1. Kapitel
Marcus Lepidus und Quintus Sertorius
Als Sulla im Jahre 676 (78) starb, beherrschte die von ihm restaurierte Oligarchie unbeschränkt den römischen Staat; allein wie sie durch Gewalt gegründet war, bedurfte sie auch ferner der Gewalt, um sich gegen ihre zahlreichen heimlichen und offenen Gegner zu behaupten. Was ihr entgegenstand, war nicht etwa eine einfache Partei mit klar ausgesprochenen Zwecken und unter bestimmt anerkannten Führern, sondern eine Masse der mannigfaltigsten Elemente, die wohl im allgemeinen unter dem Namen der Popularpartei sich zusammenfaßten, aber doch in der Tat aus den verschiedenartigsten Gründen und in der verschiedenartigsten Absicht gegen die Sullanische Ordnung des Gemeinwesens Opposition machten. Da waren die Männer des positiven Rechts, die Politik weder machten noch verstanden, denen aber Sullas willkürliches Schalten mit dem Leben und Eigentum der Bürger ein Greuel war. Noch bei Lebzeiten Sullas, während jede andere Opposition schwieg, lehnten die strengen Juristen gegen den Regenten sich auf: es wurden zum Beispiel die Cornelischen Gesetze, welche verschiedenen italischen Bürgerschaften das römische Bürgerrecht aberkannten, in gerichtlichen Entscheidungen als nichtig behandelt, ebenso das Bürgerrecht von den Gerichten erachtet als nicht aufgehoben durch die Kriegsgefangenschaft und den Verkauf in die Sklaverei während der Revolution. Da waren ferner die Überreste der alten liberalen Senatsminorität, welche in früheren Zeiten auf eine Transaktion mit der Reformpartei und mit den Italikern hingearbeitet hatte und jetzt in ähnlicher Weise geneigt war, die starr oligarchische Verfassung Sullas durch Zugeständnisse an die Popularen zu mildern. Da waren ferner die eigentlichen Popularen, die ehrlich gläubigen bornierten Radikalen, die für die Schlagwörter des Parteiprogramms Vermögen und Leben einsetzten, um nach dem Siege mit schmerzlichem Erstaunen zu erkennen, daß sie nicht für eine Sache, sondern für eine Phrase gefochten hatten. Ihnen galt es vornehmlich um die Wiederherstellung der von Sulla zwar nicht aufgehobenen, aber doch ihrer wesentlichsten Befugnisse entkleideten tribunizischen Gewalt, welche nur mit um so geheimnisvollerem Zauber auf die Menge wirkte, weil das Institut ohne handgreiflichen praktischen Nutzen und in der Tat ein leeres Gespenst war – hat doch der Name des Volkstribuns noch über ein Jahrtausend später Rom revolutioniert. Da waren vor allem die zahlreichen und wichtigen Klassen, die die Sullanische Restauration unbefriedigt gelassen oder geradezu in ihren politischen oder Privatinteressen verletzt hatte. Aus solchen Ursachen gehörte der Opposition an die dichte und wohlhabende Bevölkerung der Landschaft zwischen dem Po und den Alpen, die natürlich die Gewährung des launischen Rechts im Jahre 665 (89) nur als eine Abschlagszahlung auf das volle römische Bürgerrecht betrachtete und der Agitation einen willfährigen Boden gewährte. Desgleichen die ebenfalls durch Anzahl und Reichtum einflußreichen und durch ihre Zusammendrängung in der Hauptstadt noch besonders gefährlichen Freigelassenen, die es nicht verschmerzen konnten, durch die Restauration wieder auf ihr früheres, praktisch nichtiges Stimmrecht zurückgeführt worden zu sein. Desgleichen ferner die hohe Finanz, die zwar vorsichtig sich still verhielt, aber ihren zähen Groll und ihre nicht minder zähe Macht nach wie vor sich bewahrte. Ebenso mißvergnügt war die hauptstädtische Menge, die die wahre Freiheit im freien Brotkorn erkannte. Noch tiefere Erbitterung gärte in den von den Sullanischen Konfiskationen betroffenen Bürgerschaften, mochten sie nun, wie zum Beispiel die Pompeianer, in ihrem durch die Sullanischen Kolonisten geschmälerten Eigentum innerhalb desselben Stadtgebiets mit diesen zusammen und mit ihnen in ewigem Hader leben oder, wie die Arretiner und Volaterraner, zwar noch im tatsächlichen Besitz ihrer Mark, aber unter dem Damoklesschwert der vom römischen Volke über sie verhängten Konfiskation sich befinden oder endlich, wie dies besonders in Etrurien der Fall war, als Bettler in ihren ehemaligen Wohnsitzen oder als Räuber in den Wäldern verkommen. Es war endlich in Gärung der ganze Familien- und Freigelassenenanhang derjenigen demokratischen Häupter, die infolge der Restauration das Leben verloren hatten oder in allem Elend des Emigrantenrums teils an den mauretanischen Küsten umherirrten, teils am Hofe und im Heere Mithradats verweilten; denn nach der von strenger Familiengeschlossenheit beherrschten politischen Gesinnung dieser Zeit galt es den Zurückgebliebenen als Ehrensache1, für die flüchtigen Angehörigen die Rückkehr in die Heimat, für die toten wenigstens Aufhebung der auf ihrem Andenken und auf ihren Kindern haftenden Makel und Rückgabe des väterlichen Vermögens auszuwirken. Vor allem die eigenen Kinder der Geächteten, die der Regent von Rechts wegen zu politischen Parias herabgesetzt hatte, hatten damit gleichsam von dem Gesetze selbst die Aufforderung empfangen, gegen die bestehende Ordnung sich zu empören.
Zu allen diesen oppositionellen Fraktionen kam weiter hinzu die ganze Masse der ruinierten Leute. All das vornehme und geringe Gesindel, dem im eleganten oder im banausischen Schlemmen Habe und Haltung darauf gegangen war; die adligen Herren, an denen nichts mehr vornehm war als ihre Schulden; die Sullanischen Lanzknechte, die der Machtspruch des Regenten wohl in Gutsbesitzer, aber nicht in Ackerbauer hatte umschaffen können, und die nach der verpraßten ersten Erbschaft der Geächteten sich sehnten, eine zweite ähnliche zu tun – sie alle warteten nur auf die Entfaltung der Fahne, die zum Kampfe gegen die bestehenden Verhältnisse einlud, mochte sonst was immer darauf geschrieben sein. Mit gleicher Notwendigkeit schlossen alle aufstrebenden und der Popularität bedürftigen Talente der Opposition sich an, sowohl diejenigen, denen der streng geschlossene Optimatenkreis die Aufnahme oder doch das rasche Emporkommen verwehrte und die deshalb in die Phalanx gewaltsam sich einzudrängen und die Gesetze der oligarchischen Exklusivität und Anciennität durch die Volksgunst zu brechen versuchten, als auch die gefährlicheren Männer, deren Ehrgeiz nach einem höheren Ziel strebte, als die Geschicke der Welt innerhalb der kollegialischen Umtriebe bestimmen zu helfen. Namentlich auf der Advokatentribüne, dem einzigen von Sulla offengelassenen Boden gesetzlicher Opposition, ward schon bei Lebzeiten des Regenten von solchen Aspiranten mit den Waffen der formalen Jurisprudenz und der schlagfertigen Rede lebhaft gegen die Restauration gestritten; zum Beispiel der gewandte Sprecher Marcus Tullius Cicero (geboren 3. Januar 648 106), eines Gutsbesitzers von Arpinum Sohn, machte durch seine halb vorsichtige, halb dreiste Opposition gegen den Machthaber sich rasch einen Namen. Dergleichen Bestrebungen hatten nicht viel zu bedeuten, wenn der Opponent nichts weiter begehrte, als den kurulischen Stuhl damit sich einzuhandeln und sodann als Befriedigter den Rest seiner Jahre auf demselben zu versitzen. Wenn freilich einem populären Mann dieser Stuhl nicht genügen und Gaius Gracchus einen Nachfolger finden sollte, so war ein Kampf auf Tod und Leben unvermeidlich; indes für jetzt wenigstens war noch kein Name zu nennen, dessen Träger ein so hohes Ziel sich vorgesteckt hätte.
Derart war die Opposition, mit der das von Sulla eingesetzte oligarchische Regiment zu kämpfen hatte, nachdem dasselbe, früher als Sulla selbst gedacht haben mochte, durch seinen Tod auf sich selber angewiesen worden war. Die Aufgabe war an sich nicht leicht und ward noch erschwert durch die sonstigen sozialen und politischen Übelstände dieser Zeit, vor allem durch die ungemeine Schwierigkeit, teils die Militärchefs in den Provinzen in Unterwürfigkeit gegen die höchste bürgerliche Obrigkeit zu erhalten, teils in der Hauptstadt mit den Massen des daselbst sich anhäufenden italischen und außeritalischen Gesindels und der in Rom großenteils in faktischer Freiheit lebenden Sklaven fertig zu werden, ohne doch Truppen zur Verfügung zu haben. Der Senat stand wie in einer von allen Seiten ausgesetzten und bedrohten Festung, und ernstliche Kämpfe konnten nicht ausbleiben. Aber auch die von Sulla geordneten Widerstandsmittel waren ansehnlich und nachhaltig; und wenngleich die Majorität der Nation der Regierung, wie Sulla sie eingesetzt hatte, offenbar abgeneigt, ja ihr feindselig gesinnt war, so konnte nichtsdestoweniger gegen die irre und wirre Masse einer Opposition, welche weder im Ziel noch im Weg zusammen und hauptlos in hundert Fraktionen auseinanderging, die Regierung sehr wohl noch auf lange hinaus in ihrer festen Burg sich behaupten. Nur freilich mußte sie auch sich behaupten wollen und wenigstens einen Funken jener Energie, die ihre Festung gebaut hatte, zu deren Verteidigung heranbringen; für eine Besatzung, die sich nicht wehren will, zieht der größte Schanzkünstler vergebens seine Mauern und Gräben.
