Der Königsschatz

Der Königsschatz

Der einstige Indianeragent lehnte sich, von der Erzählung ermüdet, in seinen Stuhl zurück, nahm die beifälligen Äußerungen der Zuhörer ruhig hin und gab ihnen auf die Fragen, die sie noch hatten, um sich dieses und jenes ergänzen zu lassen, die erwünschten Auskünfte. Als diese Erkundigungen aber gar kein Ende nehmen wollten, bat er:

„Laßt mich nun in Ruhe, Mesch’schurs! Ich habe die Geschichte nicht erzählt, um mir einen ganzen Korb voll Fragen an den Kopf werfen zu lassen, sondern um zu beweisen, daß die Weißen oft schlechter sind als die Roten und daß ich Winnetou, den Häuptling der Apatschen, kenne. Wenn ihr aufmerksam zugehört habt, so müßt ihr sagen, daß der Bahnüberfall und der von dem Kapitän und seinen Leuten geplante Schurkenstreich fast nur durch seinen Scharfsinn und seine Tapferkeit so glücklich abgeschlagen wurden. Er ist eben ein Mann, mit dem sich kein andrer Indianer und wohl selten ein Weißer zu vergleichen vermag. Seine Gestalt ragt über alle andern hoch empor, und wenn er einmal untergegangen sein wird, wie seine ganze, beklagenswerte Nation dem Untergange geweiht ist, sein Name wird nicht untergehen und vergessen werden, sondern noch im Munde unsrer Kinder, unsrer Enkel und Urenkel weiterleben.“

Well, da habt Ihr recht, Sir,“ stimmte ein alter Herr bei, der an einem Nebentische saß und der Erzählung mit größter Aufmerksamkeit gelauscht hatte; „doch wenn Ihr es erlaubt, daß ein Fremder eine Ansicht äußern darf, mit der er Euch aber nicht beleidigen will, so möchte ich eine Bemerkung machen.“

„Nach der Weise, wie Ihr Euern Wunsch vorbringt, kann ich nicht annehmen, daß es Eure Absicht ist, mich zu beleidigen. Also, Eure Bemerkung?“

„Ihr sagtet, die Apatschen seien durch ihre Feigheit und Hinterlist bekannt gewesen, hätten sich durch sie den Schimpfnamen Pimo zugezogen und wären nur, seit er ihr Häuptling ist, geschickte Jäger und tapfere, ja verwegene Krieger geworden.“

„Das habe ich allerdings gesagt. Seid Ihr nicht damit einverstanden?“

„Nein.“

„Warum?“

„Weil ich sie anders kenne, und weil ich sie schon gekannt habe, als Winnetou noch ein Kind war. Ja, es giebt einige Stämme unter ihnen, denen die Natur ihrer Wohnsitze nichts, gar nichts zu bieten vermag und die darum nicht bloß körperlich, sondern auch geistig heruntergekommen sind. Daran sind aber die Weißen schuld, die sie von ihren einstigen, besseren Jagd- und Weidegründen verdrängt haben und nun glauben, sie verachten zu dürfen. Von andern Stämmen aber, und besonders von den Mescaleros, darf man das ja nicht sagen. Die Mescaleros besonders haben stets, und seit man sie kennt, die Eigenschaften gepflegt, welche bei Winnetou so voll und ganz zur Geltung kommen.“

„Kennt Ihr diesen Stamm, Sir?“

„Ihn ganz besonders; ich kannte ihn, wie bereits gesagt, als Winnetou noch ein Kind war. Ich habe nie, weder unter den Roten noch unter den Weißen, einen so wahren, edlen, treuen und aufopferungsfähigen Freund besessen, wie Intschu tschuna war.“

„Intschu tschuna? War das nicht der Vater Winnetous?“

„Ja. Auch dieser edle Indsman wurde von Weißen ermordet, er und Nscho-tschi, seine Tochter, die Schwester Winnetous, diese schönste, beste und seelenreinste Tschargooscha der Apatschen!“

„Seid Ihr auch Westmann gewesen?“

„Was man Westmann nennt, eigentlich nicht. Ich bin, was man einen Gelehrten nennt, ohne mich aber für sehr gelehrt zu halten. Mein Lieblingsfach war das ethnologische, und meine Studien litten mich nicht daheim. Ich interessierte mich besonders für die rote Rasse und befand mich den größten Teil des Jahres auf der Wanderung von einem Volke zum andern. Da lernte ich die Indianer kennen und – – schätzen; sie kannten und achteten auch mich, denn sie wußten, daß ich nicht als Feind, sondern als Freund zu ihnen kam. Ich wurde ihr Lehrer und Berater in vielen Dingen, und sie unterwiesen mich dafür im Gebrauche der Waffen und in allen Fertigkeiten, die zum Kriege und der Jagd gehören, obwohl ich ein Mann des Friedens war; aber jagen mußte ich doch, um mich zu ernähren, und zuweilen kam ich auch in die Lage, mich gegen einen Feind wehren zu müssen, der aber meist kein Indianer, sondern ein Weißer war. Ihr habt vorhin behauptet, daß die Weißen schlimmer seien als die Roten, und ich gebe Euch da vollständig recht. Ich könnte Euch manches, gar manches erzählen, was ein sprechender Beweis für diese Behauptung ist.“

„So thut es doch, Sir! Gebt uns wenigstens eine Eurer Erfahrungen zum besten!“

„Hm! Das könnte ich wohl thun, wenn die andern Gentlemen es auch wünschen.“

„Natürlich wünschen sie es! Wir sind heut einmal beim Erzählen, und das ist höchst interessant. Nicht wahr, Mutter Thick?“

Die Wirtin, welche eben wieder einige volle Gläser gebracht hatte, antwortete, als diese Frage an sie gerichtet wurde:

„Das will ich meinen, Sir! Seht Euch doch einmal im Zimmer um! Alles lauscht nach Eurem Tisch, und es ist noch nie bei mir so still und friedlich zugegangen wie jetzt. Ich meine auch, daß eine solche Geschichte viel besser und genteeler ist, als wenn die Gentlemen sich miteinander zanken und balgen und mir dabei die Tische und Stühle zerschlagen und die Flaschen und Gläser zerbrechen. Also nur zu, Sir; laßt uns Eure Erzählung hören!“

Well!“ nickte der Ethnologe. „Wenn es Euch recht ist, so soll eine vom Stapel laufen, und ich will versuchen, es auch so hübsch und fließend zu machen wie die andern Masters vor mir. Also, es mag beginnen:

„Es war ein wunderbar schöner Junimorgen, eine wirkliche Seltenheit in jener weit entlegenen Ecke, welche der nordwestliche Winkel des Indianerterritoriums mit den geradlinigen Grenzen von Kansas, Colorado und Neu-Mexiko bildet. Es hatte während der Nacht ziemlich stark getaut; nun funkelten an Halmen und Zweigen brillantene Tropfen, und der eigenartige Duft des Büffelgrases und der kurzlockigen Grama erhielt eine so erquickende Frische, daß die Lunge das balsamische Cumarin in langen, tiefen Zügen einatmete.

Ein solcher Morgen pflegt auf die Stimmung des Menschen von wohlthätiger Wirkung zu sein, und doch ritt ich ziemlich verdrossen in den prachtvollen Tag hinein. Der Grund war ein sehr einfacher: mein Pferd ging lahm. Es war vorgestern beim Galoppieren an einer Wurzel hängen geblieben. Und in der Prairie ein lahmes Pferd zu reiten, das ist nicht nur ärgerlich, sondern es kann unter Umständen sogar von den verhängnisvollsten Folgen sein. Bei den dort täglich drohenden Gefahren hängen Leben und Sicherheit des Jägers nur zu oft von der Brauchbarkeit seines Tieres ab.

Ich hatte mit einigen Coloradomännern droben in der Nähe von Spanish Peaks gejagt und war dann über die Willow-Springs hierher nach dem Nescutunga-Creek gekommen, um an dessen rechtem Ufer mit Will Salters zusammenzutreffen, mit welchem ich vor Monaten in Nebraska Biber gefangen und dann beim Scheiden das gegenwärtige Stelldichein verabredet hatte. Wir wollten das Indianerterritorium bis an die südöstliche Grenze durchreiten und dann gerade nach Westen in den Llano estacado gehen, um diese berüchtigte Wüste kennen zu lernen.

Dazu war ein gutes Pferd unbedingt nötig, und das meinige lahmte. Es hatte mich treu durch viele Gefahren getragen; ich wollte es gegen kein anderes vertauschen, und so war ich gezwungen, ihm Ruhe zu gönnen, bis der Fuß sich wieder eingerichtet haben würde. Die dadurch entstehende Zeitversäumnis war höchst unangenehm, und so erschien es nicht ganz ungerechtfertigt, daß ich mich nicht bei guter Laune befand.

Während mein Mustang langsam über die Prairie hinkte, sah ich mich nach Anzeichen um, aus denen ich die Nähe des Flusses zu erraten vermochte. Da, wo ich ritt, gab es nur vereinzeltes Buschwerk. Nach Norden aber zog sich eine dunkle Linie hin, welche mich auf geschlosseneren Baumund Strauchwuchs schließen ließ. Ich lenkte also nach dieser Richtung ab, denn wo sich mehr Vegetation findet, muß auch mehr Wasser sein.

Ich hatte recht gehabt. Die dunkle Linie bestand aus Mezquite- und wilden Kirschensträuchern, welche sich an beiden Ufern des Flusses hinzogen. Dieser letztere war nicht breit und, wenigstens an der Stelle, an welcher ich auf ihn traf, auch nicht tief.

Ich ritt langsam am Ufer hin, aufmerksam nach einem Zeichen Will Salters‘ suchend, der ja schon vor mir hier angekommen sein konnte.

Und richtig! Im seichten Wasser lagen zwei große Steine hart nebeneinander, zwischen welche ein größerer Ast so eingeklemmt war, daß der kleine Zweig, welcher sich an demselben befand, flußabwärts wies.

Dies war unser verabredetes Zeichen, welches ich in kurzen Unterbrechungen nochviermal bemerkte. Salters befand sich hier und war dem Laufe des Wassers nachgeritten. Da seine Fährte nicht mehr zu erkennen war und die Blätter der Signalzweige sich bereits in welkem Zustande befanden, so war Salters nicht später als höchstens gestern hier gewesen.

Nach einiger Zeit bog der Fluß noch mehr nach Norden ab; er schien einen Bogen zu machen. An dieser Stelle zeigte der Ast, welchen Will in den Ufersand gesteckt hatte, in die Prairie hinein. Er war also dem Flusse nicht gefolgt; er hatte den Bogen des Flusses auf der Sehnenlinie abschneiden wollen. Ich that natürlich ganz dasselbe.

Nun gewahrte ich gerade vor mir einen nicht sehr hohen, einzeln, stehenden und zerklüfteten Berg, welcher vermöge seiner isolierten Lage ganz geeignet war, dem einsamen Westmanne als Fanal zu dienen. In einer guten halben Stunde hatte ich ihn erreicht. Sein Gipfel war kahl, der untere Teil nur von Buschwerk bestanden, und zwar sehr dürftig. Darum wunderte ich mich, an der Ostseite, als ich ihn umritten hatte, mehrere Gruppen von Platanen zu erblicken, von denen die stärkste sicher über tausend Jahre alt war. Es fiel mir auf, daß das Erdreich hier in einem beträchtlichen Umkreise tief aufgewühlt war. Es gab da Löcher von einigen Metern Tiefe, sichtlich mit Hacke und Schaufel ausgearbeitet. Gab es hier in dieser entlegenen Gegend Menschen? Wozu waren diese Löcher gemacht worden?

Ich ritt weiter, hielt aber bereits nach kurzer Zeit wieder an, denn ich gewahrte eine Fußspur im Grase. Als ich abgestiegen war, um sie genau zu untersuchen, fand ich, daß sie von einem weiblichen oder noch nicht ausgewachsenen männlichen Fuße, welcher mit indianischem, absatzlosem Mokassin bekleidet gewesen war, herrührte. Gab es hier Indianer? Oder hatte ein Weißer indianisches Schuhwerk getragen? Die Eindrücke beider Füße waren gleichmäßig; jetzt fiel mir dieser Umstand nicht besonders auf; später jedoch sollte ich an ihn erinnert werden.

Eigentlich hätte ich dieser Fährte folgen sollen; aber sie führte nach Norden, dem Flusse zu, während meine Richtung ostwärts ging; ich wollte baldigst auf Salters treffen; darum stieg ich wieder auf und ritt weiter.

Nach einiger Zeit dachte ich, aus gewissen Anzeichen schließen zu müssen, daß diese Gegend nicht so unbesucht sei, wie ich vorher geglaubt hatte. Einzelne zerknickte Halme, an den Zweigen gebrochene Ästchen, hier und da ein wie von einem menschlichen Fuße zu Mehl zertretenes Steinchen ließen vermuten, daß hier irgend ein Nachkomme des ersten Menschenpaares vorüber gekommen sei. Darum war ich auch nur erstaunt, nicht aber erschrocken, als ich später, den Fluß wieder erreichend, hart am Ufer desselben ein mit jungen Tabaks- und Maispflanzen bestecktes Feld bemerkte. Jenseits desselben erhob sich ein niedriges Blockhaus mit einer hohen, aber sehr beschädigten Fenz um den ziemlich beträchtlichen Vorplatz.

Also eine Farm hier am Nescutunga-Creek! Wer hätte das denken sollen! Hinter der Fenz rieb sich ein alter, spitzhüftiger Gaul den Kopf an dem leeren Futtertroge, und außerhalb derselben erblickte ich einen jungen Menschen, welcher beschäftigt war, eine schadhafte Stelle der Umzäunung auszubessern.

Er schien über mein Erscheinen zu erschrecken, blieb aber stehen, bis ich bei ihm anhielt.

Good morning!“ grüßte ich ihn. „Darf ich erfahren, wie der Besitzer dieses Hauses heißt?“

Er strich sich mit der Hand durch das dichte blonde Haar, betrachtete mich forschend mit den prächtigen, germanisch blauen Augen und antwortete:

„Rollins heißt er, Sir.“

„Du bist der Sohn?“

Ich nannte ihn Du, weil er wohl kaum mehr als sechzehn Jahre zählte, obgleich sein kräftig entwickelter Körper gleichsam auf ein höheres Alter deutete. Er antwortete:

„Ja, der Stiefsohn.“

„Ist dein Vater daheim?“

„Seht Euch um! Da ist er.“

Er deutete nach der engen, niedrigen Thür, aus welcher soeben ein Mann trat, welcher sich bücken mußte, um oben nicht anzustoßen. Er war sehr lang, sehr hager und schmalbrüstig, und zwischen den wenigen Haaren seines dünnen Vollbartes blickte die Gesichtshaut wie gegerbtes Leder hervor. Seine Yankeephysiognomie verfinsterte sich, als er mich sah. Er hatte ein altes Gewehr und eine Hacke in den Händen und legte beides nicht weg, als er langsam auf mich zutrat. Er richtete den stechenden Blick feindselig auf mich und erkundigte sich mit heiser klingender Stimme:

„Was wollt Ihr hier!?“

„Zunächst will ich Euch fragen, Master Rollins, ob nicht vielleicht gestern oder vorgestern ein Mann bei Euch vorgesprochen hat, der sich Salters nannte und irgend einen Auftrag zurückgelassen hat.“

Da antwortete der Sohn schnell:

„Das war gestern früh, Sir. Dieser Salters war –“

Er konnte nicht weiter sprechen. Sein Vater stieß ihm den Gewehrkolben in die Seite, daß der arme junge wimmernd gegen die Fenz taumelte, und rief zornig:

„Willst du schweigen, Kröte! Wir haben keine Lust, einen jeden Landstreicher zu bedienen!“ Und zu mir gewendet, fuhr er fort: „Macht Euch von dannen, Mann! Ich wohne weder für Euch, noch für Euren Salters hier!“

Das war einfach grob. Ich hatte meine eigne Hinterwaldsmanier, solche Leute zu behandeln. Ich stieg gemütlich vom Pferde, band es an die Fenz und sagte:

„Diesesmal werdet Ihr doch eine Ausnahme machen müssen, Master Rollins. Mein Pferd geht lahm, und ich werde hier bei Euch bleiben, bis es geheilt ist.“

Er trat einen Schritt zurück, maß mich mit zornblitzenden Augen vom Kopfe bis zu den Füßen herab und schrie:

„Seid Ihr toll? Mein Haus ist kein Boardinghaus, und wer sich hier breit machen will, dem brenne ich sehr einfach eine Ladung Schrot auf den Pelz. Zounds! Da ist ja auch dieser miserable Indsman wieder! Warte, Bursche, dich will ich forträuchern!“

Ich folgte schnell mit meinem Blicke dem seinigen, welcher bei den letzten Worten auf ein nicht sehr entferntes Buschwerk gerichtet war. Von dorther kam ein junger Indianer herbeigeschritten. Rollins erhob das Gewehr und legte auf ihn an. Er drückte gerade in demselben Augenblicke ab, in welchem ich ihm den Lauf zur Seite schlug. Der Schuß krachte, ging aber fehl.

„Hund! Du vergreifst dich an mir?“ brüllte mich der Yankee an. „Da, nimm das dafür!“

Er drehte schnell das Gewehr um und holte zum Kolbenhiebe aus. Die Hacke hatte er vorher, um schießen zu können, weggelegt. Ich stieß ihm die Faust unter den erhobenen Arm und schleuderte ihn so kräftig gegen die Fenz, daß sie unter ihm zusammenbrach. Die Büchse entfiel ihm und ich griff sie auf, ehe er sich wieder erhoben hatte. Er riß im Aufstehen das Messer aus der Scheide und gurgelte mit vor Zorn erstickter Stimme:

„Mir das! Auf meinem Grund und Boden! Das kostet Blut und Leben!“

Ich hatte ebenso schnell meinen Revolver in der Hand, hielt ihm denselben entgegen und antwortete:

„Ihr meint wohl Euer Blut und Leben? Steckt sofort das Messer ein! Meine Kugel ist schneller als Eure Klinge, Mann!“

Er ließ den bereits erhobenen Arm sinken und hielt die Augen nicht gegen mich, sondern nach der andern Ecke des Blockhauses gerichtet. Dort hielt ein Reiter, welcher unbemerkt von uns herbeigekommen war und mir lachend zurief:

„Schon bei der Arbeit, alter Bursche? Recht so! Schlage den Kerl nieder; er hat es verdient. Aber gieb ihm keine Kugel, denn einen Schuß Pulvers ist er nicht wert.“

Dieser Reiter war Will Salters. Er kam vollends herbei, gab mir die Hand und fuhr fort:

Welcome, Kamerad! Wenn es nach diesem Scurvy fellow gegangen wäre, hättest du mich nicht wiedergefunden. Ich schätze, er hat dich grad so empfangen, wie gestern mich. Dafür erhielt er einige Nasenstüber, für welche er mir eine Kugel nachschickte, die aber höflicher war als er; sie wich mir weit zur Seite aus. Ich wollte dich hier bei ihm erwarten, durfte aber nicht, sagte jedoch seinem Sohne, daß ich heut‘ zurückkehren würde, um zu sehen, ob der Mann bei besserer Laune sei. Wenn es dir recht ist, geben wir ihm eine Lektion im Umgange mit unsersgleichen. Ich will mich einstweilen seiner Persönlichkeit versichern!“

Er stieg ab. Da raffte Rollins die Hacke vom Boden auf und floh in weiten Sprüngen davon. Wir blickten ihm verwundert nach. Sein Verhalten war befremdend. Erst rücksichtslose Grobheit und nun feige Flucht! Wir kamen nicht dazu, eine Bemerkung darüber zu machen, denn aus der Thür, hinter welcher sie bisher ängstlich versteckt gewesen war, trat jetzt eine Frau. Sie hatte Rollins hinter den Büschen verschwinden sehen und sagte, froh aufatmend:

„Gott sei Dank! Ich glaubte schon, es werde zum Blutvergießen kommen. Er ist betrunken. Er hat während der ganzen Nacht phantasiert und dann die letzte Flasche Brandy ausgetrunken!“

„Ihr seid seine Frau?“ fragte ich.

„Ja. Ich hoffe, daß ich es nicht zu entgelten habe, Mesch’schurs! Ich kann ja nichts dafür.“

„Das wollen wir glauben. Fast möchte man annehmen, daß Euer Mann geistig gestört sei.“

„Das ist er leider auch. O Gott, ihr glaubt gar nicht, wie unglücklich ich bin! Er bildet sich ein, daß ein Schatz hier in der Nähe vergraben liege. Den will er heben. Kein andrer soll ihn finden, und darum duldet er keinen Menschen in dieser Gegend. Hier dieser junge Indsman ist schon seit vier Tagen hier. Er konnte nicht weiter, weil er sich den Fuß vertreten hat, und wollte bei uns bleiben, bis er wieder richtig laufen kann; aber Rollins jagte ihn fort. Nun muß der arme Teufel im Freien kampieren.“

Sie deutete auf den Indianer, welcher herbei gekommen war. Es war alles so schnell geschehen, daß ich ihn noch nicht wieder hatte beachten können.

Er mochte achtzehn Jahre alt sein. Sein Anzug war aus mit Gehirn gegerbter Hirschhaut gefertigt und an den Nähten ausgefranst. Diese Fransen waren nicht mit Menschenhaaren geschmückt; er hatte also noch keinen Feind getötet. Sein Kopf war unbedeckt. Seine Waffen bestanden aus einem Messer und Bogen mit Köcher. Er durfte wohl noch kein Feuergewehr tragen. Um den Hals trug er eine messingene Kette, an welcher das Rohr einer Friedenspfeife hing; der Kopf derselben fehlte. Das war das Zeichen, daß er sich auf der Wallfahrt nach den heiligen Steinbrüchen befand, aus welchen die Indianer den Pfeifenthon beziehen. Während dieser Reise ist ein jeder unverletzlich. Selbst der blutgierigste Gegner muß ihn da unbeschädigt ziehen lassen, ja, ihn nötigenfalls sogar beschützen.

Die offenen, intelligenten Züge dieses Jünglings gefielen mir. Das Gesicht hatte einen fast kaukasischen Schnitt. Die Augen waren sammetschwarz und mit dem Ausdrucke des Dankes auf mich gerichtet. Er streckte mir die Hand entgegen und sagte:

„Du hast Ischarshiütuha beschützt. Ich bin dein Freund!“

Diese letztere Versicherung klang sehr stolz; das gefiel mir ebenso wie der Sprecher selbst. Sein Name aber frappierte mich. Ischarshiütuha ist ein apatschisches Wort und heißt so viel wie kleiner Hirsch, darum fragte ich:

„Bist du ein Apatsche?“

„Ischarshiütuha ist der Sohn eines großen Kriegers der Mescalero-Apatschen, der tapfersten roten Männer.“

„Sie sind meine Freunde, und Intschu tschuna, der größte ihrer Häuptlinge, ist mein Bruder.“

Sein Blick fuhr rasch und scharf an meiner Gestalt empor. Dann fragte er:

„Intschu tschuna ist der tapferste der Helden. Wie nennt er dich?“

„Yato-inta.“

Da trat er um mehrere Schritte zur Seite, senkte den Blick und sagte.

„Die Söhne der Apatschen kennen dich. ich bin noch kein Krieger; ich darf nicht mit dir sprechen.“

Das war die Demut eines Indianers, welcher den Rang eines andern offen anerkennt, den Kopf aber nicht um einen Zehntelzoll niederbeugt.

„Du darfst mit mir sprechen, denn du wirst einst ein berühmter Krieger sein. Du wirst in kurzer Zeit nicht mehr Ischarshiütuha, der kleine Hirsch, heißen, sondern Pehnulte, der große Hirsch. Du hast einen kranken Fuß?“

„Ja.“

„Und bist aus deinem Wigwam ohne Pferd gegangen?“

„Ich hole den heiligen Pfeifenthon. ich laufe.“

„Dieses Opfer wird dem großen Geiste gefallen. Komm in das Haus!“

„Ihr seid Krieger, und ich bin noch jung. Erlaubt, daß ich bei meinem kleinen weißen Bruder bleibe!“

Er trat zu dem hübschen blonden, blauäugigen Knaben, welcher still und traurig dagestanden hatte, die Hand auf die Stelle gelegt, an welche ihn der Gewehrkolben seines Vaters getroffen hatte. Die beiden wechselten einen Blick, ganz unbewußt, mir aber sofort auffallend. Sie standen jedenfalls jetzt nicht zum erstenmale nebeneinander. Der kleine Hirsch war nicht ohne Absicht hier; er verbarg ein Geheimnis, vielleicht gar ein für die Bewohner des Blockhauses gefährliches. Ich fühlte das Verlangen, hinter dasselbe zu kommen, ließ mir aber nichts merken.

Die Knaben blieben also im Freien; ich folgte mit Will Salters der Frau in das Haus oder vielmehr in die Hütte, deren Inneres aus einem einzigen Raume bestand.

Da sah es denn höchst ärmlich aus. Ich war schon in mancher Blockhütte gewesen, deren Bewohner sich auf das Notwendigste zu beschränken hatten; hier aber war es schlimmer. Das Dach war höchst defekt, die Verstopfung der Zwischenräume in den Blockwänden verschwunden. Durch diese Löcher und Ritzen kroch das Elend ein und aus. Über dem Herde hing kein Kessel. Der Speisevorrat schien nur aus einer geringen Anzahl von Maiskolben zu bestehen, welche in einer Ecke lagen. Die einzige Kleidung der Frau bestand aus dem dünnsten, verschossenen Druckkattun. Sie ging barfuß. Ihr einziger Schmuck war die Sauberkeit, welche trotz dieser Ärmlichkeit wohlthuend an ihr auffiel. Auch ihr Sohn war höchst ungenügend gekleidet gewesen, doch jede zerrissene Stelle sorgfältig ausgebessert.

Als ich auf das nur aus Laub bestehende Lager in der Ecke und dann in das bleiche, abgehärmte Gesicht dieser braven Frau blickte, kam mir, ohne daß ich es eigentlich wollte, die Frage über die Lippen:

„Ihr habt Hunger, liebe Frau?“

Sie errötete schnell und wie beleidigt; dann aber brachen plötzlich die Thränen aus ihren Augen, und sie antwortete, mit der Hand nach dem Herzen greifend:

„O Gott, ich wollte gar nicht klagen, wenn nur Joseph sich satt essen könnte! Unser Feld trägt nichts, weil mein Mann es verwildern läßt; so sind wir also auf die Jagd angewiesen, die aber auch nichts bringt, weil Rollins den Wahnsinn hat, nur immer nach dem Schatze zu graben.“

Ich eilte hinaus zu meinem Pferde, um meinen Vorrat an Dürrfleisch herein zu holen, den ich ihr gab. Der gute Will Salters war ebenso schnell zu seinem Pferde und brachte auch seinen Vorrat herein.

„O Mesch’schurs, wie gut ihr seid!“ sagte sie. „Man möchte euch gar nicht für Yankees halten.“

„Da habt ihr, wenigstens in Beziehung auf mich, unrecht,“ antwortete ich. „Ich bin ein Deutscher. Master Salters aber hat zwar nur von mütterlicher Seite deutsches Blut in den Adern, ist aber ein noch viel besserer Kerl als ich. Seine Mutter war eine Österreicherin.“

„Herrgott! Und ich bin in Brünn geboren!“ rief sie aus, die Hände froh zusammenschlagend.

„Also eine Deutsche! So können wir uns ja der Muttersprache bedienen.“

„Ach ja, ach ja! Ich darf mit meinem Sohne nur heimlich deutsch reden. Rollins leidet es nicht.“

„Ein schrecklicher Kerl!“ sagte Salters. „Ich will Sie nicht kränken; aber es ist mir ganz so, als ob ich ihm früher, vor Jahren, einmal begegnet sei, unter für ihn nicht ehrenvollen Umständen. Er hat eine große Ähnlichkeit mit einem Kerl, den man nur unter einem indianischen Namen kannte. Ich weiß nicht, was dieser Name bedeutet. Wie lautete er doch nur? Ich glaube, so ähnlich wie Indano oder Indanscho.“

„Inta-’ntscho!“ klang es vom Eingange her.

Dort stand der junge Indianer. Er hatte natürlich nicht die deutschen Worte, aber doch den Namen verstanden. In seinem Auge glühte es flackernd auf. Als da mein Blick forschend auf ihn fiel, drehte er sich um und verschwand von der Thür.

„Dieser Name ist dem Apatschischen entnommen, welches du nicht verstehst,“ erklärte ich dem Gefährten. „Es bedeutet so viel wie böses Auge.“

„Böses Auge?“ fragte die Frau. „Dieses Wort sagt mein Mann sehr oft, wenn er im Traum spricht, oder in der Betrunkenheit dort in der Ecke sitzt und sich mit unsichtbaren Personen zankt. Er ist zuweilen über eine Woche lang fort. Da bringt er sich aus Fort Dodge drüben am Arkansas Brandy mit; ich weiß nicht, wovon er ihn bezahlt. Dann trinkt und trinkt er, bis er nicht mehr denken kann, und spricht von Blut und Mord, von Gold und Nuggets, von einem Schatze, der hier vergraben liegt. Wir getrauen uns dann Tage und Nächte lang nicht in die Hütte aus Angst, daß er uns umbringen werde.“

Sie unglückliche Frau! Wie sind Sie denn zu der Kühnheit gekommen, einem solchen Manne nach diesem Winkel der Wildnis zu folgen?“

„Ihm? O, mit ihm wäre ich nie, niemals hierher gegangen. Ich kam mit meinem ersten Manne und dessen Bruder nach Amerika. Wir kauften Land und wurden von dem Agenten betrogen. Das Dokument, welches wir über den Kauf erhielten, war gefälscht. Als wir nach dem Westen kamen, hatte der rechtmäßige Eigentümer die Stelle schon seit Jahren bewohnt und bebaut. Unser Geld war alle; es blieb uns nichts übrig, als vom Ertrage der Jagd zu leben. Dabei gingen wir immer weiter nach dem Westen. Mein Mann wollte nach Kalifornien. Er hatte von dem Golde gehört, welches dort gefunden wird. Wir kamen bis hierher, da ging es nicht weiter; ich war krank und erschöpft. Wir kampierten im Freien, fanden aber zum Glücke nach kurzer Zeit diese Blockhütte. Sie war verlassen. Wem sie gehört hat, wissen wir nicht. Wir behalfen uns so, wie es eben gehen wollte. Aber der Gedanke an Kalifornien ließ meinem Manne keine Ruhe. Er wollte hin. Ich konnte nicht, und sein Bruder wollte nicht; er hatte Sehnsucht nach der Heimat. Gott allein weiß es, nach welchen schweren Kämpfen ich die Erlaubnis gab, daß mein Mann allein nach dem Goldlande gehen möge, um sein Glück zu versuchen, während der Schwager bei mir bleiben solle. Er ist nie zurückgekehrt. Ein halbes Jahr nach seinem Weggange wurde mir mein Joseph geschenkt. Er hat seinen Vater nie gesehen. Er war drei Jahre alt, als der Schwager einst des Morgens auf die Jagd ging und nicht wiederkam. Einige Tage später fand ich ihn am Ufer des Flusses liegen. Er hatte eine Schußwunde im Kopfe. Vielleicht ist er von einem Indianer ermordet worden.“

„War er skalpiert?“

„Nein.“

„So ist der Mörder ein Weißer. Wie aber haben Sie leben können?“

„Von dem kleinen Maisvorrate, den wir hier nebenan erbaut hatten. Dann kam mein jetziger Mann in diese Gegend. Er wollte jagen und dann weiter gehen, blieb aber länger und länger und zuletzt für immer da. Ich war froh, ihn zu haben; ohne ihn wäre ich mit meinem Kinde verhungert. Er ging hinüber nach Dodge City und ließ meinen Mann für tot erklären. Ich brauchte einen Beschützer und mein Sohn einen Vater. Rollins ist beides geworden. Einst aber hatte ihm von einem Schatze geträumt, der hier vergraben sei. Sonderbarerweise wiederholte sich dieser Traum so oft, daß Rollins nicht nur fest an die Existenz dieses Schatzes glaubt, sondern in einen förmlichen Wahn verfallen ist. Des Nachts phantasiert er von dem Golde, und des Tages gräbt er nach dem Golde.“

„Wohl an dem Berge, an dessen Fuße die alten Platanen stehen?“

„Ja. Aber ich darf nicht mit hin und mein Sohn ebensowenig. Ich kann keinem Menschen sagen, wie unglücklich ich bin. Ich bete täglich und stündlich um Errettung. Wenn Gott doch helfen wollte!“

„Er wird helfen, wenn auch seine Hilfe Ihnen anfänglich Schmerz bereiten sollte. Ich habe so oft im Leben die Erfahrung gemacht, daß – –“

Ich wurde unterbrochen. Joseph kam herein und bat uns, hinauszukommen und den Himmel zu betrachten. Wir folgten ihm, verwundert über dieses Verlangen. Der kleine Hirsch stand draußen und blickte aufmerksam nach einem Wölkchen, welches fast scheitelrecht über unsern Köpfen stand. Sonst aber war der Himmel vollständig rein und ungetrübt. Joseph sagte uns, daß der Indianer dieses Wölkchen für uns sehr gefährlich halte. Der kleine Hirsch sprach nämlich ganz leidlich englisch und konnte sich also dem weißen Knaben verständlich machen. Will Salters zuckte die Achsel und sagte:

„Dieses Cigarrenwölkchen soll uns gefährlich sein? Pshaw!“

Da wendete der Indianer den Kopf zu ihm hin und sagte nur das eine Wort:

„Iltschi.“

„Was bedeutet das?“ fragte mich Will.

„Wind, Sturm!“

„Unsinn! Ein gefährlicher Wind, also eine Bö, kommt nur aus einem Loche, das heißt, wenn sich der ganze Himmel schwarz umzogen hat und sich in dieser schwarzen Decke ein rundes, helles Loch befindet. Hier aber ist es umgekehrt. Der Himmel ist außer dieser Stelle vollständig ungetrübt.“

„Ke-eikhena-iltschi,“ sagte der Indianer.

Jetzt wurde ich doch aufmerksamer. Diese drei Worte bedeuten der hungrige Wind. Der Apatsche bezeichnet mit diesem Ausdrucke einen Wirbelsturm. Ich fragte den jungen Mann, ob er einen solchen befürchte. Er antwortete:

„Ke-eikhena-akh-iltschi.“

Das heißt der sehr hungrige Wind und bedeutet gar eine Windhose. Wie kam der Apatsche zu dieser Vermutung? Ich konnte an dem Wölkchen wirklich nichts Verdächtiges bemerken; aber ich wußte auch, daß diese Kinder der Wildnis einen wunderbaren Instinkt für gewisse Naturereignisse besitzen.

„Unsinn!“ meinte Salters zu mir. „Komm herein! Ich glaube gar, du fängst an, ein bedenkliches Gesicht zu machen.“

Da legte der Indianer sich den Finger an die Stirn und sagte zu ihm:

„Ka-a tschapeno!“

Er hatte wohl gemerkt, daß Will nicht apatschisch verstand und bediente sich des Tonkawadialektes, zu deutsch. „Ich bin nicht krank,“ nämlich im Kopfe. Salters verstand ihn, nahm ihm aber die Worte übel und trat wieder in die Hütte. Ich benutzte diese Gelegenheit, dem kleinen Hirsch zu zeigen, daß ich ihm seine früheren Antworten nicht geglaubt hatte. Ich fragte ihn:

„Welcher Fuß meines jungen Freundes ist krank?“

„Sintsch-kah – der linke Fuß,“ antwortete er.

„Warum aber hinkte mein Bruder mit dem rechten Fuße, als er dort aus den Sträuchern kam?“

Es glitt ein Lächeln der Verlegenheit über sein Gesicht, doch antwortete er schnell gefaßt:

„Mein tapferer Bruder hat sich geirrt.“

„Mein Auge ist scharf. Warum hinkt der kleine Hirsch nur dann, wenn er gesehen wird? Warum ist sein Gang richtig, wenn er allein ist?“

Er blickte mich forschend an, ohne zu antworten. Darum fuhr ich fort:

„Mein junger Freund hat von mir gehört. Er weiß, daß ich die Fährte lese, daß mich kein Halm des Grases, kein Korn des Sandes zu täuschen vermag. Der junge Hirsch ist heute früh vom Berge herabgekommen und nach dem Flusse gegangen, ohne zu hinken. Ich habe seine Spur gesehen. Hat er auch jetzt den Mut, zu sagen, daß ich mich täusche?“

Er senkte den Blick zur Erde und schwieg.

„Warum sagt der Hirsch, daß er nach den heiligen Steinbrüchen mit seinen Füßen gehe?“ fuhr ich fort. „Er ist von seinem Wigwam aus bis hierher geritten.“

„Uff!“ antwortete er erstaunt. „Wie könntest du das wissen?“

„Ist nicht der größte Häuptling der Apatschen mein Lehrer gewesen? Meinst du, daß ich ihm die Schande mache, mich von einem jungen Apatschen, der noch kein Feuergewehr tragen darf, hintergehen zu lassen? Dein Tier ist ein Tschi-kayi-kle, ein Rotschimmel.“

„Uff, uff!“ rief er zweimal als Ausdruck der höchsten Verwunderung.

„Willst du den Bruder Intschu tschunas belügen?“ fragte ich vorwurfsvoll.

Da legte er die Hand auf das Herz und antwortete:

„Schi-itkli takla ho-tli, tschi-kayi-kle – – ich habe ein Pferd, einen Rotschimmel.“

„So ist es recht! Ich sage dir sogar, daß du heute früh bei Zeiten die ganze indianische Schule durchgeübt hast.“

„Mein weißer Bruder ist allwissend wie Manitou, der große Geist!“ rief er aus, förmlich betroffen.

„Nein. Du bist in Carriere geritten, mit einem Fuße im Sattel hängend und mit einem Arme am Halsriemen, deinen Körper an die eine Seite des Pferdes legend. Das thut man im Kampfe, um sich vor den Geschossen des Feindes zu schützen, zur Friedenszeit aber nur, wenn man die volle Schule übt. Nur bei einem solchen Ritte ist es möglich, daß Mähnenhaare sich an Griff und Scheide des Messers verfitzen und, ausgerissen, hängen bleiben. Solches Mähnenhaar kann nur ein Rotschimmel haben.“

Er fuhr mit beiden Händen nach dem Gürtel, an welchem das Messer in der Scheide lag. Daran hingen einige Haare. Ich sah trotz seiner indianischen Hautfärbung, daß er errötete, und fügte hinzu:

„Das Auge des kleinen Hirsches ist hell, aber noch nicht geübt genug für solche Kleinigkeiten, an denen doch oftmals das Leben hängt. Mein junger Bruder ist hierher gekommen, um den Besitzer dieses Hauses zu sehen. Hat er eine Blutrache mit demselben?“

„Ich habe das Gelübde des Schweigens abgelegt,“ antwortete er; „aber mein weißer Bruder ist der Freund des berühmtesten Apatschen. Ich will ihm etwas zeigen, was er mir heute noch zurückgeben wird. Er kann davon sprechen, denn meine Stunde ist gekommen.“

Er öffnete das Jagdhemd und zog ein wie ein Briefcouvert viereckig zusammengelegtes Leder hervor. Er gab es mir und schritt davon, nach dem Maisfelde zu, bei welchem jetzt der blonde Joseph stand. Ich sah noch, daß er diesen beim Arme ergriff und mit sich fortzog.

Ich schlug das Leder, welches aus einem gegerbten Hirschfelle geschnitten war, auseinander. Der Inhalt bestand aus einem zweiten Lederstücke aus Büffelkalbfell, nur von den Haaren befreit, mit Kalk gebeizt und zu Pergament geglättet. Es war zweimal zusammengeschlagen. Als ich es auseinander gefaltet hatte, sah ich eine Reihe von Figuren, in roter Farbe hervorgebracht, in der Zeichnung ganz ähnlich der berühmten Felseninschrift von Tsitßumovi in Arizona gehalten. Ich hatte ein Dokument in Indianerschrift in den Händen, eine solche Seltenheit, daß ich gar nicht sogleich an das Entziffern dachte, sondern in die Hütte eilte, um Will Salters diesen Schatz zu zeigen. Er schüttelte den Kopf dazu und meinte ganz verwundert:

„Das soll man lesen können?“

„Natürlich!“

„Nun, so lies du es. Schon wenn es sich um unsre gewöhnliche Schrift handelt, will ich mich lieber mit zwanzig Indsmen als mit drei Buchstaben herumschlagen. Ich bin niemals ein Held im Lesen gewesen; ich schreibe meine Briefe dem Adressaten gleich hier mit der Doppelbüchse in den Leib; das ist das Kürzeste. Die Feder zerbricht mir zwischen den Fingern, und die Tinte schmeckt zu schlecht. Nun erst diese Figuren zu entziffern, das ist ja fürchterlich. Man kann sie hier in der dunkeln Hütte, die nur zwei kleine Gucklöcher an Stelle der Fenster hat, ja gar nicht einmal erkennen.“

„So komm mit hinaus vor die Thür!“

„Na, mitgehen will ich wohl; das Lesen aber magst du allein besorgen.“

Wir gingen hinaus. Die Frau blieb zurück. Sie hatte auf dem Herde ein kleines Feuer angezündet, um einige Stückchen unsres Fleisches zu braten.

Ich hatte die Augen natürlich sofort auf den Figuren; Will Salters aber hielt die seinigen nach dem Himmel gerichtet. Er brummte bedenklich:

„Hm! Eigentümliche Wolke! Habe noch niemals so etwas gesehen. Was sagst du dazu?“

Dadurch aufmerksam gemacht, blickte ich empor. Das Wölkchen war nicht viel größer geworden, hatte aber ein ganz andres Aussehen bekommen. Vorher bläulichgrau, hatte es jetzt eine hellrote, durchsichtige Färbung, und es war, als ob von ihm aus Millionen und aber Millionen spinnenfadendünne, mattgoldene Fäden nach der ganzen Ausdehnung des Gesichtskreises hinuntergingen. Diese kaum sichtbaren Fäden zuckten nicht; sie waren vollständig unbeweglich, wie fest angespannt.

„Nun?“ fragte Will.

„Ich habe auch nie etwas Ähnliches gesehen.“

„Sollte dieser junge Mensch, der Indsman, recht behalten mit seinem Wirbelwinde, uns alten, erfahrenen Savannenleuten gegenüber!“

„Bedenklich sieht es aus. Der Apatsche sprach gar von einer Windhose. Das wäre noch schlimmer.“

„Es mag sein, was es wolle, wir müssen es eben abwarten. Ich hoffe, du kannst dich in deiner Indianerschrift besser zurechtfinden, als da oben in dem unbegreiflichen Fadengewirr. Wie steht es?“

„Hm! Wollen sehen! Da vorn sehe ich eine Sonne gemalt mit nur aufwärtsgehenden Strahlen, also wohl die aufgehende Sonne. Dann kommen vier Reiter. Sie haben Hüte auf, sind also wahrscheinlich Weiße. Der vorderste hat etwas am Sattel hängen; kleine Säcke sollen es wohl sein. Hinter diesen vieren kommen zwei andre. Sie haben Federn auf den unbedeckten Köpfen, dürften also wahrscheinlich Indianerhäuptlinge vorstellen.“

„Na, das ist ja alles sehr einfach. Nennst du das etwa lesen?“

„Es ist der Anfang dazu. Man muß erst die Buchstaben kennen lernen, ehe man sie zu Wörtern zusammenzusetzen vermag. Es befinden sich nun noch einige kleinere Figuren hier, welche über den größeren angebracht sind. Über dem einen Indianer sehe ich einen Büffel, welcher das Maul öffnet, aus dem einige kleine Striche hervorgehen. Aus dem Maule kann nur die Stimme hervorgehen; es ist also wohl ein brüllender Stier gemeint. Über dem Kopfe des anderen Indsman ist eine Tabakspfeife, aus deren Kopfe ähnliche Striche hervorgehen; das soll wohl Rauch bedeuten. Die Pfeife brennt also.“

„Du, ich fange an, lesen zu können!“ sagte Will. „Da fällt mir ein, daß es zwei Apatschenhäuptlinge gab, zwei Brüder; der eine war der brüllende Büffel und ist seit langem tot; der andere hieß die brennende Pfeife, weil er von friedlicher Gesinnung war und gern mit jedermann die Friedenspfeife rauchte. Er soll noch leben.“

„So sind vielleicht gar diese beiden gemeint! Wollen sehen! Über dem zweiten Weißen ist ein Auge gemalt mit einem hindurchgehenden Strich. Entweder hat er nur ein Auge, oder ist er auf dem einen blind, oder das Auge ist krank. Ah, das wäre ja der Name, den du vorhin nanntest: böses Auge. Das soll wohl heißen: boshaftes Auge. Und über dem dritten Weißen ist ein Beutel mit einer danach greifenden Hand. Sollte das Diebstahl bedeuten?“

„Ja, ja, gewiß!“ sagte Salters schnell, „die stehlende Hand. Ich hab’s, ich hab’s! jetzt weiß ich, wo ich diesen Rollins gesehen habe! Nämlich droben in den schwarzen Bergen; er hieß Haller, war ein Pferde- und Biberfallendieb und wurde die stehlende Hand genannt.“

„Du wirst dich irren!“

„Nein, nein! Die stehlende Hand und das böse Auge waren Vettern oder gar Brüder und hielten zusammen. Sie sind gemeint. Weiter, weiter!“

„Da die aufgehende Sonne voransteht, so sind diese Reiter nach Sonnenaufgang, also nach Osten geritten. Hier auf der zweiten Zeile kommen dieselben Figuren wieder vor, und zwar öfters und in verschiedenen Gruppen. Erste Gruppe: die drei hinteren Weißen schießen auf den Voranreitenden. Zweite Gruppe: er liegt tot am Boden, und sie haben seine Säcke oder Beutel. Dritte Gruppe: die Indianer schießen auf die drei Weißen. Vierte Gruppe: Zwei Weiße und ein Indianer, der brüllende Büffel, sind tot; die stehlende Hand, entflieht. Fünfte Gruppe: die brennende Pfeife vergräbt die Beutel. Sechste Gruppe: die brennende Pfeife hat den brüllenden Büffel auf dem Pferde und reitet hinter der stehlenden Hand her, verfolgt ihn wahrscheinlich. Siebente Gruppe: die brennende Pfeife begräbt den brüllenden Büffel, die stehlende Hand ist verschwunden. Nun kommen noch zwei kleine Bilder. Da stehen drei Bäume; unter dem mittleren stecken die Beutel unter der Erde. Und dann kommt ein großer, einzelner Baum, unter welchem man den brüllenden Büffel unter der Erde liegen sieht; sein Grab also. Jetzt löst sich das ganze, schaurige Erlebnis leicht – –“

„Halt!“ unterbrach mich Salters. „Laß einmal diese Angelegenheit auf sich beruhen und blicke in die Höhe! Merkst du denn nicht, daß es ganz finster wird? Siehe dir doch um Gottes willen einmal den Himmel an!“

Ich folgte seiner Aufforderung und erschrak. Die erwähnten mattgoldenen Fäden waren verschwunden. An ihrer Stelle sah ich mehrere dunkle Striche, zu denen sie sich höchst wahrscheinlich zusammengezogen hatten und welche die Wolke, die tief schwarz geworden war, mit dem nördlichen Himmel verbanden. Der übrige Teil des Himmels war hell und rein. An den Strichen wurde die Wolke wie an starken, straffen Seilen abwärts nach Norden gezogen. Das ging zusehends schnell. Je weiter sie zur Erde gezogen wurde, desto deutlicher sah man von der letzteren aus eine erst durchsichtige und dann sich immer mehr verdunkelnde Masse emporsteigen, unten breit, oben schwächer werdend, sich drehend und mit dem oberen, hin und her flatternden Schwanze nach der Wolke haschend. Diese sank immer schneller nieder, oben sich verbreiternd, nach unten nun ihrerseits einen Schwanz aussendend. Die beiden Schwänze suchten sich und fanden sich. Als sie sich berührten, war es, als ob die Wolke auf die Erde herabgerissen werden solle; aber sie hielt sich in der Luft und bildete mit dem Wirbelwind nun einen sich rasend schnell um seine eigene Achse drehenden Doppeltrichter, dessen Spitzen sich in der Mitte vereinigt hatten, während seine beiden Grundflächen unten an der Erde und hoch oben in der Luft wohl einen Durchmesser von fünfzig Meter erreichten.

Da sich in der Umgebung nur niedriges Buschwerk befand, so konnten wir die beängstigende Naturerscheinung fast in ihrer ganzen Achsenhöhe beobachten. Sie wickelte und wirbelte sich sehr schnell vorwärts grad auf uns zu. Und hier um uns gab es völlige Unbewegtheit der Luft und eine plötzlich eingetretene Schwüle, welche uns sofort den Schweiß aus allen Poren trieb.

„Der kleine Hirsch hat recht gehabt,“ sagte ich. „Es handelt sich um unser Leben. Schnell, Will, retten wir uns und die Frau!“

„Wie denn und wohin denn?“ fragte er erschrocken.

„Auf unsere Pferde.“

„Wir wissen doch nicht, wohin wir uns wenden sollen!“

„So eine Windhose ist freilich unberechenbar in ihren Bewegungen, aber wir müssen eben unsre Richtung ändern, sobald sie die ihrige ändert. Vielleicht wird sie vom Flusse aufgehalten und kommt gar nicht herüber auf unsre Seite. Hole Rollins‘ Gaul hinter der Fenz hervor. Ich springe nach der Frau!“

. Ich fand diese am Herde, ohne Ahnung der ihr drohenden Gefahr. Sie fiel fast in Ohnmacht, als ich ihr mitteilte, was draußen vorging. Ich faßte sie und trug sie eilig hinaus. Will kam eben mit dem Gaule an.

„Das Tier thut obstinat,“ rief er. „Ich will mich darauf setzen; er ist nicht gesattelt, und die Lady würde beim ersten Schritte abgeworfen. Hebe sie auf meinen Fuchs! Schnell, schnell!“

Er sprang auf und trieb das alte Pferd im Galoppe vorwärts.

„Können Sie reiten?“ fragte ich die Frau.

„So nicht, wie es hier sein muß,“ jammerte sie.

„So nehme ich Sie zu mir.“

Ich schwang mich auf den Fuchs, welcher zwei Personen eher tragen konnte als mein lahmer Brauner, zog die Zitternde zu mir herauf, so daß sie quer auf meinen Knieen lag, ergriff meinen Lahmen am Zügel und folgte dem voransprengenden Salters.

Das war alles so schnell geschehen, daß vom ersten Erblicken der Windhose bis jetzt nicht mehr als eine Minute vergangen war. Ich hatte es nicht bequem. Mit der Rechten mußte ich die Frau halten und mit der Linken den Fuchs leiten und auch den Braunen führen. Aber es ging. Als wir eine ziemlich bedeutende Strecke zurückgelegt hatten, rief ich Will zu, jetzt anzuhalten. Er that es, und wir drehten uns um.

Die Trombe hatte fast den Fluß erreicht. Von Luft und der Wolke war nichts mehr zu sehen. Sie bildete ein finsteres Ungetüm, genau von der Gestalt einer Sand- oder Eieruhr, aber von riesenhafter Größe, in welcher ausgerissene Sträucher, Steine und mächtige Rasenstücke mit ganzen Wagenladungen von Sand rundum gewirbelt wurden – ein entsetzliches, überirdisch erscheinendes Ungetüm.

Jetzt hatte sie das Ufer erreicht. Wird sie halten bleiben -sich am jenseitigen Ufer fortbewegen, auf- oder abwärts -vielleicht in sich zusammenfallen? So fragten wir uns. Der Mensch, der in ihren Bereich kam, war sicher verloren. Turmhoch auf und nieder und um sich selbst gewirbelt, mußte er ersticken, wenn er nicht vorher zur Erde geschmettert oder von den sich mit ihm drehenden Massen zerquetscht wurde.

Sie hielt an, als ob sie sich besinnen wolle. Der obere, nach abwärts sich verjüngende Trichter neigte sich herüber, die bisherige Richtung fortzusetzen. Er zerrte an dem untern Trichter; fast schien es, als ob er sich von demselben losreißen wolle. Da that es einen fürchterlichen Krach; die dunkleren, kompakteren Massen, Sand, Steine, Sträucher, Rasen verschwanden, und eine lange Wassersäule stieg auf, erst von cylindrisch gleichmäßiger Gestalt, dann sich in der Mitte einengend, die frühere Figur eines gleichmäßigen Doppelkegels annehmend. Aus der Windhose war eine Wasserhose geworden, die sich, wie zornig über den am Flusse erlittenen Aufenthalt, nun mit doppelter Schnelligkeit fortbewegte, augenblicklich die Blockhütte erfassend, gerade auf uns zu.

„Fort jetzt! Da rechts hinüber!“ schrie ich auf.

Die Pferde waren nur schwer für den kurzen Moment zu halten gewesen. Sie erkannten die Gefahr und schossen fort, daß wir sie gar nicht anzutreiben brauchten. Den Blick auf die Wirbelhose gerichtet, sah ich zu meiner Freude, daß sie eine westliche Richtung nahm. Sie entfernte sich von uns. Wir konnten anhalten und waren gerettet, wenn sie nicht umkehrte.

Aber dieses letztere geschah nicht. Sie bewegte sich in ungeminderter Schnelligkeit weiter, nicht mehr durchsichtig wie am Wasser, sondern wieder dunkel und undurchsichtig. Sie hatte alles, worauf sie stieß, von der Erde auf- oder emporgerissen. Wir sahen, wie sie wuchs und an Mächtigkeit gewann. Alles, was sie nicht in sich zu halten vermochte, weit von sich schleudernd, verfolgte sie verderbenbringend ihren Weg, bis auf einmal von fern her ein donnerndes Getöse erscholl, unter dem die Erde erbebte – sie war verschwunden.

Aber fast in demselben Momente hatte sich, wir wußten gar nicht wie, der ganze Himmel schwarz umhüllt, und es stürzte ein Regen hernieder, dessen Tropfen größer als eine Erbse waren.

„Unser Haus, unsere Wohnung! Was ist aus ihr geworden?“ jammerte die Frau, jetzt zum erstenmal ihr Schweigen brechend.

Statt der Antwort setzten wir die Pferde in scharfen Trab und kehrten nach dem Blockhause zurück. Nach dem Blockhause? Nein; das war nicht mehr vorhanden. Es war auseinandergerissen, auseinandergedreht, wie man ein dünnes, haltloses Strohgeflecht zerfetzt. Die schweren, mannesstarken Stämme und Klötze, aus denen es bestanden hatte, waren weit, weit mit fortgeschleppt und dann wieder zur Erde geschleudert worden. Von der Fenz war keine Spur zu sehen, keine einzige Planke, keine Latte, keine Stange – alles durch die Lüfte mit davongewirbelt.

Die Frau sank vor Entsetzen in einen Zustand der Empfindungslosigkeit. Das war uns lieb. Ich dachte an ihren Mann, an ihren Sohn, an den jungen Indsman. Ich wußte, seit ich die Zeichnung besaß, wo die Genannten zu finden seien – dort an dem Berge, an welchem die Windhose in sich zusammengestürzt war, weil er als ein unüberwindbares Hindernis in ihrem Wege gelegen hatte. Wie aber mochte sie geendet haben? jedenfalls wie eine sterbende Gigantin, welche im Todeskampf alles zermalmt, was in den Bereich ihrer Hände kommt. Es erwarteten uns dort vielleicht schreckliche Scenen, welche wir ihr ersparen wollten. Als sie aber hörte, daß wir ihren Sohn suchen wollten, erhielt sie ihre Thatkraft zurück. Es half weder Bitten noch Zürnen; wir durften sie nicht zurücklassen. Sie stieg auf und ritt mit.

So Plötzlich, wie der Regen losgebrochen war, hellte es sich auch wieder auf. Die Wolken waren verschwunden, wie weggezaubert, und die Sonne lachte vom Himmel herab, als ob gar nichts geschehen sei.

Aber wie sah es auf dem Wege aus, den wir einzuschlagen hatten! Wohl über sechzig Meter breit war die Bahn, welche die Trombe hinter sich gezeichnet hatte. Aller Pflanzenwuchs war wie wegrasiert. Sie hatte Löcher gerissen und wieder mit Trümmern gefüllt. Und weit, weit rechts und links über die Bahn hinaus lagen die Blöcke, Steine, Sträucher und sonstigen Massen, welche sie von sich geschleudert hatte.

Und nun gar am Berge; wie sah es da aus! Bereits von weitem erblickten wir die Verwüstung. Der Strauchwuchs war aus der Erde gerissen, emporgewirbelt, in unentwirrbare Knäuel zusammengedrückt und rechts und links hinweggeschleudert worden. Die Windhose hatte sich eine weite Strecke längs des Berges hin einen Ausweg gesucht und im Grimme darüber, ihn nicht finden zu können, alles Leben in Tod verwandelt. Die nackt gelegten Felsen hatten das Aussehen tief eingehauener Steinbrüche. Die Platanen, über welche ich mich im Vorüberreiten so gefreut hatte, waren kaum mehr zu erkennen. Mannsstarke Stämme lagen, samt den Wurzeln aus dem Boden gerissen, da; Äste von der Stärke eines Kindes waren wie Taue zusammengedreht worden. Die größte der Platanen hatte alle ihre Hauptäste eingebüßt. Sie bot mit ihren tiefen und langgeschlitzten Rißwunden einen bejammernswerten Anblick. Wo aber waren – – ah, da drüben stand ein indianisch gesatteltes Pferd, ein Rotschimmel, an einem gewaltigen, chaotisch verfitzten Gesträucherballen, an dessen Blättern es lüstern knabberte. Das war das Pferd des kleinen Hirsch. Wo das Tier war, mußte auch der Besitzer sein.

Wir ritten hin, und siehe da: Eine mächtige Platane war ausgerissen worden; im Umstürzen hatte sie mit den zähen, unzerreißbaren Wurzeln den ihr bisher gehörigen Grund und Boden emporgewuchtet. Unter diesem ungeheuren Wurzelballen gähnte ein breites, tiefes, höhlenartig nach innen verlaufendes Loch. Und da saßen der blonde Joseph und der junge Apatsche, von den Wurzeln wie von einem für den Regen undurchdringlichen Dach beschirmt. Sie lachten uns vergnügt entgegen. Die Mutter stieg in Eile hinab, den Sohn an ihr Herz zu drücken. Der Apatsche aber sprang herauf und fragte:

„Glauben nun meine weißen Brüder, daß ich das Anzeichen des sehr hungrigen Windes, kenne?“

„Wir glauben es,“ antwortete ich. „Wie aber habt ihr euch gerettet?“

„Der kleine Hirsch hatte sein Pferd tief im Gebüsch versteckt. Er holte es und setzte sich mit dem blauäugigen Bleichgesichte darauf, um dem Winde zu entfliehen. Als dieser sich gesättigt hatte, ritt Ischarshiütuha hierher und fand, was er mit dem kleinen Bleichgesichte seit drei Tagen gesucht hatte.“

„Du bist mit Joseph heimlich zusammengekommen?“

„Ja. Er ist der Sohn des Mannes mit den Beuteln, welcher hier ermordet wurde. Komm und siehe, wo die brennende Pfeife die Nuggets vergraben hatte.“

Er führte uns an die andere Seite des Wurzelballens. Dort war in der Nähe des Stammes die Erde auseinander geborsten, und wir erblickten zwei allerdings vom Moder weißgrau gewordene Ledersäckchen, welche sich bei näherer Besichtigung als mit Goldstaub und Goldkörnern gefüllt erwiesen. Joseph wußte bereits alles. Als nun seine Mutter erfuhr, was ich bereits erraten hatte, die Ermordung ihres ersten Mannes, wollte sie vor Jammer in die Kniee brechen.

Einen Trost bot freilich der unerwartete Besitz des wertvollen Metalles, doch war es ihr fast unmöglich, an denselben zu glauben. Auf ihre Fragen erzählte der Indianer:

„Der brüllende Stier war mein Vater. Er machte sich mit der brennenden Pfeife, seinem Bruder, auf, um den großen Vater der Bleichgesichter, zu besuchen und ihm die Wünsche der Apatschen mitzuteilen. Die beiden Häuptlinge ritten nach Osten. Sie kamen dazu, wie drei Bleichgesichter einen Weißen ermordeten, weil er Gold gefunden hatte. Zwei von den Mördern waren das böse Auge und die stehlende Hand; den dritten kannten sie nicht. Sie straften den Mord und töteten das böse Auge und den dritten. Die stehlende Hand entkam, nachdem sie meinen Vater erschossen hatte. Die brennende Pfeife folgte ihm, nachdem sie das Gold vergraben und die Leiche des brüllenden Büffel zu sich aufs Pferd genommen hatte, konnte ihn aber nicht erreichen. Brennende Pfeife begrub den Bruder da, wo ich ihn in zwei Tagen finden werde, und ritt allein nach Washington. Der Bruder mußte gerächt werden; ich mußte ihn rächen, denn ich bin sein Sohn. Aber es verging eine lange Zeit, weil ich noch klein war. Dann aber machte ich mich auf, um mir den Skalp des Mörders zu holen, denn dann bin ich ein Krieger und darf ein Feuerrohr tragen. Der Mörder wohnte in der Hütte des Ermordeten; er hatte das Weib desselben zu seiner Squaw gemacht; dadurch wurde die Hütte sein Eigentum und er konnte nach dem Schatze suchen.“

Als die Frau diese Eröffnung vernahm, stieß sie einen Schrei des Entsetzens aus und fiel in Ohnmacht. Ihr zweiter Mann war der Mörder des ersten.

„Nun sollt ihr die stehlende Hand sehen,“ sagte der Apatsche. „Folgt mir!“

Joseph blieb bei seiner besinnungslosen Mutter zurück, welcher wir die Besinnungslosigkeit wohl gönnten. Salters und ich folgten dem Indianer zu der großen Platane. Dort lag Rollins an der Erde unter einem der wohl drei Fuß im Durchmesser haltenden Hauptäste, welcher auf ihn gefallen war und ihm die Beine bis herauf an den Leib vollständig zermalmt hatte.

„Hier liegt er,“ sagte der Apatsche. „Ich wollte mir seinen Skalp holen; aber der große Geist hat ihn gerichtet. Ich nehme nur den Skalp eines Mannes, den ich besiegt habe. –Diesen hier hat der Zorn des gerechten Manitou erschlagen, an demselben Orte, an welchem er den Mord beging. Verstehest du nun die Schrift, welche ich dir zu lesen gab?“

„Vollständig,“ antwortete ich.

Brennende Pfeife kann nicht schreiben. Er hat die Schrift von dem großen Häuptling Intschu tschuna machen lassen, dem er alles erzählte. Du bist der Bruder dieses berühmten Kriegers, und darum will ich dir die Schrift schenken. Siehe, der Elende öffnet die Augen. Vielleicht kannst du noch mit ihm sprechen. Ich aber gehe; er ist der Mörder meines Vaters; ich hätte ihn getötet, aber sein Wimmern mag ich nicht hören. Der rote Mann hat auch ein Herz, gerade wie das weiße Bleichgesicht; er will schnell strafen, aber nicht langsam martern.“

Er kehrte zu Joseph und dessen Mutter zurück. Wir aber hatten noch eine schlimme Viertelstunde zu überstehen, die Sterbeminuten des Mörders. Das Bewußtsein kehrte ihm zurück; er fühlte, daß der Tod ihm nahe sei, und gestand alles. Zwar fehlte ihm die Kraft zur zusammenhängenden Rede, aber er konnte unsere Fragen doch mit ja oder Nein beantworten. So erfuhren wir, was wir uns eigentlich selbst schon ergänzen konnten.

Er hatte bemerkt, daß die ihn verfolgende brennende Pfeife die Nuggets nicht bei sich führte, sie also vergraben hatte. Er führte den Indianer irre und kehrte nach dem Schauplatz des Überfalles zurück. Dort machte er unter vieler Mühe ein Loch für die Leichen, damit der Mord ein Geheimnis bleibe. Einige Tage später schoß er auch noch den Bruder des Ermordeten nieder, um sich bei der Frau als willkommener Beschützer einführen zu können. Dann konnte er mit aller Bequemlichkeit nach dem Golde suchen. Es gelang alles, nur die Hauptsache nicht; er konnte die Nuggets nicht finden. Der Durst nach dem Golde und die Qualen seines Gewissens brachten ihn dem Wahnsinn nahe. Er litt keinen Fremden, damit ja nicht durch irgend einen Zufall etwas entdeckt werde. So waren Will und ich abgewiesen worden, und so hatte er auch den kleinen Hirsch fortgejagt, welcher sich lahm stellte, um unter diesem Vorwande bei ihm Eintritt zu erhalten.

Gott richtete ihn nach seiner Allgerechtigkeit. Gerade jetzt lag der Mörder auf der Stelle im Sterben, unter welcher die Gebeine der von ihm Verscharrten lagen, und noch in seinen letzten Augenblicken mußte er von uns erfahren, daß das so lange vergebens gesuchte Gold gefunden worden sei und in die Hände des von ihm gehaßten Knaben komme.

Und doch verfuhr der Barmherzige noch gnädig mit ihm: Die zermalmten Glieder verursachten ihm keine Schmerzen; er schlief ein, ohne einen Seufzer auszustoßen.

Wir meldeten seinem Weibe das Geschehene. Sie mochte ihn nicht sehen und that recht daran. Wir zwei haben ihm das Grab gemacht und ein Vaterunser über demselben gebetet.

Der kleine Hirsch ritt bald von dannen. Er ließ sich nicht halten. Und als die schwer geprüfte Frau ihm einen Teil des Goldes anbot, sagte er stolz:

„Behalte deinen Staub. Der Apatsche weiß, wo Gold in Menge zu finden ist, aber er sagt es keinem Menschen und verachtet es. Der große Geist hat den Menschen erschaffen, nicht daß er reich, sondern daß er gut werde. Möge er dir von nun an soviel Glück geben, wie du bisher Leid erfahren hast!“

Er stieg auf und ritt von dannen.

Am andern Vormittag verließen auch wir die Gegend, Joseph und seine Mutter mit uns nehmend. Der alte Gaul trug das Gold und das übrige wenige Eigentum von Mutter und Sohn, der Fuchs die Lady und mein Brauner den Knaben; Will und ich schritten nebenher. Im nächsten Settlement, wo Mutter und Sohn eine bessere Reisegelegenheit abwarten konnten, nahmen wir Abschied von ihnen, denen die Windhose so schlimme Aufklärung, dafür aber auch die Mittel zu einer besseren Existenz gebracht hatte.“ – –

Schon während der vorigen Erzählung, welche von dem Überfalle des Zuges und der Trappergesellschaft Sam Fire-guns handelte, war ein Herr aus einer Stube getreten, welche an den großen Gastraum stieß, und hatte sich an dem nächsten Tische niedergelassen. Diese Nebenzimmer sind gewöhnlich zum Aufenthalte für bessere Gäste bestimmt, woraus ich schloß, daß dieser Herr entweder kein gewöhnlicher Mann oder ein bevorzugter Bekannter der Wirtin sei. Es war ihm anzusehen, daß ihn die Erzählung herbeigezogen hatte, denn er schenkte ihr eine ganz ungewöhnliche Aufmerksamkeit. Dabei nickte ihm Mutter Thick zuweilen in sehr bezeichnender Weise zu, winkte, ihn dabei anblickend, bei gewissen Stellen der Erzählung mit der Hand nach dem Tische hin, an welchem der Erzähler saß, und ließ mich durch dieses Nicken und Winken vermuten, daß der betreffende Herr zu den Personen oder Ereignissen, von denen erzählt wurde, in irgend welcher Beziehung stehe. Ich wurde in dieser Ansicht dadurch bestärkt, daß er der darauf folgenden kürzeren Geschichte viel weniger Aufmerksamkeit als der vorhergehenden schenkte, auch hatte er einmal die Finger an den Mund gelegt, um der Wirtin still zu sagen, daß sie schweigen möge. Er wurde mir dadurch so interessant, daß ich ihn beobachtete, was aber selbstverständlich in einer solchen Weise geschah, daß er es nicht bemerkte. Sein Gesicht war von Wind und Wetter gegerbt und von der Sonne tief gebräunt, als hätte er sich im wilden Westen oder überhaupt nur im Freien bewegt; dennoch hielt ich ihn nicht für einen eigentlichen Westmann, denn seine durchgeistigten Züge, seine mehr nach innen gerichteten Augen und die Denkerfalten über der Nasenwurzel ließen auf einen andern Beruf als denjenigen eines Trappers schließen. Er war mir darum ein Rätsel, denn es giebt sehr wenig Berufsarten, welche neben geistiger Arbeit auch ein Herumstreifen in Prairie und Urwald erfordern, und selbst dann pflegt es weniger Beruf als vielmehr Liebhaberei zu sein, wie zum Beispiel bei dem Ethnographen, welcher die letzte Geschichte erzählt hatte.

Als er damit zu Ende war, fügte er an sie die Bemerkung.

„Ihr werdet jetzt zugeben, daß es schon vor Winnetou bei den Apatschen intelligente und achtenswerte Leute gab. Oder war das Benehmen dieses roten Knaben etwa nicht achtenswert? Und zugleich ist meine Geschichte auch wieder ein Beweis dafür, daß es Weiße giebt, die viel schlimmer sind als der schlimmste Indianer. Es befinden sich unter diesen Weißen oft Personen, die nach Stand und Bildung jedem andern ein gutes Beispiel geben sollten, anstatt dessen aber wahre Muster der Ruchlosigkeit und Niederträchtigkeit sind. Habe zum Beispiel da kürzlich von einem spanisch-mexikanischen Grafen erzählen hören, der sich mit den wilden Comantschen zum Überfalle seiner eigenen Hazienda und zur Ermordung von deren Bewohnern verbunden hatte. Wenn da nicht der Apatschenhäuptling Bärenherz und der Häuptling der Miztecas Büffelstirn gewesen wären, so hätten alle Weißen dort in das Gras beißen müssen.“

„Kennt Ihr diese Geschichte?“ wurde er gefragt.

„Ausführlich nicht. Ich hörte nur so einige Andeutungen. Es kam auch ein berühmter weißer Jäger dabei vor, dessen Name, wenn ich nicht irre, Donnerpfeil war.“

„Und ein Graf spielte den Halunken, ein wirklicher Graf?“

„Ein wirklicher Graf, dessen Vater einer der vornehmsten und reichsten Männer des Landes war.“

„Wie hieß denn dieser Kerl?“

„Graf von Roderig – – Rod – – Rod – – habe den Namen vergessen; kann mich nicht mehr auf ihn besinnen.“

Da ertönte es von einem der entfernteren Tische her:

„Graf von Rodriganda, meint Ihr wohl, Sir?“

„Ja, ja, so war es, Graf von Rodriganda. Ihr kennt also den Namen?“

„Sehr gut.“

„Habt die Geschichte gehört?“

„Nicht nur gehört. Ich kenne den Grafen und alle Personen, die darin vorkommen; ich kenne auch die Hacienda, von welcher Ihr spracht, und die ganze Umgegend derselben, denn ich muß Euch sagen, daß ich dort wohne und der Rechtsanwalt von Sennor Arbellez bin, auf den es damals abgesehen war.“

„Was? Sein Rechtsanwalt? Da werden Euch die Ereignisse allerdings sehr bekannt sein.“

„So bekannt, als hätte ich sie selbst mitgemacht.“

„Wie kommt es aber, daß Ihr diese Gegend verlassen habt und über den großen Fluß gegangen seid?“

„Geschäftssache, Sir. Ich bin eines Prozesses wegen hier in den Staaten.“

„So! Wenn die Rechtsanwälte nicht die dumme Gewohnheit hätten, sich jedes Wort, welches sie sprechen, teuer bezahlen zu lassen, so hätte ich eine Bitte an Euch.“

„Hm! Ihr scheint keine gute Meinung von uns zu haben!“

„Das will ich nicht grad sagen; ich habe nur gemeint, daß diese Herren sehr wohl wissen, was ein Dollar zu bedeuten hat.“

„Das weiß ich freilich auch; dennoch giebt es bei mir Zeiten, in denen ich gut gelaunt bin und mich nicht bezahlen lasse.“

„Wirklich?“

„Ja!“

„Wie steht es da wohl jetzt? Seid Ihr bei guter Laune?“

„Bei sehr guter.“

„So darf ich vielleicht mit meiner Bitte herausrücken?“

„Versucht es wenigstens einmal!“

Well! Ich möchte nämlich gern, daß die Gentlemen, welche hier sitzen, die Geschichte vom Grafen Rodriganda auch hören. Wollt Ihr sie erzählen?“

„Bin gar nicht abgeneigt. Aber sie ist nicht so kurz wie die Eurige; haben die Gentlemen Zeit?“

„Warum sollten sie keine haben? Bei Mutter Thick hat jedermann Zeit, so viele Gläser zu trinken und so lange zu bleiben, wie es ihm beliebt, zumal, wenn es gilt, etwas Interessantes anzuhören. Bitte, kommt her an unsern Tisch, damit Ihr Eure Stimme nicht zu sehr anzustrengen braucht!“

„Das will ich gern thun. Habe Eure Erzählungen angehört, die mir nicht übel gefallen haben, und ich will Euch zum Dank dafür nun auch einen Beweis zu Eurer Behauptung liefern, daß es weiße Schurken giebt, an deren Schlechtigkeit kein Roter heranreicht.“

Der Sennor, welcher durchaus mexikanisch gekleidet war, kam mit seinem Glase herbei, nahm den ihm angebotenen Platz ein, zündete sich die unvermeidliche Cigarette an und begann:

„Auf den Fluten des Rio Grande schwamm langsam ein leichtes Kanoe hinab. Es war aus langen Baumrindenstücken gebaut, die mit Pech und Moos verbunden waren, und trug zwei Männer, welche verschiedenen Rassen angehörten. Der eine führte das Steuer, und der andre saß sorglos im Buge, indem er damit beschäftigt war, aus Papier, Pulver und Kugeln Patronen für seine schwere Doppelrifle zu drehen.

Derjenige von den beiden, welcher das Steuer führte, hatte die scharfen, kühnen Züge und das durchdringende Auge eines Indianers, und auch ohne dies hätte man an seiner Kleidung sofort gesehen, daß er zur amerikanischen Rasse gehöre. Er trug nämlich ein wildledernes Jagdhemd, dessen Nähte phantastisch ausgefranst waren, ein Paar Leggins, deren Seitennähte mit den Kopfhaaren der von ihm erlegten Feinde geschmückt waren, und Mokassins, welche doppelte Sohlen zeigten. Um seinen nackten Hals hing eine Schnur von den Zähnen des grauen Bären, und sein Haupthaar war in einen hohen Schopf geflochten, aus welchem drei Adlerfedern hervorragten, ein sicheres Zeichen, daß er ein Häuptling sei. Neben ihm im Kanoe lag ein fein gegerbtes Büffelfell, welches ihm beim Gehen als Mantel diente. In seinem Gürtel stak ein glänzender Tomahawk, ein zweischneidiges Skalpmesser und der Pulver- und Kugelbeutel. Auf dem Büffelfelle lag eine lange Doppelflinte, deren Kolben mit silbernen Nägeln verziert war und in dessen Schaft man viele eingeschnittene Kerben bemerkte, um die Zahl der Feinde zu bezeichnen, welche er bereits erlegt hatte. An der Bärenzahnschnur war das Kalumet befestigt, und außerdem sah man aus einer Tasche seines Jagdhemdes die Kolben von zwei Revolvern hervorblicken. Diese beiden bei den Indianern so seltenen Waffen waren ein sicheres Zeichen, daß er mit der Civilisation in eingehende Berührung gekommen sei.

Das Steuer in der Rechten, schien er seinem Begleiter zuzuschauen und sich um weiter gar nichts zu bekümmern; ein aufmerksamer Beobachter aber hätte bemerkt, daß er dennoch unter den tief gesenkten Wimpern hervor die Ufer des Flusses sehr scharf mit jenem eigentümlichen, maskierten Blicke beobachtete, welcher dem Jäger eigen ist, der in jedem Augenblicke einen Angriff auf sein Leben erwarten kann.

Der andre, welcher im Vorderteile saß, war ein Weißer. Er war lang und zwar schlank, aber doch ungemein kräftig gebaut und trug einen blonden Vollbart, der ihn außerordentlich gut kleidete. Auch er hatte Lederhosen an, die in den hoch heraufgezogenen Schäften schwerer Aufschlagestiefel steckten. Eine blaue Weste und ein ebensolches Jagdwams bedeckten seinen Oberkörper; der Hals war frei und nackt, und auf dem Kopfe saß einer jener breitkrempigen Filzhüte, die man im fernen Westen stets zu sehen bekommt. Sie haben die Farbe und Form verloren.

Die beiden Männer mochten in dem gleichen Alter von vielleicht achtundzwanzig Jahren sein, und beide trugen anstatt der Sporen scharfe Fersenstachel, ein sicherer Beweis, daß sie beritten gewesen waren, ehe sie sich das Kanoe bauten, um den Rio Grande hinabzufahren.

Indem sie so von dem Wasser des Flusses abwärts getragen wurden, vernahmen sie plötzlich das Wiehern eines Pferdes. Die Wirkung dieses Lautes war eine blitzschnelle, denn noch war der Ton nicht ganz verklungen, so lagen die beiden Männer bereits auf dem Boden des Kanoe, so daß sie von außen nicht gesehen werden konnten.

Tkli – ein Pferd!“ flüsterte der Indianer in der Sprache der Apatschen.

„Es steht weiter abwärts,“ meinte der Weiße.

„Es hat uns gewittert. Wer mag der Reiter sein?“

„Ein Indianer nicht und ein guter, weißer Jäger auch nicht,“ sagte der Weiße.

„Warum?“

„Ein erfahrener Mann läßt sein Pferd nicht so laut wiehern.“

„Was thun wir?“

„Rudern wir an das Ufer. Wir steigen aus und schleichen uns hin.“

„Und das Kanoe bleibt liegen?“ fragte der Indianer. „Wenn es nun Feinde sind, welche uns an das Ufer locken und töten wollen?“

Pshaw, wir haben auch Waffen!“

„So mag wenigstens mein weißer Bruder den Kahn bewachen, während ich die Gegend untersuche.“

„Gut, ich bin einverstanden!“

Sie leiteten das Kanoe an das Ufer, wo der Indianer ausstieg, während der Weiße mit den Waffen in der Hand sitzen blieb, um seine Rückkehr zu erwarten. Nach einigen Minuten bereits sah er ihn in aufrechter Stellung kommen, das war ein Zeichen, daß keine Gefahr vorhanden sei.

„Nun?“ fragte der Weiße.

„Ein weißer Mann schläft dort hinter dem Busche.“

„Ah! Ein Jäger?“

„Er hat nur ein Messer.“

„Ist weiter niemand in der Nähe?“

„Ich habe niemand gesehen.“

„So wollen wir hin!“

Er sprang aus dem Fahrzeuge und band dieses fest; dann ergriff er seine schwere Rifle, zog die beiden Revolver, welche auch er besaß, halb hervor, um kampfbereit zu sein, und folgte dem Indianer. Sie erreichten bald die Stelle, an welcher der Schläfer lag. Neben ihm stand ein Pferd angebunden, welches auf mexikanische Weise gesattelt war.

Der Mann trug jene nach unten weiter werdenden mexikanischen Hosen, ein weißes Hemd und eine blaue, nach Husarenart um die Schultern hängend getragene Jacke.

Hemd und Hose wurde durch ein gelbes Tuch zusammengehalten, welches er wie einen Gürtel um die Hüften gewunden hatte. In diesem Gürtel stak außer einem Messer keine einzige Waffe. Der gelbe Sombrero lag über seinem Gesichte, um dasselbe gegen die warmen Strahlen der Sonne zu schützen. Der Mann schlief so fest, daß er das Nahen der beiden andern gar nicht hörte.

„Holla, Bursche, wach auf!“ rief der Weiße, ihn am Arme schüttelnd.

Der Schläfer erwachte, sprang empor und zog das Messer. „Verdammt, was wollt ihr?“ rief er schlaftrunken.

„Zunächst nur wissen, wer du bist.“

„Wer seid ihr denn?“

„Hm, mir scheint, du hast Angst vor dem roten Mann. Das ist nicht nötig, alter junge. Ich bin ein deutscher Trapper, Namens Helmers, und stamme aus der Gegend von Mainz, und dieser hier ist Shosh-in-liett, der Häuptling der Jicarillas-Apatschen.“

„Shosh-in-liett?“ fragte der Fremde. „O, dann habe ich keine Sorge, denn dieser große Krieger der Apatschen ist ein Freund der Weißen.“

Shosh-in-liett heißt zu deutsch Bärenherz.

„Nun, und du?“ fragte der Weiße, der sich Helmers genannt hatte.

„Ich bin Vaquero“ antwortete der Mann.

„Wo?“

„Jenseits des Flusses.“

„Bei wem?“

„Beim Grafen de Rodriganda.“

„Und wie kommst du herüber?“

„Alle Teufel, sagt mir lieber, wie ich hinüberkomme! Ich werde verfolgt.“

„Von wem?“

„Von den Comantschen.“

„Das scheint sich nicht zu reimen. Du wirst von Comantschen verfolgt und legst dich in aller Gemütsruhe hier schlafen!“

„Der Teufel schlafe nicht, wenn man so müde ist!“ „Wo trafst du auf die Comantschen?“

„Grad im Norden von hier, nach dem Rio Pecos zu. Wir waren fünfzehn Männer und zwei Frauen, sie aber zählten über sechzig.“

„Donnerwetter! Habt ihr gekämpft?“

„Ja.“

„Weiter, weiter!“

„Was weiter? Sie überfielen uns, ohne daß wir von ihrer Gegenwart etwas ahnten; darum machten sie die Mehrzahl von uns nieder und nahmen die Frauen gefangen. Ich weiß nicht, wie viele noch außer mir entkommen sind.“

„Wo kamt ihr her, und wohin wolltet ihr?“

Der Vaquero war nicht gesprächig; er ließ sich jedes Wort abkaufen; er antwortete:

„Wir waren nach Forte del Quadeloupe geritten, um die beiden Damen abzuholen, welche dort zu Besuch gewesen waren. Der Überfall geschah auf dem Heimwege.“

„Wer sind die Damen?“

„Sennorita Arbellez und Karja, die Indianerin.“

„Wer ist Sennorita Arbellez?“

„Die Tochter unsers Inspektors.“

„Und Karja?“

„Sie ist die Schwester von Tecalto, dem Häuptling der Miztecas.“

Da horchte Bärenherz auf.

„Die Schwester von Tecalto?“ fragte er.

„Ja.“

„Er ist mein Freund. Wir haben die Friedenspfeife miteinander geraucht. Die Schwester seines Herzens sollte nicht gefangen bleiben. Gehen meine weißen Brüder mit, sie zu befreien?“

„Ihr habt doch keine Pferde!“ sagte der Vaquero.

Der Indianer warf ihm einen geringschätzigen Blick zu und antwortete:

„Bärenherz hat ein Pferd, wenn er eins braucht. In einer Stunde wird er den Hunden von Comantschen eins genommen haben.“

„Verdammt, das wäre stark!“

„Nein, das versteht sich ganz von selbst,“ sagte der Weiße.

„Wie so?“

„Wann seid ihr gestern überfallen worden?“

„Am Abend.“

„Und wie lange hast du hier geschlafen?“

„Wohl kaum eine Viertelstunde.“

„So werden die Comantschen bald hier sein.“

„Alle Teufel!“

„Sicher!“

„Warum?“

„Du bist ein Vaquero und kennst die Gebräuche der Wilden nicht? Was für eine Absicht denkst du wohl, daß sie mit den Damen haben werden? Haben sie dieselben wohl wegen eines Lösegeldes gefangen genommen?“

„Nein, sicherlich nicht. Sie werden sie mitnehmen, um sie zu ihren Weibern zu machen, denn beide sind jung und schön.“

„Ja, ich habe gehört, daß die Mädchen der Miztecas wegen ihrer Schönheit berühmt sind. Wenn also die Comantschen die beiden Damen nicht wieder herausgeben wollen, so müssen sie dafür sorgen, daß man den Aufenthaltsort derselben nicht entdecken kann; sie müssen ihre Spur verbergen. Infolgedessen dürfen sie also auch keinen von euch entkommen lassen, und darum haben sie sich ganz gewiß aufgemacht, um dich zu verfolgen, damit du keine Kunde nach Hause tragen kannst.“

„Das leuchtet mir ein!“ sagte der Vaquero.

„Die Comantschen waren natürlich zu Pferde?“

„Ja.“

„Sie werden dich also auch zu Pferde verfolgen; sie werden auf deiner Spur reiten und Pferde haben, wenn sie hier ankommen.“

„Verdammt, das ist sehr leicht zu denken, obgleich ich nicht daran gedacht habe!“

„Ja, ein sonderlicher Scharfsinn scheinst du nicht zu sein! Dachtest du dir denn nicht, daß man dich verfolgen würde?“

„Natürlich!“

„Warum legtest du dich da zum Schlafen?“

„Ich war zu müde von der Anstrengung der Flucht.“

„Du mußtest wenigstens erst über den Fluß gehen!“

„Er ist hier zu breit, und das Pferd zu angegriffen.“

„Danke Gott, daß wir keine Comantschen sind! Du wärst hier eingeschlafen und dann im Paradiese ohne Kopfhaut erwacht. Hast du Hunger?“

„Ja.“

„So komm mit nach dem Kahne, führe aber zunächst dein Pferd weit hinter die Büsche, damit man es von weitem nicht sehen kann!“

Dieses Gespräch war nur von Helmers und dem Vaquero geführt worden. Bärenherz hatte sich nach dem Kanoe zurückbegeben, wo er ruhend auf der Büffelhaut lag. Der Vaquero erhielt Fleisch; Wasser gab es im Flusse; so war für alles gesorgt.

Nachdem er sich satt gegessen hatte, fragte ihn Helmers nach seinen näheren Verhältnissen. Als einige Zeit vergangen war, verließ Helmers den Kahn, um das etwas erhöhte Ufer zu erklettern und Ausguck zu halten. Er hatte die Höhe kaum erreicht, als er einen Ruf der Überraschung ausstieß:

„Holla, sie kommen! Bald hätten wir die rechte Zeit versäumt.“

Der Indianer stand im Nu bei ihm und schaute nach den Comantschen aus.

„Sechs Reiter!“ sagte er.

„Kommen auf jeden drei.“

Der deutsche Trapper schien gar nicht daran zu denken, daß der Vaquero auch einen der Feinde auf sich nehmen könne.

„Wer nimmt das Pferd?“ fragte Bärenherz.

„Ich,“ antwortete der Deutsche.

Der Indianer nickte und sagte dann:

„Von diesen Comantschen darf kein einziger entkommen!“

„Das versteht sich ganz von selbst,“ meinte Helmers. Dann wandte er sich an den Vaquero: „Du hast nur dein Messer?“

„Ja.“

„So kannst du uns bei dieser Sache gar nichts nützen. Du bleibst im Kanoe liegen, und ich nehme einstweilen dein Pferd.“

„Aber wenn es erschossen wird!“ sagte der Mann ängstlich.

„Dummheit, so bekommen wir sechs andre dafür!“

Der Mexikaner mußte dieser Anordnung Folge leisten. Er versteckte sich in das Kanoe, während die beiden andern sich nach dem Orte begaben, an welchem sie ihn gefunden hatten. Sie stellten sich neben das hinter den Büschen des Ufers versteckte Pferd und warteten.

Die Reiter, welche Helmers zuerst als sechs dunkle Punkte in der Ferne erkannt hatte, kamen schnell näher. Man konnte bereits ihre Bekleidung und Bewaffnung erkennen.

„Ja, es sind die Hunde der Comantschen,“ sagte Bärenherz.

„Sie haben sich mit den Kriegsfarben bemalt, geben also keinen Pardon,“ bemerkte Helmers.

„Sie sollen selbst keinen erhalten!“

„Die beiden Hintersten müssen zuerst daran glauben; die Vordersten bleiben uns dann gewiß.“

„Ich nehme die Hintersten,“ sagte der Apatsche.

„Gut!“

Die Comantschen waren jetzt auf einen halben Kilometer herangekommen; sie ritten noch immer im schnellsten Galopp. In einer Minute mußten sie sich im Bereiche der Büchsen befinden.

„Wie dumm sie sind!“ lachte der Deutsche.

„Diese Comantschen haben kein Hirn; sie vermögen nicht zu denken!“

„Sie könnten doch wenigstens vermuten, daß der Vaquero sich hier versteckt hat und auf sie wartet! Aber jedenfalls meinen sie, daß er sofort über den Strom geritten ist.“

„Ugh!“ sagte der Apatsche.

Mit dieser Aufforderung zur Aufmerksamkeit erhob er seine Büchse. Helmers that dasselbe. Zwei Schüsse krachten und noch zwei. Vier der Comantschen wälzten sich am Boden. Im nächsten Augenblicke saß Helmers auf dem Pferde des Vaquero und brach mit demselben durch die Büsche. Die beiden übrig gebliebenen Comantschen stutzten und hatten gar nicht Zeit, ihre Pferde zu wenden, so war der Deutsche schon bei ihnen. Sie erhoben ihre Tomahawks zum tödlichen Schlage, er aber hielt den Revolver bereit. Zweimal drückte er ab, und auch diese zwei stürzten von den Pferden.

Dieser Sieg war in weniger als zwei Minuten Zeit errungen. Die Pferde der Gefallenen wurden mit leichter Mühe eingefangen.

Jetzt kam der Vaquero herbei. Er hatte vom Kanoe aus alles beobachtet.

„Verdammt!“ meinte er, „das war ein Sieg!“

„Pah!“ lachte der Deutsche. „Sechs Comantschen, was ist das weiter. Man sollte eigentlich mit Menschenblut sparsamer umgehen, denn es ist der köstlichste Saft, den es giebt; aber diese Comantschen verdienen es nicht anders.“

Man nahm den Toten ihre Waffen ab und warf sie in das Gras, nachdem Bärenherz den beiden, die er getötet hatte, die Skalpe löste, um sie sich an den Gürtel zu hängen. Der Weiße nahm keinen Skalp.

„Was nun?“ fragte der Deutsche. „Brechen wir sofort auf?“

„Ja,“ antwortete der Apatsche. „Die Schwester meines Freundes soll nicht vergebens auf Hilfe rechnen.“

„Nehmen wir den Vaquero mit?“

Bärenherz musterte diesen und sagte dann:

„Thue, was du willst!“

„Ich gehe mit!“ erklärte der Mexikaner.

„Ich glaube nicht, daß wir dich brauchen können,“ meinte Helmers.

„Warum?“

„Ein Held bist du nicht.“

„Ich hatte ja keine Waffen jetzt!“

„Aber bei dem gestrigen Überfalle bist du doch auch geflohen.“

„Nur, um Hilfe herbei zu holen.“

„Ach! So! Nun, wirst du den Platz wiederfinden können, an welchem ihr überfallen wurdet?“

„Ja.“

„So magst du uns begleiten.“

„Darf ich mir von den Waffen der Indianer nehmen?“

„Ja. Nimm dir auch ein Pferd von ihnen. Das deinige lassen wir frei; es ist zu sehr abgetrieben und würde uns nur hinderlich sein.“

Die drei besten Pferde wurden bestiegen und die übrigen frei gelassen; dann setzte sich der kleine Zug in Bewegung.

Es ging nach Norden immer dem Rio Pecos zu. Der Weg führte zunächst durch offene Prairie, dann erhob sich eine Sierra vor ihnen, deren Berge mit Wald bestanden waren; sie ritten durch Thäler und Schluchten und gelangten gegen Abend auf eine Höhe, von welcher aus man eine kleine Savanna überblicken konnte.

„Ugh!“ rief der Apatsche, welcher voranritt.

„Was giebt es?“ fragte der Deutsche.

„Siehe!“

Bärenherz streckte die Hände aus und deutete nach unten. Dort lagerte ein Trupp Indianer, in dessen Mitte man die Gefangenen erblickte. Der Deutsche nahm ein kleines Fernrohr aus der Tasche, stellte es, hob es an das Auge und blickte hindurch.

„Was sieht mein weißer Bruder?“ fragte der Apatsche.

„Neunundvierzig Comantschen.“

Pshaw!“ sagte der Apatsche geringschätzend.

„Und sechs Gefangene.“

„Sind die Frauen mit dabei?“

„Ja, zwei.“

„Wir werden sie befreien!“

Diese Worte sagte der Häuptling mit so großer Seelenruhe, daß man glauben mußte, es verstehe sich ganz von selbst, er nähme es ganz allein mit einem Schock Comantschen auf.

„Am Abend?“ fragte der Deutsche.

„Ja,“ nickte der Apatsche.

„Aber wie?“

„Wie ein Häuptling der Apatschen!“ sagte Bärenherz stolz.

„Ich bin dabei. Diese neunundvierzig Comantschen können nicht hundert Wachen aufstellen.“

„Wir wollen uns verbergen.“

„Warum?“ fragte der Vaquero.

„Willst du dich etwa sehen lassen?“ antwortete Helmers.

„Nein. Aber hier können sie uns ja gar nicht sehen.“

„Es können ja auch noch andre außer dir entkommen sein. Die hat man gewiß auch verfolgt, und wenn die Verfolger zurückkehren, können sie uns sehr leicht bemerken. Halte die Pferde. Wir beide wollen zunächst dafür sorgen, daß unsre Fährte ausgewischt wird.“

Er kehrte mit Bärenherz eine Strecke weit auf dem Wege, den sie gekommen waren, zurück, um die Hufspuren unsichtbar zu machen; dann wurde im dichtesten Gebüsch der Anhöhe ein Versteck ausgesucht und auch gefunden, worin sie sich mit ihren Tieren verbargen.

Die Sonne ging unter, und es wurde Abend. Die finstere Nacht brach an, und noch regte sich nichts in dem Verstecke. Die beste Zeit zum Überfalle war kurz nach Mitternacht.

„Nun, hast du dir ausgesonnen, wie es zu machen ist?“ fragte der Deutsche den Apatschen.

„Ja,“ antwortete dieser.

„Wie?“

„Wie es tapfere Männer machen. Kannst du eine Wache töten, ohne daß sie einen Laut von sich giebt?“

„Ja.“

„Gut! So schleichen wir uns hinzu, töten die Wachen, schneiden die Fesseln der Gefangenen durch und entfliehen mit ihnen.“

„Natürlich mittels der Pferde?“

„Ja.“

„So wird es Zeit, zu beginnen, denn das Anschleichen ist eine langweilige Sache.“

„Aber dieser Vaquero bleibt zurück?“ fragte der Apatsche.

„Ja; er hat die Pferde zu halten.“

„Wo erwartet er uns?“

„Da, wo wir die Comantschen zuerst erblickten. Wir müssen dort vorüber, da wir doch jedenfalls nach dem Rio Grande zurückkehren.“

„So laß uns beginnen!“

Die beiden mutigen Männer ergriffen ihre Gewehre und schritten, nachdem sie dem Vaquero die nötigen Instruktionen erteilt hatten, davon.

Unten im Thale brannte ein einziges Wachtfeuer; rund um dasselbe lagen die schlafenden Comantschen und bei ihnen die gefesselten Gefangenen. Die Wachtposten waren jedenfalls außerhalb dieses Kreises zu suchen. Als die beiden das Thal erreichten, sagte Bärenherz:

„Ich gehe links, und du gehst rechts.“

„Gut. Auf alle Fälle befreien wir zunächst die beiden Frauen.“

Sie trennten sich.

Helmers umschritt das Lager nach der rechten Seite hin. Natürlich geschah dies nicht in aufrechter Stellung, sondern in der Weise, wie sie in der Prairie gebräuchlich ist. Man legt sich auf den Boden nieder und schiebt sich wie eine Schlange langsam und vorsichtig weiter. Man darf dabei weder gehört noch gesehen werden, auch muß man dafür sorgen, daß die Pferde keine Witterung bekommen, weil sie sonst durch ihr ängstliches Schnauben die Nähe des Feindes verraten.

So that es Helmers. Erst einen weiten Bogen schlagend, machte er denselben allmählich enger, bis er eine dunkle Gestalt erblickte, welche langsam auf und nieder schritt. Das war eine Wache. Er schlich sich mit der größten Vorsicht heran. Es war ein Glück, daß die Nacht finster war und das Feuer nicht mehr leuchtete. Er kam der Wache bis auf fünf Schritte nahe, dann schnellte er sich plötzlich auf dieselbe zu, packte sie von hinten mit der Linken bei der Kehle, schnürte diese so fest zu, daß ein Laut unmöglich war, und stieß ihr mit der Rechten das lange Bowiemesser in die Brust. Der Mann sank nieder, ohne ein Wort zu sagen oder das leiseste Geräusch machen zu können.

So gelang es ihm, nach vielleicht einer Viertelstunde, eine zweite Wache unschädlich zu machen; dann stieß er mit Bärenherz zusammen, welcher auf ganz dieselbe Weise auch zwei Comantschen getötet hatte.

„Nun die Frauen!“ flüsterte der Indianer.

„Vorsicht!“ bat der Deutsche.

Pshaw! Der Apatsche ist mutig, aber auch vorsichtig. Vorwärts!“ war die Antwort.

Sie wandten sich vollständig unhörbar durch das ziemlich fußhohe Gras nach dem Feuer hin. Die Frauen waren an der hellen Farbe ihrer Kleidung leicht zu unterscheiden. Helmers erreichte sie zuerst und näherte seine Lippen dem Ohre der einen. Dabei sah er trotz der Dunkelheit, daß sie die Augen offen hielt und ihn beobachtet hatte.

„Erschrecken Sie nicht und halten Sie sich still!“ flüsterte er. „Erst wenn ich auch Ihrer Freundin die Fesseln durchschnitten habe, eilen Sie zu den Pferden hin.“

Sie verstand ihn. Die Frauen lagen nebeneinander. Sie waren an Händen und Füßen gefesselt. Der Deutsche durchschnitt die Riemen, die ihnen in das Fleisch gedrungen waren.

Sobald der Apatsche bemerkte, daß der Deutsche sich der beiden Damen annahm, suchte er die männlichen Gefangenen auf. Es waren ihrer vier, und sie lagen in der Nähe. Er kroch zu ihnen heran. Auch sie schliefen nicht. Er nahm das Messer zur Hand, um auch ihre Riemen zu durchschneiden. Schon hatte er dies bei zweien gethan, da erhob sich ganz plötzlich in der Nähe einer der Indianer empor. Er hatte die Bewegungen des Apatschen im halben Schlafe gehört. Zwar erhob Bärenherz sofort sein Messer und stieß es ihm in die Brust, aber der zum Tode Getroffene fand dennoch Zeit, einen lauten Warnungsruf auszustoßen.

„Vorwärts, zu den Pferden! Mir nach!“ rief der Apatsche, indem er blitzschnell die Banden der übrigen zwei löste.

Sie sprangen empor und stürzten zu den Pferden.

„Schnell, schnell, um Gotteswillen!“ rief auch der Deutsche.

Er ergriff hüben und drüben eine der Damen und riß sie zu den Pferden hin; aber ihre Hand- und Fußgelenke waren von den Fesseln so eingeschnürt gewesen, daß sie kaum gehen konnten.

„Bärenherz!“ rief der Deutsche in höchster Angst.

„Hier!“ ertönte die Stimme des Apatschen.

„Schnell herbei!“

Im nächsten Augenblicke war der Häuptling da. Er ergriff eine der Frauen, hob sie empor und eilte mit ihr zu den Pferden. Helmers that es mit der andern ebenso. Sie sprangen auf, zogen die Frauen zu sich auf das Pferd, schnitten die Lassos durch, an denen die Tiere angepflockt gewesen waren, und jagten davon.

Das alles war unter lauter Angst, aber auch mit der Schnelligkeit des Blitzes geschehen, aber keinen Augenblick zu früh, denn gerade in dem Momente, an welchem sie ihre Tiere in Bewegung setzten, krachten hinter ihnen die Schüsse der Comantschen.

Diese hatten gar nicht an die Möglichkeit eines Überfalles gedacht und darum fest geschlafen. Jetzt sprangen sie empor und griffen zu den Waffen. Sie bildeten ein wirres Durcheinander und merkten erst dann, was geschehen war, als die Gefangenen bereits davonsprengten. Nun warfen auch sie sich auf die noch übrigen Pferde und jagten den Entflohenen nach.

Helmers und der Apatsche ritten an der Spitze. Sie kannten den Weg, und jeder von ihnen hatte ein Mädchen vor sich liegen. Oben auf der Höhe wartete der Vaquero auf sie. Als er sie kommen hörte, stieg er auf und nahm die beiden andern Pferde am Zaum.

„Uns nach!“ rief Helmers ihm zu, der ihn halten sah.

So ging die wilde Jagd bei voller Dunkelheit jenseits wieder in das Thal hinab, voran die Flüchtlinge und hinter ihnen die Comantschen, welche ohne Aufhören die Gewehre luden und abschossen, ohne doch jemand zu treffen. Da endlich erreichte man die freie Prairie, und nun endlich konnte man an eine Gegenwehr denken.

