III.


III.

Am 29. September. – Das Connossament des Kapitän Huntly, d. h. die Acte, in welcher die im Chancellor verladenen Waaren aufgeführt und die Frachtbedingungen festgestellt sind, lautet wörtlich folgendermaßen:

»Herren Bronsfield u. Co., Commissionäre, Charleston.

»Ich, John Silas Huntly aus Dundee (Schottland), Commandant des Schiffes Chancellor, neunhundert Tonnen Last, gegenwärtig in Charleston, um mit dem ersten günstigen Winde auf kürzestem Wege und unter dem Schutze Gottes abzufahren und bis vor die Stadt Liverpool zu segeln, – bekenne hiermit von den Herren Bronsfield u. Co., Handelscommissionären in Charleston, unter das sonst leere Oberdeck des erwähnten Schiffes siebenzehnhundert Ballen Baumwolle im Werthe von 26.000 Pfd. Sterl., Alles in gutem Zustande, markirt und numerirt laut Buch, angeliefert erhalten zu haben, welche Waaren ich, abgesehen von den Gefahren und Zufällen des Meeres, in bestem Zustande in Liverpool an die Herren Gebr. Leard oder deren Ordre abliefern und mich für meine Frachtspesen mit 2000 Pfd. Sterl., nicht mehr, laut Charterbrief bezahlt machen werde; Havarieschäden nach Seegebrauch und Herkommen. Zur Bekräftigung dieses habe ich verpflichtet und verpflichte hiermit meine Person, mein Vermögen und das genannte Fahrzeug mit allem Zubehör.

»Zu dem Zwecke habe ich drei gleichlautende Connossamente unterzeichnet und sollen nach Erledigung eines derselben die anderen null und nichtig sein.

»Geschehen zu Charleston, am 13. Sept. 1869. J. S. Huntly.«

Der Chancellor führt also 1700 Ballen Baumwolle nach Liverpool. Absender: Bronsfield & Co. in Charleston. Empfänger: Gebrüder Leard in Liverpool.

Da das Schiff eigens zum Baumwollentransport eingerichtet ist, so wurde die Ladung mit größter Sorgfalt verstaut. Bis auf einen kleinen für das Passagiergepäck freigelassenen Theil nehmen jene Ballen den ganzen Schiffsraum ein und bilden, da sie mittels Winden sehr fest verschnürt sind, nur eine äußerst compacte Masse. Kein Eckchen des unteren Raumes ist auf diese Weise unbenutzbar geblieben, ein günstiger Umstand für ein Schiff, welches dabei seine volle Waarenladung aufzunehmen vermag.

XVII.


XVII.

Fortsetzung vom 30. Oktober. – Gelegentlich eines unsere jetzige Lage betreffenden Gespräches mit Mr. Letourneur habe ich ihm die Versicherung geben zu können geglaubt, daß unser Aufenthalt auf dem Riffe nur von kurzer Dauer sein werde, wenn uns die Umstände nur irgend begünstigen. Mr. Letourneur scheint meine Ansicht aber nicht zu theilen.

»Im Gegentheil, sagt er, ich glaube, wir werden auf diesem Felsen lange Zeit zurückgehalten bleiben.

– Und warum? erwidere ich; einige hundert Ballen Baumwolle über Bord zu werfen ist doch weder eine lange, noch allzu beschwerliche Arbeit, die in zwei bis drei Tagen recht wohl geschehen sein kann.

– Gewiß, Mr. Kazallon, das möchte schnell genug gehen, wenn sich die Mannschaft nur heute schon an’s Werk machen könnte. Vorläufig ist es absolut unmöglich, in den Kielraum des Chancellor hinabzusteigen, denn die Luft darin ist völlig irrespirabel, und wer weiß, ob nicht mehrere Tage vergehen, ehe sich das ändert, da die mittleren Lagen des Cargo noch immer in Brand sind. Uebrigens, wenn wir nun wirklich Herr des Feuers geworden sind, werden wir deshalb auch weiter schiffen können? Nein; erst muß die Eintrittsstelle des Wassers, die eine ziemliche Ausdehnung haben mag, verschlossen werden, und zwar mit größter Sorgfalt, wenn wir nicht sinken wollen, nachdem wir der Gefahr zu verbrennen entgangen waren. Nein, nein, Mr. Kazallon, ich mache mir keine Illusion und werde es als einen glücklichen Umstand betrachten, wenn wir das Riff nach drei Wochen wirklich verlassen haben werden. Nun gebe nur der Himmel, daß kein Sturm ausbricht, noch bevor wir wieder flott sind, denn der Chancellor müßte an diesen Klippen wie ein Glas zerschellen!«

In der That ist hierin die größte Gefahr zu suchen, welche uns drohen könnte. Das Feuer wird nun vollends gelöscht werden, das Fahrzeug wird wieder flott gemacht werden, mindestens haben wir allen Grund es zu glauben – aber wir leben vor der Hand von der Gnade eines Windstoßes! Zugegeben auch, daß der höchste Theil des nahen Riffes während eines Sturmes als Zuflucht dienen könnte, was soll aus den Passagieren und Mannschaften des Chancellor werden, wenn ihr Schiff in Stücke ginge!

»Mr. Letourneur, habe ich diesen darauf gefragt, Sie haben Vertrauen zu Robert Kurtis?

– Ein vollkommenes Vertrauen, Mr. Kazallon. Und ich sehe es für eine Gnade Gottes an, daß der Kapitän Huntly ihm das Commando des Schiffes abgetreten hat. Ich bin überzeugt, daß Robert Kurtis alles thun wird, was nöthig und möglich ist, um uns aus dieser schlimmen Lage zu reißen.«

Auf meine Frage an den Kapitän, auf wie lange er den entstehenden Aufenthalt veranschlage, antwortet er mir, daß er das jetzt, da es von verschiedenen Umständen abhänge, noch nicht abzuschätzen im Stande sei, er hoffe aber wenigstens, daß die Witterung nicht allzu ungünstig sein werde.

Wirklich steigt das Barometer ununterbrochen, ohne das gewöhnliche Auf- und Abschwanken der Quecksilbersäule, das ihr eigen ist, so lange die Luftschichten noch nicht vollkommen in’s Gleichgewicht gekommen sind. Jene Erscheinung ist also ein Vorzeichen dauernder Ruhe – ein wahres Glück für unsere nothwendigen Arbeiten.

Uebrigens wird keine Stunde vergeudet, und Jeder geht freudig an seine Thätigkeit.

Vor allem Andern hat Robert Kurtis die Absicht, die Feuersbrunst vollkommen zu löschen, welche noch in den oberen Lagen der Baumwollballen, über dem Niveau des Wassers im Kielraum, fortdauert. Es kann sich aber nicht darum handeln, die Ladung zu schonen, offenbar gilt es nur, das Feuer zwischen zwei Wasserschichten zu ersticken. Die Pumpen beginnen ihr Werk demnach auf’s Neue.

Bei diesen ersten Vornahmen reichen die Mannschaften zur Bedienung der Pumpen aus. Die Passagiere werden nicht in Anspruch genommen, obgleich wir Alle zur Hilfe bereit sind; doch dürfte unsere Unterstützung nicht zu unterschätzen sein, wenn man zur Entlastung des Fahrzeuges vorschreiten wird. Die Mr. Letourneur und ich, wir verbringen unsere Zeit entweder mit Plaudern oder mit Lectüre, und außerdem verwende ich täglich einige Stunden auf die Fortführung meines Tagebuches. Der wenig mittheilsame Ingenieur Falsten ist ganz von seinen Ziffern in Anspruch genommen und entwirft fortwährend Maschinen im Aufriß, wie im Durchschnitte. Wenn es doch dem Himmel gefiele, ihn einen kräftigen Apparat ersinnen zu lassen, der den Chancellor wieder flott zu machen vermöchte! Die beiden Kear halten sich abseits und ersparen uns dadurch das langweilige Anhören ihrer unablässigen Entschädigungsansprüche; leider ist auch Miß Herbey genöthigt, an der Seite Jener zu verbleiben, und sehen wir das junge Mädchen sehr wenig oder gar nicht. Silas Huntly bekümmert sich um nichts, was auf das Schiff Bezug hat, der Seemann in ihm ist gestorben und der Mann vegetirt nur noch mühsam. Der Steward Hobbart versieht seinen Dienst, wie gewöhnlich, als befinde sich das Schiff auf der regelmäßigsten Ueberfahrt. Dieser Hobbart ist ein unterwürfiger Kriecher und unterscheidet sich sehr auffallend von seinem Koch Jynxtrop, einem häßlichen Neger mit brutalen und unverschämten Manieren, der sich mehr als nöthig zu den Matrosen hält.

Zerstreuungen können an Bord natürlich nicht allzu häufig sein. Da kommt mir zum Glück der Gedanke, das unbekannte Riff, auf dem der Chancellor gestrandet ist, näher zu untersuchen. Der Ausflug wird weder weit sein, noch besondere Abwechselungen bieten, doch giebt er Gelegenheit, das Schiff auf einige Stunden zu verlassen und einen Boden zu untersuchen, der einen interessanten Ursprung haben muß.

Uebrigens ist es von Wichtigkeit, daß der Plan dieses Riffes, das man noch auf keiner Karte verzeichnet findet, sorgfältig aufgenommen wird. Ich glaube mit den Herren Letourneur diese hydrographische Arbeit ausführen zu können, wobei wir dem Kapitän Kurtis natürlich die Sorge überlassen, sie durch genaue Aufnahme der geographischen Länge und Breite zu vervollständigen. Die Herren Letourneur stimmen meinem Vorschlage bei. Ein Boot nebst Tiefloth wird uns zur Verfügung gestellt, dazu ein Matrose zur Leitung desselben, und am Morgen des 31. Octobers verlassen wir den Chancellor.

XVIII.


XVIII.

