Achtes Kapitel.

Macko und Zbyszko kehrten nach Bogdaniec zurück. Dem alten Ritter waren noch lange Jahre beschieden und Zbyszko erlebte in Gesundheit und voller Kraft die Zeit, in der aus einem Thore von Marienburg der Großmeister der Kreuzritter mit thränenfeuchten Augen auszog, während durch ein anderes Thor der polnische Wojwode an der Spitze des Kriegsheeres seinen Einzug hielt, um im Namen des Königs und des Königreiches die Stadt und das ganze Gebiet bis an die grauen Wogen des Baltischen Meeres in Besitz zu nehmen.

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Die Litauer trugen den Leichnam Ulryks von Jungingen herbei.

Siebentes Kapitel.

Der anbrechende Tag warf bereits seinen lichten Schein auf die Bäume, die Sträuche und auf die rings auf dem Gefilde zerstreut umher liegenden Kalksteine, als der gedungene Führer, der neben dem Pferde Jurands einherschritt, anhielt und sagte: »Vergönnt mir eine kurze Rast, Herr Ritter, damit ich mich ausschnaufen kann. Durch das Tauwetter ist es neblig, doch unser Ziel ist nicht mehr fern …«

»Geleite mich bis zur Landstraße, dann magst Du zurückkehren,« entgegnete Jurand.

»Die Landstraße liegt rechts neben dem Wäldchen, und vom Hügel aus werdet Ihr gleich die Burg sehen.«

So sprechend kreuzte der Bauer die Arme, schlug sich mit den Händen, die in der feuchten Morgenluft wohl ein wenig starr geworden sein mochten, fortwährend unter die Achselhöhlen und ließ sich schließlich auf einen Stein nieder, um sich besser ausruhen zu können.

»Weißt Du nicht, ob der Komtur in der Burg ist?« fragte Jurand nach kurzer Pause.

»Wo sollte er sonst sein, da er krank ist.«

»Was fehlt ihm?«

»Die Leute sagen, ein polnischer Ritter habe ihm eins versetzt,« antwortete der alte Bauer.

Und der Ton seiner Stimme bekundete eine gewisse Zufriedenheit. Er war freilich den Kreuzrittern unterthan, aber sein masurisches Herz freute sich über jedes Wagestück eines polnischen Ritters. So fügte er denn auch nach einer Weile hinzu: »Hei! Gar mächtig sind unsere Herren, aber nicht leicht ist mit ihnen auszukommen.«

Unverweilt blickte er aber nun prüfend auf den Ritter, wie wenn er sich vergewissern wolle, ob ihm aus diesen Worten, die ihm unbedacht entschlüpften, kein Schaden erwachse, und fügte hinzu: »Ihr, o Herr, seid nach der Art, wie Ihr unsere Sprache sprecht, kein Deutscher.«

»Nein,« erwiderte Jurand, »doch führe mich weiter.«

Der Bauer erhob sich und schritt wie zuvor neben dem Pferde her. Unterwegs griff er dann und wann in einen ledernen Beutel, holte ein Handvoll ungemahlenes Korn daraus hervor, das er in den Mund steckte, um damit den ersten Hunger zu stillen. Dabei unterließ er es nicht, zu erklären, weshalb er die Kerne roh esse, obwohl Jurand dies gar nicht bemerkt hatte, da er viel zu viel mit seinem eigenen Schicksal, mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war.

»Gott sei Dank dafür!« sagte der Bauer. »Unter unsern deutschen Herren ist das Leben gar schwer. Solche Abgaben fordern sie für das Mahlen des Getreides, daß der arme Mann das Korn aus der Spreu fressen muß wie das Vieh. Und wenn sie eine Handmühle in einer Hütte finden, dann prügeln sie den Bauer und führen das Vieh hinweg. Traun, weder der Kinder noch der Frauen schonen sie … Ei, sie fürchten sich ebenso wenig vor Gott dem Herrn, wie vor dem Fürsten, ja, den Probst aus Wielborz, der ihnen Vorstellungen darüber machte, legten sie in Ketten. O, schwer lastet die Hand der Deutschen auf uns! Nur wenn man sich Korn zwischen zwei Steinen zermalmt, dann bekommt man eine Handvoll Mehl zur Speise für den heiligen Sonntag, am Freitag aber, da heißt’s wie ein Vogel essen. Doch gelobt sei Gott auch dafür, denn ehe die Ernte kommt, giebt’s nicht einmal das … der Fischfang ist verboten … die Jagd auf wilde Tiere auch. Nein, so ist’s nicht wie in Masovien.«

In solcher Weise klagte der unter der Herrschaft der Kreuzritter stehende Bauer, indem er halb zu sich selbst, halb zu Jurand sprach. Mittlerweile gelangten sie dann in ein Wäldchen, welches in dem fahlen Scheine des Frühmorgens fast grau schimmerte und in dem eine feuchte, durchdringende Kälte herrschte. Es war nun völlig Tag geworden; sonst wäre es für Jurand kaum möglich gewesen, auf dem Waldwege weiter zu kommen. Steil und so schmal stieg der Pfad empor, daß an manchen Stellen das Streitroß sich kaum durch die Stämme durchzuarbeiten vermochte. Doch das Wäldchen lichtete sich bald wieder, und schon nach kurzer Zeit gelangten sie auf den Gipfel des weißlich schimmernden Hügels, von dessen Höhe aus eine gute Landstraße nach Szczytno führte.

»Von hier aus ist’s nicht mehr weit,« bemerkte der Bauer, »Ihr findet Euch nun allein zurecht.«

»Ja, ich finde mich nun allein zurecht,« entgegnete Jurand. »Kehre Du nun wieder heim, Mann.«

Mit der Hand in einen ledernen Sack greifend, der vorn am Sattel befestigt war, holte er mehrere Silbermünzen hervor und gab sie dem Führer. Der Bauer, weit mehr an Schläge als an Belohnung von seiten der ansässigen Kreuzritter gewöhnt, glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Rasch das Geld entgegennehmend, beugte er sich bis zu den Steigbügeln Jurands und umfaßte dessen Knie.

»O Jesus, Maria!« rief er. »Gott der Herr möge Euer Gnaden dafür lohnen.«

»Gott sei mit Dir!«

»Gott möge Euch Macht und Stärke verleihen. Szczytno liegt vor Euch.«

Jurand blieb allein auf dem Hügel zurück und schaute in der ihm von dem Führer angegebenen Richtung auf die graue, feuchte Nebelwand, welche den freien Ausblick verhinderte. Jenseits dieses Nebels lag ja die unheilvolle Burg, in die er gegen seinen Willen ziehen mußte. Nahe, ganz nahe lag sie vor ihm! Was von ihm gefordert ward, ohne Aufschub mußte es geschehen! Schwer bedrückte dieser Gedanke Jurands Herz. Zu der Unruhe, zu der Angst um Danusia, für die er selbst sein Herzblut hingegeben hätte, gesellte sich nun auch noch eine unbegrenzte Bitterkeit, ein ihm bis jetzt unbekannt gewesenes Gefühl der Demütigung. Er, Jurand, bei dessen Namen allein schon alle an der Grenze ansässigen Komture gezittert hatten, beugte sich nun deren Befehl! Er, der schon so viele von ihnen besiegt und mit Füßen getreten hatte, sollte nun von ihnen besiegt und mit Füßen getreten werden. So unerhört dünkte ihm dies, daß ihm schien, die ganze Welt müsse aus ihren Fugen gehen. War es denn denkbar, daß er sich vor den Kreuzrittern demütigen sollte, er, der es mit dem ganzen Orden aufgenommen haben würde, wenn es sich nicht um Danusia gehandelt hätte? Mehr als einmal schon hatte ein Ritter, dem nur die Wahl zwischen Schmach und Tod geblieben war, sich kämpfend auf ein ganzes Kriegsheer gestürzt! Ach, seiner harrte auch nur Schmach und Schande! Diese Ueberzeugung verursachte ihm einen so grimmen Schmerz, wie ihn der Wolf empfindet, den die Spitze eines Speeres trifft.

Doch über Jurands stählernen Körper gebot auch ein eiserner Wille. Ebenso wie er den Widerstand anderer zu brechen wußte, vermochte er sich selbst zu bezwingen.

»Nicht eher rühre ich mich von dieser Stelle,« sagte er sich, »bevor ich nicht Herr über diesen grimmen Haß geworden bin, der weit eher das Verderben des Kindes als dessen Rettung herbeiführen könnte.«

Und mit aller Kraft kämpfte er gegen sein stolzes Herz, gegen seinen Haß, gegen seine Streitlust an. Wer ihn auf jenem Hügel gesehen hätte, wie er auf seinem gewaltigen Rosse in voller Rüstung wie erstarrt saß, der würde ihn für einen aus Erz gegossenen Riesen gehalten und nicht geglaubt haben, daß in diesem unbeweglichen Ritter in dem Augenblicke der schwerste Kampf tobte, den das Leben entfachen konnte. Und so lange lag er im Streite mit sich selbst, bis er fühlte, daß er den Sieg über sich gewonnen hatte.

Mittlerweile wurde der Nebel durchsichtiger. Er verschwand zwar noch nicht vollständig, allein man konnte doch in der Ferne dunkles Gemäuer erkennen. Jurand bezweifelte keine Minute, daß dies die Mauern der Burg von Szczytno waren. Trotz dieses Anblickes rührte er aber noch immer kein Glied, sondern hub zu beten an, so heiß und inbrünstig, wie ein Mensch betet, der nur noch auf Gottes Barmherzigkeit baut.

Als er dann schließlich sein Pferd antrieb, da regte sich in seinem Herzen frischer Mut. Er war jetzt bereit, alles über sich ergehen zu lassen, was ihm auch zustoßen mochte. Der heilige Georg kam ihm jetzt in den Sinn, der Abkömmling eines der größten Geschlechter in Kappadocien. Auch dieser hatte schmachvolle Marter erleiden müssen, allein nicht zur Unehre hatte ihm dies gereicht, nein, nach göttlichem Gesetz ward er zum Schutzpatron aller namhaften Ritter erkoren. Von dessen Prüfungen hatte Jurand gar häufig von den Pilgern gehört, die aus fernen Ländern kamen, und die Erinnerung daran wirkte tröstend auf ihn ein.

Allmählich begann er aber wieder Hoffnung zu schöpfen. Die Krenzritter waren freilich wegen ihrer Rachsucht bekannt, er zweifelte daher auch nicht daran, daß sie sich für all die Niederlagen rächen würden, die er ihnen beigebracht, für all die Schmach, welche er ihnen bei jedem Zusammentreffen angethan, und für die Furcht, die er ihnen lange Jahre hindurch eingeflößt hatte.

Allein gerade diese Erwägung verlieh ihm nun Willenskraft. Er sagte sich, Danusia sei sicherlich nur deshalb von den Ordensbrüdern entführt worden, um Gewalt über ihn zu bekommen. Wenn er sich aber ihnen stellte, weshalb sollten sie dann noch länger Danusia der Freiheit berauben? Sicherlich Planten sie Schlimmes, weil sie aber in der Nähe von Masovien nichts gegen ihn zu unternehmen wagten, zwangen sie ihn, sich nach ihrer ferngelegenen Burg aufzumachen. Vielleicht legten sie ihn in Ketten, vielleicht drohte ihm lebenslängliche Haft in einem unterirdischen Kerker! Doch was wollte dies heißen, wenn er die Freiheit seines Kindes damit erkaufte? Sollte es auch ans Tageslicht kommen, daß man ihn in einen unterirdischen Kerker geworfen hatte, weder der Großmeister noch das Kapitel würde es den Kreuzrittern allzusehr verargen, denn seine, Jurands, Hand hatte in der That schwer auf ihnen gelastet, von ihm hatten sie weit Schlimmeres zu erdulden gehabt, als von irgend einem andern Ritter auf der Welt. Sofort aber würde sie der Großmeister für die Festhaltung des unschuldigen Mägdleins bestrafen, der Schutzbefohlenen des Fürsten, um dessen Freundschaft sich jener in Anbetracht des drohenden Krieges mit dem König von Polen eifrigst bemühte.

Eine immer größere Ruhe bemächtigte sich Jurands. Er zweifelte jetzt keinen Augenblick mehr, daß Danusia nach Spychow zurückkehren, daß sie unter Zbyszkos mächtigem Schutze gegen jede Gefahr gesichert sein werde. Das ist ein tapferer Bursche, sagte er sich, er wird ihr kein Leid widerfahren lassen. Und er rief sich mit einer gewissen Rührung all das ins Gedächtnis zurück, was er von Zbyszko wußte. »Gegen die Deutschen hat der junge Ritter bei Wilna gekämpft, im Zweikampfe hat er sich mit ihnen gemessen, er besiegte die Friesen, gegen die er mit dem Oheim stritt, gegen Lichtenstein ist er vorgegangen, vor dem Auerochsen hat er Danusia gerettet, den vier Kreuzrittern schickte er eine Herausforderung, von der er niemals abstehen wird.«

Hier erhob Jurand die Augen gen Himmel und rief: »Ich wollte sie Dir weihen, o Gott, Du aber schenktest sie Zbyszko.«

Würde sie aber Gott dem jungen Ritter zum Weibe gegeben haben, so fragte er sich weiter, um sie dann in den Händen der Kreuzritter zu Grunde gehen zu lassen? Nein, ihre Rettung war gewiß, dagegen vermochte keine Macht der Welt sich aufzulehnen. Und Zbyszko! Er war ja nicht nur tapfer, er war auch treu wie Gold. Bei ihm wird sie behütet sein, bei ihm wird sie heiße Liebe finden. »O Jesu!« betete er plötzlich laut, »gewähre dem Kinde ein frohes Geschick und laß mich hoffen, daß sie bei ihm weder den fürstlichen Hof, noch die väterliche Liebe vermißt.« Thränen traten bei diesen Worten in die Augen des Gebieters von Spychow und sein Herz krampfte sich schmerzlich zusammen. Ach, wie sehnte er sich, sein Kind wiederzusehen, wie wünschte er, wenn er denn doch aus dem Leben scheiden sollte, in Spychow bei den beiden ihm so teuern Wesen zu sterben und nicht in den dunkeln Kerkern der Kreuzritter den letzten Atemzug aushauchen zu müssen. »Doch der

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Aus dem erleuchteten Fenster des Turmes ertönte der anfänglich kaum vernehmbare Klang einer Laute.

Wille Gottes geschehe!« murmelte er vor sich hin. Szczytno war bereits zu sehen. Der Nebel ward lichter und lichter, immer deutlicher traten die Mauern der Burg hervor. Die Stunde von Jurands Demütigung rückte heran. Er aber erstarkte mehr und mehr und sprach also zu sich: »Wohlan, der Wille Gottes geschehe! Ich stehe am Abend meines Lebens. Einige Jahre mehr, einige weniger, was will das heißen! Hei! Wohl möchte ich noch einmal die beiden Kinder sehen, allein jedem Menschen ist ein Lebensziel gesteckt. Was mir beschieden ward, das habe ich genossen und ertragen, an wem ich Rache üben wollte, an dem rächte ich mich. Mein Geschick hat sich erfüllt. Bei Gott ist’s besser sein als auf der Welt, was er uns auferlegt, das wird sich auch erfüllen. Danusia und Zbyszko, sie werden meiner nicht vergessen, wenngleich es besser für sie wäre, sie vergäßen meiner. Gewiß, wohl mehr als einmal werden sie sich fragen: Wo ist er jetzt? Lebt er noch oder ist er schon in die himmlische Heimat eingezogen? Sie werden nach mir fragen, nach mir forschen. Auf Rache sind die Kreuzritter stets bedacht, doch Lösegeld verschmähen sie nie. Und Zbyszko wird damit nicht sparen, selbst wenn er auch nur meine Gebeine loskaufen könnte. Und mehr als eine Messe werden sie für mich lesen lassen, das ist gewiß. Ein dankbares, liebevolles Herz besitzen beide. O segnet sie dafür, Du, o Gott, und Du, o heilige Mutter Gottes!«

Die Landstraße wurde indessen nicht nur immer breiter, sondern auch immer belebter. Unablässig zogen Wagen mit Holz und Strohbündeln beladen der Stadt zu, Viehhirten trieben ihre Herden dahin. Auch ein Bauer in Ketten wurde von vier Bogenschützen des Weges geleitet. Augenscheinlich sollte er eines Vergehens wegen vor Gericht gebracht werden, denn die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden, an den Füßen aber trug er Fesseln, die auf dem Schnee schleifend, ihm das Gehen erschwerten. Mühsam und keuchend schleppte er sich weiter, während seine Wächter, die ihn beständig vorwärtstrieben, laut sangen. Als letztere Jurand erblickten, schauten sie ihn voll Neugierde an, offenbar ganz erstaunt über den mächtigen Reiter und das gewaltige Schlachtroß. Kaum bemerkten sie indessen die goldenen Sporen und den Rittergürtel, so senkten sie die Armbrust zur Erde als Zeichen der Ehrerbietung und zur Begrüßung. In dem Städtchen ging es schon äußerst lebhaft zu. Ein jeder wich jedoch vor dem bewaffneten Ritter zur Seite, welcher die Hauptstraße einschlagend, sich zur Burg wendete, die noch immer in nebligem Dunste lag, und in der noch alles zu schlafen schien.

Außerhalb der Burg herrschte indessen nichts weniger als Ruhe. Ganze Schwärme von Krähen und Raben flogen, aufgescheucht durch den des Weges ziehenden Reiter, krächzend und mit den Flügeln schlagend, umher. Bald genug begriff Jurand, weshalb sich hier eine solch große Zahl dieser Vögel angesammelt hatte. Seitwärts am Wege, der zu dem Burgthore führte, stand ein hoher, breiter Galgen, an dem die Leichname von vier masurischen Bauern hingen, die wohl den Kreuzrittern unterthan gewesen sein mochten. Da es völlig windstill war, hingen die Toten, die auf ihre Füße herab zu schauen schienen, fast ganz bewegungslos da und schaukelten nur dann hin und her, wenn die auf ihren Schultern und auf ihren Köpfen sitzenden Vögel sich gegenseitig zu vertreiben suchten, aufflogen, wieder zurückkehrten und mit ihren Schnäbeln auf die gesenkten Häupter einhackten. Die Bauern mußten schon lange an dem Galgen hängen, denn stellenweise lagen die Knochen an ihren Körpern ganz bloß, während sich die Beine unermeßlich in die Länge gezogen hatten. Beim Nahen Jurands schwang sich ein neuer Schwarm von Raben und Krähen mit lautem Gekrächze in die Luft, ließ sich aber dann bald wieder auf dem Querbalken des Galgens nieder. Das Zeichen des Kreuzes machend, ritt der Herr aus Spychow vorüber, hielt vor dem Graben an der Stelle an, an welcher die Zugbrücke über dem Thore aufgezogen war, und stieß in das Horn.

Ein zweites, ein drittes mal ließ er sein Horn ertönen. Alles blieb ruhig. Kein lebendes Wesen war auf den Wällen zu sehen, kein Laut drang aus dem Thore hervor. Endlich, nach minutenlangem Warten, öffnete sich hinter einem, neben dem Burgthore eingemauerten Gitter knirschend eine Klappe und das bärtige Gesicht eines deutschen Kriegsknechtes ward sichtbar.

»Wer da?« rief eine rauhe Stimme.

»Jurand aus Spychow!« antwortete der Ritter.

Daraufhin fiel die Klappe wieder rasch zu, und es trat abermals tiefes Schweigen ein.

Die Zeit verstrich. Auch nicht das geringste Geräusch drang aus dem Thore hervor. Dagegen ward das Gekrächze der um den Galgen fliegenden Vögel immer lauter.

Eine geraume Zeit hindurch wartete Jurand geduldig, dann setzte er das Horn aufs neue an die Lippen.

Keine Antwort erfolgte. Es herrschte eine lautlose Stille. Allgemach ward es Jurand klar, weshalb er vor dem Thore stehen mußte. Er kannte die Kreuzritter, er wußte, mit welch grenzenlosem Hochmute sie die Besiegten behandelten. Wie ein Bettler sollte er gedemütigt werden. Keine Minute zweifelte er daran, daß er vielleicht bis zum Abend oder noch länger zu warten habe. Im ersten Augenblick drohte ihn der Zorn zu übermannen. Am liebsten wäre er vom Pferde gestiegen und hätte einen der Steine, welche an dem Graben lagen, gegen das Gitter geschleudert. In einem andern Falle würde sowohl er wie jeder masovische oder polnische Ritter dies gethan haben, dann hätten sie hinter dem Thore hervorbrechen und sich ihm zum Kampfe stellen müssen. Jetzt bezwang er sich indessen abermals, indem er sich ins Gedächtnis zurückrief, weshalb er hierhergekommen war.

»Giebt es ein Opfer, das ich nicht für das Kind bringen würde?« fragte er sich.

Und geduldig wartete er vor der Burg.

Mittlerweile war es auf den Zinnen lebendig geworden. Da und dort tauchten Köpfe in Pelzumhüllung, in dunkeln Kapuzen, ja, in Blechhauben empor, und mehr als ein Augenpaar warf neugierige Blicke auf den Ritter. Mit jeder Minute vermehrte sich die Zahl dieser Beobachter, war es doch für die Besatzung ein unerhörter Anblick, den gefürchteten Gebieter von Spychow einsam vor dem Burgthore auf seinem Streitroß halten zu sehen. Wer sich ihm früher genähert hatte, der ging einem sicheren Tode entgegen, nun aber konnte man ihn gefahrlos, nach Herzenslust betrachten. Nach und nach wurden all diese Neugierigen immer sichtbarer, so daß schließlich die Zinnen in der Nähe des Thores geradezu mit Kriegsknechten bedeckt waren. Jurand glaubte nicht anders, als daß auch die Vorgesetzten durch das Gitterfenster in dem an das Thor angebauten Turm auf ihn blickten. Er schaute daher empor, überzeugte sich aber sofort von seinem Irrtume. Aus diesem, tief in die dicken Mauern eingefügten Fenster vermochte man nur in die Ferne zu sehen. Dagegen begann nun die auf der Brustwehr angesammelte Schar, die sich bis jetzt ganz still verhalten hatte, lauter und lauter zu werden. Dieser und jener nannte Jurands Namen, rohes Lachen ertönte, ein heiseres Geschrei, ein wüstes Geheul wie von Wölfen erhob sich, stets rücksichtsloser, stets verwegener wurden die Rufe, und da kein Mensch diesen Ausschreitungen steuerte, ward schließlich der Gebieter von Spychow mit Schnee beworfen. Kaum setzte indessen letzterer sein Roß, wie unwillkürlich, leise in Bewegung, so hörte sofort das Werfen mit Schnee auf, das Geschrei verstummte, ja, etliche der Helden verschwanden hinter den Mauern. In solcher Weise war Jurands Name gefürchtet. Nur zu bald kam es jedoch den feigherzigen Memmen zum Bewußtsein, daß sie ja durch Gräben und Wälle von dem Schrecken einjagenden Masuren getrennt waren, sie huben daher nicht nur von neuem an, den Harrenden mit Schnee zu bewerfen, sondern sie schleuderten ganze Eisschollen, Mörtel und Steine auf ihn, die mit lautem Geklirr von der Rüstung des Ritters, von dem Sattelzeuge des Rosses absprangen.

»Für das Kind ist mir kein Opfer zu schwer,« sagte sich Jurand.

Und er wartete und wartete. Die Mittagszeit nahte heran. Die Zinnen verödeten, denn die Söldner begaben sich zum Mahle. Nur etliche, welche die Wache hatten, aßen auf der Brustwehr und vergnügten sich dabei, den hungrigen Ritter mit den abgenagten Knochen zu bewerfen. Dann verhöhnten sie sich gegenseitig, indem einer den andern fragte, wer wohl von ihnen den Mut haben werde, zu jenem hinabzusteigen, um ihm mit der Faust einen Schlag in den Nacken oder mit dem Speere einen Stoß zu versetzen. Verschiedene, die von dem Mahle zurückkehrten, riefen ihm zu, er möge es nur sagen, wenn er des Wartens müde sei, an dem Galgen befinde sich noch ein freier Haken, an dem auch schon der Strick hänge. Und unter solchen Spottreden, unter solch wüstem Geschrei schwanden die Stunden dahin, der kurze Wintertag neigte sich seinem Ende zu. Der Abend brach an. Allein die Zugbrücke ward nicht herabgelassen, das Thor blieb geschlossen.

Plötzlich erhob sich ein Wind, der den Nebel zerteilte. Das von der Abendröte vergoldete Firmament ward sichtbar. Bläulich violett schimmerte der Schnee. Der Frost ließ nach, die Nacht versprach, schön zu werden. Nur die Wache befand sich noch auf der Zinne; die Krähen und Raben flogen von dem Galgen hinweg, dem Walde zu. Dunkler und dunkler wurde es, eine völlige Stille trat ein.

»Erst in der Nacht werden sie mir das Thor öffnen,« dachte Jurand.

Während eines Augenblickes erwog er es ernstlich, ob er nicht in das Städtchen zurückkehren solle, rasch verwarf er aber wieder diesen Gedanken. Es ist ihr Wille, daß ich hier stehe, sagte er sich. Wenn ich mich auch jetzt von hier entferne, lassen sie mich doch nicht wieder ziehen. Sie werden mich umzingeln, und weil sie sich dann meiner gewaltsam bemächtigt haben, erklären, sie seien mir zu nichts verpflichtet. Was nützt es daher, hinweg zu reiten, ich muß ja doch wieder zurückkehren.

Die von fremden Chronisten gerühmte, erstaunliche Ausdauer der polnischen Ritter im Ertragen von Kälte, Hunger und Beschwerden aller Art, befähigte diese häufig zum Vollbringen von Thaten, welche auszuführen die verweichlichteren Bewohner des Westens niemals im stande gewesen wären. Jurand aber besaß diese Ausdauer in noch höherem Maße als alle andern. Wenn sich ihm daher auch vor Hunger die Eingeweide zusammenzogen, wenn ihn auch die nächtliche Kühle trotz des über die Rüstung geworfenen Pelzes erschauern machte, er hielt auf seinem Posten aus, er hätte selbst dem Tode zu trotzen gewagt.

Plötzlich indessen – es herrschte schon fast tiefe Nacht – hörte er hinter sich feste Schritte auf dem knirschenden Schnee.

Sich umschauend, gewahrte er sechs Männer von der Stadt her des Weges kommend. Sie alle waren mit Lanzen und Hellebarden bewaffnet, während ein siebenter, der in ihrer Mitte einherging, ein Schwert trug. »Vielleicht wird jetzt das Thor geöffnet, und ich komme auch hinein,« dachte Jurand. »Mit Gewalt werden sie mich doch nicht ergreifen wollen, sie werden auch nicht versuchen, mich zu töten, denn ihre Zahl ist zu gering dazu. Planen sie aber doch einen Angriff auf mich, so dient mir dies als Beweis, daß sie ihr Versprechen nicht zu halten gedenken, und dann wehe ihnen.«

Unverweilt ergriff er die stählerne Streitaxt, welche am Sattel hing und welche so schwer war, daß jeder andere Mann sie nur mit zwei Händen hätte fassen können, und wendete sein Roß ihnen zu.

Jene aber dachten nicht daran, ihn zu überfallen. Im Gegenteile, die Kriegsknechte stießen sofort die Lanzen und Hellebarden in den Schnee, wobei ihnen indessen, wie Jurand, da er sich ganz in ihrer Nähe befand, deutlich bemerkte, die Hand doch ein wenig zitterte.

Der siebente Kriegsknecht, welcher außerdem der älteste zu sein schien, streckte sofort den linken Arm aus und fragte, mit dem Finger vor sich deutend: »Seid Ihr, Herr Ritter, Jurand aus Spychow?«

»Ich bin es.«

»Wollt Ihr hören, weshalb ich hierher gesandt ward?«

»Ich höre.«

»Der tapfere und mächtige Komtur von Danveld befahl mir, Euch zu sagen, o Herr, daß wenn Ihr nicht vom Pferde steigt, Euch das Thor nicht geöffnet werde.«

Während einiger Minuten saß Jurand ganz bewegungslos da, dann stieg er rasch vom Pferde, auf das sofort einer der Lanzenträger sprang.

»Die Waffen müßt Ihr uns auch ausliefern,« ließ sich aufs neue der Söldner mit dem Schwerte vernehmen.

Der Gebieter von Spychow zauderte eine geraume Zeit. »Wie,« so fragte er sich, »wenn sie dann auf mich Unbewaffneten stürzen, wenn sie mich wie ein wildes Tier niederstoßen? Oder könnten sie mich nicht auch ergreifen und in einen unterirdischen Kerker werfen? Doch nein, wenn sie einen Ueberfall planten, wären sie dann nicht in größerer Zahl erschienen, hätten sie es nicht unterlassen, ihre Waffen so nahe bei mir in den Schnee zu stoßen? Würde es dann nicht ein Leichtes für mich sein, die erste beste Waffe an mich zu reißen und alle zu erschlagen, bevor Hilfe eintreffen kann? Nein, dazu kennen sie mich zu gut.«

»Doch wenn dies auch der Fall wäre,« fragte er sich weiter, »wenn mein Blut fließen soll, was zaudere ich? Habe ich denn etwas anderes erwartet, als ich mich hier einstellte?«

Ohne noch lange zu zögern, warf er nun zuerst die Streitaxt, dann sein Schwert und schließlich das Misericordia von sich und harrte abermals der Dinge, die da kommen sollten. Rasch nahmen die Lanzenträger und Hellebardiere die Waffen an sich, während jener, der Jurand zuvor angeredet hatte, sich diesem noch mehr näherte, vor ihm stehen blieb und mit erhobener Stimme kühn also zu sprechen anhub: »Für all die Beschimpfungen, welche Du dem Orden zugefügt hast, sollst Du Dich nun, so lautet der Befehl des Komturs, in diesen härenen Sack hüllen, die Scheide dieses Schwertes an einem Stricke um den Hals hängen, und so lange vor dem Thore wartend stehen, bis es Dir durch die Gnade des Komturs geöffnet werden wird.«

Kaum waren diese Worte verklungen, so stand Jurand wieder allein in der Dunkelheit und in der nächtlichen Stille. Vor ihm auf dem Schnee lagen das Bußgewand und der Strick. Lange schaute er darauf. Ihm war es, als ob in ihm etwas entzwei gegangen, als ob etwas in ihm vernichtet und erstorben sei, ihn dünkte, er sei nicht mehr der gewaltige Ritter, nicht mehr Jurand aus Spychow, sondern ein armseliger Sklave ohne Namen, ohne Ruhm, ohne Ehre.

Erst nach Verlauf einiger Minuten machte er etliche Schritte vorwärts, indem er laut sagte: »Was soll ich thun? Du, Christus, Du weißt es: mein unschuldiges Kind erwürgen sie, wenn ich nicht alles ausführe, was sie befehlen. Und Du weißt es auch, daß ich um des eigenen Lebens willen mich niemals zu einem solchen Thun verstanden hätte! Bitter ist’s, Schmach und Schande auf sich zu nehmen! Schmerzlich ist es! Doch auch Du hast vor dem Kreuzestode Schmach und Schande erlitten. Es sei denn … Im Namen des Vaters und des Sohnes.«

Rasch beugte er sich nieder, hüllte sich in den Sack, in dem Löcher für den Kopf und die Arme eingeschnitten waren, schlang sich den Strick mit der Scheide des Schwertes um den Hals und schleppte sich an das Thor.

Doch nach wie vor blieb dasselbe geschlossen. Was kümmerte es aber nun noch den Gebieter von Spychow, ob das Thor ihm früher oder später geöffnet werde! In nächtlichem Schweigen lag die Burg. Dann und wann nur zeigte sich die Wache auf der Brustwehr. Ein einziges, hoch oben gelegenes Fenster des am Thore stehenden Turmes war erhellt, aus keinem der andern erstrahlte auch nur der geringste Lichtschein.

