VI.

Etwa eine Stunde darauf, nachdem Ordener den Spladgest verlassen hatte, schloß Oglypiglap, da es ganz Nacht geworden war und die Menge sich verlaufen hatte, das äußere Thor des Gebäudes, während Spiagudry die Leichname zum letzten Male mit Wasser begoß. Beide zogen sich dann in ihre bescheidene Wohnung zurück; der Lappe legte sich auf sein ärmliches Lager. Spiagudry setzte sich hinter einen Tisch voll alter Bücher, getrockneter Pflanzen, abgeschälter Beine, und lag seinen Studien ob.

Er war schon mehrere Stunden in tiefes Nachdenken versunken und wollte eben seine Bücher mit dem Bett vertauschen, als er auf folgende Stelle des Thormodus Torföus stieß: »Wenn ein Mensch seine Lampe anzündet, kehrt der Tod bei ihm ein, ehe sie erlischt.«

»Der gelehrte Doktor mag mir verzeihen,« sagte er für sich, »so wird es bei mir diesen Abend nicht sein.«

Er nahm die Lampe in die Hand, um sie auszublasen.

Da rief plötzlich eine Stimme, die aus dem Zimmer der Leichname kam: »Spiagudry!«

Spiagudry zitterte an allen Gliedern, nicht als ob er an eine Auferstehung seiner Todten geglaubt hätte, denn dazu war er zu einsichtsvoll, nicht weil ihm die Stimme unbekannt, sondern weil sie ihm nur allzu bekannt war.

»Spiagudry!« wiederholte die Stimme zornig, »willst Du hören, oder soll ich Dir die Ohren ausreißen?« »Möge St. Hospiz sich meiner erbarmen, nicht meiner Seele, sondern meines Leibs!« sagte der erschrockene Alte, ging mit einem Schritte, den die Furcht beschleunigte und zugleich verzögerte, der Thüre zu und öffnete sie.

Am Fuße des steinernen Bettes, auf welchem Gill Stadts Leichnam lag, stand ein kleiner untersetzter Mann, in verschiedenartige Thierhäute gekleidet, auf welchen zum Theil das abgetrocknete Blut noch bemerkbar war. Die Züge des kleinen Mannes hatten etwas außerordentlich Wildes. Er hatte einen rothen dichten Bart, sein Kopf, auf dem er eine Mütze von Elennsfell trug, war mit gleichen Haaren bedeckt; sein Mund war groß, seine Lippen dick, seine Zähne weiß und scharf, seine Nase gebogen, wie ein Adlerschnabel, und sein graues, unstätes Auge warf auf Spiagudry einen schielenden Blick, worin die Wildheit des Tigers nur durch die Bösartigkeit des Affen ermäßigt war. Dieses seltsame Wesen war mit einem breiten Schwert, einem Dolch ohne Scheide bewaffnet und stützte sich auf den Stiel einer steinernen Axt, die es in der Hand trug; seine Hände waren mit großen Handschuhen von blauem Fuchsfell bedeckt.

»Dieses alte Gespenst,« brummte der Mann vor sich hin, »hat mich lange warten lassen.«

Bei diesen Worten stieß er ein Geheul aus, wie ein wildes Thier. Spiagudry bebte erschrocken zurück.

»Weißt Du,« fuhr er fort, »daß ich von dem Strande von Urchthal komme? Warum hast Du gesäumt, mir zu öffnen? Hast Du etwa Lust, Dein Strohlager mit einem dieser steinernen Betten zu vertauschen?«

Der alte Mann zitterte an allen Gliedern, und was ihm von Zähnen im Munde noch übrig war, klapperte im Fieberfrost zusammen.

»Verzeiht, Herr,« sagte er und bückte sich tief, »ich lag in tiefem Schlaf. …«

»Soll ich Dich einen noch tieferen Schlaf kennen lehren?«

Spiagudry machte eine Geberde des Schreckens.

»Nun, was ist Dir denn? Was hast Du? Ist Dir etwa meine Gegenwart nicht angenehm?«

»O, mein gnädigster Herr! Was könnte mir denn angenehmer sein, als das Glück, Euer Excellenz zu sehen?«

»Alter Fuchs ohne Schwanz, meine Excellenz befiehlt Dir, mir die Kleider von Gill Stadt einzuhändigen.«

Als der kleine Mann diesen Namen aussprach, wurde sein Gesicht, bisher wild und höhnisch, plötzlich düster und traurig.

»Verzeiht, Herr!« sagte Spiagudry, »ich habe sie nicht mehr, Euer Gnaden weiss, daß wir den Nachlaß der Bergleute, welche der König als ihr geborener Beschützer beerbt, an den königlichen Schatz abliefern müssen.«

Der kleine Mann wandte sich gegen den Leichnam, kreuzte die Arme übereinander, und sagte mit dumpfer Stimme: »Er hat Recht. Die elenden Bergleute sind wie die Eidergans! man macht ihr das Nest, dann rupft man ihr die Federn aus.«

Mit diesen Worten umfaßte er den Leichnam, drückte ihn fest in seine Arme und stieß ein Schmerzgeheul aus, das so wild klang, wie das Brüllen eines wilden Thiers. Darunter mischte er von Zeit zu Zeit einige Worte einer fremden Sprache, die Spiagudry nicht verstand.

Er ließ den Leichnam auf den Stein zurückfallen und wandte sich zu dem Wächter: »Weißt Du, verfluchter Hexenmeister, den Namen des unter einem bösen Sterne geborenen Soldaten, der das Unglück gehabt hat, Gill von diesem Mädchen vorgezogen zu werden?«

Hier gab er dem Leichnam der Guth Stersen einen Fußtritt. Spiagudry machte mit dem Kopf ein verneinendes Zeichen.

»Nun denn, bei der Axt Ingulphs, meines Stammvaters, so will ich Alle vertilgen, welche diese Uniform tragen!« Er deutete auf die Kleider des Hauptmanns, die an der Wand hingen.

»Der,« fuhr er fort, »an dem ich mich rächen will, wird darunter sein. Ich will den ganzen Wald anzünden, damit der vergiftete Stamm darin verbrenne. Das habe ich an dem Tage geschworen, wo Gill gestorben ist, und ich habe ihm bereits einen Gefährten beigesellt, damit sich sein Leichnam freue.«

»O, Gill!« klagte er in wilden Tönen, »da liegst Du jetzt, ohne Kraft und Leben, der Du die Robbe im Schwimmen und die Gemse im Laufen überholtest, der Du den Bären des Berges Kole in Deinen Armen erdrücktest! Starr und unbeweglich liegst Du, der Du Drontheimhus, von Orkel bis zum Smiassen, in einem Tage durchliefst, der Du den Gipfel des Dofre-Field erstiegst, wie ein Eichhörnchen den Gipfel der Eiche! Da liegst Du stumm, der Du, aufrecht auf der stürmischen Spitze des Kongsberg, Deine Stimme lauter erhobst, als das Brüllen des Donners! O, Gill! So habe ich denn vergebens für Dich die Minen von Faroer verschüttet, so habe ich vergebens für Dich die Kirche von Drontheim verbrannt! Alle meine Mühe ist verloren, und mit Dir stirbt das Geschlecht der Kinder des Eislandes, der Abkömmlinge Ingulphs des Vertilgers! Du wirst nicht der Erbe meiner steinernen Axt sein, sondern ich werde aus Deinem Schädel das Wasser des Meeres und das Blut der Menschen trinken!«

Mit diesen Worten ergriff er den Kopf des Leichnams.

»Spiagudry, hilf mir!« sagte er, riß seine Handschuhe ab und zeigte seine breiten Hände, an denen lange, harte und gebogene Nägel waren, wie die Krallen eines wilden Thieres.

Spiagudry, der ihn im Begriffe sah, mit seinem breiten Säbel den Schädel des Leichnams abzuhauen, schrie mit einem Tone des Abscheus, den er nicht zurückzuhalten vermochte: »Gerechter Gott, Herr! … ein Leichnam! …« »Nun,« erwiederte ruhig der kleine Mann, »ist es Dir lieber, wenn diese Klinge sich hier an einem Lebenden versucht?«

»Erlaubt mir, Eure Ritterlichkeit anzustehen! … Wie mag Eure Excellenz eine solche Entweihung … Euer Gnaden … Gnädiger Herr … Euer Erlaucht wird nicht …«

»Bist Du bald zu Ende? Brauche ich alle diese Titel, lebendes Skelett, um an Deinen tiefen Respekt vor meinem Säbel zu glauben?«

»Ich beschwöre Euch beim heiligen Waldemar, beim heiligen Usuph, schont eines Todten!«

»Hilf mir, und sprich nicht mit dem Teufel von den Heiligen!«

»Gnädiger Herr, bei Eurem erlauchten Ahnherrn St. Ingulph! …«

»Ingulph der Vertilger war ein Ausgestoßener, wie ich.«

»Im Namen des Himmels,« fuhr der alte Mann fort und warf sich vor ihm nieder.

Die Geduld des kleinen Mannes war erschöpft, seine grauen Augen glühten wie zwei Kohlen.

»Hilf mir!« wiederholte er und schwang seinen Säbel.

Diese beiden Worte klangen wie das Brüllen eines wilden Thieres. Spiagudry, in Todesfurcht zitternd, setzte sich auf den Stein und hielt mit seinen Händen Gills kaltes und feuchtes Haupt, während der kleine Mann, mit Hülfe seines Dolchs und Säbels, den Hirnschädel mit seltener Geschicklichkeit abnahm.

Er betrachtete einige Zeit lang den blutigen Schädel, während er abgebrochene Worte in einer fremden Sprache ausstieß. Dann gab er ihn Spiagudry, damit er ihn säubere und wasche.

»Und ich,« sprach er mit untermischtem Heulen, »ich werde im Tode nicht den tröstenden Gedanken haben, daß ein Erbe der Seele Ingulphs aus meinem Schädel das Blut der Menschen und das Wasser der Meere trinken wird!«

Nach einem düstern Nachsinnen fuhr er fort: »Der Orkan folgt dem Orkan, die Lawine der Lawine,, und ich werde der letzte meines Geschlechtes sein. Warum hat Gill nicht, gleich mir, gehaßt, was ein menschliches Antlitz an sich trägt? Welcher Dämon, der Ingulphs Dämon feindlich ist, hat ihn in diese unsel’gen Minen gestoßen, ein wenig Gold zu gewinnen?«

Spiagudry, der ihm den Schädel brachte, unterbrach ihn: »Die Excellenz hat Recht. Selbst das Gold, sagt Snorro Sturleson, wird oft zu theuer erkauft.«

»Du erinnerst mich eben recht,« sagte der kleine Mann, »daß ich Dir einen Auftrag zu ertheilen habe. Hier ist eine eiserne Büchse, die ich bei diesem Offizier gefunden habe. Sie ist so fest verschlossen, daß sie ohne Zweifel mit Gold gefüllt sein muß, als dem Einzigen, was die Menschen werthschätzen. Diese Büchse händige der Wittwe Stadt, im Weiler Thoctree, ein, um ihr ihren Sohn zu bezahlen.«

Mit diesen Worten zog er aus seinem Tornister eine kleine eiserne Büchse und übergab sie Spiagudry, der sie mit einer tiefen Verbeugung empfing.

»Erfülle getreulich meinen Befehl,« sagte der kleine Mann und warf ihm einen durchbohrenden Blick zu. »Bedenk, daß zwei Dämonen nichts hindert, sich wieder zu sehen. Ich halte Dich für noch mehr feig als geizig, Du bist mir für diese Büchse verantwortlich.«

»O, Herr, bei meiner armen Seele! …«

»Nicht doch! Bei Deinem Fleisch und Bein.«

In diesem Augenblick wurde heftig an die äußere Thüre des Spladgest gepocht.

Der kleine Mann staunte, Spiagudry bebte zurück und bedeckte die Lampe mit seiner Hand.

»Was ist das?« grinste der Kleine. »Du zitterst, alter Tropf! Nie wirst Du erst zittern, wenn Du die Posaune des jüngsten Gerichts hörst!« Ein zweiter heftigerer Schlag ließ sich vernehmen. »Man wird einen Todten bringen,« sagte der kleine Mann. »Nein, Herr, nach Mitternacht bringt man keine Leichname mehr.«

»Lebendig oder todt, ich muß fort. Du, Spiagudry, sei treu und stumm. Ich schwöre Dir bei Ingulphs Geist und Gills Schädel, daß Du das ganze Regiment von Mundholm in Deine Herberge bekommen wirst.«

Er befestigte Gills Schädel an seinen Gürtel, zog seine Handschuhe an und schwang sich mit der Lebendigkeit einer Gemse durch die obere Oeffnung auf das Dach.

Ein dritter Schlag erschütterte das Gebäude, und eine Stimme von Außen gebot im Namen des Königs und des Vicekönigs, die Thüre zu öffnen.

VII.

Nachdem der Gouverneur von Drontheim aus dem Schloßhof in sein Kabinet zurückgekommen war, warf er sich in einen breiten Sessel und ließ sich von einem seiner Sekretäre die eingelangten Bittschriften vortragen.

Der Geheimschreiber begann folgendermaßen:

»1. Der hochwürdige Doktor Anglyvius bittet, daß der hochwürdige Doktor Foxtipp, bischöflicher Bibliothekar, Unfähigkeits halber in seinem Amte ersetzt werde. Supplikant weiß nicht, wer den gedachten unfähigen Doktor ersetzen könnte; er will bloß so viel sagen, daß er, Doktor Anglyvius, lange Zeit das Amt eines Bibliothekars …«

»Der Schlingel soll sich an den Bischof wenden,« unterbrach ihn der Gouverneur.

»2. Athanasius Munder, Priester, Seelsorger der Gefängnisse, bittet um die Begnadigung von zwölf reuigen Verurtheilten bei Gelegenheit der glorreichen Vermählung des ritterlichen Ordener Guldenlew, Barons von Thorwick, Ritters des Danebrogordens, Sohnes des Vicekönigs, mit der edlen Dame Ulrike von Uhlfeldt, Tochter Sr. Gnaden des Grafen Großkanzlers beider Königreiche.«

»Vertagt!« sagte der General. »Mich dauern die Verurtheilten.«

»3. Faustus Prudens Destrombides, norwegischer Unterthan, lateinischer Poet, bittet um Erlaubnis, das Hochzeitgedicht für gedachtes Brautpaar verfertigen zu dürfen.«

»Ah! Ah! Der wackere Mann muß schon alt sein, denn er ist der Nämliche, der im Jahre 1674 ein Hochzeitgedicht auf die projektirte Vermählung Schuhmachers, damals Grafen von Greiffenfeld, mit der Prinzessin Luise Charlotte von Holstein-Augustenburg vorbereitet hatte, welche Vermählung nicht Statt fand. Ich fürchte,« fügte der Gouverneur zwischen den Zähnen hinzu, »daß Faustus Prudens der Poet der Vermählungen sei, welche nicht Statt finden. Vertagt die Bitte und fahrt fort. Man soll sich in Beziehung auf diesen Poeten erkundigen, ob im Hospital von Drontheim keine Bettstelle vacant ist.«

»4. Die Bergleute des Guldbransthales, der Inseln Faroer, des Sund-Moer, von Hubfallo, Roeraas und Kongsberg bitten um Befreiung von den Lasten der königlichen Vormundschaft.«

»Diese Bergleute sind ungeduldig. Sie sollen, wie es heißt, bereits darüber murren, daß man sie so lange ohne Antwort läßt. Diese Bittschrift muß einer reiflichen Prüfung unterworfen werden.«

»5. Braal, Fischer, erklärt, in Gemäßheit des Adelsrechts, daß er bei der Absicht beharre, sein Erbgut wieder an sich zu kaufen.«

»6. Die Schöppen von Kös, Löwig, Indal, Skongen, Stod, Sparbo und andern Flecken und Dörfern des nördlichen Drontheimhus bitten, auf den Kopf des Räubers, Mörders und Mordbrenners Han, gebürtig, wie man sagt, von Klippstadur in Island, einen Preis zu setzen. Dieser Bitte widersetzt sich Nychol Orugix, Scharfrichter des Drontheimhus, der Han als sein Eigenthum in Anspruch nimmt. Dagegen unterstützt die Bitte Benignus Spiagudry, Wächter im Spladgest, als welchem der Leichnam zukommen soll.«