Je mehr schließlich alles ankam auf die Persönlichkeit der leitenden Männer auf beiden Seiten, desto übler war es, daß es genau genommen auf beiden Seiten an Führern fehlte. Die Politik dieser Zeit ward durchaus beherrscht von dem Koteriewesen in seiner schlimmsten Gestalt. Wohl war dasselbe nichts Neues; die Familien- und Klubgeschlossenheit ist untrennbar von der aristokratischen Ordnung des Staats und war seit Jahrhunderten in Rom übermächtig. Aber allmächtig wurde dieselbe doch erst in dieser Epoche, wie denn ihr Einfluß auch erst jetzt (zuerst 690 64) durch gesetzliche Repressivmaßregeln weniger gehemmt als konstatiert ward. Alle Vornehmen, die popular Gesinnten nicht minder als die eigentliche Oligarchie, taten sich in Hetärien zusammen; die Masse der Bürgerschaft, soweit sie überhaupt an den politischen Vorgängen regelmäßig sich beteiligte, bildete nach den Stimmbezirken gleichfalls geschlossene und fast militärisch organisierte Vereine, die an den Vorstehern der Bezirke, den „Bezirksverteilern“ ( divisores tribuum), ihre natürlichen Hauptleute und Mittelsmänner fanden. Feil war diesen politischen Klubs alles: die Stimme des Wählers vor allem, aber auch die des Ratsmanns und des Richters, auch die Fäuste, die den Straßenkrawall machten, und die Rottenführer, die ihn lenkten – nur im Tarif unterschieden sich die Assoziationen der Vornehmen und der Geringen. Die Hetärie entschied die Wahlen, die Hetärie beschloß die Anklagen, die Hetärie leitete die Verteidigung; sie gewann den angesehenen Advokaten, sie akkordierte im Notfall wegen der Freisprechung mit einem der Spekulanten, die den einträglichen Handel mit Richterstimmen im großen betrieben. Die Hetärie beherrschte durch ihre geschlossenen Banden die Straßen der Hauptstadt und damit nur zu oft den Staat. All diese Dinge geschahen nach einer gewissen Regel und sozusagen öffentlich; das Hetärienwesen war besser geordnet und besorgt als irgendein Zweig der Staatsverwaltung; wenn auch, wie es unter zivilisierten Gaunern üblich ist, von dem verbrecherischen Treiben nach stillschweigendem Einverständnis nicht geradezu gesprochen ward, so hatte doch niemand dessen ein Hehl, und angesehene Sachwalter scheuten sich nicht, ihr Verhältnis zu den Hetärien ihrer Klienten öffentlich und verständlich anzudeuten. Fand sich hier und da ein einzelner Mann, der diesem Treiben und nicht zugleich dem öffentlichen Leben sich entzog, so war er sicher, wie Marcus Cato, ein politischer Don Quichotte. An die Stelle der Parteien und des Parteienkampfes traten die Klubs und deren Konkurrenz, an die Stelle des Regiments die Intrige. Ein mehr als zweideutiger Charakter, Publius Cethegus, einst einer der eifrigsten Marianer, später als Überläufer zu Sulla zu Gnaden aufgenommen, spielte in dem politischen Treiben dieser Zeit eine der einflußreichsten Rollen, einzig als schlauer Zwischenträger und Vermittler zwischen den senatorischen Fraktionen und als staatsmännischer Kenner aller Kabalengeheimnisse; zu Zeiten entschied über die Besetzung der wichtigsten Befehlshaberstellen das Wort seiner Mätresse Praecia. Eine solche Misere war eben nur möglich, wo keiner der politisch tätigen Männer sich über die Linie des Gewöhnlichen erhob; jedes außerordentliche Talent hätte diese Faktionenwirtschaft wie Spinnweben weggefegt; aber eben an politischen und militärischen Kapazitäten war der bitterste Mangel. Von dem älteren Geschlecht hatten die Bürgerkriege keinen einzigen angesehenen Mann übriggelassen als den alten, klugen, redegewandten Lucius Philippus (Konsul 663 91),. der, früher popular gesinnt, darauf Führer der Kapitalistenpartei gegen den Senat und mit den Marianern eng verknüpft, endlich zeitig genug, um Dank und Lohn zu ernten, übergetreten zu der siegenden Oligarchie, zwischen den Parteien durchgeschlüpft war. Unter den Männern der folgenden Generation waren die namhaftesten Häupter der reinen Aristokratie Quintus Metellus Pius (Konsul 674 80), Sullas Genosse in Gefahren und Siegen; Quintus Lutatius Catulus, Konsul in Sullas Todesjahr 676 (78), der Sohn des Siegers von Vercellae; und zwei jüngere Offiziere, die beiden Brüder Lucius und Marcus Lucullus, von denen jener in Asien, dieser in Italien mit Auszeichnung unter Sulla gefochten hatten; um zu schweigen von Optimaten wie Quintus Hortensius (640-704 114-50), der nur als Sachwalter etwas bedeutete, oder gar wie Decimus Iunius Brutus (Konsul 677 77), Mamercus Aemilius Lepidus Livianus (Konsul 677 77) und andern solchen Nullitäten, an denen der vollklingende aristokratische Name das gute Beste war. Aber auch jene vier Männer erhoben sich wenig über den Durchschnittswert der vornehmen Adligen dieser Zeit. Catulus war gleich seinem Vater ein feingebildeter Mann und ehrlicher Aristokrat, aber von mäßigen Talenten und namentlich kein Soldat. Metellus war nicht bloß ein persönlich achtbarer Charakter, sondern auch ein fähiger und erprobter Offizier: nicht so sehr wegen seiner engen verwandtschaftlichen und kollegialischen Beziehungen zu dem Regenten, als besonders wegen seiner anerkannten Tüchtigkeit war er im Jahre 675 (79) nach Niederlegung des Konsulats nach Spanien gesandt worden, als dort die Lusitaner und die römischen Emigranten unter Quintus Sertorius abermals sich regten. Tüchtige Offiziere waren auch die beiden Lucullus, namentlich der ältere, der ein sehr achtbares militärisches Talent mit gründlicher literarischer Bildung und schriftstellerischen Neigungen vereinigte und auch als Mensch ehrenwert erschien. Allein als Staatsmänner waren doch selbst diese besseren Aristokraten nicht viel weniger schlaff und kurzsichtig als die Dutzendsenatoren der Zeit. Dem äußeren Feind gegenüber bewährten die namhafteren darunter sich wohl als brauchbar und brav; aber keiner von ihnen bezeigte Lust und Geschick, die eigentlich politischen Aufgaben zu lösen und das Staatsschiff durch die bewegte See der Intrigen und Parteiungen als rechter Steuermann zu lenken. Ihre politische Weisheit beschränkte sich darauf, aufrichtig zu glauben an die alleinseligmachende Oligarchie, dagegen die Demagogie ebenso wie jede sich emanzipierende Einzelgewalt herzlich zu hassen und mutig zu verwünschen. Ihr kleiner Ehrgeiz nahm mit wenigem vorlieb. Was von Metellus in Spanien erzählt wird, daß er nicht bloß die wenig harmonische Leier der spanischen Gelegenheitspoeten sich gefallen, sondern sogar, wo er hinkam, sich gleich einem Gotte mit Weinspenden und Weihrauchduft empfangen und bei Tafel von niederschwebenden Viktorien unter Theaterdonner das Haupt mit dem goldenen Siegeslorbeer sich kränzen ließ, ist nicht besser beglaubigt als die meisten geschichtlichen Anekdoten; aber auch in solchem Klatsch spiegelt sich der heruntergekommene Ehrgeiz der Epigonengeschlechter. Selbst die Besseren waren befriedigt, wenn nicht Macht und Einfluß, sondern das Konsulat und der Triumph und im Rate ein Ehrenplatz errungen war, und traten da, wo sie bei rechtem Ehrgeiz erst angefangen haben würden, ihrem Vaterland und ihrer Partei wahrhaft nützlich zu sein, von der politischen Bühne zurück, um in fürstlichem Luxus unterzugehen. Männer wie Metellus und Lucius Lucullus waren schon als Feldherren nicht weniger als auf die Erweiterung des römischen Gebiets durch neu unterworfene Könige und Völkerschaften bedacht auf die der endlosen Wildbret-, Geflügel- und Dessertliste der römischen Gastronomie durch neue afrikanische und kleinasiatische Delikatessen und haben den besten Teil ihres Lebens in mehr oder minder geistreichem Müßiggang verdorben. Das traditionelle Geschick und die individuelle Resignation, auf denen alles oligarchische Regiment beruht, waren der verfallenen und künstlich wiederhergestellten römischen Aristokratie dieser Zeit abhanden gekommen; ihr galt durchgängig der Cliquengeist als Patriotismus, die Eitelkeit als Ehrgeiz, die Borniertheit als Konsequenz. Wäre die Sullanische Verfassung unter die Obhut von Männern gekommen, wie sie wohl im römischen Kardinalskollegium und im venezianischen Rat der Zehn gesessen haben, so ist es nicht zu sagen, ob die Opposition vermocht haben würde, sie so bald zu erschüttern; mit solchen Verteidigern war allerdings jeder Angriff eine ernste Gefahr.
Unter den Männern, die weder unbedingte Anhänger noch offene Gegner der Sullanischen Verfassung waren, zog keiner mehr die Augen der Menge auf sich als der junge, bei Sullas Tode achtundzwanzigjährige Gnaeus Pompeius (geb. 29. September 648 106). Es war das ein Unglück für den Bewunderten wie für die Bewunderer; aber es war natürlich. Gesund an Leib und Seele, ein tüchtiger Turner, der noch als Oberoffizier mit seinen Soldaten um die Wette sprang, lief und hob, ein kräftiger und gewandter Reiter und Fechter, ein kecker Freischarenführer, war der Jüngling in einem Alter, das ihn von jedem Amt und vom Senat ausschloß, Imperator und Triumphator geworden und hatte in der öffentlichen Meinung den ersten Platz nächst Sulla, ja von dem läßlichen, halb anerkennenden, halb ironischen Regenten selbst den Beinamen des Großen sich erworben. Zum Unglück entsprach seine geistige Begabung diesen unerhörten Erfolgen schlechterdings nicht. Er war kein böser und kein unfähiger, aber ein durchaus gewöhnlicher Mensch, durch die Natur geschaffen, ein tüchtiger Wachtmeister, durch die Umstände berufen, Feldherr und Staatsmann zu sein. Ein einsichtiger, tapferer und erfahrener, durchaus vorzüglicher Soldat, war er doch auch als Militär ohne eine Spur höherer Begabung; als Feldherr wie überhaupt ist es ihm eigen, mit einer an Ängstlichkeit grenzenden Vorsicht zu Werke zu gehen und womöglich den entscheidenden Schlag erst dann zu führen, wenn die ungeheuerste Überlegenheit über den Gegner hergestellt ist. Seine Bildung ist die Dutzendbildung der Zeit; obwohl durch und durch Soldat versäumte er doch nicht, als er nach Rhodos kam, die dortigen Redekünstler pflichtmäßig zu bewundern und zu beschenken. Seine Rechtschaffenheit war die des reichen Mannes, der mit seinem beträchtlichen ererbten und erworbenen Vermögen verständig Haus hält; er verschmähte es nicht, in der üblichen senatorischen Weise Geld zu machen, aber er war zu kalt und zu reich, um deswegen sich in besondere Gefahren zu begeben und hervorragende Schande sich aufzuladen. Die unter seinen Zeitgenossen im Schwange gehende Lasterhaftigkeit hat mehr als seine eigene Tugend ihm den – relativ allerdings wohl gerechtfertigten – Ruhm der Tüchtigkeit und Uneigennützigkeit verschafft. Sein „ehrliches Gesicht“ ward fast sprichwörtlich, und noch nach seinem Tode war er ein würdiger und sittlicher Mann; in der Tat war er ein guter Nachbar, welcher die empörende Sitte der Großen jener Zeit, ihre Gebietsgrenzen durch Zwangskäufe oder, noch Schlimmeres, auf Kosten der kleineren Nachbarn