Zbyszko machte sich im Innern Vorwürfe, daß er in seinem Schmerze des Oheims vergessen habe, und da er gewohnt war, rasch auszuführen, was er beschlossen hatte, brach er schon am folgenden Morgen bei Tagesanbruch mit Herrn de Lorche nach Plock auf. Die Wege an der Grenze waren sogar in Friedenszeiten nicht gefahrlos wegen der zahlreichen Räuberbanden, die unter der Kreuzritter Schutz und Schirm standen. Das ward auch dem Orden durch König Jagiello zum Vorwurf gemacht. Aber trotz der Klagen, welche bis nach Rom drangen, trotz der Drohungen und strengen gesetzlichen Maßregeln, gestatteten die benachbarten Komture häufig ihren Söldlingen, sich mit den Räuberbanden zu verbünden. Dabei verleugneten sie zwar diejenigen, welche das Unglück hatten, in die Hände der Polen zu fallen, gewährten aber den mit Beute und Gefangenen Zurückkehrenden nicht nur in den zu dem Orden gehörenden Dörfern, sondern auch in den Burgen Zuflucht.
In solch räuberische Hände gerieten Reisende und auch die Grenzbewohner häufig. Vornehmlich waren es die Kinder begüterter Leute, welche des Lösegeldes wegen weggeführt wurden. Aber die beiden jungen Ritter, von denen jeder ein beträchtliches Gefolge von bewaffneten Mannen zu Fuß und zu Pferd, sowie von Wagenlenkern hatte, befürchteten keinen Ueberfall und langten ohne Abenteuer in Plock an, wo ihrer eine angenehme Ueberraschung harrte.
In der Herberge trafen sie Tolima, welcher am Tage zuvor eingetroffen war. Dies verhielt sich folgendermaßen: der Starost des Ordens zu Lubowa, welcher gehört hatte, daß es dem Abgesandten, in dem Augenblicke, als man ihn in der Nähe von Brodnica ergriff, gelungen war, einen Teil des Lösegeldes zu verbergen, sandte ihn nach dieser Burg zurück, mit dem Auftrag an den Komtur, daß er ihn zwinge, anzugeben, wo das Geld sich befand. Aber Tolima benützte die günstige Gelegenheit und entfloh auf dem Wege dahin. Als die beiden Ritter sich wunderten, daß ihm die Flucht so gut gelungen war, erklärte er ihnen die Sache auf folgende Weise.
»Ihre Habsucht ist an allem Schuld. Der Komtur von Brodnica wollte mir nicht viele Leute zur Bewachung mitgeben, denn er wünschte keinen Lärm zu machen wegen des Geldes. Vielleicht hatte er mit dem Starosten von Lubowa verabredet, es zu teilen, und sie befürchteten, wenn Lärm gemacht werde, müßten sie einen beträchtlichen Teil davon nach Marienburg schicken oder alles an Arnold und Wolfgang von Baden abgeben. So ließ er mich denn nur durch zwei Männer geleiten, von denen der eine, ein vertrauter Knecht, mit mir die Ruder auf dem Drewenz führen sollte, der andere ein Schreiber war. Aber da sie wünschten, daß niemand uns sehen solle, wurden wir des Nachts weggeschickt und Ihr wißt, daß die Grenze ganz nahe ist. Sie gaben mir auch ein Ruder aus Eichenholz … nun – und Gott hat mir beigestanden … denn nun bin ich hier in Plock.«
»Wohl, aber sind die andern nicht zurückgekehrt?« rief Zbyszko aus.
Da erhellte ein Lächeln Tolimas grimmes Gesicht.
