Oiht E Keh Fa Wakon

Oiht-e-keh-fa-wakon

Wie eine lange, dünne Schlange wand sich der Zug der Schoschonen durch die Blue-Graß-Prairie, welche sich vom Devils Head aus zwischen den Bighorn- und Klapperschlangenbergen nach der Gegend zieht, in welcher der Greyball-Creek seine klaren Wasser in den Bighornfluß ergießt.

Dieses „Blaugras“ kommt im Westen nicht häufig vor. Es wächst hoch und kann auf einem Boden, welcher ihm die nötige Feuchtigkeit bietet, die Höhe eines Mannes erreichen. Es kommt sogar vor, daß es bis an den Kopf eines Reiters reicht, vielleicht noch über denselben hinaus. In diesem Falle bietet es dem Westmanne große Schwierigkeiten, und er handelt klug, wenn er den Pfaden folgt, welche die Büffel in dem dichten Grasmeere ausgetreten haben. Die über ihm zusammenwogenden Halme rauben ihm die so nötige Fernsicht, und es ist bei trübem Wetter oft geschehen, daß erfahrene Jäger, denen ein Kompaß fehlte und denen es unmöglich war, den Stand der Sonne zu bestimmen, nach einem höchst beschwerlichen Ritte am Abende an demselben Orte hielten, von welchem sie am Morgen aufgebrochen waren. Gar mancher ist, indem er so im Kreise ritt, auf seine eigene Fährte gestoßen und hat sie für diejenige eines anderen, wohl gar eines Feindes gehalten. Indem er ihr von neuem folgte, hat er den Kreis mehrere Male beschrieben, bis er zu seinem großen Ärger den unter Umständen gefahrvollen Irrtum erkannte.

Selbst den erwähnten Büffelpfaden zu folgen, ist nicht ganz gefahrlos. Man kann da ganz unerwartet einen Feind aus dem Menschengeschlechte oder Tierreiche vor sich sehen. Plötzlich auf einen alten Büffel, welcher als grimmiger Einsiedler sich von der Herde getrennt hat, zu stoßen, ist ganz ebenso bedenklich, wie wenn man, ohne es vorher geahnt zu haben, auf einen feindlichen Indianer trifft, welcher, sein Gewehr im Anschlage, drei Schritte entfernt vor einem steht. Dann heißt es, blitzschnell handeln. Derjenige, dessen Schuß zuerst fällt, ist der Überlebende. –

Die Schoschonen ritten im Gänsemarsche – einer hinter dem anderen, so daß jedes Pferd in die Spuren des vorhergehenden trat. Diese Ordnung halten die Indianer stets dann ein, wenn sie nicht ganz genau wissen, daß sie sicher sind. Außerdem wird dann die Vorsicht gebraucht, Späher vorauszusenden, die scharfsinnigsten und schlausten Männer des Zuges, deren Augen nicht das gegen den Wind gerichtete Neigen eines Halmes und deren Ohren nicht das leise Knicken eines abbrechenden Zweiges entgeht.

In sich zusammengesunken und weit nach vorne gebeugt, hängt so ein Kundschafter auf seinem Pferde, als ob die Kunst des Reitens ihm etwas ganz und gar Fremdes sei. Seine Augen scheinen geschlossen zu sein; er bewegt kein Glied seines Körpers. Auch sein Gaul bewegt nur wie mechanisch, gewohnheitsmäßig, die Beine. Wer beide aus dem Hinterhalte beobachtet, der glaubt, der Reiter sei im Sattel eingeschlafen. Aber ganz im Gegenteile ist die Aufmerksamkeit des Spähers desto angespannter, je weniger er es merken läßt. So tief seine Augenlider gesenkt sein mögen, sein scharfer Blick dringt doch unter denselben hervor, nach vorn, nach rechts und links.

Ein leiser, leiser Ton läßt sich hören, eben nur für das Ohr eines solchen Spähers wahrnehmbar. Hinter den nahen Büschen kauert ein Feind, welcher sein Gewehr erhoben hat, um es auf den Kundschafter zu richten. Dabei hat er mit dem Kolben den Hornknopf seines Rockes gestreift. Das dadurch entstandene, kaum wahrnehmbare Geräusch ist doch in das Ohr des Spähers gedrungen. Ein kurzer, scharfer Blick nach dem Busche – ein Griff in die Zügel – der Reiter wirft sich aus dem Sattel, bleibt aber mit einem Fuße in demselben und mit einem Arme im Halsriemen des Pferdes hängen, so daß sein Körper vollständig hinter demjenigen seines Tieres verschwindet und von der Kugel des Feindes nicht getroffen werden kann – der Gaul, plötzlich aus seiner scheinbaren Lethargie erwacht, macht zwei, drei Sprünge zur Seite und verschwindet mit seinem Reiter im Dickicht oder hinter schützenden Bäumen. Das ist in nicht zwei Sekunden geschehen, bevor der Feind den Späher genau auf das Korn hat nehmen können. Der erstere hat nun alle Veranlassung, schnell auf seine eigene Sicherheit bedacht zu sein.

Solche Kundschafter ritten auch den Schoschonen in ziemlich weiter Entfernung voran. An der Spitze der Haupttruppe befanden sich Old Shatterhand, Winnetou und der „schwarze Hirsch“. Ihnen folgten die Weißen mit Wohkadeh und Bob.

Der letztere war trotz der Übung, welche ihm der bisherige Ritt geboten hatte, kein besserer Reiter geworden. Die Haut seiner Beine war nicht abgehärtet. Er hatte sich wund geritten und saß nun noch jämmerlicher zu Pferde als vorher. Unter immerwährendem Ah und Oh, Alas und ‚Woe to me rutschte er von einer Seite auf die andere; er ächzte und stöhnte in allen Tönen der chromatischen Tonleiter und versicherte unter den fürchterlichsten Grimassen, daß er den Sioux seine Qualen entgelten lassen werde. Wenn seine Drohungen sich bewahrheiteten, so stand ihnen allen ein grauenvoller Tod am Marterpfahle bevor.

Um weicher zu sitzen, hatte er sich aus abgeschnittenem Blaugras eine Unterlage hergestellt. Da es ihm aber nicht gelang, derselben auf dem Rücken des Pferdes einen festen Halt zu geben, so rutschte sie von Zeit zu Zeit herab und er natürlich mit, so daß er in fast regelmäßigen Zeiträumen auf oder neben ihr zur Erde zu sitzen kam.

Das entlockte selbst den sonst so ernsten Schoschonen ein heiteres Lächeln, und als einer von ihnen, welcher ein wenig englisch verstand, ihn den Sliding-Bob, den Rutsch-Bob nannte, ging das Wort von Mund zu Mund und wurde für ihn zum Spitznamen, dessen sie sich später gelegentlich gern bedienten.

Der westliche Horizont hatte bisher eine ebene Linie gebildet. jetzt begann er, sich stellenweise zu erheben. Berge lagen dort, nicht bläulich und mit unsicheren Konturen, sondern scharf gezeichnet und deutlich gekörpert trotz der weiten Entfernung, welche man noch zu durchreiten hatte, um an ihren Fuß zu gelangen.

In jenen Gegenden ist die Luft oft so rein, daß Punkte, welche in viele Meilen weiter Ferne liegen, so nahe zu sein scheinen, daß man meint, sie in wenigen Minuten erreichen zu können. Und dabei ist die Atmosphäre in der Weise mit Elektricität geschwängert, daß wenn z. B. zwei Menschen sich mit den Händen oder Ellbogen berühren, leichte sicht- und auch fühlbare Funken überspringen. Die Indianer, welche zum sonorischen Sprachstamme gehören, nennen diese Erscheinung Mo-aw-k’un, das ist Moskitofeuer. Diese elektrische Spannung strebt nach Ausgleich, den sie in immerwährenden Entladungen findet. Es wetterleuchtet, ohne daß Wolken vorhanden sind, rundum am ganzen Horizonte, unausgesetzt; oft scheint der ganze Gesichtskreis in Flammen zu stehen, doch wird das Wohlbefinden von Mensch und Tier dadurch nicht im mindesten gestört. Ist die Dunkelheit des Abends hereingebrochen, so bietet dieses immerwährende Leuchten und Glühen einen Anblick, welcher geradezu unbeschreiblich ist, und selbst der an dieses Schauspiel gewöhnte Westmann kann seine Seele, sein Gemüt dem Eindrucke desselben nicht entziehen. Er, der gewöhnt ist, sich nur auf sich selbst zu verlassen, fühlt sich klein und ohnmächtig solchen geheimnisvollen Kräften gegenüber. Er denkt an Gott, dessen er vielleicht seit langer Zeit vergessen, und als fromme Jugenderinnerung steigen in seinem Gedächtnisse die in der Schule so oft gehörten Worte des Psalmisten auf: „Wo soll ich hingehen vor Deinem Geiste, und wo soll ich hinfliehen vor Deinem Angesichte! Führe ich gen Himmel, siehe, so bist Du da; bettete ich mir in die Hölle, siehe, so bist Du auch da; nähme ich Flügel der Morgenröte, so würde doch Deine Hand daselbst mich führen und Deine Rechte mich halten!“ Ganz dasselbe denkt und fühlt auch der Indianer. „Weh-ku-onpeh-ta-wakon-schetscha“, das „Wigwamfeuer des großen Geistes“ nennt der Sioux dieses Wetterleuchten. „Manitou ahnima ahwarrenton,“ zu deutsch „Ich habe Manitou im Blitz gesehen,“ sagt der Yutah-Schlangenflußindianer, wenn er den Seinen berichtet, daß er seinen Weg bei dieser „elektrischen Beleuchtung“ zurückgelegt habe.

Diese elektrischen Entladungen können im Kriegsfalle sehr gefährlich werden. Der Indianer glaubt nämlich, daß derjenige Krieger, welcher des Nachts getötet wird, in den ewigen Jagdgründen in immerwährender Finsternis leben müsse. Darum sucht er jeden nächtlichen Kampf möglichst zu vermeiden, und darum führt er den Angriff am liebsten im ersten Morgenlichte aus. Wer aber im „Feuer des großen Geistes“, im Wetterleuchten stirbt, der ist nicht auf dunklem Pfade in das jenseits gegangen und wird auch dort die Jagd- und Kriegspfade erleuchtet finden. Aus diesem Grunde scheut der Indsman sich nicht, beim Schein zuckender Wetter anzugreifen, und gar mancher, der das nicht wußte oder nicht beachtete, hat seine Unwissenheit oder Unvorsichtigkeit mit Skalp und Leben büßen müssen. –

Der kleine Hobble-Frank hatte dieses bei heiterem Himmel ihm unerklärliche Wetterleuchten noch nie beobachtet. Darum sagte er zu dem dicken Jemmy, hinter welchem er ritt:

„Herr Pfefferkorn, Sie sind drüben in Deutschland ‚mal Gymnasiast gewest und werden sich wohl noch een bißchen off Ihren psychikalischen Unterricht besinnen können. Warum blitzt und leuchtet es denn eegentlich hier so sehre?“

„Es heißt physikalisch und nicht psychikafisch,“ verbesserte der Dicke.

„Dadervon werden Sie wohl gar nich viel mehr verschtehen als ich. Wissen Sie, ich hab‘ ooch meine Meriten; das können Sie mir offs Wort drauf glooben, besonders in der Orthographie und Konterpunktion. Ich weeß ganz genau, wie so een Fremdwort geschrieben wird, und da werd‘ ich’s wohl ooch richtig ausschprechen können. Verschtanden? Ob ich sag‘ psychikalisch oder physikalisch, das ist dem deutschen Kaiser ganz egal. Die Hauptsache ist, daß man das Yxilump richtig ausschpricht.“

„Ypsylon heißt es.“

„Was? Wie? Ich soll nich mal wissen, wie der vorletzte Buchschtabe meines vaterländischen Alphabetes ausgesprochen wird? Wenn Sie mir das nochmal sagen, da kann was drauf erfolgen, was Sie sehre leicht in eene Gemütskrankheit versetzen kann. So was läßt sich een Verehrer der Wissenschaft nich so leicht gefallen. Sie wissen mir off meine Frage keene akademische Antwort zu versetzen, und dadrum versuchen Sie es nun, sich off Schleichwegen heimlich aus der Falle raus zu beißen. Aber wenn Sie denken, daß Ihnen das gelingt, da irren Sie sich mehrschtenteels in mir. Ich bin ganz der Mann, Ihnen zu beweisen, daß der Müllerbursche keen Essenkehrer ist. Ich hab‘ Sie nach dem Wetterleuchten gefragt, aber nich nach dem Yxilump und nach der psychikalischen Geometrie. Können Sie mir Antwort erteilen oder nich?“

„Allemal!“ lachte der Dicke.

„Nun, dann los damit! Also warum wetterleuchtet es hier gar so sehre?“

„Weil viel Elektrizität vorhanden ist.“

„So? Ach? Das nennen Sie eene Antwort? Nun, dazu braucht man wohl ooch keen Gymnasiast gewest zu sein! Ich hab‘ zwar keene Alma Vater besucht, ich bin keen Schtudent gewest und hab‘ ooch niemals kommerschiert und den Alexander gerieben, aber ich weeß doch ganz genau, daß Elektricität vorhanden sein muß, wenn es leuchtet. Jede Wirkung hat ihre Ursache. Wenn eener eene Ohrfeige gekriegt hat, da muß een anderer vorhanden sein, der ihm die Maulschelle gegeben hat. Und wenn es wetterleuchtet, so – so – – so – – –“

„So muß einer da sein, der es angebrannt hat,“ fiel Jemmy ein.

Der Hobbel-Frank war zunächst still, um sich die Worte des Dicken zu überlegen; dann aber brach er zornig los:

„Hören Sie, Herr Pfefferkorn, es ist sehre gut, daß wir noch keene Brüderschaft mitnander gemacht haben, denn jetzt würde ich sie off der Schtelle wieder aufheben, und das wäre doch eene Blamage und een ewiger Schandfleck für Ihr bürgerliches Wappenschild. Glooben Sie denn etwa, daß ich mir von Ihnen meine etymongolische Wortabstammung verderben lasse? Was fallen Sie mir denn eegentlich so in meine schönste Rede? Wenn Sie eenen Satz beenden wollen, so können Sie sich ihn ooch selber anfangen. Merken Sie sich das! Aber wenn ich der Anfänger bin, da schprech‘ ich ooch bis zu Ende, denn nachher ist der Satz mein geistiges und philosophisches Eigentum. Wenn ich in meiner scharfsinnigen, bescheidenen Weise die Elektrizität mit eener Ohrfeige vergleiche, so haben Sie nich das mindeste Recht, sich wie een Räuberhauptmann meines Vergleiches zu bemächtigen. Eenen Pferdeschpitzbuben hängt man off ; das ist so Savannengesetz, und wenn mir eener mit dem mir gehörigen Satz davonrennt, so schieß‘ ich ihn vom Pferde runter. Ich hab‘ eenen famosen Schluß konschtruieren wollen, aber sobald ich mit den richtigen Promissen fertig war, da haben Sie eene ganz falsche Konfusion hinten dran gehängt, und das verletzt mein logisches Zartgefühl off eene schauderhafte Weise. Ich bin ––“

„Prämissen wollten Sie wohl sagen,“ unterbrach Jemmy die geharnischte Rede. „Und Konfusion heißt es auch nicht, sondern Konklusion.“

„So! Sind Sie denn wirklich so Ehen ausgezeichneter Kenner des antiquarischen Schprachsystems? Wenn ‚mal eener in seiner Schuljugend gehört hat, daß Rom off sieben Ziegeln gebaut worden ist, nachher denkt er ooch gleich, daß er der reenste Virtuos in den sämtlichen lateinischen Dialekten ist. Sie schprechen das eegentliche Plattlateinisch; mein Schulmeester in. Moritzburg aber war een Hochlateinischer; bei dem endete sich alles ganz regelrecht off um, cum und dumm. Das ist die bekannte Schprache des Cicero und der schönen Melusine. Sie aber lernen in dem Gymnasium das Lateinische nur nach Knüppelverschen und sagen:

Was man nicht deklamieren kann,
Das sieht man ganz neutral sich an.

Und wenn Sie sich bis hinauf in die Oberprima so ganz neutral verhalten haben, so werden Sie Prairiejäger, thun mit Ihren philologischen Schprachkenntnissen dicke und wollen nich ‚mal meine Promissen und meine Konfusion gelten lassen. Ich habe in meinem ganzen Leben von keener Konklusion gehört, sogar in Moritzburg nich, was doch viel sagen will. Thun Sie also mir und sich selbst den Gefallen, und bleiben Sie bei der Schtange. Es ist die Rede gewest vom Wetterleuchten und von der Elektricität. Sie sagen, es wetterleuchtet wegen der vorhandenen Elektricität. Nun aber frag‘ ich weiter, warum gerade hier in dieser Gegend so viele Elektricität vorhanden ist. Ich hab‘ doch noch nirgends eene solche Masse beisammen gefunden. – Nun, können Sie antworten? jetzt haben Sie die beste Gelegenheit im ganzen Leben, das Examen zu bestehen oder offs schönste ökumenische Konsilium hereinzufallen.“

Der dicke Jemmy lachte laut auf. Darum fragte der gelehrte Sachse:

„Was feixen Sie denn so klarinettenmäßig? Lachen Sie etwa nur vor Verlegenheit, weil ich so eene ganz unerwartete Fertigkeet in der philharmonischen Schprachgewandtheet entwickele? Nun, ich bin sehre neugierig, off welche Weise Sie sich herausbeißen werden, mein bester Herr Pfefferkorn!“

„Ja,“ antwortete Jemmy, „Ihre Frage ist freilich höchst schwierig zu beantworten. An ihr könnte selbst ein Professor sich vergebens abmühen.“

„So! Eene andere Antwort haben Sie also nich?“

„Vielleicht doch.“

„So lassen Sie ‚mal hören! Ich bin ganz Ohrläppchen.“

„Vielleicht ist der Metallreichtum des Felsengebirges an dieser Ansammlung der Elektricität schuld.“

„Der Metallreichtum? Mit dem hat die Elektricität nichts zu thun.“

„O doch! Warum wird sie von dem Blitzableiter angezogen?“

„Sie läuft aber unten wieder ’naus, folglich mag sie gar nichts von ihm wissen, und es wird gar mancher Boom vom Blitz erschlagen, ohne daß er nur das kleenste Stückchen Eisen in der Westentasche stecken hatte. Nee, das kann ich nich gelten lassen. Da müßten zum Beispiel alle Eisengießereien vom Blitz getroffen werden.“

„Oder ist’s, weil wir uns hier dem magnetischen Pole nähern?“

„Wo liegt denn der?“

„Im nördlichen Amerika, allerdings noch eine tüchtige Strecke von hier.“

„So lassen Sie ihn nur immer liegen! Der ist ja ooch ganz unschuldig an diesem Wetterleuchten.“

„Oder staut sich die Elektricität bei der rapid schnellen Erdumdrehung an den riesigen Höhen des Felsengebirges?“

„An so eene archimedische Ansammlung ist nicht zu denken. Die Elektricität ist doch nich so dick wie Sirup; die geht ganz leicht über die Berge hinweg. Nee, Sie haben Ihr Examen nich beschtanden. Ihre Censur ist höchstens Viere Beh.“

. „Nun, wenn Sie der Mann sind, mir eine Censur zu erteilen, so müssen Sie wohl im stande sein, es besser zu machen.“

„Natürlich bin ich das im schtande, denn ich bin in Moritzburg Forschtbeamter gewest und habe dort durch eifriges Fragen und Nachdenken meine angeborene Intelligenz off die allersuperlativste Schpitze getrieben. Ich möcht eegentlich mal wissen, off welche gewichtige Frage ich nich die richtige pneumatische Auskunft erteilen könnte. Ich bin zwar nur Autoviadukt, denn ich habe eben alles merschtenteels ganz von alleene gelernt; aber wenn das Genie eenmal drin im Menschen schteckt, dann ist’s eben nich mal mit Keulen tot zu schlagen. Die Erklärung, welche Sie als verflossener Gymnasiast nich finden, ist ganz eenfach. Mir hat der Moritzburger Schulmeester mal in eener vertraulichen Schtunde, als niemand weiter in absento war, off Diskredit und Ehrenwort mitgeteilt, daß die Elektricität durch Reibung entschteht. Das geben Sie doch zu?“

„Sehr gern.“

„Folglich muß, wo Reibung vorhanden ist, Elektricität entschtehen.“

„Zum Beispiel beim Kartoffelreiben!“

„Lassen Sie Ihre Quartanerwitze beiseite, besonders wenn Sie mit eenem Manne schprechen, der in Beziehung off die künstlichen Wissenschaften zu den hydraulischen Autoritäten gehört l Wenn ich ungeschtört bin, so habe ich eenen sehr bescheidenen und anschpruchslosen Charakter, denn es gibt Oogenblicke, wo der Geist schwach sein muß, aber der Körper schtark und kräftig; doch wenn mal der richtige Moment des Nachdenkens mit dem geeigneten Oogenblicke der höheren Bildung zusammenfällt, nachher schträubt sich mein edles Naturell gegen das gewöhnliche ordinäre Temperament, und die Quellen meiner Kenntnisse fangen an zu schprudeln und zu schpritzen, daß es zum Erschtaunen ist. Ich wundre mich manchmal über mich selber, wenn ich so höre, was für Schätze in mir schtecken. Mit der Elektricität zum Exempel mach‘ ich gar nich viel Federlesens. Dieser ganzen Wissenschaft bin ich weit überlegen. Ich schpiele mehrschtenteels bloß noch mit ihr. Off een bißchen Reibung mehr oder weniger kommt mir’s gar nich mehr an, besonders hier in dieser Gegend. Da gibt es gewaltige Prairien, gewaltige Wälder und gewaltige Berge. Wenn nun der Wind oder gar der Schturrn darüber saust, so entschteht eene ungeheure Reibung. Oder nich?“

„Ja,“ gab Jemmy zu. Er war begierig, die Erklärung des Sachsen zu hören.

„Der Schturm reibt den Boden; die unendlichen Millionen von Grashalmen reiben sich aneinander; die ungezählten Äste, Zweige und Blätter der Bäume reiben sich ebenso. Die Büffel wälzen sich in den Wallows [Fußnote], was großartige Reibung gibt; kurz und gut, es findet in dieser Gegend eene Reibung statt wie sonst nirgendwo, und da ist es ja ganz selbstverständlich, daß sich een ungeheurer Vorrat von Elektrizität anhäufen muß. Da haben Sie also nun die eenfachste, unanfechtbarste Erklärung aus dem kompetentesten Munde. Wollen Sie etwa noch mehr?“

„Nein, nein,“ lachte Jemmy. „Ich habe genug!“

„So nehmen Sie die Aufklärung mit Ernst und ergebener Hochachtung hin. Das Lachen aber muß ich mir verbitten! Wer so viel ohne Ursache lacht, der verrät eene sanguinisch-cholerische Normalexistenz; eene hohle, phrenologische Schädelbildung und een unbedeutendes loyales Rückenmarksystem. Und daß Sie außerdem an eener chronisch-akuten Überlegungsgabe leiden, das haben Sie bewiesen, denn nur Sie ganz alleene waren schuld, daß wir von den Schoschonen gefangen genommen wurden. Wäre uns dieser famose Old Shatterhand nich zu Hilfe gekommen, so hätten wir unbedingt den gefährlichen Salto quartale hinüber in die ewigen Jagdgründe machen müssen.“

Mortale heißt es, nicht quartale!“

„Schweigen Sie! So etwas kommt mir in diesem Vierteljahre nicht wieder vor; darum sage ich quartale. Unser wissenschaftliches Gespräch ist überhaupt jetzt nun finis parterra, denn wir sind den Bergen nahe, und da vom halten unsere Kundschafter. Sie müssen also etwas Wichtiges entdeckt haben.“

Der kleine Pseudogelehrte hatte während seiner ultragelehrten Auseinandersetzungen wenig darauf geachtet, daß indessen eine ganz bedeutende Strecke zurückgelegt worden war. Das Blaugras war verschwunden; an seiner Stelle traten Festuccagräser, reichlich mit duftenden Cumarinhalmen durchmischt, und in nicht großer Entfernung entfaltete sich bereits ein reichlicher Strauchwuchs, über welchen die Wipfel einiger Rot-Ahorne emporragten. Diese Bäume lieben den feuchten Boden und bildeten also ein erfreuliches Zeichen, daß man nach dem heißen Ritte wohl bald auf einen erquickenden Trunk rechnen könne.

Dort bei den Büschen hielten die Kundschaftet. Als der Reiterzug ihnen nahte, winkten sie mit den Händen zur Vorsicht, und einer rief:

„Nambau nambau!“

Dieses Wort bedeutet eigentlich Fuß, hat aber auch die Bedeutung als Fährte. Die Kundschafter wünschten, man solle Vorsicht gebrauchen, damit die von ihnen gefundene Fährte nicht zerstört werde, bevor sie von den Anführern „gelesen“ worden sei.

Wohkadeh beachtete ihre Winke nicht; er ritt zu ihnen hin.

„Wehts toweke!“ rief ihm derjenige, welcher vorher gerufen hatte, unwillig zu.

Das heißt „Junger Mann“ und bedeutete also eine Zurechtweisung. Ein junger Mann handelt wohl nicht so überlegt wie ein bejahrter. Der Ausdruck enthielt einen Tadel, ohne Wohkadeh ernstlich beleidigen zu können. Dennoch antwortete er in ziemlich ernstem Tone:

„Haben meine Brüder die Winter gezählt, seit denen Wohkadeh nun lebt? Er weiß ganz genau, was er thut. Er kennt diese Fährte, denn es sind die Stapfen seiner Füße auch dabei. An diesem Orte lagerte er mit den Sioux Ogallala, bevor sie ihn aussandten, nach den Zelten der Schoschonen zu suchen. Sie sind jedenfalls von hier aus grad nach West geritten, um den Fluß des dicken Hornes zu erreichen, und werden Wohkadeh Zeichen zurückgelassen haben, mit deren Hilfe er ihnen schnell zu folgen vermag.“

Die Stelle, an welcher sie hielten, zeigte Spuren, daß vor einigen Tagen ein ansehnlicher Reitertrupp hier gelagert habe; doch waren diese Zeichen nur für ein außerordentlich geübtes Auge zu erkennen. Das niedergetretene Gras hatte sich vollständig wieder aufgerichtet, doch fehlten den nahen Büschen die Zweigspitzen, welche von den Pferden abgefressen worden waren.

Nach Wohkadehs Erklärung erschien es als zwecklos, sich hier länger aufzuhalten. Darum setzte sich der Zug sogleich wieder in Bewegung.

Zwar stand die Sonne im Zenith, und es war also die Zeit der größten Tageshitze; die Pferde bedurften einer kurzen Ruhe, doch wollte man ihnen diese nicht eher gewähren, als bis Wasser gefunden wurde.

Das bisher ebene Terrain begann nun zu steigen. Von vorn, rechts und links traten langgestreckte Bergesrücken näher heran. Die Reiter folgten einer breiten Senkung, welche sich zwischen den Höhen hindurchwand. Sie war von den bereits erwähnten Gräsern grün. Das Buschwerk zeigte zunächst nur harte Arten, doch traten sehr bald weichere auf, strauchartige Balsampappeln, welche sich hier nicht zu Bäumen zu entwickeln schienen, und wilde Birnen von der Art, welche der Amerikaner Spiked-Hawthorn nennt.

Nun wurden auch die vorher nur vereinzelt stehenden Bäume zahlreicher. Weiße Eschen, Kastanien, Zürgelbäume, Makrocarpa-Eichen, Linden und andere, an deren Stämme purpurrot blühender Osterluzey emporkletterte.

Als der Weg dann hinter einer Höhe scharf nach Norden bog, sahen die Reiter bereits dicht bewaldete Berge vor sich. Dort mußte Wasser zu finden sein. Zwei wild zerklüftete Höhen ragten einander gegenüber ziemlich steil empor. Zwischen sie drängte sich ein schmales Thal hinein, auf dessen Sohle ein schmales Wässerchen sein leises Liedchen murmelte. Sollte man in dasselbe einbiegen oder der bisherigen Richtung folgen?

Old Shatterhand musterte mit scharfem Blicke den Saum des Waldes. Bald nickte er befriedigt vor sich hin und sagte:

„Unser Weg führt hier links in das Thal hinein.“

„Warum?“ fragte der lange Davy

„Seht Ihr nicht den Fichtenast dort im Stamme der Linde stecken?“

„Ay, Sir. Es ist freilich auffällig, daß ein Nadelholz an einem Laubbaume wächst.“

„Es soll ein Zeichen für Wohkadeh sein. Die Sioux haben ihn an dem Lindenstamm in der Weise angebracht, daß er nach dem Thale zeigt. Diese Richtung haben sie also eingeschlagen, und ich denke, daß wir noch auf mehrere solcher Wegweiser treffen werden. Also vorwärts!“

Winnetou war bereits schweigend vorangeritten, nachdem er nur einen kurzen Blick auf die Linde geworfen hatte. Das war so seine Art und Weise; er pflegte zu handeln, ohne viel zu sagen.

Als der Zug eine kurze Strecke zurückgelegt hatte, fand sich eine Stelle, welche sich außerordentlich gut zum Lagern eignete. Hier wurde angehalten. Es gab Wasser, Schatten und vortreffliches Futtergras für die Pferde.

Die Reiter stiegen ab und erlaubten den Tieren zu grasen. Die Schoschonen waren sehr gut mit in der Sonne getrocknetem Fleisch versehen, und die Weißen hatten noch von dem Proviant, welchen sie aus der Wohnung des Bärentöters mitgenommen hatten. Es wurde gegessen, und dann streckten sich die Männer in das Gras oder Moos, sich einem kurzen Schlummer hinzugeben, oder sie saßen in Gruppen zusammen, um sich zu unterhalten.

Der Unruhigste von allen war Bob, der Neger. Da er sich wund geritten hatte, schmerzten ihn die verletzten Stellen.

„Masser Bob sein krank, sehr krank.“ sagte er. „Masser Bob nicht haben mehr seine Haut an den Beinen. Ganze Haut sein fort, sein futsch, und nun kleben Hose an Beinen und thun so weh Masser Bob. Wer sein schuld daran? Die Sioux. Wenn Masser Bob sie finden, dann werden er sie totschlagen, bis sie nicht mehr sein können lebendig! Masser Bob nicht können reiten, nicht sitzen, nicht stehen, nicht liegen. Es sein, als haben Masser Bob Feuer an seinen Beinen.“

„Es gibt ein Mittel,“ sagte Martin Baumann, welcher neben ihm saß. „Such‘ dir Colt’sfoot und leg die Blätter desselben auf die Wunden.“

„Wo aber wachsen Colt’sfoot?“

„Besonders an Waldrändern. Vielleicht ist grad hier welcher zu finden.“

„Aber Masser Bob nicht kennen diese Pflanze. Wie können er sie da finden?“

„Komm! Ich will mit suchen.“

Die beiden wollten sich entfernen. Old Shatterhand hatte ihre Worte gehört und warnte:

„Nehmt euere Gewehre mit. Wir befinden uns hier nicht auf einem Marktplatz des Ostens. Man kann nie wissen, was der nächste Augenblick bringt.“

Martin griff still zum Gewehre, und auch der Neger schulterte seine Muskete.

„Yes!“ sagte er. „Masser Bob mitnehmen auch seine Rifle. Wenn kommt Siou oder wildes Tier, er sogleich erschießen alles, um zu beschützen sein jung Massa Martin. Come on!“

Die beiden schritten langsam am Thalrande hin, um nach der erwähnten Pflanze zu suchen; aber es war kein Huflattich zu sehen. So entfernten sie sich weiter und weiter von dem Lagerplatze. Es war so still und sonnig im Thale. Schmetterlinge gaukelten um die Blumen; Käfer summten und brummten von Ort zu Ort; das Wasser plätscherte so friedlich, und die Wipfel der Bäume badeten sich im Sonnenscheine. Wer hätte da an eine Gefahr denken mögen!

Da blieb Martin, welcher voranschritt, halten und deutete auf eine Linie, welche sich in kurzer Entfernung schnurgerade von dem kleinen Bache durch das Gras nach der Thalwand zog, wo sie unter den Bäumen verschwand.

„Was das sein?“ fragte Bob. „Ein Weg?“

„Ja, ein Weg ist es. Es scheint da jemand regelmäßig aus dem Walde zu kommen, um Wasser zu schöpfen.“

„Es sein also ein Westmann?“

„Hm! Ein Westmann? Hier in dieser Einsamkeit? Das ist unwahrscheinlich.“

„Oder ein Tier?“

„Das will ich eher glauben. Betrachten wir uns einmal die Spur!“

Sie gingen hinzu und nahmen die Fährte in Augenschein. Das Gras war vom Wasser an bis hinüber zu den Bäumen mehrere Fuß breit nicht nur nieder-, sondern so ausgetreten, daß der nackte Boden zum Vorschein gekommen war. Martin und Bob standen also vor einem wirklichen Pfade.

„Das sein kein Tier,“ meinte der Neger. „Hier sein laufen ein Mann mit Stiefeln immer hin und her. Massa Martin werden recht geben Masser Bob.“

Der Jüngling aber schüttelte den Kopf. Er untersuchte den Pfad genau und antwortete:

„Die Sache ist jedenfalls befremdend. Man kann keine Huf- oder Krallenspur erkennen. Der Boden ist so festgetreten, daß man nicht einmal bestimmen kann, zu welcher Zeit diese Fährte zum letztenmal betreten worden ist. Ich möchte wetten, daß nur ein Huftier einen solchen Gang auszutreten vermag.“

„O schön, sehr schön!“ sagte der Neger erfreut. „Vielleicht es sein ein Opossum. Das sein Masser Bob sehr willkommen.“

Das Opossum ist die virginische Beutelratte, welche bis einen halben Meter lang werden kann. Sie besitzt zwar ein zartes, weißes und fettes Fleisch, hat aber einen so eigentümlichen, widrigen Geruch, daß sie von Weißen niemals gegessen wird. Der Neger aber verschmäht sie nicht, und es gibt sogar manchen Schwarzen, welcher leidenschaftlich auf diesen unangenehm duftenden Braten versessen ist. Zu dieser Art von Gastronomen gehörte auch der brave Bob.

„Was fällt dir ein!“ lachte Martin. „Ein Opossum hier! Gehört denn die Beutelratte zu den Huftieren?“

„Wohin Opossum gehören, das sein Masser Bob ganz egal. Opossum sein ein fein delikat Fleisch, und Masser Bob jetzt werden versuchen, ob Opossum sich werden lassen fangen.“

Er wollte fort, der Fährte nach, Martin aber hielt ihn zurück.

„Bleib, und mache dich nicht lächerlich! Von einem Opossum kann hier keine Rede sein; es ist ja viel zu klein, um eine solche Spur auszutreten. Hier handelt es sich um ein großes Tier, wohl gar um ein Elk.“

„Elk, o Elk!“ rief Bob, indem er mit der Zunge schnalzte. „Elk geben viel, viel Fleisch und Talg und Haut. Elk sein gut, sein sehr gut! Bob werden Elk sogleich schießen.“

„Bleib, bleib! Es kann doch kein Elk sein, denn dann wäre hier das Gras abgeäst.“

„So werden Masser Bob nachsehen, was es sein. Vielleicht sein es doch ein Opossum. 0! wenn Masser Bob ein Opossum finden, dann er machen einen großen Schmaus.“

Er lief fort, der Fährte nach, der mit Wald bedeckten Thalwand zu.

„Warte! So warte doch nur!“ mahnte Martin. „Es kann doch wohl ein großes Raubtier sein!“

„Opossum sein Raubtier, fressen Vögel und andere kleine Viehzeug, Masser Bob es fangen.“

Er ließ sich nicht warnen und ging weiter. Der Gedanke an seinen Lieblingsbraten ließ ihn die hier so nötige Vorsicht vergessen. Martin folgte ihm nach, um im Falle einer unangenehmen Überraschung schnell bei der Hand zu sein; aber der Neger war dem jungen Manne immer eine Strecke voran.

So erreichten sie den Waldesrand, wo das Terrain auf dieser Seite des Thales gerade so wie auf der anderen ziemlich steil emporzusteigen begann.

Der Pfad lief schnurgerade zwischen die Bäume hinein und dann zwischen großen Felsenbrocken empor. Er war auch hier so fest, daß eine ausgesprochene Einzelspur gar nicht zu erkennen war.

Immer weit voran, kletterte der Neger die Höhe hinauf. Die Bäume standen ziemlich dicht beisammen, und zwischen ihren Stämmen hatte sich allerlei Unterholz breit gemacht, so daß man wirklich von einem Dickicht reden konnte, durch welches der Wildpfad führte. Da hörte Martin die jubelnde Stimme des Negers:

„Massa kommen, schnell kommen! Masser Bob haben funden das Nest von Opossum.“

Der Jüngling folgte so schnell wie möglich diesem Rufe. Von einem Opossum konnte keine Rede sein und so war zu befürchten, daß der gute Bob sich in eine Gefahr begab, von deren Größe er gar keine Ahnung hatte.

„Bleib stehen, bleib stehen!“ warnte daher Martin mit lauter Stimme. „Unternimm nichts, bis ich komme.“

„O, hier sein schon Loch, die Hausthür zu Nest von Opossum. Masser Bob nun dem Opossum machen seine Visite.“

jetzt erreichte Martin die Stelle, an welcher sich der Neger befand. Es gab da eine Anzahl übereinander getürmter Felsenstücke. Zwei derselben waren gegeneinander gelehnt und bildeten eine Höhle, vor welcher ein aus Haselnuß-, wilden Maulbeersträuchern, Hirn- und Brombeerdornen bestehendes Gestrüpp wucherte. In dieses Gestrüpp war ein Durchgang gebahnt. Die bisher verfolgte Fährte führte hinein, doch zeigten zahlreiche, nach rechts und links führende Fährten, daß der Bewohner der Höhle nicht nur zwischen dieser und dem Wasser verkehre, sondern auch noch anderweite Exkursionen unternehme.

Der Neger hatte sich zur Erde niedergekauert und befand sich bereits mit seinem Vorderleibe im Gestrüpp, um nach der Höhle zu kriechen. Jetzt erkannte Martin zu seinem Schreck, daß seine Befürchtung nicht grundlos gewesen sei. Aus den nun deutlichen Spuren sah er, mit welch einem Tiere er es zu thun habe.

„Um Gottes willen, zurück, zurück!“ rief er. „Das ist die Höhle eines Bären!“

Zu gleicher Zeit faßte er Bob bei den Beinen, um ihn zurückzuziehen. Der Neger aber schien ihn nichtverstanden zu haben, denn er antwortete:

„Warum mich halten? Masser Bob sein tapfer. Er werden besiegen ganzes Nest voll Opossum.“

„Kein Opossum, sondern ein Bär, ein Bär!“

Er hielt den Schwarzen aus Leibeskräften fest. Da ließ sich ein tiefes, zorniges Brummen hören, und zu gleicher Zeit stieß Bob einen Schrei des Schreckens aus.

„Jessus! Ein Vieh, ein Ungetüm! 0 Masser Bob, o Masser Bob!“

Er schob sich blitzschnell aus dem Gestrüpp heraus und sprang empor. Martin sah trotz der dunklen Haut des Schwarzen, daß diesem vor Schreck das Blut aus dem Gesicht gewichen war.

„Ist er noch drin in der Höhle?“ fragte der Knabe.

Bob fuhr mit den Armen in der Luft herum und bewegte die Lippen, brachte aber keine Antwort hervor. Er hatte sein Gewehr fallen lassen. Seine Augen verdrehten sich, und seine Zähne knirschten aneinander.

Da raschelte es im Gestrüpp – der Kopf eines Grizzly, eines grauen Bären, blickte aus demselben hervor. Das gab dem Neger die Sprache wieder.

„Fort, fort!“ schrie er. „Masser Bob hinauf auf Baum!“

Er that einen gewaltigen Sprung vorwärts nach einer dünnen, schlanken Birke und fuhr mit der Schnelligkeit eines Eichhörnchens am Stamme derselben empor.

Martin war leichenblaß im Gesicht geworden, doch nicht aus Angst. Mit einem schnellen Griff raffte er das Gewehr des Negers auf und sprang dann hinter eine starke Blutbuche, welche in der Nähe stand. Er lehnte das Gewehr an den Stamm derselben und griff dann zu seiner eigenen Doppelbüchse, welche an seiner Schulter hing.

Der Bär war langsam zwischen dem Gedorn hervorgetreten. Seine kleinen Augen blickten erst nach dem Neger, welcher mit den Händen an den unteren Ästen der Birke hing, und sodann nach Martin, der ihm entfernter stand. Er senkte den Kopf, öffnete den geifernden Rachen und ließ die Zunge lang hervorhängen. Er schien zu überlegen, gegen welchen der beiden Feinde er sich zunächst wenden solle. Dann richtete er sich langsam und wackelnd auf die Hinterpranken empor. Er war sicherlich acht Fuß hoch und verbreitete jenen penetranten Geruch, welcher den Raubtieren der Wildnis allen mehr oder weniger eigen ist.

Von dem Augenblicke an, an welchem Bob von der Erde aufgesprungen war, bis jetzt, war noch keine Minute vergangen. Als der Neger das riesige Tier in einer Entfernung von kaum vier Schritten von sich so drohend aufgerichtet sah, zeterte er:

For gods sake! Der Bär wollen fressen Masser Bob! Hinauf, hinauf, schnell, schnell!“

Er turnte sich mit krampfhaften Bewegungen immer weiter hinauf. Leider aber war die Birke so schwach, daß sie sich unter der Last des riesigen Schwarzen bog. Er zog die Füße möglichst weit empor und klammerte sich mit Armen und Beinen möglichst fest an, konnte sich aber doch nicht in reitender Stellung erhalten. Der dünne Wipfel des Bäumchens neigte sich nieder, und Bob hing nun an allen Vieren von demselben hernieder wie eine riesige Fledermaus.

Der Bär schien zu begreifen, daß dieser Feind leichter zu besiegen sei als der andere; er wendete sich nach der Birke und bot dadurch Martin seine linke Seite dar. Der junge Mann, welcher halb noch Knabe war, hatte nach der Brust gegriffen. Dort hing unter dem Jagdhemde die kleine Puppy, das blutige Andenken an sein unglückliches Schwesterchen.

„Luddy, Luddy!“ flüsterte er. „Ich räche dich!“

Er legte mit sicherer, nicht zitternder Hand seine Büchse an. Der Schuß krachte, noch einer- – –

Bob ließ vor Schreck los.

„Jessus, Jessus!“ schrie er. „Masser Bob sein tot, quite dead!“

Er stürzte herab, und die Birke schnellte in ihre natürliche Lage zurück.

Der Bär hatte zusammengezuckt, als ob er einen Stoß oder Schlag erhalten hätte. Er sperrte den fürchterlichen, mit gelben Zähnen bewehrten Rachen auf und that noch zwei langsame Schritte weiter. Der Neger streckte ihm beide Arme entgegen und schrie, an der Erde liegen bleibend:

„Masser Bob haben dir nichts wollen thun, haben nur wollen Opossum fangen!“

In demselben Augenblicke stand der kühne Knabe zwischen ihm und der Bestie. Er hatte sein abgeschossenes Gewehr fortgeworfen und die Flinte des Schwarzen ergriffen, deren Lauf er nun auf den Bären richtete. Er und das Tier standen nicht zwei Ellen voneinander. Seine Augen blitzten kühn, und um seinen zusammengepreßten Mund lag jener unerbittliche Zug, welcher deutlich sagte: du oder ich!

Aber anstatt loszudrücken, ließ er das Gewehr sinken und sprang zurück. Er hatte mit scharfem Blicke erkannt, daß dieser dritte Schuß nicht nötig sei. Der Bär stand still. Ein röchelndes Brummen drang aus seiner Kehle, ein brüllendes Stöhnen folgte; ein Zittern durchlief den Körper, die Vorderpranken sanken nieder, ein dunkler Blutstrom quoll über die Zunge, dann brach das Tier zusammen – – ein konvulsivisches Zucken – der Körper wälzte sich halb zur Seite und blieb dann unbeweglich hart neben dem Neger liegen.

Help, Help – Hilfe, Hilfe!“ wimmerte der letztere, noch immer die Arme starr ausgestreckt haltend, als ob er ohne Bewegung und Gelenke sei.

„Mensch, Kerl, Bob!“ zürnte Martin. „Was jammerst du, alter Feigling!“

„Der Bär, der Bär!“

„Er ist ja tot!“

Da zog der Schwarze die Arme an sich, richtete sich in sitzende Stellung auf, ließ seinen Blick in fragender Angst zwischen dem Tiere und Martin hin und her gleiten und wiederholte:

„Tot, tot! Sein das wahr?“

„Natürlich.“

„Auch ganz gewiß wahr?“

„Du siehst es ja! Ich wette, daß beide Kugeln ihm mitten in das Herz gedrungen sind.“

Da schnellte Bob empor; er zeigte, daß alle seine Gelenke sich in bester Ordnung befanden, und rief in frohlockendem Tone:

„Tot, tot sein der Bär! Oh, oh, oh! Masser Bob und Massa Martin haben besiegt das Ungeheuer! Masser Bob hab‘ machen eine Bärenjagd. Oh! was sein Masser Bob für ein kühner und ein berühmter Westmann! All Leut werden sagen, was für ein Mut haben der tollkühn und furchtlos Masser Bob!“

„Ja,“ lachte Martin, „tollkühn bist du gewesen, wie eine reife Zwetschge da grad vor dem Rachen des Bären vom Baume zu fallen!“

Der Schwarze machte ein verwundertes Gesicht.

„Fallen?“ fragte er. „Nicht fallen! Masser Bob sein sprungen dem Bären entgegen. Masser Bob haben wollen ihn nehmen beim Fell und schlagen tot!“

„Bist aber liegen geblieben!“

„Masser Bob ruhig sitzen bleiben, weil er wollen zeigen, daß er sich nicht fürchten vor Bär. Oh! was sein Bär gegen Masser Bob! Bob sein ein Held; er nehmen Bär bei den Ohren und geben ihm Maulschellen so viel, wie Bär gar nicht kann zählen!“

Er bückte sich nieder und griff mit der Linken nach dem kleinen Ohre des erlegten Tieres, allerdings leise und vorsichtig zunächst, um sich zu überzeugen, daß es auch wirklich tot sei; dann aber, als er diese Gewißheit erlangt hatte, schlug er mit der Rechten kräftig auf dasselbe ein.

Da ließen sich laute Stimmen und eilige Schritte hören.

„Alle Teufel, ein Bärenpfad,“ erklang es vom Wasser herauf. „Das kann nur ein riesiger Grizzly sein. Die beiden haben das nicht verstanden und sind dem Tiere ahnungslos entgegengelaufen. Schnell nach!“

Das war die Stimme Old Shatterhands. Der erfahrene Westmann war gleich beim ersten Blicke auf die Spur nicht im Zweifel darüber gewesen, was für ein Tier sie ausgetreten habe.

„Ja, ein Grizzly ist’s,“ hörte man den beistimmenden Ruf des dicken Jemmy. „Vielleicht sind sie alle beide verloren. Vorwärts, hinein in den Wald!“

Das Gewirr auch anderer Stimmen und eilige Schritte waren zu vernehmen.

„Holla!“ rief Martin Baumann den Kommenden entgegen. „Habt keine Sorge um uns. Es ist alles wohlauf.“

Old Shatterhand und Winnetou waren die ersten, welche am Platz erschienen. Nach ihnen kamen Tokvi-tey und der lange Davy, hinter ihnen der dicke Jemmy und der kleine Sachse, gefolgt von der Mehrzahl der Indianer. Die übrigen waren am Lagerplatze zurückgeblieben, da die Pferde natürlich nicht allein gelassen werden durften.

„Wahrhaftig ein Grizzly!“ rief Old Shatterhand beim Anblicke des erlegten Tieres. „Und zwar einer von den größten Dimensionen. Und Ihr lebt, Master Martin! Welch ein großes Glück!“

Er trat zum Bären und untersuchte die Wunde.

„Grad ins Herz getroffen, und zwar aus ganz geringer Entfernung! Das ist ein famoses Jägerstück. Ich brauche natürlich gar nicht zu fragen, wer das Tier erlegt hat.“

Da trat Bob vor und sagte unter einem stolzen, selbstbewußten Grinsen:

„Masser Bob haben besiegt den Bären. Masser Bob sein der Mann, welcher schuld ist, daß Bär haben geben müssen sein Leben.“

„Ihr, Bob? Nun, das klingt gar nicht sehr wahrscheinlich.“

„Oh! es sein wahr, sehr wahr! Masser Bob haben sich hinsetzen vor Bären seiner Nase, damit Bär sehen nur ihn, nicht aber Massa Martin, welcher müssen schießen. Masser Bob haben riskieren sein Leben, damit Massa Martin kann thun einen sichern Schuß.“

Old Shatterhand lächelte. Seinem scharfen, geübten Auge konnte nichts entgehen. Sein Blick fiel auf die grünen Birkenblätter, welche am Boden lagen. Bob hatte sie beim Klettern von den Zweigen gestreift. Einige dieser Zweige waren von ihm geknickt worden und hingen noch an den Ästen.

„Ja, Masser Bob scheint sehr tapfer gewesen zu sein,“ sagte Shatterhand. „Als er den Bären erblickte, kletterte er vor Angst hier auf die Birke, ohne zu bedenken, daß sie zu schwach sei, ihn zu tragen. Sie bog sich nieder, und er fiel herab, da grad vor die Bestie hin. Er wäre sicherlich verloren gewesen, wenn sein junger Herr die Schüsse nicht rechtzeitig abgegeben hätte. Ist es nicht so, Master Baumann?“

Martin mußte bejahend antworten, obgleich es ihm eigentlich leid that, damit einen Tadel gegen den sonst so braven Neger aussprechen zu müssen. Dieser aber suchte sich zu rechtfertigen:

„Ja, Masser Bob sein klettern auf Birkenbaum, damit Bär ihm nachklettern und nichts thun dem guten Massa Martin. Masser Bob haben wollen sich opfern für seinen jungen Herrn.“

Er mußte aber leider sehen und hören, daß dieser Versicherung kein Glauben geschenkt wurde.

Natürlich wollten alle wissen, wie es bei diesem gefährlichen Jagdabenteuer zugegangen sei, und Martin erzählte den Hergang der Sache. Er that dies in einfachen, schlichten Worten, ohne alle Ausschmückung, aber dennoch erkannten die Zuhörer, welch eine Kaltblütigkeit und welchen Mut er dabei entwickelt habe. Es wurde ihm dafür die allgemeinste Anerkennung zu teil.

„Mein lieber, junger Freund“, sagte Old Shatterhand, „ich will Euch gern gestehen, daß selbst der erfahrenste Jäger sich nicht besser hätte benehmen können als Ihr. Wenn Ihr so fortmacht, so gibt das einmal einen Mann, welcher viel von sich reden machen wird.“

Und auch der sonst so schweigsame Winnetou sagte freundlich:

„Mein kleiner, weißer Bruder hat die Entschlossenheit eines alten Kriegers. Er ist ein würdiger Sohn des berühmten Bärentöters. Der Häuptling der Apachen gibt ihm seine Hand.“

Als nun Martin seine Hand in diejenige Winnetous legte, fühlte er eine Regung stolzen Selbstbewußtseins. Die Anerkennung dieser beiden berühmten Männer war ihm eben so viel und noch mehr wert, als wenn er von irgend einem Herrscher einen Orden bekommen hätte.

Der kleine Sachse gab dem dicken Jemmy einen gelinden Rippenstoß und fragte:

„Ist das nich eene famose Heldenthat, he?“

„Gewiß! Ich habe alle Achtung vor dem kleinen Kerl.“

„Und glooben Sie nun, daß er ooch schon andern Bären den Garaus gemacht hat?“

„Sehr gern.“

„Ja, er ist meerschtenteels een sehre braver Bursche. Wer weeß, wie Sie sich an seiner Schtelle benommen hätten. Ich möchte beinahe behaupten, Sie hätten sich vom Bären so ziemlich schtille offfressen lassen.“

„Na, ganz so still hätte ich mich dabei wohl nicht verhalten. Ich habe hier meine alte Büchse nicht zu dem Zwecke, Sperlinge zu schießen, mitgenommen.“

„So! Es fragt sich aber gerade, ob Sie mit dem Schießprügel eenen Schperling treffen thäten. Een Bär ist da schon leichter offs Korn zu nehmen. Haben Sie denn schon mal eenen erschossen?“

„Nicht nur einen.“

„Hören Sie, flunkern Sie mir nur nich etwas vor! Sagen kann mersch leichte.“

„Pah! Ich habe sogar einmal mit einem Bären geschlafen, eine ganze Nacht hindurch, und erst am Morgen gemerkt, was für einen Schlafgesellen ich in meiner Nähe hatte.“

„Das ist ja die allerreenste Unmöglichkeet! So was muß man doch gewahr werden! Hat das Viehzeug denn nich geschnarcht?“

„Nein, geschnauft und geröchelt, aber nicht regelrecht geschnarcht.“

„Hm! Das müssen Sie mir mal erzählen.“

„Heut abend, wenn wir Lager machen. Jetzt ist keine Zeit dazu.“

Den Schoschonen war der Bär eine sehr willkommene Beute. Sein Fleisch gilt als wohlschmeckend; die Schinken sind noch besser, und die Tatzen gelten sogar als Leckerbissen. Nur Herz und Leber werfen die Indianer, welche beides für giftig halten, weg. Ganz besonders willkommen ist ihnen das Bärenfett, aus welchem sie sich eine ölige Flüssigkeit bereiten. Dieses Bärenöl gebrauchen sie zum Anreiben der verschiedenen Farben, mit denen sie sich bemalen, zum Beispiel der Kriegsfarben oder des Ockers, welchen sich die Sioux zum Färben ihrer Haarscheitellinie bedienen. Auch reiben sie sich mit diesem Öle die Haut ein, um sich gegen den Stich und Biß der Moskitos und anderer Insekten zu schützen.

Auf eine fragende Handbewegung des Häuptlings der Schoschonen hatte Martin geantwortet:

„Meine Brüder mögen das Fleisch des Bären nehmen; das Fell aber behalte ich selbst.“

Zwei Minuten später war das Tier aus dem Fell geschält, und das Fleisch wurde geteilt. Während die Mehrzahl der Schoschonen das Wildbret mit ihren haarscharfen Skalpmessern in dünne, breite Streifen schnitten, machten sich die anderen an die vorläufige Zubereitung des Felles. Es wurden alle noch anhaftenden Fleischreste sorgfältig von demselben entfernt, und dann spaltete man mit einem Tomahawk den Schädel des Bären, um zu dem Gehirn zu gelangen, mit welchem die Innenseite der Haut eingerieben wurde.

Dies ging alles so schnell, daß die Arbeit nach kaum einer Viertelstunde beendet war, und die Krieger nach dem Lagerplatze zurückkehren konnten. Das Fell wurde auf eines der Reservepferde, welche die Schoschonen bei sich hatten, gelegt, und das Fleisch wurde in die Koch- und Bratöfen gesteckt.

Öfen? Konnten die Indianer Öfen bei sich haben? Freilich wohl, wenn die ihrigen auch nicht gerade aus Marmor, Porzellan oder Eisen konstruiert waren. Es legte sich nämlich ein jeder sein Fleischstück unter den Sattel; es wurde dann durch das Reiten so weich und gar, daß es dann am Abende mit dem größten Appetit verspeist werden konnte. Einem europäischen Feinschmecker würde freilich eine solche Zubereitungsart nicht sehr appetitlich erscheinen.

Die Mittagsruhe war durch das Jagdabenteuer unterbrochen worden und sollte nicht von neuem begonnen werden. Man brach auf.

Der Weg führte tiefer in das Thal hinein, schlängelte sich zwischen einigen Bergen hindurch und mündete dann in dieselbe breite Niederung, welcher die Truppe vorher gefolgt war. Es zeigte sich, daß man dadurch, daß man dem Wegweiser der Sioux gefolgt war, eine bedeutende Krümmung abgeschnitten hatte. Die Sioux mußten also den Weg, welchen sie eingeschlagen hatten, ganz genau kennen. Sie hatten von Zeit zu Zeit, besonders wenn die Richtung zu verändern gewesen war, ähnliche Wahrzeichen wie das erste zurückgelassen. Jedenfalls waren sie noch lange der Ansicht gewesen, daß Wohkadeh zu ihnen zurückkehren werde.

Im Laufe des Nachmittages gelangte der Reiterzug an ein elliptisch geformtes Thal, welches einen Durchmesser von mehreren Meilen hatte und ringsum von steilen Felswinden umgeben war. In der Mitte dieses Thales erhob sich ein einzelner, kegelförmiger Berg, dessen kahle Seiten weiß im Sonnenlichte glänzten. Auf seinem Gipfel war ein niedriges, breites Steingebilde zu erkennen, welches ziemlich genau die Gestalt einer Schildkröte besaß.

Für den Geologen unterlag es keinem Zweifel, daß es hier einmal einen See gegeben hatte, dessen Ufer von den ringsumliegenden Höhen gebildet worden waren. Die Spitze des Berges, welcher sich jetzt inmitten des Thales erhob, hatte als Insel aus den Fluten geragt.

Es ist durch systematische Beobachtungen als gewiß erwiesen worden, daß eine große Anzahl von Süßwasserseen die Landstrecken von Nordamerika bedeckt hat. Das ist in der Tertiärperiode gewesen. Diese großen Wasseransammlungen haben sich verlaufen, und die einstigen Seen sind zu Thälern geworden, welche den damals lebenden Geschöpfen als Grabstätten dienen. Der Naturforscher, besonders der Paläontolog, kann sich dort mit ungeahnten Schätzen an Fossilien bereichern.

Man findet da die Zähne und Kinnladen des Hippopotamus, welches dem Flußpferde ähnlich gestaltet war, Reste des ungehörnten Rhinozeros und Schildkröten zu Tausenden. Es gibt da die Knochengerüste des wiederkäuenden Schweines, des Hyanodon und sogar einer gewaltigen Tigerart, welche mit säbelförmigen Zähnen bewaffnet war. Heute sagt man allgemein, daß das Pferd in Amerika eingeführt worden sei; aber Nachgrabungen beweisen, daß in der Tertiärzeit mehrere Kamel- und verschiedene Pferdearten in Nordamerika gelebt haben. Eine dieser Pferdespecies hat nur die Größe eines Neufundländers gehabt. Gegenwärtig gibt es auf dem ganzen Erdballe nur etwa zehn Pferdearten, während allein in Nordamerika gegen dreißig fossile Pferdegattungen nachgewiesen worden sind. In jener Urzeit weideten Elefanten an den Ufern der nordamerikanischen Seen, und Schweine wälzten sich im Schlamme, einige Arten nur katzengroß, andere dagegen von der Größe eines Hippopotamus. Auf den jetzt baumlosen Ebenen von Wyoming spendeten Palmen, deren Blätter eine Länge von vier Metern hatten, ihren Schatten. Elefantengroße Geschöpfe wohnten unter diesen Palmen. Die eine Art hatte Hörner zu beiden Seiten der Nase, die andere seitwärts der Augen, eine dritte nur ein einziges Horn oberhalb der Nase.

Wenn der Indianer zufällig auf solche urweltliche Reste stößt, so wendet er sich still und ehrfurchtsvoll ab. Er kann sich das Dasein derselben nicht erklären, und da alles Geheimnisvolle ihm „große Medizin“ ist, so sind ihm diese Reste heilig, und nur zuweilen versuchte er es an der Hand einer Sage, sich das Vorhandensein derselben begreiflich zu machen.

Das Thal also, an dessen Rande jetzt die Reiter hielten, war in jener Zeit auch ein See gewesen. Die Sioux Ogallala hatten ein Zeichen zurückgelassen, durch welches Wohkadeh benachrichtigt werden sollte, daß sie quer durch dasselbe geritten seien; aber Old Shatterhand, welcher jetzt an der Spitze ritt, folgte dieser Weisung nicht, sondern er lenkte sein Pferd nach links, um längs des Fußes der Berge hinzureiten.

„Hier steckt der Zweig,“ sagte Tokvi-tey, indem er nach dem Baume deutete, in dessen Stamm ein fremder Zweig angebracht war. „Das ist das Zeichen der Ogallala. Warum will mein Bruder demselbigen nicht folgen?“

Old Shatterhand hielt sein Pferd an und antwortete:

„Weil ich einen viel besseren Weg weiß. Von jetzt an kenne ich die Gegend sehr genau. Hier dieser Berg ist Pejaw-epoleh, der Berg der Schildkröte. An ihm bin ich bereits dreimal vorüber gekommen, nur nicht von dieser Seite her.“

„Hat es mit diesem Berge vielleicht eine besondere Bewandtnis?“ fragte Jemmy, der Dicke.

„Eigentlich nicht; aber in der Sage der Krähenindianer spielt er eine Rolle; er ist der Berg Ararat dieser Indianer. Auch die Angehörigen der roten Rasse haben das Gedächtnis einer großen Wasserflut, einer Sintflut, aufbewahrt. Die Krähenindianer erzählen, daß, als alle Menschen ertranken, nur ein einziges Paar übrig blieb. Der große Geist rettete es, indem er ihm eine riesige Schildkröte sandte. Die beiden fanden mit all ihrer Habe auf dem Rücken des Tieres Platz und wohnten da, bis die Flut sich zu senken begann. Der Berg, welchen wir hier sehen, ist höher als die anderen rundum; darum ragte er zuerst als Insel aus der Flut. Die Schildkröte kroch auf dieses Eiland, und das Menschenpaar stieg da von ihrem Rücken herab. Die Seele des Tieres kehrte zum großen Geiste zurück; der Körper aber blieb da oben und versteinerte, um als Andenken an das Elternpaar der jetzigen roten Männer zu dienen. Das erzählte mir Schunka-schetscha, der große Hund, ein Krieger der Krähenindianer, mit welchem ich vor mehreren Jahren dort am Berge der Schildkröte lagerte.“

„So wollt Ihr also nicht den Weg einschlagen, welchen die Sioux Ogallala geritten sind?“

„Nein. Ich kenne einen näheren, welcher uns in beträchtlich kürzerer Zeit zum Ziele führt. Die Ogallala wollen nach dem Grabe ihrer toten Krieger. Da uns ihr Ziel bekannt ist, so brauchen wir doch nicht die kostbare Zeit zu verlieren, indem wir ihrer Fährte folgen. Es sind der Zugänge zur Yellowstoneregion nicht sehr viele. Die Ogallala scheinen den kürzesten gar nicht zu kennen. Nach der Richtung, welche sie eingeschlagen haben, ist zu vermuten, daß sie sich nach dem großen Cannon wenden, von da über den Yellowstone gehen, um über den Brückenfluß nach den Feuerlochbergen zu kommen.“

„Da müssen sie ja über die Rocky Mountains hinüber!“

„Allerdings. Nämlich das Grab, an welchem Master Baumann mit seinen Begleitern geopfert werden soll, liegt keineswegs am Yellowstoneriver, sondern am Feuerlochflusse. Um diesen zu erreichen, reiten die Sioux Ogallala einen sehr großen Bogen, einen Halbkreis von wenigstens sechzig Kilometern Halbmesser, und das Terrain, durch welches sie kommen, bietet ihnen so viele und große Schwierigkeiten, daß sie keine ansehnlichen täglichen Strecken zurücklegen können. Der Weg aber, welchen ich einschlage, läuft in fast schnurgerader Linie fort, führt uns nach dem Pelikanflusse und zwischen diesem, nachdem wir ihn überschritten haben, und den Schwefelhügeln nach der Stelle, an welcher der Yellowstonefluß aus dem gleichnamigen See tritt. Von da suchen wir den Brückenfluß auf, in dessen Nähe wir wohl die Spuren der Sioux finden, und reiten dann nach dem oberen Geiserbassin, welches am Feuerlochflusse liegt. Dieser Weg ist zwar auch beschwerlich, bietet uns aber bei weitem nicht die Schwierigkeiten, welche die Feinde zu überwinden haben, und so ist es vielleicht sogar möglich, daß wir noch eher als sie am Ziele ankommen. Dieses letztere wäre für uns außerordentlich vorteilhaft.“

„Wenn das so ist, so wäre es allerdings eine ganz unverantwortliche Dummheit, hinter den Ogallala zu reiten. Es sollte mir ein Gaudium sein, wenn wir eher ankämen als sie. Es ist mir bereits jetzt eine Wonne, an die Gesichter zu denken, welche sie machen würden. Also vorwärts, Sir! Macht Ihr von jetzt an unseren Führer!“

Die beiden hatten sich der englischen Sprache bedient. Als Old Shatterhand nun den Schoschonen in der ihrigen sein Vorhaben erklärte, zeigten auch sie sich mit seiner Absicht vollständig einverstanden und folgten ihm gern in der Richtung, über welche ihr Häuptling sich vorhin so befremdet gezeigt hatte.

Ein längst vertrocknetes kleines Flüßchen hatte vor Zeiten sich von Westen her in das alte Seebassin ergossen und dabei tief in das Ufer eingeschnitten. Sein Bette war sehr schmal und die Mündung so mit dichter Vegetation maskiert, daß ein sehr scharfer Blick dazu gehörte, sie zu entdecken. Old Shatterhand lenkte dahinein sein Pferd. Nachdem die Gestrüppwand durchbrochen war, bot der Pflanzenwuchs keine bedeutenden Schwierigkeiten mehr Man konnte, ohne große Hindernisse zu finden, dem einstigen Wasserlauf entgegenreiten, bis der enge Einschnitt in sogenanntes Undulating-Land mündete. Dieses bestand aus kleinen Prairien, welche durch waldige Hügel voneinander getrennt waren, und da diese Hügel meist eine westöstliche Richtung hatten, so lagen sie der Truppe ganz bequem.

Gegen Abend erreichte dieselbe einen Wasserlauf, welcher zum Gebiete des Bighornflusses zu gehören schien. Ihm entgegenreitend, gelangte man an eine Stelle, welche sich so vortrefflich zum Lagerplatze eignete, daß man hier zu halten beschloß, obgleich die Dunkelheit noch nicht hereingebrochen war.

Der Bach erweiterte sich hier zu einem kleinen, aber nicht tiefen Teiche, an dessen Ufern ein prächtiges Gras zu finden war. In dem klaren, bis auf den Grund durchsichtigen Wasser sah man zahlreiche Forellen stehen, welche Hoffnung auf ein delikates Nachtmahl gaben. Auf der einen Seite stieg das Ufer steil empor; auf der anderen war es eben und von einem sehr dichten Baumwuchse eingefaßt. Zahlreiche am Boden liegende Äste ließen vermuten, daß es im letzten Winter einen ziemlich bedeutenden Schneebruch hier gegeben habe. Dieses Astwerk bildete eine Art Verhau um den Platz, dessen Sicherheit dadurch vergrößert wurde, und da das Holz vollständig dürr war, so brauchte man um genügendes Material zu einem Lagerfeuer keine Sorge zu haben.

„Forellengreifen!“ rief der dicke Jemmy, indem er erfreut von seinem Gaule sprang. „Das soll heut ein wahrer Hochzeitsschmaus werden!“

Er wär‘ am liebsten sofort in das Wasser gesprungen, aber Old Shatterhand hielt Einspruch.

„Nicht so eilig!“ sagte er. „Ein jedes Ding will zur richtigen Zeit und auf die rechte Art und Weise vorgenommen werden. Vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, daß uns die Fische nicht entfliehen können. Holt Holz herbei! Wir müssen zwei Gitter einschlagen.“

Nachdem die Pferde versorgt waren, wurden dünne Äste zugespitzt und zunächst unten am Ausflusse des Teiches eng nebeneinander in den weichen Boden des Baches geschlagen, so daß kein Fisch hindurch zu schlüpfen vermochte. Sodann wurde ein ähnliches Gitter auch oberhalb des Teiches hergestellt, aber nicht am Einflusse des Wassers, sondern noch weiter hinauf, so daß das Gitter vielleicht zwanzig Schritte vom oberen Ende des Teiches entfernt war. Nun war auch hier ein Entkommen der Fische unmöglich.

Der dicke Jemmy begann, seine großen Aufschlagestiefeln auszuziehen. Den Gürtel hatte er bereits abgeschnallt und nebst der Büchse an das Ufer gelegt.

„Du, Kleiner,“ sagte der lange Davy zu ihm, „ich glaube gar, du willst in das Wasser!“

„Natürlich! Das gibt einen Hauptspaß.“

„Das überlaß doch lieber Leuten, welche länger sind als du. Einer, der kaum über einen Stuhl hinweg zu gucken vermag, kann leicht ein wenig unter das Wasser geraten.“

„Würde auch nichts schaden. Ich kann ja schwimmen. Überdies ist der Teich ja gar nicht tief.“

Er trat ganz nahe zum Wasser heran, um sich genau von der Tiefe desselben zu überzeugen.

„Höchstens anderthalbe Elle,“ sagte er.

„Das täuscht. Wenn man auf den Grund blicken kann, so scheint er höher zu liegen, als es in Wirklichkeit der Fall ist.“

„Pah! Komm her und guck hinein! Man sieht ein jedes Steinchen unten und da – – alle Wetter, brrr, puh, puh!“

Er hatte sich zu weit vornüber gebeugt und das Gleichgewicht verloren; mit dem Kopfe voran war er in den Teich gestürzt. Es war gerade hier die tiefste Stelle. Der kleine, dicke Jäger ging unter, kam aber sofort wieder zum Vorschein. Er war ein vorzüglicher Schwimmer und brauchte sich aus dem Bade nichts zu machen; leider aber hatte er den Pelz noch an, und der war natürlich mit ihm unter Wasser gegangen. Sein breitkrämpiger Hut schwamm wie das Blatt einer Victoria regia auf der kühlen Flut.

Heigh-day!“ lachte der lange Davy. „Gentlemen, schaut euch mal die Forelle an, welche da zu fangen ist! Dieser dicke Fisch gibt, wenn wir ihn fangen, viele Portionen.“

Der kleine Sachse hatte in der Nähe gestanden. Auf wissenschaftlichem Gebiete pflegte er sich gern an Jemmy zu reiben; aber er hatte ihn doch lieb, da der Dicke ja ein Deutscher war.

„Herrjerum!“ rief er erschreckt aus, indem er herbeigesprungen kam. „Was haben Sie denn nur gemacht, Herr Pfefferkorn? Warum sind Sie denn da in den Teich gesprungen? Sind Sie etwa sogar ooch naß geworden?“

„Durch und durch,“ antwortete Jemmy lachend.

Er befand sich in keiner Gefahr, denn das Wasser reichte ihm nur bis unter die Arme.

„Durch und durch! Das kann die allerschönste Erkältung geben. Und noch dazu im Pelze! Schteigen Sie nur gleich raus! Den Hut will ich versorgen. Ich fisch‘ ihn da mit dem Aste raus.“

Er ergriff einen langen Ast und angelte mit demselben nach der Kopfbedeckung. Der Ast war ein wenig zu kurz; darum beugte sich der gelehrte „Forstbeamte“ möglichst weit vor.

„Nehmen Sie sich in acht!“ warnte Jemmy, indem er aus dem Wasser stieg. „Ich kann ihn mir ja selber holen; ich bin nun einmal naß.“

„Reden Sie doch nich!“ antwortete Frank. „Wenn Sie meenen, daß ich so dumm bin grad wie Sie, da können Sie mir dauern. So een respektabler Mann wie unsereener weeß sich schon in acht zu nehmen. Ich fall‘ nich ins Wasser. Und wenn der verflixte Hut ooch weiter nüber schwimmt, da dehn‘ ich mich noch een bissel mehr aus und –– o Herr Jemerschneh, da sitz ich wirklich ooch schon in der Patsche! Nee, so was lebt doch nich!“

Er war ins Wasser gefallen. Das sah so possierlich aus, daß alle Weißen lachten; die Indianer aber blieben äußerlich ernst, obgleich sie sich innerlich ganz sicher über die heitere Szene amüsierten.

„Nun, wer ist nicht so dumm wie ich?“ fragt Jemmy, dem die Lachthränen in den Augen standen.

Frank stand im Wasser und machte ein sehr zorniges Gesicht.

„Was gibts denn da zu lachen!“ rief er. „Ich schtehe hier als das Opfer meiner Gefälligkeet, und samaritanischen Nächstenliebe und werde zum Dank für meine Barmherzigkeet ooch noch ausgelacht. Das werde ich mir fürs nächstemal gut merken. Verschtehen Sie mich?“

„Ich lache ja nicht, sondern ich weine! Sehen Sie das nicht? Wenn so ein respektabler Mann wie Sie die Balance verliert,

So ––“

„Schweigen Sie! Foppen laß ich mich nich! Es möchte alles noch sein; aber daß ich sogar den Frack derbei anhabe, das geht mir doch zu nahe. Und dort schwimmt nun mein Amazonenhut ganz brüderlich neben dem Ihrigen. Kastor und Phylax, wie’s in der Mythologie und ooch in der Schternenkunde heeßt. Es ist gradezu – – –“

„Kastor und Pollux heißt es!“ fiel Jemmy ein.

„Sein Sie doch ganz schtille! Pollux! Ich habe als Forschtbeamter so viel mit Jagdhunden zu thun gehabt, daß ich ganz genau weeß, ob es Pollux oder Phylax heeßt. Solche Verbesserungen verbitte ich mir. Die sind bei mir schlecht angebracht. Dennoch will ich das edle Brüderpaar herausfischen. Eegentlich sollt‘ ich den Ihrigen drin lassen. Verdient haben Sie es nich an mir, daß ich mich Ihres Hutes wegen nun noch viel nasser mach‘.“

Er stieg den beiden Hüten nach und brachte sie heraus.

„So,“ sagte er. „Da sind sie gerettet, ohne daß ich off eene Medallge Anspruch mache. Jetzt wollen wir Ihren Pelz ausringen und nachher meinen Frack. Die beeden werden bitterliche Thränen weinen; es tropft schon jetzt.“

Die zwei Verunglückten hatten jetzt so viel mit ihren durchnäßten Anzügen zu thun, daß sie sich zu ihrem Leidwesen nicht an dem nun beginnenden Fischfange beteiligen konnten.

Dieser ging sehr schnell von statten. Eine genügende Anzahl der Schoschonen stiegen am untern Ende des Teiches in das Wasser, bildeten quer über demselben eine eng geschlossene Reihe und trieben, indem sie langsam vorwärts rückten, die Fische aufwärts und aus dem Teiche in den Oberlauf des Baches hinein. An den beiden Ufern des letzteren hatten sich andere Rothäute platt auf den Boden gelegt, mit den Köpfen nach dem Wasser zu, in welches sie mit beiden Armen langen konnten. Den in die Enge getriebenen Forellen war es unmöglich, durch das obere Gitter zu gelangen, und der Rückweg war ihnen auch verlegt. Die Indianer schöpften nun die zusarnmengedrängten Tiere förmlich heraus und warfen sie über ihre Köpfe weg auf das trockene Land. In Zeit von wenigen Minuten war der Fischfang beendet und bot einen so reichlichen Ertrag, daß ein jeder sich vollauf zu sättigen vermochte.

Nun wurden flache Gruben hergestellt und mit Steinen ausgelegt. Die ausgenommenen Fische kamen auf diese Steine zu liegen und wurden mit einer anderen Steinschicht bedeckt, auf welcher man die Feuer anfachte. Als dann nach einiger Zeit die Asche entfernt wurde, waren die Forellen zwischen den heißen Steinen in ihrer eigenen Feuchtigkeit so weich gedämpft, daß das Fleisch beim Anrühren von den Gräten fiel.

So delikat freilich wie in unseren Restaurationen oder vom Tische eines unserer Feinschmecker weg waren die Fische freilich nicht. Es fehlte die Butter und – – – das Salz. Der Indianer genießt fast nie oder doch nur selten Salz. Der Westmann muß leider auf dasselbe auch verzichten. Er kann sich unmöglich mit einem für seine monatelangen Irrfahrten genügenden Vorrate versehen, und das wenige, welches er vielleicht mitnimmt, ist sehr bald in der angesogenen Feuchtigkeit zerflossen.

Nach dem Essen wurden die Pferde noch enger zusammengetrieben und dann die Wachen ausgestellt. Die Schoschonen hielten diese Maßregel für überflüssig, da die Gegend eine so abgelegene war, daß an das Vorhandensein eines feindlichen menschlichen Wesens kaum gedacht werden konnte. Aber Winnetou und Old Shatterhand waren der wohl begründeten Ansicht, daß man zu keiner Zeit und an keinem Orte die notwendige Vorsicht außer acht setzen dürfe, und so wurden zunächst vier Schoschonen, welche später abgelöst werden sollten, nach vier Seiten hinaus in das Finstere geschickt, um das Lager zu bewachen.

Die Posten durften sich natürlich nicht in der Nähe des Feuers aufhalten, damit sie von einem etwa anschleichenden Feinde nicht gesehen werden konnten.

Es brannten, wie bereits erwähnt, mehrere Feuer, und um dieselben gruppierten sich nun die Männer nach Belieben. Natürlich fanden sich die Weißen zusammen. Old Shatterhand, der dicke Jemmy und der kleine Frank waren Deutsche; der lange Davy hatte von seinem dicken Spezial so viel deutsch gelernt, daß er es verstehen, wenn auch nicht sprechen konnte, und da der Vater Martin Baumanns auch aus Deutschland stammte, so war der junge Mann der deutschen Sprache so mächtig, daß man sich derselben beim jetzigen Lagergespräche bedienen konnte.

Eine solche Unterhaltung am Feuer, im Urwalde oder in der Prairie hat ihre ganz eigentümlichen Reize. Da werden die Erlebnisse der Anwesenden erzählt und die Thaten berühmter Jäger berichtet. Wie groß auch die Mühseligkeiten und Beschwerden des Westens sind, man glaubt gar nicht, wie schnell die Kunde von einer mutigen That, einer berühmten Person, einem hervorragenden Ereignisse von Lagerfeuer zu Lagerfeuer fliegt. Haben die Schwarzfüße oben am Mariasflusse das Kriegsbeil ausgegraben, so sprechen die Comanchen am Rio Conchas bereits in vierzehn Tagen davon, und wenn unter den Wallawalahindianern im Washingtonterritorium ein großer Medizinmann auftritt, so wissen die Dakotas des Coteau du Missouri bereits in kurzer Zeit von ihm zu erzählen.

Wie zu erwarten stand, kam die Rede zunächst auf die heutige Heldenthat Martin Baumanns. Dadurch wurde der kleine Sachse an das Versprechen, welches der dicke Jemmy ihm gegeben hatte, erinnert.

„Wie war es denn eegentlich damals, als Sie mit dem Bären geschlafen haben?“ fragte er. „Wie ist das denn gewest und wo hat sich’s ereignet?“

„Meinen Sie etwa, daß ich in dem Bette eines Hotelzimmers mit ihm geschlafen habe?“ lachte der Dicke.

„Fangen Sie schon wieder an, zu beginnen! Ich hab‘ Ihnen schon erklärt, daß ich nich der Mann bin, der sich von Ihnen ungeschtraft foppen läßt. Wenn Sie mich dafür, daß ich unter Einwässerung meines eenzigen Frackes Ihren Hut gerettet habe, für einen Narren halten wollen, so werde ich Ihnen meinen Sekundaner schicken!“

„Sekundant, wollen Sie sagen?“

„Fällt mir nich ein! Ich schpreche meine feine Umgangsschprache nach dem richtigen schtrategischen System, und Sie können Ihr Kauderwelsch ooch reden, wie es Ihnen beliebt. Die Hauptsache ist, daß Sie es ooch an den Mann bringen, der sich’s mit übermenschlicher Geduld gefallen läßt. Übrigens wird an Ihrer sogenannten Bärengeschichte vielleicht gar nich sehre viel sein. Vielleicht hat sich’s gar nich in wahrhaftiger Wirklichkeet ereignet.“

„O doch! Ich kann es beeiden.“

„Nun, wo denn?“

„In einem Quellflusse des Platte-River.“

„Was? Etwa mitten im Flusse drin?“

„Ja.“

„Da haben Sie die ganze Nacht mit eenem Bären geschlafen?“

„Gewiß!“

„Na, das ist die allergrößte Lüge, die gemacht werden kann! Wenn sich das faktisch begeben hätte, so wären Sie beede, nämlich Sie und der Bär, den Sie uns jetzt offbinden wollen, am frühen Morgen als ertrunkene Leichen ans Ufer geschwommen.“

„Ach so, Sie meinen, ich habe im Wasser geschlafen?“

„Natürlich!“

„Nein. So unvorsichtig bin ich freilich nicht. Ich hatte vielmehr mein Nachtquartier auf einer kleinen Insel aufgeschlagen.“

„Ach so l Off eener Insel! Das will ich mir eher gefallen lassen. Das gibt der Sache freilich eene etwas größere Wahrscheinlichkeet. Übrigens ist im Plattefluß fast schtets nur wenig Wasser zu finden.“

„Außer im Frühjahre. Wenn nach einem warmen Regen der Schnee auf den Bergen taut, so kommt es vor, daß der Fluß, dessen Wasser einem kaum bis an die Kniee reichte, in Zeit einer Stunde die hohen Ufer füllt. Dann ist es höchst gefährlich, sich den tosenden, schmutziggelben Fluten anzuvertrauen. Der Strom gleicht dann einem wilden Tiere, welches plötzlich erwacht ist und nach Opfern brüllt.“

„Das läßt sich denken. Und dabei erinnert man sich sofort an die schönen Dichterworte:

„Gefährlich ist’s, den Leim zu wecken;
Verderblich ist des Tigers Zahn.
Und bleibt man in dem Schlamme schtecken,
Hilft keene Gondel und keen Kahn.“

Das war wohl damals ooch der Fall mit Ihnen und dem Bären?“

„Ja, nur daß es nicht Leim, sondern Leu heißen muß, mein bester Frank.“

„Kommen Sie mir nich schon wieder mit so eener grundlosen Ausschtellung. Sie befinden sich da im allergrößten Widerschpruch mit den Koriphäern der Dichtkunst und des musikalischen Generalbasses. Begeben Sie sich doch nicht off höhere Gebiete, in denen Sie unbekannt sind, und erzählen Sie lieber in schlichten und bescheidenen Worten die verschprochene Geschichte.“

Die anderen lachten; darum fuhr der kleine Gelehrte, zu Old Shatterhand gewendet, fort:

„So ist es recht! Lachen Sie den Kerl mal ordentlich aus! Wenn er sieht, daß er sich blamiert, wird er endlich mal offhören, den Dongki-Schottländer zu schpielen.“

„Don Quichote heißt es,“ warf Jemmy ein.

jetzt wurde Frank wirklich zornig. Er stand auf und sagte:

„Schon wieder! Das wird mir zu bunt. Eener, der sich in Moritzburg so wie ich mit der Leihbibliothek beschäftigt hat, den Band zu drei Pfennigen wöchentlich, der hat wohl ooch den Dongki-Schottländer gelesen, und wenn ich mir meine litterarische Bildung hier wieder und wieder verschimpfieren lassen soll, so schtehe ich eenfach off und setze mich zu die Indianersch. Die werden’s besser zu würdigen wissen, wenn een Mann von meinen Qualitäten sich bei ihnen niederläßt. Ist meine Mühe, den dicken Jemmy zu belehren, eene so vergebliche, so wasche ich meine Hände in Unschuld und trage das mir anvertraute Pfund wo andersch hin. Der edle Schwan hat’s gar nich nötig, daß er mit Gänsen und Enten schwimmt. Sein Schicklichkeetsgefühl schträubt sich gegen so eene socialdemokratische Gesellschaftsschtufe. Adjeh, meine Herren!“

Er wollte gehen, ließ sich aber durch das dringende Ersuchen Old Shatterhands bewegen, sich wieder niederzusetzen.

„Nun gut,“ sagte er. „Ihnen zuliebe will ich meinen berechtigten Grimm im schtillen anonym verzehren. Sie haben als Landsmann een gesellschaftliches Recht off meine Person, und das will ich Ihnen doch nich verkümmern. Sie würden sonst vielleicht gar denken, daß ich eene schlechte elterliche Kindererziehung genossen habe. Übrigens bin ich wirklich neugierig off die Bärengeschichte, und wenn der Dicke sie erzählt hat, so werde ooch ich in der Form von Friedrich Gerschtäcker berichten, in welcher Weise ich zum erschtenmal mit eenem Bären zusammengetroffen bin.“

„Was?“ fragte Jemmy erfreut. „Auch Sie haben ein Bärenabenteuer erlebt?“

„Ooch ich? Wundert Sie das etwa? Ich sage Ihnen, daß ich wohl mehr erlebt und durchgemacht habe, als Ihr Verschtand begreifen kann. Aber jetzt fangen Sie nun endlich an! Also im Platte-River war es?“

„Nein, sondern im Medizin-Bow-Flusse, der sich in den Platte ergießt. Es war im April, und ich kam vom Nordpark herab, wo ich eine schlechte Jagd gemacht hatte. Ich war im März von Fort Larania aus hinaufgestiegen und kam nun jenseits herunter, um an dem genannten Quellflusse des Platte nach Bibern zu suchen. Es war nicht sehr kalt, und das wenige Wasser des Flusses trug kein Eis. Trotz mehrtägigen Suchens fand ich keine Spur von Dickschwänzen, und mein Pferd hatte bei schmaler Kost mich und die schweren Fallen umsonst zu tragen. An dem betreffenden Tage hatte sich ein ziemlich lauer Wind erhoben, ein Umstand, welchen ich alter Dummkopf eigentlich hätte beachten sollen. Gegen Abend bemerkte ich mitten im Flußbette eine kleine Insel, welche freilich jetzt keine Insel, sondern eine trockene Erhöhung war, welche eine größere Höhe als die beiden Ufer besaß. Sie bestand aus einem Felsen, an dessen abwärtsgerichtete Seite sich eine lange, spitz zulaufende Sandbank angelegt hatte. Indem ich mir die Insel betrachtete, bemerkte ich auf derselben eine kleine, aus Steinen und Rasen errichtete Hütte, welche jedenfalls von Trappern, die sich hier längere Zeit aufgehalten hatten, errichtet worden war. Das gab einen guten Platz für die Nacht. Ich ritt also durch das hier kaum zwei Fuß hohe Wasser hinüber und machte dabei im Sande der Bank eine Bärenfährte aus, weicher ich am nächsten Morgen folgen wollte. Von dieser Seite war die Insel leicht zugänglich. Ich ritt hinauf, stieg ab, befreite das Pferd von den Fallen und dem Sattel und überließ es ihm, sich nun Futter zu suchen. Ich kannte das Tier genau und wußte, daß es sich nicht weit entfernen werde.“

„Und in der Hütte? War jemand drin?“ fragte Frank.

„Ja,“ nickte Jemmy, verdächtig lächelnd.

„Wer, wer?“

„Als ich hineintrat, saß – denkt Euch mein Erstaunen – der Kaiser von China drin und aß Kürbisbrei mit marinierten Heringen!“

Alle lachten; aber der Hobble-Frank rief zornig:

„Gilt das etwa schon wieder mir?“

„Nein,“ antwortete Jemmy ernsthaft.

„So lassen Sie Ihren Kaiser in Pöckling, wo er hingehört!“ „In Peking, wollen Sie sagen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich gestehen, daß die Hütte leer war, nämlich leer von Geräten und Menschen. Bei näherer Betrachtung aber stieß ich auf Zeichen, welche auf die Anwesenheit von Schlangen schließen ließen. Es gab da allerlei Löcher im Boden und in der Rasenwand. Zwar fürchte ich die Klapperschlange nicht besonders; sie ist bei weitem nicht so gefährlich, wie man meint und schreibt, denn sie flieht den Menschen, auch war es ja noch die Zeit des Winterschlafes; aber es war heute überhaupt nicht kalt, und die von meinem Feuer ausgehende Wärme konnte sehr leicht eins oder einige dieser Tiere aus den Löchern locken, und da eine solche Gesellschaft auf keinen Fall eine angenehme ist, so beschloß ich, außerhalb der Hütte zu bleiben. Es gab angetriebenes Holz genug für ein tüchtiges Feuer, und als ich gehörig nachgelegt hatte, wickelte ich mich in meine Decke und sagte zu mir: gute Nacht, Jemmy!

„Ah, jetzt kommt’s!“ meinte Frank, indem er sich erwartungsvoll die Hände rieb.

„Ja, es wird bald kommen, nämlich das Wasser. Ich schlief nicht gleich ein. Der Wind war stärker geworden und blies verdächtig hohl; er trieb mir das Feuer auseinander; ich konnte nichts dagegen thun und gab mir also keine Mühe, es zu erhalten. Es war bald erloschen, und ich schlief endlich ein. Wie lange ich geschlafen hatte, wußte ich nicht, als ich von einem eigenartigen Geräusch geweckt wurde. Der Wind war zum Sturme geworden; er pfiff und stöhnte in allen Tonarten, und wenn er einmal eine Sekunde lang aussetzte, hörte ich ein dumpfes Rauschen, Brausen und Gurgeln, welches nicht in den Lüften war, sondern um meine Insel erklang. Ich erschrak, sprang auf und ging nach dem Rande meines Eilandes. Es war vollständig vom Wasser umgeben, aus welchem es kaum noch eine Elle hoch emporragte. Der Fluß war plötzlich gestiegen. Der Himmel war unbewölkt, und beim Scheine der Sterne sah ich die Fluten mit reißender Schnelligkeit vorüberschießen. Ich war von ihnen eingeschlossen.“

„Also der reene Campe!“ sagte Frank.

„Campe?“ fragte Jemmy erstaunt. „Wer ist das?“

„Das wissen Sie nich? Schämen Sie sich! Campe war ja derjenige Berühmte, welcher off eener Insel strandete und sich nachher alles selber erfinden mußte. Sodann kamen een paar Eingeborene dazu, die er Montag, Dienstag, Mittwoch und Freitag nannte. Haben Sie das schöne Buch denn nich gelesen?“

„Ja, das habe ich freilich gelesen,“ antwortete Jemmy unter allgemeiner Heiterkeit. „Jetzt weiß ich, was Sie meinen, nämlich den Robinson.“

„Robinson? hm, ja, der war ooch dabei.“

„Natürlich war er auch dabei, er, die Hauptperson!“

„Hauptperson? Hören Sie mal, da irren Sie sich wieder. Die Hauptperson war Campe.“

„Nun, ich will nicht streiten. Strenggenommen ist Campe ja auch eine Hauptperson bei diesem Romane, denn er hat ihn geschrieben.“

„Ja, und wenn er nich mit off der Insel gewest wäre, so hätte er ihn eben nich schreiben können.“

„Gut, aber von einem Montag, Dienstag und Mittwoch habe ich nichts gelesen.“

„Das liegt eben nur wieder an der epidemischen Flüchtigkeet, mit der Sie alles machen. Wie es mir scheint, haben Sie grad die besten Schtellen des Buches überblättert. Campe wird doch nich grad die drei allererschten Wochentage ausgelassen haben. So eene chronologische Zeitverschwendung ist dem braven Manne gar nich zuzutrauen. Bei so eenem dreifachen Wochentagsfehler hätte er gar keenen Verleger für das Buch gefunden. Aber fahren Sie nun fort. Wie haben Sie denn damals den Campe weitergeschpielt?“

„Mit Ergebenheit. Ich konnte meine Lage doch zunächst nicht ändern. Fürs erste hatte ich nichts zu befürchten, denn meine Insel war höher als die Ufer; überschwemmt konnte sie also nicht werden. Erst beim Anbruche des Morgens war es möglich, die Situation zu überblicken. Bis dahin mußte ich mich gedulden. Natürlich aber versetzte mich der Gedanke an mein Pferd in nicht geringe Sorge. War es vom Wasser überrascht worden, so lebte es nicht mehr, und dann war ich vielleicht verloren. Ihr alle wißt ja, was in einer solchen Lage der Verlust des Pferdes für den Westmann zu bedeuten hat. Ich fand in dem Gedanken an den Instinkt des Tieres einigermaßen Beruhigung und kehrte langsam zu meinem Lager zurück. Dabei war es mir, als hätte ich etwas wie eine Gestalt bemerkt, welche bei meinem Nahen im Inneren der Hütte verschwand. Ich beachtete es nicht und legte mich wieder nieder.“

„Jetzt endlich ist der Bär glücklich angekommen! Er wird wohl mehrschtenteels ooch vom Wasser überrascht worden sein. Wenn er nur Ruhe hält! Am besten ist’s, er bleibt schtille in der Hütte liegen; denn wenn er off die Idee kommen sollte, eene Promenade zu machen, so kann’s sehre leicht eene ekliche Schlacht bei Leipzig für Sie werden.“

„Glücklicherweise hat er Ruhe gehalten. Schlafen konnte ich natürlich nun nicht mehr. Ich lag still und glaubte, in den Pausen, während welchen der Wind Atem holte, ein schnaufendes Röcheln zu hören. Kam es aus der Hütte? Hatte ich vorhin recht gesehen? Was für ein Tier war es? Ich hielt es für das beste, mich möglichst weit zu entfernen, nahm die Büchse in die eine und die Decke in die andere Hand und kroch leise nach dem entgegengesetzten Ende der Insel, wo ich mich so niederlegte, daß ich die Hütte im Auge hatte. Ihr könnt euch denken, daß die Zeit bis zum Tagesanbruch mir wie eine Ewigkeit erschien. Endlich aber wurde es im Osten ficht und lichter. Ich konnte erst die Insel, dann die Wasserfläche des Stromes und nachher die Ufer deutlich überblicken. Da bemerkte ich denn Zweierlei, etwas sehr Angenehmes, nämlich mein Pferd weidete drüben am Ufer, von welchem ich herübergekommen war, und etwas weniger Erfreuliches – in der Hütte lag ein Bär, mit dem Hinterkörper am Eingange, mit dem Kopfe nach innen, so daß er mich nicht sehen konnte. Wie gut, daß ich, als er aus dem Wasser auf die Insel gestiegen war, mich am entfernten Inselstrande befunden hatte! Hätte er mich an der Lagerstelle überrascht, so säß‘ ich jetzt wohl nicht hier, um unserem Hobble-Frank dieses Abenteuer zu erzählen.“

„Ja,“ antwortete der Genannte, „höchstens schpukte Ihr abgeschiedener Geist als Geschpenst in der Savanne herum, zur Schtrafe dafür, daß das Gymnasium bei Ihnen nichts gefruchtet hat. Wie haben Sie sich denn nun gegen den Bären benommen?“

„Sehr artig. Ich habe erst nach meiner Büchse gesehen, ob die Ladung in Ordnung war, und mich ihm dann höflich vorgestellt. Ich ging leise bis nahe an die Hütte und rief ihn mit einem „Huzza“ an. Der Kerl hatte wirklich geschlafen. Er war wohl sehr ermüdet gewesen. Wer weiß, wie lange er, vom Strome fortgerissen, mit demselben gekämpft hatte. Als er meine Stimme hörte, drehte er sich nach mir um. Mich erblickend, richtete er sich im Inneren der Hütte auf und erhielt zwei Kugeln von mir. Es war keine Heldenthat, das Tier zu erlegen. Bob hätte das auch gekonnt.“

Der Neger saß nämlich auch mit bei der Gruppe. Er hatte bei seinem Herrn so oft deutsch sprechen gehört, daß, wenn er auch nicht die einzelnen Worte verstand, er doch dem Sinne derselben folgen konnte.

„Oh, oh,“ sagte er, „Masser Bob sein ein sehr gut Westmann! Masser Bob sein tapfer. Er sich nicht fürchten vor Bär. Wenn Masser Bob wieder ein Vieh sehen, dann er es gleich fangen mit Händen!“

„Schön!“ nickte Jemmy. „Also das erste Tier, welches du siehst, fängst du mit den Händen.“

Yes, yes, Massa.“

„Auch wenn es ein Bär ist?“

„Grad dann erst recht, wenn es ein Bär sein. Masser Bob ihm drehen den Kopf auf den Rücken.“

Er streckte die langen Arme aus, spreizte die Finger auseinander, rollte die Augen und zeigte die Zähne, um es anschaulich zu machen, wie er sich auf das Tier stürzen werde. Es sah aus, als ob er es mit Haut und Haar verschlingen wolle.

„Vielleicht ist’s dann ein wirkliches Opossum, was ihm wohl am allerliebsten sein würde,“ bemerkte Old Shatterhand. „Nun aber sagen Sie, Master Jemmy, auf welche Weise Sie hinüber an das Ufer gelangt sind?“

-Auf die allereinfachste Weise: ich bin hinübergelaufen. Bekanntlich verlaufen sich dergleichen Schnellfluten fast ebenso rasch, wie sie gekommen sind. Das Wasser begann, da es kälter wurde, bereits am Nachmittage wieder zu sinken. Ich mußte zwar noch eine Nacht auf der Insel zubringen; aber am anderen Vormittage ging es mir nur noch bis an die Hüften. Ich watete durch und holte mein Pferd herüber, um es wieder mit den Fallen und nun auch mit den Tatzen und dem Felle des Bären zu beladen. Das war freilich eine Last, welche mich zwang, nebenher zu laufen. Das dauerte aber nicht lange, denn kurz vor dem Einflusse des Medizin-Bow-River in den Platte fand ich eine so zahlreiche Biberkolonie, daß ich zu längerem Aufenthalte genötigt war und eine ansehnliche Zahl Felle machte, welche ich bis auf weiteres cachierte.

Sodann konnte ich ledig weiterreiten. – Das war mein Abenteuer, und wenn es nun unserem Master Frank gefällig ist, kann er das seinige erzählen. Hoffentlich ist er ebenso glücklich davongekommen wie ich.“

„Das verschteht sich ganz von selber!“ antwortete der Sachse. „Und zwar habe ich ganz alleene gesiegt, ohne alle Hilfe. Keen Mensch war derbei, nich mal wenigstens een Hund wie damals derjenige, der den Bären angegriffen hat, welcher unserem guten Martin seine arme Luddy verschlang. Eegentlich sollte man, wenn man sich in der Nähe eenes Bären befindet, schtets eenen Hund bei sich haben, der den ersten Anschtoß auszuhalten hat. Aber leider werden in Amerika keene solchen Bärenbeißer offgezogen. Ich hab‘ in Moritzburg eenen solchen Kerl gesehen, den sich der Förschter aus Siebenbürgen, wo es viele Bären gibt, hatte kommen lassen. Der Hund war selber beinahe so groß wie een Bär; aber weil’s in Moritzburg leider keene Bären gibt, so war es natürlich unmöglich, ihn mal off eenen loszulassen. Ich hab‘ erfahren, daß diese Bärenbeißer off gar keen anderes Wild gehen; off Bären aber soll schon ihre Witterung eene gradezu erschtaunliche sein. Sogar off alten Fährten und nach Regenwetter sollen sie untrüglich sein.“

„Pah! das bezweifle ich!“ sagte der lange Davy.

„Was? wollen Sie mich etwa zum Lügner schtempeln? Da können Sie mit mir sehr leicht in eenen Konflikt geraten, bei dem Ihnen die Haare zu Berge schtehen werden. Ich dulde so was eemal nich!“

„Auf einer alten, noch dazu vom Regen ausgewaschenen Spur! Hm!“

Davy. schüttelte den Kopf. Sein dicker Freund warf ihm einen bezeichnenden Blick zu und sagte:

„Sei still, Davy; Du hast unrecht. Die siebenbürgischen Bärenbeißer haben allerdings eine Nase, deren Leistungen ins Unglaubliche gehen. Ich habe, als ich noch Schüler war, so einen Hund kennen gelernt und könnte ein Beispiel erzählen, welches deinen Unglauben sofort kurieren würde.“

„Wirklich?“ fragte Frank erfreut. „Es freut mich sehre, daß Sie mich in Ihren Schutz einschließen. Ich erkenne daran, daß Sie eegentlich und heemlich doch een guter Freund von mir sind. Darum soll Ihnen alles vergeben sein, wenn Sie mir den Gefallen thun, das Beischpiel sogleich zu erzählen.“

„Sehr gern, mein lieber Frank. Ich war bei einem Freunde, dessen Vater Rittergutsbesitzer war und ein bedeutendes Jagdrevier besaß, auf Besuch. Der Herr hatte einen siebenbürgischen Bärenbeißer geschenkt erhalten, konnte ihn aber nicht auf die Probe stellen, weil es keine Bären gab. Der Hund gewöhnte sich schnell an mich und begleitete mich auf allen meinen Spaziergängen. Eines schönen Tages schlenderte ich mit ihm durch das Dorf. Da blieb er vor der Thür eines Bauernhauses halten und gab Laut. Ich konnte mir die Sache nicht erklären; aber weil er nicht von der Thüre wegzubringen war, so öffnete ich dieselbe. Sofort sprang er mit einem weiten Satze nach der Stubenthür und gab wieder Laut. Ich machte auch diese auf – er hinein und ich hinterher. Wer glauben Sie wohl, lieber Frank, daß sich in der Stube befunden hat?“

„Natürlich een Bär.“

„Es gab ja keine dort!“

„So war’s vielleicht eener, der eenem rumziehenden Bärenführer entschprungen ist.“

„Auch nicht.“

„Nun, wer war denn dann anwesend?“

„Nur die alte Großmutter, welche auf dem Kanapee saß und Strümpfe stopfte. Sie erschrak natürlich außerordentlich über den hereinstürzenden Hund und – – –“

„Alle Wetter! Er hat sie doch nich etwa gebissen? Oder hat er ooch Schtrümpfe mit schtopfen wollen?“

„Keins von beiden. Er achtete gar nicht auf die Frau, sondern sprang sofort auf den Tisch, welcher in einer Ecke der Stube stand.“

„Off den Tisch? So een großer Hund! Was hat er denn da gewollt?“

„Das fragte ich mich auch. Nachdem ich mich bei der Frau höflich entschuldigt hatte, trat ich zum Tische, und nun raten Sie, was der Hund da oben gesucht hatte?“

„Irgend een Viehzeug natürlich.“

„Ja und doch auch nein.“

„Was denn für eens?“

„Einen Bären.“

„Was der Kuckuck! Sie sagten doch vorhin das direkte grade Gegenteel von Ihrer jetzigen Behauptung!“

„Ich habe beide Male recht. Nämlich auf dem Tische lag ein altes Buch, welches der Hund mit der einen Pfote festhielt, während er mit der Zunge ein Blatt nach dem anderen umwendete oder vielmehr umleckte, bis er die betreffende Seite gefunden hatte. Dann fing er an zu knurren und zu heulen und biß immer vor sich hin, als ob er ein Raubtier unter sich habe. Es war ein Heidenskandal.“

„Aber ich begreife die Sache gar nich. Een Bärenbeißer off dem Tische, mit eenem Buche! Das ist mir die vollständigste terra in Cognaco.“

Incognito heißt es!“

Cognac heeßt’s! Der gibt den besten Grog. Und wenn Sie dieses Getränk noch nich kennen, so haben Sie eben noch gar nich menschenwürdig gelebt. Also weiter! Was war’s denn für een Buch?“

„Ich sah natürlich nach. Es war ein altes ABC-Buch aus der Zeit vor fünfzig, sechzig Jahren her, mit kleinen Bildern, unter welchen darauf bezügliche Verse zu lesen waren. Und ganz erstaunlicherweise hatte der Hund die Seite aufgeschlagen, auf welcher ein Bienenstock und ein Bär abgebildet waren. Darunter stand der schöne Reim:

„Gar grimmig ist der wilde Bär, Wenn er vom Honigbaum kommt her.“

„Ich war natürlich ganz Verwunderung. Der Hund hatte draußen auf der Straße gerochen, daß hier auf dem Tische die Abbildung eines Raubwildes, auf welches er abgerichtet war, liege, und es für seine Pflicht gehalten, mich darauf aufmerksam zu machen. Natürlich erzählte ich das Vorkommnis, als ich auf das Gut zurückgekehrt war, und der Herr war nicht wenig stolz darauf, einen solchen Hund zu besitzen. Ihr erkennt also, Mesch’schurs, daß unser Hobble-Frank ganz recht gehabt hat, als er vorhin behauptete, daß die Bärenbeißer fast Unglaubliches leisten. Die Geschichte sprach sich natürlich schnell weiter. Sie wurde in verschiedenen Jagdzeitungen abgedruckt, und das betreffende ABC-Buch wurde von einem berühmten Kynologen für fünfzig Thaler gekauft und ging zu immer höherem Preise von Hand zu Hand, bis es schließlich für dreitausend Franken in den Besitz der Pariser Akademie der Künste und Wissenschaften überging. Und da unser Frank vermöge seiner hochgradigen Gelehrsamkeit ganz sicher baldigst ersucht werden wird, dieser Akademie als Mitglied beizutreten, so hat er denn die beste Gelegenheit, in dem berühmt gewordenen Büchlein nachzuschlagen, um sich den Bären zu betrachten, den ich mir damals von dem Hunde habe aufbinden lassen. Jetzt nun bin ich ihn glücklich wieder los geworden. Thank you, Master Frank! Ihr habt ihn mir abgenommen.“

Er machte dem kleinen Sachsen eine ironische Verbeugung. Die Anwesenden brachen in lautes Gelächter aus. Der einstige „Forschtbeamte“ machte zunächst ein ganz verblüfftes Gesicht; dann aber, als er erkannte, daß Jemmy die Geschichte nur erfunden habe, um ihn zu foppen, brach er los:

„Was, ich soll Ihren Bären nun haben? Erlooben Sie es diesem dummen Gedanken ja nich etwa, sich in Ihr obschkures Begriffsvermögen festzusetzen! Ehe Sie im Schtande sind, mir nur eenen eenzigen Bären offzuhängen, hab‘ ich mir selber schon mehr als fuffzig offgebunden. In Beziehung off das aktiv-passive Anlügenlassen bin ich Ihnen weit über. Sie sind ja der reene Münchmeier, und wenn ––“

„Münchhausen heißt es,“ fiel Jemmy ein.

„Wollen Sie gleich off der Schtelle schtille sein, Sie dicker Loobfrosch, Sie! Een Münch, der andere bemeiert, kann eben nur Münchmeier heeßen. Wenn dieser Lügenkönig seit eeniger Zeit zuweilen Münchhausen genannt worden ist, so ist das die mißverschtandene Folge eener idealen Begriffsverwechslung im materialen Zusammenhange mit seinem Geburts- und Heimatsorte. Nämlich nach dem Impfscheine, welcher von ihm noch vorhanden ist, wurde er zur Zeit des schtarken Augusts im Schtädtchen Mühlhausen, Kreisdirektion Sonderschhausen, Regierungsbezirk Schaffhausen geboren, drei Orte, die mit „hausen“ endigen, weil dort die mehrschte Hausenblase verschifft wird. Bei so vielmal „hausen“ ist es gar keen Wunder, daß man diese Endung aus Versehen an das „Münch“ gehängt hat. Unsereener ist aber nich so leicht zu täuschen. Meine historisch weltgeschichtlichen Studien befähigen mich, solche Schpreu vom guten Weizen auszuscheiden, und darum habe ich ooch, noch ehe Sie Ihre Geschichte angefangen hatten, sofort mit meinem angenehmen Scharfblicke erkannt, daß es off eene großartige Lüge und Münchmeierei abgesehen war. Ich hab‘ Sie aber reden lassen, weil ich von jeher een eifriger Bewunderer des parlamentarischen Taktes gewest bin. Ich hab‘ mich großmütig in meine Überlegenheet gehüllt und von oben herunter bemerkt, wie Sie mich von unten herauf angelogen haben. Jetzt aber geb‘ ich meiner Langmut den allerletzten Gnadenschtoß und fordere Sie allen Ernstes off : Geben Sie in Zukunft dem Kaiser, was des Kaisers ist, und dem Frank, was dem Frank gehört, nämlich Anerkennung seiner Schtandeswürde und ergebene Berücksichtigung seiner Persönlichkeet. Nur off diese Weise ist een ferneres Zusammenbleiben zwischen uns beeden möglich, und ich verlange jetzt off der Schtelle von Ihnen vor diesen erwachsenen Zeugen die öffentliche und aktenmäßige Erklärung, ob Sie von jetzt an mich mit Achtung behandeln wollen oder nich. Ich bin das meiner verflossenen Vergangenheet und meiner noch zu erwartenden Zukunft schuldig. Also, wie wird’s, und wie soll’s werden? Reschpekt oder nich?“

Zunächst war es tief still im Kreise. Die sonderbare Rede des kleinen Mannes wirkte um so mehr auf die Lachmuskeln seiner Zuhörer, als sie mit einem ungeheuren Ernste vorgebracht worden war. Die Augen leuchteten voller Lust; die Lungen atmeten voll auf, um loszubrechen, aber man biß die Zähne zusammen, um den fast unüberwindlichen Reiz zum Lachen zu besiegen. Old Shatterhand war der erste, welcher sich einigermaßen in der Gewalt hatte.

Tiefernsten Tones begann Old Shatterhand:

„Aber, lieber Frank, der Scherz war doch wohl ein ziemlich harmloser und auch gar nicht auf Sie allein abgesehen. Wir anderen sind ebenso Zuhörer gewesen wie Sie und haben uns nicht beleidigt gefühlt, sondern die Erzählung als das genommen, was sie war – eine Anekdote, welche uns erheitern sollte. Ihr bekanntes Gerechtigkeitsgefühl wird Ihnen sagen, daß wir von Ihnen ganz unschuldigerweise um diese Heiterkeit gebracht worden sind.“

Der eindringliche Ton, in welchem diese Worte gesprochen wurden, verfehlte seine Wirkung nicht. Frank hatte ein weiches Gemüt- es that ihm wehe, vielleicht zu weit gegangen zu sein. Er antwortete:

„Wenn Sie diese Angelegenheit in dieser Weise darschtellen, so bekommt die Sache freilich eene ganz andere Wendung. Ich habe Sie keineswegs in Ihrem Vergnügen schtören wollen. Aber Sie werden mir ooch zugeben, daß ich ooch Anschpruch off meine anthropologischen Menschenrechte erheben darf.“

„Ganz richtig; aber wir gestehen Ihnen diese Rechte ja ganz gern zu.“

„So? Warum reibt sich da der Dicke schtets an mir?“

„Denken Sie einmal nach, ob Sie ihm nicht vielleicht die Veranlassung dazu geben. Lassen Sie ihm nicht immer Ihre Überlegenheit fühlen?“

„Hm! Sie geben also zu, daß ich ihm wirklich mehrschtenteels überlegen bin?“

„Wenn ich Ihre eigene Ansicht für die richtige halten soll, so muß ich das zugeben.“

„Schön! Das genügt mir vollschtändig. Und da will ich denn voller Einsichtigkeet off die verlangte öffentliche Ehrenerklärung Verzicht leisten. Es soll mir niemand nachsagen, daß ich een Schtörer des allgemeinen Völkerfriedens sei. Hier, Dicker, ist meine Hand! Schlagen Sie ein! Wir wollen in trauter Eenigkeet die Pfade unseres Lebens wandeln. Ich rufe Ihnen mit Schillern zu: Soyongs, Anis, Emma!“

Leider brach bei diesen letzten Worten das lang verhaltene Gelächter kräftig los. Der Kleene sah sich erstaunt im Kreise um.

„Was gibt’s denn schon wieder?“ fragte er.

„Einen Fehler, den Sie gemacht haben, oder vielmehr mehrere Fehler,“ antwortete Jemmy.

„So? Welche denn?“

„Diese Worte sind nicht von Schiller, sondern von dem französischen Dichter Corneille und heißen Soyons amis, Cinna! Es ist also weder von Anis, noch von einer Emma die Rede.“

„Ah? Meenen Sie wirklich? Ich biete Ihnen meine Hand zum großen Versöhnungsfeste, und zum Dank dafür wollen Sie mich abermals korrigieren? Da kann ooch die beste Wasserleitung platzen. Wenn meine Friedfertigkeet in so solenner Weise abgewiesen wird, so mag es bei der Feindschaft bleiben, und ich werde ––“

„O bitte!“ fiel Old Shatterhand vermittelnd ein. „Diesesmal haben Sie sich wirklich geirrt, mein bester Frank. Ich muß Master Jemmy beistimmen, und ich hoffe, daß Sie mir ein gerechtes, unparteiisches Urteil zutrauen!“

„Ja, wenn Sie es sagen, so ergebe ich mich der Übermacht. Sie sind eene authentische Zehlabrität, vor der ich mich gerne beugen will. Selbst een Fürscht und König kann sich irren, und für ganz und gar unfehlbar will ich mich denn doch nich halten. Also hier abermals die Hand, Jemmy. Et in terra pax, Friede sei off der ganzen Erde! Ist es so richtig?“

„Ja, vollständig!“ antwortete der Dicke, indem er in die dargebotene Hand einschlug.

„Schön! Das genügt mir. Sie erkennen mich an, und da soll alles vergeben und vergessen sein.“

„Aber nur unter einer Bedingung!“

„Wie, Sie wollen eene Bedingung machen? Welche denn?“

„Die, daß Sie nun endlich Ihr Bärenabenteuer erzählen.“

„Ganz gern. Ich hab’s versprochen und bin es also schuldig, und wegen eener Schuldigkeet lasse ich mich nich gern mahnen. Es schadet das dem Kredite und ooch der Reputation. Wenn Sie also bereit sind, zuzuhören, so kann ich gleich jetzt gefälligst beginnen. Nämlich die Sache lief ooch nich ganz trocken ab, beinahe wie heute, wo wir beede, nämlich ich und Jemmy, unser Habit am Feuer trocknen müssen, er den Pelz und ich den Frack, vom Amazonenhut gar nicht zu reden. Und das kam folgendermaßen.“

Er kräuselte die Feder seines Hutes zwischen den Fingern, räusperte sich verheißungsvoll und begann:

„Ich befand mich damals noch keene ganze Ewigkeet hier in den Vereinigten Schtaaten, das heeßt, ich war noch ziemlich unerfahren in den hiesigen Angelegenheeten. Damit soll freilich nich gesagt sein, daß ich ungebildet gewest sei, im Gegenteele, ich brachte eene gute Portion körperlicher und geistiger Vorzüge mit; aber es will dennoch alles gelernt sein, und was man noch nich gesehen und betrieben hat, das kann man ooch nich kennen. Darin wird mir een jeder verschtändige Mensch Recht geben. Een Bankier zum Beispiel, und wäre er noch so gescheit, kann nich so mir und dir nichts gleich die Hoboe blasen, und een gelehrter Professor der Experimentalastronomie kann nich ohne Unterweisung in den nötigen Kunstgriffen sofort Weichenschteller werden. Das schicke ich zu meiner Entschuldigung und Verteidigung voraus. – Die Geschichte begab sich unten in der Nähe des Arkansas in Colorado. Ich hatte erscht in verschiedenen Schtädten Verschiedenes getrieben und mir een kleenes Sümmchen geschpart. Damit wollte ich eenen Handel nach dem Westen anfangen, so was man hier zu Lande eenen Pedlar nennt. Warum ooch nich? Bei diesem Geschäft ist viel verdient, und verschtändlich konnte ich mich bereits ganz gut machen, da ich das Englische sehre leicht gelernt hatte. Es war mir leicht begreiflicher Weise nur so hineingeflogen.“

„Ja,“ nickte Jemmy ernsthaft, „bei Ihrer ausgezeichneten Veranlagung ist es kein Wunder, wenn Ihnen eine fremde Sprache sehr bald geläufig wird.“

„Nicht wahr? Mit den Haupt- und Eigenschaftswörtern braucht man sich gar nich viel abzugeben, denn die bleiben ganz von selber im Gedächtnisse kleben; zählen lernt sich ooch sehre bald, was bleibt da noch übrig? Een paar Umschtandswörter, mit denen ooch keene Umschtände gemacht zu werden brauchen, und dann ist man fertig. Ich habe nie nich begreifen können, daß die Jungens in der Schule sich so lange Zeit mit fremden Schprachen abquälen müssen. Es wird, wie ich gloobe, ganz verkehrt angefangen. Ob ich deutsch sage Käse oder französisch Frommasche oder englisch Cheese, das kann doch ganz egal sein. Mir ist in fremden Schprachen eben alles ganz Käse, und so trat ich denn mit eenem hübschen Vorrat von Handelsartikeln meine Reise an und machte so gute Geschäfte, daß ich, als ich in der Gegend von Fort Lyon an den Arkansas kam, alles losgeworden war. Sogar das Wägelchen hatte ich mit Profit verkooft. Nun saß ich zu Pferde, die Büchse in der Hand und die Tasche voller Geld und beschloß mal zum Pläsier weiter ins Land hinein zu reiten. Ich hatte schon damals große Lust, een berühmter Westmann zu werden.“

„Der Sie ja nun auch geworden sind!“ bemerkte Jemmy.

„Na, noch nich ganz. Aber ich denke, wenn wir jetzt off die Sioux losschlagen, so werde ich wohl nich hinter der Front schtehen bleiben wie Hannibal bei Waterloo, und dann ist es ja möglich, daß ich eenen berühmten Namen bekomme. Aber weiter! Colorado war damals erscht vor kurzer Zeit bekannt geworden. Man hatte ergiebige Goldfelder entdeckt, und nun kamen die Proschpecters und Diggers in Menge aus dem Osten. Wirkliche Ansiedler aber gab es nur wenige. Darum war ich eenigermaßen ziemlich erschtaunt, als ich off meinem Ritte ganz plötzlich eene regelrechte Farm vor mir liegen sah. Sie beschtand aus eenem kleenen Blockhause, mehreren Feldern und ziemlich großen Weideplätzen. Das Settlement lag an den Ufern des Purgatorio, und diesem Umschtande war es zuzuschreiben, daß sich Waldung in der Nähe befand. Es gab besonders viele Ahornbäume da, und ich wunderte mich darüber, daß in jedem Boomschtamme unten eene Röhre schteckte, aus welcher der Saft in untergeschtellte Gefäße tropfte. Es war im frühen Jahre, die beste Zeit zur Bereitung des Ahornzuckers. In der Nähe des Blockhauses schtanden lange, breite aber sehr flache hölzerne Bottiche, gefüllt mit dem Safte, welcher da verdampfen sollte. Diesen Umschtand muß ich ganz besonders bemerken, weil er bei meinem Abenteuer eene sonderbare Rolle schpielt.“

„Einem Yankee aber gehörte das Settlement sicherlich nicht,“ sagte Old Shatterhand.

„Warum denken Sie das?“

„Weil ein solcher sicher nach den Goldfeldern gegangen wäre, anstatt als Squatter hier ruhig sitzen zu bleiben.“

„Ganz richtig! Der Mann war aus Norwegen und nahm mich sehre gastfreundlich off. Seine Familie beschtand aus ihm, seiner Frau, zwee Söhnen und eener Tochter, und ich wurde eingeladen, so lange wie möglich zu bleiben. Das that ich denn ooch ganz gern und half mit in der Wirtschaft, wobei den guten Leuten meine angeerbte Intelligenz außerordentlich zu schtatten kam.“

„Sie halfen wohl am Butterfaß?“ scherzte Jemmy.

„Natürlich! Ich konschtruierte ihnen sogar een neues, welches nich geschtampft, sondern gedreht wurde, wie ich es im Osten gesehen hatte. Das heeßt, ich zeichnete es ihnen mit Kreide off den Tisch; machen konnten sie sich’s nachher ja selber. Durch solche Gefälligkeeten und durch meine intelligente Überlegenheet gewann ich das Vertrauen dieser Leute so, daß sie mich sogar ganz alleene off der Farm ließen. Es sollte nämlich bei eenem Nachbar een sogen. house-raising-frolic schtattfinden, und die ganze Familie wollte daran teilnehmen, weshalb meine Anwesenheet ihnen sehr erfreulich war, da ich nun als house-holder zu Hause bleiben und über die schtatischtische Sicherheet der Farm wachen konnte. Sie ritten ab, und ich war Mann für mich alleene. Nachbar wurde dort jeder genannt, der zu Pferde in eenem halben Tage zu erreichen war. Grad so weit lag die betreffende Farm von uns, und so war die Rückkehr meiner Gastfreunde vor Ablauf von zwee Tagen nich zu erwarten.“

„Das war sehr viel Vertrauen, welches man Ihnen schenkte,“ sagte Jemmy.

„Warum? Meenen Sie etwa, daß mir der Gedanke hätte kommen können, mit der Farm auszureißen? Sehe ich etwa wie een unehrlicher Schpitzbube aus?“

„Davon ist keine Rede. Wollte man der Ehrlichkeit eine Statue widmen, so könnten Sie als Modell sitzen, so ganz vertrauenerweckend ist Ihr Aussehen.“

„Das will ich mir ooch ausgebeten haben!“

„Ich meinte es anders. Jene Gegend wurde doch damals, sogar noch heute, von allerlei Gesindel durchzogen. Was hätten Sie als einzelner Mann thun können, wenn zufälligerweise solche Leute zu Ihnen gekommen wären und die Abwesenheit des Besitzers zur Ausübung von Gewaltthätigkeiten benutzt hätten?“

„Was ich gethan hätte? Nehmen Sie mir es nich übel, aber das ist eene sehr sonderbare und närrische Frage. Ich hätte mein Hausrecht gebraucht und sie alle nausgeworfen.“

„Halten Sie das für so leicht? Solchen Menschen kommt es auf eine Kugel nicht an.“

„Mir ooch nich! Wenn Sie mich näher kennen gelernt haben, dann werden Sie sagen, daß man mir nich bloß eene, sondern gleich drei und vier Farmen anvertrauen kann. Ich würde sie schon zu verteidigen wissen. Ich verschtehe mich off alle Arten kriegerischer Schtrategie und off die verschiedenen Kunstgriffe der höheren Gefechtstaktik ganz vortrefflich. Ich hab‘ sogar mal den Froschmäuslerkrieg gelesen und weeß also, eene Schlacht einzuleiten und ooch zu gewinnen. In der Einleitung wie Moltke, im Angriff wie Zieten und in der Verfolgung een wahres Wiesel, so brauche ich mich vor keenem Feind zu fürchten, außer er überfällt mich im Schlafe, ohne daß ich davon gebührenderweise benachrichtigt werde.“

„Das ist’s ja eben, daß man gewöhnlich nicht benachrichtigt wird!“

„Leider ist das wahr, und daß ooch der Bär gekommen war, ohne sich vorher anzusagen, dadurch kam das Abenteuer zu schtande, welches ich erzählen will. Ich muß dabei erwähnen, daß seitwärts vor dem Hause een hoher Hickory schtand. Er war bis hoch hinauf zu den erschten Äschten seiner Rinde beraupt worden. Der Norweger hatte sie, wie er mir erzählte, zum Gelbfärben gebraucht. Nun war der Schtamm außerordentlich glatt, und es gehörte eene große Geschicklichkeet dazu, hinaufzuklettern.“

„Das wird wohl niemand verlangt haben,“ sagte Davy.