auszudehnen, nicht mitmachte, und zeigte er im Familienleben Anhänglichkeit an Frau und Kinder; es gereicht ihm ferner zur Ehre, daß er zuerst von der barbarischen Sitte abging, die gefangenen feindlichen Könige und Feldherrn nach ihrer Aufführung im Triumph hinrichten zu lassen. Aber das hielt ihn nicht ab, wenn sein Herr und Meister Sulla befahl, sich von der geliebten Frau zu scheiden, weil sie einem verfemten Geschlecht angehörte, und auf desselben Gebieters Wink Männer, die ihm in schwerer Zeit hilfreich beigestanden hatten, mit großer Seelenruhe vor seinen Augen hinrichten zu lassen; er war nicht grausam, wie man ihm vorwarf, aber, was vielleicht schlimmer ist, kalt und im Guten wie im Bösen ohne Leidenschaft. Im Schlachtgetümmel sah er dem Feinde das Weiße im Auge; im bürgerlichen Leben war er ein schüchterner Mann, dem bei der geringsten Veranlassung das Blut in die Wangen stieg und der nicht ohne Verlegenheit öffentlich sprach, überhaupt eckig, steif und ungelenk im Verkehr. Bei all seinem hoffärtigen Eigensinn war er, wie ja in der Regel diejenigen es sind, die ihre Selbständigkeit zur Schau tragen, ein lenksames Werkzeug in der Hand derjenigen, die ihn zu nehmen verstanden, namentlich seiner Freigelassenen und Klienten, von denen er nicht fürchtete, beherrscht zu werden. Zu nichts war er minder geschaffen als zum Staatsmann. Unklar über seine Ziele, ungewandt in der Wahl seiner Mittel, im kleinen wie im großen kurzsichtig und ratlos, pflegte er seine Unschlüssigkeit und Unsicherheit unter feierlichem Schweigen zu verbergen und, wenn er fein zu spielen meinte, nur mit dem Glauben andere zu täuschen, sich selber zu betrügen. Durch seine militärische Stellung und seine landsmannschaftlichen Beziehungen fiel ihm fast ohne sein Zutun eine ansehnliche, ihm persönlich ergebene Partei zu, mit der sich die größten Dinge hätten durchführen lassen; allein Pompeius war in jeder Beziehung unfähig, eine Partei zu leiten und zusammenzuhalten, und wenn sie dennoch zusammenhielt, so geschah dies gleichfalls ohne sein Zutun durch das bloße Schwergewicht der Verhältnisse. Hierin wie in andern Dingen erinnert er an Marius; aber Marius ist mit seinem bauerhaft rohen, sinnlich leidenschaftlichen Wesen doch noch minder unerträglich als dieser langweiligste und steifleinenste aller nachgemachten großen Männer. Seine politische Stellung war durchaus schief. Er war Sullanischer Offizier und für die restaurierte Verfassung einzustehen verpflichtet, und doch auch wieder in Opposition gegen Sulla persönlich wie gegen das ganze senatorische Regiment. Das Geschlecht der Pompeier, das erst seit etwa sechzig Jahren in den Konsularverzeichnissen genannt ward, galt in den Augen der Aristokratie noch keineswegs als voll; auch hatte der Vater dieses Pompeius gegen den Senat eine sehr gehässige Zwitterstellung eingenommen und er selbst einst in den Reihen der Cinnaner gestanden – Erinnerungen, die wohl verschwiegen, aber nicht vergessen wurden. Die hervorragende Stellung, die Pompeius unter Sulla sich erwarb, entzweite ihn innerlich ebensosehr mit der Aristokratie, wie sie ihn äußerlich mit derselben verflocht. Schwachköpfig wie er war, ward Pompeius auf der so bedenklich rasch und leicht erklommenen Ruhmeshöhe vom Schwindel ergriffen. Gleich als wolle er seine dürr prosaische Natur durch die Parallele mit der poetischsten aller Heldengestalten selber verhöhnen, fing er an sich mit Alexander dem Großen zu vergleichen und sich für einen einzigen Mann zu halten, dem es nicht gezieme, bloß einer von den fünfhundert römischen Ratsherren zu sein. In der Tat war niemand mehr geschaffen, in ein aristokratisches Regiment als Glied sich einzufügen, als er. Pompeius‘ würdevolles Äußere, seine feierliche Förmlichkeit, seine persönliche Tapferkeit, sein ehrbares Privatleben, sein Mangel an aller Initiative hätten ihm, wäre er zweihundert Jahre früher geboren worden, neben Quintus Maximus und Publius Decius einen ehrenvollen Platz gewinnen mögen; zu der Wahlverwandtschaft, die zwischen Pompeius und der Masse der Bürgerschaft und des Senats zu allen Zeiten bestand, hat diese echt optimatische und echt römische Mediokrität nicht am wenigsten beigetragen. Auch in seiner Zeit noch hätte es eine klare und ansehnliche Stellung für ihn gegeben, wofern er damit sich genügen ließ, der Feldherr des Rates zu sein, zu dem er von Haus aus bestimmt war. Es genügte ihm nicht und so geriet er in die verhängnisvolle Lage, etwas anderes sein zu wollen als er sein konnte. Beständig trachtete er nach einer Sonderstellung im Staat und wenn sie sich darbot, konnte er sich nicht entschließen, sie einzunehmen; mit tiefer Erbitterung nahm er es auf, wenn Personen und Gesetze nicht unbedingt vor ihm sich beugten, und doch trat er selbst mit nicht bloß affektierter Bescheidenheit überall auf als einer von vielen Gleichberechtigten und zitterte vor dem bloßen Gedanken, etwas Verfassungswidriges zu beginnen. Also beständig in gründlicher Spannung mit und doch zugleich der gehorsame Diener der Oligarchie, beständig gepeinigt von einem Ehrgeiz, der vor seinem eigenen Ziele erschrickt, verfloß ihm in ewigem innerem Widerspruch freudelos sein vielbewegtes Leben.
Ebensowenig als Pompeius kann Marcus Crassus zu den unbedingten Anhängern der Oligarchie gezählt werden. Er ist eine für diese Epoche höchst charakteristische Figur. Wie Pompeius, dem er im Alter um wenige Jahre voranging, gehörte auch er zu dem Kreise der hohen römischen Aristokratie, hatte die gewöhnliche standesmäßige Erziehung erhalten und gleich Pompeius unter Sulla im Italischen Kriege mit Auszeichnung gefochten. An geistiger Begabung, literarischer Bildung und militärischem Talent weit zurückstehend hinter vielen seinesgleichen, überflügelte er sie durch seine grenzenlose Rührigkeit und durch die Beharrlichkeit, mit der er rang, alles zu besitzen und zu bedeuten. Vor allen Dingen warf er sich in die Spekulation. Güterkäufe während der Revolution begründeten sein Vermögen; aber er verschmähte keinen Erwerbszweig; er betrieb das Baugeschäft in der Hauptstadt ebenso großartig wie vorsichtig; er ging mit seinen Freigelassenen bei den mannigfaltigsten Unternehmungen in Kompagnie; er machte in und außer Rom, selbst oder durch seine Leute den Bankier; er Schoß seinen Kollegen Im Senat Geld vor und unternahm es, für ihre Rechnung wie es fiel Arbeiten auszuführen oder Richterkollegien zu bestechen. Wählerisch im Profitmachen war er eben nicht. Schon bei den Sullanischen Ächtungen war ihm eine Fälschung in den Listen nachgewiesen worden, weshalb Sulla sich von da an in Staatsgeschäften seiner nicht weiter bedient hatte; die Erbschaft nahm er darum nicht weniger, weil die Testamentsurkunde, in der sein Name stand, notorisch gefälscht war; er hatte nichts dagegen, wenn seine Meier die kleinen Anlieger ihres Herrn von ihren Ländereien gewaltsam oder heimlich verdrängten. Übrigens vermied er offene Kollisionen mit der Kriminaljustiz und lebte als echter Geldmann selbst bürgerlich und einfach. Auf diesem Wege ward Crassus binnen wenig Jahren aus einem Mann von gewöhnlichem senatorischen, der Herr eines Vermögens, das nicht lange vor seinem Tode nach Bestreitung ungeheurer außerordentlicher Ausgaben sich noch auf 170 Mill. Sesterzen (13 Mill. Taler) belief: er war der reichste Römer geworden und damit zugleich eine politische Größe. Wenn nach seiner Äußerung niemand sich reich nennen durfte, der nicht aus seinen Zinsen ein Kriegsheer zu unterhalten vermochte, so war, wer dies vermochte, kaum noch ein bloßer Bürger. In der Tat war Crassus‘ Blick auf ein höheres Ziel gerichtet als auf den Besitz der gefülltesten Geldkiste in Rom. Er ließ es sich keine Mühe verdrießen, seine Verbindungen auszudehnen. Jeden Bürger der Hauptstadt wußte er beim Namen zu grüßen. Keinem Bittenden versagte er seinen Beistand vor Gericht. Zwar die Natur hatte nicht viel für ihn als Sprecher getan: seine Rede war trocken, der Vortrag eintönig, er hörte schwer; aber sein zäher Sinn, den keine Langeweile abschreckte wie kein Genuß abzog, überwand die Hindernisse. Nie erschien er unvorbereitet, nie extemporierte er, und so ward er ein allzeit gesuchter und allzeit fertiger Anwalt, dem es keinen Eintrag tat, daß ihm nicht leicht eine Sache zu schlecht war und daß er nicht bloß durch sein Wort, sondern auch durch seine Verbindungen und vorkommenden Falls durch sein Gold auf die Richter einzuwirken verstand. Der halbe Rat war ihm verschuldet; seine Gewohnheit, den Freunden Geld ohne Zinsen auf beliebige Rückforderung vorzuschießen, machte eine Menge einflußreicher Männer von ihm abhängig, um so mehr, da er als echter Geschäftsmann keinen Unterschied unter den Parteien machte, überall Verbindungen unterhielt und bereitwillig jedem borgte, der zahlungsfähig oder sonst brauchbar war. Die verwegensten Parteiführer, die rücksichtslos nach allen Seiten hin ihre Angriffe richteten, hüteten sich, mit Crassus anzubinden; man verglich ihn dem Stier der Herde, den zu reizen für keinen rätlich war. Daß ein so gearteter und so gestellter Mann nicht nach niedrigen Zielen streben konnte, leuchtet ein; und, anders als Pompeius, wußte Crassus genau wie ein Bankier, worauf und womit er politisch spekulierte. Seit Rom stand, war daselbst das Kapital eine politische Macht; die Zeit war von der Art, daß dem Golde wie dem Eisen alles zugänglich schien. Wenn in der Revolutionszeit eine Kapitalistenaristokratie daran hatte denken mögen, die Oligarchie der Geschlechter zu stürzen, so durfte auch ein Mann wie Crassus die Blicke höher erheben als zu den Rutenbündeln und dem gestickten Mantel der Triumphatoren. Augenblicklich war er Sullaner und Anhänger des Senats; allein er war viel zu sehr Finanzmann, um einer bestimmten politischen Partei sich zu eigen zu geben und etwas anderes zu verfolgen als seinen persönlichen Vorteil. Warum sollte Crassus, der reichste und der intriganteste Mann in Rom und kein scharrender Geizhals, sondern ein Spekulant im größten Maßstab, nicht spekulieren auch auf die Krone? Vielleicht vermochte er allein es nicht, dies Ziel zu erreichen; aber er hatte ja schon manches großartige Gesellschaftsgeschäft gemacht: es war nicht unmöglich, daß auch hierfür ein passender Teilnehmer sich darbot. Es gehörte zur Signatur der Zeit, daß ein mittelmäßiger Redner und Offizier, ein Politiker, der seine Rührigkeit für Energie, seine Begehrlichkeit für Ehrgeiz hielt, der im Grunde nichts hatte als ein kolossales Vermögen und das kaufmännische Talent, Verbindungen anzuknüpfen – daß ein solcher Mann, gestützt auf die Allmacht der Koterien und Intrigen, den ersten Feldherren und Staatsmännern der Zeit sich ebenbürtig achten und mit ihnen um den höchsten Preis ringen durfte, der dem politischen Ehrgeiz winkt.