»Der Drewenz fließt in die Weichsel,« entgegnete er. »Wie können sie zurückkehren, wenn sie im Wasser liegen? In Torun werden die Kreuzritter sie vielleicht finden!«
Nach einer Weile fügte er, zu Zbyszko gewendet, hinzu: »Einen Teil des Geldes nahm mir der Komtur aus Lubowa, aber den Rest, welchen ich bei dem Ueberfall verbarg, habe ich wieder erlangt und es jetzt Eurem Knappen, Herr, zur Aufbewahrung übergeben. Er wohnt im Schlosse bei dem Fürsten, und dort ist es sicherer, als bei mir in der Herberge.«
»Mein Knappe ist hier in Plock? Was thut er hier?« fragte Zbyszko voll Verwunderung.
»Als er Zygfryd nach Spychow gebracht hatte, zog er mit der Jungfrau, welche sich dort befand, wieder aus und diese ist jetzt Hoffräulein bei der Fürstin hier. So sagte er mir gestern.«
Und Zbyszko, der durch den Schmerz um Danusia wie betäubt gewesen, der in Spychow nach nichts gefragt hatte und von nichts wußte, erinnerte sich jetzt erst, daß der Böhme mit Zygfryd vorausgesandt worden war – und von Groll und Rachedurst erfüllt, zog sich sein Herz bei diesem Gedanken krampfhaft zusammen.
»Ganz richtig, so ist es gewesen!« antwortete er. »Aber wo befindet sich jener Henker? Was ist mit ihm vorgegangen?«
»Erzählte es Pater Kaleb nicht? Zygfryd erhängte sich, und Ihr, Herr, müßt an seinem Grabe vorüber gekommen sein.«
Ein Augenblick des Schweigens folgte.
»Der Knappe sagte auch,« fügte Tolima hinzu, »daß er sich zu Euch begeben wolle, und daß er es schon längst gethan hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre, die junge Maid zu verlassen, welche erkrankte, als sie von Spychow hier anlangte.«
Gewaltsam die traurigen Erinnerungen von sich abschüttelnd, fragte Zbyszko wiederum wie in einem Traum befangen: »Welche junge Maid?«
»Ei, jene Maid,« entgegnete der Alte, »Euere Schwester oder Blutsverwandte, welche mit Ritter Macko in Männertracht nach Spychow kam und unterwegs unsern Herrn traf, der sich tastend seinen Weg suchte. Wäre nicht sie, wäre nicht Ritter Macko gewesen, so hätte auch Euer Knappe unsern Gebieter nicht erkannt. Unser Gebieter gewann sie nun sehr lieb, denn sie sorgte für ihn wie eine Tochter, und außer Pater Kaleb war sie die Einzige, die ihn verstand.«
Da riß der junge Ritter voll Erstaunen seine Augen weit auf.
»Pater Kaleb sagte mir nichts von einer jungen Maid, und eine Blutsverwandte habe ich nicht.«
»Er sagte nichts, Herr, weil Ihr durch Eueren Kummer alles um Euch her vergaßet und gar nichts mehr von der Gotteswelt wußtet.«
»Und wie nennt sich diese Maid?«
»Sie nennt sich Jagienka.«
Zbyszko glaubte, er träume. Daß Jagienka von dem fernen Zgorzelic nach Spychow gekommen war, vermochte er kaum zu fassen. Und aus welchem Grunde, warum hatte sie es gethan? Wohl war es ihm kein Geheimnis geblieben, daß die Maid ihn liebte, ihm in Zgorzelic ihr Herz zu eigen geworden war, aber er hatte ihr ja gestanden, daß Danusia seine Ehegemahlin werde – daher konnte er nimmermehr voraussetzen, daß Macko sie in der Absicht nach Spychow mitgenommen habe, um sie ihm zum Weibe zu geben. Uebrigens hatte weder Macko noch der Böhme ihm gegenüber Jagienkas Erwähnung gethan. All dies erschien ihm seltsam, ja völlig unbegreiflich. Daher bestürmte er Tolima mit Fragen, gleich einem Menschen, der seinen eigenen Ohren nicht zu trauen vermag und wünscht, daß ihm eine unglaubliche Kunde bestätigt werde.