„Können Sie reiten, Sennora?“ fragte Helmers seine Dame.

„Ja!“

„Hier ist der Zügel! Immer grad aus!“

Er sprang ab und stieg auf sein Pferd, welches der Vaquero am Zügel führte. Der Apatsche that ganz dasselbe. Sie bildeten nun die Nachhut und hielten mit ihren vortrefflichen Büchsen die Indianer im Schach. So ging es fort, bis der Morgen graute, und da zeigte es sich, daß die Comantschen weit zurückgeblieben waren, teils aus Vorsicht, teils wohl auch deshalb, weil sie ihre Tiere jetzt noch nicht so antreiben wollten, wie die Flüchtigen.

„Wollen wir langsamer reiten?“ fragte der Vaquero.

„Nein,“ antwortete der Deutsche. „Immer fort, so schnell wie möglich, damit wir den Strom zwischen uns und die Comantschen bringen.“

Er konnte jetzt die beiden befreiten Frauen deutlich sehen und also genauer betrachten. Die eine war eine Spanierin und die andere eine Indianerin, aber jede schön in ihrer Art.

„Können Sie den Ritt noch aushalten, Sennorita?“ fragte er die erstere.

„So lange, als Sie wollen,“ antwortete sie.

„Wie soll ich Sie nennen?“

„Mein Name ist Emma Arbellez. Und der Ihrige?“

„Ich heiße Helmers.“

„Helmers? Das klingt deutsch.“

„Ich bin auch wirklich ein Deutscher. Wir müssen bald über den Fluß, Sennorita.“

„Wird uns das gelingen?“

„Ich hoffe es. Leider sind nur drei von uns bewaffnet; doch liegen dort am Rio Grande noch die übrigen Waffen, welche wir gestern den Comantschen abgenommen haben.“

„Sie haben schon gestern gekämpft?“

„Ja. Wir trafen den Vaquero und hörten von ihm das Nähere. Wir erlegten seine Verfolger und beschlossen, auch Sie zu befreien.“

„Zwei Männer! Gegen so viele!“ wunderte sie sich.

Als die fliehende Truppe den Rio Grande erreichte, hatte sie die Verfolger so weit hinter sich gelassen, daß man sie ganz aus den Augen verloren hatte, Die Waffen der erschossenen Indianer lagen noch hier und wurden unter diejenigen verteilt, welche keine Waffen hatten. Die vier männlichen Geretteten waren drei Vaqueros und ein Majordomo oder Hausmeister.

„Was thun wir?“ fragte der letztere. „Erwarten wir die Indianer hier, um ihnen einen Denkzettel zu geben? Wir haben jetzt acht Gewehre.“

„Nein, wir setzen über. Drüben haben wir den Fluß als Verteidigungslinie vor uns. Die Damen nehmen im Kanoe Platz,“ sagte Helmers.

So geschah es. Der Majordomo ruderte die Damen hinüber, während die andern zu Pferde in das Wasser gingen. Es ging alles ganz glücklich von statten. Und als man drüben anlangte, wurde das Kanoe versenkt und Anstalt zur Verteidigung getroffen. Dabei hielt sich Emma Arbellez, immer an der Seite des Deutschen.

„Warum reiten wir nicht sofort weiter, Sennor?“ fragte sie.

„Die Klugheit verbietet uns das,“ antwortete er. „Wir haben einen Feind hinter uns, der uns an Zahl bedeutend überlegen ist.“

„Aber acht Gewehre!“ meinte sie mutig.

„Gegen fünfzig, die der Feind hat. Bedenken Sie, daß wir Damen zu beschützen haben!“

„So meinen Sie, wir wollen uns hier belagern lassen?“

„Nein. Die Comantschen glauben sicher, daß wir nach unsrem Übergang sofort weiter geritten sind. Sie werden also auch sogleich in das Wasser gehen, und wenn ihrer genug im Flusse sind, so können wir ihre Zahl derart lichten, daß sie von der Verfolgung ablassen müssen.“

„Wenn sie nun aber vorsichtig sind?“

„Inwiefern?“

„Erst Kundschafter herüberschicken?“

„Hm, wahrhaftig, es ist möglich, daß sie das thun!“

„Welche Maßregeln werden Sie dagegen treffen?“

„Wir reiten weiter und kehren auf einem Umwege zurück. Vorwärts also, ehe sie kommen!“

Man stieg wieder zu Pferde und sprengte in vollster Carriere in die jenseitige Ebene hinein. Dort schlug man einen Bogen und kehrte zurück. Man erreichte den Fluß etwas oberhalb der Stelle, an welcher man übergesetzt hatte. Das war kaum geschehen, so ließ sich drüben lauter Hufschlag hören.

„Sie kommen!“ sagte der Majordomo.

„Haltet den Pferden die Nüstern zu, damit sie nicht wiehern!“ gebot Helmers.

Das kluge Mädchen hatte doch richtig geahnt. Die Comantschen suchten drüben die Spuren ab, und dann ritten zwei von ihnen vorsichtig in den Fluß. Sie kamen herüber, suchten auch hier und fanden die Fährte, welche weiter fortführte.

Ni-uake, mi ua o-o, ni esh miushyame – hier sehen wir sie; ihr könnt kommen!“ riefen sie hinüber.

Auf diese Aufforderung ging der ganze Trupp, ein Mann nach dem andern, in das Wasser. Der Fluß war so breit, daß der erste der Comantschen das eine Ufer noch nicht erreicht hatte, als der letzte das andre verließ. Die Flüchtlinge staken im Gebüsch versteckt. Jetzt war es Zeit für sie.

„Wohin zielen wir?“ fragte der Majordomo.

„Auf die ersten im Wasser. Die beiden, welche bereits hüben halten, sind uns sicher!“

„Nur nicht zwei auf einen Mann schießen!“ warnte der Apatsche. „Zählt allemal acht ab. Wir schießen so auf sie in der Reihe, wie wir hier in der Reihe stehen.“

„Gut, vortrefflich!“ sagte Helmers. „Fertig?“

„Ja,“ flüsterte es siebenfach die Antwort.

„So, Feuer!“

Die acht wohlgezielten Schüsse krachten in einem und demselben Augenblicke; ein einziger Kanonenschlag, und die acht vordersten Comantschen versanken im Wasser. Der Deutsche und der Apatsche hatten Doppelbüchsen; Sie drückten ihre zweiten Läufe ab und ließen noch zwei Feinde versinken.

„Schnell wieder laden!“ rief Helmers.

Es war wunderbar, ja fast lächerlich anzusehen, welche Wirkung die Salve auf die Überlebenden hervorbrachte. Die Comantschen rissen ihre Pferde herum und schwammen wieder dem entgegengesetzten Ufer zu. Viele glitten vorsichtig von den Tieren herab und schwammen neben denselben, um sich durch sie decken zu lassen. Die zwei aber, welche bereits am diesseitigen Ufer waren, zeigten sich als die besorgtesten, aber auch – unvorsichtigsten. Sie rissen ihre Büchsen herab und kamen im Galopp herbeigesprengt. Sofort zog der Deutsche den Revolver und schlich ihnen hinter dem Buschwerk entgegen. Sie sahen ihn nicht, und eben, als sie an der Stelle, wo er sich befand, vorüber wollten, drückte er zweimal ab. Sie stürzten tot vom Pferde.

„Holla, noch zwei geladene Gewehre!“ rief Helmers.

„Die sind für uns!“ antwortete Emma Arbellez.

„Können Sie schießen?“

„Alle beide.“

„Dann schnell!“

Er sprang dahin zurück, wo er seine Doppelbüchse weggelegt hatte, und die beiden Damen ergriffen die Gewehre der zwei Comantschen. Das alles war so schnell gegangen, daß seit der ersten Salve bis jetzt kaum eine Minute vergangen war. Man hatte wieder geladen.

„Feuer!“ ertönte der Kommandoruf.

Die Feinde hatten das jenseitige Ufer noch nicht wieder erreicht; sie erhielten jetzt eine Salve aus den einfachen und zwei Doppelgewehren, welche fast alle gut gezielt waren. Mehrere Verwundete waren vom Flusse abwärts getrieben, und mehrere Unverletzte stellten sich tot, um die tapferen Verteidiger zu täuschen, indem auch sie sich abwärts treiben ließen, um so den Kugeln zu entgehen.

„Laßt euch nicht betrügen!“ rief Helmers. „Schnell laden, und diesen Schuften längs des Ufers nach! Wer nicht untergeht, der hat noch Leben!“

Man gehorchte seinen Worten, und bald hatten die Comantschen weit über zwanzig Tote verloren. Sie staken nun drüben im Gebüsch und getrauten sich nicht wieder hervor.

„Jetzt mag es genug sein!“ sagte der Deutsche.

„Sie werden uns nicht weiter verfolgen,“ meinte der Apatsche. „Diese Hunde von Comantschen haben kein Hirn in ihren Schädeln!“

„Ich danke Ihnen für den Beistand, den Sie uns geleistet haben, Sennoritas,“ sagte Helmers. „Ich hatte keine Ahnung davon, daß Sie schießen wie ein Westmann.“

„Man ist in unsern einsamen Gegenden gezwungen, diese Fertigkeit sich anzueignen,“ sagte Emma. „Denken Sie wirklich, daß wir jetzt nun unbelästigt bleiben?“

„Ich hoffe es!“

„So wollen wir aufbrechen. Dieser Ort, der so viel Leben gekostet hat, ist mir schauerlich, obgleich ich selbst auch zur Waffe gegriffen habe.“

„Dort sind die Pferde der beiden letzten Indianer; nehmen wir sie mit?“ fragte Helmers.

„Versteht sich!“ antwortete der Majordomo. „Ein indianisch zugerittenes Pferd hat stets einen guten Wert. Meine Vaqueros werden sie am Zügel nehmen.“

Nach einem nur kurzen Verweilen stieg man wieder auf und ritt nun wirklich in die Prairie hinein, in welche man sich bisher nur zum Scheine vertieft hatte. So oft und so scharf die Truppe auch den hinter ihr liegenden Horizont musterte, es zeigte sich doch keine Spur von Verfolgung mehr. So vergingen einige Stunden, und nun erlaubte man den Pferden, einen langsameren Schritt zu gehen, was auch die Unterhaltung erleichterte.

Bärenherz ritt, wie bereits vorher, so auch jetzt wieder an der Seite der Miztecas-Indianerin, während sich der Deutsche zu der Mexikanerin hielt.

„Wir sind nun fast einen Tag beisammen, ohne uns nur im geringsten kennen gelernt zu haben,“ sagte dieser letztere zu seiner Dame. „Legen Sie das nicht auf Rechnung meiner Unhöflichkeit, sondern auf Rechnung der außerordentlichen Umstände!“

„O, ich meine doch, daß wir uns gerade im Gegenteile recht gut kennen!“ meinte sie lächelnd.

„Inwiefern?“

„Ich weiß von Ihnen, daß Sie für andre Ihr Leben wagen, daß Sie ein kühner und umsichtiger Jäger sind, und Sie wissen von mir, daß – daß – daß ich auch schießen kann.“

„Das ist allerdings etwas, aber nicht viel. Lassen Sie mich wenigstens meinerseits das Notwendigste nachholen!“

„Ich werde Ihnen sehr dankbar sein, Sennor!“

„Mein Name ist Anton Helmers; ich bin der jüngere von zwei Brüdern. Wir wollten studieren, da aber die Mittel nicht ausreichten und der Vater starb, so ging mein Bruder zur See und ich nach Amerika, wo ich nach vielen Irrfahrten mich schließlich in der Prairie als Waldläufer etablierte.“

„Also Anton heißen Sie? Da darf ich Sie wohl Sennor Antonio nennen?“

„Wenn es Ihnen so beliebt, ja.“

„Aber wie kommen Sie so weit herab nach dem Rio Grande?“

„Hm, das ist eine Sache, von der ich eigentlich nicht sprechen sollte!“

„Also ein Geheimnis?“

„Vielleicht ein Geheimnis, vielleicht auch nur eine recht sehr große Kinderei.“

„Sie machen mich neugierig!“

„Nun, so will ich Sie nicht auf die Folter spannen,“ sagte er lachend. „Es handelt sich nämlich um nichts mehr und nichts weniger als um die Hebung eines unendlich reichen Schatzes.“

„Was für eines Schatzes?“

„Eines wirklichen, aus kostbaren Steinen und edlen Metallen bestehenden Schatzes.“

„Und wo soll derselbe liegen?“

„Das weiß ich noch nicht.“

„Ah, das ist unangenehm! Aber wo haben Sie denn von dem Vorhandensein dieses Schatzes gehört?“

„Hoch droben im Norden. Ich hatte das Glück, einem alten, kranken Indianer einige nicht ganz wertlose Dienste zu leisten, und als er starb, vertraute er mir zum Dank dafür das Geheimnis von dem Schatze an.“

„Aber er sagte Ihnen die Hauptsache nicht, nämlich wo er liegt?“

„Er sagte mir, daß ich ihn in Mexiko zu suchen habe, und gab mir eine Karte mit, bei welcher sich ein Situationsplan befindet.“

„Und welche Gegend betrifft diese Karte?“

„Ich weiß es nicht. Die Karte enthält zwar Höhenzüge, Thalbildungen und Wasserläufe, aber keinen einzigen Namen.“

„Das ist allerdings höchst sonderbar. Weiß auch Shoshin-liett, der Häuptling der Apatschen, davon?“

„Nein.“

„Und doch scheint er Ihr Freund zu sein?“

„Er ist das allerdings im vollsten Sinne des Wortes.“

„Und mir, mir teilen Sie das Geheimnis mit, obgleich wir uns erst heute gesehen haben?“

Er blickte ihr mit seinen treuen, ehrlichen Augen voll in das Gesicht und antwortete:

„Es giebt Menschen, denen man es ansieht, daß man kein Geheimnis vor ihnen zu machen braucht.“

„Und zu diesen Personen rechnen Sie mich?“

„Ja.“

Sie reichte ihm die Hand und sagte:

„Sie täuschen sich nicht. Ich werde Ihnen dies beweisen, indem ich ebenso aufrichtig gegen Sie bin und Ihnen eine auf Ihr Geheimnis bezügliche Mitteilung mache. Soll ich, Sennor?“

„Ich bitte Sie sogar darum!“ antwortete er mit überraschter Stimme.

„Ich kenne nämlich einen, der auch nach diesem Schatze trachtet.“

„Ah! Wer ist es?“

„Unser junger Prinzipo, der Graf Alfonzo de Rodriganda de Sevilla.“

„Er weiß von dem Schatze?“

„O, wir alle wissen, daß die früheren Beherrscher des Landes ihre Schätze verbargen, als die Spanier Mexiko eroberten. Außerdem giebt es Orte, an denen das gediegene Gold und Silber in Massen zu finden ist. Man nennt solche Orte eine Bonanza. Die Indianer kennen diese Orte, sterben aber lieber, als daß sie einem Weißen ihr Geheimnis anvertrauen.“

„Und diesem Alfonzo de Rodriganda hat es doch einer anvertraut?“

„Nein. Wir bewohnen die Hacienda del Erina, und es geht die Sage, daß in der Nähe derselben sich eine Höhle befindet, in welcher die Herrscher der Miztecas ihre Schätze versteckt haben. Es ist viel nach dieser Höhle gesucht worden; Graf Alfonzo hat sich die meiste Mühe gegeben, aber keiner hat sie gefunden.“

„Wo liegt diese Hacienda del Erina?“

„Etwas über eine Tagereise von hier am Abhange der Berge von Cohahuila. Sie werden sie sehen, denn ich hoffe, daß Sie uns bis dorthin begleiten!“

„Ich werde Sie nicht eher verlassen, als bis ich Sie vollständig in Sicherheit weiß, Sennorita!“

„Sie werden uns auch dann noch nicht verlassen, sondern unser Gast sein, Sennor!“

„Gerade Ihre Sicherheit erfordert, daß ich Sie sofort wieder verlasse.“

„Wieso?“

„Wir haben einige Comantschen getötet, und ich bin vollständig überzeugt, daß uns einige Späher heimlich folgen werden, um zu sehen, wo wir zu finden sind. Sie werden uns, wenn diese Kundschafter nicht unschädlich gemacht werden, überfallen, um sich zu rächen. Darum werde ich bei der Hacienda mit Bärenherz umkehren, um die Späher zu töten.“

Sie warf ihm einen besorgten Blick zu und sagte:

„Sie begeben sich in eine neue Gefahr!“

„Gefahr? Pah! Der Prairiejäger befindet sich stets in Gefahr; er ist an sie gewöhnt. Bleiben wir aber für jetzt bei unserm Thema, dem Schatze des Königs! Es weiß also niemand, wo die Höhle zu suchen ist?“

„Wenigstens kein Weißer.“

„Aber ein Indianer?“

„Ja. Es giebt einen, der den Schatz der Könige ganz sicher kennt, vielleicht sind es auch zwei. Tecalto ist der einzige Nachkomme der einstigen Beherrscher der Miztecas; sie haben das Geheimnis auf ihn vererbt. Karja, welche dort neben dem Häuptling der Apatschen reitet, ist seine Schwester, und es ist nicht unmöglich, daß er es ihr mitgeteilt hat.“

Helmers betrachtete die schöne Indianerin jetzt mit größerem Interesse als vorher.

„Ist sie verschwiegen?“ fragte er.

„Ich denke es,“ antwortete sie. Dann fügte sie lächelnd hinzu: „Man sagt allerdings, daß Damen nur bis zu einem gewissen Punkte verschwiegen sind.“

„Und welcher Punkt ist dies, Sennora?“

„Die Liebe.“

„Ah! Es ist möglich, daß Sie recht haben,“ scherzte er. „Darf ich vielleicht erfahren, ob Karja bereits bei diesem Punkte angekommen ist?“

„Ich halte dies fast für möglich.“

„Ah! Wer ist der Glückliche?“

„Raten Sie! Es ist nicht schwer.“

Die Stirn des Jägers zog sich scharf zusammen.

„Ich vermute es,“ sagte er. „Es ist Graf Alfonzo, der ihr auf dem Wege der Liebenswürdigkeiten das Geheimnis entlocken will.“

„Sie raten richtig.“

„Und Sie glauben, daß seine Bestrebungen Erfolg haben?“

„Sie liebt ihn.“

„Und ihr Bruder, der Nachkomme der Miztecas? Was sagt er zu dieser Liebe?“

„Vielleicht weiß er noch nichts davon. Er ist der berühmteste Cibolero, und kommt nur selten einmal nach der Hacienda.“

„Der berühmteste Cibolero? Dann müßte ich ja seinen Namen kennen! Der Name Tecalto aber ist mir unbekannt.“

„Er wird von den Jägern nicht Tecalto genannt, sondern Mokaschi-motak.“

„Mokaschi-motak, Büffelstirn?“ fragte Helmers überrascht. „Ah, den kenne ich allerdings. Büffelstirn ist der bekannteste Büffeljäger zwischen dem Red-River und der Wüste Mapimi. Ich habe sehr viel von ihm gehört und würde mich freuen, ihn einmal zu sehen. Und Karja ist also die Schwester dieses berühmten Mannes? Da muß man sie ja mit ganz andern Augen ansehen, als vorher!“

„Wollen Sie vielleicht Ihre Liebenswürdigkeit auch an ihr versuchen?“

Er lachte und antwortete:

„Ich? Wie kann ein Westmann liebenswürdig sein! Und wie könnte ich mit einem Grafen de Rodriganda in die Schranken treten wollen! Wäre es mir möglich, liebenswürdig zu sein, so würde ich dies bei einer ganz andern versuchen!“

„Und wer wäre diese andre?“ fragte sie.

„Nur Sie allein, Sennora!“ antwortete er aufrichtig.

Ihr Auge leuchtete ihm glückverheißend zu, als sie antwortete:

„Aber bei mir könnten Sie ja nichts von Ihrem Königsschatze erfahren!“

„O Sennora, es giebt Schätze, welche mehr wert sind, als eine ganze Höhle voll Gold und Silber. In diesem Sinne wünschte ich, einmal ein glücklicher Gambusino (Goldsucher) zu sein!“

„Suchen Sie, vielleicht finden Sie!“

Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, und als er diese ergriff, war es ihnen beiden, als ob ein elektrisches Fluidum von dem einen auf das andre niederströme. Sie hatten sich verstanden.

Während dieser Unterredung war hinter ihnen eine andre geführt worden. Da ritt Bärenherz an der Seite der Indianerin. Sein Auge umfaßte die Gestalt seiner Nachbarin, welche mit einer Sicherheit auf dem halbwilden Pferde saß, als habe sie niemals anders als auf einem indianischen Männersattel geritten. Der schweigsame Häuptling war nicht gewohnt, seine Worte zu verschwenden; wenn er aber sprach, so hatte eine jede Silbe das doppelte Gewicht. Karja kannte diese Art und Weise der wilden Indianer, und darum wunderte sie sich auch nicht darüber, daß er wortlos blieb. Doch fühlte sie es förmlich, daß sein Auge durchdringend auf ihr ruhte, und fast erschrak sie, als er sie anredete:

„Zu welchem Volke gehört meine junge Schwester?“

„Zu dem Volke der Miztecas,“ antwortete sie.

„Das war einst eine große Nation und ist noch jetzt durch die Schönheit seiner Frauen berühmt. Ist meine junge Schwester eine Squaw oder ein Mädchen?“

„Ich habe keinen Mann.“

„Ist ihr Herz noch ihr Eigentum?“

Bei dieser direkten Frage, welche ein Weißer sicherlich nicht ausgesprochen hätte, rötete sich ihr dunkles Gesicht, aber sie antwortete mit fester Stimme:

„Nein.“

Sie wußte, daß es hier besser sei, die Wahrheit zu sagen, denn sie kannte die Apatschen. Es veränderte sich kein Zug seines eisernen Gesichtes, und er fragte weiter:

„Ist es ein Mann ihres Volkes, der ihr Herz besitzt?“

„Nein.“

„Ein Weißer?“

„Ja.“

„Bärenherz beklagt seine Schwester. Sie mag es ihm sagen, wenn der Weiße sie betrügt.“

„Er wird mich nicht betrügen!“ antwortete sie stolz und zurückweisend.

Ein leises, leises Lächeln zuckte um seine Lippen; er schüttelte den Kopf und entgegnete:

„Die weiße Farbe ist falsch und wird leicht schmutzig. Meine Schwester mag vorsichtig sein!“

Dies war das ganze Gespräch zwischen den beiden, aber es war wenigstens ebenso folgewichtig, wie die Unterredung zwischen dem Deutschen und der Mexikanerin.

Im Verlaufe des Weiterrittes erfuhr Helmers, daß die beiden Frauen oben am Rio Pecos gewesen waren, um eine Tante der Mexikanerin zu besuchen, welche schwer krank darniederlag. Diese Verwandte war die Schwester von Emmas Mutter, also die Schwägerin des alten Petro Arbellez, welcher der Verwalter des Grafen Ferdinando de Rodriganda gewesen war, jetzt aber als Pächter des Grafen auf der Hacienda del Erina lebte. Die Pflege der beiden Frauen hatte den Tod der Tante nicht zu hindern, sondern nur zu verzögern vermocht. Später hatte Arbellez den Majordomo mit den Vaqueros geschickt, um die Tochter abholen zu lassen. Auf dem Rückwege waren sie von den Comantschen überfallen worden und wären ohne die Dazwischenkunft des Deutschen und des Apatschenhäuptlings ganz sicher verloren gewesen.

Man ritt immer nach Süden zu. Der Tag neigte sich zu Ende; sie hatten nur noch eine Stunde bis zum Hereinbruche des Abends und befanden sich am Rande einer weiten Ebene, welche nun hinter ihnen lag, als der Apatsche sein Pferd anhielt und hinter sich zeigte:

„Uff!“ rief er.

Die andern drehten sich um, die Ebene zu durchmustern.

„Ich sehe nichts,“ sagte der Majordomo.

„Wir auch nicht,“ erklärten die Vaqueros, trotzdem sie Augen besaßen, welche gewohnt waren, in weite Fernen zu spähen.

„Was giebt es?“ fragte Emma.

„Auch Sie sehen nichts?“ antwortete Helmers.

„Nein. Siehst du etwas, Karja?“

„Nicht das mindeste,“ erklärte die Indianerin.

„Der Häuptling der Apatschen kann doch nicht den Trupp wilder Pferde meinen, den man dort erblickt?“ fragte der Majordomo.

„Uff!“ sagte der Apatsche mit geringschätziger Miene.

„Gerade den meint er,“ sprach der Deutsche.

„Was gehen uns die Mustangs an?“

„Sind sie wirklich so gleichgültig, Sennor Majordomo?“

„Ja. Wir sind ja mit Pferden versehen!“

„Seht sie Euch genauer an!“

Ungefähr zwei englische Meilen hinter ihnen galoppierte eine Herde von Pferden mit erhobenen Schwänzen und wehenden Mähnen einher. Sie kam immer näher. Kein Reiter, kein Sattel oder Bügel, kein Zügel, nicht die dünnste Schnur ließ sich sehen.

„Es sind Mustangs!“ sagte der Majordomo nochmals.

„Uff!“ rief der Apatsche zum zweitenmal, jetzt aber wirklich verächtlich.

Er lenkte sein Pferd wieder herum und ritt im Galopp vorwärts. Die andern mußten folgen. Emma drängte ihr Pferd wieder zu Helmers heran und fragte:

„Was hat der Apatsche?“

„Er ärgert sich.“

„Worüber?“

„Über die Dummheit des Majordomo.“

„Dummheit? Sennor Helmers, unser Majordomo ist ein sehr erfahrener Mann!“

„In zahmen Angelegenheiten vielleicht.“

„O nein. Er ist ein tüchtiger Reiter und Schütze, ein Pfadfinder, der seinesgleichen sucht; man kann sich in jeder Beziehung auf ihn verlassen.“

„Ein Pfadfinder? Hm!“ Jetzt blickte der Deutsche verächtlich drein. „Ja, ein Pfadfinder in den Straßen einer Stadt oder auf den Gassen eines Dorfes. Zu einem Rastreador, zu einem wirklichen, tüchtigen Pfadfinder gehört mehr. Sie sagen, daß man sich in jeder Beziehung auf ihn verlassen könne, und doch wären Sie verloren, wenn Sie jetzt nur allein auf seine Erfahrung und seinen Scharfsinn angewiesen wären.“

„Ah! Wieso?“

„Weil diese Pferde keine wilden Mustangs sind.“

„Was sonst?“

„Es sind die Comantschen, die uns verfolgen.“

„Die Comantschen? Man sieht doch nur die Pferde!“

„Ja, aber die Roten sind dennoch dabei. Sie haben einen Riemen um Hals und Leib der Pferde gezogen, und in diesen Riemen hängen sie mit dem linken Arme und dem rechten Beine. Sahen Sie nicht, daß uns nur die rechten Flanken der Pferde zugekehrt waren, trotzdem sie grade hinter uns herreiten? Sie lassen ihre Tiere in schiefer Körperstellung galoppieren. Eine solche schiefe Haltung ist stets das sicherste Zeichen, daß ein Indianer sich hinter dem Pferde verbirgt.“

„Heilige Madonna! So werden sie uns abermals angreifen?“

„Entweder sie uns oder wir sie. Ich ziehe das letztere vor. Der Apatsche ist ganz meiner Meinung. Sehen Sie, wie er nach beiden Seiten späht!“

„Was sucht er?“

„Einen Versteck für uns, von welchem aus wir die Comantschen fassen können. Überlassen wir ihm alles. Er ist die tüchtigste und wackerste Rothaut, die ich kenne, und auf ihn allein verlasse ich mich lieber, als auf Tausende von Ihren Majordomos, so erfahren sie auch sind!“

„Gut! Verlassen wir uns auf ihn und auf noch einen!“

„Auf wen?“

„Auf Sie.“

„Ah, wollen Sie das wirklich?“ fragte er mit einem freudigen Aufleuchten seiner Augen.

„Von ganzem Herzen!“ antwortete sie. „Sie loben nur den Apatschen, aber Sie vergessen, zu sagen, daß man Ihnen wenigstens ebenso vertrauen kann, als ihm.“

„Glauben Sie das wirklich?“

„Ja. Ich habe Sie beobachtet. Sie sind kein gewöhnlicher Jäger, und ich glaube sicher, daß auch Sie einen Ehrennamen tragen, den Ihnen die Trapper und Indianer gegeben haben.“

Er nickte.

„Sie erraten es.“

„Und welches ist Ihr Jägername?“

„O bitte, nennen Sie mich immer Antonio oder Helmers.“

„Sie wollen ihn mir nicht sagen?“

„Jetzt nicht. Wenn man ihn einmal zufällig nennen wird, werde ich mich zu erkennen geben.“

„Ah, Sie sind eitel! Sie wollen incognito sein wie ein Fürst.“

„Ja,“ lachte er. „Ein guter Jäger muß ein klein wenig eitel sein, und Fürsten sind wir alle, nämlich Fürsten der Wildnis, des Waldes und der Prairie.“

„Fürsten! ja, das ist richtig!“

Während dieses Gespräches hatte man im Galoppe den Weg fortgesetzt. Die offene Prairie lag hinter ihnen, und sie ritten nun durch ein Hügel- und Felsengewirr, welches ganz geeignet war, ein Versteck zu bieten. Dies hatte der Apatsche gewollt, denn plötzlich bog er rechts ein und schlug einen schnellen, aber weiten Bogen, so daß sie nach bereits zehn Minuten eine Stelle erreichten, an welcher sie vorher vorbeigekommen waren.

Diese Stelle war von Bärenherz sehr vorsichtig gewählt worden. Die Truppe hielt nämlich auf einer von drei Seiten geschützten Anhöhe, welche steil in die Schlucht niederfiel, durch welche sie vorhin gekommen waren und welche also auch die Comantschen passieren mußten, wenn sie die Verfolgung wirklich fortsetzten.

Der Apatsche stieg vom Pferde und pflockte dasselbe an. Die andern thaten ebenso.

„Jetzt die Gewehre zur Hand!“ gebot Helmers. „Wir werden nicht lange warten müssen.“

Die andern gehorchten diesem Gebote; sogar die beiden Mädchen ergriffen die erbeuteten Büchsen. Sie schritten vor bis an den Rand und legten sich dort auf die Lauer.

„Pst, Sennor!“ winkte der Deutsche dem Majordomo. „Den Kopf zurück, damit wir nicht bemerkt werden. Diese Comantschen haben scharfe Augen.“

„Späher vorüber lassen!“ sagte der Apatschenhäuptling in seiner kurzen Weise.

„Was meint er?“ fragte einer der Vaqueros.

„Das ist doch sehr einfach,“ antwortete der Deutsche. „Die Comantschen werden natürlich vermuten, daß wir auf den Gedanken kommen, ihnen aufzulauern. Daher werden sie wohl einen oder zwei Kundschafter voranreiten lassen, um sich zu überzeugen, ob wir einen Hinterhalt gelegt haben; sie kommen dann in sicherer Entfernung nach. Wir lassen also die Späher vorüber, welche unsrer Fährte weiter folgen werden, und warten, bis die andern kommen. Aber wir schießen nicht aufs Geratewohl, sondern in der Reihenfolge, wie wir liegen, damit keine Kugel verschwendet werde. Der erste von uns schießt auf den ersten Comantschen, der zweite auf den zweiten und so weiter. Verstanden?“

Die Vaqueros nickten zustimmend, und nun entstand eine Pause der Erwartung.

Da endlich hörte man den vorsichtigen Hufschlag zweier Pferde. Zwei Comantschen kamen langsam durch das Felsengewirr. Ihre scharfen Augen suchten jeden Quadratzoll der Umgegend ab, wurden aber getäuscht, da die Spur der Mexikaner weiter führte. Daß diese seitwärts einen Bogen geschlagen hatten und zurückgeritten waren, das wußten die Wilden nicht. Sie ritten vorüber und verschwanden hinter den Steinen.

Nach einigen Minuten hörte man erneutes Pferdegetrappel. Die übrigen kamen. Sie ritten unbesorgt heran, da sie ihre Kundschafter vor sich wußten. Als der letzte von ihnen in der Schlucht erschienen war, streckte der Apatsche sein Gewehr vor.

„Feuer!“ kommandierte der Deutsche.

Die Büchsen krachten, diejenigen des Deutschen und des Apatschen zweimal, und ebenso viele Feinde stürzten von den Pferden. Die andern stockten einige Augenblicke. Sie wußten nicht, sollten sie fliehen oder den verborgenen Feind angreifen. Sie blickten rings umher und gewahrten da endlich den Pulverdampf oben auf der Höhe.

Nlate tki – dort sind sie!“ rief einer, mit der Hand empor deutend.

So kurz diese Pause war, die Unentschlossenheit der Wilden hatte den Weißen doch Zeit gegeben, schnell wieder zu laden. Ihre Schüsse krachten von neuem, und die Zahl der Gefallenen verdoppelte sich. Nun gab es für die wenigen Verschonten kein Halten mehr. Sie rissen ihre Pferde herum und flohen im gestreckten Galopp davon.

„Der Comantsche ist ein Feigling!“ meinte der Apatsche stolz.

Er stieg langsam die Steilung nieder, um sich die Skalpe der vier von ihm erschossenen Feinde zu holen. Auch die andern folgten, um sich der Waffen und reiterlosen Pferde zu bemächtigen. Nach einem Aufenthalte von einer Viertelstunde konnte der Weg wieder fortgesetzt werden.

„Nun werden wir für alle Zeiten sicher sein,“ meinte Emma.

„Glauben Sie das nicht, Sennorita!“ sagte Helmers.

„Nicht? Ich dächte, die Lehre, die wir ihnen gegeben haben, sei hart genug!“

„Gerade deshalb werden sie auf Rache sinnen. Sehen Sie, daß der Apatsche da links hinüber blickt?“

„Ja. Was will er?“

„Dorthin führt die Fährte der beiden Späher, welche geflohen sind gleich den andern. Sie werden die Übriggebliebenen treffen und uns folgen, bis sie wissen, wo wir sind und wo wir bleiben. Dann kehren sie um und holen genug Krieger, um die Hacienda zu überfallen.“

„O, die Hacienda ist fest. Sie ist eine kleine Festung.“

„Ich kenne diese Art von Meiereien oder Gutshöfen. Sie sind aus Stein gebaut und gewöhnlich mit Pallisaden umgeben. Was aber hilft das gegen einen Feind, der unvermutet kommt?“

„Wir werden wachen.“

„Thun Sie das!“

„Und Sie mit. Ich will doch hoffen, daß Sie unser Gast sein werden!“

„Ich muß sehen, was Bärenherz sagt. Von ihm kann ich mich nicht trennen.“

„Er wird bleiben!“

„Er ist ein Freund der Freiheit. Er hält es in einem Gebäude nie längere Zeit aus.“

Es ging in munterer Schnelligkeit vorwärts, bis sie einen breiten Wasserlauf erreichten. Der Apatsche folgte demselben, bis das Flüßchen einen Bogen bildete. Hier hielt er an.

„Hier sicher?“ fragte er Helmers in seiner kurzen Weise.

Der Gefragte musterte mit prüfendem Blicke die Umgebung und nickte dann zustimmend.

„Hier ist’s gut,“ sagte er. „Von drei Seiten schützt uns der Fluß, und die vierte können wir recht gut bewachen. Steigen wir also ab!“

Sie sprangen alle von den Pferden und richteten das Lager vor. Innerhalb des Dreiviertelkreises, welchen der Fluß bildete, und hart an dem Ufer desselben kamen die Pferde zu stehen; dann kam das Feuer, um welches sich die Gesellschaft lagerte, und die vierte, die Landseite, wurde von Büschen abgeschlossen, in welche man eine Wache legte.

Helmers richtete für Emma aus Zweigen und Laub ein weiches Lager vor; Bärenherz that dasselbe mit der Indianerin. Es war dies von seiten des Apatschen eine ganz und gar ungewöhnliche Auszeichnung, denn kein Wilder läßt sich herbei, eine Handreichung zu leisten, welche die Frau oder das Mädchen selbst thun könnte.

Nachdem man die Ereignisse des Tages ausführlich besprochen hatte, wozu jedoch der Apatsche kein Wort sagte, legte man sich zur Ruhe. Es war die Anordnung getroffen, daß ein jeder drei Viertelstunden wachen sollte. Bärenherz und Helmers hatten die letzten Wachen übernommen, da die Zeit kurz vor Beginn des Tages die gefährlichste ist, weil da die Wilden ihre Angriffe am liebsten zu unternehmen pflegen.

Doch verging die Nacht ohne alle Störung, und man brach am Morgen mit erneuten Kräften auf. Während des Weiterrittes ließen sich die Comantschen nicht wieder sehen; man kam nach und nach in kultiviertere Gegenden und erreichte am Nachmittage das Ziel.

Unter einer Hacienda versteht man eine Meierei; doch sind diese mexikanischen Haciendas sehr oft mit unsern größten Rittergütern zu vergleichen, da zu ihnen zuweilen ein Länderkomplex von der Größe eines deutschen Fürstentums gehört.

Die Hacienda del Erina war ein fürstlicher Besitz. Das massive Gebäude war aus Bruchsteinen erbaut und von Pallisaden umgeben, welche gegen räuberische Überfälle einen starken Schutz gewährten. Das Innere des einem Schlosse gleichenden Herrenhauses war auf das feinste ausgestattet und zeigte eine solche Geräumigkeit, daß Hunderte von Gästen da Wohnung finden konnten.

Umgeben wurde das Haus von einem großen Garten, in welchem die prachtvollste tropische Vegetation in den strahlendsten Farben schimmerte und die üppigsten Düfte verbreitete. Hieran schloß sich auf der einen Seite der dichte Urwald, auf der andern ein ausgedehnter Feldwuchs, und auf den beiden übrigen sah man große Weiden sich ausdehnen, auf welchen sich Herden tummelten, deren Stückzahl viele Tausende betrug.

Bereits als die Kavalkade an den Weiden vorüber ritt, kamen mehrere Vaqueros mit lautem Jubel herbeigesprengt, um die Kommenden zu begrüßen. Der Jubel aber wurde sehr bald zum Zornesausbruch, als sie erfuhren, daß so viele ihrer Kameraden unter den Händen der Comantschen gefallen seien. Sie baten sofort, einen Rachezug gegen die Roten zu veranstalten.

Der Majordomo ritt der Kavalkade voran, um sie anzumelden. Darum stand, als die Reiter an der Hacienda anlangten, der alte Petro Arbellez bereits unter dem Thore, um seine Tochter und deren Begleiter zu begrüßen. Thränen der Freude standen ihm in den Augen, als er sie vom Pferde hob.

„Sei willkommen, mein Kind,“ sagte er. „Du mußt auf dieser gefährlichen Reise viel gelitten haben, denn du bist anders beritten und siehst sehr angestrengt aus.“

Emma umarmte und küßte ihn innig und antwortete:

„Ja, mein Vater, ich war in einer Gefahr, welche größer ist als Lebensgefahr.“

„O Gott, in welcher?“ fragte er, indem er auch die Indianerin freundlich bewillkommnete.

„Wir wurden von den Comantschen gefangen.“

„Heilige Mutter Gottes! Sind die jetzt am Rio Pecos?“

„Ja. Hier diese beiden Männer sind unsre Retter.“

Sie nahm den Deutschen und den Apatschen bei der Hand und führte sie dem Vater zu.

„Dieser hier ist Sennor Antonio Helmers aus Deutschland, und dieser ist Shosh-in-liett, der Häuptling der Apatschen. Ohne sie hätte ich die Squaw eines Comantschen werden müssen, und die andern hätte man am Pfahle zu Tode gemartert.“

Dem alten braven Verwalter trat bereits vom bloßen Gedanken daran der Angstschweiß auf die Stirn.

„Mein Gott, welch‘ ein Unglück, und doch zugleich auch wieder welch‘ ein Glück! Willkommen, Sennores, von ganzem Herzen willkommen! Ihr sollt mir alles erzählen, und dann will ich sehen, wie ich euch dankbar sein kann. Kommt herein, und seid die Herren dieses Hauses!“

Das war ein sehr freundlicher und liebenswürdiger Empfang. Überhaupt machte der Anblick des alten Mannes den Eindruck von Ehrlichkeit und Biederkeit; man mußte ihn sofort lieb haben.

Die Gäste kamen durch das Pallisadenthor, übergaben ihre Pferde einigen Knechten und traten in das Gebäude. Während der Majordomo mit den Vaqueros in dem Vorraume zurückblieb, führte der Haciendero die beiden andern mit den Damen nach dem Empfangzimmer, wo Platz genommen wurde, bis Emma in großen Umrissen ihr Abenteuer berichtet hatte.

„Mein Jesus,“ klagte der Haciendero; „was müßt ihr gelitten haben, ihr beiden Mädchen! Aber Gott hat diese beiden Sennores gesandt, um euch zu retten. Ihm und ihnen sei Dank gesagt. Was wird der Graf und was wird Tecalto sagen, wenn sie es hören!“

„Tecalto?“ fragte die Indianerin erfreut. „Ist Büffelstirn, mein Bruder, da?“

„Ja, er ist gestern angekommen.“

„Und der Graf auch?“ fragte Emma.

„Ja, bereits eine Woche.“

„Ah, da ist er!“

Die Thür zu dem nebenan liegenden Speisesaale öffnete sich, und Graf Alfonzo trat heraus. Er trug einen rotseidenen, persisch in Gold gestickten Schlafrock, eine Hose vom feinsten, weißen, französischen Linnen, blaue Sammet-Hausschuhe und einen türkischen Fez auf dem Kopfe. Er verbreitete einen solchen Odeur um sich, daß man hätte meinen können, in einer Parfümeriehandlung zu sein. Die offen gebliebene Thür erlaubte, einen Blick in den Speisesalon zu thun. Die Ausschmückung desselben war mehr als fein, war luxuriös, und an der Serviette, welche der Graf in der Hand trug, bemerkte man, daß er beschäftigt gewesen sei, in den Genüssen und Delikatessen Mexikos zu schwelgen.

„Man nannte meinen Namen,“ sagte er. „Ah, die schönen Damen sind es! Glücklich wieder zurückgekehrt, Sennoritas?“

Bei seinem Anblicke war die Indianerin blutrot geworden, was dem scharfen Auge des Apatschen nicht entging; Emma aber blieb sich vollständig gleich. Sie antwortete kalt, wenn auch höflich:

„Wie Sie sehen, Graf! Bald jedoch wären wir nicht wieder zurückgekehrt.“

„Ah! Warum? Ich hoffe doch nicht, daß ein Unfall –“

„Und doch war es ein kleiner Unfall, welcher uns betraf. Die Comantschen nahmen uns nämlich ein wenig gefangen.“

„Donnerwetter!“ rief er. „Ich werde sie züchtigen lassen!“

„Das wird nicht sehr leicht sein,“ meinte sie spöttisch. „Übrigens sind wir ja gut davongekommen. – Hier unsre Lebensretter!“

„Ah!“ sagte er.

Er trat einige Schritte zurück, setzte den Zwicker auf die Nase, betrachtete sich die beiden „Retter,“ zog ein sehr enttäuschtes Gesicht und sagte:

„Wer sind diese Leute?“

„Dieser ist Sennor Helmers aus Deutschland, und der andre ist Bärenherz, der Häuptling der Apatschen.“

„Ah, ein Deutscher und ein Apatsche! Das gehört allerdings zusammen. Wann reisen diese Sennores wieder ab? Doch sogleich?“

„Sie sind meine Gäste und werden bleiben, so lange es ihnen beliebt,“ sagte der Haciendero.

„Aber Arbellez, wo denkt Ihr hin!“ rief der Graf. „Seht Euch diese Männer an. Ich und sie unter einem Dache! Sie riechen nach Wald und Sumpf. Ich würde sofort abreisen!“

Der Haciendero richtete sich auf. Sein Auge flammte vor Zorn.

„Ich kann Ew. Erlaucht nicht halten,“ sagte er. „Diese Sennores haben das Leben und das Glück meines Kindes gerettet; sie sind mir hoch willkommen.“

„Ah! Ihr widersteht mir?“ sagte der Graf.

„Ja,“ antwortete Arbellez fest.

„Wißt Ihr, daß ich hier der Gebieter bin?“

„Das weiß ich nicht!“

„Nicht?“ zischte Alfonzo. „Wer sonst?“

„Ihr Herr Vater, Graf Ferdinando. Ihr seid hier nur als Gast anwesend. Übrigens hätte selbst Graf Ferdinando keine Stimme in dieser Angelegenheit. Ich bin Pächter auf Lebenszeit. Wer will mir befehlen, wen ich bei mir empfangen soll oder nicht!“

„Verdammt, das ist stark!“

„Nein, stark war Ihre Unhöflichkeit und Rücksichtslosigkeit gegen meine Gäste. Wenn Ihnen der Wald- und Sumpfgeruch nicht angenehm ist, von dem allerdings ich ganz und gar nichts merke, so weiß ich hingegen nicht, ob diese Sennores nicht Ihre Parfüms auffällig finden, die ich recht gut bemerke. Ich werde meine Gäste jetzt in den Speisesaal führen und überlasse es Ihnen, weiter zu speisen oder nicht.“

Er öffnete die Thüre des Saales noch weiter und bat die beiden mit der höflichsten Verbeugung, Zutritt zu nehmen. Der Indianer hatte wie völlig teilnahmlos dagestanden; kein Blick seines Auges hatte den Grafen getroffen, und fast schien es, als ob er auch kein Wort desselben verstanden habe. Er schritt stolz und wortlos in den Saal. Helmers dagegen wandte sich vorher zum Grafen:

„Sie sind Graf Alfonzo de Rodriganda?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte erstaunt, daß ihn der Jäger anzureden wagte.

„So! Sennor Arbellez hatte vergessen, Sie auch uns vorzustellen. Sie sind der Geforderte. Was wählen Sie? Degen, Pistolen oder Kugelbüchsen?“

„Sie wollen sich mit mir schlagen?“ fragte er, noch viel erstaunter als vorher.

„Versteht sich! Hätten Sie mich draußen vor der Hacienda beleidigt, so hätte ich Sie niedergeschlagen wie einen dummen jungen; da es aber unter dem Dache meines Gastfreundes geschah, so nahm ich Rücksicht auf ihn und auf die Gegenwart dieser Damen. Nun ich jedoch höre, daß Sie in diesem Hause eigentlich keinen Pfifferling gelten, so biete ich Ihnen die Wahl der Waffen an.“

„Schlagen? Mit Euch? Gott, wer seid Ihr denn? Ein Jäger, ein Herumläufer! Pah!“

„Also nicht? So seid Ihr ein Lump, ein Feigling, ein ganz erbärmlicher Wicht! Laßt Ihr auch diese Prädikate auf Euch sitzen, so seid Ihr gerichtet auf alle Zeit! Thut, was Euch beliebt!“

Er schritt dem Apatschen nach. Der Graf stand ganz perplex.

„Arbellez, das leidet Ihr?“ fragte er den Haciendero.

Wenn Ihr es leidet!“ antwortete dieser. „Komm, Emma; komm, Karja! Unser Platz ist da drinnen bei den Ehrenmännern.“

„Ah, welche Niederträchtigkeit! Das werde ich Euch eintränken, Arbellez!“

„Versucht es!“

Der wackere Alte ging in den Saal, die beiden Damen mit ihm. Als jedoch Emma an dem Grafen vorüberschritt, sagte sie mit verächtlich gekräuselten Lippen und funkelnden Augen:

„Das war niederträchtig – das war armselig!“

Die Indianerin folgte ihr mit niedergeschlagenen Augen; es widerstrebte ihr, den Grafen zu verachten, und dennoch konnte sie ihm nicht in das Gesicht sehen. Er blieb stehen; er kehrte nicht wieder nach dem Saale zurück. Er warf die Serviette zu Boden, stampfte sie mit den Füßen und knirschte:

„Das sollt Ihr büßen, und bald, bald, bald!“

Nach dieser ohnmächtigen Zornesäußerung suchte er seine Zimmer auf.

Die andern nahmen ein lukullisches Mahl ein. Da gab es große Schnitten von Wassermelonen mit fleischfarbigem Innern, deren wohlschmeckender Saft in rosigen Tropfen auf die silbernen Platten perlte; halb geöffnete Granaten, Früchte des Kerzenkaktus, Orangen, süße Limonen, Grenadillen und alle die Fleisch- und Mehlspeisen, an welchen die mexikanische Küche so überaus reich ist. Während des Essens wurden die Erlebnisse noch ausführlicher besprochen, als es bisher möglich gewesen war; dann bat der Haciendero, den Sennores ihre Zimmer anweisen zu dürfen.

Die beiden Freunde wohnten nebeneinander. Es war dem Deutschen doch unmöglich, lange in dem engen Raum zu bleiben; er verließ ihn und suchte den Garten auf, wo er sich von Wohlgerüchen umduften ließ, bis er hinaustrat in das Freie, um die herrlichen mexikanischen Renner auf der Weide zu beobachten.

Indem er so an den Pallisaden hinschlenderte und um eine Ecke bog, erhob sich plötzlich vor ihm eine Gestalt, deren frappantes Äußere ihn zum Stehen brachte. Der hohe, starke Mann war vollständig in ungegerbtes Büffelleder gekleidet, so wie die Ciboleros sich zu tragen pflegen; aber auf dem Kopfe saß ihm der obere Teil eines Bärenschädels, von welchem einige Streifen Fell bis fast herab zur Erde schleiften. Aus dem breiten Ledergürtel schauten die Griffe von Messern und andern Werkzeugen; von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte herüber hatte er einen fünffach geflochtenen Lasso um den Leib geschlungen, und an der Pallisade lehnte eine jener alten, schmiedeeisernen Büchsen, wie sie vor hundert Jahren in Kentucky gemacht wurden, und die so schwer sind, daß sie ein gewöhnlicher Mann nicht zu handhaben vermag.

„Wer bist du?“ fragte Helmers im ersten Augenblicke des Erstaunens.

„Ich bin Büffelstirn, der Indianer,“ antwortete der Gefragte.

„Tecalto bist du?“

„Ja. Kennst du mich?“

„Ich sah dich noch nie, aber ich habe viel, sehr viel von dir gehört.“

„Wer bist du?“

„Mein Name ist Helmers; ich bin ein Deutscher.“

Das ernste Gesicht des Indianers klärte sich auf. Er war vielleicht erst fünfundzwanzig Jahre alt und konnte als eine Schönheit des indianischen Typus gelten.

„So bist du der Jäger, welcher Karja, meine Schwester, befreit hat?“

„Der Zufall war mir hold.“

„Nein, das war kein Zufall. Du hast dir die Pferde der Comantschen geholt und bist ihnen nachgeritten. Büffelstirn ist dir vielen Dank schuldig. Du bist so tapfer wie Matava-se, der Fürst des Felsens, der auch ein Deutscher ist.“

„Kennst du die Deutschen?“

„Ich kenne einige. Sie werden von den Amerikanern Dutchmen genannt. Sie sind stark und gut, tapfer und klug, wahr und treu. Ich habe gehört von einem von ihnen, den die Apatschen und Comantschen Itinti-ka, den Donnerpfeil, nennen.“

„Gesehen hast du ihn noch nicht?“ fragte der Deutsche.

„Er heißt der Donnerpfeil, weil er schnell und sicher ist, wie der Pfeil, und mächtig und schwer wie der Donner. Seine Büchse fehlt nie ihr Ziel, und sein Auge irrt auf keiner Spur. Ich habe viel von ihm gehört; ich habe ihn bisher noch nie gesehen, aber heute sehe ich ihn.“

„Wo?“ fragte Helmers überrascht.

„Hier. Du bist es!“

„Ich? Woran erkennst du mich?“

„Sieh deine Wange an. Donnerpfeil hat einen Bowiemesserstich durch die Wange erhalten, das weiß ein jeder, der einmal von ihm gehört hat. Solche Erkennungszeichen merkt man sich. Habe ich richtig geraten oder nicht?“

Helmers nickte.

„Du hast recht. Man nennt mich allerdings Itinti-ka, den Donnerpfeil.“

„So danke ich Wahkonta, daß er mir erlaubt hat, mit dir zu sprechen. Du bist ein tapferer Mann; reiche mir deine Hand, und sei mein Bruder!“

Sie schlugen ein, und Helmers sagte:

„So lange unsere Augen einander erblicken, soll Freundschaft sein zwischen mir und dir!“

Und der Indianer fügte hinzu:

„Meine Hand sei deine Hand und mein Fuß dein Fuß. Wehe deinem Feinde, denn er ist auch der meinige, und wehe meinem Feinde, da er auch der deinige ist. Ich bin du, und du bist ich; wir sind eins!“

Sie umarmten sich.

Dieser „Büffelstirn“ war kein Indianer nach Art der nördlichen Roten. Er war gesprächig und mitteilsam, und doch wohl trotzdem nicht minder furchtbar, als einer jener schweigsamen Wilden, welche es für eine Schande halten, gleich einem Weibe den Gefühlen des Herzens Worte zu verleihen.

„Du wohnest in der Hacienda?“ fragte Helmers.

„Nein,“ antwortete der Büffeljäger. „Wer mag wohnen und schlafen in der Luft, welche zwischen Mauern gefangen ist. Ich wohne hier.“

Er deutete auf das Rasenstück, auf welchem er stand.

„So hast du das beste Lager auf der ganzen Hacienda. Ich konnte es in der Stube nicht aushalten.“

„Auch Bärenherz, dein Freund, hat die Weide aufgesucht.“

„Er ist hier?“

„Ja. Ich habe bereits mit ihm gesprochen und ihm gedankt. Wir sind Brüder geworden, wie ich und du.“

„Wo ist er?“

„Er sitzt da drüben bei den Vaqueros, welche von dem Überfalle der Comantschen erzählen.“

„Laß uns zu ihnen gehen!“

Der Indianer ergriff seine schwere Büchse, warf sie auf die Schulter und führte den Deutschen.

Weit draußen, mitten zwischen halbwilden, weidenden Pferdegruppen saßen die rauhen Vaqueros an der Erde und erzählten sich die Abenteuer ihrer jungen Herrin, die sich sehr schnell herumgesprochen hatten. Bärenherz saß schweigsam dabei. Er sagte kein Wort dazu, obgleich er alles besser und wahrer hätte erzählen können. Die beiden kamen und setzten sich mit zu den anderen, welche sich nicht stören ließen, obgleich nun auch der zweite Held der Erzählung zugegen war. Dieser nahm zuweilen das Wort, und so entwickelte sich nach und nach eine jener fesselnden Unterhaltungen, welche man beim Lagern in der Wildnis zu hören bekommt.

Da drang ein zorniges Schnauben und Röcheln in das Gespräch hinein.

„Was ist das?“ fragte Helmers, der sich bei diesem Geräusch schnell umdrehte.

„Es ist der Rapphengst,“ antwortete einer der Vaqueros.

„Was ist mit ihm?“

„Er soll verhungern, wenn er nicht gehorcht.“

„Verhungern? – Warum?“

„Er ist unzähmbar.“

„Pah!“

„Pah? Sennor, zweifelt ja nicht! Wir haben uns alle Mühe mit ihm gegeben. Wir haben ihn schon dreimal im Corral gehabt, um ihn zu zähmen, aber wir mußten ihn immer wieder freigeben. Er ist ein Teufel. Wir alle sind Reiter, das könnt Ihr glauben, aber alle hat er abgeworfen, außer einen.“

„Wer ist dieser Eine?“

„Büffelstirn hier, der Häuptling der Mizticas. Er allein wurde nicht abgeworfen, aber dennoch hat er ihn nicht bezwungen.“

„Unmöglich! Wer nicht abgeworfen wird, der muß doch Sieger bleiben!“

„So dachten auch wir. Aber der Teufel von einem Rapphengst ist mit ihm in das Wasser gegangen, um ihn herabzutauchen, und als dies nicht fruchtete, hat er ihn in den dichtesten Wald getragen und einfach abgestreift.“

„Donnerwetter!“ rief Helmers.

„Ja,“ nickte Büffelstirn. „Es ist eine Schande, aber es ist wahr. Und ich darf mich doch rühmen, daß ich schon manches Pferd tot gemacht habe, welches nicht gehorchen wollte.“

Der Vaquero fuhr fort:

„Es sind viele berühmte Reiter und Jäger hier auf der Hacienda gewesen, um ihre Kraft und Gewandtheit zu versuchen, aber immer vergebens. Sie alle sagen, daß es nur Einen giebt, der den Hengst bezwingen kann.“

„Wer sollte das sein?“

„Das ist ein fremder Jäger, da oben am Red-River, der selbst den Teufel in die Hölle reiten würde. Dieser Mann ist mitten in wilde Pferdetrupps geraten und von Kopf zu Kopf über die Tiere hinweggelaufen, um sich das beste herauszuholen.“

Helmers lächelte belustigt und fragte:

„Hat er einen Namen?“

„Das versteht sich!“

„Welchen?“

„Wie er eigentlich heißt, das weiß ich nicht, aber die Roten nennen ihn Itinti-ka, den Donnerpfeil. Es haben viele Jäger, die aus dem Norden kamen, von ihm erzählt.“

Helmers ließ es sich nicht merken, daß von ihm selbst die Rede sei, auch Bärenherz und Büffelstirn zuckten mit keiner Miene. Der erstere aber fragte:

„Wo ist das Pferd?“

„Dort hinter jener Truppe liegt es.“

„Gefesselt?“

„Natürlich.“

„Alle Teufel, das ist ein Unrecht!“

„Pah! Sennor Arbellez hält große Stücke auf seine Pferde, aber dieses Mal hat er doch geschworen, daß der Rappe gehorchen oder verhungern soll.“

„So habt ihr ihm auch das Maul verbunden?“

„Versteht sich!“

„Zeigt mir ihn!“

„So kommt, Sennor!“

Eben, als sie sich vom Boden erhoben, sahen sie den alten Arbellez mit seiner Tochter und Karja herbeigeritten kommen. Es war der gewöhnliche Inspektionsritt, den er vor der Nacht zu unternehmen pflegte. Die Vaqueros ließen sich nicht stören und führten Helmers zu dem Hengste.

Dieser lag, an allen vieren gefesselt und mit einem Korbe vor dem Maule am Boden. Die Augen waren ihm vor Wut und Anstrengung mit Blut unterlaufen, jede einzelne Ader war zum Zerplatzen geschwollen, und aus dem Maulkorbe troff der Schaum in großen Flockentrauben.

„Alle Wetter, das ist ja die reine Sünde!“ rief Helmers.

„Macht es anders, Sennor,“ meinte der Vaquero, kaltblütig die Achseln zuckend.

„Das ist Tierquälerei! Das darf man nicht leiden! Auf diese Weise wird das edelste Pferd vollständig umgebracht!“

Er hatte sich ganz in Ekstase hineingeredet. Da kam Arbellez mit den Mädchen an.

„Was giebt es, Sennor Helmers, daß Ihr Euch so ereifert?“ fragte er.

„Ihr bringt den Hengst um!“ antwortete dieser.

„Das will ich auch, wenn er nicht gehorchen lernt!“

„Er wird gehorchen lernen, so aber nicht.“

„Wir haben alles vergebens versucht.“

„Gebt ihm einen tüchtigen Reiter auf den Rücken!“

„Hilft nichts!“

„Pah! Darf ich es versuchen, Sennor?“

„Nein.“

Helmers sah ihn erstaunt an.

„Warum nicht?“ fragte er.

„Weil mir Euer Leben zu lieb ist.“

„Pah! Ich will lieber sterben, als dieses länger mit ansehen. Ein guter Pferdemann hält das nicht aus. Also, darf ich den Rappen reiten? Bitte, Sennor!“

Da drängte Emma besorgt ihr Pferd heran.

„Vater, erlaube es ihm nicht!“ bat sie ängstlich. „Der Rappe ist zu gefährlich.“

Der Deutsche fragte sie sehr ernst:

„Sennora, hassen Sie mich?“ „Hassen? Mein Gott, warum sollte ich das?“

„Oder verachten Sie mich?“

„Das ja noch viel weniger!“

„Nun, warum beleidigen Sie mich in dieser Weise? Nur ein Knabe unternimmt, was er nicht auszuführen vermag. Ich sage Ihnen, daß ich den Schwarzen ganz und gar nicht fürchte.“

„Sie kennen das Tier nicht, Sennor,“ mahnte Arbellez. „Es sind viele hier gewesen, welche behaupten, daß nur Itinti-ka, der Donnerpfeil, es bändigen könne.“

„Kennen Sie diesen Itinti-ka?“

„Nein, aber er ist der beste Rastreador und Reiter, der zwischen den beiden Meeren lebt.“

„Und dennoch bitte ich um den Hengst!“

„Ich warne Sie!“ sagte der Haciendero.

„Ich bleibe bei meiner Bitte!“

„Nun wohl, ich muß sie Ihnen gewähren, denn Sie sind mein Gast; aber es thut mir leid um die Folgen. Zürnen Sie mir später nur nicht!“

Da stieg Emma schnell vom Pferde und trat auf Helmers zu.

„Sennor Helmers,“ bat sie, seine Hand ergreifend, „wollen Sie nicht doch um meinetwillen von dem Pferde ablassen? Mir ist so angst!“

„Sennorita,“ sagte er, „sprechen Sie aufrichtig- Ist es eine Ehre oder eine Schande für mich, wenn ich erst behaupte, daß ich mich nicht fürchte, und dann doch zurücktrete?“

Sie senkte den Kopf; sie sah ein, daß er recht hatte, daß er vor den andern, die ja alle gute Reiter waren, gar nicht zurück konnte. Darum fragte sie kleinlaut:

„Sie wollen es also wirklich wagen?“

„O, Sennorita Emma, für mich ist das kein Wagnis!“

Er blickte ihr dabei mit einer so offenen, heiteren Zuversichtlichkeit in die Augen, daß sie zurücktrat und an die Möglichkeit des Gelingens glaubte.

„Wohlan, nun gilt’s!“

Mit diesen Worten trat er an den Hengst heran. Er wies die Vaqueros zurück, welche ihm helfen wollten, die Fesseln abzunehmen. Das Tier wälzte sich noch immer schnaubend und stöhnend am Boden. Er nahm ihm den Korb ab und zog das Messer. Nur das Ende eines alten Lasso war dem Pferde noch um das Maul gebunden. Helmers nahm diesen Riemen in die Linke, schnitt mit dem Messer schnell die Fesseln erst der Hinter-, dann auch der Vorderbeine durch und saß, als der Rappe nun emporschnellte, wie angegossen auf dessen Rücken.

Jetzt begann ein Kampf zwischen Reiter und Pferd, wie ihn noch keiner der sich vorsichtig zurückziehenden Zuschauer gesehen hatte. Der Hengst ging abwechselnd vorn und hinten in die Höhe, bockte zur Seite, schlug und biß, warf sich zu Boden, wälzte sich, sprang wieder empor – immer blieb der Reiter über ihm. Es war zunächst ein Kampf der menschlichen Intelligenz gegen die Widerspenstigkeit eines wilden Tieres, dann aber wurde es ein Kampf allein der menschlichen Muskeln gegen die tierische Kraft. Das Pferd schwitzte förmlich Schaum, es schnaubte nicht, sondern es grunzte, stöhnte; es strengte den letzten Rest seines Willens an, aber der eisenfeste Reiter gab nicht nach; mit stählernem Schenkeldrucke preßte er das Pferd zusammen, daß diesem der Atem auszugehen drohte, und nun erhob es sich zum letzten Male mit allen vieren in die Luft; dann – schoß es davon, über Stock und Stein, über Gräben und Büsche, daß man es mit seinem Reiter in einer halben Minute bereits nicht mehr erblickte.

„Donnerwetter, so etwas habe ich noch nicht gesehen!“ gestand der alte Arbellez.

„Er wird den Hals brechen!“ sagte einer der Vaqueros.

„Nun nicht mehr,“ meinte ein andrer. „Er hat gesiegt!“

„O, es war mir angst!“ gestand Emma. „Aber ich glaube nun wirklich, daß keine Gefahr mehr vorhanden ist. Nicht wahr, Vater?“

„Sei ruhig! Wer so fest sitzt und solche Stärke zeigt, der stürzt nicht mehr herab. Das war ja gerade, als ob Teufel gegen Teufel kämpfte! Ich glaube, dieser Itinti-ka könnte es auch nicht besser machen!“

Da trat Büffelstirn heran und sagte:

„Nein, Sennor, er kann es nicht besser machen, sondern ganz genau so.“

„Wie so? Ich verstehe nicht.“

„Dieser Sennor Helmers ist ja Itinti-ka, der Donnerpfeil!“

„Was?“ fuhr Arbellez auf. „Er? Der Donnerpfeil?“

„Ja. Fragt hier den Häuptling der Apatschen!“

Arbellez richtete einen fragenden Blick auf den Genannten.

„Ja, er ist es,“ sagte dieser einfach.

„Ja, wenn ich das wußte, so hätte ich keine solche Angst ausgestanden,“ erklärte der Haciendero. „Es war mir wahrhaftig so, als ob ich selbst auf dem Tiere säße.“

Voller Erwartung blieben alle halten, und keiner ging von dem Platze fort. So verging über eine Viertelstunde; da kehrte er zurück. Der Rapphengst war zum Zusammenbrechen müde, aber der Reiter saß lächelnd und frisch auf seinem Rücken. Emma ritt ihm entgegen.

„Sennor, ich danke Euch!“ sagte sie.

Ein anderer hätte gefragt: „Wofür?“ Er aber verstand sie und lächelte ihr glücklich zu.

„Nun, Sennor Arbellez,“ fragte er, „braucht es denn gerade wirklich nur dieser Itinti-ka zu sein?“

„Natürlich!“

„Na, ich denke, wir können ihn entbehren, denn ich kann es auch.“

„Weil Ihr es seid, ja.“

„Aha, so ist mein Geheimnis verraten!“ lachte er.

„Und das Inkognito des Fürsten der Savanna zu Ende,“ fügte Emma hinzu.

Es wurde ihm von allen Seiten die lauteste Bewunderung zu teil; er aber wehrte ab und sagte:

„Ich bin noch nicht fertig. Darf ich Sie auf Ihrem Ritte begleiten, Sennor Arbellez?“

„Ist das Pferd nicht zu müde?“

„Es muß; ich will es so!“

„Gut, so kommt!“

Sie ritten nun die weiten Plätze ab, auf denen Pferde, Rinder, Maultiere, Schafe und Ziegen weideten, und kehrten dann nach Hause zurück; der Rapphengst wurde angepflockt. Als Karja, die Indianerin, sich nach ihrem Zimmer begab und an der Thür des Grafen vorüberging, öffnete sich diese und Graf Alfonzo trat für einen Augenblick heraus.

„Karja,“ fragte er, „kann ich dich heut sprechen?“

„Wann?“ fragte sie.

„Zwei Stunden vor Mitternacht.“

„Wo?“

„Unter den Ölbäumen am Bache.“

„Ich komme!“

Als der Abend hereingebrochen war, versammelte man sich im Speisesaale, wo wahrhaft riesige Vorräte auf die Tische getragen wurden. Auch die beiden Indianerhäuptlinge waren da. Man sprach wieder von den letzten Ereignissen ,und brachte dann die Rede auf die heutige Bändigung des Pferdes. Es wurde Helmers abermals Lob gebracht; er wies es mit den Worten zurück:

„Das ist gar nicht der Rede wert, Sennores. Ich bin nicht der einzige, der so etwas fertig bringt.“

„O, das ist nur Bescheidenheit von Euch!“ sagte der Haciendero. „Es giebt keinen zweiten.“

„Doch! Es giebt einen, der es noch viel besser versteht; das ist Old Shatterhand, der Freund Winnetous. An den reiche ich noch lange nicht.“

„Oh! Old Shatterhand! ja, von dem hat man freilich so viel gehört, daß ich glaube, ihm sei die Bändigung eines wilden Pferdes eine Leichtigkeit. Kennt Ihr ihn, Sennor?“

„Ja, und eben darum kann ich der Wahrheit gemäß sagen, daß ich es ihm noch lange nicht gleich thue.“

Hierauf richtete sich das Gespräch auf diesen berühmten Westmann, und es wurden einige seiner hervorragendsten Thaten erzählt. Der Graf war nicht mit bei Tische erschienen; die heutigen Auftritte ärgerten ihn; er fühlte gar wohl, daß er sich blamiert hatte, und darum kam er nicht. Auf das Duell mit Helmers war er natürlich nur aus Feigheit nicht eingegangen.

Er war ein außerordentlich liederlicher und verschwenderischer junger Edelmann und hatte trotz des Reichtums seines Vaters, der ihn mit einer sehr hohen Jahresrente bedachte, so hohe Schulden gemacht, daß er sich nicht getraute, es ihm mitzuteilen. Seine Gläubiger drückten und quälten ihn, und da er von dem Schatze der Könige gehört hatte und von Karja wußte, daß sie das Geheimnis kannte, so wollte er diesen Schatz heben, von dem der tausendste Teil hinreichend war, die Gläubiger zu befriedigen. Er hatte jedes ungesehene Zusammentreffen mit der Indianerin benützt, sich ihr von der vertrauenswertesten Seite zu zeigen, und ihr sogar versprochen, sie zur Gräfin Rodriganda zu machen. Trotzdem sie so harmlos und vertrauensselig war, ihm dies vollständig zu glauben, war sie bisher doch nicht dazu zu bringen gewesen, ihm zu sagen, wo der Schatz zu suchen sei.

Jetzt nun war er, von seinen Gläubigern auf das äußerste gedrängt, von der Hauptstadt Mexiko nach der Hacienda mit dem festen Vorsatze gekommen, Karja so zu bearbeiten, daß sie ihm das Geheimnis verraten müsse. Er ging nach den Ölbäumen am Bache und fand sie schon da, seiner wartend. Sie war zornig auf ihn, weil er sich so beleidigend gegen ihre Retter verhalten hatte, doch gelang es seiner Gewandtheit sehr bald, ihren Unmut zu zerstreuen. Dann ging er auf sein Ziel los. Er versprach ihr, sie adeln zu lassen, um sie dann zu seiner Frau machen zu können, denn der Adel sei ihr notwendig, obgleich sie in seinen eignen Augen für vollständig ebenbürtig gelte, weil sie der Abkömmling von Königen sei. Um den Adel zu erhalten, sei aber Geld, sehr viel Geld nötig, was er für sie von seinem Vater nicht erhalten könne; dazu sei der Schatz der Könige nötig, den er auch schon deshalb haben müsse, weil sein Vater ihn wegen Karja enterben und er also arm, ganz arm sein werde. Wenn er aber bereit sei, ihr dieses große Opfer zu bringen, und ihr also beweise, wie gut und ehrlich er es mit ihr meine, dürfe sie nun auch ihrerseits nicht länger zögern, ihm das Geheimnis mitzuteilen. Seine Überredungsgabe siegte mit diesen Gründen. Sie versprach, ihm den Ort, wo der Schatz liege, zu sagen, stellte aber die Bedingungen, daß er ihrem Bruder nie verrate, daß sie das Geheimnis nicht gehütet habe, und daß er ihr ein schriftliches und mit Unterschrift und Siegel versehenes Dokument des Inhaltes gebe, daß er sie gegen Auslieferung des Schatzes zur Gräfin von Rodriganda machen werde. Er ging auf diese Bedingung ein und sagte ihr, daß sie sich dieses Dokument morgen persönlich bei ihm holen solle.

Wie froh war er, seinen Zweck erreicht zu haben. Hatte er doch in der Überzeugung, zum Ziele zu gelangen, schon Leute mitgebracht, welche die Schätze nach der Hauptstadt transportieren sollten! Das Dokument machte ihm keine Sorgen; die niedrig stehende, verachtete Indianerin war selbst mit einem solchen Schriftstücke vollständig machtlos, ihm, dem hochgeborenen Grafen gegenüber. Aber nur erst die Schätze haben!

Während diese beiden bei den Oliven waren, führte Helmers den Häuptling Tecalto nach seinem Lagerplatze im Grase der Weide. Er war seit langer Zeit die freie Gottesnacht gewöhnt und wollte, ehe er sich im Zimmer schlafen legte, noch eine Lunge voll frischer Luft sammeln. Darum ging er, als er sich von dem Häuptling verabschiedet hatte, noch nicht in die Hacienda zurück, sondern trat in den Blumengarten, wo er sich am Rande des künstlichen Bassins niederließ, in welchem eine Fontäne ihren belebenden Wasserstrahl zur Höhe schoß.

Er hatte noch nicht lange hier gesessen, als er den Schritt eines leisen Fußes hörte. Gleich darauf kam eine weibliche Gestalt langsam den Gang daher geschritten und grad auf die Fontäne zu. Er erkannte Emma und erhob sich, um nicht vielleicht für einen Lauscher gehalten zu werden. Sie erblickte ihn und zauderte, weiter zu gehen.

„Bitte, Sennorita, treten Sie getrost näher,“ sagte er. „Ich werde mich sogleich entfernen, um Sie nicht zu stören.“

„Ach, Sie sind es, Sennor Helmers,“ antwortete sie. „Ich glaubte, daß es ein andrer sei, und dachte, Sie hätten die Ruhe bereits aufgesucht.“

„Das Zimmer ist mir noch zu unbequem und drückend; man muß sich erst daran gewöhnen.“

„Es ging mir ganz ebenso, darum suchte ich vorher noch den Garten auf.“

„So genießen Sie den Abend ungestört. Gute Nacht, Sennorita!“

Er wollte sich zurückziehen, sie aber nahm ihn bei der Hand, um ihn zurückzuhalten.

„Bleiben Sie, wenn es Ihnen Bedürfnis ist,“ sagte sie. „Unser Gott hat Luft und Duft und Sterne genug für uns beide. Sie stören mich nicht.“

Er gehorchte und nahm neben ihr am Rande des Bassins Platz.

Unterdessen hatte sich der Häuptling der Mizticas hart an der Gartenpallisade niedergelegt. Er blickte träumerisch gen Himmel und ließ seine Phantasie hinauf steigen in jene ewigen Welten, wo Sonnen rollen, die von seinen Ahnen verehrt worden waren. Dabei aber hatte er doch einen Sinn für das kleinste Geräusch seiner Umgebung.

Da war es ihm, als ob er im Innern des Blumengartens leise Schritte und dann auch unterdrückte Stimmen vernähme. Er wußte, daß der Graf sich bemühte, so oft wie möglich in die Nähe seiner Schwester zu kommen, und er wußte ebenso, daß diese dem Bestreben des Grafen keinen Widerstand entgegensetzte. Sein Argwohn erwachte. Weder der Graf noch Karja waren seit einer Stunde in der Hacienda zu sehen gewesen; sollten sie ein Stelldichein im Garten verabredet haben? Er mußte das erfahren, das war notwendig für ihn und sie.

Er erhob sich also und schwang sich mit echt indianischer Leichtigkeit über die Pallisaden in den Garten hinüber. Dort legte er sich auf den Boden und schlich mit solcher Unhörbarkeit näher, daß selbst das geschärfte, jetzt aber in Sicherheit gewiegte Ohr des Deutschen nichts vernahm. Er erreichte unbemerkt die andre Seite des Bassins und konnte nun jedes Wort der Unterhaltung verstehen.

„Sennor, ich sollte Ihnen eigentlich zürnen!“ sagte Emma soeben.

„Warum?“

„Weil Sie mir heute so große Angst verursacht haben.“

„Wegen des Pferdes?“

„Ja.“

„Sie haben sich umsonst geängstigt, denn ich habe Pferde gebändigt, welche noch viel schlimmer waren. Der Rappe ist nun so fromm, daß ihn jede Dame unbesorgt reiten kann.“

„Ein Gutes hat der Vorgang doch gehabt.“

„Was?“

„Daß Sie Ihr Inkognito aufgegeben haben, Sie eitler Mann!“

„O,“ lachte er, „eine eigentliche Eitelkeit war es nicht. Man muß zuweilen vorsichtig sein. Gerade dadurch, daß man mich für einen ganz gewöhnlichen und ungeübten Jäger hielt, habe ich oft die größten Vorteile errungen.“

„Aber mir konnten Sie es doch wenigstens sagen. Sie hatten mir doch bereits ein viel größeres Geheimnis anvertraut.“

„Ein Geheimnis, welches für mich wohl niemals einen Wert haben wird. Ich werde die Höhle des Königsschatzes niemals entdecken, obgleich ich mich hier in der Nähe befinden muß.“

„Ah, woraus schließen Sie das?“

„Aus der Bildung der Berge und dem Laufe der Wasser. Die Gegend, welche wir zuletzt durchritten, stimmt ganz genau mit einem Teile meiner Karte.“

„So haben Sie ja einen Anhalt gefunden und können weiter suchen!“

„Es fragt sich sehr, ob ich dies thue.“

„Warum?“

„Weil ich im Zweifel bin, ob ich ein Recht dazu habe.“

„Sie hätten doch jedenfalls das Recht des Finders. Ich überschätze den Wert des Goldes keinesfalls, aber ich weiß doch auch, daß der Besitz desselben vieles gewährt, nach welchem selbst Tausende vergeblich streben. Suchen Sie, Sennor! Es sollte mich freuen, wenn Sie fänden!“

„Ja, die Macht des Goldes ist groß,“ sagte er nachdenklich, „und ich habe in der Heimat einen armen Bruder, der viele Kinder hat und dessen Glück ich vielleicht machen könnte. Aber wem gehört dieser Schatz? Doch wohl den Nachkommen derer, die ihn versteckten.“

„Wissen Sie nicht, von wem Ihre Karte stammt?“

„Von einem alten, kranken Indianer, dem ich einige Dienste geleistet hatte, wie ich Ihnen bereits sagte. Er war verwundet und starb, ehe er mir die notwendigen mündlichen Aufklärungen geben konnte.“

„Und es steht kein Name darauf?“

„Nein. In der einen Ecke befindet sich ein rätselhaftes Zeichen, welches ich nicht zu erklären vermag. Ja, ich nehme es mir vor, ich werde suchen. Aber wenn ich den Schatz wirklich finden sollte, so werde ich ihn nicht berühren, sondern nach den rechtlichen Besitzern desselben suchen. Sollten diese nicht zu finden sein, so ist es noch immer Zeit, sich zu entschließen.“

„Sennor, Sie sind ein Ehrenmann!“ sagte die Mexikanerin warm.

„Ich thue nur, was ich muß, und unterlasse alles Unrecht.“

„Ihr Bruder ist also arm?“

„Ja. Er ist ein Seemann, der es wohl nie zu einer Selbständigkeit bringen kann, so lange er auf seine eigne Kraft angewiesen ist. Ich selbst besitze nur eine kleine Summe, welche ich aus dem Ertrage meiner Jagdstreifereien gelöst habe.“

„Sie besitzen mehr!“ sagte sie.

„Da möchte ich doch fragen!“

„Sollte ein Donnerpfeil wirklich so arm sein? Giebt es nicht Reichtümer, welche mit dem Besitze des Goldes nichts zu thun haben? Der Besitz von Gold und Silber macht nicht den Wert des Menschen aus. Die wahren Schätze ruhen im Herzen: der Glaube an Gott, die Liebe zum Nächsten und das Bewußtsein, stets seine Pflicht erfüllt zu haben. Doch kommen Sie; ich muß Vater noch gute Nacht sagen!“

Sie entfernten sich. Da schlich sich Tecalto wieder fort und schwang sich wieder über die Pallisaden. Draußen murmelte er leise vor sich hin:

„Uff, uff! Was habe ich da gehört! Donnerpfeil hat eine Zeichnung unsers heiligen und verborgenen Platzes! Sein Scharfsinn wird ihn zur Entdeckung des Schatzes führen. Ich müßte ihn eigentlich töten; aber er ist mein Freund und Bruder geworden und ein guter, edler Mann. Auch hat er meine Schwester Karja gerettet. Soll ich ihn vernichten, dem ich danken muß? Nein, nein! Ich werde nachdenken, und der große, gute Geist wird mir sagen, was ich machen soll.“ – – –

Um diese Zeit saß in einem abgelegenen Thale, vielleicht zwei Stunden von der Hacienda del Erina entfernt, eine Anzahl von vielleicht zwanzig Männern um ein Feuer. Es waren lauter wilde, verwegene Gestalten, deren jedem man zutrauen konnte, daß er einen Mord oder so etwas ähnliches auf dem Gewissen habe. Das Viertel eines Kalbes briet am Spieße, und die Reste des Tieres, welche daneben lagen, bewiesen, daß man bereits seit längerer Zeit ganz tüchtig geschmaust habe.

„Also wie wird’s, Kapitano?“ fragte einer mit unmutiger Stimme. „Warten wir noch länger?“

Der Gefragte lag neben ihm auf dem Ellbogen. Er hatte ein echtes Banditengesicht, und sein Gürtel strotzte von Waffen.

„Wir warten,“ sagte er finster und bestimmt.

„Aber wie lange noch?“

„So lange es mir gefällt.“

„Oho, ich habe es satt!“

„Schweig!“

„Du wirst mir wohl erlauben, zu reden. Wir liegen bereits seit vier Tagen hier und wissen nicht, ob man uns nur für Narren hält.“

„Hältst du dich für einen Narren, so habe ich nichts dagegen. Wie ich mit mir daran bin, das weiß ich glücklicherweise ganz genau.“

„Aber wie wir mit diesem sogenannten Grafen daran sind, weißt du das auch?“

„Auch das weiß ich.“

„Nun, wie denn?“

„Er bezahlt uns gut, und wir warten also, bis er erklärt, was wir thun sollen.“

„Das halte der Teufel aus! Was hätten wir während dieser Zeit thun und verdienen können!“

„Schweig!“

„Oho! Ich bin ein Mann und habe zu reden!“

„Und ich bin der Kapitano und verbiete es dir!“

„Wer hat dich zum Kapitano gemacht? Doch erst wir!“

„Richtig! Und weil ich es nun einmal bin, so weiß ich es auch zu sein. Iß dein Fleisch, und halte dein Maul, sonst kennst du die Gesetze!“

„Du willst drohen?“ fragte der andre, indem er an das Messer griff.

„Drohen? Nein, sondern handeln!“

Der Kapitano sagte dies im kalten, gleichgültigen Tone, aber mit einem blitzesschnellen Griffe riß er die Pistole aus dem Gürtel und drückte ab. Der Schuß krachte, und der widersetzliche Sprecher stürzte mit zerschmettertem Kopfe zu Boden.

„So; das gehört dem Ungehorsam. Schafft ihn zur Seite!“

Mit diesen Worten begann der Kapitano seine Pistole gleichmütig wieder zu laden.

Es erhob sich ein leises, mißbilligendes Gemurmel, doch verstummte es sofort, als der Hauptmann den Kopf erhob.

„Wer murrt?“ fragte er. „Ich habe noch mehrere Kugeln. Was soll werden, wenn es keinen Gehorsam mehr giebt! Dieser Graf Rodriganda zahlt einem jeden von uns ein Goldstück für den Tag. Ist dies nicht genug? Er läßt uns warten, ja, aber er wird uns schon noch Arbeit bringen, denn eine solche Summe giebt selbst ein Graf nicht umsonst aus!“

Die Leute beruhigten sich, und der Tote wurde zur Seite geschafft. Das Feuer warf seine ungewissen Schatten über die Gruppe. Man verzehrte den Rest des Fleisches, stellte eine Wache aus und hüllte sich dann in die Decken.

Schon begann der Schlaf sich über die Männer zu legen, als man den Hufschlag eines Pferdes hörte. Sofort erhoben sich alle aus ihrer liegenden Stellung. Ein Reiter nahte.

„Wer da?“ fragte die Wache.

„Der Richtige!“ lautete die Antwort.

„Kann passieren.“

Der Angekommene gab sein Pferd der Wache und kam dann herbei. Es war Graf Alfonzo de Rodriganda. Er ließ sich neben dem Kapitano nieder, zog seinen Tabak hervor und drehte sich eine Cigarrita. Man sah ihm schweigend zu, als er aber die Cigarrita angebrannt hatte und noch immer schwieg, fragte der Hauptmann:

Bringen Sie uns endlich Arbeit, Don Rodriganda?“

„Ja.“

„Was für welche? Wir thun alles, was uns gut bezahlt wird.“

Er deutete dabei mit einer sprechenden Gebärde auf seinen Dolch. Der Graf schüttelte den Kopf und antwortete:

„Es ist nichts derartiges. Ihr sollt mir nur als Arrieros dienen.“

„Als Arrieros?“ sagte der Kapitano. „Sennor, wir sind keine solche Lumpen!“

„Das weiß ich. Hört, was ich euch sage!“

Die Männer rückten neugierig zusammen, und Graf Alfonzo begann:

„Ich habe etwas nach Mexiko zu schaffen, wovon kein Mensch etwas erfahren darf; das ist es. Kann ich auf euch rechnen?“

„Wenn Sie zahlen, ja!“

„Ihr sollt haben, was ihr verlangt. Habt ihr die bestellten Packsättel mit?“

„Ja.“

„Säcke und Kisten?“

„Ja.“

„Gut! Pferde nehmen wir uns von der Estanzia del Erina, so viele wir brauchen. Morgen um diese Zeit bin ich wieder hier, und mit Tagesgrauen brechen wir auf.“

„Wohin?“

„Das weiß ich jetzt selbst noch nicht. Ich werde euch führen.“

„Was ist es, was wir zu transportieren haben?“

„Das geht euch auch nichts an. Ich bringe meine zwei Diener mit, welche euch irgendwo und irgendwann die Säcke und Kisten füllen. Dann geht es unter meiner Aufsicht nach Mexiko, und ihr habt den Transport zu verteidigen, wenn wir dabei vielleicht belästigt werden sollten.“

„Das ist ein geheimnisvolles Ding, Don Rodriganda. Wir werden den Preis danach richten müssen.“

„Thut es! Was verlangt ihr?“

„Drei Goldstücke pro Mann und Tag.“

„Zugestanden!“

„Mir als Anführer aber sechs.“

„Auch das!“

„Die ganze Beköstigung und Verpflegung.“

„Versteht sich!“

„Und wenn wir den Transport glücklich nach Mexiko bringen, dreihundert Goldstücke als Extrabelohnung.“

„Ihr sollt fünfhundert haben, wenn ich mit euch zufrieden bin!“

„Hurra, das klingt gut! Sennor, verlaßt Euch auf uns; wir gehen für Euch durchs Feuer!“

„Das hoffe ich. Hier ist übrigens eine kleine Aufmunterung zur Treue! Verteilt es unter euch.“

Er zog eine Geldrolle aus der Tasche und gab sie dem Kapitano. Dann ritt er davon.

Als der Hufschlag seines Pferdes verklungen war, wartete der vorsichtige Anführer noch ein Weilchen; dann öffnete er die Rolle.

„Gold!“ sagte er. „Blankes, gelbes Gold!“

„Der ist splendid!“ bemerkte einer.

„Hm!“ meinte der Kapitano, „da darf man seine Gedanken haben!“

„Was werden wir transportieren?“

„Niemand soll es wissen!“

„Auch wir selbst nicht!“

„Nur die beiden Diener zieht er ins Vertrauen!“

So gingen die Fragen und Meinungen herüber und hinüber. Einer meinte gar:

„Vielleicht ist es Menschenfleisch, was er verbergen will!“

„Oder Gold aus einer Bonanza.“

„Oder ein vergrabener Schatz der Aztekenkönige!“

Der Anführer winkte zur Ruhe und meinte:

„Jungens, zerbrecht euch die Köpfe nicht! Er zahlt So gut, daß das, was wir zu transportieren und zu verteidigen haben, sicher nichts Gewöhnliches ist. Wir werden ihm zunächst in allen Stücken gehorsam sein, dann aber seid mir ein klein wenig neugierig, und wenn wir das, was wir geladen haben, auch gebrauchen können, so ist ein Graf ebenso gut eine Kugel wert wie ein gräflicher Diener oder zwei solche Kerls. Jetzt schlaft und seid still!“

Es wurde um das Feuer ruhig, obgleich mancher von den Männern nicht wirklich Schlief, sondern zu erraten suchte, welcher Art die Last sei, die ihnen anvertraut werden sollte.

Das also waren die Leute, welche der Graf engagiert hatte, die Schätze nach der Hauptstadt zu transportieren! Lumpen und Banditen, die nur von dem Ertrage ihrer Waffen lebten. Wenn sie den Inhalt der Kisten und Säcke erfuhren, so war es um sein Leben geschehen; das hatte der leichtsinnige Mann nicht bedacht.

Am andern Morgen hatte sich Helmers kaum vom Lager erhoben, als der Haciendero bei ihm eintrat, um ihm einen guten Morgen zu wünschen. Trotz der kurzen Zeit ihres Beisammenseins hatte er den Deutschen herzlich liebgewonnen.

„Ich komme eigentlich mit einer Bitte,“ sagte er.

„Die ich erfüllen werde, wenn ich kann,“ meinte Helmers.

„Sie können es. Sie befinden sich hier in der Einsamkeit, wo Sie Ihre Bedürfnisse gar nicht befriedigen können, während ich von allem einen Vorrat habe, da ich die Meinigen mit dem, was sie brauchen, versehen muß. Wollen Sie sich mit Wäsche und einer neuen Kleidung versehen, so hoffe ich, daß Sie mit meinen Preisen zufrieden sein werden.“

Helmers wußte gar wohl, wie es gemeint war, aber einesteils konnte er den guten Haciendero doch nicht gut beleidigen, und andernteils befand sich sein alter Jagdanzug in einem sehr tragischen Zustande. Er überlegte sich die Sache also kurz und sagte:

„Gut, ich nehme Ihr Anerbieten an, Sennor Arbellez, vorausgesetzt, daß Ihre Preise nicht gar zu hoch sind, denn ich bin, offen gestanden, das, was man einen armen Teufel nennt.“

„Hm, eine Kleinigkeit muß ich mir doch auch verdienen, obgleich die Zahlung nicht gerade gleich heute notwendig ist. Kommen Sie, Sennor; ich werde Ihnen meine Vorratskammer zeigen!“ sagte Arbellez lachend.

Als eine Stunde später Helmers vor dem Spiegel stand, kam er sich selbst ganz fremd und vornehm vor. Er trug eine unten aufgeschlitzte, goldverbrämte mexikanische Hose, leichte Halbstiefel mit ungeheuren Rädersporen, ein schneeweißes Hemde, darüber eine kurze, vorn offene Jacke, die mit Gold- und Silberstücken besetzt war, auf dem Kopfe einen breitkrempigen Sombrero und um die Taille einen Shawl von chinesischer Seidengaze. Das Haar war verschnitten, der Bart ausrasiert und zugestutzt, und so erkannte er sich in dieser kleidsamen, reichen Tracht kaum selbst wieder.

Als er zum Frühstück in den Speisesaal trat, fand er Emma bereits anwesend. Sie errötete vor Entzücken, als sie die Veränderung bemerkte, die mit ihm vorgegangen war. So männlich und so schön hatte sie sich ihn doch nicht ganz gedacht. Auch Karja, die Indianerin, schien erst jetzt zu sehen, welch ein Mann der Deutsche war. Vielleicht stellte sie Vergleiche zwischen ihm und dem Grafen an. Die beiden Indianerhäuptlinge thaten natürlich, als bemerkten sie diese Veränderung gar nicht. Einer aber ärgerte sich fürchterlich darüber.

Das war der Graf. Die Hoffnung, bald in den Besitz des Schatzes zu gelangen, mochte ihn nachgiebig stimmen; er erschien zum Frühstück, wäre aber fast wieder umgekehrt, als er Helmers erblickte. Kein Mensch sprach ein Wort. Er knirschte heimlich mit den Zähnen und nahm sich vor, diesen Menschen unschädlich zu machen.

Als Helmers nach dem Frühstück hinaus auf die Weide kam, fand er den Häuptling der Miztecas, der während der Nacht einen guten, freundlichen Entschluß gefaßt hatte. Als er die neue Kleidung des Deutschen sah, sagte er:

„Mein Bruder Donnerpfeil darf so ein Gewand tragen, denn er ist ein reicher Mann.“

„Oh, das ist ein Geschenk von Sennor Arbellez; ich bin noch ebenso arm wie bisher.“

„Nein,“ sagte der Indianer ernst; „du bist reich, denn du hast die Karte zur Höhle des Königsschatzes.“

Der Deutsche trat erstaunt einen Schritt zurück.

„Woher weißt du das?“

„Ich weiß es! Darf ich die Karte sehen?“

„Ja!“

„Sogleich?“

„Komm!“

Er führte ihn in sein Zimmer und legte ihm das alte abgegriffene Papier vor. Tecalto warf einen Blick in die Ecke des Planes und sagte:

„Ja, du hast sie! Das ist das Zeichen von Toxertes, welcher der Vater meines Vaters war. Er mußte das Landverlassen und kehrte nie wieder zurück. Du hast ihm Gutes gethan und bist nicht arm. Willst du die Höhle des Königsschatzes sehen?“

„Kannst du mir sie zeigen?“

„Ja.“

„Wem gehört der Schatz?“

„Mir und Karja, meiner Schwester. Wir sind die einzigen Abkömmlinge der Könige der Miztecas. Soll ich dich führen?“

„Ich gehe mit!“

„So sei bereit, heut zwei Stunden nach Mitternacht. Dieser Weg darf nur im Dunkel der Nacht angetreten werden.“

„Wer darf davon wissen?“

„Niemand. Aber der Tochter des Haciendero magst du es anvertrauen.“

„Warum ihr?“

„Weil sie weiß, daß du den Schatz suchest.“

„Ah, woher weißt du das?“

„Ich habe jedes Wort gehört, welches ihr gestern im Garten geredet habt. Du hattest die Karte und wolltest dennoch nichts nehmen. Du wolltest erst forschen, ob der Erbe vorhanden sei. Du bist ein ehrlicher Mann, wie es unter den Bleichgesichtern wenige giebt. Darum sollst du den Schatz der Könige sehen.“

Und eine Stunde später zur Zeit des Mittagsmahles, als die andern beim Nachtische saßen, schlüpfte die Indianerin in das Zimmer des Grafen.

„Hast du das Papier geschrieben?“ fragte sie.

„Kannst du lesen?“ erkundigte er sich.

„Ja,“ antwortete sie stolz.

„Hier ist es.“

Er gab ihr einen Bogen Papier, auf welchem folgende Zeilen zu lesen waren:

„Ich erkläre hiermit, daß ich nach Empfang des Schatzes der Könige der Miztecas mich als Verlobten von Karja, der Nachkömmlingin dieser Könige, betrachten und sie als meine Gemahlin heimführen werde.

Alfonzo Graf de Rodriganda y Sevilla.“

„Ist es so recht?“ fragte er.

„Die Worte sind gut, aber das Siegel fehlt!“ „Das ist ja nicht notwendig!“ „Du hast es mir versprochen.“

„Gut, so magst du es haben,“ sagte er, seinen Unwillen verbergend.

Er brannte den Wachsstock an und drückte sein Siegel über die Worte.

„Hier, Karja! Und nun halte auch du dein Wort!“

„Ich halte es.“

„Nun? Wo ist der Schatz versteckt?“

„Kennst du den Berg El Reparo?“

„Ja. Er liegt vier Stunden von hier gegen Westen.“

„Er sieht fast aus wie ein langgezogener, hoher Damm.“

„Das stimmt.“

„Von ihm fließen drei Bäche in das Thal. Der mittelste ist der richtige. Sein Anfang bildet keinen offenen Quell, sondern er tritt gleich voll und breit aus der Erde heraus. Wenn du in das Wasser steigst und da, wo er aus dem Berge kommt, dich bückst und hineinkriechst, so hast du die Höhle vor dir.“

„Ah, das wäre doch recht einfach!“

„Sehr einfach!“

„Braucht man Licht?“

„Du wirst Fackeln rechts vom Eingang finden.“

„Das ist alles, was du mir zu sagen hast?“

„Alles.“

„Und der Schatz befindet sich wirklich noch vollständig dort?“

„Vollständig.“

„So habe Dank, mein gutes Kind! Du bist jetzt meine Verlobte und wirst nun bald mein Weibchen sein. Jetzt aber geh. Man könnte uns hier überraschen!“

Sie steckte das Dokument ein und ging. Sie hatte ein Opfer gebracht, aber dieses Opfer lag ihr mit Zentnerschwere auf der Seele.

Inzwischen hatte sich Bärenherz, der Häuptling der Apatschen, eines der halbwilden Pferde der Hacienda eingefangen und war spazieren geritten. Er hatte Zeit und nahm bei der Heimkehr nicht etwa den geradesten und bequemsten Weg, sondern er folgte den Thälern, Schluchten und Gründen, wie sie ihm gerade in die Richtung kamen, bis er, in einer Vertiefung reitend, plötzlich zankende Stimmen vernahm. Gleich darauf ertönte ein Schuß und ein Schrei.

Ein solches Vorkommnis ist verdächtig, besonders einem vorsichtigen Indianer. Er stieg ab, band sein Pferd an, griff zur Büchse und birschte sich vorsichtig der Gegend zu, in welcher der Schuß gefallen war. Es war nicht weit. Er kroch eine Böschung empor, deren Höhe mit wilder Myrte besetzt war. Als er diese Büsche erreichte, erblickte er zwischen diesen hindurch ein kleines, aber tiefes Thälchen, in welchem sich um ein abgebranntes Feuer herum achtzehn Männer und zwei Leichen befanden. Dabei lagen eine Menge Kisten, Säcke und Packsättel auf einem Haufen. Einer der Männer hatte ein Pistol in der Hand, welches er lud.

„Es bleibt dabei,“ sagte er; „wer widerspricht, der wird einfach erschossen.“

„Werden uns die Schüsse nicht verraten?“ fragte ein anderer schüchtern.

„Schwachkopf, wer wird sich an uns wagen!“

Bärenherz verstand das Gemisch von Spanisch und Indianisch, welches an der Grenze gesprochen wird, sehr gut; diese Leute hier aber redeten rein Spanisch, welches er nicht verstand. Er hielt diese Leute für eine Jagdtruppe, deren Mitglieder untereinander in Streit geraten waren und aufeinander geschossen hatten. Das kommt in Mexiko häufig vor, ohne daß es groß beachtet wird. Er zog sich also leise wieder zurück, bestieg sein Pferd und ritt nach der Estanzia.

Der Graf ließ sich während des ganzen Tages nicht sehen. Er wußte nun, was er hatte wissen wollen, und ließ durch seine beiden Diener seine Sachen packen. Nach dem Abendessen ging er zu Arbellez und erklärte ihm, daß er abreisen werde. So auffallend dies erscheinen mochte, der Haciendero fragte ihn nicht nach dem Grunde und versuchte auch nicht, ihn zu halten. Als Rodriganda von da aus in sein Zimmer zurückkehrte, begegnete er Karja. In der Überzeugung, nun am Ziele zu sein, beging er zufolge seines dadurch eingetretenen Übermutes die Unklugheit, zu ihr zu sagen:

„Soeben habe ich Arbellez gesagt, daß ich abreise.“

„Wohin?“ fragte sie.

„Nach Mexiko.“

„Und der Schatz?“

„Den hole ich mir natürlich vorher. Ich habe eine ganze Menge von Arrieros mit Maultieren bereit gehalten, mit denen ich jetzt nach dem Berge El Reparo reite, um die Schätze aufzuladen. Von dort aus geht es sofort nach Mexiko.“

„Wann kommst du wieder?“

„Nie.“

„Nie?“ fragte sie erstaunt. „So wirst du mich von hier abholen lassen?“

„Nein.“

„Auch nicht? So soll ich dich in der Hauptstadt aufsuchen?“

„Das müßte ich mir sehr verbitten. Hast du denn wirklich geglaubt, Gräfin von Rodriganda werden zu können? Hast du mich wirklich für So albern, für so wahnsinnig gehalten, daß ich eine Indianerin, eine Rote, zu meiner Frau mache?“

Sie sah ihn erschrocken an und fragte stammelnd:

„So – – so – – hast du – – mich betrogen?“

„Das ist ein Ausdruck, den ich ernstlich zurückweisen muß. Ein Graf betrügt nie; ich habe dich nur ein wenig überlistet. Der Schatz ist mein, und wenn du einen Mann haben Willst, so suche ihn dir unter deinesgleichen!“

Nach diesen in höhnisch stolzem Tone gesprochenen Worten entfernte er sich. Karja stand eine ganze Weile starr und stumm und wankte dann ganz fassungslos nach ihrem Zimmer. Es dauerte lange, lange, ehe sie richtig zu denken vermochte. Er hatte sie betrogen und war jetzt fort, um die Schätze zu holen! Er durfte sie nicht bekommen, nein, nein, nein! Sie mußte ihn hindern; aber wie? Der richtige Weg war, ihrem Bruder alles zu gestehen; der mußte sofort nach dem Berge aufbrechen und den Raub unmöglich machen. So schwer ihr dieses Geständnis werden mußte, sie zögerte nicht. Der Graf war ein Betrüger, ein Halunke; er hatte ihr durch Lügen das Geheimnis entlockt; es mußte aber gerettet und gewahrt bleiben, und das war durch seinen Tod möglich. Ja, sterben mußte er! jetzt war sie nur noch Indianerin, eine betrogene Indianerin, die ihr Herz für ewig zum Schweigen bringt und nun weiter nichts als nur die Rache kennt. Sie sprang blitzenden Auges von ihrem Sitze auf und eilte fort, um den Bruder zu suchen. Sie lief durch den Hof in den Garten, hinaus auf die Weide; sie suchte in allen Räumen des Hauses, die ihm zugänglich waren – vergebens. Da wurde ihr himmelangst, und sie kehrte in den Speisesaal zurück, wo Arbellez mit Emma und dem Apatschen saß. Auf ihre erregte Frage bekam sie von dem Haciendero die Antwort:

„Ich weiß nicht, wo er ist. Aber was hast du, was ist mit dir? Du bist ja ganz außer dir!“

„Es steht ein Unglück bevor, ein großes Unglück! Mein Bruder muß augenblicklich fort.“

„Wohin?“

„Nach El Reparo!“

„Warum?“

„Der Graf ist hin, um zu stehlen!“

„Zu stehlen?“ fragte da Emma betroffen. „Etwa den Königsschatz?“

„Ja,“ antwortete Karja, ohne daran zu denken, daß sie damit ihr Geheimnis verriet.

