Tauschhandel

Im allgemeinen schlief Peter, wenn er müde sein Lager aufsuchte, sofort ein und träumte nicht einmal. Nach der Begegnung mit Eva aber wälzte er sich schlaflos auf seinem Moosbett. Was hatte sie nur gegen ihn? Die Geschichte mit dem Gold hatte er nie so wichtig genommen. Ja, Eva war sauber und liebte das Saubere und Schöne, er war rußig und nicht immer gewaschen – sicher erregte das ihren Zorn und Widerwillen, aber doch nicht Feindschaft! Und Feindschaft hatte er in ihrem Blick gelesen… Warum nur?

Beim ersten Morgengrauen stand er auf, fest entschlossen, nach dem Pfahlbau im Moorsee überzusiedeln. Nach langer Zeit wusch er sich wieder einmal im Bach und sparte nicht mit Fett, Asche, Lehm und Sand. Zum Schluß kämmte er mit den Fingern seine dunklen, langen Locken, legte seine schönsten Rehfelle an, steckte eine Geierfeder hinter das Stirnband und seine besten Waffen hinter den Gürtel. Dann betrachtete er sein Spiegelbild, das von der ruhigen Wasserfläche der Bachmündung zurückgeworfen wurde, und war recht zufrieden mit seinem Aussehen.

Und nun kamen ihm die Geschenke in den Sinn, die er Eva mitbringen wollte und die sie hoffentlich gut aufnehmen würde. Sorgfältig verstaute er das gebrannte, teils mit Harz, teils mit Graphit gedichtete Geschirr auf dem Fahrsteg, lud Hasenfelle und einige geräucherte Fische dazu und stieß ab. Was er wünschte, was er brauchte, was er entbehrt hatte, darauf begann er zu hoffen: auf Evas Bewunderung.

Tatsächlich empfing sie ihn weniger unfreundlich, als es ihrem Zorn wegen seines Golddiebstahls entsprochen hätte. Daß er fertiggebracht hatte, was ihr nicht gelungen war, nämlich Töpfe und Schüsseln hartzubrennen, schätzte sie hoch ein. Sie hatte sich, als ihr erster Brennversuch mißlang, entmutigen lassen, er hatte sich weiter gemüht. Ob bei ihm alles von Anfang an gut gegangen war? Schon war sie entschlossen, sich mit ihm auf Tauschgeschäfte einzulassen. Vor allem lag ihr an einigen guten Töpfen und Näpfen für ihren Haushalt, und Peter konnte gewiß etwas von ihrem gewebten Zeug brauchen.

So erwartete sie ihn mit einer Bastmatte und empfing ihn, kaum daß er mit seinem Fahrsteg anlegte, mit dem Angebot: »Wenn du mir von deinem Geschirr gibst, kannst du das haben.« Ganz sachlich, ohne Herzlichkeit sagte sie das. Peter, den dieser Empfang enttäuschte, ging wortlos auf den Handel ein. Gutmütig wie er war, gab er ihr alles, was er mitgebracht hatte, sogar seine erste metallene Nadel, die er aus einem Kupferdorn mühsam gebosselt und zurechtgeschliffen hatte, dann einen kleinen Deckelnapf mit Honig und eine schöne Druse wasserheller Bergkristalle. Nur die guten Worte, die er sich unterwegs für sie zurechtgelegt hatte, die behielt er für sich.

Als er ihren Webstuhl, ihr Netz und ihre Reusen zu Gesicht bekam, begnügte er sich damit, die neuen Geräte von allen Seiten zu betrachten. Kein Wort kam über seine Lippen, und doch hätte ein gesprochenes Lob auch ihr wohlgetan. So versagten sie einander die Anerkennung, die jeder vom andern erwartete.

*

Der Schlangen wegen kehrte Peter wieder in seine Pfahlhütte oberhalb des Moores zurück. Aber die beiden Nachbarn lebten wie zwei aufeinander angewiesene Fremde und gewöhnten sich daran, die Früchte ihres Fleißes auszutauschen. Eva, die sich noch vor kurzer Zeit gegen Arbeit um Lohn gewehrt hatte, ging jetzt so weit, daß sie Peter die häuslichen Dinge vorhielt, die sie für ihn tat; sie war immer auf ihren Vorteil bedacht und voll Mißtrauen dem Menschen gegenüber, der sie so hintergangen hatte. Peter geizte nicht mit Töpfen, Werkzeugen und Fellen, weil er in seiner Schaffenslust mehr herstellte, als er brauchte. Da er aber kein Gold in Tausch geben wollte, wartete Eva auf eine Gelegenheit, sich heimlich zu holen, was er ihr vorenthielt. Die wenigen Goldkörner, die sie gefunden hatte, brachte sie ins Heiligtum und flehte um Kraft und Gesundheit. Bald fühlte sie sich genesen und hatte wieder Freude an ihrer Arbeit. Peter gegenüber behielt sie das hochmütige Wesen bei, das ihm ihre Gesellschaft verleidete.

Durch die Schlacken mit den seltsamen roten Metallkörnchen, die er beim Abräumen der geborstenen Mauern seines ersten Brennofens gefunden hatte, war er einer neuen Sache auf die Spur gekommen. Das rote Metall ließ sich in kaltem Zustande hämmern wie Gold! Er kannte nun die blauen und grünen Steine, aus denen er es durch Erhitzen gewinnen konnte.

Seit Eva Kochgeschirr hatte, erfand sie leckere Kräutersuppen, würzige Tunken und vorzügliche Breie, von denen man angenehm satt wurde. Die Fruchtfladen, die sie aus Beeren, Nüssen, Schwaden- oder Kastanienschrot bereiten lernte und meist auf Tonscherben in heißer Asche buk, fanden Peters unausgesprochenen Beifall. Er entlohnte sie dafür mit dem, was sie brauchte. Die Erntegänge zur Zeit der Nuß- und Kastanienreife, der Bau einer größeren Vorratshütte brachten sie einander wieder näher.

Die Vorratshütte wurde größer als Evas Behausung und bekam einen steilen, nach zwei Seiten abfallenden Dachstuhl, dessen durchbohrte Sparren mit Holznägeln befestigte Längshölzer trugen. Diese deckten sie mit festgebundenem Schilfstroh. Eingetriebene, niedere Pfähle ermöglichten es, zwischen allen drei Pfahlbauten einen großen Werkplatz im Freien zu schaffen. Ein Holzgeländer sollte die ganze Siedlung einfrieden und zum Aufhängen von Fellen, Netzen und gewaschenen Geweben dienen. Kaum war das Gröbste am neuen Bau geschafft, da ging Peter auf die Herbstjagd und überließ Eva das Flechten und Verstreichen der Wände. Und weil sie schon bei der Lehmarbeit war, verstärkte sie auch gleich die Wände der alten Wohnhütten. Sie gab ihnen einen Außenbelag aus Lehm und Schilf, dessen Halme sie mit angeschnürten Querstäben niederzwang. Die Rispen waren nach unten gerichtet, so daß das Regenwasser daran ablaufen konnte. An der Wetterseite verbreiterte sie die Schilfdächer, um die dort aufgestapelten Holzvorräte vor Nässe zu schützen.

Während Eva Kiefernzapfen und Holz sammelte, kehrte Peter nach einigen beutereichen Jagdtagen zu seinem lange vernachlässigten Brennofen zurück. Als er die Schlacken ausräumte, die sich aus Feldspat und Metallverbindungen gebildet hatten, begann es sachte zu regnen. Die metallisch oder glasig glänzenden Oberflächen der Schlackenbrocken fesselten ihn. Er hämmerte an den Schlacken herum und legte die muschelig gebrochenen, scharfkantigen Splitter als künftige Werkzeuge auf einen Haufen. Auf ein zweites Häufchen kamen die metallischen Tropfgebilde, deren Gewicht ihm auffiel. Aus zerkleinerten Schlacken, den verschiedensten Stellen des Ofens entnommen, löste er rötliche, ungleich geformte Metallkörner. Einige, deren roter Glanz an der Luft lange unverändert blieb, ließen sich in kaltem Zustand leicht hämmern. Andere, die bräunlich anliefen, fielen unter dem Schlagstein auseinander. Ohne es zu wissen, hatte Peter Kupfer und Bronze gewonnen. Er wußte nur, daß diese Tropfgebilde aus blauen, grünen und jenen gelbbraunen und schwärzlichen Steinen entstanden waren, die er beim Erzsammeln aufgelesen hatte, weil ihm damals ihr Gewicht aufgefallen war. Er beschloß, solche Steine mit Bedacht zu sammeln und zu erhitzen. Wenn es ihm gelänge, sie feuerflüssig zu machen, dann mußte sich das Rot- und Braunzeug lösen und an der tiefsten Stelle des Ofenbodens zusammenfließen! Grübelnd kniete er vor seinem rätselhaften, in dunklen Metallfarben schimmernden Schatz, ohne sich um den stärker werdenden Regen zu kümmern.

Ein ätzendes Brennen an den Schienbeinen ließ ihn zusammenfahren. Eine milchige, rauchende Flüssigkeit rann die Böschung herab, sie kam vom gebrannten Kalk des Ofengemäuers, den der Regen gelöscht und zu Kalkmilch aufgelöst hatte. Peter sprang auf, wusch sich in einer Lehmpfütze die Ätzwunden und wandte sich verwundert den dampfenden Kalksteinen zu, die im Regen qualmend auseinanderbrachen und im Innern blendend weiß leuchteten. Dann holte er aus dem Ofeninneren einen trockenen Brocken Brandkalk, hüllte ihn sorgfältig in Blätter und brachte ihn heim. Aufgeregt hielt er Eva den rußigen, an der Bruchfläche weißen Stein vor die Nase und fragte, ob sie wisse, was das sei. »Was wird’s denn sein, ein Kalkstein aus der Ofenmauer«, war die Antwort. Vor ihren Augen tat er den Stein in einen Topf und begoß ihn mit kaltem Wasser. Dann forderte er sie auf, die Hände an den Topf zu legen, sie werde etwas Wunderliches erleben. Widerstrebend tat sie wie geheißen, und als eine geraume Weile verging, ohne daß etwas Verwunderliches geschah, zogen sich ihre Augenbrauen zusammen. Wie kam Peter dazu, sie zu necken? Schon wollte sie den Topf loslassen, da spürte sie, daß dieser lauwarm wurde! Sie riß staunend die Augen auf und lächelte, als die ersten Dampfwölkchen dem Topf entstiegen. Dann entfuhr ihr die Bemerkung: »Da wird ja Milch draus!« Ihr fielen die Ziegen der Ahnl ein. Peter schmunzelte vor sich hin. »Aber kosten möcht‘ ich die Milch nicht; sie beißt die Haut auf.« Und er zeigte ihr die Ätzwunden an seinen Schienbeinen. Verblüfft hielt Eva den Mund offen: Der Topf wurde heiß! Sie legte die Handflächen an die Wangen und verlangte eine Erklärung. Das ging nicht mit rechten Dingen zu.

»Und wozu ist sie gut, die Milch aus Kalk?« »Das muß ich erst herausfinden«, war die Antwort. Schon nach wenigen Tagen hatte Eva Verwendung für die Kalkmilch, deren reines Weiß zum Malen reizte. Sie fegte die verrußten Wände ihrer Stube und band aus groben Eberborsten einen Pinsel, den sie wie einen Besen an einem Stiel befestigte, tauchte ihn in die blendendweiße Kalkbrühe und tünchte die Wände, die nun eine freundliche Helle ausstrahlten. Eine Woche danach machte Peter, der mit dem Bau eines starkwandigen Ofens beschäftigt war, eine Entdeckung. Die in der Böschung versickerte Kalkmilch hatte sich mit dem Sand des Bodens zu einem Brei verbunden, der an einzelnen Stellen schon zu einer festen Masse erhärtete: Mörtel. Das war eine Entdeckung, die ihm beim Bau des neuen Schmelzofens sehr zustatten kam; damit ließen sich ja die Bausteine lückenlos verbinden! In den Boden der Feuerstelle mauerte er eine gebrannte, aus Graphit und sandigem Ton hergestellte Schüssel so ein, daß sie nach außen geneigt war. Dann beschickte er den Schacht mit Erzen und mit allen durch ihr großes Gewicht auffallenden Schlacken, die er zuvor zerschlagen und mit Hartholz gemengt hatte, um sie durch und durch zu erhitzen. Im Herdinneren fachte er ein tüchtiges Feuer an und nährte es unverdrossen drei Tage lang mit Holz und Torf.

Aber sooft Peter die Asche wegfegte, er fand keinen Tropfen von geschmolzenem Metall in der Schüssel. Da ließ er das Feuer ausgehen und den Ofen abkühlen. Eine Woche später sah er im Schacht nach und fand Schlacken und Erzstücke ein wenig zusammengebacken, sonst aber kaum verändert. Offenbar war das Herdfeuer zu schwach gewesen, und er mußte darauf sinnen, eine größere Hitze zu erzielen.

In den nächsten Wochen ging er meist in Gedanken versunken der Jagd nach oder begleitete Eva bei den Erntegängen. Eva war fröhlich wie schon lange nicht mehr, denn sie trugen reiche Ernte an Waldfrüchten und eßbaren Pilzen ein. Die üppig wachsenden Holunderstauden am Waldrand hingen voll reifer Beeren, die sie dörrte oder mit Kastanien, Haselnußschrot und Honig zu einem dicken Fruchtbrei verkochte.

Es war unvermeidlich, daß sie beim Abstreifen der Beeren rote Finger bekam. In der Aschenlauge, mit der sie die Hände wusch, wurde das Rot blau und widerstand lange allen Säuberungsversuchen. Diese Erfahrung machte sie sich zunutze. Sie färbte ihr ärmelloses Bastkleid mit dem ausgedrückten Saft frischer Holunderbeeren und eine ihrer Matten mit der blauen Farblauge. Das Ergebnis war ein blasses Rot und ein verwaschenes Blau. Die Bastfasern nahmen nur wenig Farbstoff auf. Besser gelang es mit Leinfasern, die sie längere Zeit in der Farbbrühe gelassen hatte. An Peters Händen, die vom Schälen grüner Walnüsse braun geworden waren, entdeckte Eva, daß der Saft der weichen Nußschale tiefbraun färbte. Nun kannte sie Mittel genug, aus ungefärbten und gefärbten Fäden bunte Gewebe herzustellen.