Tolima konnte ihm indessen nicht mehr sagen, als das, was er schon gesagt hatte, doch begab er sich in das Schloß, um Hlawa aufzusuchen, und kehrte bald, noch vor Sonnenuntergang, mit diesem zurück. Der Böhme begrüßte seinen jungen Herrn voll Freude und doch auch wieder traurig, denn er hatte zuvor schon Kunde von den Ereignissen in Spychow bekommen. Auch Zbyszko war im Herzen froh über dies Wiedersehen, fühlte er doch, daß er hier eine treue Freundesseele vor sich hatte, eine von denen, welche dem Menschen vornehmlich im Unglück so nötig sind. Mit tiefer Wehmut berichtete er ihm von Danusias Tode, und Hlawa nahm wie ein Bruder Anteil an seinem Schmerze, seinem Herzeleid und an seinen Thränen. Sie blieben lange beisammen, zumal schließlich, auf Zbyszkos Bitte hin, Herr de Lorche, das Antlitz und den Blick zu den Sternen emporgerichtet, ihnen am offenen Fenster mit Begleitung der Zither jenen Trauergesang vortrug, den er an die Tote gedichtet hatte.
Als sie sich dann etwas erleichtert fühlten, begannen sie von den Angelegenheiten zu sprechen, die sie nach Plock geführt hatten.
»Ich habe absichtlich diesen Weg nach Marienburg eingeschlagen,« sagte Zbyszko. »Du weißt, daß mein Oheim in Gefangenschaft geraten ist, und daß ich mich mit Lösegeld zu ihm begebe.«
»Ich weiß es,« entgegnete der Böhme. »Ihr thatet wohl daran, Herr! Ich wollte selbst nach Spychow aufbrechen und Euch raten, nach Plock zu kommen. Der König wird in Naciongsch mit dem Großmeister eine Zusammenkunft haben; vor dem König aber wird es leicht sein, eine Beschwerde zu erheben, da in Gegenwart der Majestät die Kreuzritter nicht so hochmütig auftreten, sondern christliche Demut heucheln.«
»Tolima sagte mir, es sei Deine Absicht gewesen, zu mir nach Spychow zu kommen, allein die Krankheit Jagienkas, der Tochter Zychs, habe Dich daran gehindert. Ich hörte, daß mein Oheim sie in diese Gegend gebracht hat, und daß sie auch in Spychow gewesen ist. Darüber wundre ich mich sehr. Nun sprich, aus welchem Grunde hat mein Oheim sie aus Zgorzelic weggeführt?«
»Es waren viele Gründe vorhanden. Ritter Macko befürchtete, wenn er sie ohne Schutz zurücklasse, würden die Ritter Wilk und Cztan in Zgorzelic einfallen, und dadurch könne auch den Brüdern Jagienkas Schaden zugefügt werden. Ist sie aber abwesend, so droht keine Gefahr, denn wie Ihr wißt, kommt es in Polen zuweilen vor, daß ein Edelmann sich mit Gewalt einer Maid bemächtigt, wenn er sie nicht auf andere Weise haben kann. Aber gegen junge Waisen wird niemand die Hand erheben, denn mit dem Schwert des Henkers würde er bestraft werden, ja, was noch schlimmer ist, er würde Schmach und Schande auf sich laden. Indessen war auch noch eine andere Ursache vorhanden. Der Abt starb und setzte die Jungfrau zur Erbin seiner Besitztümer ein, die unter der Obhut des hiesigen Bischofs stehen, deshalb hat Ritter Macko die Jungfrau nach Plock gesandt.«
»Und zuvor hatte er sie nach Spychow geführt?«
»Dorthin führte er sie während der Abwesenheit des Bischofs, des Fürsten und der
Herr de Lorche. das Antlitz und den Blick zu den Sternen emporgerichtet, trug ihnen am offenen Fenster mit Begleitung der Zither jenen Trauergesang vor, den er an die Tote gedichtet hatte.