Langsam schwanden die Stunden dahin. Am Himmel stieg die Mondsichel empor und warf ihren silbernen Schimmer auf die finstere Burg. Eine solche Stille herrschte, daß Jurand das Klopfen des eigenen Herzens hätte hören können. Allein er schien wie erstarrt, wie versteinert zu sein. Ueber nichts vermochte er sich Rechenschaft zu geben, ihm war, als ob seine Seele schon entflohen sei. Ein Gedanke allein verfolgte ihn … Nein, er war nicht mehr der gewaltige Ritter Jurand aus Spychow – zu was er aber herabgesunken war – darüber konnte er nicht klar werden … Zuweilen kam es mich über ihn, als ob von jenem Galgen her der Tod leise, leise über den Schnee zu ihm heran schleiche …

Plötzlich indessen erbebte er am ganzen Körper und fuhr aus seiner Erstarrung empor: »O allbarmherziger Christus! Was ist das?«

Aus dem erleuchteten Fenster des Turmes ertönte der anfänglich kaum vernehmbare Klang einer Laute. Auf seinem Ritte nach Szczytno war Jurand der festen Ueberzeugung gewesen, Danusia befinde sich nicht in der Burg, doch dieser Lautenklang in der Stille der Nacht erschütterte ihn aufs höchste. Nur zu gut kannte er diese Weise. Wer sollte sie denn sonst spielen als sein Kind, sein einziges, geliebtes Kind! … Wie in Fieberhitze zitternd, stürzte er auf die Knie, faltete die Hände zum Gebete und lauschte und lauschte.

Inzwischen hub eine halb kindliche, halb sehnsüchtig klingende Stimme zu singen an:

Wie wär‘ ich gerne
Ein Gänslein klein,
Ich flög‘ in die Ferne
Zu Jasio mein!

Jurand wollte aufschreien, wollte den geliebten Namen rufen, allein die Worte erstarben ihm in der wie von einer eisernen Klammer zusammengepreßten Kehle. Der plötzlich mit aller Macht hervorbrechende Schmerz, die Thränen, die Sehnsucht, der Jammer drohten ihm die Brust zu zersprengen. Sich mit dem Gesichte auf den Schnee werfend, rief er mit der leidenschaftlichen Inbrunst, mit der man ein Dankgebet spricht: »O Jesu! So höre ich denn noch einmal die Stimme meines Kindes! O Jesu! …«

Ein heftiges Schluchzen erschütterte den gewaltigen Körper Jurands. Aus dem Turme aber ertönte wiederum der sehnsüchtige Gesang in die Stille der Nacht hinaus:

In Schlesien flög‘ ich nieder
Auf grünem Rain,
Die Waise sieh wieder,
O Jasienko mein!

Da plötzlich erhielt der vor dem Thore liegende Ritter von der rohen Hand eines bärtigen deutschen Kriegsknechtes einen heftigen Stoß in die Seite.

»Auf die Beine, Hund! … Das Thor ist offen, der Komtur befiehlt Dir, vor ihm zu erscheinen.«

Jurand fuhr wie aus einem Traume empor. Doch er ergriff weder den Söldner an der Kehle, noch zermalmte er ihn mit seinen eisernen Händen, nein, mit einem ergebenen, fast demütigen Gesichtsausdrucke erhob er sich und folgte, ohne ein Wort zu sprechen, seinem Führer durch das Thor.

Gleich darauf vernahm er hinter sich das Klirren von Ketten, die Zugbrücke wurde in die Höhe gezogen, das schwere, eiserne Gitter des Thores fiel herab.

– – – – – –

Erstes Kapitel.

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Im Vorhofe der Burg angelangt, wußte Jurand anfangs nicht, wohin er sich wenden solle, da der Kriegsknecht, welcher ihn durch das Thor geführt hatte, ihn dann verließ und sich den Stallungen zuwandte. Allüberall auf den Zinnen standen Söldner, da und dort befand sich ein einzelner, an andern Stellen waren mehrere beisammen, allein ihre Mienen waren so frech, ihre Blicke so höhnisch, daß der Ritter sich sagen mußte, sie würden ihm den Weg nicht zeigen, und wenn sie seine Fragen überhaupt beantworteten, dies nur auf grobe und verächtliche Weise thun.

Manche lachten, indem sie mit den Fingern auf ihn zeigten, von andern ward er mit Schnee beworfen, gerade wie am Tage zuvor. Er aber, der jetzt eine Thüre gewahrte, die höher und breiter war als alle andern und über der ein Christusbild aus Stein angebracht war, schritt darauf zu, weil er dachte, wenn der Komtur und die Aeltesten sich in einem anderen Teile der Burg befänden, müsse ihn doch jemand über seinen Irrtum aufklären und auf den richtigen Weg weisen.

Und so geschah es auch. Im Augenblick, da Jurand sich jener Thüre näherte, öffneten sich plötzlich die beiden Thürflügel, und ein Jüngling trat hervor, dessen Haupt wie das eines Klerikers geschoren war, der aber weltliche Kleidung trug.

»Seid Ihr Jurand, der Herr aus Spychow?« fragte er.

»Ich bin es!«

»Der Komtur befahl mir, Euch zu geleiten. Folget mir!«

Und er führte ihn durch den gewölbten Gang der Treppe zu. An den Stufen blieb er indessen stehen und Jurand mit dem Blicke messend, fragte er: »Ihr tragt doch keine Waffen bei Euch? Man befahl mir, Euch zu durchsuchen.«

Da richtete sich Jurand hoch auf, so daß der Jüngling seine kraftvolle Gestalt so recht ins Auge fassen konnte, und entgegnete: »Gestern habe ich alle ausgeliefert.«

Jetzt dämpfte der Führer die Stimme und sagte beinahe im Flüstertone: »Dann hütet Euch, Euerem Zorn die Zügel schießen zu lassen, denn einer mächtig waltenden Hand seid Ihr anheim gegeben!«

»Aber durch den Willen Gottes!« antwortete Jurand.

Bei diesen Worten betrachtete er seinen Führer aufmerksam, und da er in dessen Antlitz etwas wie Mitgefühl wahrnahm, fügte er hinzu: »Offenheit und Redlichkeit schauen Dir aus den Augen, o Jüngling! Willst Du mir daher aufrichtig das beantworten, was ich Dich frage?«

»Sprecht schnell!« sagte der Führer.

»Werden sie nun, da ich gekommen bin, mein Kind freigeben?«

Der Jüngling zog verwundert die Brauen zusammen.

»Euer Kind ist es also, das sich hier befindet?«

»Meine Tochter.«

»Die Jungfrau in dem Turme am Thore?«

»Ja! Sie versprachen, das Kind zurückzuschicken, wenn ich mich selbst stelle.«

Der Führer machte eine Bewegung mit der Hand, zum Zeichen, daß er nichts wisse, aber sein Gesicht drückte Besorgnis und Zweifel aus.

Und Jurand fragte weiter: »Es ist doch wahr, daß sie unter dem Schutze von Szomberg und Markwardt steht?«

»Die beiden befinden sich gar nicht in der Burg. Bringt die Jungfrau fort, Herr, ehe der Starost Danveld wieder gesundet.«

Als Jurand dies vernahm, begann er zu zittern, aber er hatte keine Zeit, noch mehr zu fragen, da sie nun in den oberen Stock und zu dem Saal gelangt waren, wo Jurand vor das Antlitz des Starosten von Szczytno treten sollte. Der Jüngling öffnete die Thüre und zog sich dann sofort wieder zurück.

Der Gebieter von Spychow überschritt die Schwelle und befand sich in einer ungewöhnlich großen, aber düsteren Kemenate, da die in Blei gefaßten Fensterscheiben nur wenig Licht zuließen, der Tag aber trübe und winterlich war. Am äußersten Ende des Saales brannte zwar ein Feuer in dem großen Kamine, allein die feuchten Holzscheite leuchteten kaum. Erst nach einer gewissen Zeit, als Jurand sich an das Halbdunkel gewöhnt hatte, gewahrte er im Hintergrund einen Tisch, woran einige Ritter saßen, und hinter diesen eine ganze Schar bewaffneter Knappen, sowie bewaffneter Knechte, unter denen sich der Hofnarr befand, der einen zahmen Bären an der Kette hielt.

Schon in früherer Zeit war Jurand mit Danveld zusammengetroffen, dann hatte er ihn zweimal am Hofe des Fürsten von Masovien als Gesandten gesehen, seitdem waren einige Jahre verflossen. Trotz des Halbdunkels erkannte er ihn daher sofort wieder an den Umrissen seiner feisten Gestalt und seines Gesichtes, sowie auch daran, daß er in der Mitte auf einem Armstuhl saß und die geschiente Hand auf die Lehne stützte. An seiner rechten Seite saß der alte Zygfryd de Löwe aus Insburk, der unversöhnliche Feind Jurands und des polnischen Stammes überhaupt, an seiner linken die jüngeren Brüder Godfryd und Rotgier. Danveld hatte sie absichtlich herbeschieden, damit sie seinen Triumph über diesen furchtbaren Widersacher mitansehen konnten. So saßen sie denn gemächlich da, in weiche, dunkle Tuchgewänder gekleidet, mit leichten Schwertern an der Seite, froh erregt und voll Selbstbewußtsein.

Lange Zeit herrschte tiefes Schweigen, denn sie wollten sich weiden an dem Anblick des Mannes, den sie früher geradezu gefürchtet hatten, und der jetzt tief gebeugt vor ihnen stand, der jetzt in einen härenen Sack gehüllt war und um den Hals einen Strick trug, an dem die Scheide eines Schwertes hing.

Offenbar wünschten sie auch, daß eine große Anzahl von Leuten seine Demütigung mitansehe, denn durch die in die andern Stuben führenden Seitenthüren konnte eintreten, wer Lust hatte, und bald war der Saal fast zur Hälfte mit Bewaffneten angefüllt. Alle schauten mit unendlicher Neugierde auf Jurand, sprachen laut und machten Bemerkungen über ihn. Er aber faßte wieder Mut bei ihrem Anblick, denn er sagte sich, wenn Danveld nicht halten wollte, was er versprach, so hätte er nicht so viele Zeugen geladen.

Da gebot Danveld durch eine Handbewegung Schweigen und gab einem der Knappen ein Zeichen, worauf dieser sich Jurand näherte und den Strick an dessen Hals erfassend, ihn um einige Schritte näher zu dem Tische heranzog.

Jetzt nahm Danveld das Wort und sagte zu dem Gefangenen: »Du hast Dich mit dem Orden herumgebissen wie ein wütender Hund, deshalb fügte es Gott, daß Du wie ein Hund mit einem Strick um den Hals vor uns stehst und unserer Gnade, unserem Erbarmen anheim gegeben bist.«

»Vergleiche mich nicht mit einem Hunde, Komtur,« entgegnete Jurand, »denn damit nimmst Du auch all denen die Ehre, welche mit mir kämpften und durch meine Hand fielen.«

Auf diese Worte hin erhob sich ein Gemurmel unter den bewaffneten Mannen, doch wäre es schwer zu sagen gewesen, ob sie über diese kühne Antwort erzürnt oder von ihrer Richtigkeit betroffen waren.

Aber eine derartige Wendung des Gespräches behagte dem Komtur nicht und er sagte: »Seht, sogar hier besudelt er uns voll Hochmut und voll Hoffart mit seinem Geifer.«

Und Jurand hob die Hände empor wie ein Mensch, welcher den Himmel zum Zeugen anruft, und entgegnete, das Haupt schüttelnd: »Gott weiß, daß meine Hoffart mich verließ, als ich den Fuß in diese Burg setzte. Gott weiß aber auch und wird darüber richten, ob Ihr Euch nicht selbst beschimpft und in mir den ganzen Ritterstand, indem Ihr mich beschimpft. Denn die Ritterehre ist das, was jeder Gegürtete hochhalten sollte.«

Danveld runzelte die Stirne, aber in diesem Augenblick bewegte der Narr die Kette, woran er den Bären festhielt, so daß sie laut klirrte, und rief aus: »Eine Strafpredigt! Eine Strafpredigt! Ein Prediger aus Masovien ist zu uns hierher gekommen! Hört! Eine Strafpredigt! …«

Dann wendete er sich zu Danveld:

»Herr,« sagte er, »als Graf Rosenheim durch den Glöckner wegen der Predigt allzu früh erweckt ward, befahl er ihm, die Schnur des Glockenturmes von einem Knoten zum andern aufzuessen. Dieser Prediger hat ein Seil um den Hals, befiehl ihm, es aufzuessen, bevor die Predigt zu Ende ist.«

Während er so sprach, blickte er indessen mit einer gewissen Unruhe auf den Komtur, weil er nicht sicher war, ob jener lachen oder ihn wegen der unzeitigen Bemerkung auspeitschen lassen werde.

Als er jedoch sah, daß Danveld über seine Scherze durchaus nicht ungehalten war, wurde er kühn und schrie: »Hole den Striegel und kämme den Bären, dann mag er Dir als Gegendienst die Haarzotteln kämmen!«

Daraufhin ließ sich da und dort Gelächter vernehmen, und aus den Umherstehenden rief jemand: »Im Sommer wirst Du das Rohr am See schneiden!«

»Und mit Aas Krebse fangen,« rief ein anderer.

Ein dritter aber fügte hinzu: »Und jetzt fange an, die Krähen von dem Galgen zu verscheuchen. An Arbeit soll es Dir hier nicht mangeln.«

So verhöhnten sie Jurand, der ihnen einst so furchtbar erschienen war. Allmählich überkam eine gewisse Fröhlichkeit die ganze Versammlung. Manche traten hinter dem Tisch hervor, näherten sich dem Gefangenen, um ihn genau zu betrachten, und sagten: »Dies ist also der wilde Eber, dem unser Komtur die Hauzähne ausschlug. Er hat gewiß Schaum vor dem Maule, gar gerne würde er beißen, aber er kann nicht!« Danveld und die andern Ritter, welche anfangs dieser Vernehmung des Gefangenen den Anschein einer feierlichen Gerichtssitzung hatten geben wollen und nun sahen, daß die Sache eine andere Wendung nahm, erhoben sich alle von den Bänken und gesellten sich zu denen, welche bei Jurand standen.

Der alte Zygfryd aus Insburk sah dies ungern, doch der Komtur sprach zu ihm: »Runzelt die Stirne nicht, es wird noch größere Lustbarkeit geben!« Und auch sie begannen Jurand zu betrachten, da sich eine solche Gelegenheit selten bot, denn war einer der Ritter oder Knechte ihm zuvor so nahe gekommen, so schlossen sich meist dann seine Augen für immer.

Manche sagten: »Breitschultrig ist er, wenn schon er ein dickes Fell unter dem Sacke hat, man könnte ihn mit Erbsenstroh umwinden und auf den Jahrmarkt führen.« Wieder andere riefen nach Bier, damit der Tag sich noch fröhlicher für sie gestalte.

In der That vernahm man nach wenig Augenblicken das Klappern der gefüllten Krüge, und der düstere Saal erfüllte sich mit dem Geruch des unter den Deckeln hervorquellenden Schaumes. Der aufgeheiterte Komtur erklärte laut: »So ist es gerade recht, er soll nicht denken, daß sein Verhör eine wichtige Sache für uns ist.« Deshalb näherten sie sich ihm wieder und ihn mit ihren Krügen unter das Kinn stoßend, sagten sie: »Du würdest wohl gerne trinken, Du massurischer Rüssel?« Manche gossen sich Bier in die Hand und spritzten es ihm in die Augen, er aber stand da wie vernichtet, zuletzt aber stürzte er auf den alten Zygfryd zu, und offenbar fühlend, daß er sich nicht länger beherrschen könne, schrie er laut genug, um den im Saal herrschenden Lärm zu übertäuben: »Bei dem Leiden Christi und Euerm ewigen Seelenheil, gebt mir mein Kind zurück, wie Ihr versprochen habt!«

Und er wollte die Hand des alten Komturs ergreifen, allein dieser wich rasch zurück und rief: »Fort von mir, Sklave, was begehrst Du?«

»Ich entließ Bergow aus der Gefangenschaft und bin selbst hierhergekommen, weil Ihr verspracht, daß Ihr mir dafür meine Tochter wiedergebt, die sich hier befindet.«

»Wer versprach Dir dies?« fragte Danveld.

»Auf Glauben und Gewissen, Du, Komtur!«

»Zeugen hast Du jedoch nicht und in diesem Falle könnte von einer Berufung auf Zeugen auch nicht die Rede sein, da es sich um mein Versprechen und um meine Ehre handelt!«

»Ich beschwöre Dich bei Deiner Ehre! Bei der Ehre des Ordens!« rief Jurand.

»Die Tochter soll Dir wiedergegeben werden,« antwortete Danveld. Dann wendete er sich zu der Versammlung und sprach: »Alles, was ihm hier widerfuhr, ist unschuldiger Zeitvertreib und steht nicht in richtigem Verhältnis zu seinen Verbrechen. Dieweil wir aber versprachen, ihm die Tochter wiederzugeben, sobald er sich stelle und sich vor uns demütige, soll es sich auch zeigen, daß wir unser Wort halten, indem wir jenes Mädchen, das wir den Händen der Ränder entrissen, frei lassen und nach des Gefangenen strenger Buße wegen seiner Sünden gegen uns, auch ihm gestatten, sich in seine Burg zu begeben.«

Diese Rede setzte viele in Erstaunen, da sie Danveld und seinen langjährigen Haß auf Jurand kannten und solche Zugeständnisse nicht von ihm erwartet hatten. Der alte Zygfryd sowie Rotgier und Bruder Godfryd schauten ihn daher voll Verwunderung an, indem sie die Stirne runzelten, jener indessen that, als ob er die fragenden Blicke nicht sehe, und setzte hinzu: »Deine Tochter werden wir unter Bedeckung zurücksenden. Du aber bleibst hier, bis ihre Begleiter ungefährdet wiedergekehrt sind und Du das Lösegeld bezahlt hast.«

Jurand selbst war ein wenig erstaunt, denn er hatte schon die Hoffnung aufgegeben, daß sein Opfer Danusia etwas nützen werde. Deshalb schaute er fast dankbar auf Danveld und erwiderte: »Gott lohne Dir, Komtur! Da ich aber das Kind lange Zeit nicht gesehen habe, gestatte mir, es zu umarmen und ihm meinen Segen zu geben.«

»Wohl, doch nur in Gegenwart all der Unsrigen, daß sie Zeugen unserer Treue und unserer Gnade sind!«

So sprechend, gebot er einem auf der Seite stehenden Knappen, Danusia hereinzuführen, er selbst aber trat zu Zygfryd de Löwe, Rotgier und Godfryd heran, die ihn sofort umringten und eifrig auf ihn einzureden begannen.

»Ich werde keinen Einspruch erheben, obgleich ich ganz andere Absichten hatte,« erklärte der alte Zygfryd.

Und der heißblütige, wegen seiner Tapferkeit und Grausamkeit berüchtigte Rotgier sagte: »Wie! Nicht nur das Mädchen, sondern auch diesen verteufelten Hund läßt Du frei, auf daß er uns wiederum beißen kann?«

»Nun wird er sich noch toller gebärden!« rief Godfryd aus.

»Das Lösegeld wird er jedenfalls bezahlen!« entgegnete Danveld in sorglosem Tone.

»Und wenn er auch alles hingiebt, so stiehlt er in einem Jahre wieder zweimal soviel zusammen.«

»Ich erhebe keinen Einwand wegen des Mädchens,« wiederholte Zygfryd, »aber ist der Wolf frei, so müssen die Schäfchen des Ordens dafür büßen.«

»Und unser Wort?« fragte Danveld lachend.

»Du hattest früher andere Ansichten …«

Danveld zuckte die Achseln: »Habt Ihr Euch noch nicht genug ergötzt?« fragte er. »Verlangt Euch nach größerer Belustigung?«

Die andern umringten Jurand abermals, und überzeugt, daß von dem Lobe, welches Danveld ob seiner Redlichkeit gezollt ward, ein Abglanz auch auf sie falle, überboten sie sich dem Gefangenen gegenüber in Prahlereien.

»Was meinst Du, Steinadler,« sagte der Hauptmann der Bogenschützen, »Deine heidnischen Brüder würden doch mit unsern christlichen Rittern nicht so verfahren?«

»Du aber hast Dich in unserm Blute berauscht.«

»Und für Steine gaben wir Dir Brot.«

Doch Jurand achtete kaum auf den Hochmut, die Verachtung, welche in diesen Worten lagen. Sein Herz war allzuvoll, in seinen Augen standen Thränen. Dachte er doch, daß er innerhalb weniger Minuten Danusia wiedersehen werde, und daß er dies Wiedersehen der Gnade der Kreuzritter verdanke. Deshalb blickte er beinahe reuevoll auf die Sprechenden und schließlich sagte er: »Das ist die Wahrheit! Das ist die Wahrheit! Schwer bedrückte ich Euch, aber … Hinterlist kannte ich nicht.«

In diesem Augenblick rief eine Stimme am andern Ende des Saales: »Sie bringen das Mädchen!« und sofort trat tiefe Stille ein. Die Söldlinge stellten sich in zwei Reihen einander gegenüber auf, und da keiner von ihnen bisher Jurands Tochter gesehen hatte, ward ihr Interesse um so größer, als Danveld seine That in den Schleier des Geheimnisses gehüllt hatte und ihnen bisher nichts von der Ankunft des Mädchens in der Burg bekannt gewesen war. Die wenigen unter den Anwesenden, welche schon davon wußten, teilten flüsternd Bemerkungen über die wunderbare Schönheit der Erwarteten aus, aller Augen richteten sich daher mit außerordentlicher Neugier auf die Thüre, durch welche sie eintreten sollte.

Zuerst erschien ein Knappe, hinter ihm die allen wohlbekannte Dienerin des Ordens, dieselbe, welche sich einige Zeit in dem Jagdschlößchen aufgehalten hatte, und dieser folgte ein weißgekleidetes Mädchen mit aufgelösten, durch eine Stirnbinde festgehaltenen Haaren.

Und plötzlich ließ sich ein lautes Gelächter im ganzen Saale vernehmen. Jurand, welcher auf seine Tochter zugeeilt war, fuhr sofort wieder zurück und stand wie erstarrt, mit totenbleichem Antlitz da, indem er voll Verwunderung auf den spitzen Kopf, die bläulichen Lippen und blöden Augen der Jammergestalt sah, welche für Danusia galt.

»Das ist nicht meine Tochter!« sagte er mit bebender Stimme.

»Nicht Deine Tochter?« rief Danveld. »Beim heiligen Liborius von Paderborn, dann ist es entweder nicht Deine Tochter gewesen, die wir den Händen der Räuber entrissen, oder irgend ein Schwarzkünstler hat sie verzaubert, denn eine andere Jungfrau befindet sich nicht in Szczytno.«

Der alte Zygfryd, Rotgier und Godfryd wechselten Blicke miteinander, welche das größte Staunen über Danvelds Schlauheit und Verschlagenheit ausdrückten, doch keiner von ihnen hatte Zeit, sich zu äußern, da Jurand in diesem Augenblick mit furchtbarer Stimme ausrief: »Ja! Es befindet sich noch eine Jungfrau in Szczytno. Ich hörte wie sie sang, ich hörte Danusias Stimme!«

Nun wendete sich Danveld zu den Versammelten, indem er in ruhigem, entschiedenem Tone erklärte: »Ich rufe Euch, die hier Anwesenden, besonders aber Dich, Zygfryd aus Insburk und Euch Rotgier und Godfryd zu Zeugen darüber auf, daß ich meinem Worte und Versprechen gemäß diese Jungfrau, welche nach der Aussage der durch uns überwältigten Räuber die Tochter Jurands aus Spychow ist, zurückgebe. Ist diese Aussage unrichtig – dann darf man uns keine Schuld beimessen, wohl aber eine glückliche Fügung darin sehen, daß durch dies Mittel Jurand in unsre Gewalt gekommen ist.«

Zygfryd, sowie die beiden jüngeren Brüder neigten ihre Häupter zum Zeichen, daß sie seine Worte gehört hatten und Zeugnis ablegen wollten, wenn es nötig sei. Und abermals wechselten sie rasche Blicke – war dies doch mehr als sie selbst hatten erwarten können, denn welcher andere wäre im stande gewesen, Jurand festzunehmen, ihm die Tochter vorzuenthalten und den Anschein zu wahren, als ob er das gegebene Versprechen einlöse?

Aber Jurand warf sich auf die Knie nieder und beschwor Danveld bei allen Reliquien von Marienburg sowie bei der Asche seiner Väter, ihm die Tochter zurückzugeben und nicht wie ein Betrüger, ein Verräter an ihm zu handeln, der sich durch keinen Eid, kein Versprechen gebunden glaube. In seiner Stimme lag soviel ungeheuchelte Verzweiflung, daß manche der Anwesenden sich sagten, hier müsse ein Geheimnis im Spiele sein, wieder andere hingegen auf den Gedanken kamen, irgend ein Schwarzkünstler müsse in der That die Gestalt des Mädchens verwandelt haben.

»Gott sieht auf Deinen Verrat hernieder!« rief Jurand. »Bei den Wundmalen des Erlösers! Bei Deiner Todesstunde! Gieb mir mein Kind zurück!«

Und sich erhebend, schritt er tiefgebeugt auf Danveld zu, wie wenn er dessen Knie umfassen wolle, während seine Augen glühten wie im Wahnsinn, und er in abgerissenen Lauten bald seinen Schmerz, seine Angst und Verzweiflung äußerte, bald in unverhohlene Drohungen ausbrach. Als Danveld hörte, daß er vor der ganzen Versammlung der Verräterei und des Betrugs beschuldigt ward, begann er förmlich zu schnauben, gleich einer Flamme brach sein Zorn plötzlich hervor, er wollte den Unglücklichen nun vollständig vernichten, trat daher dicht zu ihm heran und sich zu dessen Ohr herabbeugend, stieß er leise zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor: »Wenn ich sie Dir je zurückgebe – dann kehrt sie mit einem Bastard von mir zurück!«

Aber im nämlichen Augenblick brüllte Jurand wie ein Stier, ergriff Danveld mit beiden Händen und hob ihn in die Höhe. Im Saale vernahm man noch den durchdringenden Ruf: »Erbarmen!« – dann schlug der Körper des Komturs mit solcher Gewalt auf den steinernen Fußboden auf, daß durch die zerschmetterte Hirnschale Zygfryd und Rotgier, welche in der Nähe standen, bespritzt wurden. Jetzt sprang Jurand auf die Rüstungen und Waffen zu, welche sich an einer Seitenwand befanden, ergriff ein riesiges Schwert und fiel, dem Sturmwind gleich, über die vor Schrecken wie versteinerten Ritter her.

Den an Kampf, Gemetzel und Blutbad gewöhnten Mannen sank der Mut so sehr, daß sie, als die Erstarrung schon von ihnen gewichen war, sich dennoch zurückzogen und die Flucht ergriffen wie eine Herde Schafe die Flucht vor den Wölfen ergreift. Der ganze Saal hallte wider von den Ausrufen des Entsetzens, dem Stampfen der Füße, von dem Klirren der umgestürzten Geräte, von dem Geheul der Knechte, dem Gebrüll des Bären, welcher sich von der Hand des Führers losgerissen hatte und nun auf das hohe Fenster hinaufzuklettern begann, von den verzweifelten Rufen nach Rüstungen, nach Schildern, nach Schwerten, nach Armbrüsten. Schließlich blitzten die Waffen und manche scharfe Klinge ward gegen Jurand gerichtet, er aber sah und hörte nichts mehr, halb von Sinnen stürzte er sich auf seine Feinde, und nun begann ein wilder Kampf, der eher einer Metzelei als irgend einem Waffengange glich. Der junge heißblütige Godfryd vertrat Jurand zuerst den Weg, allein dieser schlug ihm schnell wie der Blitz das Haupt samt der Schulter mit seinem Schwerte ab. Nach diesem fielen durch seine Hand der Hauptmann der Bogenschützen, sowie der Schloßverwalter von Bracht und der Engländer Hugues, die, ohne recht zu begreifen, um was es sich eigentlich handelte, anfangs Mitleid mit Jurands Qual gehabt und erst nach Danvelds Tötung zu den Waffen gegriffen hatten. Wieder andere, die erkannten, welch furchtbare Kraft diesem Manne innewohnte, wenn seine Leidenschaft entfesselt war, drangen scharenweise auf ihn ein, um gemeinsam seinen Widerstand zu brechen, aber durch diese Kampfesart wurden ihnen noch größere Verluste beigebracht, da Jurand mit gesträubten Haaren, wirren Blicken, ganz mit Blut überströmt und Blut schnaubend, rasend, tobend, mit triefendem Schwert in diesen zusammengewürfelten Haufen hineinschlug, ihn trennte und sich mit seinen Gegnern auf dem befleckten Boden wälzte, in seiner Wut dem Sturmwind gleichend, der mächtig an Gesträuchen und Bäumen rüttelt. Wieder überkam nun alle eine entsetzliche Angst, denn allem Anscheine nach waren sie diesem furchtbaren Masuren gegenüber, der sie darniederstreckte und mordete, völlig machtlos, und ebensowenig wie die bellende Meute ohne Hilfe der Bogenschützen den grimmigen Eber zu verscheuchen vermag, ebensowenig konnten sie ohne Hilfe gegen die tolle Wut Jurands aufkommen, weil der Kampf mit ihm ihnen nur Tod und Verderben brachte.

»Zerstreut Euch! Umzingelt ihn! Von rückwärts geht auf ihn los!« rief der alte Zygfryd de Löwe.

Und sie zerstreuten sich im Saale wie eine Vogelschar auf freiem Felde, auf welche sich plötzlich der Habicht von oben herabstürzt, doch ehe sie ihn noch umzingelt hatten, begann er sie in toller Raserei zu verfolgen, anstatt für sich selbst Deckung zu suchen, und wen er einholte, der sank hin wie vom Donner gerührt. Seine Demütigung und Verzweiflung, all seine getäuschten Hoffnungen äußerten sich nun in dem einen Verlangen nach Blut und schienen seine angeborene außerordentliche Kraft noch um das Zehnfache zu erhöhen. Ein Schwert, das die Stärksten, Gewaltigsten unter den Kreuzrittern nur mit beiden Händen gebrauchen konnten, führte er mit der einen wie wenn es eine Feder gewesen wäre. Ihm lag nichts mehr am Leben, nichts mehr an Befreiung, sogar nichts mehr an seinem Sieg, er dachte nur an Rache, und wie loderndes Feuer oder wie ein Strom, der, nachdem er die Dämme zerrissen, blindlings alles vernichtet, was sich seinem reißenden Laufe entgegensetzt, so ergriff auch er, der furchtbare Zerstörer, alles – so zerbrach er es, trat es mit Füßen, mordete es und löschte alles menschliche Leben aus.

Es war unmöglich, ihm auf irgend eine Weise beizukommen, denn die Söldner fürchteten sich sogar, ihn im Rücken anzugreifen. Wußten sie doch, wenn er sich gegen sie wende, würde keine Macht der Welt sie vor einem sicheren Tode retten. Gar manche wurden von Schrecken und Bestürzung ergriffen bei dem Gedanken, daß ein gewöhnlicher Mensch nicht im stande gewesen wäre, ihnen eine solche Niederlage beizubringen, und daß sie es mit einem Manne zu thun hatten, dem irgend eine übernatürliche Macht innewohne.