»Dieser Bandit ist sehr gefährlich, besonders in einem Augenblick, wo man Unruhen unter den Bergleuten fürchtet. Man soll einen Preis von tausend Thalern auf seinen Kopf setzen.«

»7. Benignus Spiagudry, Mediciner, Antiquar, Sculptor, Mineralog, Naturalist, Botaniker, Legist, Chemiker, Mechanikus, Physiker, Astronom, Theolog, Grammatiker…«

»Ist denn das nicht der nämliche Spiagudry, der Wächter im Spladgest ist?«

»Allerdings, Ew. Excellenz!«

» … im Namen des Königs Inspektor im Gebäude des Spladgest, in der königlichen Stadt Drontheim, stellt vor, daß er, Benignus Spiagudry, es ist, welcher die Entdeckung gemacht hat, daß die Sterne, welche man Fixsterne nennt, ihr Licht nicht von dem Gestirn erhalten, das man Sonne nennt; item, daß Odins wahrer Name Frigge, Sohn des Fridulph ist; item, daß der See-Regenwurm sich von Sand nährt; item, daß der Lärm der Bevölkerung die Fische von Norwegens Küsten scheucht, weßhalb die Unterhaltsmittel in dem nämlichen Verhältniß abnehmen, in welchem die Bevölkerung zunimmt; item, daß der Golf, Otte-Sund benannt, ehedem Limfjord geheißen und den Namen Otte-Sund erst angenommen hat, nachdem Otto der Rothe seine Lanze hineingeworfen; item, daß man auf seinen Rath und unter seiner Leitung aus einer alten Bildsäule der Freya die Göttin der Gerechtigkeit gemacht hat, welche den großen Platz von Drontheim ziert, und daß man den Löwen, der sich unter den Füßen des Götzenbildes befand, in den Teufel umgewandelt hat, der das Verbrechen darstellt; itemitem …« »Verschont uns mit den weiteren Item und sagt kurz, was der Mann begehrt!«

Der Sekretär schlug mehrere Blätter um und fuhr fort:

»… Der unterthänigste Supplikant glaubt für so viele der Kunst und Wissenschaft ersprießliche Arbeiten Se. Excellenz bitten zu dürfen, die Taxe jedes männlichen und weiblichen Leichnams um zehn Pfennige zu erhöhen, was den Todten nur angenehm sein kann, indem es ihnen beweist, wie hoch man ihre Personen anschlägt …«

Hier öffnete sich die Thüre des Kabinets und der Thürsteher kündete mit lauter Stimme die edle Dame Gräfin von Ahlfeldt an.

Eine Dame von hoher Gestalt, die auf ihrem Kopf eine kleine Grafenkrone trug, reich in Scharlach und Gold gekleidet, trat in das Zimmer. Der General bot ihr die Hand und führte sie an einen Sessel.

Die Gräfin mochte fünfzig Jahre alt sein. Das Alter hatte aber den Runzeln, welche die Sorgen des Hochmuths und Ehrgeizes schon längst in ihre Züge gegraben hatten, nichts beizufügen gehabt. Sie warf ihren hochmüthigen Blick, mit ihrem falschen Lächeln, auf den alten General.

»Nun, Herr General, Ihr Zögling läßt auf sich warten. Er sollte vor Untergang der Sonne hier sein.«

»Er wäre hier, Frau Gräfin, aber er ist gleich bei seiner Ankunft nach Munckholm gegangen.« »Nach Munckholm? Er wird doch hoffentlich nicht Schuhmacher dort aufsuchen?«

»Es wäre wohl möglich.«

»Wie! der erste Besuch des Barons von Thorwick für Schuhmacher?«

»Warum nicht, Gräfin? Schuhmacher ist unglücklich.«

»Wie, General! Der Sohn des Vicekönigs steht in Verbindung mit diesem Staatsgefangenen?«

»Frau Gräfin, als Friedrich Guldenlew mir seinen Sohn anvertraute, bat er mich, ihn zu erziehen, wie ich den meinigen erzogen hätte. Ich war der Meinung, daß die Bekanntschaft mit Schuhmacher unserem Ordener, der die Bestimmung hat, eines Tages eben so mächtig zu werden, nützlich sein könnte. Ich habe daher, mit Genehmigung des Vicekönigs, meinen Bruder Grummond von Knud um eine Einlaßkarte in alle Gefängnisse gebeten, die ich sofort Ordener einhändigte. Er macht jetzt Gebrauch davon.«

»Und seit wann hat Ordener diese nützliche Bekanntschaft gemacht?«

»Seit etwas mehr als einem Jahre. Es scheint, daß er sich in Schuhmachers Umgang gefiel, denn er ist ziemlich lange zu Drontheim geblieben. Nur auf meine ausdrückliche Aufforderung hat er es im letzten Jahre ungern verlassen, um eine Reise durch Norwegen zu machen.«

»Und weiß Schuhmacher, daß sein Tröster der Sohn eines seiner größten Feinde ist?«

»Er weiß, daß er sein Freund ist, und das genügt ihm, wie uns.«

»Aber Sie, Herr General,« sagte die Gräfin mit einem durchbohrenden Blick, »wußten Sie, als Sie diese Verbindung nicht nur duldeten, sondern selbst herbeiführten, daß Schuhmacher eine Tochter hat?« »Ich wußte es, Gräfin.«

»Und dieser Umstand schien Ihnen gleichgültig in Beziehung auf Ihren Zögling?«

»Der Zögling Levins von Knud, der Sohn Friedrichs Guldenlew, ist ein rechtlicher Mann. Ordener kennt die Schranke, die ihn von Schuhmachers Tochter trennt; er ist unfähig, ein Mädchen, und dazu noch die Tochter eines unglücklichen Mannes zu verführen.«

Die Gräfin erröthete und erblaßte abwechselnd. Sie wandte das Haupt ab, um den ruhigen unbefangenen Blick des alten Mannes zu vermeiden.

»Erlauben Sie, General,« stotterte sie endlich, »ich muß es Ihnen sagen, diese Bekanntschaft scheint mir sonderbar und unklug. Es heißt, daß die Bergleute und die nördlichen Stämme mit einer Empörung drohen, und daß Schuhmachers Name in diese Sache verwickelt sei.«

»Sie setzen mich in Erstaunen,« rief der Gouverneur aus! »Schuhmacher hat bis jetzt sein Unglück geduldig ertragen. Dieses Gerücht ist gewiß nicht gegründet.«

Der Thürsteher kündigte an, daß ein Abgesandter des Großkanzlers mit der Gräfin zu sprechen wünsche. Die Gräfin verabschiedete sich und begab sich in ihre Gemächer.

Sie saß, von ihren Frauen umgeben, auf einem reichen Sopha, als der Abgesandte eintrat. Als ihn die Gräfin erblickte, machte sie eine Geberde des Widerwillens, welche sie aber alsbald hinter einem wohlwollenden Lächeln versteckte. Der Abgesandte war ein wohlbeleibter, mehr kleiner als großer Mann. Sein Gesicht war offen bis zur Schamlosigkeit, und sein Blick hatte etwas Teuflisches. Er verbeugte sich tief vor der Gräfin und reichte ihr ein versiegeltes Paket dar.

»Gnädige Gräfin,« sagte er, »erlauben Sie mir, eine wichtige Botschaft Seiner Gnaden, Ihres erlauchten Gemahls, meines erhabenen Herrn, zu Ihren Füßen niederzulegen.«

»Kommt er nicht selbst? Und warum schickt er Euch?« fragte die Gräfin.

»Wichtige Geschäfte verzögern Seiner Gnaden Ankunft, wie Sie aus diesem Briefe ersehen werden, gnädige Gräfin. Was meine Sendung betrifft, so soll ich, laut Befehls meines erhabenen Herrn, mich der ausgezeichneten Ehre einer geheimen Audienz bei Ihnen erfreuen.«

Die Gräfin erblaßte und rief mit zitternder Stimme aus: »Ich, eine geheime Unterredung mit Euch, Musdoemon?«

»Wenn dies der gnädigen Gräfin im Geringsten unangenehm wäre, so würde sich Ihr unwürdiger Diener bis in den Tod betrüben.«

»Unangenehm! Durchaus nicht!« sagte die Gräfin mit erzwungenem Lächeln; »aber ist denn diese Unterredung durchaus nothwendig?«

Der Abgesandte verbeugte sich tief: »Durchaus nothwendig! Der Brief Ihres erhabenen Gemahls wird Sie förmlich davon in Kenntniß setzen.«

Es war auffallend, die stolze Gräfin Ahlfeldt vor einem Diener, der ihr so tiefe Ehrfurcht bezeugte, zittern und erbleichen zu sehen. Sie öffnete langsam das Paket, und nachdem sie dessen Inhalt durchlaufen hatte, sagte sie zu ihren Frauen mit schwacher Stimme: »Man lasse uns allein!«

»Geruhen die gnädige Gräfin,« sagte der Abgesandte, indem er ein Knie beugte, »mir die Freiheit, die ich mir nehme, und die Mühe, die ich Ihnen zu verursachen scheine, gnädigst zu verzeihen!«

»Ihr könnt im Gegentheil glauben,« erwiederte die Dame mit erzwungenem Wohlwollen, »daß es mir Vergnügen macht, Euch zu sehen.«

Die Frauen entfernten sich.

»Elphege,« sagte jetzt der Abgesandte in gänzlich umgestimmtem Tone, »Du scheinst der Zeiten vergessen zu haben, wo ein Téte-á-Téte mit mir Dir nicht so zuwider war?«

Die stolze Dame beugte ihr gedemüthigtes Haupt. »Möchte ich es vergessen können!« murmelte sie.

»Einfältiges Weib! Wie magst Du über Dinge erröthen, die kein menschliches Auge gesehen hat?«

»Gott sah sie.«

»Gott, Du schwaches Weib! Du, bist nicht werth, Deinen Mann betrogen zu haben, denn er ist nicht so leichtgläubig als Du.«

»Ihr treibt Euern Spott mit meinen Gewissensbissen, Musdoemon!«

»Nun, Elphege, wenn Du ein Gewissen hast, warum häufst Du täglich neue Verbrechen?«

Die Gräfin verbarg ihr Gesicht in beiden Händen. Musdoemon fuhr fort: »Elphege, Du hast die Wahl: Gewissensbisse und keine Verbrechen mehr, oder das Verbrechen und keine Gewissensbisse. Mache es wie ich, wähle das Zweite.«

»Mögen Euch diese Worte nicht in die Ewigkeit begleiten!«

»Das geht über den Spaß, mein Schatz!«

Musdoemon setzte sich vertraulich neben die Gräfin und schlang seine Arme um ihren Hals.

»Elphege,« sagte er, »suche dem Geist nach wenigstens zu bleiben, was Du vor zwanzig Jahren warst.«

Die unglückliche Gräfin, Sklavin ihres Mitschuldigen, suchte seiner widerlichen Zärtlichkeit los zu werden. Es lag in dieser ehebrecherischen Umarmung von zwei Wesen, die sich gegenseitig haßten und verachteten, Etwas, das selbst für diese entwürdigten Seelen empörend war. Ihre gesetzwidrige Verbindung, einst ihre Lust, war ihnen jetzt zur Qual geworden. Gerechte Strafe verbotener Leidenschaften! Ihr Verbrechen war ihre Strafe geworden.

Um dieser qualvollen Scene ein Ende zu machen, fragte die Gräfin, indem sie sich den Armen ihres verhaßten Liebhabers entriß, welchen mündlichen Auftrag ihr Gemahl ihm ertheilt habe?

»Ahlfeldt,« sagte Musdoemon, »hat in dem Augenblicke, wo seine Macht sich durch die Vermählung Ordener Guldenlews mit unserer Tochter befestigt …«

»Unserer Tochter!« rief die stolze Gräfin aus, und ihr auf Musdoemon gerichteter Blick nahm einen Ausdruck hochmüthiger Verachtung an.

»Nun,« sagte Musdoemon kaltblütig, »ich meine doch, daß Ulrike eben so gut meine Tochter sein könne, als die seinige. Ich wollte also sagen, daß diese Heirath Deinen Mann nicht vollkommen befriedigt, wenn nicht zu gleicher Zeit Schuhmacher ganz gestürzt wird. Dieser alte Günstling ist von seinem Kerker aus fast eben so furchtbar, als in seinem Palast. Er hat am Hofe heimliche, aber wichtige Freunde, um so mächtiger vielleicht, weil sie unbekannt sind. Als der König vor einem Monat erfuhr, daß die Unterhandlungen des Großkanzlers mit dem Herzog von Holstein-Ploen nicht vorwärts schritten, rief er ungeduldig aus: Greiffenfeld allein wußte mehr, als alle diese Menschen zusammen. Ein Intriguenmacher, Namens Dispolsen, der von Munckholm nach Kopenhagen kam, hat von dem König mehrere geheime Audienzen erhalten, nach welchen der König aus der Kanzlei, wo sie niedergelegt sind, Schuhmachers Adels- und Eigenthums-Urkunde abfordern ließ. Man weiß nicht, wohin Schuhmacher abzielt, aber ein Staatsgefangener ist, wenn er nur seine Freiheit erlangt, nicht mehr so fern von der Macht. Er muß also sterben, und zwar durch richterlichen Spruch umkommen. Ihm ein Verbrechen unterzuschieben, daran arbeiten wir.

»Dein Mann, Elphege, wird unter dem Vorwand, die nördlichen Provinzen incognito zu besuchen, sich des Resultats, das unsere Umtriebe bei den Bergleuten gehabt haben, selbst versichern. Wir wollen in Schuhmachers Namen einen Aufstand von ihnen herbeiführen, der sich nachher leicht wird dämpfen lassen. Was uns beunruhigt, ist der Verlust mehrerer wichtigen Papiere, welche sich auf diesen Plan beziehen, und die wir nicht ohne Grund im Besitze dieses Dispolsen vermuthen. Da wir nun wußten, daß er von Kopenhagen nach Munckholm zurückgereist war, so haben wir in den Schluchten von Kole einige Getreue aufgestellt, um ihn umzubringen und ihm seine Papiere abzunehmen. Aber wenn, wie man versichert, Dispolsen zur See zurückgekommen ist, so war unsere Mühe vergebens. Inzwischen habe ich bei meiner Ankunft einige Gerüchte von der Ermordung eines gewissen Hauptmanns Dispolsen vernommen. Wir werden ja sehen.

»Inzwischen spüren wir einem berüchtigten Räuber, Han dem Isländer, nach, den wir an die Spitze des Aufstands der Bergleute stellen wollen. Und nun, mein Schatz, was hast Du mir von Deiner Seite für Nachrichten mitzutheilen? Ist der niedliche Vogel in dem Käsig von Munckholm endlich die Beute unseres Friedrich …«

»Unseres Friedrich!« rief die Gräfin entrüstet aus,

»Nun, was weiter! Wie alt ist er? Vierundzwanzig Jahre, und es sind jetzt sechsundzwanzig Jahre, daß wir einander kennen!«

»Mein Friedrich, Gott weiß es, ist der legitime Erbe des Großkanzlers.«

»Wenn Gott es weiß,« sagte Musdoemon lachend, »so ist vielleicht dem Teufel davon nichts bekannt. Im Uebrigen ist Dein Friedrich ein Pinsel, der meiner unwerth wäre, und es lohnt sich nicht der Mühe, sich um eine solche Kleinigkeit zu streiten. Er taugt zu nichts, als ein Mädchen zu verführen. Damit ist er doch hoffentlich zu Stande gekommen?«

»Noch nicht, so viel ich weiß.«

»Elphege, suche doch eine etwas thätigere Rolle in unsern Angelegenheiten zu spielen. Ich kehre morgen zu Deinem Manne zurück. Beschränke Du Dich nun nicht darauf, für unsere Sünden zu beten, sondern handle. Ahlfeldt muß auch darauf denken, mich etwas besser zu belohnen, als bisher geschehen ist. Mein Glück ist an das Eurige geknüpft; aber ich fange an, es müde zu werden, der Diener des Gemahls zu sein, wenn ich der Liebhaber der Frau bin, und der Schulmeister der Kinder, deren Vater ich zu sein die Ehre habe.«

Hier endigte die Unterredung. Die Frauen traten wieder ein.