In der eigentlichen Opposition, sowohl unter den liberalen Konservativen als unter den Popuhren, hatten die Stürme der Revolution mit erschreckender Gründlichkeit aufgeräumt. Unter jenen war der einzig übriggebliebene namhafte Mann Gaius Cotta (630 bis ca. 681 124 –73), der Freund und Bundesgenosse des Drusus und deswegen im Jahre 663 (91) verbannt, sodann durch Sullas Krieg zurückgeführt in die Heimat; er war ein kluger Mann und ein tüchtiger Anwalt, aber weder durch das Gewicht seiner Partei noch durch das seiner Persönlichkeit zu mehr berufen als zu einer achtbaren Nebenrolle. In der demokratischen Partei zog unter dem jungen Nachwuchs der vierundzwanzigjährige Gaius Iulius Caesar (geb. 12. Juli 652? 102)2
Schon früher aber als die Demokraten in der Hauptstadt hatten sich in Spanien die demokratischen Emigranten wieder geregt. Die Seele dieser Bewegung war Quintus Sertorius. Dieser vorzügliche Mann, geboren in Nursia im Sabinerland, war von Haus aus zart und selbst weich organisiert – die fast schwärmerische Liebe für seine Mutter Raia zeigt es – und zugleich von der ritterlichsten Tapferkeit, wie die aus dem Kimbrischen, dem Spanischen und dem Italischen Krieg heimgebrachten ehrenvollen Narben bewiesen. Obwohl als Redner gänzlich ungeschult, erregte er durch den natürlichen Fluß und die treffende Sicherheit seiner Rede die Bewunderung der gelernten Sachwalter. Sein ungemeines militärisches und staatsmännisches Talent hatte er namentlich in dem von den Demokraten so über die Maßen elend und kopflos geführten Revolutionskrieg Gelegenheit gefunden in glänzendem Kontrast zu beweisen: anerkanntermaßen war er der einzige demokratische Offizier, der den Krieg vorzubereiten und zu leiten verstand, und der einzige demokratische Staatsmann, der dem gedankenlosen Treiben und Wüten seiner Partei mit staatsmännischer Energie entgegentrat. Seine spanischen Soldaten nannten ihn den neuen Hannibal und nicht bloß deswegen, weil er gleich diesem im Kriege ein Auge eingebüßt hatte. Er erinnert in der Tat an den großen Phöniker durch seine ebenso verschlagene als mutige Kriegführung, sein seltenes Talent, den Krieg durch den Krieg zu organisieren, seine Gewandtheit, fremde Nationen in sein Interesse zu ziehen und seinen Zwecken dienstbar zu machen, seine Besonnenheit im Glück und Unglück, seine erfinderische Raschheit in der Benutzung seiner Siege wie in der Abwendung der Folgen seiner Niederlagen. Man darf zweifeln, ob irgendein römischer Staatsmann der früheren oder der gegenwärtigen Zeit an allseitigem Talent mit Sertorius sich vergleichen läßt. Nachdem Sullas Feldherren ihn gezwungen hatten, aus Spanien zu weichen, hatte er an den spanischen und afrikanischen Küsten ein unstetes Abenteuerleben geführt, bald im Bunde, bald im Kriege mit den auch hier einheimischen kilikischen Piraten und den Häuptlingen der schweifenden Stämme Libyens. Selbst hierhin hatte die siegreiche römische Restauration ihn verfolgt; als er Tingis (Tanger) belagerte, war dem Fürsten der Stadt zu Hilfe aus dem römischen Afrika ein Korps unter Pacciaecus erschienen; aber Pacciaecus ward von Sertorius völlig geschlagen und Tingis genommen. Auf das weithin erschallende Gerücht von solchen Kriegstaten des römischen Flüchtlings sandten die Lusitaner, die trotz ihrer angeblichen Unterwerfung unter die römische Oberhoheit tatsächlich ihre Unabhängigkeit behaupteten und jährlich mit den Statthaltern des Jenseitigen Spaniens fochten, Botschaft an Sertorius nach Afrika, um ihn zu sich einzuladen und ihm das Feldherrnamt über ihre Miliz zu übertragen. Sertorius, der zwanzig Jahre zuvor unter Titus Didius in Spanien gedient hatte und die Hilfsquellen des Landes kannte, beschloß, der Einladung Folge zu leisten, und schiffte mit Zurücklassung eines kleinen Postens an der mauretanischen Küste nach Spanien sich ein (um 674 80). Die Meerenge, die Spanien und Afrika scheidet, war besetzt durch ein römisches, von Cotta geführtes Geschwader; sich durchzuschleichen war nicht möglich; so schlug Sertorius sich durch und gelangte glücklich zu den Lusitanern. Es waren nicht mehr als zwanzig lusitanische Gemeinden, die sich unter seine Befehle stellten, und auch von „Römern“ musterte er nur 2600 Mann, von denen ein guter Teil Übergetretene aus dem Heer des Pacciaecus oder römisch bewaffnete Afrikaner waren. Sertorius erkannte es, daß alles darauf ankam, den losen Guerillaschwärmen einen festen Kern römisch organisierter und disziplinierter Truppen zu geben; er verstärkte zu diesem Ende seine mitgebrachte Schar durch Aushebung von 4000 Fußsoldaten und 700 Reitern und rückte mit dieser einen Legion und den Schwärmen der spanischen Freiwilligen gegen die Römer vor. Den Befehl im jenseitigen Spanien führte Lucius Fufidius, der durch seine unbedingte und bei den Ächtungen erprobte Hingebung an Sulla vom Unteroffizier zum Proprätor aufgerückt war; am Baetis ward dieser völlig geschlagen; 2000 Römer bedeckten die Walstatt. Eilige Boten beriefen den Statthalter der benachbarten Ebroprovinz, Marcus Domitius Calvinus, um dem weiteren Vordringen der Sertorianer ein Ziel zu setzen; bald erschien (675 79) auch der erprobte Feldherr Quintus Metellus, von Sulla gesandt, um den unbrauchbaren Fufidius im südlichen Spanien abzulösen. Aber es gelang doch nicht, des Aufstandes Herr zu werden. In der Ebroprovinz wurde von dem Unterfeldherrn des Sertorius, dem Quästor Lucius Hirtuleius, nicht bloß Calvinus‘ Heer vernichtet und er selbst getötet, sondern auch Lucius Manlius, der Statthalter des jenseitigen Galliens, der seinem Kollegen zu Hilfe mit drei Legionen die Pyrenäen überschritten, von demselben tapferen Führer vollständig geschlagen. Mühsam rettete Manlius sich mit weniger Mannschaft nach Ilerda (Lerida) und von da in seine Provinz, auf welchem Marsch er noch durch einen Überfall der aquitanischen Völkerschaften sein ganzes Gepäck einbüßte. Im Jenseitigen Spanien drang Metellus in das lusitanische Gebiet ein; allein es gelang Sertorius, während der Belagerung von Longobriga (unweit der Tajomündung) eine Abteilung unter Aquinus in einen Hinterhalt zu locken und dadurch Metellus selbst zur Aufhebung der Belagerung und zur Räumung des lusitanischen Gebietes zu zwingen. Sertorius folgte ihm, schlug am Anas (Guadiana) das Korps des Thorius und tat dem feindlichen Oberfeldherrn selbst unsäglichen Abbruch im kleinen Kriege. Metellus, ein methodischer und etwas schwerfälliger Taktiker, war in Verzweiflung über diesen Gegner, der die Entscheidungsschlacht beharrlich verweigerte, aber Zufuhr und Kommunikationen ihm abschnitt und von allen Seiten ihn beständig umschwärmte.
Diese ungemeinen Erfolge, die Sertorius in beiden spanischen Provinzen erfocht, waren im so bedeutsamer, als sie nicht bloß durch die Waffen errungen wurden und nicht bloß militärischer Natur waren. Die Emigrierten als solche waren nicht furchtbar; auch an einzelnen Erfolgen der Lusitaner unter diesem oder jenem fremden Führer war wenig gelegen. Aber mit dem sichersten politischen und patriotischen Takt trat Sertorius, sowie er irgend es vermochte, statt als Condottiere der gegen Rom empörten Lusitaner auf als römischer Feldherr und Statthalter von Spanien, in welcher Eigenschaft er ja von den ehemaligen Machthabern dorthin gesandt worden war. Er fing an4, aus den Häuptern der Emigration einen Senat zu bilden, der bis auf dreihundert Mitglieder steigen und in römischen Formen die Geschäfte leiten und die Beamten ernennen sollte. Er betrachtete sein Heer als ein römisches und besetzte die Offiziersstellen ohne Ausnahme mit Römern. Den Spaniern gegenüber war er der Statthalter, der kraft seines Amtes Mannschaft und sonstige Unterstützung von ihnen einmahnte; aber freilich ein Statthalter, der statt des gewohnten despotischen Regiments bemüht war, die Provinzialen an Rom und an sich persönlich zu fesseln. Sein ritterliches Wesen machte ihm das Eingehen auf die spanische Weise leicht und erweckte bei dem spanischen Adel für den wahlverwandten wunderbaren Fremdling die glühendste Begeisterung; nach der auch hier wie bei den Kelten und den Deutschen bestehenden kriegerischen Sitte der Gefolgschaft schworen Tausende der edelsten Spanier, zu ihrem römischen Feldherrn treu bis zum Tode zu stehen, und Sertorius fand in ihnen zuverlässigere Waffengefährten als in seinen Landsleuten und Parteigenossen. Er verschmähte es nicht, auch den Aberglauben der roheren spanischen Völkerschaften für sich nutzbar zu machen und seine kriegerischen Pläne als Befehle der Diana durch die weiße Hindin der Göttin sich zutragen zu lassen. Durchaus führte er ein gerechtes und gelindes Regiment. Seine Truppen mußten, wenigstens so weit sein Auge und sein Arm reichten, die strengste Mannszucht halten; so mild er im allgemeinen im Strafen war, so unerbittlich erwies er sich bei jedem von seinen Leuten auf befreundetem Gebiet verübten Frevel. Aber auch auf dauernde Erleichterung der Lage der Provinzialen war er bedacht; er setzte die Tribute herab und wies die Soldaten an, sich für den Winter Baracken zu erbauen, wodurch die drückende Last der Einquartierung wegfiel und damit eine Quelle unsäglicher Übelstände und Quälereien verstopft ward. Für die Kinder der vornehmen Spanier ward in Osca (Huesca) eine Akademie errichtet, in der sie den in Rom gewöhnlichen höheren Jugendunterricht empfingen, römisch und griechisch reden und die Toga tragen lernten – eine merkwürdige Maßregel, die keineswegs bloß den Zweck hatte, von den Verbündeten die in Spanien nun einmal unvermeidlichen Geiseln in möglichst schonender Form zu nehmen, sondern vor allem ein Ausfluß und eine Steigerung war des großen Gedankens des Gaius Gracchus und der demokratischen Partei, die Provinzen allmählich zu romanisieren. Hier zuerst wurde der Anfang dazu gemacht, die Romanisierung nicht durch Ausrottung der alten Bewohner und Ersetzung derselben durch italische Emigranten zu bewerkstelligen, sondern die Provinzialen selbst zu romanisieren. Die Optimaten in Rom spotteten über den elenden Emigranten, den Ausreißer aus der italischen Armee, den letzten von der Räuberbande des Carbo; der dürftige Hohn fiel auf sie selber zurück. Man rechnete die Massen, die gegen Sertorius ins Feld geführt worden waren, mit Einschluß des spanischen Landsturms auf 120000 Mann zu Fuß, 2000 Bogenschützen und Schleuderer und 6000 Reiter. Gegen diese ungeheure Übermacht hatte Sertorius nicht bloß sich in einer Kette von glücklichen Gefechten und Siegen behauptet, sondern auch den größten Teil Spaniens in seine Gewalt gebracht. In der jenseitigen Provinz sah sich Metellus beschränkt auf die unmittelbar von seinen Truppen besetzten Gebietsteile; hier hatten alle Völkerschaften, die es konnten, Partei für Sertorius ergriffen. In der diesseitigen gab es nach den Siegen des Hirtuleius kein römisches Heer mehr. Sertorianische Emissäre durchstreiften das ganze gallische Gebiet; schon fingen auch hier die Stämme an, sich zu regen, und zusammengerottete Haufen, die Alpenpässe unsicher zu machen. Die See endlich gehörte ebensosehr den Insurgenten wie der legitimen Regierung, da die Verbündetem jener, die Korsaren, in den spanischen Gewässern fast so mächtig waren wie die römischen Kriegsschiffe. Auf dem Vorgebirge der Diana (jetzt Denia zwischen Valencia und Alicante) richtet Sertorius jenen eine feste Station ein, wo sie teils den römischen Schiffen auflauerten, die den römischen Seestädten und dem Heer ihren Bedarf zuführten, teils den Insurgenten die Waren abnahmen oder lieferten, teils deren Verkehr mit Italien und Kleinasien vermittelten. Daß diese allzeit fertigen Vermittler von der lohenden Brandstätte überall hin die Funken trugen, war in hohem Grade besorgniserregend, zumal in einer Zeit, wo überall im Römischen Reiche so viel Brennstoff aufgehäuft war.