Aber der alte Zygfryd und Bruder Rotgier eilten auf die Galerie, welche längs des großen, mit vielen Fenstern versehenen Saales hinlief, und riefen den andern zu, ihnen zu folgen, dabei gingen aber alle so hastig zu Werke, daß sie sich auf den engen Stufen stießen und drängten, weil jeder zuerst oben anlangen wollte, um von dort aus den Gewaltigen niederzustrecken, der im Kampfe nicht zu besiegen war. Schließlich schlug der Letzte die zur Empore führende Thüre hinter sich zu, und Jurand blieb allein. Ein triumphierendes Freudengeschrei ließ sich nun auf der Galerie vernehmen, und sofort wurden schwere Schemel und Bänke aus Eichenholz, sowie die eisernen Behälter der Fackeln auf den Ritter niedergeschleudert. Er ward an der Stirne über den Brauen getroffen, und das Blut strömte ihm über das Gesicht. Gleichzeitig öffnete sich die große Eingangsthüre des Saales und scharenweise stürzten die durch die oberen Fenster herbeigerufenen Knechte herein, welche sich mit Speeren, Hellebarden, Beilen, Armbrüsten, mit Pfählen, Stangen, Stricken, kurz mit allem bewaffnet hatten, was ihnen in der Eile in die Hände gekommen war.

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Aber im nämlichen Augenblick brüllte Jurand wie ein Stier, ergriff Danveld mit beiden Händen und hob ihn in die Höhe.

Und der rasende Jurand wischte sich mit der linken Hand das Blut vom Gesicht, auf daß es ihm nicht den Blick verdunkle, raffte sich auf und stürzte sich auf den ganzen Menschenschwarm. Im Saale vernahm man wieder Aechzen und Stöhnen, das Klirren der Waffen, Zähneknirschen und das durchdringende Geschrei der zu Tode getroffenen Mannen.

Zweites Kapitel.

Am Tische, in diesem nämlichen Saale saß des Abends der alte Zygfryd de Löwe, welcher nach Danvelds, des Starosten, Tode die Verwaltung von Szczytno übernommen hatte, an seiner Seite der Bruder Rotgier, sowie der Ritter de Bergow, der ehemalige Gefangene Jurands. Diesem reihten sich zwei jüngere Edelleute, Novizen an, welche binnen kurzem die weißen Mäntel tragen sollten. Draußen vor den Fenstern tobte der Wintersturm, er rüttelte an den in Blei gefaßten Scheiben, bewegte die Flammen der in eisernen Ringen hängenden Fackeln hin und her, dann und wann trieb er kleine Rauchwölkchen aus dem Kamine in den Saal. Obgleich die Ritter sich zur Beratung versammelt hatten, herrschte anfangs tiefes Schweigen unter ihnen, denn jeder wartete auf ein Wort Zygfryds. Dieser aber saß, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, das graue, gebeugte Haupt mit beiden Händen umfassend, so daß sein Antlitz sich im Schatten befand, in trübe, düstere Gedanken versunken da.

»Worüber haben wir zu beraten?« fragte schließlich Rotgier.

Zygfryd erhob das Haupt, sah den Sprechenden an und aus seiner Versunkenheit erwachend, sagte er: »Ueber unsere Niederlage, darüber, was der Meister und das Kapitel sagen werden, und auch darüber, ob aus unsern Thaten nicht ein Schaden für den Orden erwachsen kann …«

Dann verstummte er wieder, nach einer Weile indessen blickte er sich um und bemerkte, mit den Nasenlöchern die Luft einziehend: »Hier riecht es noch nach Blut!«

»Nicht doch, Komtur,« entgegnete Rotgier, »ich befahl, den Fußboden zu scheuern und den Saal mit Schwefel auszuräuchern. Es riecht nach Schwefel.«

Zygfryd betrachtete die Anwesenden mit seltsamen Blicken und sagte: »Erbarme sich Gott über die Seele des Bruders Danveld und über die Seele des Bruders Godfryd!«

Jene aber begriffen sofort, daß er deshalb die Barmherzigkeit Gottes anrief, weil ihm bei der Erwähnung des Schwefels unwillkürlich der Gedanke an die Hölle gekommen war, und alle riefen zugleich: »Amen! Amen! Amen!«

Wieder war einige Zeit nichts zu hören, als das Brausen des Windes und das Klirren der Fensterscheiben.

»Wo befinden sich die Leichname des Komturs und des Bruders Godfryd?« fragte der Greis.

»In der Kapelle!«

»Hat man sie schon in die Särge gelegt?«

»Ja! Des Komturs Haupt ward verhüllt, weil die Hirnschale zerschmettert, das Antlitz vollständig unkenntlich ist.«

»Wo sind die andern Toten? Und die Verwundeten?«

»Die Toten liegen im Schnee, damit sie vor Verwesung bewahrt bleiben, bis die Särge verfertigt sind, und die Verwundeten werden im Hospital verpflegt.«

Zygfryd schlug abermals die Hände über dem Haupt zusammen.

»Und all dies hat ein einziger Mensch gethan! Gott, nimm den Orden in Deine Obhut, wenn es zu einem großen Kriegszuge mit dieser Wolfsbrut kommt.«

Daraufhin richtete Rotgier den Blick nach oben, als ob ihm plötzlich eine Erinnerung käme, und bemerkte: »Bei Wilna habe ich gehört, wie der Vogt von Samland zu seinem Bruder, dem Meister, sagte: ›Wenn Du keinen großen Kriegszug unternimmst und sie nicht so ausrottest, daß selbst ihr Name der Vergessenheit anheimfällt, dann wehe uns und unserm Volke!‹«

»Gott gebe, daß es zu einem solchen Kriege, zu einem heftigen Zusammenstoß mit ihnen komme!« sagte einer, der edlen Novizen.

Zygfryd sah in durchdringend an, wie wenn er Lust hätte zu sagen: »Du hattest ja heute Gelegenheit, mit einem von ihnen zu kämpfen!« aber als er die zarte, jugendliche Gestalt des Novizen betrachtete, da kam ihm wohl der Gedanke, daß ja auch er selbst, der seines Mutes wegen berühmt war, sich nicht dem sicheren Verderben hatte aussetzen wollen, und er sprach sich nicht aus, sondern fragte nur: »Wer unter Euch hat Jurand gesehen?«

»Ich!« entgegnete de Bergow.

»Lebt er noch?«

»Er lebt und liegt noch in demselben Netze, worin wir ihn zu Fall gebracht haben. Als er zum Bewußtsein kam, wollten ihn die Knechte erschlagen, doch der Kaplan duldete es nicht!«

»Erschlagen darf er nicht werden. Er ist wohlangesehen bei seinen Stammesgenossen und man würde einen fürchterlichen Lärm erheben,« entgegnete Zygfryd. »Doch wird es nicht möglich sein, das zu verbergen, was vorgegangen ist, da zu viele Zeugen anwesend waren.«

»Was sollen wir also sagen und was haben wir zu thun?« fragte Rotgier.

Zygfryd bedachte sich und schließlich sprach er folgendermaßen: »Ihr, edler Graf de Bergow, begebt Euch nach Marienburg. Ihr seufztet in der Gefangenschaft Jurands und seid ein Gast des Ordens. Da Ihr nun als Gast nicht unbedingt die Partei der Ordensbrüder nehmen müßt, wird man Euch um so eher glauben. Sagt daher, was Ihr mit angesehen habt, sagt, daß Danveld, der an der Grenze irgend ein Mädchen aus den Händen von Räubern befreit hatte, in der Meinung, dies Mädchen sei Jurands Tochter, dem Gebieter von Spychow, welcher nach Szczytno gekommen war, Mitteilung davon gemacht habe, und daß – nun, was weiter geschah, wißt Ihr selbst!«

»Verzeiht, Komtur,« antwortete de Bergow. »Schwer ist die Gefangenschaft in Spychow gewesen, und gerne würde ich als Gast für Euch zeugen, doch um meiner Seelenruhe willen sagt mir nur das eine: ist denn Jurands Tochter nicht in Szczytno gewesen und hat nicht Danvelds Verrat den Wahnsinn des furchtbaren Mannes herbeigeführt?«

Zygfryd de Löwe schwankte einen Augenblick mit der Antwort. Ein tiefer Haß gegen den polnischen Stamm erfüllte ihn, seine Grausamkeit übertraf sogar die Danvelds, er war voll Hochmut und Habsucht, wenn es sich um die Angelegenheiten des Ordens handelte, aber einer offenbaren Lüge machte er sich nicht gerne schuldig. Mit der größten Bitterkeit nahm er daher wahr, wie sich in der letzten Zeit diese Angelegenheiten durch den Leichtsinn und die Zügellosigkeit einiger Ordensritter gar schlimm gestaltet hatten. Deshalb berührte de Bergows Frage einen wunden Punkt in seiner Seele, und erst nach langem Schweigen erwiderte er: »Danveld steht vor Gott, Gott wird ihn richten! Und wenn man Euch, edler Graf, nach Eurer Ansicht fragt, dann sagt, was Ihr wollt, und wenn man darnach fragt, was Eure Augen mit angeschaut haben, dann erzählt, daß bevor wir noch das Netz über dem Rasenden zusammenziehen konnten, Ihr schon neun Tote und viele Verwundete auf diesem Fußboden saht, unter ihnen die Leichname Danvelds, Bruder Gofryds, von Brachts, Hugos und zweier edlen Jünglinge. Gott gebe ihnen die ewige Ruhe. Amen!«

»Amen! Amen!« wiederholten abermals die Novizen.

»Und sagt auch,« fügte Zygfryd hinzu, »daß wenn schon Danveld den Feind des Ordens demütigen wollte, doch niemand hier zuerst das Schwert gegen Jurand gezogen hat.«

»Ich werde nur das berichten, was ich mit eigenen Augen ansah!« entgegnete de Bergow.

»Findet Euch vor Mitternacht in der Kapelle ein. Auch wir werden kommen, um für die abgeschiedenen Seelen zu beten,« antwortete Zygfryd.

Und er streckte die Hand gegen ihn aus zum Zeichen, daß er ihm danke und ihn zugleich verabschiede, denn er wünschte mit dem Bruder Rotgier, den er liebte und dem er großes Vertrauen schenkte, allein zu sein.

Nachdem de Bergow sich entfernt hatte, schickte Zygfryd auch die beiden Novizen fort, unter dem Vorwande, sie sollten die Arbeit der Knechte überwachen, welche die Särge für die von Jurand Erschlagenen verfertigen mußten. Als die Thüre sich hinter den beiden geschlossen hatte, wandte er sich zu Rotgier und sprach: »Höre, was ich Dir sage: keine lebende Seele darf jemals erfahren, daß die wirkliche Tochter Jurands hier bei uns ist.«

»Es wird nicht schwer sein, das Geheimnis zu bewahren,« entgegnete Rotgier, »denn außer Danveld, Godfryd, uns beiden und dem Weibe, unter dessen Obhut sie sich befindet, hat niemand erfahren, daß sie hier ist. Die Leute, welche sie aus dem Jagdhofe hierher geleiteten, ließ Danveld betrunken machen. Unter der Besatzung hegten wohl manche anfangs Argwohn, aber schließlich verwechselten sie doch Jurands Tochter mit der Blödsinnigen und wissen nicht mehr, ob auf unserer Seite ein Irrtum begangen, oder ob Jurands Tochter in der That durch irgend einen Schwarzkünstler verwandelt worden ist.«

»Was thun wir aber mit Jurands Tochter und wie können wir rechtfertigen, was in Szczytno geschehen ist?«

»Darüber müssen wir noch zu Rate gehen!«

»Ueberlaßt sie mir!«

Zygfryd blickte ihn forschend an und erwiderte: »Nein! Höre, junger Bruder! Wenn es sich um den Orden handelt, darf man weder gegen Männer noch gegen Weiber, aber auch nicht gegen sich selbst nachsichtig sein. Danveld wurde von Gottes Hand getroffen, weil er nicht nur das dem Orden zugefügte Unrecht rächen, sondern auch die eigenen Gelüste befriedigen wollte.«

»Gar schlimm beurteilt Ihr mich!« sagte Rotgier.

»Seid nicht nachsichtig gegen Euch selbst,« unterbrach ihn Zygfryd, »denn Geist und Körper sind verweichlicht bei Euch und jenes harte Volk wird Euch dereinst so zu Boden drücken, daß Ihr Euch nicht mehr zu erheben vermögt!«

Wieder stützte er das Haupt in die Hände und versank in düsteres Schweigen, aber offenbar lauschte er nur den Einflüsterungen seines eigenen Gewissens und dachte nur an sich selbst, denn nach einer Weile sagte er: »Auch auf mir lastet viel vergossenes Blut, lasten viele Schmerzen, viele Thränen. Doch wenn es sich um den Orden handelt und wenn ich sehe, daß ich mit eigener Kraft nichts ausrichten kann, da bedenke ich mich nie lange, ich wende mich an Gott den Herrn, ich sage ihm: siehe, dies that ich für den Orden und hier ist, was ich für mich selbst erwählt habe!«

Bei diesen Worten schob er vorn auf der Brust das dunkle Tuchgewand auseinander, unter dem das härene Bußhemd sichtbar ward. Dann drückte er beide Hände an die Schläfen, hob den Kopf empor und rief aus: »Entsagt Eurer Wollust und Eurer Leichtfertigkeit, stählt Eure Körper und Eure Herzen, denn in den Lüften sehe ich weiße Adlerfedern und Adlerkrallen, die von dem Blute der Kreuzritter gerötet sind …«

Seine Rede wurde durch das Tosen des Sturmes unterbrochen, hoch oben über der Galerie ging klirrend ein Fenster auf, heulend und pfeifend fuhr die Windsbraut durch den Saal, einen Haufen Schneeflocken mit sich führend.

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Welch eine Nacht ist das!« sagte der alte Kreuzritter.

»Eine Nacht, in der die bösen Geister Gewalt haben!« versetzte Rotgier.

»Und die Geistlichen wachen bei Danvelds Leichnam?«

»Ja, sie wachen bei ihm!«

»Er ging dahin ohne Absolution! … Gott sei ihm gnädig!«

Beide verstummten, dann nach einer Weile rief Rotgier einige Knechte herbei, denen er befahl, das Fenster zu schließen und die Fackeln abzustoßen, damit sie heller leuchteten. Als sie sich wieder entfernt hatten, fragte er abermals: »Was habt Ihr mit Jurands Tochter vor? Ihr führt sie wohl von hier nach Insburk?«

»Ich führe sie nach Insburk, und was geschehen muß, soll mit ihr geschehen! Du aber wirst Dich an den Hof des Fürsten von Masovien begeben und gegen Jurand Klage führen.«

»Wollt Ihr mich dem sicheren Verderben weihen?«

»Wenn Dein Verderben dem Orden zum Ruhme gereicht, muß es so sein. Aber nein! Deiner harrt nicht das Verderben. Als Gast bleibst Du unbehelligt, es sei denn, daß Dich jemand fordere, wie jener junge Ritter, der uns alle gefordert hat … Er oder ein anderer … aber wäre dies denn so furchtbar?«

»Gott gebe, daß es so komme! Doch können sie mich auch ergreifen und in ein unterirdisches Gefängnis werfen.«

»Dies werden sie nicht thun. Vergiß nicht, daß Jurand jenen Brief an den Fürsten schrieb und daß Du außerdem kommst, um Jurand anzuklagen. Erzähle getreu, was er hier in Szczytno gethan hat, und sie müssen Dir Glauben schenken … Also dem Gebieter von Spychow ward mitgeteilt, daß sich eine Jungfrau in unsern Händen befinde, dann ward er aufgefordert zu kommen und sie zu sehen; er kam, verfiel aber in Wahnsinn, tötete den Komtur und richtete unsere Leute zu Grunde. So wirst Du sprechen, und was können sie darauf erwidern? Danvelds Tod wird bald in ganz Masovien ruchbar werden. In Anbetracht dieser Thatsache werden sich unsere Feinde hüten, eine Klage zu erheben. Die Tochter Jurands werden sie natürlich suchen, aber da Jurand selbst schrieb, sie befinde sich nicht bei uns, wird auch auf uns kein Verdacht fallen. Man muß recht dreist auftreten und ihnen das Maul schließen, dann denken sie, wenn wir schuldig wären, würde keiner von uns es wagen, zu ihnen zu kommen.«

»Ihr habt recht. Nach Danvelds Begräbnis werde ich sogleich aufbrechen.«

»Möge die Klugheit mit Dir sein, mein Sohn! Wenn wir alles thun, was sich gebührt, dann können sie Dich nicht zurückhalten, ja, sie müssen sich sogar von Jurand lossagen, damit wir nicht verkünden können: Also verfahren sie mit uns!«

»Wohl, doch wenn dieser Teufel aus Spychow am Leben bleibt und die Freiheit wieder erlangt?«

Zygfryd schaute düster vor sich nieder, dann aber antwortete er langsam und nachdrücklich: »Wenn er auch die Freiheit wieder erlangt, wird er doch niemals ein Wort der Klage gegen den Orden äußern.«

Hierauf belehrte er Rotgier noch darüber, was er am masovischen Hof zu sagen und was er dort zu verlangen habe.

Siebentes Kapitel.

Vater Bartosz aus Klobuzk hatte gerade eine Messe beendigt, der Probst von Kalisz sollte binnen kurzem die zweite beginnen, und der König trat vor das Zelt, um die von dem langen Knien etwas ermüdeten Glieder ein wenig zu strecken, als ein Edelmann, Hanko Ostojezyk, wie der Sturmwind auf schaumbedecktem Pferde dahergesprengt kam, und bevor er noch von dem Sattel herabsprang, laut hinaus schrie: »Die Deutschen! Allergnädigster Herr und König!«

Bei diesen Worten fuhren die Ritter empor, der Ausdruck auf dem Antlitz des Königs veränderte sich und nach einem kurzen Schweigen rief er: »Gelobt sei Jesus Christus! Wo sahst Du sie und wie viele Fähnlein sind es?«

»Ein Fähnlein sah ich bei Grünwald,« erwiderte Hanko schweratmend, »aber jenseits des Hügels erheben sich Staubwolken, wie wenn deren mehrere heranrückten.«

»Gelobt sei Jesus Christus!« sagte der König abermals.

Da wendete sich Witold, dem bei den ersten Worten Hankos das Blut jäh ins Gesicht gestiegen war und dessen Augen blitzten, zu dem Gefolge des Königs und rief:

»Verschiebt die zweite Messe auf spätere Zeit! Bringt mir ein Pferd!«

Der König aber legte die Hand auf Witolds Schulter und sagte: »Mache Du Dich auf, Bruder, ich hingegen bleibe und höre die zweite Messe mit an.«

Witold und Zindram aus Maszkowice eilten zu ihren Pferden, aber gerade in dem Augenblick, da sie sich dem Lager zuwendeten, sprengte ein zweiter Kundschafter, der Edelmann Piotr Oksza aus Wostow heran und schrie schon von ferne: »Die Deutschen! Die Deutschen! Ich habe zwei Fähnlein gesehen.«

»Zu Roß!« ließen sich Stimmen unter den Hofherren und Rittern vernehmen.

Noch hatte Piotr seine Botschaft nicht beendigt, als abermals Hufschlag erscholl und der dritte Kundschafter, dann ein vierter, fünfter und sechster heranraste. Sie alle hatten deutsche Heeresabteilungen gesehen, die in immer größerer und größerer Zahl heranrückten. Es herrschte kein Zweifel mehr darüber, daß die ganze Kriegsmacht des Ordens dem Heere des Königs in den Weg treten werde.

Die Ritter zerstreuten sich sofort, ein jeder eilte zu seinem Fähnlein. Vor dem Zelte in der Nähe des Königs blieben nur einige Hofherrn, Geistliche und Waffenträger. Aber in diesem Augenblick ertönte ein Glöckchen zum Zeichen, daß der Probst aus Kalisz die zweite Messe beginne, daher breitete Jagiello die Arme aus, faltete dann fromm die Hände und den Blick gen Himmel erhebend, ging er mit langsamen Schritten in das Zelt.

– – – – – –

Aber als er nach der Messe wieder heraustrat, konnte er sich schon mit eigenen Augen davon überzeugen, daß die Kundschafter die Wahrheit gesprochen hatten, denn unterhalb des sanft ansteigenden Geländes zeigten sich dunkle Schatten, wie wenn auf dem leeren Gefilde plötzlich ein Wald erwüchse, und über diesem Walde flatterten bunte, in allen Farben spielende Fahnen. Noch etwas weiter hin, jenseits von Grünwald und Tannenberg, erhoben sich ungeheure Staubwolken gen Himmel.

Ein Blick auf den Horizont genügte, um dem König die furchtbare Gefahr klar zu machen, er wendete sich zu dem hochwürdigen Unterkanzler Mikolaj und fragte: »Was für ein Heiligentag ist heute?«

»Der Tag der Aussendung der Apostel!« sagte der Unterkanzler.

Der König seufzte.

»Also wird der Tag der Aussendung der Apostel der letzte Tag für viele tausend Christen sein, welche heute auf diesem Felde zusammenstoßen werden.«

Und er zeigte mit der Hand auf das weite, leere Gefilde, in dessen Mitte, ungefähr in der Hälfte des Weges nach Tannenberg, einige uralte Eichen standen. Mittlerweile wurde sein Pferd vorgeführt und in der Ferne zeigten sich sechzig Lanzenträger, welche Zindram aus Maszkowice sandte, damit sie dem König als Leibwache dienten.

– – – – – –

Diese Wache wurde angeführt von Aleksander, dem jüngern Sohne des Fürsten von Plock, dem Bruder jenes Ziemowit, welcher wegen seiner besondern Begabung für die Kriegskunst schon dem Kriegsrate angehörte. Als zweiter Befehlshaber war ihm Zygmunt Korzbut aus Litauen, der Bruderssohn des Monarchen zugesellt, ein Jüngling, der zu großen Hoffnungen berechtigte, zu einer großen Zukunft bestimmt schien, aber einen unruhigen Geist hatte. Die berühmtesten unter den andern Rittern waren Jasko Mazik aus Dobrowa, ein wahrer Riese, an Gestalt fast dem Paszko aus Biskupice gleich und an Kraft selbst dem Zawisza Czarny nicht viel nachgebend, Zolawa, ein böhmischer Baron, von zartem, schlankem Körperbau, aber durch außerordentliche Gewandtheit und Tapferkeit ausgezeichnet, am böhmischen und ungarischen Hose bekannt wegen der Zweikämpfe, in denen er mehr als zehn österreichische Ritter niedergeworfen hatte, und Sokol, ein anderer Böhme, der beste Armbrustschütze, sowie Bieniasz Wierusz aus Großpolen, Piotr Medyolanski, der litauische Bojar Sienko aus Pohost, dessen Vater Piotr das Kriegsvolk aus Smolensk befehligte, dann Knäs Tieduszko, ein Blutsverwandter des Königs, Knäs Jamont und schließlich polnische Ritter, »auserwählt aus Tausenden«, welche alle geschworen hatten, bis auf den letzten Blutstropfen den König vor den Gefahren des Krieges zu schützen. Zu der unmittelbaren Umgebung des Königs gehörten der hochwürdige Unterkanzler Mikolaj und der Geheimschreiber Zbigniew aus Olesnica, der trotz seiner Jugend nicht nur äußerst gelehrt und in der Kunst des Lesens und des Schreibens sehr geübt war, sondern auch gleichzeitig gar viele seiner Altersgenossen an Kraft übertraf. Für die Ausrüstung des Königs sorgten drei

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Die Hände und den Blick gen Himmel erhebend, ging der König mit langsamen Schritten in das Zelt.

Waffenträger. Czajka aus Nowy Dwôr, Mikolaj aus Morawice und der Russe Danielko, welcher die Armbrust und den Köcher des Königs trug. Etliche weitere Knappen, die auf leichtfüßigen Rossen die Befehle nach allen Richtungen zu tragen hatten, vervollständigten das Gefolge des Königs.

Nachdem die Waffenträger ihren Herrn mit einer glänzenden, schimmernden Rüstung gewappnet hatten, führten sie ihm einen ebenfalls »unter Tausenden auserwählten« kastanienbraunen, türkischen Renner zu, der – ein gutes Anzeichen – sofort unter seiner eisernen Stirnbinde zu schnauben begann und dann mit lautem Gewieher, gleich einem zum Fluge sich anschickenden Vogel, in die Luft stieg. Kaum fühlte der König das Roß unter sich, kaum hielt er den Speer in der Hand, so ging eine Verwandlung mit ihm vor. Die Schwermut wich aus seinem Antlitz, seine kleinen dunkeln Augen blitzten und seine Wangen röteten sich, allein diese Veränderung hielt nicht lange an, denn tief ernst schaute er schon wieder darein, als der hochwürdige Unterkanzler das Zeichen des Kreuzes über ihn machte, und demutsvoll beugte er sein silberbehelmtes Haupt.

– – – – – –

Inzwischen bewegte sich das Kriegsheer der Deutschen langsam die Anhöhe herab an Grünwald und Tannenberg vorbei, um in der Mitte der Ebene in voller Schlachtordnung Halt zu machen. Von unten, von dem polnischen Lager aus, konnte man genau die geradezu schreckenerregende Menge der gewaltigen, in Eisen gepanzerten Ritter und Pferde sehen, ja, wenn der Wind nicht gerade die Banner hin und her wehte, vermochte ein scharfes Auge die darauf prangenden Zeichen zu erkennen wie Kreuze, Adler, Greife, Schwerter, Helme, Widder, Bisons und Bärenköpfe.

Dadurch daß der alte Macko und Zbyszko schon mit den Kreuzrittern gekämpft hatten und deren Kriegsheer, deren Wappen kannten, waren sie nicht nur im stande, den ihnen befreundeten Rittern aus Sieradz die beiden Fähnlein des Großmeisters zu zeigen, sondern sie konnten diese auch auf das Hauptbanner des ganzen Ordens, welches von Friedrich von Wallenrod getragen ward, sowie auf das Banner des heiligen Georg mit einem roten Kreuze auf weißem Grunde und auf noch viele andere Banner des Ordens aufmerksam machen. Unbekannt aber waren den Rittern aus Bogdaniec die Abzeichen der verschiedenen fremden Gäste, die zu Tausenden aus allen Weltgegenden herbeigeströmt waren, wie aus Oesterreich, Bayern, Schwaben, aus der Schweiz, aus dem durch seine Ritterschaft berühmten Burgund, aus dem reichen Flandern, aus dem sonnigen Frankreich, dessen Ritter, wie Macko einst sagte, sich selbst dann noch ihrer Tapferkeit rühmen, wenn sie schon darniedergeworfen sind – und aus dem jenseits des Meeres gelegenen England, dem Geburtslande der sicheren Armbrustschützen, ja, sogar aus dem fernen Spanien, wo sich durch die fortgesetzten Kämpfe mit den Sarazenen Tapferkeit und Ehrgefühl noch mehr als in allen andern Landen entwickelt hatten. Das Blut floß rascher in den Adern jener wetterharten Edelleute aus Sieradz, Koniecpole, Krzesnia, Bogdaniec, Rogow und Brzozowa, in den Adern der Edelleute aus allen andern polnischen Gebieten bei dem Gedanken, daß sie nun bald mit den Deutschen, mit den fremdländischen Rittern in der Schlacht zusammenstoßen würden. Zu einem Kampfe auf Leben und Tod mußte es kommen, deshalb schauten die ältern Edelleute ernst und feierlich darein, während die jugendlichen Kämpen kaum ihre Ungeduld zu zügeln wußten, gleich jungen Jagdhunden, die, an der Leine gehalten, das Wild in der Ferne wittern. Etliche von ihnen faßten unwillkürlich jetzt schon den Speer, das Schwert, oder die Streitaxt fester in die Hand und zogen die Zügel ihrer Pferde so gewaltsam an, als ob sie mit ihnen zum Sprunge ausholen wollten, andere atmeten so schwer, als ob es ihnen zu enge in der Rüstung geworden sei. Beruhigend suchten die erfahreneren Krieger auf diese Heißsporne einzuwirken, indem sie ihnen stets wiederholten: »Ihr werdet auch an die Reihe kommen. Ein jeder von Euch wird seine Kraft bethätigen können, Gott gebe nur, daß Ihr der Aufgabe gewachsen bleibt.«

Die Kreuzritter indessen erschauten, von der Anhöhe auf die Ebene herabsehend, an dem Waldesrande nur einige wenige polnischen Abteilungen und glaubten daher nicht die ganze Heeresmacht der Polen, mit dem Könige an der Spitze, vor sich zu sehen. Wohl zeigten sich zwar links am See auch etliche Kriegshaufen, wohl blitzte es in den Büschen zuweilen wie von Lanzenspitzen auf, das heißt, wie von Wurfspießen, welche die Litauer zu führen pflegten, allein dies Geflimmer mochte ebensogut von einer beträchtlichen Streifwache der Polen herrühren. Erst durch eine Anzahl von Ueberläufern aus dem gefallenen Gilgenburg, welche vor den Großmeister gebracht wurden, erfuhr dieser, daß ihm die vereinten Streitkräfte der Polen und Litauer gegenüber standen.

Doch umsonst schilderten jene Mannen diese gewaltige Macht, der Großmeister legte ihren Worten keine Bedeutung bei, denn von Beginn des Krieges an wollte er nur das glauben, was für ihn günstig war, was einen sichern Sieg verhieß. Er schickte daher weder Streifwachen, noch Kundschafter aus, denn er bezweifelte keinen Augenblick, daß es zu einer entsetzlichen Schlacht kommen müsse, und daß diese Schlacht nur mit der gänzlichen Niederlage des Feindes endigen könne. Im Vertrauen auf eine Macht, wie sie nie zuvor von einem Großmeister ins Feld gestellt worden war, verachtete er seinen Gegner, und als ihm der Komtur aus Mewe, der auf eigene Hand Kundschaft eingezogen hatte, auseinandersetzte, Jagiellos Kriegsheer sei noch größer als das des Ordens, da antwortete er: »Was will denn dieses Kriegsvolk bedeuten? Möglicherweise werden die Polen etwas Widerstand leisten, den andern aber nützt ihre Ueberzahl nichts, wissen sie doch besser den Löffel als das Schwert zu handhaben.«

So ließ er den Vormarsch beschleunigen, und schon nach kurzer Zeit stand er zu seiner großen Freude dem Feinde gegenüber, schon nach kurzer Zeit erkannte er an dem königlichen Hauptbanner, dessen Rot auf dem dunkeln Hintergründe des Waldes deutlich sichtbar ward, daß er auf die Hauptmacht gestoßen war.

An einen Angriff konnten die Deutschen jedoch vorerst nicht denken, da die Polen längs des Waldessaumes standen, und die Kreuzritter, die gefährlichsten Gegner im offenen Felde, einen Kampf im Gehölz stets zu vermeiden suchten, weil sie sich ihm nicht gewachsen fühlten.

Der Großmeister hielt daher eine kurze Beratschlagung darüber ab, wie man den Feind aus seinen Stellungen verdrängen könne.

»Bei dem heiligen Georg!« rief der Großmeister, »wir haben eine gewaltige Strecke zurückgelegt, ohne Rast zu machen. Die Hitze ist drückend, und der Schweiß rinnt uns unter der Rüstung vom Körper herab. Sollen wir daher ruhig zuwarten, bis es dem Feinde gefällt, uns anzugreifen?«

Daraufhin ließ sich Graf Wende, ein erfahrener, kluger Mann, also vernehmen: »Fürwahr, stets hat man hier meine Worte verlacht, stets wurde ich von denen verspottet, welche, bei Gott, von diesem Schlachtfelds fliehen werden, auf dem ich den Tod finde (hier schaute er auf Werner von Tetlingen), trotzdem aber spreche ich das aus, was mir mein Gewissen, was mir meine Liebe zu dem Orden gebieten. Den Polen gebricht es wahrlich nicht an Mut, ihr König hofft jedoch noch immer, so ward mir berichtet, daß ein Bote mit Friedensvorschlägen bei ihm eintreffen werde.«

Werner von Tetlingen erteilte keine Antwort, sondern brach nur in ein verächtliches Lachen aus, der Großmeister dagegen, dem Wendes Worte sehr unliebsam waren, erwiderte unverweilt: »Ist es jetzt an der Zeit, von Frieden zu sprechen? Ich glaube, wir haben ganz andere Dinge zu beraten.«

»Für ein Gott gefälliges Werk ist es stets an der Zeit!« warf von Wende ein.

