Achtes Kapitel.

Die Knechte lösten sogleich seine Bande, doch er, dessen Glieder steif geworden waren, fiel zu Boden. Als sie ihn dann aufhoben, schwanden ihm die Sinne, denn er hatte schreckliche Qualen ausgestanden. Umsonst brachten sie ihn aufs Zbyszkos Befehl an das Feuer, suchten ihm Speise und Trank einzuflößen, rieben ihn mit Talg ein und bedeckten ihn mit warmen Fellen. Sanderus kam nicht zum Bewußtsein und fiel schließlich in so festen Schlaf, daß Hlawa kaum im stande war, ihn um die Mittagszeit des folgenden Tages zu erwecken.

Zbyszko, der von Ungeduld beinahe verzehrt ward, eilte unverzüglich herbei. Anfangs konnte er indessen nichts in Erfahrung bringen, denn war nun das Entsetzen über seine furchtbaren Erlebnisse, war das Gefühl der Hilflosigkeit daran schuld, welches gewöhnlich schwache Naturen überkommt, wenn die drohende Gefahr vorüber ist, genug, Sanderus brach in so heftiges Schluchzen aus, daß er sich vergeblich bemühte, die ihm gestellten Fragen zu beantworten. Der Hals war ihm wie zugeschnürt, seine Lippen zitterten und die Thränen flossen unaufhaltsam, wie wenn sein Leben mit ihnen dahinströme.

Endlich, nachdem er sich ein wenig ermannt und durch Stutenmilch gekräftigt hatte, ein Mittel, dessen stärkende Wirkung durch die Tataren bei den Litauern bekannt geworden war, begann er darüber zu jammern, daß die »Söhne Belials« ihn mit den Lanzen windelweich geschlagen, und daß sie ihm das Pferd genommen hätten, das mit Reliquien von ganz ungewöhnlichem Werte beladen gewesen sei. Schließlich, fügte er hinzu, als man ihn am Baume festgebunden habe, seien ihm von den Ameisen dermaßen die Füße und der ganze Körper zerbissen worden, daß ihn binnen kurzem unfehlbar der Tod ereilt hätte.

Nun aber ward Zbyszko von heftigem Zorn ergriffen, er sprang auf und rief: »Antworte, Du Landstreicher, auf das, was ich Dich frage, und hüte Dich, daß Dir nicht noch Schlimmeres begegne.«

»Herr,« ließ sich nun der Böhme vernehmen, »nicht weit von hier befindet sich ein Ameisenhaufen von roten Ameisen, gebt Befehl, daß man ihn dorthin bringe, und er wird sogleich seine Zunge zu gebrauchen wissen.«

Hlawa sprach freilich nicht im Ernste, ja, er lächelte sogar dabei, denn im Innern war er Sanderus recht gewogen; dieser aber erschrak heftig und rief: »Erbarmen! Erbarmen! Gebt mir noch ein wenig von diesem heidnischen Getränk, und ich sage alles, was ich gesehen habe, und was ich nicht gesehen habe.«

»Wenn Du nur eine einzige Lüge sagst, schlage ich Dir die Knochen entzwei,« versetzte der Böhme.

Aber er führte zum zweiten Mal einen Schlauch mit Stutenmilch an Sanderus‘ Lippen, und dieser ergriff ihn, setzte den Mund daran wie ein Kind an die Mutterbrust und begann gierig zu trinken, indem er dabei die Augen bald öffnete, bald wieder schloß.

Als er zwei Quart oder auch etwas mehr zu sich genommen hatte, schüttelte er sich, legte den Schlauch auf seine Knie und sagte, wie wenn er sich nur einer unabwendbaren Notwendigkeit gefügt hätte: »Welch ekelhafter Trank!« Zu Zbyszko gewendet, fügte er hinzu: »Nun mögt ihr fragen, o mein Retter!«

»Befand sich mein Weib bei der Abteilung, mit der Du kamst?«

Auf Sanderus‘ Gesicht drückte sich eine gewisse Verwunderung aus. Zwar wußte er schon, daß Danusia die Ehegemahlin Zbyszkos war, er wußte aber auch, daß die Trauung heimlich vollzogen und die Jungfrau gleich darauf entführt worden war, darum hatte er vornehmlich die Tochter Jurands in ihr gesehen.

Indessen erwiderte er hastig: »Ja, mein allergnädigster Herr, sie befand sich dabei. Aber Zygfryd de Löwe und Arnold von Baden durchbrachen die Reihen des Feindes.«

»Hast Du mein Weib gesehen?« fragte Zbyszko mit klopfendem Herzen.

»Ihr Angesicht habe ich nicht erschaut, o Herr, doch sah ich eine an zwei Pferden befestigte, ganz verhüllte Tragbahre, worin sie jemand gefangen mit sich führten, und diese Tragbahre ward von demselben Weibe bewacht, die, von Danveld geschickt, in den Jagdhof kam. Auch hörte ich ein Lied, ein recht trauriges, und es klang aus der Tragbahre hervor.«

Zbyszko war bleich vor Erregung, er ließ sich auf einem Baumstamm nieder und wußte während eines kurzen Augenblickes nicht, was er noch fragen solle. Macko und Hlawa waren ebenfalls unendlich erregt, als sie diese große, wichtige Kunde vernahmen. Vielleicht dachte der Böhme auch an seine eigene, geliebte Herrin, welche in Spychow zurückgeblieben war und für welche diese Nachricht eine Unglücksbotschaft bedeutete.

Ein tiefes Schweigen folgte. Der schlaue Macko indessen, der Sanderus noch nicht kannte und zuvor kaum von ihm gehört hatte, betrachtete ihn argwöhnisch und fragte: »Was für ein Mensch bist Du denn, und was thatest Du bei den Kreuzrittern?«

»Was ich für ein Mensch bin, großmächtiger Ritter,« antwortete der Landstreicher, »mögen Dir diese sagen, dieser tapfere Fürst (hier wies er auf Zbyszko) und dieser mutige böhmische Graf, welche mich seit langer Zeit kennen.«

Offenbar hatte die Stutenmilch wohlthuend auf ihn eingewirkt, denn er ward ganz lebhaft, und sich zu Zbyszko wendend, begann er mit einer Stimme, die keine Spur mehr von Schwäche zeigte: »Herr, Ihr habt mir zweimal das Leben gerettet. Ohne Euch wäre ich von den Wölfen aufgefressen worden, oder die Strafe der Bischöfe hätte mich getroffen. Denn diese, wohl irre geleitet durch meine Feinde (o wie schlecht die Welt doch ist!), hatten Befehl gegeben, mich zu verfolgen, weil ich Reliquien verkaufte, deren Echtheit sie bezweifelten. Aber Du, Herr, hast mich in Deinen Schutz genommen, dank Dir diente ich den Wölfen nicht zum Fraße, dank Dir konnte mir die Verfolgung nichts anhaben, weil jedermann glaubte, ich gehöre zu Deinem Gefolge. Bei Dir hat es mir auch nie an Speise und Trank gefehlt und sie waren besser als die Stutenmilch hier, welche ekelhaft ist. Ich trinke sie aber doch, um zu zeigen, daß ein armer, gottesfürchtiger Pilgrim vor keiner Buße zurückschreckt.«

»Du Possenreißer, sage rasch, was Du weißt, und halte uns nicht länger zum Narren!« rief Macko.

Doch Sanderus setzte abermals den Schlauch an seine Lippen und leerte ihn ganz, dann wendete er sich, ohne auf Mackos Worte zu hören, wieder zu Zbyszko.

»Weil Ihr mich beschützt habt, bin ich Euch zugethan, Herr. Wie die Schrift sagt, sündigten auch die Heiligen neunmal in der Stunde, daher kommt es vor, daß auch Sanderus zuweilen sündigt, aber undankbar ist auch Sanderus niemals gewesen und wird es auch niemals sein. Als Euch das Unglück traf – erinnert Euch, – da sagte ich: ›Nun wandre ich von Burg zu Burg, und indem ich unterwegs den Leuten gute Lehren beibringe, werde ich die Verlorene suchen.‹ Wen habe ich nicht gefragt! Wo bin ich nicht gewesen! Um dies zu erzählen, wäre viel Zeit erforderlich; genug, daß ich sie fand, und daß ich von diesem Augenblick an wie eine Klette an dem alten Zygfryd hängen blieb. Zu seinem Diener machte ich mich und von Burg zu Burg, von Komturei zu Komturei, von Stadt zu Stadt folgte ich ihm, bis zu dieser letzten Schlacht.«

Zbyszko war unterdessen seiner Erregung Herr geworden und sagte: »Ich bin Dir dankbar, und die Belohnung soll Dir nicht entgehen. Aber jetzt beantworte mir meine Frage: ›Willst Du bei Deinem Seelenheil schwören, daß mein Weib noch am Leben ist?‹«

»Ich schwöre es bei meinem Seelenheil!« entgegnete Sanderus ernst.

»Weshalb hat Zygfryd Szczytno verlassen?«

»Das weiß ich nicht, Herr, ich hege nur meine Vermutungen. Er ist ja nie als Starost in Szcyztno gewesen, und er verließ den Ort vielleicht, weil er des Großmeisters Gebote fürchtete, welcher, wie man sagt, an ihn schrieb, er möge der Fürstin von Masovien die Gefangene ausliefern. Vielleicht entfloh er auch schon, ehe jener Brief eintraf, denn seine Seele war verhärtet durch Schmerz und Groll, und er wollte Rache für Rotgiers Tod nehmen. Manche behaupten jetzt, dieser sei sein Sohn gewesen. Ich weiß nicht, ob dem so ist, ich weiß nur, daß irgend etwas seine Sinne verwirrt haben muß, und daß er Jurands Tochter – ich wollte sagen, Euere junge Ehegemahlin – solange er lebt, nicht freilassen wird.«

»Gar wunderlich dünkt mich all dies,« warf Macko plötzlich ein, »denn wenn jener alte Hund so ergrimmt auf Jurands ganzes Geschlecht wäre, so würde er Danusia gewiß getötet haben.«

»Er wollte sie auch töten,« entgegnete Sanderus, »aber da stieß ihm etwas zu, wodurch er schwer erkrankte, und wodurch er beinahe den letzten Atemzug gethan hätte. Unter seinen Leuten wird viel darüber geflüstert. Manche sagen, als er bei Nacht in den Turm gegangen sei, um die junge Herrin zu morden, sei ihm der böse Geist entgegengetreten, wieder andere sagen, es sei ein Engel gewesen. Sicher ist nur, daß man ihn ohne Bewußtsein vor dem Turme im Schnee fand. Noch jetzt, wenn er daran denkt, stehen ihm die Haare zu Berge, deshalb wagt er auch nicht, Hand an die Jungfrau zu legen, und fürchtet sich, jemand dazu zu veranlassen. Er führt den stummen Henker von Szczytno immer mit sich, aber niemand weiß weshalb, denn der Henker hütet sich nicht minder wie alle andern, ihr ein Leid zuzufügen.«

Diese Worte brachten einen tiefen Eindruck hervor. Zbyszko, Macko und der Böhme traten näher zu Sanderus heran, welcher das Zeichen des Kreuzes machte und dann fortfuhr: »Bei den Kreuzrittern ist nicht gut sein. Zuweilen habe ich Dinge gehört und mitangesehen, daß mich schauderte. Euer Gnaden sagte ich schon, daß des alten Komturs Sinne etwas verwirrt sind. Fürwahr, wie könnte es auch anders sein, da ihn Geister aus jener Welt heimsuchen! So oft er sich allein befindet, hört er neben sich ein Schnauben, gerade wie wenn jemand bei ihm stünde, dem der Atem ausgegangen ist. Und das ist jener Danveld, welcher durch den furchtbaren Gebieter von Spychow erschlagen ward. Zygfryd sagt dann zu ihm: ›Was willst Du? Eine Messe kann Dir nicht helfen, weshalb kommst Du?‹ Und jener knirscht nur mit den Zähnen und fängt wieder an zu schnauben. Aber noch häufiger kommt Rotgier, der einen Geruch von Schwefel in der Stube zurückläßt, und mit dem der Komtur noch mehr spricht. ›Ich kann nicht,‹ sagt er zu ihm. ›Ich kann nicht! Wenn es mir später möglich ist, so will ich es thun, aber jetzt kann ich es nicht!‹ Ich hörte auch, wie er ihn fragte: ›Würde es Dir denn Erleichterung bringen, mein Söhnchen?‹ Und so geht es in einem Zuge fort. Gewöhnlich redet er nach einem solchen Besuche zwei oder drei Tage mit niemand ein Wort, auf seinem Gesichte aber drückt sich dann eine furchtbare Pein aus. Die Tragbahre wird von ihm und der Dienerin sorgfältig gehütet, so daß kein Mensch jemals die junge Herrin erblicken kann.«

»Und wird sie nicht von ihnen gequält?« fragte Zbyszko in dumpfem Tone.

»Ich will Euer Gnaden die reine Wahrheit sagen. Schläge und Geschrei habe ich nicht gehört, wohl aber einen wehmütigen Gesang und zuweilen etwas wie das angstvolle Gezwitscher eines Vogels.«

»Wehe ihnen!« stieß Zbyszko zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor.

Doch Macko that seinen weiteren Fragen Einhalt.

»Genug davon,« sagte er. »Erzähle jetzt von der Schlacht. Hast Du sie mitangesehen? Wie sind die Feinde entkommen und was ist aus ihnen geworden?«

»Ich habe alles mitangesehen,« erwiderte Sanderus, »und will es getreulich berichten. Sie kämpften anfangs mit wahrer Wut, aber als sie erkannten, daß sie von allen Seiten umringt waren, da überlegten sie, auf welche Weise sie sich durchschlagen könnten. Der Ritter Arnold, welcher ein wahrer Riese ist, durchbrach zuerst den Ring und machte für sich, den alten Komtur, sowie für einige Kriegsknechte und für die zwischen zwei Pferden befestigte Tragbahre die Bahn frei.«

»Und fand keine Verfolgung statt? Wie kommt es, daß sie nicht eingeholt wurden?«

»Eine Verfolgung fand statt, aber sie fruchtete nichts, denn sobald die Verfolger dem Ritter Arnold zu nahe kamen, wandte er sich um und kämpfte Mit allen. Gott behüte jeden vor einem Tressen mit ihm, denn er hat eine so furchtbare Kraft, daß es ihm ein Leichtes ist, den Kampf mit hundert Mannen allein aufzunehmen. Dreimal wandte er sich um, und dreimal mußten sich die Verfolger zurückziehen. Die Kriegsknechte, welche sich bei ihm befanden, kamen alle um. Er selbst war meines Erachtens auch verwundet, doch er rettete sich und gab auch dem alten Komtur Gelegenheit zu einer glücklichen Flucht.«

Während Macko diesem Berichte lauschte, sagte er sich, Sanderus müsse die Wahrheit sprechen, denn er erinnerte sich, daß von dem Platze an, wo Skirvoillo die Schlacht geliefert hatte, der ganze Weg mit Leichen von Samogitiern bedeckt gewesen, von denen eine jede so furchtbar verstümmelt war, als ob die Hand eines Riesen hier gewütet hätte.

»Wie hast Du es aber zu stande gebracht, daß Du all dies mitansehen konntest?« fragte er.

»Ich sah alles mit an,« antwortete der Landstreicher, »weil ich mich hinter den Schwanz eines der Pferde verborgen hatte, an denen die Tragbahre befestigt war, und ich lief hinter diesen her, bis mich ein Hufschlag an den Bauch traf. Da fiel ich in Ohnmacht, und dadurch geriet ich in die Hände von Euer Gnaden.«

»So mag es sich wohl zugetragen haben,« bemerkte Hlawa, »aber hüte Dich, zu lügen, denn es würde Dir sonst übel ergehen.«

»Die Spuren jenes Schlages sind noch an mir wahrzunehmen,« erwiderte Sanderus, »wer den Wunsch hegt, kann sich davon überzeugen, indessen ist es besser, meinen Worten zu glauben, als wegen Unglauben verdammt zu sein.«

»Wenn schon Du auch zuweilen unwillkürlich die Wahrheit sagst, wirst Du doch durch Heulen und Zähneklappern für Deinen Reliquienhandel büßen müssen,« setzte Hlawa hinzu.

Und sie ergingen sich in Spottreden, wie es früher ihre Gewohnheit gewesen, doch ihr Gespräch ward durch Zbyszko unterbrochen. »Du bist durch dies Land gezogen, daher mußt Du es kennen. Was für Burgen befinden sich in der Umgegend, und wo glaubst Du, können sich Zygfryd und Arnold verborgen halten?«

»Burgen giebt es nicht in dieser Gegend, alles ringsumher ist Wüstenei, durch welche die erst vor kurzem angelegte Landstraße führt. Dörfer und Ansiedelungen giebt es ebensowenig, denn alles, was früher hier gegründet ward, haben die Deutschen niedergebrannt und zwar aus der alleinigen Ursache, weil die hier ansässigen Leute, welche dem nämlichen Volke entstammen wie das einheimische, sich bei Ausbruch des Krieges gleichfalls gegen die Herrschaft des Ordens auflehnten. Ich glaube, daß Zygfryd und Arnold jetzt im Walde umherwandern, und daß sie entweder dahin zurückkehren, woher sie kamen, oder sich heimlich nach jener Feste begeben wollen, nach der wir vor der unglückseligen Schlacht auszogen.«

»So verhält es sich gewiß!« sagte Zbyszko.

Und er versank in tiefes Sinnen. An seiner gerunzelten Stirne, an seinem Gesichtsausdruck war leicht zu erkennen, wie angestrengt er nachdachte, aber dies währte nicht lange. Nach einer Weile erhob er das Haupt und sagte: »Hlawa, sorge, daß Pferde und Mannen bereit sind, denn wir brechen sogleich auf.«

Der Knappe, welcher nicht die Gewohnheit hatte, nach dem Grund eines Befehles zu fragen, erhob sich und eilte auf die Pferde zu, ohne ein Wort zu sprechen. Macko hingegen blickte mit weitaufgerissenen Augen auf seinen Bruderssohn und fragte voll Verwunderung: »Aber Zbyszko! Wohin willst Du Dich denn wenden? Wie? Was hast Du vor?«

Doch Zbyszko antwortete wieder mit einer Frage: »Was denkt Ihr denn? Thue ich denn nicht meine Pflicht?«

Der alte Ritter verstummte. Er schaute jetzt nicht mehr verwundert darein, sondern schüttelte nur den Kopf. Schließlich atmete er tief auf und sagte gleichsam zu sich selbst: »Wohlan! Mag es denn so sein. Anders geht es nicht!«

Und er begab sich ebenfalls zu den Pferden. Zbyszko indessen wendete sich an Herrn de Lorche, und indem er sich mit Hilfe eines Masuren, welcher der deutschen Sprache mächtig war, verständlich machte, sagte er zu ihm: »Von Dir kann ich nicht verlangen, daß Du mir gegen Leute beistehst, mit denen Du unter derselben Fahne dienst, daher bist Du frei. Gehe, wohin Du willst.«

»Ich kann Dir jetzt nicht mit dem Schwerte beistehen, weil es meiner Ritterehre widerstreitet,« entgegnete de Lorche, »aber meiner Freiheit bediene ich mich jetzt auch nicht. Dein Gefangener bleibe ich auf Ehrenwort und auf Deine Aufforderung werde ich mich stellen, sobald Du mich berufst. Und im Notfalle vergiß nicht, daß für mich der Orden jeden Gefangenen auswechseln wird, da ich einem mächtigen Geschlechte entstamme, das zudem dem Orden treu gedient hat.«

So sagten sie sich denn Lebewohl, wie es Brauch war, einer die Hände auf des andern Schultern legend und sich auf die Wange küssend, wobei de Lorche hinzufügte: »Ich gehe nach Marienburg oder an den Hof von Masovien, Du weißt also, daß Du mich da oder dort finden kannst. Dein Gesandter mag mir nur zwei Worte sagen: ›Lothringen – Geldern‹.«

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Und dann erblickte er in dem Halbdunkel auch ihre Augen, die weit aufgerissen, wie erschreckt und geistesabwesend dareinschauten.

»Gut,« antwortete Zbyszko, »ich gehe zu Skirwoillo, damit er Dir das Losungswort gebe, das alle Samogitier kennen und ehren.«

Er begab sich zu Skirwoillo. Der alte Heerführer gab das Losungswort und widersetzte sich auch dem Aufbruch Zbyszkos nicht, denn er wußte, um was es sich handelte. Er liebte den jungen Kämpen, war ihm dankbar für die letzte Schlacht und hatte zudem kein Recht, einen Ritter zurückzuhalten, der aus fremdem Lande war und sich nur aus eigenem Antriebe zu ihm gesellt hatte. Indem er daher Zbyszko für den bedeutenden, ihm geleisteten Dienst dankte, versorgte er ihn mit Nahrungsmitteln, die ihm in dieser verwüsteten Gegend von Nutzen sein konnten, und nahm mit dem Wunsche von ihm Abschied, ihn noch einmal im Leben bei einem großen, entscheidenden Kampfe mit den Kreuzrittern zu treffen.

Zbyszko aber war in Eile, ein inneres Feuer verzehrte ihn. Bei seinem Gefolge angelangt, traf er alles bereit und mitten unter den Mannen auch seinen Oheim schon zu Roß in einem Ringelpanzer, mit dem Helm auf dem Haupte. Sich ihm nähernd fragte er daher: »So wollt Ihr mit mir ziehen?«

»Was soll ich machen?« versetzte Macko etwas ingrimmig.

Darauf erwiderte Zbyszko nichts, er küßte nur die geharnischte Rechte seines Oheims, dann bestieg er sein Pferd, und sie ritten davon.

Unter ihrem Gefolge befand sich auch Sanderus. Zbyszko und sein Oheim kannten den Weg bis zum Schlachtfelde genau, aber von dort an sollte er ihnen als Führer dienen. Sie rechneten auch darauf, im Forste einheimische Bauern zu treffen und dachten, diese Leute, welche ihre Herren, die Kreuzritter, aus tiefster Seele haßten, würden ihnen beistehen, die Spur des alten Komturs und jenes Arnold von Baden zu verfolgen, von dessen übermenschlicher Kraft und Tapferkeit Sanderus so viel erzählt hatte.

Drittes Kapitel.

Pater Wyszoniek befürchtete, Jurand könne von einem hitzigen Fieber ergriffen und auf lange Zeit hinaus der Besinnung beraubt werden. Indessen versprach er der Fürstin und Zbyszko, es ihnen mitzuteilen, sobald der alte Ritter etwas verlange, und als sie sich entfernt hatten, begab er sich ebenfalls zur Ruhe. In der That kam Jurand erst am zweiten Festtage um die Mittagszeit wieder zu völligem Bewußtsein. Die Fürstin sowie Zbyszko waren gerade anwesend. Als der Kranke sich auf seinem Lager aufgerichtet hatte, schaute er sie an, und da er sie erkannte, sagte er, »Gnädige Herrin! … Bei Gott, dem Allbarmherzigen, bin ich denn in Ciechanow?«

»Ja, und den Festtag habt Ihr verschlafen,« entgegnete die Fürstin.

»Unter dem Schnee bin ich verschüttet gewesen. Wer hat mich gerettet?«

»Dieser Ritter, Zbyszko aus Bogdaniec. Aus Krakau her werdet Ihr Euch seiner erinnern.«

Einen Augenblick betrachtete Jurand den Jüngling mit seinem gesunden Auge, dann sagte er: »Wohl, ich erinnere mich … Und wo befindet sich Danusia?«

»Hat sie sich denn nicht mit Euch auf den Weg gemacht?« fragte die Fürstin beunruhigt.

»Wie wäre dies möglich gewesen, da ich mich zu ihr begeben wollte?«

In der Meinung, daß Jurand im Fieber spreche, blickten Zbyszko und die Fürstin einander an. Dann sagte die Herrin: »Kommt doch zu Euch. Gerechter Gott! Ist Danusia denn nicht bei Euch in Spychow gewesen?«

»Danusia? Bei mir?« fragte Jurand voll Verwunderung.

»Euere Leute sind alle zu Grunde gegangen, und nach Danusia hat man vergeblich gesucht. Warum habt Ihr sie in Spychow zurückgelassen?«

Doch er wiederholte nochmals und in etwas ängstlichem Tone: »In Spychow? Bei Euch, gnädige Herrin, ist sie ja gewesen, nicht bei mir.«

»Aber Ihr sandtet doch ihrethalben Euere Leute mit einem Schreiben in den Jagdhof?«

»Im Namen des Vaters und des Sohnes!« rief Jurand aus. »Ich habe niemand nach ihr ausgesandt.«

Da ward die Fürstin totenbleich.

»Was bedeutet dies?« sagte sie. »Seid Ihr denn auch wirklich Euerer Sinne mächtig?«

»Beim allbarmherzigen Gott, wo ist mein Kind?« schrie Jurand auffahrend.

Als Pater Wyszoniek diese Worte vernahm, eilte er plötzlich aus der Stube. Die Fürstin aber fuhr fort: »Hört nur! Eine Anzahl Bewaffneter kam mit einem Schreiben von Euch in den Jagdhof. In dem Briefe stand, Ihr wärt bei einer Feuersbrunst durch einen herabfallenden Balken verletzt worden … wärt fast erblindet und wolltet das Kind noch einmal sehen … Und sie führten Danusia mit sich fort …«

»Wehe mir!« rief Jurand. »Spychow ist weder von einer Feuersbrunst heimgesucht worden, noch habe ich nach meiner Tochter geschickt, so wahr ein Gott im Himmel ist.«

Jetzt kehrte der Pater Wyszoniek mit einem Briefe in der Hand zurück, reichte ihn dar und fragte: »Ist dieser Brief an die Fürstin nicht von Euerem Geistlichen?«

»Ich weiß nichts davon.«

»Und das Siegel?«

»Ist das meine. Was enthält der Brief?«

Pater Wyszoniek begann zu lesen, und während Jurand zuhörte, drückte er wie verzweifelt beide Hände an seine Schläfen. Dann sagte er: »Das Schreiben ist gefälscht … Das Siegel nachgemacht. Wehe meiner armen Seele! Mein Kind ist für mich verloren. Sie haben es mir entführt.«

»Wer?«

»Die Kreuzritter!«

»Bei den Wundmalen des Erlösers! Der Fürst muß sofort einen Gesandten an den Meister schicken!« rief die Herrin aus. »Allbarmherziger Jesus, rette sie, schütze sie!«

Und vor Schmerz laut aufschluchzend, eilte Anna Danuta aus der Stube. Jurand sprang von seinem Lager empor und warf in fieberhafter Hast seine Gewänder über die mächtigen Schultern. Zbyszko dagegen saß anfänglich wie versteinert da, plötzlich aber ballte er zähneknirschend die Hände.

Jetzt trat Pater Wyszoniek auf Jurand zu. »Woher wißt Ihr denn so bestimmt, daß sie von den Kreuzrittern geraubt worden ist?«

»Ich schwöre es bei den Wundmalen des Erlösers.«

»Laßt einmal sehen! … Ja, ja, das ist wohl möglich. Sie sind ja eigens auf den Jagdhof gekommen, um gegen Euch Klage zu führen. Sie wollten sich an Euch rächen …«

»Und sie haben Danusia entführt!« schrie Zbyszko auf.

Spornstreichs aus der Stube stürzend, sprang er in den Stall und gebot, die Wagen anzuspannen, die Pferde zu satteln, ohne sich selbst klar darüber zu sein, weshalb er dies that. Er wurde nur von dem dunkeln Gefühle getrieben, daß er sich zur Rettung Danusias aufmachen, daß er, wenn nötig, bis nach Preußen ziehen müsse. Dort wollte er sein junges Weib entweder den Händen der Feinde entreißen oder selbst zu Grunde gehen.

Unverweilt kehrte er hierauf in die Kemenate zurück, um Jurand über alles Mitteilung zu machen, zweifelte er doch keinen Augenblick daran, daß dieser mit ihm ziehen werde. Ingrimm, Schmerz und Leid zerrissen ihm das Herz. Allein er verlor trotz alledem nicht die Zuversicht. Ihn dünkte, in Gemeinschaft mit dem gefürchteten Ritter aus Spychow könne er alles ausrichten, im Verein mit jenem könne er selbst gegen die geschlossene Macht der Kreuzritter ankämpfen.

In der Stube traf Zbyszko jetzt außer Jurand, dem Pater Wyszoniek und den Frauen auch den Fürsten mit Herrn de Lorche und dem alten Herrn aus Dlugolas an. Kaum hatte nämlich der Fürst von dem Vorkommnis Kunde erhalten, so hatte er letzteren zu sich entboten. Der alte Herr aus Dlugolas zeichnete sich nicht nur durch seinen großen Verstand aus, sondern er kannte auch die Verhältnisse bei den Kreuzrittern ganz genau, war er doch lange Jahre in deren Gefangenschaft gewesen. Er sollte daher an den Beratungen teilnehmen.

»Es ist vor allem Vorsicht geboten. Man darf sich nicht zu einer Uebereilung hinreißen lassen, denn sonst wäre das Mägdlein verloren,« erklärte der Herr aus Dlugolas, als er um seine Ansicht befragt ward. »Es muß sofort eine Beschwerde bei dem Meister eingebracht werden, und wenn Eure fürstliche Gnaden mir ein Schreiben ausstellen will, bin ich bereit, es jenem zu überbringen.«

»Das Schreiben sollt Ihr unverzüglich erhalten!« rief der Fürst. »Mit Hilfe Gottes und des heiligen Kreuzes wird die Jungfrau gerettet werden. Der Meister fürchtet sich vor einem Kriege mit dem polnischen König und es liegt ihm daran, mit meinem Bruder Semko und mir in Frieden zu leben. Sicherlich ist das Mägdlein ohne seine Zustimmung entführt worden, sicherlich gebietet er, es wieder auszuliefern.«

»Wenn jedoch alles mit seiner Erlaubnis geschehen wäre?« fragte der Priester Wyszoniek.