Holzkohle und Blasebalg

Obgleich Peter sich über die Änderungen, die er am Schmelzofen vornehmen wollte, nicht klar war, kehrte er bald zu ihm zurück und besserte an ihm herum. Prüfend betrachtete er immer wieder eine mattbräunlich angelaufene Schlacke, aus der sich ein narbiges Stück Braunmetall gelöst hatte. Sie enthielt noch Überbleibsel eines ungeschmolzenen blauen Steins (Kupferlasur) und des schwärzlichen Steins (Zinnsteins), von dem er schon lange vermutete, daß er etwas mit der Entstehung des Braunmetalls zu tun habe. Wie schade, daß diese Steine nur in ganz geringen Mengen als Einsprengsel im Granit an den Südwänden zu finden waren! An glasigen Schlacken war deutlich zu sehen, daß sie sich dort gebildet hatten, wo der Kalk mit Quarz und Glimmerschiefer in Berührung gekommen war. Diese vielsagenden Steine verrieten Peter, womit er den Schacht des Schmelzofens beschicken mußte, wenn sich aus dem schmelzbaren Gemengsel Braunmetall oder gar das hämmerbare Rotzeug ausscheiden sollte – Bronze und Kupfer. Damit er während des Brennens von oben Erz und Brennstoff nachschütten konnte, baute er aus zwei noch grünen, armstarken Lärchenstämmen, in deren Astwinkel er Querhölzer festband, eine schräge, tragfähige Leiter zur Schachtöffnung.

Noch während er mit dem Bau der Schachtleiter beschäftigt war, setzte kühles Wetter ein. Die Sonne, die an der Henne vorübergekommen war, verriet, daß die herbstliche Tagundnachtgleiche vorbei war und der Winter nicht mehr weit sein konnte. Um den Schmelzofen bangte Peter nicht, der Mörtel war bereits auffallend hart geworden, die Mauerung konnte dem Winter trotzen. Aber den gebrannten Kalk aus dem halboffenen Töpferofen mußte er vor Nässe retten. Er kroch in die Ofenhöhlung und begann, allen Kalk abzuklopfen und auszuräumen. Da es ein regnerischer Tag war, benützte Peter ein Rehfell zum Schutz des gebrannten Kalkes, den er vorläufig in seiner runden Pfahlhütte unterbringen wollte. Dabei machte er eine sonderbare Entdeckung. Der in die Haarseite des Felles geratene Kalkstaub ätzte, als er vom Regen getroffen wurde, die Haare weg. Kalk war also auch ein verläßliches Mittel zum Enthaaren der Bälge!

Der Überfluß an gebranntem Kalk reizte Peter. Er ersetzte den vom Regen verwaschenen äußeren Lehmbelag der drei Hütten durch einen dicken Mörtelverputz, der den Wänden mehr Festigkeit gab. Als Kelle diente ihm das Schulterblatt eines Rehes. Um beim Tünchen bis unter den Dachrand gelangen zu können, befestigte er Evas Borstenpinsel an einem langen Asthaken. Das neue geräumige, wohlverputzte Vorratshaus gefiel ihm so sehr, daß er eine Feuerstelle pflasterte, kleine Lichtlöcher in die Wände brach und die Hütte zu einem Wohnhaus machte. Seit der Überschwemmung zog er nun zum fünften – und wie er glaubte, zum letzten Male um.

Da er bemerkt hatte, daß der Fellbelag des Hüttenbodens schimmelte, baute er aus Quer- und Längshölzern in der linken, von der Tür entfernten Ecke seiner Behausung eine erhöhte Bettstatt. Sie bekam eine Lage Reisig, Laub und Moos, dann einen moosgefüllten Sack als Kopfpolster, das Bärenfell diente als Unterlage und eine mit Rehfellen benähte Binsenmatte als Decke. Die schräg gegenüberliegende Ecke rechts von der Türöffnung, wo die Feuerstelle war, wurde durch eine kniehohe Mauer als Herdraum ausgebaut, und unmittelbar darüber brach er in das Dach ein Loch, durch das der Rauch abziehen konnte. Doch der erste Schneesturm wirbelte die Flocken durch die Rauchluken in die Stuben, fuhr in Asche und Feuer, so daß die Pfahlbauer die Glut in gedeckten Töpfen bergen und die Rauchluken schließen mußten, weil es so kalt wurde. Mochte der Qualm sich den Ausweg durch die Türfugen suchen!

Peters neue Wohnstube verwandelte sich in wenigen Tagen in eine Werkstatt. Wohin man trat, bedeckten Knochen, Hartsteine, Tonvorräte, Schlacken, Holz und Felle den Fußboden. Die unzähligen Arbeitsgeräte, Waffen und Jagdandenken an den Wänden verrieten, daß sich alles Sinnen und Trachten des Bewohners nur um Arbeit und Jagd drehte.

Nach sonnigen Spätherbstwochen kamen die ersten starken Fröste. Auf dem Moorbachsee lag eine blinkende, dicke Eisschicht, auf der die Pfahlbauer sicher gehen und in Gebiete des Moores vordringen konnten, die sie früher nie betreten hatten. Die Fellkleider eng um den Leib geschnürt, Arme und Beine mit breiten Fellstreifen umwickelt, so schritten und glitten sie über die Eisfläche. Peter schob einen schmalen Schlitten vor sich her, dessen Kufen er im Feuer gebogen hatte. Als Eva ihm nicht folgen konnte, riet er ihr, sich auf die Schlittenkufen zu stellen und sich an den hochgebogenen Vorderenden festzuhalten.

Zum oberen Ufergelände des Moorgrundes vordringend, stieß sie auf einige alte Pappeln, deren Kronen von unzähligen Krähen und Wasservögeln besiedelt waren. Auf dem vom Vogelmist reich gedüngten Boden gedieh ein üppiger Nesselbestand. Schlaff hing das vom Frost versehrte Laub an den zähen Stengeln. Eva begann, Nesseln auszurupfen, und zwar nur die frisch abgestorbenen. Die sonst so wehrhaften Brennhaare der Blätter hatten ihr Gift verloren. Die Fasern unter der Rinde waren auffallend zäh, und Eva freute sich, daß ihre Vermutung, von den Nesseln brauchbare Fasern gewinnen zu können, richtig war. Nun war sie nicht mehr nur auf den niederen Bergflachs angewiesen.

Daheim legte sie die Nesselbündel unter ihre Pfahlhütte ins Wasser. Später sollten sie gedörrt werden, dann ließ sich nämlich die spröde Rinde leichter entfernen. Kurz darauf machte sie eine unangenehme Entdeckung. Als sie sich aus Peters Fellvorräten etwas aussuchen wollte, fiel ihr auf, daß in dem halbdunklen Raum irgendwelche kleinen Tiere ihr Unwesen trieben. Sie hörte ihr Trippeln, sah an den Fellen da und dort die Spuren winziger Zähne, bekam aber keines der Geschöpfe zu Gesicht. Auch die in einer Ecke der Vorratskammer aufgehäuften Kastanien waren angenagt. Eva war nicht gewillt, ihre Vorräte Dieben zu überlassen, die wohl über das Eis vom Lande herübergewandert sein mochten, und beschloß, Fallen aufzurichten.

Fünf Steinfallen stellte sie auf und legte als Köder benagte Kastanien und Fleischbrocken hinein. Am nächsten Morgen sah sie mit Genugtuung, daß drei Fallsteine niedergegangen waren. Unter zweien lagen flachgedrückt fingerlange Spitzmäuse, deren oben schwarzes, unten gelbliches Fell entzückend weich war. In der dritten hatte sich eine fast dreimal so große, stumpfschnäuzige Wasserratte gefangen. Auch sie war fast schwarz und glich in der Gestalt den Schneemäusen, die Eva aus Ahnls Zeiten her kannte. Gekocht erwies sich das Fleisch der Wasserratte als zart und schmackhaft.

Peter war tagsüber nie zu Hause. Er hatte es eilig, vom Grund des Klammbachsees, dem die Kälte in den hochgelegenen Gebieten die Wasserzufuhr unterbunden hatte, das angeschwemmte Holz zu sammeln und in Stößen auf der Triftleiten zu stapeln, bevor Tauwetter einsetzte und das Wasser wieder einfließen ließ. Länger als eine Woche arbeitete er ungestört. Beim Anblick der Holzstöße fühlte er sich reich. Holz bedeutete Wärme und Nahrung für das Werkfeuer.

Am Abend eines Tages, an dem Peter zwei Wildgänse und einen Keiler erlegt hatte, saß er nach dem Essen, müßig vor sich hinträumend, vor seinem Feuer. Mit einer Astgabel schob er angekohlte Holzstücke in die Flammen; da tauchte wie aus grauer Vorzeit das Bild des Ähnls in seiner Erinnerung auf. Er sah den rüstigen Alten an seinem Kohlenmeiler bauen. Peter zuckte wie aufgeschreckt zusammen. Aus dem Träumen geriet er in scharfes Nachdenken. Holzkohle müßte mehr Hitze geben als Holz! Wozu hätten sich denn die Leute in der großen Welt draußen vom Ähnl die Holzkohle brennen lassen? Peter fühlte sich stark genug, einen Meiler zu bauen. Hätte ihn nicht am nächsten Morgen dichtes Schneegestöber gehindert, er wäre sogleich an die Arbeit gegangen. Ungern blieb er daheim und nutzte den Tag, um das Fleisch des Wildschweins zum Räuchern vorzubereiten und die Gedärme zu spannen. Dann nahm er sich die Harnblase des Tieres vor. Er brauchte einen neuen Verschluß für seine Lichtluke. Vorsichtig führte er in die Harnröhre einen Schilfhalm ein und blies mit vollen Backen. Die Blase füllte sich mit Luft, wurde rund und prall, so prall, daß es ihn reizte, sie mit beiden Händen zu drücken. Fauchend strömte die Luft durch das herabhängende Schilfrohr in die glimmenden Kohlen des niedergebrannten Feuers und ließ es funkensprühend auflodern.

Spielerisch richtete er das Rohr bald da, bald dort in die Glut, und immer zeigte sich die gleiche Wirkung. So hatte er absichtslos ein Gebläse erfunden, das, in seiner Kleinheit ein Spielzeug, in großer Ausführung aber einen mächtigen Luftstrom ins Werkfeuer senden mochte. Zwei Gebläse, abwechselnd tätig, konnten das Feuer ununterbrochen anfachen.

Peter nähte an zwei enthaarten, gut eingefetteten Rehfellen alle Löcher bis auf einen von einem Fußfell gebildeten Schlauch zu und dichtete die Nähte mit Pech ab. Jeden der beiden Blasebälge hatte er vor dem Vernähen auf einen schweren Holzrost geheftet und auf der Oberseite mit einem kleinen Rost versehen. Dieser Rost war fest verbunden mit einer Lederkappe, in die er einen Fuß schieben konnte. Auf der Unterseite des Felles, das hohl auf dem Holzrost lag, schnitt er ein daumengroßes Loch aus, dem er innen einen viel größeren Lederlappen als Klappe vornähte. Am Luftausführungsschlauch brachte er als Verlängerung einen Holunderstab an, aus dem er zuvor das Mark gestoßen und den er außen mit einem dicken Lehmbelag versehen hatte. Das Ende des Rohres lag nahe am Feuer. Sobald Peter den im Schuh steckenden Fuß und damit den oberen Teil des Balges hob, vergrößerte sich dessen Innenraum, und die von außen eindringende Luft strich von unten her an der Lederklappe, die sich emporhob, vorbei nach innen. Trat er mit dem Fuß tüchtig auf den geblähten Balg, so versperrte sich die Luft den Weg nach unten, indem sie die Lederklappe auf die Ränder des Loches drückte. Und so mußte sie durch das Rohr ins Feuer blasen. Sooft der Luftstrom in die Glut fauchte, flammte sie auf. Peter empfand eine unsagbare Freude an seiner Erfindung. Mehr als einmal mußte Eva kommen und sich die neue Errungenschaft zeigen lassen.

Gebrannte Tonscherben

Mit der Gesundheit kehrte auch Evas Schaffenslust wieder. Unaufgefordert stellte sie in Peters Pfahlhütte den Bodenbelag und die Wandverdichtungen her. Jetzt wartete sie auf eine Gelegenheit, ihr Gelübde zu erfüllen. Auf ihrem plumpen, tiefgehenden Fahrzeug gelangte sie um die Mittagszeit an die Moorbachmündung. Sie eilte, sorgfältig nach allen Seiten spähend, um einer Begegnung mit Peter auszuweichen, zur Brandstätte, wo sie unter der Asche ihren Goldvorrat zu finden hoffte.

Die Asche war auseinandergefegt, der hart und rissig gewordene Bodenbelag aufgewühlt, und in der Grube unter ihrem früheren Lager glänzten nur drei mit Sand zusammengebackene Goldkörnchen. Der Schatz war fort!

Weinend kauerte sie an der Unglücksstätte, während sie den zerwühlten Boden fieberhaft absuchte und mit zitternden Fingern die Lehmstücke des geborstenen Bodenbelags hin und her wendete. Da stutzte sie: Diese Lehmbrocken klangen so eigentümlich! Sie nahm einen, der sich beim Brennen schalenförmig geworfen hatte, und betrachtete ihn aufmerksam. Er war rötlich und hart. Seine nach oben gekehrte Fläche wies die Fingerabdrücke auf, die Eva beim Glattstreichen des Lehmbelags gemacht hatte.

