Von der Begegnung Don Quijotes mit einem verständigen Edelmann aus der Mancha
Mit den freudigen, selbstzufriedenen und stolzen Regungen, die wir geschildert, setzte Don Quijote seine Reise fort, und ob des soeben erfochtenen Sieges hielt er sich für den tapfersten der fahrenden Ritter, den die Welt in diesem Zeitalter aufzuweisen habe. Alle Abenteuer, die ihm fürderhin begegnen könnten, hielt er bereits für so gut wie abgetan und zu glücklichem Ende geführt; die Verzauberungen samt den Zauberern achtete er gar gering; er gedachte nicht mehr der zahllosen Prügel, die er im Verlauf seiner Ritterfahrten empfangen, noch des Steinhagels, der ihm die Hälfte seiner Zähne ausgeschlagen, noch der Undankbarkeit jener Galeerensklaven noch des frechen Angriffs und Prügelregens der Yanguesen. Und endlich sprach er leise für sich: wenn er nur ein Mittel, eine Art und Weise fände, seine Gebieterin Dulcinea zu entzaubern, so würde er das größte Glück nicht beneiden, das der glücklichste unter den fahrenden Rittern der verflossenen Jahrhunderte erlangt hat oder erlangen konnte.
In diese Betrachtungen war Don Quijote völlig versunken, als Sancho zu ihm sprach: »Ist es nicht drollig, Señor, daß ich noch immer die ungeheure, alles Maß überschreitende Nase meines Gevatters Tomé Cecial vor Augen habe?«
»Und du, Sancho; glaubst du vielleicht«, fragte Don Quijote dagegen, »daß der Spiegelritter wirklich der Baccalaureus Carrasco war und sein Schildknappe dein Gevatter Tomé Cecial?«
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, meinte Sancho; »ich weiß nur: was er mir von meinem Hause, Weib und Kindern erzählt hat, konnte kein anderer als er selbst angeben. Auch das Gesicht war nach Wegnahme der Nase ganz das Gesicht Tomé Cecials, wie ich es oft genug an ihm gesehen habe dort in meinem Dorf, wo er mein Nachbar ist; auch war der Ton der Stimme völlig derselbe.«
»Wir wollen einmal überlegen, Sancho«, entgegnete Don Quijote. »Komm her! Wie könnte wohl der Baccalaureus Sansón Carrasco als fahrender Ritter daherkommen, zu Schutz und Trutz gerüstet, um mit mir zu kämpfen? Bin ich vielleicht sein Feind gewesen? Hab ich ihm jemals Anlaß gegeben, Groll gegen mich zu hegen? Bin ich sein Nebenbuhler, oder betreibt er das Waffenwerk, um mir den Ruhm zu neiden, den ich dadurch errungen habe?«
»Was sollen wir aber dazu sagen«, antwortete Sancho, »daß dieser Ritter, er sei, wer er sei, so sehr dem Baccalaur Carrasco ähnlich sieht und sein Schildknappe meinem Gevatter Tomé Cecial? Und wenn das Verzauberung ist, wie Euer Gnaden gesagt hat: gab es denn in der Welt nicht noch zwei andere, denen sie hätten ähnlich sehen können?«
»Alles das ist ein Kunstgriff und Anschlag der bösartigen Zauberer, die mich verfolgen«, erklärte Don Quijote. »Da sie vorhersahen, daß ich in dem Streite Sieger bleiben würde, haben sie dafür gesorgt, daß der besiegte Ritter das Angesicht meines Freundes, des Baccalaureus, zeigen sollte, auf daß die Freundschaft, die ich für ihn hege, sich zwischen die Schneide meines Schwertes und die Gewalt meines Armes würfe und den gerechten Grimm meines Herzens mäßige und auf solche Weise der dem Leben erhalten bliebe, der das meine mir mit Blendwerk und falschem Spiel rauben wolle. Und zu dessen Erweis bist du ja, o Sancho, belehrt durch Erfahrung, die dich nicht belügen oder täuschen wird, wie leicht es den Zauberern ist, ein Gesicht in ein anderes zu