»Wenngleich er auch ein Kreuzritter ist, so zeichnet er sich doch durch seine Ehrbarkeit vor allen andern aus,« entgegnete der Fürst, »und wie ich Euch schon sagte, wird er jetzt weit eher meinen Wünschen entgegenkommen, als meinen Zorn heraufbeschwören wollen. Jagiellos Macht ist nicht zu verachten. Hei, sie haben mir genug zugesetzt, so lange sie konnten, aber jetzt wird es ihnen schlecht ergehen, wenn die Masuren dem Jagiello beistehen.«

Der Herr aus Dlugolas ließ sich aber nun also vernehmen: »Das ist wahr. Die Kreuzritter thun niemals etwas ohne Grund. Meinem Dafürhalten nach haben sie daher das Mädchen nur deshalb geraubt, um Jurand das Schwert aus der Hand zu winden und entweder Lösegeld für sie zu erhalten oder sie gegen einen Gefangenen auszuwechseln.«

Dann wandte er sich an den Herrn aus Spychow und fragte: »Wen haltet Ihr gegenwärtig in Euren Kerkern gefangen?«

»De Bergow,« antwortete Jurand.

»Genießt dieser Ritter ein gewisses Ansehen?«

»So viel ich weiß, ist dies der Fall.«

Kaum hatte indessen de Lorche den Namen des Herrn de Bergow vernommen, so erkundigte er sich genau über alles, was vorgegangen war, und erklärte schließlich: »Es ist ein Blutsverwandter des Gebieters über Geldripa, eines großen Wohlthäters des Ordens, und entstammt daher einem Geschlechte, das sich unendliche Verdienste um die Ordensbrüder erworben hat.«

»Ja, ja, so ist es,« ließ sich jetzt der Herr aus Dlugolas vernehmen, indem er den Anwesenden die Worte de Lorches verdolmetschte. »Gar viele Mitglieder der Familie de Bergow haben hohe Würdenstellen in dem Orden bekleidet.«

»Deshalb haben Danveld und de Löwe immer wieder in höchster Erregung dessen Namen genannt!« warf der Fürst ein. »So oft sie auch nur den Mund öffneten, forderten sie die Freilassung de Bergows. Bei Gott im Himmel, sie haben sich des Mädchens nur deshalb bemächtigt, um de Bergows Freilassung zu erwirken.«

»Und sie werden Danusia unverweilt ausliefern!« ergriff nun der Priester das Wort.

»Vor allem müssen wir aber wissen, wo sich das Mägdlein befindet,« sagte der Herr aus Dlugolas. »Denn angenommen, der Meister frägt: ›Wem soll ich befehlen, daß er die Geraubte ausliefere?‹ Was können wir ihm antworten?«

»Wo Danusia ist?« bemerkte Jurand in dumpfem Tone. »Gewiß ist sie über die Grenze gebracht worden, aus Furcht, sie könne befreit werden, wenn sie nicht an der fernen Weichsel oder am Meere in Gefangenschaft weilt.«

»Ich finde sie! Ich befreie sie!« rief nun Zbyszko.

Der Fürst aber, der sich nicht langer bezwingen konnte, brach in wildem Zorne los: »Von meinem Jagdhofe hinweg haben sie sie geraubt! Schimpf haben sie mir angethan, und das verzeihe ich ihnen nicht, so lange ich lebe! Genug der Treulosigkeit, genug der Verräterei! Jeder Wärwolf wäre mir als Nachbar willkommener! Doch der Meister muß die Komture bestrafen, er muß das Mädchen ausliefern und meine Verzeihung durch Gesandte erflehen. Sonst mag er sich vorsehen!«

Und mit der Faust auf den Tisch schlagend, fuhr er fort: »Traun, er sehe sich vor! Mein Bruder aus Plock steht hinter mir, sowie Witold und der mächtige König Jagiello! Genug der Langmut! Weg mit der frommen Geduld, ich habe genug davon!«

Die Beratung stockte, verstummten doch alle bei diesem Zornesausbruch des Fürsten. Anna Danuta aber gewährten diese Worte großen Trost, denn nun wußte sie, wie sehr ihm das Schicksal Danusias am Herzen lag, nun wußte sie, daß Janusz, der ebenso hartnäckig wie geduldig war, nicht eher Ruhe gebe, als bis er sein Ziel erreicht haben werde.

Das herrschende Schweigen wurde schließlich durch die Worte des Paters Wyszoniek unterbrochen.

»Einstens zeichnete sich der Orden durch große Zucht aus,« sagte er, »und kein Komtur wagte auf eigene Hand, ohne Erlaubnis des Kapitels oder des Meisters etwas zu unternehmen. Deshalb verlieh ihnen auch unser Herr und Gott so große Gewalt, daß ihre Macht über weite Länderstrecken reicht. Jetzt aber ist bei ihnen alles ganz anders geworden. Weder Zucht noch Recht kennen sie, weder Ehrbarkeit noch Glaube. Nichts ist ihnen heilig. Voll Tücke und Bosheit, gleichen sie weit eher Wölfen als Menschen. Wie sollten sie auf die Gebote des Meisters oder des Kapitels hören, so sie nicht einmal die göttlichen Gebote achten? Ein jeder von ihnen sitzt gleich einem unabhängigen Fürsten auf seiner Burg, einer unterstützt den andern in seinen schlimmen Thaten. Sobald dem Meister eine Beschwerde vorgebracht wird, wissen sie sich weiß zu waschen. Angenommen nun, der Meister befiehlt ihnen, das Mägdlein auszuliefern, sie aber leisten dem Befehle keine Folge, sondern sprechen also: ›Die Gesuchte befindet sich nicht bei uns, wir haben sie nicht geraubt!‹ Was bleibt uns dann zu thun übrig?«

»Was zu thun ist?« ließ sich der Herr aus Dlugolas vernehmen. »Jurand mag nach Spychow zurückkehren. Wenn sie das Mägdlein des Lösegeldes wegen geraubt haben, oder wenn er für Herrn de Bergow ausgeliefert werden soll, so müssen sie doch jemand davon benachrichtigen, und kein anderer wie Jurand kann dies sein.«

»Die, welche auf den Jagdhof gekommen sind, haben Danusia geraubt!« meinte der Priester.

»Dafür wird sie der Meister vor Gericht fordern oder ihnen befehlen, daß sie sich Jurand zum Kampfe stellen.«

»Mir müssen sie sich stellen!« rief nun Zbyszko, »mir muß dies Recht vor allen andern eingeräumt werden.«

Jurand aber richtete sein Antlitz, das er in die Hände verborgen hatte, empor und fragte: »Wer von den Kreuzrittern ist auf dem Jagdhofe gewesen?«

»Danveld, der alte de Löwe und die beiden Brüder Godfryd und Rotgier,« entgegnete Pater Wyszoniek. »Sie führten Klage und verlangten, der Fürst möge Euch befehlen, de Bergow in Freiheit zu setzen. Der Fürst aber, der von de Fourcy hörte, daß die Deutschen die Angreifer waren, wies sie ab, gestand ihnen kein Recht zur Klage zu.«

»Begebt Euch nach Spychow,« ergriff nun auch Janusz das Wort, »denn dort werden sie ihre Ansprüche geltend machen. Wenn der Knappe des jungen Ritters hier dem de Danveld nicht das Handgelenk verrenkt hätte, wäre dies schon längst geschehen. Begebt Euch nach Spychow, und so sie eine Meldung schicken, laßt es mich wissen. Wohl mögen sie Euch das Mägdlein für de Bergow ausliefern, meiner Rache werden sie jedoch nicht entgehen. Schmach haben sie mir angethan, denn aus meinem Jagdhofe haben sie das Mägdlein hinweggeführt.«

Hier übermannte ihn der Zorn abermals derart, daß er nicht weiter zu reden vermochte. Erst nach Verlauf einiger Minuten setzte er hinzu: »Hei! Sie blasen und blasen so lange ins Feuer, bis sie ihre Schnauzen verbrennen.«

»Sie werden sich weißzuwaschen verstehen!« wiederholte der Priester Wyszoniek.

»Sobald Jurand erklärt, das Mägdlein werde von ihnen festgehalten, können sie sich nicht mehr rechtfertigen!« entgegnete Mikolaj aus Dlugolas etwas ungeduldig. »Ich glaube auch, daß sie über die Grenze entführt worden ist. Jurand hat, wie mich dünkt, recht, wenn er behauptet, sie sei in einer fernen Burg oder am einsamen Meeresgestade zu suchen. Nur muß der Beweis noch geliefert werden, dann wird sich der Meister nicht so leicht hinters Licht führen lassen.«

Mit einer gar seltsamen und geradezu Schrecken erregenden Stimme begann nun Jurand aber und abermals die Namen zu wiederholen: »De Löwe, Danveld, Godfryd und Rotgier!«

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Einem entfesselten Orkane gleich machte sich seine wilde Verzweiflung Luft.

Dann jedoch ergriff Mikolaj aus Dlugolas von neuem das Wort. Er erteilte den Rat, man solle sofort umsichtige, gewandte Leute nach Preußen schicken, die könnten in Szeytno und Johannesburg in Erfahrung bringen, ob die Tochter Jurands sich dort befinde, oder, so dies nicht der Fall, wo sie gefangen gehalten werde. Unverweilt verließ nun der Fürst, den elfenbeinernen Stab in der Hand, die Stube, um die nötigen Weisungen zu erteilen, während die Fürstin sich in der Absicht zu Jurand wandte, ihn durch freundlichen Zuspruch aufzurichten.

»Wie ist Euch?« fragte sie.

Gerade als ob Jurand die Frage gar nicht vernommen habe, antwortete er anfänglich kein Wort, dann aber rief er plötzlich: »Die alten Wunden sind aufs neue aufgerissen worden!«

»Vertraut auf die Barmherzigkeit Gottes! Danusia kehrt zu Euch zurück, sobald Ihr de Bergow ausgeliefert habt.«

»Des eigenen Lebens will ich nicht schonen.«

Die Fürstin schwankte, ob sie Jurand nicht jetzt von der Trauung Mitteilung machen solle, allein sie konnte sich doch nicht dazu entschließen. Sollte sie dein ohnehin schon so unglücklichen Vater neuen Kummer bereiten? Nein, das vermochte sie nicht, und zudem hielt sie auch eine gewisse Furcht davon ab. »Gemeinsam mit Zbyszko wird er ja sein geliebtes Kind suchen, möge ihm dieser alles auseinandersetzen,« sagte sie sich. »Jetzt würde der Bedauernswerte vielleicht durch eine solche Kunde vollends darnieder gebeugt werden.« So gab sie denn dem Gespräche eine andere Wendung.

»Ihr werdet uns gewiß nicht verantwortlich machen wollen,« hub sie an. »Die Leute trugen Eure Farben, durch ein mit Eurem Siegel versehenes Schreiben wurde uns die Kunde, welch schwerer Unfall Euch betroffen habe, daß Euch völlige Erblindung drohe, und daß Ihr Euch darnach sehntet, Euer Kind noch einmal zu sehen.«

Jurand umfaßte die Knie der Fürstin.

»Ich mache Euch für nichts verantwortlich, erlauchte Frau!« sprach er.

»Dessen dürft Ihr aber gewiß sein, Gott wird Euch das Kind wieder zurückführen, denn sein Auge wacht über es. Er wird Danusia aus der Not erretten, wie er sie aus der Gefahr errettet hat, als jüngsthin bei der Jagd der grimmige Auerochse sich auf uns stürzen wollte – von unserm Herrn Jesus gestählt, schützte uns Zbyszko. Nicht wenig Lebenskraft büßte er dadurch ein, und lange lag er siech darnieder, uns aber, Danusia und mich, hat er beschützt, wofür ihm der Fürst Gürtel und Sporen verliehen hat. Glaubt mir! Gottes Hand schwebt über ihr. Schwer wird das arme Kind zu leiden haben, das ist gewiß, denn tiefes Herzeleid empfinde auch ich. Ich malte mir aus, wie Danusia bei Euch weilen, wie sie von Euch auf das liebevollste behütet werde, und nun …«

Ihre Stimme brach mit einem Male ab, Thränen stürzten aus ihren Augen. Da war es aber auch mit Jurands erzwungener Fassung vorbei. Einem entfesselten Orkane gleich machte sich seine wilde Verzweiflung Luft. Mit beiden Händen fuhr er sich in seine langen Haare, an den Wänden schlug er sich fast das Haupt blutig, laut stöhnte er und schrie immer wieder von neuem auf: »Jesus! Jesus! Jesus!«

Da sprang Zbyszko auf ihn zu, und ihn mit aller Kraft an den Schultern schüttelnd, rief er: »Kommt, machen wir uns auf den Weg! Auf nach Spychow!«

Neuntes Kapitel.

Der Weg zum Schlachtfelde, wo Skirvoillo die Deutschen geschlagen hatte, war für Zbyszko und dessen Gefährten leicht zu finden, weil sie ihn schon kannten. So erreichten sie es denn bald, eilten jedoch, des unerträglichen Geruches wegen, den die Leichen ausströmten, rasch vorüber. Außer einer Unzahl von Wölfen verjagten die Reiter auch Scharen von Krähen, Raben und Dohlen. Dann begannen sie eifrig nach den, auf dem Wege zurückgelassenen Spuren der Flüchtlinge zu suchen. Obgleich kurz zuvor eine ganze Heeresabteilung hier vorbeigezogen war, fand der erfahrene Macko doch ohne Schwierigkeit auf dem zerstampften Boden die Abdrücke von riesenhaften Hufen, die sich nach der entgegengesetzten Richtung hinzogen als die, welche die Heeresabteilung eingeschlagen hatte. So erklärte er denn den jüngeren, in Kriegshändeln weniger erfahrenen Leuten folgendes: »Es ist ein Glück, daß es seit der Schlacht nicht geregnet hat. Seht nur! Arnolds Pferd, das einen Mann von ungewöhnlichem Wuchse trug, muß auch ein gewaltiges gewesen sein, und es ist leicht zu erkennen, daß es beim Galopp während der Flucht sich tiefer mit den Füßen in die Erde eingrub, als wenn es langsam nach jener Seite gelenkt worden wäre, und daß es deshalb auch tiefere Spuren zurückließ. Wer Augen hat, der schaue, wie sich die Hufe in die feuchten Stellen eingedrückt haben. Mit Gottes Hilfe werden wir dieser Hundsbrut auf die Fährte kommen, es sei denn, sie hätte schon irgendwo Schutz hinter sicheren Mauern gefunden.«

»Sanderus sagte,« entgegnete Zbyszko, »daß sich keine Burgen hier in der Nähe befinden, und so verhält es sich auch, da die Kreuzritter neuerdings dies Land in Besitz genommen haben, aber nicht im stande gewesen sind, sich darin anzubauen. Wo sollten die Flüchtlinge sich verbergen? Die Bauern, welche hier wohnten, befinden sich jetzt im Lager bei Skirwoillo, denn sie sind desselben Stammes wie die Samogitier … Die Dörfer wurden, wie Sanderus uns gesagt hat, durch die Deutschen verbrannt, die Weiber und Kinder an entlegene Plätze des Waldes gebracht. Schonen wir unsere Pferde nicht, so werden wir jene Ritter bald eingeholt haben.«

»Wir müssen aber die Pferde schonen, denn selbst wenn wir unser Ziel erreichen, hängt dann doch unsere Rettung von ihnen ab,« erwiderte Macko.

»Ritter Arnold,« warf Sanderus ein, »ward in der Schlacht durch einen Streitkolben zwischen den Schulterblättern getroffen. Anfangs achtete er nicht darauf, er kämpfte weiter, aber schließlich muß die Wunde seine Kräfte doch über die Maßen erschöpft haben, denn so ist’s immer, zuerst spürt man nichts, und zuletzt schmerzt sie doch. Aus diesem Grunde kann er nicht rasch entfliehen, und vielleicht muß er irgendwo Rast machen.«

»Und die Dienstleute? Hast Du nicht gesagt, daß sich keine bei Ritter Arnold und dem alten Komtur befinden?« fragte Macko.

»Bei ihnen befinden sich zwei Reitersmänner, an deren Sätteln die Tragbahre befestigt ist. Noch eine ganze Schar von Kriegsknechten ist dabei gewesen, doch wurde sie von den Samogitiern eingeholt und vernichtet.«

»So hört denn!« sagte Zbyszko. »Unsere Mannen sollen die Reitersmänner, welche die Tragbahre mit sich führen, knebeln, Ihr, Oheim, greift Zygfryd an, und ich gehe auf Arnold los.«

»Nun,« erwiderte Macko, »mit Zygfryd kann ich es wohl aufnehmen, denn durch die Gnade unseres Herrn Jesu habe ich noch Kraft in den Knochen. Aber sei Du selbst nicht allzu zuversichtlich, denn jener Ritter muß ein wahrer Riese sein.«

»Ei, wir werden ja sehen!« antwortete Zbyszko.

»Du bist stark, das leugne ich nicht, aber es giebt noch stärkere als Du. Hast Du all der Unsrigen, hast Du jener Ritter vergessen, die wir in Krakau sahen? Könntest Du gegen Powala aus Taczew aufkommen? Und gegen Herrn Paszko Zlodziej aus Biskupice, oder gar gegen Zawisza Czarny? Wie? Rühme Dich nicht allzu sehr und denke daran, um was es sich handelt.«

»Rotgier war auch kein Schwächling,« brummte Zbyszko.

»Und wird sich für mich keine Aufgabe finden?« fragte der Böhme. Doch er bekam keine Antwort, da Mackos Gedanken von anderen Dingen in Anspruch genommen waren.

»Sofern Gott uns seinen Segen verleiht,« sagte er, »werden wir die masovischen Wälder erreichen. Dort werden wir in Sicherheit sein und alles mit einem Schlag zu Ende bringen.«

Gleich darauf seufzte er jedoch wieder, weil er wohl dachte, daß auch dann noch nicht alles zu Ende sein werde, und auch etwas für die unglückliche Jagienka geschehen müsse.

»Ach!« sagte er, »wie wunderbar sind Gottes Fügungen. Ich sinne oft darüber nach, warum es so gekommen ist, warum Du Dich nicht in herkömmlicher Weise vermählt hast, wie andere Männer, so daß ich in Ruhe und Frieden bei Euch hätte wohnen können … Bei allen Edelleuten unserer Heimat Pflegt es so zu sein … Nur wir allein ziehen unstät von Land zu Land, anstatt in christlicher Weise zu Hause zu wirtschaften.«

»Nun, das ist wahr, aber es ist der Wille Gottes!« antwortete Zbyszko.

Schweigend ritten sie einige Zeit weiter, dann wendete sich der alte Ritter wieder zu seinem Bruderssohn: »Setzest Du Vertrauen in diesen Landstreicher? Was für ein Mensch ist es?«

»Er ist leichtfertig, vielleicht auch ein Taugenichts, aber mir ist er sehr ergeben und Verrat habe ich von ihm nicht zu fürchten.«

»Wenn dem so ist, mag er vorausreiten, denn falls er die Ritter auch einholt, werden sie doch nicht erschrecken. Er kann ihnen sagen, er sei aus der Gefangenschaft entflohen, und sie werden ihm leicht Glauben schenken. So wird es am besten sein. Würden sie zuerst uns von weitem erblicken, so hätten sie dadurch die Möglichkeit, sich entweder irgendwo zu verstecken, oder sich zur Verteidigung zu rüsten.«

»Bei Nacht wird er nicht allein voranreiten, denn er ist sehr furchtsam,« entgegnete Zbyszko, »aber während des Tages wird es in der That so am besten sein. Ich will ihm sagen, er möge dreimal im Tage Rast machen und auf uns warten; wenn wir ihn aber nicht mehr an einem Futterplatze treffen, soll dies ein Zeichen sein, daß er sich schon bei ihnen befindet. Dann können wir seine Spur leicht verfolgen und die Feinde überfallen.«

»Und wird er sie nicht warnen?«

»Nein, er ist mir mehr zugethan als jenen. Ich werde ihm auch sagen, daß wir ihn bei dem Ueberfall gleichfalls binden werden, so daß er vor ihrer Rache geschützt ist … Mag er sich gebärden, als ob er uns ganz und gar nicht kenne …«

»Also denkst Du daran, sie am Leben zu lassen?«

»Und was könnte ich sonst thun?« antwortete Zbyszko in etwas trübseligem Tone. »Erwägt doch nur! … Befänden wir uns in Masovien oder irgendwo in unserer Heimat, dann dürften wir sie zum Kampfe fordern, wie ich Rotgier zum Kampfe gefordert habe, und auf Leben und Tod mit ihnen kämpfen, aber hier, in ihrem eigenen Lande, geht dies nicht an … Hier handelt es sich um Danusia, hier ist Eile vonnöten. Wir müssen rasch und in aller Stille zu Werk gehen; um kein Ungemach über uns heraufzubeschwören, müssen wir, wie Ihr gesagt habt, so schnell die Pferde laufen können, nach den masovischen Wäldern sprengen. Ueberfallen wir sie unvermutet, so treffen wir sie vielleicht ohne Waffen, ja, sogar ohne Schwerter! Und dann sollten wir sie töten? Mir graut vor solcher Schande! Sind wir nicht beide gegürtete Ritter, und jene auch?« …

»Traun, Du hast recht!« antwortete Macko. »Aber vielleicht kommt es gar nicht zum Kampf.«

Zbyszko runzelte die Stirne und auf seinem Gesichte drückte sich die offenbar allen Männern aus Bogdaniec angeborene Energie aus, auch sah er in diesem Augenblick, besonders in der Art wie er vor sich hinschaute, Macko so ähnlich, als ob er dessen leiblicher Sohn gewesen wäre.

»Was gäbe ich darum,« sagte er in dumpfem Tone, »wenn ich Zygfryd, diesen Bluthund, vor Jurands Füße legen könnte – Gott gewähre mir dies!«

»Er gewähre Dir dies!« wiederholte Macko.

Unter solchen Gesprächen hatten sie eine große Strecke zurückgelegt, als die Nacht anbrach, eine schöne, wenn auch nicht mondhelle Nacht. Sie mußten jetzt Rast machen, damit die Pferde ausschnaufen, die Leute sich durch Speise und Schlaf stärken konnten. Bevor sie jedoch der Ruhe pflegten, sagte Zbyszko zu Sanderus, daß er am folgenden Morgen allein vorausreiten müsse, und dieser erklärte sich bereit dazu, indem er mir die Bedingung stellte, daß er zu ihnen zurückkehren dürfe, falls ihm durch wilde Tiere oder durch die einheimischen Leute irgend eine Gefahr drohe. Auch bat er um die Erlaubnis, statt dreimal, viermal Halt machen zu dürfen, denn er ängstige sich sogar auch in gottgesegneten Gegenden, sobald er allein sei, und wie viel mehr noch werde er sich also in der furchtbaren Wildnis ängstigen, worin sie sich gerade befanden.

Das Nachtlager ward aufgeschlagen, und nachdem sie sich durch Speise gestärkt hatten, legten sie sich auf Felle an das kleine Feuer nieder, das sechzig Schritte vom Wege angezündet worden war. Die Knechte hielten abwechselnd Wache bei den Pferden, welche sich lange herumwälzten, zuletzt aber, nachdem sie ihr Futter gefressen hatten, einschliefen, wobei immer eines den Kopf auf den Hals des andern legte. Doch kaum graute der Morgen und warf seinen lichten Schein auf die Wipfel der Bäume, als Zbyszko emporsprang, die andern erweckte, und während es Tag ward, machten sie sich auf den Weg. Die Spuren der riesenhaften Hufe von Arnolds Hengst waren wieder ohne Schwierigkeit zu finden, denn eingedrückt in den niedrigen, gewöhnlich sumpfigen Boden, hatten sie sich unversehrt erhalten. Sanderus ritt voraus und entschwand bald ihren Blicken, aber in der Zeit zwischen Sonnenaufgang und Mittag trafen sie ihn schon an einem Futterplatze. Er sagte ihnen, daß er kein lebendes Wesen erblickt, mit Ausnahme eines großen Auerochsen, vor dem er aber nicht die Flucht ergriffen habe, weil das Tier ihm zuerst aus dem Wege gegangen sei. Um die Mittagszeit, beim ersten Imbiß, erzählte er indessen, er habe einen Landmann, einen Zeidler mit einer Leiter gesehen, ihn aber nicht festgehalten, aus Furcht, tiefer im Walde könnten sich noch mehr seinesgleichen befinden. Er habe versucht, ihn über dies und jenes auszuforschen, doch hätten sie sich nicht zu verständigen vermocht.

Während sie weiter ritten, fühlte sich Zbyszko mehr und mehr beunruhigt. Wie sollte es werden, wenn ihr Weg sie nun zu höherliegenden Gefilden führte, wo der Boden fest und trocken war, so daß die bisher sichtbaren Spuren verschwanden? Oder wenn sie ihr Ziel lange nicht erreichten und in eine mehr bevölkerte Gegend kämen, wo die Einwohner längst gewöhnt waren, dem Orden Gehorsam zu leisten, ein Ueberfall also und die Entführung Danusias beinahe zu einem Ding der Unmöglichkeit ward? Denn wenn auch Zygfryd und Arnold sich nicht innerhalb der Mauern eines Schlosses oder Kastells, wenn sie sich auch nicht in Sicherheit befanden, war doch vorauszusehen, daß das einheimische Volk deren Partei nehmen würde.

Aber zum Glück waren diese Befürchtungen grundlos, denn an der nächsten Haltestelle trafen sie um die bestimmte Zeit Sanderus zwar nicht mehr an, entdeckten jedoch an einem dicht am Wege stehenden Fichtenbaume einen großen Einschnitt in der Form eines Kreuzes, der offenbar kurz zuvor gemacht worden war. Da schaute einer auf den andern, ein tiefer Ernst malte sich in ihren Zügen, und ihre Herzen klopften heftig. Macko und Zbyszko sprangen unverzüglich vom Pferde, um auf dem Boden nach den Spuren zu forschen, und suchten eifrig, aber dies währte nicht lange, da beide bald völlig klar sahen.

Offenbar hatte Sanderus hier den Weg verlassen und war in den Waid eingedrungen, indem er den Spuren der großen Hufe nachging, die zwar nicht so tief wie auf der Landstraße, aber doch ziemlich deutlich waren, denn das mächtige Tier hatte bei jedem Schritte die Zweige der Fichtenbäume in den Torfgrund gestampft und schwarze Flecken an diesen Zweigen zurückgelassen. Auch andere Spuren blieben den scharfen Augen Zbyszkos nicht verborgen, daher bestieg er wieder sein Pferd, Macko das seine, und sie begannen nun miteinander und mit dem Böhmen in so leisem Tone zu beraten, wie wenn der Feind dicht daneben gewesen wäre.

Der Böhme gab ihnen den Rat, den Weg zu Fuß fortzusetzen, aber dies wollten sie nicht thun, weil sie nicht wußten, wie weit sie noch durch den Wald zu ziehen hatten. Einige der unberittenen Mannen sollten indessen vorausgeschickt werden und, falls sie etwas Besonderes gewahrten, ein Zeichen geben, damit die Reitersmänner sich in Bereitschaft setzen konnten.

So ritten sie denn unverweilt weiter durch den Wald. Ein zweiter Einschnitt an einem Fichtenbaume zeigte ihnen, daß sie Sanderus‘ Spur nicht verloren hatten. Binnen kurzem bemerkten sie auch, daß sie sich auf einem ziemlich begangenen Wege, oder vielmehr Fußpfad befanden. Nun waren sie überzeugt, daß sie auf irgend eine Ansiedelung stoßen und die Flüchtlinge dort finden mußten.

Die Sonne neigte sich schon dem Untergange zu und schimmerte golden zwischen den Bäumen hervor. Der Abend versprach schön zu werden. Tiefe Stille herrschte im Walde, denn für Vögel und anderes Getier war die Zeit der Ruhe gekommen. Nur da und dort unter den von der Sonne beleuchteten Zweigen sprangen noch Eichhörnchen umher, die von den Strahlen rot übergossen waren. Zbyszko, Macko, der Böhme, sowie ihre Knechte ritten im Gänsemarsch, einer hinter dem andern her. In dem sicheren Gefühle, daß die Mannen zu Fuß ihnen um eine beträchtliche Strecke voraus waren und sie nötigenfalls warnen würden, besprach sich der alte Ritter mit seinem Bruderssohn, ohne die Stimme allzusehr zu dämpfen.

»Laß uns nach der Sonne die Zeit berechnen,« sagte er. »Von dem letzten Futterplatze, bis zu der Stelle, wo das Kreuz eingeschnitten war, haben wir eine große Strecke zurückgelegt. Die Krakauer Uhr muß nun ungefähr die dritte Stunde zeigen … Sanderus befindet sich wohl längst bei jenen Rittern und hat auch genug Zeit gehabt, ihnen von seinen Abenteuern zu erzählen. Wenn er uns nur nicht verrät.«

»Er wird uns nicht verraten,« entgegnete Zbyszko.

»Und wenn sie ihm nur glauben,« fügte Macko hinzu, »denn glauben sie ihm nicht, so wird es ihm schlimm ergehen.«

»Warum sollten sie ihm nicht glauben? Und was wissen sie von uns? Aber ihn kennen sie gut. Auch kommt es ja häufig vor, daß Kriegsgefangene entfliehen.«

»Gerade das ist wichtig, denn wenn er ihnen gesagt hat, er sei aus der Gefangenschaft entflohen, werden sie vielleicht aus Furcht, er könne verfolgt werden, sogleich wieder aufbrechen.«

»Dann würde er irgend eine Ausflucht ersinnen, er würde ihnen begreiflich machen, daß eine solche Verfolgung kaum zu erwarten ist.«

Eine Weile schwiegen sie, dann dünkte es Macko, sein Bruderssohn flüstere ihm etwas zu, deshalb wandte er sich an ihn und fragte: »Was sagst Du?«

Doch Zbyszko hatte den Blick gen Himmel gerichtet, er flüsterte Macko nichts zu, aber er empfahl Gott Danusia und seine kühne Unternehmung.

Macko wollte sich bekreuzen und erhob gerade die Hand, als plötzlich einer der vorausgesandten Mannen aus den dichten Haselnußsträuchern hervortrat und zu ihm heranschlich: »Eine Pechsiederei!« sagte er. »Sie sind hier.«

»Halt!« rief Zbyszko in gedämpftem Tone, und im nämlichen Augenblick sprang er schon vom Pferde.