„Nee, verlangt hat’s niemand, aber es können sich ungeahnte Begebenheiten ereignen, durch welche sogar der edelste Mensch off so eenen Boom getrieben wird. Sie werden dieses Naturgesetz bereits in wenigen Minuten beschtätigen. Also, um off die Hauptsache zu schprechen zu kommen: ich befand mich ganz alleene off der Farm und dachte darüber nach, mit welcher Beschäftigung ich mir die langen Schtunden der Einsamkeet versüßen könne. Natürlich kam ich dabei off den Gegenstand, dessen Bearbeitung am notwendigsten war, und das war der Lehm. Nämlich drin im Blockhause war die Lehmdiele schadhaft geworden und zwischen den Holzschtämmen, aus denen die Wände beschtanden, die Füllung ausgebröckelt. Das mußte remuneriert werden, und darum hatte sich der Norweger gleich neben der Hausecke eene Lehmgrube angelegt. Sie war ungefähr vier Ellen lang und dreei breit. Welche Tiefe sie hatte, das konnte ich nich sehen, weil sie bis an den Rand gefüllt war. Es schteckten een paar Schtangen drin, mit denen das Zeug gerührt und durcheinander geknetet werden sollte. Welche Freude mußte mein Wirt haben, wenn er bei seiner Heimkehr wenn ooch nich die Diele, aber wenigstens die Wände ausgebessert vorfand! Daran dachte ich mit Vergnügen und beschloß, mich an die Arbeit zu machen.“

„Verstanden Sie denn etwas davon?“ fragte Jemmy.

„Ich bitte Sie, kommen Sie mir doch nich immer mit solchen überflüssigen Fragen in die Quere! Es ist doch wahrhaftig keene Kunscht, een Loch oder eene Fuge mit Lehm zu verschtopfen! Es gibt noch viel schwierigere Gebiete in der Wissenschaft. Ich begann also mit der Schtange zu rühren.

Die Masse schien mir zu dick zu sein, und ich goß also Wasser zu, aber zu viel, denn nun war sie wieder zu dünn. Ich dachte aber, daß sie durch eifriges Kneten eene plaschtischere Kompression annehmen werde, und arbeitete über eene ganze Schtunde lang aus Leibeskräften. Dadurch erlangte der Lehm diejenige Konsequenz, durch welche jeder obrigkeitliche und baupolizeiliche Wunsch befriedigt werden konnte, und ich hatte, um mit der Verschönerungsarbeit beginnen zu können, mir nur noch eene hölzerne Maurerkelle zu schnitzen. Darum wollte ich jetzt hinein ins Haus, denn off dem Herd lag dürres Holz. Ganz begeistert von meinem Vorhaben, bog ich um die Ecke und – – schtand vor wem oder was?“

„Doch vor einem Bären,“ antwortete Jemmy.

„Ja, vor eenem Bären, der sein wohl oben in den Ratonbergen liegendes Asyl verlassen hatte, um sich, ebenso wie ich, eenmal Land und Leute anzusehen. Dieses Ansehen aber war ganz gegen meinen geläuterten Geschmack. Der Kerl machte mir een so verdächtiges Gesicht, daß ich mit eenem Satze, wie ich ihn wohl nie wieder zu schtande bringen werde, zur Seite schprang; aber ebenso rasch fuhr er off mich los. Das gab meinen Gliedern eene ungeahnte Gelenkigkeet, und das Ausreißen erschien mir als eene wahre Wonne. Ich schnellte mich wie een hinterindischer Königstiger nach dem Hickory hin, faßte an und fuhr wie eene Rakete an dem Schtamme hinauf. Man gloobt gar nich, was der Mensch in so eener unsympathischen Situation zu leischten vermag.“

„Jedenfalls waren Sie ein guter Kletterer?“ fragte Old Shatterhand.

„Das weniger, viel weniger sogar. Man sollte wohl annehmen, daß ich als Forschtbeamter genötigt gewest sei, das Klettern zu erlernen, aber leider hat sich meine natürliche Kongeschtion schtets gegen diese Kunscht empört. Wenn ich hoch schteigen muß, zum Beischpiel off eener Leiter, wird mir’s ganz drehend und wirbelig zwischen den Ohren; ich kann’s und kann’s nich zwingen. Aber wenn een Bär dahinter ist, dann fragt man nicht lange, ob sich das Klettern mit der Gesundheet verträgt, sondern man klettert eben, und zwar mit wahrer Leidenschaft, grad so wie ich. Unglücklicherweise war, wie bereits erwähnt, der Schtamm zu glatt. Ich kam nich ganz hinauf bis zu den Äschten, und mit dem Feschthalten schien es ooch seine Schwierigkeeten zu haben.“

„O weh! Das kann gefährlich werden. Sie waren ohne Waffen. Was that denn der Bär?“

„Etwas, was er mit gutem Gewissen hätte unterlassen können –. er kam nämlich nachgeklettert.“

„Ah, so war es glücklicherweise kein Grizzly!“

„Das berührte mich nicht, denn damals war Bär Bär für mich. Ich klammerte mich krampfhaft fescht und schaute herab. Richtig, der Kerl hatte sich unten am Schtamme offgerichtet, umarmte denselben und kam langsam und gemütlich nachgeklettert. Die Sache schien ihm ungeheuern Schpaß zu machen, denn er brummte höchst vergnügt vor sich hin, ungefähr wie eene schnurrende Katze, nur schtärker, oder wie die E-Saite des Violonbasses, wenn sie pizzicato mit den Fingern gerissen wird. Mir aber brummte nich bloß der Kopf, sondern der ganze Körper von der Anschtrengung, mich fescht zu halten. Der Bär kam immer näher. Ich konnte unmöglich länger an meiner Schtelle bleiben; ich mußte weiter hinauf. Kaum aber hatte ich die eene Hand gelöst, um weiter zu greifen, da verlor ich den Halt. Zwar griff ich schnell wieder zu, doch die Anziehungskraft der mütterlichen Erde ließ ihr Opfer nich wieder los. Noch eenen kurzen angschtvollen Schtoßseufzer konnte ich mir geschtatten, dann aber fuhr ich am Schtamme hernieder, mit Vehemenz wie een zwanzigzentneriger Schtahlhammer, mit solcher Wucht off den Bären, daß er ooch mit nunter mußte. Er schoß zu Boden, und ich off ihn druff.“

Der kleine Mann erzählte so lebhaft und drastisch, daß seine Zuhörer ganz Ohr waren und bei der Art und Weise, in welcher er seinen Unfall schilderte, in ein laut schallendes Gelächter ausbrachen.

„Ja, lacht nur!“ brummte er. „Mir war es ganz und gar nich wie Lachen. Ich hatte das Gefühl, als ob alle Teile meines Körpers durcheinander geschtoßen worden seien. Es war mir ganz taub und dumm zu Mute, so daß ich für eenige Sekunden gar nich an das Offschtehen dachte.“

„Und der Bär?“ fragte Jemmy.

„Was der in diesem Oogenblicke für finanzielle Schpekulationen in seinen Gedanken erörtert hat, das kann ich nich wissen. Ich hatte weder die nötige Zeit noch die gehörige Andacht, mich wie Mentor mit Telemach in Zwieschprache mit ihm zu setzen. Vielleicht aber war es ihm grad so salonwidrig zu Mute wie mir, denn er lag ganz ebenso schtille unter mir, wie ich schprachlos off ihm saß. Dann aber raffte er sich plötzlich empor, und das brachte mich zur Erkenntnis meiner persönlichen Verpflichtungen. Ich schprang off und rannte fort – er hinter mir her, ob aus gleicher Angscht wie ich oder in dem heißen Wunsche, die eenmal angeknüpfte Bekanntschaft mit mir fortzusetzen, das weeß ich nich. Eegentlich wollte ich hin nach der Thür und ins Haus hinein. Dazu war aber die Zeit zu kurz und der Bär mir zu nahe. Die Angscht verlieh mir die Schnelligkeet eener Schwalbe; es war, als ob sie mir die Länge meiner Beene verdoppelt und vervierfacht hätte. Ich schoß vorwärts wie eene Flintenkugel, um die Hausecke hinum und – – in die Lehmgrube hinein, grad bis unter die Arme. Ich hatte alles vergessen, Himmel und Erde, Europa und Amerika, alle meine Kenntnisse und den ganzen Lehm; ich schtak drin wie die Schabe im Bäckerteige und – – da that es neben mir eenen gewaltigen slap, wie der Amerikaner sich ausdrückt; ich erhielt eenen Schtoß wie vom Puffer eenes Bahnwagens, und der Lehm flog mir über dem Kopfe zusammen. Das Gesicht war ganz von demselben überzogen; nur das rechte Ooge war frei geblieben. Ich drehte mich um und – – schielte den Bären an, der infolge seines leichtsinnigen Temperamentes vergessen hatte, das Terrain, wie es sich schickt und gehört, zu inschpizieren, und mir also nachgeschprungen war. Nur sein Kopf war zu sehen, aber der sah ooch schauderhaft aus. Wenn meine zwee Gesichtsprofile ebenso belehmt waren wie die seinigen, so konnte freilich keener von uns beeden off die Hochachtung des anderen Anschpruch erheben. Wir blickten uns drei Sekunden lang eenander lieblich an; dann wendete er sich nach links und ich mich nach rechts, jeder in der lobenswerten Absicht, in eene freundlichere Umgebung zu gelangen. Natürlich ging bei ihm das Herausklettern schneller als bei mir. Schon hatte ich Angscht, daß er, der Grube entschprungen, schtehen bleiben werde, um mich zu belagern; aber kaum hatte er festen Fuß gefaßt, so sauste er von dannen nach der Richtung, aus welcher wir gekommen waren, und schwenkte um die Ecke, ohne mich nur eenes eenzigen Blickes zu würdigen. Farewell, big muddy beast!

Hobble-Frank war im Eifer des Erzählens aufgestanden und hatte seinen Bericht mit so entsprechenden Gestikulationen begleitet, daß seine Zuhörer lachten, wie diese einsame Gegend noch nie ein Lachen vernommen hatte. Ob einer auch aufhörte, er mußte immer wieder von neuem anfangen; es war zu komisch.

„Das ist allerdings ein höchst lustiges Abenteuer,“ sagte endlich Old Shatterhand, „und das Beste bei demselben ist, daß es so ungefährlich für Sie ablief, freilich für den Bären leider auch!“

„Für ihn ebenso?“ antwortete Frank. „Oho! Ich bin noch gar nich fertig. Als der Bär um die Ecke verschwunden war, hörte ich een Geräusch, wie wenn irgend een Möbelschtück umgeworfen wird. Ich beachtete es aber nich, sondern war nur bemüht, mich aus der Grube herauszuarbeiten. Das koschtete mich bedeutende Anschtrengung, denn der Lehm war gewaltig zähe, und ich kam nur dadurch frei, daß ich ihn im Besitze meiner Schtiefel ließ. Jetzt mußte ich mir vor allen Dingen das Gesicht reinigen. Ich ging also hinter das Haus, wo een Wässerchen vorüberfloß, dem ich alles freundlich anvertraute, was sich als überflüssig von meiner äußeren Individualität entfernen ließ. Dann eilte ich natürlich nach vom, um an der Fährte zu sehen, nach welcher Richtung sich der Bär entfernt habe. Denn, daß er verschwunden sei, das nahm ich als ganz sicher an. Aber der Kerl war gar nich fort. Er saß dort unter dem Hickoryboome und – – leckte sich höchscht eifrig ab.“

„Den Lehm? Pah!“ meinte Jemmy kopfschüttelnd. „Soweit ich die Eigenheiten dieser Tiere kenne, ist er sofort ins Wasser gegangen.“

„Das fiel ihm gar nich ein, denn er war gescheiter als Sie, Master Jemmy. Der Bär liebt bekanntlich Süßigkeeten. Und ist der Ahornzucker nich ebenso süß wie jeder andere Zucker?“

„Ich verstehe Sie nicht. Erzählen Sie weiter!“

„Nun, ich habe doch die hölzernen Bottiche erwähnt, in denen der Zuckersaft verdunschten sollte. Der Bär war von dem Abenteuer so wenig erbaut gewest, daß er nur daran gedacht hatte, in höchschter Eile davonzukommen. Eener der Bottiche hatte ihm im Wege geschtanden, und er hatte sich gar nich die Zeit genommen, um denselben zu biegen; er hatte im Gegenteele über ihn hinwegschpringen wollen, war aber, da een Bär ja nich wie een Tiger schpringt, nich drüber hinweg, sondern vielmehr hineingeschprungen und hatte ihn von den Unterlagen, auf denen er schtand, herabgerissen. Da der Saft bereits sehre dickflüssig war, so verbreitete er eenen schtarken Zuckergeruch, über welchen das leichtsinnige Tier den Schturz vom Boome, den Schprung in die Grube und mich sofort vergessen hatte. Anschtatt mein „farewell“ zu beherzigen und die darin liegende Warnung zu reschpektieren, hatte sich der Bär unter dem Boome häuslich niedergelassen, um mit allem Behagen die Süßigkeet vom Lehme wegzulecken. Er war so sehr in diese angenehme Beschäftigung vertieft, daß er gar nicht bemerkte, daß ich mich längs der Wand nach der Thür hin schlich und dann in das Haus schlüpfte. Jetzt war ich in Sicherheet und nahm meine Flinte vom Nagel. Sie war natürlich geladen. Da der Bär off den Hinterpranken saß und ich so lange zielen konnte, wie es mir beliebte, konnte ich gar keenen Fehlschuß thun. Die Kugel traf das Tier genau an derjenigen Schtelle, an welcher nach Ansicht der Dichter die zarteren Gefühle schtecken sollen, nämlich grad ins Herz hinein. Der Bär zuckte zusammen, richtete sich weiter off, machte mit den Vorderpranken eenige Geschtikulationen und sank dann tot zu Boden. Er hatte infolge seines Leichtsinnes und seiner Genußsucht offgehört, als lebendes Wesen zu exischtieren. Das Schicksal schreitet schnell, und jeglicher Unverschtand findet seine gerechte Schtrafe, und wem nich schon das Morgenrot zum frühen Tode geleuchtet hat, der kann dann am Nachmittage bereits an der Ahornzuckerkrankheet verscheiden.“

„Das ist eine sehr ernste Nutzanwendung,“ sagte Old Shatterhand. „Sie macht Ihnen alle Ehre. Überhaupt habe ich die Bemerkung gemacht, daß Sie sehr interessant zu erzählen verstehen. Ich habe noch keinen gehört, dem es so wie Ihnen gelungen wäre, den Stoff in ein so geistreiches Gewand zu kleiden.“

„Ist das etwa een Wunder? Denken Sie an die Moritzburger Schulmeester, der sein ganzes, außerordentliches Wissen off mich übertragen hat, und denken Sie ooch an die Leihbibliothek und an die Lieferungswerke, deren treuer Abonnent ich gewest bin! Dazu war ich zweeter Tenor in unserem Gesangvereine und Schpritzenführer bei der freiwilligen Feuerwehr und Rettungsschar. Und ooch schpäter hab‘ ich schtets die Ohren geschpitzt, wo und wenn es was zu lernen gab. Unter solchen Umschtänden wird man klassisch, ohne daß man’s selber merkt, und nur die Devotion, mit welcher man von anderen behandelt wird, bringt eenen zur Erkenntnis, daß man sich weit über den Nullpunkt nach Fahrenheit und Reaumur erhoben hat. Der Geist des Menschen muß nach oben schtreben, denn nur dort zwischen den Schternen hören die zeitlichen und unterirdischen Kalamitäten off. Leider muß sich selbst eene ideale Natur, wie ich bin, mit ordinären Dingen befassen. Das ist der Kampf ums Dasein. Und da thue ich meine Pflicht und fürchte mich sogar vor dem größten Bären nich.“

„Nun, so gar sehr groß ist der Ihrige wohl nicht gewesen. Ein Grizzly kann nicht klettern. Was hatte er für eine Farbe?“

„Sein Fell war schwarz.“

„Und seine Schnauze?“

„War gelb.“

„Ah, so war es nur ein Baribal, vor welchem Sie gar keine Angst zu haben brauchen.“

„Oho! es war ihm anzusehen, daß er Appetit nach Menschenfleisch hatte!“

„Glauben Sie das nicht. Der Baribal frißt viel lieber Früchte als Fleisch. Ich mache mich anheischig, es ohne alle Waffen mit so einem dummguten Tiere aufzunehmen. Einige kräftige Faustschläge, und es würde davonlaufen.“

„Ja, das sind Sie! Sie schlagen ja, wie Ihr Name sagt, eenen Menschen mit der Fauscht nieder. Ich aber bin viel zarter besaitet und möchte es ohne Waffen nich versuchen. Übrigens habe ich damals den Braten aus dem Pelz geschält und den letzteren gewaschen, ganz ebenso wie meinen Anzug, welcher durch den Lehm ganz feuerfescht geworden war. Die Reparatur der Wände ließ ich sein; ich mochte mit dem Inhalte der Grube nichts zu thun haben. Aber als der Norweger mit seiner Familie zurückkehrte, lagen die Bärenschinken im Pökel, und ich wurde außerordentlich gelobt, denn ich hütete mich gar wohl, sämtliche Umschtände des fatalen Abenteuers an die Öffentlichkeet gelangen zu – – halt! Was läuft da?“

Er war, wie bereits erwähnt, während des Erzählens von seinem Platze aufgestanden. Einige Steintrümmer lagen nahe hinter ihm, auf welche er getreten war. Dadurch hatte er ein Tierchen aufgescheucht, dessen Aufenthalt unter den Steinen gewesen war. Es kam heraus, huschte blitzschnell über den Platz hinweg und fuhr in die Öffnung eines hohlen Baumstumpfes, welcher in der Nähe stand. Die Bewegungen des Tieres waren so schnell gewesen, daß man nicht hatte sehen können, zu welcher Gattung es gehörte.

Einer war wie elektrisiert von dem kleinen Vorkommnisse, nämlich der Neger Bob. Er sprang auf, rannte nach dem Baumstumpfe hin und rief:

„Ein Vieh, ein Vieh, haben hier laufen, haben sich verstecken in Loch! Masser Bob haben sagen, daß er fangen mit Händen das erste Tier, was er sehen. Masser Bob wird holen Vieh aus Baum heraus.“

„Vorsicht, Vorsicht!“ warnte Old Shatterhand. „Du weißt ja gar nicht, was für ein Tier es gewesen ist!“

„O, es sein nur so klein!“

Er zeigte mit den beiden Spitzfingern die Länge des Tieres an.

„Ein kleines Geschöpf kann unter Umständen gefährlicher werden als ein großes.“

„Ein Opossum sein nicht gefährlich.“

„Hast du denn gesehen, daß es ein solches war?“

„Ja, ja. Masser Bob haben sehen Opossum ganz deutlich. Es sein fett, sehr fett und geben einen Braten sehr delikat, o, sehr delikat!“

Er schnalzte mit der Zunge und leckte die Lippen, als ob er den Braten bereits vor sich habe.

„Und ich denke, du irrst dich. Ein Opossum ist nicht so behend, wie dieses Tierchen war.“

„Opossum auch schnell laufen, sehr schnell. Warum Massa Shatterhand nicht gönnen Neger Bob den guten Braten!“

„Nun, wenn du gar so überzeugt bist, dich nicht geirrt zu haben, so thue, was du willst. Uns aber bleibe mit dem Gerichte vom Leibe!“

„Sehr gern vom Leibe bleiben! Masser Bob geben keinem Menschen vom Opossum. Er essen den Braten allein, ganz allein. Jetzt aufpassen! Er ziehen Opossum aus Loch heraus!“

Er streifte den rechten Ärmel empor.

„Nicht so, nicht so!“ sagte Old Shatterhand. „Du mußt das Tier mit der Linken ergreifen und in die Rechte das Messer nehmen. Sobald du die Beute ergriffen hast, ziehst du sie heraus und kniest schnell darauf. Dann kann das Tier sich nicht bewegen und wehren, und du schneidest ihm schnell die Kehle durch.“

„Schön! Das sein sehr schön! Masser Bob werden es so machen, denn Masser Bob sein ein großer Westmann und ein berühmter Jäger.“

Er streifte nun den linken Ärmel auf, nahm das Messer in die rechte Hand und griff dann in das Loch hinein, erst vorsichtig und zögernd, bis er, als er nichts fühlte, den Arm weiter hinter schob. Dann aber ließ er plötzlich das Messer fallen, stieß einen lauten Schrei aus, zog heftige Grimassen und fuchtelte mit dem freien, rechten Arme in der Luft herum.

„Heigh-ho, heigh-ho!“ rief er jammernd. „Das thun weh, sehr weh!“

„Was denn? Hast du das Tier?“

„Ob Masser Bob es haben? Nein, sondern es haben den Massa Bob.“

„O weh! Hat es sich in deine Hand verbissen?“

„Sehr, ganz sehr verbissen!“

„So zieh; zieh nur!“

„Nein, denn das thun sehr weh!“

„Aber drin lassen kannst du die Hand doch auch nicht. Wenn so ein Tier sich einmal verbissen hat, so läßt es nicht wieder los. Also zieh! Und wenn du es heraus bringst, so greifst du schnell auch mit der anderen Hand zu, um es festzuhalten, während ich ihm den Gnadenstoß versetze.“

Er zog sein langes Messer aus dem Gürtel und trat zu Bob an den Baum. Der Schwarze zog jetzt den Arm zurück, freilich nur sehr langsam und unter Zähnefletschen und schmerzlichem Wimmern. Das Tier ließ wirklich nicht los und wurde also bis an die Öffnung des Loches gezogen. Jetzt that der Neger noch einen raschen Ruck. Das Tier kam heraus und hing mit dem Gebiß an seiner linken Hand. Er erfaßte es mit der Rechten schnell am hinteren Körperteile, in der Erwartung, daß Old Shatterhand nun schnell das Messer gebrauchen werde. Aber anstatt dieses zu thun, sprang der Genannte schleunigst zurück und rief:

„Ein Skunk, ein Skunk! Fort, fort, ihr Leute!“

Mit diesem Namen wird das amerikanische Stinktier bezeichnet. Es ist ein etwa 40 cm langes, zu den marderartigen Raubtieren gehörendes Säugetier, hat einen fast ebenso langen zweizeilig behaarten Schwanz und eine aufgeschwollene Nase an dem spitzen Kopfe. Das Fell ist schwarz und mit zwei schneeweißen, an den Seiten getrennt fortlaufenden und auf der Schulter zusammenfließenden Längsstreifen versehen. Es lebt von Eiern, kleinen Tieren, wird aber auch dem Hasen gefährlich, geht nur des Nachts auf Raub aus und bringt die übrige Zeit in Erdlöchern und hohlen Bäumen zu.

Dieses Tier verdient seinen lateinischen Namen Mephitis mit vollem Rechte. Es hat nämlich unter dem Schwanze eine Hohldrüse, aus welcher es, wenn es angegriffen wird, zu seiner Verteidigung eine außerordentlich schlecht riechende, scharfe, gelb ölige Flüssigkeit ausspritzt. Der Gestank derselben ist wahrhaft furchtbar und haftet mehrere Monate lang an den Kleidern, welche von dieser Flüssigkeit getroffen wurden. Da das Skunk den Feind aus ziemlicher Entfernung mit diesem mephitischen Safte zu treffen vermag, so hält sich jeder, welcher das Tier genau kennt, möglichst entfernt von ihm; denn wer von dem Safte getroffen wird, kann sehr leicht in die Lage kommen, wochenlang von aller menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen zu werden.

Also anstatt eines Opossum hatte Bob ein solches Stinktier gefangen. Die anderen Männer waren alle von ihren Plätzen aufgesprungen und eilten davon.

„Wirf es weg! Schnell, schnell!“ rief der dicke Jemmy dem Neger zu.

„Masser Bob nicht kann wegwerfen,“ jammerte der Schwarze. „Es haben sich einbeißen in seine Hand und –-oh, au –- au, oh! Faugh, o shamefulness, pfui Teufel! Jetzt haben es Masser Bob anspritzen. 0 Tod, o Hölle, o Teufel! Wie stinken Masser Bob! Kein Mensch kann aushalten! Masser Bob müssen ersticken. Fort, fort mit Tier, mit Pestilenzviehzeug!“

Er wollte es von der Hand abschütteln, aber es hatte sich so in dieselbe verbissen, daß alle seine Mühe vergeblich war.

„Wart! Masser Bob dich schon herunter bekommen, du swine-fell, du stinking racker!“

Er holte mit der rechten Faust aus und versetzte dem Tier einen kräftigen Hieb auf den Kopf. Dieser Hieb betäubte den Skunk, trieb aber die Zähne desselben noch tiefer in die Hand des Negers. Vor Schmerz laut brüllend, riß dieser sein Messer vom Boden empor und schnitt dem Tiere die Gurgel durch.

„So!“ rief er. „Jetzt haben Masser Bob gesiegt. Oh, Masser Bob sich nicht fürchten vor keinem Bären und vor keinem smelling beast. Alle Massers herkommen und sehen, wie Masser Bob haben tot gemacht ein reißend Tier!“

Aber sie hüteten sich wohl, ihm zu nahe zu kommen, denn er verbreitete einen so entsetzlichen Geruch, daß sich alle, die doch sehr entfernt von ihm standen, die Nase zuhielten.

„Nun, warum nicht kommen?“ fragte er. „Warum nicht feiern Sieg mit Masser Bob?“

„Kerl, bist du toll!“ antwortete der dicke Jemmy. „Wer kann dir zu nahe kommen! Du duftest ja noch viel schlimmer als die Pest!“

„Ja, Masser Bob riechen sehr schlecht. Masser Bob es selber auch schon merken! Oh, oh, wer kann aushalten diesen Duft!“

Er machte ein schreckliches Gesicht.

„Wirf doch das Vieh weg!“ rief Old Shatterhand.

Bob versuchte, dieser Weisung nachzukommen; es gelang ihm nicht.

„Zähne sind zu tief in Masser Bobs Hand. Masser Bob können nicht aufmachen Maul von Vieh!“

Er zog und zerrte unter Ach und Oh an dem Kopfe des Skunks herum, aber vergeblich.

Thunder-storm!“ schrie er zornig. „Skunk können doch nicht ewig hängen bleiben an Hand von Masser Bob! Sein denn niemand da, kein gut, liebevoll Mensch, der wollen helfen armen Masser Bob?“

Das erbarmte den Sachsen. Sein mitleidiges Herz gab ihm das Wagnis ein, den Neger von seinem toten Feinde zu erlösen. Er näherte sich ihm, allerdings nur sehr langsam und sagte:

„Höre, liebster Bob, ich will’s mal versuchen. Du duftest mir zwar sehre nach Geruch, aber meine Menschlichkeet wird’s wohl überwinden. Aber ich mach‘ die Bedingung, daß du mich nich etwa berührst!“

„Masser Bob nicht kommen an Massa Frank!“ beteuerte der Neger.

„Nun gut! Doch ooch deine Kleeder dürfen nich an die meinigen kommen, sonst duften wir zu zweet, und ich will dir dieses ehrenvolle Recht doch lieber alleene überlassen.“

„Massa Frank nur kommen! Masser Bob sich ganz sehr in acht nehmen!“

Es war wirklich eine Art von Heldentum zu nennen, daß der kleine Sachse jetzt zu dem Schwarzen trat. Winnetou, Old Shatterhand, Jemmy und Davy, die sonst so kühnen Männer, wagten es nicht. Streifte Frank nur leise eine Stelle an Bobs Kleidung, welche von der Flüssigkeit getroffen war, so verfiel er dem Schicksal eines Ausgestoßenen, wenn er es nicht vorzog, sich für immer seiner Kleidung zu entäußern.

je näher er kam, desto stärker und widerlicher wurde der Gestank, welcher ihm fast den Atem nahm. Aber er hielt tapfer aus.

„Nun, schtreck mir mal den Arm entgegen, Schwarzer!“ gebot er. „Gar zu nahe an dich heran will ich mich doch nich wagen.“

Bob gehorchte diesem Befehle, und der Sachse faßte mit der einen Hand die obere und mit der anderen die untere Kinnlade des Tieres, um den Neger zu befreien. Es gelang ihm das nur durch Aufbietung aller seiner Kräfte. Er mußte das Maul des Skunks geradezu aufbrechen und sprang dann eiligst wieder zurück. Es war ihm ganz schwindelig, als ob er umfallen müsse, so infernalisch roch der Neger.

Dieser war sehr froh, nun befreit zu sein. Seine Hand blutete zwar, aber er achtete nicht sogleich darauf, sondern rief:

„So, jetzt Masser Bob zeigt haben, wie mutig er sein. Glauben nun alle weiß und rot Massers, daß schwarzer Neger sich nicht fürchten?“

Er kam während dieser Worte auf die anderen zu. Da aber hob Old Shatterhand sein Gewehr empor, richtete es auf Bobs Brust und befahl:

„Bleib‘ stehen, sonst schieße ich dich nieder!“

„O Himmel! Warum wollen totschießen arm gut Masser Bob?“

„Weil du uns ansteckst, wenn du uns berührst. Lauf schnell fort, am Wasser abwärts hin, möglichst weit, und wirf alle deine Kleider von dir ab.“

„Kleider abwerfen? Massa Bob soll hergeben sein schön Kalikorock und schön Hosen und Weste?“

„Alles, alles! Dann kommst du zurück und setzest dich da in den Teich, so daß dir das Wasser bis an den Hals geht. Also schnell! je länger du zögerst, desto länger behältst du den Gestank an dir.“

„Welch ein Unglück! Mein schön Anzug! Massa Bob ihn waschen, und dann nicht mehr riechen!“

„Nein, Massa Bob wird mir gehorchen, sonst schieße ich ihn augenblicklich nieder. Also – eins – zwei – und -drrrr – – – !“

Er schritt mit erhobenem Gewehr auf den Neger zu.

„Nein, nein!“ schrie dieser. „Nicht totschießen! Massa Bob laufen fort, schnell, sehr schnell!“

Er verschwand eiligst im Dunkel der Nacht. Natürlich war die Drohung Old Shatterhands nicht ernst gemeint gewesen; sie bildete aber das beste Mittel, den Neger zum schnellen Gehorsam zu bringen. Er kehrte bald zurück und mußte sich in das Wasser des Teiches setzen, um sich unaufhörlich abzuwaschen. Als Seife erhielt er dazu ein dickes Gemengsel von Bärenfett und Holzasche, welche letztere ja bei den Feuern überflüssig vorhanden war.

„Wie schade um schön Fett vom Bären!“ klagte er. „Massa Bob konnten einreiben sein Haar mit diesem Fett und sich machen viel schöne Löckchen. Massa Bob sein ein fein ringlet-man, aber doch kein geborener Nigger, denn er können Löckchen flechten, so lang, so sehr lang!“

„Wasch dich nur!“ lachte Jemmy. „Denke jetzt nicht an deine Schönheiten, sondern an unsere Nasen!“

Der Schwarze verbreitete nämlich, trotzdem er sich seines Anzuges entledigt hatte und obgleich er im Wasser saß, einen penetranten Geruch.

„Aber,“ fragte er, „wie lange müssen Massa Bob hier sitzen und waschen?“

„Solange wir hier bleiben, also bis morgen früh.“

„Das können Massa Bob nicht aushalten!“

„Du wirst gezwungen werden, es auszuhalten. Eine andere Frage ist, ob die übriggebliebenen Forellen es aushalten werden. Ich weiß nicht, ob die Fische Geruchsnerven besitzen, aber wenn es der Fall ist, so werden sie über den Besuch, den du ihnen jetzt machst, nicht sehr erfreut sein.“

„Und wann darf Massa Bob seinen Anzug holen, um auch ihn zu waschen?“

„Gar nicht. Der bleibt liegen, wo er liegt, denn er ist unbrauchbar geworden.“

„Aber was wird da arm Massa Bob nun anziehen?“

„Ja, das ist freilich eine schlimme Angelegenheit! Es gibt keinen Ersatz für dein Habit. Du wirst also wohl dich in das Grizzlyfell wickeln müssen, welches Martin heute erbeutet hat. Vielleicht finden wir droben zwischen den Felsengebirgen das übrig gebliebene Magazin eines urweltlichen marchand tailleur, woraus du dich mit Strümpfen und einem Havelock versehen kannst. Bis dahin aber wirst du in unserem Zuge aber die Nachhut bilden, denn wenigstens während der nächsten acht Tage darfst du uns nicht sehr nahe kommen. Also wasch nur fleißig, wasch! Denn je mehr du reibst, desto eher verliert sich der Geruch.“

Und Bob rieb aus Leibeskräften. Nur sein Kopf ragte aus dem Wasser hervor, und es war wirklich lustig zuzusehen, was für Grimassen er schnitt.

Die anderen waren indessen an das Lagerfeuer, an welchem sie vorher gesessen hatten, zurückgekehrt. Natürlich bildete zunächst das so tragikomisch abgelaufene Abenteuer den Gegenstand der Unterhaltung. Dann wurde der lange Davy gebeten, eines seiner Erlebnisse zu erzählen. Er gab diesem Wunsche Folge und berichtete von einer Zusammenkunft mit einem alten Trapper, welcher als Schießvirtuos bekannt gewesen war. Nachdem er einige Kunststücke dieses Mannes beschrieben hatte, fügte er die Bemerkung hinzu:

„Aber das ist alles nichts. Es gibt noch weit bessere Schützen. Ich kenne zwei, welche von niemand übertroffen werden, und diese beiden sitzen hier bei uns. Ich meine Winnetou und Old Shatterhand. Bitte, Sir, wollt Ihr uns nicht irgend einen von Euch ausgeführten Kapitalstreich erzählen? Ihr habt ja so viel erlebt, daß Ihr nur mit dem Ärmel zu schütteln braucht, so fallen die Abenteuer zu Hunderten heraus.“

Diese letzten Worte waren an Old Shatterhand gerichtet. Dieser antwortete nicht sofort. Er holte tief Atem, als ob er etwas in der Luft Liegendes durch den Geruchssinn prüfen wolle.

„Ja, der Kerl dort im Wasser duftet noch ganz gehörig,“ sagte Jemmy.

„O, ihm galt mein Atemzug nicht,“ antwortete Old Shatterhand, indem er einen prüfenden Blick seitwärts auf sein Pferd richtete, welches aufgehört hatte zu grasen und die Luft prüfend durch die Nüstern sog.

„So riecht Ihr etwas anderes?“ fragte Davy.

„Nein; aber ich denke, daß ich vielleicht verhindert sein werde, euch ein Abenteuer von mir bis zu Ende zu erzählen.“

„Warum?“

Anstatt direkt zu antworten, wandte Old Shatterhand sich zunächst halblaut zu Winnetou:

„Teschi-ini!“

Das heißt auf deutsch „paß auf !“ Da die anderen die Sprache der Apachen nicht verstanden, so wußten sie nicht, was er meinte. Winnetou nickte und griff nach seiner Büchse, welche er neben sich liegen hatte. Er zog sie ganz nahe an sich heran.

Old Shatterhands Pferd wendete den Kopf schnaubend nach dem Feuer. Seine Augen funkelten.

„Isch-hosch-ni!“ rief er dem Tiere zu, und es legte sich sofort in das Gras nieder, ohne ferner ein Zeichen von Unruhe merken zu lassen.

Da auch Old Shatterhand jetzt seinen Stutzen ganz an sich heranzog, so fragte Jemmy, welchem das Verhalten dieser beiden Männer aufgefallen war:

„Was habt Ihr, Sir? Euer Pferd scheint etwas zu wittern?“

„Es riecht den Duft des Negers, weiter nichts,“ versuchte der Gefragte ihn zu beruhigen.

„Aber ihr beide greift zu den Waffen!“

„Weil ich mit Euch von dem Hüftenschusse sprechen will. Ihr habt doch wohl bereits von demselben gehört?“

„Natürlich!“

Aber Frank meinte, obgleich jetzt englisch gesprochen worden war, in seinem sächsischen Deutsch:

„Hören Sie, Master Shatterhand, da werden Sie sich wohl mehrschtenteels eenes falschen Ausdruckes bedient haben!“

„Wieso?“

„Das heeßt nämlich nich Hüftenschuß, sondern Hexenschuß. Wer den bekommt, der geht sehre gebückt und lahm, denn es liegt ihm jämmerlich im Kreuze und in den Hüften, aber trotzdem ist der Ausdruck Hüftenschuß een orthographisch-medizinisch ganz falscher.“

Old Shatterhand ließ es sich, während Frank sprach, nicht merken, daß er ebenso wie Winnetou den jenseits des Baches und Teiches liegenden Waldesrand und die wirr unter- und übereinanderliegenden Trümmer des Windbruches mit scharfem Blicke absuchte. Er hatte seinen Hut so weit in die Stirn gezogen, daß die Augen tief im Schatten lagen und man nicht genau zu sehen vermochte, nach welcher Richtung und auf welchen Gegenstand sie gerichtet waren. Dennoch antwortete er im unbefangensten Tone:

„Bitte, mein bester Frank, ich weiß gar wohl, was Hexenschuß ist. Es war aber ein anderer Schuß von mir gemeint.“

„Ach so! Nun, welcher denn?“

„Der Hüftenschuß, wie ich sagte. Damit meine ich den Schuß, bei welchem man das Gewehr nicht wie gewöhnlich anlegt, sondern es nur bis an die Hüfte erhebt.“

„Da kann man doch gar nicht zielen!“

„Es ist allerdings schwierig, sich die dazu nötige Fertigkeit anzueignen, und es gibt gar manchen guten Westmann, welcher sein Ziel niemals fehlt, aber beim Hüftenschuß regelmäßig vorüberschießt.“

„Wozu hat man da den Hüftenschuß erfunden? Es ist doch besser, man zielt in der gewöhnlichen Weise, in der man des Treffens sicher ist.“

„Nein! Es gibt Lagen, in denen man ohne die erwähnte Fertigkeit des Todes sein würde.“

„Das ist mir aber unbegreiflich.“

„So will ich es Euch erklären.“

Sein Auge fuhr nochmals mit scharfem Bücke nach der bereits erwähnten Gegend hinüber; dann fuhr er fort:

„Der Hüftenschuß wird nämlich bloß vorgenommen, wenn man sitzt oder am Boden liegt, um den Gegner nicht wissen zu lassen, daß man überhaupt zu schießen beabsichtigt; denkt Euch einmal, es befänden sich feindliche Indianer in der Nähe, welche die Absicht hätten, uns zu überfallen. Sie senden ihre Kundschafter aus, welche sich anschleichen, um zu erfahren, wie stark wir sind, ob unser Lagerplatz ihren Absichten günstig sei, und ob wir die nötige Vorsicht nicht aus dem Auge lassen. Diese Kundschafter kommen auf Händen und Füßen herbeigekrochen –“

„Aber sie müssen doch von unseren ausgestellten Posten bemerkt und entdeckt werden!“ warf Frank ein.

„Das ist nicht so gewiß, wie Ihr denkt. Ich zum Beispiel habe mich bis in das Zelt Tokvi-teys geschlichen, obgleich er Posten ausgestellt hatte und trotzdem das Terrain aus einer flachen Grasebene bestand. Hier aber stehen rundum Bäume, welche das Anschleichen außerordentlich erleichtern, und unsere Posten sind, wie Ihr ja gehört habt, in dem Wahne, daß es hier gar keine Feinde geben könne. Sie werden also wohl nicht gar zu aufmerksam sein. Doch weiter! Die Kundschafter haben sich an unseren Posten vorübergeschlichen. Sie liegen am Rande des Waldes, hinter oder zwischen dem vom Windbruche aufgehäuften Holzgewirr, und beobachten uns. Gelingt es ihnen, zu den Ihrigen zurückzukehren, so sind wir vielleicht verloren; wir werden angegriffen, ohne es geahnt zu haben, und also vernichtet. Das beste Gegenmittel ist, die Kundschafter unschädlich zu machen –“

„Also sie erschießen?“

„Ja! Im Princip bin ich gegen alles Blutvergießen; aber in einem solchen Falle wäre es ja Selbstmord, wenn man den Feind schonen wollte. Man muß ihm die Kugel geben und zwar so, daß sie tötet.“

„Tkih akan – sie sind nahe,“ flüsterte der Häuptling der Apachen.

„Teschi-schi-tkih – ich sehe sie,“ antwortete Old Shatterhand.

„Naki – zwei!“

„Ha-oh – ja!“

„Schi-ntsage, ni-akaya – nimm du diesen, und ich nehme jenen!“

Dabei ließ der Apache seine Hand von links nach rechts gleiten.

„Tayassi – in die Stirn,“ nickte Old Shatterhand.

„Sagt uns doch, Sir, was für Heimlichkeiten ihr miteinander habt?“ fragte der lange Davy.

„Nichts Ungewöhnliches! Ich sagte dem Häuptling in der Sprache der Apachen, daß er mir beistehen solle, Euch zu erklären, was es mit dem Hüftenschuß für eine Bewandtnis hat.“

„Na, das weiß ich schon. Mir ist er freilich nie gelungen, so sehr ich mich geübt habe. Und um auf Eure vorigen Worte zurückzukommen, so müßte man doch die Kundschafter gesehen haben, bevor man sie erschießen kann.“

„Natürlich!“

„In der Dunkelheit des Dickichts da drüben?“

„Ja!“

„Sie werden sich aber hüten, so weit aus demselben herauszukommen, daß man sie sehen kann!“

„Hm! Ich wundere mich über Eure Worte, denn ich habe Euch für einen tüchtigen Westmann gehalten.“

„Na, hoffentlich bin ich auch kein Grünschnabel!“

„So müßt Ihr wissen, daß die Kundschafter nicht hinter dem Dickicht versteckt bleiben können. Wenn sie uns sehen und beobachten wollen, so müssen sie doch wenigstens die Augen, also einen Teil des Gesichtes, hervorstrecken.“

„Und das wollt Ihr sehen?“

„Gewiß.“

„Alle Wetter! Ich habe freilich gehört, daß es Westmänner gebe, welche die Augen eines anschleichenden Feindes in dunkler Nacht zu entdecken vermögen. Da unser dicker Jemmy zum Beispiel behauptet es auch zu können; aber er hat noch keine Gelegenheit gehabt, es mir zu beweisen.“

„Nun, was das betrifft, so kann ganz unerwartet die Gelegenheit kommen, diesen Beweis zu liefern.“

„Sollte mich freuen! Ich habe die Sache für unmöglich gehalten; aber wenn Ihr mir sagt, daß es wahr sei, so glaube ich es.“

Shatterhand musterte den Waldesrand abermals, nickte befriedigt vor sich hin und antwortete:

„Habt Ihr vielleicht einmal des Nachts im Meere die Augen einer Tintorera, eines Haifisches, glänzen sehen?“

„Nein!“

„Nun, diese Augen sieht man ganz deutlich. Sie haben einen phosphoreszierenden Glanz. Jedes andere, auch das Menschenauge, besitzt denselben Glanz, allerdings nicht in dieser Stärke. Und je mehr des Nachts die Sehkraft eines Auges angestrengt ist, desto deutlicher ist dasselbe trotz der Dunkelheit zu bemerken. Befände sich zum Beispiel jetzt da drüben in dem Gebüsch ein Kundschafter, welcher uns beobachtete, ich würde seine Augen sehen und Winnetou ebenso.“

„Das wäre stark!“ meinte Davy. „Was sagst du dazu, mein alter Jemmy?“

„Ich denke, daß ich auch nicht blind bin,“ antwortete der Gefragte. „Zum Glück sind wir hier vor einem solchen Besuche sicher. Es ist immerhin eine heikle Sache, in die Lage zu kommen, in welcher ein guter Hüftenschuß notwendig ist. Nicht wahr, Sir?“

„Ja,“ nickte Old Shatterhand. „Schaut her, Master Frank! Also gesetzt, da drüben befindet sich ein feindlicher Kundschafter, dessen Augen ich zwischen den Blättern glänzen sehe. Ich muß ihn natürlich töten, sonst riskiere ich mein eigenes Leben. Aber wenn ich, wie man es gewöhnlich macht, das Gewehr an die Wange lege, so sieht er doch, daß ich schießen will, und zieht sich augenblicklich zurück. Vielleicht hat er gar bereits seinen Lauf auf mich gerichtet und feuert seinen Schuß eher ab, als ich den meinigen. Das muß ich vermeiden, indem ich eben den Hüftenschuß in Anwendung bringe. Bei demselben sitzt man ruhig und scheinbar unbefangen da, wie ich jetzt. Man greift zur Büchse, welche eng an der rechten Seite liegt, und hebt sie langsam ein wenig empor, als ob man etwas nachsehen oder nur mit ihr spielen wolle. Man senkt, so wie ich jetzt, den Kopf, als ob man abwärts blicke, hat aber das Auge im Schatten der Hutkrämpe und hält den Blick scharf auf das Ziel gerichtet, wie gesagt, geradeso wie Winnetou und ich jetzt.“

So wie er in Worten erklärte, so that er auch, und der Apache ebenso.

„Man drückt den Kolben mit der rechten Hand fest an die Hüfte und den Lauf an das Knie, greift mit der linken nach rechts hinüber und legt sie oberhalb des Schlosses an das Gewehr, welches dadurch eine höchst sichere Lage erhält, legt den Zeigefinger der rechten Hand an den Drücker, richtet den Lauf so, daß die Kugel nahe über den Augen, also in die Stirn des Kundschafters einschlagen muß, ein Zielen, welches allerdings gelernt sein will, und drückt los – – da!“

Sein Schuß blitzte auf, und in demselben Augenblicke krachte auch derjenige des Apachen. Beide sprangen dann blitzschnell vom Boden auf. Winnetou schnellte, sein Gewehr von sich werfend und das Messer aus dem Gürtel reißend, wie ein Panther über den Bach hinüber und in das Dickicht hinein.

„Uhvai Vunun! Uhvai pa-ave! Uhvai umpare! – die Feuer aus! Nicht bewegen! Nicht sprechen!“ rief Old Shatterhand im Utahdialekte der Schoschonen.

Zugleich warf er, indem er mit dem bestiefelten Fuße in das Feuer, an welchem er gesessen hatte, fuhr, die Brände desselben in den Teich. Dann sprang er dem Apachen nach.

Die Schoschonen waren ebenso wie die Weißen bei dem Knall der beiden Schüsse emporgesprungen. Die geistesgegenwärtigen roten Krieger befolgten, als sie Old Shatterhands Ruf hörten, im Augenblicke seinen Befehl, indem sie die Brände ins Wasser schleuderten. Im Nu herrschte tiefe Dunkelheit, und doch waren seit den Schüssen kaum vier oder fünf Sekunden vergangen.

Auch das Gebot, still zu sein, wurde berücksichtigt, nur von einem nicht, nämlich von dem im Wasser sitzenden Neger, um dessen Kopf die Feuerbrände flogen und zischend in der Flut verlöschten.

„Jessus, Jessus!“ schrie er auf. „Wer haben da schießen? Warum werfen Feuer auf arm Masser Bob? Soll Masser Bob verbrennen und versaufen? Soll er werden gekocht wie Karpfen? Warum es dunkel werden? Oh, oh, Masser Bob sehen gar niemand mehr!“

„Schweig, Dummkopf!“ rief Jemmy ihm zu.

„Warum soll Masser Bob schweigen? Warum jetzt nicht–“

„Still! Sonst wirst du erschossen! Es sind Feinde hier!“

Von diesem Augenblicke an war „Masser Bobs“ Stimme nicht mehr zu hören. Er saß bewegungslos im Wasser, um seine teure Gegenwart dem Feinde ja nicht zu verraten.

Stille war es rundum. Nur ein zeitweiliges Hufstampfen oder das Schnauben eines Pferdes ließ sich hören. Die so unerwartet aus ihrer Sicherheit aufgeschreckten Männer hatten sich eng zusammengedrängt. Die Indianer sprachen kein Wort; die Weißen aber flüsterten einander leise Bemerkungen zu.

„Was ist denn los? Was ist denn geschehen, Herr Pfefferkorn?“ fragte der Hobble-Frank. „Die zwee Beeden brauchten doch gar nich zu schießen. Wir hätten die Erklärung ooch ohne die Schüsse verschtanden. Oder sollten in Wirklichkeet sich feindselige Wesen in unserer Nähe befinden?“

„Ganz gewiß. Was Old Shatterhand als bloßes Beispiel darstellte, das fand in Wirklichkeit statt. Er hat einen oder wohl gar mehrere Kundschafter gesehen.“

„Alle Teufel! Das kann zuweilen für uns äußerscht gefährlich werden! Es müssen mehrere Kerls gewest sein, sonst hätte der Apache nich ooch mit geschossen. Was ist da zu thun?“

„Wir müssen ruhig warten, bis die beiden zurückkehren.“

„Hm! Die sind übers Wasser nüber! So eene unvorsichtige Verwegenheet! Wenn sie nun da drüben von den Kundschaftern erwischt und um ihr bißchen irdisches Dasein gebracht werden!“

„Pah! Diese zwei Männer wissen ganz genau, was sie thun. Zunächst ließ Old Shatterhand die Feuer auslöschen, damit niemand auf uns zielen könne, falls außer den beiden Erschossenen noch mehr Feinde vorhanden sein sollten.“

„So denken Sie also, daß die Kerls wirklich erschossen worden sind?“

„Ich will sogar mitwetten, daß die genau in die Stirne getroffen wurden.“

„Das wäre mehr als schtark! Das wäre sogar schtärker und am schtärksten! Was da für Oogen dazu gehören! Und nun suchen sie drüben wohl, ob der Feind in größerer Menge angezogen kommt?“

Ehe Jemmy antworten konnte, ertönte Old Shatterhands laute Stimme:

„Ein Feuer wieder anbrennen! Haltet euch aber fern von demselben, damit ihr nicht gesehen werdet.“

Jemmy und Davy knieten nieder, um diesen Befehl zu erfüllen, und zogen sich dann schleunigst in die Dunkelheit zurück.

„Erscht wird das Feuer ausgelöscht und nun wieder angebrannt. Wozu denn aber? Ich kann das nich begreifen!“ flüsterte Frank dem Dicken zu.

„Das ist auch nicht notwendig,“ antwortete dieser. „Darauf, daß gerade Sie es begreifen sollen, ist es wohl auch gar nicht angefangen.“

„Aber eenen Zweck muß es doch haben!“

„Allerdings. Unsere beiden Anführer haben das Terrain erst im Dunkel abgesucht und jedenfalls weiter nichts Verdächtiges gefunden. Nun wollen sie wohl tiefer in den Wald hinein. Da werden sie einen weiten Kreis um das Lager beschreiben, und indem sie auf dem Boden hinkriechen und dabei immer gegen das Feuer blicken, kann ihren scharfen, geübten Augen nichts Verdächtiges entgehen.“

„So also ist’s gemeent! Hören Sie mal, mein lieber Herr Pfefferkorn, tüchtige Kerls sind diese zwee Beeden! Zu dem, was sie können und was sie wagen, gehört wirklich mehr als Zuckerwassertrinken! Ich gloobe nich, daß ich’s zu schtande brächte. Aber wenn’s zum Kampfe kommt, da schtelle ich meinen Mann; das können Sie mir gern und dreiste glooben!“

„Ich hoffe das, da Sie es jedenfalls gut verstehen, mit Ihrem Gewehre umzugehen.“

„Na, und ob und wie! Aber sehen Sie doch mal hin nach dem Teiche! Da sitzt der Bob noch immer. Er hat den Kopf so tief niedergezogen, daß ihm das Wasser bis an den Mund geht. Der will nich erschossen sein und doch ooch nich ertrinken.“

„Er mag allerdings keine geringe Besorgnis fühlen. Schau! Da kommen sie!“

Im Scheine des Feuers waren Winnetou und Old Shatterhand zu sehen, welche zurückkehrten, jeder mit einem Gewehre in der Hand und einem Indianer auf der Schulter. Die anderen wollten sich um sie drängen, aber Old Shatterhand sagte:

„Jetzt gibt es keine Zeit zu Auseinandersetzungen. Diese beiden Toten werden auf Reservepferde gebunden und dann brechen wir auf. Es sind zwar nur die beiden hier am Lager gewesen, aber man kann nicht wissen, wie viele hinter ihnen stehen. Also schnell.“

Beide Leichen hatten ein rundes Loch in der Stirn und auch ein solches im Hinterkopfe. Die Kugeln waren ihnen also durch den Kopf gegangen, ganz wie Old Shatterhand zu Winnetou gesagt hatte: „Tayassi – in die Stirn.“

Die anderen waren wohl auch vortreffliche Schützen, eine so unglaubliche Sicherheit des Schusses aber setzte sie in das größte Erstaunen, und die Schoschonen flüsterten heimlich miteinander und warfen abergläubische Blicke auf die beiden berühmten Männer.

Der Aufbruch wurde schnell und still vorbereitet. Natürlich mußte das Feuer wieder verlöscht werden; dann setzten Winnetou und Shatterhand sich an die Spitze des Zuges, und der nächtliche Ritt begann.

Wohin er gehen solle, das fragte niemand. Man verließ sich auf die beiden Führer. Das Thal wurde bald so eng, daß einer hinter dem anderen reiten mußte. Dieser Umstand und die gebotene Vorsicht ließen kein Gespräch aufkommen.

Natürlich hatte man den Neger nicht im Wasser sitzen lassen. Er saß ohne Kleidung auf seinem Gaule und mußte am Ende des Zuges reiten, weil er das duftende Vermächtnis des Stinktieres noch sehr merklich an sich trug. Er hatte vom langen Davy dessen alte, zerfetzte Santillodecke, welche demselben als Sattel diente, erhalten und sie sich wie einen Südseeinsulanerschurz um die Hüften gewickelt. Er war mit sich und seinem Schicksale zerfallen, und sein immerwährendes leises Vorsichhinbrummen ließ vermuten, daß er allerhand trüben und zornigen Gedanken Audienz gebe.

So ging es in möglichster Stille und möglichster Schnelligkeit stundenlang fort, erst durch das enge Thal, dann eine breite, kahle Berglehne empor, drüben wieder hinab, über eine vielfach gewundene, schmale Prairie, und als der Tag endlich zu grauen begann, stieg vor den Reitern ein steiler Paß zwischen hohe, dunkel bewaldete Berge hinein. Dort, am Fuße der letzteren, blieben die beiden Führer halten und stiegen von ihren Pferden. Die anderen folgten diesem Beispiele.

Die beiden Leichen wurden von den Pferden genommen und auf die Erde gelegt. Die Schoschonen bildeten einen weiten Kreis um die Stelle. Sie wußten, daß jetzt eine Untersuchung beginnen werde, deren Schwierigkeit sie sehr gut kannten. Hier durften zunächst nur die Häuptlinge sprechen; die gewöhnlichen Krieger mußten es abwarten, ob man sie mit zu Rate ziehen werde oder nicht.

Die Toten waren nach indianischer Weise teils in Zeug und teils in Leder gekleidet. Ihr Alter war kaum mehr als zwanzig Jahre.

„Das dachte ich mir,“ sagte Old Shatterhand. „Nur unerfahrene Krieger öffnen, wenn sie ein feindliches Lager beschleichen, die Augen so vollständig, daß deren Leuchten so gut bemerkt werden kann. Ein schlauer Kundschafter aber versteckt das Auge halb unter Lid und Wimper. Dann ist es selbst für unsereinen schwer, seinem Blicke mit dem unserigen zu begegnen. Aber zu welchem Stamme gehören sie?“

Diese Frage war an Jemmy gerichtet.

„Hm!“ brummte dieser. „Werdet Ihr glauben, Sir, daß Euere Frage mich verlegen macht?“

„Ich glaube es, denn ich kann sie in diesem Augenblicke selbst auch nicht beantworten. Auf einem Kriegszuge befinden sie sich; das ist sicher, denn die Kriegsfarben in ihren Gesichtern sind zwar ziemlich verwischt, aber doch vorhanden. Schwarz und rot! Die Farben der Ogallala. Aber die Kerls scheinen doch keine Sioux zu sein. Aus ihrer Kleidung ist nichts zu ersehen. Durchsuchen wir doch einmal ihre Taschen!“

Dieselben waren vollständig leer. Trotz sorgfältigsten Suchens war nicht die geringste Kleinigkeit zu finden. Bei jeder Leiche hatte gestern abend ein Gewehr gelegen. Auch diese wurden untersucht. Sie waren geladen, zeigten aber kein Merkmal, aus welchem man auf die Stammesangehörigen der Erschossenen hätte schließen können.

„Vielleicht sind sie ganz ungefährlich für uns gewesen,“ bemerkte der lange Davy. „Sie sind zufällig in die Gegend gekommen, in welcher wir lagerten, und haben uns zu ihrer eigenen Sicherheit beschleichen müssen. In diesem Falle wären sie fortgegangen, ohne uns ein Leid zu thun, und dann bedaure ich sehr, daß sie ihr Leben haben geben müssen.“

Old Shatterhand schüttelte den Kopf und antwortete:

„Ihr wollt ein Westmann sein, Master Davy? Wenn Ihr wirklich einer seid, so kann man von Euch verlangen, daß Ihr gelernt habt, folgerichtig zu denken.“

„Nun, Sir, ich meine, daß ich meine fünf Sinne beisammen habe.“

„Wirklich? Na, ich will nicht daran zweifeln. Aber der Ort, an welchem wir lagerten, war so beschaffen, daß man nicht zufällig an ihn gelangt. Diese Leute hier sind unserer Spur gefolgt.“

„Das beweist noch nichts gegen sie!“

„Nein. Aber sie haben ganz vorsichtigerweise alles von sich gethan, was auf ihren Stamm schließen lassen könnte. Das ist verdächtig. Sie waren mit Gewehren, aber nicht mit Munition versehen. Das ist noch verdächtiger, denn ohne Pulver und Blei entfernt kein Indianer sich von seiner Horde. Sie gehören unbedingt zu einer Truppe, deren Kundschafter sie sind.“

„Hm! vielleicht haben sie nicht einmal Pferde gehabt.“

„Nicht? Seht Euch doch einmal die Lederhose dieses einen an. Sind nicht die Beine an den inneren Seiten aufgerieben? Wovon soll das sein, wenn nicht vom Reiten!“

„Von früher her vielleicht.“

Old Shatterhand kniete nieder und hielt seine Nase an die Hose. Dann sagte er, wieder aufstehend:

„Riecht einmal dieses Beinkleid an! Der Pferdegeruch ist nicht zu verkennen; da er aber in der Wildnis schnell vergeht, so will ich um viel mitwetten, daß diese beiden Roten noch gestern zu Pferde gesessen haben.“

Da trat Wohkadeh, welcher bisher in respektvoller Entfernung gestanden hatte, herbei und sagte:

„Die berühmten Männer mögen Wohkadeh erlauben, ein Wort zu sprechen, obwohl er noch jung und unerfahren ist!“

„Sprich immerhin,“ nickte Old Shatterhand ihm wohlwollend zu.

„Wohkadeh kennt zwar nicht diese roten Krieger, aber er kennt das Jagdhemde des einen.“ .

Er bückte sich nieder, hob den Saum des Jagdhemdes empor, deutete auf einen Schnitt, welcher sich in demselben befand, und erklärte:

„Wohkadeh hat sein Totem (Zeichen) hineingeschnitten, denn es sollte ihm gehören.“

„Ah! Das ist ein ganz wunderbares Zusammentreffen. Vielleicht erfahren wir nun Genaueres.“

„Wohkadeh kann nichts Sicheres sagen, aber er vermutet, daß diese beiden jungen Krieger zum Stamme der Upsarocas gehören.“

So nennen sich die Krähenindianer.

„Welchen Grund hat mein junger Bruder zu dieser Vermutung?“ fragte Old Shatterhand.

„Wohkadeh war dabei, als die Upsarocas von den Sioux Ogallala bestohlen wurden. Wir kamen von dem langgestreckten Berge her, welchen die Bleichgesichter den Rücken des Fuchses nennen, und gingen über den nördlichen Arm des Cheyenneflusses, da, wo derselbe sich zwischen dem dreifachen und dem Inyancara-Berge hindurchwindet. Während wir zwischen dem Berge und dem Flusse hinritten, bogen wir um die Ecke eines Waldes und sahen viele rote Männer, welche im Wasser badeten. Es war ein heißer Tag. Die Ogallalas hielten eine kurze Beratung. Die Badenden waren Upsarocas, also Feinde von ihnen. Es wurde beschlossen, ihnen die größte Schande anzuthun, welche einem roten Krieger widerfahren kann ––“

„Alle Teufel!“ rief Old Shatterhand. „Sie haben ihnen doch nicht etwa die größten Heiligtümer, ihre Medizinbeutel, rauben wollen?“

„Mein weißer Bruder hat es erraten.“

„So weiß ich nun alles, was du erzählen willst. Aber sprich nur weiter!“

„Die Sioux-Ogallala ritten unter den Bäumen hin bis zur Stelle, an welcher die Pferde der Upsarocas weideten. Dort lagen deren Kleider und Waffen, dazu auch die Medizinen, die sonst kein Krieger vom Halse nimmt. Die Ogallala stiegen ab und schlichen sich hinzu. Da ein Gebüsch zwischen dem Orte und dem Flusse war, so gelang es ihnen leicht, den Diebstahl auszuführen, denn sie konnten von den Badenden nicht bemerkt werden.“

„Hatten diese denn keine Wache zurückgelassen?“

„Nein. Sie konnten nicht vermuten, daß ein Trupp feindlicher Ogallala dahin kommen könne, wo damals die Rosse der Upsarocas weideten. An den Waffen vergriffen die Sioux sich nicht, denn sie hatten ja selbst welche; aber die vorhandene Munition und einige Kleidungsstücke nahmen sie mit. –“ Wohkadeh schwieg einen Augenblick.

„Dann?“ – frug Old Shatterhand.

„Dann,“ fuhr Wohkadeh fort, „stiegen sie wieder auf ihre Pferde, ergriffen ihre Tiere und galoppierten mit denselben davon. Später gaben sie die schlechten frei und behielten die guten für sich. Als die Beute geteilt wurde, bekam Wohkadeh dieses Jagdhemd für sich. Er aber wollte kein Dieb sein, sondern er schnitt sein Totem hinein und warf es dann heimlich weg.“

„Wann war das?“

„Zwei Tage vorher, ehe ich von den Ogallala als Kundschafter gegen die Krieger der Schoschonen ausgesandt wurde.“

„Also ganz kürzlich erst. Sechs Tage später trafst du mit Jemmy und Davy zusammen. Jetzt ist mir alles klar, und es ist für uns ein großes Glück, daß wir diese beiden Upsaroca bemerkt und getötet haben. Hat Wohkadeh die Badenen gezählt?“

„Nein, aber es waren weit mehr als zehn.“

„Sie haben sich möglichst schnell mit neuen Pferden und neuer Munition versehen und sind den Dieben nach. Dabei wurde von ihnen dieses weggeworfene Jagdhemd gefunden, welches der rechtmäßige Eigentümer wieder an sich nahm.“

„Es kann aber auch anders sein,“ warf Jemmy ein. „Kann nicht irgend ein ganz unbeteiligter Mensch das Hemd gefunden und angezogen haben?“

„Nein, denn in diesem Falle hatte er sein eigenes Kleidungsstück darunter. Dieser Tote hier aber hat unter demselben eine alte, zerfetzte Jacke auf dem Leibe, der man es wohl ansieht, daß sie nur als Aushilfe dienen mußte. Es gibt keine größere Schande für einen Indsman, als wenn ihm sein Heiligtum gestohlen wird. Er darf sich nicht eher wieder bei den Seinen sehen lassen, als bis er es sich wiedergeholt oder an seiner Stelle ein anderes geraubt und also den Besitzer desselben getötet hat. Der Indianer, welcher auszieht, um einen verlorenen Medizinsack zu ersetzen, entwickelt eine beinahe wahnsinnige Verwegenheit. Es ist ihm ganz gleich, ob er einen Freund oder einen Feind tötet, und so bin ich vollständig überzeugt, daß wir gestern abend einer außerordentlichen Gefahr entgangen sind. Wie nun, bester Jemmy, wenn wir uns auf Eure Augen hätten verlassen müssen?“

„Hm!“ antwortete der Dicke, indem er mit der Hand unter den Hut fuhr, um sich verlegen zu kratzen. „In diesem Falle lägen wir irgendwo in aller Ruhe, aber ohne Skalp und Leben. Ich verstehe zwar auch, des Nachts ein Auge zu erkennen, aber gestern war ich so überzeugt, daß kein feindliches Wesen in der Nähe sei, und habe mich also um dergleichen gar nicht bekümmert. Ihr meint also wohl, daß die Upsarocas hinter uns her sind?“

„Jedenfalls folgen sie uns. Jetzt nun erst recht, da wir zwei der Ihrigen getötet haben.“

„Das wissen sie wohl nicht genau.“

„Sie werden jedenfalls das Blut finden. Es mag zwar wenig aus den Wunden geflossen sein, aber doch so viel, daß es heute am Tage bemerkt wird.“

„So müssen wir also für heute abend auf einen Überfall vorbereitet sein.“

„Sie mögen kommen,“ meinte der lange Davy. „Wohkadeh sagt, sie seien über zehn gewesen; sagen wir zwanzig, so sind wir ihnen mehr als doppelt überlegen.“

„So rechne ich nicht,“ entgegnete Old Shatterhand. „Wenn wir es zu einem nächtlichen Überfalle kommen lassen, so fließt Blut, mag das nun das unserige oder das ihrige sein. Siegen würden wir sicher, aber einige von uns müßten doch wohl diesen Sieg mit dem Leben bezahlen. Das können wir vermeiden. Was sagt mein roter Bruder dazu?“

Diese Worte waren an Tokvi-tey, den Häuptling der Schoschonen gerichtet. Er blickte eine Weile sinnend vor sich nieder und fragte dann:

„Wollen meine weißen Brüder nicht eine Beratung halten? Die roten Krieger beginnen nichts, bevor sie nicht die Meinung der Erfahrenen gehört haben.“

„Das werden wir ja auch; aber zu einer Beratung, wie die roten Krieger sie gewöhnt sind, haben wir keine Zeit. Sind die Upsarocas jetzt Feinde der Schoschonen?“

„Nein. Sie sind die Feinde der Sioux-Ogallala, welche auch unsere Feinde sind. Wir haben gegen sie nicht das Beil des Krieges ausgegraben; aber ein Krieger, welcher eine Medizin sucht, ist der Feind aller Menschen. Man muß sich gegen ihn verwahren wie gegen ein wildes Tier. Meine weißen Brüder mögen klug sein und Vorkehrungen zu unserer Sicherheit treffen!“

jetzt warf Old Shatterhand einen fragenden Blick auf Winnetou, welcher bis jetzt noch kein Wort gesprochen hatte. Es war wirklich zum Verwundern, wie gut sich diese beiden verstanden. Ohne daß Old Shatterhand irgend einem Plane Worte gegeben hatte, erriet Winnetou seine Gedanken, denn der Apache antwortete:

„Mein Bruder beabsichtigt das Richtige.“

„Einen Bogen rückwärts reiten?“

„Ja. Winnetou stimmt bei.“

„Das freut mich. In diesem Falle sind wir nicht die Angegriffenen, sondern die Angreifer, und da es am Tage geschieht, so werden die Upsarocas sehen, wie sehr wir ihnen überlegen sind. Vielleicht ergeben sie sich uns freiwillig.“

„Werden sich hüten!“ meinte Jemmy.

„Ich hoffe es dennoch. Es kommt ganz darauf an, wie wir es anfangen. Wenn ich mich nicht irre, so erreicht man von, hier aus in zwei Stunden einen Ort, welcher sich ganz ausgezeichnet zur Ausführung meines Planes eignet.“

„So wollen wir hier nicht unnötig die Zeit versäumen. je länger wir hier bleiben, desto weniger Muße haben wir dort, uns vorzubereiten. Was aber fangen wir mit diesen Toten an?“

„Die Skalpe dieser beiden Krieger gehören Old Shatterhand und dem Häuptling der Apachen, von denen sie getötet wurden,“ antwortete Tokvi-tey.

„Ich bin ein Christ. Ich skalpiere nicht,“ sagte der erstere.

Und Winnetou antwortete mit einer abweisenden Handbewegung:

„Der Häuptling bedarf nicht des Skalpes dieses Knaben, um seinen Namen berühmt zu machen. Diese Toten sind unglücklich genug, da sie ohne ihr Heiligtum nach den ewigen Jagdgründen gegangen sind. Man soll nicht auch noch ihre Seelen töten, indem man ihnen die Skalplocke nimmt. Sie mögen ruhen unter Steinen, mit ihren Gewehren, denn sie sind als Krieger gestorben, welche den Mut gehabt haben, sich an das Lager ihres Feindes zu wagen.“

Das hatte der Anführer der Schoschonen nicht erwartet. Er fragte mit allen Zeichen des Erstaunens:

„Meine Brüder wollen denen, welche nach ihrem Leben trachteten, ein Begräbnis geben?“

„Ja,“ antwortete Old Shatterhand. „Wir werden ihnen ihre Gewehre in die Hand geben, sie aufrecht setzen, mit den Gesichtern nach der Gegend der heiligen Steinbrüche, und dann Steine auf sie legen. So ehret man die Krieger. Wenn dann ihre Brüder kommen, um uns zu verfolgen, so werden sie erkennen, daß wir nicht ihre Feinde, sondern ihre Freunde sind.“

„Meine beiden berühmten Brüder thun, was ich nicht begreife!“

„Würdest du dich nicht freuen, wenn du die Deinen so begraben fändest?“

„Tokvi-tey würde sich sehr freuen und daraus erkennen, daß die Feinde edle Krieger seien.“

„So zeig‘, daß auch du ein edler Krieger bist, und gebiete deinen Männern, Steine zu holen, mit denen wir die Hügel errichten!“

Das Begriffsvermögen der Schoschonen reichte nicht aus, sich in die Ansichten der beiden Männer hineinzudenken, doch hegten sie vor ihnen eine solche achtungsvolle Scheu, daß sie sich nicht weigerten, dem ausgesprochenen Wunsche zu entsprechen.

Die beiden Gefallenen wurden in sitzende Stellung aufgerichtet, einer rechts und der andere links vom Eingange des Passes, mit den Gesichtern nach Nordost gerichtet. Sie erhielten ihre Gewehre in die Hände und wurden dann mit Steinen bedeckt. Als diese Arbeit beendet war, wurde wieder aufgebrochen. Vorher aber sagte Winnetou zu Old Shatterhand:

„Der Häuptling der Apachen wird hier zurückbleiben, um die Ankunft der Upsarocas zu beobachten. Der junge Sohn des Bärentöters mag an seiner Seite sein.“

Das war eine Auszeichnung für Martin Baumann, welche dieser sehr wohl zu würdigen verstand. Es erfüllte ihn mit freudigem Stolz, zu dieser Bevorzugung auserwählt worden zu sein. Diese beiden blieben also zurück, und die anderen ritten unter Old Shatterhands Führung weiter.

jetzt, da es Tag war, ging der Ritt bedeutend schneller vor sich als während der vergangenen Nacht. Zuweilen eben, meist aber bergan, führte der Paß tief zwischen langgezogene Höhen hinein. Nach Verlauf von zwei Stunden, also der angegebenen Zeit, traten die Höhen zu einem Cannon zusammen, eng, hoch, und fast lotrecht emporsteigend. Der Paß war nur so breit, daß drei Reiter nebeneinander Platz finden konnten. Es war ganz unmöglich, zu Fuße, viel weniger aber zu Pferde, an den Seiten emporzuklimmen. Da blieb Old Shatterhand halten. Er deutete in den schnurgerade fortlaufenden Cannon hinein und erklärte:

„Wenn die Upsarocas kommen, werden wir sie hier eindringen lassen. Die Hälfte von uns bleibt unter der Anführung Tokvi-teys und Winnetous hier versteckt zurück und bricht, sobald ich mein Gewehr abschieße, hinter dem Feinde in die Enge ein. Die andere Hälfte postiert sich mit mir an den Ausgang des Passes. Auf diese Weise wird der Feind vollständig eingeschlossen und hat nur die Wahl, entweder elend niedergeschossen zu werden oder sich freiwillig zu ergeben.“

Das leuchtete allen ein. Das Terrain war ganz zur Ausführung dieses Planes geeignet.

„Die Upsarocas müßten aber doch geradezu mit Ruten gepeitscht werden, wenn sie so dumm wären, in die Falle zu gehen,“ sagte der dicke Jemmy.

„Sie werden natürlich nicht sofort hineinschlüpfen,“ antwortete Old Shatterhand. „Sie werden hier halten und sich beraten. Da ist nun freilich die Hauptsache, daß sie durch nichts auf die Anwesenheit unserer Krieger aufmerksam gemacht werden. Diese müssen sich also hier so gut verstecken, daß es unmöglich ist, sie zu bemerken. Tokvi-tey ist ein tapferer und auch kluger Krieger. Er wird seine Befehle geben. Und wenn nachher Winnetou kommt, weicher ja auch mit hierbleiben soll, so führen zwei Männer, auf welche ich mich wohl verlassen kann, den Befehl.“

Das schmeichelte dem Häuptling der Schoschonen. Es stand zu erwarten, daß er sehr besorgt sein werde, das auf ihn gesetzte Vertrauen nicht zu täuschen. Er blieb mit dreißig seiner Leute zurück und begann sofort, das Terrain zu rekognoszieren, um die geeigneten Maßregeln zu ergreifen. Glücklicherweise war der Boden so felsig, daß an eine erkennbare Fährte gar nicht gedacht werden konnte, und rückwärts des Cannons stand der Wald so dicht, daß es nicht schwer erschien, ein gutes Versteck zu finden.

Old Shatterhand durchritt mit den anderen den Cannon. Dieser war so kurz, daß man, am Eingange desselben stehend, den Ausgang recht wohl sehen konnte. Dort, wo er plötzlich wieder zum breiten Passe wurde, bestand der Boden aus Humuserde, aus welcher riesige Bäume zum Himmel ragten. Zwischen den Stämmen derselben lagen zahlreiche zerstreute Felsstücke.

Hatten die Leute erwartet, daß Old Shatterhand hier sofort anhalten werde, so hatten sie sich getäuscht. Er ritt vielmehr weiter und ließ dabei sein Pferd kurbettieren, um eine recht deutliche, auffällige Fährte zurückzulassen.

„Aber, Sir,“ sagte der dicke Jemmy, „ich denke, wir sollen hier am Ausgange der Schlucht bleiben!“

„Ja, das werden wir freilich. Aber folgt nur vorher noch eine Strecke, und sorgt dafür, daß wir eine gute Spur machen 1 Eigentlich solltet Ihr gar nicht fragen, Master Jemmy. Was ich thue, das ist ja ganz selbstverständlich.“

Er ritt wohl noch eine ziemliche Viertelstunde weiter. Dann hielt er an, wendete sich zu den anderen um und fragte.

„Nun, Mesch’schurs, wißt ihr, warum ich so weit vorgeritten bin?“

„Etwa wegen wahrscheinlicher Kundschafter?“ antwortete Jemmy.

„Ja. Die Upsarocas werden sich nicht eher in den Paß wagen, als bis sie sich durch Kundschafter überzeugt haben, daß das vor ihnen liegende Terrain sicher ist. Ich vermute, daß diese Kundschafter an einen Hinterhalt denken und also äußerst vorsichtig sein werden. Wir lassen unsere Gegenwart nicht merken, stellen ihnen auch kein Hindernis, welches nicht ganz notwendig ist, in den Weg, und warten dann das übrige ruhig ab.“

„Und was thun wir jetzt?“

„Jetzt kehren wir zum Ausgange des Cannons zurück, natürlich aber nicht auf dieser Fährte, sondern wir biegen hier zur Seite in den Wald hinein. Folgt mir nur!“

Die Seitenwände des Passes bildeten hier eine nicht sehr steile Böschung, welche von den Pferden unschwer erklommen werden konnte. Old Shatterhand ritt den Seinigen voran, ein gutes Stück der Steilung hinan, und dann bog er nach dem Ausgange des Cannons zurück. Als er sein Pferd anhielt, befand sich seine Schar parallel mit dem Ende der Schlucht auf halber Höhe oben. Von hier aus konnte man selbst zu Pferde in wenigen Sekunden hinunter gelangen und den Ausgang besetzen.

Die Reiter stiegen von den Pferden und banden dieselben an die Bäume. Sie selbst nahmen in Gruppen, wie die Personen sich beliebig zusammenfanden, in dem weichen Moose Platz. Natürlich waren es die Weißen, welche zunächst beieinander saßen. Nur Wohkadeh hatte sich ihnen angeschlossen; von den Schoschonen wagte sich keiner in ihre unmittelbare Nähe.

„Ob wir lange werden warten müssen?“ meinte Jemmy.

„Das können wir uns so ziemlich sicher ausrechnen,“ antwortete der Anführer. „Die Upsarocas werden bei Anbruch des Tages nach ihren beiden Kundschaftern geforscht haben. Bis sie entdecken, was am Lager geschehen ist, können sie wohl zwei Stunden zubringen. Da angekommen, wo wir die beiden Grabhügeln errichtet haben, werden sie dieselben öffnen und untersuchen. Nehmen wir an, sie brauchen dazu und zur Beratung, die sie dann sicher halten werden, eine Stunde, so haben wir in Summa drei Stunden. Wir haben von dem Lagerplatze bis hierher fünf Stunden gebraucht. Wenn die Feinde ebenso schnell oder ebenso langsam reiten wie wir, werden sie also acht Stunden nach Tagesanbruch hier sein. Wir haben also von jetzt an noch ungefähr fünf Stunden Zeit.“

„O weh! Was fangen wir während dieser kleinen Ewigkeit nur an?“

„Da brauchen Sie gar nich erst zu fragen!“ antwortete der Hobble-Frank. „Wir schprechen een bißchen von der Kunscht und von den Wissenschaften. Das ist das beschte, was man thun kann. Das bildet den Kopf, veredelt das Herz, macht das Temperamente sanft und gibt dem natürlichen Charakter diejenige Festigkeet, welche notwendig ist, wenn man in den Schtürmen des Lebens nich mit allen Winden davonfliegen will. Off die Kunscht und off die Wissenschaft lasse ich eemal nichts kommen. Diese beeden sind mein tägliches Brot, mein Anfang und mein Ende, mein – – brrr! Was ist denn das hier eegentlich für een infamer Geruch? Das riecht doch noch viel schlimmer, als ob hier eene geschtorbene Leiche nich richtig eingescharrt worden wäre! Oder – – hm!“

Er blickte sich um und gewahrte den Schwarzen, welcher hinter dem Baume lehnte, unter welchem der Sachse saß.

„Willst du gleich fort, du Sakkerment!“ schrie er ihn an. „Wie kannst du dich da an meinen Boom randrücken! Denkst du etwa, ich habe meine Nase vom Maskenverleiher geborgt? Geh fort, Zuave, und konzentriere dich nach Afrika! Unsere Nerven aber sind zu sehre kultiviert für dich. Nelken, Reseda und Blümelein Vergißmeinnicht, das lass‘ ich mir gefallen. Aber Skunk mag ich selbst der feinsten Dame nich ins smelling-bottle raten!“

„Masser Bob riechen gut, sehr gut!“ verteidigte sich der Neger. „Masser Bob nicht stinken. Masser Bob haben sich waschen in Wasser, mit Asche und Fett vom Bären. Masser Bob sein ein fein, nobel Gentleman!“

„Was? Du willst e Mann von hoher, wohlriechender Geburt sein! Wart, Bursche, meine Atmosphäre sollst du mir nich verrealinjurieren!“

Er ergriff seine Büchse, legte auf Bob an und drohte:

„Wenn du nich gleich verschwindest, so schieße ich dir beede Kugeln fünfmal um den schwarzen Leib herum!“

„Jessus, Jessus! Nicht schießen, nicht schießen!“ schrie der Schwarze. „Masser Bob gehen bereits fort. Masser Bob setzen sich weit fort!“

Er zog sich schleunigst nach einem entfernten Ort zurück, wo er sich schmollend und leise räsonnierend niedersetzte.

Der kleine Sachse brachte seinen Vorschlag, über Kunst und Wissenschaft zu reden, nochmals zu Gehör; aber Old Shatterhand antwortete ihm:

„Ich glaube, wir können unsere Zeit auf eine heilsamere Weise benutzen. Wir haben in der vergangenen Nacht nicht geschlafen. Legt euch alle aufs Ohr und versucht, ein Nickerchen zu halten. Ich werde wachen.“

„Sie? Warum denn grad Sie? Sie haben doch ebensowenig wie wir sich in Mosjeh Orpheus‘ seinen Armen gewiegt.“

„Morpheus heißt es!“verbesserte Jemmy.

„Kommen Sie mir schon wieder so! Warum verdefendiert mich denn keen anderer nich, als nur immer Sie alleene! Was Sie nur mit Ihrem Morpheus wollen! Ich weeß es ganz genau, wie es heeßen muß. Ich war ja Mitglied vom Gesangverein, der Orpheus hieß. Wenn man sich da mal so richtig ausgesungen hatte, besonders wenn nich viele Pausen bei den Noten waren, da schlief sich’s hinterher ganz wunderbar. So een Gesangverein ist das beste Mittel gegen schlaflose Nachtgedanken, und darum muß es eben Orpheus heeßen.“

„Gut, lassen wir’s dabei!“ lachte der Dicke, indem er sich lang ins Moos streckte. „Ich will lieber schlafen, als mit ihnen solche gelehrte Nüsse aufknacken.“

„Dazu fehlen Ihnen eben die Haare off den Zähnen. Wer nichts gelernt hat, der kann ooch nichts. Schlafen Sie also immer fort; die Weltgeschichte erleidet keene Einbuße dabei.“

Und als er nun keinen anderen fand, den er von seiner geistigen Überlegenheit überzeugen konnte, machte er es sich auch bequem und versuchte ein Schlummerchen zu thun. Von Old Shatterhand aufgefordert, folgten die Schoschonen diesem Beispiele, und bald schliefen alle außer dem Anführer. Sogar die Pferde legten sich oder ließen müde die Köpfe hängen. Das hatte nicht das Aussehen, als ob nach wenigen Stunden sich hier eine blutige Scene abspielen könne.

Old Shatterhand stieg von der Höhe hinab, durchschritt langsam den Cannon und blickte sich jenseits desselben forschend um. Er lächelte befriedigt, denn es war hier keine Spur zu bemerken, welche angedeutet hätte, wo Tokvi-tey sich mit seinen Leuten befand. Der Schoschone hatte also seine Maßregeln sehr gut getroffen.

Nun kehrte er wieder zurück und setzte sich am Ausgange der Schlucht auf einen Stein. Mit auf die Brust gesenktem Kopf saß er stundenlang unbeweglich da. Woran dachte der berühmte Jäger? Vielleicht ließ er die Tage seines vielbewegten Lebens wie ein hochinteressantes Panorama an sich vorüberziehen.

Da ließ sich der Hufschlag eines Pferdes vernehmen. Old Shatterhand stand auf und lauschte um die Ecke des Felsens. Martin Baumann kam geritten; da konnte Shatterhand sich zeigen.

„Ist Winnetou auch da?“ fragte er.

„Ja. Er wurde von Tokvi-tey angerufen und ist bei ihm geblieben, da Sie es so gewünscht haben. Auch ich soll zu ihnen zurückkehren.“

„Das ist mir recht. Der Apache scheint Ihnen sein Wohlwollen zu widmen. Nehmen Sie das in acht, junger Freund! Es gibt keinen zweiten, der Ihnen hier im Westen so zu nützen vermag wie der Häuptling, dem auch ich so viel verdanke.“

„Keinen zweiten?“ fragte der Jüngling lächelnd. „Sind nicht Sie es, dem wir alle bereits so sehr viel zu danken haben?“

„Pah ! Kleinigkeit! Im Grunde genommen, trage doch ich die Schuld an der Gefangenschaft Ihres Vaters. Ich hoffe aber, daß Sie ihn frei und wohlbehalten wiedersehen werden. Doch jetzt haben wir anderes zu besprechen. Haben Sie die Upsarocas gesehen? Doch, was frage ich so überflüssig! Es versteht sich ja ganz von selbst, daß Sie sie gesehen haben.“

„Ganz von selbst? Wie nun, wenn sie gar nicht gekommen wären?“

„Pah! jetzt wollen Sie mich auf die Probe stellen,“ lachte der Jäger höchst belustigt. „Wenn sie sich noch nicht hätten sehen lassen, wären Sie noch nicht da, denn Winnetou verläßt seinen Posten sicherlich nicht eher, als bis er weiß, woran er ist. Und wenn er überzeugt wäre, daß sie überhaupt nicht kommen, so würde er nicht bei den Schoschonen bleiben, sondern mir dieselben bereits gebracht haben. Sie sehen, wenn auch der Examinand dem Examinator zuweilen eine Frage vorlegt, so ist sie doch meist überflüssig. Also, wie viele Upsarocas haben Sie gezählt?“

„Sechzehn und zwei ledige Pferde.“

„So habe ich also ganz richtig kalkuliert. Die beiden Pferde haben den Toten gehört.“

„Zwei ritten eine ziemlich weite Strecke als Kundschafter voran. Man sah, daß sie sich genau nach unserer Fährte richteten.“

„Gut, sie werden bald diejenigen kennen lernen, von denen diese Fährte zurückgelassen wurde.“

„Wir hielten uns unter Bäumen gut versteckt und ließen sie verhältnismäßig weit herankommen. Dann folgten wir ihnen im Galopp nach, um einen großen Vorsprung zu erlangen. Vorher aber konnten wir noch bemerken, daß sich ein besonders riesiger Kerl bei der Truppe befand. Er schien der Anführer zu sein, denn er ritt den anderen um einige Pferdelängen voran.“

„Konnten Sie die Art der Bewaffnung erkennen?“

„Sie hatten alle Gewehre.“

„So ist es gut. Jetzt werden Sie meine Botschaft an Winnetou genau ausrichten. Im Cannon hier haben nur drei Pferde nebeneinander Platz. Ich bitte also den Apachen, vom Gebrauche der Pferde abzusehen. Sobald die Feinde in den Cannon verschwunden sind, mag er ihnen schnell zu Fuße folgen.“

„Sind sie uns da nicht überlegen?“

„Nein, sondern wir im Gegenteile ihnen.“

„Aber sie reiten uns leicht nieder!“

„Haben Sie sich auch bereits mit taktischen Gedanken getragen? Während die Upsarocas nur drei Pferde breit reiten können, ist es uns, wenn wir zu Fuße sind, möglich, fünf Mann nebeneinander zu postieren. Das thun wir folgendermaßen: die ersten fünf setzen sich einfach platt zur Erde; die zweiten fünf knieen hinter ihnen. Hinter diesen stehen die dritten fünf in gebückter Haltung, und dann folgen die vierten fünf in aufrechter Stellung. So können zwanzig Mann genau und sicher zielen, ohne einander zu inkommodieren. Die übrigen stehen als Reserve hinter ihnen. Auf diese Weise erhalten die sechzehn Upsarocas, wenn sie sich nicht ergeben, von vorn und hinten zusammen vierzig Schüsse, natürlich nicht auf einmal. Es hat nämlich eine Reihe nach der anderen zu feuern, da immer nur drei Feinde getroffen werden können. Auch ist darauf zu rechnen, daß wir die reiterlosen Pferde niederzuschießen haben werden, wenn sie nicht Unheil in unseren Reihen anrichten sollen. Sagen Sie das dem Apachen, und fügen Sie auch dazu, daß ich ganz allein mit den Feinden verhandeln will. Es soll sich kein anderer darauf einlassen. Wann denkt Winnetou, daß sie hier sein werden?“

„Er rechnet eine Stunde für ihren Aufenthalt bei den Gräbern-“

„Also ganz wie ich.“

„Und zwei Stunden bis hierher. Da wir beide aber nur anderthalb Stunden geritten sind, so dürfen wir erwarten, daß weit über eine Stunde vergehen wird, bevor sie hier ankommen.“

„Ich vermute ebenso. Aber dennoch müssen wir uns fertig halten. Reiten Sie jetzt zurück!“

Martin wendete sein Pferd und trabte davon. Old Shatterhand stieg zu den Gefährten empor, welche noch schliefen, und weckte sie. Er teilte ihnen seinen Plan mit und bestimmte, daß Davy, Jemmy, Frank, Wohkadeh und einer der Schoschonen das erste, sitzende Glied bilden sollten. Auch den übrigen zeigte er ihre Plätze an und führte sie hinab, um die beabsichtigte Evolution mit ihnen einzuüben. Es kam ja sehr viel darauf an, daß dieselbe ebenso exakt wie blitzschnell ausgeführt werde. Er selbst wollte vor seinen Leuten stehen, zwischen ihnen und den Feinden, um mit denselben verhandeln zu können. Zu diesem Zwecke schnitt er sich einige lange, grüne Äste ab, welche ja in der ganzen Welt, selbst bei den wildesten Völkern, als Parlamentärflagge gebraucht werden.

Nach einigen Wiederholungen klappte alles ganz ausgezeichnet. Dann, als er überzeugt war, daß seine Leute ihre Pflicht erfüllen würden, zog er sich mit ihnen wieder in das Versteck zurück.

jetzt wurde ihnen die Zeit des Wartens länger als vorher. Aber sie verging doch endlich auch, und dann hörten die Harrenden den Schall der Huftritte eines Pferdes.

„Das scheint nur ein einziger Kundschafter zu sein, welcher vorausgesandt worden ist, um nachzusehen, ob die Passage ohne Gefahr ist,“ sagte Jemmy.

„Das wäre sehr günstig für uns,“ antwortete Old Shatterhand. „Wären es zwei, so würde einer die Meldung nach rückwärts bringen, während der andere wahrscheinlich hier unten wartete. Ihn hätten wir unschädlich zu machen, ohne daß es von den Seinigen bemerkt wird.“

Jemmy hatte recht. Es war nur ein Reiter, welcher langsam unten aus dem Cannon hervorkam und da halten blieb, um sich vorsichtig umzuschauen. Er bemerkte weder rechts noch links ein Anzeichen, daß ein Feind vorhanden sei, und sah dagegen die gerade fortlaufende Fährte, für deren Deutlichkeit Old Shatterhand so wohlweislich gesorgt hatte. Er beruhigte sich dabei aber doch nicht ganz, sondern ritt noch eine bedeutende Strecke weiter.

„Alle Wetter!“ sagte Jemmy. „Er wird doch nicht etwa bis zur Stelle reiten, an welcher wir vom Wege abgebogen sind! Dann wäre es verraten, daß wir uns hier befinden.“

„In diesem Falle kommt er nicht zu seinen Leuten zurück,“ sagte Old Shatterhand.

„Wie aber wollt Ihr das fertig bringen, ohne Lärm zu machen?“

„Mit dem da.“

Dabei deutete er auf seinen Lasso.

„Dann müßte ihn die Schlinge unbedingt gerade am Halse treffen und ihm denselben zuschnüren, daß er nicht schreien kann. Das ist aber ein verteufelt schweres Kunststück. Werdet Ihr es fertig bringen, Sir?“

„Habt keine Sorge. Streckt alle zehn Finger aus und sagt mir, welchen ich mit dem Lasso fassen soll! Aber von hier oben aus kann man nicht sehen, wie weit er reitet. Ich muß hinab. Verhaltet euch indessen ruhig, und wenn ihr mich leise pfeifen hört, so kommt ihr schnell nach!“

Er nahm den Lasso von der Schulter, über welche er gehangen hatte und legte ihn, indem er schnell die Steilung hinabglitt, in wurfgerechte Schlingen. Unten angekommen, sah er zu seiner Beruhigung den Upsaroca wieder rückwärts kommen und fand gerade noch Zeit, sich hinter einem der daliegenden großen Felsbrocken niederzuducken. Der Mann kam im Trab an ihm vorübergeritten und verschwand hinter der Ecke des engen Cannons.

Old Shatterhand gab das verabredete Zeichen, und seine Leute kamen herbei. Sie brachten ihm seine beiden Gewehre und auch die grünen Zweige mit, welche er, um gegebenen Falls beim Lassowerfen nicht von ihnen gehindert zu sein, bei ihnen hatte liegen lassen müssen.

Er trat an die Ecke und lugte hinter derselben hervor. Der Upsaroca hatte das Ende des Cannons erreicht und verschwand dort. Eine Minute später nun war seine ganze Schar zu sehen, welche im Trab in die Enge einbog. Old Shatterhand ließ sie bis über die Hälfte der Schlucht herbei. Dann zog er den Revolver und feuerte den verabredeten Schuß in dieselbe hinein. Der Schall brach sich vielfältig an den engen, steilen Wänden und gelangte mit zehnfacher Stärke an die Ohren des Apachen und seiner Schar. Sie stürmten in die Schlucht hinein, hinter den Upsarocas her, von denen sie gar nicht bemerkt wurden. Die letzteren hatten, als sie den Schuß hörten, ihre Pferde sofort pariert. Nun sahen sie Old Shatterhand und seine Leute vorn hereindringen und die bereits beschriebene, schußfertige Stellung einnehmen.

Der Anführer der feindlichen Indianer war, wie Martin Baumann bereits berichtet hatte, eine wirklich herkulische Gestalt. Er saß wie ein Kriegsgott zu Pferde. Die weiten Lederhosen hingen an den Nähten voller Flechten, gefertigt aus dem Haare der von ihm erlegten Feinde. Die starkledernen Beinschützer, welche vom Sattel bis herab zu den Steigbügeln reichten, waren mit langen Streifen von Menschenhaut verziert. Auf der breiten Brust trug er über dem hirschledernen Jagdrocke eine Art Panzer, welcher aus schuppenförmig übereinander befestigten Skalptellern bestand. Im Gürtel steckte neben allerlei notwendigen Gegenständen ein großes Jagdmesser und ein riesiger Tomahawk, welcher nur von der Faust eines so athletisch gebauten Menschen geschwungen werden konnte, und auf dem Kopfe saß der Schädel eines Kuguar, von welchem das in lange, dicke Seile gedrehte Fell desselben herniederhing. Das Gesicht dieses Mannes war mit schwarzer, roter und gelber Farbe bemalt, und in der Rechten hielt er eine schwere Büchse, aus welcher er gar manchen tödlichen Schuß abgefeuert hatte.

Dieser Mann erkannte sofort, daß die ihm entgegenstarrenden Gewehrläufe den Waffen seiner Schar in diesem Augenblicke überlegen seien.

„Zurück!“ rief er mit tiefer Stimme, deren Ton förmlich durch den Cannon donnerte.

Dabei riß er sein Pferd empor und warf es auf den Flechsen herum. Die Seinen thaten dasselbe. Da aber erblickten sie nun Winnetous Schar, deren Gewehre ihnen gerade so entgegenstarrten wie die am anderen Ende des Cannons.

„Wakon schitscha – schlechte Medizin!“ schrie er erschrocken. „Kehrt abermals um! Dort steht ein Mann, welcher das Zeichen des Redners in der Hand hat. Unsere Ohren werden hören, was er uns sagen will.“

Er drehte sein Roß wieder herum und ritt langsam auf Old Shatterhand zu. Die Seinigen folgten ihm. Diesen Vorteil ließ der kluge Apache sich nicht entgehen. Er folgte ebenso und nahm so nahe hinter den Upsarocas Stellung, daß diese nun eng eingeschlossen waren.

Old Shatterhand that keinen einzigen entgegenkommenden Schritt. Der Upsaroca musterte ihn mit furchtlosem Bücke und fragte:

„Was will das Bleichgesicht hier? Warum stellt er sich mir und meinen Kriegern in den Weg?“

Old Shatterhand hielt den Blick mit lächelnder Miene aus und antwortete:

„Was will der rote Mann hier? Warum verfolgt er mich und meine Krieger?“

„Weil ihr zwei unserer Brüder getötet habt.'“

„Sie kamen als Feinde zu uns, und Feinde macht man unschädlich.“

„Woher weißt du, daß wir deine Feinde sind?“

„Weil ihr eure Medizin verloren habt.“

Die Brauen des Riesen senkten sich tief herab.

„Wer hat es dir gesagt?“

„Ich weiß es, weil die beiden Krieger, welche an unseren Kugeln starben, ihre Medizinen nicht bei sich hatten.“

„Du hast recht geraten. Ich bin nicht mehr, der ich war. Ich habe mit der Medizin auch meinen Namen verloren. Jetzt heiße ich Oiht-e-keh-fa-wakon, der Tapfere, welcher Medizin sucht. Laß uns vorüber, sonst töten wir euch!“

„Ergebt euch, sonst seid ihr es, welche getötet werden!“

„Dein Mund spricht stolze Worte. Wie aber sind deine Thaten?“

„Du kannst sie sofort erfahren. Blicke vor und hinter dich! Ein Wink von mir, und mehr als fünfmal zehn Kugeln schlagen in deine kleine Schar.“

„Das ist nicht tapfer, sondern feig. Viele stinkige Coyoten töten den stärksten Büffel. Was wären deine Hunde gegen meine Krieger, wenn ihr uns nicht eingeschlossen hättet. Ich allein würde die Hälfte von euch niederschlagen.“

Er zog seinen schweren Tomahawk und schwang ihn drohend.

„Und ich allein würde deine ganze Schar in die ewigen Jagdgründe senden!“ sagte Shatterhand ruhig.

„Ist vielleicht Ithanka (Großmaul) dein Name?“

„Ich kämpfe nicht mit meinem Namen, sondern mit meiner Hand.“

Da leuchtete das Auge des Upsaroca auf.

„Willst du das an mir wahr machen?“ fragte er.

„Ich fürchte dich nicht, sondern lache über deine leeren Worte!“

„So warte, bis ich mit meinen Kriegern gesprochen habe! Dann sollst du erfahren, ob Oiht-e-keh-fa-wakon nur redet und nicht auch handelt.“

Er wendete sich zu seinen Leuten zurück und sprach leise mit denjenigen von ihnen, welche seine gedämpfte Stimme zu erreichen vermochte. Dann kehrte er sich wieder zu Old Shatterhand und fragte:

„Weißt du, was ein Muh-mohwa ist?“

„Ich weiß es.“

„Wohlan! Wir brauchen Skalpe zur Medizin. Vier Männer sollen den Muh-mohwa kämpfen, du mit mir und einer deiner roten Männer mit einem meiner Krieger. Siegen wir, so töten und skalpieren wir euch alle; siegt aber ihr, so nehmt ihr uns Skalp und Leben. Hast du Mut?“

Er sprach diese Frage in höhnischem Tone aus. Old Shatterhand antwortete augenblicklich und mit lächelndem Munde:

„Ich bin bereit. Leg‘ deine Hand in die meinige zum Zeichen, daß deine Worte gelten.“

Er streckte ihm die Hand entgegen. Das hatte der Riese nicht erwartet, darum zögerte er unwillkürlich, einzuschlagen.

Muh-mohwa nämlich ist ein der Utahsprache entnommener Ausdruck und heißt wörtlich „Hand am Baum“. Dieser Kampf wird bei manchen Stämmen als eine Art Gottesgericht in Scene gesetzt. Zwei Männer werden durch starke Riemen mit einer Hand an einen Baumstamm gebunden und erhalten in die andere Hand die verabredete Waffe, Tomahawk oder Messer. Die Riemen sind so befestigt, daß sie den Kämpfern erlauben, sich im Kreise um den Stamm zu bewegen. Da die beiden mit den Gesichtern gegeneinander stehen müssen, so ist der eine mit der rechten und der andere mit der linken Hand angebunden. Derjenige, welcher die Rechte zum Kampfe frei hat, ist also gewöhnlich im Vorteile. In der Regel endet dieser wirklich schreckliche Kampf, bei welchem die Gegner sich zerfleischen, nur mit dem Tode des einen. Doch gibt es auch mildere Formen desselben.

Der Upsaroca war vollständig überzeugt, durch seine Aufforderung sich in den größten Vorteil zu setzen. Er war ja hier in dem Cannon, im Fall er sich nicht ergab, mit all den Seinen verloren. Durch den Muh-wohwa aber befreite er sich nicht nur aus dieser augenblicklichen Bedrängnis, sondern er gelangte auch in den sichern Besitz der Skalpe aller seiner Feinde, in deren Hand er sich befand. Er war vollständig überzeugt, dem Weißen überlegen zu sein, und da er als zweiten den stärksten und gewandtesten seiner Leute auswählen wollte, so stand zu erwarten, daß auch dieser seinen Gegner besiegen werde. Um aber in dieser letzteren Beziehung ganz sicher zu gehen, sagte er:

„Du willst es wagen? Der große Geist hat dir den Verstand verwirrt. Kennst du die Bedingung, daß der Kampf zwischen den beiden Siegern zu Ende geführt werden muß, wenn vorher von jeder Partei einer siegt?“

Old Shatterhand durchschaute ihn, denn den sichtbaren Körperverhältnissen nach stand zu erwarten, daß der „Tapfere, welcher Medizin sucht“, nicht nur zuerst, sondern auch, falls der andere Upsaroca je besiegt werden sollte, auch dann beim Entscheidungskampfe als Sieger hervorgehen werde. Dennoch gab er schnell bereit die Antwort:

„Ich willige ein.“

Der Gigant blickte ihn halb erstaunt, halb triumphierend an, streckte ihm nun schnell die Hand entgegen und sagte:

„So gib deine Hand her! Du versprichst mir, und ich verspreche dir im Namen unserer Krieger, daß wir und sie in die Bedingungen willigen. Keiner der Partei, deren Kämpfer besiegt werden, darf sich weigern, sich töten zu lassen.“

„Ich verspreche es. Und damit du alle Sicherheit habest, werden wir die Pfeife des Schwures darüber rauchen.“

Er deutete dabei auf die mit Kolibribälgen geschmückte Friedenspfeife, welche an seinem Halse hing.

„Ja, wir werden sie rauchen,“ stimme der Riese bei, indem ein grimmig höhnisches Lächeln über seine scharf ausgewirkten Züge glitt. „Aber diese Pfeife des Schwures wird nicht eine Pfeife des Friedens sein, denn wir werden kämpfen, und nach dem Kampfe werden euere Skalpe unsere Medizinstangen schmücken, und euer Fleisch soll von den Geiern zerrissen und verschlungen werden.“

„Vorher werden wir sehen, ob deine Fäuste ebenso stark und tapfer wie deine Worte sind,“ bemerkte Old Shatterhand.

„Oiht-e-keh-fa-wakon ist noch nie besiegt worden!“ antwortete der Upsaroca stolz.

„Aber er hat sich doch seine Medizin rauben lassen. Wenn sein Augen heute nicht schärfer sind als dort am Wasser, wo sie ihm gestohlen wurde, so wird mein Skalp auf meinem Haupte bleiben.“

Das war eine scharfe Zurechtweisung, denn der Verlust der Medizin ist das Schlimmste mit, was einem Indianer geschehen kann. Der Rote fuhr auch sofort mit der Hand abermals nach der Waffe, doch Old Shatterhand zuckte die Achsel und warnte ihn:

„Laß jetzt die Hand davon! Du wirst ja sehr bald zeigen können, wie tapfer du bist. Jetzt aber wollen wir diesen Ort verlassen, um uns einen anderen zu suchen, welcher zum Muh-mohwa geeigneter ist. Meine Brüder werden sich ihre Pferde holen, und die Upsarocas reiten als unsere Gefangenen in unserer Mitte.“

Er gab Winnetou einen Wink, und der Apache kehrte mit seiner Abteilung nach dem Orte zurück, an welchem die Pferde derselben zurückgelassen worden waren. Als sie dann sehr bald angeritten kamen, holte auch die andere Abteilung die ihr gehörigen Tiere herbei. Auf diese Weise befanden sich die Krähenindianer bis zum Aufbruche keinen Augenblick lang ohne Aufsicht, so daß es also für sie unmöglich war, die Flucht zu ergreifen. Jetzt wurden sie in die Mitte genommen, und der Zug setzte sich in Bewegung.

Old Shatterhand hatte den Seinigen den leisen Befehl gegeben, ja nicht etwa seinen Namen und denjenigen des Apachen zu verraten. Die Upsarocas sollten einstweilen nicht wissen, mit welchen Gegnern sie zu kämpfen haben würden. Solange sie die Überzeugung besaßen, aus dem beabsichtigten Kampfe als Sieger hervorzugehen, dachten sie wohl nicht daran, gegen die Verabredung zu handeln.

Der dicke Jemmy hielt sich an Old Shatterhands Seite. Er war mit dem Verhalten desselben nicht ganz einverstanden.

„Nehmt’s nicht übel, Sir, daß ich ein Bedenken ausspreche,“ sagte er. „Ihr habt gegen diese Roten als nobler Kerl gehandelt; aber eine solche Noblesse ist da wohl am unrechten Platze.“

„Warum? Glaubt Ihr etwa, daß der Indianer kein Verständnis für eine edelmütige Gesinnung habe? Ich habe gar viele Rote kennen gelernt, an denen die Weißen in dieser Beziehung sich ein Beispiel nehmen könnten.“

„Das mag wohl sein. Ausnahmen gibt es ja stets und überall. Aber diesen Krähenindianern ist nicht zu trauen. Sie wollen neue Medizinen haben, und in einem solchen Falle sind Rücksichten von ihrer Seite nicht zu erwarten. Wir hatten sie so schön in unseren Händen. Sie konnten weder vor- noch rückwärts. Es war uns ein Leichtes, sie auszulöschen, wie man einige arme Zündhölzer ausbläst. Nun aber seid Ihr zu dem verteufelten Muh-mohwa gezwungen, und wer sagt Euch, daß dieser Riese Euch nicht niederschlagen oder niederstechen werde!“

„Pah! Ihr seid doch sonst kein so blutdürstiger Mann. Welchen Grund habt Ihr, zu bereuen, daß wir diese Leute nicht getötet haben? Es wäre für uns, die wir ihnen so sehr überlegen waren und sie in eine Falle gelockt hatten, in der sie sich nicht bewegen und nicht verteidigen konnten, keine Ehre, sondern eine Schande gewesen, sie niederzuschießen. Dabei will ich auch gar nicht davon sprechen, daß wir Christen, aber keine Heiden sind.“

„Hm! Recht habt Ihr freilich, als Christ sowohl wie auch als Mensch überhaupt. Aber mußten wir sie denn überhaupt töten? Sie waren gezwungen, sich zu ergeben, und da stand es uns doch frei, ein humanes Abkommen mit ihnen zu treffen.“

„Sie hätten sich nicht ergeben, eben weil sie neue Medizinen suchen. Der Kampf wäre unvermeidlich gewesen. Und da es mir nicht einfallen kann, Menschen abzuschlachten, denen Gott ganz dieselben Rechte wie mir verliehen hat, so habe ich es vorgezogen, auf den Vorschlag des Riesen, den ich überhaupt kenne, einzugehen.“

„Wie? Der Kerl ist Euch bekannt?“

„Ja. Erinnert Ihr Euch vielleicht der Bemerkung, welche ich machte, als wir am Berge der Schildkröte vorüberritten? Ich erzählte, daß ich an diesem Berge einmal mit dem Upsaroca-Krieger Schunka-schatscha gelagert habe. Er erzählte mir viel von seinem Stamme. Dabei erwähnte er mit großem Stolze seines berühmten Bruders Kanteh-pehta, zu deutsch: Feuerherz.“

„Meinte er etwa den großen, berühmten Medizinmann der Krähenindianer?“

„Denselben. Er erzählte mir die Thaten dieses seines Bruders und beschrieb mir auch die Person desselben. Er schilderte ihn mir als einen wahren Riesen von Gestalt, dem das linke Ohr fehle. Kanteh-pehta hat einst im Kampfe mit den Sioux Ogallala einen Tomahawkhieb bekommen, welcher ihm das Ohr vom Kopfe trennte und ihn dann noch tief in die Achsel verwundete. Nun seht Euch doch einmal diesen gigantischen Upsaroca an! Ihm fehlt das linke Ohr, und aus der Haltung seines linken Armes ersehe ich, daß er da einmal verletzt worden sein muß.“

„Alle Wetter! Das wäre freilich ein ganz besonderes Zusammentreffen! Aber dann bangt mir doch um Euch, Sir. Ihr seid zwar der tüchtigste Kerl, den es nur geben kann; aber dieser Kanteh-pehta ist noch nie besiegt worden. An Körperstärke ist er Euch unbedingt überlegen, während ich freilich überzeugt bin, daß er es in Beziehung auf die Gewandtheit mit Euch nicht aufzunehmen vermag. Wenn man mit dem einen Arme an den Baum gebunden ist, gibt die Stärke, aber wohl nicht die Gewandtheit den Ausschlag, und darum meine ich, daß man eher auf ihn als auf Euch wetten kann.“

„Nun,“ lächelte Old Shatterhand, „wenn Ihr so besorgt um mich seid, so gibt es ein sehr einfaches Mittel, mich vom sicheren Untergange zu retten.“

„Welches ist das?“

„Ihr kämpft an meiner Stelle mit der Krähe.“

„Heigh-ho! Das fällt mir freilich nicht ein! Ich habe sonst gar keine zarten Nerven, aber dem Tode geradezu in die Arme zu laufen, das ist doch nicht nach meinem Geschmack. Übrigens habt Ihr die Suppe eingebrockt, Sir, und nun mögt Ihr sie auch mit Appetit genießen. Ich wünsche Euch von ganzem Herzen eine gesegnete Mahlzeit!“

Er hielt sein Pferd um einige Längen zurück, um die unangenehme Offerte nicht noch einmal zu bekommen. An seiner Stelle dirigierte Winnetou seinen Rappen an Old Shatterhands Seite.

„Mein weißer Bruder hat Kanteh-pehta, den Medizinmann der Upsarocas erkannt?“ fragte er.

„Ja,“ nickte der Gefragte. „Und die Augen meines roten Bruders waren ebenso scharf wie die meinen?“

„Die Krähe hat nur ein Ohr. Winnetou hat ihr Gesicht noch nie gesehen; aber der Tapfere, welcher Medizin sucht, kann den Häuptling der Apachen nicht täuschen. Ich habe vernommen, was mein Bruder mit ihm gesprochen hat, und bin bereit zum Kampfe.“

„Ich habe allerdings auf den Häuptling der Apachen gerechnet, denn ich möchte keinem anderen diese Ehrensache anvertrauen.“

„Wird mein Bruder die große Krähe töten?“

Also bei Winnetou gab es nicht den mindesten Zweifel darüber, daß Old Shatterhand Sieger sein werde.

„Nein,“ antwortete der Gefragte. „Die Upsaroca sind Feinde der Sioux Ogallala. Wenn wir sie schonen, werden sie unsere Verbündeten sein.“

„So mag auch der andere leben bleiben. Man soll von Winnetou nicht sagen, daß sein weißer Bruder gnädiger gesinnt sei als er.“

Der Trupp hatte von dem Cannon aus vielleicht eine englische Meile zurückgelegt, als das Thal plötzlich sich erweiterte. Die Reiter gelangten an eine kleine, rings von Bergen eingeschlossene Prairie, wie es dort so viele gibt. Es gab da hageres Gras und einzelne Büsche. Nur ein einziger Baum war auf der Ebene zu sehen. Es war eine ziemlich hohe Linde von der Gattung, welche wegen ihrer großen, weißhaarigen Blätter von den Indianern sonorischer Zunge Muh-mangatusahga, d. i. Weißblattbaum, genannt wird.

„Mawa – dort!“ sagte der Anführer der Krähenindianer, indem er nach dem Baume deutete.

„Howgh!“ nickte Winnetou, indem er sein Pferd im Galopp der Linde zulenkte.

Die anderen folgten nach dem Orte, an welchem der Zweikampf vor sich gehen sollte.

Die Spannung, in welcher sich alle befanden, war natürlich keine geringe, wenn auch keiner sich das merken ließ. Die größte innerliche Ruhe fühlten gerade diejenigen Drei, welche wußten, daß sie zu den Kämpfenden gehören würden, Winnetou, Old Shatterhand und Oiht-e-keh-fa-wakon, denn ein jeder von ihnen war überzeugt, daß er siegen werde.

Alle sprangen ab. Die Pferde wurden frei gelassen, und die Reiter lagerten sich, indem sie einen Kreis bildeten. Ein Fremder, welcher jetzt herbeigekommen wäre, hätte wohl nicht gedacht, daß hier Feinde einander gegenübersaßen, da den Upsarocas ihre Waffen gelassen worden waren. Old Shatterhand hatte darauf verzichtet, sie ihnen abzufordern. Auch in dieser Beziehung hatte er wirklich ritterlich oder, wie der Amerikaner sich ausdrückt, gentlemanlike gehandelt.

Er holte so viel, wie er von seinem kleinen, in der Satteltasche aufbewahrten Tabaksvorrate brauchte, herbei, nahm die Pfeife vom Halse und stopfte sie. Dann stellte er sich in die Mitte des Kreises und sprach.-

„Der Krieger macht nicht viele Worte, sondern er spricht in Thaten. Meine Brüder wissen, was hier geschehen soll; ich brauche es ihnen nicht zu sagen. Wir töteten die Krieger der Upsarocas nicht, obgleich ihr Leben sich in unseren Händen befand. Wir haben sie geschont, um ihnen zu zeigen, daß wir sie auch dann nicht fürchten, wenn wir ohne alle Vorteile Mann gegen Mann mit ihnen kämpfen. Sie haben uns zum Muh-mohwa aufgefordert, und wir nahmen ihre Forderung an. Sie sitzen als freie Männer bei uns, mit den Waffen in ihren Händen, obgleich sie eigentlich unsere Gefangenen sind. Wir erwarten, daß auch sie ohne Tücke und Hinterlist an uns handeln wie wir gegen sie. Sie werden uns das versprechen, indem sie die Pfeife des Schwures mit uns rauchen. Ich habe gesprochen, und nun mögen auch sie reden.“

Er setzte sich. Der „Tapfere, welcher Medizin sucht“, erhob sich und antwortete:

„Der weiße Mann hat uns aus der Seele gesprochen. Wir brauchen nicht hinterlistig zu sein, denn wir werden siegen. Aber er hat vergessen, die Bedingungen des Kampfes festzusetzen. –“

„Die Kämpfer,“ fuhr er nach einer kleinen Pause weiter, „werden mit der einen Hand an den Baum gebunden, so daß sie sich ihre Gesichter zeigen. Sie erhalten ihre Messer in die andere Hand und kämpfen mit denselben gegeneinander. Nur diese eine Hand darf gebraucht werden; jede andere Kampfweise ist verboten. Doch wer das Messer nicht mehr halten kann, dem ist es erlaubt, sich mit der Faust weiter zu verteidigen. Wer am Baume niederstürzt und auf seinen Leib fällt, der ist besiegt, mag er tot sein oder noch leben. Wer nur in die Kniee stürzt, darf sich wieder erheben. Vier Männer kämpfen, je zwei gegeneinander, erst ich gegen dieses Bleichgesicht, und sodann einer meiner Leute gegen einen der roten Krieger. Doch können die beiden letzteren auch vor uns kämpfen. Gehören die beiden Sieger verschiedenen Parteien an, so haben sie dann miteinander zu ringen und den Kampf z)i entscheiden. Den Gefährten des Siegers gehört das Leben und alles Eigentum der besiegten Partei, und keiner, dessen Leben verfallen ist, darf sich weigern, sich töten zu lassen. Die Krieger der Upsarocas sind bereit, auf diese Bedingungen die Pfeife des Schwures zu rauchen. Und damit der Kampf ein ehrlicher sei, und keiner mehr als der andere durch ein besseres Kleid geschützt werde, sollen die vier Männer mit entblößtem Oberleibe miteinander kämpfen. Ich habe gesprochen.“

Er setzte sich. Old Shatterhand trat abermals in den Kreis und erklärte:

„Wir sind mit allen Bedingungen der Upsarocas einverstanden. Und damit die Besiegten keine Waffen haben, mit denen sie sich der Tötung widersetzen können, so werden alle anwesenden Krieger alle ihre Waffen ablegen und an einem Orte zusammenthun, der von einem Schoschonen und einem Upsaroca bewacht wird. Jetzt werde ich die Pfeife des Friedens in Brand stecken. Sie wird heute eine Pfeife des Schwures sein, und auf ihrem Rauche mögen die Seelen der Besiegten nach den ewigen Jagdgründen schweben, um später die Seelen der Sieger dort als Sklaven zu bedienen.“

„Hau, hau!“ ertönte es zustimmend im Kreise.

Old Shatterhand zog sein „Punks“ hervor und brannte den Tabak an. Den Rauch an sich ziehend, blies er denselben gegen den Himmel, gegen die Erde und nach den vier Himmelsgegenden aus und gab dann dem Anführer der Upsarocas die Pfeife. Dieser that dieselben sechs Züge und erklärte, daß das Abkommen hiermit beschworen und besiegelt sei. Die anderen beteiligten sich an dem Schwure, indem reihum ein jeder einen Zug that. Dann wurde die Pfeife an einem ziemlich entfernten Orte mit der Mundspitze in die Erde gesteckt, und alle legten die Waffen dabei nieder.

Nun trat der Upsaroca, seines Sieges gewiß, zum Baume, warf die Oberkleider ab und sagte:

„Jetzt kann es beginnen. Ehe die Sonne um eines Messerrückens Breite weiter nach Westen gerückt ist, wird der Skalp eines weißen Hundes an meinem Gürtel hangen!“

jetzt erst war zu erkennen, wie riesenstark der Mann sein müsse. Er besaß eine wahre Bärenmuskulatur. Gerade darum war das, was jetzt geschah, der Bewunderung wert. Nämlich Martin Baumann, der junge Sohn des Bärenjägers, sprang vor und rief in zornigem Tone:

„Die Weißen sind es, denen Ihr Euer Leben zu verdanken habt, und dennoch nennst du sie Hunde! Du bist nicht wert, daß ein erfahrener Krieger mit dir kämpft. Wohlan, hier steht ein junger weißer Hund, der sich nicht fürchtet, dir seine Zähne zu zeigen, obgleich du der stärkste Krieger deines Stammes bist. Ehe die Sonne so weit vorgerückt ist, wie du sagtest, wird die Haut der großschnabeligen krächzenden Krähe vom Hunde zerrissen sein!“

Seine Wangen waren gerötet, und seine Augen leuchteten. Er warf den Jagdrock ab.

„Uff, uff!“ ertönte es bewundernd im Kreise.

Er war der jüngste unter den Anwesenden‘. Darum war der Eindruck, den sein mutiges Auftreten machte, ein außerordentlicher.

„Deh mehtsih – er ist ein Tapferer!“ entfuhr es selbst dem riesigen Upsaroca.

„Sehr bray,“ sagte Old Shatterhand. „Das wird Euch nicht vergessen sein, mein lieber, junger Master. Aber Ihr wißt, daß ich es bin, der aufgefordert wurde, und darum muß ich bitten, es mir zu überlassen, zu beweisen, daß ein „weißer Hund“ sich nicht vor einer Krähe zu fürchten braucht.“

„Aber er ist’s ja gar nicht wert, daß ein Mann wie Ihr mit ihm kämpft,“ warf Martin ein. „Und wenn Ihr etwa meint, daß ich diesen Koloß zu scheuen habe, so denkt daran, daß ich schon gar manchen Grizzly erlegt habe!“

„Jawohl ist es Euch anzusehen, daß Ihr zu dem gefährlichen Gang gar gern bereit seid; aber begnügt Euch immerhin einstweilen mit dem Erfolge, welcher in unserer Bewunderung Eueres Mutes besteht! Ich würde ja als Feigling gelten, wenn ich in diese Stellvertretung willigte.“

„Das kann ich freilich nicht bestreiten, und darum will ich mich Euerem Willen fügen; aber ich bin es nicht gewohnt, mich einen Hund nennen zu lassen!“

Er zog den Jagdrock wieder an und trat zurück. Der Riese gab einem der Seinigen einen Wink. Dieser trat vor, entkleidete seinen Oberkörper und sagte:

„Hier steht Makin-oh-punkreh, der hundertfache Donner. Er machte seinen Schild aus der Haut seiner Feinde, und über vierzig Skalps wurden von ihm genommen. Wer wagt es, vor sein Messer zu treten?“

„Ich, Wohkadeh, werde den hundertfachen Donner zum Schweigen bringen. Ich kann mich keiner Skalpe rühmen; aber ich habe den weißen Büffel getötet und werde heute meinen Gürtel mit der ersten Kopfhaut schmücken. Wer fürchtet den Donner? Er ist der feige Gesell des Blitzes und erhebt seine Stimme erst dann, wenn die Gefahr vorüber ist!“

„Uff, uff l“ rief es abermals rundum, als der junge Indianer, der diese Worte sprach, hervortrat.

„Geh zurück!“ höhnte der hundertfache Donner. „Ich kämpfe mit keinem Kinde. Der Hauch meines Mundes würde dich töten. Lege dich ins Gras und träume von deiner Mutter, die dich noch mit Kammas zu füttern hat!“

Die Grabindianer, welche die verachtetsten Roten sind, suchen in den öden Gegenden, in denen sie ein bedauernswertes Dasein führen, nach einer zwiebelartigen Wurzel, welche in halb verfaultem Zustande von ihnen zu einem ekelhaften Kuchen, dem sogen. Kammaskuchen geformt wird. Selbst Hunde verschmähen, davon zu fressen. Also enthielten die Worte des „Donners“ eine große Beleidigung für den wackeren Wohkadeh.