Vom 31. Oktober bis 5. November. – Wir haben damit begonnen, das Riff, dessen Länge eine Viertelmeile betragen mag, zu umfahren.

Diese kleine »Umschiffung« ist bald beendigt, und wir bestätigen, die Sonde in der Hand, daß die Ränder des Gesteins unter Wasser sehr steil abfallen. Das Meer zeigt sich noch ganz nahe daran sehr tief, und es unterliegt kaum einem Zweifel, daß eine auf plutonische Kräfte zurückzuführende plötzliche Erhebung, ein heftiger Druck von unten, das Riff über die Meeresfläche gedrängt haben.

Auch über den rein vulkanischen Ursprung des ganzen Eilandes ist gar nicht zu streiten. Durchweg besteht es aus ungeheuren Basaltblöcken, deren regelmäßige Prismen ihm das Aussehen einer gigantischen Krystallisation verleihen. Das Meer ist rund um den Rand des Riffes ganz wunderbar durchsichtig, und läßt die sonderbaren Bündel prismatischer Schafte erkennen, welche den merkwürdigen Bau tragen.

»Das ist ein eigenthümliches Gebilde, bemerkt Mr. Letourneur, und gewiß neueren Ursprungs.

– Ohne Zweifel, Vater, antwortet der junge André, und ich füge noch hinzu, daß es dieselbe Ursache, welcher z. B. die Insel Julia an der Küste Siciliens und die Insel Santorin im griechischen Archipel ihre Entstehung verdanken, gewesen ist, die dieses Eiland zur gelegenen Zeit erschuf, um den Chancellor darauf stranden zu lassen!

– Eine Bodenerhebung in diesem Theile des Atlantischen Oceans, bestätige ich, muß nothwendig stattgefunden haben, da dieses Riff auch auf den neuesten Karten sich nicht verzeichnet findet, und schwerlich konnte es doch den Augen der Seeleute in dieser vielbefahrenen Gegend des Oceanes bis jetzt entgehen. Wir wollen es deshalb sorgfältig untersuchen und zur Kenntniß der Seefahrer bringen.

– Wer weiß, ob es nicht in Folge eines ähnlichen Processes, wie dessen, der es erhob, nicht auch bald wieder verschwinden wird? antwortet Andre Letourneur. Sie wissen, Mr. Kazallon, daß solche vulkanische Inseln häufig nur von ganz ephemerem Bestande sind, und wenn die Geographen diese hier in ihre Karten eingetragen haben, existirt sie vielleicht schon nicht mehr.

– Das thut Nichts, liebes Kind, wendet Mr. Letourneur ein. Es ist besser, vor einer nicht mehr vorhandenen Gefahr zu warnen, als eine tatsächlich bestehende geringschätzig zu übergehen, und die Seeleute werden sich deshalb nicht zu beklagen haben, wenn sie ein Riff auch nicht mehr da antreffen, wo wir ein solches fanden.

– Du hast recht, mein Vater, erwidert André, nach Allem ist es ja auch möglich, daß ihm eine ebenso lange Dauer bestimmt ist, wie unseren Continenten. Wenn es aber verschwinden soll, so würde es Kapitän Kurtis gewiß gern sehen, daß es nach einigen Tagen, wenn er seine Havarien ausgebessert hat, geschähe, denn das würde ihm die Mühe ersparen, sein Schiff wieder flott zu machen.

– Wahrlich, André, rief ich da scherzend, sie wollen wohl mit der Natur ganz nach eigenem Gutdünken schalten und walten! Sie verlangen, daß jene ein Riff ganz nach Ihrem Willen hebe oder senke, so ganz nach Ihrem höchsteigenen persönlichen Bedürfnisse, und nachdem sie diese Felskanten ganz speciell geschaffen hat, um den brennenden Chancellor löschen zu können, mag sie dieselben, nur auf die Berührung Ihrer Wünschelruthe, wieder versenken, um denselben wieder frei zu machen?

– Nein, nein, Mr. Kazallon, erwidert der junge Mann lächelnd, ich will gar nichts, als Gott danken, daß er uns so sichtbar beschützt hat. Er hat unser Fahrzeug auf dieses Riff werfen wollen und er wird es schon wieder schwimmen lassen, wenn die Zeit dazu gekommen ist.

– Und wir werden dazu mit allen Kräften helfen, nicht wahr, meine Freunde?

– Gewiß, Mr. Kazallon, erwidert Mr. Letourneur, denn es ist eine unabweisliche Pflicht, sich selbst zu helfen; dennoch thut André sehr recht daran, sein Vertrauen auf Gott zu setzen. Wenn sich der Mensch auf das Meer hinauswagt, so wendet er die ihm von Natur verliehenen Fähigkeiten in weitestem Umfange an; auf dem grenzenlosen Oceane fühlt er aber auch, wenn die Elemente sich entfesseln, wie zerbrechlich das Fahrzeug, das ihn trägt, wie schwach und ohnmächtig er selbst ist! Deshalb meine ich, sollte die Devise des Seemanns lauten: Vertrauen zu sich selbst und Glauben an Gott!

– Wie wahr ist das, Mr. Letourneur, habe ich geantwortet. Auch glaube ich, es wird nur wenig Seeleute geben, deren Herzen religiösen Eindrücken hartnäckig verschlossen sind!«

Also sprechend untersuchen wir die Felsmassen, welche die Basis des Eilandes bilden, mit aller Sorgfalt, und überzeugen uns immer mehr von dessen ganz neuerlichem Ursprunge. Nirgends findet sich eine Muschel oder ein Barecbüschel an die Basaltwände geheftet. Ein Liebhaber der Naturkunde möchte bei der Durchsuchung dieser Steinhaufen schwerlich auf seine Kosten kommen, hier, wo weder Thier- noch Pflanzenreich ihren Stempel aufgedrückt haben. Schalthiere fehlen ebenso vollständig wie Wasserpflanzen. Noch hat der Wind kein Samenkörnchen hierher geweht und haben die Seevögel hier kein Obdach gesucht. Dem Geologen allein böte sich vielleicht Stoff zu interessanten Forschungen über dieses basaltische Gebilde, welches die Spuren seines plutonischen Herkommens noch unverwischt an der Stirn trägt.

Eben jetzt erreicht unser Canot die Südspitze des Eilandes, neben der der Chancellor aufgefahren ist. Ich schlage meinen Begleitern vor, an’s Land zu gehen, sie gehen mit großem Vergnügen darauf ein.

»Im Fall das Eiland wieder untergehen sollte, sagt der junge André lachend, müssen ihm menschliche Wesen wenigstens einen Besuch abgestattet haben!«

Das Canot landet, und wir betreten den Basaltfelsen. André geht bei dem ziemlich bequem zu ersteigenden Steinboden voraus; der junge Mann braucht keinen Arm, der ihn stützte. Sein Vater bleibt etwas hinter ihm, in meiner Nähe, zurück, und so ersteigen wir das Riff auf einem sanften Abhange, der zu seinem Gipfel empor führt.

In einer Viertelstunde legen wir die Entfernung bis dahin zurück und setzen uns alle Drei auf eine Basaltsäule, welche den höchsten Felsen des Eilands krönt. André Letourneur zieht dann ein Notizbuch aus der Tasche und beginnt, das Riff, dessen Ränder sich von dem grünlichen Wasser deutlich vor unseren Augen abheben, sorgsam abzuzeichnen.

Der Himmel ist rein, und das jetzt niedrige Meer entblößt auch die letzten Felsenvorsprünge im Süden, welche eine schmale Straße zwischen sich lassen, die der Chancellor vor dem Auffahren passirt hat.

Die Gestalt des ganzen Riffs erscheint sehr eigenthümlich und erinnert lebhaft an die eines »Yorker Schinkens«, dessen mittlerer Theil bis zu der Höhe anschwillt, die wir jetzt einnehmen.

Nachdem André die Umrisse des Eilandes zu Papier gebracht hat, sagt sein Vater:

»Du zeichnest ja da einen Schinken, mein Kind!

– Ja wohl, Vater, aber einen Schinken von Basalt, dessen Größe wohl auch einen Riesen zufrieden stellen würde, und wenn Kapitän Kurtis zustimmt, werden wir das Riff »Ham-Rock« (d. i. Schinken-Stein) taufen.

– Herrlich, rufe ich, ein gut erfundener Name! Das Schinkenstein-Riff! Mögen sich ihm die Seefahrer immer in respektvoller Entfernung halten, denn sie haben die Zähne nicht hart genug, dasselbe anzubeißen!«

An der Südspitze des Eilandes ist der Chancellor aufgefahren, d. h. auf dem Knochen oder Stiel des Schinkens und in der kleinen Ausbuchtung, welche seine Biegung bildet. Er neigt gerade jetzt sehr stark nach Steuerbord, da es eben tiefe Ebbe ist.

Nach Vollendung der Skizze durch André Letourneur steigen wir über eine andere schiefe, nach Westen zu abfallende Ebene wieder herab und treffen bald auf eine hübsche, niedliche Grotte. Zuerst möchte man sie für ein Werk der Architektur halten, und ähnelt sie sehr den von der Natur in den Hebriden geschaffenen, und speciell der Grotte auf der Insel Staffa. Die Herren Letourneur, welche die Fingalshöhle besucht haben, wollen diese, wenn auch in kleinerem Maßstabe, hier vollständig wieder finden; hier zeigt sich dieselbe Anordnung concentrischer Prismen, welche von der Art der Erstarrung des Basaltes herrührt; dieselbe Decke schwarzer Balken, deren Fugen mit einer gelblichen Masse verkittet erscheinen; dieselbe Reinheit der Krystallkanten, wie sie der Meißel eines Bildhauers nicht sauberer herzustellen vermöchte, endlich dasselbe Klingen in den tönenden Basalten, aus denen die gaëlische Volkssage Harfen der Schatten Fingal’s gemacht hat. Auf Staffa bildet aber das Meer den Boden der Höhle, der hier nur von hohen Wogen erreicht werden kann, wo eine Schicht von Basaltschaften einen festen Grund darstellt.