verwandeln, indem sie aus dem Häßlichen Schönes, aus dem Schönen Häßliches schaffen; sintemal es noch nicht zwei Tage her ist, daß du mit eigenen Augen die Schönheit und Stattlichkeit der unvergleichlichen Dulcinea in ihrer ganzen Vollkommenheit und ihrer natürlichen Gestaltung gesehen hast, während ich sie in der Häßlichkeit und Niedrigkeit einer plumpen Bäuerin sah, die Augen triefend und den Mund voll üblen Geruches. Und wenn nun der heillose Zauberer sich einer so argen Umgestaltung erfrecht hat, so ist es nichts Sonderliches, daß er auch diejenige des Sansón Carrasco und die deines Gevatters bewerkstelligte, weil er mir den Siegesruhm aus den Händen winden wollte. Indessen tröste ich mich darüber; denn am Ende, unter welcher Gestalt es auch geschehen sei, bin ich meines Feindes Herr geworden.«
»Gott allein weiß die Wahrheit«, entgegnete Sancho. Da er wußte, daß Dulcineas Verwandlung sein eigener Anschlag und Schelmenstreich gewesen, so vermochten die Hirngespinste seines Herrn seine Zweifel nicht zu lösen; allein er wollte ihm nicht antworten, um nicht allenfalls mit einem Wort sein Schelmenstück zu verraten.
In diesem Zwiegespräch waren sie begriffen, als ein Mann sie einholte, der des nämlichen Weges hinter ihnen herkam; er ritt eine prächtige Grauschimmelstute und trug einen Mantel von feinem grünem Tuch, mit violettem Samt verbrämt, nebst einer Jagdmütze vom nämlichen Samt. Sein Pferdezeug war reisemäßig, gleichfalls violett und grün, und die Bügel waren kurz geschnallt; er hatte einen maurischen Säbel an einem breiten Schulterriemen von Grün und Gold hängen; seine Halbstiefel waren von ebenso gewirktem Stoff wie das Wehrgehänge; die Sporen waren nicht vergoldet, sondern grün gestrichen und so blank poliert, daß sie, weil sie zu dem ganzen Anzug paßten, schöner aussahen, als wären sie von echtem Golde gewesen. Als der Reisende sie erreicht hatte, grüßte er sie höflich, spornte seine Stute und wollte vorbeireiten; allein Don Quijote sprach zu ihm: »Trefflicher Herr, wenn etwa Euer Gnaden desselben Weges zieht wie wir und es Euch nicht auf besondere Eile ankommt, so würdet Ihr mir eine Gunst erweisen, wenn wir zusammen reisten.«
»In der Tat«, antwortete der Reiter, »würde ich nicht sogleich das Weite gesucht haben, wenn ich nicht befürchtet hätte, daß durch die Nähe meiner Stute Euer Hengst unruhig würde.«
»Ihr könnt Eure Stute ruhig gehen lassen, Señor«, fiel hier Sancho ein, »denn unser Gaul ist der sittigste und anständigste auf Erden; nie hat er in ähnlichen Fällen eine Gemeinheit begangen, und das eine Mal, wo er sich vergessen hatte, haben mein Herr und ich es mit siebenfacher Buße entgelten müssen. Ich sag also noch einmal, Euer Gnaden kann langsam reiten, wenn Ihr wollt, denn wenn man ihm auch eine Stute auf dem Präsentierbrett entgegenbrächte, ganz gewiß würde er sie nicht ansehen.«
Der Reisende zog die Zügel an, voll Staunens ob Don Quijotes Aufzug und Angesicht, da der Ritter den Helm nicht aufhatte, welchen Sancho am Sattelknopf wie einen Mantelsack bei sich führte. Und wenn der Grünmantel Don Quijote aufmerksam ansah, so sah Don Quijote den Grünmantel noch aufmerksamer an, da ihm dieser ein Mann von Bedeutung schien. Sein Äußeres zeigte seine fünfzig Jahre, das Haar war dünn und grau, das Gesicht mit einer Adlernase, seine Miene zwischen munter und ernst; in Tracht und Haltung endlich ließ er den Mann von gutem Stande erkennen.