Bevor dieser letztere antworten konnte, trat Winnetou vor. Er gab dem jungen Indianer einen Wink, zurückzutreten, welchen dieser aus Achtung vor dem berühmten Manne sofort befolgte, und sprach:

„Den beiden Kriegern der Upsarocas ist bereits ihr Urteil gesprochen. Wer hat auf ihre stolzen Reden sich zum Kampfe gemeldet? Zwei Knaben, von denen wir alle überzeugt sind, daß sie Sieger sein würden, denn sie haben bereits den weißen Büffel und den grauen Bären besiegt und würden die beiden Krähen mit einem Drucke der Hand erwürgen. Aber wir wollen thun, als ob wir die Krähen für wirkliche Krieger halten. Sie sollen mit Männern kämpfen. Der hundertfache Donner hat jetzt zum letztenmal gerollt.“

Da fragte der Genannte zornig:

„Wer bist du, der du solche Worte sprichst? Hast du einen Namen? An deinem Gewande ist kein einziges Haar eines Feindes zu sehen. Hast du nur gelernt, die Dschotunka zu blasen, so gehe hin und thue es; aber ein Messer gehört nicht in deine Hand. Du würdest dich nur selbst verletzen.“

„Meinen Namen werde ich deiner Seele nennen, wenn sie dir aus dem Leib entweicht. Dann wird sie jammern vor Entsetzen und sich nicht in die jenseitigen Jagdgefilde wagen. Sie wird wohnen in den Klüften der Berge, um vor Angst mit den Winden zu heulen und mit den Lüften zu klagen!“

„Hund!“ schrie der Donner. „Du wagst es, die Seele eines tapferen Kriegers zu schmähen! Du sollst die Strafe augenblicklich empfangen. Wir beide werden zuerst kämpfen, noch vor dem anderen Paare, und dein Skalp soll keinen Platz bei meinen Trophäen erhalten. Ich werde ihn den Ratten vorwerfen und deinen Namen, den du mir zu sagen verweigert hast, soll kein Ohr eines Kriegers hören!“

„Ja, kämpfen wir zuerst. Es mag beginnen!“ beantwortete Winnetou diese Rede.

Er entkleidete sich, während der „hundertfache Donner“ nach seinem Messer winkte. Es wurde ihm gebracht.

jetzt wurde ein weiter Kreis um die Linde gebildet. Aller Augen hingen mit prüfendem Blicke an den Gestalten der beiden Gegner. Der Upsaroca war nicht höher, aber viel breiter und kräftiger gebaut, als der schlanke Winnetou. Die Krähenindianer bemerkten das mit Genugthuung. Sie waren überzeugt, daß Winnetou unterliegen werde. Sie hatten freilich keine Ahnung, daß sie den berühmten Häuptling der Apachen vor sich hatten. Die anderen, welche das wußten, waren zwar einigermaßen um ihn besorgt, als sie den kräftigen Körper des Upsaroca erblickten, glaubten aber, sich bei dem Rufe, in welchem er stand, beruhigen zu dürfen.

jetzt trat der dicke Jemmy herbei. Er hatte einige Riemen, wie sie ein jeder Westmann bei sich führt, in der Hand und sagte zu Winnetou:

„Also Ihr habt den ersten Gang, mein bester Sir. Es mag als gutes Omen dienen, wenn Ihr von der Hand eines Freundes an den Baum gefesselt werdet. Vorher aber mögen alle sich überzeugen, daß diese beiden Riemen von ganz gleicher Qualität sind.“

Die Riemen gingen von Hand zu Hand und wurden genau untersucht. jetzt mußte bestimmt werden, welcher von beiden mit der rechten und welcher mit der linken Hand angebunden werden solle. Zwei verschieden lange Grashalme bildeten die Lose. Winnetou zog den kürzeren und befand sich infolgedessen im Nachteil, da er mit der Rechten gefesselt wurde und ihm also die gewöhnlich weniger geübte Linke frei blieb. Die Upsarocas begrüßten diesen für sich günstigen Umstand mit einem frohen „Uh-ah – sehr gut, sehr gut!“

Nun wurden die Riemen den beiden Kämpfern in Schlingenform um die Handgelenke gezogen und dann so locker um den Stamm des Baumes befestigt, daß sie leicht zu drehen waren. Es kommt beim Muh-mohwa vor, daß die Gegner sich viertelstundenlang und noch länger um den Baum treiben, ehe der erste Stich erfolgt. Fließt dann aber Blut, so geraten sie gewöhnlich so hitzig aneinander, daß der Kampf sehr bald entschieden ist.

Jetzt standen sie bereit, der eine auf dieser, der andere auf jener Seite des Baumes.

Der hinkende Frank befand sich als Zuschauer neben dem dicken Jemmy.

„Hören Sie, Herr Pfefferkorn,“ sagte er, „das ist eene Situation, bei welcher es eenem eiskalt über die Haut läuft. Denn nich alleene diese beeden riskieren ihr Leben, sondern wir das unserige ooch. In diesem Momente hab‘ ich unter meiner Schkalplocke een Gefühl, als ob sie mir so ganz successiverweise schon bereits in die Höhe gezogen würde. Ich danke eegentlich sehre schöne für das Verschprechen, uns geduldig abschlachten zu lassen, wenn unsere beeden Champions besiegt werden!“

„Pah!“ antwortete Jemmy. „Mir ist zwar auch nicht ganz wohl zu Mute, aber ich denke, daß wir uns auf Winnetou und Old Shatterhand verlassen können.“

„Freilich schient es so, denn der Apache macht een so ruhiges Gesicht, als ob er eenen Grünsolo mit zehn Matadoren in der Hand hätte. Aber schtille! Der hundertfache Donner beginnt zu schprechen.“

Der Genannte hatte jetzt sein Messer in die Hand bekommen.

„Schihscheh – komm her!“ rief er dem Apachen auffordernd zu. „Oder soll ich dich um den Baum jagen, bis du vor Angst tot zusammenbrichst, ohne daß mein Messer dich getroffen hat?“

Winnetou antwortete ihm nicht. Er wendete sich an Old Shatterhand und sagte in der Sprache der Apachen, die sein Gegner nicht verstand:

„Schi din Ida sesteh – ich werde ihm die Hand lähmen.“

Da erklärte Old Shatterhand laut, indem er auf Winnetou zeigte:

„Dieser unser Bruder hat sein Herz vor den Gedanken des Mordes verschlossen. Er wird seinen Feind besiegen, ohne ihm einen Tropfen Blutes zu nehmen.“

„Uff, uff, uff !“ riefen die Upsarocas.

Der „hundertfache Donner“ antwortete auf Old Shatterhands Erklärung in höhnischem Tone:

„Dieser Euer Bruder ist vor Angst wahnsinnig geworden. Die Qual soll ihm abgekürzt werden.“

Er bewegte sich einen Schritt vorwärts, so daß der Stamm des Baumes sich nun nicht mehr zwischen beiden befand. Das Messer fest in der Faust, hielt er das Auge mit einem wahren Raubtierblick auf Winnetou gerichtet. Dieser aber schien ihn gar nicht zu beachten. Er blickte scheinbar ganz gleichgültig in die Ferne, und sein Gesicht war so ruhig und unbewegt, als ob es sich jetzt um etwas ihm sehr Gleichgültiges handle. Aber Old Shatterhand bemerkte gar wohl, daß jeder Muskel und jede Sehne seines roten Kampfgenossen bereit war, dem erwarteten Angriffe zu begegnen.

Der Upsaroca ließ sich täuschen. Er sprang ganz plötzlich auf Winnetou ein und erhob den Arm zum tödlichen Stoße. Aber anstatt zurückzuweichen, kam der Apache ihm ebenso blitzschnell entgegen. Mit gewaltigem Stoße rannte er dem Feinde die Faust mit dem Messerhefte in die Achselhöhle. Diese ebenso kühne wie kraftvolle und wohlgelungene Parade hatte den Erfolg, daß der Upsaroca zurückgeworfen wurde und sein Messer fallen ließ. Ein Griff des Apachen, der das seinige auch wegwarf, und ein Schrei des Roten – Winnetou hatte ihm die Hand verrenkt und stieß ihm im nächsten Augenblicke die geballte Faust so in die Magengrube, daß er hintenüber stürzte und, mit der Hand am Baumstamme hängend, auf den Rücken zu liegen kam.

Der Upsaroca lag einen Augenblick bewegungslos, und das war genügend für den Apachen. Sein Messer vom Boden aufraffen, sich mit einem schnellen Schnitt durch den Riemen vom Baume befreien und auf den Feind niederknieen, das war für ihn das Werk nur einer Sekunde.

„Bist du besiegt?“ fragte er.

Der andere antwortete nicht. Er atmete keuchend, teils von dem Stoße, den er erhalten hatte, teils auch aus Grimm und Todesangst.

Das war alles so gedankenschnell gegangen, daß die einzelnen Bewegungen des Apachen mit den Augen fast gar nicht voneinander zu unterscheiden gewesen waren. Kein Laut ließ sich rund im Kreise hören, und als der kleine Sachse ein jubelndes Hurra rufen wollte, gebot Old Shatterhand ihm durch eine so gebieterische Armbewegung Schweigen, daß er nur die erste Silbe dieses Wortes hören ließ, die zweite aber nicht aussprach.

„Stich zu!“ knirschte der Upsaroca, indem er einen Blick glühenden Hasses in das Gesicht des über ihn gebeugten Apachen warf und dann die Augen schloß.

Aber Winnetou erhob sich, schnitt den Riemen des Besiegten durch und sagte:

„Stehe auf! Ich habe versprochen, dich nicht zu töten, und ich halte mein Wort.“

„Ich mag nicht leben; ich bin besiegt!“

Da trat Oiht-e-keh-fa-wakon zu ihm heran und gebot ihm in zornigem Tone:

„Erhebe dich! Dir wird das Leben geschenkt, weil dein Skalp für den Sieger keinen Wert hat. Du hast dich gehalten wie ein Knabe. Aber noch stehe ich hier, um für uns zu kämpfen. Ich werde zweimal siegen, und während wir uns in die Skalpe der Feinde teilen, kannst du zu den Wölfen der Prairie gehen, um bei ihnen zu wohnen. Die Heimkehr zu dem Wigwam ist dir verboten!“

Der „hundertfache Donner“ stand auf und griff nach dem ihm entfallenen Messer.

„Der große Geist hat nicht gewollt, daß ich siege,“ sagte er. „Zu den Wölfen gehe ich nicht. Hier habe ich ein Messer, um das Leben zu enden, welches ich nicht geschenkt haben mag. Vorher aber will ich sehen, ob du besser als ich zu siegen verstehst.“

Er entfernte sich langsam eine kurze Strecke und setzte sich dort in das Gras. Es war ihm anzusehen, daß es ihm Ernst damit war, die Schande, besiegt worden zu sein, nicht zu überleben.

Kein Blick aus den Augen der Seinen fiel auf ihn. Desto hoffnungsvoller sahen sie auf ihren Anführer, der seine mächtige Gestalt an den Stamm lehnte und Old Shatterhand aufforderte:

„Komm herbei, und laß uns losen!“

„Ich lose nicht,“ antwortete dieser. „Man mag mich mit der Rechten anbinden.“

„Wohl, weil du schneller sterben willst?“

„Nein, sondern weil ich glaube, daß deine Linke schwächer ist als die Rechte. Ich will keinen Vorteil über dich haben. Du bist verwundet worden.“

Er deutete auf die linke Achsel des Roten, über welche sich eine breite Narbe zog. Sein Gegner konnte diesen Edelmut nicht begreifen; er maß ihn mit einem Blicke größten Erstaunens und antwortete:

„Willst du mich beleidigen! Sollen die Deinen, wenn ich dich getötet habe, sagen, daß dies nicht geschehen wäre, wenn du mir nicht diese Gnade erwiesen hättest? Ich verlange, daß du mit mir losest.“

„Nun wohl; ich bin bereit.“

Das Los entschied nach Old Shatterhands Willen, nämlich zu Gunsten seines Gegners, dessen linke Hand gefesselt wurde. Nach wenigen Augenblicken standen sich die beiden gegenüber, und wer die Muskeln des Riesen sah, welche sich wie langgezogene Knäuel um seine Glieder ballten, dem mußte um Old Shatterhand bange werden.

Dieser aber zeigte denselben äußerlichen Gleichmut wie vorhin Winnetou.

„Du kannst beginnen,“ forderte ihn der Upsaroca auf. „Ich werde dir den ersten Stoß erlauben. Drei Stöße werde ich nur abwehren, dann aber wirst du von meinem ersten Stoße fallen.“

Da lachte Old Shatterhand kurz auf. Er stieß sein Messer in den Stamm der Linde und antwortete:

„Und ich verzichte ganz auf diese Waffe. Dennoch wirst du gleich beim ersten Angriffe fallen. Wir haben keine Zeit zu einem langen Spiel. Sei also aufmerksam, denn ich beginne!“

Er erhob den Arm wie zum Schlage und sprang auf seinen Gegner ein. Dieser ließ sich durch die Finte täuschen und stieß nach ihm. Aber der Weiße war gedankenschnell wieder zurückgewichen, so daß der Stoß fehl ging. Eine abermalige blitzschnelle Bewegung Old Shatterhands – seine Faust traf den Gegner an die Schläfe; der Riesenleib desselben wankte einen Augenblick und krachte dann mit lautem Schlag auf die Erde nieder.

„Da liegt er, mit dem ganzen Körper am Boden! Wer hat gesiegt?“ rief Old Shatterhand.

Hatten vorhin, als der „hundertfache Donner“ besiegt worden war, die Upsarocas sich ruhig verhalten, so brachen sie jetzt in ein Geheul aus, welches klang, als ob es aus tierischen Kehlen käme. Die anderen erhoben ein lautes Freudengeschrei.

Hatte irgend einer vielleicht erwartet, daß die Krähenindianer im Falle ihres Unterliegens eine schleunige Flucht versuchen würden, so bewahrheitete sich dies jetzt nicht. Hielten sie sich wirklich durch ihren Schwur gebunden, oder waren sie viel zu bestürzt, um einen so schnellen Entschluß fassen zu können, keiner von ihnen machte eine Bewegung, welche auf die Absicht schließen ließ, sich dem Tode zu entziehen, der nach der vorausgegangenen Vereinbarung ihnen allen nun gewiß zu sein schien.

Old Shatterhand zog sein Messer aus dem Stamme und schnitt sich los. Die weißen Jäger traten zu ihm, um ihn und sich zu beglückwünschen. Auch die befreundeten Indianer priesen das Lob der beiden Sieger, waren aber auf das schleunigste bemüht, zu ihren Waffen zu kommen, um den Upsarocas jeden etwa beabsichtigten Widerstand und auch die Flucht zur Unmöglichkeit zu machen.

Diese aber hatten ihr Geheul eingestellt, gingen nach der Stelle, an welcher der „Donner“ saß, und ließen sich still bei ihm nieder. Selbst derjenige von ihnen, welcher mit bei den Waffen gestanden hatte, schloß sich ihnen an, obgleich es ihm nicht schwer gewesen wäre, auf eines der Pferde zu springen und davonzureiten.

Old Shatterhand trat wieder zu dem „Tapferen, welcher Medizin sucht“. Derselbe kam eben aus seiner Betäubung wieder zu sich. Er öffnete die Augen und sah, daß der Sieger ihm den Riemen durchschnitt. Es bedurfte einiger Zeit, ehe er zum Verständnisse der Situation gelangte. Dann aber sprang er von der Erde auf. Er starrte Old Shatterhand mit einem ganz unbeschreiblichen Blicke an. Die Augen schienen ihm aus ihren Höhlen treten zu wollen, und seine Stimme klang heiser, als er stockend fragte:

„Ich – – lag – – am Boden! Hast du mich denn besiegt?“

„Ja! Oder hast du nicht selbst die Bedingung ausgesprochen, daß derjenige, welcher mit dem Körper zur Erde zu liegen kommt, für besiegt gelten solle?“

Der Rote betrachtete sich. Trotz seiner Größe bot er jetzt ein Bild des tiefsten Erschreckens.

„Ich bin doch nicht verwundet!“ rief er aus.

„Weil ich dich nicht töten wollte. Ich steckte ja mein Messer in den Baum.“

„So hast du mich mit der bloßen Hand niedergeschlagen?“

„Ja,“ lächelte Old Shatterhand. „Ich hoffe, daß du mir das nicht übel nehmen wirst. Es ist das für dich besser, als wenn ich dich niedergestochen hätte.“

Aber der Upsaroca war ganz und gar nicht im stande, jetzt mit zu scherzen. Es war ein Blick größter Ratlosigkeit, welchen er auf die Seinen warf. Dann nahmen seine scharfen Züge den Ausdruck starrer Resignation an.

„Besser wäre es, du hättest mich getötet!“ klagte er. „Der große Geist hat uns verlassen, weil uns unsere Medizinen gestohlen worden sind. Der Krieger, welcher skalpiert wird, kann nie in die ewigen Jagdgründe gelangen. Warum sind die Squaws unserer Väter nicht gestorben, ehe wir geboren wurden!“

Der vorher so stolze und siegesgewisse Mann war jetzt kleinmütig und verzagt wie ein Kind. Er wankte dahin, wo die Seinen saßen, um sich zu ihnen zu setzen, drehte sich aber noch einmal um und fragte:

„Erlaubt ihr uns, das Sterbelied zu singen, bevor ihr uns tötet?“

„Bevor ich dir antworte, will ich dir eine Frage geben. Komm!“

Old Shatterhand führte ihn zu den Upsarocas, deutete auf den „hundertfachen Donner“ und fragte:

„Willst du jetzt noch diesem Krieger zürnen?“

„Nein. Er konnte nicht anders. Der große Geist hat es so gewollt. Wir haben unsere Medizinen verloren.“

„Ihr werdet sie oder noch viel bessere wiedererhalten.“

Sie alle blickten erstaunt zu ihm empor.

„Wo sollen wir sie finden?“ fragte ihr Anführer. „Hier, da wir sterben müssen? Oder in den ewigen Jagdgründen, in die wir nicht gelangen können, weil wir unsere Skalpe verlieren?“

„Ihr sollt euch Skalpe und euer Leben behalten. Ihr hättet uns getötet, wenn wir unterlegen wären; wir aber sind nur scheinbar auf euere Bedingungen eingegangen. Wir sind Christen und morden keinen unserer Brüder. Steht auf! Geht hin, nehmt eure Waffen und eure Pferde! Ihr seid frei und könnt reiten, wohin es euch beliebt!“

Aber keiner machte eine Miene, dieser Aufforderung Folge zu leisten.

„Du sagst das als Beginn der Qualen, mit denen ihr uns foltern werdet,“ sagte der „Tapfere, welcher Medizin sucht“. „Wir werden dieselben ertragen, ohne daß du einen Laut der Klage aus unserem Munde vernimmst.“

„Du irrst dich. Ich spreche im Ernste. Zwischen den Upsarocas und den Kriegern der Schoschonen ist das Beil des Krieges vergraben.“

„Aber ihr wißt, daß wir euch töten wollten!“

„Es ist euch nicht gelungen, und darum dürsten wir nicht nach eurem Blute. Wir haben keinen von uns an euch zu rächen. Kanteh-pehta, der berühmte Medizinmann der Upsarocas ist unser Freund. Er kann mit den Seinen unangefochten in seine Wigwams zurückkehren.“

„Uff ! Du kennst mich?“ fragte der Genannte erstaunt.

„Dir fehlt das Ohr, und ich erblickte hier diese Narbe; daran habe ich dich erkannt.“

„Woher weißt du, daß ich diese Zeichen an mir trage?“

„Von deinem Bruder Schunka-schetscha, dem großen Hunde(, der mir von dir erzählte.“

„Auch diesen kennst du also?“

„Ja. Ich bin einst mit ihm zusammen gewesen.“

„Wann? Wo?“

„Vor mehreren Sommern. Am Berge der Schildkröte haben wir uns getrennt.“

Da sprang der Medizinmann, der sich bereits niedergesetzt hatte, schnell wieder auf. Seine Züge nahmen einen ganz anderen Ausdruck an. Seine Augen verloren den starren, resignierten Blick und begannen zu leuchten.

„Täuscht mich dein Wort oder mein Ohr?“ rief er aus. „Wenn du die Wahrheit sagst, so bis du Non-parklama, den die Weißen Old Shatterhand nennen!“

„Der bin ich allerdings.“

Beim Klange dieses Namens erhoben auch die anderen Upsarocas sich vom Boden. Sie schienen auf einmal ganz andere Menschen zu sein.

„Wenn du dieser berühmte Jäger bist,“ rief ihr Anführer, „so hat der große Geist uns noch nicht verlassen. Ja, du mußt es sein, denn du hast mich mit der Faust niedergeschlagen. Von dir besiegt worden zu sein, ist keine Schande. Ich darf leben, ohne daß die Squaws auf mich deuten.“

„Und auch der hundertfache Donner, der ein tapferer Krieger ist, braucht sich nicht zu schämen, besiegt worden zu sein, denn derjenige, gegen den er kämpfte, ist Winnetou, der Häuptling der Apachen.“

Die Augen der Upsarocas suchten mit wirklich ehrfurchtsvollem Blicke die Gestalt Winnetous. Dieser trat herbei, reichte dem „hundertfachen Donner“ die Hand entgegen und sagte:

„Mein roter Bruder hat die Pfeife des Schwures mit mir geraucht; er wird nun auch das Calummet des Friedens mit uns rauchen, denn die Krieger der Upsarocas sind unsere Freunde. Howgh!“

Der „Donner“ ergriff die Hand und antwortete:

„Der Fluch des bösen Geistes ist von uns gewichen. Old Shatterhand und Winnetou sind die Freunde der roten Männer. Sie werden unsere Skalpe nicht von uns fordern.“

„Nein, ihr seid frei,“ wiederholte Old Shatterhand die bereits einmal gegebene Versicherung. „Wir werden euch geben anstatt euch etwas zu rauben. Wir kennen die Männer, welche euch eure Medizinen raubten. Wenn ihr uns folgen wollt, so werden wir euch zu ihnen führen.“

„Uff ! Wer sind die Diebe?“

„Eine Schar der Sioux-Ogallala, deren Ziel die Berge des Gelbsteinflusses sind.“

Diese Nachricht regte die Beraubten gewaltig auf. Ihr Anführer rief in grimmigem Tone:

„Die Hunde der Ogallala sind es gewesen! Hong-peh-tekeh, der schwere Moccassin, ihr Häuptling, hat mich verwundet und mir das Ohr genommen, ohne daß ich mich rächen konnte. Ich habe den großen Geist gebeten, mich auf seine Fährte zu bringen, aber mein Wunsch ist nie in Erfüllung gegangen.“

Da trat Wohkadeh, welcher in der Nähe gestanden und alles gehört hatte, herbei und sagte:

„Du befindest dich auf seiner Fährte, denn Hong-peh-tekeh ist der Anführer der Ogallala, welche wir verfolgen.“

„So hat der große Geist ihn endlich in meine Hand gegeben. Wer aber ist dieser junge, rote Krieger, welcher mit dem hundertfachen Donner kämpfen wollte und jetzt so genaue Nachricht über die Sioux-0gallala weiß?“

„Es ist Wohkadeh, ein wackerer Sohn der Numangkake,“ antwortete Old Shatterhand. „Er wurde von den Ogallala gezwungen, mit ihnen zu reiten, und war auch dabei, als sie euch eure Medizinen raubten. Er wich dann von ihnen und hat uns bereits sehr große Dienste geleistet.“

„Und was wollen die Sioux in den Bergen des Gelbsteinflusses?“

„Wir werden es euch erzählen, wenn wir das Lagerfeuer angebrannt haben. Dann mögt ihr euch beraten, ob ihr mit uns reiten wollt.“

„Wenn ihr euch auf der Fährte der Ogallala befindet, um gegen sie zu kämpfen, so werden wir mit euch reiten. Sie haben uns unsere Medizinen gestohlen. Wohkadeh wird uns erzählen, wie das geschehen ist. Kanteh-pehta ist der berühmteste Medizinmann der Upsarocas. Daß er sich seine große Medizin hat rauben lassen, hat ihn in Schimpf und Schande gebracht, und er wird nicht eher ruhen, als bis es ihm gelungen ist, sich zu rächen. Meine Brüder mögen das Feuer der Beratung anbrennen. Wir dürfen keine Zeit verlieren, und meine Krieger wissen, welche große Ehre es für sie ist, mit so berühmten Männern reiten zu dürfen!“

So waren abermals Feinde in Freunde umgewandelt worden, und mit der Zahl der Teilnehmer wuchs die Hoffnung, daß das erst so schwierig scheinende Unternehmen gelingen werde. – –

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Am P’a Wakon Tonka

Am P’a-wakon-tonka

„Der Senat und das Haus der Repräsentanten der Vereinigten Staaten beschließen, daß der Landstrich in den Territorien Montana und Wyoming, nahe dem Ursprunge des Yellowstone-River liegend, hierdurch von jeder Besiedelung, Besitznahme oder Verkauf unter den Gesetzen der Vereinigten Staaten ausgenommen und als ein öffentlicher Park oder Lustplatz zum Wohle und Vergnügen des Volkes betrachtet werden soll. Jedermann, der sich diesen Bestimmungen zuwider dort niederläßt oder von irgend einem Teile Besitz ergreift, soll als Übertreter des Gesetzes angesehen und ausgewiesen werden. Der Park soll unter die ausschließliche Kontrolle des Sekretärs des Inneren gestellt werden, dessen Aufgabe es sein wird, sobald als thunlich solche Vorschriften und Anordnungen zu erlassen, als er zur Pflege und Erhaltung desselben notwendig erachtet.“

So lautet ein vom Vereinigten Staatenkongreß am 1. März 1872 angenommenes Gesetz, durch welches den Bürgern der Vereinigten Staaten und den Bewohnern aller übrigen Länder ein Geschenk gemacht wurde, von dessen Größe man damals noch gar keine Ahnung hatte.

Über den erwähnten Landstrich, welcher heute der Nationalpark der Vereinigten Staaten genannt wird, durchzogen vor der angegebenen Zeit die allerseltsamsten Gerüchte die östlichen Staaten. Nur den wildesten Indianern bekannt und kaum in einzelnen Teilen von einem kühnen, einsamen Trapper gesehen, war diese Gegend in das tiefste Geheimnis gehüllt. Was einer dieser Fallensteller erzählte, das wurde, auf das phantastischste ausgeschmückt, weiter getragen. Brennende Prairien und Berge, kochende Quellen, Vulkane, welche flüssiges Metall auswürfen, Seen und Flüsse, mit Öl anstatt mit Wasser gefüllt, versteinerte Wälder mit versteinerten Indianern und Tieren sollten dort zu finden sein.

Erst Professor Hayden, welcher eine Expedition nach jener wunderbaren Region unternahm, brachte genaue Auskunft über dieselbe, und er wußte allerdings ganz Außerordentliches zu berichten. Ihm ist es zu danken, daß das oben angeführte Gesetz erlassen wurde.

Der Nationalpark umfaßt ein Gebiet von 9500 Quadratkilometern. Dort entspringen der Yellowstone-, Madison-, Gallatin- und der Schlangenfluß. Mächtige Gebirgsketten durchziehen das Gebiet. Eine reine und stärkende Luft umzieht die Höhen, und Hunderte von kalten und heißen, chemisch verschieden zusammengesetzten Quellen bieten durch ihre wunderbare Heilkraft den Kranken Genesung und Erneuerung der gesunkenen Lebenskraft. Geiser, mit denen diejenigen Islands kaum zu vergleichen sind, werfen ihre Wasserstrahlen mehrere hundert Fuß hoch empor; Berge, ganz aus natürlichem Glase bestehend und in allen Farben schillernd, glänzen in den Strahlen der Sonne. Schluchten, wie so schauerlich keine andere Gegend sie aufzuweisen hat, scheinen eingeschnitten zu sein, um einen Einblick in die Eingeweide der Erde zu gestatten. Der Erdboden bildet Blasen, welche sich heben und senken; oft scheint er nur zolldick zu sein, so daß der Reiter sein entsetztes Pferd nur mühsam vorwärts bringt. Riesige Löcher öffnen sich, gefüllt mit kochendem Schlamm, welcher langsam auf und nieder steigt. Es ist ganz unmöglich, nur eine Viertelstunde weit zu gehen, ohne auf irgend ein staunenswertes Naturwunder zu stoßen. Gibt es doch nur der Geiser und heißen Quellen über zweitausend. Während an einer Stelle siedendes Wasser dem Boden entströmt, perlt in nächster Nähe ein heller, kalter Quell hervor. Gute und böse Geister, Engel und Teufel scheinen unter der Oberfläche gegeneinander zu kämpfen. Staunt man jetzt das Erhabene an, so weicht man wenige Schritte weiter vor dem Schrecklichen zurück. Hat man an der einen Stelle eine Riesenfontäne bewundert, welche tausend Fuß hoch über dem Flußniveau an den Wänden des Cannons emporsteigt, so schreitet man dann über Felder von Karneolen, Moosachaten, Chalcedon, Opalen und anderen Halbedelsteinen, deren Wert ein geradezu ungeheuerer ist.

Und dort zwischen den Bergen des Felsengebirges schlummern herrliche Seen. Der größte und schönste derselben ist der Yellowstonesee, welcher mit Ausnahme des Titikakasees der höchstgelegene große See der Erde ist, denn er liegt fast achttausend Fuß hoch über dem Meeresspiegel.

Sein Wasser ist sehr schwefelhaltig, seine tiefen Einschnitte wimmeln von riesigen Forellen, deren Fleisch einen ganz eigenartigen, aber sehr guten Geschmack besitzt. Die ihn umgebenden Wälder sind reich an Hochwild, Elentieren, Bären. An den Ufern entspringen unzählige heiße Quellen, aus denen die Dämpfe der Unterwelt hervorpfeifen, laut und schrill, wie aus den Ventilen einer Lokomotive.

Ein ängstliches Gemüt kommt da sehr leicht auf den Gedanken, diesem Gebiete zu entweichen. Die im Inneren der Erde ruhelos arbeitenden Gewalten machen sich hier gar zu sehr bemerklich. Man fühlt sich nicht mehr sicher auf der Erde. Es ist, als müsse die ganze meilenweite Gegend im nächsten Augenblicke entweder versinken oder als gigantischer, feuerspeiender Krater weit über die Spitzen der Rocky Mountains emporgehoben werden – beide Fälle gleich unangenehm für denjenigen, der mit versinken oder mit emporgeschleudert werden soll.

Da, wo der Yellowstonefluß aus dem See tritt und das Ufer des letzteren sich südwestlich nach der Stelle hinzieht, an welcher der Bridge-Creek einmündet, brannten einige Feuer. Man hatte sie angebrannt, weil es dunkel geworden war, nicht aber weil sie zur Bereitung des Abendessens gebraucht worden wären. In letzterer Beziehung hatte die Natur sehr freundlich Sorge getragen.

Ellenlange Forellen, im kalten Seewasser gefangen, wurden im heißen Wasser gesotten, welches nur wenige Fuß entfernt aus dem Boden hervorkochte. Der kleine Sachse bildete sich nicht wenig darauf ein, am Nachmittag ein wildes Schaf geschossen zu haben. Es gab infolgedessen gekochtes Schöpsenfleisch voran und Forellen als Dessert. Die heiße Quelle war von so geringem Umfang, daß sie geradezu als Kochtopf diente, und das abfließende Wasser hatte dadurch einen solchen Bouillongeschmack, daß es mit den wenigen vorhandenen Lederbechern geschöpft und mit großem Appetit getrunken wurde.

Die Gesellschaft war, ganz wie Old Shatterhand es vorhergesagt hatte, über den Pelikan- und den Yellowstonefluß herüber gekommen, wollte morgen vormittag über den Bridge-Creek und dann gerade westlich nach dem Feuerlochflusse reiten. Dort arbeitete der Geiser, welcher von den Indianern K’un-tui-temba, d. i. Höllenmaul genannt wird und in dessen Nähe das Häuptlingsgrab als Ziel des weiten Rittes lag.

Dieser war weit schneller von statten gegangen, als man vorher hatte denken können. Obgleich das Ziel sich bereits in ziemlicher Nähe befand, waren noch volle drei Tage bis zum Vollmonde, und Old Shatterhand war der Überzeugung, daß die Sioux-Ogallala unmöglich bereits hier sein könnten. Er bemerkte im Laufe des Gespräches:

„Sie können kaum Bottelers Range erreicht haben, und wir sind also vor ihnen sicher. Laßt immerhin die Feuer brennen, bis nachher der Mond hinter den Bergen aufsteigt. Andere menschliche Wesen als die Sioux haben wir nicht zu erwarten. Wir haben gar nichts zu befürchten.“

„Und wie ist von Bottelers Range sodann der Weg herauf, Sir?“ fragte Martin Baumann.

„Wollt Ihr ihn vielleicht reiten, junger Freund?“

Martin bemerkte den forschenden Blick nicht, welchen Old Shatterhand bei dieser Frage auf ihn warf, antwortete aber dennoch mit einer kleinen, nicht ganz zu beherrschenden Verlegenheit:

„Ich interessiere mich natürlich für denselben, weil mein Vater ihn zu reiten hat. Ich habe gehört, daß er sehr gefährlich sein soll.“

„Das will ich nicht behaupten. Man hat natürlich die Nähe der Geiser und sodann diejenigen Stellen zu vermeiden, an welchen die Erdrinde so dünn ist, daß man beim Betreten derselben durchbrechen würde. Man reitet von Bottelers Range im Thale des Flusses aufwärts, an erloschenen Vulkanen vorüber. Nach vier bis fünf Stunden gelangt man in den unteren Cannon, welcher eine halbe Meile lang und wohl tausend Fuß tief in den Granit geschnitten ist. Nach abermals fünf Stunden erreicht man einen Berg, von dessen Spitze zwei parallele Felsenmauern fast dreitausend Fuß tief herniederlaufen. Das wird die Rutschbahn des Teufels genannt. Drei Stunden später gelangt man an die Mündung des Gardinerflusses, dem man nun aufwärts zu folgen hat, weil man am Yellowstone-River nicht mehr vorwärts kann. Dann reitet man an den Washburnebergen und dem Cascade-Creek entlang, welch letzterer wieder nach dem Yellowstone führt. Er mündet zwischen den oberen und unteren Fällen desselben, und man befindet sich somit an dem Rande des großen Cannon, welcher wohl das größte Wunder des Yellowstonebassins bildet.“

„Kennt Ihr dieses Wunder, Sir?“ fragte der dicke Jemmy.

Auch diesem Frager warf Old Shatterhand einen heimlich forschenden Blick zu, bevor er antwortete:

„Ja. Er ist wohl über sieben deutsche Meilen lang und mehrere tausend Fuß tief. Die Wände fallen geradezu lotrecht in die Tiefe, und nur ein völlig schwindelfreier Mensch darf es wagen, nach dem Rande hinzukriechen, um in die schauerliche Tiefe zu blicken, in welcher der vorher zweihundert Fuß breite Fluß wie ein dünner Faden erscheint. Und doch ist es dieser Faden gewesen, welcher sich im Verlaufe von Jahrtausenden so tief in die Felsen eingeschnitten hat. Die Wogen brausen unten an den massiven Steinmauern mit fürchterlicher Schnelligkeit dahin, droben aber ist von ihrem Wüten nichts zu hören. Kein Sterblicher kann da hinab, und wenn er es könnte, er vermöchte doch nicht, nur eine Viertelstunde es auszuhalten. Es würde ihm an der Luft fehlen. Das Wasser des Flusses ist warm, sieht wie Öl aus, besitzt einen ekelhaften Schwefel- und Alaungeschmack und verbreitet einen Gestank, der nicht zu ertragen ist. Geht man am Cannon aufwärts, so erreicht man die unteren Fälle des Flusses, wo dieser sich aus einer Höhe von vierhundert Fuß in die grauenvolle Tiefe stürzt. Eine Viertelstunde weiter aufwärts fällt der Strom abermals weit über hundert Fuß herab. Von diesen oberen Fällen bis hierher würde ein Reiter ungefähr neun Stunden brauchen. Das macht also von Bottelers Range aus zwei tüchtige Tagesritte, welche wir den Sioux Ogallala voraus sind. Genau kann diese Rechnung allerdings nicht sein; aber einige Stunden mehr oder weniger sind ja nicht von Belang. Es genügt uns, zu wissen, daß unsere Feinde noch nicht hier sein können.“

„Und wo werden sie sich morgen um diese Zeit befinden, Sir?“ fragte Martin Baumann.

„Am oberen Ausgange des Cannons. Habt Ihr einen Grund, das so genau wissen zu wollen?“

„Einen direkten nicht; aber Ihr könnt Euch denken, daß ich den Vater in Gedanken begleite. Wer weiß, ob er noch lebt.“

„Ich bin ganz überzeugt davon.“

„Die Sioux können ihn getötet haben!“

„Mit diesem Gedanken braucht Ihr Euch nicht zu sorgen. Die Ogallala wollen ihre Gefangenen nach dem Häuptlingsgrabe bringen, und das werden sie auch thun; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Je später die Unglücklichen getötet werden, desto länger dauern die Qualen, welche sie zu erdulden haben, und darum fällt es den Sioux gar nicht ein, sie ihnen durch einen früheren Tod abzukürzen. Ich kenne diese roten Kerls sehr genau, und wenn ich Euch sage, daß Euer Vater jedenfalls noch lebt, so könnt Ihr es glauben.“

Er wickelte sich in seine Decke, legte sich nieder und that, als ob er schlafen wolle. Unter den nicht ganz geschlossenen Lidern hervor aber beobachtete er Martin Baumann, den dicken Jemmy und den Hobble-Frank, welche leise und angelegentlich flüsterten, genau.

Nach einiger Zeit erhob der Dicke sich von seinem Platze und schlenderte langsam und scheinbar unbefangen nach der Seite hin, in welcher die Pferde graseten. Sofort stand auch Old Shatterhand auf und folgte ihm heimlich. Er sah, daß Jemmy sein Pferd, welches nur angehobbelt war, anpflockte, und trat nun schnell auf ihn zu.

„Master Jemmy, was hat Euer Gaul verbrochen, daß er nicht frei fressen soll?“ fragte er ihn.

Der einstige Gymnasiast wendete sich erschrocken zu ihm um.

„Ah, Ihr seid es, Sir? Ich hielt Euch doch für eingeschlafen.“

„Und ich hielt Euch bis jetzt für einen ehrlichen Kerl!“

„Alle Teufel! Meint Ihr etwa, daß ich es jetzt nicht mehr bin?“

„Fast scheint es so!“

„Warum?“

„Aus welchem Grunde erschrakt Ihr so, als ich jetzt hierher kam?“

„Aus dem einfachen Grunde, aus welchem ein jeder erschrickt, der bei Nacht ganz unerwartet angeredet wird.“

„Der müßte ein ziemlich schlechter Westmann sein. Ein braver Jäger bewegt sich unter Umständen selbst dann nicht, wenn ganz unerwartet vor seinem Ohr ein Schuß abgefeuert wird.“

„Ja, wenn dabei die Kugel ihm durch den Kopf geht, so bewegt er sich allerdings nicht mehr!“

„Pah! Ihr wißt genau, daß es hier kein feindliches Wesen gibt! Es sollte niemand merken, daß Ihr Euer Pferd angepflockt habt.“

Der Dicke verbarg seine Verlegenheit hinter einem zornigen Tone:

„Jetzt, Sir, begreife ich Euch nicht. Kann ich denn mit meinem Pferde nicht mehr machen was mir beliebt?“

„Ja, aber heimlich braucht Ihr es nicht zu thun!“

„Von Heimlichkeit ist keine Rede. Unter den Pferden der Upsarocas befinden sich einige Schläger. Mein Gaul ist bereits einmal verletzt worden. Damit das nicht wieder geschehen möge, habe ich ihn angepflockt; er soll diese störrige Gesellschaft gar nicht aufsuchen können. Ist das eine Sünde, so hoffe ich, daß ich Vergebung finde.“

Er wendete sich ab, um zum Lager zurückzukehren. Old Shatterhand aber legte ihm die Hand auf die Schulter und bat:

„Bleibt noch einen kurzen Augenblick, Master Jemmy. Es kann nicht meine Absicht sein, Euch zu beleidigen; aber ich glaube Veranlassung zu haben, Euch zu warnen. Daß ich das unter vier Augen thue, mag Euch zeigen, wie hoch ich Euch schätze.“

Jemmy schob seinen Hut nach vom, kratzte sich hinter dem Ohre, wie es sonst sein Freund Davy zu thun pflegte, wenn er sich in Verlegenheit befand, und antwortete:

„Sir, wenn ein anderer mir das sagte, so würde ich ihm ein wenig mit der Faust im Gesicht herumlaufen; von Euch aber will ich die Warnung annehmen. Also, wenn Ihr einmal geladen habt, so drückt in Kuckucks Namen los!“

„Schön! Welche Heimlichkeiten habt Ihr mit dem Sohne des Bärenjägers?“

Es dauerte eine kleine Weile, bevor Jemmy antwortete:

„Heimlichkeiten? Ich mit dem? Dann sind diese Heimlichkeiten so sehr heimlich, daß ich selbst von ihnen nicht das Geringste weiß.“

„Ihr flüstert immer miteinander!“

„Er will sich in der deutschen Sprache üben.“

„Das kann er auch laut thun. Ich habe bemerkt, daß er in letzter Zeit viel besorgter um seinen Vater ist als vorher. Er befürchtet, daß er von den Ogallala getötet worden sei, und ich gebe mir vergebliche Mühe, ihm das auszureden. Ihr habt vorhin gehört, daß er wieder davon anfing. Ich befürchte, daß er sich mit Gedanken trägt, welche zwar seiner Kindesliebe, nicht aber seiner Einsicht Ehre machen. Wißt Ihr vielleicht etwas davon?“

„Hm! Hat er Euch etwas davon gesagt, Sir?“

„Nein.“

„Nun, zu Euch hat er doch jedenfalls mehr Vertrauen, als zu mir. Wenn er gegen Euch schweigt, so wird er gegen mich nicht mitteilsamer sein.“

„Mir scheint, Ihr sucht eine direkte Antwort zu umgehen?“

„Fällt mir nicht ein!“

„Er hält sich seit gestern von mir und Winnetou zurück, und Ihr reitet stets mit ihm. Ich habe geglaubt, daraus folgern zu müssen, daß er Euch zu seinem Vertrauten gemacht hat.“

„Ich sage Euch, daß Ihr Euch da sehr irrt, obwohl Ihr sonst ein außerordentlich scharfsinniger Mann seid.“

„Also er hat Euch wirklich nichts mitgeteilt, woraus zu folgern wäre, daß er etwas beabsichtigt, was ich nicht billigen könnte?“

„Alle Teufel! Ihr stellt da ja ein wirkliches Examen mit mir an. Bedenkt, Sir, daß ich kein Schulknabe bin! Wenn mir jemand über seine Familienverhältnisse und Herzensangelegenheiten eine Mitteilung macht, so bin ich nicht berechtigt, einem anderen darüber Rede zu stehen.“

„Gut, Master Jemmy! Das, was Ihr jetzt sagtet, war zwar eine Grobheit, hat aber seine Richtigkeit. Ich will also nicht weiter in Euch dringen und genau so thun, als ob ich nichts bemerkt hätte. Geschieht aber etwas, was einen von uns in Schaden bringt, so weise ich alle Verantwortlichkeit von mir ab. Wir sind fertig.“

Er wendete sich ab und ging, nicht nach dem Lager hin, sondern nach der entgegengesetzten Seite. Er hatte sich über Jemmy geärgert und wollte seinen Unmut durch einen kurzen Gang zur Ruhe bringen.

Der Dicke schlenderte langsam nach seinem Feuer hin und brummte dabei leise vor sich hin:

„Ein verteufelt scharfes Auge hat dieser Mann! Wer konnte meinen, daß er etwas gemerkt habe. Recht hat er, vollständig recht, und ich wollte, ich hätte ihm alles sagen können; aber ich habe mein Wort gegeben, zu schweigen, und darf es nicht brechen. Besser wäre es, ich hätte mich mit dieser Sache gar nicht abgegeben. Aber der kleine Bärenjäger wußte so schön zu bitten, und da ist mir altem, dickem Waschbären das Herz mit dem Verstande davongelaufen. Na, hoffentlich nimmt die Angelegenheit ein gutes Ende!“

Als Old Shatterhand sich vorhin vom Feuer entfernt hatte, war von den Zurückbleibenden ein leises Gespräch über denselben Gegenstand geführt worden.

„O weh!“ hatte der lange Davy dem Sohne des Bärenjägers zugeflüstert. „Da geht Shatterhand fort! Wohin?“

„Wer weiß es!“

„Ich bin es vielleicht, der es weiß. Mir scheint, er hat gar nicht geschlafen. Wenn einer in dieser Weise aufsteht, so ist er nicht aus dem Schlafe erwacht. Er hat uns wohl gar beobachtet.“

„Warum sollte er das? Wir haben ihm ja keine Veranlassung zum Mißtrauen gegeben.“

„Hm! Ich freilich nicht, aber Ihr. Ich habe mich sehr wohl gehütet, viel mit Euch zu reden, wenn ich wußte, daß er es bemerken könne. So auch vorhin. Jemmy aber hält sich so unausgesetzt zu Euch, daß ein jeder annehmen muß, daß Ihr irgend eine Heimlichkeit mit ihm habt. Auch Old Shatterhand ist es wohl aufgefallen. Nun ist er dem Jemmy nach und wird sehen, daß dieser unsere Pferde anpflockt, damit wir sie nachher, wenn wir uns fortschleichen wollen, nicht lange Zeit zu suchen brauchen. Wenn er das wirklich sieht, so ist unsere Absicht mehr als halb verraten.“

„Ich werde sie dennoch ausführen!“

„Ich habe Euch gewarnt und warne Euch auch noch jetzt!“

„Aber bedenkt doch, mein lieber Davy, daß es mir ganz unmöglich ist, noch volle drei Tage zu warten! Ich sterbe vor Sorge um den Vater.“

„Old Shatterhand hat Euch aber doch erklärt, daß die Gefangenen noch leben müssen!“

„Er kann sich sehr leicht irren.“

„So können wir es auch nicht ändern.“

„Aber ich habe Gewißheit und kann mich danach richten. Wünscht Ihr etwa, daß ich Euch Euer Wort zurückgebe?“

„Besser für mich wäre es vielleicht.“

„Das sagt Ihr, dem ich ein so großes Vertrauen geschenkt habe,“ bemerkte Martin in vorwurfsvollem Tone. „Habt Ihr denn vergessen, daß Ihr und Jemmy die ersten waret, welche mir ihre Hilfe anboten? Nun aber kann ich mich nicht mehr auf euch verlassen.“

„Zounds! Das ist ein Vorwurf, den ich nicht auf mir sitzen lassen darf. Ich habe mich von meiner Zuneigung zu Euch hinreißen lassen, Euch das Versprechen zu geben, und Ihr sollt mir nicht nachsagen, daß ich es nicht halte. Ich reite also mit; aber ich mache eine Bedingung!“

„Laßt hören! Ich erfülle sie, wenn es mir möglich ist.“

„Wir belauschen die Sioux-Ogallala nur, um zu erfahren, ob Euer Vater noch lebt.“

„Ja, einverstanden.“

„Wir machen nicht etwa auf unsere eigene Faust einen Versuch, ihn zu befreien.“

„Auch da bin ich Eurer Meinung.“

„Schön! Ich kann es mir lebhaft vorstellen, wie es in Eurem Herzen aussehen mag. Ihr steht eine reelle Angst um Euren Vater aus. Das rührt mein altes, gutes Gemüt, und ich begleite Euch. Aber sobald wir gesehen haben, daß er noch lebt, kehren wir um und reiten den anderen nach. Wenn Ihr nur nicht auf den Gedanken gekommen wäret, den Hobble-Frank mitzunehmen!“

„Er hat es verdient, daß ich diese Rücksicht auf ihn nehme.“

„Aber ich denke, daß er uns mehr schaden als nutzen werde.“

„O, Ihr irrt Euch in ihm. Er ist trotz aller seiner Eigenheiten ein mutiger und auch gewandter Kerl.“

„Das mag sein; aber er hat ein ganz entschiedenes Pech. Was er am besten anzufangen meint, das gelingt ihm am allerwenigsten. Solche Unglücksvögel sind die besten Geschöpfe, aber man muß sie meiden.“

„Ich habe es ihm nun einmal versprochen und will ihm nicht das Herzeleid anthun, mein Wort zurückzunehmen. Er hat in Freud‘ und Leid treu bei uns ausgehalten, und es ist eine Art Belohnung für ihn, wenn ich ihn mitnehme.“

„Und Wohkadeh? Geht er noch mit?“

„Ja. Wir haben so innige Freundschaft geschlossen, daß es ihm unmöglich ist, zurückzubleiben, während ich diesen Ritt unternehme.“

„So ist also alles in Ordnung, und es handelt sich nur darum, unbemerkt fortzukommen. Freilich wird es morgen früh eine große Sorge um uns geben, wenn wir verschwunden sind, aber ich denke, der Neger wird den Auftrag ausrichten. Da kommt Jemmy.“

Der Dicke kam herbei und setzte sich zu ihnen.

„Nicht wahr, Old Shatterhand hegt Mißtrauen?“ fragte Davy.

„Ja. Er hat mich inquiriert wie einen Spitzbuben,“ brummte der Dicke mißmutig.

„Du hast aber doch nichts gestanden?“

„Versteht sich ganz von selbst. Aber sauer ist es mir freilich geworden. Ich habe meine Zuflucht sogar zur Grobheit nehmen müssen. Das nahm er mir übel und ging fort.“

„Und er hat gesehen, daß du unsere Pferde anpflocktest?“

„Ich hatte es nur erst mit dem meinigen gethan. Er war mir glücklicherweise zu schnell nachgekommen. Laßt uns aber jetzt schweigen, damit wir sein Mißtrauen einschläfern. Da kommt nun auch der Mond. Wir wollen das Feuer auslöschen und uns dann unter die Bäume legen. Da gibt es Schatten, und man bemerkt unsere Entfernung nicht sogleich.“

„Gut, daß wir Mondschein haben; da finden wir wenigstens den Weg.“

„Er ist uns deutlich vorgezeichnet, immer am Flusse hinab. Einerseits ist es mir gar nicht lieb, daß wir gezwungen sind, die Gefährten zu täuschen, andererseits aber kann es ihnen auch nichts schaden. Früher hatten auch wir ein Wort zu sagen; jetzt aber sind Old Shatterhand und Winnetou die Kommandanten. Jemmy und Davy werden nur so nebenbei einmal um ihre Ansicht gefragt. Da ist es eigentlich ganz an der Zeit, ihnen zu zeigen, daß wir auch noch zu den Westmännern gehören, die einen Plan entwerfen und ihn auch ausführen können. jetzt nun zur Ruhe. Sie darf für uns nicht lange währen.“

Das Feuer wurde ausgelöscht. Auch die Flammen, an denen die Indianer gesessen hatten, brannten nicht mehr. Die Gespräche waren verstummt. Old Shatterhand legte sich, als er zurückgekehrt war, neben Winnetou in das Gras. Nun war es still ringsum. Nur das schrille Pfeifen der dem Erdinnern entströmenden Dämpfe ließ sich in regelmäßigen Zwischenräumen hören.

Es verging weit über eine Stunde, da regte es sich leise unter den Bäumen, wo Frank, Jemmy, Davy, Martin und Wohkadeh sich zusammen gelagert hatten.

„Meine Brüder mögen mir folgen,“ flüsterte der junge Indianer. „Es ist Zeit. Wer eher geht, der kommt eher an.“

Sie griffen nach ihren Waffen und sonstigen Sachen und schlichen sich leise unter den Bäumen dahin, den Pferden zu. Jemmy fand das seinige leicht; die anderen mußten erst gesucht werden; aber den scharfen Augen Wohkadehs gelang es schnell, die vier Tiere von den anderen zu unterscheiden.

Ohne ein leichtes Geräusch ging das freilich nicht ab. Darum blieben die fünf Flüchtlinge, als sie die Pferde beisammen hatten, eine kleine Weile lauschend stehen, um zu beobachten, ob ihr Verschwinden bemerkt worden sei.

Als es aber dort bei den Schlafenden ruhig blieb, führten sie die Pferde, deren Hufschlag durch das Gras gedämpft wurde, langsam fort.

Freilich, ganz unbemerkt entkamen sie nicht. Obgleich an die Nähe eines Feindes nicht gedacht werden konnte, waren doch einige Wachen, die sich von Zeit zu Zeit abzulösen hatten, ausgestellt worden. Für die Nacht war dies schon wegen den wilden Tieren im Walde notwendig. An einem dieser Wachtposten kamen sie vorüber.

Es war ein Schoschone. Er hörte sie kommen, wußte natürlich, daß die vom Lager her Nahenden Freunde sein mußten, und machte daher keinen Lärm. Der Schein des Mondes, welcher sich zwischen einzelnen Zweigen hindurch herniederstahl, erlaubte ihm, die Pferde zu sehen. Daß sich Männer mit ihren Tieren entfernen wollten, das erregte seine Verwunderung.

„Was haben meine Brüder vor?“ fragte er.

„Schau mich an! Erkennst du mich?“ antwortete Jemmy, nahe an ihn herantretend, so daß seine Gestalt deutlich zu bemerken war.

„Ja. Du bist Jemmy-petahtscheh.“

„Sprich leise, damit keiner der Schläfer geweckt werde. Old Shatterhand sendet uns aus. Er weiß, wohin wir gehen. Ist dir das genug?“

„Meine weißen Brüder sind unsere Freunde. Ich darf sie nicht hindern, die Befehle des großen Jägers auszuführen.“

Sie gingen weiter. Als sie so entfernt vom Lager waren, daß kein Huftritt dort mehr gehört werden konnte, stiegen sie auf, suchten die lichtere Nähe des Seeufers auf und trabten längs desselben hin, um den Ausfluß des Yellowstoneriver zu erreichen und demselben in nördlicher Richtung zu folgen.

Der Schoschone hielt den Vorfall für so einfach und selbstverständlich, daß er sich gar nicht die Mühe gab, später dem ihn ablösenden Posten eine Mitteilung darüber zu machen. So blieb die Entfernung der fünf kühnen oder vielmehr leichtsinnigen Deserteure unbemerkt, bis der Tag graute.

Um diese frühe Zeit sollte aufgebrochen werden. Daher erhoben sich, als die ersten Vogelstimmen in den Zweigen ertönten, alle von ihren Lagerorten. Da bemerkte Old Shatterhand zunächst, daß Martin Baumann fehlte. Da ihm sofort die gestrige Befürchtung zurückkehrte, forschte er nach Jemmy, und bald stellte es sich heraus, daß nicht nur dieser auch fehlte, sondern ebenso Davy, Frank und Wohkadeh nicht mehr vorhanden waren. Wie man sich dann sogleich überzeugte, hatten sie zu Pferde das Lager verlassen.

Nun erst jetzt meldete sich der Schoschone, welcher gestern abend die Wache gehabt hatte, und erzählte Old Shatterhand, welche Erklärung ihm von Jemmy gemacht worden war.

Winnetou stand dabei und konnte sich trotz seines sonstigen Scharfsinnes die Absicht, in welcher die Fünf sich so heimlich entfernt hatten, nicht denken.

„Sie sind den Sioux-Ogallala entgegen,“ erklärte ihm Old Shatterhand.

„So haben sie ihr Hirn verloren,“ zürnte der Apache. „Sie werden nicht nur der Gefahr, welcher sie entgegenreiten, nicht entgehen, sondern auch unsere Anwesenheit verraten. Warum aber wollen sie den Sioux begegnen?“

„Um zu erfahren, ob der Bärentöter noch lebe.“

„Ist er tot, so vermögen sie doch nicht, ihm das Leben zurückzugeben, und lebt er noch, so werden sie ihm Unglück bringen. Winnetou kann diesen großen Fehler den zwei kühnen Knaben verzeihen; die beiden alten, weißen Jäger aber sollten am Pfahle aufgestellt werden, den Squaws und Kindern zum Spotte!“

Da kam Bob, der Neger, herbei. Der Skunkgeruch war noch nicht ganz von ihm gewichen, so daß keiner der Leute ihn gern in seiner Nähe duldete. Er trug immer noch nur die alte Pferdedecke, welche der lange Davy ihm geschenkt hatte. Des Nachts, wenn es kühl wurde, hatte er sich bisher in das Fell des von Martin Baumann erlegten Bären gewickelt.

„Massa Shatterhand suchen Massa Martin?“ fragte er.

„Ja. Kannst du mir Auskunft erteilen?“

„O, Masser Bob sein ein sehr kluger Masser Bob. Er wissen, wo Massa Martin sein.“

„Nun wo?“

„Sein fort, zu Sioux-Ogallala, zu sehen gefangen Massa Baumann. Massa Martin haben Masser Bob alles sagen, damit Masser Bob dann Massa Shatterhand wiedersagen.“

„Also doch ganz so, wie ich dachte!“ sagte Old Shatterhand. „Wann wollen sie zurückkommen?“

„Wann sie haben sehen Massa Baumann, dann kommen uns nach an Fireholefluß.“

„Hast du sonst noch einen Auftrag?“

„Nein. Masser Bob weiter nichts wissen.“

„Dein guter Massa Martin hat da eine Dummheit gemacht; ich glaube, es kann ihm dabei an den Kragen gehen.“

„Was! Massa Martin an den Kragen? Da Masser Bob sich setzen sofort auf Pferd, um ihm nachreiten und erretten!“

Er wollte eiligst fort, hin zu den Pferden.

„Halt!“ befahl ihm Old Shatterhand. „Du bleibst! Du darfst zu der ersten Dummheit nicht noch eine zweite fügen, welche noch größer sein würde.“

„Aber Masser Bob doch müssen retten sein lieb gut Massa Martin!“ rief der treue Schwarze. „Masser Bob schlagen tot all ganz Sioux-Ogallala!“

„Ja, so wie du zum Beispiel auch den Bären totschlugst, als du vor Angst auf die Birke klettertest.“

„Ogallala sein kein Bär. Masser Bob sich nicht fürchten vor Ogallala!“

Er streckte seine großen Fäuste drohend aus und machte eine Miene, als ob er gleich zehn Ogallala verschlingen wolle.

„Nun gut, ich will es einmal mit dir versuchen, weil du deinen jungen Herrn so hebst. Mache dich bereit, in wenigen Minuten mit uns zu reiten!“

Und zu Winnetou, bei welchem jetzt der Häuptling der Upsarocas und der Häuptling der Schoschonen mit Moh-aw, seinem Sohne, standen, fuhr er fort:

„Mein Bruder wird den Ritt fortsetzen und mich am K’untui-temba, dem Maule der Hölle, erwarten. Mit mir aber werden reiten die fünfzehn Krieger der Upsarocas mit ihrem Häuptlinge und Moh-aw mit fünfzehn Kriegern der Schoschonen. Wir müssen diesen fünf vorwitzigen Menschen augenblicklich folgen, um sie zu retten, wenn sie sich in Gefahr befinden. Wann wir dem Häuptlinge der Apachen folgen werden, das weiß ich nicht. Auch kann ich nicht vorher bestimmen, von welcher Seite ich nach dem Maule der Hölle kommen werde. Mein Bruder mag nach beiden Seiten Männer senden, welche aufzupassen haben, denn es ist nun möglich, daß die Sioux eher am Grabe der Häuptlinge sind als ich mit meinen Kriegern.“

Nur wenige Minuten später galoppierte Old Shatterhand mit seinen Begleitern in derselben Richtung fort, in welcher die fünf Unvorsichtigen gestern abend das Lager verlassen hatten. Ob, wo, wann und unter welchen Umständen er sie einholen werde, das konnte er freilich nicht wissen.

Sie hatten natürlich einen weiten Vorsprung vor ihm. Der Ritt war zwar wegen der Nacht und ihrer Unbekanntschaft mit dem Terrain nur langsam vorwärts gegangen, aber dennoch lag beim Anbruch des Tages der Yellowstonesee bereits in bedeutender Entfernung hinter ihnen, und nun konnten sie die Pferde besser ausgreifen lassen.

Jemmy und Davy fühlten sich heute ganz in ihrem Elemente. Sie waren diejenigen, auf welche sich die drei anderen verlassen mußten, während in letzter Zeit nur wenig nach ihren Meinungen gefragt worden war. Und wenn sie die Gegend, in welcher sie sich befanden, auch gar nicht kannten, so verließen sie sich auf ihre Erfahrung und Gewandtheit und waren vollständig überzeugt, daß ihr Rekognitionsritt einen guten Ausgang finden werde.

Zu sehen gab es, als es hell geworden war, genug, ja mehr, als für den Zweck ihres Rittes eigentlich nützlich war. Die Scenerie des Flusses und seiner Ufer war eine so außerordentlich interessante, daß es keinem von ihnen gelang, die Ausrufe der Bewunderung, welche ihnen über die Lippen wollten, zurückzuhalten.

Das Thal des Flusses war zunächst ziemlich breit und bot zu beiden Seiten reiche Abwechselung. Bald stiegen die Höhen allmählich herab zu den Ufern, und bald strebten sie steilan zum Himmel empor; aber mochte die Formation sein, welche sie wollte, allüberall machten sich die Wirkungen unterirdischer Gewalten geltend.

Vor wer weiß wie vielen Menschheitsaltern ist diese Gebirgsregion ein See gewesen, welcher einen Flächenraum von vielen Tausend Quadratmeilen gehabt hat. Dann begannen unter seinen Wassern vulkanische Mächte ihre Thätigkeit. Es hob sich der Boden; er spaltete sich, und aus diesen Spalten schoß glühende Lava hervor, welche im kühlen Wasser des Sees zu Basalt erstarrte. Es öffneten sich ungeheure Krater, heißes Gestein wurde aus ihnen emporgetrieben und verband sich mit anderen Mineralien zu verschiedenartigen Konglomeraten, um den Boden zu bilden, auf welchem die zahlreichen heißen Mineralquellen ihre Niederschläge ablagern konnten. Dann hob eine gewaltige Ansammlung unterirdischer Gase mit unmeßbarer Gewalt den ganzen Boden dieses Sees empor, so daß seine Wasser abfließen mußten. Sie rissen sich tiefe Rinnen in die Erde. Loses Erdreich und weiches Gestein wurde fortgespült. Kälte und Wärme, Sturm und Regen halfen mit, alles, was nicht Widerstand zu leisten vermochte, zu zerstören, zu entfernen, und nur die harten, erstarrten Lavasäulen hielten aus.

So grub sich das Wasser zu einer Tiefe von tausend Fuß in die Erde ein; es fraß alles Weiche weg; es wusch die Felsen tiefer und tiefer aus, und so wurden die großartigen Cannons und die Wasserfälle gebildet, welche zu den Wundem des Nationalparkes gehören.

Da ragen dann die vulkanischen Ufer hoch empor, vielfach zerrissen und zerklüftet, vom Regen ausgewaschen, und bilden Formen, welche sich keine Phantasie zu erdenken vermag. Da glaubt man die Ruine einer alten Ritterburg zu sehen. Man kann die leeren Fensterhöhlen sehen, den Wartturm und die Stelle, an welcher die Zugbrücke über den Graben ging. Nicht weit davon ragen schlanke Minarets empor. Man meint, der Muezzin müsse auf den Söller treten und die Gläubigen zum Gebete rufen. Gegenüber öffnet sich ein römisches Amphitheater, in welchem Christensklaven mit wilden Tieren gerungen haben. Daneben steigt eine chinesische Pagode frei und kühn zur Höhe, und weiterhin am Flusseslaufe steht eine hundert Fuß hohe Tiergestalt, so massiv, so unzerstörbar scheinend, als sei sie dem Götzen eines vorsündflutlichen Volkes errichtet gewesen.

Und das alles ist Täuschung. Die vulkanischen Eruptionen haben die Massen geliefert, welche vom Wasser zu Gestalten gemeißelt wurden. Und wer diese Produkte elementarer Kräfte betrachtet, fühlt sich als einen mikroskopischen Wurm im Staube und hat allen Stolz vergessen, der ihn vorher beherrschte.

So ging es auch Jemmy, Davy und Martin Baumann, als sie am Morgen dem Laufe des Flusses folgten. Sie wurden nicht müde, ihrer Bewunderung Ausdruck zu geben. Was Wohkadeh fühlte und dachte, das war nicht zu erfahren; er sprach es nicht aus.

Natürlich benutzte der gute Hobble-Frank diese Gelegenheit, sein wissenschaftliches Licht leuchten zu lassen; aber heute fand er in dem dicken Jemmy keinen bereitwilligen Hörer, denn dieser hatte alle seine Aufmerksamkeit in den Augen konzentriert und forderte endlich den kleinen Sachsen gar in zornigem Tone zum Schweigen auf.

„Na, dann gut!“ antwortete der einstige „Forschtbeamte“. „Was hilft’s der Menschheet, daß sie diese Wunder erblickt, wenn sie sich weigert, sie sich erklären zu lassen! Da hat der große Dichter Gellert sehre recht, indem er sagt: Was hilft der Kuh Muschkate! Ich will also meine Muschkate und meinen Sempf ooch für mich behalten. Man kann im Gymnasium gewest sein und doch vom Yellohschtohne nichts verschtehn. Ich aber wasche von heute an meine Hände in lauter Unschuld. Da weeß ich wenigstens, woran ich bin!“

Da, wo der Fluß sich in einem ziemlich weiten Bogen nach Westen wendet, traten zahlreiche heiße Quellen zu Tage, welche ihre Wasser sammelten, um ein ansehnliches Flüßchen zu bilden, welches sich zwischen hohen Felsen hindurch in den Yellowstone ergoß. Es schien, als ob man das Ufer des letzteren von hier an nicht mehr direkt verfolgen könne, und darum bogen die Fünf links ein, um dem Laufe des heißen Flüßchens zu folgen.

Hier gab es weder Baum noch Strauch. Es war alle Vegetation erstorben. Die heiße Flüssigkeit hatte ein schmutziges Aussehen und roch wie faule Eier. Es war kaum zum Aushalten. Und doch wurde es nicht eher anders und besser, als bis sie nach einem stundenlangen, beschwerlichen Ritte die Höhe erreichten. Hier gab es auch klares, frisches Wasser, und bald zeigten sich Büsche, später sogar Bäume.

Von einem wirklichen Wege war natürlich keine Rede. Die Pferde hatten sich oft auf weite Strecken hin über Felsbrocken weg zu arbeiten, welche das Aussehen hatten, als sei ein Berg vom Himmel gestürzt und hier unten in lauter Stücke zerbrochen.

Diese Trümmer hatten oft eine wunderbare Gestalt, und oft blieben die fünf Reiter halten, um ihre Meinung über dieselbe auszutauschen. Dabei verging die Zeit, und es war bereits mittag, als sie erst die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten.

Da erblickten sie von weitem ein ziemlich großes Haus. Es schien eine in italienischem Stile gebaute Villa zu sein, an welche sich ein mit einer hohen Mauer umgebener Garten lehnte. Ganz erstaunt blieben sie halten.

„Ein Wohnhaus hier am Yellowstone! Das ist doch gar nicht möglich!“ sagte Jemmy.

„Warum soll das nicht möglich sein?“ antwortete Frank. „Wenn off dem Sankt Bernhardt een Hostiz ist, so kann hier doch vielleicht ooch eens errichtet worden sein. Die Menschenmöglichkeet ist überall vorhanden.“

„Hospiz heißt es, aber nicht Hostiz,“ bemerkte Jemmy.

„Fangen Sie nich etwa mit mir an! Haben Sie vorhin von meinen mineralischen Kenntnissen nischt profitieren wollen, so brauchen Sie mir jetzt Ihre zweifelhafte Weisheet ooch nich auszukramen! Sind Sie denn vielleicht schon mal off dem Sankt Bernhardt gewest?“

„Nein.“

„So schweigen Sie also ganz schtille! Nur wer da droben wohnt, kann drüber reden. Aber sehen Sie doch mal genauer nach dem Hause hin! Schteht da nich een Mensch grad vor dem Thore?“

„Allerdings. Wenigstens scheint es so. Aber jetzt ist er weg. Es wird wohl nur ein Schatten gewesen sein.“

„So? Da blamieren Sie sich wieder mal mit Ihren optischen Erfahrungen. Wo es eenen menschlichen Schatten gibt, da muß es unbedingt ooch eenen Menschen geben, der diesen Schatten geworfen hat. Das ist die bekannte Lehre von Pythagorassen seiner Hypotenuse off den zwee Kathedern. Und wenn der Schatten weg ist, so muß entweder die Sonne verschwunden sein oder derjenige, der den Schatten geworfen hat. Die Sonne ist aber noch da, folglich ist der Kerl fort. Wohin, das werden wir bald merken.“

Sie näherten sich dem Bauwerke schnell, und da erkannten sie freilich, daß es nicht von Menschenhänden errichtet, sondern ein Werk der Natur war. Die scheinbaren Mauern bestanden aus blendend weißem Feldspat. Mehrere Öffnungen konnten von weitem leicht für Fenster gehalten werden. Eine weite, hohe Thüröffnung war auch vorhanden. Wenn man durch dieselbe blickte, so sah man eine Art weiten Hofes, welcher durch natürliche Felsencoulissen in mehrere verschieden große Abteilungen geschieden wurde. In der Mitte dieses Hofes sprudelte ein Quell aus der Erde hervor und schickte sein klares, kaltes Wasser gerade zum Thore heraus.

„Wunderbar!“ gestand Jemmy. „Dieser Ort eignet sich prächtig zu einer Mittagsrast. Wollen wir hinein?“

„Meinswegen,“ antwortete Frank. „Aber wir wissen noch gar nich, ob der Kerl, der da drin wohnt, vielleicht een schlechter Mensch ist.“

„Pshaw! Wir haben uns getäuscht; von einem Menschen ist hier gar keine Rede. Zum Überflusse will ich auch vorher einmal rekognoszieren.“

Er ritt, die Büchse schußfertig haltend, langsam durch das Thor und blickte sich im Hofe um. Dann drehte er sich um und winkte.

„Kommt herein! Es ist keine Seele hier.“

„Das will ich ooch hoffen,“ meinte Frank. „Mit abgeschiedenen Seelen, die ooch een geisterhaftes Dasein off der Erde fristen, habe ich keeneswegs gern was zu thun.“

Davy, Martin und Frank folgten Jemmys Aufforderung. Wohkadeh aber blieb noch vorsichtig halten.

„Warum kommt mein roter Bruder nicht?“ fragte der Sohn des Bärentöters.

Der Indianer zog die Luft bedächtig durch die Nase und antwortete:

„Bemerken meine Brüder nicht, daß es hier sehr nach Pferden riecht?“

„Natürlich muß es nach ihnen riechen. Wir haben ja die unserigen mit.“

„Dieser Geruch kam bereits aus der Thür, als wir noch vor ihr hielten.“

„Es ist hier weder ein Mensch noch ein Tier zu sehen, auch keine Spur von beiden.“

„Weil der Boden aus hartem Stein besteht. Meine Brüder mögen vorsichtig sein.“

„Es gibt hier keinen Grund zu irgend einer Befürchtung,“ erklärte Jemmy. „Kommt, wir wollen uns erst auch noch weiter hinten umsehen.“

Anstatt ihn das allein thun zu lassen und sich dadurch den Rückzug offen zu halten, folgten sie ihm, eng nebeneinander reitend, nach den hintersten Felsenabteilungen.

Da erscholl plötzlich ein Geheul, daß es schien, als ob die Erde bebe. Eine ganz bedeutende Anzahl von Indianern brach aus dem Hintergrunde hervor, und im Nu waren die vier unvorsichtigen Männer umzingelt.

Die Roten waren nicht zu Pferde, aber außerordentlich gut bewaffnet. Ein langer, hagerer, aber sehniger Kerl, durch den Kopfputz als Häuptling gekennzeichnet, rief den Weißen in gebrochenem Englisch zu:

„Ergebt euch, sonst nehmen wir euch die Skalpe!“

Es waren ganz gewiß wenigstens fünfzig Indianer. Die vier Überraschten sahen ein, daß jede Gegenwehr nur verderblich sein könne.

„Alle Teufel!“ stieß Jemmy in deutscher Sprache hervor. „Da sind wir ihnen gerade in die Hände geritten. Es sind Sioux, jedenfalls diejenigen, welche wir belauschen wollten. Aber noch gebe ich nichts verloren. Vielleicht ist durch List etwas zu erreichen.“

Und zu dem Häuptlinge gewendet, fuhr er in englischer Sprache fort:

„Ergeben sollen wir uns? Wir haben euch ja nichts gethan. Wir sind Freunde der roten Männer.“

„Das Kriegsbeil der Sioux-Ogallala ist gegen die Bleichgesichter gerichtet,“ antwortete der Lange. „Steigt ab und legt eure Waffen von euch! Wir warten nicht.“

Fünfzig Paar Augen waren finster auf die Weißen gerichtet, und fünfzig rotbraune Hände lagen an den Messern. Old Shatterhand und Winnetou hätten sich wohl nicht ergeben; aber der lange Davy war der Erste, der von seinem Maultiere stieg.

„Thut ihm den Willen,“ sagte er zu seinen Gefährten. „Wir müssen Zeit gewinnen. Die Unsrigen kommen ganz gewiß, um uns zu befreien.“

. Da stiegen die anderen auch ab und übergaben ihre Waffen. Dabei nahm der Hobble-Frank Gelegenheit, dem dicken Jemmy einen Rippenstoß zu versetzen und ihm zornig zuzurufen:

„Das kommt davon, wenn man off dem Gymnasium nich mal gelernt hat, wie das Wort Hostiz geschrieben wird! Warum reiten Sie denn da herein! Wären Sie doch draußen geblieben. Nun haben uns die Kanallgen bei der Parabel!“

Da bekam er selbst von einem Indianer einen noch viel derberen Rippenstoß. Der Rote hielt ihm das Messer vor das Gesicht und gebot:

„Schweig! Sonst –– !“

Er machte die Bewegung des Stechens. Frank hielt sich sofort die Hand vor den Mund, zum Zeichen, daß er keine Lust habe, mit dem Messer Bekanntschaft zu machen.

Wohkadeh war nicht mit hereingekommen, wie bereits erwähnt wurde. Er sah von draußen, daß seine Gefährten umzingelt wurden, und trieb sofort sein Pferd zur Seite, um nicht durch die Eingangsöffnung gesehen zu werden. Dann sprang er ab, legte sich auf den Boden und schob den Kopf nur so weit vor, daß die Augen Freiheit bekamen, in den Hof zu blicken.

Was er sah, erfüllte ihn mit Bestürzung. Er erkannte den Häuptling. Es war Hong-peh-te-keh, der schwere Mokassin, der Anführer der Sioux-Ogallala. Er erkannte auch die anderen. Es waren die sechsundfünfzig Ogallala, zu denen er gehört hatte und denen er entflohen war. Der Weiße, der ihnen hier in die Hände fiel, in der Nähe des Häuptlingsgrabes, war sicherlich verloren, wenn ihm nicht von außen her Rettung wurde.

Was sollte er thun? So fragte sich der wackere Wohkadeh. Schnell nach dem See zurückreiten, um Old Shatterhand mit den Seinen zu holen? Nein. Es kam ihm ein besserer Gedanke. Derselbe war zwar außerordentlich kühn, gab aber doch wenigstens eine kleine Hoffnung auf Erfolg. Er wollte hinein zu den Ogallala; er wollte riskieren, von ihnen in Stücke zerrissen zu werden. Er mußte sie belügen. Begriffen die Weißen seine Absicht, ohne daß er sie ihnen zu erklären brauchte, und richteten sie ihre Aussagen danach ein, so war es möglich, einen Erfolg zu erzielen.

Er bedachte sich nicht länger. Es war ein wahres Heldenstück, welches auszuführen er sich vorgenommen hatte; aber was würden Winnetou und Old Shatterhand, seine beiden Ideale, sagen, wenn sie davon hörten l

Dieser Gedanke verdoppelte seine Kühnheit. Er stieg auf sein Pferd und ritt in den Hof, die unbefangenste Miene zeigend, die es nur geben kann.

Soeben sollten die vier Gefangenen gefesselt werden. Zwei, drei Lançaden seines Pferdes, und er hielt vor ihnen.

„Uff !“ rief er mit lauter Stimme. „Seit wann schlingen die Krieger der Sioux-Ogallala Fesseln um die Hände ihrer besten Freunde? Diese Bleichgesichter sind die Brüder Wohkadehs!“

Sein plötzliches Erscheinen erregte allgemeines Staunen. Doch machte sich das letztere nur durch einige halblaute, kurze Ausrufe Luft. Der „schwere Mokassin“ zog die Brauen finster zusammen, musterte mit stechendem Blicke die ganze Erscheinung des jungen Kriegers und antwortete:

„Seit wann sind die weißen Hunde die Brüder der Ogallala?“

„Seit sie Wohkadeh das Leben gerettet haben.“

Der Häuptling bohrte seinen Blick förmlich in denjenigen Wohkadehs. Dann fragte er:

„Wo ist Wohkadeh bisher gewesen? Warum ist er nicht zurückgekehrt zur richtigen Zeit, als er ausgesendet wurde, nach den Kriegern der Schoschonen zu spähen?“

„Weil er gefangen wurde von den Hunden der Schoschonen. Diese vier Bleichgesichter aber haben für ihn gekämpft und ihn gerettet. Sie haben ihm einen Weg gezeigt, welcher schnell und leicht nach dem Yellowstone führt, und sind mit ihm gekommen, die Pfeife des Friedens mit dem schweren Mokassin zu rauchen.“

Die Lippen des Häuptlings umzuckte ein höhnisches Lächeln.

„Steig vom Pferde und tritt zu deinen weißen Brüdern!“ gebot er. „Du bist unser Gefangener, gerade wie sie.“

Der kühne rote Knabe machte ein sehr erstauntes Gesicht. Er antwortete:

„Wohkadeh der Gefangene seines eigenen Stammes? Wer gibt dem schweren Mokassin das Recht, einen Krieger seiner Nation gefangen zu nehmen?“

„Er nimmt sich dieses Recht selbst. Er ist der Anführer dieses Kriegszuges und kann thun, was ihm beliebt.“

Da nahm Wohkadeh sein Pferd hoch in die Zügel, gab ihm die Fersen in die Weichen und zwang es, eine volle, schnelle Kreiswendung auf den Hinterbeinen zu machen. Da es dabei mit den Vorderhufen ausschlug, mußten diejenigen Sioux-Ogallala, welche sich zu nahe an ihn herangedrängt hatten, von ihm zurückweichen. Er bekam Platz. Jetzt legte er die Zügel auf den Hals des Pferdes, so daß er auch die linke Hand frei bekam, ergriff seine Büchse, so daß er sie schußfertig in den Händen hielt, und sagte:

„Seit welcher Zeit dürfen die Häuptlinge der Sioux-OgalIala thun, was ihnen beliebt? Wozu sind die Versammlungen der alten Väter da? Wer gibt den Häuptlingen ihre Macht? Wer will einen tapferen Krieger der Ogallala zwingen, einem Häuptling zu gehorchen, welcher die Söhne seines eigenen Stammes wie Nigger behandelt? Wohkadeh ist ein junger Mann. Es gibt tapferere, weisere und berühmtere Krieger in seinem Stamm; aber er hat den weißen Büffel getötet und trägt die Adlerfedern in seinem Schopfe. Er ist kein Sklave. Er läßt sich nicht gefangen nehmen, und wer ihn beleidigt, der wird mit ihm kämpfen müssen!“

Das waren stolze Worte, und sie gingen nicht verloren. Die Häuptlinge der Indianer besitzen keineswegs eine erbliche Macht. Ihnen ist nicht die Gewalt eines europäischen Fürsten gegeben. Sie können keine Gesetze machen und keine Verordnungen erlassen. Sie sind aus der Reihe der Krieger gewählt, weil sie sich entweder durch Tapferkeit oder Klugheit oder irgend eine andere Eigenschaft vor den übrigen ausgezeichnet haben. Niemand ist wirklich gezwungen, ihnen zu gehorchen. Selbst wenn ein Häuptling einen Kriegszug veranstalten will, ist die Heeresfolge eine ganz freiwillige. Jeder, dem es beliebt, kann daheim bleiben, wodurch er freilich das Mißfallen der anderen erregt. Auch während des Kriegszuges kann ein jeder zu jeder Zeit zurücktreten. Der Einfluß und die Macht des Häuptlings beruht nur allein auf dem Eindrucke, welchen seine Persönlichkeit macht. Er kann beliebig abgesetzt werden.

Der „schwere Mokassin“, welcher seinen Namen dem Umstande verdankte, daß er sehr große Füße hatte und also eine große Spur trat, war als ein strenger, eigenwilliger Mann bekannt. Zwar hatte er sich bedeutende Verdienste um den Stamm erworben, aber seine Hartnäckigkeit, sein Stolz hatten demselben auch sehr oft geschadet. Er war hart, grausam und blutdürstig. In Beziehung auf den Anhang, welchen er besaß, zerfiel der Stamm in zwei Abteilungen, in solche, welche seine Anhänger waren, und solche, welche entweder offen oder heimlich gegen ihn agitierten.

Dieser Zwiespalt wurde auch jetzt offenbar, als Wohkadeh gesprochen hatte. Mehrere der Sioux ließen anerkennende, zustimmende Ausrufe hören. Der Häuptling warf ihnen einen grimmigen Blick zu, gab einigen seiner treuen Anhänger ein Zeichen, auf welches sie sofort nach dem Eingang eilten, um denselben zu besetzen, damit Wohkadeh nicht entfliehen könne, und antwortete sodann:

„Jeder Sioux-Ogallala ist ein freier Mann. Er kann thun, was ihm beliebt. Da hat Wohkadeh ganz recht. Aber sobald ein Krieger zum Verräter an seinen Brüdern wird, hat er das Recht verloren, ein freier Mann zu sein.“

„Meinst du, daß ich ein Verräter bin?“

„Ich meine es!“

„Beweise es!“

„Ich werde es beweisen vor der Versammlung dieser Krieger.“

„Und ich werde vor dieselbe treten als freier Mann, mit den Waffen in der Hand, und mich verteidigen. Und wenn ich bewiesen habe, daß der schwere Mokassin mich ohne Ursache beleidigt hat, wird er mit mir kämpfen müssen.“

„Ein Verräter tritt nicht vor die Versammlung mit den Waffen in der Hand. Wohkadeh wird die seinigen abgeben. Ist er unschuldig, so erhält er sie wieder.“

„Uff ! Wer will sie mir nehmen?“

Der junge Mann warf einen kühnen, herausfordernden Blick rund umher. Er sah, daß mehrere Gesichter Teilnahme für ihn zeigten. Die meisten aber blieben kalt.

„Niemand wird sie dir nehmen,“ antwortete der Häuptling. „Du selbst wirst sie ablegen. Und wenn du das nicht thust, so wirst du eine Kugel erhalten.“

„Ich habe zwei Kugeln in meinem Gewehre.“

Er schlug bei diesen Worten mit der Hand an den Kolben seiner Büchse.

„Wohkadeh hat, als er von uns ging, kein Gewehr besessen. Wo hat er diese Flinte her? Sie wurde ihm von den Bleichgesichtern geschenkt, und diese verschenken nur dann etwas, wenn sie Nutzen davon haben. Wohkadeh hat ihnen also Dienste geleistet und nicht sie ihm. Wohkadeh ist ein Mandane. Es hat ihn keine Squaw der Sioux geboren. Wer unter diesen tapferen Kriegern will für ihn sprechen, bevor er auf meine Anklage geantwortet hat?“

Keiner regte sich. Der „schwere Mokassin“ warf dem Jüngling einen triumphierenden Blick zu und gebot ihm:

„Steig also vom Pferde und gib die Waffen ab! Du sollst dich verteidigen und dann werden wir das Urteil fällen. Durch deinen Widerstand beweisest du nur, daß du nicht unschuldig bist.“

Wohkadeh sah recht wohl ein, daß er sich fügen müsse. Er hatte sich bis jetzt geweigert, um Eindruck auf diejenigen zu machen, welche dem Häuptlinge nicht wohlgesinnt waren.

„Wenn du das meinst, so will ich mich fügen,“ sagte er. „Meine Sache ist gerecht. Ich kann Eurem Spruch in Ruhe entgegensehen und ergebe mich also bis dahin in Eure Hände.“

Er stieg ab und legte seine Waffen zu den Füßen des Häuptlings nieder. Dieser sagte einigen der ihm Nahestehenden ein leises Wort, und sogleich zogen sie Riemen hervor, um Wohkadeh zu binden.

„Uff!“ rief er zornig. „Habe ich gesagt, daß ich Euch die Erlaubnis auch dazu gebe?“

„Diese Erlaubnis nehme ich mir,“ antwortete der Häuptling. „Bindet ihn und legt ihn in eine Ecke ganz allein, damit er nicht mit diesen Bleichgesichtern sprechen oder ihnen winken kann!“

Was hätte Widerstand geholfen? Er hätte die Sache nur verschlimmert; darum ergab sich Wohkadeh in sein Schicksal. Er wurde an Händen und Füßen gefesselt, so daß er sich nicht bewegen konnte, und in eine Ecke niedergelegt. Damit ihm ja nicht etwa der Gedanke an Flucht beikomme, mußten zwei Sioux sich bei ihm niedersetzen.

Ein alter Krieger trat zu dem Häuptling und sagte zu ihm:

„Es gingen der Winter viel mehr über mein Haupt als über das deinige; darum darfst du mir nicht zürnen, wenn ich dich frage, ob du wirklich Gründe hast, Wohkadeh für einen Verräter zu halten.“

„Ich will dir antworten, weil du der älteste der Krieger bist, die bei mir sind. Ich habe keinen eigentlichen Grund als nur den einen, daß eines dieser gefangenen Bleichgesichter, nämlich das jüngste, dem Bärentöter, welcher da hinten bei den Pferden liegt, sehr ähnlich sieht.“

„Kann das ein Grund sein?“

„Ja. Ich werde es dir beweisen.“

Er trat zu den Gefangenen, welche, ohne ihm helfen zu können, gesehen und gehört hatten, was Wohkadeh so nutzlos für sie wagte. Leider verstand weder Jemmy noch Davy die Sprache der Sioux in der Weise, daß sie alles, was Wohkadeh vorgebracht hatte, wußten.

Der schlaue Häuptling nahm eine weniger harte Miene an und sagte:

„Wohkadeh hat, bevor er von uns ging, eine That begangen, über welche wir beraten müssen. Daher ist er einstweilen gefangen genommen worden. Zeigt es sich, daß die Bleichgesichter ihn damals noch nicht gekannt haben, so werden sie ihre Freiheit wieder erhalten. Welche Namen tragen die weißen Männer?“

„Wollen wir sie ihm sagen?“ fragte Davy seinen dicken Freund.

„Ja,“ antwortete Jemmy. „Vielleicht bekommen sie da ein wenig Respekt vor uns.“

Und sich an den Häuptling wendend, fuhr er fort:

„Ich heiße Jemmy-petahtscheh, und dieser lange Krieger ist Davy-honskeh. Du wirst diese Namen bereits gehört haben.“

„Uff!“ erklang es im Kreise der dabeistehenden Sioux.

Der Häuptling warf ihnen einen strafenden Blick zu. Auch er war überrascht, diese so viel genannten Jäger in seiner Gewalt zu haben, ließ sich aber nicht das Geringste davon merken.

„Der schwere Mokassin kennt eure Namen nicht,“ antwortete er. „Und wer sind diese beiden Männer?“

Er hatte sich mit seiner Frage, welche Frank und Martin betraf, wieder an Jemmy gewendet. Davy flüsterte diesem zu:

„Um Gottes willen, nenne die Namen nicht!“

„Was hat das Bleichgesicht dem anderen zu sagen?“ fragte der Häuptling in strengem Tone. „Es mag derjenige antworten, den ich gefragt habe!“

Jemmy mußte sich zu einer Unwahrheit entschließen. Er nannte den ersten besten Namen, der ihm einfiel und gab Frank und Martin für Vater und Sohn aus.

Der Blick des Häuptlings glitt forschend von dem einen der Genannten zu dem anderen, und ein höhnisches Lächeln ging über sein Gesicht. Doch sagte er in ziemlich freundlichem Tone:

„Die Bleichgesichter mögen mir folgen.“

Er schritt nach dem hinteren Teile des Hofes zu.

Das scheinbare Haus war jedenfalls früher ein ungeheueres Felsenstück gewesen, aus Feldspat bestehend und von weicheren Teilen durchsetzt. Diese letzteren waren vom Regen ausgewaschen worden, und während der Spat diesem und dem Wetter widerstanden hatte, war ein Gebilde entstanden, welches einem langen, von hohen Mauern umschlossenen Hofe glich, der durch Querwände in mehrere Abteilungen zerlegt wurde.

Die hinterste derselben war die größte. Sie bot so viel Raum, daß sämtliche Pferde der Ogallala darin Platz gefunden hatten. In einem Winkel lagen sechs Weiße, auch an Händen und Füßen gebunden. Sie befanden sich in einem höchst bedauerlichen Zustande. Die Kleider hingen ihnen in Fetzen von dem Leibe. Die Handgelenke waren von den Fesseln wund gescheuert. Die Gesichter starrten von Schmutz, und Haar und Bart hing in einem ganz unbeschreiblichen Zustande um den Kopf. Die Wangen waren eingefallen, und die Augen lagen tief in den Höhlen, eine Folge von Hunger und Durst und von erlittenen anderen Qualen.

Dorthin brachte der Häuptling die neuen Gefangenen. Während sie herbeigeschritten waren, hatte Martin zu Jemmy leise gesagt:

„Wohin wird er uns führen? Vielleicht zu meinem Vater?“

„Möglich. Aber um Gottes willen nicht merken lassen, daß Ihr ihn kennt, sonst ist alles verloren.“

„Hier liegen gefangene Bleichgesichter,“ sagte der Häuptling. „Der schwere Moccassin kennt ihre Sprache nicht genau. Er weiß also nicht, wer sie sind. Die weißen Männer mögen zu ihnen treten, um sie zu fragen, und es mir sodann sagen.“

Er führte die Vier nach dem Winkel. Jemmy, welcher wußte, daß Baumann ein geborner Deutscher war und daß der Sioux unmöglich ein Wort dieser Sprache verstehen konnte, trat rasch vor und sagte:

„Hoffentlich finden wir hier den Bärentöter Baumann. Lassen Sie sich um Gottes willen nicht merken, daß Sie Ihren Sohn kennen. Hier hinter mir steht er. Wir kamen zu Ihrer Rettung, gerieten aber selbst in die Hände der Roten, doch haben wir die Gewißheit, daß wir samt Ihnen bald wieder frei sein werden. Haben Sie den roten Schuften Ihren Namen genannt?“

Baumann antwortete nicht. Der Anblick seines Sohnes raubte ihm die Sprache. Erst nach einer Weile stieß er mühsam hervor:

„O mein Gott! Welche Wonne, und zugleich auch welches Herzeleid! Die Sioux kennen mich und auch die Namen meiner Gefährten.“

„Schön! Hoffentlich werden wir hier bei Ihnen interniert. Da werden Sie alles Weitere erfahren.“

Obgleich der Häuptling keine Silbe verstand, war er doch ganz Ohr. Er schien aus dem Tonfall den Inhalt der Worte erraten zu wollen. Mit scharfem Auge blickte er zwischen Baumann und dessen Sohne hin und her. Seine Beobachtung blieb erfolglos. Martin hatte sich so in der Gewalt, daß er ein ganz gleichgültiges Gesicht zeigte, obgleich der Jammer, weichen er beim Anblicke seines Vaters empfand, ihm die Thränen in die Augen treiben wollte.

Der Hobble-Frank hätte fast eine Unvorsichtigkeit begangen. Es war ihm, als ob das Herz ihm brechen müsse. Er machte eine Bewegung, als ob er sich auf Baumann werfen wolle; doch der lange Davy ergriff ihn am Arme, hielt ihn zurück und warf ihm einen zornigen Blick zu.

Leider hatte der Häuptling das bemerkt. Er fragte Jemmy:

„Nun, haben sie dir ihre Namen genannt?“

„Ja. Aber du weißt sie ja auch bereits.“

„Ich dachte, sie hätten mich belogen. Du wirst mit deinen Gefährten auch hier bleiben.“

Die bis jetzt von ihm gezeigte halbe Freundlichkeit wich aus seinem Gesichte. Er winkte die Ogallala herbei, welche mitgekommen waren. Diese leerten die Taschen der Gefangenen und legten ihnen sodann Fesseln an.

„Prächtig!“ brummte Jemmy, indem er den letzten Inhalt seiner Taschen verschwinden sah. „Es ist nur zu verwundern, daß sie uns nicht auch die Kleider abnehmen. Das ist doch sonst so Rothautart.“

Die neuen Gefangenen wurden zu den alten auf die Erde gelegt. Der Häuptling entfernte sich und ließ einige Wächter zurück.

Die Beklagenswerten getrauten es sich nicht, laut zu sprechen. Sie flüsterten sich, was sie sich zu sagen hatten, einander zu. Baumann, der Sohn, war gerade neben seinem Vater zu liegen gekommen, ein Umstand, welcher von beiden natürlich zum Austausche aller hier möglichen Zärtlichkeiten ausgenutzt wurde.

Nach einiger Zeit trat ein Sioux herbei, entfernte einem der früheren Gefangenen die Fesseln von den Beinen und gebot ihm, ihm zu folgen. Der Mann konnte nicht gehen. Er wankte mühsam neben dem Roten her.

„Was wird man mit ihm wollen?“ fragte Baumann, so daß Jemmy es hörte.

„Den Verräter wird er machen sollen,“ antwortete dieser. „Ein wahres Glück, daß ich und auch meine Gefährten noch nichts von der Hilfe, die wir erwarten, gesagt haben.“

„Erwähnt haben Sie es aber doch.“

„Das ist nicht gefährlich. Hüten wir uns, dem Manne, sofern er zurückkehrt, irgend eine wichtige Mitteilung zu machen. Wir müssen uns erst überzeugen, daß wir ihm trauen können.“

Jemmy hatte ganz richtig vermutet. Der Mann war zu dem Häuptlinge geführt worden, der ihn mit finsterem Blicke empfing. Der Ärmste konnte sich nicht auf den Füßen erhalten. Er mußte sich auf die Erde setzen.

„Weißt du, welches Schicksal dich erwartet?“ wurde er von dem Häuptlinge gefragt.

„Ja,“ antwortete der Gefragte mit matter Stimme. „Ihr habt es uns doch oft genug gesagt.“

„Nun, sage es auch mir!“

„Wir sollen getötet werden.“

„Ja, der Tod ist euch sicher, der qualvollste Tod. Ihr sollt Martern ausstehen, wie noch niemals ein Bleichgesicht ausgestanden hat, dem Grabe zu Ehren, auf welchem ihr sterben werdet. Was würdest du geben, wenn diese Qualen dir erspart blieben?“

Der Weiße antwortete nicht.

„Wenn du dein Leben retten könntest?“

„Ist es denn zu retten?“ fragte der Mann hastig.

„Ja.“ „Was muß ich da thun? Was verlangst du von mir?“

Der Gedanke, sich retten zu können, brachte seine geschwächten Lebensgeister in Aufregung. Seine Augen bekamen Glanz, und seine matt zusammengesunkene Gestalt richtete sich auf.

„Es ist ganz wenig, was ich von dir verlange,“ antwortete der Häuptling. „Du sollst mir einige Fragen beantworten.“

„Gern, gern!“ stieß der Mann freudig hervor.

„Aber du mußt die Wahrheit sagen, sonst wirst du unter verzehnfachten Qualen sterben müssen. Hast du die Hütte des Bärentöters gekannt, welche er bewohnte?“

„Ja.“ „Bist du drin gewesen?“

„Ja. Wir alle fünf waren mehrere Tage bei ihm, bevor wir den Ritt in die Berge unternahmen.“

„So weißt du auch, wer bei ihm wohnte?“ „Natürlich.“ „So sage es.“ „Er hatte seinen Sohn und – –“

Der Mann stockte. Es kam ihm doch der Gedanke, daß die Auskunft, welche man von ihm forderte, vielleicht von größter Wichtigkeit für die Betreffenden sei.

„Warum sprichst du nicht weiter?“ fragte der „schwere Moccassin“ in strengem Tone.

„Warum fragst du mich?“

„Hund!“ fuhr der Häuptling auf. „Weißt du, was du bist? Der Wurm, den ich zertrete! Sprich noch eine einzige so freche Frage aus, so gebe ich dich meinen Kriegern als Zielscheibe ihrer Messer! Ich will das, wonach ich frage, wissen. Sagst du es mir nicht, so erfahre ich es von einem anderen!“

Der Weiße war bei diesen zornigen Worten zusammengezuckt wie ein Hund, welchem sein Herr die Peitsche zeigt. Körperlich halb tot und geistig gefoltert, hatte er nicht mehr die Kraft des Widerstandes. Er wagte nur noch die Frage:

„Und du wirst mir das Leben und die Freiheit schenken, wenn ich dir alles sage?“

„Ja. Ich habe es gesagt, und ich halte mein Wort. Also, bist du bereit, mir die volle Wahrheit einzugestehen?“

„Ja,“ erklärte der beklagenswerte, von dem Versprechen verblendete Mann.

„So antworte! Hat der Bärentöter einen Sohn?“

„Ja. Er heißt Martin.“

„Ist es das junge Bleichgesicht, welches jetzt mit bei euch liegt?“

„Ja, er ist es.“

„Uff! Die Augen des schweren Moccassin sind scharf. Kennst du auch die anderen weißen Männer?“

„Nur den einen, welcher hinkt. Er wohnte mit bei dem Bärentöter und heißt Hobble-Frank.“

Der Häuptling sah eine Weile sinnend vor sich hin. Dann fragte er:

„Was du sagst, ist die Wahrheit?“

„Ja; ich kann es beschwören.“

„So ist es gut. Wir sind fertig.“

Der Ogallala, welcher den Weißen herbeigeholt hatte, erhielt einen Wink. Er ergriff ihn beim Arme, um ihn empor zu ziehen und fort zu führen. Da aber fragte der Weiße:

„Du hast mir das Leben und die Freiheit versprochen. Wann erhalte ich die letztere?“

Da grinste ihm das Gesicht des Häuptlings mit grimmigem Lachen entgegen.

„Du bist ein weißer Hund, dem man nicht Wort zu halten braucht,“ antwortete er. „Du wirst ebenso sterben wie die anderen, denn du bist – –“

Er hielt inne. Es schien ihm plötzlich ein Gedanke gekommen zu sein, denn sein Gesicht nahm einen ganz anderen, viel freundlicheren Ausdruck an, und nun fuhr er fort:

„Du hast mir zu wenig gesagt.“

„Ich weiß nicht mehr.“

„Das ist eine Lüge!“

„Ich kann nicht mehr sagen, als ich weiß.“

„Haben die Bleichgesichter, welche vorhin gebracht wurden, mit dem Bärentöter gesprochen?“

„Ja.“

„Was?“

„Ich weiß es nicht.“

„Wenn du weißt, daß sie gesprochen haben, mußt du auch wissen, was geredet worden ist.“

„Nein, denn sie redeten in einer Sprache, welche ich nicht verstehe, und sprachen überhaupt sehr leise.“

„Weißt du nicht, wie sie mit Wohkadeh zusammengetroffen sind?“

„Ich weiß gar nicht, wer Wohkadeh ist.“

„Und weißt du, ob sie sich allein in dieser Gegend befinden, oder ob noch andere Bleichgesichter vorhanden sind?“

„Auch davon weiß ich nichts.“

„Nun, das ist es, was ich wissen will und was du erfahren sollst. Frage sie aus. Wenn du es erfahren kannst, so will ich dich frei geben. Du sollst uns auf dem Rückwege begleiten, und wenn wir in Gegenden kommen, wo sich Bleichgesichter befinden, werden wir dich zu ihnen bringen. Jetzt kannst du gehen; heute abend, wenn wir den Lagerplatz erreicht haben und die Bleichgesichter alle schlafen, sollst du mir erzählen, was du erfahren hast.“

Der Mann wurde wieder zu seinen Mitgefangenen gebracht, an seinen Platz gelegt und an den Füßen gefesselt.

Die anderen schwiegen, und auch er verhielt sich still. Es war ihm gar nicht wohl zu Mute. Er war ein ganz braver Kerl. Wenn er über das Verhalten des Häuptlings nachdachte, erschien es ihm als gar nicht sehr wahrscheinlich, daß derselbe sein Wort halten werde. Er begann einzusehen, daß er sich hatte überlisten lassen. Er hätte gar nichts sagen sollen. je länger er nachdachte, desto mehr sah er ein, daß er dem „schweren Moccassin“ nicht trauen dürfe, und daß es seine Pflicht sei, Baumann zu sagen, was er mit dem Häuptling gesprochen habe.

Der Bärentöter kam ihm zuvor. Als eine lange Weile vergangen war, fragte er:

„Nun, Master, Ihr verhaltet Euch so schweigsam! Es versteht sich ganz von selbst, daß wir gespannt sind, zu erfahren, was man von Euch gewollt hat; bei wem waret Ihr?“

„Beim Häuptling.“

„Konnte es mir denken. Was wünschte er denn von Euch?“

„Ich will es Euch aufrichtig sagen. Er wollte wissen, wer Martin und Frank seien, und ich sagte es ihm, weil er mir die Freiheit versprach.“

„O weht Das war eine Dummheit, wie Ihr sie größer gar nicht machen konntet. Also Ihr habt es ihm gesagt. Wie steht es aber nun mit der Freiheit?“

„Die soll ich erst erhalten, wenn ich noch erfahren habe, wie die anderen Masters mit einem gewissen Wohkadeh zusammengetroffen sind, und ob sich noch mehrere Weiße hier in der Gegend befinden.“

„So! Und Ihr glaubt, daß der Kerl sein Versprechen halten wird?“

„Nein. Nachdem ich über die Sache nachgedacht habe, bin ich der Überzeugung, daß er mich betrügen will.“

„Daran thut Ihr klug. Und weil Ihr so aufrichtig seid, wollen wir Euch die Dummheit verzeihen. Übrigens dürft Ihr nicht meinen, daß Ihr uns hättet aushorchen können. Wir ahnten, was Ihr bei dem Häuptlinge solltet und hätten uns gegen Euch gewiß sehr schweigsam verhalten.“

„Was aber soll ich antworten, wenn er mich wieder fragt?“

„Das will ich Euch sagen,“ antwortete Jemmy. „Ihr sagt, daß wir Wohkadeh gerettet haben, als er bei den Schoschonen gefangen war, und mit ihm hierher geritten sind, um ihn sicher zu den Seinigen zu bringen. Andere Weiße als wir sind nicht da. Überhaupt haben wir außer uns selbst weder einen weißen noch einen roten Menschen gesehen. Das ist die ganze Antwort, die Ihr gebt. Und wenn er Euch doch übertölpeln will, so geht nicht auf den Leim. Von uns habt Ihr viel eher Rettung zu erwarten als von ihm.“

„Wie so?“

„Da fragt Ihr mich für jetzt zu viel. Vielleicht gewinne ich so viel Vertrauen zu Euch, daß ich Euch recht bald eine angenehme Mitteilung mache.“

Damit war die Angelegenheit einstweilen zur Ruhe gesprochen.

Die Gefangenen hatten nicht den freien Gebrauch ihrer Glieder. Ihre einzige Bewegung bestand darin, daß sie sich von der einen Seite auf die andere wälzen konnten. Das benutzte Jemmy, um neben Baumann zu liegen zu kommen. Es gelang ihm, und als er nun rechts und Martin links von dem Bärentöter lagen, konnten sie diesem alles erzählen und ihm auch ihre Hoffnung mitteilen, daß die jetzige Gefangenschaft nur eine kurze sein werde.

Indessen hatte der Häuptling die hervorragendsten seiner Krieger zu sich rufen und sodann Wohkadeh holen lassen. Als der letztere in die Hofabteilung trat, in welcher sich die Sioux befanden, saßen sie in einem Halbkreise, dessen Mitte der Häuptling einnahm. Der Gefangene mußte sich ihnen gegenüberstellen. Zu seinen beiden Seiten nahmen zwei Wächter Platz, welche ihre Messer in den Händen hatten.

Dieser letztere Umstand war für Wohkadeh höchst bedenklich. Es war aus demselben zu ersehen, daß sich seine Angelegenheit für ihn verschlimmert habe. Dennoch aber sah er dem Verhöre in aller Ruhe entgegen.

Nachdem die Augen der Anwesenden ihn mit finsteren Blicken eine Weile beobachtet hatten, begann der Häuptling:

„Wohkadeh mag nun erzählen, was er seit dem Augenblicke, an welchem er uns verließ, erlebt hat.“

Wohkadeh folgte der Aufforderung. Er brachte das Märchen vor, daß er von den Schoschonen bemerkt und gefangen genommen worden, von den gefangenen Weißen aber befreit worden sei. Er erzählte das möglichst im Tone der Wahrheit, mußte aber doch bemerken, daß man ihm keinen Glauben schenkte.

Als er geendet hatte, verlor niemand ein Wort darüber, ob man ihm glaube oder nicht. Der Häuptling fragte:

„Und wer sind diese vier Bleichgesichter?“

Wohkadeh nannte zunächst Jemmys und Davys Namen und stellte es als eine Ehre für die Sioux hin, daß so berühmte Jäger zu ihnen gekommen seien.

„Und die beiden anderen?“

Diese Frage brachte Wohkadeh freilich nicht in Verlegenheit. Er hatte sich bereits überlegt, was er sagen solle. Er nannte Franks Namen und gab Martin für den Sohn desselben aus. Der Häuptling zuckte mit keiner Miene, fragte aber:

„Hat Wohkadeh vielleicht erfahren, daß der Bärentöter einen Sohn hat, welcher Martin heißt?“

„Nein.“

„Und daß bei ihm ein Mann wohnt, welcher Hobble-Frank genannt wird?“

„Nein!“

Er behielt seine äußere Ruhe bei, obgleich er jetzt innerlich überzeugt war, daß sein Spiel nun ein verlorenes sei. Jetzt aber donnerte der Häuptling los:

„Wohkadeh ist ein Hund, ein Verräter, ein stinkender Wolf! Warum lügt er noch? Denkt er vielleicht, wir wissen nicht, daß Frank und der Sohn des Bärenjägers sich als Gefangene bei uns befinden? Wohkadeh hat diese beiden und auch die anderen herbeigeholt, um die Gefangenen zu retten. Er soll nun auch ihr Schicksal teilen. Die Versammlung wird heute am Lagerfeuer beraten, welch eines Todes er sterben soll. Jetzt aber mag er so fest gebunden werden, daß die Riemen sein Fleisch durchschneiden!“

Er wurde fortgeführt und wirklich so fest geschnürt, daß er hätte laut aufschreien mögen. Nach kurzer Zeit band man ihn aufs Pferd, denn es sollte aufgebrochen werden.

Dasselbe geschah auch mit den anderen Gefangenen, doch kam er nicht in die Nähe derselben, sondern er wurde fern von ihnen gehalten und bekam zwei Krieger als besondere Bedeckung.

Es war traurig anzusehen, wie armselig und matt Baumann und seine fünf Schicksalsgenossen in ihren Fesseln zu Pferde saßen. Wären sie nicht mit den Füßen angebunden gewesen, so wären sie vor Erschöpfung von den Tieren gestürzt.

Davy flüsterte darüber seinem Jemmy einige mitleidige Worte zu. Der Dicke antwortete:

„Nur kurze Zeit Geduld, Alter! Ich müßte mich sehr irren, wenn Old Shatterhand nicht bereits in unserer Nähe wäre. Was wir erst jetzt eingesehen haben, nämlich daß wir die schrecklichsten Dummköpfe sind, das hat er jedenfalls bereits heute früh gewußt. Jedenfalls kommt er uns mit einer Anzahl Roter nach, und da habe ich denn gesorgt, daß er auf unsere Fährte kommt.“

„Wieso?“

„Schau her! Ich habe mir da einen Fetzen vom Pelz gerissen und mit Hilfe der Zähne in kleine Stückchen zerzaust. Da drin, wo wir gelegen haben, habe ich ein solches Stückchen zurückgelassen, und während des Rittes werde ich von Zeit zu Zeit eins fallen lassen. Sie bleiben liegen, denn es geht kein Wind. Kommt Old Shatterhand nach diesem verteufelten Gebäude, so findet er ganz gewiß das Pelzstückchen, und wie ich ihn kenne, wird er sofort wissen, daß in dieser Sommerhitze nur der dicke Jemmy mit einem Pelze dort gewesen sein kann. Er wird weiter suchen, die anderen Stücke finden und also erfahren, welche Richtung wir eingeschlagen haben. Das ist für ihn mehr als genug.“

Der Zug der Sioux folgte nicht der Richtung des Flusses. Für sie wäre das ein Umweg gewesen. Sie ritten nach den Höhen zu, welche den Namen „Elefantenrücken“ tragen, und wendeten sich dann in gerader Richtung nach der langgezogenen Höhenfolge, welche die Wasserscheide zwischen dem Atlantischen Oceane und dem Stillen Meere bildet.

Der dicke Jemmy hatte nicht ganz unrecht vermutet, als er meinte, daß Old Shatterhand sich vielleicht bereits in der Nähe befinde. Die Sioux waren kaum drei Viertelstunden hinter den Höhen verschwunden, so kam er mit seinen Schoschonen und Upsarocas von Norden her geritten, ganz genau auf der Linie, welche die Pferde der fünf Deserteure gegangen waren.

Er ritt mit dem Häuptlingssohne der Schoschonen und dem Medizinmanne der Upsarocas voran. Sein Auge hing fest an der Erde. Ihm entging nicht das Mindeste, was darauf deuten konnte, daß hier Menschen geritten seien. Und in Wahrheit hatte er sich seit heute früh nicht für einen einzigen kurzen Augenblick über die Spur der Fünf in Zweifel befunden.

Beim Anblicke des scheinbaren Bauwerkes stutzte er zunächst, doch antwortete er auf eine Frage des Medizinmannes sogleich:

„Ich besinne mich. Das ist kein Haus, sondern ein Felsen. Ich bin bereits drin gewesen, und es sollte mich wundem, wenn diejenigen, welche wir suchen, nicht auch hineingegangen wären, um sich den Ort zu betrachten. Es ist –- alle Teufel!“

Er sprang, indem er diesen Ruf ausstieß, vom Pferde und begann, den harten Basaltfelsen zu untersuchen. Es war genau die Stelle, wo seine Richtung auf die Richtung, welche die Sioux eingeschlagen hatten, traf.

„Hier sind viele Leute geritten, und zwar vor kaum einer Stunde,“ sagte er. „Ich will nicht befürchten, daß es die Sioux gewesen sind! Und doch, wer soll sonst als sie in solcher Zahl hier gewesen sein! Das Haus kommt mir verdächtig vor. Teilen wir uns, um es zu umringen.“

Er voran, jagten sie im Galopp vorwärts. Das Felsengebäude wurde eingeschlossen, und Old Shatterhand begab sich zunächst ganz allein hinein. Er hinterließ, nur wenn er einen Schuß abgäbe, sollten die anderen nachkommen.

Es dauerte eine ziemlich lange Zeit, bevor er herauskam. Seine Miene war sehr ernst und bedenklich. Er sagte:

„Ich würde meinen roten Brüdern gerne gestatten, sich diese interessante Felsenbildung anzuschauen, welche das Aussehen hat, als ob sie von Menschenhänden errichtet worden sei; aber wir haben keine Zeit zu verlieren, denn die weißen Männer sind mit Wohkadeh von den Sioux gefangen genommen und vor einer Stunde fortgeführt worden.“

„Weiß das mein weißer Bruder genau?“ fragte Feuerherz, der Medizinmann der Upsarocas.

„Ja. Ich habe alle ihre Spuren gesehen und sehr genau gelesen. Der dicke Jemmy hat mir ein Zeichen zurückgelassen, und ich hoffe, wir werden deren noch mehrere finden. Er wird uns auf die Richtung aufmerksam machen wollen, welche die Sioux eingeschlagen haben.“

Er zeigte den kleinen Pelzfetzen hin, den er gefunden hatte. Es waren nur fünf oder sechs Haare daran, ein fast sicheres Zeichen, daß das Stückchen von dem kahlen Pelze des Dicken stamme.

„Was gedenkt Shatterhand zu thun?“ fragte der Rote. „Will er den Ogallala auf dem Fuße folgen?“

„Ja, und zwar sofort.“

„Werden wir, wenn wir zu Winnetou zurückkehren, sie nicht ebenso sicher am Flusse des Feuerloches treffen?“

„Ja, wir würden sie treffen; aber es steht zu befürchten, daß sie bis dahin die Gefangenen getötet haben.“

„Sie werden dieselben aufheben bis zum Tage des Vollmondes.“

„Den Bärentöter und seine fünf Gefährten, ja; aber unsere Freunde sind ihres Lebens nicht so lange sicher. Ganz besonders der brave Wohkadeh schwebt in großer Lebensgefahr. Sie werden ihn als Verräter behandeln. Ich ahne, daß sie sehr Schlimmes mit ihm vorhaben. Wir müssen ihnen also auf dem Fuße nach. Oder denken meine roten Brüder anders?“

„Nein,“ antwortete der Riese. „Wir freuen uns, auf die Fährte der Ogallala so bald gestoßen zu sein. Der schwere Moccassin ist ihr Anführer, und es gelüstet mich, ihn in meine Hand zu bekommen. Reiten wir!“

Sein Gesicht hatte einen Ausdruck, an welchem man deutlich merkte, daß der Anführer der Sioux-Ogallala eines sehr schlimmen Todes sterben werde, falls er in seine Hände geraten sollte.

Old Shatterhand setzte sich wieder an die Spitze des Zuges, und der Ritt wurde fortgesetzt, aber nun in westlicher anstatt in östlicher Richtung.

Da es schwer gewesen war, der Fährte der fünf Deserteure zu folgen, hatte Old Shatterhand mit seinen Begleitern bereits seit früh sehr langsam reiten müssen. Dasselbe war auch jetzt der Fall. Der Boden bestand ganz aus vulkanischem Gestein. Von einer wirklichen Hufspur war keine Rede. Kleine Steinchen, welche unter den Tritten der Pferde zermalmt worden waren, bildeten die einzigen und dazu sehr unsicheren Anhaltspunkte für den Scharfsinn Old Shatterhands. Da galt es, höchst genau aufzupassen, und so war er gezwungen, sehr langsam zu reiten.

Daß er trotz aller Schwierigkeit genau auf der Fährte der Ogallala blieb, wurde durch mehrere Pelzstückchen bewiesen, welche man fand. Selbst die Upsarocas und die Schoschonen, im Verfolgen einer Fährte außerordentlich geübt, warfen sich Blicke zu, in welchen die deutlichste Bewunderung des berühmten Jägers lag.

Nach einiger Zeit lenkte die Richtung mehr rechts, also südwestlich ab. Man erreichte den Fuß der Höhen, welche die Wasserscheide bilden. Wer da oben hält, der kann rechts unten die Rinnen sehen, welche ihre Wasser durch den Yellowstone und Missouri dem Mississippi, also dem mexikanischen Golf zuführen, während links im Thale die Wasser in den Snakefluß gehen, um das Stille Weltmeer aufzusuchen.

Hier war die Gegend nicht mehr kahl wie bisher. Es gab Humusboden, und die einzelnen Bäche, welche da flossen, waren nicht mit Schwefel geschwängert; sie hatten ein frisches, gesundes Wasser, welches der Vegetation Nahrung bot. Darum gab es hier Gras, Büsche und Bäume, und nun wurde auch die Fährte deutlicher, als sie bisher gewesen war.

Leider aber konnte man ihr nicht lange mehr folgen, denn der Nachmittag neigte sich seinem Ende entgegen. Darum mußten die Pferde möglichst ausgreifen, um den Umstand, daß die Spur hier gut zu lesen war, vor Einbruch der Dunkelheit noch möglichst ausnutzen zu können.

Die Höhe der Wasserscheide wurde erreicht. Dann ging es drüben wieder hinab, zwischen Felsenbrocken und Sträuchern hindurch, ein ziemlich beschwerlicher, stellenweise sogar gefährlicher Ritt, woraus sich aber die Indianer gar nichts machten.

Dann brach der Abend herein. Man mußte auf der Fährte bleiben, und da diese jetzt nicht mehr zu erkennen war, so wurde gehalten.

Waren die Männer bisher schweigsam gewesen, so wurden sie am Lagerplatze nicht beredter. Sie hatten das Gefühl, vor entscheidenden Ereignissen zu stehen. In einer solchen Lage wird der Mensch schweigsam.

Ein Feuer wurde nicht angebrannt. Old Shatterhand hatte aus der Frischheit der Fährte ersehen, daß die Ogallala kaum zwei englische Meilen vor ihnen waren. Hatten sie sich gelagert, so konnte man ihnen, ohne es zu wissen, so nahe gekommen sein, daß sie das Feuer bemerken und also erfahren mußten, daß sie verfolgt wurden.

jeder wickelte sich schweigend in seine Decke und legte sich zur Ruhe, nachdem die Wachen ausgestellt waren. Aber kaum graute der Morgen, kaum waren die einzelnen Gegenstände voneinander zu unterscheiden, so wurde aufgebrochen.

Die Spuren der Ogallala waren heute noch zu lesen. Nach vielleicht einer Stunde erklärte Old Shatterhand, daß die Sioux gestern gar nicht gelagert hätten. Sie hatten jedenfalls nicht ruhen wollen, als sie den Feuerlochfluß erreicht hatten.

Das war kein gutes Zeichen, denn es bewies, daß sie dort etwas vorhatten, was schnell geschehen sollte. Leider aber konnten die Verfolger die Schnelligkeit ihrer Pferde nicht ausnutzen, denn der Pflanzenwuchs hörte bald wieder auf, und an Stelle des weichen Bodens trat der harte, vulkanische Fels zu Tage.

Da war es nun ganz unmöglich, eine Spur zu entdecken. Old Shatterhand meinte ganz richtigerweise, daß die Sioux-Ogallala bis hierher wohl dieselbe Richtung eingehalten hatten, der sie dann später gefolgt sein würden, und so hielt er sich immer in gerader Linie.

Er erkannte bald, daß er sich in dieser Vermutung nicht geirrt habe. Es stiegen vor ihm die Feuerlochberge empor, hinter denen sich die berühmten Geiserbassins in immerwährender, grandioser Thätigkeit befinden. Da gab es wieder Pflanzenwuchs, sogar Wald, welcher an dieser Stelle meist aus dunklen Fichten bestand.

Sie erreichten einen schmalen Wasserlauf, welcher sich durch weichen Grasboden schlängelte, und gerade da, wo sie auf denselben traten, war der Boden von vielen Pferdehufen zerstampft. Die Hufeindrücke zogen sich längs des Wassers hin, und es war deutlich zu erkennen, daß die Sioux da ihre Pferde getränkt hatten. Also war die Fährte glücklich wieder gefunden, und von jetzt an bis hinauf zur Höhe behielt sie eine solche Deutlichkeit, daß ein Irrtum gar nicht möglich war.

Ein offener Weg führte nicht hinauf. Man mußte unter Bäumen reiten. Diese standen so weit auseinander, daß sie keine Hindernisse boten. Aber gerade der Ritt im Walde ist für den Westmann am gefährlichsten. Es kann hinter dem nächsten Baum ein Feind verborgen sein, von dessen Gegenwart er keine Ahnung hat.

Wie leicht war es möglich, daß die Ogallala auf den Gedanken gekommen waren, daß sie verfolgt würden. Man konnte doch nicht wissen, welch ein Geständnis sie den Gefangenen durch Gewalt oder List abgelockt hatten. Hatten sie die Ahnung, verfolgt zu sein, so waren sie jedenfalls so klug gewesen, die geeigneten Maßregeln zu treffen, und die allerbeste derselben bestand im Legen eines Hinterhaltes.

Darum schickte Old Shatterhand einige Schoschonen voran, welche das Terrain abzusuchen hatten und sich, sobald sie etwas Verdächtiges bemerken würden, auf den Haupttrupp zurückziehen sollten.

Glücklicherweise erwies diese Vorsicht sich als unnötig. Daran war das Abkommen schuld, welches der dicke Jemmy mit dem Gefangenen, welcher von dem Häuptlinge der Ogallala den Auftrag erhalten hatte, seine Mitgefangenen zu verraten, getroffen hatte.

Da die Gefangenen, abgesehen von Wohkadeh, auch während des Rittes in schlauer Absicht nicht voneinander getrennt worden waren, so hatten sie miteinander sprechen können. Die stillschweigende Erlaubnis dazu hatte der Häuptling erteilt, damit sein vermeintlicher Verbündeter Gelegenheit erhalten könnte, alles, was er ihm berichten sollte, von ihnen zu erfahren.

Dann am Abende hatte der „schwere Moccassin“ ihn so unauffällig wie möglich von den anderen trennen lassen und sich zu ihm gesellt, um ihn auszufragen. Der Mann hatte die Antworten gegeben, welche ihm von Jemmy anbefohlen worden waren, und dabei auch die Versicherung gegeben, daß außer Wohkadeh und den vier Weißen kein einziger Mensch nach dem Yellowstone gekommen sei.

Das hatte der Häuptling geglaubt und infolgedessen alle Vorsichtsmaßregeln für überflüssig gehalten.

So kam es, daß Old Shatterhand mit seinen Indianern die Höhe erreichte, ohne auf irgend ein Hindernis zu treffen.