»Erlauben mir die gnädige Gräfin,« sagte Musdoemon mit einer tiefen Verbeugung, »die Hoffnung zu hegen, daß ich morgen wieder eine Audienz erlangen werde, um die Huldigungen meiner tiefsten Ehrfurcht zu Ihren Füßen niederzulegen?«

VIII.

»Alter Herr,« sagte Ordener zu Spiagudry, »fast hätte ich geglaubt, daß die in diesem Gebäude befindlichen Leichname damit beauftragt seien, die Thüre zu öffnen.«

»Verzeihen Sie, gnädiger Herr, ich … ich lag in tiefem Schlafe.«

»Wenn das der Fall ist, so müssen Eure Todten wach gewesen sein, denn ich hörte eben erst hier laut und deutlich sprechen.«

Spiagudry gerieth in Verwirrung: »Wie, gnädiger Herr,« stotterte er, »Sie hätten reden gehört?«

»Allerdings! Doch was liegt daran? Ich bin nicht hieher gekommen, mich mit Euern Angelegenheiten zu beschäftigen, sondern Euch mit den meinigen. Wir wollen hineingehen.«

Spiagudry öffnete und sie traten in das Leichenzimmer.

»Benignus Spiagudry,« sagte jetzt dieser, »steht Ihnen in Allem, was menschliche Wissenschaften betrifft, zu Diensten. Wenn Sie jedoch, wie man aus Ihrem nächtlichen Besuche schließen möchte, einen Hexenmeister hier zu finden glauben, so irren Sie sich. Ne famam credas, ich bin nur ein Gelehrter. Kommen Sie in mein Arbeitszimmer, gnädiger Herr!«

»Nicht doch, wir müssen hier bei diesen Leichnamen bleiben.«

»Bei diesen Leichnamen!« rief Spiagudry bestürzt aus. »Die können Sie nicht sehen, gnädiger Herr!«

»Wie? ich soll Leichname nicht sehen dürfen, die bloß deßhalb hier sind, um gesehen zu weiden? Ich habe Erkundigungen über einen derselben bei Euch einzuziehen, und Eure Pflicht ist es, sie mir zu geben. Gern oder ungern, Ihr müßt.«

Spiagudry hatte einen großen Respekt vor tödtlichen Gewehren, und er sah einen tüchtigen Säbel an Ordeners Seite. »Nihil non arrogat armis,« murmelte er zwischen den Zähnen.

»Zeigt mir die Kleider des Hauptmanns,« sagte Ordener.

In diesem Augenblicke fiel ein Strahl des Lichts auf Gill Stadts verstümmeltes Haupt.

»Gerechter Gott!« rief Ordener aus, »welche abscheuliche Entweihung!«

»Erbarmet Euch meiner um Gottes Barmherzigkeit willen!« rief der Alte.

»Alter Mann,« fuhr Ordener mit drohender Stimme fort, »Du stehst am Rande des Grabes, und scheust Dich nicht, einen solchen Frevel zu begehen! Zittere, die Lebenden werben die Entweihung rächen, die Du an Todten begangen hast!«

»Gnade! Gnade! Ich habe es nicht gethan … Wenn Sie wüßten! …«

Hier hielt er inne, denn er dachte an die Worte des kleinen Mannes: »Sei treu und stumm.«

»Haben Sie,« fuhr er zitternd fort, »Jemand durch diese Oeffnung schlüpfen sehen?«

»Ja! War es Dein Mitschuldiger?«

»Nein, es war der Schuldige, der Alleinschuldige. Das schwöre ich bei allen himmlischen und höllischen Mächten, bei diesem so schändlich entweihten Leichname selbst!«

Mit diesen Worten warf er sich stehend auf die Kniee nieder. So häßlich er auch war, so lag doch in seiner Verzweiflung, in seinen Betheuerungen ein solcher Ton der Wahrheit, daß er Ordener überzeugte.

»Alter Mann,« sagte er, »stehe auf. Wenn Du den Todten nicht entweiht hast, so würdige wenigstens Dein Alter nicht herab.«

Spiagudry stand auf.

»Wer ist der Schuldige?« fragte Ordener.

»Stille, edler Herr, stille! Sie wissen nicht, von wem Sie sprechen. Stille!«

»Wer ist der Schuldige? Ich will ihn wissen,« fuhr Ordener kaltblütig fort.

»Im Namen des Himmels, gnädiger Herr! Reden Sie nicht so, schweigen Sie, sonst möchte … Ich kann nicht … aus Furcht …«

»Furcht! die wird mich nicht schweigen machen, Dich aber wird sie zum Reden bringen.«

»Gnade, edler junger Herr!« rief der trostlose Spiagudry, »ich kann nicht … ich darf nicht …«

»Du kannst und sollst. Nenne den Schuldigen!«

Spiagudry suchte eine Ausflucht: »Wohlan denn, edler Herr! Der Entweiher dieses Leichnams ist der Mörder dieses Offiziers.«

»Dieser Offizier ist also ermordet worden?«

»Allerdings, gnädiger Herr!«

»Und von wem? Von wem?«

»Im Namen der Heiligen, die Ihre Mutter anrief, als sie Ihnen das Leben gab, forschen Sie nicht nach diesem Namen, zwingen Sie mich nicht, ihn zu nennen.«

»Ich will den Mörder wissen.«

»Nun denn! Betrachten Sie die tiefen Risse, welche lange und spitzige Nägel in diesen Leichnam gegraben haben – dann werden Sie den Mörder kennen.«

»Wie!« sagte Ordener, »irgend ein wildes Thier?«

»Nein, mein gnädiger Herr.«

»Nun, wenn es nicht der Teufel selbst gethan hat, so wüßte ich nicht …«

»Stille! Nehmen Sie sich in Acht. Haben Sie niemals,« fuhr der Alte mit leiser Stimme fort, »von einem Menschen oder einem Ungeheuer mit menschlichem Angesicht sprechen hören, dessen Nägel so lang sind, wie die Astaroths, der uns ins Verderben gestürzt hat, oder des Antichrists, der uns verderben wird?«

»Rede deutlicher.«

»Wehe! Wehe! heißt es in der Offenbarung …«

»Den Namen des Mörders will ich wissen.«

»Der Mörder … den Namen … Gnädiger Herr, erbarmen Sie sich meiner! Ach, erbarmen Sie sich!«

»Zaudere nicht länger.«

»Nun denn, wenn Sie es durchaus verlangen, der Mörder und Entweiher ist Han der Isländer.«

Dieser furchtbare Name war Ordener nicht unbekannt.

»Wie!« rief er aus, »Han! Dieser abscheuliche Bandit!«

»Er hat keine Bande, sondern ist immer allein.«

»Und wie kommst Du zu seiner Bekanntschaft, Elender? Welche gemeinschaftliche Verbrechen haben Euch einander nahe gebracht?«

»Edler Herr, mißtrauen Sie dem Scheine. Ist der Stamm der Eiche vergiftet, weil die Schlange an ihrer Wurzel kriecht?«

»Keine leeren Worte, ein Bösewicht kann keinen andern Freund haben, als einen Mitschuldigen.«

»Ich bin nicht sein Freund, und noch weniger sein Mitschuldiger, und wenn meine Betheurungen Sie nicht überzeugt haben, so erwägen Sie doch, daß die Entweihung dieses Leichnams mich innerhalb vierundzwanzig Stunden, wenn man den todten Körper abholt, der Strafe der Heiligthumsschänder aussetzen wird, obgleich ich unschuldig bin.«

Dieser Grund war für Ordener der überzeugendste; er sagte ruhig, aber ernst: »Alter, seid aufrichtig. Habt Ihr Papiere bei diesem Offizier gefunden?«

»Nicht eines, auf meine Ehre!«

»Wißt Ihr, ob Han der Isländer Papiere bei ihm gefunden hat?«

»Ich weiß es nicht.«

»Kennt Ihr den Versteck Han des Isländers?«

»Er versteckt sich nicht, sondern wandert immer hin und her.«

»Das mag sein, aber er hat doch gewisse Verstecke.«

»Dieser Heide,« sagte Spiagudry leise, »hat eben so viele Verstecke, als die Insel Hitteren Felsenriffe und der Sirius Strahlen.«

»Gebt mir eine bestimmtere Antwort. Ihr steht in geheimnißvoller Verbindung mit diesem Räuber. Ihr kennt ihn und müßt wissen, wohin er von hier aus gegangen ist. Wenn Ihr nicht sein Mitschuldiger seid, so werdet ihr keinen Anstand nehmen, mich an seinen Aufenthaltsort zu führen …«

Spiagudry schauderte zurück.

»Sie, gnädiger Herr,« rief er aus. »Sie, großer Gott! Sie, voll Jugend und Leben, diesen Satan aufsuchen, herausfordern! Als Ingiald den Riesen Nyctolm bekämpfte, hatte er wenigstens vier Arme.«

»Nun, wir haben ja auch vier Arme, wenn Ihr mir zum Führer dient!«

»Ich! Ihr Wegweiser? Sie scherzen mit einem alten Manne, der bereits fast selbst eines Führers bedarf.«

»Hört! Wenn die Entweihung dieses Leichnams Euch der Strafe der Heiligthumsschänder aussetzt, so könnt Ihr nicht hier bleiben. Ihr müßt also fort. Ich nehme Euch unter meinen Schutz, aber nur unter der Bedingung, daß Ihr mich zum Versteck des Räubers geleitet. Seid mein Führer, ich will Euer Beschützer sein. Finde ich Han den Isländer, so bringe ich ihn lebendig oder todt hieher. Ihr könnt dann Eure Unschuld darthun, und ich verspreche Euch, daß Ihr in Euer Amt wieder eingesetzt werdet. Inzwischen empfanget hier mehr Thaler, als es Euch das ganze Jahr durch einträgt.«

»Edler Herr,« versetzte Spiagudry, indem er das Geld in Empfang nahm, »Sie haben vollkommen Recht. Wenn ich Ihnen folge, so setze ich mich einige Tage der Rache des furchtbaren Han aus. Bleibe ich, so falle ich morgen in die Hände des Henkers Orugix. Welches ist denn die Strafe der Heiligthumsschänder? … Gleichviel. In beiden Fällen ist mein armes Leben in Gefahr; da jedoch, nach der richtigen Bemerkung des gelehrten Saemond-Sigfusson, inter duo pericula aequalia minus imminens eligendum est, so folge ich Ihnen. Ja, gnädiger Herr, ich will Ihr Führer sein. Vergessen Sie jedoch nicht, daß ich Allem aufgeboten habe, Sie von Ihrem gefährlichen Unternehmen abzubringen.«

»Ihr sollt also mein Führer sein, und ich verlasse mich auf Eure Rechtlichkeit.«

»Herr, Spiagudry’s Rechtlichkeit ist eben so unbefleckt, als das Geld, das Sie mir eben so großmüthig gespendet haben.«

»Wo denkt Ihr, daß Han sich jetzt aufhalte?«

»Da der Süden von Drontheimhus jetzt voll Truppen ist, welche man auf Requisition des Großkanzlers dahin geschickt hat, so wird wohl Han seinen Weg nach der Grotte von Walderhog oder dem See von Smiassen genommen haben. Wir müssen also über Skongen gehen.«

»Wann könnt Ihr mir folgen?«

»Wenn heute Abend die Nacht einbricht und der Spladgest geschlossen wird, so wird Ihr demüthiger Diener seinen Dienst als Führer bei Ihnen antreten.«

»Wo werde ich Euch diesen Abend finden?«

»Auf dem großen Platze von Drontheim, wenn es Ihnen so gefällig ist, bei der Bildsäule der Gerechtigkeit, welche ehedem die Göttin Freya war und die mich ohne Zweifel in den Schutz ihres Schattens aufnehmen wird, aus Dankbarkeit, daß ich einen so schönen Teufel unter ihre Füße habe meißeln lassen.«

»Gut, Alter, der Vertrag ist geschlossen.«

»Geschlossen,« wiederholte Spiagudry.

Kaum hatte er dieses Wort gesprochen, so ließ sich über ihnen eine Art von Gebrumme hören. »Was ist das?« sagte der zitternde Spiagudry.

»Ist denn außer uns beiden noch ein lebendes Wesen hier?« fragte Ordener staunend.

»Ah! Ohne Zweifel mein Vicarius Oglypiglap,« sagte Spiagudry, den dieser Gedanke beruhigte. »Ein schlafender Lappe, sagte der Bischof Arngrim, macht eben so viel Lärm, als ein wachendes Weib.«

Ordener entfernte sich. Spiagudry schloß eilig die Thüre, legte Gill Stadts Leichnam so zurecht, daß man die Verstümmelung nicht gewahr werden konnte, und begab sich dann in seine Wohnung.

Viele Gründe mußten zusammentreffen, um den furchtsamen Spiagudry zu bewegen, Ordeners abenteuerlichen Vorschlag anzunehmen. Die Hauptgründe waren: 1) die Furcht vor dem anwesenden Ordener und seinem Säbel; 2) die Furcht vor dem Scharfrichter Orugix; 3) ein alter Haß gegen Han den Isländer, den er kaum sich selbst zu gestehen wagte, so sehr drückte ihn der Schrecken nieder; 4) die Liebe zu den Wissenschaften, welche er auf dieser Reise befriedigen zu können glaubte; 5) das Zutrauen in seine vermeintliche List, durch welche er sich Hans Blicken zu entziehen hoffte; 6) die Liebe zum Geld, indem er die für die Wittwe Stadt bestimmte Büchse für sich behalten zu können hoffte.

Im Uebrigen war es ihm gleichgültig, ob der Räuber den Fremden, oder der Fremde den Räuber tödte. Als er über diesen Punkt nachdachte, brach er in die Worte aus: »Es ist immerhin ein Leichnam, der mir zukommen wird.«

Hier ließ sich abermals ein Brummen hören. Spiagudry fuhr schreckenvoll zusammen.

»Das ist kein Schnarchen meines Oglypiglap,« sagte er, »diese Töne kommen von Außen. Es wird wohl,« fügte er nach einigem Nachdenken hinzu, »der Hund im Hafen sein, der bellt.«

XIX.

Der General Levin von Knud sah nachdenklich vor seinem mit Papieren überlegten Schreibtisch. Ein vor ihm stehender Sekretär wartete auf seine Befehle.

»Zum Teufel auch,« rief er nach einer langen Pause, »wer hätte je gedacht, daß diese verdammten Bergleute es so weit treiben würden? Sie sind sicherlich durch geheime Umtriebe zu diesem Aufstand angereizt worden. Aber die Sache ist ernsthaft. Ihr müht wissen. Wapherney, daß fünf- bis sechshundert Schufte aus den Inseln Faroer bereits ihre Minen verlassen und unter einem alten Banditen Namens Jonas zu den Waffen gegriffen haben, daß ein junger Brausekopf, Norbith genannt, sich an die Spitze der Mißvergnügten von Gulbransthal gestellt hat, daß zu Sund-Moer, zu Hubfallo, zu Kongsberg, die Unzufriedenen, die nur auf das Signal warteten, vielleicht schon im Aufstand begriffen sind, daß die Bergbewohner unter der Anführung des alten tapfern Kennybol sich an die Empörer angeschlossen haben, und daß der gefürchtete Räuber Han an der Spitze der ganzen Insurrektion steht. Was sagt Ihr zu Allem dem, Freund Wapherney? Hm!«

»Euer Excellenz werden wissen, welche Maßregeln …«

»Es ist bei dieser ganzen Geschichte noch ein Umstand, den ich mir nicht entziffern kann, nämlich, daß unser Staatsgefangener Schuhmacher Urheber des Aufstands sein soll. Niemand wundert sich darüber, und mich wundert das am meisten. Ein Mensch, bei welchem sich unser ehrlicher Ordener gefiel, kann kein Staatsverräther sein. Inzwischen sind die Empörer, wie man versichert, in seinem Namen aufgestanden: sein Name ist ihr Loosungswort; sie legen ihm die Titel bei, deren ihn der König entsetzt hat … Das Alles scheint gewiß … Aber woher kommt es, daß die Gräfin Ahlfeldt schon vor sechs Tagen alle diese Sachen wußte, wo doch kaum in den Minen die Empörung sich kundgegeben hatte? Gleichviel, man muß der Sache abhelfen. Gebt mir mein Siegel, Wapherney!«

Der General schrieb drei Briefe, siegelte sie und übergab sie dem Sekretär.