Des Grünmantels Urteil über Don Quijote von der Mancha aber war, daß er ein solches Auftreten und Aussehen noch bei keinem Menschen gefunden. Er bestaunte die langgestreckte Gestalt seines Gaules und die Don Quijotes selbst, die welken Züge und die gelbe Farbe seines Gesichts, seine Wehr und Waffen, sein Benehmen, seine Haltung: kurz, eine Erscheinung, ein Bild, wie es seit längst vergangenen Zeiten in diesem Lande nicht gesehen worden.
Wohl bemerkte Don Quijote die Aufmerksamkeit, mit welcher der Reisende ihn betrachtete, und las in seinen Zügen seinen Wunsch. Und da der Ritter so voll höflichen Anstandes war und so gern jedem Angenehmes erwies, so kam er, ohne eine Frage abzuwarten, ihm auf halbem Weg entgegen und sprach: »Da der Aufzug, den Euer Gnaden an mir bemerkt, jedem Auge so neu ist und so fern von dem, was heutzutage bräuchlich, sollte es mich nicht wundern, wenn dies Euch sollte gewundert haben; aber Ihr werdet alsobald von Eurer Verwunderung ablassen, wenn ich Euch sage – und das tue ich anitzo –, daß ich ein Ritter bin von jenen,
die, wie die Leute sagen,
hinausziehn auf ihre Abenteuer.
Ich schied von meiner Heimat, verpfändete mein Eigentum, gab mein bequemes Leben auf und warf mich dem Glück in die Arme, mich hinzuführen, wo es ihm belieben mag. Das fahrende Rittertum, das schon erstorbene, wollte ich zum Leben auferwecken, und viele Tage ist’s her, daß ich, hier strauchelnd, dort fallend, hier niederstürzend, dort wieder aufstehend, einen großen Teil meines Vorhabens ausgeführt, indem ich Witwen zu Hilfe kam, Jungfrauen Schutz verlieh, Ehefrauen, Waisen und Unmündigen zur Stütze wurde: ein Amt und Beruf, so den fahrenden Rittern eigentümlich und angeboren. Und so habe ich durch meiner zahlreichen, mannhaften, christlichen Taten Verdienst es dahin gebracht, daß ich bei fast allen oder doch den meisten Völkerschaften der Welt bereits im Druck zu finden bin. Dreißigtausend Bände sind von meiner Geschichte gedruckt worden, und es hat den Anschein, als sollten dreißigtausendmaltausend gedruckt werden, so der Himmel es nicht abwendet. Kurz, um alles in wenige Worte oder vielmehr in ein einziges zusammenzufassen, so sag ich: ich bin Don Quijote von der Mancha, sonst auch mit andrem Namen der Ritter von der traurigen Gestalt geheißen. Und wiewohl Eigenlob übel riecht, bin ich doch zuweilen genötigt, das meinige zu verkünden; versteht sich, wenn kein andrer sich anwesend findet, der es verkünde. Sonach, mein werter Edelmann, werden weder dies Roß noch dieser Speer, weder dieser Schild noch Schildknappe noch all diese Wehr und Waffen zusammen noch die gelbliche Blässe meines Gesichtes noch die Magerkeit meines Körpers Euch hinfüro wundern, nachdem Ihr nunmehr erfahren habt, wer ich bin und welchen Beruf ich übe.« Nach diesen Worten schwieg Don Quijote, und der Grünmantel zögerte so mit der Antwort, daß es schien, als ob er keine zu finden wisse. Nach einer guten Weile jedoch sagte er: »Es ist Euch gut gelungen, Herr Ritter, an meinem Erstaunen meinen Wunsch zu erkennen; aber es ist Euch nicht gelungen, mich aus der Verwunderung zu reißen, in die mich Euer Anblick versetzt hat. Denn obschon Ihr sagt, daß ich nur zu wissen brauche, wer Ihr seid, Señor, um mich von meinem Erstaunen zu erholen, so ist es doch nicht geschehen; vielmehr sind jetzt, wo ich es weiß, Staunen und Verwunderung bei mir nur noch mehr gewachsen. Wie? Ist es möglich, daß es heutzutage noch fahrende Ritter in der Welt gibt und daß es sogar gedruckte Geschichten von wirklichen Rittertaten gibt? Ich kann mich nicht davon überzeugen, daß es heut auf Erden jemand geben kann, der sich Witwen