Fünftes Kapitel.

Die Zusammenkunft in dem auf einer der Weichselinseln gelegenen Raciaz, wohin sich der König gegen das Fronleichnamsfest begab, fand unter keinem guten Zeichen statt und führte nicht zu der Einigung und Verständigung über verschiedene Fragen, wie jene, welche zwei Jahre später an demselben Platze zu stände kamen und in welchen der König nicht nur das Gebiet von Dobrzyn wieder erlangte, sondern gleichzeitig mit Dobrzyn auch Bobrowniki, das verräterischer Weise von Opolczyk an die Kreuzritter verpfändet worden war. Gleich bei seiner Ankunft zeigte sich Jagiello höchst ungehalten wegen der Treulosigkeit des Ordens, wegen der Verleumdungen, welche die Kreuzritter an den Höfen West-Europas, ja, in Rom sogar über ihn ausgestreut hatten. Der Großmeister wollte die Angelegenheit in Betreff Dobrzyns nicht berühren, er vereitelte absichtlich jede Gelegenheit dazu, während sowohl er wie andere Würdenträger des Ordens tagtäglich zu den Polen also sprachen: »Wir wünschen weder mit Euch noch mit den Litauern Krieg zu führen, allein Samogitien gehört uns, denn Witold selbst hat es uns übergeben. Versprecht, Witold keine Unterstützung angedeihen zu lassen, dann wird die Fehde mit ihm rascher beendet sein, wodurch wir Lust und Muße gewinnen, mit Euch über Dobrzyn zu reden und Euch diese oder jene Zugeständnisse zu machen.« Doch die Ratgeber des Königs, bei denen sich Verstand mit großer Erfahrung paarte, ließen sich durch diese schönen Worte nicht irre führen. »Sobald Euere Macht wächst, vergrößert sich auch Eure Verwegenheit,« erklärten sie dem Großmeister. »Wohl sagt Ihr, um Litauen handle es sich bei Euch nicht, trotzdem aber wollt Ihr Skirgiello auf den Thron Witolds erheben. Bei dem allbarmherzigen Gotte! Das ist das Erbe Jagiellos, nur er allem hat darüber zu entscheiden, wer in Litauen herrschen soll – deshalb haltet Euch im Zaume, damit unser großer König Euch nicht strafen muß!« Daraufhin entgegnete der Großmeister, es sei Sache des Königs, sofern dieser der wirkliche Herrscher von Litauen sei, Witold zum Friedenschluß zu bringen und Samogitien dem Orden zurückzugeben, andernfalls müsse der Orden, wo und wann er könne, Witold anzugreifen und ihn zu schlagen suchen. In solcher und ähnlicher Weise zogen sich die Unterredungen vom frühen Morgen bis zum späten Abend hin und führten ebensowenig zum Ziele, wie ein Irrweg, der sich beständig im Kreise dreht. Der König, welcher sich zu nichts verpflichten wollte, verlor mehr und mehr die Geduld, so daß er schließlich dem Großmeister darthat, wenn Samogitien sich unter der Herrschaft der Kreuzritter glücklich gefühlt haben würde, hätte Witold auch nicht einen Finger gerührt, wäre doch dann weder ein Grund dazu noch eine Entschuldigung dafür vorhanden gewesen. Zuvörderst bemühte sich der Großmeister jetzt, den König zu besänftigen, denn abgesehen davon, daß er die gewaltige Macht Jagiellos besser kannte, als alle Kreuzritter, war er auch gerechteren und friedliebenderen Sinnes als die anderen Brüder, und ohne das Murren einiger hochmütiger, aufbrausender Komture zu beachten, erging er sich in Schmeichelreden, bemühte er sich, demütig und unterwürfig zu sein. Da sich aber unter dieser scheinbaren Nachgiebigkeit drohende Auflehnung barg, kam keine Einigung zustande. Die wichtigsten Fragen wurden rasch abgethan; schon am zweiten Tage verhandelte man über ganz geringfügige Dinge. Fortwährend ging jedoch dabei der König scharf gegen den Orden vor, den er der Bildung von Räuberbanden, der Ueberfälle an den Grenzen beschuldigte, dem er die Entführung von Jurands Tochter, den Raub des kleinen Jasko aus Kreskow, die Ermordung von Bauern und Fischersleuten zur Last legte. Dagegen erhob nun wieder der Großmeister Einsprache, indem er schwur, er habe nichts von all dem gewußt, indem er behauptete, er sei zu Vorwürfen berechtigt, da nicht nur Witold, sondern auch polnische Ritter den heidnischen Samogitiern gegen die Kreuzritter beigestanden hatten – eine Thatsache, für die er nur Macko aus Bogdaniec zum Beweise anzuführen brauche. Glücklicherweise kannte aber der König durch Powala den Grund, weshalb die Ritter aus Bogdaniec nach Samogitien gezogen waren, und vermochte umso besser die Nichtigkeit dieser Vorwürfe zu beweisen, als sich Zbyszko in seinem Gefolge befand, Arnold und Wolfgang von Baden aber sich dem Großmeister in der geheimen Hoffnung angeschlossen hatten, mit polnischen Rittern innerhalb der Schranken kämpfen zu können.

Doch darin täuschten sie sich. Wohl war es die Absicht der Kreuzritter gewesen, im Falle eines günstigen Verlaufes der Verhandlungen den König nach Thorn einzuladen, wo dann ihm zu Ehren Feste und Waffenspiele veranstaltet worden wären, als aber jede Aussicht auf eine Verständigung scheiterte, schwand mit dem steigenden Aerger, mit der wachsenden Empörung der Wunsch nach Lustbarkeiten. Nur unter einander, in den frühen Morgenstunden, versuchten sich die Ritter ein wenig in Waffengängen, um wechselseitig ihre Kraft, ihre Gewandtheit zu erproben, aber diese Versuche fielen, wie der frohgelaunte Knäs Jamont zu sagen pflegte, nicht nach dem Sinne der Kreuzritter aus, denn Powala aus Taczew erwies sich an Kraft Arnold von Baden weit überlegen, während Dobek aus Olesnika im Kampfe mit dem Speere und Lis aus Targowisko beim Ueberspringen der Pferde alle andern aus dem Felde schlugen. Nun fand auch Zbyszko Gelegenheit, sich mit Arnold wegen des Lösegeldes zu verständigen. De Lorche zwar, der als Graf und vermöge seines hochangesehenen Namens auf Arnold herabsah, legte mit der Erklärung, daß er für alles einstehen werde, gegen irgend welches Abkommen Verwahrung ein, Zbyszko hingegen hielt an der Ansicht fest, seine Ehre als Ritter gebiete ihm, die für das Lösegeld vereinbarte Summe auszuzahlen, und obgleich Arnold sich bereit erklärte, die früher gestellte Forderung herabzusetzen, wollte Zbyszko weder davon, noch von Herrn de Lorches Vermittlung etwas wissen.

Arnold von Baden, ein schlichter Mensch, dessen Hauptvorzug in seiner riesenhaften Körperkraft lag, besaß freilich keine allzugroßen Geistesgaben und war dem Geldgewinn nicht gerade abhold, galt jedoch mit Recht für gutmütig und ehrenhaft. Im Gegensätze zu den meisten Kreuzrittern lag ihm auch jede Arglist fern, er erklärte daher Zbyszko offen, aus welchem Grunde er mit einer Herabsetzung des Lösegeldes einverstanden sei. »Zu einem Vergleiche zwischen dein mächtigen König und dem Großmeister wird es nicht kommen,« meinte er, »allein zur Auswechslung der Gefangenen werden sich die Parteien voraussichtlich verstehen. Ist dies aber der Fall, dann hast Du kein Lösegeld für Deinen Ohm zu bezahlen, und ich würde nichts erhalten. Deshalb ziehe ich es vor, mich mit einer geringeren Summe zu begnügen, denn mein Beutel ist fast immer leer, so daß ich zuweilen kaum drei Krüge Bier im Tage trinken kann, trotzdem ich mich elend fühle, wenn ich mich nicht mit fünf oder sechs zu laben vermag.« Ueber diese Worte geriet Zbyszko in großen Zorn und er erwiderte unverweilt: »Ich bezahle das Lösegeld, weil ich es bei meiner ritterlichen Ehre gelobt habe, ja, ich werde von der Höhe der Summe nicht abgehen, damit Du begreifst, wie hoch unser Wert zu schätzen ist.« Daraufhin zog ihn Arnold an seine Brust, während die polnischen Ritter, sowie die Ordensritter, ihn laut preisend, also sprachen: »Fürwahr, mit Recht trägst Du trotz Deiner Jugend schon die goldenen Sporen, weißt Du doch, was Würde, was Ehre heißt.«

Inzwischen beratschlagten auch der König und der Großmeister in der That über die Auswechslung der Gefangenen, wobei indessen so seltsame Dinge zu Tage traten, daß die Bischöfe und die königlichen Würdenträger darüber sowohl an den Papst und an verschiedene Höfe Schreiben richteten, denn wenn sich auch in den Händen der Polen eine beträchtliche Zahl von Gefangenen befand; so waren dies doch erwachsene Menschen, Männer in der Blüte der Jahre, welche in Schlachten wie auch in Kämpfen an der Grenze in die Hände der Sieger gefallen waren. In der Gewalt der Kreuzritter aber schmachteten Frauen und Kinder, die bei nächtlichen Ueberfällen ergriffen und des Lösegeldes wegen festgehalten worden waren. Selbst der Papst in Rom schenkte nicht nur dieser Thatsache Beachtung, sondern er gab auch, ungeachtet der Bemühungen des klugen, listigen Johann von Felde, welcher als Bevollmächtigter des Ordens an dem Apostolischen Stuhle weilte, seiner Entrüstung und seinem Zorne öffentlich Ausdruck.

Wegen Mackos Auswechslung ergaben sich die größten Schwierigkeiten. Der Großmeister erhob allerlei Einwendungen, wenn schon er dies nur zum Scheine, nur deshalb that, um jedem Zugeständnis ein desto größeres Gewicht zu verleihen. So führte er unter anderm an, ein christlicher Ritter, der gemeinsam mit den Samogitiern gegen den Orden gestritten habe, verdiene den Tod. Vergeblich brachten die Ratgeber des Königs aufs neue all das vor, was sie über Jurand, über Danusia wußten, umsonst schilderten sie die entsetzlichen, von dem Orden über diese beiden und über die Ritter aus Bogdanice hervorgerufenen Leiden. Durch einen merkwürdigen Zufall gebrauchte der Großmeister in seiner Erwiderung fast die gleichen Worte, deren sich die Fürstin Alexandra in ihrer Unterredung mit dem alten Ritter aus Bogdaniec bedient hatte.

»Euch selbst haltet Ihr für Lämmer, wir dünken Euch Wölfe zu sein – und doch ist von den vier Wölfen, welche sich an der Entführung der Tochter Jurands beteiligten, nicht ein einziger mehr am Leben, während die Lämmer nach wie vor ungefährdet in die Welt ziehen.«

Wohl war dies der Fall, allein trotz der Wahrheit dieser Behauptung bemerkte der gerade anwesende Herr aus Taczew: »Traun, das läßt sich nicht bestreiten. Doch sagt, ist einer der Gefallenen durch Verrat zu Grunde gegangen? Hat nicht ein jeder von ihnen, das Schwert in der Hand, den Tod gefunden?«

Darauf wußte der Meister keine Antwort zu geben, und als er sah, wie der König die Brauen zusammenzog, wie dessen Augen blitzten, da gab er nach, wollte er doch den mächtigen Herrscher nicht zum Aeußersten bringen. So einigte man sich denn schließlich dahin, daß von beiden Parteien Gesandte abgeschickt werden sollten, um die Auswechslung der Gefangenen ins Werk zu setzen. Von seiten der Polen wurde Zindram aus Maszkowice, der schon längst gar gern den Hauptsitz der Kreuzritter in der Nähe gesehen hätte, sowie Povala und Zbyszko aus Bogdaniec dazu erwählt.

Knäs Jamont leistete Zbyszko diesen Liebesdienst. Er verwandte sich bei dem König zu dessen Gunsten, von dem Gedanken geleitet, der junge Ritter könne seinen Ohm rascher sehen und dessen Freigebung erlangen, wenn er als Gesandter des Königs für ihn einzutreten vermöge. Jagiello aber ließ selten eine Bitte Jamonts unerfüllt, war doch letzterer durch seinen Frohsinn, seine Güte, seine außergewöhnliche Schönheit und durch seine unendliche Uneigennützigkeit der Liebling des Herrschers, ja des ganzen Hofes geworden. Aus vollem Herzen sprach Zbyszko seinen Dank aus. Jetzt, dessen war er überzeugt, mußte Macko aus den Händen der Kreuzritter entkommen.

»Keiner neidet Dir Deine Stellung bei dem König,« erklärte er Jamont, »sie gebührt Dir, denn nur zum Wohle anderer benützest Du Deine Vertrautheit mit dem Herrscher. Ein besseres Herz als das Deine giebt es nicht mehr auf Erden.«

»Um den König ist es wahrlich gut sein,« entgegnete der Bojar, »trotzdem aber möchte ich lieber gegen die Kreuzritter zu Felde ziehen, und darob beneide ich Dich, daß Du schon gegen sie gekämpft hast.«

Nach kurzem Schweigen fügte er hierauf hinzu: »Der Komtur von Thorn, von Wenden, kam gestern hier an, und heute Abend wirst Du Dich für die Nacht mit dem Großmeister und dessen Gefolge zu ihm begeben.«

»Um dann nach Marienburg aufzubrechen?«

»Um dann nach Marienburg zu ziehen. Hei, der Weg dahin ist nicht weit,« fuhr Jamont hierauf lachend fort, »allein gar angenehm wird Dir die Zeit nicht vergehen, denn die Deutschen haben bei dem König nichts ausgerichtet und gegen Witold werden sie auch nichts durchsetzen. Dieser hat vielleicht schon die ganze litauische Streitmacht gesammelt und zieht nun nach Samogitien.«

»Wenn der König ihn unterstützt, wird es einen gewaltigen Krieg geben.«

»All unsere Ritter flehen Gott den Herrn darum an. Doch selbst wenn der König sich von dem Gedanken leiten ließe, christliches Blut dürfe nicht vergossen werden, würde er Witold mit Korn und Geld versehen, würde gar mancher polnische Ritter aus freien Stücken Witold Heeresfolge leisten.«

»Bei meinem Leben, das wird geschehen!« antwortete Zbyszko. »Und vielleicht ist gerade dies ein Grund für den Orden, dem König den Krieg zu erklären.«

»Daran ist nicht zu denken!« erklärte der Knäs. »Solange der Großmeister lebt, kommt es nicht zum Kriege.«

Und Jamont hatte Recht. Zbyszko kannte den Großmeister schon lange, jetzt aber, auf dem Wege nach Marienburg, konnte er ihn genau beobachten, lernte er ihn erst gründlich kennen, ritt er doch fast stets an dessen Seite gemeinsam mit Zindram aus Maszkowice und Powala aus Taczew. Dieses beständige Zusammensein bestärkte Zbyszko in der Ueberzeugung, daß der Großmeister, Konrad von Jungingen, weder verderbt noch schlecht war. Konrad von Jungingen mußte häufig gegen das Gesetz verstoßen, weil der ganze Orden sich Ungesetzlichkeiten zu schulden kommen ließ. Er mußte Unrecht begehen, weil die Kreuzritter allen Menschen Unrecht zufügten. Er mußte sich zu Lügen verstehen, denn die Lüge war ihm, seit er die Würde eines Großmeisters bekleidete, zur zweiten Natur geworden, und seit Jahren betrachtete er sie nur als ein berechtigtes Hilfsmittel der Staatskunst. Allein er war kein grausamer Mensch, er fürchtete das Gericht Gottes und suchte, so weit es in seiner Macht stand, gegen den Hochmut, gegen die Ueberhebung derjenigen Kreuzritter anzukämpfen, welche zum Kriege gegen den gewaltigen Jagiello drängten. Ein schwacher Mensch war er freilich. Seit Jahrzehnten bereicherte sich der Orden durch Raub an andern, durch widerrechtliches Aneignen von Grenzgebieten, ein verräterisches Vorgehen, dem Konrad nicht nur nicht zu steuern verstand, sondern dem er sogar, von der eigenen unersättlichen Gewinnsucht getrieben, Vorschub leistete. Fern lagen jene Zeiten, in welchen Winrych von Kniprode den Orden in eiserner Zucht hielt und damit die ganze Welt in Staunen setzte. Schon unter dem Vorgänger Konrad von Jungingens, unter Konrad Wallenrode berauschte sich der Orden geradezu an seiner, trotz vereinzelter Niederlagen, stets wachsenden Macht und büßte in solchem Maße durch den Ruhm, den Erfolg, das fortwährende Blutvergießen jede Besonnenheit ein, daß sich die Bande, die ihn zusammenhielten und kräftigten, immer mehr lockerten. Durch die Bemühungen Konrads von Jungingen, für Aufrechterhaltung von Recht und Gerechtigkeit zu sorgen, durch sein Bestreben, so viel er konnte, die Strenge zu mildern, welche die Kreuzritter den Bauern, den Bürgern, ja sogar den Geistlichen und den Edelleuten gegenüber an den Tag legten, die Ordensland zu Lehen hatten, gelangte in der Nähe von Marienburg nicht nur der oder jener Bauer, der oder jener Städter zu Wohlstand, sondern thatsächlich zu Reichtum. In den ferner gelegenen Gegenden spotteten aber die Selbstsucht, die Habgier und die Grausamkeit der Komture jeder Beschreibung. Das Recht ward mit Füßen getreten, Unterdrückung und Gewaltthätigkeit herrschten allenthalben, eigenmächtig wurden Abgaben auferlegt und rücksichtslos der letzte Groschen eingetrieben, ob auch heiße Zähren flossen, ob es auch Blut kostete. Was Wunder daher, daß auf weite Länderstrecken hinaus Not und Elend zum Himmel schrien! Wenn nun auch der Großmeister größere Milde anempfahl, wenn er auch jetzt die Samogitier besser behandelt wissen wollte, was nützte dies in Anbetracht der stets sich auflehnenden Komture, die ihrer angeborenen Grausamkeit die Zügel schießen ließen. Konrad von Jungingen hatte daher die gleiche Empfindung wie ein Wagenlenker, der die Führung der wild gewordenen Pferde verliert und das Gefährte seinem Schicksale überläßt. Gar schlimme Ahnungen quälten ihn deshalb häufig, gar oft kamen ihm die prophetischen Worte in den Sinn: »Ich hatte sie als Arbeitsbienen eingesetzt, ich wies ihnen das Grenzgebiet der christlichen Lande zur Wohnstätte an, sie aber sind gegen mich aufgestanden. Sie erleuchten weder den Geist, noch sorgen sie für den Leib des Volkes, das, seinen Irrwahn abschüttelnd, sich dem katholischen Glauben, sich mir zugewendet hat. Sklaven haben sie aus diesen Menschen gemacht, die sie in Unkenntnis der Gebote Gottes hielten, die sie der heiligen Sakramente beraubten und dadurch schlimmeren Höllenqualen überantworteten, als wenn das ganze Volk dem Heidentume treu geblieben wäre. Die Kriege entfachten sie einzig und allein zur Befriedigung ihrer Habgier. Die Zeit wird daher kommen, in der ihnen die Zähne ausgebrochen werden, in der ihnen die rechte Hand abgehauen wird, in der ihnen der rechte Fuß erlahmt, und in der sie ihre Sünden bekennen.«

Nur zu wohl sah der Großmeister ein, wie gerechtfertigt die Vorwürfe waren, welche die geheimnisvolle Stimme bei einer Vision der heiligen Birgitta gegen den Orden erhoben hatte. Ein auf fremder Erde errichtetes Gebäude, an dem die Thränen Unzähliger hingen, das mit Hilfe von Verleumdung, Verrat und Gewaltthaten aufgebaut worden war – ein solches Gebäude, dies begriff er nur zu gut, konnte nicht standhalten. Er fürchtete, daß dieser seit Jahren von Blut und Zähren untergrabene Bau bei dem ersten Vorstoß der polnischen Macht zusammenbrechen werde, er fühlte, daß ein durch wild gewordene Pferde gezogener Wagen schließlich in den Abgrund stürzen müsse, und deshalb suchte er die Stunde des Gerichtes, der Niederlage, der Vernichtung so lange wie möglich hinauszuziehen. Trotz seiner sonstigen Schwäche blieb er daher in einem Punkte seinen hochmütigen, verwegenen Ratgebern gegenüber unbeugsam: zu einem Kriege mit Polen wollte er sich nicht verstehen. Vergeblich warfen sie ihm Furcht und Mutlosigkeit vor, vergeblich wirkten die an der Grenze ansässigen Komture aus allen Kräften für den Krieg, so oft auch die Flamme auszubrechen drohte, so oft wußte er sie im letzten Augenblicke zu ersticken, um dann jedesmal in Marienburg Gott dafür zu danken, daß es ihm vergönnt gewesen, den Orden vor dem drohend über seinem Haupte hängenden Schwert zu schützen.

Nichtsdestoweniger wußte er, wie unvermeidlich ein solcher Krieg war. Die Erkenntnis, wie wenig der Orden gesunde, Gott wohlgefällige Grundsätze beherzigte, wie seine Macht auf Treulosigkeit und Ungerechtigkeit beruhte, zusammen mit der Ahnung, daß der Tag des Verderbens nahe sei, machten Konrad von Jungingen zu dem unglückseligsten Menschen auf der Welt. Gern hätte er Blut und Leben hingegeben, wenn damit etwas erreicht, wenn der Gerechtigkeit Thür und Thor geöffnet worden wäre, allein er fühlte es wohl, dazu war es nun zu spät. Denn die Umkehr, was würde sie bedeuten? All jenes reiche und fruchtbare Land, welches, Gott weiß wie lange schon, von dem Orden seinen rechtmäßigen Besitzern entrissen worden war, müßte zurückerstattet werden und mit ihm viele wohlhabende Städte. Und dies würde noch nicht einmal genügen! Nein, man müßte auf Samogitien, auf die Einfälle in Litauen verzichten, das Schwert würde in der Scheide rosten und es käme schließlich so weit, daß der Orden sich aus all den Gebieten zurückzöge, in denen niemand mehr zu bekehren war, und sich zum zweiten Male in Palästina ansiedelte, oder auf irgend einer der griechischen Inseln, um das Kreuz gegen wirkliche Sarazenen zu verteidigen. Doch dies war unausführbar, denn damit wäre die Vernichtung des Ordens ausgesprochen gewesen. Und wer hätte sich dazu verstanden, welcher Großmeister würde die Hand dazu bieten? Schwer lasteten fürwahr Kummer und Sorgen auf Konrad von Jungingen, allein trotzdem hätte er einen jeden, der mit einem solchen Vorschlag vor ihn getreten wäre, unter der Annahme, dieser sei seiner Sinne beraubt, in ein dunkles Gelaß sperren lassen. Der Orden mußte auf der nun einmal eingeschlagenen Bahn weiter und weiter schreiten, bis zu dem Tage, an dem ihm von Gott Einhalt geboten ward.

So schritt denn auch der Meister weiter, wenn schon gebeugt und voller Harm. Sein Bart war ergraut, sein Haupthaar an den Schläfen weiß geworden und sein früher so durchdringender Blick barg sich jetzt fast stets unter den schweren, halbgeschlossenen Lidern. Zbyszko bemerkte auch nicht ein einziges Mal, daß ein Lächeln des Meisters Gesichtszüge erhellte. Trotzdem konnte dessen Antlitz weder abschreckend noch finster genannt werden, nein, es trug nur den Stempel tiefen inneren Leides. In seiner Waffenrüstung, auf der Brust ein Kreuz, in dessen Mitte ein schwarzer Adler auf viereckigem Felde prangte, in dem langen, weißen, ebenfalls mit dem Kreuze gezierten Mantel, bot er ein Bild der Würde und der Hoheit, aber auch der Sorge und der Bedrängnis. Konrad war ein lebensfroher, zu allerlei Scherz und Kurzweil aufgelegter Mann gewesen, und selbst jetzt noch zeigte er sich Festen, Schaustellungen und Waffenspielen nicht abhold – im Gegenteil, er nahm stets selbst teil daran. Doch weder inmitten der glänzenden Ritterschar, die sich in Marienburg zusammenzufinden pflegte, noch in dem lauten Getümmel, wenn die Fanfaren ertönten, die Waffen klirrten und die mit Malvasier gefüllten Becher kreisten, fühlte er sich jemals glücklich. Wie sehr auch dann alles um ihn her von Kraft, von Glanz, von unerschöpflichem Reichtum, von unbesiegbarer Macht zu sprechen schien, wie rückhaltlos auch die Gesandten des Kaisers und anderer westlichen Herrscher in den Ruf einstimmten, der Orden könne sich gegen alle Reiche, gegen die ganze Welt behaupten – er allein ließ sich nicht täuschen – er allein vergaß der prophetischen Worte bei der Vision der Heiligen nicht: »Die Zeit wird daher kommen, in der ihnen die Zähne ausgebrochen werden, in der ihnen die rechte Hand abgehauen wird, in der ihnen der rechte Fuß erlahmt, und in der sie ihre Sünden bekennen.«

Sechstes Kapitel.

Sie zogen zu Land von Kulm nach Graudenz, wo sie eine Nacht und einen Tag blieben, weil der Großmeister eine Streitfrage zu schlichten hatte, die wegen der Fischereigerechtigkeit zwischen den Burgstarosten des Ordens und den benachbarten Edelleuten, deren Gebiet an die Weichsel grenzte, entstanden war. Dann fuhren sie auf Barken den Fluß entlang nach Marienburg. Zindram aus Maszkowice, Powala aus Taczew und Zbyszko kamen nicht

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Schon aus der Ferne, während sie die Nogat hinabfuhren, sahen die Ritter die mächtigen Basteien gen Himmel ragen.

von der Seite des Großmeisters, war doch letzterer gespannt darauf, was für einen Eindruck die gewaltige Macht der Kreuzritter, in der Nähe besehen, besonders auf Zindram hervorbringen werde. Konrad legte schon deshalb großes Gewicht auf das Urteil Zindrams, weil dieser nicht nur in allen Ritterspielen bekannt und berühmt war, sondern auch als ein außergewöhnlich hervorragender Krieger galt. Kein anderer Kämpe in dem ganzen Königreiche verstand es so wie er, große Kriegsheere zu leiten, die Scharen in Schlachtordnung zu stellen, Burgen erbauen und stürmen, Brücken über breite Flüsse schlagen zu lassen, kein anderer verstand sich so wie er auf die Waffen, auf die Kriegskunst der verschiedenen Völker. Von dem Gedanken ausgehend, daß Zindrams Ansicht in dem Rate des Königs viel gelte, glaubte der Großmeister den Krieg verzögern zu können, wenn es ihm gelingen werde, ersteren von dem unermeßlichen Reichtum, von der gewaltigen Kriegsmacht des Ordens zu überzeugen. Mußte denn nicht schon allein der Anblick von Marienburg das Herz jedes Polen mit Schrecken erfüllen, der Anblick dieser aus dem Hochschloß, dem Mittelschloß und der Vorburg 15 bestehenden Veste, mit der keine Burg auf der ganzen Erde auch nur annähernd verglichen werden konnte. Schon aus der Ferne, während sie die Nogat hinabführen, sahen die Ritter die mächtigen Basteien gen Himmel ragen. Der Tag war licht und klar, folglich traten die gewaltigen Bollwerke deutlich hervor, und als nach geraumer Zeit die Barken sich immer mehr ihrem Ziele näherten, da glänzten die Spitzen der Kirche über dem Hochschloß und den gigantischen, über einander getürmten Mauern hervor, die aus roten Ziegelsteinen aufgeführt, aber zum größten Teile mit der berühmten, grauweißen Tünche bestrichen waren, welche nur die Maurer des Ordens herzustellen verstanden. Solch wuchtige Bauwerke hatten die polnischen Ritter noch nie zuvor geschaut. Man hatte den Eindruck, als ob ein Bau aus dem andern hervorwachse, man staunte, inmitten dieser Ebene plötzlich einen Berg vor sich zu sehen, dessen Gipfel das Hochschloß, dessen Seiten das Mittelschloß und die Vorburg bildeten. Dieser riesenhafte Hort der streitbaren Mönche bot einen solch sprechenden Beweis für deren Stärke und Macht, daß sich sogar das düstere Antlitz des Großmeisters erhellte, als sein Blick darauf ruhte.