Sie tat die Goldklümpchen in die Schale und eilte heimwärts. Die Lehmscherben in der Höhle ließen ihr keine Ruhe. Immer wieder betrachtete sie das Ding, das sie mitgebracht hatte, dann knetete sie aus einem flachgewalzten Lehmstück ein dünnwandiges, beutelförmiges Gefäß und stellte es zum Trocknen in die Nähe des Herdes. Damit es noch härter werde, ließ sie es zwei Tage später vom Feuer beschmauchen. Beim ersten Kochversuch mußte sie das ungefüge Gefäß durch unterlegte Steine stützen, damit es im Feuer aufrecht stand. Knacks! machte es – das Gefäß war zersprungen.

Ach, sie hätte Peter vorher um Rat fragen sollen! Peter fragen? Nein, der hatte ihr das Gold gestohlen. Vielleicht fand sie es in seiner Hütte. Ihre Suche nach dem Schatz blieb vergeblich; nur Tonscherben fand sie, die er von ihrer Brandstätte eingetragen hatte. Ein tiefes, gewölbtes Stück enthielt eine Masse aus Wachs und Harz, ein anderes stand als Salzschüssel neben seiner Feuerstelle; es war mit rußgeschwärztem Harz eingelassen. Scherben, Wachs, Harz, Salz, nur kein Gold. Er mußte es gut versteckt haben. Und es gehörte doch ihr! Enttäuscht verließ sie seine Hütte.

Eva hatte alles Vertrauen zu Peter verloren. Unabhängig wollte sie werden, nichts von ihm verlangen, was sie sich selbst beschaffen konnte. Was sie von ihm empfing, das wollte sie durch Gleichwertiges vergelten und nie mehr in seiner Schuld stehen. Ihre eigenen Tag- und Wochenzeichen wollte sie haben: für jede Woche einen Stab, darauf für jeden Tag einen Strich. Sie begann sofort damit, auf dem ersten Stab die Striche nachzutragen, für die Tage seit der Überschwemmung der Wohnhöhlen. Für die Ereignisse selbst erfand sie Zeichen, die nur ihr verständlich waren. So stellten ein paar waagrechte Ritze das große Wasser vor, ein paar zungenförmige den Brand; auch den Pfahlbau deutete sie mit wenigen Strichen an, und einige Ringlein standen für die geraubten Goldkörner.

*

Im Moorgrund reiften die Heidelbeeren, und auf der Wiese zwischen dem Fuchsenbühel und den Salzwänden wuchsen noch dichte Bestände von Schwadengras. Um die Körner nicht mehr mit den Händen enthülsen zu müssen, machte sie aus einem Buchenstrunk einen Holzmörser. Mit glühenden Holzkohlen, die sie mit einem Entenflügel fächelte, brannte sie eine tiefe Höhlung aus, die sie zum Schluß mit Granitsplittern glättete. Mit einem Fichtenstößel bearbeitete sie die Körner, die noch in den Fruchthüllen steckten, schüttete sie dann auf einen Tonscherben und blies mit vollen Backen die abgeriebenen Spelzen heraus.

Für den Fischfang ersann Eva eine Art Falle, von der sie sich sicheren Erfolg versprach: drei birnförmig geflochtene Körbe, die so ineinander geschachtelt wurden, daß sie ihre breiten Öffnungen der Strömung zukehrten. Die offene Spitze des vordersten führte in den Bauch des zweiten, die offene Spitze des zweiten in den Bauch des dritten, dessen Endruten sie fest verschnürte. Da Eva nicht wußte, was den Fischen schmeckte, tat sie in die Körbe Brunnenkresse und Nesseln, Wurzeln der wilden Möhre, Beeren, aber auch Regenwürmer und Nachtschnecken. Die so beköderten Fischreusen beschwerte sie mit eingelegten Steinen, schnürte sie fest an eine Stange, hängte das Ganze an einen Strick aus Waldreben und ließ es unter ihrer Hütte ins strömende Wasser sinken.

Schon am nächsten Frühmorgen, Peter schlief noch, sah sie nach den Reusen und fand darin zu ihrem Erstaunen statt Fischen viele zappelnde Steinkrebse, nicht größer als ihr Mittelfinger, aber mit mächtigen Scheren. Einen um den anderen hob sie vorsichtig aus seinem Gefängnis und tat ihn zunächst in einen Korb; später warf sie die Krebse allesamt ins Feuer und bereitete ihnen so einen raschen Tod. Das Braungrün der Tiere verwandelte sich dabei in ein gelbliches Rot. Eva hob sie mit einer Zweiggabel einzeln aus der Glut, zerbrach die Krusten und tat das weiße Fleisch auf einen gebrannten Tonscherben.

Mit ein wenig Salz und Kerbelkraut gewürzt, ergaben die Krebse ein vorzügliches Essen. Evas Selbstvertrauen stieg. Entschlossen ging sie daran, ihren Feuerkorb auszubessern. Als sie ihn umstülpte, fielen die hartgebrannten Bruchstücke des alten Lehmbelags heraus, an der Außenseite geschmückt mit den Abdrücken des Korbgeflechts! Der Bodenscherben war eine harte Schale, etwa eine Handlänge tief. Der könnte ein gutes, dünnwandiges Kochgefäß abgeben! Und so hatte die mühsame Kocherei mit erhitzten Steinen plötzlich ein Ende. Was vorher Plage war, wurde ein Vergnügen. Die Erfahrung, daß geformter, vorgetrockneter Lehm sich im Feuer klingend hart brennen ließ, reizte Eva zu weiteren Versuchen.

Sie knetete neue Gefäße und hielt sich zunächst an bewährte Vorbilder: die hohle Hand, die Schädeldecke des Rehes, den Muldenstein, alles Gefäße mit rundgebauchten Böden. Aus dem Feuerkorb war eine flache Schale gefallen. Was Eva nun aus feuchtem Lehm gestaltete, übertraf alle Vorbilder; denn von Stück zu Stück wurde die Töpferin geschickter.

Peter, von Evas Beispiel angespornt, steckte jetzt bis über die Ohren in Versuchen. Den Brei vermißte er nicht, da er unweit der Goldbachmündung massenhaft halbreife Wassernüsse erntete und im nahen Jungholz genug gelbe Röhrlinge fand. Aus diesen Pilzen und den zerdrückten, kastanienähnlich schmeckenden Nußkernen bereitete er sich in einem Tonscherben sein tägliches Mus; ab und zu briet er Fische und Wasservögel.

Von ihren Flechtarbeiten her lag es für Eva nahe, größere Gefäße aus aufeinandergelegten Wülsten herzustellen, die sie erst mit dem nassen Finger, dann mit einem rundlichen Kieselstein glatt verstrich. Während dieser Arbeit erinnerte sie sich, welch zierliches Muster das Rutengeflecht auf der Oberfläche der Bodenschale aus dem Feuerkorb ergeben hatte. Und so machte sie sich ans Werk und ritzte kreuzweise Striche und Punkte in den feuchten Lehm. Was sie tat, machte den Topf weder besser noch schlechter; aber ihr gefiel das Muster, sie hatte Freude am Schönen.

Eva zweifelte nicht am Gelingen ihrer Töpferarbeiten und entschloß sich, auch das tönerne Bildstöckl der Ahnl, das an einzelnen Stellen abgesplittert war, durch Brennen zu härten und so vor weiteren Schäden zu schützen. Um den Fußboden ihrer Stube nicht zu gefährden, pflasterte sie die Herdstelle mit einer doppelten Lage flacher Steine und erhöhte den Herdwall zu einer kniehohen Mauer, die das Feuer an drei Seiten umgab; die vierte Seite blieb als Heizloch offen.

Nach einigen Tagen, die Herdmauer war nur oberflächlich trocken geworden, fachte sie ein mächtiges Feuer an, dem sie ihre Töpfereien anvertrauen wollte.

Ängstlich lauschte sie auf das Knistern und Knattern des Lehms der Herdmauer, der in der Hitze trocknete und splitterte. Sie legte Steine in die Flammen und stellte das Bildstöckl der Ahnl und daneben die zwei ersten Schalen darauf. Gespannt sah sie zu, wie die Flammenzungen an den Brennstücken leckten. Wieder knatterte es: Abgesprengte heiße Tonsplitter trafen ihre Schienbeine. Ein scharfer Knall – Asche, Funken und winzige Scherben flogen bis an die Wände. Eine der beiden Schalen, gerade die zuletzt geformte, die schönste, war zerplatzt. Eva griff mit beiden Händen an ihre Schläfen und starrte ins Feuer.

Unversehrt stand das Bildstöckl der Ahnl über den züngelnden Flammen. Eva hielt den Atem an. Ein zweiter Knall – von der ersten, größeren Schale war die obere Hälfte rundherum abgesprungen. Gleich darauf barst auch der Boden des Gefäßes. Das Bild der Ahnl aber war ganz. Eva nahm diesen natürlichen Vorgang als neuen Beweis für die Heiligkeit des Ahnenbildes. In Wirklichkeit war das Figürchen von der Herdhitze längst ausgetrocknet, aber das bedachte Eva nicht.

Am Morgen nach der schlaflosen Nacht, während der sie rund um das Bildstöckl ein starkes Feuer gemacht hatte, sahen ihre schmerzenden Augen das Bild der Ahnl rotgebrannt über der Asche stehen. Aber ihr Eifer für die Topfbrennerei war vorläufig dahin. Sie wollte die übrigen Töpfe und Näpfe nicht auch noch gefährden und beschloß, die Gefäße auf der Herdmauer in der Wärme des Feuers hart werden zu lassen. Eva vergaß nicht, sie von Zeit zu Zeit zu wenden, damit die Wärme alle Seiten erreichte. Wenige Tage später gelang es ihr, einige vorgetrocknete Töpfe vom Rauch eines mäßigen Feuers bestreichen zu lassen und so zu härten, daß Wasser sie nicht wieder aufweichen konnte.

Webstuhl und Quirlbohrer

Eva war im letzten Jahr so in die Höhe geschossen, daß der alte Lendenschurz ihr längst zu kurz geworden war. Schmutzig und unansehnlich hing er an ihr; abgesehen davon gefiel er ihr auch nicht mehr. Sie dachte an ihre Webkünste und machte sich sofort an die Vorbereitungen. Stillvergnügt saß Eva auf einem Reisigbündel vor einem Holzklotz mit Ruten darauf. Mit der Linken drehte sie die Ruten, während die Rechte einen Knüttel schwang. Ihre Augen verfolgten das stille, wechselvolle Leben des Moores. Unterhalb der Hütte, wohin die Strömung die Abfälle des Haushaltes trug, wimmelte es von kleinen Fischen. Ab und zu wurde einer von einer Forelle geschnappt. Die anderen stoben auseinander und suchten sich unter den flutenden Büscheln der grünen Fadenalgen zu verstecken. Die Hartnäckigkeit, mit der die kleinen Allesfresser sich immer wieder zusammenfanden, die Regelmäßigkeit, mit der sich die Überfälle der Forellen wiederholten, brachten Eva auf einen Gedanken: Hier könnte sie sich, wenn sie es richtig anpackte, Fische verschaffen! Man müßte aus dünnen Bastfasern ein langes, sackartiges Netz flechten, Lockfutter hineintun und das Netz in die Strömung hängen… Die kleinen Fische würden sicher hineingehen, und die großen … die großen würden ebenso sicher folgen.

Ihre Gedanken eilten den flink arbeitenden Händen voraus, die den Bast Streifen für Streifen vom Holz lösten und zu langen Strähnen zusammenbanden. Eva dachte an ein dünnes Unterkleid für die Nacht und an ein derberes für den Tag, an Fischnetze, an einen verbesserten Herd und an vieles andere. Vor einem der Gucklöcher ihrer Hütte spann gerade eine Spinne ihr kunstvolles Netz. Eva stand auf und schaute zu, wie die Weberin die Fäden zog und verband. Was das Tierchen durch Aneinanderkleben der Fäden erreichte, mußte Eva durch Verknüpfen erzielen. Das war ihr klar. Die neuen Kleider können warten, wichtiger ist jetzt ein Fischnetz! dachte sie und machte sich ans Werk. Als sie am Spannstab ihres Flechtgerätes die Längsfäden aufgereiht hatte, ärgerte sie sich, daß sie jedesmal, wenn sie den Knoten schlang, an den Kreuzungsstellen den Querfaden in seiner ganzen Länge durchziehen mußte. Das hielt auf! Da besann sie sich auf ihre Flechtnadel, die allerdings in der Erdstube verbrannt war. Sie nahm ein fingerdickes Schilfstück, schabte es an der einen Seite der Länge nach ab und schnitt beide Enden zu einer Gabel. Und nun wickelte sie den Faden zwischen die Kerben und freute sich, daß ihr wieder etwas gelungen war. Vor neuem machte sie sich an die Arbeit am Netz.

Aber sie fand ihr Werk so schlecht und unregelmäßig, so stümperhaft im Vergleich zu dem Spinnennetz, daß sie das häßliche Geflecht herunterriß und wegwarf. Sie holte Waldreben und band daraus drei Ringe: den ersten eine Armlänge, den zweiten kleiner, den dritten nur eine Handspanne im Durchmesser. An den ersten band sie lange Bastfäden, immer zwei und zwei, und zwischen jedem Paar ließ sie einen Daumenbreit Zwischenraum. Dann begann sie zu knüpfen. Jeden rechten Faden des ersten Paares verknüpfte sie mit dem linken des nächsten Fadenpaares und so weiter rundherum. Beim nächsten Umgang knüpfte sie den rechten Faden mit dem zu ihm gehörigen linken zusammen; das ergab eine Rundreihe von rautenförmigen Maschen, einen »Umgang«. Das Ergebnis war ein langes, trichterförmiges, hinten engmaschigeres Netz. Mit der Netznadel flocht sie noch Querfäden ein, die sie an die Knoten des Grundnetzes festband.