»Uebrigens, bemerkt André Letourneur, ist die Grotte auf Staffa eine ungeheure gothische Kathedrale, diese hier aber nur eine Capelle zu jener. Wer hätte jedoch ein solches Wunder auf einem unbekannten Riffe des Oceans zu finden erwartet?«

Nach einstündigem Ausruhen in der Ham-Rock-Grotte gehen wir längs dem Ufer des Eilandes hin und kommen nach dem Chancellor zurück. Robert Kurtis wird von den Resultaten unseres Ausfluges in Kenntniß gesetzt und verzeichnet auf der Karte das Eiland unter dem ihm von André Letourneur beigelegten Namen.

Die folgenden Tage haben wir niemals versäumt, einen Spaziergang nach der Ham-Rock-Grotte zu machen, in der wir so manche Stunde verbringen. Auch Robert Kurtis besuchte sie, doch ist er jetzt mit hunderterlei anderen Dingen zu sehr beschäftigt, um zur Bewunderung der Natur gestimmt zu sein. Falsten begab sich nur einmal dahin, um die Natur des Gesteins kennen zu lernen, und mit der für Schönheiten an sich unempfindlichen Ruhe des Geologen einige Brocken loszubrechen. Mr. Kear hat sich darum nicht incommodiren wollen, er ist an Bord geblieben. Der Mrs. Kear habe ich das Anerbieten gemacht, uns bei einer solchen Excursion zu begleiten, aber die Unannehmlichkeit, sich nach dem Boote zu begeben und vielleicht einiger Anstrengung ausgesetzt zu sein, hat sie veranlaßt, es abzuschlagen.

Mr. Letourneur hat auch Miß Herbey gefragt, ob sie Lust habe, das Riff zu besuchen. Das junge Mädchen glaubte dazu Ja sagen zu dürfen, glücklich, der launischen Tyrannei ihrer Herrin, wenn auch nur auf eine kurze Stunde, zu entfliehen. Als sie aber Mrs. Kear um die Erlaubniß bittet, das Schiff verlassen zu dürfen, schlägt diese es ihr rundweg ab.

Mich ärgert das, und ich lege bei Mrs. Kear ein Wort für Miß Herbey ein. Ich habe zwar meine Noth mit Jener, da ich aber früher schon Gelegenheit hatte, der Egoistin einige Dienste zu leisten, und sie nicht weiß, ob sie meiner vielleicht später wieder bedarf, so giebt sie endlich meinen Bitten nach.

Miß Herbey begleitet uns also nun mehrere Male beim Spaziergange über die Felsen. Oefter fischen wir auch am Ufer des Eilandes und verzehren heiter ein Frühstück in der Grotte, wozu die Basaltharfen im Winde tönen. Wir sind selbst ganz beglückt über das Vergnügen Miß Herbey’s, sich einige Stunden frei zu fühlen. Das Eiland ist gewiß nur klein, aber niemals ist dem jungen Mädchen Etwas in der Welt größer erschienen. Auch wir lieben dieses dürre, trostlose Riff, und bald giebt es keinen Stein mehr, den wir nicht kennten, keinen Pfad, den wir nicht fröhlich gewandelt wären. Gegen den Chancellor gehalten, ist es immer ein großes Gebiet, und ich weiß bestimmt, daß wir es zur Stunde der Abfahrt nur ungern verlassen werden.

Bezüglich der Insel Staffa theilt uns André Letourneur noch mit, daß sie der Familie Mac-Donald gehöre, welche sie für den jährlichen Zins von zwölf Pfund Sterling verpachtet hat.

»Nun, meine Herren, begann darauf Miß Herbey, glauben Sie, daß man für diese hier mehr als eine halbe Krone verlangen würde?

– Keinen Pfennig, Miß, antwortete ich lachend. Hätten Sie Lust, dieselbe in Pacht zu nehmen?

– Nein, Mr. Kazallon, erwidert das junge Mädchen mit einem unterdrückten Seufzer, und doch ist hier vielleicht der einzige Ort, an dem ich glücklich gewesen bin!

– Und ich auch!« sagt halblaut André.

Welch heimliches Leiden spricht aus dieser Antwort Miß Herbey’s! Das junge Mädchen in ihrer Armuth, ohne Eltern oder Freunde hat noch nirgends ein Glück – das Glück einiger flüchtiger Minuten – gefunden, als auf einem unbekannten Felsen des Atlantischen Oceans!

XIII.


XIII.

Vom 24. bis 29. October. – Während der nun folgenden fünf Tage geht das Meer sehr hohl. Der Chancellor hat es aufgeben müssen, dagegen anzukämpfen, und trotzdem er jetzt mit dem Winde und den Wellen geht, wird er doch ganz außerordentlich umhergeworfen. Bei dieser Fahrt auf einem Brander ist uns auch kein Augenblick der Ruhe gegönnt. Man betrachtet das Wasser, welches das Schiff umgiebt und anzuziehen scheint, fast mit Vergnügen.

»Warum aber,« habe ich zu Robert Kurtis gesagt, wollen Sie das Verdeck nicht öffnen? Warum keine Tonnen mit Wasser in den Kielraum eingießen? Und wenn das Schiff damit angefüllt würde, was thäte das? Wenn das Feuer gelöscht ist, werden die Pumpen das Wasser ja leicht wieder entfernen.

– Mr. Kazallon, antwortet mir Robert Kurtis, ich habe Ihnen schon gesagt und wiederhole es Ihnen, wenn wir der Luft einen auch noch so geringen Zutritt gestatten, so wird das Feuer sich sofort durch das ganze Schiff verbreiten und die Flammen werden dasselbe vom Kiel bis zu den Mastspitzen ergreifen. Wir sind zur Untäthigkeit verurtheilt und befinden uns unter Verhältnissen, in denen man den Muth haben muß, Nichts zu thun!«

Ja! Jede Oeffnung hermetisch verschließen, das ist noch immer das einzige Mittel, die Feuersbrunst zu bekämpfen, und das vernachlässigt auch die Mannschaft nicht.

Inzwischen schreitet das Feuer unablässig fort, und vielleicht schneller, als wir es annehmen. Nach und nach ist die Hitze so unleidlich geworden, daß die Passagiere haben auf das Verdeck flüchten müssen und nur die Cabinen im Hintertheil, welche die größeren Fenster im Spiegel haben, sind noch einigermaßen bewohnbar.

Die eine derselben verläßt die Mrs. Kear niemals, die andere hat Robert Kurtis für den Kaufmann Ruby in Beschlag genommen. Ich habe den Unglücklichen mehrmals besucht; er ist vollkommen närrisch geworden und muß gefesselt gehalten werden, um ihn am Zertrümmern der Thür zu hindern. Sonderbar! In seiner Verwirrtheit hat er doch das Gefühl des furchtbarsten Schreckens noch bewahrt und stößt entsetzliche Schreie aus, als leide er wirklich unter schmerzhaften Brandwunden.

Wiederholt habe ich auch dem Ex-Kapitän einen Besuch abgestattet, und fand in ihm einen ruhigen Mann, der ganz vernünftig spricht, nur nicht über sein Geschäft. Ueber letzteres sind ihm nur ganz allgemeine Anschauungen verblieben. Ich erbiete mich, ihn zu pflegen, denn er leidet offenbar; doch er weist es ab, und will seine Cabine auf keinen Fall verlassen. Heute ist der wachthabende Matrose durch den scharfen und ekeln Rauch, der durch die Fensterritzen dringt, von der gewohnten Stelle vertrieben worden. Es steht fest, daß die Feuersbrunst nach dieser Seite fortschreitet, und wenn man das Ohr an die Zwischenwände legt, hört man ein dumpfes Prasseln. Woher nimmt dieses Feuer die Luft zum Brennen? Wo ist die Oeffnung, die jeder Nachforschung entgeht? Die schreckliche Katastrophe kann nunmehr nicht fern sein! Vielleicht handelt es sich nur noch um wenige Tage, vielleicht nur um Stunden, und zum Unglück geht das Meer so hoch, daß man an eine Einschiffung in die Boote gar nicht denken kann.

Auf Befehl Robert Kurtis‘ ist die Zwischenwand nach den Schlafräumen der Mannschaften mit einem nassen Segel belegt worden. Trotz alledem verbreitet sich der Rauch bei einer feuchten und heißen Temperatur, welche die Luft fast unathembar macht.

Zum Glück sind der große und der Besanmast aus Eisen, sonst wären die unteren Theile derselben gewiß schon durchgebrannt, und sie selbst niedergestürzt, wir aber rettungslos verloren.

Robert Kurtis läßt so viel Segel als möglich beisetzen, und der Chancellor läuft bei dem auffrischenden Nordostwinde mit großer Schnelligkeit.

Schon sind seit Ausbruch des Feuers vierzehn Tage vergangen, immer hat dasselbe zugenommen, da wir nicht im Stande waren, es zu beschränken. Der Dienst an Bord wird allmälig sehr beschwerlich. Auf dem Oberdeck, dessen Fußboden mit dem Kielraum nicht in unmittelbarer Verbindung steht, kann man wohl noch einher gehen, auf dem Verdeck bis zum Vorderkastell ist das aber, selbst mit starken Schuhen, fast unmöglich geworden. Das Wasser reicht nicht mehr hin, die Bretter abzukühlen, an denen die Flammen lecken und die sich auf ihren Balken krümmen. Das Harz des Holzes schwitzt um die Aststellen aus, die Fugen öffnen sich und der durch die Hitze geschmolzene Theer läuft in wunderbaren Windungen, je nach der Bewegung des Schiffes, überall umher.