Nun wandte Heinrich, der grausame Komtur von Czluchow, welcher den Schwur geleistet hatte, solange zwei entblößte Schwerter vor sich hertragen zu lassen, bis er sie in das Blut der Polen getaucht habe, sein feistes, schweißtriefendes Antlitz dem Großmeister zu und rief in zornigem Tone: »Lieber den Tod als Schande! Selbst wenn ich allein stünde, würde ich mit diesen Schwertern das ganze Kriegsheer der Polen angreifen.«

Ulryk zog ein wenig die Brauen zusammen.

»Gegen den Gehorsam lehnst Du Dich auf!« warf er ein, um dann an die Komture die Worte zu richten: »Laßt Euern Rat darüber hören, wie wir den Feind aus seinen Stellungen längs des Waldessaumes vertreiben können.«

Der und jener gab nun seine Ansicht kund, bis man schließlich sich darüber einigte, Gersdorfs Plan auszuführen, der sowohl Beifall bei den Komturen wie bei den hervorragendsten Gästen fand. Demzufolge sollten zwei Herolde an den König abgeschickt werden mit der Botschaft, der Großmeister übersende ihm zwei Schwerter und fordere die Polen zum Kampfe auf Tod und Leben, dabei erkläre er sich aber bereit, wenn der Kampfplatz zu klein erscheine, mit seinem Kriegsheer etwas zurückzugehen, um dadurch mehr Raum zu schaffen.

– – – – – –

Der König stand gerade im Begriff, sich von dem Seeufer aus zu dem linken Flügel des polnischen Heeres zu begeben, weil er verschiedenen Kriegern den Rittergürtel verleihen wollte, als man ihm plötzlich das Nahen zweier Herolde meldete.

Jagiello schöpfte aufs neue Hoffnung. »Vielleicht machen sie uns doch noch annehmbare Friedensvorschläge!« meinte er.

»Gott gebe dies!« stimmten die geistlichen Herren bei.

Der König schickte unverweilt nach Witold. Inzwischen ritten die beiden Herolde langsam dem Lager zu.

In dem hellen Sonnenlichte konnte man sie schon aus der Ferne auf ihren mächtigen dampfenden Streitrossen so deutlich wahrnehmen, daß man auf dem Schilde des einen den schwarzen kaiserlichen Adler auf goldenem Felde, auf dem des andern – dem Herolde des Fürsten von Stettin – einen Greif auf weißem Felde erkennen konnte. Bei ihrer Ankunft stoben die Reihen auseinander, die Herolde aber, von ihren Rossen steigend, standen gleich darauf vor dem Könige, neigten ein wenig das Haupt als Zeichen ihrer Ehrerbietung und entledigten sich sofort ihrer Botschaft.

»Der Großmeister Ulryk,« begann der erste Herold, »fordert Deine Majestät, o Herr, und den Fürsten Witold zum blutigen Kampfe, und um die Euch augenscheinlich mangelnde Tapferkeit zu erwecken, sendet er Euch diese beiden entblößten Schwerter.«

Mit diesen Worten legte er zwei Schwerter zu den Füßen des Königs nieder, und kaum hatte Jasko Mazyk aus Dobrowa diesen Ausspruch verdolmetscht, so trat auch schon der zweite Herold vor und sprach also: »Der Großmeister Ulryk hat mir befohlen, Euch, o Herr, zu melden, daß er bereit ist, mit seinem Kriegsheere zurückzugehen, so Euch der Kampfplatz zu enge erscheinen sollte und damit Ihr nicht länger gezwungen seid, träge in den Wäldern zu verharren.«

Als Jasko auch diesen Ausspruch verdolmetschte, trat eine lautlose Stille ein. Die Ritter in dem Gefolge des Königs knirschten insgeheim mit den Zähnen vor Entrüstung über eine solche Verwegenheit, über eine solche Beschimpfung.

Mit einem Schlage war Jagiellos Hoffnung vernichtet. Eine Botschaft des Friedens, der Versöhnung hatte er erwartet, eine demütigende Herausforderung war ihm zu teil geworden.

Seine thränenfeuchten Augen gen Himmel richtend, antwortete er daher: »Wohl besitzen wir Schwerter im Ueberflusse, diese beiden nehme ich aber doch auf, da ich sie als ein Zeichen des kommenden Sieges betrachte, das mir Gott durch Euch übermittelt. Und der Kampfplatz wird durch Ihn bestimmt werden, durch Ihn, zu dem ich mich nun wende, bei dem ich Klage führe über die mir angethane Beschimpfung, über Eure Ueberhebung, über Euern Hochmut. Amen!«

Zwei große Thränen rannen langsam über die sonnverbrannten Wangen des Königs, während plötzlich Stimmen in seinem Gefolge laut wurden und man die Worte vernahm: »Die Deutschen ziehen sich zurück! Sie geben das Feld frei!«

Die Herolde entfernten sich und schon nach wenigen Augenblicken konnte man sie auf ihren gewaltigen Streitrossen die Anhöhe emporreiten sehen, wobei die seidenen, über den Rüstungen getragenen Wappenröcke in dem hellen Sonnenlichte glänzten und schimmerten.

– – – – – –

Nun rückte das polnische Kriegsheer vor und stellte sich in Schlachtordnung auf. Das Vordertreffen bildeten die gefürchtetsten Ritter, dann kam die Hauptmacht und au diese schlossen sich das Fußvolk und die Söldner an. In dem Räume zwischen den verschiedenen Abteilungen jagte Zindram, sprengte Witold hin und her, der, unbehelmt und in glänzender Rüstung einem Unheil verkündenden Sterne oder einer vom Winde hin und her getriebenen sengenden Flamme glich.

Tief Atem holend, setzten sich die Ritter fester in den Sattel.

Die Schlacht konnte jeden Augenblick beginnen.

– – – – – –

Aufmerksam beobachtete inzwischen der Großmeister das von dem Waldessaume vorrückende Kriegsheer des Königs.

Und während sein Auge auf dieser unermeßlichen Schar haftete, auf den Seitenflügeln, die sich gleich den Flügeln eines mächtigen Vogels ausbreiteten, auf den, von dem Winde hin und her gewehten vielfarbigen Bannern, da zog sich ihm das Herz unter einer ungewohnten, entsetzlichen Empfindung zusammen. Vielleicht sah er jetzt schon im Geiste Haufen von Leichnamen, Ströme von Blut. Wenn er auch keine Furcht vor Menschen kannte, beschlich ihn vielleicht doch jetzt die Furcht vor Gott im Himmel, in dessen Hand die Wagschale des Sieges ruhte.

Zum ersten Male kam es ihm in den Sinn, wie entsetzlich sich dieser Tag gestalten könne, und zum ersten Male fühlte er die Verantwortung, die er auf sich geladen hatte.

Totenblässe überzog sein Antlitz, seine Lippen bebten und Thräne auf Thräne rann ihm über die Wangen.

»Was bewegt Euch in solcher Weise, o Herr?« fragte Graf von Wende.

»Ist das eine Zeit, Thränen zu vergießen?« bemerkte Heinrich, der grausame Komtur von Czluchow.

Aber der Groß-Komtur, Kuno von Lichtenstein, zog die Lippen kraus und sagte: »Ich tadle Dich offen darob, o Meister, denn Du solltest jetzt die Herzen der Ritter zu stärken, nicht aber zu erweichen suchen. Wahrlich, noch nie zuvor habe ich Dich so gesehen.«

Umsonst suchte sich der Großmeister zu fassen. So reichlich flössen die Thränen über seinen schwarzen Bart, daß es den Anschein hatte, als ob ein anderer aus ihm weine.

Schließlich gewann er jedoch seine Selbstbeherrschung wieder, und seine strengen Augen auf die Komture richtend, erteilte er den Befehl: »Zu den Heeresabteilungen!«

Ein jeder beeilte sich, den befehlenden Worten nachzukommen, die mit großem Nachdruck gesprochen worden waren, während der Großmeister, sich zu den Waffenträgern wendend, sagte: »Gebt mir den Helm!«

– – – – – –

Gleich Hämmern schlugen die Herzen der Mannen in den beiden Kriegsheeren, und atemlos harrten alle der Trompetenstöße – das Zeichen zum Angriff.

Die Erwartung steigerte sich fast ins Unerträgliche. Auf dem Kampfplatze gegen Tannenberg .zu stand zwischen den Deutschen und den polnischen Scharen eine Gruppe uralter Eichbäume, auf die Bauern aus der Umgegend geklettert waren, um die Schlacht zwischen zwei so gewaltigen Kriegsheeren mit anzuschauen, wie sie die Welt seit undenklichen Zeiten nicht mehr gesehen hatte. Doch abgesehen von dieser Baumgruppe glich das weite Gefilde ringsumher einer leblosen Steppe, einen so öden, grauen- und geisterhaften Eindruck machte es. Nichts regte sich weit und breit, nur von Zeit zu Zeit fuhr ein leichter Windhauch über den Kampfplatz, auf dem der Tod schweigend lauerte. Aber immer und immer wandten sich die Blicke der Ritter auf diese unglückverheißende, weite Fläche. Zuweilen zogen dichte Wolken, die Sonne verhüllend, am Himmel dahin, von dem es sich dann wie Schatten des Todes herabsenkte.

Mit einem Male erhob sich ein Wirbelwind. Sausend fuhr er durch die Wälder, tausende von Blättern von den Bäumen streifend, brausend fuhr er über die Gefilde, dürre Kornhalme mit sich führend und Staubwolken in die Höhe, in die Augen der Kreuzritter treibend. In diesem Augenblicke erzitterte die Luft von dem schrillen Klange der Hörner, der Trompeten und der Pfeifen, und der eine, von den Litauern gebildete Flügel schickte sich zum Vorgehen an, gleich einer unermeßlichen Schar von Vögeln, die sich zum Fluge bereit machen. Ihrer Gewohnheit gemäß stürmten die Reiter im Galoppe vor. Mit langgestreckten Hälsen und gesenkten Ohren, mit Aufbietung ihrer ganzen Kraft rasten die Pferde vorwärts und führten die Litauer, welche ihre Schwerter, ihre Speere in der Luft schwangen und wilde Schlachtrufe ausstießen, gegen den linken Flügel der Kreuzritter.

Bei diesem befand sich gerade der Großmeister. Seine Erregung hatte sich gelegt, seine Thränen waren versiegt, feurig blitzten seine Augen. Als er die heranstürmenden Litauer gewahrte, wandte er sich zu Friedrich Wallenrod, welcher den linken Flügel der Kreuzritter befehligte und sagte: »Witold hat zuerst angegriffen. Geht nun auch Ihr vor im Namen Gottes.«

Und mit einer einzigen Bewegung seiner Rechten sandte er vierzig Fähnlein eisengepanzerter Ritter ins Treffen.

»Gott mit uns!« rief Wallenrod laut aus.

Die Lanzen senkend, rückten die Abteilungen anfänglich langsam vor, dann aber, einem Felsblock vergleichbar, der von einem Berge mit stets wachsender Schnelle herabstürzt, gingen sie vom Schritt zum Trabe, zum Galoppe über und rasten dann mit der unwiderstehlichen Gewalt einer Lawine, die alles mit sich fortreißt und zermalmt, gegen den Feind.

Die Erde bebte und dröhnte unter ihnen.

– – – – – –

Jeden Augenblick mußte nun der Kampf entbrennen und flammend um sich greifen. Das polnische Kriegsvolk stimmte daher den alten Kriegsgesang des heiligen Wojciech an. Gegen hunderttausend eisengepanzerte Krieger richteten die Augen gen Himmel, aus hunderttausend Kehlen ertönte, wie eine gewaltige Stimme, der brausende Gesang:

»Mutter Gottes, heilige Jungfrau,
Gottbegnadete Maria,
Befiehl uns Deinem Sohn!
O Du auserkorene, einzige Mutter,
Erflehe für uns Vergebung der Sünden!

Kyrie eleison

Und die Singenden selbst wurden tief ergriffen und sahen wie neugestärkt dem Tode entgegen. Und eine unermeßliche, sieghafte Kraft lag in den Stimmen, in diesem Gesange, eine Kraft, vor der selbst das finstere Gewölke am Firmamente auseinanderstieben mußte. Die Speere zitterten in den Händen der Ritter, die Banner und die Fähnlein zitterten, die Luft erzitterte, die Zweige an den Bäumen zitterten, und das in dem Fichtengehölze erweckte Echo antwortete aus der Tiefe des Waldes, gerade als ob es den Seen, dem Gefilde und all den Landen rings umher zurufen wollte:

»Erflehe für uns Vergebung der Sünden!

Kyrie eleison

Von neuem aber ertönte der Gesang:

»In der heiligen Zeit Deines Sohnes, des Gekreuzigten,
Erhöre die Stimme, fülle die Gedanken der Menschen.
Erhöre das Gebet, mit dem wir zu Dir flehen.
Auf daß er uns gebe, um was wir ihn bitten:
Hienieden auf Erden ein heilig Verweilen
Und nach dem Tode das Paradies!

Kyrie eleison

Und das Echo antwortete: » Kyrie eleisooon!« Inzwischen war auf dem rechten Flügel ein heftiger Kampf entbrannt, der sich mehr und mehr ausbreitete.

Der Lärm des Kriegsgetümmels, das Schnauben der Rosse, die wilden Rufe der Mannen vermischten sich mit dem Gesange. Zuweilen aber, wenn die Rufe verstummten, gerade als ob die Kämpfenden frischen Atem schöpfen wollten, dann ward abermals der brausende Gesang deutlich vernehmbar:

»Adam, du Gottesknecht
Du sitzest bei Gott im hohen Rate!
Bring uns, deine Kinder, dahin,
Wo heilige Engel herrschen.
Dort ist Freude!
Dort ist Liebe!
Dort ist der himmlische Anblick des Schöpfers auf ewig!

Kyrie eleison

Und wiederum antwortete das Echo: » Kyrie eleison!« aus dem Gehölze hervor. Immer wildere Schreie ertönten auf dem rechten Flügel, allein niemand konnte sich darüber vergewissern, was eigentlich vorging, denn in diesem Augenblicke schickte der Großmeister Ulryk, der von der Anhöhe aus das Schlachtfeld überschaute, zwanzig Abteilungen unter Lichtenstein gegen die Polen.

Nun aber jagte Zindram aus Maszkowice gleich einem Sturmwinde an die Spitze der Vorhut, bei der die hervorragendsten Ritter standen, und mit dem Schwerte auf die in einer Staubwolke heransprengenden Deutschen zeigend, schrie er mit solcher Donnerstimme, daß sich die Pferde in den vorderen Reihen aufbäumten: »Auf den Feind! Schlagt zu!«

Unverweilt warfen sich nun die Ritter, tief auf ihre Pferde gebeugt und mit vorgestreckter Lanze den Deutschen entgegen.

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Die Vorhut der Litauer hielt jedoch dem entsetzlichen Ansturme nicht stand. Scharenweise wurden die bestbewaffneten und mächtigsten Bojaren, welche die ersten Reihen bildeten, niedergemacht, umsonst stürmten die folgenden Reihen wutentbrannt mitten in den Feind – trotz Tapferkeit, trotz Ausdauer, trotz übermenschlicher Anstrengung aller Kräfte entgingen auch sie nicht dem Verderben, erlitten auch sie die entsetzlichsten Verluste. Und wie konnte dies auch anders sein! Auf der einen Seite stand eine eisengepanzerte Ritterschaft aus eisengepanzerten Pferden, auf der andern Seite kämpften Mannen, die zwar hochgewachsen und kräftig waren, aber kleine Pferdchen ritten und statt der Rüstungen Felle trugen. Umsonst versuchten die halsstarrigen Litauer, die Deutschen ins Herz zu treffen. Ihre Wurfspieße, ihre Schwerter, ihre Lanzen, ihre wuchtigen Streitkolben, alles prallte an den Harnischen wie an einem Felsen, wie an dem Walle einer Burg ab. Von den wuchtigen deutschen Kriegern auf ihren wuchtigen Rossen wurde Witolds unglückliche Schar geradezu zermalmt. Wer den Schwertern, den Streitäxten entging, fand unter den Hufen der Pferde den Tod. Umsonst schickte Knäs Witold immer wieder neue Abteilungen vor – er schickte sie in den sichern Tod, denn nichts half, weder Ausdauer noch Todesverachtung, weder grenzenlose Wut noch stromweise vergossenes Blut. Die Tataren flohen zuerst. Ihrem Beispiele folgten die Bessarabier und die Wallachen. Binnen kurzem war der Wall der Litauer durchbrochen und wilde Furcht ergriff die Krieger. Ein großer Teil des litauischen Kriegsvolkes flüchtete sich gegen den Lubiec-See zu, verfolgt von den Deutschen, die eine solch entsetzliche Ernte hielten, daß das ganze Ufer von Leichnamen bedeckt ward.

Inzwischen zog sich der kleinere Teil des Witoldschen Kriegsvolkes, also auch drei Abteilungen aus Smolensk, zu dem Flügel der Polen zurück, den anfänglich nicht weniger als sechs Fähnlein und später auch noch die von der Verfolgung zurückgekehrten Deutschen bedrängten. Die gut bewaffneten Mannen aus Smolensk vermochten indessen wirksameren Widerstand zu leisten. Der Kampf wurde hier mehr und mehr zu einem Gemetzel. Jeder Schritt, jede Spanne Erde mußte mit Strömen von Blut erkauft werden. Die eine der Abteilungen aus Smolensk wurde geradezu in Stücke zerhauen, während sich die beiden andern immer noch mit rasender Verzweiflung zur Wehr setzten. Doch es war umsonst, nichts konnte den siegreichen Deutschen widerstehen. Einzelne ihrer Abteilungen kämpften mit wahrer Wut. Einzelne ihrer Ritter stürzten sich, das Schwert oder die Streitaxt schwingend und die Pferde mit den Sporen in einer Weise antreibend, daß sich die Tiere hoch aufbäumten, blindlings in die dichte Menge der Feinde. Mit geradezu übermenschlicher Kraft hieben diese Ritter um sich. Ihnen nach drängten sich aber, gleich einer unaufhaltsamen Woge, die ganze Schar, und rückte allmählich, die Krieger aus Smolensk mitsamt ihren Pferden niederreitend und zerstampfend, gegen das Vordertreffen und die Hauptmacht der Polen, welche schon über eine Stunde mit den von Kuno von Lichtenstein angeführten Deutschen kämpften.

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Kuno hatte hier nicht so leichtes Spiel. Er stand einem Gegner gegenüber, der an Güte der Waffen, an Kraft der Pferde und an Gewandtheit in der Kriegskunst den Deutschen gleichkam. Die Deutschen wurden durch die Speere der Polen nicht nur aufgehalten, sondern sogar zurückgetrieben, denn drei der gewaltigsten Abteilungen gingen gegen sie vor: die Kriegsschar aus Krakau, die leichtbewaffnete Reiterei unter Jedrek aus Brochocice und die Leibwache unter der Führung Powalas aus Taczew. Doch am entsetzlichsten entbrannte die Schlacht erst dann, als nach dem Zersplittern der Speere die Krieger zu den Schwertern und zu den Streitäxten griffen. Schilde prallten auf Schilde, wild rangen die einzelnen mit einander, die Pferde stürzten, die Banner wurden zu Boden gerissen. Unter den Schlägen der Keulen und der Streitäxte barsten die Helme, die Schulterstücke und die Panzer, Waffen und Rüstungen trieften von Blut, die Mannen stürzten aus den Sätteln wie Fichten, deren Stämme durchsägt sind.

Funken sprühten aus dem erhitzten Eisen, Lanzensplitter, Fahnenfetzen, Strauß- und Pfauenfedern flogen in die Luft, die Hufe der Pferde glitten aus auf den auf der Erde liegenden blutüberströmten Rüstungen und auf den toten Pferden. Von den Hufen der Pferde wurde ein jeder zermalmt, der verwundet niederstürzte.

Von den hervorragendsten polnischen Rittern war noch keiner gefallen. Mitten in das dichteste Getümmel, mitten in das tobendste Kampfgewühl stürmten sie vor, den Namen ihrer Schutzheiligen oder den Schlachtruf ihrer Geschlechter ausrufend. Und gleich dem lodernden Feuer, das auf einer öden Steppe Gräser und Büsche verzehrt, machten sie alles vor sich her nieder. Zuerst stürzte sich Lis aus Targowisko auf Ganrat, den Komtur aus Osterode, der, seinen Schild einbüßend, sich den weißen Mantel um den Arm schlang, um sich damit gegen die Streiche zu schützen. Doch Lis durchhieb den Mantel, die Armschiene und das Schulterstück des Deutschen mit wuchtigen Schlägen und stieß dann sein Schwert mit solcher Kraft in den Leib des Feindes, daß die Spitze knirschend den Rückenwirbelknochen traf. Angstvoll schrien die Mannen aus Osterode auf, als sie ihren Führer sinken sahen; aber Lis stürzte sich nun auf sie, wie sich ein Adler auf Kraniche stürzt, und als Staszko aus Charbimowice und Domarat aus Kobylan ihm auch noch zu Hülfe eilten, da wüteten diese drei so entsetzlich, wie Wölfe unter einer Lämmerherde.

Mitten in dem wirren Schlachtengetümmel erschlug auch Paszko Zlodziej aus Biskupice den Ordensbruder Kunz Melsbach. Umsonst hatte Kunz, der von tödlichem Schrecken erfaßt worden war, als plötzlich der riesenhafte Reiter, vor ihm Halt machend, die mit Blut bedeckte und mit Haaren beklebte Streitaxt schwang, sich ergeben wollen, Paszko konnte ihn in dem Getöse nicht hören und, sich in seinem Sattel aufrichtend, spaltete er das eisenbehelmte Haupt des Ordensbruders so rasch, als ob er einen Apfel zerteilt hätte. Gleich darauf tötete er Loch aus Mecklenburg und Klingenstein, sowie den, einem mächtigen Grafengeschlechte entstammenden Schwaben Helmsdorf, den in der Nähe von Mainz ansässigen Limpach und Nachterwitz aus Mainz, so daß schließlich die Deutschen rechts und links vor ihm in hellem Schrecken zurückwichen. Allein seinen wuchtigen Hieben entzogen sie sich doch nicht. Wie auf eine wankende Mauer schlug er auf sie ein, jeden Augenblick hob er sich im Sattel, um zum Schlage auszuholen, jeden Augenblick blinkte seine Streitaxt in der Luft und jeden Augenblick verschwand das behelmte Haupt eines Deutschen zwischen den Pferden.

Mit fast übermenschlicher Kraft kämpfte auch der gewaltige Jederzej aus Brochocice, und als sein Schwert an dem Helme eines Ritters zerschellte, der einen Eulenkopf auf seinem Schilde trug und dessen Visier die Form eines Eulenkopfes hatte, erfaßte er ihn an den Armen, preßte ihn wie mit eisernen Klammern zusammen, entriß ihm die Waffe und versetzte ihm mit dieser den Todesstoß. Dann wandte er sich gegen den blutjungen Ritter Dynheim, den zu töten er sich jedoch nicht entschließen konnte, da dieser unbehelmt war und mit den Augen eines Kindes zu ihm aufschaute. So nahm er ihn denn nur gefangen und übergab ihn seinem Knappen Andrzej, ohne zu ahnen, daß er in dem Gefangenen seinen zukünftigen Eidam gewonnen hatte, da Dynheim sich späterhin mit seiner Tochter vermählte und für immer in Polen blieb. Nun stürmten die Deutschen, auf die Befreiung des, einem reichen, am Rheine ansässigen Grafengeschlechte entstammenden jungen Dynheim bedacht, mit neuer Wut vor, allein die vor dem Banner kämpfenden Ritter Sumik aus Nadbroze und zwei Brüder aus Plomykow, sowie Dobek Okwia und Zych Pikna warfen sich auf sie gleich Löwen, die sich auf einen Auerochsen werfen, und drängten sie, Vernichtung und Tod um sich her verbreitend, gegen das Banner des heiligen Georg.

Mit den ritterlichen Gästen des Ordens kämpfte das Fähnlein der königlichen Leibwache, welches Ciolek aus Zelichow befehligte. Nun konnte auch Powala aus Taczew seine übermenschliche Kraft bethätigen. Mann und Roß warf er nieder, die Helme zerspaltete er mit einem Hiebe, mit einer ganzen Schar nahm er den Kampf auf, in die Bresche, die er schlug, folgten ihm Lesyko aus Goraj, ein Powala aus Wyhucz, Mcislaw aus Skrzynew und die Böhmen Sokol und Zbislawek. Lange währte der Kampf, denn drei deutsche Fähnlein stritten gegen das eine polnische, dem jedoch schließlich Jasko aus Tarnow mit der siebenundzwanzigsten Abteilung zu Hülfe kam. Jetzt waren sich die Streitkräfte gleicher und die Deutschen wurden einen halben Bogenschuß weit aus der Stellung zurückgetrieben, die sie bei Beginn des Kampfes inne gehabt hatten.

Doch noch weiter mußten sie vor der gewaltigen Krakauer Abteilung zurückweichen, die Zindram anführte und an deren Spitze unter den vor dem Banner kämpfenden Rittern der gefürchtetste aller Polen, Zawisza Czarny stritt. Ihm zur Seite hielten sich sein Bruder Farurej, sowie Florian Jelitczyk aus Korytnica, Skarbek aus Gora, der berühmte Lis aus Targowisko, Paszko Zlodziej, Jan Nalcey und Stach aus Charbimowice. Unter den wuchtigen Streichen Zawiszas stürzten die tapfersten Kämpen nieder, gerade als ob sich der Tod in dessen schwarzer Rüstung verberge und die Sichel führe. Mit gerunzelten Brauen, mit eingezogenen Nasenflügeln, kämpfte er so ruhig und bedachtsam, wie wenn er eine gewöhnliche Arbeit zu erfüllen habe. Zuweilen hob er seinen Schild ein wenig, um einen Hieb abzuwehren, sobald er aber sein Schwert schwang, ertönte der entsetzliche Schrei eines zu Tode Getroffenen. Ihn jedoch hielt nichts zurück, vorwärts und vorwärts drang er, einer schwarzen Wolke gleichend, aus der jeden Augenblick ein greller Blitzstrahl bricht.

Auch die Fähnlein aus Poznan, die unter dem Zeichen des Adlers ohne Krone kämpften, fochten auf Tod und Leben, während die erzbischöflichen Abteilungen und die drei masovischen Abteilungen um die Wette mit ihnen vorrückten. Ja, jedes einzelne der zahllosen Fähnlein suchte das andere an Mut, an Tapferkeit zu übertreffen. Unter der Schar aus Sieradz kämpfte Zbyszko aus Bogdaniec mit der Wut eines wilden Ebers, und neben ihm stritt der alte Macko mit der schlauen Bedächtigkeit eines Wolfes, der nur dann zubeißt, wenn er sicher ist, daß der Biß ein tödlicher sein wird.

Macko schaute unaufhörlich nach Kuno von Lichtenstein aus, doch da er ihn in dem dichten Gewühle nicht zu finden vermochte, warf er sich immer wieder auf einen andern Ritter, der sich durch seine glänzende Rüstung auszeichnete und der ihm auch stets zum Opfer fiel. Ganz in der Nähe der beiden Ritter aus Bogdaniec focht der gar grimmige Cztan aus Rogow. Gleich beim ersten Zusammenstoß war ihm der Helm vollständig zerschmettert worden, so kämpfte er jetzt barhäuptig, die Deutschen mit seinem blutbespritzten bärtigen Antlitz, durch das er weit eher einem Unholde aus dem Walde als einem Menschen ähnelte, in Schrecken setzend.

Schon waren hunderte, ja tausende von Rittern auf beiden Seiten gefallen, schon schien es, daß der Wall der Deutschen unter den wuchtigen Schlägen der Polen zu wanken beginne, da trat ein Ereignis ein, das mit einem Schlage der Schlacht eine andere Wendung hätte geben können.

Vom Kampfe entflammt und siegestrunken von der Verfolgung der Litauer abstehend, stießen die deutschen Fähnlein plötzlich auf eine Flanke der Polen. In dem Glauben, das Kriegsheer des Königs sei vollständig geschlagen und die Schlacht gewonnen, waren sie in ungeordneten Haufen, schreiend und singend zurückgekehrt und sahen nun mit einem Male ein wildes Gemetzel vor sich, sahen mit einem Male die Polen siegreich gegen die deutschen Scharen vordringen.

Die Köpfe senkend, um besser durch das Visier sehen zu können, blickten die Kreuzritter staunend auf diesen blutigen Kampf, um dann, ohne sich zuvor zu ordnen, ihren Pferden die Sporen zu geben und in das Schlachtgewühl zu sprengen. Und eine Schar folgte dem Beispiele der andern, sodaß binnen kurzem sich tausende auf die polnischen, vom Kampfe ermüdeten Abteilungen geworfen hatten. Mit lautem Freudengeschrei über die gewordene Hilfe wandten sich nun die Deutschen mit frischem Mute gegen die Polen.

Ein verzweifelter Kampf entspann sich auf der ganzen Linie. In Strömen floß das Blut über die Erde. Dunkle, schwere Wolken zogen am Himmel dahin und dumpf grollte der Donner, gerade als ob Gott selbst an dem Kampfe teilnehme.

Mehr und mehr neigte sich der Sieg den Deutschen zu, schon gerieten die polnischen Scharen ins Wanken und laut stimmte das Kriegsheer der Kreuzritter den Triumphgesang an:

»Christ ist erstanden!«

Da geschah etwas Unerhörtes. Einer der niedergeworfenen Kreuzritter schlitzte mit dem Dolche den Bauch des Pferdes auf, das von Marcin aus Wrocimowice geritten ward. Dieser aber trug das krakauische Hauptbanner mit dem gekrönten Adler, also das Banner, welches für das ganze königliche Kriegsvolk ein Heiligtum war, und nun stürzten plötzlich Roß und Reiter und mit ihnen sank auch die Standarte zu Boden.

In einem Augenblicke streckten sich hunderte von eisengepanzerten Armen aus, um das Banner zu ergreifen, während die Deutschen ein Freudengebrüll ausstießen. Es dünkte sie, der Sieg sei nahe, sie glaubten, Furcht und Schrecken würden sich der Polen bemächtigen und deren Niederlage eine so vollständige werden, daß es sich für sie nur noch um die Verfolgung, um die Niedermetzlung der Flüchtlinge handle

Aber eine schwere, furchtbare Enttäuschung wartete ihrer.

Wohl schrie das ganze polnische Kriegsheer wie ein Mann verzweifelt auf, als das Banner sank, doch aus diesem Schrei, aus dieser Verzweiflung klang keine Furcht, nein, nur Wut, nur Raserei. Es war, als ob lodernde Flammen in die Rüstungen schlügen. Gleich wilden Löwen stürzten die hervorragendsten Kämpen beider Kriegsheere auf die gleiche Stelle zu, und der erbittertste Kampf entspann sich um das gesunkene Banner. Reiter und Pferde bildeten eine einzige unförmige Masse, aus welcher sich unzählige Arme erhoben. Schwerter blinkten, Streitäxte sausten in der Luft, Stahl schlug auf Eisen auf, wildes Gekrache ertönte. Stöhnen und die lauten Schreie der Mannen erschollen, welche auf Tod und Leben miteinander rangen. Und all diese Laute vermischten sich zu einem solchen grauenerregenden Getöse, daß man hätte annehmen können, die Verdammten seien plötzlich der Hölle entstiegen. Staubwolken wirbelten auf, und aus ihnen rasten, blind vor Schrecken, reiterlose blutüberströmte Pferde mit wildflatternden Mähnen hervor.

