldung eingetroffen war, daß die Häduer als Bundesgenossen der Römer Anstalt machten, in das bellovakische Gebiet einzurücken. Man beschloß, sich aufzulösen und nach Hause zu gehen; wenn Schande halber die sämtlichen Gaue zugleich sich verpflichteten, dem zunächst angegriffenen mit gesamter Hand zu Hilfe zu eilen, so ward durch solche unausführbare Stipulationen das klägliche Auseinanderlaufen der Eidgenossenschaft nur kläglich beschönigt. Es war eine Katastrophe, welche lebhaft an diejenige erinnert, die im Jahre 1792 fast auf demselben Boden eintrat; und gleichwie in dem Feldzug in der Champagne war die Niederlage nur um so schwerer, weil sie ohne Schlacht erfolgt war. Die schlechte Leitung der abziehenden Armee gestattete dem römischen Feldherrn, dieselbe zu verfolgen, als wäre sie eine geschlagene, und einen Teil der bis zuletzt gebliebenen Kontingente aufzureiben. Aber die Folgen des Sieges beschränkten sich hierauf nicht. Wie Caesar in die westlichen Kantone der Belgen einrückte, gab einer nach dem andern fast ohne Gegenwehr sich verloren: die mächtigen Suessionen (um Soissons), ebenso wie ihre Nebenbuhler, die Bellovaker (um Beauvais) und die Ambianer (um Amiens). Die Städte öffneten die Tore, als sie die fremdartigen Belagerungsmaschinen, die auf die Mauern zurollenden Türme erblickten; wer sich dem fremden Herrn nicht ergeben mochte, suchte eine Zuflucht jenseits des Meeres in Britannien. Aber in den östlichen Kantonen regte sich energischer das Nationalgefühl. Die Viromanduer (um Arras), die Atrebaten (um Saint-Quentin), die deutschen Aduatuker (um Namur), vor allem aber die Nervier (im Hennegau) mit ihrer nicht geringen Klientel, an Zahl den Suessionen und Bellovakern wenig nachgebend, an Tapferkeit und kräftigem Vaterlandssinn ihnen weit überlegen, schlossen einen zweiten und engeren Bund und zogen ihre Mannschaften an der oberen Samtire zusammen. Keltische Spione unterrichteten sie aufs genaueste über die Bewegungen der römischen Armee; ihre eigene Ortskunde sowie die hohen Verzäunungen, welche in diesen Landschaften überall angelegt waren, um den dieselben oft heimsuchenden berittenen Räuberscharen den Weg zu versperren, gestatteten den Verbündeten, ihre eigenen Operationen dem Blick der Römer größtenteils zu entziehen. Als diese an der Sambre unweit Bavay anlangten und die Legionen eben beschäftigt waren, auf dem Kamm des linken Ufers das Lager zu schlagen, die Reiterei und leichte Infanterie die jenseitigen Höhen zu erkunden, wurden auf einmal die letzteren von der gesamten Masse des feindlichen Landsturms überfallen und den Hügel hinab in den Fluß gesprengt. In einem Augenblick hatte der Feind auch diesen überschritten und stürmte mit todverachtender Entschlossenheit die Höhen des linken Ufers. Kaum blieb den schanzenden Legionären die Zeit, um die Hacke mit dem Schwert zu vertauschen; die Soldaten, viele unbehelmt, mußten fechten, wo sie eben standen, ohne Schlachtlinie, ohne Plan, ohne eigentliches Kommando, denn bei der Plötzlichkeit des Überfalls und dem von hohen Hecken durchschnittenen Terrain hatten die einzelnen Abteilungen die Verbindung völlig verloren. Statt der Schlacht entspann sich eine Anzahl zusammenhangloser Gefechte. Labienus mit dem linken Flügel warf die Atrebaten und verfolgte sie bis über den Fluß. Das römische Mitteltreffen drängte die Viromanduer den Abhang hinab. Der rechte Flügel aber, bei dem der Feldherr selbst sich befand, wurde von den weit zahlreicheren Nerviern um so leichter überflügelt, als das Mitteltreffen, durch seinen Erfolg fortgerissen, den Platz neben ihm geräumt hatte, und selbst das halbfertige Lager von den Nerviern besetzt; die beiden Legionen, jede einzeln in ein dichtes Knäuel zusammengeballt und von vorn und in beiden Flanken angegriffen, ihrer meisten Offiziere und ihrer besten Soldaten beraubt, schienen im Begriff, gesprengt und zusammengehauen zu werden. Schon flohen der römische Troß und die Bundestruppen nach allen Seiten; von der keltischen Reiterei jagten ganze Abteilungen, wie das Kontingent der Treverer, mit verhängten Zügeln davon, um vom Schlachtfelde selbst die willkommene Kunde der erlittenen Niederlage daheim zu melden. Es stand alles auf dem Spiel. Der Feldherr selbst ergriff den Schild und focht unter den Vordersten; sein Beispiel, sein auch jetzt noch begeisternder Zuruf brachten die schwankenden Reihen wieder zum Stehen. Schon hatte man einigermaßen sich Luft gemacht und wenigstens die Verbindung der beiden Legionen dieses Flügels wiederhergestellt, als Succurs herbeikam: teils von dem Uferkamm herab, wo währenddessen mit dem Gepäck die römische Nachhut eingetroffen war, teils vom anderen Flußufer her, wo Labienus inzwischen bis an das feindliche Lager vorgedrungen war und sich dessen bemächtigt hatte und nun, endlich die auf dem rechten Flügel drohende Gefahr gewahrend, die siegreiche zehnte Legion seinem Feldherrn zu Hilfe sandte. Die Nervier, von ihren Verbündeten getrennt und von allen Seiten zugleich angegriffen, bewährten jetzt, wo das Glück sich wandte, denselben Heldenmut, wie da sie sich Sieger glaubten; noch von den Leichenbergen der Ihrigen herunter fochten sie bis auf den letzten Mann. Nach ihrer eigenen Angabe überlebten von ihren sechshundert Ratsherren nur drei diesen Tag. Nach dieser vernichtenden Niederlage mußten die Nervier, Atrebaten und Viromanduer wohl die römische Hoheit anerkennen. Die Aduatuker, zu spät eingetroffen, um an dem Kampfe an der Sambre teilzunehmen, versuchten zwar noch, in der festesten ihrer Städte (auf dem Berge Falhize an der Maas unweit Huy) sich zu halten, allein bald unterwarfen auch sie sich. Ein noch nach der Ergebung gewagter nächtlicher Überfall des römischen Lagers vor der Stadt schlug fehl und der Treubruch ward von den Römern mit furchtbarer Strenge geahndet. Die Klientel der Aduatuker, die aus den Eburonen zwischen Maas und Rhein und anderen kleinen, benachbarten Stämmen bestand, wurde von den Römern selbständig erklärt, die gefangenen Aduatuker aber in Masse zu Gunsten des römischen Schatzes unter dem Hammer verkauft. Es schien, als ob das Verhängnis, das die Kimbrer betroffen hatte, auch diesen letzten kimbrischen Splitter noch verfolge. Den übrigen unterworfenen Stämmen begnügte sich Caesar eine allgemeine Entwaffnung und Geiselstellung aufzuerlegen. Die Remer wurden natürlich der führende Gau im belgischen wie die Häduer im mittleren Gallien; sogar in diesem begaben sich manche mit den Häduern verfeindete Clans vielmehr in die Klientel der Reiner. Nur die entlegenen Seekantone der Moriner (Artois) und der Menapier (Flandern und Brabant) und die großenteils von Deutschen bewohnte Landschaft zwischen Schelde und Rhein blieben für diesmal von der römischen Invasion noch verschont und im Besitz ihrer angestammten Freiheit.
Die Reihe kam an die aremorikanischen Gaue. Noch im Herbst 697 (57) ward Publius Crassus mit einem römischen Korps dahin gesandt; er bewirkte, daß die Veneter, die, als Herren der Häfen des heutigen Morbihan und einer ansehnlichen Flotte, in Schiffahrt und Handel unter allen keltischen Gauen den ersten Platz einnahmen, und überhaupt die Küstendistrikte zwischen Loire und Seine sich den Römern unterwarfen und ihnen Geiseln stellten. Allein es gereute sie bald. Als im folgenden Winter (697/98 57/5 römische Offiziere in diese Gegenden kamen, um Getreidelieferungen daselbst auszuschreiben, wurden sie von den Venetern als Gegengeiseln festgehalten. Dem gegebenen Beispiel folgten rasch nicht bloß die aremoricanischen, sondern auch die noch freigebliebenen Seekantone der Belgen; wo, wie in einigen Gauen der Normandie, der Gemeinderat sich weigerte, der Insurrektion beizutreten, machte die Menge ihn nieder und schloß mit verdoppeltem Eifer der Nationalsache sich an. Die ganze Küste von der Mündung der Loire bis zu der des Rheins stand auf gegen Rom; die entschlossensten Patrioten aus allen keltischen Gauen eilten dorthin, um mitzuwirken an dem großen Werke der Befreiung; man rechnete schon auf den Aufstand der gesamten belgischen Eidgenossenschaft, auf Beistand aus Britannien, auf das Einrücken der überrheinischen Germanen.
Caesar sandte Labienus mit der ganzen Reiterei an den Rhein, um die gärende belgische Landschaft niederzuhalten und nötigenfalls den Deutschen den Übergang über den Fluß zu wehren; ein anderer seiner Unterbefehlshaber, Quintus Titurius Sabinus, ging mit drei Legionen nach der Normandie, wo die Hauptmasse der Insurgenten sich sammelte. Allein der eigentliche Herd der Insurrektion waren die mächtigen und intelligenten Veneter; gegen sie ward zu Lande und zur See der Hauptangriff gerichtet. Die teils aus den Schiffen der untertänigen Keltengaue, teils aus einer Anzahl römischer, eiligst auf der Loire erbauter und mit Ruderern aus der Narbonensischen Provinz bemannter Galeeren gebildete Flotte führte der Unterfeldherr Decimus Brutus heran; Caesar selbst rückte mit dem Kern seiner Infanterie ein in das Gebiet der Veneter. Aber man war dort vorbereitet und hatte ebenso geschickt wie entschlossen die günstigen Verhältnisse benutzt, die das bretagnische Terrain und der Besitz einer ansehnlichen Seemacht darbot. Die Landschaft war durchschnitten und getreidearm, die Städte größtenteils auf Klippen und Landspitzen gelegen und vom Festlande her nur auf schwer zu passierenden Watten zugänglich; die Verpflegung wie die Belagerung waren für das zu Lande angreifende Heer gleich schwierig, während die Kelten durch ihre Schiffe die Städte leicht mit allem Nötigen versehen und im schlimmsten Fall die Räumung derselben bewerkstelligen konnten. Die Legionen verschwendeten in den Belagerungen der venetischen Ortschaften Zeit und Kraft, um zuletzt die wesentlichen Früchte des Sieges auf den Schiffen der Feinde verschwinden zu sehen. Als daher die römische Flotte, lange in der Loiremündung von Stürmen zurückgehalten, endlich an der bretagnischen Küste eintraf, überließ man es ihr, den Kampf durch eine Seeschlacht zu entscheiden. Die Kelten, ihrer Überlegenheit auf diesem Elemente sich bewußt, führten gegen die von Brutus befehligte römische Flotte die ihrige vor. Nicht bloß zählte diese zweihundertzwanzig Segel, weit mehr, als die Römer hatten aufbringen können; ihre hochbordigen, festgebauten Segelschiffe von flachem Boden waren auch bei weitem geeigneter für die hochgehenden Fluten des Atlantischen Meeres als die niedrigen leichtgefugten Rudergaleeren der Römer mit ihren scharfen Kielen. Weder die Geschosse noch die Enterbrücken der Römer vermochten das hohe Deck der feindlichen Schiffe zu erreichen und an den mächtigen Eichenplanken derselben prallten die eisernen Schnäbel machtlos ab. Allein die römischen Schiffsleute zerschnitten die Taue, durch welche die Rahen an den Masten befestigt waren, mittels an langen Stangen befestigter Sicheln; Rahen und Segel stürzten herab und, da man den Schaden nicht rasch zu ersetzen verstand, ward das Schiff dadurch zum Wrack, wie heutzutage durch Stürzen der Maste, und leicht gelang es den römischen Booten, durch vereinigten Angriff des gelähmten feindlichen Schiffes sich zu bemeistern. Als die Gallier dieses Manövers innewurden, versuchten sie von der Küste, an der sie den Kampf mit den Römern aufgenommen hatten, sich zu entfernen und die hohe See zu gewinnen, wohin die römischen Galeeren ihnen nicht folgen konnten; allein zum Unglück für sie trat plötzlich eine vollständige Windstille ein und die ungeheure Flotte, an deren Ausrüstung die Seegaue alle ihre Kräfte gesetzt hatten, ward von den Römern fast gänzlich vernichtet. So ward diese Seeschlacht – soweit die geschichtliche Kunde reicht, die älteste auf dem Atlantischen Ozean geschlagene – ebenwie zweihundert Jahre zuvor das Treffen bei Mylae trotz der ungünstigsten Verhältnisse durch eine von der Not eingegebene glückliche Erfindung zum Vorteil der Römer entschieden. Die Folge des von Brutus erfochtenen Sieges war die Ergebung der Veneter und der ganzen Bretagne. Mehr, um der keltischen Nation, nach so vielfältigen Beweisen von Milde gegen die Unterworfenen, jetzt durch ein Beispiel furchtbarer Strenge gegen die hartnäckig Widerstrebenden zu imponieren, als um den Vertragsbruch und die Festnahme der römischen Offiziere zu ahnden, ließ Caesar den gesamten Gemeinderat hinrichten und die Bürgerschaft des venetischen Gaus bis auf den letzten Mann in die Knechtschaft verkaufen. Durch dies entsetzliche Geschick wie durch ihre Intelligenz und ihren Patriotismus haben die Veneter mehr als irgendein anderer Keltenclan sich ein Anrecht erworben auf die Teilnahme der Nachwelt. Dem am Kanal versammelten Aufgebot der Küstenstaaten setzte Sabinus inzwischen dieselbe Taktik entgegen, durch die Caesar das Jahr zuvor den belgischen Landsturm an der Aisne überwunden hatte; er verhielt sich verteidigend, bis Ungeduld und Mangel in den Reihen der Feinde einrissen, und wußte sie dann durch Täuschung über die Stimmung und Stärke seiner Truppen und vor allem durch die eigene Ungeduld zu einem unbesonnenen Sturm auf das römische Lager zu verlocken und dabei zu schlagen, worauf die Milizen sich zerstreuten und die Landschaft bis zur Seine sich unterwarf.
Nur die Moriner und Menapier beharrten dabei, sich der Anerkennung der römischen Hoheit zu entziehen. Um sie dazu zu zwingen, erschien Caesar an ihren Grenzen: aber gewitzigt durch die von ihren Landsleuten gemachten Erfahrungen, vermieden sie es, den Kampf an der Landesgrenze aufzunehmen und wichen zurück in die damals von den Ardennen gegen die Nordsee hin fast ununterbrochen sich erstreckenden Wälder. Die Römer versuchten, sich durch dieselben mit der Axt eine Straße zu bahnen, zu deren beiden Seiten die gefällten Bäume als Verbacke gegen feindliche Überfälle aufgeschichtet wurden; allein selbst Caesar, verwegen wie er war, fand nach einigen Tagen mühseligsten Marschierens es ratsam, zumal da es gegen den Winter ging, den Rückzug anzuordnen, obwohl von den Morinern nur ein kleiner Teil unterworfen und die mächtigen Menapier gar nicht erreicht worden waren. Das folgende Jahr (699 55) ward, während Caesar selbst in Britannien beschäftigt war, der größte Teil des Heeres aufs neue gegen diese Völkerschaften gesandt; allein auch diese Expedition blieb in der Hauptsache erfolglos. Dennoch war das Ergebnis der letzten Feldzüge die fast vollständige Unterwerfung Galliens unter die Herrschaft der Römer. Wenn Mittelgallien ohne Gegenwehr sich unter dieselbe gefügt hatte, so waren durch den Feldzug des Jahres 697 (57) die belgischen, durch den des folgenden Jahres die Seegaue mit den Waffen zur Anerkennung der römischen Herrschaft gezwungen worden. Die hochfliegenden Hoffnungen aber, mit denen die keltischen Patrioten den letzten Feldzug begonnen, hatten nirgends sich erfüllt. Weder Deutsche noch Briten waren ihnen zu Hilfe gekommen, und in Belgien hatte Labienus‘ Anwesenheit genügt, die Erneuerung der vorjährigen Kämpfe zu verhüten.