Auch diese Höhe trug dichten, hochstämmigen Wald; darum konnte man nicht in das jenseitige Thal hinabblicken, obgleich die diesseitige Wand desselben ziemlich steil abzufallen schien.

Unter den Bäumen hinreitend, hörten sie ein ganz eigentümliches, dumpf brausendes Geräusch, welches bald von einem schrillen Pfeifen unterbrochen wurde, und darauf ertönte ein Zischen, gerade so, wie wenn bei einer Lokomotive die überflüssigen Dämpfe abgelassen werden.

„Was ist das?“ fragte Moh-aw, der Sohn des Schoschonenhäuptlings, erstaunt.

„Jedenfalls ein Geiser,“ antwortete Old Shatterhand.

Da den Indianern das Wort Geiser ein vollständig unbekanntes ist, so bediente er sich des Ausdruckes War-p‘ eh-pejah, Warmwasserberg, und der junge Schoschone verstand ihn sofort.

jetzt senkte sich das Terrain abwärts, erst langsam, dann aber schnell, so daß es nicht leicht war, sich auf den Pferden zu erhalten.

Darum stiegen die Reiter ab und gingen zu Fuß, die Tiere hinter sich her führend.

Die Spuren der Ogallala waren auch jetzt noch zu erkennen, doch sah Old Shatterhand es ihnen an, daß sie bereits von gestern stammten.

Bereits einige hundert Fuß tief war man gekommen; da hatte der Wald so plötzlich ein Ende, daß sein Rand eine scharfe Linie bildete. Doch ein Stück weiter abwärts reichte er bis ganz hinab auf die Sohle des Thales.

jetzt war der Blick über das letztere frei, und was das Auge hier sah, das war allerdings erstaunlich, in Beziehung sowohl auf die Naturscene als auch auf die lebendige Staffage derselben.

Das obere Thal des Madison, welcher hier den sehr bezeichnenden Namen Feuerlochfluß führt, ist wohl die bewunderungswerteste Region des Nationalparkes. Viele Meilen lang und stellenweise zwei und sogar drei Meilen breit, enthält es Hunderte von Geisern und heiße Quellen. Es gibt da Fontänen, welche ihre Strahlen mehrere hundert Fuß emporschleudern. Schwefelige Gerüche entströmen den zahlreichen Spalten des Erdbodens, und die Luft ist stets mit heißem Wasserdampfe geschwängert.

Schneeweißer Sinter, welcher den Überzug oder vielmehr die Stürze, den Deckel unterirdischer Kochtöpfe bildet, glänzt grell im Sonnenscheine. An anderen Stellen wieder besteht die Erdoberfläche nicht aus einem festen Boden, sondern aus dickflüssigem, übelriechendem Schlamm, dessen Temperatur eine sehr verschiedene ist. Hie und da erhebt sich der Erdboden plötzlich in Haubenform, steigt langsam, blasenartig empor und zerplatzt sodann, ein weites, unergründlich tiefes Loch zurücklassend, aus welchem die Strahlen des Dampfes so hoch emporschießen, daß es dem Auge schwindelt, welches ihnen in diese Höhe folgt. Diese Blasen und Löcher entstehen und vergehen, bald hier, bald dort. Sie sind also wandernd. Wehe dem, der auf eine solche Stelle gerät!

Soeben hatte er noch festen Boden unter sich; da beginnt dieser plötzlich heiß zu werden und sich zu erheben. Nur ein todesmutiger Sprung, die schleunigste, augenblicklichste Flucht vermag Rettung zu bringen.

Aber während man der einen Blase entflieht, steigt sofort eine zweite, dritte, vor und neben einem auf. Man steht eben auf einer ganz dünnen Kruste, welche die fürchterlichen Tiefen des Erdinnern wie die leicht zerreißbare, papierartige Masse eines Wespennestes bedeckt.

Und wehe ebenso dem, welcher den erwähnten Schlamm von weitem für eine Masse hält, welche ihn tragen kann! Er sieht zwar aus, wie ein sumpfiger Moorboden, durch welchen man noch zu gehen vermag; aber er ist nur gehalten von vulkanischen Dämpfen, welche ihn tragen, wie beim Fleischkochen der graubraune Schaum von dem Wasser gehalten und bewegt wird.

Überall gibt der Boden unter dem Fuß nach, und die Stapfen füllen sich sofort mit einer dicken, grüngelben, stinkenden, höllischen Flüssigkeit.

Überall rauscht, kocht, brodelt, pfeift, zischt, braust und stöhnt es. Riesige Flocken von Wasser und Schlamm fliegen umher. Wirft man einen schweren Stein in so eine entstehende und wieder vergehende Öffnung, so ist es, als ob die Geister der Unterwelt sich beleidigt fühlten. Die Wasser und der Schlamm kommen in eine furchtbare, wahrhaft diabolische Aufregung; sie steigen empor; sie wallen über, als ob sie den Verbrecher ins grauenhafte Verderben ziehen wollten.

Das Wasser dieser Hexenkessel ist ganz verschieden gefärbt, milchweiß, knallrot, azurblau, schwefelgelb, oft auch hell wie Glas. Obenauf sieht man große weiße, seidenartige Fäden oder einen dicken bleifarbenen Schleim, welcher jeden hineingehaltenen Gegenstand in wenigen Minuten zolldick überzieht, um eine feste, dauernde, fast unzerstörbare Masse zu bilden.

Es kommt vor, daß das Wasser eines solchen Loches im schönsten Grasgrün schimmert. Plötzlich öffnen sich an den Seiten kleine Ventile, und nun schießen aus denselben in allen Nuancen des Regenbogens gefärbte Strahlen durch das grüne Wasser.

Man möchte alle Sekunden ein „Herrlich! Unvergleichlich! Himmlisch!“ rufen, wenn das alles nicht gar so angsterregend, so höllisch wäre.

Also an diesem Feuerlochflusse war Old Shatterhand mit seinen Kriegern angekommen. Die Letzteren wollten unter den Bäumen hervortreten; er aber hielt sie durch einen lauten Ausruf zurück. Er deutete nach dem jenseitigen Ufer des Flusses, und da sahen sie allerdings ein, daß es geratener sei, jetzt noch in der Verborgenheit des Waldes zu verweilen.

Das Thal war hier vielleicht nur eine halbe englische Meile breit. Oberhalb der Stelle, an welcher Old Shatterhand hielt, traten die Ufer so eng zusammen, daß der Fluß kaum Raum genug zu haben schien, seine schmutzig gefärbten, heimtückisch glitzernden Wellen hindurchzuzwingen. Unterhalb war ganz dasselbe der Fall. Von der einen Enge bis zu der anderen war die Entfernung nicht größer als kaum eine englische Meile.

Der Fluß, dessen Wasser von den sich in ihn ergießenden heißen Quellen natürlich eine alles tierische Leben tötende Wärme besitzt, rauschte ganz nahe der Thalwand hin, an welcher Old Shatterhand hielt. Diese war, wie bereits erwähnt, mit Wald bedeckt und zwar steil, aber doch gangbar. Die gegenüberliegende Wand aber stieg, wie nach dem Maurerlot emporgetrieben, senkrecht in die Höhe. Sie bestand aus schwarzem, oben türmchenähnlich zerklüftetem Gesteine und bog sich ziemlich weit zurück, so daß sie von der einen Flußenge bis zur anderen die Linie eines Kreisausschnittes bildete. Aber das Thal wurde durch dieses Zurücktreten der Felsenwand keineswegs erweitert, denn an dem dunklen Felsen stieg, gerade Old Shatterhand gegenüber, ein Gebild herab oder auch hinauf, dessen breiter Fuß beinahe bis an das jenseitige Ufer des Flusses reichte.

Dieses Gebild – denn es gibt wohl kaum ein anderes, besseres Wort zur Bezeichnung des Gegenstandes – also dieses Gebild war so wunderbar, auf den ersten Anblick so unbegreiflich, daß man hätte meinen mögen, sich in einer Zauberwelt zu befinden, in welcher Feen und Elfen und andere unirdische Wesen ein geheimnisvolles Dasein leben.

Es war ein. terrassenförmiger Aufbau, so zart gegliedert und phantastisch verziert, als bestehe er aus frischgefallenem Schnee und den feinsten Eiskrystallen.

Die unterste, umfangreichste Terrasse schien aus dem feinsten Elfenbein geschnitten zu sein. Ihr Rand war mit Zieraten bekleidet, welche von weitem wie die Kunstwerke eines phantasiereichen Bildhauers erschienen. Sie bildete ein mit Wasser gefälltes, halbkreisförmiges Bassin, aus welchem die zweite Terrasse aufstieg, glitzernd, wie mit Goldkörnern durchsetzter Alabaster. Diese zweite Terrasse hatte einen geringeren Durchmesser als die erste. Und ebenso trat die dritte hinter der zweiten zurück. Wie aus zart gezupfter, weißer Watte bestehend, hob sie sich schlank und jungfräulich aus der zweiten empor.

Der Stoff, aus welchem sie bestand, war so luftig und duftig, daß man meinen konnte, sie vermöge nicht die mindeste Last zu tragen. Und doch erhoben sich auf und über ihr noch sechs solcher Terrassen, jede aus einem Bassin bestehend, welches sein Wasser aus der nächst höheren empfing, um es der nächst unteren entweder in schlanken, dünnen Strahlen, in einem fein zerteilten Staubregen, in welchem die Sonne ihre Strahlen brach, oder in breiteren Abflüssen, welche ein schleierartiges Gewebe zu bilden schienen, mitzuteilen.

So lehnte dieses Naturwunder sich schlank, strahlend und schneeglänzend an die dunkle Felsenwand, wie das aus Schneeflocken gewobene Kleid eines aus anderen Welten stammenden Wesens. Und doch war dieses Kleid von denselben Händen gefertigt, welche den schwarzen Basalt emporgetürmt und die Schlammvulkane durch die Erdrinde getrieben hatten.

Man brauchte nur empor zur Spitze dieser wunderbaren Pyramide zu blicken, da sah man sofort, wodurch sie gebildet worden war. Dort stieg nämlich gerade jetzt ein hoher Wasserstrahl auf, der sich oben schirmartig ausbreitete und dann als Regen rundum niedersank. Dabei war jenes Brausen zu hören, welches vorhin Moh-aw nicht hatte begreifen können. Diesem Wasserstrahle folgten pfeifende, zischende, stöhnende Dämpfe, und es war als ob die Erde unter der Gewalt dieser Eruption zerbersten werde.

Die Wasser des Geisers hatten sich diese Pyramide gebaut. Die feinen, leichten Bestandteile, welche der Strahl mit nach oben nahm, setzten sich beim Niederfallen fest und arbeiteten auch jetzt noch immerfort an dem wundersamen Gebilde. Das heiße Wasser floß von einer Terrasse auf die andere herab und wurde allmählich abgekühlt, so daß die einzelnen Bassins, von oben herab gerechnet, eine immer niedrigere Temperatur zeigten. Unten endlich überströmte die krystallene Flüssigkeit das niederste Bassin und floß nach kurzem Laufe in den Feuerlochfluß.

Wie ein Teufel neben einem Engel, so lag neben der herrlichen Gestalt dieser Pyramide ein weites, fast kreisrundes, dunkles, wallartiges Gebilde von schmutzigem Aussehen. Dieser Wall bestand aus einer festen Masse, auf welcher sich Reste vulkanischer Gebilde erhoben, welche die verschiedensten Gestalten besaßen. Es war, als habe ein Riesenkind mit Basaltstücken gespielt, dieselben in die abenteuerlichsten Formen gedrückt und gebogen und sie dann auf den runden Wall befestigt.

Dieser letztere hatte einen Durchmesser von vielleicht fünfzig Fuß und bildete die natürliche Ummauerung eines Loches, dessen dunkel gähnender Rachen nichts Gutes verhieß.

Das war die Krateröffnung eines Schlammvulkanes. Sie verengerte sich einwärts, um sich dann wieder zu erweitern. Sie hatte also, wenn man von oben hineinblickte, genau die Gestalt, als wenn man in zwei Trichter blickt, welche mit den dünnen Enden vereinigt werden.

Sobald es in dem herrlichen Feengeiser zu rauschen und zu brausen begann, stieg auch nebenan in dem finsteren Krater der Schlamm empor. Und wenn droben der Strahl des Wassers und des Dampfes sich zerteilt hatte, sank auch die brodelnde Oberfläche des Schlammes in die Tiefe zurück. Es war klar, Geiser und Schlammvulkan standen in innigster Verbindung zu einander. Die Geister der Unterwelt schieden die auszuschleudernden Massen, führten das krystallene Wasser dem Geiser zu und ließen die zurückbleibenden Excremente des Erdinnern in das Schlammloch rinnen.

„Das ist P’a-wakon-tonka (das Teufelswasser),“ sagte Old Shatterhand, indem er auf das Schlammloch deutete.

„Kennst du es?“ fragte Feuerherz.

„Ja. Ich bin bereits hier gewesen!“

„Und vorhin wußtest du nicht, wohin wir kommen würden?“

„Weil ich den Weg, welchen wir geritten sind, noch nie zurückgelegt habe. Ich bin damals da oben herabgekommen und längs des Flusses abwärts geritten. Da habe ich das Wasser des Teufels kennen gelernt. Jetzt lagern die Sioux-Ogallala dort. Warum reiten sie nicht weiter? Sie wollen doch nach dem Grabe der Häuptlinge, welches weiter oben liegt. Sie müssen irgend eine Absicht haben!“

Nämlich nahe am Rande des Schlammkraters lagen die Ogallala. Man konnte sie ganz deutlich sehen. Sogar die einzelnen Gesichter waren voneinander zu unterscheiden.

Die Pferde liefen oberhalb dieser Stelle herum oder lagen ruhend am Boden. Zu grasen gab es nichts, denn der Boden brachte keinen einzigen Halm hervor.

Ganz in der Nähe lagen mehrere zentner- und noch mehr schwere Steine. Auf diesen saßen die Gefangenen, jeder auf einem derselben. Man hatte ihnen die Hände auf den Rücken gebunden und mit Lassos ihre Füße an die Steine befestigt. So saßen sie bereits seit gestern abend, eine Stellung, welche ihnen außerordentliche Qualen bereiten mußte.

Eben jetzt, als Old Shatterhand seine Aufmerksamkeit auf die Ogallala richtete, kam Bewegung in sie. Sie erhoben sich aus ihrer liegenden Stellung und setzten sich in einen Kreis zusammen, in dessen Mitte der Häuptling Platz nahm.

Der Medizinmann der Upsarocas, welcher neben Old Shatterhand stand, hielt die Hand an die Augen, um besser sehen zu können, hielt den Blick nur kurze Zeit auf die Ogallala gerichtet und sagte dann im Tone des Grimmes:

„Dort sitzt er, inmitten seiner Hunde, der schwere Moccassin. Er wird eine Beratung mit ihnen halten.“

„Du kennst ihn, deinen Feind, und wirst also wohl genau wissen, ob er es auch wirklich ist,“ antwortete Old Shatterhand.

„Wie könnte ich ihn verkennen! Sieh‘ seine lange, hagere Gestalt und sein Gesicht! Er hat mir das Ohr geraubt, ich werde ihm alle beide nehmen. Sein Tomahawk ist mir in die Schulter gedrungen; mein Messer aber wird ihm in das Herz reichen!“

Natürlich waren auch die Gefangenen deutlich zu erkennen. Old Shatterhand sah Jemmy, Davy, Martin und den Hobble-Frank. Baumann und die anderen kannte er nicht. Wohkadeh war abseits an einen Stein gefesselt und zwar in einer Stellung, als ob ihm alle Glieder verrenkt werden sollten.

Zu ihm trat einer der Sioux, band ihn vom Steine los und führte ihn in den Kreis.

„Sie wollen ihn verhören,“ sagte Old Shatterhand. „Vielleicht halten sie Gericht über ihn und haben die Absicht, ihm die Strafe an diesem Orte zu geben. Ah, ich möchte hören, was jetzt gesprochen wird!“

„Warum sollen die Ogallala überhaupt mit ihm sprechen dürfen?“ stieß der Medizinmann hervor. „Wir wollen hinab und hinüber. Der Tomahawk soll sie alle fressen!“

„So schnell geht das nicht,“ warf Old Shatterhand ein. „Mein roter Bruder mag bedenken, daß wir noch tüchtig zu klettern haben, bevor wir diese Steilung hinab und an den Fluß kommen. Sie sehen uns ja, sobald wir unter den Bäumen hervortreten. Ehe wir den Fluß erreichen und ihn durchschwimmen, haben sie ihre Maßregeln getroffen.“

„Hat mein weißer Bruder einen besseren Plan?“

„Ja! Wir müssen ganz plötzlich über sie kommen, ganz ungeahnt. Denn ich befürchte, daß sie die Gefangenen lieber töten als in unsere Hände kommen lassen werden. Hier hinab können wir nicht; da bemerken sie uns. Dort unten aber tritt der Wald bis an den Fluß. Wir können also unbemerkt bis an das Ufer. Wenn wir vorsichtig sind, werden sie uns gar nicht sehen, denn die Bassinwand des Geisers ist dann zwischen ihnen und uns.“

„Mein Bruder hat recht. So soll es geschehen. Aber ich mache eine Bedingung.“

„Welche?“

„Keiner darf den Häuptling der Ogallala töten. Ich habe eine Rache mit ihm, und er gehört mir!“

Old Shatterhand blickte sinnend vor sich nieder. Dann hob er den Kopf und sagte, indem seine Brauen sich zusammenzogen:

„Dort sind über fünfzig Feinde. Es wird sehr viel Blut fließen, und doch möchte ich das vermeiden. Aber es ist ganz unmöglich, sie in die Hand zu bekommen, ohne mit ihnen zu kämpfen.“

Der Neger Bob, welcher während des Rittes sich immer am Ende des Zuges gehalten hatte, war nach vorn gekommen, um sich die Ogallala anzusehen. Da Old Shatterhand mit dem Indianer in dessen Sprache redete, verstand der Schwarze nicht, was gesagt wurde. Er trat jetzt herbei, deutete hinab und sagte –

„Dort Massa Baumann und auch jung Massa Martin t Will Massa Shatterhand sie frei machen?“

„Ja!“

„Oh, oh! Sehr gut sein das, sehr gut! Neger Bob wird mithelfen frei machen. Neger Bob wird gleich hinunter und über Wasser hinüber. Masser Bob sich nicht fürchten vor Ogallala. Masser Bob sein stark und kühn. Er sie schlagen alle tot!“

Er wollte wirklich fort. Old Shatterhand hielt ihn zurück. Er nahm das Fernrohr aus der Satteltasche und richtete es auf die Sioux. Eben jetzt wurde Martin Baumann losgebunden und auch in den Kreis geführt und neben Wohkadeh gestellt. Old Shatterhand hatte durch das Glas die Gesichter so nahe vor sich, daß er die Lippenbewegungen der Sprecher sah. Es war, als ob die Sioux kaum zwanzig Schritte von ihm entfernt seien.

Der Häuptling sprach zu Martin Baumann, mit der Hand nach dem Schlammkrater deutend. Old Shatterhand sah ganz deutlich, daß Martin totenbleich wurde. Zu gleicher Zeit ertönte ein schriller Schrei, wie ihn die menschliche Kehle nur im Augenblicke des größten Entsetzens ausstoßen kann.

Einer der Gefangenen hatte ihn ausgestoßen, der alte Baumann. Old Shatterhand sah, daß der arme Mann aus allen Kräften an seinen Fesseln zerrte. Das, was der Häuptling gesagt hatte, mußte etwas geradezu Fürchterliches sein.

Und das war es auch, etwas so Teuflisches, daß ein Vater wohl aus Angst um seinen Sohn einen solchen Schrei ausstoßen konnte.

Die Sioux-Ogallala waren gestern erst nach Einbruch des Abends auf der Höhe des Geiserflusses angekommen. Sie hatten erwartet, daß der „schwere Moccassin“ da unter den Bäumen des Waldes Lager machen werde, aber sie hatten sich verrechnet. Trotz der Dunkelheit und trotz der Beschwerlichkeit des Abstieges bestimmte er, daß noch über den Fluß gesetzt werden solle.

Er kannte die Gegend; er war bereits mehreremal hier gewesen, und in seinem Hirn brütete ein Gedanke, noch finsterer und unheimlicher als der Schlammkrater, welcher da unten im Dunkel der Nacht seine scheußlichen Massen hob und senkte.

Voransteigend und sein Pferd am Zügel führend, zeigte er den Seinen den Weg. Auch die Gefangenen mußten mit hinab, was natürlich außerordentliche Schwierigkeiten bereitete, da sie nicht von den Tieren losgebunden werden durften. Schließlich gelangten doch alle glücklich unten am Ufer an.

An dieser Stelle war das Wasser des Feuerlochflusses nicht heiß, sondern nur warm. Man konnte hindurch, ohne sich Schaden zu thun. je zwei Sioux nahmen das Pferd eines Gefangenen zwischen sich, und dann ging es hinüber. Am Schlammkrater wurde Halt gemacht.

Die Gefangenen wurden an die dort liegenden großen Steine gefesselt und Wächter bei ihnen aufgestellt; dann legten sich die anderen nieder, ohne von dem Häuptlinge Auskunft erhalten zu haben, warum er hier Lager machte, im Gestank des Kraters, und wo es weder Gras noch Wasser für die Pferde gab.

Bei Anbruch des Morgens wurden die letzteren eine Strecke abwärts geführt, wo, wie der Häuptling wußte, eine reine Quelle aus dem Felsen strömte. Nach Rückkehr der Leute, die das besorgten, zog jeder ein Stück getrocknetes Büffelfleisch hervor, um zu frühstücken. Jetzt nun erklärte der „schwere Moccassin“ seinen Leuten mit leiser Stimme, was er in Beziehung auf Wohkadeh und den jungen Baumann beschlossen habe.

Alle hielten den ersteren für einen Verräter. Er hatte zwar nichts gestanden, aber in ihren Augen war er überführt. Daß Martin an demselben Schicksale teilnehmen solle, machte ihnen nicht die geringsten Bedenken. Die Gefangenen waren alle dem Tode gewidmet, und je mehr Abwechselung bei ihrer Hinrichtung angebracht wurde, desto interessanter war es ja.

Zunächst galt es, sich an den Qualen, welche die bloße Verkündigung des Urteiles den Gefangenen bereiten mußte, zu weiden. Darum wurde ein Kreis gebildet und zunächst Wohkadeh vorgeführt.

Er wußte natürlich, daß ihm der sichere Tod beschieden war, aber er glaubte keineswegs, daß das Urteil bereits jetzt an ihm vollzogen werden solle. Er war überzeugt, daß Old Shatterhand und Winnetou sehr bald erscheinen würden, und stellte sich getrosten Mutes vor seine Richter hin.

Die Verhandlung wurde mit lauter Stimme geführt, damit auch die anderen Gefangenen, soweit sie die Sprache der Sioux verstanden, alles hören sollten.

„Hat Wohkadeh sich besonnen, ob er weiter leugnen oder den Kriegern der Ogallala alles gestehen will?“ fragte der Häuptling.

„Wohkadeh hat nichts Böses gethan und also auch nichts zu gestehen,“ antwortete der Gefragte.

„Wohkadeh lügt. Wollte er die Wahrheit erzählen, so würde sein Urteil ein sehr mildes sein!“

„Mein Urteil wird dasselbe sein, gleichviel ob ich schuldig oder unschuldig bin. Ich muß sterben!“

„Wohkadeh ist jung. Die Jugend hat einen kurzen Gedanken. Sie weiß oft nicht genau, was das, was sie thut, zu bedeuten hat. Darum sind wir bereit, Milde walten zu lassen; aber derjenige, welcher falsch gehandelt hat, muß aufrichtig sein!“

„Ich habe nichts zu sagen!“

Da ging ein höhnisches Lächeln über das Gesicht des Häuptlings. Er fuhr fort:

„Ich kenne Wohkadeh. Er wird uns dennoch alles, alles sagen!“

„Ihr werdet vergebens darauf warten.“

„So ist Wohkadeh ein Feigling. Er fürchtet sich. Er hat den Mut, Böses zu thun, aber es fehlt ihm der Mut, es einzugestehen. Wohkadeh ist trotz seiner Jugend ein altes Weib, welches vor Angst heult, wenn es von einer Fliege gestochen wird!“

Wohl kannte der Häuptling den jungen Mann. Seine Worte erreichten ihren Zweck.

Kein Indianer läßt sich einen Feigling nennen, ohne sofort zu zeigen, daß er mutig sei. Von früher Jugend an an Entbehrungen, Anstrengungen und allerhand Schmerzen gewöhnt, achtet er den Tod nicht. Er ist ja überzeugt, nach dem Tode sofort in die ewigen Jagdgründe zu gelangen. Er ist also, falls er ein Feigling genannt wird, bereit, das Gegenteil zu beweisen und dabei selbst sein Leben auf das Spiel zu setzen. So auch Wohkadeh. Kaum hatte der Häuptling die Beleidigung ausgesprochen, so antwortete er rasch:

„Ich habe den weißen Büffel getötet. Alle Sioux-Ogallala wissen das!“

„Aber keiner von ihnen war dabei. Keiner hat gesehen, daß du ihn wirklich tötetest. Du hast das Fell gebracht, das wissen wir; weiter nichts!“

„Gibt der Büffel sein Fell freiwillig her?“

„Nein! Aber wenn er gestorben ist, so liegt er auf der Prairie. Wohkadeh kommt dazu, nimmt ihm die Haut, trägt sie heim und sagt dann, daß er ihn getötet habe. Der Büffel aber war von selbst verendet.“

„Das ist eine Lüge!“ rief Wohkadeh, in höchstem Grade erzürnt über diese neue Beleidigung. „Kein verendeter Büffel liegt in der Prairie. Die Geier und Koyoten fressen ihn auf.“

„Und der Koyot bist du!“

„Uff !“ rief Wohkadeh, an seinen Riemen zerrend. „Wäre ich nicht gefesselt, so wollte ich dir zeigen, ob ich ein feiger Prairiewolf bin oder nicht!“

„Du hast es bereits gezeigt. Du bist ein Feigling, denn du fürchtest dich, die Wahrheit zu sagen!“

„Ich habe nicht aus Angst geleugnet!“

„Warum denn?“

„Aus Rücksicht für die anderen, welche sich in Eurer Hand befinden.“

„Uff ! Also jetzt gestehst du ein, daß du schuldig bist?“

„Ja!“

„So erzähle, was du gethan hast!“

„Was soll ich erzählen? Das ist mit wenigen Worten gesagt. Ich bin nach dem Wigwam des Bärentöters gegangen, um zu erzählen, daß er von Euch gefangen genommen worden ist. Dann sind wir aufgebrochen, ihn zu befreien.“

„Wer?“

„Wir fünf. Der Sohn des Bärentöters, Jemmy, Davy, Frank und Wohkadeh.“

„Weiter niemand?“

„Nein!“

„So hat wohl Wohkadeh die Bleichgesichter sehr lieb gewonnen?“

„Ja! Einer unter ihnen ist mehr wert, als hundert Sioux-Ogallala.“

Der Häuptling ließ seinen Blick im Kreise herumgleiten und freute sich heimlich über den Eindruck, welchen die letzten Worte des roten Jünglings bei den Ogallala hervorgebracht hatten. Dann fragte er:

„Weißt du, was du gewagt hast, uns das zu sagen?“

„Ja! Ihr werdet mich töten!“

„Aber unter tausend Martern!“

„Ich fürchte sie nicht.“

„Sie mögen sofort beginnen. Bringt den Sohn des Bärentöters herbei!“

jetzt wurde, wie auch Old Shatterhand gesehen hatte, Martin herbeigeführt und neben Wohkadeh gestellt.

„Hast du gehört und verstanden, was Wohkadeh gesagt hat?“ fragte ihn der Häuptling.

„Ja,“ antwortete Martin ruhig.

„Er hat euch geholt, damit ihr die Gefangenen befreien solltet. Fünf Mäuse ziehen aus, um fünfzig Bären zu fressen! Die Dummheit hat euer Hirn verzehrt; sie mag euch nun auch ganz verzehren. Ihr werdet sterben!“

„Das wissen wir!“ lächelte Martin Baumann. „Kein Mensch kann ewig leben bleiben!“

Der Häuptling verstand ihn nicht sogleich. Dann aber begriff er den Sinn dieser Worte, denn er antwortete:

„Ich meine, daß ihr sterben werdet von unserer Hand!“

„Ich glaube, daß das Eure Absicht ist!“

„Was du jetzt nur glaubst, sollst du sehr bald als Wahrheit erkennen. Hofft ihr etwa noch auf eine Gelegenheit, uns zu entkommen? Die soll euch genommen werden. Ihr werdet heute schon sterben, jetzt, sogleich!“

Er blickte die beiden scharf an, um zu sehen, welche Wirkung seine Worte hervorbringen würden. Wohkadeh verhielt sich so, als ob er sie gar nicht gehört habe; Martin aber veränderte die Farbe seines Gesichtes, obgleich er sich die größte Mühe gab, seinen Schreck zu verbergen.

„Der schwere Moccassin sieht, daß ihr große Freunde seid,“ fuhr der Häuptling fort. „Er will euch die Freude machen, miteinander zu sterben.“

Er hatte geglaubt, die Bestürzung der beiden zu vermehren. Aber Wohkadeh sagte unter einem heiteren Lächeln:

„Du bist besser, als ich dachte! Ich fürchte den Tod nicht. Kann ich mit meinem weißen Freunde sterben, so wird er mir sogar süß sein.“

„Süß?“ hohnlachte der Häuptling. „Ja, süß soll er sein. Ihr sollt seine Süßigkeiten auskosten, langsam, ganz und gar. Und weil eure Liebe eine so seltene ist, so sollt ihr auch auf eine ganze seltene Weise in die ewigen Jagdgründe gehen!“

Er stand auf, trat aus dem Kreise und ging zu der Umwallung des Schlammkraters.

„Das ist euer Grab!“ sagte er. „In wenigen Augenblicken soll es euch empfangen!“

Er deutete in die Tiefe, aus welcher der stinkende Brodem emporstieg.

Das hatte niemand erwartet. Das war mehr als unmenschlich. Martin wurde totenbleich. Sein Vater stieß jenen Angstschrei aus, welchen Old Shatterhand und seine Begleiter drüben, jenseits des Flusses, gehört hatten. Er zerrte mit aller Gewalt an seinen Fesseln.

Baumann hatte vom ersten Augenblicke seiner Gefangenschaft an bis jetzt mit keinem Worte und mit keiner Miene gezeigt, wie unglücklich er sich fühle. Er war zu stolz, sich das merken zu lassen. jetzt aber, als er hörte, was seinem Sohne drohte, war es mit all seiner Selbstbeherrschung vorüber.

„Das nicht, das nicht!“ rief er. „Werft mich in den Krater, mich, mich, nur ihn nicht, ihn nicht!“

„Schweig!“ herrschte der Häuptling ihm zu. „Du würdest heulen vor Entsetzen, wenn du den Tod deines Sohnes sterben solltest!“

„Nein, nein, keinen Laut sollt Ihr hören, keinen einzigen f“

„Du wirst bereits heulen, wenn ich dir diesen Tod beschreibe. Meinst du, daß wir deinen Knaben und den Verräter Wohkadeh einfach in diesen Schlund werfen werden? Da irrst du dich sehr. Der Schlamm steigt und sinkt so regelmäßig, wie die Flut des Meeres, welche dem Laufe des Mondes folgt, wie man mir gesagt hat. Man weiß den Augenblick genau, an welchem der Schlamm kommt, und auch den, an welchem er wieder geht. Man weiß auch sehr genau, wie hoch er steigt. Wir werden den Verräter und deinen Knaben an Lassos binden und sie in das Loch werfen. Aber sie werden nicht hinabfallen, denn die Lassos halten sie. Sie werden so tief hinabhängen, daß ihnen der Schlamm nur bis an die Füße steigt. Beim nächsten Male lassen wir sie weiter hinab, daß ihnen der Schlamm bis an die Kniee reicht. So werden sie tiefer und tiefer sinken, und ihre Körper werden langsam von unten nach oben in dem heißen Schlamme braten. Hast du nun noch Lust, für deinen Sohn dieses Todes zu sterben?“

„Ja, ja!“ antwortete Baumann. „Nehmt mich an seiner Stelle; nehmt mich!“

„Nein! Du sollst mit den anderen am Grabe der Häuptlinge am Marterpfahle enden. Und jetzt sollst du zusehen müssen, wie dein Sohn im Pfuhle versinkt!“

„Martin, Martin, mein Sohn!“ schrie der Vater in verzweiflungsvollem Tone.

„Vater, mein Vater!“ antwortete dieser weinend.

„Schweig!“ raunte Wohkadeh ihm zu. „Wir wollen sterben, ohne ihnen die Freude zu machen, den Schmerz auf unserem Angesicht zu sehen.“

Baumann riß an seinen Fesseln, hatte aber nur den Erfolg, daß sie ihm fast bis auf die Knochen in das Fleisch schnitten.

„Hörst du, wie er heult und jammert!“ rief ihm der Häuptling zu. „Schweig, und freue dich vielmehr, denn du sollst alles deutlicher sehen können als wir. Man löse die Gefangenen von den Steinen und binde sie auf ihre Pferde, damit sie hoch sitzen und alles besser betrachten können. Die beiden Knaben aber bindet steif und tragt sie nach dem Loche!“

Dieser Befehl wurde sofort ausgeführt. Mehrere Sioux ergriffen Wohkadeh und Martin, um ihnen noch mehr Riemen anzulegen, und auch der übrige Teil der Weisung wurde schnell befolgt.

Baumann preßte die Zähne fest zusammen, um sich keinen Jammerlaut entschlüpfen zu lassen. Er saß jetzt mit den anderen hoch zu Roß.

„Schrecklich!“ knirschte Davy, indem er sich an Jemmy wandte. „Die Hilfe kommt gewiß, für die beiden braven Burschen aber jedenfalls zu spät. Wir beide sind schuld an ihrem Tode. Wir hätten nicht einwilligen sollen.“

„Hast recht, und – – horch!“

Der heisere Schrei eines Geiers war erschollen. Die Ogallala beachteten es nicht.

„Das ist Old Shatterhands Zeichen,“ flüsterte Jemmy. „Er hat oft davon gesprochen und uns den Schrei auch vorgemacht.“

„Herrgott! Wenn er es wirklich wäre!“

„Der Himmel gebe, daß ich mich nicht täusche! Vermute ich richtig, so wäre Old Shatterhand unserer Fährte gefolgt und käme von da drüben herab. Schau hinüber nach dem Walde! Siehst du nichts?“

„Ja, ja!“ antwortete Davy. „Ein einzelner Baum wird bewegt. Ich sehe die Spitze schütteln. Das geschieht nicht von selbst; dort sind also Menschen!“

„Jetzt sehe ich es auch! Aber weg davon mit dem Blicke, daß die Ogallala nicht aufmerksam werden!“

Und mit lauter Stimme rief er in deutscher Sprache nach dem Krater hin:

„Master Martin, seid getrost! Die Hilfe ist schon da. Soeben haben die Freunde uns ein Zeichen gegeben!“

Er vermied es kluger Weise, einen Namen zu nennen, weil derselbe von den Ogallala verstanden worden wäre.

„Was hat dieser Hund zu bellen!“ zürnte der Häuptling. „Hat er auch Lust, in dem Schlamm zu sterben?“

Glücklicherweise begnügte er sich mit dieser Zurechtweisung.

„Ist’s wahr, ist’s wahr?“ flüsterte Baumann in deutscher Sprache dem Dicken zu.

„Ja! Da drüben im Walde stecken sie.“

„Da kommen sie dennoch zu spät. Ehe sie den Fluß erreichen und herüberkommen, ist’s vorbei. Sie werden ja auf alle Fälle von den Feinden bemerkt!“

„Pah! Shatterhand wird es schon so einrichten, daß er seinen Zweck erreicht.“

Die Gefangenen hielten auf ihren Pferden so eng nebeneinander, daß sie sich selbst im Flüstertone verstehen konnten. Die Hände waren ihnen auf den Rücken gebunden und die Füße durch einen Riemen vereinigt worden, welcher unter dem Bauche der Pferde hinwegging.

„Du, Davy,“ flüsterte Jemmy, „unsere Tiere werden nicht am Zügel gehalten; darum sind wir eigentlich schon halb frei. Getraust du dir, dein altes Maultier trotz der Fesseln zum Gehorchen zu bringen?“

„Hab‘ keine Sorge! Ich nehme es zwischen die Beine, daß es eine Lust sein wird!“

„Mein alter Klepper wird auch gehorchen. Halt! Hilf Himmel! Da geht es los! Die Hilfe kommt zu spät – zu spät!“

Nämlich in diesem Augenblicke begann die Erde unter den Hufen der Pferde erst leise und dann stärker zu beben, und ein rollendes Brausen kam wie aus unterirdischer Ferne herbei. Der Geiser wollte seine Thätigkeit beginnen.

Zwar hatten sich die Pferde seit gestern abend ganz leidlich an dieses Beben des Erdbodens gewöhnt; da sie aber jetzt ihre Reiter trugen, zeigten sie sich unruhiger, als wenn sie ledig gewesen wären.

Der Häuptling hatte sich vorhin über die Umfassung des Schlammkraters gebeugt und seinen Lasso hinabgelassen, um auszumessen, wie tief die beiden dem Tode Geweihten zu hängen kommen müßten. Dann waren zwei Lassos je an einen festen Vorsprung des hohen Kraterrandes befestigt worden und die anderen Enden hatte man Martin und Wohkadeh so unter den Armen hindurch befestigt, daß gerade und genau die beabsichtigte Tiefe erreicht wurde.

Als jetzt das Brausen begann, traten alle zurück. Nur zwei blieben am Krater stehen, um, sobald der Schlamm sich hob, die beiden Verurteilten hinabgleiten zu lassen.

Es waren Augenblicke der fürchterlichsten Spannung; für die beiden Baumanns aber wurden sie zu schrecklichen Ewigkeiten.

Und Old Shatterhand? Warum kam er nicht?

Sein Blick hatte in größter Spannung jede Bewegung der Ogallala beobachtet. Als er sah, daß Wohkadeh und Martin nach dem Kraterrande geschleppt wurden, war ihm alles klar.

„Man will sie langsam im Schlamme sterben lassen,“ sagte er zu den Indianern. „Wir müssen augenblicklich helfen. Schnell, eilt unter den Bäumen dort hinab, wo der Wald bis an den Fluß geht; setzt hinüber und jagt jenseits im Galopp hinauf! Heult dabei, so laut ihr könnt, und stürzt mit aller Macht auf die Ogallala ein!“

„Willst du nicht mit?“ fragte der riesige Medizinmann.

„Nein; ich darf nicht. Ich muß hier bleiben, um dafür zu sorgen, daß vor eurem Erscheinen keinem unserer Brüder ein Leid geschieht. Fort, fort! Es ist kein Augenblick zu verlieren!“

„Uff! Vorwärts!“

Im nächsten Augenblicke waren die Schoschonen und Upsarocas verschwunden. Der schwarze Bob blieb bei Old Shatterhand zurück. Dieser gebot ihm:

„Komm, faß diese Fichte mit an! Wir wollen sie schütteln!“

Die Hand an den Mund legend, stieß er den Schrei aus, welchen Jemmy und Davy gehört hatten. Er bemerkte, daß sie heraufblickten, und wußte nun, daß sie sein Zeichen verstanden hatten.

„Warum Baum schütteln?“ fragte Bob.

„Um ihnen ein Zeichen zu geben. Man will Wohkadeh und deinen jungen Herrn in den Krater werfen, um sie zu töten. Dort liegen sie gefesselt am Rande desselben.“

„Was! Oh, oh! Massa Martin töten? Wann? Wohl gleich?“

„In einer Minute wohl schon!“

Da ließ der Schwarze das Gewehr fallen, welches er in den Händen hielt.

„Massa ermorden! Das nicht sollen; das nicht dürfen! Masser Bob das nicht erlauben. Masser Bob sie totschlagen alle, alle! Bob gleich hinüber!“

Er rannte fort.

„Bob, Bob!“ rief Old Shatterhand ihm nach. „Zurück, zurück! Du verdirbst sonst alles!“

Aber der Schwarze hörte nicht auf ihn. Es hatte eine wahre Wut sich seiner bemächtigt. Sein junger Herr sollte ermordet werden! Das konnte er nicht zugeben! Lieber wollte er selber sterben. Vor einem Bären hatte er sich nicht als Held gezeigt; aber wenn es seinen „Massa“ galt, dann konnte er ein rasender Roland sein.

Er dachte nicht daran, daß ihm das Gewehr entfallen war; er dachte nur daran, so schnell wie möglich hinüberzukommen. Als guter Schwimmer wußte er, daß man, um an einer gewissen Stelle drüben zu landen, oberhalb derselben hüben in das Wasser gehen muß. Er sprang also nicht den lichten Uferhang hinab, gerade auf das Wasser zu, sondern er eilte in weiten Sprüngen unter den Bäumen flußaufwärts hin und schnellte erst dann, als er seiner Meinung nach weit genug nach oben gekommen war, unter den Bäumen hervor.

Ein schwarzer, glatter Felsen führte da scharf zum Wasser hinab. In seiner Eile setzte Bob sich nieder und rutschte, als ob er Schlitten fahren wolle, diesen Felsen hinab und in das ölige, mit schmutzig flockigem Schaum bedeckte Wasser hinein.

Dabei fühlte er etwas Hartes, was an seinen Körper stieß. Es war ein starker Ast, der sich hier im Ufergrunde festgestochen hatte.

„Oh, oh!“ jubelte er. „Masser Bob kein Gewehr. Ast sein Gewehr, sein Keule!“

Er riß ihn aus dem Schlamme und begann nun gewaltig auszustreichen.

Der brave Bursche wurde von den Ogallala gar nicht bemerkt. Während der Rutschpartie war sein schwarzer Körper von dem dunklen Gestein nicht zu unterscheiden gewesen, und nun im Wasser stachen sein Kopf und seine Schultern so wenig von der schmutzigen Fläche ab, daß selbst andere Augen als diejenigen der Ogallala nicht auf ihn aufmerksam geworden wären. Die letzteren hielten übrigens jetzt ihre Blicke nach dem Schlammkrater gerichtet; auf etwas anderes achteten sie nicht.

jetzt, eben als das unterirdische Rollen und Brausen begann, sah Old Shatterhand seine roten Verbündeten dort nach der abwärts liegenden Enge zu in das Wasser reiten. Die Katastrophe war da.

Er lehnte seinen Henrystutzen an den Stamm des Baumes, hinter welchem er stand, und nahm den zweiläufigen, schweren Bärentöter empor. Auf diese beiden Gewehre konnte er sich verlassen.

Hundert andere hätten jetzt vor Aufregung gezittert; dieser Mann aber blieb so ruhig, als ob er beabsichtige, im Freundeskreise nach einer Scheibe zu schießen.

Drüben traten die Sioux vom Krater zurück. Nur zwei von ihnen blieben stehen.

Da hob der Häuptling den Arm. Ob er vielleicht ein lautes Kommandowort sprach, konnte Old Shatterhand nicht hören, da das Brausen stärker geworden war; aber was diese Armbewegung zu bedeuten hatte, das wußte Shatterhand genau – den Martertod Martins und Wohkadehs.

Er nahm den Kolben an die Wange. Zweimal blitzte der Bärentöter schnell hintereinander auf; dann warf der Schütze ihn weg und griff zum Stutzen, um bereit zu sein, wenn er auch ihn brauchen sollte. Er selbst hatte wohl das Krachen seiner beiden Schüsse gehört, den Sioux-Ogallala aber war dasselbe entgangen, denn es dröhnte unter ihnen wie rapid aufeinanderfolgende Donnerschläge.

„Hinein mit ihnen!“ hatte der Häuptling der Ogallala mit lauter Stimme befohlen und dabei den Arm erhoben.

Die zwei seiner Leute, welche diesen Befehl auszuführen hatten, thaten schnell die paar Schritte, welche sie von den an der Erde liegenden Gefangenen entfernt standen. Martins Vater stieß einen Angstschrei aus, welcher herzzerreißend gewirkt hätte, wenn er gehört worden wäre. Im nächsten Augenblicke mußte ja sein Sohn im Schlunde des Kraters verschwinden.

Aber, was war das! Die zwei Vollstrecker der schrecklichen Exekution bückten sich nicht nur, um die Gefangenen zu ergreifen, sondern sie fielen sogar neben sie nieder und blieben bei ihnen liegen.

Der Häuptling brüllte etwas, was nicht zu verstehen war, denn droben stiegen Wasser und Dampf schrill pfeifend aus der Öffnung des Geisers empor, und hier unten ertönte es wie dumpfe Kanonenschläge aus dem Krater des Schlammvulkanes.

Der „schwere Moccassin“ sprang hinzu, bückte sich über die beiden Leute und schlug mit der Faust auf sie ein – sie bewegten sich nicht. Er faßte den einen an der Schulter und riß ihn halb empor. Ein Paar unbewegliche, seelenlose Augen starrten ihm entgegen, und er sah zwei Löcher im Kopfe des Mannes, eins hüben und das andere drüben. Er ließ den Mann erschrocken fallen und ergriff den anderen, um auch an diesem ganz dieselbe Bemerkung zu machen.

Er fuhr empor, als hätte er einen Geist erblickt, und wendete sich nach den Seinen zurück. Sein Gesicht war verzerrt. Er hatte das Gefühl, als ob ihm unter dem mit Adlerfedern geschmückten Schopfe die Haut vom Schädel gezogen werde.

Die Sioux konnten sein Verhalten und dasjenige ihrer beiden Krieger nicht begreifen. Sie traten herbei. Mehrere von ihnen bückten sich zu den letzteren nieder und waren dann ganz ebenso ein Bild des Entsetzens wie ihr Anführer.

Und nun kam noch ein anderes hinzu, was ihnen nicht minder schrecklich erschien. Das Pfeifen und Zischen des Geisers war jetzt fast erstorben, so daß das Ohr nun wieder andere Töne zu vernehmen vermochte. Und da ließ sich denn vom Flusse her ein Gebrüll vernehmen, welches aus der Kehle eines Löwen oder Tigers zu kommen schien.

Aller Augen wendeten sich dorthin. Sie sahen eine schwarze, riesengroße Gestalt herbeigesprungen kommen, welche einen langen, starken Astknorren in den Fäusten schwang. Diese Gestalt triefte von dem schmutzigen, gelbgrünen Schaume des Flusses und war von einer ganzen Masse verworrener Binsen und halb verfaulten Schilfes behangen.

Der brave Bob, welcher sich durch eine ganze Halbinsel dieser am Ufer hangenden Pflanzenrudera hatte arbeiten müssen, hatte sich nicht die Zeit genommen, diesen Schmuck von sich abzustreifen. Er bot also einen Anblick, der ihn kaum als ein irdisches Wesen erscheinen ließ. Dazu sein Gebrüll, seine rollenden Augen, das starke, leuchtende Gebiß, welches er zeigte – es war wirklich kein Wunder, daß die Ogallala für den Augenblick ganz starr standen.

Und da warf er sich auch schon auf sie, brüllend und mit der Keule um sich schlagend wie ein Herkules. Sie wichen vor ihm zurück. Er drang durch ihren Haufen und stürzte auf den Häuptling zu.

„Massa Martin! Wo sein lieb gut Massa Martin?“ schrie er keuchend. „Hier Masser Bob, hier, hier! Er vernichten ganz Sioux! Er zerschmettern all ganz viel Ogallala!“

„Hurra! Das ist Bob!“ rief Jemmy. „Der Sieg ist da! Hurra, hurra!“

Und zugleich ließ sich von abwärts her ein vielstimmiges Geheul vernehmen, ein indianisches Kriegsgeheul. Dasselbe wird bekanntlich in der Weise hervorgebracht, daß die Wilden ein markerschütterndes langgedehntes, in der Fistelstimme liegendes Jiiiiiiiiiiih schreien und sich dabei, mit der einen Hand trillernd, auf die Lippen schlagen.

Dieser wohlbekannte, Gefahr verkündende Kriegsruf weckte die Sioux aus ihrem starren Schrecken. Einige sprangen vor und bückten nach abwärts des Flusses, woher das Geheul erscholl. Sie sahen die Upsarocas und Schoschonen, welche im Galopp herangesprengt kamen. Im höchsten Grade bestürzt, nahmen sie sich gar nicht die Zeit, diese Feinde zu zählen und folglich zu bemerken, daß sie sich vor so einer kleinen Anzahl derselben gar nicht zu fürchten brauchten. Der unerklärliche Tod ihrer beiden Kameraden, das Erscheinen des wie ein wahrer Satan aussehenden und dreinschlagenden Bob und nun das Nahen feindlicher Indianer, das alles brachte bei ihnen einen geradezu panischen Schrecken hervor.

„Fort, fort! Rettet euch!“ brüllten sie und stürzten zu ihren Pferden.

jetzt nahm Jemmy seinen alten Gaul fest zwischen die Schenkel.

„Macht euch frei! Schnell, schnell, den Rettern entgegen!“ schrie er laut.

Und schon schoß seine langbeinige Kreatur von dannen, das Maultier mit dem langen Davy hinterher. Franks Pferd folgte augenblicklich, ganz ohne daß der Reiter es durch irgend eine Bewegung dazu aufgefordert hätte; die Pferde waren durch das Zittern der Erde, durch Bobs Gestalt und das Kriegsgeheul so aufgeregt worden, daß kein Sioux sie hätte zu halten vermocht.

Wirklich keiner? 0 doch, es gab einen, nämlich den Häuptling Hong-peh-te-keh. Er hatte von Bob einen so kräftigen Keulenhieb erhalten, daß er zusammengebrochen war. Zu seinem Glücke hatte das der Schwarze nicht zu einem zweiten Hiebe, der wohl tödlich geworden wäre, benutzt, sondern er war, seinen jungen Herrn am Boden liegen sehend, zu demselben niedergekniet, um sich, alles andere vergessend, seiner anzunehmen.

„Mein gut, gut Massa Martin!“ rief der treue, aber wenig umsichtige Schwarze. „Hier sein tapfer Masser Bob! Er schnell schneiden die Riemen von Massa Martin.“

Der Häuptling hatte sich aufgerichtet und zog schon das Messer, um den Neger niederzustechen; da hörte er das Geheul der Feinde und sah, daß die Seinigen sich auch bereits zur Flucht wendeten, während seine bisherigen Gefangenen davonjagten, um zunächst aus der Nähe der Ogallala zu kommen.

Er erkannte, daß er unter diesen Umständen gezwungen sei, auch zu fliehen; aber allen und jeden Vorteil aufzugeben, dazu war er der Mann doch nicht. Sich nach seinem Pferde stürzen und im Sattel sitzen, das war für ihn die Sache eines Augenblickes. Ein Glück, daß seine Leute alle die Gewehre an den Sattelknöpfen befestigt hatten! Er drängte sein Pferd an Baumann heran, dessen Tier in diesem Augenblicke scheute und mit allen Vieren in die Luft ging. Ein rascher Griff in die Zügel desselben, ein schriller, durchdringender Schrei, durch welchen er sein eigenes Roß anspornte, und er jagte davon, flußaufwärts, Baumanns Pferd und dessen Reiter mit sich fortreißend – – – – – – – – – – – – – – – –

Die Sioux-Ogallala waren vollständig überzeugt, daß der Oberlauf des Flusses für sie frei sein werde. Ihrer Ansicht nach hatten sie keineswegs zu befürchten, daß sie dort Feinde treffen würden. Wenn sie das Grab der Häuptlinge erreichten, so waren sie geborgen, denn das Terrain, in welchem dasselbe lag, bot ihnen vortreffliche Deckung selbst gegen einen noch viel stärkeren Feind als sie gegen sich zu haben glaubten. Sie sollten aber bald einsehen, daß sie sich da in einem großen Irrtum befanden, welcher für sie verhängnisvoll werden mußte.

Wie bereits erwähnt, hatte Winnetou gestern früh, bevor Old Shatterhand von dem Gelbsteinsee aufgebrochen war, von diesem die Weisung erhalten, mit den bei ihm zurückbleibenden Kriegern nach dem „Maule der Hölle“ zu reiten und ihn dort zu erwarten. Der Häuptling der Apachen war diesem Gebote getreulich nachgekommen.

Tokvi-tey, der Anführer der Schoschonen, welcher sich bei ihm befand, hatte gleich nach Old Shatterhands Entfernung aufbrechen wollen, aber der Apache war dagegen gewesen.

„Meine Brüder mögen hier noch halten bleiben,“ sagte er. „Unsere Pferde mögen noch grasen, denn auf dem Pfade, welchen wir einschlagen, wird es kein Futter für sie geben.“

„Kennst du diesen Weg genau?“ fragte der Schoschone.

„Winnetou kennt alle Prairien und Wasser, alle Berge und Thäler vom Meere des Südens bis hinauf zum Saskatschewan.“

„Aber je eher wir aufbrechen, desto eher sind wir am Ziele!“

„Da hat mein Bruder ganz richtig gesprochen; aber zuweilen ist es nicht gut, wenn man vor der Zeit am Ziele anlangt. Wir werden am Maule der Hölle anlangen noch bevor die Sonne hinter den Wasser speienden Bergen in ihr Wigwam niedersteigt. Winnetou weiß, was er thut. Die tapferen Krieger der Schoschonen können sich auf ihn verlassen. Sie mögen jetzt ihr Fleisch gemächlich verzehren. Wenn die Zeit gekommen ist, wird er das Zeichen zum Aufbruche geben.“

Er warf seine Silberbüchse über und entfernte sich, zwischen den Bäumen des Urwaldes verschwindend. Er liebte es nicht, Entschlüsse, welche er einmal gefaßt hatte, ohne triftige Gründe aufzugeben. Tokvi-tey mußte sich fügen.

Die Indianer bereiteten ihr Frühstück und unterhielten sich dabei über den nichts weniger als klugen Streich, welchen der Sohn des Bärenjägers mit seinen vier Begleitern begangen hatte.

Ihr Frühmahl war längst vorüber, als der Apache wiederkehrte. Er suchte sein Pferd auf und stieg in den Sattel. Ein Wink seiner Hand genügte, den Schoschonen wissen zu lassen, daß der Ritt jetzt begonnen werden solle. Sie folgten ihm, einer hinter dem andern reitend und sich dabei Mühe gebend, eine so wenig wie möglich sichtbare Fährte zu hinterlassen.

War Winnetou selbst nach indianischen Begriffen ein sehr schweigsamer Mann, so schien er heute noch weniger als gewöhnlich geneigt zu sein, sich für einen redseligen Mann halten zu lassen. Er hielt sein Pferd so im Gang, daß er den Schoschonen stets eine gewisse Strecke voraus war, und sie respektierten den berühmten Krieger so hoch, daß keiner es wagte, sich ihm zu nähern. Selbst Tokvi-tey, obgleich selbst Häuptling, hielt sich in achtungsvoller Entfernung hinter ihm.

So schlängelte sich der Reiterzug still und lautlos zunächst durch den Wald, dessen dichtes Blätterdach von keinem direkten Sonnenstrahle durchdrungen wurde. Es herrschte hier jenes Halbdunkel, welches in hohen, Gott geweihten Domen die Seele zur Andacht stimmt.

Die gewaltigen Stämme ragten wie riesige Säulen empor. Kein niederes Buschwerk stand hindernd im Wege. Die Vogelstimmen, welche den Anbruch des Tages begrüßt hatten, waren verstummt, und nur zuweilen ging durch die Einsamkeit ein knackendes oder prasselndes Geräusch, durch welches aber die Stille des Waldes nur hervorgehoben wurde.

Dann plötzlich öffnete sich eine kurze, grasige Prairie. Der Wald brach in einer scharfen Linie ab und bereits nach kurzer Zeit wurde der Boden steinicht, so daß nur hier oder da ein armer Halm aus einer Ritze blickte.

Winnetou ließ sein Pferd langsamer gehen, wartete, bis Tokvi-tey ihn eingeholt hatte, deutete nach Westen, wo blaugraue Wolken sich zu erheben schienen, und sagte:

„Das sind die Berge des Feuerlochflusses, hinter ihnen öffnet sich das Maul der Hölle.“

Dem Schoschonen war es sehr lieb, daß der Apache das Schweigen gebrochen hatte. Auch er wußte natürlich, daß Schweigsamkeit eine der größten Zierden des Kriegers ist; aber selbst den mürrischesten Indsman kann einmal die Lust zu einem kleinen Speech anwandeln, und in dieser Lage befand sich Tokvi-tey.

Er hatte bereits früher viel über Old Shatterhand gehört; nun war er mit demselben auf eine so wundersame Weise bekannt geworden und hatte sich durch den Augenschein überzeugen können, daß das Gerücht die Eigenschaften und Thaten des berühmten Mannes keineswegs in übertreibender Weise geschildert habe. Er, der viel ältere Mann, widmete dem Deutschen eine Verehrung, wie er sie noch für keinen Menschen empfunden hatte. Zu dieser Verehrung gesellte sich eine Scheu, wie man sie nur für höhere Wesen hat, und doch, trotz der Schranke, welche diese Scheu zwischen ihm und Old Shatterhand errichtete, fühlte er sich mächtig zu dem gewaltigen Jäger hingezogen – er liebte ihn. Die milde, ruhige Freundlichkeit, die immer gleiche, rücksichtsvolle Güte des Mannes, welcher seine Feinde mit der Faust niederzuschlagen pflegte, hatte demselben wie alle Herzen so auch dasjenige des Häuptlings der Schoschonen gewonnen.

Schon längst hatte Tokvi-tey von Winnetou etwas Näheres über Old Shatterhand erfahren wollen. Der Apache war ja derjenige, welcher die beste Auskunft über ihn zu erteilen vermochte, aber grad die Unzertrennlichkeit dieser beiden Freunde machte es schwierig, einmal unter vier Augen mit dem einen über den andern zu sprechen.

Heute nun war Old Shatterhand abwesend, und diese Gelegenheit wollte Tokvi-tey benutzen, den Mund des Apachen zu öffnen. Darum freute er sich darüber, daß der letztere ihn jetzt an seine Seite kommen ließ. Er folgte mit seinem Blicke dem ausgestreckten Arme Winnetous und sagte:

„Tokvi-tey hat jene Gegend noch nie betreten, aber sein Ohr hat oft vernommen, was die alten, grauhaarigen Krieger der Schoschonen von ihr erzählen. Hat mein Bruder auch davon gehört?“

„Nein.“

„Tief unter diesen Bergen und Schluchten liegt ein Häuptling begraben, dessen Seele nicht in die ewigen Jagdgründe gelangen kann, obgleich er der tapferste Krieger war und viele Zelte mit den Skalps der von ihm erlegten Feinde geschmückt hatte. Sein Name ist K’un-p’a. Mein Bruder wird ihn gehört haben?“

„Nein. Ein berühmter Häuptling dieses Namens ist dem Apachen nicht bekannt. K’un-p’a heißt in der Sprache der Schoschonen das Feuerwasser, welches die Yankees Brandy oder Whisky nennen.“

„Ja, Feuerwasser bedeutet auch der Name jenes Häuptlings, denn er hat seine Seele und seinen ganzen Stamm an die Bleichgesichter verkauft, welche ihm Feuerwasser dafür gegeben haben. Er hatte das Beil des Krieges gegen sie ausgegraben, um sie von der Erde zu vertilgen. Seine Krieger waren zahlreicher als die ihrigen; sie aber hatten Feuerwaffen und – Feuerwasser. Ihr Häuptling bat um eine Unterredung mit ihm. Die beiden trafen sich an einer Stelle, welche sich zwischen den Kriegslagern befand. Während sie verhandelten, gab der Häuptling der Bleichgesichter dem roten Krieger Feuerwasser zu trinken. Es war noch nie ein Tropfen davon über seine Lippen gekommen. Er trank und trank, bis der böse Geist des Feuerwassers über ihn kam. Da verriet er, um mehr davon zu bekommen, seine Krieger. Sie wurden alle getötet, so daß nicht ein einziger entkam.“

„Und ihr Häuptling?“ fragte Winnetou.

„Er blieb allein übrig. Er war der Verräter, darum töteten ihn die weißen Männer nicht. Sie versprachen ihm noch mehr Feuerwasser, wenn er sie nach den Weidegründen seines Stammes führen wolle. Er that es. Die Wigwams seines Stammes standen da, wo jetzt die wasserspeienden Berge stehen. Das Thal des Feuerlochflusses war damals der glücklichste Weidegrund des Landes. Das Gras neigte seine Spitzen über dem Reiter zusammen, und auf den Büffelpfaden wandelten die Bisons in unzählbaren Scharen. Dorthin führte K’un-p’a die Bleichgesichter. Sie fielen über die roten Männer her und töteten sie nebst allen ihren Frauen und Kindern. Der Häuptling saß dabei und trank Feuerwasser, bis es ihm aus dem Munde brannte. Da brüllte er vor Schmerz laut auf und wandte sich in schrecklichen Qualen hin und her. Sein Geheul klang über die Prairien und Wälder hinweg bis hinauf zu den Spitzen des Gebirges jenseits des Gelbsteinsees. Dort wohnte der große Geist der roten Männer. Er kam herbei und sah, was geschehen war. Er ergrimmte in schrecklichem Zorne. Er schlug mit seinem Tomahawk eine Spalte in die Erde, viele Tagereisen tief, und stürzte K’un-p’a hinab. Dort unten liegt nun der Verräter seit vielen hundert Sonnen. Wenn er sich in seinen nie endenden Schmerzen von einer Seite auf die andere wirft und dabei seine brüllende Stimme erhebt, so zittert die ganze Gegend des Gelbsteinsees bis hinüber zum Schlangenflusse, und aus Spalten und Löchern dringt sein Jammergeheul. zur Erde empor. Das Feuerwasser strömt kochend aus seinem Munde; es füllt alle Klüfte und Ritzen der Tiefe; es dampft und braust zur Höhe; es wirbelt und sprudelt aus allen Schlünden; es qualmt und stinkt aus allen Höhlen, und wenn dann ein einsamer Krieger vorüber reitet, die Erde unter den Hufen seines Pferdes zittern und bersten sieht, die kochende Flut erblickt, welche auf zu den Wolken steigt, und das Gebrüll vernimmt, welches aus tausend Mäulern der Tiefe erschallt, so gibt er seinem Tiere die Fersen und entflieht, denn er weiß, unter ihm wütet K’un-p’a, der vom großen Geiste Verfluchte.“

Wenn der Schoschone erwartet hatte, daß Winnetou zu dieser Schilderung irgend eine Bemerkung machen werde, so hatte er sich geirrt. Der Apache blickte still vor sich hin. Um seinen Mund spielte ein kaum bemerkbares Lächeln. Darum fragte Tokvi-tey:

„Was sagt mein Bruder zu dieser Erzählung?“

„Daß noch niemals eine so bedeutende Schar der bleichen Krieger an den Fluß des Feuerloches gekommen ist.“

„Kann mein Bruder das behaupten?“

„Ja.“

„Aber das ist vor vielen hundert Sonnen geschehen; damals hat mein roter Bruder noch gar nicht gelebt.“

„Und Tokvi-tey, der Häuptling der Schoschonen, war auch noch nicht vorhanden. Wie also kann er wissen, was damals geschehen ist?“

„Er hat es gehört. Die Alten haben es ihm erzählt, und diese wissen es von den Urvätern ihrer Urväter.“

„Aber als diese Urväter lebten, gab es noch keine Bleichgesichter bei den roten Männern. Ich habe das von einem gehört, der es ganz genau weiß, von meinem weißen Bruder Old Shatterhand. Als ich mit ihm zum erstenmal am Flusse des Feuerloches war, hat er mir erklärt, wie die Löcher entstanden sind, aus denen die kalten und heißen Wasserstrahlen steigen. Er hat mir gesagt, wie die Berge und Thäler, die Cannons und Abgründe entstanden sind.“

„Weiß er es denn?“

„Sehr genau.“

„Aber er ist nicht dabei gewesen!“

„Dessen bedarf es nicht. Wenn ein Krieger die Spur eines Fußes sieht, so weiß er, daß hier ein Mann gegangen ist, und doch ist er nicht dabei gewesen. Solche Spuren hat der große Geist zurückgelassen und Old Shatterhand versteht es, diese Spuren zu lesen.“

„Ugh!“ rief der Schoschone verwundert.

„Höre ihn selbst sprechen! Dann wirst du dich noch viel mehr wundern. Ich habe in stillen Nächten an seiner Seite gesessen und seinen Worten gelauscht; es sind Worte des großen, guten, allmächtigen Geistes gewesen, Worte der Liebe und Milde, der Versöhnung und Erbarmung. Seit ich sie gehört habe, thue ich so wie Old Shatterhand – ich töte keinen Menschen, denn alle sind Kinder des großen Geistes, welcher seine Söhne und Töchter glücklich machen will.“

„So sind die weißen Männer auch seine Kinder?“

„Ja.“

„Uff! Warum verfolgen sie ihre roten Brüder? Warum rauben sie ihnen ihr Land? Warum jagen sie sie von Ort zu Ort? Warum sind sie voller List, Heimtücke und Betrug gegen sie?“

„Um dem Häuptlinge der Schoschonen diese Frage zu beantworten, müßte ich viele Stunden sprechen. Dazu gibt es keine Zeit. Ich will ihn nur fragen: Sind alle roten Männer gut?“

„Nein. Es gibt gute und böse unter ihnen.“

„Nun, so ist es auch mit den Bleichgesichtern; auch unter ihnen gibt es gute und böse. Old Shatterhand gehört zu demjenigen Stamme der Bleichgesichter, welcher noch niemals das Kriegsbeil gegen die roten Krieger geschwungen hat.“

„Wie heißt dieser Stamm?“

„Es ist der Stamm der Deu-scheh, welcher weit im Osten jenseits des großen Wassers wohnt.“

„Er ist dessen Häuptling?“

„Nein. Die Krieger der Deu-scheh haben mehrere Häuptlinge, welche Kön-ig genannt werden; der oberste Häuptling aber wird Kai-sa genannt. Er ist ein alter, kluger, tapferer Krieger, der in allen Kämpfen gesiegt und doch niemals einen Skalp genommen hat. Sein Haar ist weiß wie der Schnee der Berge; seine Jahre sind fast nicht zu zählen, aber seine Gestalt ist noch hoch und stolz, und sein Roß zittert vor Freude, wenn er in den Sattel steigt. Sein Arm ist stark und sein Befehl ohne Widerspruch; aber in seinem Herzen wohnt die Liebe, und in seiner Hand glänzt der Stab des Friedens. In seinem Wigwam verkehren die Häuptlinge aller Völker, und sein Rat wird geachtet vom Aufgang bis zum Niedergange der Sonne.“

„Und wie heißt dieser große Häuptling?“

„Wi-he-lem. Du wirst dieses Wort nicht verstehen, denn es gehört der Sprache der Deu-scheh und bedeutet so viel wie mächtiger Beschützer.“

„Warum aber ist Old Shatterhand nicht bei seinem Stamme geblieben?“

„Weil er gewünscht hat, die roten Männer kennen zu lernen. Dann wird er wieder nach dem Wigwam der Seinen zurückkehren.“

„Wird mein roter Bruder mir sagen, wo er ihn zum erstenmale gesehen hat?“

„Das war am Rio Gila, weit von hier gegen Mittag, wo die Pferde der Apachen weiden. Die Hunde der Komanchen waren aus ihren Löchern gekrochen, um die tapferen Krieger der Apachen anzubellen. Da hielten die Häuptlinge einen großen Rat, und am andern Morgen zogen zehnmal zehn mal sechs Apachen aus, um sich die Skalpe der Komanchen zu holen. Winnetou war noch jung. Er wurde ausersehen, die Fährte der Komanchen zu suchen, denn sein Auge war scharf und sein Ohr hörte den Lauf des Käfers im Grase. Er erhielt zehn Krieger, welche mit ihm ritten, und es gelang ihm, die Spur des Feindes zu finden. Auf dem Rückwege sah er einen Rauch aufsteigen und schlich hinzu, um zu sehen, welche Männer an dem Feuer zu finden seien. Es waren fünf Bleichgesichter. Die Apachen standen mit den Weißen in Feindschaft; darum beschloß Winnetou, sie zu überfallen und sich mit ihren Skalpen zu schmücken. Der Überfall gelang den roten Männern, aber zu ihrem eigenen Schaden. Die Bleichgesichter wurden überrumpelt, aber sie waren tapfer, sie wehrten sich. Einer von ihnen war hinter einen Baum gesprungen und schoß einen Roten nach dem andern nieder. So starben vier Bleichgesichter, aber auch die zehn Apachen, welche mit Winnetou waren. Endlich waren nur noch das tapfere Bleichgesicht und Winnetou übrig. Der Weiße warf sein Gewehr weg und stürzte sich auf den Roten. Er riß ihn zu Boden und entwand ihm die Waffen. Winnetou war verloren; er lag unter dem Weißen und konnte sich nicht bewegen, denn dieser letztere war stark wie ein grauer Bär. Der Apache riß sein Jagdhemd auf und bot dem Feinde die nackte Brust.

Dieser aber warf das Messer weg, stand auf und reichte Winnetou die Hand. Sein Blut war geflossen, denn Winnetou hatte ihn in den Hals gestochen, und dennoch schonte er das Leben des Apachen. Dieses Bleichgesicht war Old Shatterhand. Seit jener Zeit sind beide Männer Brüder gewesen, und sie werden Brüder bleiben, bis der Tod sie voneinander trennt.“

„Und seid ihr seit jener Zeit stets beisammen gewesen?“

„Nein. Old Shatterhand ist in sein Land gereist; aber so oft er wieder in die Prairie kam, hat er sofort seinen roten Bruder aufgesucht. Beide haben einander das Leben viele, viele Male gerettet, beide haben gegenseitig voneinander und miteinander gelernt, und jeder von ihnen würde sofort und gern sein Leben lassen, wenn der andere es von ihm forderte. Mehr denn zehnmal zehnmal haben beide viele, viele Feinde gegen sich gehabt; sie sind oft von einem ganzen Stamme verfolgt worden; sie sind eingeschlossen worden von überlegenen Scharen, aber wenn sie beisammen sind, fürchten sie keinen Feind und fürchten nicht eine große Zahl der Feinde. Noch keiner hat sie überwinden können. Und seit Winnetou seinen Bruder Old Shatterhand gefunden hat, ist ihm die Erkenntnis gekommen, daß der große Geist die Liebe ist, daß unser guter Manitou traurig sein Haupt verhüllt, wenn seine Söhne sich untereinander zerfleischen. Der Schöpfer der Erde hat seinen Sohn Je-su gesandt, um seinen roten und weißen Kindern wissen zu lassen, daß Friede sein soll in allen Ländern. Das Kriegsbeil soll vergraben sein und das Calumet der Versöhnung geraucht werden von Ort zu Ort, von Stamm zu Stamm. Der Häuptling der Schoschonen wird das nicht begreifen; er mag, wenn er es erfahren will, selbst mit Old Shatterhand sprechen. Winnetou hat keinen Mund zu dieser Rede; aber er reitet von Nord nach Süd, von Ost nach West, von Stamm zu Stamm, um durch sein Beispiel zu lehren und zu zeigen, daß die roten und weißen Kinder des großen Geistes in Liebe und Frieden bei einander wohnen können, wenn sie nur wollen. Wenn die roten Männer erst gelernt haben, untereinander einträchtig zu sein, dann wird ihnen die Achtung der Bleichgesichter zu teil, und sie werden stark genug sein, den Brudermord aus ihren Weidegründen zu verbannen. Tokvi-tey, der Häuptling der Schoschonen, mag über meine Worte nachdenken. Ich lasse ihn allein.“

Er spornte sein Pferd an, um den Vorsprung, welchen er bisher eingehalten hatte, wieder zu erlangen, und gab denselben auch während des ganzen weiteren Rittes nicht wieder auf.

Seine Voraussagung, daß die Pferde unterwegs keine Weide finden würden, erfüllte sich. Das Terrain blieb von jetzt an felsig und unfruchtbar. Es bildete, im ganzen genommen, eine Ebene; aber zahlreiche Senkungen und scharfe Einschnitte veranlaßten die Reiter zu zeitraubenden Umwegen. Die Sonne brannte heiß hernieder, und die Pferde mußten geschont werden, da es im Bereiche der Möglichkeit lag, daß man morgen gezwungen sein werde, alle ihre Kräfte in Anspruch zu nehmen. Darum wurde nur im Schritt geritten, und man kam den bereits erwähnten westwärts liegenden Höhen nur langsam näher.

So verging der Vor- und auch der größte Teil des Nachmittags, und die Sonne hatte bereits das letzte Viertel ihres Tagebogens erreicht, als man den östlichen Fuß der Feuerlochberge erreichte.

Der Felsen ging nach und nach in Grasland über, und als der Boden mehr zu steigen begann, gab es hier und da einen kleinen Wasserlauf, an dessen Ufern sich Büsche in einem kühlenden Luftzuge wiegten.

Winnetou hielt auf ein Thal zu, welches rechtwinkelig durch die Berge schnitt. Die Seiten desselben waren, je weiter man kam, desto dichter mit Bäumen bestanden, und nach kurzer Zeit wurde ein kleines Frischwasserbecken erreicht, an dessen Ufer Winnetou vom Pferde sprang. Er nahm dem Tiere Sattel und Zäumung ab und trieb es dann in die Flut, damit es sich nach dem anstrengenden Ritte erquicken möge. Die andern Reiter folgten seinem Beispiele.

Es wurde dabei kein Wort gesprochen. Niemand fragte ihn, ob er hier zu lagern denke. Er hatte sich nicht gesetzt, sondern er stand, auf seine Büchse gelehnt, am Wasser. Das war für die anderen genug, zu wissen, daß er bald wieder aufbrechen werde.

Nach kurzer Zeit kam sein Pferd freiwillig aus dem Wasser und auf ihn zu. Er sattelte es, stieg auf und ritt davon. Er hielt es gar nicht für notwendig, sich nur einmal umzuschauen, ob die Krieger ihm auch folgten; es verstand sich das ja ganz von selbst.

Das Thal wurde desto enger, je steiler es zur Höhe stieg. Es war durch einen Wasserlauf gebildet worden, dessen Ursprung oben auf der Höhe lag. Dort oben angekommen, befanden die Reiter sich im wilden Walde, welchen noch kein menschlicher Fuß betreten zu haben schien.

Der Apache aber kannte seinen Weg genau. Er ritt in größter Sicherheit, als ob er einen gebahnten Pfad vor sich sehe, unter den hohen Bäumen weiter, erst scharf bergan, dann eben fort und endlich jenseits des Kammes zwischen zerstreut umher liegenden, riesigen Felsenbrocken zu Thale nieder.

Da ertönte so plötzlich, daß die Pferde scheuten, vor ihnen ein fürchterlicher Krach, als ob eine gewaltige Dynamitexplosion stattgefunden habe; es folgten eine Reihe Schüsse, wie von starken Festungsgeschützen; dann rollte es wie ein fortlaufendes Pelotonfeuer, welches sich in ein Knattern, Prasseln, Sausen und Zischen auflöste, als ob davor den überraschten Reitern ein Riesenfeuerwerk abgebrannt werde.

„Uff!“ rief Tokvi-tey. „Was ist das?“

„Das ist K’un-tui-temba, das Maul der Hölle,“ antwortete Winnetou. „Mein Bruder hat die Stimme des Maules vernommen. Er wird es sogleich auch speien sehen.“

Nur wenige Schritte ritt er weiter; dann blieb er halten und wendete sich rückwärts zu den roten Kriegern:

„Meine Brüder mögen herbeikommen. Da unten hat sich das Höllenmaul geöffnet.“

Er zeigte hinunter in den Abgrund, welcher sich vor ihnen öffnete, und die Indianer eilten zu ihm.

Sie hielten, wie sie nun sahen, vor einer senkrecht mehrere hundert Fuß abfallenden Felsenwand, und unten lag das Thal des Feuerlochflusses. Gerade vor ihnen, am jenseitigen Ufer, stieg aus dem Erdboden eine wohl zwanzig Fuß im Durchmesser haltende Wassersäule ungefähr fünfzig Fuß senkrecht empor, und in dieser Höhe bildete sie einen beinahe kugelförmigen Knauf, aus welchem zahlreiche armstarke und noch stärkere Wasserstrahlen einzeln weit über hundert Fuß gen Himmel schossen. Das Wasser war heiß, denn eine Hülle von halb durchsichtigem Brodem umgab die gigantische Fontäne, welche oben regenschirmartig auseinander ging.

Gerade hinter diesem Wanderwerke der Natur trat die Uferwand zurück und bildete einen tief ausgeschnittenen Felsenkessel, auf dessen hinterem Rande scheinbar die untergehende Sonne lag. Ihre Strahlen fielen auf die Wassersäule, welche dadurch als eine geradezu unbeschreibliche Kalospinthechromokrene in den herrlichsten Farben leuchtete und brillierte. Wäre der Standpunkt der Beschauer ein anderer gewesen, so hätten sie tausend in den Fluten und um dieselben umher zuckende Regenbogen sehen können.

„Uff, uff!“ ertönte es aus fast einem jeden Munde, und der Häuptling der Schoschonen wendete sich fragend an Winnetou:

„Warum nennt mein Bruder diesen Ort K’un-tui-tempa, das Maul der Hölle? Sollte derselbe nicht lieber T’ab-tuitempa genannt werden, der Mund des Himmels?“

„Nein, das wäre sehr falsch.“

„Warum? Tokvi-tey hat noch niemals etwas so Herrliches gesehen.“

„Mein Bruder darf sich nicht täuschen lassen. Alles Böse scheint zuerst schön zu sein; ein kluger Mann aber urteilt erst, nachdem er das Ende abgewartet hat.“

Die Augen der entzückten Indianer hingen noch staunend an dem prächtigen Bilde, da that es plötzlich einen ähnlichen Donnerschlag wie vorhin, und augenblicklich änderte sich die Scene. Die Wassersäule fiel in sich selbst zusammen; einige Augenblicke wurde das Erdloch frei, aus welchem sie sich erhoben hatte; man hörte einen dumpfen, rollenden Ton, und dann stieß das Loch in einzelnen Rucken braungelbe Dampfringe aus. Diese Rucke folgten sich schneller und schneller, bis sie sich zu einem schrillen Zischen vereinigten; die einzelnen Ringe verbanden sich zu einer häßlichen Rauchsäule, und dann wurde eine dunkle, schlammartige Masse ausgeschleudert, welche beinahe gerade so hoch stieg wie vorher die Fontäne und einen entsetzlichen Gestank verbreitete. Einzelne feste Körper flogen weit über die flüssigen Massen hinaus, und wenn das geschah, so ertönte ein dumpf brüllendes Knurren, wie man es in Menagerien von hungrigen Raubtieren hört, kurz ehe sie gefüttert werden. Diese Ausbrüche erfolgten stoßweise, einer nach dem anderen, und in den Zwischenpausen erklang aus dem Loche ein Wimmern und Stöhnen, als ob da unten in der Tiefe die Seelen der Verdammten ihren Aufenthalt hätten.

„Kats-angwa, schrecklich!“ rief Tokvi-tey, indem er sich die Nase zuhielt. „An diesem Geruche könnte der tapferste Krieger sterben.“

„Nun,“ fragte Winnetou lächelnd, „will mein Bruder auch jetzt noch dieses Loch den Mund des Himmels nennen?“

„Nein, Möchten alle Feinde der Schoschonen dort unten begraben sein! Wollen wir nicht lieber weiter reiten?“

„Ja, aber wir werden gerade da unten am Maule der Hölle unser Lager aufschlagen.“

„Uff! Ist das nötig?“

„Ja. Old Shatterhand hat es uns geboten, und so müssen wir es thun. Die Hölle hat für heute zum letztenmale gespieen; sie wird die Nasen der Schoschonen nicht wieder belästigen.“

„So wollen wir dir folgen; sonst aber wären wir ihr lieber fern geblieben.“

jetzt führte der Apache seine Begleiter ein Stück längs der Felsenkante hin bis dahin, wo das Ufer aus weicherem Gestein und erdigem Boden bestanden hatte. Hier waren die verborgenen Kräfte bis herauf zur Höhe thätig gewesen. Ein vor Jahrhunderten hier vorhandener Krater hatte die ganze Uferwand verschlungen; das weiche Erdreich war nachgerutscht und bildete eine Halde, welche ziemlich dicht mit halbverfaulten Baumstämmen und einzelnen Felsbrocken besäet war.

Dieser Bergrutsch war steil und sah keineswegs so ungefährlich aus. Es gab da zahlreiche schwefelgelb geränderte Löcher, aus denen Wasserdämpfe emporstiegen, ein sicheres Zeichen, daß das Terrain ein unterhöhltes sei.

„Hier will mein Bruder hinab?“ fragte Tokvi-tey den Apachen.

„Ja. Es gibt keinen anderen Weg als diesen.“

„Werden wir nicht einbrechen?“

„Wenn wir unvorsichtig wären, könnte das sehr leicht geschehen. Winnetou hat, als er mit Old Shatterhand hier war, diesen Ort genau untersucht. Es gibt Stellen, an denen die Rinde der Erde nicht dicker ist, als die Breite deiner Hand. Aber Winnetou wird voranreiten. Sein Pferd ist klug und wird nicht dahin treten, wo es eine Gefahr gibt. Meine Brüder können mir getrost folgen.“

„Aber hat nicht Old Shatterhand geboten, daß wir an diesem Ufer Kundschafter aussenden sollen, die ihm Nachricht von uns zu geben haben? Wollen wir das nicht thun, bevor wir über den Fluß setzen?“

„Wir werden es gar nicht thun. Die Ogallala werden eher hier ankommen als Old Shatterhand. Schauen wir nach ihnen aus, so haben wir genug gethan.“

Er trieb sein Pferd über den Rand des Bergsturzes und ließ es da, ohne daß er abstieg, langsam zur Tiefe klettern. Die Indianer folgten ihm zaudernd; aber als sie sahen, wie vorsichtig sein Pferd, bevor es einen Schritt that, vorher mit dem Hufe den Boden untersuchte, vertrauten sie sich seiner Führung an.

„Meine Brüder mögen weit auseinander reiten,“ gebot er, „damit die Erde immer nur die Last eines einzigen Reiters zu tragen habe. Wenn das Pferd einzubrechen droht, muß der Mann es augenblicklich mit dem Zügel emporreißen und nach rückwärts werfen.“

Glücklicherweise kam kein einziger in diese Gefahr. Zwar wurden mehrere sehr hohl klingende Stellen passiert, aber der Zug gelangte glücklich unten am Flusse an.

Das Wasser hatte hier eine mehr als gewöhnliche Wärme; die Oberfläche war blaugrün schillernd und ölig, während eine Strecke weiter aufwärts die Wellen rein und durchsichtig an das Ufer schlugen. Dort wurden die Pferde in den Fluß getrieben, welchen sie mühelos überschwammen. Dann lenkte Winnetou wieder abwärts gerade auf das „Maul der Hölle“ zu.

Die Eruption dieses letzteren war vorüber. Als die Reiter dort ankamen und sich vorsichtig dem Rande des Loches näherten, konnten sie in eine gegen hundert Fuß betragende, dunkle Tiefe blicken, in welcher es vollständig still und ruhig war. Nichts als die umhergeschleuderten Schlammassen verriet, daß vor wenigen Minuten die Hölle hier thätig gewesen sei.

Jetzt zeigte Winnetou nach dem bereits erwähnten, hinter dem „Maule der Hölle“ liegenden Felsenkessel und sagte:

„Dort liegt das Grab der Häuptlinge, an welchem Old Shatterhand die drei berühmtesten Krieger der Sioux Ogallalla besiegte. Meine Brüder mögen mir dorthin folgen!“

Die Sohle dieses Kessels bildete beinahe eine Kreisfläche von dem ungefähren Durchmesser einer halben englischen Meile. Die Wände besaßen eine solche Steilheit, daß an ihnen unmöglich emporzukommen war. Viele Löcher, mit heißem Schlamm oder dampfendem Wasser gefüllt, machten das Passieren höchst unsicher, und kein Hälmchen Gras, kein noch so kleines, dürftiges Pflänzchen war zu sehen.

Gerade auf dem Mittelpunkt dieses Thales war ein künstlicher Hügel errichtet. Er bestand, wie man leicht sehen konnte, aus Steinen, losgebrochenen Schwefelstücken und Schlamm, welch letzterer jetzt eine harte, spröde Masse bildete. Seine Höhe betrug vielleicht fünfzehn Fuß, seine Breite zehn und seine Länge zwanzig Fuß. In der Spitze steckten mehrere Bogen und Lanzen. Sie waren mit allerlei Kriegs- und Todeszeichen geschmückt gewesen, die aber nun in Fetzen hingen.

„Hier,“ sagte Winnetou, „sind begraben der tapfere Büffel und böses Feuer, welcher der stärkste Krieger der OgalIalla war. Dennoch hat Old Shatterhand beide mit einem Schlage seiner Faust getötet. Sie sitzen auf ihren Pferden, die Gewehre auf dem Knie, den Schild in der Linken und den Tomahawk in der Rechten. Der Name des dritten Kriegers wurde nicht genannt, weil er seine Medizin nicht mehr besaß. Und da oben hielt Shatterhand auf seinem Pferde, bevor er zum Todeskampfe herunterkam, und schoß einen Ogallalla nach dem anderen wund. Er wollte sie nicht töten, und sie konnten ihn mit ihren Kugeln nicht erreichen, denn der große Geist der Bleichgesichter schützte ihn.“

Bei diesen Worten zeigte er rechts nach der Felsenwand, aus welcher in der Höhe von vielleicht vierzig Fuß ein Vorsprung ragte, auf welchem mehrere mannshohe Felsenstücke lagen. Von ihm zog sich eine Reihe ähnlicher aber viel kleinerer Vorsprünge abwärts bis auf den Boden herab, mit deren Benutzung man mühsam hinaufsteigen konnte. Aber wie Old Shatterhand zu Pferde hatte hinaufkommen können, das konnte nur einem so kühnen Reiter, wie er war, erklärlich sein.

Die Schoschonen stießen Rufe des Erstaunens aus. Hätte ein anderer als Winnetou es gesagt, und wäre es nicht gerade von Old Shatterhand erzählt worden, so hätten sie den Sprecher als einen Lügner verachtet.

Ihr Häuptling schritt langsam um das Grab, maß die Dimensionen desselben und fragte sodann Winnetou:

„Wann denkt mein Bruder, daß die Sioux Ogallalla am Feuerlochflusse ankommen werden?“

„Vielleicht heut abend schon.“

„So sollen sie das Grabmal ihrer Häuptlinge zerstört finden. Der Staub derselben soll in alle Winde zerstreut und ihre Knochen sollen in das Maul der Hölle geworfen werden, damit ihre Seelen unten in der Tiefe jammern müssen mit K’un-p’a, dem vom großen Geiste Verfluchten! Nehmt eure Tomahawks und reißt den Hügel ein! Tokvi-tey, der Häuptling der Schoschonen, wird der erste dabei sein.“

Er stieg vom Pferde und ergriff seinen Tomahawk, um das Werk der Zerstörung zu beginnen.

„Halt!“ gebot da Winnetou. „Hast du die drei Toten, welche du schänden willst, erlegt?“

„Nein,“ antwortete der Gefragte verwundert.

„So laß die Hand von ihrem Grabe! Sie gehören Old Shatterhand. Er hat ihnen ihre Skalpe gelassen und sie sogar mit begraben helfen. Ein tapferer Krieger kämpft nicht mit den Knochen der Toten. Die roten Männer finden ein Wohlgefallen daran, die Gräber ihrer Feinde zu schänden; der große Geist aber will, daß die Toten ruhen sollen, und Winnetou wird ihre Gräber beschützen!“

„Du willst mir verbieten, die Hunde der Ogallalla in das Maul der Hölle zu werfen?“

„Ich verbiete dir nichts, denn du bist mein Freund und Bruder. Willst du aber Hand an dieses Grab legen, so mußt du vorher mit mir kämpfen. Tötest du mich, dann magst du thun, was dir beliebt; dann aber wird auch Old Shatterhand kommen und Rechenschaft von dir fordern. So weit aber kommt es nicht, denn Winnetou, der Häuptling der Apachen, kennt keinen, der ihn besiegen könnte. Meine Brüder haben das Grab der Häuptlinge gesehen, und werden mir nun zurück zum Lagerplatze folgen!“

Er -wendete sein Pferd und ritt davon, wieder nach dem „Maule der Hölle“ zurück. Auch dieses Mal sah er sich nicht um, ob sie ihm folgen würden oder nicht.

So hatte noch kein „Freund“ mit Tokvi-tey gesprochen. Der Schoschone war erzürnt; aber er wagte es doch nicht, dem Apachen zu widerstehen. Er brummte ein mürrisches „Ugh!“ vor sich hin und folgte ihm. Die Seinen ritten schweigend hinter ihm her. Das entschiedene Auftreten Winnetous hatte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht.

Der Abend begann hereinzubrechen, als der Apache nicht weit vom „Maule der Hölle“ hielt und vom Pferde stieg. Dort lief trotz der Nähe dieses Ortes ein kalter Quell aus dem Felsen, quer über das Thal und dann in den Fluß. Die Stelle hatte gar nichts, was sie besonders zur Lagerstätte geeignet hätte; aber Winnetou mußte wissen, warum er gerade hier und nirgends anders die Nacht zubringen wollte. Er pflockte sein Pferd an, rollte seine Santillodecke als Kopfkissen zusammen und streckte sich nahe am Felsen zur Ruhe aus. Die Schoschonen folgten seinem Beispiele.

Sie saßen leise plaudernd bei einander. Ihr Häuptling hatte sich, seinen Groll gegen Winnetou vergessend, neben diesem niedergelegt. Es wurde vollständig finster; mehrere Stunden vergingen, und es schien, daß der Apache schlafe. Da aber stand er plötzlich auf, ergriff sein Gewehr und sagte zu Tokvi-tey:

„Meine Brüder mögen ruhig liegen bleiben. Winnetou wird auf Kundschaft gehen.“

Er verschwand im Dunkel der Nacht. Die Zurückbleibenden wollten nicht schlafen, bevor sie das Ergebnis seines waghalsigen Ganges vernommen hatten; aber sie mußten lange warten, denn Mitternacht war nahe, als er zurückkehrte. Er meldete allen vernehmlich und in seiner einfachen Weise:

„Hong-peh-te-keh, der schwere Mokassin, lagert mit seinen Leuten am Teufelswasser. Er hat den Bärentöter mit dessen fünf Gefährten bei sich und auch unsere Brüder gefangen, welche uns heut in der Nacht verlassen haben. Old Shatterhand wird in der Nähe sein. Meine Brüder mögen schlafen. Winnetou wird mit Tokvi-tey sich, wenn der Morgen anbricht, noch einmal nach dem Wasser des Teufels schleichen. Howgh!“

Er legte sich nieder. Seine Nachricht war eine aufregende, doch ließ keiner sich das merken. Die Schoschonen nahmen an, daß der nächste Morgen die blutige Entscheidung bringen werde. Wer von ihnen würde am Abend noch leben? Sie fragten sich das nicht. Sie waren tapfere Krieger und – schliefen ruhig ein. Natürlich aber waren Wachen ausgestellt worden.

Noch graute der Morgen kaum, so weckte Winnetou den Häuptling der Schoschonen und schritt mit ihm am Flusse hinab. Sie waren gewohnheitsmäßig so vorsichtig, jede mögliche Deckung zu benutzen, doch wußte Winnetou, daß dies nicht eigentlich nötig sei. Die Sioux verließen jedenfalls ihren Lagerort nicht eher, als bis der Tag vollständig angebrochen war.

Vom „Maule der Hölle“ bis zum „Wasser des Teufels“ war es vielleicht eine englische Meile. Als die beiden so nahe an den letzteren Ort gelangt waren, daß nun die größte Vorsicht geboten war, hatte der Morgen sich bereits so gelichtet, daß man alles genau und deutlich erblicken konnte.

Der Fluß machte unweit des Lagers der Feinde eine Krümmung. Dort hinter der Felsenecke stehend, konnten die beiden Häuptlinge die Sioux beobachten. Diese letzteren holten eben ihre Pferde herbei, welche, wie früher erwähnt, unterhalb des Lagers getränkt worden waren, und nahmen dann ihr Mahl ein.

Winnetou richtete seinen Blick nach der Höhe des rechten Flußufers, von woher Old Shatterhand kommen mußte, wenn er sich nicht vielleicht schon diesseits befand.

„Uff !“ sagte er leise. „Old Shatterhand ist da.“

„Wo?“ fragte Tokvi-tey.

„Da droben auf dem Berge.“

„Da kann man ihn ja doch nicht sehen. Dort steht ja dichter Wald.“

„Ja, aber sieht mein Bruder denn nicht die Krähen, welche über den Bäumen schweben? Sie sind aufgestört worden. Und von wem? Nur allein von Old Shatterhand. Er wird im Walde abwärts reiten und unterhalb der Sioux, wo sie ihn nicht sehen können, über den Fluß gehen. Dann greift er sie an und treibt sie am Wasser aufwärts. Zu derselben Zeit müssen wir am „Maule der Hölle“ stehen, damit sie nicht weiter können und in das Thal des Häuptlingsgrabes getrieben werden. Mein Bruder mag schnell kommen, denn wir haben nicht viel Zeit übrig.“

Die beiden kehrten eilig zurück. Winnetou hatte im allgemeinen ganz richtig vermutet, wenn er auch das Einzelne nicht wissen konnte.

Als sie bei den Ihrigen angekommen waren, erhielten diese von dem Apachen die nötigen Weisungen und machten sich kampfbereit. Der Feind sollte zwischen zwei Feuer genommen werden.

jetzt ertönte von unten herauf ein fürchterliches Krachen.

„Das Teufelswasser erhebt seine Stimme,“ erklärte Winnetou. „Nun wird auch bald der Mund der Hölle speien. Reitet ein Stück zurück, daß es euch nicht trifft!“

Er wußte von früher, daß die beiden Krater in Verbindung miteinander standen, und wich eine genügende Strecke zurück. Er hörte bald, daß die Eruption des Teufelswassers aufgehört hatte, und infolgedessen vernahm er das Kriegsgeschrei der dreißig Schoschonen und Upsarocas, welche sich in diesem Augenblicke auf die Sioux warfen.

Was er vorausgesagt hatte, trat jetzt ein, das „Höllenmaul“ begann zu speien, gerade wie gestern gegen Abend, als er angekommen war. Unter Donnern und Zischen stieg die Wassersäule empor, und ihre oben auseinander gehenden Strahlen flossen in weitem Umkreise nieder. Dadurch entstand für Winnetou und die Seinen eine prächtige Deckung, denn die herbeistürmenden Sioux konnten nun die hinter der Riesenfontäne haltenden Schoschonen nicht sehen. Winnetou trieb sein Pferd möglichst weit zur Seite, um stromabwärts blicken zu können. Er sah die Feinde kommen, flüchtig, einer ohne Ordnung hinter oder neben dem andern, von einem geradezu panischen Entsetzen gejagt.

„Sie kommen!“ rief er. „Wenn ich das Zeichen gebe, brechen wir hinter dem speienden Maule hervor und lassen sie nicht zwischen demselben und dem Flusse aufwärts. Sie müssen links hinein in das Thal des Grabes. Aber schießt nicht. Der Schreck allein treibt sie hinein!“

jetzt waren die vordersten Sioux ganz in der Nähe. Sie wollten wirklich flußaufwärts weiter. Da aber brach Winnetou hinter der Fontäne hervor. Sein, „Jiiiiiüi!“ gellte schrill durch die Morgenluft, und die Schoschonen stimmten ein. Die Sioux sahen sich den Weg verlegt und warfen ihre Pferde eine Viertelwendung herum. Sie suchten ihre Rettung in dem Felsenkessel.

Hinter diesen ersten, vordersten Feinden zeigte sich eine dicht zusammengedrängte Gruppe von mehreren Reitern, über welche der Apache nicht sofort klug werden konnte. Es war ein aus Sioux und Weißen bestehender, in fliegendem Galopp daherfegender Knäuel. Den Kein desselben bildete der Häuptling der Ogallalla, Baumann, der Bärentöter und Hobble-Frank, der gelehrte Sachse.

Die auf die Pferde gefesselten Gefangenen hatten sich, wie bereits erwähnt, ihren Befreiern entgegengewendet. Da ertönte ein mehrstimmiger Schrei. Martin Baumann, Wohkadeh und der Neger Bob, welcher die beiden ersteren losgeschnitten hatte, hatten ihn ausgestoßen, als sie sahen, daß der Häuptling der Sioux Baumann mit sich fortriß. Frank hörte den Schrei und sah sich um. Sein Blick fiel auf den Sioux, und er erkannte, in welcher Gefahr sich sein lieber Herr befand. Er warf, trotz seiner Fesseln, nur mit Hilfe des Schenkeldruckes augenblicklich sein Pferd herum und hielt es vor dem Neger an.

„Schneide mich los, Bob! Schnell, schnell!“ rief er.

Bob gehorchte diesem Befehle. Frank warf sich vom Pferde, riß einem der beiden von Old Shatterhand erschossenen Sioux den Tomahawk aus dem Gürtel, schwang sich blitzschnell wieder in den Sattel und jagte davon, dem feindlichen Häuptlinge nach.

Bob hatte kein Pferd. Martin und Wohkadeh hätten keine Hilfe bringen können, da ihre Glieder zu sehr von den Fesseln verletzt waren. Sie konnten nur schreien. Dadurch machten sie Jemmy aufmerksam. Er blickte hinter sich und rief entsetzt seinem langen Freunde zu:

„Davy, zurück! Der Sioux entführt uns Baumann!“

Da stand Bob auch schon vor ihnen und zerschnitt ihre Fesseln. Jemmy entriß ihm das Messer und galoppierte dem Sachsen nach, Davy ohne Waffen hinter ihm her.

Jetzt brausten die Schoschonen und Upsaroca heran und vorüber, den Freunden und Feinden nach, und zu gleicher Zeit gelangte Old Shatterhand, Bobs zurückgelassenes Pferd neben sich am Zügel führend, an das diesseitige Ufer. Niemand hatte in der Verwirrung auf ihn geachtet, ihm aber war nichts entgangen.

„Hier dein Pferd und Gewehr, braver Bob,“ rief er, ihm Zügel und Büchse zuwerfend. „Befreie die noch Gefesselten; dann kommt ihr uns gemächlich nach.“

Sein vorhin abgeschossenes Gewehr während des Reitens ladend, stürmte er weiter. Er hatte bisher dazu keine Zeit gehabt, denn sofort nach den beiden Schüssen, als er überzeugt war, daß seine Kugeln getroffen hatten, war es sein Bestreben gewesen, schleunigst an das linke Ufer des Flusses zu kommen.

Nun bot die zwischen dem „Maule der Hölle“ und dem „Wasser des Teufels“ liegende Strecke dieses Ufers ein mehr als kriegerisches Bild. Sioux Ogallalla, Upsarocas, Schoschonen und Weiße schrieen aus Leibeskräften. Von den Fliehenden nahm keiner auf den andern Bedacht; jeder wollte nur sich selbst retten. Die Freunde jagten an den Feinden vorüber, ohne diese zu belästigen, denn der einzige Gedanke der ersteren war, Baumann zu befreien.

Old Shatterhand stand hoch in den Bügeln, den Stutzen übergeworfen und die Doppelbüchse in der Hand. Er war der hinterste; aber sein Pferd berührte mit dem Leibe fast die Erde, und so erreichte er die Upsarocas und fünfzehn Schoschonen.

„Langsamer!“ rief er ihnen zu, indem er an ihnen vorüberflog. „Habt nur acht, die Sioux zu treiben. Da oben hält Winnetou und läßt sie nicht vorüber. Es darf keiner entkommen. Aber tötet sie nicht!“

So ging es weiter, an Freunden und Feinden vorüber. Die Hufe seines Pferdes „verschlangen“ den Weg. Es galt, den bereits erwähnten Knäuel zu erreichen, bevor da ein Unglück geschah.

Das Pferd des kleinen Sachsen war kein edler Renner; aber Frank brüllte so entsetzlich und bearbeitete es mit dem Stiele seines Tomahawk in der Weise, daß es dahinraste, als ob es Flügel habe. Lange konnte es das freilich nicht aushalten; das war vorauszusehen.

Es gelang ihm, den Häuptling der Sioux-0gallalla einzuholen. Er trieb sein Pferd an die Seite desselben, holte mit dem Tomahawk zum Schlage aus und rief:

„Schonka, ta ha na, deh peh – Hund, komm her! Mit dir ist’s aus!“

„Tschi-ga schi tscha lehg-tscha!“ antwortete der Häuptling hohnlachend – „armseliger Zwerg! Schlag einmal zu!“

Er wendete sich zu Frank herüber und parierte dessen Hieb mit der bloßen Faust in der Weise, daß er mit derselben von unten herauf gegen die Faust des Sachsen schlug, Wodurch die Waffe aus Franks Hand geprellt wurde. Dann riß er das Messer aus dem Gürtel, um den einstigen „Forschtbeamten“ vom Pferde zu stechen.

„Frank, nehmen Sie sich in acht!“ rief Jemmy, welcher hinter ihnen sein Pferd antrieb, um heranzukommen.

„Haben Sie nur keene Angst!“ schrie der Kleine zurück. „Mich murkst so leicht kee Roter ab.“

Er hielt sein Pferd um einen Schritt zurück, so daß er nicht getroffen wurde, und schnellte sich dann mit einem kühnen Schwunge aus dem Sattel und hinüber auf das Pferd des Ogallalla, den er sofort umschlang, um ihm die Arme an den Leib zu drücken.

Der Häuptling brüllte laut auf vor Wut. Er suchte seine Arme zu befreien, aber es gelang ihm nicht, denn Frank hielt aus Leibeskräften fest.

„So ist’s recht!“ rief Jemmy. „Laß nicht los! Ich komme schon.“

„Da schputen Sie sich een bißchen! So eenen Kerl zu zerquetschen, das is keene Kleenigkeet!“

Das war natürlich alles blitzschnell geschehen, viel schneller, als man es zu erzählen vermag. Der Ogallalla hielt in der Rechten sein Messer und in der Linken den Zügel von Baumanns Pferd. Er bäumte sich im Sattel empor; er wand sich nach rechts und links – vergeblich! Er vermochte nicht, sich aus Franks Umschlingung zu befreien.

Baumann war gefesselt; er konnte nichts zu seiner Befreiung thun; aber er ermunterte Frank, fest zu halten. Dieser antwortete, obgleich er vor Anstrengung keuchte:

„Schon gut! Ich umschlängle ihn wie eene Boabab conschtrictor und laß nich eher locker, als bis die Lunge platzt.“

Der Ogallalla hatte jetzt sein Pferd nicht mehr in der Gewalt; es lief langsamer. Dadurch gelang es Jemmy, es einzuholen. Auch Davy gelangte nahe heran. Der Dicke trieb sein Pferd neben dasjenige Baumanns und durchschnitt mit Bobs Messer die Fesseln des letzteren.

„Hallo, gewonnen!“ rief er ihm zu. „Reißen Sie dem Roten die Zügel aus der Hand!“

Baumann versuchte es, hatte aber nicht die Kraft dazu. Jemmy wollte ihm das Messer geben, konnte aber nicht, denn einige vor ihnen herfliehende Sioux hatten bemerkt, in welcher Lage sich ihr Häuptling befand. Zwei von ihnen fielen den Dicken wütend an, und der dritte machte Miene, sich auf Frank zu werfen, welcher seine Arme nicht zur Verteidigung frei hatte. Da gab Davy seinem Pferde einen Fausthieb zwischen die Ohren, daß es in einigen Lançaden vorwärts schoß und er sich nun neben diesem Indianer befand. Er packte denselben am Kragen des Jagdwamses, riß ihn aus dem Sattel und schleuderte ihn auf die Erde.

„Hurra! Halleluja!“ rief der Hobble-Frank. „Das war Rettung im letzten Teele des Oogenblickes! Aberscht nun nehmen Sie rasch ooch da den Häuptling bei der Parabel, denn ich kann es nich alleene mehr dermachen!“

„Gleich!“ antwortete der Lange.

Er streckte beide Arme nach dem Roten aus, um auch ihn aus dem Sattel zu ziehen; da aber that es vor ihnen einen so fürchterlichen Knall, daß die Pferde erschrocken zurück- und aneinanderprallten. Davy hatte Mühe, sich im Sattel zu erhalten. Jemmy, welcher alle Kräfte aufbieten mußte, die beiden Roten von sich abzuwehren, wurde vom Pferde geschleudert, und Baumann, dem Bärentöter, erging es ebenso.

Die wirre Reitergruppe war jetzt vor dem Maule der Hölle angelangt; die Wasserfontaine hatte sich gesenkt und die Schlammsäule war unter der Detonation, vor welcher die Pferde scheuten, emporgestiegen. Teile der heißen, schmutzigen Masse wurden weit umhergeschleudert.

Das Pferd des Häuptlings war vor Schreck in die Häksen gesunken, raffte sich aber wieder auf und jagte, sich nach links wendend, auf den Fluß zu, gerade als Old Shatterhand die sich am Boden wälzende Gruppe erreichte.

Dieser letztere hatte zwar die Absicht, dem braven Frank zu helfen, mußte aber davon abstehen, da er sah, daß die beiden Wilden sich von ihren Pferden herab- und auf Jemmy geworfen hatten, um ihn zu töten. Der lange Davy hatte zu viel mit seinem scheu gewordenen Pferde zu thun, als daß er seinem dicken Freunde hätte beistehen können, und so sah Old Shatterhand sich gezwungen, denselben aus der Todesgefahr zu befreien. Er hielt sein Tier an, sprang ab und betäubte die beiden Ogallalla mit zwei Schlägen seines Gewehrkolbens.

Winnetou hielt mit seinen Schoschonen noch immer die zwischen dem „Maule der Hölle“ und dem Flusse liegende Strecke besetzt. Er hatte die Aufgabe, die Sioux Ogallalla hier nicht vorüber zu lassen, sondern sie in den Thalkessel des Häuptlingsgrabes zu treiben. Das war ihm gelungen. Die flüchtigen Roten hatten, als sie seine Schar erblickten, sich nach dem Thale gewendet. Der Verlauf des Erzählten war ein so ungemein schneller gewesen, daß der Apache gar nicht Zeit gefunden hatte, selbsthandelnd mit einzugreifen. Und jetzt nun wurde er durch die umhergeschleuderten Schlammmassen absolut verhindert, vorzudringen. Es gab nur einen einzigen, dessen er sich anzunehmen vermochte, den Hobble-Frank. Er sah, daß derselbe, noch immer fest hinter dem Häuptlinge sitzend und diesen mit beiden Armen umklammernd, von dem erschreckten Pferde dem Flusse entgegengetragen wurde, und zwar so rasenden Laufes, daß es für einen rettenden Helfer wohl kaum möglich war, vor der Katastrophe am Ufer anzukommen. Dennoch trieb der Apache sein Tier in dieser Richtung vorwärts, und mehrere Schoschonen folgten ihm.

Der Häuptling der Sioux erkannte, daß die Gefahr, in welche er durch die Umschlingung des kleinen Sachsen gebracht worden war, jetzt ihren höchsten Grad erreicht hatte. Wut und Angst verdoppelten seine Kräfte. Er zog seine Arme unter denen Franks hoch empor, ein gewaltiger Ellenbogenstoß nach beiden Seiten, und der Sachse mußte ihn freigeben.

„Stirb!“ brüllte der Rote und holte mit dem Messer aus, um, von vom nach hinten stoßend, dem wackern Kleinen die Klinge in den Leib zu bohren.

Dieser aber bog sich schnell so weit zur Seite, daß der Stoß fehlging. Frank hatte keine Waffe mehr. Er dachte an den Fausthieb Old Shatterhands. Mit der linken Hand den Feind an der Kehle packend, holte er mit der geballten Rechten aus und traf mit ihr die Schläfe des Ogallalla mit solcher Gewalt, daß er selbst das Gefühl hatte, als ob seine eigene Faust zerschmettert sei. Der Getroffene sank mit dem Körper nach vorn.

Aber da war auch schon der Fluß erreicht. Das Pferd schoß in einem hohen, weiten Bogen vom Ufer ab in die Flut hinein, und beide Reiter wurden über den Kopf des Tieres hinausgeschleudert.

Das Pferd fühlte sich frei. Es that einige Ruderschläge, wendete sich dann langsam um und kehrte an das Ufer zurück.

jetzt kam Winnetou dort an. Er sprang ab und legte seine Büchse an, um schußfertig zu sein, falls zwischen den beiden Abgeschleuderten ein Kampf im Wasser beginnen sollte. In diesem Falle wollte er den Ogallalla durch eine Kugel unschädlich machen.

Zunächst war von beiden nichts zu sehen. Nur Franks Amazonenhut trieb in der Nähe des Ufers. Ein Schoschone holte ihn mit Hilfe der Lanze heraus. Dann kam ein Stück weiter unten, aber ziemlich entfernt vom Ufer, der mit Federn geschmückte Schopf des Indianers zum Vorscheine. Dann tauchte in einiger Entfernung davon Frank auf. Er sah sich um, erblickte den Kopf des Wilden und schwamm in schnellen Stößen auf denselben zu. Der Rote war nicht leblos, sondern wohl nur halb betäubt. Er wollte fliehen; aber der kleine Sachse stieß wie ein raubgieriger Hecht schnell auf ihn zu, schnellte sich ihm auf den Rücken, ergriff ihn mit der Linken bei den Haaren und begann, ihm mit der rechten Faust die Seite der Stirn zu hämmern. Der Ogallalla verschwand und Frank mit ihm. Ein Strudel bildete sich über ihnen; Blasen stiegen auf, ein Arm des Sioux ließ sich sehen, um sofort wieder zu verschwinden; dann wurden die beiden Beine des „Forschtbeamten“ und die Schöße seines Frackes für einen Augenblick sichtbar – es fand ein jedenfalls entsetzliches Ringen unter dem Wasser statt. Es war für Winnetou unmöglich, in dasselbe einzugreifen. Old Shatterhand, Jemmy, Davy und Baumann erschienen am Ufer. Der erstere warf schnell Waffen und Oberkleider ab, um in das Wasser zu springen. Da aber tauchte der Hobble-Frank empor, sah sich hustend und pustend nach allen Seiten um und rief:

„Ist er noch unten?“

Er meinte natürlich den Ogallalla; er fuhr, ohne eine Antwort vom Ufer her abzuwarten, wieder in die Tiefe nieder. Als er nach wenigen Augenblicken wieder an der Oberfläche erschien, hielt er mit der Linken den besiegten Feind bei den Haaren gefaßt und kam langsam nach dem Ufer geschwommen.

Er wurde mit lautem Jubel empfangen, schrie aber noch lauter als die andern:

„Seien Sie nur schtille! Mir ist der Hut schpurlos in die Wicken gegangen. Gibt’s vielleicht unter den geehrten Anwesenden eenen, der ihn hat schwimmen sehen?“

„Nein,“ wurde ihm geantwortet.

„Das ist schtark! Soll ich etwa wegen dem Ogallalla hier meinen Schtraußfederschapoh einbüßen? Das ist doch die Geschichte gar nich wert! Och, dort sehe ich ihn merschtenteels! Der Schoschone hat ihn off dem Koppe. Dem werde ich gleich als Gerichtsvollzieher off die Treppe schteigen!“

Er eilte zu dem Indianer, um sich den Schmuck seines Hauptes geben zu lassen. Nachher erst war er bereit, von den Kameraden die Ausdrücke ihrer Anerkennung entgegen zu nehmen.

Er hatte den feindlichen Anführer besiegt und glaubte, sich als Hauptheld des heutigen Tages fühlen zu dürfen.

„Anschtrengung hat’s gekostet,“ sagte er. „Aber das ist unsereenem ganz egal. Fendi, findi, fundi, so hat Cäsar zu Suleiman Pascha gesagt, und bei mir geschieht so was mit ganz derselbigen Leichtigkeet.“

Veni vidi, vici heißt es,“ fiel Jemmy ein. „Zu Deutsch: ich kam, ich sah, ich siegte.“

„Schweigen Sie ergebenst, Herr Jakob Pfefferkorn! Schteigen Sie mal dem Roten hinten off; schpringen Sie mit ihm vom Pferd ins Wasser, und schprengen Sie ihm mal da unten den Faden des Daseins entzwee, nachhero habe ich nichts dagegen, wenn Sie ihre apothekerlateinischen Sprachmücken schpielen lassen. Eher aber nich! Was geht mich denn Ihr kam und sah und siegte an! Bei mir hat’s ja geheeßen ich schprang, ich schwamm, ich tauchte ihn unter, und das ist eben, in das echte Latein des Puma Nompilius übersetzt, mein ganz richtiges Fendi, findi, fundi!“

Jemmy lachte laut. Er hatte Lust, eine Entgegnung hören zu lassen; aber Old Shatterhand kam ihm im ernsten Tone zuvor:

„Bitte, keine solchen Streitigkeiten! Unser braver Frank hat heut bewiesen, daß er ein tüchtiger, ja ein verwegener Westmann ist. Er hat den Häuptling besiegt. Was das bedeutet, werden Sie erst später einsehen. Ihm allein werden wir es zu verdanken haben, wenn es uns nun gelingt, Blutvergießen zu vermeiden, hier, lieber Frank, haben Sie meine Hand. Sie sind ein prächtiger Kerl!“

Der Sachse ergriff die Hand des berühmten Jägers und antwortete, indem eine Freudenthräne in sein Auge trat:

„Dies Wort aus Ihrem Munde freut mich königlich. Alexander Hauboldt sagt so schön in seinem Kosmos: „Dem Helden flicht die Nachwelt Malvenkränze, und die Aurikeln blühn oft nur im Lenze.“ Wenn die schpätere Generation mal hier eenen cararischen Marmorsteen errichtet, da wird bei den Namen der anderen Schtreiter ooch der meinige mit eingemeißelt sein, und mein Geist steigt dann in schtillen Nächten nieder und freut sich, daß er nich ganz umsonst gelebt hat und in das Wasser des Feuerlochflusses geschprungen ist. Friede meiner Asche!“

Es wäre kein Wunder gewesen, wenn diejenigen der Anwesenden, welche deutsch verstanden, ihm mit einem heiteren Lachen geantwortet hätten; aber dies geschah nicht. Er war einmal ein eigenartiges Kerlchen und wirklich seelensgut. Die Rührung, welche er fühlte, teilte sich den andern mit; sie blieben ernst, und Winnetou gab ihm auch die Hand und sagte:

„Ni’nte ken ni scho – du bist ein tüchtiger Mann!“

Dann gab der Apache Old Shatterhand durch eine seiner sprechenden Handbewegungen das Zeichen, daß er ihm hier das weitere überlasse, stieg auf sein Pferd und ritt mit seinen Schoschonen am jetzt wieder ruhigen „Maul der Hölle“ vorüber nach dem Eingange des Thalkessels, in dessen Hintergrunde sich die entkommenen Sioux gesammelt hatten.

Er traf da, den Eingang bewachend, den Medizinmann der Upsarocas und Moh-aw, den Sohn des Häuptlinges der Schoschonen mit ihren Kriegern. Als der riesige Medizinmann hörte, daß sein Todfeind, der „schwere Mocassin“, besiegt am Flusse liege, jagte er schleunigst nach der betreffenden Stelle hin. Er kam gerade recht, zu sehen, daß derselbe unter Old Shatterhands Bemühung wieder zur Besinnung gelangte und sorgfältig gefesselt wurde. Er sprang vom Pferde, riß sein Messer aus dem Gürtel und rief:

„Das ist der Hund der Sioux Ogallalla, welcher mir das Ohr genommen hat. Er soll mir dafür bei lebendigem Leibe seinen Skalp geben!“

Er wollte auf ihn niederknieen, um ihm die Kopfhaut zu nehmen, wurde aber von Old Shatterhand daran verhindert. Dieser sagte:

„Der Gefangene ist das Eigentum unseres weißen Bruders Hobble-Frank. Kein anderer darf sich an ihm vergreifen.“

Es entstand ein Wortwechsel, welchen Old Shatterhand in seiner bekannten Energie siegreich beendete. Der Upsaroca zog sich, wenn auch murrend, zurück.

jetzt nun folgte eine Szene, welche jeder Beschreibung spottet. Baumann, der Bärentöter, zu dessen Befreiung der Zug unternommen worden war, hatte den Hobble-Frank an sein Herz gezogen. Beide weinten heiße Freudenthränen.

„Dir, du treuer Mensch, habe ich gewiß zum größten Teile meine Rettung zu verdanken,“ sagte der Bärentöter. „Wie aber ist es dir möglich gewesen, eine so große Schar meiner Befreier zusammenzubringen?“

Frank wies alles Verdienst von sich ab, machte ihn darauf aufmerksam, daß man jetzt keine Zeit zu langen Erzählungen und Erklärungen habe, und schloß daran, indem er flußabwärts deutete, den Fingerzeig:

„Dort kommen andere, welche viel mehr Dank verdienen als ich. Ich habe weiter nichts als meine Pflicht gethan.“

Baumann sah seine fünf Gefährten, welche mit ihm von den Sioux gefangen genommen worden waren, kommen. Vor ihnen ritten Martin, sein Sohn, Wohkadeh und Bob. Er eilte ihnen entgegen. Als der Neger seinen Herrn erblickte, sprang er vom Pferde, lief auf ihn zu, sank vor ihm auf die Knie; ergriff seine Hände und rief weinend:

„O Massa, mein lieb, gut Massa Baumann! Endlich, endlich haben Masser Bob wieder sein von Herzen geliebten Massa! Nun Masser Bob gleich gern sterben vor Wonne. Nun Masser Bob singen und springen vor Freude und platzen und zerspringen vor Entzücken! 0, Masser Bob sein froh, sein glücklich, sein selig!“

Baumann hob ihn auf und wollte ihn in die Arme ziehen. Bob aber wehrte sich dagegen und erklärte:

„Nein, Massa, nicht umarmen Masser Bob, denn Bob haben getötet schlimm Stinktier und sein noch immer nicht ganz gut von Geruch.“

„Ach was, Stinktier! Du bist zu meiner Rettung ausgezogen, und ich muß Dich umarmen!“

Nun erst ließ der entzückte Neger sich diesen Dank seines Herrn gefallen. Dann aber sanken Vater und Sohn sich in die Arme.

Die Anwesenden wendeten sich diskret ab. Die Wonne, welche diese beiden in diesem Augenblicke empfanden, war ihnen heilig.

„Mein Kind, mein Sohn!“ rief Baumann immer wieder. „Wir besitzen uns von neuem, und nichts soll uns wieder trennen. Was habe ich ausgestanden! Und was hast auch du seit gestern erduldet! Schau, wie deine Arme von den Fesseln zerschnitten sind t“

„Die deinigen noch mehr, noch viel mehr! Doch das wird wieder heilen, und du soffst bald wieder gesund und kräftig sein. jetzt mußt du vor allem denen Dank sagen, welche ihr Leben wagten, dich zu retten. Mit Wohkadeh, meinem Freunde, hast du bereits seit gestern sprechen können, mit Jemmy und Davy ebenso. Hier aber ist Old Shatterhand, der Meister unter ihnen allen. Er und Winnetou sind es, denen das Gelingen unseres Unternehmens zu verdanken ist. Unser ganzes Leben würde nicht reichen, das quitt zu machen, was wir ihnen schuldig sind.“

„Ich weiß es, mein Sohn, und es betrübt mich, daß ich jetzt nichts anderes vermag, als nur einfach Dank zu sagen.“

Er streckte Old Shatterhand beide Hände entgegen, wobei ihm noch immer die Thränen über die gebräunten, eingefallenen Wangen perlten. Old Shatterhand drückte ihm leise die von den Fesseln verwundeten Hände, zeigte dann zum Himmel empor und sagte im herzlichsten Tone:

„Danken Sie nicht den Menschen, lieber Freund, sondern danken Sie unserem Herrgott da oben, welcher Ihnen die Kraft gegeben hat, den unbeschreiblichen Jammer zu überstehen. Er ist es ja, der uns geleitet und beschützt hat, so daß wir gerade noch zur rechten Zeit hier eingetroffen sind. Uns haben Sie nicht Dank zu sagen. Wir sind nur seine Werkzeuge gewesen; zu ihm aber wollen wir alle unser Gebet emporsenden, wie es in unserem schönen, deutschen Kirchenliede heißt:

Ich rief den Herrn in meiner Not:

Ach Gott, vernimm mein Schreien! Da half mein Helfer mir vom Tod Und ließ mir Trost gedeihen. Drum dank‘, ach Gott, drum dankich dir! Ach, danket, danket Gott mit mir; Gebt unserm Gott die Ehre!“

Er hatte seinen Hut abgenommen und die Worte langsam, laut und innig wie ein Gebet gesprochen. Auch die andern hatten ihre Häupter entblößt, und als er geendet hatte, erklang aus jedem Munde ein frommes, kräftiges „Amen!“

Der am Boden liegende, gefesselte Häuptling der Sioux hatte diesen Vorgang mit staunendem Blick beobachtet. Er wußte nicht, wie er sich denselben deuten sollte. Zu seinem Vorteile jedenfalls nicht – so dachte er – denn nach seiner Ansicht war er nun unwiderruflich einem qualvollen Martertode verfallen.

Er wurde vom Boden aufgehoben, um dahin getragen zu werden, wohin sich nun alle begaben, nach dem Eingange zum Thale des Häuptlingsgrabes, wo Winnetou mit den Schoschonen und Upsarocas ihrer wartete. Dort wurde er niedergelegt.