hilfreich erwiese, Jungfrauen in seinen Schutz nähme oder für der Ehefrauen Ehre einstünde oder den Waisen Beistand leistete; und ich würde es nicht glauben, wenn ich es nicht an Euch mit meinen eignen Augen gesehen hätte. Gott sei gelobt, daß durch diese Geschichte, die nach Euer Gnaden Mitteilung von Euren hohen und wahrheitsgemäßen Rittertaten gedruckt vorliegt, die zahllosen Erzählungen von erdichteten fahrenden Rittern nun wohl in Vergessenheit versenkt sein werden, mit denen die Welt überfüllt war zu so großem Nachteil für die guten Sitten und zu so großer Beeinträchtigung und Mißachtung der guten Geschichtsbücher.«
»Es ist viel darüber zu sagen«, entgegnete Don Quijote, »ob die Geschichten der fahrenden Ritter erdichtet sind oder nicht.«
»Gibt’s denn jemand, der zweifelt«, versetzte der Grüne, »daß die Geschichten dieser Art unwahr sind?«
»Ich zweifle daran«, gab Don Quijote zur Antwort, »und wir wollen es hierbei bewenden lassen; denn wenn unsre Reise länger dauert, so hoffe ich zu Gott, Euch klarzumachen, daß Ihr übel daran getan, mit dem Strom derer zu schwimmen, die es für ausgemacht halten, sie seien nicht wahr.«
Aus dieser letzten Äußerung schöpfte der Reisende die Vermutung, Don Quijote müsse geistesgestört sein, und wartete darauf, ob noch andre Äußerungen von ihm dies bestätigen würden. Bevor sie sich jedoch in ein weiteres Gespräch einließen, ersuchte ihn Don Quijote, ihm zu sagen, wer er sei, da auch er ja ihm über seinen Beruf und sein Leben Auskunft erteilt habe.
Darauf sagte der Grünmantel: »Ich, Herr Ritter von der traurigen Gestalt, bin ein Landedelmann, gebürtig aus einem Orte, wo wir heute zu Mittag speisen wollen, so Gott will. Ich besitze mehr als mittelmäßigen Reichtum; mein Name ist Don Diego de Miranda; ich verbringe mein Leben mit Frau und Kindern und Freunden. Meine Beschäftigungen sind Jagen und Fischen; ich halte mir aber weder einen Falken noch Windhunde, sondern nur ein abgerichtetes Lockhuhn und ein furchtloses Frettchen. Ich habe sechs Dutzend Bücher, einige spanisch, einige lateinisch, einige sind Geschichts- und andre Andachtsbücher; Ritterbücher sind noch nicht über die Schwelle meines Hauses gekommen. Ich blättere in den weltlichen Büchern mehr als in den geistlichen, sofern sie anständige Unterhaltung bieten, durch schöne Sprache erfreuen und durch Erfindung in Bewunderung und Spannung versetzen, wiewohl es derartige gar wenig in Spanien gibt. Manchmal speise ich bei meinen Nachbarn und Freunden, und sehr häufig lade ich sie ein; meine Gasttafel ist stets reinlich und nett und sicher nicht kärglich. Ich gebe mich nicht mit übler Nachrede ab und erlaube sie nicht in meiner Gegenwart; ich spüre den Verhältnissen Dritter nicht nach und laure ihren Handlungen nicht mit Luchsaugen auf. Ich höre jeden Tag die Messe; ich teile den Armen mit von meiner Habe, prunke aber nicht mit meinen guten Werken, weil ich Heuchelei und Ruhmredigkeit nicht in meinem Herzen aufkommen lassen will, diese Feinde, die sich auch des besonnensten Geistes schmeichlerisch bemächtigen. Ich mühe mich, Frieden zu stiften zwischen Leuten, die uneins sind, verehre Unsre Liebe Frau und baue stets auf Gott unsern Herrn und sein unendliches Erbarmen.«
Mit höchster Aufmerksamkeit hörte Sancho den Junker erzählen, wie er lebe und womit er sich unterhalte; ein solches Leben erschien ihm ein vortreffliches und heiliges, und wer es führe, meinte er, müsse Wunder tun können. So sprang er von seinem Grautier herab, eilte rasch hin und ergriff des Junkers rechten Steigbügel, und mit andächtigem Herzen und beinahe mit Tränen küßte er ihm die Füße einmal über das andre.