» Marienburg ex luto – das aus dem Sumpf emporgestiegene Marienburg!« bemerkte er, sich zu Zindram wendend, »doch keine menschliche Macht kann es zermalmen.«

Zindram erteilte keine Antwort; schweigend ließ er seine Augen über die Basteien und über die gewaltigen, durch ungeheure Eskarpen noch mehr befestigten Wälle schweifen.

Nach kurzer Pause fragte daher Konrad von Jungingen aufs neue: »Ihr Herren, die Ihr Euch auf solche Verschanzungen versteht, was sagt Ihr zu dieser Veste?«

»Sie scheint mir uneinnehmbar zu sein!« erwiderte der polnische Ritter wie in Nachdenken versunken, »aber –«

»Was aber? Was habt Ihr einzuwenden?«

»Daß jede Veste den Herrn wechseln kann.«

Der Meister schaute finster darein.

»In welchem Sinne meint Ihr das?«

»Kein Mensch kann Gottes Ratschlüsse und Fügungen erforschen.«

So sprechend, schaute Zindram abermals sinnend auf die Wälle, während ihm Zbyszko, dem Powala die Antwort verdolmetscht hatte, bewundernde und dankerfüllte Blicke zusandte und dabei von der ihm plötzlich auffallenden Aehnlichkeit zwischen Zindram und dem samogitischen Heerführer Skirwoillo in Staunen versetzt ward. Beide hatten ungewöhnlich große Köpfe, die tief zwischen den Schultern staken, beide zeichneten sich durch ihren gewaltigen Brustkasten, durch ihre krummen Beine aus.

Nun hub der Meister, welcher dem polnischen Ritter das letzte Wort nicht lassen wollte, von neuem also zu sprechen an: »Wie die Rede geht, soll unser Marienburg sechsmal größer sein als Wawel.«

»Auf Felsgestein hat man fürwahr nicht so viel Platz wie hier in der Ebene,« entgegnete der Herr aus Maszkowice, »bei uns in Wawel ist jedoch das Herz weit größer.«

Konrad zog die Brauen verwundert in die Höhe.

»Ich verstehe Euch nicht!« erklärte er.

»Was bildet denn das Herz von jeder Burg, wenn nicht die Kirche? Unsere Kathedrale in Wawel jedoch ist dreimal so groß wie Eure hier.«

So sprechend, deutete er auf die tatsächlich nicht sehr große Kirche Marienburgs, an der, in der Höhe des Presbyteriums, auf Goldgrund die aus Mosaik ausgelegte Kolossalfigur der heiligen Jungfrau prangte.

Ueber diese neue Wendung des Gespräches zeigte sich Konrad nicht sehr erbaut.

»Ihr seid stets mit raschen, aber gar seltsamen Antworten bereit, o Herr!« bemerkte er.

Mittlerweile hatten sie ihr Ziel erreicht. Durch die vortreffliche Wache des Ordens war offenbar sowohl in der Stadt, wie in der Burg die Kunde von der Ankunft des Großmeisters verbreitet worden, denn auf die Ankommenden harrten nicht nur eine Anzahl Brüder, sondern sie wurden auch von den Stadttrompeten empfangen, welche herkömmlicherweise den Großmeister stets bei seiner Ankunft mit Fanfaren begrüßten. An dem Ufer standen die Pferde bereit. Dieselben besteigend, ritten der Großmeister und dessen Gefolge durch die Stadt und durch das in der Nähe der Sperlings-Bastei gelegene Schusterthor in die Vorburg, an deren Portal der Großmeister abermals begrüßt ward. Hier hatten sich der Groß-Komtur Wilhelm von Helfenstein eingefunden, der indessen nur dem Titel nach diese Würde bekleidete, da seine Obliegenheiten schon seit Monden von dem gerade nach England entsandten Kuno Lichtenstein erfüllt wurden, sowie der Johanniter Konrad Lichtenstein, ein Blutsverwandter Kunos, dann Rumpenheim, der Großkämmerer, Burghard von Wobecke, der Großschatzmeister, und schließlich der Klein-Komtur, der die Aufsicht über die Werkstätten, über die Verwaltung der Burg zu führen hatte. Außer diesen Würdenträgern waren auch etliche geistliche Brüder anwesend, in deren Händen die Angelegenheiten der Kirche in Preußen lagen und die nicht nur andere Klöster schwer bedrückten, sondern sogar die Geistlichen von Pfarreien zu Wegarbeiten und zum Eisbrechen zwangen. Zu diesen geistlichen Brüdern hatten sich auch viele Laienbrüder gesellt – Ritter, die keine kirchlichen Vorschriften zu erfüllen hatten. Hochgewachsen und kraftstrotzend (der Orden nahm Schwächliche nicht auf), mit den breiten Schultern, den krausen Barthaaren und den ernsten Gesichtern glichen sie weit eher deutschen Raubrittern als Mönchen. Kühnheit, Hochmut und Hoffart sprachen aus ihren Blicken. Für Konrad waren sie nicht sehr eingenommen, wegen seiner Furcht vor einem Kriege mit dem gewaltigen Jagiello. Offen warfen sie ihm zuweilen in den Kapiteln seine Feigheit vor, ja, nicht genug daran, sie bemalten die Mauern mit seinem Bilde, sie stifteten allerlei Narrenspossen an, um ihn lächerlich zu machen. Jetzt aber neigten sie mit scheinbarer Demut das Haupt vor ihm, jetzt aber beeilten sie sich, Zügel und Steigbügel seines Rosses zu halten, befanden sich doch fremde Ritter in dem Gefolge des Meisters.

Vom Pferde steigend, wandte sich der Großmeister sofort zu Helfenstein.

»Ist Kunde von Werner von Teltingen eingetroffen?« fragte er, da dieser als Groß-Marschall oder Befehlshaber über die Streitmacht des Ordens auf einem Zuge gegen die Samogitier und Witold begriffen war.

»Entscheidendes ist nichts geschehen,« entgegnete Helfenstein, »doch gar viel Schaden ward angerichtet. Das Gesindel hat die Ansiedelungen in der Nähe von Ragneta und viele bei andern Burgen gelegene Städte niedergebrannt.

»Auf Gott setzen wir unser Vertrauen! In einer großen Schlacht kann ihre Widerspenstigkeit, ihre Verstocktheit gebrochen werden!« erklärte der Meister, indem er, die Augen gen Himmel erhebend, die Lippen in kurzem Gebete für den Sieg des kreuzritterlichen Heeres bewegte.

Dann deutete er auf die polnischen Ritter und sagte: »Diese hier, die Gesandten des Königs von Polen – der Ritter aus Maszkowice, der Ritter aus Taczew und der Ritter aus Bogdaniec – sind behufs Auswechslung der Gefangenen mit uns gekommen. Möge sie der Komtur der Burg in die für Gäste bestimmten Räume geleiten und sie bewirten und Sorge für sie tragen, wie es sich gebührt.«

Auf diese Worte hin richteten die Kreuzritter voll Neugierde ihre Blicke auf die Gesandten, vornehmlich jedoch auf Powala aus Taczew, dessen Ruhm als bewährter Kämpe etlichen von ihnen bekannt war. Diejenigen jedoch, welche nichts von dessen Thaten an dem burgundischen, an dem böhmischen und an dem polnischen Hofe wußten, bewunderten seine mächtige Erscheinung und ganz besonders sein Streitroß, das durch seine gewaltige Größe alle die, welche schon im heiligen Lande und in Aegypten gewesen waren, an Kamele und Elephanten erinnerte.

Wer aber von den Kreuzrittern Zbyszko erkannte, welcher ja seiner Zeit innerhalb der Schranken in Marienburg gekämpft hatte, der begrüßte ihn auf zuvorkommende Weise, indem er sich ins Gedächtnis zurückrief, wie ehrend und freundschaftlich diesem jungen Kämpen von Ulryk von Jungingen, dem einflußreichen und in dem Orden großes Ansehen genießenden Bruder des Großmeisters begegnet worden war. Doch nicht geringere Aufmerksamkeit, nicht weniger Staunen wurde durch den erweckt, der in nicht allzu ferner Zeit der furchtbarste Besieger des Ordens werden sollte, nämlich durch Zindram aus Maszkowice, denn nachdem er vom Pferde gestiegen war, hatte es durch die außergewöhnliche Gedrungenheit des Ritters und dessen hohe Schultern den Anschein, als ob er einen Höcker habe. Seine auffallend langen Arme und seine krummen Beine riefen auf dem Gesichte manch jüngeren Bruders ein Lächeln hervor, und einer von ihnen, ein bekannter Spottvogel, näherte sich ihm sogar in der Absicht, mit allerlei Stichelreden über ihn herzufallen, kaum sah er indessen in die Augen des Herrn aus Maszkowice, so verlor er jede Lust dazu und zog sich schweigend zurück.

Der Komtur der Burg bat nun die Gäste, ihm zu folgen. Er führte sie zuvörderst in einen nicht allzugroßen Vorhof, in dem sich außer einer Schule, einem alten Vorratshause und der Werkstätte eines Sattlers die Kapelle des heiligen Nikolaus befand, und erst dann traten sie, die Nikolaus-Brücke überschreitend, in die Vorburg ein. Während einer geraumen Zeit geleitete sie der Komtur zwischen gewaltigen Wällen hindurch, die da und dort mittelst größeren oder kleineren Bollwerken noch stärker befestigt waren. Zindram aus Maszkowice konnte alles um so genauer betrachten, als der Führer, ohne daß er darum gefragt worden wäre, den Zweck eines jeden Baues erklärte, offenbar von dem Wunsche beseelt, die Gäste über die kleinsten Einzelheiten zu unterrichten.

»Jenes ungeheuer große Gebäude, das Ihr rechts vor Euch liegen seht,« bemerkte er, »sind die Stallungen. Wir sind zwar arme Mönche, nichtsdestoweniger behaupten jedoch die Leute, anderswo seien sogar die Ritter nicht so gut untergebracht, wie bei uns die Pferde.«

»Kein Mensch wird Euch jemals der Armut zeihen!« bemerkte Powala. »Dies hier kann aber doch nicht nur der Pferdestall sein, denn der Bau ist ungewöhnlich hoch, und auch Ihr vermögt wohl kaum, Euere Pferde Treppen hinaufzuführen.«

»Ueber den Stallungen, die zu ebener Erde stehen, und in denen Raum für vierhundert Pferde ist, befinden sich Kornspeicher. Vorräte auf zehn Jahre hinaus liegen darin aufgespeichert. Zu einer Belagerung wird es ja hier nie kommen, wenn dies aber jemals der Fall sein sollte, wird uns kein Feind durch Aushungern besiegen.«

Nach diesen Worten wandte er sich nach rechts und abermals ging es über eine Brücke zwischen den Basteien des heiligen Laurentius und der Panzer-Bastei hindurch in einen zweiten, unermeßlich großen Hof, der inmitten der Vorburg lag.

»Seht, wohledle Herren.« Hub nun der Komtur von neuem an, all das, was gen Norden vor Euch liegt, ist, obgleich durch die Gnade Gottes uneinnehmbar, doch nur die Vorburg, deren Befestigungen in keiner Weise mit denen des Mittelschlosses, zu dem ich Euch nun geleiten werde, noch weniger aber mit denen des Hochschlosses verglichen werden können.«

Thatsächlich trennte auch ein Wallgraben und eine besondere Zugbrücke das Mittelschloß von jenem Hofe und erst von dem beträchtlich höher liegenden Schloßthore aus, wo die Ritter sich auf Veranlassung des Burgvogtes umwendeten, konnten sie jenes ungeheure, die Vorburg genannte Viereck überschauen. Eine solche Unzahl von Gebäuden reihte sich an einander, daß es Zindram dünkte, er sehe eine ganze Stadt vor sich. Unerschöpfliche Vorräte an Holz waren haushoch aufgeschichtet, Pyramiden gleich ragten die in Haufen zusammengelegten steinernen Kanonenkugeln empor, Gottesäcker, Krankenhäuser und Vorratshäuser waren zu sehen. Etwas abseits, doch nahe bei dem in der Mitte gelegenen Teiche, erhoben sich die riesigen roten Mauern des »Tempels«, eines ungeheuren Lagerhauses mit einer Speisehalle für die Söldlinge und Bedienstete. An dem nördlichen Walle befanden sich weitere Ställe für die ausgewählten Pferde des Großmeisters und für die der Ritter, dann kamen die Behausungen für die Knappen, sowie für die Kriegsknechte, und auf der entgegengesetzten Seite des Vierecks standen nicht nur die Wohnstätten der verschiedenen Verwalter und der Officiale des Ordens, sondern wiederum Lagerhäuser, Kornspeicher, Backstuben, Rüstkammern, die Glockengießerei, ein unermeßliches Arsenal, auch »Korwan« genannt, Gefängnisse und die alte Waffenschmiede – ein jedes dieser Gebäude aber war derart geschützt, daß es wieder für sich eine kleine Veste bildete, und um alle zog sich ein Wall, zogen sich ungeheure Bastionen, um die wiederum ein Graben lief, den ein Palissadenring umzäunte. Jenseits dieser Palissaden, gen Westen, floß das gelbliche Gewässer der Nogat dahin, im Norden und Westen schimmerte der glänzende Wasserspiegel eines breiten Sees, während sich im Süden die noch weit mehr befestigten Burgen: das Mittelschloß und das Hochschloß auftürmten.

In diesem schreckenerregenden Hort, der unbezwingbar erschien, hatten sich die beiden größten Mächte jener Zeit zusammengefunden: die Macht der Kirche, und die Macht des Schwertes. Wer der ersteren widerstand, wurde von dem letztern vernichtet, wer sich gegen beide auflehnte, gegen den erscholl ein Schrei der Entrüstung in der ganzen Christenheit, gegen den wurde der Vorwurf laut, er habe die Hand gegen den Gekreuzigten erhoben.

Und dann stellten sich aus aller Herren Länder die Ritter zur Hilfe ein. In Marienburg wimmelte es daher beständig von Kriegsknechten, von Handwerksleuten, und es ging stets so geschäftig zu, wie in einem Bienenstocke. Vor den mächtigen Gebäuden, auf den Durchgängen, an den Thoren, in den Werkstätten – allüberall herrschte ein Leben wie auf einem Jahrmarkte. Weithin hallten die Hammerschläge, welche auf den, die Steinkugeln bearbeitenden Meißel fielen, weithin tönten das Sausen der Mühlen, der Lärm der Tretwerke, das Wiehern der Rosse, das Geklirr der Rüstungen und Waffen, der Klang der Trompeten und Pfeifen, der Rufe und der Befehle. In den Burghöfen konnte man jede Sprache sprechen hören, Krieger aus allen Weltgegenden sehen, so die nie ihr Ziel verfehlenden englischen Bogenschützen, welche auf hundert Schritte eine auf einem Pfahle festgebundene Taube zu treffen verstanden, und deren Pfeile einen Brustharnisch ebensoleicht wie ein wollenes Gewand durchbohrten, dann das Fußvolk der schweizerischen Kriegsknechte, die mit zweischneidigen Schwertern kämpften, sowie die zwar tapferen, aber im Essen und Trinken unmäßigen Dänen, die gleichmäßig zum Scherz wie zum Streit geneigten französischen Ritter, die wortkargen und hochmütigen spanischen Edelleute, die glänzenden, durch ihre Fechtkunst berühmten Ritter aus Italien, welche in Samt und Seide gekleidet einhergingen, im Kriege dagegen undurchdringliche, in Venedig, Florenz oder Mailand geschmiedete Rüstungen trugen, die burgundischen und friesischen Ritter, und endlich die aus allen deutschen Landen herbeigeströmten Deutschen. Allerwärts aber zeigten sich die als Gastgeber und Gebieter auftretenden »Weißmäntel«. »Ein Turm mit Geld gefüllt,« oder besser gesagt, ein besonders in dem Hochschlosse nächst den Räumen des Großmeisters erbautes Gelaß, angefüllt von unten bis oben mit Geld und mit Barren aus Edelmetallen, machten es dem Orden möglich, nicht nur »Gäste« würdig zu empfangen, sondern auch Söldlinge anzuwerben, welche sowohl auf, Unternehmungen ausgeschickt, wie auch in die verschiedenen Burgen zur Unterstützung der Vögte, der Starosten und der Komture gesandt wurden. So hatte sich denn zu der Macht des Schwertes und der Kirche auch noch die Macht des Reichtums, die Macht einer eisernen Zucht gesellt, denn obgleich sich im Laufe der Zeit durch das allzugroße Vertrauen, durch das Pochen auf die eigene Gewalt mancherlei Mißstände eingeschlichen hatten, wurde doch durch die althergebrachte Gewohnheit im großen und ganzen die Ordnung streng aufrecht erhalten. So stellten sich denn Fürsten und Herrscher in Marienburg nicht allein deshalb ein, um gegen die Heiden zu kämpfen, oder um Geld zu leihen, sondern auch um die Einrichtungen daselbst kennen zu lernen, so stellten sich die Ritter dort ein, um sich in der Kriegskunst zu vervollkommnen, verstand es doch der Orden am besten auf der ganzen Welt, seinen Satzungen Geltung zu verschaffen und Krieg zu führen. Als er sich in dieser Gegend niederließ, besaß er außer einem winzigen Gebiete und einigen Burgen, die durch die Unbedachtsamkeit eines polnischen Fürsten auf ihn übergegangen waren, auch nicht die kleinste Spanne Erde, jetzt indessen gebot er über eine, manches Königreich an Größe überragende Länderstrecke, innerhalb derer fruchtbare Gefilde, wohlbefestigte Städte und unbezwingliche Burgen lagen. Gleich einer Spinne, die in ihrem Netze, dessen einzelne Fäden sie unter sich festhält, lauert und wacht, so lauerte und wachte der Orden in diesem seinem Horte. Von hier aus, von dem Hochschlosse aus, von dem Großmeister und den »Weißmänteln« wurden durch Postboten nach allen Richtungen Befehle an die Lehensvasallen, an die Ratsherren der Städte, an die Bürgermeister, an die Vögte und Untervögte, an die Befehlshaber des Kriegsheeres entsandt, und all das, was hier ausgesonnen und ausgedacht worden war, das wurde in der Ferne unverweilt von tausenden und abertausenden eisenumpanzerter Hände vollbracht. Hierher floß das Geld aus dem ganzen Lande, hier wurde das Korn, hier wurden die Vorräte aufgespeichert, hierher kamen die Abgaben der unter dem strengen Joche seufzenden Weltgeistlichen und der verschiedenen Klöster, gegen welche der Orden feindlich gesinnt war. Von hier aus endlich streckten sich räuberische Hände nach allen benachbarten Gebieten und Völkern aus.

Alles Volk, das in Preußen die litauische Sprache gesprochen hatte, war zu jener Zeit von der Oberfläche der Erde verschwunden. Rücksichtslos hatten vor nicht gar zu langer Zeit die Kreuzritter Litauen niedergetreten, und so schwer war das Land von jedem Schritt bedrückt worden, daß es mit jedem Atemzuge, den es zu thun wagte, ein Teil seines Herzblutes vergoß. Polen hatte trotz seines Sieges in der furchtbaren Schlacht bei Plowce unter Lokietek seine Besitzungen auf dem linken Ufer der Weichsel verloren, zusammen mit Danzig, Dirschau, Mewe und Schwetz. Der Orden der Livländischen Ritter hatte in Rußland erfolgreiche Einfälle gemacht, so daß sich die beiden Orden immer mehr ausbreiteten gleich den Wogen eines unermeßlichen deutschen Gewässers, das die slavische Erde mehr und mehr überschwemmt.

Da mit einemmale senkte sich eine Wolke über den Glücksstern der Deutschen Kreuzritter. Die Litauer erhielten durch die Polen die heilige Taufe, und Jagiello erhielt mit der Hand der wunderbar schönen Jadwiga den Thron in Krakau. Wohl hatte der Orden durch diese Vorgänge weder ein Stück Land noch eine einzige Burg eingebüßt, aber es war klar, daß sich seiner Macht nun eine andere Macht entgegensetzte, und daß für sein Verbleiben in Preußen kein Grund mehr vorhanden war. Nachdem alle Litauer die heilige Taufe empfangen hatten, wäre es für den Orden am ratsamsten gewesen, nach Palästina zurückzukehren, um die Pilgrime auf ihrem Wege in die heilige Stadt zu beschützen. Das hätte aber für die Kreuzritter nichts anderes bedeutet als die Verzichtleistung auf Reichtum, auf Macht und auf die Herrschaft über Städte, Länder, ja über ganze Königreiche. So krümmte sich denn der Orden vor Wut und Schrecken gleich einem ungeheuren Drachen, den ein spitzer Pfeil getroffen hat. Der Großmeister wagte es nicht, alles auf einen Wurf zu setzen, und zitterte daher bei dem Gedanken an einen Krieg mit Jagiello, dem Herrscher über Polen und Litauen und über jenes große russische Gebiet, das durch Olgierd den Klauen der Tataren entrissen worden war. Die Mehrzahl der Kreuzritter dagegen drängte zu dem Kriege, weil die meisten die Notwendigkeit erkannten, gleich jetzt, also noch in der Fülle ihrer Macht, den Kampf auf Leben und Tod aufzunehmen, ihn zum Austrag zu bringen, so lange die ganze Welt noch bestrebt war, ihnen Hülfe zu leisten, also bevor der Glanz des Ordens erblich, bevor der Papst seine Donnerstimme gegen den festen Hort ertönen ließ.

War es daher nicht auch eine Lebensfrage für den Orden, gegen die Ausbreitung des Christentums und für die Aufrechterhaltung des Heidentumes zu wirken?

So erhob er denn auch bei allen Völkern und an allen Höfen die Klage, daß sowohl Jagiello wie die Litauer sich nur zum Scheine hätten taufen lassen, indem er es für eine Unmöglichkeit erklärte, in einem einzigen Jahre das zu stände zu bringen, was das Schwert der Kreuzritter Jahrzehnte hindurch nicht hatte vollbringen können. Letztere ließen daher selbstverständlich nichts unversucht, um Könige und Ritter gegen die Polen und deren Herrscher als Schützer und Verteidiger des Heidentums aufzuwiegeln, und ihre Beschuldigungen, welche nur in Rom keinen Glauben fanden, erweckten einen Widerhall in der ganzen Welt und führten Fürsten, Grafen und Ritter aus dem Süden und aus dem Westen nach Marienburg. Der Orden faßte frischen Mut, die Kreuzritter fühlten sich von neuem allmächtig. Marienburg mit seinen beiden Furcht erregenden Schlössern, mit seiner Vorburg wurde mehr denn je von den daselbst Versammelten angestaunt, mehr denn je wußten die Kreuzritter die Welt durch ihren Reichtum, durch ihre scheinbar eiserne Zucht zu blenden, und die Macht des Ordens, der Bestand des Ordens schien für alle zukünftigen Zeiten gesicherter zu sein, als je zuvor. Nicht einer unter den Fürsten, nicht einer unter den ritterlichen Gästen, ja sogar nicht ein einziger unter den Kreuzrittern – außer dem Großmeister – machte es sich klar, daß seitdem das Christentum Eingang in Litauen gefunden hatte, eine Umwälzung vorgegangen war, gerade wie wenn die Wogen der Nogat, welche auf der einen Seite der ungeheure Veste zum Schutze dienten, mit einemmale, aber insgeheim und unaufhaltsam deren Wälle unterspülen würden. Keinem einzigen kam es zum Bewußtsein, daß trotz der Macht, welche dieser gewaltige Körper noch auszuüben schien, die Seele aus ihm entflohen war; einen jeden, der als Neuling nach Marienburg ex luto kam und dessen Wälle sah, die Bastionen, die schwarzen Kreuze auf den Thoren, die Rüstkammern und die Vorratshäuser, den mußte vor allem die Ueberzeugung erfassen, daß dieser im Norden gelegenen Hauptstätte der Kreuzritter selbst die Hölle nichts anhaben konnte.

Ein ähnlicher Gedanke beseelte jetzt nicht nur Powala und Zbyszko, die doch zuvor schon in Marienburg gewesen waren, sondern auch den ihnen an Scharfsinn überlegenen Zindram aus Maszkowice. Sogar sein Antlitz verdüsterte sich, als er durch die gewaltige Veste schritt, in der es von Söldnern wimmelte, als er die gewaltigen Bastionen, die gigantischen Palissadenringe erschaute, und unwillkürlich kamen ihm die hochmütigen Worte in Erinnerung, mit denen die Kreuzritter einstens den König von Polen bedroht hatten: »Unsere Macht ist die größere, und so Du nicht nachgiebst, werden wir Dich mit unsern Schwertern nach Krakau jagen.«

Inzwischen hatte der Komtur der Burg die Ritter in das Mittelschloß geleitet, in dessen nach Osten zu gelegenem Flügel die Gasträume lagen.

  1. Das völlige Verderben Marienburgs führte der Preußenkönig Friedrich II. herbei nach Niederwerfung der polnischen Republik.

Siebentes Kapitel.

Macko und Zbyszko hielten sich lange umfangen, waren sie sich doch stets in zärtlicher Liebe zugethan gewesen, hatten sie sich doch durch die in den letzten Jahren gemeinsam erlebten Schicksale noch inniger an einander angeschlossen. Gleich bei dem ersten Blicke auf seinen Bruderssohn erriet der alte Ritter, daß Danusia nicht mehr unter den Lebenden weilte. So stellte er denn auch keinerlei Fragen, nein, er zog nur Zbyszko fest an seine Brust, wie wenn er damit sagen wolle, der junge Ritter dürfe sich nicht verwaist fühlen, er, sein Ohm, sei ihm ja nahe und sei bereit, alles Leid mit ihm zu tragen.

Erst nach langem Schweigen, nachdem sich ihr Schmerz etwas gelegt hatte, nachdem ihre Thränen versiegt waren, fragte Macko: »Ist sie von neuem ergriffen worden, oder starb sie in Deinen Armen?«

»Sie ist in meinen Armen, nicht weit von Spychow verschieden!« entgegnete Zbyszko.