Macko, der Böhme, sowie die Knechte thaten das Gleiche. Drei von diesen erhielten den Befehl, bei den Pferden zu bleiben, sich mit ihnen bereit zu halten und sorgsam darauf zu achten, daß keiner der türkischen Renner wiehere. Zu den fünf andern sagte Macko: »Wir werden zwei Reitknechte und Sanderus dort treffen. Die müßt ihr sofort knebeln und so einer bewaffnet ist und sich zur Wehr setzen will, dann gebt ihm einen Schlag auf den Kopf.«

Und sie gingen vorwärts. Unterwegs flüsterte Zbyszko nochmals seinem Oheim zu: »Ihr stürzt Euch aus den alten Zygfryd, ich mich auf Arnold.«

»Sei nur behutsam!« antwortete der alte Kämpe.

Und er winkte dem Böhmen mit den Augen, indem er ihm dadurch zu verstehen gab, daß er jeden Augenblick bereit sein müsse, seinem Herrn Hilfe zu leisten.

Jener neigte das Haupt, zum Zeichen, daß er dies thun werde. Dabei holte er tief Atem und faßte sein Schwert, um zu sehen, ob es leicht aus der Scheide gehe.

Doch Zbyszko gewahrte dies und sagte: »Nein, Dir befehle ich, sogleich zu der Tragbahre zu eilen und während des Kampfes auch nicht einen Fuß breit von ihr zu weichen.«

In tiefer Stille schritten sie rasch vorwärts, fortwährend zwischen dichten Haselnußbüschen, aber sie waren noch nicht weit gekommen, zweihundertfünfzig Schritte höchstens, als das Gesträuch plötzlich ein Ende nahm und sie auf einer von Buschwerk umsäumten Lichtung standen, wo sich die rauchgeschwärzten Ueberreste einer Pechsiederei und zwei Hütten, oder Erdwohnungen befanden, in denen zweifellos Pechsieder gewohnt hatten, bis sie durch den Krieg daraus vertrieben worden waren. Die Strahlen der untergehenden Sonne beleuchteten mit hellem Glanze die Wiese, die rußigen Ueberreste und die beiden ziemlich weit voneinander entfernt stehenden Erdwohnungen. Auf einem gefällten Baumstamme vor der einen saßen zwei Ritter, vor der andern ein breitschultriger, rothaariger Mann und Sanderus. Diese beiden waren damit beschäftigt, einige Panzer mit Lappen abzureiben, und zu Sanderus‘ Füßen lagen auch zwei Schwerter, welche er offenbar später reinigen wollte.

»Sieh!« sagte Macko, den Arm Zbyszkos fassend, um ihn noch einen Augenblick zurückzuhalten, »absichtlich hat er ihnen Schwerter und Panzer genommen. Das ist gut! Der mit dem grauen Haupte muß …«

»Vorwärts!« schrie Zbyszko plötzlich, und der Windsbraut gleich stürmten sie aus die Wiese hinaus. Die beiden Ritter sprangen sofort auf, doch bevor sie noch zu Sanderus gelangen konnten, hatte Macko den alten Zygfryd schon an der Brust gepackt, nach rückwärts gebogen und sich auf ihn geworfen. Zbyszko und Arnold fuhren aufeinander wie zwei Habichte, umschlangen sich mit den Armen, und nun begann ein verzweifeltes Ringen. Der breitschultrige Deutsche, welcher zuvor neben Sanderus gesessen hatte, griff zwar sofort nach einem Schwert, doch ehe er im stande war, es zu gebrauchen, schlug ihm Wit, einer der Mannen Mackos, mit der Streitaxt auf das rote Haupt und streckte ihn zu Boden. Dann warfen er und die andern Mannen sich dem Befehle des alten Ritters gemäß auf Sanderus, um ihn zu knebeln. Trotzdem dieser aber wußte, daß es eine verabredete Sache war, brüllte er aus Furcht gleich einem einjährigen Kalbe, dem die Kehle abgeschnitten wird.

Und obgleich Zbyszko so stark war, daß der Saft aus einem Baumzweige quoll, wenn er daran drückte, hatte er nun doch die Empfindung, daß ihn nicht die Hände eines Menschen, sondern die Tatzen eines Bären umklammert hielten. Auch fühlte er, daß ohne den Panzer, welchen er trug, weil er sich gesagt hatte, daß sich wohl manch scharfe Lanzenspitze gegen ihn richten werde, der riesenhafte Deutsche ihm vielleicht die Rippen oder das Rückgrat zerbrochen hätte. Zwar hob ihn der junge Ritter ein wenig in die Höhe, aber jener hob ihn noch höher, und all seine Kraft zusammennehmend, versuchte er ihn derart zu Boden zu schmettern, daß er sich nicht mehr zu erheben vermochte.

Doch Zbyszko preßte den Deutschen ebenfalls gewaltsam zusammen, bis dessen Augen mit Blut unterlaufen waren, dann schob er seinen Fuß zwischen dessen Beine, stieß ihn an die Kniekehle und streckte ihn hin. Zwar fielen beide gleicherweise zu Boden, Zbyszko nach unten, aber in diesem Augenblick warf Macko, dem nichts entging, den halbtoten Zygfryd seinen Knechten zu, stürzte zu den Liegenden heran und hatte im Nu Arnolds Füße mit seinem Gürtel gebunden. Dann setzte er sich auf ihn, wie auf ein erschlagenes wildes Tier, indem er ihm die Spitze seines »Misericordia« an die Kehle führte.

Der Deutsche aber schrie laut auf, und seine Hände fielen kraftlos an den beiden Seiten Zbyszkos nieder, hierauf begann er zu ächzen, nicht nur wegen der Stichwunde, sondern auch weil er plötzlich einen entsetzlichen, unaussprechlichen Schmerz im Rücken verspürte, an dem er durch einen Keulenschlag während der Schlacht mit Skirwoillo verletzt worden war.

Da faßte ihn Macko mit beiden Händen und zog ihn von Zbyszko weg. Zbyszko erhob sich vom Boden, nahm eine sitzende Stellung an, dann wollte er aufstehen, konnte aber nicht. Er ließ sich wieder nieder und verharrte eine Weile regungslos. Mit bleichem, schweißbedecktem Antlitz, blutig unterlaufenen Augen, bläulichen Lippen blickte er vor sich hin, wie wenn er nicht völlig bei Bewußtsein gewesen wäre.

»Was ist Dir?« fragte Macko besorgt.

»Nichts, ich bin nur furchtbar ermattet. Helft mir auf die Füße.«

Macko faßte ihn unter den Armen und richtete ihn sofort empor.

»Kannst Du aufrecht stehen?«

»Ja!«

»Bist Du verletzt?«

»Nein. Aber der Atem stockt mir in der Brust.«

Unterdessen trat der Böhme, welcher offenbar sah, daß es nichts mehr für ihn zu thun gab, zur Hütte heran und packte die Alte sofort am Genicke. Bei diesem Anblick vergaß Zbyszko all seiner Beschwerden, er ermunterte sich sofort, und wie wenn der Kampf mit dem furchtbaren Arnold spurlos an ihm vorübergegangen wäre, lief er eilig der Hütte zu.

»Danuska! Danuska!« rief er.

Aber keine Stimme antwortete auf diesen Ruf.

»Danuska! Danuska!« wiederholte Zbyszko. Dann verstummte er. In der Hütte war es so dunkel, daß er im ersten Augenblick nichts zu unterscheiden vermochte. Doch hinter den Steinen hervor, welche rings um den Feuerherd aufgeschichtet lagen, drangen laute, rasche Atemzüge, wie die eines in die Enge getriebenen jungen Tieres.

»Danuska! Bei Gott dem Allmächtigen! Ich bin es! Ich bin Zbyszko!«

Und dann erblickte er in dem Halbdunkel auch ihre Augen, die weit aufgerissen, wie erschreckt und geistesabwesend dareinschauten.

Da eilte er auf sie zu und nahm sie in seine Arme, sie aber erkannte ihn nicht und sich von ihm losreißend, sagte sie atemlos und im Flüstertone: »Ich fürchte mich! Ich fürchte mich! Ich fürchte mich!« …

– – – – – –

Erstes Kapitel.

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Nichts half, weder Bitten, noch Klagen, noch Liebkosungen – Danusia erkannte niemand, erlangte ihre Sinne nicht wieder. Nur von einem Gefühle schien ihr ganzes Wesen durchdrungen zu sein, von dem Gefühle entsetzlicher Angst, wie sie der zitternde Vogel empfindet, der in Gefangenschaft gerät. Welche Nahrung ihr auch vorgesetzt ward, in Anwesenheit eines andern rührte sie keinen Bissen an, trotzdem ihr gieriger Blick es nur zu deutlich verriet, daß sie hungerte, ja, daß sie vielleicht schon seit lange Hunger litt. Ließ man sie allein, so warf sie sich gleich einem wilden Tiere auf die Speisen, trat indessen Zbyszko in die Hütte, dann rannte sie in einen Winkel, um sich hinter einem Bündel trockenen Hopfens zu verbergen. Und nichts brachte sie wieder daraus hervor. Wohl hätte sie bei dem Scheine des aufflammenden Feuers ihren Ehegemahl zu erkennen vermögen, allein umsonst öffnete er ihr seine Arme, umsonst streckte er ihr, die Thränen unterdrückend, bittend die Hände entgegen. Mit dem klaren Verstande schien ihr auch jede Erinnerung entschwunden zu sein. Immer wieder schaute Zbyszko auf ihre hageren, starren, angsterfüllten Gesichtszüge, auf ihre eingesunkenen Augen, auf das zerrissene, zerfetzte Gewand, in das sie gekleidet war, und sein Herz krampfte sich vor Wut und Schmerz zusammen bei dem Gedanken, in wessen Hände sie gewesen war, was man ihr angethan haben mochte. Schließlich übermannte ihn einmal dermaßen der Zorn, daß er sein Schwert ergriff, auf Zygfryd losstürzte und diesen erschlagen hätte, wenn nicht Macko ihm entgegengetreten wäre.

Gleich Feinden rangen die Zwei miteinander. Der junge Ritter war jedoch durch den vorhergegangenen Kampf mit dem riesenhaften Arnold in solcher Weise geschwächt, daß der alte Ritter ihn bezwang. Wie zwischen eisernen Klammern preßte er Zbyszkos Hände in den seinen zusammen, während er rief: »Was soll das sein, bist Du toll geworden?«

»Gebt mich frei!« antwortete Zbyszko zähneknirschend, »oder der Lebensfunken in mir wird erlöschen.«

»Was auch geschehen mag, ich gebe Dich nicht frei! Weit besser ist es, Du zerschmetterst Dir Deinen Schädel an einem Baumstamm, als daß Du Dir und Deinem Geschlechte Unehre machst.«

Und mit neuer Kraft Zbyszkos Hände umklammernd, fügte er drohend hinzu: »Suche Dich zu beherrschen! Die Rache wird Dir nicht entgehen, doch bedenke, daß Du ein gegürteter Ritter bist. Was willst Du beginnen? Einen gefesselten Gefangenen willst Du erschlagen? Kannst Du damit Danusia helfen, und was gewinnst Du dabei? Nichts, nur Schimpf und Schande. Wohl wirst Du mir einwenden, Könige und Fürsten hätten mehr als einmal Gefangene ermordet. Freilich ist dies der Fall, doch traun, nie und nimmer ist es in unsern Landen geschehen. Und zudem, was die Welt jenen vergeben hat, das wird sie Dir nicht vergeben. Jene sind die Besitzer von Königreichen, Städten und Burgen, was aber besitzest Du? Nichts wie Deine Ehre als Ritter. Wenn auch jenen alles vergeben worden ist, Dir speit man in das Gesicht. Bezwinge Dich! Bei Gott!«

Diesen Worten folgte ein minutenlanges Schweigen.

»Gebt mich frei!« wiederholte dann Zbyszko finster. »Ich werde ihn nicht erschlagen.«

»Komm mit zum Feuer, dort wollen wir uns beraten.«

Macko geleitete seinen Bruderssohn zu einem Feuer, welches von den Kriegsleuten in der Nähe von den Teerhaufen angezündet worden war. Nachdem sich jene beiden dort niedergelassen hatten, bedachte sich der Ohm eine Weile und hub dann also an: »Vergiß auch nicht, daß Du Jurand versprochen hast, ihm diesen alten Hund auszuliefern. Jurand wird sich an ihm für all das rächen, was Danusia erlitten hat. Fürchte nichts, Jurand wird ihm alles heimzahlen! Ihm gehört der Gefangene an! Und zudem, was Dir nicht erlaubt ist, das steht Jurand frei. Er hat Zygfryd nicht zum Gefangenen gemacht, aus Deiner Hand wird er ihn empfangen. Ohne sich mit Unehre zu bedecken, darf er ihm bei lebendigem Leibe sogar die Haut abziehen – verstehst Du mich nun?«

»Ich verstehe Euch!« entgegnete Zbyszko. »Ihr redet vernünftig.«

»Augenscheinlich kehrt Dir Dein Verstand zurück. Sollte Dich aber der Teufel ein zweites Mal in Versuchung führen, dann denke an das, was ich Dir jetzt sage. Du hast gelobt, mit Lichtenstein und mit andern Rittern zu kämpfen. Erschlägst Du jedoch einen schutzlosen Gefangenen und die That wird durch die Kriegsleute ruchbar, dann wird sich Dir kein Ritter mehr stellen. Und mit vollem Rechte thut er dies nicht. Gott beschütze Dich davor. An Unglück gebricht es uns wahrlich nicht, laß nicht auch noch Schande über uns kommen. Am besten ist’s, wir beraten jetzt, was uns zu thun gebührt, wie wir uns zu verhalten haben.«

»Sprecht Euch aus!« warf Zbyszko ein.

»Mein Rat ist folgender: Wohl müßte jene Natter, welche Danusias wartet, vom Erdboden vertilgt werden. Allein es ist eines Ritters nicht würdig, sich mit dem Blute eines Weibes zu beflecken, deshalb wollen wir das schändliche Weib dem Fürsten Janusz ausliefern. Unter den Augen des Fürstenpaares hat sie auf dem Jagdhofe ihre listigen Ränke gesponnen. In Masovien möge sie daher gerichtet werden, und wird sie nicht aufs Rad geflochten, dann sündigen die Ritter gegen Gottes Gerechtigkeit. Bis wir indessen ein anderes Weib zur Wartung Danusias gefunden haben, ist uns diese Schlange vonnöten. Späterhin mag man sie an den Schwanz eines Rosses binden. Uns liegt es aber nun vor allem ob, aufs schnellste in die masovischen Wälder zurückzukehren.«

»Doch nicht in diesem Augenblicke, doch nicht zur Nachtzeit. Vielleicht wird Danusias Geist morgen klarer sein. Gott gebe dies! Aber auch die Pferde müssen rasten. Mit Tagesanbruch brechen wir auf.«

Eine weitere Unterredung wurde durch Arnold von Baden unterbrochen, der, auf sein eigenes Schwert wie auf einen Pfahl gebunden, in einiger Entfernung auf dem Rücken lag und irgend etwas in seiner Muttersprache gerufen hatte. Der alte Macko erhob sich sofort und trat auf den Gefangenen zu, da er indessen unfähig war, dessen Worte zu verstehen, schaute er suchend nach Hlawa umher.

Aber der Böhme konnte nicht sofort kommen, war er doch mit etwas anderem beschäftigt. Währenddem sich die beiden Ritter am Feuer unterredeten, hatte er sich dem Weibe genähert und es mit kräftiger Hand am Genick gepackt.

»Höre, Du Hündin!« sagte er zu ihr, indem er sie wie einen Baum hin und her schüttelte, »Du begiebst Dich sofort in die Hütte und bereitest Deiner Herrin ein Lager aus Fellen. Vor allem aber kleidest Du sie wieder in ihre Gewänder und legst selbst die Lumpen an, welche Ihr der Beklagenswerten aufgezwungen habt. Verflucht seien Eure Mütter!«

Von einer steigenden Erregung fortgerissen, schüttelte er die Frau nun mit solcher Gewalt, daß deren Augen aus den Höhlen traten. Fast hätte er ihr das Genick gebrochen, doch er bezwang sich noch rechtzeitig. Für Danusia war sie jetzt noch nötig, deshalb ließ er sie frei, indem er erklärte: »Zur geeigneten Zeit werden wir den rechten Ast für Dich finden.«

Voll Schrecken umfaßte sie seine Knie, als er sie aber von sich stieß, rannte sie in die Hütte und warf sich Danusia zu Füßen.

»Schütze mich, verlaß mich nicht!« schrie sie auf.

Doch Danusia schloß langsam die Augen, während sich ihren Lippen wieder die kaum hörbaren, klagenden Worte entrangen: »Ich fürchte mich, ich fürchte mich, ich fürchte mich!«

Und wie stets, wenn sich ihr die Ordensdienerin näherte, überfiel sie auch jetzt eine Art von Erstarrung. Willenlos ließ sie sich aus- und ankleiden. Gleich einer Wachsfigur ward sie von der Dienerin auf das Lager gebettet, welche, nicht wagend, die Hütte zu verlassen, am Feuer Platz nahm.

Doch schon nach kurzer Zeit trat Hlawa ein, wandte sich zu Danusia und sagte: »Ihr seid unter Freunden, o Herrin! Deshalb schlaft ruhig im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!«

Das Zeichen des Kreuzes machend, wandte er sich hierauf, ohne die Stimme zu erheben, damit er Danusia nicht erschrecke, zu dem Weibe.

»In Fesseln geschlagen sollst Du auf der Schwelle der Hütte liegen,« erklärte er. »Rühre Dich aber nicht, versuche nicht, Deine Herrin zu erschrecken, sonst breche ich Dir das Genick. Auf mit Dir, hinaus!«

Nach diesen Worten trieb er das Weib über die Schwelle und knebelte sie, dann erst begab er sich zu Zbyszko.

»Ich erteilte den Befehl, die Herrin mit den Gewändern zu bekleiden, welche jene Schlange sich angeeignet hat,« begann er. »Auch ein Lager ließ ich bereiten, auf dem die Herrin nun ruhig schläft. Ihr thut besser daran, fern zu bleiben, o Herr, damit die Schlafende nicht gestört wird, die Gott nach wohlthätiger Ruhe zu völligem Bewußtsein erwachen lassen möge. Doch denkt nun auch an Euch selbst, o Herr; erquickt Euch mit Speise und Trank und legt Euch dann nieder.«

»Ich lege mich auf die Schwelle der Hütte,« entgegnete Zbyszko.

»Dann bringe ich das verfluchte Weib in die Nähe des Leichnams mit den roten zottigen Haaren. Doch Ihr müßt Euch stärken, o Herr, denn Ihr habt eine lange Fahrt, eine schwere Aufgabe vor Euch.«

Unverweilt eilte er davon, um gleich darauf wieder mit kleinen Säckchen voll geräuchertem Fleisch und gedörrten Rüben zurückzukehren, die man aus dem Lager der Samogitier mit auf die Fahrt genommen hatte. Kaum kam indessen Hlawa damit zu stande, die Vorräte vor Zbyszko auszubreiten, weil ihn Macko unverzüglich zu Arnold schickte.

»Suche sorgsam auszufinden, was dieser Riese will,« gebot der alte Ritter dem Böhmen, »denn obgleich ich etliche deutsche Worte kenne, vermag ich doch nicht zu verstehen, was er sagt.«

»Ich werde ihn hierher an das Feuer bringen, o Herr, dann könnt Ihr durch mich mit ihm reden,« ließ sich nun Hlawa vernehmen.

Und seinen Gurt abnehmend, zog er diesen zwischen den Armen Arnolds hindurch und lud sich daran den Gefesselten auf den Rücken. Wohl schwankte er unter dem Gewichte des gewaltigen Ritters, doch da auch er außergewöhnliche Kraft besaß, trug er seine Last bis an das Feuer, wo er Arnold gleich einem Sack Erbsen neben Zbyszko abwarf.

»Löst mir die Bande!« rief nun der Kreuzritter.

»Das will ich thun,« antwortete Macko durch Vermittlung des Böhmen. »Allein zuerst mußt Du bei Deiner ritterlichen Ehre schwören, Dich als Gefangenen zu betrachten. Doch selbst wenn Du Dich dessen weigerst, sollst Du von dem Schwerte losgebunden, sollen die Bande von Deinen Armen genommen werden, damit Du bei uns zu sitzen vermagst. Die Fesseln an Deinen Füßen lasse ich jedoch nicht lösen, bevor wir zu Ende gesprochen haben.«

Nach diesen Worten gab Macko dem Böhmen ein Zeichen, auf das hin der Knappe sofort den Körper und die Arme des Deutschen von den Stricken befreite und ihm dann half, sich aufzurichten. Voll Hoffart blickte nun Arnold auf Macko und Zbyszko, indem er fragte: »Was seid Ihr für Leute?«

»Das wagst Du zu fragen? Was kümmert das Dich? Suche es selbst zu ergründen.«

»Viel ist mir daran gelegen, denn nur Rittern kann ich einen Eid auf meine ritterliche Ehre ablegen.«

»So schau her!« rief jetzt Macko, indem er den Mantel zurückschlug und auf seinen Rittergürtel wies.

Aufs höchste überrascht, versank der Kreuzritter in Schweigen und hub erst nach einigen Minuten wieder an: »Was soll das heißen? Und doch geht Ihr in den Wäldern auf Raub aus, und doch steht Ihr den Heiden gegen Christen bei!«

»Du lügst!« schrie Macko auf.

In den hochmütigsten, feindseligsten Ausdrücken spann sich das Gespräch weiter, ja, oftmals drohte es in Streit auszuarten. Als jedoch Macko leidenschaftlich beteuerte, der Orden selbst trage die Schuld, daß nicht ganz Litauen sich zum Christentum bekehrt habe, als er zahllose Beweise dafür vorbrachte, da verstummte Arnold abermals vor Staunen, denn die Wahrheit trat sonnenklar zu Tage, nichts ließ sich dagegen einwenden. Ganz besonders betroffen ward der Deutsche durch die Worte Mackos, welcher, das Zeichen des Kreuzes machend, ausrief: »Wer weiß, wem Ihr thatsächlich dient, wenn auch nicht alle, so doch etliche von Euch!« – hegte man doch sogar im Orden selbst den Verdacht, daß gewisse Komture mit dem Satan im Bunde seien. Keine Klage ward zwar gegen diese anhängig gemacht, wäre doch dadurch die Schande auf alle Kreuzritter gefallen, allein Arnold wußte genau, was sich die Brüder zuflüsterten, welches Gerede unter ihnen ging. Der schlicht denkende Deutsche beunruhigte sich mehr und mehr, denn schließlich ließ sich auch Macko rückhaltlos über das seltsame Gebaren Zygfryds aus, von dem ihm durch Sanderus berichtet worden war.

»Und jener Zygfryd, mit welchem Du in den Krieg gezogen bist,« fragte der alte Kämpe, »ist er vielleicht ein Diener Gottes, dient er vielleicht unserm Herrn Jesus? Hast Du nie gehört, wie er mit bösen Geistern spricht, wie er mit ihnen flüstert und zähnefletschend mit ihnen lacht?«

»Das ist wahr!« murmelte Arnold.

Da mit einem Male rief Zbyszko, in dessen Herz Zorn und Kummer wieder die Oberhand gewannen, in heftigem Tone: »Und Du sprichst von ritterlicher Ehre! Schande über Dich, der Du einem Henker, einem Sohn der Hölle Hilfe geleistet hast! Schande über Dich, der Du ruhig mit ansahst, wie man ein schutzloses Weib, die Tochter eines Ritters, gefoltert hat! Schande über Dich, der Du die Bejammernswerte vielleicht selbst gemartert hast! Schmach und Schande über Dich!«

Starr vor Staunen machte Arnold das Zeichen des Kreuzes und sagte: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Was soll dies heißen? Sprecht Ihr von jener Besessenen, in deren Kopf siebenundzwanzig Teufel nisten? Ich –«

»Wehe! Wehe!« schrie jetzt Zbyszko mit heiserer Stimme auf, indem er abermals nach dem »Misericordia« griff und drohende Blicke auf Zygfryd warf, der ganz in der Nähe im Dunkeln lag.

Mit eiserner Hand packte Macko seinen Bruderssohn, um diesen wieder zur Besinnung zu bringen. Dann wandte er sich zu Arnold mit den Worten: »Jenes junge Weib – es ist die Tochter Jurands, es ist das Ehegemahl dieses jungen Ritters. Jetzt wirst Du begreifen, weshalb wir Euch überfielen, weshalb Ihr unsere Gefangenen seid.«

»Allbarmherziger Gott! Wie ist dies möglich? Der Geist jenes Weibes ist ja gestört.«

»Weil sie die Kreuzritter raubten, wie man ein unschuldiges Lamm raubt, weil sie durch fortgesetzte Pein und Marter zu dem gemacht ward, was sie jetzt ist.«

Als Zbyszko die Worte »unschuldiges Lamm« vernahm, preßte er von Schmerz überwältigt beide Fäuste au die Lippen, während ihm große Thränen unaufhaltsam über die Wangen rollten. In tiefes Sinnen versunken, saß Arnold am Feuer, der Böhme aber schilderte ihm in kurzen Worten die Verräterei Danvelds, die Entführung Danusias, die von Jurand erlittenen Folterqualen, den Kampf mit Rotgier. Als er geendigt hatte, herrschte langes Schweigen. Nichts war zu hören als ein zeitweises Rauschen im Walde und das Knistern der Funken im Feuer.

Schließlich jedoch fuhr Arnold aus seinem Sinnen empor.

»Ich schwöre, nicht nur auf meine ritterliche Ehre, sondern auch auf das Kreuz Christi, daß ich die Entführte kaum gesehen habe, daß ich nicht wußte, wer sie ist, und daß ich niemals die Hand dazu geliehen habe, wenn ihr ein Leid angethan ward.«

»Schwöre, freiwillig mit uns zu ziehen, ohne einen Fluchtversuch zu unternehmen, dann will ich Dich von Deinen letzten Banden lösen lassen,« erklärte nun Macko.

»Es sei, wie Du sagst; ich schwöre! Wohin willst Du mich bringen?«

»Nach Masovien, zu Jurand aus Spychow.«

So sprechend, schnitt Macko selbst die Stricke, mit denen Arnolds Füße gebunden waren, entzwei und deutete auf das Fleisch, auf die Rüben. Bald darauf erhob sich Zbyszko, um sich auf die Schwelle der Hütte niederzulegen. Die Ordensdienerin befand sich nicht mehr daselbst, war sie doch von dem Gefolge mit zu dessen Platz bei den Pferden geschleppt worden. Ein von Hlawa ausgebreitetes Fell diente dem jungen Ritter zum Lager, der indessen sehnsüchtig und ohne Schlaf zu finden, auf den anbrechenden Tag harrte, hoffte er doch, daß die Ruhe eine wohlthätige Wirkung auf Danusia ausüben werde.

Der Böhme kehrte unverweilt zu dem Feuer zurück, denn ihm lastete etwas auf der Seele, worüber er mit dem alten Ritter aus Bogdaniec sprechen wollte. Nachdenklich saß dieser noch immer auf der gleichen Stelle, ohne den schnarchenden Arnold zu beachten, welcher, durch tüchtige Nahrung gestärkt, nun so fest wie ein Stein schlief.

»So seid Ihr noch immer wach, o Herr!« hub Hlawa an.

»Der Schlaf flieht mich,« antwortete Macko. »Gott schenke uns morgen einen glücklichen Tag. Der große Bär steht am Himmel,« fuhr er fort, zu den Sternen aufschauend, »und ich sinne und sinne, wie sich alles wenden wird.«

»Auch ich kann kein Auge schließen, denn die Herrin aus Zgorzelic kommt mir nicht aus den Gedanken.«

»Hei, wahrlich, ein weiteres Ungemach. Doch, sie ist ja jetzt in Spychow.«

»Gewiß ist sie in Spychow. Wir haben sie aus Zgorzelic hinweggeführt, ohne zu wissen, weshalb.«

»Sie selbst bestand darauf, mit uns zu ziehen,« lautete die ungeduldige Antwort Mackos, der nur ungern über Jagienka sprach, weil er sich ihr gegenüber schuldbewußt fühlte.

»Und wenn dem auch so ist, was soll jetzt geschehen?«

»Hei, was geschehen soll? Ich bringe sie in ihre Heimat zurück, und dann möge Gottes Wille geschehen! … Ja, Gottes Wille geschehe!« fügte er nach kurzer Pause hinzu. »Gott der Herr gebe, daß Danusia ihre Gesundheit wieder erlange, und daß wir uns, wie andre Leute auch, endlich klar darüber werden, was uns zu thun obliegt. Doch jetzt weiß dies der Teufel allein. Wie, wenn Danusia ihre Sinne nicht wieder erlangt – und wenn sie auch nicht stirbt? – Möge es der Herr Jesus zu dem einen oder zu dem andern wenden.«

Doch der Knappe dachte in diesem Augenblick nur an Jagienka.