Während also Caesar das römische Gebiet im Westen mit den Waffen zu einem geschlossenen Ganzen fortbildete, versäumte er nicht, der neu unterworfenen Landschaft, welche ja bestimmt war, die zwischen Italien und Spanien klaffende Gebietslücke auszufüllen, mit der italischen Heimat wie mit den spanischen Provinzen Kommunikationen zu eröffnen. Die Verbindung zwischen Gallien und Italien war allerdings durch die von Pompeius im Jahre 677 (77) angelegte Heerstraße über den Mont Genèvre wesentlich erleichtert worden; allein seit das ganze Gallien den Römern unterworfen war, bedurfte man einer aus dem Potal nicht in westlicher, sondern in nördlicher Richtung den Alpenkamm überschreitenden und eine kürzere Verbindung zwischen Italien und dem mittleren Gallien herstellenden Straße. Dem Kaufmann diente hierzu längst der Weg, der über den Großen Bernhard in das Wallis und an den Genfer See führt; um diese Straße in seine Gewalt zu bringen, ließ Caesar schon im Herbst 697 (57) durch Servius Galba Octodurum (Martigny) besetzen und die Bewohner des Wallis zur Botmäßigkeit bringen, was durch die tapfere Gegenwehr dieser Bergvölker natürlich nur verzögert, nicht verhindert ward.
Um ferner die Verbindung mit Spanien zu gewinnen, wurde im folgenden Jahr (698 56) Publius Crassus nach Aquitanien gesandt mit dem Auftrag, die daselbst wohnenden iberischen Stämme zur Anerkennung der römischen Herrschaft zu zwingen. Die Aufgabe war nicht ohne Schwierigkeit; die Iberer hielten fester zusammen als die Kelten und verstanden es besser als diese, von ihren Feinden zu lernen. Die Stämme jenseits der Pyrenäen, namentlich die tüchtigen Kantabrer sandten ihren bedrohten Landsleuten Zuzug; mit diesem kamen erfahrene, unter Sertorius‘ Führung römisch geschulte Offiziere, die soweit möglich die Grundsätze der römischen Kriegskunst, namentlich das Lagerschlagen, bei dem schon durch seine Zahl und seine Tapferkeit ansehnlichen aquitanischen Aufgebot einführten. Allein der vorzügliche Offizier, der die Römer führte, wußte alle Schwierigkeiten zu überwinden, und nach einigen hart bestrittenen, aber glücklich gewonnenen Feldschlachten die Völkerschaften von der Garonne bis nahe an die Pyrenäen zur Ergebung unter den neuen Herrn zu bestimmen.
Das eine Ziel, das Caesar sich gesteckt hatte, die Unterwerfung Galliens, war mit kaum nennenswerten Ausnahmen im wesentlichen soweit erreicht, als es überhaupt mit dem Schwert sich erreichen ließ. Allein die andere Hälfte des von Caesar begonnenen Werkes war noch bei weitem nicht genügend erledigt und die Deutschen noch keineswegs überall genötigt, den Rhein als Grenze anzuerkennen. Eben jetzt, im Winter 698/99 (56/55) hatte an dem unteren Laufe des Flusses, bis wohin die Römer noch nicht vorgedrungen waren, eine abermalige Grenzüberschreitung stattgefunden. Die deutschen Stämme der Usipeten und Tencterer, deren Versuche, in dem Gebiet der Menapier über den Rhein zu setzen, bereits erwähnt wurden, waren endlich doch, die Wachsamkeit ihrer Gegner durch einen verstellten Abzug täuschend, auf den eigenen Schiffen der Menapier übergegangen – ein ungeheurer Schwarm, der sich mit Einschluß der Weiber und Kinder auf 430000 Köpfe belaufen haben soll. Noch lagerten sie, es scheint in der Gegend von Nimwegen und Kleve; aber es hieß, daß sie, den Aufforderungen der keltischen Patriotenpartei folgend, in das Innere Galliens einzurücken beabsichtigten, und das Gerücht ward dadurch bestärkt, daß ihre Reiterscharen bereits bis an die Grenzen der Treuerer streiften. Indes als Caesar mit seinen Legionen ihnen gegenüber anlangte, schienen die vielgeplagten Auswanderer nicht nach neuen Kämpfen begierig, sondern gern bereit, von den Römern Land zu nehmen und es unter ihrer Hoheit in Frieden zu bestellen. Während darüber verhandelt ward, stieg in dem römischen Feldherrn der Argwohn auf, daß die Deutschen nur Zeit zu gewinnen suchten, bis die von ihnen entsendeten Reiterscharen wiedereingetroffen seien. Ob derselbe gegründet war oder nicht, läßt sich nicht sagen; aber darin bestärkt durch einen Angriff, den trotz des tatsächlichen Waffenstillstandes ein feindlicher Trupp auf seine Vorhut unternahm, und erbittert durch den dabei erlittenen empfindlichen Verlust, glaubte Caesar sich berechtigt, jede völkerrechtliche Rücksicht aus den Augen zu setzen. Als am anderen Morgen die Fürsten und Ältesten der Deutschen, den ohne ihr Vorwissen unternommenen Angriff zu entschuldigen, im römischen Lager erschienen, wurden sie festgehalten und die nichts ahnende, ihrer Führer beraubte Menge von dem römischen Heer plötzlich überfallen. Es war mehr eine Menschenjagd als eine Schlacht; was nicht unter den Schwertern der Römer fiel, ertrank im Rheine; fast nur die zur Zeit des Überfalls detachierten Abteilungen entkamen dem Blutbad und gelangten zurück über den Rhein, wo ihnen die Sugambrer in ihrem Gebiet, es scheint an der Lippe, eine Freistatt gewährten. Das Verfahren Caesars gegen diese deutschen Einwanderer fand im Senat schweren und gerechten Tadel; allein wie wenig auch dasselbe entschuldigt werden kann, den deutschen Übergriffen war dadurch mit erschreckendem Nachdruck gesteuert. Doch fand es Caesar ratsam, noch einen Schritt weiter zu gehen und die Legionen über den Rhein zu führen. An Verbindungen jenseits desselben mangelte es ihm nicht. Den Deutschen auf ihrer damaligen Bildungsstufe fehlte noch jeder nationale Zusammenhang; an politischer Zerfahrenheit gaben sie, wenn auch aus anderen Ursachen, den Kelten nichts nach. Die Ubier (an der Sieg und Lahn), der zivilisierteste unter den deutschen Stämmen, waren vor kurzem von einem mächtigen suebischen Gau des Binnenlandes botmäßig und zinspflichtig gemacht worden und hatten schon 697 (57) Caesar durch ihre Boten ersucht, auch sie wie die Gallier von der suebischen Herrschaft zu befreien. Es war Caesars Absicht nicht, diesem Ansinnen, das ihn in endlose Unternehmungen verwickelt haben würde, ernstlich zu entsprechen; aber wohl schien es zweckmäßig, um das Erscheinen der germanischen Waffen diesseits des Rheines zu verhindern, die römischen jenseits desselben wenigstens zu zeigen. Der Schutz, den die entronnenen Usipeten und Tencterer bei den Sugambrern gefunden hatten, bot eine geeignete Veranlassung dar. In der Gegend, wie es scheint, zwischen Koblenz und Andernach schlug Caesar eine Pfahlbrücke über den Rhein und führte seine Legionen hinüber aus dem treverischen in das ubische Gebiet. Einige kleinere Gaue gaben ihre Unterwerfung ein; allein die Sugambrer, gegen die der Zug zunächst gerichtet war, zogen, wie das römische Heer herankam, mit ihren Schutzbefohlenen sich in das innere Land zurück. In gleicher Weise ließ der mächtige suebische Gau, der die Ubier bedrängte, vermutlich derjenige, der später unter dem Namen der Chatten auftritt, die zunächst an das ubische Gebiet angrenzenden Distrikte räumen und das nicht streitbare Volk in Sicherheit bringen, während alle waffenfähige Mannschaft angewiesen ward, im Mittelpunkt des Gaues sich zu versammeln. Diesen Handschuh aufzuheben hatte der römische Feldherr weder Veranlassung noch Lust; sein Zweck, teils zu rekognoszieren, teils durch einen Zug über den Rhein womöglich den Deutschen, wenigstens aber den Kelten und den Landsleuten daheim zu imponieren, war im wesentlichen erreicht; nach achtzehntägigem Verweilen am rechten Rheinufer traf er wieder in Gallien ein und brach die Rheinbrücke hinter sich ab (699 55).
Es blieben die Inselkelten. Bei dem engen Zusammenhang zwischen ihnen und den Kelten des Festlandes, namentlich den Seegauen, ist es begreiflich, daß sie an dem nationalen Widerstand wenigstens mit ihren Sympathien sich beteiligt hatten und den Patrioten wenn auch nicht bewaffneten Beistand, doch mindestens jedem von ihnen, für den die Heimat nicht mehr sicher war, auf ihrer meerbeschützten Insel eine ehrenvolle Freistatt gewährten. Eine Gefahr lag hierin allerdings, wenn nicht für die Gegenwart, doch für die Zukunft; es schien zweckmäßig, wo nicht die Eroberung der Insel selbst zu unternehmen, doch auch hier die Defensive offensiv zu führen und durch eine Landung an der Küste den Insulanern zu zeigen, daß der Arm der Römer auch über den Kanal reiche. Schon der erste römische Offizier, der die Bretagne betrat, Publius Crassus, war von dort nach den „Zinninseln“ an der Westspitze Englands (Scillyinseln) hinübergefahren (697 57); im Sommer 699 (55) ging Caesar selbst mit nur zwei Legionen da, wo er am schmalsten ist48, über den Kanal. Er fand die Küste mit feindlichen Truppenmassen bedeckt und fuhr mit seinen Schiffen weiter; aber die britischen Streitwagen bewegten sich ebenso schnell zu Lande fort wie die römischen Galeeren auf der See, und nur mit größter Mühe gelang es den römischen Soldaten unter dem Schutze der Kriegsschiffe, die durch Wurfmaschinen und Handgeschütze den Strand fegten, im Angesicht der Feinde teils watend, teils in Kähnen das Ufer zu gewinnen. Im ersten Schreck unterwarfen sich die nächsten Dörfer; allein bald wurden die Insulaner gewahr, wie schwach der Feind sei und wie er nicht wage, sich vom Ufer zu entfernen. Die Eingeborenen verschwanden in das Binnenland und kamen nur zurück, um das Lager zu bedrohen; die Flotte aber, die man auf der offenen Reede gelassen hatte, erlitt durch den ersten über sie hereinbrechenden Sturmwind sehr bedeutenden Schaden. Man mußte sich glücklich schätzen, die Angriffe der Barbaren abzuschlagen, bis man die Schiffe notdürftig repariert hatte, und mit denselben, noch ehe die schlimme Jahreszeit hereinbrach, die gallische Küste wiederzuerreichen.
Caesar selbst war mit den Ergebnissen dieser leichtsinnig und mit unzulänglichen Mitteln unternommenen Expedition so unzufrieden, daß er sogleich (Winter 699/700 55/54) eine Transportflotte von 800 Segeln instand setzen ließ und im Frühling 700 (54), diesmal mit fünf Legionen und 2000 Reitern, zum zweitenmal nach der kentischen Küste unter Segel ging. Vor der gewaltigen Armada wich die auch diesmal am Ufer versammelte Streitmacht der Briten, ohne einen Kampf zu wagen; Caesar trat sofort den Marsch ins Binnenland an und überschritt nach einigen glücklichen Gefechten den Fluß Stour; allein er mußte sehr wider seinen Willen innehalten, weil die Flotte auf der offenen Reede wiederum von den Stürmen des Kanals halb vernichtet worden war. Bis man die Schiffe auf den Strand gezogen und für die Reparatur umfassende Vorkehrungen getroffen, ging eine kostbare Zeit verloren, die die Kelten weislich benutzten. Der tapfere und umsichtige Fürst Cassivellaunus, der in dem heutigen Middlesex und der Umgegend gebot, sonst der Schreck der Kelten südlich von der Themse, jetzt aber Hort und Vorfechter der ganzen Nation, war an die Spitze der Landesverteidigung getreten. Er sah bald, daß mit dem keltischen Fußvolk gegen das römische schlechterdings nichts auszurichten und die schwer zu ernährende und schwer zu regierende Masse des Landsturms der Verteidigung nur hinderlich war; also entließ er diesen und behielt nur die Streitwagen, deren er 4000 zusammenbrachte und deren Kämpfer, geübt vom Wagen herabspringend zu Fuß zu fechten, gleich der Bürgerreiterei des ältesten Rom in zwiefacher Weise verwendet werden konnten. Als Caesar den Marsch wieder fortzusetzen imstande war, fand er denselben nirgend sich verlegt; aber die britischen Streitwagen zogen stets dem römischen Heer vorauf und zur Seite, bewirkten die Räumung des Landes, die bei dem Mangel an Städten keine große Schwierigkeit machte, hinderten jede Detachierung und bedrohten die Kommunikationen. Die Themse ward – wie es scheint zwischen Kingston und Brentford oberhalb London – von den Römern überschritten; man kam vorwärts, aber nicht eigentlich weiter; der Feldherr erfocht keinen Sieg, der Soldat machte keine Beute und das einzige wirkliche Resultat, die Unterwerfung der Trinobanten im heutigen Essex, war weniger die Folge der Furcht vor den Römern als der tiefen Verfeindung dieses Gaus mit Cassivellaunus. Mit jedem Schritte vorwärts stieg die Gefahr, und der Angriff, den die Fürsten von Kent nach Cassivellaunus‘ Anordnung auf das römische Schiffslager machten, mahnte, obwohl er abgeschlagen ward, doch dringend zur Umkehr. Die Erstürmung eines großen britischen Verhacks, in dem eine Menge Vieh den Römern in die Hände fiel, gab für das ziellose Vordringen einen leidlichen Abschluß und einen erträglichen Vorwand für die Umkehr. Auch Cassivellaunus war einsichtig genug, den gefährlichen Feind nicht aufs Äußerste zu treiben, und versprach, wie Caesar verlangte, die Trinobanten nicht zu beunruhigen, Abgaben zu zahlen und Geiseln zu stellen; von Auslieferung der Waffen oder Zurücklassung einer römischen Besatzung war nicht die Rede, und selbst jene Versprechungen wurden vermutlich, soweit sie die Zukunft betrafen, ernstlich weder gegeben noch genommen. Nach Empfang der Geiseln kehrte Caesar in das Schiffslager und von da nach Gallien zurück. Wenn er, wie es allerdings scheint, gehofft hatte, Britannien diesmal zu erobern, so war dieser Plan teils an dem klugen Verteidigungssystem des Cassivellaunus, teils und vor allem an der Unbrauchbarkeit der italischen Ruderflotte auf den Gewässern der Nordsee vollkommen gescheitert; denn daß der bedungene Tribut niemals erlegt ward, ist gewiß. Der nächste Zweck aber: die Inselkelten aus ihrer trotzigen Sicherheit aufzurütteln und sie zu veranlassen, in ihrem eigenen Interesse ihre Inseln nicht länger zum Herd der festländischen Emigration herzugeben, scheint allerdings erreicht worden zu sein; wenigstens werden Beschwerden über dergleichen Schutzverleihung späterhin nicht wieder vernommen.