»Dieses Schreiben,« sagte er, »an den Baron Voethaün, Oberst der Arquebusirer zu Munckholm, daß sein Regiment sogleich gegen die Empörer aufbreche. Hier an den Festungscommandanten zu Munckholm, der Staatsgefangene Schuhmacher soll sorgfältiger als je bewacht werden: ich werde ihn selbst verhören. Diesen Brief nach Skongen an den Major Wolhm, daß er einen Theil seiner Truppen gegen die Rebellen abschicke. Schnell Wapherney!«

Der Sekretär ging und ließ den Gouverneur in seinen Gedanken verloren zurück. Alles das, dachte er, ist sehr beunruhigend. Diese Empörer da, diese ränkevolle Kanzlerin hier, dieser Narr von Ordener, man weiß nicht wo! Vielleicht mitten unter den Rebellen, während er mir seinen Schuhmacher auf dem Halse läßt, der sich gegen den Staat verschwört, und seine Tochter, um deren Unschuld willen ich die Compagnie, in welcher Friedrich von Ahlfeldt dient, habe detachiren lassen … Nun, die ist vielleicht gerade am rechten Orte, die ersten Bewegungen der Rebellen aufzuhalten … Wahlstrom, wo sie in Besatzung ist, liegt nahe am See Smiassen und an den Ruinen von Arbar. Diesen Punkt muß der Aufstand bald erreichen…«

In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre.

»Was wollt Ihr, Gustav?« fragte der General.

»Ein Note, mein Herr General!«

»Was gibt es da wieder Neues? Laßt ihn herein!«

Der Bote überreichte dem Gouverneur ein Schreiben: »Excellenz, von Seiten Sr. Erlaucht des Vice-Königs!« sagte er.

»Bei Sankt Georg!« rief der General aus, nachdem er gelesen hatte, »ich glaube, sie sind alle närrisch geworden! Beordert man mich gar nach Bergen! Auf Befehl des Königs in dringenden Angelegenheiten … Dazu ist die Zeit gut gewählt … Der Großkanzler, der gegenwärtig die Provinz bereist, wird Sie einstweilen ersetzen … Ein sauberer Ersatzmann … Der Bischof wird ihn unterstützen … Zwei herrliche Befehlshaber in einem empörten Lande, ein Kanzler und ein Bischof! … aber was ist zu machen! … Unmittelbarer Befehl des Königs … Man muß … Ich will doch vor meiner Abreise Schuhmacher noch verhören. Ich sehe wohl, daß man mich in ein Chaos von Intriguen begraben will, aber ich habe einen Compaß, der nie irreleitet: ein gutes Gewissen.«

II.

Der Leser weiß, daß wir uns zu Drontheim, einer der vier größten Städte Norwegens, obwohl nicht der Residenz des Vicekönigs, befinden. Zur Zeit, in welcher diese Geschichte vorging – im Jahre 1699 – gehörte das Königreich Norwegen noch zu Dänemark, und wurde von Vicekönigen regiert, deren Sitz zu Bergen, einer größeren, schöneren und südlicher gelegenen Stadt, als Drontheim, war.

Drontheim bietet einen angenehmen Anblick dar, wenn man es von dem Golf aus betrachtet, dem diese Stadt ihren Namen gegeben hat. Der Hafen ist ziemlich breit und die Stadt liegt in einer wohlbebauten Ebene. Mitten im Hafen, einen Kanonenschuß vom Ufer, erhebt sich, auf einer von Wogen umspülten Felsenmasse, die einsame Feste Munckholm, ein düsteres Gefängniß, in welchem damals der durch sein langes Glück sowohl, als durch seine schnelle Ungnade so berühmte Staatsgefangene saß.

Schuhmacher, ein Mann von niederer Geburt, war von seinem König erst mit Gunstbezeugungen überhäuft, dann plötzlich von seinem Sitze eines Großkanzlers von Dänemark und Norwegen auf die Bank der Staatsverräther gebracht, sofort aufs Schaffot geschleift und zuletzt aus Gnade in einen einsamen Kerker an der äußersten Grenze der beiden Königreiche gebracht worden. Seine eigenen Kreaturen hatten ihn gestürzt, und er hatte nicht einmal das Recht, über Undank zu klagen. Durfte er klagen, wenn er Sprossen der Leiter, die er bloß so hoch gestellt hatte, um auf ihnen hinaufzusteigen, unter seinen Füßen brechen sah?

Der Mann, welcher den Adel in Dänemark gegründet hatte, mußte aus seinem Verbannungsorte sehen, wie die Großen, die er geschaffen, seine eigenen Würden unter sich vertheilten. Der Graf Ahlfeldt, sein Todfeind, war sein Nachfolger als Großkanzler; der General Arensdorf verfügte als Feldmarschall über die Armee, sowie der Bischof Spollyson über Geistlichkeit und Schulen. Der einzige seiner Feinde, der ihm seine Erhebung nicht verdankte, war der Graf Ulrich Friedrich Guldenlew, natürlicher Sohn des Königs Friedrich des Dritten, Vicekönig von Norwegen, und dieser war der edelmüthigste von Allen.

Gegen diesen traurigen Felsen von Munckholm steuerte die Barke, die den jungen Mann mit der schwarzen Feder trug. Die Sonne ging eben unter.

XX.

»Ja, Herr Graf, heute treffen wir ihn in den Ruinen von Arbar, Ich habe es durch Zufall erfahren, aber viele Umstände machen mir es wahrscheinlich.«

»Sind wir weit von diesen Ruinen?«

»Sie liegen in der Nähe des Sees Smiassen. Der Führer versichert, daß wir sie vor Mittag erreichen können.«

So besprachen sich zwei Personen zu Pferd, die in braune Mäntel gehüllt waren. Es war noch früh Morgens und sie befanden sich auf einem jener engen Wege, welche den Wald, der zwischen den Seeen von Smiassen und Sparbo liegt, in allen Richtungen durchschneiden. Ein Bergmann, der sein Horn umhängen hatte und mit seiner Axt bewaffnet war, ritt auf einem kleinen grauen Pferde voran; und hinter ihnen kamen vier andere wohlbewaffnete Reiter, gegen welche sie von Zeit zu Zeit die Köpfe zurückwendeten, als ob sie fürchteten, von ihnen gehört zu werden.

Die beiden Reiter waren der Graf von Ahlfeldt und sein Sekretär Musdoemon. »Wenn dieser isländische Räuber sich wirklich in den Ruinen von Urbar befindet,« sagte der Letztere, »so haben wir viel gewonnen, denn das Schwierigste an der Sache war, dieses ungreifbare Wesen aufzufinden.«

»Glaubt Ihr, Musdoemon? Und wenn er nun unsere Anerbietungen verwirft?«

»Unmöglich, gnädiger Herr Graf! Gold und Straflosigkeit! Welcher Räuber würde da widerstehen?«

»Ihr wißt aber, daß dieser Räuber kein Bösewicht gewöhnlichen Schlags ist. Legt also nicht Euern Maßstab an ihn an. Wenn er nun unsern Antrag nicht annimmt, wie wollt Ihr Euer Versprechen gegen die drei Anführer des Aufstandes erfüllen?«

»Euer Gnaden scheinen vergessen zu haben, daß uns ein falscher Han der Isländer zu Gebot steht.«

»Ihr habt Recht und immer Recht, mein lieber Musdoemon!« sagte der Graf, und beide überließen sich nun ihren eigenen Gedanken.

Musdoemon, dessen Vortheil erforderte, seinen Gebieter bei guter Laune zu erhalten, machte, um ihn zu zerstreuen, eine Frage an den Wegweiser.

»Guter Mann,« sagte er, »was ist das für ein steinernes Kreuz dort hinter jenen Eichen?«

»Das ist kein Kreuz, Herr,« antwortete der Bergbewohner, »sondern der älteste Galgen in Norwegen. Der König Olaus hat ihn für einen Richter aufschlagen lassen, der mit einem Räuber ein Bündniß abgeschlossen hatte.«

Musdoemon sah den Aerger auf dem Gesichte seines Patrons, als er diese Worte hörte.

»Das ist eine ganz besondere Geschichte,« fuhr der treuherzige Wegweiser fort, »der Räuber mußte den Richter hängen …«

Musdoemon rief ihm zu: »Schon gut, schon gut, lieber Freund! Wir wissen diese Geschichte.«

»Er weiß diese Geschichte, der Flegel!« murmelte der Graf für sich. »Warte, Musdoemon, Du sollst mir Deine Unverschämtheit theuer bezahlen!«

»Was befehlen Ew. Gnaden?« fragte Musdoemon mit unterwürfigem Wesen.

»Ich dachte eben auf Mittel, mein Lieber, den Danebrogorden für Euch zu erhalten. Die Vermählung meiner Tochter Ulrike mit Baron Ordener wird dazu eine gute Gelegenheit sein.«

Musdoemon zerfloß in Danksagungen und Betheurungen seiner Anhänglichkeit.

»Um wieder auf unsere Angelegenheiten zu kommen, glaubt Ihr, daß der Mecklenburger den Befehl, der ihn nach Bergen beruft, jetzt in Händen habe?«

»Ohne Zweifel, gnädiger Herr Graf, wird jetzt der Bote zu Drontheim sein, und der General Levin muß sich mithin zur Abreise anschicken.«

»Diese Abberufung ist ein Meisterstreich von Euch, Musdoemon. Er gehört zu Euren best ausgesonnenen und best ausgeführten Intriguen.«

»Die Ehre davon gehört Euer Gnaden eben so gut als mir,« erwiederte Musdoemon, der sich zur Maxime gemacht hatte, den Grafen bei allen seinen Umtrieben zu betheiligen.

Der Graf, der seine geheimen Gedanken ganz gut kannte, versetzte gleichwohl lächelnd: »Mein lieber geheimer Sekretär, Ihr seid immer allzu bescheiden, aber ich werde dennoch Eurer ausgezeichneten Dienste stets eingedenk sein. Elphegens Anwesenheit und des Mecklenburgers Abwesenheit sichern meinen Triumph zu Drontheim. Ich bin Oberhaupt der Provinz, und wenn Han das Commando der Rebellen annimmt, das ich ihm selbst anbieten werde, so werde ich den Ruhm ernten, diese Empörung gedämpft und den furchtbaren Räuber gefangen zu haben.«

In diesem Augenblicke drehte sich der Wegweiser um und rief: »Seht da, gnädige Herren, zu unserer Linken den Hügel, auf welchem Biord der Gerechte im Angesicht seiner Armee den doppelzüngigen Verräther Wellon enthaupten ließ, der die ächten Vertheidiger des Königs entfernt und den Feind in das Lager gerufen hatte, damit es scheine, als habe er allein Biords Leben gerettet …«

Musdoemon unterbrach ihn barsch: »Laßt das, guter Mann, schweigt und setzt Euern Weg fort, ohne Euch umzuwenden! Was liegt uns an Euern alten Geschichten! Ihr stört meinen Herrn durch Eure alte Weiberhistorien!«

XXI.

Wir haben Ordener und Spiagudry verlassen, als sie eben bei aufgehendem Monde den Gipfel des Felsen von Oelmö ziemlich mühsam erstiegen. Je höher die Reisenden kamen, um so kahler wurde allmählig der Felsen; der Wald verwandelte sich in Gesträuch; bald verschwand auch dieses.

»Gnädiger Herr Ordener,« sagte der stets redselige Spiagudry, »dieser steile Pfad ist sehr ermüdend, und um ihn mit Ihnen zu erklimmen, bedurfte es der ganzen Ergebenheit … Aber es scheint mir, daß ich da rechts einen prächtigen convolvulus sehe; den möchte ich gerne näher untersuchen. Schade, daß es nicht Tag ist! … Doch um auf etwas Anderes zu kommen, müssen Sie nicht selbst gestehen, daß es höchst unverschämt ist, einen Gelehrten, wie ich einer bin, nur um vier lumpige Thaler anzuschlagen? Es ist allerdings wahr, daß der berühmte Phädrus ein Sklave war, und daß Aesop, wenn wir dem gelehrten Planudius glauben wollen, auf dem öffentlichen Markt wie ein Thier oder eine Sache verkauft worden ist, und wer sollte nicht stolz darauf sein, ein mit dem großen Aesop in einiger Beziehung ähnliches Schicksal zu haben? …«

»Und mit dem berühmten Han?« fügte Ordener lachend hinzu.

Sprechen Sie doch diesen Namen nicht in solcher Beziehung aus, mein gnädiger Herr! Ich schwöre Ihnen bei Jupiters Thron, daß ich diese Vergleichung gerne entbehre. Das jedoch wäre ein sonderbarer Fall, wenn der Preis, welcher auf sein Haupt gesetzt ist, Benignus Spiagudry, der sich in gleichem Unglück befindet, zukäme. Gnädiger Herr Ordener, Sie sind edelmüthiger als Jason, denn dieser gab das goldene Vließ seinem Piloten von Argos nicht, und doch ist Ihr Unternehmen, dessen Zweck mir ein Räthsel bleibt, nicht minder gefährlich, als das Jason’sche war …«

»Nun,« unterbrach ihn Ordener, »da Ihr diesen Han den Isländer kennt, so macht mich doch näher mit seinen persönlichen Verhältnissen bekannt. Ihr habt mir bereits gesagt, daß er kein Riese sei, wie man insgemein glaubt.«

»Halten Sie, Herr!« rief Spiagudry ängstlich aus. »Es dünkt mich, daß ich das Geräusch von Schritten hinter uns höre.«

»Richtig,« antwortete Ordener ruhig, »Ihr habt Recht. Seid ruhig, es wird irgend ein wildes Thier sein, das wir aufgeschreckt haben.«

»Sie mögen Recht haben, mein junger Cäsar, denn seit langer Zeit hat diese Gehölze kein menschlicher Fuß betreten. Aus dem gewichtigen Tritte zu schließen, muß dieses Thier groß sein. Etwa ein Elennthier oder ein Rennthier. Es gibt deren viele in diesem Theile Norwegens. Man findet auch Pantherkatzen; ich habe deren selbst eine zu Kopenhagen gesehen; sie war ungeheuer groß. Ich will Ihnen doch eine Beschreibung von diesem wilden Thiere machen ….«

»Mein lieber Freund, macht mir lieber die Beschreibung von einem andern nicht minder wilden Thiere, jenem furchtbaren Han ….«

»Leise doch, gnädiger Herr! Wie Sie einen solchen Namen so ruhig aussprechen! Sie wissen nicht … Hören Sie doch um Gottes willen, Herr!«

Spiagudry drängte sich dicht an Ordener, welcher sehr deutlich eine Art Geheul vernahm, das demjenigen glich, welches in jener stürmischen Nacht den armen Spiagudry so sehr in Schrecken gesetzt hatte.

»Haben Sie es gehört?« murmelte dieser vor Furcht zitternd.

»Allerdings, und ich weiß nicht, warum Ihr zittert. Das ist das Heulen eines wilden Thieres, vielleicht gar jener Pantherkatze, von der Ihr eben gesprochen habt. Glaubtet Ihr denn um diese Stunde einen solchen Ort passiren zu können, ohne etwas von wilden Thieren zu vernehmen? Aber seid ruhig, sie sind gewiß selbst mehr erschreckt, als Ihr.«

Spiagudry faßte ein wenig Muth, als er die Ruhe seines Reisegefährten sah.

»Es könnte wohl sein, Herr, daß Sie abermals Recht hätten, allein dieses Thiergeschrei gleicht einer gewissen entsetzlichen Stimme … Es war eine böse Inspiration, welche Sie auf den Gedanken brachte, diesen Felsen, auf welchem die Ruinen von Pharamunds Burg liegen, ersteigen zu wollen. Ich fürchte fast, daß uns ein Unglück begegnen möge.«

»Fürchtet nichts, so lange ich bei Euch bin.«

»Ach! Sie fürchten sich doch vor gar nichts. Allein, Herr, nur der heilige Paulus kann Schlangen in die Hand nehmen, ohne daß sie ihn beißen. Sie haben aber nicht wahrgenommen, daß das Gras in diesem verfluchten Fußsteig, als wir in ihn einlenkten, frisch zerdrückt und zu Boden getreten war, was beweist, daß vor Kurzem erst Jemand den Weg passirt hatte.«

»Was liegt daran! Es macht mir keine Unruhe, wenn ein Grashalm zertreten ist. Jetzt sind wir aus dem Gebüsche, und hören weder Schritte noch Thiergeheul mehr. Wir müssen nun unsere Kräfte zusammennehmen, denn der in den Felsen gehauene Fußsteig wird schwierig zu ersteigen sein.«

»Nicht darum, Herr, weil er steiler ist, sondern der gelehrte Reisende Suckson erzählt, daß er oft durch Felsstücke oder schwere Steine gesperrt ist, die zu schwer sind, um sie aus dem Wege räumen zu können, und über die man nicht leicht wegkommt. Es liegt unter andern etwas jenseits des Ausfallthors des Malaerthurms, dem wir uns jetzt nähern, ein ungeheurer dreieckiger Granitblock, den ich längst gerne gesehen hätte. Schönning versichert, auf demselben die drei ursprünglichen runischen Buchstaben wieder aufgefunden zu haben …«

Die Reisenden kletterten schon eine Zeitlang den nackten Felsen hinauf; sie erreichten einen kleinen verfallenen Thurm, durch den sie passiren mußten.