»Seht Ihr, allergnädigster Herr,« warf er abermals ein, »als ich Spychow verließ, als ich Abschied von meiner Herrin nahm, da sprach diese also: ›Im Falle sich irgend etwas ereignen sollte, eilst Du rascher als Zbyszko, rascher als Macko hierher, denn (so sagte sie) irgend jemand müssen jene doch mit der Kunde senden, weshalb sollten sie daher Dich nicht damit betrauen? Du aber wirst mich dann nach Zgorzelic geleiten‹.«

»Hei! Das ist richtig!« entgegnete Macko. »Unerträglich wäre es für Jagienka, in Spychow zu bleiben, wenn Danusia dort eintrifft. Besser, weit besser ist’s für sie, wenn sie sofort nach Zgorzelic zurückkehrt. Tief schmerzt mich das Schicksal der Waise, schweres Leid trage ich um sie, läßt es sich aber gegen den Willen Gottes ankämpfen? Was ist zu thun? Doch höre … Du sagst, sie habe Dir befohlen, ohne auf uns zu warten, so rasch wie möglich mit der Kunde zu ihr zurück zu eilen und sie nach Zgorzelic zu geleiten?«

»Getreulich habe ich Euch berichtet, was sie mir zu thun befahl.«

»Wohlan, mache Dich vor uns auf den Weg. Dem alten Jurand muß auch die Nachricht behutsam beigebracht werden, daß seine Tochter gefunden worden ist – eine plötzliche Freude könnte ihn töten. So wahr ich Gott liebe, das muß geschehen! Begieb Dich nach Spychow, verkünde, daß wir Danusia zurückbringen und bald mit ihr eintreffen werden. Dann aber geleite Jagienka in ihre Heimat.«

Der alte Ritter seufzte tief auf. Ihm war es wehe ums Herz, doch nicht nur Jagienkas wegen, sondern auch seiner gescheiterten Pläne wegen. Allein schon nach wenigen Minuten begann er aufs neue: »Du bist ein kluger, thatkräftiger Bursche, das weiß ich, doch wirst Du im stande sein, die Waise gegen Ueberfälle, gegen Beschimpfung zu schützen? Gar leicht kann ihr auf der Fahrt allerlei zustoßen.«

»Meinen Kopf setze ich dafür zum Pfande, daß ich dazu im stande bin. Wenn etliche tüchtige Kriegsleute mit mir ziehen –und der Gebieter von Spychow wird mir sicherlich eine Anzahl zur Verfügung stellen – kann ich meine Herrin, wenn nötig, ungefährdet bis ans Ende der Welt geleiten.«

»Potz Wetter, überhebe Dich nicht in Deinem Selbstvertrauen. Vergiß auch nicht, daß Du allerorts, vornehmlich aber in Zgorzelic, ein wachsames Auge auf Wilk aus Brzozowa und auf Cztan aus Rogow haben mußt. Traun, darüber zu reden, ist ja jetzt nicht mehr von nöten. Früher mußten wir das Mägdlein bewachen, solange man noch an etwas anderes denken konnte. Jetzt aber ist keine Hoffnung vorhanden, daß jemals etwas daraus werden wird.«

»Trotzdem will ich die Herrin auch vor jenen beiden Rittern bewachen, denn das beklagenswerte Eheweib des Herrn Zbyszko atmet ja kaum noch. Das arme Wesen ist dem Tode nahe.«

»So wahr ich Gott liebe, das hat seine Richtigkeit. Das unglückliche Geschöpf hat kaum noch Leben in sich – just wie eine Tote sieht es aus.«

»Gottes Wille geschehe! Jetzt aber müssen wir vor allem an die Herrin von Zgorzelic denken.«

»Ich hätte die Verpflichtung,« warf jetzt Macko ein, »die Waise in ihre Heimat zu geleiten. Allein ich weiß mir keinen Rat. Zbyszko darf ich aus mannigfachen Gründen nicht verlassen. Du selbst hast es mitangesehen, wie er zähneknirschend auf den alten Komtur losstürzen und ihn gleich einem wilden Eber erschlagen wollte. Und wenn es so weit kommt, wie Du behauptest, wenn Danusia auf der Fahrt ihren Atem aushaucht, dann freilich kann auch ich meinen Bruderssohn nicht von einer Gewaltthat abhalten. Sicherlich wird er sich aber nicht im Zaume halten können, so ich jetzt von ihm gehe, und Schimpf und Schande wird er auf sich, auf unser ganzes Geschlecht für immer laden, was Gott verhüten möge, Amen!«

»Traun, gegen dies alles giebt es ein einfaches Mittel,« antwortete der Böhme. »Liefert mir den grausamen Henkersknecht aus, aus meinen Händen wird er nicht entkommen, vor Herrn Jurands Füße will ich ihn in Spychow werfen.«

»Gott schenke Dir Gesundheit! Hei, Du hast Verstand!« rief Macko hocherfreut. »Eine ganz einfache Sache! Eine ganz einfache Sache. Nimm Zygfryd mit Dir, und wenn Du ihn lebend nach Spychow bringst, verfahre mit ihm, wie es Dir gut dünkt.«

»Ueberlaßt mir auch jene Hündin aus Szczytno! Wenn sie sich unterwegs nicht widerspenstig erweist, nehme ich sie auch mit nach Spychow, zeigt sie sich indessen widerspenstig, dann an irgend einen Ast mit ihr.«

»Voraussichtlich wird Danusia ihre entsetzliche Angst verlieren und rascher wieder zu sich selbst kommen, wenn jene beiden ihr nicht mehr nahe sind. Doch wenn Du die Dienerin hinwegführst, was sollen wir ohne die Hilfe eines Weibes beginnen?«

»Ihr werdet doch sicherlich auf Euerem Wege durch die Wälder auf Leute stoßen, oder Flüchtlinge mit ihren Weibern antreffen. Selbst wenn Ihr der ersten besten dieser Frauen die Pflege anvertraut, wird sie sich besser dazu eignen, als diese Schlange. Mittlerweile genügt es, wenn der junge Ritter für die Kranke sorgt.«

»Heute sprichst Du noch verständiger als sonst. Auch das ist wahr. Danusia wird weit eher wieder ihre Sinne erlangen, wenn Zbyszko beständig um sie ist. Ein Vater, eine Mutter kann er für sie sein. Wir sind einig. Wann brichst Du auf?«

»Vor Tagesanbruch. Jetzt aber will ich mich zur Ruhe legen. Mitternacht wird es wohl noch nicht sein.«

»Der große Bär steht, wie ich sagte, schon am Himmel, allein das Dreieck ist noch nicht sichtbar.«

»Gott sei gepriesen, daß endlich ein Entschluß gefaßt ist, denn gar peinlich ist mir die Lage gewesen.«

So sprechend, legte sich Hlawa an das erlöschende Feuer, bedeckte sich mit einem zottigen Felle und schlief gleich darauf fest ein. Tiefe Dunkelheit herrschte noch, als er wieder erwachte, unter dem Felle hervorkroch, nach den Sternen blickte, sich tüchtig streckte und schließlich Macko weckte.

»Es ist Zeit für mich zum Aufbruch,« sagte er.

»Wohin denn, wohin denn?« fragte der alte Ritter noch halb im Schlafe, indem er die Augen mit den Fäusten rieb.

»Nach Spychow.«

»Bei meiner Treu, es ist ja wahr! Wer schnarcht denn so laut neben uns? Ein Toter könnte ja davon erwachen.«

»Der Ritter Arnold. Ich will nur einige Zweige auf die glimmenden Kohlen werfen und mich dann zu den Mannen begeben.«

Kaum hatte Hlawa sich indessen entfernt, so kehrte er raschen Schrittes wieder zurück, indem er schon von weitem so leise wie möglich rief: »Ich bringe Euch schlimme Kunde, o Herr – schlimme Kunde!«

»Was ist geschehen?« fragte Macko aufspringend.

»Die Ordensdienerin ist entflohen. Die zu dem Gefolge gehörenden Leute haben sie mit sich auf ihren Platz bei den Pferden genommen – ein Blitzstrahl treffe sie dafür – und als sie alle in festem Schlaf lagen, ist jene gleich einer Schlange zwischen ihnen hindurchgekrochen und entflohen. Kommt mit mir, o Herr!«

In großer Unruhe eilte Macko mit dem Böhmen zu den Pferden, bei denen sie jedoch nur einen von dem Gefolge antrafen, da die andern die Entflohene suchten – ein thörichtes Unternehmen, im Dickicht, bei finsterer Nacht. Gar bald kamen auch die Leute, gebeugten Hauptes, zurück. Macko verlor keine Worte, sondern schlug mit den Fäusten auf sie ein, dann kehrte er zu dem Feuer zurück, da ihm nichts anderes zu thun übrig blieb.

Schon nach wenigen Minuten kam Zbyszko von seinem Wächterposten vor der Hütte daher. Er hatte nicht schlafen können und wollte hören, was der Lärm zu bedeuten habe. Macko erzählte ihm kurz von seiner Abmachung mit dem Böhmen und von der Flucht der Dienerin.

»Das ist kein allzugroßes Unglück,« bemerkte der junge Ritter. »Entweder kommt sie in den Wäldern vor Hunger um, oder sie wird von dem ersten besten Bauern erschlagen, mit dem sie zusammentrifft, wenn sie nicht schon zuvor die Beute von Wölfen geworden ist. Nur eines beklage ich: daß sie ihrer gerechten Strafe in Spychow entgeht.«

Wenn nun auch Zbyszko bedauerte, daß das schreckliche Weib nicht die ihr gebührende Strafe erhielt, nahm er doch alles andere mit der größten Ruhe auf. Nichts lag ihm ferner, als sich dem Plane des Böhmen in betreff Zygfryds zu widersetzen, denn nur das, was mit Danusia in Zusammenhang stand, war für ihn von Bedeutung. So begann er auch jetzt sofort wieder: »Morgen werde ich sie vor mich auf mein Roß nehmen und in solcher Weise mit ihr die Fahrt zurücklegen.«

»Wie steht es mit ihr, schlummert sie?« fragte Macko.

»Zuweilen wimmert sie ein wenig, allein ich vermag nicht zu sagen, ob sie dies wachend oder schlafend thut. Längst hätte ich mich ihr genähert, wenn ich nicht fürchtete, daß sie erschrecken könnte.«

In diesem Augenblick trat Hlawa zu den Sprechenden und sagte zu Zbyszko gewendet: »Ihr seid schon wieder auf den Beinen, o Herr! Traun, nun ist’s hohe Zeit für mich! Die Pferde stehen bereit und der alte Teufel ist schon an den Sattel gebunden. Bald wird es tagen, denn gar kurze Nächte haben wir jetzt. Gott sei mit Euch, o Herr!«

»Gehe mit Gott und bleibe gesund!«

Der Böhme nahm aber nun Macko bei Seite und sprach: »Ich möchte noch eine ernste Bitte an Euch stellen. Wenn sich irgend etwas Besonderes ereignen sollte – Ihr versteht mich, o Herr – irgend ein Unglücksfall oder wie wir dies nun nennen wollen, dann sendet sofort einen Boten nach Spychow. Sollten wir uns aber nicht mehr daselbst befinden, möge er in größter Eile uns einzuholen suchen.«

»Gut, gut,« entgegnete Macko. »Merke aber auch jetzt auf das, was ich Dir sage. Geleite Jagienka nach Plock. Dort begiebst Du Dich zu dem Bischof, teilst ihm mit, wer die Maid ist, daß sie von dem Abte getauft ward, dessen letzten Willen zu ihren Gunsten er, der Bischof, in Händen habe, und bittest ihn, ihr seinen Schutz angedeihen zu lassen, wie das ja in dem Testamente ausdrücklich gewünscht werde.«

»So uns aber der Bischof befiehlt, in Plock zu bleiben?«

»Gehorche ihm in allen Dingen, folge unbedingt seinem Rate.«

»Ich thue, wie Ihr befehlt, o Herr! Mit Gott!«

»Mit Gott!«

Zweites Kapitel.

Ein kaum merkliches Lächeln umspielte Ritter Arnolds Lippen, als er am nächsten Morgen von der Flucht der Ordensdienerin hörte, allein er sagte das Gleiche wie Zbyszko, daß das Weib entweder von Wölfen überfallen oder von Litauern getötet werde. Dies war auch sehr wahrscheinlich, denn die Bewohner der litauischen Ansiedelungen haßten den Orden und alle, die mit ihm in Verbindung standen. Die Bauern waren teils zu Skirwoillo geflohen, teils hatten sie sich zusammengerottet, hatten da und dort Deutsche erschlagen und sich dann selbst mit ihren Weibern, Kindern und dem Vieh in die undurchdringlichen Wälder gerettet. Alle Nachforschungen, die seit Tagesanbruch nach der Dienerin angestellt wurden, blieben erfolglos, wenn auch vielleicht aus dem Grunde, weil Macko und Zbyszko viel zu sehr von andern Dingen in Anspruch genommen waren, um ihre Befehle mit der nötigen Strenge zu erteilen. Ihnen lag hauptsächlich daran, rasch Masovien zu erreichen, ja, sie hätten sich sogar vor Sonnenaufgang auf den Weg gemacht, wenn Danusia nicht mit Tagesanbruch in tiefen Schlummer gefallen wäre, aus dem Zbyszko sie nicht wecken wollte. Er hatte sie in der Nacht beständig wimmern hören und daraus geschlossen, daß sie nicht schlafe, jetzt aber hoffte er, der Schlummer werde eine wohlthätige Wirkung auf sie ausüben. Zweimal trat er leise in die Hütte und jedesmal bemerkte er bei dem durch die Luken dringenden Sonnenschein, daß Danusia mit geschlossenen Augen, offenem Munde und den geröteten Wangen eines fest schlafenden Kindes dalag. Eine tiefe Rührung überkam ihn. »Gott gebe Dir Ruhe und Gesundheit, Du Holdeste aller Blumen!« flüsterte er ihr unwillkürlich zu, als er das zweite Mal neben seines Weibes Lager stand, »Deine Leiden sind vorbei, Deine Thränen werden versiegen, und der allbarmherzige Herr Jesus wird Dir ein Leben verleihen, das so ruhig dahinfließt, wie die sanften Wellen eines Stromes.« Und kraft seines schlichten, edlen, Gott zugewandten Gemütes fragte sich der junge Ritter: »Wie kann ich meinen Dank erweisen, wie kann ich alles vergelten, was soll ich irgend einer Kirche weihen von meinem Hab und Gut, von meinem Korn, meinem Vieh, von dem Wachse oder von andern ähnlichen, gottgefälligen Dingen?« Gar gern würde er sofort genannt haben, was er opfern wolle, allein dann kam ihm doch auch wieder der Gedanke, er müsse zuerst das Erwachen Danusias abwarten. »Weiß ich denn,« so fragte er sich, »wie es mit ihrer Gesundheit steht, ob sie bei ihrem Erwachen bei klarem Verstande ist, weiß ich denn, ob ich für etwas zu danken haben werde?«

Obgleich Macko der Sicherheit wegen die Lande des Fürsten Janusz so rasch wie möglich erreichen wollte, stimmte er doch auch damit überein, Danusia dürfe nicht aus dem Schlafe erweckt werden, der ihr vielleicht Heilung bringen konnte. Trotzdem sich daher die Mannen bereit halten mußten, trotzdem die Saumrosse zum Aufbruche gerüstet waren, harrte der alte Ritter geduldig aus.

Als indessen Stunde auf Stunde verrann, als die Mittagszeit verstrich und Danusia noch immer schlief, bemächtigte sich aller große Unruhe. Nachdem Zbyszko unaufhörlich durch die Luken und durch die Thüre geschaut hatte, trat er zum dritten Male in die Hütte und setzte sich auf den Pflock, den die Ordensdienerin am vorhergegangenen Abend für sich an das Lager Danusias geschleppt hatte, um diese leichter umkleiden zu können.

Lange saß Zbyszko da und schaute auf die Schlafende, deren Augen fest geschlossen waren. Nach geraumer Zeit indessen – man hätte dazwischen in aller Ruhe ein Vaterunser und ein Ave Maria sagen können – bebten mit einem Male ihre Lippen und gerade als ob sie ihn durch ihre geschlossenen Augenlider sähe, flüsterte sie: »Zbyszko!« – Sofort warf er sich vor ihr auf die Knie, drückte leidenschaftliche Küsse auf ihre abgemagerten Hände und rief in herzzerreißendem Tone: »Danusia! Gelobt sei Gott! Du hast mich erkannt!« Der Laut seiner Stimme brachte sie völlig zu sich. Sie setzte sich auf und wiederholte mit weit geöffneten Augen: »Zbyszko!« Dann blickte sie blinzelnd und voll Staunen umher.

»Du bist frei, Danusia,« erklärte nun Zbyszko, »ich habe Dich den Händen der Feinde entrissen, ich bringe Dich nach Spychow.«

Doch sie entzog ihm ihre Hände und sagte: »Das alles mußte so kommen, weil uns des Vaters Zustimmung gefehlt hat. Wo ist die Herrin?«

»Komme zu Dir, meine süße Blume! Die Fürstin ist weit, weit fort von hier, wir aber haben Dich aus der Gefangenschaft befreit.«

Danusia aber flüsterte nun, gerade als ob sie nichts gehört hätte, wie in Erinnerung verloren, vor sich hin: »Sie haben mir meine Laute genommen, sie haben meine Laute an der Wand zerschellt.«

»Gott! erbarme Dich unser!« rief Zbyszko.

Jetzt erst bemerkte er, wie unstät Danusias Blick war, wie ihre Augen glänzten, ihre Wangen glühten, und sofort schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, sie müsse schwer krank sein, im Fieber habe sie zweimal seinen Namen genannt.

Sein Herz krampfte sich zusammen vor Leid und Schmerz, kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. »Danusia,« hub er von neuem an, »siehst Du mich, verstehst Du mich?«

Sie aber erwiderte in demütig bittendem Tone: »Trinken! … Wasser! …«

»Barmherziger Jesus!«

Aus der Hütte eilend, stieß er mit Macko zusammen, der sich vergewissern wollte, wie es mit Danusia stehe. Er rief ihm nur das Wort »Wasser« zu und rannte an den sich ganz in der Nähe durch Moos und Gestrüpp hinschlängelnden Bach.

Schon nach wenigen Minuten kehrte er mit einem Gefäße voll Wasser zurück, das er Danusia an die Lippen setzte. Sie trank gierig. Tief betrübt beobachtete der inzwischen in die Hütte getretene alte Ritter die Kranke, indem er fragte: »Fiebert sie?«

»Sie fiebert heftig!« entgegnete Zbyszko seufzend.

»Versteht sie, was Du mit ihr sprichst?«

»Nein.«

Macko zog bedenklich die Brauen zusammen, strich sich fortwährend über Stirn und Haupt und fragte: »Was ist nun zu thun?«

»Ich weiß es nicht.«

»Da giebt es nur einen Ausweg!« hub der Ritter abermals an, wurde aber von Danusia unterbrochen, welche, nachdem sie getrunken hatte, ihre fieberglänzenden Augen auf ihn richtete und leise sagte: »Ich habe Euch ja nichts Böses gethan! Habt Erbarmen mit mir!«

»Tiefes Erbarmen fühle ich mit Dir, Kind, und nur für Dein Wohl bin ich bedacht,« antwortete der alte Ritter, sichtlich bewegt. »Höre,« wandte er sich hierauf sofort an Zbyszko, »länger hier zu verweilen hat gar keinen Zweck. Wenn der Wind um sie bläst, wenn die Sonne sie wärmt, wird sie sich vielleicht bald besser fühlen. Verliere den Kopf nicht, Bursche, sondern bette sie entweder auf ihre Tragbahre, oder nimm sie vor Dich auf den Sattel. Dann aber rasch auf den Weg! Verstehst Du mich?«

Nach diesen Worten verließ Macko die Hütte, um noch einige Befehle zu erteilen, allein schon nach wenigen Schritten blieb er wie erstarrt stehen. Eine starke Kriegsschar – mit Hellebarden und Lanzen bewaffnet – stand auf allen vier Seiten der Lichtung aufgepflanzt und umringte gleich einer Mauer die Hütte und die Teerhaufen.

»Deutsche!« murmelte Macko vor sich hin.

Entsetzen erfaßte ihn. Rasch griff er nach seinem Schwerte, biß die Zähne zusammen und stand da, einem wilden Tiere ähnlich, welches, unerwartet von Hunden gestellt, sich zu einer verzweifelten Verteidigung bereit macht. Jetzt kamen auch der riesenhafte Arnold und etliche andere Ritter hinter den Teerhaufen hervor, und unverweilt trat ersterer auf Macko zu.

»Das Glücksrad hat sich gewendet,« sagte er, »ich bin Euer Gefangener gewesen, nun seid Ihr der unsere.«

So sprechend, blickte er mit einem Hochmut auf den alten Ritter, als ob dieser ein weit unter ihm stehendes Wesen sei. Dabei war Arnold kein böser, kein grausamer Mensch, allein er war mit dem allen Kreuzrittern gemeinsamen Fehler behaftet, welche, demütig und nachgiebig im Unglück, weder ihre Verachtung für ihre Gefangenen, noch ihren grenzenlosen Stolz zu bezwingen vermochten, sobald sie eine starke Kriegsmacht hinter sich hatten.

»Ihr seid unser Gefangener,« erklärte er nach kurzem Schweigen abermals.

Der alte Ritter blickte finster darein. Kein zaghaftes, nein, ein ausnehmend tapferes Herz schlug in seiner Brust. Hätte er sich in voller Rüstung und auf seinem Streitrosse dem Feinde gegenüber befunden, wäre Zbyszko ihm nahe gewesen, hätten beide ihre Schwerter, die Streitäxte oder jene mächtigen Speere zur Hand gehabt, welche die Ritter aus Lechien so geschickt zu führen wußten, so würde er vielleicht die Mauer aus Lanzen und Hellebarden zu durchbrechen versucht haben. Denn nicht umsonst hatten fremdländische Ritter bei Wilno den Polen beinahe vorwurfsvoll zugerufen: »Ihr verachtet den Tod allzusehr.« Doch ungewappnet, allein, ohne Streitroß stand Macko vor Arnold. Als er daher sah, daß seine Begleiter entwaffnet und gefangen waren, als er Zbyszkos gedachte, der ohne Wehr und Waffe bei Danusia in der Hütte weilte, begriff er als erfahrener, kriegskundiger Kämpe sofort seine eigene Hilflosigkeit. Langsam zog er sein Schwert aus der Scheide und warf es vor die Füße des Ritters, der mit Arnold zu ihm getreten war. Jener zeigte zwar keinen geringeren Hochmut als Arnold, allein er sprach doch mit einer gewissen Zuvorkommenheit und in gutem Polnisch: »Wie ist Euer Name, o Herr? Wenn Ihr Euer Wort gebt, werde ich nicht befehlen, Euch zu binden, denn wie ich sehe, seid Ihr ein gegürteter Ritter, und Ihr habt meinen Bruder menschlich behandelt.«

»Ich gebe mein Wort!« ließ sich Macko vernehmen.

Rasch nannte er hierauf seinen Namen und fragte, ob es ihm gestattet sei, sich in die Hütte zu begeben. »Ich möchte meinen Bruderssohn vor einer unklugen Handlung warnen,« erklärte er

.

Bald darauf trug Zbyszko auf seinen Armen Danusia aus der Hütte

und verschwand nach erhaltener Erlaubnis in der Hütte, aus der er nach kurzer Zeit, ein Misericordia in der Hand, wieder zurückkehrte.

»Mein Bruderssohn hat nicht einmal ein Schwert bei sich,« sagte Macko, »und er bittet darum, bei seinem Weibe bleiben zu dürfen, bis Ihr von hier aufbrecht.«

»Dies sei ihm gewährt!« erklärte Arnolds Bruder. »Ich werde ihm Trank und Speise zusenden, denn wir machen uns nicht sofort auf den Weg. Die Leute sind ermüdet, und wir selbst bedürfen der Erquickung, der Ruhe. Erfüllt meine Bitte, o Herr, und schließt Euch uns an.«

Nach diesen Worten wandten sich alle dem Feuer zu, an dem Macko die Nacht verbracht hatte – sei es aber nun aus Hoffart oder Stolz, die Kreuzritter gingen voran, Macko mußte ihnen folgen. Doch der alte, in allen Lebenslagen erfahrene Kämpe, welcher die herkömmlichen Sitten genau kannte, fragte sofort: »Habt Ihr, o Herr, mich als Euren Gast oder als Euren Gefangenen betrachtet, als Ihr mich batet, Euch zu folgen?«

Tief beschämt blieb Arnolds Bruder stehen, indem er entgegnete: »Geht voran, o Herr.«

Unverweilt leistete der alte Ritter dieser Aufforderung Folge, da er indessen die Eigenliebe eines Mannes nicht verwunden wollte, in dessen Gewalt er sich befand, bemerkte er: »Offenbar, o Herr, sprecht Ihr nicht nur mehrere Sprachen, sondern kennt auch die höfische Sitte.«

»Wolfgang,« fragte nun Arnold, der nur wenige Worte verstand, »wovon ist die Rede, was sagt er?«

»Was sich für ihn geziemt, das sagt er!« erwiderte Wolfgang, augenscheinlich sehr geschmeichelt von Mackos Worten.

Bald saßen sie um das Feuer vereint, an das Speise und Trank gebracht ward. Die von Macko dem Deutschen erteilte Lehre war nicht in den Wind gesprochen, denn Wolfgang ließ dem alten Ritter alles zuerst reichen. Im Laufe des Gesprächs erfuhr letzterer, auf welche Weise er und Zbyszko ergriffen worden waren. Wolfgang, ein jüngerer Bruder Arnolds, sollte das Czluchowsche Fußvolk nach Gotteswerder, also demnach gegen die aufrührerischen Samogitier führen. Da er indessen von einer weit entfernten Komturei kam, war es ihm nicht gelungen, sich an dem dazu bestimmten Platze mit der Reiterei zu vereinigen. Arnold hatte auch nicht auf ihn gewartet, konnte er doch darauf rechnen, auf seinem Wege mit andern Abteilungen Fußvolkes aus den an der litauischen Grenze gelegenen Plätzen und Burgen zusammenzutreffen. Der jüngere Bruder, der einige Tage länger zur Zurücklegung seines Marsches bedurft hatte, gelangte gerade zu der Zeit in der Nähe der Waldlichtung an, als die Ordensdienerin sich auf der Flucht befand und ihn von dem Mißgeschick in Kenntnis setzte, von dem Arnold betroffen worden war. Dieser bat, jetzt auch ihm alles auf Deutsch zu wiederholen, dann lachte er befriedigt auf, indem er erklärte, auf einen solchen Ausgang habe er gehofft.

Der schlaue Macko aber, der, wenn er sich auch in einer Klemme befand, stets darauf ausging, seinen Vorteil zu wahren, suchte die beiden Deutschen für sich zu gewinnen und sprach also: »Schlimm ist es für einen jeden, in Gefangenschaft zu fallen, doch ich danke Gott, daß er mich in Eure und nicht in andere Hände gegeben hat, denn wahrlich, Ihr seid echte Ritter, Ihr haltet auf Ehre.«

Wohl drückte Wolfgang die Augen zu und schüttelte abwehrend das Haupt, doch auf seinem Antlitz spiegelte sich hohe Zufriedenheit. Und Macko hub von neuem an: »Wie gut Ihr auch unsere Sprache kennt! Gott hat Euch, das sehe ich, für alles Verstand verliehen.«

»Ich spreche Eure Sprache, weil man in Czluchow Polnisch redet, und seit sieben Jahren dienen der Bruder und ich dort unter dem Komtur.«

»Und mit der Zeit, in nicht gar zu langer Zeit, geht dessen Würde auf Euch über. Es kann nicht anders sein. Doch Euer Bruder spricht unsere Sprache nicht, wie Ihr sie sprecht.«

»Er spricht sie nicht, verstehen aber kann er gar manches. An Kraft und Stärke ist mir der Bruder weit überlegen, obgleich ich selbst kein Schwächling bin, an Verstand und Klugheit aber kommt er mir nicht gleich.«

»Hei, durchaus nicht thöricht scheint er mir zu sein!« erklärte jetzt Macko.

»Wolfgang, was sagt er?« fragte Arnold abermals.

»Dein Lob verkündet er,« antwortete Wolfgang.

»Ich preise ihn,« ergriff Macko von neuem das Wort, »denn er ist ein echter Ritter, und das ist die Hauptsache. Ihr dürft mir glauben, noch heute wollte ich ihn auf sein Wort hin freilassen und ihm gestatten, an irgend einen Ort nach seiner Wahl, ja, selbst so weit in die Ferne zu ziehen, daß zu seiner Rückkehr ein Jahr erforderlich wäre. So müßten alle gegürteten Ritter handeln.«

Bei diesen Worten blickte Macko prüfend auf Wolfgang, dieser aber runzelte die Stirn und sagte: »Ich würde Euch vielleicht auch auf Euer Wort freilassen, wenn Ihr nicht den Heidenhunden gegen uns geholfen hättet.«

»Darin täuscht Ihr Euch,« entgegnete Macko.

Und abermals entspann sich ein heftiger Wortwechsel, wie am Tage zuvor mit Arnold. Obgleich nun das Recht auf der Seite Mackos war, hatte er doch dem seinem älteren Bruder an Klugheit überlegenen Wolfgang gegenüber einen sehr schweren Stand. Die Auseinandersetzungen hatten indessen den Vorteil, daß auch der jüngere Bruder von den in Szczytno verübten Schandtaten Kunde erhielt, daß er von der meineidigen Verräterei, von dem unglückseligen Geschick Danusias hörte. Kein Wort der Erwiderung fand er, als ihm der alte Ritter die begangenen Nichtswürdigkeiten enthüllte. Wie sehr er sich auch anfänglich dagegen sträubte, er mußte schließlich die gerechte Sache seiner Feinde anerkennen, er mußte zugestehen, daß die polnischen Ritter allen Grund hatten, Rache zu üben, so zu handeln, wie sie handelten.

»Bei den heiligen Gebeinen des Liborius,« erklärte daher Wolfgang, »ich hege kein Mitleid mit Danveld. Man sagte von ihm, er habe sich der Schwarzkunst ergeben, allein die Macht und die Gerechtigkeit Gottes sind gewaltiger als die schwarze Magie! Zygfryd ist vielleicht auch ein Knecht des Teufels, ich vermag keine Entscheidung darüber zu treffen. Zu seiner Befreiung unternehme ich jedoch nichts, denn erstens untersteht mir die Reiterei nicht, und zweitens soll er in die Hölle kommen, wenn er, wie Ihr behauptet, jenes Mägdlein gemartert hat. Gott stehe mir bei, jetzt und in meiner Todesstunde!« fügte er, sich streckend und dehnend, hinzu.