Old Shatterhand ritt mit dem Apachen eine kleine Strecke in den Thalkessel hinein, um die Feinde und die Anordnungen, welche diese getroffen hatten, zu überblicken. Man sah, daß sie einige wenige Worte miteinander wechselten. Beide verstanden sich ja so gut, daß es langer Auseinandersetzungen zwischen ihnen gar nicht bedurfte. Dann kehrten sie zurück.

Tokvi-tey trat auf sie zu und fragte: „Was gedenken meine Brüder nun zu thun?“

„Wir wissen,“ antwortete Old Shatterhand, „daß unsere roten Brüder ebensogut eine Stimme haben wie wir. Darum werden wir die Pfeife der Beratung rauchen. Vorher aber will ich mit Hong-peh-te-keh, dem Häuptling der Sioux OgalIalla sprechen.“

Er stieg wieder vom Pferde, ebenso Winnetou. Es wurde ein Kreis um den Gefangenen gebildet. Old Shatterhand trat zu dem letzteren und sagte:

„Der schwere Moccassin ist in die Hände seiner Feinde geraten, und auch die Seinigen sind verloren, denn sie sind von den Felsen und von uns eingeschlossen. Sie vermögen nicht zu fliehen und werden von unseren Kugeln sterben, wenn der Häuptling der Ogallalla nicht etwas thut, um sie zu retten.“

Er hielt inne, um zu sehen, ob der „schwere Moccassin“ ein Wort sagen werde, da dieser aber sich geschlossenen Auges und still verhielt, so fuhr er fort:

„Mein roter Bruder mag mir sagen, ob er meine Worte verstanden hat!“

Der Rote öffnete die Augen, warf ihm einen haßerfüllten Blick zu und spuckte aus. Das war seine Antwort.

„Glaubt der Häuptling der Ogallalla ein räudiges Tier vor sich zu haben, daß er auszuspucken wagt?“

„Wakon kana – alte Frau!“ knirschte der Gefragte.

Das war eine große Beleidigung für Old Shatterhand und sämtliche Anwesende. Vielleicht hatte der Ogallalla die Absicht, den Zorn seiner Feinde so zu reizen, daß er von ihnen in vorschnellem Grimme getötet wurde und so dem langsamen Martertode entging. Aber Old Shatterhand antwortete ruhig lächelnd:

„Der schwere Moccassin ist blind geworden. Er kann einen starken Krieger nicht von einem altersschwachen Weibe unterscheiden. Darum habe ich Mitleid mit ihm.“

„Kot-o pun-krai schonka – tausend Hunde!“ zischte der Gefangene.

Es gibt fast keine größere Beleidigung für einen tapfern roten Krieger, als wenn ihm jemand versichert, daß er Mitleid mit ihm habe. Darum war der Indianer so ergrimmt über Old Shatterhands letzte Worte, daß er ihm als gleichwertige Beleidigung eine tausendfache Hündischkeit in das Angesicht schleuderte.

Einige der umstehenden Roten ließen ein zorniges Murren hören. Old Shatterhand warf ihnen einen strengen Blick zu und bückte sich dann nieder, um zu aller Erstaunen und ganz besonders zur höchsten Verwunderung des Gefangenen dessen Fesseln zu lösen.

„Der Häuptling der Ogallalla soll erkennen,“ sagte er, „daß weder ein altes Weib noch ein Hund, sondern ein Mann zu ihm redet. Er mag sich vom Boden erheben!“

Der Indianer stand auf. So sehr er gewöhnt war, seine Züge zu beherrschen, er konnte doch die Verlegenheit nicht verbergen, in welcher er sich befand. Anstatt auf seine beleidigenden Worte mit Fußtritten und Faustschlägen zu antworten, machte man ihn von den Fesseln frei! Das konnte er nicht begreifen. Er war sehr geneigt, Old Shatterhand für wahnsinnig zu halten.

„Öffnet den Kreis!“ befahl dieser den umstehenden Kriegern.

Diese traten näher zusammen, so daß der Sioux in das Innere des Thalkessels blicken konnte. Er sah die Seinen hinter dem Häuptlingsgrabe halten. An ihren Bewegungen war zu erkennen, daß sie sich lebhaft berieten. Sein Auge leuchtete auf. Er war nicht mehr gefesselt und besaß einen hohen Ruhm als unübertrefflicher Läufer. Konnte er nicht davonspringen? Im günstigen Falle erreichte er seine Sioux; im ungünstigsten wurde er erschossen, und das war doch immer besser als der Martertod.

Old Shatterhand hatte dieses Aufleuchten des Blickes gar wohl bemerkt. Er sagte:

„Der schwere Moccassin gedenkt, uns zu entfliehen. Er mag das unterlassen. Sein Name sagt uns, daß er eine große Fährte mache, unsere Füße aber sind leicht wie die Schwingen der Schwalbe, und unsere Kugeln verfehlen niemals ihr Ziel. Er mag mich anschauen und mir sagen, ob er mich kennt!“

„Hong-peh-te-keh blickt keinen lahmen Wolf an!“ knurrte der Wilde.

„Ist Old Shatterhand ein lahmes Tier? Steht dort nicht Winnetou, der Häuptling der Apachen, dessen Name berühmter ist als irgend einer der Sioux Ogallalla und aller anderen Siouxvölker?“

„Uff !“ entfuhr es dem Gefangenen.

Diese beiden Männer vor sich zu haben, hatte er nicht erwartet. Während sein Blick von dem einen zum anderen flog, zeigte sich ein nicht zu unterdrückender Ausdruck der Ehrfurcht in seinem Gesichte. Old Shatterhand fuhr fort, die, welche er nannte, mit der ausgestreckten Hand bezeichnend:

„Und noch mehrere ebenso tapfere Krieger stehen da. Der Häuptling der Ogallalla erblickt da Tokvi-tey, den Anführer der Schoschonen, und Moh-aw, seinen starken Sohn. Neben ihnen steht Kanteh-pehta, der unüberwindliche Medizinmann der Upsaroca. Da drüben erblickst du Davy-honskeh und Jemmy-petahtscheh. Soll ich dir den berühmten Namen jedes einzelnen nennen? Nein. Ich habe keine Lust dazu. Du wirst – – –“

Er hielt in seiner Rede inne, denn in diesem Augenblicke that es ganz in der Nähe einen so plötzlichen Knall, daß die Pferde sich aufbäumten und auch die sonst so furchtlosen Krieger erschraken. Ein lang gezogener, brüllender Ton, wie der meilenweit vernehmbare Schall eines Nebelhornes, erklang durch das Thal, und die Erde begann sich unter den Füßen der erschrockenen Männer zu bewegen. Aus den auf der Thalsohle zerstreuten Schlammlöchern stiegen Dämpfe auf, hier graublau, dort schwefelgelb, blutrot oder rußig dunkel. Diesen Dämpfen folgten festere Massen. Die Stellen, an denen dieselben emporgeschleudert wurden, waren gar nicht zu zählen. Die Luft war förmlich verdunkelt von höllischem Brodem und den umher- und durcheinander fliegenden Schlammgeschossen, welche einen fast erstickenden Geruch verbreiteten.

Es war unmöglich, zwanzig oder dreißig Schritte weit zu sehen. Ein jeder hatte mit sich selbst zu thun, von den heißen, ausgeworfenen Massen nicht getroffen zu werden. Es trat eine unbeschreibliche Verwirrung ein. Die Pferde rissen sich los und galoppierten davon; die Menschen schrieen und fuhren wirr durcheinander. Im Hintergrunde des Thalkessels erscholl das Angstgeheul der Sioux-Ogallalla. Auch ihre Pferde hatten sich frei gemacht und stürmten, von ihrem Instinkte geführt, dem Ausgange des Thales zu. Dabei stürzten viele von ihnen in die Löcher, deren Schlamm sich augenblicklich über ihnen schloß. An den am Ausgange des Thales haltenden Weißen und Roten vorüberjagend oder gar sich zwischen ihnen hindurch Bahn brechend, verdoppelten sie den Wirrwarr, der geradezu unbeschreiblich war.

Old Shatterhand hatte anfänglich seine Kaltblütigkeit bewahrt. Gleich bei dem ersten Knall hatte er den Häuptling der Sioux mit kräftiger Faust ergriffen, um ihn festzuhalten und an der Flucht zu hindern. Aber er hatte dann die Hand wieder von ihm lassen müssen, um vor einem der gefährlichen Fluggeschosse zur Seite zu springen. Dabei war er mit dein dicken Jemmy zusammengerannt. Dieser stürzte, wollte sich an Old Shatterhand festhalten und riß diesen mit nieder.

Und gerade jetzt kamen die Pferde der Sioux herbeigestürmt; da war es geraten, zunächst nur an sich selbst zu denken.

Der schwere Moccassin, der Häuptling der Sioux, hatte sich vor Schreck gar nicht gegen den Griff Old Shatterhands zu wehren versucht; dann aber, als er sich wieder frei fühlte, dachte er an seine Flucht. Einen schrillen, triumphierenden Schrei ausstoßend, schoß er davon, thaleinwärts zu. Aber er kam nicht weit. Er mußte an Bob vorüber. Dieser holte blitzschnell mit dem umgekehrten Gewehre aus und traf ihn mit dem Kolben an den Kopf, wurde aber durch die Gewalt des Hiebes selbst zu Boden gerissen. Er wollte sich schnell aufraffen, wurde aber von einem der scheuen Pferde getreten, so daß er wieder niedersank.

„Häuptling reißen aus! Ihm nach, ihm nach!“ brüllte er laut.

Der „schwere Moccassin“ taumelte, von Bobs Hieb halb betäubt, einige Augenblicke hin und her, dann eilte er davon, aber nicht ohne verfolgt zu werden.

Martin, der Sohn des Bärenjägers, hatte den Ruf des Negers gehört. Er sah den Häuptling fliehen und sprang demselben nach. Sollte der Peiniger seines Vaters entkommen? Nein! Die Glieder des wackeren Jünglings waren von den Fesseln verletzt; er hatte auch keinerlei Waffe bei sich; dennoch aber flog er, alle seine Kräfte einsetzend, hart hinter dem Flüchtigen her.

Dieser nahm sich gar nicht Zeit, zurückzublicken. Er glaubte sich unverfolgt und verwendete seine ganze Aufmerksamkeit auf den Weg, welchen er einzuschlagen hatte. Er wollte nach dem Kraale zu. Aber gerade in dieser Richtung lagen die meisten Schlammlöcher; er bog daher rechts ein, der Thalwand zu, um sich derselben entlang leichter und gefahrloser in Sicherheit zu bringen.

Aber er hatte sich geirrt. Auch dort gab es so viele offene dampfende und qualmende Stellen, daß er wiederholt gezwungen war, auszuweichen. Oft hatte er bereits den Fuß zum Sprunge erhoben, da bemerkte er, daß der scheinbar feste Boden eine zähflüssige, unergründlich tiefe Masse sei, deren Umarmung er nur dadurch entgehen konnte, daß er sich augenblicklich zur Seite warf. Bodenrisse öffneten sich so schnell vor ihm, daß er, da es zu spät war, anzuhalten, sich nur in weiten Sätzen, wie man sie nur in der Todesangst zu machen wagt, über sie hinweg retten konnte.

Der Häuptling war im Laufen und Springen noch von keinem überwunden worden, jetzt aber verspürte er die Folgen des Kolbenhiebes. Sein Kopf wurde schwer; vor den Augen brannte es glühend rot; die Lunge versagte ihm den Dienst, und die Beine begannen zu ermatten. Er wollte einen Augenblick ausruhen und bückte sich jetzt zum erstenmal um. Wie durch einen blutigen Nebel erkannte er, daß ein Verfolger sich ganz nahe hinter ihm befand; aber er sah nicht die Gesichtszüge desselben, sah nicht einmal, daß der Betreffende nur fast noch eine Knabe war.

Entsetzt floh der „schwere Moccassin“ weiter. Er hatte keine Waffe bei sich und hielt den Verfolger für bewaffnet. Wohin sollte er vor demselben fliehen? Vor sich, hinter sich und zur linken Hand neben sich wußte er geöffnete Schlünde, die ihn zu verschlingen drohten. Zur Rechten hatte er die senkrecht aufsteigende Felsenwand. Seine Kräfte waren fast zu Ende. Er sah sich verloren.

Da erblickte er eine stufenartige Hervorragung des Felsens, schräg über derselben eine zweite, dritte, vierte und noch mehrere. Das waren die Felsen, auf denen Old Shatterhand sich damals zu Pferde emporgerettet hatte. Hier und nur hier allein konnte auch er jetzt Rettung finden. Er strengte seine letzten Kräfte an und schnellte sich von Stufe zu Stufe höher.

Ebenso plötzlich, wie die Schlammlöcher vorhin ihre Thätigkeit begonnen hatten, hörten sie jetzt auf. Die Luft wurde klar; man konnte wieder so deutlich sehen wie vorher.

Da erklang ein lauter Angstschrei durch das Thal. Der Neger Bob war es, der ihn ausstieß.

„Massa Martin! Mein gut Massa Martin! Häuptling ihn töten wollen, Masser Bob aber ihn retten.“

Er deutete nach der bereits beschriebenen Felsenkanzel und stürzte dann eiligen Laufes auf dieselbe zu. Man sah die beiden Genannten auf Tod und Leben miteinander ringen. Der Sioux hatte Martin mit gewaltigen Armen gepackt und versuchte, ihn in die Tiefe zu schleudern. Aber er war ja ermattet und beinahe betäubt; es gelang dem gewandten, mutigen Knaben, sich ihm immer wieder zu entwinden. Bei einer solchen Gelegenheit wich Martin so weit wie möglich zurück, holte aus und rannte mit aller Macht auf den Häuptling ein. Dieser verlor das Gleichgewicht, griff konvulsivisch mit beiden Händen in die Luft, verlor den Boden unter den Füßen und stürzte, ein Angstgebrüll ausstoßend, von dem Felsen herab und in das unten gähnende Schlammloch hinein, dessen grauenvoller Rachen ihn sofort verschlang.

Das hatten alle gesehen, die sich in dem Thalkessel befanden. Im vorderen Teile desselben erscholl lautes Jubelgeschrei, im Hintergrunde dagegen das Geheul der Sioux-Ogallalla, welche hatten zusehen müssen, daß ein Knabe ihren berühmten Häuptling überwand. Das war eine nie auszulöschende Schande für sie.

All dieses Geschrei und Geheul aber wurde von Bobs Stimme durchdrungen. Der Neger schnellte von Stein zu Stein empor, unartikulierte Töne des Jubels und Entzückens ausstoßend, und riß dann, oben angekommen, den Sieger in seine Arme.

„Braver Junge!“ meinte Jemmy. „Mir hat das Herz gebebt um ihn. Ihnen nicht auch, Frank?“

„Na, mir erscht recht!“ antwortete der Sachse, sich eine Freudenthräne aus dem Auge wischend. „Ich hätte aus purer Herzensangst gleich Sirup schwitzen können. Nun aber ist alles gut. Das verwegene Kerlchen hat gesiegt, und mit den Ogallalla werden wir jetzt keenen Summs mehr machen. Wir zwingen sie, ihre Nacken unter das kulinarische Joch zu beugen.“

„Kulinarisch? Was fällt Ihnen ein? Das ist – – –“

„Schweigen Sie ergebenst!“ unterbrach der Kleine ihn in strengem Tone. „In eenem solchen Oogenblicke schtreite ich mich nicht mit Ihnen, sonst könnte es Ihnen sehr leicht ergehen wie dem Tischler mit dem Winkelmaß, den der Wolf mit samt dem ganzen Großherzogtum Polen fraß. Ich sehe es kommen, daß die Sioux sich ergeben müssen. Dann wird hier een allgemeiner Völkerfrieden geschlossen, an dem ooch wir beede teilnehmen müssen. Geben Sie mir Ihre Hand! Seid verschlungen, Millionen! Et in terra Knax!“

Er schüttelte dem über diese neue sprachliche Konfusion lachenden Dicken die Hand und eilte dann davon, um Martin Baumann, welcher mit Bob von dem Felsen herabgestiegen kam, zu beglückwünschen.

Auch die anderen thaten dies mit Ausdrücken freudigster Anerkennung. Dann wendete Old Shatterhand sich laut an die Versammelten:

„Mesch’schurs, versucht jetzt nicht, die Pferde zurückzuholen; sie sind uns sicher genug. Auch den Sioux sind die ihrigen davongegangen. Diese Leute müssen einsehen, daß sie, selbst wenn wir sie nicht hier eingeschlossen hätten, ohne ihre Tiere verloren wären. Sie können sich nur retten, indem sie sich uns ergeben. Dazu kommt der Eindruck der hier thätigen unterirdischen Gewalten, der Tod ihres Anführers und – was ich in aller Bescheidenheit sage – die Anwesenheit von Winnetou und Old Shatterhand nebst so vielen anderen berühmten Jägern und Kriegern. Bleibt hier zurück! Ich werde mich mit Winnetou zu ihnen begeben. In einer halben Stunde wird es entschieden sein, ob Menschenblut vergossen werden soll oder nicht.“

Er schritt mit dem Häuptling der Apachen dem Grabmale zu, hinter welchem sich die Sioux befanden. Das war ein außerordentlich kühner Gang, den nur zwei Männer wagen konnten, welche wußten, daß schon ihr bloßer Name den Feind in Schreck versetzen werde.

Jemmy und Davy sprachen leise miteinander. Sie beschlossen, das Beste zu thun, was sie jetzt überhaupt vornehmen konnten, nämlich die Friedensbestrebungen Old Shatterhands zu unterstützen.

Die verbündeten Indianer waren natürlich wenig geneigt, den Feind zu schonen. Der „Bärenjäger“ Baumann hatte mit seinen fünf Gefährten so Schreckliches erduldet, daß diese sechs Männer wohl auch nach Rache verlangten. Old Shatterhand aber war es zuzumuten, daß er sich jeder Grausamkeit nötigenfalls mit den Waffen widersetzen werde. Das konnte zu betrübenden Scenen führen, und dem mußte vorgebeugt werden.

Darum versammelten die beiden Freunde die Anwesenden alle um sich, und Jemmy hielt eine Rede, in welcher er seine Ansicht erklärte, daß Milde und Versöhnung das Vorteilhafteste für beide Lager sei. Es war freilich vorauszusehen, daß im Falle eines Kampfes die Sioux vernichtet würden; aber wie viele Menschenleben mußten dabei geopfert werden! Und dann war es sicher, daß sämtliche Stämme der Sioux die Kriegsbeile ausgraben würden, um sich an den Urhebern dieses ebenso unmenschlichen wie nutzlosen Blutbades zu rächen. Er schloß seine Rede mit den Worten:

„Die Schoschonen und Upsaroca sind tapfere Krieger, und kein anderer Stamm kommt ihnen gleich. Aber die Sioux sind gegen sie wie Sand in der Wüste. Wenn es zum Vergeltungskriege kommt, so werden viele Väter, Mütter, Frauen und Kinder der Schlangen- und Krähenindianer ihre Söhne, Männer und Väter beweinen. Bedenkt, daß ihr selbst euch in unseren Händen befunden habt! Old Shatterhand und Winnetou haben Tokvi-tey und seinen Sohn Moh-aw mitten aus ihrem Lager geholt und auch Oiht-e-keh-fa-wakon und den hundertfachen Donner am Baume besiegt. Wir hätten alle ihre Krieger vernichten können, haben es aber nicht gethan, denn der große Geist liebt seine Kinder und will, daß sie als Brüder einträchtig bei einander wohnen sollen. Meine roten Brüder mögen einmal versuchen, wie wohl es thut, verziehen zu haben. Ich habe gesprochen!“

Diese Rede machte einen tiefen Eindruck. Baumann war bereit, von aller Rache abzusehen; seine geretteten Gefährten stimmten ihm bei. Die Indianer gaben auch, wenn auch nur im stillen, dem Sprecher recht. Sie lebten sicher nicht mehr, wenn Old Shatterhand sie hätte vernichten wollen. Nur einer war mißvergnügt über Jemmys Worte, der Anführer der Upsaroca.

„Der schwere Moccassin hat mich verwundet,“ sagte er. „Sollen die Sioux das nicht büßen?“

„Der Moccassin ist tot. Der Schlamm hat ihn und seinen Skalp verschlungen. Du bist gerächt.“

„Aber die Ogallalla haben uns unsere Medizinen gestohlen!“

„Sie werden sie euch zurückgeben müssen. Du bist ein starker Mann und würdest viele von ihnen töten; aber der gewaltige Bär ist stolz; er verschmäht es, die kleine, feige Ratte zu zermalmen.“

Diese Vergleichung brachte die beabsichtigte Wirkung hervor. Der riesige Medizinmann fühlte sich geschmeichelt. Er war ja Sieger, mochte er seine Feinde töten oder ihnen verzeihen. Er schwieg.

Bald kehrten Old Shatterhand und Winnetou zurück, zum freudigen Erstaunen aller an der Spitze der Ogallalla, welche ihnen in einer langen Einzelreihe folgten, ihre Waffen auf einen Haufen zusammenlegten und dann still zurücktraten. Damit erklärten sie ohne alle Worte, daß sie es für unmöglich hielten, sich selbst durch den tapfersten Widerstand zu retten.

Die Beredsamkeit Old Shatterhands und Winnetous hatte diesen Sieg errungen. Die Sioux standen mit gebeugten Häuptern und betrübten Mienen da. Der Schlag war plötzlich und so gewaltig über sie gekommen, daß sie sich von ihm betäubt fühlten.

jetzt nun trat Jemmy hervor und erzählte Old Shatterhand von seiner Rede und ihrer Wirkung. Der Deutsche drückte ihm dankbar die Hand. Er war hoch erfreut darüber und rief den Ogallalla zu:

„Die Krieger der Sioux haben uns ihre Waffen übergeben, weil ich ihnen versprach, daß ihr Leben geschont werden solle. Die Bleichgesichter, Schoschonen und Upsaroca wollen ihnen noch mehr schenken als nur das Leben. Der schwere Moccassin ist tot und mit ihm die beiden Krieger, welche sich an Wohkadeh und dem Sohne des Bärenjägers vergriffen. Das mag genug sein. Die Krieger der Ogallalla mögen ihre Waffen zurücknehmen; ihre Pferde werden wir ihnen suchen helfen. Es soll Friede sein zwischen ihnen und uns. Wir wollen dort am Grabe der Häuptlinge mit ihnen der Toten gedenken, welche vor Sonnen von meiner Hand gefallen sind. Das Beil des Krieges mag zwischen ihnen und uns vergraben werden. Dann verlassen wir den Fluß des Feuerloches, um zurückzureiten nach ihren Jagdgründen, wo sie erzählen können von guten Menschen, welche es verschmähen, ihre Feinde zu töten, und von dem großen Manitou der Weißen, dessen Gebot es ist, daß seine Kinder sogar ihre Feinde lieben sollen!“

Die Sioux waren ganz starr vor Erstaunen über die glückliche Wendung ihres Schicksales. Sie getrauten sich kaum, daran zu glauben; als sie aber ihre Waffen zurückerhielten, stürmten sie voller Dankbarkeit auf den berühmten Jäger ein.

Auch der Medizinmann gab sich bald zufrieden, als er erfuhr, daß alle geraubten Medizinen noch vorhanden seien. Sie wurden den Upsaroca, zurückgegeben.

Die Pferde hatten sich nicht weit entfernt. Es war leicht, sie einzufangen. Dann wurden die beiden von Old Shatterhand erschossenen Sioux herbeigeholt und in der Nähe der Häuptlinge begraben.

Der Tag wurde mit ernsten Leichenfeierlichkeiten verbracht und dann verließen die Leute alle das ungesunde Thal, um den gesünderen Wald aufzusuchen, in welchem man sich von den gehabten Anstrengungen erholen wollte.

Als dann am Abend die Lagerfeuer brannten und Freunde und Feinde versöhnt bei einander saßen, um sich befriedigt über die erlebten Abenteuer zu unterhalten, sagte Frank zu Jemmy:

„Das Beste von unserem Drama ist der Schluß. Vergeben und vergessen. Ich bin mein Lebtage keen großer Freund von Mord und Totschlag gewesen, denn was du nich willst, daß man dir thu, das trau auch keenem Andern zu und laß den armen Warrn in Ruh, denn er fühlt’s grade so wie du ! Wir haben gesiegt; wir haben den Göttern gezeigt, daß wir Helden sind, und nun bleibt nur noch eens zu thun. Wollen Sie?“

„Ja, was denn?“

„Was sich liebt, das neckt sich. Wir haben uns schtets nur deshalb gekampelt, weil wir uns eegentlich von Herzen gut sind. Wollen uns also unsere Liebe geschtehen und Brüderschaft miteinander machen. Da, schlag ein, alter Schwede! Topp?“

„Ja, topp, topp und zum drittenmale topp!“

„Schön! jetzt bin ich befriedigt und weeß, daß der Heemritt ohne Schtörung unserer sympathetischen Disharmonie schtattfinden wird. Endlich, endlich ist er in Erfüllung gegangen, der schöne Versch aus der Freude, schöner Götterfunken:

Deine Zauber binden wieder,
Was der Unverschtand geteelt;
Frank und Jemmy sind nun Brüder;
Unsre Feindschaft ist geheelt!“

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Bloody Fox

Der Geist der Llano Estakata

Bloody-fox

Zwei Männer kamen am Wasser dahergeritten, ein Weißer und ein Neger. Der erstere war sehr eigentümlich gekleidet. Er trug indianische Schuhe und Lederhosen, dazu einen einst dunkelblau gewesenen, jetzt aber sehr verschossenen Frack, mit Patten, hohen Achselpuffen und blank geputzten Messingknöpfen. Die langen Schöße hingen flügelartig rechts und links an den Seiten des Pferdes hernieder. Auf dem Kopfe saß ein riesiger, schwarzer Amazonenhut, welchen eine gelb gefärbte, unechte Straußenfeder schmückte. Bewaffnet war der kleine schmächtige Mann mit einer Doppelbüchse, welche ihm über die Schulter hing, mit einer Messer und zwei Revolvern, die er im Gürtel trug. An dem letzteren hingen mehrere Beutel, wohl zur Aufnahme der Munition und allerhand notwendiger Kleinigkeiten bestimmt; jetzt aber schienen sie ziemlich leer zu sein.

Der Schwarze war eine riesige, breitschulterige Figur. Auch er trug Mokassins und dazu indianische Leggins von jener Art, welche aus zwei voneinander getrennten Hosenbeinen bestehen, so daß man eigentlich Haut gegen Haut auf dem Pferde sitzt. Das ist aber freilich nur dann von Vorteil, wenn man ohne Sattel reitet. Zu dieser Bekleidung des Unterkörpers wollte freilich diejenige des Oberkörpers nicht recht passen, denn sie bestand aus dem Waffenrocke eines französischen Dragoneroffiziers. Dieses Kleidungsstück war wohl bei der französischen Invasion nach Mexiko gekommen und hatte sich dann auf unbekannten Umwegen auf den Leib des Schwarzen verirrt. Der Rock war dem herkulischen Neger viel zu kurz und viel zu eng; er konnte nicht zugeknöpft werden, und darum konnte man die breite, nackte Brust des Reiters sehen, welcher wohl deshalb kein Hemd trug, weil es im Westen keine Wäscherinnen und Plätterinnen gibt. Dafür aber hatte er ein großes, rot und weiß kariertes Tuch um seinen Hals gebunden und vom zu einer riesigen Schleife zusammengezipfelt. Der Kopf war unbedeckt, damit man die unzähligen kleinen, fettglänzenden Löckchen, die er sich anfrisiert hatte, sehen und bewundern könne. Bewaffnet war der Mann auch mit einem Doppelgewehre, außerdem mit einem Messer, einem irgendwo entdeckten Bajonette und einer Reiterpistole, deren Geburtsjahr jedenfalls auf Anno Tobak zu setzen war.

Beritten waren beide gut. Es war den Pferden anzusehen, daß heute ein weiter Weg hinter ihnen liege, und doch schritten sie noch so munter und kräftig aus, als ob sie ihre Reiter kaum stundenlang getragen hätten.

Die Ufer des Baches waren saftig grün bewachsen, doch nur in einer gewissen Breite. Über dieselbe hinaus gab es dürre Yuccas, fleischige Ajaren und vertrocknetes Bärengras, dessen wohl 15 Fuß hohe Stengel verblüht waren.

„Schlechte Gegend!“ sagte der Weiße. „Im Norden hatten wir es besser. Nicht wahr, Bob?“

Yes,“ antwortete der Gefragte. „Massa Frank haben recht. Hier es Masser Bob nicht sehr gefallen. Wenn nur bald an Helmers Home kommen, denn Masser Bob haben Hunger wie ein Walfisch, welcher Haus verschlingt.“

„Der Walfisch kann kein Haus verschlingen,“ erklärte Frank dem Schwarzen, „denn seine Gurgel ist zu eng dazu.“

„Mag Gurgel aufmachen, wie Masser Bob sie aufmacht, wenn er ißt! Wie weit es noch sein bis Helmers Home?“

„Das weiß ich nicht genau. Nach der Beschreibung, welche uns heute früh gemacht wurde, müssen wir bald am Ziele sein. Schau, kommt dort nicht ein Reiter?“

Er deutete nach rechts über das Wasser hinüber. Bob hielt sein Pferd an, legte die Hand über die Augen, um sie gegen die im Westen tiefstehende Sonne zu beschatten, öffnete nach seiner Weise den Mund sehr weit, um noch besser sehen zu können, und antwortete nach einer Weile:

„Ja, es sein ein Reiter, ein kleiner Mann, auf großem Pferd. Er kommen hierher zu Masser Bob und Massa Frank.“

Der Reiter, von welchem die Rede war, kam in scharfem Trabe herbei, hielt aber nicht auf die beiden zu, sondern schien ihnen vom quer über ihre Richtung kommen zu wollen. Er that gar nicht so, als ob er sie sehe.

„Sonderbarer Kerl!“ brummte Frank. „Hier im wilden Westen ist man doch froh, einen Menschen zu sehen; diesem scheint aber gar nichts an unserer Begegnung zu liegen. Entweder ist er ein Menschenfeind, oder hat er kein gutes Gewissen.“

„Soll Masser Bob ihn einmal rufen?“

„Ja, rufe ihn. Deine Elefantentrompete wird er eher hören, als mein Zephyrsäuseln.“

Bob hielt beide Hände hohl an den Mund und schrie aus vollem Halse:

„Hallo, hallo! Halt, warten! Warum ausreißen vor Masser Bob!“

Der Neger hatte allerdings eine Stimme, welche ganz geeignet war, einen Scheintoten in das Leben zurückzubringen. Der Reiter parierte sein Pferd. Die beiden beeilten sich, ihn zu erreichen.

Als sie in seine Nähe gelangten, erkannten sie, daß sie keinen Mann von kleiner Statur, sondern einen kaum dem Knabenalter entwachsenen Jüngling vor sich hatten. Er war genau so wie die bekannten kalifornischen Cow-boys ganz in Büffelkuhleder gekleidet, und zwar in der Weise, daß alle Nähte mit Fransen versehen waren. Auf dem Kopfe trug er einen breitkrempigen Sombrero. Eine breite, rotwollene Schärpe umschlang statt des Gürtels seine Hüften und hing an seiner linken Seite herab. In dieser Schärpe steckten ein Bowiemesser und zwei mit Silber ausgelegte Pistolen. Quer vor sich auf den Knieen hielt er eine schwere, doppelläufige Kentuckybüchse, und vorn zu beiden Seiten des Sattels waren nach mexikanischer Weise Schutzleder angebracht, um die Beine zu bedecken und vor Pfeilschüssen oder Lanzenstößen zu bewahren.

Sein Gesicht war von der Sonne tief gebräunt und trotz seiner Jugend von Wind und Wetter gegerbt. Von der linken Seite der Stirn ging ihm eine blutrote, zwei Finger breite Wulst quer bis auf das rechte Auge herab. Das gab ihm ein äußerst kriegerisches Aussehen. Überhaupt machte er keineswegs den Eindruck eines jungen, unerwachsenen und unerfahrenen Menschen. Die schwere Büchse so leicht in der Hand, als ob sie ein Federkiel sei, das dunkle Auge groß und voll auf die beiden gerichtet, saß er stolz und fest wie ein Alter auf dem Pferde, welches sich unter ihm nicht bewegen zu können schien.

Good day, my boy!“ grüßte Frank. „Bist du in dieser Gegend bekannt?“

Very well,“ antwortete er, indem er ein leises, ironisches Lächeln sehen ließ, wohl darüber, daß der Frager ihn du genannt hatte.

„Kennst du Helmers Home?“

Ay!

„Wie lange reitet man noch bis hin?“

„Je langsamer, desto länger.“

Zounds! Du scheinst sehr kurz angebunden zu sein, mein Junge!“

„Weil ich kein Mormonenpfarrer bin.“

„Ach so! Dann entschuldige! Du zürnst mir wohl, daß ich dich du genannt habe?“

„Fällt mir nicht ein! Mit der Anrede mag es ein jeder halten, wie er will, nur muß er sich dann auch die meinige gefallen lassen.“

„Schön! So sind wir also einig. Du gefällst mir sehr. Hier ist meine Hand. Nenne mich auch du und antworte mir nun aber, wie es sich schickt und gehört. Ich bin hier fremd und muß nach Helmers Home. Hoffentlich zeigst du mir nicht einen falschen Weg.“

Er reichte dem Jünglinge die Hand hinüber. Dieser drückte sie ihm, überflog Frack und Amazonenhut mit einem lächelnden Blicke und antwortete:

„Ein Schuft, wer andere in die Irre führt! Ich habe es an mir erfahren! Ich reite soeben nach Helmers Home. Wenn ihr mir folgen wollt, so kommt!“

Er setzte sein Pferd wieder in Bewegung und die beiden folgten ihm, vom Bache abbiegend, so daß der Ritt nunmehr nach Süd gerichtet war.

„Wir wären dem Wasser gefolgt,“ bemerkte Frank.

„Es hätte euch auch zu dem alten Helmers geführt,“ antwortete der Knabe, „aber in einem sehr weiten Bogen. Anstatt in drei Viertelstunden wäret ihr in zwei Stunden bei ihm angekommen.“

„So ist es ja sehr gut, daß wir dich getroffen haben. Kennst du den Besitzer dieses Settlements?“

„Sogar sehr gut.“

„Was ist er für ein Mann?“

Die beiden Reiter hatten ihren jungen Wegweiser in die Mitte genommen. Er warf einen forschenden Blick auf sie und antwortete:

„Wenn ihr kein gutes Gewissen habt, so geht nicht zu ihm, sondern kehrt lieber um.“

„Warum?“

„Er hat ein sehr scharfes Auge für jede Schuftigkeit und hält sehr streng auf ein reines Haus.“

„Das gefällt mir von dem Manne. Wir haben also nichts von ihm zu befürchten.“

„Wenn ihr brave Kerls seid, nein. Dann ist er ganz im Gegenteile euch zu jedem Dienste erbötig.“

„Ich höre, daß er einen Store führt?“

„Ja, aber nicht um des Gewinnes halber, sondern nur um den Westmännern, welche bei ihm verkehren, gefällig zu sein. Er führt in seinem Laden alles, was ein Jäger braucht, und er verkauft es zum billigstmöglichen Preise. Aber einer, der ihm nicht gefällt, wird selbst für teures Geld nichts von ihm erhalten.“

„So ist er ein Original?“

„Nein, aber er bemüht sich auf alle Weise, jenes Gelichter von sich fern zu halten, welches den Westen unsicher macht. Ich brauche ihn euch gar nicht zu beschreiben. Ihr werdet ihn schon kennen lernen. Nur eins will ich euch noch von ihm sagen, was ihr freilich nicht verstehen und worüber ihr sogar wohl lachen werdet: Er ist ein Deutscher von echtem Schrot und Korn. Damit ist alles gesagt.“

Frank stand in den Bügeln auf und rief:

„Was? Das soll ich nicht verstehen? Darüber soll ich sogar lachen? Was fällt dir ein! Ich freue mich sogar königlich darüber, hier am Rande der Llano estakata einen Landsmann zu finden.“

Das Gesicht des Führers war ein sehr ernstes; selbst sein zweimaliges Lächeln war so gewesen, als ob er wirklich zu lachen gar nicht verstehe. Jetzt blickte er mit milden, freundlichen Augen zu Frank herüber und fragte:

„Wie? Ein Deutscher bist du? Ist’s wahr?“

„Jawohl! Natürlich! Siehst du mir das denn nicht sofort an?“

„Nein! Du sprichst das Englische nicht wie ein Deutscher und hast ganz genau das Aussehen eines Yankee-Onkels, welcher von seinen sämtlichen Neffen zum Fenster hinausgeworfen worden ist.“

Heavens! Was fällt dir ein! Ich bin ein Deutscher durch und durch, und wer das nicht glaubt, dem renne ich die Flinte durch den Leib!“

„Dazu genügt das Messer auch. Aber wenn es so ist, so wird der alte Helmers sich freuen, denn er stammt auch von drüben herüber.“

„Aus Deutschland?“

„Ja, und er hält gar große Stücke auf sein Vaterland und seine Muttersprache.“

„Das glaube ich! Ein Deutscher kann beide nie vergessen. Nun freue ich mich doppelt, nach Helmers Home zu kommen. Eigentlich konnte ich mir denken, daß er ein Deutscher ist. Ein Yankee hätte sein Settlement Helmers Range oder so ähnlich genannt; aber Helmers Home, dieses Namens wird sich nur ein Deutscher bedienen. Wohnst du in seiner Nähe?“

„Nein! Ich habe weder eine Range noch eine Home als mein Eigentum. Ich bin wie der Vogel in der Luft oder wie das Tier im Walde.“

„Also ein armer Teufel?“

„Ja!“

„Trotz deiner Jugend! Hast du keine Eltern?“

„Keinen einzigen Verwandten.“

„Aber einen Namen besitzest du!“

„Ja freilich. Man nennt mich Bloody-fox.“

„Bloody-fox? Das deutet auf ein blutiges Ereignis.“

„Ja, meine Eltern wurden mit der ganzen Familie und der sämtlichen Gesellschaft ermordet, drin in der Llano estakata; nur ich allein bin übrig geblieben. Man fand mich mit klaffendem Schädel. Ich war ungefähr acht Jahre alt.“

„Herrgott! Dann bist du wirklich das, was ich sagte, ein armer Teufel. Man überfiel euch, um euch auszurauben?“

„Ja, natürlich.“

„So rettetest du nichts als das Leben, deinen Namen und die schreckliche Erinnerung!“

„Nicht einmal das. Helmers fand mich im Kaktus liegen, nahm mich auf das Pferd und brachte mich heim zu sich. Ich habe monatelang im Fieber gelegen, und als ich erwachte wußte ich nichts mehr, gar nichts mehr. Ich hatte selbst meinen Namen vergessen, und ich kann mich selbst heute noch nicht auf denselben besinnen. Nur der Augenblick des Überfalls ist mir klar im Gedächtnisse geblieben. Ich wäre glücklicher, wenn auch das mir entschwunden wäre, denn dann würde nicht das heiße Verlangen nach Rache mich wieder und immer wieder durch die schreckliche Wüste peitschen.“

„Und warum hat man dir den Namen Bloody-fox gegeben?“

„Weil ich über und über mit Blut bedeckt gewesen bin und während meiner Fieberphantasien oft den Namen Fuchs genannt habe. Man hat daraus schließen zu müssen geglaubt, daß er der meinige sei.“

„So wären deine Eltern also Deutsche gewesen?“

„Jedenfalls. Denn ich verstand, als ich wieder zu mir kam, kein englisches und auch kein deutsches Wort. Ich konnte mich überhaupt gar keiner Sprache bedienen. Aber während ich das Englische eben langsam lernte, wie einer, der es noch nicht kann, wurde mir das Deutsche so schnell, ja so plötzlich geläufig, daß ich es unbedingt schon vorher gesprochen haben mußte. Helmers ist mir wie ein Vater gewesen. Er wohnte damals noch nicht in seinem jetzigen Settlement. Aber es hat mich nicht bei ihm gelitten. Ich habe hinaus gemußt in die Wildnis wie der Falke, dem die Geier die Alten zerrissen haben, und der nun um die blutige Stätte kreisen muß, bis es ihm gelingt, auf die Mörder zu stoßen. Sein scharfes Auge muß und wird sie entdecken. Mögen sie hundertmal stärker sein als er, und mag er sein Leben geben müssen, er wird es gern verlieren, denn sein Tod wird auch der ihrige sein!“

Er knirschte hörbar mit den Zähnen und nahm sein Pferd so scharf in die Zügel, daß es hoch empor stieg.

„So hast du die Schmarre auf der Stirn von damals her?“ fragte Frank.

„Ja,“ antwortete er finster. „Doch, sprechen wir nicht weiter davon! Es regt mich zu sehr auf, und dann müßt ihr gewärtig sein, ich stürme von euch fort und lasse euch allein nach Helmers Home reiten.“

„Ja, sprechen wir lieber von dem Besitzer desselben. Was ist er denn drüben im alten Lande gewesen?“

„Forstbeamter. Ich glaube, Oberförster.“

„Wie – wa – wa – was!“ rief Frank. „Ich auch!“

Bloody-fox machte eine Bewegung der Überraschung, betrachtete sich den Sprecher abermals genau und sagte dann:

„Du auch? Das ist ja ein höchst erfreuliches Zusammentreffen!“

„Ja, ich habe ganz dieselbe Karriere gehabt. Aber wenn er die schöne Anstellung eines Oberförsters gehabt hat, warum hat er sie denn aufgegeben?“

„Aus Ärger. Ich glaube, die betreffende Waldung befand sich im Privatbesitz, und sein Patron war ein stolzer, rücksichtsloser und jähzorniger Herr. Beide sind auf- und auseinander geraten, und Helmers hat ein schlechtes Zeugnis erhalten, so daß er keine Wiederanstellung fand. Da ist er denn so weit wie möglich fortgegangen. Siehst du da drüben das Rot- und Schwarzeichengehölz?“

„Ja!“ antwortete Frank, indem er in die angegebene Richtung blickte.

„Dort treffen wir wieder auf den Bach, und hinter dem Walde beginnen Helmers Felder. Bisher hast du mich ausgefragt; nun will einmal ich einige Erkundigungen aussprechen. Wird nicht dieser brave Neger Sliding-Bob genannt?“

Da that Bob im Sattel einen Sprung, als ob er sich vom Pferde schnellen wolle.

„Ah! oh!“ rief er. „Warum schimpfen Massa Bloody-fox gut, brav Masser Bob?“

„Nicht schimpfen und nicht beleidigen will ich dich,“ antwortete der Jüngling. „Ich glaube, ich bin ein Freund von dir.“

„Warum da nennen Masser Bob grad so, wie haben Indianer ihn genannt, weil Masser Bob damals immer rutschen von Pferd herab! jetzt aber Masser Bob reiten wie ein Teufel!“

Um zu zeigen, daß er die Wahrheit gesagt habe, gab er seinem Pferde die Sporen und galoppierte davon, gerade auf das erwähnte Gehölz zu. Auch Frank war über die Frage des jungen Mannes erstaunt.

„Du kennst Bob?“ sagte er. „Das ist doch beinahe unmöglich!“

„O nein! Ich kenne auch dich.“

„Das wäre! Wie heiße ich denn?“

„Hobble-Frank.“

Good lack! Das ist richtig! Aber, Boy, wer hat dir das gesagt? Ich bin doch all mein Lebtag noch nicht hier in dieser Gegend gewesen.“

„O,“ lächelte der Jüngling, „man wird doch einen so berühmten Westmann kennen, wie du bist.“

Frank blies sich auf, daß ihm der Frack zu eng werden wollte, und sagte:

„Ich? berühmt? Auch das weißt du schon?“

„Ja!“

„Wer hat es dir gesagt?“

„Ein früherer Bekannter von mir, Jakob Pfefferkorn, welcher gewöhnlich nur der dicke Jemmy genannt wird.“

„Alle Wetter! Mein Spezial! Wo hast du den getroffen?“

„Vor einigen Tagen eben am Washita Fork. Er erzählte mir, daß ihr euch verabredet habt, euch hier in Helmers Home zu treffen.“

„Das ist richtig. Kommt er denn?“

„Ja! Ich bin eher aufgebrochen und komme direkt von oben herunter. Er wird jedenfalls bald nachfolgen.“

„Das ist herrlich; das ist prächtig! Also er hat dir von uns erzählt?“

„Er hat mir eueren ganzen Zug nach dem Yellowstone berichtet. Als du mir vorhin sagtest, daß du auch Forstmann gewesen seist, wußte ich sogleich, wen ich vor mir habe.“

„So wirst du mir nun glauben, daß ich ein guter Deutscher bin?“

„Nicht nur das bist du, sondern ein guter, herzensbraver Kerl überhaupt,“ lächelte der junge Mann.

„So hat der Dicke mich also nicht schlecht gemacht?“

„Ist ihm gar nicht eingefallen! Wie könnte er seinen braven Frank verleumden!“

„Ja, weißt du, wir haben uns zuweilen ganz außerordentlich über Dinge gestritten, welche zu begreifen eine Gymnasialbildung nicht ganz hinreichend ist. Er hat aber glücklicherweise eingesehen, daß wir einander überlegen sind, und so kann es nun auf der ganzen Welt keine besseren Freunde, als uns, geben. – Aber da ist Bob, und da ist das Gehölz. Wie nun weiter?“

„Über den Bach hinüber und zwischen den Bäumen hindurch; das ist die genaue Richtung. Reiter, wie Bob einer ist, brauchen keinen gebahnten Weg.“

„Ja, richtig!“ stimmte der Neger stolz bei. „Massa Bloody-fox haben sehen, daß Masser Bob reiten wie ein Indianer. Masser Bob machen mit durch dick und dünn.“

Sie setzten über das Wasser, ritten durch das Wäldchen, woran kein Unterholz sie hinderte, und kamen dann zwischen eingezäunten Mais-, Hafer- und Kartoffelfeldern hindurch.

Hier gab es stellenweise den fruchtbaren, schwarzen Sandboden des texanischen Hügellandes, welcher reiche Ernten gibt. Das Wasser des Baches erhöhte den Wert des Settlementes und floß ganz nahe an dem Wohnhause vorüber, hinter welchem sich die Stallungen und Wirtschaftsgebäude befanden.

Das Haus war aus Stein gebaut, lang, tief und ohne Oberstock, doch enthielten die Giebelseiten je zwei kleine Dachstuben. Vor der Thüre standen vier riesige Postoaks mit bis zur Spitze kerzengeraden Stämmen, von welchen weitschattende Äste ausgingen, unter denen mehrere einfache Tische und Bänke angebracht waren. Man sah es auf den ersten Blick, daß rechts vom Eingange der Wohnraum, und links von demselben der von Bloody-fox erwähnte Laden lag.

An einem der Tische saß ein ältlicher Mann, welcher, die Tabakspfeife im Munde, den drei Ankömmlingen forschend entgegenblickte. Er war von hoher, derber Gestalt, wetterhart im Gesicht, welches ein dichter Vollbart umrahmte, ein echter Westmann, dessen Händen es anzusehen war, daß sie wenig geruht, aber viel geschafft und gearbeitet hatten.

Als er den Führer der beiden Fremden erkannte, stand er auf und rief ihm bereits von weitem entgegen:

Welcome, Bloody-fox! Lässest du dich endlich wieder einmal sehen? Es gibt Neuigkeiten.“

„Von woher?“ fragte der Jüngling.

„Von da drüben.“

Er deutete mit der Hand nach Westen.

„Was für welche? Gute?“

„Leider nicht. Es hat wahrscheinlich wieder einmal Hyänen in den Plains gegeben.“

Die Llano estakata wird nämlich von dem englisch sprechenden Amerikaner Staked Plain genannt. Beide Bezeichnungen haben aber ganz denselben wörtlichen Sinn.

Diese Nachricht schien den jungen Mann förmlich zu elektrisieren. Er schwang sich aus dem Sattel, trat schnell auf den Mann zu und sagte:

„Das mußt du mir sofort erzählen!“

„Es ist wenig genug und läßt sich sehr bald sagen. Vorher aber wirst du doch so höflich sein, diesen beiden Gentlemen mitzuteilen, wer ich bin.“

„Das ist ebenso bald gesagt. Du bist Master Helmers, der Besitzer dieser Farm, und diese Herren sind gute Freunde von mir, Master Hobble-Frank und Masser Sliding-Bob, die dich aufsuchen wollen, um vielleicht etwas von dir zu kaufen.“

Helmers betrachtete die beiden Genannten und bemerkte:

„Will sie erst kennen lernen, ehe ich mit ihnen handle. Habe sie noch nie gesehen.“

„Du kannst sie ruhig bei dir aufnehmen; ich habe sie ja meine Freunde genannt.“

„Im Ernste oder aus Höflichkeit?“

„In vollem Ernste.“

„Nun, dann sind sie mir willkommen.“

Er streckte Frank und auch dem Neger die Hand entgegen und lud sie ein, sich niederzusetzen.

„Erst die Pferde, Sir,“ sagte Frank. „Ihr wißt ja, was die erste Pflicht eines Westmanns ist.“

„Wohl! Aus eurer Sorge für die Tiere ersehe ich, daß ihr brave Bursche seid. Wann wollt ihr wieder fort?“

„Wir sind vielleicht gezwungen, einige Tage hier zu bleiben, da wir gute Kameraden erwarten.“

„So führt die Pferde hinter das Haus, und ruft nach Herkules, dem Neger. Der wird euch in allem gern zu Diensten sein.“

Die beiden folgten dieser Aufforderung. Helmers blickte ihnen kopfschüttelnd nach und sagte zu Bloody-fox:

„Sonderbare Kerle hast du mir da gebracht! Einen französischen Rittmeister mit schwarzer Haut und einen Gentleman von vor fünfzig Jahren mit ostrich-feather-hat. Das fällt selbst hier im fernen Westen auf“

„Laß dich nicht irre machen, Alter! Ich will dir nur einen einzigen Namen nennen; dann wirst du ihnen trauen. Sie sind gute Bekannte von Old Shatterhand, den sie hier erwarten.“

„Was? Wirklich?“ rief der Farmer. „Old Shatterhand will nach Helmers Home kommen?“

„Ja, gewiß!“

„Von wem hast du das? Von den beiden?“

„Nein, sondern von dem dicken Jemmy Pfefferkorn.“

„Auch den hast du getroffen? Ich bin ihm nur zweimal begegnet, möchte ihn aber gern einmal wiedersehen.“

„Das wirst du bald. Er kommt auch hierher. Er gehört zu der Gesellschaft, welche die beiden bei dir erwarten.“

Helmers sog schnell einigemal an seiner Pfeife, die ihm ausgehen wollte; dann rief er, indem sein Gesicht vor Freude glänzte:

„Welch eine Nachricht! Old Shatterhand und der dicke Jemmy! Das ist eine Freude und eine Ehre, die ich zu würdigen weiß. Ich muß nun gleich zu meinem alten Bärbchen laufen, um ihr mitzuteilen, daß ––“

„Halt!“ unterbrach Bloody-fox den Farmer, indem er ihn, der forteilen wollte, am Arme festhielt, „erst will ich hören, was sich dort auf den Plains begeben hat!“

„Ein Verbrechen natürlich,“ antwortete Helmers, indem er sich wieder zu ihm wandte. „Wie lange warst du nicht bei mir?“

„Fast zwei Wochen.“

„So hast du auch die vier Familien nicht bei mir gesehen, welche über die Llano wollten. Sie sind seit über einer Woche fort von hier, aber nicht drüben angekommen. Burton, der Trader, ist von drüben herüber. Sie müßten ihm begegnet sein.“

„Sind die Pfähle in Ordnung gewesen?“

„Eben nicht. Hätte er die Wüste nicht seit zwanzig Jahren so genau kennen gelernt, so wäre er verloren.“

„Wo ist er hin?“

„Er liegt eben in der kleinen Stube, um sich auszuruhen.

Er war bei seiner Ankunft halb verschmachtet, hat aber trotzdem nichts genossen, um nur gleich schlafen zu können.“

„Ich muß zu ihm. Ich muß ihn trotz seiner Müdigkeit wecken. Er muß mir erzählen!“

Der junge Mann eilte ganz erregt fort und verschwand im Eingange des Hauses. Der Farmer setzte sich wieder nieder und rauchte seine Pfeife weiter. Mit der Verwunderung über die Eilfertigkeit des Jünglings fand er sich durch ein leichtes Kopfschütteln ab; dann nahm seine Miene den Ausdruck behaglicher Genugthuung an. Der Grund derselben war sehr leicht aus den Worten zu erkennen, welche er vor sich hin murmelte:

„Der dicke Jemmy! Hm – – – ! Und gar Old Shatterhand! Hm – – – ! Und solche Männer bringen nur tüchtige Kerls mit! Hm – – – ! Es wird eine ganze Gesellschaft kommen! Hm – – – ! Aber ich wollte es doch meinem Bärbchen sagen, daß – – –“

Er sprang auf, um die erfreuliche Neuigkeit seiner Frau mitzuteilen, blieb aber doch stehen, denn soeben kam Frank um die Ecke des Hauses auf ihn zu.

„Nun, Master, habt Ihr den Neger gefunden?“ fragte ihn Helmers.

„Ja,“ antwortete Frank. „Bob ist bei ihm, und so kann ich ihnen die Pferde überlassen. Ich muß vor allen Dingen wieder zu Euch, um Euch zu sagen, wie sehr ich mich freue, daß ich einen Kollegen gefunden habe.“

Er sprach englisch. Es war überhaupt bisher alles in englischer Sprache gesprochen worden.

„Einen Kollegen?“ fragte der Farmer. „Wo denn?“

„Hier! Euch meine ich natürlich.“

„Mich? Wieso?“

„Nun, Bloody-fox hat mir gesagt, daß Ihr Oberförster gewesen seid.“

„Das ist richtig.“

„So sind wir also Kollegen, denn auch ich bin ein jünger der Forstwissenschaft gewesen.“

„Ah! Wo denn, mein Leber?“

„In Deutschland, in Sachsen sogar.“

„Was! In Sachsen? So sind Sie ein Deutscher? Warum sprechen Sie da englisch! Bedienen Sie sich doch Ihrer schönen Muttersprache!“

Dies sagte Helmers deutsch, und sofort fiel Hobble-Frank ein:

„Mit größtem Vergnügen, Herr Oberförschter! Wenn es sich um meine angeschtammte Mutterschprache handelt, dann mache ich keene Schperrenzien, sondern gehe off der Schtelle mit droff ein. Sie werden es sofort der Reenheit oder der Reinheet meines syntaxischen Ausdruckes anhören, daß ich in derjenigen Gegend Deutschlands existiert habe, in welcher bekanntlich das gelenkigste und hochgeläutertste Deutsch geschprochen wird, nämlich in Moritzburg, bei der Residenzschtadt Dresden, wissen Sie, wo das Schloß mit dem Bildnisse Augusts des Schtarken und den berühmten Karpfenteichen sich befindet. Ich begrüße Sie also im Namen der edlen Forschtkultur und hoffe, Sie sehen es sofort ein, daß Sie es in mir mit eenem hervorragenden ingenium magnam sine mixtura Clementius zu thun haben!“

Sonderbar! Wenn Frank sich des Englischen bediente, so war er ein ganz verständiges und bescheidenes Männchen; aber sobald er begann, sich deutsch auszudrücken, erwachte die Erkenntnis seiner Selbstherrlichkeit in ihm.

Helmers wußte zunächst nicht, was er denken solle. Er drückte ihm die so freundlich dargebotene Hand, gab keine direkte Antwort, lud den Herrn „Kollegen“ ein, sich niederzusetzen, und versuchte, dadurch Zeit zu gewinnen, daß er sich in das Haus begab, um eine Erfrischung herbeizuholen. Als er zurückkehrte, hatte er zwei Flaschen und zwei Biergläser in der Hand.

„Sapperment, das ist günstig!“ rief Frank. „Bier! Ja, das laß ich mir gefallen! Beim edlen Gerschtenschtoff öffnen sich am leichtesten die Schleusen männlicher Beredsamkeet. Wird denn hier in Texas ooch schon welches gebraut?“

„Sehr viel sogar. Sie müssen wissen, daß es in Texas vielleicht über vierzigtausend Deutsche gibt, und wo der Deutsche hinkommt, da wird sicherlich gebraut.“

„Ja, Hopfen und Malz, Gott erhalt’s! Brauen Sie die liebe Gottesgabe selber?“

„Nein! Ich lasse mir, so oft es paßt, einen Vorrat aus Coleman City kommen. Prosit, Herr Frank!“

Er hatte die Gläser gefüllt und stieß mit Frank an. Dieser aber meinte:

„Bitte, Herr Oberförschter, genieren und fürchten Sie sich nich! Ich bin een höchst leutseliger Mensch; darum brauchen Sie mich nich Herr Frank zu titulieren. Sagen Sie ganz eenfach immer nur Herr Kollege! Da kommen wir beede gleich am besten weg. Ich habe die fürschtlich epidemische Hofetikette niemals nich recht leiden gekonnt. Ihr Bier is nich übel. Warum wollen wir uns also den Appetit oder vielmehr den Trinketit mit überschpannten und off die Schpitze geschraubten Neujahrschgratulationen verderben. Meenen Sie nich ooch?“

„Ganz recht!“ nickte Helmers lachend. „Sie sind der Mann, der mir gefallen kann.“

„Natürlich! Etwas herablassend und liberal muß jeder sein, der den richtigen, intelligenten Verschtand sich angebildet hat. Was mich betrifft, so is mir das bei meiner fachmännischen Begabung gar nich schwer gefallen; aber wo haben denn Sie eegentlich schtudiert?“

„In Tharandt.“

„Hab‘ mir’s gleich gedacht, denn Tharandt is der Alba Vater für die Forschtpraktikanten der ganzen Welt.“

„Wollten Sie etwa sagen, Alma mater?“

„Nee, ganz und gar nich. Versuchen Sie es nich etwa, mir an meinem klassisch hebräischen Latein herumzumäkeln, wie früher der dicke Jemmy es zu seinem eegenen Schaden that? Wenn Sie das thun, da könnte unser schönes, penetrantes Verhältnis sehr leicht eene schlimme Wendung nehmen. Unsereener is ja Koryphäe und darf also so etwas nich dulden. Wo schteckt denn eegentlich unser guter Bloody-fox?“

„Er ist zu einem Gast von mir gegangen, um eine Erkundigung einzuziehen. Wo haben Sie ihn getroffen?“

„Draußen am Bache, ungefähr eene Schtunde von hier.“

„Ich dachte, Sie wären längere Zeit beisammen gewesen.“

„Das is nich im mindesten nötig. Ich habe so etwas anziehend Sympathetisches an mir, daß ich immer sehr schnell mit aller Welt befreundet werde. Der Psycholog nennt das die Sympolik der Geschmacks- und der Gefühlsorgane, was leider nich jedermann gegeben is. Der junge Mann hat mir bereits seinen ganzen Lebenslauf off das geheimnisvollste anvertraut. Ich widme ihm die ganze Teilnahme meines öffentlichen Herzens und hoffe, daß unsere junge Bekanntschaft für ihn eene wirkliche Kalospinthechromohelene des Glückes werde. Wissen Sie nichts Näheres über ihn?“

„Wenn er Ihnen seinen ganzen Lebenslauf erzählt hat, nein.“

„Wovon lebt er denn eigentlich?“

„Hm! Er bringt mir zuweilen einige Nuggets. Daraus schließe ich, daß er irgendwo einen kleinen Goldfund gemacht habe.“

„Das will ich ihm gönnen, zumal er een Deutscher zu sein scheint. Es muß schrecklich sein, nich zu wissen, unter dem wievielsten Äquator die erschte Lebenswiege der betreffenden Persönlichkeet geschtanden hat. Wir zwee beede, Sie und ich, kennen dieses hippokratische Leiden freilich nich. Wir wissen glücklicherweise, wohin sich unsere heimatsvolle Sehnsucht zu richten hat, nämlich nach Deutschland – – dahin, dahin, wie Galilei so schön in seinem Mingnonliede singt.“

„Sie meinen wohl Goethe?“

„Nee, ganz und gar nich! Ich weeß gar wohl zwischen Goethe und Galilei zu unterscheiden. Goethe gehört eener ganz anderen höhern Volksschule an. Er hätte solche gefühlvolle Reime gar nich fertig gebracht. Galilei aber mit seinem Fernrohre und seiner Sehnsucht nach elegischen Kometen hat das richtige Tirolerheimweh getroffen, indem er dichtete:

„Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, Ums Schindeldach die jungen Schtörche ziehn? Der Loobfrosch flötet abends im Geschträuch, Und Lunas Bild schtrahlt aus dem nahen Teich. Dort ist’s gemütlich, drum dorthin Schteht mir die Nase und schteht mir der Sinn!“

Er hatte sich von seinem Sitze erhoben, die Verse deklamiert und mit Gesten begleitet. Jetzt sah er den Farmer erwartungsvoll an. Dieser mußte sich die größte Mühe geben, ernsthaft zu bleiben. Da er kein anerkennendes Wort sagte, fragte Frank verdrießlich:

„Es scheint, daß die Poesie keenen Eindruck off Sie macht. Haben Sie denn gar so een nüchternes Temperament?“

„Nein, nein! Ich schwieg nur aus Verwunderung darüber, daß Sie die Worte des Dichters so genau und so lange Zeit behalten können.“

„Das is weiter nichts. Was ich lese, das merk‘ ich mir. Und habe ich’s ja vergessen, so verbessere ich’s. Off diese Weise kann der Applaus gar nich ausbleiben.“

„So sind Sie ja ein geborener Dichter!“

„Ja, viel wird nicht daran fehlen I“

„So beneide ich Sie. Ich habe einmal zwei volle Tage lang meinen Kopf gemartert, um zwei Reime zu einem Geburtstagsgedichte fertig zu bringen – vergebens; ich konnte nicht Heureka! rufen.“

„Hören Sie, gebrauchen Sie das Wort nich falsch! Es is eene arabische Beschwörungsformel und bedeutet off deutsch: Der Teufel is los! Mit solchen Zaubereien muß man sehr vorsichtig sein, denn man weeß ja gar nich, was daraus entschtehen kann. Denken Sie nur daran, wie es dem berühmten Dschengischan mit seinen dreihundert Schpartanern ergangen is!“

„Wie denn?“ fragte der Farmer, neugierig, was jetzt kommen werde.

„Er lag mit ihnen hinter dem Engpaß von Gibraltar, den die Tscherkessen erschtürmen wollten. Weil er so wenig Leute hatte, ließ er die berühmte Hexe von Endor kommen, um ihm zu helfen. Er setzte sich mit ihr und seinen Schpartanern um den Kessel herum, in welchen allerlee Kräuter und Elefantenfüße geworfen wurden. Jedenfalls is da een Versehen vorgekommen, denn plötzlich zerschprang der Kessel und Dschengischan flog mit sämtlichen Schpartanern in die Luft. Er war der Höchste von allen und sah bei dieser Gelegenheet, daß die Erde sich unter ihm um ihre Achse drehte. Da rief er off hebräisch aus: 0 sancta Complicius, zu deutsch: Und sie bewegt sich doch!“

Da konnte Helmers sich nicht mehr halten. Er sprang empor und stieß ein schallendes Gelächter aus. Daß der Hobble-Frank in seinem Fracke und dem Amazonenhute diesen Gallimathias mit solchem Ernste vorbrachte, war gar zu spaßhaft.

„Was lachen Sie denn?“ fragte Frank beleidigt. „Glooben Sie denn etwa, weil ich Ihr Kollege bin, können Sie mir ungeschtraft – – –“

Er wurde glücklicherweise unterbrochen, sonst hätte er eine donnernde Philippika losgelassen. Bloody-fox trat nämlich jetzt wieder aus dem Hause und kam auf die beiden zu. Er blickte dem Hobble-Frank in das vor Zorn hochrote Gesicht und fragte:

„Was gibt es denn? Worüber räsonnierest du?“

Er sprach deutsch, weil er hörte, daß Frank sich derselben Sprache bediente. Dieser antwortete:

„Worüber ich zürne? Darüber, daß dieser mein Kollege mich auslacht. Und warum lacht er mich aus? Weil er nichts von der sekundären Weltgeschichte verschteht. Ich gebe mir die schönste antike Mühe, ihm die antediluvianischen Konschtellationen der tscherkessischen Kriegsgeschichte zu erklären, aber er hat nich den mindesten Sinn für das Verhältnis zwischen der Taktik und Schtrategie des Mittelalters.“

„Taktik? Strategie?“ fragte der junge Mann ganz verblüfft.

„Jawohl! Natürlich! Kennst du es?“

„Nein!“

„So will ich es dir erklären. Die richtige Taktik schteht zur richtigen Schtrategie grad in demselben Verhältnisse wie die Geometrie zur Archimetik, nämlich Radius mal Radius minus ix is gleich dem Quadrate der Hippodromuse mit zwee Kathedern im Lehrzimmer der Obersekunda. Kannst du das begreifen?“

„Nein,“ antwortete Bloody-fox, sehr der Wahrheit gemäß.

„Das kann ich mir freilich denken, denn zu solchen genialen Schpekulationen gehört een angeborener Menschenverstand und sodann eene fleißige Ausbildung der internationalen Seelenkräfte. Wem’s weder angeboren noch anerzogen is, der kann es eben nich begreifen. Du geschtehst das wenigstens ein und bleibst ernst dabei. Der Kollege aber kapiert es nich und lacht mich aus. Was soll ich von ihm denken? Er kennt mich nich. Ich bin geboren nach dem alten griechischen Sprichworte inter sacrum et saxum stat = im heiligen Staate Sachsen, und bin nich gewöhnt, über mich lachen zu lassen. Überlege dir die Sache und ––“

„Schön! Ich werde es mir sehr gern überlegen,“ unterbrach ihn Bloody-fox. „Jetzt aber habe ich keine Zeit dazu. Ich kann jetzt nur an die armen Menschen denken, welche in der Llano estakata ermordet worden sind.“

Er hatte wohl von dem dicken Jemmy genug erfahren, um zu wissen, wie der Hobble-Frank zu behandeln sei. Darum hütete er sich, demselben zu widersprechen und brachte einen Gegenstand zur Sprache, welcher ihn interessieren und von der Strafpredigt abbringen mußte. Er erreichte seine Absicht, denn Frank vergaß sofort seinen Zorn und fragte:

„Menschen sind ermordet worden? In der Llano? Wann denn?“

„Das weiß man nicht. Sie sind vor über acht Tagen von hier fort, aber nicht jenseits der Wüste angekommen. Folglich sind sie zu Grunde gegangen.“

„Vielleicht doch nicht. Sie werden wohl in anderer Richtung geritten sein, als sie ursprünglich beabsichtigt haben.“

„Eben das ist es ja, was ich befürchte. Von hier aus ist es nur in einer einzigen Richtung möglich, über die gefährlichen Plains zu gelangen. Diese Strecke ist ebenso gefährlich wie zum Beispiele die Sahara oder die Wüste Gobi. Es gibt in der Llano estakata keine Brunnen, keine Oasen und auch keine Kamele, welche viele Tage lang zu dürsten vermögen. Das macht diese Strecke so fürchterlich, obgleich sie kleiner ist als die große afrikanische oder asiatische Wüste. Es gibt keinen gebahnten Weg. Darum hat man die Richtung, in welcher der Ritt allein möglich ist, mit Pfählen abgesteckt, wovon die Wüste ihren Namen erhalten hat. Wer über diese Pfähle hinausgerät, der ist verloren; er muß den Tod des Verschmachtens sterben. Hitze und Durst verzehren ihm das Hirn; er verliert die Fähigkeit des Denkens und reitet so lange im Kreise herum, bis sein Pferd unter ihm zusammenbricht und er dann nicht weiter kann.“

„So darf er nicht den abgesteckten Weg verlassen, meinst du wohl?“ fragte Helmers, welcher sah, daß Frank den Kopf schüttelte.

„Ja, das wollte ich sagen,“ antwortete dieser.

„Diese Vorsicht beobachtet auch jedermann. Es gibt nur sehr, sehr wenige, welche die Llano so genau kennen, daß sie sich auch ohne Pfähle zurecht zu finden vermögen. Aber wie nun, wenn von schlechten Menschen die Pfähle falsch gesteckt werden?“

„Das wäre ja teuflisch!“

„Gewiß, aber dennoch kommt es vor. Es gibt Verbrecherbanden, deren Mitglieder die Pfähle aus der Erde ziehen und in falscher Richtung wieder befestigen. Wer ihnen nun folgt, der ist verloren. Die Pfähle hören plötzlich auf; er befindet sich inmitten des Verderbens und kann keine Rettung finden.“

„So reitet er längs der Pfähle zurück!“

„Dazu ist’s zu spät, denn er befindet sich bereits so tief in der Estakata, daß er das Grasland nicht mehr zu erreichen vermag, bevor er verschmachtet. Die Räuber brauchen ihn gar nicht zu töten. Sie warten einfach, bis er verschmachtet ist, und rauben dann seinen Leichnam aus. So ist es bereits oft geschehen.“

„Aber kann man sie denn nicht unschädlich machen?“

Eben, als Helmers antworten wollte, wurde seine Aufmerksamkeit durch einen sich langsam nähernden Mann in Anspruch genommen, dessen Ankunft erst jetzt, als er um die Ecke des Hauses trat, bemerkt wurde. Er war durchaus in schwarzes Tuch gekleidet und trug ein kleines Päckchen in der Hand. Seine lange Gestalt war sehr schmal und engbrüstig, sein Gesicht hager und spitz. Der hohe Chapeau claque, welcher ihm tief im Nacken saß, gab ihm, zumal er eine Brille trug, im Verein mit dem dunklen Anzuge das Aussehen eines Geistlichen.

Er trat mit eigentümlich schleichenden Schritten näher, griff leicht an den Rand seines Hutes und grüßte:

Good day, Mesch’schurs! Komme ich vielleicht hier richtig zu John Helmers, Esquire?“

Helmers betrachtete sich den Mann mit einem Blicke, aus welchem zu ersehen war, daß er kein großes Wohlgefallen an ihm fand, und antwortete:

„Helmers heiße ich, ja, aber den Esquire könnt Ihr getrost weglassen. Ich bin weder Friedensrichter, noch liebe ich überhaupt dergleichen Titulaturen. Das sind doch nur faule Äpfel, mit denen sich ein Gentleman nicht gern bewerfen läßt. Da Ihr meinen Namen kennt, so darf ich vielleicht auch den Eurigen erfahren?“

„Warum nicht, Sir! Ich heiße Tobias Preisegott Burton und

bin Missionar der Heiligen des jüngsten Tages.“ –

Er sagte das in einem sehr selbstbewußten und salbungsvollen Tone, welcher aber keineswegs den beabsichtigten Eindruck auf den Farmer machte, denn dieser meinte achselzuckend:

„Ein Mormone seid Ihr also? Das ist keineswegs eine Empfehlung für Euch. Ihr nennt Euch die Heiligen der letzten Tage. Das ist anspruchsvoll und überhebend, und da ich ein sehr bescheidenes Menschenkind bin und für Eure Selbstgerechtigkeit nicht den mindesten Sinn habe, so wird es am besten sein, Ihr schleicht in Euren frommen Missionsstiefeln sogleich weiter. Ich dulde keinen Proselytenmacher hier im Settlement.“

Das war sehr deutlich, ja sogar beleidigend gesprochen. Burton aber behielt seine verbindliche Miene bei, griff abermals höflich an den Hut und antwortete:

„Ihr irrt, Master, wenn Ihr meint, daß ich beabsichtige, die Bewohner dieser gesegneten Farm zu bekehren. Ich spreche bei Euch nur vor, um mich auszuruhen und meinen Hunger und Durst zu stillen.“

„So! Na, wenn Ihr nur das wollt, so sollt Ihr haben, was Euch nötig ist, vorausgesetzt natürlich, daß Ihr bezahlen könnt. Hoffentlich habt Ihr Geld bei Euch!“

Er überflog die Gestalt des Fremden abermals mit einem scharfen, prüfenden Blicke und zog dann ein Gesicht, als ob er etwas nichts weniger als Angenehmes gesehen habe. Der Mormone erhob den Blick gen Himmel, räusperte sich einigemal und erklärte:

„Zwar bin ich keineswegs übermäßig mit Schätzen dieser sündigen Welt versehen, aber Essen, Trinken und ein Nachtlager kann ich doch bezahlen. Freilich hatte ich nicht auf eine solche Ausgabe gerechnet, da mir gesagt wurde, daß das Haus John Helmers ein außerordentlich gastliches sei.“

„Ah? Von wem habt Ihr das denn erfahren?“

„Ich hörte es in Taylorsville, von woher ich komme.“

„Da ist Euch die Wahrheit gesagt worden; aber man scheint vergessen zu haben, hinzuzufügen, daß ich unentgeltliche Gastfreundschaft nur an solchen Leuten übe, welche mir willkommen sind.“

„So ist das bei mir wohl nicht der Fall?“

„Nein, gar nicht.“

„Aber ich habe Euch doch nichts gethan!“

„Möglich! Doch wenn ich Euch genau betrachte, ist es mir, als ob mir von Euch nur Übles geschehen könne. Nehmt es mir nicht übel, Sir! Ich bin ein aufrichtiger Kerl und pflege einem jeden genau nur das zu sagen, was ich von ihm denke. Ihr habt ein Gesicht – – ein Gesicht – – hm, wenn man es erblickt, so juckt es einem in der Hand. Man pflegt das ein – ein – ein Ohrfeigengesicht zu nennen.“

Selbst jetzt that der Mormone nicht, als ob er sich beleidigt fühle. Er griff zum drittenmal an den Hut und sagte in mildem Tone:

„Es ist in diesem Leben das Schicksal der Gerechten, verkannt zu werden. Ich bin nicht schuld an meinem Gesichte. Wenn es Euch nicht gefällt, so ist das nicht meine, sondern Eure Sache.“

„So! Aber sagen braucht Ihr es Euch nicht zu lassen. Wenn jemand mir so aufrichtig mitteilte, daß mein Gesicht ihm nicht gefalle, so würde er im nächsten Augenblicke meine Faust in dem seinigen fühlen. Es gehört ein großer Mangel an Ehrgefühl oder – wie Ihr vielleicht meint – eine noch größere Verschlagenheit dazu, so etwas ruhig hinzunehmen. Übrigens will ich Euch sagen, daß ich gegen Euer Gesicht an und für sich eigentlich gar nichts habe, sondern nur die Art und Weise, wie Ihr es in der Welt herumtragt, die behagt mir nicht. Und sodann kommt es mir ganz so vor, als ob es gar nicht Euer wirkliches Gesicht sei. Ich vermute sehr, daß Ihr eine ganz andere Miene aufsteckt, wenn Ihr Euch mit Euch allein befindet. Übrigens will mir auch noch anderes an Euch nicht recht gefallen.“

„Darf ich bitten, mir zu sagen, was Ihr meint?“

„Ich sage es Euch, auch ohne daß Ihr mich darum bittet. ich habe nämlich sehr viel dagegen, daß Ihr aus Taylorsville kommt.“

„Warum? Habt Ihr Feinde dort?“

„Keinen einzigen. Aber sagt mir doch einmal, wohin Ihr wollt?“

„Hinauf nach Preston am Red River.“

„Hm! Da geht wohl der nächste Weg hier bei mir vorüber?“

„Nein, aber ich hörte so viel Liebes und Gutes von Euch, daß es mich im Herzen verlangt hat, Euch kennen zu lernen.“

„Das wünscht ja nicht, Master Burton, denn es könnte Euch nicht gut bekommen! Kommt Ihr denn zu Fuß hierher?“

„Ja.“

„Ihr seid nicht im Besitze Eures Pferdes?“

Meines Pferdes? Ich habe keines.“

Oho! Versucht doch ja nicht, mir das weiszumachen! Ihr habt das Tier hier irgendwo versteckt, und ich vermute sehr, daß es kein ganz ehrenhafter Grund ist, der Euch dazu veranlaßt hat. Hier reitet jeder Mann, jede Frau und jedes Kind. Ohne Pferd gibt es in dieser Gegend kein Fortkommen. Ein Fremder, welcher sein Pferd versteckt und dann leugnet, eins zu besitzen, führt sicherlich nichts Gutes im Schilde.“

Der Mormone schlug die Hände beteuernd zusammen und rief:

„Aber, Master Helmers, ich schwöre Euch zu, daß ich wirklich kein Roß besitze. Ich gehe auf den Füßen der Demut durch das Land und habe noch nie in einem Sattel gesessen.“

Da erhob sich Helmers von der Bank, trat zu dem Manne hin, legte ihm die Hand schwer auf die Achsel und sagte:

„Mann, das sagt Ihr mir, wirklich mir, der ich so lange Jahre hier an der Grenze lebe? Meint Ihr denn, ich sei blind?“

„Ich sehe ja, daß Ihr Euch die Wolle von den inneren Seiten Eurer Hose geritten habt. Ich sehe die Sporenlöcher in Euren Stiefeln, und – – –“

„Das ist kein Beweis, Sir!“ fiel der Mormone ihm in die Rede. „Ich habe die Stiefeln alt gekauft; die Löcher waren bereits darin.“

:So! Wie lange Zeit tragt Ihr sie denn nun bereits?“

Seit zwei Monaten.“

„Dann wären die Löcher längst mit Staub oder Schmutz gefüllt. Oder macht Ihr Euch etwa das Vergnügen, sie täglich neu auszubohren? Es hat in letzter Nacht geregnet; eine so weite Fußwanderung hätte Eure Stiefel über und über beschmutzt. Daß sie so sauber sind, wie ich sehe, ist ein sicherer Beweis, daß Ihr geritten seid. Übrigens duftet Ihr nach Pferd, und da, da schaut einmal her! Wenn Ihr wieder einmal die Sporen in die Hosentasche steckt, so sorgt dafür, daß nicht ein Rad davon außen am Saume hängen bleibt!“

Er deutete auf das messingene Sporenrad, welches aus der Tasche hervorsah.

„Diese Sporen habe ich gestern gefunden,“ verteidigte sich der Mormone.

„So hättet Ihr sie lieber liegen lassen sollen, da Ihr sie ja doch nicht braucht. Übrigens braucht es mich ja gar nichts anzugehen, ob Ihr reitet oder mit Schusters Fregatte segelt. Meinetwegen könnt Ihr auf Schlittschuhen durch die Welt laufen. Wenn Ihr bezahlen könnt, so sollt Ihr Essen und Trinken haben; dann aber macht Euch wieder fort. Über die Nacht kann ich Euch nicht behalten. Ich nehme nur Leute, welche keinen Verdacht erregen, bei mir auf.“

Er trat an das offene Fenster, sagte einige halblaute Worte hinein und kehrte dann wieder an seinen Platz zurück, wo er sich niederließ und sich scheinbar gar nicht weiter um den Fremden bekümmerte.

Dieser setzte sich an den nächsten Tisch, legte sein Bündel auf denselben, faltete kopfschüttelnd die Hände und senkte ergeben das Haupt, ruhig wartend, was man ihm bringen werde. Er hatte ganz das Aussehen eines Mannes, welchem ein unverdienter Schmerz bereitet worden war.

Hobble-Frank hatte der kurzen Unterhaltung mit Interesse zugehört; jetzt nun, da sie beendet war, beachtete er den Mormonen nicht weiter. Ganz anders aber verhielt sich Bloody-fox.

Dieser hatte gleich beim Erscheinen des Fremden die Augen weit geöffnet und dann den Blick nicht wieder von ihm gewendet. Er hatte sich nicht niedergesetzt gehabt und war willens gewesen, die Farm zu verlassen; sein Pferd stand ja noch neben ihm. Jetzt griff er sich nach der Stirn, als ob er sich vergeblich bemühe, sich auf etwas zu besinnen. Dann ließ er die Hand sinken und nahm langsam dem Farmer gegenüber Platz, so daß er den Mormonen genau beobachten konnte. Er gab sich Mühe, sich nichts merken zu lassen; aber ein scharfer Beobachter hätte dennoch bemerken können, daß er innerlich in ganz ungewöhnlicher Weise beschäftigt sei.

Da trat eine ältliche, wohlbeleibte Frau aus der Thür. Sie brachte Brot und ein gewaltiges Stück gebratene Rindslende herbei.

„Das ist meine Frau,“ erklärte Helmers dem Hobble-Frank in deutscher Sprache, während er mit dem Mormonen englisch gesprochen hatte. „Sie versteht ebensogut deutsch wie ich.“

„Das freut mich ungeheuer,“ meinte Frank, indem er ihr die Hand reichte. „Es is gar lange Zeit her, daß ich zum letzten Male mit eener Lady mich um die deutsche Muttersprache herumbewegte. Seien Sie mir also hoch willkommen und gebenedeiet, meine scharmante Frau Helmers. Hat Ihre Wiege sich vielleicht ooch im Vater Rheine oder in der Schwester Elbe geschaukelt?“

„Wenn auch das nicht,“ antwortete sie lächelnd. „Man pflegt selbst drüben in der Heimat die Wiegen nicht in das Wasser zu stellen. Aber eine geborene Deutsche bin ich doch.“

„Na, das mit dem Rheine und der Elbe war natürlich nich so wörtlich gemeent. Sie müssen das als een poetisch humanes Metafferbeischpiel nehmen. Ich hab meinen erschten wonnevollen Atemzug in der Nähe von Elbflorenz gethan, was der mathematische Geograph nämlich Dresden nennt. Da is es bei den dortigen Kunstschätzen keen Wunder nich, wenn unsereener sich gewöhnt hat, in der höheren lyrischen Ausdrucksweise zu schweben. Wenn Schiller im Gange nach der Hammerschmiede so schön singt, der Menschheit Würde ist euch in alle beeden Hände gegeben, so sind wir Sachsen ganz besonders gemeent, denn uns hat das Herz des Dichters gehört, weil seine Frau, eene gewisse geborene Barbara Uttmann, ooch eene née Sächsin war. Trotzdem achte ich jede andere Deutsche ebenso, und so bitte ich Sie herzlich, Ihre gastlichen Flügel um mein freundliches Individuum zu schlagen. Den Dank, Dame, vergesse ich nich – -was sich übrigens bei meinem exquisiten Kulturschtandpunkte ganz von selbst verschteht.“

Die gute Frau wußte wirklich nicht, was sie dem eigentümlichen Kerlchen antworten sollte. Sie sah ihren Mann fragend an, und dieser kam ihr in ihrer Verlegenheit zu Hilfe, indem er ihr erklärte:

„Dieser Herr ist ein sehr lieber Kollege von mir, ein brav geschulter Forstmann, welcher drüben sicher eine gute Karriere gemacht hätte.“

„Ganz gewiß!“ fiel Frank schnell ein. „Die höhere, intensive Forschtwissenschaft war die Leiter, off welcher ich mit Armen und Beenen emporgeklimmt wäre, wenn mich nich mein Fatum hinten angepackt und herüber nach Amerika gezogen hätte. Ich habe es glücklicherweise nich zu bereuen, daß ich der Schtimme des Schicksales mein musikalisches Gehör geschenkt habe. Ich bin von den zwölf Musen emporgehoben worden off diejenige Zinne der subtellurischen Gesittung, off welcher dem Eingeweihten alles Niedrige wurscht und schnuppe is. Von diesem Standpunkte aus konschtatiere ich, daß die Frauen es sind, die uns den himmlischen Ambrosius im Neckar kredenzen, mit welchem Bilde ich mich natürlich off Ihr Bier und Ihre gebratene Lende beziehe. Darum wollen wir sofort die Klinge ziehen und uns der freundlichen Gaben erbarmen, welche wir Ihrer liebenswürdigen Loyalität zu verdanken haben. Ich hoffe, wir werden uns schnell kennen lernen, meine ergebenste Frau Helmers!“

„Das bin ich überzeugt!“ nickte sie ihm zu.

„Jawohl, natürlich! Hochgebildete Leute werden von ihrem angeborenen Inschtinkte sofort zusammengeführt. Was unter den Wolken liegt, das kümmert uns nichts. Übrigens ist mein Bier jetzt alle; könnte ich noch eens bekommen?“

Sie nahm sein Glas, um ihm das Gewünschte zu holen. Bei dieser Gelegenheit brachte sie für den Mormonen Brot, Käse, Wasser und ein kleines Gläschen voll Brandy mit. Er begann sein frugales Mahl, ohne sich darüber zu beschweren, daß er kein Fleisch erhalten hatte.

Da kam Bob der Neger herbei.

„Masser Bob sein fertig mit Pferden,“ meldete er. „Masser Bob auch mit essen und trinken!“

Da fiel sein Blick auf den „Heiligen der letzten Tage“. Er blieb stehen, fixierte den Mann einige Augenblicke und rief dann:

„Was sehen Masser Bob! Wer hier sitzen! Das sein Massa Weller, der Dieb, welcher haben gestohlen Massa Baumann all sein viel Geld!“

Der Mormone fuhr von seinem Sitze auf und starrte den Schwarzen erschrocken an.

„Was sagst du?“ fragte Frank, indem er auch aufsprang. „Dieser Mann soll jener Weller sein?“

„Ja, er es sein. Masser Bob ihn ganz genau kennen. Masser Bob ihn haben damals sehr gut ansehen.“

Lack-a-day! Das würde ja eine allerliebste Begegnung sein! Was sagt denn Ihr dazu, Master Tobias Preisegott Burton?“

Der Mormone hatte seinen augenblicklichen Schreck überwunden. Er machte eine verächtliche Armbewegung gegen den Neger und antwortete:

„Dieser Schwarze ist wohl nicht recht bei Sinnen? Ich verstehe ihn nicht. Ich weiß nicht, was er will!“

„Seine Worte waren doch deutlich genug. Er nannte Euch Weller und sagte, daß Ihr seinen Herrn, einen gewissen Baumann, bestohlen hättet.“

„Ich heiße nicht Wellen“

„Vielleicht habt Ihr einmal so geheißen?“

„Ich heiße jetzt und hieß auch zu aller Zeit Burton. Der Nigger scheint mich mit irgend jemand zu verwechseln.“

Da trat Bob drohend auf ihn zu und rief:

„Was sein Masser Bob? Masser Bob sein ein Neger, aber kein damned Nigger. Masser Bob sein ein coloured Gentleman. Wenn Massa Weller noch einmal sagen Nigger, so Masser Bob ihn schlagen nieder mit Faust, wie Massa Old Shatterhand es ihm hat zeigen!“

Da stellte sich Helmers zwischen die beiden und sagte:

„Bob, keine Thätlichkeit! Du klagst diesen Mann eines Diebstahles an. Kannst du Beweise bringen?“

„Ja, Bob Beweise bringen. Massa Frank auch wissen, daß Massa Baumann sein bestohlen worden. Er können Zeuge sein.“

„Ist das wahr, Master Frank?“ „Ja,“ antwortete der Gefragte. „Ich kann es bezeugen.“ „Wie ist es denn bei dem Diebstahle zugegangen?“

„In folgender Weise: Mein Gefährte Baumann, welcher von denen, die ihn kennen, kurzweg der Bärenjäger genannt wird, hatte droben in der Nähe des Platte River einen Store angelegt, und ich war sein Gefährte und Kompagnon. Das Geschäft ging anfangs sehr gut, da es viel von den Goldgräbern besucht wurde, welche sich damals in den Black Hills zusammengezogen hatten. Wir nahmen viel Geld ein, und es lag oft eine bedeutende Menge von Münzen und Nuggets bei uns verborgen. Eines Tages mußte ich eine Rundtour zu den Diggers unternehmen, um Schulden einzutreiben. Als ich am dritten Tage zurückkehrte, hörte ich, daß Baumann indessen bestohlen worden sei. Er hatte sich mit Bob allein befunden und einen Fremden über Nacht behalten, dessen Name Weller gewesen war. Am anderen Morgen war mit diesem das ganze Geld verschwunden gewesen, und die Verfolgung hatte nichts genützt, weil durch ein inzwischen eingetretenes Gewitter die Fährte des Diebes verwischt worden war. Es hat sich bisher keine Spur des Mannes finden lassen, obgleich wir während der Zeit, welche indessen vergangen ist, uns oft nach diesem guten Master Weller erkundigt haben. Jetzt behauptet Bob, ihn in diesem Heiligen des jüngsten Tages zu erkennen, und ich möchte nicht annehmen, daß er sich irrt. Bob hat offene Augen und ein sehr gutes Personengedächtnis. Er versicherte damals, sich den Menschen so genau angesehen zu haben, daß er ihn selbst unter einer Verkleidung sofort erkennen werde. Das, Master Helmers, ist es, was ich in dieser Angelegenheit zu sagen habe.“

„Also Ihr selbst habt den Dieb damals nicht gesehen?“ „Nein.“

„So seid Ihr freilich nicht imstande, dem Neger zu bezeugen, daß wir den Dieb wirklich vor uns haben. Bob steht mit seiner Behauptung allein. Was da zu machen ist, werdet Ihr ebensogut wissen, wie ich.“

„Masser Bob es genau wissen, was zu machen sein!“ rief der Neger. „Masser Bob schlagen den Spitzbuben tot. Masser Bob sich nicht irren, sondern ihn sehr gut erkennen.“

Er wollte Helmers zur Seite schieben, um an den Mormonen zu kommen; der Farmer aber hielt ihn zurück und sagte:

„Halt! Das wäre eine Gewaltthätigkeit, welche ich auf meinem Grund und Boden nicht dulden kann.“

„Gut, dann Masser Bob warten, bis Spitzbube sein fort von Grund und Boden; dann aber ihn aufknüpfen am nächsten Baum. Masser Bob hier sitzen und gut aufpassen, wenn fortgehen der Dieb; er ihn sicherlich nicht aus den Augen lassen!“

Er setzte sich nieder, doch so, daß er den Mormonen im Auge hatte. Man sah ihm an, daß es ihm mit seiner Drohung völlig Ernst sei. Burton musterte mit ängstlichem Blicke die riesige Gestalt des Negers und wendete sich dann an Helmers:

„Sir, ich bin wirklich unschuldig. Dieser schwarze Master verkennt mich ganz und gar, und ich hoffe, daß ich mich auf Euren Schutz verlassen kann.“

„Verlaßt Euch nicht zu sehr auf mich,“ lautete die Antwort. „Es sind keine genügende Beweise erbracht, und mich geht der Diebstahl überhaupt nichts an, weil ich keinerlei amtliche Eigenschaft besitze. Infolgedessen könnt Ihr ruhig sein, solange Ihr Euch hier befindet. Ich habe Euch aber bereits gesagt, daß Ihr Euch baldigst von dannen machen sollt. Was dann geschieht, das ist mir gleichgültig. Ich kann Master Bob das Recht nicht bestreiten, diese Angelegenheit unter vier Augen mit Euch zu ordnen. Zu Eurer ganz besonderen Beruhigung will ich gern noch versichern, daß ich nicht vor Entsetzen in Ohnmacht fallen werde, falls ich Euch morgen unter irgend einem Baume begegnen sollte, dessen stärkster Ast Euch zwischen Hals und Binde geraten ist.“

Damit war die Sache für einstweilen abgethan. Der Mormone wendete sich seinem Mahle wieder zu, aber er aß möglichst langsam und mit bedeutenden Pausen, um die ihm gewährleistete Sicherheit möglichst lange zu genießen. Bobs rollende Augen ließen kaum einen Augenblick von ihm, und Bloody-fox, welcher sich äußerlich ganz passiv verhalten hatte, fixierte ihn noch ebenso wie vorher. Der junge Mann mußte ein ganz eigenartiges Interesse an dem angeblichen Mormonen finden.

jetzt war jeder mit dem Essen und mit seinen eigenen Gedanken so beschäftigt, daß die Unterhaltung vollständig stockte. Und als später Frank das vorher abgebrochene Gespräch über die Llano estakata wieder in Fluß bringen wollte, wurde er durch das abermalige Erscheinen eines Ankömmlings daran verhindert.

„Euer Haus scheint ein sehr besuchtes zu sein, Master Helmers,“ sagte er. „Dort kommt schon wieder ein Horsemann, der es auf Euch abgesehen hat.“

Der Wirt wendete sich rückwärts, um nach dem Reiter zu sehen. Als er denselben erkannte, sagte er in lebhaftem Tone:

„Das ist einer, den ich stets willkommen heiße, ein tüchtiger Kerl, auf den man sich in jeder Beziehung verlassen kann.“

„Wohl ein Trader, wie es scheint, der bei Euch seine verkauften Waren erneuern will?“

„Meint Ihr das, weil er zu beiden Seiten des Sattels so große Taschen hängen hat?“

„Ja.“

„So irrt Ihr Euch. Er ist kein Händler, sondern einer unserer vorzüglichsten Scouts, den Ihr kennen lernen müßt.“

„Vielleicht ist mir sein Name bekannt.“

„Wie er eigentlich heißt, weiß ich nicht. Man nennt ihn allgemein den Juggle-Fred, und er hat noch nie etwas gegen diesen Namen eingewendet.“

„Ein eigentümlicher Name 1 Warum hat er denselben erhalten?“

„Weil er Hunderte von Kunststücken zu machen versteht, über welche man in das größte Erstaunen geraten kann. Die dazu gehörigen Apparate führt er eben in den Euch auffälligen Taschen bei sich.“

„Also ein reisender Taschenspieler, welcher bei Gelegenheit den Führer und Pfadfinder macht?“

„Grad umgekehrt: Ein ausgezeichneter Fährtenläufer, welcher seine Gesellschaft gelegentlich mit Kunststücken unterhält. Wer ihm eine Bezahlung für die letzteren bieten wollte, würde ihn außerordentlich beleidigen. Er scheint mit berühmten Prestidigitateurs gereist zu sein und ist auch der deutschen Sprache vollständig mächtig. Warum er nach dem Westen gekommen ist und auch da verbleibt, während er anderswo durch seine Fingerfertigkeit ein steinreicher Mann werden könnte, das weiß ich nicht, geht mich auch nichts an, doch bin ich überzeugt, daß Ihr Euer Wohlgefallen an ihm haben werdet.“

„Das ist sehr wahrscheinlich, weil er des Deutschen mächtig ist. Sagt ihm nur gleich, daß er sich dieser Sprache hier bedienen kann!“

„Natürlich erfährt er das sofort. Seht ihn Euch nur genau an, besonders seine Augen, welche verschiedene Farben haben. Er ist two-eyed.“

Derjenige, über welchen diese Bemerkungen gemacht wurden, war jetzt nahe herangekommen. Er hielt, nur noch eine kurze Strecke von dem Hause entfernt, sein Pferd an und rief:

„Hallo, alter Lodging-uncle, hast du noch Raum für einen armen Needy-wretch, der seine Zeche nicht bezahlen kann?“

„Für dich ist zu jeder Zeit Platz vorhanden,“ antwortete Helmers. „Komm nur heran; steige vom Ziegenbock herab, und mache es dir bequem. Du wirst dich in angenehmer Gesellschaft befinden.“

Der einstige Taschenspieler überflog die Anwesenden mit prüfendem Blicke und meinte:

„Will es hoffen! Unseren Bloody-fox kenne ich bereits. Der Schwarze macht mir keine Sorge. Der andere kleine Gentleman im Frack und Ladieshut scheint auch kein übler Kerl zu sein. Und der dritte dort, der in den Käse beißt, als ob er eine Igelhaut verzehren müsse, nun, hm, den werde ich wohl noch kennen lernen.“

Es war doch eigentümlich, daß auch dieser Mann sofort ein Mißtrauen gegen den Mormonen äußerte. Er trieb sein Pferd vollends heran und sprang aus dem Sattel. Indem er den Wirt wie einen alten Freund mit beiden entgegengestreckten Händen auf das herzlichste begrüßte, konnte Frank ihn genau betrachten.

Dieser Juggle-Fred war eine selbst hier im fernen Westen auffallende Erscheinung. Das erste, was man an ihm bemerkte, war ein bedeutender Höcker, welcher seine sonst wohlgegliederte Gestalt verunzierte. Sein Körper war von mittlerer Größe und sehr kräftig gebaut, nicht kurzleibig, engbrüstig und langarmig, wie es bei den meisten Buckeligen der Fall zu sein pflegt. Sein rundes, volles, glatt rasiertes Gesicht war tief gebräunt, aber auf der linken Seite arg zerrissen, als ob da einmal eine fürchterliche Wunde kunstwidrig zusammengeflickt worden sei. Und sonderbarerweise waren seine Augen ganz auffallend verschieden gefärbt, denn das linke war vom schönsten Himmelblau, während das rechte die tiefste Schwärze zeigte.

Er trug hohe Büffelkalbstiefel von braunem Leder mit großräderigen mexikanischen Sporen, schwarze Lederhose mit eben solcher Weste und darüber ein blusenartiges Wams von starkem, blauem Tuchstoffe. Um seine Lenden war ein breiter Ledergürtel geschnallt, welcher einer sogen. Geldkatze glich und neben den Patronen, dem Messer und einem Revolver, von bedeutendem Kaliber, allerhand Kleinigkeiten enthielt, deren ein Westmann so notwendig bedarf. Weit über die Stirn herein, so daß man diese gar nicht sehen konnte, saß eine ziemlich neue Bibermütze, von welcher der präparierte Schwanz des betreffenden Tieres hinten bis über den Nacken hernieder hing. Hätte der Mann den Höcker nicht gehabt, so wäre seine Erscheinung eine kräftig angenehme, ja vielleicht eine imponierende gewesen.

Sein Pferd war von Helmers scherzhafterweise als Ziegenbock bezeichnet worden, und dieser Vergleich konnte nicht ein ganz grundloser genannt werden. Das Tier war eine außerordentlich hochbeinige und scheinbar sehr abgetriebene Kreatur. An dem nackten Schwanzstummel, welchen es jetzt tief gesenkt hielt, saßen nur noch einige wenige kurze Haare, die eine außerordentliche Anhänglichkeit für die Stelle haben mußten, welcher sie vor langen Jahren entsprossen waren. Ob das Roß einst ein Rappe, ein Brauner oder ein Fuchs gewesen sei, das vermochte man jetzt nicht mehr zu bestimmen, denn sein Körper war an vielen Stellen vollständig kahl, und da, wo Haare noch vorhanden waren, zeigten sie ein so unbestimmtes Grau, als ob der alte Hengst bereits zur Zeit der Völkerwanderung von irgend einem Sueven oder Gepiden geritten worden sei. Von einer Mähne war keine Spur vorhanden. Der unverhältnismäßig große Kopf hing so weit nieder, daß das Maul beinahe die Erde berührte, und schien die langen, dicken und kahlen Eselsohren kaum tragen zu können, welche wie riesige Lederfutterale sich liebevoll bis an die Unterkiefer schmiegten. Dazu hielt das Tier die Augen geschlossen, als ob es schlafe, und wie es so bewegungslos da stand, war es ein unübertreffliches Bild der Dummheit und bemitleidenswertesten physischen Vermögenslosigkeit.

Nachdem der Besitzer dieses Pferdes dem Wirte die Hände gedrückt hatte, fragte er:

„Also Platz hast du für mich? Ob aber auch ein Essen?“

„Natürlich! Setze dich nur her! Hier ist noch Fleisch genug für dich.“

„Danke! Habe mir gestern den Magen verdorben. Rind ist mir heute zu schwer. Ein junges Huhn wäre mir lieber. Kannst du eins schaffen?“

„Warum nicht. Schau her! Da laufen die Backhühnchen in Masse herum.“

Er deutete auf zwei Völkchen junger Hühner, welche unter dem Schutze ihrer mütterlichen Glucken in der Nähe der Tische umhertrippelten, um die herabfallenden Brocken aufzupicken.

„Schön!“ nickte Fred. „Ich bitte um eins. Deine Housewife mag es mir vorrichten.“

„Dazu hat sie keine Zeit. So ein Ding zu rupfen, ist nicht nach ihrem Geschmacke. Und die Mägde sind in die Maisfelder gegangen.“

„Wer spricht denn vom Rupfen! Das mute ich niemand zu.“

„Soll das Huhn etwa mit den Federn gebraten oder gebacken werden?“

„Mann, was denkst du von mir! Kennst du mich so Schlecht, daß ich dir wie ein Mann vorkomme, welcher nicht weiß, wie man einem Huhne die Federn nimmt? Wenn aber du es noch nicht wissen solltest, so will ich es dir zeigen.“

Er nahm sein Doppelgewehr vom Sattelknopfe, wo er es hängen hatte, legte auf eins der Hühnchen an und drückte ab. Als der Schuß krachte, bewegte sein Pferd nicht einmal eins der geschlossenen Augenlieder. Es schien so stocktaub zu sein, daß es selbst einen in solcher Nähe abgegebenen Schuß nicht hören konnte.

Das Huhn war tot zusammengebrochen. Der Mann hob es auf und zeigte es vor. Es hatte zu aller Erstaunen nicht eine einzige Feder mehr und konnte sofort ausgenommen und gebacken werden.

All devils!“ lachte Helmers. „Dieses Mal hast du mich doch überrumpelt. Konnte es mir doch denken, daß es wieder auf eines deiner Kunststücke abgesehen war. Aber wie hast du das denn angefangen?“

„Mit dem Fernrohre.“

„Unsinn! Hast ja mit der Büchse geschossen.“

„Allerdings. Aber vorher habe ich Euch aus der Ferne durch mein Taschenteleskop beobachtet und auch das junge Hühnervolk bemerkt. Natürlich traf ich sogleich Vorbereitung, mich als Tausendkünstler bei Deinen heutigen Gästen einzuführen.“

„Darf man diese Vorbereitung kennen lernen?“

„Warum nicht? Es ist ja nur Spielerei. Lade einen tüchtigen Schuß grobe Iron-filings anstatt der Kugel oder des Schrotes, und ziele so, daß die Ladung den Vogel von hinten nach vorn überfliegt, so werden die Federn, falls sie nicht bereits zu stark sind, vollständig abrasiert und abgesengt. Du siehst, man braucht nicht die schwarze und weiße Magie studiert zu haben, um ein sogenannter Zauberkünstler zu sein. Übrigens galt es nur, mich mit Effekt bei diesen Gentlemen hier einzuführen; das Hühnchen mag ich nicht. Ich halte mich lieber auch an Deinen Lendenbraten. Hoffentlich ist es erlaubt, mich mit herzusetzen?“

„Natürlich! Diese beiden Gentlemen sind Freunde von mir, gute Bekannte von Old Shatterhand, den sie hier erwarten!“

„Old Shatterhand?“ fuhr der Juggle-Fred auf. „Ist das wahr?“

„Ja. Auch der dicke Jemmy will kommen.“

Heigh-day! Das ist ja eine Nachricht, wie man sie gar nicht besser hören kann! Habe diesen Old Shatterhand längst einmal zu sehen gewünscht, wenn auch nur so von weitem, denn gegen den muß unsereiner in der Ferne bleiben. Daß dieser Wunsch mir jetzt erfüllt werden kann, ist mir lieber, als ob ich eine Goldbonanza entdeckt hätte. Es freut mich unendlich, daß ich grad zur richtigen Zeit hierher gekommen bin.“

„Ebenso wird es Dich freuen, wenn du erfährst, daß dieser Sir ein Deutscher ist. Er heißt Frank und ist ein Kollege von ––“

„Frank?“ unterbrach ihn der Zauberkünstler. „Etwa gar der Hobble-Frank?“

„Sapperment!“ rief da der kleine Sachse. „Sie kennen also meinen Namen? Wie is das eegentlich die Möglichkeit?“

Er hatte deutsch gesprochen; darum antwortete der Juggle-Fred in derselben Sprache:

„Darüber brauchen Sie sich gar nicht zu wundern. Früher waren andere Zeiten; da geschahen gute und schlimme Heldenthaten in Menge hier im fernen Westen, und bei den mangelhaften Verbindungen, welche es gab, kam die Kunde davon nur sehr langsam vorwärts. Aber jetzt, wenn einmal etwas Hervorragendes geleistet wird, fliegt die Nachricht davon im Nu von den Seen bis Mexiko und vom alten Frisco bis nach New York. Ihr kühner Zug nach dem Yellowstonepark ist bereits weit bekannt, und Ihre Namen sind es natürlich auch. In jedem Fort, in jedem Settlement, an jedem Lagerfeuer, an welchem wenigstens zwei bei einander saßen, wurde von Ihrem Ritte und den einzelnen Personen, welche an demselben teilnahmen, erzählt, und so dürfen Sie sich nicht wundern, daß ich Ihren Namen kenne. Ein Fallensteller, welcher hoch droben am Spotted-Tail-Wasser mit Moh-aw, dem Sohne Tokvi-teys, gesprochen hatte und jetzt tief herab nach Fort Arbukle gekommen war, hat allen, die er traf, und zuletzt auch mir die Geschichte so ausführlich erzählt, wie er sie selbst gehört hatte.“

„Hören Sie,“ meinte Hobble-Frank, „wer weeß, was da alles vom Spotted-Tail-Wasser bis zum Fort Arbukle an die Geschichte gehängt worden is. Da wird aus eener Maus een Eisbär, aus eenem Regenwurm eene Riesenschlange und aus eenem bescheidenen Biberjäger zuletzt gar een hoch berühmter Hobble-Frank. Ich will’s ja gern zugeben, daß mir die reenen Herkulesse und Minotaurusse gewesen sind, aberst mehr, als wahr is, das laß ich mir nich gern nachsagen. Den Helden ziert die Tugend der rückhaltlosesten Bescheidenheit. Darum muß ich alles hinzugefügte offs schtrengste von mir abweisen und mich mit dem Krönungsmantel meiner eegenen persönlichen Würde und Vorzüglichkeet begnügen. Wenn man das nich thäte, so getraute es sich zuguterletzt keen Mensch mehr mit unsereenem zu schprechen und zu reden. Darum habe ich den Beschluß gefaßt, so herablassend und populär wie möglich zu sein, und ich hoffe, daß Sie das bei meinen berühmten Kenntnissen und Begebenheeten doppelt anerkennen werden. Weiter will ich an dieser Schtelle und zu dieser Schtunde gar nichts sagen, denn schon Nebukadnezar, welcher der Gott des Donners bei den alten Deutschen war, hat gesagt: Reden is bloß Silber, Schweigen aber is een Fufzigmarkschein!“

Fred machte ein ziemlich verblüfftes Gesicht und blickte Helmers fragend an. Dieser raunte ihm die erklärenden Worte „ein liebenswürdiges Original“ zu, worauf der Jugglemann nun wußte, wie er sich zu verhalten habe. Darum sagte er, indem er die treuherzigste und unbefangenste Miene zeigte:

„Es bedarf gar keiner Erklärung von Ihrer Seite. Ich habe bereits von dem erwähnten Berichterstatter vernommen, welch ein Ausbund von Bescheidenheit Sie sind. Das stellt natürlich Ihre Vorzüge in ein dreifach helles Licht und verzehnfacht mein Vergnügen, Sie hier kennen zu lernen. Ich wünsche von ganzem Herzen, als Freund von Ihnen an- und aufgenommen zu werden. Bitte, geben Sie mir Ihre Hand!“

Der streckte Frank die Hand entgegen. Dieser aber zog die seinige schnell zurück und antwortete:

„Halt, mein Bester, nich gar zu eilig! Was die Freundschaft betrifft, so nehme ich sie sehr ernst, denn sie is dasjenige der tragischen Temperamente, off welchem das erhabene Wohlbefinden der chemisch sophistischen Geistesbeziehungen aller irdischen Harmonie beruht. Ich habe da sehre trübe Erfahrungen gemacht und werde mich in Zukunft nur erst nach langer und eingehender Prüfung mit eener Seele vereinigen, die sich mit der wahren und wirklichen Bildung zusammengeschmolzen hat. Die Halbbildung verursacht doch nur unreenes Blut. Wenn ich mir eenmal een Möbelmang koofe, so muß es ooch von echtem Nußboom sein. Und grad so is es in Beziehung off das seelisch animalische Gebiet der freundschaftlichen Depressionen. Ehe wir nun uns also Schmollis und Vizudit nennen, muß ich Sie erscht genauer kennen lernen.“

„Ganz wie Sie wollen, Master Frank! Ich gebe Ihnen im allgemeinen sehr recht, zweifle aber auch keinen Augenblick daran, daß wir uns recht bald innig zugethan sein werden.“

„Das möchte ich vielleicht ooch glooben, denn ich habe da von Herrn Helmers erfahren, daß Sie een weitgereister und kunstsinniger Mann sind. Sie sollen ja der reenste Bosco sein!“

„Bosco? Haben Sie von diesem Künstler gehört?“

„Nur gehört? Gesehen habe ich ihn sogar und mit ihm gesprochen!“

„Ah! Wo denn?“

„Nun, Sie wissen vielleicht, daß er in der Nähe von Dresden gewohnt hat, wo er dann bei seinem Tode ooch gestorben is. Dort kannte ihn jedermann. Er kam ooch zuweilen nach Moritzburg, um sich die dortigen Ledertapeten und Hirschgeweihe im Jagdschlosse anzusehen. Wissen Sie, es gibt dort Geweihe von 24 bis 50 Enden und sogar eenen gradezu menschtrösen Sechsundsechzigender. Nachher pflegte er schtets im Gasthofe á la Quarte zu schpeisen. Ich war ooch oft da, weil ich dort mit dem Schulmeester, dem Nachtwächter und dem Hausknechte unser akademisch-Iinguistisch-phänomentales Kränzchen abhielt. Wir waren vier durschtige Geister, die nach Höherem schtrebten und Verlangen trugen, aus den halluzinatorischen Rhomboiden des Alltaglebens in eene lichtere Vivisektion empor zu schweben. Dort nun traf ich ooch eenmal mit dem berühmten Bosco zusammen. Er saß vorn und ich hinten, aberst unsere Regenschirme schtanden höchst vertraulich nebeneinander. Ich ging eher fort als er und vergriff mich falsch, denn ich kriegte seinen seidenen Parapluie in die Hand und ließ dafür meinen scharlachwollenen mit blauer Kante liegen. Er bemerkte es noch zur richtigen Zeit und rief mir zu: „Dummkopf, machen Sie doch die Augen auf! Meinen Sie etwa, daß ich Ihr feuerrotes Vizinaldach nach Dresden schleppen soll!“ Ich wechselte natürlich die Verwechselung sofort wieder um, sagte eenige entschuldigende, geistreiche Worte, machte ihm eene tiefe, höfliche Referende und schwenkte mich befriedigt zur Thüre hinaus. Dem Laien mögen seine Worte vielleicht nich grad übermäßig höflich vorkommen; der Eingeweihte aberst weeß sehr genau, daß so een großer Geist nur in geflügelten Worten schpricht, an welche een intermeetierend sensitiverer Maßschtab gelegt werden muß. Sie als gebildeter Erdenbürger und geographisch politischer Schutzverwandter werden das begreifen und mir das Testimonikum pauperenzia geben, daß ich mit dem allergrößten Rechte schtolz off diese Abendunterhaltung mit dem großen Künstler sein kann.“

„Gewiß, das bestätige ich,“ nickte der Juggle-Fred.

„Schön! ich danke Ihnen! Aus dieser Ihrer einschtimmigen Bereitwilligkeet zur Befestigung meiner angeschtammten Ehre und Remuneration ersehe ich mit scharfem Bücke, daß die Natur Sie ooch mit eenigen Gaben bedacht hat, welche noch zur schönsten Entwickelung kommen können, wenn Sie sich entschließen wollen, die westgotisch-byzantinische Loofbahn zu betreten, welche ich mit siegreichen Schritten zurückgelegt habe. Wenn Ihr geistiges Ahnungsvermögen vielleicht eenmal in eener philosophischen Attitüde schtecken bleiben sollte, so wenden Sie sich nur getrost an mich; ich werde Ihnen mit Vergnügen beischpringen und Sie sofort von der niederträchtigen Philomele befreien.“

„Philomele? Wieso?“

„Wissen Sie nich was Philomele is?“

„O doch. Es ist der dichterische Name für die Nachtigall.“

„Nachtigall? Sind Sie denn bei Troste! Was hat denn die Nachtigall mit der Hölle zu thun? Philomele war der Höllenhund, welchen der Cerberus zwischen seinen Beenen totgedrückt hat.“

„Ach so!“ meinte Fred, welcher sich anstrengen mußte, sein Lachen zu verbeißen. „Und wer war denn der Cerberus?“

„Das wissen Sie ooch nich? Nun, da können Sie von mir freilich gewaltig profitieren. Der Cerberus war eener von den beeden Dioskuren, welche die Schutzpockenimpfung erfunden haben. Der andere Dioskur war derjenige, welcher nach der Schlacht an der Alma sagte: jedem ein Ei, aber dem braven Silbermann zwei, denn er hat die Ziehharmonika erfunden! Solche Oogenblicke aus der vergangenen Weltgeschichte ––“

„Sie meinen wohl nicht die Ziehharmonika,“ fiel Fred ein. „Silbermann war ein Orgelbauer, welcher in Frauenstein in Sachsen geboren wurde.“

„Ganz richtig, ganz richtig! Aber eben weil er Orgelbauer war, is es ihm so leicht geworden, die Ziehharmonika zu erfinden. Er hat die erschte zu Napoleon gebracht, um sie ihm zu schenken; der aber hat ihn mit derselbigen schtolz wie een dummer Schpanier abgewiesen. Schpäter aber mußte er es bitter bereuen. Er wurde in der Völkerschlacht bei Cannä gefangen und von den Engländern nach der Felseninsel St. Helena geschafft. Unterwegs sagte er zum alten Derfflinger, der ihm alleene treu geblieben war: Als ich Silbermann mit seiner Ziehharmonika aus Kalkutta wies, habe ich meine Kaiserkrone weggeworfen.

jetzt konnte Fred sich nicht länger halten. Er brach in ein schallendes Gelächter aus, und Helmers fiel herzlich in dasselbe ein.

„Was gibt es denn zu lachen?“ fragte Hobble-Frank, halb erstaunt und halb zornig.

„Sie sind ja der reine Konfusionsrat!“ antwortete Fred.

„O bitte sehr! Es heeßt Kommissionsrat. Aberst der bin ich nich. Ich mache überhaupt nie eenen Anspruch auf Titulaturen, die mir nich gehören.“

„Das meine ich nicht. Ich wollte nur sagen, daß Sie die entgegengesetztesten Daten und Personen der Weltgeschichte miteinander verwechseln.“

„Was? Ich? Wie? Verwechseln? Wieso denn? Wollen Sie die Gewogenheet haben, mir das zu beweisen?“

„Sehr gern. Fulton, der Schöpfer der heutigen Dampfschiffahrt, hatte Napoleon seine Erfindung angeboten, war aber von demselben nicht berücksichtigt worden. Darum sagte später der Kaiser, als er dieses Fehlers gedachte: Als ich Fulton aus den Tuilerien wies, habe ich meine Kaiserkrone weggeworfen. Silbermann aber hat gar nicht zur damaligen Zeit gelebt.“

„So! Ach so! Meenen Sie! Wie schön Sie sich das zurecht gelegt haben! Aber mir, dem Hobble-Frank, dürfen Sie mit solchem Krimskrams nich kommen. Ich habe meine Weitgeschichte fest im Sacke! Nich mal mit eenem halben Ooge darf sie mir herausgucken. Es is ganz unmöglich, daß ich mich irren kann. Das mögen Sie sich für alle Zukunft merken, wenn wir wirklich gute Freunde werden wollen. Eene Blamage dulde ich nich, denn das geht mir gegen den Schtrich. Ich weeß ganz genau, daß die Weltgeschichte das Allerhöchste is, was die Menschheit zu leisten vermag, und schtimme dem alten Solon bei, der die Chladnischen Klangfiguren entdeckt hat und noch schterbend ausrief: Die Weltgeschichte is das Oberappellationsgericht mit drei Advokaten! Darum habe ich mich mit dem eisernsten Fleiß grad off die Weltgeschichte gelegt. Ich habe den Leuniß gelesen und den Robinson, Pierer’s Konversationslexikon und den Kladderadatsch, Sohrs Atlas und den alten Schäfer Thomas. Off diese Weise bin ich erscht mit Verschtand so langsam um die Weltgeschichte herumgegangen und habe mich nachher so successive hineingeschlichen, bis ich endlich grad im Mittelpunkte schtecken blieb. Ihr aber wollt mit allen Beenen zugleich und off eenmal hineinschpringen und bleibt infolgedessen schon am Rande kleben. Die Weltgeschichte muß sehr pfiffig angepackt werden. Sie darf gar nichts merken, daß man sich groß mit ihr abgeben will, sonst wird sie scheu und wirft eenen aus dem Sattel. Ich hab’s richtig angefaßt und sitze fest. Ihr aber liegt unten und denkt trotzdem, wunder was Ihr leisten könnt. Und was den Silbermann betrifft, so bin ich als geborener und anhänglicher Sachse sein Landsmann und muß also am allerbesten wissen, wie es sich mit seiner Ziehharmonika verhalten hat. Und mit Fulton dürfen Sie mir erst recht nich kommen. Den kenne ich inwendig und ooch auswendig. Er is der Dichter des schönen Abendliedes von der goldenen Abendsonne, welches drüben in Deutschland jedes Schulkind singen lernt. Der erste Vers lautet:

Wer hat dich, du schöner Wald, Offgebaut so schön?
Nie kann, wenn die Büchse knallt, Deinen Glanz ich sehn!

Und jetzt nach diesem Alibibeweise werden Sie so rechtlich denkend sein, mir zuzugeben, daß ich Sie in den Wissenschaften überflügelt habe und Ihnen ganz besonders in der Weltgeschichte überlegen bin. Nich?“

„Ja, wir geben es zu,“ lachte Fred. „Sogar in der Dichtkunst sind Sie unser Meister. Sie haben es in derselben, wie ich eben hörte, so weit gebracht, die Anfänge dreier Volkslieder in einer einzigen Strophe zu bringen.“

„O, das is gar nich schwer. Bei mir kommen die Jamben eben nur so gesäuselt. Ich gloobe nich, daß ich mich in Beziehung off die Künste und Wissenschaften vor eenem anderen zu verstecken brauche. Ich habe sogar schon off dem Kamme geblasen. Doch will ich mich nich etwa überheben. Das sind angeborene Vorzüge, off welche sich een bescheidener Charakter nichts einbildet, und darum nehme ich es Ihnen ooch gar nich etwa übel, wenn Sie sich mal von Ihrem Irrtume hinreißen lassen, zu denken, daß Sie gescheiter sind, als ich es bin. Da habe ich gern Nachsicht, denn ich weeß doch, wer ich bin, und denke im Schtillen bei mir: Ubi bene, ibi patria, zu deutsch: Ohne Beene kann man nich aus dem Vaterlande. Und da ich so glücklich aus dem meinigen gekommen bin, so muß ich doch also een Kerl sein, der, sozusagen, Arme und Beene, Hände und Füße hat.“

„Ja, das sind Sie, und das haben Sie. Am allermeisten aber gefällt mir an Ihnen, daß Sie meinen Lehrmeister gekannt haben.“

„Bosco? Er is Ihr Meester gewesen?“

„Ja, obgleich dieser Ausdruck etwas nach Handwerk klingt. Ich habe mehreren seiner berühmten Kollegen assistiert und mit ihnen fast ganz Europa und Nordamerika bereist.“

„Und was sind Sie denn vorher gewesen?“

„Erst besuchte ich das Gymnasium, wo ich – – –“

„O weh!“ fiel Frank ihm in die Rede. „Das is keene Empfehlung für Sie.“

„Warum?“

„Weil ich eene schtarke Idiosympathie gegen alles habe, was Gymnasiast gewesen is. Diese Leute überheben sich. Sie glooben nich, daß een Forschtbeamter ooch een Koryphäus werden kann. Ich habe das schon wiederholt erfahren. Natürlich aberst is es mir schtets kinderleicht geworden, diese Leute zu überzeugen, daß ich der Mann bin, mit Gigantenschritten über sie hinwegzuschteigen. Also so eene kleene Art von Schtudium haben Sie ooch durchgemacht?“

„Ja. Vom Gymnasium weg widmete ich mich auf den Rat meiner Gönner hin der Malerei und besuchte die Akademie. Ich hatte recht gute Anlagen, aber leider keine Ausdauer. Ich ermüdete und stieg von der wirklichen Kunst zu einer sogenannten herab – ich wurde Kunstreiter.“

„O wehe! Da können Sie mir freilich leid thun!“

„Ja, ja,“ nickte der Juggle-Fred ernst. „Ich war ein flotter Kerl, aber ohne Kraft und inneren Halt. Mit einem Worte, ich war leichtsinnig. Tausend und tausend Male habe ich es bereut. Was könnte ich heute sein, wenn ich es fest gewollt hätte!“

„Nun, die Begabung haben Sie wohl noch heute. Fangen Sie wieder an!“

„Jetzt? Wo die jugendliche Elastizität verloren gegangen ist? Übrigens habe ich hier eine Aufgabe zu lösen, weiche mich im Westen festhält.“

„Darf man erfahren, welche Aufgabe das ist?“

„Ich spreche nie davon und will Ihnen nur sagen, daß ich eine Person finden will und finden muß, nach welcher ich bisher vergeblich gesucht habe.“

„So könnte es Ihnen nur Nutzen bringen, wenn Sie mir sagen wollten, von welcher Person Sie reden.“

„Das ist mein Geheimnis.“

„Schade, sehr schade! Ich werde in den nächsten Tagen mit Leuten zusammenkommen, welche fast jeden Winkel des Westens kennen. Von ihnen könnten Sie Rat und That erwarten. Ich denke dabei natürlich an Old Shatterhand, an den dicken Jemmy, den langen Davy, an Winnetou, welcher ––“

„Winnetou?“ fiel Fred ein. „Meinen Sie den berühmten Apachenhäuptling?“

„Ja!“

„Ach richtig! Den müssen Sie ja auch kennen, weil er sich an jenem gefährlichen Ritte beteiligt hat. Also auch mit ihm treffen Sie zusammen?“

„Gewiß!“

„Wo?“

„Das hat er nur mit Old Shatterhand besprochen. Vermutlich aber wird es jenseits der Llano estakata sein.“

„Hm! Dann hoffe auch ich, ihn zu sehen. Ich will nämlich über die Staked Plains.“

„Allein?“

„Nein! ich bin von einer Gesellschaft engagiert, welche ich hinüber und dann noch bis EI Paso führen soll.“

„So sind es keine Westmänner, da sie eines Führers bedürfen?“ fragte Helmers.