Unten mit kleinen Steinen beschwert, oben an Schwimmhölzer gebunden, hing das Netz, reichlich mit Lockspeise versehen, vom Rande des Pfahlbaues in das Wasser hinab. Wie ein weiter Rachen, der auf Beute wartete, gähnte sein kreisrunder Eingang. Neugierig umschwammen die kleinen Elritzen das sonderbare Ding; erst wagten sich einige ganz Kecke zum Eingang, dann bis zum zweiten Reifen, und bald tummelte sich der ganze Schwarm um den Köder, und die schlanken Fischlein schwammen durch die Maschen des Netzes aus und ein, ein und aus. Es dauerte lange, bis auch die Forellen der Meinung waren, das neue Ding sei harmlos. Doch kaum war die erste ins Innere des Netzes gedrungen, als ihr zwei andere folgten. Die Elritzen stoben durch die Maschen wieder hinaus. Und Eva, die sich vor Aufregung nicht länger zurückhalten konnte, riß an der vorderen Aufhängeschnur den ersten Reifen empor, an dessen Unterseite die Schnur befestigt war, und brachte ihn so zum Umschnappen. Im nächsten Augenblick hatte sie das Netz hochgezogen, die Forellen eine nach der anderen unter den Kiemendeckeln gefaßt und durch einen Schlag auf den Kopf getötet.

*

Wieder einmal saßen die beiden jungen Siedler einträchtig beisammen und genossen den Feierabend. Die friedliche Stimmung ließ sie jede Andeutung vermeiden, die den Streit um die Goldkörner aufs neue hätte entfachen können.

Peter berichtete von einem neuen Wildwechsel, den er ausfindig gemacht hatte, und versprach, Eva bald mit frischem Fleisch zu versorgen. Sie klagte darüber, daß die Arbeit am Webstuhl in seiner jetzigen Form viel zu zeitraubend sei, solange sie die Längsfäden einzeln abheben müsse. Ja, wenn sie die ersten, dritten, fünften, siebten usw. zugleich und dann die zweiten, vierten, sechsten, achten bewegen könnte und weiter, wenn diese Fäden mit den anderen einmal gleichlaufen und dann wieder sich kreuzen würden – dann, ja dann wäre ihr geholfen.

Peter hatte sofort begriffen: »Aha, du meinst so«, sagte er, legte seine Hände mit dem unteren Teil der Handflächen aneinander, wobei er die Finger voneinander entfernte. »So entsteht das eine Fach, in dem der Querfaden zu liegen kommt.« Dann verschränkte er die Finger der Rechten in die der Linken … »und jetzt hast du das zweite Fach. Meinst du’s so?«

Evas Züge erhellten sich. »Ja, genau so hab‘ ich mir’s ausgedacht.«

»Da mußt du die Fäden in zwei getrennte Rahmen spannen, die sich gegeneinander so verschieben lassen, wie ich’s mit meinen Händen gemacht hab‘. Weißt, dann kommen die gespannten Fäden nimmer durcheinander. Und schneller geht’s auch. Ich mach‘ dir Tritte an die Rahmen, daß du mit den Füßen schieben kannst, dann hast du die Hände frei und kannst die Webnadel hin- und herziehen.«

Eva strahlte. In ihrer Freude sprang sie auf, faßte ihn an den Schultern, rüttelte ihn. »Ja, so geht’s, so muß es gehen!« rief sie und drückte einen herzhaften Kuß auf seine Lippen. Aber Peter, der schon wieder seine Arbeit im Kopf hatte, fuhr hoch: »Herrgott, jetzt ist mir am End‘ gar mein Feuer auf der Moorleiten ausgegangen!« Und schon eilte er in langen Sätzen davon.

Eva seufzte. Daß man mit ihm nie richtig schwatzen, ihn nie um Rat fragen und ein bißchen Lob ernten konnte! Ihre Stunden waren von früh bis spät mit Arbeit ausgefüllt, und was das Leben schön macht, das Feiern und Überdenken des Tagewerks mit einem Lebensgefährten, das fehlte ihr. Sie war einsam.

Eine Hoffnung aber blieb ihr: Einmal mußte Peter fertig werden mit der Tonbrennerei … ja, aber würde er dann nicht gleich einer neuen Erfindung auf der Spur sein? Und die Jagd und der Fischfang? Alles was recht ist, dachte sie, gesorgt hat er immer für mich, hat die kalte Höhle bewohnbar gemacht, hat die Sintflut überwunden… Sie konnte bei schlechtem Wetter daheimbleiben, er mußte hinaus. Und sein Jähzorn? Oder sollte sie freundlicher sein, ihn umsorgen, wenn er müde heimkehrte? Ja, das wollte sie.

Der Hochsommer war da, die Sonne ging am Sommerspitz unter, und die langen Tage waren bis zum Rande mit Arbeit ausgefüllt. Der Bau dieses Webstuhls kostete viel Zeit. Schon das Zurichten der Hölzer mit Feuer, Granitraspel und Säge dauerte eine kleine Ewigkeit. Und erst das Bohren der Löcher ins Grundholz, das als wuchtiger Fuß den Webrahmen tragen sollte! Darin mußten ja zwei Stäbe feststecken, in deren Gabeln oben der Tragstab zu liegen kam. Wie oft riß die Saite des Bogens, der den Drillbohrer antrieb; wie oft sprang der Bohrer aus dem Bohrloch! Es war zum Verzagen. Statt Peter um Hilfe zu bitten, dessen Feuer seit zwei Tagen drüben an der Moorleiten qualmte, suchte Eva in seinem Allerlei nach gegabelten Hölzern, die den Bohrer zwingen sollten, beim Drehen an einer Stelle zu bleiben. Sie fand eine verkrüppelte Staude mit dickem Stamm und aufsteigenden, gegabelten Ästen. Eva sah sofort, daß schon der erste schrägaufsteigende Ast mit seiner Gabelung für die Führung des Bohrers geeignet war; sie brauchte nur die Gabelzweige mit einem Querstäbchen zu einem Dreieck zu verflechten, in dem der mit den Händen gequirlte Bohrstab sich drehen sollte. Schon beim ersten Versuch zeigte sich, daß der Bohrer auch unten eine Führung brauchte; dazu dienten zwei andere Gabeläste, die Eva kreuzweise über dem Stammstück festband. Als sie das überflüssige Zweigwerk absägte, stieg ihr ein angenehmer, herbwürziger Duft in die Nase, der sie an die verräucherte Küche der Ahnl erinnerte. So hatten die Blätter gerochen, mit denen die alte Frau das Wildbret gewürzt hatte: Lorbeer! Wo gab es im Heimlichen Grund Lorbeer? Am Fuße der warmen Mittagswand, auf der Sonnigen Leiten, wo die Sonnenstrahlen den Südhang besser erwärmten als jede andere Stelle des Heimlichen Grunds und wo der Winter milder war?

Da die einzelnen Teile des Bohrergestells nicht wackeln durften, verband Eva sie mit halbtrockenen Darmsaiten. Dann befestigte sie ein Holzstück auf dem Gestellfuß, schabte eine Vertiefung ins Holz, tat Quarzsplitter hinein, senkte den Bohrstab von oben durch die beiden Führungen und begann, ihn mit beiden Händen zu quirlen. Damit sie nicht erst den Bohrstab mit Hand und Druckstein ins Bohrloch drücken mußte, hängte sie unten, zwischen den beiden Führungen, Steine an, die ihn durch ihr Gewicht niederdrücken sollten.

Eine Weile tat das neue Bohrgerät seinen Dienst so gut, daß Eva innerlich jubelte; dann aber lockerte sich die Bindung der unteren Führungsstäbe und mußte erneuert werden. Eva plagte sich redlich, es gelang ihr aber nicht, diesen Übelstand ein für allemal zu beheben. Als sie daran ging, mit dem Gerät für die Stützen ihres Webrahmens Standlöcher in den plumpen Holzblock zu bohren, der den Fuß ihres Webstuhles bilden sollte, erschrak sie: Es war unmöglich, den Block unter die untere Führung des Bohrers zu bringen – das Bohrgerät war unbrauchbar! – Nicht doch: sie brauchte es nur rittlings auf den Block zu setzen, dann ließ die untere Gabelung den Bohrer durch.

Nach zweitägiger Bohrarbeit saßen die Ständer des Webgestelles schon fest in den Löchern des Fußblocks und hielten in ihren Gabeln den Tragstab für die Längsfäden. Während Eva sie anknüpfte, um nach ihnen den beweglichen Rahmen einrichten zu können, kam Peter unvermutet heim, verrußt, aber in guter Laune. Eva weidete sich an seinem Staunen. Sie brauchte ihm nichts zu erklären; mit einem Blick erfaßte er die Güte und Zweckmäßigkeit des neuen Bohrers. Sofort legte er einen scheibenförmigen Kalkstein unter die Führung. Gewohnt, einen Bohrer mit der Bogensaite zu drillen, holte er sich ein Stück, wickelte es um den Bohrstab und spannte ihn mit den Händen. Beim Hin- und Herziehen der Saite tanzte der Bohrer unverrückbar an einer Stelle rechtsherum und linksherum. Die Quarzsplitter griffen kreischend in den Kalkstein, und ehe Peter müde wurde, hatte er eine ansehnliche Vertiefung erbohrt. Jetzt ließ er nicht mehr locker. Vergessen hatte er, warum er heimgekommen war, und nach kurzer Rast arbeitete er weiter, bis die Bohrerspitze durch die dünne Scheibe des weichen Steins gedrungen war; daß er den Bohrstab zweimal mit Wasser hatte anfeuchten müssen, damit er nicht glimme, war eine wichtige Nebenwirkung des verbesserten Geräts: Es war auch ein rasch und zuverlässig arbeitender Feuerbohrer! Die durchlochte Kalksteinscheibe aber bot sich förmlich als Wirtel an, der die beim raschen Drehen lockergewordenen Gewichtsteine am Bohrer ersetzen konnte. Während Peter wieder einmal von Evas Schwadenbrei aß, lobte er das neue Werkzeug.

Am nächsten Tag hängte Eva zwei Langstäbe mit Asthaken links und rechts an den Tragstab ihres stehenden Webrahmens und ließ sie in ein stärkeres Querholz ein, das als Kammstab mit ihnen zusammen den Innenrahmen zum Hin- und Herbewegen der Zweierfäden abgeben sollte. Dann aber kam eine neue Geduldsprobe: Für die Zinken des Schiebekammes, an deren Enden jeder zweite Faden gespannt werden sollte, mußten viele kleine Löcher in diesem Kammstab gebohrt werden. Die Zinken selbst durften anderthalb Finger lang sein. Eva bezeichnete die Länge durch eine tiefe Kerbe, und dort brach sie das Stück, das sie brauchte, ab. Dann hielt sie sein eines Ende vorsichtig in die Flamme und schabte und schliff es so lange auf einer Schieferplatte, bis es genau in das vorgesehene Bohrloch paßte. Endlich war der erste Rahmen für die geraden Fäden fertig und bespannt. Jetzt kam der zweite Rahmen für die ungeraden an die Reihe. Damit ging’s schon schneller. Und wieder fiel ihr eine Verbesserung ein. Sie wickelte einen Teil des Fadens um die Stäbchen und konnte so ein längeres Webstück anfertigen. Beide Rahmen versah sie mit nach unten gerichteten Asthaken, so daß sie mit den Füßen bedient werden konnten; auf diese Weise hatte sie die Hände frei für die Führung der Webnadel.

Diese Webnadel bestand aus Schilf und hielt nicht viel aus. Darum bastelte Eva aus einem fingerdicken Holunderstab etwas Dauerhafteres. Die neue Nadel war länger, als das Gewebe breit werden sollte, und vor allem kräftiger. Sie lag auch gut in der Hand. Gehöhlt, abgeschliffen und gewachst ließ sich ein sehr langer, geknüpfter Faden bequem aufwickeln. Von der einen Hand geschoben, von der anderen gezogen, unter und zwischen den gekreuzten Fäden dahin, glich sie einem flinken, langen und schmalen Schiffchen – einem Webschiffchen.

Evas Tag war genau eingeteilt. Frühmorgens untersuchte sie Krebsreuse und Fischnetz, nahm die Beute heraus, bereitete das Essen für den ganzen Tag, und was an Fischen übrig war, salzte sie ein und hängte es in den Rauch des Herdfeuers. Sie lüftete ihr Lager, kehrte die Stube, bestieg ihr längst verbessertes Floß und holte einen Topf voll Trinkwasser aus einem Quellbach, der in den Moorbach mündete. Auf dem Rückweg nahm sie mit, was sie an Beeren und Wildgemüse fand. Hatte sie so ihr Haus bestellt, dann trug sie den Webstuhl und den Sitzschemel, den Peter aus einem kurzen Baumstamm zurechtgehauen hatte, auf die Schattenseite ihres Randbodens und ließ das Webschiffchen durch die Fäden gleiten. In das gleichmäßige, leise Schlagen der Schiebrahmen mischte sich das Summen unzähliger Hummeln und Bienen, von den fernen Bachfällen klang gedämpftes Rauschen herüber.

Lenz

Von Woche zu Woche wurde der Talgrund reicher an Blumen. Die Tage wurden länger. Als die Sonne dicht neben der Henne unterging, hatte sie den Ort wieder erreicht, an dem sie zur Zeit der Kastanienreife untergegangen war. Damals war es Herbst gewesen, jetzt war es endlich wieder Frühling. Tage und Nächte waren wieder gleich. Der Föhn, der Schneefresser, hatte die Halden des Heimlichen Grunds von allen Spuren des Winters reingeleckt, und im Walde hatte er das tote Holz aus den Kronen geräumt, manchen morschen Baumriesen hingestreckt. Die Laubbäume unter der Südwand prangten im Knospengrün, und aus den mageren Zweigen der Lärchen auf der Moorleiten sproßten die blaßgrünen Büschel junger Nadeln. Die Welt wurde von Tag zu Tag schöner. Die Kalkhalden der Salzleiten leuchteten im Schmuck der fleischroten Frühlingsheide und der duftenden Goldprimel, deren Blütendolden sich über weißbestäubten, saftstrotzenden Blattsternen auf schlanken Schäften wiegten. Duftschwaden strichen von den Hängen zu Tal, wo sie sich mit den Wohlgerüchen großblütiger Veilchen und nickender Frühlingsknotenblumen vermengten. Waldbienen und Hummeln flogen schwerfällig dahin mit ihren dicken Höschen voll Blütenstaub.