»Wie ist es aber mit jener unglücklichen Märtyrerin? Was soll mit ihr geschehen?« fragte Macko. »Wollt Ihr nicht die Erlaubnis erteilen, daß sie nach Spychow gebracht werde? Wenn sie in Euren Kerkern stürbe? denkt an den Zorn Gottes!«

»Macht mit dem Weibe, was Ihr wollt!« antwortete Wolfgang kurz, »Möge einer von Euch es zu seinem Vater bringen, wenn er sich verpflichtet, wieder zurückzukehren. Euch beide gebe ich aber nicht frei.«

»Wenn ich aber, traun, auf meine Ehre, auf den Speer des heiligen Georg schwöre?«

Wolfgang schaute unschlüssig darein, denn ein solcher Schwur war von großer Bedeutung, allein in diesem Augenblicke fragte ihn Arnold zum drittenmale: »Was sagt der alte Ritter?«

Kaum vernahm jener jedoch, um was es sich handelte, so widersetzte er sich leidenschaftlich und entschieden der Freilassung beider Ritter, durch deren Gefangennahme er für sich selbst Rettung erhoffte. In einer großen Schlacht hatte ihn Skirwoillo besiegt, im Kampfe mit den polnischen Rittern war er unterlegen. Als Krieger wußte er ganz genau, daß sein Bruder das Fußvolk nach Marienburg zurückführen mußte, denn wenn dieser den Marsch nach Gotteswerder fortsetzte, so wäre eine solche That nach der Vernichtung der vorangezogenen Heerschar gleichbedeutend mit der Hinschlachtung der Mannen gewesen. Arnold war sich folglich ganz klar darüber, daß er sich vor dem Großmeister und dem Marschall zu verantworten haben werde, konnte er aber wenigstens einen namhaften Gefangenen aufweisen, dann, so glaubte er, werde sein Urteil milder ausfallen. Was sollte es ihm aber nützen, von zwei Gefangenen zu erzählen, wenn er nicht einmal einen gefangenen Ritter vorführen konnte?

Als Macko das wilde Geschrei, die lauten Flüche Arnolds vernahm, begriff er sofort, daß er sich mit dem zufrieden geben müsse, was ihm angeboten worden war, und so sagte er zu Wolfgang gewendet: »Ich bitte Euch noch um eines, o Herr! Wohl wird mein Bruderssohn einsehen, was ihm obliegt, dessen bin ich gewiß. Er muß bei seinem Weibe bleiben und ich bei Euch. Nichtsdestoweniger erlaubt mir, ihm darzuthun, daß jede Verhandlung darüber unnütz ist, weil Euer Entschluß feststeht.«

»Gut, damit bin ich einverstanden,« erklärte Wolfgang. »Vor allem ist mir jedoch an der Festsetzung des Lösegeldes gelegen, das Euer Bruderssohn für sich und für Euch mitbringen soll, darauf kommt es besonders an.«

»Auf das Lösegeld?« fragte Macko, bestrebt diese Besprechung hinauszuschieben. »Haben wir denn nicht genug Zeit vor uns, um uns darüber zu verständigen? Das Wort eines gegürteten Ritters gilt meines Erachtens so viel wie Geld, und was die Höhe des Lösegeldes anbelangt, so müssen wir dies mit unserm Gewissen abmachen. Vor Gotteswerder machten wir einen Eurer namhaftesten Ritter zum Gefangenen, einen gewissen Herrn de Lorche, und mein Bruderssohn, der ihn selbst gefangen genommen hat, gab ihm auf sein Wort die Freiheit wieder und erwähnte nicht einmal den Betrag des Lösegeldes.«

»Nahmt Ihr Herrn de Lorche gefangen?« fragte Wolfgang eifrig. »Ich kenne ihn. Er ist ein reicher, angesehener Ritter. Doch wieso sind wir nicht mit ihm zusammengetroffen?«

»Weil er augenscheinlich gen Gotteswerder oder gen Ragneta gezogen ist,« entgegnete Macko.

»Ja, er stammt aus einer reichen, angesehenen Familie,« ergriff Wolfgang von neuem das Wort. »Da habt Ihr einen guten Fang gethan. Gern höre ich dies, denn nicht für das erste Beste werde ich Euch nun freilassen.«

Macko biß sich auf die Lippen, warf aber trotzdem stolz den Kopf zurück und sagte: »Wir wissen ganz genau selbst, was wir wert sind.«

»Um so besser,« antwortete Wolfgang von Baden.

Gleich darauf fügte er indessen hinzu: »Um so besser! Ich spreche hier freilich nicht von uns, denn wir sind demütige Mönche, welche Armut gelobt haben, ich spreche von dem Orden, der Euer Geld zum Ruhme Gottes verwenden wird.«

Darauf erteilte Macko keine Antwort. Er warf Wolfgang nur einen Blick zu, wie wenn er sagen wolle: »Rede dies jemand anderem vor«, und unverweilt begann man über die Bedingungen zu beraten. Der alte Ritter befand sich in einer äußerst schwierigen Lage. Einerseits scheute er jeden Verlust, andererseits wollte er weder Zbyszko noch sich selbst zu gering schätzen lassen. Seine Furcht, den kürzeren zu ziehen, war um so berechtigter, als Wolfgang, trotz seines zuvorkommenden Wesens, sich höchst geldgierig und hartherzig erwies. Der einzige Trost für Macko war der Gedanke, daß das Lösegeld von de Lorche für alles hinreichen werde, allein gleichzeitig schmerzte ihn auch die vergebliche Hoffnung auf Gewinn. Auf ein Lösegeld für Zygfryd durfte er nicht rechnen, denn seiner Ansicht nach verzichtete weder Jurand noch Zbyszko um irgend welchen Preis auf das Recht, das Urteil über den alten Komtur zu fällen.

Erst nach längerer Beratung wurde eine Einigung über die Höhe des Lösegeldes und über den Zeitpunkt der Auszahlung erzielt, kaum hatte sich jedoch der alte Ritter vergewissert, wie viele Mannen und wie viele Pferde Zbyszko mit sich nehmen dürfe, so eilte er zu diesem, um ihn, wohl aus Furcht, die Deutschen könnten wieder andern Sinnes werden, zu einem sofortigen Aufbruch zu veranlassen.

»So geht es eben im Ritterstande,« bemerkte er seufzend, »gestern hattest Du sie beim Schopfe, heute haben sie Dich. Bei meiner Treu, gar schwer wird’s uns gemacht, doch Gott gebe, daß auch wir wieder einmal an die Reihe kommen. Du darfst jetzt keine Zeit verlieren. Wenn Du Dich beeilst, wirst Du Hlawa einholen, und in größerer Sicherheit werdet Ihr gemeinsam dahinziehen. Habt Ihr aber erst die Wälder hinter Euch, habt Ihr die bewohnten Gefilde Masoviens erreicht, dann werdet Ihr bei jedem Edelmann, bei jedem Bauernvogt gastliche Aufnahme und Unterstützung finden. Selbst einem Fremden gewährt man bei uns Hilfe, gewiß also einem der Unsrigen! Vielleicht wird auch dies arme Weib auf der Fahrt Heilung finden.«

So sprechend, schaute er auf Danusia, die, wie in einem Halbschlafe befangen, laut und rasch atmete. Ihre auf dem dunkeln Bärenfelle ruhenden Hände zitterten wie im Fieber. Macko machte das Zeichen des Kreuzes über sie und sagte: »Hei, nimm sie und mache Dich auf den Weg! Möge ihr Gott gnädig sein, denn wie mich dünkt, schweben die Schatten des Todes über ihr.«

»Sprecht dies nicht aus!« schrie Zbyszko verzweifelt auf.

»Gott ist allmächtig! Ich werde die Pferde satteln lassen. Halte Dich also bereit.«

Aus der Hütte tretend, beeilte sich Macko, alles für die Fahrt vorzubereiten. Die Zbyszko von Zawisza geschenkten Türken führten die Pferde vor, an deren Sattel die Tragbahre befestigt war, und Wit, einer der Mannen aus des jungen Ritters Gefolge, brachte dessen aufgezäumtes Roß herbei.

Bald darauf trug Zbyszko auf seinen Armen Danusia aus der Hütte. Dieser Anblick war ein so rührender, daß Arnold und Wolfgang von Baden, die, von Neugierde getrieben, herzugekommen waren, sich wechselseitig bedeutsam anschauten und von Ingrimm gegen die Urheber eines solchen Jammers erfaßt wurden, als sie Danusia sahen mit ihrer kindlichen Gestalt, ihrem Gesichte, das dem Antlitz einer Heiligen auf irgend einem Kirchenbilde glich, als sie die Schwäche der Beklagenswerten bemerkten, deren Köpfchen schwer auf Zbyszkos Schulter ruhte. »Das Herz eines Henkersknechtes, nicht das eines Ritters hat Zygfryd,« flüsterte Wolfgang dem Bruder zu, »und wenn auch jenes verruchte Weib, jene Schlange, zu Deiner Rettung beigetragen hat, werde ich sie doch mit Ruten auspeitschen lassen.« Beide waren auch tief bewegt davon, daß Zbyszko sein Weib auf den Armen trug, wie eine Mutter ihr Kind trägt, und sie hatten Verständnis für seine große Liebe, denn jugendfrisches Blut floß in ihren Adern.

Zbyszko stand eine Weile zögernd da. Er wußte nicht recht, ob er sein krankes Weib vor sich auf den Sattel nehmen, oder ob er es auf die Tragbahre niederlegen solle. Schließlich entschied er sich für das letztere, von dem Gedanken ausgehend, Danusia könne nur bei äußerster Schonung die Fahrt überstehen. Rasch näherte er sich hierauf seinem Ohm und beugte sich nieder, um dessen Hand zum Abschied zu küssen. Obwohl nun Macko vor den Deutschen gern seine Erregung verborgen hätte, vermochte er sich doch nicht zu bezwingen, sondern nahm Zbyszko in seine Arme und preßte seine Lippen auf dessen üppige goldblonde Haare.

»Gott sei mit Dir!« sagte er. »Vergiß nicht des alten Mannes, denn Gefangenschaft ist ein gar hartes Los.«

»Ich werde Euer stets gedenken,« antwortete Zbyszko.

»Möge Dir die heilige Mutter Gottes Trost gewähren.«

»Gott lohne Euch für diese Worte, und für alles, was Ihr mir gethan.«

Schon nach wenigen Minuten saß Zbyszko zu Pferde. Dem alten Ritter schien aber ein neuer Gedanke gekommen zu sein, denn er sprang auf seinen Bruderssohn zu, und, seine Hand auf dessen Knie legend, sagte er: »Höre! Wenn Du Hlawa einholst, siehe zu, daß Du Dich Zygfryd gegenüber im Zaume hältst, damit Du nicht auf Dich, damit Du nicht auf meine grauen Haare Schande häufst. Jurand mag richten – ihm überlasse die Rache! Schwöre mir dies auf Dein Schwert und auf Deine Ehre.«

»So lange Ihr nicht frei seid, darf auch Jurand nicht gegen Zygfryd vorgehen, damit sich die Deutschen, Zygfryds wegen, nicht an Euch rächen,« entgegnete Zbyszko.

»Liegt Dir mein Geschick so sehr am Herzen?«

Da lächelte der junge Ritter traurig und meinte: »Ihr solltet mich doch kennen!«

»Zögere nicht mehr, ziehe mit Gott und in Gesundheit dahin.«

Die Pferde setzten sich in Bewegung, und bald waren alle hinter dem dichten Gestrüppe des Waldes verschwunden. Mit einem qualvollen Gefühle der Vereinsamung blieb Macko zurück, hing er doch mit allen Fibern des Herzens an seinem Bruderssohn, auf dem das Geschick des ganzen Geschlechtes beruhte. Allein bald überwand er seinen Kummer, bald ward er wieder Herr seiner selbst.

»Gott sei gepriesen, daß nicht Zbyszko, sondern ich der Gefangene bin,« dachte er bei sich, und sich zu den Deutschen wendend, fragte er: »Und wann gedenkt Ihr aufzubrechen, Ihr Herren, und wohin wollt Ihr Euch wenden?«

»Wir brechen auf, wann es uns beliebt,« antwortete Wolfgang, »und wir ziehen nach Marienburg, wo Ihr, o Herr, Euch zunächst vor dem Großmeister zu verantworten haben werdet.«

»Hei, ich muß wohl mit meinem Kopfe dafür büßen, daß ich den Samogitiern beigestanden habe,« sagte sich Macko.

Dabei gewährte ihm aber ebensowohl der Gedanke an de Lorche einigen Trost, wie die Ueberzeugung, daß ihn Arnold und Wolfgang von Baden schon allein wegen des Lösegeldes schützen würden.

»Doch traun, wenn ich zu Grunde gehe,« dachte der alte Kämpe bei sich, »dann fällt für Zbyszko die Verpflichtung hinweg, sich wieder zu stellen, sich selbst an seinem Eigentum zu schädigen.«

Und auch dieses Erwägen verursachte ihm eine gewisse Erleichterung.

Drittes Kapitel.

Zbyszko vermochte seinen Knappen nicht einzuholen, denn Hlawa gönnte sich weder Tag noch Nacht Ruhe und rastete nur so lange, als es unbedingt nötig war, damit die Pferde nicht verendeten, welche dadurch, daß sie nur Gras zu fressen bekamen, immer kraftloser wurden und nicht so rasch vorwärts zu kommen vermochten, wie in den Gebieten, in denen sie mit Hafer gefüttert werden konnten. Ebensowenig aber, wie der Böhme sich selbst schonte, ebensowenig nahm er Rücksicht auf das vorgerückte Alter oder auf den Schwächezustand Zygfryds. Der bejahrte Kreuzritter litt entsetzlich, denn der gewaltige Macko hatte ihm bei dem Ueberfalle gehörig zugesetzt. Am meisten peinigten ihn aber die in den sumpfigen Wäldern schwärmenden Fliegen, deren er sich nicht zu erwehren vermochte, da seine Hände gefesselt und seine Beine unter dem Bauche des Pferdes festgebunden waren. Der Knappe erdachte freilich keine neue Marter für ihn, allein jedes Mitleid für Zygfryd fehlte ihm, und er ließ dessen Rechte nur dann von den Banden befreien, wenn zur Essenszeit Halt gemacht ward. »Friß mit Deinem Wolfsmaul, damit ich Dich lebendig zu dem Gebieter von Spychow bringen kann,« so lauteten die Worte, mit denen Hlawa den Kreuzritter zum Essen zu ermuntern pflegte. Gleich bei Beginn der Fahrt hatte Zygfryd sich entschlossen, den Hungertod zu sterben, als jedoch der Böhme erklärte, er werde ihm die Zähne mit einem Messer auseinander brechen und ihm mit Gewalt Nahrung zuführen lassen, da gab der Komtur den Vorsatz auf, damit in ihm nicht die ritterliche Ehre, die Würde des Ordens beschimpft werde.

Hlawa setzte alles daran, vor dem jungen Ritter nach Spychow zu gelangen, wollte er doch seine angebetete Herrin vor dem für sie peinlichen Zusammentreffen mit Danusia bewahren. Wenn er auch nur ein schlichter Edelmann war, begriff er bei seiner Klugheit und bei seiner Kenntnis der ritterlichen Sitte gleichwohl, wie demütigend für Jagienka ein Zusammensein mit Zbyszkos Weib in Spychow sein müsse. »Wir können ja dem Bischof aus Plock sagen, der alte Ritter aus Bogdaniec sei als Schützer des Mägdleins bestellt worden und habe es deshalb mit sich genommen, verlautet es aber erst, die Herrin stehe unter der Obhut des Bischofs und es falle ihr außer Zgorzelic auch noch von seiten des Abtes eine beträchtliche Erbschaft zu, dann wird wohl selbst eines Wojwoden Sohn sich nicht zu hoch für sie dünken.« Diese Erwägung gewährte ihm immerhin etwas Trost auf der beschwerlichen, langen Fahrt und schwächte die ihn quälende Empfindung einigermaßen ab, daß die frohe Kunde, welche er nach Spychow bringen solle, für seine Herrin Unheil bedeute.

Und wenn er dann auch gar noch die Tochter der Sieciechowa im Geiste vor sich sah, wenn er sie vor sich sah mit Wangen so rot wie ein Apfel, dann drückte er die Sporen in die Flanken seines Rosses und trieb es selbst auf dem unwegsamsten Pfade zur Eile an.

Aufs Geratewohl, auf dem ersten besten Wege rückten sie vor, manchmal ging’s auch mitten durch den Wald, immer vorwärts, immer geradeaus, wie der Strich beim Mähen mit der Sichel. Der Böhme wußte nur, daß wenn er sich stets einmal ein wenig westlich und dann wieder ein wenig südlich halte, er schließlich Masovien erreichen werde, und daß sich dann alles zum Guten gestalten müsse. Tagsüber richtete er sich nach dem Stande der Sonne, des Nachts sah er nach den Sternen. Zuweilen dünkte ihn, die Waldwildnis nehme kein Ende, habe keine Grenzen. Die Tage waren häufig so düster, daß sie den Nächten glichen. Mehr als einmal sagte sich Hlawa, der junge Ritter könne unmöglich sein Weib lebend durch diese menschenleere Wildnis bringen, wo nirgends Nahrung zu finden war, wo man des Nachts die Pferde vor Bären und Wölfen schützen mußte, wo man bei Tage von Büffel- und Bison-Herden vom Wege vertrieben ward, wo grausenerregende wilde Eber ihre krummen Hauer an Fichtenstämmen wetzten, und wo ein jeder, welcher nicht durch einen Pfeilschuß oder durch einen Speerstoß ein gesprenkeltes Rehkalb oder ein junges Wildschwein erlegte, auf Tage hinaus ohne Speise blieb.

»Was wird er beginnen?« fragte sich Hlawa. »Wie kann er mit dem zu Tode gemarterten, in den letzten Zügen liegenden Weibe die Fahrt vollenden?«

Immer von neuem mußte der Böhme mit seinen Begleitern breite Moräste oder tiefe Schluchten umreiten, aus denen wilde, durch die heftigen Frühjahrsregen angeschwollene Bäche hervorschossen. In diesen Wäldern mangelte es auch nicht an Seen, auf denen bei Sonnenuntergang ganze Rudel von Elentieren und Rehen auf dem rötlich gefärbten, stillen Gewässer umherschwammen. Zeitweise bemerkte Hlawa auch aufsteigenden Rauch, ein Zeichen, daß er sich nicht weit von menschlichen Behausungen befinden konnte. Sobald er sich indessen diesen Waldansiedelungen nähern wollte, stürzten ihm wildaussehende Mannen entgegen, die Felle auf dem bloßen Leib trugen, mit Bogen und Keulen bewaffnet waren und unter den zottigen Pelzen so drohend hervorschauten, daß sie Wärwölfen glichen, und daß die Begleiter Hlawas, das Staunen jener über den unerwarteten Anblick der Reiter benutzend, es sich angelegen sein ließen, so rasch wie möglich aus deren Bereich zu kommen.

Zweimal zischten die Pfeile dicht hinter dem Böhmen und immer wieder tönte der Ruf an sein Ohr »Wokili« (Deutsche), doch er zog die Flucht jeder Erklärung vor, wer er sei. Endlich, nach Verlauf vieler, vieler Tage glaubte er die Grenze überschritten zu haben, aber erst durch polnisch sprechende Jäger erhielt er die Gewißheit, daß er sich auf masovischer Erde befand.

Von jetzt an kam er rascher vorwärts, trotzdem das ganze östliche Masovien eine Wüstenei war. Bewohnte Plätze blieben auch nun eine Seltenheit, allein erreichte Hlawa da und dort eine Ansiedelung, so zeigten sich die Bewohner durchaus nicht unzugänglich – einesteils vielleicht deshalb, weil sie weniger von dem Feinde gelitten hatten, andernteils wohl aus dem Grunde, weil der Böhme sich ihnen verständlich machen konnte. Lästig fiel nur die unersättliche Neugierde der Leute, welche, die Reiter umringend, mit Fragen nicht müde wurden und stets, sobald sie erfuhren, daß der Gefangene ein Kreuzritter sei, zu sagen pflegten: »Ueberlaßt ihn uns, o Herr, wir wollen die Strafe an ihm vollziehen.«

Und so hartnäckig bestanden sie auf ihrem Verlangen, daß der Böhme häufig aufbegehren mußte und sich zu der Erklärung genötigt sah, er überbringe den Gefangenen dem Fürsten Janusz. Erst dann wurde er nicht weiter bedrängt. Kaum gelangte er indessen in eine bewohntere Gegend, so hatte er sich gegen Edelleute und Bauern zu wehren. Der Haß gegen den Orden loderte dort in hellen Flammen auf, denn allenthalben wurde die Erinnerung an die Treulosigkeit der Kreuzritter wach, welche in Friedenszeiten den Fürsten in Zlotorya überfallen und ihn zum Gefangenen gemacht hatten. Wohl verlangte keiner, die Strafe an Zygfryd vollziehen zu dürfen, allein der oder jener kühne Edelmann meinte: »Löst ihn von seinen Fesseln. Ich will ihm ein Schwert geben und ihn auf Tod und Leben in die Schranken fordern.« Einem jeden suchte daher der Böhme immer von neuem die Ueberzeugung beizubringen, die Rache müsse dem unglücklichen Gebieter von Spychow überlassen werden, keinem Menschen stehe es zu, Jurand dieses Rechtes zu berauben.

Die Fahrt ging indessen jetzt leichter von statten, kam man doch auf gebahntere Wege und konnten die Pferde doch mit Hafer und Gerste gefüttert werden. Hlawa trieb auch zu immer größerer Eile an, es wurde kaum irgendwo Halt gemacht, und zehn Tage vor dem Fronleichnamsfeste ward Spychow erreicht.

Gegen Abend langte der Böhme an seinem Ziele an, gerade wie einst, als ihn Macko von Szczytno aus mit der Kunde zurückgeschickt hatte, daß er, der alte Ritter, nach Samogitien ziehe, und gerade wie damals erschaute Jagienka den Knappen von ihrem Fenster aus und stürzte ihm entgegen. Er aber, geraume Zeit unfähig, ein Wort hervorzubringen, warf sich ihr zu Füßen. Allein sie hob ihn rasch empor und gebot ihm, ihr unverweilt in die Burg zu folgen, denn es widerstrebte ihr, ihn vor seinen Begleitern auszufragen.

»Was hast Du Neues zu berichten?« begann sie dann sofort, mühsam Atem holend und vor Erregung zitternd. »Sind sie am Leben, sind sie gesund?«

»Sie sind am Leben und sind gesund.«

»Und jene – hat man sie gefunden?«

»Sie ist gefunden – sie ist befreit.«

»Gelobt sei Jesus Christus!«

Allein trotz dieser Worte nahmen Jagienkas Gesichtszüge plötzlich einen völlig starren Ausdruck an, zerfiel doch das, was sie erhofft hatte, in Staub und Asche. Nichtsdestoweniger hielt sie sich aufrecht, verlor sie keinen Augenblick die Geistesgegenwart, ja, schon nach wenigen Minuten hatte sie wieder vollständig die Herrschaft über sich gewonnen und fragte abermals: »Wann werden sie hier eintreffen?«

»In einigen Tagen. Es ist schwer, eine solche Fahrt mit einem kranken Weibe zurückzulegen.«

»Ist sie krank?«

»Sie ist gar grausam behandelt worden. Durch all das, was sie erduldete, hat ihr Geist gelitten.«

»Barmherziger Jesus!«

Ein kurzes Schweigen trat nun ein, nur Jagienkas bleiche Lippen bewegten sich wie im Gebete. Endlich hub letztere von neuem an: »Und kam sie durch Zbyszkos Anwesenheit nicht wieder zum Bewußtsein?«

»Das mag wohl sein, doch ich weiß darüber nichts. Ich machte mich so rasch wie möglich auf den Weg, denn ich wollte Euch, o meine Herrin, rechtzeitig von der Ankunft des jungen Ritters mit seinem Weibe unterrichten.«

»Gott lohne Dir. Erzähle mir jetzt alles genau.«

In kurzen Worten berichtete nun der Böhme alles, was er über die Befreiung Danusias, über die Gefangennahme des riesenhaften Arnold und Zygfryds wußte und erklärte schließlich, er habe Zygfryd nur deshalb nach Spychow gebracht, weil der junge Ritter diesen der Rache Jurands überlassen wolle.

»Ich muß mich jetzt zu Jurand begeben,« bemerkte Jagienka, nachdem Hlawa zu Ende gekommen war.

Doch der Knappe blieb nicht lange allein. Kaum hatte sich Jagienka entfernt, so kam Anielka aus einem der Gelasse zu ihm herbeigestürzt, und er, sei es nun, daß er durch die erlittenen Beschwerden und Mühseligkeiten nicht mehr Herr seiner selbst blieb, sei es, daß ihn die Sehnsucht beim Anblick der Maid übermannte, genug, er umfaßte sie, preßte sie an seine Brust und küßte sie in einer Weise auf Wangen, Lippen und Augen, als ob er ihr schon längst seine Liebe gestanden hätte.

Vielleicht hatte er dies auch im Geiste auf seiner langen Fahrt gethan, denn er küßte sie ohne Unterlaß, er preßte sie mit solcher Macht an sich, daß ihr der Atem zu stocken drohte; sie aber wehrte sich nicht, ward sie doch nicht nur von Staunen, sondern auch von einer solchen Schwäche ergriffen, daß sie zu Boden gestürzt wäre, wenn weniger kraftvolle Arme sie umschlungen gehalten hätten. Zum Glücke wurden sie aber bald wieder aus ihrer Weltvergessenheit gerissen, denn von der Treppe her ertönten Schritte, und gleich darauf trat Pater Kaleb über die Schwelle.

Die Liebenden trennten sich rasch. Schwer atmend, vermochte Hlawa kaum zu sprechen und all die Fragen zu beantworten, mit denen Pater Kaleb ihn bestürmte, letzterer jedoch glaubte, die Erregung des Böhmen auf die überstandenen Strapazen zurückführen zu müssen, und kaum hatte er die Bestätigung der Kunde erhalten, daß Danusia gefunden und befreit sei, so fiel er auf die Knie nieder, um Gott dafür zu danken. Inzwischen kühlte sich das erhitzte Blut Hlawas wieder etwas ab, und er vermochte sich so weit zu beherrschen, daß er dem sich von seinen Knien erhebenden Priester ruhig und ausführlich die Errettung Danusias schildern konnte.

»Gott errettete sie nicht deshalb aus der Gefahr,« ergriff schließlich der Priester das Wort, »damit ihr Geist umnachtet, damit sie dunkeln Mächten anheimgegeben bleibe. Jurand wird seine gesegneten Hände auf sie legen und mittelst eines einzigen Gebetes ihr Gesunden, ihre Geistesklarheit erflehen.«

»Der Ritter Jurand?« fragte der Böhme voll Staunen. »Steht ihm eine solche Kraft zu? Kann er denn schon hienieden heilig gesprochen werden?«

»Vor Gott dem Herrn ist er jetzt schon, während seines Lebens, ein Heiliger, und nach seinem Tode werden die Menschen einen Schutzheiligen – einen Märtyrer mehr im Himmel haben.«

»Ihr sagtet aber, ehrwürdiger Vater, der Gebieter von Spychow werde seine Hände auf das Haupt der Tochter legen. Ist ihm die Rechte wieder gewachsen? Ich weiß ja, daß Ihr diese Bitte an den Herrn Jesus gerichtet habt.«

»Ich sagte ›die Hände‹, weil dies so gebräuchlich ist,« antwortete Pater Kaleb, »doch, durch die göttliche Gnade, genügt auch eine Hand Jurands.«

»Sicherlich!« entgegnete Hlawa.

In dem Ton seiner Stimme kennzeichnete sich indessen eine gewisse Enttäuschung, hatte er doch geglaubt, ein sichtbares Wunder habe sich ereignet. Jede weitere Bemerkung seinerseits wurde aber durch den Eintritt Jagienkas vereitelt.

»Ich habe ihm die Kunde so behutsam wie möglich mitgeteilt,« erklärte sie, »damit ihn die plötzliche Freude nicht töte. Nun liegt er mit ausgebreiteten Armen, in Kreuzesform, auf der Erde und betet.«

»Auch sonst liegt er ganze Nächte hindurch auf solche Weise im Gebete,« bemerkte Pater Kaleb, »jetzt wird er sich aber wohl kaum vor dem morgigen Tage erheben.«

Und so geschah es in der That. Wie oft man auch nach Jurand schaute, stets fand man ihn in der gleichen Stellung liegend, nicht schlafend, nein, tief in sein Gebet versenkt, alles um sich her vergessend. Der Wächter, welcher von der Burgwarte aus das Land umher überschaute und, der Gewohnheit gemäß, über Spychow wachte, erklärte späterhin, er habe in jener Nacht eine gar seltsame, glänzende Helle in dem Gemache seines Gebieters wahrgenommen.

Erst am nächsten Morgen, geraume Zeit nach der Mette, bedeutete Jurand der abermals nach ihm schauenden Jagienka, daß man Hlawa, sowie den Gefangenen vor ihn bringen solle. Sofort wurde Zygfryd, dessen Hände kreuzweise auf seiner Brust zusammengebunden waren, aus dem Kerker geholt und zu Jurand geführt, zu dem sich nun auch alle andern, mit Tolima an der Spitze, eilig begaben.

Im ersten Augenblick konnte der Böhme den Gebieter von Spychow nicht wahrnehmen, denn abgesehen davon, daß die aus ölgetränktem Papier bestehenden Fenster wenig Licht einließen, war auch der Tag sehr trübe, da schwere, einen nahen Sturm verkündende Wolken am Himmel hingen. Kaum hatten sich indessen seine scharfen Augen an die Dunkelheit gewöhnt, so staunte er über die abermalige Veränderung, die mit dem ehemals schreckenerregenden Ritter vorgegangen war. Nichts mehr an ihm erinnerte an den früheren Hünen, ein zum Skelett abgemagerter Greis saß vor ihm, mit schneeweißem Haupt- und Barthaar und mit solch bleichem Antlitz, daß er einem Toten glich, als er sich, mit geschlossenen Augenlidern, in seinen Armstuhl zurücklehnte.

Auf einem neben seinem Armstuhl stehenden Tisch befanden sich ein Kruzifix, ein Krug Wasser und ein Laib Schwarzbrot, in welch letzterem ein Misericordia stak, jener Dolch, mit dem die Ritter den Verwundeten den Gnadenstoß zu erteilen pflegten. Schon geraume Zeit hindurch nahm Jurand nichts anderes als Wasser und Brot zu sich. Ein grobes, härenes, mit einem Strohseil gegürtetes Bußhemd, das er auf dem bloßen Leibe trug, diente ihm zur Kleidung. Auf solche Weise lebte nun der einst so gewaltige und gefürchtete Gebieter von Spychow seit seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft aus Szczytno. – Nachdem der durch die Eintretenden verursachte Lärm verstummt war, schob Jurand die zahme Wölfin hinweg, welche seine bloßen Füße wärmte, und richtete sich in dem Lehnstuhle auf. Ein Augenblick der höchsten Erwartung trat ein, glaubten doch alle Anwesenden, er werde nun

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Jurand begann dann langsam die Stricke an den Armen Zygfryds entzwei zu schneiden.

irgend einem von ihnen das Zeichen zum Sprechen geben, aber bleich, mit halb geöffneten Lippen, blieb er regungslos sitzen.