Und wiederum weinend und schluchzend, schilderte Zbyszko das Ende seines jungen Weibes. Aufmerksam lauschte ihm Macko und fragte schließlich abermals: »Lebt Jurand noch?«

»Als ich Spychow verließ, befand sich Jurand noch am Leben, doch inzwischen wird er wohl das Zeitliche gesegnet haben, und ich glaube kaum, daß ich ihn wiedersehen werde.«

»Hättest Du vielleicht nicht besser daran gethan, in Spychow zu bleiben?«

»Mußte ich mich denn nicht Euretwegen aufmachen?«

»Einige Wochen früher oder später, was hätte dies zu bedeuten gehabt?«

Zbyszko betrachtete aber jetzt aufmerksam seinen Ohm und sagte: »Ihr scheint krank gewesen zu sein! Ihr schaut wie Piotrawin aus.«

»Wohl möglich; denn wenn auch die Sonne die Erde wärmt, unter der Erde ist’s stets doch kalt, unter der Erde ist’s gar feucht, sind doch alle diese Burgen von Wasser umgeben. Mich dünkte, der Moder werde mich zu Grunde richten. In der schlechten Luft vermochte ich kaum zu atmen, und infolge all dieser Leiden brach meine Wunde wieder auf, die Wunde, weißt Du, welche in Bogdaniec durch Biberfett geheilt worden ist.«

»Ganz genau erinnere ich mich dessen,« erklärte Zbyszko. »Jagienka und ich, wir sind ja auf die Biberjagd gegangen. Hat Euch denn diese Hundsbrut hier in einem unterirdischen Kerker gefangen gehalten?«

Macko neigte bejahend das Haupt, indem er erwiderte: »Um die Wahrheit zu gestehen, sie waren nicht sehr erbaut bei meinem Anblick, und recht schlimm ist’s mir ergangen. Die Kreuzritter hassen freilich Witold und die Samogitier unendlich, noch mehr hassen sie aber alle von unserm Volke, welche jenen beistehen. Was nützte es mir, daß ich die Gründe darzulegen suchte, die uns nach Samogitien geführt hatten? Am liebsten hätten sie mir den Kopf abgehauen, und wenn sie es unterlassen haben, geschah es nur deshalb, weil sie des Lösegeldes nicht verlustig gehen wollten. Du weißt ja, Geld geht ihnen über die Rache, und außerdem wollten sie den Beweis in Händen haben, daß König Jagiello den Heiden beisteht. Daß sich die unglücklichen Samogitier nach der Taufe sehnen, dabei aber nichts mit den Deutschen zu thun haben wollen, dies ist uns allen bekannt, die wir in Samogitien gewesen sind, die Kreuzritter leugnen dies jedoch nicht nur, sondern sie verleumden das bedauernswerte Volk an allen Höfen, sie verleumden unsern König Jagiello.«

Hier mußte Macko, offenbar von heftigen Schmerzen gequält, innehalten, und erst nach einigen Minuten fuhr er, tief Atem holend, wieder fort: »Wenn es noch lange gedauert hätte, wäre ich in dem unterirdischen Kerker zu Grunde gegangen. Arnold von Baden trat freilich für mich ein, wollte er doch des Lösegeldes nicht verlustig gehen, doch Arnold hat hier keinen Einfluß, von allen wird er als ein ungeschlachter Mensch betrachtet. Zum Glücke hörte de Lorche durch Arnold von mir und schlug sofort Lärm. Dir wird er wohl nichts davon gesagt haben, denn traun, er liebt es nicht, viele Worte über seine Thaten zu verlieren. Großes Ansehen genießt er jedoch unter den Kreuzrittern, einesteils weil in früheren Zeiten schon ein de Lorche eine hohe Würde in dem Orden bekleidet hat, andernteils weil er selbst großen Reichtum besitzt und einem mächtigen Geschlechte entstammt. Er wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, daß er unser Gefangener gewesen ist, und daß es ihm auch das Leben kosten würde, wenn sie den Tod über mich verhängten, oder wenn ich infolge von Hunger und Kälte stürbe, ja, er drohte dem Kapitel sogar, er werde an allen westlichen Höfen verkünden, auf welche Weise der Orden gegürtete Ritter behandle. Dies machte doch Eindruck und ich ward in ein Hospital überführt, wo ich bessere Nahrung erhielt, wo ich immerhin reinere Luft einatmete.«

»Nicht ein einziges Geldstück werde ich von de Lorche nehmen, so wahr mir Gott helfe.«

»Gern nimmt man von dem Feinde das Lösegeld, aber einen Freund zu plündern, ziemt sich nicht,« warf nun Macko ein. »Doch wie ich hörte, ist mit dem König ein Abkommen getroffen worden. Du wirst daher wohl kaum Lösegeld für mich entrichten müssen.«

»Traun, und unser Ritterwort?« fragte Zbyszko; »Abkommen oder nicht Abkommen – Arnold könnte uns der Treulosigkeit zeihen.«

Als Macko diese Worte vernahm, wurde er sehr nachdenklich, und erst nach einer Weile hub er wieder an: »Vielleicht könnte aber das Lösegeld herabgesetzt werden.«

»Wir haben unsern Wert ja selbst bestimmt. Hat er sich etwa inzwischen verringert?«

Jetzt wurde Macko noch nachdenklicher, schaute aber trotzdem voll Bewunderung, voll Liebe auf seinen Bruderssohn.

»Er hält etwas auf seine Ehre – dieser Zug ist ihm angeboren!« murmelte er vor sich hin.

Als Macko indessen mehrmals tief aufseufzte, schrieb Zbyszko dies dem Bedauern über die große Summe Geldes zu, die an Arnold ausbezahlt werden, sollte und meinte: »Ihr wißt doch, daß wir jetzt über große Reichtümer gebieten – wenn nur unser Los ein glücklicheres wäre!«

»Gott wird für Dich noch alles zum Guten gestalten!« erklärte nun der alte Ritter in bewegtem Tone. »Mein Leben kann ja nicht mehr von langer Dauer sein.«

»Wie könnt Ihr so sprechen! Laßt nur erst wieder einmal den Wind um Euch wehen, dann werdet Ihr bald wieder vollständig gesunden.«

»Den Wind? Der Wind biegt ein junges Bäumchen darnieder, einen alten Baum bricht er.«

»Ach was! Euere Knochen sind noch alle heil, und ein Greis seid Ihr noch lange nicht! Sorgt Euch nur nicht!«

»Lachen wollte ich, wenn Du Dich glücklich fühltest. Allein ganz abgesehen davon, habe ich noch einen andern Grund zum Kummer, ja, um die Wahrheit zu sagen, nicht allein ich, nein, wir alle, alle haben Grund zum Kummer.«

»Sprecht, was meint Ihr damit?« fragte Zbyszko in eifrigem Tone.

»Erinnerst Du Dich, wie ich Dir in Skirwoillos Lager Vorwürfe machte, weil Du die Macht des Ordens so sehr rühmtest? Unerschütterlich stehen zwar unsere Leute in der Schlacht, davon bin ich überzeugt; seitdem ich indessen die Macht und die Stärke dieser Hundsbrut in der Nähe gesehen habe …«

Hier dämpfte Macko seine Stimme, wie aus Furcht, es könne ihn jemand hören, dann fuhr er fort: »Seitdem weiß ich, daß Du recht hattest, daß ich in einer Täuschung befangen gewesen bin. Gott möge uns schützen, unermeßlich ist ihre Macht, ihre Stärke! Unsere Ritter lechzen freilich geradezu darnach, sich mit den Deutschen zu messen, allein sie wissen nicht, daß alle Völker, daß alle Könige dem Orden Hilfe leisten, sie wissen nicht, über welchen Reichtum, über welche Hilfsmittel die Kreuzritter verfügen, wie stark deren Burgen, wie trefflich deren Kriegswaffen sind. Gott schütze uns! Sowohl bei uns wie auch hier prophezeit man den Krieg und es wird sicherlich dazu kommen, doch wenn es dazu kommt, dann möge sich Gott unseres Königreiches und unseres Volkes erbarmen!«

Nach diesen Worten stützte er die Ellbogen auf die Knie, barg sein graues Haupt in die Hände und versank in Schweigen.

»Traun!« hub aber nun Zbyszko nach einigen Minuten zu sprechen an, »traun, jetzt habt Ihr Euch überzeugt, daß, wenn auch unsere Mannen im Einzelkampfe den Kriegsleuten der Kreuzritter überlegen sind, ein Krieg mit dem Orden doch sehr zu überlegen wäre.«

»Hei, so ist es in der That!« entgegnete hieraus Macko. »Wenn nur die Gesandten des Königs vorsichtig zu Werke gehen, wenn nur besonders Zindram alles wohl bedenkt.«

»Ich bemerkte sehr wohl, welche Niedergeschlagenheit sich seiner nach und nach bemächtigte. Er versteht sich gar gut auf die Kriegskunst, und wie man sagt, soll keiner wie er so geschickt in der Schlacht zu kämpfen verstehen.«

»Ist dies der Fall, so wird vielleicht der Krieg vermieden.«

»Sobald die Kreuzritter sich ihrer Uebermacht bewußt werden, kommt es sicherlich zum Kriege, doch ich gestehe Euch, mein Wunsch ist es, daß uns Gott auf die eine oder auf die andere Weise eine Entscheidung schicken möge, denn in fortwährender Ungewißheit zu leben, ist unerträglich.«

»Große Gefahr droht unserem edlen Königreiche,« ließ sich jetzt Macko vernehmen, als er bemerkte, wie sehr Zbyszko von seinem eigenen Leide, von dem Mißgeschick der Allgemeinheit darniedergebeugt ward, »und ich sehe darin die Strafe Gottes für unsern Uebermut. Gedenkst Du noch der Zeit, in der unsere Ritter vor der Kathedrale zu Krakau – Du solltest enthauptet werden und kamst dann doch mit dem Leben davon – Tamerlan zum Kampfe fordern wollten, Tamerlan, den Gebieter über vierzig Königreiche, der einen Berg aus Menschenhäuptern auftürmte! Nein, sie begnügten sich nicht damit, die Kreuzritter zu fordern, gegen alle Gegner sollte es sofort losgehen! Durch eine solche Ueberhebung aber verletzten sie die Gebote Gottes!«

Kaum hatte Macko jedoch jene Krakauer Zeit erwähnt, so fuhr sich Zbyszko, von Schmerz überwältigt, mit beiden Händen in sein langes, goldblondes Haar, und schrie verzweifelt auf: »Und wer hätte mich aus der Hand des Henkers gerettet, wenn sie nicht gewesen wäre! O Jesus! Meine Danusia! O Jesus!«

Und er raufte seine Haare, ja, er grub seine Zähne in die geballten Fäuste, um den gewaltigen Schmerz zu unterdrücken, der seinen ganzen Körper erschütterte.

»Vertraue auf Gott, fasse Dich, Bursche!« rief Macko. – »Komme zu Dir, bezwinge Dich! Gieb Dich nicht allzusehr Deinem Schmerze hin.«

Doch es dauerte geraume Zeit, bis der junge Ritter sich zu fassen vermochte, ja, er wurde erst dann wieder vollständig Herr seiner selbst, als der schwer leidende Macko plötzlich auf seinen Füßen schwankte und völlig bewußtlos auf die Bank niederfiel. Rasch bettete nun Zbyszko den Ohm auf dessen Lager flößte ihm von dem Weine ein, den der Komtur der Burg geschickt hatte, und legte sich erst selbst zur Ruhe, nachdem der alte Ritter fest eingeschlummert war.

Am nächsten Morgen erwachten beide frischer und gestärkter.

»Traun,« meinte Macko, »meine Zeit scheint noch nicht gekommen zu sein, und ich glaube jetzt auch, daß ich mein Ziel erreichen werde, wenn in Wald und Feld mich erst wieder der Wind umweht.«

»Die Gesandten gedenken noch einige Tage hier zu verweilen,« erklärte Zbyszko, »da sich Leute bei ihnen eingestellt haben, mit der Bitte um Auswechslung von Gefangenen, welche in Masovien oder Groß-Polen einfach auf den Straßen ergriffen worden sind. Wir aber können uns auf den Weg machen, wenn Ihr wollt, so Ihr Euch kräftig genug dazu fühlt.«

In diesem Augenblick trat Hlawa ein.

»Weißt Du, wo die Gesandten jetzt sind?« fragte ihn Macko.

»Sie besichtigen die Kirche und das Hochschloß,« antwortete der Böhme. »Der Komtur der Burg führt sie selbst umher. Später begeben sie sich in das Haupt-Refektorium zu dem Mahle, zu dem der Großmeister auch Euch, wohledle Herren, bitten läßt.«

»Was hast aber Du seit dem frühen Morgen gethan?«

»Ich habe mir das Fußvolk der Deutschen, ihre Söldlinge angesehen, die von einem Hauptmann eingeübt wurden, und habe sie mit unserem böhmischen Fußvolke verglichen.«

»Erinnerst Du Dich denn noch an die böhmischen Mannen?«

»Wohl war ich ein ganz junger Fant, als mich der Ritter Zych aus Zgorzelic gefangen nahm, trotzdem ist mir noch alles in guter Erinnerung, denn von frühester Jugend an beachtete ich all diese Dinge.«

»Nun, und was hältst Du von dem deutschen Fußvolke?«

»Viel und auch nicht viel! Das Fußvolk der Deutschen ist zwar tüchtig und trefflich eingeschult, aber diese Mannen sind den Ochsen, unsere Böhmen den Wölfen zu vergleichen. Kommt es zum Zusammenstoße – nun, Ihr wohledle Herren wißt ja selbst am besten, daß Ochsen keine Wölfe aufzufressen pflegen, daß hingegen für Wölfe die Ochsen einen gar verlockenden Fraß bilden.«

»Das ist die Wahrheit,« bemerkte nun Macko, der augenscheinlich darüber unterrichtet war, »ein jeder, der einem von Deinem Volke etwas anhaben will, der zieht sich, wie vor einem Stachelschweine, nur zu bald wieder zurück.«

»In der Schlacht wiegt zudem ein Ritter zu Pferde zehn Mann Fußvolk auf!« warf hier Zbyszko ein.

»Doch nur durch Fußvolk kann Marienburg genommen werden!« antwortete Hlawa.

Das Gespräch nahm aber nun mit einemmale eine andere Wendung, da Macko, seinem eigenen Gedankengange folgend, also anhub:

»Höre, Hlawa! Noch heute machen wir uns, so meine Besserung anhält, auf die Fahrt!«

»Und wohin soll’s gehen?«

»Wohin denn sonst, als nach Masovien, als nach Spychow!« rief der junge Ritter.

»Um dort zu bleiben?«

Nun schaute Macko fragend auf seinen Bruderssohn, war doch bis jetzt zwischen ihnen auch nicht ein Wort über die Zukunft gewechselt worden. Zbyszko freilich hatte schon seine Entscheidung getroffen, da er indessen seinen Ohm nicht betrüben wollte, erteilte er diesem eine ausweichende Antwort, indem er sagte: »Zuvörderst müßt Ihr Euch völlig erholen.«

»Und was dann?«

»Dann kehrt Ihr nach Bogdaniec zurück. Ich weiß, wie sehr Euch Bogdaniec ans Herz gewachsen ist.«

»Und Dir vielleicht nicht?«

»Mir ist Bogdaniec unendlich teuer.«

»Ich will durchaus nicht sagen, daß Du von Jurand fern bleiben sollst,« Hub Macko nun bedachtsam an, »denn wenn er stirbt, muß ihm ein ehrenvolles Begräbnis werden. Doch Du bist jung, Dir fehlt noch die Erfahrung, darum achte auf meine Worte. Nur Unheil birgt für Dich Spychow. Was Dir an Glück zu teil geworden ist, an andern Orten hast Du es gefunden, nur Leid, nur Schmerz erlebtest Du in Spychow.«

»Ihr sprecht wahr, allein Danusias sterbliche Ueberreste befinden sich in Spychow.«

»Schweig still! schweig still!« rief Macko, von Furcht erfüllt, sein Bruderssohn könne wie am Tage vorher wieder aus Schmerz ganz außer sich geraten.

Allein dem war nicht so. Nur weiche Zärtlichkeit, nur Rührung malten sich auf den Gesichtszügen des jungen Ritters, als er nach einer kleinen Weile erwiderte: »Uns bleibt noch Zeit genug zum Ueberlegen. Ihr müßt ja doch in Plock rasten.«

»Dort wird es Euch nicht an Pflege fehlen, gnädigster Herr!« warf hier Hlawa ein.

»Gewiß nicht!« rief Zbyszko. »Wißt Ihr denn nicht, daß sich Jagienka in Plock befindet? Sie ist Hoffräulein bei der Fürstin Alexandra. Doch meiner Treu, das müßt Ihr wissen, denn Ihr brachtet sie ja selbst dahin. Und in Spychow ist sie auch gewesen. Heute noch setzt es mich in Staunen, daß Ihr mir nichts von ihr gesagt habt, als wir in Skirwoillos Lager zusammentrafen.«

»Nicht nur in Spychow ist sie gewesen, nein, ohne sie würde sich vielleicht Jurand noch immer mit seinem Stabe tastend den Weg suchen, oder wäre längst irgendwo an einem Zaum zu Grunde gegangen. Wegen der Hinterlassenschaft des Abtes, der sie zu seiner Erbin eingesetzt hat, brachte ich sie nach Plock, Dir aber sprach ich nicht von ihr, denn wenn ich es auch gethan hätte, würdest Du es doch nicht gehört haben. Du achtetest auf nichts zu jener Zeit, Du armer Bursche.«

»Sie ist Euch von ganzem Herzen zugethan!« ergriff nun Zbyszko wieder das Wort. »Gott sei gepriesen, daß wir keiner Briefe bedurften, durch ihre Vermittlung erhielt ich aber nicht nur von der Fürstin Alexandra, sondern auch durch die Fürstin von den Gesandten des Ordens verschiedene Schreiben mit Fürbitten für Euch.«

»Gott segne diese Maid!« warf Macko ein. »Fürwahr, keine bessere giebt es auf der ganzen Erde als sie.«

Die weitere Unterredung zwischen Ohm und Bruderssohn wurde durch Zindram und Powala unterbrochen, die von dem Schwächeanfall Mackos gehört hatten und sich nun einstellten, um sich nach dessen Befinden zu erkundigen.

»Gelobt sei Jesus Christus!« ergriff Zindram, die Schwelle überschreitend, das Wort. »Wie steht es heute mit Euch?«

»Gott lohne Euch Eure Anteilnahme. Es geht so langsam vorwärts. Zbyszko meint, meine Gesundheit werde sich sofort vollständig heben, wenn mich wieder der Wind, wenn mich ein frischer Luftzug umweht.«

»Das unterliegt ja keinem Zweifel. Ihr werdet rasch hergestellt sein. Alles wird sich zum Guten wenden!« erklärte Powala.

»Gar gut und gar lange habe ich geruht. Ihr, edle Herren, habt Euch aber, wie mir gesagt ward, sehr früh erhoben.«

»Zuerst hatten wir wegen Auswechslung der Gefangenen zu verhandeln,« entgegnete Zindram, »und dann ließen wir uns verschiedene Einrichtungen des Ordens erklären und besichtigten die Vorburg und die beiden andern Schlösser.«

»Treffliche Einrichtungen und trefflich befestigte Schlösser!« murmelte Macko vor sich hin.

»Da habt Ihr recht. Die Kirche ist gar schön mit Verzierungen in arabischer Weise ausgeschmückt, haben sich doch die Kreuzritter diese Kenntnisse, nach ihrer eigenen Aussage, bei den Sarazenen in Sicilien erworben; in den Schlössern aber befinden sich sogar besondere Gelasse, die, auf Pfeilern ruhend, entweder ganz allein für sich oder mit mehreren solcher Einzelgelasse zusammenstehen. Das Haupt-Refektorium werdet Ihr ja selbst zu sehen bekommen. Ein jeder Teil dieser Veste ist in seiner Art furchterregend, nirgendwo in der Welt findet sich etwas Aehnliches. Selbst die größte der Geschützkugeln würde solche Mauern nicht zu durchbohren vermögen. Bei meiner Treu, eine Lust ist es, all dies zu sehen.«

Zindram sprach in solch fröhlichem Tone, daß Macko, ihn voll Verwunderung anblickend, fragte: »Und ihren Reichtum, ihre Kostbarkeiten, ihr Kriegsvolk und die fremden Gäste, habt Ihr dies alles gesehen?«

»Sie führten uns überall umher, wie sie behaupteten aus Freundschaft, thatsächlich aber nur, um uns einzuschüchtern.«

»Traun, und was denkt Ihr?«

»Daß es uns Gott vergönnen wird, sie beim Ausbruche eines Krieges weit fort von hier zu treiben, weit fort über die Berge und über die Meere – dahin, woher sie gekommen sind.«

Seine Leiden vergessend, sprang Macko voll Staunen empor.

»Wie meint Ihr das, o Herr?« fragte er. »Die Leute sagen, Ihr besäßet einen scharfen Verstand. Was mich betrifft, mir wurde es schlimm zu Mute, als ich mich von der gewaltigen Macht des Ordens überzeugte. Beim barmherzigen Gotte, was berechtigt Euch zu dieser Hoffnung?«

Hieraus wendete er sich an seinen Bruderssohn.

»Zbyszko,« sagte er, »laß von dem Weine bringen, der uns geschickt ward. Nehmt Platz, Ihr Herren, und leistet uns noch eine kleine Weile Gesellschaft, denn wahrlich, ein besseres Mittel für meine Heilung als ein Gespräch mit Euch könnte kein Arzt ausdenken.«

Zbyszko, der auch voll Spannung Zindrams weiterer Rede entgegensah, stellte selbst den Wein und etliche Becher auf den Tisch, und nachdem sich alle niedergelassen hatten, hub Zindram also an: »Diese Beste kann mir keine Furcht einflößen, denn was von Menschenhänden errichtet ward, das kann von Menschenhänden auch wieder zerstört werden. Ihr wißt doch, womit die Ziegelsteine zusammengehalten werden? Durch Mörtel! Wißt Ihr aber was ein Volk zusammenhält? Die Liebe!«

»Bei den Wundmalen des Heilandes, von Euren Lippen fließt eitel Honig!« rief jetzt Macko aus.

Hocherfreut über dieses Lob, fuhr Zindram nach kurzer Pause fort: »Gar mancher aus den hier seßhaften Geschlechtern schmachtet bei uns in Fesseln, von dem befindet sich ein Bruder oder ein Sohn, von jenem irgend ein anderer Blutsverwandter oder ein Eidam bei uns in Gefangenschaft. Ihr wißt ja, daß die Komture an der Grenze beständig ihre Leute gegen uns auf Raub aussenden, was Wunder also, daß viele erschlagen werden, daß viele in unsere Gefangenschaft geraten. Seitdem aber die Leute hier von dem Abkommen zwischen dem Großmeister und dem Könige in Betreff der Auswechslung der Gefangenen gehört haben, stellen sie sich schon am frühen Morgen bei uns ein und nennen uns die Namen der Gefangenen, die dann von dem Schreiber niedergeschrieben werden. Als erster kam ein Böttcher, der, von Geburt ein Deutscher, als reicher Bürger in Marienburg ein Haus besitzt und der zum Schlüsse also sprach: ›Gern würde ich meinen Reichtum, gern würde ich selbst mein Leben dahingeben, wenn ich damit Eurem Könige, Eurem Königreiche nützen könnte.‹ Rasch schickte ich ihn hinweg, hielt ich ihn doch für einen Judas. Da, bald nach ihm, erschien ein Weltgeistlicher aus der Nähe von Oliva, um seinen Bruder frei zu bitten, und auch er ließ sich also vernehmen: ›Ist es wahr, o Herr, daß Ihr mit unsern preußischen Gebietern den Krieg beginnt? denn seht, ein jeder, der hier sagt: dein Reich komme – der denkt in seinem Innern an Euern König.‹ Und es kamen zwei Edelleute wegen ihrer Söhne, zwei Edelleute, die auf ihren Lehngütern, nahe bei Stuhm leben, es kamen Handelsleute aus Danzig, es kamen Handwerker, es erschien ein Glockengießer aus Marienwerder, kurz, eine Unzahl der verschiedensten Menschen suchte uns heim, und alle, alle sagten sie das Gleiche.«

Hier hielt der Herr aus Maszkowice inne, und sich erhebend, eilte er an die Thüre, um sich zu vergewissern, daß kein Lauscher nahe sei. Dann erst fuhr er, auf seinen Platz zurückgekehrt, in gedämpftem Tone fort: »Schon seit langer Zeit suche ich mir Kunde über alles zu verschaffen. In ganz Preußen sind die Kreuzritter bei den Geistlichen, den Edelleuten, den Bürgern und den Bauern verhaßt. Aber nicht nur die hassen sie, welche unsere, oder die Sprache der Preußen sprechen, nein, auch die Deutschen sind ihnen feindlich gesinnt. Fürwahr, wer dazu gezwungen wird, der tritt in ihre Dienste allein selbst ein Pestkranker erweckt den Abscheu nicht so sehr, als wie ein Kreuzritter. So steht die Sache.«

»Das mag wohl sein. Doch dies thut der Macht, der Stärke des Ordens keinen Abbruch!« bemerkte Macko ängstlich.

Mit der Hand über seine breite Stirn fahrend, sann Zindram eine Weile nach, gerade als ob er nach einem Vergleiche suche, und fragte dann: »Habt Ihr jemals innerhalb der Schranken gekämpft?«

»Gewiß, und mehr als einmal.«

»Traun, was denkt Ihr also? Wird nicht jeder Ritter, sogar der stärkste, aus dem Sattel fliegen, wenn man Sattelgurt und Steigbügel unter ihm zerschneidet?«

»So wahr ich lebe – ja!«

»Bei meiner Treu, merkt Ihr es jetzt? Der Orden ist ein solcher Ritter.«

»Bei Gott, so ist es!« rief Zbyszko. »Selbst in einer Schrift könnte dies nicht bestritten werden.«

Macko aber war so erregt, daß er mit zitternder Stimme sagte: »Gott lohne Euch! Für Euer Haupt, o Herr, muß der Waffenschmied einen ganz besondern Helm schmieden, denn keiner der vorhandenen Helme ist Eurer würdig.«

Drittes Kapitel.

Zbyszko machte sich im Innern Vorwürfe, daß er in seinem Schmerze des Oheims vergessen habe, und da er gewohnt war, rasch auszuführen, was er beschlossen hatte, brach er schon am folgenden Morgen bei Tagesanbruch mit Herrn de Lorche nach Plock auf. Die Wege an der Grenze waren sogar in Friedenszeiten nicht gefahrlos wegen der zahlreichen Räuberbanden, die unter der Kreuzritter Schutz und Schirm standen. Das ward auch dem Orden durch König Jagiello zum Vorwurf gemacht. Aber trotz der Klagen, welche bis nach Rom drangen, trotz der Drohungen und strengen gesetzlichen Maßregeln, gestatteten die benachbarten Komture häufig ihren Söldlingen, sich mit den Räuberbanden zu verbünden. Dabei verleugneten sie zwar diejenigen, welche das Unglück hatten, in die Hände der Polen zu fallen, gewährten aber den mit Beute und Gefangenen Zurückkehrenden nicht nur in den zu dem Orden gehörenden Dörfern, sondern auch in den Burgen Zuflucht.

In solch räuberische Hände gerieten Reisende und auch die Grenzbewohner häufig. Vornehmlich waren es die Kinder begüterter Leute, welche des Lösegeldes wegen weggeführt wurden. Aber die beiden jungen Ritter, von denen jeder ein beträchtliches Gefolge von bewaffneten Mannen zu Fuß und zu Pferd, sowie von Wagenlenkern hatte, befürchteten keinen Ueberfall und langten ohne Abenteuer in Plock an, wo ihrer eine angenehme Ueberraschung harrte.