»Dies ist das Ausfallthor des Malaerthurms,« sagte Spiagudry. »Dieser bedeckte Weg enthält mehrere sehenswürdige Bauten, die uns zeigen, welches die alten Fortifikationen unserer norwegischen Burgen waren. Dieses Ausfallthor, das immer vier Bewaffnete bewachten, war das erste Vorwerk der Burg Pharamunds. Bei Gelegenheit des Wortes Thor macht der Mönch Uresius eine sonderbare Bemerkung. Das Wort Janua, welches von Janus kommt, dessen Tempel so berühmte Thore hatte, soll das Wort Janitschar, Hüter der Thore des Sultans, erzeugt haben. Es wäre sonderbar, wenn der Name des friedlichen Janus auf die wilden und blutdürstigen Janitscharen übergegangen wäre.«

Während Spiagudry diesen gelehrten Galimathias auskramte, dachte Ordener nur an das Vergnügen, von hier aus den Leuchtthurm von Munckholm zu erblicken.

»Ah! Ich sehe ihn,« rief Spiagudry plötzlich aus. »Dieser Anblick entschädigt mich für alle meine Mühe. Ich sehe ihn, Herr, ich sehe ihn!«

»Was denn?« fragte Ordener, der an den Leuchtthurm von Munckholm und seine Ethel dachte.

»Was anders,« erwiederte Spiagudry mit beseligter Stimme, »als den dreieckigen Felsblock, von welchem Schönning spricht! Ich werde nunmehr, neben dem Professor Schönning und dem Bischof Isleif, der dritte Gelehrte sein, welcher das Glück gehabt hat, diesen Stein näher zu untersuchen. Nur ist es sehr zu bedauern, daß solches nur bei Mondschein geschehen kann.«

Als Spiagudry sich dem berühmten Felsblock näherte, stieß er einen Schrei schmerzlichen Staunens aus. Ordener fragte ihn um dessen Ursache, aber der arme Mann konnte lange Zeit die Zunge zur Antwort nicht bewegen.

»Ihr wart der Meinung,« sagte Ordener, »daß dieser Felsblock den Weg sperre. Ihr müßt nun im Gegentheil mit Vergnügen erkennen, daß er ihn vollkommen frei läßt.«

»Eben das setzt mich ja in Verzweiflung!« sagte Benignus mit kläglicher Stimme.

»Wie so denn?«

»Wie so, Herr! Sehen Sie nicht, daß dieser Block von der Stelle gerückt worden ist, daß dessen Basis, die auf dem Fußpfad ruhte, nun mehr der Luft ausgesetzt ist, während der Stein gerade mit der Seite, an welcher Schönning die ursprünglichen runischen Schriften entdeckt hatte, auf dem Boden ruht? … Das macht mich sehr unglücklich!«

»Das ist freilich ein harter Schlag!« sagte Ordener spottend.

»Dazu kommt noch,« fügte Spiagudry lebhaft hinzu, »daß die Wegrückung dieser Masse die Gegenwart irgend eines übernatürlichen Wesens beweist. Wenn es nicht der Teufel selbst ist, so gibt es in Norwegen nur einen einzigen Menschen, dessen Arm im Stande wäre …«

»Euer panischer Schrecken ergreift Euch wieder, alter Herr! Wer weiß, ob dieser Stein nicht seit einem Jahrhundert so liegt?«

»Allerdings,« sagte Spiagudry beruhigter, »sind es allbereits hundert und fünfzig Jahre, daß der letzte gelehrte Beobachter denselben studirt hat. Es scheint mir jedoch, daß er frisch weggeräumt sei; der Platz, den er einnahm, ist noch feucht. Sehen Sie, Herr …«

Ordener, voll Ungeduld, die Ruinen zu erreichen, riß den gelehrten Forscher von der Pyramide weg.

»Hört, Alter,« sagte er, »wenn Ihr erst die tausend Thaler, welche Euch Han’s Kopf eintragen wird, in der Tasche habt, könnt Ihr Euch an den Ufern dieses See’s niederlassen und die Alterthümer der Gegend mit aller Gemächlichkeit studiren.«

»Sie haben Recht, edler Herr, allein reden Sie nicht so leichthin von einem noch sehr zweifelhaften Siege. Ich will Ihnen einen Rath ertheilen, mittelst dessen Sie sich des Ungeheuers leicht bemeistern können …«

»Und welchen?« fragte Ordener schnell.

»Der Räuber,« sagte Spiagudry leise und warf unruhige Blicke um sich, »trägt an seinem Gürtel einen Hirnschädel, aus welchem er zu trinken pflegt. Dieser Hirnschädel ist der seines Sohnes, des nämlichen Leichnams, wegen dessen Profanation ich verfolgt werde …«

»Etwas lauter, und fürchtet nichts; ich höre Euch kaum. Nun, dieser Hirnschädel?«

»Dieses Hirnschädels müssen Sie sich zu bemächtigen suchen. Das Ungeheuer knüpft daran gewisse abergläubische Ideen. Haben Sie einmal den Hirnschädel seines Sohnes in Ihrer Gewalt, so können Sie mit dem Räuber machen, was Sie wollen.«

»Ganz gut, aber wie in dessen Besitz gelangen?«

»Mit List, Herr! Während das Unthier schläft. Vielleicht ….«

»Genug, Euer guter Rath kann mir nichts helfen. Ich überfalle keinen Feind im Schlaf. Ich weiß ihn nur mit meinem guten Schwerte zu bekämpfen.«

»Herr, es ist nicht bewiesen, daß der Erzengel Michael keine List gebraucht hatte, Satan zu bekämpfen und in den Abgrund zu stürzen ….«

Hier hielt Spiagudry plötzlich inne, streckte beide Hände vor sich aus und rief mit fast erloschener Stimme: »Himmel! Himmel! Was sehe ich da? Seht, Herr, geht da nicht vor uns in dem nämlichen Fußwege ein kleiner Mann? ….«

»Ich sehe nichts,« sagte Ordener aufblickend.

»Nichts, Herr? Allerdings, der Weg biegt sich, und er ist hinter jenem Felsen verschwunden. Lassen Sie uns nicht weiter gehen, ich beschwöre Sie darum, Herr!«

»Wenn dieser kleine Mann so schnell verschwunden ist, so ist das ein Beweis, daß er uns nicht erwarten will, und wenn er flieht, so ist das kein Grund für uns, auch zu fliehen.«

»So möge der Himmel über uns wachen,« seufzte Spiagudry.

»Ihr werdet den Schatten einer aufgeschreckten Nachteule für einen Menschen gehalten haben.«

»Ich glaubte gleichwohl einen kleinen Mann deutlich zu erblicken. Es ist freilich wahr, daß der Mondschein bisweilen seltsame Täuschungen hervorbringt. Beim Mondschein hielt Baldan, Herr zu Merneugh, den weißen Vorhang seines Bettes für den Schatten seiner Mutter, weshalb er am andern Morgen vor den Richtern zu Christiania sich als Muttermörder selbst angab, während die Richter eben im Begriffe waren, den unschuldig angeklagten Pagen der Verstorbenen zu verurtheilen. Es kann demnach mit Recht behauptet werden, daß der Mondschein diesem Pagen das Leben gerettet habe.«

Kein Mensch auf der Welt vergaß so leicht, als Spiagudry, die Gegenwart über der Vergangenheit. Eine Rückerinnerung seines immensen Gedächtnisses war hinreichend, alle Eindrücke des Augenblicks aus seiner Seele zu verbannen. Baldans Geschichte verscheuchte alsbald alle seine Besorgnisse, und er fügte seiner Erzählung ganz ruhig hinzu: »Es ist möglich, daß mich der Mondschein auf gleiche Weise getäuscht hat.«

Die Wanderer kamen an den Ruinen an. Von den fünf Thürmen, die ehedem Pharamunds, des Geächteten, Burg geziert und beschützt hatten, stand nur noch ein einziger in seiner ganzen Höhe aufrecht. Dieser Thurm stand am äußersten Rande des Felsen. Von seiner Zinne konnte man, wie Spiagudry versicherte, den Leuchtthurm von Munckholm erblicken. Sie nahmen ihre Richtung nach ihm hin, obgleich es in diesem Augenblick ganz dunkel geworden war, denn der Mond hatte sich hinter einem schwarzen Gewölke versteckt. Als sie über eine Mauer kletterten, faßte plötzlich Benignus mit zitternder Hand Ordeners Arm.

»Was gibt es?« fragte dieser verwundert.

Statt aller Antwort drückte der Alte seinen Arm noch heftiger, als ob er ihm Stillschweigen auflegen wollte.

»Nun denn?«

Ein neues Drücken erfolgte, begleitet von einem tiefen Seufzer. Ordener entschloß sich, geduldig zu warten, bis der erste Schrecken vorüber sein würde.

Endlich sagte Spiagudry mit zurückgehaltenem Athem: »Nun, Herr, was sagen Sie dazu?«

»Wozu?«

»Nicht wahr, Sie bereuen es jetzt selbst, daß wir da heraufgestiegen sind?«

»Nein, wahrlich nicht, und ich will noch höher steigen. Warum soll ich es denn bereuen?«

»Wie, Herr, Sie haben also nicht gesehen? …«

»Gesehen! Was?«

»Sie haben nicht gesehen?«

»In der That nichts, gar nichts! Ich habe bloß Euer Zähneklappern gehört.«

»Wie! Hinter dieser Mauer da, in der Dunkelheit … diese zwei feurige Augen, wie Kometen leuchtend …. flammend auf uns gerichtet!… Die haben Sie nicht gesehen?«

»Gewiß nicht!« »Sie haben sie nicht gesehen, wie sie auf- und niederblitzten, hin- und herleuchten und zuletzt in den Ruinen verschwanden!«

»Ich weiß nicht, was Ihr damit wollt. Was liegt auch daran?«

»Was daran liegt? Wissen Sie nicht, daß es in Norwegen nur einen einzigen Menschen gibt, dessen Augen so in der Dunkelheit leuchten?«

»Und wer ist denn dieser Mensch mit den Katzenaugen? Etwa Han der Isländer? Desto besser, wenn er hier ist! Das erspart uns die Reise nach Walderhog.«

»Ah! Herr, Sie haben mir versprochen, mich im Dorfe Surb, eine Meile vom Kampfplatz, zurückzulassen …«

»Ihr habt Recht, es wäre unbillig, Euch in meine Gefahren zu verwickeln. Fürchtet also nichts. Dieser Han schwebt Euch überall vor Augen. Kann nicht in diesen Ruinen irgend eine wilde Katze sein, deren Augen ebenso leuchten, wie die jenes Menschen?«

Diese Erklärung beruhigte Spiagudry.

»Ach, Herr!« sagte er tiefathmend, »ohne Sie wäre ich schon zehnmal vor Furcht gestorben, seit wir diesen Felsen erklimmen. Freilich hätte ich ohne Sie niemals diesen Versuch gewagt.«

Das Licht des wieder erscheinenden Mondes zeigte ihnen den Eingang in den Thurm, an dessen Fuße sie jetzt angelangt waren. Ordener sammelte Reisach und dürre Kräuter, womit sie ein Feuer anzündeten. So wie die Flamme aufschlug, erhob sich ein ganzer Schwarm Eulen und Fledermäuse aus dem alten Gemäuer.

»Da sind wir keine willkommene Gäste,« sagte Ordener scherzend, »fürchtet Euch nur nicht wieder, alter Herr!«

Spiagudry setzte sich gemüthlich an das Feuer und erwiederte: »Ich, Eulen und Fledermäuse fürchten! Ich habe unter Leichen gelebt, ohne einen Vampyr zu fürchten. Ich fürchte Niemand, als die Lebenden! Tapfer bin ich zwar nicht, doch auch nicht abergläubisch. Nunmehr aber wollen wir an unser Nachtessen denken. Ich habe hier etwas schwarzes Brod und Käse. Das wird bald aufgezehrt sein, wenn Sie eben so großen Hunger haben, als ich. Ich sehe, daß wir noch lange nicht die Grenzen jenes Gesetzes Philipps des Schönen von Frankreich zu überschreiten im Begriffe sind: Nemo audeat comedere praeter duo fercula cum potagio. Auf diesem Thurme müssen sich ohne Zweifel Nester von Möven oder Fasanen befinden! aber wie soll man auf einer schwankenden, zerfallenen Treppe, welche höchstens Sylphen zu tragen im Stande wäre, auf dessen Spitze gelangen?«

»Gleichwohl muß diese Treppe mich tragen, denn ich will auf die Zinne dieses Thurmes steigen.«

»Wie, Herr! Wegen dieser Mövennester? Begehen Sie solche Unklugheit nicht. Man muß sein Leben nicht um ein gutes Nachtessen wagen. Im Uebrigen könnten Sie sich auch irren und statt der Mövennester Eulennester bekommen.«

»Was liegt mir an Euren Nestern! Habt Ihr mir nicht gesagt, daß man von der Spitze dieses Thurms den Leuchtturm von Munckholm erblickt?«

»Allerdings, edler Herr, gegen Süden! Ich sehe nun wohl, daß Ihr Wunsch, diesen wichtigen Punkt für die Wissenschaft der Geographie zu fixiren, der Beweggrund dieser ermüdenden Reise nach Pharamunds, des Geächteten, Burg gewesen ist, allein geruhen Sie zu erwägen, gnädiger Herr, daß zwar die Pflicht eines eifrigen Gelehrten bisweilen erfordern mag, der Ermüdung zu trotzen, niemals aber der Gefahr, weßhalb ich mit Grund die Bitte an Sie stelle, Ihr Leben aus dieser verfallenen Treppe, deren Stufen kaum einen Raben tragen würden, nicht unbesonnenerweise zu wagen.«

Benignus fürchtete sich, allein unten am Thurme zu bleiben; er erhob sich, um Ordener zurückzuhalten, aber zum Unglück fiel sein Schnappsack, der auf seinen Knieen lag, auf die Steine und gab einen hellen Ton von sich.

»Was klingt denn so in diesem Schnappsack?« fragte Ordener.

Diese Frage, die einen so kitzlichen Punkt betraf, benahm dem alten Herrn die Lust, seinen Reisegefährten länger zurückzuhalten. Statt daher auf die Frage zu antworten, sagte er bloß: »Nun denn, in Gottes Namen! Wenn Sie trotz meiner Bitten auf Ihrem Vorhaben bestehen, diesen Thurm zu besteigen, so vermeiden Sie wenigstens die Stellen des Gemäuers, welche verfallen sind und keinen festen Anhaltspunkt darbieten.«

»Aber,« fuhr Ordener fort, »was ist denn in Eurem Schnappsack, daß er einen so metallischen Klang von sich gibt?«

»Edler Herr,« antwortete Spiagudry, »wie können Sie sich um ein altes, garstiges eisernes Rasirbecken kümmern, das auf einem Kieselstein aufschlägt? Weil ich Sie denn nicht zurückhalten kann, so kommen Sie wenigstens bald wieder herab. Der Leuchtthurm von Munckholm liegt südlich zwischen den beiden Schemeln der Frigga.«

Ordener, von der Erinnerung an Munckholm ergriffen, eilte in den Thurm. Spiagudry hob seinen Schnappsack auf und setzte sich gemächlich ans Feuer.