Fürstin, da er sie nicht hätte hier lassen können. Und es war ein Glück, daß er sie mitnahm. Ohne die Jungfrau wären wir an Ritter Jurand vorüber gegangen, wie an einem fremden Bettler. Erst als sie so tiefes Mitleid mit ihm zeigte, wurden wir aufmerksam und erkannten ihn. Unser Herrgott hat dies alles so gefügt durch ihr warmes Herz.«
Und er erzählte, wie Jurand dann später nicht mehr ohne sie sein konnte, wie er sie liebte, wie er den Segen des Himmels auf sie herabflehte, und obwohl Zbyszko all dies schon von Tolima gehört hatte, lauschte er dem Berichte mit tiefer Rührung und mit den dankbarsten Empfindungen für Jagienka.
»Möge Gott sie gesund erhalten!« sagte er schließlich. »Mich wundert nur, daß Ihr mir nichts von ihr gesagt habt.«
Der Böhme geriet ein wenig in Verlegenheit, und um Zeit zu einer Antwort zu gewinnen, fragte er: »Wo denn, Herr?«
»Bei Skirwoillo, dort bei den Samogitiern.«
»Sagten wir nichts? So wahr ich lebe! Ich glaubte, wir hätten Euch etwas davon gesagt, aber Ihr hattet wohl andere Dinge im Kopfe.«
»Daß Jurand zurückgekehrt sei, sagtet Ihr, aber kein Wort von Jagienka.«
»Ei, Ihr habt es wohl vergessen! Doch Gott allein weiß am besten, wie die Sache sich verhält. Vielleicht dachte Ritter Macko, ich hätte von ihr gesprochen, und ich dachte, er hätte von ihr gesprochen. Uebrigens, Euch damals überhaupt etwas zu erzählen, wäre ganz nutzlos gewesen, Herr. Und das war kein Wunder. Aber jetzt ist alles anders, und ich muß sagen: es ist ein Glück, daß die Jungfrau sich hier befindet, denn sie kann dem Ritter Macko von Nutzen sein.«
»Was vermag sie zu erreichen?«
»Wenn sie nur ein Wort zu der Fürstin Alexandra sagt, welche sie unendlich liebt, genügt es schon. Und die Kreuzritter wiederum schlagen der Fürstin nichts ab, einmal darum, weil sie des Königs Schwester und zweitens, weil sie eine große Freundin des Ordens ist. Wie Ihr vielleicht schon hörtet, hat sich gerade jetzt Fürst Skirgiello (des Königs leiblicher Bruder) gegen Witold erhoben und ist zu den Kreuzrittern geflohen, welche ihm beistehen und ihn an Witolds Stelle zum Herrscher einsetzen wollen. Der König ist der Fürstin sehr zugethan und leiht ihr, wie man sagt, gern sein Ohr, daher wünschen die Kreuzritter, daß sie ihn zu Gunsten Skirgiellos und gegen Witold beeinflusse. Sie meinen – verdammt seien ihre Mütter – wenn sie von Witold befreit wären, würden sie Frieden haben. Deshalb nun bezeigen die Gesandten der Kreuzritter der Fürstin vom frühen Morgen bis zum späten Abend ihre Verehrung und suchen jeden Wunsch derselben zu erraten.«
»Jagienka liebt meinen Oheim sehr und wird sicherlich Fürbitte für ihn einlegen,« sagte Zbyszko.
»Wahrlich, anders kann es gar nicht sein! Begebt Euch in die Burg und sagt Ihr, wie sie zu sprechen, was sie zu thun hat.«
»Ich habe die Absicht, mit Herrn de Lorche in die Burg zu gehen,« antwortete Zbyszko. »Deshalb kam ich hierher. Wir müssen uns jetzt nur die Haare kämmen und passende Kleidung anlegen.«
Nach einer Weile fügte er hinzu: »In meiner Trauer wollte ich mir die Haare abschneiden, doch vergaß ich es wieder.«
»Es ist besser, Ihr laßt es, wie es ist!« entgegnete der Böhme.