Das Werk der Zurückweisung der germanischen Invasion und der Unterwerfung der festländischen Kelten war vollendet. Aber oft ist es leichter, eine freie Nation zu unterwerfen als eine unterworfene in Botmäßigkeit zu erhalten. Die Rivalität um die Hegemonie, an der mehr noch als an den Angriffen Roms die keltische Nation zugrunde gegangen war, ward durch die Eroberung gewissermaßen aufgehoben, indem der Eroberer die Hegemonie für sich selbst nahm. Die Sonderinteressen schwiegen; in dem gemeinsamen Druck fühlte man doch sich wieder als ein Volk, und was man, da man es besaß, gleichgültig verspielt hatte, die Freiheit und die Nationalität, dessen unendlicher Wert ward nun, da es zu spät war, von der unendlichen Sehnsucht vollständig ermessen. Aber war es denn zu spät? Mit zorniger Scham gestand man es sich, daß eine Nation, die mindestens eine Million waffenfähiger Männer zählte, eine Nation von altem und wohlbegründetem kriegerischen Ruhm, von höchstens 50000 Römern sich hatte das Joch auflegen lassen. Die Unterwerfung der Eidgenossenschaft des mittleren Galliens, ohne daß sie auch nur einen Schlag getan, die der belgischen, ohne daß sie mehr getan als schlagen wollen; dagegen wieder der heldenmütige Untergang der Nervier und Veneter, der kluge und glückliche Widerstand der Moriner und der Briten unter Cassivellaunus – alles, was im einzelnen versäumt und geleistet, gescheitert und erreicht war, spornte die Gemüter aller Patrioten zu neuen, womöglich einigeren und erfolgreicheren Versuchen. Namentlich unter dem keltischen Adel herrschte eine Gärung, die jeden Augenblick in einen allgemeinen Aufstand ausbrechen zu müssen schien. Schon vor dem zweiten Zug nach Britannien im Frühjahr 700 (54) hatte Caesar es notwendig gefunden, sich persönlich zu den Treverern zu begeben, die, seit sie 697 (57) in der Nervierschlacht sich kompromittiert hatten, auf den allgemeinen Landtagen nicht mehr erschienen waren und mit den überrheinischen Deutschen mehr als verdächtige Verbindungen angeknüpft hatten. Damals hatte Caesar sich begnügt, die namhaftesten Männer der Patriotenpartei, namentlich den Indutiomarus, unter dem treverischen Reiterkontingent mit sich nach Britannien zu führen; er tat sein mögliches, die Verschwörung nicht zu sehen, um nicht durch strenge Maßregeln sie zur Insurrektion zu zeitigen. Allein als der Häduer Dumnorix, der gleichfalls dem Namen nach als Reiteroffizier, in der Tat aber als Geisel sich bei dem nach Britannien bestimmten Heere befand, geradezu verweigerte sich einzuschiffen und statt dessen nach Hause ritt, konnte Caesar nicht umhin, ihn als Ausreißer verfolgen zu lassen, wobei er von der nachgeschickten Abteilung eingeholt und, da er gegen dieselbe sich zur Wehre setzte, niedergehauen ward (700 54). Daß der angesehenste Ritter des mächtigsten und noch am wenigsten abhängigen Keltengaus von den Römern getötet worden, war ein Donnerschlag für den ganzen keltischen Adel; jeder, der sich ähnlicher Gesinnung bewußt war – und es war dies die ungeheure Majorität –, sah in jener Katastrophe das Bild dessen, was ihm selber bevorstand. Wenn Patriotismus und Verzweiflung die Häupter des keltischen Adels bestimmt hatte sich zu verschwören, so trieb jetzt Furcht und Notwehr die Verschworenen zum Losschlagen. Im Winter 700/01 (54/53) lagerte, mit Ausnahme einer in die Bretagne und einer zweiten in den sehr unruhigen Gau der Carnuten (bei Chartres) verlegten Legion, das gesamte römische Heer, sechs Legionen stark, im belgischen Gebiet. Die Knappheit der Getreidevorräte hatte Caesar bewogen, seine Truppen weiter, als er sonst zu tun pflegte, auseinander und in sechs verschiedene, in den Gauen der Bellovaker, Ambianer, Moriner, Nervier, Reiner und Eburonen, errichtete Lager zu verlegen. Das am weitesten gegen Osten im eburonischen Gebiet, wahrscheinlich unweit des späteren Aduatuca, des heutigen Tongern, angelegte Standlager, das stärkste von allen, bestehend aus einer Legion unter einem der angesehensten Caesarischen Divisionsführer, dem Quintus Titurius Sabinus, und außerdem verschiedenen, von dem tapferen Lucius Aurunculeius Cotta, geführten Detachements zusammen von der Stärke einer halben Legion49, fand sich urplötzlich von dem Landsturm der Eburonen unter den Königen Ambiorix und Catuvolcus umzingelt. Der Angriff kam so unerwartet, daß die eben vom Lager abwesenden Mannschaften nicht einberufen werden konnten und von den Feinden aufgehoben wurden; übrigens war zunächst die Gefahr nicht groß, da es an Vorräten nicht mangelte und der Sturm, den die Eburonen versuchten, an den römischen Verschanzungen machtlos abprallte. Aber König Ambiorix eröffnete dem römischen Befehlshaber, daß die sämtlichen römischen Lager in Gallien an demselben Tage in gleicher Weise angegriffen und die Römer unzweifelhaft verloren seien, wenn die einzelnen Korps nicht rasch aufbrächen und miteinander sich vereinigten; daß Sabinus damit um so mehr Ursache habe zu eilen, als gegen ihn auch die überrheinischen Deutschen bereits im Anmarsch seien; daß er selbst aus Freundschaft für die Römer ihnen freien Abzug bis zu dem nächsten, nur zwei Tagemärsche entfernten römischen Lager zusichere. Einiges in diesen Angaben schien nicht erfunden; daß der kleine, von den Römern besonders begünstigte Gau der Eburonen den Angriff auf eigene Hand unternommen habe, war in der Tat unglaublich und bei der Schwierigkeit, mit den anderen, weit entfernten Lagern sich in Verbindung zu setzen, die Gefahr von der ganzen Masse der Insurgenten angegriffen und vereinzelt aufgerieben zu werden, keineswegs gering zu achten; nichtsdestoweniger konnte es nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß sowohl die Ehre wie die Klugheit gebot, die vom Feinde angebotene Kapitulation zurückzuweisen und an dem anvertrauten Posten auszuharren. Auch im Kriegsrat vertraten zahlreiche Stimmen, namentlich die gewichtige des Lucius Aurunculeius Cotta diese Ansicht. Dennoch entschied sich der Kommandant dafür, den Vorschlag des Ambiorix anzunehmen. Die römischen Truppen zogen also am anderen Morgen ab; aber in einem schmalen Tal, kaum eine halbe Meile vom Lager, angelangt, fanden sie sich von den Eburonen umzingelt und jeden Ausweg gesperrt. Sie versuchten, mit den Waffen sich den Weg zu öffnen; allein die Eburonen ließen sich auf kein Nahgefecht ein und begnügten sich, aus ihren unangreifbaren Stellungen ihre Geschosse in den Knäuel der Römer zu entsenden. Wie verwirrt, als ob er Rettung vor dem Verrat bei dem Verräter suchte, begehrte Sabinus eine Zusammenkunft mit Ambiorix; sie wurde gewährt und er und die ihn begleitenden Offiziere erst entwaffnet, dann niedergemacht. Nach dem Fall des Befehlshabers warfen sich die Eburonen von allen Seiten zugleich auf die erschöpften und verzweifelnden Römer und brachen ihre Reihen: die meisten, unter ihnen der schon früher verwundete Cotta, fanden bei diesem Angriff ihren Tod; ein kleiner Teil, dem es gelungen war, das verlassene Lager wiederzugewinnen, stürzte sich während der folgenden Nacht in die eigenen Schwerter. Der ganze Heerhaufen ward vernichtet.
Dieser Erfolg, wie die Insurgenten ihn selber kaum gehofft haben mochten, steigerte die Gärung unter den keltischen Patrioten so gewaltig, daß die Römer, mit Ausnahme der Häduer und der Reiner, keines einzigen Distrikts ferner sicher waren und an den verschiedensten Punkten der Aufstand losbrach. Vor allen Dingen verfolgten die Eburonen ihren Sieg. Verstärkt durch das Aufgebot der Aduatuker, die gern die Gelegenheit ergriffen, das von Caesar ihnen zugefügte Leid zu vergelten, und der mächtigen und noch unbezwungenen Menapier, erschienen sie in dem Gebiet der Nervier, welche sogleich sich anschlossen, und der ganze also auf 60000 Köpfe angeschwollene Schwarm rückte vor das im nervischen Gau befindliche römische Lager. Quintus Cicero, der hier kommandierte, hatte mit seinem schwachen Korps einen schweren Stand, namentlich als die Belagerer, von dem Feinde lernend, Wälle und Gräben, Schilddächer und bewegliche Türme in römischer Weise aufführten und die strohgedeckten Lagerhütten mit Brandschleudern und Brandspeeren überschütteten. Die einzige Hoffnung der Belagerten beruhte auf Caesar, der nicht allzuweit entfernt in der Gegend von Amiens mit drei Legionen im Winterlager stand. Allein – ein charakteristischer Beweis für die im Keltenland herrschende Stimmung – geraume Zeit hindurch kam dem Oberfeldherrn nicht die geringste Andeutung zu weder von der Katastrophe des Sabinus, noch von der gefährlichen Lage Ciceros. Endlich gelang es einem keltischen Reiter aus Ciceros Lager, sich durch die Feinde bis zu Caesar durchzuschleichen. Auf die erschütternde Kunde brach Caesar augenblicklich auf, zwar nur mit zwei schwachen Legionen, zusammen etwa 7000 Mann stark, und 400 Reitern; aber nichtsdestoweniger genügte die Meldung, daß Caesar anrückte, um die Insurgenten zur Aufhebung der Belagerung zu bestimmen. Es war Zeit; nicht der zehnte Mann in Ciceros Lager war unverwundet. Caesar, gegen den das Insurgentenheer sich gewandt hatte, täuschte die Feinde in der schon mehrmals mit Erfolg angewandten Weise über seine Stärke; unter den ungünstigsten Verhältnissen wagten sie einen Sturm auf das Römerlager und erlitten dabei eine Niederlage. Es ist seltsam, aber charakteristisch für die keltische Nation, daß infolge dieser einen verlorenen Schlacht, oder vielleicht mehr noch infolge von Caesars persönlichem Erscheinen auf dem Kampfplatz die so siegreich aufgetretene, so weithin ausgedehnte Insurrektion plötzlich und kläglich den Krieg abbrach. Nervier, Menapier, Aduatuker, Eburonen begaben sich nach Hause. Das gleiche taten die Mannschaften der Seegaue, die Anstalt gemacht hatten, die Legion in der Bretagne zu überfallen. Die Treverer, durch deren Führer Indutiomarus die Eburonen, die Klienten des mächtigen Nachbargaus, zu jenem so erfolgreichen Angriff hauptsächlich bestimmt worden waren, hatten auf die Kunde der Katastrophe von Aduatuca die Waffen ergriffen und waren in das Gebiet der Remer eingerückt, um die unter Labienus‘ Befehl dort kantonnierende Legion anzugreifen; auch sie stellten für jetzt die Fortsetzung des Kampfes ein. Nicht ungern verschob Caesar die weiteren Maßregeln gegen die aufgestandenen Distrikte auf das Frühjahr, um seine hart mitgenommenen Truppen nicht der ganzen Strenge des gallischen Winters auszusetzen und um erst dann wieder auf dem Kampfplatze zu erscheinen, wenn durch die angeordnete Aushebung von dreißig neuen Kohorten die vernichteten fünfzehn in imponierender Weise ersetzt sein würden. Die Insurrektion spann inzwischen sich fort, wenn auch zunächst die Waffen ruhten. Ihre Hauptsitze in Mittelgallien waren teils die Distrikte der Carnuten und der benachbarten Senonen (um Sens), welche letztere den von Caesar eingesetzten König aus dem Lande jagten, teils die Landschaft der Treverer, welche die gesamte keltische Emigration und die überrheinischen Deutschen zur Teilnahme an dem bevorstehenden Nationalkrieg aufforderten und ihre ganze Mannschaft aufboten, um mit dem Frühjahr zum zweitenmal in das Gebiet der Römer einzurücken, das Korps des Labienus aufzuheben und die Verbindung mit den Aufständischen an der Seine und Loire zu suchen. Die Abgeordneten dieser drei Gaue blieben auf dem von Caesar im mittleren Gallien ausgeschriebenen Landtag aus und erklärten damit ebenso offen den Krieg, wie es ein Teil der belgischen Gaue durch die Angriffe auf das Lager des Sabinus und Cicero getan hatte. Der Winter neigte sich zu Ende, als Caesar mit seinem inzwischen ansehnlich verstärkten Heer aufbrach gegen die Insurgenten. Die Versuche der Treverer, den Aufstand zu konzentrieren, waren nicht geglückt; die gärenden Landschaften wurden durch den Einmarsch römischer Truppen im Zaum gehalten, die in offener Empörung stehenden vereinzelt angegriffen. Zuerst wurden die Nervier von Caesar selbst zu Paaren getrieben. Das gleiche widerfuhr den Senonen und Carnuten. Auch die Menapier, der einzige Gau, der sich niemals noch den Römern unterworfen hatte, wurden durch einen von drei Seiten zugleich gegen sie gerichteten Gesamtangriff genötigt, der lange bewahrten Freiheit zu entsagen. Den Treverern bereitete inzwischen Labienus dasselbe Schicksal. Ihr erster Angriff war gelähmt worden teils durch die Weigerung der nächstwohnenden deutschen Stämme, ihnen Söldner zu liefern, teils dadurch, daß Indutiomarus, die Seele der ganzen Bewegung, in einem Scharmützel mit den Reitern des Labienus geblieben war. Allein sie gaben ihre Entwürfe darum nicht auf. Mit ihrem gesamten Aufgebot erschienen sie Labienus gegenüber und harrten der nachfolgenden deutschen Scharen; denn bessere Aufnahme als bei den Anwohnern des Rheines hatten ihre Werber bei den streitbaren Völkerschaften des inneren Deutschlands, namentlich, wie es scheint, den Chatten gefunden. Allein da Labienus Miene machte, diesen ausweichen und Hals über Kopf abmarschieren zu wollen, griffen die Treverer, noch ehe die Deutschen angelangt waren und in der ungünstigsten Örtlichkeit, die Römer an und wurden vollständig geschlagen. Den zu spät eintreffenden Deutschen blieb nichts übrig als umzukehren, dem treverischen Gau nichts als sich zu unterwerfen; das Regiment daselbst kam wieder an das Haupt der römischen Partei, an des Indutiomarus Schwiegersohn Cingetorix. Nach diesen Expeditionen Caesars gegen die Menapier und des Labienus gegen die Treverer traf in dem Gebiet der letzteren die ganze römische Armee wieder zusammen. Um den Deutschen das Wiederkommen zu verleiden, ging Caesar noch einmal über den Rhein, um womöglich gegen die lästigen Nachbarn einen nachdrücklichen Schlag zu führen; allein da die Chatten, ihrer erprobten Taktik getreu, sich nicht an ihrer Westgrenze, sondern weit landeinwärts, es scheint am Harz, zur Landesverteidigung sammelten, kehrte er sogleich wieder um und begnügte sich, an dem Rheinübergang Besatzung zurückzulassen. Mit den sämtlichen an dem Aufstand beteiligten Völkerschaften war also abgerechnet; nur die Eburonen waren übergangen, aber nicht vergessen. Seit Caesar die Katastrophe von Aduatuca erfahren hatte, trug er das Trauergewand und hatte geschworen, erst dann es abzulegen, wenn er seine nicht im ehrlichen Kriege gefallenen, sondern heimtückisch ermordeten Soldaten gerächt haben würde. Rat- und tatlos saßen die Eburonen in ihren Hütten und sahen zu, wie einer nach dem andern die Nachbargaue den Römern sich unterwarfen, bis die römische Reiterei vom treverischen Gebiet aus durch die Ardennen in ihr Land einrückte. Man war so wenig auf den Angriff gefaßt, daß sie beinahe den König Ambiorix in seinem Hause ergriffen hätte; mit genauer Not, während sein Gefolge für ihn sich aufopferte, entkam er in das nahe Gehölz. Bald folgten den Reitern zehn römische Legionen. Zugleich erging an die umwohnenden Völkerschaften die Aufforderung, mit den römischen Soldaten in Gemeinschaft die vogelfreien Eburonen zu hetzen und ihr Land zu plündern; nicht wenige folgten dem Ruf, sogar von jenseits des Rheines eine kecke Schar sugambrischer Reiter, die übrigens es den Römern nicht besser machte wie den Eburonen und fast durch einen kecken Handstreich das römische Lager bei Aduatuca überrumpelt hätte. Das Schicksal der Eburonen war entsetzlich. Wie sie auch in Wäldern und Sümpfen sich bargen, der Jäger waren mehr als des Wildes. Mancher gab sich selbst den Tod wie der greise Fürst Catuvolcus; nur einzelne retteten Leben und Freiheit, unter diesen wenigen aber der Mann, auf den die Römer vor allem fahndeten, der Fürst Ambiorix: mit nur vier Reitern entrann er über den Rhein. Auf diese Exekution gegen den Gau, der vor allen andern gefrevelt, folgten in den anderen Landschaften die Hochverratsprozesse gegen die einzelnen. Die Zeit der Milde war vorbei. Nach dem Spruche des römischen Prokonsuls ward der angesehene carnutische Ritter Acco von römischen Liktoren enthauptet (701 53) und die Herrschaft der Ruten und Beile damit förmlich eingeweiht. Die Opposition verstummte: überall herrschte Ruhe. Caesar ging, wie er pflegte, im Spätjahr 701 (53) über die Alpen, um den Winter hindurch die immer mehr sich verwickelnden Verhältnisse in der Hauptstadt aus der Nähe zu beobachten.