Doch all dies währte nur kurze Zeit. Nicht ein Deutscher rettete sich aus diesem entsetzlichen Getümmel – schon nach wenigen Minuten wehte aufs neue das befreite Banner über die polnischen Scharen. Und es wehte im Winde und es blähte sich auf und es breitete sich in seinem Glanze aus wie eine Riesenblume, wie ein Hoffnungszeichen, wie das Zeichen des göttlichen Grimmes gegen die Kreuzritter, wie das Siegeszeichen für die polnischen Ritter.

Alles Kriegsvolk grüßte das Banner mit einem Triumphgeschrei und stürzte sich mit solcher Unbesonnenheit auf die Deutschen, als ob jedes Fähnlein sich an Zahl verdoppelt, als ob jeder Krieger neue Kraft gewonnen hätte.

Mitleidlos, atemlos gingen die polnischen Scharen vor, kaum gönnte sich ein Krieger soviel Zeit, um Atem zu schöpfen. Auf allen Seiten wurden die Feinde bedrängt, unaufhörlich sausten die Schwerter, die Streitäxte und die Keulen auf sie nieder, bis sie aufs neue zu wanken begannen, bis sie sich zurückzogen. Da und dort ertönte der Ruf um Gnade, da und dort wurde inmitten des Getümmels das vor Furcht und Schrecken totenbleiche Antlitz eines fremdländischen Ritters sichtbar, der sich blindlings seinem wild dahinstürmenden, geängstigten Renner überließ. Weit und breit war das Schlachtfeld von den weißen Mänteln bedeckt, welche die Kreuzritter über ihren Rüstungen trugen.

Bange Sorge erfaßte das Herz von deren Führern, die sofort begriffen, daß ihr alleiniges Heil in den Händen des Großmeisters lag, der mit sechzehn Fähnlein im Hintertreffen stand.

Von der Anhöhe aus überblickte Ulryk den Kampfplatz, und auch ihm ward es klar, daß der Augenblick gekommen sei, in dem er eingreifen müsse. Auf sein Gebot hin setzten sich denn auch seine eisengepanzerten Scharen in Bewegung, gleich schweren, vom Sturme vorwärts getriebenen Wolken, aus denen ein Hagelschauer niederzuprasseln und alles um sich her zu zerstören droht.

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Doch wie der Blitz erschien nun vor der dritten Schlachtlinie der Polen, die sich bis jetzt noch nicht am Kampfe beteiligt hatte, auf seinem wilden Renner Zindram aus Maszkowice. Auch er hatte sorgsam den Verlauf der Schlacht verfolgt, auch er hatte alles genau im Auge behalten. Hier, in der dritten Schlachtlinie befanden sich außer dem polnischen Fußvolke etliche Haufen böhmischen Fußvolkes. Eine dieser Scharen hatte sich vor Beginn der Schlacht unzuverlässig gezeigt, war aber schließlich, noch rechtzeitig Reue fühlend, auf der Walstatt geblieben und brannte nun vor Verlangen darnach, die vorübergehende Schwäche durch besondere Tapferkeit wieder gutzumachen. Die Hauptmacht hier bestand jedoch aus polnischen Abteilungen, zu denen freilich eine aus armen, schlecht ausgerüsteten Edelleuten gebildete Reiterschar gehörte, und Fußvolk, das sich teils aus Städtern, größtenteils aber aus Freibauern zusammensetzte, die mit Wurfspießen, schweren Lanzen und mit aufrecht gesteckten Sensen bewaffnet waren.

»Macht Euch bereit, haltet Euch bereit!« schrie Zindram aus Maszkowice mit Donnerstimme, während er durch die Reihen jagte.

»Haltet Euch bereit!« wiederholten die ihm unterstehenden Befehlshaber.

Und die Mannen, erkennend, daß nun ihre Zeit gekommen war, stemmten die Stiele der Wurfspieße, der Lanzen und der Sensen zur Erde, machten das Zeichen des Kreuzes und spieen so einmütig und wie auf einen Schlag in ihre großen, wetterharten Hände, daß dies unheilverkündende Zeichen weithin gehört ward. Gleich darauf griff jeder einzelne wieder nach seiner Waffe und holte tief Atem. In diesem Augenblicke sprengte ein Knappe mit einer Botschaft des Königs auf Zindram zu und flüsterte diesem mit keuchender Stimme einige Worte ins Ohr. Doch Zindram, sich zudem Fußvolke wendend und sein Schwert schwingend, schrie: »Vorwärts!«

»Vorwärts!« wiederholten die ihm unterstehenden Befehlshaber.

»Auf den Feind! Auf die Weißmäntel! Auf sie!«

Die Scharen setzten sich in Bewegung. Um aber Schritt zu halten, um aber ja in gerader Reihe vorzugehen, sangen alle gleichzeitig:

»O Ma–ri–a sei ge–grüßt,
Die du voll der Gna–de bist;
Gott der Herr ist selbst mit dir!«

Die Söldner, das aus Städtern gebildete Fußvolk, die Freibauern aus Klein- und Großpolen, die Schlesier, welche vor Ausbruch des Krieges Zuflucht in dem Königreiche gesucht hatten, und die vor den Kreuzrittern aus dem Gebiete von Elk geflohenen Masuren rückten nun gleich einer Sturmflut vor. Weithin blitzte und schimmerte es von den Spitzen der Lanzen und der Speere.

Schließlich langten sie an Ort und Stelle an.

»Schlagt zu!« schrien die Führer.

»Ach!« Ein jeder der Mannen ächzte, wie ein starker Holzhauer ächzt, der mit der Axt zum ersten Schlage ausholt, und ein jeder kämpfte mit Aufbietung all seiner Kraft und so lange der Atem in seiner Brust ausreichte.

Wilde Rufe, wilde Schreie drangen gen Himmel.

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Der König, der, auf einem kleinen Hügel stehend, die Schlacht beobachtete, sandte nach allen Richtungen hin Botschafter aus und seine Stimme klang allmählich heiser, so viele Befehle erteilte er. Als er indessen schließlich bemerkte, daß alle Abteilungen im Treffen standen, da zeigte er Lust, sich selbst am Kampfe zu beteiligen.

Etliche seiner Leibwache suchten dies zu vereiteln, sorgten sie sich doch um die geheiligte Person des Herrschers. Powala faßte die Zügel des Renners, die er auch dann nicht freigab, als ihm der König mit der Lanze auf das Haupt schlug, andere verlegten Jagiello den Weg, indem sie ihn flehentlich baten, von seinem Vorhaben abzustehen, indem sie ihn zu überzeugen suchten, daß sein persönliches Eingreifen in die Schlacht in keiner Weise eine Aenderung herbeiführen könne.

Da plötzlich drohte dem König, drohte dessen ganzem Gefolge tödliches Verderben.

Dem Beispiele der von der Verfolgung der Litauer zurückkehrenden Abteilungen nachahmend und gleichzeitig von dem Wunsche beseelt, einen Flügel des polnischen Kriegsvolkes anzugreifen, ließ plötzlich der Großmeister seine Abteilungen in einem Halbkreise vorrücken. Diese auserwählte, aus sechzehn Fähnlein bestehende Schar aber zog ganz nahe an dem kleinen Hügel vorüber, auf dem sich der König Wladislaw Jagiello befand.

Wohl ward man sich der Gefahr bewußt, allein man konnte ihr nicht mehr entweichen. Das königliche Banner wurde indessen sofort eingezogen und gleichzeitig sprengte der königliche Geheimschreiber Zbigniew aus Olesnica, so rasch ihn sein Pferd zu tragen vermochte, zu einer in der Nähe stehenden Abteilung, die sich auf Befehl ihres Führers, des Ritters Mikolaj Kielbasa, für den kommenden Angriff bereit machte.

»Der König ist in Gefahr! Auf zu seiner Rettung!« schrie Zbigniew.

Da riß Kielbasa, der seinen Helm verloren hatte, eine von Blut und Schweiß durchtränkte Mütze vom Haupte, hielt sie dem Daherjagenden entgegen und rief wutentbrannt: »Urteile selbst, ob wir unthätig gewesen sind! Narr! Siehst Du denn nicht, daß jene finstere Wolke sich auf uns niedersenkt, daß sie aber den König gefährden würde, wenn wir unsere Stellung verließen. Hebe Dich hinweg, sonst müßte ich Dir das Schwert in die Brust stoßen.«

Und ohne es sich klar zu machen, mit wem er sprach, hätte er sich tatsächlich auf Zbigniew gestürzt, wenn dieser nicht, teils aus Rücksicht für den alten Krieger, teils weil er dessen Ansicht beipflichten mußte, zurückgejagt wäre, um dem König das Gehörte zu übermitteln.

In geschlossener Reihe stürzten nun alle die vor, denen es oblag, den König zu schützen, um die eigene Brust dem Feinde zu bieten. Jetzt aber half nichts mehr – Jagiello ließ sich nicht länger zurückhalten, in der ersten Reihe nahm er seinen Platz ein. Gleich darauf kamen die deutschen Abteilungen so dicht heran, daß die Wappen auf ihren Schilden deutlich unterschieden werden konnten. Das Herz von gar manchem der tapfersten Kämpen erbebte beim Anblick dieser Scharen, denn die Blüte, die Auslese der Ritterschaft befand sich darunter.

In glänzenden Rüstungen, auf gewaltigen, den Auerochsen gleichkommenden Rossen, in ungeschwächter Kraft, da sie bisher noch nicht am Kampfe teilgenommen hatten, stürmten sie, einem Orkane gleich, stampfend, tosend, mit fliegenden Bannern und Fähnchen vorwärts und an ihrer Spitze flog der Großmeister daher im weiten, weißen Mantel, der vom Winde aufgebläht, den ungeheuern Flügeln eines Adlers glich.

Der Großmeister raste an dem Könige und an dessen Gefolge vorüber, dem Haupttreffen zu, denn was wollte ihm diese kleine Schar abseits stehender Ritter bedeuten? Er ahnte ja nicht, daß sich der König darunter befand, er erkannte Jagiello nicht. Aber mitten aus einem der deutschen Fähnlein sprengte plötzlich ein riesenhafter Kämpe hervor, und sei es, daß er Jagiello erkannte, sei es, daß ihn die silberne Rüstung des Königs anlockte oder daß er seine Tapferkeit beweisen wollte, genug, er legte, das Haupt vorbeugend, den Speer an und stürzte auf Jagiello zu.

Da gab der König, ehe er daran verhindert werden konnte, seinem Pferde die Sporen und warf sich gegen den Deutschen. Zweifellos wäre es zu einem tödlichen Kampfe gekommen, wenn Zbigniew, des Königs jugendlicher Geheimschreiber, der in allen ritterlichen Künsten ebenso erfahren war wie im Latein, dies nicht verhindert hätte. Eine zerbrochene Lanze in der Hand stürmte er auf den Deutschen zu und traf ihn dermaßen auf das Haupt, daß der Getroffene mit zerschlagenem Helme zur Erde stürzte. Im gleichen Augenblicke aber stieß der König dem Deutschen das Schwert in die entblößte Stirn und gab ihm damit den Tod.

Auf solche Weise ging ein berühmter deutscher Ritter zu Grunde, Diepold Köckeritz von Dieber. Knäs Jamont ergriff dessen Pferd, der deutsche Ritter aber lag, mit dem güldenen Gürtel angethan und mit dem weißen Mantel über der stählernen Rüstung, auf der Erde, zu Tode verwundet. Die Augen waren schon gebrochen, die Füße jedoch zuckten noch einige Zeit krampfhaft, bis endlich der beste Tröster der Menschheit, der Tod, seinen Schatten über ihn senkte, und er in den ewigen Schlaf hinüber schlummerte.

Nun stürzten noch etliche Ritter, die bei dem Fähnlein aus dem Kulmer Gebiete standen, vor, wollten sie doch den Tod ihres Kriegsgefährten rächen, allein der Großmeister selbst hielt sie davon ab durch den Befehlsruf: »Herum, herum!« und führte sie im Sturme dahin, wo der Entscheidungskampf dieses blutigen Tages ausgefochten wurde, also in das Haupttreffen.

Und abermals ereignete sich etwas Wunderbares. Wohl hatte der in der Nähe stehende Mikolaj Kielbasa den Feind erkannt, die andern polnischen Abteilungen aber, denen dies durch den Staub unmöglich gemacht worden war, hielten die Scharen des Großmeisters für die auf die Walstatt zurückkehrenden Litauer und beeilten sich nicht mit dem Vorgehen. Dobek aus Olesnica stürmte zuerst dem Großmeister entgegen, erkannte diesen zuerst an seinem weißen Mantel, an dem Schilde und an dem großen Reliquienkästchen, das Ulryk über der Brust auf dem Panzer trug. Da der polnische Ritter es aber des Reliquienkästchens wegen nicht wagte, mit der Lanze zuzuschlagen, obwohl er dem Großmeister an Kraft weit überlegen war, stieß dieser die auf ihn gerichtete Speeresspitze in die Höhe und brachte dem Pferde seines Feindes eine geringfügige Wunde bei. Dann jagte einer an dem andern vorüber, um gleich darauf, einen Kreis beschreibend, wieder in fliegendem Galoppe zu der eigenen Schar zurückzukehren.

»Deutsche! Der Großmeister selbst!« schrie Dobek laut auf.

Als sie dies hörten, warfen sich die polnischen Scharen mit dem größten Ungestüm auf den Feind. Mikolaj Kielbasa war der erste, der mit seinem Fähnlein auf ihn losging, und die Schlacht tobte von neuem. Aber sei es nun, daß die Ritter aus dem Gebiete von Chelm, unter denen viele aus polnischem Blute stammten, nicht mit vollem Herzen an dem Kampfe teilnahmen, sei es, daß die Wut der Polen durch nichts gehemmt werden konnte, sicher ist nur, daß dieser neue Angriff nicht den Erfolg hatte, der von dem Großmeister erhofft worden war. Denn er hatte sich dem Glauben hingegeben. Jagiellos Macht werde hier den letzten entscheidenden Schlag erhalten, und nun gewahrte er, daß die Polen sich vorwärts drängten, um sich schlugen, nach allen Seiten hin Hiebe austeilten, seine Scharen wie mit einem eisernen Ringe umschließend, nun gewahrte er, daß seine Ritter weit mehr darauf bedacht waren, sich zu verteidigen, als anzugreifen. .

Umsonst suchte er sie durch Zurufen anzuspornen, umsonst trieb er sie mit seinem Schwerte in den Kampf. Sie verteidigten sich zwar und verteidigten sich mutig, aber ihnen mangelte jene Begeisterung, welche ein siegreiches Heer mitfortreißt und welche die Herzen der Polen erfüllte. In zerschlagenen Rüstungen, mit Wunden bedeckt, mit Blut überströmt, mit schartig gewordenen Waffen, kaum mehr im stande, einen Laut von sich zu geben, stürzten sich die polnischen Ritter in tollkühner Wut auf die dichtesten Haufen der Deutschen. Diese hielten ihre Pferde an und blickten umher, wie wenn sie sich vergewissern wollten, ob der eiserne Ring, der sich dichter und dichter um sie zusammenzog, sich schon geschlossen habe, und sie wichen fortwährend langsam zurück, als ob sie sich unbemerkt der mörderischen Umarmung entziehen wollten. Da erschollen vom Walde her plötzlich neue Rufe. Dort befand sich Zindram, welcher die Bauern befehligte und gegen den Feind führte. Nun sausten die Sensen auf das Eisen nieder, nun erdröhnten die Panzer unter den schweren Knütteln. Leiche an Leiche bedeckte den Boden, das Blut ergoß sich in Strömen über die zerstampfte Erde und das Schlachtgetümmel nahm immer mehr zu, denn die Deutschen, die ihr einziges Heil in ihren Waffen sahen, wehrten sich verzweifelt.

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Und sie rangen miteinander, ungewiß über den Ausgang und den Sieg, bis sich plötzlich große Staubwolken auf der rechten Seite des Kampfplatzes erhoben.

»Das sind die Litauer, welche zurückkehren,« schrien die Polen in triumphierendem Tone.

Und sie hatten die Wahrheit erraten. Die Litauer, welche leichter zu zerstreuen als zu besiegen waren, kehrten jetzt zurück und mit fürchterlichem Geschrei jagten sie auf ihren leichtfüßigen Pferden, einem Wirbelwinde gleich, zum Kampfplätze heran.

Nun sprengten einige Komture, Werner von Tetlingen an der Spitze, zu dem Großmeister heran.

»Rette Dich, Herr!« rief mit bleichen Lippen der Komtur von Elblach. »Rette Dich und den Orden, bevor der Ring sich schließt.«

Aber der ritterliche Ulryk sah ihn mit düsterem Blicke an, und die Hand zum Himmel emporhebend, rief er: »Gott verhüte es, daß ich dies Schlachtfeld verlasse, auf dem so viele Tapfere fielen! Gott verhüte es!«

Und seinen Mannen zurufend, ihm zu folgen, stürzte er sich in das Schlachtgewühl. Mittlerweile waren die Litauer auf dem Kampfplätze angelangt und es entstand solch ein Wirrwar, solch ein Getümmel, daß das menschliche Auge kaum mehr etwas zu unterscheiden vermochte.

Der Meister wurde von der Spitze eines litauischen Wurfspießes in den Mund getroffen und zweimal im Gesicht verwundet. Mit der ermatteten Rechten wehrte er noch einige Zeit die Streiche ab, doch schließlich, als ihm ein Speer in den Hals drang, stürzte er, einer gefällten Eiche gleich, zu Boden. Und bald ward er durch eine Schar der in Felle gekleideten Krieger den Blicken aller entzogen.

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Werner Tetlingen flüchtete sich mit einigen Fähnlein, aber die Zurückgebliebenen wurden von dem königlichen Kriegsheere wie von einem eisernen Ringe umschlossen. Die Schlacht verwandelte sich allmählich in ein wahres Gemetzel, und die Kreuzritter erlitten eine so unerhörte Niederlage, wie in der ganzen Geschichte der Menschheit nur wenige verzeichnet sind. Niemals noch in der Christenheit, seit dem Kampfe der Römer und Goten mit Attila und des Karl Martell mit den Arabern hatten so mächtige Heere miteinander gestritten. Aber jetzt lag das eine zum größten Teil schon darnieder wie gemähtes Korn auf dem Ackerfelde. Die von dem Meister zuletzt in die Schlacht geführten Scharen ergaben sich. Die Ritter aus Chelm pflanzten ihre mit Fähnlein versehenen Lanzen in den Boden, andere deutsche Ritter sprangen von ihren Pferden, zum Zeichen, daß sie sich ergeben wollten, und knieten auf der mit Blut überströmten Erde nieder. Die ganze, unter dem Banner des hl. Georg vereinigte Heeresabteilung, in der die fremden Ritter dienten, that mit ihrem Führer das Gleiche.

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Aber die Schlacht tobte weiter, denn viele Scharen der Kreuzritter wollten lieber sterben als um Gnade bitten und in Gefangenschaft gehen. Nun bildeten die Deutschen, ihrem Kriegsgebrauche gemäß, einen ungeheuren Kreis und verteidigten sich auf eine Weise wie Eber sich verteidigen, wenn sie von einem Rudel Wölfe umringt werden. Aber der eiserne Ring der Polen und Litauer schloß diesen Kreis ein und zog sich dichter und dichter um ihn zusammen, gleich einer Schlange, die sich um den Körper eines Stieres windet. Und wiederum hoben sich drohende Arme, klirrten die eisernen Knittel, sausten die Sensen, blitzten die Schwerter, bohrten sich die Lanzenspitzen in die Körper ein, schwirrten die Beile und Streitäxte in der Luft. Wie die Bäume eines Waldes wurden die Deutschen niedergehauen, und sie starben in düsterem Schweigen, wahrhaft groß in ihrer Furchtlosigkeit.

Etliche schlugen die Visiere zurück, sagten sich Lebewohl und gaben sich den letzten Kuß vor dem Tode, etliche warfen sich blindlings, wie von Wahnsinn getrieben, in das Gewühl der Schlacht, wieder andere kämpften wie in einem Traum befangen, einige auch töteten sich selbst, indem sie sich das »Misericordia« in die Kehle stießen, und gar mancher warf den Halsberg ab, wendete sich zu einem Gefährten und sagte: »Stoß zu!«

Durch das ungestüme Vordringen der Polen wurde der große Kreis bald in kleine Haufen zersprengt, und nun konnten die einzelnen Ritter leichter entfliehen. Aber im allgemeinen kämpften auch diese zersprengten Scharen mit Wut und Verzweiflung. Nur wenige knieten, um Erbarmen flehend, nieder, und als der furchtbare Ansturm der Polen schließlich auch die kleineren Scharen auseinandertrieb, wollten sich sogar die einzelnen Ritter nicht lebend den Siegern ergeben. Für den Orden und für die ganze Ritterschaft des Westens war dies ein Tag der größten Niederlage, aber auch des größten Ruhmes. Vor dem riesenhaften Arnold, der von dem aus Bauern gebildeten Fußvolk umringt war, erhob sich allmählich ein Wall von polnischen Leichen, er aber, der Mächtige, Unbesiegbare, stand auf diesem Wall wie ein fester, in einem Hügel eingerammter Grenzpfahl, und wer sich ihm auf Schwerteslänge näherte, der sank hin wie vom Blitze getroffen.

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Schließlich ritt Zawisza Czarny Sulimezyk heran, doch als er sah, daß Arnold nicht mehr zu Pferde saß, und da er ihn auch nicht, wider alle Sitte, von hinten angreifen wollte, sprang er selbst von seinem Renner herab und rief ihm schon von weitem zu: »Wende Dein Haupt, Deutscher, und ergieb Dich, oder kämpfe mit mir!«

Arnold wendete sich um, und Zawisza an der schwarzen Rüstung sowie am Wappen erkennend, sagte er sich im Innern: »Nun kommt der Tod und meine Stunde hat geschlagen, denn diesem Ritter kann niemand lebend entrinnen. Wäre ich aber im stande, ihn zu besiegen, so würde ich mir unsterblichen Ruhm erringen und vielleicht auch mein Leben retten.«

So sprechend stürzte er ihm entgegen, und wutentbrannt kämpften sie miteinander auf der von Leichnamen übersäten Erde. Aber Zawisza übertraf alle andern so sehr an Kraft, daß die Eltern unglückselig genannt werden mußten, deren Kinder sich ihm im Kampfe zu stellen hatten. Unter den Hieben seines Schwertes barst in der That der in Marienburg geschmiedete Schild, barst auch der stählerne Helm gleich einem irdenen Topfe, und der tapfere Arnold sank mit zerschmettertem Haupte zur Erde.

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Heinrich, der Komtur aus Czluchow, der erbittertste Feind des polnischen Volkes, welcher geschworen hatte, er werde zwei Schwerter so lange vor sich her tragen lassen, bis er beide in polnisches Blut getaucht habe, wollte sich heimlich vom Schlachtfelde hinwegschleichen, wie ein Fuchs sich vor den gefährlichen Jagdnetzen hinwegschleicht, da vertrat ihm Zbyszko aus Bogdaniec den Weg. »Erbarme Dich meiner!« schrie der Komtur, als er die Klinge des Hirschfängers über seinem Haupte blitzen sah, und faltete vor Schrecken die Hände. Der junge Kämpe war zwar nicht mehr im stande, den Arm zurückzuhalten, aber er konnte das Messer noch wenden und so traf er nur mit der flachen Seite das feiste, schweißtriefende Gesicht des Komturs. Dann übergab er ihn seinem Knappen, der einen Strick um den Hals des Deutschen legte und ihn wie einen Stier an den Platz hinzog, wo alle gefangenen Kreuzritter auf einen Haufen zusammengetrieben waren.

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Der alte Macko suchte fortwährend auf dem blutigen Schlachtfelde nach Kuno Lichtenstein, und das den Polen an diesem Tage so günstige Geschick lieferte schließlich den Großkomtur in seine Hände. Kuno hatte sich mit einer kleinen Anzahl geflüchteter Ritter in einem Gebüsche verborgen. Der sich in ihren Rüstungen spiegelnde Sonnenschein verriet sie aber den Verfolgern, und alle fielen auf die Knie und ergaben sich sofort. Macko jedoch, welcher erfahren hatte, daß der Großkomtur des Ordens sich unter ihnen befand, befahl diesem, vorzutreten, und den Helm abnehmend fragte er: »Kuno Lichtenstein, erkennst Du mich?«

Der Großkomtur runzelte die Brauen, und den Blick fest auf Macko richtend, antwortete er nach einer Weile: »Ich sah Dich am Hofe zu Plock!«

»Nicht doch,« entgegnete Macko, »auch schon früher sahst Du mich! Du sahst mich in Krakau, als ich Dich um das Leben meines Bruderssohnes bat, der wegen eines unüberlegten Ueberfalles auf Dich zum Tode verurteilt worden war. Damals legte ich vor Gott ein Gelübde ab und schwur bei meiner Ritterehre, daß ich Dich noch treffen und mit Dir um Leben oder Tod kämpfen werde.«

»Wohl weiß ich dies,« versetzte Lichtenstein und warf hochmütig die Lippen auf, wennschon er zugleich tief erbleichte, »aber ich bin jetzt Dein Gefangener, und Schande würdest Du auf Dich laden, wenn Du das Schwert gegen mich zögest.«

Da verzerrte sich Mackos Gesicht auf unheilverkündende Weise und nahm einen wolfsähnlichen Ausdruck an.

»Kuno Lichtenstein,« begann er, »gegen einen Wehrlosen werde ich mein Schwert nicht erheben, aber ich sage Dir dies: wenn Du es abschlägst, Dich mir zum Kampfe zu stellen, lasse ich Dich wie einen Hund an einem Stricke aufhängen.«

»Mir bleibt keine Wahl! Auf denn!« rief der Großkomtur.

»Um Tod oder Leben, nicht um Gefangenschaft!« ließ sich Macko nochmals warnend vernehmen.

»Um Tod oder Leben!«

Und nach wenigen Augenblicken kämpften sie miteinander in Gegenwart der deutschen und polnischen Ritter. Wohl war Kuno der jüngere und behendere, aber Macko übertraf den Gegner so sehr an Körperkraft, daß er ihn im Nu zu Boden warf und die Knie gegen seinen Bauch stemmte.

Die Augen des Komturs traten vor Entsetzen aus ihren Höhlen.

»Schone meiner!« stöhnte er, während ihm weißer Schaum auf die Lippen trat.

»Nein!« antwortete der unversöhnliche Macko.

Und sein »Misericordia« an den Hals des Gegners setzend, stieß er zweimal zu. Jener röchelte furchtbar, ein Blutstrom quoll aus seinem Munde, ein Zittern fuhr durch seinen Körper, dann streckte er sich und der große Tröster tröstete ihn für immer.

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Mehr und mehr artete die Schlacht zu einem Gemetzel und zu einer Verfolgung der Flüchtlinge aus. Wer sich nicht ergeben wollte, wurde getötet. Gar viele Schlachten, gar viele Treffen waren in jenen Zeiten ausgefochten worden, aber kein Lebender erinnerte sich einer so entsetzlichen Niederlage.

Von siebenhundert »Weißmänteln« befanden sich kaum noch fünfzehn am Leben. Mehr denn vierzigtausend Leichen lagen in ewigem Schlafe auf dem von Blut überströmten Schlachtfelde. Die zahlreichen Banner, welche um die Mittagszeit noch lustig über dem unermeßlichen Heere des Ordens geweht hatten, befanden sich in den blutigen und siegreichen Händen der Polen. Nicht ein einziges Banner war gerettet worden, und nun legten die polnischen und litauischen Ritter sie zu den Füßen Jagiellos nieder, welcher, die Augen fromm zum Himmel erhebend, in bewegtem Tone sagte: »Gott hat es so gewollt!« Die angesehensten Gefangenen wurden ihm nun vorgeführt. Abdank Skarbek aus Gora brachte den Fürsten Kasimir aus Stettin, der böhmische Ritter aus Troznow brachte Konrad, den Fürsten aus Olesnica, und Przedpelko aus Kopidlow brachte den verwundeten, fast immer bewußtlosen Georg Gersdorf, der unter dem Banner des heiligen Georg alle fremdländischen Ritter vereinigt und angeführt hatte.

Zweiundzwanzig Volksstämme hatten an diesem Kampfe des Ordens gegen die Polen teilgenommen. Durch die Schreiber des Königs wurde nun genau verzeichnet, wie viele Gefangenen man gemacht hatte, und diese knieten vor dem König nieder, indem sie um Gnade flehten und um die Erlaubnis, gegen Lösegeld in die Heimat zurückzukehren.

Das ganze Heer des Ordens war vernichtet. Die Polen nahmen das ungeheure Lager der Kreuzritter in Besitz und dadurch geriet noch der Rest des geschlagenen Heeres in ihre Hände, sowie eine Unzahl von Wagen, die mit Fesseln für die Polen und mit Wein für eine Siegesfeier beladen waren.

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Die Sonne neigte sich dem Untergange zu. Ein kurzer, starker Regenschauer war niedergegangen und hatte den Staub gelegt. Der König, Witold und Zindram aus Maszkowice standen gerade im Begriff, auf das Schlachtfeld zu reiten, als man die Leichen der gefallenen Anführer brachte. Die Litauer trugen den von Speeren durchbohrten, von Blut und Staub bedeckten Leichnam des Großmeisters Ulryk von Jungingen herbei und legten ihn vor den König nieder. Dieser seufzte tief auf, und den Toten betrachtend, der das Gesicht nach oben gekehrt dalag, sagte er: »So ist es nun mit ihm zu Ende, mit ihm, der sich noch heute in der Frühe erhaben über alle Herrscher der Welt dünkte.«

Große Thränen flossen über Jagiellos Wangen und nach einer Weile begann er wieder: »Aber da er den Heldentod gestorben ist, wollen wir seine Tapferkeit preisen und ihn mit einem Begräbnisse ehren, das eines Christen würdig ist.«

In der That gab er sofort Befehl, die Leiche sorgfältig im See zu reinigen, sie in ein prächtiges Gewand zu hüllen und sie, bis der Sarg bereit sei, mit dem Ordensmantel zu bedecken.

Mittlerweile trug man mehr und mehr Leichen herbei, die von den Gefangenen erkannt wurden. Man brachte den Großkomtur Kuno Lichtenstein mit der durch ein Misericordia furchtbar zerfleischten Kehle und den Marschall des Ordens, Friedrich Wallenrod, den Großkämmerer Graf Albert Schwartzberg, den Großschatzmeister Thomas Mercheim, man brachte den Grafen Wende, welcher durch die Hand des Powala aus Taczew gefallen war, und mehr denn sechshundert angesehene Komture und Brüder. Die Knechte reihten sie dicht aneinander und nun lagen sie da wie gefällte Bäume, die Gesichter, die so weiß waren wie ihre Mäntel, gen Himmel gerichtet, mit weit offenen Augen, in denen sich immer noch der Ausdruck von Zorn und Stolz, von Kampfeswut und Entsetzen zeigte.

Zu ihren Häupten wurden die eroberten Banner aufgepflanzt, alle, alle. In dem leichten Windhauche wickelten sich die Fahnen bald um die Stangen, bald wehten sie hin und her, und mit ihrem leisen Rauschen schienen sie den Toten ein Schlaflied zu singen. In der Ferne, im Scheine der Abendröte, wurden die litauischen Heeresabteilungen mit den eroberten Kanonen sichtbar, deren sich die Kreuzritter zum erstenmale auf offenem Schlachtfelde bedient hatten, ohne daß es ihnen gelungen wäre, den Siegern beträchtlichen Schaden zuzufügen. Um den König hatten sich auf dem Hügel die hervorragendsten polnischen Ritter versammelt, und vor Ermüdung schwer atmend blickten sie auf die Standarten und auf die gefallenen Krieger zu ihren Füßen, wie ermüdete Schnitter auf die zusammengehäuften Garben zu schauen pflegen. Mühsam war die Tagesarbeit gewesen und entsetzlich das Ergebnis der Ernte, jetzt aber war ein bedeutsamer, freudenvoller Abend angebrochen.