»Mein lieber Benignus Spiagudry,« sprach er für sich, »während Du allein bist und vor den Augen dieses jungen Luchses verborgen, öffne geschwind diese Büchse, um oculis et manu von dem Schatze Besitz zu nehmen, welchen sie ohne Zweifel verschließt. Wenn derselbige aus diesem Gefängniß erlöst ist, so wird er weniger schwer zu tragen und leichter zu verstecken sein.«

Mit diesen Worten faßte er einen großen Stein, um das Schloß abzuschlagen, als ein Strahl der Flamme, der auf das Wappen fiel, ihn plötzlich lähmte.

»Bei Sankt Willebrod dem Numismatiker,« rief er aus, »ich irre mich nicht, das ist das Wappen von Greiffenfeld. Ich war im Begriff eine große Thorheit zu begehen, indem ich solches zerschlagen wollte. Dies ist vielleicht noch das einzige Modell, das von diesem berühmten Wappen übrig blieb, welches im Jahr 1676 durch die Hand des Henkers zertrümmert worden ist. Behüte mich Gott, daß ich meine Hand daran legen sollte! Was auch der Werth der Gegenstände sein mag, die in dieser Büchse verborgen sind, es wären denn, gegen alle Wahrscheinlichkeit, Münzen aus Palmyra oder Carthago, so ist doch dieses Wappen ein noch kostbarerer Schatz. Ich bin nunmehr derjenige, welcher allein noch das abgeschaffte Wappen von Greiffenfeld besitzt. Laßt uns diesen Schatz sorgfältig verbergen! Vielleicht werde ich irgend ein Mittel finden, die Büchse zu öffnen, ohne daß ich einen Vandalismus begehe. Das Wappen von Greiffenfeld! Welches Glück! Mit einem auflösenden Mittel werde ich das Schloß öffnen, ohne das Wappen zu verletzen. Diese Büchse enthält ohne Zweifel die Schätze des Exkanzlers. Wenn nun Jemand durch den Preis der vier Thaler gelockt, die auf meinen Kopf gesetzt sind, mich erkennen und anhalten sollte, so wird es mir nicht schwer werden, mich loszukaufen. Mithin wird diese glückselige Büchse mich gerettet haben …«

Während er so sprach, blickte er mechanisch in die Höhe, und plötzlich erstarrte sein Gesicht vor Schrecken. Alle seine Glieder zitterten krampfhaft. Seine Augen starrten, sein Mund bebte, die Stimme blieb ihm in der Kehle stecken.

Ihm gegenüber, auf der andern Seite des Feuers, stand ein kleiner Mann mit gekreuzten Armen. An seiner Kleidung von noch blutigen Fellen, an seiner steinernen Axt, an seinem rothen Bart und den flammenden starr auf ihn gehefteten Augen hatte der unglückliche Spiagudry alsbald Han den Isländer erkannt.

»Ich bin es« sagte der kleine Mann mit einem furchtbaren Ausdruck. »Also diese glückselige Büchse wird Dich gerettet haben,« fügte er mit einem furchtbar höhnischen Lächeln hinzu. »Spiagudry! Ist das der Weg nach Thoctree?«

Der Unglückliche versuchte einige Worte zu stammeln: »Thoctree! …. Gnädiger Herr! ….. Mein Herr und Meister! … Ich war eben auf dem Wege …«

»Nach Walderhog,« ergänzte Han mit donnernder Stimme.

Spiagudry raffte alle seine Kräfte zusammen, um mit dem Kopf ein verneinendes Zeichen zu machen.

»Du führtest mir einen Feind zu. Habe Dank! Das ist ein Lebender weniger. Fürchte nichts, getreuer Wegweiser, er wird Dir nachfolgen.«

Der Unglückliche wollte ein Geschrei ausstoßen und brachte kaum einen unbestimmten Laut hervor.

»Warum erschreckt Dich meine Gegenwart? Du suchtest mich ja. Keinen Laut, sonst bist Du ein Kind des Todes!«

Der Isländer schwang seine steinerne Axt über Spiagudry’s Haupt. Dann fuhr er mit einer Stimme fort, die, wie ein Waldstrom aus einer Höhle, aus der Tiefe der Brust drang: »Du hast mich verrathen!«

»Nein, Ihr Gnaden! … Nein, Excellenz! …« stöhnte Benignus.

Der Wilde gab ein dumpfes Brüllen von sich.

»Glaubst Du mich noch einmal täuschen zu können? Hoffe das nicht! Höre, ich war auf dem Dache des Spladgest, als Du Deinen Vertrag mit diesem jungen Thoren geschlossen hast; damals hast Du zweimal meine Stimme gehört. Meine Stimme hörtest Du während des Sturms auf dem Wege; ich war es, den Du im Thurme von Vygla als Eremit gesehen hast. Ich sagte Dir damals: Auf Wiedersehen!«

Der Unglückliche in seinem Entsetzen warf einen verwirrten Blick um sich her, als ob er um Hülfe rufen wollte.

Der Wilde fuhr fort: »Ich wollte diese Soldaten, welche Dich verfolgten, nicht entwischen lassen. Sie waren von dem Regiment von Munckholm. Du warst mir immer gewiß. – Spiagudry, ich war es, den Du im Weiler Oelmö unter dem Filzhut des Bergmanns wiedersahst; ich war es, dessen Schritte und Stimme Du hinter Dir hörtest, dessen Augen Du in diesen Ruinen in der Dunkelheit leuchten sahst. Ich bin jetzt da!«

Spiagudry krümmte sich zu den Füßen des furchtbaren Wesens und konnte nur mühsam das einzige Wort: »Gnade!« hervorbringen.

Immer noch stand Jener mit verschränkten Armen und heftete einen Blick der Blutgier auf ihn.

»Erflehe Dein Leben von dieser Büchse, von der Du es erwartet hast!«

»Gnade! … Herr! … Gnade! …« stammelte der schon sterbende Mann.

»Warst Du treu und stumm? Du wirst für immer stumm werden!«

Der Gemarterte stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Fürchte nichts, Du sollst vereint bleiben mit Deinen Schätzen!«

Der Barbar nahm seinen ledernen Gürtel ab, zog ihn durch den Ring der eisernen Büchse und schlang ihn so um Spiagudry’s Hals.

»Nun, sprich, welchem Teufel willst Du Deine Seele verschreiben? Rufe ihn flugs an, damit nicht ein anderer Dämon ihm zuvorkomme, den Du nicht gerufen hast!«

Der alte Mann, in stummer Verzweiflung, sank zu den Füßen des Ungeheuers nieder, mit krampfhaft wiederholten Zeichen des Schreckens und Flehens.

»Nein! Nein! Du getreuer Wegweiser, sei ruhig, Dein Reisegefährte wird ohne Dich den Weg finden. Ich will ihn ihm zeigen, er wird Dir bald nachfolgen. Komm und zeige ihm den Weg!«

Mit diesen Worten nahm er ihn in seine Eisenarme und trug ihn fort, wie ein Wolf ein wehrloses Lamm. Bald darauf hörte man in den Ruinen einen durchdringenden Angstschrei und ein gräßliches Lachen.

Inzwischen hatte Ordener von der Höhe des Thurms den Leuchtthurm von Munckholm erblickt. »Dort ist sie,« sagte er, »sie denkt an mich, sie träumt vielleicht von mir!«

Jetzt hörte er den durchdringenden Angstschrei und das gräßliche Lachen. Besorgt um seinen Reisegefährten, stieg er schnell hinab. Kaum war er einige Stufen der Treppe hinabgekommen, so hörte er ein dumpfes Geräusch, wie das eines schweren Körpers, der in tiefes Wasser fällt.

XXII.

Die Sonne warf ihre letzten Strahlen auf das vergitterte Fenster, an welchem Schuhmacher und seine Tochter Ethel saßen.

»Mein Vater,« sagte Ethel, »ich habe diese Nacht von einer glücklichen Zukunft geträumt … Blicken Sie auf, mein Vater, und betrachten Sie diesen schönen Himmel!«

»Ich sehe ihn durch die Eisengitter meines Kerkers,« erwiederte der Gefangene und ließ sein Haupt, das er einen Augenblick erhoben hatte, wieder in seine beiden Hände sinken.

»Glauben Sie nicht, daß Ordener bald zurückkommen werde? Er ist schon vier Tage fort.«

Der Greis schüttelte traurig das Haupt: »Wenn er vier Jahre abwesend sein wird, werden wir seiner Rückkehr eben so nahe sein, als heute.«

Ethel erblaßte: »Mein Gott! Glauben Sie denn, daß er nicht zurückkommen wird?«

»Hat er denn versprochen, zurückzukommen?«

»Gewiß, das hat er!«

»Also kommt er nicht wieder, denn er ist ein Mensch. Der Geyer mag zurückkehren zu dem verlassenen Leichnam, der Frühling kehrt nicht zurück, wenn der Winter naht.«

»Er wird zurückkommen, er ist kein Mensch wie andere.«

»Was weißt Du davon, Mädchen?«

»Was Sie selbst davon wissen.«

»Ich, ich weiß nichts. Ich habe die Worte eines Menschen gehört, sie verkündeten mir Thaten eines Gottes. Ich habe darüber nachgedacht und gefunden, daß das zu schön ist, um daran glauben zu können.«

»Und ich glaube daran, weil es schön ist.«

»Gut, mein Kind, daß Du nicht bist, was Du sein sollst, Gräfin von Tongsberg und Prinzessin von Wollin, umgeben von einem Hofe schöner Verräther und selbstsüchtiger Anbeter, dann würde diese Leichtgläubigkeit Dir und Andern verderblich werden.«

»Es ist nicht Leichtgläubigkeit, sondern Vertrauen.«

»Man sieht, daß französisches Blut in Deinen Adern wallt, denn Diejenigen, die Deinen Vater tiefer gestürzt haben, als er je erhöht war, können doch nicht hindern, daß Du nicht die Tochter der Prinzessin Charlotte von Tarent bist, und daß eine Deiner Ahnfrauen Adele Gräfin von Flandern war, deren Namen Du trägst.«

»Mein Vater, Sie beurtheilen den edlen Ordener falsch.«

»Edel, meine Tochter! Welchen Sinn verbindest Du mit diesem Wort? Ich habe Edle geschaffen, die sehr elende Menschen waren.«

»Ich meine nicht edel durch den Adel, den man Einem schenkt.«

»Stammt er denn von einem Jarl oder Hersa ab?«

»Ich weiß es nicht, mein Vater. Mag er der Sohn eines Leibeigenen sein! Man malt Krone und Leyer auf den Sammt eines Fußteppichs. Er ist edel durch den Adel des Herzens.«

»Edel durch den Adel des Herzens!« wiederholte der Greis. »Dieser Adel steht höher, als der, den die Könige geben, er ist von Gott. Gott verschwendet ihn nicht, wie die Fürsten …« Der Gefangene hob das Auge auf sein zertrümmertes Wappen, und fügte hinzu: »Und er nimmt ihn nie zurück.«

»Wer den Adel von Gott hat, mein Vater, tröstet sich leicht, den der Fürsten verloren zu haben.«

»Du hast Recht, meine Tochter, aber Du weißt nicht, daß die Ungnade, welche ungerecht erscheint in den Augen der Welt, bisweilen in unserem innersten Gewissen ihre Rechtfertigung findet. So ist unsere elende menschliche Natur. Einmal im Unglück, erheben sich in uns selbst hundert Stimmen, welche im Glück geschwiegen haben, um uns unsere Irrthümer und Fehler vorzuwerfen.«

»Sprechen Sie nicht so, mein edler Vater,« sagte Ethel tief bewegt, denn die Rührung seiner Stimme hatte ihr gezeigt, daß ihm ein schmerzliches Geheimniß entwischt war. «Sie urtheilen sehr streng über zwei edle Menschen, Ordener und Sie, mein ehrwürdiger Vater.«

»Du urtheilst leichthin, Ethel! Man sollte glauben, daß Du nicht wissest, welch eine ernste Sache das menschliche Leben ist.«

»Habe ich denn übel gethan, dem edelmüthigen Ordener Gerechtigkeit widerfahren zu lassen?«

Der Vater runzelte die Stirne: »Ich kann nicht billigen, meine Tochter, daß Du auf solche Weise Deine Bewunderung einem Unbekannten schenkst, den Du ohne Zweifel niemals wieder sehen wirst.«

»Glauben Sie das nicht, mein Vater! Wir werden ihn wieder sehen. Hat er nicht für Sie diese Reise unternommen? Besteht er nicht für Sie diese Gefahren?«

»Ich habe mich, wie Du, anfangs durch diese Versprechungen täuschen lassen, aber er wird nicht gehen, und auch nicht wieder kommen.«

»Er geht gewiß, mein Vater!«

»Nun, wenn er auch geht und diesen Räuber bekämpft, so ist es das Gleiche: Er kommt nicht zurück.«

Ethel erblaßte und Thränen traten in ihre Augen: »O mein Vater,« sagte sie, »in dem Augenblicke, wo Sie so reden, stirbt vielleicht dieser Unglückliche für uns.«

Der Greis schüttelte das Haupt zum Zeichen des Zweifels.

»Ich glaube es eben so wenig,« sagte er, »als ich es wünsche, und welches Verbrechen hätte ich denn auch begangen? Ich wäre undankbar gegen diesen jungen Mann gewesen, wie so Viele es gegen mich waren.«

Ein tiefer Seufzer war die einzige Antwort seiner Tochter, Ihr Vater drehte sich seinem Schreibtisch zu und riß einige Blätter aus Plutarchs Leben berühmter Männer, wovon ein Band vor ihm lag, der schon an zwanzig Stellen verstümmelt und mit Noten überladen war.

Jetzt öffnete sich die Thüre. Als Schuhmacher das Geräusch hörte, rief er, ohne sich umzuwenden, sein übliches Verbot: »Draußen geblieben! Laßt mich! Ich will Niemand sehen!«

»Es ist Se. Excellenz der Gouverneur,« antwortete die Stimme des Schließers.

Ein bejahrter Mann in Generalsuniform, mit mehreren Orden geschmückt, trat herein. Schuhmacher erhob sich halb von seinem Sitze, indem er zwischen den Zähnen murmelte: »Der Gouverneur!«

Der Gouverneur war in der Absicht gekommen, ein strenges Verhör mit dem Staatsgefangenen anzustellen, um möglichstes Licht über den Aufstand zu erhalten, bei welchem Schuhmachers Name zum Losungswort diente. Er hielt es für seine Pflicht, hier als unerbittlicher Richter sich zu zeigen; aber kaum war er in das Zimmer des Gefangenen getreten, so fühlte er sich angezogen durch das ehrwürdige, obgleich mürrische Gesicht des Greises, erweicht durch die sanften, obwohl stolzen Züge seiner Tochter, und schon der erste Anblick des Gefangenen milderte seine Strenge zur Hälfte. Er trat auf den gestürzten Minister zu, reichte ihm, gleichsam unwillkürlich, die Hand und sagte: »Ich grüße Sie, Herr Graf von Greiffenf… Herr Schuhmacher!«

»Sie sind der Gouverneur von Drontheim?« sagte der Gefangene nach einer Pause.

Der General, etwas verwundert, von demjenigen gleichsam verhört zu werden, den er verhören wollte, machte ein bejahendes Zeichen.

»In diesem Fall,« fuhr der Gefangene fort, »habe ich eine Klage bei Ihnen vorzubringen.«

»Eine Klage! Worüber haben Sie sich zu beklagen?«

»Nach einem Befehl des Vicekönigs soll man mich hier in diesem Kerker ungestört und in Ruhe lassen.«

»Ich kenne diesen Befehl.«

»Gleichwohl, Herr Gouverneur, erlaubt man sich, mir hier in meinem Gefängniß beschwerlich zu fallen.«

»Wie! Wer wagt dies?«

»Sie selbst, Herr Gouverneur!«

Diese in hohem Ton ausgesprochenen Worte beleidigten den General und er erwiederte mit einer fast zornigen Stimme: »Sie vergessen, daß meine Gewalt, wo es sich um den Dienst des Königs handelt, keine Grenze kennt.«

»Die Grenzen der Achtung, welche man dem Unglück schuldig ist, sollten Sie kennen! Aber freilich wissen das die Menschen nicht.«

»Ich hatte Unrecht, Herr Graf von Greiffenf… Herr Schuhmacher! Ich konnte Ihnen den Zorn lassen, weil ich die Macht habe.«

Der Gefangene schwieg einige Augenblicke, dann fuhr er nachdenklich fort: »In Ihrem Gesicht und in Ihrer Stimme, Herr Gouverneur, ist etwas von einem Manne, den ich ehedem gekannt habe. Es ist schon lange her; Niemand als ich erinnert sich dieser Zeit: es war zur Zeit meines Glückes. Dieser Mann war ein gewisser Levin von Knud aus Mecklenburg. Haben Sie diesen Narren gekannt?«

»Ich habe ihn gekannt,« erwiederte der General mit Ruhe.