Auch Peter und Eva waren im Sonnenschein stets unterwegs. Aber nicht sorglos trabten sie dahin; er trug seine Waffen und sie den Feuerkorb, stets gefaßt, es mit den Bären aufnehmen zu müssen, die den Talkessel unsicher machten. Doch wenn sie mit ihren Grabhölzern und holzgeschäfteten Steinmessern die noch zarten Blattsterne der Wegwarte, des Maßliebchens, des Wegerichs, des Baldrians, die üppigen Stauden der Brunnenkresse und die weichen Ranken der Gundelrebe als Wildgemüse ausstachen, folgten ihre Blicke den summenden Bienen und gaukelnden Faltern.

Auch der Geröllboden des Steinfeldes war nicht schmucklos. Lichthungrig reckte der Huflattich seine zartbeschuppten Stengel mit den hellgelben Blütenkörbchen der Sonne entgegen. Und am Waldrand schimmerten die weißen Blütendolden des Bärenlauchs, dessen breite, fettig glänzende Blätter so stark rochen.

Eva freute sich über den Gesang der Vögel, über die Balz der Waldhühner, Peter aber wollte jagen. Eier und Fleisch wollte er haben, frisches Fleisch und nicht mehr die ausgetrockneten, scharfgebeizten Reste der Wintervorräte! Es behagte ihm nicht mehr, sich hauptsächlich von Kräuter- und Wurzelmus zu nähren, wie es Eva in ihrer Freude am langentbehrten Gemüse tat. Oft stand er mitten in der Nacht auf und ging auf die Jagd.

An einem hellen Morgen trug er einen Auerhahn heim und prahlte damit, daß er ihn in der Frühdämmerung während des Hennenlockens erlegt hatte. Wochen später brachte er eine Auerhenne, die er beim Brüten erschlagen hatte. Eva war empört darüber, daß er nicht einmal eine brütende Vogelmutter verschonte. Der Auerhahn war zäh und die Henne mager. Peter freute sich auf die rotgelben, dunkelgetupften Eier. Es waren fünf Stück. Als Eva das erste öffnete, fiel ein Küken heraus, das aber noch nicht lebensfähig war. Die noch weichen Beinchen konnten den Leib nicht tragen, matt ließ es das Köpfchen hängen. Obwohl Eva das Vogelkind in die hohle Hand nahm und es mit ihrem Hauch wärmte, starb es vor ihren Augen. Keines der übrigen Eier war genießbar.

Ärgerlich warf Peter die kleinen Vogelleichen über die Brüstung der Schutzmauer hinaus auf den Köderplatz und verlangte barsch, Eva solle die Henne braten. Widerwillig tat sie es und gab außer Salz kein anderes Gewürz daran. Peter sollte merken, daß eine Bruthenne keine gute Brathenne abgibt. So ärgerte sich einer über den anderen, dieses und manches andere Mal. Groll stand zwischen den beiden, die aufeinander angewiesen waren.

Beutegierig durchstreifte Peter das Tal und ließ bald da, bald dort sein Lagerfeuer lodern, an dem er das erlegte Wild frisch briet und verzehrte. Eva hielt sich meist unweit der Höhle am Bocksgrabenbach auf. Aus seinem tief eingerissenen Bett sammelte sie das angetragene Schwemmholz auf, um damit das Herdfeuer zu nähren, das sie nun allein zu betreuen hatte. Zum Binden ihrer Bürde benutzte sie biegsame Weidengerten und Rindenstreifen, die sich samt dem saftreichen Bast von den Zweigen lösten. Von den abgestorbenen, moderfeuchten Zweigen, deren Rinde verwittert war, gingen ganze Strähnen Bastfasern ab. Dies brachte sie auf den Gedanken, aus dem Bast einen leichten Schurz und einen Schultermantel zu flechten. Dazu mußte sie viel Bast haben. Sie suchte die dichten Weidenbestände am Klammbach unweit des Sonnsteins auf, schnitt mit ihrem Steinmesser einen großen Vorrat von Weidenruten und stapelte sie am Fuße des Steigbaumes auf. Als sie nach einigen Tagen merkte, daß sich die Rinde von den abgestorbenen Ruten nicht lösen wollte, lagerte sie diese am Bachrand in einer mit Sickerwasser gefüllten Vertiefung ein. Fast jeden Tag trug sie einen neuen Vorrat schlanker, unverzweigter Gerten herbei.

Während sie eifrig sammelte, vergaß sie Peter und allen Verdruß und lauschte dem Trillern der Wasseramseln, mit dem sich das Gezwitscher der Grünfinken, der winzigen Goldhähnchen, der Zaunkönige und anderer Sänger zu einem vielstimmigen Chor vereinte.

Dann kamen wieder Tage tiefer Niedergeschlagenheit und einer unerklärlichen körperlichen Schwäche. Hatte sie sich beim Schleppen der angeschwemmten Holzblöcke überanstrengt? Mußte sie sterben? Eva bekam Angst. In ihrer Bangigkeit ging sie, trotz ihrer Furcht vor Bären, zum Grab der Ahnl. Ihr klagte sie ihren Kummer und bat sie um Beistand, um Fürsprache bei Gott. Während sie vor dem Grabhügel kniete, knackte es im Jungholz. Eine Rehgeiß trat mit einem weißgetüpfelten Kitz aus den Stauden hervor und äugte neugierig herüber zu dem weinenden Menschenkind. Das Kitz aber schmiegte sich an die Mutter und trank eifrig Milch. Unverwandt sah die Ricke mit ihren großen Augen nach dem staunenden Mädchen, das von dem Geheimnis der Mutterschaft zu ahnen begann.

Aus den drei Kastanien, die Eva im Herbst als Totenopfer am Grabhügel niedergelegt hatte, sproßten drei Schößlinge empor. Zwischen den großen Steinen, mit denen Peter das Gras zugedeckt hatte, bemerkte Eva einen Fingerknochen der Verstorbenen. Seltsame Gedanken bemächtigten sich Evas. Stieg mit den Bäumchen, die aus dem Leib der Toten wuchsen, nicht auch deren Seele empor zu ihr? Reichte die Ahnl ihr die Hand? War es ein Hilfeversprechen? Sie beugte sich zum Grabhügel nieder und nahm das gebleichte Fingerknöchelchen an sich. Auf der Brust wollte sie es tragen. Etwas von der Ahnl wollte sie bei sich haben, zum Schutz und Trost. Dann trug sie in ihren Händen Erde und Steine herbei, um die Hand der Großmutter vor jeder Entweihung zu schützen.

Getröstet verließ Eva die Stätte. Und als sie nach wenigen Tagen ihre frühere Gesundheit wieder erlangte, da glaubte sie fest daran, die Ahnl habe ihr geholfen.

Peters Töpferei

Der Webstuhl wurde Evas Lieblingsgerät. Bei schönem Wetter arbeitete sie bis zum Einbruch der Dämmerung draußen auf dem Randboden vor der Hütte, bei Regen in der Stube, wo sie das Gerät an die offene Tür rückte. Dort war es am hellsten. Die beiden schulterbreiten, langen Mattenstreifen waren längst zu einem Kleid verarbeitet, das, an den Seiten mit Eichelspangen verbunden und in der Mitte von einem Gürtel zusammengehalten, bis unter die Knie reichte. Eva überlegte: Hatte sie zwei Kleider, dann konnte sie eines als Hemd anziehen, und hatte sie gar drei, dann konnte sie ein Hemd waschen, während sie das zweite trug. Sie schüttelte den Kopf: Drei Kleider oder Hemden – nein, das wäre zu viel des Übermuts, wo doch der Bastvorrat zu Ende war! Dafür lernte Eva etwas anderes: Die langen, bandartigen Blätter der Rohrkolben ließen sich in welkem Zustand vorzüglich in den Webstuhl spannen. Rascher als das Bastgewebe wuchsen die Binsenmatten, deren breite Streifen Eva aneinanderheftete und als Unterlage in ihr Bett legte. Die Felle, die sie vorher benützt hatte, breitete sie über den Fußboden, der eine so unbehagliche und ungesunde Kälte ausstrahlte.

Jedesmal, wenn sie sich krank fühlte, meinte sie, das sei eine Strafe Gottes, weil sie ihr Gelübde nicht erfüllt hatte. Sie nahm sich vor, das versprochene Goldopfer körnchenweise zusammenzusuchen und die Gottheit zu versöhnen. Langsam fuhr sie in der Gegenströmung am Ufer entlang zur Moorbachmündung. Und als ob der Wille, das Gelübde zu erfüllen, ihr neue Kräfte eingeflößt hätte, hangelte sie sich am Ufergebüsch aufwärts, bis das Floß Sand berührte, nicht weit von der Stelle, wo Peters Fahrsteg verstaut war. Mit einer Zuversicht, über die sie sich selbst wunderte, schritt sie am Bachufer aufwärts.

Auf Peters Fischplatz angelangt, fand sie nicht, wie erwartet, ein Zelt, sondern eine Schilfhütte; es war nur ein Dach, das auf dem Boden ruhte. Ein Spinnennetz versperrte den Einschlupf, also war die Hütte seit Tagen unbenutzt.

Eva schlug den Pfad zum Goldbach ein. An der Brandstätte ihrer Erdwohnung vorbei schritt sie im fast trockengewordenen Bachbett aufwärts, während ihre Augen unablässig den Sand nach Gold absuchten. Vier winzige Körner waren ihre Ausbeute, als sie im Geröll der Moorleiten das Bachbett verließ. Da stand sie unvermittelt vor einem runden, auf trockenem Boden errichteten Pfahlbau. Er war kleiner als Peters Pfahlhütte im Moorsee, fest gefügt, aber im Aussehen ein wenig nachlässig.

Ob Peter der Schlangen wegen seine Fischerhütte verlassen hatte? Ob er da seine Goldschätze verwahrte? Eva stieg den mannshohen Steigbaum empor und blieb starr vor Staunen an der Schwelle der winzigen Stube stehen. Neben einem Fellhaufen stand da eine Reihe plumper, hartgebrannter Töpfe, Näpfe und Schüsseln. Die einen waren rotgebrannt, andere mit geschmolzenem Harz eingelassen, wieder andere hatten einen grauen, glatten, mattglänzenden Überzug, der sie wohl wasserdicht machen sollte. Prüfend nahm sie Stück für Stück in die Hände und klopfte daran: Es gab einen harten Klang. Und ihr schenkte Peter nichts davon? Das verdroß sie.

Neben dem aus Moos und Laub aufgeschütteten Lager fand sie einige klumpig zusammengeschmolzene Gesteinsstücke, die in dunklen Farben glänzten; sie waren aneinandergereiht, wie etwas Besonderes. Einige waren zerschlagen und zeigten scharfe Ränder. Darunter befand sich ein dunkles Stück, das zum Teil mit einem blauen Stein verschmolzen war. Es umschloß mattglänzende, tropfenförmige Körnchen, die Eva für Gold gehalten hätte, wären sie nicht rot gewesen. Daneben lag ein nadelförmig zugehämmertes Stück eines roten Metalls, es war Kupfer. Dann stand da eine tiefe Schale mit zerlassenem Harz, und daneben lagen schwärzlichgraue, mattglänzende Steine, die so weich waren, daß Eva sich die Finger beschmutzte, als sie daran rührte. Es war Graphit, den Eva ebensowenig kannte wie das Kupfer.

Jetzt musterte sie das Innere der Hütte weiter. An Querstangen hingen geräucherte Forellen, und an den geflochteten Wänden lehnten allerlei Geräte und neue Waffen. Darüber hingen die mit Moos ausgestopften Bälge zweier Alpenhasen. In einer Ecke sah sie ein gutgefügtes Bohrgestell mit tönerner Wirtelscheibe, daneben eine neue durchlochte Steinaxt, angekohlte lange Astgabeln, Bündel von Pfeilen. Neben kopfgroßen Stücken eines blau- und grüngefleckten Gesteins stand ein geharztes Henkelgefäß, dem ein Duft von frischem Honig entstieg. Der feuchtglänzende Rand war von Wespen, Bienen und Fliegen belagert, die sich höchst aufgeregt gebärdeten. Während Eva noch mit sich kämpfte, ob sie erst naschen und dann das Lager nach Gold durchsuchen sollte, trug ein Windstoß blauen, nach verbrannten Fichtenreisern duftenden Rauch in die Stube. Da verließ sie die Pfahlhütte und ging langsam dem Rauch entgegen.

Ein gut ausgetretener Pfad führte sie die Halde aufwärts. Je weiter sie kam, um so häufiger bemerkte sie Bruchstücke von gebrannten Töpfen und Schalen. Auf einem grasfreien Platz, der zahlreiche Fußabdrücke aufwies, fand sie einen Hafen feinen Sandes, große Lehmklumpen und zwei flache Gruben. Die eine enthielt eine zersprungene Schicht feinen, halbtrockenen Lehms, die andere, deren Rand grauschwarz glänzte, war mit einem schwärzlichen Brei angefüllt. Auf einer schattenlosen Bodenwelle standen im hellen Sonnenschein schwarze, dickwandige Näpfe und Schüsseln, deren Oberflächen deutliche Fingerabdrücke zeigten.