Um das Unheil voll zu machen, springt der Wind plötzlich nach Nordosten um, und weht mit aller Kraft. Es erhebt sich ein wahrhafter Orkan, wie sie in jenen Gegenden nicht selten sind, und verschlägt uns von den Antillen, nach denen wir steuern. Robert Kurtis will erst beizulegen suchen, das Wasser wird aber so schwer, daß der Chancellor seinem Andrängen von der Seite nicht zu widerstehen vermag.

Am 29. erreicht der Sturm seine größte Heftigkeit. In wilder Empörung schäumt der Ocean und die Wellen fluthen über den Chancellor. Ein jetzt in’s Meer gelassenes Boot müßte sofort umschlagen und sinken. Wir haben uns, die Einen auf das Oberdeck, die Anderen auf das Vorderkastell geflüchtet. Keiner spricht ein Wort. Das Colli mit Pikrat kommt uns fast gar nicht mehr in den Sinn. Wir haben dieses »Detail« vergessen, um mit Robert Kurtis zu reden. Ich weiß wirklich nicht, ob die Explosion des Schiffes, die unsere angstvolle Lage auf einmal beendigen würde, nicht zu wünschen wäre. Ich glaube hiermit die Gedanken aller Uebrigen auszusprechen. Wenn dem Menschen eine Gefahr lange Zeit droht, so wünscht er sie endlich wohl herbei, denn die Erwartung einer unvermeidlichen Katastrophe ist stets schlimmer als die Wirklichkeit selbst.

So lange es noch Zeit war, hat Kapitän Kurtis eine gewisse Menge Nahrungsmittel aus der Kombüse, welche man jetzt nicht mehr betreten könnte, herausschaffen lassen. Schon hat die Hitze viel davon verdorben. Doch sind einige Fässer Salzfleisch und Schiffszwieback, ein Tönnchen Branntwein und einige Behälter mit Wasser auf dem Verdeck untergebracht worden, denen man etwas an Decken, Instrumenten, eine Bussole und Segelleinwand hinzufügt, um im Falle der Noth das Fahrzeug unverweilt verlassen zu können.

Um acht Uhr Abends hören wir trotz des tobenden Orkanes ein entsetzliches Geräusch. Die Luken des Decks haben sich unter dem Druck der erhitzten Luft gehoben, und schwarzer Rauch wirbelt aus ihnen empor, so wie der Dampf unter der Platte des Sicherheitsventils an einem Dampfkessel ausströmt.

Die Mannschaft eilt auf Robert Kurtis zu, als erwarte sie seine Befehle. Ein einziger Gedanke erfaßt uns, der, diesen Vulkan, der sich unter unseren Füßen öffnet, zu fliehen!

Robert Kurtis schaut auf den Ocean hinaus, dessen Wogen sich schäumend überstürzen. Der Schaluppe vermag man sich jetzt nicht einmal zu nähern; nur das Boot, welches in den Krahnen an der Steuerbordseite hängt, ist zu erreichen, so wie die kleine Jolle am Hintertheil des Schiffes. Die Matrosen stürzen auf das Boot zu.

»Nein, ruft ihnen Robert Kurtis zu, nein! Das wäre ein zu verwegenes Spiel, sich jetzt dem Meere anzuvertrauen!«

Einige Matrosen, Owen an der Spitze, wollen dennoch halb von Sinnen das Boot in’s Meer herablassen. Da eilt Robert Kurtis nach dem Oberdeck und ergreift eine Axt:

»Dem Ersten, der an die Taue rührt, ruft er, zerspalte ich den Schädel!«

Die Matrosen ziehen sich zurück. Einige klettern in die Maschen der Strickleitern; Andere flüchten bis in die Mastkörbe.

Um elf Uhr hört man im Kielraum heftige Detonationen. Die Zwischenwände springen, und öffnen der heißen Luft und dem Rauche den Weg. Sofort wälzen sich Dampfströme aus der Treppenkappe der Mannschaftskajüte, und eine lange Flamme leckt am Besanmast in die Höhe.

Da tönt ein Schrei. Mrs. Kear verläßt, unterstützt von Miß Herbey, ihre Cabine, welche das Feuer erreicht. Dann erscheint Silas Huntly, das Gesicht von Rauch geschwärzt, und ruhig begiebt er sich, nach einem Gruße gegen Robert Kurtis, nach der Strickleiter des Besanmastes.

Die Erscheinung Silas Huntly’s erinnert mich noch an einen anderen Menschen, der unter dem Oberdeck eingeschlossen geblieben ist, in der Cabine, welche die Flammen in kurzer Zeit verzehren müssen.

Soll man den unglücklichen Ruby umkommen lassen? Ich eile nach der Treppe … da zeigt sich der Irrsinnige, der seine Fesseln gesprengt hat, schon mit verbrannten Haaren und brennenden Kleidern. Ohne einen Schrei auszustoßen, geht er auf dem Verdecke. Ihn brennt es nicht an die Füße. Er stürzt sich in die Rauchwirbel hinein, der Rauch erstickt ihn nicht! Er macht den Eindruck eines menschlichen Salamanders, der durch die Flammen geht! Eine neue Detonation! Die Schaluppe berstet; die Luke in der Mitte fliegt in die Höhe und zerreißt die übergedeckten Segelstücken. Eine Feuergarbe schießt bis zur Hälfte des Hauptmastes empor.

Da stößt der Irrsinnige ein schreckliches Geschrei aus und ruft:

»Das Pikrat! Das Pikrat! Wir fliegen Alle in die Luft! Alle! Alle!«…

Noch ehe es möglich ist, ihn zurück zu halten, springt er durch die Luke in den glühenden Abgrund.

XIV.


XIV.

Während der Nacht des 29. Oktobers. – Die Scene war schrecklich, und erfüllte trotz der verzweifelten allgemeinen Lage Jedermann mit Entsetzen.

Ruby existirt nicht mehr, doch eines seiner letzten Worte sollte noch die traurigsten Folgen haben.

Die Matrosen haben ihn rufen hören: »Das Pikrat! Das Pikrat!« Sie sind unterrichtet, daß das Schiff jede Minute in die Luft gehen kann und daß sie nicht nur die Feuersbrunst, sondern auch die gräßlichste Explosion bedroht.

Einige Leute, die ganz außer sich sind, wollen um jeden Preis und ohne Verzug entfliehen.

»Das Boot! Das Boot!« rufen sie.

Sie sehen es nicht, nein, sie wollen es nicht sehen, diese Verblendeten, daß das Meer in wilder Empörung ist, daß kein Boot ihm trotzen kann, ohne von den furchtbaren, schäumenden Wellen verschlungen zu werden. Nichts vermag sie zurück zu halten, sie hören die Stimme ihres Kapitäns gar nicht mehr.

Robert Kurtis eilt mitten unter seine Mannschaft. Vergebens. Der Matrose Owen reizt seine Kameraden an. Die Leinen des Canots werden gelöst; und das kleine Boot hinaus geworfen.

Einen Augenblick schwankt es in der Luft und stößt in Folge des Rollens unseres Schiffes gegen seinen Aufzug. Die Matrosen stoßen es ab; eben, als es schon fast das Wasser berührt, erfaßt es eine ungeheure Welle von unten, entfernt es zunächst ein wenig und schleudert es dann mit einer solchen Gewalt gegen die Wände des Chancellor, daß es zertrümmert wird.

Schaluppe und Boot sind nun zerstört; es bleibt uns nichts mehr übrig, als die kleine zerbrechliche Jolle.

Wie vom Donner gerührt, stehen die Matrosen dabei. Man hört nichts mehr als das Pfeifen des Windes im Takelwerk und das Prasseln der Flammen. Tief gähnt der Gluthofen in der Mitte des Fahrzeuges, und Ströme von Dampf und Rauch drängen sich aus der Luke empor. Man kann nicht mehr vom Vorderkastell bis zum Oberdeck sehen, eine Barriere von Feuer trennt den Chancellor in zwei Theile.

Die Passagiere und zwei oder drei von der Mannschaft haben sich nach dem Oberdeck geflüchtet.

Mrs. Kear liegt ohne Bewußtsein ausgestreckt da, Miß Herbey weicht nicht von ihrer Seite. Mr. Letourneur hält seinen Sohn in den Armen und preßt ihn an sein Herz. Eine nervöse Erregtheit hat sich meiner bemächtigt, die ich nicht zu bezwingen vermag. Der Ingenieur Falsten sieht seelenruhig nach der Uhr und bemerkt die Zeit in seinem Notizbuche.

Was mag auf dem Vordertheil vorgehen, wo sich ohne Zweifel der Lieutenant, der Hochbootsmann und die anderen Mannschaften befinden, welche wir jetzt nicht zu sehen vermögen? Zwischen den beiden Hälften des Fahrzeuges ist jede Verbindung unterbrochen, und Niemand könnte durch die Wand von Flammen dringen, welche aus den Luken emporwirbelt.

Ich nähere mich Robert Kurtis.

»Alles verloren? frage ich ihn.

– Nein, antwortet er, da die Luke einmal offen ist, werden wir versuchen, Ströme von Wasser in die Gluth zu leiten und sie vielleicht zu löschen.

– Wer soll aber auf dem brennenden Verdeck die Pumpen bedienen, Mr. Kurtis? Wie wollen Sie den Matrosen durch jene Flammen hindurch Ihre Befehle zukommen lassen?«

Robert Kurtis erwidert kein Wort. »Es ist Alles verloren, nicht wahr? frage ich noch einmal.

– Nein, Herr, sagt Robert Kurtis, nein, so lange ich noch ein Brett unter meinen Füßen fühle, verzweifle ich noch nicht!«

Die Wuth der Feuersbrunst nimmt zu, die Wellen des Meeres färben sich mit röthlichem Scheine. Ueber uns spiegelt sich der Feuerschein an den niedrigeren Wolken. Lange Feuerstrahlen schießen jetzt aus den Deckluken, und wir haben uns nach dem Hackbord hinter dem Oberdeck zurück gezogen.