„O Gott, das giebt allerdings ein Unglück, denn dein Bruder ist mit Sennor Helmers auch hin! Er will ihm den Königsschatz zeigen und hat es ihm erlaubt, es mir zu sagen.“

„Mein Himmel! Da wird es Mord und Totschlag geben!“ rief Arbellez.

Es gab eine Aufregung, bei welcher nur der Apatsche kalt blieb. Er besann sich auf seinen heutigen Ritt und sagte:

„Ich habe heut Männer mit Säcken und Kisten gesehen. Sollte das mit dem Schatze zusammenhängen? Vielleicht sollen sie ihn für den Grafen fortschaffen! Woher aber kennt er das Geheimnis des Schatzes?“

„Ich habe es ihm verraten,“ gestand Karja in ihrer Angst. „Waren es viele Männer, die du gesehen hast?“

„Ja.“

„Wie viele?“

„Zweimal fünf und acht.“

„Waren sie bewaffnet?“

„Sehr gut. Und sie hatten von den Waffen Gebrauch gemacht, denn zwei von ihnen waren erschossen.“

„O, das ist Gefahr, das ist Gefahr!“ rief da die Indianerin. „Der Graf, der Lügner, der Verräter, will den Schatz der Könige stehlen. Er wird Sennor Helmers und meinen Bruder dort finden und sie töten. Sennor Arbellez, blast in das Nothorn. Laßt Eure Vaqueros und Ciboleros kommen. Sie müssen nach der Höhle des Schatzes, um die zwei zu retten!“

Jetzt gab es ein Wirrwarr von Fragen und Antworten, bei dem wieder nur der Apatsche seine Ruhe behauptete. Er hörte die einzelnen Fragen und Entgegnungen, und sagte dann:

„Wer weiß es, wo die Höhle liegt?“

„Ich,“ antwortete Karja. „Ich werde Euch führen!“

„Kann man reiten?“

„Ja.“

„So gebt mir dieses Mädchen und zehn Ciboleros und Vaqueros mit.“

„Ich gehe auch mit!“ rief Arbellez.

„Nein!“ entschied der Apatsche. „Wer will die Hacienda beschützen? Wer weiß, was hier kommen kann? Man rufe alle Männer, man gebe mir zehn von ihnen. Die andern beschützen die Hacienda.“

Dabei blieb es. Der Haciendero stieß in das Horn, und auf dieses Zeichen kamen die Wächter der Herden und sonstige Bedienstete herbeigesprengt. Der Apatsche suchte sich zehn von ihnen aus; sie wurden bewaffnet. Auch Karja stieg zu Pferde; dann ritten sie ab, während die andern, gut Wache haltend, zurückblieben. Die Verwirrung war schuld, daß bis zum Abreiten der kleinen Truppe doch eine ziemliche Zeit vergangen war. – –

Kurz nach dem Abendessen trat Büffelstirn in das Zimmer des Deutschen.

„Gedenkst du noch deines Wortes?“ fragte er.

„Ja,“ antwortete Helmers.

„Du reitest mit?“

„Ja.“

„So komme!“

Helmers bewaffnete sich und folgte dem Indianer. Unten standen heimlich bereits drei Pferde bereit, zwei mit Reitsätteln und das dritte mit einem Packsattel.

„Was soll dieses hier?“ fragte der Deutsche, auf das letztere zeigend.

„Ich habe gesagt, daß du nicht arm bist. Du hast den Schatz der Könige nicht berauben wollen; darum sollst du dir davon nehmen dürfen so viel, wie ein Pferd zu tragen vermag.“

„Nein. Wo denkst du hin!“ rief Helmers erstaunt.

„Rede nicht, sondern steige auf, und folge mir!“

Der Indianer bestieg sein Pferd, nahm das Packtier beim Zügel und ritt fort. Helmers konnte nicht anders, als ihm folgen. Es war finstere Nacht, aber der Indianer kannte seinen Weg genau, und die halbwilden Pferde Mexikos sehen während des Nachts wie die Katzen. Der Deutsche konnte sich der Führung Büffelstirns gut anvertrauen. Schnell freilich kamen sie nicht vorwärts, denn es ging tief zwischen unwegbare Berge hinein.

Büffelstirn sprach kein Wort. Man hörte in der schweigsamen Nacht nichts als den Schritt und das zeitweilige Schnauben der Pferde. So verging eine Stunde, noch eine und noch eine dritte. Da rauschte Wasser; man kam an den Lauf eines Baches, dem man folgte. Dann türmte sich ein wallartiger Berg vor ihnen auf, und als sie denselben beinahe erreicht hatten, stieg der Indianer ab.

„Hier warten wir, bis der Tag kommt,“ sagte er.

Helmers folgte seinem Beispiele, ließ sein Pferd grasen und setzte sich neben Büffelstirn auf einem Feisenstücke nieder.

„Die Höhle ist hier in der Nähe?“ fragte er.

„Ja. Sie ist da, wo dieses Wasser aus dem Berge kommt. Man steigt in den Bach, bückt sich und kriecht in das Loch, so befindet man sich in einer Höhle, deren Größe und Abteilungen niemand kennt als Büffelstirn und Karja.“

„Ist Karja schweigsam?“

„Sie schweigt!“

Helmers dachte an das, was ihm Emma erzählt hatte, und sagte daher:

„Aber es giebt einen, der das Geheimnis des Schatzes von ihr erfahren will.“

„Wer ist es?“

„Der Graf Alfonzo.“

„Ugh!“

„Du bist mein Freund, und darum darf ich dir sagen, daß sie ihn liebt.“

„Ich weiß es.“

„Und wenn sie ihm nun euer Geheimnis verrät?“

„So ist Büffelstirn da. Der Graf wird nicht den kleinsten Teil des Schatzes erhalten.“

„Ist dieser Schatz groß?“

„Du wirst ihn sehen. Nimm alles Gold, welches Mexiko heut besitzt, zusammen, so reicht es noch nicht an den zehnten Teil dieses Schatzes. Es hat einen einzigen Weißen gegeben, der ihn gesehen hat, und –“

„Ihr habt ihn getötet?“

„Nein. Er brauchte nicht getötet zu werden, denn er ist wahnsinnig geworden, wahnsinnig vor Freude und Entzücken. Der Weiße vermag den Anblick des Reichtums nicht zu ertragen, nur der Indianer ist stark genug dazu!“

„Und mir willst du den Schatz zeigen?“

„Nein. Du wirst nur einen Teil desselben sehen. Ich habe dich lieb, und du sollst nicht auch wahnsinnig werden. Gieb mir deine Hand und zeige mir deinen Puls.“

Er faßte die Hand des Deutschen und prüfte dessen Puls.

„Ja, du bist sehr stark,“ sagte er. „Der Geist des Goldes hat dich noch nicht ergriffen; wenn du in die Höhle trittst, so wird dein Blut gehen wie der Fall des Wassers vom Felsen.“

Das Gespräch verstummte nun. Es war dem Deutschen so eigentümlich wie noch nie zu Mute. Da begann sich der Himmel zu färben. Der blasse Schimmer des Ostens wurde stärker, und bald konnte man die einzelnen Gegenstände mit Genauigkeit unterscheiden.

Helmers erblickte den Berg El Reparo vor sich, dessen schroffer Hang zumeist mit Eisenbäumen bestanden war. Ganz am Fuße desselben trat ein Wasser aus dem Felsen, welches sofort wenigstens drei Fuß breit und vier Fuß tief war.

„Dies ist der Eingang?“ fragte er.

„Ja,“ antwortete Büffelstirn. „Aber noch treten wir nicht hinein. Wir wollen erst die Pferde verstecken. Der Besitzer eines Schatzes muß vorsichtig sein.“

Sie führten die Pferde längs des Berges hin, bis der Indianer ein Gebüsch auseinanderbog. Hinter demselben befand sich eine enge, niedrige Schlucht, wo die Tiere Platz fanden. Dann kehrten sie an den Bach zurück, wo sie nach Indianerart ihre Spuren verwischten, bis sie an den Felsen gelangten, aus dessen Öffnung das Wasser floß.

„Nun komm!“ sagte Büffelstirn.

Mit diesen Worten stieg er in das Wasser, zwischen dessen Oberfläche und dem Felsen ein Fuß tief Raum war, so daß man mit dem Kopfe hindurch gelangen konnte. Die Kleider wurden freilich naß. Sie kamen nun in einen dunklen Raum, dessen Luft trotz des Baches außerordentlich trocken war.

Reiche mir deine Hand!“ sagte der Indianer.

Er führte ihn aus dem Wasser heraus auf das Trockene und befühlte dann seinen Puls.

„Dein Herz ist sehr stark,“ sagte er. „Ich darf die Fackel anbrennen.“

Er ging einige Schritte von Helmers fort. Ein matter, phosphorischer Blitz durchzuckte den Raum, ein lautes Prasseln ertönte, und dann flammte eine Fackel auf.

Aber, was ging nun vor! Nicht die eine, sondern tausende von Fackeln schienen zu brennen. Als befände sich der Deutsche inmitten einer ungeheuren, Gold und Demant blitzenden Sonne, so strahlten Millionen von Lichtern und Reflexen in sein geblendetes Auge, und in dieses unendliche Schimmern, Schillern und Brillieren hinein erklangen die Worte des Indianers:

„Das ist die Höhle des Königsschatzes! Sei stark, und halte deine Seele fest!“

Es verging eine geraume Zeit, ehe der Deutsche seine Augen an diese Pracht gewöhnen konnte. Die Höhle bildete ein sehr hohes Viereck von vielleicht sechzig Schritten in der Länge und Breite, durch welches der mit Steinplatten bedeckte Bach floß. Sie war vom Boden an bis hinauf an die gewölbte Decke angefüllt mit Kostbarkeiten, deren Glanz allerdings die Sinne auch des nüchternsten Menschen verwirren konnte.

Da gab es Götterbilder, welche mit den kostbarsten Edelsteinen geschmückt waren, besonders die Bilder des Luftgottes Quetzalcoatl, des Schöpfers Tetzkatlipoka, des Kriegsgottes Huitzilopochtli und seiner Gemahlin Teoyaniqui, nebst seines Bruders Tlakahuepankuexkotzin, der Wassergöttin Chalchiukueja, des Feuergottes Ixcozauhqui und des Weingottes Cenzontotochtin. Hunderte von Hausgötterfiguren standen auf Wandbrettern; sie waren entweder aus edlen Metallen getrieben oder in Krystall geschliffen. Dazwischen standen goldene Kriegspanzer von ungeheurem Werte, goldene und silberne Gefäße, Schmucksachen in Demant, Smaragden, Rubinen und andern Edelsteinen, Opfermesser, deren Griffe, die funkelnden Steine gar nicht gerechnet, nur einen Altertumswert nach Hunderttausenden hatten, Schilde von starken Tierhäuten, die mit massiven Goldplatten besetzt waren. Von dem Mittelpunkte der Decke hing gleich einem Lüstre eine Königskrone herab; sie hatte die Gestalt einer Mütze, war aus massivem Golddraht gefertigt und ganz ausschließlich nur mit Diamanten besetzt. Ferner sah man da ganze Säcke voll Goldsand und Goldstaub, Kisten, die mit Nuggets angefüllt waren, welche die Größe einer Erbse bis zu der eines Hühnereies hatten. Man sah ganze Haufen gediegenes Silber, gleich in großen Stücken aus an zu Tage getretenen Adern gebrochen. Auf köstlichen Tischen standen leuchtende Modelle der Tempel von Mexiko, Cholula und Teotihuakan, der prachtvollen Mosaiken von Muscheln, Gold, Silber, Edelsteinen und Perlen gar nicht zu denken, welche am Boden und in den Ecken lagen.

Der Anblick dieser Reichtümer brachte auf den Deutschen einen wahrhaft berauschenden Eindruck hervor. Es war ihm, als sei er ein Märchenprinz aus „Tausend und eine Nacht“. Er gab sich Mühe, ruhig zu bleiben, aber es gelang ihm nicht. Er fühlte das Blut an seinen Schläfen pochen, und es war ihm, als ob große Feuer- und leuchtende Demanträder vor seinen Augen wirbelten. Es kam eine Art von Rausch über ihn, und in demselben sah er ein, daß solche Reichtümer eine Macht ausüben, ein wahnsinniges Verlangen erwecken können, welches selbst vor dem fürchterlichsten Verbrechen nicht zurückschrecken würde.

„Ja, das ist die Höhle des Königsschatzes,“ wiederholte der Indianer. „Und dieser Schatz gehört nur allein mir und meiner Schwester Karja.“

„So bist du reicher als irgend ein Fürst der Erde!“ antwortete Helmers.

„Du irrst! Ich bin ärmer als du und jeder andre. Oder willst du den Enkel eines Herrschers beneiden, dessen Macht vergangen ist und dessen Reich in Trümmern liegt? Die Krieger, welche jene Rüstungen, Schilde und Waffen trugen, wurden von ihrem Volke geliebt und verehrt; ein Wort von ihnen gab Leben oder Tod. Ihre Schätze sind noch vorhanden, aber die Stätte, wo man ihre Gebeine niederlegte, ist von den Weißen entweiht und zertreten worden, und ihre Asche wurde in alle Winde zerstreut. Ihre Enkel irren durch die Wälder und Prairien, um den Büffel zu töten. Der Weiße kam; er log und trog; er mordete und wütete unter meinem Volke um dieser Schätze willen. Das Land ist sein, aber es liegt verödet, und der Indianer hat die Schätze dem Dunkel der Erde übergeben, damit sie dem Räuber nicht in die Hände fallen. Du aber bist nicht wie die andern; dein Herz ist rein vom Verbrechen. Du hast meine Schwester aus den Händen der Comantschen errettet; du bist mein Bruder, und darum sollst du von diesen Schätzen so viel haben, wie ein Pferd zu tragen vermag. Doch nur zweierlei steht dir zu Gebote. Hier sind Goldkörner, ganze Säcke voll, und hier sind Ketten, Ringe und andrer Schmuck; wähle dir aus, was dir gefällt. Das andre aber ist heilig; es soll nie wieder beschienen werden von der Sonne, die den Untergang der Miztecas gesehen hat.“

Helmers sah die Nuggets und das Geschmeide, ihm wurde fast schwindelig.

„Ist dies dein Ernst?“ fragte er.

„Ich scherze nicht.“

„Aber das sind ja Hunderttausende von Dollars, die du mir schenkst!“

„Nein; es werden sogar Millionen sein.“

„Ich kann es nicht annehmen!“

„Warum? Willst du die Gabe des Freundes verachten?“

„Nein, aber ich kann nicht dulden, daß du dich meinetwegen beraubst!“

Der Indianer schüttelte stolz den Kopf.

„Es ist kein Raub. Ich bringe kein Opfer. Was du hier siehst, ist nur ein Teil der Schätze, welche der Berg EI Reparo verbirgt. Es gibt hier noch weitere Höhlen, von denen nicht einmal Karja, meine Schwester, etwas weiß. Nur ich kenne sie, und wenn ich einst sterbe, so wird kein menschlicher Gedanke mehr in diese Tiefen dringen. Ich werde jetzt gehen, um die andern Höhlen zu besuchen. Siehe dir die Schätze an, und lege zur Seite alles, was du für dich auswählst. Wenn ich zurückkehre, beladen wir das Pferd damit und reiten heim nach der Estanzia.“

Er steckte die Fackel in den Boden und schritt nach der hintersten Ecke, in welcher er verschwand.

Der Deutsche stand allein inmitten dieser unermeßlichen Reichtümer. Welch ein Vertrauen mußte der Indianer zu ihm haben! Wie nun, wenn Helmers heimlich zurückkehrte, um sich weiter zu bereichern? Wie nun, wenn er den Indianer tötete, um Herr des Ganzen zu werden, von dem er nur einen kleinen Teil erhalten sollte? Aber kein einziger solcher Gedanke kam dem ehrlichen Manne. Er fieberte fast schon darüber vor Wonne, daß er eine ganze Pferdelast Geschmeide und Nuggets mitnehmen durfte. –

Graf Alfonzo war, als er mit seinen beiden Dienern die Hacienda verlassen hatte, nicht direkt nach dem Berge EI Reparo, geritten; er hatte vielmehr die Arrieros aufzusuchen. Er ließ sein Tier so rasch ausgreifen, als es bei der Dunkelheit ohne Gefahr möglich war, und minderte diese Schnelligkeit auch nicht eher, als bis er das Thal erreichte, in welchem seine Helfershelfer lagerten.

Er wurde wieder wie gestern angerufen und gab dieselbe Antwort. Nun durfte er an das Feuer treten, welches man schürte, damit man besser zu sehen vermöge.

„Seid ihr fertig?“ fragte er.

„Wir sind bereit,“ antwortete der Anführer.

„Und Pferde?“

„Die haben wir von den Herden des Sennor Arbellez eingefangen.“

„Wie viele?“

„Achtzehn für uns und dreißig für Sie.“

„Sind sie gesattelt?“

„Ja.“

„So laßt uns aufbrechen!“

Erst jetzt fiel ihm ein, in welcher Verlegenheit er sich befand. Er konnte diese wüsten Menschen doch unmöglich mit in die Höhle nehmen. Sie hätten dieselbe ausgeräumt, nicht für ihn, sondern für sich. Doch hoffte er, daß sich wohl im rechten Augenblicke ein Ausweg finden lassen werde. Die Männer holten ihre Pferde und Maultiere herbei und saßen auf. Er setzte sich mit dem Anführer an ihre Spitze, und man brach auf.

Alfonzo kannte den Berg, welchen die Indianerin ihm genannt hatte, aber von dieser Seite aus hatte er ihn noch nicht besucht. Er war also mit den Einzelheiten des Weges nicht vertraut; er kannte nur die Richtung, und darum kam man bei der Vorsicht, welche geboten war, nur langsam weiter.

Erst als der Morgen zu dämmern begann, konnte man die Pferde besser ausgreifen lassen, und nun dauerte es auch nicht lange, so tauchte die dunkle Masse des EI Reparo vor ihnen auf.

Sie erreichten den Berg von seiner Südseite und ritten an seinem östlichen Abhange hin. Der erste Bach wurde überschritten, und als dann Alfonzo merkte, daß der zweite in der Nähe sei, ließ er halten. Bis an die Höhle wollte er sie nicht mitnehmen. Es galt ja überhaupt zunächst, sich von dem Dasein derselben auch wirklich zu überzeugen.

„Was nun?“ fragte der Anführer.

„Ihr wartet!“

„Ah, Sie werden uns verlassen?“

„Ja, für kurze Zeit.“

„Was ist es denn eigentlich, was wir zu laden haben?“

„Darum habt ihr euch gar nicht zu kümmern; das ist ja so ausbedungen, wie ihr wißt.“

Er ritt langsam davon. Der Anführer wandte sich leise zu seinen Leuten:

„Jetzt haben wir sein Geheimnis in der Nähe. Was thun wir?“

„Ihn belauschen,“ antwortete einer.

„Das ist vielleicht das beste. Wartet hier!“

Er stieg ab und folgte dem Grafen zu Fuße. Es gab Felsen und Buschwerk genug, welches ihm Deckung gewährte, so daß Alfonzo, auch wenn er sich umdrehte, ihn nicht sehen konnte.

So ging es eine Strecke weiter, bis der Graf den Bach erreichte. Hier stieg er ab, band sein Pferd an den Stamm eines Eisenbäumchens und verschwand hinter den Büschen. Der Anführer wartete eine Weile, da der Graf aber nicht zurückkehrte, so eilte er, seine Leute wieder aufzusuchen. Er fand sie noch an derselben Stelle, wo er sie verlassen hatte.

„Er ist im Gebüsch verschwunden,“ sagte er, doch so, daß die beiden Diener es nicht hörten. „Dort hat er sein Geheimnis. Was will er thun, wenn wir etwas näher reiten! Vorwärts!“

Sie setzten sich abermals in Bewegung, gegen das Buschwerk zu, welches den Bach besäumte, drangen aber nicht weiter vor, sondern blieben hier halten. Nun befanden sie sich zwar am Bache, aber noch nicht am Austritte desselben aus dem Berge. Zwischen diesem und ihnen gab es noch eine von Buschwerk bestandene Windung, so daß sie den Eingang zur Höhle nicht zu sehen vermochten. Ebenso erblickten sie nicht das Pferd des Grafen, da er es seitwärts von ihrem Standpunkt angebunden hatte.

Er hatte den Austritt des Wassers untersucht und gefunden, daß es möglich sei, hineinzugelangen. Er stieg also in die kalte Flut, bückte sich und kroch hinein. Noch aber hatte er nicht ganz den Punkt erreicht, wo die Höhle sich zu wölben begann, so gewahrte er einen hellen Lichtschein vor sich.

Was war das? War das Fackellicht? Oder war es der Schein des Tages, welcher durch irgend eine Öffnung der Höhle hereindrang? Es schien das erstere zu sein. An das Zurückweichen dachte der Graf nicht; er schob sich langsam und vorsichtig weiter, jedes Geräusch vermeidend, um nicht bemerkt zu werden.

Da plötzlich brach ein goldenes und diamantenes Blitzen und Flimmern in sein Auge. Er erschrak förmlich und fuhr empor. Er stand innerhalb der Höhle und erblickte die Schätze, welche hier eingeschlossen waren. Er zitterte. Der Teufel des Goldes packte ihn mit aller Macht. Seine Augen verdunkelten und erweiterten sich abwechselnd; er hätte laut aufschreien mögen vor wonnigem Schreck; aber das ging nicht, denn – dort, kaum fünf Schritte vor ihm kniete ein Mann am Boden und ordnete eine Partie kostbares Geschmeide, welches er auf einer Mosaikplatte aufgehäuft hatte. Wer war dieser Mensch? Ah, jetzt bog er sich seitwärts; sein Profil war zu sehen, und der Graf erkannte ihn.

„Der Deutsche!“ murmelte er zwischen den Zähnen. „Wer hat ihm die Höhle verraten? Ist er allein hier, oder hat er Begleitung mit?“

Sein Auge irrte suchend durch den Raum; er sah, daß Helmers allein war; er hatte keine Ahnung davon, daß Büffelstirn sich in einer nebenan liegenden Abteilung befand.

„Ah, es ist niemand hier außer ihm!“ dachte er mit grimmiger Freude. „Er soll nicht eine Erbse groß von diesem Golde erhalten. Ich werde Rache nehmen. Er muß sterben!“

Er stieg leise aus dem Wasser. Nicht weit von ihm lehnte eine Kriegskeule. Sie war vom festesten Eisenholze gefertigt und mit spitzgeschliffenen Krystallstücken besetzt, die einen Hieb doppelt gefährlich machten. Er faßte sie an dem mit edlen Steinen geschmückten Griff und schlich sich hinter den Deutschen heran.

Dieser ließ soeben eine köstlich gearbeitete Kette durch seine Finger gleiten.

„Prachtvoll!“ sagte er. „Lauter Rubinen! Sie allein bildet einen bescheidenen Reichtum!“

Er ließ sie im Lichte der Fackel flunkern und wollte sie dann fortlegen, kam aber nicht dazu, denn die Keule sauste auf ihn herab und traf seinen Kopf mit solcher Wucht, daß er sofort zusammenbrach. Die Kette glitt aus seiner Hand, deren Finger sich öffneten.

Jetzt stieß der Graf einen wilden, unartikulierten Schrei aus.

„Gesiegt! Alles mein, alles, alles, alles!“

Ein fast wahnsinniges Entzücken bemächtigte sich seiner.

Er sprang vor Freude empor und schlug die Hände zusammen wie ein Sinnloser. Wer ihn draußen so gesehen hätte, der hätte ihn für verrückt gehalten.

Da, was war das? Er stand plötzlich wie gelähmt; er erbleichte, und seine Augen öffneten sich weit, als ob er Gespenster sehe. Aus der hinteren Ecke löste sich eine Gestalt, die ihre Augen erst erstaunt und dann mit einem grimmigen Leuchten auf ihn richtete. Es war Büffelstirn, welcher von seinem Gange zurückkehrte und anstatt des Freundes einen andern erblickte, neben dem der Deutsche regungslos am Boden lag.

Mit zwei tigergleichen Sprüngen stand der Indianer beim Grafen und packte ihn.

„Hund, was thust du hier?“ rief er.

Der Gefragte vermochte kein Wort hervorzubringen. Diesem entsetzlichen Indianer war er nicht gewachsen; das wußte er. Er war verloren – aus dem höchsten Entzücken herab in den kalten, starren Tod gestürzt. Es lief ihm eiskalt über den Rücken, und er zitterte.

„Du hast ihn erschlagen!“ sagte Büffelstirn, auf den Deutschen und die am Boden liegende Keule deutend.

Dabei rüttelte er ihn mit einer Gewalt, als ob ein Riese ein kleines Kind gepackt habe.

„Ja,“ stöhnte der Graf vor Angst.

„Warum?“

„Diese – diese Schätze sind schuld!“ stammelte er.

„Pah! Du bist sein Feind. Sein Tod war dir schon vorher erwünscht. Wehe dir, dreifach wehe!“

Er bückte Sich, um den Freund zu untersuchen. Der Graf stand dabei wie eine leb- und bewegungslose Figur. Wie leicht konnte er die Keule erfassen und einen Kampf wenigstens versuchen. Aber er befand sich unter dem Zauber des Schatzes und unter dem Banne dieses berühmtesten der Ciboleros. Es ging ihm, wie die Sage von dem kleinen Vogel erzählt, der auch nicht flieht, wenn die Klapperschlange ihre Augen auf ihn richtet, sondern sich widerstandslos von ihr erwürgen läßt.

„Er ist tot!“ sagte Büffelstirn, sich wieder erhebend. „Ich werde Gericht halten über dich, und dein Tod soll ein solcher sein, wie ihn noch keiner hier gestorben ist. Du bist der Mörder des edelsten und besten Jägers, den die Erde trug; ich werde dich tausendfach sterben lassen.“

Er stellte sich mit vor die Brust verschlungenen Armen dem Missethäter gegenüber. Seine riesige Gestalt reckte sich in ihren Muskeln, und sein Auge richtete sich fascinierend auf den Grafen.

„Ah, du bebst!“ sagte er verächtlich. „Du bist ein Wurm, eine feige Memme. Wer hat dir den Weg zu dieser Höhle verraten?“

Der Gefragte schwieg. Es war ihm, als sei der jüngste Tag hereingebrochen und er stehe vor dem ewigen Richter.

„Antworte!“ donnerte der Cibolero.

„Karja!“ hauchte der Graf.

„Karja? Meine Schwester?“

„Ja.“

Die Augen des Indianers funkelten wie glühende Fackeln.

„Sagst du die Wahrheit? Oder lügst du? Du nennst meine Schwester vielleicht nur, um Gnade zu erlangen und der Strafe zu entgehen!“

„Ich sage die Wahrheit; du kannst es mir glauben!“

„Ah, so mußt du teuflische Verführungskünste angewandt haben, um ihr das Geheimnis von EI Reparo zu entlocken. Du hast ihr Liebe geheuchelt?“

Der Graf schwieg.

„Rede! Nur die Wahrheit kann dein Schicksal mildern. Weißt du, wie du sterben mußt?“

„Sage es,“ bat Alfonzo schaudernd.

„Es giebt da droben am Berge ein Wasserloch; es ist nicht groß, aber es enthält die Abkömmlinge der zehn heiligen Krokodile, in deren Bäuchen die früheren Herrscher dieses Landes die Verbrecher begruben. Die Tiere sind über hundert Jahre alt; sie haben lange Zeit gehungert. Ich werde dich hinaufschaffen und an einen Baum hängen, so daß du lebendig über dem Loche schwebst. Die Krokodile werden emporschnellen nach dir, dich aber nicht ganz erreichen. Sie werden sich um dich zerreißen; du wirst ihren stinkenden Dunst einatmen und lange Tage und Nächte über ihnen hängen, denn der Strick geht dir nicht um den Hals. So wirst du hängen in der Sonnenglut, so wirst du verschmachten, verhungern und verdursten, und dann erst, wenn dein Leichnam zu Aas verfault, wirst du herabstürzen und von Alligatoren gefressen werden.“

Alfonzo hörte diese Worte mit unbeschreiblichem Entsetzen; seine Zunge war bewegungslos; sie lag ihm vor Furcht wie Blei im Munde; er konnte keine Bitte um Gnade aussprechen.

„Nur ein offenes Geständnis kann dieses Schicksal mildern,“ fuhr der Indianer fort. „Also rede! Hast du meiner Schwester das Geheimnis entlockt?“

„Ja,“ stieß der Gefragte hervor.

„Wo hattest du deine Zusammenkünfte mit ihr?“

„Bei den Oliven am Bache, hinter der Hacienda.“

„Wann hat sie dir das Geheimnis verraten?“ war die fernere Frage des Indianers.

„Gestern abend,“ lautete die Antwort.

„Bist du allein hier?“

„Nein, ich bin von achtzehn Mexikanern begleitet.“

„Ah, sie sollten dir helfen, diese Schätze fortzuschaffen, und du hast ihnen das Geheimnis mitgeteilt?“

„Sie wissen nicht, was sie transportieren sollten, und kennen auch die Höhle nicht.“

„Wo sind sie?“

„Sie halten eine Strecke von hier, deren Entfernung unbedeutend ist.“

„Gut! Dieser Mann hier bleibt jetzt liegen; du aber wirst mir folgen. Ich binde und fessele dich nicht, denn du kannst mir nicht entgehen. Du bist ein Wurm, den ich mit einem einzigen Griffe zermalme. Komm, und folge mir!“

„Was wirst du mit mir thun?“ fragte Alfonzo voller Angst.

„Das wirst du erfahren!“

„Töte mich lieber gleich hier!“

„Pah! Du hast die Tochter der Miztecas getäuscht; du wirst das sühnen müssen.“

„Wodurch?“

„Dadurch, daß du sie zum Weibe machst.“

„O, das werde ich thun!“ rief Alfonzo schnell.

„Ah!“ lachte der Indianer grimmig. „Du hältst dich für gerettet! Täusche dich nicht. Du wirst Karja zum Weibe nehmen; sie wird Gräfin de Rodriganda de Sevilla werden; aber du wirst sie nicht anrühren dürfen. Komm, und folge mir!“

Er faßte ihn beim Arme und zog ihn nach dem Ausgange. Dort ging er mit ihm in das Wasser und schob ihn, ohne die Faust von ihm zu lassen, an das Tageslicht.

Es war, als ob durch das erneute Wasserbad und durch den Eindruck des Morgenlichtes der Bann von Alfonzo vertrieben werde. Er atmete tief und leichter auf und fragte sich im stillen, ob er nicht vielleicht doch noch Hoffnung hegen dürfe.

„Wo ist dein Pferd?“ fragte Büffelstirn.

„Dort rechts hängt es an einem Eisenbaum.“

„Und wo sind die Mexikaner?“

„Hinter jenem Hügel zurück.“

„So komm zu deinem Pferde!“

Er schritt mit ihm dem Orte zu, welchen Alfonzo angedeutet hatte. Kaum jedoch waren sie zwischen den Büschen hervorgetreten, so erblickten sie die Mexikaner, welche kaum dreißig Schritte entfernt von ihnen zu Pferde hielten.

„Hund, du hast mich belogen!“ rief der Indianer, indem er ihn beim Halse packte.

„Zu Hilfe!“ schrie Alfonzo, der sich loszumachen versuchte.

„Hier hast du Hilfe!“ antwortete der Indianer.

Er schlug ihm die Faust auf den Kopf, daß er zusammenbrach, sah sich aber auch bereits von den Mexikanern umringt, welche allerdings noch nicht zu den Waffen griffen, weil sie überzeugt waren, daß dieser eine Mann ihnen gar nicht entgehen könne.

Darin hatten sie sich nun freilich getäuscht. Er hatte seine Schießwaffen beim Pferde gelassen, weil sie durch das Wasser gelitten haben würden, aber er hatte sein gutes Messer im Gürtel. Mit einem blitzesschnellen Sprunge saß er hinter dem Anführer auf dessen Pferde, zog sein Messer und stieß es ihm in die Brust. Im nächsten Augenblicke flog er von dannen, aber nicht in der Gegend nach der Hacienda zu. Er durfte den Berg des Geheimnisses nicht verlassen, um die Höhle nicht preiszugeben. Darum sprengte er geradeswegs der kleinen Schlucht zu, in welcher die beiden Pferde standen. Sie bot ihm eine Festung, in welcher er vor den Feinden sicher war.

Die Mexikaner hielten da, einige Augenblicke ganz perplex über den unvermuteten und so erfolgreichen Angriff auf ihren Anführer; dann aber erhoben sie ein wildes Geheul und sprengten hinter dem Flüchtigen her. Das war ein unverzeihlicher Fehler von ihnen. Hätten sie in ruhiger Haltung nach ihren Gewehren gegriffen, so konnte er ihren Kugeln nicht entgehen, nun aber schossen sie zwar ihre Gewehre ab, aber sie konnten im Galoppieren nicht sicher zielen, und so gingen die Schüsse verloren.

Da sahen sie, daß sich der Indianer plötzlich vom Pferde warf und links in die Büsche eindrang, während er das Tier laufen ließ.

„Hurra, ihm nach! Rächt den Kapitano!“

So riefen die Mexikaner. Auch sie sprangen von den Pferden und stürmten auf die Büsche zu, hinter denen der Cibolero verschwunden war. Kaum aber hatten die Vordersten ihren Fuß zwischen die Sträucher gesetzt, so krachte ihnen ein Schuß entgegen, noch einer, ein dritter und vierter – vier Männer lagen tot am Boden. Die andern wichen schnell zurück.

„Verdammt!“ rief einer. „Er hat vier Gewehre gehabt!“

„Hinein, ehe er wieder ladet!“ meinte ein andrer.

„Nein, geht zur Seite!“ sagte ein dritter. „Diese Schlucht ist steil; er kann nur hier wieder heraus!“

Während sie seitwärts hielten und berieten, hatte der Indianer Zeit, seine und des Deutschen Büchse wieder zu laden. Er kroch mit den beiden Gewehren so weit wie möglich vor, bis er ein gutes Ziel bekam, dann drückte er los. Ehe die Mexikaner weit genug zurückgewichen waren, hatten sie wieder vier der Ihrigen verloren; es waren also von der Hand des kühnen Cibolero neun gefallen.

Aber es drohte ihnen noch eine andre, ebenso große Gefahr.

Der Apatsche mit seinen zehn Vaqueros und Ciboleros hätte nämlich schon längst hier sein können, aber die Indianerin hatte sich in der Finsternis geirrt. Auf diese Weise war ein nicht unbedeutender Umweg entstanden, so daß der kleine Trupp erst nach Alfonzo und seinen Mexikanern anlangte.

„Hier ist der Bach,“ sagte Karja zu Bärenherz. „Wir werden gleich an der Höhle sein.“

Der Apatsche ließ seine Augen aufmerksam umherschweifen.

„Ugh!“ rief er aus und deutete nach den Spuren, welche zu sehen waren.

Ein Vaquero sprang ab und suchte am Boden.

„Das waren nicht zwei, sondern das sind viele gewesen,“ sagte er.

„Der Graf mit seinen Leuten,“ sagte Bärenherz kurz, indem er sein Pferd wieder in Bewegung setzte.

Bald jedoch blieb er wieder halten.

„Ugh!“ rief er abermals.

Er deutete vorwärts, wo ein menschlicher Körper lag. Sofort sprangen mehrere der Vaqueros von den Pferden, um denselben anzusehen.

„Der Graf! Graf Alfonzo!“ meinten sie überrascht.

„Verwundet?“ fragte der Apatsche.

„Man sieht keine Wunde.“

„Tot?“

„Es scheint so!“

Der Apatsche schüttelte geringschätzend den Kopf.

„Nicht tot,“ sagte er. „Ein Hieb nur. Bindet ihn!“

Noch waren sie beschäftigt, den Bewußtlosen zu fesseln, als schnell hintereinander vier Schüsse fielen.

„Was ist das?“ fragten die Vaqueros.

Bärenherz ritt zwischen die Büsche hinein und überblickte das jenseits des Baches liegende Terrain.

„Ugh!“ rief er zum drittenmal.

Schnell waren die andern bei ihm.

„Ah, hier eine Leiche!“ sagte ein Vaquero, auf den Körper des Anführers der Mexikaner deutend.

„Und dort noch mehrere,“ sagte ein zweiter.

„Acht!“ zählte der Apatsche. „Noch neun übrig. Absteigen!“

Er stieg mit den übrigen ab und nahm seine nie fehlende Büchse in die Hand.

„Alle erschießen!“ gebot er.

Er zählte mit den Vaqueros und Ciboleros elf Personen. Sie alle legten an und zielten. Zehn Schüsse krachten zu gleicher Zeit; nur er hatte nicht geschossen, und das mit Vorbedacht. Von den neun Mexikanern stürzten sieben; zwei blieben unbeschädigt, und nun erst ließ Bärenherz seine Büchse reden. In zwei Sekunden waren auch die beiden letzten tot.

Nun rannten alle dahin, wo die Gefallenen lagen. Sie hatten den Ort noch nicht erreicht, so trat der Häuptling der Miztecas aus den Büschen heraus.

„Büffelstirn!“ riefen die Vaqueros. „Wo ist Donnerpfeil?“

„Tot,“ antwortete er.

„Wer hat ihn getötet?“ fragte Bärenherz in einem Tone, dem man es anhörte, daß das Schicksal des Mörders bereits eine beschlossene Sache sei.

„Graf Alfonzo.“

„Wo?“

„Das kann ich hier nicht sagen,“ antwortete Büffelstirn. „Aber, schnell zurück! Ich muß den Grafen haben!“

„Wir haben ihn!“ sagte Bärenherz einfach.

„Wo?“

„Dort bei den Büschen.“

„Ist er gebunden?“

„Ja,“ antwortete einer der Vaqueros.

Während die andern den gefallenen Mexikanern ihre Waffen nahmen und sich darein teilten, kehrten Büffelstirn, Bärenherz und Karja an den Ort zurück, an welchem Alfonzo lag. Dieser wurde nun genauer untersucht, und es fand sich, daß der Apatsche recht gehabt hatte: er war nur betäubt, aber nicht tot.

Büffelstirn hatte seine Schwester bis jetzt noch mit keinem Blicke beachtet; jetzt wendete er sich an den Apatschen:

„Will mein Bruder dafür sorgen, daß niemand an den Quell dieses Baches kommt?“

„Ja,“ antwortete dieser.

„So werde ich bald zurückkehren.“

Er ging, um die Höhle wieder aufzusuchen. Als er sie erreichte, war die Fackel abgebrannt. Er steckte eine neue an und trat dann zu dem Deutschen. Er bemerkte sofort, daß dieser anders lag, als er ihn verlassen hatte, und beeilte sich infolgedessen, ihn nochmals zu untersuchen. Er fand zu seiner unaussprechlichen Freude, daß der Puls wieder ging. Der Deutsche mußte während dieser Zeit einmal für kurze Zeit zu sich gekommen sein und sich bewegt haben; jetzt aber lag er in vollständiger Lethargie. Der Indianer faßte ihn und schaffte ihn so sorgfältig und leicht wie möglich hinaus ins Freie. Als er ihn dort in das Gras legte, waren die Vaqueros soeben wieder erschienen. Sie alle hatten trotz der kurzen Zeit, welche sich Helmers auf der Hacienda befand, ihn alle lieb gewonnen und klagten laut und aufrichtig über ihn. Der Apatsche schlug mit der Hand auf die emporstehende Mündung seiner Büchse und sagte:

„Wenn mein weißer Bruder stirbt, dann wehe seinem Mörder! Die Vögel des Waldes sollen seinen Leib zerreißen. Shosh-in-liett, der Häuptling der Apatschen, hat es gesagt!“

„Mein Bruder soll mit zu Gerichte sitzen!“ sagte Büffelstirn zu ihm.

Der Apatsche beugte sich über den Deutschen und untersuchte seinen Kopf.

„Es ist ein Keulenschlag,“ sagte er. „Die Schale des Gehirns ist vielleicht verletzt. Man mache eine Bahre auf zwei Pferden, damit er nach der Hacienda geschafft werden kann.

Ich aber werde gehen, um das Kraut Oregano zu suchen, welches jede Wunde heilt und kein Fieber in dieselbe kommen läßt.“

Während nun die Hirten sich entfernten, um eine Bahre herzustellen und Bärenherz das Wundkraut suchte, blieb Büffelstirn mit seiner Schwester allein zurück.

„Du zürnest mir?“ sagte sie leise.

Er blickte sie nicht an, aber er antwortete:

„Der gute Geist ist von der Tochter der Miztecas gewichen!“

„Er ging nur kurze Zeit von ihr,“ sagte sie.

„Aber in dieser kurzen Zeit ist viel Trauriges geschehen. Der Graf versprach, dich zu seinem Weibe zu machen?“

„Ja.“

„Und das glaubtest du ihm?“

„Ja. Er gab mir eine Schrift, in welcher er es mir versprach.“

„Uff! Und diese Schrift hast du noch?“

„Sie liegt in meinem Zimmer.“

„Du wirst sie deinem Bruder geben?“

„Nimm sie! Wirst du mir verzeihen?“ fragte sie zaghaft.

„Ich werde nur dann verzeihen, wenn du mir gehorchst.“

Ach werde gehorchen. Was soll ich thun?“

„Das wirst du später erfahren. Jetzt besteigest du das Pferd und reitest nach der Hacienda zurück, um mir alle Indianer, welche Kinder der Miztecas sind, hierher zu senden. Du sagst ihnen, daß Tecalto, ihr Fürst, ihrer bedarf. Sie werden alles andre im Stiche lassen und kommen.“

„Ich gehe schon.“

Mit diesen Worten bestieg sie das Pferd und sprengte davon.

Der Häuptling sah, daß dem Grafen die Besinnung zurückgekehrt war. Er blickte ihn mit verächtlichen Augen an und sagte:

„Das Bleichgesicht wird keine Gnade nun finden. Es hat gelogen.“

„Welche Lüge meinst du?“ fragte der Gefesselte.

„Daß die Mexikaner hinter jenem Hügel seien.“

„Ich sagte die Wahrheit. Aber sie sind mir gefolgt, ohne daß ich es wußte.“

„Du riefst dann um Hilfe! Du hättest vielleicht Gnade gefunden, nun aber nicht!“

Er wandte sich stolz ab und würdigte den Gefangenen keines Blickes mehr. Bald kehrte Bärenherz zurück, legte die ausgedrückten Kräuter auf den Kopf des Deutschen und verband ihn.

Auch die Hirten waren fertig. Sie hatten aus Ästen und den Decken der getöteten Mexikaner eine sehr weiche und bequeme Tragbahre errichtet, welche auf zwei nebeneinander hergehende Pferde befestigt wurde. Darauf wurde Helmers gelegt.

„Was wird mit dem Grafen?“ fragte einer der Vaqueros.

„Der gehört mir!“ antwortete Büffelstirn. „Bringt Donnerpfeil nach der Hacienda. Bärenherz wird bei mir bleiben!“

Der Zug rückte ab. Die beiden Häuptlinge standen einige Zeit schweigend nebeneinander; dann löste Büffelstirn die Beinfesseln des Gefangenen, so daß dieser aufstehen konnte. Als dies geschehen war, band er ihn mit einem unzerreißbaren Riemen an den Schwanz seines Pferdes. Dann sagte er zu dem Apatschen:

„Mein Bruder folge mir!“

Beide stiegen auf und ritten davon. Es war für den Grafen keine Kleinigkeit, den beiden Reitern zu folgen; es war vielmehr der qualvollste Weg seines Lebens, den er gegangen war.

Büffelstirn hatte die Leitung übernommen. Er lenkte um den steil abfallenden Hang des Berges herum und dann die Anhöhe hinauf. In Zeit von einer Stunde hatten sie das Plateau des Höhenzuges erreicht, und nun ging es in den dichten Urwald hinein. Mitten in demselben lag, nach allen Seiten von fast undurchdringlichem Gestrüpp umgeben, die Ruine eines alten Aztekentempels. Dieser hatte aus einer abgestumpften Pyramide bestanden, welche von Vorhöfen rund umgeben gewesen war, um welche sich eine hohe Mauer zog. Jetzt lag alles in Schutt und Trümmern.

In einem dieser alten Vorhöfe hatte sich eine tiefe Lache gebildet, in welcher sich die Feuchtigkeit des Waldes sammelte. Dorthin führte der Indianer den Freund und den Gefangenen.

Die Lache war mit der Zeit zu einem Teiche, fast zu einem kleinen See geworden, bis zu dessen Ufer sich hohe Bäume heranzogen. Dort stiegen die beiden Häuptlinge ab. Der Mizteca setzte sich in das hohe Gras und winkte dem Apatschen, neben ihm Platz zu nehmen. Sie saßen nach Indianerart erst eine Weile schweigsam da; dann fragte Büffelstirn:

„Mein Bruder hat den Deutschen lieb, der Donnerpfeil genannt wird?“

„Ich liebe ihn!“ antwortete der Apatsche kurz.

„Dieser Weiße wollte ihn töten.“

„Er ist sein Mörder, denn vielleicht stirbt unser Freund.“

„Was verdient ein Mörder?“

„Den Tod.“

„Er soll ihm werden!“

Wieder verging eine Weile in düsterem Schweigen; dann begann Büffelstirn von neuem:

„Mein Bruder kennt das Volk der Miztecas?“

„Er kennt es,“ nickte Bärenherz.

„Es war das reichste Volk in Mexiko.“

„Ja, es hatte Schätze, die niemand messen konnte,“ stimmte der Apatsche bei.

„Weiß mein Bruder, wohin die Schätze gekommen sind?“

„Er weiß es nicht.“

„Kann der Häuptling der Apatschen schweigen?“

„Sein Mund ist wie die Mauer des Felsens.“

„So soll er wissen, daß Büffelstirn der Hüter dieser Schätze ist.“

„Mein Bruder Büffelstirn mag diese Schätze verbrennen. Im Golde wohnt der böse Geist. Wenn die Erde von Gold wäre, würde Bärenherz lieber sterben als leben!“

„Mein Bruder hat die Weisheit der alten Häuptlinge. Aber andre lieben das Gold. Dieser Graf wollte den Schatz der Miztecas besitzen.“

„Ugh!“

„Er kam mit achtzehn Dieben, um ihn zu rauben.“

„Wer hat ihm den Weg zum Schatze gezeigt?“

„Karja, die Tochter der Miztecas.“

„Karja, die Schwester Büffelstirns? Ugh!“

„Ja,“ sagte dieser traurig. „Ihre Seele war finster, denn sie traute diesem weißen Lügner. Er versprach ihr, sie zu seinem Weibe zu machen; aber er wollte sie verlassen, sobald er den Schatz hatte.“

„Er ist ein Verräter!“

„Was verdient ein Verräter?“

„Den Tod.“

„Und was verdient ein Verräter, der zugleich ein Mörder ist?“

„Den doppelten Tod.“

„Mein Bruder hat recht gesprochen.“

Es entstand wieder eine Pause des Schweigens. Diese beiden Häuptlinge bildeten einen fürchterlichen und unerbittlichen Gerichtshof, gegen dessen Urteil es keine Berufung gab. Büffelstirn wäre auch allein mit Alfonzo fertig geworden, aber er hatte den Apatschen mitgenommen, um seiner Rache ein gerechtes Urteil zu unterbreiten. Die beiden hielten eines jener sogenannten Prairie-Gerichte, vor welchen die Verbrecher der Wildnis so große Angst haben.

Sie sprachen in dem Idiom der Apatschen, welches Alfonzo nicht verstand; aber er ahnte, daß man über ihn entscheide. Er bebte vor Furcht; denn er dachte an die Krokodile, von denen Büffelstirn gesprochen hatte. Hier war der Teich, und gerade an dem Orte, wo sie saßen, ragte ein schief gewachsener Cedernstamm weit hinaus über das Wasser, und seine Zweige senkten sich beinahe bis auf den Spiegel desselben herab. Es schwamm dem Spanier vor den Augen, wenn er seinen Blick dorthin richtete.

Da begann Büffelstein wieder:

„Weiß mein Bruder, wo der doppelte Tod zu finden ist?“

„Der Häuptling der Miztecas mag es mir sagen!“

„Dort!“

Er deutete hinaus auf das Wasser. Der Apatsche warf keinen Blick hinaus, sagte aber, als ob sich das von selbst verstehe:

„Das Krokodil wohnt dort?“

„Ja. Du sollst es sehen.“

Er trat an das Wasser, streckte die Arme aus und rief:

Yim-eta – kommt!“

Auf diesen Ruf begann es im Wasser zu rauschen. Neun oder zehn Furchen bildeten sich von verschiedenen Richtungen her, und ebenso viele Krokodile schossen herbei. Sie blieben am Ufer halten und streckten die häßlichen, nach Moschus stinkenden Köpfe heraus. Es waren teils Brillen-, teils Hecht-Kaimans, und keiner hatte eine Länge unter vierzehn Fuß. Ihre Leiber glichen schlammbedeckten Baumstämmen; ihre Köpfe boten den häßlichsten und zugleich Furcht erweckendsten Anblick, den man sich denken kann, und während sie die langen Schnauzen aufrissen und zuklappten, um ihren Hunger zu zeigen, sah man ganze Reihen fürchterlicher Zähne, welche gewiß nichts frei ließen, was sie einmal gefaßt hatten.

Ein Schrei des Entsetzens erscholl. Alfonzo hatte ihn ausgestoßen.

Die beiden Indianer warfen ihm einen verächtlichen Blick zu. Der Indianer zuckt selbst unter den fürchterlichsten Qualen mit keiner Wimper. Er glaubt, daß einer, der am Marterpfahl einen einzigen Klageton ausstößt, nicht in die ewigen Jagdgründe komme, welche den Himmel der Rothäute bilden. Darum werden die Kinder bereits an das Ertragen der Schmerzen gewöhnt, und die Weißen werden meist auch deshalb von ihnen verachtet, weil sie eine feinere Konstitution besitzen und gegen alle Arten des Schmerzes empfindlicher sind als die Indianer.

„Siehst du sie?“ sagte Büffelstirn. „Es sind wackere Tiere, unter denen keines unter zehnmal zehn Sommer alt ist. Und siehst du auch die Lassos, welche ich mitgebracht habe? Ich nahm sie den Mexikanern ab, welche wir erschossen.“

„Ich verstehe meinen Bruder,“ sagte der Apatsche kurz.

„Wie hoch denkst du, daß ein Krokodil aus dem Wasser springen kann?“

„Es kann die Schnauze höchstens vier Fuß weit aus dem Wasser bringen, wenn der Grund tiefer ist als sein Leib.“

„Und wenn es den Grund mit dem Schwanze berühren kann?“

„So schießt es noch einmal soweit hervor.“

„Nun wohl. Der Grund ist tief. Die Füße dieses Mannes sollen also vier Fuß über dem Wasser hängen. Wer soll auf diesen Baum klettern? Du oder ich?“

„Ich will es thun,“ sagte der Apatsche.

Beide erhoben sich von ihren Sitzen und traten zu Alfonzo. Sie banden ihm die Hände auf den Rücken und zogen ihm einen Lasso doppelt unter den Armen hindurch. Dadurch wurde dieser Lasso so stark, daß er unzerreißbar genannt werden konnte. An ihm wurden wieder zwei andere Lassos befestigt, deren Enden der Apatsche in seine Hände nahm, um an dem Baume emporzuklettern.

Jetzt endlich merkte der Graf, daß man Ernst machte. Der Angstschweiß trat ihm in großen Tropfen auf die Stirne, und vor den Ohren begann es ihm zu rauschen wie im Sturmwind.

„Gnade, Gnade!“ bat er jammernd.

Die beiden Rächer hörten nicht darauf.

„Gnade!“ wiederholte er. „Ich will alles thun, was ihr wollt; nur hängt mich nicht für diese Krokodile auf!“

Auch dieses Flehen fand keine Antwort. Büffelstirn faßte ihn und zog ihn nach dem Baume hin.

„Thut es nicht, thut es nicht! Ich will euch alles geben, meine Grafschaft, meine Besitzungen, ganz Rodriganda. Ich verzichte auf alles, was ich habe, nur schenkt mir das Leben!“

Jetzt endlich antwortete der Häuptling der Miztecas.

„Was ist Rodriganda?“ sagte er. „Was ist deine Grafschaft, und was sind deine Besitzungen! Du hast die Schätze der Miztecas gesehen, die ich nicht mag, und du bietest mir deine Armut an! Bleibe ein Graf, und stirb! Sieh diese Tiere, die noch nie einen weißen Grafen gefressen haben. Du wirst vier oder fünf Tage am Baume hängen und deine Füße emporwerfen, wenn sie nach ihnen schnappen; sobald du aber schwach und müde wirst, werden sie dir dieselben abreißen. Dann verblutest du dich und stirbst. Und wenn nachher dein Leib verfault, so stürzt er herab und wird von ihnen verzehrt. Das ist das Ende eines weißen Grafen, der eine verachtete Indianerin betrügen wollte.“

„Gnade, Gnade!“ flehte der Graf abermals in höchster Todesangst.

„Gnade? Hast du Gnade gehabt, als du den Freund der Häuptlinge mit der Keule erschlugst? Hast du Gnade gehabt, als du mich in die Hände der Mexikaner gabst? Hast du Gnade gehabt, als du das Herz in der Brust der Indianerin tötetest? Und sind dies deine einzigen bösen Thaten gewesen? Wahconta hat dem Menschen versagt, alles zu wissen; ich kenne dein Leben nicht, aber wer so Böses thut wie du, der hat bereits vorher viel Böses gethan. Wir rächen es mit dem zu gleicher Zeit, was du an uns gethan hast. Die Krokodile werden dich fressen, aber du bist noch schlimmer als eines dieser Tiere. Wahconta hat sie geschaffen, um Fleisch zu fressen, den Menschen aber hat er geschaffen, damit er gut sein soll. Deine Seele ist böser als die ihrige!“

Er schob ihn näher an das Wasser hin. Alfonzo wehrte sich nach Kräften. Er hatte die Beine frei und stemmte sich mit verzweifelter Anstrengung auf dem Boden fest. Da schlang ihm der Mizteca einen Riemen um die Füße und band dieselben zusammen, so daß er nun völlig wehrlos war.

„Gnade! Erbarmen!“ wimmerte und stöhnte er.

Es half ihm nichts. Der riesenstarke Häuptling trug ihn nach dem Baum, und der Apatsche kletterte hinauf, die Enden des Lassos zwischen den Zähnen. Oben angekommen, setzte er sich fest und ließ die nun zehnfach zusammengeflochtenen Riemen über einen starken Ast laufen. Nun zog er den Grafen mit den Lassos am Stamme empor. Büffelstirn schob; es ging langsam, aber sicher.

„O, laßt mich los, laßt mich los!“ rief der zu einem so fürchterlichen Tode Verurteilte. „Ich will euch dienen und gehorchen als der geringste von euren Knechten!“

„Ein Graf hat Knechte, ein freier Indianer aber nicht!“ lautete die Antwort.

Der Anblick der Alligatoren war jetzt entsetzlich. Die Lache war zu klein für sie, sie fanden keine Nahrung mehr in derselben. Sie hatten Jahre lang gehungert, und nun sahen sie, daß sie Speise bekommen sollten. Sie hatten aus Mangel an Nahrung bereits sich selbst angefressen; dem einen fehlte ein Fuß und dem andern irgend ein Stück seines Leibes. Jetzt drängten sie sich gerade unter dem Baume zu einem scheußlichen Klumpen zusammen. Ihre furchtbaren Schwänze peitschten das Wasser zu Schaum; ihre kleinen, tückischen Augen schossen giftige, begehrende Blitze, und ihre geöffneten Rachen schlugen mit einem Geräusche zusammen, welches gerade so klang, als ob man zwei starke Bretter zusammenschlage. Diese zehn Ungeheuer bildeten einen Knäuel, den man für einen einzigen gräßlichen Drachen mit zehn Rachen und ebenso vielen Schwänzen halten konnte.

Der Gefangene sah das und schauderte.

„Laßt mich frei, ihr Ungeheuer!“ brüllte er.

„Mein Bruder mag kräftiger ziehen!“

Diese Aufforderung an den Apatschen war die einzige Antwort Büffelstirns.

„So seid verflucht und vermaledeit in alle Ewigkeit!“

Diese Worte kreischte der Graf, indem seine blutunterlaufenen Augen vergebens nach Rettung suchten.

„Es ist genug,“ sagte der Mizteca, der mit den Augen eines Kenners die Entfernung des Astes vom Wasser mit der jetzigen Länge des Lassos verglich. „Mein Bruder schlinge den Lasso um den Stamm des Baumes und mache einen festen Knoten!“

Der Apatsche folgte diesem Gebote. Büffelstirn hatte jetzt mit einer Hand sich am Baume gehalten, während er mit der anderen den Gefangenen gepackt hielt. Es gehörte eine riesige Körperstärke dazu. Wäre die Ceder nicht so stark gewesen, so hätte sie bei ihrer schrägen Lage unter der Last der drei Männer brechen müssen. Jetzt war der entscheidende Augenblick gekommen. Alfonzo sah und fühlte das und rief mit beinahe unartikulierten Lauten:

„Seid ihr denn keine Menschen, seid ihr Teufel?“

„Wir sind Menschen, die einen Teufel richten,“ antwortete der Mizteca. „Fahre hin!“

Ein gräßlicher, weithin tönender Schrei erscholl. Der Sprecher hatte Alfonzo losgelassen und ihm noch dazu einen kräftigen Stoß gegeben. Dieser Stoß schleuderte den Gefangenen vom Ikume herab und über die Wasserfläche hinaus. Er schwang am Lasso hin und her, und allemal, wenn er während dieser Pendelbewegungen dem Wasser nahe kam, schossen die Krokodile empor, um ihn zu packen.

„Es ist gut. Mein Bruder komme herab!“

Der Apatsche folgte dieser Aufforderung Büffelstirns und stieg mit diesem vom Baume. Sie standen am Ufer und sahen diesem grauenhaften Schauspiele zu, bis die Schwingungen immer kleiner wurden und der Verurteilte endlich von dem Aste grad herniederhing.

Jetzt zeigte es sich, daß der Mizteca ein sehr gutes Augenmaß gehabt haben mußte. Alfonzo hing so, daß die aus dem Wasser emporschnellenden Krokodile gerade noch seine Füße packen konnten. Dadurch war er gezwungen, dieselben emporzuziehen, sobald eines der Tiere darnach schnappte. Ging ihm die Kraft zu dieser Bewegung aus, so war er verloren. Er hatte viel gesündigt, aber dieser Tod und diese Todesangst wog viele, vielleicht alle seine Sünden auf.

„Es ist vollbracht. Wir wollen gehen,“ sagte der Apatsche, welchen es selbst schauderte.

„Ich folge meinem Freunde,“ stimmte Büffelstirn bei.

Sie stiegen auf und ritten davon, noch lange verfolgt von dem Angstgeheul des Grafen.

Sie konnten jetzt schneller reiten als bergaufwärts, wo der Gefangene am Pferdeschwanze gehangen hatte. Als sie unten am Bache ankamen, fanden sie bereits mehrere Indianer vor. Sie alle gehörten zu dem dem Untergange geweihten Stamme der Miztecas und waren von Karja herbeigeschickt worden. Ihr Häuptling wandte sich an den Apatschen:

„Ich danke meinem Bruder, daß er mir geholfen hat, das Bleichgesicht zu richten und zu bestrafen. Er kann nun nach der Hacienda zurückkehren und nach der Wunde Donnerpfeils sehen. Ich kann erst morgen nachkommen, denn ich habe hier noch vieles zu thun.“

Bärenherz ritt sofort davon. Der Mizteca winkte die Indianer zu sich, welche einen Kreis um ihn bildeten, um seine Befehle zu vernehmen. Er blickte ernst umher und begann:

„Wir sind die Söhne eines Stammes, welcher sterben muß. Die Bleichgesichter geben uns den Tod. Sie trachteten nach unsern Schätzen, aber sie haben sie nicht erhalten. Eure Väter haben den meinigen geholfen, diese Schätze zu verbergen, und keiner von ihnen hat den Ort verraten, wo sich dieselben befinden. Würdet auch ihr so schweigsam sein?“

Sie alle senkten bejahend die Köpfe, und der älteste von ihnen antwortete in aller Namen:

„Verflucht sei der Mund, welcher einem Weißen den Ort verraten könnte!“

„Ich glaube euch. Ich habe gewußt, wo sich die Schätze befinden, aber ein Bleichgesicht hat sie entdeckt. Dieses Bleichgesicht hat einen Teil derselben gefunden, und dieser Teil muß nun an einem andern Orte verborgen werden. Wollt ihr mir helfen?“

„Wir helfen.“

„So schwört bei den Seelen eurer Väter, eurer Brüder und Kinder, daß ihr das neue Versteck nicht verraten und auch den geringsten Teil der Schätze niemals antasten wollt?“

„Wir schwören es!“ erklang es im Kreise.

„So sorgt zunächst für eure Pferde, und dann kommt!“

Nachdem den Pferden gehörige Weide gegeben worden war, verschwanden die roten Gestalten im Eingange zur Höhle, in welcher nun ein geheimnisvolles Regen und Treiben begann. Nur ein einziger blieb im Freien zurück, um über die Sicherheit der Pferde und des Unternehmens zu wachen.

Diese Arbeit dauerte den vollen Tag und die ganze Nacht hindurch, und erst als der nächste Tag anbrach, kamen die Miztecas einer nach dem andern aus der Höhle gekrochen. Ein jeder brachte eine Last mit, welche sie alle auf einen gemeinschaftlichen Haufen legten. Es waren die größten Nuggets und Goldbrocken nebst dem Geschmeide, welches Helmers sich ausgewählt hatte.

„So!“ sagte Büffelstirn, indem er den Haufen betrachtete. „Schlagt es in die Decken, und ladet es auf das Pferd. Dies ist das Geschenk der Miztecas an den einzigen Weißen, der die Schätze der Könige gesehen hat, weil ich es ihm erlaubte. Möge er durch dasselbe glücklich werden!“

Als das Packpferd, welches er gestern früh mit dem Deutschen mitgebracht hatte, beladen war, kehrte er noch einmal in das Innere der Höhle zurück. Die vorderste Abteilung derselben, welche Helmers und Alfonzo gesehen hatten, war jetzt vollständig leer und ausgeräumt. Büffelstirn blickte sich noch einmal um, dann trat er in eine Ecke, wo eine Zündschnur aus der Erde ragte. Er brannte sie mit seiner Fackel an und verließ dann schleunigst die Höhle.

Draußen zogen sich alle weit zurück und warteten. Es vergingen einige Minuten; dann ließ sich ein dumpfes Krachen vernehmen; die Erde bebte, ein dunkler Qualm stieg aus der vordern Seite des Berges auf; die Felsen barsten; die Erde senkte sich langsam, und dann brach sie mit einem rollenden Getöse zusammen. Der Eingang zur Höhle und der vorderste Teil derselben war verschüttet. Der Bach schäumte über die Trümmer, erst wild und kämpfend, bald aber hatte er sich einen Weg nach seinem Bette gebahnt – der Zugang zu den Schätzen der Könige der Miztecas war verschlossen.

„Reicht euch die Hände, und schwört noch einmal, daß ihr schweigen wollt bis zum Tode!“ gebot Büffelstirn seinen Leuten.

Sie leisteten den Schwur, und es war jedem einzelnen anzusehen, daß er lieber sterben als seinen Schwur brechen werde. Noch einen letzten Blick warfen sie auf die Stätte, die während der letzten vierundzwanzig Stunden so Ungewöhnliches gesehen hatte, dann ritten sie davon. –

Als der Apatsche vom Berge EI Reparo, wo er Büffelstirn verlassen hatte, nach der Hacienda zurückkehrte, fand er die Bewohner derselben in tiefer Trauer. Der Haciendero hatte sofort einen seiner besten Reiter auf dem schnellsten Pferde nach Monclova geschickt, um einen erfahrenen Arzt herbeizurufen. Als er den Häuptling der Apatschen vom Pferde steigen sah, kam er herbeigeeilt, um sich zu erkundigen. Er bequemte sich dabei dem Gebrauche der Wilden an, indem er ihn Du nannte.

„Du kommst allein?“ fragte er. „Wo ist Tecalto?“

„Noch am Berg El Reparo.“

„Was thut er dort?“

„Er sagte es mir nicht.“

„Ich hörte, daß er sich Indianer hat schicken lassen. Wozu?“

„ich fragte ihn nicht.“

„Und wo ist Graf Alfonzo?“

„Ich sage es nicht.“

Der Haciendero trat einen Schritt zurück und meinte unmutig:

„Er sagte es mir nicht – ich fragte ihn nicht – ich sage es nicht! Solche Antworten wünscht man nicht!“

Der Apatsche machte eine abwehrende Handbewegung und sagte:

„Mein Bruder mag mich nicht nach Dingen fragen, über welche ich nicht sprechen kann. Der Häuptling der Apatschen liebt die Thaten, aber nicht die Worte.“

„Aber wissen möchte ich doch, was da draußen am Berge geschehen ist.“

„Die Tochter der Miztecas wird es dir sagen.“

„Auch diese schweigt.“

„So wird Büffelstirn kommen und es erzählen. Mein Bruder führe mich an das Lager Donnerpfeils, damit ich dessen Wunde sehe!“

„So komm!“

Als sie das Zimmer des Deutschen betraten, fanden sie die beiden Mädchen am Lager desselben, in schweigende Trauer gehüllt. Der Kranke wälzte sich in seinem Bette hin und her. Er hatte sicher Schmerzen auszustehen, hielt aber die Augen geschlossen und gab keinen Laut von sich. Als Bärenherz den Kopf betastete, zog der Patient sein Gesicht in schmerzhafte Falten, blieb aber stumm.

„Wie steht es?“ fragte der Haciendero.

„Er wird nicht sterben,“ antwortete der Häuptling. „Man lege immer neues Wundkraut auf.“

„Morgen wird der Arzt kommen.“

„Das Kraut Oregano ist klüger als der Arzt. Hat mein Bruder einen Vaquero, der ein guter Reiter und Jäger ist?“

„Mein bester Jäger und Schütze ist der alte Franzesko.“

„Man hole ihn und gebe ihm ein gutes Pferd!“

„Wozu?“

„Er soll mich begleiten.“

„Wohin?“

„Zu den Comantschen.“

„Zu den Comantschen? O Gott, was wollt ihr bei denen?“

„Kennt mein Bruder die Comantschen nicht? Wir haben ihnen die Gefangenen abgenommen; wir haben viele ihrer Krieger getötet. Sie werden kommen, um Rache zu nehmen!“

„Nach der Hacienda?“

„Ja.“

„So weit?“

„Der rote Mann kennt keine Entfernung, wenn er sich rächen und den Skalp seines Feindes holen will. Die Comantschen werden sicher kommen.“

„Und warum wollt ihr ihnen entgegen?“

„Um sie zu sehen und zu erfahren, wann und auf welchem Wege sie kommen.“

„Ist es nicht besser, du bleibst hier, und wir stellen Posten aus?“

„Der Häuptling der Apatschen sieht lieber mit eignen Augen als mit den Augen andrer. Donnerpfeil, mein Bruder, wollte den Hunden der Comantschen entgegengehen. Nun ist er krank, und ich thue es an seiner Stelle.“

„So reitet in Gottes Namen. Ich will Franzesko rufen lassen.“

In Zeit einer Viertelstunde war der Vaquero zur Stelle. Man sah es seinem ganzen Habitus an, daß er die geeignete Persönlichkeit zu einem solchen Ritte sei. Als er hörte, um was es sich handele, gab er freudig seine Bereitwilligkeit zu erkennen, den Apatschen zu begleiten. Sie versahen sich also mit dem, was zu einem solchen Kundschafterritte notwendig ist, und brachen dann auf.

Die mexikanischen Pferde sind von einer sehr großen Ausdauer und Schnelligkeit. Bärenherz und der Vaquero flogen auf ihren Tieren wie der Wind dem Norden zu. Sie erreichten noch vor Abend die Stelle, wo sie bei der Rückkehr von der Reise mit den beiden Damen ihr letztes Nachtlager gehalten hatten. Sie rasteten nicht und verfolgten den Weg immer fort, den sie damals gekommen waren.

Da, der Abend begann bereits heranzubrechen, hielt der Apatsche plötzlich sein Tier an und blickte zu Boden. Der Vaquero that dasselbe.

„Was ist das hier?“ fragte der letztere. „Das sind ja Spuren!“

„Von vielen Reitern!“ nickte der Apatsche.

„Sie kommen von Norden her!“

„Und sind nach West eingebogen.“

„Sehen wir sie genauer an!“

Sie stiegen ab und untersuchten die Hufeindrücke sehr sorgfältig.

„Es sind viele,“ sagte der Apatsche.

„Wohl zweihundert,“ fügte der Vaquero hinzu.

Der andere nickte zustimmend und deutete dann auf einen Hufeindruck, dessen Kanten noch ganz scharf gezeichnet waren.

„Ja,“ sagte der Vaquero mit besorgter Miene. „Wir haben von Glück zu sagen. Sie sind vor kaum einer Viertelstunde hier gewesen.“

Der Apatsche richtete sich unter einem schnellen Entschlusse rasch vom Boden auf.

„Vorwärts! Ich muß sie sehen!“

Sie bestiegen ihre Pferde wieder und folgten der Fährte. Sie führte tief in die Sierra hinein, und gerade, als das letzte Licht des Tages verglomm, erblickten sie auf dem Kamm einer vor ihnen liegenden Höhe eine dunkle Schlangenlinie, welche aus lauter Reitern bestand.

„Comantschen!“ sagte Bärenherz.

„Ja, richtig! Donnerwetter, die haben es auf die Hacienda abgesehen!“

„Sie verbergen sich bis morgen in den Bergen,“ nickte der Häuptling.

„Was thun wir?“

„Mein Bruder kehrt zurück, sogleich, um dem Haciendero zu melden, daß der Feind kommt.“

„Und du?“

„Bärenherz bleibt auf der Fährte des Feindes. Er muß wissen, was sie thun.“

Er drehte sich um und ritt weiter, ohne sich darum zu bekümmern, ob der Vaquero seiner Weisung Folge leiste.

Per Dios!“ murmelte dieser. „So ein Indianer ist doch ein eigentümlicher Mensch! Wagt sich an zweihundert Comantschen! Stolz wie ein König. Er sagt, was ich thun soll, und reitet fort, ohne nur Abschied zu sagen oder zu sehen, ob ich ihm auch gehorsam bin.“

Er wandte sein Pferd wieder dem Süden zu und ritt denselben Weg zurück, den er gekommen war.

Es galt, die schlimme Nachricht so bald wie möglich nach der Hacienda zu bringen. Darum strengte er sein Pferd an, und es war kaum Mitternacht, als er die Hacienda erreichte.

Hier lag bereits alles im tiefen Schlafe, und nur Emma wachte am Lager des Kranken. Deshalb wendete sich der Vaquero zunächst an sie. Sie weckte natürlich sogleich ihren Vater, der den alten Franzesko sofort zu sich kommen ließ.

„Ist’s wahr, was mir Emma sagte?“ fragte Arbellez.

„Was sagte sie?“

„Daß die Comantschen kommen.“

„Ja, das ist wahr, Sennor.“

„Wann? Doch nicht etwa noch heute!“

„Nein, heute sind wir noch sicher.“

„Sind es viele?“

„Wohl zweihundert.“

„Heilige Madonna, welch‘ ein Unglück! Sie werden die Hacienda verwüsten.“

„Das befürchte ich nicht, Sennor,“ sagte der mutige Alte. „Wir haben ja Arme und auch Waffen genug.“

„Aber habt ihr auch richtig gesehen?“

„Das versteht sich!“

„Es scheint mir gar nicht möglich, daß die Kundschafter der Comantschen in so kurzer Zeit eine solche Schar aus ihren Weidegründen können herbeigeholt haben.“

„Das ist auch gar nicht der Fall, Sennor!“

„Was denn?“

„Als Sennor Helmers mit dem Apatschen die Damen befreite und dabei einen Comantschen erstach, begann die Blutrache. Es ist ganz sicher gleich von dort aus ein Bote nach den Weidegründen abgegangen, die ja gar nicht weit vom Rio Pecos liegen. Während die Sennores dann am Rio Grande gegen ihre Verfolger kämpften, waren bereits die zweihundert aufgebrochen. Die späteren Flüchtlinge sind dann zu ihnen gestoßen und haben ihnen erzählt, daß sie abermals geschlagen worden sind. Das hat den Verfolgungsritt beschleunigt.“

„Wie weit entfernt ist der Punkt, an welchem ihr sie sahet?“

„Sechs Stunden bei gewöhnlichem Ritte.“

„Und sie hielten nicht gerade auf die Estanzia zu?“

„Nein. Das fällt ihnen auch gar nicht ein. Sie haben sich in die Berge geschlagen, um nicht entdeckt zu werden, und werden vor morgen nachts sich sicherlich nicht blicken lassen.“

„Wir werden dennoch sofort Vorsichtsmaßregeln treffen. O, wenn doch Sennor Helmers nicht verwundet wäre!“

„Auf den Häuptling der Apatschen und auf Büffelstirn können Sie sich ebenso verlassen.“

„Büffelstirn ist noch am Berge El Reparo. Ich werde ihn holen lassen.“

„Sogleich?“

„Ja.“

„Soll ich reiten?“

„Du bist ermüdet.“

„Ermüdet?“ lachte der Alte. „Mein Pferd wohl, aber nicht ich. Ich nehme ein andres Tier.“

„Weißt du, wo der Häuptling zu finden ist?“

„Nein.“

„Am Auslaufe des mittleren Baches.“

„Gut, ich werde ihn ganz sicher finden. Soll ich jetzt die Leute wecken?“

„Ja, wecke sie. Es ist besser, wir sind bereits heute auf der Hut.“

Der alte Francesko schlug Lärm; dann saß er auf, um nach El Reparo zu reiten, und eine Viertelstunde nach seinem Wegritte brannten rund um die Hacienda mehrere Feuer, welche die Umgebung so erleuchteten, daß es sicher kein Indianer gewagt hätte, dem Hause zu nahen.

Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas, war eben mit seinen Indianern von El Reparo aufgebrochen, als der alte Vaquero auf ihn stieß. Er dachte natürlich sofort, daß etwas geschehen sei, und erkundigte sich also durch die schnelle Frage:

„Warum kommst du? Was ist’s?“

„Schnell zur Hacienda! Die Comantschen kommen!“ rief Franzesko.

Die Augen des Indianers leuchteten vor Vergnügen auf.

„So schnell! Wer sagte es?“ fragte er.

„Ich selbst habe sie gesehen.“

„Ah! Wo?“

Franzesko erzählte seinen gestrigen Ritt.

„Ist es so, da haben wir noch Zeit,“ meinte Büffelstirn. „Diese Comantschen werden auf der Hacienda del Erina einige Skalps verlieren. Ist Bärenherz hinter ihnen her?“

„Ja.“

„So brauchen wir keine Sorge zu tragen. Sie entgehen uns nicht.“

Es ging im Galopp auf die Hacienda zu, wo sie alles in Eile und Aufregung fanden. Der Haciendero empfing den berühmten Cibolero selbst und fragte ihn nach seiner Meinung. Der Mizteca blickte umher und schüttelte den Kopf, als er die kriegerischen Vorbereitungen erblickte.

„Halten Sie die Comantschen für Diggerindianer?“ fragte er.

„Nein,“ antwortete Arbellez. „Die Diggers sind dumm.“

„Aber die Comantschen nicht. Warum also diese Vorkehrungen?“

„Heilige Madonna, sollen wir uns vielleicht nicht wehren!“ „Wir werden uns wehren, aber anders, Sennor!“ „Wie denn?“

„Die Comantschen werden Kundschafter aussenden, um uns zu beobachten.“

„Natürlich!“

„Sie werden uns nicht am Tage überfallen.“

„Das denke ich auch.“

„Wenn wir sie zurückweisen wollen, so dürfen sie nicht ahnen, daß wir wissen, daß sie kommen.“

„Ah, da hast du recht!“

„Wir müssen unsre Vorbereitungen also im stillen treffen. Wie viele Männer haben Sie überhaupt?“

„Vierzig.“

„Das genügt. Jeder hat ein Gewehr?“

„Sie alle haben gute Gewehre.“

„Und Munition ist auch vorhanden?“

„Genug. Ich habe sogar Kanonen.“

„Kanonen?“ fragte der Indianer erstaunt.

„Ja, vier Stück.“

„Davon weiß ich nichts. Woher sind sie?“

„Der Schmied hat sie gebaut, als du nicht hier warst.“

Der Häuptling schüttelte ungläubig den Kopf.

„Der Schmied hat sie gebaut! Taugen sie etwas?“

„Ja, wir haben sie probiert. Der Lauf ist vom festesten Eisenholz gebohrt, um welches starke, fünffache Bänder geschmiedet worden sind. Vom Zerspringen ist keine Rede.“

„Dann geht es. Wir schießen mit Glas, Nägeln und altem Eisen; das wirkt furchtbar. Sodann brauchen wir mehrere Feuer.“

„Wozu?“

„Der Überfall wird wohl bereits in der nächsten Nacht geschehen. Dabei muß alles dunkel sein, damit die Comantschen uns im tiefsten Schlafe denken. Sobald sie nun kommen, brennen wir die Feuer an und erleuchten die ganze Umgebung der Hacienda, damit wir ein sicheres Zielen haben.“

„So machen wir die Feuer auf dem platten Dache des Hauses.“

„Das ist klug. Es wird an jeder Ecke ein großer Haufen errichtet und mit Öl begossen. Das genügt für den ganzen Platz.“

„Und wohin stellen wir die Kanonen?“

„Wir errichten an jeder Ecke des Hauses, sobald es dunkel geworden ist, eine Verschanzung, hinter welche die Kanonen kommen. Sie müssen so stehen, daß sie zwei Seiten bestreichen können. Während des Tages aber lassen wir uns nichts merken, und ein jeder geht ruhig seiner gewohnten Beschäftigung nach. Ah!“

Dieser letzte Ausruf galt einem Reiter, der auf dampfendem Rosse durch das Thor kam. Es war – der Apatsche.

„Bärenherz!“ rief der Haciendero. „Wo kommt Ihr her?“

„Von den Comantschen,“ antwortete dieser, vom Pferde springend.

„Wo sind sie?“

„Auf dem El Reparo.“

„Auf dem El Reparo?“ fragte Büffelstirn. „Halten sie dort ihr Lager?“

„Ja. Ich bin ihnen bis auf den Berg gefolgt. Sie erreichten ihn erst nach Mitternacht.“

„Auf welcher Seite lagerten sie?“

„Auf der Seite nach Mitternacht.“

„Uff! Wenn sie – –“ er unterbrach sich und fügte leise hinzu, so daß ihn nur der Apatsche hören konnte: „Wenn sie den Grafen finden!“

„Den werden die Krokodile gefunden haben,“ sagte der Apatsche ebenso leise.

Diese Annahme war nun allerdings nicht richtig.

Die Comantschen zählten wirklich zweihundert Mann. Sie wurden angeführt von einem ihrer berühmtesten Häuptlinge, welcher Tokvi-tey, der schwarze Hirsch, hieß. Ihm zur Seite ritten zwei Kundschafter, von denen der eine die Gegend um die Hacienda genau kannte, während der andre zu denen gehört hatte, welche von den Mexikanern unter Anführung des Deutschen und des Apatschen besiegt worden waren. So konnten sie sich in der Richtung nach der Estanzia gar nicht irren.

Sie ritten, ohne zu ahnen, daß sie von dem berühmten Apatschenhäuptling verfolgt wurden, nach indianischer Weise über die Berge, nämlich immer einer hinter dem andern, und gelangten schließlich an den nördlichen Fuß des EI Reparo, dessen Abhang sie erstiegen, um dann unter den dichten Bäumen des Waldes Halt zu machen.

„Weiß mein Sohn hier einen Ort, an dem wir uns während des Tages verbergen könnten?“ fragte der schwarze Hirsch den einen der Führer, welcher die hiesige Gegend kannte.

Der Gefragte sann nach und antwortete dann:

„Ich weiß einen.“

„Wo?“

„Auf der Höhe des Berges.“

„Was ist es für ein Ort?“

„Es ist die Ruine eines alten Tempels, dessen Vorhöfe Platz für tausend Krieger haben.“

„Kann man da verborgen sein?“

„Ja, wenn kein Auge uns kommen sieht.“

„Weiß mein Sohn den Ort genau?“ „Ich werde nicht irren.“

„Und glaubt mein Sohn, daß wir ihn erst auskundschaften müssen?“

„Es ist besser und sicherer so.“ „So werden wir beide gehen, während die andern warten.“

Sie stiegen von ihren Pferden, nahmen die Waffen zur Hand und drangen in den Wald ein.

Der Indianer besitzt für Örtlichkeitsverhältnisse einen angeborenen Instinkt und einen so gut geübten Scharfsinn, daß er sich fast nie verirren kann. Der Führer strich mit einer bewundernswerten Sicherheit gerade auf die Ruine zu durch den nächtlich stockfinsteren Wald. Der Häuptling folgte ihm. Trotz der Schwierigkeiten, welche die Dunkelheit bot, erreichten sie die verfallenen Mauern des Tempelwerkes und begannen, dasselbe zu durchsuchen.

Sie fanden nicht die mindeste Spur von der Anwesenheit eines Menschen und hegten schon die Überzeugung, daß sie sicher seien, als sie plötzlich anhielten und lauschten. Es war ein Schrei erklungen, ein Schrei, welcher aus keiner menschlichen Kehle zu stammen schien.

„Was war das?“ fragte der schwarze Hirsch.

„Ein Schrei, aber von wem?“ „Es klang fast wie der Todesschrei eines Pferdes.“

„Ich habe einen solchen Laut noch nie gehört,“ erklärte der Führer.

Da erklang der Schrei abermals, lang gezogen und gräßlich. „Ein Mensch!“ sagte der Häuptling.

„Ja, ein Mensch,“ stimmte der Führer jetzt bei.

„In Todesangst!“

„In tiefster Verzweiflung!“

„Wo war es?“

„Ich weiß es nicht. Das Echo täuscht.“

„Man muß diese Mauern verlassen.“

Sie kletterten über das Trümmerwerk hinaus in das Freie, und als der markerschütternde Ruf nun abermals erscholl, hörten sie, welches die Richtung war.

„Grad vor uns,“ sagte der Führer.

„Ja, grad vor uns. Wir wollen sehen, was es ist!“

Sie schlichen sich vorsichtig weiter und gelangten an den Rand des Teiches, dem sie entlang gingen, bis der Schrei grad vor ihnen ausgestoßen wurde. Die Wilden konnten sich eiserner Nerven rühmen, aber sie erschraken doch, als diese fürchterliche Stimme so in ihrer unmittelbaren Nähe erscholl.

„Hier ist es,“ sagte der Führer, „im Wasser.“

„Nein, über dem Wasser ist es,“ verbesserte der Häuptling.

„Horch!“

„Das plätschert und klappt, als seien es Krokodile.“

Ein phosphorescierender Schein ging von dem Wasser aus, welches durch die Tiere bewegt wurde.

„Sieht mein Sohn diesen Schimmer?“ fragte der Häuptling.

„Ja.“

„Es sind Krokodile.“

„Und der Mensch unter ihnen? Unmöglich!“

„Nein, der Mensch über ihnen, auf diesem Baume.“

Er deutete dabei auf die Ceder, an welcher sie standen.

„So muß er angebunden sein!“

„Sicher!“

Nun erschallte der Schrei abermals, und sie hörten, daß er aus der Luft kam, zwischen dem Wasser und der Krone des Baumes

„Wer ruft?“ fragte da der Häuptling mit lauter Stimme.

„Oh!“ antwortete es im Tone des Entzückens.

„Wer ist es?“

„Hilfe!“

„Wo bist du?“

„Ich hänge am Baume.“

„Uff! Über dem Wasser?“

„Ja. Kommt schnell.“

„Wer bist du?“

„Ein Spanier.“

„Ein Spanier, ein Bleichgesicht,“ flüsterte der schwarze Hirsch seinem Begleiter zu. „Er soll hängen bleiben!“

Dennoch aber fragte er weiter:

„Wer hat dich aufgehängt?“

„Meine Feinde.“

„Wer sind sie?“

„Zwei Rothäute.“

„Uff!“ flüsterte der Häuptling. „Er hängt zur Rache hier.“

Dann fragte er, welche Rothäute es gewesen seien.

„Ein Mizteca und ein Apatsche. O kommt, helft! Ich kann nicht mehr; die Krokodile werden mich zerreißen!“

„Ein Apatsche und ein Mizteca,“ sagte der Häuptling leise „Das sind unsre Feinde. Er soll vielleicht gerettet werden Zuerst aber muß ihn das Feuer beleuchten.“

Er ging zu einem Gestrüpp, von welchem er vorhin beim Hindurchschlüpfen bemerkt hatte, daß es dürr und trocken sei, riß es aus und trug den Haufen an das Ufer. Dann zog er sein Punks hervor und zündete den Haufen an. Das Feuer loderte hell empor und beleuchtete die ganze Scene: Von dem Baum herab hing ein Bleichgesicht bis nahe über das Wasser und schwang die Füße hoch empor, sobald eines der Krokodile nach ihnen schnappte.

„Das ist eine große Rache!“ sagte der schwarze Hirsch. „Er soll uns jetzt antworten, ohne die Alligatoren zu fürchten.“

Er kletterte auf den Baum empor, faßte den Lasso und zog den daran Hängenden weiter empor, so daß sich dieser nun vor den Ungeheuern in Sicherheit befand. Das Feuer beleuchtete auch die Indianer, und an ihrer Bemalung sah Alfonzo, daß es Comantschen seien, die sich auf dem Kriegspfade befanden. Er erriet alles und betrachtete sich bereits als halb gerettet.

„Warum hingen dich die roten Männer hier auf?“ fragte der Häuptling weiter.

„Weil ich mit ihnen kämpfte, um sie zu töten. Wir waren Feinde.“

„Warum hast du die Hunde nicht getötet? Die Apatschen und Miztecas sind Feiglinge.“

„Es war Bärenherz, der Häuptling der Apatschen.“

„Bärenherz!“ rief der Comantsche. „Er war hier?“

„Ja, er und Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas.“

„Und Büffelstirn!“ rief der Comantsche abermals. „Wo sind sie?“

„Befreie mich, so sollst du sie haben!“

„Schwöre es!“

„Ich schwöre es!“

„So sollst du frei sein!“

Er zog mit aller Anstrengung an dem Lasso und brachte den Grafen auch glücklich so weit empor, daß dieser sich mit dem Oberkörper auf den Ast legen und stützen konnte. Dadurch bekam der Comantsche die Hand frei. Er zog sein Messer und durchschnitt den Lasso und die Banden des Spaniers, der sich nun selbst festzuhalten vermochte.

„Ah!“ rief dieser. „Frei! Frei! Frei! Aber nun Rache! Rache! Rache!“

Er brüllte in unendlichem Entzücken diese Worte überlaut in die Nacht hinaus.

„Rache sollst du haben,“ sagte der Comantsche, der in ihm einen brauchbaren Verbündeten ahnte. „Aber warum schreist du so? Der Wald hat Ohren. Ist niemand in der Nähe?“

„Kein Mensch! Es befand sich niemand auf dem Berge als nur ich und diese verdammten Krokodile. Mein Leben lang werde ich diese Nacht nicht vergessen!“

„Vergiß sie nicht, und räche dich! jetzt aber steige mit mir herab!“

Sie kletterten von dem Baume hernieder, und nun erst, als Alfonzo den festen Boden unter sich fühlte, wußte er genau, daß er gerettet sei.

„Ich danke euch!“ sagte er. „Verlangt, was ihr wollt, ich werde es thun!“

Sein Entzücken trieb ihn, dieses übermäßige Versprechen zu thun. Der Comantsche sagte ruhig-

Setze dich zu uns, und sage uns, was wir dich fragen!“

Sie setzten sich in das Gras, und der Graf streckte seine gepeinigten Glieder mit einer Wonne aus, welche er in seinem Leben noch niemals gefühlt hatte.

„Ihr seid vom Volke der Comantschen?“ fragte er.

„Ja.“

„Du bist ein Häuptling derselben?“

„Ich bin Tokvi-tey, der schwarze Hirsch“ antwortete der Comantsche stolz.

„Und ihr befindet euch auf einem Kriegszuge?“

Der Häuptling nickte und fragte:

„Kennst du die Hacienda del Erina?“

„Ich kenne sie.“

„Wie heißt der Mann, welcher dort wohnt?“

„Er heißt Petro Arbellez.“

„Hat er eine Tochter?“

„Ja.“

„Und ist bei dieser Tochter eine Indianerin vom Stamme der Miztecas?“

„Ja. Es ist Karja, die Schwester von Tecalto.“

„Die Schwester Büffelstirns?“ fragte der Häuptling überrascht.

„Ja.“

„Uff! Das haben die Söhne der Comantschen nicht gewußt, sonst hätten sie die Tochter der Miztecas fester gehalten. Die beiden Squaws waren unsre Gefangenen.“

„Ich weiß es.“

„Du weißt es?“ fragte der schwarze Hirsch.

„Ja, denn sie wohnen bei mir.“

„Bei dir? Deine Stimme spricht in Rätseln! Ich denke, sie wohnen auf der Hacienda?“

„Dies ist auch wahr; denn die Hacienda gehört mir.“

„Dir? So bist du Sennor Petro Arbellez?“

„Nein. Ich bin Graf Alfonzo de Rodriganda y Sevilla. Arbellez ist nur mein Pächter.“

„Uff!“ sagte da der Comantsche kalt, indem er sich erhob. „So wirst du wieder über dem Wasser hangen, damit dich die Alligatoren fressen!“

Alfonzo war seiner Sache so sicher, daß er lächelnd antwortete:

„Warum?“

„Weil du der Beschützer der beiden Squaws bist.“

„Setze dich wieder nieder, schwarzer Hirsch. ich bin nicht ihr Beschützer; ich bin ihr Feind und dein Freund. Diese Squaws sind schuld, daß ich hier aufgehängt wurde, du aber hast mich errettet. Ich werde dir danken, indem ich die drei größten Feinde der Comantschen in deine Hände liefere.“

„Wer ist dies?“

„Shosh-in-liett.“

„Bärenherz, der Apatsche?“

„Ja. Ferner Mokaschi-motak.“

„Büffelstirn, der Mizteca?“

„Ja.“

„Und der dritte?“

„Der dritte ist ein Bleichgesicht; die roten Männer nennen ihn Itinti-ka.“

„Donnerpfeil, der große Rastreador?“ rief der Comantsche. „Sagst du die Wahrheit?“

„Ja.“

„Wo ist Donnerpfeil?“

„Bei den andern.“

„Wo sind diese?“

Der Comantsche fragte mit leidenschaftlicher Hast. Die Hoffnung, diese drei berühmten Männer in seine Gewalt zu bekommen, brachte ihn um die kalte Ruhe und Selbstbeherrschung, in welcher der Indianer sonst seine Ehre sucht.

„Ich werde es dir sagen, wenn du mir vorher etwas versprichst.“

„Was begehrst du?“

„Du bist gekommen, um die Hacienda zu überfallen?“

„Ja,“ gestand der Indianer.

„Wird es dir gelingen?“ „Der schwarze Hirsch wurde noch nie besiegt.“ „Du hast viele Comantschen mit?“ „Zehnmal zehn mal zwei.“ „Zweihundert? Das ist genug. Du sollst die drei berühmten Häuptlinge haben, ferner alle Skalpe der Bewohner der Hacienda, auch alles, was in der Hacienda zu finden ist, wenn du des Hauses schonest, da es mein Eigentum ist.“

Der Comantsche sann nach; dann sagte er:

„Es sei, wie du begehrst. Wo also sind die drei Häuptlinge?“

„Sie sind,“ sagte der Graf, zufrieden lächelnd, „nirgends anders als eben in der Hacienda.“

„Uff! Du hast mich überlistet!“ gestand der schwarze Hirsch.

„Aber ich habe dein Wort!“

„Der Häuptling der Comantschen bricht sein Wort niemals. Das Haus ist dein. Die drei Feinde, die Skalpe und alles, was das Haus enthält, gehören aber den Söhnen der Comantschen. Ist die Hacienda von Stein erbaut?“

„Von festen Steinen, und mit Pallisaden umgeben. Aber ich kenne alle Schliche; ich werde euch führen. Ihr werdet euch im Innern des Hauses befinden, während die Bewohner alle noch fest schlafen. Sie werden nur erwachen, um unter euren Messern und Tomahawks zu sterben.“

„Hat der Haciendero viele Waffen?“

„Er hat genug Waffen, aber sie werden ihm nichts nützen.“

„Wie viele Männer besitzt er?“

„Vielleicht vierzig.“

„Viermal zehn? Das macht siebenmal zehn, denn jeder der drei Häuptlinge ist zehn wert.“

„Donnerpfeil darf nicht gerechnet werden.“

„Warum?“

„Er ist verwundet oder bereits schon tot. Ich traf ihn mit der Keule auf den Kopf.“

„Uff! Du hast mit Donnerpfeil gekämpft?“

„Warum nicht?“

„Wer mit ihm kämpft, muß ein tapfrer Krieger sein.“

„Ich bin kein Feigling, obgleich du mich als Gefangenen getroffen hast.“

„Ich werde es sehen, wenn du uns zur Hacienda führst. Meinst du, daß sie ahnen, daß die Krieger der Comantschen kommen, um Rache zu nehmen?“

„Ich glaube es nicht. Ich habe nicht gehört, daß davon gesprochen worden ist.“

„Ich werde einen Kundschafter senden.“

„Er mag sich nicht sehen lassen!“

„Uff! Er wird gerade in die Hacienda gehen.“

„So ist er verloren!“

„Er ist nicht verloren. Er ist kein Comantsche, sondern ein christlicher Indianer von dem mexikanischen Stamme der Opatos. Man wird ihm nicht mißtrauen, und er wird genau sehen, ob man sich auf einen Kampf mit den Kriegern der Comantschen vorbereitet hat. Jetzt aber weiß ich alles. Mein Sohn mag gehen, um die Krieger nach den Ruinen zu führen, wohin ich jetzt mit diesem Manne gehe, der ein Graf der Bleichgesichter ist.“

Der Führer eilte davon, und der Häuptling schritt mit Alfonzo den Tempelruinen zu. Vorher aber warf der letztere noch einen Blick auf den kleinen See, über dessen Wassern er die schrecklichsten Stunden seines Lebens zugebracht hatte. Die Alligatoren lagen am Ufer und glotzten mit weit aus der Flut hervorragenden Köpfen das Opfer an, welches ihnen entgangen war. – –

Am andern Morgen ging der Häuptling mit dem Grafen und dem Führer durch den Wald, um zu rekognoscieren. Sie kamen dabei auch an den Rand des Bergplateaus, von welchem aus man in die Ebene hinabblicken konnte. Da ertönte unter ihnen ein dumpfer Knall.

„Was war das?“ fragte der schwarze Hirsch.

„Ein Schuß,“ meinte der Führer.

„Aber kein Büchsen-, sondern ein Sprengschuß,“ erklärte Alfonzo, welcher sogleich vermutete, was da unten vorgegangen war.

Sie traten so weit wie möglich an den Felsenabhang heran und blickten zu dem Bache hinab. Da sahen sie Büffelstirn mit seinen Indianern davon reiten. Alfonzo gewahrte das Lastpferd; er sah die Decken, welche es trug, und ahnte, daß darinnen ein Teil der Schätze verborgen sei.

„Was für Männer sind dies?“ fragte der Häuptling.

„Es sind Miztecas,“ antwortete der Graf.

„Miztecas, die sterben und verdorren werden,“ sagte der andre verächtlich.

„O, sie haben noch Kraft genug. Siehe einmal ihren Anführer!“

„Er ist ein Riese. Es ist ein Cibolero?“

„Ja, freilich ist er ein Cibolero, ein Büffeljäger, aber der kühnste von allen. Rate einmal, wie sein Name lautet!“

„Sage es!“

„Nun, es ist Büffelstirn, der König der Ciboleros!“

„Uff! Das – das ist Büffelstirn,“ sagte der Comantsche, indem er den Mizteca da unten mit finsterem Auge betrachtete. „Es wird nicht lange währen, so stirbt er an dem Marterpfahle im Lager der Comantschen.“

Als sie nach der Ruine zurückkehrten, wurde der Kundschafter abgesandt. Er trug die Kleidung eines civilisierten Indianers, erhielt eine schlechte Flinte und das schlechteste Pferd, welches vorhanden war. Auch erhielt er den Befehl, einen Umweg zu machen, damit es scheine, daß er nicht von Norden, sondern von Süden komme.

Er umritt also die hintere Seite und den südlichen Abhang des El Reparo und ritt dann von Mittag her auf die Hacienda zu.

Büffelstirn stand mit dem Haciendero und Bärenherz am Fenster, als er in den Hof ritt.

„Uff!“ sagte der Apatsche mit höhnischem Lächeln.

„Was?“ fragte Arbellez.

„Unser Freund will sagen, daß dies der erwartete Kundschafter ist,“ erläuterte Büffelstirn den Ausruf des Apatschen.

„O, das ist kein Comantsche!“ meinte Arbellez.

„Nein, es ist ein Majo oder Opato, aber jedenfalls ein Überläufer.“

„Wie soll ich ihn behandeln?“

„Freundlich. Er darf nicht ahnen, daß wir an Kampf und Feindseligkeit denken.“

Der Haciendero ging hinab, wo der Indianer gerade im Begriff stand, nach der Gesindestube zu gehen. Er grüßte höflich und fragte:

„Das ist die Hacienda del Erina?“

„Ja,“

„Wo Sennor Arbellez gebietet?“

„Ja.“

„Wo ist der Sennor?“

„Ich bin es selbst.“

„O, Verzeihung, Don Arbellez, daß ich dies nicht wußte! Darf ich bei Euch einkehren?“

„Thut dies in Gottes Namen. Es ist mir jeder Gast willkommen. Wo kommt Ihr her?“

„Ich komme von Durango über die Berge herüber.“

„Das ist weit.“

„Ja. Ich war einige Jahre dort, aber das Fieber hat mich vertrieben. Hier scheint es besser zu sein. Braucht Ihr keinen Vaquero, Sennor?“

„Nein.“

„Auch keinen Cibolero?“

„Auch nicht.“

„Ist Euch nicht sonst ein Mann nötig?“

„Ich habe jetzt Leute genug; aber Ihr könntet trotzdem bleiben und Euch ausruhen, so lange es Euch gefällt.“

„Ich danke. Da Ihr niemand braucht und Eure Hacienda die letzte ist gegen die Grenze hin, so werde ich sehen, wie es sich als Gambusino leben läßt. Wenn nur die Wilden nicht wären!“

„Fürchtet Ihr Euch vor einem Indianer?“

„Vor einem nicht, aber vor fünf oder zehn. Man hört, daß die Comantschen Lust haben, über die Grenze zu kommen.“

„Da hat man Euch falsch berichtet. Sie werden sich hüten, herüber zu kommen, denn sie wissen, daß sie eine tüchtige Lehre erhalten würden. Also bleibt; ruht Euch aus, und eßt und trinkt in der Leutestube so viel, wie Ihr wollt.“

Er ging weiter und ließ den Indianer mit der festen Gewißheit zurück, daß auf der Hacienda del Erina kein Mensch daran denke, daß Indianer in der Nähe sein könnten. Der Kundschafter schien der Ruhe nicht sehr zu bedürfen, denn er schweifte auf der Hacienda und in ihrer nächsten Umgebung unermüdlich herum und setzte sich am Nachmittage auf sein Pferd, um weiter zu reiten.

Natürlich wandte er sich nicht nach der Grenze hin, sondern er kehrte auf einem Umwege zu den Comantschen zurück, wo sein Bericht mit Spannung erwartet wurde. Als er dem Häuptling erzählte, was er gesehen hatte, nickte dieser mit einem blutdürstigen Lächeln und sagte:

„Die Hacienda wird schrecklich aus dem Schlafe erwachen, und die Söhne der Comantschen werden mit Beute und vielen Skalpen heimkehren in ihre Wigwarns.“

Er ließ sich von dem Grafen und dem Kundschafter die Lage und Beschaffenheit des Gebäudes genau beschreiben, und dann wurde großer Kriegsrat gehalten.