In der Herberge trafen sie Tolima, welcher am Tage zuvor eingetroffen war. Dies verhielt sich folgendermaßen: der Starost des Ordens zu Lubowa, welcher gehört hatte, daß es dem Abgesandten, in dem Augenblicke, als man ihn in der Nähe von Brodnica ergriff, gelungen war, einen Teil des Lösegeldes zu verbergen, sandte ihn nach dieser Burg zurück, mit dem Auftrag an den Komtur, daß er ihn zwinge, anzugeben, wo das Geld sich befand. Aber Tolima benützte die günstige Gelegenheit und entfloh auf dem Wege dahin. Als die beiden Ritter sich wunderten, daß ihm die Flucht so gut gelungen war, erklärte er ihnen die Sache auf folgende Weise.

»Ihre Habsucht ist an allem Schuld. Der Komtur von Brodnica wollte mir nicht viele Leute zur Bewachung mitgeben, denn er wünschte keinen Lärm zu machen wegen des Geldes. Vielleicht hatte er mit dem Starosten von Lubowa verabredet, es zu teilen, und sie befürchteten, wenn Lärm gemacht werde, müßten sie einen beträchtlichen Teil davon nach Marienburg schicken oder alles an Arnold und Wolfgang von Baden abgeben. So ließ er mich denn nur durch zwei Männer geleiten, von denen der eine, ein vertrauter Knecht, mit mir die Ruder auf dem Drewenz führen sollte, der andere ein Schreiber war. Aber da sie wünschten, daß niemand uns sehen solle, wurden wir des Nachts weggeschickt und Ihr wißt, daß die Grenze ganz nahe ist. Sie gaben mir auch ein Ruder aus Eichenholz … nun – und Gott hat mir beigestanden … denn nun bin ich hier in Plock.«

»Wohl, aber sind die andern nicht zurückgekehrt?« rief Zbyszko aus.

Da erhellte ein Lächeln Tolimas grimmes Gesicht.

»Der Drewenz fließt in die Weichsel,« entgegnete er. »Wie können sie zurückkehren, wenn sie im Wasser liegen? In Torun werden die Kreuzritter sie vielleicht finden!«

Nach einer Weile fügte er, zu Zbyszko gewendet, hinzu: »Einen Teil des Geldes nahm mir der Komtur aus Lubowa, aber den Rest, welchen ich bei dem Ueberfall verbarg, habe ich wieder erlangt und es jetzt Eurem Knappen, Herr, zur Aufbewahrung übergeben. Er wohnt im Schlosse bei dem Fürsten, und dort ist es sicherer, als bei mir in der Herberge.«

»Mein Knappe ist hier in Plock? Was thut er hier?« fragte Zbyszko voll Verwunderung.

»Als er Zygfryd nach Spychow gebracht hatte, zog er mit der Jungfrau, welche sich dort befand, wieder aus und diese ist jetzt Hoffräulein bei der Fürstin hier. So sagte er mir gestern.«

Und Zbyszko, der durch den Schmerz um Danusia wie betäubt gewesen, der in Spychow nach nichts gefragt hatte und von nichts wußte, erinnerte sich jetzt erst, daß der Böhme mit Zygfryd vorausgesandt worden war – und von Groll und Rachedurst erfüllt, zog sich sein Herz bei diesem Gedanken krampfhaft zusammen.

»Ganz richtig, so ist es gewesen!« antwortete er. »Aber wo befindet sich jener Henker? Was ist mit ihm vorgegangen?«

»Erzählte es Pater Kaleb nicht? Zygfryd erhängte sich, und Ihr, Herr, müßt an seinem Grabe vorüber gekommen sein.«

Ein Augenblick des Schweigens folgte.

»Der Knappe sagte auch,« fügte Tolima hinzu, »daß er sich zu Euch begeben wolle, und daß er es schon längst gethan hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre, die junge Maid zu verlassen, welche erkrankte, als sie von Spychow hier anlangte.«

Gewaltsam die traurigen Erinnerungen von sich abschüttelnd, fragte Zbyszko wiederum wie in einem Traum befangen: »Welche junge Maid?«

»Ei, jene Maid,« entgegnete der Alte, »Euere Schwester oder Blutsverwandte, welche mit Ritter Macko in Männertracht nach Spychow kam und unterwegs unsern Herrn traf, der sich tastend seinen Weg suchte. Wäre nicht sie, wäre nicht Ritter Macko gewesen, so hätte auch Euer Knappe unsern Gebieter nicht erkannt. Unser Gebieter gewann sie nun sehr lieb, denn sie sorgte für ihn wie eine Tochter, und außer Pater Kaleb war sie die Einzige, die ihn verstand.«

Da riß der junge Ritter voll Erstaunen seine Augen weit auf.

»Pater Kaleb sagte mir nichts von einer jungen Maid, und eine Blutsverwandte habe ich nicht.«

»Er sagte nichts, Herr, weil Ihr durch Eueren Kummer alles um Euch her vergaßet und gar nichts mehr von der Gotteswelt wußtet.«

»Und wie nennt sich diese Maid?«

»Sie nennt sich Jagienka.«

Zbyszko glaubte, er träume. Daß Jagienka von dem fernen Zgorzelic nach Spychow gekommen war, vermochte er kaum zu fassen. Und aus welchem Grunde, warum hatte sie es gethan? Wohl war es ihm kein Geheimnis geblieben, daß die Maid ihn liebte, ihm in Zgorzelic ihr Herz zu eigen geworden war, aber er hatte ihr ja gestanden, daß Danusia seine Ehegemahlin werde – daher konnte er nimmermehr voraussetzen, daß Macko sie in der Absicht nach Spychow mitgenommen habe, um sie ihm zum Weibe zu geben. Uebrigens hatte weder Macko noch der Böhme ihm gegenüber Jagienkas Erwähnung gethan. All dies erschien ihm seltsam, ja völlig unbegreiflich. Daher bestürmte er Tolima mit Fragen, gleich einem Menschen, der seinen eigenen Ohren nicht zu trauen vermag und wünscht, daß ihm eine unglaubliche Kunde bestätigt werde.

Tolima konnte ihm indessen nicht mehr sagen, als das, was er schon gesagt hatte, doch begab er sich in das Schloß, um Hlawa aufzusuchen, und kehrte bald, noch vor Sonnenuntergang, mit diesem zurück. Der Böhme begrüßte seinen jungen Herrn voll Freude und doch auch wieder traurig, denn er hatte zuvor schon Kunde von den Ereignissen in Spychow bekommen. Auch Zbyszko war im Herzen froh über dies Wiedersehen, fühlte er doch, daß er hier eine treue Freundesseele vor sich hatte, eine von denen, welche dem Menschen vornehmlich im Unglück so nötig sind. Mit tiefer Wehmut berichtete er ihm von Danusias Tode, und Hlawa nahm wie ein Bruder Anteil an seinem Schmerze, seinem Herzeleid und an seinen Thränen. Sie blieben lange beisammen, zumal schließlich, auf Zbyszkos Bitte hin, Herr de Lorche, das Antlitz und den Blick zu den Sternen emporgerichtet, ihnen am offenen Fenster mit Begleitung der Zither jenen Trauergesang vortrug, den er an die Tote gedichtet hatte.

Als sie sich dann etwas erleichtert fühlten, begannen sie von den Angelegenheiten zu sprechen, die sie nach Plock geführt hatten.

»Ich habe absichtlich diesen Weg nach Marienburg eingeschlagen,« sagte Zbyszko. »Du weißt, daß mein Oheim in Gefangenschaft geraten ist, und daß ich mich mit Lösegeld zu ihm begebe.«

»Ich weiß es,« entgegnete der Böhme. »Ihr thatet wohl daran, Herr! Ich wollte selbst nach Spychow aufbrechen und Euch raten, nach Plock zu kommen. Der König wird in Naciongsch mit dem Großmeister eine Zusammenkunft haben; vor dem König aber wird es leicht sein, eine Beschwerde zu erheben, da in Gegenwart der Majestät die Kreuzritter nicht so hochmütig auftreten, sondern christliche Demut heucheln.«

»Tolima sagte mir, es sei Deine Absicht gewesen, zu mir nach Spychow zu kommen, allein die Krankheit Jagienkas, der Tochter Zychs, habe Dich daran gehindert. Ich hörte, daß mein Oheim sie in diese Gegend gebracht hat, und daß sie auch in Spychow gewesen ist. Darüber wundre ich mich sehr. Nun sprich, aus welchem Grunde hat mein Oheim sie aus Zgorzelic weggeführt?«

»Es waren viele Gründe vorhanden. Ritter Macko befürchtete, wenn er sie ohne Schutz zurücklasse, würden die Ritter Wilk und Cztan in Zgorzelic einfallen, und dadurch könne auch den Brüdern Jagienkas Schaden zugefügt werden. Ist sie aber abwesend, so droht keine Gefahr, denn wie Ihr wißt, kommt es in Polen zuweilen vor, daß ein Edelmann sich mit Gewalt einer Maid bemächtigt, wenn er sie nicht auf andere Weise haben kann. Aber gegen junge Waisen wird niemand die Hand erheben, denn mit dem Schwert des Henkers würde er bestraft werden, ja, was noch schlimmer ist, er würde Schmach und Schande auf sich laden. Indessen war auch noch eine andere Ursache vorhanden. Der Abt starb und setzte die Jungfrau zur Erbin seiner Besitztümer ein, die unter der Obhut des hiesigen Bischofs stehen, deshalb hat Ritter Macko die Jungfrau nach Plock gesandt.«

»Und zuvor hatte er sie nach Spychow geführt?«

»Dorthin führte er sie während der Abwesenheit des Bischofs, des Fürsten und der

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Herr de Lorche. das Antlitz und den Blick zu den Sternen emporgerichtet, trug ihnen am offenen Fenster mit Begleitung der Zither jenen Trauergesang vor, den er an die Tote gedichtet hatte.

Fürstin, da er sie nicht hätte hier lassen können. Und es war ein Glück, daß er sie mitnahm. Ohne die Jungfrau wären wir an Ritter Jurand vorüber gegangen, wie an einem fremden Bettler. Erst als sie so tiefes Mitleid mit ihm zeigte, wurden wir aufmerksam und erkannten ihn. Unser Herrgott hat dies alles so gefügt durch ihr warmes Herz.«

Und er erzählte, wie Jurand dann später nicht mehr ohne sie sein konnte, wie er sie liebte, wie er den Segen des Himmels auf sie herabflehte, und obwohl Zbyszko all dies schon von Tolima gehört hatte, lauschte er dem Berichte mit tiefer Rührung und mit den dankbarsten Empfindungen für Jagienka.

»Möge Gott sie gesund erhalten!« sagte er schließlich. »Mich wundert nur, daß Ihr mir nichts von ihr gesagt habt.«

Der Böhme geriet ein wenig in Verlegenheit, und um Zeit zu einer Antwort zu gewinnen, fragte er: »Wo denn, Herr?«

»Bei Skirwoillo, dort bei den Samogitiern.«

»Sagten wir nichts? So wahr ich lebe! Ich glaubte, wir hätten Euch etwas davon gesagt, aber Ihr hattet wohl andere Dinge im Kopfe.«

»Daß Jurand zurückgekehrt sei, sagtet Ihr, aber kein Wort von Jagienka.«

»Ei, Ihr habt es wohl vergessen! Doch Gott allein weiß am besten, wie die Sache sich verhält. Vielleicht dachte Ritter Macko, ich hätte von ihr gesprochen, und ich dachte, er hätte von ihr gesprochen. Uebrigens, Euch damals überhaupt etwas zu erzählen, wäre ganz nutzlos gewesen, Herr. Und das war kein Wunder. Aber jetzt ist alles anders, und ich muß sagen: es ist ein Glück, daß die Jungfrau sich hier befindet, denn sie kann dem Ritter Macko von Nutzen sein.«

»Was vermag sie zu erreichen?«

»Wenn sie nur ein Wort zu der Fürstin Alexandra sagt, welche sie unendlich liebt, genügt es schon. Und die Kreuzritter wiederum schlagen der Fürstin nichts ab, einmal darum, weil sie des Königs Schwester und zweitens, weil sie eine große Freundin des Ordens ist. Wie Ihr vielleicht schon hörtet, hat sich gerade jetzt Fürst Skirgiello (des Königs leiblicher Bruder) gegen Witold erhoben und ist zu den Kreuzrittern geflohen, welche ihm beistehen und ihn an Witolds Stelle zum Herrscher einsetzen wollen. Der König ist der Fürstin sehr zugethan und leiht ihr, wie man sagt, gern sein Ohr, daher wünschen die Kreuzritter, daß sie ihn zu Gunsten Skirgiellos und gegen Witold beeinflusse. Sie meinen – verdammt seien ihre Mütter – wenn sie von Witold befreit wären, würden sie Frieden haben. Deshalb nun bezeigen die Gesandten der Kreuzritter der Fürstin vom frühen Morgen bis zum späten Abend ihre Verehrung und suchen jeden Wunsch derselben zu erraten.«

»Jagienka liebt meinen Oheim sehr und wird sicherlich Fürbitte für ihn einlegen,« sagte Zbyszko.

»Wahrlich, anders kann es gar nicht sein! Begebt Euch in die Burg und sagt Ihr, wie sie zu sprechen, was sie zu thun hat.«

»Ich habe die Absicht, mit Herrn de Lorche in die Burg zu gehen,« antwortete Zbyszko. »Deshalb kam ich hierher. Wir müssen uns jetzt nur die Haare kämmen und passende Kleidung anlegen.«

Nach einer Weile fügte er hinzu: »In meiner Trauer wollte ich mir die Haare abschneiden, doch vergaß ich es wieder.«

»Es ist besser, Ihr laßt es, wie es ist!« entgegnete der Böhme.

Er entfernte sich, um einige Leute aus dem Gefolge herbeizuholen. Als er mit ihnen zurückgekehrt war, erzählte er, während sich die beiden jungen Ritter für das abendliche Mahl in der Burg schmückten, weiter, was am königlichen und fürstlichen Hofe vorging. »Die Kreuzritter,« sagte er, »thun, was sie können, um Fürst Witold den Boden unter den Füßen zu untergraben, denn so lange er ein mächtiges Land im Namen des Königs beherrscht, so lange lernen sie den Frieden nicht kennen. Wahrlich, er ist der Einzige, den sie fürchten. Hei! Sie graben und graben wie Maulwürfe. Das Fürstenpaar hier haben sie schon gegen, ihn aufgewiegelt und sie sind wohl auch schuld daran, daß Fürst Janusz jetzt wegen Wilna aufgebracht über ihn ist.«

»So sind Fürst Janusz und Fürstin Anna ebenfalls hier?« fragte Zbyszko. »Gar viele mir Befreundete treffe ich dann, bin ich doch nicht zum erstenmal in Plock.«

»Gewiß,« entgegnete der Knappe, »sie befinden sich beide hier. Sie haben manches mit den Kreuzrittern abzumachen und wollen in Gegenwart des Königs Klage bei dem Großmeister erheben.«

»Und der König? Auf wessen Seite ist er? Grollt er den Kreuzrittern nicht und erhebt er nicht das Schwert gegen sie?«

»Der König ist den Kreuzrittern nicht gewogen und sie sagen, er drohe ihnen längst schon mit Krieg. Was den Fürsten Witold anbelangt, so zieht ihn der König seinem eigenen Bruder, Skirgiello, vor, welcher ein Sausewind und ein Trinker ist … daher sagen die Leute aus des Königs Umgebung, daß dieser sich nicht gegen Witold erklären und den Kreuzrittern nicht versprechen werde, ihnen beizustehen. Und dies mag wahr sein, denn seit einigen Tagen bemüht sich die Fürstin Alexandra besonders um des Königs Gunst und sieht etwas bekümmert aus.«

»Ist Zawisza Czarny hier angelangt?«

»Nein, er ist nicht angelangt, aber an denen, welche hier sind, kann man sich kaum satt sehen, und wenn es zum Kriege kommt – allmächtiger Gott! Dann werden den Deutschen die Knochen zerhauen, daß die Splitter nur so umherfliegen!«

»Ich bin der Letzte, der sie darob beklagen wird,« bemerkte Zbyszko.

Einige Vaterunser später befanden sie sich in prächtiger Kleidung auf dem Wege zur Burg. Das abendliche Festmahl sollte diesmal nicht bei dem Fürsten, sondern bei dem Starosten Andrzej aus Jasienec stattfinden, dessen geräumige Behausung innerhalb der Ringmauern der Burg an der größten Bastei lag. Wegen der wundervollen, fast allzu warmen Nacht hatte der Starost, aus Furcht, daß die Luft in den Sälen vielleicht sehr drückend werde, den Befehl gegeben, die Tische im Hofe aufzustellen, wo Ebereschen und Eibenbäume inmitten der steinernen Fliesen wuchsen. Brennende Pechtonnen erleuchteten den ganzen Platz mit einem gelblichen Lichte, aber noch heller leuchtete der Mond, welcher gleich einem silbernen Wappenschilde am wolkenlosen Himmel zwischen den Sternen hervorstrahlte. Die gekrönten Gäste waren noch nicht erschienen, doch wimmelte es schon von einheimischen Rittern, von Geistlichen, von Hofleuten des Königs und der Fürsten. Zbyszko kannte viele unter ihnen, vornehmlich die vom Hofstaate des Fürsten Janusz. Von Rittern, die ihm von Krakau her bekannt waren, sah er Krzon aus Kozichglowy, Lis aus Zargowisko, Marcin aus Wrocimowice, Domaret aus Kobylany, Staszko aus Charbimowice und zuletzt auch Powala aus Taczew, dessen Anblick ihn besonders erfreute, denn er erinnerte sich, welches Wohlwollen ihm der berühmte Ritter seiner Zeit in Krakau erwiesen hatte. Doch konnte er sich jetzt keinem von ihnen nähern, denn jeder war umgeben von einem Kreis einheimischer, masovischer Ritter, welche nach Krakau, nach dem Hofe, den Lustbarkeiten, nach verschiedenen kriegerischen Unternehmungen fragten, indem sie zugleich die prächtige Gewandung der Fremden, deren schön gelockte, mittelst Eiweiß haltbar gemachten Haare betrachteten und diese Fremden dabei in allem als Vorbilder in Betreff der höfischen Sitten bewunderten.

Powala aus Taczew hatte indessen Zbyszko erkannt und die Masuren beiseite schiebend, näherte er sich ihm.

»Ich kenne Dich wohl, junger Kämpe!« sagte er, Zbyszko die Hand drückend. »Wie geht es Dir und woher kommst Du? Bei Gott! Ich sehe, daß Du schon Gürtel und Sporen trägst! Andere müssen darauf warten, bis sie graue Haare haben, aber Du scheinst dem heiligen Georg würdig zu dienen.«

»Gott verleihe Euch Glück, edler Herr!« entgegnete Zbyszko. »Wenn ich den angesehensten Deutschen vom Pferde geworfen hätte, würde ich mich nicht so freuen wie darüber, daß ich Euch in guter Gesundheit vor mir sehe.«

»Auch ich bin erfreut Dich zu sehen! Und wo befindet sich Dein Vater?«

»Mein Oheim ist es, nicht mein Vater. In Gefangenschaft befindet er sich bei den Kreuzrittern, und mit dem Lösegeld will ich ausziehen, um ihn zu befreien.«

»Und jenes Mägdlein, welches Dein Haupt mit dem Schleier verhüllte?«

Zbyszko gab keine Antwort, er schaute nur empor und seine Augen füllten sich mit Thränen. Als der Herr aus Taczew dies gewahrte, sagte er: »Ja, das ist ein Jammerthal … ein wahres Jammerthal, doch setzen wir uns auf die Bank unter jenem Ebereschenbaum, dort kannst Du mir Deine Erlebnisse mitteilen.«

Und er zog ihn in einen Winkel des Schloßhofes. Hier nahm Zbyszko an seiner Seite Platz und erzählte dann von Jurands unglückseligen Schicksalen, von Danusias Entführung und auch davon, wie er sie gesucht hatte, und wie sie nach ihrer Befreiung gestorben war. Powala lauschte aufmerksam, und auf seinem Gesichte drückte sich bald Verwunderung, bald Zorn, bald Entsetzen, bald Mitleid aus. Schließlich, als Zbyszko geendigt hatte, sagte er: »Ich werde dies alles dem König, unserm Herrn, berichten. Er muß sich bei dem Meister wegen des kleinen Jasko aus Kretkow beschweren und die strenge Bestrafung derer verlangen, welche den Knaben geraubt haben. Und sie raubten ihn nur, weil er reich ist, denn sie rechnen nun auf ein beträchtliches Lösegeld. Hei, sogar gegen Kinder erheben sie ihre Hände.«

Sinnend saß er hierauf eine Weile da, dann sprach er wie zu sich selbst: »Ein unersättliches Geschlecht, schlimmer als Türken und Tataren. Obwohl sie insgeheim den König und uns fürchten, fahren sie fort, zu rauben und zu morden. Sie verwüsten die Dörfer, erschlagen die Bauern, ertränken die Fischer und stürzen sich gleich Wölfen auf die Kinder. Was würden sie erst thun, wenn sie uns nicht fürchteten? An alle fremden Höfe sendet der Großmeister Schreiben gegen unsern König, steht er ihm aber Auge in Auge gegenüber, so demütigt er sich in jeder Weise vor ihm, denn er kennt unsere Stärke besser als all die andern. Nun aber ist das Maß voll!«

Nach kurzem Schweigen legte er die Hand auf Zbyszkos Arm.

»Ich werde dies alles dem König berichten,« wiederholte er hierauf. »Schon seit geraumer Zeit gärt und kocht es in ihm, und Du darfst sicher sein, daß die Urheber Deiner Leiden schwere Strafe trifft.«

»O Herr! Keiner derselben ist mehr am Leben!« warf jetzt Zbyszko ein.

Powala schaute mit freundlichem Wohlwollen auf den jungen Ritter. »Gott schütze Dich! Du vergißt keine Ungerechtigkeit, das ist klar. Lichtenstein ist somit noch der einzige, an dem keine Vergeltung geübt ward, allein ich weiß, daß sich Dir dazu keine Gelegenheit geboten hat. Auch wir haben in Krakau das Gelübde abgelegt, gegen ihn zu kämpfen. Dazu wird es jedoch erst kommen, wenn der Krieg ausbricht – den uns Gott der Herr schicken möge – weil ohne Erlaubnis des Großmeisters sich Lichtenstein nicht zum Kampfe stellen darf. Da aber der Meister viel von Lichtensteins Verstand hält, sendet er ihn fortwährend an den verschiedenen Höfen umher und wird nicht so leicht sich zu einer derartigen Erlaubnis verstehen.«

»Vor allem muß ich jedoch daran denken, meinen Oheim auszulösen.«

»Ja, das ist wahr! Ich habe auch schon nach Lichtenstein gefragt. Er ist indessen weder hier noch wird er in Raciaz sein, ist er doch zu dem König von England wegen Bogenschützen gesandt worden. Sorge Dich aber nicht um Deinen Ohm. Es bedarf nur eines Wortes des Königs und der Fürstin hier, dann wird der Großmeister keine Ausflüchte in Betreff des Lösegeldes zulassen.«

»Und umsoweniger wird er dies zulassen, weil sich de Lorche als Gefangener in meinen Händen befindet, ein bei dem Orden seines Reichtums und seiner Tapferkeit halber hochgeschätzter Ritter. Gar glücklich würde sich dieser sicherlich schätzen, o Herr, wenn er sich vor Euch neigen, wenn er mit Euch bekannt werden dürfte, denn keiner hegt größere Bewunderung für berühmte Ritter als er.«

Nach diesen Worten winkte er den in der Nähe stehenden Lothringer herbei und de Lorche, der sich schon zuvor darnach erkundigt hatte, mit wem Zbyszko spreche, und dessen sehnlichster Wunsch es war, einen so berühmten Ritter wie Powala kennen zu lernen, eilte rasch auf die Sprechenden zu.

Nachdem Zbyszko die beiden miteinander bekannt gemacht hatte, neigte sich der formvolle Ritter aus Geldern vor Powala mit großer Zierlichkeit, indem er sagte: »Nur eines weiß ich, was ich mir noch zur größeren Ehre anrechnen würde, als Eure Hand drücken zu dürfen, und das wäre, wenn ich mit Euch innerhalb der Schranken oder in der Schlacht kämpfen könnte.«

Ein Lächeln erhellte nun das Antlitz des gewaltigen Ritters aus Taczew, der neben dem schmächtigen und kleinen Herrn de Lorche wie ein Riese aussah, und er erwiderte: »Ich aber bin glücklich darüber, daß wir uns nur bei vollen Bechern treffen, und so möge es bleiben, dies gebe Gott!«

De Lorche zauderte anfänglich mit der Antwort, schließlich jedoch erklärte er mit einer gewissen Schüchternheit: »Doch wenn Ihr bestreiten solltet, wohledler Herr, daß das Fräulein Jagienka aus Dlugolas die schönste und edelste Dame der Welt ist, wäre es mir eine große Ehre – dem widersprechen zu dürfen und –«

Hier hielt er inne und blickte voll Verehrung und Bewunderung, allein doch auch wieder prüfend und scharf auf Powala.

Mochte es nun die Ueberzeugung bei letzterem sein, daß er de Lorche zwischen zwei Fingern wie eine Nuß zerdrücken könne, oder sei es, daß er ein außerordentlich gütiges Herz, einen gar frohen Sinn besaß, genug, er lachte laut auf und sagte: »Seiner Zeit erkor ich die Fürstin von Burgund zu meiner Herrin. Damals war sie zehn Jahre älter als ich. So Ihr aber behaupten wollt, o Herr, meine Fürstin sei nicht älter als das Fräulein Jagienka, dann ist’s besser, wir setzen uns sofort zu Pferde.«

Als de Lorche diese Worte vernahm, blickte er zuerst voll Staunen auf den Herrn aus Taczew, dann verzog sich sein Gesicht und er brach in fröhliches Lachen aus.

Jetzt beugte sich Powala plötzlich vor, faßte de Lorche mit einem Arme um den Leib, hob ihn vom Boden empor und schwang ihn mit einer solchen Leichtigkeit hin und her, als ob er es mit einem Kinde zu thun habe.

» Pax! Pax! wie Bischof Kropidlo zu sagen pflegt!« rief er dabei. »Ihr gefallt mir, Ritter, und so wahr mir Gott helfe, wollen wir niemals einer Frau wegen miteinander kämpfen.«

Hierauf umarmte er den Lothringer und ließ ihn dann rasch zur Erde gleiten, denn von dem Eingange zum Burghofe her ertönten laute Trompetenstöße. – Fürst Ziemowit erschien mit seiner Ehegemahlin.