Mrs. Kear ist in der Jolle niedergelegt worden, die noch an ihren Trägern hängt, und Miß Herbey hat neben ihr Platz genommen.

Welch‘ entsetzliche Nacht! Welche Feder wäre im Stande, ihre Schrecken zu schildern!

Der entfesselte Orkan bläst wie ein ungeheurer Ventilator in diesen Schmelzofen. Der Chancellor, trotzdem er schon viel Segel eingebüßt hat, fliegt wie ein riesiger Brander durch die Finsterniß dahin. Wir haben offenbar keine Wahl. Entweder in’s Meer springen, oder in den Flammen umkommen!

Aber das Pikrat fängt kein Feuer! Der Vulkan öffnet sich nicht unter unseren Füßen! Ruby hat doch wohl gelogen! Es ist gar keine explosive Substanz im Raume!

Um elf ein halb Uhr, das Meer tobt gerade furchtbarer als je, hört man ein von den Seeleuten so gefürchtetes Scharren und Kratzen durch den Lärm der Elemente hindurch, und vom Vordertheil dringt ein Schrei bis zu uns.

»Riffe! Riffe auf der Steuerbordseite!«

Robert Kurtis springt auf die Schanzkleidung, überfliegt mit einem raschen Blicke die weißlichen Wellen und ruft mit lautester, gebieterischer Stimme:

»Backbord steuern! Backbord!«

Doch es ist zu spät. Ich fühle, wie der Rücken einer ungeheuren Welle uns emporhebt und ein plötzlicher Stoß erfolgt. Das Schiff schleift mit dem Hintertheil, stößt wiederholt auf, und der Besanmast stürzt, dicht über Deck abbrechend, in’s Meer. Der Chancellor sitzt unbeweglich fest!

XV.


XV.

Fortsetzung der Nacht vom 29. October. – Noch ist es nicht Mitternacht, kein Mond am Himmel, rings tiefes Dunkel. Wo das Schiff aufgefahren ist, können wir jetzt unmöglich wissen. Ob es wohl durch den Sturm verschlagen wieder an die Küste Amerikas getrieben ist? Zeigt sich vielleicht, wenn es Tag wird, Land?

Ich sagte, daß der Chancellor, nachdem er wiederholt aufstieß, unbeweglich sitzen blieb. Bald nachher belehrte Robert Kurtis ein Geräusch von rasselnden Ketten, daß man die Anker herablasse.

»Gut! Gut! sagte er, der Lieutenant und der Bootsmann lassen die Anker fallen; hoffentlich werden sie fassen!«

Dann sehe ich Robert Kurtis auf der Schanzkleidung hinlaufen, bis ihm die Flammen jedes Weitergehen verwehren. Er gleitet auf die Rüsten am Steuerbord, nach welchem das Schiff geneigt liegt, und hält sich dort einige Minuten, trotzdem das Meer ihn mit Wellen überspült. Ich sehe, wie er aufmerksam horcht. Man sollte meinen, er höre ein eigenthümliches Geräusch neben dem Geheul des Sturmes. Nach einer Viertelstunde kehrt Robert Kurtis nach dem Oberdeck zurück.

»Es dringt Wasser ein, sagt er zu mir, und dieses Wasser – Gott stehe uns bei – wird vielleicht die Feuersbrunst bewältigen!

– Aber nachher? sage ich.

– Mr. Kazallon, antwortet er mir, »nachher« wie Gott will. Wir denken jetzt nur an das Nächste!«

Das Nächstliegende wäre nun wohl gewesen, sich mittels der Pumpen vom Stande des Wassers zu überzeugen, aber diese kann Niemand mitten in dem Flammenmeer erreichen. Wahrscheinlich gestattet ein Leck im Grunde des Fahrzeuges dem Wasser, in vollen Strömen einzudringen, denn es will mir scheinen, als vermindere sich das Feuer schon ein wenig. Man vernimmt jetzt ein betäubendes Gezisch, den Beweis, daß beide Elemente mit einander kämpfen. Unzweifelhaft ist der Untertheil des Feuerherdes erreicht und das erste Lager der Baumwollenballen schon überschwemmt. Nun wohl, möge dieses Wasser das Feuer löschen, dann werden wir auch mit ihm fertig zu werden wissen! Vielleicht ist es minder zu fürchten als das Feuer! Das Wasser ist ja des Seemanns Element, das er zu besiegen gewohnt ist!

Die nachfolgenden drei Stunden dieser Schreckensnacht verbringen wir in fürchterlicher Angst. Wo sind wir? Eins nur steht fest, daß jetzt Ebbe einzutreten scheint, und die Wuth der Wellen sich zu mäßigen beginnt. Der Chancellor muß eine Stunde nach der Fluth aufgestoßen sein, doch ist das ohne Rechnung und Beobachtung nicht möglich, sicher zu bestimmen. Wenn es so ist, darf man hoffen, sich nach Löschung des Feuers bei steigender Fluth wieder flott zu machen.

Gegen vier ein halb Uhr Morgens vermindert sich die Flamme, welche einen Vorhang zwischen dem Vorder- und dem Hintertheile des Schiffes bildete, nach und nach, und wir erblicken eine geschwärzte Gruppe Menschen. Das ist die Mannschaft, die sich auf dem engen Vorderkastell zusammen gedrängt hat. Bald wird die Verbindung zwischen den beiden Enden des Fahrzeuges wieder hergestellt und kommen der Lieutenant und der Bootsmann zu uns nach dem Oberdeck, indem sie auf dem Barkholz hingehen, da es noch unmöglich ist, den Fuß auf das Verdeck zu setzen.

Kapitän Kurtis, der Lieutenant und der Hochbootsmann berathen in meiner Gegenwart und stimmen in dem einen Punkte völlig überein, daß vor Anbruch des Tages Nichts zu unternehmen sei. Wenn das Land nicht entfernt, das Meer einigermaßen fahrbar ist, wird man die Küste, und wäre es auf einem Flosse, zu erreichen suchen. Wenn aber kein Land in Sicht, wenn der Chancellor auf einem ganz isolirten Riffe gestrandet wäre, wird man versuchen, ihn wieder flott zu machen, um dann die nächstgelegene Küste anzulaufen.

»Jedoch, sagt Robert Kurtis, dessen Meinung auch von den beiden Anderen getheilt wird, es ist sehr schwierig, zu beurtheilen, wo wir uns befinden. Der Nordwestwind muß den Chancellor weit nach Süden verschlagen haben. Ich habe schon längere Zeit keine Messung der Sonnenhöhe vornehmen können, und da mir in diesem Theile des Atlantischen Oceans keine Klippen bekannt sind, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß wir an irgend einem Punkte Amerikas strandeten.

– Wir befinden uns aber immer, warf ich ein, vor einer drohenden Explosion. Sollten wir den Chancellor nicht verlassen können und uns flüchten?

– Auf dieses Riff etwa? antwortet Robert Kurtis. Welche Gestalt hat es? Wird es nicht zur Zeit der Fluth überschwemmt? Können wir es bei dieser Dunkelheit überhaupt erkennen? Lassen Sie es erst hell werden, dann wollen wir davon reden.«

Ich theile diese Worte Robert Kurtis‘ sofort den übrigen Passagieren mit. Sie sind doch nicht besonders beruhigender Natur, aber Keiner hat ein Einsehen für die neue Gefahr, welche uns bedroht, wenn das Schiff auf ein in der offenen See isolirtes Riff aufgestoßen ist, das vielleicht Hunderte von Meilen vom Lande entfernt liegt. Alle haben nur einen einzigen Gedanken, den, daß das Wasser jetzt erfolgreich gegen das Feuer ankämpft und also die Explosionsgefahr vermindert.

In der That dringt statt der leuchtenden Flammen jetzt ein dicker schwarzer Rauch in feuchten Wirbeln aus der großen Luke herauf. Einige Feuerbüschel züngeln zwar noch manchmal zwischen dem Höllenqualm auf, doch sie verlöschen meist sofort wieder. Dem Prasseln und Knackern des Feuers folgt nun das Zischen des Wassers, das auf dem Herde im Inneren verdampft. Sicher erfüllt jetzt das Meer das, was unsere Pumpen und Eimer niemals erreicht hätten, und diese Feuersbrunst, welche mitten in 1700 Ballen Baumwolle ausgebrochen war, konnte eben nur durch eine Ueberschwemmung überwunden werden!

XVI.


XVI.

Am 30. Oktober. – Das erste Tageslicht beginnt den Horizont zu färben, durch den Dunst über dem Wasser bleibt der Blick jedoch auf einen engen Umkreis beschränkt. Kein Land ist in Sicht und vergeblich schweift unser Auge nach Süden und Westen über den Ocean.

Jetzt ist das Meer fast vollkommen gefallen und steht das Schiff nur sechs Fuß tief im Wasser, während es bei voller Ladung sonst etwa fünfzehn Fuß tief eintaucht. Da und dort überragen einige Felsenspitzen die Oberfläche des Meeres, und man erkennt aus einer gewissen Färbung des Grundes, daß dieses Riff rein aus Basalt aufgebaut ist. Auf welche Weise hat aber der Chancellor auf dasselbe gelangen können? Gewiß hob ihn eine ungeheure Welle, wenigstens hatte ich ein ähnliches Gefühl, bevor wir aufliefen. Nachdem ich die Lagerung der Felsen, die uns umringen, genauer betrachtet habe, stelle ich mir die Frage, wie wir von denselben wohl wieder los kommen werden. Das Schiff liegt von hinten nach vorn zu gesenkt, wodurch das Gehen auf dem Verdeck sehr schwierig wird, und außerdem hat es sich mit der eingetretenen Ebbe sehr auffällig nach Backbord geneigt. Robert Kurtis hat sogar befürchtet, daß es bei tiefer Ebbe kentern würde; jetzt nimmt die seitliche Neigung aber nicht weiter zu, und unsere Besorgniß ist verschwunden.