Als der Junker das sah, fragte er: »Was tut Ihr da, guter Freund? Was sollen diese Küsse bedeuten?«
»Laßt mich nur küssen«, antwortete Sancho; »denn es deucht mir, Euer Gnaden ist der erste Heilige zu Pferde, den ich all mein Lebtag gesehen habe.«
»Ich bin kein Heiliger«, antwortete der Junker, »sondern ein großer Sünder; Ihr aber, Freund, müßt ein guter Mensch sein, wie es Eure Einfalt an den Tag legt.«
Sancho stieg wieder auf seinen Eselssattel, nachdem er der tiefen Schwermut seines Herrn ein Lächeln entlockt und in Don Diego eine Verwunderung neuer Art erweckt hatte.
Don Quijote fragte den Fremden, wieviel Kinder er habe, und fügte bei: »Zu den Dingen, worin die alten Philosophen, die der wahren Kenntnis Gottes ermangelten, das höchste Glück erblickt haben, gehörten die Gaben der Natur und des Glückes, der Besitz zahlreicher Freunde und zahlreicher wohlgeratener Kinder.«
»Ich, Señor Don Quijote«, antwortete der Junker, »habe einen Sohn, und hätte ich ihn nicht, so würde ich mich vielleicht für glücklicher erachten, als ich es bin, und zwar nicht, weil er ungeraten ist, sondern weil er nicht so gut geraten ist, wie ich wünschte. Er wird etwa im Alter von achtzehn Jahren stehen, sechs hat er in Salamanca mit dem Erlernen der lateinischen und griechischen Sprache zugebracht, und als ich verlangte, er solle zum Studium andrer Wissenschaften übergehen, fand ich ihn so erpicht auf die der Poesie – wenn man diese als Wissenschaft bezeichnen kann –, daß es nicht möglich ist, ihm Geschmack an der Rechtswissenschaft beizubringen, die er nach meinem Willen studieren sollte, noch an der Königin aller, der Gottesgelahrtheit. Ich hätte gewünscht, er sollte die Krone seiner Familie werden, da wir in einem Zeitalter leben, wo unsre Könige die an Tugend und allem Edlen reiche Gelehrsamkeit reich belohnen; denn Gelehrsamkeit ohne Tugend ist wie Perlen auf einem Misthaufen. Den ganzen Tag verbringt er damit, herauszufinden, ob Homer in dem und dem Verse der Ilias sich gut oder nicht gut ausgedrückt hat; ob Martial in dem und dem Epigramm schlüpfrig gewesen; ob diese oder jene Verse Vergils so oder so zu deuten sind. Kurz, all seine Unterhaltungen drehen sich um die Bücher der erwähnten Dichter nebst denen des Horaz, Persius, Juvenal und Tibullus; denn auf die neueren Dichter in spanischer Sprache gibt er nicht viel. Und trotz aller Abneigung, die er gegen die spanische Dichtung an den Tag legt, schwindelt ihm jetzt der Kopf von dem Vorhaben, eine Glosse auf vier Verse zu schreiben, die man ihm von Salamanca zugesendet hat und die, glaub ich, eine literarische Preisaufgabe waren.«
Auf all dieses entgegnete Don Quijote: »Die Kinder, Señor, sind Stücke, aus der Eltern Herz geschnitten, und mithin muß man sie lieben, ob sie gut oder böse sind, wie die Seele, die uns Leben gibt. Es ist der Eltern Sache, sie von klein auf stets den Weg der Tugend, der edlen Bildung und der guten christlichen Sitte zu leiten, auf daß sie, wenn erwachsen, ihren Eltern die Stütze des Alters und der Ruhm ihrer Nachkommenschaft seien; aber sie zum Studium dieser oder jener Wissenschaft zu zwingen, halte ich nicht für wohlgetan, obzwar es nicht schaden kann, ihnen gütlich zuzureden. Und falls man nicht pro pane lucrando studieren muß, wenn nämlich der Student das Glück hat, daß ihm der Himmel Eltern gegeben, die ihm Brot hinterlassen können, da wäre ich der Meinung, sie sollen ihn dasjenige gelehrte Fach wählen lassen, zu welchem er sich hingezogen fühlt. Und obschon die Dichtkunst weniger zum Nutzen als zum Ergötzen dient, so gehört sie doch nicht zu den geistigen Übungen, die den entehren, der sich