Der kluge Rechner hatte diesmal sich verrechnet. Das Feuer war gedämpft, aber nicht gelöscht. Den Streich, unter dem Accos Haupt fiel, fühlte der ganze keltische Adel. Eben jetzt bot die Lage der Dinge mehr Aussicht als je. Die Insurrektion des letzten Winters war offenbar nur daran gescheitert, daß Caesar selbst auf dem Kampfplatz erschienen war; jetzt war er fern, durch den nahe bevorstehenden Bürgerkrieg festgehalten am Po, und das gallische Heer, das an der oberen Seine zusammengezogen stand, weit getrennt von dem gefürchteten Feldherrn. Wenn jetzt ein allgemeiner Aufstand in Mittelgallien ausbrach, so konnte das römische Heer umzingelt, die fast unverteidigte altrömische Provinz überschwemmt sein, bevor Caesar wieder jenseits der Alpen stand, selbst wenn die italischen Verwicklungen nicht überhaupt ihn abhielten, sich ferner um Gallien zu kümmern. Verschworene aus allen mittelgallischen Gauen traten zusammen; die Carnuten, als durch Accos Hinrichtung zunächst betroffen, erboten sich voranzugehen. An dem festgesetzten Tage im Winter 701/02 (53/52) gaben die carnutischen Ritter Gutruatus und Conconnetodumnus in Cenabum (Orleans) das Zeichen zur Erhebung und machten die daselbst anwesenden Römer insgesamt nieder. Die gewaltigste Bewegung ergriff das ganze Keltenland; überall regten sich die Patrioten. Nichts aber ergriff so tief die Nation wie die Schilderhebung der Arverner. Die Regierung dieser Gemeinde, die einst unter ihren Königen die erste im südlichen Gallien gewesen und noch nach dem durch die unglücklichen Kriege gegen Rom herbeigeführten Zusammensturz ihres Prinzipats eine der reichsten, gebildetsten und mächtigsten in ganz Gallien geblieben war, hatte bisher unverbrüchlich zu Rom gehalten. Auch jetzt war die Patriotenpartei in dem regierenden Gemeinderat in der Minorität; ein Versuch, von demselben den Beitritt zu der Insurrektion zu erlangen, war vergeblich. Die Angriffe der Patrioten richteten sich also gegen den Gemeinderat und die bestehende Verfassung selbst, und um so mehr, als die Verfassungsänderung, die bei den Arvernern den Gemeinderat an die Stelle des Fürsten gesetzt hatte, nach den Siegen der Römer und wahrscheinlich unter dem Einfluß derselben erfolgt war. Der Führer der arvernischen Patrioten, Vercingetorix, einer jener Adligen, wie sie wohl bei den Kelten begegnen, von fast königlichem Ansehen in und außer seinem Gau, dazu ein stattlicher, tapferer, kluger Mann, verließ die Hauptstadt und rief das Landvolk, das der herrschenden Oligarchie ebenso feind war wie den Römern, zugleich zur Wiederherstellung des arvernischen Königtums und zum Krieg gegen Rom auf. Rasch fiel die Menge ihm zu; die Wiederherstellung des Thrones des Luerius und Betuhus war zugleich die Erklärung des Nationalkriegs gegen Rom. Den einheitlichen Halt, an dessen Mangel alle bisherigen Versuche der Nation, das fremdländische Joch von sich abzuschütteln, gescheitert waren, fand sie jetzt in dem neuen selbsternannten König der Arverner. Vercingetorix ward für die Kelten des Festlandes, was für die Inselkelten Cassivellaunus; gewaltig durchdrang die Massen das Gefühl, daß er oder keiner der Mann sei, die Nation zu erretten. Rasch war der Westen von der Mündung der Garonne bis zu der der Seine von der Insurrektion erfaßt und Vercingetorix hier von allen Gauen als Oberfeldherr anerkannt; wo der Gemeinderat Schwierigkeit machte, nötigte ihn die Menge zum Anschluß an die Bewegung; nur wenige Gaue, wie der der Biturigen, ließen zum Beitritt sich zwingen, und vielleicht auch diese nur zum Schein. Weniger günstigen Boden fand der Aufstand in den Landschaften östlich von der oberen Loire. Alles kam hier auf die Häduer an; und diese schwankten. Die Patriotenpartei war in diesem Gau sehr mächtig; aber der alte Antagonismus gegen die führenden Arverner hielt ihrem Einfluß die Waage – zum empfindlichsten Nachteil der Insurrektion, da der Anschluß der östlichen Kantone, namentlich der Sequaner und der Helvetier, durch den Beitritt der Häduer bedingt war und überhaupt in diesem Teile Galliens die Entscheidung bei ihnen stand. Während also die Aufständischen daran arbeiteten, teils die noch schwankenden Kantone, vor allen die Häduer, zum Beitritt zu bewegen, teils sich Narbos zu bemächtigen – einer ihrer Führer, der verwegene Lucterius, hatte bereits innerhalb der Grenzen der alten Provinz am Tarn sich gezeigt –, erschien plötzlich im tiefen Winter, Freunden und Feinden gleich unerwartet, der römische Oberfeldherr diesseits der Alpen. Rasch traf er nicht bloß die nötigen Anstalten, um die alte Provinz zu decken, sondern sandte auch über die schneebedeckten Cevennen einen Haufen in das arvernische Gebiet; aber seines Bleibens war nicht hier, wo ihn jeden Augenblick der Zutritt der Häduer zu dem gallischen Bündnis von seiner um Sens und Langres lagernden Armee abschneiden konnte. In aller Stille ging er nach Vienna und von da, nur von wenigen Reitern begleitet, durch das Gebiet der Häduer zu seinen Truppen. Die Hoffnungen schwanden, welche die Verschworenen zum Losschlagen bestimmt hatten; in Italien blieb es Friede und Caesar stand abermals an der Spitze seiner Armee.
Was aber sollten sie beginnen? Es war eine Torheit, unter solchen Umständen auf die Entscheidung der Waffen es ankommen zu lassen; denn diese hatten bereits unwiderruflich entschieden. Man konnte ebensogut versuchen, mit Steinwürfen die Alpen zu erschüttern, wie die Legionen mit den keltischen Haufen, mochten dieselben nun in ungeheuren Massen zusammengeballt oder vereinzelt ein Gau nach dem andern preisgegeben werden. Vercingetorix verzichtete darauf, die Römer zu schlagen. Er nahm ein ähnliches Kriegssystem an, wie dasjenige war, durch das Cassivellaunus die Inselkelten gerettet hatte. Das römische Fußvolk war nicht zu besiegen; aber Caesars Reiterei bestand fast ausschließlich aus dem Zuzug des keltischen Adels und war durch den allgemeinen Abfall tatsächlich aufgelöst. Es war der Insurrektion, die ja eben wesentlich aus dem keltischen Adel bestand, möglich, in dieser Waffe eine solche Überlegenheit zu entwickeln, daß sie weit und breit das Land öde legen, Städte und Dörfer niederbrennen, die Vorräte vernichten, die Verpflegung und die Verbindungen des Feindes gefährden konnte, ohne daß derselbe es ernstlich zu hindern vermochte. Vercingetorix richtete demzufolge all seine Anstrengung auf die Vermehrung der Reiterei und der nach damaliger Fechtweise regelmäßig damit verbundenen Bogenschützen zu Fuß. Die ungeheuren und sich selber lähmenden Massen der Linienmiliz schickte er zwar nicht nach Hause, ließ sie aber doch nicht vor den Feind und versuchte, ihnen allmählich einige Schanz-, Marschier- und Manövrierfähigkeit und die Erkenntnis beizubringen, daß der Soldat nicht bloß bestimmt ist, sich zu raufen. Von den Feinden lernend, adoptierte er namentlich das römische Lagersystem, auf dem das ganze Geheimnis der taktischen Überlegenheit der Römer beruhte; denn infolgedessen vereinigte jedes römische Korps alle Vorteile der Festungsbesatzung mit allen Vorteilen der Offensivarmee50. Freilich war jenes dem städtearmen Britannien und seinen rauhen, entschlossenen und im ganzen einigen Bewohnern vollkommen angemessene System auf die reichen Landschaften an der Loire und deren schlaffe, in vollständiger politischer Auflösung begriffene Bewohner nicht unbedingt übertragbar. Vercingetorix setzte wenigstens durch, daß man nicht wie bisher jede Stadt zu halten versuchte und darum keine hielt; man ward sich einig, die der Verteidigung nicht fähigen Ortschaften, bevor der Angriff sie erreichte, zu vernichten, die starken Festungen aber mit gesamter Hand zu verteidigen. Daneben tat der Arvernerkönig, was er vermochte, um durch unnachsichtliche Strenge die Feigen und Säumigen, durch Bitten und Vorstellungen die Schwankenden, die Habsüchtigen durch Gold, die entschiedenen Gegner durch Zwang an die Sache des Vaterlandes zu fesseln und selbst dem vornehmen oder niedrigen Gesindel einigen Patriotismus aufzunötigen oder abzulisten.
Noch bevor der Winter zu Ende war, warf er sich auf die im Gebiet der Häduer von Caesar angesiedelten Boier, um diese fast einzigen zuverlässigen Bundesgenossen Roms zu vernichten, bevor Caesar herankam. Die Nachricht von diesem Angriff bestimmte auch Caesar, mit Zurücklassung des Gepäcks und zweier Legionen in den Winterquartieren von Agedincum (Sens), sogleich und früher, als er sonst wohl getan haben würde, gegen die Insurgenten zu marschieren. Dem empfindlichen Mangel an Reiterei und leichtem Fußvolk half er einigermaßen ab durch nach und nach herbeigezogene deutsche Söldner, die statt ihrer eigenen kleinen und schwachen Klepper mit italischen und spanischen, teils gekauften, teils von den Offizieren requirierten Pferden ausgerüstet wurden. Caesar, nachdem er unterwegs die Hauptstadt der Carnuten, Cenabum, die das Zeichen zum Abfall gegeben, hatte plündern und in Asche legen lassen, rückte über die Loire in die Landschaft der Biturigen. Er erreichte damit, daß Vercingetorix die Belagerung der Stadt der Boier aufgab und gleichfalls sich zu den Biturigen begab. Hier zuerst sollte die neue Kriegführung sich erproben. Auf Vercingetorix‘ Geheiß gingen an einem Tage mehr als zwanzig Ortschaften der Biturigen in Flammen auf; die gleiche Selbstverwüstung verhängte der Feldherr über die benachbarten Gaue, soweit sie von römischen Streifparteien erreicht werden konnten. Nach seiner Absicht sollte auch die reiche und feste Hauptstadt der Biturigen Avaricum (Bourges) dasselbe Schicksal treffen; allein die Majorität des Kriegsrats gab den kniefälligen Bitten der biturigischen Behörden nach und beschloß, diese Stadt vielmehr mit allem Nachdruck zu verteidigen. So konzentrierte sich der Krieg zunächst um Avaricum. Vercingetorix stellte sein Fußvolk inmitten der der Stadt benachbarten Sümpfe in einer so unnahbaren. Stellung auf, daß es, auch ohne von der Reiterei gedeckt zu sein, den Angriff der Legionen nicht zu fürchten brauchte. Die keltische Reiterei bedeckte alle Straßen und hemmte die Kommunikation. Die Stadt wurde stark besetzt und zwischen ihr und der Armee vor den Mauern die Verbindung offen gehalten. Caesars Lage war sehr schwierig. Der Versuch, das keltische Fußvolk zum Schlagen zu bringen, mißlang; es rührte sich nicht aus seinen unangreifbaren Linien. Wie tapfer vor der Stadt auch seine Soldaten schanzten und fochten, die Belagerten wetteiferten mit ihnen an Erfindsamkeit und Mut, und fast wäre es ihnen gelungen, das Belagerungszeug der Gegner in Brand zu stecken. Dabei ward die Aufgabe, ein Heer von beiläufig 60000 Mann in einer weithin öde gelegten und von weit überlegenen Reitermassen durchstreiften Landschaft mit Lebensmitteln zu versorgen, täglich schwieriger. Die geringen Vorräte der Boier waren bald verbraucht; die von den Häduern versprochene Zufuhr blieb aus; schon war das Getreide aufgezehrt und der Soldat ausschließlich auf Fleischrationen gesetzt. Indes rückte der Augenblick heran, wo die Stadt, wie todverachtend auch die Besatzung kämpfte, nicht länger zu halten war. Noch war es nicht unmöglich, die Truppen bei nächtlicher Weile in der Stille herauszuziehen und die Stadt zu vernichten, bevor der Feind sie besetzte. Vercingetorix traf die Anstalten dazu, allein das Jammergeschrei, das im Augenblick des Abmarsches die zurückbleibenden Weiber und Kinder erhoben, machte die Römer aufmerksam; der Abzug mißlang. An dem folgenden trüben und regnichten Tage überstiegen die Römer die Mauern und schonten, erbittert durch die hartnäckige Gegenwehr, in der eroberten Stadt weder Geschlecht noch Alter. Die reichen Vorräte, die die Kelten in derselben aufgehäuft hatten, kamen den ausgehungerten Soldaten Caesars zugute. Mit der Einnahme von Avaricum (Frühling 702 52) war über die Insurrektion ein erster Erfolg erfochten und nach früheren Erfahrungen mochte Caesar wohl erwarten, daß damit dieselbe sich auflösen und es nur noch erforderlich sein werde, einzelne Gaue zu Paaren zu treiben. Nachdem er also mit seiner gesamten Armee sich in dem Gau der Häduer gezeigt und durch diese imposante Demonstration die gärende Patriotenpartei daselbst genötigt hatte, für den Augenblick wenigstens, sich ruhig zu verhalten, teilte er sein Heer und sandte Labienus zurück nach Agedincum, um in Verbindung mit den dort zurückgelassenen Truppen an der Spitze von vier Legionen die Bewegung zunächst in dem Gebiet der Carnuten und Senonen, die auch diesmal wieder voranstanden, zu unterdrücken, während er selber mit den sechs übrigen Legionen sich südwärts wandte und sich anschickte, den Krieg in die arvernischen Berge, das eigene Gebiet des Vercingetorix, zu tragen.
Labienus rückte von Agedincum aus das linke Seineufer hinauf, um der auf einer Insel in der Seine gelegenen Stadt der Parisier, Lutetia (Paris), sich zu bemächtigen und von dieser gesicherten und im Herzen der aufständischen Landschaft befindlichen Stellung aus diese wieder zu unterwerfen. Allein hinter Melodunum (Melun) fand er sich den Weg verlegt durch das gesamte Insurgentenheer, das unter der Führung des greisen Camulogenus zwischen unangreifbaren Sümpfen hier sich aufgestellt hatte. Labienus ging eine Strecke zurück, überschritt bei Melodunum die Seine und rückte auf dem rechten Ufer derselben ungehindert gegen Lutetia; Camulogenus ließ diese Stadt abbrennen und die auf das linke Ufer führenden Brücken abbrechen und nahm Labienus gegenüber eine Stellung ein, in welcher dieser weder ihn zum Schlagen zu bringen, noch unter den Augen der feindlichen Armee den Übergang zu bewirken imstande war.