Das Ergebnis desselben war, daß man mit Einbruch der Dunkelheit aufbrechen wolle. Um Mitternacht langte man in der Nähe der Hacienda an. Diese sollte von allen vier Seiten umschlossen werden; dann sollten die Comantschen auf ein Zeichen ihres Häuptlings über die Pallisaden steigen und innerhalb des Hofes das Haus umzingelt halten. Fünfzig Mann sollten durch eines der Fenster steigen, um sich im stillen durch die Gänge zu verbreiten; dann könne das Morden losgehen.

Während dies in den Ruinen des Tempels besprochen wurde, wurde auf der Hacienda ein ähnlicher Kriegsrat gehalten.

„Ist Feuerwerk da?“ fragte Büffelstirn.

„Ja, genug. Die Vaqueros können sich keinen Festtag ohne Feuerwerk denken,“ sagte der Haciendero. „Warum?“

„Die Hauptsache ist, den Comantschen die Pferde zu nehmen, damit sie nicht so schnell entkommen können. Man muß sehen, wo sie ihre Tiere lassen, und im geeigneten Augenblick Feuerwerk unter sie werfen.“

„Das soll besorgt werden!“

„Aber es gehören kühne und vorsichtige Leute dazu!“

„Die habe ich. Wann fangen wir an, die Schanzen zu bauen?“

„Eigentlich war bestimmt, die Dunkelheit abzuwarten; da aber der Kundschafter so sehr befriedigt davongeritten ist, so glaube ich nicht, daß wir noch weiter beobachtet werden. Wir können also anfangen.“

Nun begann eine rege Geschäftigkeit zu herrschen. Es befand sich bei Anbruch des Abends kein Vaquero auf der Weide, wie zu anderer Zeit, sondern alle waren innerhalb der Pallisaden bemüht, die Verteidigung des Hauses vorzubereiten.

So verging der Abend in lebhafter Erwartung, und eine Stunde vor Mitternacht brach der Apatsche auf, um auf Kundschaft zu gehen. Er nahm zwei wohlbewaffnete Knechte mit, welche genug Feuerwerkskörper trugen, um eine Pferdeherde von tausend Stück in alle Winde zu zersprengen.

Der Häuptling kam sehr bald zurück, aber allein.

„Kommen Sie?“ fragte der Haciendero.

„Ja.“

„Wo sind sie?“

„Abgestiegen. Sie umzingeln die Pallisaden; die Pferde stehen draußen am Bache.“

„Sind viele Wächter bei ihnen?“ fragte Büffelstirn.

„Nur drei.“

„Uff! Unsre beiden Männer werden ihre Schuldigkeit thun.“

Jetzt begab sich der Haciendero nach der Krankenstube, wo die beiden Mädchen bei dem Kranken saßen. Sie waren bleich, aber gefaßt.

„Kommen sie?“ fragte Emma.

„Ja. Schläft der Patient?“

„Fest.“

„So könnt ihr an euren Posten gehen. Nehmt die Lunten.“

Sie zündeten ihre Lunten an und begaben sich hinauf auf die Plattform des Hauses, wo an jeder Ecke ein großer, mit Öl getränkter Holzhaufen lag. Auch mächtige Steine und einige geladene Gewehre gab es da, um den Frauen Gelegenheit zu geben, bei der Verteidigung mitzuwirken.

Die Nacht war still. Nur das Murmeln des Baches ließ sich vernehmen, oder es drang das Schnaufen eines Pferdes von der Weide herüber. Und dennoch gab es so viele Herzen, welche jetzt schneller schlugen in der Erwartung des Kampfes.

Da erklang der volle, grunzende Ton eines Ochsenfrosches. Er war so täuschend nachgemacht, daß er unter anderen Umständen sicherlich gar nicht beachtet worden wäre, jetzt aber wußten sämtliche Bewohner der Hacienda sofort, daß es das Zeichen des Angriffes sei.

Der alte Vaquero Franzesco hatte sich die Bedienung derjenigen Kanone auserbeten, welche die vordere Front des Hauses zu verteidigen hatte. Sie war mit Glas, Nägeln und gehacktem Eisen geladen, und unter der Serape, welche er übergeworfen hatte, glimmte die Lunte, mit welcher der Schuß gelöst werden sollte. So kauerte er hinter der kleinen Verschanzung und lauschte auf das leiseste Geräusch.

An dem Parterrefenster rechts von dem Portale stand der Apatsche und an demjenigen links der Häuptling der Miztecas. Beide hatten ihre Büchsen in der Hand und durchforschten die Finsternis mit ihren scharfen Augen, die an die Dunkelheit gewöhnt waren. Da erschallte, wie schon erwähnt, die Stimme des Ochsenfrosches, und in demselben Augenblicke wurde es auf den Pallisaden lebendig. Zweihundert Köpfe erschienen über ihnen, und zweihundert dunkle, behende Gestalten sprangen in den Hof herab. Eben traten die fünfzig, welche durch die Fenster eindringen sollten, eng zusammen, da streckte der Apatsche seine Doppelbüchse heraus.

Shne ko – gebt Feuer!“ rief er.

Seine Büchse krachte, und dieses Zeichen hatte eine Wirkung, welche ebenso schnell wie wunderbar war. Kaum erscholl seine Stimme, so steckten die Mädchen oben auf der Plattform ihre Lunten in das Pulver, und im Nu loderten vier hohe Feuer auf, welche den ganzen Umkreis mit Tageshelle beleuchteten. Die Indianer standen erschrocken still.

Beim Scheine der Feuer erblickte der alte Franzesco die fünfzig eng beisammenstehenden Comantschen; sie befanden sich kaum fünfzehn Ellen von ihm entfernt. Sein Schuß krachte und war bei dieser Nähe von einer fürchterlichen Wirkung. Der ganze Haufen schien zusammenzubrechen; es entstand ein wirrer Knäul von am Boden ringenden Gestalten, dessen Auflösung so lange Zeit dauerte, daß Francesco Zeit erhielt, wieder zu laden. Sein zweiter Schuß hatte ganz dieselbe Wirkung. Auch die anderen Kanonen krachten; aus jedem Fenster des Hauses und auch von der Plattform herab blitzten Schüsse, und da – von der Plattform aus konnte man es deutlich sehen – da draußen prasselte plötzlich ein leuchtendes Feuerwerk empor; dazwischen hinein erscholl das hundertstimmige Wiehern und Schnauben der erschreckten Pferde, welche sich losrissen und davonflogen, daß unter dem Stampfen ihrer Hufe die Erde zitterte.

Dazwischen hinein erscholl das Wutgeheul der Wilden. Sie alle waren hell erleuchtet und boten ein sicheres Ziel, die Zimmer aber waren dunkel; so daß die Comantschen keinen sicheren Schuß bekommen konnten, selbst wenn sie bei der allgemeinen Panik, von welcher sie überfallen worden waren, sich zu einem ruhigen Schusse Zeit genommen hätten. Sie hatten einen solchen Empfang nicht erwartet; in den ersten zwei Minuten bereits hatten sie die Hälfte ihrer Leute verloren, und jetzt begannen sie zu fliehen.

Nur einer stand fest, nämlich der schwarze Hirsch. Er feuerte die Seinigen an, auszuhalten; aber es half ihm nichts. Er hatte sich bisher an der Seite des Hauses befunden, jetzt aber eilte er nach der Vorderfront, um zu sehen, wie der Kampf dort stehe. Hier stand es noch schlimmer; Franzesco hatte mit seinen gut gezielten Schüssen den Platz rasiert; Indianerleiche lag an Indianerleiche; der Häuptling erkannte, daß alles vorüber sei und sprang über die Pallisade hinaus.

In dem Augenblicke, als er auf der Pallisade hing, erblickte ihn der Apatsche.

„Tokvi-tey, der schwarze Hirsch!“ rief er.

Er erkannte den Comantschen, konnte ihn aber nicht töten, da er eben seine Büchse abgeschossen hatte.

„Der schwarze Hirsch!“ rief er abermals, indem er die Büchse fortwarf und den Tomahawk aus dem Gürtel zog. „Wendet der schwarze Hirsch dem Feinde den Rücken?“

Er sprang aus dem Fenster, stürzte über den Hof hinüber und schwang sich über die Pallisaden hinweg. Da, vor ihm floh der Comantsche.

„Der schwarze Hirsch halte an! Hier kommt Bärenherz, der Häuptling der Apatschen. Will der Häuptling der Comantschen vor ihm fliehen?“

Als der Comantsche diesen Namen hörte, stand er still.

„Du bist Bärenherz? So komm heran!“ rief er. „Ich werde deine Eingeweide den Geiern zu fressen geben!“

Die beiden Häuptlinge gerieten aneinander; sie nahmen nur den Tomahawk zur Waffe, und dies ist die fürchterlichste, welche es giebt. Bärenherz war dem Comantschen überlegen; das zeigte sich sofort; aber da schnellte sich eine Gestalt heran, mit der Büchse in der Hand; es war Alfonzo.

Er war klug gewesen und zunächst nicht über die Pallisaden gestiegen; er hatte ja nicht die geringste Lust, sein Leben und seine Glieder den feindlichen Schüssen preiszugeben. So hockte er hinter den Pallisaden und wartete den Erfolg des Angriffes ab. Es war nicht der erwartete, sondern ein ganz anderer. Die Comantschen flohen. In diese Flucht hinein hörte er die Stimme des Apatschen.

„Ah,“ murmelte er. „Vielleicht kann ich mich rächen.“

Er sah, daß Bärenherz dem Comantschen nachsprang, und folgte ihnen. Als sie nun im Kampfe waren, sprang er hinzu und schlug mit dem Kolben seines Gewehres den Apatschen von hinten So auf den Kopf, daß er niederstürzte. Der Comantsche zog sofort sein Messer, um den Betäubten vollends zu töten und ihm den Skalp zu nehmen; aber Alfonzo wehrte ab.

„Halt!“ sagte er. „Er verdient einen andern Tod.“

„Du hast Recht!“ sagte der schwarze Hirsch. „Schnell zu den Pferden!“

„Zu den Pferden? – Die sind ja fort!“

„Fort?“ fragte der Häuptling erschrocken.

„Ja. Man hat sie mit Feuerwerk erschreckt.“

„Uff! Komm‘, komm‘, sonst wird es zu spät!“

Sie faßten den Apatschen an beiden Armen, und sprangen, ihn an der Erde schleifend, davon.

Es war die höchste Zeit für sie. Als Büffelstirn aus seinem Fenster bemerkte, daß der Apatsche dem feindlichen Führer nacheilte, erkannte er, daß dieser sich in die höchste Gefahr begab; darum holte er so rasch wie möglich die Besatzung des Hauses zusammen, um einen Ausfall zu machen. Sie fanden den Hof bereits verlassen; nur tote Comantschen lagen noch da.

„Ihnen nach!“ rief er.

Das Thor wurde geöffnet, und die tapferen Verteidiger stürzten hinaus in das Freie, wo sich noch an vielen Stellen ein hitziger Einzelkampf entspann, bei welchem die Wilden gewöhnlich den kürzeren zogen. Büffelstirn schlug noch manchen nieder. Er eilte rundum die Hacienda herum, soweit die Feuer leuchteten; aber er sah von dem Apatschen keine Spur. – –

Stunden waren vergangen, als der Häuptling Bärenherz aus seiner tiefen Ohnmacht erwachte. Er öffnete die Augen und erblickte zunächst ein Feuer und sodann eine Anzahl wilder, roter Gestalten, welche um dasselbe saßen. Er selbst war gefesselt; zu seiner Rechten saß der schwarze Hirsch und zu seiner Linken Graf Alfonzo. Als er seine Augen zum Himmel erhob, sah er an den Sternen, daß es nicht mehr weit bis zum Anbruch des Morgens sein könne.

Alfonzo hatte bemerkt, daß er die Augen aufschlug.

„Er erwacht!“ sagte er.

Sofort richteten sich die Blicke sämtlicher Comantschen auf ihn. Sie alle hatten von ihm gehört; sie kannten seinen Ruhm, aber die wenigsten hatten ihn schon einmal gesehen.

Er nahm seine Gefangenschaft mit der äußeren Ruhe auf, welche dem Indianer eigen ist. Sein Kopf schmerzte von dem Hiebe; aber er besann sich sofort auf alles, was geschehen war.

„Der furchtsame Frosch der Apatschen ist gefangen,“ sagte der schwarze Hirsch.

Bärenherz lachte verächtlich; er sah ein, daß ein stolzes Schweigen hier nicht das Richtige sei.

„Der Löwe der Comantschen lief vor diesem Frosch davon!“ sagte er.

„Hund!“

„Schakal!“

„Bärenherz, der Häuptling, ließ sich besiegen von dem schwarzen Hirsch!“

„Du lügst!“

„Schweig!“

„Nicht du besiegtest mich und auch nicht ein andrer. Dieser Feigling, der ein Graf der Bleichgesichter ist, schlug mich heimtückisch nieder. Das ist es, was ich sage, und weiter hört ihr kein Wort. Bärenherz verachtet die Krieger, welche wie Flöhe davonspringen, wenn der Tapfere sich zeigt!“

„Du wirst schon sprechen, wenn die Marter beginnt.“

Der Apatsche antwortete nicht. Er hatte seine Meinung ausgesprochen, und nun war er der eisenfeste Mann, der sich nicht beschämen ließ. Das sahen die andern ein und darum sagte der Häuptling der Comantschen:

„Der Tag beginnt; unsres Bleibens ist hier nicht. Laßt uns zu Gericht sitzen über diesen Mann, der sich einen Häuptling nennt.“

Es wurde schweigend ein Kreis gebildet, und dann erhob sich der schwarze Hirsch, um in einer langen Rede die Verbrechen des Apatschen aufzuzählen.

„Er hat den Tod verdient,“ sagte er am Schlusse.

Die andern stimmten ein.

„Wollen wir ihn mit in die Wigwams der Comantschen nehmen?“ fragte er.

Auch hierüber wurde beraten, und das Resultat war, daß er hier getötet werden solle, da man unterwegs noch mannigfaltigen Zufälligkeiten ausgesetzt sein konnte.

„Aber welchen Tod soll er sterben?“ fragte der Häuptling.

Auch darüber wurde beraten, aber man kam hier nicht so schnell zu einem Entschlusse, da solch ein seltener Gefangener auch ungewöhnliche Martern erleiden sollte. Da erhob sich Graf Alfonzo, der bisher noch gar nichts dazu gesagt hatte.

„Darf ich mit meinen roten Brüdern sprechen?“ fragte er.

„Ja,“ sagte der Hirsch.

„Habe ich Anteil an diesem Apatschen oder nicht?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Du hast ihn uns versprochen.“

„Wer hat ihn niedergeschlagen?“

„Du.“

„Habt ihr erfüllt, was ihr mir verspracht?“

„Nein. Wir konnten nicht.“

„Nun, so sind also die gegenseitigen Versprechen aufgehoben, und dieser Gefangene gehört nur dem, der ihn niedergeschlagen hat. Beratet darüber!“

Es entspann sich eine kurze, aber lebhafte Debatte, deren Ergebnis war, daß der Apatsche dem Spanier zuerteilt wurde.

„Er ist mein?“ fragte der letztere.

„Ja.“

„Und ich habe also über sein Schicksal zu bestimmen?“

„Ja.“

„Nun gut, so soll es dasselbe sein, welches ich erleiden sollte. Wir binden ihn an diesen Baum und lassen ihn von den Krokodilen fressen. Er soll dieselben Höllenqualen erleiden, welche ich durchkostet habe!“

Auf diese Worte erhob sich ringsum ein beistimmendes Jubelgeschrei, und aller Augen richteten sich nach dem Apatschen, um den Eindruck dieses Entschlusses in seinem Gesichte zu lesen; aber dieses Gesicht war wie aus Erz gegossen; keine Wimper zuckte, und keine Silbe der Bitte kam über seine Lippen.

„Haben wir Lassos genug?“ fragte der Graf.

„Ja. Hier liegen noch dieselben, an denen du hingst, und wer von den Comantschen ein Pferd eingefangen hat, besitzt auch den Lasso.“

Es war nämlich einigen der Indianer gelungen, eines ihrer umherirrenden Pferde zu fangen.

„Gut, so binden wir ihn gerade so, wie er mich gebunden hat!“ sagte Alfonzo.

Dies geschah; dann fragte der schwarze Hirsch den Gefangenen:

„Hat der Häuptling der Apatschen noch eine Bitte?“

Bärenherz blickte die Männer der Reihe nach an; es waren nur ihrer sechzehn, welche sich hier zusammengefunden hatten. Gleich als er, aus seiner Betäubung erwachend, bemerkt hatte, daß er an dem Teiche auf dem Berge El Reparo liege, hatte er gewußt, welches Schicksal seiner harre; darum war er auch nicht erschrocken, als er sein Urteil vernahm. Jetzt blickte er im Kreise umher, als ob er sich die Züge eines jeden eingraben wolle, und dann sagte er:

„Der Häuptling der Apatschen bittet nicht. Das Messer wird alle fressen, welche hier versammelt sind. Bärenherz hat gesprochen; er wird nicht heulen und schreien, wie es der Graf der Bleichgesichter gethan hat. Howgh!“

Das letzte Wort ist bei den Indianern ein Ausruf der Bekräftigung, ungefähr wie unser Amen, Sela oder Basta!

Jetzt kletterte ein kräftiger Comantsche am Baume empor; der Apatsche wurde nachgeschoben und schwebte nach zwei Minuten über dem Wasser, wo die Krokodile ganz dasselbe gräßliche Schauspiel boten, wie es bereits beschrieben worden ist.

Die Comantschen sahen eine Zeitlang zu, wie der Apatsche mit dem kältesten Gleichmute sich bestrebte, seine Füße vor dem Rachen der Ungeheuer zu bewahren, dann wandten sie sich ihren Angelegenheiten wieder zu.

„Kehren meine Brüder in ihre Jagdgründe zurück?“ fragte Alfonzo.

„Erst müssen sie sich rächen,“ antwortete der Häuptling finster.

„Wollen sie mir folgen, wenn ich sie zur Rache führe?“

„Wohin?“

„Das werde ich später sagen, wenn wir gesehen haben, ob wir die einzigen sind, welche übrig geblieben sind.“

„Das müssen wir jetzt bereits wissen,“ behauptete der Anführer. „Wir haben mit unserm weißen Bruder kein Glück.“

„Und ich mit meinen roten Brüdern auch nicht. Sie mögen sich zerstreuen und die ihrigen suchen, welche noch umher irren. Dann, wenn sie versammelt sind, werde ich ihnen sagen, wie sie Rache nehmen können.“

„Wo versammeln wir uns?“

„Hier, an dieser Stelle.“

„Gut, wir wollen thun, was mein weißer Bruder sagt. Vielleicht bringt uns sein zweites Wort mehr Glück, als sein erstes.“

Die Comantschen gingen fort, um nach den Überresten ihrer Truppe zu suchen. Der Graf blieb zurück, weidete sich einige Zeit lang an dem Anblicke, welchen die nach dem Apatschen schnappenden Krokodile boten, und ging dann auch. Er wollte vor allen Dingen einmal hinunter nach dem Bache schleichen, um zu sehen, was Büffelstirn gestern mit seinen Indianern dort vorgenommen hatte. Dies war auch der Hauptgrund, weshalb er die Comantschen veranlaßt hatte, sich zu entfernen.

Kaum war der Schall seiner Schritte verklungen, so zuckte es freudig über das Gesicht des Apatschen und ein leises „Uff!“ ertönte von seinen Lippen. Der Lasso war ihm unter den Armen hindurchgezogen. Er machte einen Aufschwung, gerade wie beim Turnen am Reck, am Trapez oder an den Schwingen; dadurch kamen seine Beine empor, und er hing mit dem Kopfe nach unten, so daß ihn die Krokodile nun nicht mehr erreichen konnten.

Die Arme waren ihm zwar zusammen-, aber glücklicherweise nicht angebunden. Ein Riemen, der um das Fußgelenk ging, hielt ihm die Füße zusammen, aber er konnte doch die Kniee bewegen und auseinander machen. Darauf hatte er seine Hoffnung, sich zu retten, gebaut. Er war stark und gewandt, weit mehr als der Graf, der an eine Rettung gar nicht gedacht hatte, als er am Baume hing.

Es gelang Bärenherz, den Lasso zu ergreifen und auch, zwei Fuß weiter oben, mit den Knieen zu erfassen. Indem er nun den Körper zusammenbog und abwechselnd mit den Händen und Knieen weitergriff, wozu allerdings eine ungewöhnliche Stärke gehörte, turnte er sich an dem Lasso empor, bis er, vor Anstrengung schwitzend, oben bei dem Aste anlangte und nun, indem er sich quer über denselben legte, eine Minute lang ausruhte. Er hatte während der ganzen Prozedur mit dem Kopfe nach unten gehangen und war ganz schwindlig geworden.

Für den Augenblick war er jetzt den Krokodilen entgangen, aber seine Lage war noch eine höchst gefährliche. Kam jetzt einer der Comantschen, oder gelang es nicht, die Fesseln zu lösen, so war er trotzdem verloren.

Er lag mit dem Rücken quer auf dem Aste, gerade so, wie man sich auf das Reck legt, um die Rücken welle zu machen. Er bog die Kniee so weit wie möglich, und dadurch brachte er es fertig, mit den herabhängenden Händen hinten den Riemen zu erreichen, der seine Füße zusammenhielt. Er fand den Knoten und versuchte, ihn zu lösen. Es dauerte lange, sehr lange, aber endlich gelang es ihm, und nun waren die Beine frei. Er bog das eine seitwärts über den Ast herauf und erhob nun den Oberkörper. Dadurch kam er auf den Ast zu sitzen, und zwar so, daß er mit den über dem Rücken gefesselten Händen die Stelle erreichen konnte, an welcher das obere Lasso-Ende am Aste befestigt war. Nach langer Anstrengung, wobei ihm die Fingerspitzen zu bluten begannen, kam er endlich damit zustande, den Riemen zu lösen, und nun galt es nur noch, mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen am Baume hinabzuklettern. Dies wäre sicher ganz unmöglich gewesen, wenn der Baum gerade emporgestanden hätte, zum Glücke aber war er sehr schief über das Wasser gewachsen.

Der Apatsche ritt am Aste hin, bis er den Stamm erreichte. Er schlang die Beine um denselben und ließ den Oberkörper fallen. Dadurch hing er am Baume, mit dem Kopfe niederwärts. Indem er nun die Beine lockerte und schnell wieder um den Stamm preßte, rutschte er in einzelnen kurzen Rucken abwärts und erreichte den Boden glücklich, aber bis auf das äußerste abgemattet. Er war – gerettet.

„Uff!“

Nur diese eine Silbe stieß er hervor, es war der einzige Jubelton, den er sich erlauben durfte. Er warf einen Blick auf die Krokodile, welche jetzt am Uferrande im Wasser lagen und ihn unter dem Auf- und Zusammenklappen ihrer Kinnbacken begierig betrachteten, und eilte dann zwischen die Bäume, um im Walde Sicherheit zu finden.

Nun galt es nur noch, die Hände frei zu bekommen. Indem er zwischen Busch und Fels dahinglitt, blickte sein Auge forschend umher, und endlich fand er, was er suchte, ein Felsstück, dessen Kante scharf genug war, um den Riemen zu zerschneiden. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Kante, und scheuerte nun an derselben die Fessel so lange auf und nieder, bis das Leder zersägt war. Jetzt nun war er vollständig frei und wieder ganz sicher. –

Der Kampf, welcher zuerst innerhalb der Verpallisadierung der Hacienda gewütet hatte, war dann außerhalb derselben im freien Felde fortgesetzt worden; dort hatte er sich zum Einzelkampfe gestaltet, der sich weit von der Wohnung fortgezogen und über eine Stunde in Anspruch genommen hatte.

Dann hatte Büffelstirn die Besatzung der Hacienda zusammengerufen. Die erlegten Indianer lagen in einem weiten Bogen um die Hacienda zerstreut umher, und es war bereits jetzt während der Dunkelheit anzunehmen, daß ihrer weit über hundert gefallen seien.

„Sie haben eine fürchterliche Lehre erhalten und werden nicht so leicht wiederkommen,“ meinte Arbellez, der sich seines Sieges freute.

„Seht diese Haufen, Sennor,“ sagte der alte Franzesco, indem er auf die vor dem Portale hoch über einander liegenden Indianer deutete, „das ist das Werk meiner Kanone. Dieses zerhackte Eisen und Blei und diese Glassplitter wirken schrecklich. Die Körper sind förmlich zerrissen.“

„Wir sind noch nicht fertig,“ meinte Büffelstirn.

„Was ist noch zu thun?“ fragte der Haciendero.

„Wir müssen den Rest der Comantschen auch vertilgen.“ „Wo sind sie denn zu finden?“

„Habt Ihr nicht bemerkt, daß keine der Leichen jenseits des Baches liegt?“

„Ja, sie liegen alle diesseits.“

„Nun, das läßt schließen, daß sie bei der Flucht eine ganz bestimmte Richtung eingehalten haben. Wir wissen, wo sie sich vor dem Überfall befanden.“

„Auf dem El Reparo.“

„Ja. Die Leichen liegen nur nach dieser Richtung hin, und darum ist anzunehmen, daß die Comantschen den Befehl hatten, dort wieder zusammenzutreffen. Wir müssen sie also dort aufsuchen. Vertraut Ihr mir zwanzig von Euren Vaqueros an, Sennor?“

„Gern!“

„Wo mag der Apatsche sein?“ fragte Franzesco.

„Gefangen,“ antwortete der Häuptling der Miztecas.

„Nicht doch!“ rief der Haciendero erschrocken.

„Gewiß!“ sagte der erstere.

„Warum glaubst du das?“

„Weil er nicht da ist.“

„Er wird noch auf der Verfolgung sein!“

„Nein. Er weiß, daß er die Comantschen am Tage sicherer hat als jetzt.“

„So ist er tot oder verwundet!“

„Nein. Wir hätten ihn dann sicher gefunden. Er eilte dem schwarzen Hirsche nach. Die Comantschen, welche ihren Häuptling in Gefahr sahen, werden sich auf den Apatschen geworfen haben. Es waren ihrer zu viele; er wurde überwältigt.“

„So müssen wir ihn befreien!“ sagte Franzesco.

„Wir werden ihn befreien,“ sagte Büffelstirn zuversichtlich. „Ich nehme ihm seine Büchse mit, damit er sogleich Waffen erhält. Steigt zu Pferde!“

Zwanzig Männer saßen auf und ritten im Galopp davon. Sie machten, um von keinem sich auf der Flucht befindlichen Comantschen bemerkt zu werden, einen Umweg, indem sie in einem Bogen den südlichen Abhang des Berges zu erreichen suchten. Sie kamen dort an, als der Morgen dämmerte.

„Absteigen!“ kommandierte Büffelstirn.

„Warum?“ fragte Franzesco, der mit dabei war.

„Weil uns die Pferde hindern, die Feinde unbemerkt zu beschleichen. Sanchez mag bei ihnen hier zurückbleiben.“

So geschah es. Der genannte Vaquero blieb als Wache bei den Tieren zurück, während die andern den Berg unter dem Schutze der Bäume bestiegen. Als sie das Plateau betraten, war es vollständig hell geworden. Sie rückten mit möglichster Vorsicht gegen die Ruinen vor. Eben glitten sie über eine kleine, freie Lichtung hinweg, als seitwärts von ihnen ein Ruf erscholl:

„Ugh!“

Sie blickten nach dieser Richtung hin und gewahrten einen unbewaffneten Indianer, welcher auf sie zugeeilt kam.

„Bärenherz!“ rief einer der Vaqueros.

„Ja, er ist’s! Es ist der Apatsche!“ sagte Büffelstirn mit freudiger Stimme.

„So war er also nicht gefangen.“

„Er war gefangen,“ behauptete Büffelstirn. „Seht ihr nicht, daß er keine Waffen trägt! Er war gefangen und ist wieder entkommen.“

Der Apatsche kam wie ein Pfeil über die Lichtung herüber geglitten und blieb vor ihnen halten.

„Uff!“ begrüßte ihn der Mizteca. „Mein Bruder Bärenherz war gefangen?“

„Ja,“ nickte der Gefragte.

„Es waren der Feinde zu viele, die ihn bewältigten?“

„Nein. Ich kämpfte mit dem schwarzen Hirsche. Da kam das verräterische Bleichgesicht von hinten, ohne daß ich es merkte, und schlug mich mit dem Kolben seiner Flinte nieder.“

„Welches Bleichgesicht?“

„Der Graf.“

„Ah! Er lebt! Die Krokodile haben ihn nicht verzehrt?“ fragte der Mizteca erstaunt.

„Er lebt. Die Hunde der Comantschen haben ihn gefunden und errettet.“

„Und er hat sie nach der Hacienda geführt?“

„Ja. Er hat an ihrer Seite gegen uns gekämpft.“

„Gegen seine eigne Besitzung! Gegen seine eignen Leute! Wir werden seine Kopfhaut nehmen! Wo ist er?“

„Er ist in den Bergen. Er wird wieder zum Teich der Krokodile kommen, um die Comantschen dort zu treffen.“

„Ah, so habe ich recht gedacht! Sie versammeln sich beim Teiche?“

„Sie waren bereits dort. Sie sind in die Ebene gegangen, um ihre zerstreuten Krieger zu suchen; aber sie werden wiederkehren.“

„Weiß mein Bruder dies genau?“

„Ich weiß es, denn ich habe es gehört, als ich am Baume hing.“

„An welchem Baume?“

„Am Baume der Krokodile.“

Büffelstirn machte eine Bewegung des Schreckes.

„Bärenherz hat über den Krokodilen gehangen?“ fragte er.

„Ja.“

„Gerade so, wie der Graf?“

„Gerade so. Der Graf sprach das Urteil, und ich wurde an die Lassos geknüpft.“

„Aber wie ist mein Bruder wieder frei gekommen?“

Bärenherz antwortete im geringschätzigsten Tone:

„Der Häuptling der Apatschen fürchtet sich nicht vor den Comantschen und nicht vor den Krokodilen. Er wartete, bis die Feinde fort waren, und machte sich dann frei.“

„Bärenherz ist ein Liebling des großen Manitou“ sagte Büffelstirn. „Er ist ein starker und kluger Krieger; ein andrer hätte sich nicht befreien können. Wann kommen die Comantschen an den Teich zurück?“

„Sie haben es nicht gesagt. Wir werden uns dort verstecken und sie erwarten.“

„So dürfen wir unsre Spuren nicht bemerken lassen. Hier ist das Gewehr meines Bruders; ich habe es ihm mitgebracht.“

„Die andern Waffen hat der schwarze Hirsch genommen,“ grollte der Apatsche. „Er wird sie mir wiedergeben und die seinigen dazu. Meine Brüder mögen mir Pulver und Kugeln geben, und dann werde ich sie führen.“

Er erhielt das Verlangte, und dann glitten die Männer lautlos durch den Wald, immer ihre Spuren sehr sorgfältig hinter sich verbergend, bis sie den Saum des Forstes erreichten, welcher den Teich umkränzte. Sie sahen, daß keiner der Comantschen zurückgekehrt war, und versteckten sich so gut, daß sie den Platz beherrschten, ohne bemerkt zu werden.

Als ein jeder seine Instruktion erhalten hatte, wie er zu schießen habe, ohne daß zwei Kugeln auf einen Feind kämen, trafen die beiden Häuptlinge wieder zusammen.

„Aber, was thun wir noch?“ sagte Büffelstirn. „Die Comantschen werden sehen, daß der Häuptling der Apatschen entronnen ist. Sie werden ahnen, daß er Hilfe herbeiholen wird.“

„Sie werden es nicht sehen,“ antwortete der Apatsche.

Mit diesen Worten verließ er das Gebüsch und trat hinaus zu der Ceder, an welcher er gehangen hatte. In der Nähe des Stammes lagen noch die Lassos, an welche er gebunden gewesen war. Er nahm einen scharfen Stein und schlitzte mit demselben die unteren Enden der Riemen so auf, daß es ganz den Anschein hatte, als ob sie zerrissen worden seien. Dann kletterte er empor und schlang die oberen Enden genau so wieder um den Ast, wie sie an demselben befestigt worden waren. Nun hatte es ganz den Anschein, als ob der daran Hängende von den Krokodilen herabgerissen worden sei.

Als er von dieser kurzen Arbeit zurückkehrte, sagte Büffelstirn:

„Mein Bruder hat sehr gut gehandelt. Nun werden die Comantschen nicht glauben, daß er den Tieren entkommen ist.“

Sie lagen nun still in dem Verstecke und warteten. Es verging eine geraume Weile, da vernahmen sie den Hufschlag zweier Pferde. Es kamen zwei Comantschen.

„Uff!“ rief der eine, als er sah, daß der Apatsche nicht mehr am Baume hing.

„Er ist fort!“ rief der andre. „Er ist entflohen!“

„Nein,“ sagte der erstere. „Der Lasso ist zerrissen. Die Krokodile haben ihn.“

„Er wird nicht in die ewigen Jagdgründe kommen, denn er wurde von den Tieren gefressen,“ stimmte der andre nun bei. „Seine Seele wird bei den unglücklichen Schatten wandeln, die sich vor Kummer und Unmut verzehren. Der Apatsche ist verflucht in diesem und im andern Leben!“

„Wir sind die ersten. Steigen wir ab, um auf die Brüder zu warten!“

Sie sprangen von ihren Pferden und machten Anstalt, ihre Tiere anzupflocken.

„Wollen wir sie nehmen?“ fragte der Apatsche leise.

„Ja. Aber mein Bruder hat kein Messer,“ antwortete der Mizteca.

Pshaw! Ich werde mir das Messer dieses Comantschen holen!“

Er lehnte sein Gewehr an den Baum und glitt vorwärts. Büffelstirn folgte ihm. Als sie den Rand des Gebüsches erreicht hatten, schnellten sie wie zwei Tiger mit weiten Sätzen auf die beiden Wilden zu, die einen Angriff gar nicht vermuteten. Bärenherz ergriff den einen von hinten bei der Kehle, riß ihm das Messer aus dem Gürtel und stieß es ihm in das Herz. Zwei Minuten später hatte er ihm den Skalp genommen. Büffelstirn hatte ganz dasselbe mit dem andern gethan. Die beiden Comantschen waren gar nicht einmal dazu gekommen, den geringsten Laut auszustoßen.

„Was thun wir mit den Leichen?“ fragte der Mizteca.

„Wir geben sie den Krokodilen.“

Diese Tiere hatten das Nahen von Menschen bemerkt. Sie waren aus dem Grunde empor getaucht und lagen nun in der Nähe des Ufers, halb im Wasser und halb an der Erde, wartend, ob ihnen etwas zufallen würde. Die beiden Häuptlinge nahmen die Waffen der Besiegten und ihre Skalpe zu sich und warfen die Leichen dann den Alligatoren zu. Hei, wie diese mit offenem Rachen sich auf die Beute stürzten! In weniger als einer Minute waren die Erstochenen zerrissen und verschlungen. Nichts blieb von ihnen übrig, als das Stück einer Hand mit zwei Fingern. Die von den Tieren gepeitschten Wellen hatten diesen Rest an das Ufer geworfen, wo er liegen blieb. Übrigens hatten die Häuptlinge dafür gesorgt, daß kein Blut auf dem Rasen vergossen wurde, und dann auch ihre eigenen Fußstapfen sorgfältig verwischt.

Jetzt kehrten sie wieder in ihr Versteck zurück.

Sie hatten da noch nicht lange gewartet, so hörten sie wieder den Hufschlag von Pferden. Es kam ein Trupp von wohl dreißig Comantschen, an ihrer Spitze der schwarze Hirsch. Es ging genau wieder so wie vorhin. Er sah, daß der Apatsche verschwunden war, und hegte zunächst Mißtrauen.

„Uff!“ rief er. „Der Apatsche ist fort!“

Er ritt bis hart an das Wasser heran und gewahrte die dort liegende Hälfte der Hand. Im Nu war er abgestiegen, nahm sie empor und betrachtete sie.

„Uff! Sie haben ihn gefressen. Das ist ein Stück seiner linken Hand. Betrachtet die Lassos!“

Man gehorchte seinem Befehle und fand, daß der Apatsche von den Krokodilen herabgerissen worden sei.

„Er ist in das Reich der Finsternis gegangen. Es wird ihn keiner seiner erschlagenen Feinde bedienen,“ sagte der Häuptling und warf die Hand in das Wasser, wo sie von einem der Alligatoren sofort verschlungen wurde.

Nun stiegen auf seinen Wink auch die andern vom Pferde und lagerten sich an das Wasser.

Es kamen noch mehrere Nachzügler, so daß der Trupp bis fast auf fünfzig Männer anwuchs. Man gab sich gar nicht die Mühe, den benachbarten Teil des Waldes zu durchsuchen, und das war ein sicheres Zeichen, daß der schwarze Hirsch nicht die Absicht hatte, sich hier lange zu verweilen, Er hatte während dieser Zeit in würdevollem Schweigen dagesessen, jetzt aber hörte man seine Stimme:

„Wer hat das Bleichgesicht gesehen?“

„Das Bleichgesicht, welches ein Graf ist?“ fragte einer.

„Ja.“

Es stellte sich heraus, daß keiner der Indianer ihn bemerkt hatte.

„Man suche seine Spur!“

Sie erhoben sich alle, um zu suchen.

„Das wird gefährlich!“ flüsterte der Apatsche.

Büffelstirn nickte zustimmend und sagte:

„Hier haben wir unsre Fährte verwischt; aber, wenn sie weiter fortgehen, so werden sie dieselbe finden. Wir müssen beginnen. Ich gebe das Zeichen.“

Er hustete laut. Dies war nicht etwa eine Unvorsichtigkeit, sondern es hatte zwei gute Gründe. Erstens sollten die Vaqueros bemerken, daß es jetzt losgehe, und zweitens sollten die Feinde dadurch in eine Stellung gebracht werden, in der sie ein gutes, sicheres Ziel darboten.

Es gelang; denn kaum war der scharfe Laut erklungen, so streckten sich die Läufe der zwanzig Büchsen der Vaqueros durch die Büsche, und sämtliche Comantschen richteten sich in eine horchende Stellung empor, wobei sie sich nach den Büschen herumdrehten.

„Feuer!“

Auf dieses Wort des Mizteca krachten zweiundzwanzig Schüsse, noch zwei aus den Doppelbüchsen der Häuptlinge.

Es stürzten ebenso viele Comantschen, alle zum Tode getroffen. Die übrigen sprangen von ihren Sitzen empor und eilten zu ihren Pferden. Es entstand ein Augenblick der größten Verwirrung, während dessen die Vaqueros rasch wieder luden.

Die Comantschen sahen über zwanzig der Ihrigen fallen; sie mußten annehmen, daß eine noch größere Anzahl Weißer in den Büschen stecke; darum versuchten sie gar keinen Angriff, sondern sie warfen sich auf ihre Pferde und jagten davon. Viele von ihnen hatten in der Eile das erste beste Pferd besteigen wollen, der eigentliche Besitzer hatte es streitig gemacht, und dadurch war ein Aufenthalt entstanden, der ihnen verderblich wurde. Es ertönte eine zweite Salve aus den Büchsen der Vaqueros, die beinahe ebenso verderblich wurde, wie die erste.

Bärenherz hatte sich den Häuptling, den schwarzen Hirsch, für sich vorbehalten, darum war von den andern nicht auf ihn gezielt worden. Jetzt sprengte derselbe mit den Übriggebliebenen davon. Da aber trat der Apatsche aus den Büschen heraus und erhob seine Büchse. Er wollte den Comantschen lebendig haben, darum zielte er nur auf das Pferd desselben. Der Schuß knallte, und das Tier ward zum Tode getroffen. Es überschlug sich und warf seinen Reiter ab. Der Apatsche schnellte in weiten Sätzen hinzu und stand bei dem Gestürzten, ehe dieser sich empor gemacht hatte.

Keiner der Comantschen hatte einen Schuß gethan, darum war auch das Gewehr ihres Häuptlings noch geladen. Dieser sprang vollends auf, riß sein Gewehr von der Schulter und legte auf den Apatschen an.

„Hund, du lebst!“ rief er. „Stirb!“

Bärenherz schlug ihm den Lauf des Gewehres zur Seite, so, daß der Schuß fehlging.

„Der Häuptling der Apatschen stirbt nicht von der Hand eines feigen Comantschen,“ antwortete Bärenherz; „ich aber werde deine Seele von dir nehmen, daß sie in den ewigen Jagdgründen mich bedienen soll!“

Mit diesen Worten versetzte er dem Comantschen einen Kolbenschlag, der diesen betäubte; dann faßte er ihn, um ihn zurückzutragen nach dem Orte, wo die Indianer vorher gesessen hatten. Dort wartete er ruhig, bis ihm die Besinnung wiederkehrte.

Die Vaqueros hatten die wenigen Comantschen nicht verfolgt, weil sie dieselben nun für unschädlich hielten. Sie machten sich über die Gefallenen her, um ihnen ihre Waffen und Munition abzunehmen. Die beiden Häuptlinge saßen neben dem schwarzen Hirsch und bekümmerten sich nicht um die Beute.

Der Comantsche wurde gefesselt, wobei ihm die Besinnung zurückkehrte.

„Will der schwarze Hirsch seinen Todesgesang anstimmen?“ fragte Bärenherz. „Er soll diese Gnade haben, ehe er stirbt.“

Der Gefragte antwortete nicht.

„Die Comantschen singen wie die Krähen und Frösche; darum lassen sie sich nicht gern hören,“ spottete Büffelstirn.

Auch jetzt antwortete der Gefangene nicht.

„So wird der Häuptling der Comantschen ohne Todesgesang sterben,“ erklärte der Apatsche.

Jetzt erst sprach der schwarze Hirsch:

„Ihr wollt mich an den Baum hängen?“

„Nein,“ antwortete Bärenherz. „Ich will dich nicht martern; aber die Krokodile sollen dich dennoch fressen, weil du mich ihnen zum Fraße vorgehangen hast. Zuvor aber werde ich dir den Skalp nehmen, um den tapferen Söhnen der Apatschen bei meiner Rückkehr zu zeigen, welch ein Feigling der schwarze Hirsch gewesen ist. Gieb mir das Messer und den Tomahawk, den du mir genommen hast!“

Er nahm die beiden Gegenstände aus dem Gürtel des Gefangenen.

„Du willst mich wirklich skalpieren?“ fragte dieser voller Angst.

„Ja. Deine Haut gehört mir.“

„Bei lebendigem Leibe?“

„Wie anders! Soll ich mir den Skalp aus dem Magen eines Krokodiles holen, nachdem es dich verschlungen hat?“

„Töte mich erst,“ bat er.

„Ah, der Comantsche hat Furcht! Nun soll er keine Gnade finden!“

Er ergriff sein Messer, faßte mit der Linken den Haarschopf des Gefangenen, that mit der Rechten die drei kunstgerechten Skalpschnitte und zog dann den Schopf mit einem kräftigen Ruck vom Kopfe. Er hatte den Skalp in der Hand.

Der schwarze Hirsch stieß ein Gebrüll des Schmerzes aus.

„Uff! Der Comantsche ist ein Feigling! Er schreit!“ sagte Bärenherz.

„Wirf ihn ins Wasser,“ meinte Büffelstirn. „Aber nimm den Fuß dazu, denn er ist nicht wert, daß deine Hand ihn berührt!“

„Mein Bruder hat recht! Ich werde ihn den Krokodilen hinwälzen, wie ein verfaultes Aas, welches man nicht mit der Hand angreift. Der tapfere Häuptling der Comantschen hat geheult wie ein altes Weib. Er soll kein Grabmal haben, weder auf der Spitze eines Berges noch in der Tiefe eines Thales. Die Seinen sollen nicht zu ihm pilgern können, um seine Thaten zu rühmen, sondern er soll begraben sein in dem Magen der Alligatoren, und ich will einen Steinhaufen errichten, auf welchem geschrieben stehet: Hier wurde Tokvi-tey, der Feigling der Comantschen, von den Krokodilen gefressen, gefangen von der Hand Bärenherzens, des Häuptlings der Apatschen.“

Es ist die größte Ehrensache eines Indianers und zumal eines Häuptlings, weder Furcht und Angst zu zeigen, noch selbst beim größten Schmerze einen Laut auszustoßen. Der Comantsche aber hatte im höchsten Grade verächtlich gehandelt. Bärenherz stieß ihn mit dem Fuße in das Wasser, wo die Alligatoren sofort über ihn herfielen.

Dann mußten die Vaqueros dem Apatschen helfen, den Steinhaufen zu errichten. In den größten der Steine grub er die Inschrift ein, von welcher er gesprochen hatte; dann kehrten sie zu den Pferden zurück, die sie nach der Hacienda tragen sollten. Der Apatsche hatte sich mit einem Pferde der Comantschen beritten gemacht. –

Als Graf Alfonzo vorhin den Krokodilenteich verlassen hatte, war er den Berg hinabgestiegen, um zur Höhle des Königsschatzes zu gelangen. Als er den Ort erreichte, fand er einen wüsten Trümmerhaufen, in welchem er mehrere Stunden in fieberhafter Aufregung umhersuchte, aber vergebens. Es war unmöglich, eine Spur der Schätze zu finden, und er nahm zuletzt an, daß sie vollständig fortgeschafft worden seien.

Mit einem wilden Fluche auf den Lippen verließ er die Trümmer, um die Comantschen nicht auf sich warten zu lassen. Er stieg den nördlichen Abhang des Berges hinan, als er den Hufschlag von Pferden hörte und dann acht Comantschen erblickte, welche an dem Orte, wo er sich schnell versteckt hatte, vorüber wollten. Er trat hervor.

„Wohin wollt ihr?“ fragte er.

„Uff! Das Bleichgesicht!“ sagte einer. „Wir reiten nach dem Thale.“

„Warum? Die Eurigen sind doch oben!“

„Sie sind tot!“ knirschte der Sprecher.

„Tot?“ fragte Alfonzo erstaunt. „Wie ist das möglich?“

„Die Bleichgesichter haben uns überfallen.“

„Ah!“

„Es sind viermal zehn getötet worden.“

„Alle Teufel!“

„Und den Häuptling haben die Krokodile gefressen, nachdem der Apatsche seinen Skalp genommen hat.“

„Der Apatsche? – Welcher?“

„Bärenherz.“

„Donnerwetter! Der hing ja am Baume!“

„Er ist wieder los.“

„Hole ihn der Teufel! Wie ist er losgekommen?“

„Die Bleichgesichter, welche sich Vaqueros nennen, werden ihn befreit haben. Wärst du bei ihm geblieben, so hätte es wohl nicht geschehen können.“

„Habt ihr das alles wirklich gesehen?“

„Wirklich! Wir mußten fliehen; da sie uns aber nicht verfolgten, so kehrten zwei von uns heimlich wieder zurück, um sie zu beobachten.“

„Alle Teufel! Nun ist alles aus!“ „Alles! Nur die Rache nicht!“

„Ja, die Rache!“ sagte er nachdenklich. „Was werdet ihr jetzt thun?“

„Wir kehren in die Jagdgründe der Comantschen zurück.“

„Um neue Krieger zu holen?“

„Ja.“

„Ohne den Skalp eines einzigen Feindes mitzubringen?“

„Der große Geist hat uns gezürnt.“

„Und ohne ein Stück der Beute gefunden zu haben?“

„Wir werden später Skalpe und Beute genug bekommen.“

„Wie nun, wenn ich dafür sorge, daß ihr bereits jetzt viel nützliche und schöne Sachen erhaltet, um sie mitzunehmen?“

„Von wem?“

„Von mir.“

„Von dir? Du hast ja selbst nichts, nicht einmal ein Pferd!“

„Ein Pferd werde ich mir auf den Weideplätzen der Hacienda fangen; dann kehre ich nach Mexiko zurück, und ihr sollt mich begleiten.“

„Nach Mexiko? Warum?“

„Ihr sollt mich beschützen. Es ist für einen einzelnen nicht leicht, eine solche Reise zu machen. Begleitet ihr mich und bringt ihr mich glücklich hin, so sollt ihr große Geschenke erhalten.“

„Welche Geschenke meinest du?“

„Wählt euch selbst!“

„Was hast du?“

„Ich bin ein Graf, ein großer Häuptling, und mein Vater hat alles, was ihr begehrt.“

„Hat er Waffen, Pulver und Blei?“

„So viel ihr wollt, könnt ihr haben.“

„Perlen und Schmuck für unsere Squaws?“

„Auch.“

Das schien sie zu locken.

„So begleiten und beschützen wir dich. Willst du jedem von uns ein Gewehr geben?“

„Ja.“

„Zwei Tornahawks und zwei Messer, sowie soviel Kugeln und Blei, als in unsere Tasche geht?“

„Ihr sollt dies alles haben.“

„Und ebenso viel Schmuck?“

„Ihr sollt Ketten und Ringe und Nadeln und Perlen erhalten, daß ihr zufrieden seid.“

„Howgh! Wir gehen mit dir. Aber zwei müssen sich von uns trennen.“

„Warum?“

„Sie müssen nach unsern Weidegründen gehen, um die Rächer der Comantschen zu holen.“

„Dazu ist später Zeit!“

„Nein. Die Rache darf nicht schlafen.“

„So wählt nur zwei aus. Sechs sind auch genug für mich.“

„Aber werden wir auch wirklich erhalten, was du uns versprochen hast?“

„Ich schwöre es!“

„Wir wollen es glauben. Bedenke, daß du sterben müßtest, wenn du uns belogen hättest!“

Jetzt wurden zwei ausgewählt, und zwar durch das Los, da sich keiner freiwillig erbot. Es war jedenfalls angenehmer, nach Mexiko zu reiten, um sich reiche Geschenke zu holen, als zu den Comantschen zurückzukehren, mit Schande beladen. Die übrigen sechs wählten einen Anführer unter sich; dann trennten sie sich von ihren Gefährten, um zunächst ein Pferd für den Grafen einzufangen.

Die zwei wollten es recht klug machen. Anstatt direkt nach dem Norden zu reiten, wo sie dem unglücklichen Kampfplatze nahe gekommen wären, beschlossen sie, zu ihrer Sicherheit einen Umweg zu machen. Sie bogen also nach dem südlichen Abhang des Berges EI Reparo ein, um denselben zu umreiten und dadurch jede feindselige Begegnung zu vermeiden. Sie erreichten dadurch gerade das, was sie vermeiden wollten.

Die Vaqueros hatten die Leichen der getöteten Comantschen ihrer Waffen beraubt und warfen sie dann in den Krokodilteich. Die Alligatoren hatten seit hundert Jahren keine so reichliche Beute erhalten. Dann hatten die Weißen unter Anführung der beiden Häuptlinge ihre Pferde aufgesucht und machten sich nun auf den Weg nach der Hacienda.

Eben als sie den Wald verließen und in die Ebene einbiegen wollten, hielt der Apatsche sein Pferd an.

„Ugh!“ sagte er, nach vorwärts deutend.

Sie sahen zwei Indianer gerade auf sich zukommen und kehrten also schnell unter die Bäume wieder zurück.

„Es sind Comantschen!“ sagte Büffelstirn.

„Sie werden unser!“ fügte der Apatsche hinzu.

„Und zwar lebendig. Nehmt eure Lassos zur Hand!“

Als die Comantschen nahe herangekommen waren, brachen die Vaqueros aus dem Walde hervor. Die Wilden stutzten einen Augenblick, warfen dann aber schnell ihre Pferde herum, um zu fliehen. Es half ihnen aber nichts. Die Verfolger bildeten einen Halbkreis um sie, welcher nach und nach zu einem ganzen Kreise wurde; sie wurden vollständig eingeschlossen.

Nun griffen sie zu ihren Waffen, um ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Sie verwundeten einen der Vaqueros, dann aber schlangen sich die Lassos um ihre Leiber; sie wurden von ihren Pferden gerissen.

Der Apatsche trat vor sie hin und sagte:

„Die Zahl der Comantschen ist sehr klein geworden. Sie werden von den Krokodilen gefressen. Auch euch werden sie lebendig verschlingen, nachdem wir euch die Skalpe genommen haben, wenn ihr nicht unsre Fragen beantwortet.“

Sie schauderten vor dem Tode, den ihr Häuptling erlitten hatte, und der eine fragte:

„Was willst du wissen?“

„Wie viele sind von euch übrig geblieben?“

„Acht.“

„Wo sind die andern sechs?“

„Bei dem Grafen.“

„Wo befindet sich dieser?“

„Wir wissen es nicht.“

Da zog der Apatsche sein Skalpmesser hervor und drohte:

„Wenn ihr nicht die Wahrheit redet, so nehme ich euch den Skalp bei lebendigem Leibe.“

„Und wenn wir bekennen?“

„So sollt ihr eines schnellen Todes sterben.“

„Wirst du uns den Skalp lassen und uns mit unsern Waffen begraben?“

„Ich werde es thun, obgleich die Hunde der Comantschen es nicht verdienen.“

„So frage weiter!“

Die Wilden haben den Glauben, daß, wer ohne Skalp, ohne Waffen und richtiges Begräbnis aus diesem Leben geht, dort nicht in die ewigen Weidegründe gelangen kann.

„Also, wo ist der Graf?“ fragte der Apatsche.

„Er ist nach den Weiden der Bleichgesichter, um dort ein Pferd zu stehlen.“

„Und dann?“

„Dann will er nach Mexiko, wohin ihn die sechs Comantschen begleiten sollen, um ihn zu beschützen.“

„Was hat er ihnen dafür geboten?“

„Flinten, Messer, Blei, Pulver und Schmuck für die Squaws.“

Da schüttelte der Mizteca den Kopf.

„Er braucht keinen solchen Schutz,“ sagte er. „Er könnte Weiße finden, die ihn begleiten. Entweder ist er feiger, als ich dachte, oder er führt noch heimlich etwas im Schilde. Sagt ihr die Wahrheit?“

„Wir lügen nicht.“

„Welche Richtung hat er nach den Weiden eingeschlagen?“

„Grad nach Ost.“

„Wo habt ihr euch von ihm getrennt?“

„Da wo im Norden der Berg das Thal berührt.“

„Ihr traft ihn, als ihr vor uns die Flucht ergrifft und er vom Thale kam?“

„Ja.“

„Hugh! So weiß ich, wo er gewesen ist. Ich werde seine Spur finden. Ihr habt uns geantwortet und sollt einen raschen Tod haben.“

Der Cibolero erhob seine Doppelbüchse und schoß die beiden Indianer durch den Kopf; sie hatten nicht mit den Wimpern gezuckt, als sie die todbringenden Mündungen auf sich gerichtet sahen; sie waren aber doch als Verräter gestorben.

„Sanchez und Juanito bleiben hier, um diese Comantschen mit Steinen zu bedecken, denn wir werden das Wort halten, welches wir ihnen gegeben haben,“ sagte er. „Wir andern aber folgen der Spur des Grafen, um ihn vielleicht doch noch zu erwischen.“

Sie setzten sich unter Zurücklassung der beiden Genannten in Bewegung. Es gelang den scharfen Augen Büffelstirns und Bärenherzens sehr leicht, die Spuren des Grafen nebst denen seiner sechs Begleiter aufzufinden und zu verfolgen. Sie führten allerdings auf die Weideplätze zu, welche sich jetzt nicht unter Aufsicht befanden, da sämtliche Vaqueros auf der Hacienda waren. Es stellte sich heraus, daß man ein Pferd gefangen und dann eine gerade südliche Richtung eingeschlagen habe. Hier wurde der Fährte noch eine ganze Stunde gefolgt, dann aber gebot Büffelstirn Halt.

„Jetzt nicht weiter,“ sagte er. „Wir werden auf der Hacienda gebraucht, und es steht nun wirklich fest, daß der Graf nach Mexiko geht, denn die Spur geht diese Richtung. Er wird uns nicht entgehen, denn wir werden ihn in Mexiko aufsuchen.“

Sie kehrten nach der Hacienda zurück, die sie im Fluge erreichten, da sie jetzt nicht mehr auf Spuren aufzumerken hatten.

Sie fanden dort alles noch in demselben Zustande, in dem sie es verlassen hatten. Die Vaqueros, welche zum Schutze zurückgeblieben waren, schafften die Leichen der Comantschen und die Verschanzungen mit den Kanonen hinweg. Der Haciendero kam ihnen mit einem freudigen Gesichte entgegen.

„Gott sei Dank, daß ihr kommt!“ sagte er. „Wir befanden uns bereits in großer Sorge um euch. Wie ist es gegangen?“

„Der schwarze Hirsch ist tot,“ antwortete Büffelstirn.

„Tot? Ah, ihr habt ihn besiegt?“

„Mein Bruder Bärenherz hat ihm den Skalp genommen.“

„Und die andern?“

„Auch sie sind tot. Von allen Comantschen sind nur sechs entkommen.“

„Wohin sind diese?“

„Nach Mexiko.“

„Nach Mexiko? Wilde Indianer nach Mexiko? Was wollen sie dort?“

„Sie begleiten den Grafen.“

„Ah! Ihr habt ihn gesehen?“

„Wir sahen ihn. Er hat die Gegend der Hacienda verlassen, aber er wird uns nicht entrinnen.“

„Laßt ihn!. Er ist der Herr dieses Hauses, und ich darf nicht mit ihm rechten.“

Die beiden Häuptlinge blickten ihn erstaunt an.

„Er hat die Comantschen nach der Hacienda geführt!“ sagte Büffelstirn.

„Ich bin kein Indianer!“ antwortete Arbellez.

Pshaw! Die Weißen haben kein Blut in ihren Adern! Vergebt ihr dem Grafen; ich habe nichts dawider; aber ich selbst habe ein Wort mit ihm zu sprechen!“

„So glaubt ihr also, daß wir jetzt sicher sind?“ fragte Arbellez.

„Ja.“

„So können wir zu unserem friedlichen Leben zurückkehren. Wo aber begraben wir die Leichen?“

Über das Angesicht des Mizteca glitt ein unbeschreiblicher Zug.

„Nicht in der Erde,“ sagte er.

„Wo sonst?“ fragte Arbellez erstaunt.

„Im Bauche der Krokodile.“

„Oh! Das ist nicht christlich!“

„Ich bin kein Christ, und die Comantschen sind auch keine Christen. Sie sind Feinde der Miztecas, und die Alligatoren der Miztecas haben lange Zeit gehungert. Soll die Hacienda mit diesen Leichen verpestet werden?“

„Hm, das ist richtig! Thut also, was ihr wollt!“

„Kann ich meine zwanzig Vaqueros für heute behalten?“

„Wozu?“

„Sie sollen diese toten Comantschen nach dem Teiche der Krokodile bringen.“

„Behalte sie, wenn es sicher ist, daß wir nicht überfallen werden.“

„Wie steht es mit unserm Bruder Donnerpfeil?“

„Er ist endlich aufgewacht.“

„So werden wir ihn einmal sehen.“

Die beiden Häuptlinge traten in das Haus. Der Mizteca führte den Apatschen in das Zimmer seiner Schwester, wo er das Gold und Geschmeide untergebracht hatte, welches für Helmers bestimmt war. Sie fanden Karja dort. Sie lag in einer Hängematte und stierte still vor sich hin. Als sie die beiden Eintretenden bemerkte, sprang sie empor und fragte:

„Ihr kommt! Ihr seid Sieger?“

„Ja.“

„Und er? Haben ihn die Krokodile?“

„Nein,“ antwortete Büffelstirn, sie scharf beobachtend.

„Nicht?“ Ihr Gesicht verfinsterte sich, und sie fragte: „So habt ihr ihn entkommen lassen, ihn, der meiner Rache verfallen ist?“

Büffelstirn war befriedigt. Er sah, daß sie nur an Rache dachte. Er antwortete:

„Die Hunde der Comantschen haben ihn befreit und meinen Bruder, den Häuptling der Apatschen, an seine Stelle gebunden, damit er von den Krokodilen gefressen werde.“

Die Indianerin blickte den Apatschen erstaunt an. Sie sah mehrere neue Skalpe an seinem Gürtel; sie hatte jetzt zum ersten Male ein Auge für die kriegerisch schöne Erscheinung Bärenherzens, und bei dem Gedanken, daß er von den Krokodilen habe zerrissen werden sollen, überkam sie ein Gefühl, wie sie es bisher noch nie empfunden hatte. Sie erbleichte.

„Den Häuptling der Apatschen? Aber er steht doch unversehrt hier!“ sagte sie.

„Er hat sich selbst befreit und dann die Comantschen besiegt.“

Was in diesen Worten lag, das begriff sie als Indianerin nur zu gut.

„Er ist ein Held!“ sagte sie, indem unwillkürlich ihr Blick voll Bewunderung auf den Apatschen fiel. „Und dieser Graf ist also entkommen?“

„Er ist nach Mexiko.“

„Zu seinem Vater?“

„Ja. Es sind sechs Comantschen bei ihm, um ihn zu geleiten.“

Da streckte sie sich empor und fragte:

„Und du lässest ihn unbelästigt reiten? Gieb mir ein Pferd; ich werde ihm folgen und ihn töten!“

Da lächelte Büffelstirn. So gefiel ihm die Schwester.

„Bleibe!“ sagte er. „Er entkommt uns nicht. Ich werde ihm folgen.“

„Du tötest ihn, wo du ihn triffst?“

„Ja. Er hat die Tochter der Miztecas beschimpft und soll von meiner Hand fallen.“

„Oder von der meinigen,“ sagte der Apatsche ernst.

„Uff! Mein Bruder will mich nach Mexiko begleiten?“ fragte der König der Ciboleros.

Bärenherz blickte in das Gesicht der Indianerin und sah, in welchem Lichte der Blick ihres Auges auf ihm ruhte. Er antwortete: „Karja ist die Schwester des Apatschen; sie soll gerächt werden!“

Er hielt beiden zur Beteuerung die Hände entgegen; sie ergriffen dieselben und drückten sie.

„Bärenherz ist wirklich der Bruder und Freund des Häuptlings der Miztecas; er mag mit mir gehen,“ sagte Büffelstirn, „sobald ich hier fertig bin. Jetzt aber komme er mit zu unsrem weißen Freunde, den ich besuchen will!“

Er, Bärenherz und Karja nahmen die Decken, in welche die Kostbarkeiten gehüllt waren, und trugen sie nach dem Zimmer des Kranken. Dieser lag zwar mit verbundenem Kopfe, aber offenen und hellen Auges in seinem Bette und streckte ihnen die Hände grüßend entgegen. Der Haciendero und seine Tochter saßen bei ihm.

„Ich habe lange, lange ohne Besinnung gelegen,“ sagte er. „Der Keulenhieb muß ein sehr kräftiger gewesen sein. Es ist ein Wunder, daß ich noch lebe oder wieder lebe.“

„Hat mein Bruder große Schmerzen?“ erkundigte sich Bärenherz.

„Eigentliche Schmerzen nicht; der Kopf brummt mir sehr; das ist alles. Wie steht es mit den Comantschen, und wie ist es am Teiche der Krokodile gegangen?“

Sie setzten sich und erzählten ihm ausführlich den Verlauf. Dann gaben sie ihm auch ihre Absicht kund, den Grafen zu verfolgen und, wenn nicht schon unterwegs, so doch dann in der Hauptstadt Rache an ihm zu nehmen. Er hörte ihnen aufmerksam zu und fragte dann:

„Ihr wollt ihn also doch noch töten?“

„Ja,“ antwortete Büffelstirn; „aber vorher werde ich ihn zwingen, sein Versprechen zu halten.“

„Welches?“

„Karja, meine Schwester, zu seiner Frau zu machen. Sie wird mit uns nach Mexiko gehen.“

„Ah! Ist es so!“

„Ja. Man verlobt sich nicht mit einer Tochter der Miztecas und läßt sie dann im Stiche. Sie stammt von alten Königen ab, gegen welche ein weißer Graf nichts, gar nichts ist.“

„So willst du sie zum Weibe des Grafen und dann sogleich zu seiner Witwe machen?“

„Ja.“

„Das wird mein Bruder nicht thun!“

„Warum nicht? Ich habe es beschlossen und werde es also ausführen.“

„Kennst du die Gesetze der Bleichgesichter?“

„Was gehen mich ihre Gesetze an!“

„In diesem Falle viel, sehr viel. Du würdest keinen Priester finden, der es wagte, diese Ehe zu schließen.“

„Ich zwinge ihn!“

„Da gilt sie nachher nichts. Karja ist keine Christin und kann also nicht das Weib eines Christen werden.“

„Ist das wahr?“

„Ja.“

„Uff, uff! So werde ich diesen Vorsatz aufgeben müssen; aber sterben muß er desto sicherer. Darf ich dir zeigen, was ich dir mitgebracht habe?“

Helmers nickte, und da wurden die Decken aufgerollt. Das Gold und die Kostbarkeiten kamen zum Vorscheine.

„Das ist der Teil des Königsschatzes, den ich dir versprochen habe,“ sagte Büffelstirn. „Du konntest ihn nicht selbst nehmen, So habe ich ihn dir mitgebracht.“

„Wirklich, also wirklich? Dein Versprechen war ernst, und all dieser Reichtum soll mir gehören?“

Es war sonderbarerweise kein Blick des Entzückens, den er über die funkelnden Schätze gleiten ließ.

„Er ist dein,“ antwortete der Mizteca. „Du bist nun eins der reichsten Bleichgesichter. Aber dein Auge bleibt ruhig, und dein Gesicht erhellt sich nicht! Hast du keine Freude?“

„O, ich freue mich sehr, sehr, zwar nicht um meinetwillen, denn ich will ein Westmann bleiben und lebe als solcher nicht vom Golde, aber um meines Bruders willen. Du wirst durch dieses Geschenk ein Wohlthäter vieler Menschen werden, denn es wird nicht bloß meinem Bruder, sondern auch den Witwen und Waisen, den Armen und Kranken meines deutschen Vaterlandes gehören. Mir hätte es fast das Leben gekostet; das Gold ist ein teures und gefährliches Metall, und ich verstehe es, daß die roten Krieger nichts von ihm wissen mögen. Aber noch kann ich nicht sagen, ob ich dieses Geschenk annehmen oder zurückweisen werde.“

„Warum? Welche Gründe könntest du haben, es zurückzuweisen?“ fragte der Mizteca erstaunt.

Der Deutsche strich sich mit der Hand langsam und nachdenklich über das Gesicht, sah seine beiden roten Freunde forschend an und antwortete dann:

„Die beiden Häuptlinge, Bärenherz und Büffelstirn, werden meine Worte vielleicht nicht ganz begreifen, denn sie gehören zu den strengen, roten Kriegern, welche gewöhnt sind, sich nur nach dem Gesetze der Vergeltung zu richten. Ich aber denke anders, weil ich ein Schüler und Freund von Winnetou und Old Shatterhand geworden bin, welche nach den Forderungen der Milde und Verzeihung handeln. Auch ich weiß, daß ein Krieger im Augenblicke, wo es gilt, nicht zaudern darf, den Gegner zu vernichten, und als es sich darum handelte, Karja und Sennorita Emma zu befreien und zu beschützen, habe ich unbedenklich auf die Comantschen geschossen; jetzt aber ist die Gefahr vorüber; die Feinde sind besiegt, und weiteres Blutvergießen würde nicht nur unnötig, sondern sogar unmenschlich sein. Von zweihundert Comantschen haben sich nur einige retten können; ist da nicht Blut genug geflossen? Und selbst die Toten sollen nicht in der Erde, sondern im Magen der Krokodile begraben werden? Ist das nicht streng genug, ist das nicht mehr als streng gehandelt? Hat der Graf euch getötet, euer Blut vergossen? Warum wollt ihr das seinige haben? Waren die Augenblicke, als er über den Krokodilen hing, nicht schlimmer als der Tod? Ich glaube, er hat damit genug gebüßt.“

„Genug gebüßt? –“ fragte der Mizteca.

Er wollte weitersprechen; Helmers aber fiel schnell ein:

„Mein Bruder mag jetzt nichts sagen, sondern mich erst anhören. Wenn der Graf sich weiter gegen euch vergeht, so tötet ihn; ich habe dann nichts dagegen; jetzt aber wünsche ich, daß ihr ihn nicht verfolgt; ich bitte euch darum. Falls ihr mir diesen Wunsch erfüllt, werde ich dein Geschenk annehmen, sonst aber nicht.“

„Wirklich nicht?“

„Nein. Du weißt, daß ich dieses mein Wort halte. Laßt mich nicht lange in Ungewißheit darüber, sondern beratet euch. Mit der Erfüllung meiner Bitte macht ihr mir keine geringere Freude als mit dem Golde, an welchem das Blut so vieler Menschen hängt.“

„Uff! Mein Bruder will es so haben, und so werden wir uns sogleich beraten und dann wiederkommen.“

Er stand auf und ging mit seiner Schwester und dem Apatschen fort. Emma Arbellez reichte dem Deutschen die Hand und sagte:

„Das war edel von Euch, Sennor! Ihr habt mir aus dem Herzen gesprochen, und ich danke Euch! Ich werde diesen drei Leuten jetzt nachgehen, um ihnen dieselbe Bitte auszusprechen. Was zwei wünschen, das wird wohl leichter erfüllt, als was nur einer wünscht.“

Sie ging, und ihr Vater begleitete sie. Schon nach einer Viertelstunde kamen sie alle wieder, und Büffelstirn erklärte dem ihn mit Spannung anblickenden Deutschen:

„Du hast gesiegt, und die Namen Winnetous und Old Shatterhands haben dich dabei unterstützt; auch die Sennorita hat uns gebeten, und so wollen wir die Rache ruhen lassen. Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas, hat noch nie etwas, was er thun wollte, unausgeführt gelassen; es geschieht heut zum erstenmal. Es soll kein Blut weiter fließen, und du kannst also das Gold des Königsschatzes von mir annehmen. Willst du das?“

„Ja. Es hängt das Leben vieler Menschen daran; mag es nun noch viel, viel mehr Menschen Glück und Segen bringen. Ich danke euch!“ –

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Die Verkehrten Toasts

Die verkehrten Toasts

Als Treskow seinen Bericht beendet hatte, gab es von seiten seiner Zuhörer eine ganze Menge von Fragen, die er ihnen beantworten sollte. Die Geschichte, besonders das Ende derselben, war ihnen nicht ausführlich genug, und jeder wollte etwas wissen, was er vermißte. Am sonderbarsten kam es ihnen vor, daß Winnetou eine Seereise mitgemacht hatte. Ein Roter und noch dazu dieser Indianer, und eine Reise zur See, das war ihnen unbegreiflich, mir aber nicht, denn ich kannte diese Geschichte längst und wußte auch, daß er nicht nur dieses eine Mal zur See gewesen war.

Während sie noch hin und her sprachen, kamen neue Gäste. Es waren sechs Personen, welche lärmend eintraten und etwas mehr Spiritus genossen zu haben schienen, als ihnen zuträglich war. Sie sahen sich nach Plätzen um, und obgleich genug andre leer waren, zogen sie es vor, sich an meinen Tisch zu setzen.

Am liebsten wäre ich aufgestanden, was sie aber gewiß als eine Beleidigung betrachtet hätten, und da ich keine Veranlassung zu rohen Streitigkeiten geben wollte, so blieb ich sitzen. Sie verlangten Brandy und bekamen welchen, doch wurden sie von Mutter Thick in einer Weise bedient, welche erkennen ließ, daß sie diese Leute lieber gehen als kommen sah.

Bewohner der Stadt konnten sie nicht sein, denn sie hatten außer ihren Messern und Revolvern auch Gewehre mit. Wie echte Rowdies aussehend, stanken sie förmlich nach Schnaps, und es kostete mich wirklich Überwindung, mit ihnen an demselben Tische auszuhalten. Sie führten das große Wort und sprachen so laut und so unausgesetzt, daß von der Unterhaltung der andern Gäste fast nichts zu hören war. Die Ruhe und Gemütlichkeit, welche vorher geherrscht hatten, waren verschwunden.

Der lauteste von ihnen war ein stark und ungeschickt gebauter Kerl mit einem wahren Bullenbeißergesicht. Es war, als ob seine Glieder und seine Gesichtszüge aus Holz roh zugehackt worden seien. Er spielte sich als den Anführer der andern auf, und es war allerdings zu bemerken, daß sie ihn nach ihrer Weise mit einer Art Respekt behandelten.

Sie sprachen von Heldenthaten, die sie begangen hatten und wieder begehen wollten, von Vermögen, welche sie besessen und verjubelt hatten und jedenfalls bald wieder erwerben würden; sie gossen ein Glas nach dem andern hinunter, und als Mutter Thick sie Mahnte, langsamer zu trinken, wurden sie grob und drohten, vom Büffett Besitz zu nehmen und sich selbst zu bedienen.

„Das würde ich mir verbitten,“ antwortete die mutige Wirtin. „Da liegt der Revolver; der erste, der sich an meinem Eigentum vergriffe, würde eine Kugel bekommen!“

„Von dir etwa?“ lachte der Bullenbeißer.

„Ja, von mir!“

„Mach dich nicht lächerlich! In solche Hände gehört eine Nähnadel, aber kein Revolver. Glaubst du wirklich, uns zum Fürchten zu bringen?“

„Was ich glaube oder nicht, das geht Euch nichts an. Jedenfalls bin ich es nicht, die sich fürchtet, und wenn es an einer Hilfe fehlen sollte, so sind Gentlemen genug da, welche sich einer wehrlosen Witfrau annehmen würden!“

„Gentlemen genug?“ wiederholte er ihre Worte höhnisch lachend, indem er von seinem Stuhle aufstand und seinen Blick herausfordernd rundum laufen ließ. „Sie mögen herkommen und probieren, wer den Kürzeren zieht, sie oder ich!“

Es antwortete ihm kein Mensch, ich natürlich auch nicht. Auf einen Widerstand meinerseits schien er überhaupt gar nicht gerechnet zu haben, denn er hatte sie alle angesehen, mich aber nicht. Vielleicht kam ihm mein ruhiges Gesicht so zahm vor, daß er es nicht der Mühe wert hielt, mich überhaupt zu addieren. Ich gehöre nämlich zu denjenigen Menschen, deren Züge grad dann einen recht bescheidenen Ausdruck annehmen können, wenn es in ihrem Innern arbeitet. Einer, der sich für einen großen Psychologen hielt, erklärte mir das einmal mit den Worten: Wenn der Geist sich nach innen zieht, muß außen das Gesicht dumm aussehen; das ist doch selbstverständlich.

Als der Bulldogge sah, daß niemand seiner Aufforderung folgte, wurde er noch kühner als vorher.

„Dachte es mir; es wagt sich keiner her!“ lachte er. „Möchte auch den sehen, der es wagte, einen Gang mit Toby Spencer zu machen! Ich drehte dem Kerl das Gesicht auf den Rücken! Toby Spencer ist nämlich mein Name, und wer wissen will, was für ein Kerl dieser Toby ist, der mag kommen!“

Er streckte die geballten Fäuste aus und ließ den Blick noch einmal herausfordernd um die Runde schweifen. War es wirklich Furcht vor ihm oder nur der Ekel vor einem solchen Menschen, es rührte sich auch jetzt niemand. Da lachte er noch lauter als vorher und rief:

„Seht ihr es, Boys, wie ihnen die Herzen in die Schuhe und Stiefel fallen, wenn Toby Spencer nur ein Wort von sich hören läßt. Es ist wirklich keiner, aber auch kein einziger unter ihnen, der es wagt, nur einen Mucks zu thun. Und das wollen Gentlemen sein!“

Da stand doch einer auf, nämlich derjenige, der die erste Geschichte erzählt und sich für Tim Kroner, den Colorado-Mann ausgegeben hatte. Es war jedenfalls nicht eigentlicher Mut, sondern nur die Absicht, sich als einen tüchtigen Kerl aufzuspielen, was ihn veranlaßte, das Wort zu ergreifen. Er kam einige Schritte näher und sagte:

„Ihr irrt Euch sehr, Toby Spencer, wenn Ihr glaubt, es gebe niemand, der sich an Euch wagt. Das mag bei allen Anwesenden stimmen, aber nicht bei mir.“

„Bei Euch also nicht? So, so!“ antwortete der Rowdy in verächtlichem Tone. „Warum bleibt Ihr denn stehen, wenn Ihr solchen Mut habt? Warum kommt Ihr nicht näher?“

„Ich komme ja schon!“ sprach der andre, indem er noch einige langsame, zögernde Schritte machte und dann wieder halten blieb. Seine Stimme klang aber gar nicht so zuversichtlich wie vorhin, als er an meinen Tisch gekommen war, um mit mir anzubinden. Da Toby Spencer auch etwas vorgetreten war, standen sie nun in ganz geringer Entfernung von einander.

Well! Also Ihr seid der Mann, der sich nicht fürchtet?“ fragte der letztere. „So ein Kerlchen, welches ich mit einem einzigen Finger aus der Balance hebe! Da möchte ich wahrhaftig, ehe ich Euch auffresse, wissen, wie Ihr heißt!“

„Das könnt Ihr erfahren. Ich heiße Tim Kroner.“

„Tim Kroner? Da habt Ihr Euch ja einen recht berühmten Namen zugelegt!“

„Zugelegt? Es ist der meinige!“

„Das mögt Ihr andern weiß machen, aber nur nicht mir!“

„Es ist mein Name, sage ich Euch!“

„Hm! Vielleicht ist’s möglich, daß Ihr so heißt, aber Ihr wollt doch nicht etwa behaupten, der Colorado-Mann zu sein?“

„Grad das behaupte ich!“

„Alle Wetter, wie kommt denn so ein Karnickel, wie Ihr seid, dazu, sich mit dem Namen eines Löwen zu schmücken! ich sage Euch, daß dieser Name Euch nicht gehört, daß Ihr ein Betrüger seid!“

„Oho! Ein Betrüger? Wahrt Eure Zunge, Sir! Man weiß, daß der Colorado-Mann nicht in dieser Weise mit sich sprechen läßt! Soll ich Euch das beweisen?“

„Knirps, beweise es!“

Bei dieser Aufforderung trat Spencer drohend zwei Schritte auf ihn zu; er wich vorsichtig ebenso weit zurück und antwortete:

„Das habe ich gar nicht nötig. Was alle Welt weiß, das brauche ich nicht zu beweisen!“

„Eigentlich richtig, denn der wirkliche Tim Kroner ist ein Kerl, der Haare auf den Zähnen hat; da du aber dieser echte nicht bist, hast du zu zeigen, ob dein Mut wirklich bis her zu mir reicht. Also, go on!“

Er machte wieder zwei Schritte vorwärts.

„Ja, come on!“ rief der andre, indem er aber zwei Schritte rückwärts machte.

„So bleib doch stehn, du großer Held mit dem Maule! Warum retirierst du denn? Giebt sich dieser Mensch für den Colorado-Mann aus, den ich so gut kenne wie mich selbst! Diesem Übermute muß ein Dämpfer aufgesetzt werden. Also halte stand, und faß an, sonst nagele ich dich an die Wand, daß du daran kleben bleibst.“

Er ging abermals vorwärts; der falsche Tim Kroner wich auch jetzt wieder zurück, indem er sich auf die Verteidigung durch das Mundwerk legte:

„Ich bin der echte Colorado-Mann! Wenn ein andrer sich für mich ausgiebt, ist er ein Lügner!“

Pshaw! Möchte den vernünftigen Mann sehen, dem es einfallen könnte, sich für dich auszugeben! Wenn du geglaubt hast, es bedürfe nur dieses Namens, mich zurückzuschrecken, so hast du dich nicht nur geirrt, sondern dich so verrechnet, daß das ganz entgegengesetzte Resultat herauskommt: Ich werde dich ein wenig höher hängen, damit die Leute sehen, was für ein berühmter und mutiger Colorado-Tim du bist. Komm also her, mein Bürschchen, nur her zu mir!“

Er gab ihm zwei blitzschnelle, gewaltige Hiebe auf die Achseln, nahm ihn dann bei den Oberarmen, drückte sie ihm an den Leib, schob ihn an die Wand und hob ihn so empor, daß er mit dem Kragen an einem Kleiderhaken hängen blieb. Das war kein ganz gewöhnliches Kraftstück, und er führte es aus, ohne daß man ihm dabei eine Anstrengung anmerkte. Der andre begann, als er an der Wand hing, zu schreien und zu zappeln, was bei seiner langen, dürren Gestalt sehr wunderlich aussah, bis der Kragen seines Büffellederrockes zerriß und er zu Boden fiel. Spencer lachte aus vollem Halse; seine Gefährten stimmten ein, und auch die andern konnten nicht ganz ernst dabei bleiben, obgleich der Rowdy gar nicht ihren Beifall hatte. Dieser schickte dem still auf seinen Platz zurückkehrenden „Colorado-Mann“ sein Gelächter nach und schien dadurch in friedliche Stimmung zu geraten, denn er sah von einer weiteren Herausforderung ab und setzte sich wieder nieder, um mit seinen Kameraden die lärmende Unterhaltung fortzusetzen. Dabei hatte ich das große Glück, daß er mich nun endlich seiner Aufmerksamkeit würdigte. Er fixierte mich mit neugierigem Blicke und richtete dann die etwas sonderbare Frage an mich:

„Seid wohl auch so ein Colorado-Mann wie der da drüben, he?“

„Glaube nicht, Sir,“ antwortete ich ruhig.

Man war an allen Tischen still, um zu hören, was nun kommen werde. Vielleicht gab es wieder etwas zum Lachen.

„Also nicht?“ fuhr er fort. „Ihr scheint mir aber auch kein Held zu sein!“

„Gebe ich mich etwa für einen aus? Ich schmücke mich nicht mit falschen Federn.“

„Das ist Euer Glück, sonst würde ich Euch auch an den Nagel hängen!“

Da ich hierauf schwieg, fuhr er mich an:

„Glaubt ihr es etwa nicht?“.

„Hm! Ich glaube es ganz gern.“

„Im Ernste? Toby Spencer ist nämlich nicht der Mann, mit dem man Späße treibt!“

Es war klar, daß er nun mit mir Streit suchte. Ich sah den besorgten Blick, den Mutter Thick auf mich warf, und that ihr den Gefallen, sehr höflich zu antworten:

„Davon bin ich überzeugt, Sir. Wer die Körperstärke besitzt, einen so langen Menschen wie den da drüben an den Nagel zu hängen, der hat es gar nicht nötig, sich von andern Leuten foppen zu lassen.“

Sein boshaft auf mich gerichteter Blick wurde milder, und sein Gesicht nahm einen fast freundlichen Ausdruck an, als er jetzt in befriedigtem Tone sagte:

„Habt recht, Sir. Ihr scheint kein ganz unrechter Kerl zu sein. Wollt Ihr mir sagen, was für eine Art von Metier Ihr habt?“

„Hm! Eigentlich keins.“

„Wie meint Ihr das?“

„Weil ich grad jetzt gar nichts betreibe.“

„So habt Ihr wohl Ferien?“

Yes.“

„Und viel Zeit übrig?“

„Sehr viel.“

„Was thut Ihr denn aber, wenn Ihr keine Ferien habt? Ihr müßt doch irgend etwas sein oder irgend etwas machen. Oder nicht?“

„Freilich wohl.“

„Nun, was?“

„Ich habe mich schon in verschiedenen Branchen versucht.“

„Es aber zu nichts gebracht?“

„Leider!“

„Was waret Ihr zuletzt?“

„Zuletzt bin ich in der Prairie gewesen.“

„In der Prairie? Also Jäger?“

„So ähnlich.“

„Könnt Ihr denn schießen?“

„So leidlich.“

„Und reiten?“

„So, daß ich nicht grad herunterfalle.“

„Ihr scheint mir aber von etwas ängstlicher Natur zu sein!“

„Wirklich?“

„Ja.“

„Hm! Es kommt auf die Verhältnisse an. Mut soll man nur zeigen, wenn es nötig ist, sonst ist es Prahlerei.“

„Das ist sehr richtig! Hört, Ihr beginnt, mir zu gefallen. Ihr seid ein bescheidener Boy, der zu brauchen ist. Ein großer Westmann seid Ihr freilich nicht; das sieht man Euch mit jedem Blicke an; aber wenn ich wüßte, daß Ihr nicht grad ein ausgemachtes Greenhorn wäret, so – – –“

„So – – – ?“ fragte ich, weil er den Satz nicht ganz aussprach.

„So würde ich fragen, ob Ihr Lust habt, mit uns zu gehen.“

„Wohin?“

„Nach dem Westen.“

„Der ist groß. Es wäre mir lieber, eine bestimmte Gegend zu hören.“

„Die kann ich Euch sagen. Also Ihr habt Zeit, und es hält Euch nichts hier zurück?“

„Gar nichts.“

„So sagt, ob Ihr mit wollt!“

„Ehe ich das sagen kann, muß ich doch erst wissen, wohin Ihr gehen und was Ihr dort treiben wollt.“

Well, auch das ist richtig und vernünftig. Wir wollen ein wenig ins Colorado hinauf, nach dem Parke von San Louis so ungefähr. Seid Ihr vielleicht schon einmal da oben gewesen?“

„Ja.“

„Was? So weit? Das hätte ich Euch nicht zugetraut! Ist Euch die Gegend der foam-cascade bekannt?“

„Nein.“

„So! Dahin wollen wir. Dort oben in den Parks wird in neuerer Zeit wieder eine solche Menge von Gold gefunden, daß man die Gelegenheit nicht versäumen darf.“

„Ihr wollt graben?“

„Hm – jaaa – aaa!“ dehnte er.

„Und wenn Ihr nichts findet?“

„So finden andre etwas,“ antwortete er mit einem bezeichnenden Achselzucken. „Man braucht nicht grad Digger zu sein, um in den Diggins etwas zu verdienen.“

Es konnte ihm nicht einfallen, sich deutlich auszudrücken; ich wußte trotzdem, was er meinte. Er wollte ernten, wo er nicht gesäet hatte.

„Daß wir nichts finden, darüber braucht Ihr Euch nicht zu sorgen,“ fuhr er fort, um mir Lust zu machen. Es war ihm Ernst damit, mich mitzunehmen, denn je zahlreicher seine Gesellschaft war, desto bessere Geschäfte mußte sie machen, und mich hielt er für einen Mann, den man ausnutzen und dann fortjagen, wenn nicht noch schlimmeres, konnte. „Wir sind alle überzeugt, daß wir gute Ausbeute machen werden, denn wir haben einen Mann bei uns, der sich darauf versteht.“

„Einen Geologen?“

„Er ist noch mehr als Geolog; er besitzt alle Kenntnisse und Erfahrungen, die in den Diggins nötig sind. Ihr werdet nicht daran zweifeln, wenn ich Euch sage, daß er ein Offizier von höchstem Range ist, nämlich General.“

„General?“ fragte ich, indem mir ein Gedanke kam. „Wie heißt der Gentleman?“

„Douglas. Er hat eine Menge Schlachten mitgemacht und dann in den Bergen sehr eingehende wissenschaftliche Forschungen angestellt, deren Ergebnis die Überzeugung ist, daß wir Gold, sehr viel Gold finden werden. Nun, habt Ihr Lust?“

Wenn es wirklich seine Absicht gewesen wäre, nach Gold zu graben, so hätte er sich sehr gehütet, hier, vor so vielen Zeugen, davon zu sprechen; er hatte also etwas ganz andres vor, und daß dies nichts Gutes war, erhellte daraus, daß der Quasi-General zu der Gesellschaft gehörte. Daß dieser sich noch Douglas nannte und keinen andern Namen angenommen hatte, war von ihm eine Unvorsichtigkeit, die ich kaum begreifen konnte.

„Nein, Sir, ich habe keine Lust,“ antwortete ich.

„Warum nicht?“

„Sehr einfach, weil mir die Sache nicht gefällt.“

„Und warum gefällt sie Euch nicht?“

Seine vorher freundlichen Züge verfinsterten sich mehr und mehr und wurden schließlich drohend.

„Weil sie nicht nach meinem Geschmacke ist.“

„Und was für eine Art von Geschmack habt Ihr, Sir?“

„Die Art, welche es mit der Ehrlichkeit hält.“

Dann sprang er auf und schrie mich an:

„Alle Teufel! Wollt Ihr etwa sagen, daß ich nicht ehrlich bin?“

Auch einige von den andern Gästen standen auf. Sie wollten die Scene genau sehen, welche jetzt unbedingt erfolgen mußte.

„Ich habe mich um Eure Ehrlichkeit ebensowenig zu bekümmern wie Ihr Euch um meinen Geschmack,“ antwortete ich, indem ich ruhig sitzen blieb, ihn aber scharf im Auge behielt. „Wir gehen einander nichts an und werden uns in Ruhe lassen!“

„In Ruhe lassen? Das bildet Euch nur ja nicht ein! Ihr habt mich beleidigt, und zwar in einer Weise, daß ich Euch zeigen muß, wer Toby Spencer eigentlich ist.“

„Das braucht Ihr mir nicht erst zu zeigen.“

„So? Ihr wißt es wohl schon?“

„Ja.“

„Nun, was bin ich denn?“

„Grad das, was ich auch bin, nämlich Gast bei Mutter Thick, und als Gast hat man sich anständig zu betragen, wenn man anständig behandelt sein will.“

„Ah! Und wie wollt Ihr mich denn behandeln?“

„So, wie Ihr es verdient. Ich habe Euch nicht aufgefordert, Euch zu mir zu setzen; es waren genug andre Plätze da. Ich habe auch nicht von Euch verlangt, mit mir zu sprechen. Und nachdem ich von Euch ins Gespräch gezogen worden bin, habe ich höflich und sachgemäß geantwortet. Eure Pläne und Absichten sind mir vollständig gleichgültig; da Ihr mich aber fragtet, ob ich mit Euch nach Colorado wolle, habe ich Euch ruhig gesagt, daß ich keine Lust habe. Wie Euch das in Zorn versetzen kann, begreife ich nicht!“

„Ihr habt von Ehrlichkeit gesprochen, Boy! Das dulde ich nicht!“

„Nicht? Hm! Ich denke, ein ehrlicher Mann kann ruhig von Ehrlichkeit sprechen hören, ohne darüber in solchen Grimm zu geraten.“

„Mann, nehmt Euch in acht! Das ist wieder eine Beleidigung, die ich mir sehr stark – – –“

Er wurde von der Wirtin unterbrochen, welche ihn aufforderte, Ruhe zu halten; er hob den Arm gegen sie.

„Begebt Euch nicht in Gefahr, Mutter Thick!“ bat ich sie. „Ich bin gewöhnt, für mich selbst zu sorgen, und pflege stets mein eigner Schutz zu sein.“

Das brachte den Rowdy in noch größere Wut. Er schrie mich an:

„Dein eigner Schutz? Nun, so schütze dich! Hier, das ist für die Beleidigung!“

Er holte mit der Faust zum Schlage aus; darauf war ich gefaßt. Ich hatte im Nu das Bierglas ergriffen und parierte mit ihm den Hieb. Anstatt daß dieser mich traf, wurde er von dem Glase aufgefangen, welches sogleich in Stücke ging. Zugleich sprang ich auf und stieß dem Kerl die Faust mit solcher Gewalt von unten herauf unter das Kinn, daß seine Gestalt, so stark und schwer sie war, hintenüberflog und, einen Tisch und mehrere Stühle umreißend, zur Erde stürzte.

Der war besorgt, und ich hatte zunächst meine Augen auf seine Genossen zu richten, denn daß diese seinen Fall rächen würden, das war sicher. Sie drangen auch sofort mit wildem Geschrei auf mich ein. Zwei Fausthiebe von mir, und zwei von ihnen flogen, der eine nach rechts und der andre nach links auseinander; dem dritten fuhr ich mit beiden Fäusten gegen die Magengrube, daß er mit einem überschnappenden Schrei zusammenknickte; die beiden letzten wichen bestürzt zurück.

Jetzt aber hatte sich Spencer wieder aufgerafft; seine Hand blutete vom Glase, und noch mehr Blut floß ihm aus dem Munde; er hatte sich bei meinem Fausthiebe unter das Kinn in die Zunge gebissen. Mir das Blut entgegenspuckend, brüllte er:

„Hund, das ist dein Tod! So ein Kerl, der nicht einmal weiß, was für ein Metier er hat, wagt es, sich an Toby Spencer zu vergreifen! Ich werde – –“

„Halt! Augenblicklich die Hand vom Gürtel!“ unterbrach ich ihn, denn er griff nach dem Revolver; zugleich zog ich den meinigen und richtete den Lauf auf ihn.

„Nein, sondern die Hand in den Gürtel!“ schäumte er. „Meine Kugel soll dich – –“

„Noch einmal, fort mit der Waffe, sonst schieße ich!“ fiel ich ihm wieder in die Rede.

Er zog sie dennoch. Ich zielte auf seine Hand; er stieß einen Schrei aus, ließ sie sinken, und der Revolver fiel zu Boden.

„Hände hoch! Augenblicklich ihr alle, Hände hoch! Wer nicht gehorcht, bekommt die Kugel!“ befahl ich nun.

„Hände hoch!“ ist im Westen ein gefährliches Wort. Wer zuerst die Waffe in der Hand hat, der befindet sich im Vorteile. Um sich selbst zu retten, darf er den Gegner nicht schonen. Wenn er Hände hoch! gebietet und es wird nicht augenblicklich gehorcht, so schießt er unbedingt; das weiß jedermann. Auch diese sechs Personen wußten es; ich hatte zu dem ersten schnell noch einen zweiten Revolver gespannt, und sie mußten überzeugt sein, daß ich meine Drohung wahr machen würde. Ich befand mich in Notwehr und konnte sie nach allem Rechte erschießen; darum fuhren, als ich den Befehl kaum ausgesprochen hatte, zehn Arme in die Höhe, diejenigen von Toby Spencer auch. Sie vor den Läufen der Revolver behaltend, warnte ich sie:

„Behaltet ja die Hände oben, bis wir miteinander fertig sind; ich habe noch elf Kugeln! Wie steht nun Toby Spencer da, der berühmte, große Held? jetzt hat er es mit keinem falschen Coloradomann zu thun und wird wohl einsehen, daß ich mich auf mein Metier verstehe. Mutter Thick, nehmt den Kerls die Gewehre, Revolver und Messer weg, und schließt sie ein! Morgen früh mögen sie schicken oder selber kommen, um sie abzuholen. Und untersucht ihre Taschen nach dem Gelde! Ihr zieht ihnen die Zeche ab, die sie gemacht haben und den Preis des Glases, welches Spencer zerschlagen hat; dann mögen sie sich trollen.“

Mutter Thick war schnell bei der Hand, diese Weisungen auszuführen, und es sah sich eigentlich komisch an, wie die sechs Menschen mit hoch erhobenen Armen um den Tisch standen und nicht wagten, sich zu bewegen. Zu welcher Sorte von Leuten sie gehörten, zeigte sich durch die Reichtümer, welche sie besaßen. Sie hatten zusammen nur wenige Cents über den Betrag der Zeche. Als die Wirtin dieses Geld eingesteckt hatte, sagte ich:

„Nun macht die Thür auf, Mutter Thick; sie mögen hin ausmarschieren. Draußen können sie die Arme sinken lassen, eher aber nicht, sonst schieße ich noch im letzten Augenblicke.“

Die Thür wurde geöffnet.

„Hinaus mit euch! jetzt wißt ihr nun, ob ich ängstlicher Natur bin oder nicht!“

Sie marschierten mit hoch erhobenen Händen einer hinter dem andern hinaus. Der letzte war Spencer. Ehe er den letzten Schritt that, drehte er sich um und drohte, halb brüllend und halb zischend:

„Auf Wiedersehen! Dann aber hebst du die Arme in die Höhe, Hund!“

Als die Wirtin die Thür hinter ihnen zugemacht hatte, steckte ich die Revolver wieder ein, setzte mich nieder und bat um ein andres Glas. Die allgemeine Spannung löste sich in einem Hauche, der hörbar durch den Gastraum ging. So hatten sich die guten Gentlemen das Ende nicht gedacht! Als Mutter Thick mir das Bier brachte, gab sie mir die Hand und sagte:

„Ich muß mich wieder bei Euch bedanken, Sir. Ihr habt mich von diesen Menschen befreit, die wer weiß was noch angefangen hätten. Und wie habt Ihr das fertig gebracht! Ich hatte wirklich Angst um Euch, als es losging, jetzt freilich weiß ich, daß Ihr keine Frau zu Eurem Schutze braucht. Ihr sollt das beste Zimmer bekommen, welches ich habe. Aber nehmt Euch ja vor diesen Leuten in acht! Sie fallen ganz gewiß bei der ersten Begegnung über Euch her.“

Pshaw! Ich fürchte mich nicht.“

„Nehmt es nicht zu leicht! Derartige Halunken kommen nicht von vorn, sondern hinterrücks.“

Ich sah dann, daß sie nach mir gefragt wurde, doch konnte sie keine Auskunft geben. Man hätte wahrscheinlich gern gewußt, wer ich war, doch hatte ich keine Gründe, Bekanntschaften anzuknüpfen, die nur die Dauer von höchstens zwei oder drei Tagen haben konnten; länger wollte ich nicht in Jefferson bleiben.

Als ich mir dann meine Stube anweisen ließ, sah ich, daß Mutter Thick Wort gehalten hatte; ich wohnte so gut und sauber, wie ich es nur wünschen konnte, und schlief weit besser, als ich vorher vermutet hatte; denn wenn der Westmann zum erstenmal in einem geschlossenen Raum schläft, pflegt er gewöhnlich kein Auge zuzuthun.

Am nächsten Morgen sorgte ich dafür, daß mein äußerer Mensch ein besseres Aussehen erhielt, und dann suchte ich das Bankhaus Wallace und Co. auf, um mich nach Old Surehand zu erkundigen. Ich war höchst neugierig auf das Verhältnis, in welchem Old Surehand zu diesem Hause stand, und auf den Bescheid, den man mir geben würde.

Ich hatte von Mutter Thick aus nicht weit zu gehen, denn das Geschäft lag in derselben Straße. Als ich in der Office nach Mr. Wallace fragte, sollte ich meinen Namen nennen; aber weil ich nicht wußte, wie die Verhältnisse standen, verschwieg ich ihn lieber. Es ist oft gut, wenn man nicht gekannt wird, und ich hatte viele Vorteile, die ich auf meinen Wanderungen errang, nur dem Umstande zu verdanken, daß man nicht wußte, wer ich war.

„Sagt Mr. Wallace, ich sei ein Bekannter von Old Surehand,“ sagte ich.

Kaum hatte ich diesen Namen ausgesprochen, so fuhren die Köpfe sämtlicher Clercs nach mir herum. Ich wurde in der erbetenen Weise angemeldet und dann in ein Zimmer geführt, in welchem ein einzelner Herr am Schreibtische saß und sich bei meinem Eintritte schnell erhob. Er war ein Yankee mit einem recht sympathischen Gesichte und stand in den mittleren Lebensjahren. Den Blick forschend und erwartungsvoll auf mich gerichtet, stellte er sich vor:

„Ich heiße Wallace, Sir.“

„Und mich nennt man Old Shatterhand. Ich weiß nicht, ob Ihr diesen Namen schon einmal gehört habt.“

„Oft, sehr oft, und zwar in einer Weise, die es mir zur Ehre macht, Euch bei mir zu sehen. Seid mir herzlich willkommen und nehmt hier nahe Platz, Mr. Shatterhand! Ihr seid natürlich soeben erst in Jefferson-City angekommen?“

„Nein, ich bin seit gestern hier.“

„Was? Ohne mich sofort aufzusuchen? Wo habt Ihr gewohnt, Sir?“

„Bei Mutter Thick, hier in derselben Straße.“

„Kenne sie; eine brave, ehrliche Frau, aber keine Wirtin für einen Gentleman wie Old Shatterhand!“

„O, ich wohne da vortrefflich und bin ganz zufrieden.“

„Ja, weil Ihr das Lagern im Freien bei jeder Witterung gewöhnt seid; darum sind Eure Ansprüche so bescheiden. Aber wenn Ihr Euch einmal an einem civilisierten Orte befindet, müßt Ihr Euch erholen und Euch bieten, was Ihr Euch bieten könnt; das seid Ihr Eurer körperlichen und auch geistigen Gesundheit schuldig.“

„Grad dieser Gesundheit wegen will ich keine großen Unterschiede, Sir.“

„Mag sein! Aber ich hoffe, daß Ihr meine Einladung annehmt und während Eures hiesigen Aufenthaltes bei mir wohnt!“

„Verzeiht es mir, daß ich mit bestem Danke ablehnen muß! Ich gehe wahrscheinlich schon morgen von hier fort; ferner liebe ich es, vollständig unabhängig zu sein und unabhängig handeln zu können, was aber nicht der Fall sein würde, wenn ich bei Euch wohnte. Und sodann bin ich es Mr. Surehand schuldig, Euch nicht zu belästigen.“

„Wie so?“

„Ihr kennt ihn gut?“

„Ja.“

„Vielleicht sogar genau?“

„Genauer als jeder andre Mensch; ich will Euch sogar aufrichtig sagen, daß wir verwandt miteinander sind.“

Well! Er hat mich gebeten, nicht nach seinen Verhältnissen zu forschen. Wenn ich bei Euch wohnte, würde mir wahrscheinlich manches nicht entgehen oder ich würde manches erraten, was ich nicht zu wissen brauche.“

„Hm!“ nickte er nachdenklich. „Diesen Grund und auch den von Eurer Selbständigkeit muß ich freilich gelten lassen; ich will also nicht in Euch dringen; aber willkommen, höchst willkommen würdet Ihr mir sein; das will ich Euch aufrichtig sagen.“

„Danke, Mr. Wallace! Der Grund meines Besuches ist nur der, zu fragen, ob Ihr wißt, wo er sich jetzt ungefähr befindet.“

„Er ist hinauf in die Parks.“

„Nach welchem?“

„Zunächst nach dem von San Louis.“

„Ah! Wann ist er fort von hier?“

„Vor drei Tagen erst.“

„Da kann ich ihn ja einholen.“

„Ihr wollt hinauf? Ihr wollt zu ihm?“

„Ja. Winnetou reitet mit.“

„Auch Winnetou? Das freut mich; das freut mich ungemein! Wir stehen immerfort so große Sorge um ihn aus; die Gründe kann ich nicht sagen. Wenn wir da zwei solche Männer bei ihm wissen, können wir viel ruhiger sein. Ihr habt ihm schon einmal das Leben gerettet; darum denke ich, daß – –“

„O bitte!“ schnitt ich ihm das Lob ab. „Ich will, wie gesagt, nicht in seine Geheimnisse dringen; aber kann ich vielleicht erfahren, ob er damals in Fort Terrel den gesuchten Dan Etters gefunden hat?“

„Nein. Etters ist gar nicht da gewesen.“

„Also war es eine Lüge des Generals?“

„Ja.“

In diesem Augenblicke kam ein Clerc herein und zeigte ein Papier mit der Frage vor, ob es honoriert werden solle.