Unermeßliches Glück strahlte aus den Mienen der Sieger, denn alle begriffen, daß dieser Abend nicht nur den Leiden und Mühseligkeiten des einen Tages, sondern ganzer Jahrhunderte ein Ziel setzte.

Obwohl der König wußte, welch große Niederlage die Kreuzritter erlitten hatten, blickte er doch voll Staunen umher und fragte schließlich: »Ist es denn der ganze Orden, der hier im Staube liegt?«

Darauf antwortete der Unterkanzler Mikolaj, dem die Prophezeiung der heiligen Brigitta bekannt war: »Es ist die Zeit gekommen, in der ihnen die Zähne ausgebrochen worden sind, in der ihnen die rechte Hand abgehauen wurde!«

So sprechend, erhob er die Rechte und machte das Zeichen des Kreuzes nicht nur über die zunächst liegenden, sondern auch über das ganze Gefilde zwischen Grünwald und Tannenberg. In der klaren, durch den Regen gereinigten Luft, in der noch der letzte Schein der Abendröte zitterte, sah man deutlich das ungeheure, qualmende, blutüberströmte Schlachtfeld, starrend von den Bruchstücken der Lanzen, Wurfspieße und Sensen, bedeckt mit Haufen von toten Pferden und menschlichen Leichnamen, zwischen denen Hände, Füße und Hufe hervorragten. Und dieses traurige Totenfeld mit tausenden von Leichen erstreckte sich weithin, noch weiter, als der Blick zu reichen vermochte.

Unaufhörlich gingen die Troßknechte auf diesem endlosen Gottesacker hin und her, die Massen sammelnd und den Toten die Rüstungen abnehmend. In der Höhe aber, an dem rötlich gefärbten Firmamente, kreisten und schwärmten zahllose Scharen von Krähen, Raben und Adlern, die mit lautem Gekrächze ihre Freude über die Aussicht auf das reiche Futter kundgaben.

Sechstes Kapitel.

Gegen die Mittagszeit am folgenden Tage stellten sich die beiden Abgesandten wieder bei Jurand ein und kurze Zeit darauf machten sie sich mit de Bergow, den zwei Knappen und etlichen andern Gefangenen auf die Heimfahrt. Jurand aber ließ Pater Kaleb zu sich entbieten, der an den Fürsten einen Brief des Inhalts schreiben mußte, Danusia sei nicht von den Ordensrittern geraubt worden, er, Jurand, werde jedoch ihren Aufenthaltsort erfahren und hege die Hoffnung, sie schon in wenigen Tagen wieder sehen zu können. Das gleiche teilte er auch Zbyszko mit, welcher sich in der verflossenen Nacht nicht mehr gekannt hatte vor Angst und Sorge. Soviel aber auch letzterer fragte, der alte Ritter erteilte keine Antwort, sondern erklärte nur, Zbyszko müsse sich in Geduld fassen und dürfe nichts zur Befreiung Danusias unternehmen, da dies ganz unnötig sei. Gegen Abend schloß er sich aufs neue mit Pater Kaleb ein, durch den er seinen letzten Willen niederschreiben ließ, um dann bei ihm zu beichten und das heilige Abendmahl zu empfangen. Erst spät beschied er Zbyszko und den alten, stets schweigsamen Tolima zu sich, der ihm bei allen Unternehmungen und Kämpfen ein treuer Gefährte war, und welcher in Friedenszeiten Spychow verwaltete.

»Sieh hier,« sagte, sich zu dem alten Edelmann wendend und die Stimme in einer Weise erhebend, die bewies, daß er zu einem schwerhörigen Menschen sprach, »sieh hier den Ehegemahl meiner Tochter, der mit ihr an dem fürstlichen Hofe getraut ward, und der meine Zustimmung erlangt hat. Nach meinem Tode wird er folglich der Herr über Spychow sein, er wird der Erbe der Burg, der Ländereien, der Wälder, der Sümpfe, der Leute, kurz all des Habes und Gutes sein, das sich in Spychow befindet …«

Diese Worte versetzten Tolima in großes Staunen. Unablässig wendete er seinen unförmigen Kopf bald zu Zbyszko, bald zu Jurand. Allein er erwiderte nichts, sprach er doch nur ganz selten, dagegen neigte er sich schließlich vor Zbyszko und umfaßte dessen Knie.

Jurand aber fuhr fort: »Pater Kaleb hat meinen letzten Willen niedergeschrieben und dieses Schriftstück mit seinem Siegel aus Wachs versehen, Du aber sollst bezeugen, daß ich Dir dies alles mitgeteilt und Dir befohlen habe, diesem jungen Ritter ein ebenso offenes Ohr zu leihen, wie dies bei mir der Fall gewesen ist. Zeige ihm auch die Beute und das Geld, welche die Schatzkammer birgt, und diene ihm treu bis in den Tod in Friedenszeiten und in Kriegsläuften. Hast Du mich verstanden?«

Tolima legte die Hand ans Ohr, neigte bejahend das Haupt und verließ, von Jurand durch eine Handbewegung entlassen, rasch das Gemach. Letzterer jedoch redete nun in besonders eindringlichem Tone zu Zbyszko: »Für das, was sich in der Schatzkammer befindet, kann man, selbst wenn die Forderung noch so hoch gestellt sein würde, nicht nur einen, sondern hundert Kriegsgefangene loskaufen, dessen gedenke stets.«

»Weshalb habt Ihr mir jetzt schon Spychow verschrieben?« fragte Zbyszko.

»Etwas weit Kostbareres als Spychow habe ich Dir ja bereits überlassen – mein eigenes Kind.«

»Und unsere Todesstunde kennen wir nicht,« warf Pater Kaleb ein.

»Wahrlich, wir kennen sie nicht,« wiederholte Jurand in traurigem Tone. »Aus dem Schnee hat man mich ja erst vor kurzem herausgraben müssen, allein, wenn mir Gott auch einen Retter geschickt hat, die frühere Kraft besitze ich doch nicht mehr.«

»Beim Allmächtigen!« rief Zbyszko, »seit gestern Abend ist irgend etwas mit Euch vorgegangen! Statt von Danusia zu sprechen, redet Ihr vom Tode. Beim allmächtigen Gotte, was bedeutet das?«

»Danusia kehrt zu Dir zurück, sie kehrt zurück!« versetzte Jurand. »Sie steht in Gottes Hand. Sobald sie jedoch zurückgekehrt sein wird – hörst Du – bringe sie unverzüglich nach Bogdaniec. Spychow übergebe Tolima … Er ist ein treuer Mann … Hier ist eine schlimme Nachbarschaft … Von dort wird niemand Dir Dein Weib gebunden hinwegführen … Dort kannst Du sie vor Gefahr beschützen …«

»Hei!« schrie nun Zbyszko auf, »Ihr sprecht ja gerade, als ob Ihr schon im Jenseits wäret! Was soll das heißen?«

»Viel hätte nicht mehr gefehlt, und ich wäre aus dieser Welt geschieden! Nun aber ist’s mir, wie wenn mich eine Krankheit darnieder beugte. Der Gram ist’s um das Kind – ich habe ja nur dies eine. Und Du, obwohl ich weiß, daß Du sie liebst …«

Hier brach er plötzlich ab, zog das »Misericordia« aus der Scheide und hielt den Griff des kurzen Dolches seinem Eidam mit den Worten entgegen: »Du schwörst mir auf dieses Kreuz, daß Du ihr nie ein Unrecht zufügen, daß Du sie stets in Treuen lieben wirst.«

Dem jungen Ritter standen plötzlich Thränen in den Augen. Auf die Knie fallend und die Finger auf den Dolchgriff legend, rief er: »Bei den Wundmalen des Erlösers, nie werde ich ihr ein Unrecht zufügen, ewig werde ich sie in Treuen lieben!«

»Amen!« sprach der Priester Kaleb.

Das »Misericordia« wieder in die Scheide steckend, breitete Jurand nun die Arme gegen Zbyszko aus und sagte: »In unserer Liebe für dieses Kind sind wir ja eins.«

Dann trennten sie sich, denn es war schon spät geworden, und mehrere Nächte hindurch hatte keiner von ihnen rechten Schlaf gefunden. Trotzdem erhob sich Zbyszko am folgenden Morgen mit Tagesanbruch. Er konnte den Gedanken nicht los werden, Jurand sei krank, es drängte ihn daher, zu hören, wie der alte Ritter die Nacht verbracht habe.

Vor Jurands Gelaß traf er mit Tolima zusammen, der gerade aus der Thüre trat.

»Wie steht es mit dem Herrn? Ist er gesund?« fragte Zbyszko.

Jener verneigte sich tief, führte die Hand an das Ohr und bemerkte: »Was befiehlt Euer Gnaden?«

»Ich frage, wie es mit dem Herrn steht,« wiederholte Zbyszko mit erhobener Stimme.

»Der Herr hat eine Reise angetreten.«

»Wohin?«

»Ich weiß es nicht. Er ist bewaffnet.«

Viertes Kapitel.

Nach Verlauf eines Jahres segnete der Großmeister Konrad das Zeitliche. Jasko aus Zgorzelic, Jagienkas Bruder, vernahm in Sieradz die Kunde von dessen Tod und von der Wahl Ulryks von Jungingen; er brachte daher auch zuerst die Nachricht nach Bogdaniec, wo sie, wie auf allen andern Edelsitzen, die größte Erregung hervorrief.

»Eine Zeit bricht an, wie wir sie zuvor noch niemals erlebt haben,« erklärte der alte Macko in feierlichem Tone, während Jagienka sofort die Kinder zu Zbyszko brachte und von diesem solch rührenden Abschied zu nehmen begann, als ob er schon am nächsten Morgen aufbrechen müsse. Wenn nun aber auch Macko und Zbyszko wußten, daß die Kriegsflamme nicht so rasch auflodern könne wie das Feuer auf dem Herde, sagten sie sich doch, es müsse über kurz oder lang zum Kriege kommen, und trafen deshalb ihre Vorbereitungen. Sie wählten Pferde, Rüstungen und Waffen aus und unterwiesen nicht nur die Knappen und die Dienstleute in dem Kriegshandwerke, sondern auch die nach deutschem Rechte ihres Amtes waltenden Dorfschulzen, welche an jedem Kriegszuge als Berittene teilnehmen mußten, sowie die unbemittelteren Edelleute, denen viel daran lag, sich an wohlhabendere Ritter anschließen zu dürfen. Auch auf allen andern größern Edelsitzen regte sich das gleiche Leben. Fortwährend ertönte der Klang der Hämmer in den Schmieden, allerorts wurden die alten Rüstungen gereinigt, die Bogen und das Riemenzeug mit flüssig gemachtem Fette eingerieben, die Wagen wurden frisch mit Eisen beschlagen, Vorräte von gemahlenem Korn und geräuchertem Fleische wurden aufgespeichert. An Sonn- und Festtagen teilte man sich in den Kirchen die eingetroffenen Nachrichten mit, die, wenn sie friedlich lauteten, stets eine gewisse Niedergeschlagenheit hervorriefen. Jedermann hegte die feste Ueberzeugung, daß man endlich den furchtbaren Feind des polnischen Volkes darniederwerfen müsse, daß das Königreich erst dann erstarken, sich erst dann einer gedeihlichen Entwickelung erfreuen könne, wenn sich die prophetischen Worte der heiligen Brigitta erfüllt haben würden, laut derer den Kreuzrittern die Zähne ausgebrochen werden würden und sie der rechten Hand verlustig gehen sollten.

Besonders um Macko und Zbyszko, welche viel von dem Orden zu erzählen wußten und schon mit den Deutschen gekämpft hatten, bildete sich in Krzesnia stets ein Kreis von Neugierigen, denn nicht nur neue Kunde wollte man von ihnen erfahren, sondern sich von ihnen auch über die angemessenste Art der Kriegsführung gegen die Deutschen unterrichten lassen. »Wie können wir am besten gegen sie aufkommen? Wie erweisen sie sich im Kampfe? In welcher Hinsicht sind sie den Polen überlegen, in welcher Hinsicht stehen sie hinter denselben zurück? Ist es ratsamer, mit der Streitaxt oder mit dem Schwerte gegen sie vorzugehen, wenn der Speer entzwei gebrochen ist?« so lauteten die Fragen, die man an die Ritter aus Bogdaniec stellte.

Letztere waren aber auch in der That wohl unterrichtet über all diese Dinge, was wunder daher, daß man ihren Aussprüchen mit umso größerer Aufmerksamkeit lauschte, als die Ueberzeugung immer mehr um sich griff, der Krieg werde ein sehr blutiger werden, denn die Polen, welche sich zweifellos mit den berühmtesten Rittern aus aller Herren Länder zu messen haben würden, konnten sich nicht damit zufrieden geben, dem Feinde da und dort eine Niederlage beizubringen, sondern sie mußten ihn, um nicht selbst zu Gründe gerichtet zu werden, völlig vernichten. »Was geschehen muß, muß geschehen!« sprachen die Edelleute untereinander, »es handelt sich um den Tod des Feindes oder um den unsern.« Und das ganze Volk schloß sich diesem Glauben an, dieses Volk, in dem ein Ahnen seiner zukünftigen Größe dämmerte, ließ sich nicht darniederdrücken, nein, im Gegenteil, der Wunsch nach Kraftbethätigung steigerte sich in jedem einzelnen täglich, stündlich. Doch ohne Selbstüberhebung, ohne Ruhmsucht sahen Hohe und Niedrige den kommenden Ereignissen entgegen, ernst, entschlossen und todesmutig bereiteten sie sich für ihre Aufgabe vor.

Uns oder ihnen der Tod! war die Losung.

Indessen verstrich die Zeit, aber zum Kriege wollte es nicht kommen. Wohl verbreitete sich die Kunde von neuen Mißhelligkeiten, die zwischen dem König Wladislaw Jagiello und dem Orden entstanden sein sollten wegen dem schon vor Jahren erworbenen Gebiete von Dobrzyn, wegen Grenzbestimmungen und wegen Dresden, wovon viele in damaliger Zeit noch nichts gehört hatten. Doch vom Kriege war noch keine Rede. Mehr und mehr regten sich Zweifel darüber, ob es überhaupt zum Kriege kommen werde, waren doch bisher alle Zwistigkeiten durch Verhandlungen, Vergleiche und durch die Absenkung von Gesandten beigelegt worden. Thatsächlich entstand auch bald das Gerücht, es seien Gesandte des Ordens nach Krakau, Gesandte der Polen nach Marienburg geschickt worden, und plötzlich sprach man allenthalben davon, daß nicht nur die Könige von Böhmen und Ungarn zu vermitteln versuchten, sondern daß auch der Papst seine Vermittlung angeboten habe. Genaues wußte man freilich nur in der Nähe von Krakau, vielleicht aber gerade deshalb tauchten im ganzen Lande die merkwürdigsten und seltsamsten Vermutungen auf. Der König ließ jedoch noch immer auf sich warten.

Schließlich wußte selbst Macko, nach dessen Ansicht der Krieg sicher drohte, nicht mehr recht, was er von all dem denken solle, und machte sich nach Krakau auf, um genauere Kunde zu erlangen. Seine Abwesenheit währte indessen nicht lange, denn schon nach fünf Wochen kehrte er wieder zurück – und mit einem freudestrahlenden Gesichte kehrte er wieder zurück. Den Edelleuten aber, die ihn wie gewöhnlich in Krzesnia umringten und voll Spannung seiner Mitteilungen harrten, antwortete er auf ihre tausenderlei Fragen mit der Gegenfrage: »Sind Eure Lanzen, Eure Speere und Eure Streitäxte geschärft?«

»Weshalb? Warum? Bei den Wundenmalen des Erlösers, was bringt Ihr Neues? Wen habt Ihr gesehen?« rief man ihm nun von allen Seiten zu.

»Wen ich gesehen habe? Zindram aus Maszkowice! Und was ich Neues bringe? Traun, ich glaube, daß Ihr Eure Pferde bald satteln dürft.«

»Guter Gott! Was wollt Ihr damit sagen? Sprecht doch!«

»Habt Ihr schon von Dresden gehört?«

»Gewiß hörten wir schon davon. Doch diese kleine Burg unterscheidet sich ja in nichts von vielen andern Burgen, und unserm Ermessen nach umfaßt sie kein größeres Gebiet als Bogdaniec.«

»Eine geringfügige Ursache für einen Krieg – seid Ihr nicht auch der Meinung?«

»Eine gar geringfügige Ursache – fürwahr! Wegen ganz anderer Ländergebiete hat es schon Zwistigkeiten gegeben, und doch ist es nie zum Kriege gekommen.«

»Wißt Ihr aber, wie sich Zindram aus Maszkowice über Dresden geäußert hat?«

»Sprecht schnell! Spannt uns nicht länger auf die Folter!«

»Er sagte folgendes zu mir: ›Ein Blinder ging einst eine Landstraße entlang und fiel über einen Stein. Er fiel, weil er blind war, trotzdem bildete aber der Stein die Ursache seines Falles.‹ Bei meiner Treu, dies Dresden ist solch ein Stein!«

»Was soll dies heißen? In voller Kraft steht ja der Orden da!«

»Versteht Ihr mich nicht? Dann will ich Euch noch ein anderes Beispiel geben. Wenn ein Gefäß voll ist, genügt ein Tropfen, um es zum Ueberfließen zu bringen.«

Diese Worte entflammten die Kampflust der Edelleute dermaßen, daß Macko sie nur mit Mühe beschwichtigen konnte, wollten sie doch ungesäumt zu Pferde steigen und nach Sieradz reiten.

»Haltet Euch bereit!« ließ sich der alte Ritter stets von neuem vernehmen, »haltet Euch bereit, aber wartet geduldig. Man wird unserer nicht vergessen, dessen dürft Ihr sicher sein.«

Und so harrten sie und harrten sie! Allein so lange wurde ihre Geduld abermals auf die Probe gestellt, daß sich wiederum in aller Herzen der Zweifel an dem Ausbruche des Krieges regte. Nur Macko hielt seine Ansicht aufrecht, denn als das Eintreffen der Zugvögel das Nahen des Frühlings verkündigte, da erkannte er, kraft seiner langen Erfahrung, aus verschiedenen Anzeichen, daß der Krieg, und zwar ein gewaltiger Krieg, vor der Thüre stehe.

Zuvörderst wurden so große Jagden in allen königlichen Forsten und Waldwildnissen angeordnet, wie sich ihrer kaum die ältesten Leute zu erinnern wußten. Tausende von Treibern wurden aufgeboten und demzufolge auch ganze Herden von Auerochsen, Bisons, Hirschen, Ebern und von allerlei anderm Wild erlegt. Wochen und Monde hindurch stieg der Rauch in den Wäldern empor, denn die gesalzenen Fleischstücke wurden geräuchert, um an die größeren Plätze der Wojwodschaft verschickt, vornehmlich aber, um in Plock aufgespeichert werden zu können. Offenbar wollte man Vorräte für gewaltige Kriegsheere sammeln, und Macko wußte sich dies sehr wohl zu deuten, da Witold derartige Jagden vor allen seinen bedeutenden Unternehmungen gegen Litauen hatte abhalten lassen. Doch auch noch andere Anzeichen sprachen für den Krieg. Die Bauern zum Beispiel entzogen sich haufenweise der Herrschaft der Deutschen, indem sie in das Königreich und nach Masovien entwichen. In dem Gebiete um Bogdaniec trafen zwar hauptsächlich Flüchtlinge ein, welche den deutschen Rittern in Schlesien unterthan waren, doch wie die Leute berichteten, zeigte sich allerorts, besonders aber in Masovien die gleiche Bewegung. Hlawa, der ja Spychow in Masovien bewirtschaftete, schickte gegen zwanzig Masuren, die aus Preußen zu ihm geflohen waren. Diese Mannen hatten um die Erlaubnis gebeten, unter dem Fußvolke an dem Kriege teilnehmen zu dürfen, weil sie an den ihnen aus ganzer Seele verhaßten Kreuzrittern Rache nehmen wollten. Den Aussagen jener nach standen bereits verschiedene Grenzansiedelungen fast gänzlich verödet, da die Großbauern mit Weibern und Kindern sich unter den Schutz der Fürsten von Masovien gestellt hatten. Bald zeigten sich in dem ganzen Lande Scharen von Bettlern, die aus Preußen kommend, nach Krakau ziehen wollten. Aus Danzig, aus Marienburg und Thorn, ja, sogar aus dem fernen Königsberg, kurz aus allen preußischen Städten, aus allen Komtureien eilten sie herbei, und nicht nur Bettler waren es, sondern auch Küster, Orgelspieler, Klosterbedienstete, ja sogar Kleriker und Priester. Von ihnen hoffte man allerlei über Preußen zu erfahren, durch sie glaubte man, sich darüber unterrichten zu können, wie es sich mit den Kriegsvorbereitungen, mit der Befestigung der Burgen, mit den Besatzungstruppen, mit den fremden Kriegern und Gästen verhalte. In der That flüsterte auch einer dem andern zu, die Wojwoden in den größeren Städten der Wojwodschaft und die Ratsherren in Krakau hätten sich schon Stunden lang mit verschiedenen der Flüchtlinge eingeschlossen, um sie zu vernehmen und ihre Berichte niederzuschreiben. Etliche begaben sich sogar heimlich wieder nach Preußen, um mit neuer Kunde in das Königreich zurückzukehren, ja, aus Krakau traf die Nachricht ein, der König und die Ratsherren seien nunmehr über jeden einzelnen Schritt der Kreuzritter unterrichtet.

Ganz anders verhielt es sich in Marienburg. Ein von dort entflohener Geistlicher erschien in Koniecpole und erzählte den daselbst hausenden Herren, daß sich weder Ulryk von Jungingen, noch irgend ein anderer der Kreuzritter durch Nachrichten aus Polen beunruhigen lasse, indem sie von der festen Ueberzeugung durchdrungen seien, im Falle der Not mit einem Schlage das ganze Königreich derart verwüsten und darniederwerfen zu können, »daß keine Spur davon übrig bleibe.« Er wiederholte wörtlich den von dem Großmeister Ulryk bei einem Feste in Marienburg gethanen Ausspruch: »Je zahlreicher sie sind, desto wohlfeiler werden die Schafspelze in Preußen werden.« In dem gewaltigen Horte der Kreuzritter sah man daher jubelnd und siegesbewußt dem Kriege entgegen, voll Vertrauen auf die eigene Kraft und auf die Hilfe, die man sogar aus den entferntesten Königreichen erwartete.

Doch trotz all dieser Kriegsanzeichen, trotz aller Vorbereitungen und Anordnungen kam es immer noch nicht zum Ausbruch des Krieges. Selbst dem jungen Ritter in Bogdaniec wurde diese Ungewißheit mehr und mehr lästig. Alles, was geschehen mußte, war gethan, seine Seele dürstete nach Kampf und Ruhm, mit jedem Tage der Verzögerung wuchs seine Ungeduld und häufig genug verlieh er dieser Empfindung seinem Oheim gegenüber Ausdruck. gerade als ob von Macko Krieg oder Friede abhängig sei.

»Seht Ihr nun!« erklärte er diesem einmal, »Ihr habt den Krieg prophezeit, und nun ist noch immer nichts daraus geworden.«

»Klug bist Du wohl, doch nicht allzuklug!« entgegnete Macko. »Bemerkst Du denn nicht, was um Dich vorgeht?«

»So aber der König im letzten Augenblicke nachgiebt? Allgemein wird behauptet, er wünsche den Krieg nicht.«

»Fürwahr, er wünscht den Krieg nicht. Doch war es nicht er, der ausrief: ›Ich wäre nicht der König, würde ich ruhig mit ansehen, wie sie sich Dresdens bemächtigen‹. Nichtsdestoweniger nahmen aber die Deutschen Dresden und haben es bis zu dieser Stunde in ihrer Gewalt. Traun, der König versteht sich nur schwer dazu, Christenblut zu vergießen, allein seine Ratgeber besitzen einen scharfen Verstand und treiben, die Uebermacht der Polen fühlend, die Deutschen immer mehr in die Enge – ich sage Dir nur das eine: wenn es Dresden nicht wäre, würde ein anderer Streitpunkt ausfindig gemacht werden.«

»Wie ich hörte, hat der Großmeister Konrad selbst Dresden genommen, und er fürchtete doch gewiß den Krieg.«

»Wohl fürchtete er ihn, kannte er doch besser als alle andern die Macht Polens. Gegen die Habsucht des Ordens anzukämpfen, dazu war er freilich nicht fähig. In Krakau ließ ich mir folgendes erzählen: der alte von Ost, der Gebieter Dresdens, leistete zur Zeit, als die Kreuzritter sich der Nova Marchia bemächtigten, dem König den Eid als Lehnsmann, denn seit ewigen Zeiten ward jenes Gebiet zu Polen gerechnet, und so wollte auch er zu dem Königreiche gehören. Da luden ihn die Kreuzritter nach Marienburg ein, machten ihn mit Wein trunken und entlockten ihm eine Beschreibung. Nun war es aber auch mit des Königs Geduld zu Ende.«

»Bei meiner Treu, das läßt sich denken!« rief Zbyszko aus.

»Es ist, wie Zindram sagte,« fuhr Macko fort. »Dresden ist nur der Stein, über den der Blinde stürzte.«

»Was wird aber geschehen, wenn die Deutschen auf Dresden verzichten?«

»Dann wird sich ein anderer Stein finden lassen. Was der Orden aber einmal verschlungen hat, das giebt er nicht wieder her, bis man ihm den Schlund öffnet. Und Gott gebe, daß uns dies bald gelingen werde.«

»Traun!« rief nun Zbyszko wie neu gekräftigt, »Konrad hätte schließlich nachgegeben, Ulryk wird nie nachgeben. Er ist ein echter Ritter, an dem kein Makel haftet, doch furchtbar aufbrausend und entflammbar.«

In solcher Weise besprachen sich die beiden häufig miteinander, inzwischen traten aber Ereignisse ein, die gleich den Steinen, die ein Vorübergehender mit dem Fuße einen steilen Bergpfad hinabstößt, und die mit immer größerer Schnelligkeit dem Abgrunde zurollen, unaufhaltsam zu der Entscheidung trieben.

Mit Blitzesschnelle verbreiteten sich bedeutsame Nachrichten in dem ganzen Lande. Die Kreuzritter waren in das seit alten Zeiten Polen gehörende und den Johannitern verpfändete Santok plündernd und verwüstend eingefallen, und der neue Großmeister Ulryk hatte nicht nur vorsätzlich Marienburg verlassen, als die polnischen Gesandten dort eingetroffen waren, um ihn zu seiner Wahl zu beglückwünschen, sondern er hatte auch vom ersten Augenblick seiner Herrschaft an den Befehl erlassen, daß in den Verhandlungen mit dem Könige und mit Polen von nun an statt der lateinischen die deutsche Sprache gebraucht werden müsse. Damit kennzeichnete er sofort seinen Standpunkt. Den Herren in Krakau, die insgeheim für den Krieg wirkten, ward es sofort klar, daß dieser Großmeister es darauf anlegte, öffentlich seine Kriegslust darzuthun, ging er doch geradezu mit einer blinden Unüberlegtheit und mit einer Rücksichtslosigkeit gegen Polen vor, wie es bis jetzt keiner der Großmeister selbst zu einer Zeit gewagt hätte, in welcher der Orden an Macht dem Königreiche noch weit mehr überlegen gewesen war.

Die Würdenträger des Ordens freilich, die weniger leidenschaftlich und weit verschlagener als Ulryk waren und die Witold kannten, ließen nichts unversucht, diesen auf ihre Seite zu bringen. Sie kargten nicht mit Gaben, ja, sie überschütteten ihn mit Schmeicheleien, wie man sie kaum maßloser zu der Zeit hätte ersinnen können, in der man den römischen Kaisern, noch während sie lebten, Tempel und Altäre errichtete. »Der Orden erfreut sich zweier Wohlthäter,« sprachen die Gesandten der Kreuzritter, als sie sich vor dem Statthalter Jagiellos bis zur Erde neigten, »Gott ist der eine, Witold der andere. Deshalb ist aber auch jedes Wort, jeder Wunsch Witolds den Kreuzrittern heilig.« Und sie beschworen ihn, Dresdens wegen zu vermitteln, insgeheim von der Hoffnung getragen, daß wenn er, der Untergebene des Königs, sich erkühne, über seinen Oberherrn zu urteilen, er diesen kränken und einen Bruch der guten Beziehungen zwischen sich und dem Könige, wenn auch nicht auf immer, so doch auf lange Zeit hinaus herbeiführen werde. Da aber des Königs Ratgeber in Krakau stets von allem unterrichtet waren, was in Marienburg geplant und ausgeführt ward, wählte Jagiello selbst Witold zum Schiedsrichter.

Nur zu bald sollten aber die Kreuzritter diese Wahl bedauern. Die Würdenträger des Ordens, welche den Großfürsten zu kennen geglaubt hatten, sahen ihren Irrtum zu spät ein, denn Witold sprach, kraft seiner richtigen Beurteilung der kommenden Dinge, nicht nur Dresden den Polen zu, reizte die Samogitier nicht nur von neuem zum Aufstände, sondern schickte, dem Orden immer feindlicher entgegentretend, Kriegsleute und Waffen, sowie Korn aus den fruchtbaren Gefilden Polens nach Samogitien.

Jetzt aber begriff ein jeder in dem großen, unermeßlichen Königreiche, daß die Stunde der Entscheidung geschlagen hatte. Und so war es in der That!

Als einmal in Bogdaniec der alte Macko, Zbyszko und Jagienka, sich des warmen, herrlichen Wetters erfreuend, vor dem Burgthore saßen, sprengte ein fremder Mann auf schäumendem Pferde heran, warf wie zu einem Kranze gebogene Weidenzweige vor die beiden Ritter und galoppierte mit dem Rufe: »Aufgebot zum Heerbann, Aufgebot zum Heerbann!« wieder davon.

Aufs höchste erregt, sprangen Macko und Zbyszko empor. Auf dem Antlitz des alten Ritters malten sich Ernst und Feierlichkeit. Zbyszko eilte hinweg, um den Knappen mit der Botschaft weiter zu senden, kehrte aber rasch mit leuchtenden Augen wieder zurück, indem er rief: »Krieg! Gott hat endlich unsern Wunsch erhört! Krieg!«

»Und nicht ein Krieg, wie wir ihn schon erlebt haben, nein, einen großen Krieg, einen gewaltigen Krieg wird es geben!« ergriff in erhobenem Tone Macko das Wort, um sich dann «an die Dienstleute zu wenden, die sich blitzesschnell um ihren Gebieter versammelt hatten.

»Eilt auf die Warte!« gebot er, »und laßt die Hörner nach allen vier Richtungen der Welt ertönen. Etliche von Euch mögen die Botschaft den Dorfschulzen verkünden, andere sollen die Pferde satteln, die Wagen bespannen. Rasch, sputet Euch!«

Kaum hatte er zu Ende gesprochen, so waren die Dienstleute schon nach allen Richtungen zerstreut, um seine Befehle auszuführen, was um so leichter wurde, weil alles längst vorbereitet gewesen, weil Rüstungen, Waffen und Vorräte in genügender Menge vorhanden waren. So standen denn auch in kürzester Zeit Mannen, Pferde und Wagen zum Aufbruche fertig, und man harrte nur der beiden Ritter, um die Fahrt anzutreten.