»So, Sie erinnern sich seiner? Ich glaubte, man erinnere sich der Leute bloß, wenn man im Unglück ist.«

»War er nicht Hauptmann in der königlichen Miliz?« fuhr der Gouverneur fort.

»Ja, nur Hauptmann, obgleich er bei dem König sehr beliebt war; aber er dachte nur an das Vergnügen und zeigte keinen Ehrgeiz. Es war ein überspannter Kopf. Läßt sich eine solche Mäßigung von einem Günstling begreifen?«

»Warum denn nicht?«

»Ich liebte ihn ziemlich, diesen Levin Knud, weil er mich nicht beunruhigte. Er war ein Freund des Königs, wie wenn dieser König ein gewöhnlicher Mensch gewesen wäre. Man hätte glauben sollen, daß er ihn bloß aus Zuneigung liebe, nicht um seines Glücks willen. Da Sie ihn gekannt haben, Herr Gouverneur, so werden Sie vermuthlich wissen, daß er einen Sohn hatte, der noch jung gestorben ist. Erinnern Sie sich noch, was bei der Geburt dieses Sohnes vorging?«

»Ich erinnere mich noch besser, was bei seinem Tode geschah,« sagte der General mit bewegter Stimme und hielt die Hand vor seine Augen.

»Es ist,« fuhr Schuhmacher gleichgültig fort, »eine wenig bekannte Thatsache, welche diesen Levin in seiner ganzen Sonderbarkeit darstellt. Der König wollte Pathe des Kindes werden. Glauben Sie wohl, daß Levin es ihm abschlug und dagegen einen alten Bettler, der sich an den Thoren des Palastes herumschleppte, zum Taufpathen annahm? Ich habe den Grund dieser tollen Handlung nie begreifen können!«

»Ich will Ihnen den Grund sagen. Als der Hauptmann Levin einen Fürbitter für die Seele seines Kindes wählte, dachte er ohne Zweifel, daß das Gebet eines Armen vor Gott wirksamer sei, als das eines Königs.«

»Sie können Recht haben,« sagte der Gefangene. »Ja,« fuhr er fort, »dieser Knud war ein sonderbarer Mensch. Er ist der Einzige von denen, die ich in den Zeiten meiner Größe sah, dessen Andenken mir nicht Ekel und Abscheu einflößt. Wenn er auch die Sonderbarkeit bis zur Narrheit trieb, so war er doch vermöge seiner edlen Eigenschaften ein Mann, wie es wenige gibt.«

»Ich bin nicht Ihrer Meinung. Dieser Levin war nichts weiter als die andern Menschen auch. Es gibt sogar Viele, die mehr Werth haben als er.«

Schuhmacher kreuzte die Arme und hob die Augen zum Himmel: »So sind sie doch alle, diese Menschen! Kaum lobt man vor ihren Ohren einen Mann, der Lob verdient, so beschmutzen sie ihn mit ihrem Geifer. Selbst gerechtes Lob vergiften sie, und doch kann man so selten loben!«

»Wenn Sie mich kennten, so würden Sie mich nicht der Anschwärzung des Gen….. des Hauptmanns Levin beschuldigen …«

»Lassen Sie mich! Lassen Sie mich! Kurz, ich sage Ihnen, was Rechtlichkeit und Edelmuth betrifft, so hat es nicht einen zweiten Menschen gegeben, wie dieser Levin Knud war, und wer das Gegentheil sagt, verleumdet ihn zu Gunsten dieses verfluchten Menschengeschlechts.«

»Ich versichere Sie, daß ich keine böse Gesinnung gegen diesen Levin hege …«

»Sagen Sie das nicht. Obwohl er ein Narr war, habe ich doch Seinesgleichen unter den Menschen nicht gekannt. Die Menschen sind heimtückisch, undankbar, neidisch, verleumderisch. Wissen Sie, daß Levin Knud mehr als die Hälfte seines Einkommens dem Spital in Kopenhagen schenkte?«

»Ich wußte nicht, daß Ihnen dies auch bekannt war.«

»Recht so! Recht so!« rief der Gefangene triumphirend aus. »Er glaubte ihn mit Sicherheit schmähen zu können, weil er wähnte, daß ich die guten Handlungen dieses armen Levin nicht kenne!«

»Nicht doch …«

»Wissen Sie auch nicht, daß er das vom König ihm bestimmte Regiment einem Offizier, der ihn im Duell verwundet hatte, abtrat, weil er im Dienste älter war als er?«

»Ich glaubte, daß diese Handlung Niemand bekannt …«

»Und wenn sie Niemand bekannt wäre, ist sie darum weniger schön, Herr Gouverneur von Drontheim? Weil Levin seine Tugenden verbarg, soll man sie darum in Abrede ziehen? Wissen Sie auch nicht, daß er der Wittwe eines Soldaten, der ihn ermorden wollte und welchen er der Strenge der Kriegsgesetze nicht zu entziehen vermochte, eine Pension gab?«

»Wer hätte nicht das Gleiche gethan?«

Schuhmacher lachte laut auf: »Wer? Sie! Ich! Jedermann! Halten Sie sich denn für einen Mann von Verdienst, weil Sie die Generalsuniform tragen und mit Orden behängt sind? Sie sind General, und der arme Levin ist vielleicht als Hauptmann gestorben. Er war freilich ein Thor, der nicht an seine Beförderung dachte.«

»Wenn er nicht selbst daran dachte, so hat die Gnade des Königs daran gedacht.«

»Die Gnade! Sagen Sie die Gerechtigkeit! Wenn es anders gerechte Könige gibt! Nun, welche ausgezeichnete Gnade ist ihm denn geworden?«

»Mehr als er verdiente.«

»Das wäre! Vielleicht hat man ihn zum Major befördert, nachdem er dreißig Jahre Hauptmann war?«

»So hören Sie mich doch …«

»Sie hören! Um aus Ihrem Munde zu vernehmen, daß Levin von Knud irgend einer elenden Beförderung unwürdig gewesen sei …«

»Ich schwöre Ihnen, daß das nicht …«

»Nächstens werde ich von Ihnen erfahren, daß er, wie Ihr alle, ein Verräther war, ein Betrüger, ein Bösewicht …«

»Gewiß nicht …«

»Was weiß ich Alles? Vielleicht hat er einen Freund verrathen, einen Wohlthäter verfolgt, wie Ihr alle? Oder Vater und Mutter vergiftet? …«

»Sie irren sich, ich bin weit entfernt …«

»Wissen Sie, daß dieser Levin es war, der vier meiner Richter vermochte, nicht für den Tod zu stimmen? Und ich soll ihn kaltblütig verleumden hören! So hat er gegen mich gehandelt, und ich habe ihm nie einen Dienst erwiesen, eher Schaden zugefügt, denn ich bin ein Mensch, wie Ihr alle, schlecht und bösartig!«

Der gereizte Greis hielt noch eine lange heftige Standrede gegen die Undankbarkeit des menschlichen Geschlechts, bis er endlich erschöpft in den Lehnsessel zurückfiel.

Der General hatte noch nicht den wichtigen Gegenstand berühren können, der ihn nach Munckholm geführt hatte. Die Aufregung, in welcher sich Schuhmacher befand, gab keine Hoffnung, daß er auf amtliche Fragen befriedigende Antwort ertheilen könnte, und im Uebrigen schien ihm dieser Mann nach seinem Aeußern und ganzen Benehmen kein Verschwörer und Staatsverräther zu sein. Gleichwohl trieb den Gouverneur seine Pflicht zu einem nochmaligen Versuch, sich in dieser wichtigen Sache Licht zu verschaffen.

»Beruhigen Sie sich doch, Herr Schuhmacher,« sagte er, »es ist für mich eine unangenehme Pflicht, daß ich hieher kommen muß …«

»Vor allen Dingen,« unterbrach ihn der Gefangene, »erlauben Sie mir zu fragen, auf welche Weise man Levin Knud für seine Dienste belohnt hat?«

»Der König hat ihn schon vor zwanzig Jahren zum General ernannt, und er lebt noch glücklich und geehrt.«

»So geht es in der Welt,« sagte der Gefangene bitter, »dieser Narr Levin, dem es gleichgültig war, als Hauptmann alt zu werden, stirbt als General, und dieser weise Schuhmacher, der als Großkanzler sterben wollte, stirbt als Staatsgefangener.«

»Sehen Sie doch, mein Vater,« sagte Ethel in der Absicht, ihn zu zerstreuen, »dort nördlich jene Flamme, die ich noch nie in dieser Richtung bemerkt habe.«

Wirklich erblickte man, durch das Dunkel der Nacht, am fernen Horizont ein schwaches Licht, das von einem auf dem Gipfel eines weit entfernten Berges brennenden Feuer zu kommen schien. Der General wurde aufmerksam. »Das ist vielleicht ein Feuer, dachte er, welches die Rebellen angezündet haben.«

Dieser Gedanke brachte ihm eindringlich den Zweck seiner Anwesenheit zu Munckholm in Erinnerung. »Graf Greiffenfeld,« sagte er, »es ist nur leid, Ihnen lästig sein zu müssen, aber es ist durchaus nöthig, daß Sie ein Verhör …«

»Ich verstehe, Herr Gouverneur! es ist nicht genug, daß ich meine Tage in einem Kerker verlebe, daß ich gebrandmarkt und verlassen bin, daß mir nichts übrig geblieben ist, als das bittere Andenken an meine vergangene Größe, man stört mich noch in meiner Einsamkeit, um meinen Schmerz auszubeuten und sich an meinem Unglück zu weiden. Wäre doch dieser Levin Knud hier an Ihrer Stelle commandirender General, er wäre gewiß nicht hieher gekommen, einen Unglücklichen in seinem Kerker zu quälen!«

Der General, der mehrmals im Begriff gewesen war, sich zu erkennen zu geben, um diesem seltsamen Gespräch ein Ende zu machen, wurde durch diesen indirekten Vorwurf davon abgehalten.

»Aber,« sagte er ziemlich verlegen, »wenn seine Pflicht ihn dazu gezwungen hätte, zweifeln Sie nicht, daß alsdann Levin Knud …«

»Ja, ich zweifle,« rief der Gefangene mit Bitterkeit aus. »Und Sie, zweifeln Sie nicht daran, daß er mit dem ganzen Edelmuth seines Herzens das Geschäft, die Qualen eines armen Gefangenen zu mehren und zu häufen, von sich gewiesen haben würde. Ich kenne ihn besser als Sie, er würde nie die Funktionen eines Henkers über sich genommen haben. Jetzt, Herr Gouverneur, bin ich bereit. Thun Sie, was Sie Ihre Pflicht nennen. Was befehlen Euer Excellenz?«

Bei diesen Worten maß der alte Minister den Gouverneur mit stolzem Blick. Es war um den Entschluß des Generals geschehen, sein erster Widerwille gegen diese Amtsverrichtung war unwiderstehlich wieder erwacht.

Er hat Recht, dachte er bei sich. Einen Unglücklichen auf bloßen Verdacht hin peinigen! Damit mag sich ein Anderer befassen als ich!

Die Wirkung dieser Betrachtung war schnell. Der Gouverneur trat zu dem erstaunten Gefangenen, drückte ihm die Hand und wendete sich der Thüre zu mit den Worten: »Graf Schuhmacher, bewahren Sie immer die gleiche Achtung vor Levin von Knud.«

III.

»Andrew, in einer halben Stunde soll man die Thorglocke läuten. Sorsyll soll Duckneß am großen Fallgatter ablösen und Maldivius auf die Plattform des großen Thurmes steigen. Beim Kerker des Löwen von Schleswig soll streng aufgepaßt werden. Nicht zu vergessen, um sieben Uhr eine Kanone zu lösen, damit die Kette im Hafen aufgezogen werde; doch nein, man erwartet noch den Hauptmann Dispolsen; man muß im Gegentheil die Leuchte auf dem Thurm anzünden und nachsehen, ob der Leuchtthurm von Walderhog brennt, wie heut der Befehl dazu ertheilt worden ist; vor Allem sind Erfrischungen für den Hauptmann bereit zu halten. Und daß ich es nicht vergesse, man notire für Toric-Belfast, zweiten Arquebusier des Regiments, zwei Tage Arrest; er war den ganzen Tag abwesend.«

So sprach der Sergent der Wache unter dem schwarzen und rauchigen Gewölbe der Thorwache von Munckholm, die unter dem Thurm gelegen ist, welcher das erste Thor des Schlosses beherrscht.

Die Soldaten, an welche seine Befehle gerichtet waren, legten die Karten weg oder erhoben sich vom Lager, um sie zu vollziehen.

In diesem Augenblicke hörte man von Außen das gleichförmige Geräusch der Ruder.

»Ohne Zweifel kommt endlich der Hauptmann Dispolsen!« sagte der Sergent und öffnete das kleine vergitterte Fenster, das auf den Hafen geht.

Eine Barke legte unten an der eisernen Pforte an.

»Wer da?« rief der Sergent mit rauher Stimme.

»Oeffnet!« war die Antwort. »Friede und Sicherheit!«

»Eingang verboten! Habt Ihr Eingangsrecht?«

»Ja!«

»Das will ich erst untersuchen. Lügt Ihr, so will ich Euch das Wasser des Golfs zu kosten geben.«

Er schloß das Fenster, wandte sich zur Wache und sagte: »Immer noch nicht der Hauptmann!«

Ein Licht glänzte hinter der eisernen Pforte, die verrosteten Riegel kreischten, die Eisenstangen hoben sich, das Thor ging auf, und der Sergent untersuchte ein Pergament, das ihm der Ankömmling darbot.

»Einpassirt!« sagte er. »Halt!« fügte er rasch hinzu, »laßt Eure Hutschnalle außen. Man darf nicht mit Kleinodien in ein Staatsgefängniß. Hievon sind nach dem Reglement bloß ausgenommen: »Der König und die Mitglieder der königlichen Familie, der Vicekönig und die Mitglieder seiner Familie, der Bischof und die Befehlshaber der Besatzung.« Ihr habt ohne Zweifel keine von all diesen Eigenschaften?«

Statt aller Antwort nahm der junge Mann die Hutschnalle ab und warf sie dem Schiffer, der ihn geführt hatte, an Zahlungsstatt zu. Dieser, welcher fürchtete, der Andere möchte seine Freigebigkeit bereuen, stieß schnell vom Ufer, um das Wasser der Bucht zwischen den Wohlthäter und die Wohlthat zu legen.

Während der Sergent, über die Unklugheit der Kanzlei murrend, welche auf solche Art die Eingangspässe verschwende, die schweren Riegel wieder vorschob, schritt der junge Mann, den Mantel über die Schulter zurückgeworfen, eilends durch den dunkeln Bogen und kam über den Waffenplatz an das große Fallgatter, das nach Prüfung seines Passes gehoben wurde. Dann schritt er, von einem Soldaten begleitet, wie Jemand, der des Wegs wohl kundig ist, dem Kerker zu, das Schloß des Löwen von Schleswig genannt, weil Rolf der Zwerg weiland seinen Bruder Jotham den Löwen, Herzog von Schleswig, darin gefangen halten ließ.