„Ein Check über fünftausend Dollars von Grey und Wood in Little Rock,“ las Wallace. „Ist gut und wird ausgezahlt.“

Der Clerc entfernte sich. Nach einiger Zeit ging ein Mann an unserm Fenster vorüber; ich sah ihn und der Bankier auch.

„Himmel!“ rief ich aus. „Das war der General!“

„Wie? Meint Ihr den General, der Old Surehand so unnötigerweise nach Fort Terrel geschickt hat?“

„Ja.“

„Er ging hier vorbei, muß also in meiner Office gewesen sein. Erlaubt mir, einmal nachzufragen, was er gewollt hat!“

„Und ich muß sehen, wohin er geht!“

Ich eilte hinaus, aber er war verschwunden. Ich ging bis zur nächsten Straßenkreuzung, sah ihn aber auch da nicht. Das konnte mich freilich nicht enttäuschen, denn ich hatte ja nichts mehr mit ihm zu thun. Nur hatte ich mich, falls er mich sah, vor einem hinterlistigen Angriffe zu hüten. Als ich zu Wallace zurückkehrte, erfuhr ich, daß der General es gewesen war, der den Check präsentiert hatte. Natürlich hatte ihn niemand gekannt.

Wallace lud mich, da ich nicht bei ihm logieren wollte, wenigstens zum Frühstück ein. Ich wurde von den Seinen so aufgenommen, daß ich mich bewegen ließ, bis zum Diner zu bleiben, und als dies vorüber war, wurde ich noch so lange festgehalten, daß das Souper beinahe schon serviert wurde. Es war also fast neun Uhr, als ich den Rückzug zu Mutter Thick antrat. Vorher mußte ich Wallace versprechen, ihn, wenn es mir möglich sei, vor meiner Abreise noch einmal zu besuchen.

Die Wirtin hatte Lust, mit mir zu schmollen, weil ich so lange weggeblieben war. Sie gestand mir, heut ‚was ganz Besonderes für mich gebraten zu haben, was aber, weil ich nicht gekommen sei, Mr. Treskow gegessen habe. Die gestrigen Gäste waren wieder da, und es gab da eine Unterhaltung, welche der gestrigen ähnlich war.

Auf mein Befragen erfuhr ich, daß Toby Spencer gleich nach meinem Fortgange die konfiszierten Waffen hatte holen lassen. Ich hatte mich so gesetzt, daß ich den Eingang sehen konnte; darum war ich einer der ersten, welcher zwei Männer eintreten sah, auf die sich bald die Blicke aller Anwesenden richteten. Ihre äußere Erscheinung war freilich ganz geeignet, die größte Aufmerksamkeit zu erregen.

Der eine war kurz und dick, der andre lang und dünn. Der Dicke hatte ein bartloses, sonnverbranntes Gesicht; dasjenige des Langen war ebenso von der Sonne gefärbt, welche ihm aber fast die ganze Fruchtbarkeit entzogen zu haben schien, denn der Bart, den er trug, bestand aus nur wenigen Haaren, die von den Wangen, dem Kinn und der Oberlippe fast bis auf die Brust herniederhingen und ihm ganz das Aussehen gaben, als ob er von den Motten zerfressen und gelichtet worden sei. Sah man es diesen beiden Männern schon in Beziehung auf ihre Persönlichkeiten an, daß sie keine gewöhnlichen Leute waren, so mußten sie durch die Art, wie sie sich gekleidet hatten, doppelt auffällig werden. Sie trugen sich nämlich von den Köpfen bis zu den Füßen herunter zeisiggrün. Kurze, weite, zeisiggrüne Jacken, kurze, weite, zeisiggrüne Hosen, zeisiggrüne Gamaschen, zeisiggrüne Schlipse, zeisiggrüne Handschuhe und zeisiggrüne Mützen mit zwei Schirmen, hinten einen und vorn einen, ganz nach Art der Orienthelme. Es fehlte ihnen nur noch das Monocle in das Auge, so hätten sie für die Erfinder oder ersten Repräsentanten des heutigen Gigerltums erklärt werden können, zumal sie auch sehr dicke und unförmliche zeisiggrüne Regenschirme in den Händen hatten.

Es lenkten sich natürlich aller Augen auf sie. Ich erkannte sie trotz ihrer Kleidung, die man besser eine Maskerade hätte nennen können, sofort, und da ich mir den Spaß machen wollte, sie zu Überraschen, so drehte ich mich mit meinem Stuhle so um, daß sie mein Gesicht nicht sehen konnten. Es fiel ihnen nicht ein, zu grüßen; sie fühlten sich als Leute, die es nicht nötig hatten, sich dazu herabzulassen. Auch hielten sie es nicht für notwendig, leise zu sprechen. Sie sahen sich kurz um, dann blieb der Dicke vor einem leeren Tische stehen und fragte den Dünnen, der ihm langsam und bedächtig gefolgt war:

„Was meinst du, Pitt, altes Coon, ob wir hier an diesem vierbeinigen Dinge Lager machen?“

„Wenn du denkst, daß es da für uns passend ist, so habe ich nichts dagegen, alter Dick,“ antwortete der Lange.

Well! Setzen wir uns also her!“

Sie nahmen Platz. Die Wirtin kam zu ihnen und fragte nach ihren Wünschen.

„Seid Ihr die Wirtin dieses Trink- und Logierpalastes, Ma’am?“ erkundigte sich Dick Hammerdull.

Yes. Wollt Ihr vielleicht bei mir logieren, Sir?“

„Ob wir da logieren wollen oder nicht, das bleibt sich gleich; wir haben schon eine Hütte, in der wir wohnen. Was habt Ihr zu trinken?“

„Alle Sorten von Brandy. Besonders kann ich euch meinen Mint- und Carawayjulep empfehlen, der ganz vorzüglich ist.“

„Julep hin und Julep her, wir trinken keinen Schnaps. Habt Ihr denn kein Bier?“

„Sehr gutes sogar.“

„So bringt zwei Töpfe voll; aber groß müssen sie sein!“

Sie bekamen das Verlangte. Hammerdull setzte das Glas an und trank es in einem Zuge aus. Als Pitt Holbers dies sah, leerte er das seinige auch bis auf die Nagelprobe.

„Was meinst du, Pitt, wollen wir nochmals eingießen lassen?“

„Wenn du denkst, Dick, daß wir nicht daran ersaufen, so habe ich nichts dagegen. Es schmeckt besser als Savannenwasser.“

Sie bekamen ihre Krüge wieder gefüllt und nahmen sich erst nun die Zeit, das Lokal und die darin befindlichen Gäste in Augenschein zu nehmen. Dabei fiel das Auge des Dicken zunächst auf den früheren Indianeragenten, der ebenso wie der auch anwesende Treskow die beiden mit überraschten und erwartungsvollen Augen betrachtet hatte.

„Alle Donner!“ rief er aus. „Pitt, altes Coon, schau doch einmal hinter nach der langen Tafel! Kennst du den Gentleman, der dort rechts in der Ecke sitzt und uns anlacht, als ob wir Schwiegerväter oder sonstige Verwandte von ihm wären?“

„Wenn du denkst, daß ich ihn kenne, lieber Dick, so will ich nichts dagegen haben.“

„Ist’s nicht der Agent, der damals – Himmel!“ unterbrach er sich selbst, denn sein Auge war nun auch auf Treskow gefallen – – – „Pitt Holbers, schau einmal mehr nach rechts! Dort sitzt noch einer, den du schon einmal gesehen hast. Gehe in dein Inneres und besinne dich!“

„Hm! Wenn du denkst, daß es der Polizist ist, der es damals so auf Sanders abgesehen hatte, so ist’s richtig. Was meinst du dazu, wollen wir ihnen die Vorderfüße schütteln?“

„Ob ich es meine oder nicht, das ist ganz egal, aber geschüttelt werden sie. Komm, altes Coon!“

Sie gingen nach der Tafel, von welcher ihnen die beiden Genannten nun hoch erfreut entgegen kamen; sie hatten die zwei Westmänner nicht zuerst begrüßen wollen, um zu sehen, ob sie von ihnen erkannt würden. Dick Hammerdull und Pitt Holbers, von denen gestern zweimal erzählt worden war, hier bei Mutter Thick! Das war natürlich ein großes, ein freudiges Ereignis. Es wurden ihnen von allen, die an der Tafel saßen, die Hände geschüttelt, und es verstand sich ganz von selbst, daß sie ihre jetzigen Plätze aufgeben und sich zu ihren alten und neuen Bekannten setzen mußten.

„Wir haben erst gestern von euch gesprochen,“ sagte Treskow. „Wir erzählten unsre damaligen Erlebnisse, und ihr dürft euch also nicht darüber wundern, daß ihr den Gentlemen hier sehr liebe Bekannte seid. Dürfen wir wissen, wie es euch dann später ergangen ist? Ich mußte mich in New York von euch trennen, nachdem wir der Hinrichtung von Sanders, der Miß Admiral und ihrer Genossen beigewohnt hatten.“

„Wie es uns ergangen ist? Sehr gut,“ antwortete Hammerdull. „Wir sind direkt nach dem Westen, wo wir natürlich sogleich unser hide-spot aufsuchten.“

„Bestand das noch?“

Yes. Warum sollte es nicht mehr bestanden haben?“

„Der Ogellallahs wegen, die es entdeckt hatten.“

„Das schadete nichts, denn wir hatten sie ja alle ausgelöscht, und von den Kameraden, die wir dort zurückließen, als der Ritt nach San Francisco begann, waren alle Spuren vernichtet worden. Wißt Ihr noch, daß damals in San Francisco, als wir an Bord gingen, einige von uns am Lande blieben?“

„Ja, ich besinne mich.“

„Ob Ihr Euch besinnt oder nicht, das bleibt sich gleich, das ist sogar ganz egal; aber diese Männer sind nicht in San Francisco geblieben, um dort auf uns zu warten, sondern nach dem hide-spot zurückgekehrt, so daß wir unsre Pferde vorfanden, als wir dort ankamen.“

„Eure Stute auch?“

„Natürlich. Hei, das hat eine Freude gegeben! Das alte, gute Viehzeug ist vor Entzücken fast verrückt geworden, als sie ihren lieben Dick Hammerdull wieder sah. Auch Winnetou bekam seinen Rappen.“

„Er ist also mit Euch hinauf zum hide-spot?“

Yes

„Habt Ihr ihn denn vielleicht wieder einmal getroffen?“

Yes. Er kam mit Old Shatterhand zu uns.“

„Old Shatterhand! Ah, den möchte ich auch gern einmal sehen. Ich beneide Euch darum, daß Ihr ihn kennt.“

„Ob Ihr mich beneidet oder nicht, das bleibt sich gleich; ich beneide mich ja selber drum. Ich sage euch, Mesch’schurs, das ist ein Kerl! Ich habe mich stets für einen tüchtigen Westmann gehalten, und du doch auch, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm, wenn du es denkst, lieber Dick, so kann ich nichts dagegen haben.“

„Ja, es ist wahrhaftig so. Wir haben uns immer eingebildet, daß wir ganz vortreffliche Kerle seien, aber dieser Old Shatterhand hat uns eines ganz andern belehrt. Alles, was wir machten, war falsch und dumm; er hatte in allem eine ganz andre Art und Weise, und wie und wo er ein Ding anfing, da hatte es Erfolg. Er war mit Winnetou fast drei Monate bei uns, und ich sage Euch, daß wir in dieser Zeit zehnmal mehr Häute und Felle erbeutet haben als sonst in einem halben Jahre. Das gab dann später beim Verkaufe einen ganzen Klumpen Gold. Kurze Zeit, nachdem sie fort waren, lernten wir einen andern Westmann kennen, der fast auch so berühmt ist wie sie. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn du Old Surehand meinst, so kann es mir nicht einfallen, dir unrecht zu geben, lieber Dick.“

„Ja, Old Surehand, den meine ich. Habt ihr von ihm schon gehört, Mesch’schurs?“

Sie bejahten alle diese Frage, und er fuhr fort:

„Das ist auch ein Mann, vor dem man Respekt haben muß. Leider hat er die Eigenheit, an keinem Orte lange zu bleiben. Er schießt nur so viel, wie er zum Leben braucht; darum ist er nicht eigentlich ein Jäger zu nennen, obgleich es aus seiner Büchse nie einen Fehlschuß giebt; er stellt keine Fallen; er sucht nicht nach Gold; man weiß gar nicht, weshalb und wozu er im wilden Westen lebt. Kaum hat man ihn gesehen, so ist er wieder verschwunden. Es ist, als ob er nach etwas suche, was er nicht finden kann. – Also, Mr. Treskow, es ist uns immer gut ergangen; wir haben einträgliche Jagden gehabt und unsern Beutel so gefüllt, daß wir mit dem Gelde nicht wissen, wohin.“

„Da seid Ihr ja zu beneiden, Mr. Hammerdull!“

„Zu beneiden? Schwatzt keine Dummheit! Was soll man mit dem vielen Gelde thun, wenn man nichts damit thun kann? Was kann ich mit meinen Goldstücken, mit meinen Checks und Anweisungen im wilden Westen machen, he?“

„Geht nach dem Osten und genießt da Euer Leben!“

„Danke! Was giebt’s da zu genießen? Soll ich mich in ein Hotel setzen und eine Speisekarte herunteressen, von der nichts draußen am Lagerfeuer, sondern alles in der Ofenröhre gebraten ist? Soll ich mich im Menschengewühle eines Konzertsaales halb zerdrücken lassen, die schlechteste Luft des ganzen Erdballes verschlingen und meine guten Ohren in die Gefahr bringen, von Pauken und Trompeten vollständig ruiniert zu werden, während unser Herrgott da draußen im Rauschen des Urwaldes und in den geheimnisvollen Stimmen der Wildnis jedem, der einen Sinn dafür hat, ein Konzert bietet, gegen welches Eure Geigen und Trommeln nicht aufkommen können? Soll ich mich in ein Theater setzen, meine Nase in die dort herrschenden Moschus- und Patschulidüfte stecken und mir ein Stück vorspielen lassen, welches meine Gesundheit untergräbt, weil ich mich darüber entweder krank lachen oder krank ärgern muß? Soll ich mir eine Wohnung mieten, in welcher kein Wind wehen und kein Regentropfen fallen darf? Soll ich mich in ein Bett legen, über welchem es keinen freien Himmel, keine Sterne und keine Wolken giebt, und wo ich mich so in die Federn wickle, daß ich mir selbst wie ein halb gerupfter Vogel vorkomme? Nein! Geht mir mit Eurem Osten und seinen Genüssen! Die einzigen und wahren Genüsse finde ich im wilden Westen, und für die hat man nichts zu bezahlen. Darum braucht man dort weder Gold noch Geld, und Ihr könnt Euch denken, wie ärgerlich es ist, ein reicher Kerl zu sein, dem sein Reichtum aber nicht den geringsten Genuß oder Nutzen bringt. Da haben wir denn nachgedacht, was wir mit unsrem Gelde, welches wir nicht brauchen, machen sollen. Wir haben uns darüber monatelang den Kopf zerbrochen, bis Pitt Holbers endlich auf einen sehr guten, auf einen vortrefflichen Gedanken gekommen ist. Nicht wahr, Pitt, altes Coon?“

„Hm, wenn du wirklich denkst, daß er vortrefflich ist, so will ich dir beistimmen. Du meinst doch meine alte Tante?“

„Ob sie eine Tante ist oder nicht, das bleibt sich gleich; aber dieser Gedanke wird ausgeführt. Pitt Holbers hat nämlich schon als Kind seine Eltern verloren und wurde von einer alten Tante erzogen, der er aber davongelaufen ist, weil die Methode, mit der sie ihn erzog, für ihn sehr schmerzlich war. Es giebt, wie ihr alle zugeben werdet, Mesch’schurs, Gefühle, die man sich nicht abgewöhnen kann, besonders wenn sie von Tag zu Tag mit Hilfe von Stockhieben und Backpfeifen immer wieder von neuem aufgefrischt werden. Solche schmerzliche Gefühle waren es, denen sich Pitt Holbers durch die Flucht entzog. Er hielt nämlich in seiner jugendlichen Weisheit die Erziehungsmethode der alten Tante für zudringlicher, als sie in Beziehung auf gewisse, sehr empfindliche Körperteile eigentlich zu sein brauchte. Jetzt aber ist ihm der Verstand gekommen, und er hat eingesehen, daß er eigentlich noch viel mehr Hiebe hätte bekommen sollen. Die gute Tante erscheint ihm jetzt nicht mehr in der Gestalt eines alten Drachen, sondern als eine liebevolle Fee, die seinen äußern Menschen mit dem Stocke frottierte, um seinen innern glücklich zu machen. Diese Überzeugung hat in ihm das Gefühl der Dankbarkeit hervorgerufen und zugleich die Idee erweckt, nachzuforschen, ob die Tante noch am Leben ist. Ist sie tot, so leben wahrscheinlich Nachkommen von ihr, denn sie hatte neben dem Neffen selbst auch Kinder, welche ganz nach derselben Methode erzogen wurden und darum ganz gewiß verdienen, jetzt glückliche Menschen geworden zu sein. Zu diesem Glücke wollen wir ihnen verhelfen. Die Tante soll, wenn wir sie finden, unser Geld bekommen, auch das meinige, denn ich brauche es nicht, und es ist ganz egal, ob sie meine Tante oder seine Tante ist. Nun wißt ihr also, Mesch’schurs, warum ihr uns hier an der Grenze des Ostens seht. Wir wollen die gute Fee von Pitt Holbers aufsuchen, und weil man vor den Augen eines solchen Wesens unmöglich so erscheinen darf, wie wir im Urwalde herumlaufen, haben wir unsre geflickten Leggins und Jagdröcke abgeworfen und uns diese schönen grünen Anzüge zugelegt, weil sie uns an die Farbe der Prairie und der grünenden Buschwoods erinnern.“

„Und wenn Ihr nun die Tante nicht findet, Sir?“ fragte Treskow.

„So suchen wir ihre Kinder und geben ihnen das Geld.“

„Und wenn nun die auch tot sind?“

„Tot? Unsinn! Die leben noch! Kinder, welche nach einer solchen Methode erzogen werden, die haben ein zähes Leben und sterben nicht so leicht.“

„So habt Ihr wohl Euer Geld mit?“

Yes.“

„Aber doch wohl gut verwahrt, Mr. Hammerdull? Ich frage das nämlich, weil ich weiß, daß es Westmänner giebt, welche in Beziehung auf das Geld eine oft geradezu naive Arglosigkeit zeigen.“

„Ob arglos oder nicht, das bleibt sich gleich; wir haben es so gut verwahrt, daß es auch dem pfiffigsten Spitzbuben unmöglich ist, es zu bekommen.“

Er hatte ebenso wie Pitt Holbers eine auch zeisiggrüne Tasche umhängen, schlug mit der Hand an sie und sagte:

„Wir tragen es stets bei uns; hier in dieser Tasche steckt’s, und des Nachts legen wir es unter den Kopf. Wir haben unser Vermögen in schöne, gute Anweisungen und Checks verwandelt, ausgestellt von Gray und Wood in Little Rock; jedes Bankhaus zahlt die volle Summe aus. Da, seht her; ich will’s Euch zeigen!“

Als er die Firma Gray und Wood in Little Rock nannte, dachte ich sogleich an den General, welcher heut bei Wallace und Co. einen Check von diesem Bankhause präsentiert hatte. Dick Hammerdull schnallte die Tasche auf, griff hinein und nahm eine lederne Brieftasche heraus, die er mit einem kleinen Schlüssel öffnete.

„Hier steckt das Geld, Mesch’schurs,“ sagte er; „also in zwei Taschen doppelt verwahrt, so daß kein Mensch dazukommen kann. Wenn ihr diese Checks – –“

Er hielt inne. Die Rede schien ihm nicht bloß im Munde, sondern hinten im Halse stecken zu bleiben. Er hatte Checks aus der Tasche nehmen und vorzeigen wollen; ich sah von weitem, daß er ein kleines, helles Päckchen in der Hand hielt; sein Gesicht hatte den Ausdruck des Erstaunens, ja der Bestürzung.

„Was ist das?“ fragte er. „Habe ich die Checks dann in eine Zeitung gewickelt, als ich sie gestern in den Händen hatte? Weißt du das, Pitt Holbers?“

„Ich weiß nichts von einer Zeitung,“ antwortete Pitt.

„Ich auch nicht, und doch ist das ein Zeitungspapier, in welches sie eingeschlagen sind. Sonderbar, höchst sonderbar!“

Er faltete das Papier auseinander und rief, indem sein Gesicht erbleichte, erschrocken aus:

„Alle Teufel! Die Checks sind nicht da! Die Zeitung ist leer!“ Er griff in die andern Fächer der Brieftasche; sie waren leer. „Die Checks sind fort! Sie sind nicht hier – nicht hier -und auch nicht hier. Sieh gleich einmal nach, wo die deinigen sind, Pitt Holbers, altes Coon! Hoffentlich hast du sie noch!“

Holbers schnallte seine Tasche auf und antwortete:

„Wenn du etwa meinst, daß sie verschwunden sind, lieber Dick, so wüßte ich nicht, auf welche Weise das geschehen sein sollte.“

Es zeigte sich bald, daß sie auch fort waren. Die beiden Westmänner waren aufgesprungen und starrten einander rat- und fassungslos an. Das schon so sehr schmale und lange Gesicht von Pitt Holbers war um die Hälfte länger geworden, und Dick Hammerdull hatte vergessen, nach seinen letzten Worten den Mund zu schließen; er stand ihm weit offen.

Nicht nur die um die Tafel sitzenden, sondern auch alle andern Gäste nahmen teil an dem Schrecke der Bestohlenen, denn daß ein Diebstahl vorlag, das war allen und auch mir sofort klar; speziell ich glaubte sogar, den Dieb zu erraten. Man sprach von allen Seiten auf Hammerdull und Holbers ein, welche die an sie gerichteten Fragen gar nicht beantworten konnten, bis Treskow mit lauter Stimme in diesen Wirrwarr hineinrief:

„Still, Gent’s! Mit diesem Lärm erreichen wir nichts. Die Sache muß anders angefaßt werden; sie schlägt in mein Fach, und so bitte ich Euch, Mr. Hammerdull, mir einige Fragen ruhig und mit Überlegung zu beantworten. Seid Ihr fest überzeugt, daß die Wertpapiere sich in dieser Brieftasche befunden haben?“

„Genau so fest, wie ich überzeugt bin, daß ich Dick Hammerdull heiße!“

„Und diese Zeitung war nicht drin?“

„Nein.“

„So hat der Dieb die Papiere herausgenommen und die zusammengefaltete Zeitung an ihre Stelle gelegt, um Euch möglichst lange in der Meinung zu halten, daß die ersteren noch da seien. Die Brieftasche war so dick wie vorher, und wenn Ihr sie in die Hand nahmt, so mußtet Ihr denken, sie sei nicht geöffnet worden. Wer aber ist der Dieb?“

„Ja, wer – – ist – – der – – Dieb?“ dehnte Hammerdull in großer Aufregung.

„Habt Ihr keine Ahnung?“

„Nicht die geringste! Und du, Pitt?“

„Ich auch nicht, lieber Dick,“ antwortete Holbers.

„So müssen wir nach ihm forschen,“ meinte Treskow. „Giebt es irgend wen, der es wußte, daß Ihr Geld oder Geldeswert hier in der Tasche hattet?“

„Nein,“ antwortete der Dicke.

„Wirklich nicht?“ „Keinen Menschen!“

„Seit wann steckten die Papiere drin?“

„Seit vorgestern.“

„Wann habt Ihr die Brieftasche zum letztenmal geöffnet?“

„Gestern, als wir uns schlafen legten.“

„Da waren sie noch drin?“

„Ja.“

„Wo habt ihr logiert?“

„Im Boardinghouse von Hilley, Waterstreet.“

„Dieser Wirt ist ein ehrlicher Mann; auf ihn kann kein Verdacht fallen. Aber er hat keine einzelnen Zimmer, sondern nur einen großen, gemeinschaftlichen Schlafraum?“

„Ja; da standen unsre Betten.“

„Ah! Und in diesem Raume habt ihr die Taschen aufgemacht?“

„Nein, sondern unten in der Gaststube.“

„Man hat euch dabei beobachtet?“

„Nein. Wir waren in dem betreffenden Augenblicke die einzigen Gäste, und es gab kein Auge, welches uns zusehen konnte. Dann sind wir schlafen gegangen und haben die Taschen unter die Kopfkissen gelegt.“

„So! Hm! Das giebt keinen Anhalt. Wir müssen schnell zu Hilley gehen, damit ich mir die Räumlichkeiten betrachte und nach andern Momenten suche. Kommt, Mr. Hammerdull, Mr. Holbers! Wir wollen eilen!“

Da sagte ich, noch immer auf meinem Platze sitzend, während alle andern Gäste aufgestanden waren und die Tafel umdrängten:

„Bleibt in Gottes Namen hier, Mr. Treskow! Ihr findet den Dieb dort nicht.“

Die Augen richteten sich alle auf mich, und Treskow ließ die schnelle Frage hören:

„Wer sagt das? Ah, Ihr! Wie kommt Ihr zu dieser Behauptung?“

„Infolge meiner Vermutungen.“

„Seid Ihr Jurist?“

„Nein.“

„Polizist?“

„Auch nicht; aber ich denke, man braucht keins von beiden zu sein, um irgend eine Sache richtig anfassen zu können. Erlaubt, daß nun einmal ich einige Fragen an Mr. Hammerdull und Mr. Holbers richte!“

Ich stand von meinem Stuhle auf und ging auf die Tafel zu. Dadurch wurde es den beiden Genannten trotz der vielen Personen, die sie umstanden, möglich, mich zu sehen. Was ich erwartet hatte, das geschah. Dick Hammerdull streckte beide Arme aus, wies mit beiden Zeigefingern auf mich und schrie.

Heavens! Wen sehe ich da? Ist das die Möglichkeit, oder täuschen mich meine Augen? Pitt Holbers, altes Coon, siehst du diesen Gentleman?“

„Hm, wenn du denkst, daß ich ihn sehe, so scheinst du das Richtige getroffen zu haben, lieber Dick,“ antwortete der Lange freudestrahlend.

„Und kennst du ihn aber auch?“

„Und ob! Das ist der Mann, den wir grad jetzt hier brauchen können! Der wird Klarheit in diese Teufelei bringen; das bin ich überzeugt.“

„Ich auch, ich auch! Welcome, Welcome, Mr. Shatterhand! Ist das eine Überraschung und eine Freude, Euch hier zu sehen! Ihr seid eben erst gekommen?“

„Nein. Ich war schon bei eurer Ankunft da.“

„Und wir haben Euch nicht gesehen!“

„Ich drehte mich mit Absicht um, denn ihr solltet mich nicht gleich erkennen.“

„So habt Ihr alles gehört, was gesprochen worden ist, und wißt, daß wir bestohlen worden sind?“

„Ja.“

„Wollt Ihr uns helfen?“

„Eigentlich eine sonderbare Frage, Sir!“ lächelte ich.

„Mag sein! Aber man ist gewohnt, zu glauben, daß es keine Lage giebt, aus welcher Old Shatterhand nicht den richtigen Ausweg weiß.“

Seit mein Name genannt worden war, herrschte in dem großen Raume tiefe Stille. Man war von der Tafel zurückgetreten, um mir Platz zu machen, und ich sah um mich einen Kreis von Menschen, deren Augen mich neugierig betrachteten. Da drängte sich die Wirtin durch den Kreis, streckte mir beide Hände hin und rief.

„Old Shatterhand seid Ihr, Old Shatterhand? Willkommen, Sir, tausendmal willkommen! Das ist für mein Haus ein Ehrentag, den ich mir anmerken werde! Old Shatterhand wohnt bei mir! Hört ihr es alle, ihr Leute? Er wohnt schon seit gestern hier, und ich habe es nicht gewußt! Freilich, als er gestern abend die sechs Rowdies hinausmarschieren ließ, da konnten wir es uns eigentlich denken! Nun habe ich aber von – –“

„Davon später, Mutter Thick!“ bat ich, sie unterbrechend. „Ich will Euch vorläufig sagen, daß es mir hier gefällt und daß ich mit Euch zufrieden bin; später sollt Ihr alles von mir hören, was Ihr wollt. Jetzt aber haben wir es mit dem Diebstahle zu thun. Wollt Ihr mir erlauben, Mr. Treskow, einige Fragen an die Eurigen anzuschließen?“

Er war bescheiden zurückgetreten und antwortete:

„Erlaubnis, Sir? Ich möchte wissen, wen Old Shatterhand um die Erlaubnis zu fragen hätte!“

Well! Also, Dick Hammerdull, ihr habt die gestohlenen Papiere vorgestern in die Brieftasche gethan?“

„Ja,“ antwortete er.

„Warum nicht eher?“

„Weil wir die Taschen nicht eher besaßen. Wir haben sie erst vorgestern hier gekauft.“

„Und wann die Papiere hineingethan?“

„Gleich in dem betreffenden Laden.“

„Waret ihr die einzigen Käufer dort?“

„Nein. Es kam ein Mann dazu, weicher, ich weiß nicht was kaufen wollte. Dem gefielen die Taschen so, daß er von ganz derselben Sorte auch zwei kaufte.“

„Sah er, daß ihr die Papiere in die eurigen stecktet?“

„Ja.“

„Wußte oder ahnte er, was für Papiere es waren?“

„Gewußt hat er es nicht. Ob er es aber ahnte, das kann man doch nicht wissen, nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn du denkst, daß man es nicht wissen konnte, so hast du unrecht, lieber Dick,“ antwortete Pitt, ihm dieses Mal nicht beistimmend.

„Geirrt? Wie so?“

„Weil du es gesagt hast.“

„Ich?“

„Ja.“

„Das ist ja nicht wahr! Ich habe mit diesem Manne kein einziges Wort gesprochen.“

„Aber mit dem Verkäufer. Zu dem sagtest du, als du die Papiere hineinstecktest, daß diese Art von Taschen sich sehr gut zur Aufbewahrung von solchen hohen Checks eigne.“

„Das war eine große Unvorsichtigkeit!“ nahm ich wieder das Wort. „Hat der Mann die Taschen gekauft, ehe er das hörte?“

„Nein, sondern nachher,“ antwortete Holbers.

„Wer ging dann eher fort, er oder ihr?“

„Wir.“

„Habt ihr nicht etwa bemerkt, daß er euch nachgegangen ist?“

„Nein.“

„Ich nehme trotzdem an, daß er euch gefolgt ist, natürlich heimlich; er hat sehen wollen, wo ihr wohnt.“

Da fiel Hammerdull schnell und eifrig ein:

„Ob wir gewohnt haben oder nicht, das bleibt sich gleich; aber er war dann auch da.“

„In eurem Boardinghouse?“

„Ja.“

„Logierte er da?“

„Ja.“

„Er schlief auch da?“

„Ja.“

„In demselben Raume mit euch?“

„Natürlich, denn es gab keinen andern Platz.“

„So ist er der Dieb!“

„Alle Wetter! Wie bestimmt Ihr das sagt, Sir! Freilich, wenn Old Shatterhand es sagt, so ist es richtig. Aber wie soll er in unsre Brieftaschen gekommen sein?“

„Gar nicht.“

„Wie? Gar nicht? Er muß doch hineingekommen sein, denn er hat die Papiere herausgenommen!“

„Nein.“

„Nicht? Da begreife ich Euch nicht, Sir!“

„Die Papiere liegen noch drin, mit Ausnahme eines einzigen, welches er versilbert hat.“

„Sie liegen noch drin? Ich habe sie ja nicht!“

„Seid Ihr denn wirklich so kurzsichtig, Dick Hammerdull? Die Brieftaschen, welche ihr hier habt, sind gar nicht die eurigen.“

„Nicht – ?“ fragte er, indem seine sonst so listigen Züge einen ganz entgegengesetzten Ausdruck annahmen.

„Nein; es sind die, welche er gekauft hat. Er hat Zeitungen hineingelegt und sie dann, wahrscheinlich als ihr schliefet, ganz einfach mit den eurigen umgetauscht.“

„Ah – ! Das hätte der Halunke ja außerordentlich schlau angefangen!“

„Allerdings. Er muß eine bedeutende Fertigkeit als Taschendieb besitzen, denn es gehört etwas dazu, zwei Westmännern, welche doch gewohnt sind, außerordentlich leise zu schlafen, die Brieftaschen unter den Kopfkissen wegzuziehen.“

„Was das betrifft, Sir, so haben wir gar nicht leise, sondern wie die Ratten geschlafen. Die schlechte Luft in diesem Raume und der Öldunst, das war schrecklich. Wir haben gelegen wie betäubt.“

„Nun, so ist ihm der Diebstahl leicht geworden. Ist Euch sein Name bekannt?“

„Nein.“

„Den werden wir im Boardinghouse erfahren,“ fiel da Treskow ein.

„Wahrscheinlich nicht,“ antwortete ich. „Er hat doch jedenfalls einen falschen Namen gesagt, wie Ihr als Polizist ja besser wißt als ich. Zu wissen, wie er sich genannt hat, bringt uns also gar keinen Nutzen.“

„Aber es giebt uns einen Anhalt, ihn aufzusuchen.“

„Glaubt Ihr etwa, daß er noch hier in Jefferson-City ist, Mr. Treskow?“

„Nein. Ich werde augenblicklich gehen, um die Polizei zu benachrichtigen und – –“

„Denkt nicht an die Polizei,“ unterbrach ich ihn. „Von ihr haben die Bestohlenen gar nichts zu erwarten.“

„Ich denke doch!“

„Nein, gar nichts! Wenn wir nicht selbst das Richtige treffen, so trifft es die Polizei noch viel weniger als wir. Wollen es überlegen! Aber nicht hier, wo es so laut hergeht. Kommt heraus in die kleine Stube! Mutter Thick mag uns die Gläser nachbringen.“

Wir gingen in das separate Zimmer, aus welchem gestern Treskow gekommen war. Mit dem wir sind Treskow, Hammerdull, Holbers und ich gemeint. Es lag nicht in meiner Absieht, noch andere hören zu lassen, was wir besprachen, denn es konnte leicht eine zweifelhafte Person dabei sein, die uns die Sache verdarb. Es hatte aber auch keiner Miene gemacht, uns zu folgen.

Als wir nun unbelauscht und unbelästigt beisammen saßen, sagte ich rund heraus:

„Ich kenne den Dieb, Mesch’schurs, und da ich ihn euch nennen will, habe ich euch hier hereingeführt. Es braucht da draußen niemand seinen Namen zu hören, denn es könnte möglicherweise jemand da sein, der ihn warnt.“

„Ihr kennt den Dieb, Mr. Shatterhand?“ fragte Dick Hammerdull erfreut. „Oh, nun ist es mir um das Geld gar nicht mehr bange! Wir fassen den Kerl! Wenn Old Shatterhand auf seiner Fährte ist, kann er uns gar nicht entwischen!“

„Ja, Ihr seid wirklich ein außerordentlicher Mann, Mr. Shatterhand!“ stimmte Treskow bei.

„Denkt das ja nicht! Es ist der reine Zufall, daß ich ihn gesehen habe.“

„Sogar gesehen habt Ihr ihn?“

„Ja, als er einen der Checks zu Geld machte; es waren fünftausend Dollars.“

„Was? Schon fünftausend Dollars?“ zürnte Dick Hammerdull. „Der Kuckuck soll den Halunken reiten, wenn er uns diese Summe verkrümelt, ehe wir ihn fangen! Wie heißt der Mensch?“

„Er wird sich wohl schon verschiedene Namen beigelegt haben, Ich habe ihn unter dem Namen Douglas kennen gelernt.“

„Douglas? Unter unsern Bekannten befindet sich keiner, welcher Douglas heißt. Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm, wenn du denkst, daß wir es noch mit keinem Douglas zu thun gehabt haben, so ist das richtig, lieber Dick.“

„Aber ich, ich habe mit einem zu thun!“ sagte Treskow. „Ha, wenn dieser Douglas der wäre, den ich suche!“

„Ihr sucht einen Menschen dieses Namens?“ fragte ich.

„Ja. Das heißt, dieser Name ist nur einer von den vielen, die er sich schon beigelegt hat. Da Ihr ihn gesehen habt, könnt Ihr mir wohl eine Beschreibung seiner Person geben, Sir?“

„Sogar eine sehr genaue. Ich bin zwei Tage mit ihm zusammen gewesen.“

Ich gab ihm das Signalement des Generales; als ich damit fertig war, sagte er:

„Es stimmt; es stimmt genau. Um aber ganz überzeugt zu sein, bedarf es für mich der Beantwortung noch einer Frage. Wenn Ihr zwei Tage bei ihm gewesen seid, Mr. Shatterhand, so wird Euch an ihm eine Eigentümlichkeit aufgefallen sein?“

„Eine persönliche?“ „Nein, ich meine seinen Stand.“ „Ah, wohl daß er sich für einen General ausgiebt?“ „Hat er das bei Euch auch gethan?“ „Ja.“

„So ist er es; so ist er’s ganz gewiß! Ich will Euch im Vertrauen mitteilen, daß ich hier nach Jefferson-City gekommen bin, um ihn zu fangen. Wir erfuhren, daß er sich wahrscheinlich hierher wenden werde. Wo habt Ihr ihn kennen gelernt, Mr. Shatterhand?“

„Im Llano estaccado.“

„Ah! Also in der Wüste?“

„Ja; er trat auch dort sofort als Dieb auf.“

„Wie? Bitte, laßt mich’s wissen!“

Ich erzählte die Geschichte kurz.

„Fünfzig Hiebe hat er nur erhalten!“ bedauerte er dann. „Das war zu wenig, viel zu wenig. Er hat noch mehr, noch viel mehr Werg am Rocken, als Ihr glauben werdet. Und wenn Ihr ihn hättet totprügeln lassen, so wäre es nicht schade um ihn gewesen. Ich muß ihn fangen; er darf mir nicht entgehen! Ich werde mir alle Mühe geben, eine Spur von ihm zu entdecken, und dann lasse ich nicht eher von seiner Fährte, als bis ich ihn habe.“

„Ihr braucht Euch keine Mühe zu geben, Sir; die Spur ist schon gefunden.“

„Von wem?“

„Von mir.“

„Wo führt sie hin?“

„Weit fort von hier, sehr weit! So weit, daß Ihr vielleicht davon absehen werdet, ihr zu folgen.“

„Das denke ich nicht. Ich bin damals Sanders quer durch den ganzen Kontinent gefolgt; um den General zu fangen, werde ich nicht weniger thun. Also sagt, wohin er will!“

„Hinauf nach den Rocky-Mountains.“

„Wirklich? Mit so viel Geld in der Tasche?“

„Trotzdem! Dieser Mann ist zu klug, als daß er im Osten bleibt, um es zu verjubeln und sich dabei fangen zu lassen.“

„Aber die Felsenberge ziehen sich durch die ganzen Vereinigten Staaten. Kennt Ihr den Ort, nach welchem er will, ganz genau?“

„Ja.“

„Welcher ist es?“

„Soll ich es Euch sagen? Ihr wißt es ja auch.“

„Ich?“ fragte er verwundert.

„Ja.“

„Von wem sollte ich was erfahren haben?“

„Von demselben Manne, der es mir sagte, nämlich von Toby Spencer.“

„Spencer – – Spencer – – wer heißt denn – – ah, Ihr meint den gestrigen Grobian, der von Euch so vortrefflich hinausgeleuchtet wurde?“

„Ja. Ihr habt doch gehört, was er mit mir sprach?“

„Ja.“

„Er machte mir einen Antrag.“

„Mit ihm nach dem San Luis-Park zu gehen?“

„Ja. Dorthin geht der General auch.“

„Hat Spencer das gesagt?“

„Ist Euch das entgangen?“

„Daß er den General erwähnt hat, weiß ich nicht. Meine Aufmerksamkeit für Euer Gespräch muß in dem betreffenden Augenblicke durch irgend etwas abgelenkt worden sein. Also, der General will auch hinauf?“

„Natürlich! Er ist ja der Anführer dieser Kerls, welche die Absicht zu haben scheinen, eine Räuberbande zu bilden. Wollt Ihr solchen Leuten folgen und Euch in ihre Nähe wagen, Mr. Treskow?“

„Um ihn zu fangen, schrecke ich vor keinem Wagnisse zurück. Ich habe die Weisung, ihn, wenn ich ihn sehe, ja nicht entkommen zu lassen.“

„So muß er ja ein ganz bedeutender Verbrecher sein, auch das abgerechnet, was ich von ihm weiß?“

„Das ist er allerdings. Ich könnte von ihm Geschichten erzählen, die aber nicht hierher gehören; wir haben auch keine Zeit dazu.“

„Aber bedenkt, was das heißt, einen Ritt hinauf in den Park zu machen! Ihr müßt durch das Gebiet der Osagen!“

„Sie werden mir wohl nichts thun!“

„Meint Ihr? Sie rebellieren in neuester Zeit. Sie sind ein Stamm der Sioux, und was das heißt, das haben Euch damals die Ogellallahs gezeigt. Und noch eine Frage: Habt Ihr Begleiter?“

„Hm! Ich bin allein, denke aber, daß ich auf Mr. Hammerdull und auf Mr. Holbers rechnen kann.“

„Warum auf uns?“ fragte Dick, der Dicke.

„Weil er euer Geld bei sich hat. Oder wollt ihr es ihm lassen, Sir?“

„Fällt uns gar nicht ein! Wenn es unser wäre, könnten wir es noch eher schwinden lassen; aber wir haben es der schlagfertigen Fee zugedacht; es gehört also ihr, und darum müssen wir es für sie wieder holen.“

„So müßt ihr ihm aber nach!“

„Das versteht sich ganz von selber.“

„So haben wir also gleichen Zweck und gleiches Ziel, und ich denke doch nicht, daß ihr für euch allein handeln und mich allein reiten lassen werdet.“

„Zweck hin und Zweck her, wir reiten mit Euch.“

„Schön! So sind wir also zu dreien; das verdreifacht meine Hoffnung, den General zu fangen.“

„Ob dreifach oder nicht, das ist ganz egal; aber wenn er mir zwischen die Hände kommt, so kommt er nicht wieder heraus. Meinst du nicht, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn du denkst, lieber Dick, so reiten wir mit, nehmen ihm das Geld ab und prügeln ihn tüchtig durch; dann übergeben wir ihn an Mr. Treskow, der einen schönen Galgen für ihn aussuchen kann. Also wir drei reiten zusammen, aber wann?“

„Das muß erst noch überlegt werden. Vielleicht wird uns Mr. Shatterhand einen guten Rat geben,“ sagte Treskow.

„Das will ich gern thun,“ antwortete ich, „und ich denke, daß Ihr ihn befolgen werdet.“

„Ganz gewiß! Wie heißt er?“

„Er heißt: Reitet nicht zu dreien, sondern nehmt noch jemand mit, Mr. Treskow.“

„Wer ist dieser jemand?“

„Der bin ich.“

„Ihr?“ fragte er, schnell aufblickend.

„Ja.“

„Wirklich? Ihr wollt mit?“

„Gewiß!“

„Halloh! Das ist ja alles, was wir nur wünschen können! Wenn Ihr bei uns seid, so ist das genau so viel, als ob wir den General schon hätten!“

„Bitte, nicht so hitzig, Sir! Ihr haltet mich für einen viel vortrefflicheren Kerl, als ich bin. Wenn Ihr wüßtet, wie viel mir schon mißglückt ist, würdet Ihr Eure Erwartungen viel tiefer spannen. Ihr könnt zwar auf mich rechnen und überzeugt sein, daß ich thue, was ich kann, aber es wird noch einer dabei sein, der mir sehr weit vorzuziehen ist.“

„Euch vorzuziehen? Wer könnte das sein?“

„Erratet ihr das nicht?“

„Nein.“

„Winnetou.“

„Ah, Winnetou! Ist der auch hier in Jefferson?“

„Nein, aber in der Nähe.“

„Und Ihr denkt, daß er sich uns anschließt?“

„Ganz gewiß. Wohin ich gehe, dahin geht er auch.“

„Aber war es denn eure Absicht, hinauf nach dem San Luis-Park zu reiten?“

„Nein. Unsre Absicht war, uns hier nach jemandem zu erkundigen und ihn dann aufzusuchen, wenn er nicht zu weit von hier sein sollte. Wir haben erfahren, daß er hinauf nach Colorado ist, und werden ihm folgen. Das giebt denselben Weg wie den eurigen. Ihr dürft euch also nicht darüber Vorwürfe machen, daß wir euch ein Opfer bringen.“

„Wenn wir auch nicht von einem Opfer sprechen wollen, so ist es doch ein Dienst, ein so großer Dienst, den ihr uns leistet, daß wir euch gar nicht genug danken können. Nun sind wir also fünf Personen.“

„Und werden später sechs sein.“

„Sechs? Wer ist die sechste?“

„Der, nach dem ich mich hier erkundigt habe. Und wenn ihr dessen Namen hört, wird euch seine Gesellschaft auch sehr willkommen sein.“

„Sagt diesen Namen, Sir!“

„Old Surehand.“

„Was? Ihr werdet Old Surehand finden?“

„Ich hoffe es.“

„Und ihn zu uns bringen?“

„Ja.“

„Nun, da mag dieser General dahin laufen, wohin er will, wir finden ihn! Freut Ihr Euch denn nicht darüber, Dick Hammerdull, daß wir drei solche Männer bei uns haben werden?“

„Ob ich mich freue oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich bin ganz entzückt darüber, mich in solcher Gesellschaft befinden zu dürfen; das ist doch eine Ehre, die man gar nicht hoch genug schätzen kann. Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn du denkst, daß es eine Ehre ist, so stimme ich dir bei, lieber Dick, und schlage vor, daß wir uns nicht überflüssig lang in diesem Neste, welches sie Jefferson-City nennen, herumtreiben.“

Der gute Pitt Holbers pflegte nur zu sprechen, wenn sein lieber Dick ihn fragte, und dann auch nichts andres zu thun, als ihm beizustimmen; jetzt schwang er sich so weit auf, einen Vorschlag zu machen. Ich antwortete:

„Wir werden allerdings hier keine Zeit versäumen, aber auch nichts unterlassen, was zu machen ist. Vor allen Dingen handelt es sich um die Pferde. Ihr wolltet nach dem Osten, habt also wahrscheinlich keine Pferde mit?“

„Keine Pferde mit? Da kennt Ihr Dick Hammerdull schlecht, Mr. Shatterhand! Wenn er sich ja von seiner alten, guten Stute trennen muß, dann aber nur im letzten Augenblicke. Ich habe sie mitgebracht und Pitt Holbers sein Pferd auch. Wir wollten sie hier in Pension geben und dann bei unsrer Rückkehr abholen. Das ist nun unnötig.“

„Gut! So seid ihr beide also beritten. Aber eure Trapperanzüge?“

„Denen haben wir freilich den Abschied gegeben. Wir gehen so, wie wir hier sitzen.“

„Und die Regenschirme?“ fragte ich scherzhaft.

„Die nehmen wir auch mit, sie sind bezahlt; was ich bezahlt habe, das ist mein, und was mein ist, das kann ich mitnehmen, ohne daß die Polizei das Recht hat, sich darum zu bekümmern.“

Well! Und Waffen?“

„Die haben wir im Boardinghouse.“

„Also alles gut. Aber Ihr, Mr. Treskow?“

„Ich habe einen Revolver bei mir; alles andre muß ich mir kaufen. Wollt Ihr mir dabei behilflich sein?“

„Gern. Gewehr und Munition kauft Ihr Euch hier, das Pferd aber erst in Kansas-City oder Topeka.“

„Kommen wir dorthin?“

„Ja. Wir reiten nicht von hier aus, sondern fahren mit dem Steamer. Erstens geht das schneller, und zweitens schonen wir dadurch die Pferde. Wenn Old Surehand klug handelt, so ist er am Republican-River hinauf, dem auch wir folgen werden. Das giebt einen Ritt, bei welchem man gute Pferde braucht.“

„Wißt Ihr, wann der Steamer von hier abgeht?“

„Ich glaube, morgen kurz nach Mittag. Wir haben also den ganzen Vormittag für die Vorbereitungen, welche noch zu treffen sind. Aber es giebt Erkundigungen einzuziehen, mit denen wir nicht bis morgen warten dürfen.“

„Welche?“

„Der General ist ganz gewiß schon fort; wir brauchen uns also gar nicht die Mühe zu geben, nach ihm zu suchen; aber gut wäre es, zu erfahren, wann und auf welchem Wege er die Stadt verlassen hat.“

„Das werde ich besorgen, Sir. Ich gehe auf die Polizei.“

„Ist unnötig!“

„Warum unnötig?“

„Weil es keinen Erfolg haben wird.“

„Denkt Ihr?“

„Ja, ich denke es. Ihr seid doch hier, um nach ihm zu suchen, nicht wahr?“

„Ja.“

„Habt Ihr die Polizei davon unterrichtet?“

„Natürlich!“

„Aber weder habt Ihr noch hat die Polizei ihn gefunden, obgleich er dagewesen ist. Denkt Ihr, daß sie ihn nun grade im letzten Augenblicke bemerkt?“

„Wäre das nicht möglich?“

„Möglich wohl, aber es ist nicht geschehen.“

„Wie könnt Ihr das wissen?“

„Sehr einfach. Die Polizei weiß doch, daß Ihr hier bei Mutter Thick logiert?“

„Ja.“

„Sie würde, falls sie ihn sähe oder ihn gar festnähme, Euch sofort benachrichtigen.“

„Ja.“

„So müßtet Ihr es jetzt schon wissen, denn es ist spät am Abende, und er ist wahrscheinlich schon um die Mittagszeit fort. Gebt Ihr mir recht?“

„Sehr sogar, Sir, sehr! Auf diese Berechnungen hätte ich als Detektive doch schnell kommen müssen; aber es scheint, daß man, wenn man bei Euch ist, ganz unwillkürlich Euch das Denken überläßt.“

Well! Wir werden also die Polizei nicht belästigen. Es gilt auch, zu erfahren, wo Toby Spencer mit seinen fünf Kerlen gewohnt hat, und ob er schon fort ist.“

„Das kann ich Euch sagen, Sir, nämlich ob er schon fort ist. Wissen wir das, so wird es wohl gleichgültig sein, wo er logiert hat. Nicht?“

„Ja. Also er ist fort?“

„Ja.“

„Wann?“

„Mit dem Zweiuhr-Zuge.“

„Ah! Also mit der Bahn? Sie sind nach St. Louis gefahren; das ist sicher.“

„Können sie nicht unterwegs aussteigen?“

„Nein.“

„Es bleibt sich auch gleich, ob sie ausgestiegen sind oder nicht. Sie sind mit der Missouribahn nach St. Louis, also in die entgegengesetzte Richtung; Ihr habt gedacht, daß sie mit dem General gehen?“

„Das thun sie auch!“

„Aber, Sir, das stimmt doch nicht!“

„Wieso?“

„Er will nach dem Parke hinauf, also nach Westen, sie aber sind ostwärts fortgefahren!“

„Stimmt ganz genau. Sie fahren rückwärts, um dann desto schneller vorwärts zu kommen. Es ist doch klar, daß sie von St. Louis aus mit der Bahn nach Kansas wollen.“

„Alle Teufel! Wo beabsichtigen sie denn da mit dem General zusammenzutreffen?“

„Das beabsichtigen sie gar nicht.“

„Nicht? Das scheint wieder nicht zu stimmen!“

„Stimmt aber ebenso genau, denn sie brauchen diese Absicht gar nicht zu hegen, weil sie schon mit ihm zusammen sind.“

„Wie? Ihr denkt also, daß – daß – – daß – –“ fragte er ganz betreten.

„Sprecht nur weiter! Es ist ganz richtig.“

„Daß er mit ihnen gefahren ist?“

„Ja.“

„Alle Teufel!“

„Wo habt Ihr denn Toby Spencer gesehen?“

„Auf dem Bahnhofe. Er saß mit seinen fünf Kerlen schon im Coupé.“

„Sahen sie Euch?“

„Ja, und sie schienen mich von gestern abend her zu kennen, denn sie grinsten mich aus dem Fenster höhnisch lachend an.“

„Aber Einer hat Euch nicht angelacht, sondern sich gehütet, zum Fenster herauszusehen.“

„Den General meint Ihr?“

„Ja. Es steht bei mir fest, daß er mit ihnen gefahren ist, Mr. Treskow.“

„Wenn das so wäre!“

„Es ist so. Ihr könnt Euch darauf verlassen.“

„Dann hätte ich den Kerl hier ganz vergeblich gesucht und, als er fortfuhr, kaum fünf Schritte weit von dem Wagen gestanden, in welchem er saß!“

„Gewiß!“

„Wie ärgerlich! Ich möchte mich ohrfeigen!“

„Thut das nicht, denn es hat keinen Zweck. Und Ohrfeigen, die man sich selber giebt, fallen nie so kräftig aus wie solche, die man von andern Leuten bekommt.“

„Ihr scherzt auch noch darüber! Aber der Fehler ist noch gut zu machen, wenn wir unsern Plan ändern.“

„Wie?“

„Wir fahren nicht mit dem Schiffe, sondern noch in dieser Nacht mit dem nächsten Zuge nach St. Louis.“

„Dazu würde ich nicht raten.“

„Warum nicht?“

„Wir müssen schon der Pferde wegen auf die Eisenbahn verzichten. Ferner ist Winnetou nicht da; ich muß einen Boten zu ihm schicken, der ihn holt, und drittens ist es sehr leicht möglich, daß die Kerls nicht gleich von St. Louis fortfahren, sondern sich aus irgend einem Grunde dort aufhalten. Dann kämen wir ihnen voraus und wüßten nicht, wohin.“

„Das ist richtig!“

„Nicht wahr, Ihr seht das ein? Wir könnten uns den ganzen Fang verderben. Nein, wir müssen die, die wir erwischen wollen, vor uns haben, aber nicht hinter uns. Dann folgen wir ihrer Spur und können uns nicht irren. Seid ihr mit dem, was ich bestimmt habe, einverstanden, Mesch’schurs?“

„Ja,“ antwortete Treskow.

„Ob einverstanden oder nicht, das bleibt sich gleich, ja das ist sogar ganz egal,“ erklärte Dick Hammerdull; „es wird aber so gemacht, ganz genau so, wie Ihr gesagt habt. Es ist besser, wir folgen Euch als unsern dummen Köpfen. Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?“

Dieser antwortete in seiner trockenen Weise:

„Wenn du denkst, daß du ein Dummkopf bist, so habe ich nichts dagegen, lieber Dick.“

„Unsinn! Ich habe von unsern Köpfen, aber nicht von dem meinigen gesprochen.“

„Daran hast du sehr unrecht gethan! Wie kannst du von einem Kopfe sprechen, der gar nicht dir gehört, sondern mir? Ich werde mir nie erlauben, von deinem Kopfe zu sagen, daß er dumm ist, denn du sagst es selber und mußt es besser wissen als ich, lieber Dick.“

„Ob ich dein lieber Dick bin oder nicht, das bleibt sich gleich, aber wenn du mich beleidigst, so werde ich es nicht lange mehr bleiben. Sagt jetzt, Mr. Shatterhand, ob es für uns beide heut noch etwas zu thun giebt!“

„Ich wüßte nicht, was. Kommt morgen mit euern Pferden an den Landeplatz des Steamers; das ist alles, was ich euch noch zu sagen habe. Aber, fast hätte ich ein Wichtiges vergessen: Ihr seid bestohlen worden und habt also kein Geld?“

„Wollt Ihr uns borgen, Sir?“

„Gern.“

„Danke! Wir borgen Euch auch, wenn Ihr etwas braucht. Ich stelle Euch sogar diesen ganzen Beutel zur Verfügung und würde es als große Ehre schätzen, wenn Ihr die Güte hättet, ihn als Geschenk von mir anzunehmen.“

Er zog bei diesen Worten einen großen, ganz vollen Lederbeutel aus der Tasche und warf ihn auf den Tisch, daß es nur so klirrte; es klang nach lauter Gold.

„Wenn ich ihn nähme, hättet Ihr dann selbst nichts mehr,“ antwortete ich.

„Das schadete nichts, denn Pitt Holbers hat einen grad so großen und grad so vollen Ledersack. Wir sind nämlich so gescheit gewesen, nur die Papiere in die Brieftasche zu thun. Einige Tausend Dollars haben wir uns in Goldstücke umwandeln lassen und sie hier in diese Taschen gesteckt. Wir können also alles bezahlen, was wir brauchen. Nun aber wird es klug sein, zu schlafen, denn von hier bis Kansas-City werden wir wohl wenig schlafen können. Man weiß, daß es auf dem Steamer kaum möglich ist, ein Auge zuzuthun.“

„Wenn ihr das wollt, so könnt ihr gehen, es giebt nichts mehr zu besprechen.“

Well! So komm, Pitt Holbers, altes Coon! Oder hast du noch Lust, zu bleiben?“

„Hm! Wenn ich es mir richtig überlege, so ist das Bier, welches bei Mutter Thick aus dem Fasse läuft, eine Flüssigkeit, in welcher man sich da oben in den Felsenbergen wohl nicht wird baden können. Oder schmeckt es dir nicht, lieber Dick?“

„Ob es mir schmeckt oder nicht, das ist ganz egal; aber es ist ein großartiges Getränk, und wenn du Lust hast, noch länger hier zu bleiben, so werde ich dich nicht im Stiche lassen, zumal ich nur deshalb vom Schlafengehen sprach, damit du nicht mitgehen solltest. Ich habe nämlich auch noch Durst.“

Sie blieben also sitzen, und ich war ebenso wie Treskow nicht so unmenschlich, sie in dem traulichen Stübchen allein zu lassen. Es entspann sich also noch eine recht animierte Unterhaltung, während welcher mir die originelle Art und Weise der beiden Trapper viel Vergnügen bereitete. Sowohl Treskow, als auch der frühere Indianeragent hatten von ihnen erzählt, dabei aber vergessen, den Namen zu nennen, den man ihnen gegeben hatte. Sie wurden nämlich die werkehrten Toasts genannt. Toasts sind bekanntlich geröstete Butterschnitte oder zusammengelegte Butterbrote. Diese werden natürlich mit den Butterseiten zusammengelegt; Hammerdull und Holbers pflegten aber während des Kampfes Rücken an Rücken zu stehen, um sich gegenseitig zu decken; sie kehrten sich also die verkehrten Seiten zu und hatten darum den Beinamen verkehrte Toasts bekommen.

Wenn ich sie nicht getroffen hätte, wäre ich allein nach den Felsenbergen geritten, und so war es mir recht lieb, daß ich sie hier gefunden hatte. Der heitere Dick und der trockene Pitt waren zwei Begleiter, in deren Gesellschaft ich auf keine Langeweile zu rechnen hatte, und da sie viel, viel bessere Westmänner waren, als zum Beispiel Old Wabble, Sam Parker und Jos Hawley, so brauchte ich auch nicht zu befürchten, daß sie mir durch fehlerhaftes Verhalten die gute Laune verderben würden. Treskow war kein Westmann, aber ein Gentleman, für den ich mich interessierte, von Erfahrung, kenntnisvoll und doch dabei bescheiden. Es stand also zu erwarten, daß wir recht gut zusammenhalten würden.

Mutter Thick besorgte mir einen zuverlässigen Boten, den ich zu Winnetou schickte. Dieser Mann hatte sich sehr beeilt, denn der Häuptling der Apatschen traf vor dem Boardinghouse ein, als ich am andern Morgen oben beim Kaffee saß. Natürlich brachte er mein Pferd mit. ich freute mich innerlich über die ehrerbietigen und bewundernden Blicke, mit denen die Anwesenden ihn betrachteten, und über die Art und Weise, mit welcher ihn Mutter Thick bediente, obgleich er nur um ein Glas Wasser gebeten hatte; es war, als ob ein König bei ihr eingekehrt sei.

Ich erzählte ihm, was geschehen war und weshalb ich ihn hatte holen lassen, und er war, wie gewöhnlich, mit allem einverstanden, was ich bestimmt hatte. Er erkannte Treskow sofort wieder, schien aber an die Fehler zu denken, welche damals gemacht worden waren, denn er sagte:

„Sam Fire-gun war der gebietende Häuptling seiner Bleichgesichter; darum hat Winnetou von dem Augenblicke an, in welchem er das Hide-spot betrat, keinen Befehl mehr gegeben, sondern sich nach ihm gerichtet. Auch war mein Bruder Shatterhand nicht dabei. Jetzt, wenn wir Old Surehand suchen, wird es anders sein; wir werden weniger Blut vergießen und jeden Fehler vermeiden. Welchen Weg hat Old Surehand eingeschlagen?“

„Das weiß ich nicht; ich werde es aber erfahren, denn ich gehe noch einmal zu Mr. Wallace, um mich von ihm zu verabschieden.“

Vorher ging ich mit Treskow fort, um ihn bei seinen Einkäufen zu unterstützen. Von Gewehren verstand er nichts und wäre gewiß mit einer sehr blanken, aber ebenso untauglichen Rifle über das Ohr gehauen worden. Wurde es doch sogar mir nicht leicht, dem Pulver, welches man uns erst vorsetzte, anzusehen, daß es wenigstens zwanzig Prozent zerstoßene Holzasche enthielt.

Als diese geschäftlichen Angelegenheiten erledigt waren, begab ich mich zu dem Bankier, um ihm zu sagen, daß ich jetzt im Begriffe stehe, die Stadt zu verlassen. Von dem General und den Vorkommnissen des letzten Abends sagte ich nichts; es gab ja nichts, was mich drängte, es ihm mitzuteilen, und es ist immer besser, zu schweigen, als etwas zu sagen, was man nicht grad sagen muß oder nicht zu sagen braucht. Da fiel mir eine Frage ein, die ich noch an ihn richten mußte:

„Ihr wißt, Sir, daß Old Surehand auf seinem Ritte nach Fort Terrel von Apanatschka, dem jungen Häuptling der Comantschen, begleitet wurde?“

„Ja, er hat es mir erzählt,“ antwortete Wallace.

„Wo ist dieser Indianer hin? Wo hat er sich von Old Surehand getrennt?“

„Sie sind von Fort Terrel miteinander nach dem Rio Pecos geritten, wo sich Apanatschka von ihm verabschiedet hat, um zu seinem Stamme zurückzukehren.“

„Schön! Und wißt Ihr vielleicht, welche Route Old Surehand jetzt eingeschlagen hat?“

„Er ist mit dem Schiffe bis Topeka und wollte dann zu Pferde an dem Republican-River hinauf.“

„Dachte es mir. Was hat er für ein Pferd?“

„Das, welches Ihr ihm geschenkt habt, Sir.“

„So ist er vorzüglich beritten. Ich hoffe, sehr bald seine Spur zu finden.“

„Was das betrifft, so kann ich Euch vielleicht einen Fingerzeig geben. Sucht, wenn Ihr nach Topeka kommt, Peter Lebruns Weinstube auf! Dort ist er jedenfalls eingekehrt. Er kennt den Wirt. Und dann giebt es zwei Tagesritte am Republican-River hinauf am rechten Ufer desselben eine große Farm, zu welcher bedeutende Ländereien gehören. Der Besitzer hat große Pferde- und Rinderherden. Er heißt Fenner, und so oft Old Surehand in jene Gegend gekommen ist, hat er diesen Farmer besucht. Weiter kann ich Euch leider keine Andeutung geben, Mr. Shatterhand.“

„Ist auch nicht nötig. Das, was Ihr gesagt habt, genügt mehr als vollständig, um mich später zu unterrichten. Ihr werdet dann erfahren, daß ich Freund Surehand so sicher getroffen habe, als wenn Ihr mir seinen Weg von Schritt zu Schritt beschrieben hättet.“

Ich ging.

Als die Zeit gekommen war, den Landeplatz der Steamer aufzusuchen, fragte ich Mutter Thick nach der Rechnung; da hatte ich aber einen Pudel geschossen, über den sie sich so gekränkt fühlte, daß sie beinahe Thränen vergoß. Sie erklärte, daß es eine großartige Beleidigung sei, ihr Geld dafür anzubieten, daß sie den unvergeßlichen Vorzug gehabt habe, Old Shatterhand bei sich zu sehen. Ich meinerseits bemerkte ihr dagegen, daß ich mich nur dann als Gast betrachten könne, wenn ich eingeladen worden sei, und daß mein Charakter es mir nicht erlaube, mir etwas schenken zu lassen, was ich bestellt und genossen habe, weil ich annahm, daß ich es bezahlen müsse. Sie sah ein, daß ich auch nicht unrecht hatte, und bot mir den höchst überraschenden Ausgleich an:

„Nun wohl, Ihr wollt partout geben und ich lasse mich partout nicht bezahlen; so gebt mir etwas, was kein Geld ist!“

„Was?“

„Etwas, was mir höher steht als alles Geld und was ich als ein Andenken an Old Shatterhand heilig halten werde, so lange ich lebe, nämlich eine Locke von Euerm Haare.“

Ich fuhr förmlich einige Schritte zurück.

„Eine L – eine Lo – – eine Locke – – von mir – – von mir? Habe ich recht gehört? Habe ich Euch richtig verstanden, Mutter Thick?“

„Ja, ja, Sir. Ich bitte Euch um eine Locke Eures Haars.“

Trotz dieser Versicherung war es mir schwer, es zu glauben. Mein Haar, und eine Locke! Wirklich zum Lachen! Ich besitze nämlich einen wahren, dichten Urwald von Haaren; man kann mich, was ich oft geschehen ließ, an denselben packen und in die Höhe ziehen, ohne daß es mich im geringsten schmerzt. Und so dicht wie dieses Haar ist, so dick und stark ist jedes einzelne. Als ich während meiner Schülerzeit mich einmal dem Schermesser eines Leipziger Friseurs anvertraute, rief er nach dem ersten Schnitte, den er that, ganz erschrocken aus: „Dunner und Sachsen, so was hab ich noch nich erlebt! Das sin schon keene Haare mehr; das sin die reene Borsten!“ Und jetzt bat mich die gute Mutter Thick um eine Locke! Wenn sie noch Strähne gesagt hätte! Sie hielt mein Staunen für Einwilligung und lief fort, um eine Schere zu holen.

„Also, ich darf?“ fragte sie dann, mit dem Blicke schon diejenige Stelle des Kopfes suchend, welcher die Locke entlockt werden sollte.

„Na, wenn es wirklich Euer Ernst ist, Mutter Thick, so nehmt Euch, was Ihr wollt!“

Ich neigte mein Haupt, und die lockenhungrige Alte -denn sie war über sechzig Jahre – ließ ihre Finger prüfend darüber gleiten. Sie entdeckte den Punkt, wo der Wald am dichtesten war, fuhr mit der Schere in das Unterholz – -schrrrrrr! Es klang, als ob Glasfäden zerschnitten würden, und sie hatte die gewünschte Locke. Sie hielt sie mir triumphierend vor das Gesicht und sagte:

„Ich danke Euch herzlich, Mr. Shatterhand! Diese Locke von Euch kommt in ein Medaillon und wird jedem Gaste gezeigt, der sie sehen will.“

Ihr Gesicht strahlte vor Vergnügen, das meinige aber nicht, denn das, was sie in der Hand hatte, war keine Locke, auch keine Strähne, sondern ein so dicker Pack von Haaren, daß man zwei dicke Maurerpinsel davon hätte binden können. Ein Medaillon! Sehr niedlich ausgedrückt! Wenn sie diese Haare in eine große Konservenbüchse steckte anstatt in ein Medaillon, so war sie so voll, daß nichts mehr hineinging! Ich fuhr mit der Hand erschrocken nach der Stelle, wo die Schere gewütet hatte; sie war kahl, vollständig kahl; ich fühlte eine Platte, die so groß wie ein silbernes Fünfmarkstück war. Diese schreckliche Mutter Thick! Ich stülpte mir schleunigst den Hut auf den Kopf und habe mir seitdem nie wieder eine Locke vom Haupte schneiden lassen, weder von einer Mutter, noch von einer Tochter!

Nach diesem Verluste wurde mir der Abschied von der braven Wirtin und Medailloneuse leichter, als ich ihn mir vorgestellt hatte, und ich suchte mir, auf dem Steamer angekommen, eine einsame Stelle aus, wo ich ungestört und unbemerkt eine planimetrische Untersuchung anstellen konnte, wie viele oder wie wenige solche Scherenschnitte dazu gehörten, das Haupt eines kriegerischen Westmannes in einen friedlichen Kahlkopf zu verwandeln.

Das Schiff, welches uns an Bord genommen hatte, war nicht einer jener schwimmenden Paläste, an welche man denkt, wenn von einer Missisippi- oder Missourifahrt die Rede ist, sondern ein schweres, plumpes Paketboot, welches von der keuchenden Maschine nur langsam fortgeschleppt werden konnte. Wir brauchten volle fünf Tage bis nach Topeka, wo ich mich in Peter Lebruns Weinstube nach Old Surehand erkundigte. Er war vor drei Tagen hier gewesen. Wir fanden ein gutes Pferd für Treskow und kauften es. Dann ging es fort, hinaus auf die rollende Prairie, den Republican-River entlang. Der Osten von Kansas ist nämlich sehr hügelig; Bodenwellen, soweit das Auge reicht; das bietet einen Anblick, als ob ein rollendes Meer plötzlich mitten in der Bewegung erstarrt sei; daher die Bezeichnung Rolling-Prairie.

Gegen Abend des zweiten Tages erreichten wir Fenners Farm. Wir hatten uns nach ihr erkundigt, denn es gab auf dem Weidelande, über welches wir kamen, eine Menge Cowboys, welche die Herden beaufsichtigten. Fenner war ein freundlicher Mann, der uns zwar erst mißtrauisch betrachtete, dann aber, als ich Old Surehands Namen nannte, uns einlud, seine Gäste zu sein.

„Ihr dürft euch nicht wundern, Mesch’schurs,“ sagte er, „daß ich euch nicht gleich willkommen hieß; es kommen gar verschiedene Leute hier ins Land. Erst vorgestern lagerten bei mir sieben Kerls, die ich gastfreundlich aufnahm; aber als sie früh fort waren, fehlten mir sieben Stück meiner besten Pferde. Ich ließ sie verfolgen, doch konnten sie nicht eingeholt werden, weil ihr Vorsprung zu groß war und weil sie mir eben grad die besten Pferde genommen hatten.“

Er mußte sie mir beschreiben, und wir überzeugten uns, daß es der General, Toby Spencer und die fünf andern gewesen waren. Old Surehand hatte eine Nacht auf der Farm zugebracht. Wir beschlossen, dasselbe zu thun.

Da wir es vorzogen, im Freien anstatt in der Stube zu sein, wurden Stühle und ein Tisch herausgebracht. Da saßen wir essend und uns unterhaltend vor dem Hause; seitwärts von demselben grasten unsre Pferde, die wir abgesattelt hatten, und weiter draußen jagten Cow-boys hin und her, um die Herden für die Nacht zusammen zu treiben. Von links her kam auf galoppierendem Pferde ein Reiter gesprengt, gerade auf das Farmhaus zu; etwas Weißes wehte wie eine Mähne hinter ihm her; ich mußte sogleich an Old Wabble denken.

„Ah, da kommt der!“ sagte Fenner. „Ihr werdet jetzt einen höchst interessanten Mann kennen lernen, der in früheren Jahren berühmt war und der King of the cow-boys genannt wurde.“

„Uff!“ ließ sich Winnetou hören.

„Habt Ihr den Mann auf Eurer Farm angestellt, Mr. Fenner?“ fragte ich.

„Nein. Er kam heute mittag, mit einer“ kleinen Gesellschaft von Westmännern hier an, mit denen er da draußen am Busche Lager macht, um morgen wieder fortzureiten. Er ist weit über neunzig Jahre alt und sitzt noch wie ein Jüngling im Sattel. Seht, jetzt ist er da!“

Ja, er war da. Er kam, ohne uns schärfer anzusehene fast bis ganz zu uns herangejagt, hielt sein Pferd an und wollte abspringen; da erst richtete er das Auge voll auf uns, fuhr sofort mit dem rechten Fuß in den Bügel und rief:

All thousand devils! Old Shatterhand und Winnetou! Mr. Fenner, bleiben diese Kerls heut hier?“

Yes,“ antwortete erstaunt der Farmer.

„So reiten wir fort. Wo solche Halunken sind, haben ehrliche Menschen keinen Platz. Lebt wohl!“

Er riß sein Pferd herum und galoppierte wieder fort. Der Farmer war nicht bloß über das Verhalten des Alten überrascht, sondern auch über die Namen, welche dieser genannt hatte.

„Sir, Ihr seid Old Shatterhand? Und dieser rote Gentleman ist Winnetou, der Häuptling der Apatschen?“

„Ja, Mr. Fenner.“

„Warum habt Ihr mir das nicht eher gesagt? Ich hätte Euch noch ganz anders aufgenommen!“

„Wir sind Menschen wie alle Menschen und haben nicht mehr und nichts Besseres zu beanspruchen als andre Leute!“

„Mag sein; aber wie ich euch bewirten will, das ist nicht eure, sondern meine Sache. Werde meiner Frau sagen, für was für Gäste sie zu sorgen hat.“

Er ging in das Haus. Winnetou hielt sein Auge dorthin gerichtet, wo die weiße Mähne Old Wabbles noch wehte.

„Sein Blick war Haß und Rache,“ sagte er. „Old Wabble hat gesagt, er gehe fort; aber er kommt in dieser Nacht zurück. Winnetou und seine weißen Brüder werden sehr vorsichtig sein.“

Wir waren mit dem Essen noch nicht fertig, als Fenner wieder herauskam. Er schob Fleisch, Brot, die Teller, kurz alles, was vor uns lag, zusammen und sagte:

„Bitte, Mesch’schurs, macht eine Pause! Meine Frau deckt drin einen andern Tisch. Redet nicht dagegen, sondern gönnt mir die Freude, euch zeigen zu dürfen, wie willkommen ihr mir seid!“

Dagegen war nichts zu machen; er meinte es gut, und wir fügten uns in seinen Willen. Als uns die Frau dann hineinholte, sahen wir alle Delikatessen aufgetragen, welche eine Farm zu bieten vermag, die zwei Tagereisen von der nächsten ,Stadt entfernt liegt. Das Essen begann also von neuem, in zweiter, verbesserter Auflage. Dabei erklärten wir unsrem Wirte das für ihn sonderbare Betragen des alten Wabble, indem wir ihm den Diebstahl der Gewehre und dessen Bestrafung erzählten. Er konnte aber trotzdem den Grimm des alten Königs der Cow-boys nicht begreifen. Old Wabble hatte allen Grund, uns dankbar zu sein, denn wir waren eigentlich sehr gnädig mit ihm verfahren; er hatte keine Strafe bekommen, obgleich er bei dem Diebstahle beteiligt gewesen war, indem er den General in das Haus des Bloody-Fox geführt hatte.

Während des Essens wurde es dunkel. Wir waren um unsre Pferde besorgt und stellten das dem Farmer vor. Er machte uns den Vorschlag:

„Wenn ihr sie wegen Old Wabble und der Gesellschaft, die er bei sich hat, nicht im Freien lassen wollt, so habe ich hinter dem Hause einen Schuppen, in dem wir sie anbinden können. Für Wasser und gutes Futter werde ich da sorgen. Der Schuppen ist zwar unverschlossen, weil von einer Seite offen, aber ich werde einen zuverlässigen Mann als Wächter hinstellen.“

„Was das betrifft, so verlassen wir uns lieber auf uns selbst. Wir werden also selber der Reihe nach wachen, erst Pitt Holbers, dann Dick Hammerdull, hierauf ich und nachher Winnetou,“ sagte ich, „Jeder zwei Stunden lang.“

Well! Und schlafen werdet ihr nebenan in der andern Stube, wo ich euch gute Lager machen lasse, da seid ihr vor einem hinterlistigen Überfalle sicher. Außerdem habe ich ja genug Cow-boys draußen auf den Weiden, die auch mit achtgeben können.“

Diese Maßregeln wurden getroffen, nur weil wir gewohnt waren, selbst da und dann vorsichtig zu sein, wo und wenn andre sich vollständig sicher gefühlt hätten. Recht überlegt, war ein Überfall von seiten des alten Wabble gar nicht zu erwarten, zumal uns bald darauf ein Cow-boy meldete, daß er mit seinen Leuten fortgeritten sei.

Die Pferde wurden also in dem Schuppen untergebracht, und Pitt Holbers ging hinaus, um seine Wache anzutreten. Wir andern saßen in der Stube um den Tisch und unterhielten uns. Wir waren noch nicht müde, und Fenner trieb uns von einer Erzählung zu der andern; er wollte von unsern Erlebnissen gern so viel wie möglich hören. Ihm und seiner Frau machte besonders die witzige Art und Weise Spaß, in welcher der wohlbeleibte Dick einzelne Episoden seines abwechslungsreichen Lebens schilderte.

Nach Verlauf von zwei Stunden ging er hinaus, um Pitt Holbers abzulösen. Dieser meldete uns, daß alles ruhig sei und nichts Verdächtiges sich habe hören oder sehen lassen. Es verging wieder eine Stunde. Ich erzählte eben ein humoristisches Erlebnis unter dem Zeltdache eines Lappländers und hatte nur auf die lachenden Gesichter meiner Zuhörer acht, als mich Winnetou plötzlich beim Kragen faßte und mit solcher Gewalt auf die Seite riß, daß ich fast vom Stuhle stürzte.

„Uff! Ein Gewehr!“ rief er, indem er nach dem Fenster zeigte.

Zugleich mit seinen Worten fiel draußen ein Schuß; die Kugel zertrümmerte eine Fensterscheibe und drang hinter mir in den Säulenbalken, welcher die Decke stützte. Sie hatte mir gegolten und wäre mir in den Kopf gegangen, wenn Winnetou mich nicht weggerissen hätte. Im Nu hatte ich meinen Stutzen in der Hand und sprang nach der Thür; die andern folgten mir.

Die Vorsicht gebot mir, die Thür nicht ganz zu öffnen, um nicht einem zweiten Schusse als Ziel zu dienen. Ich machte sie also nur eine Lücke weit auf und blickte hinaus. Es war nichts zu sehen. Jetzt stieß ich sie ganz auf und trat hinaus ins Freie; Fenner und meine Gefährten schoben sich hinter mir her. Wir lauschten.

Da hörten wir hinter dem Hause das Stampfen und Schnauben von Pferden, und zu gleicher Zeit rief Dick Hammerdulls Stimme:

„Zu Hilfe! Die Pferde, die Pferde!“

Wir sprangen um die erste und um die zweite Ecke des Hauses. Da sahen wir Gestalten, welche mit Pferden kämpften, die sich nicht fortführen lassen wollten; zwei Reiter wollten an uns vorüber, um zu fliehen.

„Halt! Herunter mit euch!“ rief Fenner.

Er hatte, als der Schuß auf mich gefallen war, seine Doppelbüchse von der Wand gerissen und richtete sie jetzt auf diese Reiter; zwei Schüsse von ihm, und sie stürzten von den Pferden. Die Kerls, welche sich mit unsern Pferden vergeblich abgemüht hatten, gaben den mißglückten Versuch auf und rannten davon. Wir sandten ihnen einige Schüsse nach.

„Recht so, recht so!“ hörten wir Dicks Stimme wieder. „Gebt ihnen gutes Blei in die Köpfe! Dann aber kommt hierher! Der Schuft will nicht still liegen bleiben.“

Wir folgten dem Rufe und sahen ihn auf einem Menschen knieen, der sich gegen ihn sträubte und den er mit Aufbietung aller seiner Kräfte niederhielt. Dieser Mensch war – -der alte Wabble! Er wurde natürlich sofort festgenommen.

„Sagt mir doch, wie das gekommen ist!“ forderte ich den Dicken auf, der jetzt vor mir stand und von der gehabten Anstrengung tief Atem holte. Er antwortete:

„Wie es gekommen ist, das bleibt sich gleich; aber ich lag im Schuppen bei den Pferden; da war es mir, als hätte ich hinter demselben leise sprechen hören. Ich ging hinaus und lauschte. Da fiel vor dem Hause ein Schuß, und gleich darauf kam jemand, der ein Gewehr in der Hand hatte, um die Ecke gerannt. Das weiße Haar war trotz der Dunkelheit deutlich zu sehen; ich erkannte Old Wabble, sprang auf ihn zu, riß ihn nieder und rief um Hilfe. Seine Kumpane hatten hinter dem Schuppen gesteckt und sprangen jetzt hinein, um unsere Pferde fortzuschaffen. Euer und Winnetous Hengst und meine alte, pfiffige Stute wollten nicht mit fort; Pitt Holbers‘ und Mr. Treskows Pferd aber waren nicht so gescheit; zwei von den Spitzbuben stiegen auf und wollten sich eben davonmachen, als Ihr kamt und sie mit Euern Kugeln herunter holtet. So ist die Sache. Was soll mit dem alten King of the cow-boys geschehen, den man lieber König der Spitzbuben heißen möchte?“

„Schafft ihn hinein in die Stube! Ich komme gleich nach!“

Durch unsere Schüsse waren mehrere von Fenners Cowboys herbeigerufen worden, mit denen ich unsere Pferde wieder in den Schuppen brachte. Sie mußten als Wächter bei ihnen bleiben. Wir suchten die Umgebung desselben ab; die Diebe waren fort. Die zwei von ihnen aber, welche Fenner von den Pferden geschossen hatte, waren tot.

Als ich in die Stube kam, lehnte Old Wabble an dem Säulenpfosten, in welchen seine Kugel gedrungen war; man hatte ihn da fest angebunden. Er schlug nicht etwa die Augen nieder, sondern sah mir mit offenem, frechem Blicke in das Gesicht. Wie gut und nachsichtig war ich früher mit ihm gewesen! Ich hatte Achtung vor seinem hohen Alter, jetzt widerte er mich an. Man hatte über die Strafe gesprochen, die er bekommen sollte, denn eben, als ich eintrat, sagte Pitt Holbers:

„Er ist nicht nur ein Dieb, sondern ein ganz gefährlicher Meuchelmörder; er muß aufgehängt werden!“

„Er hat auf Old Shatterhand geschossen,“ erwiderte Winnetou, „folglich wird dieser sagen, was mit ihm geschehen soll.“

„Ja, er ist mein; ich nehme ihn für mich in Anspruch,“ stimmte ich bei. „Er mag die Nacht hier am Balken hängen; morgen früh werde ich sein Urteil fällen.“

„Fäll’es doch gleich!“ zischte mich der Meuchler an. „Gieb mir eine Kugel in den Kopf, daß du als frommer Hirte dann für meine arme, verlorene Seele etwas zu wimmern und zu beten hast!“

Ich wendete mich, ohne ihm zu antworten, von ihm ab. Fenner entfernte sich, um seine Cow-boys auf die Suche nach den entflohenen Dieben zu schicken. Sie ritten die ganze Nacht durch die Umgegend, konnten aber niemand finden. Es läßt sich denken, daß wir nur sehr wenig schliefen; es war kaum Tag, so hatten wir die Lager schon verlassen. Old Wabble zeigte sich ganz munter; die Nacht am Balken schien ihm ganz gut bekommen zu sein. Als wir frühstückten, sah er so unbefangen zu, als ob gegen ihn gar nichts vorliege und er der beste unserer Freunde sei. Das empörte Fenner so, daß er zornig ausrief.

„So eine Frechheit ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen! Ich habe diesen Menschen stets, wenn er zu mir kam, mit Achtung behandelt, schon seines Alters wegen; nun aber bin auch ich dafür, daß er nach den Gesetzen der Prairie behandelt wird. Pferdediebe und Mörder werden gehängt. Mag er in das Grab stürzen, in dem er ja doch schon längst mit einem Fuße steht!“

Da knurrte ihn der Alte höhnisch an:

„Bekümmert Euch doch ja nicht um mein Grab! Es ist doch nicht für Euch! Ob mein Kadaver noch einige Jahre leben bleibt, oder ob er im Grabe verfault, das macht gar keinen Unterschied; ich pfeife darauf!“

Wir waren alle empört über diese Worte.

„Welch ein Mensch!“ rief Treskow aus. „Er verdient den Strick und weiter nichts. Sprecht ihm sein Urteil, Mr. Shatterhand! Wir werden es unbedenklich vollziehen.“

„Ja, ich werde es sprechen; zu vollziehen braucht ihr es nicht,“ antwortete ich. „Ob lebendig oder tot, das ist ihm gleich; ich werde ihm aber Gelegenheit geben, zu erfahren, daß jede Sekunde des Lebens einen Wert hat, an den alle Reichtümer der Erde nicht reichen. Er soll um eine einzige Minute der Verlängerung seines Lebens zu Gott wimmern; wenn er sich nicht bekehrt, soll seine Seele zetern aus Angst vor der göttlichen Gerechtigkeit, die er verlacht, und wenn die Faust des Todes seinen Körper krümmt, soll er nach der Vergebung seiner Sünden heulen!“

Ich band ihn vom Balken los. Er blieb stehen, dehnte und reckte seine eingeschlafenen Arme und sah mich fragend an.

„Ihr könnt gehen,“ sagte ich.

„Ah! Ich bin frei?“

„Ja.“

Da schlug er ein höhnisches Gelächter auf und rief:

„Ganz wie es in der Bibel steht: Glühende Kohlen auf das Haupt des Feindes sammeln. Ihr seid ein Musterchrist, Mr. Shatterhand! Aber das fruchtet bei mir nichts, denn solche Kohlen brennen mich nicht. Es mag zwar außerordentlich rührend sein, den großmütigen Hirten spielen zu können, der seine bösen Lämmlein laufen läßt, mich aber rührt es nicht. Lebt wohl, Mesch’schurs! Wenn wir uns wiedersehen, wird es in einer ganz andern Weise sein als jetzt!“

Er ging hocherhobenen Hauptes fort. Wie bald sollte dieses sein letztes Wort in Erfüllung gehen! Wir sahen ihn wieder, ja, und wie anders, wie ganz anders stand es da um ihn! – – –

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Ein Korsar

Ein Korsar

„O, Sennores,“ bemerkte der mexikanische Advokat zu seiner Erzählung, „das war die Geschichte vom Grafen von Rodriganda. Was aus diesem vornehmen Herrn noch geworden ist, das ist Nebensache. Es galt mir nur, zu zeigen, daß sehr oft ein Indianer ein weit besserer Mensch als ein Weißer ist. Die beiden Häuptlinge der Apatschen und der Miztecas haben das mehr als zur Genüge bewiesen. Und wenn man nun gar von Winnetou sprechen hört, der geradezu ein Beispiel von Hochherzigkeit und Noblesse ist, und von den vielen Bleichgesichtern, an denen er dies bewiesen hat, so möchte man es wirklich bedauern, daß man nicht eine rote, sondern eine weiße Haut besitzt. Zwar ist bei der Episode mit Sam Fire-guns Trappergesellschaft sehr viel Blut geflossen, wie wir vorhin hörten; aber das hat er nicht verhindern können, denn die Verhältnisse lagen so, und die Gegner waren so gefährliche Kerls, daß Schonung gar nicht am Platze war. Nur bedaure ich, daß dieser Sanders im ehrlichen Kampfe eines so raschen Todes gestorben ist; er hatte nicht das Messer, sondern einen tüchtigen Strick aus gutem Hanf verdient.“

Da rief Mutter Thick vom Schänktische her: „Den hat er ja auch bekommen!“

„Wie? Was? Einen Strick?“

„Ja.“

„Aber es ist doch erzählt worden, daß er im Gutter von dem Steuermanne erstochen worden ist!“

„Ja freilich; aber es ist nicht wahr. Der Gentleman, der die Geschichte erzählt hat, ist von der wirklichen Thatsache abgewichen. Sanders ist nicht erstochen worden, und Jean Letrier ist auch nicht umgekommen; sie blieben verschont und wurden gefangen genommen.“

„Ist das wahr, Sennor?“

Der Mexikaner richtete diese Frage an den frühern Indianeragenten, dessen Gesicht jetzt eine kleine Verlegenheit zeigte. Er antwortete:

„Hm, wie man es nimmt! Eigentlich ist er tot, denn ich habe es erzählt, und er lebt auch wirklich heut nicht mehr; aber, hm! Mutter Thick, wie kommt denn Ihr dazu, zu behaupten, daß Sanders damals nicht erstochen worden ist?“

„Weil ich es weiß, und zwar ganz genau,“ antwortete die Wirtin, welche den ihr vorhin erteilten Wink nicht länger mehr beachten wollte.

„Von wem denn?“

„Von einem, der dabei gewesen ist.“

„Ich war doch auch dabei!“

„Ja; aber der Gentleman, von dem ich es habe, hat später noch viel, viel mehr mit Sanders erlebt und durchgemacht.“

„Wirklich? Wen meint Ihr denn eigentlich?“

„Den Polizisten Treskow.“

„Ah! Der soll später mit ihm noch mehr erlebt haben?“

„Ja. Wenn Ihr es nicht glauben wollt, so mag er es Euch selbst sagen!“

„Um das zu können, müßte et hier sein.“

„Das ist er auch.“

„Wo denn? Wo?“

„Dreht Euch nur einmal um, und seht Euch den Gentleman an, der hinter Euch am letzten Tische sitzt! Ihr habt ihn noch gar nicht bemerkt, weil er bis vorhin draußen in der andern Stube saß.“

Der Agent drehte sich um. Als er den Herrn sah, der mir so interessant vorgekommen war, sprang er auf, ging zu ihm hin, hielt ihm beide Hände entgegen und rief:

„Mr. Treskow, wirklich, das ist Mr. Treskow! Es ist seitdem eine Reihe von Jahren vergangen; aber ich kenne Euch trotzdem sofort wieder. Welche Freude! Was führt Euch denn nach Jefferson-City?“

„Ich bin in letzter Zeit wiederholt hier gewesen und da stets bei Mutter Thick eingekehrt.“

„In Geschäften?“

„Hm! Geschäfte sind es eigentlich nicht, die ich betreibe,“ antwortete er mit einem Lächeln.

„So seid Ihr nicht geschäftlich, sondern amtlich hier?“

„Ja.“

„Also noch immer Detektive?“

„Ja.“

„Wollt Ihr etwa einen von uns da fangen?“

„Das nicht, denn ich bin überzeugt, daß sich nur Gentlemen hier befinden, die von der Polizei nichts zu fürchten haben. Ich wohne für einige Tage hier bei Mutter Thick und saß da draußen in der Stube, deren Thür nur angelehnt war; darum hörte ich die Geschichten, welche hier erzählt wurden. Als Ihr von Sam Fire-gun, von Pitt Holbers und Dick Hammerdull zu sprechen anfingt, da litt es mich freilich nicht länger draußen, und ich kam herein, um zuzuhören.“

„Habt Ihr mich erkannt?“

„Sofort!“

„Natürlich! Es war freilich dumm von mir, Euch, einen Detektive, zu fragen, ob Ihr mich erkannt habt. Ich freue mich außerordentlich, Euch wiederzusehen, und Ihr müßt die Güte haben, Euch mit an unsre Tafel zu setzen; die Gentlemen kennen Euch ja aus meiner Geschichte, so daß ich Euch nicht erst lange vorzustellen brauche. Aber Eure Anwesenheit macht mir doch einen Strich durch meine Rechnung oder vielmehr durch meine Erzählung!“

„Wieso?“

„Weil ich Sanders und Jean Letrier habe sterben lassen, und sie sind damals doch am Leben geblieben.“

„Ja, das war freilich eine Licenz, welche nicht mit der Wahrheit übereinstimmte.“

„Licenz, Licenz, das ist das richtige Wort. Man nimmt sich die Freiheit, gegen die Wahrheit zu erzählen, um dadurch eine höhere künstlerische Wirkung oder einen guten, befriedigenden Abschluß zu erzielen. Dieses letztere war bei mir der Fall. Sanders und Letrier wurden damals freilich nicht niedergemacht, sondern gefangen genommen, denn Fire-gun befahl seinen Leuten, sie zu schonen, weil er sie lebendig haben wollte, und auch Euch lag sehr viel daran, Sanders lebendig in Eure Hand zu bekommen. Aber ich hatte keine Zeit; ich konnte nicht im Lager bleiben und ritt mit meinen Leuten schon am andern Tage fort. Ich habe also bis zum heutigen Tage nicht gewußt, was Ihr mit den beiden angefangen habt, und da die Gerechtigkeit ihre Bestrafung erforderte, so habe ich sie einfach bei unsrem Angriffe im Gutter sterben lassen. Das gab einen Schluß, mit dem man zufrieden sein konnte, und so hoffe ich, daß die Gentlemen hier mir die kleine Licenz verzeihen werden.“

Er führte Treskow an die Tafel, wo derselbe von allen Dortsitzenden willkommen geheißen wurde. Sie wollten natürlich nun hören, welche Strafe Sanders damals bekommen hatte. Natürlich war der Agent der Neugierigste unter ihnen und drang in Treskow, die Wißbegierde der Anwesenden zu stillen.

„Oder,“ fragte er, „ist’s etwa Amtsgeheimnis, was nach meiner Entfernung von Sam Fire-gun geschehen ist?“

„Gar nicht,“ antwortete Treskow. „Ich kann Euch alles ganz und gern erzählen.“

„So thut es! Fangt an, Sir, fangt an! Ihr seht, daß wir alle darauf brennen, das weitere zu hören. Also Sanders und Letrier wurden gefangen genommen, gefesselt und mit nach dem Lager transportiert. Früh ritt ich fort. Was geschah nachher?“

„Wenn ich Euch das erzählen soll, muß ich erst einige Bemerkungen machen. Zunächst waren Sanders und Letrier nicht die einzigen, welche dem Tode entgingen; es gelang noch einem seiner Leute, zu entkommen, ohne daß wir es wußten; wir erfuhren es aber sehr bald, und zwar zu unsrem Schaden. Er traf auf der Flucht auf eine Schar junger Ogellallahs, welche auf eigne Faust ausgezogen waren, um ihren Kriegern entgegen zu reiten und dabei Gelegenheit zu finden, sich auszuzeichnen; der Sohn des gefallenen Häuptlings führte sie an. Sie trafen auf die Spuren des Kampfes; sie sahen, was geschehen war und folgten unsrer Fährte, um die Niederlage und den Tod der Ihrigen zu rächen. Dabei stieß der erwähnte Weiße zu ihnen. Er war ein schlauer Kerl, dessen Spürsinn es gelang, das Hide-spot der Trapper zu entdecken.“

Hide-spot? Ihr meint das Lager, welches wir vom Gutter aus aufsuchten?“

„Nein. Unter dem Hide-spot war ein ganz andrer Platz, ein noch viel besseres Versteck gemeint. Das Lager galt, so zu sagen, nur als Filiale oder als Außenfort des Hide-spot, welches eine viel größere Sicherheit gewährte und wohin die beiden Gefangenen geschafft wurden, als ihr euch von uns getrennt hattet. Das Hide-spot hatte zwei Ein- oder Ausgänge, nämlich den gewöhnlichen, den alle Mitglieder der Gesellschaft kannten, und einen andern, den Sam Fire-gun entdeckt und bisher geheim gehalten hatte. Und grad diesen geheimen Zugang spürte der Weiße auf und verriet ihn den jungen Ogellallahs, was unsern Absichten und den Verhältnissen überhaupt eine ganz andre Wendung gab. Ihr werdet es erfahren, Mesch’schurs.

Die zweite Bemerkung ist die, daß wir an Sanders einen noch viel bedeutenderen Fang gemacht hatten, als wir dachten. Wir glaubten, den von der Polizei so lange vergeblich gesuchten Dieb und Betrüger ergriffen zu haben; er war aber mehr, weit mehr als das.“

„Was, Mr. Treskow? Ein Mörder?“

„Noch mehr!“

„Noch mehr? Etwas Schlimmeres als einen Mörder kann es doch eigentlich gar nicht geben!“

„Hm! Hat vielleicht jemand von euch einmal von einer gewissen Miß Admiral gehört?“

„Miß Admiral? Miß Admiral? Miß Admiral?“ wurde von mehreren ausgerufen. „Natürlich, natürlich! Wer von uns hätte nicht von diesem Frauenzimmer gehört, die ein Teufel in Menschengestalt gewesen ist!“

„Kennt ihr ihr Ende?“

„Ja. Sie wurde in New-York aufgehängt.“

„Und kennt ihr ihre Verbrechen?“

Der frühere Indianeragent antwortete:

„Es ist ganz unmöglich, alle ihre Verbrechen zu kennen. Sie ist das einzige Kind eines alten, originellen Seefahrers gewesen, der die Schrulle hatte, sich nicht von ihr trennen zu wollen. Er steckte sie in Knabenkleider und nahm sie auf allen seinen Reisen mit an Bord. Da lernte sie den Dienst von unten bis nach oben genau und vollständig kennen; sie machte nach und nach alle Stufen vom Schiffsjungen bis zum Offizier durch; sie hatte nicht bloß Gabe, sondern Talent für die See und brachte es durch die Praxis und durch den Unterricht, den ihr der Vater gab, so weit, ein Schiff bei jedem Wind und Wetter zu regieren. Aber darüber konnten sich die Mannen, die mit ihrem Vater fuhren, nicht freuen; sie war schon als Kind eine wilde Katze, und je größer und älter sie wurde, desto mehr entwickelte sich ein Teufel in ihr, der sie bis an ihr Ende, also bis zum Strange beherrschte. ist das richtig oder nicht, Mr. Treskow?“

„Es ist richtig. Aber da ihr wißt, daß sie gehängt worden ist, werdet ihr wohl auch erfahren haben, daß sie den Galgen nicht ohne Gesellschaft bestiegen hat?“

„Ja; der schwarze Kapitän wurde mit ihr gehängt, ein Kerl, der grad so schlimm oder noch schlimmer war als sie.“

„Kennt ihr seine Vergangenheit?“

„Ich weiß nicht, was Ihr da unter Vergangenheit versteht. Er muß schon jung ein außerordentlich guter Seemann gewesen sein, denn als man ihm den Strick um den Hals legte, hat er nicht viel über dreißig Jahre gezählt und vorher doch schon lange, lange Zeit die belebtesten Seekurse unsicher gemacht. Er war ein Sklavenhändler, wie es keinen zweiten gegeben hat, holte die Negerware von Afrika herüber und brachte sie hier stets glücklich an den Mann, ohne daß es jemals gelang, ihm das Handwerk zu legen. Es nahm es eben kein anderer Kapitän und kein anderer Marineoffizier mit ihm auf.“

„Das ist richtig, doch lag der Grund nicht allein in ihm, sondern auch in der Vortrefflichkeit des Fahrzeuges, welches er führte.“

„Ihr meint den l’Horrible? Ja, das soll eine Schunerbrigg oder ein Dreimast-Marssegelschuner gewesen sein, gegen welchen kein anderes Schiff hat aufkommen können. Der schwarze Kapitän hat sich selbst vor Dampfern nicht gefürchtet, so lange nur eine Handvoll Wind in seinen Segeln steckte. Die Miß Admiral war sein Segelmeister, oder wie man das so nennt, und wenn zwei solche Personen zusammenkommen, so kann man sich denken, wie dann der Stecken schwimmt. Diese beiden haben nämlich nicht nur Neger gejagt und verkauft, sondern jedes Fahrzeug, dem sie begegneten, als gute Prise betrachtet, wenn es zu bewältigen war. Wie viel Fahrzeuge da ausgeraubt und mit der ganzen Bemannung versenkt worden sind, das wird wohl niemals an den Tag kommen. Interessant wäre es mir, zu erfahren, wo und wie die beiden, nämlich die Miß Admiral und der schwarze Kapitän, zusammengekommen sind.“

„Das kann ich Euch sagen, Sir.“

„Wirklich? Also wie?“

„Ich ersah es aus den Akten, welche mir vorgelegen haben. Der Seemann war ihm angeboren, und er hätte es auf gutem Wege weit, sehr weit bringen können, aber wie die Miß Admiral eine Katze, so war er schon als junge ein durchtriebener und unbändiger Fuchs, dem kein Lehrer ein gutes Ende voraussagte, obgleich er durch seine außerordentlichen Fortschritte alle in Erstaunen setzte. Die Navigation war sein Element, in welchem er mit fünfzehn Jahren sich besser auskannte als mancher vielbefahrene Orlogoffizier; aber es gab auch in ihm einen Teufel, der ihn nicht auf dem rechten Kurse litt. Er machte Dummheiten über Dummheiten, die ihm so lange nachgesehen und verziehen wurden, bis es nicht mehr ging, weil er es zu arg trieb. Er wurde trotz seiner sonstigen, unvergleichlichen Brauchbarkeit mit Schande fortgejagt. Nun trieb er sich längere Zeit herum, von einem Bord zum andern; das waren aber alles Schiffe zweifelhaften Rufes. Wie unverzeihlich das von ihm war, werdet ihr einsehen, wenn ich euch sage, daß er es schon deshalb ganz anders hätte haben können, weil er nicht arm war, sondern ein beträchtliches Vermögen besaß, welches ihm die Eltern hinterlassen hatten. Um diese Zeit traf er mit Miß Admiral zusammen, deren Vater kürzlich gestorben war; sie hatte von ihm auch einen ganzen Sack voll Geld geerbt. Die beiden sahen sehr bald ein, daß sie vortrefflich zu einander paßten, aber nicht etwa, um einander zu heiraten, o nein! denn die Miß Admiral ist in dieser Beziehung niemals ein Frauenzimmer gewesen, sondern in ganz anderer, sagen wir, geschäftlicher Beziehung. Sie beschlossen, ihr Geld zusammenzuthun und ein Schiff zu kaufen, um mit Ebenholz zu handeln und nebenbei zu nehmen, was sich bieten würde. Das mußte aber ein vorzügliches Fahrzeug sein, ein Segler ersten Ranges, und einen solchen führte ihnen der Satan in den Weg, nämlich den l’Horrible, der nachher so berüchtigt wurde. Matrosen fanden sich sehr bald, die nichts mehr zu verlieren hatten und ihren letzten Schutz nun unter der Piratenflagge suchten. – – – Das Geschäft begann und entwickelte sich zu einem höchst einträglichen Unternehmen. In der ersten Zeit hatte der Sklavenhändler zwei Kapitäns, weil die Miß Admiral sich als gleichstehend mit ihrem sauberen Compagnon betrachtete; aber er bekam sie nach und nach unter; sie sah ein, daß er ihr als studierter Navigationer denn doch über war, und mußte sich mit der zweiten Stelle als Segelmeister begnügen. Diese Herabsetzung, wie sie es nannte, ließ sie an ihren Untergebenen aus; sie war ein Unmensch gegen sie; die neunschwänzige Katze bekam die Herrschaft an Bord, und wer es wagte, einen Befehl zu mißachten, wurde sofort niedergeschlagen und in die See geworfen. Die Mannen mußten sich das gefallen lassen, denn sie hatten sich selbst außerhalb des Gesetzes gestellt und konnten bei keiner Behörde Schutz und Hilfe suchen.