Um sechs Uhr Morgens machen sich ziemlich heftige Stöße bemerkbar. Sie rühren von dem Besanmaste her, der nach seinem Bruche erst weggetrieben wurde und jetzt wieder an die Breitseite des Chancellor anschlägt. Zugleich hören wir wiederholte Schreie und unterscheiden mehrmals den Namen »Robert Kurtis.«

Wir blicken nach der Richtung hin, aus welcher die Rufe zu kommen scheinen, und sehen einen Mann, der sich an den Mastkorb anklammert. Es ist Silas Huntly, den der Sturz des Mastes mitgerissen und ein Wunder vom Tode errettet hat.

Robert Kurtis eilt seinem früheren Kapitän zu Hilfe und bringt ihn, tausend Gefahren trotzend, glücklich an Bord zurück. Ohne ein Wort zu sprechen, setzt sich Silas Huntly sofort in die entlegenste Ecke des Oberdecks. Der Mann ist vollkommen passiv geworden; er zählt gar nicht mehr mit.

Nach manchen Anstrengungen gelingt es, den Mast unter den Wind zu bringen, wonach er mit dem Schiffe, dessen Planken er nicht ferner bedroht, fest verbunden wird. Vielleicht soll dieses Trümmerstück uns noch Dienste leisten, wer kann es wissen?

Es ist nun völlig Tag geworden; die Nebel steigen. Schon vermag der Blick den Horizont auf drei Meilen Entfernung zu erreichen, doch Nichts zeigt sich, was einer Küste ähnlich sähe. Im Norden nur taucht eine Art Eiland auf. Seine unregelmäßige Gestalt verdankt es einer launenhaften Aufhäufung von Felsmassen, die sich etwa zweihundert Faden von der Stelle, an der der Chancellor strandete, und zu einer Höhe von vielleicht fünfzig Fuß erhebt. Sie muß also auch die stärkste Hochfluth überragen. Ein sehr schmaler, doch bei niedrigem Wasser gangbarer Weg eröffnet sich uns für den Nothfall nach jenem Eilande. Darüber hinaus nimmt das Meer wieder eine dunklere Färbung an. Dort ist tiefes Wasser; dort endet das Riff.

Eine schmerzliche Enttäuschung, gerechtfertigt durch die Lage des Fahrzeuges, bemächtigt sich Aller. Es ist wirklich zu fürchten, daß diese Klippen mit keinem benachbarten Lande in Verbindung stehen.

In diesem Augenblick, – es ist um sieben Uhr, – ist nun heller Tag und sind die Dunstmassen verschwunden. Vollkommen deutlich zeichnet sich der Horizont rund um den Chancellor ab, aber die Grenzlinie des Wassers und die des Himmels verschwimmen in einander und das Meer erfüllt den ganzen, weiten Raum.

Unbeweglich beobachtet Robert Kurtis den Ocean und vorzüglich im Westen. Mr. Letourneur und ich stehen nahe bei einander, achten auf seine geringsten Bewegungen und errathen alle Gedanken, die sich in seinem Gehirne jagen. Sein Erstaunen scheint groß zu sein, denn er mußte uns nahe dem Lande glauben, da das Schiff von den Bermuden aus immer nach Süden getrieben worden war, und doch ist kein Land in Sicht.

In diesem Augenblicke verläßt Robert Kurtis das Oberdeck, begiebt sich auf der Schanzkleidung bis nach der Strickleiter des Großmastes, erklettert diese bis zum Mastkorb und von da aus an den Seilen noch höher hinauf, bis er auf einer oberen Segelstange steht. Von dort aus schweift sein Blick aufmerksam über den ganzen Umkreis, und nach Verlauf einiger Minuten gleitet er an einem Taue bis zu dem Barkholz herab und kommt zu uns zurück.

Wir sehen ihn fragend an.

»Kein Land!« sagt er sehr kalt. Da tritt Mr. Kear vor und spricht in offenbar übler Laune:

»Wo sind wir, Herr?

– Das weiß ich nicht, mein Herr.

– Das sollten Sie aber wissen! erwidert ärgerlich der Oelhändler.

– Möglich, – aber ich weiß es nicht!

– Nun, fährt Mr. Kear fort, so hören Sie denn, daß ich keine Lust habe, ewig auf Ihrem Schiffe zu bleiben, mein Herr, und ich erwarte von Ihnen, daß Sie nun weiter segeln!«

Robert Kurtis begnügte sich, mit den Achseln zu zucken.

Dann wandte er sich zu Mr. Letourneur und zu mir:

»Wenn sich die Sonne zeigt, sagt er, werde ich eine Aufnahme ausführen und werden wir dann erfahren, auf welchem Punkte des Atlantischen Oceans wir uns befinden.«

Hierauf läßt Robert Kurtis zunächst an die Passagiere und die Mannschaften Lebensmittel vertheilen. Wir brauchen solche recht nöthig, denn Alle sind von Hunger und Anstrengung erschöpft. Es wird Schiffszwieback und etwas conservirtes Fleisch genossen, worauf der Kapitän sofort gewisse Maßnahmen zum Wiederflottmachen des Schiffes vorbereitet.

Das Feuer hat sich jetzt noch weiter vermindert, und keine Flamme dringt mehr nach Außen. Auch der Rauch ist, wenn auch noch schwarz, doch minder reichlich. Gewiß steht im Kielraume des Chancellor ein große Menge Wasser, doch kann man sich darüber nicht vergewissern, da das Verdeck ungangbar ist. Deshalb läßt Robert Kurtis die glühheißen, halbbrennenden Planken begießen, und nach zwei Stunden können die Matrosen wieder auf dem Verdecke gehen.

Jetzt ist es die erste Sorge, zu sondiren, ein Geschäft, dem sich der Hochbootsmann unterzieht. Seiner Messung nach stehen fünf Fuß Wasser im Raume; der Kapitän läßt dasselbe jedoch noch nicht auspumpen, da er will, daß es seine Arbeit ganz vollende. Erst mit dem Feuer fertig werden, mit dem Wasser später.

Erscheint es nun wohl gerathen, das Schiff sofort zu verlassen und sich auf die Klippe zu flüchten? Kapitän Kurtis‘ Ansicht, der auch der Lieutenant und der Hochbootsmann zustimmen, ist das nicht. Wirklich, bei schwerem Wellengange dürfte die Position selbst auf den am meisten hervorragenden Felsen nicht haltbar sein. Die Wahrscheinlichkeit einer Explosion des Fahrzeugs ist ja wesentlich gemindert; gewiß hat das Wasser im Raume eine solche Höhe erreicht, daß Ruby’s Gepäck und folglich auch sein Colli mit Pikrat überschwemmt ist. Es wird also entschieden, daß weder die Mannschaften noch die Passagiere den Chancellor verlassen.

Dafür bemüht man sich, auf dem Oberdeck eine Art Lagerstätte zuzurichten, und für die beiden Damen werden einige vom Feuer noch verschonte Matratzen dahin geschafft. Die Mannschaft, welche ihre Habseligkeiten gerettet hat, bringt diese unter das Vordercastell. Dort soll auch der Schlafraum sein, da die Cajüte der Leute völlig unbewohnbar geworden ist.

Zum Glück sind die Zerstörungen in der Kombüse weniger umfänglich, als man hätte annehmen sollen. Die Lebensmittel, ebenso wie die Wasserkisten hat das Feuer zum großen Theil verschont. Das ganz im Vordertheil liegende Segelmagazin erweist sich völlig unversehrt.

Vielleicht stehen wir vor dem Ende unserer Prüfungen. Man ist fast versucht, das zu glauben, denn seit dem Morgen hat sich der Wind sehr bedeutend abgeschwächt und der Seegang merklich ermäßigt. Letzteres ist ein ganz besonders günstiger Umstand, denn wenn den Chancellor jetzt heftige Wellenstöße träfen, müßte er an dem harten Basalte zerschellen.

Mit den Herren Letourneur habe ich ausführlich über die Schiffsofficiere gesprochen, ebenso über die Mannschaften und über das Benehmen Aller in dieser Zeit der Gefahr. Alle haben Proben des Muthes und der thatkräftigen Entschlossenheit abgelegt. Der Lieutenant Walter, der Hochbootsmann und der Schiffszimmermann Daoulas zeichneten sich ganz besonders aus, das sind wackere Männer, gute Seeleute, auf die man sich verlassen kann. Robert Kurtis ist über jedes Lob erhaben. Jetzt, wie immer, scheint er sich zu verdoppeln und ist überall zur Hand; Schwierigkeiten bieten sich nur, um von ihm überwunden zu werden; durch Wort und That feuert er seine Matrosen an; er bildet gleichsam die Seele der ganzen Mannschaft, die nur durch ihn handelt.

Seit sieben Uhr Morgens begann das Meer inzwischen wieder zu steigen; jetzt, um elf Uhr, sind die Spitzen der Felsen bei der Fluth alle wieder verschwunden. Es steht zu erwarten, daß das Wasser im Schiffsraum um ebenso viel steigen wird, als das Meer außerhalb. Das geschieht wirklich. Die Sonde ergiebt neun Fuß, und wiederum sind neue Schichten der Ballen überschwemmt, worüber wir uns jedoch nur Glück wünschen.

Seit Eintritt der vollen Fluth ist der größte Theil der das Schiff umgebenden Felsmassen untergetaucht; nur die Umfassung einer Art kleinen Beckens bleibt noch sichtbar, das einen Durchmesser von 250 bis 300 Fuß hat und dessen nördlichen Winkel der Chancellor einnimmt. Das Meer erscheint recht ruhig, und seine Wellen gelangen nicht bis zum Schiffe; – glücklicher Umstand, denn da es ganz unbeweglich fest liegt, würde es ebenso, wie eine Klippe gepeitscht werden.