»Der Fürst und die Fürstin haben hier den Vortritt vor dem Könige und vor Fürst Janusz,« erklärte Powala zu Zbyszko gewendet. »Das Fest wird zwar von dem königlichen Burgvogte gegeben, allein es findet hier in Plock statt, wo jene ansässig sind. Komm mit mir zu der Fürstin. Du kennst sie ja von dem Feste aus Krakau her, als sie für Dich Fürsprache bei Jagiello einlegte.«

Und ohne weiteres führte er nun, Zbyszko beim Arme ergreifend, diesen durch den Burghof. Dem Fürsten und der Fürstin war eine große Anzahl von Hofherren und Hoffräuleins gefolgt, die in ihrer zu Ehren des Königs außergewöhnlich prächtigen und glänzenden Gewandung einen Anblick von wunderbaren Blumen boten. Während Zbyszko mit Powala näher trat, ließ er prüfende Blicke über alle schweifen, um zu sehen, ob er nicht ein bekanntes

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In diesem Augenblick fühlte Zbyszko eine Hand auf seiner Schulter, und eine süße Stimme flüsterte ihm leise zu: »Zbyszko!«

Gesicht finde – da plötzlich blieb er voll Staunen stehen. Was war das? Dicht hinter der Fürstin erschaute er eine ihm wohlbekannte Gestalt, ein ihm wohlbekanntes Antlitz, das aber in seiner ernsten königlichen Schönheit ihn glauben machte, er sei in einer Täuschung befangen. »Ist dies Jagienka?« so fragte er sich, »oder vielleicht die Tochter des Fürsten aus Plock?«

Allein es war in der That die Tochter von Zych aus Zgorzelic, denn als ihre Augen denen des jungen Ritters begegneten, da lächelte sie ihm zuerst freundlich und teilnahmsvoll zu, dann aber erbleichte sie plötzlich ein wenig, senkte das Haupt und stand da mit dem goldenen Stirnbande in den dunkeln Haaren und in dem ganzen Zauber ihrer Schönheit, hochgewachsen, herrlich, nicht nur einer Fürstentochter, nein, einer Königin vergleichbar.

Viertes Kapitel.

Zbyszko warf sich der Herrin von Plock zu Füßen und bot ihr seine Dienste an. Anfänglich erkannte sie den jungen Ritter nicht, hatte sie ihn doch seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen. Als er ihr indessen seinen Namen nannte, meinte sie: »Ja, so ist es! Ich glaubte, Ihr gehörtet zu dem Hofstaat des Königs. Zbyszko aus Bogdaniec! Wahr und wahrhaftig! Euer Ohm, der alte Ritter aus Bogdaniec, weilte ja als Gast bei uns, und ich erinnere mich noch sehr wohl, wie meine Thränen, wie die Thränen meiner Hoffräuleins flossen, als er uns seine Erlebnisse schilderte. Habt Ihr denn Euer junges Weib gefunden? Wo ist sie jetzt?«

»Sie ist tot, wohledle Frau.«

»O Du geliebter Jesus! Sprecht nicht so, sonst kann ich meine Thränen nicht zurückhalten. Doch sie ist gewiß im Himmel, das ist wenigstens ein Trost, und Ihr seid noch sehr jung. Allbarmherziger Gott, welch schwache Kreaturen sind doch die Frauen. Aber im Himmel wird man für alles belohnt, und dort findet Ihr sie wieder. Ist der alte Ritter aus Bogdaniec bei Euch?«

»Nein, in Gefangenschaft befindet er sich bei den Kreuzrittern, und ich habe mich aufgemacht, um ihn auszulösen.«

»Das Glück war ihm also auch nicht hold! Er scheint indessen ein sehr scharfsinniger Mensch zu sein, der sich rasch jeder Lage anzubequemen weiß. Habt Ihr ihn losgekauft, dann kommt hierher zu uns zurück. Gar glücklich werden wir uns schätzen, Euch beide zu sehen, denn ich hege die feste Ueberzeugung, daß es Eurem Ohm ebenso wenig an Verstand, wie Euch an Schönheit mangelt.«

»Gern wollen wir dies thun, wohledle Frau, bin ich doch auch jetzt hierhergekommen, um von Euch, gnädigste Herrin, eine Gunst für meinen Ohm zu erbitten.«

»Sehr wohl! Stellt Euch nur morgen vor dem Aufbruche zur Jagd bei mir ein; dann werde ich genügend Zeit für Euch haben.«

Die weitere Unterredung wurde durch Paukenschläge und abermalige Trompetenstöße unterbrochen, ein Zeichen von dem Nahen des Fürstenpaares aus Masovien. Da Zbyszko und die Fürstin von Plock am Eingange standen, bemerkte Anna Danuta den jungen Ritter sofort und trat unverweilt auf ihn zu, ohne die tiefe Verneigung des Gastgebers zu beachten.

Zbyszko aber, bei ihrem Anblick aufs neue von herbem Schmerz ergriffen, warf sich ihr zu Füßen, umfaßte ihre Knie und vermochte kein Wort hervorzubringen. Da beugte sich die Fürstin über ihn und während Thräne auf Thräne auf sein goldblondes Haar fiel, nahm sie sein Haupt zwischen ihre Hände, wie eine Mutter, die über das Unglück ihres Sohnes weint.

Zum großen Staunen der Gäste und der Hofleute weinte sie lange, lange, indem sie beständig die Worte wiederholte: »O Jesus! O allbarmherziger Jesus!« Endlich beruhigte sie sich ein wenig und sagte, Zbyszko emporhebend: »Ich weine um sie, um meine Danusia, und ich weine um Dich. Gott der Herr hat es so gefügt, daß all die Beschwerden, welche Du ertragen hast, umsonst gewesen sind, wie wir auch jetzt nutzlos unsere Thränen vergießen. Doch erzähle mir von ihr und von ihrem Tode, denn selbst wenn ich Dir bis Mitternacht lauschte, würde ich nicht genug von ihr zu hören bekommen.«

So sprechend nahm sie ihn beiseite, genau so wie es der Herr von Taczew zuvor gethan hatte. Jene Gäste indessen, die Zbyszko nicht kannten, fragten insgesamt nach dessen Erlebnissen, so daß geraume Zeit von nichts anderem die Rede war wie von ihm, von Danusia, von Jurand. Die Gesandten des Ordens, Frydrych von Wenden, der Komtur von Thorn, welcher in besonderer Botschaft zu dem Könige entsandt worden war, und Jan von Schönfeld, der Komtur von Osterode, erkundigten sich eingehend nach allem, und besonders letzterer, ein aus Schlesien stammender Deutscher, der daher sehr gut polnisch sprach, erfuhr leicht, was er wissen wollte, und als er aus dem Munde Jaskos aus Zabierz, einem Hofherrn des Fürsten Janusz, das Wissenswerteste gehört hatte, erklärte er: »Danveld und de Löwe sind bei dem Großmeister angeklagt worden – sie sind der Ausübung der schwarzen Magie beschuldigt worden.«

Doch eingedenk dessen, daß selbst die Erwähnung derartiger Vorgänge einen Schatten auf den ganzen Orden werfen könne, wie dies seiner Zeit bei dem Templerorden der Fall gewesen war, fügte er hastig hinzu: »Dies behaupten freilich nur einige Schwätzer, denn die Anklage entbehrt jeder Begründung. Kein Glied unseres Ordens läßt sich etwas dergleichen zu schulden kommen!«

Der Herr aus Taczew jedoch, der in der Nähe des Sprechenden stand, meinte aber nun: »Weshalb sollten die, welche die Bekehrung Litauens vereitelt haben, nicht das Kreuz mißachten!«

»Wir tragen das Kreuz auf unsern Mänteln!« erklärte Schönfeld hochmütig.

Darauf entgegnete Powala: »In unsern Herzen müssen wir es tragen.«

Im gleichen Augenblicke ertönten die Trompeten noch lauter als zuvor, verkündigten sie doch den Eintritt des Königs, gefolgt von dem Erzbischof von Gnesen, dem Bischof von Plock, dem Kastellan von Krakau und von einigen andern Würdenträgern und Hofleuten, unter denen sich auch Zindram aus Maszkowice, der eine Sonne im Wappen hatte, befand, sowie der junge Knäs Jamont, welcher neben dem Könige herschritt. Mit Jagiello war kaum eine Veränderung vorgegangen, seitdem ihn Zbyszko zum ersten Male gesehen hatte. Auf seinen Wangen prangte noch die gleiche, ausfallende Röte wie früher, wie damals in Krakau schob er noch immer von Zeit zu Zeit seine langen Haare hinter die Ohren und schaute unstäten Blickes umher. Dagegen dünkte es Zbyszko, der König trete mit größerer Würde und Majestät als früher auf, gerade als ob er sich auf dem Throne jetzt sicherer fühle, auf den er nach dem Tode der Königin, von der Empfindung geleitet, daß er sich vielleicht nicht behaupten könne, hatte verzichten wollen, und wie wenn ihm jetzt erst das volle Bewußtsein seiner unermeßlichen Macht, seiner Bedeutung aufgegangen wäre. Die zwei masovischen Fürsten traten zu beiden Seiten des Herrschers, die deutschen Gesandten neigten sich tief vor ihm und rings um ihn bildete sich ein Kreis von Würdenträgern und Hofleuten. Die den Burghof umgebenden Mauern erzitterten unter den unaufhörlichen Rufen, den Trompetenstößen und den Paukenschlägen.

Nachdem schließlich Stille eingetreten war, versuchte der Gesandte von Wenden sofort, eine Angelegenheit des Ordens zur Sprache zu bringen, allein kaum bemerkte der König diese Absicht, so winkte er abwehrend mit der Hand und sagte mit seiner tiefen, weithin tönenden Stimme: »Schweig davon! Freude und Frohsinn sollen hier herrschen, an Speise und Trank wollen wir uns erlaben, von diesen alten Geschichten wollen wir nichts hören.«

Da er aber offenbar nicht wünschte, der Kreuzritter könne denken, er spreche im Zorn, fügte er gleich darauf, gutmütig lächelnd, hinzu: »In Naciaz werden wir Zeit genug haben, diese Angelegenheiten mit dem Großmeister zu besprechen.«

Dann wandte er sich zu dem Fürsten von Plock mit den Worten: »Aber morgen geht’s in die Wälder – zur Jagd – wie?«

Diese Frage bekundete gleichzeitig auch seinen Wunsch, an diesem Abend von nichts anderem wie von der Jagd zu sprechen, die er leidenschaftlich liebte und um deretwillen er stets gar gern nach Masovien kam, da Klein- und Großpolen weit weniger bewaldet und so bevölkert waren, daß es dort stellenweise ganz und gar an Forsten gebrach.

Die Gäste schauten nun äußerst vergnügt darein, wußten sie doch, daß der König heiter und guter Dinge war, sobald er über die Jagd sprechen konnte. Fürst Ziemowit setzte auch unverweilt auseinander, wohin sie aufbrechen wollten, und auf welche Tiere Jagd gemacht werden solle, während Fürst Janusz einen seiner Hofherren in die Stadt sandte, um von dort seine beiden »Schützer« zu holen, die er Jagiello vorführen wollte, weil sie im stande waren, wilde Auerochsen an den Hörnern aus den sie umschlingenden Netzen herbeizuführen oder Bären die Knochen zu zerbrechen.

Zbyszko drängte es, sich dem Fürsten Janusz zu nähern und sich vor ihm zu neigen, allein er vermochte nicht durchzukommen. Er konnte nur aus der Ferne den Knäs Jamont sehen, der augenscheinlich die ihm seiner Zeit in Krakau von Zbyszko erteilte scharfe Antwort vergessen hatte, denn er neigte freundlich das Haupt und bedeutete den jungen Ritter durch allerlei Zeichen, er möge so bald wie thunlich näher treten. In diesem Augenblick fühlte Zbyszko eine Hand auf seiner Schulter, und eine süße Stimme flüsterte ihm leise zu: »Zbyszko!«

Sich rasch umwendend, sah er Jagienka vor sich stehen. Dadurch, daß der junge Ritter zuerst die Fürstin von Plock begrüßt und dann mit Anna Danuta gesprochen hatte, war er bis jetzt dem Mägdlein fern geblieben, Jagienka benützte daher die durch den Eintritt des Königs verursachte Erregung und eilte auf ihn zu.

»Zbyszko,« wiederholte sie, »Zbyszko, Gott und die heilige Jungfrau mögen Dir Trost verleihen.«

»Gott lohne Euch Euere guten Worte!« entgegnete der junge Kämpe.

Und voll Dankbarkeit blickte er in ihre blauen Augen, in denen lichte Tautropfen glänzten. Schweigend standen sie sich dann gegenüber, denn wenn sie auch gleich einer guten, teilnahmsvollen Schwester zu ihm gekommen war, erschien sie ihm jetzt doch durch ihre geradezu königliche Erscheinung, durch ihre prächtige Hofgewandung so ganz verschieden von der früheren Jagienka, daß er es im ersten Augenblicke nicht einmal wagte, sie wie früher in Zgorzelic und Bogdaniec mit dem vertraulichen »Du« anzureden. Ihr aber dünkte es, sie habe ihm außer den schon gesprochenen Worten nichts mehr zu sagen. Eine immer wachsende Verlegenheit bemächtigte sich der beiden jungen Menschen. Gleichzeitig verbreitete sich aber nun eine allgemeine Unruhe in dem Burghofe, da der König sich zum Mahle niederließ, und Anna Danuta trat abermals auf Zbyszko zu, indem sie sagte: »Dies wird ein trauriges Festmahl für uns beide sein, doch diene mir, wie Du mir früher gedient hast.«

So mußte denn der junge Ritter Jagienka verlassen, und nachdem die Gäste sich gesetzt hatten, stand er hinter der Fürstin, um die Schüsseln zu wechseln, um Wasser oder Wein einzugießen. Während er jedoch in solcher Weise seine Obliegenheiten erfüllte, blickte er unwillkürlich immer wieder auf Jagienka, die als Hoffräulein der Fürstin von Plock an deren Seite saß – und stets aufs neue nahm ihn die zauberhafte Schönheit der Maid gefangen. Seit er sie zum letztenmal gesehen, war zwar Jagienka noch beträchtlich gewachsen, allein nicht durch ihre Größe erschien sie ihm so verändert, nein, durch das hoheitsvolle Wesen, das sie nun auszeichnete. Früher, als sie im Schafspelze und mit Laub in den wirren Haaren auf ihrem Rosse durch Wald und Au sprengte, da hätte man sie für eine reizende Bauerndirne halten können, jetzt aber sah man auf den ersten Blick, daß edles Blut in ihren Adern rollte, daß sie einem wohlangesehenen, edlen Geschlechts entstammte – denn hohe Würde drückte sich auf ihrem Antlitz aus. Von ihrem ehemaligen Frohsinn war nichts mehr zu bemerken, doch Zbyszko schrieb dies der Trauer um ihren Vater zu, von dessen Tode er gehört hatte. Von seinem Staunen über Jagienkas hoheitsvolles Wesen konnte sich jedoch Zbyszko gar nicht erholen, und anfänglich glaubte er fest, die prächtige Gewandung trage viel dazu bei. So blickte er bald auf die goldene Stirnbinde, welche ihre schneeweiße Stirn und ihre schwarzen in zwei Flechten über die Schulter fallenden Haare zierte, bald aus ihr blaues, rot verbrämtes Gewand, das sich eng an ihre schlanke Gestalt, ihren jungfräulichen Busen anschmiegte, und stets von neuem sagte er sich: »Eine wahre Fürstin!« Allmählich jedoch erkannte er, daß es nicht die Gewandung allein war, welche die Veränderung hervorrief, und er mußte sich gestehen, daß, selbst wenn sie jetzt auch wieder den Schafspelz anlegen würde, er doch nicht mehr so vertraulich, so frei mit ihr verkehren könne, wie in vergangenen Zeiten.

Nicht nur junge, sondern auch bejahrte Ritter sandten ihr zuweilen feurige Blicke zu, dies bemerkte Zbyszko sehr wohl, ja, als er einmal gerade im Begriffe stand, der Fürstin eine neue Schüssel zu reichen, fiel ihm das entzückte, verklärte Gesicht des Herrn de Lorche auf, und Aergernis erfüllte seine Seele. Der schmachtende Ritter aus Geldern zog auch sehr bald die Aufmerksamkeit Anna Danutas auf sich, die, ihn rasch erkennend, plötzlich zu Zbyszko sagte: »Sieh nur den Herrn de Lorche! Offenbar ist er wieder in Liebe entbrannt! Wie geblendet steht er ja da!«

Nach diesen Worten neigte sie sich ein wenig über den Tisch und fügte, Jagienka von der Seite anblickend, hinzu: »Fürwahr, vor dieser Leuchte erbleicht jedes andere Licht!«

Unwiderstehlich fühlte sich Zbyszko zu Jagienka hingezogen, die er wie eine geliebte, liebende Blutsverwandte betrachtete, bei der er, dessen war er gewiß – das größte Verständnis für seine Kümmernisse, das tiefste Mitleid für seine Schmerzen finden würde. Trotzdem gelang es ihm aber nicht, an diesem Abend nochmals mit ihr zu sprechen, da, ganz abgesehen von dem Dienste, der ihn genugsam in Anspruch nahm, während des ganzen Festmahles die Spielleute entweder sangen oder so schmetternde Fanfaren ertönten, daß selbst die, welche neben einander saßen, sich nur schwer verständlich machen konnten. Außerdem erhoben sich auch die beiden Fürstinnen und mit ihnen die anwesenden Frauen früher von der Tafel als der König, die Fürsten und die Ritter, weil die männlichen Festteilnehmer gewöhnlich bis in die tiefe Nacht hinein den Becher kreisen ließen. Da Jagienka das Polster für den Sessel der Fürstin zu tragen pflegte, mußte sie dieser unverweilt folgen, doch neigte sie zum Abschiede das Haupt gegen Zbyszko und lächelte ihm zum zweiten Male freundlich zu.

Der Tag graute bereits, als der junge Ritter und Herr de Lorche mit ihren beiden Knappen aufbrachen, um in die Herberge zurückzukehren. Lange Zeit schritten sie schweigend, in Gedanken versunken, dahin, als sie aber nicht mehr weit von ihrem Ziele waren, sagte de Lorche etwas zu seinem Knappen, woraus letzterer, welcher, aus Pommern stammend, der polnischen Sprache mächtig war, sich sofort zu Zbyszko wandte.

»Mein Gebieter,« hub er an, »möchte Euch, wohledler Herr, etwas fragen.«

»Wohlan!« antwortete Zbyszko.

Nachdem Herr de Lorche abermals seinem Knappen Verschiedenes auseinander gesetzt hatte, wandte sich dieser aufs neue an Zbyszko, indem er, ein Lächeln unterdrückend, erklärte: »Mein Gebieter möchte sich vergewissern, ob jenes Fräulein, mit dem Ihr, gnädigster Herr, vor Beginn des Festes ein Zwiegespräch gehalten habt, in der That ein sterbliches Wesen und nicht eine Heilige oder ein Engel ist.«

»Erwidere Deinem Herrn,« entgegnete Zbyszko mit einiger Ungeduld, »daß ich mich über seine Frage wundere, weil er sie mir schon früher einmal gestellt hat. Und zudem, hat er mir denn nicht in Spychow auseinandergesetzt, er beabsichtige, sich wegen der schönen Frauen in Litauen an den Hof Witolds zu begeben, hat er denn nicht gleich daraus erklärt, er gedenke der Frauen wegen nach Plock zu ziehen? Heute aber, hier in Plock, forderte er den Ritter aus Taczew wegen Jagienka aus Dlugolas, und nun findet er schon wieder an einer andern Wohlgefallen. Kann man dies Standhaftigkeit, ritterliche Treue nennen?«

Kaum hatte Herr de Lorche diese Antwort durch den Mund seines Knappen vernommen, so seufzte er tief auf, blickte gegen den erbleichenden nächtlichen Himmel und beantwortete die Vorwürfe Zbyszkos also: »Du sprichst wahr. Weder Standhaftigkeit noch Treue ist dies, nein, ich bin ein sündhafter Mensch und nicht wert, die güldenen Sporen zu tragen. Was aber das Fräulein Jagienka aus Dlugolas anbelangt, so habe ich mich ihr freilich angelobt – und Gott gewähre mir die Gnade, mein Gelübde zu erfüllen – allein glaube mir, sehr empört wirst Du sein, wenn Du hörst, was ich durch sie erduldet habe, wie grausam sie mir in der Burg zu Czersk mitgespielt hat.«

Abermals seufzte er tief auf, wiederum schaute er gen Himmel, von dem sich gegen Osten rötliche Streifen bildeten, doch erst nachdem der Knappe das Gesagte verdolmetscht hatte, hub de Lorche von neuem an: »Sie verkündete mir, ein Zauberer, der in einem Turme inmitten eines Waldes hause und ihr feindlich gesinnt sei, schicke alljährlich einen Drachen gegen sie aus. Das Ungetüm erscheine jeden Herbst vor den Mauern von Czersk und harre eines günstigen Momentes, um sich ihrer, der Jungfrau zu bemächtigen. Als ich dies vernahm, erklärte ich sofort, gegen jenen Drachen kämpfen zu wollen! Ach! hört nur, was ich Euch weiter melden werde! Unverweilt machte ich mich auf. Was aber gewahrte ich an dem bezeichneten Orte? Ein entsetzliches Ungeheuer! Hohe Freude erfaßte mich, durfte ich mir doch sagen: entweder findest Du den Tod oder Du errettest die Jungfrau aus dem unflätigen Rachen und erringst Dir unsterblichen Ruhm. Aber was gewahrte ich, als ich mich dem scheußlichen Gebilde auf Speereslänge näherte? Einen auf hölzernen Rädern ruhenden, mit Stroh gefüllten Sack, an dem ein langer, ebenfalls mit Stroh ausgestopfter Schwanz angebracht war. Anstatt Ruhm zu ernten, zog ich mir den Hohn und Spott der Menschen zu, und als ich zwei masovische Ritter zum Kampfe forderte, ward mir hart zugesetzt innerhalb der Schranken. In solcher Weise behandelte mich die, welche ich über alles in der Welt pries, der ich einzig und allein meine Liebe weihte.«

Mehr als einmal biß sich der Knappe auf die Lippen, um nicht laut aufzulachen, während er die Worte seines Gebieters verdolmetschte, und auch Zbyszko wäre zu jeder andern Zeit sicherlich in Lachen ausgebrochen. Jetzt aber hatten Kummer und Sorgen jeden Frohsinn in ihm erstickt, er antwortete daher auch nur in ernstem Tone: »Wohl nur aus Uebermut, nicht aus Bosheit hat sie dies gethan.«

»Ich habe ihr alles vergeben,« antwortete de Lorche. »Das wirst Du am besten daraus ersehen, daß ich mit dem Ritter aus Taczew zu Ehr und Preis ihrer Schönheit, ihrer Tugend kämpfen wollte.«

»Vermeide den Kampf mit ihm!« warf Zbyszko in ernstem Tone ein.

»Ein Kampf mit ihm bedeutet den Tod für mich, dessen bin ich mir sehr wohl bewußt, aber ich ziehe den Tod einem Leben voll Kümmernisse und Enttäuschungen vor.«

»Dem Herrn aus Taczew liegen jetzt ganz andere Dinge im Sinn. Laß Dir raten! Folge mir morgen zu ihm und schließe einen Freundschaftsbund mit ihm.«

»Das will ich thun, drückte er mich doch an sein Herz. Doch morgen begiebt er sich ja mit dem König aus die Jagd.«

»Wir machen uns sehr früh zu ihm auf. Zudem ist auch der König kein Verächter eines langen Schlafes, und das Festmahl währte bis tief in die Nacht.«

Der Vorsatz wurde ausgeführt, allein ohne Erfolg, denn Hlawa, der sich noch vor den beiden Rittern auf die Burg begeben hatte, um Jagienka zu sehen, berichtete jenen, Powala habe sich nicht in seinem Gelasse, sondern in den Gemächern des Königs zur Ruhe gelegt. Für ihre Enttäuschung wurden sie indessen insofern entschädigt, als sie mit dem Fürsten Janusz zusammentrafen, der sie sofort seinem Gefolge zuerteilte, wodurch sie der Jagd beiwohnen konnten. Auf dem Wege in den Forst fand Zbyszko Gelegenheit, mit dem Fürsten Jamont zu sprechen, und gar befriedigende Kunde vernahm er von diesem.

»Als ich den König vor dem Schlafengehen auskleidete,« berichtete Knäs Jamont, »da sprach ich ihm von Dir und von Deinen Krakauer Erlebnissen. Kaum hörte dies der Ritter Powala, welcher auch anwesend war, so fügte er sofort hinzu. Dem Ohm sei in der Gewalt der Kreuzritter, und er bitte den König, dessen Freilassung zu erwirken. Der König, welcher furchtbar aufgebracht über die Ordensritter ist, wegen der Entführung des kleinen Jasko aus Kretkow und wegen anderer Unthaten, geriet immer mehr in Zorn. »Nicht ein gütiges Wort sollte man an sie verschwenden,« rief er, »nein, mit dem Speere in der Hand müßte man auf sie losgehen, mit dem Speere, mit dem Speere in der Hand!« Und Powala ließ sich keine Mühe verdrießen, den Herrscher noch mehr aufzustacheln. So kam es denn, daß der König die Gesandten des Ordens, die am Thore seiner harrten und sich vor ihm fast bis zur Erde neigten, kaum eines Blickes würdigte. Hei! Nun können sie den König nicht mehr dazu bringen, dem Fürsten Witold Beistand zu versagen – nein, sie selbst werden sich nicht mehr zu helfen wissen. Darüber sei auch ganz unbesorgt, der König wird den Großmeister selbst wegen Deines Ohms zur Rede stellen.

Auf solch trostreiche Weise sprach Knäs Jamont zu dem jungen Ritter, auf den Jagienka indes auch gar wohlthätig einwirkte. Sie hatte mit der Fürstin Alexandra der Jagd beigewohnt und es auf der Rückkehr durchgesetzt, neben Zbyszko reiten zu dürfen. Während der Jagden herrschte stets größere Ungezwungenheit als sonst, ja, man kehrte gewöhnlich paarweise davon zurück, und da kein Paar es wünschenswert erachtete, ganz in der Nähe eines andern zu bleiben, so konnten Zbyszko und Jagienka ungestört mit einander reden. Letztere hatte schon durch den Böhmen von Mackos Gefangenschaft gehört und ihre Zeit gut benützt. Auf ihre Bitte hin war dem Großmeister von der Fürstin nicht nur ein Schreiben übergeben worden, sondern diese hatte sogar von Wenden, den Komtur von Thorn, dazu veranlaßt, in einem Briefe, in dem er über die Vorgänge in Plock berichtete, auch Mackos Angelegenheit zu. berühren. Der Komtur rühmte sich sogar der Fürstin gegenüber, er habe geschrieben: »Da es unser Bestreben sein muß, den König zu besänftigen, sollte man in einer solchen Angelegenheit keine Schwierigkeiten machen.« Und dem Großmeister mußte es in diesem Augenblicke vor allem daran gelegen sein, den gewaltigen Herrscher für sich zu gewinnen, konnte er doch nur unter dieser Bedingung seine ganze Streitmacht gegen Witold werfen, gegen den der Orden bis jetzt noch nichts ausgerichtet hatte.

»Ich habe mein Möglichstes gethan, damit keine Zeit verloren werde,« erklärte Jagienka, »und da der König seiner Schwester niemals in großen Dingen nachgiebt, wird er ihr sicherlich gern in einer so geringfügigen Sache einen Gefallen erweisen. Deshalb hege ich auch Hoffnung.«

»Wenn ich es nicht mit solch verräterischen, treulosen Menschen zu thun hätte,« warf Zbyszko ein, »würde ich das Lösegeld überbringen und damit die ganze Sache erledigen. Bei ihnen hingegen kann es einem jeden wie Tolima ergehen – sie nehmen das Geld, bemächtigen sich aber auch dessen, der es gebracht hat, und geben ihn nicht frei, sofern nicht eine große Macht hinter ihm steht.«

»Das ist ganz klar!« meinte jetzt Jagienka.