In diese Verhältnisse hinein traf Sullas plötzlicher Tod (676 78). Solange der Mann lebte, auf dessen Stimme ein geübtes und zuverlässiges Veteranenheer jeden Augenblick sich zu erheben bereit war, mochte die Oligarchie den fast, wie es schien, entschiedenen Verlust der spanischen Provinzen an die Emigranten sowie die Wahl des Führers der Opposition daheim zum höchsten Beamten des Reiches allenfalls als vorübergehende Mißgeschicke ertragen und, freilich in ihrer kurzsichtigen Art, aber doch nicht ganz mit Unrecht, darauf sich verlassen, daß entweder die Opposition es nicht wagen werde, zum offenen Kampfe zu schreiten, oder daß, wenn sie es wage, der zweimalige Erretter der Oligarchie dieselbe zum dritten Male herstellen werde. Jetzt war der Stand der Dinge ein anderer geworden. Die demokratischen Heißsporne in der Hauptstadt, längst ungeduldig über das endlose Zögern und angefeuert durch die glänzenden Botschaften aus Spanien, drängten zum Losschlagen, und Lepidus, bei dem augenblicklich die Entscheidung stand, ging mit dem ganzen Eifer des Renegaten und mit der ihm persönlich eigenen Leichtfertigkeit darauf ein. Einen Augenblick schien es, als solle an der Fackel, die den Scheiterhaufen des Regenten anzündete, auch der Bürgerkrieg sich entflammen; indes Pompeius‘ Einfluß und die Stimmung der Sullanischen Veteranen bestimmten die Opposition, das Leichenbegängnis des Regenten noch ruhig vorübergehen zu lassen. Allein nur um so offener traf man sodann die Einleitung zur abermaligen Revolution. Bereits hallte der Markt der Hauptstadt wider von Anklagen gegen den „karikierten Romulus“ und seine Schergen. Noch bevor der Gewaltige die Augen geschlossen hatte, wurden von Lepidus und seinen Anhängern der Umsturz der Sullanischen Verfassung, die Wiederherstellung der Getreideverteilungen, die Wiedereinsetzung der Volkstribune in den vorigen Stand, die Zurückführung der gesetzwidrig Verbannten, die Rückgabe der konfiszierten Ländereien offen als das Ziel der Agitation bezeichnet. Jetzt wurden mit den Geächteten Verbindungen angeknüpft; Marcus Perpenna, in der cinnanischen Zeit Statthalter von Sizilien, fand sich ein in der Hauptstadt. Die Söhne der Sullanischen Hochverräter, auf denen die Restaurationsgesetze mit unerträglichem Drucke lasteten, und überhaupt die namhafteren marianisch gesinnten Männer wurden zum Beitritt aufgefordert; nicht wenige, wie der junge Lucius Cinna, schlossen sich an; andere freilich folgten dem Beispiele Gaius Caesars, der zwar auf die Nachricht von Sullas Tode und Lepidus‘ Plänen aus Asien heimgekehrt war, aber nachdem er den Charakter des Führers und der Bewegung genauer kennengelernt hatte, vorsichtig sich zurückzog. In der Hauptstadt ward auf Lepidus‘ Rechnung in den Weinhäusern und den Bordellen gezecht und geworben. Unter den etruskischen Mißvergnügten endlich ward eine Verschwörung gegen die neue Ordnung der Dinge angezettelt5.
Alles dies geschah unter den Augen der Regierung. Der Konsul Catulus sowie die verständigeren Optimaten drangen darauf, sofort entschieden einzuschreiten und den Aufstand im Keime zu ersticken; allein die schlaffe Majorität konnte sich nicht entschließen, den Kampf zu beginnen, sondern versuchte so lange wie möglich, durch ein System von Transaktionen und Konzessionen sich selber zu täuschen. Lepidus ging zunächst auf dasselbe auch seinerseits ein. Das Ansinnen, die Zurückgabe der den Volkstribunen entzogenen Befugnisse zu beantragen, wies er nicht minder ab wie sein Kollege Catulus. Dagegen wurde die Gracchische Kornverteilung in beschränktem Umfang wiederhergestellt. Es scheinen danach nicht wie nach dem Sempronischen Gesetz alle, sondern nur eine bestimmte Anzahl – vermutlich 40000 – ärmere Bürger die früheren Spenden, wie sie Gracchus bestimmt hatte, fünf Scheffel monatlich für den Preis von 6 1/3 Assen (2¾ Groschen) empfangen zu haben – eine Bestimmung, aus der dem Ärar ein jährlicher Nettoverlust von mindestens 300000 Talern erwuchs6
Über Lepidus also hafte die Oligarchie gesiegt; dagegen sah sie sich durch die gefährliche Wendung des Sertorianischen Krieges zu Zugeständnissen genötigt, die den Buchstaben wie den Geist der Sullanischen Verfassung verletzten. Es war schlechterdings notwendig, ein starkes Heer und einen fähigen Feldherrn nach Spanien zu senden; und Pompeius gab sehr deutlich zu verstehen, daß er diesen Auftrag wünsche oder vielmehr fordere. Die Zumutung war stark. Es war schon übel genug, daß man diesen geheimen Gegner in dem Drange der Lepidianischen Revolution wieder zu einem außerordentlichen Kommando hatte gelangen lassen; aber noch viel bedenklicher war es, mit Beseitigung aller von Sulla aufgestellten Regeln der Beamtenhierarchie einem Manne, der noch kein bürgerliches Amt bekleidet hatte, eine der wichtigsten ordentlichen Provinzialstatthalterschaften in einer Art zu übertragen, wobei an Einhaltung der gesetzlichen Jahresfrist nicht zu denken war. Die Oligarchie hatte somit, auch abgesehen von der ihrem Feldherrn Metellus schuldigen Rücksicht, wohl Ursache, diesem neuen Versuch des ehrgeizigen Jünglings, seine Sonderstellung zu verewigen, allen Ernstes sich zu widersetzen; allein leicht war dies nicht. Zunächst fehlte es ihr durchaus an einem für den schwierigen spanischen Feldherrnposten geeigneten Mann. Keiner der Konsuln des Jahres bezeigte Lust, sich mit Sertorius zu messen, und man mußte es hinnehmen, was Lucius Philippus in voller Ratsversammlung sagte, daß unter den sämtlichen namhaften Senatoren nicht einer fähig und willig sei, in einem ernsthaften Kriege zu kommandieren. Vielleicht hätte man dennoch hierüber sich hinweggesetzt und nach Oligarchenart, da man keinen fähigen Kandidaten hatte, die Stelle mit irgendeinem Lückenbüßer ausgefüllt, wenn Pompeius den Befehl bloß gewünscht und nicht ihn an der Spitze einer Armee gefordert hätte. Catulus‘ Weisungen, das Heer zu entlassen, hatte er bereits überhört; es war mindestens zweifelhaft, ob die des Senats eine bessere Aufnahme finden würden, und die Folgen eines Bruchs konnte niemand berechnen – gar leicht konnte die Schale der Aristokratie emporschnellen, wenn in die entgegengesetzte das Schwert eines bekannten Generals fiel. So entschloß sich die Majorität zur Nachgiebigkeit. Nicht vom Volke, das hier, wo es um die Bekleidung eines Privatmannes mit der höchsten Amtsgewalt sich handelte, verfassungsmäßig hätte befragt werden müssen, sondern vom Senate empfing Pompeius die prokonsularische Gewalt und den Oberbefehl im diesseitigen Spanien und ging vierzig Tage nach dessen Empfang, im Sommer 677 (77), über die Alpen.
Zunächst fand der neue Feldherr im Keltenland zu tun, wo zwar eine förmliche Insurrektion nicht ausgebrochen, aber doch an mehreren Orten die Ruhe ernstlich gestört worden war; infolgedessen Pompeius den Kantons der Volker-Arekomiker und der Helvier ihre Selbständigkeit entzog und sie unter Massalia legte. Auch ward von ihm durch Anlegung einer neuen Alpenstraße über den Kottischen Berg (Mont Genèvre; 2, 105) eine kürzere Verbindung zwischen dem Potal und dem Keltenlande hergestellt. über dieser Arbeit verfloß die gute Jahreszeit: erst spät im Herbst überschritt Pompeius die Pyrenäen.
Sertorius hatte inzwischen nicht gefeiert. Er hatte Hirtuleius in die jenseitige Provinz entsandt, um Metellus in Schach zu halten, und war selbst bemüht, seinen vollständigen Sieg in der diesseitigen zu verfolgen und sich auf Pompeius‘ Empfang vorzubereiten. Die einzelnen keltiberischen Städte, die hier noch zu Rom hielten, wurden angegriffen und eine nach der andern bezwungen; zuletzt, schon mitten im Winter, war das feste Contrebia (südöstlich von Saragossa) gefallen. Vergeblich hatten die bedrängten Städte Boten über Boten an Pompeius gesandt: er ließ sich durch keine Bitten aus seinem gewohnten Geleise langsamen Vorschreitens bringen. Mit Ausnahme der Seestädte, die durch die römische Flotte verteidigt wurden, und der Distrikte der Indigeten und Laletaner im nordöstlichen Winkel Spaniens, wo Pompeius, als er endlich die Pyrenäen überschritten, sich festsetzte und seine ungeübten Truppen, um sie an die Strapazen zu gewöhnen, den Winter hindurch biwakieren ließ, war am Ende des Jahres 677 (77) das ganze diesseitige Spanien durch Vertrag oder Gewalt von Sertorius abhängig geworden, und die Landschaft am oberen und mittleren Ebro blieb seitdem die festeste Stütze seiner Macht. Selbst die Besorgnis, die das frische römische Heer und der gefeierte Name des Feldherrn in der Insurgentenarmee hervorrief, hatte für dieselbe heilsame Folgen. Marcus Perpenna, der bis dahin als Sertorius im Range gleich auf ein selbständiges Kommando über die von ihm aus Ligurien mitgebrachte Mannschaft Anspruch gemacht hatte, wurde auf die Nachricht von Pompeius‘ Eintreffen in Spanien von seinen Soldaten genötigt, sich unter die Befehle seines fähigeren Kollegen zu stellen.