ihnen hingibt. Die Dichtkunst, werter Junker, ist meiner Meinung nach wie eine zarte, jugendliche, vollendet schöne Jungfrau, um welche andre Jungfrauen bestrebt sind, sie zu bereichern, zu schmücken, mit höherem Glanze zu umgeben; diese letzteren sind die andern Wissenschaften alle, und jene will ihrer aller Dienste benutzen, und alle wollen durch sie höheren Wert erlangen. Aber diese Jungfrau will nicht plump betastet und auf den Gassen umhergeschleppt, will nicht an den Ecken der Marktplätze noch in den Plauderwinkeln der Paläste zur öffentlichen Kunde gebracht werden. Sie ist aus einem Erz von so edlem Gehalt gebildet, daß, wer es zu behandeln versteht, es in reinstes Gold von unschätzbarem Werte zu verwandeln vermag. Wer sie besitzt, muß sie in den rechten Schranken halten und nicht gestatten, daß sie sich in unsittlichen Satiren oder gewissenlosen Sonetten ergehe. Sie darf um nichts feil sein, ausgenommen, wenn es sich um Heldengedichte, trauervolle Tragödien und heitere, kunstreiche Komödien handelt; man soll die Kunst der Poesie nicht von den Possenreißern üben lassen noch von dem Pöbel, der unfähig ist, die Schätze zu erkennen und zu würdigen, die sie in sich birgt. Und denkt nicht etwa, Señor, daß ich hier nur die Leute von plebejischem und niedrigem Stande Pöbel nenne; nein, jeder Ungebildete, wenn er auch ein vornehmer Herr und ein Fürst ist, kann und muß zum Pöbel gerechnet werden.
Derjenige also, der, all den erwähnten Erfordernissen genügend, sich mit Poesie beschäftigt und Poesie in sich hat, wird berühmt, und sein Name wird bei allen gebildeten Völkerschaften der Welt hochgeschätzt werden. Und wenn Ihr sagt, Señor, daß Euer Sohn die spanische Dichtung nicht sonderlich schätze, bin ich überzeugt, daß er sich hierin auf einem Irrwege befindet, und zwar aus folgendem Grund: der große Homer hat nicht auf lateinisch geschrieben, weil er ein Grieche war; ebensowenig hat Vergil griechisch geschrieben, denn er war ein Lateiner. Kurz, alle Dichter des Altertums schrieben in der Sprache, die sie mit der Muttermilch eingesogen, und suchten nicht nach einer fremden, um die Erhabenheit ihrer Gedanken auszudrücken. Und da dem so ist, so wäre es vernünftig, wenn sich ein gleicher Brauch über alle Völkerschaften verbreitete und wenn man also den deutschen Dichter nicht mißachtete, weil er in seiner Sprache schreibt, noch den kastilianischen noch auch den biskayischen, der in der seinigen dichtet. Allein Euer Sohn, Señor, wie ich es wenigstens mir vorstelle, wird nicht eigentlich an der spanischen Dichtung Mißfallen haben, sondern vielmehr an den Dichtern, die ausschließlich in ihrem Spanisch schreiben, ohne eine andre Sprache oder eine andre Wissenschaft zu verstehen, die ihre angeborene dichterische Gabe mit höherer Zierde bereichern und erwecken und unterstützen würden. Aber selbst hierin kann ein Irrtum walten, denn, wie es richtig heißt: der Dichter wird geboren; das heißt, der geborene Dichter kommt schon aus dem Mutterleib als Dichter; und mit jener Gabe, die ihm der Himmel verliehen, schafft er ohne weiteres Studium oder Kunst Werke, die den Spruch jenes Alten wahr machen, der da sagte: Est deus in nobis, et cetera. Auch sage ich, daß der geborene Dichter, wenn er die Kunst zu Hilfe nimmt, Besseres leisten und höhere Geltung erlangen wird, als wer nur deshalb, weil er sich auf die Kunst versteht, ein Dichter sein will. Der Grund ist, weil die Kunst niemals die Natur übertrifft, sondern diese nur vervollkommnet; und wenn sonach die Natur mit der Kunst und die Kunst mit der Natur verbunden ist, werden beide zusammen einen vollendeten Dichter hervorbringen.