Der Name l’Horrible wurde bald nur mit Schrecken genannt, und sein Kapitän war nur unter dem Namen der schwarze Kapitän bekannt. Man darf nun nicht etwa meinen, daß er zu der Miß Admiral in einem einträchtigen Verhältnisse gestanden habe; sie lebten im Gegenteile in offener Feindseligkeit, und keins von ihnen beiden fühlte sich seines Lebens sicher. Die kühnste und verwegenste That des schwarzen Kapitäns war die, daß er sich mit seinem l’Horrible sogar einmal in den Hafen von New-York getraute, natürlich unter falscher Flagge und mit guten Papieren, die von einem Schiffe stammten, welches er ausgeraubt und in den Grund gebohrt hatte. Bei dem Kampfe mit der Besatzung dieses Schiffes war er verwundet worden, und kam nun nach New-York, um sich heilen zu lassen. Wenn ich sage, dies sei sein kühnster Streich gewesen, so wurde ihm dabei von der Miß Admiral ein Streich gespielt, der ebenso groß war. Sie ging ihm nämlich, während ihn das Krankenlager festhielt, mit dem Schiffe und dem ganzen Gelde auf und davon. Dies zu thun und ihn los zu werden, hatte sie schon längst geplant; aber es bekam ihr nicht so, wie sie es erwartet hatte. Sie hatte gelernt, ein Schiff zu regieren, ja; aber die Finessen, welche dazu gehören, einen Kaper jeder, auch der eifrigsten Verfolgung zu entziehen, die besaß sie doch nicht, die hatte nur der schwarze Kapitän besessen. Sie wurde von einem Kriegsschiffe aufgegriffen und geentert; es gab einen Verzweiflungskampf, bei welchem alles, was an Bord gelebt hatte, niedergemetzelt oder dann an den Raaen aufgehängt wurde. Nur einige Mannen waren entkommen, weil sie sich augenblicklich am Lande befanden.

Natürlich suchten die Sieger nach dem schwarzen Kapitän; doch ohne ihn zu finden; sie nahmen an, daß er mit bei den Toten liege und kein Abzeichen habe, an welchem er zu erkennen sei. Als dann die Kabinen und Kojen durchsucht wurden, fand man eine Dame, welche Passagierin eines überfallenen Schiffes gewesen und von den Korsaren mitgeschleppt worden war, um von ihr ein hohes Lösegeld zu erpressen. Sie war natürlich unendlich glücklich, ihre Freiheit wieder zu erhalten, wurde mit der größten Achtung und Zuvorkommenheit behandelt und im nächsten Hafen gelandet. Niemand ahnte, daß diese Dame die Miß Admiral war, welche sich für einen Fall wie diesen mit Frauenkleidern versehen hatte. Sobald ihr klar geworden war, daß jeder Widerstand vergeblich sei, hatte sie sich unter Deck geflüchtet und diesen Anzug angelegt.

Man kann sich die Wut denken, in welche der schwarze Kapitän geriet, als er erfuhr, daß der l’Horrible aufgegriffen und fast unbeschädigt eingebracht worden sei. Er hatte fest angenommen, daß das Schiff noch im Hafen vor Anker liege, und erfuhr nun erst die Untreue der Miß Admiral. Als er von seiner Verwundung geheilt war, stand er arm und ohne alle Mittel da. Er ergriff bald dieses und bald jenes, um nur den Hunger zu stillen, dachte aber ganz und gar nicht daran, ein ehrlicher Kerl zu werden, sondern wurde ein so raffinierter Gauner und Betrüger, wie er vorher ein Korsar gewesen war. Als er dann bemerkte, daß in New-York die Polizei auf ihn aufmerksam wurde, machte er sich fort, um sein Heil im Westen zu versuchen; vorher erfuhr er noch, daß sein l’Horrible nach Vornahme der notwendigen Umwandlung in die Kriegsmarine eingestellt werden solle.

Nun werdet ihr mich fragen, Mesch’schurs, warum ich hier so viele Worte über den schwarzen Kapitän mache; ihr sollt die Antwort sofort haben. Nämlich als wir Sanders bei Sam Fire-gun ergriffen hatten und dann seine Taschen durchsuchten, wurden allerhand Notizen gefunden, deren Bedeutung die andern nicht ergründen konnten; als man mir sie aber überließ und ich sie sorgfältig durchging, wurde mir klar, daß Sanders kein anderer als der schwarze Kapitän sei; Jean Letrier war einer seiner Korsaren. Welch ein Fang! Nicht wahr? Ich kann euch die Freude, welche ich fühlte, nicht beschreiben, und sah die Belohnung, die mich erwartete, schon in meinen Händen. Ich ließ diese Freude aber nicht sehen und verheimlichte es auch Sanders, daß ich ihn durchschaut hatte.“

„Sagtet Ihr es auch Euren Gefährten nicht?“ erkundigte sich der Indianeragent.

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil ein unvorsichtiges Wort genügt hätte, Sanders erraten zu lassen, daß ich sein Geheimnis kannte. Er sollte das erst vor Gericht erfahren. Durch solche Überraschungen pflegen selbst harte Verbrecher förmlich niedergeschmettert zu werden. Es ging aber leider anders, als ich dachte.“

„Er ist euch doch nicht etwa entsprungen?“

„Allerdings ist er das. Aber ehe ich erzähle, wie das zuging, will ich euch viel weiter nach dem Westen führen, über die Felsenberge, durch Arizona und Nevada, bis wir uns in San Francisco befinden, wo wir sehr bald auf eine bekannte Person treffen werden, obgleich sie sich große Mühe giebt, nicht erkannt zu werden.“

„Wer ist das?“

„Werdet es gleich erfahren. Also, hört:

„Wer heutigestags nach San Francisco, der Beherrscherin des Goldlandes und des stillen Weltmeeres, kommt und, am Hafenquai stehend, das Völkergewühl, welches hier in fast unlösbarer Bewegung durcheinander wirrt, beobachtet, wer die breiten, langgestreckten Straßen, die umfangreichen Plätze, die prächtigen Paläste und Gebäude sieht, hinter deren Spiegelscheiben alles aufgestapelt ist, was vom Golde stammt, mit ihm in Beziehung steht und für dasselbe zu haben und zu kaufen ist, der vermag nur schwer an die geringen, ja armseligen Anfänge zu denken, aus denen sich die Metropole des schimmernden Metalles entwickelt hat.

Und wie die Wogen da draußen im Hafen und auf der See steigen und fallen, wie die bunt zusammengewürfelte Menschheit in den Straßen, Plätzen und öffentlichen Lokalen sich ohne Rast und Ruhe schiebt und stößt, drückt und drängt, so steigt und fällt auch das wankelmütige Glück, so schiebt auch das untreue Verhängnis den Spielball, Mensch genannt, zum scheinbar sichern Halt empor und stößt ihn im nächsten Augenblicke wieder hinab auf den Grund, wo das Ungeziefer der Gesellschaft wimmelt. Wer gestern noch als Millionenmann gepriesen und beneidet wurde, bricht vielleicht schon heut mit Hacke, Spaten und Büchse nach den Diggins auf, um den verlorenen Reichtum wieder zu gewinnen. Die Existenzen sind vorwiegend problematisch, und manche glänzende Salonerscheinung entpuppt sich, wenn das Spiel zu Ende ist, als ein haltloses, abenteuerliches Dasein, dessen Bestehen nur von dem Falle des Würfels abhängig war.

Auf dem Kurse von Acapulco nach San Francisco segelte ein Fahrzeug. Es war ein stramm gebautes, schneidiges Dreimasterschiff, welches unter dem Spriete und hinten am Stern in goldenen Lettern den Namen l’Horribletrug. Die Kleidung der Mannschaft bewies, daß das Schiff zur Kriegsflotte der Vereinigten Staaten gehöre, obgleich aus mancher Kleinigkeit in Bau und Takelung sich vermuten ließ, daß es nicht zu diesem Zwecke gebaut sei.

Im gegenwärtigen Augenblicke stand der Befehlshaber auf dem Quarterdecke und blickte hinauf nach den Wanten, wo einer der Männer hing und mit dem Rohre in der Hand scharfen Ausguck hielt.

„Nun , Jim, hast du ihn?“ fragte er.

„Ay, ay, Capt’n; dort segelt er grad vor dem Glase!“ antwortete der Gefragte, mit der Hand windwärts deutend. Er nannte den Befehlshaber Kapitän, obgleich dieser die Abzeichen des Marinelieutenants trug. Ein Grad höher kann niemals schaden, zumal wenn der Betreffende den höhern Rang verdient.

„Welchen Lauf hält er?“

„Er sucht unser Kielwasser, Master. Ich glaube, er schlägt von Guayaquil oder Lima, vielleicht gar von Valparaiso herauf, weil er mehr aus dem Westen steuert als wir.“

„Was für ein Fahrzeug ist es, Jim?“

„Kann es noch nicht sagen, Sir; laßt ihn erst noch um etwas näher kommen!“

„Wird er das?“

„Sicher, Capt’n!“

„Möchte es fast nicht glauben,“ lautete die Antwort. „Wäre doch neugierig, das Schiff zu sehen, welches den l’Horrible übersegelt!“

„Hm,“ machte der Mann, indem er aus den Wanten niederstieg und dem Lieutenant dann das Rohr Übergab; „kenne doch eins, dem es gelingen sollte!“

„Welches?“

„Die Swallow, Sir.“

„Ja, die; sonst aber weiter keins! Aber wie sollte die Swallow in diese Gewässer kommen?“

„Weiß nicht, Master; aber das Schiff da hinten ist keine Bostoner Heringstonne, sondern ein kleiner, rascher Klipper. Wäre er größer, so müßte man ihn auf die Entfernung hin deutlicher sehen. Und die Swallow ist auch ein Klipper.“

Well, wollen sehen!“ entschied der Lieutenant, den Mann verabschiedend und sich mit dem Rohre nach dem Steuer begebend.

„Ein Segel in Sicht?“ fragte der Steuermann.

„Ja.“

„Wo‘ Sir?“

„Hinter uns.“

„Möchtet Ihr da nicht ein Reff in die Leinwand ziehen lassen?“

„Ist nicht nötig,“ antwortete der Kommandant, jetzt selbst durch das Glas blickend. „Es ist ein ganz famoser Segler; er wird uns auch ohne Reff einholen.“

„Pah, Sir; das möchte ich sehen!“

„Es ist so,“ klang es mit einem leisen Anfluge von verletztem seemännischen Stolze. „Er greift den Raum mit Macht. Seht, Maate, vor drei Minuten war er bloß vom Mars aus zu erkennen; jetzt stehe ich auf Deck und sehe ihn.“

„Soll ich ein weniges vom Winde abfallen?“

„Nein; ich will sehen, wie lange er braucht, um Seite an Seite mit uns zu segeln. Ist’s ein Amerikaner, so soll mich’s freuen; ist’s aber ein andrer, so will ich ihm lieber den Teufel, als ein solches Fahrzeug gönnen.“

Es dauerte nicht lange, so waren die Mastenspitzen und dann auch der schlanke Rumpf des fremden Schiffes schon mit unbewaffnetem Auge zu erkennen.

„Es ist ein Klipper mit Schunertakelage,“ meinte der Maate, „ein Dreimast-Marssegelschuner, grad wie unser l’Horrible.“

Yes. Ein prächtiges Fahrzeug, bei allen Teufeln! Seht, wie es schief vor dem Winde läuft, und mit vollem Segelwerk. Der Mann, der es befehligt, scheint sich vor einer Hand voll Wind mehr als gewöhnlich nicht zu fürchten. Jetzt legt er sogar die Braamtücher bereit, so daß der Schuner das Steuer hebt und fast nur auf dem Buge tanzt!“

„Ein wackerer Bursche, Sir. Aber kommt ein diverger Windstoß, so legt sich der Klipper in die See, so wahr ich Maate bin und Perkins heiße! Der Mann segelt doch ein wenig zu verwegen.“

„Nein. Seht Ihr nicht, daß die Reffleinen nicht angesorrt sind, sondern nur festgehalten werden? Bei einer Bö läßt man sie fahren, pah!“

„Jetzt zieht er die Flagge. Wahrhaftig, ein Amerikaner! Seht Ihr die Sterne und Streifen? Er frißt das Wasser förmlich, und in fünf Minuten ist er an unsrer Seite.“

„Er frißt das Wasser; ja, das ist der richtige Ausdruck für eine solche Fahrt. By god, der Kerl hat wahrhaftig sechs Kanonenluken auf jeder Seite, eine Drehbasse auf dem Vorderkastell und also wohl auch so etwas Ähnliches kurz vor dem Steuer. Könnt Ihr das Bild bereits erkennen, Maate?“

„Noch nicht; aber wenn mich nicht alles trügt, so ist es die Swallow. Ich habe sie in Hoboken einmal bestiegen und mir jede Talje und Schote, jedes Stückchen Tau und Takelwerk genau angesehen.“

„Wer kommandierte damals auf ihr?“

„Hab‘ den Namen vergessen, Master; war ein alter, halb wracker Seehund mit einer rotbraunen Nase, die ganz nach Gin und Brandy aussah. Aber den Maate habe ich gut gekannt, hieß Peter Polter, stammte aus Germany da drüben herüber und war ein wohlbefahrener junge, auf den sich jeder wohl verlassen konnte. Habt Ihr ihn jetzt nahe genug am Rohre?“

„Ja. Es ist die Swallow. Haltet einen oder zwei Striche mehr nach Luv; es ist augenscheinlich, daß sie mit uns reden will!“

Er kehrte auf das Quarterdeck zurück und rief:

„Holla, Jungens, an die Brassen!“

Die Männer sprangen zu den Leinen.

„Mann am Stock, zieh auf die Flagge!“

Das Stern- und Streifenbanner der Union flog in die Höhe.

„Greift an zum Beidrehen!“

Die Befehle wurden mit anerkennungswerter Präcision ausgeführt.

„Konstable!“

Der Gerufene trat an sein Geschütz.

„Laßt fallen. Feuer!“

Die Segel fielen und zugleich krachte der Schuß über die See.

„Achtung, Maate; leg bloß den Wind!“

Augenblicklich gehorchte das Steuer dem Rufe, und mit möglichst weniger Leinwand an den Raaen legte sich der l’Horrible herum, um auf die Swallow zu warten.

Auch von ihrem Borde krachte ein Schuß. Mit beinahe fabelhafter Geschwindigkeit kam sie herbeigeflogen. Unter ihrem Spriete breitete eine aus Holz gehauene blaue Schwalbe ihre vergoldeten, spitzen Flügel aus. Die Namensinschrift am Stern war jetzt nicht zu bemerken. Die flotte Brise lag voll in ihrem schweren Segelwerke. Zur Seite geneigt, so daß die Spitzen ihrer Nocken fast das Wasser berührten, schoß sie mit einer Sicherheit und Zierlichkeit heran, die ihrem Namen alle Ehre machte. Jetzt war ihr Klüversegel fast in gleicher Breite mit dem Sternwimpel des l’Horrible, da erscholl die Stimme ihres Befehlshabers, welcher vorn auf dem Deck seines Schuners stand:

„Hallo, die Reffs!“

Im Nu schlappten die Segel hernieder, das Fahrzeug stieg vorn in die Höhe, erhob sich aus seiner geneigten Lage, schwankte einmal kurz auf die andre Seite und richtete sich dann stolz und kräftig über die gebändigten Wogen.

„Ahoi, was für ein Schiff?“ fragte, mit der Hand vor dem Munde, der Befehlshaber des l’Horrible; er wußte gar wohl, was für ein Fahrzeug er vor sich hatte, mußte aber der gebräuchlichen Form genügen.

„Die Swallow, Lieutenant Parker, von New-York, direkt von New-Orleans um Kap Horn herum. Und Ihr?“

„Der l’Horrible, Lieutenant Jenner aus Boston, zum Kreuzen in diesen Gewässern, Sir!“

„Ist mir lieb, Sir! Habe Euch etwas zu übergeben. Soll ich per Schaluppe hinüberkommen, oder darf ich mich Dahlbord an Dahlbord an Eure Langseite legen?“

„Versucht’s, wenn Ihr’s zuwege bringt, Lieutenant!“

„Pah, die Swallow bringt noch Schwereres fertig!“

Er trat zurück und gab den Seinen einen Wink. Die Swallow warf sich leicht herum, beschrieb einen kurzen Bogen und legte sich so nahe an das andre Fahrzeug, daß ihre Mannschaft die Wanten desselben zu erfassen vermochte, ein Manöver, welches bei solchem Winde und mit dieser Sicherheit nur ein kühner und dabei sehr tüchtiger Mann auszuführen den Mut hat.

Während die beiden Schiffe sich auf einem nachbarlichen Wellenpaare wiegten, stand Max Parker mit einem gewandten Sprunge neben dem Lieutenant Jenner.

„Habe den Auftrag, Euch diese versiegelte Depesche zu überreichen, Sir!“ meinte er, indem sie sich freundschaftlich die Hände schüttelten.

„Ah! Wollt Ihr mit hinab in die Kajüte? Müßt doch einen Trunk am Bord des l’Horrible nehmen!“

„Hab‘ nicht gut Zeit, Lieutenant. Laßt einen Schluck heraufbringen!“

Jenner gab den dazu nötigen Befehl und öffnete dann, nachdem er respektvoll salutiert hatte, das Couvert.

„Wißt Ihr, was die Depesche enthält?“ fragte er.

„Nein; kann mir’s aber denken.“

„Ich muß sofort nach San Francisco, wohin ich übrigens schon den Kurs genommen hatte. Ich soll Euch dieses mitteilen.“

Well, so habe ich Euch diese Depeschen an die dort stationierenden Unionskapitäne zu überreichen. Ihr wißt wohl, daß der Süden revoltiert?“

„Habe davon gehört, obgleich ich erst kurze Zeit in dieser Breite kreuze. Werden sich aber wohl verrechnet haben, die Rebellen, was?“

„Meine es auch; doch ist der Süden stark und im Besitze fester Häfen und ungeheurer Hilfsquellen. Kampf wird es geben, schweren, harten Kampf, und ungewöhnlicher Anstrengung wird es bedürfen, um ihn niederzuringen. Ich wünsche, daß wir uns wiedersehen, Sir, Seite an Seite, dem Feinde gegenüber!“

„Sollte mich freuen, Master, herzlich freuen, mit einem Schiffe, wie Eure Swallow ist, den Gegner packen zu können. Wohin seid Ihr jetzt bestimmt?“

„Auch nach San Francisco, wo ich neue Ordres empfange. Vorher jedoch muß ich ein wenig auf der japanesischen Route streifen. Fare well, l’Horrible!“

Fare well, Swallow!“

Die beiden Männer leerten ihre Gläser, dann sprang Parker auf das Deck seines Fahrzeugs zurück. Die Swallow stieß vom l’Horrible ab, warf ihre Segel wieder an die Raaen, nahm den Wind voll in die Leinewand und schoß unter einem lauten Abschieds-Hallo der beiderseitigen Mannschaften davon. So schnell wie sie vom südwestlichen Gesichtskreise her erschienen war, so schnell verschwand sie wieder an dem in Glut getauchten westlichen Horizonte.

Es war, als sei eine graziöse Fee aus den Fluten aufgetaucht, um den einsamen Schiffer zu begrüßen und dann unerbittlich wieder in ihr nasses, geheimnisvolles Reich zurückzukehren.

Auch der l’Horrible setzte jetzt alle Segel bei, um die unterbrochene Fahrt mit vergrößerter Geschwindigkeit wieder aufzunehmen. Zwar währte die Fahrt noch einige Tage, dann aber mehrte sich die Zahl der ihm begegnenden oder zu gleichem Ziele mit ihm zusammentreffenden Fahrzeuge, und endlich ging er auf der Reede der Goldkönigin vor Anker.

Hier überließ Jenner das Ordnen der polizeilichen und hafenbehördlichen Angelegenheiten seinem Steuermanne und begab sich sofort an Bord eines neben ihm liegenden Panzerschiffes, an dessen Kapitän eine der ihm anvertrauten Depeschen adressiert war. Die andern der ihm bezeichneten Fahrzeuge mußten erst noch aufgesucht werden oder befanden sich auf kurzem Ausfluge in See.

Der Kapitän nahm die Depesche in Empfang und führte ihn in die Kajüte hinab, wo sich ein kameradschaftliches Gespräch entwickelte.

„Ihr werdet einige Zeit hier zu verweilen haben,“ meinte am Schlusse desselben der Kommandant des Panzerungeheuers. „Habt Ihr Bekanntschaften in der Stadt?“

„Leider nicht. Ich werde in gesellschaftlicher Beziehung nur auf die Restaurationen und Hotels angewiesen sein.“

„Dann erlaubt mir, Euch meine Verbindungen zur Verfügung zu stellen.“

„Wird mit Dank und Vergnügen acceptiert.“

„Ich kenne da zum Beispiel eine exquisite Dame, die sich die ganze Etage eines der feinsten Häuser gemietet hat. Sie ist eine Pflanzerswitwe aus Martinique, nennt sich de Voulettre und gehört zu denjenigen Frauen, die ewig jugendlich bleiben, deren Alter nie bestimmt werden kann, weil Bildung, Geist und Liebenswürdigkeit die Macht der Jahre paralysieren. Sie macht ein großes Haus, scheint unerschöpflich vermögend, sieht bei sich nur die Vertreter der Aristokratie des Geistes, des Geldes und der politischen Macht und ist grad mir ganz außerordentlich interessant, weil sie große Seereisen gemacht und sich Kenntnisse über unsern Beruf angeeignet hat, über welche sie mancher wackere Seebär beneiden möchte.“

„Dann bin ich wirklich begierig, sie kennen zu lernen.“

„Ich werde Euch schon heut die Gelegenheit dazu bieten. Ich bin heut abend zu ihr geladen; wollt Ihr mit?“

„Sicher, Kapitän.“

„Gut. Ich werde Euch vorstellen, und dann dürft Ihr Euch so frei bewegen, als befändet Ihr Euch an Bord Eures l’Horrible. Ist übrigens ein prächtiges Fahrzeug, Lieutenant, und ich kann Euch zu diesem Kommando aufrichtig Glück wünschen. Das war so nett, so sauber, so adrett, so boudeaux, als Ihr herbeigestrichen kamt und Ruck und Zuck die Segel und der Anker fielen. Kam er nicht von den Inglishmen in den Besitz der Vereinigten-Staaten-Flotte?“

„Ja. Vorher aber war er das gefürchtetste Fahrzeug zwischen Grönland und den beiden südlichen Kaps. Oder habt Ihr nie von dem schwarzen Kapitän gehört?“

„Wie sollte ich nicht? Vielleicht mehr noch als Ihr. Ich wußte nur nicht gleich, wohin ich den Namen l’Horrible thun sollte; jetzt aber besinne ich mich. Das Fahrzeug wurde auf einer Ebenholzfahrt betroffen und daher weggenommen. Die Bemannung hing man an die Raaen und den schwarzen Kapitän – ah, wie war es nur mit ihm?“

„Er befand sich nicht an Bord, dafür aber eine Dame, die man beim Überfalle eines Kauffahrers verschont und mitgenommen hatte, um ein Lösegeld zu erpressen.“

„Wer war sie?“

„Weiß es nicht. Seit jener Zeit hat man nie mehr etwas wieder über den Piraten gehört. Entweder hat die Lektion gefruchtet oder er ist doch mit an Bord gewesen und im Kampfe getötet oder als gewöhnlicher Vormarsgast mit gehangen worden.“

„Wäre ihm recht geschehen! Also heut abend bei der Frau de Voulettre; ich werde Euch abholen, Lieutenant, ja?“

„Ich werde diese Ehre – –“

Pshaw, ich bitte nur, mir Euer braves Fahrzeug einmal ansehen zu dürfen, ehe wir an das Land rudern.“

Während dieses Gespräches kam ein Mann langsam und gemächlich am Quai herabgeschlendert, ganz in der Haltung eines Menschen, der über sich und seine Zeit vollständig Herr ist. Von kaum mittlerer Statur und dabei schlank gebaut, trug er die Kleidung eines Diggers, der von den Minen kommt, um von der anstrengenden Arbeit auszuruhen und sich ein Weniges in der Stadt umzusehen. Ein breitkrempiger, vielfach zerknitterter Hut hing ihm in das Gesicht hernieder; doch vermochte er nicht, das große, häßliche Feuermal zu verdecken, welches sich von dem einen Ohre quer über die ganze Wange bis über die Nase zog.

Wer ihn sah, wandte sich mit Abscheu von dem abstoßenden Anblicke weg. Der Mann bemerkte dies sehr wohl, schien sich aber nicht sehr darüber zu grämen und ließ sich sogar durch gelegentliche laute Äußerungen in seiner offenbaren Seelenruhe nicht stören.

Da blieb er stehen und ließ sein Auge hinaus auf die Reede schweifen.

„Wieder einer vor Anker,“ murmelte er; „ein Segelschiff und, wie es scheint, nicht schlecht gebaut. Wenn nur –.“ Er hielt plötzlich in seinem Selbstgespräch inne und beschattete das Auge mit der Hand, um schärfer sehen zu können.

Sacré nom du dieu, das ist, – ja, das ist er, das ist der l’Horrible, wegen dem ich nun schon seit einem Monate hier vor Anker liege. Endlich, endlich sehe ich ihn wieder, und – -doch, er liegt zu weit vom Lande, und ich könnte mich täuschen. Ich werde mich überzeugen, ob ich mich irre oder nicht!“

Er schritt die Stufen hinab, vor denen mehrere Boote lagen, und sprang in eines derselben.

„Wohin?“ fragte der Besitzer, der sich auf der Ruderbank sonnte.

Der Mann deutete leicht nach der Reede hinaus und antwortete:

„Spazieren.“

„Wie lange?“

„So lange es mir gefällt.“

„Könnt Ihr bezahlen?“

Der Frager musterte seinen Fahrgast mit nicht sehr vertrauensvollen Blicken.

„Nach der Fahrt mit gutem Gelde, vor der Fahrt mit guten Fäusten. Wähle also!“

„Hm, hm,“ brummte der Schiffer, offenbar eingeschüchtert durch den drohenden Blitz, welcher aus dem dunklen Auge des Fremden leuchtete, „steckt: Eure zehn Finger, wohin es Euch beliebt, nur nicht in mein Gesicht. Könnt Ihr das Steuer führen?“

Ein kurzes Nicken war die Antwort, dann wurde der Kahn gelöst und suchte durch das Gewirr der umherliegenden Fahrzeuge aller Gattungen seinen Weg hinaus in das freie Wasser.

Der Fremde verstand zu steuern wie nur irgend einer, das hatte der Schiffer schon nach den ersten Ruderschlägen bemerkt. Er ließ kein eigentliches Ziel erraten, umkreiste in weitem Bogen das Panzerschiff und den l’Horrible und führte dann das Boot an seinen Platz zurück, wo er die Fahrt auf eine Weise bezahlte, die seine äußere Erscheinung allerdings nicht hatte vermuten lassen.

„Er ist’s,“ seufzte er erleichtert, indem er die Stufen emporstieg; „nun soll die Frau de Voulettre bald so spurlos verschwinden, wie die Miß Admiral damals spurlos verschwunden ist. Jetzt aber in die Taverne!“

Er lenkte seine Schritte einer Gegend der Stadt zu, wo die obskuren Existenzen ihr elendes und oft auch verbrecherisches Leben fristen. Er mußte durch ein Gewirr enger Gassen und Gäßchen schreiten, deren Häuser kaum diese letztere Bezeichnung verdienten. Der wüste, holperige Boden bildete ein besonders für die Nacht halsbrecherisch zu nennendes Terrain, und die Hütten, Baracken und Zelte glichen eher einem wilden Zigeunerlager, als dem Teile eines wohlgeordneten Stadthaushaltes, wo die mächtige Hand einer kräftigen Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei jeden schädlichen oder auch nur verdächtigen Stoff auszuscheiden oder wenigstens unter scharfer Bewachung zu halten verpflichtet ist.

Endlich hielt er vor einer langgestreckten Bretterbude, über deren Thür mit einfachen Kreidezügen die Inschrift „Taverne of fine brandy“ angebracht war. Vor und hinter diesen Buchstaben war auch mit Kreide je eine Schnapsflasche auf das rissige Holz gemalt.

Er trat ein.

Der lange Raum war mit Gästen gefüllt, denen man es ansah, daß sie nicht zu den Kreisen der Gesellschaft gehörten, welche die Bezeichnung gentlemanlike für sich in Anspruch nehmen. Ein unbeschreiblicher Spiritusdunst und Tabaksqualm warf den Eintretenden förmlich zurück, und der Lärm, welcher hier herrschte, schien eher tierischen, als menschlichen Kehlen zu entstammen.

Der Mann mit dem Feuermale kehrte sich nicht im mindesten an diese Unannehmlichkeiten. Er trat an den Schenktisch und wandte sich zu dem hinter demselben paradierenden Wirte.

„Ist der lange Tom hier, Master?“

Der Gefragte musterte ihn mit einem mißtrauischen Blicke und antwortete nicht eben freundlich:

„Warum?“

„Weil ich mit ihm zu sprechen habe.“

„Wer ist der lange Tom, he?“

„Pah! Spielt nicht Versteckens! Ich kenne den Mann ebenso gut wie Ihr und bin von ihm hierher bestellt worden.“

„Wer seid Ihr?“

„Das geht Euch den Teufel an. Hab Euch auch noch nicht nach der Geburtsliste gefragt, auf der Euer Name verzeichnet sein mag!“

„Hoho, wenn Ihr so kommt, so könnt Ihr lange fragen, ehe Ihr die Antwort bekommt, die Ihr haben wollt. Eher ist es möglich, daß Ihr einen guten Faustschlag oder zwei von hier mit fortnehmt!“

„Darüber ließe sich vielleicht auch noch sprechen. Aber ich will Euch wenigstens so viel sagen, daß es Euch der lange Tom verteufelt anrechnen wird, wenn Ihr mich nicht mit ihm sprechen laßt.“

„So? Nun, ich will einmal so thun, als ob ich ihn kenne; versteht Ihr, Sir? Wenn er Euch wirklich bestellt hat, so hat er Euch jedenfalls ein Wort gesagt, ein kleines Wörtchen, ohne welches man nicht zu ihm kommt.“

„Das hat er. Hört einmal!“

Er neigte sich über den Tisch hinüber und raunte dem Wirte einige leise Silben zu. Dieser nickte zustimmend mit dem Kopfe.

„Richtig! jetzt darf ich Euch trauen. Tom ist noch nicht hier; es ist eben jetzt die Zeit, wo gewöhnlich die Polizei kommt, um sich ein weniges unter meinen Gästen umzusehen. Ist sie fort, so gebe ich ein Zeichen, und in fünf Minuten ist er da. Setzt Euch bis dahin nieder!“

„Hier nicht, Master. Tom sagte mir, daß es bei Euch einen kleinen Raum giebt, wo man nicht von jedermanns Auge belästigt wird.“

„Den giebt es, ja; aber er ist eben auch nicht für jedermann da.“

„Nicht für jedermann. Aber für wen denn?“

„Wenn ich Euch das erst sagen muß, so scheint es unter Eurem Hute ganz niederträchtig finster zu sein!“

„So sehr doch nicht, wie Ihr denkt!“

Er zog ein Goldstück hervor und schob es dem spekulativen Manne zu.

„Gut! Es steht mit Euch doch nicht ganz so schlimm, als ich dachte. Aber wißt Ihr, wenn man jemandem den Gefallen thut, die Spürnasen von ihm abzuhalten, so ist ganz natürlich eine Liebe der andern wert. Wollt Ihr etwas trinken?“

„Ein Glas Wein.“

„Wein? Seid Ihr verrückt? Was soll ich hier mit diesem albernen Getränke machen? Ihr bekommt eine Flasche Brandy, wie es hier Sitte und Gewohnheit ist. Hier, und auch ein Glas dabei. Jetzt setzt Ihr Euch an den Tisch dort hinter dem breiten Ofen. Gleich daneben ist eine Thür, die niemand sehen kann. Ich werde sie aufstoßen; dann paßt Ihr auf, und beim ersten Augenblicke, wo es kein anderer bemerkt, schlüpft Ihr schnell hinein.“

„Soll geschehen.“

„Es ist jetzt leer in jener Stube. Aber es werden bald Gäste kommen, und ich rate Euch, sie nicht zu inkommodieren. Es sind rasche Bursche, bei denen Wort und Klinge nicht weit voneinander liegen!“

Es geschah, wie er gesagt hatte, und bald saß der Fremde in dem verborgenen Raume. Dieser faßte nur zwei Tische mit vielleicht einem Dutzend Stühlen, welche jetzt leer standen. Aber, wie der Wirt gesagt hatte, kamen bald Gäste, einer nach dem andern, herbeigeschlüpft und nahmen in einer Weise Platz, welche erraten ließ, daß sie gewohnt seien, hier in dieser Abgeschlossenheit zu verkehren.

Die Notiz, welche sie von dem bereits Anwesenden nahmen, bestand nur in einem kurzen, musternden Blicke; sonst aber beachteten sie ihn nicht im mindesten und führten ihr halblautes Gespräch so ungeniert, als ob kein Fremder zugegen sei. Sämtliche Männer schienen Seeleute zu sein, wenigstens zeigten sie sich während ihrer Unterhaltung in dem Schiffswesen sehr bewandert und in allen nautischen Vorkommnissen der jüngeren Vergangenheit außerordentlich gut unterrichtet. Auch die im Hafen und auf der Reede liegenden Fahrzeuge wurden besprochen.

„Wißt Ihr,“ fragte einer, „daß der l’Horrible draußen vor Anker gegangen ist?“

„Der l’Horrible, das frühere Kaperschiff?“

„Ja, Befehlshaber Lieutenant Jenner. Ein prächtiges Schiff, ganz unvergleichlich in Bau und Ausrüstung; der schwarze Kapitän hat es bewiesen.“

„Schade um den armen Kerl, daß er den Strick hat schmecken müssen! Oder nicht, he?“

„Jammerschade; er wußte etwas aus sich und seinen Jungens zu machen.“

„Er vielleicht weniger, aber er soll einen ausgezeichneten Segelmeister gehabt haben, der das eigentliche Kommando führte.“

„Hab auch davon gehört. Der Kerl soll gar nicht einmal ein Mann, sondern ein Weib gewesen sein, ein wahrer Satan. Will’s auch gern glauben, denn wenn sich der Teufel ein Extrapläsir machen will, so fährt er in ein Frauenzimmer.“

„Richtig,“ meinte ein dritter, „ein Frauenzimmer ist es gewesen, und Miß Admiral wurde sie geheißen; ich weiß es genau. Sie soll die Tochter eines alten Seelöwen gewesen sein, der sie auf allen seinen Fahrten mitgenommen hat. Dadurch ist sie das reine Mannsbild geworden, hat sich nur auf dem Wasser wohl befunden und es nach und nach so weit gebracht, ein Schiff noch besser als mancher erfahrene Kapt’n zu führen. Jeder Seemann weiß, daß es dergleichen Frauenzimmer gegeben hat und wahrscheinlich auch heut noch giebt. Und wer noch mehr erfahren will, der mag nur den langen Tom fragen, der weiß Bescheid. Ich glaube, der Halunke ist schon einmal mit dem schwarzen Kapitän gefahren und kennt den l’Horrible besser, als er gestehen will.“

„Möglich; zuzutrauen ist es ihm. Und wenn es wirklich so gewesen ist, so fällt mir gar nicht ein, es ihm übel zu nehmen; denn so ein Hundeleben wie auf einem elenden Kauffahrer giebt es natürlich auf einem wackeren Kaper nicht. Ich will nicht weiter reden, aber, na, ihr wißt schon, was ich meine!“

„Papperlapapp, heraus damit! Oder wenn du dich fürchtest, so will ich es sagen: Wenn der schwarze Kapitän noch lebte und den l’Horrible noch hätte, ich ginge auf der Stelle zu ihm an Bord. Da hört ihr’s, und ich meine, daß ihr mir recht gebt!“

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür von neuem und ein Mann trat in gebückter Stellung ein, den alle als alten Bekannten begrüßten.

„Der lange Tom! Komm her, alter Swalker und verteie dich hier auf diesen Stuhl. Weißt du, daß wir soeben von dir gesprochen haben?“

„Ja, von dir und dem l’Horrible!“ bestätigte ein andrer.

„Laßt den l’Horrible nur immer draußen auf dem Wasser, ihr alten Schwatzratten,“ antwortete er, sich niedersetzend und dem Manne mit dem Feuermale unbemerkt zublinzelnd. „Was geht euch das Fahrzeug an, he?“

„Uns nichts, aber dich desto mehr. Wir meinen, daß du es besser kennst als wir; oder bist du nicht einmal auf seinen Planken herumgelaufen?“

„Ich sage nicht ja und nicht nein, aber möglich wäre es. Es sind wohl einige hübsche Dutzend guter Schiffe, die den Tom gesehen haben, und wer kann da etwas dawider haben, wenn der l’Horrible mit dabei gewesen ist?“

„Niemand. Doch sag, ist es wirklich wahr, daß der Segelmeister des Kapers ein Weibsbild gewesen ist?“

„Wie ich gehört habe, ja.“

„Hm, da muß doch trotz alledem eine miserable Wirtschaft auf dem Fahrzeuge stattgehabt haben!“

„Wieso?“

„Na, wenn ein Frauenzimmer das Kommando eines Schiffes führt, so möchte ich nicht dabei sein. Ich meine, daß grad dies und nichts andres daran schuld ist, daß der l’Horrible genommen worden ist.“

„Meint Ihr – ?“ ließ sich da mit gedehnt fragender Stimme der Fremde mit dem Feuermale vernehmen.

„Ja, ich meine es. Oder habt Ihr vielleicht etwas dagegen?“

„Geht Euch nichts an; wollte bloß wissen, ob Ihr das wirklich meint!“

„Geht mich nichts an, he? Wenn sich ein Fremder in das mengt, was ich sage, so geht es mich nichts an? Nehmt Eure Zunge etwas fester hinter die Zähne, sonst schlage ich Euch eins auf das Maul, daß sie Euch hinunter bis auf die Zehen fährt!“

„Seht ganz danach aus!“

„Wie – was? Da – da habt Ihr, was Euch gehört!“

Mit einem raschen Schritte stand er vor dem schmächtigen, um Kopfeshöhe kürzeren Mann und holte zu einem Schlage aus, der sicher keine wohlthuende Liebkosung sein konnte. Der Bedrohte aber hatte ihn im Nu gefaßt, hob ihn in die Höhe und schmetterte ihn mit solcher Wucht zu Boden, daß er sich kaum aufzuraffen vermochte.

Sofort sprang der ihm am nächsten Sitzende herbei, um die schmähliche Niederlage seines Kameraden zu rächen. Es wurde ihm ganz dasselbe Schicksal: mit wahrhaft katzenartiger Geschwindigkeit wich der Gegner seinen Streichen aus, unterlief ihn und warf ihn zur Erde nieder, daß es dröhnte.

Schon wollte der dritte dem Beispiele folgen, als der lange Tom sich in das Mittel legte.

„Stopp!“ meinte er, ihn beim Arme packend und zurückhaltend. „Mach keine Dummheit, alter Bursche. Mit dem dort nimmst du es nicht auf und noch zehn andre ebenso!“

„Oh! das will ich sehen!“

„Versuch’s, wenn du durchaus nicht anders willst, aber ich meine, daß ihr einen Offizier vom l’Horrible respektieren werdet.“

„Vom l’Horrible!“

Auch die beiden andern, welche sich jetzt vom Boden erhoben hatten und Miene machten, den Angriff von neuem zu beginnen, stimmten überrascht in diese Frage ein.

„Vom früheren oder jetzigen?“

„Vom früheren natürlich; oder glaubt ihr etwa, daß sich so ein Schwachkopf von Vereinigte-Staaten-Marineoffizier hier in unsre Kabine wagen möchte?“

„Ist’s wahr?“

Der Mann mit dem Feuermale nickte leichthin mit dem Kopfe und sagte:

„Wird wohl wahr sein, ihr Männer. Der lange Tom kennt mich ein weniges von früher her, wo wir einige Zeit lang auf denselben Planken herumgestiegen sind und manchen guten Coup ausgeführt haben.“

„So; das ist etwas anderes! Wenn es so steht, so seid Ihr sicher bei uns, und wir werden Euch unsre Fäuste nicht weiter zu schmecken geben.“

„Pah,“ klang die geringschätzige Antwort; „vor euren Fäusten ist mir ganz verteufelt wenig bange, wie ihr gesehen habt. Doch seid ihr keine üblen Maten, denke ich, und so will ich die Sache nicht nur gut sein lassen, sondern mich sogar auch ein wenig bei euch auf den Stuhl verteien.“

„Gut sein lassen? Ich denke, der Streit ist nicht von uns, sondern von Euch ausgegangen. Als Fremder ging Euch das, was wir sprachen, nichts an!“

„Hm, ihr mögt nicht so ganz unrecht haben, aber ich bin gewohnt, meine Leute auf die Probe zu stellen, ehe ich den Handschlag von ihnen nehme.“

„Eure Leute?“ meinte der eine.

„Auf die Probe stellen?“ der andre.

„Den Handschlag nehmen?“ der dritte.

„So ist’s! Habt ihr nicht vorhin gesagt, daß ihr nach dem l’Horrible möchtet?“

„Das war so eine Rede. Ihr werdet Euch wohl die Beifügung gemerkt haben: wenn der schwarze Kapitän noch lebte und ihn befehligte.“

„Wißt ihr denn so genau, daß er tot ist?“

„Alle Wetter! Wollt ihr damit etwa sagen, daß er noch lebt?“

„Er lebt noch.“

„Wißt Ihr das gewiß?“

„Gewiß.“

„Wo steckt er, he?“

„Das ist nicht eure, sondern meine Sache!“

„Auf dem l’Horrible jedenfalls nicht!“

„Nein; da habt ihr recht. Aber – – hm, wenn er ihn nun wiederbekäme?“

„Wiederbekäme? Holla, Sir, das wäre ja ein verdammt guter Streich von ihm!“

„Und von euch!“

„Von uns? Wieso?“

„Weil ihr mit dabei sein könnt, wenn ihr wollt,“ erklang es leise und vorsichtig.

„Was wollt Ihr damit sagen, Master?“

„Ich will damit sagen, daß man Männern, die der lange Tom seine Freunde nennt, wohl ein wenig Vertrauen schenken darf. Oder nicht, he?“

„Bei allen Teufeln, da habt Ihr recht und geht nicht fehl! Wir sind überall gern dabei, wo es ein gutes Geld oder einen hübschen Sold zu verdienen giebt. Tom mag uns Euch empfehlen!“

„Ist schon geschehen,“ antwortete der Genannte. „Dieser Sir kennt euch so wie ich, und ich hatte ihn herbestellt, damit er euch einmal sehen und mit euch sprechen könne. Wißt ihr etwas Neues?“

„Nun?“

„Ich werde Bootsmann auf dem l’Horrible.“

„Bootsmann? Willst du uns kalfatern?“

„Fällt mir gar nicht ein! Auch ihr könntet eine gute Stelle finden, wenn ihr wolltet.“

„Ob wir wollen! Aber das Schiff gehört ja den Buntjacken.“

„Jetzt, aber lange nicht mehr, das ist sicher.“

„Wieso?“

Er neigte sich über den Tisch herüber und flüsterte:

„Weil wir es ihnen nehmen werden.“

„Donnerwetter, das wäre ja ein Streich, wie er noch gar niemals dagewesen ist. Man würde in den ganzen Staaten und wohl auch noch weiter darüber hinaus davon sprechen.“

„Fürchtet ihr euch davor?“

„Fürchten? Pah! Was kann uns das Gerede schaden? Mit dem l’Horrible unter den Füßen braucht man sich vor der ganzen Welt nicht zu scheuen!“

„Ja, und könntet ein Leben führen wie der große Mogul oder wie der Kerl heißt, der so viel Dollars besitzt, daß die See voll würde, wenn er einmal so dumm sein wollte, sie hineinzuwerfen. Es liegt nur an euch, es so zu haben!“

„An uns? Sprecht weiter, Sir!“

Der Rotmalige langte in die Tasche, zog ein wohlgefülltes Portefeuille hervor, entnahm demselben einige Banknoten und legte jedem eine derselben hin.

„Wollt ihr diese Wische haben?“ fragte er.

„Werden nicht so albern sein, sie zurückzuweisen! Aber was sollen wir dafür thun?“

„Nichts; ich schenke sie euch umsonst. Aber wenn ihr die Richtigen seid, so könnt ihr morgen oder übermorgen fünfmal soviel haben!“

„Inwiefern?“

„Wollt ihr eine Spazierfahrt hinaus auf die Reede mitmachen?“

„Warum nicht?“

„Um den Buntjacken einen Besuch abzustatten?“

„Warum nicht?“

„Es wird wohl einige Hiebe oder Messerstiche dabei geben.“

„Thut nichts!“

„Doch ist es möglich, daß es auch glatt abgeht.“

„Desto besser.“

„Ihr bleibt natürlich dann auf dem Schiffe.“

„Versteht sich! Aber wer wird uns befehligen?“

„Wer anders als der Kapitän?“

„Der schwarze?“

„Der schwarze!“

„So lebt er wirklich noch.“

„Er lebt noch, und ihr sollt mit ihm zufrieden sein, wenn ihr das Eurige thut.“

„Wird an nichts fehlen, Sir, darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

„Gut; so hört, was ich euch sage!“

Sie rückten erwartungsvoll zusammen.

„Ihr kauft euch bessere Kleider, denn so wie jetzt darf euch niemand sehen!“

„Soll geschehen.“

„Ihr geht des Abends nicht aus, sondern bleibt hier, um auf mich oder einen Boten zu warten!“

„Ist uns lieb. Die Spürnasen machen uns ja draußen genug zu schaffen.“

„Sobald ich schicke, kommt ihr mit Tom zu – zu – in die Wohnung der Frau de Voulettre.“

„Alle Teufel, das ist eine verdammt vornehme und reiche Miß. Ich habe von ihr sprechen hören. Was haben wir mit ihr zu schaffen?“

„Die Offiziere des ‚Horrible werden bei ihr zu finden sein.“

„Ah!“

„Ihr wollt Heuer auf dem Schiffe nehmen, und sie wird euch den Herren empfehlen.“

„Donnerwetter – uns empfehlen – die reiche, vornehme Miß? Seid Ihr klug, Sir?“

„Ich denke es!“

Die Männer sahen ihn halb zweifelnd, halb respektvoll forschend an.

„Dann seid Ihr wohl ein wenig gut mit ihr bekannt?“

„Möglich! Ihr werdet jedenfalls gemietet werden und geht sofort an Bord.“

„Ganz wie Ihr befehlt, Sir.“

„Es wird dann dafür gesorgt werden, daß die Offiziere und Subalternen an das Land gehen. Der schwarze Kapitän wird dann mit seinen Leuten bei euch anlegen und – – na, das übrige ist nicht meine Sache; ich bin bloß sein Agent. Was ihr noch zu wissen braucht, wird euch Tom schon sagen.“

Die Männer nickten zustimmend. Der Plan des scheinbaren Agenten nahm ihre Köpfe so sehr in Anspruch, daß sie keine Zeit zu langen Reden hatten. Dieser fuhr fort:

„Und nun noch eins: Tom ist Bootsmann, und ihr habt ihm von diesem Augenblicke an in allen Stücken Gehorsam zu leisten, versteht ihr?“

Yes, Sir!“

„Seid ihr treu und verschwiegen, so könnt ihr auf den Kapitän rechnen; bei dem geringsten Zeichen von Verrat aber seid ihr verloren, dafür ist gesorgt. Also nehmt euch zusammen!“

„Keine Sorge, Master! Wir wissen, was wir vorhaben; es ist so etwas schon längst unser Wunsch gewesen, und da er nun so schön in Erfüllung geht, werden wir uns das Vergnügen nicht selbst verderben.“

„Schön! Hier habt ihr noch ein weniges, um zu trinken; ich muß nun fort. Adieu!“

„Adieu, Sir!“

Während die andern sich in achtungsvolle Stellung erhoben, reichte er Tom wie herablassend die Hand und verschwand dann durch die Thür.

„Alle Teufel, konnte der Kerl zugreifen!“ bemerkte der eine.

„Und was die Hauptsache ist, mit diesen kleinen Händen,“ fügte der andre hinzu. „Man sieht es ihm nicht an, aber er hat wahrhaftig den Satan im Leibe!“

„Setzt euch,“ mahnte Tom; „ich habe euch noch mancherlei zu erklären.“

Die Männer saßen noch lange beisammen und lauschten den Reden ihres Kameraden. Er war ein erfahrener und gewiegter Maate und verstand es, sie vollständig für das beabsichtigte Unternehmen zu gewinnen, so daß an einen Verrat ihrerseits nicht zu denken war. Seine Auslassungen bezogen sich darauf, daß grad jetzt während des Krieges zwischen den Nord- und Südstaaten ein gut geführter Kaper, der nebenbei heimlich Piraterie treibe, vortreffliche Geschäfte machen könne. – – –

Die Gemächer der Frau de Voulettre waren am Abende nach dieser Unterredung hell erleuchtet. Sie hatte große Soiree. Im Salon wurde zum Piano getanzt; an den Büffets nahm man die feinsten Delikatessen und Erfrischungen zu sich; die älteren Herren hatten sich in die Nebenzimmer zurückgezogen, wo man allerlei diskutierte oder sich einem kleinen Spielchen hingab, bei welchem die Dollars zu Hunderten gesetzt, gewonnen oder verloren wurden.

Selbst der Neid mußte gestehen, daß unter allen anwesenden Damen der Herrin des Hauses die Krone gebühre. Sie verstand es, jedes Wort so auszusprechen und jede, auch die kleinste Bewegung so auszuführen, daß der Beobachter selbst gegen seinen Willen angezogen und dann dauernd gefesselt wurde.

Jetzt eben ruhte sie in nachlässiger Stellung auf dem sammetnen Diwan und wehte sich mit dem perlenbesetzten Fächer Kühlung zu. Ihr dunkles Auge ruhte mit sichtbarem Interesse auf dem Gesichte des Marinelieutenants Jenner, der von dem Kapitän des Orlogschiffes vorgestellt worden war.

„Sie kommen um Kap Horn, Lieutenant?“ fragte sie ihn.

„Direkt nicht. Ich kreuze schon längere Zeit vis-à-vis dem Isthmus.“

„Ah, ein langweiliges Geschäft, nicht? Hatten Sie nicht Zeit, schon längst einmal hier anzulegen?“

„Leider nicht. Der Dienst zur See ist streng.“

„Wissen Sie, Lieutenant, daß ich mich trotzdem außerordentlich für das Seewesen interessiere?“

„Ah! Die See hat allerdings etwas Anziehendes selbst für Damen; aber das, was man unter Seewesen gewöhnlich zu verstehen pflegt, ist so trocken und – gefährlich, daß ich kaum einer Lady im Ernste zumuten möchte, sich –“

„Pah,“ fiel sie ihm in die Rede; „nicht jede Dame fürchtet die Gefahr, ebenso wie nicht jeder Herr ein Herkules ist. Meine Heimat ist eine Insel, rings vom Wasser umgeben; ich habe zahlreiche Verwandte drüben auf dem Kontinente, bin viel hin und her gefahren, oft droben in New-York oder Boston gewesen, habe sogar einmal das Kap der guten Hoffnung besucht und mir dabei eine Teilnahme für die See angeeignet, welche sich auf alles erstreckt, was mit der letzteren in Beziehung steht. Sogar den nautischen Wissenschaften, die für den Laien allerdings so schwer und trocken sind, wie Sie sagen, habe ich einige Teilnahme schenken dürfen, und wenn Sie mein Arbeitskabinett betreten wollten, so könnte ich Ihnen den sichersten Beweis für diese Behauptung liefern.“

„Für ein solches Heiligtum dürfte mein Fuß doch vielleicht zu profan sein.“

„Meinen Sie! Man lebt hier so ungeniert und unabhängig von den sonstigen Regeln der Etikette und Dehors, daß ich meinen Gästen gegenüber sicherlich keinen faux-pas begehe, wenn ich Sie ersuche, mir Ihren Arm zu geben!“

Sie legte ihren Arm in den seinen und schritt mit ihm durch mehrere Gemächer bis in ein Zimmer, welches allerdings die Bezeichnung Arbeitskabinett wenig oder gar nicht verdiente. Es war das Boudoir der Dame und mit einem Luxus ausgestattet, der geradezu raffiniert genannt werden mußte.

Hier trat sie an ein kostbares Schreibmöbel, öffnete einen Kasten desselben und entnahm demselben eine vollständige Sammlung der zuverlässigsten und wertvollsten Seekarten. Die andern Kästen enthielten alle nautischen Instrumente, welche zur Führung eines Schiffes erforderlich sind.

Jenner konnte seine Verwunderung über diesen unerwarteten Schatz nicht verbergen. Er gestand aufrichtig-

„Ich muß sagen, Miß, daß ich in meiner Kajüte nicht bessere Karten und Instrumente besitze!“

„Möglich; ich pflege nie etwas Unbrauchbares zu meinem Eigentum zu machen.“

„Aber diese Gegenstände sind nur nach tiefen Studien und nur in der Praxis zu verwenden!“

„Und diese Studien trauen Sie einer Dame nicht zu?“

„Ich fand noch keine, welche mich zu einer andern Überzeugung bekehrt hätte.“

„So bitte ich, mich zu examinieren!“

Ihr Auge hing mit einem belustigten Blicke, in welchem ein aufmerksamer Beobachter jedenfalls etwas wie Hohn oder Verachtung bemerkt hätte, in seinen offenen, ehrlichen Zügen.

„Examinieren?“ lachte er. „Wer vermöchte es, hier Ihnen gegenüber die zu einem solchen Vorhaben nötige Ruhe zu bewahren! An Bord meines Schiffes würde ich weniger befangen sein.“

„Dieser l’Horrible ist ein prächtiges Schiff, Sir, das prächtigste, welches ich kenne; aber wissen Sie, daß ich Sie dieses Fahrzeuges wegen hassen sollte?“

„Hassen? Weshalb?“

„Weil ich auf ihm die schlimmsten und bittersten Stunden meines Lebens durchlitten und durchjammert habe.“

„Sie waren auf dem l’Horrible?“ fragte er erstaunt.

„Ja. Sie kennen die Geschichte dieses berühmten oder vielmehr berüchtigten Fahrzeuges?“

„So ziemlich.“

„So hörten Sie auch von einer Dame, welche sich an Bord desselben befand, als es genommen wurde?“

„Gewiß.“

„Sie war mit einem Kauffahrer vom Kap gekommen und in die Hände des schwarzen Kapitäns geraten?“

„So ist es!“

„Nun, diese Frau war ich!“

„Waren Sie? Welch ein Zusammentreffen, Miß! Sie müssen mir später von diesem außerordentlichen Abenteuer erzählen!“

„Darf ich einen Wunsch äußern, Sir?“

„Sprechen Sie!“

„Darf ich den l’Horrible sehen, darf ich ihn nochmals besteigen, um die Stätte, an welcher ich so viel verlor, durch meine Gegenwart zu – zu – entsündigen?“

„Sie dürfen!“ erwiderte er erfreut, sie in seinem kleinen, wohlgeordneten Reiche umherführen zu können.

„Und wann?“

„Wann Sie befehlen!“

„Dann morgen, Sir, morgen am Vormittage!“

„Sehr, sehr gern, Miß. Ihr Fuß soll die Stätte heiligen, die meine gegenwärtige Heimat ist!“

„Dann werden wir Gelegenheit finden, das Examen anzustellen,“ lächelte sie schalkhaft. „Doch wünsche ich, Lieutenant, daß mein Besuch Ihnen keinerlei Unbequemlichkeit veranlasse. Ich bin weder Admiral noch Kommodore und habe nicht das mindeste Recht, einen seemännischen Eklat zu beanspruchen.“

„Keine Sorge, Miß! Selbst wenn ich wollte und es mir überhaupt gestattet wäre, den l’Horrible im Paradekleide auf Sie warten zu lassen, würde ich mit einigen kleinen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Grad morgen früh gehen einige meiner Männer auf Abschied vom Bord, und ich muß, um wieder vollzählig zu sein, mich nach Ergänzung umsehen.“

„Ah! Darf ich Ihnen dabei dienen, Sir?“

„Ich würde eine solche Liebenswürdigkeit mit Dank anzuerkennen wissen!“

„O bitte, nein, zum Dank würde dann nur ich verpflichtet sein! Ihre Bemerkung erinnert mich an einige brave Männer, die in meinen Diensten standen und auf ein gutes Schiff zu kommen wünschen. Sie sämtlich sind sehr wohlbefahrene Seeleute, denen ich das beste Lob erteilen kann. Darf ich sie Ihnen empfehlen?“

„Ihre Empfehlung überhebt mich der Mühe, mich nach passenden Persönlichkeiten umzusehen, Darf ich um das Nähere bitten?“

„Sie wohnen in der Nähe. Ich werde sie in das Vorzimmer rufen lassen, wo Sie die Prüfung vornehmen können.“

„Ihre Güte drückt mich förmlich nieder, Miß. Ich bin überzeugt, daß keiner Ihrer Schützlinge zurückgewiesen wird!“

„Ich danke! Gestatten Sie mir, den betreffenden Befehl zu erteilen!“

Sie kehrte in die Gesellschaftsräume zurück.

Jenner war bezaubert von der Liebenswürdigkeit dieser Frau, die ihm eine solche Freundlichkeit erwies. Er, der einfache, in gesellschaftlicher Beziehung anspruchslose und in Betreff der Frauen noch vollständig unerfahrene Seemann konnte sich unmöglich einem Argwohne hingeben, und als ihm gemeldet wurde, daß die Betreffenden im Vorzimmer seiner harrten, trat er am Arme der Gastgeberin hinaus, warf Tom, denn dieser war es, den die Dame mit seinen Gefährten aus der Taverne hatte kommen lassen, einige leicht zu beantwortende Fragen hin, gab ihnen das gebräuchliche Angeld und gebot ihnen, schon am nächsten Morgen am Bord des l’Horrible einzutreffen.

„Nun, Lieutenant,“ fragte ihn der Kapitän des Panzerschiffes, als sie später miteinander heimgingen. „Wie gefällt Ihnen die Dame?“

„Ausgezeichnet!“ antwortete Jenner. „Sie will meinem l’Horrible einen Besuch abstatten.“

„Ah! Und wann?“

„Schon morgen am Vormittage.“

„Hm, gratulire, Lieutenant! Der Empfang wird ein gebührender sein.“

„Höflich, nicht mehr!“

„Soll ich mich dazu einladen?“

„Darf ich Sie ersuchen, Kapitän?“

„Nein, nein,“ lachte dieser; „ich will ein rücksichtsvoller Kamerad sein und Sie in Ihrer Herrlichkeit nicht stören, allerdings nur unter einer gewissen Bedingung!“

„Sie lautet?“

„Sie bringen mir Ihren Besuch auf eine Viertelstunde herüber zu mir!“

„Zugestanden!“

„Topp?“

„Topp!“

Die beiden Offiziere bestiegen das ihrer harrende Boot, um sich nach ihren Fahrzeugen zu begeben. –

Am andern Morgen herrschte am Bord des l’Horrible ein regeres Leben als gewöhnlich. Die Mannschaft war unterrichtet worden, daß eine hochgestellte Dame das Schiff zu besichtigen wünsche. Die peinliche Ordnung und Reinlichkeit, welche auf einem Kriegsschiffe zu herrschen pflegt, ließ zwar alle Vorbereitungen in dieser Richtung als überflüssig erscheinen, dennoch aber unterwarf Jenner sein Fahrzeug einer sorgfältigen Prüfung und verordnete hier und da einen Handgriff oder befahl ein kleines Arrangement, um seine schwanke Wohnung in einem möglichst vorteilhaften Lichte erscheinen zu lassen.

Er hatte diese Thätigkeit eben erst beendet, als die neu angeworbenen Matrosen an Bord erschienen und sich ihm vorstellten. Er nahm sie in Pflicht, ließ ihnen ihren Raum anweisen und bekümmerte sich dann nicht weiter um sie. Die spezielle Beaufsichtigung der Leute war so nicht seine, sondern die Sache des Maate.

Als dann später die Frau de Voulettre erschien, empfing er sie mit ausgesuchter Artigkeit.

„Ein prächtiges Schiff!“ meinte sie, als sie von der Besichtigung desselben mit Jenner unter das auf dem Decke errichtete Zeltdach zurückgekehrt war, wo der Koch mit den gewähltesten Leckerbissen auf sie wartete. „Ich muß gestehen, Sir, daß es sich sehr zu seinem Vorteile verändert hat. Die gegenwärtige Takelung ist ausgezeichnet, so daß ich glaube, seine Geschwindigkeit habe um ein Beträchtliches gewonnen, seit es in die Hand der Vereinigten-Staaten-Marine gelangt ist.“

„Ich kenne die Zahl der Knoten nicht, die es früher zurückgelegt hat, aber ich bin dennoch in der Lage, Ihrer Meinung mich anzuschließen, wenn auch nicht aus dem Grunde, um dabei mir ein Verdienst beizulegen. Die Verwaltung der Staaten-Marine besitzt eben mehr als ein Privatmann die intellektuellen und pekuniären Mittel, welche die Ausrüstung eines Schiffes erfordert.“

„Es will mir scheinen, als ob der l’Horrible einen Vergleich mit jedem andern Schiffe getrost aufnehmen könne.“

„Auch hier stimme ich bei, obgleich ich eine Ausnahme kenne, allerdings nur eine einzige.“

„Und diese wäre?“

„Die Swallow, Lieutenant Parker.“

„Die Swallow? Mir ist, als hätte ich von ihr gehört. Was für ein Schiff?“

„Klipper mit Schunertakelage.“

„Wo stationiert?“

„Mit Depeschen unterwegs nach hier. Ich stieß einige Grade südlich von hier auf sie, wo ich von Parker Instruktionen in Empfang nahm. Er legte nach der japanesischen Linie hinüber, wird aber bald hier vor Anker gehen.“

„Es soll mich verlangen, dieses ausgezeichnete Fahrzeug zu sehen! Parker ist ein amerikanischer Name?“

„Der Lieutenant ist, so viel ich weiß, kein Nordamerikaner, sondern ein Deutscher.“

„Ah! Woher?“

„Kann es nicht sagen; doch, bitte, nehmen Sie von dem kleinen Imbiß, der Ihrem Geschmacke allerdings nicht angemessen sein dürfte. Der Koch eines Kriegsschiffes ist nur selten auf ein Menu für Damen vorbereitet.“

„Aber eine Dame auf ein Menu für brave Seegasten. Darf ich eine Einladung aussprechen, Herr Lieutenant?“

„Ich füge mich dankbar Ihren Bestimmungen.“

„Dann darf ich Sie heut abend bei mir sehen und auch erwarten, daß Sie die übrigen Chargen mitbringen?“

„So weit der Dienst es gestattet, ja.“

„Ich danke! Es wird ein Souper entre nous, bei welchem ich mich bestreben werde, Ihren freundlichen Empfang nach Kräften zu erwidern.“

„Dieser Empfang ist der Frau de Voulettre überall gesichert. So habe ich zum Beispiel den Auftrag, Ihnen, wenn auch nur für einen Aufenthalt von wenigen Minuten, eine Einladung hinüber nach der Panzerfregatte auszusprechen. Der Kapitän würde sich für diese Aufmerksamkeit Ihnen außerordentlich verbunden fühlen.“

Ach sage zu, doch nur unter einer Bedingung.“

„Welche ist dies?“

„Ihre Begleitung, Herr Lieutenant.“

„Zugestanden, und zwar von Herzen gern!“

Als das Frühstück eingenommen war, ließ er sich mit ihr nach dem Panzer hinüberfahren. Der arglose Offizier hatte keine Ahnung von dem heimlichen Zwecke, der diesem Besuche zu Grunde lag. Natürlich wußte er ebenso wenig, daß die Matrosen, welche auf die Empfehlung der Dame heut zu ihm an Bord gekommen waren, es auf sein Fahrzeug abgesehen hatten. Und diese Matrosen hatten sich auch täuschen lassen. Es wäre ihnen sicher ganz unglaublich erschienen, wenn jemand ihnen gesagt hätte, daß Frau de Voulettre identisch sei mit dem Manne mit dem großen Feuermale, der sie gestern in der Taverne engagiert hatte.“ – –

„Und nun, Mesch’schurs,“ fuhr der Erzähler fort, „muß ich meine Geschichte einen großen, weiten Sprung von San Francisco nach der Gegend des wilden Westens machen lassen, in welcher sich Sam Fire-gun mit seinen Leuten befindet. –

Die erregten Lüfte, welche heulend über die Ebene jagten, sie fangen sich an den Felsenmauern der Gebirge und gehen – zur Ruhe. Die Wolken, die entweder majestätisch langsam am Himmel hinzogen, oder, vom Sturme gepeitscht, wie wilde, wirre Gespensterscharen am Firmamente sich auf- und niederwälzten, sie gießen ihr wärmeloses Blut zur Erde nieder und gehen – zur Ruhe. Der Bach, der Fluß, der rauschende Strom, der ohne Rast und Aufenthalt von dem unerbittlichen Gesetze der Schwere zwischen seinen Ufern fortgetrieben wird, er wälzt sich endlich in das Meer und geht -zur Ruhe. Bewegung und Ruhe ist der Inhalt des ganzen, des besonderen wie allgemeinen Lebens, auch des menschlichen.

Die wilde Prairie kennt keine Heimat, keinen häuslichen Herd, an welchem die Familie ihr Glück zu genießen und zu feiern vermag. Wie das Wild, vorsichtig, scheu und heimlich, jagt oder schleicht der Jäger sich über die weiten Savannen, vor, neben, hinter und um sich die Gefahr und den immerfort drohenden Tod. Aber nicht immer darf dies währen, sonst würde seine riesige Körperkraft, seine mutige Ausdauer, seine unbeugsame Energie endlich doch erliegen. Auch er bedarf der Erneuerung seiner Kräfte, der Erholung und Ruhe. Und dies findet er an den sorgfältig ausgesuchten Orten, die er teils zu diesem Zwecke, teils auch zur Aufstapelung seiner Jagdbeute herzustellen pflegt, in den sogenannten Hiding-holes oder Hide-spots(*Verstecke, heimliche Niederlagen der erbeuteten Felle“> – – –

Es war einige Tage, nachdem Sam Fire-gun seine Trapper und seine Gäste aus dem „Lager“ nach dem eigentlichen Hide-spot geführt hatte, als drei Männer durch die Prairie ritten, welche einige Maultiere an der Koppelleine führten. Dieser Umstand ließ erraten, daß sie ausgezogen waren, um „Fleisch zu machen“, das heißt nach dem Jägerausdruck, um auf die Jagd zu gehen und die Ihrigen mit der notwendigen Nahrung zu versorgen.

Der eine war kurz und dick, der andere unendlich lang und hager, und der dritte hing auf seinem Pferde, als erwarte er alle Augenblicke einen heftigen Choleraanfall.

Zounds,“ meinte dieser letztere, indem er einen Versuch machte, sich in gerade Stellung emporzurichten, „Ich wollte, ich wäre in unserem Loche zurückgeblieben und hätte mich nicht vom Teufel reiten lassen, mit euch hier auf der traurigen Wiese herumzuschlingern wie ein Fahrzeug, welches Kompaß und Steuer verloren hat. Machen mir da die verteufelten Jungens weis, daß die Büffel hier herumlaufen wie die Ameisen, und nun sind wir bereits zwei Tage auf dem Kurse, haben weder Ochse noch Kuh, ja nicht einmal ein armseliges Kalb zu Gesicht bekommen. Und dabei schüttelt mich mein Gaul wie eine Medizinflasche auf und nieder, daß ich gewiß noch aus allen Fugen gehe, und zuletzt nicht einmal mehr meinen Namen weiß. Macht, daß wir wieder bald vor Anker gehen. Wer Fleisch haben will, mag sich welches holen; ich brauche keins!“

„Ob du Fleisch brauchst oder nicht, Peter, das bleibt sich gleich,“ antwortete der Dicke; „aber was willst du essen, wenn wir keines bekommen?“

„Wen denn anders als dich, den fetten Hammerdull, he! Oder denkst du etwa, daß ich mich da an Pitt Holbers machen werde, an dem nichts zu finden ist als Knochenzeug und ungegerbte Schwarte?“

„Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?“ lachte Dik Hammerdull.

„Wenn du meinst, daß sich der alte Seefisch um sich selber zu bekümmern hat, Dick, so gebe ich dir vollkommen recht. Ich habe nicht den mindesten Appetit, ihn anzubeißen.“

„Das wollte ich mir auch verbeten haben! Wer den Steuermann Peter Polter aus Langendorf anbeißen will, der muß ein anderer Kerl sein als – – Donner und Doria, guckt doch einmal hier zur Erde. Hier ist irgend wer gelaufen; ob Mensch oder Tier, das weiß ich nicht, aber wenn ihr das Gras untersuchen wollt, so wird es sich wohl zeigen, was für eine Kreatur es gewesen ist.“

Egad, Pitt Holbers,“ meinte Hammerdull, „es ist wahr; hier ist das Gras zerstampft. Laßt uns absteigen!“

Die beiden Jäger verließen ihre Pferde und untersuchten den Boden mit einer Sorgfalt, als hinge ihr Leben daran.

„Hm, alter Pitt, was meinst du dazu?“ fragte Hammerdull.

„Was ich meine? Wenn du denkst, daß es Rothäute gewesen sind, Dick, so gebe ich dir vollständig recht.“

„Ob es welche gewesen sind oder nicht, das bleibt sich gleich, aber daß es keine andern waren, das ist sicher. Peter Polter, steig ab, daß man dich nicht so weit erkennen kann.“

„Gott sei Dank, ihr Leute, daß wir auf die roten Halunken stoßen, denn auf diese Weise komme ich von meiner Bestie herab!“ erwiderte dieser, indem er sich mit einer Miene, als sei er einer fürchterlichen Gefahr entronnen, von dem Gaule herabbalancirte. „Wie viele sind es ihrer denn gewesen?“

„Fünf, das ist sicher. Und daß sie zu den Ogellallahs gehören, daran ist auch kein Zweifel.“

„Woran erkennst du das?“

„Weil vier von ihnen neueingefangene Pferde haben. Das Tier des Fünften ist uns entgangen, als wir sie überrumpelten, und zum Fang der andern benutzt worden. Macht euch kampfbereit. Wir müssen ihnen nach, um zu sehen, was sie wollen!“

Die drei Männer sahen nach ihren Büchsen, machten ihre Waffen gebrauchfertig und folgten dann den Spuren, aus deren Richtung ein näherer Zweck des Rittes allerdings nicht zu erkennen war. Sie führten endlich direkt auf ein schmales aber tiefes Flüßchen zu, welches die Indianer durchschwommen haben mußten, da man ihre Spur am jenseitigen Ufer erkennen konnte.

Hammerdull musterte, vorsichtig zwischen dem Gesträuch haltend, das drüben sich ausbreitende, hügelige Terrain.

„Wir müssen ihnen auch dort nach. Sie führen nichts Gutes im Schilde, und wenn ich berechne, daß wir ihnen vor – –“

Er konnte nicht weiter sprechen; ein Lasso zischte durch die Luft, schlang sich um seinen Hals und riß ihn zur Erde. So erging es auch den beiden andern; ehe sie an Gegenwehr denken konnten, waren sie von den fürchterlichen Riemen umschlungen, lagen unter den unvermutet über sie hergefallenen Feinden und wurden ihrer Waffen beraubt und gefesselt. Es waren fünf Indianer.

Mit wahrhaft gigantischen Anstrengungen sträubte sich der Steuermann gegen die Umschlingung; es half ihm nichts; die Büffellederriemen waren zu fest; er erreichte nichts als ein verächtliches Knurren von seiten der Indianer. Dick Hammerdull und Pitt Holbers dagegen nahmen die Sache gelassener. Sie schwiegen und ergaben sich regungslos in ihr Geschick.

Der jüngste der Wilden trat vor sie hin. Drei Adlerfedern schmückten sein hochgeflochtenes Haupthaar, und das Fell eines Jaguars hing ihm von den Schultern hernieder. Er musterte sie mit drohendem Blicke und begann dann mit einer verächtlichen Handbewegung:

„Die weißen Männer sind schwach, wie die Brut des Prairiehundes; sie vermögen nicht, ihre Fesseln zu zersprengen!“

„Was sagt der Halunke?“ fragte Peter Polter, der das Idiom des Wilden nicht verstand, die beiden Leidensgefährten.

Er erhielt keine Antwort.

„Die weißen Männer sind keine Jäger. Sie sehen nicht, sie hören nicht und haben keine Klugheit. Der rote Mann sah sie kommen hinter sich her. Er ging durch das Wasser, um sie zu täuschen, und kehrte zurück. Sie haben keine List gelernt und liegen nun auf der Erde wie Kröten, die man mit dem Stocke zerschlägt.“

Mille tonnerre, wollt ihr mir wohl endlich sagen, was der Kerl zu schwatzen hat, he?“ schrie der Steuermann, sich erfolglos unter seinen Fesseln emporbäumend.

Die Angeredeten schwiegen auch jetzt.

„Die weißen Männer sind feig wie die Mäuse. Sie wagen nicht, mit dem roten Manne zu sprechen; sie schämen sich, vor ihm zu liegen als – –“

„Heiliges Graupelwetter, was er sagt, frage ich euch, ihr Schufte!“ brüllte Peter, jetzt über ihr Schweigen noch wütender, als über die Lage, in welche sie durch ihre Unvorsichtigkeit geraten waren.

„Ob er etwas sagt oder nicht, das bleibt sich gleich,“ meinte Hammerdull; „aber er schimpft dich eine dumme, feige Kröte, weil du so unvorsichtig gewesen bist, dich fangen zu lassen!“

„Dumm – feig – Kröte – mich schimpft er –, mich bloß? Habt ihr euch etwa nicht auch fangen lassen? Wart, ihr Schlingel, er soll den Peter Polter aus Langendorf kennen lernen und ihr dazu! Mich allein hat er geschimpft, mich allein, hahaha! Na warte, so werde ich ihm auch beweisen, daß nur ich allein mich nicht vor ihm zu fürchten brauche!“

Er zog die sehnigen Glieder langsam zusammen. Die Indianer waren seitwärts getreten, um sich leise zu beraten und bemerkten diese Bewegung nicht.

„Eins – zwei – drei – adjes, Dick Hammerdull – adjes, Pitt Holbers – kommt recht bald hinterdrein gesegelt!“

Das Vertrauen auf seine Riesenkraft hatte ihn bei dieser fast übermenschlichen Anstrengung nicht im Stiche gelassen. Die Riemen sprangen; er schnellte empor, stürzte zum Pferde, schwang sich auf und flog davon.

Die Wilden hatten das Entkommen eines ihrer Gefangenen für keine Möglichkeit gehalten, und die Bewegungen des Steuermannes waren so blitzeschnell gewesen, daß er schon eine ziemliche Strecke zurückgelegt hatte, ehe sie nach den Schießwaffen griffen. Die Kugeln trafen ihn nicht; aber zwei der Indianer saßen auf, ihn zu verfolgen. Die andern blieben bei den beiden Gefangenen zurück.

Während des ganzen Zwischenfalles war kein Wort, kein Ruf zu hören gewesen; jetzt trat der junge Wilde, welcher vorhin gesprochen hatte, wieder zu den beiden Jägern heran und fragte sie:

„Kennt ihr Sam Fire-gun, den weißen Jäger?“

Die Gefragten würdigten ihn keiner Antwort.

„Ihr kennt ihn, denn er ist euer Häuptling. Aber ihr habt auch gekannt Matto-Sih, die Bärentatze, dessen Blut geflossen ist von euren Händen. Er weilt jetzt in den ewigen Jagdgründen, und jetzt steht sein Sohn vor euch, um seinen Tod zu rächen an den weißen Männern. Er ist mit den Jünglingen den alten Kriegern nachgezogen, welche das Feuerroß fangen wollten, und hat zweimal gefunden die Leichen seiner Brüder. Den Entkommenen hat er neue Pferde gefangen und wird nun liefern die Mörder an den Feuerpfahl.“

Er trat zurück. Die beiden Jäger wurden, ohne daß sie sich dagegen wehrten, auf ihre Pferde gebunden; dann ging es über das Flüßchen hinüber dem Walde zu, der sich längs des hügeligen Horizontes hinzog. Die drei Wilden wußten, daß sie wegen der zwei Übrigen, welche dem Steuermann nachgeritten waren, keine Sorge zu haben brauchten.

Als sie den Wald erreichten, war es Abend. Sie ritten am Rande desselben hin und dann ein kleines Stück hinein, bis sie auf eine Schar junger Indianer trafen, welche um ein kleines, gedämpftes Feuer saßen. Sie hatten sich, obgleich sie keine erwachsenen Krieger waren, unter der Anführung des Häuptlingssohnes aufgemacht, um ihren älteren Angehörigen nach dem Überfall des Zuges entgegenzureiten, und hatten dabei die Niederlage derselben bemerkt. Sie brannten darauf, den Tod der Ihrigen zu rächen, und waren entzückt, als sie jetzt die Gefangenen sahen. Sie lauschten aufmerksam dem Berichte ihres jungen Anführers, welcher, hochaufgerichtet unter ihnen stehend, ihnen die Gefangennahme der Weißen erzählte und daran seine weiteren Vorschläge schloß.

Seine Worte schienen Beifall zu finden, wie ein oft eingeschaltetes „Uff!“ seiner Zuhörer zeigte. Dann trat der einzige Weiße, welcher sich unter ihnen befand, hervor und begann:

„Der große Geist öffne die Ohren meiner roten Brüder, damit sie verstehen das, was ich ihnen jetzt zu sagen habe!“

Nach einigem Räuspern fuhr er fort:

„Sam Fire-gun ist ein großer Jäger; er ist stark wie der Bär des Gebirges und klug wie die Katze hinter dem Stamme der Sykomore; aber er ist ein Feind des roten Mannes und hat ihm mehr als hundert Skalpe genommen. Er hat getötet Matto-Sih, den berühmten Häuptling der Ogellallahs, hat niedergeschlagen die Hälfte des Stammes und sich wieder frei gemacht, als er in unsre Hände fiel. Fire-gun hat das Gold der Berge in seinem Wigwam aufgestapelt, und niemand durfte wissen, wo er wohnte. Er ist mein Feind, und darum nahm ich meine Männer, um sein Wigwam zu finden und ihm das Gold zu nehmen. Da trafen wir auf unsre roten Brüder, verbanden uns mit ihnen und wurden einig: sie das Blut und wir das Gold der Feinde. Aber an dem Himmel stand für uns kein günstiges Gestirn; die weißen Männer wurden außer mir alle getötet, und von den roten Brüdern erhielten nur wenige das Leben. Wir waren ohne Waffen und Pferde, und die Not hätte uns ergriffen, wenn wir nicht auf die jungen Krieger des Stammes getroffen wären, welche ausgezogen waren, um zu zeigen, daß sie würdig sind, in den Reihen der Tapfersten zu kämpfen. Sie werden die Getöteten rächen und die Skalpe ihrer Feinde nehmen, aber anders, als der junge Häuptling will.“

Ein Ruf der Spannung ging durch den Kreis der Zuhörer. Der Sprecher fuhr fort:

„Wir haben entdeckt den Zugang zu dem Wigwam des Feindes. Er wohnt in einer Höhle, in welche das Wasser führt, das die Spur seines Fußes und seiner Pferde verdeckt. Meine Brüder wollen da eindringen in der Dunkelheit der Nacht und ihn im Schlafe töten. Aber die roten Männer mögen erwägen, daß er nicht ohne Wächter ist und jetzt einer seiner Leute ihnen entkommen ist, der ihm ihre Anwesenheit verraten wird. ich weiß einen bessern Weg zu ihm.“

„Der weiße Mann spreche!“ ertönte es.

„Das Wasser, welches in den Wigwam fließt, bleibt sicher nicht in demselben, sondern fließt wieder ab. Ich habe den Ort gefunden und will jetzt den jungen Häuptling hinführen, um zu entdecken, ob durch die Erde zu gelangen ist. Man frage die beiden Gefangenen, ob sie davon wissen!“

Der Vorschlag wurde mit allgemeinem Beifall aufgenommen; der Kreis teilte sich, und der Anführer trat auf Pitt Holbers und Dick Hammerdull zu, welche gefesselt und geknebelt in der Nähe lagen.

Sie hatten jedes Wort vernommen. Der Gedanke des feindlichen Trappers hatte jedenfalls seine Berechtigung, doch wußten sie von einem zweiten Eingange zu dem Hide-spot nicht das geringste.

Das Versteck Sam Fire-guns bestand allerdings aus einer Höhle, welche die Natur in dem Innern eines kalkfelsigen Berges gebildet hatte. Der Zugang zu derselben war durch das Wasser eines Baches gebrochen worden, welcher sich im Hintergrunde der Höhle brausend in die dunkle Tiefe des Bergesinnern stürzte und nach der Meinung der Jäger dort verschwand. Sam Fire-gun hatte diese Höhle selbst entdeckt, sie als Versteck eingerichtet und über ihre Beschaffenheit nie anders gesprochen, als daß sie nur bis an den Rand des Sturzbaches zu betreten sei.

Es wurde den Gefangenen der Knebel aus dem Munde genommen; dann führte man sie in den Kreis, wo der weiße Trapper das Verhör begann:

„Ihr seid Leute von Sam Fire-gun?“

Hammerdull würdigte ihn keines Blickes, wandte sich aber zu seinem Freunde.

„Pitt Holbers, altes Coon, was meinst du, wollen wir dem verräterischen Halunken antworten?“

„Hm, wenn du denkst, Dick, daß wir uns nicht zu schämen und zu fürchten brauchen, so stopfe ihm doch einige Worte in den Mund!“

„Ob ich sie ihm hineinstopfe oder nicht, das bleibt sich gleich; aber er könnte wirklich denken, wir hätten aus Angst vor ihm und den Indsmen die Sprache verloren; also wollen wir ihm einiges zu hören geben!“

Der Trapper blieb zu dem Halunken ruhig. Er wiederholte seine Frage:

„Ihr gehört zu Sam Fire-gun?“

„Ja, und Ihr nicht, weil der Colonel nur ehrliche Männer bei sich haben mag.“

„Schimpft, wie Ihr wollt, wenn Ihr meint, daß für Euch etwas dabei herauskommt; für jetzt habe ich nichts dagegen. Wie nennt Ihr Euch?“

„Wäret Ihr vor zwanzig Jahren über den Missisippi hinübergegangen und hättet vierzig Jahre lang gesucht, so wäre Euch vielleicht jemand begegnet, der Euch sagen könnte, wie ich heiße. Jetzt aber ist’s zu spät.“

„Mir auch gleich. Ihr habt Gold im Hide-spot?“

„Viel, sehr viel, jedenfalls aber mehr, als ihr Euch dort holen werdet.“

„Wo liegt es vergraben?“

„Wo es vergraben liegt, das bleibt sich gleich, Ihr dürft es ja nur finden!“

„Wie stark ist Eure Gesellschaft?“

„So stark, daß jeder einzelne Euch heimleuchten wird.“

„Wer war der Indsman, welcher Eurem Colonel von den Banden half?“

„Das darf ich Euch schon sagen; er heißt ungefähr Winnetou.“

„Der Apatsche?“

„Ob Apatsche oder nicht, das bleibt sich gleich; aber er wird es wohl sein.“

„Wie viel Ausgänge hat Euer Versteck?“

„Grad so viele, wie Männer da sind.“

„Das sind?“

„Für jeden einen und denselben, nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn du denkst, Dick, ich habe nichts dagegen!“

„Beschreibt mir einmal die Höhle!“

„Seht sie Euch an, das wird Euch besser bekommen!“

„Gut, wie Ihr wollt! Ihr hättet Euch Eure Lage erleichtern können, aber Ihr wollt es nicht anders haben, als daß Ihr gepfählt und verbrannt werdet. Ihr werdet natürlich mit in die Dörfer der Ogellallah genommen, und was dort geschieht, könnt Ihr Euch denken!“

„Pah! Ob gepfählt oder verbrannt, das bleibt sich gleich; für jetzt jedoch sind wir noch hier, und Ihr mögt Euch vorsehen, daß ich Euch nicht ein wenig klopfe, damit Ihr später besser schmort und bratet, wenn Euch dieses Glück an unsrer Stelle passiert!“

Der Trapper wandte sich ab.

„Meine roten Brüder mögen diesen weißen Männern noch strengere Fesseln geben als bisher; sie verdienen den Tod am Marterpfahl!“

Hammerdull und Holbers wurden schärfer geschnürt und wieder zur Erde geworfen. Das Feuer brannte, wurde aber so spärlich und langsam genährt, daß der Geruch des Rauches nur auf wenige Schritte zu bemerken war. Der abendliche Schimmer, welcher vor kurzer Zeit noch über dem Laubdache des Urwaldes gespielt und geschwebt hatte, war verschwunden; es wurde finster und immer finsterer, und gar unter der Blätterdecke herrschte eine so dichte Finsternis, daß das an die Dunkelheit gewöhnte Auge eines Indianers oder Westmannes dazu gehörte, die nächsten Gegenstände zu unterscheiden.

Da brach der Trapper mit dem jungen Anführer der Indianer auf, um ihm die Höhle Sam Fire-guns zu zeigen. Die andern blieben zurück. Der junge Häuptling stand vor seiner ersten Waffenthat, und wenn er nach dem Gebrauche seiner stoischen Rasse sich auch nichts davon merken ließ, so brannte er doch vor Begierde, den Beweis zu führen, daß er würdig sei, unter die Zahl der erwachsenen Krieger aufgenommen zu werden.

Er schritt lautlos hinter dem Weißen her. Der Weg, den der Trapper trotz der dichten Dunkelheit nicht verfehlte, führte in gerader Richtung durch den Wald, zwischen den Riesenstämmen tausendjähriger Eichen und Buchen hindurch, bis sie an den Lauf eines Wassers kamen, den sie mit verdoppelter Vorsicht aufwärts verfolgten.

Nach einiger Zeit gelangten sie an die Stelle, wo die Wellen aus dem Fuße des Berges traten. Dichtes Gesträuch bestand diesen Ort. Der Trapper langte in das Gestrüpp, schob es auseinander und verschwand hinter demselben. Der Indianer folgte ihm. Sie befanden sich in einem niedrigen natürlichen Stollen, dessen Sohle das Bett des Baches bildete, in dessen Wasser sie langsam vorwärts krochen.

Es war ein mühevoller und beschwerlicher Weg, welchen sie zurücklegten. Auch der Trapper verfolgte ihn zum erstenmal; er war heut bloß bis an den Eingang gekommen. Sie mochten wohl eine halbe Stunde lang dem durch das Innere des Berges in zahlreichen Windungen und kleinen Schnellen sich arbeitenden Wasser entgegengekrochen sein, als sie ein leises Brausen vernahmen, welches von Sekunde zu Sekunde stärker wurde und endlich ein Getöse bildete, welches auch den lautesten Schall der menschlichen Stimme unhörbar machte.

Sie standen vor dem senkrechten Fall des Baches. Oben über ihnen befand sich der Hide-spot Sam Fire-guns, und vor ihnen lag ein gewiß sehr tief von dem stürzenden Wasser ausgehöhltes Kesselloch, aus welchem die Wellen an ihren Füßen vorüberspühlten. Wurde der Wasserlauf wirklich als geheimer Ausgang benutzt, so mußte es irgend eine Vorrichtung geben, welche die Möglichkeit bot, neben dem stürzenden Bache von oben in die Tiefe zu gelangen.

Der Trapper suchte mit den tastenden Händen. Seine Erwartung hatte ihn nicht getäuscht; er ergriff ein Doppelseil, stark und haltbar aus Schlingpflanzenfaser gedreht und in zahlreiche Knoten geschlungen, so daß es keiner großen Anstrengung bedurfte, sich an ihm auf- oder niederwärts zu bewegen.

Er unterrichtete seinen Begleiter von diesem Funde und dem daraus hervorgehenden Unternehmen, da zu sprechen nicht möglich war, durch fühlbare Fingerzeige, probierte, ob das Seil oben auch genügend befestigt sei und zog sich dann langsam an ihm in die Höhe.

Der Indianer folgte ihm.

Es war für die Uneingeweihten ein gefährlicher, ja beinahe ein fürchterlicher Weg, sich neben dem Wassersturze, dessen Sprühregen sie durchnäßte und dessen Schall in dem engen Raume sie fast betäubte, unter sich eine ungekannte Tiefe und über sich einen vielleicht nur allzu wachsamen Feind, mühsam empor zu turnen. Sie schreckten nicht vor ihm zurück, der eine aus Gier nach dem Golde, von dessen Menge man sich Wunderdinge erzählte, und der andre aus jugendlicher Thatenlust.

Sie legten ihn glücklich zurück und faßten im oberen Bette des Wassers festen Fuß. Das Getöse des Falles machte es ihnen unmöglich, irgend ein Geräusch vor sich zu entdecken; sie tasteten sich langsam vorwärts, bis der Schall sich zu einem leisen Rauschen gemildert hatte. Da blieb der Trapper stehen; es war ihm, als habe er menschliche Laute vernommen. Das Messer ziehend und den wegen des Wassers bisher sorgsam verhüllten Revolver lockernd, schlich er, natürlich gefolgt von dem ebenso kampfbereiten Indianer, langsam und geräuschlos vorwärts. Die Stimmen wurden deutlicher. Die beiden schlichen sich weiter hin, legten sich nieder, lauschten aufmerksam und hörten jemand leise sprechen:

„Verdammt, mir schneiden die Riemen in das Fleisch, als seien sie aus Messerschneiden gedreht. Der Teufel hole diesen Sam Fire-gun und seine ganze Gesellschaft!“

„Klage nicht, sage ich dir; es wird ja nicht besser dadurch. Wir sind nur selbst an unsrer Lage schuld! Hätten wir eine bessere Wacht gehalten, so wären wir nicht so schmählich überrumpelt worden. Dieser Winnetou ist ein wahrer Teufel, der Colonel ein Riese und die andern sind alle Männer, die schon manchen guten Messerstich in ihrem Fleische gefühlt haben. Aber einen Trost haben wir: sie werden uns nicht töten, und das giebt Hoffnung. Ich habe bald die Hände frei und dann, sacrebleu, dann werde ich mit ihnen Abrechnung halten, denn wir werden – –

„Sanders – Master Sanders, seid Ihr es?“ klang da eine leise Frage aus dem Hintergrunde des Raumes, in welchem Sanders und Letrier gebunden lagen.

„Wer ist da?“ antwortete der Gefragte, aufs höchste überrascht.

„Sagt erst, wer ihr alle seid!“

„Heinrich Sanders und Peter Wolf, weiter niemand. Wir liegen hier gefangen und gefesselt. Unsre Feinde sind weit vorn und können uns nicht hören. Wer aber seid ihr?“

„Das sollt ihr gleich erfahren. Gebt einmal eure Riemen her; wir wollen sie gleich herunter haben!“

Einige Schnitte genügten, um die Gefangenen von ihren Banden zu befreien. Die vier Männer hatten sich nach wenigen Worten erkannt und verständigt.

„Wie kommt ihr in die Höhle?“ fragte Sanders. „Sie geht ja nur bis zum Wasserfall!“

„Für einen Schwachkopf, der nicht nachdenken kann, ja; ich aber habe mir die Sache so prächtig zusammengereimt, daß ich diesem alten Fire-gun schnell hinter die Schliche gekommen bin. Das Wasser kann doch unmöglich hier im Berge verschwinden.“

„Ah!“

„Es muß einen Ausweg, einen Abfluß haben.“

„Natürlich. Daß ich doch an diesen Umstand nicht gedacht habe!“

„Diesen Ausweg habe ich gefunden und das andre dazu.“

„Weiter, weiter!“ drängte Sanders.

„An der Seite des Falles führt ein Seil hinab. Mit seiner Hilfe gelangt man wieder in den ruhigen Bach und von da in das Freie. Wollt ihr mit? Natürlich!“

Sanders überlegte einige Sekunden.

„Herzlich gern; aber es geht nicht.“

„Warum nicht? Fürchtet ihr euch vor dem bißchen Klettern?“

„Pah! Wir haben vielleicht mit dergleichen Tauen oder Seilen mehr zu thun gehabt als ihr. Aber wenn wir euch folgen, verderben wir euch und uns den ganzen Coup.“

„Wie so?“

„Es ist jedenfalls geratener, ihr bindet uns wieder und laßt uns hier, bis ihr mit allen euern Indsmen wiederkommt.“

„Ich meine doch nicht, daß es euch hier so sehr gefallen kann!“

„Wenn ich mich jemals vor irgendwem fürchten könnte, so würde ich mich hüten, hier zu bleiben. Bedenkt, was für eine Menge Gold hier aufgestapelt liegt. Wenn unsre Flucht vor der Zeit entdeckt wird, so ist es für uns verloren, und wenn wir dann wiederkommen, um es zu holen, dann bereiten wir uns einen Empfang, der uns den letzten Atem nimmt.“

„Beim Teufel, Ihr habt recht; das konnte ich mir eher denken! Wir brauchen einige Stunden Zeit, ehe wir wieder hier sein können, und während dieser Frist könnte alles verloren sein. Habt ihr wirklich den Mut, bis dahin zu bleiben, wo ihr seid?“

„Unnütze Frage! Nur setze ich voraus, daß ihr uns nicht etwa im Stiche laßt.“

„Fällt uns gar nicht ein! Die roten Gentlemen haben mit dieser Gesellschaft ein notwendiges Wörtchen zu sprechen, und ich bin auch nicht so dumm, das schöne Metall hier liegen zu lassen.“

„Gut, so bindet uns wieder!“

„Kommt her! Fest werde ich es nicht machen; und hier habt ihr für den Notfall ein Messer, mit dem ihr euch helfen könnt! So, das ist gethan, und nun fort!“

Die beiden kühnen Männer verschwanden mit unhörbaren Schritten. Die Gefangenen hatten ihre vorige Stellung wieder eingenommen; sie fühlten sich um vieles sicherer und leichter als vor wenigen Augenblicken. – –

Während dies im Innern des Hide-spot geschah, lehnte der kleine Bill Potter außerhalb desselben an einem Baumstamme und horchte aufmerksam auf jedes Geräusch, welches die nächtliche Stille ihm zu Ohren brachte. Er hatte den Posten übernommen und für die Sicherheit der Gesellschaft zu sorgen. –

Da vernahm er ein Plätschern, wie von eiligen Schritten, die sich im Bache fortbewegten. Er warf sich zur Erde nieder, um den Nahenden besser zu erkennen, ohne selbst bemerkt zu werden. Dieser blieb in seiner Nähe stehen und versuchte, die dichte Dunkelheit zu durchdringen.

Have-care – attention – Achtung, ist denn hier kein Mann von der Wacht an Bord?“ fragte er.

„Peter Polter, du bist’s?“

„Na, wer sollte ich denn sein, wenn ich nicht der Peter Polter aus Langendorf bin, he? Wen hat der Colonel denn eigentlich hergestellt? Man kann ja nicht einmal sein eignes Gesichtsbugspriet erkennen!“

„Wer ich bin? Hihihihi, kennt der Peter Polter den Bill Potter nicht und steht doch nur zwei Schuh von ihm so lang da wie ein Hikorystamm! Wo sind denn die andern?“

„Welche andern denn, alter Swalker?“

„Nun, Hammerdull und Holbers! Und wie ist’s mit dem Fleische, das ihr holen sollt?“

„Das Fleisch holt euch nur selber und den Dicken dazu mit samt dem Dünnen. Ihr findet alles bei den Indsmen draußen am Flusse, wenn sie nicht unterdessen um ein weniges weiter geritten sind!“

„Indsmen – am Flusse? Was soll das heißen?“

„Das soll heißen, daß ich keine Zeit habe, mit dir ein langes Garn abzuwickeln,“ erwiderte Peter Polter dem kleinen Bill Potter. „Ich muß hinein zum Colonel; von ihm kannst du nachher alles hören.“

Er wandte sich dem Eingange der Höhle zu. Dort saßen die Jäger um das Feuer. Sam Fire-gun erkannte den Nahenden.

„Schon wieder hier, Steuermann?“ fragte er. „Die andern sind wohl mit dem Fleische noch zurück?“

„Ja, mit dem roten Fleische, Sir! Sie sind gefangen und werden nun gehenkt oder erschossen oder gefressen – mir ganz egal.“

Die Männer sprangen empor.

„Gefangen? Von wem? Erzähle!“ riefen sie.

„Das soll geschehen. Aber langt mir einmal einen Schluck und einige Bissen von dem Zeug dort her. Ich bin gesegelt wie ein Avisokutter und krache in allen Fugen wie ein Wrack, das den Kalfater verloren hat. Der Teufel soll mich holen, wenn ich jemals wieder in diese unselige Prairie komme, und mich auf den Rücken einer solchen Bestie verteie, die mit mir in die Lappen geht, so daß ich den richtigen Kurs verliere und in alle Ewigkeit nicht wiederfinden kann. Hätte das Viehzeug nicht ganz von selbst den Hide-spot gewittert, so flöge ich noch in zehn Jahren draußen im Grase herum!“

Das Verlangte wurde ihm gegeben, und er begann seinen Bericht, welcher natürlich eine nicht geringe Aufregung hervorbrachte, obgleich sich dieselbe bei den an Schweigsamkeit und Selbstbeherrschung gewöhnten Jägern nicht in der lauten und geräuschvollen Weise wie bei andern zeigte.