Nach wenigen Schritten sah sie einen mehr als mannshohen und fast ebenso breiten, plumpen Steinbau vor sich, dem dicker, blauer Rauch entquoll. Das ungefügte, stumpf kegelförmige Bauwerk war aus Kalksteinen, Glimmerschiefer, Granitbrocken und Lehm errichtet, hatte oben eine Rauchöffnung und unten, in Kniehöhe, einen gewölbten Feuerraum. Davor hockte Peter im Widerschein der Glut. Er schürte das Feuer und legte Holz nach. Ein breites Stirnband hielt seine ungekämmten, langen Haare zusammen; sein Gewand war dick verrußt.

Eva wollte ihn ungesehen beobachten und sich dann wieder davonschleichen. Der Wind aber trieb den Rauch gerade zu ihr herüber, und sie mußte husten. Da drehte sich Peter um. Mit einer tiefen, fremden Stimme fragte er: »Kommst du endlich?« Wie ein grollender Vorwurf klang es. Dabei leuchtete das Weiße seiner Augen aus dem geschwärzten Gesicht zu ihr herüber. Im Widerschein des Feuers stand Eva vor ihm: schlank, sauber und schön im neuen Bastkleid. Da trat der rußige Geselle in einer Aufwallung seiner alten Herzlichkeit auf sie zu, blieb aber, von ihrem abwehrenden Blick getroffen, verblüfft stehen. Und als Eva sich wortlos zum Gehen wandte, da ballte er die Fäuste. Aber er ging ihr nicht nach.

Der Pfahlbau des Rohrsängers

Gegen Mitternacht schlug der Wind um. Von Osten kommend, fegte er zerrissenes Gewölk vor sich her. Groß und strahlend wurden einzelne Sterne sichtbar, dann der blanke Mond. Von der Wohnhöhle drang das Rauschen des Wasserfalls schwächer und schwächer herüber, endlich verstummte es ganz. Oben hatte die Schneeschmelze aufgehört. Eisig strich der Wind aus dem Winkel zwischen den Salzwänden und dem Neuen Steinschlag nieder zum neu entstandenen See im Talgrund. Da dröhnte von der Klamm her ein fernes Tosen stürzender Wassermassen. Wie ein mächtiger Stromfall donnerte es fort und fort.

Peter strengte seine Augen an; er spähte zum Ahornbäumchen hinüber, dessen Krone unter dem Wasser schon bemerkbar war. Jetzt wurden einige Zweige sichtbar und teilten die darüberströmende Flut. Wippend und schwingend tauchte die Krone auf, dann schnellte sie, vom ziehenden Wasser sich lösend, empor.

»Das Wasser fällt!« Peter schrie es zu Eva hinüber. In abgerissenen Sätzen erklärte er, was er vermutete. Im kalten Wind hatte oben die Schneeschmelze nunmehr aufgehört. Die in der Klamm gestauten Wasser hatten die Höhe des Hindernisses erreicht; jetzt stürzten sie darüber hin und rissen gewiß die stauenden Steine mit sich fort.

Das Wasser sank zusehends. Noch vor Mittag stieg Peter zum Boden der Insel nieder, der mit Lehm, Geröll, Schwemmholz und unzähligen Schneckenhäusern übersät war.

Während er den Wasserstand ablas, sank die Flut vor seinen Augen um Fingerbreite. Das Dröhnen des Klammfalls dauerte fort. Auch Eva war von ihrer Fichte heruntergestiegen. Sie machte sich sofort ans Feuerbohren. Aber so sehr sie sich plagte, es wollte und wollte ihr nicht gelingen. Der Zunder war feucht geworden.

Peter watete über das Wiesenland, um in den Wohnhöhlen nachzusehen, was das Wasser verschont hatte. An der Lehne unter der Salzwand drang er zu den Höhlen vor. Der Steigbaum war nicht mehr da, auch die Schutzmauer war fort. Peter lehnte den nächstbesten der im Bachbett angeschwemmten Bäume in die Felsrinne und kletterte daran empor. Die untere Höhle war leer, als ob niemals Menschen darin gehaust hätten; nur die Tagmarken an der Wand und die verrußte Höhlendecke erinnerten an die Vertriebenen. Bis zu den Knöcheln watete Peter in einer Schicht angeschwemmten Lehms. Er stieg zu Evas Kammer hinauf. Funkelnd strahlte ihm das Bild der Sonne entgegen, unberührt standen die Bilder der Ahnen, und dahinter lehnten die Zeichensteine. Das Wasser hatte vor dem Heiligtum haltgemacht! Peter erschauerte. Evas Lager, ihr Arbeitstisch vor der Lichtluke, alles war so, wie sie es verlassen hatte.

Freudig erregt eilte Peter zurück: Eva mußte es wissen, Eva mußte mitkommen! Und als sie vor dem Heiligtum niederkniete, da war es ihr, als käme ihr vom Feuerkorb in der unteren Nische eine leichte Wärme entgegen. Hastig hob sie den rohen Buchenschwamm, den sie am Abend vor der Überschwemmung auf die Glut gelegt hatte: ein feiner, bläulicher Rauchfaden löste sich aus dem Inneren des heißen Schwammes. Sie zerschlug ihn mit einem Stein und schrie auf. Inwendig hatte er einen Glutkern! Da entnahm sie ihrem Lager trockenes Moos und Reisig und entfachte vor dem Hausaltar ein knisterndes Feuer. Wortlos knieten die Geretteten vor ihren Heiligtümern. Als Eva ihren Gefährten an sein Gelübde erinnerte, legte er zögernd das durchlochte Steinbeil zu den Zeichensteinen unter das Bild der Sonne. Dann füllte er Evas Feuerkorb mit Glut und Moder und wandte sich zum Gehen. Auf dem Rückweg zu den Wohnbäumen fragte Eva, wann sie in die Höhlen zurückkehren würden. Peter aber schüttelte den Kopf: »Nie mehr! Den Eiswassern ist nicht zu trauen.«

Auf dem Fuchsenbühel nahm Eva von ihrem dürren Nestreisig, zündete ein Feuer an und suchte dann Holz zusammen, um es daran zu trocknen. Peter ergriff Speer und Feuerkorb und setzte seinen Entdeckungsgang zur Südwand fort. Von der Steinschlaglehne aus konnte er einen Teil des Grundes überblicken. Das Steinfeld unter dem Sonnstein lag noch unter Wasser. Drüben an der Grablehne bezeichnete ein gelber Lehmstreifen an den Bäumen, wie hoch das Stauwasser gestiegen war. Wo das Grab der Großmutter sein mußte, schimmerte eine Lehmbank herüber, die flach im Wasser verlief. Nur die drei Opferbäumchen, die schräg über dem überdachenden Stein hervorwuchsen, bezeichneten die geweihte Stätte.

Vorsichtig setzte Peter seinen Weg fort, vorüber an den Bärenhöhlen. Verstreute Fraßreste und der grüne Rasen am oberen Saum des Laubwaldes ließen erkennen, daß das Wasser nicht bis an die hochgelegene Halde gelangt war. Die sonnige Leiten, über der die Bärenhöhlen lagen, war also der sicherste Ort im Heimlichen Grund.

In der Umgebung der Moorbachquelle und am ganzen Oberlauf des Baches war von Hochwasser nichts zu sehen. Die Wasserfülle des Moorbachs war nicht anders als nach einem starken Regen; nur an seinem Unterlauf fanden sich Spuren der gesunkenen Flut. Vorüber am Lagerplatz, vorüber an den zerstörten Fischreusen und am verschobenen Baumsteg gelangte Peter zum Hochmoor.

Aus dem jungen Grün der Riedgräser ragten große, blendend weiße Windröschen. Nirgends eine Spur von Lehm auf den Pflanzen. Die Überschwemmung hatte das Moor nicht erreicht, wenn auch das schwere Wasser draußen die Moorwässer am Abfluß gehindert und sie aufgestaut hatte.

Als Peter seine Blicke nach links wandte, da dehnte sich vor ihm, etwas tiefer als das Binnenwasser, ein großer See, der das Steinfeld bis zur Grableiten und zum Sonnstein bedeckte. Eine weite Bucht griff zwischen Laubwald und Lehmleiten herüber. Der obere Teil des Steinfelds, der Urwald und die Salzleiten waren schon wasserfrei. Auffallend still war es geworden, obwohl Peter dem Klammfall nähergekommen war! Verwundert lauschte er hinüber. Es war kein Irrtum. Nicht mehr so laut wie in der Nacht fielen dort die Wasser. War es ihnen nicht gelungen, die sperrenden Felsmassen ganz wegzuräumen, dann blieb der vom Klammbach durchflossene See bestehen. Gut, daß wenigstens der Wald und die Lehnen trocken waren. Nachdenklich betrachtete Peter das langsam ziehende Wasser dieses neuen Klammbachsees. Wie oft mochte der Seegrund schon vorher mit Wasser bedeckt gewesen und wieder frei geworden sein? Wälder mochten hier begraben liegen unter angetragenem Erdreich. Jetzt mußte ja wieder alles Jungholz zugrunde gehen, das sich auf der Heide angesiedelt hatte.

Alles, was auf dem Wasser schwamm, Holz und Tierleichen, trieb, langsam einer Gegenströmung folgend, die Lehmleiten aufwärts, der Moorleiten zu und staute sich im Winkel der Bucht, wo viele morsche Fichten festlagen, die das Hochwasser aus dem Urwald geräumt hatte. Auf dem starren Geäst und den brüchigen Wurzelresten der angeschwemmten Bäume saßen krächzend Rabenkrähen, Kolkraben und Nebelkrähen, und mitten unter ihnen, schwer vom aufgenommenen Aas, drei Geier. Träge blinzelten sie zum Menschen herüber.

Peter kehrte zum Moorbach zurück, überschritt den Stegbaum und versuchte, den oberen Rand des Moores abzugehen. Da sah er hüfthoch über dem Wasser im Röhricht ein sonderbares Nest. Einige dürre, vorjährige Schilfhalme waren sehr geschickt mit Gräsern durch- und umflochten; ihre nahe zueinandergezogenen Blätter und Blütenrispen deckten das luftige Heim des Rohrsängers gegen den Regen und gegen die Blicke der Raubvögel. Das Nest wollte Peter haben, um es Eva zu zeigen. Aber der zähe, schlammige Boden gab unter seinen Füßen nach, und er mußte zurück. In weitem Bogen stieg er durch ein Gewirr von Brombeerranken und Waldreben die Halde oberhalb des Moors hinauf und stieß auf einen knietief ausgewaschenen Graben mit sandigem Grund, über dem das Wasser rostgelb schimmerte.

Dieses Bachbett war ein bequemer Weg. Er führte aufwärts. Als Peter unter den Kieskörnern der sandigen Uferhänge abgerollte Granate schimmern sah, dachte er an Eva und bückte sich, um für sie einige der rotleuchtenden Steinchen aufzulesen. Wie staunte er, als er dicht daneben ein hellgelbes, undurchsichtiges Steinchen von wunderbarem Glanze fand, nicht größer als ein Lindennüßchen. Er suchte weiter, aber es dauerte lange, bis er ein zweites von gleicher Schönheit in der Hand hielt. Wie schwer diese gelben Steinchen waren! Eine Erinnerung aus dem früheren Leben in der großen Welt stieg in ihm auf. So ein gelbes, schweres Klümpchen hatte auch in Ahnls Alraunkästchen gelegen, ein Goldkorn, das der alte Mann gefunden und seinem Alraun geopfert hatte.

Im Laubwald erlegte Peter zwei Eichhörnchen. Müde und hungrig langte er bei Eva an, drückte ihr die mitgebrachten Granate und Goldkörner in die Hand und begann, die Hörnchen abzubalgen. Dabei erzählte er eifrig vom schönen Moorsee mit seinen Baumgruppen, vom Treibholz, von den Raben und Geiern. Mit Entzücken schilderte er ihr das kunstvolle Nest des Rohrsängers, das unzugänglich für Schlangen und Marder, geborgen vor den Blicken der Raubvögel, auf hohen Stützen wie auf Pfählen über dem Wasser schwebte.

Eva saß verträumt neben ihm und konnte ihre Blicke nicht abwenden vom gleißenden Gold auf ihrem Handteller. Ein Begehren stieg in ihr auf: »Gibt es dort noch mehr davon?«

Gold!

Die nächsten Tage waren sonnig. Eva besserte heiter die beiden Wohnnester aus. Sie schnürte die Bodenstäbe mit Waldreben an den Ästen fest, durchflocht die Wände mit biegsamen Ranken, polsterte die Lager mit Moos aus, das sie zuvor an der Sonne getrocknet hatte, und vergaß auch nicht, Büschel von gelbem Steinklee und Stinkender Nieswurz einzulegen, die das Ungeziefer fernhalten sollten. Peter trieb sich meist draußen herum. Er war schon zweimal zur großen Brandstätte im Urwald gegangen, wo er von den angekohlten Baumriesen Brennholz brechen konnte. Jetzt drang er zu der Stelle vor, wo er im Gerbtümpel seine großen Fellvorräte eingelagert hatte. Nur an den Bäumen erkannte er den Ort wieder. Der Tümpel lag voll Lehm, Sand und Geröll, das der Klammbach aus seinem Bett herübergeräumt hatte. Ob die Felle darunterlagen?

Mit beiden Händen begann er zu wühlen; ungefähr in Kniehöhe traf er auf die Beschwersteine. Seine tastenden Füße fühlten die weich aufgequollenen Häute. Aber der nachdringende Schlamm füllte die Grube wieder. Peter mußte die Felle lassen, wo sie waren, bis der Wasserspiegel sich gesenkt hatte. Im seichten Bocksgrabenbach säuberte er sich Hände und Füße. Dann eilte er zu Eva. Er fand sie neben der Feuerstelle damit beschäftigt, eines der Goldkörner mit einem Jaspissplitter zu durchbohren.