Für den Feldzug des Jahres 678 (76) verwandte Sertorius gegen Metellus wieder das Korps das Hirtuleius, während Perpenna mit einem starken Heer am unteren Laufe des Ebro sich aufstellte, um Pompeius den Übergang über diesen Fluß zu wehren, wenn er, wie zu erwarten war, in der Absicht, Metellus die Hand zu reichen, in südlicher Richtung und, der Verpflegung seiner Truppen wegen, an der Küste entlang marschieren würde. Zu Perpennas Unterstützung war zunächst das Korps des Gaius Herennius bestimmt; weiter landeinwärts, am oberen Ebro, holte Sertorius selbst die Unterwerfung einzelner, römisch gesinnter Distrikte nach und hielt zugleich sich dort bereit, nach den Umständen Perpenna oder Hirtuleius zu Hilfe zu eilen. Auch diesmal war seine Absicht darauf gerichtet, jeder Hauptschlacht auszuweichen und den Feind durch kleine Kämpfe und Abschneiden der Zufuhr aufzureiben. Indes Pompeius erzwang gegen Perpenna den Übergang über den Ebro und nahm Stellung am Fluß Pallantia bei Saguntum, unweit des Vorgebirgs der Diana, von wo aus, wie schon gesagt ward, die Sertorianer ihre Verbindungen mit Italien und dem Osten unterhielten. Es war Zeit, daß Sertorius selber erschien und die Überlegenheit seiner Truppenzahl und seines Genies gegen die größere Tüchtigkeit der Soldaten seines Gegners in die Waagschale warf. Um die Stadt Lauro (am Xucar südlich von Valencia), die sich für Pompeius erklärt hatte und deshalb von Sertorius belagert ward, konzentrierte der Kampf sich längere Zeit. Pompeius strengte sich aufs äußerste an, sie zu entsetzen; allein nachdem vorher ihm mehrere Abteilungen einzeln überfallen und zusammengehauen worden waren, sah sich der große Kriegsmann, ebenda er die Sertorianer umzingelt zu haben meinte und schon die Belagerten eingeladen hatte, dem Abfangen der Belagerungsarmee zuzuschauen, plötzlich vollständig ausmanövriert und mußte, um nicht selber umzingelt zu werden, die Einnahme und Einäscherung der verbündeten Stadt und die Abführung der Einwohner nach Lusitanien von seinem Lager aus ansehen – ein Ereignis, das eine Reihe schwankend gewordener Städte im mittleren und östlichen Spanien wieder an Sertorius festzuhalten bestimmte. Glücklicher focht inzwischen Metellus. In einem heftigen Treffen bei Italica (unweit Sevilla), das Hirtuleius unvorsichtig gewagt hatte und in dem beide Feldherrn persönlich ins Handgemenge kamen, Hirtuleius auch verwundet ward, schlug er diesen und zwang ihn, das eigentliche römische Gebiet zu räumen und sich nach Lusitanien zu werfen. Dieser Sieg gestattete Metellus, sich mit Pompeius zu vereinigen. Die Winterquartiere 678/79 (76/75) nahmen beide Feldherren an den Pyrenäen. Für den nächsten Feldzug 679 (75), beschlossen sie, den Feind in seiner Stellung bei Valentia gemeinschaftlich anzugreifen. Aber während Metellus heranzog, bot Pompeius, um die Scharte von Lauro auszuwetzen und die gehofften Lorbeeren womöglich allein zu gewinnen, vorher dem feindlichen Hauptheer die Schlacht an. Mit Freuden ergriff Sertorius die Gelegenheit, mit Pompeius zu schlagen, bevor Metellus eintraf. Am Flusse Sucro (Xucar) trafen die Heere aufeinander; nach heftigem Gefecht ward Pompeius auf dem rechten Flügel geschlagen und selbst schwer verwundet vom Schlachtfelde weggetragen. Zwar siegte Afranius mit dem linken und nahm das Lager der Sertorianer, allein während der Plünderung von Sertorius überrascht, ward auch er gezwungen zu weichen. Hätte Sertorius am folgenden Tage die Schlacht zu erneuern vermocht, Pompeius‘ Heer wäre vielleicht vernichtet worden. Allein inzwischen war Metellus herangekommen, hatte das gegen ihn aufgestellte Korps des Perpenna niedergerannt und dessen Lager genommen; es war nicht möglich, die Schlacht gegen die beiden vereinigten Heere wiederaufzunehmen. Die Erfolge des Metellus, die Vereinigung der feindlichen Streitkräfte, das plötzliche Stocken nach dem Sieg verbreiteten Schrecken unter den Sertorianern, und wie es bei spanischen Heeren nicht selten vorkam, verlief infolge dieses Umschwungs der Dinge sich der größte Teil der sertorianischen Soldaten. Indes die Entmutigung verflog so rasch wie sie gekommen war; die weiße Hindin, die die militärischen Pläne des Feldherrn bei der Menge vertrat, war bald wieder populärer als je; in kurzer Zeit trat in der gleichen Gegend, südlich von Saguntum (Murviedro), das fest an Rom hielt, Sertorius mit einer neuen Armee den Römern entgegen, während die sertorianischen Kaper den Römern die Zufuhr von der Seeseite erschwerten und bereits im römischen Lager der Mangel sich bemerklich machte. Es kam abermals zur Schlacht in den Ebenen des Turiaflusses (Guadalaviar), und lange schwankte der Kampf. Pompeius mit der Reiterei ward von Sertorius geschlagen und sein Schwager und Quästor, der tapfere Lucius Memmius, getötet; dagegen überwand Metellus den Perpenna und schlug den gegen ihn gerichteten Angriff der feindlichen Hauptarmee siegreich zurück, wobei er selbst im Handgemenge eine Wunde empfing. Abermals zerstreute sich hierauf das Sertorianische Heer. Valentia, das Gaius Herennius für Sertorius besetzt hielt, ward eingenommen und geschleift. Römischerseits mochte man einen Augenblick der Hoffnung sich hingeben mit dem zähen Gegner fertig zu sein. Die Sertorianische Armee war verschwunden; die römischen Truppen, tief in das Binnenland eingedrungen, belagerten den Feldherrn selbst in der Festung Clunia am oberen Duero. Allein während sie vergeblich diese Felsenburg umstanden, sammelten sich anderswo die Kontingente der insurgierten Gemeinden; Sertorius entschlüpfte aus der Festung und stand noch vor Ablauf des Jahres wieder als Feldherr an der Spitze einer Armee. Wieder mußten die römischen Feldherrn mit der trostlosen Aussicht auf die unausbleibliche Erneuerung der sisypheischen Kriegsarbeit die Winterquartiere beziehen. Es war nicht einmal möglich, sie in dem wegen der Kommunikation mit Italien und dem Osten so wichtigen, aber von Freund und Feind entsetzlich verheerten Gebiet von Valentia zu nehmen; Pompeius führte seine Truppen zunächst in das Gebiet der Vasconen8 (Biscaya) und überwinterte dann in dem der Vaccäer (um Valladolid), Metellus gar in Gallien.
Fünf Jahre währte also der Sertorianische Krieg und noch war weder hüben noch drüben ein Ende abzusehen. Unbeschreiblich litt unter demselben der Staat. Eine Blüte der italischen Jugend ging in den aufreibenden Strapazen dieser Feldzüge zugrunde. Die öffentlichen Kassen entbehrten nicht bloß die spanischen Einnahmen, sondern hatten auch für die Besoldung und Verpflegung der spanischen Heere jährlich sehr ansehnliche Summen nach Spanien zu senden, die man kaum aufzubringen wußte. Daß Spanien verödete und verarmte und die so schön daselbst sich entfaltende römische Zivilisation einen schweren Stoß erhielt, versteht sich von selbst, zumal bei einem so erbittert geführten und nur zu oft die Vernichtung ganzer Gemeinden veranlassenden Insurrektionskrieg. Selbst die Städte, die zu der in Rom herrschenden Partei hielten, hatten unsägliche Not zu erdulden; die an der Küste gelegenen mußten durch die römische Flotte mit dem Notwendigen versehen werden, und die Lage der treuen binnenländischen Gemeinden war beinahe verzweifelt. Fast nicht weniger litt die gallische Landschaft, teils durch die Requisitionen an Zuzug zu Fuß und zu Pferde, an Getreide und Geld, teils durch die drückende Last der Winterquartiere, die infolge der Mißernte 680 (74) sich ins unerträgliche steigerte; fast alle Gemeindekassen waren genötigt, zu den römischen Bankiers ihre Zuflucht zu nehmen und eine erdrückende Schuldenlast sich aufzubürden. Feldherren und Soldaten führten den Krieg mit Widerwillen. Die Feldherren waren getroffen auf einen an Talent weit überlegenen Gegner, auf einen langweilig zähen Widerstand, auf einen Krieg sehr ernsthafter Gefahren und schwer erfochtener, wenig glänzender Erfolge; es ward behauptet, daß Pompeius damit umgehe, sich aus Spanien abberufen und irgend anderswo ein erwünschteres Kommando sich übertragen zu lassen. Die Soldaten waren gleichfalls wenig erbaut von einem Feldzug, in dem es nicht allein weiter nichts zu holen gab als harte Schläge und wertlose Beute, sondern auch ihr Sold ihnen höchst unregelmäßig gezahlt ward; Pompeius berichtete Ende 679 (75) an den Senat, daß seit zwei Jahren der Sold im Rückstand sei und das Heer sich aufzulösen drohe. Einen ansehnlichen Teil dieser Übelstände hätte die römische Regierung allerdings zu beseitigen vermocht, wenn sie es über sich hätte gewinnen können, den Spanischen Krieg mit minderer Schlaffheit, um nicht zu sagen mit besserem Willen zu führen. In der Hauptsache aber war es weder ihre Schuld noch die Schuld der Feldherren, daß ein so überlegenes Genie, wie Sertorius war, auf einem für den Insurrektions- und Korsarenkrieg so überaus günstigen Boden aller numerischen und militärischen Überlegenheit zum Trotz den kleinen Krieg Jahre und Jahre fortzuführen vermochte. Ein Ende war hier so wenig abzusehen, daß vielmehr die Sertorianische Insurrektion sich mit andern gleichzeitigen Aufständen verschlingen und dadurch ihre Gefährlichkeit steigern zu wollen schien. Ebendamals ward auf allen Meeren mit den Flibustierflotten, ward in Italien mit den aufständischen Sklaven, in Makedonien mit den Völkerschaften an der unteren Donau gefochten, und entschloß sich im Osten König Mithradates, mitbestimmt durch die Erfolge der spanischen Insurrektion, das Glück der Waffen noch einmal zu versuchen. Daß Sertorius mit den italischen und makedonischen Feinden Roms Verbindungen angeknüpft hat, läßt sich nicht bestimmt erweisen, obwohl er allerdings mit den Marianern in Italien in beständigem Verkehr stand; mit den Piraten dagegen hatte er schon früher offenes Bündnis gemacht, und mit dem pontischen König, mit welchem er längst durch Vermittlung der an dessen Hof verweilenden römischen Emigranten Einverständnisse unterhalten hatte, schloß er jetzt einen förmlichen Allianztraktat, in dem Sertorius dem König die kleinasiatischen Klientelstaaten, nicht aber die römische Provinz Asia abtrat, überdies ihm einen zum Führer seiner Truppen geeigneten Offizier und eine Anzahl Soldaten zu senden versprach, der König dagegen ihm 40 Schiffe und 3000 Talente (4½ Mill. Taler) zu überweisen sich anheischig machte. Schon erinnerten die klugen Politiker in der Hauptstadt an die Zeit, als Italien sich durch Philippos und durch Hannibal von Osten und von Westen aus bedroht sah; der neue Hannibal, meinte man, könne, nachdem er, wie sein Vorfahr, Spanien durch sich selbst bezwungen, eben wie dieser mit den Steilkräften Spaniens in Italien gar leicht früher als Pompeius eintreffen, um, wie einst der Phöniker, die Etrusker und Samniten gegen Rom unter die Waffen zu rufen.