Die römische Hauptarmee ihrerseits rückte am Allier hinab in den Arvernergau. Vercingetorix versuchte, ihr den Übergang auf das linke Ufer des Allier zu verwehren, allein Caesar überlistete ihn und stand nach einigen Tagen vor der arvernischen Hauptstadt Gergovia51. Indes hatte Vercingetorix, ohne Zweifel schon, während er Caesar am Allier gegenüberstand, in Gergovia hinreichende Vorräte zusammenbringen und vor den Mauern der auf der Spitze eines ziemlich steil sich erhebenden Hügels gelegenen Stadt ein mit starken Steinwällen versehenes Standlager für seine Truppen anlegen lassen; und da er hinreichenden Vorsprung hatte, langte er vor Caesar bei Gergovia an und erwartete in dem befestigten Lager unter der Festungsmauer den Angriff. Caesar mit seiner verhältnismäßig schwachen Armee konnte den Platz weder regelrecht belagern, noch auch nur hinreichend blockieren; er schlug sein Lager unterhalb der von Vercingetorix besetzten Anhöhe und verhielt sich notgedrungen ebenso untätig wie sein Gegner. Für die Insurgenten war es fast ein Sieg, daß Caesars von Triumph zu Triumph fortschreitender Lauf an der Seine wie am Allier plötzlich gestockt war. In der Tat kamen die Folgen dieser Stockung für Caesar beinahe denen einer Niederlage gleich. Die Häduer, die bisher immer noch geschwankt hatten, machten jetzt ernstlich Anstalt, der Patriotenpartei sich anzuschließen; schon war die Mannschaft, die Caesar nach Gergovia entboten hatte, auf dem Marsche durch die Offiziere bestimmt worden, sich für die Insurgenten zu erklären; schon hatte man gleichzeitig im Kanton selbst angefangen, die daselbst ansässigen Römer zu plündern und zu erschlagen. Noch hatte Caesar, indem er jenem auf Gergovia zurückenden Korps der Häduer mit zwei Dritteln des Blockadeheeres entgegengegangen war, dasselbe durch sein plötzliches Erscheinen wieder zum nominellen Gehorsam zurückgebracht; allein es war mehr als je ein hohles und brüchiges Verhältnis, dessen Fortbestand fast zu teuer erkauft worden war durch die große Gefahr der vor Gergovia zurückgelassenen beiden Legionen. Denn auf diese hatte Vercingetorix, Caesars Abmarsch rasch und entschlossen benutzend, während dessen Abwesenheit einen Angriff gemacht, der um ein Haar mit der Überwältigung derselben und der Erstürmung des römischen Lagers geendigt hätte. Nur Caesars unvergleichliche Raschheit wandte eine zweite Katastrophe wie die von Aduatuca hier ab. Wenn auch die Häduer jetzt wieder gute Worte gaben, war es doch vorherzusehen, daß sie, wenn die Blockade sich noch länger ohne Erfolg hinspann, sich offen auf die Seite der Aufständischen schlagen und dadurch Caesar nötigen würden, dieselbe aufzuheben; denn ihr Beitritt würde die Verbindung zwischen ihm und Labienus unterbrochen und namentlich den letzteren in seiner Vereinzelung der größten Gefahr ausgesetzt haben. Caesar war entschlossen, es hierzu nicht kommen zu lassen, sondern, wie peinlich und selbst gefährlich es auch war, unverrichteter Sache von Gergovia abzuziehen, dennoch, wenn es einmal geschehen mußte, lieber sogleich aufzubrechen und, in den Gau der Häduer einrückend, deren förmlichen Übertritt um jeden Preis zu verhindern. Ehe er indes diesen, seinem raschen und sicheren Naturell wenig zusagenden Rückzug antrat, machte er noch einen letzten Versuch, sich aus seiner peinlichen Verlegenheit durch einen glänzenden Erfolg zu befreien. Während die Masse der Besatzung von Gergovia beschäftigt war, die Seite, auf der der Sturm erwartet ward, zu verschanzen, ersah der römische Feldherr sich die Gelegenheit, einen anderen, weniger bequem gelegenen, aber augenblicklich entblößten Aufgang zu überrumpeln. In der Tat überstiegen die römischen Sturmkolonnen die Lagermauer und besetzten die nächstliegenden Quartiere des Lagers; allein schon war auch die ganze Besatzung alarmiert und bei den geringen Entfernungen fand es Caesar nicht rätlich, den zweiten Sturm auf die Stadtmauer zu wagen. Er gab das Zeichen zum Rückzug; indes die vordersten Legionen, vom Ungestüm des Sieges hingerissen, hörten nicht oder wollten nicht hören, und drangen unaufhaltsam vor bis an die Stadtmauer, einzelne sogar bis in die Stadt. Aber immer dichtere Massen warfen den Eingedrungenen sich entgegen; die vordersten fielen, die Kolonnen stockten; vergeblich stritten Centurionen und Legionäre mit dem aufopferndsten Heldenmut; die Stürmenden wurden mit sehr beträchtlichem Verlust aus der Stadt hinaus und den Berg hinuntergejagt, wo die von Caesar in der Ebene aufgestellten Truppen sie aufnahmen und größeres Unglück verhüteten. Die gehoffte Einnahme von Gergovia hatte sich in eine Niederlage verwandelt, und der beträchtliche Verlust an Verwundeten und Toten – man zählte 700 gefallene Soldaten, darunter 46 Centurionen – war der kleinste Teil des erlittenen Unfalls. Caesars imponierende Stellung in Gallien beruhte wesentlich auf seinem Siegernimbus; und dieser fing an zu erblassen. Schon die Kämpfe um Avaricum, Caesars vergebliche Versuche, den Feind zum Schlagen zu zwingen, die entschlossene Verteidigung der Stadt und ihre fast zufällige Erstürmung, trugen einen anderen Stempel als die früheren Keltenkriege und hatten den Kelten Vertrauen auf sich und ihren Führer eher gegeben als genommen. Weiter hatte das neue System der Kriegführung: unter dem Schutze der Festungen in verschanzten Lagern dem Feind die Stirne zu bieten – bei Lutetia sowohl wie bei Gergovia sich vollkommen bewährt. Diese Niederlage endlich, die erste, die Caesar selbst von den Kelten erlitten hatte, krönte den Erfolg, und sie gab denn auch gleichsam das Signal für einen zweiten Ausbruch der Insurrektion. Die Häduer brachen jetzt förmlich mit Caesar und traten mit Vercingetorix in Verbindung. Ihr Kontingent, das noch bei Caesars Armee sich befand, machte nicht bloß von dieser sich los, sondern nahm auch bei der Gelegenheit in Noviodunum an der Loire die Depots der Armee Caesars weg, wodurch die Kassen und Magazine, eine Menge Remontepferde und sämtliche Caesar gestellte Geiseln den Insurgenten in die Hände fielen. Wenigstens ebensowichtig war es, daß auf diese Nachrichten hin auch die Belgen, die bisher der ganzen Bewegung sich ferngehalten hatten, anfingen sich zu rühren. Der mächtige Gau der Bellovaker machte sich auf, um das Korps des Labienus, während es bei Lutetia dem Aufgebot der umliegenden mittelgallischen Gaue gegenüberstand, im Rücken anzugreifen. Auch sonst ward überall gerüstet; die Gewalt des patriotischen Aufschwungs riß selbst die entschiedensten und begünstigtsten Parteigänger Roms mit sich fort, wie zum Beispiel den König der Atrebaten, Commius, der seiner treuen Dienste wegen von den Römern wichtige Privilegien für seine Gemeinde und die Hegemonie über die Moriner empfangen hatte. Bis in die altrömische Provinz gingen die Fäden der Insurrektion: sie machte, vielleicht nicht ohne Grund, sich Hoffnung, selbst die Allobrogen gegen die Römer unter die Waffen zu bringen. Mit einziger Ausnahme der Reiner und der von den Remern zunächst abhängigen Distrikte der Suessionen, Leuker und Lingonen, deren Partikularismus selbst unter diesem allgemeinen Enthusiasmus nicht mürbe ward, stand jetzt in der Tat, zum ersten und zum letzten Male, die ganze keltische Nation von den Pyrenäen bis zum Rhein für ihre Freiheit und Nationalität unter den Waffen; wogegen, merkwürdig genug, die sämtlichen deutschen Gemeinden, die bei den bisherigen Kämpfen in erster Reihe gestanden hatten, sich ausschlossen, ja sogar die Treuerer und, wie es scheint, auch die Menapier durch ihre Fehden mit den Deutschen verhindert wurden, an dem Nationalkrieg tätigen Anteil zu nehmen.
Es war ein schwerer, entscheidungsvoller Augenblick, als nach dem Abzug von Gergovia und dem Verlust von Noviodunum in Caesars Hauptquartier über die nun zu ergreifenden Maßregeln Kriegsrat gehalten ward. Manche Stimmen sprachen sich für den Rückzug über die Cevennen in die altrömische Provinz aus, welche jetzt der Insurrektion von allen Seiten her offenstand und allerdings der zunächst doch zu ihrem Schutze von Rom gesandten Legionen dringend bedurfte. Allein Caesar verwarf diese ängstliche, nicht durch die Lage der Dinge, sondern durch Regierungsinstruktionen und Verantwortungsfurcht bestimmte Strategie. Er begnügte sich, in der Provinz den Landsturm der dort ansässigen Römer unter die Waffen zu rufen und durch ihn, so gut es eben ging, die Grenzen besetzen zu lassen. Dagegen brach er selbst in entgegengesetzter Richtung auf und rückte in Gewaltmärschen auf Agedincum zu, auf das er Labienus sich in möglichster Eile zurückzuziehen befahl. Die Kelten versuchten natürlich, die Vereinigung der beiden römischen Heere zu verhindern. Labienus hätte wohl, über die Marne setzend und am rechten Seineufer flußabwärts marschierend, Agedincum erreichen können, wo er seine Reserve und sein Gepäck zurückgelassen hatte; aber er zog es vor, den Kelten nicht abermals das Schauspiel des Rückzugs römischer Truppen zu gewähren. Er ging daher, statt über die Marne, vielmehr unter den Augen des getäuschten Feindes über die Seine und lieferte am linken Ufer derselben den feindlichen Massen eine Schlacht, in welcher er siegte und unter vielen andern auch der keltische Feldherr selbst, der alte Camulogenus, auf der Walstatt blieb. Ebensowenig gelang es den Insurgenten, Caesar an der Loire aufzuhalten; Caesar gab ihnen keine Zeit, dort größere Massen zu versammeln, und sprengte die Milizen der Häduer, die er allein dort vorfand, ohne Mühe auseinander. So ward die Vereinigung der beiden Heerhaufen glücklich bewerkstelligt. Die Aufständischen inzwischen hatten über die weitere Kriegführung in Bibracte (Autun), der Hauptstadt der Häduer, geratschlagt; die Seele dieser Beratungen war wieder Vercingetorix, dem nach dem Siege von Gergovia die Nation begeistert anhing. Zwar schwieg der Partikularismus auch jetzt nicht; die Häduer machten noch in diesem Todeskampf der Nation ihre Ansprüche auf die Hegemonie geltend und stellten auf der Landesversammlung den Antrag, an die Stelle des Vercingetorix einen der Ihrigen zu setzen. Allein die Landesvertreter hatten dies nicht bloß abgelehnt und Vercingetorix im Oberbefehl bestätigt, sondern auch seinen Kriegsplan unverändert angenommen. Es war im wesentlichen derselbe, nach dem er bei Avaricum und bei Gergovia operiert hatte. Zum Angelpunkt der neuen Stellung ward die feste Stadt der Mandubier, Alesia (Alise Sainte-Reine bei Semur im Departement Côte d’Or52), ausersehen und unter deren Mauern abermals ein verschanztes Lager angelegt. Ungeheure Vorräte wurden hier aufgehäuft und die Armee von Gergovia dorthin beordert, deren Reiterei nach Beschluß der Landesversammlung bis auf 15000 Pferde gebracht ward. Caesar schlug mit seiner gesamten Heeresmacht, nachdem er sie bei Agedincum wiedervereinigt hatte, die Richtung auf Vesontio ein, um sich nun der geängsteten Provinz zu nähern und sie vor einem Einfall zu beschützen, wie denn in der Tat sich Insurgentenscharen schon in dem Gebiet der Helvier am Südabhang der Cevennen gezeigt hatten. Alesia lag fast auf seinem Wege; die Reiterei der Kelten, die einzige Waffe, mit der Vercingetorix operieren mochte, griff unterwegs ihn an, zog aber zu aller Erstaunen den kürzeren gegen Caesars neue deutsche Schwadronen und die zu deren Rückhalt aufgestellte römische Infanterie. Vercingetorix eilte um so mehr, sich in Alesia einzuschließen; und wenn Caesar nicht überhaupt auf die Offensive verzichten wollte, blieb ihm nichts übrig, als zum drittenmal in diesem Feldzug gegen eine, unter einer wohlbesetzten und verproviantierten Festung gelagerte und mit ungeheuren Reitermassen versehene Armee mit einer weit schwächeren Angriffsweise vorzugehen. Allein, wenn den Kelten bisher nur ein Teil der römischen Legionen gegenübergestanden, so war in den Linien um Alesia Caesars ganze Streitmacht vereinigt und es gelang Vercingetorix nicht, wie es ihm bei Avaricum und Gergovia gelungen war, sein Fußvolk unter dem Schutz der Festungsmauern aufzustellen und durch seine Reiterei seine Verbindungen nach außen hin sich offen zu halten, während er die des Feindes unterbrach. Die keltische Reiterei, schon entmutigt durch jene von den geringgeschätzten Gegnern ihnen beigebrachte Niederlage, wurde von Caesars deutschen Berittenen in jedem Zusammentreffen geschlagen. Die Umwallungslinie der Belagerer erhob sich in der Ausdehnung von zwei deutschen Meilen um die ganze Stadt mit Einschluß des an sie angelehnten Lagers. Auf einen Kampf unter den Mauern war Vercingetorix gefaßt gewesen, aber nicht darauf, in Alesia belagert zu werden – dazu genügten für seine angeblich 80000 Mann Infanterie und 15000 Reiter zählende Armee und die zahlreiche Stadtbewohnerschaft die aufgespeicherten Vorräte, wie ansehnlich sie waren, doch bei weitem nicht. Vercingetorix mußte sich überzeugen, daß sein Kriegsplan diesmal zu seinem eigenen Verderben ausgeschlagen und er verloren war, wofern nicht die gesamte Nation herbeieilte und ihren eingeschlossenen Feldherrn befreite. Noch reichten, als die römische Umwallung sich schloß, die vorhandenen Lebensmittel aus auf einen Monat und vielleicht etwas darüber; im letzten Augenblick, wo der Weg wenigstens für Berittene noch frei war, entließ Vercingetorix seine gesamte Reiterei und entsandte zugleich an die Häupter der Nation die Weisung, alle Mannschaft aufzubieten und sie zum Entsatz von Alesia heranzuführen. Er selbst, entschlossen, die Verantwortung für den von ihm entworfenen und fehlgeschlagenen Kriegsplan auch persönlich zu tragen, blieb in der Festung, um im Guten und Bösen das Schicksal der Seinigen zu teilen. Caesar aber machte sich gefaßt, zugleich zu belagern und belagert zu werden. Er richtete seine Umwallungslinie auch an der Außenseite zur Verteidigung ein und versah sich auf längere Zeit mit Lebensmitteln. Die Tage verflossen; schon hatte man in der Festung keinen Malter Getreide mehr, schon die unglücklichen Stadtbewohner austreiben müssen, um zwischen den Verschanzungen der Kelten und der Römer, an beiden unbarmherzig zurückgewiesen, elend umzukommen. Da, in der letzten Stunde, zeigten hinter Caesars Linien sich die unabsehbaren Züge des keltisch-belgischen Entsatzheeres, angeblich 250000 Mann zu Fuß und 8000 Reiter. Vom Kanal bis zu den Cevennen hatten die insurgierten Gaue jeden Nerv angestrengt, um den Kern ihrer Patrioten, den Feldherrn ihrer Wahl zu retten – einzig die Bellovaker hatten geantwortet, daß sie wohl gegen die Römer, aber nicht außerhalb der eigenen Grenzen zu fechten gesonnen seien. Der erste Sturm, der die Belagerten von Alesia und die Entsatztruppen draußen auf die römische Doppellinie unternahmen, ward abgeschlagen; aber als nach eintägiger Rast derselbe wiederholt ward, gelang es an einer Stelle, wo die Umwallungslinie über den Abhang eines Berges hinlief und von dessen Höhe herab angegriffen werden konnte, die Gräben zuzuschütten und die Verteidiger von dem Wall herunterzuwerfen. Da nahm Labienus, von Caesar hierher gesandt, die nächsten Kohorten zusammen und warf sich mit vier Legionen auf den Feind. Unter den Augen des Feldherrn, der selbst in dem gefährlichsten Augenblick erschien, wurden im verzweifelten Nahgefecht die Stürmenden zurückgejagt und die mit Caesar gekommenen, die Flüchtenden in den Rücken fassenden Reiterscharen vollendeten die Niederlage. Es war mehr als ein großer Sieg; über Alesia, ja über die keltische Nation war damit unwiderruflich entschieden. Das Keltenheer, völlig entmutigt, verlief unmittelbar vom Schlachtfeld sich nach Hause. Vercingetorix hätte vielleicht noch jetzt fliehen, wenigstens durch das letzte Mittel des freien Mannes sich erretten können; er tat es nicht, sondern erklärte im Kriegsrat, daß, da es ihm nicht gelungen sei, die Fremdherrschaft zu brechen, er bereit sei, sich als Opfer hinzugeben und soweit möglich das Verderben von der Nation auf sein Haupt abzulenken. So geschah es. Die keltischen Offiziere lieferten ihren von der ganzen Nation feierlich erwählten Feldherrn dem Landesfeind zu geeigneter Bestrafung aus. Hoch zu Roß und im vollen Waffenschmucke erschien der König der Arverner vor dem römischen Prokonsul und umritt dessen Tribunal; darauf gab er Roß und Waffen ab und ließ schweigend auf den Stufen zu Caesars Füßen sich nieder (702 52). Fünf Jahre später ward er im Triumph durch die Gassen der italischen Hauptstadt geführt und als Hochverräter an der römischen Nation, während sein Überwinder den Göttern derselben den Feierdank auf der Höhe des Kapitols darbrachte, an dessen Fuß enthauptet. Wie nach trübe verlaufenem Tage wohl die Sonne im Sinken durchbricht, so verleiht das Geschick noch untergehenden Völkern wohl einen letzten großartigen Mann. Also steht am Ausgang der phönikischen Geschichte Hannibal, also an dem der keltischen Vercingetorix. Keiner von beiden vermochte seine Nation von der Fremdherrschaft zu erretten, aber sie haben ihr die letzte noch übrige Schande, einen ruhmlosen Untergang, erspart. Auch Vercingetorix hat ebenwie der Karthager nicht bloß gegen den Landesfeind kämpfen müssen, sondern vor allem gegen die antinationale Opposition verletzter Egoisten und aufgestörter Feiglinge, wie sie die entartete Zivilisation regelmäßig begleitet; auch ihm sichern seinen Platz in der Geschichte nicht seine Schlachten und Belagerungen, sondern daß er es vermocht hat, einer zerfahrenen und im Partikularismus verkommenen Nation in seiner Person einen Mittel- und Haltpunkt zu geben. Und doch gibt es wieder kaum einen schärferen Gegensatz als der ist zwischen dem nüchternen Bürgersmann der phönikischen Kaufstadt mit seinen, auf das eine große Ziel hin fünfzig Jahre hindurch mit unwandelbarer Energie gerichteten Plänen, und dem kühnen Fürsten des Keltenlandes, dessen gewaltige Taten zugleich mit seiner hochherzigen Aufopferung, ein kurzer Sommer einschließt. Das ganze Altertum kennt keinen ritterlicheren Mann in seinem innersten Wesen wie in seiner äußeren Erscheinung. Aber der Mensch soll kein Ritter sein und am wenigsten der Staatsmann. Es war der Ritter, nicht der Held, der es verschmähte, sich aus Alesia zu retten, während doch an ihm allein der Nation mehr gelegen war als an hunderttausend gewöhnlichen tapferen Männern. Es war der Ritter, nicht der Held, der sich da zum Opfer hingab, wo durch dieses Opfer nichts weiter erreicht ward, als daß die Nation sich öffentlich entehrte und ebenso feig wie widersinnig mit ihrem letzten Atemzug ihren weltgeschichtlichen Todeskampf ein Verbrechen gegen ihren Zwingherrn nannte. Wie so ganz anders hat in den gleichen Lagen Hannibal gehandelt! Es ist nicht möglich, ohne geschichtliche und menschliche Teilnahme von dem edlen Arvernerkönig zu scheiden; aber es gehört zur Signatur der keltischen Nation, daß ihr größter Mann doch nur ein Ritter war.