„Nein. Es sind Yankees, welche hinüber wollen, um drüben in Arizona ein gutes Geschäft zu machen.“

„Doch nicht etwa in Diamanten?“

„Ja, grad in dieser Ware. Sie scheinen bedeutende Summen bei sich zu führen, um die Steine an Ort und Stelle billig einzukaufen.“

Helmers schüttelte den Kopf und fragte dann:

„Glaubst du denn an diese Diamantenfunde?“

„Warum nicht?“

„Hm! Ich meinerseits halte die ganze Geschichte für einen riesigen Humbug.“

Er hatte ganz recht. Zu jener Zeit tauchten plötzlich Gerüchte auf, daß in Arizona Diamantfelder entdeckt worden seien. Es wurden Namen von Personen genannt, welche durch glückliche Funde in wenigen Tagen steinreich geworden seien. Man zeigte auch Diamanten, wirkliche und zum Teil sehr kostbare Diamanten vor, welche dort gefunden worden sein sollten. Dieses Gerücht ging durch die ganze Breite des Kontinentes im Laufe einiger Wochen, ja einiger Tage. Die Diggers von Kalifornien und der nördlichen Distrikte verließen ihre einträglichen Diggins und eilten nach Arizona. Aber schon hatte sich die Spekulation des Feldes bemächtigt. Es waren in aller Eile Gesellschaften gebildet worden, welchen Millionen zur Verfügung standen. Die Diamantfelder sollten angekauft werden, damit man die Ausbeute derselben im großen betreiben könne. Kein Klaim sollte abgegeben werden. Agenten flogen hin und her, mit Demantproben in der Hand, welche man an den betreffenden Stellen nur so aufgelesen haben wollte. Sie schürten aus allen Kräften, und in kürzester Zeit wurde das Diamantfieber hochgradiger, als das Goldfieber es jemals gewesen war.

Vorsichtige Leute aber hielten ihre Taschen zu, und der Rückschlag, welchen sie vorhersagten, trat auch sehr bald ein. Der ganze, große Schwindel war von einigen wenigen, aber höchst „smarten“ Yankees in Szene gesetzt worden. Sie waren aufgetaucht, ohne daß man sie kannte und sie verschwanden wieder, ohne daß man sie inzwischen kennen gelernt hatte. Mit ihnen waren natürlich auch die Millionen verschwunden. Die Aktionäre fluchten vergeblich. Die meisten leugneten, Aktien besessen zu haben; sie wollten sich nicht auch noch auslachen lassen. Die so schnell berühmt gewordenen Diamantfelder lagen wieder öde wie vorher, und die ge- und enttäuschten Goldgräber kehrten nach ihren Diggins zurück, um dort zu finden, daß sich indessen andere da eingenistet hatten, welche klüger gewesen waren als sie. Damit war die Sache zu Ende, und niemand sprach mehr von ihn

Es war kurz nach Beginn dieses Diamantfiebers, daß die bisher geschilderten Szenen sich vor der Thüre von Helmers Home abspielten. Der Farmer gehörte zu denen, welche dem Gerüchte keinen Glauben schenkten. Der Juggle-Fred hingegen meinte:

„Ich will jetzt noch nicht an der Wahrheit zweifeln. Hat man anderswo Diamanten gefunden, warum sollten nicht auch in Arizona welche liegen. Mich freilich gehen sie nichts an. Ich habe anderes zu thun. Was sagen denn Sie dazu, Master Frank? Das Urteil eines Mannes von Ihrem Scharfsinne, Ihren Erfahrungen und Kenntnissen kann uns nur maßgebend sein.“

Hobble-Frank antwortete geschmeichelt:

„Es freut mich, daß Sie sich vertrauensvoll an mich wenden, denn bei mir sind Sie an die eegentlich richtige Schmiede gekommen. Bei dieser Gelegenheet könnte ich prächtig mit meinen mineralogisch idealen Kenntnissen glänzen. Ich könnte Ihnen entwickeln, wie der Diamant aus Luft, Kreide, Kochsalz und Glas entschteht, wodurch er nämlich durchsichtig wird, aberst ich weeß, daß Sie zu wenig Vorschtudien gemacht haben, um meinen eleganten, provisorischen Konschtruktionen folgen zu können. Ihr Geist is nich genug an solche plastische Schpektralmethoden gewöhnt und könnte leicht Halluzinationen an den Oogen und Ohren bekommen. Ich könnte Ihnen ooch sagen, wie der Diamant geschliffen wird, indem man nämlich von alten Zündholzschachteln das Sandpapier abreißt und ihn damit nach und nach abreibt; aber ooch das erfordert eene unmangelhafte Behendigkeit des Begriffsvermögens. Darum will ich ohne alle Umschweife den Ochsen an den Hörnern aus dem Schtalle ziehen, aus welchem Gleichnisse Sie ersehen werden, daß Sie dasjenige, was Sie wissen wollen, gleich hören werden. Ich bin nämlich der Ansicht, daß es um den Diamant freilich eene ganz schöne Sache is; aber es gibt außer ihm noch andere Sachen, die ebenso hübsch sind. Im Oogenblicke des Heeßhungers is mir eene geräucherte thüringer Servelatwurscht lieber als der größte Diamant. Und habe ich Durscht, so kann ich ihn mit keenem Brillanten löschen. Und kann der Mensch etwa mehr, als sich satt essen und satt trinken? Ich bin mit mir und mit meinem Schicksale leidlich gut zufrieden. Ich brauche keene Edelschteene nich. Oder sollte ich sie etwan zum Schtaate an meinen Amazonenhut hängen? Da habe ich eene Feder droff, und die genügt vollschtändig. Also, wenn ich wüßte, daß ich drüben in Arizona eenen Edelschteen finden thäte, so groß wie ungefähr das Heedelberger Faß oder wenigstens wie een ausgewachsener Kürbis von drei Zentnern Schwere, da ginge ich hinüber und holte mir ihn. Kleener aberst möchte ich ihn schon gar nich haben; das wäre mir viel zu deschpektierlich. Nun aberst gar nich zu wissen, ob man überhaupt was findet, und wenn man eenen findet, so is es een Knirps, so groß wie een Mohnkörnchen, nee und nein, da bringt mich keen Mensch nach die Diamantfelder. Also eenen, welcher drei Zentner wiegt, oder gar nichts; das is so meine unmaßgebliche Meenung und jeder vernünftige Mensch wird mir da freudig beistimmen. Wir sind Deutsche und brauchen keene Diamanten, denn een jeder von uns hat eenen Edelschteen in seiner Brust, nämlich das treue, deutsche Herz, von welchem der Dichter sagt:

Kein Demant ist, der diesem gleicht, So weit der liebe Himmel reicht.

Und wer von Ihnen mir da widerschprechen will, der mag es doch mal versuchen; ich aber rate ihm nich dazu, weil er seine Gliedmaßen hier in der Gegend hübsch langsam zusammenlesen müßte.“

„Brav gesprochen!“ rief Helmers, indem er dem kleinen Sachsen die Hand reichte. „Es ist wohl ganz undenkbar, daß ich jemals wieder in das Vaterland zurückkehren werde. Ich bekomme es niemals wieder zu sehen, aber mein Herz fliegt stündlich hinüber. Ihr habt sehr recht mit dem Edelsteine, und darum soll es uns gar nicht einfallen, uns um die Diamanten zu bekümmern, welche in Arizona gefunden worden sein sollen. Deine Gesellschaft, Fred, welche du hinüberführen sollst, wird wohl nicht die besten Geschäfte machen. Es wäre jedenfalls besser gewesen, wenn diese Leute mit ihrem vielen Gelde zu Hause geblieben wären. Sie können es sehr leicht los werden, ohne einen einzigen Diamanten dafür zu erhalten. Kluge Kerls scheinen es überhaupt nicht zu sein.“

„Warum?“

„Weil sie es sich merken lassen, daß sie bedeutende Mittel bei sich führen. Das ist stets und überall nicht wohlgethan, hier aber noch dümmer als anderswo.“

„Also die Leute wollen nachkommen? Wann werden sie hier eintreffen?“

„Morgen nach Mittag, wie ich vermute. Sie hatten noch zwei Packpferde zu kaufen, wozu wenigstens ein halber Tag gehört. Darum bin ich vorausgeritten, um die Zeit bis morgen lieber bei dir zuzubringen.,“

„Daran hast du sehr wohlgethan, alter Freund. Wie viel Personen sind es denn?“

„Es sind ihrer sechs, von denen einige ein etwas grünes Aussehen und Benehmen haben, was mir aber natürlich sehr gleichgültig ist. Sie scheinen aus New Orleans zu kommen und sich einzubilden, daß sie mit Millionen wieder dorthin zurückkehren werden. Sie benehmen sich etwas übermütig, doch geht mich das nichts an. Sie bezahlen mich, und alles übrige kann mir sehr gleichgültig sein.“

„Werden sie denn den Weg zu mir finden?“

„Sicher, denn ich habe ihnen denselben so genau beschrieben, daß sie gar nicht irren können. Ah, Bob, was gibt es?“

Diese letztere Frage galt dem Neger.

Der Tag hatte sich nämlich indessen zur Rüste geneigt, und die Dämmerung, welche in jenen Gegenden eine außerordentlich kurze ist, war hereingebrochen. Es war bereits so düster, daß man nicht mehr sehr weit zu sehen vermochte. Bob und Bloody-Fox hatten trotz des sehr anregenden Gespräches den Mormonen stets im Auge behalten. Dieser war bemüht gewesen, sich so zu stellen, als ob er gar nicht auf das Gespräch achte, und da die anderen wohl der Meinung waren, daß ein Mormone, dessen ganzes Wesen ihn als Yankee erschienen ließ, die deutsche Sprache wenig oder gar nicht verstehe, so hatten sie so laut gesprochen, daß es ihm möglich war, jedes Wort zu verstehen.

Zu den Überschwenglichkeiten des Hobble-Frank hatte er keine Miene verzogen, und das war ganz geeignet, den Glauben zu verstärken, daß er überhaupt nichts verstehe. Aber sobald die Rede auf die Diamantfelder gekommen war, war er auf seiner Bank langsam und unmerklich näher gerückt. Und als dann der Juggle-Fred von den sechs Männern sprach, welche er durch die Llano estakata führen sollte, hatten seine Züge den Ausdruck großer Spannung angenommen. Bei der Bemerkung, daß diese sechs viel Geld bei sich zu führen schienen, hatte ein Lächeln der Befriedigung um seine dünnen Lippen gespielt, was aber wegen der eingetretenen Dämmerung nicht zu bemerken gewesen war.

Zuweilen hatte er den Kopf erhoben, als ob er horche, und seinen Blick ungeduldig nach der Gegend gerichtet, aus welcher er gekommen war. Er wußte, daß er sich so ziemlich als einen Gefangenen zu betrachten habe, denn die Augen des Negers blieben beständig auf ihn gerichtet. Auch daß der Bloody-Fox ihn scharf fixierte, bemerkte er. Es wurde ihm von Minute zu Minute unheimlicher. Er mußte an die Drohung des Negers denken, und er traute dem Schwarzen die Ausführung derselben zu.

jetzt nun, da es fast dunkel geworden war, schien es ihm möglich zu sein, sich schnell auf und davon machen zu können, was später sicher viel schwieriger auszuführen war, da Bob wohl bei völliger Dunkelheit irgend eine Maßregel ergreifen werde, welche geeignet war, ihn nicht entkommen zu lassen. Darum langte er jetzt nach dem Päckchen, welches er mitgebracht hatte, und zog es allmählich zu sich heran. Er wollte dann plötzlich aufspringen und mit schnellen Sprüngen um die Ecke des Hauses biegen. War er einmal hinter dem dort stehenden Gesträuch verschwunden, so hatte er irgend welche Verfolger wohl kaum mehr zu fürchten.

Aber er hatte sich in Bob verrechnet. Dieser war wie die meisten Neger, welche einen einmal gefaßten Entschluß mit größter Beharrlichkeit zu verfolgen pflegen. Der Schwarze hatte wohl bemerkt, daß der Mormone sich des Päckchens zu versichern strebte und erhob sich, eben als der letztere aufspringen wollte, so schnell von seinem Sitze, daß er Helmers fast umgerissen hätte. Daher die Frage des Wirtes an ihn, was es denn gebe. Bob antwortete:

„Masser Bob haben sehen, daß Dieb fort wollen. Greifen schon nach Paket. Wollen schnell entspringen. Masser Bob aber ihn auf anderem Grund und Boden niederschlagen, darum mit ihm gehen und ihn nicht aus den Augen lassen.“

Er setzte sich auf das äußerste Ende der Bank, so daß er sich, obgleich der Mormone am anderen Tische saß, ganz nahe bei demselben befand.

„Laß den Kerl lieber laufen!“ mahnte der Wirt. „Er ist es vielleicht gar nicht wert, daß du so auf ihn achtest.“

„Massa Helmers haben recht. Er es nicht wert sein, aber Geld es wert sein, welches er haben gestohlen. Er nicht fortkommen, ganz gewiß nicht ohne Begleitung von Masser Bob!“

„Wer ist denn eigentlich dieser Kerl?“ fragte der Juggle-Fred leise. „Er hat mir gleich im ersten Augenblick nicht gefallen. Er hat ganz das Aussehen eines Wolfes, welcher im Schafskleide umherläuft. Als ich ihn erblickte, war es mir ganz so, als ob ich diese scharfe, spitze Physiognomie schon einmal gesehen haben müsse, und zwar unter Umständen, ,welche nicht günstig für ihn sprechen.“

Helmers erklärte ihm, weshalb Bob es so nachhaltig auf den Verdächtigen abgesehen habe, und fügte hinzu:

„Auch Bloody-Fox scheint sich mehr, als er merken lassen will, mit dem Manne zu beschäftigen. Oder nicht?“

Well!“ antwortete der junge Mann. „Dieser Heilige der letzten Tage hat mir etwas gethan, und zwar etwas sehr Schlimmes.“

„Wirklich? Was denn? Warum stellst du ihn nicht zur Rede?“

„Weil ich nicht weiß, was es gewesen ist.“

„Das wäre doch sonderbar. Wenn du so überzeugt bist, daß er dir etwas so Böses zugefügt hat, so mußt du doch auch wissen, was es ist.“

„Eben das kann ich nicht sagen. Ich habe mir fast das Gehirn zermartert, um mich zu erinnern, aber vergebens. Es ist mir, als ob ich das Entsetzliche geträumt und die Einzelheiten des Traumes wieder vergessen habe. Und wegen einer solchen unbestimmten, nebelhaften Ahnung kann ich mich doch nicht an den Kerl machen.“

„Das begreife ich nicht. Was ich weiß, das pflege ich zu wissen. Von nebelhaften Ahnungen ist bei mir niemals die Rede. Übrigens ist es dunkel geworden. Gehen wir hinein in die Stube?“

„Nein, denn das Haus ist diesem Kerl verboten, und ich muß ihn beobachten. Darum bleibe ich hier. Vielleicht fällt es mir doch noch ein, was ich mit ihm auszugleichen habe.“

„So will ich wenigstens für genügende Beleuchtung sorgen, damit er sich nicht dennoch davonschleichen kann.“

Er ging in das Haus zurück und kehrte bald mit zwei Lampen wieder. Diese bestanden sehr einfach aus blechernen Petroleumkannen, aus deren Öffnungen ein starker Docht hervorsah. Glascylinder und Schirm gab es nicht dabei. Dennoch reichten die beiden dunkel lodernden und stark qualmenden Flammen vollständig aus, den Platz vor der Thür zu erleuchten.

Eben als der Wirt die Lampen an zwei Baumäste gehängt hatte, ließen sich Schritte hören, welche sich von daher näherten, wo die Maisfelder lagen.

„Meine Hands kommen heim,“ sagte Helmers.

Unter „Hand“ versteht der Amerikaner jede männliche oder weibliche Person, welche sich in seinem Dienst befindet. Er hatte sich geirrt. Als der Nahende in den Lichtkreis trat, sah man, daß er ein Fremder sei.

Er war ein langer, starker, vollbärtiger Kerl, vollständig mexikanisch gekleidet, doch ohne Sporen, was hier auffallen mußte. Aus seinem Gürtel blickten die Griffe eines Messers und zweier Pistolen hervor, und in der Hand trug er eine schwere, mit silbernen Ringen verzierte Büchse. Als seine dunklen Augen mit scharfem, stechendem Blicke über die einzelnen Personen der Gruppe flogen, machte er den Eindruck eines physisch starken, aber auch rohen Menschen, von welchem man zarte Regungen nicht erwarten dürfe.

Als sein Blick über das Gesicht des Mormonen streifte, zuckte er auf eine eigentümliche Weise mit der Wimper. Niemand als nur der Mormone bemerkte das. Es war jedenfalls ein Zeichen, welches diesem letzteren galt.

Buenas tardes, Sennores!“ grüßte er. „Ein Abend bei bengalischer Beleuchtung? Der Besitzer dieser Hacienda scheint ein poetisch angelegter Mann zu sein. Erlaubt, daß ich mich für eine Viertelstunde bei Euch ausruhe, und gebt mir einen Schluck zu trinken, wenn überhaupt hier etwas zu bekommen ist.“

Er hatte in jenem spanisch-englischen Mischmasch gesprochen, dessen man sich an der mexikanischen Grenze häufig zu bedienen pflegt.

„Setzt Euch nieder, Sennor!“ antwortete Helmers in demselben Jargon. „Was wollt Ihr trinken? Ein Bier oder einen Schnaps?“

„Bleibt mir mit Eurem Bier vom Leibe! Ich mag von solcher deutschen Brühe nichts wissen. Gebt mir einen kräftigen Schnaps, aber nicht zu wenig. Verstanden?“

Seine Haltung und sein Ton waren diejenigen eines Mannes, welcher nicht gewohnt war, mit sich scherzen zu lassen. Er trat ganz so auf, als ob er hier zu gebieten habe. Helmers stand auf, um das Verlangte zu holen und deutete auf die Bank, wo er dem Fremden Platz gemacht hatte. Dieser aber schüttelte den Kopf und sagte:

„Danke, Sennor! Hier sitzen schon viere. Will lieber dem Caballero Gesellschaft leisten, welcher da so einsam sitzt. Bin die weite Savanne gewohnt und habe es nicht gern, so eng bei einander zu kleben.“

Er lehnte sein Gewehr an den Stamm des Baumes und setzte sich zu dem Mormonen, den er mit einem leichten Griffe an den breiten Rand seines Sombrero grüßte. Der Heilige des jüngsten Tages erwiderte den Gruß in ganz derselben Weise. Beide thaten, als ob sie einander vollständig fremd seien.

Helmers war in das Haus getreten. Die anderen verschmähten aus natürlicher Höflichkeit, ihre Blicke in auffälliger Weise auf den Fremden zu richten. Das gab demselben die willkommene Gelegenheit, dem Mormonen zuzuraunen:

„Warum kommst du nicht? Du weißt doch, daß wir Nachricht haben wollen.“

Er sprach dabei das reinste Yankee-Englisch.

„Man läßt mich nicht fort,“ antwortete der Gefragte.

„Wer denn?“

„Dieser verdammte Nigger da.“

„Der kein Auge von dir verwendet? Was hat er denn?“

„Er behauptet, daß ich seinem Herrn Geld gestohlen habe, und will mich lynchen.“

„Mit dem ersteren kann er das Richtige getroffen haben; das letztere aber mag er sich aus dem Sinne schlagen, falls er es nicht riskieren will, daß wir ihm mit unseren Peitschen sein schwarzes Fell blutrot färben. Gibt es etwas Neues hier?“

„Ja. Sechs Diamond-boys wollen mit bedeutenden Summen über die Llano.“

„Alle Teufel! Sollen uns willkommen sein! Werden ihnen ‚mal in die Taschen gucken. Bei der letzten, armseligen Gesellschaft war ja gar nichts zu finden. Doch still! Helmers kommt.“

Der Genannte kehrte mit einem Bierglase voll Schnaps zurück. Er stellte es vor den Fremden und sagte:

„Da, wohl bekomme es, Sennor! Habt heut‘ wohl einen weiten Ritt hinter Euch?“

„Ritt?“ antwortete der Mann, indem er fast den halben Inhalt des Glases hinuntergoß. „Habt Ihr keine Augen? Oder vielmehr, habt Ihr zu viele Augen, so daß Ihr seht, was gar nicht vorhanden ist? Wer reitet, muß doch ein Pferd haben!“

„Gewiß.“

„Nun, wo ist denn das meinige?“

„Jedenfalls da, wo Ihr es gelassen habt.“

Válgame Dios! Ich werde doch wohl mein Pferd nicht 30 Meilen weit zurücklassen, um bei Euch einen Brandy zu trinken, der nicht für den Teufel taugt!“

„Laßt ihn im Glase, wenn er Euch nicht schmeckt! Übrigens besinne ich mich nicht, von 30 Meilen gesprochen zu haben. So wie Ihr hier vor mir sitzt, seid Ihr ein Mann, der jedenfalls ein Pferd hat. Wo es steht, das ist nicht meine Sache, sondern die Eurige.“

„Das denke ich auch. Ihr habt Euch überhaupt um mich nicht zu bekümmern. Verstanden!“

„Wollt Ihr mir das Recht bestreiten, mich um diejenigen zu bekümmern, welche hier auf meiner einsamen Farm einkehren?“

„Fürchtet Ihr Euch etwa vor mir?“

„Pah! Ich möchte denjenigen Menschen sehen, vor welchem John Helmers sich fürchtet!“

„Das ist mir lieb, denn ich möchte Euch nur fragen, ob ich in Eurem Hause für diese Nacht ein Lager bekommen kann.“

Er warf bei diesen Worten einen lauernden Blick auf Helmers. Dieser antwortete:

„Für Euch ist kein Platz vorhanden.“

„Caracho! Warum nicht?“

„Weil Ihr selbst gesagt habt, daß ich mich nicht um Euch zu bekümmern habe.“

„Aber ich kann doch nicht noch in der Nacht bis zu Eurem nächsten Nachbar laufen, bei welchem ich erst morgen mittag ankommen würde!“

„So schlaft im Freien! Der Abend ist mild, die Erde weich und der Himmel die vornehmste Bettdecke, welche es nur geben kann.“

„So weist Ihr mich wirklich fort?“

„Ja, Sennor. Wer mein Gast sein will, muß sich einer größeren Höflichkeit befleißigen, als Ihr uns gezeigt habt.“

„Soll ich Euch etwa, um in irgend einem Winkel schlafen zu dürfen, zur Begleitung der Guitarre oder Mandoline ansingen? Doch, ganz wie Ihr wollt! Ich brauche Eure Gastfreundschaft nicht und finde überall einen Platz, an welchem ich vor dem Einschlafen darüber nachdenken kann, wie ich mit Euch reden werde, wenn wir uns einmal anderswo begegnen sollten.“

„Da vergeßt aber ja nicht, bei dieser Gelegenheit auch mit an das zu denken, was ich Euch darauf antworten würde!“

„Soll das eine Drohung sein, Sennor?“

Der Fremde erhob sich bei diesen Worten und richtete seine hohe, breite Gestalt gebieterisch dem Wirte gegenüber auf.

„O nein,“ lächelte dieser furchtlos. „Solange ich nicht zum Gegenteile gezwungen werde, bin ich ein sehr friedlicher Mann.“

„Das will ich Euch auch geraten haben. Ihr wohnt hier beinahe am Rande der Llano des Todes. Da erfordert die Vorsicht, daß Ihr mit den Leuten möglichst Frieden haltet, sonst könnte der Geist der Llano estakata einmal ganz unerwartet den Weg zu Euch finden.“

„Kennt Ihr ihn etwa?“

„Habe ihn noch nicht gesehen. Aber man weiß ja, daß er am liebsten aufgeblasenen Leuten erscheint, um sie in das jenseits zu befördern.“

„Ich will Euch nicht widersprechen. Vielleicht sind alle diejenigen, welche man, vom Geiste durch einen Schuß in die Stirn getötet, in der Llano gefunden hat, einst aufgeblasene Wichte gewesen. Aber eigentümlich ist es doch, daß diese Kerls alle Räuber und Mörder gewesen sind.“

„Meint Ihr?“ fragte der Mann in höhnischem Tone. „Könnt Ihr das beweisen?“

„So leidlich. Man hat ohne eine einzige Ausnahme bei diesen Leuten stets Gegenstände gefunden, welche früher solchen gehörten, die in der Llano ermordet und ausgeraubt worden waren. Das ist doch Beweis genug.“

„Wenn das so ist, so will ich Euch freundschaftlich warnen: Macht ja nicht einmal hier auf Eurer abgelegenen Farm einen Menschen kalt, sonst könntet Ihr auch einmal mit einem Loche in der Stirn gefunden werden.“

„Sennor!“ fuhr Helmers auf. „Sagt noch ein solches Wort, so schlage ich Euch nieder. Ich bin kein Mörder, sondern ein ehrlicher Mann. Viel eher könnte man denjenigen einer solchen That für fähig halten, der sein Pferd versteckt, um die Meinung zu erwecken, daß man es nicht mit einem Bravo, sondern mit einem armen, ungefährlichen Manne zu thun habe.“

„Gilt das etwa mir?“ zischte der Fremde.

„Wenn Ihr es Euch annehmen wollt, so habe ich nichts dagegen. Ihr seid heut bereits der zweite, der mir vorlügt, kein Pferd zu besitzen. Der erste ist dieser Heilige der letzten Tage. Vielleicht stehen eure beiden Pferde bei einander. Vielleicht stehen auch noch andere Pferde und auch noch Reiter dabei, um auf eure Rückkehr zu warten. Ich sage Euch, daß ich in dieser Nacht mein Haus bewachen und morgen mit Tagesanbruch die Umgegend säubern werde. Da wird es sich höchst wahrscheinlich zeigen, daß Ihr sehr gut beritten seid!“

Der Fremde ballte beide Fäuste, erhob die rechte zum Schlage, trat um einen Schritt näher an Helmers heran und schrie-

„Mensch, willst du etwa sagen, daß ich ein Bravo sei? Sage es mir deutlich, wenn du Mut hast; dann erschlage ich –“

Er wurde unterbrochen.

Bloody-fox hatte diesem Manne weniger Aufmerksamkeit geschenkt als dessen Gewehre. Als der Fremde sich erhoben hatte und dem Baume nun den Rücken zukehrte, stand der Jüngling auf und trat an den Stamm, um das Gewehr genau zu betrachten. Sein bisher gleichgültiges Gesicht nahm einen ganz anderen Ausdruck an. Seine Augen leuchteten, und ein Zug eiserner, gnadenloser Entschlossenheit legten sich um seinen Mund. Er wendete sich zu dem Fremden und legte demselben, ihn in der Rede unterbrechend, die Hand auf die Achsel.

„Was willst du, Junge?“ fragte der Mann.

„Ich will dir an Helmers‘ Stelle Antwort geben,“ antwortete Bloody-fox in ruhigem Tone. „Ja, du bist ein Bravo, ein Räuber, ein Mörder. Nimm dich vor dem Geiste der Llano in acht, den wir den Avenging-ghost nennen, weil er jeden Mord mit einer Kugel durch die Stirn an dem Mörder zu rächen pflegt.“

Der Riese trat mehrere Schritte zurück, maß den Jüngling mit einem erstaunt verächtlichen Blicke und lachte dann höhnisch auf:

„Knabe, Bursche, Junge, bist du toll? Ich zerdrücke dich doch mit einem einzigen Griffe meiner Hände zu Brei!“

„Das wirst du bleiben lassen! Bloody-fox ist nicht so leicht zu zermalmen. Du hast geglaubt, Männern gegenüber unverschämt sein zu können. Nun kommt ein Knabe, um dir zu beweisen, daß du gerad‘ so wenig zu fürchten bist wie ein toter Mensch. Betrachte dich von diesem Augenblicke an als Leiche! Die Mörder der Llano werden vom Avenging-ghost mit dem Tode bestraft. Du bist ein Mörder, und da der Geist nicht anwesend ist, werde ich seine Stelle vertreten. Bete deine letzten drei Pasternoster und Ave Marias; du hast vor dem ewigen Richter zu erscheinen!“

Diese Worte des jungen Mannes, welcher noch ein halber Knabe war, machten einen außerordentlichen Eindruck auf die Anwesenden. Er kam ihnen ganz anders vor als vorher. Sein Auftreten war noch mehr als dasjenige eines erwachsenen Mannes. Er stand da, stolz aufgerichtet, mit drohend erhobenem Arme, blitzenden Augen und einem unerschütterlichen Entschluß in den festen Zügen – ein Bote der Gerechtigkeit, ein Vollstrecker des gerechten Strafgerichtes.

Der Fremde war, trotzdem er den Jüngling fast um Kopfeslänge überragte, bleich geworden. Doch faßte er sich schnell, stieß ein lautes Gelächter aus und rief:

„Wahrhaftig, er ist verrückt! Ein Floh will einen Löwen verschlingen! So etwas hat noch niemand gehört! Mensch, beweise es doch einmal, daß ich ein Mörder bin!“

„Spotte nicht! Was ich sage, das geschieht, darauf kannst du dich verlassen! Wem gehört das Gewehr, welches da am Stamme des Baumes lehnt?“

„Natürlich mir.“

„Seit wann ist es dein Eigentum?“

„Seit über zwanzig Jahren.“

Trotz seines vorigen Gelächters und seiner geringschätzigen Worte machte die jetzige Haltung des Knaben einen solchen Eindruck auf den starken Mann, daß ihm gar nicht der Gedanke kam, ihm die Antwort zu verweigern.

„Kannst du das beweisen?“ fragte Bloody-fox weiter.

„Kerl, wie soll ich das beweisen? Kannst du etwa den Beweis des Gegenteils erbringen?“

„Ja. Diese Büchse gehörte dem Sennor Rodriguez Pinto auf der Estanzia del Meriso drüben bei Cedar Grove. Er war vor zwei Jahren mit seinem Weibe, seiner Tochter und drei Vaqueros hüben in Caddo-Farm auf Besuch gewesen. Er verabschiedete sich dort, kehrte aber niemals heim. Kurze Zeit darauf fand man die sechs Leichen in der Llano estakata, und die Spuren im Boden verrieten, daß die Pfähle versteckt, also in falsche Richtung geordnet worden waren. Diese Büchse war die seinige; er trug sie damals bei sich. Hättest du behauptet, sie während der angegebenen Zeit von irgend wem gekauft zu haben, so wäre die Sache zu untersuchen. Da du aber behauptest, sie bereits zwanzig Jahre zu besitzen, so hast du sie nicht von dem Schuldigen gekauft, sondern bist selbst der Mörder und als solcher dem Gesetze der Llano estakata verfallen.“

„Hund!“ knirschte der Fremde. „Soll ich dich zermalmen! Dieses Gewehr ist mein Eigentum. Beweise es doch, daß es diesem Haziendero gehört hat!“

„Sogleich!“

Er nahm das Gewehr vom Stamme des Baumes weg und drückte an einer der kleinen Silberplatten, welche in den unteren Teil des Kolbens eingelegt waren. Sie sprang auf und unter ihr zeigte sich ein zweites Plättchen mit dem vollständigen Namen, den er vorher genannt hatte.

„Schaut her!“ sagte er, das Gewehr den anderen zeigend. „Hier ist der unumstößliche Beweis, daß dieses Gewehr Eigentum des Haziendero war. Er hat es mir einigemale geborgt; daher kenne ich es so genau. Es ist höchst gefährlich für einen Mörder, einen geraubten Gegenstand, dessen Eigentümlichkeiten ihm unbekannt sind, mit sich umherzutragen. Ich will euch nicht fragen, ob ihr diesen Mann für den Mörder haltet. Ich selbst, ich halte ihn für denselben, und das genügt. Seine Augenblicke sind gezählt.“

„Die deinigen auch!“ schrie der Fremde, indem er auf ihn einsprang, um ihm das Gewehr zu entreißen.

Aber Bloody-fox trat blitzschnell einige Schritte zurück, schlug die Büchse auf ihn an und gebot:

„Stehen bleiben, sonst trifft dich die Kugel. Ich weiß genau, wie man mit solchen Leuten umzuspringen hat. Hobble-Frank, Juggle-Fred, legt auf ihn an, und wenn er sich bewegt, so schießt ihr ihn sofort nieder!“

Die beiden Genannten hatten im Nu ihre Gewehre erhoben und auf den Fremden gerichtet. Es handelte sich hier um das Prairiegesetz, welches nur einen einzigen, aber vollständig genügenden Paragraphen hat; da gibt es für einen braven Westmann kein Zaudern.

Der Fremde sah, daß Ernst gemacht wurde. Es handelte sich um sein Leben; darum stand er bewegungslos.

Bloody-fox senkte jetzt das Gewehr, da die beiden anderen Büchsen den Mann auf seiner Stelle hielten, und sagte:

„Ich habe dir dein Urteil gesprochen, und es wird sofort vollstreckt werden.“

„Mit welchem Rechte?“ fragte der Fremde mit vor Grimm bebender Stimme. „Ich bin unschuldig. Und selbst wenn ich schuldig wäre, brauche ich es mir nicht gefallen zu lassen, von solchen hergelaufenen Leuten gelyncht zu werden, am allerwenigsten aber von einem Kinde, wie du bist.“

„Ich werde dir zeigen, daß ich kein Kind bin. Ich will dich nicht töten, wie ein Henker den Delinquenten tötet. Du sollst Auge in Auge mir gegenüberstehen, jeder mit seinem Gewehre in der Hand. Deine Kugel soll ebensogut mich treffen können, wie dich die meinige treffen wird. Es soll kein Mord, sondern ein ehrlicher Kugelwechsel sein. Wir setzen Leben gegen Leben, obgleich ich dich sofort niederschießen könnte, da du dich in meiner Hand befindest.“

Der junge Mann stand in aufrechter, selbstbewußter Haltung vor dem Fremden. Sein Ton war ernst und bestimmt, und doch klangen seine Worte so gelassen, als sei ein solcher Zweikampf auf Leben und Tod etwas ganz Einfaches und Alltägliches. Er imponierte allen Anwesenden, den einzigen ausgenommen, an den seine Worte gerichtet waren. Oder ließ dieser den Eindruck nicht merken, welchen das Verhalten seines Gegners auf ihn hervorbrachte? Er schlug ein lautes, höhnisches Gelächter auf und antwortete:

„Seit wann führen denn hier an der Grenze unreife Knaben das große Wort? Denke nicht etwa, daß ich mich wegen deines Mutes oder deiner Umsicht in deiner Hand befinde! Wenn diese Männer nicht da gewesen wären, um ihre Läufe auf mich zu richten, hätte ich dich bereits abgewürgt, wie man einem fürwitzigen Sparrow den Kopf abdreht. Bist du wirklich so verrückt, dich mit mir messen zu wollen, so habe ich nichts dagegen. Mache dich aber ja darauf gefaßt, heute dein letztes Wort gesprochen zu haben! Meine Kugel hat noch nie gefehlt. Du kannst auf Gift wetten, daß sie auch dir den Weg zur Hölle zeigen wird! Aber ich halte dich und die anderen bei dem, was dein großes Maul gesprochen hat. Ich verlange einen ehrlichen Kampf und dann ein freies und offenes Feld für den Sieger!“

„Du sollst beides haben,“ antwortete Bloody-fox.

„Hast du mich auch recht verstanden? Wenn du von meiner Kugel gefallen bist, darf ich gehen, wohin es mir beliebt, und keiner hat das Recht, mich zurückzuhalten!“

„Oho!“ rief da Helmers. „So haben wir nicht gewettet. Selbst wenn du Glück im Schusse haben solltest, sind wohl noch einige Gentlemen da, welche dann ein Wort mit dir zu sprechen haben. Ihnen wirst du Rede stehen müssen.“

„Nein, so nicht!“ fiel Bloody-fox ein. „Der Mann gehört mir. Ihr habt kein Recht an ihm. Ich allein bin es, der ihn herausgefordert hat, und ich habe ihm mein Wort gegeben, daß der Kampf ein ehrlicher sein werde. Dieses Versprechen müßt Ihr halten, wenn ich falle. Es soll nach meinem Tode nicht heißen, daß mein Versprechen keinen Wert gehabt habe.“

„Aber, Boy, bedenke doch – – – !“

„Es ist nichts, gar nichts zu bedenken!“

„Soll dich ein notorischer Schuft ungestraft niederschießen können?“

„Wenn es ihm gelingt, ja, denn es ist mein Wille gewesen, mich mit ihm zu schießen. Es ist wahr, er gehört unbedingt zu den Staked Plain Vultures und sollte eigentlich ohne langes Gerede mit Knütteln erschlagen werden. Aber so eine Henkerei widerstrebt mir, und wenn ich ihn eines anderen und besseren Todes würdige, so muß diese außerordentliche Vergünstigung auch nach meinem Tode Wirkung haben. Ihr versprecht mir also jetzt mit Wort und Handschlag, daß er sich ungehindert entfernen kann, falls er mich erschießt!“

„Wenn du nicht anders willst, so müssen wir es thun; aber du gehst mit dem Vorwurf von der Erde, durch deine ungerechtfertigte Milde dafür gesorgt zu haben, daß dieser Schurke sein Handwerk auch fernerhin betreiben kann!“

„Nun, was das betrifft, so bin ich sehr, sehr ruhig. Er hat gesagt, daß seine Kugel niemals fehle. Wollen sehen, ob die meinige wohl im Laufe steckt, um ein Loch nur in die Luft zu machen. Sage also, Kerl, auf welche Distanz wir uns schießen wollen!“

„Fünfzig Schritte,“ antwortete der Fremde, an welchen die letztere Aufforderung gerichtet war.

„Fünfzig!“ lachte Bloody-fox. „Das ist nicht allzu nahe. Du scheinst deine Haut ganz außerordentlich lieb zu haben. Aber es soll dir doch nichts nützen. Weißt du, ich will dir die freundschaftliche Mitteilung machen, daß ich ganz genau so wie der Avenging-ghost zu zielen pflege, nämlich nach der Stirn. Nimm also die deinige in acht! Ich befürchte, du wirst an dem heutigen gesegneten Tage einige Lot Blei durch den Verstand bekommen. Ob du das vertragen wirst, das ist nicht meine Sache, sondern die deinige.“

„Immer schneide auf, Knabe!“ knirschte sein Gegner. „Ich habe erhalten, was ich wünschte, das Versprechen des ungehinderten Weges. Machen wir die Sache kurz. Gib mir mein Gewehr!“

„Wenn die Vorbereitungen getroffen sind, sollst du es haben, eher nicht, denn es ist dir nicht zu trauen. Der Wirt mag die Distanz abmessen, fünfzig Schritte. Haben wir Posto gefaßt, so mag Bob sich mit der einen Lampe zu dir, Hobble-Frank sich mit der anderen zu mir stellen, damit wir beide einander genau sehen können und ein sicheres Ziel haben. Dann gibt Juggle-Fred dir dein Gewehr in die Hand, Helmers mir das meinige. Helmers kommandiert, und von diesem Augenblick an können wir beide ganz beliebig schießen, jeder zwei Kugeln, denn unsere Gewehre sind doppelläufig.“

„Avancieren wir dabei?“ fragte der Fremde.

„Nein! Du hast die Distanz bestimmt, und dabei hat es zu bleiben. Wer seinen Platz verläßt, bevor die Kugeln gewechselt worden sind, der wird von dem, welcher ihm das Licht hält, niedergeschossen. Zu diesem Zwecke werden Bob und Frank ihre gespannten Pistolen oder Revolver bereit halten.

Erschossen wird auch derjenige von uns beiden, dem es einfallen sollte, sich zu entfernen, bevor sein Gegner die beiden Schüsse abgefeuert hat.“

„Schön! So sein sehr schön!“ rief Bob. „Masser Bob sofort geben Schuft eine Kugel, wenn er wollen laufen!“

Er zog die Waffe aus dem Gürtel und zeigte sie unter drohendem Grinsen dem Fremden.

Die anderen erklärten sich mit den Bedingungen Bloody-fox‘ einverstanden, und die Vorbereitungen wurden sofort getroffen. Sie waren damit alle so beschäftigt, daß es keinem einfiel, auf den frommen Tobias Preisegott Burton besonders acht zu geben. Diesem schien die Szene jetzt ganz gut zu behagen. Er rückte langsam von seinem Platze nach der Ecke der Bank und zog die Füße unter dem Tische hervor, so daß er am passenden Augenblicke die Beine sofort zur Flucht benutzen konnte.

Jetzt hatten die beiden Gegner ihre Plätze eingenommen, fünfzig Schritte voneinander entfernt. Neben dem Fremden stand der Neger, in der Linken die Lampe und in der Rechten die Reiterpistole, welche er schußbereit hielt. Bei Bloody-fox stand Hobble-Frank mit seiner Lampe und in der anderen Hand den Revolver, nur der Form wegen, da es sich voraussehen ließ, daß er nicht in die Lage kommen werde, ihn gegen den jungen, ehrlichen Mann zu gebrauchen.

Helmers und Juggle-Fred hielten die beiden geladenen Gewehre bereit. Es war selbst für diese kampfgewohnten Leute ein Augenblick höchster Spannung. Die beiden im Luftzuge wehenden Flammen beleuchteten mit rußigrotem, flackerndem Scheine die beiden Gruppen. Die Männer standen still, und doch schien es bei dem unruhigen Lichte, als ob sie sich unausgesetzt bewegten. Es war unter diesen Umständen sehr schwer, ein ruhiges Ziel zu nehmen, besonders da die Beleuchtung nicht zureichend war, die Kimme des Visieres oder gar das noch weiter vom Auge entfernte Korn zu erkennen.

Bloody-fox stand in einer so unbefangenen, ja harmlosen Haltung da, als ob es sich um eine Partie Kricket handle. Sein Gegner aber befand sich in anderer Stimmung. Juggle-Fred, welcher ihm das Gewehr zu überreichen hatte und also nahe bei ihm stand, sah das gehässige Leuchten seiner Augen und das ungeduldige Zittern seiner Hände.

„Seid ihr fertig?“ fragte jetzt Helmers.

„Ja,“ antworteten beide, wobei der Fremde bereits die Hand nach seiner Büchse ausstreckte.

Er hatte jedenfalls die Absicht, Bloody-fox, wenn auch nur um eine halbe Sekunde, mit dem Schusse zuvorzukommen.

„Hat einer von euch für den Fall seines Todes noch eine Bestimmung zu treffen?“ erkundigte sich Helmers noch.

„Der Teufel hole deine Neugierde!“ rief der aufgeregte Fremde.

„Nein,“ antwortete der Jüngling desto ruhiger. „Ich sehe es diesem Kerl an, daß er mich nur infolge eines Zufalles treffen würde. Er zittert ja, In diesem Falle würdest du in meiner Satteltasche finden, was zu wissen dir nötig ist. Und nun mach, daß wir zu Ende kommen!“

„Na, denn also hin mit den Büchsen! Gebt Feuer!“

Er reichte Bloody-fox das Gewehr hin. Der junge Mann nahm es gleichmütig hin und wiegte es in der rechten Hand, als ob er die Schwere desselben taxieren wolle. Er that gar nicht so, als ob sein Leben an einem kurzen Augenblicke hänge.

Der andere hatte seine Büchse dem Juggle-Fred fast aus der Hand gerissen. Er gab seine linke Seite vor, um ein möglichst schmales Ziel zu bieten, und legte an. Sein Schuß krachte.

Halloo! Dash!“ brüllte der Neger. „Masser Bloody-fox sein nicht troffen! Oh fortune! Oh bleasure! Oh delight!“

Er sprang mit gleichen Beinen in die Luft, tanzte um seine eigene Achse und gebärdete sich vor Freude wie ein Besessener.

„Willst du Ruhe halten, Kerl!“ donnerte Helmers ihn an. „Wer soll denn da zielen, wenn du die Lampe in dieser Weise schwingst!“

Bob sah augenblicklich ein, daß sein Verhalten grad demjenigen, dem er den Sieg wünschte, zum Schaden gereiche. Er stand plötzlich kerzengerade und rief –.

„Masser Bob jetzt still halten! Masser Bob nicht zucken! Massa Bloody-fox schnell schießen!“

Aber der andere hatte sein Gewehr nicht von der Wange genommen. Er drückte ab – auch dieser Schuß ging fehl, obgleich Bloody-fox noch immer so da stand wie vorher, ihm die ganze Breite seines Körpers bietend und die Büchse in der Rechten wiegend.

Thousand devils!“ fluchte der Fremde.

Er stand einige Augenblicke ganz starr vor Betroffenheit. Dann stieß er noch ein Kraftwort aus, welches nicht wiedergegeben werden kann, und that einen Sprung zur Seite, um zu entfliehen.

Stop!“ rief der Neger. „Ich schießen!“

Man hörte die That zu gleicher Zeit mit dem Worte. Er drückte ab. Aber nicht sein Schuß allein war gefallen.

Der kurze Augenblick, während dessen sein Gegner vor Schreck unbeweglich gewesen war, hatte Bloody-fox genügt, sein Gewehr empor zu nehmen. Er drückte so schnell ab, als ob er gar nicht zu zielen brauchte, drehte sich dann auf dem Absatze um, griff in den Munitionsbeutel, um der Gewohnheit jener Gegend gemäß den abgeschossenen Lauf sofort wieder zu laden und sagte:

„Er hat es! Geh hin, Frank! Du wirst mitten in seiner Stirn das Loch sehen.“

Er kehrte dem Platze, an welchem sein Gegner gestanden hatte, den Rücken zu, und seine Stimme klang so ruhig, als ob er soeben etwas ganz Alltägliches verrichtet habe.

Frank und Helmers eilten nach der Stelle, an welcher der Fremde niedergestürzt war. Bloody-fox folgte ihnen langsam, nachdem er geladen hatte.

Dort ertönte die triumphierende Stimme des Negers:

Oh courage! Oh bravery! Oh valour! Masser Bob hat totschießen all ganz Spitzbuben! Hier liegen der Mann und sich nicht bewegen von der Stelle. Sehen Massa Helmers und Massa Frank, daß Old Bob ihn haben treffen in die Stirn? Es sein ein Loch vom hinein und hinten wieder heraus l Oh, Masser Bob sein ein tapfer Westmann. Er überwinden tausend Feinde mit Leichtigkeit.“

„Ja, du bist ein außerordentlich guter Schütze!“ nickte Helmers, welcher bei dem Toten niedergekniet war und denselben untersuchte. Wohin hast du denn eigentlich gezielt?“

„Masser Bob zielen genau nach Stirn und ihn auch dort treffen. Oh, masser Bob to be a giant, a hero: masser Bob to be invincibe, to be unconquerable and impregnable!

„Schweig, Schwarzer! Du bist weder ein Held noch ein Riese oder gar ein Unüberwindlicher. Du hast gar nichts gethan, was ein Beweis von Mut sein könnte. Du hast auf einen Fliehenden geschossen und dazu gehört gar nichts. Übrigens ist es dir gar nicht eingefallen, deine alte Haubitze auf die Stirn dieses Mannes zu halten. Da, schau seine Hose an! Was erblickst du da?“

Bob leuchtete nieder und betrachtete die Stelle, auf welche Helmers deutete.

„Das sein ein Loch, ein Riß,“ antwortete er.

„Ja, ein Riß, welchen deine Kugel gemacht hat. Du hast durch das Hosenbein geschossen und willst nach der Stirn gezielt haben! Schäme dich! Und dabei betrug die Entfernung keine sechs Schritte!“

„Oh, oh! Masser Bob sich nicht schämen müssen! Masser Bob haben treffen in Stirn. Aber Massa Bloody-fox auch schießen und treffen nur in Hose. Masser Bob haben schießen ausgezeichnet, viel besser als Massa Bloody-fox!“

„Ja, das kennen wir! Aber welch ein Schuß! Bloody-fox, das macht dir wirklich keiner nach! Ich habe dich gar nicht zielen sehen!“

„Ich kenne mein Gewehr,“ antwortete der junge Mann bescheiden, „und wußte, daß es genau so kommen werde, denn der Kerl war zu erregt. Er zitterte. Das ist allemal eine Dummheit, zumal wenn das Leben an nur zwei Schüssen hängt.“

Der Mann war tot. Das runde, scharfrandige Loch saß ihm mitten auf der Stirn. Die Kugel war hinten herausgegangen.

„Genau so, wie der Geist der Llano estakata schießen soll,“ meinte Juggle-Fred in bewunderndem Tone. „Wahrhaftig, das ist ein Meisterschuß! Der Kerl hat seinen Lohn empfangen. Was thun wir mit seiner Leiche?“

„Meine Leute mögen sie einscharren,“ antwortete Helmers. „Einen Getöteten vor sich zu haben, ist kein erfreulicher Anblick, denn selbst der ärgste Schurke bleibt doch immerhin ein Mensch; aber Gerechtigkeit muß sein, und wo das Gesetz keine Macht hat, da ist man eben gezwungen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Und hier ist zudem von einem Orte der Lynchjustiz gar keine Rede, denn Bloody-fox hat ihm die gleichen Chancen gelassen. Es ist bewiesen, daß er ein Mörder ist, Gott sei seiner Seele gnädig! Und nun wollen wir –– was ist’s? Was gibt es denn?“

Bob hatte nämlich einen lauten Ruf ausgestoßen. Er war der einzige, dessen Augen jetzt nicht auf den Toten gerichtet gewesen waren.

Heigh-ho!“ antwortete der Schwarze. „Massa Helmers einmal dorthin sehen!“

Er streckte den Arm nach der Gegend aus, in welcher die Tische und Bänke standen. Dort war es jetzt finster, da die beiden Lampenträger sich hier bei der Gruppe befanden.

„Warum? Was ist dort?“

„Nichts, gar nichts sein dort. Wenn Massa Helmers und alle anderen Massas hinsehen, dann sie gar nichts sehen, denn er sein fort.“

Egad! Der Mormone ist entflohen!“ antwortete Helmers, indem er von der Leiche emporsprang. „Schnell nach! Sehen wir, ob wir ihn erwischen!“

Die Gruppe löste sich augenblicklich auf. Jeder rannte nach der Richtung, in welche ihn der Zufall oder die momentane Vermutung trieb. Nur einer blieb zurück – – Bloody-fox. Er stand bewegungslos und horchte in das Dunkel des Abends hinaus. So blieb er, bis die Männer wiederkehrten, um, wie vorauszusehen gewesen war, zu melden, daß sie keine Spur des Gesuchten bemerkt oder gefunden hätten.

Well, dachte es mir!“ nickte er. „Wir sind dumm gewesen.

Vielleicht ist dieser fromme Mormone ein noch viel gefährlicherer Mensch, als der Tote hier jemals gewesen ist. Ich habe ihn gesehen, weiß aber nicht wo, werde aber dafür sorgen, daß ich ihn wiedersehe und zwar sehr bald! Good evening, Mesch’schurs!“

Er hob das Gewehr auf, welches dem Toten entfallen war, und schritt zu seinem Pferde.

„Willst du fort?“ fragte Helmers.

Yes. Ich wollte ja schon längst weiter und habe mit diesem Fremden hier wohl eine kostbare Zeit versäumt. Die Büchse nehme ich mit, um sie den Erben des rechtmäßigen Besitzers zuzustellen.“

„Wann sehe ich dich wieder?“

„Wann es nötig ist. Nicht eher und nicht später.“

Er stieg auf und trabte davon, ohne jemand die Hand gereicht zu haben.

„Ein sonderbarer junger Mensch,“ meinte der Juggle-Fred, indem er den Kopf schüttelte.

„Lassen wir ihn!“ antwortete Helmers. „Er weiß stets, was er thut. Ja, er ist jung, aber er nimmt es mit manchem Alten auf, und ich bin überzeugt, daß er über kurz oder lang diesen Master Tobias Preisegott Burton und vielleicht auch noch andere beim Kragen hat!“ –-

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Die Beiden Snuffles

Die beiden „Snuffles“

Ungefähr zwei Stunden vor der Zeit, in welcher Hobble-Frank und Bob mit Bloody-fox zusammentrafen, kamen zwei andere Männer aus der Richtung von Koleman City geritten. Doch konnten sie diesen Ort wohl kaum berührt haben, denn sie hatten ganz das Aussehen von Männern, welche längere Zeit bewohnten Gegenden fern geblieben sind.

Die beiden Maultiere, welche diese Leute ritten, zeigten zwar Spuren von Ermüdung, schienen sich aber in guten Händen zu befinden und waren ziemlich wohlgenährt. Einen ganz entgegengesetzten Eindruck machten die Reiter; lange, außerordentlich schmächtige Gestalten, von denen man hätte annehmen mögen, daß sie wochenlang Gäste des Hungers gewesen seien. Daß dem aber nicht so sei, zeigte ihre gesunde Hautfarbe und kräftige Haltung, welche sie im Sattel behaupteten. Der Westen hat eine starke, austrocknende Luft, welche kein überflüssiges Fleisch auf den Knochen duldet, dafür jedoch die Sehnen stählt und den Gliedern jene ausdauernde Kraft und Widerstandsfähigkeit verleiht, ohne welche der Mensch dort bald zu Grunde gehen müßte.

Überraschend war die außerordentliche Ähnlichkeit, welche zwischen ihnen herrschte. Wer sie erblickte, mußte sie sofort für Brüder, vielleicht gar für ein Zwillingspaar halten. Diese Ähnlichkeit war so bedeutend, daß man sie, zumal beide ganz gleich gekleidet und bewaffnet waren, nur mit Hilfe einer Schmarre unterscheiden konnte, welche dem einen von ihnen quer über die linke Wange lief.

Sie trugen bequeme, dunkelgraue, wollene Überhemden und ebensolche Hosen, starke Schnürschuhe, breitrandige Biberhüte und hatten ihre schweren, breiten Lagerdecken wie Mäntel hinten von den Schultern herabhängen. Ihre ledernen Gürtel waren mit Klapperschlangenhaut überzogen und trugen die gewöhnlichen Kleinwaffen und sonstigen Requisiten des Prärienmannes. Flinten hatten sie auch, aber direkt aus dem Laden des Gewehrhändlers kamen dieselben jedenfalls nicht; ihr Aussehen war vielmehr ein solches, daß sie den Namen „Schießprügel“ mit vollem Rechte verdienten. Wer jedoch weiß, was ein tüchtiger Westmann mit so einem alten Fire-lock zu leisten vermag, dem kann es niemals einfallen, über eine solche Waffe die Nase zu rümpfen. Der Westmann hebt seine Büchse, aber er kokettiert nicht mit derselben. Je unscheinbarer sie während des langen Gebrauches wurde, desto größer ist die Pietät, welche er ihr widmet.

Leider war diesen beiden Reitern keine allzu große männliche Schönheit zuzusprechen, was seinen Grund in dem Umstande hatte, daß der hervorragendste Teil ihrer Gesichter auf eine ganz ungewöhnliche Weise entwickelt war. Sie hatten Nasen und eben was für welche! Man konnte getrost darauf schwören, daß zwei solche Geruchsorgane im ganzen Lande nicht wieder zu finden seien. Nicht die Größe allein, sondern auch die Form war außerordentlich, ebenso die Farbe. Um sich diese Nasen vorstellen zu können, müßte man sie gesehen haben. Denkt man sich den in Gestalt einer Weintraube verholzten Saftausfluß einer Birke, in allen möglichen Farben schimmernd, welche sich jemals auf einer Malerpalette befanden, so kann man sich einen ungefähren Begriff von diesen Nasen machen. Und dabei waren auch sie einander geradezu zum Erstaunen ähnlich. Es gab kein gleicheres Brüderpaar als diese beiden Männer, welche wohl bereits manchen Sturm erlebt hatten, da sie wenigstens in der Mitte der Fünfziger standen.

Nun darf man aber nicht denken, daß der Eindruck ihrer Gesichter ein abstoßender gewesen sei, o nein! Sie waren sorgfältig glatt rasiert, so daß kein Bart den wohlwollenden Ausdruck derselben verbarg. In den Mundwinkeln schien ein heiteres, sorgloses Lächeln sich für immer eingenistet zu haben, und die hellen, scharfen Augen blickten so gut und freundlich in die Welt, daß nur ein schlechter Menschenkenner behaupten konnte, man habe sich vor ihnen in acht zu nehmen.

Die Gegend, in welcher sie sich befanden, war ziemlich steril zu nennen. Der Boden trug nur knorriges Knieholz, zuweilen mit Yuccas und Kakteen vermischt. Einen Wasserlauf schien es in der Nähe nicht zu geben. Die forschenden Blicke der Reiter deuteten an, daß diese letzteren hier nicht bekannt seien. Zuweilen richtete sich einer von ihnen in den Bügeln empor, um einen weiteren Ausblick zu gewinnen, und setzte sich dann mit einer Miene in den Sattel zurück, welche besagte, daß es vergeblich gewesen sei.

„Verteufelt triste Gegend!“ sagte derjenige, welcher die Schmarre auf der Wange hatte. „Wer weiß, ob wir heute noch einen Schluck frischen Wassers finden. Meinst du nicht auch, Tim?“

„Hm!“ brummte der andere. „Wir nähern uns eben dem Gebiete der Llano estakata. Da ist es nicht anders zu verlangen. Oder meinst du, Jim, daß es in der Wüste Quellen von Eierpunsch oder Buttermilch geben soll?“

„Schweig, Bruderherz! Mach mir den Mund nicht wässerig! Eierpunsch ist das höchste der Gefühle. Wer ihn nicht hat, ist schließlich auch mit Buttermilch zufrieden. Hier aber gibt es selbst diese nicht, und ich befürchte, daß wir wohl gar gezwungen sein werden, mit Kaktussaft fürlieb zu nehmen.“

„Das wohl nicht. Noch befinden wir uns nicht in den Plains. Helmers Home, welches wir erst morgen erreichen, soll an einem Wasser liegen. Also haben wir das fruchtbare Land noch nicht hinter uns. Ich hoffe, die Old Silver Mine, weiche für heute unser Ziel ist, liegt inmitten oder wenigstens in der Nähe einer Baum- oder Strauchinsel, wie man sie zuweilen selbst in wüsten Gegenden findet. Und du weißt, meine Hoffnungen täuschen mich nur selten, denn sie schlängeln sich gewöhnlich um die Wirklichkeit herum.“

„Magst du nicht lieber davon schweigen? Unsere Hoffnungen haben uns bisher zu nichts geführt.“

„Das darfst du nicht sagen, Jim. Wir haben kein Schlaraffenleben führen können, das ist wahr; aber wir tragen ein hübsches Sümmchen in der Tasche, und wenn wir jenseits der Llano und der Guadeloupe Glück haben, so sind wir gemachte Leute.“

„Ja, wenn! Ein Millionär zu sein, das ist das höchste der Gefühle. Zunächst aber haben wir nicht einmal was zu essen. Wir waren nur darauf bedacht, schnell vorwärts zu kommen, und haben uns also nicht Zeit genommen, uns nach irgend einem Braten umzusehen. Ich will gar nicht einen Turkey verlangen, aber wenigstens einer nicht gar zu alten Prairiehenne möchte ich doch zu gern begegnen. Vielleicht erlaubte sie mir, ihr mit meiner Büchse good day zu sagen.“

„Du hast zu leckerhafte Gedanken! Ich wäre schon sehr zufrieden, wenn ein gefälliger Mulehase auf den Einfall käme, sich von außen um uns herumzuschlängeln. Dann würden wir –- have care! Da ist einer! Molly, stehe nur dieses einzige Mal still!“

Diese Aufforderung, welche er mit einem Rucke der Zügel unterstützte, war an sein Maultier gerichtet. Es stand bewegungslos, als ob es seine Worte genau verstanden habe. Gerade vor den beiden war ein Mulehase zwischen einigen einsamen Grasbüscheln aufgesprungen. Tim hatte sein Gewehr schnell an der Wange und drückte ab. Der Hase überschlug sich und blieb liegen. Die Kugel war ihm durch den Kopf gedrungen – ein Meisterschuß aus so einem Gewehre.

Der texanische Hase hat die Größe seines deutschen Verwandten; er findet sich in ziemlicher Menge und besitzt ein wohlschmeckendes Fleisch. Er hat sehr lange Ohren, welche denen eines Maultieres (Mule) ähnlich sind, und wird deshalb Mulehase genannt.

Tim ritt zur Stelle, an welcher der Hase lag, holte sich denselben und sagte, indem er dann weiter ritt:

„Der Braten ist da, und ich denke, daß sich wohl auch ein Wässerlein finden lassen werde. Du siehst, daß meine Ahnungen doch nicht ganz vergeblich sind. Zwei Kerls von unserer Art finden immer, was sie brauchen.“

„Ob aber auch Diamanten? Das müssen wir abwarten.“

„Auch Diamanten, sage ich dir!“ antwortete Tim in sehr bestimmtem Tone. „Natürlich setze ich da voraus, daß es da drüben wirklich welche gebe. Ist die Sache Schwindel, so geht es uns eben wie allen anderen, die auch nichts finden können. Ich wenigstens werde mir den Kopf nicht abreißen, wenn ich erfahren sollte, daß wir uns vergeblich von außen um das Glück herumgeschlängelt haben. Horch! War das nicht ein Schuß?“

„Ja, es war einer. Polly hat ihn auch gehört.“

Er meinte sein Maultier, welches jetzt die Luft durch die Nüstern sog und höchst energisch mit den langen Ohren wedelte. Es kommt sehr häufig vor, daß der Prairiejäger seinem Tiere einen Namen gibt. Diese beiden Maultiere wurden, wie aus den Worten ihrer Herren hervorging, Molly und Polly genannt, zwei Namen, welche so ähnlich lauteten wie diejenigen ihrer Herren, Jim und Tim.

Die Brüder richteten sich auf und blickten nach der Richtung, aus welcher sie den Schuß vernommen hatten. Er war weiter zu hören gewesen, als ihr Auge reichen konnte, da sie sich in einer muldenartigen Bodensenkung befanden; aber Tim deutete aufwärts in die Luft, wo ein großer Raubvogel schwerfällig seine Spirale zog.

„Ein Hühnergeier,“ sagte er. „Oder nicht, Jim?“

„Nein! Es ist ein Königsgeier, wie an der bunten Färbung zu ersehen ist. Er hat ein fahlgelbes Gefieder und hat bei einem Aase gesessen, denn er ist so vollgefressen, daß er nur mit Mühe zu fliegen vermag. Man hat ihn durch den Schuß von seinem Fraße aufgestört, und wir müssen sehen, was für Menschenkinder das gewesen sind. Es verlohnt sich hier gar sehr, zu wissen, wen man vor sich hat. In der Nähe der Llano soll es nicht ganz geheuer sein. Wer das außer acht läßt, der kann leicht von so einem Geier gefressen werden, was ich keineswegs das höchste der Gefühle nennen möchte. Also vorwärts, Tim!“

Sie gaben ihren Tieren die Sporen. Nun ist es aber bekannt, daß Maultiere sehr störrische Geschöpfe sind. So eine Kreatur ist gewöhnlich gerade dann, wenn die größte Eile geboten ist, nicht von der Stelle zu bringen. Und um das wieder quitt zu machen, pflegt es gerade an dem Augenblicke in rasenden Galopp zu fallen, wenn der Reiter die zwingendste Veranlassung hat, halten zu bleiben. Molly machte leider keine rühmliche Ausnahme. Kaum hatte Tim ihr die Sporen fühlen lassen, so stemmte sie die vier Beine ein und stand fest wie ein Sägebock. Er drückte fester an, was aber nur die Wirkung hatte, daß sie den Kopf zwischen die Vorderbeine nahm und hinten in die Höhe ging, um den Reiter nach vorn abzuwerfen. Tim jedoch kannte seine langjährige Freundin so genau, daß er sich nicht aus dem Sattel bringen ließ.

„Was fällt dir ein, old Joker!“ lachte er. „Ich werde dir gleich die Mücken austreiben.“

Er langte nach hinten, ergriff den Schwanz des Tieres und zog denselben mit einem scharfen Rucke nach vorn. Sofort flog Molly mit allen vieren zugleich in die Luft und schoß dann vorwärts, daß Jim auf seiner Polly kaum zu folgen vermochte. Dieses empfindliche Ziehen am Schwanze war das Geheimmittel, durch dessen energische Anwendung der Eigensinn der sonst ganz liebenswürdigen Molly sofort gebrochen werden konnte. Wer dieses Mittel nicht kannte, der war trotz Sporen und Peitsche gezwungen, sich ihren Launen zu fügen. Es macht sich eben jedes Tierchen gern sein Plaisierchen; nur gut, daß es auch Mittel gibt, welche zuweilen nicht nur bei einem bestimmten Individuum, sondern bei der ganzen Gattung wirksam sind. So gibt es z.B. Angehörige der berühmten Familie Equus asinus (Esel), welche störenderweise ganz darauf erpicht sind, gerade bei nachtschlafender Zeit ihren zweivokaligen Singsang hören zu lassen. Man binde so einem Tiere etwas Schweres an den Schwanz, einen Stein oder sonst ein Gewicht, so wird es sofort Schwanz und Ohren hängen und keinen Laut mehr hören lassen.

Als die beiden Reiter die Bodensenkung hinter sich hatten, erblickten sie zu ihrem Erstaunen eine eigentümlich zerklüftete Höhe, welche in einer Entfernung von ungefähr sechs englischen Meilen vor ihnen aufstieg, und die sie hier in der Nähe der Plains nicht erwartet hatten. Zugleich sahen sie eine Gruppe von Reitern bei einem am Boden liegenden Gegenstande halten, und zwar so nahe, daß sie kaum einer Minute bedurften, um zu ihnen zu gelangen. Sie zügelten sofort ihre Tiere. Es galt zunächst, zu erfahren, ob diese Reiter, deren sie sechs zählten, sich vielleicht feindselig verhalten würden.

Sie wurden bemerkt. Der Kreis, den die Sechs bildeten, öffnete sich, doch war keine bedrohliche Bewegung zu sehen.

„Was meinst du?“ fragte Jim. „Wollen wir hin?“

„Ich denke es. Gesehen haben sie uns doch und wenn es ja Bushrunners sind, so kommt es auf alle Fälle zu einem Kampfe mit ihnen. Es ist also besser, wir schlängeln uns von außen her zu ihnen herum; aber vorsichtig, so daß es ihnen nicht gelingt, uns zu umzingeln. Wir wollen uns schußfertig halten.“

„Nun, Bushrunners sind sie wohl kaum. Sie haben vielmehr das Aussehen von Gentlemen, welche zu ihrem Vergnügen einen Ausflug unternehmen. Ihre Anzüge haben ganz gewiß vor kaum einer Woche noch im Tailorshop gehangen. Von Waffen tragen sie ein ganzes Arsenal bei sich; aber das glänzt und flimmert gar zu sehr, als daß es bereits sehr in Gebrauch gewesen sein könnte. Und die Pferde sehen mir so frisch und nach geschrotenem Maisfutter aus, daß ich annehmen möchte, wir haben ganz unschädliche Pleasing-troopers vor uns. Es ist zwar nicht das höchste der Gefühle, mit solchen Gelbschnäbeln zusammenzutreffen, aber ich ziehe es doch einem Begegnen mit Leuten vor, welche ihre Taschen nur zu dem Zwecke haben, anderer Menschen Eigentum hinein zu stecken. Machen wir uns also an sie hinan!“

Es wäre ihnen auch wohl kaum eine andere Wahl geblieben, denn die Sechs setzten jetzt ihre Pferde in Bewegung und kamen ihnen entgegen.

„Kommt näher, kommt nähert“ rief man ihnen zu. „Ihr werdet etwas zu sehen bekommen.“

„Was denn?“ fragte Jim.

„Kommt nur! Macht schnell!“

jetzt hatten sie einander erreicht. Waren bisher die Gesichter der Sechs höchst ernst und bedenklich gewesen, so nahmen sie jetzt plötzlich einen ganz anderen Ausdruck an. Die zwölf Augen richteten sich groß und erstaunt auf das Brüderpaar; dann begann es um die Lippen zu zucken, und endlich brach ein schallendes, sechsstimmiges Gelächter aus.

All devils!“ rief einer aus. „Wen haben wir da? Two snub-noses!

Two snub-noses!“ stimmten die übrigen Fünf sofort ein.

Two snouted baboons!

Actually, actually! Wonderful, wonderfully beautifull Two snouted baboons!“ lachten und schrieen sie alle durcheinander.

„Ich bitte, Mesch’schurs, laßt euch genau betrachten!“ sagte der Wortführer. „So etwas haben wir noch niemals gesehen. Erlaubt, daß ich diese Nasen einmal angreife! Ich muß mich überzeugen, ob sie natürlich sind oder vielleicht noch von letzter Fastnacht stammen.“

Die Brüder hatten bis jetzt noch keine Miene verzogen; als aber der Mann wirklich seine Hand ausstreckte, um Jims Nase zu berühren, drängte dieser sein Maultier um einige Schritte zurück und sagte:

„Wollt Ihr mir nicht vorher einmal Euern Namen nennen, Sir?“

„Warum nicht! Ich nenne mich Gibson.“

„Danke! Also, Master Gibson, ich thue einem jeden gern den Gefallen, den er von mir verlangt. Ich will auch Euch zu Willen sein, muß Euch aber vorher sagen, daß meine Büchse augenblicklich losgeht, sobald jemand meine Nase berührt. Wenn Ihr sie trotzdem angreifen wollt, so habe ich nichts dagegen. Ich bitte aber Eure ehrenwerten Kameraden, mir dann die Folgen nicht entgelten zu lassen.“

Das klang so ernst, daß trotz der beiden sonderbaren Nasen das Gelächter sofort verstummte. Gibson machte aber doch noch einen Versuch zu scherzen, indem er lachend sagte:

„Aber, Master, wollt und könnt Ihr es denn übel nehmen, wenn wir über solche Rhinozeroshörner lachen müssen?“

„Was das betrifft, so bin ich der festen Überzeugung, daß ein wirkliches Nashorn viel zu wenig kultiviert ist, um sich dadurch, daß Ihr sein Horn anlacht, beleidigt zu fühlen. Aber Ihr müßt Euch hüten, irgend eine Verwechselung zu begehen. Ihr scheint sowohl in der Anthropologie wie auch in der Zoologie so grün und unwissend zu sein, daß es Euch leicht vorkommen kann, einen Säugling für ein ausgewachsenes Flußpferd zu halten. Und wo ich eine solche Unerfahrenheit bemerke, welche ein anderer vielleicht viel richtiger mit dem Ausdrucke Dummheit oder Albernheit bezeichnen würde, da erachte ich es für meine Pflicht, eine Warnung auszusprechen. Es kann kein Geschöpf anders sein, als wie der Herrgott es erschaffen hat und wenn er mich mit einer großen Nase und Euch mit einem kleinen, unzureichenden Hirn begabte, so müssen wir diese Mängel demütig hinnehmen, da wir es leider nicht anders machen können.“

„Donnerwetter!“ fuhr Gibson beleidigt auf. „Ist es etwa Eure Absicht, Euch an uns zu reiben?“

„Ganz und gar nicht! Reibt Euch nur selbst ab, wenn Ihr schmutzig seid, und nehmt gehörig Seife und Wasser dazu! Ich bin nicht das Dienstmädchen, welches Euch zu säubern hat.“

Da griff Gibson nach seinem Revolver und drohte:

„Mäßigt Euch, Sir! Meine Kugeln stecken nicht so fest, wie Ihr anzunehmen scheint.“

„Pah!“ lachte Jim. „Macht Euch nicht lächerlich. Eure Drohung klingt nach Kinderei.“

„Schweigt! Wollt Ihr etwa, daß wir Euch Mores lehren? Ihr seht, daß wir unser Sechs gegen euch beide sind.“

„Eben darum! Sechs von eurer Sorte können uns doch nicht etwa aus der Fassung bringen! Hängt noch eine Null an die Sechs und dann wollen wir beide es uns überlegen, ob es sich verlohnt, einen Finger an dem Drücker krumm zu machen.“

„Ihr scheint Euer Maul sehr gut in Übung zu halten!“

„Die Gewehre ebenso. Das merkt Euch wohl!“

„So! Habt doch einmal die Güte, uns eure Namen zu nennen, damit wir wissen, mit welch berühmten Helden wir es zu thun haben!“

„Wir heißen Hofmann und sind Brüder.“

„Daß ihr Brüder seid, beweisen eure Nasen. Auf euern Namen könnt ihr euch nicht das mindeste einbilden, denn so wie ihr kann nur ein Deutscher heißen, und ihr habt vielleicht bereits erfahren, daß Leute eurer Abstammung hier zu Lande gar nichts gelten.“

„Das ist eine Ansicht, die ich Euch nicht rauben will. Wem es Spaß macht, den Drehwurm im Kopfe zu haben, der mag ihn behalten; ich bin kein Irrenarzt. Komm, Tim!“

Er setzte sein Maultier in Bewegung, und sein Bruder folgte ihm. Beide verschmähten es, noch einen weiteren Blick auf die Männer zu werfen und ritten nach der Stelle, an welcher die letzteren vorher gehalten hatten.

Dort erwartete sie ein entsetzlicher Anblick. Die Erde war mit Fuß- und Hufspuren bedeckt, als ob hier ein Kampf stattgefunden habe. Ein totes Pferd lag da, ohne Zaum- und Sattelzeug. Der Leib desselben war weit aufgerissen, und Fetzen des Eingeweides lagen zerstreut umher – eine häßliche Arbeit des Geiers, den Jim und Tim vorhin gesehen hatten.

Aber das war es nicht, wovor diese beiden erschraken, sondern in der Nähe des Kadavers lag ein menschlicher Leichnam, ein Weißer, welchem die Kopfhaut fehlte und dessen Gesicht durch kreuz und quer geführte Messerschnitte vollständig unkenntlich gemacht worden war. Sein wollener und sehr abgebrauchter Anzug ließ vermuten, daß er ein Westmann gewesen sei. Eine Kugel, welche ihm genau in das Herz gedrungen war, hatte ihm den Tod gebracht.

„Heiliger Gott! Was muß da geschehen sein?“ rief Jim, indem er vom Pferde sprang und zu der Leiche trat.

Auch Tim stieg ab und kniete bei dem Toten nieder.

„Er ist schon seit Stunden tot,“ sagte er, als er die Hand und die Brust des Getöteten befühlt hatte. „Er ist kalt und das Blut rinnt nicht mehr.“

„Durchsuche ihm die Taschen! Vielleicht findet sich etwas, irgend ein Gegenstand, welcher erraten läßt, wer er war.“

Tim folgte der Aufforderung, gerade als die sechs Reiter, welche ihnen langsam gefolgt waren, bei ihnen anlangten.

„Halt!“ rief Gibson. „Wir werden uns das Visitieren der Taschen streng verbitten. Ich kann die Beraubung der Leiche nicht dulden!“

Er sowohl wie seine Gefährten stiegen ab und traten herbei. Er ergriff Tim beim Arme und zog ihn empor, was dieser sich unerwarteterweise ganz ruhig gefallen ließ. Die Brüder wechselten einen Blick des Einverständnisses und dann fragte Jim:

„Wie kommt Ihr denn auf den höchst geistreichen Gedanken, daß wir eine Beraubung des Toten beabsichtigen?“

„Nun, Ihr greift ja in die Taschen!“

„Könnte das nicht auch einen anderen Zweck haben?“

„Bei euch jedenfalls nicht. Euch sieht man ja gleich auf den ersten Blick an, wessen Geistes Kinder ihr seid.“

„Da entwickelt Ihr freilich einen ungeheuren Scharfsinn, Master Gibson. Eine solche imponierende Menschenkenntnis zu besitzen, muß das höchste der Gefühle sein!“

„Vermault Euch nicht auch noch, sonst machen wir kurzen Prozeß mit euch! Wir haben euch in flagranti ertappt. Euer Bruder hatte die Hände in den Taschen des Ermordeten. Das genügt vollständig. Ihr treibt euch hier in der Nähe herum. Das ist verdächtig. Wer sind die Mörder? Nehmt euch in acht, sonst kann es euch vielleicht gar an den Kragen gehen!“

Jim griff zornig nach seinem Messer; dieses Mal war Tim der Bedächtigere. Er warf ihm einen besänftigenden Blick zu und sagte:

„Alle Wetter, seid Ihr ein gestrenger Master. Ihr thut doch ganz so, als ob wir in Euch den höchsten Beamten der Staaten zu verehren hätten!“

„Ich bin Lawyer,“ antwortete Gibson stolz und kurz.

„Ah, Jurist! Also gehört Ihr zu den hochgelehrten Leuten, weiche die Aufgabe haben, sich von außen her um die Paragraphen herum zu schlängeln? Here is my respect, Sir!

Er zog in ironischer Unterwürfigkeit den Hut.

„Master Hofmann, treibt keinen Unsinn!“ donnerte Gibson ihn an. „Ich bin in Wirklichkeit Advokat, oder wenn Euch das geläufiger sein sollte, obgleich Ihr ein Deutscher seid, attorney at law, und weiß sehr gut, mir Respekt zu verschaffen. Diese ehrenwerten Herren haben mich zum Anführer unserer Expedition gewählt, und also hat das zu gelten, was ich für gut befinde!“

„Schön, schön!“ nickte Tim eifrig. „Wir haben ja gar nichts dagegen. Da Ihr Lawyer seid, so wird es Euch außerordentlich leicht werden, diesen Kriminalfall in der richtigen Weise zu behandeln.“

„Das versteht sich ganz von selbst und ich muß darauf bestehen, daß ihr euch nicht entfernt, bevor ich alles genau untersucht und sodann meine Anordnungen getroffen habe. Der Fall ist himmelschreiend und kann euch in höchst unangenehme Verwickelungen bringen.“

„O, das macht uns keine Sorge, denn wir sind überzeugt, daß es Eurem Scharfsinne gelingen werde, diese Verwickelungen wieder auseinander zu wickeln.“

Gibson zog es vor, diese neue Malice unbeantwortet zu lassen, dafür aber seinen Begleitern den Befehl zu erteilen:

„Nehmt die beiden Maultiere fest, damit es diesen Verdächtigen nicht etwa einfällt, davonzureiten!“

Die Brüder ließen es auch ruhig geschehen, daß dieses Gebot ausgeführt wurde. Es gab ihnen offenbar Spaß, zu beobachten, was diese im fernen Westen unbekannten Menschen unternehmen würden.

Das Auffinden einer skalpierten Leiche war an sich natürlich keineswegs geeignet, die Brüder heiter zu stimmen. Der Prairiejäger ist in Beziehung auf dergleichen Vorkommnisse ziemlich abgehärtet; aber der Anblick, welchen der seiner Kopfhaut beraubte und im Gesicht geschändete Tote bot, wirkte grauenerregend. Dazu kam die Befürchtung, die sie in Betracht ihrer persönlichen Sicherheit hegen mußten. Es stand bei ihnen fest, daß der Mann von einem Indianer getötet und skalpiert worden sei, und da nicht anzunehmen war, daß eine einzelne Rothaut sich so weit nach Osten wagen werde, so stand zu vermuten, daß ein ganzer Trupp Indsmen sich in der Nähe befinde. Es galt also, vorsichtig zu sein, falls die späteren Beobachtungen nicht etwas anderes ergaben. Aus Gibson und seiner Gesellschaft aber machten die beiden sich so wenig wie möglich, also gar nichts.

Der Advokat untersuchte nun höchst eigenhändig die Taschen des Toten. Sie waren leer, ebenso der Gürtel.

„Er ist bereits ausgeraubt worden,“ sagte er. „Es liegt also ein Raubmord vor und es ist unsere Pflicht, den Mörder zu entdecken. Die Spuren beweisen, daß nicht ein einzelner Mann die That begangen hat. Es sind ihrer mehrere gewesen, und wenn ich bedenke, daß das böse Gewissen den Verbrecher nach dem Orte seiner Unthat zurückzutreiben pflegt, so vermute ich, daß wir gar nicht weit zu gehen haben, um die Mörder zu finden. Gebrüder Hofmann, ihr seid meine Gefangenen und werdet uns zur nächsten Ansiedelung begleiten; das ist Helmers Home. Dort werden wir den Fall mit aller Strenge untersuchen.“

Er war in einer Haltung, welche imponieren sollte, vor die beiden hingetreten.

„Gebt also eure Waffen ab!“ fügte er gebieterisch hinzu.

„Sehr gern,“ antwortete Jim. „Hier hast du mein Gewehr. Greif zu.“

Er legte auf ihn an. Die Hähne knackten. Gibson sprang erschrocken zur Seite und rief:

„Schuft! Willst du dich widersetzen?“

„O nein,“ lachte Jim. „Von einer Widersetzung kann gar keine Rede sein. Ich will dich nur bitten, mir das Gewehr möglichst behutsam aus der Hand zu nehmen; es könnte sonst losgehen und dann wäre es mit deiner berühmten Advokatur zu Ende. Also greif fein säuberlich zu!“

„Auch noch Hohn? Mensch, ich lasse dich fesseln, daß du dich krümmen sollst vor Schmerzen!“

„Soll mir sehr angenehm sein, denn so ein richtiges Zusammenschnüren ist das höchste der Gefühle. Und damit die anderen Herren die Hände für diese Arbeit frei bekommen, wollen wir sie von unseren Maultieren erlösen. Polly, her zu mir!“

„Molly, komm!“ rief auch Tim.

Die Tiere hatten sich bisher ruhig an den Zügeln halten lassen, sobald sie aber die befehlenden Stimmen ihrer Herren hörten, rissen sie sich los und kamen schnaubend herbei.

„Festhalten, festhalten!“ rief Gibson; aber es war bereits zu spät.

„Bemüht euch nicht weiter!“ lachte Jim. „Ihr könntet die Bestien nicht halten; sie würden euch vielmehr unter die Hufe treten. Es ist gar nicht so leicht, zwei richtige Westmänner festzunehmen.“

„Wenn ihr nicht gehorcht, lasse ich auf euch schießen I“

„Oho! Das werdet ihr bleiben lassen! Wie wenig wir euch fürchten, mögt ihr daraus ersehen, daß ich mein Gewehr aus dem Anschlage nehme. Doch sage ich euch, daß jeder, welcher sich uns auf mehr als drei Schritte nähert, sofort die Kugel in den Kopf bekommt. Leute eures Kalibers gelten hier gar nichts. Man lacht sie höchstens aus. Was sind hier am Rande der Llano zehn Advokaten gegen einen einzigen tüchtigen Prairieläufer! Hier wird nicht in Worten, sondern mit Pulver und Blei gesprochen und in dieser Beziehung seid ihr ja doch nur Kinder gegen uns. Gegen unsere Guns kommt ihr mit euren Kolibriflinten nicht auf; das mögt ihr glauben. Wir brauchen keinen Lawyer aus dem Osten. Wir haben die Paragraphen der Prairie studiert und verstehen es auch genügsam, ihnen Geltung zu verschaffen. Wir sind ehrliche Leute und ihr habt euch in uns getäuscht; aber wir werden es euch nicht entgelten lassen, denn euer polizeilicher Scharfsinn hat uns großen Spaß gemacht. Ihr habt hier vor dem Toten gestanden wie ein Häuflein Primer boys vor einer ägyptischen Pyramide, und Eure Weisheit anzuhören, das war für uns das höchste der Gefühle. Einen solchen Fall aufzuklären, das lernt man auf keinem Kollege und auch auf keiner Universität. Merkt euch das. Die dazu nötigen Kenntnisse eignet man sich nur auf der hohen Schule der Prairie an und da ist ein jeder von euch wohl nur ein Cockney zu nennen. Jetzt werden wir beide die Sache nach unserer Weise in die Hand nehmen und da sollt ihr erfahren, welch ein anderes Resultat wir erlangen. Leider wißt ihr nicht, was in einem solchen Falle eine unbeschädigte Fährte zu bedeuten hat. Ihr habt eure Pferde hier nach Belieben trampeln lassen. Nun ist es freilich beinahe unmöglich, die eigentliche Spur zu lesen. Wir wollen aber versuchen, es fertig zu bringen. Suchen wir einen Kreis ab, Tim, du nach rechts und ich nach links. Drüben treffen wir dann zusammen.“

Diese Art, zu sprechen, verfehlte den beabsichtigten Eindruck nicht. Niemand entgegnete ein Wort, und selbst Gibson schwieg. Freilich machten sie höchst finstere Gesichter; aber als die Brüder sich jetzt nach verschiedenen Seiten entfernten, wagte es keiner, sie zu hindern oder sich ihrer Tiere wieder zu bemächtigen.

jeder der beiden schritt, den Boden sorgfältig untersuchend, einen weiten Halbkreis ab, dessen Mittelpunkt die Leiche war. Als sie zusammentrafen, teilten sie sich ihre Ergebnisse mit und kehrten dann zurück. Nun untersuchten sie auch das Pferd, den Toten und den zerstampften Boden. Die Sorgsamkeit, mit welcher sie sogar einzelne Steinchen betrachteten, wollte den anderen fast lächerlich erscheinen. Zuletzt sprachen sie wieder eine Weile leise miteinander, bis sie zu einer festen Ansicht gekommen zu sein schienen. Dann wendete Tim sich an den Advokaten:

„Master Gibson, Ihr wolltet uns arretieren, weil wir uns hier befinden, und weil ich in die Taschen dieses Toten griff. Mit ganz denselben Rechten könnten wir Euch festnehmen, da Ihr Euch ja auch von außen um diesen Platz herumgeschlängelt und dann dieselben Taschen untersucht habt. Wir wissen aber, daß Ihr unschuldig seid, und Ihr habt also nichts zu befürchten.“

„O, das wissen wir auch überdies. Was sollte uns von euch geschehen!“

„Alles, was uns beliebte. Ihr habt ja gar keine Ahnung von der Art und Weise eines Westmannes. Wenn es uns beiden beliebt, so bringen wir euch alle sechs trotz eurer Waffen gebunden nach Helmers Home. Ihr hättet die Wahl nur zwischen Gehorsam oder Tod. Gut für euch, daß es anders steht! Als wir ankamen, sahen wir euch bei der Leiche. Wir hatten also Veranlassung, Verdacht gegen euch zu hegen, während euer gegen uns gezeigtes Mißtrauen ein ganz unsinniges war. Schon daß der Mann skalpiert worden ist, mußte euch auf die Vermutung bringen, daß er durch die Kugel eines Indianers fiel. Wir dachten das sofort und haben es bestätigt gefunden. Übrigens ist ihm wohl sein Recht geschehen. Erst bemitleideten wir ihn, doch ohne Grund, wie sich jetzt herausgestellt hat. Er ist ein schlimmer Kerl gewesen, das Mitglied einer Bande von Bushrunners, welche hier ihr Wesen zu treiben scheinen. Nehmt euch vor ihnen in acht!“

Seine Worte wurden mit dem größten Staunen entgegengenommen.

„Wie?“ fragte Gibson. „Das alles wollt Ihr aus den Spuren ersehen haben?“

„Das und noch viel mehr.“

„Das ist ganz unmöglich!“

„So sagt Ihr, weil Ihr ein Neuling seid. Man kann eine Fährte so gewiß lesen wie die Zeilen und Seiten eines Buches. Freilich gehört unbedingt dazu, daß man sich eine Reihe von Jahren von außen um den wilden Westen herumgeschlängelt hat. Das ist nicht bei Euch, aber bei uns der Fall. Der Mann ist nicht auf dem Platze, wo er sich jetzt befindet, erschossen worden. Habt Ihr bemerkt, daß die Kugel ihm den ganzen Körper durchbohrt hat und zum Rücken hinausgedrungen ist?“

„Ja.“

„So kommt einmal mit zur Seite!“

Die anderen folgten ihm, bis er nach einigen Schritten stehen blieb und auf den Boden deutete, welcher aus hartem, nacktem Gestein bestand. Da lag eine große Lache geronnenen Blutes.

„Was seht Ihr hier?“ fragte er.

„Das ist Blut,“ antwortete Gibson.

„Bemerkt Ihr weiter nichts?“

„Nein.“

„So habt Ihr freilich keine Kriminalistenaugen, obgleich Ihr es wagtet, uns arretieren zu wollen. Seht Euch einmal diesen kleinen Gegenstand an! Für was haltet Ihr ihn?“

Er nahm den betreffenden Gegenstand aus der Lache. Derselbe war klein, fast wie eine Münze breit gedrückt und zeigte trotz des an ihm klebenden Blutes einen matten, metallischen Glanz. Alle betrachteten ihn, und Gibson sagte:

„Das ist eine breitgedrückte Bleikugel.“

„Ja, und zwar diejenige, welche diesem Manne den Tod gebracht hat. Sie ist ihm genau durch das Herz gedrungen; also ist er augenblicklich tot und bewegungslos gewesen. Er kann sich unmöglich noch dorthin, wo er liegt, geschleppt haben, sondern ist von anderen oder wenigstens einem anderen dorthin geschafft worden. Gebt Ihr das zu?“

„Wie Ihr es erklärt, erscheint es freilich wenn als nicht gewiß so doch wahrscheinlich.“

„Nun seht Euch einmal das trockene Hartgrasplätzchen hier neben dieser felsigen und blutigen Stelle an! Was seht Ihr da?“

„Das Gras ist niedergedrückt worden.“

„Wovon oder von wem?“

„Ja, wer soll das wissen!“

„Wir wissen es. Hier hat ein Mensch gelegen, und da nicht die mindeste Spur von Blut zu entdecken ist, so muß man annehmen, daß er unverwundet war. Geschlafen hat er nicht da, denn ein jeder, auch der ärmste Westmann hat eine Decke bei sich, welche er unbedingt unterlegt, wenn er am Boden ausruhen will. Auch ist in Anbetracht der Zeit, welche seit dem Morde vergangen ist, diese Spur so undeutlich, daß mit Sicherheit anzunehmen ist, er habe nur kurze Zeit hier gelegen. Hart daneben seht Ihr einen Strich im weichen Sandboden. Er ist oben breit und verengert sich nach unten. Womit ist dieser Strich gemacht worden?“

„Vielleicht mit dem Stiefelabsatze.“

„O nein! Ich werde Euch gleich beweisen, daß der Mann, welcher hier lag, keine Stiefel, sondern Moccassins trug. Dieser Strich würde eine ganz andere Gestalt oder Form haben, wenn er von einem Stiefel herrührte. Er würde muldenförmig sein. Man kann getrost tausend Eide darauf schwören, daß er mit der Ecke des Gewehrkolbens gemacht worden ist, und da er nicht gleichmäßig ist, sondern tief beginnt und am anderen Ende in einem flachen, seitlich gebogenen Haken ausläuft, so ist es gewiß, daß er nicht langsam, in ruhiger Bewegung, sondern äußerst hastig gemacht wurde. Endlich seht Euch einmal den Eindruck hier am unteren Ende der Spur an! Welchem Umstande verdankt sie ihre Entstehung?“

Erst nachdem Gibson die betreffende sandige Stelle genau betrachtet hatte, antwortete er:

„Es scheint fast, als ob jemand hier sich auf dem Absatze umgedreht habe.“

„Dieses Mal habt Ihr Recht. Der Eindruck ist aber auch so deutlich, daß man gar nichts anderes raten kann. Wenn Ihr die Stelle genau prüft, werdet Ihr sagen müssen, daß hier von einem Stiefelabsatze nicht die Rede sein könne, sondern von einem Schuhwerke mit stumpfer Ferse, also einem Moccassin. Ihr seht den Eindruck nur eines Fußes, nicht aber den des anderen, obgleich der Boden sehr weich ist. Was folgt daraus?“

„Das weiß ich freilich nicht.“

„Die Hastigkeit, welche ich bereits vorhin erwähnte. Der Betreffende hat sich hier in größter Eile niedergeworfen, so daß der zweite Fuß in der Luft schwebte und also gar keinen Eindruck im Sande machen konnte. Hätte der Betreffende Zeit gehabt, sich in aller Behaglichkeit hier auszustrecken, so müßte man unbedingt die Spuren beider Füße sehen. Es ist also mit voller Gewißheit anzunehmen, daß für ihn ein Grund vorhanden war, sich plötzlich hinzuwerfen. Und welche Ursache könnte das wohl sein?“

Der Advokat kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohre.

„Sir,“ sagte er, „ich muß zugeben, daß es uns unmöglich ist, Euch in Eueren Vermutungen oder Berechnungen so schnell zu folgen.“

„Das beweist eben, daß ihr Greenhorns seid. In solchen Lagen hängt das Leben oft an der Zeit einer einzigen Minute. Da darf man nicht ewig grübeln und sinnen, sondern es kommt darauf an, daß der Blick hell, schnell und sicher ist. Ich werde euch sagen, welcher Grund vorhanden war. Bückt einmal um euch, und sagt mir, ob ihr nicht etwas Auffälliges hier in der Nähe bemerkt!“

Die Sechs schauten sich um, schüttelten aber die Köpfe.

„Nun,“ fuhr Tim fort, „so seht euch diese Yuccapflanze an! An ihr müßt ihr doch jedenfalls etwas bemerken.“

Die erwähnte Pflanze war eine Yucca gloriosa, welche hier im trockenen, sandigen Boden in ihrer Entwickelung zurückgeblieben war. Sie blühte noch und trug eine Rispe weißer, purpurn angehauchter Blumen. Mehrere ihrer steifen, schmalen, lanzettlich geformten. und blaugrün gefärbten Blätter lagen an der Erde. Sie waren nicht von selbst abgefallen, sondern abgerissen worden.

„Es ist jemand hier gewesen und hat sich mit der Yucca zu schaffen gemacht,“ sagte Gibson in klugem Tone.

„So! Und wer ist dann dieser jemand gewesen?“

„Das kann man nicht wissen.“

„Man kann es wissen, ja, man muß es sogar wissen. Ein Mensch hat die Pflanze nicht berührt, aber er hat ihr aus der Ferne eine Kugel zugesandt, welche die Blätter abgefetzt und dann dieses Loch hier durch den Stengel geschlagen hat. Seht ihr es denn nicht?“

Sie bemerkten es erst jetzt. Tim fuhr fort:

„Kein Mensch schießt aus Langeweile eine Pflanze nieder. Die Kugel hat demjenigen gegolten, welcher sich da hinter uns zur Erde warf. Wenn wir uns nun von der Yucca aus eine Linie denken, welche die Stelle berührt, wo der letzterwähnte Mann gestanden hat, und sie in gerader Richtung verlängern, so wissen wir genau, aus welcher Gegend die Kugel gekommen ist. Da sie durch den unteren Teil des Stengels schlug, hat sich die Mündung des Gewehres, aus welcher sie kam, beträchtlich hoch über dem Erdboden befunden, und ihr könnt mir jedenfalls sagen, was daraus zu schließen ist?“

Sie blickten ihn verlegen an, antworteten aber nicht. Darum erklärte er weiter:

„Derjenige, welcher geschossen hat, stand nicht auf der Erde, sondern er saß im Sattel. Das ist für mich so gewiß wie nur irgend etwas. Aus allem, was wir hier gesehen haben, ist also folgendes zu schließen: Ein mit einem Gewehre bewaffneter Indianer hat dort, wo wir die Spur betrachteten, auf der Erde gestanden. Ein Reiter, welcher ungefähr aus Nordosten kam, schoß vom Pferde aus auf ihn, worauf der Rote, ohne von der Kugel getroffen zu sein, sich augenblicklich platt auf den Boden niederwarf, und zwar so, daß er das Gesicht nach oben kehrte. Warum aber that er das? Warum legt ein Unverwundeter sich nieder, wenn auf ihn geschossen wurde? Da gibt es nur eine einzige Erklärung, nämlich er will den Schützen heranlocken; er will ihn glauben machen, daß er tot sei. Der Reiter kam auch wirklich herbei ––“

„Woraus seht Ihr das?“ fragte Gibson erstaunt.

„Das will ich Euch zeigen. Kommt nur wieder zurück nach dem Platze, an welchem sich der Tote befindet! Ich kann mir den ganzen Verlauf des Ereignisses so klar und deutlich vorstellen, als ob ich Augenzeuge desselben gewesen sei. Wer ein scharfes und gut geübtes Denk- und Beobachtungsvermögen besitzt, der schlängelt sich von außen her mit größter Leichtigkeit um so ein geheimnisvolles Ereignis herum und weiß dann sehr bald, woran er ist. Mit Eurer Jurisprudenz aber würdet Ihr da nicht weit kommen.“

Er führte ihn an der Leiche vorüber, nach einer Stelle, an welcher sich dürftig belaubtes Knieholz befand, zwischen denen es kleine, freie Sandflecke gab. Hier gab es einen größeren Eindruck im Sande, und er fragte, auf welche Weise derselbe wohl entstanden sei.

„Es scheint auch hier jemand gelegen zu haben,“ antwortete Gibson.

„Mit dieser Vermutung habt Ihr recht; aber wer ist es gewesen?“

„Etwa der Tote, bevor er starb?“

„Nein, denn dieser wurde so gut in das Herz getroffen, daß er sich gar nicht mehr bewegen konnte. Es war ihm unmöglich, sich hierher zu schleppen. Übrigens müßte sich eine Blutlache hier befinden, wenn er es gewesen wäre.“

„So war es der Indianer, welcher sich bereits da drüben einmal niederwarf?“

„Auch dieser nicht. Es gab für ihn ja gar keinen Grund, sein schlaues Manöver zu wiederholen. Auch haben wir erfahren, daß er vollständig unverletzt war, während derjenige, welcher hier gelegen hat, schwer verwundet gewesen ist. Wir haben es also jedenfalls mit einer dritten Person zu thun.“

„Aber,“ sagte Gibson im höchsten Erstaunen, „dieser Sand ist für euch wirklich ein aufgeschlagenes Buch. Ich könnte nicht eine Zeile desselben lesen!“

Auch auf den Gesichtern seiner Gefährten stand die größte Verwunderung zu lesen. Jim hatte die Erklärung bisher seinem Bruder überlassen. Jetzt ergriff er das Wort:

„Darüber braucht man Mund und Augen gar nicht aufzureißen, Mesch’schurs. Was euch so unglaublich erscheint, das macht uns jeder gute Westmann nach. Wer es nicht sehr bald fertig bringt, eine Fährte oder Spur zu lesen, der mag sich in Gottes Namen schleunigst wieder von dannen machen, denn er könnte hier im Westen gar nicht existieren. Alle berühmten Jäger haben ihre Erfolge neben ihrer Kühnheit, List und Ausdauer auch dem Umstande zu verdanken, daß jeder Fußstapfe, den sie sehen, für sie ein deutlich geschriebener Brief ist, welchen der Betreffende ihnen mit oder ohne Absicht zurückgelassen hat. Wer aber kein Verständnis für solche Briefe hat, der wird sehr bald eine Kugel oder einen guten Messerstich erhalten und an irgend einer Stelle verfaulen, an welcher es nicht gut möglich ist, ihm ein Denkmal zu errichten. Mein Bruder hat gesagt, daß sich hier keine Blutlache befinde, und er hat recht gehabt. Eine ganze, große Lache gibt es freilich nicht, aber ein wenig Blut ist doch zu sehen. Diese kleinen, dunklen Stellen im Sande rühren von Blutstropfen her. Derjenige, welcher hier lag, war also verwundet und zwar schwer, denn man ersieht aus der Spur, daß er sich vor Schmerz am Boden krümmte. Schaut euch nur das nebenan stehende Knieholz genau an und den Sand, welcher sich unter den niedrig kriechenden Zweigen desselben befindet! Der arme Teufel hat vor Schmerz die Äste losgerissen und die Finger in die Erde gekrallt. Könnt ihr mir vielleicht sagen, an welcher Stelle seines Körpers er verwundet war?“

„Um dies sagen zu können, müßte man geradezu allwissend sein.“

„O nein! Eine Wunde im Kopfe oder im Oberkörper läßt mehr Blut laufen, als hier vorhanden ist. Die Verletzung wurde ihm am Unterleibe zugefügt, woraus sich auch die Qualen, welche er litt, erklären lassen. Und nun seht weiter, wie nebenan das Holz zerstampft ist, und wie die Zweige auseinander gerissen sind bis dort hinüber, wo der unverwundete Indianer lag! Und betrachtet einmal diesen unscheinbaren Gegenstand, welcher hier am Boden liegt und von euch noch gar nicht beachtet wurde! Könnt ihr mir vielleicht sagen, was es ist?“

Er nahm ein Stückchen Leder vom Boden auf. Es war früher hell gegerbt gewesen, von der Zeit aber dunkel gefärbt worden und wurde durch Einschnitte in lange, sehr schmale Streifen geteilt. Die sechs betrachteten es genau, schüttelten aber die Köpfe.

„Das ist,“ erklärte Jim, „das losgerissene Stückchen einer ausgefransten Hosennaht, indianische Arbeit. Derjenige, weicher hier lag, war also auch ein Indianer. Er trug Leggins, deren Leder mit dem Gehirn eines Hirsches gegerbt worden war. Er hat vor Schmerz die Finger in die Leggins gekrallt und dieses kleine Fransenstück losgerissen. Ein Schuß in den Unterleib ist keineswegs das höchste der Gefühle. Wenn euch eine Kugel im Eingeweide sitzt, so werdet ihr euch wie Würmer krümmen. Sollte mich wundern, wenn dieser Indsman sich nicht bereits in den ewigen Jagdgründen befände. Er kann die Fortsetzung des Rittes unmöglich lange ausgehalten haben, zumal er zu zweien auf einem Pferde sitzen mußte!“

„Er ist fortgeritten?“ fragte Gibson. „Und zwei auf nur einem Pferde?“

„Jawohl, Master, ganz gewiß ist es so. Kommt nun einmal ein Stück von hier fort, in der Richtung, aus welcher diese Leute gekommen sind!“

Er verließ den Platz und schritt nach Nordost zu. Die anderen folgten ihm, neugierig, auf was er sie noch aufmerksam machen werde. Er schritt bis zur Kreislinie fort, welche er vorhin beschrieben hatte. Dort blieb er stehen und sagte:

„Mesch’schurs, ihr erhaltet gegenwärtig so zu sagen Unterricht im Spurenlesen. Wenn ihr Gelegenheit findet, das bald auch anderwärts geboten zu erhalten, so wird man euch nicht mehr lange „grün“ nennen können, vorausgesetzt natürlich, daß ihr Anlagen habt, Westmänner zu werden. Wollte ich nur euern Vorteil berücksichtigen, so könnte ich euch eine sehr lange Rede halten, um euch die hiesigen Spuren ausführlich zu erklären. Aber dazu habe ich keine Zeit. Ich muß mich sputen, denn wir haben eine sehr gefährliche Räuber- oder Mörderbande vor uns, und zugleich gilt es, einen oder doch vielleicht zwei Indianer zu retten, welche von dieser Bande verfolgt werden. Ich will mich also so kurz wie möglich fassen. Hier, wo wir stehen, sind die beiden Indianer vorübergekommen, von denen wir sprachen, der verwundete und der unverwundete. Der erstere hat die Wunde nicht erst dort am Platze erhalten, wo er lag, sondern er hat sie bereits hier gehabt. Ich schließe das daraus, daß die beiden ihre Pferde Kopf an Kopf gehalten haben, wie ich aus der Fährte ersehe. Sie sind eng nebeneinander geritten, und der Unverwundete hat das Pferd des anderen am Zügel gehabt. Dieser letztere brauchte also seine Hände, um sie auf seine Wunde zu legen oder um sich im Sattel zu halten, da er abgemattet war.“

Einige Schritte zurückgehend und dann auf den Boden deutend, fuhr er fort:

„Daß wir es wirklich mit Indianern zu thun hatten, zeigen die Hufeindrücke, aus denen zu beweisen ist, daß die beiden Pferde barfuß waren. Hier könnt ihr sehen, daß das eine Pferd, welches den Verwundeten trug, einen weiten Satz machte. Hier an dieser Stelle erhielt es seitwärts von hinten her einen Schuß, der ihm durch die vordere Weiche in die Brust und zwar so in das Leben drang, daß es nur noch eine kleine Strecke weiter konnte und dort, wo es noch jetzt liegt, niederstürzte. Dabei wurde der verwundete Indianer aus dem Sattel geworfen und seitwärts in das Knieholz geschleudert, wo wir die Stelle, an welcher er lag, untersucht haben.“

jetzt ging er nach rechts hinüber und deutete abermals nieder, indem er weiter erklärte:

„Hier befindet sich die Spur eines einzelnen Reiters, desjenigen, welcher auf das Pferd und dann auch auf den unverwundeten Indsman geschossen hat. Sein Pferd trug Hufeisen. Er war ein Weißer. Auf das Pferd schoß er, bevor er hier ankam, wie ich euch beweisen könnte, wenn ich Zeit dazu hätte. Aber ganz genau von der Stelle aus, an welcher wir uns jetzt befinden, schoß er auf den unverletzten Indsman ––“

„Das könnt Ihr doch nicht mit solcher Bestimmtheit sagen!“ fiel Gibson ein.

„O, ich kann es sogar beschwören! Blickt doch einmal vorwärts, so werdet ihr sehen, daß unser jetziger Standpunkt mit dem Orte, an welchem der Indianer sich niederwarf und mit der Yuccapflanze, in welche die Kugel drang, sich in einer ganz geraden Linie befindet. Es ist da gar kein Zweifel möglich. Und weiter! Nur acht oder zehn Schritte von hier seht ihr eine weitere Fährte vorüberkommen. Da sind fünf Weiße geritten, um dann am Platze anzuhalten, dessen Boden so zerstampft ist. Jetzt bitte ich euch, mir zurück zu folgen. Wir werden dann gleich fertig sein.“

Er führte sie nicht nur nach dem Platze zurück, sondern noch ein Stück über denselben hinaus und machte sie dort auf drei Spuren aufmerksam, deren eine seitwärts führte. Von dieser letzteren sagte er:

„Sie stammt von einem einzelnen Pferde, welches einem Weißen gehörte. Die Hufe haben sich tief eingewühlt; das Tier hat sich im Galoppe befunden. Ein Pferd aber, welches zwanzig Schritte von dem Punkte entfernt, an welchem es stand, bereits galoppiert, ist sicherlich ausgebrochen. Es wurde scheu und lief davon. Wollten wir seiner Spur folgen, so würden wir es ganz gewiß finden mit leerem Sattel und an irgend einer Pflanze knuspernd. Hier, links davon seht ihr die zweite Fährte. Sie ist ruhig ausgetreten und zwar von einem unbeschlagenen Pferde. Da sie trotz des langsamen Schrittes tiefer ausgetreten ist als die zurückliegende Spur der Indianerpferde, so hat dieses Tier unbedingt eine schwerere Last getragen als vorher. Der unverletzte Indianer hat im Sattel gesessen und seinen verwundeten Gefährten vor sich hegen gehabt. Uni nun sehr ihr genau neben dieser letzteren Fährte die Spuren der fünf Weißen. Sie folgten derselben, ritten aber nicht auf ihr, um sie nicht zu verwischen. So, jetzt bin ich fertig. Ich hätte viel ausführlicher sein und euch noch auf anderes aufmerksam machen können, aber, wie gesagt, ich habe keine Zeit dazu. Nun faßt einmal alles zusammen, was ihr gehört habt, und sagt mir, in welcher Weise sich das Ereignis hier zugetragen hat!“

„O, das werden wir am besten Euch überlassen, Master,“ antwortete Gibson, jetzt freilich in einem sehr bescheidenen Tone.

„Nun,“ meinte Jim, „ich bin ja deutlich genug gewesen, so daß ihr nun wohl wissen könntet, woran ihr seid. Ich hoffe aber, ihr werdet mir zugeben, daß es das höchste der Gefühle ist, eine Fährte richtig lesen zu können. Unsere Nachforschung hat folgendes ergeben: Sechs Weiße sind im Nordosten von hier mit zwei Indsmen zusammengetroffen und haben Streit mit ihnen angefangen, wobei der eine der Indianer einen Schuß in den Leib erhielt. Die Roten flohen, und die Weißen nahmen die Verfolgung sofort auf. Die Pferde der Indsmen aber waren denen der Weißen überlegen und erhielten einen sehr bedeutenden Vorsprung. Seht das Pferd an, welches dort liegt. Es ist von feinstem mexikanischen Schlage und stammt wohl gar von echt andalusischen Ureltern. Das Totem, das heißt das Zeichen seines Besitzers, ist ihm auf der linken Seite des Halses in die Haut geschnitten. Der verwundete Indianer ist kein gewöhnlicher Krieger gewesen, denn nur Häuptlinge und angesehene Männer des Kriegsrates dürfen sich eines Totem bedienen. Auch seht ihr, daß dem Tiere die feindliche Kugel in die Vorderweiche gedrungen ist. Nur ein einziges Tier der Weißen ist schnell genug gewesen, den beiden Indianerpferden auf den Hechsen zu bleiben. Dieser Weiße hat die Verfolgung wütend fortgesetzt. Er durfte es wagen, seinen Kameraden so weit vorauszueilen, da die Roten nichts gegen ihn unternehmen konnten, weil der Gesunde von ihnen den Verwundeten zu stützen und zu halten hatte. Die beiden armen Teufel konnten ihr Heil fast nur in der Flucht finden. Freilich, hätte ich mich an der Stelle des Unverwundeten befunden, so wäre ich aus dem Sattel gesprungen und hätte stehenden Fußes den Weißen erwartet, um ihn vom Pferde zu schießen. Daß er das nicht gethan hat, muß einen Grund gehabt haben, den ich nicht kenne, oder es läßt vermuten, daß dieser Indsman noch ziemlich jung und unerfahren war. Die Sorge um den anderen hat ihn verwirrt. Aber listig und verwegen ist er gewesen, wie sich gleich herausstellen wird. Der Weiße hatte ein geladenes Doppelgewehr Er kam den beiden Verfolgten so nahe, daß er dem Pferde des einen dort an der Stelle, an welcher wir standen, eine Kugel in die Weiche schickte. Es that einen Sprung, schoß noch eine Strecke fort und überschlug sich dann, seinen Reiter in das Knieholz schleudernd, wo er liegen blieb. Sofort hielt der andere Rote sein Pferd auch an und sprang ab, um den Gefährten zu schützen. Der Weiße sandte ihm eine Kugel zu; aber da sein Pferd sich noch im vollen Laufe befand, hatte er unsicheres Zielen, und seine Kugel traf die Yuccapflanze anstatt des Indianers. Dieser letztere hätte nun sein Gewehr auf den Feind richten können; aber er war aufgeregt; er zitterte vor Grimm, Sorge und Anstrengung. Es galt sein Leben, welches an der Sicherheit des Schusses hing. Darum eben schoß er nicht, sondern er that, als ob er getroffen sei und warf sich nieder, das Gewehr aber fest in der Hand behaltend. Dabei strich er mit dem Kolben den Sand auf, wie wir gesehen haben. Nun wartete er auf den Weißen, um demselben aus allernächster Nähe die Kugel in das Herz zu jagen. Dieser Weiße sprang aus dem Sattel und eilte zunächst zu dem verwundet am Boden liegenden Indianer, welcher sich natürlich tot stellte. Von da trat er zu dem anderen Indsman. Dieser sprang blitzschnell auf, schleuderte ihn zu Boden und schoß ihm in das Herz. Er hat ihm dabei die Mündung des Gewehrs so nahe an die Brust gehalten, daß die Wolle des Kleidungsstückes versengt wurde und die Kugel hinten wieder aus dem Leibe drang und sich auf dem Steine platt drückte. Durch diesen Schuß wurde das Pferd des Weißen scheu gemacht; es ging durch und brach da nach rechts hinüber aus, wie wir an der zurückgelassenen Spur gesehen haben. Der Rote aber schleppte die Leiche seines erlegten Feindes hin zu seinem verwundeten Gefährten, um demselben den Anblick der Rache zu gewähren. Dort skalpierte er sie. Dabei bemerkte er das Nahen der übrigen fünf Gegner. Er durfte nicht länger hier verweilen; darum hob er schnell den Verwundeten auf das noch unverletzte Pferd, stieg auch mit auf und ritt von dannen. Als die fünf herbeikamen und ihren toten Gefährten liegen sahen, stiegen sie ab, um zu sehen, wie es mit ihm stehe. Sie besprachen sich. Sie sind Räuber, und er war ihr Genosse. Vielleicht gibt es hier in der Nähe, wahrscheinlich auf Helmers Home, Leute, die ihn kennen. Wurde er gefunden und erkannt, so war dadurch ihre Anwesenheit verraten, welche sie natürlich geheim halten müssen. Darum kamen sie auf den Gedanken, durch Messerschnitte sein Gesicht unkenntlich zu machen. Ihr habt gesehen, daß sie das in wahrhaft schändlicher Weise ausgeführt haben, Mesch’schurs. Sie hielten sich dann nicht länger auf; sie mußten die Verfolgung der beiden Indianer, welche bereits wieder einen guten Vorsprung hatten, fortsetzen. Vorher aber nahmen sie alles, was der Tote bei sich trug, an sich. Auch die Pferdeleiche sattelten und zäumten sie ab, da ein Lederzeug, welches einem bedeutenden roten Krieger gehörte, eine sehr wertvolle Beute ist. Sie verließen diesen Ort und folgten der Fährte der Roten, sich immer neben derselben haltend, wie wir gesehen haben. Es steht zu erwarten, daß sie trotz der Langsamkeit ihrer Pferde die Indsmen doch erreichen werden, da deren Tier eine doppelte Last zu tragen hat. –Als Ihr dann hier ankamt, Master Gibson, war bereits ein Geier bei dem Kadaver des Pferdes. Ihr habt ihn durch einen Schuß vertrieben, den wir hörten und der uns herbeilockte. So! Das ist das Ereignis, wie ich es mir zusammensetze. Ich glaube nicht, daß meine Vermutungen bedeutend von der Wirklichkeit abweichen, und es wird für mich das höchste der Gefühle sein, Euch sagen zu hören, daß ich das Richtige getroffen habe.“

„Nun, wenn Euch das so großes Vergnügen macht, so wollen wir Euch dasselbe nicht verderben,“ meinte Gibson. „Es scheint mir allerdings, daß die Sache sich so zugetragen hat, wie Ihr sie Euch vorstellt. Ich vermute, daß Ihr ein gutes Auge und einen ebenso guten Kopf habt.“

„Was meinen Kopf betrifft, so muß ich eben mit ihm zufrieden sein, weil ich ihn nicht mit einem besseren vertauschen kann. Hoffentlich habt Ihr nun eingesehen, daß es ein purer Unsinn von Euch war, uns arretieren zu wollen. Jetzt möchte ich Euch fragen, was Ihr in dieser Angelegenheit nun weiter zu thun gedenkt.“

„Gar nichts. Sie geht uns nichts mehr an. Es handelt sich ja nur um Indianer.“

„Nur um Indianer?“ fragte Jim. „Nur? Sind die Indsmen etwa keine Menschen?“

„Daß sie Menschen sind, bestreite ich ihnen nicht; aber sie stehen so tief unter uns, daß es eine Beleidigung wäre, uns mit ihnen verglichen zu sehen.“

Jim machte eine etwas geringschätzige Handbewegung. Tims große Nase wackelte auf und nieder; sie bewegte sich nach rechts und links; sie gebärdete sich wie ein ganz selbständiges Wesen, welches in Zorn geraten ist. Er rieb sie leise mit dem Zeigefinger, als ob er sie beruhigen wolle, und sagte dabei in einem zur Freundlichkeit gezwungenen Tone:

„Wenn das so ist, Master, dann kommen wir freilich nicht in die Lage, euch zu beleidigen, denn es kann uns gar nicht einfallen, einen Vergleich zwischen euch und ihnen zu ziehen. Diese beiden Roten haben sich geradezu wie Helden benommen, wenigstens der eine von ihnen, den wir für den jüngeren halten. Es ist gar nicht möglich, so unerfahrene Leute, wie ihr seid, mit ihnen zu vergleichen. Sie stehen hoch, sehr hoch über euch. Haltet euch um Gottes willen nicht für bessere Menschen als sie! Die Weißen sind in das Land gekommen, um die eigentlichen Besitzer desselben, die Indianer, aus demselben zu verdrängen. Es sind Ströme von Blut und Brandy vergossen worden, unter denen der Nationenmord bewerkstelligt wurde. Gewalt, List, Betrug, Wortbrüchigkeit haben unausgesetzt daran gearbeitet, die Scharen, welche die Prairien bevölkerten, zu dezimieren. Man jagt sie von Ort zu Ort, von Station zu Station, von Territorium zu Territorium. Kaum hat man ihnen ein neues Gebiet angewiesen, auf welchem sie in Ruhe und Frieden leben dürfen sollen, findet man irgend einen Grund, sie wieder auf- und fortzujagen. Man verkauft ihnen Schwerspat als Mehl, Kohlenstaub als Pulver, Kinderflinten als Bärenbüchsen. Wollen sie sich das nicht gefallen lassen, so nennt man sie Empörer und schießt sie in Masse nieder. Diese Armen haben nur die Wahl, entweder sich bis zur Stupidität bedrücken zu lassen oder bis zum letzten Lebenshauche gegen die vernichtende Habsucht der Eroberer zu kämpfen. Ergeben sie sich in ihr Schicksal, so nennt ihr sie stumpfsinnig und indolent. Wehren sie sich ihrer Haut, so heißt ihr sie Räuber und Mörder, welche man ohne Gnade und Barmherzigkeit ausrotten müsse. Es geht hier gerade wie unter den wilden Tieren zu: eins frißt das andere auf, und das stärkste sagt: Ich habe recht! Ich aber sage euch, Mesch’schurs, daß ich unter diesen Verachteten und Verfolgten Männer kennen gelernt habe, von denen einer zehnmal mehr wert war, als ihr alle sechs und noch hundert Dutzend eurer Art dazu. Ihr selbst habt die Roten zu dem gemacht, was sie jetzt sind; ihr habt alles das, was ihr an ihnen tadelt, auf dem Gewissen. Redet mir also ja nicht gegen sie, sonst kann mich der Grimm übermannen, und ihr habt es dann mit mir zu thun!“

Er hatte sich in einen heiligen Zorn hineingeredet und legte bei seinen letzten Worten die Büchse auf Gibson an, als ob er ihn erschießen wolle. Dieser sprang schnell zur Seite und rief erschrocken:

„Halt, Sir! Wollt Ihr mich etwa ermorden?“

„Nein, jetzt noch nicht. Aber wenn Ihr noch einmal sagt, daß die Indsmen verachtet werden müssen, so kann es leicht geschehen, daß meine alte Flinte losgeht, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen. Wenn Ihr Euch mit solchen übermütigen Redensarten von außen um mich herumschlängelt, so könnt Ihr auf alles rechnen, nur auf meine Freundschaft nicht!“

„Was das betrifft, so haben wir Euch auch noch gar nicht um dieselbe gebeten,“ antwortete Gibson trotzig. „Wir brauchen Euch nicht, denn wir sind freie, selbständige Männer, welche sehr gut wissen, was zu ihrem Besten dient.“

„Das scheint mir aber gar nicht so! Ihr sagt z. B., daß Ihr nicht nötig habt, Euch um das, was hier geschehen ist, weiter zu bekümmern. Wenn Ihr so denkt, so könnt Ihr sehr bald gezwungen werden, in einen Grashalm zu beißen, an dem Ihr sterben müßt.“

„Oho! Meint Ihr, daß wir uns vor anderen Leuten fürchten sollen?“

„Ja, das meine ich. Ihr seid für den Westen noch viel zu grün.“

„Hört, solche Beleidigungen müssen wir uns auf das strengste verbitten! Wir sind von New Orleans bis hierher gekommen, und ich denke, daß wir auch noch weiter kommen werden.“

„Von New Orleans bis hierher?“ lachte Jim. „Soll das etwa eine bedeutende Leistung sein? Das thut jeder zwölfjährige Knabe. Ich sage Euch, daß die Gefahr erst hier beginnt. Wir befinden uns an der Grenze, wo allerlei Volk sein Wesen treibt, welches sich aus fremdem Eigentum zwar sehr viel, aus dem Leben anderer aber desto weniger macht. Und jenseits der Llano beginnt das Gebiet der Komantschen und Apatschen, welche um so mehr zu fürchten sind, als sie untereinander in Unfrieden leben und gerade jetzt die Kriegsbeile ausgegraben haben. Wer sich leichtsinnig zwischen solche Mühlsteine wagt, der wird leicht zermahlen. Hier an dieser Stelle sind weiße Räuber und rote Krieger zusammengetroffen. Das kann uns ganz und gar nicht gleichgültig sein. Sehen wir auch von den Weißen ab, so müssen wir uns doch fragen, was die Indianer hier gewollt haben. Wenn zwei Redmen sich so allein ins Land hereinwagen, so steht in zehn Fällen neunmal zu erwarten, daß sie Kundschafter seien, welche die Aufgabe haben, für einen Kriegszug das Terrain zu rekognoszieren. Mir kommt die Sache gar nicht so geheuer vor wie Euch. Ich kenne weder den Zweck noch das Ziel Eures Rittes; wir aber wollen über die Llano hinüber, und da gilt es nun, die Augen aufzumachen, sonst kann es einem passieren, daß man sich des Abends lebendig niederlegt und dann früh nach dem Erwachen als traurige Leiche nach Hause laufen muß.“

„Was unseren Weg betrifft, so wollen auch wir über die Llano.“

„So? Und wohin darin?“

„Nach Arizona.“

„Ihr waret jedenfalls noch nie drüben?“

„Nein.“

„Hört, nehmt es mir nicht übel, aber das ist eine Unvorsichtigkeit von euch, welche gradezu ihresgleichen sucht! Ihr haltet die Llano wohl für eine hübsche, allerliebste Gegend, über welche man sich nur so hinüberschlängeln kann?“

„O nein, so dumm sind wir freilich nicht. Wir kennen ihre Gefahren ganz genau.“

„Woher denn?“

„Wir haben davon gehört und auch darüber gelesen.“

„So, so! Hm, hm! Gehört und gelesen! Das ist grad‘ so, wie wenn einer gehört und gelesen hat, daß Arsenik giftig sei, und dann glaubt, ohne Schaden ein ganzes Pfund davon verschlingen zu können. Seid ihr denn nicht wenigstens auf den klugen Gedanken gekommen, euch einen Führer zu nehmen, weicher mit den Plains und ihren Gefahren vertraut ist?“

Jim meinte es sehr gut mit den Fremden; dennoch rief Gibson zornig:

„Ich bitte Euch sehr, uns nicht in dieser Weise schulmeistern zu wollen! Wir sind Männer, verstanden! Übrigens haben wir einen Führer.“

„Ach so! Wo denn?“

„Er ist uns vorausgeritten.“

„Das ist freilich eine ganz eigenartige Weise, jemanden zu führen. Wo wartet dieser Mann denn auf euch?“

„In Helmers Home.“

„So! Wenn das der Fall ist, so mag es ja sein. Helmers Home werdet ihr sehr leicht finden. Und wenn es euch recht ist, so könnt ihr euch uns anschließen, denn auch wir wollen dort hin. Dürfen wir vielleicht erfahren, wer dieser euer Führer ist?“

„Er ist ein sehr berühmter Westmann, wie uns versichert wurde, und hat die Llano bereits mehrere Male durchkreuzt. Seinen eigentlichen Namen hat er uns nicht gesagt; er wird gewöhnlich nur der Juggle-Fred genannt.“

Good lack, der Juggle-Fred!“ rief Jim. „Ist das wahr, Sir?“

„Gewiß! Kennt Ihr ihn?“

„Persönlich nicht, aber gehört haben wir sehr oft und sehr viel von ihm.“

„Was ist er für ein Mann?“

„Ein höchst tüchtiger Kerl, dessen Führung ihr euch ruhig anvertrauen könnt. Ich freue mich darauf, ihn endlich einmal von Angesicht zu Angesicht sehen zu können. jedenfalls reiten wir dann zusammen, denn auch wir beide wollen hinüber nach Arizona.“

„Auch ihr? Weshalb?“

„In einer Privatangelegenheit,“ antwortete Jim zurückhaltend.