„Hammerdull und Holbers gefangen?“ fragte der Colonel. „Sie müssen befreit werden, und zwar so bald wie möglich, denn die Roten werden kurzen Prozeß mit ihnen machen.“

„Wir brechen sofort auf!“ meinte ich, der ich die beiden originellen Trapper lieb gewonnen hatte und ihnen daher die schleunigste Hilfe gönnte.

„Ja,“ stimmte Wallerstein bei; „wir müssen sofort aufbrechen, sonst erhalten die Indsmen einen Vorsprung, den wir ihnen nicht wieder abgewinnen können!“

Sam Fire-gun lächelte.

„Ihr werdet doch warten müssen bis zum Anbruche des Morgens, da es in der Dunkelheit unmöglich ist, eine Spur zu erkennen. Ich glaube sogar kaum, daß uns der Steuermann an das Wasser zu führen vermag, wo er mit ihnen überrumpelt worden ist.“

„Ich –? An das Wasser –?“ rief Peter Polter erbost. „Was geht mich das armselige Wasser an, wo wir einen so miserablen Schiffbruch erlitten haben? Ich lasse mich von oben bis unten durchsägen, wenn ich sagen kann, ob die Pfütze rechts oder links von hier liegt. Ich habe weder Kompaß noch Lockleine mitgehabt und bin von dem Dicken und Langen ins Schlepptau genommen worden, so daß ich mir nicht die geringste Mühe gegeben habe, auf den Kurs zu merken, den wir gesteuert sind. Und später ist die verteufelte Bestie mit mir davongestrichen, daß mir Hören und Sehen vergangen ist. Was soll ich von eurem Wasser wissen? Laßt mich in Ruh damit!“

„Hihihihi,“ lachte der herbeigetretene kleine Bill Potter in seiner gewöhnlichen Weise, „reitet der große Mensch draußen in der Prairie herum und weiß nicht, wo er gewesen ist! Nun werden wir erst seiner Fährte folgen müssen, ehe wir die Spuren der Redmen finden. Ist das nicht lustig, he?“

„Willst du wohl den Schnabel halten, du winziges Kreaturchen du?“ donnerte ihm der, ob dieser Beleidigung ergrimmte Steuermann entgegen. „Wenn ich an Bord eines guten Schiffes stehe, so weiß ich auf die Linie, wo ich mich befinde; aber hier in der Savanne und noch dazu auf dem Rücken eines solchen Pestilenzviehzeuges ist es einem ja so fürchterlich schlimm zu Mute, daß man sich vor Herzeleid nicht einmal auf den eigenen Verstand besinnen kann.

Willst du deine Redmen haben, die Halunken, so suche sie dir selber! Ich habe nichts dagegen.“

„Ich denke, wir brauchen weder der Spur des Steuermannes zu folgen, noch die Fährte der Indianer zu suchen,“ unterbrach Fire-gun den komischen Streit. „Die jungen Leute der Ogellallah sind in kriegerischem Thatendurste den erfahrenen Männern entgegen geritten, haben deren Leichen gefunden, und dürsten nun nach Rache. Ganz sicher haben sie sich einen verborgenen Lagerplatz aufgesucht, zu welchem man die beiden Gefangenen schleppt. Dort wird man sie nach unsrem Hide-spot ausforschen; aber Hammerdull und Holbers sterben lieber, als daß sie uns verraten. Darum würde es den Indsmen schwer werden, ihn zu entdecken; aber ich meine, daß ihre entkommenen Genossen zu ihnen gestoßen sind, und da diese die Gegend unsers Verstecks so ziemlich wissen, so wird man einen Überfall beschließen und zwar einen baldigen, damit uns der ihnen entflohene Steuermann nicht zeitig genug zu warnen vermag. Aus diesem letzteren Grunde sind sie sicher schon unterwegs und wir haben sie zu erwarten, ohne sie erst aufsuchen zu müssen. Der Posten mag daher wieder an seinen Platz gehen und wird verdoppelt. Wir andern halten uns schlagfertig. Also, das Feuer aus vor der Höhle, Kinder; die Kienfackeln im Innern können weiter brennen. Ich werde einmal nach unsern beiden Gefangenen sehen.“

„Ich gehe mit, Onkel,“ meinte Wallerstein; „ich habe die meiste Veranlassung, mich zu überzeugen, daß wir sie festhaben.“

Er ergriff einen der brennenden Kienäste und leuchtete dem voranschreitenden Colonel.

Bei den Gefangenen angekommen, warf der letztere einen forschenden Blick auf sie. Sein Auge fiel dabei auf den feuchten und infolgedessen etwas weichen Kalkboden der Grotte. Über sein Gesicht zuckte ein gedankenschneller Blitz der Überraschung, der allerdings kaum zu bemerken war, da die düster rote Flamme nur von seitwärts auf ihn fiel.

„Alles sicher; komm!“ meinte er ruhig und verließ mit seinem Begleiter den Platz. Aber zu den Seinigen zurückgekehrt, genügte ein halblauter Ruf, sie schleunigst um sich zu versammeln.

„Hört, Leute, ich habe recht geraten. Die Indsmen sind nicht nur unterwegs, sondern sogar schon im Hide-spot gewesen! Sie haben es entdeckt!“

Eine dem Schrecken nahe Verwunderung zeigte sich auf den Gesichtern der sofort nach Messer und Revolver greifenden Leute. Der Colonel fuhr fort:

„Ich muß euch ein Geheimnis mitteilen, von dem ich bisher aus Rücksicht auf die allgemeine Sicherheit kein Wort verlauten ließ. Die Höhle hat nämlich einen verborgenen Ausgang.“

„Ah!“ klang es leise rundum.

„Ich fand ihn an demselben Tage, an welchem ich die Höhle entdeckte. Das Wasser des Baches fällt hinten in die Tiefe und hat sich da einen Kessel gegraben, aus welchem es durch das Innere des Berges seinen Ausweg findet. Ich befestigte damals an der Seite des Falles ein festgedrehtes Doppelseil, ließ mich hinab und fand, daß die Passage dem Wasser entlang und hinaus in das Freie ganz gut zu ermöglichen ist. Das Seil hängt noch und befindet sich in gutem Zustande. Als ich nun jetzt nach unsern Gefangenen sah, bemerkte ich fremde Fußstapfen im Boden; ein rascher Blick auf die beiden Männer überzeugte mich, daß ihre Banden gelockert sind.“

„Wie geht das zu?“ fragte ich. „Ich habe sie selbst gefesselt und zwar so, daß sie nur mit Hilfe andrer gelöst werden können.“

„Die Indianer haben einige Kundschafter ausgeschickt, welchen die Entdeckung des Ausganges gelungen ist. Sie sind in denselben eingedrungen, an dem Seile emporgestiegen, haben die Gefangenen gefunden, ihnen die Banden gelockert und sie jedenfalls auch mit einigen Waffen versehen. Dann sind sie zurückgekehrt, um die Ihrigen zu holen.“

„Warum haben sie da Sanders und Jean Letrier nicht mitgenommen?“ fragte Wallerstein.

„Weil dann alles verraten war, wenn wir die Abwesenheit derselben vor der Zeit entdeckten. Vor allen Dingen müssen wir die zwei gefährlichen Bursche unschädlich machen, indem wir sie wieder binden. Vorwärts, Neffe; wir gehen voran; die andern folgen leise nach, um Sich, sobald der Widerstand, den sie leisten werden, beginnt, auf sie zu werfen. Wir müssen alles Blutvergießen zu vermeiden suchen!“ –

Während dieser Unterredung war in der Grotte auch ein leises Gespräch geführt worden.

„Jean, hast du den Blick gesehen?“ fragte Sanders flüsternd, als sich Sam Fire-gun und Wallerstein entfernt hatten.

„Welchen Blick?“

„Den der Colonel auf den Boden warf.“

„Nein; ich habe den Kerl gar nicht angesehen.“

„Er hat alles entdeckt.“

„Nicht möglich! Er ging ja vollständig beruhigt fort.“

„Nichts als schlaue Verstellung! Er sah die Fußspuren des Jägers und Indianers; ich habe es ihm trotz des halben Lichtes augenblicklich angemerkt. Es zuckte ganz verdächtig über sein Gesicht. Dann warf er einen kurzen, aber dolchscharfen Blick auf unsre Fesseln, und der Klang, den sein Alles sicher hatte, vervollständigte mir nur den Beweis, daß er alles durchschaut hat.“

„Teufel! Wenn er nun fort wäre, um die Leute zu holen und uns wieder binden zu lassen. Es wäre zum verrückt werden!“

„Er bringt sie sicher.“

„So wehre ich mich bis auf den letzten Blutstropfen. Denn wenn sie uns wieder fesseln, ist alles verloren. Sie werden uns in einen andern Raum stecken und die Indsmen an unsrer Stelle empfangen.“

„Sicher! Aber eine Gegenwehr ist gar nicht notwendig.“

„Wie so?“

„Sie wäre sogar vollständig zwecklos, da wir doch nur bezwungen würden. Der einfachste und zugleich der einzige Weg zu unsrer Rettung ist der, daß wir sofort fliehen.“

„Aber wenn Ihr Euch irrt, Kapitän, wenn der Alte gar nichts bemerkt hätte?“

„So wäre es ganz gleich. Sie kämen dann vor der Ankunft der Indianer ganz gewiß nicht wieder hierher, so daß unsre Flucht entdeckt und der Plan des Überfalles verraten würde. Ich mache mich davon; wir haben ja gehört, welcher Weg zu nehmen ist. Rasch, Jean, ehe es zu spät ist!“

Sie standen von der Erde auf und befreiten sich von den Riemen; dann folgten sie dem Rauschen des Falles und fanden, allerdings erst nach einem längeren und hastigen Suchen, das Seil, an welchem sie sich hinunterließen. An der wallenden und brausenden Oberfläche des Beckens angelangt, untersuchte der vorangekletterte Sanders, sich mit den Händen fest am Seile haltend, die engen Felsenwände mit den Füßen und fand die niedere Seitenöffnung, durch welche sich die abfließenden Wellen drängten. Ein Schwung brachte ihn in dieselbe hinein; er zog das Seil fest an sich, um seinem Begleiter die Richtung zu geben. Es war ein gefährlicher Augenblick für die beiden Flüchtlinge, welche sich wegen des Tobens des Falles keine hörbare Mitteilung machen konnten; aber das mutige Unternehmen gelang, und in tief gebückter Stellung im Wasser fortwatend, gelangten sie in einigen Minuten zwar vollständig durchnäßt, aber sonst ganz wohlbehalten in das Freie.

Hier reckten sie sich in die Höhe und blieben, von der Anstrengung einen Moment ausruhend, mit keuchendem Atem halten.

„Hier müssen wir warten, bis die Indsmen kommen,“ meinte Letrier.

„Das geht nicht. Der Colonel würde uns verfolgen lassen, sobald er ja unsre Flucht entdeckte. Wir müssen weiter fort.“

„Aber wir wissen das Lager der Indianer nicht!“

„Thut nichts! Wir brauchen uns ja nicht weit zu entfernen, sondern suchen ein Versteck hier in der Nähe und warten das Weitere ruhig ab.“

„Das Richtige ist es eigentlich, Kapitän; denn wenn wir jetzt auf die Roten treffen, so müssen wir wieder zurück, und dazu habe ich verteufelt wenig Lust. Jedenfalls ist es geratener, wir schicken die guten Leute für uns in das Feuer und sehen dann zu, wie wir auf eine praktische Weise zu den Kastanien gelangen.“

„Ganz meine Meinung! Komm!“

Sie drangen einige Schritte weit in das Gesträuch ein und verbargen sich in dem wirren Dickicht desselben. Hier verhielten sie sich so regungslos wie möglich und lauschten mit angestrengter Aufmerksamkeit in die Nacht hinaus.

Da klang ein leises Geräusch, ähnlich dem Rascheln eines kleinen Insektes, an ihr Ohr.

„Die Indianer!“ flüsterte Sanders.

Er hatte sich nicht getäuscht. Mit dem weißen Jäger und dem Sohne des Häuptlings Matto-Sih an der Spitze, nahten sie sich, einer hinter dem andern, in einer langen, mit außerordentlicher Behutsamkeit sich vorwärts bewegenden Linie. An dem verborgenen Ausgange Halt machend, hielten sie eine kurze Beratung; dann verschwand einer nach dem andern in der kleinen Öffnung des Wasserlaufes. Zwei aber blieben zurück, um Wache zu halten.

Es verging eine lange, lange Zeit. Der Himmel, den man in der Finsternis vorher nicht von dem Laubdache des Waldes zu unterscheiden vermochte, begann, von demselben abzustechen; die einzelnen Stämme erst, sodann auch die Äste und Zweige ließen sich erkennen; hier und da erhob ein erwachender Vogel seinen noch schläfrigen Morgenruf – die Nacht begann dem Tage zu weichen, und die Dämmerung brach herein.

Die zwei wachhaltenden Indianer standen regungslos am Ufer des Baches, da wo derselbe aus dem Berge trat. Sie erlitten gewiß nicht geringe Ungeduld über das unerwartet lange Verbleiben der Ihrigen, aber kein Zug ihrer jugendlichen, bronzenen Gesichter verriet dies. Sie waren schon als Knaben an die unbedingteste Selbstbeherrschung und die Überwältigung selbst der gewaltigsten Gefühle gewöhnt worden. Sie hatten ganz das Aussehen zweier auf den Lauf ihrer Büchsen gestützten und mit allen indianischen Waffen versehenen Statuen.

Da krachten plötzlich zwei Schüsse zu gleicher Zeit, so daß sie wie ein einziger Schuß erklangen; die beiden Wachen stürzten, durch die Köpfe getroffen, zur Erde. Im nächsten Augenblick hoben sich neben ihnen zwei Gestalten empor, welche von ihnen unbemerkt die enge Wasserpforte passiert hatten. Es war Sam Fire-gun und der kleine Bill Potter.

„Hihihihi!“ lachte der letztere, „sind zu früh flügge geworden, die kleinen Jungens; haben noch nicht gelernt, die Augen und Ohren aufzuthun. Seht Ihr’s, Colonel, daß ich recht hatte? Sie haben vergessen, ihre Spuren zu verwischen, und nun können wir den Lagerplatz suchen, wo der Dicke mit dem Dünnen angehobbelt liegt.“

„Getraust du dich allein wieder zur Höhle emporzuarbeiten, Bill?“

„Warum nicht? Glaubt Ihr etwa, Bill Potter fürchtet sich vor den zwei Tropfen Wassers, die er zu schlucken bekommt?“

„So kehre zurück, während ich inzwischen diesen Spuren folge, und bringe die andern um den Berg herum zu dieser Stelle. Es braucht nur die gewöhnliche Wache zurückzubleiben, denn der Platz ist vollständig gesäubert. Ich gehe euch voran und ihr kommt mir nach. Sputet euch aber, mich bald einzuholen!“

Der kleine Trapper verschwand nach einer zustimmenden Gebärde in der Öffnung, und Sam Fire-gun begann, die Fährte aufzunehmen. Diese war so deutlich, daß er, wenigstens für den Beginn ihrer Verfolgung, keine übermäßige Aufmerksamkeit auf sie zu verwenden brauchte und sie nur flüchtig nebst dem umherliegenden Terrain überblickte. Daher entgingen dem sonst so scharfsinnigen Manne die Spuren, welche die beiden Flüchtlinge wegen des nächtlichen Dunkels notwendigerweise zurückgelassen hatten, und er verschwand, den Fußstapfen der Indianer folgend, gar bald zwischen den Bäumen des Waldes.

Wieder verging eine längere Zeit, dann flüsterte Sanders:

„Das ist Pech, außerordentliches Pech! Diese braven, kleinen Indianer sind glücklich an dem gefährlichen Seile hinauf in die Höhle gekommen, aber sofort alle niedergemacht worden. Es ist jammerschade um sie! Nun stehen wir wieder allein gegen Fire-gun und seine Leute!“

„Wäre es nicht besser, Kapitän, wenn wir ihm heimlich folgten?“ fragte Jean Letrier. „Wenn wir glücklich entkommen wollen, müssen wir unbedingt Pferde haben und können uns nur an die Tiere der Roten halten.“

„Das geht unmöglich. Die Jäger kommen nach und würden unsre Spur sofort entdecken.“

„Was hindert uns, den Alten für immer unschädlich zu machen? Wir haben ein Messer.“

„Jean, wir haben gar Vieles und Schweres möglich gemacht, aber Westmänner sind wir nicht. Der Colonel hat ein feines Gehör und ist uns mit seinen Waffen überlegen. Selbst wenn es uns gelänge, einen guten Stich anzubringen und zu den Pferden zu gelangen, so hätten wir kaum einige Minuten später die ganze wütende Horde im Rücken.“

„Wenn der Alte weg ist, brauchen wir die übrigen nicht zu fürchten. Der unsinnige Steuermann, Wallerstein, der veritable Polizeispion, sie verstehen von der Prairie nichts und sind – –“

„Und Winnetou, der Apatsche?“ fiel ihm Sanders in die Rede.

„Teufel, ja, an den habe ich gar nicht gedacht. Chez dieu, der wäre ganz allein im stande, uns einzuholen und mit seinem verdammten Tomahawk zu zerschmettern. Aber, was thun? In Ewigkeit hier liegen bleiben können wir doch nicht.“

„Du bist ein Schwachkopf, Jean. Im Hide-spot liegt ein ganzer Reichtum an Gold aufgestapelt.“

„Nun?“

„Gold brauchen wir.“

„Wollen wir Sam Fire-gun schön bitten, es uns zu verehren?“

„Pah! Wir haben es.“

„Wann?“

„Wenn die Trapper jetzt fort sind.“

„Und wie?“

„Das ist leicht. Oder fällt dir gar nichts ein, Jean?“

„Mir fällt jetzt weiter nichts ein, als daß wir in eine ganz armselige Memme geraten sind.“

„Aus welcher wir bald heraus sein werden.“

„Inwiefern?“

„Wir warten, bis die Jäger fort sind.“

„Und dann?“

„Dann,“ flüsterte Sanders, obgleich kein Lauscher in der Nähe war, „dann kehren wir auf demselben Wege zurück, den wir gekommen sind.“

„Teufel! Nach der Höhle?“

„Versteht sich!“

„Und lassen uns drin abschlachten!“

„Oder auch nicht. Du hast ja gehört, daß bloß ein einziger Jäger als Wache zurückbleiben soll. Er wird eine ganze Strecke von der Höhle am Bache stehen und uns gar nicht bemerken.“

„Ah – richtig! Der Colonel hat einen gewaltigen Fehler begangen, daß er hier am Wasser keinen Posten aufstellte.“

„Natürlich. Also wir kehren in die Höhle zurück.“

„In die Höhle zurück,“ wiederholte der andre eifrig, dem das neue Abenteuer zu gefallen begann.

Suchen nach dem Golde –“

„Nach dem Golde –?“

„Nehmen es fort und –“

„Und?“

„Bewaffnen uns, denn im Hide-spot giebt es allerlei Schieß- und Stechzeug.“

„Das ist wahr, eine ganze Rüstkammer voll.“

„Dann stechen wir den Posten nieder.“

„Das ist notwendig.“

„Nehmen uns jeder ein gutes Pferd.“

„Wo stecken die Tiere, Kapitän?“

„Ich weiß es allerdings noch nicht; sie werden aber schon zu finden sein. Die Jäger reiten stets im Bache empor; es muß in der Nähe desselben irgend ein Platz sein, wo man die Tiere anhobbelt. Wenn wir die Ufer aufmerksam untersuchen, so finden wir ihn ganz gewiß.“

„Und dann?“ frug Jean Letrier.

„Dann geht es fort. Wohin, das wird sich finden, jedenfalls aber westlich, denn nach dem Osten dürfen wir nicht zurück. Wir haben da, nicht bloß in letzter Zeit, sondern schon von früher her, so viel auf dem Kerbholz, daß wir uns in den Oststaaten nicht sehen lassen dürfen. Wenn wir Geld oder Gold bekommen, sehen wir, daß wir nach San Francisco – –“

Er hielt mitten in seiner Rede inne. Ein knisterndes Geräusch, welches von der Seite her an ihre Ohren drang, hatte ihn verstummen lassen.

Leise Schritte erklangen. Bill Potter drang durch die Büsche, hinter ihm außer dem zurückgelassenen Posten die sämtlichen Bewohner des Hide-spot. Auch Winnetou war dabei. Ohne Aufenthalt folgten sie den Spuren, welche Sam Fire-gun ihnen mit Vorbedacht deutlich zurückgelassen hatte. Die beiden Versteckten hielten den Atem an; ein einziger Blick aus dem scharfen, geübten Auge des Apatschen konnte die allerdings jetzt kaum mehr bemerkbaren Eindrücke wahrnehmen, welche sie zurückgelassen hatten. Die Gefahr ging glücklich vorüber, da Winnetou sich auf den vorangehenden Trapper verließ und den Boden nicht im mindesten beachtete.

Grace à dieu!“ meinte Letrier, als das Knistern der Zweige in der Ferne verklungen war. „Jetzt stand wahrhaftig alles auf dem Spiele, und trotzdem ich naß bin bis auf die Haut, habe ich geschwitzt, als stäke ich im Bade.“

„Jetzt ist es Zeit; aber wir müssen nun vorsichtig sein und jede Spur hinter uns verwischen.“

Dieses letztere machte ihren ungeübten Händen so viel Mühe, daß eine bedeutende Weile verging, ehe sie in dem Bette des Baches verschwanden. Sie kannten den Weg, den sie schon einmal gemacht hatten, und gelangten trotz der Beschwerlichkeit desselben glücklich oben an. Der hinter seinem Herrn emporkletternde Letrier hatte eben das Seil verlassen und festen Fuß gefaßt, als er sich von Sanders zurückgehalten fühlte. Sie standen vor einer ganzen Menge herumliegender menschlicher Körper. Durch Betasten überzeugten sie sich, daß es die getöteten jungen Indianer seien. Sie stiegen über die Leichen hinweg und kamen so in die Grotte, wo sie vorher gefesselt gelegen hatten. Hier konnten sie wieder miteinander sprechen.

Letrier schüttelte sich.

„Brrr, Kapitän, die armen Burschen sind einer nach dem andern ruhig abgefangen und ausgelöscht worden, sobald sie in der Höhle ankamen. Ein Glück, daß wir uns verborgen hielten, sonst hätten wir mitgemußt und ganz dasselbe Schicksal erlitten!“

„Wir haben jetzt keine Zeit zu solchen Betrachtungen. Vorwärts, und zwar zunächst zu den Waffen!“

Sie kehrten mit Hilfe des Seiles wieder in den Hide-spot zurück, der von den Trappern verlassen war. Nur ein einziger Mann stand als Wächter draußen auf der anderen Seite desselben.

In den Hauptraum der Höhle mündeten mehrere kleine Kammern. Eine derselben war ringsum mit allen möglichen Kriegswerkzeugen, welche das Leben in der Prairie erfordert, behängt. Auch Pulver, Blei und Kugelformen waren in Menge vorhanden. Lebensmittel, wenn auch nicht in einem großen Vorrate, zeigten sich im Nebenraume. In der Haupthöhle brannte eine Talglampe, welche ihnen zur Beleuchtung diente.

Die beiden Männer versahen sich zunächst mit allem Nötigen; dann begannen sie, nach den verborgenen Reichtümern zu suchen.

Alle ihre Bemühungen waren vergebens. Die kostbare Zeit verging und ihr Forschen wurde von Minute zu Minute hastiger, ohne daß sie etwas fanden.

„Es ist zu sorgfältig versteckt, Jean,“ meinte endlich Sanders, als sie vor der letzten Kammer anlangten, die ihnen noch übrig blieb. „Und selbst wenn wir es entdeckten, wie wollen wir es fortbringen? Das Gold ist schwer, und ich wüßte mir keinen Rat.“

„Wir packen es auf Reservepferde.“

„Das wäre das Einzige, würde aber unsre Flucht bedeutend verzögern und unsern Marsch sehr verlangsamen. Aber sieh, das muß die Extrawohnung des Colonels sein!“

Der Raum war an seinen Wänden mit ungegerbten Fellen behangen, um die Feuchtigkeit der Wände abzuhalten, und enthielt einige roh gearbeitete Sessel und Kästen, über welch letztere die Suchenden sofort begierig herfielen. Auch sie enthielten nichts von dem gehofften Golde, sondern nur einen Vorrat von Kleidungsstücken und allerlei sonstigen Gegenständen. Die Sachen wurden in der Eile rings auf dem Boden umhergestreut. Da stieß Sanders einen halblauten Ruf der Freude aus. Er hatte eine alte, abgegriffene Brieftasche gefunden, welche als letzter Gegenstand, sorgfältig eingewickelt, auf dem Boden eines der Kästen gelegen hatte.

„Kein Gold, aber vielleicht doch von Wert!“ sagte er.

Er trat in die Haupthöhle zurück, weil es da lichter war, und öffnete das Portefeuille.

„Was ist drin, Kapitän?“ frug Letrier mit Spannung.

„Nichts, gar nichts; ich habe mich auch hier getäuscht,“ antwortete der Gefragte ruhig; aber in seinem Innern wogte es gewaltig auf und nieder. Der Inhalt bestand in höchst wertvollen Depositenscheinen. Sam Fire-gun hatte bedeutende Mengen Gold bei verschiedenen Bankhäusern des Ostens abgeliefert und sich über die umgerechneten Summen diese Scheine ausstellen lassen. Der gegenwärtige Besitzer konnte sie bei jeder Bank augenblicklich in courante Münze umsetzen. Doch, das brauchte Letrier ja nicht zu wissen.

Die Summen, welche auf diese Scheine lauteten, gehörten nicht dem Colonel allein, sondern der ganzen Gesellschaft; darum waren sie so hoch. Jedenfalls gab es noch eine Menge von Goldstaub und Nuggets, konnte aber nicht gefunden werden. Eben als sie darüber ihre unmutigen Bemerkungen austauschten, hörten sie ein Geräusch. Es war der Posten, der in die Höhle kam. Sanders, der einen der vorgefundenen Revolver geladen hatte, schoß ihn nieder.

„Nun aber fort!“ sagte er dann. „Wir müssen Pferde haben. Hoffentlich finden wir welche!“

Sie nahmen alles an sich, was sie für sich ausgesucht hatten, und gingen nach dem vordern gewöhnlichen Eingang der Höhle. Draußen vor derselben angekommen, folgten sie dem Bache und kamen bald an einen schmalen Weg, der auf eine grasbewachsene Lichtung führte, wo sich die Pferde der Gesellschaft befanden.

Sie verloren nicht die mindeste Zeit, sattelten schnell zwei Tiere, denn Sättel und Zäume hingen da an den Bäumen, stiegen auf und ritten davon. – –

Inzwischen waren die Jäger alle, mit Ausnahme dieses Postens, den sie zu seinem Verderben allein zurückgelassen hatten, den Spuren der jungen Indianer gefolgt, um Dick Hammerdull und Pitt Holbers zu befreien. Sam Fire-gun, der vorausgegangen war, wurde sehr bald eingeholt. Er hatte alle mitgenommen, weil man nicht wissen konnte, mit wieviel Roten man es zu thun bekam. Er ging, die Fährte lesend, mit Winnetou voran. Sie war, weil die Roten ihren Marsch des Nachts gemacht hatten, sehr deutlich ausgetreten, und es machte also keine Mühe, sie nicht zu verlieren. Dennoch sahen sie erst nach Stunden den Wald vor sich liegen, wo die Roten gelagert hatten und wohin Hammerdull und Holbers von dem Häuptlingssohne gestern geschafft worden waren. Sie durften nicht in direkter Linie hin, weil sie da von dort aus gesehen werden mußten; darum wichen sie jetzt von der Fährte ab und hielten sich mehr seitwärts, so daß sie den Wald an einer Stelle erreichten, welche wohl eine englische Meile von derjenigen entfernt war, wo die Spur in ihm verlief.

Unter den Bäumen angekommen, wurde in einem Winkel dann wieder in die beabsichtigte Richtung eingelenkt, so daß man sich nun dem Lagerorte nicht von vorn, sondern von der Seite näherte. Mit jedem Schritte, der jetzt weiter gemacht wurde, mußte man vorsichtiger sein. Die Männer huschten, immer gute Deckung suchend, von Busch zu Busch, von Baum zu Baum, bis Winnetou, stehen bleibend, den ihm Folgenden ein Zeichen gab. Er hatte Stimmen gehört. Er schlich sich mit Sam Fire-gun allein weiter, und bald sahen sie den Ort, den sie suchten, vor sich liegen. Zugleich bemerkte der Colonel, daß er zu vorsichtig gewesen war, als er alle seine Leute mitnahm, denn bei den zwei Gefangenen, welche gefesselt an der Erde lagen, befanden sich nur drei Personen, nämlich zwei Indianer und der Weiße, welcher gestern die Roten zum Überfallen des Hide-spot aufgefordert hatte. Es bedurfte nur einiger Minuten, so war die Stelle umringt. Die drei Leute hätten sich ohne Gegenwehr ergeben müssen, sie wurden aber, freilich gegen den Willen Winnetous und des Colonels, niedergeschossen, dann schnitt man den Gefangenen die Riemen durch.

„Aber müßt Ihr unvorsichtig gewesen sein, Dick Hammerdull, daß Ihr Euch von solchen Knaben habt fangen lassen?“ sagte Fire-gun.

„Ob vorsichtig oder nicht, das bleibt sich gleich,“ antwortete der Dicke, indem er seine Glieder reckte; „sie haben uns eben erwischt. Dagegen war nichts zu machen. Was meinst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Hm!“ antwortete der Lange. „Wenn du meinst, Dick, daß nichts dagegen zu machen war, so hast du recht, denn wir haben eben nichts dagegen gemacht.“

„Und ein Weißer war dabei!“ wunderte sich der Colonel. „Es ist also außer Sanders und Letrier uns doch noch einer entkommen!“

„Ja,“ nickte Hammerdull; „und grad dieser Kerl hat unser Hide-spot entdeckt. Er führte den jungen Häuptling hin, um es ihm zu zeigen, ist aber dann, als es überfallen werden sollte, nicht mitgegangen, sondern hier geblieben. Wie steht es dort? Die Roten kamen nicht zurück.“

„Sie sind alle ausgelöscht worden, auf welche Weise, das laß dir unterwegs erzählen; wir wollen jetzt gleich fort, denn wir haben nur einen Mann daheim gelassen.“

Was für einen Fehler er damit begangen hatte, das sah er nur zu deutlich, als sie wieder im Hide-spot ankamen. Da fanden sie die Leiche des Postens und sahen sofort, daß alle Abteilungen der Höhle durchsucht worden waren, von wem, darüber konnte es natürlich keinen Zweifel geben. Zu seiner Beruhigung überzeugte sich der Colonel zunächst, daß der höchst wertvolle Vorrat von Goldstaub und Nuggets nicht entdeckt worden war; um so mehr aber erschrak er, als er sah, daß die Brieftasche mit den Depositenscheinen fehlte. Der Grimm, den er darüber empfand, teilte sich natürlich allen andern mit, und es gab nun nur eine einzige Stimme, nämlich die, daß Sanders und sein Genosse sofort zu verfolgen seien. Ganz abgesehen davon, daß wir ihre Personen wieder haben mußten, war es ein bedeutendes Vermögen, welches sich in der Brieftasche befand.

Aber grad dieses Geld mußte ihnen das Entkommen erleichtern, wenn sie nur erst einen bewohnten Ort erreichten. Darum galt es, mit der Verfolgung keinen Augenblick zu säumen; aber wir mußten uns auch mit den nötigen Mitteln versehen, um nicht ohne Geld zu sein, wenn es zu unsrem schnellen Fortkommen nötig sein sollte. Es war also bei allem Unglück noch ein Glück, ein wahres Glück, daß die Entflohenen die Nuggets nicht auch gefunden hatten! – –

Wenn ich in meiner Geschichte vorhin einen großen Sprung von San Francisco nach dem wilden Westen gethan habe, so bitte ich euch, Mesch’schurs, diesen Sprung mit mir wieder zurückzuthun. Wir befinden uns also wieder in Frisco oder vielmehr zunächst in dem ihm an der Bai gegenüberliegenden Oakland, denn wer zu Pferde, so wie wir, aus dem Osten kommt, der muß in Oakland halten, weil sich ihm die hier elf Kilometer breite San Francisco-Bai in den Weg legt. Das ist aber kein Hindernis, denn für Gelegenheiten, hinüberzukommen, auch mit den Pferden, ist mehr als reichlich gesorgt. Reiter setzten damals auf den breiten Oakland-Trajektbooten über.

Mit einem dieser Boote landeten zwei Berittene, die selbst während der Überfahrt nicht aus dem Sattel gestiegen waren. Ihre Pferde schienen von guter Rasse zu sein, obgleich sie fürchterlich abgetrieben aussahen. Auch die Reiter hatten ganz das Äußere von Leuten, die eine geraume Zeit lang nichts mit den Segnungen der Civilisation zu thun gehabt haben. Der Bart hing ihnen lang und wirr bis auf die Brust herab; die breitrandigen Jägerhüte, weit und formlos geworden, ließen ihre Krempen bis tief in das Gesicht herunterschlappen; die ledernen Gewänder schienen aus vertrockneter, rissiger Baumrinde zusammengesetzt zu sein, und die ganze übrige Ausrüstung ließ auf fürchterliche Strapazen schließen, welche die Männer überstanden haben mochten.

„Endlich – grace à dieu!“ atmete der eine hoch auf. „Da sind wir, Jean, und ich denke, daß die Not nun nichts mehr mit uns zu schaffen haben wird.“

Der andre schüttelte fast trübselig den Kopf.

„Verzeiht, Kapitän, daß ich nicht so zuversichtlich bin. Ich werde mich nur dann erst vollständig sicher fühlen, wenn ich auf einem festen Deck stehe, welches einige Meilen von hier da draußen auf dem Wasser schwimmt. Der Teufel soll mich holen, wenn der Colonel mit seinem Volke uns nicht jetzt noch an den Fersen hängt!“

„Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Wir haben ihn ja so in die Irre geführt, daß er glauben muß, wir haben uns nach dem Gebirgsübergange hinauf nach Britisch Columbien geschlagen. Wir haben diesen ungeheuren Umweg jedenfalls nicht umsonst gemacht.“

„Ich will wünschen, daß Ihr Euch nicht irrt, aber ich traue diesem verteufelten Trappervolke nicht zehn Schritte weit und halte es für das beste, uns möglichst bald an Bord eines Schiffes zu begeben, welches von diesem unglückseligen Lande nichts mehr wissen will.“

„Vor allen Dingen ist es nötig, uns wieder ein menschliches Aussehen zu geben.“

„Dazu gehört wieder Geld.“

„So viel muß werden, und zwar sofort. Schau da hinüber!“

Er deutete mit der Rechten nach einer Baracke, über deren niederem Dache ein Brett mit der Inschrift „Jonathan Livingstone, Horse-haggler“ angebracht war.

„Ein Pferdehändler?“ meinte Jean. „Wird für unsre halb verhungerten Tiere auch viel bieten!“

„Müssen eben zusehen!“

Sie lenkten ihre Pferde dem angegebenen Orte zu. Ein Mann, dem der Pferdejude auf tausend Schritte Entfernung anzusehen war, trat aus der Thür, als sie abstiegen.

„Zu wem wollt ihr, Gentlemen?“ fragte er.

„Zu dem ehrenwerten Master Livingstone, Sir.“

„Der bin ich selbst.“

„Ihr kauft Pferde?“

„Hm – ja – solche aber nicht,“ antwortete er mit einem geringschätzigen, aber doch aufmerksamen Blicke auf die angebotene Ware.

Well, dann god bye, Sir!“

Im Augenblicke saß Sanders wieder auf und machte Miene, sich zu entfernen.

Slow, Master, langsam, langsam; man wird sich die Tiere doch wohl einmal ansehen können!“

„Wenn Ihr solche nicht kauft, so sind wir fertig. Ihr habt kein Greenhorn vor Euch!“

„So, so! Da steigt einmal wieder herunter! Hm, elend, ungeheuer elend! Ihr kommt wohl aus der Savanne?“

Yes!“

„Kann kaum etwas bieten; muß gewärtig sein, sie gehen mir noch drauf,“ meinte er, die Tiere eingehend musternd. „Wie viel wollt Ihr haben?“

„Was bietet Ihr?“

„Für alle zwei?“

„Für beide!“

„Hm, dreißig Dollars, nicht mehr und auch nicht weniger.“

Sofort saß Sanders wieder auf und ritt ohne Antwort davon.

„Stop, Sir, wo wollt Ihr denn hin? Ich denke, Ihr wollt die Pferde verkaufen!“

„Ja, aber nicht an Euch.“

„So kommt doch zurück! Ich gebe vierzig.“

„Sechzig!“

„Fünfundvierzig.“

„Sechzig!“

„Fünfzig!“

„Sechzig!“

„Unmöglich! Fünfundfünfzig und keinen Cent mehr.“

„Sechzig und keinen Cent weniger. Adieu!“

„Sechzig? Nein, fällt mir gar nicht ein – doch halt, so wartet doch nur, he; bleibt doch da; Ihr sollt sie haben, die Sechzig, obgleich das Viehzeug so ein Geld gar nicht wert ist!“

Lächelnd kehrte Sanders zurück und stieg wieder vom Pferde.

„Da nehmt sie, und zwar mit Zaum und Zeug!“

„Kommt herein, Master; der andre mag sie einstweilen halten.“

Der Händler führte ihn in einen kleinen Verschlag, welcher durch einen alten, kattunenen Vorhang in zwei Teile geschieden war. Er verschwand hinter dem letzteren und trat dann mit dem Gelde wieder hervor.

„Hier sind die sechzig Dollars. Ihr habt ein Sündengeld bekommen!“

„Pah, macht Euch nicht lächerlich! Doch – hm – Ihr seid hier in der City bekannt?“

„Besser als mancher andre.“

„So könnt Ihr mir wohl eine Auskunft geben –“

„Nach einem Boardinghouse wohl?“

„Nein, nach einem coulanten Bank- oder Lombardgeschäft.“

„Lombard – hm, was für einen Antrag habt Ihr dort?“

„Ist Nebensache!“

„Ist Hauptsache, Sir, wenn Ihr richtige Auskunft wünscht.“

„Will eine Deposite verkaufen.“

„Worüber?“

„Über Goldstaub und Nuggets.“

„Donnerwetter! Wie hoch lautet der Schein?“

„Ich habe deren mehrere.“

„So seid Ihr verdammt glücklich gewesen. Zeigt einmal her!“

„Hat keinen Zweck!“

„Warum nicht? Wenn das Papier gut ist, kaufe ich es selbst. Mache zuweilen auch diese Art von Geschäften, notabene, wenn etwas dabei zu verdienen ist.“

„Das ist’s!“

Er zog die im Hide-spot gefundene Brieftasche hervor und wählte einen der Scheine aus, den er dem Händler überreichte. Dieser machte ein erstauntes Gesicht und warf einen höchst respektvollen Blick auf den zerrissenen und zerfetzten Mann, welcher sich im Besitze eines solchen Reichtums zeigte.

„Zwanzigtausend Dollars, auf den Inhaber lautend, deponiert bei Charles Brockmann, Omaha! Der Schein ist gut. Was wollt Ihr haben?“

„Wie viel gebt Ihr?“

„Die Hälfte.“

Sanders nahm ihm das Papier aus der Hand und schritt nach dem Eingange.

„Adieu, Master Livingstone!“

„Halt! Wieviel wollt Ihr haben?“

„Achtzehntausend zahlt mir jeder Bankier sofort und bar; aber ich bin einmal hier bei Euch und habe Eile. Gebt sechzehn, und Ihr bekommt den Schein.“

„Unmöglich. Ich weiß nicht, ob Ihr der rechtmäßige – –“

Well, Sir, Ihr wollt nicht, und damit gut!“

Der Mann hielt ihn am Arme zurück; er stieg mit einem Gebote höher und höher und brachte endlich die verlangte Summe hinter dem Vorhange hervor. Er gehörte zu jener Art von Geschäftsleuten für alles, denen es trotz ihres unscheinbaren Aussehens und ihrer absichtlich ärmlichen Einrichtung an den nötigen Barbeständen doch niemals mangelt.

„Hier habt Ihr das Geld; ich habe heut einmal meinen schwachen Tag. Verkauft Ihr die andern Scheine auch?“

„Nein. Adieu!“

Er ging. Livingstone begleitete ihn hinaus und nahm die Pferde in Empfang. Die beiden Fremden entfernten sich. Ein Gehilfe kam herbei, um die Tiere von Sattel und Zaum zu befreien.

„Gutes Geschäft gemacht,“ brummte der Pferdehändler Livingstone; „prächtige Rasse, famos gebaut; haben viel ausgehalten und werden bei guter Pflege sich bald wieder erholen.“

Noch war er um die eingehandelten Pferde beschäftigt, so ertönte lauter Hufschlag die enge Straße herauf. Zwei Reiter erschienen im Galopp, die mit dem nächsten Fährboote gekommen waren. Der eine war ein Indianer, dessen aufgebundenes und mit Adlerfedern geschmücktes Haar ihn als Häuptling bezeichnete. Der andre war ein Weißer von herkulischer Gestalt und weit über dem Nacken herabwallendem, weißem Haupthaar. Auch ihnen war eine ungewöhnliche Strapaze sehr wohl anzusehen, doch zeigten sie in ihrer Haltung ebenso wie ihre prachtvollen Tiere nicht die geringste Ermüdung.

Im Galopp vorübersprengend, warf der Indianer unwillkürlich einen Blick herüber nach dem Händler und riß in demselben Moment sein Pferd herum.

„Mein weißer Bruder blicke diese Pferde an!“ sagte er.

Der andre war ihm ebenso schnell bis an die Baracke gefolgt. Ein kurzer Blick genügte, er sah das Schild, ritt bis hart an den Händler heran und grüßte:

Good day, Sir! Ihr habt soeben diese Pferde gekauft?“

Yes, Master,“ antwortete der Händler.

„Von zwei Männern, welche folgendermaßen aussahen?“

Er gab eine sehr genaue Beschreibung von Sanders und Letrier.

„Das stimmt, Master.“

„Sind die Männer noch hier?“

„Nein.“

„Wo sind sie hin?“

„Weiß nicht; geht mich auch gar nichts an!“

„Ihr müßt aber doch die Richtung wissen, in welcher sie davongegangen sind?“

„Sie bogen um die Ecke dort. Weiter kann ich nichts sagen.“

Der Frager besann sich einen Augenblick, warf einen scharfen, forschenden Blick auf den Händler und fuhr dann fort:

„Ihr kauft nur Pferde?“

„Pferde und manches andre.“

„Auch Nuggets?“

„Auch. Habt Ihr welche?“

„Nicht hier; sie kommen nach. Darf ich sie Euch anbieten?“

„Wenn es nicht gleich ist, ja. Habe soeben all mein Geld ausgegeben.“

„Den beiden Männern?“

„Dem einen.“

„Er verkaufte Euch etwa Depositen?“

„Ja.“

„Wie hoch?“

„Zu zwanzigtausend Dollars.“

„Wollt Ihr so gut sein, Sir, und mir den Schein einmal zeigen?“

„Warum?“

„Um zu sehen, ob es der Gentleman gewesen ist, mit dem wir gern zusammentreffen wollen.“

„Hm, so! Den Schein sollt Ihr sehen; aber in die Hand bekommt Ihr ihn nicht.“

Er trat in die Baracke und kam nach kurzer Zeit mit dem Papiere zurück. Der Fremde betrachtete es genau und nickte dann vor sich hin.

„Ihr habt bloß dies eine von ihm erhalten?“

„Nur dieses.“

„Danke, Sir! Die Männer werden nicht wiederkommen, sollte es aber dennoch geschehen, so kauft ihnen nichts mehr ab, sondern laßt sie festnehmen. Die Depositen gehören mir und sind mir von ihnen gestohlen worden. Ich werde vielleicht wieder bei Euch vorsprechen!“

Er zog sein Pferd herum, der Indianer that desgleichen, dann sprengten beide wie vorher im Galopp die Straße entlang.

Es wurde kein Wort zwischen ihnen gewechselt, bis sie am Quai des Hafens anlangten. Dort fragte der Colonel, denn dieses und kein andrer war der Weiße:

„Mein roter Bruder ist mir auf der Fährte der Räuber gefolgt über die weiten Länder der Savanne. Wird er bei mir bleiben, wenn ich gezwungen bin, ein Schiff zu besteigen?“

„Winnetou, der Häuptling der Apatschen, geht mit Sam Fire-gun über die ganze Erde und auch auf das große Wasser. Howgh!“

„Die Räuber wollen wahrscheinlich über das Meer entfliehen; sie werden sich nach den abgehenden Schiffen erkundigen. Das thun wir auch und bewachen die Fahrzeuge; da erwischen wir sie.“

„Mein Bruder thue das und halte sich immer hier am Wasser auf, damit ich ihn wiederfinde. Winnetou aber wird zurückkehren vor die Häuser der großen Stadt da drüben, um zu erwarten und herzuführen die Jäger, welche zurückgeblieben sind, weil ihre Pferde müde waren.“

Sam Fire-gun neigte zustimmend den Kopf und sagte:

„Mein Bruder ist klug; er thue, wie er gesagt hat!“

Er stieg vom Pferde, welches er dem Hausknechte eines in der Nähe sich befindenden Gasthauses übergab. Der Apatsche aber kehrte allein den Weg zurück, welchen sie miteinander gekommen waren. –

Während dieses geschah, hatten Sanders und Jean Letrier ihren Weg fortgesetzt. Langsam dahinschlendernd, bemerkten sie einen Mann, welcher aus einem engen Seitengäßchen hervortrat und, ihrer nicht achtend, in einiger Entfernung quer über die Straße schritt. Von kaum mittlerer Statur, und dabei schlank gebaut, trug er die Kleidung eines Diggers, der aus den Minen kommt, um von der anstrengenden Arbeit auszuruhen und dabei sich ein weniges in der Stadt umzusehen. Ein breitkrempiger und vielfach zerknitterter Strohhut hing ihm in das Gesicht hernieder, doch vermochte er nicht, das große, häßliche Feuermal zu verdecken, welches sich von dem einen Ohre quer über die ganze Wange bis über die Nase zog.

Überrascht blieb Sanders stehen und faßte seinen Begleiter am Arme.

„Jean, kennst du den?“ fragte er hastig.

„Den? Nein, Kapitän.“

„Wirklich nicht?“

„Nein.“

„Ich habe falsch gefragt. Es sollte heißen: kennst du die?“

„Die? Alle Wetter, die Gestalt, die Haltung, der Gang, Kapitän, es ist doch wohl kaum möglich!“

„Sie ist’s, sage ich dir, sie und keine andre! Wir sind vollständig verwildert; aus dieser Entfernung erkennt sie uns nicht. Ein glücklicher Zufall führt sie uns vor die Augen; wir müssen ihr folgen!“

Sie schritten hinter dem Manne her, welcher nach kurzer Zeit in eine Bretterbude trat, über deren Thür mit einfachen Kreidezügen die Inschrift Taverne of fine brandy angebracht war. Vor und hinter diesen Buchstaben hatte man auch mit Kreide je eine Schnapsflasche auf das rissige Holz gemalt.

„Was thut sie in dieser Butike? Sie hat genug Geld und wohnt jedenfalls anständig. Ihr jetziges Habit ist also eine Verkleidung, und ihr gegenwärtiger Gang hat irgend einen geheimnisvollen Zweck.“

„Wir müssen ihr hineinfolgen, Kapitän.“

„Das geht nicht, Jean. Sie würde uns trotz unsers verwilderten Zustandes doch sofort erkennen, zumal sie uns in der Prairie als Jäger gesehen hat. Die Bude besteht aus einfachen Brettern; von vorn dürfen wir uns nicht nahen; vielleicht finde ich an ihrer Rückseite ein Astloch oder irgend eine Ritze oder Spalte, durch welche es mir möglich ist, das Innere zu überblicken. Du bleibst zurück und beobachtest den Ausgang. Sollte sie den Ort verlassen, ehe ich zurückkehre) so kommst du schleunigst, um mich zu benachrichtigen.“

Er wandte sich zur Seite. Die Gelegenheit war günstig. Die Hütte hatte keinen Ausgang nach hinten und wurde dadurch einen kaum drei Fuß breiten Zwischenraum von einem ganz ähnlichen Bauwerke getrennt. Sanders schob sich hinein und fand bald ein Astloch, durch welches er einen großen Teil des Schankraumes, in welchem zahlreiche Gäste saßen, zu überblicken vermochte.

Der Mann mit dem Feuermale hatte in der Nähe eines breiten Ofens Platz genommen, war dann aber plötzlich nach rückwärts verschwunden. Weiter nach dieser Seite hin, schloß Sanders, befand sich vielleicht ein abgeschlossener Raum, der für private Zwecke dienen konnte. Er schob sich leise in dieser Richtung weiter, bis er hart hinter der dünnen Wand, an welcher er lehnte, mehrere Stimmen erklingen hörte. Er legte das Ohr an das Brett und lauschte.

„Wo treffen wir uns, Sir?“ hörte er fragen.

„Nicht hier, das wäre unvorsichtig, auch nicht am Quai, sondern in der kleinen Bucht oberhalb der letzten Fischerhütte.“

„Und wann?“

„Wann ich kommen kann, ist noch unbestimmt, aber um elf müßt ihr versammelt sein, dürft jedoch vor meiner Anwesenheit nichts unternehmen.“

„Schön. Es wird einen tüchtigen Kampf geben, ehe das Fahrzeug unser ist.“

„Nicht so sehr, als ihr denkt. Die Offiziere und Subalternen sind heut abend an das Land geladen, und an Bord selbst wird ein Festgelage stattfinden, welches uns bestimmt in die Hand arbeiten muß.“

„Das läßt sich hören. Giebt es keinen Freund an Bord?“

„Der lange Tom ist da mit noch einigen, die uns erwarten.“

„Alle Teufel, Ihr habt das Ding fein eingeleitet! Also der schwarze Kapitän wird wirklich mit dabei sein?“

„Sicher. Es werden die Anker sofort gelichtet; der Wind ist gut; die Ebbe fällt passend, und wenn nicht ein ganz und gar unvorhergesehenes Hindernis eintritt, so wird man von dem l’Horrible bald dieselben Geschichten wie früher erzählen.“

„Auf uns könnt Ihr rechnen, Sir. Wir werden gegen dreißig Mann sein, und mit tüchtigen Offizieren und einem solchen Segler braucht man die ganze Marine der Welt nicht zu fürchten.“

„Das meine ich auch. Hier habt ihr euer Draufgeld und noch einiges darüber, um zu trinken. Aber haltet euch nüchtern, damit der Handstreich uns nicht etwa mißlingt!“

Ein Stuhl wurde gerückt; der letzte Sprecher entfernte sich. Sanders hatte ihn auch an der Stimme erkannt, obgleich sie eine verstellte und in die tieferen Tonlagen hinabgedrückte war. Das Gehörte war so außerordentlich, daß er eine ganze Weile vollständig bewegungslos stand und auch wohl noch länger so verblieben wäre, wenn ihn nicht ein leises „Pst!“ aus seiner halben Erstarrung aufgeschreckt hätte. Jean Letrier stand vor dem Zwischenraume und winkte.

„Sie ist fort, wieder zurück; schnell, schnell!“

Der Kapitän drängte sich aus der Enge hinaus, gerade noch zur rechten Zeit, um den Gegenstand seiner Beobachtung hinter der nächsten Ecke verschwinden zu sehen. Die beiden Männer eilten ihm nach und verfolgten ihn durch die schmutzigen Gäßchen der Vorstadt und die breiten Straßen der besseren Stadtteile bis an das Gitter eines einsam gelegenen Gartens. Hier blickte er sich prüfend um und schwang sich, als er nichts Verdächtiges bemerkte, mit einem katzenartigen Sprunge hinüber. Hier hielten sie wohl gegen eine Stunde Wacht, aber vergebens; er kehrte nicht zurück.

„Sie muß hier wohnen, Jean. Laß uns das Haus suchen, zu welchem dieser Garten gehört!“

Um dies zu thun, mußten sie eine Seitengasse durchschreiten. Als sie aus derselben traten, bemerkten sie eine glänzende Equipage, welche vor der Thür eines Hauses hielt, welches kein andres als das gesuchte sein konnte. Eine Dame war soeben eingestiegen und gab dem Kutscher das Zeichen. Sanders trat in die Gasse zurück; das elegante Fahrzeug rollte vorüber, so daß die Gesichtszüge der Inhaberin zweifellos zu erkennen waren.

„Sie ist’s!“ rief Jean.

„Ja, sie ist’s; hier ist eine Täuschung ganz unmöglich. Ich bleibe hier; du aber gehst in das Haus und suchst ihren jetzigen Namen zu erfahren.“

Jean gehorchte dem Gebote und kehrte schon in kurzer Zeit mit der gewünschten Auskunft zurück.

„Nun?“

„Frau de Voulettre.“

„Ah! Wo wohnt sie?“

„Sie hat die vollständige erste Etage inne.“

„Komm nach dem Hafen; dort werde ich dir weitere Mitteilungen machen!“

Sie schritten der genannten Gegend zu und kehrten auf diesem Wege in einem Store of dressing ein, den sie in Beziehung auf Wäsche, Kleidung und sonstige Ausstattung vollständig verändert verließen. Langsam durch das Menschengewühl des Quais schreitend, zuckte es plötzlich wie ein heftiger Schreck über das Gesicht Letriers; er faßte Sanders und zog ihn hinter einen großen Haufen aufgestapelter Warenballen.

„Was giebt’s?“ fragte Sanders.

„Blickt gradaus, Kapitän, und seht, ob Ihr den Mann kennt, der unter dem großen Krahne steht!“

„Ah – alle Teufel, der Colonel, Sam Fire-gun! Sie haben sich also nicht irre führen lassen und sind uns auf dem Fuße gefolgt. Wo mögen die andern stecken?“

„Die hat der verdammte deutsche Polizist ganz sicher in der Stadt verteilt, um uns aufzulauern und unsern Aufenthalt zu erforschen.“

„Jedenfalls. Hat uns der Alte schon bemerkt?“

„Ich glaube nicht. Sein Gesicht war seitwärts gerichtet, als ich ihn sah, und bei unsrem jetzigen Habitus sollte es ihm auch schwer werden, uns zu erkennen, wenn wir ihm nicht allzuweit zu nahe kommen.“

„Richtig. Jetzt blicke einmal da hinüber auf die Reede. Kennst du das Schiff, welches in der Nähe des Panzerschiffes liegt?“

„Hm – ja – das – das ist – Donner und Wetter, das ist kein andres als unser l’Horrible, den kenne ich Sofort, und wenn sie noch so sehr an seinen Segeln und Stangen herumgemodelt haben!“

„So komm!“

Sie nahmen ihren Weg durch das dichteste Gewühl und suchten sich ein entfernt liegendes Schankhaus, wo sie sich ein separates Zimmer geben ließen. Hier konnten sie ungestört verhandeln.

„Also du hast unsern l’Horrible erkannt?“ fragte Sanders.

„Sofort, Kapitän.“

„Weißt du, wer ihn jetzt befehligt?“

„Nein.“

„Und weißt du, wer ihn morgen um diese Zeit befehligen wird?“

„Jedenfalls derselbe wie. heut.“

„Nein.“

„So tritt ein Dienstwechsel ein?“

„Allerdings. Der heutige muß aus der großen Tasse trinken, und an seine Stelle wird ein gewisser Sanders treten oder, wenn du lieber willst, der schwarze Kapitän.“

„Hm, das ist kein übles Luftschloß, Kapitän.“

„Luftschloß? Ich sage dir, daß es in Wirklichkeit so sein wird.“

Jean Letrier lächelte.

„Dann wird die Miß Admiral natürlich wieder Segelmeister?“ meinte er, auf den mutmaßlichen Scherz eingehend.

„Gewiß.“

„Und fegt mit der neunschwänzigen Katze das Verdeck wie vor alten Zeiten?“

„Oder auch nicht. Dieser Panther wird gezähmt; darauf kannst du dich verlassen!“

„Und der treue Jean Letrier, welche Stelle wird der haben?“

„Wird sich schon etwas Passendes finden lassen.“

„Schade um das hübsche Kartenhaus!“

„Und wenn es nun kein Kartenhaus, sondern ein festes, sichres und unumstößliches Gebäude wäre?“

Letrier war wirklich betroffen von dem ernsten, zuversichtlichen Tone seines Herrn. Er blickte demselben forschend in das Gesicht und brummte:

„Hm, in der Welt ist manches Unmögliche möglich, wenigstens für unsereinen.“

„Allerdings. – Höre, Jean, was ich dir sagen werde!“

Er erzählte ihm, was er an den Brettern der Branntweinbude erlauscht hatte, und fügte die Vermutungen und Schlüsse bei, zu welchen ihn das gehörte Gespräch berechtigte. Jean staunte.

„Teufel! Diesem Frauenzimmer ist wahrhaftig so etwas zuzutrauen.“

„Sie wird es ausführen, darauf kannst du dich verlassen.“

„Und wir?“

„Sagte ich dir nicht, daß ich heut abend den l’Horrible befehligen werde?“

„Gut! Sie wird sich aber wehren.“

„Pah! Ich bin früher ihr Vorgesetzter gewesen und werde es auch jetzt sein. Sie ist noch immer die Alte. Ein Schiff zu stehlen! Mitten aus dem Hafen von San Francisco heraus! Es ist kolossal! Aber uns kommt es vortrefflich zu statten. Welch ein Glück, daß wir sie gesehen und trotz ihrer Verkleidung erkannt haben!“

Während sie in eifrigem Gespräche bei einander saßen, wurden in der Wohnung der Frau de Voulettre Anstalten zu einer glänzenden Soiree getroffen. Die Delikatessen aller Länder, die Weine aller Zonen waren vertreten, und die Dame des Hauses, welche von ihrer Spazierfahrt schon längst zurückgekehrt war, machte sich mit den letzteren persönlich sehr viel zu schaffen. Sie öffnete eine Anzahl der Flaschen, schüttete in jede derselben ein feines, weißes Pulver und versiegelte sie dann sorgfältig wieder.

Der Abend nahte heran; es wurde dunkel, und aus den Fenstern ihrer Wohnung glänzte eine Lichtflut, welche den Schein der Straßenlaterne weit überstrahlte.

Die Gäste, auch der Kommandeur des Panzerschiffes nebst den geladenen Offizieren der andern Fahrzeuge hatten sich bei ihr eingefunden und schwelgten in den gebotenen Genüssen. Eine ganze Menge nobler Flaneurs und gewöhnlicher Leute belagerte das Portal, um einen kleinen Blick in das geschmückte Innere zu werfen oder den Geruchssinn an den ausströmenden Wohlgerüchen zu weiden.

Unter ihnen befanden sich zwei Männer in Matrosentracht. Sie standen schweigend nebeneinander und warfen höchst gleichgültige Blicke auf die andern. Ihr Augenmerk schien vorzugsweise auf eines der erleuchteten Fenster gerichtet zu sein. Lange, lange harrten sie. Da endlich wurde der Vorhang herabgelassen, der Schatten einer erhobenen Hand strich einigemal hinter demselben auf und nieder; dann verlöschte das Licht.

„Das ist das Zeichen,“ flüsterte der eine.

„Komm!“ antwortete der andre.

Sie schritten fort und bogen in das Gäßchen, welches am Tage Sanders und Jean betreten hatten. An der Gartenpforte stand ein Koffer, neben ihm eine männliche Gestalt. Es war hier so dunkel, daß man die Einzelheiten nicht genau zu erkennen vermochte, doch war so viel zu sehen, daß der Mann kaum die Mittelgröße erreichte und einen mächtigen, dunklen Vollbart trug. Es war die Frau von Voulettre, die sich wieder verkleidet hatte. Der Koffer enthielt ihre kostbaren nautischen Instrumente.

„Ist der Wagen bestellt?“ fragte der Mann mit dem dunklen Vollbarte kurz.

„Ja,“ lautete die Antwort.

„Vorwärts!“

Seine Stimme klang befehlend, als sei er das Kommandieren von Jugend auf gewöhnt. Die Männer faßten den Koffer und schritten voran. Er folgte ihnen. An der Ecke einer Straße stand ein Wagen. Der Koffer wurde auf den Bock desselben gehoben; die drei stiegen ein, und das Gefährte rollte im Trabe zur Stadt hinaus. Im Freien angekommen, hielt es an. Die Fahrgäste stiegen aus, ergriffen den Koffer wieder und wandten sich, während der Wagen zurückkehrte, dem Strande zu.

Sie hatten denselben noch nicht erreicht, so ertönte hinter einem Busche eine Stimme.

„Halt, wer da!“

„Der schwarze Kapitän.“

„Willkommen!“

Eine Schar dunkler Gesellen eilte herbei und umringte ehrfurchtsvoll den bärtigen Mann.

„Die Boote in Ordnung?“ fragte er.

„Ja.“

„Die Waffen?“

„Alles recht.“

„Fehlt jemand?“

„Keiner.“

„Dann come on; ich nehme den ersten Kahn!“

Der Koffer wurde eingehoben, die mit Lappen sorgfältig umwickelten Ruder eingelegt, und die Fahrzeuge setzten sich in eine vollständig geräuschlose Bewegung.

Zunächst strebten sie grad auf die Höhe hinaus, dann legten sie scharf nach Steuerbord über und näherten sich auf diese Weise von der Seeseite aus mit außerordentlicher Vorsicht dem mitten in tiefer Dunkelheit liegenden l’Horrible, an dessen Spriet und Stern nur je eine einsame Schiffslaterne brannte.

Sie waren jetzt so nahe an das Fahrzeug herangekommen, daß man sie bei der gewöhnlichen Aufmerksamkeit ganz sicher bemerken mußte. Der, welcher sich Kapitän genannt hatte, stand aufrecht am Steuer und hielt sein scharfes Auge forschend auf die dunkle Gestalt des Schiffes gerichtet. Es war ein Moment, in dem sich alles entscheiden mußte und der seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Da ertönte der halblaute, heisere Schrei einer Möwe.

Die Leute in den Booten atmeten auf; es war das mit dem langen Tom verabredete Zeichen, daß an Bord alles gut gehe. Einige Taue hingen am Hinterteile herab.

„Legt an, und dann hinauf!“ ertönte das leise Kommando.

Einige Augenblicke später standen sämtliche Männer am Deck. Tom hatte sie erwartet.

„Wie steht es?“ fragte der Bärtige.

„Gut. Ich und die Unsrigen haben die Wache. Die andern schmausen unten in der Vormarskoje oder liegen schon betrunken am Boden.“

„Hinunter! Doch schont sie. Sie werden gefesselt und in den Raum geschlossen; später müssen sie zu uns schwören. Je mehr Arme wir bekommen, desto besser für uns.“

Dieser Befehl wurde schnell und ohne allen Lärm ausgeführt. Die nichts ahnende und vom Grog berauschte Mannschaft wurde leicht überwältigt, gebunden und in dem Kielraum geborgen. Dann zog man den Koffer empor, welcher in die Kapitänskajüte getragen wurde, und löste die Boote, die man mitgebracht hatte, von den Tauen. Sie konnten schwimmen – das Schiff befand sich vollständig in der Gewalt der Korsaren.

Jetzt versammelte der Schwarzbärtige seine Leute um sich und wies jedem seine Stelle an.

„Wir stechen in See. Schmiert die Ankerwinde und die Takelrollen mit Öl, damit kein unnötiges Geräusch entsteht. Kommandieren darf ich nicht, sonst hört man mich da drüben auf dem Panzerschiffe; aber ich hoffe, daß jeder weiß, was er zu thun hat!“

Die Mannschaft verteilte sich. Der Kommandeur eilte von Ort zu Ort, um seine Befehle leise auszusprechen; der Anker hob sich, die Segel rollten empor und der günstige Wind begann, sie zu blähen. Das prachtvolle Schiff gehorchte dem Steuer; es legte sich langsam herum, teilte die widerstrebenden Wogen und schoß der offenen See entgegen.

Da erst erscholl von dem Decke des Panzerschiffes ein Schuß – ein zweiter – ein dritter. Man wußte dort, daß die Offiziere des l’Horrible an das Land gegangen waren, hatte, allerdings zu spät, die Bewegung des Schiffes bemerkt, mußte natürlich sofort etwas Ungewöhnliches oder gar Gesetzwidriges vermuten und gab nun durch die drei Alarmschüsse das Zeichen zur allgemeinen Aufmerksamkeit.

Der neue Befehlshaber des l’Horrible hatte sich auf das Quarterdeck begeben. Der lange Tom stand an seiner Seite.

„Horch, Tom, sie haben bemerkt, daß wir uns davonmachen!“ sagte er.

Der Angeredete warf einen forschenden Blick empor zu den sich von dem Himmel hervorhebenden Segeltüchern.

„Wird ihnen nichts helfen. Sie haben die Augen zu spät aufgethan. Aber – Ihr kennt meinen Namen, Sir?“

„Ich dächte, der schwarze Kapitän müßte ihn doch kennen; bist ja mit mir genugsam herumgesegelt.“

„Der schwarze Kapitän – mit Euch? Nichts für ungut, Sir, ein tüchtiger Offizier seid Ihr, das habe ich schon in der kurzen Zeit bemerkt, aber der Schwarze, der seid Ihr nicht, den kenne ich.“

„Pah, ich werde es aber sein.“

„Wird nicht gut gehen. Die Leute wollen nur unter ihm dienen, und der Rotmalige, ich meine den Agenten, der uns angeworben hat, versprach uns ja, daß er noch lebe und heut abend am Deck sein werde.“

„Der Rotmalige? Hast du ihn wirklich nicht erkannt?“

„Erkannt –? ihn –? Habe den Kerl in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen!“

„Tausendmal schon, Tom; tausendmal, sage ich, hast du ihn oder vielmehr sie gesehen. Besinne dich!“

„Ihn –? Sie –? Donnerwetter, sie – sie –? Sollte – sollte es die Miß Admiral gewesen sein!“

„Sie war es. Und glaubst du nicht, daß sie ganz das Zeug hat, den schwarzen Kapitän zu spielen?“

Der Lange trat überrascht einige Schritte zurück.

„Alle Wetter, Sir – Miß, wollte ich sagen, das ist ja eine ganz außerordentliche Geschichte. Ich denke, Ihr seid aufgehangen worden, als die Rotjacken den l’Horrible nahmen!“

„Nicht ganz. Aber höre. du bist an Bord der einzige, der den Kapitän wirklich kennt; du verschweigst, daß ich und der Agent einer und derselbe sind, und läßt sie dabei, daß ich der Schwarze bin. Verstehst du?“

„Vollständig!“

„Nun? Du sollst dich nicht schlecht dabei stehen.“

„Hm, mir ist es sehr egal, ob ein Sir oder eine Miß das Kommando führt, wenn es nur immer eine gute Prise giebt. Ihr könnt Euch auf mich verlassen.“

„Gut. Doch schau, die Lichter im Hafen und auf der Reede werden lebendig. Man schickt sich zur Verfolgung an. Pah, in zwei Stunden sind wir ihnen, selbst bei hellem Tage, aus den Augen.“

Er ließ alle Leinwand aufziehen, so daß das auf der Seite liegende Schiff mit verdoppelter Geschwindigkeit die Wogen teilte, und hing sich mit dem Arme in die Wantensprossen, um die lange entbehrte Genugthuung, den famosen Segler unter den Füßen zu haben, in vollen Zügen zu genießen.

Erst als der Tag zu grauen begann und seine Anwesenheit an Deck nicht mehr notwendig war, stieg er herab und schritt zur Kajüte. Dort stand sein Koffer. Eine Lampe brannte.

„Hm,“ machte er, sich mit sichtlicher Befriedigung in dem netten Raume umsehend, „der Jenner ist so übel nicht, wie ich dachte; er hat sich hier ganz prächtig eingerichtet. Doch, ich muß vor allen Dingen sehen, ob mein geheimes Fach noch vorhanden ist, von dem selbst Sanders nichts wußte.“

Er schob einen Spiegel beiseite und drückte auf ein dahinter befindliches und kaum sichtbares Knöpfchen. Ein Doppelthürchen sprang auf und ließ eine Vertiefung bemerken, in welcher allerlei Papiere aufgeschichtet lagen. Er griff nach ihnen.

„Wahrhaftig alles unberührt! Das Versteck ist gut; ich werde es sofort wieder benutzen.“

Er zog einen Schlüssel hervor und öffnete den Koffer. Ein Fach desselben enthielt nichts als Geldrollen und Pakete Banknoten.

Er barg es in das Versteck, verschloß dieses dann und schob den Spiegel wieder vor. Dann entnahm er dem Koffer allerlei Wäsche und Kleidungsstücke, welche in dem Kajütenschranke Platz fanden, und zog dann dieselben kostbaren nautischen Instrumente hervor, welche Lieutenant Jenner bei der Frau de Voulettre gefunden hatte.

„Wenn dieser Lieutenant gewußt hätte, weshalb seine schöne Dame sich mit diesen langweiligen Dingen befaßte! Bei allen Heiligen, es ist der beste Coup meines Lebens, den ich heut ausgeführt habe, und ich möchte nur wissen, was Sanders dazu sagte, wenn er hier stände und – –“

„Er sagt Bravo,“ ertönte es hinter ihr, während sich eine Hand auf seine Schulter legte.

Entsetzt fuhr sie herum und starrte mit weit aufgerissenen Augen in das Gesicht des soeben Genannten.

„Sa – Sa – Sanders!“ stammelte sie beinahe kreischend.

„Sanders!“ nickte dieser mit ruhigem, überlegenem Lächeln.

„Nicht möglich! Sein Geist – sein – sein – –“

„Papperlapapp! Glaubt der Segelmeister des l’Horrible an Geister?“

„Aber wie – wo – wann – wie kommst du nach Francisco und wie hier an Bord?“

„Das Wie werde ich dir später erklären; das Warum aber weißt du wohl?“

„Nichts, gar nichts weiß ich!“

„Auch von meiner Kasse weißt du nichts, die verschwunden war, als du es vorzogst, mich als elendes Wrack in New-York liegen zu lassen?“

„Nichts.“

„So! Leider bin ich in der glücklichen Lage, mit vollständigen Beweisen vor dir zu stehen. Aber zunächst wollen wir dem Augenblicke Rechnung tragen. Du hast den l’Horrible entführt.,

Sie schwieg.

„Und dir dazu Leute angeworben

Sie schwieg auch jetzt.

„Denen du versprachst, daß der schwarze Kapitän die Führung übernehmen werde.“

Sie rang sichtlich noch unter dem Schrecke, den ihr sein Erscheinen verursacht hatte.

„Um dir Gelegenheit zu geben, dein Wort zu halten, bin ich schon vor euch an das Schiff geschwommen und habe mich an den Sorglienen und Puttingen versteckt, bis ich es an der Zeit fand, mich dir vorzustellen. Du bist wahrhaftig ein ganz verteufeltes Frauenzimmer, wenn auch der rote Agent ein wenig häßlicher sah, als Frau de Voulettre; und weil du deine Sache so gut gemacht hast, werde ich dir, allerdings nur für einstweilen und bis wir abgerechnet haben, deine frühere Stellung als Segelmeister wieder einräumen. Thu‘ also immerhin den Bart herab; er ist dir lästig und den Schwarzen kannst du ja doch nicht imitieren.“

Er hatte in einem ruhigen, überlegenen Tone gesprochen, der ihr das Blut in die Wangen trieb und ihre Augen katzenartig erfunkeln ließ.

„Segelmeister, ich? Und wenn ich dich nun nicht kenne?“ zischte sie.

„So kennt mich der lange Tom und Jean Letrier. Sie hängen beide mehr an mir, als an dem grausamen Panther, der sich Miß Admiral nannte.“

„Jean Letrier? Wo ist er?“

„Hier an Bord. Er kam mit mir und spricht oben mit dem langen Tom, um ihm zu sagen, daß ich wirklich anwesend bin.“

„Es wird dir und ihm nichts helfen,“ raunte sie ihm grimmig entgegen. „Der l’Horrible ist ein Piratenschiff und ich bin sein Kapitän. Wer ohne meine Erlaubnis seine Planken betritt, der büßt es mit dem Tode!“

Sie riß den Revolver von der Seite und schlug auf ihn an. Ein blitzschneller Schlag seines Armes schleuderte ihr die Waffe aus der Hand; dann faßte er sie bei den Schultern und drückte ihre schlanke, geschmeidige Gestalt an die Wand, als sei sie daran angenagelt.

„Miß Admiral, hör‘, was ich dir ein für allemal sage! Ich werde mit dir abrechnen und hätte dich trotzdem bis auf weiteres in deiner einstigen Stellung als zweiter Offizier gelassen. Doch du hast meinen Tod gewollt, und mein Leben stand in Gefahr, so lang ich dir vertraute. Ich bin Kapitän meines Schiffes, und du – du wirst unschädlich gemacht!“

Ein fürchterlicher Schlag seiner geballten Faust traf ihren Schädel, so daß sie, wie vom Blitze erschlagen, augenblicklich leblos zusammenbrach. Er fesselte sie mit denselben Stricken, mit denen ihr Koffer eingeschnürt gewesen war, und stieg dann nach oben.

Der Morgen war jetzt vollständig hereingebrochen, so daß man mit einem Blicke die Situation zu übersehen vermochte. Die Mannen hatten sich alle am Deck versammelt und einen Kreis um den langen Tom und Letrier gebildet, welche ihnen zu erzählen schienen. Da fiel der Blick des letzteren auf Sanders. Er sprang vor, schwenkte den Südwester und schrie:

„Das ist er, ihr Leute. Vivat, der schwarze Kapitän!“

Die Hüte flogen in die Luft; der Ruf wurde von jeder Kehle wiederholt.

Sanders winkte ihnen gnädig zu und trat mit stolzem Schritt in ihre Mitte. In kurzer Zeit war allen der Eid abgenommen und jeder erhielt ein hoch bemessenes Segelgeld. Die Waffen und Wachen wurden verteilt, die Schiffsordnung einstweilen mündlich bestimmt, und als das alles in Ordnung war, begab sich der Kapitän mit Letrier wieder in seine Kajüte, um nach der Miß Admiral zu sehen.

Die Besinnung war ihr wiedergekehrt, doch schloß sie sofort die Augen, als sie ihn eintreten sah. Er bog sich über sie und fragte:

„Wo ist das Geld, welches du mir raubtest?“

Ihre Lider öffneten sich; ein haßerfüllter Strahl schoß zwischen ihnen hervor auf den Fragenden.

Er wiederholte seine Frage.

„Frag‘, so oft du willst; eine Antwort bekommst du nicht.“ erklärte sie.

„Ganz nach Belieben!“ lächelte er. „Ein großer Teil ist natürlich fort; die Frau de Voulettre hat jedenfalls kostspielige Bedürfnisse gehabt; das übrige aber ist hier an Bord, ich kenne dich.“

„Suche es!“

„Das werde ich thun. Und finde ich nichts, so giebt es Mittel, dich zum Sprechen zu bringen. Jean!“

„Kapitän?“

„Das Frauenzimmer bleibt gefesselt wie bisher und erhält ihren Platz in meiner eignen Koje. Ihr Wärter bin nur ich; kein andrer hat bei ihr Zutritt, auch du nicht, und wer den kleinsten Versuch macht, mit ihr zu verkehren, bekommt die Kugel. Übrigens darf außer dir kein andrer wissen, wo sie sich befindet. – jetzt bring die frühere Mannschaft des l’Horrible einzeln an Deck. Ich werde sehen, was aus den Leuten zu machen ist!“

Jean ging. Sanders zog seine Gefangene in die Nebenkoje und verdoppelte hier ihre Fesseln. Er wußte, daß er die Wahrheit gesagt habe: sie hatte keine Macht mehr über ihn. – – –

Sam Fire-gun hatte sich nach den abgehenden Passagierschiffen erkundigt; es ging heute keins in See, auch morgen nicht. Bei dieser Gelegenheit hörte er den Namen des l’Horrible nennen. Er wußte, daß dies das Schiff des schwarzen Kapitäns gewesen war, und nahm an, daß dieser, also Sanders, wohl auch erfahren habe, daß der l’Horrible hier im Hafen liege. Gewiß übte das eine Anziehungskraft auf ihn aus, und so stellte sich Sam Fire-gun so auf“ daß er jeden Menschen, welcher nach diesem Schiffe ging oder von ihm kam, sehen konnte.

Es war Abend geworden; es wurde zehn Uhr und noch später. Sam Fire-gun ging immer noch am Quai auf und ab, um sich keines der abstoßenden Boote entgehen zu lassen. Diese Aufgabe war für eine einzelne Person eine schwierige, wo nicht unmögliche, und in Wirklichkeit wurde auch gar mancher Kahn vom Lande gerudert, ohne daß der aufmerksame Trapper die rechte Zeit fand, den oder die Insassen desselben zu mustern. Es herrschte ringsum tiefe Dunkelheit, welche die Straßenlaternen und Schiffslichter nur spärlich zu durchdringen vermochten, und Fire-gun stand am Ufer, um von dem anhaltenden Patrouillengang ein wenig zu verschnaufen, als grad zu seinen Füßen der Führer eines unbesetzten Bootes bei den zu dem Wasser führenden Stufen anlangte.

Good evening, Mann, wo kommt Ihr her?“ fragte er ihn.

„Von draußen.“

„Von welchem Schiff?“

„Von keinem.“

„Von keinem? Waret Ihr allein spazieren?“

„Fällt mir nicht ein!“ antwortete der Schiffer, neben ihm stehen bleibend und seine vom Rudern angegriffenen Arme dehnend.

Der Trapper wurde aufmerksam.

„So habt Ihr jemand gefahren?“

„Wird wohl nicht anders sein, Master.“

„Aber bei keinem Schiffe angelegt und kommt leer zurück. Habt Ihr ihn ersäuft?“

Der Schiffer lachte.

„So ähnlich. Aber wartet noch einige Stunden mit Euren Fragen, dann will ich sie Euch beantworten.“

„Warum nicht eher?“

„Weil ich nicht darf.“

„Und warum dürft Ihr nicht?“

„Weil ich’s versprochen hab‘.“

Der Mann schien Wohlgefallen daran zu finden, sich nach etwas fragen zu lassen, worüber er nicht bereit war, Auskunft zu erteilen. Der Jäger aber wurde von einem unbestimmten Gefühle getrieben, weiter zu forschen:

„Und warum habt Ihr dies versprochen?“

„Weil, weil – hört, Mann, Ihr fragt verteufelt dringlich – weil sich ein jeder gern ein Trinkgeld geben läßt.“

„Ah so! Also eines Trinkgeldes wegen dürft Ihr nicht sagen, wen Ihr gefahren habt?“

„So ist’s.“

„Und Ihr werdet es dennoch sagen, wenn ich Euch ein besseres Trinkgeld gebe?“

Der Schiffer warf einen ungläubigen Blick auf das zerfetzte, lederne Habit des andern.

„Ein besseres? Wird Euch schwer werden!“

„Wie viel bekamt Ihr?“

„Meinen Lohn und einen Dollar obendrein.“

„Bloß?“

„Was, bloß? Euch fallen wohl die Dollars durch den zerrissenen Jagdrock in die Tasche?“

„Dollars? Nein. Geld habe ich nicht, aber Gold.“

„Wirklich? Das ist ja noch besser als Geld!“

Der Fischer wußte aus Erfahrung, daß mancher abgerissene Mineur mehr bei sich trug, als hundert Stutzer miteinander besitzen.

„Meint Ihr? Da seht Euch einmal dies Nugget an!“

Sam Fire-gun trat unter eine Laterne und zeigte dem Fischer ein Stück Waschgold, welches er aus der Tasche gezogen hatte.

„Alle Teufel, Master, das Stück ist ja seine fünf Dollars unter Brüdern wert!“ rief der Mann.

„Richtig! Und Ihr sollt es haben, wenn Ihr mir sagt, was Ihr verschweigen sollt.“

„Ist’s wahr?“

„Gewiß. Also, wen habt Ihr gefahren?,

„Zwei Männer.“

„Ah! Wie waren sie gekleidet? Jäger?“

„Nein. Mehr wie Seeleute, ganz neues Habit.“

„Auch möglich. Wie sahen sie aus?“

Der Schiffer gab eine Beschreibung, welche ganz auf Sanders und Letrier paßte, für den Fall, daß beide ihr Äußeres verbessert hatten.

„Wo wollten sie hin?“

„Da hinaus, in die Nähe des l’Horrible, der dort auf den Ankern reitet.“

„Des l’Horrible?“ Sam Fire-gun wurde aufmerksamer. „Was sprachen sie unter sich?“

„Konnte es nicht verstehen!“

„Warum?“

„Sie frugen mich, ob ich gelernt hätte, französisch zu reden, und als ich nein sagte, parlierten sie ein Mischmasch, daß mir davon die Ohren klangen.“

„Sie sind’s! Wo stiegen sie aus?“

„Draußen im Wasser.“

„Unmöglich!“

„Grad so und nicht anders. Sie sagten, sie gehörten zum Schiff und wären ein wenig durchgekniffen, um sich zu Lande einen Spaß zu machen. Nun wollten sie ihre Rückkehr nicht merken lassen und sind deshalb bis an Bord geschwommen.“

„Und vorher mußtet Ihr ihnen versprechen –“

„Bis einige Stunden nichts davon zu erzählen.“

Ehe Fire-gun eine weitere Frage thun konnte, fühlte er eine Hand auf seiner Schulter.

„Mein Bruder komme mit mir!“

Winnetou war’s. Er führte ihn einige Schritte abseits und fragte dann:

„Wie heißt das große Kanoe, welches da drüben im Wasser liegt?“

l’Horrible.“

„Und wie heißt das Kanoe, auf welchem der Weiße, der sich Sanders nannte, Häuptling gewesen ist?“

„l’Horrible. Es ist ganz dasselbe.“

„Wird der Weiße nicht hinausrudern, um sein Kanoe wieder zu besitzen?“

Sam Fire-gun stutzte und fragte:

„Wie kommt denn mein roter Bruder auf den Gedanken?“

„Winnetou verließ einmal seinen Posten, um nach dir zu sehen. Er kam mit der Fähre herüber, auf welcher weiße Männer waren, welche von dem Kanoe sprachen. Als sie die Fähre verlassen hatten, warteten sie kurze Zeit und stiegen mit andern Männern und einem Koffer in mehrere Boote.“

„Hat mein Bruder alles gehört, was sie sprachen?“

„Sie wollten auf das große Kanoe und die Männer desselben töten, weil der schwarze Häuptling kommen werde.“

„Der schwarze Kapitän?“

„Mein Bruder sagt das Wort; es ist zu schwer für die Zunge des Apatschen.“

„Und sie sind hinaus auf das Wasser?“

„Ja. Sie hatten Messer und Beile im Gürtel.“

Sam Fire-gun überlegte.

„Mein Bruder gehe zurück an seinen Posten; die Jäger müssen kommen, noch ehe der Morgen hereinbricht.“

Der Apatsche folgte der Weisung. Auch der Schiffer hatte sich mit seinem Nugget entfernt, und so blieb der Colonel allein zurück.

Sollte wirklich etwas Ungewöhnliches auf dem l’Horrible vorgehen? Winnetou hatte sich jedenfalls nicht geirrt; aber wenn das Schiff wirklich überfallen werden sollte, wie konnten diese Leute von der Ankunft des verfolgten Sanders so genau unterrichtet sein?

Während er noch sann, ertönten draußen auf der Reede drei Schüsse nacheinander, und trotz der späten Stunde belebte sich der Quai innerhalb kurzer Zeit mit einer ganz beträchtlichen Menschenmenge, welche begierig war, die Ursache der Alarmschüsse zu erfahren. Die Dunkelheit gestattete nicht, alle im Hafen und auf der Reede liegenden Schiffe zu unterscheiden, aber die Beweglichkeit der auf ihnen herumgetragenen Laternen war ein sicheres Zeichen, daß irgend etwas Unerwartetes geschehen sei.

Ein von sechs Ruderern bemanntes und von einem Midshipman befehligtes Kriegsboot landete ganz in der Nähe des Jägers. Ein zufällig sich am Lande befindender Steuermann, dem der Midshipman Rede und Antwort zu stehen verpflichtet war, trat auf ihn zu und fragte ihn:

„Was giebt’s da draußen, Sir?“

„Der l’Horrible sticht mit vollen Segeln in See.“

„Nun, was ist’s weiter?“

„Was weiter? Seine sämtlichen Offiziere befinden sich am Lande; es ist jedenfalls irgend ein Schurkenstreich geschehen, und ich habe Ordre, sie sofort zu benachrichtigen.“

„Wer hat die Schüsse abgefeuert?“

„Wir, auf dem Panzermonitor. Unser Kapitän ist bei den Herren vom l’Horrible. Good night, Sir!“

Er eilte davon, zu Frau von Voulettre.

Sam Fire-gun hatte die Worte verstanden, folgte ihm unwillkürlich und gelangte so an das von der Frau de Voulettre bewohnte Haus. Auch hier herrschte eine ganz bedeutende Aufregung. Die Herrin war seit längerer Zeit spurlos verschwunden und fast sämtliche Gäste lagen betäubt und besinnungslos im Salon infolge eines in den Wein gemischten Giftes, wie die schleunigst herbeigeholten Ärzte aussagten. Mit der Frau de Voulettre war eine wertvolle Sammlung von Seekarten und nautischen Instrumenten verschwunden.

Dies alles hörte der Trapper erzählen. Ärzte, Polizisten und Seeleute flogen aus und ein, und ein riesiges Gedränge war vor dem Hause entstanden. Jetzt befand er sich selbst in Aufregung. Er konnte sich nicht erklären, in welcher Verbindung Sanders mit dieser Frau de Voulettre stehe, aber daß der erstere mit Hilfe der letzteren den l’Horrible entführt habe, wurde ihm zur unumstößlichen Gewißheit, obgleich es ihm unmöglich war, die Einzelheiten klar zu durchschauen.

Sollte er die Beobachtung des Apatschen der Polizei mitteilen? Das hätte zu Vernehmungen und Weitläufigkeiten geführt, die seinem Zwecke nur schaden konnten. Es gab nur einen einzigen schnellen und sicheren Weg, den die Polizei jedenfalls ganz von selbst einschlug: Der l’Horrible mußte verfolgt werden. Sam Fire-gun beschloß, dies auch auf seine eigene Faust zu thun. Dazu gehörte aber vor allen Dingen Geld zur Miete eines Schnelldampfers, und um dies zu bekommen, mußte er das Eintreffen seiner zurückgebliebenen Leute abwarten, welche den sämtlichen im Hide-spot verborgen gewesenen Goldreichtum mit sich führten. Seine Aufgabe am Quai hatte sich erledigt; er konnte zu Winnetou zurückkehren und sah sich gezwungen, seine Ungeduld zu bemeistern.

Er fuhr nach Oakland über, suchte Winnetou auf und legte sich bei ihm nieder. Winnetou schlief; er aber wachte. Der Gedanke, daß Sanders sich auf der See vielleicht in Sicherheit befinde, während er selbst, der ihm durch die weite Savanne Schritt für Schritt und unter unsäglichen Anstrengungen und Entbehrungen bis hierher gefolgt war, an das Land gebannt blieb und ihn sich entwischen lassen mußte, folterte ihn, so daß er sich ruhelos hin und her wälzte und die Minuten zählte, die ihn noch von den Seinigen trennten.

Die Habe, welche sie mit sich führten, hatte sie aufgehalten und darum war er mit dem Apatschen ihnen vorausgeeilt, um die Verfolgten nicht aus den Augen zu verlieren. Nach seiner Berechnung konnten sie am Morgen eintreffen, und so erwartete er mit fieberhafter Ungeduld den Anbruch des Tages.

Die Sterne kehren sich nicht an die Wünsche des Menschenherzens; sie gehen ruhig ihren ihnen seit Jahrmillionen vorgeschriebenen Lauf; aber endlich gehen sie doch unter, und das siegreiche Licht des Tages wirft seine Strahlenflut über die weite Erde hin. Der Morgen war da. Sam Fire-gun beneidete den Apatschen um seinen festen, ruhigen Schlaf, und überlegte eben, ob es Zeit sei, ihn zu wecken, als Winnetou plötzlich ganz von selbst in die Höhe sprang, mit munteren, scharfen Augen um sich blickte und dann sich wieder lauschend auf die Erde legte. Dann richtete er sich wieder empor.

„Mein Bruder lege sein Ohr an den Boden!“ sagte er.

Der Trapper that es und vernahm ein allerdings kaum zu empfindendes Geräusch, welches sich der Stadt näherte. Der Sohn der Savanne hatte es sogar im Schlafe gemerkt. Winnetou horchte nochmals.

„Es nahen Reiter auf müden Pferden. Vernimmt mein Bruder das Wiehern eines Tieres? Es ist das böse Pferd des fremden Mannes, der auf dem großen Wasser gefahren ist.“

Er meinte mit dieser Umschreibung den Dakotatraber, welchen der Steuermann Peter Polter ritt. Sam Fire-gun wunderte sich nicht über den außerordentlichen Scharfsinn des Indianers; er war ähnliches und noch erstaunlicheres längst von ihm gewohnt. Er sprang erwartungsvoll von der Erde auf und beobachtete die Ecke eines Gesträuches, welches die Nahenden noch verbarg.

Nach einiger Zeit kamen sie zum Vorschein. Das war ich mit dem Neffen des Colonels. Hinter uns ritt der Steuermann, welcher wie gewöhnlich außerordentlich viel mit seinem Pferde zu schaffen hatte. Dann kamen die Jäger, Dick Hammerdull, Pitt Holbers, Bill Potter und einige andre. Jeder von ihnen hatte ein oder mehrere Pferde oder Maultiere, welche schwer beladen zu sein schienen, am Leitzügel.

„Seht ihr das Nest da vorn?“ rief Peter Polter. „Ich glaube, es ist endlich dieses San Francisco, welches ich von hier aus nicht kenne, weil ich es nur von der See aus gesehen habe.“

„Ob wir es sehen oder nicht, das bleibt sich gleich,“ meinte Hammerdull; „aber, Pitt Holbers, altes Coon, was meinst denn du dazu?“

„Wenn du denkst, daß es Francisco ist, Dick, so habe ich nichts dagegen,“ antwortete dieser in seiner gewohnten Weise. „Als uns dort am Wasser die Roten überrumpelten und in ihr Lager schleppten, hätte ich nicht gedacht, daß ich diese Gegend einmal zu sehen bekäme.“

„Ja, alte Segelstange,“ bemerkte der Steuermann, „wenn damals Peter Polter aus Langendorf nicht gewesen wäre, so hätten sie Euch die Haut heruntergeschunden und Ihr lägt jetzt ohne Fell in Abrahams Schoß. Doch, schaut einmal da nach Luv hinüber! Ich lasse mich kielholen und dann mit Teer und Werg kalfatern, wenn das nicht der Colonel ist und –“

„Und Winnetou, der Apatsche,“ fiel ich ein, mein Pferd zu rascherem Laufe antreibend, so daß ich bald neben den beiden Genannten hielt.

„Gott sei Dank, daß ihr endlich kommt!“ rief Sam Fire-gun. „Wir haben auf euch gewartet, wie der Büffel auf den Regen.“

„Es ging nicht schneller, Onkel,“ antwortete Wallerstein. „Wir sind die ganze Nacht geritten. Sieh unsre armen Tiere an; sie können kaum noch stehen.“

„Wie ist’s, Colonel,“ fragte ich; „habt ihr sie erreicht?“

„Nur einen Augenblick kamen wir zu spät. Sie sind entwischt.“

„Entwischt? Wann, wie und wohin?“

Sam Fire-gun erzählte das Geschehene. Ein ärgerlicher Fluch entfuhr den Lippen der Trapper.

„Wart ihr auf der Polizei?“ erkundigte ich mich.

„Nein; das hätte uns nur Zeit geraubt.“

„Ganz richtig. Es giebt nur einen Weg. Wir mieten sofort einen guten Dampfer und gehen hinter ihnen her.“*

„Das war auch meine Ansicht, und darum erwartete ich euch mit Ungeduld. Wir sind ja nicht im Besitz von couranter Münze und müssen schleunigst unser Gold umsetzen.“

„Wird nicht viel helfen!“ meinte der Steuermann, im höchsten Grade verdrießlich.

„Warum?“

„Ich mag keinen Dampfer; diese Art von Fahrzeugen sind die miserabelsten, die es giebt. Ein guter Segler findet stets Wind; so eine Rauchschaluppe aber braucht Kohlen und findet sie nicht überall. Dann liegt man vor Anker oder gar faul auf offener See und kann weder vor- noch rückwärts gehen.“

„So laden wir ein hinreichendes Quantum.“

„Mit Verlaub, Colonel, ein guter Jäger seid Ihr, das muß man sagen, aber zum Seemann taugt Ihr nichts. Erst müssen wir den Dampfer haben, und es fragt sich, ob gleich so ein Ding zur Hand liegt. Und, paßt auf, diese Yankees handeln und feilschen einen Tag lang mit Euch, ehe Ihr das Fahrzeug bekommt.“

„Ich gebe, was man verlangt.“

„Meinetwegen! Dann wird Proviant, Munition und Kohle geladen, um eine lange Fahrt aushalten zu können. Das Schiff wird endlich besichtigt, ob es seetüchtig ist, und darüber vergehen Stunden und Tage, so daß der l’Horrible das Kap doupliert, ehe wir nur zum Auslaufen kommen. Der Teufel hole ihn!“

Die andern schwiegen. Sie mußten sich gestehen, daß die Worte des braven Seemannes nur zu wohl begründet seien.

„Ich kann das Gesagte wohl kaum bezweifeln,“ meinte ich endlich; „aber hier halten und das Meer angucken, das führt zu nichts. Jedenfalls hat er schon genug Verfolger auf der Ferse; das ist ein Trost für uns. Und nach müssen wir auf jeden Fall.“

„Aber wohin?“

Die übrigen sahen den Steuermann fragend an.

„Das ist nicht so leicht gesagt,“ entschied dieser. „War der l’Horrible gut mit Proviant versehen, so haben sie jedenfalls die Route nach Japan oder Australien eingeschlagen.

Dahinzu ist die See frei und ein Entkommen leicht. War er aber schlecht verproviantiert, so sind sie nach dem Süden, um sich an irgend einem Orte der Westküste mit dem Nötigen zu versehen.“

Die Wahrheit dieser Ansicht leuchtete allen ein.

„So werden wir die darauf bezügliche Erkundigung einziehen. Vorwärts!“ ermunterte ich die Leute.

Wir ritten durch Oakland und fuhren über. Drüben angekommen, fragte ich Sam Fire-gun:

„Kennt Ihr ein Haus, welches Nuggets kauft, Colonel?“

Dieser antwortete:

„Bellhourst und Compagnie. Habe schon früher mit diesen Leuten zu thun gehabt, die mich wohl noch kennen werden.“

„Ist’s weit zu ihnen?“

„Nein. Ihre Office liegt an unsrem Wege nach dem Hafen.“

Wir erreichten das Gebäude. Der Colonel stieg ab und trat hinein. Nach einiger Zeit kam er zurück. Die ganze Gesellschaft verließ die Pferde und brachte den Goldvorrat, welcher ein bedeutender war, in das Comptoir. Er wurde untersucht und gewogen, und bald befand sich Sam Fire-gun im Besitze einer Summe, welche einen wahren Reichtum repräsentierte.

„Das wäre abgemacht,“ meinte er. „Nun soll zunächst ein jeder den ihm gehörigen Anteil erhalten!“

Da trat Hammerdull hervor.

„Ob wir ihn erhalten oder nicht, das bleibt sich gleich, Colonel; aber was soll ich mit den alten Papieren thun? Ich brauche sie nicht, Ihr aber habt sie jetzt nötig. Pitt Holbers, altes Coon, was meinst du dazu?“

„Wenn du denkst, Dick, daß wir dem Colonel die Wische lassen, so habe ich nichts dagegen; ich mag sie nicht. Eine fette Bärentatze oder ein Stück saftige Büffellende ist mir lieber. Dir nicht auch, Bill Potter?“

„Bin einverstanden,“ nickte dieser. „Ich esse kein Papier und mein Pferd auch nicht, hihihihi. Der Colonel wird es uns schon wiedergeben, wenn er es nicht mehr braucht.“

„Ich danke euch für euer aufopferndes Vertrauen,“ antwortete der Genannte; „doch weiß man ja nicht, wie sich die Verhältnisse gestalten werden. Ich zahle euch aus, was ihr zu bekommen habt; mir bleibt mehr als genug übrig. Brauche ich dennoch mehr, so seid ihr ja immer noch da, wenigstens einige von euch, denn allen werde ich nicht zumuten, mir auf die See zu folgen.“

„Ob ihr es uns zumutet oder nicht, das bleibt sich gleich, Colonel; ich gehe mit!“

„Ich auch!“ fiel Holbers ein.

„Und ich!“ rief der kleine Potter.

„Und ich – und ich!“ schlossen sich die übrigen an.

„Das wird sich ja entscheiden,“ drängte Sam Fire-gun die treuen Leute zurück. „Jetzt laßt uns zunächst teilen!“

Gleich noch im Comptoir erhielt ein jeder das ihm Gehörige; dann verließen sie das Haus, stiegen wieder auf und ritten dem Hafen zu.

Außer den hier vor Anker liegenden Segelschiffen waren nur einige schwerfällige Schlepp- oder Güterdampfer zu sehen. Alle leichter gebauten Steamer hatten den Hafen verlassen, um die von den anwesenden Kriegsfahrzeugen auf den l’Horrible unternommene Jagd ein Stück weit zu verfolgen. Von den letzteren war nur das Panzerschiff zurückgeblieben, dessen Befehlshaber sich noch immer betäubt am Lande befand.

Es war der rührigen Polizei bereits gelungen, einiges Licht in das Dunkel des nächtlichen Ereignisses zu bringen. Ein Bewohner des Parterre jenes Hauses, dessen erste Etage die Frau de Voulettre inne hatte, war zufälligerweise im Garten gewesen, als drei Männer mit einem Koffer denselben passiert hatten. Auch der Kutscher war ermittelt worden, welcher die drei bis vor die Stadt gefahren hatte. Der Besitzer der am weitesten abgelegenen Schifferhütte hatte sich freiwillig gemeldet, um auszusagen, daß in voriger Nacht mehrere Kähne in seiner Nähe gehalten hätten. Er hatte sie beobachtet und gegen vierzig Männer einsteigen sehen, deren Anführer, von noch zweien begleitet, mit einem Koffer eingetroffen war und auf den Zuruf der ausgestellten Wache mit der schwarze Kapitän geantwortet hatte. Der Schiffer oder Fischer war natürlich vorsichtig genug gewesen, seine Anwesenheit nicht kund zu geben.

Diese Aussagen, verbunden mit der allgemeinen Sage, daß der Segelmeister des schwarzen Kapitäns ein Frauenzimmer gewesen sei, und endlich verschiedene in der Wohnung der Frau de Voulettre vorgefundene Papiere und sonstige Anzeichen gestatteten einen beinahe sichern Einblick in den Zusammenhang des erst so undurchsichtigen Ereignisses. Dies alles erfuhren die Jäger von der am Quai auf und ab wogenden Menschenmenge, die sich über die Nachricht, daß der einst so furchtbare Seeräuber mitten aus einem sichern und außerordentlich belebten Hafen ein wohlbesetztes Kriegsfahrzeug geraubt habe, in außerordentlicher Aufregung befand.

Der Steuermann musterte die anwesenden Schiffe.

„Nun?“ fragte der Colonel ungeduldig.

„Keins, was für uns paßt; lauter Salztonnen und Heringsfässer, die in zehn Monaten kaum zwei Knoten zurücklegen. Und da draußen –“

Er hielt inne. Jedenfalls hatte er sagen wollen, daß weiter draußen auch kein passendes Fahrzeug zu bemerken sei, aber sein scharfes Auge mußte bei dem Blicke, den er hinauswarf, auf etwas gefallen sein, was ihm die begonnene Rede abschnitt.

„Da draußen – – was ist da draußen?“ fragte der Colonel.

„Hm, ich will nicht Peter Polter heißen, wenn ganz da hinten nicht ein kleiner, weißer Punkt zu sehen ist, der nichts andres als ein Segel sein kann.“

„Also hier im Hafen finden wir wirklich kein passendes Fahrzeug?“

„Keins. Diese Holztröge schleichen wie die Schnecken und sind selbst für Geld nicht zu haben. Seht Ihr nicht, daß sie ihre Ladung löschen?“

„Und das da draußen?“

„Müssen es ruhig abwarten. Vielleicht geht es vorüber, vielleicht kommt es herein. Macht Euch keine Hoffnung. Auf ein Kriegsschiff kommen dreißig Kauffahrer, und diese Dinger taugen den Teufel zur Verfolgung eines Kapers, selbst wenn der Patron bereit wäre, uns das Fahrzeug zu vermieten. Der Punkt, daß es in den Grund gebohrt werden kann, wiegt schwer, macht viele Umstände und kostet ungeheures Geld.“

„Und dennoch wird’s versucht; es ist das einzige, was uns übrig bleibt. Wie viel Zeit kann vergehen, ehe das Schiff einläuft?“

„Eine Stunde und noch mehr, vielleicht gar zwei oder drei, je nachdem es gebaut ist und befehligt wird.“

„So haben wir Zeit. Finden wir ein Fahrzeug, so gehen wir in See; finden wir keins, so müssen wir allerdings das Resultat der Verfolgung ruhig abwarten, ehe wir uns entschließen können über das, was ferner zu thun ist. Wären wir nur zehn Minuten eher eingetroffen, so hätten wir die Halunken festgehabt. Jetzt laßt uns vor allen Dingen unsre Pferde einstellen und ein Store aufsuchen, um unsre abgerissenen Fetzen mit etwas Besserem zu vertauschen!“

Allerdings sahen sie alle mehr Strauchdieben als ehrlichen Männern ähnlich. Sie begaben sich in ein Gasthaus, wo sie ihre Tiere versorgten und ihren eignen Durst und Hunger stillten; dann traten sie in ein Store, wo sie alles fanden, was ihnen notwendig war.