Er entfernte sich, um einige Leute aus dem Gefolge herbeizuholen. Als er mit ihnen zurückgekehrt war, erzählte er, während sich die beiden jungen Ritter für das abendliche Mahl in der Burg schmückten, weiter, was am königlichen und fürstlichen Hofe vorging. »Die Kreuzritter,« sagte er, »thun, was sie können, um Fürst Witold den Boden unter den Füßen zu untergraben, denn so lange er ein mächtiges Land im Namen des Königs beherrscht, so lange lernen sie den Frieden nicht kennen. Wahrlich, er ist der Einzige, den sie fürchten. Hei! Sie graben und graben wie Maulwürfe. Das Fürstenpaar hier haben sie schon gegen, ihn aufgewiegelt und sie sind wohl auch schuld daran, daß Fürst Janusz jetzt wegen Wilna aufgebracht über ihn ist.«
»So sind Fürst Janusz und Fürstin Anna ebenfalls hier?« fragte Zbyszko. »Gar viele mir Befreundete treffe ich dann, bin ich doch nicht zum erstenmal in Plock.«
»Gewiß,« entgegnete der Knappe, »sie befinden sich beide hier. Sie haben manches mit den Kreuzrittern abzumachen und wollen in Gegenwart des Königs Klage bei dem Großmeister erheben.«
»Und der König? Auf wessen Seite ist er? Grollt er den Kreuzrittern nicht und erhebt er nicht das Schwert gegen sie?«
»Der König ist den Kreuzrittern nicht gewogen und sie sagen, er drohe ihnen längst schon mit Krieg. Was den Fürsten Witold anbelangt, so zieht ihn der König seinem eigenen Bruder, Skirgiello, vor, welcher ein Sausewind und ein Trinker ist … daher sagen die Leute aus des Königs Umgebung, daß dieser sich nicht gegen Witold erklären und den Kreuzrittern nicht versprechen werde, ihnen beizustehen. Und dies mag wahr sein, denn seit einigen Tagen bemüht sich die Fürstin Alexandra besonders um des Königs Gunst und sieht etwas bekümmert aus.«
»Ist Zawisza Czarny hier angelangt?«
»Nein, er ist nicht angelangt, aber an denen, welche hier sind, kann man sich kaum satt sehen, und wenn es zum Kriege kommt – allmächtiger Gott! Dann werden den Deutschen die Knochen zerhauen, daß die Splitter nur so umherfliegen!«
»Ich bin der Letzte, der sie darob beklagen wird,« bemerkte Zbyszko.
Einige Vaterunser später befanden sie sich in prächtiger Kleidung auf dem Wege zur Burg. Das abendliche Festmahl sollte diesmal nicht bei dem Fürsten, sondern bei dem Starosten Andrzej aus Jasienec stattfinden, dessen geräumige Behausung innerhalb der Ringmauern der Burg an der größten Bastei lag. Wegen der wundervollen, fast allzu warmen Nacht hatte der Starost, aus Furcht, daß die Luft in den Sälen vielleicht sehr drückend werde, den Befehl gegeben, die Tische im Hofe aufzustellen, wo Ebereschen und Eibenbäume inmitten der steinernen Fliesen wuchsen. Brennende Pechtonnen erleuchteten den ganzen Platz mit einem gelblichen Lichte, aber noch heller leuchtete der Mond, welcher gleich einem silbernen Wappenschilde am wolkenlosen Himmel zwischen den Sternen hervorstrahlte. Die gekrönten Gäste waren noch nicht erschienen, doch wimmelte es schon von einheimischen Rittern, von Geistlichen, von Hofleuten des Königs und der Fürsten. Zbyszko kannte viele unter ihnen, vornehmlich die vom Hofstaate des Fürsten Janusz. Von Rittern, die ihm von Krakau her bekannt waren, sah er Krzon aus Kozichglowy, Lis aus Zargowisko, Marcin aus Wrocimowice, Domaret aus Kobylany, Staszko aus Charbimowice und zuletzt auch Powala aus Taczew, dessen Anblick ihn besonders erfreute, denn er erinnerte sich, welches Wohlwollen ihm der berühmte Ritter seiner Zeit in Krakau erwiesen hatte. Doch konnte er sich jetzt keinem von ihnen nähern, denn jeder war umgeben von einem Kreis einheimischer, masovischer Ritter, welche nach Krakau, nach dem Hofe, den Lustbarkeiten, nach verschiedenen kriegerischen Unternehmungen fragten, indem sie zugleich die prächtige Gewandung der Fremden, deren schön gelockte, mittelst Eiweiß haltbar gemachten Haare betrachteten und diese Fremden dabei in allem als Vorbilder in Betreff der höfischen Sitten bewunderten.