Der Fall von Alesia und die Kapitulation der daselbst eingeschlossenen Armee war für die keltische Insurrektion ein furchtbarer Schlag; indes es hatten schon ebensoschwere die Nation betroffen und doch war der Kampf wieder erneuert worden. Aber Vercingetorix‘ Verlust war unersetzlich. Mit ihm war die Einheit in die Nation gekommen; mit ihm schien sie auch wieder entwichen. Wir finden nicht, daß die Insurrektion einen Versuch machte, die Gesamtverteidigung fortzusetzen und einen anderen Oberfeldherrn zu bestellen; der Patriotenbund fiel von selbst auseinander und jedem Clan blieb es überlassen, wie es ihm beliebte, mit den Römern zu streiten oder auch sich zu vertragen. Natürlich überwog durchgängig das Verlangen nach Ruhe. Auch Caesar hatte ein Interesse daran, rasch zu Ende zu kommen. Von den zehn Jahren seiner Statthalterschaft waren sieben verstrichen. Das letzte aber durch seine politischen Gegner in der Hauptstadt ihm in Frage gestellt; nur auf zwei Sommer noch konnte er mit einiger Sicherheit rechnen und wenn sein Interesse wie seine Ehre verlangte, daß er die neu gewonnenen Landschaften seinem Nachfolger in einem leidlichen und einigermaßen beruhigten Friedensstand übergab, so war, um einen solchen herzustellen, die Zeit wahrlich karg zugemessen. Gnade zu üben war in diesem Falle noch mehr als für die Besiegten Bedürfnis für den Sieger; und er durfte seinen Stern preisen, daß die innere Zerfahrenheit und das leichte Naturell der Kelten ihm hierin auf halbem Wege entgegenkam. Wo, wie in den beiden angesehensten mittelgallischen Kantons, dem der Häduer und dem der Arverner, eine starke römisch gesinnte Partei bestand, wurde den Landschaften sogleich nach dem Fall von Alesia die vollständige Wiederherstellung ihres früheren Verhältnisses zu Rom gewährt und selbst ihre Gefangenen, 20000 an der Zahl, ohne Lösegeld entlassen, während die der übrigen Clans in die harte Knechtschaft der siegreichen Legionäre kamen. Wie die Häduer und die Arverner ergab sich überhaupt der größere Teil der gallischen Distrikte in sein Schicksal und ließ ohne weitere Gegenwehr die unvermeidlichen Strafgerichte über sich ergehen. Aber nicht wenige harrten auch in törichtem Leichtsinn oder dumpfer Verzweiflung bei der verlorenen Sache aus, bis die römischen Exekutionstruppen innerhalb ihrer Grenzen erschienen. Solche Expeditionen wurden noch im Winter 702/03 (52/51) gegen die Biturigen und die Carnuten unternommen. Ernsteren Widerstand leisteten die Bellovaker, die das Jahr zuvor von dem Entsatz Alesias sich ausgeschlossen hatten; sie schienen beweisen zu wollen, daß sie an jenem entscheidenden Tage wenigstens nicht aus Mangel an Mut und an Freiheitsliebe gefehlt hatten. Es beteiligten sich an diesem Kampfe die Atrebaten, Ambianer, Caleten und andere belgische Gaue; der tapfere König der Atrebaten, Commius, dem die Römer seinen Beitritt zur Insurrektion am wenigsten verziehen und gegen den kürzlich Labienus sogar einen widerwärtig tückischen Mordversuch gerichtet hatte, führte den Bellovakern 500 deutsche Reiter zu, deren Wert der vorjährige Feldzug hatte kennen lehren. Der entschlossene und talentvolle Bellovaker Correus, dem die oberste Leitung des Krieges zugefallen war, führte den Krieg, wie Vercingetorix ihn geführt hatte, und mit nicht geringem Erfolg; Caesar, obwohl er nach und nach den größten Teil seines Heeres heranzog, konnte das Fußvolk der Bellovaker weder zum Schlagen bringen noch auch nur dasselbe verhindern, andere, gegen Caesars verstärkte Streitmacht besseren Schutz gewährende Stellungen einzunehmen; die römischen Reiter aber, namentlich die keltischen Kontingente, erlitten in verschiedenen Gefechten durch die feindliche Reiterei, besonders die deutsche des Commius, die empfindlichsten Verluste. Allein nachdem in einem Scharmützel mit den römischen Fouragierern Correus den Tod gefunden, war der Widerstand auch hier gebrochen; der Sieger stellte erträgliche Bedingungen, auf die hin die Bellovaker nebst ihren Verbündeten sich unterwarfen. Die Treuerer wurden durch Labienus zum Gehorsam zurückgebracht und beiläufig das Gebiet der verfemten Eburonen noch einmal durchzogen und verwüstet. Also ward der letzte Widerstand der belgischen Eidgenossenschaft gebrochen. Noch einen Versuch, der Römerherrschaft sich zu erwehren, machten die Seegaue in Verbindung mit ihren Nachbarn an der Loire. Insurgentenscharen aus dem andischen, dem carnutischen und anderen umliegenden Gauen sammelten sich an der unteren Loire und belagerten in Lemonum (Poitiers) den römisch gesinnten Fürsten der Pictonen. Allein bald trat auch hier eine ansehnliche römische Macht ihnen entgegen; die Insurgenten gaben die Belagerung auf und zogen ab, um die Loire zwischen sich und den Feind zu bringen, wurden aber auf dem Marsche dahin eingeholt und geschlagen, worauf die Carnuten und die übrigen aufständischen Kantons, selbst die Seegaue ihre Unterwerfung einsandten. Der Widerstand war zu Ende; kaum daß ein einzelner Freischarenführer hie und da noch das nationale Banner aufrecht hielt. Der kühne Drappes und des Vercingetorix treuer Waffengefährte Lucterius sammelten nach der Auflösung der an der Loire vereinigten Armee die Entschlossensten und warfen sich mit diesen in die feste Bergstadt Uxellodunum am Lot53, die ihnen unter schweren und verlustvollen Gefechten ausreichend zu verproviantieren gelang. Trotz des Verlustes ihrer Führer, von denen Drappes gefangen, Lucterius von der Stadt abgesprengt ward, wehrte die Besatzung sich auf das äußerste; erst als Caesar selbst erschien und auf seine Anordnung die Quelle, aus der die Belagerten ihr Wasser holten, mittels unterirdischer Stollen abgeleitet ward, fiel die Festung, die letzte Burg der keltischen Nation. Um die letzten Verfechter der Sache der Freiheit zu kennzeichnen, befahl Caesar, der gesamten Besatzung die Hände abzuhauen und sie also, einen jeden in seine Heimat, zu entlassen. Dem König Commius, der noch in der Gegend von Arras sich hielt und daselbst bis in den Winter 703/04 (51/50) mit den römischen Truppen sich herumschlug, gestattete Caesar, dem alles daran lag, in ganz Gallien wenigstens dem offenen Widerstand ein Ziel zu setzen, seinen Frieden zu machen und ließ es sogar hingehen, daß der erbitterte und mit Recht mißtrauische Mann trotzig sich weigerte, persönlich im römischen Lager zu erscheinen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Caesar in ähnlicher Weise bei den schwer zugänglichen Distrikten im Nordwesten wie im Nordosten Galliens mit einer nur nominellen Unterwerfung, vielleicht sogar schon mit der faktischen Waffenruhe sich genügen ließ54.
Also ward Gallien, das heißt das Land westlich vom Rhein und nördlich von den Pyrenäen, nach nur achtjährigen Kämpfen (696 bis 703 58-51) den Römern untertänig. Kaum ein Jahr nach der völligen Beruhigung des Landes, zu Anfang des Jahres 705 (49), mußten die römischen Truppen infolge des nun endlich in Italien ausgebrochenen Bürgerkrieges über die Alpen zurückgezogen werden und es blieben nichts als höchstens einige schwache Rekrutenabteilungen im Keltenland zurück. Dennoch standen die Kelten nicht wieder gegen die Fremdherrschaft auf; und während in allen alten Provinzen des Reichs gegen Caesar gestritten ward, blieb allein die neugewonnene Landschaft ihrem Besieger fortwährend botmäßig. Auch die Deutschen haben ihre Versuche, auf dem linken Rheinufer sich erobernd festzusetzen, während dieser entscheidenden Jahre nicht wiederholt. Ebensowenig kam es in Gallien während der nachfolgenden Krisen zu einer neuen nationalen Insurrektion oder deutschen Invasion, obgleich sie die günstigsten Gelegenheiten darboten. Wenn ja irgendwo Unruhen ausbrachen, wie zum Beispiel 708 (46) die Bellovaker gegen die Römer sich erhoben, so waren diese Bewegungen so vereinzelt und so außer Zusammenhang mit den Verwicklungen in Italien, daß sie ohne wesentliche Schwierigkeit von den römischen Statthaltern unterdrückt wurden. Allerdings ward dieser Friedenszustand höchst wahrscheinlich, ähnlich wie Jahrhunderte lang der spanische, damit erkauft, daß man den entlegensten und am lebendigsten von dem Nationalgefühl durchdrungenen Landschaften, der Bretagne, den Scheldedistrikten, der Pyrenäengegend, vorläufig gestattete, sich in mehr oder minder bestimmter Weise der römischen Botmäßigkeit tatsächlich zu entziehen. Aber darum nicht weniger erwies sich Caesars Bau, wie knapp er auch dazu zwischen anderen, zunächst noch dringenderen Arbeiten die Zeit gefunden, wie unfertig und nur notdürftig abgeschlossen er ihn auch verlassen hatte, dennoch, sowohl hinsichtlich der Zurückweisung der Deutschen als der Unterwerfung der Kelten, in dieser Feuerprobe im wesentlichen als haltbar.
In der Oberverwaltung blieben die von dem Statthalter des Narbonensischen Galliens neu gewonnenen Gebiete vorläufig mit der Provinz Narbo vereinigt; erst als Caesar dieses Amt abgab (710 44), wurden aus dem von ihm eroberten Gebiet zwei neue Statthalterschaften, das eigentliche Gallien und Belgica, gebildet. Daß die einzelnen Gaue ihre politische Selbständigkeit verloren, lag im Wesen der Eroberung. Sie wurden durchgängig der römischen Gemeinde steuerpflichtig. Ihr Steuersystem indes war natürlich nicht dasjenige, mittels dessen die adlige und finanzielle Aristokratie Asia ausnutzte, sondern es wurde, wie in Spanien geschah, einer jeden einzelnen Gemeinde eine ein für allemal bestimmte Abgabe auferlegt und deren Erhebung ihr selbst überlassen. Auf diesem Wege flossen jährlich 40 Mill. Sesterzen (3 Mill. Taler) aus Gallien in die Kassen der römischen Regierung, die dafür freilich die Kosten der Verteidigung der Rheingrenze übernahm. Daß außerdem die in den Tempeln der Götter und den Schatzkammern der Großen aufgehäuften Goldmassen infolge des Krieges ihren Weg nach Rom fanden, versteht sich von selbst; wenn Caesar im ganzen Römischen Reich sein gallisches Gold ausbot und davon auf einmal solche Massen auf den Geldmarkt brachte, daß das Gold gegen Silber um 25 Prozent fiel, so läßt dies ahnen, welche Summen Gallien durch den Krieg eingebüßt hat.
Die bisherigen Gauverfassungen mit ihren Erbkönigen oder ihren feudal-oligarchischen Vorstandschaften blieben auch nach der Eroberung im wesentlichen bestehen, und selbst das Klientelsystem, das einzelne Kantons von anderen, mächtigeren abhängig machte, ward nicht abgeschafft, obwohl freilich mit dem Verlust der staatlichen Selbständigkeit ihm die Spitze abgebrochen war; Caesar war nur darauf bedacht, unter Benutzung der bestehenden dynastischen, feudalistischen und hegemonischen Spaltungen die Verhältnisse im Interesse Roms zu ordnen und überall die der Fremdherrschaft genehmen Männer an die Spitze zu bringen. Überhaupt sparte Caesar keine Mühe, um in Gallien eine römische Partei zu bilden; seinen Anhängern wurden ausgedehnte Belohnungen an Geld und besonders an konfiszierten Landgütern bewilligt und ihnen durch seinen Einfluß Plätze im Gemeinderat und die ersten Gemeindeämter in ihren Gauen verschafft. Diejenigen Gaue, in denen eine hinreichend starke und zuverlässige römische Partei bestand, wie die der Remer, der Lingonen, der Häduer, wurden durch Erteilung einer freieren Kommunalverfassung – des sogenannten Bündnisrechts – und durch Bevorzugungen bei der Ordnung des Hegemoniewesens gefördert. Den Nationalkult und dessen Priester scheint Caesar von Anfang an soweit irgend möglich geschont zu haben; von Maßregeln, wie sie in späterer Zeit von den römischen Machthabern gegen das Druidenwesen ergriffen wurden, findet bei ihm sich keine Spur, und wahrscheinlich damit hängt es zusammen, daß seine gallischen Kriege, soviel wir sehen, den Charakter des Religionskrieges durchaus nicht in der Art tragen, wie er bei den britannischen später so bestimmt hervortritt.
Wenn Caesar also der besiegten Nation jede zulässige Rücksicht bewies und ihre nationalen, politischen und religiösen Institutionen soweit schonte, als es mit der Unterwerfung unter Rom irgend sich vertrug, so geschah dies nicht, um auf den Grundgedanken seiner Eroberung, die Romanisierung Galliens, zu verzichten, sondern um denselben in möglichst schonender Weise zu verwirklichen. Auch begnügte er sich nicht, dieselben Verhältnisse, die die Südprovinz bereits großenteils romanisiert hatten, im Norden ihre Wirkung ebenfalls tun zu lassen, sondern er förderte, als echter Staatsmann, von oben herab die naturgemäße Entwicklung und tat dazu, die immer peinliche Übergangszeit möglichst zu verkürzen. Um zu schweigen von der Aufnahme einer Anzahl vornehmer Kelten in den römischen Bürgerverband, ja einzelner vielleicht schon in den römischen Senat, so ist wahrscheinlich Caesar es gewesen, der in Gallien auch innerhalb der einzelnen Gaue als offizielle Sprache anstatt der einheimischen die lateinische, wenn auch noch mit gewissen Einschränkungen, und anstatt des nationalen das römische Münzsystem in der Art einführte, daß die Gold- und die Denarprägung den römischen Behörden vorbehalten blieb, dagegen die Scheidemünze von den einzelnen Gauen und nur zur Zirkulation innerhalb der Gaugrenzen, aber doch auch nach römischem Fuß geschlagen werden sollte. Man mag lächeln über das kauderwelsche Latein, dessen die Anwohner der Loire und Seine fortan verordnungsmäßig sich beflissen55; es lag doch in diesen Sprachfehlern eine größere Zukunft als in dem korrekten, hauptstädtischen Latein. Vielleicht geht es auch auf Caesar zurück, wenn die Gauverfassung im Keltenland späterhin der italischen Stadtverfassung genähert erscheint und die Hauptorte des Gaues sowie die Gemeinderäte in ihr schärfer hervortreten, als dies in der ursprünglichen keltischen Ordnung wahrscheinlich der Fall war. Wie wünschenswert in militärischer wie in politischer Hinsicht es gewesen wäre, als Stützpunkte der neuen Herrschaft und Ausgangspunkte der neuen Zivilisation eine Reihe transalpinischer Kolonien zu begründen, mochte niemand mehr empfinden als der politische Erbe des Gaius Gracchus und des Marius. Wenn er dennoch sich beschränkte auf die Ansiedlung seiner keltischen oder deutschen Reiter in Noviodunum und auf die der Boier im Häduergau, welche letztere Niederlassung in dem Krieg gegen Vercingetorix schon völlig die Dienste einer römischen Kolonie tat, so war die Ursache nur die, daß seine weiteren Pläne ihm noch nicht gestatteten, seinen Legionen statt des Schwertes den Pflug in die Hand zu geben. Was er in späteren Jahren für die altrömische Provinz in dieser Beziehung getan, wird seines Orts dargelegt werden; es ist wahrscheinlich, daß nur die Zeit ihm gemangelt hat, um das gleiche auch auf die von ihm neu unterworfenen Landschaften zu erstrecken.