Indes dieser Vergleich war doch mehr witzig als richtig. Sertorius war bei weitem nicht stark genug, um das Riesenunternehmen Hannibals zu erneuern; er war verloren, wenn er Spanien verließ, an dessen Landes- und Volkseigentümlichkeit all seine Erfolge hingen, und auch hier mehr und mehr genötigt, der Offensive zu entsagen. Sein bewundernswertes Führergeschick konnte die Beschaffenheit seiner Truppen nicht ändern; der spanische Landsturm blieb, was er war, unzuverlässig wie die Welle und der Wind, bald in Massen bis zu 150000 Köpfen versammelt, bald wieder auf eine Handvoll Leute zusammengeschmolzen; in gleicher Weise blieben die römischen Emigranten unbotmäßig, hoffärtig und eigensinnig. Die Waffengattungen, die längeres Zusammenhalten der Korps erfordern, wie namentlich die Reiterei, waren natürlich in seinem Heer sehr ungenügend vertreten. Seine fähigsten Offiziere und den Kern seiner Veteranen rieb der Krieg allmählich auf, und auch die zuverlässigsten Gemeinden fingen an, der Plackerei durch die Römer und der Mißhandlung durch die Sertorianischen Offiziere müde zu werden und Zeichen der Ungeduld und der schwankenden Treue zu geben. Es ist bemerkenswert, daß Sertorius, auch darin Hannibal gleich, niemals über die Hoffnungslosigkeit seiner Stellung sich getäuscht hat; er ließ keine Gegenheil vorübergehen, um einen Vergleich herbeizuführen und wäre jeden Augenblick bereit gewesen, gegen die Zusicherung, in seiner Heimat friedlich leben zu dürfen, seinen Kommandostab niederzulegen. Allein die politische Orthodoxie weiß nichts von Vergleich und Versöhnung. Sertorius durfte nicht rückwärts noch seitwärts; unvermeidlich mußte er weiter auf der einmal betretenen Bahn, wie sie auch schmaler und schwindelnder ward.
Pompeius‘ Vorstellungen in Rom, denen Mithradates‘ Auftreten im Osten Nachdruck gab, hatten Erfolg. Er erhielt vom Senat die nötigen Gelder zugesandt und Verstärkung durch zwei frische Legionen. So gingen die beiden Feldherren im Frühjahr 680 (74) wieder an die Arbeit und überschritten aufs neue den Ebro. Das östliche Spanien war infolge der Schlachten am Xucar und Guadalaviar den Sertorianern entrissen; der Kampf konzentrierte sich fortan am oberen und mittleren Ebro um die Hauptwaffenplätze der Sertorianer Calagurris, Osca, Ilerda. Wie Metellus in den früheren Feldzügen das Beste getan hatte, so gewann er auch diesmal die wichtigsten Erfolge. Sein alter Gegner Hirtuleius, der ihm wieder entgegentrat, ward vollständig geschlagen und fiel selbst mit seinem Bruder – ein unersetzlicher Verlust für die Sertorianer. Sertorius, den die Unglücksbotschaft erreichte, als er selbst im Begriff war, die ihm gegenüberstehenden Feinde anzugreifen, stieß den Boten nieder, damit die Nachricht die Seinigen nicht entmutigte; aber lange war die Kunde nicht zu verbergen. Eine Stadt nach der andern ergab sich. Metellus besetzte die keltiberischen Städte Segobriga (zwischen Toledo und Cuenca) und Bilbilis (bei Calatayud). Pompeius belagerte Pallantia (Palencia oberhalb Valladolid), das aber Sertorius entsetzte und den Pompeius nötigte, sich auf Metellus zurückzuziehen; vor Calagurris (Calahorra am oberen Ebro), wohin Sertorius sich geworfen, erlitten sie beide empfindliche Verluste. Dennoch konnten sie, als sie in die Winterquartiere gingen, Pompeius nach Gallien, Metellus in seine eigene Provinz, auf beträchtliche Erfolge zurücksehen; ein großer Teil der Insurgenten hatte sich gefügt oder war mit den Waffen bezwungen worden.
In ähnlicher Weise verlief der Feldzug des folgenden Jahres (681 78); in diesem war es vor allem Pompeius, der langsam, aber stetig das Gebiet der Insurrektion einschränkte.
Der Rückschlag des Niedergangs ihrer Waffen auf die Stimmung im Insurgentenlager blieb nicht aus. Wie Hannibals wurden auch Sertorius‘ kriegerische Erfolge notwendig immer geringer; man fing an, sein militärisches Talent in Zweifel zu ziehen; er sei nicht mehr der alte, hieß es, er verbringe der Tag beim Schmaus oder beim Becher und verschleudere die Gelder wie die Stunden. Die Zahl der Ausreißer, der abfallenden Gemeinden mehrte sich. Bald kamen Pläne der römischen Emigranten gegen das Leben des Feldherrn bei diesem zur Anzeige; sie klangen glaublich genug, zumal da so manche Offiziere der Insurgentenarmee, namentlich Perpenna, nur widerwillig sich unter den Oberbefehl des Sertorius gefügt hatten und seit langem von den römischen Statthaltern dem Mörder des feindlichen Oberfeldherrn Amnestie und ein hohes Blutgeld ausgelobt war. Sertorius entzog auf jene Inzichten hin die Hut seiner Person den römischen Soldaten und gab sie erlesenen Spaniern. Gegen die Verdächtigen selbst schritt er mit furchtbarer, aber notwendiger Strenge ein und verurteilte, ohne wie sonst Ratmänner zuzuziehen, verschiedene Angeschuldigte zum Tode; den Freunden, hieß es darauf in den Kreisen der Mißvergnügten, sei er jetzt gefährlicher als den Feinden. Bald ward eine zweite Verschwörung entdeckt, die ihren Sitz in seinem eigenen Stabe hatte; wer zur Anzeige gebracht ward, mußte flüchtig werden oder sterben, aber nicht alle wurden verraten und die übrigen Verschworenen, unter ihnen vor allem Perpenna, fanden hierin nur einen Antrieb, sich zu eilen. Man befand sich im Hauptquartier zu Osca. Hier ward auf Perpennas Veranstaltung dem Feldherrn ein glänzender Sieg berichtet, den seine Truppen erfochten hätten; und bei der zur Feier dieses Sieges von Perpenna veranstalteten festlichen Mahlzeit erschien denn auch Sertorius, begleitet, wie er pflegte, von seinem spanischen Gefolge. Gegen den sonstigen Brauch im Sertorianischen Hauptquartier ward das Fest bald zum Bacchanal; wüste Reden flogen über den Tisch, und es schien, als wenn einige der Gäste Gelegenheit suchten, einen Wortwechsel zu beginnen; Sertorius warf sich auf seinem Lager zurück und schien den Lärm überhören zu wollen. Da klirrte eine Trinkschale auf den Boden: Perpenna gab das verabredete Zeichen. Marcus Antonius, Sertorius‘ Nachbar bei Tische, führte den ersten Streich gegen ihn, und da der Getroffene sich umwandte und sich aufzurichten versuchte, stürzte der Mörder sich über ihn und hielt ihn nieder, bis die übrigen Tischgäste, sämtlich Teilnehmer der Verschwörung, sich auf die Ringenden warfen und den wehrlosen, an beiden Armen festgehaltenen Feldherrn erstachen (682 72). Mit ihm starben seine treuen Begleiter. So endigte einer der größten, wo nicht der größte Mann, den Rom bisher hervorgebracht, ein Mann, der unter glücklicheren Umständen vielleicht der Regenerator seines Vaterlandes geworden sein würde, durch den Verrat der elenden Emigrantenbande, die er gegen die Heimat zu führen verdammt war. Die Geschichte liebt die Coriolane nicht; auch mit diesem hochherzigsten, genialsten, bedauernswertesten unter allen hat sie keine Ausnahme gemacht.
Die Erbschaft des Gemordeten dachten die Mörder zu tun. Nach Sertorius‘ Tode machte Perpenna als der höchste unter den römischen Offizieren der spanischen Armee Ansprüche auf den Oberbefehl. Man fügte sich, aber mißtrauend und widerstrebend. Wie man auch gegen Sertorius bei seinen Lebzeiten gemurrt hatte, der Tod setzte den Helden wieder in sein Recht ein, und gewaltig brauste der Unwille der Soldaten auf, als bei der Publikation seines Testaments unter den Namen der Erben auch der des Perpenna verlesen ward. Ein Teil der Soldaten, namentlich die lusitanischen, verliefen sich; die zurückgebliebenen beschlich die Ahnung, daß mit Sertorius‘ Tode der Geist und das Glück von ihnen gewichen sei. Bei der ersten Begegnung mit Pompeius wurden denn auch die elend geführten und mutlosen Insurgentenhaufen vollständig zersprengt und unter anderen Offizieren auch Perpenna gefangen eingebracht. Durch die Auslieferung der Korrespondenz des Sertorius, die zahlreiche angesehene Männer in Italien kompromittiert haben würde, suchte der Elende sich das Leben zu erkaufen; indes Pompeius befahl, die Papiere ungelesen zu verbrennen und überantwortete ihn sowie die übrigen Insurgentenchefs dem Scharfrichter. Die entkommenen Emigranten verliefen sich und gingen größtenteils in die mauretanischen Wüsten oder zu den Piraten. Einem Teil derselben eröffnete bald darauf das Plotische Gesetz, das namentlich der junge Caesar eifrig unterstützte, die Rückkehr in die Heimat; diejenigen aber, die von ihnen an dem Morde des Sertorius teilgenommen hatten, starben, mit Ausnahme eines einzigen, sämtlich eines gewaltsamen Todes. Osca und überhaupt die meisten Städte, die im Diesseitigen Spanien noch zu Sertorius gehalten hatten, öffneten dem Pompeius jetzt freiwillig ihre Tore; nur Uxama (Osma), Clunia und Calagurris mußten mit den Waffen bezwungen werden. Die beiden Provinzen wurden neu geordnet; in der jenseitigen erhöhte Metellus den schuldigsten Gemeinden die Jahrestribute; in der diesseitigen schaltete Pompeius belohnend und bestrafend, wie zum Beispiel Calagurris seine Selbständigkeit verlor und unter Osca gelegt ward. Einen Haufen Sertorianischer Soldaten, der in den Pyrenäen sich zusammengefunden hatte, bewog Pompeius zur Unterwerfung und siedelte ihn nordwärts der Pyrenäen bei Lugudunum (St. Bertrand im Departement Haute-Garonne) als die Gemeinde der „Zusammengelaufenen“ (convenae) an. Auf der Paßhöhe der Pyrenäen wurden die römischen Siegeszeichen errichtet; am Ende des Jahres 683 (71) zogen Metellus und Pompeius mit ihren Heeren durch die Straßen der Hauptstadt, um den Dank der Nation für die Besiegung der Spanier dem Vater Jovis auf dem Kapitol darzubringen. Noch über das Grab hinaus schien Sullas Glück mit seiner Schöpfung zu sein und dieselbe besser zu schirmen als die zu ihrer Hut bestellten unfähigen und schlaffen Wächter. Die italische Opposition hatte durch die Unfähigkeit und Vorschnelligkeit ihres Führers, die Emigration durch inneren Zwist sich selber gesprengt. Diese Niederlagen, obwohl weit mehr das Werk ihrer eigenen Verkehrtheit und Zerfahrenheit als der Anstrengungen ihrer Gegner, waren doch ebensoviele Siege der Oligarchie. Noch einmal waren die kurulischen Stühle befestigt.