„Bezieht sich diese Angelegenheit etwa auf die Diamanten, welche jetzt dort gefunden werden?“

„Vielleicht.“

„So passen wir nicht zusammen.“

„Wieso?“

„Weil wir in derselben Angelegenheit hinüber wollen. Ihr seid also unsere Konkurrenten.“

„Folglich wollt ihr nichts von uns wissen?“

„So ist es!“

Er sagte dies in einem sehr bestimmten Tone und betrachtete die Brüder dabei mit einem beinahe feindseligen Blicke. Jim lachte laut auf und rief:

„Das ist lustig! Ihr seid eifersüchtig auf uns? Das ist wieder ein sehr klarer Beweis, daß ihr grün im Westen seid. Meint ihr denn, die Diamanten liegen in Arizona nur so auf der Erde herum, daß man nichts zu thun hat als sich zu bücken, um sie aufzuheben? Schon die Goldsucher müssen sich zusammenthun, wenn sie gute Erfolge erzielen wollen, und die Diamond-Boys haben es noch viel nötiger, sich zusammenzuschließen. Ein einzelner geht zu Grunde.“

„Wir sind bereits sechs und haben genug Geld bei uns, um nicht zu Grunde zu gehen.“

„Hört, sagt das keinem anderen! Wir sind ehrliche Leute, von denen ihr nichts zu fürchten habt. Andere aber würden wohl dafür sorgen, daß ihr euer vieles Geld nicht weit zu schleppen braucht. Wenn ihr aber meint, es sei das höchste der Gefühle, mit leeren Taschen umkehren zu müssen, so erzählt es in Gottes Namen weiter; ich habe nichts dagegen. Daß ihr nichts von unserer Begleitung wissen wollt, ist uns sehr gleichgültig. Wir wollen es euch anheimstellen, uns wenigstens bis nach Helmers Home Gesellschaft zu leisten. Ihr könnt diesen Ort heute nicht erreichen und müßt also im Freien übernachten. Da ist es gut, Leute bei sich zu haben, welche im wilden Westen zu Hause sind.“

„Wann brecht ihr hier auf?“

„Sofort natürlich.“

„Ich will meine Kameraden fragen.“

„Das ist eigentlich eine Beleidigung für uns, gleichviel, ob ihr es aus Mißtrauen oder aus geschäftlicher Eifersucht thut. Doch mögt ihr immerhin eine heimliche Konferenz halten; wir werden euch nicht stören. Macht, was ihr wollt.“

Er ging langsam zu seinem Maultiere und stieg auf. Tim that dasselbe; dann ritten sie in ruhigem Schritte fort, den Spuren nach, welche nach Westen führten.

Die anderen blieben eine kurze Weile zurück, um zu beraten, dann folgten sie den beiden nach. Als sie diese erreicht hatten, drehte Jim sich nach ihnen um und fragte:

„Nun, was habt ihr beschlossen?“

„Wir reiten bis Helmers Home mit euch, aber auch nur bis dorthin.“

„Sehr gütig von euch. Mit so herablassenden Leuten zu reiten, ist das höchste der Gefühle.“

Er wendete sich wieder ab, und von jetzt an thaten die Brüder ganz so, als ob sie gar niemand hinter sich hätten.

Sie ließen ihre Pferde schneller ausgreifen und hingen dabei nach echter Westmannsart im Sattel, vornüber gebeugt, scheinbar schläfrig und laß, als ob sie gar nicht reiten könnten. Die sechs anderen Reiter hingegen befleißigten sich einer so regelrechten Haltung, als ob sie Schulpferde einzureiten hätten.

„Seht nur die beiden Kerls!“ sagte Gibson zu seinen Begleitern. „Sie können nicht reiten; das sieht man doch deutlich genug. Und da wollen sie Westmänner sein? Ich mag es nicht glauben.“

„Ich auch nicht,“ stimmte ein anderer bei. „Wer so im Sattel sitzt wie sie, der darf mir nicht weismachen, daß er den Westen kennt. Die Geschichte von dem Spurenlesen, welche sie uns vormachten, war jedenfalls nur Schwindel. Seht nur ihre Gesichter an! Diese Nasen! Ich habe noch nie so abstoßende Physiognomien gesehen. Und da soll man diesen Kerls Vertrauen schenken?“

„Davon ist keine Rede! Und nun gar sie mit uns nach Arizona nehmen! Daß wir dumm wären! Der Kerl fuhr förmlich auf, als ich von unserem Gelde sprach. Er stellte sich so unendlich ehrlich, jedenfalls nur, weil wir sechs sind und sie zwei. Wollen uns beim Schlafen in acht nehmen, damit sie nicht etwa früh mit unserem Gelde fortreiten, und wir als Leichen liegen bleiben. Ihr ganzes Auftreten läßt ja vermuten, daß sie vor nichts zurückschrecken.“

„Vielleicht ist’s doch besser, wir reiten auch nicht einmal bis Helmers Home mit ihnen. Warum wollen wir uns in eine Gefahr begeben, wenn wir das gar nicht nötig haben?“

„Ganz richtig! Wenn es zu dunkeln beginnt, bleiben wir zurück. Des Nachts wachen wir dann abwechselnd, um nicht überfallen zu werden. Das wird das allerbeste sein. Es war geradezu eine Frechheit von ihnen, uns grün zu nennen. Wir sind es unserer Ehre schuldig, ihnen zu zeigen, daß wir nichts mit ihnen zu thun haben wollen.“

Indessen traten die bereits erwähnten Höhen immer näher. Der Boden wurde steinigt, und Jim und Tim beugten sich immer tiefer, weil die Fährte nun nicht mehr leicht zu erkennen war. Da plötzlich hielt der erstere sein Pferd an, deutete mit der Hand vorwärts und sagte:

„Schau einmal dort, alter Tim! Was für Geschöpfe mögen die wohl sein, welche da beisammenstehen?“

Tim beschattete seine Augen mit der Hand, obgleich die Sonne ihn nicht blenden konnte, denn sie war hinter dem westlichen Horizonte verschwunden. Nachdem er den betreffenden Punkt eine Zeit lang scharf fixiert hatte, antwortete er:

„Das sind zwei sehr bekannte Arten von Kreaturen, nämlich fünf Pferde und ein Mensch, welche ersteren wohl mehr wert sind als der letztere.“

„Ja, ja, fünf Pferde. Dazu gehören natürlich auch fünf Reiter, und da nur einer zu sehen ist, möchte ich gerne wissen, wo die anderen vier stecken.“

„Ich rechne, daß sie wohl nicht weit entfernt sein werden. Wenn wir noch ein Stück weiter reiten, können wir sie vielleicht sehen. Jetzt ist die Entfernung noch zu groß, einen einzelnen Menschen genau und deutlich zu erkennen.“

„Ja, machen wir also noch ein Stückchen vorwärts!“ Und indem er sein Pferd wieder in Bewegung setzte, fügte er hinzu: „Daß es gerade fünf Pferde sind, gibt uns zu denken. Meinst du nicht auch?“

„Natürlich! haben mich meine Augen nicht getäuscht, so sind es jene Fünf, welche die Indianer verfolgen. Wir haben also wohl die Weißen vor uns, von denen einer erschossen wurde. Und jetzt ist es mir auch ganz so, als ob ich da draußen und da drüben so etwas Menschliches am Boden umherkrabbeln sähe. Betrachte einmal die sich bewegenden Punkte dort!“

Was er Punkte nannte, waren vier Männer, welche, in gleichmäßigen Distanzen voneinander entfernt, eine gerade Linie bildeten und sich langsam nach derselben Richtung fortbewegten.

„Das sind die anderen Vier, welche zu den Pferden gehören,“ meinte Jim. „Sie befinden sich auf felsigem Boden und suchen die Spur der Indianer, welche ihnen ausgegangen ist. Nach dem Vorsprunge zu urteilen, welchen sie vor uns hatten, müssen sie schon längere Zeit damit beschäftigt sein. Das ist ein sicheres Zeichen, daß sie keine allzu guten Fährtenleser sind. Jetzt haben sie uns gesehen. Siehst du, daß sie nach ihren Pferden rennen? Es sollte mich freuen, wenn die Indianer ihnen entkämen. Was ich dazu beitragen kann, wird gern geschehen.“

„Und wie verhalten wir uns gegen sie?“

„Hm! Schurken sind sie; das ist sicher und gewiß; wir müssen ihnen um unserer eigenen Sicherheit willen ein wenig auf die Finger sehen; doch scheint es mir nicht geraten zu sein, uns gar zu eifrig um ihre Angelegenheit zu kümmern. Es ist besser, wir lassen es ihnen gar nicht merken, was wir von ihnen denken. Solange sie sich uns nicht feindlich zeigen, können auch wir friedfertige Gesichter machen. Vorwärts also! Sie erwarten uns.“

Auch die sechs Diamond-Boays hatten jetzt die Pferdegruppe gesehen und hielten sich infolgedessen nun wieder nahe zu den beiden Brüdern. Sie fühlten sich also doch in Gesellschaft derselben sicherer als allein.

Die fünf fremden Männer standen bei ihren Pferden und hielten die Gewehre schußfertig in den Händen. Einer von ihnen rief den Nahenden, als dieselben auf vielleicht sechzig Schritte herbeigekommen waren, in gebieterischem Tone zu:

„Halt, sonst schießen wir!“

Jim und Tim ritten trotzdem weiter; die sechs anderen aber hielten gehorsam an.

„Halt, sage ich!“ wiederholte der Mann. „Noch einen Schritt, so bekommt ihr unsere Kugeln!“

„Unsinn!“ lachte Jim. „Ihr werdet euch doch nicht vor zwei friedfertigen Menschen fürchten. Behaltet eure Kugeln! Wir haben auch welche in unseren Läufen.“

Die Fünf schossen nicht, vielleicht weil sie wirklich keine Besorgnis hatten und mit ihrer Drohung nur bramarbasieren wollten, vielleicht aber auch weil die ruhige, sichere Haltung der beiden Brüder einen imponierenden Eindruck auf sie machte. Sie ließen die beiden herankommen, legten aber ihre Gewehre nicht ab.

Derjenige von ihnen, welcher den Befehl ausgesprochen hatte, war eine breitschulterige, untersetzte Gestalt. Ein dichter, schwarzer Vollbart bedeckte den unteren Teil seines Gesichtes, so daß die Lippen nicht gesehen werden konnten; doch war seiner Aussprache anzuhören, daß er eine Hasenscharte haben müsse.

Als die Snuffles nun vor ihm anhielten, sagte er in zornigem Tone:

„Wißt ihr nicht, was hier im Westen Regel und Sitte ist? Wer angerufen wird, hat stehen zu bleiben, verstanden! Ihr verdankt es nur unserer Nachsicht, daß ihr noch lebt.“

„Schneide nicht so auf, Mann!“ antwortete Jim. „Wem habt denn ihr es zu verdanken, daß ihr noch lebt? Auch wir haben Gewehre. Die Sitte des Westens kennen wir sehr genau; sie lautet: Schieße jeden, der das Gewehr auf dich anlegt, sofort nieder! Ihr habt eure Schießhölzer gegen uns erhoben, und wir haben euch nur deshalb nicht nach der Regel geantwortet, weil wir gleich gesehen haben, daß ihr nicht die Leute seid, denen man einen guten, sicheren Schuß zutrauen kann. Eure Kugeln wären ganz gewiß meilenweit an uns vorüber geflogen.“

Thunder-storm! Da irrt ihr euch gewaltig. Wir schießen auf hundert Schritte einer Fliege den Kopf vom Rumpfe; das laßt euch gesagt sein! In welcher Absicht treibt ihr euch denn eigentlich in dieser Gegend herum?“

„Das könnt ihr euch doch denken! Wir wollen die nächste Sonnenfinsternis sehen, welche hier am besten zu beobachten sein soll.“

Der Bärtige wußte nicht, wie er diese in sehr ernstem Tone vorgebrachte Antwort aufzunehmen habe. Er machte ein sehr zweifelhaftes Gesicht und fragte:

„Wann soll sie denn sein?“

„Heute abend zwölf Uhr fünf Minuten elf Sekunden. Ich sage euch, so eine Sonnenfinsternis um Mitternacht ist das höchste der Gefühle!“

„Mann, wollt ihr uns foppen?“ brauste der andere auf. „Wir werden euch die Lust dazu sehr schnell vertreiben. Wir stehen nicht hier, um uns von euch an den Nasen ziehen zu lassen. Die eurigen sind geeigneter dazu als die unserigen. Nehmt euch in acht, daß wir euch nicht daran fassen!“

„O,“ lachte Jim, „das mögt ihr immerhin thun. Wir haben nichts dagegen. Nur muß ich euch da warnen: Unsere Nasen sind nämlich geladen, wie ihr ihnen leicht ansehen werdet. Sie gehen bei der geringsten Berührung los und sind in dieser Beziehung weit und breit gefürchtet. Oder solltet Ihr noch nichts von den beiden Snuffles gehört haben, Sir?“

„Snuffles? Die beiden Snuffles seid ihr?“ rief er aus. „Alle Teufel! ja, wir haben viel von euch gehört. Jim und Tim, Tim und Jim, das sollen ein paar so verteufelt drollige Burschen sein, daß ich mich immer gesehnt habe, ihnen einmal zu begegnen. Es freut mich ungemein, diesen Wunsch jetzt in Erfüllung gehen zu sehen. Eure Nasen sollen die allerschönsten Affensprünge machen können. Hoffentlich macht ihr uns den Spaß, uns hier eine Komikervorstellung zu geben. Ihr werdet an uns ein aufmerksames und dankbares Publikum finden. Wir bezahlen gut, fünf Cents pro Mann und einen Cent pro Pferd.“

„Das läßt sich hören! So eine Einnahme konnten wir hier in diesem Zirkus kaum erwarten. Wir produzieren uns aber stets nur bei Sonnenfinsternis. Ihr werdet also wohl bis zwölf Uhr nachts zu warten haben. Wollt ihr euch aber nicht bis dahin gedulden, so schlagt euch selbst einige Purzelbäume. Das dazu gehörige Talent besitzt ihr sicher, denn euer Aussehen läßt vermuten, daß ihr erst ganz kürzlich aus einem Affenhause entsprungen seid.“

„Mann, wagt nicht zu viel! Einen Spaß machen wir uns zwar gern, uns selbst aber geben wir nicht dazu her!“

„So, dann gehört ihr also zu den feineren Pavians. Das sieht man euch aber leider nicht an, und ihr werdet mich also wohl entschuldigen. Darf man vielleicht erfahren, welche Namen ihr von euern geehrten Eltern erhalten habt?“

Diese Worte wurden mit so herzgewinnender Freundlichkeit gesprochen, daß der Bärtige darauf verzichtete, noch gröber als bisher zu werden. Er antwortete:

„Ich heiße Stewart. Die Namen meiner Genossen mögen ungenannt bleiben. Ihr würdet sie Euch doch nicht merken können, da Euer Kopf in einer sehr traurigen Verfassung zu sein scheint. Wo kommt ihr denn eigentlich her?“

„Aus der Gegend, welche hinter uns liegt.“

„Und wo wollt ihr hin?“

„Nach der Gegend, welche vor uns liegt.“

„So! Das ist sehr geistreich geantwortet. Ich habe mich also in Beziehung auf Euer armes Gehirn nicht geirrt. Wie es scheint, wollt ihr nach Helmers Home reiten?“

„Ja, da es nicht zu uns kommt, müssen wir zu ihm. Wollt ihr mit?“

„Danke sehr! Es wäre sehr unvorsichtig von uns, mit euch zu reiten, da Dummheit ansteckend sein soll.“

„Nur dann steckt sie an, wenn die Anlage dazu bereits vorhanden ist, was ich bei euch ganz und gar nicht bezweifle. Wir sahen von weitem, daß ihr euch den Erdboden so genau betrachtetet. Was habt ihr denn gesucht? Sind hier vielleicht Hundertdollarsnoten zu finden?“

„Das nicht. Wir suchten Esels und haben nun in euch zwei ganz riesige gefunden. Denn nur ein Esel kann in der Weise fragen wie ihr. Habt ihr denn die Fährte nicht gesehen, welche immer gerade vor euren Nasen hergelaufen ist?“

„Was geht uns diese Fährte an! Wir haben nichts mit ihr zu schaffen. Sie stammt jedenfalls von Leuten, welche nach Helmers Home geritten sind. Wir werden diesen Ort auch ohne die Spuren finden.“

„Seid ihr an der Leiche vorüber gekommen, welche dort hinten liegt?“

„Ja.“

„Was denkt ihr über diesen Fall?“

„Daß sie tot ist. Und was tot ist, das beißt uns nicht. Wenn andere sich die Hälse brechen, so mögen sie es immerhin thun; uns stört das nicht.“

Stewart warf einen langen, forschenden Blick auf Jim und Tim. Er schien der Gleichgültigkeit, welche der erstere in Beziehung auf die Leiche zeigte, doch nicht recht zu trauen. Die Snuffles waren als sehr tüchtige Westmänner bekannt; sollten sie wirklich an dem Toten vorüber geritten sein, ohne denselben genau untersucht zu haben und ohne dann Mißtrauen und Verdacht zu hegen? Als er in ihren offenen, ehrlichen Gesichtern auch nicht die leiseste Spur einer üblen Meinung bemerkte, sagte er:

„Auch wir haben den Mann und sein Pferd liegen sehen. Es wäre schade um den Sattel und das Zaumzeug des Pferdes gewesen, es hegen und verfaulen zu lassen. Darum haben wir beides mitgenommen. Ihr werdet das wohl nicht für einen Diebstahl erklären?“

„Fällt uns gar nicht ein! Wären wir vor euch gekommen, so hätten wir ganz dasselbe gethan.“

„Ganz recht. Wir folgten dann der Pferdespur, obgleich sie nicht nach unserer Richtung führte. Hier haben wir sie verloren und uns bisher vergeblich bemüht, sie wieder zu finden.“

„Das wundert mich. Ein Westmann muß doch eine verlorengegangene Fährte wieder finden können!“

„Das ist freilich wahr. Wäre der Felsboden von geringerem Umfange, so könnte man ihn umreiten und müßte die Spur da finden, wo sie wieder weiche Erde berührt; aber der Stein erstreckt sich von hier aus stundenweit nach Süd, West und Nord. Die Untersuchung würde mehrere Stunden erfordern, und dazu gibt es jetzt nicht mehr die Zeit, da die Nacht bald hereinbrechen wird. Wir haben uns also entschlossen, die Nachforschung aufzugeben und werden unseren früheren Weg einschlagen.“

„Wohin führt euch derselbe?“

„Wir wollen hinunter nach Fort Chadburne.“

„Das liegt am Rande der Llano. Wollt ihr dann vielleicht hinüber?“

„Ja. Wir möchten nach El Paso und dann weiter ins Arizona.“

„Um Diamanten zu holen?“

„O nein. Von diesem Fieber lassen wir uns nicht ergreifen. Wir sind ehrliche und bescheidene Farmer und haben Verwandte drüben, welche bemüht gewesen sind, uns gutes Land zu besorgen. Das werden wir bebauen; die Edelsteine mögen andere suchen. Eine Farm bringt langsamer aber desto sicherer Früchte.“

„Jedem nach seinem Belieben! Da ihr nur Farmer seid, so wundert es mich nicht, daß ihr die Fährte nicht wiederfindet. Ein tüchtiger Scout würde wohl nicht lange vergeblich nach ihr suchen.“

„Nun, ihr seid ja als Scouts bekannt. Sucht doch einmal! Ich bin neugierig, zu sehen, ob ihr sie finden werdet.“

& Er sagte das in höhnischem Tone; aber Jim antwortete ruhig:

„Das können wir leicht thun, obgleich wir uns für die Sache sonst gar nicht interessieren. Ihr sollt nur den Beweis bekommen, daß wir finden, was wir suchen.“

Er stieg ab, und Tim that dasselbe.

Beide begannen, den Platz in einem weiten Kreise zu umschreiten. Ein leiser Pfiff rief die Maultiere hinter ihnen her, welche ihren Herren wie Hunde folgten. Die Brüder trauten der Gesellschaft zu wenig, als daß sie ihre Tiere hatten zurücklassen mögen.

Die Diamond-Boys waren nach den ersten gewechselten Worten auch herangekommen und hatten der Unterredung schweigend zugehört. jetzt, nachdem die Snuffles sich entfernt hatten, fragte Stewart:

„Ihr seid mit diesen zwei Nasenmenschen gekommen, scheint aber nicht zu ihnen zu gehören. Wollt ihr uns darüber eine Aufklärung geben?“

„Gern,“ antwortete Gibson. „Wir trafen mit ihnen an der Leiche zusammen, doch hat ihr Betragen uns keineswegs veranlaßt, Freundschaft mit ihnen zu schließen.“

„Daran habt ihr recht gethan. Die Snuffles stehen keineswegs in gutem Rufe. Natürlich hüte ich mich, ihnen das ins Gesicht zu sagen. Man hat uns vor ihnen gewarnt. Sie sollen die Zubringer machen für die Raubgesellschaften, welche die Reisenden in der Llano überfallen. Erst kürzlich sind wieder vier Familien getötet und ausgeraubt worden, und zwar ganz hier in der Nähe. Daß die Snuffles sich hier herumtreiben, läßt sehr vermuten, daß sie an dieser Unthat beteiligt waren und nun nach neuen Opfern suchen. Uns aber sollen sie nicht bekommen!“

„Dachte es mir! Ich habe ihnen gleich vom ersten Augenblicke an nicht getraut. Sie wollten uns verlocken, mit ihnen zu reiten.“

„Wohin?“

„Nach Helmers Home und dann durch die Llano bis nach Arizona.“

„Das laßt ja bleiben, Sir! Ihr würdet nicht hinüber kommen. Geht ihr nach Arizona, um nach Diamanten zu suchen?“

„Kaufen wollen wir welche, suchen aber nicht.“

Stewart warf seinen Gefährten einen schnellen, bezeichnenden Blick zu und bemerkte dann in möglichst gleichgültigem Tone:

„Da werdet ihr keine großen Geschäfte machen, Sir. Ein Diamantenkäufer muß Geld haben, und zwar sehr viel Geld.“

„Das haben wir natürlich.“

„Aber die Verbindung zwischen Arizona und Frisco‘ ist sehr unzuverlässig. Ich nehme natürlich an, daß ihr euer Geld von Frisco aus geschickt bekommt. Da könnt ihr es sehr leicht gerade dann nicht haben, wenn ihr es am notwendigsten braucht. Auch wir haben bedeutende Summen für das angekaufte Land zu bezahlen; aber anstatt es uns von Frisco aus anweisen zu lassen, haben wir es lieber gleich bar mitgenommen. Das ist viel sicherer.“

„Nun, ihr seid nicht die einzigen, welche so klug gewesen sind. Auch wir tragen unser Geld bei uns.“

„Das ist sehr gescheit. Man muß es aber sehr gut verbergen, denn man weiß nicht, was geschehen kann. Wir haben es in unsere Kleider genäht; da soll es einmal ein Llano-Mann finden! Ich traue, wie bereits gesagt, diesen Snuffles nicht. Sie wissen, wohin wir wollen und werden sich beeilen, es ihren sauberen Kumpanen mitzuteilen, um uns auflauern zu lassen. Wir werden aber so klug sein, nun nicht nach Fort Chadburne zu reiten, sondern eine ganz andere Richtung einschlagen. Ich rate euch, dasselbe zu thun und euch einem tüchtigen und umsichtigen Führer anzuvertrauen.“

„Das haben wir bereits gethan. Er wartet in Helmers Home auf uns.“

„Wer ist er?“

„Er wird Juggle-Fred genannt.“

„Juggle-Fred?“ rief Stewart in gut gespieltem Schreck. „Seid Ihr des Teufels, Sir?“

„Wieso des Teufels?“

„Weil dieser Mensch ein anerkannter Gauner ist. Sein Name muß es Euch ja schon sagen! Er treibt allerlei betrügerische Künste und ist als falscher Spieler weit und breit bekannt. Ich schwöre sogar darauf, daß er ein Verbündeter der beiden Snuffles ist.“

„Diese behaupten aber, ihn noch gar nicht gesehen zu haben!“

„Und das glaubt Ihr ihnen? Sir, nehmt es mir nicht übel, aber das ist kein Zeichen großer Klugheit von Euch! Natürlich verleugnen sie ihn; aber er befindet sich in Helmers Home, und sie wollen auch dorthin. Es ist doch klar, daß sie sich dort treffen wollen! Dann reitet ihr mit ihnen fort, und in der Llano estakata werdet ihr dann kalt gemacht. Ihr geht uns gar nichts an, aber ich will meine Pflicht thun und euch warnen.“

Er sagte das in so treuherziger und besorgter Weise, daß Gibson sich täuschen ließ. Der letztere schüttelte verlegen den Kopf und sagte:

„Das ist uns freilich unangenehm. Wir sind Euch dankbar für die Warnung und wollen auch glauben, daß dieselbe berechtigt sei; aber nun stehen wir ohne Führer da. Wo nehmen wir jetzt einen anderen und zuverlässigen her!“

„Das ist freilich schlimm. Ich begreife überhaupt nicht, daß ihr euch habt nach Helmers Home weisen lassen. Welcher Mensch legt seine Farm so nahe an die gefährliche Llano! Daß er es gethan hat, muß euch doch auf den Gedanken bringen, daß dieser Helmers mit den Bravos in Verbindung steht, welche die Llano unsicher machen! Er hat einen Laden. Er nimmt ihnen ihren Raub ab, und sie tauschen dafür bei ihm alles ein, was sie brauchen. Das ist doch selbstverständlich. Mich brächte kein Mensch nach diesem Hause, welches so gemütvoll und verlockend Helmers Home genannt worden ist. Hinter dieser hübschen Maske verbergen sich die Gesichter einer ganzen Mörderbande.“

„Zounds, Sir, von dieser Seite haben wir uns die Sache freilich nicht betrachtet. Es bleibt uns nichts übrig, als umzukehren und einen anderen Führer zu suchen, denn von diesem Juggle-Fred wollen wir nun freilich nichts mehr wissen. Aber sagt, habt denn ihr einen Führer?“

„Wir brauchen keinen, weil zwei meiner Gefährten da sehr gut Bescheid in der Llano wissen. Auf sie können wir uns verlassen.“

Well! Könnten wir dann da nicht vielleicht mit euch reiten?“

„Das ginge wohl, aber ich mache euch darauf aufmerksam, daß das wieder eine Unvorsichtigkeit von euch ist. Ihr kennt uns nicht.“

„O, man sieht es euch doch sofort an, daß ihr es ehrlich meint, wenn auch die Snuffles uns weismachen wollten, daß ihr Räuber seiet.“

„Haben sie das?“

„Ja.“

„Aus welchem Grunde denn?“

„Sie haben den Ort, an welchem die Leiche lag, sehr genau untersucht. Sie sagten, ihr hättet die beiden Indsmen verfolgt; einer von ihnen sei ermordet worden; der andere habe dann euern Gefährten erschossen, und dieser letztere sei von euch im Gesicht unkenntlich gemacht worden.“

„Alle Teufel! Das sagten sie?“ fragte Stewart betroffen. „Und uns machten sie weiß, sich gar nicht um die Leiche bekümmert zu haben. Da habt ihr den Beweis, daß diesen Lügnern nicht zu trauen ist! So versteckt und hinterlistig handelt kein ehrlicher Mann. Wir sind ganz zufälligerweise an dem Orte vorüber gekommen. Daß wir Sattel und Zaum an uns genommen haben, kann uns niemand verdenken; das ist das Recht der Prairie. Dann habt ihr gesehen, daß wir hier die Fährte untersuchten. Das thut man doch nur der Vorsicht halber. Würden wir es also thun, wenn wir die Mörder wären?“

„Nein, gewiß nicht. Ihr braucht euch gar keine Mühe zu geben, euch zu verteidigen. Wir sehen, daß ihr ehrliche Leute seid, und schenken euch unser vollstes Vertrauen. Sagt also, ob ihr uns erlauben wollt, mit euch zu reiten!“

„Hm!“ brummte Stewart nachdenklich und die Achsel zuckend. „Ich will aufrichtig sein. Wir kennen euch ebensowenig wie ihr uns. Es ist nie geraten, hier im Westen so schnell und ohne vorherige Prüfung Bekanntschaft zu schließen. Es freut uns ja, daß ihr uns Vertrauen schenkt, aber besser ist es doch, wir bleiben für uns, und ihr bleibt für euch. Daraus mögt ihr abermals erkennen, daß wir keine Räuber sind, wie die Snuffies uns genannt haben. Wären wir wirklich solche Spitzbuben, so würden wir euch sehr willkommen heißen und euch mitnehmen, um zu euerm Gelde zu gelangen. Freilich ist mir eure Verlegenheit nicht gleichgültig. Ihr könnt sehr leicht abermals einem Schurken in die Hände fallen, und so will ich euch einen guten Rat erteilen. Wir trafen nämlich auf eine zahlreiche Gesellschaft Auswanderer, welche durch die Llano estakata wollen, um sich drüben anzukaufen. Es sind meist Deutsche aus Böhmen und Hessen. Sie sind bereits gestern von uns fort und wollten heut abend gar nicht weit von hier lagern, weil dann morgen früh an diesem Lagerplatze ihr Führer zu ihnen stoßen will. Es ist das der berühmteste und zuverlässigste Kenner der Llano, ein bescheidener und auch sehr frommer Mann, namens Tobias Preisegott Burton. Schließt euch dieser Karawane an, so seid ihr sicher aufgehoben. Dieselbe besteht aus so vielen wohl bewaffneten Leuten, daß niemand es wagen wird, sie zu überfallen.“

„Meint Ihr? Hm! Sehr gut! Aber wie finden wir diese Leute?“

„Sehr leicht. Wenn ihr von hier aus gerad nach Süden reitet und eure Pferde ein wenig anstrengt, so seht ihr nach ungefähr einer halben Stunde einen einzelnen Bergkegel vor euch liegen, von welchem ein Wässerchen niederläuft, um unten in der kleinen, ostwärts von ihm gelegenen Ebene im Sande zu versiechen. An diesem Wasser lagert die Karawane. Selbst wenn es unterdessen finster wird, könnt ihr sie nicht verfehlen, da ihr aus bedeutender Ferne ihre Lagerfeuer sehen müßt. Wenn ihr diesem Rate folgt so weiß ich euch in guten Händen.“

„Ich danke Euch, Sir! Ihr befreit uns aus einer bedeutenden Verlegenheit. Wir werden natürlich sofort aufbrechen, um uns diesen Deutschen anzuschließen. Der Deutsche pflegt zwar albern, aber auch ehrlich zu sein. Wir reiten auf der Stelle.“

„Was soll ich den Snuffies sagen, wenn sie mich fragen, wohin ihr seid?“

„Sagt, was Ihr wollt und was Euch grad‘ in den Sinn kommt!“

„Gut! Aber ich will euch darauf aufmerksam machen, daß ihr sie über die Richtung, welche ihr einschlagt, täuschen müßt. Thut ihr das nicht, so folgen sie euch nach, und ihr fallt ihnen doch noch in die Hände. Reitet also zum Scheine eine Strecke wieder zurück, bis sie euch nicht mehr sehen können; dann biegt ihr nach Süden um. Wenn sie mich fragen, warum ihr umgekehrt seid, so werde ich schon eine Antwort finden, welche sie zufriedenstellt.“

So war die Sache abgemacht. Die beiden Parteien nahmen so freundlich Abschied von einander, als ob sie alte, langjährige Bekannte seien. Die Diamond-Boys ritten auf ihrer eigenen Fährte zurück, ohne den beiden Snuffles noch ein Wort oder einen Blick zu gönnen. Als sie weit genug fort waren, um die Worte Stewarts nicht mehr hören zu können, wendete sich dieser höhnisch lachend zu seinen Gefährten:

„Die habe ich sehr gut instruiert; sie werden uns sicher in die Hände laufen. Diamanten kaufen! Dazu gehören wenigstens fünfzigtausend Dollars. Ein ganz hübsches Sümmchen, wenn wir es in unsere Taschen stecken! Und was sagt ihr zu diesen Snuffles?“

„Halunken!“ antwortete einer.

„Ja. Was sie für scheinheilige Gesichter machten! Sie thaten ganz so, als ob sie nicht bis drei zählen könnten, und haben doch alles, alles erraten. Das heißt, tüchtige Kerle sind sie! Sie haben die ganze Geschichte auf das Deutlichste aus den Spuren gelesen. Sie wissen sogar, daß es zwei Indianer waren und daß wir unsern Kamerad unkenntlich gemacht haben. Ihr Scharfsinn ist uns sehr gefährlich. Wir müssen sie auf die Seite schaffen.“

„Aber wie, wann und wo? Es bleibt uns ja gar keine Zeit dazu. Wir müssen fort, um die Stangen umzustecken und die Karawane irre zu führen.“

„Hm, ja, viel Zeit haben wir nicht. Wenn wir uns die Beiden jetzt entkommen lassen, ist die schönste Gelegenheit vorüber. In Helmers Home treffen sie den Juggle-Fred und vielleicht gar auch zufälligerweise diesen immer und ewig unerreichbaren Bloody-fox, welcher unser größter und ärgster Gegner ist. Diese vier zusammen sind ganz wohl imstande, uns den Braten, auf den wir rechnen, noch im letzten Augenblicke aus der Pfanne zu nehmen.“

„Schießen wir sie ganz einfach nieder!“

„Das Beste wäre es freilich; aber – –“

Er brummte nachdenklich und unbestimmt vor sich hin.

„Was, aber?“ fragte der Andere. „Meiner Ansicht nach können wir gar nichts Klügeres thun. Wir sind fünf Personen und sie nur zwei. Sie können sich ja überhaupt gar nicht wehren. Sie fallen von unseren Kugeln, ohne nur Zeit zu finden, ihre Gewehre auf uns anzulegen.“

„Meinst du? Da schau doch einmal hin zu ihnen, und sei so gut, auf sie zu schießen! Ich bin neugierig, wie du das anfangen willst.“

Er deutete auf die Brüder, welche noch immer sehr eifrig nach der Fährte zu suchen schienen, ohne sich um die ihnen so gefährliche Gruppe der Anderen zu kümmern. Auch dem Fortreiten der Diamond-Boys hatten sie scheinbar nicht die geringste Aufmerksamkeit zugewendet.

„Verteufelt!“ fluchte der Mann. „Du hast recht. Ich beobachte es erst jetzt, wie schlau die Halunken es anfangen, um nicht von uns getroffen zu werden.“

„Ja, sie halten ihre Tiere Schritt um Schritt so genau zwischen sich und uns, daß wir nur die Bestien treffen müßten, wenn wir schössen. Sie sind in genau dieser Weise im Kreise herumgegangen. Und siehst du nicht, daß sie die rechte Hand stets am Gewehrschlosse haben, während sie mit der Linken die Büchsen zum Anschlage bereit halten? Es darf nur einer von uns auf sie zielen, so fällt er augenblicklich von ihren Kugeln. Das sind teufelsschlaue Kerls, Und ihre Maultiere haben ebenso hundert Satans im Leibe. Es ist, als ob die Tiere es wüßten, daß sie die Aufgabe haben, ihre Herren zu decken. Sie halten ganz von selbst gleichen Schritt mit ihnen und lassen uns keinen Augenblick aus ihren boshaften Augen.“

Es war genau so, wie sie sagten; sie konnten nicht zum Schusse kommen. Und als die beiden Snuffles jetzt ihre Kreissuche beendet hatten, hielten sie im langsamen Näherschreiten ihre Gewehre noch immer so, daß sie augenblicklich schießen konnten. Die Maultiere kamen, als ob sie darauf dressiert seien, was wohl auch der Fall war, hinter ihnen dreingelaufen.

„Was sehe ich? Die Boys sind ja fort!“ rief Jim erstaunt, als ob er das Verschwinden derselben erst jetzt bemerke.

„Schon längst,“ antwortete Stewart. „Da hinten sieht man sie noch reiten.“

„Wohin denn?“

„Zurück, wie Ihr seht.“

„Das sehe ich freilich. Aber sie wollten doch mit uns nach Helmers Home! Warum kehren sie denn um?“

„Weil sie dumme Kerls sind. So eine Unvorsichtigkeit sollte man doch nicht für möglich halten. Denkt Euch nur, sie haben ihr Geld verloren.“

„Ah! Sie hatten Geld?“

„Ja freilich! Der Eine hatte die Brieftasche mit den Scheinen in der Satteltasche stecken. Indem wir auf Euch warteten, bemerkte er, daß die Naht der Satteltasche aufgegangen und das Portefeuille herausgefallen war. Das gab natürlich einen heillosen Schreck. Sie sind augenblicklich umgekehrt, ohne vorher noch mit Euch zu reden. Im Fortreiten riefen sie uns noch zu, Euch zu sagen, daß sie morgen Abend oder spätestens übermorgen Mittag in Helmers Home eintreffen würden, um dann sofort mit dem Juggle-Fred nach der Llano aufzubrechen.“

„Schön! Über den eigentlichen Grund ihres Verschwindens will ich mir den Kopf nicht zerbrechen.“

„Meint Ihr etwa, daß sie uns belogen haben?“

„Sie Euch nicht, aber Ihr uns. Ich habe keine Lust, an die verlorene Brieftasche zu glauben. Unsere Nasen sind groß genug, man braucht uns nicht noch welche dazu zu drehen. Ich bin sehr überzeugt, daß sie eine ganz andere Richtung einschlagen, sobald wir sie aus den Augen verloren haben.“

„Master, Ihr werdet wieder beleidigend!“

„O nein. Ich sage Euch nur meine Gedanken, und Gedanken können niemals beleidigen. Übrigens will ich Euch einen guten Rat erteilen, Master Stewart. Wenn Ihr wieder einmal jemandem eine Weisung gebt, von welcher andere nichts wissen sollen, so fechtet nicht so sehr dazu mit den Armen in der Luft herum, denn unter Umständen sind Gestikulationen ebenso leicht zu verstehen wie Worte!“

„Hätte ich wirklich gestikuliert? Ich weiß nichts davon.“

„Sogar sehr. Ihr habt Eure Arme in der Luft herumgeschleudert, daß ich einige Male befürchtete, sie möchten fortfliegen.“

„So schlimm wird es nicht sein. Übrigens konntet Ihr meine Bewegungen immerhin beobachten. Was wir sprachen, durfte jedermann hören. Es war kein Geheimnis dabei. Wir sprachen von der Fährte, welche wir verloren haben.“

„Ach so! Und da meintet Ihr wohl, daß man sie da unten im Süden wiederfinden werde?“

„Da unten im Süden? Wie kommt Ihr zu dieser Ansicht?“

„Eben infolge Eurer Windmühlenarme. Ihr zeigtet mit der Linken nach Süden und machtet dann mit der Rechten eine Bewegung, als ob Ihr die Umrisse eines Berges zeichnen wolltet. Dann schobt Ihr wieder die Linke so geradehin von Euch ab, was natürlich eine Ebene bedeutete. Später dann deutetet Ihr nach Osten zurück und von da nach Süden hinab. Das war alles so deutlich, daß ich Euch die ganze Geschichte erzählen will.“

„So thut es doch!“

„Sehr gern! Die Boys sind nach Osten zurück und wenden sich jetzt, da ich sie nicht mehr sehen kann, dem Mittag zu. Dort steht rechts ein Berg, an welchen zur linken Hand eine Ebene stößt, nach welcher die Boys reiten sollen. Da sie hier unbekannt sind und Ihr sie trotz der nahenden Dunkelheit hinweiset, kann diese Ebene nicht sehr weit von hier entfernt sein. Ich kenne so einen kleinen, sandigen Plan dort unten. Es fließt ein Wasser vom Berge herab und verschwindet dann im Sande. Man kann von hier aus binnen drei Viertelstunden hinkommen, und ich habe große Lust, für diese Nacht dort mein Lager aufzuschlagen.“

Er sah bei diesen Worten scharf in Stewarts Gesicht; dieser konnte sich nicht ganz beherrschen; es war ihm anzusehen, daß er erschrak.

„Thut, was Ihr wollt, Master, aber erzählt uns keine Romane!“ rief er in grobem Tone. „Wo Ihr schlafen werdet, das ist uns sehr gleichgültig. Ihr thut doch gerade, als ob Ihr die Allwissenheit gepachtet hättet! Sagt uns doch lieber zunächst, ob ihr die Spuren gefunden habt!“

„Natürlich haben wir sie.“

„Wo denn?“

„Kommt mit! Ich werde sie Euch zeigen. Es ist noch hell genug, sie zu erkennen.“

„So geht voran!“

„Das werde ich thun. Aber Tim, mein Bruder, geht hinterdrein.“

„Warum?“

„Um darauf zu achten, ob eure Gewehre nicht etwa auf den Gedanken kommen, eigenmächtige Dummheiten zu machen. Nehmt also eure Schießhölzer in acht! Sollte eins derselben Lust haben, loszugehen, so würde Jims Kugel unbedingt und sofort den Besitzer der Flinte treffen.“

„Master, Ihr werdet uns wirklich fast zu verwegen!“

„O nein. Ich meine es ja nur gut mit euch, indem ich euch warne. Also kommt!“

Er schritt voran, gerade in der Richtung des bisher zurückgelegten Rittes; die anderen folgten, und am Ende schritt Tim, das Gewehr schußbereit im Arme und die Augen scharf auf jede Bewegung der Fünf gerichtet.

Nach kurzer Zeit blieb Jim stehen, deutete zur Erde und fragte:

„Master Stewart, was seht Ihr hier?“

Der Genannte bückte sich, um die bezeichnete Stelle zu betrachten, und antwortete –

„Hier hat ein Steinchen auf dem Fels gelegen und ist unter einem Pferdetritte zermahlen worden.“

„Kann ein solches Steinchen unter einem beschlagenen Hufe so zu Mehl zerrieben werden?“

„Nein. Dieses Pferd ist barfuß gewesen.“

„Also ein Indianerpferd. Kommt weiter!“

Die Erscheinung eines zerriebenen Steinchens wiederholte sich in ganz derselben Weise.

„Das ist natürlich die Spur,“ sagte Jim. „Die gerade Linie zwischen den beiden Steinchen zeigt nach West. Dorthin also ist der Indianer geritten.“

„Indianer? Wie könnt Ihr wissen, daß es ein Indianer war?“ fragte Stewart in sehr anzüglichem Tone.

Pshaw!“ antwortete Jim. „Die albernen Diamond-Boys werden euch sicher gesagt haben, daß ich euch vollständig durchschaue. Wir brauchen also nicht länger Komödie zu spielen. Ihr seid Llano-Raben, und wir sind ehrliche Jäger, denen ihr weder etwas weiß machen noch etwas anhaben könnt. Wodurch ihr es so weit gebracht habt, daß die Boys euch ihr Vertrauen schenken, das will ich nicht fragen. Jedenfalls habt ihr sie riesig angelogen. Was ihr weiter mit ihnen vorhabt, das ist uns sehr gleichgültig. Wir werden auch nicht nach Süden reiten, um sie abermals zu warnen. Sich in die Llano locken und dort töten zu lassen, das scheint für sie das höchste der Gefühle zu sein, und es kann uns nicht einfallen, ihnen dieses Vergnügen zu rauben. Wir haben unsere Pflicht gethan und müssen nun für uns selbst sorgen. Hier an dieser Stelle gehen euer Weg und der unserige auseinander. Ihr werdet eher aufbrechen als wir, und zwar sofort! Reitet eurem Indianer nach; aber hütet euch, einen Gewehrlauf auf uns zu richten! Wir verstehen es sehr wohl, mit Männern eures Schlages umzugehen. Wir haben die Mündungen oben. Noch ein Wort von euch oder gar eine verdächtige Bewegung, so schießen wir! Dreht euch ab von uns; hängt die Gewehre an die Sattelknöpfe, und steigt auf! Lebt wohl, und hütet euch, uns wieder vor die Augen zu kommen!“

Er hatte sich neben Tim gestellt, und beide legten ihre Gewehre an.

„Master Jim!“ rief Stewart in höchstem Zorne. „So bringt ihr uns nicht fort! Wir sind – – –“

„Schurken seid ihr!“ unterbrach ihn Tim mit starker Stimme. „Wir haben vier Schüsse, und ihr seid fünf; den letzten schlagen wir mit dem Kolben nieder. Und nun sage auch ich euch: Demjenigen, der nur noch ein einziges, ein allereinziges Wort sagt, jage ich eine Kugel in den Kopf! Schlängelt euch von außen herum also nur schleunigst weiter! Sehen wir euch in einer Minute noch hier, so ist’s um euch geschehen!“

Das war in einem Tone gesprochen, welcher gar keinen Zweifel zuließ, daß es den beiden ernst sei und daß sie schießen würden. Die Fünf sahen ein, daß ein jeder von ihnen bei der kleinsten Bewegung, welche auf die Absicht des Widerstandes schließen lasse, eine Leiche sein werde. Sie gehorchten in ohnmächtigem Grimme dem an sie ergangenen Befehle, indem sie sich umdrehten, die Flinten an die Sattelknöpfe hingen, aufstiegen und dann, ohne ein weiteres Wort gesagt zu haben, davonritten. Einer von ihnen hatte hinter sich das mehrfach erwähnte Zaum- und Sattelzeug aufgeschnallt.

Erst als sie ihre Pferde eine ganze Strecke weit im scharfen Trabe fortgetrieben hatten, ließen sie die Tiere im Schritte gehen und drehten sich um. Sie sahen Jim und Tim noch an derselben Stelle stehen, jedoch mit jetzt abgenommenen Gewehren.

sdeath!“ knirschte Stewart. „So etwas ist mir noch nicht passiert! Müssen fünf Männer, welche sich vor dem Teufel nicht fürchten, vor diesen beiden langnasigen Affen ausreißen! Aber ich setze meinen Kopf zum Pfande, daß diese Hunde wirklich beim nächsten Worte auf uns geschossen hätten! Meint ihr nicht?“

Sie stimmten ihm bei.

„Es war wirklich ganz genau so, als ob sie allwissend seien. Sogar aus meinen Handbewegungen errieten die Halunken das Richtige! Wenn man nur wüßte, was sie nun beginnen werden.“

„Das ist doch sehr leicht zu erraten,“ sagte einer.

„Nun, was?“

„Sie werden den Boys nachreiten, um sie abermals zu warnen.“

„Das bezweifle ich sehr. Ihre Warnung wurde bereits einmal in den Wind geschlagen, und die Snuffles sind nicht die Kerls, welche ihren Rat und ihre Hilfe zweimal anbieten. Dennoch aber müssen wir unsere Vorkehrungen treffen. Wir müssen uns nach Süden wenden. Sobald wir die Feuer der Karawane erblicken, halten wir an und ziehen eine Postenlinie, welche nur unser frommer Preisegott Burton passieren darf, wenn er von Helmers Home kommt. Die Auswanderer dürfen natürlich von unserer Anwesenheit nichts ahnen. Kommen die Snuffles ja ganz wider mein Erwarten, so werden sie einfach erschossen. Den Indianer müssen wir nun freilich entkommen lassen, obgleich ich ihm fürs Leben gern sein Pferd abgenommen hätte. Es war unter Brüdern dreihundert Dollars wert, vielleicht gar noch mehr.“

„Eigentlich war es Unsinn, der beiden Pferde wegen mit den Roten anzubinden. Das eine ist nun erschossen und das andere entkommen. Dafür aber haben wir die Snuffles auf unserer Fährte. Sie werden sich in der Nähe niederlegen und morgen früh, sobald es hell geworden ist, unseren Spuren folgen. Da treffen sie auf die Karawane und machen uns das ganze prächtige Geschäft zu nichte.“

„Nein, das werden sie nicht. Sie sind von den Boys beleidigt worden und werden sich nicht weiter um sie kümmern. Jedenfalls reiten sie nach Helmers Home, wo sie ihr Zusammentreffen mit uns erzählen werden. Was dann dort beschlossen wird, das können wir nicht wissen. Es bleibt uns nichts übrig, als Burton zu veranlassen, gleich schon in der Morgendämmerung aufzubrechen und einen tüchtigen Tagemarsch zurückzulegen, damit die Karawane möglichst schnell und weit von hier fortkommt. Wir aber verschwinden natürlich noch viel eher.“

Sie ritten noch eine Strecke geradeaus nach Westen und wendeten sich dann nach Mittag.

Jim und Tim hatten ihre Gewehre nicht eher abgelegt, als bis die Reiter sich außerhalb Schußweite befanden. Dann wendete sich der erstere an den letzteren, zog den Mund noch viel breiter, als er so schon war, und fragte, vergnügt lachend:

„Nun, mein alter Tim, wie gefiel dir das?“

„Grad so ausgezeichnet wie dir,“ antwortete der Gefragte mit einem eben solchen vergnügten Grinsen.

„Ist das nicht das höchste der Gefühle?“

„Das allerhöchste! Wenn solche Kerls vor zwei wackeren Jägern sich von außen herum davonschlängeln müssen wie die Pudels, die in den Milcheimer gefallen sind, so kann man seine Freude darüber haben. Es sollte uns wirklich an das Leben gehen.“

„Ganz sicher! Man sah es ihren Blicken und Bewegungen gar zu deutlich an. Du glaubst doch nicht, daß die Boys ihr Geld verloren haben?“

„Fällt mir nicht ein. Sie sind fort, da hinab nach Süden; warum und wozu, das geht uns nun nichts mehr an. Wir haben sie gewarnt; weiter gibt es keine Verpflichtung für uns. Sie hielten sich für außerordentlich klug und weise. Dieser Gibson hat sogar Jurisprudenz studiert; da sehe ich nicht ein, warum wir ihnen unseren Beistand förmlich nachschleppen sollen. Rennen sie in ihrem Übermute mit den Köpfen in eine Wand, so mögen sie zusehen, ohne unsere Hilfe vollends hindurch und drüben heraus zu kommen. Ich denke, der arme Indsman ist unseres Beistandes bedürftiger und auch würdiger.“

„Gewiß! Suchen wir ihn also auf?“

„Ja. Wir wissen, nach welcher Richtung er ist, da nach rechts hinüber nach der Gegend der alten Silbermine. Die Faxe mit den beiden Steinchen, welche wir selbst zertreten haben, diente ja nur dazu, diese Halunken irre zu leiten. Ich habe die Blutstropfen deutlich gesehen, und es sollte mich wundem, wenn wir den Indsman nicht in der Mine fänden.“

Sie verließen den Ort, jeder sein Maultier hinter sich. Sie stiegen nicht auf, um den Boden genau betrachten zu können, was jetzt seine Schwierigkeit hatte, da der Abend sich schnell niederzusenken begann.

Als sie eine Strecke gegangen waren, sahen sie einen kleinen Gegenstand an der Erde liegen; es war der rote, sorgfältig geschnittene Kopf einer Friedenspfeife. Jim hob denselben auf, steckte ihn zu sich und sagte in befriedigtem Tone:

„Wir befinden uns auf dem richtigen Wege. Dieser Pfeifenkopf ist vom Rohre losgegangen und unbemerkt herabgefallen. Ob er dem alten, verwundeten oder dem jungen Indianer gehört hat, das werden wir bald erfahren.“

„Jedenfalls dem alten. Ein junger Mensch ist schwerlich schon da oben in Minnesota gewesen, um sich in den heiligen Steinbrüchen den Thon zu seinen Pfeifen zu holen.“

„Er kann diese Pfeife auch erbeutet haben. Eine solche darf er in Gebrauch nehmen, nur eine ererbte nicht.“

„Hat jemals ein Indianer eine Pfeife geerbt? Sie wird doch stets mit dem Besitzer begraben.“

„Es gibt Stämme, bei denen das leider nicht mehr so genau genommen wird. Der beglückende Einfluß der lieben, gutherzigen Bleichgesichter macht sich auch in dieser Beziehung geltend. Übrigens dem Totem nach, welches dem Kopfe eingeschnitten ist, scheint der Besitzer ein Komantsche und zwar ein Häuptling zu sein. Gut, daß wir den Dialekt dieser Nation deutlich verstehen. Wir können die beiden anrufen, sonst müßten wir gewärtig sein, bei unserem Nahen von einigen Kugeln begrüßt zu werden, und das ist keineswegs das höchste der Gefühle.“

Der Felsen begann jetzt anzusteigen. Die Beiden hatten links die Bergeswand und rechts eine weithin reichende Menge von Felsentrümmern, zwischen denen kaum ein Mensch, viel weniger aber ein Pferd fortkommen konnte. Da, wo sie schritten, war die einzige passierbare Stelle, und so konnten sie mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß auch die Indianer hier geritten seien.

Dann standen sie vor einer hohen, finsteren Halde klaren Gesteines. Es war der Schutt, welchen man aus der Mine geschafft und vor derselben aufgeworfen hatte. Wie hoch diese Halde sei, konnte man nicht erkennen, da es indessen dunkel geworden war.

Sie schnallten die Zügel lang und befestigten dieselben um zwei schwere, am Boden liegende Steine. Dann begannen sie langsam an der Halde emporzuklettern. Sie gaben sich dabei keine Mühe, Geräusch zu vermeiden, sondern sie sorgten ganz im Gegenteile dafür, daß das Knirschen des Schuttes unter ihren Füßen gehört werde. Aber nach jedem Schritte blieben sie halten, um zu lauschen. Es galt ja, zu erfahren, ob jemand oben sei, der angerufen werden mußte, bevor er sich seines Gewehres bediente.

Während einer solchen Pause des Lauschens vernahmen sie das Geräusch eines Steinchens, welches von oben herabgerollt kam.

„Horch!“ flüsterte Jim. „Es war also ganz richtig, die Indianer da oben zu vermuten. Sie sind auf ihrer Hut. Der Verwundete wird, wenn er überhaupt noch lebt, im Inneren der Mine liegen; der junge Indsman aber hält auf der Halde Wache. Rede ihn an, Tim!“

Tim folgte dieser Weisung, indem er mit vernehmlicher, aber nicht allzu lauter Stimme nach oben rief:

„Tuquoil, omi gay nina; tau umi tsah!“ – junger Krieger, schieße nicht. Wir sind deine Freunde!)

jetzt warteten sie auf Antwort. Es verging eine Weile, dann hörten sie die Frage:

„Haki bit?“ – (wer kommt?)

Das waren nur drei kurze Silben, aber sie reichten vollständig aus, wissen zu lassen, wer da oben stand, denn die beiden Worte waren dem Idiom entnommen, dessen sich die mit ihren früheren Feinden und jetzigen Verbündeten, den Keiowehs, wild umherschweifenden Komantschen bedienen.

„Gia ati masslok akona“ – (zwei gute, weiße Männer), antwortete Tim.

„Bite uma yepe!“ (kommt herauf!) ertönte es nach einer Pause des Überlegens von oben herab.

Sie stiegen vollends empor. Als sie den oberen Rand der Halde erreichten, sahen sie trotz der Dunkelheit eine menschliche Gestalt, welche aufgerichtet vor ihnen stand und das Gewehr auf sie im Anschlag hielt.

„Naba, o nu neshuano!“ (steht, sonst schieße ich!) gebot der Komantsche.

Die beiden erkannten an der Gestalt, daß sie wirklich, wie sie erwartet hatten, einen jungen Indianer vor sich sahen. Tim beruhigte ihn:

„Mein junger, roter Bruder braucht nicht zu schießen. Wir sind gekommen, ihm zu helfen.“

„Sind meine weißen Brüder allein?“

„Ja.“

„Haben sie die Fährte meines Pferdes verfolgt?“

„Wir sind zufälligerweise an den Ort des Kampfes gekommen und haben aus den Spuren gelesen, was geschehen ist. Wir folgten dann deiner Fährte und derjenigen eurer Feinde, um euch gegen sie zu beschützen. Ihr seid tapfere rote Krieger, sie aber sind feige Räuber, welche beschämt vor uns fliehen mußten, obgleich sie mehr Personen waren als wir.“

„Mein Bruder sagt die Wahrheit?“

„Ich lüge nicht. Zum Zeichen, daß wir als deine Freunde kommen, werden wir jetzt alle unsere Waffen vor dir niederlegen, und du magst dann bestimmen, ob wir sie wieder zu uns nehmen sollen oder nicht.“

Sie legten die Messer und Büchsen ab. Er hielt das Gewehr noch immer auf sie gerichtet und sagte:

„Die Bleichgesichter haben Honig auf den Lippen, aber Galle im Herzen. Sie legen die Waffen fort, um Vertrauen zu erwecken; dann aber kommen ihre drei Gefährten nach, um den Tod heraufzubringen.“

„Du hältst uns für zwei von denen, welche euch verfolgt haben. Wir sind sie nicht; du täuschest dich.“

„So sagt mir, wo diese fünf Männer sich befinden! Da ihr der Fährte gefolgt seid, müßt ihr das wissen.“

„Wir haben sie getroffen, als sie unten auf dem Felsen deine Spur suchten, welche sie verloren hatten. Wir sprachen erst freundlich mit ihnen, um sie zu täuschen. Sie vermochten nicht, die Fährte wieder zu entdecken. Wir aber fanden sofort die Blutstropfen, welche der Wunde deines Begleiters entfallen waren; aber wir sagten es nicht, sondern wir machten eine falsche Spur, auf welcher sie dann nach Westen geritten sind. Wir sagten ihnen, daß wir sie für Räuber und Mörder halten, und richteten unsere Gewehre gerade so auf sie, wie du das deinige jetzt auf uns richtest. Da mußten sie schmachvoll von dannen weichen.“

„Warum habt ihr sie nicht getötet?“

„Weil sie uns nichts gethan hatten. Wir schießen nur dann einen Menschen nieder, wenn wir dazu gezwungen sind, um unser Leben zu verteidigen.“

„Ihr redet die Worte der guten Menschen. Mein Herz gebietet mir, euch Vertrauen zu schenken; aber eine andere Stimme fordert mich auf, vorsichtig zu sein.“

„Folge nicht dieser Stimme, sondern derjenigen deines Herzens! Wir meinen es gut mit dir. Frage dich selbst, warum wir zu dir gekommen sein können! Du hast uns nichts gethan; wir können also nicht die Absicht hegen, dir Böses zu erweisen. Wir wissen, daß du verfolgt wirst; wir haben aus den Spuren ersehen, daß dein Begleiter verwundet ist; darum kamen wir hierher, um dir unsere Hilfe anzubieten. Ist dir dieselbe nicht willkommen, so werden wir sofort wieder gehen, denn wir sind es nicht gewöhnt, unseren Beistand jemanden aufzuzwingen.“

Es verging eine kurze Zeit, ohne daß er antwortete. Er schien nachdenken. Dann sagte er:

„Ich brauche eure Hilfe nicht. Ihr könnt gehen.“

„Gut, so werden wir dich verlassen und wünschen dabei, daß du es nicht bereuen mögest.“

Sie nahmen ihre Waffen wieder auf und begannen, an der Halde abwärts zu steigen. Sie waren noch nicht weit gekommen, so hielt Tim den Schritt an und fragte leise:

„Hast du nichts gehört, alter Jim? Es war mir ganz so, als ob da drüben, rechts von uns, ein Stein hinabgekollert sei.“

„Ich habe nichts vernommen.“

„Aber ich sehr deutlich. Sollte sich dort irgend ein Mensch heimlicherweise von außen her um die Halde herumschlängeln? Wir wollen vorsichtig sein.“

Sie stiegen weiter. Als sie dann unten am Fuße der Aufschüttung ankamen, erhob sich plötzlich eine dunkle Gestalt hart vor ihnen vom Boden.

„Halt, Bursche!“ rief Jim, das Gewehr anlegend. „Keinen Schritt von der Stelle, sonst schieße ich!“

„Warum will das Bleichgesicht schießen, da ich doch in freundlicher Absicht gekommen bin?“ ertönte es ihm entgegen.

Er erkannte die Stimme des jungen Indianers, mit welchem sie soeben gesprochen hatten.

„Du bist es?“ fragte er. „Du bist zu gleicher Zeit mit uns herabgestiegen? Also darum hörte Tim den Stein! Dein Fuß hatte ihn aus seiner Lage gestoßen. Was willst du hier?“

„Ich wollte sehen, ob die Rede der weißen Männer Wahrheit sei. Wäret ihr Feinde gewesen, so hättet ihr mich nicht verlassen. Da ihr meiner Weisung gefolgt seid, ohne etwas gegen mich zu unternehmen, so habt ihr die Probe bestanden. Ihr gehört nicht zu meinen Verfolgern, und ich bitte euch, mit mir wieder empor zu steigen, um Tevua-schohe zu sehen, der mein Vater ist.“

„Tevua-schohe, der Feuerstern, der berühmte Häuptling der Komantschen, ist da?“ fragte Tim erstaunt.

„Ja, er ist da. Er ist tot. Ich bin Shiba-bigk (Eisenherz) , sein jüngster Sohn, und werde sein Blut über seine Mörder bringen. Die Bleichgesichter mögen mir folgen.“

Er klimmte voran, und sie stiegen hinter ihm her, wieder die Halde hinauf.

Oben angekommen schritt er auf die Felswand zu und trat in ein in derselben befindliches Loch, welches die beiden kannten, da sie sich nicht zum erstenmale hier befanden. Es war der Eingang zu der alten, verlassenen Silbermine.

Ein dünner Rauch kam ihnen entgegen. Als sie vielleicht dreißig Schritte weit in den Gang eingedrungen waren, sahen sie ein kleines Feuer brennen. Ein kleines Häuflein mühsam zusammengesuchten Holzes lag daneben. Die Flamme hatte den alleinigen Zweck, den Toten zu bescheinen, welcher in sitzender Stellung aufgerichtet war, so daß er mit dem Rücken an der Wand lehnte.

Eisenherz legte sein Gewehr weg und setzte sich dem Toten gegenüber nieder. Er schob ein Aststück in das Feuer, zog die Kniee hoch empor und legte sein Kinn darauf. In dieser Stellung starrte er die Leiche wortlos an.

Die beiden Westmänner standen ebenso schweigend dabei. Sie kannten die indianische Sitte genau und wußten, daß sie den Schmerz des Sohnes durch Worte beleidigen würden. Die Gesichter beider Indianer waren unbemalt, ein sicheres Zeichen, daß sie nicht in einer feindlichen Absicht unterwegs gewesen seien. Der Tote war ein schöner Mann gewesen, wie ja die Komantschen sich überhaupt durch körperliche Vorzüge vor vielen anderen Indianerstämmen auszeichnen. Selbst noch im Tode glänzte sein Angesicht wie helle Bronze. Seine Augen waren geschlossen und seine Lippen fest zusammengekniffen, denn er hatte einen sehr qualvollen Tod gehabt. Der untere Teil seines indianischen Jagdhemdes war geöffnet, so daß man die Stelle des entblößten Leibes sah, an welcher die feindliche Kugel eingedrungen war. Die Hände lagen zusammengekrampft auf den Oberschenkeln, ein weiterer Beweis der Schmerzen, welchen er in seinen letzten Augenblicken ausgesetzt gewesen war.

Erst nach längerer Zeit ließen auch Jim. und Tim sich auf den Boden nieder, leise, ganz leise, als ob sie befürchteten, den Ermordeten durch ein Geräusch in seiner Ruhe zu stören. Die Nähe eines aus dem Leben Geschiedenen wirkt ja fast stets wie der Anblick eines Heiligtums: Ein Andachtsschauer erfaßt den Sterblichen, sobald er den Hauch der Ewigkeit empfindet.

Da hob Shiba-bigk seinen Kopf, blickte die beiden an und sagte:

„Ihr habt von Feuerstern, dem Häuptling der Komantschen, gehört? So wißt ihr, daß er ein tapferer Krieger war?“

„Ja,“ antwortete Jim. „Wir haben den Häuptling sofort erkannt, als wir ihn hier erblickten. Wir haben ihn droben am Rio Roxo kennen gelernt, wo er uns beistand, als wir von einer Schar Paunihs überfallen wurden.“

„So werdet ihr überzeugt sein, daß er in den ewigen Jagdgründen über viele Krieger gebieten wird. Aber Manitou hat ihn nicht im Kampfe abgerufen. Der Häuptling der Komantschen ist ermordet worden.“

„Von denen natürlich, die euch verfolgten?“

„Ja.“

„Wie ist das geschehen und wie seid ihr denn eigentlich hierher gekommen?“

„Wir waren tief im Lande der Bleichgesichter. Die Krieger der Komantschen haben ihre Kriegsbeile vergraben und lebten in letzter Zeit in Frieden mit den Weißen. Sie brauchten sich nicht zu scheuen, in die Städte des bleichen Mannes zu gehen. Feuerstern jagte mit seinen Leuten am Flusse, welcher Rio Pecos genannt wird. Dort trafen sie auf weiße Männer, welche nach der fernen Stadt wollten, deren Name Austin ist. Da der Weg von dort nach da von anderen roten Männern unsicher gemacht wird, so baten sie den Feuerstern, ihnen einen kundigen Führer mitzugeben. Er beschloß, sie selbst zu begleiten und mich mitzunehmen, damit ich die Städte und Häuser der Weißen sehen möge. Wir kamen glücklich in Austin an und ritten dann allein zurück. Heute, als das letzte Drittel des Tages begann, begegneten uns die Mörder. Sie verlangten unsere Pferde; als wir ihnen dieselben nicht gaben, schoß einer von ihnen den Feuerstern in den Leib. Das Pferd des Häuptlings wurde scheu und rannte davon. Ich mußte ihm folgen, weil er verwundet war, und konnte also nicht mit den Bleichgesichtern kämpfen. Wenn ihr die Fährte gesehen habt, so werdet ihr wissen, was dann noch geschehen ist.“

„Ja. Du hast einen von ihnen getötet und ihm den Skalp genommen.“

„So ist es. Die Kopfhaut hängt hier an meinem Gürtel. Aber ich werde mir auch die Häute der anderen holen. Während der Nacht werde ich den Vater beklagen und den Todesgesang der Häuptlinge anstimmen; am Morgen begrabe ich ihn einstweilen zwischen diesem Gestein, um dann die Krieger der Komantschen zu holen, welche dem Helden ein Grabmal errichten werden, seiner Tapferkeit und Würde angemessen; aber sobald ich den Toten vor den Augen der Sonne verborgen habe, werde ich die Spur der Mörder aufsuchen, und ich sage euch, Shiba-bigk ist noch kein berühmter Krieger; es sind seit seiner Geburt nicht viele Winter vergangen; aber er ist der Sohn eines berühmten Häuptlings, und wehe den Bleichgesichtern, auf deren Fußstapfen er seine Augen richtet! Sie sind verloren!“

Er stand auf, trat zu seinem Vater, legte demselben die Hand auf den Kopf und fuhr fort:

„Die Bleichgesichter schwören; ein Komantsche aber spricht ohne Schwur. Und so merkt euch meine Rede: Wenn der Grabeshügel des Feuersternes errichtet wird, so sollen von der Spitze desselben alle sechs Skalpe seiner Mörder hängen. Eisenherz hat es gesagt, und also wird es geschehen! ––“

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Ghostly Hour

Ghostly hour

Um die Mittagszeit des darauffolgenden Tages saß Helmers mit dem Juggle-Fred und dem Hobble-Frank wieder an einem Tische vordem Hause. Bob, der Neger, war nicht bei ihnen. Er steckte mit dem schwarzen Diener des Farmers im Stalle.

Die drei Masters unterhielten sich über das gestrige Erlebnis, über das Duell zwischen Bloody-fox und dem Fremden, über den Tod des letzteren, und so war es gar kein Wunder, daß sie auch auf Verschiedenes, was mit dem Tode zusammenhängt, endlich sogar auf Gespenster zu sprechen kamen.

Helmers und Fred erklärten ganz entschieden, es sei unmöglich, daß die Seele eines Verstorbenen wiederkehren und gesehen werden, sogar ohne im Besitze der physischen Sprachwerkzeuge zu sein, reden könne. Frank aber verteidigte auf das energischeste den Gespensterglauben, und als die beiden anderen dennoch bei ihrem Zweifel blieben, rief er ganz zornig aus:

„Ihr seid eben alle beede dumm, und sogar hochdumm! Euch kann nich geholfen werden, denn was nutzt der Kuh die Muschkate. Für die höhere Muschkatennuß des widersinnigen Lebens, also für alles, was über- und zugleich ooch unterirdisch ist, hat nur derjenige die richtigen Zähne, der sich schon in seiner frühsten Jugend mit den diesseitigen und jenseitigen Geistesinsolvenzen befaßt hat. Das aber ist bei euch eben nich der Fall gewesen und darum brauche ich mich eegentlich ooch gar nich dadrüber zu wundern und zu ärgern, daß eurem vernachlässigten Denkvermögen sogar die Geister und Geschpenster abhanden gekommen sind. Wäre ich een Geschtorbener, was aber glücklicherweise nich der Fall ist, so huckte ich euch zwee beeden heut um die Mitternachtsschtunde off. Das würde euch schon eene andere und bessere Meenung beibringen!“

„Gib uns nur einen Beweis, einen einzigen!“ lachte Fred. „Dann wollen wir dir glauben.“

„Eenen Beweis! Unsinn! Beweise beweisen gar nischt! Wenn für irgend was een Beweis vorhanden ist, so brauche ich es doch eben nich mit eenem Beweise zu beweisen! Gesehen muß mersch haben, gesehen mit seinen eegenen zwee beeden Oogen; das ist der sogen. italienische Oculierbeweis, gegen den etwas anderes gar nich offkommen kann. Dadrüber sind wir Gelehrten sehr eenig, daß – – –“

„Nicht Oculier- sondern Ocularbeweis willst du wohl sagen?“ fiel Fred ihm in die Rede.

„Schweigste gleich schtille, du Hebräischverderber!“ brauste Frank auf. „Mir wirschte doch nich etwa die submarinen Schprachkenntnisse beibringen wollen, die ich schon vor dreißig Jahren an den Schtiefelsohlen abgeloofen habe! Mir sind freilich die Sonnenprotuberanzen der anonymen Schprachwissenschaften gleich angeboren gewesen. Ich habe als Wickelkind chinesisch geschrieen, aramäisch geschlafen und aus eener sanskritischen Saugflasche polynesische Milch getrunken. Sagt da dieser Mensch, ich hätte mich verschprochen! Weeß der Kerl nich mal, was für een Unterschied zwischen Ocular und Oculier ist! Oculieren heeßt pfropfen. Das weeß ich als Lumen des Forschtwesens sehr genau. Und wenn ich dir nun eenen Beweis offpropfe, so ist es eben een Oculierbeweis. Verstande vous, mong Ami? Und mit solchen Oculierbeweisen kann ich die karthagische Beschtätigung bringen, daß es Geschpenster gibt.“

„Hast du denn eins gesehen?“

„O, nich nur eens, sondern mehr als een halbes Schock. Um mich sind die Geister nur immer so rumgeloofen, eben weil ich een geistreicher Myrmidone bin. Übrigens beweise ich die Sache, wie sich ganz von selbst verschteht, absolut philologisch. Wenn een Wort da ist, so muß doch ooch dasjenige da sein, als dessen Bezeechnung das Wort dienen soll. Wenn also der Harlekin im Cirkus singt:

„David, öffne mir das Fenster!
Heute ist keen Mondenschein.
Zu der Schtunde der Geschpenster
Schteigt der schöne August ein,“

so muß es eben absolut Geschpenster geben. Das Wort Geschpenst ist da, folglich geht es off dem Heuboden um. Das ist so klaar wie Seefenwasser. Der Moritzburger Schulmeester, dem ich meine geniale Ausbildung zu verdanken habe, gloobte ooch an Geister.“

„So! Wie hieß denn dieser illustre Mann?“ „Sein Name war Elias Funkelmeier.“ „Ach so! Nomen et omen!

„Bitte, rede nur du nich portugiesisch! Es paßt gar nich zu deinem Gesichte! Wie kannst du diesen Helden des euphemistischen Wissens eenen illustren Mann nennen! Illustrierter Mann muß es heeßen; das weeß heutzutage jeder Buchdruckerlehrjunge. Du aber scheinst den großen Fortschritt des letzten Jahrhunderts gar nich mitgemacht zu haben. Du bist am Kleister des vorchristlichen Mittelalters hängen geblieben und an deiner Wiege hat keen freundlicher Troubadour gesungen:

„Gaudeamus, Igelkur,
Juvenal kaut Humus!“

Da begann Fred zu lachen, daß ihm die Thränen über die Wangen rannen, und Helmers stimmte ein.

„Was gibt’s denn dazu lachen?“ fragte Frank, „die Troubadours waren doch nich etwa lächerliche Erscheinungen der lappländischen Kreuzzüge. Sie haben unter Gottfried von Oleum Jerusalem erschtürmt und zwee Jahre schpäter, als Parmenio sagte: Schtralsund muß ich kriegen, und wenn es mit Ketten am Himmel hing, da antworteten sie: Mach dich nich lächerlich, alter Schwede! Die Garde schtirbt, aber sie gibt nischt her! Und über solche Helden lacht ihr? Habt ihr denn gar keenen Sinn für die grimmigen Geschtalten der insultierten Welt- und Kriegsgeschichte?“

„O, über die Troubadours lachen wir nicht,“ antwortete Fred, „sondern über dein Gaudeamus.“

„Das muß ich mir verbitten! Dieses Lied habe ich schtudiert wie meine Mütze. Der zweete Versch lautet:

Gaugamela, Inventur,
Pflaumenboom ist Prunus.

Übrigens bringst du mich mit deinen überflüssigen morphologischen Bemerkungen ganz von unserem urschprünglichen Thema ab. Wir schprachen von den Geschpenstern und ––“

Er hielt inne, denn er sah einen Reiter kommen, der die Uniform der Vereinigten-Staaten-Dragoner trug. Die Abzeichen derselben ließen ihn als Offizier erkennen.

Dieser Mann kam von Süden her, in scharfem Galopp, und hielt sein Pferd vor den drei Männern an.

Good day!“ grüßte er. „Ich bin doch so richtig bei der Farm, welche Helmers Home genannt wird?“

Yes Sir!“ antwortete Helmers. „Ich bin der Mann, welchem dieses Haus gehört.“

„Helmers selbst? Ich freue mich, Euch zu treffen, denn ich komme, um eine Erkundigung einzuziehen.“

„Worüber?“

„Das läßt sich nicht so schnell sagen. Erlaubt mir, ein wenig bei euch niedersitzen zu dürfen!“

Er stieg ab und nahm bei ihnen Platz. Sie betrachteten ihn genau, und er that gar nicht, als ob er das bemerke. Er war von starker, untersetzter Statur und trug einen dichten, schwarzen Vollbart. Sein Blick war scharf und stechend; seine Lippen konnte man nicht sehen, da er den Schnurrbart gerade herabgekämmt hatte.

„Ich bin, so zu sagen, als Eklaireur hier,“ sagte er in leichtem Tone. „Wir halten oben bei Fort Sill und wollen in die Llano hinein.“

„Weshalb?“ fragte Helmers.

„Es ist der Bundesregierung berichtet worden, welche Menge von Unthaten in letzter Zeit da drin in den Plains verübt worden sind. Das erfordert natürlich schnelle und strenge Ahndung. Es steht mit aller Sicherheit zu erwarten, daß die einzelnen Thäter sich miteinander in Verbindung befinden. Die einzelnen Verbrecher stehen miteinander in einem so offenbaren Zusammenhange, daß man annehmen muß, man habe es mit einer sehr wohlorganisierten Bande zu thun. Gegen diese soll ein kräftiger, vernichtender Schlag geführt werden. Zwei Schwadronen Dragoner sind beordert, denselben auszuführen und die Plains und deren Umgegend von allem verdächtigen Gesindel zu säubern. Diese Leute halten jetzt, wie bereits gesagt, bei Fort Sill, und ich wurde vorausgesandt, Erkundigungen einzuziehen und mit den braven Anwohnern Beziehungen anzuknüpfen. Wir gehen natürlich von der Überzeugung aus, daß jeder ehrliche Mann uns unterstützen werde.“

„Das versteht sich ganz von selbst, Sir! Es freut mich sehr, daß Ihr bei mir vorgesprochen habt, und Ihr dürft überzeugt sein, daß ich Euch aus allen Kräften Vorschub leisten werde. John Helmers ist als ein Mann bekannt, auf den sich jeder brave Kerl verlassen kann.“

„Das habe ich gehört, und darum komme ich zu Euch.“

„Schön! Aber Fort Sill liegt im Norden von hier, und Ihr kommt von Süden her. Wie stimmt das zusammen?“

„Ich komme nicht direkt von Fort Sill, sondern ich bin bis fast hinab an den Fluß geritten und dann am Rande der Llano heraufgekommen, um diese Gegend zu inspizieren.“

„So allein! Warum hat der Kommandierende Euch nicht mehrere Leute mitgegeben?“

„Weil er, grad so wie ich, das nicht für vorteilhaft hielt. Ein größerer Trupp erregt Aufsehen, was wir natürlich vermeiden müssen.“

„Aber zwei, drei Reiter kommen ebenso unbemerkt hindurch wie ein einzelner. Wie leicht kann Euch etwas Menschliches passieren! Dann kehrt Ihr nicht zurück, und Eure Leute wissen nicht, woran sie sind.“

„O, was das betrifft, so weiß der Major sehr genau, was er von mir zu halten hat und daß er sich auf mich verlassen kann. Ihr wißt doch, daß man zum Aufklärungsdienste nur Leute nimmt, die zu demselben befähigt sind, weil sie den Westen genau kennen.“

„So habt Ihr Euch schon früher in demselben befunden?“

„Eine ganze Reihe von Jahren lang.“

„Hm! Daher kommt es vielleicht, daß es mir ganz so ist, als ob wir uns bereits einmal gesehen hätten. Kommt es Euch nicht vielleicht auch so vor?“

Der Offizier betrachtete Helmers mit einem langen, nachdenklich prüfenden Blicke und antwortete:

„Nein, Sir.“

„So war’t Ihr wohl noch nicht so weit unten?“

„O, eigentlich war ich noch viel weiter unten, nur nicht auf dieser Seite der Llano. Drüben bin ich bis nach Chihuahua und noch weiter gekommen.“

„Als Soldat?“

„Nein. Ihr wißt ja, daß es verboten ist, in Uniform über die Grenze zu gehen.“

„Das ist richtig. Also seid Ihr als Privatmann bis hinein ins Mexico gegangen. Nun, ich war auch mehrere Male drüben, und da mag es ja wohl sein, daß ich Euch flüchtig sah, ohne daß Ihr mich bemerkt habt. Wann müßt Ihr zu Eurer Truppe zurück?“

„Das kommt ganz auf die Verhältnisse an. Sobald ich die nötigen Daten beisammen habe, solle ich kommen; so lautete der Befehl. Vermöge ich aber nichts Wichtiges zu erfahren, so werde man aus freier Hand nach der Llano gehen. In diesem Falle solle ich nach Verlauf einer Woche mich in Helmers Home einfinden, wo die beiden Schwadronen kurze Rast machen wollen.“

„Also bei mir? Das ist mir sehr, sehr interessant. Und wann ist denn diese Woche zu Ende?“

„Übermorgen. An diesem oder dem nächsten Tage werden die Kameraden hier eintreffen.“

„Also steht, da Ihr nicht zurückgekehrt seid, zu vermuten, daß Ihr nichts Wichtiges erfahren habt?“

„Ja. Ich muß zu meinem großen Leidwesen gestehen, daß mein beschwerlicher Ritt fast ganz unnütz gewesen ist. Ich habe keinen Erfolg zu verzeichnen, denn ich bin in der einsamen Gegend keinem Menschen begegnet, von dem ich hätte etwas erfahren können.“

„Das ist freilich großes Pech. Die Anwohner der Llano hätten Euch mehr als genug erzählen können, und ich begreife nicht, daß Ihr sie nicht aufgesucht habt.“

„Ich hielt das nicht für klug, Sir. Man sagt, daß gerade diese Anwohner mit dem Treiben der Bande einverstanden seien. Eine Erkundigung bei einem solchen Farmer hätte also nur die Folge gehabt, daß die Verbrecher von der Nähe des Militärs unterrichtet worden wären, was den Erfolg unseres Handstreiches natürlich ganz in Frage gestellt hätte.“

„So habt Ihr eben, nehmt es mir nicht übel, Sir, einen sehr großen Fehler begangen!“

„Welchen?“

„Den, daß Ihr nicht Eure Uniform ablegtet. Wenn es Euch darum zu thun war, daß niemand die Anwesenheit Eurer Truppe ahnen solle, so mußtet Ihr in Zivilkleidern reiten.“

„Da habt Ihr recht. Aber ich bin Soldat und muß thun, was mir befohlen wird. Übrigens hoffe ich, wenigstens zu guter Letzt bei Euch einiges über das Treiben der Llano-Geier zu erfahren.“

„Das könnt Ihr. Erst vor zwei Wochen sind vier Familien von hier fort, um über die Plains zu gehen. Man hat sie in der Llano überfallen und ermordet.“

„Alle Teufel! Wißt Ihr das gewiß?“

„Ja. Ein Trader, Namens Burton, kam gestern und erzählte es. Er hatte die Leichen gesehen und war darüber vor Entsetzen so angegriffen, daß er sich bei mir erholen mußte.“

„Wo ist der Mann? Ich muß natürlich sofort mit ihm sprechen!“

„Das ist unmöglich, denn er ist heute früh wieder fort, Sir. Übrigens ist es nicht notwendig, daß Ihr gerade nur mit ihm redet. Er hat uns alles erzählt, und wir können es Euch also ebenso genau sagen wie er. Übrigens scheint eben jetzt etwas im Werke zu sein. Es wäre recht gut, wenn Eure Dragoner baldigst kämen.“

„Warum vermutet Ihr einen neuen Streich?“

„Weil gestern abend zwei Kerls da waren, welche jedenfalls nur die Absicht hatten, irgend etwas auszukundschaften.“

„Wie? Was? Es sind doch nicht etwa Kundschafter der Llano-Geier gewesen?“

„Höchst wahrscheinlich waren sie nichts anderes, Sir. Dem einen gelang es, uns zu entweichen; dem anderen aber ist es desto schlechter bekommen. Er hat ins Gras beißen müssen.“

„Das ist wichtig, sehr wichtig. Erzählt doch, Sir, erzählt!“

Helmers hatte zu dem Offizier volles Vertrauen gefaßt. Er erzählte zunächst, was er von dem Trader gehört hatte, und berichtete dann weiter über das gestrige Duell und den Tod des Fremden.

Der Offizier hörte ihm sehr aufmerksam zu. Seine Züge bewegten sich nicht, aber seine Augen funkelten. Helmers glaubte dies dem Interesse zuschreiben zu müssen, welches der Soldat an dem Zweikampfe nahm. Ein aufmerksamerer Beobachter aber hätte vielleicht bemerkt, daß dieses intensive Aufglimmen der Augen nichts anderes sei als das Funkeln des Zornes, des Hasses. Seine Faust ballte sich um den Griff des Säbels, und einmal war es sogar, als ob seine Zähne ein leises Knirschen hören ließen. Sonst aber blieb er sehr ruhig und gab sich alle Mühe, nichts zu zeigen als nur die gespannte Aufmerksamkeit, welche die Erzählung bei jedem Zuhörer erwecken mußte.

Als Helmers mit derselben geendet hatte, verbreitete er sich noch über die allgemeinen Zustände dieser Gegend, über die Gefährlichkeit der Llano estakata, und schloß hieran die Erklärung, daß er es für höchst schwierig, wenn nicht gar für unmöglich halte, daß zwei Schwadronen Kavallerie sie durchreiten könnten; es fehle an Futter und, was die Hauptsache sei, an Wasser. Wolle man das mitnehmen, so brauche man sehr viele Lasttiere, welche den Zug erschweren und die mitgenommenen Vorräte für sich selbst in Anspruch nehmen würden.

„Ihr mögt recht haben,“ meinte der Offizier. „Mich geht es nichts an, denn das ist Sache des Kommandierenden. Aber sagt mir doch einmal, Herr, was es eigentlich für eine Bewandtnis mit dem Geiste der Llano estakata hat! Ich habe so viel über dieses unbegreifliche Wesen gehört, etwas Sicheres noch nie erfahren können.“

„Da ergeht es Euch gerade so wie mir und allen anderen. Jedermann hört von dem Geiste sprechen, aber niemand weiß etwas Genaues über denselben. Meine Kenntnisse über ihn kann ich Euch in wenigen Worten mitteilen. Der Geist der Llano estakata ist ein geheimnisvoller Reiter, den noch keiner, der lebend geblieben ist, in der Nähe gesehen hat. Jeder der sein Angesicht zu sehen bekam, hat es sofort mit dein Tode bezahlen müssen und ist an einer Kugel gestorben, welche ihn mitten in die Stirne traf. Auffälligerweise sind diese Toten stets Verbrecher gewesen, welche die Llano unsicher gemacht haben. Der Geist scheint also eine Person zu sein, welche sich die Aufgabe gestellt hat, die in der Llano begangenen Verbrechen zu bestrafen.“

„Also ein Mensch?“

„Natürlich!“

„Aber wie fängt er es an, überall und überall zu sein, ohne doch gesehen zu werden? Er muß doch Speise und Trank für sich und Futter und Wasser für sein Tier haben! Woher nimmt er das?“

„Das eben ist es, was kein Mensch begreifen kann.“

„Und wie fängt er es an, niemanden zu begegnen?“

„Hm! Ihr fragt mich da wirklich zu viel, Sir. Er ist ja gesehen worden, aber nur von weitem. Da sieht man ihn, wie vom Sturmwinde getragen, vorübersausen. Oft sprühen Funken vor und hinter ihm her. Ich habe einen Bekannten, der ihn des Nachts gesehen hat. Dieser Mann behauptet, mit tausend Eiden beschwören zu können, daß der Kopf, die Schultern, die Ellbogen, der Gewehrlauf des Reiters und ebenso das Maul, die Ohren und der Schwanz des Pferdes mit kleinen Feuerflammen besetzt gewesen sind.“

„Das ist Unsinn!“

„Man sollte es denken. Aber mein Bekannter ist ein wahrheitshebender Mann, aus dessen Munde ich noch keine Lüge oder Aufschneiderei vermuten konnte.“

jetzt da dieses Thema berührt wurde, ergriff der Hobble-Frank das Wort. Es wurde englisch gesprochen; darum war seine Rede nüchtern und glatt wie die jedes andern. Nur wenn er deutsch sprach, begannen die bunten Raupen, welche in seinem Kopfe lebten, sich zu bewegen.

„Da haben wir es!“ rief er aus. „Niemand will an die Natürlichkeit des Übernatürlichen glauben. Ich behaupte, der Geist der Llano estakata ist kein Mensch, sondern ein gespensterhaftes Wesen, welches von den Furien Griechenlands übrig geblieben ist und sich in die einsame Llano zurückgezogen hat wie ein alter Auszügler in seine Dachkammer. Daß er Flammen und Funken sprüht, glaube ich sehr gern. Wir sterbliche Menschen blasen den Tabaksrauch in Massen aus dem Munde; warum soll da ein Geist nicht Feuer speien können?“

„Aber kann ein Geist mit einem Gewehre schießen?“ fragte der Offizier, indem er dem Hobble-Frank einen verächtlichen Blick zuwarf.

„Warum denn nicht? Ich habe in einer Jahrmarktsbude eine Henne gesehen, welche eine kleine Kanone abschoß; ein Hase that ganz dasselbe. Was eine Henne oder ein Hase vermag, das muß einem Geist doch erst recht möglich sein!“

„Ihr bedient Euch einer ganz sonderbaren Art von Beweisen, Sir! Viel Klugheit und Scharfsinn verratet Ihr dabei freilich nicht!“

Diese Worte mußten Frank beleidigen. Er antwortete in scharfem Tone:

„Das ist freilich wahr. Aber ich habe meinen Grund dazu, nicht so gelehrt zu reden, wie ich eigentlich könnte. Ihr habt nämlich so ein dummes Gesicht, daß ich befürchte, Ihr würdet mich gar nicht verstehen, wenn ich Redewendungen brächte, welche nur ein ganz klein wenig über den Horizont eines Schulknaben hinausgehen.“

„Master!“ brauste der Offizier auf. „Was fällt Euch ein, einen Kapitän der Vereinigten Staaten-Truppen in dieser Weise zu insultieren!“

Pshaw! Regt Euch nicht auf! Ob Ihr Kapt’n seid oder Lampenputzer, das ist mir gleichgültig. Ihr selbst habt mit der Beleidigung begonnen und müßt nun meine Antwort ruhig einstecken. Wollt Ihr das nicht, nun, so bin ich bereit, die Sache mit einer guten Büchsenkugel auszugleichen. Euer Rang imponiert einem Westmanne nicht.“

Es war dem Offiziere anzusehen, daß es ihm Mühe kostete, seinen Zorn zu beherrschen; doch gelang es ihm, in ruhigem Tone zu antworten:

„Sollte mir leid thun, Euch niederschießen zu müssen. Ich verstehe gar wohl mit einem Gewehre umzugehen, bin aber kein Rowdy und schlage mich nur mit Offizieren. Übrigens wäre es eine Rücksichtslosigkeit gegen Master Helmers, bei ihm Blut zu vergießen. Ich habe die Absicht, hier zu bleiben, bis meine Truppe eintrifft, und darum liegt mir daran, in seinem Home Frieden zu halten.“

„Dafür bin ich Euch dankbar, Sir,“ sagte Helmers. „Wollt Ihr bei mir bleiben, so werde ich Euch eine Extrakammer anweisen lassen, und Euer Pferd soll einen guten Platz im Stalle finden.“

„Ist mir lieb. Ich werde das Tier also sofort in den Stall schaffen. Wo befindet sich derselbe?“

„Werde Euch führen und Euch dann zu meiner Frau bringen, die Euch die Kammer anweisen kann.“

Er stand auf, der Offizier auch, und beide begaben sich mit dem Pferde zu dem Stalle. Später kehrte der Wirt allein zurück und meldete den beiden anderen, daß der Kapt’n in seiner Kammer geblieben sei, um sich dort auszuruhen. Helmers freue sich der Anwesenheit dieses Gastes und des Eintreffens der Dragoner. Frank aber sagte kopfschüttelnd und zwar jetzt deutsch:

„Mir gefällt dieser Mann gar nich. Er hat was im Gesicht, was mein zartes Sympathetengefühl verletzt. Seine Oogen kommen mir vor wie zwee Fettoogen off eener magern Bulljong; sie gucken Eenen so tückisch an, und es ist nischt Gescheites dahinter. Ich möchte ihn nich off die Probe schtellen, ob er een ehrlicher Kerl ist. Ich gloobe nich, daß er das Erkennungswort Schiebebock ausschprechen könnte.“

„Schiebebock? Warum dieses Wort?“ fragte der Juggle-Fred.

„Das weeste nich? Nun ja, zu verwundern ist das grade nich, denn ich habe noch keenen einstmaligen Gymnasiasten getroffen, der sich viel gemerkt hätte. Es ist nur gut, daß der Hobble-Frank so een koloßzurhodusales Gedächtnis besitzt und euch Miniaturschtudenten mit seinen Kenntnissen aushelfen kann! Was das Wort Schiebebock betrifft, was eegentlich eenen Schubkarren bedeutet, so hat dasselbe damals, als die Hunnen zur Zeit des Kaisers Themistokles die Elbe erobern wollten, eene gewaltige Rolle geschpielt. Die Hunnen waren bekanntlich keene Reiter, sondern nur eene Rotte von fußgängerischen Infanteristen. Sie führten ihre Ausrüstung off Schiebeböcken bei sich. Als sie nun über die Elbe wollten, gedachten sie, inkognito hinüber zu kommen, und gaben sich für brasilianische Araber aus. Da aber schtand der alte Feldmarschall Derfflinger am Wasser und ließ eenen jeden das Wort Schiebebock ausschprechen. Wer das nich fertig brachte, dem wurde eenfach der Kopf abgesäbelt. Weil nun aber die Hunnen nich die nötigen Gutturalwerkzeuge besaßen, um das Sch behaglich ausschprechen zu können, so sagten sie alle Siebebock und verloren so viel Köpfe, daß der Maharadscha von Delhi bei Torgau an der Elbe mit diesen Köpfen die berühmte Schädelpyramide errichtet hat, dieselbige Pyramide, welche schpäter Timurlenk wieder umgerissen hat.“

Die beiden Zuhörer guckten den Sprecher groß an. Sie wußten dieses Mal nicht, ob sie lachen oder heulen sollten.

„Aber Frank!“ rief Fred endlich. „Wohin gerätst du denn eigentlich! Schiebebock! Du meinst wohl das Wort Schiboleth, welches die Gileaditer den Kindern Ephraim abforderten, wie im Buche der Richter [Fußnote] zu lesen ist?“

Tacet! Oder weil du nich lateinisch verschtehst, so will ich es deutsch sagen: Klappe deine Schpeiseöffnung zu! Du wirscht mir doch nicht etwa mit dem Buch der Richter kommen wollen! Ich sage dir, ich kenne die Namen und Lebensumschtände sämtlicher Schtadtrichter und Dorfgeistlichen der Kinder Israel sehr genau. Der erschte Richter kam gleich nach Moses und hieß Josua. Er war derjenigte, welcher der Sonne und dem Monde eenen so großen Schreck einjagte, daß sie absolut nich weiter konnten. Das war in der Schlacht bei Tours und Poitiers gegen Karl Martell, dem Fürschten der Edomiter. Die Sonne wollte hinter dem Himalaja verschwinden, und der Mond war schon über dem Chimporasso herauf. Damit es noch länger Tag bleiben solle, streckte Josua seine Hand aus, machte den beeden Himmelsgeschtirnen eene drohende Faust und rief:

„Oribus pictus, Coa constrictus,
spiritus rectus, genua flectus!“

Sofort schtanden Phöbus und Lunette schtille und warteten gehorsam, bis die Schlacht gewonnen war. Siehste, Fred, ich kenne die Geschichte so genau, als ob ich damals selber der Mond gewesen wäre. Solche weltgeschichtliche Oogenblicke bleiben mir sehre fest im Rückenmarke sitzen, was bekanntlich der anatomische Sitz des Gedächtnisses ist. In dieser Wissenschaft bin ich dem Rotteck, dem Becker, dem Schlosser und sogar dem Töchter-Nösselt überlegen. Ihre Bücher sind leidlich gut, ja; aber den richtigen, begeisterten Schmiß haben sie nich, und die vielen Lücken, die sie offgelassen haben, hätte nur alleene ich ausfüllen können, wenn sie so gescheidt gewesen wären, sich an mich zu wenden.“

„Ja,“ lachte Fred, „das glaube ich gern. Aber diese Geschichtsschreiber haben dich vielleicht gar nicht gekannt!“

„So brauchten sie nur nach Moritzburg zu kommen, wo ich zu finden war. Nachloofen thue ich keenem Geschichtsschreiber, der doch ooch weiter nichts als nur das schreibt, was er in Büchern und Urkunden gefunden hat. Das kann jeder! Ich aber setze mir die rhetorisch lexikale Weltgeschichte durch eegenes Ingenium zusammen; ich prüfe, wer sich ewig bindet, und der Feldherr oder Schtaatsmann, der Moltke oder Bismarck, welcher diese Prüfung beschteht, wird in die Annalen meiner kritischen Inschpiration offgenommen. Aber ja keen anderer nich, denn mit der Weltgeschichte muß man ungeheuer vorsichtig sein. Man darf keenen hineinbringen, der es nich verdient, in die Zahl der schterblichen Götter und unschterblichen Helden offgenommen zu werden, sonst ist man blamiert für alle Zeit. Denk da nur mal an den Geschichtsschreiber Rafael Sanzio! Dieser unbegreifliche Kerl ist so unvorsichtig gewesen, den Brandstifter Herodias durch seine Weltgeschichte unschterblich zu machen. Das war doch een Schwabenschtreich allererschter Sorte!“

„Herodias? Ein Brandstifter?“ fragte Helmers.

„Ja. Da reichen eure chronikalischen Gedächtnisoffschlüsse wohl wieder mal nich aus? Herodias war derjenige mexikanische Hallunke, welcher in der berühmten Hafenschtadt Ephorus die Sommervilla der Göttin Diana in Brand geschteckt hat, und zwar nur aus dem triftigen Grunde, daß sein Name von dem Posaunenschall der Nachwelt geflüstert werden solle.“

„Da ist wohl Herostratos gemeint, welcher den Tempel der Diana zu Ephesus niederbrannte? Herodias war kein Mann, sondern eine Frau, nämlich das Weib des Herodes Antipas.“

„Ach? So! Was ihr nich alles wißt!“ antwortete der Hobble-Frank in ziemlich höhnischem Tone. „Herostratos! Ephesus! Antipas! Nee, was da alles unternander gequirlt wird! Das sollte man gar nich für möglich halten! Herodes Antipas hat gar nich geheiratet; er ist unvermählt zu seinen Urvätern entschlafen und hat noch in seiner Todesschtunde das schöne Opernlibretto gedichtet:

„Ich hinterlasse keene Leibeserben
Und kann also frisch hinüberschterben,“

was nachher von dem belgischen Tonkünstler Schlagintweit Sakuntalawynsky im Sechsachteltakt komponiert worden ist. Dieser elegisch-pharmaceutisch ausgerüstete Reim beweist doch bis zur Konsistenz, daß Herodes als unvermählter Erbonkel ins geschteigerte jenseits hinübergeschlummert ist. Und den Herodias kenne ich beinahe noch genauer. Als er die Villa weggebrannt hatte, floh er nach Ägypten. Dort wurde er Vizekönig und ließ die Molukken ermorden.“

„Mameluken willst du wohl sagen?“ verbesserte Fred.

„Unsinn! Die Mameluken sind Inseln, welche sich von Japan nach Schottland hinüberziehen. Die Molukken aber waren die Leibwächter des ägyptischen Selbstbeherrschers aller Reußen und Preußen. Herodias ließ sie abschlachten, weil sie ihm unbequem wurden, und ihre unteren Extremitäten ins Wasser werfen, woher das bekannte Schpruchwort kommt: „De mortuis nil nisi bene,“ zu deutsch: von den Ermordeten warf man die Beene in den Nil. So, da habt ihr die unterminierte Ausbesserung eurer fehlerhaften Ansichten! In Zukunft aber bringt mir ja nichts Ähnliches wieder, sonst lasse ich euch abfahren wie den bekannten Astrologen Juvenis Mendax.“

„Wieso denn?“

„Das fragst du ooch noch? Juvenis Mendax war der Astrologe Wallenschteins; aber er hielt es mit der alten Schule und hatte so verkehrte Ansichten über das Schternenfirmament, daß er schließlich abgefahren wurde. Als am nächsten Tage Wallenschtein nach ihm gefragt hatte, antwortete er mit der geflügelten Charade: Juvenis Mendax homo fur, Juvenis Mendax fuhr heeme. Und grad so werde ich euch nach Hause leuchten, wenn ihr so fortfahrt, mit eurer Unwissenheit meine wissenschaftliche Inferiorität zu beleidigen.“

„Nun, die wird sich wohl nicht beleidigt fühlen können,“ meinte Fred, indem er lustig mit den Augen blinzelte. „Wir erkennen sie vielmehr sehr gern an.“

„Das will ich mir ooch ausgebeten haben!“

„Ich denke nur, du hast nicht Inferiorität sondern Superiorität sagen wollen.“

„Fällt mir nich mal im Troome ein! Ich weeß schtets sehr genau, welchen assyrischen Gefühlsausdruck ich meinen Worten zu geben habe. Meine etymologische Rapidität schteht mir zu jeder Schtunde und Minute mit solcher oogenblicklicher Momentanheet zu Verfügung, daß es zu eener Verwechslung der Begriffsverbildungen gar keene Zeit nich gibt. Deine Behauptung von wegen der Superiorität war eben wieder eene Beleidigung, die ganz geeignet ist, meine moralische Anwesenheet offzuregen. Wenn du mich in dieser Weise weiter verbalinjurierst, so ist es ewig schade, daß ich gestern mit dir Bruderschaft gemacht habe, und wir können dieselbige wieder offheben. Ich werfe meine Perlen nich gern vor diejenigen Tierchen, von denen Johannes Parricida, der schtotternde Minstrel, so ergreifend gesungen hat:

Ich kenne een li-Ii-Ii-liebliches Tier,
Dem schenk‘ ich a-alle A-Achtung.
Es lebt off jedem Ba-Bauernhof hier
Und ooch off jeder Pa-Pachtung.

Ich will dich warnen, Fred. Verdirb es ja nich mit mir! Lasse ich mal meinem Zorne die Zügel schießen, so kann es sehr leicht kommen, daß dir die Haare zum Gebirge schtehen. Wenn meine Worte nich mehr helfen, so schreite ich zur That. Bei der nächsten beleidigenden Sophonisbe schieße ich mich mit dir. Meine Kugel wird dich niederschtrecken, und dann wird es dir ergehen wie dem oberbayrischen Holzknecht, der abends tot nach Hause kam.“

„Den kenne ich nicht.“

„Das gloobe ich, denn du kennst ja überhaupt nischt. Dieser Holzknecht war von eener Eiche, die er hatte fällen wollen, erschlagen worden. Der Dorftischler machte ihm die Gedenktafel, schtrich sie hübsch mit grüner Farbe an, malte ihn und die Eiche droff und schrieb darunter:

Beglückt und ohne Sorgen
Ging ich am frühen Morgen
Off meine Arbeit aus.
Da traf mich eene Eiche,
Und ach, als eene Leiche
Kam abends ich betrübt nach Haus.

Dieser majestätische Versch muß off die Melodie: Nun ruhen alle Wälder, gesungen werden. Nimm dich in acht, daß wir dieselbe nich ooch bei deinem abgeschiedenen Leichnam anschtimmen! Dein Maß ist voll; kommt noch een eenziger Tropfen dazu, so läuft’s über, und dann ist es sofort zu Ende mit deiner individuellen Lebensmöglichkeet. Ich versammle deine subtellurischen Überreste zu ihren Großvätern, und deine arme, vom Tagesfichte abgeschnittene Seele kann nachher ooch als Avenging-ghost in tragödischen Jamben über die Llano estakata hinschwirren.“

Frank hatte sich in Zorn gesprochen und hätte seine Strafrede wohl noch nicht beendet, wenn er nicht unterbrochen worden wäre. Helmers deutete nämlich nach Norden, und als die beiden anderen ihre Blicke dieser Richtung folgen ließen, sahen sie drei Reiter, welche sich langsam näherten. Der Hobble-Frank stieß einen Ausruf der Freude aus und erhob sich schnell von seinem Sitze.

„Kennst du die Männer?“ fragte Fred.

„Na, und ob!“ antwortete der Gefragte. „Das sind – – hm, ich will ihre Namen lieber noch nich nennen und es abwarten, wie sie euch gefallen.“

Von den drei sich Nähernden war der eine sehr dick und kurz, der zweite sehr dünn und lang. Der dritte hatte mittlere Gestalt und ritt einen herrlichen Rappen. Der Juggle-Fred beschattete seine Augen mit der Hand, blickte scharf nach ihnen hin und rief dann aus:

„Frank, du verschweigst die Namen, um uns zu überraschen. Aber ich müßte kein Westmann sein, wenn ich nicht sofort erraten könnte, wer diese drei Männer sind.“

„Nun, wer denn?“

„Zwei, von denen der eine so dick und der andere so dünn ist, der kleine auf einem hohen Klepper und der lange auf einem winzigen Maultiere, das kann nur der lange Davy mit dem dicken Jemmy sein. Und der dritte ist sicher Old Shatterhand.“

„Ach, wie kommst du zu dieser Vermutung?“

„Hast du nicht selbst gesagt, daß er mit Jemmy kommen werde? Reitet nicht Old Shatterhand stets einen Rapphengst, wie jeder hören kann, der sich nach ihm erkundigt?“

„Hm! ja, du bist alleweile een gescheiter Kerl, obgleich du in schprachlicher und wissenschaftlicher Beziehung es noch nich bis zu den Anfangsgründen des Contrabasses gebracht hast!“

„So sage, ob ich recht habe!“

„Ja, du hast dieses Mal recht. Sie sind es. Sie kommen viel eher, als ich dachte. Ich hoffe, daß ihr sie mit gebührender Achtung und Untergebenheit bewillkommnen werdet.“

Die drei Reiter waren jetzt herangekommen, hielten ihre Tiere an und stiegen ab. Sie trugen ganz dieselben Waffen und Anzüge, wie damals auf ihrem Ritte nach dem Nationalparke. Die Augen von Helmers und Fred waren besonders auf Old Shatterhand, diesen berühmtesten unter den Jägern, gerichtet. Er trat, ohne Frank nach den beiden Personen gefragt zu haben, zu Helmers, streckte ihm die Hand entgegen und sagte, und zwar gleich in deutscher Sprache:

„Ich darf annehmen, daß wir bei Ihnen angemeldet sind, Master Helmers. Hoffentlich sind wir Ihnen nicht unwillkommen.“

Helmers schüttelte ihm die Hand und antwortete:

„Der Hobble-Frank hat mir freilich gesagt, daß Sie kommen werden, Sir, und diese Nachricht hat mir unendliche Freude bereitet. Ich stelle Ihnen mein ganzes Haus zur Verfügung. Machen Sie es sich bequem, und bleiben Sie so lange wie möglich bei mir!“

„Nun, lange Zeit können wir uns nicht verweilen. Wir müssen über die alte Llano hinüber, um da drüben einen zu treffen, welcher uns erwartet.“

„Wohl Winnetou?“

„Ja! Hat Frank es Ihnen gesagt?“

„Er sagte es, und ich wollte, ich könnte mit Ihnen hinüber, um den Häuptling der Apachen zu sehen. Aber, sagt einmal, Sir, woher Sie mich kennen! Sie haben mich sofort bei meinem Namen genannt.“

„Meinen Sie etwa, daß ein so außerordentlicher Scharfsinn dazu gehört, Sie für den Besitzer von Helmers Home zu halten? Sie tragen den Hausanzug und gleichen ganz genau dem Bilde, welches man mir von Ihnen gemacht hat.“

„So, haben Sie sich nach mir erkundigt?“

„Natürlich! Im fernen Westen ist es ratsam, die Leute, welche man aufsucht, möglichst vorher kennen zu lernen. Ich erfuhr, daß Sie ein Deutscher sind, und habe Sie infolgedessen gleich in Ihrer Muttersprache angeredet. Darf ich vielleicht erfahren, wer der andere Master ist?“

„Man nennt mich gewöhnlich den Juggle-Fred,“ antwortete der einstige Taschenspieler. „Ich bin ein einfacher Prairieläufer, Sir, und darf nicht annehmen, daß mein Name Ihnen bekannt ist.“

„Warum nicht? Wer sich so lange Zeit wie ich im Westen herumgetrieben hat, der wird doch wohl von dem Juggle-Fred gehört haben. Sie sind ein tüchtiger Fährtensucher und, was noch besser ist, ein braver Mann. Hier ist meine Hand. Wollen gute Kameradschaft halten, solange es uns erlaubt ist, beisammen zu bleiben. Oder nicht, Sir?“

Obgleich im fernen Westen keine Rangesunterschiede gelten, ist man doch gewöhnt, hervorragenden Siegern mit besonderer Achtung zu begegnen. Auf dem glücklich lächelnden Gesichte Freds sprach sich der Stolz aus, welchen er empfand, von Old Shatterhand in dieser Weise ausgezeichnet zu werden. Er ergriff die dargebotene Hand, drückte sie herzlich und antwortete:

„Wenn Sie von Kameradschaft sprechen, so ist das eine Ehre für mich, welche ich erst verdienen muß. Ich wollte, ich könnte recht lange bei Ihnen sein, um von Ihnen lernen zu dürfen. Auch ich will über die Estakata. Wenn Sie mir erlauben wollten, mich Ihnen anzuschließen, so würde ich Ihnen außerordentlich dankbar sein.“

„Warum nicht? Durch die Llano reitet man am liebsten so zahlreich wie möglich; darum ist es mir sehr lieb, daß Sie sich uns anschließen wollen. Natürlich setze ich voraus, daß nicht der eine auf den Aufbruch des anderen zu warten hat. Wann wollen Sie reiten?“

„Ich bin von einer Gesellschaft von Diamondboys als Führer engagiert. Diese Leute wollen heute hier eintreffen.“

„So paßt es gut, denn ich will morgen von hier aufbrechen. Da Sie von Diamondboys reden, so darf ich wohl annehmen, daß Sie hinüber ins Arizona wollen?“

„Allerdings, Sir!“

„Nun, so werden Sie wohl auch Winnetou sehen. Der Ort, an welchem ich mit ihm zusammentreffen werde, liegt in Ihrer Richtung. jetzt aber will ich Ihnen meine beiden Begleiter vorstellen, damit Sie auch diese kennen lernen.“

„Kenne sie bereits, denn ihre Gestalten sind die deutlichsten Visitenkarten, welche man sich denken kann. Übrigens hat Frank uns bereits ihre Namen genannt.“

Indessen hatte Helmers auch Jemmy und Davy begrüßt. Der Neger Bob kam herbei, um die Pferde in seine Obhut zu nehmen; dann setzte man sich nieder, und Helmers ging in das Haus, um einen guten Imbiß für seine Gäste zu bestellen. Einen Trunk brachte er gleich selber mit, und dann saßen die Männer beisammen, um die Ereignisse des gestrigen Tages zu besprechen, welche natürlich und vor allen Dingen erzählt werden mußten.

Der Dragoneroffizier hatte gesagt, daß er ausruhen wolle. Er that dies aber, als ihm die eine Giebelstube angewiesen worden war, keineswegs. Er hatte den Riegel vorgeschoben und schritt nachdenklich in dem Raume auf und ab. Dieser letztere lag nach Norden zu, und so kam es, daß er die Ankunft der drei Reiter bemerkt hatte. Er war an das Fenster getreten und betrachtete sie sehr genau.

„Wer mögen diese Kerls sein, und wohin mögen sie wollen?“ fragte er sich. „Höchst wahrscheinlich haben sie auch die Absicht, durch die Llano zu gehen. Das ist bedenklich. Der eine ist außerordentlich gut beritten. Er macht den Eindruck eines erfahrenen Westmannes. Wenn diese Leute auf die Fährte der deutschen Einwanderer geraten, so können sie uns sehr leicht den famosen Streich verderben. Schon vor dem Juggle-Fred hat man sich in acht zu nehmen. Ein Glück, daß die Diamondboys nicht nach Helmers Home kommen werden! Da wird er auf ihre Ankunft so lange hier warten, bis er uns nicht mehr schaden kann. Ich muß versuchen, auch diese drei zu veranlassen, hier zu bleiben, bis wir unseren Coup ausgeführt haben. Meine Uniform ist echt, und wenn Helmers keinen Verdacht geschöpft hat, so werden auch diese Neuangekommenen nicht auf den Gedanken kommen, daß ich der verkleidete Anführer der „Llano-Geier“ bin.“

Er wartete noch eine Weile und ging dann hinab, um sich zu den Männern zu gesellen, welche jetzt essend vor dem Hause saßen.

Dieser verkleidete Dragoner war kein anderer als jener Stewart, welcher gestern mit seinen Leuten die beiden Komantschen angegriffen und verfolgt hatte und dann mit den beiden Snuffles zusammengetroffen war. Die kleine Hasenscharte konnte man heute nicht sehen, weil er sie durch den niederhängenden Schnurrbart verdeckt hatte.

Als er unten ankam, war Old Shatterhand von den gestrigen Vorkommnissen bereits unterrichtet, und Helmers hatte eben erwähnt, daß ein Offizier angekommen sei. Als der Wirt den letzteren erblickte, fuhr er fort:

„Da kommt der Kapt’n. Er kann also selbst erzählen, in welcher Absicht er sich hier befindet. Holla, Frau, noch einen Teller für den Offizier!“

Dieser Ruf galt der Hausfrau, welche am Fenster erschienen war, um nach den Gästen zu sehen. Der Teller wurde gebracht, und der Offizier setzte sich mit zum Essen nieder. Er erschrak nicht wenig, als er die Namen der drei zuletzt Gekommenen hörte, gab sich aber alle Mühe, seinen Schreck nicht bemerken zu lassen. Nichts konnte ihm so unwillkommen wie die Anwesenheit Old Shatterhands sein. Er musterte denselben mit scharfem Blicke; der berühmte Jäger sah das sehr wohl, that aber ganz so, als ob er es nicht bemerke, und gab sich den Anschein, als ob er der Person des Offiziers nur eine ganz gewöhnliche Aufmerksamkeit widme.

Dieser letztere wiederholte seinen Bericht, den er bei seiner Ankunft gegeben hatte. Es entging ihm dabei, daß Old Shatterhand seinen Hut tiefer in das Gesicht zog und unter der Krempe desselben hervor den Sprecher heimlich betrachtete. Als dieser geendet hatte, fragte der Jäger in sehr harmlosem Tone:

„Und wo sagt Ihr, daß Eure Truppe liege, Sir?“

„Bei Fort Sill da oben.“

„Von dort aus habt Ihr Eure Rekognoszierung begonnen?“

„Ja!“

„Also seid Ihr in Fort Sill gewesen und kennt die Gegend und die dortigen Verhältnisse genau?“

„Natürlich!“

„Ich war bereits vor längeren Jahren einmal dort, als Colonel Olmers dort kommandierte. Wie heißt der jetzige Kommandant?“

„Es ist Colonel Blaine.“

„Kenne den Mann nicht. Habt Ihr ihn gesehen und mit ihm gesprochen?“

„Das versteht sich ja ganz von selbst.“

„Und Eure Dragoner werden dieser Tage hier ankommen? Wie schade, daß sie nicht bereits heute oder morgen kommen! Wir könnten mit ihnen durch die Llano reiten, was wegen unserer Sicherheit von sehr großem Vorteile für uns wäre.“

„So wartet doch ihre Ankunft ab!“

„Dazu habe ich leider weder Zeit noch Lust.“

„Nun, einen Tag könnt Ihr doch wohl versäumen. Dieser Zeitverlust wird jedenfalls reichlich aufgewogen durch den Vorteil, den Euch eine solche Bedeckung bietet.“

„Einen Tag? Hm! Meint Ihr wirklich, daß es sich um nur einen Tag handeln würde?“

„Ja, allerhöchstens um zwei Tage.“

„Da sind wir freilich sehr verschiedener Meinung!“

„Wieso?“

„Weil ich überzeugt bin, daß Eure Dragoner niemals hier ankommen werden.“

„Wie kommt Ihr auf diesen eigentümlichen Gedanken, Sir?“

„Ich weiß sehr genau, daß in oder bei Fort Sill sich keine Truppe befindet, welche die Aufgabe hat, sich in die Llano zu begeben.“

„Oho! Soll ich etwa annehmen, daß Ihr mich Lügen strafen wollt?“ fragte der Offizier in aufbrausendem Tone.

„Ja, das sollt Ihr! Ich erkläre allerdings, daß Ihr ein Lügner seid,“ antwortete Old Shatterhand ebenso ruhig wie bisher.

„Alle Teufel! Wißt Ihr, daß dies eine Beleidigung ist, welche nur mit rotem Blute abgewaschen werden kann?“

„Ja, eigentlich müßten wir uns schlagen; das ist wahr, nämlich wenn Ihr wirklich ein Offizier der Vereinigten Staaten Truppen wäret, was aber keineswegs der Fall ist.“

„Auch das noch!“ rief Stewart, indem er sich drohend erhob. „Ich gebe Euch mein Ehrenwort, daß ich es bin, und übrigens muß Euch meine Uniform beweisen, daß Ihr einen militärischen Gentleman vor Euch habt. Glaubt Ihr es aber selbst nun noch nicht, so muß ich Euch ersuchen, zur Waffe zu greifen!“

Old Shatterhand blickte ihm lächelnd in das Gesicht und antwortete.

„Regt Euch nicht auf, Sir! Wenn Ihr jemals meinen Namen gehört habt, so werdet Ihr wissen, daß ich ein Mann bin, der nur sehr schwer zu täuschen ist. Ich schlage mich mit keinem Schurken, und wenn Ihr es dennoch auf einen Kampf ankommen lassen wollt, so bin ich bereit, Euch mit einem einzigen Griffe den Hals umzudrehen.“

„Mensch!“ schrie Stewart, indem er eine seiner beiden Pistolen aus dem Gürtel riß. „Sagt noch ein solches Wort, so schieße ich Euch über den Haufen!“

Er hatte diese Drohung noch nicht ganz ausgesprochen, so stand Old Shatterhand schon vor ihm, riß ihm die Pistole aus der Hand und zugleich die andere aus dem Gürtel und sagte, dieses Mal aber in einem ganz anderen Tone:

„Nicht so vorwitzig, Mann! Gewöhnlich pflegt derjenige, welcher eine Waffe auf mich anlegt, verloren zu sein; für dieses Mal aber will ich Euch noch schonen, da ich keinen direkten, sondern nur einen indirekten Beweis gegen Euch habe. Zunächst will ich Eure Schießdinger unschädlich machen.“

Er schoß beide Pistolen ab und fuhr fort:

„Und sodann will ich Euch sagen, daß ich von Fort Sill komme und den Kommandanten sehr genau kenne. Der vorige hieß allerdings Blaine, ist aber vor drei Wochen abberufen und durch Major Owens ersetzt worden, was Ihr noch nicht zu wissen scheint. Ihr wollt vor noch nicht ganz einer Woche von Fort Sill weggeritten sein und müßtet, wenn dies wahr wäre, Major Owens kennen. Da dies nicht der Fall ist, so seid Ihr also nicht dort gewesen, und die Geschichte von Euren Dragonern und ihrem Zuge in die Llano estakata ist Schwindel!“

Stewart befand sich in größter Verlegenheit; er versuchte, dieselbe zu verbergen, und sagte:

„Nun gut, so will ich zugeben, daß meine Truppe nicht bei Fort Sill steht. Aber ist das hinreichend, die Sache für Schwindel zu halten? Ich bin zur Vorsicht genötigt und darf den eigentlichen Aufenthaltsort meiner Leute nicht verraten.“

„Schwatzt mir nicht solches Zeug vor! Gegen mich braucht Ihr nicht so verschwiegen zu sein. Ich denke, daß jeder Offizier froh sein würde, Old Shatterhand zum Vertrauten zu haben. Übrigens sehe ich Euch jetzt nicht zum erstenmal. Seid Ihr nicht einmal in Los Animas wegen Überfall eines Bahnzuges in Untersuchung gewesen? Es gelang Euch, mit Hilfe einiger Schurken ein Alibi beizubringen; schuldig waret Ihr aber doch. Ihr wurdet zwar freigesprochen, entginget aber nur durch schleunige Flucht dem Richter Lynch.“

„Das war ich nicht!“

„Leugnet es nicht! Euer Name war damals Stuart oder Stewart oder so ähnlich. Wie Ihr Euch jetzt nennt, und welchen Zweck Eure gegenwärtige Maskerade hat, das weiß ich nicht und will es auch nicht untersuchen. Hebt einmal Euren Schnurrbart empor! Ich bin überzeugt, daß da ein kleines Hasenschärtchen zu sehen sein wird.“

„Wer berechtigt Euch, ein solches Verhör mit mir anzustellen?“ fragte Stewart in ohnmächtigem Zorne.