Mit der keltischen Nation war es zu Ende. Ihre politische Auflösung war durch Caesar eine vollendete Tatsache geworden, ihre nationale eingeleitet und im regelmäßigen Fortschreiten begriffen. Es war dies kein zufälliges Verderben, wie das Verhängnis es auch entwicklungsfähigen Völkern wohl zuweilen bereitet, sondern eine selbstverschuldete und gewissermaßen geschichtlich notwendige Katastrophe. Schon der Verlauf des letzten Krieges beweist dies, mag man ihn nun im ganzen oder im einzelnen betrachten. Als die Fremdherrschaft gegründet werden sollte, leisteten ihr nur einzelne, noch dazu meistens deutsche oder halbdeutsche Landschaften energischen Widerstand. Als die Fremdherrschaft gegründet war, wurden die Versuche, sie abzuschütteln, entweder ganz kopflos unternommen, oder sie waren mehr als billig das Werk einzelner hervorragender Adliger und darum mit dem Tod oder der Gefangennahme eines Indutiomarus, Camulogenus, Vercingetorix, Correus sogleich und völlig zu Ende. Der Belagerungs- und der kleine Krieg, in denen sich sonst die ganze sittliche Tiefe der Volkskriege entfaltet, waren und blieben in diesem keltischen von charakteristischer Erbärmlichkeit. Jedes Blatt der keltischen Geschichte bestätigt das strenge Wort eines der wenigen Römer, die es verstanden, die sogenannten Barbaren nicht zu verachten, daß die Kelten dreist die künftige Gefahr herausfordern, vor der gegenwärtigen aber der Mut ihnen entsinkt. In dem gewaltigen Wirbel der Weltgeschichte, der alle nicht gleich dem Stahl harten und gleich dem Stahl geschmeidigen Völker unerbittlich zermalmt, konnte eine solche Nation auf die Länge sich nicht behaupten; billig erlitten die Kelten des Festlandes dasselbe Schicksal von den Römern, das ihre Stammgenossen auf der irischen Insel bis in unsere Tage hinein von den Sachsen erleiden: das Schicksal, als Gärungsstoff künftiger Entwicklung aufzugehen in eine staatlich überlegene Nationalität. Im Begriff, von der merkwürdigen Nation zu scheiden, mag es gestattet sein, noch daran zu erinnern, daß in den Berichten der Alten über die Kelten an der Loire und Seine kaum einer der charakteristischen Züge vermißt wird, an denen wir gewohnt sind, Paddy zu erkennen. Es findet alles sich wieder: die Lässigkeit in der Bestellung der Felder; die Lust am Zechen und Raufen; die Prahlhansigkeit – wir erinnern an jenes in dem heiligen Hain der Arverner nach dem Sieg von Gergovia aufgehangene Schwert des Caesar, das sein angeblicher ehemaliger Besitzer an der geweihten Stätte lächelnd betrachtete und das heilige Gut sorgfältig zu schonen befahl; die Rede voll von Vergleichen und Hyperbeln, von Anspielungen und barocken Wendungen; der drollige Humor – ein vorzügliches Beispiel davon ist die Satzung, daß, wenn jemand einem öffentlich Redenden ins Wort fällt, dem Störenfried von Polizei wegen ein derbes und wohl sichtbares Loch in den Rock geschnitten wird; die innige Freude am Singen und Sagen von den Taten der Vorzeit und die entschiedenste Redner- und Dichtergabe; die Neugier – kein Kaufmann wird durchgelassen, bevor er auf offener Straße erzählt hat, was er an Neuigkeiten weiß oder nicht weiß – und die tolle Leichtgläubigkeit, die auf solche Nachrichten hin handelt, weshalb in den besser geordneten Kantons den Wandersleuten bei strenger Strafe verboten war, unbeglaubigte Berichte andern als Gemeindebeamten mitzuteilen; die kindliche Frömmigkeit, die in dem Priester den Vater sieht und ihn in allen Dingen um Rat fragt; die unübertroffene Innigkeit des Nationalgefühls und das fast familienartige Zusammenhalten der Landsleute gegen den Fremden; die Geneigtheit, unter dem ersten besten Führer sich aufzulehnen und Banden zu bilden, daneben aber die völlige Unfähigkeit, den sicheren, von Übermut wie von Kleinmut entfernten Mut sich zu bewahren, die rechte Zeit zum Abwarten und zum Losschlagen wahrzunehmen, zu irgendeiner Organisation, zu irgend fester militärischer oder politischer Disziplin zu gelangen oder auch nur sie zu ertragen. Es ist und bleibt zu allen Zeiten und aller Orten dieselbe faule und poetische, schwachmütige und innige, neugierige, leichtgläubige, liebenswürdige, gescheite, aber politisch durch und durch unbrauchbare Nation, und darum ist denn auch ihr Schicksal immer und überall dasselbe gewesen.
Aber daß dieses große Volk durch Caesars transalpinische Kriege zugrunde ging, ist noch nicht das bedeutendste Ergebnis dieses großartigen Unternehmens; weit folgenreicher als das negative war das positive Resultat. Es leidet kaum einen Zweifel, daß, wenn das Senatsregiment sein Scheinleben noch einige Menschenalter länger gefristet hätte, die sogenannte Völkerwanderung vierhundert Jahre früher eingetreten sein würde, als sie eingetreten ist, und eingetreten sein würde zu einer Zeit, wo die italische Zivilisation sich weder in Gallien noch an der Donau noch in Afrika und Spanien häuslich niedergelassen hatte. Indem der große Feldherr und Staatsmann Roms mit sicherem Blick in den deutschen Stämmen den ebenbürtigen Feind der römisch-griechischen Welt erkannte; indem er das neue System offensiver Verteidigung mit fester Hand selbst bis ins einzelne hinein begründete und die Reichsgrenzen durch Flüsse oder künstliche Wälle verteidigen, längs der Grenze die nächsten Barbarenstämme zur Abwehr der entfernteren kolonisieren, das römische Heer durch geworbene Leute aus den feindlichen Ländern rekrutieren lehrte, gewann er der hellenisch-italischen Kultur die nötige Frist, um den Westen ebenso zu zivilisieren, wie der Osten bereits von ihr zivilisiert war. Gewöhnliche Menschen schauen die Früchte ihres Tuns; der Same, den geniale Naturen streuen, geht langsam auf. Es dauerte Jahrhunderte, bis man begriff, daß Alexander nicht bloß ein ephemeres Königreich im Osten errichtet, sondern den Hellenismus nach Asien getragen habe; wieder Jahrhunderte, bis man begriff, daß Caesar nicht bloß den Römern eine neue Provinz erobert, sondern die Romanisierung der westlichen Landschaften begründet habe. Auch von jenen militärisch leichtsinnigen und zunächst erfolglosen Zügen nach England und Deutschland haben erst die späten Nachfahren den Sinn erkannt. Ein ungeheurer Völkerkreis, von dessen Dasein und Zuständen bis dahin kaum der Schiffer und der Kaufmann einige Wahrheit und viele Dichtung berichtet hatten, ward durch sie der römisch-griechischen Welt aufgeschlossen. „Täglich“, heißt es in einer römischen Schrift vom Mai 698 (56), „melden die gallischen Briefe und Botschaften uns bisher unbekannte Namen von Völkern, Gauen und Landschaften“. Diese Erweiterung des geschichtlichen Horizonts durch Caesars Züge jenseits der Alpen war ein weltgeschichtliches Ereignis, so gut wie die Erkundung Amerikas durch europäische Scharen. Zu dem engen Kreis der Mittelmeerstaaten traten die mittel- und nordeuropäischen Völker, die Anwohner der Ost- und der Nordsee hinzu, zu der alten Welt eine neue, die fortan durch jene mitbestimmt ward und sie mitbestimmte. Es hat nicht viel gefehlt, daß bereits von Ariovist das durchgeführt ward, was später dem gotischen Theoderich gelang. Wäre dies geschehen, so würde unsere Zivilisation zu der römisch-griechischen schwerlich in einem innerlicheren Verhältnis stehen als zu der indischen und assyrischen Kultur. Daß von Hellas und Italien vergangener Herrlichkeit zu dem stolzeren Bau der neueren Weltgeschichte eine Brücke hinüberführt, daß Westeuropa romanisch, das germanische Europa klassisch ist, daß die Namen Themistokles und Scipio für uns einen anderen Klang haben, als Asoka und Salmanassar, daß Homer und Sophokles nicht wie die Veden und Kalidasa nur den literarischen Botaniker anziehen, sondern in dem eigenen Garten uns blühen, das ist Caesars Werk; und wenn die Schöpfung seines großen Vorgängers im Osten von den Sturmfluten des Mittelalters fast ganz zertrümmert worden ist, so hat Caesars Bau die Jahrtausende überdauert, die dem Menschengeschlecht Religion und Staat verwandelt, den Schwerpunkt der Zivilisation selbst ihm verschoben haben, und für das, was wir Ewigkeit nennen, steht er aufrecht.
Um das Bild der Verhältnisse Roms zu den Völkern des Nordens in dieser Zeit zu vollenden, bleibt es noch übrig, einen Blick auf die Landschaften zu werfen, die nördlich der italischen und der griechischen Halbinsel, von den Rheinquellen bis zum Schwarzen Meer sich erstrecken. Zwar in das gewaltige Völkergetümmel, das auch dort damals gewogt haben mag, reicht die Fackel der Geschichte nicht und die einzelnen Streiflichter, die in dieses Gebiet fallen, sind, wie der schwache Schimmer in tiefer Finsternis, mehr geeignet zu verwirren als aufzuklären. Indes es ist die Pflicht des Geschichtschreibers, auch die Lücken in dem Buche der Völkergeschichte zu bezeichnen; er darf es nicht verschmähen, neben Caesars großartigem Verteidigungssystem der dürftigen Anstalten zu gedenken, durch die die Feldherren des Senats nach dieser Seite hin die Reichsgrenze zu schützen vermeinten.
Das nordöstliche Italien blieb nach wie vor den Angriffen der alpinischen Völkerschaften preisgegeben. Das im Jahre 695 (59) bei Aquileia lagernde starke römische Heer und der Triumph des Statthalters des Cisalpinischen Galliens, Lucius Afranius, lassen schließen, daß um diese Zeit eine Expedition in die Alpen stattgefunden; wovon es eine Folge sein mag, daß wir bald darauf die Römer in näherer Verbindung mit einem König der Noriker finden. Daß aber auch nachher Italien durchaus von dieser Seite nicht gesichert war, bewies der Überfall der blühenden Stadt Tergeste durch die alpinischen Barbaren im Jahre 702 (52), als die transalpinische Insurrektion Caesar genötigt hatte, Oberitalien ganz von Truppen zu entblößen.
Auch die unruhigen Völker, die den illyrischen Küstenstrich innehatten, machten ihren römischen Herren beständig zu schaffen. Die Dalmater, schon früher das ansehnlichste Volk dieser Gegend, vergrößerten durch Aufnahme der Nachbarn in ihren Verband sich so ansehnlich, daß die Zahl ihrer Ortschaften von zwanzig auf achtzig stieg. Als sie die Stadt Promona (nicht weit vom Kerkafluß), die sie den Liburniern entrissen hatten, diesen wiederherauszugeben sich weigerten, ließ Caesar nach der Pharsalischen Schlacht gegen sie marschieren; aber die Römer zogen hierbei zunächst den kürzeren, und infolgedessen ward Dalmatien für einige Zeit ein Herd der Caesar feindlichen Partei und wurde hier den Feldherren Caesars von den Einwohnern, in Verbindung mit den Pompeianern und mit den Seeräubern, zu Lande und zu Wasser energischer Widerstand geleistet.
Makedonien endlich nebst Epirus und Hellas war so verödet und heruntergekommen wie kaum ein anderer Teil des Römischen Reiches. Dyrrhachion, Thessalonike, Byzantion hatten noch einigen Handel und Verkehr; Athen zog durch seinen Namen und seine Philosophenschule die Reisenden und die Studenten an; im ganzen aber lag über Hellas‘ einst volkreichen Städten und menschenwimmelnden Häfen die Ruhe des Grabes. Aber wenn die Griechen sich nicht regten, so setzten dagegen die Bewohner der schwer zugänglichen makedonischen Gebirge nach alter Weise ihre Raubzüge und Fehden fort, wie denn zum Beispiel um 697/98 (57/56) Agräer und Doloper die ätolischen Städte, im Jahre 700 (54) die in den Drintälern wohnenden Pirusten das südliche Illyrien überrannten. Ebenso hielten es die Anwohner. Die Dardaner an der Nordgrenze wie die Thraker im Osten waren zwar in den achtjährigen Kämpfen 676 bis 683 (78-71) von den Römern gedemütigt worden; der mächtigste unter den thrakischen Fürsten, der Herr des alten Odrysenreichs Kotys, ward seitdem den römischen Klientelkönigen beigezählt. Allein nichtsdestoweniger hatte das befriedete Land nach wie vor von Norden und Osten her Einfälle zu leiden. Der Statthalter Gaius Antonius ward übel heimgeschickt, sowohl von den Dardanern, als auch von den in der heutigen Dobrudscha ansässigen Stämmen, welche mit Hilfe der vom linken Donauufer herbeigezogenen, gefürchteten Bastarner ihm bei Istropolis (Istere unweit Kustendsche) eine bedeutende Niederlage beibrachten (692-693 62-61). Glücklicher focht Gaius Octavius gegen Besser und Thraker (694 60). Dagegen machte Marcus Piso (697-698 57-56) wiederum als Oberfeldherr sehr schlechte Geschäfte, was auch kein Wunder war, da er um Geld Freunden und Feinden gewährte, was sie wünschten. Die thrakischen Dentheleten (am Strymon) plünderten unter seiner Statthalterschaft Makedonien weit und breit und stellten auf der großen, von Dyrrhachion nach Thessalonike führenden römischen Heerstraße selbst ihre Posten aus; in Thessalonike machte man sich darauf gefaßt, von ihnen eine Belagerung auszuhalten, während die starke römische Armee in der Provinz nur da zu sein schien, um zuzusehen, wie die Bergbewohner und die Nachbarvölker die friedlichen Untertanen Roms brandschatzten.
Dergleichen Angriffe konnten freilich Roms Macht nicht gefährden, und auf eine Schande mehr kam es längst nicht mehr an. Aber eben um diese Zeit begann jenseits der Donau, in den weiten dakischen Steppen, ein Volk sich staatlich zu konsolidieren, das eine andere Rolle in der Geschichte zu spielen bestimmt schien als die Besser und die Dentheleten. Bei den Geten oder Dakern war in uralter Zeit dem König des Volkes ein heiliger Mann zur Seite getreten, Zalmoxis genannt, der, nachdem er der Götter Wege und Wunder auf weiten Reisen in der Fremde erkundet und namentlich die Weisheit der ägyptischen Priester und der griechischen Pythagoreer ergründet hatte, in seine Heimat zurückgekommen war, um in einer Höhle des ‚Heiligen Berges‘ als frommer Einsiedler sein Leben zu beschließen. Nur dem König und dessen Dienern blieb er zugänglich und spendete ihm und durch ihn dem Volke seine Orakel für jedes wichtige Beginnen. Seinen Landsleuten galt er anfangs als Priester des höchsten Gottes und zuletzt selber als Gott, ähnlich wie es von Moses und Aaron heißt, daß der Herr den Aaron zum Propheten und zum Gotte des Propheten den Moses gesetzt habe. Es war hieraus eine bleibende Institution geworden: von Rechts wegen stand dem König der Geten ein solcher Gott zur Seite, aus dessen Munde alles kam oder zu kommen schien, was der König befahl. Diese eigentümliche Verfassung, in der die theokratische Idee der, wie es scheint, absoluten Königsgewalt dienstbar geworden war, mag den getischen Königen eine Stellung ihren Untertanen gegenüber gegeben haben, wie etwa die Kalifen sie gegenüber den Arabern haben; und eine Folge davon war die wunderbare religiös-politische Reform der Nation, welche um diese Zeit der König der Geten, Burebistas, und der Gott, Dekäneos, durchsetzten. Das namentlich durch beispiellose Völlerei sittlich und staatlich gänzlich heruntergekommene Volk ward durch das neue Mäßigkeits- und Tapferkeitsevangelium wie umgewandelt; mit seinen sozusagen puritanisch disziplinierten und begeisterten Scharen gründete König Burebistas binnen wenigen Jahren ein gewaltiges Reich, das auf beiden Ufern der Donau sich ausbreitete und südwärts bis tief in Thrakien, Illyrien und das nordische Land hinein reichte. Eine unmittelbare Berührung mit den Römern hatte noch nicht stattgefunden, und es konnte niemand sagen, was aus diesem sonderbaren, an die Anfänge des Islam erinnernden Staat werden möge; das aber mochte man, auch ohne Prophet zu sein, vorherzusagen, daß Prokonsuln wie Antonius und Piso nicht berufen waren, mit Göttern zu streiten.