Powala aus Taczew hatte indessen Zbyszko erkannt und die Masuren beiseite schiebend, näherte er sich ihm.
»Ich kenne Dich wohl, junger Kämpe!« sagte er, Zbyszko die Hand drückend. »Wie geht es Dir und woher kommst Du? Bei Gott! Ich sehe, daß Du schon Gürtel und Sporen trägst! Andere müssen darauf warten, bis sie graue Haare haben, aber Du scheinst dem heiligen Georg würdig zu dienen.«
»Gott verleihe Euch Glück, edler Herr!« entgegnete Zbyszko. »Wenn ich den angesehensten Deutschen vom Pferde geworfen hätte, würde ich mich nicht so freuen wie darüber, daß ich Euch in guter Gesundheit vor mir sehe.«
»Auch ich bin erfreut Dich zu sehen! Und wo befindet sich Dein Vater?«
»Mein Oheim ist es, nicht mein Vater. In Gefangenschaft befindet er sich bei den Kreuzrittern, und mit dem Lösegeld will ich ausziehen, um ihn zu befreien.«
»Und jenes Mägdlein, welches Dein Haupt mit dem Schleier verhüllte?«
Zbyszko gab keine Antwort, er schaute nur empor und seine Augen füllten sich mit Thränen. Als der Herr aus Taczew dies gewahrte, sagte er: »Ja, das ist ein Jammerthal … ein wahres Jammerthal, doch setzen wir uns auf die Bank unter jenem Ebereschenbaum, dort kannst Du mir Deine Erlebnisse mitteilen.«
Und er zog ihn in einen Winkel des Schloßhofes. Hier nahm Zbyszko an seiner Seite Platz und erzählte dann von Jurands unglückseligen Schicksalen, von Danusias Entführung und auch davon, wie er sie gesucht hatte, und wie sie nach ihrer Befreiung gestorben war. Powala lauschte aufmerksam, und auf seinem Gesichte drückte sich bald Verwunderung, bald Zorn, bald Entsetzen, bald Mitleid aus. Schließlich, als Zbyszko geendigt hatte, sagte er: »Ich werde dies alles dem König, unserm Herrn, berichten. Er muß sich bei dem Meister wegen des kleinen Jasko aus Kretkow beschweren und die strenge Bestrafung derer verlangen, welche den Knaben geraubt haben. Und sie raubten ihn nur, weil er reich ist, denn sie rechnen nun auf ein beträchtliches Lösegeld. Hei, sogar gegen Kinder erheben sie ihre Hände.«
Sinnend saß er hierauf eine Weile da, dann sprach er wie zu sich selbst: »Ein unersättliches Geschlecht, schlimmer als Türken und Tataren. Obwohl sie insgeheim den König und uns fürchten, fahren sie fort, zu rauben und zu morden. Sie verwüsten die Dörfer, erschlagen die Bauern, ertränken die Fischer und stürzen sich gleich Wölfen auf die Kinder. Was würden sie erst thun, wenn sie uns nicht fürchteten? An alle fremden Höfe sendet der Großmeister Schreiben gegen unsern König, steht er ihm aber Auge in Auge gegenüber, so demütigt er sich in jeder Weise vor ihm, denn er kennt unsere Stärke besser als all die andern. Nun aber ist das Maß voll!«
Nach kurzem Schweigen legte er die Hand auf Zbyszkos Arm.