»Hlawa ist hier!« hub Jagienka schließlich mit ihrer einschmeichelnden Stimme an. »Wollt Ihr ihn anhören?«

Da Jurand bejahend das Haupt neigte, wiederholte der Böhme zum drittenmale seinen Bericht. Er erzählte kurz von den mit den Deutschen geführten Schlachten bei Gotteswerder, schilderte den Kampf mit Arnold von Baden, sowie die Befreiung Danusias, verschwieg jedoch, daß deren Geist durch die erlittene grausame Behandlung gestört war, weil er dem greisen Märtyrer die frohen Nachrichten nicht vergällen, weil er nicht aufs neue bange Furcht in ihm erwecken wollte.

Weil aber des Knappen Herz von Haß gegen die Kreuzritter erfüllt war, und weil er sehnlich wünschte, daß Zygfryd unerbittlich gestraft werde, verheimlichte er absichtlich weder den erbarmungswerten Zustand Danusias, noch ihre Krankheit und Schwäche, welche er als Beweis dafür anführte, daß sie gewiß eine Behandlung erduldet habe, als ob sie den Händen von Henkersknechten überliefert gewesen wäre. Sicherlich, dies erklärte er schließlich, würde sie gleich einer Blume, die dahinwelkt und zu Grunde geht, wenn sie zertreten wird, verdorben und gestorben sein, wenn man sie nicht ihren Peinigern entrissen hätte. Und während der Erzählung Hlawas wurde stets aufs neue das Grollen des Donners hörbar, und immer drohender zog sich das finstere Gewölk über Spychow zusammen.

Wenn nun auch Jurand der Erzählung so regungslos lauschte, daß es den Anwesenden dünkte, er schlafe, verstand und begriff er doch jedes Wort, denn als der Böhme die Leiden Danusias berührte, da quollen zwei große Thränen aus den leeren Augenhöhlen hervor und rannen langsam über die Wangen des beklagenswerten Vaters, dem von allen irdischen Empfindungen nur die eine geblieben war: die Liebe zu seinem Kinde.

Dann bewegten sich seine bläulichen Lippen wie im Gebete. Draußen jedoch grollte abermals der Donner, und grelle Blitze erleuchteten jeden Augenblick die Fenster. Lange, lange betete Jurand, während wieder große Zähren seinen weißen Bart benetzten. Tiefe Stille herrschte, allein nach und nach bemächtigte sich aller Anwesenden eine gewisse Unruhe, denn keines wußte, was es beginnen solle.

Endlich faßte der alte Tolima, der Gefährte Jurands in allen Schlachten und der Hüter von Spychow Mut, indem er sagte: »Vor Euch, o Herr, steht jener Verdammte, jener gottlose Kreuzritter, der Euer Kind, der Euch gemartert hat; gebt mir durch ein Zeichen kund, wie ich ihn strafen soll!«

Bei diesen Worten erhellten sich plötzlich Jurands Züge und mittelst eines Zeichens bedeutete er, man möge den Gefangenen ganz nahe zu ihm bringen.

Sofort packten zwei der Knechte den Kreuzritter unter den Schultern und führten ihn vor den Gebieter von Spychow, der, den Arm ausstreckend, mit der flachen Hand über das Gesicht Zygfryds fuhr, gerade als ob er sich dessen Züge ins Gedächtnis zurückrufen oder fest einprägen wolle, dann betastete er die Brust des Komturs, sowie die Stricke, mit denen dessen Arme kreuzweis zusammengebunden waren. Die Augenlider schließend, senkte er hierauf das Haupt.

Alle Umstehenden glaubten, er sinne über etwas nach. Wie dem nun aber auch sein mochte, lange verharrte er nicht in der gebeugten Stellung, nein, schon nach wenigen Minuten richtete er sich empor und streckte die Hand nach dem Laibe Brot aus, in dem das Unheil verkündende Misericordia steckte.

Die Anwesenden wagten kaum zu atmen. Unverwandt blickten alle auf den Gebieter von Spychow. Wohl war das Rachegefühl begreiflich, wohl war die Strafe hundertfach verdient, trotzdem rief aber der Gedanke, daß dieser schon halb dem Tode verfallene Greis mit tastender Hand einen gefesselten Gefangen töten wolle, in eines jeden Herzen Schauder hervor.

Er aber faßte den Dolch in der Mitte, streckte den Zeigefinger bis zu dem spitzen Ende des scharfen Messers aus, damit er sich vergewissern konnte, was er berühre, und begann dann langsam die Stricke an den Armen Zygfryds entzwei zu schneiden.

Von Staunen überwältigt, glaubte keines den eigenen Augen trauen zu dürfen. Nun verstanden alle mit einem Male, was er bezweckte. Doch eine solche That konnten sie nicht billigen. Hlawa murrte zuerst, seinem Beispiele folgten Tolima und die Knechte. Nur Pater Kaleb fragte mit einer vor Schluchzen bebenden Stimme: »Bruder Jurand, was ist Euer Begehr? Wollt Ihr dem Gefangenen die Freiheit schenken?«

»Ja!« bedeutete Jurand durch eine Bewegung seines Hauptes.

»Wollt Ihr, daß ihm die Strafe erlassen bleibe, daß er der Rache entgehe?«

»Ja!«

Das Murren wurde immer lauter, die Ausbrüche des Zornes, der Entrüstung steigerten sich. Da wendete sich Pater Kaleb, dem es am Herzen lag, daß ein solches Beispiel an Barmherzigkeit und Mitleid nicht vereitelt werde, zu den Murrenden und rief: »Wer wagt es, sich dem Willen eines Heiligen zu widersetzen? Auf Eure Knie!«

Und niederkniend, hub er an: »Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name, Dein Wille geschehe –«

Unentwegt sprach er das Vaterunser zu Ende. Bei den Worten »und vergieb uns unsre Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern« schaute er unwillkürlich auf Jurand, dessen Antlitz erstrahlte, wie von überirdischem Glanze übergossen.

Und dieser Anblick und die Worte des Gebetes übten eine besänftigende Wirkung auf die Herzen der Versammelten aus, denn selbst der alte, durch unzählige Kämpfe hart gewordene Tolima umfaßte, das Zeichen des Kreuzes machend, Jurands Füße und fragte: »Wenn wir Eurem Wunsche willfahren wollen, o Herr, müssen wir wohl den Gefangenen an die Grenze geleiten?«

»Ja!« bedeutete Jurand abermals durch ein Neigen seines Hauptes.

Grell erleuchtete jetzt ein Blitzstrahl nach dem andern die Fenster, näher und näher kam das Ungewitter.

Fünftes Kapitel.

Früh am Morgen wurde die Niewiaza erreicht und überschritten. Etliche setzten auf Pferden darüber, andere, indem sie sich an den Schwänzen der Pferde hielten, andere wieder auf Bündeln von Birkenruten. Der Uebergang bewerkstelligte sich so rasch, daß Macko, Zbyszko, Hlawa und jene Masuren, die freiwillig Heeresfolge leisteten, die behende Gewandtheit der Samogitier aufs höchste bewunderten und zum erstenmale vollständig begriffen, weshalb weder Wälder, noch Sümpfe, noch Flüsse die Litauer in ihren Kriegszügen aufhalten konnten. Trotzdem alle durchnäßt aus dem Wasser kamen, legte doch keiner seine Gewandung – den Schafspelz oder den Wolfspelz ab, nein, ein jeder der Krieger stellte sich so lange mit dem Rücken gegen die Sonne, bis wie aus einer Pechhütte der Dampf aus seinem Körper aufstieg, und schon nach ganz kurzer Rast zog man dann weiter gen Norden. Es dunkelte bereits, als man an dem Niemen anlangte, der durch das Steigen der Gewässer zur Frühlingszeit stark angeschwollen war. Der Uebergang bot daher noch größere Schwierigkeiten. Die Skirwoillo bekannte Furt hatte sich stellenweise in tiefe Wassertümpel verwandelt, durch welche die Pferde schwimmen mußten. Zwei der Mannen wurden von Zbyszkos und Hlawas Seite hinweggerissen. Umsonst versuchten diese die Bedrohten zu retten, in der Dunkelheit verschwanden sie in dem wilden Strome. Kein Hilferuf war laut geworden, hatte doch der Anführer den Befehl erteilt, der Fluß müsse in tiefster Stille überschritten werden. Alle andern erreichten jedoch glücklich das jenseitige Ufer, an dem sie die Nacht verbrachten, ohne sich an einem Feuer wärmen zu können.

Bei Tagesanbruch wurde die ganze Kriegsschar in zwei Teile geschieden. Mit der einen Abteilung zog Skirwoillo jenen Rittern und Kreuzrittern entgegen, welche Nahrungsmittel nach Gotteswerder bringen sollten, die andere Abteilung führte Zbyszko abermals gegen die Insel, um der Schar den Weg zu verlegen, welche von der Burg aus den Ankömmlingen entgegenrücken sollte. Der Tag schien schön zu werden. Glänzend und hell stand die Sonne am Firmamente, nur über den Wäldern, den Wiesen und den Gesträuchen lag noch dichter, weißer Nebel, der alles verhüllte. Dies gereichte Zbyszko und seinen Mannen zu großem Vorteil, war es doch kaum anzunehmen, daß die Deutschen, deren Blicken sie verborgen blieben, durch einen Rückzug den Zusammenstoß vereitelten. Voll Freude darüber wandte sich der junge Ritter zu Macko, der neben ihm ritt und sagte: »Bei einem solchen Nebel können wir sie überfallen, ehe sie uns gewahr werden. Gott gebe nur, daß es bis Mittag so bleibt.«

Nach diesen Worten sprengte er zu den bei der Vorhut sich befindenden Anführern, um ihnen verschiedene Befehle zu erteilen, kehrte aber dann rasch wieder zu dem Ohm zurück.

»Bald gelangen wir an einen Weg,« erklärte er letzterem, »welcher die zu der Insel führende Furt mit dem Innern des Landes verbindet. Dort wollen wir uns in dem Dickicht verbergen und die Deutschen erwarten.«

»Durch wen hast Du von dem Wege gehört?« fragte Macko.

»Durch etliche meiner Mannen, die hierzulande geboren sind, und die uns als Führer dienen.«

»In welcher Entfernung von der Burg und von der Insel soll der Angriff stattfinden?«

»In einer Entfernung von fünf Meilen.«

»Da thust Du gut daran, denn würde dies näher bei der Burg geschehen, so könnte ihnen von dort aus Beistand geleistet werden. Nun aber ist dies kaum zu befürchten, wird doch nicht ein Laut in die Burg dringen.«

»Ihr seht, ich habe dies wohl bedacht.«

»Das eine hast Du wohl bedacht, doch noch gar manches muß überlegt werden. Wenn man auf die Mannen, die hier geboren sind, Vertrauen setzen darf, so sende zwei oder drei von ihnen auf Kundschaft, damit sie uns sofort berichten können, wenn die Deutschen im Anzug sind.«

»Das habe ich schon gethan.«

»Dann will ich Dir noch einen Rat geben. Suche ein oder zweihundert Deiner Kriegsleute aus und erteile ihnen den Befehl, sich vom Kampfe fern zu halten, damit sie gleich bei Beginn desselben forteilen und den Deutschen den Rückweg auf die Insel abschneiden können.«

»Das ist ja das Wichtigste,« erklärte Zbyszko, »dieser Befehl ist daher längst erteilt. Die Deutschen werden in die Schlinge geraten.«

Glücklich darüber, daß sich Zbyszko trotz seiner jungen Jahre so erfahren in der Kriegskunst zeigte, blickte Macko von Stolz erfüllt auf seinen Bruderssohn, indem er lächelnd vor sich hin murmelte: »Tüchtig erweist sich unser Blut!«

Der Knappe Hlawa aber ward noch freudiger gestimmt als Macko, denn ihm ging eine Schlacht über alles in der Welt.

»Wohl weiß ich nicht,« ergriff er das Wort, »wie sich unsere Mannen schlagen werden, sie gehen jedoch ruhig, in bester Ordnung und voll Kampfeslust vor. Wenn jener Skirwoillo alles klug ausgedacht hat, wird der Feind kein gesundes Glied aus dem Kampfe tragen.«

»Gott gebe, daß uns nur wenige entrinnen,« ließ sich jetzt Zbyszko vernehmen. »Doch habe ich Befehl erteilt, so viele Gefangene wie möglich zu machen und ja keinen Kreuzritter, keinen Ordensbruder zu töten.«

»Aus welchem Grunde, o Herr?« fragte der Böhme.

Da erwiderte Zbyszko: »Sieh auch Du zu, daß meine Befehle ausgeführt werden. Ein jeder Ritter, der aus fremdem Lande stammt, hat schon viele Städte besucht, ist schon in vielen Burgen gewesen. Ist es daher zu verwundern, daß er bei seinem Zusammentreffen mit allerlei Menschen manch Neues vernommen hat? Und gar noch ein Ordensritter! Der weiß stets mehr, als wir uns träumen lassen. Doch um Gott die Wahrheit zu geben, es liegt mir auch deshalb viel daran, einen namhaften Ritter in meine Gewalt zu bekommen, um ihn dann auswechseln zu können. Was gilt mir mehr, als die Heißgeliebte? Ach, daß sie noch am Leben wäre!«

Nach diesen Worten gab er seinem Pferde die Sporen und sprengte an die Spitze der Abteilung, einesteils um noch etliche Anordnungen zu geben, andernteils um die schweren Gedanken von sich abzuschütteln, denen er sich jetzt nicht hingeben durfte. Das Ziel war nicht mehr fern, der Angriff mußte bald erfolgen.

»Aus welchem Grunde glaubt der junge Herr, sein Eheweib sei noch am Leben und befinde sich in dieser Gegend?« fragte nun Hlawa den alten Ritter.

»Weil Danusia nicht sofort von Zygfryd getötet worden ist,« entgegnete Macko, »deshalb darf er die Hoffnung hegen, daß sie ihm erhalten geblieben ist. Wenn sie ermordet worden wäre, hätte der Priester in Szczytno nicht den Bericht erteilen können, den auch Zbyszko vernommen hat. Selbst der grausamste Mensch wird nicht so leicht die Hand gegen ein schutzloses Weib – nein, bei meiner Treu – gegen ein unschuldiges Kind erheben.«

»Habt Ihr der Kinder des Fürsten Witold vergessen?«

»Grausam sind die Kreuzritter, das ist wahr. Doch es ist erwiesen, daß Danusia nicht getötet, sondern von Szczytno in diese Gegend verbracht worden ist. In irgend einer dieser Burgen wird sie wohl schmachten.«

»Hei! Das wäre herrlich, wenn wir dies Eiland und diese Burg in unsere Gewalt bekommen könnten!«

»Betrachte Dir diese Krieger einmal genau!« meinte nun Macko.

»Da habt Ihr recht, da habt Ihr recht! Doch es ist mir ein Gedanke gekommen, den ich meinem jungen Gebieter mitteilen will.«

»Was nützen hier Pläne und Gedanken! Kannst Du vielleicht Mauern mit Wurfspießen zertrümmern?«

So sprechend deutete Macko auf die Speere, mit denen die Mehrzahl der Kriegsleute bewaffnet war, und fragte dann: »Hast Du jemals eine solche Kriegsschar gesehen?«

Der Böhme hatte in der That noch niemals etwas Aehnliches erschaut. In völliger Auflösung, ohne jede Ordnung, zog das Kriegsvolk dahin, denn in dem Dickicht, zwischen den Baumstämmen und Gesträuchen mußte man sich durchschlagen, so gut es eben ging. Fußvolk und Reiterei waren nicht mehr getrennt – wo nur ein Reiter sein Roß zwischen den Fichten hindurchtrieb, da hielt sich der oder jener des Fußvolks an der Mähne, an dem Schwanze oder an dem Sattel des Pferdes fest, um rascher vorwärts zu kommen. Mit den Fellen von Wölfen, Bären und Panthern über den Schultern, mit den auf ihren Köpfen emporragenden Eberhauern, Hirschgeweihen und borstigen Ohren der grimmigsten Bestien hätten all diese Krieger ohne die in die Höhe starrenden Waffen, ohne die in Teer getränkten Bogen, ohne die Köcher auf ihrem Rücken in dem morgendlichen Nebel jedem Beschauer wie wilde Tiere erscheinen müssen, die, von Hunger und Blutgier getrieben, sich aus der Tiefe des bergenden Waldes hervorgewagt hatten. Es war das ein solch schreckenerregender, ungewöhnlicher Anblick, daß er sich nur mit jenem seltsamen Vorgang – » gomon« genannt – vergleichen ließ, bei dem das schlichte Volk sagte, wilde Tiere jagten in rasender Eile dahin, Steinblöcke und Bäume mit sich fortreißend.

Einer jener Edelleute aus Lekawica, die mit dem Böhmen gekommen waren, näherte sich diesem, bekreuzte sich und sagte: »Im Namen des Vaters und des Sohnes! Nicht mit menschlichen Wesen, nein, mit einem Rudel Wölfen ziehen wir dahin.«

Obwohl nun Hlawa noch niemals ein ähnliches Kriegsheer gesehen hatte, erwiderte er doch als ein erfahrener Mann, der alles kennt, den nichts in Erstaunen setzt: »Wölfe laufen zur Winterszeit in Rudeln zusammen, das Blut der Kreuzritter übt jedoch auch im Frühling seine Anziehungskraft.«

Und in der That, der Mai war gekommen, es war Frühling geworden. An den Haselnußsträuchen im Walde keimte das junge Grün. Aus dem weichen, zarten Moose, über das der Fuß der Kriegsleute lautlos glitt, sproßten Blumen, Blüten und zackige Farrenkräuter hervor. Die von den beständig niedergegangenen Regenschauern durchfeuchteten Bäume verbreiteten den Geruch ihrer nassen Rinde, und aus dem Waldesgrunde stieg der starke Duft gefallener Nadeln und morschen Holzes empor. Der helle Glanz der leuchtenden Sonne zauberte die Regenbogenfarben auf die von Tautropfen glitzernden Blättchen, und fröhlich erklang das Gezwitscher der Vögel.

In immer wachsender Eile bewegte sich die Kriegsschar vorwärts, denn Zbyszko trieb sie beständig an. Allein schon nach kurzer Zeit kehrte er zu der Nachhut zurück, mit der Macko, Hlawa und die freiwillig in den Krieg gezogenen Masuren ritten. Die Aussicht auf einen siegreichen Kampf schien ihn offenbar neubelebt zu haben, denn der kummervolle Ausdruck war aus seinem Antlitz geschwunden, seine Augen blitzten wie in früherer Zeit.

»Auf!« rief er, »uns ziemt es, an der Spitze zu reiten, nicht aber bei der Nachhut. Und nun merkt auf das, was ich Euch sage,« fuhr er fort, nachdem seiner Aufforderung Folge geleistet worden war, »hört mich. Möglicherweise gelingt es uns, die Deutschen unerwartet zu überfallen, sollten sie uns jedoch früh genug gewahr werden, um sich in Schlachtordnung aufstellen zu können, dann müssen wir uns als Erste auf sie werfen, denn wir sind am besten gewappnet, wir führen die schärfsten Schwerter.«

»Das soll geschehen!« erklärte Macko.

Schon setzten sich die Mannen fester in die Sättel, gerade als ob es im nächsten Augenblicke losgehen werde, schon holte der und jener tief Atem, während er prüfte, ob sein Schwert leicht aus der Scheide gehe. Abermals wiederholte Zbyszko den Befehl, jeden Ritter in weißem Mantel, welcher sich unter dem Fußvolke befinde, zu verschonen, ihn nicht zu töten, sondern ihn nur zum Gefangenen zu machen, dann sprengte er wieder zu den Anführern und gleich darauf machte die Kriegsschar Halt. Sie hatte den Weg erreicht, der zu der Furt führte. Tatsächlich konnte er jedoch keine Straße, sondern nur ein breiter Pfad genannt werden, und erst vor ganz kurzer Zeit war der Wald so weit ausgeholzt worden, daß ein Kriegsheer, ja sogar Wagen, ungefährdet hindurchzukommen vermochten. Auf beiden Seiten des Pfades ragten hohe Fichtenbäume empor, da und dort lagen die mächtigen Stämme, die gefällt worden waren. An manchen Stellen standen die Haselnußsträuche so dicht, daß kein Auge hindurchzudringen vermochte. Mit kundigem Blicke suchte Zbyszko diese geeigneten Plätze für seine Kriegsschar aus. Damit die Deutschen sie nicht schon von ferne wahrnehmen und sich dann zurückziehen oder in Schlachtordnung aufstellen konnten, hieß er seine Mannen sich auf beiden Seiten des Pfades in den Hinterhalt legen und hier den Feind erwarten.

Die Samogitier, welche an das Leben in den Wäldern, an die Kriegführung inmitten einer Wildnis gewohnt waren, bargen sich so rasch hinter Bäumen und gefällten Stämmen, hinter Haselnußsträuchen und jungen Tannen, als ob die Erde sie verschlungen hätte. Keiner von ihnen gab einen Laut von sich, kein Pferd ließ auch nur ein Schnauben hören. Von Zeit zu Zeit lief das oder jenes wilde Tier auf die auf der Lauer liegenden Leute zu, ein jedes rannte aber erschreckt in den tiefen Wald zurück, sobald es eines Menschen ansichtig wurde. Zuweilen erhob sich ein Windstoß, sodaß plötzlich ein mächtiges Brausen durch den Wald fuhr, dem jedoch sofort wieder lautlose Stille folgte. Nur aus der Ferne ertönte in kurzen Zwischenräumen der Ruf des Kuckucks, und in der Nähe erklang dann und wann das Hämmern des Spechtes.

Freudig horchten die Samogitier auf dieses Hämmern, galt ihnen doch der Vogel als Bringer froher Kunde. Zahllose Spechte schienen hier zu nisten, denn allmählich erklang ein so durchdringendes, starkes Hämmern von allen Seiten, wie wenn es von Menschenhänden herrühre. Es war, als ob jene Vögel eine Schmiede im Walde errichtet hätten und seit frühem Morgen an strenger Arbeit wären. Macko und die Masuren dünkte es, sie hörten Zimmerleute, welche das Gebälk eines neuen Hauses aufschlugen, und sie glaubten, in die Heimat versetzt zu sein.

Doch die Zeit verstrich und noch immer war nichts zu vernehmen, als die Stimmen der Vögel, als das Brausen des Waldes. Der Nebel schwand mehr und mehr, die wärmende Sonne brach völlig durch. Doch lautlos harrten die Krieger auf ihren Posten aus. Schließlich wandte sich Hlawa, dem das Schweigen und die Spannung unerträglich geworden waren, zu Zbyszko und flüsterte: »O Herr, wenn Gott keinen der Weißmäntel lebend davonkommen läßt, könnten wir nicht zur Nachtzeit über den Fluß setzen, die Burg überrumpeln und in unsere Gewalt bringen?«

»Glaubst Du denn nicht, daß sie Boote ausgesetzt und der Bemannung ein Losungswort erteilt haben?«

»Das haben sie sicherlich. Doch ebenso gewiß werden auch die mit dem Schwerte bedrohten Gefangenen das Losungswort nicht nur verraten, sondern es sogar auf deutsch der Wache zurufen. Wenn wir nur einmal auf der Insel sind, dann wird die Burg –«

Er konnte nicht weiter reden, Zbyszko legte ihm plötzlich die Hand auf den Mund, denn von dem Wege her ertönte das Krächzen eines Raben.

»Schweig!« rief der junge Ritter, »das ist ein Zeichen.«

Und noch ehe man zwei Vaterunser hätte sprechen können, sprengte ein Samogitier auf seinem kleinen zottigen Pferde daher, dessen Hufe fürsorglich mit Schafsfellen umwickelt waren, damit kein Geräusch hörbar, keine Spur hinterlassen werde.

Scharf blickte der Reiter nach allen Seiten aus, und kaum hörte er aus dem Dickicht die Antwort auf das Krächzen, so drang er so rasch in den Wald ein, daß er sich schon nach wenigen Sekunden neben Zbyszko befand.

»Sie kommen!« sagte er hierauf leise.

Sechstes Kapitel.

Zbyszko fragte hastig, auf welche Weise sie vorrückten, wie viel Reiterei und wie viel Fußvolk es sei, vor allem aber, wie weit entfernt sie sich noch befanden. Aus der Antwort des Samogitiers entnahm er, daß die Abteilung die Zahl von einhundertfünfzig Kriegern nicht überstieg, von denen etliche fünfzig zu Pferd von einem weltlichen Ritter, nicht aber von einem Kreuzritter angeführt wurden, daß sie in Schlachtordnung vorrückten, daß sie eine Anzahl Wagen mit einem Vorrat von Rädern mitführten; daß der ganzen Abteilung in einer Entfernung von zwei Bogenschüssen eine aus acht Mannen bestehende Vorhut vorausgehe, welche die Landstraße häufig verlasse, um das Dickicht des Waldes zu durchsuchen, und schließlich, daß sie eine Viertelmeile entfernt waren.

Daß die Feinde sich in Schlachtordnung vorwärts bewegten, war keine frohe Kunde für Zbyszko. Er wußte aus Erfahrung, welche Schwierigkeiten es hatte, die geschlossenen Reihen der Deutschen zu durchbrechen, und daß eine solche Schar selbst während des Rückzuges sich zu verteidigen und gleich einem von Hunden in die Enge getriebenen Eber um sich zu hauen verstand. Hingegen erfreute ihn die Nachricht, daß sie nicht weiter als eine Viertelmeile entfernt waren, denn er sagte sich, daß jene Mannen, die er vorausgesandt hatte, den Deutschen nun schon in den Rücken gefallen waren, und daß sie, falls diese eine Niederlage erlitten, keine lebende Seele entrinnen lassen würden. Was die der Abteilung vorausziehende Streifwache anbelangte, so machte sie ihm wenig Sorge, da es von Anfang an zu erwarten gewesen war, daß es so kommen könne, und er auch seinen Samogitiern zuvor schon befohlen hatte, entweder jene Vorhut ruhig durchzulassen oder, wenn der Versuch gemacht werde, das Innere des Waldes zu erforschen, in aller Stille jene acht Mannen einen nach dem andern gefangen zu nehmen.

Aber dieser Befehl war ganz überflüssig gewesen. Die Streifwache zog schon heran. Verborgen hinter einigen entwurzelten Baumstämmen, in der Nähe der Landstraße sahen die Samogitier die Kriegsknechte, welche an der Biegung des Weges Halt machten und miteinander sprachen, sehr genau. Nachdem der Anführer, ein starker, rotbärtiger Krieger, durch ein Zeichen Schweigen geboten hatte, begann er angestrengt zu lauschen. Es war klar, daß er schwankte, ob er in den Wald eindringen solle oder nicht.

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Während eines kurzen Augenblickes hing der Tod über des alten Ritters Haupte.

Schließlich, als er nur das Hämmern der Spechte vernahm, dachte er offenbar, daß die Vögel sich nicht hören lassen würden, wenn jemand im Forste verborgen wäre, daher winkte er mit der Hand und führte seine Untergebenen weiter.

Zbyszko wartete, bis sie an der nächsten Biegung verschwunden waren, dann näherte er sich in aller Stille, an der Spitze der schwer bewaffneten Mannen, der Landstraße. Unter ihnen befanden sich Macko, der Böhme, die beiden Edelleute aus Lekawica, drei junge Ritter aus Ciechanow und mehrere der angesehensten und bestbewaffneten Bojaren aus Samogitien. Sich noch länger zu verbergen, war nicht mehr nötig, daher beabsichtigte Zbyszko sogleich, wenn Deutsche sich zeigten, bis zur Mitte des Weges vorzusprengen, sich auf sie zu werfen, und sie zu zerstreuen. Falls das gelang und falls der allgemeine Kampf sich zu einer Reihe von Einzelkämpfen gestaltete, durfte er sicher sein, daß die Samogitier Meister über die Deutschen wurden.

Und abermals folgte tiefe Stille, welche nur von dem Rauschen und Flüstern des Waldes unterbrochen wurde. Doch bald drangen von der östlichen Seite der Landstraße auch menschliche Stimmen zu den Ohren der Krieger. Anfangs etwas verworren und wie aus der Ferne klingend, schienen sie allmählich näher zu kommen und waren immer deutlicher zu vernehmen.

Zbyszko führte nun seine Abteilung in die Mitte der Landstraße und stellte sie in keilförmiger Schlachtordnung auf. Er selbst trieb sein Pferd an die Spitze, unmittelbar hinter ihm befanden sich Macko und der Böhme. In der nächsten Reihe standen drei Reiter, in der darauffolgenden vier. Sie waren alle gut bewaffnet; zwar fehlten ihnen die mächtigen Speere oder Lanzen der Ritter, da diese bei Märschen durch den Wald nur hinderlich gewesen wären, dagegen trugen sie für den ersten Angriff den kurzen und leichteren samogitischen Speer bei sich, Schwert und Beil waren für den Kampf im Handgemenge am Sattel befestigt.

Hlawa horchte aufmerksam und angestrengt, dann flüsterte er Macko zu: »Sie singen!«

»Merkwürdig! Der Weg scheint sich im Walde zu verlieren, weil wir sie von diesem Platze aus nicht sehen können,« sagte Macko.

Da wendete sich Zbyszko, welcher es für nutzlos erachtete, sich noch länger zu verbergen oder auch nur leise zu sprechen, zu ihm und sagte: »Dies kommt daher, daß sich die Landstraße längs des Flusses hinzieht und viele Biegungen macht. Wir werden sie ganz plötzlich zu Gesicht bekommen, und so wird es am besten sein.«

»Wie fröhlich sie singen!« warf der Böhme ein.

In der That sangen die Deutschen durchaus kein frommes Lied, dies war aus der Weise leicht zu erkennen. Bei aufmerksamem Lauschen unterschied man auch, daß kaum mehr als zehn Leute sangen, und daß nur ein Ausruf von allen wiederholt wurde. Dieser Ausruf aber hallte wie Donnerschall weithin durch den Wald.