Um elfeinhalb Uhr wird die Sonne, die bis dahin von einigen Wolken verdeckt blieb, recht zur gelegenen Zeit sichtbar. Schon am Morgen gelang es dem Kapitän, einen Stundenwinkel zu messen, jetzt bereitet er sich zur Aufnahme der Mittagshöhe, die er um 12 Uhr ganz genau ermittelt.

Er begiebt sich nach seiner Cabine, führt die nöthigen Berechnungen aus und kommt nach dem Oberdeck zurück.

»Wir befinden uns, meldet er hierüber, unter achtzehn Grad fünfundvierzig Minuten nördlicher Breite und fünfundvierzig Grad dreiundfünfzig Minuten westlicher Länge.«

Der Kapitän erläutert unsere Lage noch Denjenigen, die mit der Bedeutung dieser Zahlen weniger vertraut sind. Robert Kurtis sucht mit Recht Nichts zu verheimlichen, er will, daß sich Jeder darüber klar sei, was er unter den gegebenen Verhältnissen zu erwarten habe.

Der Chancellor ist also unter 18° 45′ nördlicher Breite und 45° 53′ westlicher Länge auf einem noch auf keiner Seekarte verzeichneten Riffe gescheitert. Wie kann aber ein solches in diesem Theile des Atlantischen Oceans vorhanden sein, ohne daß man von ihm Kenntniß hat? Sollte das Eiland erst von jüngerer Bildung und durch irgend eine Plutonische Erhebung entstanden sein? Ich sehe wenigstens keine andere Erklärung jener Thatsache.

Doch dem sei, wie es will, jedenfalls befindet sich das Eiland mindestens 800 Meilen von Guyana, das ist das nächstbenachbarte Land, entfernt. Die Eintragung des Punktes auf der Karte hat das unzweifelhaft ergeben.

Der Chancellor ist also bis zum achtzehnten Breitengrade nach Süden hinab gelangt, zuerst in Folge der sinnlosen Hartnäckigkeit Silas Huntly’s, nachher durch den Nordweststurm, der ihn zum Entfliehen nöthigte. Der Chancellor hat demnach noch 800 Meilen weit zu segeln, bevor er das nächst gelegene Land anlaufen kann.

So gestaltet sich unsere Lage. Sie ist wohl ernst, doch machte die offenherzige Mittheilung des Kapitäns keinen üblen Eindruck, – wenigstens für den Augenblick. Welch‘ neue Gefahren hätten uns auch so bedrohlich erscheinen können, nachdem wir dem Feuer und der Explosion so glücklich entgangen waren? Jedermann vergißt, daß der Kielraum mit Wasser gefüllt ist, daß das rettende Land uns so fern liegt, daß der Chancellor, wenn er wieder flott wird, leicht sinken kann … Jetzt stehen die Gemüther noch unter dem Eindruck des jüngsten Schreckens und neigen in einem Augenblick der Ruhe weit mehr zum Vertrauen hin.

Was wird Robert Kurtis nun zunächst vornehmen? Ganz einfach das, was der gesunde Menschenverstand empfiehlt: das Feuer vollständig löschen, die ganze Fracht, oder doch einen Theil derselben über Bord werfen, das Colli mit Pikrat nicht zu vergessen, den Leck verschließen und nach Erleichterung des Schiffes dasselbe unter Mithilfe der Fluth wieder flott zu machen suchen.

I.


I.

Charleston, am 27. September 1869. – Um drei Uhr Nachmittags verlassen wir den Batterie-Quai. Rasch führt uns die Ebbe dem freien Meere zu. Kapitän Huntly hat alle Segel beisetzen lassen, und der Nordwind treibt den Chancellor quer durch die Bai von Charleston. Bald ist das Fort Sumter umschifft und liegen uns die Batterien, welche den Hafen bestreichen, zur Linken. Um vier Uhr passirt unser Schiff die enge Einfahrt, durch die bei sinkendem Wasser eine schnelle Strömung fluthet. Von hier aus ist die eigentliche offene See freilich noch ziemlich weit entfernt und nur durch enge gefährliche Wasserstraßen zwischen ausgedehnten Sandbänken zu erreichen. Kapitän Huntly biegt in das Fahrwasser nach Südwesten ein und hält auf den Leuchtthurm an der linken Spitze des Fort Sumter zu. Die Segel werden so dicht als möglich gegen den Wind gestellt, und um sieben Uhr Abends bleibt der letzte Ausläufer der Sandbänke hinter unserem Fahrzeuge zurück, das nun in den Atlantischen Ocean hinaussteuert.

Der »Chancellor«, ein schöner Dreimaster von 900 Tonnen, gehört dem reichen Hause der Gebrüder Leard in Liverpool. Das Schiff ist zwei Jahre alt, mit Kupfer bekleidet, aus Teakholz gebaut und führt, außer dem Besanmaste, Untermaste und Takelage aus Eisen. Das solide und schöne Schiff, beim Bureau Veritas unter A. I. classificirt, vollendet eben seine dritte Reise zwischen Charleston und Liverpool. Bei der Abfahrt aus Charleston hißte es die englische Flagge; ein Seemann hätte aber auch ohne diese seinen Ursprung auf den ersten Blick erkannt: es war wirklich, für was es sich ausgab, d.h. englisch von der Wasserlinie bis zur Mastspitze.

An Bord des Chancellor, der jetzt nach England zurücksegelt, habe ich mich aus folgenden Gründen eingeschifft:

Zwischen Süd-Carolina und dem Vereinigten Königreiche besteht keine directe Dampferverbindung. Um eine transatlantische Linie zu erreichen, müßte man entweder nach Norden hinauf bis New-York gehen oder nach Süden hinunter, bis New-Orleans. Zwischen New-York und der alten Welt unterhalten verschiedene englische, deutsche und französische Gesellschaften eine häufige und sichere Verbindung, und von dort aus hätte mich eine Scotia, Holfatia oder ein Pereire (bekannte Schiffe jener Linien) schnell genug meinem Bestimmungsorte zugeführt. Zwischen New-Orleans und Europa verkehren die Dampfer der National Steam navigation Co., die sich an die französische Linie nach Colon und Aspinwall anschließen. Als ich aber auf den Quais in Charleston dahinging, sah ich den Chancellor. Das Schiff gefiel mir, und ich weiß nicht, welcher Instinct mich an Bord desselben trieb. Es ist übrigens recht bequem eingerichtet, und bei günstigem Wind und Meere, – wobei die Schnelligkeit die der Dampfer fast erreicht –, ziehe ich es nach allen Seiten hin vor, mit einem Segelschiff zu reisen. Zu Anfang des Herbstes hält sich in diesen niedrigen Breiten die Witterung noch sehr schön. Ich entschied mich also für die Ueberfahrt auf dem Chancellor.

Habe ich daran wohl gethan? Werde ich es zu bereuen haben? Die Zukunft wird es lehren. Ich will meine Beobachtungen tagtäglich notiren, und jetzt, da ich schreibe, weiß ich selbst noch nicht mehr als die Leser dieses Tagebuchs, wenn dasselbe überhaupt jemals Leser findet.

II.


II.

Am 28. September. – Ich erwähnte schon, daß der Kapitän des Chancellor Huntly heißt, – mit Vornamen John Silas. Er ist ein Schotte aus Dundee, gegen fünfzig Jahre alt und macht den Eindruck eines erfahrenen Oceanschiffers. Bei nur mittlerer Körpergröße sind seine Schultern nicht breit, sein Kopf, den er aus Gewohnheit immer nach der linken Seite neigt, etwas klein. Ohne Physiognomiker ersten Ranges zu sein, glaube ich schon, trotzdem ich Kapitän Huntly erst seit wenigen Stunden kenne, ein Urtheil über denselben abgeben zu können.

Daß Silas Huntly das Aussehen eines guten Seemanns habe und in seinem Fache wohlunterrichtet sei, dem widerspreche ich nicht; daß in diesem Manne aber ein fester Charakter stecke, der unbeugsam jeder Prüfung entgegenträte, nein, das ist nicht möglich.

In der That erscheint die Haltung des Kapitäns etwas schwerfällig, sein Körper ziemlich abgespannt. Er ist nachlässig, das sieht man an seinem unsicheren Blicke, den passiven Bewegungen der Arme und seinem Schwanken, bei dem er von einem Beine auf das andere fällt. Dieser Mann ist nicht energisch, kann es nicht sein, nicht einmal starrköpfig, denn seine Augen haben kein Feuer, sein Kinn ist fein und weich und seine Hände scheinen sich gar nicht ballen zu können; außerdem fällt mir an ihm noch ein eigentümliches Wesen auf, das ich mir noch nicht zu erklären vermag, doch werde ich ihm auch ferner diejenige Aufmerksamkeit schenken, welche der Befehlshaber eines Schiffes verdient, auf dem er sich »nach Gott den Nächsten« nennt.

Wenn ich nicht irre, befindet sich aber zwischen Gott und Silas Huntly noch ein Anderer an Bord, der gegebenen Falls eine hervorragende Stelle einzunehmen bestimmt scheint, das ist der zweite Officier des Chancellor, den ich noch nicht genügend studirt habe und von dem zu sprechen ich mir für später vorbehalte.

Die Besatzung des Chancellor besteht aus Kapitän Huntly, dem zweiten Officier Robert Kurtis, dem Lieutenant Walter, einem Hochbootsmann und vierzehn Matrosen, lauter Engländer oder Schotten, zusammen also achtzehn Seeleute, – eine Anzahl, welche zur Führung eines Dreimasters von 900 Tonnen Gehalt völlig hinreichend ist. Die Männer scheinen ihr Geschäft Alle gut zu verstehen. Was ich bis jetzt davon sah, beschränkt sich freilich darauf, daß sie unter dem Commando des zweiten Officiers in dem engen Fahrwasser vor Charleston sehr geschickt manoeuvrirten.

