II.

Am 28. September. – Ich erwähnte schon, daß der Kapitän des Chancellor Huntly heißt, – mit Vornamen John Silas. Er ist ein Schotte aus Dundee, gegen fünfzig Jahre alt und macht den Eindruck eines erfahrenen Oceanschiffers. Bei nur mittlerer Körpergröße sind seine Schultern nicht breit, sein Kopf, den er aus Gewohnheit immer nach der linken Seite neigt, etwas klein. Ohne Physiognomiker ersten Ranges zu sein, glaube ich schon, trotzdem ich Kapitän Huntly erst seit wenigen Stunden kenne, ein Urtheil über denselben abgeben zu können.

Daß Silas Huntly das Aussehen eines guten Seemanns habe und in seinem Fache wohlunterrichtet sei, dem widerspreche ich nicht; daß in diesem Manne aber ein fester Charakter stecke, der unbeugsam jeder Prüfung entgegenträte, nein, das ist nicht möglich.

In der That erscheint die Haltung des Kapitäns etwas schwerfällig, sein Körper ziemlich abgespannt. Er ist nachlässig, das sieht man an seinem unsicheren Blicke, den passiven Bewegungen der Arme und seinem Schwanken, bei dem er von einem Beine auf das andere fällt. Dieser Mann ist nicht energisch, kann es nicht sein, nicht einmal starrköpfig, denn seine Augen haben kein Feuer, sein Kinn ist fein und weich und seine Hände scheinen sich gar nicht ballen zu können; außerdem fällt mir an ihm noch ein eigentümliches Wesen auf, das ich mir noch nicht zu erklären vermag, doch werde ich ihm auch ferner diejenige Aufmerksamkeit schenken, welche der Befehlshaber eines Schiffes verdient, auf dem er sich »nach Gott den Nächsten« nennt.

Wenn ich nicht irre, befindet sich aber zwischen Gott und Silas Huntly noch ein Anderer an Bord, der gegebenen Falls eine hervorragende Stelle einzunehmen bestimmt scheint, das ist der zweite Officier des Chancellor, den ich noch nicht genügend studirt habe und von dem zu sprechen ich mir für später vorbehalte.

Die Besatzung des Chancellor besteht aus Kapitän Huntly, dem zweiten Officier Robert Kurtis, dem Lieutenant Walter, einem Hochbootsmann und vierzehn Matrosen, lauter Engländer oder Schotten, zusammen also achtzehn Seeleute, – eine Anzahl, welche zur Führung eines Dreimasters von 900 Tonnen Gehalt völlig hinreichend ist. Die Männer scheinen ihr Geschäft Alle gut zu verstehen. Was ich bis jetzt davon sah, beschränkt sich freilich darauf, daß sie unter dem Commando des zweiten Officiers in dem engen Fahrwasser vor Charleston sehr geschickt manoeuvrirten.

Ich vervollständige das Verzeichniß der auf dem Chancellor eingeschifften Personen durch Erwähnung des Steward Hobbart, des Negerkochs Jynxtrop und durch Hinzufügung einer Liste der Passagiere.

Von Letzteren zähle ich, wenn ich mich einrechne, acht Personen. Noch kenne ich sie kaum, doch werden die Eintönigkeit einer längeren Ueberfahrt, die kleinen Vorkommnisse jedes Tages, die unumgängliche Berührung mehrerer in so engem Raume zusammen wohnender Leute, das natürliche Bedürfniß, seine Gedanken auszutauschen und die dem Menschenherzen eingeborene Neugier uns zeitig genug einander näher bringen. Bis jetzt haben uns noch der Wirrwarr der Einschiffung, die Besitznahme der Cabinen, die Einrichtungen, welche eine Reise von drei bis vier Wochen nöthig macht, und verschiedenerlei andere Geschäfte noch von einander fern gehalten. Gestern und heute erschienen noch nicht einmal Alle bei Tische, und vielleicht leiden Einige an der Seekrankheit. Noch habe ich sie nicht einmal Alle gesehen, weiß aber, daß sich unter den Passagieren zwei Damen befinden, die in der hintersten Cabine wohnen, deren Fenster in dem Spiegel des Fahrzeugs angebracht sind.

Hier folge eine Liste, wie ich sie der Schiffsrolle entnehme:

Mr. und Mrs. Kear, Amerikaner, aus Buffalo;
Miß Herbey, Engländerin, Gesellschaftsdame der Mrs. Kear;
Mr. Letourneur und Sohn, André Letourneur, Franzosen, aus Havre;
William Falsten, Ingenieur aus Manchester, und
John Ruby, Kaufmann aus Cardiff, Beide Engländer, endlich
J. R. Kazallon aus London, der Verfasser dieser Zeilen.