Und so voll Heiterkeit und Frohsinn, gingen sie dem Tode entgegen.

»Bald werden wir sie sehen,« sagte Macko.

Sein Gesicht verfinsterte sich plötzlich und nahm einen wolfsähnlichen Ausdruck an. War er doch hart und rachsüchtig geworden, und hatte er doch noch nicht Vergeltung für jenen Pfeilschuß geübt, welchen er damals empfing, als er, um Zbyszko zu retten, sich mit einem Briefe der Schwester Witolds zum Großmeister begeben wollte.

In ihm bäumte sich alles auf, und gleich einem unaufhaltsamen Strome riß ihn der Durst nach Rache mit sich fort.

»Dem Manne wird es nicht gut ergehen, mit welchem er zuerst anbindet,« dachte Hlawa, nachdem er einen Blick auf den alten Ritter geworfen hatte.

Mittlerweile trug der Wind ganz deutlich den Ausruf herbei, der von allen im Chore wiederholt ward: »Tantaradei«! – und gleich darauf hörte Hlawa die Worte eines ihm bekannten Liedes:

»Bei den rôsen er wol mac,
Tandaradei!
merken wâ mir'z houbet lac ...«

Da riß der Gesang plötzlich ab, denn zu beiden Seiten des Weges erscholl ein so lautes, durchdringendes Krächzen, wie wenn in diesem Waldwinkel eine große Versammlung von Raben abgehalten worden wäre. Die Deutschen wunderten sich nicht wenig darüber. Unwillkürlich fragten sie sich, woher all diese Vögel kämen und wieso deren Stimmen dicht über dem Erdboden, nicht aber in den Wipfeln der Bäume ertönten.

Die erste Reihe der Kriegsknechte zeigte sich jetzt an der Biegung und blieb beim Anblick der unbekannten Reiter wie versteinert stehen.

In demselben Augenblick neigte sich Zbyszko auf den Sattel herab, gab seinem Pferde die Sporen und sprengte vorwärts.

»Werft Euch auf sie!«

Die andern folgten ihm. Auf beiden Seiten des Waldes erscholl der furchtbare Ruf der samogitischen Krieger. Ungefähr zweihundert Schritte trennten Zbyszkos Mannen von den Deutschen, welche im nächsten Augenblick einen ganzen Wald von Lanzen gegen die Heranreitenden richteten, während die hintern Reihen sich mit der gleichen Schnelligkeit gegen die beiden Seiten des Waldes wendeten, um sich gegen die Angriffe auf den Flanken zu verteidigen. Ihre Geschicklichkeit wäre von den polnischen Rittern bewundert worden, hätten diese Zeit zur Bewunderung gesunden und hätten deren Pferde sie nicht in rasendem Laufe den erhobenen, glänzenden Lanzen entgegengetragen.

Durch einen für Zbyszko günstigen Zufall befand sich die deutsche Reiterei bei der Nachhut, in der Nähe der Wagen. Zwar rückte sie sofort zu ihrem Fußvolk vor, doch konnte sie sich weder einen Weg durch die Reihen bahnen, noch an ihnen vorbeireiten und sie daher auch nicht gegen den ersten Ansturm decken. Bald sahen sich die berittenen Deutschen umringt von einer Schar Samogitier, welche aus dem Dickicht herausstürzten gleich einem wildgewordenen Wespenschwarm, dessen Nest von einem unbedachten Wanderer beschädigt worden ist. Unterdessen hatte Zbyszko mit seinen Mannen das Fußvolk angegriffen.

Doch dieser Angriff blieb ohne Erfolg. Nachdem die Deutschen ihre schweren Lanzen und Hellebarden in die Erde aufgepflanzt hatten, hielten sie dieselben in einer Linie fest, sodaß die leichte, samogitische Reiterei diesen Wall nicht zu durchbrechen vermochte. Mackos Pferd, durch eine Hellebarde in das Schienbein getroffen, bäumte sich hoch auf und grub sich dann mit den Nüstern in den Grund. Während eines kurzen Augenblickes hing der Tod über des alten Ritters Haupte, aber er, der in allen Kämpfen sehr erfahren und gegen Zufälle gewappnet war, zog die Füße aus den Steigbügeln und griff mit starker Hand nach eines Deutschen scharfem Speere, sodaß dieser, statt seine Brust zu durchbohren, ihm als Stütze diente. Dann sprang er mitten durch die Pferde, und sein Schwert ziehend, begann er damit über die Speere und Hellebarden herzufallen, gerade wie ein raubgieriger Falke wütend über eine Schar langschnäbeliger Kraniche herfällt. Als Zbyszkos Pferd im Laufe zurückgehalten ward, und sich fast ganz auf die Hinterbeine stellte, stützte er sich auf seinen Speer, zerbrach ihn aber und griff nun gleichfalls zum Schwerte. Der Böhme, welcher dem Beile vor allen andern Waffen den Vorzug gab, schleuderte das seine gegen die Feinde und war für einen Augenblick waffenlos. Einer der Edelleute aus Lekawica fiel, den andern ergriff bei diesem Anblick eine so wahnsinnige Wut, daß er heulte wie ein Wolf, und seinem blutüberströmten Pferde die Sporen gebend, es blindlings mitten unter die Feinde trieb. Die samogitischen Bojaren schlugen mit ihren Hirschfängern auf die großen und kleinen Speere, hinter denen die Gesichter der Kriegsknechte hervorschauten, welche gleichsam von Verwunderung durchdrungen zu sein schienen und in deren ganzem Gebaren sich zugleich Haß und Entschlossenheit ausdrückte. Es zeigte sich indessen, daß ihre Reihen nicht durchbrochen werden konnten. Auch die Samogitier, welche die Flanken angriffen, prallten wieder zurück wie vor dem sicheren Verderben. Zwar rückten sie dann abermals mit noch größerem Ungestüm vor, vermochten aber nichts auszurichten.

Im Nu kletterten nun etliche auf die Fichtenbäume am Wege und schossen ihre Pfeile mitten unter die Kriegsknechte hinein, deren Anführer daraufhin den Befehl gaben, den Rückzug gegen die Reiterei anzutreten. Die deutschen Armbrustschützen erwiderten indessen die Schüsse der Feinde, sodaß von Zeit zu Zeit manch unter den Baumzweigen verborgener Samogitier gleich einem reisen Fichtenzapfen zu Boden fiel und sich im Todeskampfe mit den Händen in das Moos des Waldes eingrub oder emporschnellte wie ein aus dem Wasser geworfener Fisch. Umringt auf allen Seiten, konnten die Deutschen nicht auf Sieg rechnen, da sie jedoch sahen, daß ihre Schutzwehr nicht vergeblich war, wähnten sie, wenigstens eine kleine Schar von ihnen sei vielleicht im stande, noch aus der Umgarnung zu entkommen und zum Flusse zu gelangen.

Keinem kam es in den Sinn, sich zu ergeben, denn da sie selbst ihre Gefangenen niemals schonten, wußten sie, daß sie auch nicht auf das Mitleid der zur Verzweiflung und Empörung getriebenen Feinde rechnen dursten. So zogen sie sich denn in der Stille zurück. Mann für Mann, Schulter an Schulter, bald die Lanzen und Hellebarden erhebend bald sinken lassend, Hiebe und Stiche austeilend, ihre Pfeile gebrauchend, so gut das Getümmel der Schlacht es gestattete, und sich fortwährend ihrer Reiterei nähernd, die mit anderem feindlichem Kriegsvolk um Leben und Tod kämpfte.

Da geschah etwas ganz Unerwartetes, etwas, wodurch der Ausgang dieses verzweifelten Kampfes entschieden wurde. Jener Edelmann aus Lekawica, welcher durch den Tod seines Bruders von Wahnwitz ergriffen worden war, neigte sich, ohne von seinem Rosse zu steigen, herab, und hob den Leichnam vom Boden auf, offenbar in der Absicht, ihn vor den Hufschlägen der Pferde zu retten und an einem sicheren Orte niederzulegen, wo er ihn dann nach der Schlacht finden konnte. Aber in demselben Augenblicke überkam ihn ein neuer Wutanfall und raubte ihm völlig jedes klare Bewußtsein, denn anstatt vom Wege abzulenken, griff er die Feinde an und warf den Leichnam mit aller Kraft auf die scharfen Lanzenspitzen, welche, in dessen Brust, Leib und Hüften eindringend, sich unter der Last förmlich bogen. Bevor aber die Kriegsknechte imstande waren, ihre Lanzen herauszuziehen, sprengte der Wahnsinnige durch die entstandene Bresche in ihre Reihen hinein, gleich einem Sturmwinde die Menschen über den Haufen werfend.

Im nächsten Augenblick streckten sich zehn Hände gegen ihn aus, zehn Lanzen durchbohrten die Flanken seines Rosses, aber die Reihen waren nun durchbrochen, und bevor sie sich wieder ordnen konnten, warf sich einer der samogitischen Bojaren, der sich am nächsten befand, in die Bresche, ihm folgte Zbyszko sowie der Böhme, und das furchtbare Getümmel ward mit jedem Augenblicke größer. Wieder andere Bojaren ergriffen nun gleichfalls die Leichname von Gefallenen und warfen sie auf den Wall von Lanzenspitzen. Auf den Flanken machten die Samogitier einen neuen Angriff. Die ganze bisher wohlgeordnete Heerschar der Deutschen geriet ins Wanken, gleich einem Hause, dessen Mauern geborsten sind, sie teilte sich gleich einem Baumstamme, in den ein Keil eingetrieben ist, und zerstreute sich schließlich.

Allmählich ward die Schlacht zu einer Metzelei. Die langen, deutschen Speere und Hellebarden waren nutzlos in diesem Handgemenge, dagegen drangen die Hirschfänger der Reiter tief in die Hirnschalen und Nacken der Deutschen ein, die Pferde jagten in das dichteste Menschengewühl, die unglücklichen Kriegsknechte zu Boden werfend und zerstampfend. Den Reitern fiel es leicht, von oben herab die Feinde zu treffen, daher schlugen sie unaufhörlich drein, ohne abzulassen. Von den Seitenwegen strömten immer neue Scharen wilder Krieger in Wolfsfellen und mit der Blutgier von Wölfen herbei. Ihr Heulen übertönte die flehentlichen Bitten um Erbarmen und das Aechzen der Sterbenden. Die Besiegten warfen ihre Waffen nieder, etliche versuchten, in den Wald zu entkommen, einige warfen sich zu Boden und stellten sich tot, manche standen wie erstarrt da, mit bleichen Gesichtern und geschlossenen Augen, wieder andere beteten, einer, dessen Sinne sich offenbar vor Schrecken verwirrt halten, begann auf einer Pfeife zu spielen, wobei er lächelnd emporschaute, bis eine samogitische Keule ihm den Schädel zerschmetterte. Der Fichtenwald stellte sein Brausen ein, wie erschreckt über dies Blutbad.

Mehr und mehr schmolz die kleine Schar der Ordensknechte zusammen. Nur im Dickicht erscholl noch von Zeit zu Zeit der Lärm des Kriegsgetümmels und der durchdringende Schrei der Verzweifelten. Zbyszko, sowie Macko und hinter diesen alle Reiter sprengten jetzt gegen die feindliche Reiterei heran.

In einem Kreise ausgestellt, kämpfte diese. Es war die gewöhnliche Art der Deutschen, sich zu verteidigen, wenn der Feind ihnen mit großer Uebermacht entgegentrat. Die gut berittenen Krieger, die auch besser gewappnet waren als das Fußvolk, stritten tapfer und mit bewunderungswürdiger Verwegenheit. Kein Träger des weißen Mantels war unter ihnen zu sehen, sie gehörten meist den mittleren und weniger angesehenen preußischen Adelsgeschlechtern an, deren Obliegenheit es war, auf Geheiß des Ordens ins Feld zu ziehen. Auch ihre Pferde waren zum größten Teil gewappnet, manche mit Panzern aus Draht und alle mit eisernen Stirnbinden, an denen in der Mitte ein Horn aus Stahl hervorragte. Den Oberbefehl hatte ein hochgewachsener, schlanker Ritter in dunkelblauem Panzer und gleichfarbigem Helm mit herabgelassenem Visier.

Aus der Tiefe des Waldes wurde ein Hagel von Pfeilen auf sie abgeschossen, aber deren Spitzen prallten von den Helmen, den Panzern und harten Armschienen ab, ohne eine Spur zurückzulassen. Eine dichte Mauer von Samogitiern zu Fuß und zu Roß umgab sie, doch sie verteidigten sich, indem sie wütend um sich schlugen und mit ihren langen Schwertern solche Hiebe anstellten, daß die Getroffenen scharenweise vor den Hufen ihrer Rosse lagen. Die vordersten Reihen der Angreifer wollten sich zurückziehen, aber sie wurden von hinten vorgeschoben, und waren deshalb nicht im stande dazu. In dem dichten Gedränge entstand ein grenzenloser Wirrwarr, die Augen wurden geblendet von dem Flimmern der Lanzen, dem Funkeln der Schwerter. Die Pferde wieherten, bissen um sich, schlugen mit den Hinterfüßen aus. Da sprengten die samogitischen Bojaren, da sprengten Zbyszko, der Böhme und die Masuren in den Kreis. Unter ihren gewaltigen Streichen geriet die ganze Schar ins Wanken und bewegte sich hin und her wie ein Wald, dessen Stämme und Zweige vom Sturme gepeitscht werden, jene Angreifer jedoch rückten schweißtriefend von der Mühseligkeit des Kampfes nur langsam vorwärts, dabei wie die Holzhauer verfahrend, welche die Tannen fällen, wo sie am dichtesten stehen.

Nun befahl Macko, die langen Hellebarden der Deutschen auf dem Schlachtfelde zu sammeln, und nachdem sich ungefähr dreißig wilder Krieger damit bewaffnet hatten, bahnten sie sich einen Weg damit bis zu den Deutschen. Als sie bei diesen angelangt waren, schrie er: »Schlagt los auf die Füße der Pferde!« und sofort zeigten sich die entsetzlichen Folgen dieses Befehles. Die deutschen Ritter konnten ihre Feinde nicht mit den Schwertern erreichen, während die Schienbeine der Pferde furchtbar durch die Hellebarden zerschmettert wurden. Da erkannte der blaue Ritter, daß das Ende der Schlacht herannahe, und daß nichts übrig blieb, als sich entweder durch die Feinde durchzuschlagen, welche ihm und seiner Schar den Rückweg abschnitten, oder mit ihr zu Grunde zu gehen.

Er wählte das erstere – und im Nu machte auf seinen Befehl die ganze Reihe der Ritter Front nach der Richtung, aus der sie gekommen waren. Die Samogitier waren ihnen sofort auf dem Nacken, allein die Deutschen hingen ihre Schilder um die Schultern, durchbrachen den sie umzingelnden Ring, spornten ihre Pferde an und jagten der Windsbraut gleich gen Osten.

Doch nun trafen sie mit jener Heeresabteilung zusammen, welche gerade herbeisprengte, um in die Schlacht einzugreifen, aber den besseren Waffen unterliegend, von den Pferdehufen zermalmt, wurden die Mannen dieser Abteilung hingemäht wie Ackerfelder vom Sturmwinde. Der Weg zur Burg war frei, aber die Rettung unsicher, denn die Pferde der Samogitier waren schneller als die der Deutschen. Der blaue Ritter begriff dies nur zu wohl.

»Wehe!« sagte er sich im Innern, »kein einziger wird entrinnen, wenn schon ich mit meinem eigenen Blute ihr Leben erkaufen mochte.«

Nach diesen Erwägungen gebot er den Reitersmännern, die sich in seiner Nähe befanden, ihre Pferde anzuhalten, er selbst wandte das seine, und ohne darauf zu achten, ob jemand seiner Aufforderung gehorchte, bot er dem Feinde die Stirn.

Zbyszko sprengte zuerst heran, daher schlug ihm der Deutsche auf den schützenden Helm, traf aber nur die vortretende Kante, zerschmetterte sie jedoch nicht und verletzte auch das Antlitz nicht. Da faßte Zbyszko,» anstatt Hieb mit Hieb zu vergelten, den Ritter um den Leib, rang mit ihm und, vor allem darauf bedacht, ihn lebend in seine Gewalt zu bekommen, bemühte er sich, ihn vom Sattel zu reißen. Aber seine Steigbügel brachen von dem allzu starken Druck und die Kämpfer fielen zu Boden. Während eines kurzen Augenblickes wälzten sie sich auf der Erde, mit Händen und Füßen um sich schlagend, bald jedoch erlangte der junge Kämpe durch seine ungewöhnliche Kraft die Uebermacht über seinen Gegner und sich mit seinen Knien auf dessen Leib stemmend, hielt er ihn fest, wie etwa ein Wolf einen Hund festhält, der es gewagt hat, ihn im Dickicht zu stellen.

Und er hielt ihn unnötigerweise fest, denn der Deutsche war bewußtlos geworden. Mittlerweile sprengten auch Macko und der Böhme heran. Als Zbyszko sie erblickte, rief er ihnen zu: »Kommt und bindet ihn! Das ist ein angesehener Ritter – ein gegürteter!«

Der Böhme sprang vom Pferde, da er indessen sah, wie hilflos der Besiegte dalag, band er ihn nicht, sondern öffnete seinen Panzer und seine Armschienen, nahm seinen Gürtel nebst dem daranhängenden Misericordia, durchschnitt den Riemen, womit der Helm befestigt war und machte schließlich die Schraube auf, welche das Visier zusammenhielt.

Doch kaum hatte er des Ritters Antlitz erschaut, als er emporsprang und rief: »Herr! Herr! Seht nur!«

»De Lorche!« schrie Zbyszko auf.

Und de Lorche lag mit bleichem, schweißbedecktem Antlitz und geschlossenen Augen da, regungslos, einem Toten ähnlich.

Siebentes Kapitel.

Zbyszko befahl, ihn auf einen der erbeuteten mit Rädern und Achsen beladenen und zu jenem Zuge gehörenden Wagen zu legen, welche neue Zufuhr in die Burg hatte bringen sollen. Er selbst bestieg ein anderes Pferd und sprengte mit Macko davon, um die Fliehenden weiter zu verfolgen. Diese Verfolgung war indessen nicht allzu schwer, denn die Pferde der Deutschen taugten wenig zu einer solchen Flucht auf der vom Frühlingsregen durchweichten Landstraße. Auf einer schnellen, leichtfüßigen Stute, welche dem erschlagenen Edelmann aus Lekawica angehört hatte, überholte Macko nach einigen hundert Schritten fast alle Samogitier und erreichte bald den ersten Deutschen. Dem ritterlichen Gebrauche gemäß rief er ihn zwar an, auf daß er sich entweder als Gefangener ergebe oder zum Kampfe stelle, aber da jener that, als ob er nicht höre, zur Erleichterung seines Pferdes sogar seinen Schild wegwarf, sich vorbeugte und seine Sporen in des Rosses Flanken drückte, da versetzte ihm der alte Ritter mit seiner breiten Axt einen furchtbaren Hieb zwischen die Schulterblätter und hob ihn aus dem Sattel.

So rächte er sich an den Flüchtlingen für den verräterischen Pfeilschuß, den er einst empfangen hatte; sie aber flohen vor ihm gleich einem Rudel Hirsche, die alle von unbezwinglicher Furcht erfüllt sind, aber keinen Trieb hegen, zu kämpfen und sich zu verteidigen, sondern nur den einen, sich vor dem entsetzlichen Verfolger zu retten. Etliche liefen in den Wald, einer blieb im Sumpfe stecken, und diesen erwürgten die Samogitier mittelst eines Halfters. Ganze Scharen verfolgten die Flüchtlinge bis ins Dickicht, wo nun unter Lärm und Geschrei eine wilde Jagd begann. Der Forst hallte davon wider, bis der letzte Mann bezwungen war. Dann kehrten der alte Ritter aus Bogdaniec, Zbyszko und Hlawa auf das erste Schlachtfeld zurück, wo die erschlagenen deutschen Kriegsknechte lagen. Die Leichname waren entblößt, etliche auch furchtbar verstümmelt von den Händen der rachsüchtigen Samogitier. Ein großer Sieg war gewonnen, und das Volk wie trunken vor Freude. Nach der letzten Niederlage Skirwoillos bei Gotteswerder war Unzufriedenheit in die Herzen der Samogitier eingezogen, vornehmlich weil die ihnen durch Witold zugesagten Hilfstruppen nicht so schnell eingetroffen waren, wie man erwartet hatte. Jetzt aber lebte die Hoffnung wieder auf und die Flamme der Begeisterung entzündete sich aufs neue gleich einem Feuer, dem frische Nahrung zugeführt wird.

Allzuviele waren sowohl bei den Samogitiern wie bei den Deutschen gefallen, um sie bestatten zu können, aber Zbyszko befahl, mit den Speeren Gräber für die beiden Edelleute aus Lekawica zu graben, welche hauptsächlich zu dem Siege beigetragen hatten, und sie unter zwei Fichtenbäumen zu beerdigen, in deren Rinde er mit der Spitze seines Schwertes Kreuze einschnitt. Dann, nachdem er dem Böhmen anbefohlen hatte, über den immer noch bewußtlosen Herrn de Lorche zu wachen, brach er mit seinen Mannen auf und zog eilig wieder auf der nämlichen Straße der Richtung zu, wo sich Skirwoillo befinden mußte, um ihm für alle Fälle Hilfe zu bringen. Doch es währte lange, bis er auf das von den Streitern schon verlassene Schlachtfeld stieß, welche wie das erste mit den Leichnamen der Samogitier und Deutschen bedeckt war. Zbyszko sagte sich, Skirwoillo müsse einen bedeutenden Sieg davongetragen haben, denn wenn dieser furchtbare Heerführer geschlagen worden wäre, hätten sie auf ihrem Wege deutsche, gegen die Burg ziehende Krieger treffen müssen. Offenbar war es aber ein blutiger Sieg gewesen, da etwas weiterhin, jenseits des eigentlichen Schlachtfeldes, noch Leichname von erschlagenen Samogitiern dicht an einander gereiht lagen. Bei diesem Anblick dachte der erfahrene Macko, ein Teil der Deutschen müsse wohl im stande gewesen sein, sich vor dem Verderben zu retten.

Ob Skirwoillo sie dann verfolgt hatte, war schwer zu entscheiden, weil die Spuren trügerisch waren, und eine die andere immer wieder verwischt hatte. Doch glaubte Macko, daß die Schlacht hier schon ziemlich lange, vielleicht früher als die von Zbyszko gelieferte, stattgefunden hatte, denn die Leichname waren schwarz und angeschwollen, manche auch schon von Wölfen zerrissen, welche sich bei Annäherung der bewaffneten Mannen ins Dickicht flüchteten.

In Anbetracht all dessen beschloß Zbyszko, nicht auf Skirwoillo zu warten, sondern zu dem früheren, sicheren Lagerplatz zurückzukehren. Spät in der Nacht dort angelangt, traf er sogleich mit dem samogitischen Heerführer zusammen, welcher etwas früher dort eingetroffen war. In Skirwoillos sonst etwas düsterem Gesichte drückte sich jetzt frohe Zuversicht aus. Sofort fragte er nach der Schlacht, die stattgesunden hatte, und als er von dem Siege hörte, sagte er mit einer, dem Krächzen eines Raben gleichen Stimme: »Ich bin zufrieden mit Dir und mit mir. Die Hilfstruppen werden nicht so rasch eintreffen, wenn aber der Großfürst kommt, wird auch er seine Befriedigung äußern, denn die Burg wird unser sein.«

»Was für Gefangene sind gemacht worden?« fragte Zbyszko.

»Nur Weißfische, keine Hechte! Es war einer da, es waren sogar zwei da, aber sie entschlüpften, die bärbeißigen Hechte! Sie bissen unsere Mannen und suchten dann das Weite!«

»Durch Gottes Gnade ward mir ein Gefangener in die Hände geliefert,« entgegnete der Jüngling. »Es ist ein mächtiger und angesehener weltlicher Ritter, ein Fremder!«

Der schreckliche Samogitier umfaßte seinen eigenen Hals mit beiden Händen, dann machte er eine Bewegung, wie wenn er mit einem Stricke in die Höhe gezogen werde.

»So wird es ihm ergehen!« sagte er, »gerade wie den andern … So!«

Doch Zbyszko runzelte die Stirne.

»Höre, Skirwoillo,« antwortete er, »so wird es ihm nicht ergehen, denn er ist mein Gefangener und mein Freund. Uns beide hat Fürst Janusz zu gleicher Zeit gegürtet, und ich gestatte nicht, daß Du mit einem Finger an ihn rührst!«

»Du gestattest es nicht?«

»Ich gestatte es nicht!«

Und sie maßen sich mit finsteren Blicken, wobei Skirwoillos Gesicht sich verzerrte und geradezu den Ausdruck eines Raubtieres annahm. Schon waren beide nahe daran, ihrem Zorn die Zügel schießen zu lassen, als Zbyszko, dessen Herz von den Ereignissen des Tages erschüttert war und welcher jeden Streit mit dem alten Heerführer zu vermeiden wünschte, den er ehrte und schätzte, ihn plötzlich umfaßte, an die Brust drückte und rief: »So willst Du mir ihn entreißen und mir damit die letzte Hoffnung rauben? Wie kannst Du mir ein solches Unrecht zufügen?«

Skirwoillo entzog sich der Umarmung nicht, schließlich aber erhob er sein Haupt von Zbyszkos Schulter und diesen von unten herauf ansehend, ließ er ein eigentümliches Schnauben hören: »Wohlan,« sagte er nach kurzem Schweigen, »morgen lasse ich meine Gefangenen aufhängen, wünschest Du aber einen für Dich zu behalten, so überlasse ich ihn Dir.«

Dann umarmten sie sich nochmals und trennten sich in gutem Einvernehmen, zur großen Befriedigung Mackos, welcher bemerkte: »Durch Heftigkeit kannst Du offenbar nichts bei ihm erreichen, aber durch freundliches Entgegenkommen wird er zu Wachs in Deinen Händen.«

»So ist das ganze Volk,« erwiderte Zbyszko, »die Deutschen allein nur wissen dies nicht.«

Nach diesen Worten befahl er, Herrn de Lorche, der in einer Hütte rastete, an die Feuerstätte zu führen, und derselbe erschien denn auch bald, von dem Böhmen geleitet, unbewaffnet, ohne Helm, mit einem ledernen Wams bekleidet, auf dem der Panzer seine Spuren zurückgelassen hatte, und mit einer roten Mütze auf dem Haupte.

De Lorche hatte schon durch Hlawa erfahren, wessen Gefangener er war, deshalb trat er mit kalter hochmütiger Miene heran und beim Scheine der Flamme war Trotz und Verachtung in seinem Gesichte zu lesen.

»Danke Gott,« sagte Zbyszko zu ihm, »daß er Dich in meine Hand gab, denn von mir hast Du nichts zu befürchten.«

Und er wollte ihm in freundschaftlicher Weise die Hand reichen, aber de Lorche blieb unbeweglich stehen.

»Den Rittern, welche die ritterliche Ehre beschimpft haben, indem sie mit den Saracenen gegen die Christen kämpften, reiche ich nicht die Hand.«

Einer der anwesenden Masuren übersetzte seine Worte, deren Bedeutung Zbyszko sofort erriet. Und heiß wallte das Blut in ihm auf.

»Thor!« schrie er auf; unwillkürlich den Griff seines »Misericordia« ergreifend.

De Lorche erhob das Haupt.

»Töte mich!« sagte er, »ich weiß ja, daß Ihr die Gefangenen nicht schont.«

»Schont Ihr sie denn?« rief der Masur, der solche Worte nicht ruhig anhören konnte. »Seid Ihr es nicht gewesen, welche all die in der Schlacht gemachten Gefangenen am Ufer der Insel aufgehängt habt? Darum wird auch Skirwoillo Eure Kriegsknechte hängen lassen.«

»So geschah es in der That,« entgegnete de Lorche, »aber dies sind Heiden gewesen.«

Indessen war es nicht zu verkennen, daß er sich dieser Antwort gewissermaßen schämte, und man konnte daraus entnehmen, daß er im Innern eine solche That nicht billigte.

Mittlerweile hatte Zbyszko wieder kaltes Blut erlangt und sagte mit ruhiger Würde: »De Lorche, aus derselben Hand empfingen wir Gürtel und Sporen; Du kennst mich auch und weißt, daß die Ritterehre mir teurer ist als Leben und Glück, also höre, was ich Dir mit einem Eide bei dem heiligen Georg beschwöre. Viele von den Gefangenen waren längst getauft, und die Leute, welche noch keine Christen sind, strecken ihre Hände nach dem Kreuze aus, wie nach ihrer ewigen Seligkeit. Aber weißt Du, wer ihnen hindernd in den Weg tritt, damit sie nicht zur Erlösung gelangen, weißt Du, wer ihnen die Taufe verwehrt?«

Der Masur übersetzte Zbyszkos Worte sofort, und de Lorche schaute daher fragend in des Jünglings Antlitz.

Dieser aber sagte: »Die Kreuzritter!«

»Das kann nicht sein!« schrie der lothringische Ritter auf.