Diese besprachen indessen noch allerlei mit Jagienka, und schließlich fragte Zbyszko seinen Ohm: »Wollt Ihr nicht in Bogdaniec bleiben?«

»Ich? Was kommt Dir in den Sinn?«

»Dem Gesetze nach habt Ihr als ein Mann von vorgeschrittenem Alter das Recht, zu bleiben, und außerdem könntet Ihr auch der Schützer Jagienkas und der Kinder sein.«

»Traun, so höre nun auch mich. Bis ich weiße Haare hatte, habe ich auf diese Stunde warten müssen.«

Für Zbyszko genügte ein Blick in das entschlossene Antlitz seines Ohms, um zu wissen, daß jedes weitere Wort verloren sei. Macko war aber auch, trotz seiner siebzig Jahre, ein Mann, kräftig wie ein Eichbaum, und seine Hand bewegte sich noch so geschmeidig in den Gelenken, daß, wenn er die Streitaxt schwang, es geradezu in der Luft schwirrte und sauste. Was wollte es daher bedeuten, wenn er nicht mehr in voller Rüstung auf das Pferd zu springen vermochte, ohne die Steigbügel zu berühren? Gar viele jüngere als er, besonders unter den Rittern des Westens, waren ja auch nicht dazu im stande. Was wollte ein solch kleiner Mangel bedeuten gegenüber seiner umfassenden Erfahrung in allen ritterlichen Uebungen und Unternehmungen? Fürwahr, weit und breit kam ihm darin kein zweiter Krieger gleich.

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»Wäre es nicht um dieser kleinen willen, würde ich so lange vor Dir auf den Knien liegen, bis Du mir die Erlaubnis erteiltest, mit Dir zu ziehen.«

Offenbar ängstigte sich auch Jagienka nicht vor dem Alleinsein, denn die Hand ihres Ehegemahls küssend, ließ sie sich also vernehmen: »Sorge Dich nicht um mich, geliebter Zbyszko, ist doch die Burg gar fest und stark. Bedenke auch, daß ich nicht allzu zaghaft bin, sind mir doch Bogen und Speer vertraut. Nicht an uns dürfen wir denken, wenn es sich um die Rettung des Königreichs handelt. Gott wird über uns wachen.«

Thränen traten ihr in die Augen und rannen langsam, in großen Tropfen über ihre Wangen, als sie, auf die inzwischen herbeigebrachten Kinder deutend, mit einer vor Bewegung zitternden Stimme also fortfuhr: »Hei! Wäre es nicht um dieser Kleinen willen, würde ich so lange vor Dir auf den Knien liegen, bis Du mir die Erlaubnis erteiltest, mit Dir zu ziehen.«

»Jagus!« schrie Zbyszko auf, sie an seine Brust ziehend.

Da umschlang sie ihn mit ihren Armen, schmiegte sich fest an ihn an und flüsterte: »Nur kehre wieder zu mir zurück, mein Goldsöhnchen, mein Einziger, mein Liebstes auf der ganzen Welt.«

»Zbyszko,« ließ sich jetzt Macko in bewegtem Tone vernehmen, »Zbyszko, danke Gott dem Herrn täglich dafür, daß er Dir ein solches Eheweib gegeben hat.«

Eine Stunde später ward das Banner auf der Warte eingezogen, zum Zeichen, daß die Gebieter die Burg verlassen hatten. Zbyszko und Macko erlaubten Jagienka, sie mit den Kindern bis nach Sieradz zu begleiten und nach einem reichlichen Imbiß machten sie sich mit den Mannen und mit einem ganzen Wagenzuge auf den Weg. Der Tag war hell und klar. Eine atemlose Stille lag über den Wäldern. Das Vieh auf den Wiesen und in dem Brachlande schien, wie in Gedanken versunken und seine Nahrung bedächtig wiederkäuend, die mittägliche Ruhe zu genießen. Durch die Trockenheit der Luft stiegen da und dort gelbliche Staubwölkchen auf, hinter denen es zuweilen in dein glänzenden Sonnenlichte wie von unzähligen feurigen Funken blitzte. Als Zbyszko dies gewahr wurde, machte er sein Weib und seine Kinder mit den Worten darauf aufmerksam: »Wißt Ihr, woher diese Funken rühren? Speere, Lanzen und Wurfspieße sind es. Die Kunde von dem Aufgebot des Heerbannes hat sich schon allerorts verbreitet, von allen Seiten ziehen die Mannen gegen die Deutschen.«

Und so verhielt es sich in der That. Kaum hatten sie die Grenze von Bogdaniec hinter sich gelassen, trafen sie mit Jagienkas Bruder, Jasko, zusammen, der als Erbe von Zgorzelic über großen Wohlstand gebot und mit drei Speerreitern und zwanzig andern Kriegsknechten auszog.

Kurz darauf tauchte aus der Staubwolke das bärtige Gesicht Cztans aus Rogow auf, der, wenn er auch kein allzugroßer Freund von den Gebietern in Bogdaniec war, diesen doch nun schon aus der Ferne zurief: »Jetzt geht’s gegen die Weißmäntel!« um gleich darauf wieder in dem Staube zu verschwinden. Auch mit dem alten Wilk aus Brzozowa stießen sie zusammen, dessen Haupt freilich aus Altersschwäche schon ein wenig zitterte, welcher aber trotzdem nicht zurückblieb, da er den Tod seines in Schlesien erschlagenen Sohnes an den Kreuzrittern rächen wollte.

Je näher sie Sieradz kamen, je dichter wurden die Staubwolken, und als in der Ferne der Turm der Stadt sichtbar ward, da wimmelte die Straße von Rittern, Dorfschulzen und Kriegsknechten, die alle dem Sammelplatze zustrebten. Beim Anblick dieser zahlreichen, kräftigen, kampfeslustigen Scharen, die jeder Unbill des Wetters, allen Strapazen zu trotzen vermochten, da schwoll die Brust des alten Ritters von Siegeshoffnung.

Fünftes Kapitel.

Endlich, endlich war es zum Kriege gekommen, zu einem Kriege freilich, in dem nicht viele Schlachten geschlagen wurden, der sich anfänglich zu Ungunsten der Polen gestaltete. Ehe die Polen ihre Streitkräfte an Ort und Stelle zusammengezogen hatten, nahmen die Kreuzritter Bobrowniki, machten Zlotorya dem Erdboden gleich und verwüsteten das unglückliche Gebiet um Dobrzyn, das ihnen erst vor kurzem unter den größten Schwierigkeiten entrissen worden war. Durch die Vermittlung der Böhmen und Ungarn wurde indessen bald abermals den Kriegsfluten Einhalt gethan, ein Waffenstillstand ward geschlossen und Wenzeslaw, der König von Böhmen, zum Schiedsrichter zwischen den Polen und den Kreuzrittern ernannt.

Auf beiden Seiten fuhr man indessen während des Winters und des Frühlings mit dem Zusammenziehen und dem Vorschieben der Kriegsscharen fort, und als der König von Böhmen, der erkauft worden war, zu Gunsten des Ordens entschied, brach der Krieg natürlich von neuem aus.

Allgemach rückte der Sommer heran und mit ihm erschienen die unter Witold stehenden »Völkerstämme.« Nach Ueberschreitung des Flusses bei Czerwensk vereinigten sich die beiden Heerkörper, zu denen dann auch die Fähnlein der masovischen Fürsten stießen. Auf der andern Seite des Flusses, in dem Lager bei Schwetz, standen gegen hunderttausend eisengepanzerte Deutsche. Jagiello hatte zwar den Plan gefaßt, über den Drewenz zu gehen, um auf dem kürzesten Wege nach Marienburg vorzurücken, als sich jedoch dies als unmöglich erwies, kehrte er von Kurzetnik nach Soldau zurück und schlug dann, nachdem Dabrowua oder Gilgenburg, eine Feste des Ordens, durch eine Abteilung des Kriegsheeres zerstört worden war, daselbst sein Lager auf.

Jagiello, und mit ihm alle polnischen und litauischen Großen, sahen längst voraus, daß es bald zu einer entscheidenden Schlacht kommen müsse, jeder aber glaubte, es werde noch eine Reihe von Tagen bis dahin verstreichen. Allgemein huldigte man der Ansicht, der Großmeister, welcher dem Könige den Weg verlegt hatte, wolle seinem Kriegsvolke Ruhe gönnen, damit er es frisch und neugekräftigt zum Kampfe führen könne. Unter dieser Voraussetzung rasteten auch die Kriegsscharen des Königs eine Nacht bei Dabrowna. Die Einnahme der Feste erfüllte die Herzen des Königs und Witolds mit Freude, trotzdem der Angriff ohne ausdrücklichen Befehl, ja eigentlich gegen den Willen des Kriegsrates unternommen worden war, denn die stark befestigte Burg lag inmitten eines Sees und hatte eine zahlreiche Besatzung. In solch unglaublich kurzer Zeit waren aber die polnischen Ritter Herren der Burg, mit solch unwiderstehlicher Gewalt stürmten sie vor, daß ehe Entsatz eintreffen konnte, alles in Trümmer lag, alles in rauchende Brandstätten verwandelt war, auf denen die wilden Horden Witolds und die Tataren unter Saladin die letzten, sich verzweifelt wehrenden deutschen Kriegsknechte niedermetzelten.

Das Feuer hielt indessen nicht lange an, ein kurzer, aber heftiger Regenguß machte ihm bald ein Ende. Die ganze Nacht vom vierzehnten auf den fünfzehnten Juli ließ sich ungewöhnlich veränderlich und stürmisch an. Vom Winde getrieben, folgte Gewitter auf Gewitter. Zuweilen schien der Himmel in Flammen zu stehen, zuweilen zuckten unter dumpfen Donnerschlägen grelle Blitze von Osten nach Westen. Schwefelgeruch erfüllte oftmals die Luft, Regengüsse prasselten stets wieder von neuem nieder. Dann mit einem Male trieb der Wind die Wolken auseinander, und von dem lichter gewordenen Firmamente strahlten Sterne und Mond in hellem Glanze herab. Erst nach Mitternacht legte sich der Sturm so weit, daß die Wachfeuer wieder unterhalten werden konnten. In einem einzigen Augenblicke suchten tausende und tausende von Mannen in dem unermeßlich großen Lager der Polen und Litauer die Flammen aufs neue anzufachen, um hierauf unter wilden Gesängen ihre durchnäßten Gewandungen zu trocknen.

Auch der König verbrachte die Nacht wachend, denn in der am äußersten Ende des Lagers stehenden Hütte, in die er sich vor dem Sturme geflüchtet hatte, wurde ein Kriegsrat abgehalten wegen der Einnahme Gilgenburgs. Da die Heerschar aus Sieradz mit an der Eroberung beteiligt gewesen war, mußte sich deren Führer, Jakob aus Koniecpole, samt andern darüber verantworten, daß er den Angriff auf die Burg unternommen hatte, ohne den Befehl dazu erhalten zu haben, und daß er den Kampf auch dann nicht eingestellt hatte, als ihm der Gegenbefehl des Königs durch einen besonderen Boten und durch eine Anzahl vertrauter Kriegsleute übermittelt worden war.

Da nun der Wojwode nicht wissen konnte, was ihn erwarten, ob ihn nur Tadel oder wirkliche Strafe treffen werde, brachte er eine erkleckliche Anzahl der berühmtesten Ritter, darunter auch Macko und Zbyszko als Zeugen dafür mit, daß bei der Ankunft des königlichen Boten die Erstürmung der Wälle schon vor sich gegangen war, daß dem erbitterten Kampfe mit der Besatzung nicht mehr Einhalt geboten werden konnte. »Was aber den Angriff überhaupt anbelangt,« erklärte Jakob aus Koniecpole, »so ist es gar schwer, vor jedem Vorgehen erst die Erlaubnis dazu einzuholen, wenn die Größe des Kriegsheeres eine solch unermeßliche ist. Da ich in der Vorhut stand, erachtete ich es für meine Pflicht, jedes Hindernis vor dem Hauptheere aus dem Wege zu räumen und den Kampf mit dem Feinde allerorts aufzunehmen.« Als der König, Fürst Witold und die Herren des Kriegsrates, welche insgeheim über die Eroberung der Burg große Freude empfanden, diese Worte vernahmen, da sprachen sie dem Wojwoden und der Kriegsschar aus Sieradz nicht ihren Tadel aus, nein, sie konnten den Führer und die Kriegsleute nicht genug loben wegen des kühnen Mutes, mit dem sie die Burg genommen, die tapfere Besatzung überwältigt hatten. Für Macko und Zbyszko bot sich nun bei diesem Kriegsrate Gelegenheit, die hervorragendsten Großen des Königreiches versammelt zu sehen, denn außer dem König und den Fürsten aus Masovien waren auch die beiden Führer des Kriegsheeres anwesend, Witold, welcher die Litauer, Samogitier, Russen, Bessarabier, Wallachen und Tataren befehligte, und Zindram aus Maszkowice – der Schwertträger aus Krakau – welcher die polnische Streitmacht anführte, alle andern an Kriegskunst überragte und dessen Wappen die Aufschrift trug: »Der Sonne gleich.« Aber auch noch andere hervorragende Krieger und Staatskundige gehörten zu dem Kriegsrate, so der Krakauer Kastellan Kristin aus Ostrowo, der Krakauer Wojwode Jasko aus Tarnow, der Posener Wojwode Sedziwoj aus Ostrorog, der Wojwode von Sandomir Mikolaj aus Michalowic, der Kirchenprobst zum heiligen Florian, der Unterkanzler Mikolaj Traba, der Marschall des Königreiches Zbigniew aus Brzesc und Piotr Szafranec, der Unterkämmerer aus Krakau, sowie schließlich Ziemowit, der Sohn des Fürsten aus Plock, welcher trotz seiner Jugend in den Kriegsrat berufen worden war, weil er als sehr »umsichtig« in der Kriegsführung galt und der König große Stücke auf ihn hielt.

In der zweiten geräumigen Stube der Hütte hatten sich auch unzählige der berühmtesten Ritter zusammengefunden, um nötigenfalls sofort ihre Ratschläge erteilen zu können. In ganz Polen, ja, weithin in allen fremden Königreichen kannte man deren Namen. Macko und Zbyszko sahen daher auch Zawisza Czarny, Sulinczyk und dessen Bruder Farurey, Skarbek Abdauk aus Gora, Dobek aus Olesnica, der seiner Zeit zwölf deutsche Ritter bei einem Turniere in Thorn aus dem Sattel gehoben hatte, dann den riesenhaften Paszko Zlodziej aus Biskupice, sowie den ihnen besonders freundlich gesinnten Powala aus Taczew, dann Krzon aus Kozichglowy, Marciu aus Wrocimowice, welcher das Hauptbanner des Königreiches trug, Florian Jelitczyk aus Korytnice, Lis aus Targowisko, welcher besonders im Handgemenge furchtbar ward, und Staszko aus Charbimowice, der in voller Rüstung über zwei der größten Pferde springen konnte.

Doch außer den Genannten waren, aus verschiedenen Landen und aus Masovien, auch noch gar viele andere berühmte, den Bannern voranziehende Ritter anwesend, welche »die vor den Bannern Streitenden« hießen, weil sie während einer Schlacht in der ersten Reihe zu kämpfen pflegten. Von den ihnen bekannten Rittern wurden Macko und Zbyszko aufs freundlichste begrüßt, und Powala trat sofort zu ihnen und begann über die früheren Erlebnisse und Ereignisse zu sprechen.

»Hei!« sagte er zu Zbyszko gewandt, »Du hast die Kreuzritter über gar Schweres zur Rechenschaft zu ziehen, nun aber ist, wie ich glaube, die Zeit gekommen, in der Du ihnen alles heimzahlen kannst.«

»Mit Blut werde ich ihnen alles heimzahlen,« entgegnete Zbyszko, »für alles sollen sie mir büßen.«

»Weißt Du, daß Kuno Lichtenstein Großkomtur geworden ist?«

»Ich weiß es und auch meinem Ohm ist es bekannt.«

»Gott gebe, daß ich mit Lichtenstein zusammentreffe,« warf jetzt Macko ein, »denn ich habe noch wegen gar manchem mit ihm abzurechnen.«

»Traun! Wir alle haben ihn zum Kampfe gefordert,« bemerkte Powala, »allein er erklärte, er dürfe bei der Würde, die er bekleide, sich uns nicht stellen. Bei meiner Treu, vielleicht ist er aber jetzt doch andern Sinnes geworden.«

»Dem wird er in die Hände fallen, dem er von Gott bestimmt ist!« ließ sich nun Zawisza in dem ihm eigentümlichen, würdevollen Tone vernehmen.

Daraufhin entschloß sich Zbyszko, die Sache seines Ohms dem Urteile Zawiszas zu unterbreiten und fragte daher diesen, ob er nicht auch der Ansicht sei, Macko habe sein Gelübde durch den Kampf mit einem Blutsverwandten Lichtensteins erfüllt, der sich selbst als dessen Stellvertreter bezeichnet hatte, und der von dem alten Ritter getötet worden war. Trotzdem sich aber nun Zawisza und alle Umstehenden dahin aussprachen, dem Gelübde sei Genüge gethan worden, hielt Macko in seiner Halsstarrigkeit und ungeachtet ihm jener Ausspruch großen Trost gewährte, seine Meinung aufrecht, indem er sagte: »Traun, dies mag nun alles so sein, wie Ihr sagt! Ich aber würde mich des ewigen Heiles sicher fühlen, wenn mir Kuno selbst auf festgetretener Erde gegenüberstünde.«

Im Laufe der Unterhaltung kamen die Redenden auch auf die Einnahme von Gilgenburg zu sprechen und man erging sich in Mutmaßungen darüber, wann wohl die erste große Schlacht sein werde, die nach der Ansicht aller bald geschlagen werden mußte, da dem Großmeister nichts anderes zu thun übrig blieb, als dem König den Weg zu verlegen.

Die Rede ging hin und her, und gerade als man die Frage aufwarf, wieviele Tage man wohl noch zuwarten müsse, näherte sich den Sprechenden ein großer, schmächtiger Ritter, der in ein rotes Gewand gekleidet war, eine ebensolche Mütze auf dem Haupte trug und der, seine Arme ausbreitend, mit sanfter, fast mädchenhafter Stimme also anhub: »Ich grüße Dich, Ritter Zbyszko aus Bogdaniec!«

»De Lorche! Du bist hier!« rief nun Zbyszko aus, den Lothringer, welcher in gar gutem Andenken bei ihm stand, in die Arme schließend und warme Freundschaftsküsse mit ihm austauschend. »Stehst Du auf unsrer Seite?«

»Etliche Ritter aus Geldern kämpfen wohl auf der andern Seite!« antwortete de Lorche, »ich aber bin durch Dlugolas verpflichtet, meinem Gebieter, dem Fürsten Janusz, meine Dienste zu leihen.«

»So bist Du der Erbe des alten Mikolaj aus Dlugolas?«

»Ja. Nach dem Tode Mikolajs und dessen Sohn, der bei Bobrowniki erschlagen ward, fiel Dlugolas der holden Jagienka zu, die seit fünf Jahren mein Eheweib und meine Herrin ist.«

»Bei Gott!« ließ sich nun Zbyszko abermals vernehmen, »bei Gott, Du mußt mir erzählen, wie sich dies alles ereignet hat.«

Allein de Lorche begrüßte jetzt den alten Macko und sagte: »Von Euerm früheren Waffenträger Hlawa hörte ich, daß ich Euch hier im Lager finden könnte. Er selbst weilt nun in meinem Zelte und achtet auf das abendliche Mahl. Wohl liegt mein Zelt an dem andern Ende des Lagers – zu Pferde werden wir es aber bald erreichen. Kommt daher mit mir!«

Dann, sich zu Powala wendend, mit dem er ja in Plock Freundschaft geschlossen hatte, fügte er hinzu: »Auch Euch, edler Herr, bitte ich, mir zu folgen. Gewährt mir die Ehre, gönnt mir dieses Glück!«

»Gerne gehe ich mit Euch in Euer Zelt!« entgegnete Powala, »denn abgesehen davon, daß das Zusammensein mit Rittern, die ich kenne, mir stets die größte Freude ist, können wir auch das ganze Lager sehen.«

So begaben sich denn alle in das Freie, um die Pferde zu besteigen. Da trat einer der Dienstleute de Lorches zu diesem heran, um ihm einen Mantel umzuhängen, den er augenscheinlich zu dem Zwecke mitgebracht hatte, eilte dann auf Zbyszko zu, küßte dessen Hand und sagte: »Heil und Ehre sei Euch, o Herr! Schon vor Jahren diente ich Euch, aber in der Dunkelheit könnt Ihr mich nicht erkennen. Ist Euch Sanderus aus dem Gedächtnis entschwunden?«

»Sanderus, so wahr mir Gott helfe!« rief Zbyszko.

Und die Erinnerung an die erlittenen Schmerzen, an all das Leid, an all die schweren Kümmernisse regte sich in dem jungen Ritter wieder so lebendig wie vor wenigen Wochen, als er bei der Vereinigung des königlichen Kriegsheeres mit dem Fähnlein der masovischen Fürsten nach langer, langer Zeit seinen einstigen Knappen Hlawa wiedergesehen hatte.

»Sanderus!« hub er daher abermals an, »ich habe der frühern Zeiten, ich habe Deiner nicht vergessen. Was hast Du bisher getrieben, wo bist Du gewesen? Ziehst Du noch immer mit Reliquien durch die Lande?«

»Nein, o Herr! Bis zum letzten Frühling versah ich das Amt eines Küsters an der Kirche in Dlugolas. Da aber mein verstorbener Vater dem Kriegshandwerk oblag, da widerte mich beim Ausbruch des Krieges das Erz der Kirchenglocken an und die Sehnsucht nach Eisen und Stahl erwachte in mir –«

»Was höre ich?« warf hier Zbyszko ein, der sich Sanderus in der Schlacht mit einem Schwerte, einem Speere oder einer Streitaxt in der Hand nicht vorstellen konnte.

Sanderus aber fuhr, Zbyszko den Steigbügel haltend, unentwegt fort: »Vor einem Jahre etwa begab ich mich auf Befehl des Bischofs von Plock in preußisches Gebiet und leistete dadurch beträchtliche Dienste – doch davon will ich Euch später berichten. Steigt also zu Roß, wohledler Ritter, denn jener böhmische Graf, den Ihr Hlawa zu rufen pflegtet, harrt unserer in dem Zelte meines Herrn.«

Nachdem Zbyszko zu Pferde gestiegen war, ritt er mit Herrn de Lorche voran, da er ungestört mit ihm sprechen, da er sich dessen Erlebnisse erzählen lassen wollte, die zu hören er sehr gespannt war.

»Unendlich glücklich macht es mich,« begann Zbyszko, »daß Du auf unserer Seite kämpfst, doch ich wundere mich darob, denn Du dientest doch den Kreuzrittern.«

»Jene mögen ihnen dienen, die sich Sold bezahlen lassen!« erwiderte de Lorche, »ich habe nie Sold genommen. Nein – Abenteuer wollte ich bestehen, als ich zu den Kreuzrittern zog, den Rittergürtel wollte ich mir erringen, den ich auch, wie Dir ja bekannt sein wird, aus den Händen eines polnischen Fürsten empfing. Und nachdem ich nach meiner Vermählung bei Euch seßhaft geworden bin, wie könnte ich gegen Euch streiten? Zu Euch gehöre ich nun, denn, wie Du sofort bemerkt haben wirst, spreche ich ja jetzt Eure Sprache!«

»Und Deine Besitzungen in Geldern? Wie mir gesagt ward, bist Du ein Blutsverwandter des dort herrschenden Geschlechtes und der Erbe vieler Burgen und Dörfer.«

»Ich trat mein Erbe an meinen Blutsverwandten Foulk de Lorche ab, der mich dafür bezahlte. Vor fünf Jahren bin ich in Geldern gewesen und habe von dort große Summen zurückgebracht, mit denen ich mich in Masovien ankaufte.«

»Wie kam es aber dazu, daß Du Dich mit Jagienka aus Dlugolas vermähltest?«

»Ach!« antwortete de Lorche, »ist nicht jede Frau ein Rätsel? Sie spottete meiner so lange, bis ich es müde wurde und ihr erklärte, der Gram, der Kummer treibe mich in den Krieg nach Asien, von wo ich niemals wieder zurückzukehren gedenke. Da brach sie zu meinem Staunen in Thränen aus und rief schluchzend: ›Dann werde ich in ein Kloster gehen!‹ Ich aber warf mich, diese Worte hörend, ihr zu Füßen und wenige Tage später sprach der Bischof aus Plock in der Kirche über uns beide den Segen.«

»Habt Ihr Kinder?« fragte nun Zbyszko.

»Nach Beendigung des Krieges wallfahrt Jagienka an das Grab unserer Königin Jadwiga, um von ihr die Erfüllung unserer Wünsche zu erflehen!« entgegnete de Lorche seufzend.

»Daran thut sie gut. Man sagt, das helfe immer, und daß es in solchen Fällen keine bessere Fürsprecherin gebe als unsere heilige Königin. Noch wenige Tage, und es kommt zur Hauptschlacht, der Frieden wird dann nicht lange auf sich warten lassen.«

»Gewiß.«

»Aber die Kreuzritter halten Dich sicherlich für einen Verräter!«

»Nein,« entgegnete de Lorche, »Du weißt ja, wie viel ich auf meine Ritterehre halte. Sanderus begab sich im Auftrage des Bischofs von Plock nach Marienburg, daher sandte ich durch ihn ein Schreiben an Meister Ulryk, worin ich ihm den Dienst aufgekündigt und ihm die Gründe angegeben habe, weshalb ich mich auf Eure Seite stelle.«

»Hei! Sanderus!« rief Zbyszko aus. »Er sagte mir, daß der Klang der Kirchenglocken einen wahren Ekel in ihm erweckt habe, und daß ein Verlangen nach Stahl und Eisen in ihm erwacht sei. Mich wundert dies aber, denn er hatte immer ein Hasenherz.«

Darauf entgegnete de Lorche: »Mit Stahl und Eisen hat Sanderus nur soviel zu thun, daß er mir und meinen Knappen den Bart abschert.«

»So verhält es sich also?« fragte Zbyszko nicht wenig ergötzt.

Schweigend ritten sie einige Zeit weiter, dann richtete de Lorche seine Augen zum Himmel empor und sagte: »Zum Abendbrot habe ich Euch eingeladen, aber wir werden wohl zum Frühstück erst anlangen.«

»Der Mond scheint noch,« entgegnete Zbyszko. »Reiten wir also weiter.«

Nachdem sie mit Macko und Powala zusammengetroffen waren, ritten sie alle nebeneinander durch die breite Straße des Feldlagers, welche auf Befehl der Anführer zwischen den Zelten und Feuerstätten abgesteckt worden war, damit der Durchgang frei blieb. Da sie zu der am andern Ende des Lagers stehenden masovischen Heeresabteilung stoßen wollten, mußten sie es der ganzen Länge nach durchreiten.

Macko wendete sich zu Powala aus Taczew: »Sagt, Herr, wie viele Fähnlein hat Knäs Witold aufgebracht?«

»Vierzig!« entgegnete Powala.

»Unsere polnischen belaufen sich mit den masovischen zusammen auf fünfzig, aber sie sind anders geordnet als die Witolds. Denn bei ihm dienen zuweilen einige tausend Mannen unter einem Banner. Ha! Wir hörten, der Großmeister habe diese Krieger ein Bettelvolk genannt, das einen Löffel besser als ein Schwert zu gebrauchen verstehe, aber Gott gebe, daß er sich in einer für ihn schlimmen Stunde so ausgesprochen hat, denn ich glaube, die litauischen Wurfspieße werden von dem Blute der Kreuzritter gerötet werden.«

»Was sind das für Mannen, an denen wir jetzt vorüberkommen?« fragte Herr de Lorche.

»Das sind Tataren, Witolds Lehensmann, Saladin, führte sie hierher.«

»Bewähren sie sich in der Schlacht?«

»Die Litauer verstehen es, mit diesen Tataren zu kämpfen und haben einen beträchtlichen Teil derselben besiegt. Aus dem Grunde wurden sie auch gezwungen, an diesem Kriegszug teilzunehmen. Aber die Ritterschaft aus dem Westen hat stets einen schweren Stand mit ihnen, denn sie zeigen sich gefährlicher beim Rückzuge als beim Angriffe.«

»Laßt sie uns in der Nähe betrachten,« sagte de Lorche.

Sie ritten zu den Feuerstätten heran. Die Männer, welche hier lagerten, hatten ganz entblößte Arme, trugen aber trotz der Sommerzeit Schafpelze, die Wolle nach oben gekehrt. Ein großer Teil von ihnen schlief auf nackter Erde oder auf feuchtem, von der Hitze dampfendem Stroh, viele saßen zusammengekauert am lodernden Feuer; etliche verkürzten sich die Stunden der Nacht, indem sie im Nasaltone wilde Lieder sangen und dabei zur Begleitung das eine Schienbein eines Pferdes an das andere schlugen, wodurch ein seltsamer und unangenehmer Klang hervorgebracht wurde; wieder andere hatten kleine Trommeln oder klimperten auf den festgespannten Sehnen ihrer Bogen. Manche hatten noch rauchende, blutige Fleischstücke vom Feuer genommen und bliesen mit ihren aufgeworfenen, bläulichen Lippen darauf, um sie dann zu verzehren. Im allgemeinen sahen sie so wild und schaudererregend aus, daß man sie eher für Unholde des Waldes als für menschliche Wesen halten konnte. Der Rauch der Feuerstätte führte einen beißenden Geruch des gebratenen Pferde- und Lämmerfleisches mit sich, und zudem verbreitete sich ringsumher ein unerträglicher Duft von angebrannter Wolle, warm gewordenen Schafpelzen, abgezogenen Häuten und frischem Blut. Von der andern, dunkeln Seite der Straße, wo die Pferde standen, kam ein durchdringender Schweißgeruch herüber. Diese Mären, von denen einige hundert bei Streifwachen in der Nachbarschaft benützt wurden, fraßen das Gras unter ihren Füßen und bissen einander, indem sie laut schnaubten und wieherten. Durch die Zurufe und Peitschenhiebe der Pferdeknechte wurden sie dann wieder gebändigt.

Es war gefährlich, sich allein unter diese wilden Menschen zu wagen, da sie außerordentlich raubsüchtig waren. Dicht hinter ihnen lagerten die etwas weniger wilden Banden der Bessarabier, deren Kopfbedeckung mit Hörnern versehen war, sowie die langhaarigen Wallachen, welche statt der Panzer bemalte Holzbretter mit plumpen Abbildungen von Vampyren, Gerippen oder Tieren auf Brust und Schultern trugen; etwas weiterhin befanden sich die Serben, deren jetzt in Schlaf versenktes Lager zur Tageszeit vom Klange der Flöte, der Balalajka, 16 der Rohrpfeife und der andern Musikinstrumente widerhallte wie von einer einzigen großen Laute.

Die Wachfeuer leuchteten hell. Vom Himmel, zwischen den von einem starken Wind auseinandergetriebenen Wolken blickte der Mond hernieder und bei diesem Scheine, diesem Lichte konnten unsere Ritter das Lager genau betrachten. Hinter den Serben befand sich der Rastplatz der unglücklichen Samogitier. Ein wahres Blutbad hatten die Deutschen schon unter ihnen angerichtet, und gleichwohl stellten sie sich, auf jede Aufforderung Witolds hin, zu neuen Kämpfen. Wie im Vorgefühl, daß ihre Not bald auf immer zu Ende sein werde, waren sie auch jetzt hierhergezogen, durchdrungen von dem Geiste Skirwoillos, dessen Name allein schon die Deutschen mit Wut und Furcht erfüllte. Die Wachfeuer der Samogitier grenzten unmittelbar an die der Litauer, gehörten sie doch zu demselben Volke, hatten sie doch dieselben Sitten und Gebräuche, redeten sie doch dieselbe Sprache.