»Ich werde dies alles dem König berichten,« wiederholte er hierauf. »Schon seit geraumer Zeit gärt und kocht es in ihm, und Du darfst sicher sein, daß die Urheber Deiner Leiden schwere Strafe trifft.«
»O Herr! Keiner derselben ist mehr am Leben!« warf jetzt Zbyszko ein.
Powala schaute mit freundlichem Wohlwollen auf den jungen Ritter. »Gott schütze Dich! Du vergißt keine Ungerechtigkeit, das ist klar. Lichtenstein ist somit noch der einzige, an dem keine Vergeltung geübt ward, allein ich weiß, daß sich Dir dazu keine Gelegenheit geboten hat. Auch wir haben in Krakau das Gelübde abgelegt, gegen ihn zu kämpfen. Dazu wird es jedoch erst kommen, wenn der Krieg ausbricht – den uns Gott der Herr schicken möge – weil ohne Erlaubnis des Großmeisters sich Lichtenstein nicht zum Kampfe stellen darf. Da aber der Meister viel von Lichtensteins Verstand hält, sendet er ihn fortwährend an den verschiedenen Höfen umher und wird nicht so leicht sich zu einer derartigen Erlaubnis verstehen.«
»Vor allem muß ich jedoch daran denken, meinen Oheim auszulösen.«
»Ja, das ist wahr! Ich habe auch schon nach Lichtenstein gefragt. Er ist indessen weder hier noch wird er in Raciaz sein, ist er doch zu dem König von England wegen Bogenschützen gesandt worden. Sorge Dich aber nicht um Deinen Ohm. Es bedarf nur eines Wortes des Königs und der Fürstin hier, dann wird der Großmeister keine Ausflüchte in Betreff des Lösegeldes zulassen.«
»Und umsoweniger wird er dies zulassen, weil sich de Lorche als Gefangener in meinen Händen befindet, ein bei dem Orden seines Reichtums und seiner Tapferkeit halber hochgeschätzter Ritter. Gar glücklich würde sich dieser sicherlich schätzen, o Herr, wenn er sich vor Euch neigen, wenn er mit Euch bekannt werden dürfte, denn keiner hegt größere Bewunderung für berühmte Ritter als er.«
Nach diesen Worten winkte er den in der Nähe stehenden Lothringer herbei und de Lorche, der sich schon zuvor darnach erkundigt hatte, mit wem Zbyszko spreche, und dessen sehnlichster Wunsch es war, einen so berühmten Ritter wie Powala kennen zu lernen, eilte rasch auf die Sprechenden zu.
Nachdem Zbyszko die beiden miteinander bekannt gemacht hatte, neigte sich der formvolle Ritter aus Geldern vor Powala mit großer Zierlichkeit, indem er sagte: »Nur eines weiß ich, was ich mir noch zur größeren Ehre anrechnen würde, als Eure Hand drücken zu dürfen, und das wäre, wenn ich mit Euch innerhalb der Schranken oder in der Schlacht kämpfen könnte.«
Ein Lächeln erhellte nun das Antlitz des gewaltigen Ritters aus Taczew, der neben dem schmächtigen und kleinen Herrn de Lorche wie ein Riese aussah, und er erwiderte: »Ich aber bin glücklich darüber, daß wir uns nur bei vollen Bechern treffen, und so möge es bleiben, dies gebe Gott!«
De Lorche zauderte anfänglich mit der Antwort, schließlich jedoch erklärte er mit einer gewissen Schüchternheit: »Doch wenn Ihr bestreiten solltet, wohledler Herr, daß das Fräulein Jagienka aus Dlugolas die schönste und edelste Dame der Welt ist, wäre es mir eine große Ehre – dem widersprechen zu dürfen und –«
Hier hielt er inne und blickte voll Verehrung und Bewunderung, allein doch auch wieder prüfend und scharf auf Powala.