Nun will ich aus dem Gesagten den Schluß ziehen, werter Junker, daß Ihr Euren Sohn den Weg gehen lassen sollt, wohin sein Stern ihn ruft; denn da er so tüchtig im Studium ist – und das wird er jedenfalls sein –, da er bereits die erste Staffel der Wissenschaft erstiegen hat, nämlich die der Sprachen, wird er mittels dieser letzteren von selbst zum Gipfelpunkte des weltlichen Wissens steigen, das einem Edelmann, der keine gelehrte Laufbahn ergreifen will, wohl ansteht und ihn sonach ziert, ehrt und erhöht wie die Mitra den Bischof und der Talar den erfahrenen Rechtsgelehrten. Ihr möget Euern Sohn schelten, wenn er Satiren schreibt, die der Ehre anderer zu nahe treten, und mögt ihn strafen und sie zerreißen; wenn er aber Satiren in der Art des Horaz schreibt und darin die Laster im allgemeinen verurteilt, wie jener es in so geschmackvoller Weise getan hat, dann lobt ihn, sintemal es dem Dichter verstattet ist, gegen den Neid zu schreiben und in seinen Versen die Neider und ebenso andere Laster zu geißeln, wenn er nur keine bestimmten Personen bezeichnet. Aber es gibt Poeten, die, nur um eine Bosheit zu sagen, sich der Gefahr aussetzen würden, auf die Inseln des Pontus verbannt zu werden. Wenn der Dichter keusch ist, wird er es auch in seinen Versen sein; die Feder ist die Zunge des Geistes, und so, wie die Gedanken sind, die sein Geist erzeugt, so werden auch seine Schriften sein. Wenn die Könige und Fürsten die wundervolle Gabe der Poesie bei verständigen, tugendsamen und würdigen Personen finden, so ehren, schätzen und bereichern sie diese, ja bekränzen sie mit den Blättern jenes Baumes, den der Blitzstrahl nie verletzt, zum Zeichen, daß niemand denen ein Leid zufügen soll, deren Schläfen mit solchen Kränzen geehrt und geschmückt sind.«
In hohe Verwunderung geriet der Grünmantel ob der Rede Don Quijotes, und zwar in solchem Grade, daß er von seiner Meinung, der Ritter sei gestörten Geistes, nach und nach einiges aufgab.
Mitten in diesem Gespräche aber, das nicht sehr nach seinem Geschmacke war, hatte sich Sancho beiseite gemacht, um etwas Milch von den Hirten zu erbitten, die dort in der Nähe mit dem Melken von Schafen beschäftigt waren. Inzwischen wollte der Junker, im höchsten Grade befriedigt von Don Quijotes Verstand und Klugheit, das Gespräch schon wieder anknüpfen, als der Ritter den Kopf erhob und auf der Straße einen mit königlichen Fahnen über und über verzierten Wagen kommen sah, und da er glaubte, es komme hier ein neues Abenteuer, rief er mit mächtiger Stimme nach Sancho, er solle kommen, um ihm den Helm zu reichen. Als unser Sancho sich rufen hörte, ließ er die Hirten stehen, spornte sein Grautier und kam in aller Eile zur Stelle, wo sein Herr hielt; dem aber begegnete nun ein erschreckliches und gar befremdliches Abenteuer.