»Euch ist jetzt alles klar!« entgegnete Zbyszko. »Glaubt mir, so lange ich lebe, werde ich Euch dankbar sein.«

Da blickte sie mit einem fast traurigen Lächeln zu ihm empor und fragte: »Weshalb sprichst Du so fremd mit mir? Willst Du nicht wieder ›Du‹ zu mir sagen, da wir uns doch von Jugend auf kennen?«

»Ich weiß nicht, was mich anficht,« erwiderte er unschuldig, »es fällt mir schwer. Ihr seid eben nicht mehr der Irrwisch von früher … doch … was es auch sein mag – irgend etwas – gleichsam – «

Umsonst suchte er nach dem rechten Worte, doch sie kam ihm zu Hülfe, indem sie sagte: »Ich bin einige Jahre älter geworden und in Schlesien haben mir die Räuber den Vater erschlagen.«

»Ja, das ist es!« rief nun Zbyszko. »Gott gewähre ihm das Licht des ewigen Lebens.«

In tiefes Sinnen verloren, ritten sie nun schweigend einige Zeit dahin, gerade als ob sie auf den Abendwind lauschten, der rauschend durch die Wipfel der Fichten fuhr, dann fragte Jagienka abermals: »Und gedenkst Du in diesen Landen zu bleiben, nachdem Du Macko losgekauft haben wirst?«

Voll Staunen blickte Zbyszko auf die Sprechende. Er hatte sich bis jetzt so ausschließlich seiner Trauer, seinem Kummer hingegeben, daß ihm der Gedanke an die Zukunft noch gar nicht gekommen war. Die an ihn gestellte Frage überraschte ihn daher sehr, und erst nach längerem Ueberlegen antwortete er: »Ich weiß es nicht! Allbarmherziger Jesus, wie sollte ich das wissen? Nur eins ist gewiß – wohin ich mich auch wenden werde, meinem Schicksale entgehe ich nicht. Hei! Gar schwer ist mein Geschick! Vor allem werde ich meinen Ohm auslösen und dann vielleicht zu Witold ziehen, um die Gelübde zu erfüllen, die ich gegen die Kreuzritter gethan habe, vielleicht – finde ich dabei den Tod.«

Da wurden die Augen der Maid feucht von Thränen und sich zu dem jungen Ritter neigend, sagte sie mit leiser, aber eindringlicher Stimme: »Geh‘ nicht in den Tod! Geh‘ nicht in den Tod!«

Und abermals ritten sie schweigend, Seite an Seite dahin, und erst vor den Mauern der Stadt gab Zbyszko dem Ausdruck, was ihn bewegte.

»Doch Ihr – doch Du – wirst Du hier am Hofe bleiben?« fragte er.

»Nein!« antwortete Jagienka. »Gar traurig ist’s für mich hier ohne meine Brüder, fern von Zgorzelic. Cztan und Wilk haben sich gewiß beide schon vermählt, und selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, was thut’s? Ich fürchte mich nicht vor ihnen.«

»Wenn Gott mir Gnade verleiht, bringe ich den Ohm Macko nach Zgorzelic. Er ist Dir so freundschaftlich gesinnt, daß Du fest auf ihn zählen kannst. Wirst Du aber auch ihm stets zugethan bleiben?«

»Ich verspreche Dir heilig, daß ich ihm eine Tochter sein werde.«

Bei diesen Worten brach Jagienka in heftiges Schluchzen aus, denn tiefes Weh bedrückte ihr Herz.

– – – – – –

Am darauffolgenden Tage erschien Powala aus Taczew bei Zbyszko in der Herberge und sprach also zu ihm:

»Gegen das Fronleichnamsfest wird sich der König nach Raciaz begeben, um dort mit dem Großmeister zusammenzutreffen. Dich hat er zu den königlichen Rittern gezählt. Du gehst also mit uns dahin.«

Zbyszko kannte sich nicht mehr vor Freude über diese Worte – denn abgesehen davon, daß ihn die Zusammengehörigkeit mit den Rittern des Königs vor den Verrätereien und den Angriffen der Kreuzritter schützte, trug diese Thatsache ihm unermeßlichen Ruhm ein. Zu jenen königlichen Rittern gehörten ja Zawisza Czarny und dessen Bruder Farurej und Kruczek, Powala selbst, sowie Krzon aus Kozichglowy, Stach aus Charbimowice, Paszko Zlodziej aus Biskupice und Lis aus Targowiska – nebst vielen andern gefürchteten und berühmten Rittern, deren Namen weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt waren. Jetzt führte zwar König Jagiello ein verhältnismäßig kleines Gefolge mit sich, weil manche der Ritter in der Heimat geblieben und etliche auf Abenteuer in fremde Lande, ja, weit über das Meer gezogen waren, aber er wußte sehr wohl, daß er sich mit diesen auserlesenen Kämpen sogar nach Marienburg wagen durfte, ohne dem Orden gegenüber in Bedrängnis zu geraten, er wußte, daß sie im Falle der Not mit ihren gewaltigen Armen Mauern darnieder werfen und ihn selbst aus der Mitte der Deutschen heraushauen würden. Von Stolz ward daher auch Zbyszkos junges Herz geschwellt, wenn er sich sagte, zu diesen Rittern werde er auch von nun an gezählt.

Im ersten Augenblicke vergaß Zbyszko all seiner Kümmernisse und rief, Powalas Hand drückend, voll Entzücken:

»Euch, keinem andern danke ich dies, o Herr, Euch, Euch ganz allein!«

»Nicht mir allein gebührt Euer Dank, auch der gnädigsten Fürstin hier, sowie unserm allergnädigsten Herrn müßt ihr dafür danken. Geht, umfaßt sofort seine Knie, sonst könnte er Euch der Undankbarkeit zeihen.«

»In den Tod für ihn zu gehen bin ich bereit, so wahr mir Gott helfe!« rief Zbyszko.

Viertes Kapitel.

»Wessen Gefolge ist dies?« fragte Jurand plötzlich, in der Nähe von Radzanow aus seinem Brüten wie aus einem Traume emporfahrend.

»Das meine!« antwortete Zbyszko.

»So sind meine Leute alle umgekommen?«

»Bei Niedzborz sah ich sie tot dahingestreckt.«

»Die alten Gefährten, sie sind dahin.«

Zbyszko antwortete nichts. Schweigend setzten sie ihren Weg fort. Sie wollten Spychow so rasch wie möglich erreichen, hofften sie doch, dort Abgesandte der Kreuzritter zu finden. Die durch den nun eingetretenen Frost fest gefrorenen Wege begünstigten ein schnelles Vorwärtskommen. Gegen Abend knüpfte Jurand wieder ein Gespräch an. Er erkundigte sich eingehend nach den Ordensbrüdern, welche sich in dem Jagdhofe eingestellt hatten, und Zbyszko schilderte alles genau, indem er erzählte, wie schroff jene vor ihrem Weggange aufgetreten waren, indem er von dem Tode des Herrn de Fourcy, von dem Erlebnis des Böhmen sprach, der de Danveld in solch fürchterlicher Weise verletzt hatte. Und während er dies auseinandersetzte, fiel ihm immer wieder unwillkürlich ein Umstand auf. Wie verhielt es sich mit jenem Weibe, das von Danveld geschickt, den Balsam auf den Jagdhof gebracht hatte? Bei der Fütterung der Pferde fragte er daher sowohl den Böhmen wie Sanderus nach ihr, allein keiner von beiden wußte eigentlich recht, was mit ihr geschehen war. Sie vermuteten jedoch, sie habe sich gleichzeitig mit den bei Danusia eingetroffenen Boten, oder bald nach diesen auf die Heimfahrt gemacht. Zbyszko schoß jetzt der Gedanke durch den Kopf, ob nicht die Frau zu dem Zwecke geschickt worden sei, die Boten zu warnen, falls Jurand in eigener Person bei dem Fürsten eintreffen sollte. Es wäre ja dann für die Leute ein leichtes gewesen, ihrer Sendung aus Spychow gar nicht zu erwähnen, sondern dem Fürsten statt des Briefes von Jurand irgend ein anderes Schreiben zu überreichen, das sie wohl für den Notfall schon bei sich führen mochten. Mit welch teuflischer Geschicklichkeit war all dies doch eingefädelt worden! Eine Reihe von Kämpfen hatte er geglaubt zur Rettung Danusias bestehen zu müssen, jetzt aber begriff er, daß er ganz andere Wege einzuschlagen habe, um sein junges Weib zu retten, zu befreien. Seinen Verstand mußte er dabei zu Rate halten, und je mehr er sich dieser Thatsache bewußt ward, desto mehr bedauerte er die Abwesenheit seines Ohms, denn Macko war ebenso schlau wie tapfer. Nach reiflichem Ueberlegen faßte Zbyszko indessen den Plan, von Spychow aus Sanderus nach Szcytno zu senden, damit dieser nach jenem Weibe forsche, um möglicherweise von ihr zu erfahren, was mit Danusia geschehen war. Wohl sagte er sich, Sanderus fände dabei gar viel Gelegenheit, wenn er ihn betrügen wolle, im entgegengesetzten Falle könne er ihm aber auch unschätzbare Dienste erweisen, da ihm durch seinen Handel überall Thür und Thor offen stand.

Ueber dieses Vorhaben wollte er sich mit Jurand beraten, aber erst nach ihrer Ankunft in Spychow, denn es wurde Nacht und ihm dünkte, Jurand sei auf seinem hohen Reitsattel vor Müdigkeit, Erschöpfung und schwerer Sorge eingeschlafen. Allein dieser ritt nur deshalb so gebeugt dahin, weil ihn sein Unglück darnieder drückte. Augenscheinlich dachte er an nichts anderes, offenbar erfüllten schlimme Befürchtungen sein Herz, hub er doch plötzlich wieder an: »Mir wäre besser, wenn mich der Tod bei Niedzborz ereilt hätte! Hast Du mich aus dem Schnee ausgegraben?«

»Ja, mit den andern!«

»Und bei jener Jagd hast Du mein Kind gerettet?«

»Was hätte ich denn sonst thun sollen?«

»Und jetzt leistest Du mir Hilfe?«

Da loderten plötzlich in Zbyszko die Liebe zu Danusia, der Haß gegen die Kreuzritter so mächtig empor, daß er sich hoch im Sattel aufrichtete und durch die zusammengepreßten Zähne nur mühsam hervorstieß: »Hört, was ich sage: Müßte ich selbst mit den Zähnen ihre Burgen zerbeißen, so zerbeiße ich sie, und Danusia rette ich.«

Diesen Worten folgte ein minutenlanges Schweigen. Unter dem Einfluß von Zbyszkos Ausspruch regte sich augenscheinlich mit aller Macht die rachsüchtige, gewaltthätige Natur Jurands, denn zähneknirschend ritt er in der Dunkelheit dahin und stets aufs neue murmelte er die Namen vor sich hin: »Danveld, Löwe, Rotgier und Godfryd!«

In seinem tiefsten Innern nahm er sich ja fest vor, de Bergow auszuliefern, wenn das von ihm verlangt werden sollte, auch Lösegeld war er bereit zu zahlen und auf Befehl ganz Spychow als Preis auszusetzen. »Aber wehe ihnen später! Wehe denen, die es gewagt haben, Hand an mein eigenes Kind zu legen!« murmelte er vor sich hin.

Weder Jurand noch Zbyszko fand in der Nacht erquickenden Schlaf, und als der Tag anbrach, da glaubten sie ihren Augen nicht trauen zu dürfen, so sehr hatten sich beide in den qualvollen Stunden verändert. Jurand empfand schließlich eine gewisse Rührung über den Schmerz und die Verzweiflung Zbyszkos und hub also an: »Mit ihrem Schleier hat sie Dich umhüllt, vom Tode hat sie Dich errettet – ich weiß es. Aber Du liebst sie auch?«

Da richtete sich Zbyszko hoch auf, blickte Jurand fest in die Augen und entgegnete: »Sie ist mein Eheweib!«

»Was sagst Du?« fragte Jurand, sein Roß anhaltend und starr vor Staunen auf den jungen Ritter blickend.

»Ich sage, daß sie mein Eheweib ist, daß ich ihr Ehegemahl bin.«

Der Ritter aus Spychow bedeckte die Augen mit der Hand, als ob ihn ein plötzlicher Blitzstrahl getroffen hätte, allein er erwiderte kein Wort, sondern trieb nur sein Pferd an und ritt an der Spitze des Gefolges schweigend weiter.

Viertes Kapitel.

Inmitten von Sturm und Regen ritten zwei Reiter der Grenze von Spychow zu: Zygfryd und Tolima. Letzterer geleitete den Deutschen deshalb selbst, weil die Furcht nicht unbegründet war, dieser könnte sonst von den wegelagernden Bauern oder von den Knechten von Spychow aus Haß und Rachgier erschlagen werden. Waffenlos, doch ohne Fesseln zog Zygfryd dahin. Von dem Sturmwinde gejagt, hielt sich das Unwetter stets über den beiden. Dann und wann, wenn ein außergewöhnlich heftiger Donnerschlag erfolgte, bäumten sich die Pferde hoch auf. In tiefem Schweigen ritten der Kreuzritter und Tolima durch ein enges Thal, in dem der Weg häufig so schmal ward, daß die Reiter dicht neben einander, Steigbügel an Steigbügel gedrängt, dahin ziehen mußten. Tolima, der seit Jahren daran gewöhnt war. Gefangene zu geleiten, schaute jeden Augenblick mit wachsamem Auge auf Zygfryd, als ob es sich darum handle, daß der Komtur nicht unerwartet entweiche, und sobald sein Blick auf diesem ruhte, überkam ihn ein Zittern, dünkte ihm dann doch, daß des Kreuzritters Augen in der Dunkelheit funkelten, wie die Augen eines bösen Geistes, eines Vampyrs. Mehr als einmal dachte er daran, das Zeichen des Kreuzes über seinen Begleiter zu machen, doch stets unterließ er es wieder, aus Furcht, jener könne sich dadurch in ein Entsetzen erregendes, heulendes und zähnefletschendes Geschöpf verwandeln. Gleich dem Habichte, welcher sich auf eine ganze Schar Rebhühner herabstürzt, hätte es der alte Krieger jederzeit allein mit einem Haufen Deutscher aufgenommen, vor bösen Geistern aber empfand er eine unbezwingliche Furcht und wollte daher nichts mit ihnen zu thun haben. Am liebsten hätte er deshalb Zygfryd den Weg gewiesen und wäre wieder nach Spychow zurückgekehrt, allein er schämte sich dieses Gedankens, er geleitete den Kreuzritter bis zu der Grenze.

Gerade als sie das Ende des Waldes erreicht hatten, ließ der Sturm etwas nach. Ein seltsamer, gelblicher Schimmer lag über den Wolken, es wurde heller, und Zygfryds Augen verloren ihren früheren stechenden Blick. Jetzt aber trat an Tolima eine neue Versuchung heran. »Man befahl mir,« so sprach er zu sich selbst, »diesen verdammten Hund sicher an die Grenze zu geleiten. Diesen Befehl habe ich erfüllt. Soll aber der Peiniger meines Herrn und dessen Kindes ungestraft ausgehen, soll keine Rache an ihm geübt werden, wäre es nicht eine lobenswerte, eine gottgefällige That, ihn aus der Welt zu schaffen? Ei, könnte ich ihn nicht auf Leben und Tod fordern? Wohl trägt er keine Waffen, allein eine Meile von hier liegt Marcimow, ein altes Hofgut meines Gebieters, wo leicht ein Schwert oder eine Streitaxt zu bekommen sein wird – dann kann ich mit dem Hunde kämpfen! Und wenn mir Gott den Sieg verleiht, werde ich ihm die Kehle durchschneiden und sein Haupt in Mist vergraben!« Von solchen Gedanken erfüllt, warf Tolima gierige Blicke auf den Deutschen, während er die Nasenlöcher in einer Weise zusammenzog, als ob er schon frisches Blut rieche. Einen schweren, harten Kampf mußte er mit sich selbst kämpfen, bis er sich überwunden hatte, bis er sich wieder zu der Erkenntnis durchrang, daß Jurand dem Gefangenen über die Grenze hinaus das Leben und die Freiheit geschenkt habe und daß, wenn er jetzt den Kreuzritter erschlage, nicht nur die fromme That seines Herrn verringert, sondern daß seinem Gebieter auch im Himmel eine kleinere Belohnung zu teil werde. So hielt er denn schließlich sein Pferd an und sagte: »Hier ist unsere Grenze, und Ihr habt nun nicht mehr weit in Eure Heimat. Ihr seid frei, zieht dahin! Wenn Dich das eigene Gewissen nicht verdammt, wenn unser Herrgott Dich nicht durch einen Donnerschlag darniederschmettern läßt, dann ist’s gut, denn von den Menschen hast Du nichts mehr zu fürchten.«

So sprechend, wendete Tolima sein Roß, während Zygfryd ohne ein Wort der Erwiderung, gerade als ob er nichts gehört habe, den Weg fortsetzte und dabei so starr aussah, daß er einem Bilde von Stein glich.

Und weiter und weiter ritt er auf dem allmählich breiter gewordenen Pfade dahin. Die Pause, die in dem Sturme eingetreten war, hielt jedoch nicht lange an, die lichten Wölkchen an dem Firmamente verschwanden bald wieder. Aufs neue wurde es so finster, daß man hätte glauben können, die ganze Welt sei in Dunkelheit gehüllt. Die Wolken wurden schwerer und schwerer und senkten sich nahezu auf den Wald herab. Aus der Höhe aber ertönte ein dumpfes Getöse, das teils wie ein unheilverkündendes Zischen, teils wie das Grollen eines nahenden, von dem Engel des Sturmes mit Gewalt zurückgehaltenen Ungewitters klang. In immer kürzeren Zwischenräumen fuhren zackige Blitze am Himmel dahin, und wenn sie die erschreckte Erde erhellten, dann wurde ein einsamer Reiter sichtbar, welcher den breiten, zwei dichte Wälder trennenden Pfad verfolgte. Von Fieber verzehrt, befand sich Zygfryd nicht mehr recht bei Bewußtsein. Seit Rotgiers Tod fraß ihm ein nagender Kummer am Herzen, die Missethaten, welche er aus Rache begangen, die Gewissensbisse darüber, die entsetzlichen Gesichte, die Seelenqualen hatten seinen Geist seit geraumer Zeit in solcher Weise gestört, daß er nur mit Aufbietung all seiner Kräfte den Wahnsinn von sich fern hielt, ja, daß er zeitweise demselben völlig verfiel. Nun waren auch noch die Beschwerden der unter Hlawas strenger Hand zurückgelegten Reise, die in dem Kerker von Spychow verbrachte Nacht, die Ungewißheit über sein Geschick, vor allem aber jene unerhörte, fast übermenschliche und deshalb ihn geradezu erschreckende That von Barmherzigkeit und Mitleid hinzugekommen – was Wunder also, daß dies zusammen ihn ins tiefste Innere traf? Häufig verwirrten sich seine Gedanken in solchem Maße, daß er nicht mehr wußte, was mit ihm vorging, sobald sich indessen das Fieber steigerte, regte sich in ihm ein unbestimmtes Gefühl von Verzweiflung, das Ahnen einer Gefahr, des vollständigen Unterganges – die Empfindung, daß nun alles vorüber, verloren, zu Ende sei, daß er die ihm gesteckte Grenze erreicht habe, und daß er einem Abgrunde zugetrieben werde, dem er nicht mehr entrinnen konnte.

»Vorwärts, vorwärts!« flüsterte ihm plötzlich eine seltsame Stimme ins Ohr.

Und er blickte umher, und er erschaute den Tod. Der bleiche Knochenmann aber, der auf dem Gerippe eines Pferdes saß, kam, mit den Gebeinen klappernd, dicht zu ihm heran.

»Bist Du es?« fragte der Komtur.

»Ich bin es. Vorwärts! Vorwärts!«

In diesem Augenblick war es Zygfryd, als ob sich ihm auf der andern Seite ein zweiter Gefährte zugesellt habe. Steigbügel an Steigbügel mit ihm ritt irgend ein Wesen, das wohl einen menschenähnlichen Körper aber kein menschliches Gesicht besaß, denn das Geschöpf hatte einen Tierkopf, dessen lange, spitze, aufrechtstehende Ohren mit schwarzen, rauhen Haaren bedeckt waren.

»Wer bist Du?« schrie Zygfryd auf.

Doch der neue Begleiter erteilte keine Antwort, sondern knurrte, die Zähne fletschend, wild und drohend.

Unwillkürlich schloß der Kreuzritter die Augen, da ward abermals ein lautes Geklapper hörbar und eine Stimme rief ihm deutlich zu: »Es ist Zeit, es ist Zeit! Beeile Dich! Vorwärts!« – Und Zygfryd antwortete: »Ich komme!«

Doch diese Antwort entrang sich seiner Brust, als ob sie ihm von jemand anderm eingeflüstert worden sei.

Dann stieg er, wie von einer unbezwinglichen äußeren Gewalt getrieben, von seinem Rosse und nahm diesem den bei den Rittern gebräuchlichen hohen Sattel, sowie die Zügel ab. Seine Begleiter glitten nun auch langsam von ihren Pferden. Sich dicht an seine Fersen haltend, geleiteten sie ihn hierauf von der Mitte des Weges an den Waldessaum. Dort bog der fürchterliche Vampyr einen Ast herab und half dem Komtur die Riemen der Zügel daran zu befestigen.

»Beeile Dich!« flüsterte der Tod.

»Beeile Dich!« flüsterten verschiedene Stimmen aus den Wipfeln der Bäume herab.

Wie in einem Traume befangen, zog Zygfryd den zweiten Riemen durch die Schnalle, machte eine Schlinge und legte dieselbe, sich auf den unter den Bäumen befindlichen Sattel stellend, um seinen Hals.

»Stoße den Sattel hinweg! So ist’s recht! A-a-ah!«

Der mit dem Fuße fortgestoßene Sattel rollte einige Schritt weit – der Körper des unglückseligen Kreuzritters aber hing schwer herab.

Einige Sekunden dünkte es dem Komtur, er höre ein halb ersticktes, heiseres Geheul, ihm schien, jener grauenhafte Vampyr stürze sich auf ihn und reiße mit den Zähnen seine Brust auf, um ihm das Herz zu zerfleischen. Gleich darauf erschauten jedoch seine fast schon gebrochenen Augen etwas ganz anderes: der Tod löste sich gleichsam in eine weiße Wolke auf, die auf ihn zuschwebte, ihn umgab, umfaßte, einhüllte und schließlich all das Schreckenerregende mit einem undurchdringlichen Schleier bedeckte.

Jetzt mit einem Male brach der Sturm mit erneuter Gewalt los. Blitze fuhren darnieder, ein Donnerschlag folgte dem andern, die Bäume des Waldes bogen sich unter dem Wirbelwinde, das Heulen, das Sausen, das Gezische des Unwetters, das Krachen der berstenden Stämme, der geknickten Aeste, all dies Getöse erfüllte den ganzen Wald. Dichte, vom Winde gepeitschte Regengüsse verminderten die Helle noch mehr, und nur wenn ein blutigroter Blitz ausleuchtete, wurde der vom Sturme wild hin und her bewegte Leichnam Zygfryds sichtbar.

– – – – – –

Am nächsten Morgen zog eine namhafte Schar den gleichen Weg entlang. An ihrer Spitze ritt Jagienka mit der Tochter der Sieciechowa und mit dem Böhmen, hinter ihr kamen die Wagen, von vier mit Schwertern und Bogen bewaffneten Knechten bewacht. Selbst ein jeder der Wagenlenker hatte einen Speer und eine Streitaxt neben sich, ganz abgesehen von den eisernen Heugabeln und andern für eine solche Fahrt tauglichen Waffen. Derartige Vorsichtsmaßregeln waren durchaus nötig, sowohl zum Schutze vor wilden Tieren, wie auch zur Verteidigung gegen die Räuberbanden, welche sich beständig an der Grenze des Ordenslandes umhertrieben, ein Unwesen, gegen das Jagiello bei dem Großmeister nicht nur in Briefen, sondern auch bei einer persönlichen Zusammenkunft in Naciaz ernstliche Beschwerde eingelegt hatte.

Mit tüchtigen, wohlausgerüsteten Mannen konnte man indessen getrost der Gefahr trotzen, und so zog denn auch die Schar voll Selbstvertrauen und furchtlos dahin. Nach dem Sturme war ein herrlicher, prächtiger Tag angebrochen, so licht und klar, daß an schattenlosen Stellen die Augen der Reisenden von der glänzenden Helle geblendet wurden. Kein Blatt rührte sich an den Zweigen, auf allen Blättern aber hingen große Regentropfen, die, von der Sonne bestrahlt, in den Regenbogenfarben glitzerten. Auf den Fichtennadeln jedoch glänzten die Tropfen gleich funkelnden Diamanten. Infolge der Regengüsse schossen allenthalben Bächlein hervor, die, in fröhlichem Gemurmel dahinfließend, an den niedrig gelegenen Stellen kleine Seen bildeten. Allein trotz Feuchte und Nässe blickte die ganze Erde lachend dem klaren Morgen entgegen. Von Freude und Lust wird in solchen Stunden auch das Menschenherz ergriffen, und so sangen denn Wagenlenker und Knechte leise vor sich hin, indem sie sich über die Stille wunderten, die unter den vor ihnen Reitenden herrschte.

Und in der That, schweigsam ritten diese weiter, denn schwerer Schmerz bedrückte Jagienka. Eine tiefgreifende Aenderung hatte sich in ihrem Leben vollzogen, eine Saite war zerrissen, und die Maid, der es stets fern gelegen, sich in Betrachtungen zu ergehen und die es sich nicht klar zum Bewußtsein bringen konnte, was in ihr vorging, was sie bewegte, empfand doch, daß alles, was ihr das Leben wert gemacht hatte, auf einen Schlag vernichtet und für immer dahin war, daß jede Hoffnung entschwand, wie der morgendliche Nebel auf den Gefilden entschwindet, daß sie auf alles verzichten, alles aufgeben, alles vergessen und ein neues Leben beginnen müsse. Sie sagte sich, daß, wie sich auch durch Gottes Wille ihre Zukunft gestalten werde, sie doch niemals wieder ein Glück wie in den früheren Zeiten finden könne.

Und ihr Herz krampfte sich zusammen aus unermeßlichem Grame über das verlorene Glück, und heiße Thränen traten ihr in die Augen. Doch um nichts in der Welt wollte sie diesen Thränen freien Lauf lassen, denn neben dem bedrückenden Kummer, der auf ihr lastete, fühlte sie sich auch tief beschämt. Sie hätte jetzt viel darum gegeben, wenn sie in Zgorzelic geblieben wäre, denn kehrte sie jetzt nicht gezwungen aus Spychow zurück? Nicht allein um den drohenden Einfällen von Wilk und Cztan in Zgorzelic Einhalt zu thun, war sie in die Ferne gezogen, nein, über den Hauptgrund hierfür täuschte sie sich nicht. Der gleiche Grund war aber auch für Macko maßgebend gewesen, und sie bezweifelte es keinen Augenblick, daß ihn auch Zbyszko erfahren werde. Heiß brannten ihr die Wangen bei diesem Gedanken, Bitternis erfüllte ihre Seele. »Ich bin nicht stolz genug gewesen,« dachte sie bei sich, »und nun ist mir zu teil geworden, was ich verdiene.« Zu der bangen Angst vor dem, was kommen werde, zu der nagenden Reue über das, was geschehen, gesellte sich nun auch noch das bedrückende Gefühl der Demütigung.