Ich vervollständige das Verzeichniß der auf dem Chancellor eingeschifften Personen durch Erwähnung des Steward Hobbart, des Negerkochs Jynxtrop und durch Hinzufügung einer Liste der Passagiere.

Von Letzteren zähle ich, wenn ich mich einrechne, acht Personen. Noch kenne ich sie kaum, doch werden die Eintönigkeit einer längeren Ueberfahrt, die kleinen Vorkommnisse jedes Tages, die unumgängliche Berührung mehrerer in so engem Raume zusammen wohnender Leute, das natürliche Bedürfniß, seine Gedanken auszutauschen und die dem Menschenherzen eingeborene Neugier uns zeitig genug einander näher bringen. Bis jetzt haben uns noch der Wirrwarr der Einschiffung, die Besitznahme der Cabinen, die Einrichtungen, welche eine Reise von drei bis vier Wochen nöthig macht, und verschiedenerlei andere Geschäfte noch von einander fern gehalten. Gestern und heute erschienen noch nicht einmal Alle bei Tische, und vielleicht leiden Einige an der Seekrankheit. Noch habe ich sie nicht einmal Alle gesehen, weiß aber, daß sich unter den Passagieren zwei Damen befinden, die in der hintersten Cabine wohnen, deren Fenster in dem Spiegel des Fahrzeugs angebracht sind.

Hier folge eine Liste, wie ich sie der Schiffsrolle entnehme:

Mr. und Mrs. Kear, Amerikaner, aus Buffalo;
Miß Herbey, Engländerin, Gesellschaftsdame der Mrs. Kear;
Mr. Letourneur und Sohn, André Letourneur, Franzosen, aus Havre;
William Falsten, Ingenieur aus Manchester, und
John Ruby, Kaufmann aus Cardiff, Beide Engländer, endlich
J. R. Kazallon aus London, der Verfasser dieser Zeilen.

XI.


XI.

Fortsetzung am 21. Oktober. – Ich kann es nicht schildern, was bei den Worten des Ingenieurs in mir vorging. Das ist kein Erschrecktsein mehr, es ist eine Art Resignation. Mir scheint sich die Situation dadurch zu klären, der Knoten vielleicht eher zu lösen. Kühl bis an’s Herz suche ich Robert Kurtis auf, der sich auf dem Vordercastell befindet.

Auf die Nachricht hin, daß ein Colli mit dreißig Pfund Pikrat, – d. h. eine hinreichende Menge, um einen Berg in die Luft zu sprengen –, an Bord ist und zwar im Schiffsraume, nahe dem Herde des Feuers selbst, und daß der Chancellor jeden Augenblick in die Luft gehen kann, entsetzt sich Robert Kurtis keineswegs, kaum runzelt sich seine Stirn und erweitert sich sein Auge.

»Gut, antwortet er mir, nicht ein Wort hiervon. Wo ist dieser Ruby?

– Auf dem Verdeck.

– Kommen Sie mit mir, Mr. Kazallon.«

Wir steigen Beide nach dem Oberdeck hinauf, wo der Kaufmann und der Ingenieur noch im Gespräch waren.

Robert Kurtis geht geraden Wegs auf sie zu.

»Sie haben das gethan? fragt er Ruby.

– Nun ja, das habe ich gethan!« antwortet seelenruhig Ruby, der sich höchstens eines Betrugs schuldig gemacht zu haben glaubt.

Einen Augenblick erscheint es mir, als wolle Robert Kurtis den unseligen Passagier zermalmen, der die Tragweite seiner Unklugheit gar nicht zu begreifen scheint! Dem zweiten Officier gelingt es aber, sich zu bemeistern, und ich sehe, wie er die Hand auf dem Rücken ballt, um nicht verleitet zu werden, Ruby bei der Gurgel zu nehmen.

Dann richtet er mit ruhiger Stimme einige Fragen an Ruby. Dieser bestätigt die von mir gemeldete Thatsache. Zwischen seinem Gepäck befindet sich ein Colli, welches dreißig Pfund jener so höchst gefährlichen Substanz enthält. Der Passagier hat hier mit derselben Nachlässigkeit und Unklugheit gehandelt, die, wie man gestehen muß, der anglo-sächsischen Race angeboren ist, und hat jenen explosiven Körper in dem Raume des Fahrzeugs unterbringen lassen, wie ein Franzose etwa eine Flasche Wein. Wenn er den Inhalt dieses Colli falsch declarirt hatte, so kam es daher, daß er die Weigerung des Kapitäns, dasselbe mitzunehmen, vorher vollkommen kannte.

»Nun, nun, das ist doch kein Grund, einen Menschen zu hängen! Wenn das Ding Ihnen so sehr unangenehm ist, so mögen Sie es meinetwegen in’s Meer werfen. Mein Gepäck ist versichert!«

Bei dieser Antwort kann ich mich nicht mehr zurückhalten, denn mir fehlt Robert Kurtis‘ kaltes Blut, und der Zorn übermannt mich. Bevor mich der zweite Officier daran hindern kann, stürze ich mich auf Ruby und schreie:

»Elender, Sie wissen also wohl nicht, daß an Bord Feuer ist!«

Kaum ist mir das Wort entflohen, so gereut es mich schon. Doch es ist zu spät! Die Wirkung dieser Nachricht auf den Kaufmann Ruby ist gar nicht zu beschreiben. Den Unglücklichen erfaßt eine convulsivische Furcht. Sein Körper zuckt, seine Haare sträuben sich, sein Auge weitet sich erschreckend aus, sein Athem wird keuchend, wie der eines Asthmatikers, er vermag nicht zu sprechen, der Schreck erreicht in ihm seinen Höhepunkt. Plötzlich bewegen sich seine Arme krampfhaft; er stiert auf das Verdeck des Chancellor, das jeden Moment in die Luft gehen kann, er läuft vom Oberdeck herab und wieder hinauf, durch das ganze Schiff und gesticulirt wie ein Wahnsinniger. Endlich kommt ihm die Sprache wieder, und seinem Munde entringen sich die fürchterlichen Worte:

»Es ist Feuer an Bord! Es ist Feuer an Bord!«

Bei diesem Rufe läuft die ganze Mannschaft auf dem Verdeck zusammen, offenbar in dem Glauben, daß die Flammen einen Weg nach Außen gefunden haben und es nun Zeit sei, in die Boote zu entfliehen. Die Passagiere kommen hinzu, Mr. Kear, seine Gattin, Miß Herbey, die beiden Letourneur. Robert Kurtis versucht Ruby Ruhe zu gebieten, doch dieser will keine Vernunft annehmen.

Die Unordnung erreicht ihren Höhepunkt. Mrs. Kear ist bewußtlos auf dem Deck zusammen gebrochen. Ihr Mann bekümmert sich nicht im mindesten um sie und überläßt sie der Sorgfalt der Miß Herbey. Die Matrosen haben sich schon an die Winden der Schaluppen gemacht, um diese in’s Meer zu bringen.

Indessen theile ich den Mr. Letourneur mit, was sie noch nicht wissen, daß Feuer an Bord ist; der nächste Gedanke des Vaters gehört seinem Sohne, den er umschlingt, als wolle er ihn schützen. Der junge Mann bewahrt sein kaltes Blut und beruhigt den Vater durch die Versicherung, daß es ja keine unmittelbare Gefahr habe. Robert Kurtis hat mit Unterstützung des Lieutenants inzwischen seine Leute wieder zur Ordnung gebracht. Er versichert ihnen, daß die Feuersbrunst keine weiteren Fortschritte gemacht, daß Passagier Ruby keine Vorstellung von dem habe, was er thue oder sage, daß man nicht übereilt handeln solle und daß man, wenn der Augenblick gekommen, das Schiff verlassen werde …

Der größte Theil der Matrosen hört auf die Stimme des zweiten Officiers, den sie lieben und achten. Dieser erreicht bei ihnen, was dem Kapitän Huntly nicht gelungen wäre, und die Schaluppe verbleibt auf ihrem Lager.

Glücklicher Weise hat Ruby von dem im Kielraum eingeschlossenen Pikrat nicht weiter gesprochen. Wenn die Mannschaft die ganze Wahrheit wüßte, wenn sie hörte, daß das Schiff eigentlich nur noch ein Vulkan ist, der sich jeden Augenblick unter ihren Füßen öffnen kann, kämen sie gewiß aus Rand und Band, und Niemand würde im Stande sein, ihr Entfliehen zu hindern.

Der zweite Officier, Ingenieur Falsten und ich, wir sind die Einzigen, welche die schreckliche Complication der Feuersbrunst kennen, und es ist gut, daß es dabei bleibt.

Nach wiederhergestellter Ordnung suchen wir, Robert Kurtis und ich, den Ingenieur wieder auf dem Oberdeck. Dieser ist noch dort und steht mit gekreuzten Armen da; wahrscheinlich denkt er über ein mechanisches Problem nach – mitten unter dem allgemeinen Schrecken. Wir empfehlen ihm dringend, nichts von der Verschlechterung unserer Lage zu sagen, die wir der Unklugheit Ruby’s verdanken.

Falsten verspricht darüber zu schweigen. Dem Kapitän Huntly, der auch noch nicht unterrichtet ist, übernimmt es Robert Kurtis, Alles mitzutheilen.

Vorher muß er sich aber der Person Ruby’s versichern, denn der Unglückliche ist vollkommen geistig gestört. Er weiß nicht mehr, was er thut, und läuft nur mit dem Rufe: »Feuer! Feuer!« auf dem Oberdeck umher.

Robert Kurtis befiehlt einigen Matrosen, sich des Passagiers zu bemächtigen, den man fesselt und unschädlich macht. Dann wird er in seine Cabine gebracht und sorgfältig bewacht.

Das schreckliche Wort ist nicht über seine Lippen gekommen!