Als die Ritter im litauischen Lager anlangten, fiel ihnen sofort ein düsteres Bild in die Augen. An einem aus rohen Stämmen zusammengefügten Galgen hingen zwei menschliche Leichname, welche durch den Wind so gewaltsam hin und her bewegt, herumgedreht und emporgeworfen wurden, daß das Holzwerk des Galgens kläglich knirschte. Beim Anblick der Leichname schnaubten die Pferde und stellten sich auf ihre Hinterfüße, die Ritter aber machten fromm das Zeichen des Kreuzes, und während sie weiterritten, sagte Powala: »Knäs Witold befand sich bei dem König, und auch ich war gerade anwesend, als diese beiden Verbrecher herbeigeführt wurden. Schon zuvor hatten sich unsere Bischöfe und Herrscher darüber beklagt, daß der Litauer Kriegsführung furchtbar ist, und daß sie sogar die Kirchen nicht schonen. Als die beiden daher herbeigeführt wurden (es sind angesehene Leute gewesen, aber die Unglücklichen hatten, wie es scheint, das heilige Sakrament entweiht), ward der Fürst von solchem Zorn erfaßt, daß es furchtbar war, ihn anzuschauen – und er befahl ihnen, sich selbst aufzuhängen. Die Elenden mußten sich nun selbst den Strick um den Hals legen, und dabei trieb einer den andern zur Eile an. »Nur rasch! damit der Fürst nicht noch zorniger wird!« Und die Tataren und Litauer wurden alle von einer wahren Angst ergriffen, denn sie fürchten nicht den Tod, wohl aber des Fürsten Grimm.«

»Ja,« sagte Zbyszko, »zu jener Zeit, als ich in Krakau wegen Lichtenstein des Königs Zorn auf mich lud, riet mir der junge Knäs Jamont, ein Lehensmann des Königs, sogleich mich aufzuhängen. Und diesen Rat gab er mir aus Freundschaft, obgleich er deshalb von mir zum Kampfe auf festgetretener Erde gefordert worden wäre, wenn ich mir nicht, wie Ihr wißt, hätte sagen müssen, daß mein Haupt ohnedies fallen werde.«

»Seitdem hat Knäs Jamont die ritterlichen Sitten erlernt,« entgegnete Powala.

Unter solchen Gesprächen kamen sie an dem großen litauischen Lager und an drei glänzenden russischen Heeresabteilungen vorüber, von denen die aus Smolensk die zahlreichste war, und wendeten sich dem polnischen Feldlager zu. Daselbst standen fünfzig Fähnlein – der Kern und die Auserlesensten der ganzen Kriegsmacht. Hier waren die Rüstungen besser, die Pferde stärker und die Ritter geübter in der Waffenkunde, sodaß sie denen des Westens in keiner Hinsicht etwas nachgaben. An Körperkraft, an Ausdauer, wenn es galt, Hunger, Kälte und Beschwerden zu ertragen, übertrafen diese in Groß- und Kleinpolen ansässigen Männer sogar die Krieger des Westens, welche mehr verweichlicht waren. Die Sitten der Polen waren einfacher, ihre Rüstungen weniger fein geschmiedet, aber sie konnten sich einer größern Kaltblütigkeit rühmen, auch hatten ihre Todesverachtung und außerordentliche Ausdauer im Kampfe schon häufig die aus der Ferne kommenden französischen und englischen Ritter in Staunen versetzt.

De Lorche, welcher die polnische Ritterschaft längst kannte, sprach also: »In diesen allein liegt Eure Stärke, Eure Hoffnung. Ich erinnere mich, wie sich in Marienburg die Ritter mehr denn einmal darüber beklagten, daß sie im Treffen mit Euch jede Spanne Landes durch Ströme von Blut erkaufen müßten.«

»Auch jetzt werden Ströme von Blut fließen,« antwortete Macko, »denn auch der Orden hat bisher noch niemals eine solche Heeresmacht aufgeboten.«

Powala aber sagte: »Ritter Korsbog, welcher vom König mit Briefen an den Meister gesandt ward, berichtet, daß die Kreuzritter sagen, weder der römische Cäsar noch irgend ein König verfüge über eine solche Streitkraft, und der Orden könne alle Reiche der Welt unter seine Botmäßigkeit bringen.«

»Pah! An Zahl sind wir ihnen aber überlegen!« bemerkte Zbyszko.

»Wohl, so ist es, doch achten sie Witolds Streitmacht gering. Sie behaupten, sie sei aus mangelhaft ausgerüsteten Kriegern zusammengesetzt und könne beim ersten Ansturm zertrümmert werden wie ein irdener Topf durch einen Hammer. Ob dies nun wahr oder unwahr ist, vermag ich nicht zu entscheiden.«

»Es ist wahr und doch auch wieder unwahr!« ließ sich hier der verständige Macko vernehmen. »Ich und Zbyszko kennen diese Krieger, denn wir haben zusammen mit ihnen gekämpft. Ihre Rüstungen sind allerdings schlecht, ihre Pferde klein und unansehnlich und daher kommt es häufig vor, daß sie bei einem Angriff der Kreuzritter Reißaus nehmen, aber im Grunde sind sie eben so tapfer, wenn nicht tapferer als die Deutschen.«

»Das wird sich bald zeigen!« bemerkte Powala. »Aber dem König stehen fortwährend Thränen in den Augen bei dem Gedanken, daß soviel Christenblut vergossen werden soll, und noch im letzten Augenblick würde er sich wahrscheinlich bereit zeigen, einen gerechten Frieden zu schließen, doch der Stolz der Kreuzritter kann sich nicht dazu herbeilassen.«

»So wahr ich lebe, Ihr habt recht! Ich kenne die Kreuzritter, und wir alle kennen sie,« stimmte Macko bei – »Gott hält schon die Wagschale bereit, auf der unser Blut, sowie das unseres Erbfeindes abgewogen werden soll.«

Sie waren jetzt nicht mehr weit von der masovischen Heeresabteilung entfernt, bei der sich das Zelt de Lorches befand, als sie in der Mitte der »Straße« eine große, dicht aneinandergedrängte Menschenschar gewahrten, die unausgesetzt gen Himmel schaute.

»Bleibt dort stehen! Bleibt stehen!« rief eine Stimme aus der Menge hervor.

»Wer seid Ihr und was thut Ihr hier?« fragte Powala.

»Der Probst aus Klobuzk. Und Ihr?«

»Powala aus Taczew, die Ritter aus Bogdaniec und Herr de Lorche.

»Ach! Ihr seid es, Ihr Herren!« sagte der Priester in geheimnisvollem Tone, während er sich Powalas Pferd näherte. »Betrachtet nur den Mond und seht, was dort vorgeht. Das ist eine vielverheißende und wundervolle Nacht.«

Die Ritter schauten empor und blickten auf den Mond, welcher schon erbleichte und dem Untergange nahe war.

»Ich kann nichts unterscheiden!« antwortete Powala. »Was seht Ihr denn?«

»Ein Mönch in einer Kapuze kämpft mit einem König, der eine Krone auf dem Haupte trägt. Seht nur! O dort! Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! O wie furchtbar sie miteinander ringen! … Gott sei uns Sündern gnädig!«

Tiefe Stille trat nun ringsumher ein, denn alle hielten den Atem an.

»Seht nur! Seht!« rief der Priester.

»Es ist wahr! Dort ist etwas zu sehen!« sagte Macko.

»Es ist wahr! Es ist wahr!« bestätigten auch die andern.

»Ha! Der König hat den Mönch niedergeworfen! Er setzt seinen Fuß auf ihn!« schrie der Probst aus Klobuzk plötzlich. »Gelobt sei Jesus Christus!«

»Von Ewigkeit zu Ewigkeit!«

In diesem Augenblick bedeckte eine große schwarze Wolke den Mond, und Dunkelheit herrschte überall, nur der Schein der Wachfeuer warf flimmernde, blutrote Streifen quer über den Weg.

Die Ritter ritten weiter und als sie das Häuflein Menschen hinter sich gelassen hatten, fragte Powala:

»Saht Ihr etwas?«

»Anfangs sah ich nichts,« erwiderte Macko, »aber dann sah ich den König und den Mönch ganz deutlich.«

»Auch ich!«

»Auch ich!«

»Das ist ein Fingerzeig Gottes!« erklärte Powala. – »Ha! Trotz der Thränen unseres Königs wird es offenbar nicht zum Frieden kommen.«

»Und eine Schlacht wird geliefert werden, wie die Welt noch keine gesehen hat,« sagte Macko.

Und von solchen Gedanken erfüllt, ritten sie schweigend, in feierlicher Stimmung weiter.

Als sie sich nicht mehr weit von dem Zelte de Lorches befanden, erhob sich ein solcher Sturmwind, daß im Nu die Wachfeuer der Masuren auseinandergerissen, umhergestreut und Tausende von brennenden Holzstücken, Splittern, Funken umhergewirbelt wurden, während dichte Rauchwolken die Luft erfüllten.

»Hei, wie das bläst!« sagte Zbyszko, seinen Mantel, den ihm die Windsbraut über den Kopf getrieben, herunterziehend. »Und mitten durch den Sturm klingt es wie Klagen und Stöhnen von Menschenstimmen,«

»Die Morgendämmerung bricht an, aber niemand weiß, was ihm der Tag bringen wird,« fügte de Lorche hinzu.

  1. Ein der Mandoline ähnliches, in der Ukraine und in Rußland bekanntes Saiteninstrument. Anmerk. d. Uebersetzerinnen.

Sechstes Kapitel.

Auch in der Frühe ließ der Sturm nicht nach, sondern nahm dermaßen zu, daß es unmöglich war, das Zelt aufzuschlagen, worin der König seit dem Beginn des Feldzuges drei heilige Messen täglich zu hören pflegte. Schließlich eilte Witold herbei und bat flehentlich, den Gottesdienst zu einer angemesseneren Zeit in der Stille des Waldes abzuhalten und den Vormarsch des Heeres nicht zu verhindern. Sein Wunsch ward in der That erfüllt, weil man die Notwendigkeit einsah.

Bei Sonnenaufgang setzte sich das Kriegsheer in Bewegung, gefolgt von einer unübersehbaren Reihe von Wagen. Nach Ablauf einer Stunde legte sich der Wind, sodaß man die Fahnen wehen lassen konnte. Und so weit die Blicke reichten, schien nun das ganze Gefilde mit Blumen von allen Farben bedeckt zu sein. Kein Auge vermochte all die Heeresabteilungen und den Wald von verschiedenen Standarten zu umfassen, unter denen die Krieger vorrückten. Das wichtigste Feldzeichen für alle Kriegsscharen, das Hauptbanner des ganzen Königreiches war die Fahne des Krakauer Gebietes mit dem weißen, gekrönten Adler im roten Felde. Sie wurde von Marcin aus Wrocimowice, der eine halbe Ziege im Wappen hatte, einem mächtigen, weltberühmten Ritter getragen. Hinter ihm ging die Leibwache des Königs, der das Banner mit dem doppelten litauischen Kreuze, sowie das Banner, worauf der nachsetzende Reiter mit dem zum Hiebe erhobenen Schwerte prangte, vorangetragen wurden. Unter dem Zeichen des heiligen Georg zog eine starke Heeresabteilung von fremden Söldlingen und von Kriegern dahin, die sich freiwillig gestellt hatten und die hauptsächlich aus Böhmen und Mähren stammten. Gar viele hatten ihre Dienste angeboten und das neue, vierzigste Fähnlein war ausschließlich aus solchen Mannen gebildet. Es war meist Fußvolk, das hinter den Lanzenträgern dahinschritt, eine wilde, ungezügelte Rotte, aber so geübt im Kampfe, so gefährlich bei einem Zusammentreffen, daß jedes andere Fußvolk, das auf sie stieß, so rasch wie möglich vor ihr floh wie der Hund vor dem Stachelschwein. Streitäxte, Sensen, Beile und vornehmlich eiserne Knittel waren die Waffen dieser Krieger, und sie wurden in geradezu furchtbarer Weise von ihnen gehandhabt. Diese Leute dienten jedem, der sie bezahlte, denn ihr einziges Lebenselement war Krieg, Plünderung und Gemetzel.

Neben den Streitern aus Mähren und Böhmen zogen mit ihrer Standarte sechzehn Fähnlein aus polnischen Landen dahin, darunter eines aus Przemysl, eines aus Galitsch und drei podolische, hinter diesem kam Fußvolk aus denselben Gebieten, hauptsächlich mit Wurfspießen und Sensen bewaffnet. Die Fürsten aus Masovien, Janusz und Ziemowit führten die einundzwanzigste, zweiundzwanzigste und dreiundzwanzigste Heeresabteilung an. Dicht hinter ihnen schritten die bischöflichen Fähnlein und die des weltlichen Adels, zweiundzwanzig an Zahl. Es waren die Fähnlein von Jasko aus Tarnow, Jedrek aus Teczyn, Spytko Leliwa und Brzezie, Krzon aus Kozichglowy, Kuba aus Koniecpole, von Jasko Ligeza, von Kmita und Zaklika, und die Fähnlein der Geschlechter der Gryfici und Bobowski, sowie des Geschlechtes, das im Wappen »Kozle Nogi« 17 trug, ferner die Fähnlein von verschiedenen andern, welche in der Schlacht unter einem gemeinschaftlichen Wappenschilde und durch ein gemeinschaftliches Losungswort vereint waren.

Und einer Wiese, auf der im Frühjahr bunte Blüten emporsprießen, glich jetzt das weite Gefilde mit den farbigen Bannern. Wie ein Strom zogen Pferde und Menschen dahin, über ihnen ein Wald von Lanzen mit farbigen Fähnchen, die allerlei Blumen ähnlich waren, und hinter ihnen, in Staubwolken, das aus Städtern und Großbauern zusammengesetzte Fußvolk. Alle wußten, daß sie einer furchtbaren Schlacht entgegen gingen, aber alle wußten auch, daß es sein »mußte«, und mit frohem Mute rückten sie vor. Die den rechten Flügel bildenden Scharen Witolds zogen unter vielfarbigen Fahnen dahin, auf denen das Bildnis des nachsetzenden Reiters mit dem zum Hiebe erhobenen Schwerte prangte. Mit einem Blicke konnte man diese gewaltigen Heeresmassen nicht überschauen, denn aus einem mehr als eine deutsche Meile breiten Flächenraum bewegten sie sich zwischen Wald und Feld vorwärts.

Am Vormittag in der Nähe der Dörfer Bogdan und Tannenberg angelangt, machten die Kriegsscharen Halt am Saume des Waldes. Der Platz schien gut zur Rast geeignet und zudem vor jedem unerwarteten Ueberfall geschützt zu sein, denn auf der linken Seite grenzte er an die Gewässer des Dobrowa-Sees, auf der rechten an den Lubieczer See und vor den Kriegscharen öffnete sich ein weites, etwa eine Meile breites Gefilde. Inmitten dieses Gefildes, gegen Westen sanft ansteigend, lagen die sumpfigen Wiesengründe Grünwalds und etwas weiter hin die öden, düstern Brachfelder Tannenbergs, dessen schadhafte Strohdächer in der Ferne zu sehen waren. Der Feind, welcher von der Anhöhe herunterkam und sich dem Walde näherte, mußte sofort gesehen werden, aber es war nicht zu erwarten, daß er sich früher als am folgenden Tage zeigen werde. Am Waldessaum machte das Heer nun Halt, um der Ruhe zu pflegen, da indessen der in Kriegssachen wohlerfahrene Zindram aus Maszkowice sogar während des Vormarsches den Kriegsplan im Auge behalten hatte, nahmen sie jetzt eine solche Stellung ein, daß sie jeden Augenblick zum Kampfe bereit sein konnten. Dem Befehle des Anführers zufolge wurden sofort auf leichten, schnellfüßigen Pferden Kundschafter nach Grünwald, Tannenberg und noch etwas weiter gesandt, damit sie die Umgegend erforschten und mittlerweile schlug man für den Gottesdienst, nach dem der König so inbrünstiges Verlangen trug, am hohen User des Lubiecz-Sees das als Kapelle dienende Zelt auf, sodaß er wie gewöhnlich die Messe hören konnte.

Jagiello, Witold, die masovischen Fürsten, sowie der Kriegsrat begaben sich in das Zelt. Vor dem Eingange versammelten sich die angesehensten Ritter, sowohl um vor dem furchtbaren Tage die Gnade Gottes für sich zu erflehen, als auch um den König zu schauen. Und sie sahen ihn, wie er in schlichtem, grauem Gewande, mit ernstem Angesichte, auf dem sich deutlich ein tiefer Kummer malte, dahinschritt. Die Jahre hatten ihn wenig verändert, auf seinem Antlitz zeigten sich noch keine Runzeln, seine Haare waren noch nicht weiß geworden und wie damals, als Zbyszko ihn zum erstenmal in Krakau sah, strich er sie auch jetzt mit einer raschen Bewegung hinter die Ohren. Doch schien er darniedergebeugt von der Wucht der furchtbaren Verantwortlichkeit, welche auf ihm lastete, und wie versenkt in große Traurigkeit zu sein. Im Heere sprach man vielfach davon, daß der König beständig Thränen über das Christenblut vergieße, das voraussichtlich fließen müsse, und so war es in der That. Jagiello schrak vor dem Kriege zurück, vornehmlich vor dem Kriege mit Gegnern, welche das Kreuzeszeichen auf Mänteln und Bannern trugen, und von ganzer Seele sehnte er sich nach Frieden. Es nützte wenig, daß ihn die polnischen Edelleute und sogar die ungarischen Friedensvermittler Scibor und Gara auf das hochmütige Selbstvertrauen der Kreuzritter aufmerksam gemacht hatten, auf das hochmütige Selbstvertrauen, womit auch der Meister die ganze Welt zum Kampfe herausforderte. Umsonst schwur ihm sein Gesandter Piotr Korzbaz auf das heilige Kreuz und auf sein eigenes Wappenschild, daß der Orden nichts von Frieden hören wolle, und daß Graf von Wende, der Komtur aus Mewe, der allein zum Frieden geneigt sei, von den andern mit Hohn und Schimpfreden überschüttet worden war – Jagiello gab doch die Hoffnung noch nicht auf, daß der Feind die Billigkeit seiner Forderungen anerkennen, Blutvergießen vermeiden und durch einen gerechten Vergleich den furchtbaren Zwiespalt endigen werde.

Daher ging er auch jetzt in die Kapelle, um zu beten, denn seine einfache, gütige Seele war von Angst und Unruhe erfüllt. Wohl hatte er einst die Gebiete der Kreuzritter mit Feuer und Schwert heimgesucht, aber das hatte er noch als litauischer Fürst, als Heide gethan, jetzt hingegen war er König von Polen, war er Christ, und wenn er brennende Dörfer, Brandstätten, Blut und Thränen sah, dann ergriff ihn bange Furcht vor dem Zorn Gottes, zumal dies erst der Anfang des Krieges war. »Ach! daß dieser Kampf doch schon sein Ende erreicht hätte!« sagte er sich. »Aber heute oder morgen können die Völker aufeinanderprallen, und dann muß die Erde von Blut gerötet werden. Des Feindes Ungerechtigkeit ist in der That groß, doch trägt er das Kreuz auf dem Mantel und zudem wird er von so kostbaren und heiligen Reliquien geschützt, daß allein schon der Gedanke daran Schrecken einflößt.« An diese Reliquien dachte man im ganzen Heere voll Angst, und weder die Lanzenspitzen, noch die Schwerter, noch die Streitäxte, wohl aber diese heiligen Ueberreste wurden von den Polen gefürchtet.

»Wie können wir gegen den Meister die Hand erheben,« sagten die sonst so kühnen Ritter, »wenn er auf dem Panzer ein Reliquienkästchen mit den Gebeinen eines Heiligen und mit Holz von dem Kreuze des Erlösers trägt!« Witold freilich in seinem Feuereifer drängte zum Kriege, ihn verlangte es nach Kampf und Schlacht, aber das fromme Gemüt des Königs ward von banger Scheu ergriffen, wenn er der himmlischen Mächte gedachte, welche den Orden trotz seiner ungerechten Sache zu schützen schienen.

  1. Ziegenhörner. Anmerkung der Uebersetzerinnen.

Fünftes Kapitel.

Zbyszko führte seine Drohung, Bogdaniec zu verlassen, freilich nicht aus, aber nach Verlauf einer weiteren Woche fühlte er sich so sehr gekräftigt, daß es ihn auch nicht mehr länger auf dem Lager litt. Jetzt erklärte ihm Macko fortwährend, sie müßten sich vor allem nach Zgorzelic begeben, um Jagienka für die erwiesene Fürsorge zu danken. Demzufolge entschloß sich denn Zbyszko eines Tages, nachdem er sich noch zuvor durch ein Bad erfrischt hatte, den Wunsch seines Ohms zu erfüllen. Zu diesem Zwecke ließ er sich aus der Lade ein prächtiges Gewand reichen, das er mit seiner Alltagskleidung vertauschen wollte, und versuchte nun, sein Haar zu kämmen und zu ordnen. Doch dies ließ sich nicht so leicht bewerkstelligen, denn die Schwierigkeit lag nicht allein in der ungewöhnlichen Fülle der Haare, die dem jungen Kämpen gleich einer Mähne über Rücken und Schultern hingen. Im gewöhnlichen Leben pflegten zwar die Ritter ihre Haare in einem Netze zu tragen, das die Form eines Pilzes hatte, was in Kriegskünsten den Vorteil bot, daß die Helme nicht so schwer auf den Köpfen lasteten, dagegen bei Anlaß von Festlichkeiten, bei Vermählungsfeierlichkeiten oder vor dem Eintreffen in irgend einer Burg, in der sich ein Jungfräulein befand, suchten sie die kunstvoll gekräuselten Haare mittelst Eiweiß haltbar zu machen. Diese Sitte wollte nun auch Zbyszko nachahmen. Doch siehe da, die beiden aus der Gesindestube entbotenen Weiber zeigten sich außer stande, die für sie ungewohnte Aufgabe zu erfüllen. Das durch das Bad rauh gewordene Haar stand wie das Stroh eines schlecht gedeckten Hüttendaches nach allen Richtungen hin auseinander und wollte sich selbst nicht durch die von den Friesen erbeuteten, aus Büffelhorn gearbeiteten Kämme bändigen lassen, ja, sogar die Pferdestriegel nützten nichts, welche die eine der Frauen schließlich aus dem Stalle holte. Zbyszko begann allmählich ungeduldig zu werden, da trat unerwartet Macko mit der zu dieser Zeit selten erscheinenden Jagienka in die Stube.

»Gelobt sei Jesus Christus!« lautete der Gruß der Maid.

»In alle Ewigkeit!« antwortete Zbyszko, dessen Antlitz plötzlich strahlte. »Traun, welch merkwürdiger Zufall! Gerade trafen wir die nötigen Vorbereitungen, um Dich aufzusuchen, und nun bist Du hier.«

Mit vor Freude glänzenden Augen saß er nun da, denn so war es stets mit ihm: sobald er sie erblickte, ward ihm so froh zu Mute, als ob er plötzlich die aufgehende Sonne erschaue.

Kaum hatte indessen Jagienka die mit dem Kamme in der Hand ratlos dastehenden Frauen gesehen, kaum hatte sie die auf der Bank neben Zbyszko liegenden Pferdestriegel, sowie dessen nach allen Richtungen auseinander stehenden Haare wahrgenommen, so brach sie in lautes Lachen aus.

»Fürwahr, wie ein Strohwisch, wie ein Strohwisch siehst Du aus!« erklärte sie noch immer lachend, wobei ihre schönen, weißen Zähne zwischen den Korallenlippen sichtbar wurden. »Man könnte Dich in ein Hanffeld oder zwischen Kirschenbäume setzen, um die Vögel zu verscheuchen.«

Zbyszkos Antlitz verdüsterte sich plötzlich und er erwiderte: »Wir trafen Anstalten, Dich in Zgorzelic aufzusuchen. Deinem Gast in Zgorzelic würdest Du wahrlich nicht in solcher Weise begegnen, hier aber magst Du über mich spotten soviel Du willst, denn, bei meiner Treu, Du spottest nur zu gern über mich.«

»Ich über Dich spotten!« rief Jagienka aus. »Ei, barmherziger Gott! Um Dich und Deinen Ohm zum Abendbrote zu mir zu laden, bin ich hierher gekommen, und ich lache nicht über Dich, sondern über diese Frauen. Wenn ich an deren Platz stünde, wüßte ich mir besser Rat.«

»Dazu würdest Du Dich doch nie verstehen.«

»Wer kräuselt denn Jaskos Haar?«

»Jasko ist Dein Bruder!« warf jetzt Zbyszko ein.

»Freilich, das ist wahr!«

Nun entschloß sich der alte und erfahrene Macko, den beiden zu Hilfe zu kommen.

»Wenn sich in irgend einem Geschlechte der edelgeborene Knabe nach der Wehrhaftmachung die Haare wachsen läßt, ordnet sie ihm die Schwester, kommt er in das reifere Alter, dann tritt an die Stelle der Schwester das Eheweib, und besitzt ein Ritter weder Eheweib noch Schwester, so leistet ihm eine edelgeborene Maid diesen Dienst, ob sie ihm nun blutsverwandt sei oder nicht.«

»Besteht in der That eine solche Sitte?« fragte Jagienka, die Augen niederschlagend.

»Ja, und diese Sitte herrscht nicht nur auf den Edelsitzen und in den Burgen, sondern selbst an dem Hofe des Königs!« versetzte Macko. »Ihr beide,« wandte er sich hierauf an die Weiber, »könnt in die Gesindestube zurückkehren, da Ihr hier doch nichts zu thun habt.«

»Laßt mir durch sie heißes Wasser bringen!« bat jetzt Jagienka.

Macko verließ mit den Frauen die Stube, um darauf zu achten, daß das Gewünschte rasch besorgt werde, und nachdem das heiße Wasser gebracht worden war, blieben die beiden jungen Menschenkinder allein. Jagienka machte sofort ein Tuch naß, befeuchtete damit das starke Haar Zbyszkos, das durch den feuchten Dampf geschmeidig wurde, und setzte sich dann mit einem Kamme in der Hand auf die Bank, um ihr Werk zu beginnen.

Und so saßen sie nun, Seite an Seite, beide über die Maßen schön, beide von heißer Liebe zu einander entbrannt, aber beide verwirrt und schweigsam. Jagienka begann schließlich, die Arme erhebend, Zbyszkos goldblondes Haar zu kämmen, dieser aber erbebte an allen Gliedern als sie ihm so nahe kam, und mußte seine ganze Willenskraft aufbieten, um die geliebte Maid nicht zu umfassen und an seine Brust zu drücken.

Nichts war hörbar als das schwere, rasche Atmen der beiden.

»Bist Du krank?« fragte endlich Jagienka, das Schweigen brechend. »Was versetzt Dich denn in solche Erregung?«

»Nichts!« entgegnete der junge Ritter.

»Weshalb atmest Du dann so schwer?«

»Ich höre auch Deine mühsamen Atemzüge.«

Und wieder verstummten die beiden. Jagienkas Wangen glühten, fühlte sie doch, daß Zbyszkos Blick unaufhörlich auf ihr haftete. Dies ward ihr allmählich geradezu peinlich und so fragte sie abermals: »Warum blickst Du mich so eigentümlich an?«

»Ist es Dir lästig?«

»Nein, lästig ist es mir nicht. Ich frage Dich ja nur.«

»Jagienka!«

»Was willst Du?«

Zbyszko holte tief Atem, seufzte und bewegte immer wieder vergeblich die Lippen, um etwas zu sagen, allein es gebrach ihm offenbar an Mut dazu, denn er wiederholte nur: »Jagienka.«

»Was willst Du?«

– – – – – –

»Ich möchte Dir etwas sagen. Doch ich ängstige mich zu sehr.«

»Weshalb denn? Ich bin kein Drache, sondern ein einfaches Mägdlein.«

»Fürwahr, ein Drache bist Du nicht! Doch der Ohm Macko deutete mir an, daß er Dich erwählt habe!«

»Freilich hat er mich erwählt, aber nicht für sich selbst!« rief nun Jagienka, hielt aber dann plötzlich inne, wie erschreckt über ihre eigenen Worte.

»Bei dem barmherzigen Gotte! Meine Jagus! Und was denkst Du darüber, Jagus?« schrie Zbyszko auf.

Da füllten sich Jagienkas Augen mit Thränen, ihre Lippen begannen zu beben und sie erwiderte mit einer so leisen Stimme, daß Zbyszko sie kaum verstehen konnte: »Es war der Wunsch meines Väterchens, der Wunsch des Abtes – und ich – nun – Du weißt es ja!«

Diese Worte erregten eine unaussprechliche Wonne in Zbyszkos Herz. Mit seiner Selbstbeherrschung war es zu Ende. Er umfaßte die Maid und, sie wie eine Feder emporhebend, rief er ganz fassungslos vor Glück: »Jagus! Jagus! Du mein alles. Du meine Sonne! Hei! hei!«

Und er schrie dermaßen, daß der alte Macko, in der Meinung, es sei ein Unglück geschehen, in die Stube gestürzt kam. Als er indessen Jagienka in den Armen seines Bruderssohnes erblickte, ward er von Staunen darüber ergriffen, daß sich alles so unerwartet rasch abgewickelt hatte, und rief: »Im Namen des Vaters und des Sohnes! Mäßige Dich, Bursche!«

Blitzschnell eilte Zbyszko auf seinen Ohm zu und ließ dann Jagienka zur Erde gleiten. Beide wollten sich hierauf vor dem alten Ritter auf die Knie werfen, doch bevor sie ihre Absicht ausführen konnten, hatte sie jener mit seinen sehnigen Armen umfaßt, und sie mit aller Macht an seine Brust drückend, sagte er voll Rührung: »Gelobt sei Gott! Wohl hoffte ich, daß es so kommen werde, allein trotzdem überwältigt mich die Freude. Gott segne Euch! Nun kann ich ruhig sterben. Dies Mägdlein ist dem reinsten Golde zu vergleichen. Vor Gott und der Welt will ich es bezeugen. Nun lasse ich geduldig alles über mich ergehen, nun, da mir solch ein Glück zu teil geworden ist. Gott hat uns zwar schwer geprüft, aber Gott hat uns nun auch Trost verliehen. Wir müssen uns sofort nach Zgorzelic begeben. Jasko soll gleich alles erfahren. Hei! wenn jetzt der alte Zych noch lebte! Und der Abt! Doch ich werde bei Euch die Stelle beider vertreten, denn ich liebe Euch so unendlich, daß ich mich schäme, davon zu sprechen.«

Wenn nun auch im Laufe der Jahre durch das Leben das Herz des alten Ritters hart geworden war, überkam ihn jetzt doch eine solche Rührung, daß er kaum mehr zu reden vermochte. So küßte er denn Zbyszko und dann Jagienka auf beide Wangen, indem er mit von Thränen erstickter Stimme stammelte: »So süß wie Honig ist die Maid!« um gleich darnach die Stube zu verlassen.

Die Pferde sollten gesattelt werden, deshalb wollte er sich in den Stall begeben. Er war indessen so von Freude berauscht, daß er, wie ein Trunkener dahin taumelnd, gegen die Sonnenblumen stieß, die vor dem Hause wuchsen.

»Traun,« sagte er zu sich selbst, während er auf die dunkeln mit goldenen Blättern umrahmten Scheiben blickte, »traun, gar reich sind sie an Frucht, doch wenn es Gottes Wille ist, werden sie von dem Geschlechte der Grady in Bogdaniec noch übertroffen werden.«

Sich dem Stalle zuwendend, fuhr er in seinen Betrachtungen fort. »Bogdaniec, die von dem Abte zugefallene Erbschaft, Spychow, Moczydoly,« murmelte er vor sich hin. »Gott weiß doch stets alles zum Guten zu lenken. Die Tage des alten Wilk sind gezählt und Brzozowa ist wohl eines Kaufes wert – mit seinen trefflichen Wiesen.«

Inzwischen waren auch Jagienka und Zbyszko aus dem Hause getreten, fröhlich, glücklich, strahlend wie die Sonne.

»Ohm!« rief Zbyszko schon von weitem.

Der alte Ritter wandte sich um, streckte die Arme aus, wie er im Walde zu thun Pflegte, und rief: »Kommt her zu mir!«

– – – – – –