- Ein bezeichnender Zug ist es, daß ein angesehener Literaturlehrer, der Freigelassene Staberius Eros, die Kinder der Geächteten unentgeltlich an seinem Kursus teilnehmen ließ.
- Als Caesars Geburtsjahr pflegt man das Jahr 654 (100) anzusetzen, weil er nach Sueton (Caes. 88), Plutarch (Caes. 69) und Appian (civ. 2 149) bei seinem Tode (15. März 710 44) im 56. Jahre stand; womit auch die Angabe, daß er zur Zeit der Sullanischen Proskription (672 82) achtzehn Jahre alt gewesen (Vell. 2, 41), ungefähr übereinstimmt. Aber in unauflöslichem Widerspruch damit steht es, daß Caesar im Jahre 689 (65) die Ädilität, 692 (62) die Prätur, 695 (59) das Konsulat bekleidet hat und jene Ämter nach den Annalgesetzen frühestens resp. im 37/38., 40/41. und 43/44. Lebensjahr bekleidet werden durften. Es ist nicht abzusehen, wie Caesar sämtliche kurulischen Ämter zwei Jahre vor der gesetzlichen Zeit bekleidet haben, noch weniger, daß hiervon nirgends Erwähnung geschehen sein sollte. Vielmehr legen diese Tatsachen die Vermutung nahe, daß er, da sein Geburtstag unbezweifelt auf den 12. Juli fiel, nicht 654 (100), sondern 652 (102) geboren ist, also im Jahre 672 (82) im 20/21. Lebensjahre stand und nicht im 56., sondern 57 Jahre 8 Monate alt starb. Für diesen letzteren Ansatz läßt sich ferner geltend machen, was man auffallenderweise dagegen angeführt hat, daß Caesar „paene puer“ von Marius und Cinna zum Flamen des Jupiter bestellt wurde (Vell. 2, 43); denn Marius starb im Januar 668 (86), wo Caesar nach dem gewöhnlichen Ansatz dreizehn Jahre und sechs Monate alt, also nicht „beinahe“, wie Velleius sagt, sondern wirklich noch Knabe und aus diesem Grunde eines solchen Priestertums kaum fähig war. War er dagegen im Juli 652 (102) geboren, so stand er bei dem Tode des Marius im sechzehnten Lebensjahr; und dazu stimmt die Bezeichnung bei Velleius wie die allgemeine Regel, daß bürgerliche Stellungen nicht vor Ablauf des Knabenalters übernommen werden. Zu diesem letzteren Ansatz paßt es ferner allein, daß die um den Ausbruch des Bürgerkrieges von Caesar geschlagenen Denare mit der Zahl LII, wahrscheinlich dem Lebensjahr, bezeichnet sind; denn als er begann, war Caesar hiernach etwas über 52 Jahre alt. Auch ist es nicht so verwegen, wie es uns an regelmäßige und amtliche Geburtslisten Gewöhnten erscheint, in dieser Hinsicht unsere Gewährsmänner eines Irrtum zu zeihen. Jene vier Angaben können sehr wohl alle auf eine gemeinschaftliche Quelle zurückgehen und dürfen überhaupt, da für die ältere Zeit vor dem Beginn der acta diurna die Angaben über die Geburtsjahre auch der bekanntesten und höchstgestellten Römer, zum Beispiel über das des Pompeius, in der auffallendsten Weise schwanken, auf keine sehr hohe Glaubwürdigkeit Anspruch machen. Vgl. Römisches Staatsrecht, Bd. 1, S. 570.
- In dem ‚Leben Caesars‘ von Napoleon III. (Bd. 2, Kap. 1) ist hiergegen eingewandt worden, teils daß das Annalgesetz für Caesars Geburtsjahr nicht auf 652 (102), sondern 651 (103) führen würde, teils besonders, daß auch sonst Fälle bekannt sind, wo dasselbe nicht befolgt worden ist. Allein die erste Behauptung beruht auf einem Versehen; denn wie Ciceros Beispiel zeigt, forderte das Annalgesetz nur, daß bei Antritt des Amtes das 43. Lebensjahr begonnen, nicht daß es zurückgelegt sei. Die behaupteten Ausnahmen aber von der Regel treffen sämtlich nicht zu. Wenn Tacitus (ann. 11, 22) sagt, daß man ehemals bei der Vergebung der Ämter gar keine Rücksicht auf das Alter genommen und Konsulat und Diktatur an ganz junge Leute übertragen habe, so hat er natürlich, wie auch alle Erklärer anerkennen, dabei die ältere Zeit im Sinne, vor Erlaß der Annalgesetze, das Konsulat des dreiundzwanzigjährigen M. Valerius Corvus und ähnliche Fälle. Daß Lucullus das höchste Amt vor dem gesetzlichen Alter empfing, ist falsch; es wird nur berichtet (Cic. ac. 2. 1, 1), daß auf Grund einer uns nicht näher bekannten Ausnahmeklausel zur Belohnung für irgendwelche von ihm verrichtete Tat er von dem gesetzlichen zweijährigen Intervall zwischen Ädilität und Prätur dispensiert war – in der Tat war er 675 Ädil, wahrscheinlich 677 Prätor, 680 Konsul. Daß der Fall des Pompeius ein gänzlich verschiedener ist, liegt auf der Hand; aber auch von Pompeius wird mehrfach ausdrücklich gemeldet (Cic. imp. Cn. Pomp. 21, 62; App. civ. 3, 88), daß der Senat ihn von den Altersgesetzen entband. Daß dies für Pompeius geschah, der als sieggekrönter Oberfeldherr und Triumphator, an der Spitze eines Heeres und seit seiner Koalition mit Crassus auch einer mächtigen Partei, sich um das Konsulat bewarb, ist ebenso begreiflich, als es im höchsten Grade auffallend sein würde, wenn dasselbe für Caesar bei seiner Bewerbung um die minderen Ämter geschehen sein sollte, wo er wenig mehr bedeutete als andere politische Anfänger; und noch viel auffallender ist es, daß wohl von jener selbstverständlichen Ausnahme, aber nicht von dieser mehr als seltsamen sich Erwähnung findet, so nahe solche Erwähnungen, namentlich im Hinblick auf den 21jährigen Konsul Caesar den Sohn auch gelegen haben würden (vgl. z. B. App. civ. 3, 88). Wenn aus diesen unzutreffenden Beispielen dann die Folgerung gezogen wird, daß „man in Rom das Gesetz wenig beachtet habe, wenn es sich um ausgezeichnete Männer handelte“, so ist über Rom und die Römer wohl nie etwas Irrigeres gesagt worden als dieser Satz. Die Größe des römischen Gemeinwesens wie nicht minder die seiner großen Feldherren und Staatsmänner beruht vor allen Dingen darauf, daß das Gesetz auch für sie galt.
- Wenigstens die Grundzüge dieser Organisation müssen in die Jahre 674 (80), 675 (79), 676 (78) fallen, wenngleich die Ausführung ohne Zweifel zum guten Teil erst den späteren Jahren angehört.
- Die folgende Erzählung beruht wesentlich auf dem Bericht des Licinianus, der, so trümmerhaft er auch gerade hier ist, dennoch über die Insurrektion des Lepidus wichtige Aufschlüsse gibt.
- Unter dem Jahre 676 (78) berichtet Licinianus (p. 23 Pertz, p. 42 Bonn): (Lepidus) [Ie]gem frumentari[am] nullo resistente l[argi]tus est ut annon[ae] quinque modi popu[lo da]rentur. Danach hat also das Gesetz der Konsuln des Jahres 681 (73) Marcus Terentius Lucullus und Gaius Cassius Varus, welches Cicero (Verr. 3, 70, 136; 5, 21, 52) erwähnt und auf das auch Sallust (hist. 3, 61, 19 Dietsch) sich bezieht, die fünf Scheffel nicht erst wiederhergestellt, sondern nur durch Regulierung der sizilischen Getreideankäufe die Kornspenden gesichert und vielleicht im einzelnen manches geändert. Daß das Sempronische Gesetz jedem in Rom domizilierenden Bürger gestattete, an den Getreidespenden teilzunehmen, steht fest. Allein die spätere Getreideverteilung hat diesen Umfang nicht gehabt; denn da das Monatkorn der römischen Bürgerschaft wenig mehr als 33000 Medimnen = 198000 röm. Scheffel betrug (Cic. Verr. 3, 30, 72), so empfingen damals nur etwa 40000 Bürger Getreide, während doch die Zahl der in der Hauptstadt domizilierenden Bürger sicher weit beträchtlicher war. Diese Einrichtung rührt wahrscheinlich aus dem Octavischen Gesetze her, das im Gegensatze zu der übertriebenen Sempronischen eine „mäßige, für den Staat erträgliche und für das gemeine Volk notwendige Spendung“ (Cic. off. 2, 21, 72; Brut. 62, 222) einführte; und allem Anschein nach ist ebendies Gesetz die von Licinianus erwähnte lex frumentaria. Daß Lepidus sich auf einen solchen Ausgleichsvorschlag einließ, stimmt zu seinem Verhalten in Betreff der Restitution des Tribunats. Ebenso paßt es zu den Verhältnissen, daß die Demokratie durch die hiermit herbeigeführte Regulierung der Kornverteilung sich keineswegs befriedigt fand (Sallust a. a. O.).
- Die Verlustsumme ist danach berechnet, daß das Getreide mindestens den doppelten Wert hatte; wenn die Piraterie oder andere Ursachen die Kornpreise in die Höhe trieben, mußte sich ein noch weit beträchtlicherer Schaden herausstellen.
- In den neu gefundenen Sallustischen Bruchstücken, welche dem Ende des Feldzuges von 75 anzugehören scheinen, gehören hierher die Worte: Romanus [exer]citus (des Pompeius) frumenti gra[tia r]emotus in Vascones i .. [it]emque Sertorius mon …o, cuius multum in[terer]at, ne ei perinde Asiae [iter et Italiae intercluderetur].