»Bei der Lanze und bei den Sporen des heiligen Georg, die Kreuzritter sind es! Denn wenn das Kreuz hier die Oberhand bekäme, würden sie keinen Vorwand mehr für ihre Ueberfälle, ihr herrisches Gebaren in diesem Lande und für die Unterdrückung des unglückseligen Volkes haben. Doch Du hast sie ja kennen gelernt, de Lorche, und weißt am besten, ob ihre Thaten gerecht sind.«

»Ich glaubte, daß sie ihre Sünden büßen, indem sie mit den Heiden Kämpfen und sie zur Taufe zu bewegen suchen.«

»Mit Blut werden die Heiden von den Kreuzrittern getauft, nicht mit dem heiligen Wasser. Lies dieses Blatt; und Du wirst sogleich erfahren, daß Du im Dienste von Menschenschindern, Räubern und Söhnen der Hölle gegen die Bekenner des christlichen Glaubens und der christlichen Liebe gekämpft hast.«

Bei diesen Worten überreichte er ihm den Brief der Samogitier an die Könige und Fürsten, der überall herumgeschickt worden war. De Lorche nahm ihn und überflog ihn beim Scheine des Feuers mit den Augen. Er überflog ihn rasch, denn die Kunst zu lesen war ihm nicht fremd. Ueber die Maßen erstaunt fragte er dann: »Ist all dies wahr?«

»Es ist wahr, so Gott mir und Dir helfe! Er weiß am besten, daß ich jetzt nicht nur meiner eigenen Sache, sondern auch der Gerechtigkeit diene.«

De Lorche schwieg eine Weile, dann sagte er: »Ich bin Dein Gefangener!«

»Gieb Deine Hand,« erwiderte Zbyszko. »Mein Bruder bist Du, nicht mein Gefangener.«

Nun reichten sie sich die Rechte und setzten sich zum abendlichen Imbiß nieder, den der Böhme durch die Knechte hatte bereiten lassen. Während des Mahles vernahm de Lorche mit nicht geringer Verwunderung, daß Zbyszko trotz der Geleitsbriefe den Aufenthaltsort Danusias noch nicht entdeckt hatte, und daß die Gültigkeit dieser Geleitsbriefe durch die Komture aus Anlaß des Krieges bestritten worden war.

»Nun ist es mir klar, weshalb Du Dich hier befindest!« sagte er zu Zbyszko, »und ich danke Gott, daß er mich Dir als Gefangenen überlieferte, denn ich glaube, die Kreuzritter werden für mich auswechseln, wen Du willst, weil sich sonst ein großes Geschrei in den westlichen Ländern erheben würde. Stamme ich doch aus einem mächtigen Geschlechte …«

Hier schlug er sich plötzlich mit der Hand an die Stirne und rief: »Bei allen Reliquien in Akwisgran 14! An der Spitze der nach Gotteswerder ziehenden Hilfstruppen befanden sich Arnold von Baden und der alte Zygfryd von Löwe. Wir wissen dies durch Briefe, welche in der Burg eintrafen. Sind diese Ritter denn nicht gefangen genommen worden?«

»Nein!« antwortete Zbyszko aufspringend, »keiner der Angesehensten ist gefangen genommen worden! Aber bei Gott, eine wichtige Kunde teilst Du mir mit. Bei Gott! Von den andern Gefangenen werde ich jetzt, ehe man sie aufhängt, erfahren, ob Zygfryd ein Weib mit sich geführt hat.«

Er rief nach den Knechten, damit sie ihm Fackeln anzündeten, und eilte der Richtung zu, wo sich Skirwoillos Gefangene befanden. De Lorche, Macko, sowie der Böhme folgten ihm.

»Höre,« sprach der Lothringer unterwegs zu ihm, »gieb mich frei auf mein Wort, dann werde ich selbst in ganz Preußen nach ihr forschen. Sobald ich sie gefunden habe, kehre ich zu Dir zurück und dann kannst Du mich für sie auswechseln, wenn sie noch am Leben ist!«

»Wenn sie noch am Leben ist!« rief Zbyszko aus.

Unterdessen waren sie bei Skirwoillos Gefangenen angelangt. Einige von ihnen lagen auf dem Rücken, wieder andere waren grausamer Weise mit Stricken an Baumstämme festgebunden. Das Licht der Fackeln fiel hell auf Zbyszkos Haupt, so daß die Augen all dieser Unglücklichen sich auf ihn richteten. Da ertönte eine durchdringende, herzzerreißende Stimme: »O mein Gebieter, mein Beschützer! Rettet mich!«

Zbyszko nahm einen brennenden Span aus der Hand eines Knechtes, eilte damit auf den Rufenden zu und die Leuchte emporhebend, schrie er laut: »Sanderus!«

»Sanderus!« stieß auch der Böhme voll Verwunderung hervor.

Und der Reliquienhändler, unfähig seine geknebelten Hände zu bewegen, streckte den Hals vor und ließ sich abermals vernehmen: »Erbarmen! … Ich weiß, wo sich die Tochter Jurands befindet! … Rettet mich!«

  1. Aachen.

Viertes Kapitel.

Für Macko und Zbyszko, die schon unter Witold gekämpft und demzufolge genugsam Kriegsleute aus Samogitien und Litauen gesehen hatten, bot der Anblick eines Lagers nichts Neues. Der Böhme dagegen schaute voll Spannung umher, indem er bei sich überlegte, was wohl von diesen Mannen in der Schlacht zu erwarten sei, und ob sie der deutschen und polnischen Ritterschaft gleichgestellt werden könnten. Das Lager, welches sich auf einer von Nadelwäldern und Sümpfen umschlossenen Ebene befand, war dadurch vor jedem Ueberfall gedeckt, denn kein zweites Kriegsheer konnte so leicht die trügerischen Moräste überschreiten. Sogar der Grund und Boden, auf dem die Feldhütten standen, war seicht und sumpfig, allein die Leute hatten ihn so dicht mit kreuzweis geschichteten Tannen- und Fichtenzweigen bedeckt, daß sie sich ebenso sicher darauf zur Ruhe legen konnten wie auf dem trockensten Erdreich. Für den Fürsten Skirwoillo war in aller Eile eine » numa«, eine Hütte errichtet worden, wie man sie in den litauischen Ansiedelungen aus Erde und rohen Baumstämmen zu bauen pflegte, Hütten aus Zweigen hergestellt dienten den hervorragenderen Mannen zur Unterkunft, während die gewöhnlichen Krieger unter offenem Himmel um das Feuer lagerten und gegen die Unbill des Wetters nur durch Felle und Schafpelze geschützt wurden, die sie auf dem nackten Leibe trugen. In dem Lager schlief noch niemand, hatten doch die Mannen tagsüber der Ruhe pflegen können, da seit der letzten Niederlage kein neuer Angriff unternommen worden war. Etliche lagen oder saßen um die hellen Feuer, die mittelst dürrem Reisig und Wacholderzweigen unterhalten wurden, andere schürten die halberloschene, von Asche bedeckte Glut auf, aus welcher der Geruch gebratener Rüben, der Hauptnahrung der Litauer, sowie der schlechte Dunst angebrannten Fleisches emporstiegen. Auf den freien Plätzen inmitten der Feuer lagen ganze Haufen von Waffen so geschickt aufgetürmt, daß im Falle der Not ein jeder der Mannen leicht nach der eigenen Waffe greifen konnte. Hlawa betrachtete voll Neugierde die Speere mit ihren langen, schmalen, aus hartem Eisen geschmiedeten Spitzen, die aus jungen Eichstämmen gefertigten Keulen, in die Feuersteine oder Nägel getrieben worden waren, die kurzstieligen, den polnischen Streitäxten ähnlichen Beile, deren sich das Reitervolk zu bedienen pflegte, sowie die Streitäxte mit Stielen, die so lang wie Hellebarden waren und mit welchen das Fußvolk im Kampfe focht. Streitäxte aus Erz waren auch vorhanden, wohl aus jenen alten Zeiten stammend, da das Eisen in den entlegeneren Gegenden noch nicht viel gebraucht ward, ja es fanden sich sogar Schwerter aus Erz vor, wenn schon die meisten aus gutem, aus Nowogrod eingeführtem Stahl gearbeitet waren. Der Böhme nahm die Speere, die Schwerter, die Streitäxte, die in Teer getränkten und im Feuer gebrannten Bogen zur Hand und prüfte sie beim Scheine des Lagerfeuers. Nur eine kleine Zahl von Pferden befand sich innerhalb des Lagers, die Mehrzahl der Tiere weidete in den nahe gelegenen Wäldern und auf den Wiesen unter der Obhut wachsamer Pferdeknechte. Da die namhaftesten Bojaren ihre türkischen Renner in nächster Nähe haben wollten, wurden verschiedene dieser edlen Rosse in dem Lager von den Pferdeknechten aus der Hand gefüttert. Diese Renner mit ihren kräftigen Hälsen waren ganz ungewöhnlich klein, allein nicht nur darüber staunte Hlawa, sondern auch über deren zottigen Körper, wodurch sie den Rittern aus dem Westen weit eher als seltsame wilde Tiere, weit eher als Einhörner, denn als edle Pferde erschienen.

»Die großen Streithengste dienen hier zu nichts,« bemerkte der erfahrene Macko, indem er seiner früheren Feldzüge unter Witold gedachte, »denn ein schweres Roß wird sofort in den Morästen einsinken, während diese kleinen, unansehnlichen Pferdchen ebensoleicht allenthalben durchkommen werden, wie ein Mensch.«

»In der Schlacht aber,« sagte Hlawa, »können diese kleinen Pferde den starken, deutschen Streitrossen keinen Widerstand leisten.«

»Wahrlich, das vermögen sie nicht. Dagegen versucht der Deutsche umsonst, vor dem Samogitier zu fliehen und niemals wird jener im stande sein, diesen Feind einzuholen, der noch rascher zu reiten versteht, als ein Tatar.«

»Gar seltsam ist dies. Die Tataren, welche ich als Kriegsgefangene bei dem Ritter Zych aus Zgorzelic gesehen habe, waren alle so klein, daß jedes Pferd sie getragen hätte, die Samogitier jedoch sind kräftige, hochgewachsene Krieger.«

Die Mannen zeichneten sich auch tatsächlich durch ihren hohen Wuchs aus, und beim Scheine des Feuers ließ sich bei einem jeden die breite Brust, die kräftigen Schultern unter den Fellen und den Schafspelzen erkennen. Alle waren groß, starkknochig, wenn auch eher hager wie dick. Die meisten hatten eine kräftigere Gestalt als die Bewohner der andern litauischen Gebiete, saßen sie doch auf besserer, fruchtbarerer Erde und wurden dadurch weniger von Hungersnot geplagt, als das sonstige Litauen. Der Hofhalt des Großfürsten befand sich in Wilna. In Wilna stellten sich daher Fürsten aus dem Osten und aus dem Westen ein, Gesandtschaften wurden dahin abgeschickt, fremde Kaufleute strömten dort zusammen. Natürlicherweise kamen demzufolge die Bewohner Wilnas und der angrenzenden Gebiete mit Fremden in Berührung. In Samogitien hingegen zeigte sich das Fremde nur in Gestalt eines Kreuzritters oder eines Ritters des Schwertordens, welche die stillen Waldansiedlungen durch Feuer, Knechtung und Bluttaufen heimsuchten. War es daher zu verwundern, daß die Menschen hier sich ungeschlachter, roher gebärdeten, fest an dem Althergebrachten hingen, alles Neue von sich wiesen, daß sie die alten Gebräuche, die alte Kriegsführung und das Heidentum gerade deshalb hochhielten, weil ihnen der Glaube an das Kreuz nicht durch einen milden Verkündiger des Christentums, nicht mit der Liebe eines Apostels gelehrt ward?

Skirwoillo und die angesehenen Knäsen und Bojaren hatten sich schon, dem Beispiele Jagiellos und Witolds folgend, zum Christentum bekehrt. Die andern aber, ja, sogar die ungezügeltsten und wildesten Krieger sagten sich insgeheim, der Untergang und das Ende der alten Welt, des alten Glaubens seien gekommen und waren bereit, das Haupt vor dem Kreuze zu beugen, nur sollte es kein Kreuz sein, das durch die Kreuzritter ausgerichtet worden war. »Wir sehnen uns nach der Taufe,« so klang ihr Klageruf zu allen Fürsten und zu allen Völkern, »doch bedenkt, daß wir Menschen, nicht aber wilde Tiere sind, welche verschenkt, gekauft und verkauft werden können.« Da ihnen aber der neue Glaube durch Gewalt aufgezwungen ward, da sie sahen, wie der alte Glaube erlosch wie das Feuer erlischt, auf das kein Holz geworfen wird, ergriff sie unsagbarer Schmerz, tiefes Weh um die entschwundenen alten Zeiten. Der Böhme, der inmitten eines frohen, kriegerischen Treibens aufgewachsen war, inmitten eines Treibens, wo Gesang und klingende Musik fast nie verstummten, sah nun zum erstenmale in seinem Leben ein Lager, in dem solche Stille, solche Trauer herrschte. Höchstens da und dort an den Feuern, vor der entfernt gelegenen Hütte Skirwoillos ertönte eine Querpfeife oder eine Rohrpfeife, nur da und dort vernahm man undeutlich die Worte eines Liedes, das ein » burtinikas« 13 leise vor sich hinsang. Gebeugten Hauptes, den

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Da es jedoch kalt und feucht in dem Zelte war, ließen sich die beiden Ritter und mit ihnen Hlawa auf Fellen an dem Feuer nieder.

Blick unverweilt auf die flammenden Holzscheite gerichtet, lauschten die Kriegsleute diesen Tönen. Manche saßen zusammengekauert vor den Feuern, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, das Antlitz in die Hände verborgen, und ähnelten, von Fellen und Schafspelzen eingehüllt, den wilden Tieren des Waldes. Schauten sie indessen empor, warfen sie einen Blick auf die vorübergehenden Ritter, dann sah man in dem Scheine der Flammen nicht finstere, wilde, nein, blauäugige, milde Gesichter, auf denen sich der Kummer bedrängter Kinder spiegelte. Am äußersten Ende des Lagers ruhten auf weichem Moose die Verwundeten, welche man aus der letzten Schlacht hatte hierherbringen können. Zauberer, sogenannte » labarysy« und » sejtanawie« saßen bei den Schmerz und Pein geduldig Leidenden, sprachen ihre Beschwörungsformeln über sie oder untersuchten ihre Wunden, auf die sie heilende Kräuter legten. Aus der Tiefe des Waldes, aus Feldern und Wiesen ertönte zeitweise der Pfiff der Pferdeknechte, dann und wann erhob sich ein Windstoß, trieb Rauchwolken über das Lager hin und rief ein Rauschen in den dunkeln Gehölzen hervor. Doch es wurde später und später in der Nacht. Die Feuer glimmten zum Teil nur noch, zum Teil waren sie vollständig erloschen, und die nun eintretende tiefe Stille vervollständigte noch mehr das Bild von Trauer und Bedrückung.

Nachdem Zbyszko seinen Mannen, denen er sich leicht verständlich machen konnte, befanden sich doch etliche Leute aus Plock unter ihnen, die nötigen Befehle erteilt hatte, wandte er sich zu seinem Knappen und sagte: »Du hast nun genug gesehen. Kehren wir in das Zelt zurück.«

»Wahrlich, ich habe genug gesehen,« antwortete Hlawa. »Doch nichts Erfreuliches ist mir zu Gesicht gekommen, denn schon im ersten Augenblicke zeigt sich’s klar, daß diese Leute geschlagen worden sind.«

»Zweimal sogar. Vor vier Tagen nahe der Burg, vor drei Tagen aus der Flucht. Und nun will Skirwoillo zum drittenmale den Angriff wagen und sich zum drittenmale schlagen lassen.«

»Weshalb begreift er nicht, daß mit solchen Kriegsleuten nichts gegen die Deutschen auszurichten ist? Der Ritter Macko hat mir dies sofort gesagt, und ich habe mich nun auch davon überzeugt. Nein, das sind keine Mannen für den Krieg.«

»Darin täuschest Du Dich. Solch tapfere Kriegsleute wie diese hier giebt es nur wenige auf Erden. Doch sie kämpfen in festgeschlossenen Scharen, während die Deutschen in Reihen vorzugehen pflegen. Wird jedoch die Reihe der Deutschen durchbrochen, dann streckt ein Samogitier rascher einen Deutschen darnieder, als der Deutsche den Samogitier. Traun, den Deutschen ist dies nur zu wohl bekannt, wie zu einer Mauer schließen sie sich daher stets fest aneinander.«

»An die Erstürmung der Burgen ist wohl nicht zu denken,« bemerkte Hlawa.

»Es mangelt uns an den Hilfsmitteln dazu,« erwiderte Zbyszko, »Fürst Witold freilich verfügt über alles Nötige, doch bevor er eintrifft, kommt keine Burg in unsere Hände, es sei denn durch Zufall, durch Verrat.«

Unter solchem Gedankenaustausch kehrten sie in das Zelt zurück, vor dem ein großes Feuer von den Knechten unterhalten ward, und in dem der Dampf des für das Mahl zu bereitenden Fleisches emporstieg. Da es jedoch kalt und feucht in dem Zelte war, ließen sich die beiden Ritter und mit ihnen Hlawa auf Fellen an dem Feuer nieder. Nachdem sie sich mit Trank und Speise erquickt hatten, versuchten sie zu schlafen, allein der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Macko wandte sich beständig von einer Seite auf die andere, und kaum bemerkte er, daß Zbyszko, die Hände um die Knie geschlungen, aufrecht beim Feuer saß, so fragte er: »Höre mich! Weshalb gabst Du den Rat gegen Ragneta zu ziehen, da doch die Burg in gar weiter Ferne liegt, und nicht gegen Gotteswerder, gegen die in der Nähe gelegene Burg? Aus welchem Grunde thatest Du diesen Vorschlag?«

»Weil eine innere Stimme mir sagt, Danusia befinde sich in Ragneta – und zudem ist man dort weit weniger auf der Hut als hier.«

»Es gebrach an Zeit, uns eingehend zu besprechen, denn ich selbst war müde, und Du mußtest nach der Niederlage die Mannen in den Wäldern wieder sammeln. Nun aber sag‘ mir offen: willst Du noch immer nach jenem Mägdlein suchen?«

»Nach welchem Mägdlein? Nach meinem Eheweibe suche ich.«

Diesen Worten folgte ein langes Schweigen, denn was sollte Macko darauf erwidern? Wäre Danusia nur in ihrer Eigenschaft als Jurands Tochter in Betracht gekommen, dann hätte sich der alte Ritter nicht gescheut, den Bruderssohn von jedem weiteren Forschen abzuhalten, durch das heilige Sakrament der Ehe jedoch war dies für Zbyszko nun zur Pflicht geworden. Niemals würde auch Macko eine solche Frage gethan haben, wenn er Zeuge des Verlöbnisses, der Trauung gewesen wäre. Da dies aber nicht der Fall war, betrachtete er Jurands Tochter immer noch als ein Mägdlein.

»Traun,« Hub Macko nach geraumer Zeit wieder an, »traun, was ich diese zwei Tage hindurch nur fragen konnte, das habe ich gefragt, Du aber antwortest stets, Du wissest nichts.«

»Ich weiß auch nur das eine, daß Gottes Zorn über mir ist.«

Jetzt richtete sich Hlawa von seinem Bärenfelle empor, setzte sich und horchte aufmerksam auf das sich nun entspinnende Gespräch.

»Da sich der Schlaf doch nicht einzustellen scheint,« ergriff Macko von neuem das Wort, »so sprich: was sahst Du, was thatest Du, was führtest Du in Marienburg aus?«

Zbyszko strich sein Haar, das seit längerer Zeit über der Stirn nicht geschnitten worden war und ihm daher fast über die Brauen reichte, langsam zurück, schaute einige Sekunden sinnend vor sich hin und ließ sich also vernehmen: »Wollte Gott, daß ich soviel von meiner Danusia zu berichten hätte, wie von Marienburg! Ihr fragt mich, was ich dort gesehen habe? Ich überzeugte mich von der unermeßlichen Macht der Kreuzritter, denen alle Könige, alle Völker verbündet sind, von einer Macht, die so groß ist, daß sie wohl kein Mensch auf Erden zu brechen vermag. Ich sah eine Burg, wie sie wohl kaum der römische Kaiser besitzt, ich sah Schätze, die jeder Beschreibung spotten, ich sah Waffen, ich sah gewappnete Mönche, Ritter und Kriegsknechte, in solch großer Schar wie ein Ameisenhaufen, ich sah so zahlreiche Reliquien, wie nur der heilige Vater in Rom sie haben kann. Hei, ich sage Euch, alles bäumte sich in mir auf bei dem Gedanken: wer kann den Angriff gegen diesen Orden wagen, wer kann sie besiegen, wer kann es auch nur mit ihnen aufnehmen, wo ist das Volk, das diese Kreuzritter niederwerfen kann?«

»Wir wollen es versuchen! Fluch ihren Müttern!« rief nun Hlawa, unfähig sich länger zurückzuhalten.

Ueber Zbyszkos Worte höchst betroffen, unterbrach der alte Ritter seinen Bruderssohn ebenfalls in der Erzählung, trotzdem er gar gern alles genau gehört hätte, und fragte: »Hast Du denn des Kampfes bei Wilna vergessen? Haben wir denn so selten Mann gegen Mann, Schulter an Schulter mit ihnen gekämpft? Ist es Dir denn aus dem Sinn gekommen, wie wenig sie gegen uns ausgerichtet haben – wie sie sich über unsere Standhaftigkeit beklagten und meinten, es genüge nicht, Pferde zu Schanden zu reiten, Lanzen zu brechen, sondern man müsse den Gegner an der Kehle packen oder das eigene Leben lassen! Auch fremde Kämpen haben sich dort mit uns gemessen – doch schimpflich mußten sie abziehen. Weshalb bist Du so kleinmütig geworden?«

»Ich bin nicht kleinmütig, nein, ich habe in Marienburg gekämpft, wo es sich stets um Tod und Leben handelt. Allein Ihr kennt die gewaltige Macht der Kreuzritter nicht.«

»Kennst Du vielleicht die ganze Stärke der Polen?« ließ sich nun Macko ärgerlich vernehmen. »Hast Du jemals unsere Banner vereinigt gesehen? Nein, niemals. Auf was beruht denn die Macht des Ordens? Auf Ungerechtigkeit, auf Verrätern, denn nicht eine Spanne des Landes, in dem sie jetzt Hausen, gehört ihnen zu eigen. Unsere Fürsten haben sie bei sich aufgenommen, wie man einen Bettler ins Haus nimmt – damit man ihn mit Gaben beschenke. Was thaten aber jene? Kaum waren sie erstarkt, so bissen sie ihren Wohlthätern gleich wütenden Hunden in die Hand. Gewaltsam rissen sie die Lande an sich, durch Hinterlist bemächtigten sie sich der Städte, darin liegt ihre Kraft! Doch selbst wenn alle Könige der Erde ihnen zu Hilfe eilten – der Tag des Gerichtes, der Tag der Rache ist nahe.«

»Ihr drängtet mich, Euch zu erzählen, was ich sah,« ergriff Zbyszko jetzt das Wort, »und nunmehr seid Ihr ärgerlich darob. Besser wäre es daher für mich, ich schwiege.«

Macko schnaubte förmlich geraume Zeit vor Zorn, nach und nach beruhigte er sich indessen wieder und fuhr fort: »Höre nun, wie ich die Sache betrachte. Es kommt doch vor, daß Du im Walde vor einem turmhohen Fichtenbaume stehst und bei Dir denkst: ›Der Baum wird in alle Ewigkeit dem Sturme trotzen‹. Erteilst Du ihm aber mit dem Rücken der Axt einen tüchtigen Schlag, dann klingt der Baum ganz hohl und morsches Holz fällt von ihm ab. Das Gleiche gilt auch von der Macht der Kreuzritter. Ich wollte von Dir wissen, was Du bei ihnen unternommen, was Du bei ihnen ausgerichtet hast. Kämpftest Du auf Tod und Leben, sprich?«

»Auf Tod und Leben habe ich gekämpft. Rücksichtslos und voller Hochmut begegnete man mir anfänglich, denn allen war mein Kampf mit Rotgier wohl bekannt. Gar Schlimmes wäre mir sicherlich widerfahren, hätte mich der Brief des Fürsten Janusz nicht davor bewahrt! Zudem wußte mich auch Herr de Lorche, dem sie große Ehre erwiesen, vor ihrer Wut zu schützen. Aber als dann später Feste und Turniere abgehalten wurden, da verlieh mir der Herr Jesus seinen Segen. Ihr hörtet doch, daß mich Ulryk, der Bruder des Großmeisters, in sein Herz geschlossen hat und mir den schriftlichen Befehl des letztern verschaffte, Danusia in meine Hände auszuliefern.«

»Die Sattelgurt soll ihm gerissen sein, so sagten uns die Leute,« bemerkte Macko, »Du aber habest nicht mehr zugestoßen, nachdem Dir dieses klar geworden sei.«

»Ich richtete die Lanze in die Höhe und von dem Augenblicke an gewann ich seine Zuneigung. Hei, bei Gott, er gab mir gewichtige Briefe, mit denen ich von Burg zu Burg ziehen und suchen konnte. Mich dünkte, mein Kummer, meine Sorgen seien nun zu Ende – ratlos sitze ich jedoch nunmehr hier, inmitten dieser wilden Gegend, und Tag für Tag wächst meine Qual, wächst meine Pein.«

In kurzes Schweigen versinkend, warf er plötzlich mit solcher Wucht ein Scheit Holz in das Feuer, daß die Funken aufsprühten, und die Flamme hoch emporloderte.

»Wahrlich,« hub er hieraus wieder an, »wenn die Beklagenswerte in irgend einer Burg schmachtet, wird sie gewiß den Glauben hegen, ich habe ihrer‘ längst vergessen. Und ist dem so, dann mag ein jäher Tod mich bald ereilen.«

Aber und abermals schleuderte er Holzscheite in das Feuer, gerade als ob er damit all die Kümmernisse von sich werfen wolle, die ihn im innersten Mark verzehrten. Staunend beobachteten dies Macko und Hlawa, die sich eigentlich jetzt erst davon überzeugten, wie unendlich Danusia von Zbyszko geliebt ward.

»Beruhige Dich!« rief daher Macko. »Sind Dir die Geleitsbriefe nicht von Nutzen gewesen? Haben die Komture dem Großmeister keinen Gehorsam geleistet?«

»Beruhigt Euch, o Herr,« ergriff nun auch Hlawa das Wort. »Gott wird Euch Trost gewähren – bald, vielleicht sehr bald.«

Thränen glänzten in Zbyszkos Augen, als er, mit aller Macht sich bezwingend, von neuem begann: »Die Schurken öffneten mir Burgen und Kerker. Ich zog von Ort zu Ort, ich suchte allenthalben! Da mit einem Male brach der Krieg aus und in Gierdawy erklärte mir der Vogt von Heideck, im Kriege herrschten andere Gesetze, die in Friedenszeiten ausgestellten Geleitsbriefe hätten keinen Wert. Ich zog ihn wohl sofort zur Rechenschaft er aber wollte sich mir nicht stellen, nein er erteilte den Befehl, mich aus der Burg zu weisen.«

»Und in den andern Burgen?« fragte Macko.

»Ueberall erhielt ich die gleiche Antwort. In Krolewiec weigerte sich der Komtur, welcher über dem Vogte von Gierdawy steht, sogar mir einen Blick in das Schreiben des Großmeisters zu thun. Krieg sei Krieg, erklärte er, ich möge vor allem dafür sorgen, daß ich mit heiler Haut davon käme. Und wohin ich mich auch wandte – den gleichen Bescheid erhielt ich allerorts.«

»Nunmehr begreife ich alles,« ließ sich der alte Ritter jetzt vernehmen. »Da Du nichts auszurichten vermagst, bist Du hierher gekommen, um wenigstens Rache nehmen zu können.«

»So ist es in der That,« entgegnete Zbyszko. »Ich glaubte. Gefangene machen, ich hoffte, mich einiger Burgen bemächtigen zu können, doch diese Mannen hier können keine Burgen stürmen.«

»Hei! Laß nur erst den Fürsten Witold kommen, dann wird alles anders werden.«

»Gott gebe, daß er zu uns stoße!«

»Er wird kommen. An dem masovischen Hofe ward mir dies gesagt. Vielleicht trifft auch der König selbst ein und mit ihm die ganze polnische Streitmacht.«

Schon wollte Zbyszko eine Antwort geben, als dies durch Skirwoillo vereitelt ward, der ganz unerwartet mit den Worten aus der Dunkelheit trat:

»Wir brechen auf.«

Macko, Zbyszko und der Böhme sprangen empor, Skirwoills aber kam dicht zu ihnen und sagte in leisem Tone:

»Es ist uns Kunde geworden, daß Verstärkungen und Zufuhren nach Neu-Kowno unterwegs sind. Ein Zug von Kriegsleuten soll unter der Anführung von zwei Kreuzrittern Vieh und allerlei Nahrungsmittel dahin bringen, das müssen wir vereiteln.«

»Ueberschreiten wir den Niemen?« fragte Zbyszko.

»Ja, wir kennen eine Furt.«

»Weiß man in der Burg von jener Absicht?«

»Gewiß. Eine ganze Schar wird den Ankömmlingen entgegen ziehen. Auf diese Schar müßt Ihr Euch Werfen.«

Eingehend erklärte er ihnen hierauf, wo sie sich zu verbergen hätten, um unerwartet die aus der Burg Ziehenden überfallen zu können. Seinem Plan nach sollten gleichzeitig zwei Angriffe unternommen werden, um die erlittene Niederlage zu rächen, ein Plan, der sich vielleicht um so leichter ausführen ließ, weil sich der Feind nach dem Siege völlig sicher fühlte. Ganz genau gab er auch die Zeit an, in der sie losschlagen mußten, und bezeichnete die Richtung, die sie dann einzuhalten hatten. Alles Uebrige jedoch überließ er ihrer Tapferkeit, ihrer Umsicht. Freude und Stolz schwellten ihre Herzen bei der Erkenntnis, daß er sie als bewährte, umsichtige Krieger betrachtete. Auf seine Aufforderung hin begleiteten sie ihn schließlich in seine Hütte, wo ihn Knäsen und Bojaren, die Führer der Abteilungen erwarteten. Nachdem er hier seine Befehle wiederholt und neue erteilt hatte, setzte er eine aus Wolfsknochen gearbeitete Pfeife an die Lippen und ließ einen so lauten, schrillen Pfiff ertönen, daß er von einem Ende des Lagers bis zu dem andern schallte.

Sofort regte es sich allenthalben an den erloschenen Feuerstätten; da und dort sprühten Funken auf, da und dort stiegen vereinzelte Flämmchen empor, die mit jedem Augenblick zahlreicher und heller wurden und deren Schein auf die Gestalten wilder Krieger fiel, die sich mit ihren Waffen um die Feuer sammelten. Wie auf einen Schlag war der Wald aus dem Schlafe erwacht, denn auch aus der Tiefe des Dickichts drangen nun die Rufe der Pferdeknechte, welche die Rosse in das Lager trieben.

  1. Wahrsager. Anmerkung der Uebersetzerinnen.