»Was willst denn damit?«

»Auffädeln will ich’s, um den Hals will ich’s tragen; schau, es läßt sich bohren.«

Da griff er danach und machte große Augen. In feinen Spänen kräuselte sich das Metall an der Bohrstelle auf. Das war ja weich! Peter wendete das Korn hin und her, legte es dann vorsichtig auf sein Steinbeil und drückte kräftig mit einem Fauststein darauf. Eine Narbe war entstanden. Es gab dem Druck nach! Und dann begann er es zu klopfen, unbekümmert um Evas Einwände: »Es gehört mir, du hast mir’s geschenkt, du darfst es nicht zerschlagen!«

Schon nach wenigen Schlägen war das Korn flach geworden. Jetzt hämmerte Peter darauf los. Er war etwas Neuem auf der Spur. Und sooft Eva ihm in den Arm fiel, schob er sie beiseite. In seinem Kopfe drängten sich die Gedanken. Wenn das Gold sich flachschlagen ließ, konnte man ja daraus machen, was man wollte! Erst als er es zu einem Blättchen geschmiedet hatte, so groß wie sein Daumennagel, hörte er auf. Dann durchbohrte er es mühelos mit seiner Pfeilspitze und reichte es Eva hin: »Da, häng’s dir um.« Die zahllosen Narben glitzerten und flimmerten, entzückt fädelte Eva das Schmuckstück neben das Fingerknöchelchen der Ahnl auf die Halsschnur. Dann gab sie Peter das andere Goldkorn und machte sich ans Kochen. Er war jedoch nicht zu bewegen, ihr noch weiteren Halsschmuck zu schmieden, und erklärte rundweg, das Korn gebe er nicht mehr her. »Erst hast’s mir g’schenkt, und jetzt nimmst es wieder!« warf Eva ihm vor, er aber lachte und behielt es – er war ja der Stärkere.

Noch mehr Goldkörner wollte er suchen, nußgroße, wenn möglich oder gar faustgroße Klumpen. Daraus ließe sich eine wuchtige Keule oder eine Trinkschale herstellen oder – etwas anderes. Seine Phantasie spiegelte ihm eine goldene Zeit vor, die jetzt kommen mußte. Wie behext von diesem Edelmetall, das sich kalt schmieden ließ, hielt er es für unbegrenzt verwendbar. Eva verlegte sich aufs Bitten; das Goldkorn gehörte ja ihr. Und als sie mit Bitten nichts ausrichtete, begann sie zu schimpfen und zu weinen; sie versuchte sogar, ihm das gelbe Korn zu entreißen. Die starke Faust, die das Gold umklammert hielt, stieß Eva zurück, daß sie taumelte.

Mit dem Gold war ein unguter Geist ins Leben der beiden jungen Menschen gekommen: die Besitzgier.

Zelt, Erdstube und Fahrbaum

Eva wollte versuchen, selbst Gold zu finden. Peter hatte keine Zeit, sich um Evas Stimmung zu kümmern. Seine nächste Sorge galt den Fellen, die aus der Grube mußten. Aus einer starken Astgabel und einem Asthaken machte er sich die notwendigen Werkzeuge, um die Beschwersteine fortzuschaffen und die Felle aus dem Schlamm zu ziehen. Der Versuch gelang.

Als Peter die Felle im Klammbach reinigte, gingen die Haare ab, aber das aufgequollene, braungewordene Leder selbst war brauchbar. Es war geschmeidig, es roch herb, aber nicht widerlich, wie rohe Häute sonst riechen. Und Peter nahm sich vor, von nun an nur einen Teil seiner Felle zu räuchern, die anderen aber in einer Grube zwischen Laub und Rinde einzulegen.

Da er sich mit dem Gedanken trug, näher bei der Fundstelle des Goldes zu siedeln, schaffte er nach und nach seinen ganzen Ledervorrat an den Lagerplatz vom Vorjahr, bei den wiederhergestellten Fischreusen, wo er sich abermals eine Feuerstelle eingerichtet hatte. Die Felle legte er zum Trocknen über Sträucher. Als ihn dabei ein Platzregen überraschte, schlüpfte er unter das überdachte Gezweig und freute sich, daß er einen so guten Regenschutz hatte. Kaum hatte der Regen aufgehört, ging Peter daran, vor dem Felsen, der sein Lagerfeuer schützte, ein dauerndes Obdach herzustellen. Er bog zwei junge Eschen nieder, die vor dem schmalen Felsvorsprung in der Nähe seiner bisherigen Feuerstelle wuchsen, und kürzte die Kronen. Dann rammte er noch vier Jungfichtenstämmchen in den Boden, bog die Enden aller Stangen mit einem Asthaken gegeneinander und band die Wipfelstummel mit gedrehten Weidenruten zusammen. Auf das kegelförmig zusammenlaufende Gerippe heftete er das noch nasse, schmiegsame Leder und beschwerte die auf dem Boden aufliegenden Ränder mit Steinen. Das Zelt war entstanden!

Einen Lederlappen, der ihm den Einschlupf schließen sollte, versah er mit Randlöchern, um ihn leicht festmachen zu können. Im sandigen Lehmboden unter dem Zelt hob er eine Schlafmulde aus. Die Erde warf er nicht achtlos beiseite, sondern häufte sie rings um seine Schlafstätte zu einem kleinen Wall auf. Dann holte er Reiser, Laub und Moos. Peters Zelt sollte zwar nur vorübergehend benutzt werden, trotzdem war es recht wohnlich. Das Goldkörnchen tat er in eine Muschel, die er unter seine Liegestatt schob.

Die nächsten Tage galten dem Fischfang und dem Sammeln starker Schilfhalme zu neuen Pfeilen. Wieder stand Peter vor dem Nest des Rohrsängers und dachte darüber nach, wie gut es wäre, wenn auch er und Eva ihre Nester hoch über dem Wasser hätten, das ihnen die Bären vom Leib halten oder wenigstens deren Abwehr erleichtern würde. Freilich müßten Bäume und nicht Schilfhalme die Menschen-Nester tragen. Vorläufig genügte ihm das Zelt, aber der Gedanke an ein sicheres Heim nach Art des Rohrsängernestes ließ ihn nicht mehr los.

Beim Schilfschneiden stöberte er ein sonderbares Tier auf. Es hatte ein braunes, glänzendes Fell und eine geschmeidige Gestalt – er hielt es für eine Art Marder und täuschte sich nicht: es war ein Fischotter. Deutlich sah er, daß der Braune, Schlanke eine zappelnde Forelle in der flachen Schnauze trug. Da hatte er ja einen Fischräuber entdeckt, dem er fortan nachstellen wollte, schon um Eva einen glänzenden Pelz zu schenken!

Wohl ging Peter auf dem im Röhricht gebauten Pfad unbewußt zu der Stelle, wo er das Gold gefunden hatte, und kam dabei vom Moorufer ab, seine Gedanken aber kreisten unaufhörlich um die neue Wohnmöglichkeit: eine Hütte, ein Nest, wie der Rohrsänger es hatte. Erst als er, im Bachbett aufsteigend, einige winzige Goldkörner in der Böschung glitzern sah, kam er auf andere Gedanken. Langsam und bedächtig begann er die goldführende Sandschicht mit seinem Hartsteinfäustel zu schürfen. Die Körnchen, die im rieselnden Sand schimmerten, waren nicht größer als die Samenkörner des Wegerichs, aber er sammelte sie gierig auf und grub weiter. Schließlich arbeitete er, vom Erfolg angestachelt, mit einem Eifer fort, der ihn alles andere vergessen ließ. Als spät nachmittags der Hunger ihn zwang, die Arbeit zu unterbrechen, hatte er eine tiefe Nische in die Böschung gegraben. Unter dem Sand war er auf Lehm gestoßen, der noch von der Nässe der Schneeschmelze durchdrungen schien und nicht die geringsten Spuren von Gold zeigte. Peters Ausbeute an gelbem Metall war gering. Aber es war Gold, schönes, reines, kostbares Gold!

Von den Forellen, die er morgens gefangen hatte, briet und verspeiste er nur zwei, die übrigen hängte er in den Rauch. Er übernachtete im Zelt. Eva wußte er im Schutz des Feuers, und da sie schon im Vorjahr wochenlang allein ihre Nahrung gefunden hatte, machte er sich um sie keine Sorgen. Außerdem hatte sie ja noch genug von den Wintervorräten übrig.

Bei Eva war es anders. Sie bangte um Peter. Ihre Angst um ihn war stärker als ihr Zorn.

Nach einer durchwachten Nacht, in der sie die Lockrufe der Eulen aus unheimlicher Nähe gehört hatte, schlief sie im Morgengrauen endlich ein und erwachte erst, als ihr die Sonnenstrahlen durch eine Fuge der Nestwand steil ins Gesicht schienen. Peter war noch nicht zurück! Sie ging ihn suchen. Erst durchschritt sie das verschlammte Grasland und Buschwerk oberhalb des Fuchsenbühels und überquerte dann die mit verblühten Huflattichen übersäte Steinschlaghalde. Vorsichtig umging sie den Laubwald an der Südwand und lief an den Bärenhöhlen vorbei zum Alten Steinschlag und zur Moorbachquelle. Dann stieg sie im Bachbett abwärts. Schneller als sie gedacht, langte sie an Peters Lagerplatz an. Er war nicht da. Staunend besah sie sein Zelt und dessen Einrichtung. Daß sein Lagerfeuer glomm, beruhigte sie.

Plötzlich fuhr ihr ein Gedanke durch den Kopf: Im Goldgraben ist er, darum die Heimlichtuerei! Sie wußte nicht, wo der Graben lag, darum blieb ihr nichts anderes übrig, als dem von Peter getretenen Pfad im Busch und Schilf zu folgen. So kam auch sie an das Nest des Rohrsängers, war aber viel zu sehr von der Absicht eingenommen, Peter beim Goldsuchen zu belauschen, als daß sie sich langen Betrachtungen über den Pfahlbau des Vogels hingegeben hätte. Der Pfad führte sie zum Graben, wo sie die Spur verlor. Also im Bachbett weiter! Kalt drang das Wasser durch die löcherigen Sohlen der Fußwickel, sie achtete nicht darauf. Mit gierigen Blicken suchte sie den glimmerreichen, in der Sonne glitzernden Sand beider Ufer nach Goldkörnern ab.

Als es ihr glückte, ein winziges Körnchen zu finden, hätte sie aufjubeln mögen. Aber sie hielt an sich. Jedes Geräusch vermeidend, drang sie bachaufwärts. Und unbemerkt stand sie plötzlich hinter Peter, der, auf einem Sandhaufen kniend, mit einer Muschelschale vorsichtig an einer Seitenwand der Sandkammer schabte. Eva hielt den Atem an. Obwohl sie vermutete, daß er nach Gold grub, hielt sie es für klüger, ihm nicht zu verraten, daß sie ihn durchschaut hatte. In ihrer Begierde nach dem blitzenden Metall beschloß sie, dem Goldgräber die Fundstelle abzulisten.

»Peter!« rief sie so freundlich, als läge nichts zwischen ihnen. Da fuhr er herum: »Was machst du da?« Und sie fragte scheinheilig: »Wird das eine Stube für mich?« Einen Augenblick schaute er ihr verdutzt ins Gesicht. Und dann begann er umständlich auszumalen, was erst ihre Frage in ihm angeregt hatte: »Ja, wenn’s dir so recht ist. Es fehlt nimmer viel, dann brauchen wir nur oben ein paar feste Stangen darüberzulegen und Reiser und Schilf und Rasen drauf; den Boden machst dir schön eben, an der Rückwand kannst dir die Liegestatt richten und vorn die Feuerstelle, daß dir kein Bär hineingeht. Das Wasser ist weit genug weg, die Schneeschmelze ist vorbei, ich glaub‘, da kannst du recht gut hausen; wenigstens den Sommer über. Ja.«

Eva nickte verblüfft. Jetzt wußte sie erst recht nicht, wie sie daran war. Und unvermittelt bat sie um eine Forelle.

Da fragte er lauernd: »Warst du auf meinem Lagerplatz?«

»Ja«, antwortete sie einfach, ohne den Argwohn in seiner Frage zu bemerken. Er wies sie an, einstweilen den Boden ihrer neuen Stube zu ebnen, und dann lief er fort; in der linken Faust hielt er die neue Ausbeute an Goldkörnern. Der Verdacht, sie habe auf seinem Lagerplatz nach dem Gold gesucht, trieb ihn zum Zelt.

Alles war unberührt. Beruhigt tat er die neue Ausbeute dazu und vergrub den Schatz tiefer, bevor er seine Liegestatt darüber in Ordnung brachte. Mit drei Forellen eilte er zu Eva zurück, machte aber nicht den Umweg über den Schilfboden, sondern bahnte sich quer durchs Dickicht einen neuen, geraden Pfad hinüber und war überrascht, wie nahe die künftige Erdstube Evas bei seinem Lagerplatz lag. Einträchtig schmausend, wie in alter Zeit, saßen sie auf dem Boden des neuen Heims und beeilten sich mit dem Essen, um möglichst bald mit dem Erweitern und Decken der Erdstube beginnen zu können. Ohne Verzug machte sich Peter daran, das notwendige Holz heranzubringen, während Eva Rasenflöze beschaffte und damit den Stubenboden erhöhte. Als Peter zu lange ausblieb, folgte sie ihm zur Holztrift.

Wie staunte sie über die unerschöpfliche Menge angetriebener Baumstämme und Strünke! Die Geier und Raben, die sie nach Peters Schilderung an der Stelle erwartet hatte, waren nicht mehr zu sehen. Dafür wimmelte es im Wasser von Fischen, die sich an Aasresten gütlich taten. Viel Wassergeflügel trieb sich zwischen dem Schwemmholz herum, Bläßhühner und Enten mit ihren Jungen, Zwergreiher und Rohrdommeln. Langbeinige Reiher standen unbeweglich lauernd im Seichten; ab und zu stieß einer den spitzen Schnabel ins Wasser. Sie fischten. Das Federvolk des Heimlichen Grunds hatte aus der Welt da draußen Zuzug erhalten, der neuentstandene See hatte die darüberstreichenden Wandervögel angelockt. Erst als Peter ins Wasser watete und aus den kreuz und quer gestauten Hölzern Jungstämme zu ziehen begann, erhoben sich die Reiher und ließen sich auf den Bäumen am Waldrand nieder. Enten und Bläßhühner aber blieben.