- So ward zum Beispiel in Vaison im Vocontischen Gau eine in keltischer Sprache mit gewöhnlichem griechischen Alphabet geschriebene Inschrift gefunden. Sie lautet: σεγομαρος ουιλλονεος τοουτιους ναμαυσατις εωρουβηλησαμισοσιν νεμητον. Das letzte Wort heißt „heilig“.
- Auf eine längere Zeit hindurch fortgesetzte Einwanderung belgischer Kelten nach Britannien deuten die von belgischen Gauen entlehnten Namen englischer Völkerschaften an beiden Ufern der Themse, wie der Atrebaten, der Belgen, ja der Britanner selbst, welcher von den an der Somme unterhalb Amiens ansässigen Britonen zuerst auf einen englischen Gau und sodann auf die ganze Insel übertragen zu sein scheint. Auch die englische Goldmünzung ist aus der belgischen abgeleitet und ursprünglich mit ihr identisch.
- Das erste Aufgebot der belgischen Kantone ausschließlich der Remer, also der Landschaft zwischen Seine und Schelde und östlich bis gegen Reims und Andernach von 2000-2200 Quadratmeilen, wird auf etwa 300000 Mann berechnet; wonach, wenn man das für die Bellovaker angegebene Verhältnis des ersten Aufgebots zu der gesamten waffenfähigen Mannschaft als allgemein gültig betrachtet, die Zahl der waffenfähigen Belgen auf 500000 und danach die Gesamtbevölkerung auf mindestens 2 Millionen sich stellt. Die Helvetier mit den Nebenvölkern zählten vor ihrem Auszug 336000 Köpfe; wenn man annimmt, daß sie damals schon vom rechten Rheinufer verdrängt waren, kann ihr Gebiet auf ungefähr 300 Quadratmeilen angeschlagen werden. Ob die Knechte hierbei mitgezählt sind, läßt sich um so weniger entscheiden, als wir nicht wissen, welche Form die Sklaverei bei den Kelten angenommen hatte; was Caesar (Gall. 1, 4) von Orgetorix‘ Sklaven, Hörigen und Schuldnern erzählt, spricht eher für als gegen die Mitzählung.
- Daß übrigens jeder solche Versuch, das, was der alten Geschichte vor allen Dingen fehlt, die statistische Grundlage, durch Kombination zu ersetzen, mit billiger Vorsicht aufgenommen werden muß, wird der verständige Leser ebensowenig verkennen als ihn darum unbedingt wegwerfen.
- Dahin führt die Benennung des Kauffahrtei- oder des „runden“ im Gegensatz zu dem „langen“ oder dem Kriegsschiff und die ähnliche Gegeneinanderstellung der „Ruderschiffe“ (επίκωποι νήες) und der „Kauffahrer“ (ολκάδες“ Dion. Hal. 3, 44); ferner die geringe Bemannung der Kauffahrteischiffe, die auf den allergrößten nicht mehr betrug als 200 Mann (Rheinisches Museum N. F. 11, 1874, S. 625), während auf der gewöhnlichen Galeere von drei Verdecken schon 170 Ruderer gebraucht wurden. Vgl. F. K. Movers, Die Phönicier. Bonn-Berlin 1840-56, Bd. 2, 3, S. 167f.
- Dies merkwürdige Wort muß schon im sechsten Jahrhundert Roms bei den Kelten im Potal gebräuchlich gewesen sein; denn bereits Ennius kennt es, und es kann nur von da her in so früher Zeit den Italikern zugekommen sein. Es ist dasselbe aber nicht bloß keltisch, sondern auch deutsch, die Wurzel unseres „Amt“; wie ja auch das Gefolgwesen selbst den Kelten und den Deutschen gemeinsam ist. Von großer geschichtlicher Wichtigkeit wäre es, auszumachen ob das Wort und also auch die Sache zu den Kelten von den Deutschen oder zu den Deutschen von den Kelten kam. Wenn, wie man gewöhnlich annimmt, das Wort ursprünglich deutsch ist und zunächst den in der Schlacht dem Herrn „gegen den Rücken“ (and = gegen, bak = Rücken) stehenden Knecht bezeichnet, so ist dies mit dem auffallend frühen Vorkommen dieses Wortes bei den Kelten nicht gerade unvereinbar. Nach allen Analogien kann das Recht Ambakten, das ist δούλοι μισθωτοί, zu halten, dem keltischen Adel nicht von Haus aus zugestanden, sondern erst allmählich im Gegensatz zu dem älteren Königtum wie zu der Gleichheit der Gemeinfreien sich entwickelt haben. Wenn also das Ambaktentum bei den Kelten keine altnationale, sondern eine relativ junge Institution ist, so ist es auch, bei dem zwischen den Kelten und Deutschen Jahrhunderte lang bestehenden und weiterhin zu erörternden Verhältnis, nicht bloß möglich, sondern sogar wahrscheinlich, daß die Kelten, in Italien wie in Gallien, zu diesen gedungenen Waffenknechten hauptsächlich Deutsche nahmen. Die „Schweizer“ würden also in diesem Falle um einige Jahrtausende älter sein, als man meint.
- Sollte die Benennung, womit, vielleicht nach dem Beispiel der Kelten, die Römer die Deutschen als Nation bezeichnen, der Name Germani wirklich keltischen Ursprungs sein, so steht dies damit, wie man sieht, im besten Einklang.
- Freilich werden diese Annahmen immer zurückstehen müssen, falls es gelingt, das Wort ambactus in befriedigender Weise aus keltischer Wurzel zu erklären; wie denn J. K. Zeuß (Grammatica celtica. Leipzig 1853, S. 796), wenngleich zweifelnd, dasselbe auf ambi = um und ag = agere, = Herumbeweger oder Herumbewegter, also Begleiter, Diener zurückführt. Daß das Wort auch als keltischer Eigenname vorkommt (Zeuß, S. 77) und vielleicht noch in dem cambrischen amaeth = Bauer, Arbeiter erhalten ist (Zeuß, S. 156), kann nach keiner Seite hin entscheiden.
- Welche Stellung ein solcher Bundesfeldherr seinen Leuten gegenüber einnahm, zeigt die gegen Vercingetorix erhobene Anklage auf Landesverrat (Caes. Gall. 7, 20).
- So sind Caesars Sueben wahrscheinlich die Chatten; aber dieselbe Benennung kam sicher zu Caesars Zeit und noch viel später auch jedem anderen deutschen Stamme zu, der als ein regelmäßig wandernder bezeichnet werden konnte. Wenn also auch, wie nicht zu bezweifeln, der „König der Sueben“ bei Mela (3, 1) und Plinius (nat. 2, 67, 170) Ariovist ist, so folgt darum noch keineswegs, daß Ariovist ein Chatte war. Die Markomannen als ein bestimmtes Volk lassen sich vor Marbod nicht nachweisen; es ist sehr möglich, daß das Wort bis dahin nichts bezeichnet als was es etymologisch bedeutet, die Land- oder Grenzwehr. Wenn Caesar (Galt. 1, 51) unter den im Heere Ariovists fechtenden Völkern Markomannen erwähnt, so kann er auch hier eine bloß appellative Bezeichnung ebenso mißverstanden haben, wie dies bei den Sueben entschieden der Fall ist.
- Ariovists Ankunft in Gallien ist nach Caesar (Gall. 1, 36) auf 683 (71), die Schlacht von Admagetobriga (denn so heißt der einer falschen Inschrift zuliebe jetzt gewöhnlich Magetobriga genannte Ort) nach Caesar (Gall. 1, 35) und Cicero (Art. 1, 19) auf 693 (61) gesetzt worden.
- Um diesen Hergang der Dinge nicht unglaublich zu finden oder demselben gar tiefere Motive unterzulegen, als staatsmännische Unwissenheit und Faulheit sind, wird man wohltun, den leichtfertigen Ton sich zu vergegenwärtigen, in dem ein angesehener Senator wie Cicero in seiner Korrespondenz sich über diese wichtigen transalpinischen Angelegenheiten ausläßt.
- Nach dem unberichtigten Kalender. Nach der gangbaren Rektifikation, die indes hier keineswegs auf hinreichend zuverlässigen Daten beruht, entspricht dieser Tag dem 16. April des Julianischen Kalenders.
- Julia Equestris, wo der letzte Beiname zu fassen ist wie in anderen Kolonien Caesars die Beinamen sextanorum, decimanorum, u. a. m. Es waren keltische oder deutsche Reiter Caesars, die, natürlich unter Erteilung des römischen oder doch des latinischen Bürgerrechts, hier Landlose empfingen.
- F. W. A. Göler (Cäsars gallischer Krieg. Karlsruhe 1858, S. 45f.) meint, das Schlachtfeld bei Cernay unweit Mühlhausen aufgefunden zu haben, was im ganzen übereinkommt mit Napoleons ( précis p. 35) Ansetzung des Schlachtfeldes in der Gegend von Belfort. Diese Annahme ist zwar nicht sicher, aber den Umständen angemessen; denn daß Caesar für die kurze Strecke von Besançon bis dahin sieben Tagemärsche brauchte, erklärt er selbst (Lall. 1, 41) durch die Bemerkung, daß er einen Umweg von über zehn deutschen Meilen genommen, um die Bergwege zu vermeiden, und dafür, daß die Schlacht 5, nicht 50 Milien vom Rhein geschlagen ward, entscheidet bei gleicher Autorität der Überlieferung die ganze Darstellung der bis zum Rhein fortgesetzten und offenbar nicht mehrtägigen, sondern an dem Schlachttag selbst beendigten Verfolgung. Der Vorschlag W. Rüstows (Einleitung zu Caesars Kommentar, S. 117), das Schlachtfeld an die obere Saar zu verlegen, beruht auf einem Mißverständnis. Das von den Sequanern, Denkern, Lingonen erwartete Getreide soll dem römischen Heere nicht unterwegs auf dem Marsche gegen Ariovist zukommen, sondern vor dem Aufbruch nach Besançon geliefert und von den Truppen mitgenommen werden; wie dies sehr deutlich daraus hervorgeht, daß Caesar, indem er seine Truppen auf jene Lieferungen hinweist, daneben sie auf das unterwegs einzubringende Korn vertröstet. Von Besançon aus beherrschte Caesar die Gegend von Langres und Epinal und schrieb, wie begreiflich, seine Lieferungen lieber hier aus als in den ausfouragierten Distrikten, aus denen er kam.
- Das scheint die einfachste Annahme über den Ursprung dieser germanischen Ansiedlungen. Daß Ariovist jene Völker am Mittelrhein ansiedelte, ist deshalb wahrscheinlich, weil sie in seinem Heer fechten (Caes. Gall. 1, 51) und früher nicht vorkommen; daß ihnen Caesar ihre Sitze ließ, deshalb, weil er Ariovist gegenüber sich bereit erklärte, die in Gallien bereits ansässigen Deutschen zu dulden (Caes. Gall. 1, 35. 43), und weil wir sie später in diesen Sitzen finden. Caesar gedenkt der nach der Schlacht hinsichtlich dieser germanischen Ansiedlungen getroffenen Verfügungen nicht, weil er über alle in Gallien von ihm vorgenommenen organischen Einrichtungen grundsätzlich Stillschweigen beobachtet.
- Daß Caesars Überfahrten nach Britannien aus den Häfen der Küste von Calais bis Boulogne an die Küste von Kent gingen, ergibt die Natur der Sache sowie Caesars ausdrückliche Angabe. Die genauere Bestimmung der Örtlichkeit ist oft versucht worden, aber nicht gelungen. Überliefert ist nur, daß bei der ersten Fahrt die Infanterie in dem einen, die Reiterei in einem anderen, von jenem 8 Milien in östlicher Richtung entfernten Hafen sich einschiffte (Gall. 4, 22, 23, 28) und daß die zweite Fahrt aus demjenigen von diesen beiden Häfen, den Caesar am bequemsten gefunden, dem (sonst nicht weiter genannten) Irischen, von der britannischen Küste 30 (so nach Caesars Handschriften 5, 2) oder 40 (= 320 Stadien, nach Strab. 4, 5, 2, der unzweifelhaft aus Caesar schöpfte) Milien entfernten abging. Aus Caesars Worten (Gall. 4, 21), daß er „die kürzeste Überfahrt“ gewählt habe, kann man verständigerweise wohl folgern, daß er nicht durch den Kanal, sondern durch den Pas de Calais, aber keineswegs, daß er durch diesen auf der mathematisch kürzesten Linie fuhr. Es gehört der Inspirationsglaube der Lokaltopographen dazu, um mit solchen Daten in der Hand, von denen das an sich beste noch durch die schwankende Überlieferung der Zahl fast unbrauchbar wird, an die Bestimmung der Örtlichkeit zu gehen; doch möchte unter den vielen Möglichkeiten am meisten für sich zu haben, daß der Irische Hafen (den schon Strab. a. a. O. wahrscheinlich richtig mit demjenigen identifiziert, von dem bei der ersten Fahrt die Infanterie überging) bei Ambleteuse, westlich vom Cap Gris Nez, der Reiterhaufen bei Ecale (Wissant), östlich von demselben Vorgebirge, zu suchen ist, die Landung aber östlich von Dover bei Walmercastle stattfand.
- Daß Cotta, obwohl nicht Unterfeldherr des Sabinus, sondern gleich ihm Legat, doch der jüngere und minder angesehene General und wahrscheinlich im Fall einer Differenz sich zu fügen angewiesen war, ergibt sich sowohl aus den früheren Leistungen des Sabinus, als daraus, daß, wo beide zusammen genannt werden (Gall. 4, 22, 37; 5, 24, 26, 52; 6, 32; anders 6, 37), Sabinus regelmäßig voransteht, nicht minder aus der Erzählung der Katastrophe selbst. überdies kann man doch unmöglich annehmen, daß Caesar einem Lager zwei Offiziere mit gleicher Befugnis vorgesetzt und für den Fall der Meinungsverschiedenheit gar keine Anordnung getroffen haben soll. Auch zählen die fünf Kohorten nicht als Legion mit (vgl. Gall. 6, 32, 33), so wenig wie die zwölf Kohorten an der Rheinbrücke (Gall. 6, 29 vgl. 32, 33), und scheinen aus Detachements anderer Heerteile bestanden zu haben, die diesem den Germanen zunächst gelegenen Lager zur Verstärkung zugeteilt worden waren.
- Freilich war dies nur möglich, solange die Offensivwaffen hauptsächlich auf Hieb und Stich gerichtet waren. In der heutigen Kriegführung ist, wie dies Napoleon I. vortrefflich auseinandergesetzt hat, dies System deshalb unanwendbar geworden, weil bei unseren, aus der Ferne wirkenden Offensivwaffen die deployierte Stellung vorteilhafter ist als die konzentrische. In Caesars Zeit verhielt es sich umgekehrt.
- Man sucht diesen Ort auf einer Anhöhe eine Stunde südlich von der arvernischen Hauptstadt Nemetum, dem heutigen Clermont welche noch jetzt Gergoie genannt wird; und sowohl die bei den Ausgrabungen daselbst zu Tage gekommenen Überreste von rohen Festungsmauern, wie die urkundlich bis ins zehnte Jahrhundert hinauf verfolgte Überlieferung des Namens lassen an der Richtigkeit dieser Ortsbestimmung keinen Zweifel. Auch paßt dieselbe wie zu den übrigen Angaben Caesars, so namentlich dazu daß er Gergovia ziemlich deutlich als Hauptort der Arverner bezeichnet (Gall. 7, 4). Man wird demnach anzunehmen haben, daß die Arverner nach der Niederlage genötigt wurden, sich von Gergovia nach dem nahen, weniger festen Nemetum überzusiedeln.
- Die kürzlich viel erörterte Frage, ob Alesia nicht vielmehr in Alaise (25 Kilometer südlich von Besançon, Dep. Doubs) zu erkennen sei, ist von allen besonnenen Forschern mit Recht verneint worden.
- Man sucht dies gewöhnlich bei Capdenac unweit Figeac; F. W. A. Göler hat sich neuerlich für das auch früher schon in Vorschlag gebrachte Luzech westlich von Cahors erklärt.
- Bei Caesar selbst steht dies freilich begreiflicherweise nicht geschrieben; aber eine verständliche Andeutung in dieser Beziehung macht Sallust (hist. 1, 9 Kritz), obwohl auch er als Caesarianer schrieb. Weitere Beweise ergeben die Münzen.
- So lesen wir auf einem Semis, den ein Vergobret der Lexovier (Lisieux, Dep. Calvados) schlagen ließ, folgende Aufschrift: Cisiambos Cattos vercobreto; simissos (so) publicos Lixovio. Die oft kaum leserliche Schrift und das unglaublich abscheuliche Gepräge dieser Münzen stehen mit ihrem stammelnden Latein in bester Harmonie.