Bald wurde sie indessen aus ihrem grüblerischen Sinnen gerissen, da plötzlich in geringer Entfernung eine Männergestalt auftauchte. Hlawa, der auf alles ein wachsames Auge hatte, spornte sein Roß an und ritt auf den Fremdling zu, in welchem er sofort einen Waldhüter erkannte, an dem Bogen, der jenem über der Schulter hing, an der Tasche aus Dachsfell und an der mit Federn geschmückten Mütze.

»Hei! Wer bist Du? Halt!« rief er jedoch trotzdem, um ganz sicher zu gehen.

Der Angerufene näherte sich rasch. Auf seinem Gesichte spiegelte sich die Erregung eines Menschen, der eine ungewöhnliche Kunde zu überbringen hat.

»Dort, an einem am Wege stehenden Baume,« schrie er, »hängt ein Mann.«

Von dem Gedanken erfüllt, hier könnten Räuber die Hand im Spiele gehabt haben, fragte der Böhme rasch: »Ist es noch weit von hier?«

»Einen Bogenschuß weit – auf diesem Wege.«

»Ist niemand bei ihm?«

»Nein, kein Mensch. Ich scheuchte einen Wolf hinweg, der ihn beschnüffelte.«

Durch diese Antwort fühlte sich Hlawa einigermaßen beruhigt, denn das Erscheinen eines Wolfes bürgte dafür, daß sich weder in der Nähe, noch in einem Hinterhalte Leute befanden. Nunmehr sagte Jagienka:

»Sieh‘ was geschehen ist!«

Hlawa sprengte vorwärts, kehrte aber in ganz kurzer Zeit noch rascher zurück.

»Zygfryd ist’s, der dort hängt!« rief er, sein Roß vor Jagienka anhaltend.

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Zygfryd? der Kreuzritter?«

»Der Kreuzritter. Er hat sich selbst mit einem Zügel erhängt.«

»Selbst hat er sich erhängt?«

»Allem Anschein nach, denn der Sattel liegt nicht weit von ihm. Wenn Räuber die That vollbracht hätten, würden sie den Komtur einfach getötet und sich des Sattels bemächtigt haben, der von großem Werte ist.«

»Werden wir vorüberkommen?«

»Nein, nein, wir wollen nicht diesen Weg, wir wollen einen andern Weg einschlagen!« ließ sich jetzt die furchtsame Tochter der Sieciechowa vernehmen, »sonst wird es uns schlimm ergehen.«

Jagienka ängstigte sich auch ein wenig, glaubte sie doch fest, daß sich um den Leichnam von Selbstmördern böse Geister ansammelten, allein der verwegene und kühne Hlawa erklärte: »Traun, ich war nicht nur ganz nahe bei ihm, sondern ich habe ihn sogar mit dem Speere berührt, und doch sitzt mir noch kein Teufel auf dem Nacken.«

»Lästere nicht!« rief Jagienka.

»Ich lästere nicht!« entgegnete der Böhme, »allein ich vertraue auf die Macht Gottes. Wenn Ihr Euch übrigens fürchtet, können wir ebensogut einen Umweg machen.«

Anielka stimmte sofort dafür, nach kurzem Nachdenken meinte jedoch Jagienka: »Wahrlich, es ziemt sich nicht, einen Toten unbegraben zu lassen. Wir müssen dies thun als Christen, denn so will es unser Herr Jesus. Zygfryd war doch auch ein Mensch.«

»Bei meiner Treu! Doch zu gleicher Zeit war er auch ein Kreuzritter, ein Henkersknecht, der sich selbst den Tod gegeben hat. Ueberlaßt ihn nur den Wölfen und den Raben.«

»Sprich nicht auf solche Weise. Gott wird ihn seiner Sünden halber richten, wir aber wollen ausführen, was uns zu thun obliegt. Nichts Schlimmes kann uns widerfahren, wenn wir ein frommes Werk verrichten.«

»Wohl, Euer Wille geschehe!« antwortete Hlawa.

Sofort erteilte er hierauf den Knechten die nötigen Befehle, welche indessen nur zögernd und ungern gehorchten. Da sie aber wußten, daß Hlawa keinen Widerstand dulde, griffen sie in Ermanglung von Spaten zu den Heugabeln und Streitäxten, um das Grab zu graben, und gingen schließlich ans Werk. Um ein gutes Beispiel zu geben, schloß sich der Böhme ihnen an, ja, er schnitt mit eigener Hand, nachdem er das Zeichen des Kreuzes gemacht hatte, die Riemen entzwei, an denen der Leichnam hing.

Zygfryds Gesicht war in der Luft ganz bläulich geworden und brachte mit den offenstehenden, starren Augen und mit dem wie zu einem letzten Atemzuge geöffneten Munde einen entsetzlichen Eindruck hervor. Das Grab war rasch gegraben. Mit den Stielen der Heugabeln wurde der Leichnam, das Gesicht nach unten gekehrt, hineingeschoben. Nachdem er mit Erde bedeckt worden war, suchten die Knechte Steine zusammen, weil nach althergebrachter Sitte auf den Gräbern von Selbstmördern Steine aufgehäuft werden mußten, damit jene nicht in der Nacht denselben entsteigen und die Vorüberziehenden belästigen konnten. An Steinen mangelte es aber weder auf dem Wege, noch zwischen dem Moose im Walde, und so türmte sich über dem Kreuzritter in kürzester Zeit ein ansehnlicher Hügel auf. Hlawa schnitt hierauf mit dem Beile ein Kreuz in den Stamm einer Fichte – freilich nicht Zygfryds wegen, sondern um dadurch die Ansammlung böser Geister an dieser Stelle zu verhüten, dann kehrte er zu seiner Herrin zurück.

»Seine Seele ist in der Hölle, seinen Körper birgt die Erde,« sagte er zu Jagienka, »laßt uns nun weiter ziehen.«

Sie setzten ihren Weg fort. Als aber Jagienka an dem Grabhügel vorüberritt, brach sie einen Zweig von dem Fichtenbaume und warf ihn auf die Steine. Unverzüglich ahmten nun all die andern, dem herkömmlichen Gebrauche zufolge, ihrem Beispiele nach.

Dann ritten sie, lange Zeit in tiefes Schweigen versunken, weiter, denn ihre Gedanken weilten noch immer bei dem verruchten Komtur, den endlich die Strafe für all seine Vergehen ereilt hatte. Schließlich hub Jagienka also an: »Gottes Gerechtigkeit wird stets offenbar. Fern sei es daher von uns, das Gebet für die ewige Ruhe des Kreuzritters zu sprechen, denn niemals wird ihm die ewige Ruhe zu teil werde«.«

»Ihr habt ein mitleidiges Herz, befahlt Ihr doch, daß ihm ein Grab bereitet werde,« warf Hlawa ein.

Dann fügte er einigermaßen zaudernd hinzu: »Wißt Ihr, was die Leute behaupten? Nein, eigentlich nicht die Leute, sondern nur die Zauberer und die Hexen – die behaupten, der Besitz eines Riemens oder eines Strickes, mit dem sich ein Mensch erhängt habe, bringe in allem Glück, trotzdem bemächtigte ich mich nicht des Riemens, mit dem Zygfryd die That vollbracht hat, denn nicht durch Zauberkünste, nein, nur durch die Macht des Herrn Jesus werdet Ihr das Glück finden.«

Jagienka antwortete nicht sogleich. Tiefe Seufzer entrangen sich ihrer Brust, bevor sie, jedoch wie zu sich selbst, sagte: »Hinter mir, nicht vor mir liegt das Glück.«

Fünftes Kapitel.

Am neunten Tage nach dem Aufbruch Jagienkas erreichte Zbyszko die Grenze von Spychow. Er hatte jede Hoffnung aufgegeben, Danusia lebend zu ihrem Vater zu bringen, so sterbenskrank war sein junges Weib. Von der Stunde an, da die Beklagenswerte völlig unzusammenhängend Antworten erteilt hatte, war er sich klar darüber geworden, daß nicht nur ihr Geist gestört, sondern daß auch ihr Körper von einer Krankheit befallen sei, gegen welche das durch die Gefangenschaft, durch die erduldeten Mißhandlungen und durch die erlittenen Aufregungen erschöpfte Kind nicht anzukämpfen vermochte. Möglicherweise hatte auch der Schrecken über den lärmenden Kampf Zbyszkos und Mackos gegen die Deutschen den Ausbruch der Krankheit herbeigeführt. Thatsache war es, daß von dieser Zeit das Fieber fast bis zu Ende der Fahrt nicht mehr wich. Gewissermaßen gereichte der bewußtlose Zustand Danusias dem jungen Ritter zum Vorteil, denn Zbyszko konnte dadurch sein Weib, gleich einer Toten, also ohne Erkenntnis der Gefahren, die er nur mittelst übermenschlicher Anstrengung überwand, durch die größten Wüsteneien bringen. Kaum aber hatten sie die Wälder hinter sich, kaum waren sie in eine gottgesegnetere Gegend gelangt, so ging es mit den Gefahren und den Entbehrungen zu Ende. Die dort ansässigen Bauern und Edelleute leisteten bereitwillig Hilfe, ja, die Leute überboten sich an Liebesdiensten, als sie vernahmen, der junge Kämpe habe ein Kind ihres Stammes aus den Händen der Kreuzritter befreit, die Tochter des berühmten Jurand, von dessen Thaten in den Burgen, auf den Höfen und in den Hütten gesungen wurde. Von allen Seiten bekam Zbyszko Nahrungsmittel und Pferde angeboten, alle Thüren standen ihm offen. Danusias Tragbahre mußte nicht mehr zwischen zwei Pferden befestigt werden, denn kräftige junge Burschen trugen sie von Dorf zu Dorf mit einer Sorgfalt und einer Vorsicht, als ob sie irgend eine Heilige trügen. Die Frauen erwiesen ihr die zärtlichste Fürsorge, die Männer aber lauschten zähneknirschend der Schilderung von all den Leiden, die Danusia erduldet hatte. Mehr als einer wappnete sich sofort mit dem eisernen Panzer und griff zu seinem Schwerte, zu seiner Streitaxt oder zu seinem Speere, um mit Zbyszko auszuziehen, um mit »Zins und Zinseszins« die verübten Missethaten heimzuzahlen, denn diese urwüchsigen, rauhen Menschen wollten es sich nicht damit genügen lassen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sie wollten blutige Rache nehmen.

Zbyszko lag jedoch in dieser Zeit jeder Rachegedanke fern, ihm war es nur um Danusia zu thun. Zeigte sich ein Schein von Besserung bei der Kranken, dann atmete er hoffnungsfreudig auf, verschlimmerte sich ihr Zustand, bemächtigte sich seiner dumpfe Verzweiflung. Gegen das Ende der Fahrt vermochte er sich jedoch nichtlänger zu täuschen, an eine Genesung seines jungen Weibes war nicht mehr zu denken. Gleich zu Anfang, als er sich auf den Weg gemacht hatte, überkam ihn zeitweise die abergläubische Furcht, der Tod folge ihnen in den Wüsteneien, die sie durchzogen, Schritt auf Schritt, auf den geeigneten Augenblick lauernd, in dem er sich auf Danusia werfen und ihr das Herzblut aussaugen könne. Dieses Gesicht, oder vielmehr diese Empfindung bedrängte ihn besonders in dunkler Nacht so heftig, daß ihn häufig der heiße Wunsch ergriff, sich gegen das drohende Gespenst zu wenden, es zum Kampfe zu fordern, wie man einen Ritter zum Kampfe fordert, und bis zum letzten Atemzuge den Streit auszufechten. Je mehr der junge Ritter sich aber seinem Ziele näherte, desto schlimmer wurde es, denn nicht mehr hinter ihm schlich der Tod einher, er hielt sich neben der Schar, inmitten der Schar. Wohl war er nicht sichtbar, allein sein eisiger Atem durchkältete alles rings umher, und Zbyszko sah ein, daß er gegen einen solchen Feind nichts ausrichten konnte, daß er trotz Tapferkeit und Stärke, trotz der besten Waffen ihm das Liebste auf Erden ohne Widerstand überlassen müsse.

Diese Ueberzeugung beugte ihn aber um so tiefer darnieder, weil sie in ihm einen Schmerz erweckte, so unbändig wie ein Wirbelwind, so tief wie die See. Wie sollte Zbyszko auch nicht von Wehmut, von Jammer ergriffen werden, wenn er, auf die Heißgeliebte schauend, unwillkürlich in vorwurfsvollem Tone also sprach: »Habe ich Dich deshalb so heiß geliebt, habe ich Dich deshalb gesucht und um Dich gekämpft, um Dich jetzt schon in die Erde betten zu müssen, um Dich jetzt schon auf ewig zu verlieren?« Und wenn er dann die fieberglühenden Wangen der Kranken, ihre unstät blickenden Augen bemerkte, fragte er abermals: »Willst Du mich verlassen? Fühlst Du kein Mitleid mit mir, ziehst Du es denn vor, fern von mir, statt bei mir zu sein?« Zuweilen dünkte es ihn, seine Gedanken verwirrten sich, zuweilen drohte ein Schluchzen seine Brust zu zersprengen, das er indessen gewaltsam unterdrückte aus Empörung und Grimm über diese rücksichtslose, unbarmherzige Macht, welche ein unschuldiges Kind mit ihrer kalten Hand erfaßte. Wäre jetzt der schlimme Kreuzritter in seiner Nähe gewesen, er hätte ihn, einem wilden Tiere gleich, in Stücke gerissen.

An dem Jagdhofe angelangt, gedachte Zbyszko Rast zu machen, allein er fand ihn vollständig verödet. Von den Wächtern erfuhr er indessen, das Fürstenpaar habe den Jagdhof gleich mit Ende des Frühlings verlassen und habe sich nach Plock zu Ziemowit, dem Bruder des Fürsten begeben. Der junge Kämpe verzichtete daher sofort auf seinen Plan, nach Warschau zu ziehen, wo er den fürstlichen Arzt zu treffen geglaubt, von dem er Heilung für sein krankes Weib erhofft hatte. So schwer es ihn auch ankam, ihm blieb nichts anderes übrig, als sich nach Spychow zu wenden, als Jurand den Leichnam seines Kindes zu überbringen. »Alles ist zu Ende,« sagte sich Zbyszko immer und immer wieder.

Da plötzlich, etliche Wegstunden vor Spychow, leuchtete ihm ein neuer Hoffnungsstrahl. Die fieberhafte Röte wich von Danusias Wangen, ihre Augen verloren den unstäten Blick, ihr Atem ging ruhiger. Zbyszko bemerkte dies sofort, und um ihr jedmögliche Erleichterung zu verschaffen, ließ er nochmals Rast machen. Sie hatten vielleicht noch eine Meile bis Spychow zurückzulegen, jetzt befanden sie sich aber, fern von jeder menschlichen Behausung, auf einem breiten, inmitten eines Feldes und einer Wiese gelegenen Pfade. Doch ein in der Nähe stehender wilder Birnbaum bot genügenden Schutz gegen die Sonne. Unter dessen Zweigen wurde daher Halt gemacht. Die Knechte stiegen von den Pferden und sattelten die Tiere ab, damit diese leichter Gras fressen konnten. Die beiden Frauen, denen die Wartung Danusias oblag, und die jungen Burschen, welche die Kranke trugen, legten sich, von dem Wege und der Hitze ermüdet, in den Schatten, und waren bald fest eingeschlafen. Nur Zbyszko wachte, auf der Wurzel des Birnbaumes sitzend, an der Tragbahre, ohne auch nur eine Sekunde seinen Blick von seinem Weibe zu wenden.

Es war um die Mittagszeit. Tiefe Stille herrschte ringsumher. Mit geschlossenen Augen, regungslos lag Danusia da. Doch Zbyszko schien es, als ob sie nicht schlafe. Und in der That, als auf der andern Seite der großen Wiese ein Bauer, der das Gras mähte, stehen blieb und mit dem Wetzstein seine Sense schärfte, da öffnete Danusia, leicht erbebend, die Augen, schloß sie jedoch sofort wieder. Dann aber hob sich ihre Brust wie durch einen tiefen Atemzug und sie flüsterte kaum hörbar: »Die duftenden Blumen …«

.

Bleibe bei mir! Bleibe bei mir, Danusia!.

Dies waren die ersten klaren, nicht im Fieber gesprochenen Worte, welche seit Beginn der Fahrt über ihre Lippen kamen, denn von der von der Sonne bestrahlten Wiese führte ein leichter Windhauch den durchdringenden Duft von Heu, Honig und von wohlriechenden Kräutern herzu. Was Wunder also, daß Zbyszko bei dem Gedanken, die Kranke erlange das Bewußtsein wieder, sich vor Wonne nicht zu fassen wußte. In der ersten Freude wollte er sich ihr zu Füßen werfen, allein aus Furcht, sie könne erschrecken, bezwang er sich, kniete an der Tragbahre nieder, und sich über sein junges Weib beugend, rief er leise: »Danusia! Danusia!«

Da öffnete diese aufs neue die Augen, schaute ihn groß an, und während ein seliges Lächeln ihr Antlitz verklärte, nannte sie wie damals in der Hütte, aber mit weit mehr Bewußtsein seinen Namen: »Zbyszko!«

Hierauf versuchte sie, ihm ihre Hände entgegenzustrecken, allein dies ging über ihre Kraft; er aber schlang seine Arme um sie mit einem so glückerfüllten Herzen, als ob er ihr für die größte Gunst zu danken habe.

»Du bist aus dem tiefen Schlafe erwacht,« sagte er. »O, dem Herrn sei Lob und Preis dafür – Gott sei –«

Er vermochte nicht weiter zu reden, und geraume Zeit hindurch herrschte tiefes Schweigen, war doch ein jedes in den Anblick des andern versunken. Die Stille wurde nur unterbrochen durch den würzigen Lufthauch, der von der Wiese her durch die Blätter des Birnbaumes fuhr und sie zum Rauschen brachte, sowie durch das Zirpen der Grillen und durch den aus weiter Ferne herüberklingenden Gesang des Mähers.

Danusia blickte immer klarer darein und hörte nicht auf zu lächeln, gleich einem Kinde, dem im Traume ein Engel erscheint. Doch allgemach schaute sie verwundert umher.

»Wo bin ich?« fragte sie schließlich.

Ein wahrer Wortschwall entströmte nun Zbyszkos Lippen, der, vor Entzücken sich kaum mehr kennend, in kurzen, abgerissenen Sätzen entgegnete: »Bei mir bist Du! Du bist in der Nähe von Spychow! Zu Deinem Vater begeben wir uns! Deine Leiden sind zu Ende! O meine Danusia, meine Danusia! Ich habe Dich gefunden, ich habe Dich befreit! Du bist nicht mehr in der Macht der Deutschen! Aengstige Dich nicht länger! Bald werden wir in Spychow sein. Du bist krank gewesen, doch der Herr Jesus hat sich barmherzig gezeigt! Welche Schmerzen haben wir erduldet, wie viele Thränen sind geflossen! Danusia! – Ja, nun ist alles gut! Eitel Glück liegt vor Dir! Hei, wie habe ich Dich gesucht, wie bin ich umhergewandert! … Oh, allbarmherziger Gott! … Oh! …«

Er seufzte laut, dann aber atmete er tief auf, als ob nun jede Last von seiner Brust gewälzt sei.

Danusia lag zwar noch immer unbeweglich da, allein sie schien sich über etwas zu besinnen, etwas zu überlegen. Endlich fragte sie mit schwacher Stimme: »So hast Du mich nicht vergessen?«

Und zwei große Thränen rannen langsam über ihre Wangen auf die Kissen nieder.

»Ich Dich vergessen!« schrie Zbyszko auf.

In diesem Aufschrei aber lag mehr als in den heißesten Schwüren, als in den leidenschaftlichsten Beteuerungen. Ach, er hatte sie ja zu allen Zeiten mit ganzer Seele geliebt, jetzt indessen, da er sie wiedergefunden hatte, war sie ihm teurer geworden als alles auf der Welt.

Und wieder trat tiefes Schweigen ein, und wieder herrschte ringsum Stille. Selbst der Gesang des Mähers war verstummt, doch plötzlich wetzte dieser zum zweiten Male seine Sense.

Nach wenigen Minuten bewegte Danusia aufs neue die Lippen, allein sie flüsterte so leise, daß Zbyszko sie nicht verstehen konnte. Tief beugte er sich daher zu ihr herab und fragte: »Was sagst Du, meine Taube?«

Und sie antwortete: »O, die duftenden Blumen!«

»Wir sind an einer Wiese,« erklärte Zbyszko, »doch bald werden wir uns zu Deinem Vater aufmachen, der ebenfalls aus der Gefangenschaft befreit ist. Nun bleibst Du mein bis zum Tode! Hörst Du mich, verstehst Du mich?«

Mit einem Male erfaßte ihn eine entsetzliche Angst, denn er bemerkte, wie eine fahle Blässe ihr Antlitz überzog und dicke Schweißtropfen auf ihre Stirn traten.

»Was ist Dir, sprich?« fragte er in höchstem Schrecken, während ein kalter Schauer seine Glieder überlief und es ihn dünkte, das Haar sträube sich auf seinem Haupte.

»Was ist Dir? Sage es mir!« wiederholte er gleich darauf in noch eindringlicherem Tone.

»Dunkel! Dunkel!« flüsterte sie.

»Dunkel? Die Sonne scheint ja so helle! Siehst Du es denn nicht?« fragte er mit zitternder Stimme. »Erst vor wenigen Minuten hast Du ja wie einstmals mit mir gesprochen. Ich beschwöre Dich im Namen Gottes, sage mir nur noch ein Wort.«

Nun bewegte Danusia wohl die Lippen, allein sie vermochte selbst nicht mehr zu flüstern. Zbyszko erriet nur, daß sie seinen Namen nennen, daß sie nach ihm rufen wollte. Kurz darauf begannen ihre abgezehrten Hände zu zittern und an der Decke zu zerren, die über sie ausgebreitet lag. Doch währte dies nur einige Sekunden. Jetzt konnte kein Zweifel mehr herrschen – die Schatten des Todes senkten sich über sie.

In seiner Angst, in seiner Verzweiflung flehte Zbyszko sie an, noch bei ihm auszuharren – er machte es sich ja nicht klar, daß seine Bitten fruchtlos waren.

»Danusia! O allbarmherziger Jesus!« rief er. »Geh‘ nicht von mir, harre aus, bis wir Spychow erreicht haben! Bleibe bei mir! Bleibe bei mir, Danusia! O Jesus! O Jesus! O Jesus!«

Durch Zbyszkos lautes Klagen wurden die Frauen, die jungen Burschen geweckt, und die Knechte, welche auf der Wiese mit den Pferden beschäftigt waren, eilten herbei. Gleich beim ersten Blick erkannten alle, wie es um ihre Herrin stand; unverweilt knieten sie daher nieder und sprachen die Litanei.

Kein Windhauch war mehr zu spüren, kein Rauschen fuhr mehr durch die Zweige des Birnbaumes, nur das laute Beten der Knienden unterbrach die lautlose Stille rings umher.

Kurz bevor die Litanei zu Ende war, öffnete Danusia noch einmal die Augen, gerade als ob sie einen letzten Blick auf Zbyszko, auf die von der Sonne bestrahlte Erde werfen wolle – dann sank sie in den ewigen Schlaf.

– – – – – –

Nachdem die Frauen ihr die Augen geschlossen hatten, begaben sie sich, um Blumen zu pflücken, auf die Wiese, wohin ihnen die Knechte folgten. Flurgeistern gleich bewegten sie sich, von der Sonne hell beschienen, in dem hohen Grase hin und her, sich zeitweise niederbeugend und weinend aus Mitleid und Kummer. Zbyszko kniete im Schatten an der Tragbahre, das Gesicht an Danusias Knie gelehnt. Regungslos verharrte er so, kein Wort kam über seine Lippen. Es schien alles in ihm erstorben zu sein. Er achtete weder auf die Frauen noch auf die Knechte, die sich bald ihm näherten, bald sich von ihm entfernten, emsig bemüht, goldene Butterblumen oder Glockenblumen zu pflücken, sowie die in großer Menge vorhandenen Pechnelken und allerlei weiße, nach Honig duftende Blüten. An feuchten tiefer gelegenen Stellen fanden die Suchenden auch Feldlilien und Ginster auf dem in der Nähe eines Brachfeldes liegenden grünen Raine. Sobald ein jedes einen ganzen Arm voll gepflückt hatte, umzogen sie klagend die Tragbahre, indem sie Blumen und Blüten auf die Tote streuten. Nur das Antlitz ließen sie frei, ihr Antlitz, das zwischen den weißen Lilien und Glockenblumen so friedlich aussah, daß die Entschlummerte, die nun den ewigen Schlaf schlief, einem holden, reinen Engel glich.

Nur noch eine Meile waren sie von Spychow entfernt. Als daher nach einiger Zeit der erste Schmerz versiegt war, die Thränen trockneten, nahmen die jungen Burschen die Tragbahre wieder auf, und die ganze Schar bewegte sich dem Fichtenwalde zu, der schon zu dem Gebiete von Spychow gehörte.

Die Knechte führten die Pferde hinter dem Zuge her, während Zbyszko die Bahre tragen half und die Frauen, Blumen in den Händen und fromme Lieder singend, voranschritten – ein Trauerzug, der langsam, langsam zwischen der grünen Wiese und dem gleichmäßig grauen Brachfelde dahinschritt.

An dem blauen Himmel zeigte sich kein Wölkchen, die ganze Welt schien in goldenen Sonnenschein getaucht zu sein.

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Erstes Kapitel.

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Endlich erreichten sie mit dem Leichname Danusias die Waldungen von Spychow, an deren Grenzen die bewaffneten Knechte Jurands bei Tag und Nacht Wache hielten. Einer von ihnen machte sich sofort auf, um den alten Tolima und Pater Kaleb zu benachrichtigen, die andern führten den Zug auf einem sich anfangs in schmalen Windungen hinschlängelnden, aber allmählich breiter werdenden, lehmigen Wege bis zu der Stelle, wo der Forst ein Ende nahm. Hier begann ein weites Gefilde mit morastigem Erdreich, wo Scharen von Sumpfvögeln umherschwärmten, und das zu der auf einer steinigen Anhöhe liegenden Burg Jurands führte. Die Heranziehenden erkannten alsbald, daß die Trauerkunde schon nach Spychow gelangt war, denn kaum waren sie aus dem Dunkel des Waldes ins Freie getreten, als das Glockengeläute der Schloßkapelle zu ihren Ohren drang. Binnen kurzem erblickten sie auch in der Ferne viele Menschen, Männer und Frauen, die ihnen entgegen kamen. Als diese Schar sich bis auf zwei oder drei Bogenschüsse genähert hatte, konnte man schon die einzelnen Personen unterscheiden. An der Spitze schritt Jurand selbst, von Tolima gestützt und mit einem Stabe nach dem Wege suchend. An seiner ungewöhnlich hohen Gestalt, den leeren roten Augenhöhlen und den weißen, bis zu den Schultern herabfallenden Haaren war er leicht zu erkennen. Neben ihm ging im weißen Chorhemde und mit einem Kreuze in der Hand der Pater Kaleb. Diesen wurde eine Standarte mit Jurands Abzeichen nachgetragen, welche von den bewaffneten Mannen aus Spychow umringt war, und dann folgten verheiratete Frauen, an ihren Kopftüchern kenntlich, sowie Jungfrauen mit herabwallenden Haaren. Hinter der Schar kam ein Wagen, auf den die sterbliche Hülle Danusias niedergelegt werden sollte.