Peter stieg von Baumstamm zu Baumstamm, brach da ein Aststück ab, zerrte dort ein Jungstämmchen hervor und warf es Eva zu. Kühner werdend, drang er zum äußeren Teil der Trift vor, wo sich, vom tieferen Wasser getragen, einzelne Stämme wiegten. Das schwimmende Holz reizte ihn; er konnte nicht mehr widerstehen und setzte sich rittlings auf das Stammstück einer Fichte, die vom Waldbrand entästet worden war. Es tauchte unter seiner Last tiefer, rollte nach links herum und warf ihn ab. Eva schrie entsetzt auf. Geistesgegenwärtig griff Peter ins Geäst eines anderen Baumes und setzte sich darin fest. Langsam trug die Strömung ihm den angekohlten Stamm wieder zu. Peter brach sich zwei lange, handgerechte Stangen und setzte sich wieder rittlings auf das widerspenstige Stammstück.

Tastend ließ er die Stangen bis zum Grunde niedergleiten und spürte, daß sie nicht mehr auf Lehm stießen, sondern bereits auf den Schotter des Steinfeldes. Eva beobachtete sein Tun mit steigender Angst. Jetzt wendete er den Baum. Erst langsam und schwankend, dann schneller und sicherer fuhr er dahin, und jauchzend vor Freude durchquerte er die seichte Bucht fast bis zum Sonnstein. Durch die Strömung des tieferen Klammbachs wagte er sich nicht. Bei der Rückfahrt schoß er schon tollkühn dahin und ließ seinen Fahrbaum auf der Lehmböschung des Ufers auflaufen. Kaum hatte er das Fahrzeug festgemacht, eilte er in sein Zelt, wo er sich, zähneklappernd vor Kälte, im Moos des Lagers vergrub.

Eva aber schleppte mühsam das Deckholz zu ihrer Erdstube, legte es auf und versah es mit einer schräg nach vorn abfallenden Schicht aus Schilf, Reisern, Rasenstücken und Steinen. Todmüde kam sie gegen Abend zu Peters Zelt und wollte Glut für ihre neue Feuerstelle holen, doch sie fand es leer.

Wartend schürte sie das Feuer. Da kam er schon vergnügt vom Fischplatz und trug an einem Stock aufgefädelt vier schöne Forellen und ein braunes Tier von Katzengröße: den Fischotter, in dessen Nacken noch der Pfeil steckte. Evas Entzücken über das glänzende Fell, ihr Staunen über die Schwimmhäute des schlanken Räubers, ihre unverhohlene Bewunderung für den Jäger machten Peter stolz. Und als Eva von ihrer Erdstube anfing und Peter für den guten Einfall dankte, nahm er diesen unverdienten Dank nicht nur an, sondern schmückte seinen nicht gehabten Einfall sogar kräftig aus. Einträchtig saßen sie beieinander und waren sich nicht bewußt, daß der Gier nach dem Gold die Lüge gefolgt war.

Schlangen in der Erdstube

Am nächsten Tag schleppten Peter und Eva ihre ganze Habe aus den Baumnestern ins Zelt und in die Erdstube. Der Speer, der bald als Waffe, bald als Bergstock diente und seit der Höhlenflucht als Zeitmesser auch die eingeritzten Tagmarken aufwies, ruhte jetzt als Tragstock auf den Schultern der beiden hintereinander Schreitenden. Er bog sich unter der Last der Vorräte, die nur wenig leichter waren als beim Auszug aus den Höhlen. Peter, der vorausging, hatte hinter dem Gürtel ein altes Steinbeil, und Eva trug den Feuerkorb, auf dessen Glut sie vermodertes Laub und Gras gelegt hatte; das gab einen dicken Qualm, der die Bären, an deren Höhlen sie vorübermußten, abhalten sollte. Als sie an der Moorbachquelle rasteten, schmückte Eva wie in sorglosen Zeiten ihr Stirnband mit Blumen. Mit Freude stellte sie fest, daß die Erdbeerstauden reichlich angesetzt hatten. Plötzlich fielen ihr die Heiligtümer ein – die waren ja noch in der Höhle! Doch Peter sagte rauh: »Deswegen gehen wir nicht zurück. Überhaupt sind sie dort besser aufg’hoben als am Moorbach.« Er mochte nicht an den Ort erinnert werden, wo seine durchlochte Steinaxt lag, eine Weihgabe, die er noch nicht verschmerzt hatte.

Eva begann, das neue Heim einzurichten. Sie war bedrückt. Selbstvorwürfe und bange Ahnungen quälten sie. Das war kein Wunder; denn war die neue Wohnung sicher, barg sie nicht unbekannte Gefahren? Die Sonnenscheibe war nicht mehr bei ihnen – wer sollte sie beschirmen, wenn Unheil drohte? Eva beschloß, bald, so bald als möglich eine Kostbarkeit, ein Goldopfer im Heiligtum niederzulegen.

Peter, der seine Zeit zwischen Fischfang, Holzholen und Goldsuchen teilte, wollte verhindern, daß Eva ihm nachgehe. Er brachte ihr einen grob zugehauenen Serpentinkeil, gab ihr das Bohrzeug, eine Bocksblase voll feingeschlagener Quarzsplitter und verlangte barsch, sie solle ihm das Steinbeil durchlochen; ja, er legte ihr zum Schleifen auch schon den Sandsteinblock hin. Widerwillig fügte sie sich. Sooft sie Peter fern wußte, verließ sie die aufgezwungene Arbeit und ging ihren eigenen Aufgaben und Sammelgelüsten nach. Als erstes lagerte sie ein Bündel Schößlinge von Weiden, Erlen und Hartriegel im Moorbach ein, sie brauchte neuen Bast, um ihre schadhaft gewordene Kleidung zu ersetzen; sie schleppte Stangenholz herbei, um ihre Erdstube nach vorn abzuschließen; dann aber machte sie verstohlen Grabversuche im Bachbett. Im Traum hatte sie dort kopfgroße Goldklumpen gefunden. So klein ihre Ausbeute war, sie gab die Hoffnung nicht auf und barg ihre Schätze – recht schlau, wie sie glaubte – auch unter ihrer Liegestatt; sie wußte nicht, daß Peter ein ähnliches Versteck hatte.

Schon reiften die Erdbeeren, und Evas Ahnungen schienen sich als grundlos zu erweisen. Ihr neues Heim, in dem jedes Gerät seinen Platz hatte, gefiel ihr um so besser, je mehr angenehme Nachbarn sie kennenlernte: drüben im Weißdornbusch ein Zaunkönigspärchen, mit seiner Geschäftigkeit und dem überlauten Singsang, der wie ein Tonwunder aus den winzigen Kehlen drang; in einer Astgabel des Haselnußstrauches dicht daneben bauten Zwergmäuse an ihrem kugelrunden Nest. Eva konnte sich an dem entzückenden Treiben der rotbraunen, weißbäuchigen Flechtkünstler nicht sattsehen, wie sie mit zierlichen Pfoten und Nagezähnen die Grashalme darunter und darüber schoben und mit klugen Äuglein das zusehends wachsende Werk von allen Seiten beguckten.

Den schönen Frühlingstagen folgte anhaltendes Regenwetter; eintönig trommelten die Tropfen auf das Schilfdach. So dicht auch die Balken mit Reisig, Moos und Blättern belegt waren, schließlich konnte die Decke den Regen nicht mehr abhalten.

Das Wasser rann an den sandigen Seitenwänden der Stube nieder. Eva entschloß sich, durch dicht nebeneinander eingerammte und der Quere nach verflochtene Stäbe, an denen ein Lehmbelag halten konnte, die Sandwände vor dem Niedergehen zu sichern. Das abschüssige Dach bedeckte sie dick mit Schilf und legte Steine darauf, damit das Regenwasser durch die abwärts gekehrten Rispen besser abfließen konnte. Den oberen Rand des Daches und das abstehende Erdreich deckte sie fugenlos mit Rasenflözen.

Den Stubenboden belegte sie mit einem zähen Brei aus nassem Gras und Lehm und deckte knöchelhoch trockenes Laub darüber. Dann führte sie gegen den Bach zu eine kniehohe Schutzmauer aus Steinen auf, deren Fugen sie mit Moos und Lehm abdichtete. Mit einem Weidengeflecht verschloß sie den Eingang bis auf eine schmale Öffnung. Über der mit Fellen verhängten Gittertür ließ sie eine Lücke, durch die der Rauch abziehen und Luft und Licht herein konnten.

Je wärmer die Tage wurden, um so unangenehmer machten sich allerlei Nachteile der Erdwohnung bemerkbar. Zecken, Asseln, Skorpione und anderes Ungeziefer stellten sich ein. Vom nahen Moor kamen ganze Wolken von Stechmücken, die besonders abends, wenn das Feuer niedergebrannt war, zur Plage wurden. Peter ging es in seinem Zelt etwas besser; ihn machte die schwere Arbeit an der Trift, wo er Tag für Tag Holz ins Trockene schleppte, so müde, daß er im Schlaf die Stiche gar nicht spürte. Ein weiterer Schutz mochte auch seine rußverschmierte Haut und die streng nach Rauch riechende Fellkleidung sein.

Eva aber litt sehr. Das hohe, aufdringliche Sirren der fliegenden Quälgeister ließ sie lange nicht einschlafen. Es war in der Nacht vor der Sommersonnenwende, als sie sich Selbstvorwürfe darüber machte, daß sie beide seit dem Verlassen der Heiligtümer die gemeinsamen Andachten vernachlässigt hatten. Sie warf sich vor, daß sie Peter wieder verwahrlosen ließ, der vor lauter Arbeit gar nicht dazu kam, sich seiner guten Vorsätze zu erinnern. Die vom Rauch gebeizten Augen auf das niedergebrannte Feuer gerichtet, lauschte sie dem Murmeln des Baches und den geheimnisvollen Lauten des Waldes. Da hörte sie im Dachgestänge ein leises Knistern. Sie hob den Blick und sah im schwachen Schein der Glut den braungelben, schwarzgetüpfelten Bauch einer Sandotter, die langsam durch das Reisig herabschlüpfte. Wie gelähmt folgten Evas Augen den Bewegungen des Tieres. Sie sah es in einer Ritze des Wandbelags zum Boden streben, wo es den aschgrauen, verschlungenen Leib der von der Feuerstelle ausstrahlenden Wärme aussetzte. Eva rührte sich nicht vor Angst, die Schlange zu reizen. Die Mücken wurden zudringlicher, bohrten die Rüssel in Evas Lippen und Augenwinkel, und sie mußte es geschehen lassen. Regungslos verharrte sie auf ihrem Lager auch dann, als sich zwei andere Ottern zu der ersten gesellten. Nun war die Strafe der gekränkten Gottheit für den Undank da! Eva betete ohne Zuversicht um Barmherzigkeit. Keine Flamme erhellte mehr den Raum; das Feuer glühte schwach und schwächer. Evas Angst wuchs in dem Maße, in dem ihre Augen versagten. Schließlich vermochten ihre Blicke die Finsternis nicht mehr zu durchdringen. Sie lauschte angestrengt, hörte das gedämpfte Raunen des Bachs, vernahm das Trippeln und Krabbeln unsichtbarer kleiner Tiere. Vom Walde her klang matt das Kreischen, Pfeifen und Kichern der Eulenvögel. Da! Ein kläglicher Aufschrei, vielleicht einer Wildtaube, die auf ihrem Nest von einem Marder oder einem Uhu gemordet wurde. Wieder das Trappeln kleiner Füße in unmittelbarer Nähe, dann das gereizte Zischen einer Schlange und das Schmatzen eines fressenden Tieres. Räumte ein Igel unter den Schlangen auf?

Erst als die Strahlenbündel der aufgehenden Sonne die Stube erhellten, wagte sich Eva von ihrem Lager. Die unheimlichen Besucher waren fort. Doch lag da nicht der Kopf einer Schlange? Vorsichtig näherte sie sich dem Rest der Igelmahlzeit. Angeekelt wich sie zurück. Ihr war, als hätte sich der Oberkiefer mit dem häßlichen, graubeschuppten Horn bewegt.

Mit einer langen Rute kehrte sie die Asche von den glimmenden Kohlen, schob den Schlangenkopf hinein und streute Reiser und Laub darauf. Als die ersten Flämmchen aufflackerten, trat sie ins Freie. Bis zu den Knöcheln im Bache stehend, wusch sie sich Kopf, Oberkörper und Arme. Die prickelnde Kälte des Wassers tat ihr wohl.

Sie suchte Peter auf und erklärte mit großer Bestimmtheit, sie werde nicht eine Nacht mehr in ihrer Erdstube zubringen, wo sie sich vor Ungeziefer und Schlangen nicht zu retten wisse. Er las die große Angst in ihren Augen und hatte Mitleid mit ihrer Pein. Ein Frösteln überlief seinen Leib. Er stellte sich vor, daß er vielleicht auch Schlangen in seinem Zelt beherbergt hatte und durch eine Bewegung im Schlaf ihre Angriffslust hätte reizen können. Doch als Eva darauf bestand, in ihr verlassenes Baumnest oder in die Höhle zurückzukehren, da schüttelte er den Kopf. Seine Augen waren auf die blinkende Wasserfläche des Moores gerichtet, aus dem die Birken herüberleuchteten. Er hob die Rechte und wies auf die schlanken, weißen Stämme. »Dort werden wir wohnen. Hast du das Vogelnest im Rohr gesehen, hoch über dem Wasser, wo keine Schlange es erreichen kann? Was der Vogel kann, können wir auch, aber wir machen es besser.«