An einem der innern Thürme schlug der junge Mann mit einem kupfernen Hammer, den ihm der Wächter am Fallgatter gegeben hatte, heftig an die Thüre. »Oeffnet!« rief von Innen eine laute Stimme, »das wird wohl dieser verfluchte Hauptmann sein!«

Als die Thüre sich öffnete, erblickte der Ankömmling im Innern eines schwach beleuchteten gothischen Saals einen jungen Offizier, der nachlässig auf einem Haufen Mäntel und Rennthierhäute lag. Neben ihm stand ein dreiarmiger Leuchter, den er von der Zimmerdecke abgenommen und neben sich gestellt hatte. Seine reiche und ausgesucht elegante Kleidung stand in schroffem Gegensatz zu dem nackten Saal und den plumpen Geräthschaften. Er hielt ein Buch in der Hand und wandte sich mit halbem Leibe dem Ankömmlinge zu:

»Das ist der Hauptmann!« sagte er. »Guten Abend, Herr Hauptmann! Schon lange warte ich auf Ihre Ankunft, obwohl ich nicht das Vergnügen habe, Sie zu kennen. Doch was das betrifft, so werden wir uns bald kennen lernen, nicht wahr, lieber Hauptmann? Vor allen Dingen statte ich Ihnen meine Beileidsbezeugung zu Ihrer Rückkehr in dieses alte verfluchte Nest ab. Wenn ich noch einige Zeit hier verweile, werde ich so abschreckend werden, wie eine Nachteule, die man als Vogelscheuche an eine Thüre nagelt, und wenn ich zur Vermählung meiner Schwester nach Kopenhagen zurückkomme, so will ich verdammt sein, wenn mich unter hundert Damen nur vier wieder erkennen. Sagen Sie mir doch, ob die rosenrothen Bänder noch immer in der Mode sind? Ist kein neuer Roman von Demoiselle Scudery aus dem Französischen übersetzt worden? Hier habe ich gerade Clelia in der Hand. Man wird das zu Kopenhagen auch noch lesen. Das ist mein Codex der Galanterie, jetzt, wo ich seufze, ferne von so vielen schönen Augen; denn so schön auch die Augen unserer jungen Gefangenen sind, Sie wissen, wen ich meine, so bleiben sie doch immer stumm für mich. Ha! Wenn meines Vaters Befehl nicht wäre! … Ich muß Ihnen im Vertrauen sagen, Herr Hauptmann, aber behalten Sie es bei sich, daß mich mein Vater beauftragt hat, Schuhmachers Tochter zu … Sie verstehen mich schon, aber ich verliere Zeit und Mühe, das ist kein Mädchen von Fleisch und Bein, sondern eine steinerne Bildsäule, sie weint immer und sieht mich niemals an.«

Der junge Mann, der bei der Geläufigkeit der Zunge des Offiziers bisher nicht hatte zum Wort kommen können, stieß jetzt einen Schrei der Verwunderung aus. »Wie! Was sagen Sie? Beauftragt die Tochter dieses unglücklichen Schuhmacher zu verführen! …«

»Verführen? Meinetwegen, wenn man das gegenwärtig zu Kopenhagen so nennt; aber das würde selbst dem Teufel nicht gelingen. Als ich vorgestern die Wache hatte, zog ich, ausdrücklich für sie, eine prächtige französische Halskrause an, die man mir unmittelbar von Paris geschickt hatte. Können Sie es glauben, daß sie nicht einmal einen Blick auf mich warf, obwohl ich drei bis viermal durch ihr Zimmer ging und meine neuen Sporen, deren Räder so breit sind, als eine lombardische Dukate, nicht schlecht klingen ließ? Diese Sporen werden wohl noch immer in der Mode sein?«

»Mein Gott! Mein Gott!« sagte der junge Mann und schlug sich vor die Stirne, »das verwirrt mich so …«

»Nicht wahr?« fuhr der Offizier fort, der sich über den wahren Sinn dieses Ausrufs täuschte. »Nicht einen einzigen Blick auf mich zu werfen! So unglaublich das auch ist, so ist es doch wahr.«

Der junge Mann ging in heftiger Aufregung im Zimmer auf und ab.

»Wollen Sie etwas genießen, Hauptmann Dispolsen?« rief ihm der Offizier zu.

»Ich bin nicht der Hauptmann Dispolsen.«

»Wie?« sagte der Offizier in ernstem Tone und richtete sich sitzend in die Höhe, »und wer sind Sie denn, daß Sie es wagen, um diese Stunde hier zu erscheinen?«

Der junge Mann hielt ihm seine Einlaßkarte hin: »Ich will den Grafen Greiffenfeld … ich will sagen, Ihren Gefangenen sehen.«

»Grafen! Grafen!« murmelte der Offizier mißvergnügt. »Aber wirklich, die Karte ist in Ordnung, da steht die Unterschrift des Vicekanzlers Grummond von Knud: Vorweiser dies kann immer und zu jeder Zeit alle königlichen Gefängnisse besuchen. Grummond von Knud ist der Bruder des alten Generals Levin von Knud, der zu Drontheim befehligt, und Sie werden wissen, daß dieser alte Herr meinen künftigen Schwager erzogen hat …«

»Ich danke Ihnen für die Mittheilung Ihrer Familienangelegenheiten, Herr Lieutenant. Meinen Sie nicht, daß Sie mir bereits genug davon mitgetheilt haben?«

»Das ist ein unverschämter Kerl, aber er hat, weiß Gott, Recht,« murmelte der Lieutenant für sich und biß sich in die Lippen.

»Holla! Thürschließer, Kerkermeister, Holla!« rief er, »führt diesen Fremden da zu Schuhmacher und zankt nicht, daß ich Euern dreiarmigen Leuchter, in dem nur ein einziges Licht steckt, von der Decke genommen habe! Ich wollte dieses alte Stück näher betrachten, das sich ohne Zweifel noch aus den Zeiten Sciolds des Heiden, oder Havars des Kopfspalters herschreibt, und überhaupt man hängt heutzutage nur noch Kronleuchter von Krystall an der Decke auf.«

Der junge Mann entfernte sich mit dem Kerkermeister, und der Offizier nahm sein Buch wieder zur Hand, um die verliebten Abenteuer der Amazone Clelia und Horatius des Einäugigen zu lesen.

XIV.

»Ja, Herr, wir sind in der That schuldig und verbunden, eine Wallfahrt nach der Grotte von Lynraß zu machen. Hätte man glauben sollen, daß dieser Eremit, den ich verwünschte wie einen höllischen Geist, unser Retter werden sollte, und daß die Lanze, die uns jeden Augenblick den Tod zu drohen schien, uns zur sicheren Brücke über den Abgrund dienen würde?«

Mit diesen Worten gab Benignus Spiagudry seine Freude und seine Dankbarkeit gegen den geheimnißvollen Einsiedler zu erkennen. Unsere Reisenden hatten den verfluchten Thurm verlassen und Vygla lag bereits weit hinter ihnen. Sie klommen eben einen steilen Berg hinauf. Der Anbruch des Tages war nahe. Ordener schritt schweigend vorwärts.

»Herr,« fuhr der redselige Spiagudry fort, »fürchten Sie nichts. Die Häscher haben sich mit dem Eremiten rechts gewendet und wir sind jetzt weit genug von ihnen entfernt, um frei sprechen zu können. Bis jetzt war es allerdings der Klugheit gemäß, stille zu schweigen.«

»In der That,« erwiederte Ordener, »Ihr treibt die Klugheit ziemlich weit, denn es sind jetzt etwa drei Stunden, daß wir den Thurm und die Häscher hinter uns haben.«

»Das ist wahr, Herr, aber Vorsicht kann nicht schaden. Wenn ich mich nun genannt hätte, als der Anführer dieser höllischen Rotte mit einer Stimme, gleich derjenigen, womit Saturn seinen neugeborenen Sohn forderte, um ihn zu fressen, den Namen Benignus Spiagudry aussprach, wenn ich nicht in diesem furchtbaren Augenblick meine Zuflucht zu einer klugen Schweigsamkeit genommen hätte, wo wäre ich jetzt, was wäre aus mir geworden, wie würde es mit mir enden?«

»Ich glaube in der That, alter Herr, daß man in jenem Augenblicke Euern Namen nicht anders von Euch hätte erlangen können, als wenn man ihn Euch mit Zangen aus dem Munde gerissen hätte.«

»Hatte ich Unrecht, Herr, zu schweigen? Hätte ich gesprochen, so würde der Eremit, den St. Usbald der Einsiedler segnen möge, nicht Zeit gehabt haben, den Anführer der Häscher zu fragen, ob seine Leute Soldaten der Besatzung von Munckholm seien, eine unbedeutende Frage, einzig in der Absicht gethan, Zeit zu gewinnen. Haben Sie nicht bemerkt, wie auf die bejahende Antwort dieses einfältigen Häschers der Eremit ihm mit einem seltsamen Lächeln erwiederte, daß er den Schlupfwinkel Spiagudry’s kenne und ihn selbst dahin führen wolle?«

Hier hielt der alte Schwätzer etwas inne, um frischen Athem zu schöpfen, dann ergoß er sich in einen neuen Strom pedantischer Redseligkeit.

»Guter Priester! Würdiger und tugendhafter Anachoret, der du die Grundsätze der christlichen Menschenfreundlichkeit und der evangelischen Liebe befolgst! Und ich, ich entsetze mich über dein Aeußeres, das allerdings ziemlich unglückverkündend war, aber eine um so schönere Seele verbarg! Auf Wiedersehen! sprachst du zu mir, als du die Häscher wegführtest! Allerdings hatte der Accent, mit welchem du diese Worte sprachst, etwas Zurückschreckendes, aber das ist nicht deine Schuld, du frommer und unvergleichlicher Eremit! Ohne Zweifel gibt die Einsamkeit der Stimme diesen seltsamen Ton. Ein Einsiedler anderer Art, jener furchtbare … Doch schweigen ist klug, wo reden zu nichts führt … Du hattest freilich Handschuhe an, wie … aber es war in der That kalt genug, um Handschuhe zu tragen … Auch über dein salziges Getränk wundere ich mich nicht mehr. Die katholischen Cönobiten haben oft seltsame Regeln. Ein Beispiel ähnlicher Art finden wir in folgendem Verse des berühmten Urensius, Mönchs auf dem Berge Kaukasus:

Rivos despiciens, maris undam potat amaram.

Wie ist mir doch in diesem verfluchten Thurme von Vygla dieser Vers nicht eingefallen! Etwas mehr Gedächtniß hätte mir viele thörichte Unruhe erspart. Es ist allerdings schwierig in einer solchen Mordhöhle, an dem Tische eines Scharfrichters, seine Gedanken ganz beisammen zu haben. Die nämliche Luft mit dem Henker athmen! Und der elendeste Bettler wirft die Lumpen weg, die seinen Leib gegen die Kälte des Winters schützen, wenn die unreine Hand des Henkers sie berührt hat! Und wenn der Kanzler den Bestallungsbrief des Scharfrichters ausgefertigt hat, wirft er ihn unter den Tisch zum Zeichen seines Ekels und Fluches! Und in Frankreich, wenn der Henker todt ist, bezahlen die Gerichtsdiener des Bezirks lieber eine Strafe von vierzig Livres, als daß sie seine Stelle annehmen! Und zu Pesth wollte der Verurtheilte Corchill lieber sich hinrichten lassen, als den Platz eines Scharfrichters annehmen, den man ihm als Begnadigung anbot! Turmeryn, Bischof zu Maestricht, ließ eine Kirche neu einweihen, welche der Fuß des Henkers betreten hatte, und die Czarin Petrowna wusch sich jedesmal das Gesicht, so oft sie von einer Hinrichtung zurückkam. Und gibt nicht, nach Melasius Iturham, Charon selbst dem Räuber Robin Hood beim Einsteigen in den höllischen Nachen den Vortritt vor dem Scharfrichter Philipcraß? Wenn ich jemals zur Macht gelange, was in Gottes Hand steht, so will ich Todesstrafe und Scharfrichter aufheben und die alten Gebräuche und Taxen wieder einführen. Für den Mord eines Prinzen bezahlt man alsdann, wie im Jahre 1450, die Summe von 1440 Doppelthalern; für den Mord eines Grafen 1440 einfache Thaler; für den Mord eines Barons 1440 halbe Thaler; der Mord eines einfachen Edelmanns kostet …«

»Höre ich nicht hinter uns den Schritt eines Pferdes?« sagte Ordener.

Sie sahen sich um und erblickten etwa hundert Schritte hinter sich einen schwarzgekleideten Mann, der ihnen mit der Hand winkte.

»Um Gottes willen, Herr! Lassen Sie uns eilen, dieser schwarze Mann gleicht auf ein Haar einem verkleideten Häscher,« sagte der furchtsame Spiagudry.

»Alter Herr, wir sind ja zu zwei und sollten vor einem Manne fliehen!«

»Zwanzig Sperber fliehen vor einer einzigen Nachteule. Ein Kampf mit einem solchen Nachtvogel ist nicht glorreich.«

»Seid ruhig, Alter, ich erkenne jetzt den Räuber. Bleibt stehen!«

Der Räuber kam zu ihnen. Es war Athanasius Munder. Er grüßte sie und sagte: »Meine lieben Freunde, um Euretwillen bin ich umgekehrt.«

»Herr Pfarrer,« sagte Ordener, »wir werden uns glücklich schätzen, Ihnen in irgend etwas dienlich zu sein.«

»Im Gegentheil, junger Mann, wünsche ich Ihnen zu dienen. Wollen Sie mir wohl sagen, welches der Zweck Ihrer Reise ist?«

»Das kann ich nicht, ehrwürdiger Herr!«

»Ich wünsche, mein Sohn, daß dies nicht aus Mißtrauen gegen mich geschehe, denn sonst wehe mir, wehe jedem Menschen, dem man mißtraut, wenn man ihn auch zum erstenmal gesehen hat.«

Die salbungsvolle Demuth des Geistlichen rührte Ordener.

»Alles, was ich Ihnen sagen kann, mein Vater, ist, daß wir in die nördlichen Gebirge gehen.«

»Das dachte ich mir, mein Sohn, und deßwegen bin ich zurückgekommen. Es gibt in diesen Gebirgen Banden von Bergleuten und Jägern, die öfters den Reisenden gefährlich sind.«

»Nun?« sagte Ordener.

»Nun! Ein edler junger Mann, der einer Gefahr entgegengeht, mag seinen Weg verfolgen, ohne daß man ihn davon abwendig macht; aber Sie haben mir Achtung eingeflößt, und es ist mir ein Mittel eingefallen, Ihnen nützlich zu sein. Der unglückliche Falschmünzer, dem ich gestern die letzten Tröstungen der Religion darbrachte, war ein Bergmann. Vor seinem Ende gab er mir dieses Blatt, auf welches sein Name geschrieben ist, und sagte mir, daß dieser Paß mich vor jeder Gefahr schützen würde, wenn ich je die Gebirge besuchte. Was kann aber dieses Papier einem armen Priester helfen, dessen Beruf ist, bei Gefangenen zu leben und zu sterben, und der übrigens inter castra latronum keine anderen Vertheidigungsmittel suchen darf, als die er in Ergebung und Gebet findet, welches die einzigen Gott wohlgefälligen Schutzmittel sind! Ich habe diesen Paß angenommen, weil man das Herz dessen, der in kurzer Zeit auf dieser Welt nichts mehr zu geben und zu empfangen hat, nicht durch eine abschlägige Antwort betrüben soll. Der Herr hat mir wohl gerathen, denn heute kann ich Ihnen dieses Papier einhändigen, um Ihnen auf Ihrem gefahrvollen Wege dienlich zu sein, und möge die Gabe des Sterbenden dem Lebenden zur Wohlthat gereichen!«

Ordener empfing mit Rührung das Geschenk des ehrwürdigen Geistlichen.

»Herr Pfarrer,« sagte er, »möge der Himmel Ihren Wunsch erhören! Inzwischen,« fügte er mit jugendlichem Uebermuth hinzu, indem er an seinen Säbel schlug, »führte ich schon hier meinen Paß an der Seite.«

»Junger Mann,« erwiederte der Priester, »vielleicht wird dieses leichte Papier Sie besser schützen, als das Eisen an Ihrer Seite. Der Blick eines Büßenden ist mächtiger, als das feurige Schwert des Erzengels. Leben Sie wohl! Die da gefangen sind, harren meiner. Beten Sie bisweilen für sie und mich.«

»Ihre Gefangenen werden Gnade erhalten, das sage ich Ihnen nochmals.«

»Sprechen Sie nicht mit solcher Zuversicht, mein Sohn! Versuche den Herrn nicht, steht geschrieben. Ein Mensch kennt nicht die Gedanken eines andern Menschen, und Sie wissen nicht, was der Sohn des Vicekönigs beschließen wird. Vielleicht wird er einen armen Diener des Herrn nicht einmal vor seine Augen lassen. Gehen Sie mit Gott, und möge der Himmel Ihre Reise segnen!«