Mochte es nun die Ueberzeugung bei letzterem sein, daß er de Lorche zwischen zwei Fingern wie eine Nuß zerdrücken könne, oder sei es, daß er ein außerordentlich gütiges Herz, einen gar frohen Sinn besaß, genug, er lachte laut auf und sagte: »Seiner Zeit erkor ich die Fürstin von Burgund zu meiner Herrin. Damals war sie zehn Jahre älter als ich. So Ihr aber behaupten wollt, o Herr, meine Fürstin sei nicht älter als das Fräulein Jagienka, dann ist’s besser, wir setzen uns sofort zu Pferde.«
Als de Lorche diese Worte vernahm, blickte er zuerst voll Staunen auf den Herrn aus Taczew, dann verzog sich sein Gesicht und er brach in fröhliches Lachen aus.
Jetzt beugte sich Powala plötzlich vor, faßte de Lorche mit einem Arme um den Leib, hob ihn vom Boden empor und schwang ihn mit einer solchen Leichtigkeit hin und her, als ob er es mit einem Kinde zu thun habe.
» Pax! Pax! wie Bischof Kropidlo zu sagen pflegt!« rief er dabei. »Ihr gefallt mir, Ritter, und so wahr mir Gott helfe, wollen wir niemals einer Frau wegen miteinander kämpfen.«
Hierauf umarmte er den Lothringer und ließ ihn dann rasch zur Erde gleiten, denn von dem Eingange zum Burghofe her ertönten laute Trompetenstöße. – Fürst Ziemowit erschien mit seiner Ehegemahlin.
»Der Fürst und die Fürstin haben hier den Vortritt vor dem Könige und vor Fürst Janusz,« erklärte Powala zu Zbyszko gewendet. »Das Fest wird zwar von dem königlichen Burgvogte gegeben, allein es findet hier in Plock statt, wo jene ansässig sind. Komm mit mir zu der Fürstin. Du kennst sie ja von dem Feste aus Krakau her, als sie für Dich Fürsprache bei Jagiello einlegte.«
Und ohne weiteres führte er nun, Zbyszko beim Arme ergreifend, diesen durch den Burghof. Dem Fürsten und der Fürstin war eine große Anzahl von Hofherren und Hoffräuleins gefolgt, die in ihrer zu Ehren des Königs außergewöhnlich prächtigen und glänzenden Gewandung einen Anblick von wunderbaren Blumen boten. Während Zbyszko mit Powala näher trat, ließ er prüfende Blicke über alle schweifen, um zu sehen, ob er nicht ein bekanntes
In diesem Augenblick fühlte Zbyszko eine Hand auf seiner Schulter, und eine süße Stimme flüsterte ihm leise zu: »Zbyszko!«
Gesicht finde – da plötzlich blieb er voll Staunen stehen. Was war das? Dicht hinter der Fürstin erschaute er eine ihm wohlbekannte Gestalt, ein ihm wohlbekanntes Antlitz, das aber in seiner ernsten königlichen Schönheit ihn glauben machte, er sei in einer Täuschung befangen. »Ist dies Jagienka?« so fragte er sich, »oder vielleicht die Tochter des Fürsten aus Plock?«
Allein es war in der That die Tochter von Zych aus Zgorzelic, denn als ihre Augen denen des jungen Ritters begegneten, da lächelte sie ihm zuerst freundlich und teilnahmsvoll zu, dann aber erbleichte sie plötzlich ein wenig, senkte das Haupt und stand da mit dem goldenen Stirnbande in den dunkeln Haaren und in dem ganzen Zauber ihrer Schönheit, hochgewachsen, herrlich, nicht nur einer Fürstentochter, nein, einer Königin vergleichbar.