Als Zbyszko den Vater Danusias erblickte, befahl er, die Bahre, welche er bis zu diesem Augenblick am Kopfende getragen hatte, niederzusetzen, und sich Jurand nähernd schrie er auf in dem furchtbaren Tone, welcher der Ausdruck unendlicher Pein, unendlicher Verzweiflung ist.

»Ich suchte sie so lange, bis ich sie fand, und befreite sie, aber sie wollte lieber zu Gott als nach Spychow!«

Hier ward er völlig von Schmerz überwältigt, er sank an Jurands Brust, umschlang ihn mit den Armen und stöhnte laut: »O Jesus! Jesus! Jesus! …«

Bei diesem Anblick gerieten die bewaffneten Mannen von Spychow förmlich in Aufruhr, und sie schlugen mit den Lanzen an die Schilder, da sie nicht wußten, wie sie auf andre Weise ihren Schmerz und ihren Rachedurst an den Tag legen sollten. Die Frauen erhoben ein lautes Wehklagen, wobei immer eine dem Beispiel der andern nachahmte, sie drückten ihre Schürzen an die Augen oder verhüllten ihre Köpfe vollständig damit, indem sie in markerschütternden Tönen riefen: »O! Welch ein Unglück! Für Dich ist die Freude, für uns sind nur Thränen – der Tod hat Dich hinweggerafft, der Sensenmann Dich gemäht! Ach!« Und die Köpfe zurückwerfend, die Augen schließend, schrien etliche unter ihnen: »Schlimm erging es Dir hier. Du Blume, bei uns – gar schlimm! Dein Vater blieb zurück in großer Betrübnis, Du aber wandelst schon in göttlichen Gefilden – ach!« Wieder andere warfen der Toten vor, daß sie kein Erbarmen für die Thränen des verlassenen Vaters, für die Thränen des Gatten gefühlt habe. Und diese Klagen und dies Leid äußerte sich in einer Art von Gesang, denn anders vermochten diese Menschen ihren Schmerz nicht auszudrücken.

Aber Jurand, sich Zbyszkos Umarmung entziehend, streckte seinen Stab aus, zum Zeichen, daß er zu Danusia heranzutreten wünsche, da faßten ihn Tolima und Zbyszko unter den Armen, um ihn zur Tragbahre zu geleiten, und er kniete bei dem Leichnam nieder, er fuhr mit der Hand von der Stirne bis zu den kreuzweise gefalteten Händen der Toten und nickte einige Male mit dem Kopfe, wie wenn er sagen wolle, daß dies seine Danusia sei, keine andere – und daß er sein Kind erkenne. Dann umschlang er sie mit dem einen Arm, während er den andern, verstümmelten emporhob, die Anwesenden aber verstanden ihn, denn diese stumme Anklage vor Gott war beredter als alle Aeußerungen des Schmerzes. Zbyszko, dessen Gesicht nach dem plötzlichen Schmerzesausbruch wieder eine starre Miene angenommen hatte, kniete jetzt schweigend, einem Steinbild ähnlich, an der andern Seite der Bahre, und rings umher ward es so stille, daß man das Zirpen der Grillen und das Summen der Fliegen vernehmen konnte. Schließlich besprengte Pater Kaleb die Tote, Zbyszko sowie Jurand mit Weihwasser und begann das »Requiem aeternam«. Nach Beendigung des Gesanges betete er lange Zeit laut, und den Umstehenden dünkte, daß sie die Stimme eines Propheten vernahmen, da er zu Gott flehte, daß durch die Leiden des unschuldigen Kindes das Maß der Sünde voll sei, und daß nun der Tag des Gerichtes, der Strafe und des Verderbens für die Ungerechten kommen möge.

Dann setzten sie sich wieder in Bewegung gen Spychow, doch legten sie Danusias Leichnam nicht auf den Wagen, sondern trugen ihn auf der mit Blumen geschmückten Bahre dem Zuge voraus.

Das Geläute der Glocken hatte nicht aufgehört, es schien sie zu rufen und einzuladen, und sie schritten singend über die weiten, von der goldenen Abendröte beleuchteten Triften, wie wenn die Dahingeschiedene sie zu ewigem Glanze, zu ewigen lichten Höhen führe. Der Abend hatte schon begonnen, und die Herden waren von der Weide zurückgekehrt, als der Zug anlangte. Die Kapelle, worin die sterbliche Hülle Danusias niedergesetzt wurde, erstrahlte von Fackeln und Wachskerzen. Auf Befehl des Pater Kaleb beteten sieben Jungfrauen abwechselnd die Litanei an der Leiche bis zum Anbruch des Tages. Bis zum Anbruch des Tages verließ auch Zbyszko die Dahingeschiedene nicht, und am Morgen legte er sie in einen Sarg, der während der Nacht von geschickten Handwerksleuten aus Eichenholz gezimmert und in dessen Deckel, gerade wo das Haupt der Toten ruhen sollte, goldglänzender Bernstein eingefügt worden war.

Jurand befand sich nicht in der Kapelle. Gleich nach seiner Rückkunft in die Burg hatten ihm die Füße den Dienst versagt, und als man ihn auf sein Lager gebracht hatte, war er plötzlich nicht mehr fähig, sich zu bewegen, wußte er weder, wo er sich befand, noch was mit ihm vorging. Umsonst sprach Pater Kaleb zu ihm, umsonst fragte er, was ihm fehle, Jurand hörte ihn nicht, verstand ihn nicht; auf dem Rücken liegend, hob er nur die Lider und lächelte mit strahlendem, glückseligem Antlitz. Zuweilen bewegte er auch die Lippen, wie wenn er mit jemand spräche. Die bei ihm Anwesenden sagten sich dann, daß er wohl mit seiner in das ewige Heil eingegangenen Tochter zu sprechen glaube und ihr zulächle. Sie sagten sich auch, daß es zu Ende mit ihm gehe, und er sich schon in die ewige Glückseligkeit entrückt glaube, aber darin täuschten sie sich, denn unempfindlich und taub für alles, was um ihn her vorging, verharrte er so ganze Wochen hindurch, ohne daß das Lächeln von seinem Gesichte schwand. Als Tolima schließlich mit dem Lösegeld für Macko wieder aufbrach, befand sich Jurand noch am Leben.

Zweites Kapitel.

Nach dem Begräbnis Danusias war zwar Zbyszko nicht erkrankt, nicht bettlägerig geworden, aber eine Art von Erstarrung hielt seine Sinne gefangen. Anfangs, während der ersten Tage, stand es noch nicht so schlimm mit ihm, denn er ging umher, er besprach sich im Geiste mit seinem toten Weibe, oder er begab sich zu Jurand und setzte sich an dessen Lager nieder. Auch berichtete er dem Priester von der Gefangenschaft Mackos, und sie beschlossen, Tolima nach Preußen und Marienburg zu senden, damit er in Erfahrung bringe, wo der alte Ritter sich befand, und ihn loskaufe, zugleich aber auch für Zbyszko die Summe bezahle, welche mit Arnold von Baden und dessen Bruder vereinbart worden war. In den unterirdischen Gewölben in Spychow fehlte es nicht an Silber, das Jurand teils aus seinen Besitzungen zugeflossen, teils von ihm erbeutet worden war, und Pater Kaleb nahm als wahrscheinlich an, daß die Kreuzritter, sofern sie das Geld erhielten, den alten Mann freilassen und nicht verlangen würden, daß der junge Kämpe sich persönlich bei ihnen einstelle.

»Gehe nach Plock,« sagte der Priester zu Tolima bei dessen Aufbruch, »und lasse Dir dort von dem Fürsten einen Geleitsbrief geben, sonst könnte der erste beste Komtur Dich ausrauben und gefangen nehmen.«

»Ei, ich kenne sie ja gut,« entgegnete der alte Tolima. »Sie sind im stande, sogar auch diejenigen zu berauben, welche Geleitsbriefe haben.«

Und er machte sich auf den Weg. Aber es währte nicht lange, so bereute Pater Kaleb es schon, daß er nicht Zbyszko selbst abgesandt hatte. Zwar hatte er befürchtet, im ersten Augenblick des Schmerzes könne der junge Ritter entweder nicht so vorgehen, wie es nötig war, oder am Ende gar seiner Wut gegen die Kreuzritter allzusehr die Zügel schießen lassen und sich irgend einer Gefahr aussetzen. Auch hatte er sich gesagt, daß es dem Tiefbetrübten wohl schwer fallen werde, sich sogleich nach solchem Herzeleid und Kummer vom Grabe der Geliebten zu trennen, zumal nach einer so schrecklichen und traurigen Fahrt, wie die, welche durch ihn von Gotteswerder bis Spychow unternommen worden war. Jetzt hingegen bereute der Priester, all diesen Bedenken Raum gegeben zu haben, denn Zbyszko ward mit jedem Tag schwermütiger. Bis zum Tode Danusias hatte er in beständiger Erregung gelebt, hatte er stets all seine Kräfte angespornt. Ans Ende der Welt war er gedrungen, er hatte manchen Kampf bestanden, er hatte sein Weib aus der Gefangenschaft befreit, durch Wüsteneien war er gewandert, und plötzlich sollte nun alles zu Ende sein, wie auf einen Schlag. Nichts blieb zurück als die Erkenntnis, daß alles umsonst, daß die erlittenen Mühseligkeiten vergeblich gewesen – und daß er diese zwar überwunden hatte, daß aber zugleich mit ihnen unendlich viel, auch die Hoffnung, alles Gute und die Liebe aus seinem Leben entschwunden waren. Ein jeder Mensch lebt in der Zukunft, ein jeder entwirft Pläne und beschließt manches für die kommenden Tage, für Zbyszko hingegen war das »morgen« gleichgültig geworden, und was die Zukunft anbelangte, so hatte er dasselbe Gefühl wie Jagienka, als sie, von Spychow wegreitend, sagte: »Hinter mir, nicht vor mir liegt das Glück!« Dies Gefühl von Freudlosigkeit, von Schwäche, die Empfindung, daß alles um ihn her öde und leer sei, ward durch den unendlichen Schmerz, den immer wachsenden Gram um Danusia hervorgerufen. Der Schmerz, welcher über ihn gekommen war, nahm ihn ganz gefangen und ward so gewaltig, daß schließlich in Zbyszkos Herzen nichts anderes mehr Raum fand. Er dachte nur noch an sein Leid und versenkte sich förmlich darein. Unempfindlich für alles, zog er sich in sein Inneres zurück, gleichsam in einem Traume umherwandelnd, ohne zu wissen, was um ihn her vorging. All seine Körper- und Geisteskräfte schienen nachgelassen zu haben, seine ehemalige Energie und Kühnheit waren entschwunden und hatten einer gewissen Lässigkeit Platz gemacht. In Blick und Bewegung hatte er jetzt etwas von der Würde eines Greises. Ganze Tage und Nächte saß er entweder in der Gruft am Sarge Danusias oder vor dem Hause, sich während der Nachmittagsstunden in der Sonne wärmend. Zuweilen war er so geistesabwesend, daß er keine Frage beantwortete. Pater Kaleb, der ihn liebte, befürchtete, der Gram, könne an ihm zehren wie der Rost am Eisen zehrt – und voll Betrübnis sagte er sich immer wieder, daß es vielleicht besser gewesen wäre, wenn er Zbyszko mit dem Lösegeld zu den Kreuzrittern geschickt hätte. »Es ist notwendig,« sprach er zu dem Küster des Ortes, mit dem er sich in Ermanglung eines andern über die eigenen Kümmernisse zu unterhalten pflegte, »daß ihn irgend etwas aufrüttle, sonst wird er vollständig zu Grunde gehen.« Und der Küster stimmte ihm bei, indem er den klugen Vergleich anführte: für einen Menschen, der an einem Knochen würge, sei es am besten, ihm einen tüchtigen Schlag in das Genick zu geben.

Zwar trat nun kein besonderes Ereignis ein, aber einige Wochen später langte unerwarteter Weise Herr de Lorche in Spychow an. Sein Anblick erschütterte Zbyszko tief, mahnte er ihn doch an den Kriegszug mit den Samogitiern und an die Befreiung Danusias. De Lorche selbst scheute sich nicht, diese schmerzlichen Erinnerungen aufzurühren. Im Gegenteil, da er schon von Zbyszkos Verlust gehört hatte, verweilte er beständig an seiner Seite, betete mit ihm am Sarge Danusias und sprach unaufhörlich von ihr. Auch dichtete er, der sich mit Recht ein Minstrel hätte nennen dürfen, ein Lied auf die Dahingeschiedene, das er des Nachts am Gitterfenster der Gruft zur Laute sang, ein so trauriges, rührendes Lied, daß Zbyszko, obwohl er die Worte der Dichtung nicht verstand, durch die Weise allein schon tief bewegt, in einen Strom von Thränen ausbrach, der nicht versiegte bis zum Morgen.

Erschöpft vom Weinen, von Kummer und Schlaflosigkeit, sank er dann in langen Schlummer, und als er wieder erwachte, war es offenbar, daß die Thränen ihm das Herz erleichtert hatten, da er erfrischt und gestärkt schien, auch vertrauensvoller in die Zukunft schaute. Die Anwesenheit Herrn de Lorches machte ihm Freude, er dankte ihm dafür, daß er gekommen war, und fragte schließlich, wieso er von seinem Unglück gehört habe. De Lorche erwiderte durch Pater Kaleb, daß er Danusias Tod zuerst in Lubowa, von dem alten Tolima erfahren, den er dort im Gefängnisse bei dem Komtur gesehen habe, daß er aber in jedem Falle nach Spychow gekommen wäre, um sich Zbyszko wieder zu stellen.

Die Kunde von Tolimas Gefangennahme brachte sowohl auf den jungen Ritter als auch auf den Priester einen großen Eindruck hervor. Sie begriffen sofort, daß das Lösegeld als verloren zu betrachten sei, denn nichts auf der ganzen Welt war schwieriger, als den Kreuzrittern eine Summe zu entreißen, die sie einmal in den Klauen hatten. Darum war es nötig, zum zweitenmal mit Lösegeld auszuziehen.

»Wehe!« rief Zbyszko aus. »Mein armer Oheim wartet sehnsuchtsvoll auf seine Befreiung und denkt wohl, ich hätte seiner vergessen! Ich muß jetzt sogleich zu ihm eilen.«

Dann wendete er sich zu Herrn de Lorche: »Weißt Du, wie alles gekommen ist? Weißt Du, daß er sich in den Händen der Kreuzritter befindet?«

»Ich weiß es,« antwortete de Lorche, »denn ich sah ihn in Marienburg, und darum gerade bin ich hierhergekommen.«

Jetzt aber begann Pater Kaleb laut zu klagen: »Wir haben nicht richtig gehandelt,« sagte er, »und niemand von uns ist vernünftig gewesen. Tolima habe ich auch mehr Klugheit zugetraut. Weshalb begab er sich nicht nach Plock, anstatt sich ohne Geleitsbrief mitten unter diese Räuber zu wagen?«

Herr de Lorche zuckte die Achseln.

»Was sind ihnen Geleitsbriefe? Und ward dem Fürsten von Plock, sowohl wie auch Eurem Fürsten nicht genug Schaden durch die Kreuzritter zugefügt? An der Grenze hören ja die Ueberfälle und Kämpfe niemals auf. Denn auch Eure Leute geben keinen Frieden. Jeder Komtur, wahrlich, sogar jeder Vogt thut, was er will, und an Raubsucht übertrifft immer einer den andern.«

»Um so eher hätte Tolima nach Plock gehen sollen.«

»Dies wollte er auch thun, aber unterwegs, an der Grenze, nahmen sie ihn bei Nacht fest. Er wäre von ihnen erschlagen worden, hätte er nicht erklärt, daß er für den Komtur Geld nach Lubowa bringe. Dadurch rettete er sich, und der Komtur ruft jetzt Zeugen dafür auf, daß Tolima dies selbst gesagt hat.«

»Und wie geht es meinem Oheim? Ist er gesund? Trachtet man ihm nach dem Leben?« fragte Zbyszko.

»Er ist gesund!« antwortete de Lorche. »Aber der Haß gegen ›König‹ Witold und gegen die, welche den Samogitiern beistanden, ist dort groß, und sicherlich hätten sie den alten Ritter getötet, wenn ihnen nicht so viel am Lösegeld gelegen wäre. Wolfgang und Arnold von Baden schützen ihn aus der nämlichen Ursache, und schließlich handelt es sich auch um mein Haupt, denn wollte das Kapitel mich opfern, so würde die Ritterschaft von Geldern, Berg und Flandern sich dagegen auflehnen. Ihr wißt doch, daß ich ein Blutsverwandter des Grafen von Geldern bin.«

»Und wieso handelt es sich auch um Dein Haupt?« unterbrach ihn Zbyszko voll Verwunderung.

»Weil ich durch Dich gefangen genommen wurde. Ich sprach folgendermaßen in Marienburg: ›Wenn Ihr den alten Ritter von Bogdaniec töten laßt, wird sein Bruderssohn mein Haupt fordern‹.«

»Ich fordere es nicht, so wahr mir Gott helfe!«

»Wohl weiß ich, daß Du es nicht forderst, aber sie befürchten es, und dadurch droht Macko keine Gefahr bei ihnen. Sie sagten mir, auch Du seiest in Gefangenschaft geraten, Wolfgang und Arnold von Baden hätten Dich auf Dein Ritterwort freigelassen, daher sei es nicht nötig, daß ich mich Dir stelle. Doch entgegnete ich ihnen, daß Du noch frei gewesen, als Du mich gefangen nahmst. Und so bin ich zu Dir gekommen! Während ich mich in Deiner Gewalt befinde, werden sie weder Dir noch Macko etwas anhaben. Zahle jenen Brüdern Dein Lösegeld, für mich aber verlange zwei- oder dreimal so viel. Bezahlen müssen sie. Nicht darum spreche ich so, weil ich glaube, ich sei mehr wert als Du, sondern weil ich die Kreuzritter wegen ihrer Geldgier, welche ich verachte, strafen möchte. Einstmals hatte ich eine ganz andere Meinung von ihnen, aber jetzt habe ich einen wahren Abscheu gegen sie und das Leben unter ihnen gefaßt. In das heilige Land nach Abenteuern will ich ausziehen, denn jenen vermag ich nicht länger zu dienen.«

»Bleibt bei uns, Herr,« sagte Pater Kaleb. »Ich glaube, Ihr werdet wohl bleiben, denn daß sie Lösegeld für Euch bezahlen werden, scheint mir nicht wahrscheinlich.«

»Wenn sie es nicht bezahlen, so bezahle ich es selbst,« antwortete de Lorche. »Ich führe ein ansehnliches Gefolge mit mir, sowie reich beladene Wagen, und das, was sich darin befindet, wird genügen.«

Pater Kaleb wiederholte Zbyszko diese Worte, die auf Macko sicherlich Eindruck gemacht hätten, allein Zbyszko, der sich weniger um Hab und Gut kümmerte, erwiderte: »Bei meiner Ehre! Es darf nicht sein, wie Du sagst. Ein Bruder und ein Freund bist Du mir gewesen, von Dir nehme ich kein Lösegeld.«

Und von dem Gefühl durchdrungen, daß neue Bande sie nun verknüpften, umarmten sie sich. Aber de Lorche sagte lächelnd: »Die Deutschen dürfen jedoch nichts davon wissen, denn in betreff Mackos werden sie wohl Schwierigkeiten erheben. Und seht Ihr, zahlen müssen sie, da sie fürchten, ich könne sonst an den Höfen und unter der Ritterschaft verkünden, daß sie zwar gerne ritterliche Gäste zu sich bitten, daß sie jedoch, wenn diese Fremden in Gefangenschaft geraten, ihrer nicht mehr gedenken. Und der Orden hat jetzt Leute nötig, denn Witold, noch mehr aber die Polen und deren König flößen ihm Angst ein.«

»So mag es denn so sein!« entgegnete Zbyszko. »Du bleibst hier oder an irgend einem Platze in Masovien, ich aber gehe meines Oheims wegen nach Marienburg und gebe mir den Anschein, als ob ich von ingrimmigem Haß gegen Dich erfüllt wäre.«

»Beim heiligen Georg, thue dies!« antwortete de Lorche. »Doch zuerst höre, was ich Dir noch mitzuteilen habe. In Marienburg sagt man, daß der polnische König nach Plock komme und mit dem Meister daselbst oder an irgend einem Grenzorte zusammentreffen werde. Die Kreuzritter wünschen dies sehr, weil sie in Erfahrung bringen möchten, ob der König Witold beistehen würde, falls derselbe ihnen wegen Samogitien offen den Krieg erklärt. Ha! Sie sind so klug wie die Schlangen, aber in diesem Witold haben sie doch ihren Meister gefunden. Der Orden fürchtet ihn auch, weil man niemals weiß, was er im Sinne hat, und was er thut. ›Er überließ uns Samogitien,‹ sagen sie in dem Kapitel, ›aber dadurch ist’s, als ob fortwährend ein Schwert über unsern Häuptern hinge. Ein Wort von ihm‹, sagen sie, ›und die Empörung ist da!‹ Und in der That, so ist es auch. Ich muß mich an seinen Hof begeben, sobald es mir möglich ist. Vielleicht trifft es sich, daß ich innerhalb der Schranken bei ihm kämpfen kann, und außerdem habe ich auch gehört, daß die Frauen dort von wahrhaft engelhafter Schönheit sind.«

»Ihr sagt, Herr, daß der König von Polen nach Plock komme?« fragte Pater Kaleb.

»So ist es. Mag sich Zbyszko dem Gefolge des Königs anschließen. Der Großmeister wünscht es selbst, Jagiello für sich einzunehmen, und wird ihm nichts abschlagen. Ihr wißt ja, wenn die Not es erheischt, kann niemand demütiger sein, als die Kreuzritter. Mag sich also Zbyszko dem Gefolge anschließen, mag er seine eigene Sache geltend machen, mag er ein lautes Geschrei erheben über das ihm zugefügte Unrecht. Die Deutschen werden sich ganz anders als sonst verhalten in Gegenwart des Königs und in Gegenwart der Krakauer Ritter, welche weltberühmt sind und deren Aussprüche und Urteile sich stets unter der ganzen Ritterschaft verbreiten.«

»Ein vortrefflicher Rat! Beim Kreuze des Herrn, ein ganz vortrefflicher!« rief der Priester aus.

»Gewiß!« bestätigte de Lorche. »An Gelegenheit zur Auszeichnung wird es nicht fehlen. In Marienburg vernahm ich, daß man Feste und Turniere veranstalte, denn die fremden Gäste wollen sicherlich mit den polnischen Rittern kämpfen. Bei Gott! Auch Ritter Jan von Aragonien wird kommen, der hervorragendste Ritter in der ganzen Christenheit. Wißt Ihr denn nicht? Aus Aragonien sandte er ja Euerm Zawisza seinen Handschuh, auf daß man an fremdländischen Höfen nicht sage, es gebe einen zweiten Ritter, der ihm gleicht.«

Die Ankunft de Lorches und die Gespräche mit ihm hatten Zbyszko so vollständig aus der Erstarrung erweckt, die ihn zuvor gefangen gehalten, daß er jetzt voll Aufmerksamkeit den Berichten des Freundes lauschte. Von Jan von Aragonien wußte auch er zu erzählen, denn zu jener Zeit mußte jeder Ritter die Namen der berühmtesten Kämpen kennen und im Gedächtnis bewahren, und der Ruhm der Edeln Aragoniens, Jans vornehmlich, war durch alle Lande gedrungen. Kein Ritter that es ihm innerhalb der Schranken gleich, die Mauren flohen, sobald sie seine Rüstung von weitem erschauten und allgemein ward er für den gewaltigsten Ritter der ganzen Christenheit gehalten.

Die Kunde von ihm erweckte den kriegerischen, ritterlichen Sinn Zbyszkos aufs neue, und erfragte mit großem Eifer: »Er forderte also Zawisza Czarny zum Kampfe heraus?«

»Ein Jahr ist es wohl her, seitdem der Handschuh eintraf, und Zawisza den seinigen absandte.«

»Und wird Jan von Aragonien gewiß kommen?«

»Gewiß ist es noch nicht, aber Gerüchte über sein Kommen sind im Umlauf. Die Kreuzritter haben ihm längst eine Einladung zugehen lassen.«

»Gebe Gott, daß wir seine Kämpfe mitansehen dürfen.«

»Gebe es Gott!« antwortete de Lorche. »Und wenngleich Zawisza besiegt wird, was leicht geschehen kann, gereicht es ihm doch zur Ehre, daß solch ein Kämpe wie Jan von Aragonien ihn zum Kampfe forderte, traun! Euerm ganzen Volke gereicht es zur Ehre!«

»Wir werden sehen,« bemerkte Zbyszko. »Ich sage nur: gebe Gott, daß wir alles mitanschauen dürfen!«

»Und ich stimme bei.«

Gleichwohl sollte sich ihr Wunsch diesmal nicht erfüllen, denn in alten Chroniken wird berichtet, daß der Waffengang Zawiszas mit dem hochberühmten Jan von Aragonien erst einige Jahre später zu Perpignan stattfand, wo in Gegenwart des Kaisers Sigmund, des Papstes Benedikt XIII., des Königs von Aragonien und vieler Fürsten und Kardinäle, Zawisza Czarny aus Garbow mit dem ersten Stoß seiner Lanze den Gegner vom Pferde warf und einen glänzenden Sieg über ihn davontrug. Indessen machten sich Zbyszko und de Lorche keine weitern Sorgen, denn sie dachten, wenn auch Jan von Aragonien sich nicht zur bestimmten Zeit stellen könne, würden sie dennoch bedeutende Ritterthaten sehen. Mangelte es doch in Polen nicht an tapfern Kämpen, die Zawisza wenig nachgaben, und unter den Gästen des Ordens waren immer die ersten der waffenkundigen Männer aus Frankreich, England, Burgund und Italien zu finden, welche bereitwillig den Kampf mit jedem aufnahmen.

»Höre,« sagte Zbyszko schließlich zu Herrn de Lorche, »ich fühle Sehnsucht nach meinem Oheim und ich muß nun eilen, ihn loszukaufen. Daher will ich mich morgen bei Tagesanbruch sogleich nach Plock aufmachen. Aber weshalb solltest Du hier bleiben? Wenn Du mein Gefangener bist, so kannst Du mich begleiten, dann wirst Du den König sowie den ganzen Hofstaat schauen.«

»Gerade wollte ich Dich darum bitten,« antwortete de Lorche, »denn längst schon wünschte ich die Polnischen Ritter zu sehen, und zudem hörte ich, daß die Frauen am königlichen Hofe eher Engeln als Bewohnern des Erdenthales gleichen.«

»Soeben erst sagtest Du etwas Aehnliches von Witolds Hofe,« bemerkte Zbyszko.