„Ich selbst. Übrigens brauche ich Euren Mund nicht zu sehen. Ich weiß ohnedies, woran ich mit Euch bin. Hier habt Ihr Eure Waffen. Trollt Euch aber schleunigst von dannen und seid froh, für dieses Mal noch so leicht weggekommen zu sein! Hütet Euch aber, mir wieder in den Weg zu kommen! Die nächste Begegnung könnte unangenehmer für Euch ablaufen.“

Er warf ihm die abgeschossenen Pistolen vor die Füße. Stewart hob sie auf, steckte sie zu sich und sagte:

„Das, was Ihr gegen mich vorbringt, ist einfach lächerlich. jedenfalls verwechselt Ihr mich mit einem anderen. Darum will ich es Euch verzeihen. Ich habe meine Papiere oben in der Stube und werde sie Euch herabbringen. Ich bin überzeugt, daß Ihr mich um Verzeihung bitten werdet.“

„Das bildet Euch nicht ein! Ein Westmann lacht Eurer Papiere, welche höchst wahrscheinlich gestohlen sind. Macht es Euch aber Spaß, so holt sie herab und zeigt sie diesen anderen. Ich brauche sie nicht zu sehen.“

Stewart ging.

„Welch ein Auftritt!“ sagte Helmers. „Seid Ihr Eurer Sache wirklich gewiß, Sir?“

„Ganz und gar,“ antwortete Old Shatterhand.

„Habe ich es mir nich gleich gedacht!“ fiel der Hobble-Frank ein. „Der Kerl hat een vollschtändig ehrenbürgerrechtswidriges Angesicht. Ich hab‘ ihm ooch schon meine Meenung successive beigebracht; aber er zog sich mit eleganter Präterpropter aus der Schlinge. Unsereener ist doch ooch in Arkadien gewesen und hat den Hippokrates beschtiegen, um in den dichterischen Menschenkenntnissen seinen wichtigen – –“

„Hippogryph, Hippogryph, und nicht Hippokrates!“ rief ihm Jemmy zu.

„Schweig, altes, dickes Hippedrom! Siehste, kaum biste da, so geht der Schtreit wieder los! Du kannst’s eben nich lassen, dich dadrüber zu ärgern, daß ich gescheiter bin als du. Alle Wörter, die mit Hippo anfangen, schtammen aus dem Sanskrit, und in diesem bin ich dir weit und breit über.“

„Nein! Hippo ist griechisch!“

„Griechisch? Haben Sie die Güte, Herr Jemmy Pfefferkorn! Was verschtehst denn du vom Griechischen! Du weeßt vielleicht nich mal, wie Alexander dem Großen sein Schimmel geheeßen hat.“

„Nun, wie denn?“

„Minotaurus natürlich!“

„Ach so! Ich denke Bukephalos!“

„Da biste freilich schief gewickelt. Das mit dem Bukephalos ist eene euphemistische Konjugation der olympischen Gebirge mit der karthageniensischen Justiz. Bukephalos war derjenige Besitzer eener Nähmaschinenfabrik in Karthago, welcher seinem Kassierer, als dieser ihm mit dem feuerfesten Geldschrank durchgegangen war, die telegraphische Depesche nach Cincinnati nachschickte: „Carus, Carus, gib mir meine Millionen wieder! Nee, der Schimmel hieß Minotaurus. Es ist das ganz derselbige Schimmel, off welchem kurze Zeit schpäter in der Schlacht bei Cannä der Stallmeester Froben erschossen wurde.“

„Aber, Frank, das geschah doch in der Schlacht bei Fehrbellin!“

„Unsinn! In der Schlacht bei Fehrbellin besiegte Andreas Hofer die Westgoten, weshalb es in dem schönen Hoferliede heeßt-

Den Tod, den er so manches Mal
Von Fehrbellin gesandt ins Thal;
Kanonen sind schtets hohl,
Leb‘ wohl, mein Land Tirol!

Und wenn du meiner inklusiven Intelligenz keen Vertrauen schenken willst, so frage unseren Herrn Old Shatterhand. Der ist in allen Künsten und Wissenschaften auplaid und mag entscheiden, wer recht hat, du oder ich.“

„Beschäftigen wir uns nicht mit solchen wissenschaftlichen Dingen,“ lächelte der Genannte. „Es gibt jetzt andere Sachen, welche unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.“

„Ganz richtig! Die Schlacht von Fehrbellin ist zwar von ziemlicher Wichtigkeet, aber hier an der Llano estakata hat sie doch nich die Bedeutung allererschter Hofrangsordnung höchsten Grades. Wir schtehen hier off derjenigen teleskopischen Peripherie, von welcher die Geistesfunken unterirdischer Gedankenblitze ganz genau nach dem bekannten Gesetze abprallen müssen, daß der Einfaltspinsel genau gleich dem Ausfaltspinsel ist, was jeder Billardschpieler an seinen Bällen ersehen kann. Wir als Westmänner dürfen nich in eener höheren epileptischen Sphäre schwärmen. Wir müssen uns den Grausamkeeten des schwefel- und salpetersauren Erdenlebens anbequemen und dürfen ja nich denken, daß uns jede Schtunde een Sonett vom alten Dessauer oder gar eenen Monolog der Gebrüder Toussaint-Langenscheidt bringen muß. Wir müssen vielmehr die Gelegenheet bei den Hörnern ergreifen. Wir sind fürs praktische Leben beschtimmt, wie Schiller in seinem Nokturne vom Moskauer Glockenturme sagt:

Der Mann schtürzt sich blind ins feindliche Leben,
Muß schtoßen und schtreben,
Erraffen und gaffen,
Um Geld anzuschaffen,
Muß wetten und wagen
Mit hungrigem Magen
Und schticht mit der häuslich schnurrenden Schpindel
Zu Tod alles Mord- und Galgengesindel!

Grad so, wie wir es mit den Geiern der Llano estakata machen werden.“

Vielleicht hätte er noch mehrere dieser schauderhaften Reime verbrochen, wenn ihm nicht der dicke Jemmy zugerufen hätte:

„Halt ein, halt ein! Willst du uns alle dem Verderben weihen! Gönne dem armen Dichter die ewige Ruhe; wir haben von ganz anderen Dingen zu reden, wie du gehört hast.“

Frank rüstete sich zu einer zornigen Erwiderung, doch Old Shatterhand schnitt ihm das Wort ab:

„Ganz richtig! Unser guter Hobble-Frank hat sich zwar wieder einmal als ausgezeichneter Kenner der deutschen Nationallitteratur bewährt; aber so bedeutend die in seinem Gedächtnisse aufgespeicherten Schätze sind, in unserer gegenwärtigen Lage können wir nicht aus ihnen schöpfen. Wir haben keine Zeit dazu, sondern wir sind gezwungen, alle schönwissenschaftlichen Betrachtungen aufzugeben, um uns mit den Notwendigkeiten der gegenwärtigen Lage zu beschäftigen.“

So wurde nun die Unterhaltung auf ernstere Gegenstände geleitet. Old Shatterhand erkundigte sich eingehender nach dem Geschehenen, besonders nach Bloody-Fox, für den er sich sehr zu interessieren schien. Er fragte auch nach den Diamond-Boys, welche der Juggle-Fred erwartete, um sie durch die Llano zu führen. Sodann wurde von dieser letzteren ausführlich gesprochen. Jeder hatte Schreckliches von ihr erfahren, und so hätte sich die Unterhaltung wohl noch lange hingezogen, wenn nicht der Neger Bob mit Helmers‘ Schwarzen erschienen wäre und mit demselben eine Unterbrechung gebracht hätte. Dieser letztere erkundigte sich nämlich bei seinem Herrn:

„Massa Helmers fragen, wohin thun viel Pferde, wenn nachher kommen?“

„Welche Pferde?“ fragte der Wirt.

„Pferde von Soldaten, welche Offizier fortreiten und holen.“

„Ah! Er ist fortgeritten?“

„Ja, sein fort. Haben vorher sagen, daß will holen viele Reiter nach Helmers Home.“

„Er hat sich also heimlich entfernt! Das beweist, daß er kein gutes Gewissen hat. Wo hinaus ist er denn?“

„Haben legen Sattel auf Pferd, Pferd aus Stall ziehen, sich aufsetzen, um Stall hinum reiten und dann fort, dahin.“

Beim letzten Worte deutete der Neger nach Norden.

„Das ist verdächtig. Man sollte ihm nachreiten. Er sagt, daß sie gewiß kommen werden, daß er sie hier erwarten soll, und reitet ihnen doch entgegen. Ich habe große Lust, ihn einzuholen, um ihn zu fragen, warum er es uns nicht vorher gesagt hat, daß er fort will.“

„Thut es immerhin,“ sprach lächelnd Old Shatterhand. „Ihr würdet nicht weit nach Norden kommen!“

„Warum?“

„Weil diese Richtung jedenfalls nur eine Finte von ihm ist. Der Mann ist kein Offizier und trägt doch die Uniform eines solchen. Er führt also nichts Gutes im Schilde. Da er sich durchschaut sah, so hielt er es für geraten, zu verschwinden, und schlägt natürlich eine ganz andere Richtung ein, als diejenige ist, nach welcher er eigentlich will.“

„Aber wohin sollte er wollen? Im Westen und Südwesten liegt die Llano; im Süden ist er gewesen, denn dort kam er her; im Osten hat er nichts zu suchen, also bleibt nur der Norden übrig, wohin er auch geritten ist.“

„Master Helmers, nehmt es mir nicht übel, wenn ich behaupte, daß Ihr Euch irrt. Ich nehme das gerade Gegenteil von dem an, was dieser Mensch gesagt hat. Er ist aus dem Süden gekommen und reitet nach Norden; gut, so bin ich überzeugt, daß er nach dem Süden will. Ich wette, wenn wir seiner Fährte folgen, so werden wir sehr bald bemerken, daß sie die Richtung in die entgegengesetzte ändert. Das, was er vom Militär erzählte, war Schwindel.“

„Das glaube ich nun selbst auch. Aber warum habt Ihr ihn denn fortgelassen?“

„Weil ich ihm ganz und gar nichts zu befehlen habe, und weil ich ihm nichts Unrechtes beweisen kann.“

„So sagt mir wenigstens, in welcher Absicht er zu mir gekommen ist!“

„Ihr scheint mich für allwissend zu halten. Ich kann eben auch nichts anderes als nur Vermutungen hegen. Für mich steht so viel fest, daß er hierher gekommen ist, um sich über irgend etwas zu unterrichten, um irgend etwas zu erfahren. Was kann das sein? Euer Home ist für viele der Ausgangspunkt der Reise durch die Llano. Ich vermute, daß er hat nachschauen wollen, ob es gegenwärtig hier bei Euch Leute gibt, welche diese Reise unternehmen wollen. Er muß ein Interesse für solche Leute haben, einen Nutzen von ihnen erwarten. Nun sagt einmal, welcher Art dieses Interesse, dieser Nutzen sein könnte.“

„Hm!“ brummte Helmers. „Ich weiß, Ihr haltet den Mann für einen Savannengeier.“

„Allerdings thue ich das.“

„So hätten wir ihn nicht fort lassen, sondern unschädlich machen sollen. Aber freilich war das ohne Beweise gegen ihn unmöglich. Er hat erfahren, daß Juggle-Fred die Diamond-Boys erwartet. Vielleicht ist er jetzt fort, um die Vorbereitungen zum Überfalle derselben zu treffen.“

„Das erscheint mir nicht nur als wahrscheinlich, sondern als gewiß. Dieser Mann befindet sich nicht allein in dieser Gegend. Er hat jedenfalls noch andere bei sich, welche irgendwo auf seine Rückkehr warten. Wir haben ihm nichts thun dürfen; ich durfte ihn nicht halten, obgleich ich wußte, daß er sich fortschleichen werde. Nun er aber fort ist, werde ich mich wenigstens überzeugen, ob ich richtig oder falsch vermute. Ich werde jetzt einmal seiner Spur folgen. Seit wann ist er fort?“

„Es sein eine Stunde und eine halbe vielleicht,“ antwortete der Neger, an welchen diese Frage gerichtet war.

„So muß man sich sputen. Hat jemand Lust, mitzureiten?“

Sie meldeten sich alle. Old Shatterhand wählte sich den Juggle-Fred aus, jedenfalls um ihn besser kennen zu lernen. Während eines solchen Rittes mußte es Gelegenheit geben, ihn einer kleinen Prüfung zu unterwerfen. Mit dieser Entscheidung war Frank sehr unzufrieden. Er sagte zu dem berühmten Westmanne:

„Aber, Verehrtester, eenen andern mitzunehmen, das is keene große Offmerksamkeet für eenen Mann von meinen Meriten! Oder haben Sie etwa die Ansicht, daß ich mich bei der Beurteelung eener Schpur nich ooch nützlich machen könnte? Wenn ich mitreiten dürfte, so würde ich das als eene ganz besondere geographische Gratifikation betrachten.“

„So?“ fragte Old Shatterhand lächelnd. „Womit haben Sie sich denn diese Gratifikation wohl verdient?“

„Zunächst im allgemeinen durch meine irdische Existenz überhaupt. Zweetens durch den Umschtand, daß ich nich weniger neugierig bin als andere. Und drittens dadurch, daß ich vielleicht doch noch etwas lernen könnte, wenn Sie die Gewogenheet haben wollten, mich mitzunehmen.“

„Meinen Sie wirklich, noch etwas lernen zu können? Das ist eine Bescheidenheit, welche belohnt werden muß. Sie sollen also mit.“

„Schön!“ nickte Frank. „Ich widme Ihnen hiermit meinen geneigtesten Merçi Monsieur! Mit meiner anerkennenswerten Bescheidenheet habe ich den anderen een leuchtendes Beischpiel zur geduldigen Nachahmung geben wollen, quod Eduard demonschtrandus!

Er stieg mit stolzen Schritten davon, um sich nach dem Stalle zu seinem Pferde zu begeben. Helmers machte Old Shatterhand darauf aufmerksam, daß er ihm zu diesem Ritte einige gute und ausgeruhte Pferde zur Verfügung stellen könne, und der letztere nahm dies Anerbieten gern an. Die beiden Schwarzen mußten drei Tiere von der Weide holen, um sie zu satteln, und dann ritten Old Shatterhand, Fred und Frank davon, gleich vom Stalle aus der Spur des Offiziers folgend.

Diese führte allerdings nach Norden, aber nur eine kurze Strecke; dann bog sie über Osten nach Süden um und nahm endlich gar eine südwestliche Richtung an. Auf diese Weise war Stewart fast drei Vierteile eines Kreises geritten, und zwar hatte dieser Kreis einen auffällig kleinen Durchmesser.

Old Shatterhand ritt voran, weit nach vorn gebeugt, um die Spuren fest im Auge zu haben. Als er sich überzeugt hatte, daß dieselben nicht mehr aus der Richtung wichen, sondern von nun an eine schnurgerade Linie bildeten, hielt er sein Pferd an und fragte:

„Master Fred, was sagt Ihr zu dieser Fährte? Werden wir ihr trauen dürfen?“

„Jedenfalls, Sir,“ antwortete der Gefragte, welcher wohl merkte, daß Old Shatterhand ihn ein wenig ins Examen nehmen wolle. „Von hier an bekennt der Kerl Farbe. Er reitet schnurstracks nach der Llano, und ––“

Er hielt bedenklich inne.

„Nun, und –– ?“

„Es scheint, daß er es sehr eilig hat. Der Kreisbogen, den er um Helmers Home geschlagen hat, ist sehr eng; er hat sich nicht Zeit genommen, einen größeren Umweg zu machen. Auch ist er in gestrecktem Galopp geritten. Es muß ihn irgend etwas sehr schnell vorwärts treiben.“

„Und was mag das sein?“

„Ja, wenn ich das sagen könnte, Sir. Da bin ich aber leider mit meinen Kenntnissen zu Ende. Vielleicht erratet Ihr es leichter als ich.“

„Aufs Erraten will ich mich nicht einlassen. Es ist besser, wir gehen sicher. Wir haben ja Zeit und können einige Stunden riskieren. Folgen wir der Fährte möglichst schnell.“

Sie setzten ihre Pferde nun auch in Galopp. Das konnten sie sehr wohl, da die Spur so deutlich war, daß das Lesen derselben nicht den geringsten Aufenthalt machte.

Es war sehr bald zu sehen, daß Helmers Home sich auf der Grenze des kulturfähigen Landes befand. Die Gegend veränderte sehr schnell ihren Charakter,

Nördlich von der Niederlassung hatte es noch Wald gegeben. Südlich von ihr sah man nur noch einzelne Bäume, welche auch verschwanden. Das Gesträuch wurde dünner und seltener; das Büffelgras hörte auf, und an seine Stelle trat Bärengras, ein untrügliches Zeichen, daß der Boden an Sterilität zunahm. Dann zeigte sich immer häufiger der nackte, trockene Sand, und die bisher wellenförmige Oberfläche der Steppe ging in die Form der ununterbrochenen Ebene über.

Nun gab es Sand und überall Sand, nur zuweilen unterbrochen von einer Bärengrasinsel, überragt von den dunkelbraunen Kolben der Blütenstengel.

Später gab es selbst dieses Gras nicht mehr, und an die Stelle desselben traten dichter Stachelrasenkaktus und lang gestreckte, schlangenartig kriechende Cereusarten. Stewart hatte diese mit Kaktus bewachsene Stellen vermieden, da die Stacheln dieser Pflanzen den Pferden leicht gefährlich werden können. Er hatte nur zuweilen seinem Tiere eine kurze Zeit zum Verschnaufen gegeben; dann war es, wie die tief eingegrabenen Tapfen zeigten, wieder gezwungen worden, in Galopp zu fallen.

So ging es weiter und weiter. Über zwei Stunden waren vergangen, seit die drei Reiter Helmers Home verlassen hatten. Es waren von ihnen wenigstens fünfzehn englische Meilen zurückgelegt worden, und doch wollte es ihnen nicht gelingen, den Reiter zu sehen, welchem sie folgten. Helmers Pferde waren nicht im stande, den Vorsprung, welchen er hatte, einzuholen.

Da bemerkten sie einen dunklen Streifen, welcher sich von links her spitz in die sandige Ebene schob. Es war eine Erderhöhung, welche aus fruchtbarerem Boden bestand, aber doch nur anspruchslose Mezquitesträucher trug. Die Spur zog sich nach dieser zungenartigen Einschiebung hin, welche die drei Reiter in weniger als zwei Minuten erreichen mußten. Da aber hielt Old Shatterhand sein Pferd an, deutete vorwärts und sagte:

„Vorsicht! Dort hinter den Sträuchern scheinen Menschen zu sein. Habt ihr nichts gesehen?“

„Nein,“ antwortete Fred.

„Mir aber war es ganz so, als ob sich Wer oder Was bewegte. Wollen uns nach links halten, um das Mezquitegebüsch dazwischen zu bringen.“

Sie schlugen einen Bogen und trieben ihre Pferde an, um die offene Strecke, auf welcher sie so deutlich gesehen werden konnten, möglichst schnell hinter sich zu legen. Als sie dann das Gebüsch erreichten, stieg Old Shatterhand ab.

„Bleibt hier zurück und haltet mein Pferd!“ sagte er. „Ich will rekognoszieren. Nehmt aber die Waffen zur Hand und seid vorsichtig. Sollte ich schießen müssen, so kommet schnell nach!“

Er bückte sich nieder und schob sich zwischen die Büsche, hinter denen er verschwand. Noch waren kaum drei Minuten vergangen, so kehrte er zurück. Ein vergnügtes Lächeln spielte um seine Lippen.

„Der Offizier ist es nicht,“ sagte er. „Auch sind es nicht Kumpane desselben, welche sich da jenseits der Sträucher befinden. Ich glaube, wir machen eine sehr interessante Bekanntschaft. Master Fred, habt Ihr vielleicht einmal von den beiden Snuffles gehört?“

„Von denen? Nicht bloß gehört habe ich von ihnen, sondern ich kenne sie sogar.“

„Wirklich? Nun, so steigt einmal ab und kommt mit! Ich habe sie noch nie gesehen, aber den Nasen nach müssen sie es sein.“

„Wie sind sie denn gekleidet?“

„Wollene Hosen und Oberhemden, Schnürschuhe und Biberhüte, Gürtel aus Klapperschlangenhaut, und die Decken haben sie wie Mäntels von den Schultern hängen.“

„Das sind sie! Habt Ihr ihre Pferde gesehen?“

„Es sind nicht Pferde, sondern Maultiere.“

„So ist es gar kein Zweifel; sie sind es, Jim und Tim mit Polly und Molly. Hei, wird das eine Überraschung geben! Ich habe – – –“

„Leise, leise!“ warnte Old Shatterhand. „Sie sind nicht allein. Es ist ein junger Indsman bei ihnen.“

„Thut nichts, Sir! Wer bei den beiden Snuffles ist, der ist mir nicht gefährlich. Ich war mit ihnen monatelang droben in den schwarzen Bergen, um Biber zu fangen. Wir hatten ein Zeichen verabredet, um uns schon aus größerer Ferne zu erkennen. Ich werde es ihnen jetzt hören lassen und will sehen, wie sie sich dabei benehmen. Was machen sie denn?“

„Sie sitzen im Schatten des Gebüsches und ruhen sich aus.“

„Und ihre Maultiere?“

„Knappem sich die wenigen Blätter von den Zweigen.“

„Sind nicht angehängt?“

„Nein.“

„So werdet Ihr gleich erfahren, daß Polly und Molly ebenso klug sind wie Jim und Tim. Ich wette, daß die beiden Maultiere ebenso schnell hier bei mir sind wie ihre Herren. Paßt einmal auf, Sir!“

Er steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen lang gezogenen, trillernden Pfiff hören. Es ertönte keine Antwort.

„Sie sind zu überrascht,“ meinte Fred. „Also noch einmal!“

Er wiederholte den Pfiff, und kaum war das geschehen, so ließen zwei Tierstimmen ein schmetterndes, trompetenartiges Eselsgeschrei hören; es prasselte in den Büschen, und alles, was ihnen im Wege stand, niederreißend, kamen die beiden Maultiere quer durch die Sträucher herbeigesprungen. Hinter ihnen ertönte eine laute Stimme:

„Hallo! Was ist denn da los! Dieser Pfiff in der einsamen Llano! Sollte es möglich sein? Fred, der Juggle-Fred!“

„Ja, der Juggler! Kein anderer ist’s!“ rief eine andere Stimme. „Mach voran! Ich komme auch. Er ist’s, denn das Viehzeug hat ihn schon erkannt und sich zu ihm hinübergeschlängelt.“

Es prasselte abermals in den Büschen und dann brachen die beiden Brüder aus denselben hervor, Jim voran und Tim hinter ihm her. Als sie Fred sahen, eilten sie, ohne auf die anderen zu achten, auf ihn zu und umarmten ihn, einer von vom, der andere von hinten.

„Halt, Kerls, drückt mich nicht tot!“ wehrte der einstige Kunstreiter sie von sich ab. „Ich will mich wohl gern umärmeln lassen, aber einzeln, einzeln, nicht von zwei solchen Bären, wie ihr seid, zu gleicher Zeit!“

„Keine Sorge! Wir erdrücken dich nicht!“ meinte Jim. „Nein, der Juggle-Fred so unerwartet hier! Das ist wahrhaftig das höchste der Gefühle! Aber wie kommst du denn auf den Gedanken, zu pfeifen? Wußtest du, daß wir da hinter dem Gebüsche steckten?“

„Jawohl. Ihr seid mir die richtigen Westmänner! Laßt euch beschleichen und betrachten und beobachten, ohne das Geringste zu bemerken! Hoffentlich seid ihr ganz erstaunt, mich hier an der Llano zu sehen?“

„Gar so sehr nicht, alter Freund. Zwar überrascht es uns, dich hier zu treffen; aber daß du dich in der Nähe befindest, haben wir gewußt.“

„Gewußt? Wie denn, von wem denn?“

„Ah, nicht wahr, da wunderst du dich? Sind dir nicht sechs Männer bekannt, deren Anführer Gibson heißt und ein Lawyer ist?“

„Ja. Ich erwarte sie in Helmers Home, denn ich soll sie durch die Llano führen. Seid ihr etwa mit ihnen zusammengetroffen?“

„Freilich. Sie nannten uns deinen Namen. Wir hielten es nicht für nötig, ihnen zu sagen, daß wir dich so genau kennen, sondern wir teilten ihnen nur mit, daß wir von dir gehört hätten.“

„So verleugnet ihr mich, ihr Schlingels! Wo stecken die Kerls denn? Und was treibt ihr hier hinter diesen Büschen?“

„Davon später. Jetzt möchten wir vor allen Dingen wissen, wer die beiden Masters sind, welche du bei dir hast.“

„Das könnt ihr sofort erfahren. Dieser berühmte Sir mit dem Amazonenhute auf dem Kopfe heißt Hobble-Frank und ist ––“

„Doch nicht etwa der große deutsche Gelehrte, welcher sich mit Winnetou und Old Shatterhand damals um den Yellowstonepark herumgeschlängelt hat?“ fiel Tim ihm in die Rede. „Der hat doch wohl Hobble-Frank geheißen.“

Der „große deutsche Gelehrte“, das hatte Tim scherzhaft gemeint; aber Frank nahm es sehr ernst und antwortete infolge dessen selbst:

„Ja, der Hobble-Frank bin ich, Sir. Woher kennt Ihr mich denn?“

„Wir haben droben im Blackbird-River von Euren Erlebnissen gehört, Sir, und Eure Thaten sehr bewundert. Und der andere Herr, Fred, wer ist er?“

Der Blick des Fragers war auf Old Shatterhand gerichtet.

„Dieser Sir?“ antwortete Fred. „Seht ihn euch einmal an! Wer mag der wohl sein?“

Sie brauchten nicht zu raten; es wurde ihnen gesagt. Eisenherz, der junge Komantsche, war auch herbeigekommen.

Eben trat er zwischen den Sträuchern hervor. Er sah Old Shatterhand stehen, hörte die Worte Freds und sagte:

„Nina-nonton, die zerschmetternde Hand! Shiba-bigk, der Sohn der Komantschen, ist zu jung, einem so berühmten Krieger in das Antlitz schauen zu dürfen.“

Er wendete sich nach indianischer Sitte zur Seite. Old Shatterhand aber trat rasch auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte:

„Ich erkenne dich, obgleich mehrere Winter vergangen sind und du größer geworden bist, seit ich dich sah. Du bist der Sohn meines Freundes Tevua-shohe, des Häuptlings der Komantschen, mit welchem ich die Pfeife des Friedens rauchte. Er war ein tapferer Krieger und ein Freund der Weißen. Wo hat er sein Zelt jetzt aufgeschlagen?“

„Sein Geist ist unterwegs nach den ewigen Jagdgründen, welche er erst dann betreten darf, wenn ich seinen Mördern die Skalpe genommen habe.“

„Tot? Feuerstern ist tot? Ermordet?“ rief Old Shatterhand. „Sag, von wem?“

„Shiba-bigk spricht nicht davon. Frage meine beiden weißen Freunde, welche seine Leiche gesehen und heute früh mit begraben haben!“

Er zog sich wieder zwischen die Büsche zurück. Als Old Shatterhand sich zu den anderen wandte, sah er die Augen der beiden Snuffies mit achtungsvollen Blicken auf sich gerichtet. Er gab beiden die Hand und sagte:

„Es scheint, daß ihr uns Interessantes zu erzählen habt. Feuerstern war einer meiner roten Freunde; ich muß wissen, wer ihn ermordet hat. Hier brennt die Sonne. Suchen wir den Schatten auf, in welchem ich euch vorhin sitzen sah. Dort könnt ihr mir berichten, was geschehen ist.“

Jim und Tim schritten direkt quer durch die Büsche. Die drei anderen führten ihre Pferde um das Gesträuch herum. Dort hatte der junge Komantsche sich bereits wieder niedergesetzt. Die Weißen thaten dasselbe und Jim begann das gestrige Erlebnis zu erzählen.

Es wurde englisch gesprochen. Aus diesem Grunde kam der Erzähler ohne Störung an das Ende seines Berichtes. Hätte er sich der deutschen Sprache bedient, so wäre der Hobble-Frank jedenfalls bemüht gewesen, hier und da eine seiner berühmten Bemerkungen anzubringen. Als Jim sein Zusammentreffen mit dem jungen Komantschen erzählt hatte, fuhr er fort:

„Als der Morgen anbrach, haben wir dem toten Häuptling ein interimistisches Grab bereitet, wo er liegen soll, bis seine Krieger kommen, ihm ein würdiges Mal zu errichten. Dann aber machten wir uns an die Verfolgung der Mörder.“

„Ich dachte, ihr wolltet nach Helmers Home!“ bemerkte Old Shatterhand.

„Ja, das war unsere ursprüngliche Absicht. Aber es gab keinen Grund, welcher uns zwang, dieses Vorhaben auszuführen. Wir hatten mit Eisenherz, dem jungen, wackeren Krieger, Freundschaft geschlossen, und natürlich seine Sache zu der unsrigen gemacht; er brannte darauf, sich sofort auf die Fährte der Mörder zu legen, und so sahen wir von Helmers Home ab und ritten mit ihm.“

„Das kann ich nur loben. Ist es euch gelungen, der Fährte zu folgen?“

„Ja. Es hatte freilich seine Schwierigkeiten. Die Kerls waren südwärts geritten, bis zu einer Stelle, an welcher sie sich geteilt hatten, um eine Art Postenkette zu bilden, welche den Zweck hatte, ein dort befindliches Lager zu bewachen.“

„Wer lagerte dort?“

„Das können wir nicht genau sagen. Vermutlich waren es Auswanderer. Wir sahen die Geleise von Ochsenwagen und vielen Pferden und schätzen die Zahl der Menschen, welche die Nacht dort zugebracht haben, auf ungefähr fünfzig.“

„Sie waren nicht mehr da? Nach welcher Richtung sind sie?“

„Nach Südwest.“

„Also nach der Llano? Mit Ochsenwagen? Alle Teufel! Sie sind entweder von außerordentlich tüchtigen Führern begleitet, oder man hat die Absicht, sie in eine entsetzliche Falle zu locken. Was denkt Ihr, Jim?“

„Das Letztere.“

„Warum?“

„Weil diese fünf Mörder Feuersterns die Hände dabei im Spiele haben. Auch die Diamondboys sind zu dieser Karawane gestoßen, welche, nach den Spuren zu beurteilen, bereits kurz nach Mitternacht aufgebrochen sein muß. Das ist auffällig. Man hat die Leute aus der Nähe von Helmers Home schnell entfernen wollen.“

„Hoffentlich seid ihr dieser Karawane gefolgt?“

„Nein, Sir. Wir hatten es nur mit den Mördern des Häuptlings zu thun. Diese aber hatten sich, wie aus den Spuren zu ersehen war, nicht der Karawane angeschlossen, sondern waren grad nach West geritten. Ihrer Fährte folgten wir natürlich. Übrigens fanden wir die Spur eines einzelnen Reiters, welcher noch am Abend aus der Gegend von Helmers Home zu der Karawane gestoßen sein muß.“

„So! Noch am Abend? Das ist jedenfalls jener sehr ehrenwerte Mormonenmissionar Tobias Preisegott Burton gewesen. Die ganze Angelegenheit beginnt durchsichtiger zu werden. Weiter, Master Jim! wie wurde es mit eurer Fährte?“

„Die Kerls waren sehr schnell geritten, und darum war die Spur sehr lesbar. Dann aber machte uns der Umstand zu schaffen, daß einer der Fünf sich von den anderen vier getrennt hatte. Seine Spur führte grad nach Nord. Wir mußten ihr eine Strecke folgen, um unserer Sache gewiß zu sein.“

„Hm! Das gibt zu denken. Ich möchte vermuten, daß wir es hier mit dem Offizier zu thun haben.“

„Offizier?“ fragte Jim. „Es war kein Offizier dabei.“

„Weiß schon! Aber vielleicht haben die Kerls eine Uniform bei sich gehabt. Wir werden schon noch Klarheit bekommen. Ihr habt mit diesen Leuten gesprochen. War nicht einer dabei von untersetzter Gestalt, das Gesicht von einem dunklen Vollbarte eingerahmt?“

„Diese Beschreibung paßt auf den Anführer.“

„Er hatte den Schnurrbart abwärts gestrichen, als ob er die Lippen verdecken wolle. Habt Ihr nicht vielleicht in Beziehung auf seinen Mund irgend eine Bemerkung gemacht?“

„Natürlich! Er hatte eine kleine Hasenscharte. Ich sah es sehr deutlich.“

„Schön! Da haben wir den Kerl! Er ist es! Er ist nach Helmers Home geritten, um zu erfahren, ob ihm und seinem Unternehmen von dort vielleicht Gefahr droht. Weiter!“

„Eigentlich möchte ich nicht weiter erzählen. Seine eigene Dummheit eingestehen zu müssen, ist keineswegs das höchste der Gefühle. Spinne lieber du die Geschichte weiter, alter Tim.“

„Danke!“ meinte dieser. „Wer das gute Fleisch gegessen hat, der mag auch dann den harten Knochen beißen. Warum soll grad ich von da anfangen, wo die Dummheit beginnt?“

„Weil du so eine hübsche Art und Weise hast, auch das Mangelhafte als vortrefflich erscheinen zu lassen.“

„Weiß schon! Ich bin stets derjenige, welcher die Sünden der anderen zu büßen hat. Aber da du mein Bruder bist, will ich gutmütig sein und es einmal versuchen, ob es mir möglich ist, mich so ein wenig von außen her um die dumme Geschichte herum zu schlängeln. Wißt ihr, Mesch’schurs, die Sache ist nämlich die, daß uns später die Fährte verloren ging, und wir haben sie trotz alles Suchens auch nicht wieder gefunden.“

„Unmöglich!“ rief Old Shatterhand.

„Ich sage Euch aber, daß es wahr ist, Sir!“

„Die beiden Snuffles hätten eine Fährte verloren? Wenn mir das ein anderer sagte, würde ich ihn unbedingt Lügen strafen.“

„Ich danke Euch, Sir! Aber da es Euch der Tim Snuffle selber sagt, so müßt Ihr es glauben!“

„Allerdings. Aber wie ist das denn eigentlich zugegangen?“

„Auf die einfachste Weise von der Welt. Da vorn, wo das Mezquitegesträuch aufhört, beginnt felsiger Boden, der sich meilenweit nach Ost und Süd erstreckt. Diesen Boden solltet Ihr sehen, Sir, um zu begreifen, daß einem eine Fährte verloren gehen kann.“

„Ich kenne ihn. Die Mexikaner, welche bekanntlich spanisch sprechen und zu deren Gebiet diese Gegend gehörte, nannten und nennen heute noch diese Gesteinsstrecke el plano del diablo, die Teufelsplatte.“

„Richtig! Ihr kennt sie? Ihr waret schon dort?“

„Zweimal sogar.“

„Nun, das beruhigt mich, denn da werdet Ihr uns nicht für Greenhorns halten, wenn ich Euch aufrichtig gestehe, daß die Spur für uns wie weggeblasen war.“

„Hm! Aber vier Reiter bläst doch niemand weg!“

„Nein. Doch wenn die Pferde auf diesem eisenharten, glatten Gestein keine Spuren machen, so ist eben keine Fährte zu sehen, Sir. Unser Komantsche ist trotz seiner Jugend ein famoser Fährtenleser; aber ich sage Euch, daß auch er am Ziele seiner Weisheit stand.“

„So möchte ich wissen, ob es mir auch so ergangen wäre wie Euch!“

„Ja, Ihr! Ihr seid denn doch ein ganz anderer Kerl als so ein Snuffle! Ihr und Winnetou würdet selbst dann die Fährte entdecken, wenn die Kerls durch die Luft geritten wären! Und fast möchte man glauben, daß dies geschehen sei. Ich sage Euch, es war nicht das kleinste ausgetretene Steinbröckchen und nicht das armseligste Ritzchen zu sehen, welches ein Hufeisen in den Fels geschnitten hätte. Natürlich haben wir genau dasselbe gethan, was jeder andere gute Westmann in diesem Falle unternommen hätte: wir sind längs der Gesteinsgrenze hingeritten, um die Stelle zu finden, an welcher die Kerls vom festen Fels wieder auf sandigen Boden gekommen sind. Das ging so langsam, daß wir bis jetzt noch nicht ganz fertig sind, obgleich wir uns jedenfalls bereits nördlich von dem Punkte befinden, an welchem der eine die vier anderen verlassen hatte, um nach Helmers Home zu reiten, wie Ihr sagt. Übrigens sahen wir, als wir da drüben herüberkamen, einen einzelnen Reiter, welcher an unserem Horizonte südwärts galoppierte, und als wir dann dieses Gebüsch erreichten, bemerkten wir, daß er hier angehalten hatte.“

Old Shatterhand horchte auf. Er schien eine kleine Weile lang nachzudenken, dann erhob er sich von seinem Platze, untersuchte die verschiedenen Hufeindrücke, welche sich am Rande des Mezquitegebüsches befanden, und entfernte sich dabei eine ziemliche Strecke von den anderen. Dann hörten sie ihn rufen:

„Master Tim, seid Ihr oder Jim. auch hier gewesen, wo ich jetzt stehe?“

„Nein, Sir,“ antwortete der Gefragte.

„So kommt einmal alle her!“

Sie folgten seiner Aufforderung. Als sie zu ihm kamen, deutete er auf das Gebüsch und sagte:

„Hier seht ihr ganz deutlich, daß jemand in die Sträucher eingedrungen ist. Da ist ein Ästchen abgebrochen, und die Bruchfläche ist noch nicht vertrocknet. Es ist also vor noch nicht langer Zeit geschehen. Folgt mir nach, Mesch’schurs!“

Er schob sich, jedes Zweiglein und jeden Zollbreit des Bodens genau betrachtend, immer weiter in das dichte Gebüsch hinein, bis er vor einer sandigen Stelle stehen blieb. Sie war mehrere Schritte lang und breit und zeigte keine Spur von Vegetation. Nicht der kleinste, ärmste Halm war da zu sehen. Da kniete er nieder, und es schien, als ob er jedes Sandkörnchen einzeln untersuchen wolle. Endlich erhob er sich mit einem Lächeln der Befriedigung im Gesichte und betrachtete auch die übrigen Seiten des Gebüsches, welches das Plätzchen umgrenzte. Dann deutete er auf eine Stelle und sagte:

„Auch hier ist jemand herein in dieses Versteck gekommen; ich wette, daß der Betreffende da draußen vor den Büschen auf dem felsigen Boden vom Pferde gestiegen ist. Und nun sagt mir zweierlei, Master Tim: Südlich von hier ist es gewesen, wo sich der eine von den vier anderen trennte?“

„Südost, Sir.“

„Schön! Hatte der Mann, den Ihr dann von hier fortreiten sahet, Uniform an?“

„Nein.“

„So ist für mich folgendes gewiß: Der Anführer der Fünf ist, nachdem er die anderen verlassen hatte, hierher geritten, um sich die Uniform zu holen und als Offizier nach Helmers Home zu gehen. Dann, als er sich dort heimlich entfernt hatte, ritt er wieder hierher, um die Uniform ab- und seinen vorigen Anzug wieder anzulegen.“

„Was Ihr sagt, Sir! Haltet Ihr diesen Ort hier für einen Kleiderschrank?“

„Ja, wenigstens für ein Versteck, für eine Cache, wie bekanntlich der Biberjäger die Grube nennt, in welcher er seine Felle verbirgt. Nehmt eure Messer heraus und grabt gefälligst nach! Man sieht es dem Sande ganz deutlich an, daß er vor kurzem sehr sorgfältig geebnet worden ist.“

Die beiden Snuffles sahen ihm erstaunt in das Gesicht; der Hobble-Frank aber warf sich zu Boden und begann den Sand so eifrig gleich mit den bloßen Händen aufzuwühlen, als ob er alle Schätze von Golkonda da zu finden erwarte. Das eiferte die anderen an, seinem Beispiele zu folgen.

Der Sand flog nach allen Seiten davon. Noch war Frank kaum zehn Zoll tief gekommen, so rief er, und zwar deutsch:

„Ich hab’s, Herr Shatterhand! Meine Finger sind off was Hartes geschtoßen.“

„Nur weiter, weiter!“ mahnte Jim, auch in deutscher Sprache. „Das Harte kann auch Fels sein.“

„Was!“ rief Frank. „Sie bedienen sich ooch des deutschen Mutterdialektes? Sind Sie etwa ooch zwischen dem Montblanc und Vegesack geboren?“

„Ich heiße Hofmann. Das genügt einstweilen. Grabt nur weiter!“

„Ich grabe ja wie een Maul- und Werwolf. Es is keen Fels, sondern Holz. Da habt Ihr’s! Lauter dünne Schtangen.“

„Das sind jedenfalls Kaktusstangen,“ erklärte Old Shatterhand, „welche so miteinander verbunden sind, daß sie eine breite Fläche und als solche die Decke des Versteckes bilden.“

Diese Ansicht erwies sich als richtig. Die linealgeraden Stengel waren mit Flechtwerk so verbunden, daß sie einen viereckigen Deckel bildeten, welcher ein tiefes, quadratisch gegrabenes Loch von oben vollständig verschloß. Dieses Loch war wohl über zwei Ellen lang und breit und bis an den Rand mit allerlei Gegenständen angefüllt.

Das erste, was man sah, war ein Säbel und eine – – Uniform, auf welcher ein altes, zusammengebrochenes Zeitungsblatt lag.

„Die Montur des Offiziers, und ooch sein Raubritterschildknappensäbel!“ sagte Frank, indem er die Klinge aus der Scheide zog und mit derselben durch die Luft schlug. „Wenn der Halunke da wäre, würde ich ihm eene tüchtige Pfrieme off den Kopp versetzen.“

„Du meinst wohl eine Prime!“ verbesserte der Juggle-Fred.

„Ich meene gar nichts, wenigstens für dich nichts, alter Offschneider und Besserwisser! Ich werde doch wohl wissen, was die fechtbaren Kunstausdrücke zu bedeuten haben. Ich habe mir schon als knabenähnlicher junge hölzerne Säbels geschnitzt und schpäter alle daroff bezüglichen Kunst- und Fachwörter, was der Lateiner thermopylus polytechnicus nennt, im Koppe auswendig gelernt. Een Hieb von oben heeßt Pfrieme, und eener von unten heeßt polnische Schwarte, weshalb man eben oft sagt: er kriegt Schwarte anstatt er kriegt Prügel. Ich als forschtamtlicher tempus passatus werde wohl besser wissen als du, was ––“

„Bitte, lieber Frank, das Papier!“ unterbrach ihn Old Shatterhand.

„Schön! Gleich! Ich kann dem Fred die Leviten ooch später lesen, wenn wir diese Mördergrube ausgeräumt haben.“

Er gab Old Shatterhand das Zeitungsblatt. Dieser öffnete dasselbe. Es enthielt einen mit Bleistift beschriebenen Zettel. Der Jäger las die Zeilen vor:

„Venid pronto en nuestro escondite! Precaution! OldShatterhand esta en casa de Helmers.“

„Das heißt?“ fragte Fred. „Nun, Frank, du bist ja Sprachkenner!“

„Jawohl,“ antwortete der Angeredete. „Es is von Old Shatterhand und Helmers die Rede. Aber dieses Hebräisch is so mit indianischen Präflixen und Sufflixen verschimpfiert und von solchen indogermanischen Trichinen durchfressen, daß sich mir gleich beim erschten Wort das Herz im Leibe umdreht. Ich wasche meine Hände in Unschuld und beschäftige mich lieber da mit der Uniform.“

Er begann die Taschen der Uniform sehr angelegentlich zu untersuchen. Old Shatterhand übersetzte die spanischen Zeilen:

„Kommt rasch in unser Versteck! Vorsicht! Old Shatterhand befindet sich bei Helmers.“

Von einer Erklärung dieser Worte wurde zunächst abgesehen. Man wollte wissen, was alles sich in dem Loche befand. Dasselbe enthielt getragene, aber noch brauchbare Kleidungsstücke in verschiedenen Formen, Farben und Größen, Flinten, Pistolen, Messer, Blei, blecherne Schachteln mit Zündhütchen und endlich gar ein Fäßchen, welches noch halb voll Pulver war. Sämtliche Taschen der Anzüge waren leer.

„Die Kleider verbrennen wir,“ sagte Old Shatterhand. „Das andere ist gute Beute, und jeder mag sich davon nehmen, was ihm beliebt. Das Übrigbleibende wird mit zu Helmers genommen. Ich bin überzeugt, daß die Llanorunners noch mehrere solcher Verstecke haben, in denen sie ihre Vorräte aufbewahren. Die Uniform gehörte wahrscheinlich einem Offizier, welcher von ihnen ermordet worden ist. Von allen diesen Fundgegenständen hat für mich nur der Zettel Wert. Was würdet Ihr aus dem Inhalte desselben schließen, Master Jim?“

„Zweierlei,“ antwortete der Gefragte. „Erstens, daß der Kerl einen Heidenrespekt vor Euch hat. Er wäre jedenfalls noch länger in Helmers Home geblieben, wenn er nicht Euch dort getroffen hätte. Zwar weiß ich nicht, was dort geschehen ist, aber ich denke so.“

„Und zweitens?“

„Zweitens sind noch Genossen hinter ihm, welche er durch diesen Zettel warnen will. Auch sie wollen in die Estakata; auch sie kommen hierher, um die Grube zu öffnen. Er bestellt sie an einen Ort, den er auch mit dem Namen Versteck bezeichnet. Wie mir scheint, ist damit ein Versammlungsort gemeint.“

„Eure Vermutung ist auch die meinige. Ihr erseht aus dem Stande der Dinge, daß Ihr die verlorene Fährte nun nicht aufzusuchen braucht. Dieser Mann stößt ganz gewiß wieder zu seinen vier Gefährten. Um zu ihnen zu kommen, braucht Ihr nur ihm zu folgen. Seine Spur wird von hier an sehr deutlich sein. Sie führt jedenfalls nach dem Verstecke, von welchem er in diesen Zeilen schreibt. Ihr könnt Euch doch wohl denken, weshalb er die Leute dorthin beordert?“

„Natürlich, Sir! Er will mit ihnen über die Auswanderer her.“

„Das vermute auch ich. Und zwar beabsichtigt er, dies sehr bald zu thun, wie seine Eile beweist. Er hat Angst vor mir. Er weiß, mit welchem Argwohn wir ihn behandelt haben. Er muß befürchten, daß wir hinter seine Schliche kommen und ihm dieselben vereiteln. Darum wird er die Ausführung seines Vorhabens so viel wie möglich beschleunigen.“

„So müssen auch wir uns beeilen, Sir! Ich darf doch annehmen, daß wir auf Euere Hilfe rechnen können?“

„Gewiß. Zunächst habe ich mit diesen Leuten wegen der Ermordung des Häuptlings ein Wort zu reden, und sodann gilt es, neues Unglück zu verhüten. Wie ist das anzufangen? Welchen Vorschlag macht Ihr uns?“

„Ich Euch? Hm! Jim Snuffle soll Old Shatterhand einen Vorschlag machen! Das ist wirklich das höchste der Gefühle! Wir haben uns nur nach Euch zu richten, Sir, nicht wahr, alter Tim?“

Yes!“ antwortete der Gefragte. „Old Shatterhand sitzt jedenfalls längst im richtigen Zentrum, während wir uns noch lange Zeit nur so von außen um dasselbe herumschlängeln. Oder möchtest du Vorschläge machen, Fred?“

„Nein,“ antwortete dieser. „Dazu bin auch ich der Richtige nicht. Aber eine Meinung darf man haben. Wäre es nicht das Allerklügste, wir ritten dem Kerl gleich jetzt nach? Er ist der Anführer, die Seele des Unternehmens. Wenn wir ihn erwischen, unterbleibt die That.“

„Schwerlich!“ meinte Old Shatterhand. „Er war der Wortführer unter fünf Genossen. Ob er aber wirklich das Oberhaupt aller Llanogeiers ist, das wissen wir nicht. Mit ihm sind auch die anderen unschädlich gemacht. Übrigens glaube ich nicht, daß wir ihn einholen könnten. Unsere Pferde sind nicht die besten, und die Sonne neigt sich dem Untergange zu. Bevor wir ihn erreichen könnten, wird es Nacht. Nein, lassen wir ihn für heute reiten; seine Fährte ist morgen auch noch zu sehen. Ihr kampiert hier an dieser Stelle, ihr alle, um diejenigen, an welche dieser Zettel gerichtet war, festzunehmen, falls sie kommen. Ich reite mit den drei Pferden allein nach Helmers Home zurück und hole Jemmy, Davy und Bob. Mit Tagesgrauen brechen wir von hier auf, und ich denke, daß unser Ritt nicht vergeblich sein wird. Wir sind dann neun Mann, und ich hege die Überzeugung, daß wir es mit einer Bande von zwanzig bis dreißig Geiern recht wohl aufnehmen.“

Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall. Jeder suchte sich von den vorgefundenen Waffen und der Munition aus, was ihm beliebte. Die Kleider wurden heraus auf das freie Terrain geschafft und mit Hilfe dürrer Mezquitezweige verbrannt. Dieser Scheiterhaufen qualmte noch, als Old Shatterhand das Pferd bestieg. Er versprach, für Proviant und auch einen kleinen Wasservorrat zu sorgen, und bemerkte im Davonreiten, nach Westen deutend:

„Mir scheint, von dorther kommt etwas, Sturm oder ähnliches. Das ist ein Wetterloch, welches aber der Llano leider niemals Regen bringt.“

Er trabte mit seinen drei Pferden davon, nach Norden zu. Die anderen betrachteten, von ihm aufmerksam gemacht, den westlichen Himmel, an welchem sich über der Sonne ein leichtes Gewölk zeigte, rötlichgrau gefärbt und eine Art Ring bildend, in dessen Mitte sich goldene Reflexe sammelten. Das sah gar nicht gefährlich aus, und Old Shatterhands Worte wurden als eine Bemerkung hingenommen, welche wohl keine weitere Bedeutung hatte. Nur der Komantsche hielt den Blick bedenklich auf das Wölkchen gerichtet und murmelte für sich hin:

„Temb metan, der Mund des Blitzes!“

Die Männer setzten sich wieder nieder und erzählten den beiden Snuffles, was in Helmers Home geschehen war. Das wurde natürlich auf das ausführlichste behandelt. Die Zeit verging wie im Fluge, und die Männer achteten nicht auf den Himmel, welcher jetzt eine ganz andere Färbung angenommen hatte. Nur der Komantsche, welcher schweigend seitwärts saß, achtete genau auf diese Veränderung.

Der kleine Wolkenring hatte sich unten geöffnet und also die Form eines Hufeisens angenommen, dessen Schenkel sich zusehends verlängerten, so daß sie zwei langgestreckte, schmale Schichten bildeten, welche fast den mitternächtigen Horizont erreichten. Zwischen ihnen sah man den reinen, klaren Himmel. Die eine, näherliegende Schichte senkte sich, und da färbte sich der südliche Horizont mit einem staubigen Orangerot. Es sah ganz so aus, als ob dort ein Sturm wüte, welcher den feinen Sand bis empor zum Himmel wirbele.

Im Osten wurde es dunkel wie von schweren Wolken, und doch waren keine Wolken zu sehen. Da plötzlich sprang der Komantsche auf und schrie, die höchste Tugend des Indianers, die Selbstbeherrschung ganz vergessend, indem er nach der im Osten liegenden schwarzen Wand deutete:

„Maho-timb-yuavah – der Geist der Llano!“

Die anderen sprangen erschrocken auf. Sie bemerkten erst jetzt die Veränderung des Himmels; aber der Schreck erstarrte ihre Blicke, als sie dieselben dahin richteten, wohin Eisenherz zeigte.

Wohl drei scheinbare Manneshöhen über der Linie des Horizontes jagte ein Reiter am Himmel dahin. Die schwarze Wand zeigte da, wo die Gestalt sich befand, einen runden, hell erleuchteten Fleck, welcher sich mit dem Reiter in ganz gleicher Geschwindigkeit fortbewegte, so daß der letztere wie eine dunkle aber sich bewegende Silhouette in lichtem Rahmen erschien. Seine Gestalt und ebenso diejenige des Pferdes war übermenschlich groß. Alle seine Glieder waren deutlich zu erkennen. Er hielt mit der Rechten die Zügel und mit der Linken den Hut an der Krempe fest. Das auf seinem Rücken hängende Gewehr schlug auf und nieder. Mähnenhaar und Schweif des Pferdes wehten wie im Sturme hinterwärts. Das gespenstische Tier flog dahin, als ob es von der Hölle gehetzt werde.

Und das geschah am hellen Tage, eine volle Stunde vor Untergang der Sonne! Es machte einen unbeschreiblich grauenhaften Eindruck auf die Beschauer. Keiner von ihnen ließ ein Wort, einen Laut hören.

Die schwarze Wand brach im Süden fast schroff und senkrecht ab. Dieser Stelle jagte der Reiter zu. Er näherte sich ihr mehr und mehr. Noch zehn Sprünge des Pferdes, noch fünf, noch drei, noch einer – das Tier schoß hinaus in die Leere und war mit samt dem Reiter verschwunden. Auch der lichte Rahmen war nicht mehr zu sehen.

Die Männer standen noch immer wortlos bei einander. Bald blickten sie dorthin, wo das Phänomen erschienen und verschwunden war, bald sahen sie einander an. Da schüttelte sich Jim, als ob er friere, und sagte:

„Alle guten Geister! Wenn das nicht der Geist der Llano estakata war, so will ich mich niemals wieder Snuffle heißen lassen! Habe wirklich immer geglaubt, daß es ein Unsinn sei; jetzt aber wäre man ja geradezu verrückt, wenn man noch zweifeln wollte. Mir ist innerlich ganz unreell zu Mute. Wie befindest du dich, alter Tim?“

„Grad so, als ob ich ein alter Geldbeutel wär, in welchem auch nicht ein einziger armer Cent zu finden ist. Ich bin leer, ganz leer, vollständig nur Haut und Luft! Und seht nur, wie schnell sich der Himmel verändert! Das ist ja noch nie dagewesen!“

Die obere Kante der erwähnten schwarzen Wand färbte sich blutrot; Flammenbüschel zuckten auf und nieder. Der eine Schenkel des noch hoch am Himmel sichtbaren Hufeisens senkte sich nieder. Und je tiefer er herabstieg, desto breiter und dunkler wurde er. Im Süden wirbelte es wie ein vom Sturme gepeitschtes Meer von Staub und Rauch. Es kam näher und näher. Über die Sonne legte sich ein düsterer Vorhang, welcher von Sekunde zu Sekunde immer höher und breiter wurde. Der dunkle Wolkenstreifen schien jetzt förmlich vom Himmel zu fallen. Mit einem Male wurden die entsetzten Männer von einer ganz ungewöhnlichen Kälte ergriffen. Ein schrilles Heulen ließ sich in der Ferne hören.

„Um Gotteswillen, zu den Pferden!“ schrie Juggle-Fred. „Schnell! Sonst gehen sie durch! Reißt sie nieder! Sie müssen sich legen. Haltet sie fest, aber legt auch euch selbst ganz platt auf die Erde!“

Alle fünf sprangen zu den drei Pferden, welche angstvoll schnauften, und sich gar nicht weigerten, als sie niedergezerrt wurden. Sie lagen hart am Gebüsch und steckten die Köpfe unter die Zweige. Und kaum lagen auch die Männer da, so brach es los. Das war ein Pfeifen, Stöhnen, Heulen, Sausen, Brausen, Krachen und Brüllen, welches jeder Beschreibung spottet. Die Männer hatten das Gefühl, als ob eine zentnerschwere Decke plötzlich auf sie geworfen werde. Sie wurden mit solcher Gewalt zu Boden gedrückt, daß es ihnen unmöglich gewesen wäre, sich jetzt zu erheben, selbst wenn sie den Versuch dazu hätten wagen wollen. Eiseskälte strich ihnen durch die Gebeine. Alle Öffnungen, Augen, Nase, Mund und Ohren wurden ihnen wie mit erstarrendem Wasser geschlossen. Sie vermochten nicht zu atmen, sie waren dem Ersticken nahe. Und da plötzlich strich es wieder glühend heiß über sie hin, und die heulenden Stimmen der Llano estakata verklangen in der Ferne. Die Pferde sprangen auf und wieherten laut. Der plötzlich hereingebrochenen, tief dunklen und erstarrend kalten Nacht folgte heller Sonnenschein und belebende Wärme. Man konnte den Mund öffnen; man vermochte wieder zu atmen. Die fünf Gestalten begannen sich zu bewegen. Sie befreiten ihre Augen von dem hindernden Sande und sahen um sich.

Sie waren von einer fußhohen Schicht kalten Sandes bedeckt. Das war die Decke, welche der Tornado über sie geworfen hatte.

ja, ein Tornado war es gewesen, einer jener mittelamerikanischen Cyklone, welche von einer Kraftentwicklung sind, die kaum anderswo ein Seitenstück findet. Die Zerstörungen, welche so ein Tornado anrichtet, sind ganz furchtbarer, fast unglaublicher Art. Er erreicht eine Geschwindigkeit von bis hundert Kilometer in der Stunde und ist meist von elektrischen Erscheinungen begleitet, welche oft noch lange nachhalten. Selbst der Samum der afrikanischen Wüste ist nicht von solcher Wucht, und nur der entsetzliche Sand- oder Schneesturm der wilden Gobi entwickelt eine elementare Macht, welche sich mit derjenigen eines Tornado vergleichen läßt.

Die fünf Männer erhoben sich und schüttelten den Sand von ihren Gewändern. Das Gesträuch hatte dem Flugsande ein Hindernis geboten, so daß er wie eine zwei Ellen hohe Sandwehe vor demselben aufgeschichtet lag.

„Gott sei Dank, daß es so gnädig vorübergegangen ist!“ sagte Jim. „Wehe denen, welche sich während dieses Tornado in der offenen Llano befunden haben! Sie sind verloren.“

„Nicht so unbedingt, wie Ihr meint,“ entgegnete Fred. „Diese schrecklichen Winde haben zum Glücke oft nur eine Breite von einer halben englischen Meile; um so größer aber ist ihre Gewalt. Dieser wütende Luftstrom hat uns nur mit seinen Seitenwellen überflutet. Hätten wir uns in seiner Mitte befunden, so wären wir mit samt den Pferden wer weiß wie weit mit fortgerissen und irgendwo zerschellt worden.“

„Ganz richtig!“ nickte Tim. „Ich kenne das. Habe drüben am Rio Contschos mal die Verwüstungen angesehen, welche so ein Tornado dort anrichtete. Er hatte sich so von außen herum in einen Urwald hineingeschlängelt und durch denselben sozusagen eine schnurgerade Straße gerissen. Baumriesen von einem Durchmesser, welcher bei einigen wohl an die zwei Meter betrug, waren entwurzelt worden und lagen wirr über und durch einander. Diese Straße, welche aber natürlich vollständig unpassierbar war und auf welcher kein einziger Baum sich stehend erhalten hatte, besaß eine so scharfe Seitenabgrenzung, daß rechts und links die Bäume nur ganz leicht verletzt waren. Der Yankee nennt diese Art Stürme Hurricane und gibt auch den von ihnen niedergeschmetterten Waldesstrecken ganz denselben Namen.“

„Schrecklich genug war’s!“ meinte der Hobble-Frank. „Der Atem war mir so vollschtändig ausgegangen, daß meine Klarinette beinahe nur noch off dem letzten Loche pfiff. Wir haben in Sachsen doch ooch zuweilen unsere Schtürme gehabt, aber so wilde und unkultiviert wie hier, sind sie nich. So een sächsischer Hauptorkan is gegen eenen amerikanischen Tormenado das reene Kinderschpiel, das reene Mailüftchen, grad zureichend, den heeßen Kaffee kalt zu blasen. Und dazu haben mich eure Maulesel halb tot geschtrampelt. Sie wollten zuletzt nich mehr liegen bleiben und hielten meine edle Geschtalt sonderbarerweise für ––“

„Maultiere, wollen Sie wohl sagen,“ unterbrach ihn Jim.

„Nee, Maulesel sage ich! Wenn sie so in dieser Weise off mir herumstampfen, sind sie eben die größten Esel, die es nur geben kann. Sie haben mir die ganze künstlerische Konschtruktion meines ostgotischen Körperbaues auseenander getreten. Ich sollte euch eegentlich off Schadenersatz verklagen; aber wer so eenzig in der Welt daschteht wie ich, der is doch gar nich zu ersetzen. Deshalb will ich dieses Mal Gnade für Recht ergehen lassen, muß mir aberst für das zukünftige Futurum solche Mauleselei off das allerschtrengste verbitten. Fixi et salvavi animal!

Dixi heißt es, und animam!“ rief Fred.

„Schweigste schtille! Wenn ich arabisch schpreche, so is mir deine Meenung vollschtändig schnuppe,“ schrie Frank ihn zornig an. „Das fehlte grade noch, daß so een verflossener Taschenschpieler, wie du bist, sich solche Randbemerkungen erlooben dürfte! Lerne was, so kannste was! Ich will ja gerne alle Freundschaft mit dir halten; aber wennste mich in dieser Weise offbläsest, so zerplatze ich und werfe dich ins Weltall hinaus, daß du in alle Ewigkeet als Lichtputze unter den Schternschnuppen herumfliegst! Fixi und noch dreimal fixi, das heeßt: Ich hab’s gesagt, ich, der Hobble-Frank. Merke dir’s!“

Er warf sein Gewehr über und schritt würdevoll von dannen – ein zürnender Achilleus. Die anderen nickten sich lächelnd zu und sagten kein Wort, ihn zu versöhnen. Fred wußte, daß der kleine Sachse sehr bald wiederkommen werde.

Die Sonne, welche vorhin vollständig verdunkelt worden war, warf jetzt wieder ihre Strahlen hernieder. Dieselben waren ganz eigentümlich gefärbt, fast safrangelb, hätte man sagen können. Der Horizont verschwamm in dieser Färbung, und die Erde schien gegen ihn hin sich rundum zu erheben. Das hatte ganz das Aussehen, als ob die fünf Männer sich am tiefsten Punkte des Innern einer großen Hohlkugel befänden.

Die drei Reittiere waren noch keineswegs beruhigt. Sie schnauften ängstlich und stampften den Boden. Sie wollten fort und mußten fest angebunden werden. Es lag etwas in der Luft, was einzuatmen die Lunge sich sträubte. Das waren nicht mikroskopisch feine Sandteilchen, welche die Atmosphäre noch schwängerten, sondern es war etwas nicht zu Bestimmendes, nicht zu Bezeichnendes.

Der Komantsche hatte seine Decke über den Sand gebreitet und sich darauf niedergestreckt. Selbst jetzt, nach einem solchen Naturereignisse, bewahrte er die schweigsame Zurückhaltung, welche ein Charakterzug des Indianers ist. Die drei Weißen setzten sich in seine Nähe, und Jim fragte ihn:

„Hat mein junger, roter Bruder bereits einmal so einen Sturm mit erlebt?“

„Mehrere,“ antwortete der Gefragte. „Eisenherz ist von dem Nina-yandan weit fortgerissen und dann im Sande begraben worden; aber die Krieger der Komantschen haben ihn doch gefunden. Er hat ausgerissene Bäume gesehen, deren Stamm von sechs Männern kaum umspannt werden konnte.“

„Aber den Geist der Llano estakata sahst du wohl noch nicht?“

„Eisenherz hat auch diesen gesehen, vor drei Wintern, als er mit seinem Vater durch die Llano ritt. Sie hörten einen Schuß. Als sie sich der Stelle näherten, an welcher er gefallen war, sahen sie den Geist auf einem schwarzen Pferde davonjagen. An dem Orte aber lag ein Bleichgesicht, in dessen Stirn sich das Loch der Kugel befand. Der Häuptling der Komantschen kannte diesen Toten, der ein gefürchteter Mörder gewesen war.“

„Welches Aussehen hatte der Geist?“

„Er hatte den Kopf und den Leib des weißen Büffels, um dessen Hals sich die zottige Mähne sträubte. Es war schrecklich anzusehen. Aber dennoch ist er ein guter Geist, sonst würde er nicht die Gestalt dieses heiligen Tieres annehmen. Auch wissen die Komantschen sehr gut, daß er nur böse Männer tötet, während alle guten unter seinem Schutze stehen. Eisenherz kennt zwei Komantschen, welche sich in der Llano verirrt hatten und dem Verschmachten nahe waren. Der Geist ist des Nachts zu ihnen gekommen, hat ihnen Fleisch und Wasser gegeben und sie dann auf den rechten Weg gewiesen.“

„Sprach er auch mit ihnen?“

„Er redete mit ihnen in ihrer Sprache. Ein guter Geist spricht alle Sprachen, denn der große Geist hat sie ihm gelehrt, Howgh!“

Er wendete sich ab. Mit dem letzteren Worte deutete er an, daß er nun genug gesprochen habe und jetzt schweigen wolle.

Frank hatte abseits gestanden und, als er bemerkte, daß die beiden miteinander sprachen, sehnsüchtig zu ihnen herüber geschielt. Es war ihm ganz unmöglich, in der Ferne zu schmollen, während andere so glücklich waren, miteinander reden zu können. Darum kam er jetzt langsam herbeigeschritten und sagte zu Fred:

„Ich habe dir Zeit gegeben, an deinen Busen zu schlagen und dich zu bessern. Hoffentlich hast du eingesehen, daß du dich sehr schwer an dem Schpektrum meiner pomologischen Methode versündigt hast. Willst du das offrichtig eingeschtehen?“

„Ja,“ antwortete Fred in künstlichem Ernste. „Wir gestehen ja gern zu, daß du uns allen weit überlegen bist.“

„So halte in Zukunft ergebenst an dich, und laß dich nich so oft von deinem hemisphärischen Temperamente hinreißen. Dieses Mal will ich dir noch verzeihen, denn nach solchen Erlebnissen wie das soeben überschtandene is der Mensch doppelt zur Versöhnung subdominiert. Am hellen Tage een leibhaftiges Geschpenst zu erblicken, das geht beinahe an Kopf und Kragen. Meine Gänsehaut is mir angeschwollen wie een Luftballon!“

Er setzte sich zu Fred. Dieser meinte lächelnd:

„So groß braucht dein Entsetzen nicht zu sein. Die Erscheinung, welche wir hatten, läßt sich vielleicht auf ganz natürlichem Wege erklären. Denke doch nur an das Brockengespenst, dessen Entstehung der Brockenwirt Nehse so überzeugend nachgewiesen hat!“

„Nehse? Den kenne ich ooch. Sein Sohn is een berühmter Civilingenieur und wohnt in Blasewitz. Er hatte die Ehre, mich off eener Landpartie nach Moritzburg zu treffen und mir grad über das Brockengeschpenst seinen achtungsvollsten Vortrag zu halten. Das is eene harzreiche Lufterscheinung, halb Ozon und halb Sauerschtoff, die sich in der Atmosphäre niederschlägt und dann vom Nebel in glühende Hagelkörner offgelöst wird. Hier aber in der Llano haben wir es mit eenem wirklichen Geiste zu thun. Wir sahen ihn am Himmel hinreiten; es war keene Luft, es war ooch keen Nebel, sondern es war die greifbare Geschtalt eenes wirklichen übernatürlichen Wesens. Wie kann da eene optische Täuschung vorliegen?“

„Hm! Ich selbst habe früher als Taschenspieler künstliche Gespenster produziert.“

„Davon magste nur lieber schweigen, denn künstliche Geschpenster herzuschtellen, das is die reene Schwindelhaftigkeeterei! Off welche Weise hast du das denn fertig gebracht?“

„Entweder durch eine schief liegende Glasscheibe oder durch die Camera.“

„Das kann ich ooch. Ich habe mir ja selbst mal so eene Camera obscuriosa gebaut; sie war mir so weit ooch ganz gut gelungen, aber leider hatte ich vergessen, das Loch anzubringen, wo die Okularlinsen hineingeschüttet werden. Übrigens konnte ich von keenem Gemüsehändler diese Sorte von Linsen bekommen, und so habe ich die Sache bis off weiteres einstweilen liegen lassen.“

Da brachen Fred und die beiden Snuffles in ein so schallendes Gelächter aus, daß der ernste Komantsche sich schnell herumwendete und sie erstaunt ansah. Frank aber machte sein zornigstes Gesicht und rief:

„Silicium! Schweigt schtille! Hört euer Hohngelächter nich sofort off, so richte ich unter euch Semmelbrüdern een Blutbad an, wie Muhammed der Zweete unter den Karthagern! Ihr haltet euch wohl für klug und weise? Ich sage euch, an eurer fadenscheinigen Philosophie sind ooch schon die Knopplöcher offgerissen, und eure ganze Klugheet schmeckt nach Rizinusölpomade! Ihr habt über meine Camera procura gar nichts zu lachen! Sie war ganz richtig konsterniert, und ich als Forschtbeamter hatte keene Zeit, mir die Linsen selber zu erbauen. Ich habe euch zwar längst durchschaut, aber eure mangelhafte Frequenz mit Großmut ertragen, weil ich hoffte, aus euch doch noch was Ordentliches machen zu können; aber jetzt kommt mir die Überzeugung, daß an euch Hopfen und Malz verloren ist. Ich verlasse euch abermals und schüttle den Schtoob von meinen Füßen. Euer Hohn erfordert Rache. Ich gehe, aber – manus manum lavendat, zu deutsch: Meine Hand wäscht euch schon noch die Köpfe mit Lavendel. Wartet es nur ab! Ho-ho-hohowgh!“

Er hatte sich in den größten Grimm hineingesprochen, stampfte sich den Sand von den Füßen, warf ihnen das letzte, indianische Wort mit wütender Gebärde zu und eilte dann fort, um hinter dem Gebüsch zu verschwinden und sie auf diese Weise durch die Entziehung seines Anblickes exemplarisch zu bestrafen.

in einen solchen Zorn war er noch nie geraten. Das Gelächter schwieg, und Fred meinte in bedauerndem Tone –

„Ich dachte nicht, daß er es gar so übelnehmen würde. Das müssen wir durch ganz besondere Höflichkeit ausgleichen.

Er ist eine Seele von einem Menschen, und sein famoses Sophistisieren macht ja nur Spaß und keinen Schaden.“

Er erzählte den beiden Snuffles alles, was er über den Hobble-Frank wußte, und stimmte dieselben günstig für den kleinen Sonderling. Dann kam die Rede natürlich wieder auf den Tornado und die demselben vorhergehende Erscheinung des Geistes der Llano. Die Drei waren keineswegs ungebildete Männer; besonders besaß Fred mehr als gewöhnliche naturwissenschaftliche Kenntnisse; sie waren überzeugt, es nur mit einer optischen Erscheinung zu thun zu haben, aber sie verstanden es nicht, dieselbe wissenschaftlich genau zu erklären.

Darüber verging die Zeit, und die Nacht brach an. Es wurde so dunkel, daß man nicht fünf Schritte weit zu sehen vermochte. Nun kam Frank wieder herbei. Er wollte in solcher Finsternis und an solchem Orte nicht allein sein; aber sein Zorn war noch nicht vollständig verraucht. Er sprach kein Wort und streckte sich auch nicht neben den anderen, sondern in gewisser Entfernung von ihnen nieder, lauschte aber sehr aufmerksam auf ihre Reden. Sie hörten es seinen Bewegungen an, daß er zuweilen auffuhr, um einen Einwand loszulassen, wenn einer etwas geäußert hatte, was er besser zu wissen und zu verstehen vermeinte; aber er legte sich doch immer wieder nieder. Die Lust, zu schmollen, war bei ihm doch noch größer als der Hang, mit seinen eingebildeten Kenntnissen zu prahlen.

Die Luft war mittlerweile rein geworden und ließ sich leichter atmen als vorher. Eine leichte Prise hatte sich aus Südwest erhoben und war nach der Hitze des Tages von sehr angenehmer Wirkung. Einige Sterne standen am Himmel, welche den an der Erde Liegenden die Zeit andeuteten.

Sie sprachen nicht mehr miteinander. Sie gaben sich Mühe, einzuschlafen. Eine Störung durch irgend ein feindliches Wesen war nicht wahrscheinlich, und Old Shatterhand konnte jetzt noch nicht erwartet werden. Die Weißen schliefen auch wirklich ein; aber der Komantsche starrte mit offenen Augen gegen den Himmel, obgleich er während der letzten Nacht keine Minute lang geschlafen hatte. Der Tod oder vielmehr die Ermordung seines Vaters beschäftigte seine junge, nach Rache lechzende Seele.

So verging Viertelstunde um Viertelstunde. Da plötzlich wurden die Schlafenden durch einen lauten Ausruf des Indianers geweckt. Sie fuhren in sitzende Stellung empor.

„Mava tuhschta – seht dorthin!“ sagte er, nach Süden deutend.

Sie sahen trotz der Dunkelheit seinen ausgestreckten Arm und blickten in die angegebene Richtung. Dort, wo der Himmel am Horizonte auflag, zeigte sich in Gestalt eines schmalen, langen Kreisabschnittes eine dämmernd helle Stelle. Sie machte gar nicht den Eindruck von etwas Außergewöhnlichem, erregte aber doch die volle Aufmerksamkeit der Männer.

„Hm!“ brummte Jim. „Wenn das im Osten wäre, so würde ich glauben, wir hätten so lange geschlafen, daß dort der Tag zu grauen beginne.“

„Nein,“ meinte sein Bruder Tim. „Das Tagesgrauen ist ganz anders. Die Grenzlinien dieser hellen Stelle sind zu scharf.“

„Eben weil es dunkle Nacht ist.“

„Aber eben weil es dunkle Nacht ist, kann der Morgen noch nicht grauen. Tag und Nacht fließen ineinander; dort aber giebt es feste Konturen.“

„Es müßte ein Feuer sein?“

„Ein Feuer in der Llano, in welcher es kein Holz gibt? Hm! Was sollte da brennen? Der Sand etwa? Das wäre etwas mir ganz Neues.“

„Das ist freilich wahr. Wenn nun gar noch der Sand zu brennen anfangen wollte, das wäre für uns freilich das höchste der Gefühle. Da könnten wir uns nur schleunigst aufsetzen und davonreiten. Aber wie willst du dir die Sache sonst erklären?“

„Weiß es auch nicht. Übrigens wird die helle Stelle immer größer. Und dabei dreht sich der Wind. Er kam aus Südwest.

Jetzt kommt er gerade aus West und wird stärker und kälter. Was hat das zu bedeuten?“

„Ein Nordlicht ist’s auf keinen Fall,“ sagte Fred. „Und von Südlichtern hat man hier ja wohl noch nichts wahrgenommen.“

Frank hatte bisher geschwiegen; nun aber mußte er reden, sonst hätte es ihm das Herz abgedrückt.

„Diese lichte Schtelle des Horizontes hat was zu bedeuten,“ sagte er. „Sie hängt jedenfalls mit dem Avenging-ghost zusammen. Vorhin is er nach Süden geritten. Vielleicht hat er dort sein Wigwam und sitzt bei seinem Lagerfeuer.“

Die anderen hätten am liebsten wieder gelacht; sie bezwangen aber den Reiz dazu. Fred antwortete:

„Meinst du, daß ein Geist sich ein Lagerfeuer anbrennt?“

„Warum nich? Bei so eenem kalten Winde, wie er jetzt weht?“

Die Luft wurde allerdings schärfer. Sie folgte der Windrose immer weiter nach Norden. Und da unten im Süden stieg die Helligkeit höher und immer höher. Es war, als ob dort die Scheibe eines mächtig großen Gestirnes aufgehe. Sie bildete jetzt beinahe einen Halbkreis, welcher im Innern einen blutig roten Kern hatte, der sich nach außen hell und heller färbte und dann von einer Bogenlinie eingeschlossen wurde, an welcher sich dunkle Wolkenmassen und sprühende Feuerballen durcheinander zu wälzen schienen.

Das Ganze gewährte einen schaurig-prachtvollen Anblick. Die fünf Männer standen staunend. Sie wagten kaum zu sprechen.

Der Wind kam jetzt genau aus Norden. Er hatte sich in Zeit von einer Viertelstunde um den halben Horizont gedreht. Doch gab es dabei kein Sausen und Brausen; er strich vielmehr mit heimtückischer Stille nach der so großartig erleuchteten Himmelsgegend zu. Und dabei war er so kalt, daß man sich hätte in einen Pelz hüllen mögen.

„Das sollte Old Shatterhand sehen!“ sagte der Juggle-Fred. „Leider kann er noch nicht zurück sein, denn es ist jetzt gerade Mitternacht.“

„Mitternacht!“ stieß der Hobble-Frank hervor. „Das is die Geisterschtunde. Da wird gewiß dort, wo es brennt, was Grausiges passieren!“

„Was soll da, außer dem Feuer, Schreckliches geschehen?“

„Frag doch nich so verkehrt! Um Mitternacht öffnet sich der Orkus, und die Geschpenster schteigen heraus. Da treiben sie eene ganze Schtunde lang allerhand Unfug. Ich kenne das, denn ich habe sogar des Nachts die Oogen offen. Wie jedes Land und Volk seinen Charakter hat, so haben ooch die Geschpenster jeder Gegend ihr besonderes Temperament und ihre besonderen Liebhabereien. In der eenen Gegend drehen sie den Menschen den Hals um, und in der anderen würgen sie die Leute an den Kreuzwegen ab. Die Sachsen sind die gemütlichsten Leute, und darum gibt es dort die urgemütlichsten Geschpenster. Über das, was sie treiben, singt der Dichter des Elbgaues zu seiner Apolloharmonika:

Am dunkeln Rabenschteen da drüben
Bei Königschteen und Pärne,
Da thun die Geister Kegel schieben;
Das sieht mer gar nich gerne.

Wer aber weeß denn, was die hiesigen Geister für eene besondere Passion haben. Es können gerade die allergefährlichsten und allerschlimmsten sein, die es gibt. Darum wollen wir uns in acht nehmen und – – Herr Jemerschnee, habe ich nich recht gehabt? Guckt mal hin! Dort kommt er geritten!“

Er rief die letzteren Worte im Tone des Entsetzens aus. Und das, was jetzt geschah, konnte allerdings selbst dem furchtlosesten Menschen ein Grauen einjagen. Der Geist der Llano estakata erschien abermals.

Wie bereits gesagt, bildete die fremdartige Lichterscheinung jetzt einen gewaltigen Halbkreis am südlichen Himmel. Da, wo der Bogen dieses Halbkreises links auf dem Horizonte lag, erschien jetzt plötzlich die Gestalt eines riesigen Reiters. Das Pferd war schwarz, aber der Reiter war weiß. Er hatte die Gestalt eines Büffels. Man sah ganz deutlich den Kopf mit den beiden Hörnern, den Nacken mit der struppigen, halblangen Mähne, welche hinterher flatterte, und den Leib, welcher sich nach rückwärts mit dem Hinterteile des Pferdes vereinigte. Die Konturen dieses Bildes waren von lichtfunkelnden Linien eingefaßt.

Das Pferd befand sich in geradezu rasendem Galopp. Es bewegte sich nicht etwa auf einer ebenen Linie, also auf dem Durchmesser dieses lodernden Halbkreises, sondern es stieg innerhalb des Kreisbogens empor und galoppierte längs desselben weiter. Es hatte ein Stück Boden unter sich, der ihm auch stets unter den Füßen blieb.

So jagte es in runder Linie aufwärts bis zum höchsten Punkte und dann an der rechten Seite der glühenden Halbscheibe wieder herab bis da, wo der Kreisbogen den Horizont berührte. Dort verschwand es so plötzlich, wie es erschienen war.

Den Zuschauern war es trotz der kalten Luft, welche sie umwehte, glühend heiß geworden. War da an Täuschung zu denken? Nein, das war die reine, unbestrittene Wahrheit. Sie fanden keine Worte, ihren Gefühlen Ausdruck zu geben. Selbst der bedächtige Komantsche ging aus sich heraus und rief ein „Uff“ nach dem andern. Was sie sprachlos machte, das öffnete ihm den Mund zu diesen Ausrufungen.

Sie standen da und warteten, ob die Erscheinung sich vielleicht wiederholen werde – vergebens. Eine Zeitlang loderte der Halbkreis noch in gleicher Stärke fort; dann verlor sein Bogen die bisherige Schärfe und seine Lichter begannen zu verdunkeln.

Da ertönte hinter ihnen weicher Hufschlag im Sande. Reiter kamen, hielten bei ihnen an und sprangen von den Pferden. Der vorderste von ihnen war Old Shatterhand.

„Gott sei Dank, daß ihr noch lebt!“ rief er aus. „Ich glaubte euch verloren und war vollständig überzeugt, eure Leichen aus dem Sande graben zu müssen.“

„So schlimm hat der Tornado uns denn doch nicht mitgespielt,“ antwortete Fred. „Wir sind von ihm nur gestreift worden, Sir. Ihr müßt euch außerordentlich beeilt haben; wir konnten euch jetzt noch nicht erwarten.“

„Ja, wir haben einen wahren Parforceritt gehabt. Es galt, euch zu retten. Darum ist auch Master Helmers mit seinen Knechten mitgekommen, wie ihr seht. Wir hatten große Sorge um euch. Der Tornado ist hart an Helmers Home vorübergegangen. Wir sahen die Verwüstungen, welche er angerichtet hat, und mußten aus der Richtung, welche er zurückgelegt hatte, mit Bestimmtheit vermuten, daß er auch euch getroffen habe. Glücklicherweise ist er ziemlich gnädig mit euch umgesprungen.“

Auch die anderen gaben ihrer Freude Ausdruck. Es waren Jenuny, Davy, Bob und Helmers mit einigen Knechten. Die zwei Erstgenannten hatten von Old Shatterhand die Anwesenheit der beiden Snuffles erfahren. Sie freuten sich des Zusammentreffens mit ihnen, machten aber wenig Worte darüber, denn es gab Wichtigeres zu besprechen.

Fred berichtete in Kürze über das zweimalige Erscheinen des Geistes. Jemmy und Davy schüttelten still die Köpfe. Sie wollten den Erzähler nicht durch die Äußerung eines Zweifels beleidigen. Helmers meinte:

„Was Ihr da berichtet, Sir, muß wahr sein, denn zehn Augen haben es gesehen; aber begreifen und erklären kann ich es nicht. Es wird wohl keinen Menschen geben, welcher unumstößlich nachzuweisen vermag, ob wir es mit einem Trugbilde oder einem wirklich existierenden Wesen zu thun haben.“

„O ja, diesen Menschen gibt es freilich, und der bin ich selber!“ antwortete der Hobble-Frank. „Von eener trügerischen Kompression kann keene Rede sein, denn die Geschtalten sind von uns in perplexer Vollendung gesehen worden. Der Geist is een überirdisches Wesen, welches durch die Luft zu reiten vermag. Wir schtehen in diesem Oogenblicke mitten in der mitternächtigen Geschpensterschtunde, was der Yankee Ghostly-hour nennt; dieser Umschtand erklärt die ganze Erscheinung und is der sicherste Beweis, daß wir es mit eener abgeschiedenen Seele aus der jenseitigen Himmelsgegend zu thun haben. Ich gloobe nich, daß jemand es wagen wird, mir zu widerschprechen!“

Er hatte sich geirrt, denn Old Shatterhand klopfte ihm auf die Achsel und sagte, allerdings in freundlichem Tone:

„Was hätte man denn zu erwarten, wenn man einen Widerspruch wagte, lieber Frank?“

„Hm, das wäre verschieden, je nach der Persönlichkeet. Jeden anderen würde ich mit meinen Beweisen förmlich niederschmettern, so daß seine wissenschaftliche Existenz für immer und ewig vernichtet wäre. Aber wenn Sie selbst mal eene kleene, bescheidene Frage riskieren, so bin ich ausnahmsweise bereit, Ihnen den gewünschten Aufschluß in möglichster Freundlichkeet zu erteilen.“

„Einen Aufschluß fordere ich nicht von Ihnen. Daß die Erscheinung das zweite Mal in der Mitternachtsstunde stattgefunden hat, ist kein Beweis ihres überirdischen Ursprunges, denn vorher war sie ja am hellen Tage zu sehen. Wollen Sie mir eine ausführliche Beschreibung des ganzen Vorganges geben, so bin ich überzeugt, ihn zur Genüge erklären zu können.“

„Das möchte ich beschtreiten; aber da Sie es sind, so will ich Ihnen die Schilderung liefern, denn Sie sind von allen Anwesenden der eenzige, der mir komponieren kann.“

Der kleine Sachse gab eine ganz vorzügliche und sehr ausführliche Beschreibung der zweimaligen Geistererscheinung. Old Shatterhand warf zuweilen eine Frage dazwischen.

Indessen sank im Süden der Lichtschein immer tiefer und erbleichte mehr und mehr Er schien ganz verschwinden zu wollen. Einige Minuten lang lag er nur noch wie ein blasser Schimmer auf dem Horizonte; dann aber wurde er plötzlich wieder heller, stieg aber keineswegs zunächst wieder zur früheren Höhe empor, sondern lief wie an einer funkensprühenden Lunte immer weiter nach Wesen hinüber. Dort blieb er halten und bildete sich mit ungeheurer Schnelligkeit zu einem Flammenmeere aus, welches den halben Himmel erleuchtete.

„Alle Teufel!“ rief Frank aus. „Da geht die Geschichte schon wieder los! So eene Geisterschtunde habe ich noch nich erlebt. Diese Feuer sind übernatürlichen Urschprunges, denn – – –“

„Unsinn!“ unterbrach ihn Old Shatterhand. „Die Sache ist sehr leicht zu erklären. Das Feuer dort ist ein ganz natürliches.“

„Was sollte denn da brennen?“

„Verdorrtes Kaktus. Es gibt bekanntlich in der Llano meilenweite Strecken, welche so dicht mit Kaktus bedeckt sind, daß kein Reiter hindurchkommen kann. Sind die Pflanzen vertrocknet, so genügt ein einziger unvorsichtiger Funke, um in wenigen Augenblicken ein wahres Feuermeer zu erzeugen.“

„Das ist wahr,“ stimmte Helmers bei, „und ich weiß ganz gewiß, daß im Süden und Westen von hier sehr bedeutende Kaktusstrecken liegen.“

„Nun, so haben wir also zunächst eine Erklärung für das Feuer, und die beiden vermeintlichen Gespenster werden wir auch bald beim Kragen nehmen.“

„Oho!“ fiel der Hobble-Frank ein. „Vermeintliche Geschpenster? Es waren wirkliche. Und wie kommen Sie off die Idee, daß es zwee Geister waren?“

„Das ist aus den Gestalten zu ersehen. Das erste Gespenst, welches am Tage erschien, war der sogenannte Dragoneroffizier. Wer das zweite gewesen ist, kann ich freilich noch nicht sagen. Ich kenne niemand, der ein weißes Büffelfell trägt.“

„Jetzt lassen Sie mich mal in Ruhe, Herr Old Shatterhand! Ich habe zwar gesagt, daß Sie der eenzige sind, von dem ich mir komponieren lasse, aber doch nur eenigermaßen. Keen Mensch kann da oben am Himmel hinreiten, und das is doch geschehen, wie wir fünf mit deutlichen Oogen gesehen haben.“

„Ja, die Bilder haben sich in der Luft bewegt; die Originale aber sind unten auf der Erde geritten.“

„Die Bilder? Na, jetzt hört alles und verschiedenes off ! Ich hab all mein Lebtage noch nich gehört, daß Bilder reiten können, noch dazu durch den sauern Stoff der Atmosphäre! Wie sollen denn diese Bilder eegentlich entschtanden sein?“

„Durch mehrere verschieden erwärmte Luftströmungen, wie sie z. B. dort bei dem Feuer entstehen.“

„So! Also Bilder entschtehen durch Schtrömungen der Luft! Das is mir was ganz Neues. Bisher gloobte ich, sie könnten nur mit Hilfe des Bleischtiftes, des Kontramarineblau oder der Photographie entschtehen.“

„Nicht auch durch einen Spiegel?“

„Ja, das hatte ich vergessen.“

„Nun, die Luft wirkt unter Umständen gerade so wie ein Spiegel.“

„So! Ja, das leuchtet mir eher ein, denn in der Lehre von den Luftspiegelungen bin ich der bedeutendste unter den Meestern.“

„Schön! dann werden Sie auch zugeben, daß Ihre Geister nur Luftspiegelungen waren, gerade so, wie –—“

Er hielt inne. Seine Aufmerksamkeit wurde jetzt auf das Feuer gelenkt, welches in dunkelroter Glut am Horizonte stand, und eine Decke durcheinanderwogender Wolken über sich trug. Und höher noch als diese Wolken, aber diesseits des Feuers und frei schwebend im Luftraume entwickelte sich jetzt das verkehrte Bild einer ebenen, glühend rot erleuchteten Landschaft. Da, wo sie links begann, kam ein Reiter aus dem Dunkel hervor, ganz genau derselbe, welchen die Männer vorhin gesehen hatten, mit einem Büffelfelle, aber eben in verkehrter Stellung, mit dem Kopfe nach unten.

„Gerade so, wie diese dort!“ fuhr Old Shatterhand fort, indem er auf die Spiegelung deutete.

Er hatte noch nicht ausgesprochen, so ließ sich ein zweiter Reiter sehen, welcher dem ersten nachjagte.

„Herrjemineh!“ schrie der Hobble-Frank. „Das is doch der von heute Nachmittag, der beim Tormenado offtauchte!“

„So! Ist er es?“ antwortete Old Shatterhand. „Sie werden mir nun recht geben, daß es sich um zwei ganz verschiedene Erscheinungen handelte. Und da kommen auch noch mehrere!“

Hinter der letzterwähnten Gestalt folgten jetzt noch fünf oder sechs Reiter, alle im Galopp, aber verkehrt, mit den Köpfen nach unten.

„Jetzt wird mir’s bald zu bunt!“ meinte der Hobble-Frank. „Befände ich mich alleene, so gloobe ich, ich ferchtete mich riesig. Ich danke och schäne für solche Ghostly-hours! Ich habe zwar von Geschpenstern gehört, welche durch die Nacht reiten und dabei ihren Kopp unterm Arm tragen; aber daß sie nun gleich gar alle off den Köppen reiten, das is mir denn doch zu bunt.“

„Das ist gar nichts so Schreckhaftes. Die vorigen Bilder wurden mehrere Male, das jetzige aber nur einmal gebrochen. Übrigens werden wir sofort die Bekanntschaft dieser Geister machen. Schnell auf die Pferde, Mesch’schurs! Ganz gewiß ist der vorderste Reiter der sogenannte Geist der Llano estakata. Er wird von den anderen verfolgt, und da er ein braver Kerl ist, wollen wir uns seiner ein wenig annehmen.“

„Sind Sie toll!“ rief Frank. „Das wäre die reene Versündigung an der Geisterwelt. Bedenken Sie doch nur, was der unschterbliche Goethe spricht:

Der Mensch versuche die Götter nicht Und begehre nimmer und nimmer zu schauen Die Geister mit ihren Kindern und Frauen!“

Aber die anderen hörten nicht auf ihn; sie gehorchten der Aufforderung Old Shatterhands. Ihr Vertrauen zu diesem Manne sagte ihnen, daß er weder etwas Gefährliches, noch etwas Lächerliches von ihnen verlangen werde.

„Nehmen wir auch die Packpferde mit?“ fragte Helmers.

„Ja, wir werden wohl schwerlich alle nach hier zurückkehren. Ihr solltet uns allerdings nur bis hierher begleiten; unter den jetzigen Umständen aber werdet Ihr uns wohl gern noch eine Strecke begleiten.“

„Natürlich! Möchte doch gar zu gern ein Wort mit dem Avenging-ghost sprechen.“

Die zwei Packpferde, welche Helmers mitgebracht hatte, wurden von den Knechten an den Leitzügeln genommen. Auch Frank stieg auf. Es war nicht die Furcht, sondern nur sein alter Widerspruchsgeist, welcher ihn zu seinem Sträuben veranlaßt hatte. Die Truppe setzte sich in Bewegung und jagte in Karriere über die Ebene dahin.

Sobald die Reiter ihren bisherigen Standort verlassen hatten, verschwand die Lufterscheinung. Nur noch das hochlodernde Feuer war zu sehen.

Voran ritt Old Shatterhand, hart hinter sich die beiden Snuffles, deren Maultiere wie besessen dem Rappen des berühmten Jägers folgten. Dieser letztere nahm seine Richtung nicht direkt nach dem Feuerscheine, sondern mehr nördlich desselben hin. Er konnte sein Ziel nicht sehen; er mußte dasselbe berechnen. Und das war sehr schwierig, da die Spiegelung, welche zudem nun verschwunden war, ihm keinen sicheren Anhalt bot, und die Reiter, welche er suchte, sich mit großer Schnelligkeit fortbewegten.

Die kleine Schar flog wie die wilde Jagd dahin. Old Shatterhand mußte seinem Rappen Einhalt thun, sonst hätten die anderen ihm nicht folgen können. In zehn Minuten wurden wohl drei englische Meilen zurückgelegt. Dennoch war nicht zu bemerken, daß man sich dem Feuer nähere, dessen Helligkeit sich eher zu verstärken als zu vermindern schien.

Noch zehn Minuten vergingen. Da stieß Old Shatterhand einen lauten Ruf aus und erhob den Arm, um von der jetzigen Richtung ab ein wenig nach rechts zu deuten.

Von dorther näherten sich zwei Punkte, voran ein hellerer, welchem ein dunklerer folgte. Weiter zurück gab es eine Mehrheit solcher dunkler Punkte, welche das Bestreben hatten, sich in gleicher Schnelligkeit mit den beiden anderen fortzubewegen. Das waren lauter Reiter.

Der Schein des Feuers fiel von seitwärts hinten auf sie und ließ die zottige Gestalt des vordersten schon von weitem ziemlich deutlich erkennen. Old Shatterhand hielt sein Pferd an und sprang aus dem Sattel.

„Steigt ab!“ rief er den anderen zu. „Da wir aus dem Dunkel kommen, hat man uns noch nicht gesehen, während wir sie gegen das Licht hin deutlich vor Augen haben. Unsere Pferde mögen sich legen. Aber sobald ich wieder aufsteige, thut ihr dasselbe.“

Sie gehorchten seiner Aufforderung.

Old Shatterhand hatte wohlweislich eine etwas vertiefte Stelle gewählt, welche im Schatten lag. Als die Pferde lagen und die Reiter sich neben denselben niedergekauert hatten, war es für einen, welcher, aus dem Feuerscheine kommend, in die Dunkelheit hineinritt, gar nicht möglich, sie eher zu sehen, als bis er bei ihnen anlangte.

Sie hingegen konnten das vor ihnen liegende Terrain bequem überblicken. Der vorderste Reiter war vielleicht noch sechshundert Schritte von ihnen entfernt; halb so weit hinter ihm folgte der zweite, und in gleicher Entfernung kamen dann die anderen sechs.

„Was thun wir mit ihnen, Sir? Schießen wir sie nieder?“ fragte Helmers.

„Nein. Sie haben uns nichts gethan, und ich vergieße Menschenblut nur dann, wenn ich gerechte Ursache dazu habe. Nur mit dem ersten Verfolger möchte ich ein Wörtchen reden. Laßt mich vorerst meine Sache allein machen. Ihr habt dann nichts anderes zu thun, als die sechs davonzujagen.“

Er wand den Lasso los, welchen er sich um die Hüften geschlungen hatte. Das eine Ende desselben, an welchem sich ein Knoten befand, befestigte er an dem Sattelknopfe seines ruhig im Sande liegenden Pferdes. Das andere Ende mit einem Ringe formte er zu einer Schleife, groß genug, sich um den Körper eines Menschen zu legen. Den übrigen Teil des fünffach geflochtenen und wohl zwanzig Ellen langen Riemens wand er sich zwischen dem Daumen und Zeigefinger hindurch und über den Ellbogen weg in Schlingen, die er in die linke Hand nahm, während er die vorderste Schleife in der rechten behielt, so daß er den Ring mit Daumen und Zeigefinger gefaßt hatte.

Das war so schnell gegangen, daß er mit dieser Vorbereitung noch vor dem Erscheinen des ersten Reiters fertig war. Die Nahenden ritten nämlich gerade auf die Vertiefung zu.

jetzt hörte man den Hufschlag des ersten Pferdes. Es war ein hochgebauter Rappe. Der Reiter trug den Schädel eines weißen Büffels auf dem Kopfe, von welchem das zottige Fell weit über die Kruppe des Pferdes herunterhing. Sein Gesicht steckte so tief im Schädel, daß es nicht zu erkennen war.

Als er sich ungefähr noch zehn Schritte von der Vertiefung befand, erhob sich Old Shatterhand. Der Reiter sah ihn augenblicklich, konnte aber sein Pferd nicht schnell genug halten, so daß es erst stand, als er sich kurz vor Old Shatterhand befand.

„Halt! Wer bist du?“ fragte der letztere.

„Der Geist der Llano,“ erklang es dumpf unter dem Büffelschädel hervor. „Und du?“

„Ich bin Old Shatterhand. Steige getrost ab. Wir beschützen dich!“

„Der Avenging-ghost bedarf keines Schutzes. Ich danke euch!“

Nach diesen Worten trieb er sein Pferd weiter. Das Wechseln der wenigen Worte hatte nur einige Augenblicke in Anspruch genommen. Dennoch war infolgedessen der zweite Reiter schon nahe herangekommen. Old Shatterhand stellte sich über den Leib seines am Boden liegenden Pferdes, den einen Fuß rechts und den anderen links vom Sattel, den Lasso in beiden Händen. Ein leichtes Schnalzen seiner Zunge und das vortrefflich dressierte Pferd sprang mit einem Rucke empor. So hielt er jetzt da, gerade wie aus der Erde gewachsen.

Der zweite Reiter erschrak vor der sich ihm so plötzlich in den Weg stellenden Gestalt. Auch er konnte sein Pferd nicht so schnell parieren, wie er wollte; er hatte es bedeutend weniger in der Gewalt, wie der „Geist“ das seinige. Es schoß bis nahe zu Old Shatterhand heran.

„Haltet an!“ gebot dieser. „Wer seid Ihr?“

„Thunderstorm! Old Shatterhand!“ entfuhr es dem Manne. „Hol‘ Euch der Teufel!“

Er gab seinem Pferde die Sporen, um fort zu eilen.

„Ihr bleibt, sage ich!“ gebot ihm der Jäger. „Ich möchte mir Euer Gesicht einmal ansehen.“

„Später, wenn es mir besser paßt!“

Damit schoß er fort. Aber Old Shatterhand war sofort hinter ihm her.

Als der Reiter seine letzten Worte im Tone des Hohnes ausgesprochen hatte, war der junge Komantsche von der Erde aufgesprungen.

„Uff!“ rief er aus. „Diese Stimme kenne ich. Auch Eisenherz hat mit diesem Manne zu sprechen.“

Er erhob sein Gewehr, legte an und zielte, doch ließ er es sofort wieder sinken, indem er sagte:

„Old Shatterhand hat ihn schon!“

Der Flüchtige war kaum zehn Pferdesprünge weit gekommen, so wirbelte Old Shatterhand, der ihm auf der Ferse war, die Schleife des Lasso vier-, fünfmal, um den Kopf und schleuderte sie dann nach dem Reiter. Der Riemen lief leicht von den Schlingen ab, welche Old Shatterhand locker in der linken Hand hielt, und die Schleife fiel dem Fliehenden genau um beide Schultern. Sofort hielt Old Shatterhand sein Pferd an. Da der Lasso am Sattel befestigt war, so lief der Riemen schnell ab, die Schlinge zog sich um den Reiter zusammen, und der letztere wurde vom Pferde gerissen.

Sofort sprang Old Shatterhand von dem seinigen und eilte hin zu ihm. Der am Boden Liegende konnte sich nicht befreien, da ihm die beiden Arme fest an den Leib gezogen worden waren.

Inzwischen gab es hinter diesen beiden eine weitere Szene. Die übrigen sechs Reiter waren nahe herbeigekommen, und darum hatten die Gefährten Old Shatterhands ihre Pferde aufspringen lassen und sich schnell aufgesetzt. Die sechs Männer staunten oder vielmehr erschraken nicht wenig, als sie so plötzlich eine so überlegene Anzahl von Reitern vor sich halten sahen. Sie bogen zur Seite ab, um an ihnen vorüber zu kommen. Da aber sahen sie, daß ihr Anführer durch den Lasso vom Pferde gerissen wurde. Sie fühlten sich zu schwach, ihm zu helfen, und stoben sofort auseinander und in verschiedenen Richtungen davon.

Dieses letztere Manöver führten sie aus, um die Verfolgung zu erschweren; aber es fiel keinem ein, dieselbe aufzunehmen. Old Shatterhand hatte es ja nicht gewollt. Übrigens daß sie flohen anstatt halten zu bleiben, das war ein sicheres Zeichen, daß sie kein gutes Gewissen besaßen. Man ließ sie ungehindert fort und begab sich zu ihrem noch am Boden liegenden Anführer.

Dieser war inzwischen von Old Shatterhand entwaffnet worden. Nun sagte derselbe zu ihm:

„Ihr hättet klüger gethan, meinem Befehle Folge zu leisten, Sir. Derjenige, dem ich zu halten gebiete, der hält unbedingt bei mir an, ob freiwillig oder gezwungen, eins von beiden. Wollt Ihr mir sagen, wer Ihr seid?“

Der Gefragte antwortete nicht.

„Auch diesen Gefallen wollt Ihr mir nicht thun? Ihr scheint Euch nicht recht sicher zu fühlen. Werden Euch also einmal in das Gesicht sehen.“

Er faßte ihn mit kräftigen Armen, hob ihn empor und stellte ihn so auf die Füße, das sein Gesicht gegen den Feuerschein gerichtet war.

„Alle Wetter!“ rief Helmers. „Das ist ja der famose Dragoneroffizier! Freut mich, Euch so bald wieder zu sehen! Euer Kleiderschrank da hinten zwischen den Büschen ist entdeckt und ausgeräumt worden, Sir! Ihr hattet ihn schlecht verwahrt; auch Eure Uniform ist gefunden worden. Was meint Ihr wohl, was man mit Euch machen wird?“

„Nichts könnt ihr mir thun!“ antwortete der Mann wütend. „Wer von euch will mir nachweisen, daß ihm das Geringste von mir geschehen ist?“

„Ja, darauf verlaßt Ihr Euch. Ausgeführt habt Ihr gegen uns direkt noch nichts. Die Pläne, welche Ihr hegtet, waren schlimm, und infolgedessen könnten mir Euch nach dem Gesetze der Prairie schon ein wenig scharf vornehmen. Aber wir sind keine Henker und lassen Euch also laufen.“

„Das müßt ihr, denn ihr könnt mir nichts beweisen.“

„O, beweisen könnten wir Euch doch einiges; doch ist das gar nicht nötig. Ich sage also, daß wir Euch laufen lassen, nämlich wir Weißen. Da aber steht ein Roter, welcher wahrscheinlich eine Rechnung mit Euch auszugleichen haben wird. Seht ihn Euch einmal an!“

Der Komantsche trat vor. Der Mann sah ihn an und sagte:

„Diesen Kerl kenne ich nicht.“

„Lüge nicht, Halunke!“ rief Tim ihn an. „Kennst du etwa auch mich und meinen Bruder nicht? Habt ihr nicht die beiden unschuldigen Komantschen überfallen, den einen getötet und den anderen dann verfolgt, bis es uns gelang, euch von der Fährte abzubringen? Wir haben euch dann verfolgt, und es war sehr klug von dir, uns jetzt geradezu in die Hände zu laufen. Du ersparst uns dadurch viele Mühe, und hoffentlich bildest du dir nun nicht mehr ein, dich von außen herum durch Lügen fortzuschlängeln. Mache es kurz und gestehe deine Schuld ein!“

„Ich weiß von keiner Schuld!“ knirschte der Gefangene.

Da legte Old Shatterhand ihm die Hand schwer auf die Schulter und sagte:

„Ihr seht, wie es steht, und ich nehme an, daß man mich Euch als einen Mann geschildert hat, mit welchem nicht zu scherzen ist. Was habt Ihr mit den Auswanderern vor, welche Euer frommer Master Tobias Preisegott Burton durch die Llano führen soll? Wo befinden sich jetzt diese Leute, und warum habt Ihr den Kaktus angebrannt? Wenn Ihr mir diese Fragen der Wahrheit gemäß beantwortet, habt Ihr ein mildes Urteil zu erwarten.“

Der Mensch war so verstockt, trotz dieses Versprechens beim Leugnen zu verharren.

„Ich weiß nicht, was Ihr wollt. Ich kenne diesen Indianer nicht, auch nicht diese beiden Kerls mit den fürchterlichen Nasen, am allerwenigsten aber einen Mann, welcher Tobias Preisegott Burton heißt. Von Auswanderern ist mir auch nichts bekannt.“

„Warum verfolgtet Ihr den Geist der Llano estakata?“

„Geist? Lächerlich! Der Kerl ist ein Halunke, welcher vorhin einen unserer Männer erschossen hat, mitten unter uns heraus und grad vorn in die Stirn.“

„Weiter habt Ihr uns nichts zu sagen?“

„Kein Wort.“

„So bin ich also mit Euch fertig. Eure Pläne werden zu schanden gemacht werden, denn wir nehmen die Auswanderer unter unseren Schutz. Ihr leugnet also nur zu Eurem eigenen Schaden. jetzt mag mein junger, roter Bruder sagen, wessen er diesen Mann anzuklagen hat.“

„Dieses Bleichgesicht hat den Häuptling Feuerstern, meinen Vater, in den Leib geschossen, woran er gestorben ist. Howgh!“

„Ich glaube dir. Darum gehört der Mörder von diesem Augenblicke an dir. Thue mit ihm, was dir gefällt!“

„Donnerwetter!“ rief der Gefangene. „Das ist kein großes Heldenstück von Euch. Ich bin vom Lasso zusammengeschnürt; da wird es dem Halunken freilich ein Leichtes sein, mich auszulöschen!“

Der Komantsche erhob den Arm zu einer verächtlichen Bewegung und sagte:

„Eisenherz nimmt keinen Skalp geschenkt. Er wird den Mörder richten; aber er wird dabei so handeln, wie es sich für einen tapferen Krieger geziemt. Meine Brüder mögen eine kleine Zeit verweilen l“

Er eilte fort, in das Dunkel der Nacht hinein, und kehrte bald darauf mit dem Pferde Stewarts zurück. Es war nach kurzem Laufe stehen geblieben, und die scharfen Sinne des Indianers hatten ihm gesagt, wo es zu finden sei.

Dieser letztere legte alle seine Waffen ab und behielt nur das Messer bei. Dann bestieg er sein Pferd und sagte:

„Meine Brüder mögen diesen Mann losbinden und ihm auch sein Messer geben. Dann mag er sich auf sein Pferd setzen und davon reiten, wohin es ihm beliebt. Eisenherz wird ihm folgen und mit ihm kämpfen. Die Waffen sind gleich: Messer gegen Messer, Leben gegen Leben. Ist Eisenherz nach einer Stunde noch nicht zurückgekehrt, so liegt er tot im Sande der Llano estakata.“

Der tapfere Jüngling wollte es so, und also mußte man ihm den Willen thun. Stewart erhielt sein Messer, wurde vom Lasso befreit und sprang in den Sattel. Er jagte mit den Worten davon:

„Hallo! Die Dummen werden nicht alle. Meinen Plänen könnt ihr nun nichts anhaben. Wir sehen uns wieder, und dann gnade euch allen Gott!“

Eisenherz stieß den schrillen Kampfesruf der Komantschen aus und schoß auf seinem Pferde wie ein Pfeil hinter ihm drein.

Die anderen blieben schweigend halten. Zwar wurden, als sie sich niedergesetzt hatten, einige Bemerkungen ausgesprochen, aber die Situation bedrückte jeden so, daß man lieber schwieg.

Eine Viertelstunde verging und noch eine. Das Feuer nahm an Stärke ab. Da hörten die Wartenden den galoppierenden Hufschlag mehrerer Pferde. Der Komantsche kehrte zurück, das Pferd seines Feindes am Zügel führend. Am seinem Gürtel hing ein frischer Skalp. Er selbst war unverwundet.

„Einen der Mörder hat Eisenherz seinem Vater nachgesandt,“ sagte er, indem er zu den Männern trat. „Die anderen werden diesem bald folgen. Howgh!“

Das war der blutige Schluß der heutigen Ghostly-hour

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Im Yuavh Kai

Im „Yuavh-Kai“

Da, wo die südöstliche Ecke von Neu-Mexiko in das Gebiet von Texas hereinstößt, befindet sich einer der gefährlichsten Winkel des fernen Westens. Dort berühren sich die Streifgebiete der Komantschen und Apatschen, ein Umstand, welcher die immerwährende Unsicherheit der Gegend zur natürlichen Folge hat.

Es kann zwischen diesen beiden Völkerschaften, so lange sie überhaupt noch bestehen, niemals zu einem aufrichtigen, dauernden Frieden kommen. Der gegenseitige Haß ist zu tief eingewurzelt, und selbst in Zeiten, in denen der Tomahawk des Krieges tief vergraben liegt, glimmt das verderbliche Feuer unter der Asche fort und kann bei der geringsten Veranlassung von neuem zu blutigem Rot aufflammen.

Diese stets nur auf kurze Zeit ruhende Feindschaft fordert die meisten Opfer natürlich da, wo die beiden Gebiete aneinander stoßen oder vielmehr ineinander laufen. Die Grenze bildet weder eine gerade Linie noch ist sie überhaupt fest bestimmt; darum kommen gegenseitige Anschuldigungen wegen Grenzverletzung außerordentlich häufig vor, und dann gehen gewöhnlich, um einen Ausdruck des Fürsten von Bismarck anzuwenden, „die Flinten ganz von selber los“.

The shears“ nennt der Westmann diese gefährlichen Gegenden, eine Bezeichnung, welche sehr zutreffend ist. Die Grenzlinien sind beweglich; sie öffnen und schließen sich wie Scherenklingen, und derjenige, welcher zwischen sie gerät, kann sich seines Glückes rühmen, wenn er heiler Haut entkommt. Der Weiße, welcher sich dort sehen läßt“ ist entweder ein kühner oder ein sehr unvorsichtiger Mann; in beiden Fällen kreist, der „Geier des Todes“ beständig über seinem Haupte. –

Da, wo der von den Teufelsbergen kommende Togahfluß in den Rio Pekos mündet, bildete zur betreffenden Zeit der letztere die Grenze zwischen dem Gebiete der Komantschen und Apatschen. Westlich von ihm steigt das Terrain zur Sierra Guadelupe, Sierra Pilaros und Sierra del Diablo empor, während im Osten von ihm die Staked Plains liegen – die berüchtigte Llano estakata.

Aber die Llano beginnt nicht sofort an seinem Ufer; sie ist vielmehr durch eine Bergkette von ihm getrennt, welche entweder als einfacher Höhenzug, oft aber auch in mehrfachen Zügen mit ihm nach Südosten streicht. Diese Züge schließen Längsthäler ein, welche meist ein sehr tristes Aussehen haben und von engen, schluchtartigen Querthälern durchschnitten werden, die sich nach der Llano öffnen.

Die Nähe des Flusses hat da, wo die Bodenverhältnisse es gestatten, eine zuweilen sogar üppige Vegetation zur Folge. Das Wort Wüste ist, gerade wie bei der Gobi und Sahara, so auch hier nicht im strengsten Sinne des Wortes zu nehmen. Da, wo der westliche Rand der Llano estakata sich zu den erwähnten Bergen erhebt, kommen verschiedene kleine Wasserläufe von den letzteren herab, welche zwar meist im Sande versiegen, aber auf ihrem Wege doch so viel Feuchtigkeit verbreiten und den angrenzenden Boden so durchtränken, daß an ihren Ufern Sträucher und sogar Bäume recht gut zu existieren vermögen. Diese grünen Stellen ragen gleich Halbinseln oder Landzungen in das Sandmeer der Llano hinein und bilden zwischen sich breitere oder schmälere, tiefere oder seichtere Busen, in denen Gras und Kräuter Nahrung finden.

Es geht sogar die Sage, daß es in der Mitte der Llano eine starke Quelle köstlichen Trinkwassers gebe, welches tief aus dem Erdinnern emporsteige und eine kleine, seeartige Fläche bilde, deren Ufer mit schattengebendem Baum- und Buschwerke eingefaßt sei. Alte Jäger hatten davon gesprochen, die Quelle und den See aber niemals selbst gesehen! Gelehrte Leute, welche davon gehört hatten, waren der Ansicht gewesen, daß das Vorhandensein von Wasser mitten in der Llano keineswegs als eine hydrographische Unmöglichkeit zu bezeichnen sei.

Am Ufer des Togahflüßchens saßen vier Männer, deren Aussehen nicht eben sehr vertrauenerweckend war. Ihre wirren, struppigen Kopf- und Barthaare hatten lange Zeit der Pflege entbehrt; ihre Anzüge befanden sich in einem Zustande, welchen jeder Flickschneider für unverbesserlich erklärt hätte, und ihre braunen Hände und vom Wetter gegerbten Gesichter schienen monatelang mit keinem Tropfen Wasser in Berührung gekommen zu sein. Desto besser aber waren sie bewaffnet, denn jeder von ihnen hatte einen Hinterlader neben sich liegen und neben dem Messer zwei Revolver im Gürtel stecken.

Drei von ihnen waren ganz gewiß Yankees. Ihre langen, hageren Gestalten, ihre nach vorn gebeugten, schmalbrüstigen Oberkörper und ihre scharfgeschnittenen Gesichtszüge bewiesen das. Aber welcher Nationalität der vierte angehöre, das war schwerer zu bestimmen.

Dieser Mann hatte eine untersetzte, breitschulterige Figur, außerordentlich große, breite Hände und ein ebenso in die Breite gehendes Gesicht mit sehr großen, weit abstehenden Ohren. Wer nur einen kurzen, oberflächlichen Blick in sein Gesicht warf, der konnte ihn leicht für einen Neger halten, denn sein Gesicht war schwarz oder vielmehr körnig blauschwarz, aber nur bis in die Gegend der Augen. Er pflegte den Hut so tief hereinzuziehen; sobald er ihn aber in den Nacken schob, konnte man sehen, daß die Gesichtshaut bis über die Nasenwurzel herab weiß war. Der Mann war jedenfalls durch explodierendes Pulver verbrannt worden.

Trotz der dadurch hervorgebrachten Entstellung seiner Züge hatte das Gesicht nichts geradezu Abstoßendes. Wer ihn genauer betrachtete, kam gewiß zu der Überzeugung, einen „guten Kerl“ vor sich zu haben.

Ganz ebenso war es mit den drei anderen. Wer sie in ihrem jetzigen Aufzuge in einer zivilisierten Gegend hätte sitzen sehen, der wäre ihnen gewiß weit ausgewichen, bei näherer Bekanntschaft aber mußte diese Scheu verschwinden.

Die vier Pferde weideten im Grase, welches reichlich zwischen den grünen Büschen stand. Man sah es ihnen an, daß sie sehr strapaziert worden waren. Das Sattel- und Zaumzeug war alt und an vielen Stellen nur notdürftig ausgebessert.

Ihre Herren hatten gegessen. Den in der Nähe zerstreuten Knochen nach war anzunehmen, daß sie sich ein Racoon an dem kleinen Feuer gebraten hatten, dessen Reste nur noch leise glimmten. Während sie sich nun unterhielten, unterließen sie es nicht, die Gegend öfters mit scharfen Blicken abzusuchen. Sie befanden sich eben in den „Shears“, wo die größte Aufmerksamkeit geboten ist.

„Nun wird es Zeit, uns zu entscheiden“, sagte derjenige Yankee, welcher der älteste von ihnen zu sein schien. „Reiten wir durch die Llano, so kommen wir eher ans Ziel, laufen aber mancherlei Gefahr und haben an diesem alten ‚Coon hier für Tage hinaus unser letztes Fleisch gegessen. Reiten wir aber am Rio Pekos hinab, so brauchen wir weder Hunger noch Durst zu leiden, machen aber einen Umweg von beinahe einer Woche. Was ist deine Meinung, Blount?“

Blount, welcher neben ihm saß, strich sich nachdenklich den Bart und antwortete dann:

„Wenn ich alles genau abwäge, so möchte ich vorschlagen, daß wir durch die Llano reiten, und ich denke, du wirst mir recht geben, Porter.“

„So laß uns deine Gründe hören!“

„Eine Woche ist eine lange Zeit, welche ich nicht gern versäumen möchte. Am Rio Pekos hinab haben wir die Apatschen und Komantschen zu fürchten, in den Plains aber die Llanogeier; das hebt sich gegenseitig. Wir haben nicht nötig, die ganze Breite der Plains zu durchmessen. Halten wir uns nach Südost, etwa gegen den Rio Contscho hin, so kommen wir auf die Karawanenstraße, welche von Fort Mason nach Fort Leaton führt, und haben weder eine schlimme Begegnung noch Hunger oder Durst zu fürchten. Das ist meine Meinung. Was sagst du dazu, Falser?“

„Ich stimme dir bei,“ antwortete Falser, der dritte Yankee.

„Ich bin überhaupt der Ansicht, daß die Estakata nicht halb so gefährlich ist, wie sie zu sein scheint. Wer sie einmal durchquert hat, der schildert, um sich nur recht rühmen zu können, die Gefahren in einer Weise, als ob sie die reine Hölle sei. Ich bin mit Vergnügen bereit, sie kennen zu lernen.“

„Eben weil du sie noch nicht kennst!“ meinte Porter, der erste Yankee.

„Hast etwa du schon ihre Bekanntschaft gemacht?“

„Nein; aber ich hörte Leute, an deren Wahrheitsliebe nicht zu zweifeln ist, in einer Weise von ihr reden, daß mich ein Schauer überlief. Jetzt, da wir uns an ihrer Grenze befinden, sehe ich erst ein, welches Wagnis wir unternehmen wollen. Keiner von uns kennt die Llano. Wenn wir uns verirren, wenn uns das Wasser ausgeht, wenn – – –“

„Wenn, wenn und abermals wenn!“ unterbrach ihn Blount. „Wer so viele Wenns zu sagen hat, der mag überhaupt nichts unternehmen. Du bist doch sonst ein mutiger Kerl; fürchtest du dich etwa jetzt?“

„Fürchten? Fällt mir nicht ein! Zwischen Vorsicht und Furcht ist ein ungeheurer Unterschied, und ich glaube nicht, daß ihr mich jemals ängstlich gesehen habt. Wir sind vier Personen. Dem, was die Mehrheit beschließt, muß Folge geleistet werden. Bevor man einen Beschluß faßt, muß man überlegen. Das habe ich gewollt, und das ist doch kein Grund, mich zu fragen, ob ich mich fürchte. Zwei haben ihre Meinung abgegeben; sie sind entschlossen, durch die Llano zu gehen. Jetzt sage du, Ben New-Moon, ob du dich ihnen anschließen willst oder nicht!“

Diese Aufforderung war an den Mann mit dem Pulvergesicht gerichtet. Er legte die Hand salutierend an die Hutkrämpe, gerade wie ein Soldat, welcher vor seinem Offiziere steht und antwortete:

„Zu Befehl, Master Porter! Ich reite überall mit hin, selbst wenn’s ins Teufels Küche wäre.“

„Das ist nichts gesagt. Ich will eine bestimmte Antwort. Den Rio Pekos hinab oder durch die Llano?“

„Dann bitte, durch die Llano, wenn’s Euch beliebt. Ich möchte diese alte Sandgrube doch gar zu gern kennen lernen.“

„Sandgrube? Täusche dich nicht, alter Mondonkel! Bildest du dir etwa ein, hüben hineinspringen und dann gleich drüben wieder heraussteigen zu können? Das Ding ist etwas größer, als du es dir vorzustellen scheinst. Du kannst vier oder auch fünf Tage lang reiten, bevor du dieses Sandfaß hinter dir hast. Und gerade wenn wir den südlichen Teil desselben durchschneiden, ist es sehr wahrscheinlich, daß wir auf Indianer treffen.“

„Mögen sie kommen! Ich habe noch nie einem Roten etwas zuleide gethan und brauche diese Leute also nicht zu fürchten. Und würden sie sich feindselig gegen uns verhalten, nun, so haben wir unsere guten Waffen. Vier kräftige Kerls, welche so viel Pulver gerochen haben wie wir, nehmen es gut und gern mit zwanzig und auch noch mehr Indianern auf.“

„Das ist sehr richtig. Was aber das Pulverriechen betrifft, so bist du uns um eine ganze Pferdelänge voraus. Es muß ja ein ganzes Pulverfaß vor deinem Gesichte explodiert sein!“

„Beinahe ist es so.“

„Wie ging das zu? Du hast es uns noch nicht erzählt. Ist eine Heimlichkeit dabei?“

„Gar nicht; aber ich habe keine Veranlassung, mich über die Sache zu freuen; darum spreche ich nicht von ihr. Es ging mir damals hart an das Leben. Wenigstens war es auf das Licht meiner Augen abgesehen, und wenn mein alter Freund, der Juggle-Fred, nicht gewesen wäre, so wäre ich jetzt geblendet oder gar tot.“

„Wie? Du kennst den Fred? Habe viel und oft über diesen Mann gehört.“

„Wir waren gute Kameraden und haben manchen Koup miteinander ausgeführt, bei welchem es anderen Leuten angst und bange geworden wäre. Möchte ihn gern einmal wiedersehen! Er scheint aber verschollen zu sein. Wer weiß, in welcher Prärie seine Gebeine bleichen. Habe ihm sehr viel zu verdanken von damals, als er den Plan des Stealing-Fox zu nichte machte.“

„Stealing-Fox?“ fragte Porter überrascht. „Also bist du auch mit diesem berüchtigten Spitzbuben zusammengetroffen?“

„Leider! Lernte ihn sogar genauer kennen, als mir lieb sein konnte. Der Kerl hieß Henry Fox, wenigstens nannte er sich so. Ob dies sein wirklicher Name war, weiß ich nicht, denn es ist zu vermuten, daß er sich verschiedener Namen bedient hat. Wo er auftauchte, war kein Mensch seines Pferdes, seiner Biberfallen, überhaupt seines Eigentums sicher, und niemals gelang es, ihm das Handwerk zu legen, denn er entwickelte eine Schlauheit, welche geradezu ihresgleichen suchte. Er versch