Darüber war einige Zeit vergangen, so daß sie nach dem Hafen zurückkehrten, um nach dem Segel auszuschauen, welches vorhin zu sehen gewesen war.

Der Steuermann schritt voran. Als er an eine Stelle gelangte, welche einen freien Blick auf den Hafen und die Reede bot, blieb er mit einem lauten Ausrufe der Überraschung stehen.

„Behold, welch ein Segler! Da schießt er eben in den Hafen herein wie ein – mille tonnerre, sacre bleu, heiliger Schiffsrumpf, ein Klipper mit Schonertakelage, es ist die Swallow, die Swallow, hurrrrrrjeh, juchheisassassassa!“

Er schlug vor Freude die sehnigen Hände zusammen, daß es wie ein Böllerschuß knallte, packte mit dem einen Arme Hammerdull, den Dicken, mit dein andern Pitt Holbers, den Dünnen, und tanzte mit ihnen im Kreise herum, daß die Menge aufmerksam wurde und die Gruppe der Jäger neugierig umringte.

„Ob juchheisassassassa oder nicht, das bleibt sich gleich,“ brüllte der sich gegen den unfreiwilligen Tanz sträubende Hammerdull; „laß mich los, du unsinniges Seeungeheuer. Was haben wir mit deiner Swallow zu schaffen!“

„Was ihr damit zu schaffen habt? Alles, alles sage ich,“ erklärte Peter Polter, die beiden Bedrängten frei gebend. „Die Swallow ist ein Kriegsschiff und noch dazu das einzige, welches im Segeln dem l’Horrible überlegen ist. Und wer ist sein Kommandeur? Lieutenant Parker, den ich kenne. Ich sage euch, jetzt können uns die beiden Halunken nicht mehr entgehen; jetzt sind sie unser!“

Die Freude des Steuermannes teilte sich allerdings auch den andern mit. Es war ja gar kein Irrtum möglich, denn unter dem Spriete des nahenden schmucken Fahrzeuges breitete eine aus Holz geschnitzte blaue Schwalbe ihre spitzen, vergoldeten Flügel aus. Lieutenant Parker mußte ein kühner, außerordentlich gewandter Seemann sein und sich vollständig auf jeden einzelnen seiner gut geschulten Leute verlassen können, denn er hatte noch nicht ein einziges Reff geschlagen, obgleich er sich schon am Eingange des Hafens befand. Tief auf der Seite liegend, flog das scharf gebaute Fahrzeug unter der schweren Last seiner Segel, wie vom Dampf getrieben, herbei. Ein leichter Rauch stieg an seinem Vorderkastell empor; die üblichen Salutschüsse ertönten; vom Hafen aus wurde die Antwort. Dann hörte man die laute, klangvolle Stimme des Befehlhabers:

„Mann am Steuer, nach Back fall ab!“

Das Schiff beschrieb einen kurzen, graziösen Bogen.

„Die Reffs, Jungens. Laßt los!“

Die Leinwand ließ den Wind fahren und fiel laut schwappend an die Masten. Das Schiff stieg vorn, dann hinten in die Höhe, legte sich tief auf die andre Seite, stand wieder auf und lag dann ruhig auf den breiten Ringen, welche die hereingebrochene Flut gegen die mächtigen Quadern des Quais spülte.

„Hurra, die Swallow, hurra!“ klang es aus tausend Kehlen. Man kannte das prächtige Schiff, oder hatte wenigstens von ihm gehört und wußte, daß es die Jagd aufnehmen werde, auf welche sich die Aufmerksamkeit von ganz San Francisco richtete.

Zwei Männer in Seemannsuniform drängten sich durch die Menge. Sie sahen außerordentlich erregt und angegriffen aus. Der eine trug die Attribute eines Marinelieutenants, der andre die Steuermannsabzeichnung.

Ohne erst zu fragen, sprangen sie in ein leeres Boot, lösten es von der Kette, legten die Ruder ein und schossen auf die Swallow zu. Der Befehlshaber derselben stand am Regeling und blickte den Nahenden entgegen.

„Ahoi, Lieutenant Jenner, seid Ihr es? Wo habt Ihr den l’Horrible?“ rief er herab.

„Schnell ein Tau oder das Fallreep, Sir,“ antwortete dieser; „ich muß zu Euch an Bord!“

Die Treppe fiel nieder; die beiden Männer legten an und stiegen empor.

„Perkins, mein Maate,“ stellte Jenner seinen Begleiter vor. „Herr, Ihr müßt mir augenblicklich Euer Schiff geben,“ setzte er atemlos und in höchster Aufregung hinzu.

„Mein Schiff geben? Wieso – warum?“

„Ich muß dem l’Horrible nach.“

„Ihr müßt – – ich verstehe Euch nicht.“

„Er ist mir gestohlen, geraubt, entführt worden.“

Parker blickte ihm in das Gesicht, wie man einen Wahnsinnigen beobachtet.

„Ihr treibt sonderbaren Scherz, Lieutenant!“

„Scherz? Der Teufel hole Euern Scherz! Mir ist es nicht wie Spaß. Vergiftet, vom Arzte gequält, von der Polizei gemartert und von der Hafenbehörde coujoniert, ist es einem nicht wie Fastnacht spielen.“

„Ihr sprecht in Rätseln.“

„Laßt Euch erzählen!“

Mit fürchterlicher Wut, die ihm die Glieder erbeben machte, trug er das Geschehene vor; er befand sich in einer Verfassung, die ihn zu der blutigsten That befähigt hätte, und schloß mit der Wiederholung:

„Wie gesagt, Ihr müßt mir Euer Schiff geben!“

„Das ist nicht möglich, Sir.“

„Was, nicht möglich,“ rief Jenner mit funkelnden Augen. „Warum?“

„Die Swallow ist mir, dem Lieutenant Parker, anvertraut; ich kann sie nur auf höhern Befehl einem andern überlassen.“

„Das ist schändlich, das ist feig, das ist –“

„Herr Lieutenant – –!“

Jenner fuhr bei dem drohenden Klange dieser Stimme zurück. Er gab sich Mühe, seine Erregung zu bemeistern. Parker fuhr in ruhigerem Tone fort:

„Ich will die Beleidigung als ungeschehen betrachten; der Zorn überlegt nicht, was er spricht. Ihr kennt die Gesetze und die Instruktion ebenso gut wie ich und wißt ganz genau, daß ich das Kommando meines Schiffes aus eignet Macht niemand anvertrauen darf. Doch will ich Euch beruhigen. Ich werde die Verfolgung des l’Horrible schleunigst aufnehmen. Wollt Ihr mich begleiten?“

„Ob ich will? Ich muß ja mit, und wenn es durch tausend Höllen geht!“

„Gut! War der l’Horrible wohl verproviantiert?“

„Auf höchstens noch eine Woche.“

„So ist ihm nichts andres übrig geblieben, als Acapulco anzulaufen; schon Guayaquil oder gar Lima kann er unmöglich erreichen.“

„So werden wir ihn bald haben. Ihr habt ja mir selbst den Beweis geliefert, daß die Swallow dem l’Horrible überlegen ist. Zieht die Anker wieder auf, Sir; vorwärts, fort, fort!“

„Nicht so hastig, Kamerad! Allzuviel Eile ist oft schlimmer als allzu langsam sein. Zunächst habe ich hier einige Geschäfte zu erledigen.“

„Geschäfte? Mein Gott, wer kann in solcher Lage an Geschäfte denken? Wir müssen augenblicklich in See stechen.“

„Nein, ich muß augenblicklich an das Land, um meine Instruktionen in Einklang mit unsrer Aufgabe zu bringen. Sodann habe ich nicht den nötigen Proviant; auch Wasser und Munition fehlt; ein Dampfer muß besorgt werden, der mich gegen die Flut aus dem Hafen bugsiert und – – wie viel Kanonen hat der l’Horrible?“

„Acht auf jeder Seite, zwei im Stern und eine Drehbasse vorn.“

„So ist er mir im Gefecht überlegen. – Forster!“

„Ay, Sir!“ antwortete, näher tretend, der Steuermann, dem von seinem bisherigen Platze aus kein Wort der Unterredung entgangen war.

„Ich gehe zur Meldung an Land und werde bis auf das Quai besorgen, was wir brauchen. Schickt einen Mann dort nach dem Schlepper; er scheint Zeit zu haben und soll sich in einer Stunde vor uns legen. Länger werde ich nicht abwesend sein.“

Well, Sir!“

„Fällt Euch vielleicht etwas ein, was -nötig wäre?“

„Wüßte nicht, Kapt’n. Weiß ganz genau, daß Ihr selbst an alles denkt!“

Parker wollte sich jetzt wieder an Jenner wenden, als einer der Leute meldete:

„Ein Boot am Fallreep, Sir!“

„Was für eins?“

„Civil, acht Personen, auch ein Indianer dabei, wie es scheint.“

Der Lieutenant trat an den Regeling und blickte hinab und fragte:

„Was soll’s, Leute?“

Ich bat in unser aller Namen, an Bord kommen zu dürfen. Es wurde uns gewährt. Als wir uns an Deck befanden, erklärte ich ihm unser Anliegen. Obgleich er eigentlich keine Zeit hatte, hörte er mich ruhig an und gewährte uns dann die Bitte, die Jagd mitmachen zu dürfen. Wir waren acht Personen: der Colonel, sein Neffe, der Steuermann, Holbers, Hammerdull, Potter, Winnetou und ich.

„Laßt euch vom Maate Plätze anweisen!“ sagte Parker. Ach gehe zwar jetzt von Bord, aber in einer Stunde lichten wir die Anker.“

„Nehmt mich mit,“ bat Lieutenant Jenner. „Ich kann Euch bei Euren Besorgungen unterstützen und würde hier vor Ungeduld vergehen!“

„So kommt!“

Beide stiegen in dasselbe Boot, welches Jenner zum Schiff gebracht hatte, und ruderten dem Lande zu. Sie waren kaum von dem Fahrzeuge abgestoßen, als sich auf demselben eine possierlich rührende Scene abspielte.

Peter Polter war vor- und auf den Maate zugetreten.

„Forster, John Forster, alter Swalker, ich glaube gar, du bist Maate geworden!“ rief er aus.

Der Angeredete sah dem schwarzgebrannten und jetzt vollbärtigen Mann verwundert in die Augen.

„John Forster –? Alter Swalker –? Du –? Der nennt mich du und weiß meinen Namen, obgleich ich ihn nicht kenne. Wer bist du, he?“

Heigh-day, kennt der Kerl seinen alten Steuermann nicht mehr, von dem er doch so manchen guten Hieb auf die Nase bekommen hat und – was der Teufel!“

Er trat auf Perkins zu, den er erst jetzt von Angesicht zu sehen bekam.

„Da ist ja auch Master Perkins, oder wie der Mann hieß, den ich damals in Hoboken auf der Swallow herumgeführt habe, und der mich dann zum Lohn dafür bei Mutter Thick fast unter den Tisch getrunken hat!“

Auch dieser sah ihn staunend an. Es war kein Wunder, daß sie ihn nicht erkannten. Die ganze Schiffsmannschaft stand um die Gruppe, und Peter fuhr voll Freude von einem zum andern.

„Da ist der Plowis, der Miller, der Oldstone, der krumme Baldings, der – –“

„Steuermann Polter!“ rief da einer, der es endlich herausgebracht hatte, wer der riesenhafte Fremde sei.

„Polter – Polter, – Hurra, Peter Polter – juch, in die Höhe mit dem alten Kerl, hoch, hoch, hurra!“

So rief, schrie und brüllte es durcheinander; sechzig Arme streckten sich aus; er wurde gefaßt und emporgehoben.

„Hol-la, hol-la, hol-la,“ begann einer mit kräftiger Baßstimme; „hol-la, hol-la,“ fielen die andern im Marschtakte ein; der Zug setzte sich in Bewegung und „hol-la, hol-la“wurde der beliebte Mann mehrere Male rund um das Deck getragen.

Er fluchte, wetterte und schimpfte; er bat, ihn doch herabzulassen; es half nichts, bis endlich der Maate sich unter herzlichem Lachen in das Mittel legte und ihm zum freien Gebrauche seiner Arme und Beine verhalf.

„Steig herab vom Throne, Peter Polter, und komm vor nach dem Kastell. Du mußt erzählen, wo du herumgesegelt bist, du alter Haifisch, du!“

„Ja, ja, ich will, ich will ja erzählen; so gebt mich doch nur endlich frei, Ihr verteufelten Jungens!“ rief er und schlug mit den gewaltigen Armen um Sich, daß die Leute wie schwache Kinder zur Seite flogen.

Unter lautem Lachen und jubeln ward er von der lustigen Rotte Korah, Dathan und Abiram nach dem Vorderdeck gestoßen, geschoben und gezogen und mußte dort wohl oder übel wenigstens in kurzen Umrissen seine Erlebnisse zum besten geben.

Dabei wurde natürlich der Dienst nicht im geringsten versäumt. Der Maate erfüllte den ihm gewordenen Auftrag, und die für die laufenden Arbeiten nötigen Männer sonderten sich von der fröhlichen Gruppe ab, obgleich sie gern bei dem fröhlichen „Tau“ gewesen wären, welches Polter abzuwickeln hatte.

Die Jäger waren stille Zeugen dieser Scene gewesen. Sie gönnten dem braven Seemann, den alle liebgewonnen hatten, den Triumph und machten es sich auf dem Deck so bequem, wie es die ihnen ungewohnten Umstände und Verhältnisse gestatteten.

Der Indianer war noch nie auf einem Schiffe gewesen. Er hatte sich auf die Büchse gestützt und ließ sein Auge langsam und gleichgültig über die ihm fremde Umgebung gleiten. Aber wer ihn kannte, der wußte, daß diese Gleichgültigkeit ein tiefes Interesse verbergen sollte, dem selbst der kleinste Gegenstand nicht entgehen konnte.

Es war noch nicht die Hälfte der anberaumten Stunde vergangen, so wurden drüben am Quai die Proviant- und Munitionsvorräte aufgestapelt, welche der Lieutenant bestellt hatte. Sie wurden in Booten abgeholt und an Bord gewunden. Als Parker zurückkehrte, war man mit dieser Arbeit fertig und der Dampfer rauschte auch bereits heran, um die „Swallow“ in das Schlepptau zu nehmen.

Jetzt war Kapitän und Mannschaft vollständig in Anspruch genommen, doch als die hohe Reede erreicht war, der Dampfer sich verabschiedet hatte und die Segel gehißt und gestellt worden waren, konnte man sich einer ungestörteren Unterhaltung hingeben.

Was die beiden Lieutenants miteinander zu besprechen hatten, war schon während ihrer Abwesenheit vom Schiffe erledigt worden. Jetzt trat Parker zum Steuer, an welchem Peter Polter neben Forster stand.

„Ihr seid Peter Polter?“ fragte er ihn.

„Peter Polter aus Langendorf, Kapt’n,“ salutierte der Gefragte in strammer, dienstlicher Haltung, „Hochbootsmannsmaat auf Ihrer englischen Majestät Kriegsschiffe Nelson, dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten Klipper Swallow –“

„Und jetzt Steuermann par honneur auf demselben Schiffe,“ fügte der Lieutenant hinzu.

„Kapt’n.“ rief Polter erfreut und schickte sich an, eine Dankesrede zu halten, der Kommandeur aber winkte ihm abwehrend zu.

„Schon gut, Steuermann! Was meint Ihr zu dem Kurs, den der l’Horrible eingeschlagen haben wird?“

Peter Polter merkte recht gut, daß der Lieutenant diese Frage nur aussprach, um seine seemännische Umsicht einer kleinen Prüfung zu unterwerfen. Er fühlte sich vollständig in seinem Elemente und antwortete daher kurz, wie es sich einem Offizier gegenüber schickt:

„Wegen Mangel an Proviant nach Acapulco.“

„Werden wir ihn bis dahin erreichen?“

„Ja, der Wind ist günstig, und wir segeln mehr Knoten als er.“

„Wollt Ihr Euch mit Forster in das Steuer teilen?“

„Gern.“

„So seht gut nach Kompaß und Karte, damit wir strikte Richtung haben!“

Er wollte sich abwenden, wurde aber durch eine ganz unerwartete Frage Peters davon abgehalten-

„Nach Acapulco oder Guayaquil, Sir?“

„Warum Guayaquil?“

„Um ihn zu überholen und von vorn zu nehmen. Er ist uns dann Sicherer, weil er die Verfolger nur hinter sich vermuten kann.“

Parkers Augen blitzten auf.

„Steuermann, Ihr seid kein übler Maate. Ihr habt recht, und ich werde Euch ohne Zögern folgen, obgleich er auf den Gedanken kommen kann, von Acapulco aus uns auf der Sandwich-Route zu entgehen.“

„So müssen wir zwischen dem Süd- und Westkurs kreuzen, bis wir ihn haben.“

„Richtig! Legt zwei Strich nach West hinüber, Forster. Ich werde alle Tücher hissen. Meine Instruktion lautet ungesäumt nach New York zurück, und der Handel mit dem l’Horrible kann nur als kurzes Intermezzo gelten.“

Er sprach das so gelassen, als sei der Weg um Kap Horn bis New York und die Wegnahme eines Piraten eine ganz alltägliche Kleinigkeit. Dann trat er zu der Gruppe der Jäger, welchen er sein Willkommen aussprach und dann ihre Plätze anweisen ließ. Der Indianer schien ihn sehr zu interessieren.

„Hat Winnetou nicht Sehnsucht nach der Heimat der Apatschen?“ fragte er ihn.

„Die Heimat des Apatschen ist der Kampf,“ lautete die stolze Antwort.

„Der Kampf zur See ist schlimmer, als der Streit zu Lande.“

„Der Häuptling des großen Kanoe wird Winnetou nicht zittern sehen!“

Parker nickte; er wußte, daß der Indianer die Wahrheit gesprochen habe.

Die Aufregung, welche der Tag mit sich gebracht hatte, legte sich allmählich, und das Leben am Bord kam gar bald wieder in das gewöhnliche, ruhige Gleis. Tag verging um Tag; einer glich so vollständig dem andern, daß die an die unbeschränkte Freiheit der Prairie gewöhnten Jäger nach und nach an der Langeweile zu leiden begannen.

Die Breite von Acapulco lag schon seit gestern hinter ihnen und Parker befahl, herumzulegen, um beide Kurse, nach Guayaquil und den Sandwichsinseln, im Auge behalten zu können.

Eine sehr stramme Brise hatte sich erhoben und die Sonne sank zwischen kleinen, aber dunklen Wölkchen im Westen.

„Werden morgen eine ganze Handvoll Wind haben, Kapt’n,“ meinte Peter Polter zu Parker, als dieser auf einem Spaziergange über das Deck am Steuer vorbeikam.

„Wäre gut für uns, wenn uns dabei der Kaper in die Hände liefe. Er vermag im Sturm nicht zu manövrieren wie wir.“

„Segel in Sicht!“ ertönte es da vom Masthead herab, wo einer auf dem Ausguck saß.

„Wo?“

„Nordost bei Nord.“

Im Nu war der Lieutenant oben und nahm dem Manne das Glas aus der Hand, um das gemeldete Segel zu beobachten. Dann kletterte er in sichtbarer Hast herab und trat auf das Quarterdeck, wo Jenner ihn erwartete.

„Hand an die Brassen!“ ertönte sein Befehl.

„Was ist’s?“ fragte Jenner.

„Ist nicht genau zu sehen, jedenfalls aber ein Dreimastenschiff wie der l’Horrible. Wir sind kleiner und unter dem Blendstrahle der Sonne; er hat uns also noch nicht gesehen. Ich werde die Segel tauschen.“

„Wie?“

Parker lächelte.

„Eine kleine Einrichtung, die ganz geeignet ist, einen auf größere Entfernung hin unsichtbar zu machen. Hinauf zu den Raaen!“

Wie die Katzen waren die wohlgeschulten Matrosen sofort oben.

„Weg mit Klüver-, Stangen- und Vorstangensegel. Refft und beschlagt!“

Im Nu wurde das Kommando ausgeführt. Das Schiff lief nun mit halber Geschwindigkeit.

„Das schwarze Tuch. Gebt acht!“

Einige dunkle Segel wurden auf dem Deck parat gehalten.

„Tauscht um das Haupt-, Fock- und Bugsegel!“

In wenigen Minuten befand sich dunkle Leinwand an Stelle der lichten. Die Swallow war jetzt für das nahende Schiff unsichtbar.

„Maate, leg um nach Südwest bei Süd!“

Die Swallow ging jetzt langsam vor dem andern Fahrzeuge her. Ihre sämtliche Besatzung hatte sich auf dem Deck versammelt. Parker aber stieg wieder empor, um zu beobachten. Es war über eine halbe Stunde vergangen und die Dunkelheit brach herein, als er wieder herabkam. Sein Gesicht drückte innige Befriedigung aus.

„Alle Mann an Deck!“

Dieses Kommando war eigentlich gar nicht nötig; die Leute standen schon alle um ihn herum.

„Jungens, es ist der l’Horrible. Paßt auf, was ich euch sage!

Mit gespannter Erwartung drängten sie sich näher.

„Ich will den Kampf Bord gegen Bord vermeiden. Ich weiß, daß keiner von euch sich fürchtet, aber ich muß ihn unbeschädigt haben. Er hat sich außer Völkerrecht gestellt und soll als Räuber behandelt werden. Wir werden ihn mit List nehmen.“

„Ay, ay, Kapt’n, so ist’s recht!“

„Wir haben Neumond und die See ist schwarz. Wir treiben bloß mit dem Hauptsegel vor ihm her; er muß uns für notleidend halten, wird beidrehen und uns als gute Prise betrachten.“

„So ist’s!“ klang es zustimmend.

„Ehe er uns ansegelt, setzen wir die Boote aus. Der Maate behält die Swallow mit nur sechs Mann. Wir andern gehen fertig zum Entern in die Boote, und während er vom Back sich mit dem Schiff beschäftigt, steigen wir vom Steuer auf sein Deck. Jetzt macht euch fertig!“

Es war ein gewagter Plan, den der kühne Mann entworfen hatte, aber er traute den Umständen und seinem guten Glücke, welches ihn bisher noch nie verlassen hatte.

Während die Swallow in langsamer Fahrt durch die Wogen strich, schoß der l’Horrible mit seiner gewöhnlichen Geschwindigkeit vorwärts. Es war Nacht geworden, kein Segel zu erblicken gewesen und die Besatzung fühlte sich vollständig sicher. Sanders hatte soeben eine Unterredung mit seiner Gefangenen gehabt, resultatlos wie immer, und schickte sich nun an, die Ruhe zu suchen, als plötzlich aus ziemlicher Entfernung ein matter Schuß ertönte.

Schnell war er an Deck. Ein zweiter Schuß ließ sich hören; ein dritter folgte.

„Notschüsse, Kapt’n,“ meinte der lange Tom, der in seiner Nähe stand.

„Wäre es hinter uns, so könnte es eine Kriegslist sein, vor uns aber ist das ganz unmöglich. Jedenfalls ist es ein verunglücktes Fahrzeug ohne Masten, sonst hätten wir vor Abend seine Segel sehen müssen. Constabel, eine Rakete und drei Schüsse!“

Die Rakete stieg empor und die Schüsse krachten. Die Notzeichen des andern Fahrzeugs wiederholten sich.

„Wir kommen näher, Tom; es wird eine Prise, nichts weiter.“ Er zog das Nachtrohr an das Auge. „Schau, dort liegt es; es trägt nur ein altes Hauptsegel. Die Luft ist etwas steif, aber ich werde beidrehen, um mit ihm zu sprechen!“

Er gab die nötigen Befehle; die Segel fielen; das Schiff drehte sich herum und trieb dann in geringer Entfernung neben der Swallow her.

„Ahoi, welch ein Schiff?“ tönte es herüber.

Fast die ganze Besatzung des I’Horrible hatte sich nach Backbord gedrängt.

„Vereinigte-Staaten-Kreuzer. Was drüben für eins?“

„Vereinigte-Staaten-Klipper Swallow Lieutenant Parker,“ ertönte es statt von drüben an der Steuerbordseite des l’Horrible.

Eine wohlgezielte Salve krachte mitten unter die Briganten hinein, und dann stürzte sich eine Schar dunkler Gestalten auf sie, die einen Überfall für unmöglich gehalten hatten und nicht einmal notdürftig bewaffnet waren. Parker hatte seinen Plan ausgeführt, die Boote ausgesetzt und war von der unbeobachteten Seite an den l’Horrible gekommen, den er enterte.

Nur eine einzige Person hatte das Nahen der Kähne bemerkt – die Miß Admiral. Kaum hatte der Kapitän die Thür hinter ihr verschlossen, so richtete sie sich trotz ihrer Fesseln unter unsäglicher Mühe empor und trat an die Wand der Koje, in welcher sie einen langen, scharfkantigen Nagel entdeckt hatte. Schon mehrere Nächte lang hatte sie gearbeitet, um an demselben ihre Banden zu durchreiben, und heut, so weit war es bereits gediehen, mußte sie frei von ihnen sein. Schon befand sie sich in voller Thätigkeit, als die drei Schüsse ertönten; dann vernahm sie das Rauschen nahender Ruderschläge.

Was gab es? Einen Überfall? Einen Kampf? Die Rettung Notleidender? jeder dieser Fälle war geeignet, ihr Vorhaben zu unterstützen. Fünf Minuten fürchterlicher Anstrengung machten ihr die Hände frei und schon fielen die Bande auch von ihren Füßen, als droben auf dem Verdeck Revolverschüsse krachten und sich das Getrampe eines entsetzlichen Faustkampfes erhob. Sie fragte sich nicht nach der Ursache desselben; sie wußte, daß Sanders noch oben sei. Mit einem kräftigen Tritte sprengte sie die Thür zur Kajüte auf und riß von den an der Wand hängenden Waffen so viele herunter, als sie brauchte, um für alle Fälle gerüstet zu sein. Dann warf sie einen forschenden Blick durch die Steuerbordluke hinaus auf das Wasser. Drei Boote hingen an einem Tau, welches man unvorsichtigerweise bei Einbruch der Nacht nicht eingezogen hatte.

„Überfallen,“ murmelte sie. „Von wem? Ha, das ist die Strafe! Der l’Horrible ist wieder verloren, und ich werde diesen Sanders selbst an das Messer liefern. Noch sind die Gefangenen nicht übergetreten! Ich werde sie befreien und dann fliehen. Wir befinden uns unter der Breite von Acapulco. Komme ich unbemerkt in ein Boot, so bin ich in zwei Tagen am Lande!“

In einer Ecke der Kajüte stand ein kleiner Handkoffer. Sie nahm einen Teller voll Biskuits und zwei Flaschen Limonade auf, die auf dem Tische standen; dann öffnete sie das geheime Fach und entnahm ihm seinen Schatz, den sie auch im Koffer verbarg. Nun schlich sie sich nach oben bis zur Luke, um zu rekognoszieren. Die Räuber waren überfallen und auf das Hinterdeck gedrängt; sie mußten unterliegen.

Rasch tauchte sie wieder unter das Deck, begab sich nach dem Kielraum und riß -den Riegel von der Luke, die ihn verschloß.

„Seid ihr wach?“ fragte sie die gefangene vorige Bemannung des l’Horrible.

„Ja, ja. Was ist oben los?“

„Die Piraten sind überfallen. Seid ihr gefesselt?“

„Nein.“

„So eilt nach oben, und thut eure Schuldigkeit! Doch, halt, wenn der schwarze Kapitän diesen Abend überlebt, so sagt ihm, die Miß Admiral läßt ihn grüßen!“

Sie sprang voraus, eilte in die Kajüte zurück, ergriff den Koffer und stieg an Deck, Sie erreichte unbemerkt den Regeling. Die eine Hand zwischen die Angriffe des Koffers steckend, wollte sie sich an dem Tau zu den Booten hinabturnen; da wurde sie gefaßt. Peter Polter hatte sie gesehen, sprang herbei und packte sie von hinten.

„Halt, Bursche!“ rief er. „Wohin willst du mit diesem Koffer segeln? Bleib noch ein wenig da!“

Sie antwortete nicht, gab sich aber alle Mühe, sich ihm zu entreißen, vergeblich. Gegen seine Riesenkraft konnte sie nicht aufkommen. Er hielt sie so fest, daß sie sich nicht rühren konnte, und rief einige Kameraden herbei, von denen sie gebunden wurde. Freilich ahnten sie noch nicht, was für einen Fang sie da gemacht hatten.

Sanders war durch den Überfall in eine fürchterliche Überraschung versetzt worden, hatte sich jedoch rasch gesammelt.

„Herbei zu mir!“ schrie er, zum Hauptmaste springend, um für sich und die Seinen eine feste Position zu gewinnen.

Die Untergebenen folgten seinem Rufe.

„Wer Waffen trägt, hält stand; die andern durch die Hinterluke nach den Enterbeilen!“

Es war der einzige Rettungsweg, den diese Worte vorschrieben. Während die wenigen, welche zufälligerweise mit Waffen versehen waren, sich dem andringenden Feinde entgegenwarfen, eilten die übrigen nach unten und kehrten im Handumdrehen zurück, mit Dolch und Enterbeil bewaffnet.

Obgleich der erste Angriff seine Opfer gefordert hatte, waren die Räuber der Besatzung der Swallow an Zahl noch weit überlegen, und es entspann sich ein Kampf, der um so fürchterlicher war, als seine Einzelheiten und das Terrain nicht zu überblicken waren.

„Fackeln herbei!“ brüllte Sanders.

Auch dieser Befehl wurde ausgeführt. Kaum aber verbreitete sich der Schein des Lichtes über die blutige Scene, so fuhr der Kapitän zurück, als habe er ein Gespenst erblickt. War’s möglich? Grad vor ihm, den Tomahawk in der Rechten, das Skalpmesser in der Linken, stand Winnetou, der Häuptling der Apatschen, und an seiner Seite wehte das weiße, mähnenartige Haar von Sam Fire-gun.

„Die weiße Schlange wird ihr Gift hergeben!“ rief der erstere, warf die im Wege Stehenden auf die Seite und faßte Sanders an der Kehle. Dieser wollte den Feind abschütteln; es gelang ihm nicht; auch der Colonel hatte ihn ergriffen; er fühlte sich emporgehoben und zu Boden geschmettert, dann vergingen ihm die Sinne.

Die Überrumpelung war über die Räuber gekommen wie ein wirrer, angstvoller Traum; die Überraschung hielt ihre Kräfte gefangen, und der Fall ihres Anführers raubte ihnen sowohl den Zusammenhalt als auch den letzten Rest von Mut.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Luke und spie die gefangene Mannschaft des l’Horrible aus. Der erste, den der vorderste von diesen Leuten erblickte, war Lieutenant Jenner.

„Hurra, Lieutenant Jenner, hurra, drauf auf die Halunken!“ schrie er.

Ein jeder raffte von den umherliegenden Waffen auf, was ihm in die Hand kam; die Räuber gerieten zwischen zwei Treffen; sie waren verloren.

Zwei standen, Rücken an Rücken, mitten unter ihnen; wer ihnen zu nahe kam, büßte mit dem Tode. Es waren Hammerdull und Holbers. Da drehte der letztere den Kopf zur Seite, damit er von dem Gefährten verstanden werde.

„Dick, wenn du denkst, daß dort der Schuft, der Peter Wolf steht, so habe ich nichts dagegen.“

„Der Peter – verdammter Name, ich bringe ihn niemals fertig. Wo denn?“

„Dort an dem Hickorybaum, den diese wunderlichen Leute Mast nennen.“

„Ob Mast oder nicht, das bleibt sich gleich. Komm, altes Coon, wir fangen ihn lebendig!“

Noch ein andrer hatte Letrier bemerkt, nämlich Peter Polter, der Steuermann. Dieser hatte Messer, Revolver und Enterbeil zur Seite gethan und eine Handspeiche ergriffen, die ihm geläufiger war. Jeder Hieb mit derselben streckte einen Mann nieder. So hatte er sich eine Strecke in den dicht zusammengedrängten Haufen der Räuber hineingekämpft, als er Letrier erblickte. Im nächsten Augenblicke stand er vor ihm.

Mille tonnerre, der Jean! Kennst du mich, Spitzbube?“ fragte er.

Der Gefragte ließ den erhobenen Arm sinken und wurde leichenblaß, er hatte einen Gegner erkannt, dem er nicht zur Hälfte gewachsen war.

„Komm her, mein junge, ich will dir sagen, was die Glocke geschlagen hat!“

Er faßte ihn beim Schopf und bei den Hüften, riß ihn empor und schleuderte ihn mit solcher Macht an den Besan, um welchen das Handgemenge jetzt tobte, daß es laut krachte und er wie zerschmettert und zermalmt zur Erde stürzte. Die beiden Jäger kamen zu spät.

Nun endlich sahen die Piraten ein, daß nicht die leiseste Hoffnung mehr für sie vorhanden sei, und streckten die Waffen, obgleich sie auch dadurch ein Anrecht auf Gnade nicht erlangen konnten.

Ein vielstimmiges Hurra scholl über das Deck; die Swallow antwortete mit drei Kanonenschüssen; sie hatte ihren Ruf gerechtfertigt und ihren bisherigen Ehren eine neue, größere hinzugefügt. – – –

Und jetzt, Gentlemen, machen wir einen dritten Sprung; es ist der letzte, aber dafür auch der größeste, denn er führt uns aus dem Stillen Meere nach dem Atlantischen Ocean, nämlich nach Hoboken, der Schwesterstadt von New York. Dort giebt es, grad so wie hier, auch eine liebe, gute Mutter Thick, die von den bei ihr verkehrenden Seeleuten hoch verehrt wird und das Gesicht eines jeden kennt, der einmal bei ihr gewesen ist. Die Gleichheit der Namen ist nichts Auffälliges, denn der amerikanische Seemann pflegt jede wohlbeleibte Wirtin gern Mutter Thick zu nennen. Von dieser Hobokener Wirtin war der Steuermann Peter Polter stets ein besonderer Lieblingsgast gewesen.

An dem Tage, den ich meine, beschäftigte sich die allgemeine Unterhaltung in ihrem Lokale mit den politischen und kriegerischen Neuigkeiten des Tages. Der Aufstand der Südstaaten hatte von Tag zu Tag an Ausdehnung gewonnen, und das Glück war den Sklavenbaronen bis jetzt in auffälliger Weise treu und günstig gewesen. Nur sehr vereinzelte kleine Episoden von geringer Tragweite ließen ahnen, daß der Norden sich die Zuneigung der wetterwendischen Göttin wohl noch erobern werde, und je seltener diese Ereignisse waren, mit desto größerem Jubel wurde die Kunde von ihnen von denjenigen aufgenommen, deren Ansichten mit der ebenso humanen, wie thatkräftigen Politik des Präsidenten Abraham Lincoln übereinstimmten.

Da öffnete sich die Thür; einige Seeleute traten ein, welche sich ganz augenscheinlich in einer angenehmen Aufregung befanden.

„Holla, ihr Mannen, wollt ihr hören, was es für eine Neuigkeit giebt?“ fragte einer von ihnen, indem er um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, mit der gewichtigen Faust auf den ihm am nächsten stehenden Tisch schlug, daß es krachte.

„Was ist’s –? Was soll es sein –? Was giebt’s –? Heraus damit; erzähle!“ rief es von allen Seiten.

„Was es giebt, oder vielmehr, was es gegeben hat? Nun, was denn anders als ein Seegefecht, ein Treffen, welches seinesgleichen sucht.“

„Ein Seegefecht – ein Treffen –? Wo – wie – wann – zwischen wem?“

„Wo? – auf der Höhe von Charlestown. Wie? – verteufelt wacker. Wann? – den Tag weiß ich nicht, vor ganz kurzem jedenfalls. Und zwischen wem? – ratet einmal!“

„Zwischen uns und den Rebellen!“ rief einer.

Alles lachte. Der Angekommene lachte mit und rief:

„Schau, was du für ein kluger und gescheiter junge bist, so etwas Schwieriges sofort zu erraten! Daß es zwischen uns und dem Süden sein muß, das ist ja so flüssig wie Seewasser; aber wie die Schiffe heißen, he, das wird deine Weisheit wohl nicht so schnell finden!“

„Welche sind es? Wie heißen sie, und wer hat gesiegt?“ klang rund umher die stürmische Aufforderung.

„Was das Widderschiff Florida ist – –“

„Die Florida ist’s gewesen?“ unterbrach ihn Mutter Thick, indem sie sich mit ihren dicken Armen durch die Gäste Bahn brach, um in die unmittelbare Nähe des Berichterstatters zu gelangen. „Die Florida ist das neueste, größte und stärkste Fahrzeug des Südens und soll mit seinem Teufelssporn vollständig unwiderstehlich sein. Es ist aus lauter Eisen gebaut. Wer hat es gewagt, diesen Leviathan anzugreifen?“

„Hm, wer? Ein kleiner Lieutenant mit einem ebenso kleinen Schiffe, der noch dazu nur ein Klipper ist und sich um Kap Horn herum müd gesegelt hat. Ich meine die Swallow, Lieutenant Parker.“

„Die Swallow – Lieutenant Parker –? Unmöglich! Gegen die Florida können zehn Linienschiffe nichts ausrichten, wie soll es da einem Klipper in den Sinn kommen, ein solches Ungeheuer – –“

„Stopp!“ fiel da Mutter Thick dem Sprecher in die Rede. „Sei still mit deinem Klipper, von dem du nichts verstehst. Ich kenne die Swallow und auch den Parker, der mehr wert ist als alle deine zehn Linienschiffe zusammengenommen. Ein guter Seemann weiß, daß die Größe allein keinen Ausschlag giebt; es kommen vielmehr eine Menge andrer Umstände in Betracht, die es dem kleinen David möglich machen, den großen Goliath zu Fall zu bringen, wie es ja auch sogar in der Bibel zu lesen ist. Aber die Swallow ist ja in den Gewässern von Kalifornien, he?“

„Gewesen – gewesen, hat aber Ordre erhalten, um das Kap nach New York zu gehen. Sie muß ein ganz vertracktes Fahrzeug sein; ihr habt ja doch alle die Geschichte von dem l’Horrible gehört, den der schwarze Kapitän von der Reede von San Francisco weggenommen hatte und den der Parker so prachtvoll wieder holte. Beide, die Swallow und der l’Horrible, haben von da an zusammengehalten, sind vom Süden herauf, an Brasilien vorüber und bis auf die Höhe von Charlestown gesegelt und da auf die Florida gestoßen, die sofort die Jagd auf sie begonnen hat. Parker hat das Kommando der beiden Segler gehabt, den l’Horrible scheinbar zur Flucht auf die hohe See hinaus dirigiert und der Swallow die Stangen und Spieren nebst dem Segelwerke heruntergenommen, so daß es geschienen hat, als sei sie von Sturm und Wetter so fürchterlich mitgenommen, daß sie lahm gehe und der Florida in die Hände fallen müsse.“

„Ja, ein Teufelskerl dieser Parker!“ meinte Mutter Thick. „Weiter, weiter!“

„Das Widderschiff hat sich wirklich täuschen lassen und ist der Swallow bis in die Untiefen von Blackfoll gefolgt, wo es sich festgeritten hat. Nun erst hebt Parker die Stangen und Spieren, zieht die Leinwand auf, ruft den l’Horrible herbei und beginnt ein Bombardement auf den hilflosen Koloß, welches ihm den Rest gegeben hat. Einer der ersten Schüsse hat ihm das Steuer fortgenommen; es ist sogar zum Entern gekommen und dabei teufelsmäßig blutig hergegangen; aber die Florida liegt auf dem Grund, und die beiden andern sind bereits unterwegs und können jeden Augenblick hier Anker werfen.“

„Beinahe unglaublich! Wo hast du es her?“

„Hab’s auf der Admiralität gehört, wo man es sicher schon seit längerer Zeit wüßte, wenn die Telegraphen nicht von den Rebellen zerstört worden wären.“

„Auf der Admiralität? Dann ist’s auch wahr, und ich will es dem armen Jenner vom l’Horrible gönnen, daß es ihm auf diese Weise gelungen ist, die Scharte wegen des schwarzen Kapitäns so leidlich auszuwetzen.“

„Ja, das ist nun endlich einmal eine Kunde, die das Herz erfreut und die Seele erhebt,“ meinte die Wirtin. „Hört, Jungens, ich werde euch ein Gratisfäßchen anstecken lassen; trinkt, so lange es euch schmeckt, auf das Wohl der Vereinigten Staaten, des Präsidenten, der Swallow und – und -und – –“

„Und auf das Wohl von Mutter Thick!“ rief einer, das Glas erhebend.

„Hoch, vivat Mutter Thick!“ antwortete es von allen Ecken und Enden.

„Hoch, Mutter Thick, vivat, alte Schaluppe!“ rief auch eine dröhnende Baßstimme unter der geöffneten Thür.

Alle wandten sich nach dem Manne um, welcher eine so außerordentlich kräftige Kehle besaß. Kaum aber hatte die Wirtin ihn erblickt, so eilte sie mit einem Ausrufe der freudigsten Überraschung auf ihn zu.

„Peter, Peter Polter, tausendmal willkommen in Hoboken! Wo kommst du denn her, alter junge? Aus dem Westen?“

„Ja, tausendmal willkommen in Hoboken,“ antwortete er. „Komm, ich muß dich wieder einmal in meine Arme quetschen; gieb mir einen Kuß! Halte-là, heigh day, – heda, ihr Leute, laßt mich doch einmal hindurch. Komm her an meine Weste, mein Bijou!“

Er warf die im Wege Stehenden wie Spreu auseinander, faßte die Wirtin bei der umfangreichen Taille, hob sie trotz ihrer Schwere zu sich empor und drückte ihr einen schallenden Schmatz auf die Lippen.

Sie litt diese Liebkosung trotz der vielen Zeugen so ruhig, als sei dieselbe etwas ganz Alltägliches und Selbstverständliches, dann wiederholte sie die schon einmal ausgesprochene Frage nach dem Woher.

„Woher? Na, woher denn anders als auf der Swallow um Kap Horn herum!“

„Auf der Swallow?“ rief es aus aller Lippen.

„Ja, wenn es euch recht ist, ihr Leute.“

„So wart Ihr auch mit gegen die Florida?“

„Versteht sich! Oder meint ihr etwa, daß der Peter Polter aus Langendorf sich vor der Florida fürchtet?“

„Erzählt, Master, erzählt! Was seid Ihr auf dem Schiffe? Ist es schon hier oder – –“

„Stopp! Euch fahren ja die Fragen aus dem Munde, wie die Jodler dem Schiffsjungen, wenn er Prügel bekommt. Ich werde euch meine Leine ganz nach der richtigen Ordnung abwickeln. Ich bin der Peter Polter aus Langendorf, Hochbootsmannsmaat auf ihrer englischen Majestät Kriegsschiff Nelson, dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper Swallow, dann deutscher Polizeilieutenant in der Prairie, nachher wieder Steuermann und zwar par honneur auf der Swallow, und bin nun jetzt – –“

„Gut, gut, Peter,“ fuhr ihm Mutter Thick dazwischen, „das hat nachher auch noch Zeit; vor allen Dingen aber komme ich mit meinen Fragen; die sind notwendiger als alles andre. Du hast mir von Valparaiso aus einen Brief geschrieben, in dem so viele Namen und Geschichten und Schreibfehler vorkamen, daß ich es mir anfänglich gar nicht zurechtlegen konnte. Wie steht es mit all den Leuten, die bei dir waren? Wo sind sie jetzt? Wie war es mit dem Wallerstein, dem Heinrich Sanders und Peter Wolf? Was ist’s mit dem l’Horrible und dem schwarzen Kapitän? Ich denke, ihr suchtet ihn im Westen, und doch hörte ich, daß ihn die Swallow zur See gefangen hat! Habt ihr den Sam Fire-gun, oder wie er hieß, getroffen und war es auch der richtige Onkel? Wie steht es mit dem deutschen Polizisten? Und in welcher Gegend habt ihr denn eigentlich – –“

„Bist du bald fertig, Alte,“ rief lachend der Steuermann, „oder hast du noch genug Atem, um in dieser Weise noch einige Stunden fort zu schwadronieren? Heilige Flattuse, hat dieses Frauenzimmer ein Schnatter- und Plapperwerk! Gieb einen vollen Krug her; eher bekommst du keine Antwort! Vorher aber will ich diesen Gentlemen die Geschichte mit der Florida erzählen. Das andre ist nicht für jedermann; das sollst du drin in der andern Stube hören.“

„Nicht einen Tropfen bekommst du, bis ich wenigstens nur ein klein wenig weiß, woran ich bin!“

„Neugierde, die du bist! So frage noch einmal, aber einzeln und kurz!“

„Der Wallerstein? wo ist er?“

„Auf der Swallow.“

„Der Polizist?“

„Auf der Swallow.“

„Der schwarze Kapitän?“

„Auf der Swallow gefangen.“

„Der böse Jean?“

„Auch.“

„Der Onkel Sam Fire-gun?“

„Ist auch da.“

„Lieutenant Parker?“

„Natürlich auch, aber verwundet.“

„Verwundet? Mein Gott, ich hoffe doch nicht, daß –“

„Papperlapapp! Ein paar Schrammen, weiter nichts; er wird für einige Zeit Urlaub nehmen müssen. Es ging ein wenig heiß her auf der Florida, aber wir haben da drinnen in der verdammten Prairie noch ganz andre Dinge durchmachen müssen. Zum Beispiel mein Pferd, der Racker, war ein wahrer Dämon von einem satanischen Drachen und ich kann heut noch nicht sagen, ob ich mir nicht einige Schock Knochen aus dem Leibe herausgeritten habe. Doch, du wolltest ja f tagen!“

„Wo ist die Swallow?“

„Sie kreuzt bei widrigem Winde draußen vor dem Lande; der Forster steht am Steuer. Unterdessen ging der Kapt’n auf einem Dampfboote mit mir herein, um seine Meldung zu machen, während ich hier auf ihn warte.“

„Du wartest auf ihn? Hier bei mir? So wird er hier vorsprechen?“

„Versteht sich! Ein braver Seegaste kehrt zu allererst bei Mutter Thick ein, wenn er in New York vor Anker geht. Und in einer Stunde ist die Swallow im Hafen, da kommen noch andre auch herbei, der Pitt Holbers-“

„Pitt Holb – –“

„Der Dick Hammerdull –“

„Dick Hammerd – –“

„Der Colonel Fire-gun –“

„Colonel Fire-gun –“

„Der Wallerstein, Treskow, der kleine Bill Potter, Winnetou, der Häuptling der Apatschen und –“

„Winnetou, der Häupt – –“

Die Namen blieben der guten Mutter Thick im Munde stecken, so überrascht war sie, eine so interessante Gesellschaft von Männern bei sich zu sehen. Plötzlich aber besann sie sich glücklicherweise auf ihre Pflicht als Wirtin.

„- ling der Apatschen,“ fuhr sie daher in ihrem Ausrufe fort. „Aber, da stehe ich und faulenze, und in einer Stunde habe ich die Sirs zu bedienen! Ich eile, ich fliege, ich gehe, Peter, um mich auf sie vorzubereiten. Erzähle einstweilen diesen Leuten hier die Geschichte von der Florida, die ihr auf den Grund gebohrt habt!“

„Ja, das werde ich, aber sorge dafür, daß ich immer etwas im Kruge habe, denn ein Seegefecht muß auch in der Erzählung feucht gehalten werden!“

„Keine Angst, Steuermann,“ wurde er von den andern getröstet; „wir werden Euch schon mit begießen helfen!“

„Schön, gut! Also hört, ihr Mannen, wie es mit der Florida zuging: Wir hatten den Äquator und nachher die Antillen längst hinter uns, doublierten den Finger vor Florida und näherten uns dann Charlestown. Natürlich hielten wir uns so weit wie möglich in die See hinaus, denn Charlestown gehört den Südstaaten, die ihre Kaper und Kreuzer weit hinausschicken, um jeden ehrlichen Nordländer wegzufangen.“

„War der l’Horrible, mit?“

„Versteht sich. Er war von Anfang an uns stets in unserm Kielwasser gefolgt, weshalb wir immer nur halbe Segel nehmen durften, da wir besser fuhren. So kamen wir glücklich und ungesehen vorwärts und hatten endlich auch Charlestown hinter uns, weshalb wir wieder mehr auf das Land zuhielten.“

„Da traft ihr nun auf die Florida?“

„Wart’s ab, Grünschnabel! Da stehe ich eines Morgens am Steuer – ihr müßt nämlich wissen, daß ich vom Kapt’n die Stelle eines Steuermanns par honneur bekam, wie ich euch schon vorhin sagte – und denke eben an Mutter Thick und was für Freude sie haben werde, wenn ich wieder einmal bei ihr sein darf; wir segeln ein weniges voraus, während der l’Horrible uns mit voller Leinwand folgt, da ruft der Mann vom Ausguck:

„Rauch Nordost bei Ost!“

Ihr könnt euch denken, daß wir sofort alle Mann auf Deck waren, denn mit einem Dampfer, wenn er die feindliche Flagge trägt, ist nicht gut spaßen. Der Kapt’n ist auch sofort oben am Masthead und zieht das Rohr; dann schüttelt er den Kopf, steigt wieder herab und läßt ein Reff legen, damit der l’Horrible in Sprachweite an uns komme. Als dies geschehen ist, ruft er hinüber:

„Dampfer gesehen, Lieutenant?“

„Ay, Sir!“

„Was wird’s für einer sein?“

„Weiß nicht,“ antwortete Lieutenant Jenner; „das Fahrzeug hat weder Mast noch Rumpf; es geht tief, sehr tief, Sir.“

„Wird eins von den südstaatlichen Widderschiffen sein. Wollt Ihr ihm aus dem Wege gehen?“

„Ich thue, was ihr thut.“

„Gut; sehen wir uns den Mann ein wenig an!“

Well, Sir; aber wir sind um das Zehnfache zu schwach.“

„Schwächer, aber schneller. Wer kommandiert?“

„Ihr.“

„Danke! Wir lassen ihn heran; zieht er die feindliche Flagge, so flieht Ihr langsam vor ihm in die Lee; ich sorge dafür, daß er sich an mich hält und führe ihn auf den Sand. Dann kommt Ihr und laßt ihn Eure Kugeln schmecken!“

Well, Well! Noch etwas?“

„Nein!“

Darauf ziehen wir die großen Segel auf, nehmen das kleine Werk samt Stangen und Spieren herab, so daß es aussieht, als hätten wir im Sturm Havarie erlitten und könnten nicht von der Stelle, und lassen den Mann auf Schußweite an uns herankommen. Er giebt das Signal zum Hissen der Flagge; wir ziehen die Sterne und Streifen, er aber läßt die südstaatlichen Fetzen sehen. Es war das neue Widderschiff Florida, mit Doppelpanzer und einem Spießhorne, mit welchem es die beste Fregatte in Grund und Boden rennen kann.“

„Und an den habt Ihr Euch gewagt?“

„Pah, ich bin der Peter Polter aus Langendorf und habe mich mit den schuftigen Ogellallahs herumgehauen. Weshalb sollte ich mich da vor so einer Blechkanne fürchten? Ein gutes Holzschiff ist besser als so ein Eisenkasten, von dem man sich nicht einmal einen elenden Zahnstocher herunterschlitzen kann. Unser Admiral Farragut sagt auch so.

Also er fordert uns auf, uns zu ergeben, wir aber lachen und schießen unter seinen Kugeln vorüber. Er wendet, um uns nachzukommen und uns den Sporen in das Holz zu rennen; ich werfe das Steuer herum und weiche ihm aus; er wendet abermals; ich halte von ihm ab; so geht es unter Wenden und Ausweichen fort, bis er in die Hitze kommt und die Klugheit vergißt. Seine Kugeln haben uns nichts gethan; sie gehen über uns hinweg; er aber ist uns unbesonnen bis in die Nähe der Küste gefolgt und läuft dort auf eine Sandbank, an der wir vorüberschlüpfen, weil wir nicht so tief in Wasser gehen.“

„Bravo, hallo; die Swallow soll leben!“

„Ja, sie soll leben, Jungens, trinkt!“

Nachdem er selbst einen unvergleichlichen Zug gethan hatte, der den Boden des Kruges zum Vorschein brachte, fuhr er fort:

„Jetzt gehen wir an seinen Stern, und während seine Mannen sich alle im Raume unter dem Wasserspiegel befinden, schießen wir ihm das Steuer weg, so daß er vollständig verloren ist. Der l’Horrible kommt auch herbei; die Florida kann sich nicht verteidigen; sie scheuert sich im Sande wund; das Wasser dringt ein; wir helfen nach – dann streicht sie die Flagge. Sie muß sich ergeben; wir nehmen ihre Leute an Bord, und kaum ist dies geschehen, so legt sie sich auf die Seite: die Wogen haben sie gefressen.“

„Holla, so ist’s recht. Dreimal hoch die Swallow

„Danke euch, Jungens, aber vergeßt auch den l“Horrible nicht; er hat das Seinige auch gethan.“

„Schön. Ein Hoch dem l’Horrible. Stoßt an!“

Die Krüge klirrten zusammen. Da ertönten draußen einige Salutschüsse, ein Zeichen, daß ein Schiff in den Hafen laufe, und gleich darauf vernahm man ein vieltöniges Stimmengewirr und ein Rennen durch die Straße, als ob ein außerordentliches Ereignis bevorstehe. Peter Polter erhob sich, trat an das Fenster und öffnete dasselbe.

„Holla, Mann, was giebt’s hier zu laufen?“ fragte er, indem er einen Vorübereilenden beim Arme erfaßte.

„Eine frohe Botschaft, Master: Die Swallow läuft soeben in den Hafen, welche das famose Rencontre mit der Florida gehabt hat. Alle Schiffe haben augenblicklich gewimpelt und geflaggt, um den tapfern Kapitän zu ehren, und jedermann eilt, die Landung zu betrachten.“

„Danke, Master!“

Er schlug das Fenster zu und bemerkte im Umdrehen, daß sämtliche Gäste auf die erhaltene Auskunft hin sofort ihre Plätze verlassen hatten und sogar das Freibier vergaßen, um der Landung des berühmten Schuners beizuwohnen.

„Immer lauft,“ lachte er; „werdet nicht gar viel zu sehen bekommen. Der Kapt’n ist schon am Lande, und die vom Bord gehen, das sind keine echten Seegasten, obgleich sie mitgemacht haben, daß es gewettert hat. Ich bleib bei meiner Mutter Thick, wo ich den Mr. Parker erwarten muß.“

Es verging doch eine geraume Zeit, ehe der Genannte kam, und noch hatte er die Thür nicht verschlossen, so nahte sich ein lärmendes Rufen und jauchzen dem Hause. Eine Menge Volkes kam vom Hafen her, voran diejenigen Männer, welche von der Swallow an das Land gegangen waren. Sie traten gleich hinter Parker in die Stube, und das Volk drängte hinter den Helden des verwegenen Seegefechtes her, daß der Raum die Gäste gar nicht zu fassen vermochte. Die resolute Wirtin, welche unterdessen mit ihren Vorbereitungen zu Ende gekommen war, wußte sich schnell zu helfen. Sie öffnete das Ehrenzimmer, schob sich mit den Erwarteten hinein und verschloß dann die Thür, die Bedienung der andern ihrem Personale überlassend.

Welcome, Sir!“ lautete ihre freudige Anrede zu Parker, der ihr als alter Bekannter freundlich die Hand reichte.

Auch die andern wurden mit einem herzlichen Handschlag begrüßt. Sie mußten Platz nehmen und brauchten bloß zuzugreifen, so umsichtig war in der kurzen Zeit für alles Wünschenswerte gesorgt worden.

„Mutter Thick, du bist doch die trefflichste Brigantine, der ich jemals in die Arme gesegelt bin!“ rief der Steuermann. „In dieser armseligen Prairie gab’s nichts als Fleisch, Pulver und Rothäute; auf der See ging es auch knapp her, da wir zu viel hungrige Magen geladen hatten, bei dir aber ißt und trinkt sich’s wie beim großen Mogul oder wie der Kerl heißen mag, und wenn ich nur eine Woche hier vor Anker liege, so lasse ich mich hängen, wenn ich nicht einen Schmeerbauch habe, wie da dieser fette Master Hammerdull.“

„Ob fett oder nicht, das bleibt sich gleich,“ meinte dieser, wacker zulangend, „wenn man nur einen guten Bissen zwischen die Zähne bekommt. Ich hab’s nötiger wie ihr andern alle, denn seit ich meine alte, gute Stute in Francisco lassen mußte, bin ich vor Sehnsucht nach dem lieben Viehzeug ganz vom Fleisch gefallen. Ist’s nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn du denkst, Dick, daß dich die Stute dauert, so habe ich nichts dagegen. Es geht mir ja mit meinem Tier ganz ebenso. Wie ist’s bei dir, Bill Potter?“

„Bei mir? Wo mein Pferd steckt, ist mir sehr gleichgültig, hihihihi; die Hauptsache ist, daß mir’s bei Mutter Thick gefällt.“

„So ist’s recht,“ stimmte die Wirtin bei; „greift zu, so viel und lang es euch beliebt. Aber vergiß dabei auch dein Versprechen nicht, Peter!“

„Welches?“

„Daß du erzählen wolltest.“

„Ach so! Na, wenn du tüchtig einschenkst, so soll es mir auf einige Worte mehr nicht ankommen, die ich zu reden habe.“

Während er kauend von den erlebten Abenteuern berichtete, saß Winnetou an seinem Platze und sprach den ihm ungewohnten Speisen der Bleichgesichter mit höchster Mäßigkeit zu. Den Wein rührte er gar nicht an. Er wußte, daß das Feuerwasser der schlimmste Feind seines Volkes gewesen war; darum haßte und verschmähte er es. Seine Aufmerksamkeit war auf die lebhafte Unterhaltung gerichtet, welche die andern in jenem halblauten Tone führten, der stets ein Zeichen von der Wichtigkeit des Gegenstandes ist.

„Wie war es auf der Admiralität?“ fragte Sam Fire-gun den Lieutenant.

„Ganz nach Erwartung,“ antwortete dieser, der den einen Arm in der Binde trug, wie auch die andern verschiedene Zeichen der Verwundung aufzuweisen hatten. „Ernennung zum Kapitän und Beurlaubung bis nach vollendeter Genesung.“

„Was wird mit der Swallow?“

„Sie hat gelitten und geht zur Reparatur in die Trockendocks.“

„Und unsre Gefangenen?“

„Auch wie ich dachte.“

„Das heißt?“

„Sie werden gehängt, wie es Korsaren nicht anders zu erwarten haben.“

„Korsaren? Sanders behauptet doch, den l’Horrible nur deshalb genommen zu haben, um für die Südstaaten Kaperei zu treiben. Kommt er damit nicht durch?“

„Nein, denn er hat keinen Kaperbrief. Und wenn er einen hätte, so ist er eben der schwarze Kapitän, welcher wegen seines früheren Sklavenhandels und der dabei betriebenen Piraterie aufgehangen wird.“

„Und die Miß Admiral?“

„Wird auch gehängt. Auch alle Gefangenen, welche Sanders behilflich waren, den l’Horrible zu nehmen, und dann, als wir ihn enterten, nicht getötet wurden, sondern mit dem Leben davon kamen, werden höchst wahrscheinlich denselben Tod erleiden, denn sie sind als Seeräuber zu betrachten. Sie werden mit ihrem Schicksale wohl nicht so zufrieden sein wie ihr mit der Nachricht, welche ich euch von der Admiralität bringe.“

„Also eine gute?“

„Eine sehr gute. Erstens wird die große Summe, die wir bei der Miß Admiral fanden und mit der sie fliehen wollte, als unsre Prise betrachtet, die uns gehört. Zweitens soll eine sehr hohe Belohnung dafür ausgesetzt werden, daß wir den l’Horrible dem schwarzen Kapitän wieder abgenommen haben. Und drittens haben wir ganz bedeutende Prisengelder für unsern Sieg über die Florida. Sie liegt zwar jetzt auf dem Grunde, wird aber später gehoben werden. Dieses Geld teilen wir unter uns, und es wird dabei auf jede Person so viel kommen, daß –“

„Auf mich nicht,“ unterbrach ihn Sam Fire-gun.

„Warum nicht?“

„Weil ich natürlich kein Geld nehme, was mir nicht gehört.“

„Ihr habt es aber verdient!“

„Nein. Ich bin nur Gast auf Euerm Schiffe gewesen; die Prisengelder gehören der Bemannung.“

„Ihr waret nicht Gast, sondern Kombattant, und habt also Teil daran.“

„Mag sein; aber ich nehme nichts. Ich habe Sanders die Anweisungen wieder abgenommen, die er mir im Hide-spot stahl. Die eine hatte er zwar schon verkauft, aber nur wenig davon ausgegeben; ich bin also vollständig zufriedengestellt. Winnetou nimmt erst recht nichts, und was meine braven Trapper betrifft, so wird es ihnen auch nicht einfallen, Eure Seegasten um ihre Prisengelder zu bringen. Wir haben es im Gegenteile nur Euch und ihnen zu verdanken, daß wir wieder zu unserm Gelde gekommen sind. Sag einmal, Dick Hammerdull, willst du das Geld haben?“

„Ob ich es haben will oder nicht, das bleibt sich gleich, das ist sogar ganz egal; aber ich nehme es nicht,“ antwortete der Dicke. „Was sagst denn du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?“

Der Lange erwiderte gleichmütig:

„Wenn du denkst, daß ich es nicht nehme, Dick, so habe ich nichts dagegen. Es wird’s überhaupt keiner von uns nehmen. Und wenn man es uns etwa mit Gewalt aufnötigen will, so bekommt Peter Polter meinen Anteil, und wenn es auch nur wäre, um ihm Lust zu machen, wieder einmal zu uns nach dem Westen zu kommen. Ich sehe ihn gar zu gern zu Pferde sitzen.“

„Laßt mich in Ruhe mit euern Pferden!“ rief da der Steuermann. „Lieber laß ich mich zerstampfen und Schiffszwieback aus mir machen, als daß ich mich noch einmal auf so eine Bestie setze, wie der Traber war, auf welchem ich dieses letzte Mal zu euch gesäuselt kam. Weiter will ich euch nichts sagen, denn was ich noch sagen könnte, mag lieber unausgesprochen bleiben, so übel ist mir dabei zu Mute gewesen!“

„Hast’s auch nicht nötig, wieder den Westmann zu imitieren,“ sagte Parker. „Ich habe auf der Admiralität erwähnt, was wir dir verdanken und wie brav du dich gehalten hast. Man wird bei der nächsten Vakanz an dich denken und dir einen Posten anvertrauen, auf den du stolz sein kannst.“

„Ist’s wahr? Wirklich? Ihr habt bei den hohen Gentlemen an mich gedacht?“

„Ja.“

„Und man will mir einen solchen Posten geben?“

„Es wurde mir ganz bestimmt versprochen.“

„Ich danke, Sir, ich danke Euch! Ich werde also Karriere machen! Heisa hurra, hurra! Der Peter Polter – –“

„Was hast du denn so gewaltig zu schreien, alter Seelöwe?“ unterbrach ihn die Wirtin, welche soeben zur Thür hereintrat.

„Das fragst du noch?“ antwortete er. „Wenn ich ein Seelöwe bin, muß ich doch brüllen! Und ich habe auch allen Grund dazu. Weißt du, alte Mutter Thick, ich soll nämlich für meine großen Verdienste Admiral werden!“

„Admiral?“ lachte sie, „das glaube ich wohl, denn du hast das Zeug dazu, und ich gönne es dir. Wie steht es denn aber mit deinem neuen Berufe, auf den du so stolz bist und an dem du von ganzer Seele hängst?“

„Neuer Beruf? Welcher denn?“

„Westmann, Waldläufer, Biberjäger – –“

„Schweig! Kein Wort weiter, wenn du es nicht ganz und gar mit mir verderben willst! Wenn ich mich auf ein Pferd setze, weiß ich nie, wohin es laufen wird. Stehe ich aber auf den Planken eines guten Schiffes, so kenne ich den Kurs genau und kann nicht aus dem Sattel fallen. Also Westmann hin, Westmann her; ich habe ein Haar drin gefunden und bleibe der alte Seebär, der ich stets gewesen bin!“ – – –

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Bei Mutter Thick

Bei Mutter Thick

Jefferson-City, die Hauptstadt des Staates Missouri und zugleich der Hauptort des County Cole, liegt am rechten Ufer des Missouri auf einer anmutigen Höhe, welche einen sehr interessanten Blick auf den unten strömenden Fluß und das auf demselben herrschende rege Leben und Treiben bietet. Die Stadt hatte damals viel weniger Einwohner als jetzt, war aber trotzdem bedeutend durch ihre Lage und durch den Umstand, daß hier die regelmäßigen Sitzungen des Distriktsgerichts abgehalten wurden. Es gab mehrere große Hotels da, welche für gutes Geld passable Wohnung und genießbares Essen gewährten; ich verzichtete aber darauf, in einem derselben einzukehren, weil ich erstens das Hotelleben nicht liebe, sondern lieber dahin gehe, wo ich die Menschen in ihrer Ursprünglichkeit kennen lernen kann, und weil es zweitens einen Ort gab, an welchem man für viel weniger Geld sehr gut wohnte und vortrefflich verpflegt wurde. Das war Firestreet No. 15 bei Mutter Thick, in dem von den Seen bis zum mexikanischen Golfe und von Boston bis San Francisco wohlbekannten Boardinghouse, an welchem gewiß kein echter Westmann, falls er einmal nach Jefferson-City kam, vorüberging, ohne einen kürzeren oder längeren drink zu halten und dabei den Erzählungen zu lauschen, welche im Kreise der anwesenden Jäger, Trapper und Squatter die Runde machten. Mutter Thicks Lokal war bekannt als ein Ort, in welchem man auf diese Weise den wilden Westen kennen lernen konnte, ohne die dark-and-bloody-grounds selbst aufsuchen zu müssen.

Es war Abend, als ich den Gastraum betrat, wo ich noch nie gewesen war. Mein Pferd und meine Gewehre hatte ich auf einer aufwärts am Flusse liegenden Farm gelassen, wo Winnetou meine Rückkehr erwarten wollte. Er liebte es nicht, in der Stadt zu wohnen und sich auf den Straßen herumzutreiben, und hatte deshalb für einige Tage diesen Aufenthalt auf dem Lande genommen. Ich hatte in der City verschiedene Einkäufe zu machen, und auch mein Anzug, der außerordentlich mitgenommen war, bedurfte einiger Aufbesserung oder vielmehr er bedurfte derselben sehr, besonders was die langen Stiefel betraf, die an vielen Stellen höchst „offenherzig“ geworden waren und ihren früheren Gehorsam in der Weise verloren hatten, daß sie, ich mochte die Schäfte herauf bis an den Leib ziehen, so oft ich wollte, doch immer wieder bis auf die Füße herunterrutschten.

Zugleich wollte ich meinen kurzen Aufenthalt hier in der Stadt dazu benutzen, eine Erkundigung nach Old Surehand einzuziehen. Als ich ihn bei unsrer Trennung gefragt hatte, ob, wann und wo ich ihn vielleicht wiedersehen könne, war er nicht imstande gewesen, mir eine bestimmte Antwort zu geben, hatte mir aber gesagt:

„Wenn Ihr einmal zufälligerweise nach Jefferson-City, Missouri, kommt, so geht in das Bankgeschäft von Wallace und Co., wo Ihr erfahren werdet, wo ich mich zu der betreffenden Zeit befinde.“

Nun war ich da und wollte diese Gelegenheit natürlich nicht vorübergehen lassen, ohne Wallace und Co. aufzusuchen.

Also es war abends, als ich bei Mutter Thick eintrat. Ich sah einen langen und ziemlich breiten Raum, der von mehreren Lampen hell erleuchtet war. Es standen wohl gegen zwanzig Tische da, von denen die Hälfte besetzt war, und zwar von einer sehr gemischten Gesellschaft, wie ich trotz des außerordentlich dichten Tabakqualmes sah. Es gab da einige fein gekleidete Gentlemen – die Papiermanschetten weit aus den Ärmeln hervorstrebend, den Cylinder tief im Nacken und die in glanzledernen Stiefeletten steckenden Füße auf dem Tische; Trappers und Squatters in allen Formen und Farben und in die unbeschreiblichsten Gewandungen gehüllt; farbige Leute vom tiefsten Schwarz bis zum hellen Graubraun, mit wolligem, lockigem und schlichtem Haare, mit wulstigen und schmalen Lippen, mit gestülpten Negernasen oder solchen von mehr oder weniger kaukasischem Schnitte; Flößer und Schiffsknechte, die Stiefelschäfte hoch heraufgezogen und das blitzende Messer neben dem heimtückischen Revolver im Gürtel; Halbblutindianer nebst andern Mischlingen von allen möglichen Sorten und Schattierungen.

Dazwischen fegte die wohlbeleibte, ehrbare Mutter Thick umher, und sorgte mit behender Gewandtheit dafür, daß keinem ihrer Gäste das mangelte, wonach sein Begehr ging. Sie kannte alle, nannte jeden bei seinem Namen, warf dem einen freundlichen Blick zu und drohte jenem, der zum Streite aufgelegt zu sein schien, heimlich warnend mit dem Finger. Sie kam auch zu mir, als ich mich gesetzt hatte, und fragte nach meinem Wunsche.

„Kann ich ein Glas Bier bekommen, Mutter Thick?“ fragte ich.

Yes,“ nickte sie, „sehr gutes sogar. Habe es gern, wenn meine Gäste Bier trinken; ist besser und gesünder und auch anständiger als Brandy, der oft tolle Köpfe macht. Seid wahrscheinlich ein Deutscher, Sir?“

Yes.“

„Dachte es mir, weil Ihr Bier verlangt. Die Deutschen trinken immer Bier, und sie sind klug, daß sie es thun. Ihr waret noch nicht bei mir?“

„Nein, möchte aber heut Eure Gastfreundlichkeit in Anspruch nehmen. Habt Ihr ein gutes Bett?“

„Meine Betten sind alle gut!“

Sie musterte mich mit prüfendem Blicke. Mein Gesicht schien ihr besser zu gefallen als mein sonstiges Äußere, denn sie fügte hinzu:

„Scheint lange keine Wäsche gewechselt zu haben; aber Eure Augen sind gut. Wollt Ihr billig boarden?“

Billig boarden heißt, das Bett mit noch andern teilen.

„Nein,“ antwortete ich. „Es würde mir sogar lieb sein, wenn ich nicht im gemeinschaftlichen Saal schlafen müßte, sondern ein separates Zimmer haben könnte. Zahlungsfähig bin ich trotz meines schlimmen Anzuges.“

„Glaube das, Sir. Sollt ein Zimmer haben. Und wenn Euch hungern sollte, da ist der Speisezettel.“

Sie gab mir das Papier und ging fort, um das Bier zu holen. Die gute Dame machte ganz den Eindruck einer sehr verständigen, freundlichen und besorgten Hausmutter, deren Glück es ist, Zufriedenheit um sich zu sehen. Auch die Einrichtung des Lokals heimelte mich an; sie war mehr deutsch als amerikanisch zu nennen.

Ich hatte an einem leeren Tische Platz genommen, welcher in der Nähe einer langen Tafel stand, die von Gästen vollständig besetzt war. Es gab da einige Herren, die man mit dem ersten Blicke als wirkliche Gentlemen erkannte, wahrscheinlich Einwohner der Stadt und Stammgäste der Mutter Thick, daneben aber auch Gestalten von der Art, wie ich sie soeben beschrieben habe. Diese Leute hatten, als ich eintrat und mich unfern von ihnen niedersetzte, eine sehr animierte Unterhaltung unterbrochen, um ihre Aufmerksamkeit auf mich zu richten; das dauerte aber nur so lange, als Mutter Thick mit mir sprach; dann schienen sie einzusehen, daß ich kein würdiger Gegenstand ihres ferneren Interesses sei, und derjenige von ihnen, welcher zuletzt gesprochen hatte, nahm seine unterbrochene Rede wieder auf:

„Ja, es ist so, wie ich sage: Es hat in den Vereinigten Staaten niemals einen größeren Schurken gegeben wie den Kanada-Bill. Wer das nicht glaubt, dem will ich es gern und sogleich mit einigen Zoll kalten Eisens in den Leib beweisen. Wünscht einer von euch diesen Beweis, Mesch’schurs?“

„Nein; wir glauben es gern; wir wissen es ja,“ antwortete einer von den erwähnten Gentlemen.

„Besser wie ich könnt Ihr es nicht wissen, Sir!“

„Ihr habt wohl eine Rechnung mit ihm gehabt?“

„Eine Rechnung? Pshaw! Ein ganzes, großes, vollgeschriebenes Schuldbuch, muß ich sagen. Er war so berüchtigt, daß man sogar drüben im alten Lande in den Zeitungen über ihn geschrieben hat, wie ich erfahren habe. Keinem aber hat er in der Weise mitgespielt als wie mir.“

Er schien, wie ich, zum ersten Male hier zu sein, denn als er diese Worte sagte, betrachteten ihn die Anwesenden mit besonderen Blicken. Er war ein langer, sehr hagerer Mann und trug einen Büffellederrock, der so viel Dienste geleistet hatte, daß er nur noch aus Flicken und Flecken bestand. Die Leggins waren ihm viel zu kurz; sie reichten lange nicht hinab bis zu den Mokassins, die mit vielen Kreuz- und Querstichen von Hirschsehne ausgebessert waren, und auf dem Kopfe trug er eine Mütze, die früher vielleicht einmal eine Pelzmütze gewesen war, jetzt aber alle Haare verloren hatte und ihm wie ein umgestülpter Bärenmagen auf dem Haupte saß. Im Gürtel, der mit allen möglichen Requisiten behangen war, steckten Bowiekneif, Revolver und Tomahawk; den Lasso hatte er sich in Schlingen unter dem linken Arm bis über die rechte Schulter geworfen, und neben ihm lehnte eine alte Büchse, welche vom Kolben bis zum Laufteile mit zahlreichen Einschnitten, Kerben und sonstigen für Fremde rätselhaften Charakteren versehen war.

„Ihr macht uns neugierig, Sir,“ sagte der Gentleman. „Dürfen wir vielleicht erfahren, in welcher Weise er Euch mitgespielt hat?“

„Hm! Man läßt am liebsten so blutige Sachen ruhen; aber da wir hier an diesem Tische einmal beim Erzählen sind, so will ich Euch den Willen thun. Wißt Ihr, Gent’s, die Staaten sind ein eigentümliches Land, wo das Größte hart neben dem Kleinsten, das Gute gleich beim Schlimmen steht, und ich sage Euch, alle drei Male, die ich mit diesem berüchtigtsten Manne des Landes zusammengekommen bin, ist auch stets der berühmteste dabei gewesen, den wir aufzuweisen haben.“

„Wer?“

„Lincoln, Abraham Lincoln, Sir!“

„Lincoln und der Kanada-Bill? Erzählt, Master, das müssen wir hören!“

„Ja, erzählt!“ rief es rundum. „Und laßt uns auch Euern Namen ein wenig hören!“

„Mein Name ist kurz und leicht zu merken, Gent’s, und vielleicht habt ihr ihn hier oder da schon einmal gehört. Er heißt Tim Kroner.“

„Tim Kroner? Alle Wetter, Tim Kroner, der Coloradomann! Welcome, Sir! Ihr seid der beste von allen Jägern weit und breit; trinkt, trinkt!“

So viele Leute hier waren, so viele Gläser wurden ihm entgegengehalten.

„So kennt ihr mich also?“ fragte er, indem er aus allen Gläsern trank. „Ja, ich bin der Coloradomann, und ihr sollt meine Erzählung hören.“

Er schob sich in eine bequeme Stellung und begann:

„Eigentlich bin ich in Kentucky zu Hause, war aber noch ein Bube, der die Büchse kaum zu halten versteht, als wir hinunter nach Arkansas gingen, um zu sehen, ob das Land dort wirklich so gut sei, wie es beschrieben wurde. Ich sage: wir, und meine damit nämlich die Eltern mit mir und dem Nachbar Fred Hammer mit seinen beiden Töchtern Mary und Betty. Er war ein Deutscher und erst vor einigen Jahren aus Germany herübergekommen, und ich will auf der Stelle geteert und gefedert werden, wenn es in den ganzen Staaten ein schöneres und besseres Mädchen giebt, als diese deutschen Ladies waren. Wir wuchsen zusammen empor, thaten einander allen möglichen Gefallen, und als ich mich eines Tages besinne, finde ich, daß die Mary zu nichts anderem geschaffen ist, als zu meiner Frau.

Na, ihr könnt euch denken, daß ich diesen Gedanken nicht an die Wand klebte, sondern ihn so eilig wie möglich in die Welt hineinposaunte, und richtig, es stimmte ganz genau: die Mary dachte gar nicht daran, daß ich etwas anderes sein könne, als ihr Mann. Die Eltern waren natürlich einverstanden, und nun wurde gesorgt und geschafft, uns in die gehörige Ordnung zu bringen.

Das war ein Leben wie im Himmel, Mesch’schurs, und ich will es jedem von Euch herzlich gönnen, der solche glückliche Tage aufzuweisen hat; nur mögen sie bei ihm länger gedauert haben als bei mir.

Eines Tages war ich in den Wald gegangen, um mir eine gute Zahl Fenzstangen zu zeichnen. Da kam einer durch die Tannen geritten und hielt seinen Gaul bei mir an.

Good day, Boy! Ist da herum eine Farm zu finden?“ fragte er.

„Zwei für eine, wo jeder gern einen Unterschlupf findet,“ antwortete ich.

„Wo liegt die nächste?“

„Kommt; ich werde Euch führen!“

„Ist nicht nötig. Ihr seid hier beschäftigt, und wenn ich die Richtung erfahre, werde ich nicht fehl gehen.“

„Ich bin fertig. Kommt!“

Der Mann war noch jung, vielleicht kaum zwei oder drei Jahre älter als ich, trug ein fast neues Jagdgewand aus Hirschleder, hatte vorzügliche Waffen und ein Pferd, welches so munter war, als sei es eben erst aus der Umzäunung genommen. Große Anstrengungen konnte er nicht hinter sich haben, sonst hätte er und sein Tier weniger frisch ausgesehen. Es wäre ganz gegen den Gastgebrauch gewesen, wenn ich ihn nach seinem Namen und andern Dingen gefragt hätte; ich schritt also still und schweigsam neben seinem Pferde hin, bis er selbst begann:

„Wie weit habt Ihr bis zum nächsten Nachbar, Boy?“

„Nach den Bergen hin fünf und über den Fluß hinüber acht Meilen.“

„Seid Ihr schon lange hier im Lande?“

„Nicht allzu sehr. Wir haben noch mit der ersten Block zu thun.“

„Und Euer Name, Boy?“

Was hatte er nur mit seinem Boy? War ich etwa ein Knabe, der seine Strümpfe noch trägt? Ich machte die Sache so kurz wie möglich:

„Kroner.“

„Kroner? Schön! Ich heiße William Jones und bin da oben in Kanada zu Hause. Wer ist der Besitzer der zweiten Farm, von der Ihr sprecht?“

„Er ist ein Deutscher, der sich Fred Hammer nennt.“

„Hat er Söhne, Boy?“

„Zwei Töchter.“

„Hübsch?“

„Weiß nicht, Boy. Seht sie Euch selber an!“

Es ärgerte ihn, daß ich ihn auch Boy genannt hatte, das konnte ich deutlich sehen. Er wurde ruhig und sprach nicht wieder, bis wir vor dem Thore des Farmhauses anlangten.

„Wen bringst du hier, Tim?“ fragte der Vater, der grade im Hofe stand und die Truthühner fütterte.

„Weiß nicht, was er ist; ein Master William Jones aus Kanada, glaube ich.“

Welcome, Sir! Steigt herunter und kommt herein!“

Er gab ihm die Hand, führte ihn in die Stube und überließ es mir, für das Pferd Sorge zu tragen. Als ich damit fertig war und nachfolgte, stand der Fremde vor Mary, die während meiner Abwesenheit auf Besuch gekommen war, und kniff sie in die Wangen, indem er zu ihr sagte:

Damn, seid Ihr eine allerliebste hübsche Miß!“

Sie errötete über diese Beleidigung, hatte aber sofort das rechte Wort auf der Zunge:

„Habt Ihr vielleicht einen Schluck Whiskey zu viel, Sir?“

„Wohl kaum, denn in der Prairie ist dieses Labsal nicht zu finden.“

Er wollte den Arm um sie legen, bekam aber einen Stoß von ihr, daß er zurücktaumelte und den Stuhl, an welchem er sich zu halten versuchte, beinahe umgerissen hätte.

Zounds, seid Ihr ein couragiertes Weibsbild! Mögt wohl ein ander Mal zahmer sein!“

Das ging mir an die Galle. Ich trat ihm näher und ließ ihn meine Fäuste ein ganz klein wenig sehen.

„Diese Miß ist meine Braut, und wer sie ohne meine Erlaubnis anrührt, kann sehr leicht einige Zoll Bowiekneif zu kosten bekommen. Hier zu Lande gilt das Gastrecht heilig, und wer dies vergißt, wird danach behandelt, Boy!“

„Alle Wetter, versteht Ihr eine Rede zu halten, mein junge! Also eine Braut habt Ihr schon? Well, so trete ich zurück!“

Er hing seine Büchse an die Wand und machte es sich so bequem, als ob er zur Familie gehöre. Der Mann gefiel weder mir noch dem Vater, und auch die Mutter machte sich nicht viel mit ihm zu schaffen. Das schien ihn aber nicht zu kümmern; er that, als habe ihm kein Mensch etwas zu sagen, und als am Abend Fred Hammer mit Betty auf eine Stunde kam, führte er das große Wort und erzählte von den Abenteuern, die er in der Prairie erlebt haben wollte.

Ich wette zehn Bündel Dickschwanzfelle, gegen einen einzigen Kaninchenbalg, daß der Mensch mit keinem Fuße in der Savanne gewesen war, denn dazu war sein ganzes Habit zu sauber. Wir ließen ihn das auch merken, und um sich aus der Affaire zu ziehen und etwas anderes auf das Tapet zu bringen, griff er in die Tasche und zog ein Packet Spielkarten hervor.

„Spielt ihr gern, Mesch’schurs?“ fragte er dabei.

„Zuweilen,“ meinte der Vater. „Der Nachbar Fred stammt aus Germany, wo man ein schönes Spiel macht, welches Skat genannt wird. Er hat es uns gelehrt, und da giebt es des Abends einen Zeitvertreib, wenn man sonst nichts Besseres vorzunehmen weiß.“

„Habt Ihr auch von dein Spiele gehört, welches man da drüben Kümmelblättchen nennt, Master Hammer?“ fragte Jones.

„Nein.“

„Hier im Lande heißt es three carde monte und ist das schönste Spiel, welches es giebt. Ich habe es zwar nur ein einziges Mal gesehen und bin ein Lehrling dabei; aber ich werde es Euch doch einmal zeigen.“

Es ist wahr, dieses three carde monte gefiel uns allen, und es dauerte gar nicht lange, so hatten wir uns darein vertieft, und selbst die Frauen wagten einige Cents zu setzen. Es schien wirklich so, daß Jones nichts davon verstand; wir gewannen, und es dauerte nicht lange, so mußte er in die Goldstücke greifen, deren er eine ganze Menge bei sich trug. Wir wurden mutiger, und setzten mehr; das Glück begann zu wanken, so daß wir das Gewonnene verloren und zum eigenen Gelde greifen mußten. Einzelne Treffer lockten uns immer weiter, Die Frauen hatten längst wieder aufgehört, und auch ich zog mich zurück. Vater und Fred Hammer wollten ihr Geld wieder gewinnen; sie setzten immer größere Summen, und trotz meiner Mahnungen und der Bitten der Ladies gewann das Spiel für beide immer größere Gefährlichkeit.

Da bemerkte ich plötzlich eine eigentümliche Bewegung von Jones: im Nu hatte ich seinen linken Arm ergriffen und zog ihm das Treffblatt aus dem Ärmel hervor. Er hatte mit vier Blättern gespielt und war ein Falschspieler. Er sprang empor.

„Was geht Euch meine Karte an, Boy?“ rief er zornig.

„Ebenso viel wie uns unser Geld, Sir!“ antwortete der Vater und strich sofort den ganzen Gewinn, den Jones vor sich liegen hatte, zu sich herüber.

„Her mit den Dollars! Sie gehören mir, und wer sich daran vergreift, ist ein Dieb!“

„Stop, Sir! Wer die Karte fälscht, ist ein Betrüger, der wieder hergiebt, was er nahm. Geht zu Bett, und macht Euch morgen früh von dannen! Nur das Gastrecht verhindert mich, Euch zu zeigen, wie man ehrlich three carde monte spielt.“

„Euer Gast? Ich bin es keinen Augenblick länger. Ich werde sofort Euer Haus verlassen, nachdem ich das geraubte Geld zurückbekommen habe!“

Well! Ich lege Eurem Gehen nicht das mindeste in den Weg. Geht dorthin, woher Ihr gekommen seid; die Prairie ist es sicher nicht. Eure Kasse sollt Ihr zurückerhalten, von dem Unsrigen aber nicht einen Penny. Tim, führe sein Pferd vor das Thor!“

Damn, wollt ihr so? Dann sollt ihr den Kanada-Bill kennen lernen!“

Er griff zum Messer. Da erhob sich auch Fred Hammer und legte ihm die Hand schwer auf die Schulter. Er war eine gewaltige Figur und liebte zu schweigen; aber wenn er einmal ein Wort sagte, so wußte man auch ganz genau, was seine Meinung sei.

„Thut den Kneif weg, Mann, sonst zerdrücke ich Euch hier zwischen meinen zehn Fingern wie Pfefferkuchen,“ warnte er. „Nehmt Eure Kasse, packt Euch von hinnen und kommt uns nicht wieder unter die Augen. Wir sind ehrliche Leute und verstehen gar wohl, einem Menschen Eures Gelichters zu zeigen, wohin der Weg zum Paradiese geht!“

Jones merkte, wie sein Stecken zu schwimmen begann. Er mußte auf alle Fälle den kürzeren ziehen und gab nach.

„So zeigt her! Aber merkt euch dieses three carde monte; ihr werdet den Gewinn doch noch bezahlen!“

„Eure Drohung gilt uns gerade so viel wie der Spinnenfaden in der Luft. Zähl ab, Nachbar; dann mag er sich trollen!“

Er bekam, was er zu fordern hatte, und ging. Unter der Thüre wandte er sich noch einmal um und drohte:

„Also denkt daran! Das Geld hole ich mir, und – und spreche auch noch mit dieser hübschen Miß!“

Hätten wir ihm doch auf der Stelle eine Kugel gegeben! –

Einige Zeit später mußte ich hinunter nach Little Rock, um Verschiedenes für die Hochzeit einzukaufen. Ich hatte es bei der Rückkehr sehr eilig und war sogar des Nachts geritten, so daß ich am Morgen auf der Farm anlangte. Sie war verschlossen und weder Pferd noch Rind zu sehen. Ich eilte voll Besorgnis hinüber zu Fred Hammer und fand es bei ihm ebenso. Mich erfaßte eine entsetzliche Angst; ich gab dem Pferde die Sporen und jagte hinauf zu Nachbar Holborn. Er wohnte, wie ich schon dem Kanada-Bill gesagt hatte, fünf Meilen entfernt. Ich legte diese Strecke in nicht einer Stunde zurück. Als ich an der Fenz abstieg, kamen Betty und die Mutter aus dem Hause geeilt.

„Um Gottes willen, ihr weint! Was ist geschehen?“ fragte ich sie.

Unter vielem jammern und Schluchzen erzählten sie mir, was geschehen war.

Betty hatte mit dem Vater Maiskolben geknickt, und Mary war allein daheim geblieben. Das Feld lag in ziemlicher Entfernung von dem Hause, dennoch aber war es ihnen gewesen, als ob sie von dort her den unterdrückten Schrei einer weiblichen Stimme gehört hätten. Sie sprangen hinzu und kamen grade zur rechten Zeit, um zu sehen, daß ein Trupp Männer davonsprengte, von denen einer das gefesselte Mädchen vor sich quer über dem Sattel liegen hatte. Sie waren am hellen Tage eingebrochen und hatten meine Braut entführt. Im Hause lag alles durcheinander; das Geld, Kleider und Waffen nebst der vorhandenen Munition waren verschwunden und die Pferde aus der Umzäunung getrieben worden, um eine sofortige Verfolgung unmöglich zu machen.

Fred Hammer lief zum Vater. Auch hier fehlten die Pferde. Man fing mit Mühe zwei derselben ein; die beiden Männer bewaffneten sich; Mutter und Betty mußten aufsteigen; die Farmen wurden verschlossen und sämtliche Rinder und sonstige Tiere hinüber zu Holborn getrieben, wo sie bis auf weiteres bleiben sollten. Auch der Nachbar nahm seine Kentuckybüchse zur Hand, stieg auf, und dann machten sich die drei Männer, nachdem sie die Weisung zurückgelassen hatten, daß ich ihnen bei meiner Rückkehr sofort folgen solle, ungesäumt hinter den Räubern her.

„Welche Richtung haben sie eingeschlagen?“ fragte ich.

„Den Fluß hinauf. Sie wollen dir deutliche Zeichen zurücklassen, damit du sie nicht verfehlen kannst.“

Ich nahm ein frisches Pferd und jagte davon. Es war schon öfters von einer Bande Bushheaders erzählt worden, welche von dem Mittellaufe des Arkansas bis hinauf zum Gebiete des Missouri ihr Wesen trieben, doch waren wir immer ohne Sorge geblieben, da sie sich niemals in unserer Nähe gezeigt hatten. Sollte der Kanada-Bill sie beredet haben, ihm zur Befriedigung seiner Rache behilflich zu sein? Ich hatte in mir einen Grimm, Mesch’schurs, der seinesgleichen sucht, so daß ich mich ohne Bedenken mitten unter sie hineingestürzt hätte, und wenn es ihrer hundert gewesen wären.

Ich fand die versprochenen Zeichen. Es war von Zeit zu Zeit ein Ast abgebrochen oder ein Schnitt in die Baumrinde gemacht worden, und ich kam also ohne großen Aufenthalt immer schnell vorwärts. So ging es bis zum Abend, wo mich die Dunkelheit zwang, Halt zu machen. Ich pflockte mein Pferd an und wickelte mich in die Decke. Die Wipfel des Waldes rauschten über mir, und in mir tobte der Sturm; ich konnte weder Schlaf noch Ruhe finden. Schon beim Tagesgrauen nahm ich den Weg wieder unter die Hufe und kam noch am Vormittag an die Stelle, wo der Vater mit den andern beiden gelagert hatte. Die Asche ihres Feuers war feucht vom Morgentau, ein sicheres Zeichen, daß auch sie sich früh erhoben hatten.

So ging es bis zur Mündung des Kanadian. Der Wald ward hier dichter; die Zeichen wurden immer deutlicher und frischer. Ich drang in größter Eile vorwärts, und mein gutes Tier zeigte trotz des angestrengten Rittes noch keine Spur von Ermüdung.

Da vernahm ich plötzlich eine laute tiefe Männerstimme, welche mit mächtigem Schalle in den Forst hineinsprach. Die Worte waren englisch; es mußte also ein Weißer sein, der sich so unvorsichtig vernehmen ließ. Ich lenkte mein Tier der Stelle zu, an welcher er sich befand. Was denkt ihr wohl, was ich erblickte?

Auf einem alten Baumstumpfe in der Mitte einer kleinen Lichtung stand ein Mann, fuhr mit den Händen in der Luft herum und hielt den Sykomoren- und Hikorystämmen eine Rede, die er bei einem Campmeeting nicht besser und schö ner hätte anbringen können. Ich bin ein ziemlich eigener Kopf und gebe nicht viel auf das, was mir vorgesprochen wird, aber dieser Mann hatte eine Stimme und eine Art des Ausdruckes, die mir das Lachen benahm, in das ich beinahe ausgebrochen wäre, weil es mir ganz verteufelt wunderlich vorkam, daß einer mitten im Urwalde den Käfern und Mosquitos eine Predigt hielt.

Ich konnte schon in der Ferne sein Gesicht deutlich erkennen. Er war lang und stark, frisch, derb und zähe, wie ein echter, richtiger Yankee, hatte eine scharf hervorspringende Nase, spiegelblanke Augen ohne Lug und Trug, einen breiten, scharfen Mund, ein eckiges, kräftiges Kinn und konnte trotz der Gutmütigkeit, die ihm anzusehen war, doch vielleicht auch ein wenig verschmitzt und listig sein, wenn er es für gut hielt.

Vor dem Stumpfe, auf welchem er stand, lagen eine gewaltige Axt, eine gute Büchse und noch einiges andere, was man in jenen Gegenden vonnöten hat. Es war augenscheinlich, daß sich der Mann im Reden übte, und er schien mir ganz zu einem Self-man gemacht zu sein, der es versteht, sich durch Not, Kampf und Arbeit zu einer besseren Stelle, als sie der Westen bietet, emporzuringen.

Ich vernahm jedes seiner Worte:

„Was meint ihr? Die Sklaverei sei eine heilige und notwendige Sache, welche weder durch Gewalt noch Gründe abzuschaffen sei? Ist die Bedrückung eines Menschen, die Verachtung und Peinigung einer ganzen Menschenrasse heilig? Ist es notwendig, ein abscheuliches Eigentumsrecht auf Menschenkräfte zu legen, welche für guten Lohn weit besser und weit treuer arbeiten würden? Ihr wollt weder Gründe hören, noch irgend eine Gewalt anerkennen? Nun wohl, ich werde euch dennoch Gründe sagen, und laßt ihr sie nicht gelten, so wird sich dennoch eine unwiderstehliche Gewalt erheben, die euch die Negerpeitsche zerbricht, den Eigennutz aus dem Herzen reißt und alles zermalmen und vernichten wird, was sich ihr in den Weg zu stellen wagt. Ich sage euch, es wird eine Zeit kommen, in – –“

Er hielt mitten in seiner Rede inne; er hatte mich bemerkt. Im nächsten Augenblick war er vom Baumstumpf herunter, hatte die Büchse zum Schusse erhoben und rief:

„Stopp, Mann, keinen Schritt weiter! Wer seid Ihr?“

Pshaw! Legt das Schießzeug nur immer beiseite. Ich habe keine Lust, Euch aufzufressen, oder ein rundes Stück Blei in den Leib zu bekommen!“ antwortete ich.

Ein zweiter, schärferer Blick mußte ihn von der Friedfertigkeit meiner Person überzeugt haben. Er nahm das Gewehr nieder, nickte mit dem Kopfe und forderte mich auf:

Well! So kommt einmal her und sagt, wer Ihr seid!“

„Ich heiße Tim Kroner, Sir, und komme seit gestern längs des Flusses herauf, um eine Bande Bushheaders zu verfolgen, welche mir die Braut geraubt haben.“

„Und mein Name ist Lincoln, Abraham Lincoln. Ich komme von den Bergen herunter und will mir hier ein Floß zimmern, um das Holz im Süden zu verkaufen. Ich bin erst seit einer Stunde hier. Eine Bande Bushheaders, die Eure Braut geraubt haben, sagt Ihr? Wie stark sind sie wohl?“

„Zehn bis zwölf Köpfe.“

„Zu Pferde?“

„Ja.“

Bounce! Ich habe vor ganz kurzer Zeit eine Spur von grade so viel Pferden quer durchschnitten und eine ähnliche ganz hier in der Nähe wiedergefunden; doch schien es mir, als ob die letztere ein Dutzend Hufe mehr gezeigt hätte.“

„Das ist mein Vater mit zwei Nachbarn, die ihnen schon vor mir gefolgt sind.“

„Stimmt! Ihr seid also vier gegen zwölf. Wollt Ihr meine Arme haben?“

„Gern, wenn Ihr sie mir leiht!“

„Gut. Come on!“

Er nahm seine Sachen zu sich, hing die Büchse auf die eine und warf die Axt über die andere Schulter. Dann schritt er vorwärts, als ob es sich ganz von selbst verstehe, daß ich ihm folgen müsse.

„Wohin, Sir?“ fragte ich, da er eine Richtung einschlug, die meine frühere im Winkel schnitt.

„Den Männern nach; was sonst! Ein Stück weiter oben haben sich die Bushheaders vom Flusse weg nach Norden gewandt, und wir kürzen den Weg, wenn wir schon jetzt dasselbe thun.“

Er hatte eine so eigene, sichere Art und Weise, daß es mir gar nicht einfiel, ihm zu widersprechen. Ich ließ ihn daher voranschreiten und hielt mein Pferd hart hinter ihm. Sein Schritt war lang und ausgiebig, wie man ihn selten findet, und wäre ich nicht beritten gewesen, so hätte es mich sicher nicht wenig Mühe gekostet, ihm zu folgen. So ging es fort, bis er an einer Stelle halten blieb und auf den Boden zeigte.

„Hier ist die Fährte wieder. Zwei, sechs, neun, elf, fünfzehn Pferde! Als ich die Spur vorhin überschritt, waren es nur zwölf. Die Eurigen sind also auch vorüber, und das kaum vor einer Viertelstunde, denn die niedergebogenen Halme haben sich noch nicht wieder empor gerichtet. Laßt Euer Tier ausgreifen, damit wir sie bald erreichen!“

In gewaltigen Schritten eilte er vorwärts. Wahrhaftig, ich mußte mein Tier in einen kurzen Trab setzen, um nicht zurückzubleiben.

Der Wald hatte schon längst aufgehört und war in ein niedriges, durchbrochenes Gebüsch übergegangen. Jetzt kamen wir auf eine lichte, offene Bucht, welche die Prairie tief in das Gehölz hineinschob; in der Ferne jedoch bemerkten wir wieder einen dichten Streifen starken Holzes, und zwischen ihm und uns bewegten sich drei Reiter, nach Indianersitte einer hinter dem andern. Die Sonne war verschwunden, und es wollte sich zur Dämmerung neigen, doch konnten wir sie deutlich erkennen. Lincoln hob den Arm.

„Dort sind sie. Go on!“

Er warf sich in weiten Sprüngen vorwärts, indem er den Schwerpunkt immer auf das eine Bein legte und, wenn dies müde wurde, ihn auf das andere überwechselte. Das ist die einzige Art, einen solchen Lauf lange auszuhalten. So wurde die Entfernung zwischen uns und ihnen schnell kleiner, und da sie uns bemerkten und nun stehen blieben, hatten wir sie bald erreicht.

„Endlich, Tim!“ rief uns der Vater entgegen. „Wer ist dieser Mann?“

„Ein Mister Abraham Lincoln, den ich am Flusse traf und der uns helfen will. Aber erzählt nichts; ich weiß schon alles. Macht nur vorwärts, daß wir die Räuber einholen!“

„Sie sind nicht mehr weit und werden dort im Walde ihr Lager aufschlagen wollen. Vorwärts, ehe es dunkel wird und wir ihre Spur verlieren!“

Es ging weiter, ohne Worte, aber das Messer locker und die Büchse schußgerecht in der Hand. Als wir die ersten Bäume erreichten, bog sich Lincoln nieder, um die Fährte genau zu untersuchen. Dabei sagte er:

„Laßt uns noch einmal sehen, woran wir sind, Gentlemen! Im Dunkel des Forstes läßt sich das nicht mehr sehen. Hier diese Hufeindrücke sind die tiefsten; das Pferd hat eine schwerere Last zu tragen als die andern; es wird also dasjenige sein, welches den Reiter und das Mädchen zu schleppen hat. Und seht, es lahmt; der linke Hinterfuß stößt nur mit der vordern Schärfe auf den Boden. Sie werden ihm Ruhe gönnen müssen und bald absteigen.“

Well, Sir, ich gebe Euch recht,“ meinte der Vater. „Macht rasch weiter, Leute!“

„Stopp, Mister! Das wäre ein ganz gewaltiger Fehler. Ich rechne, daß sie höchstens eine Viertelstunde vor uns sind, und vielleicht haben sie sich schon gelagert. Wollt Ihr Euch durch die Pferde verraten und uns den schönen Spaß verderben?“

„Richtig, wir müssen die Tiere zurücklassen! Aber wo?“

„Da drüben ist ein Wildkirschengebüsch; dort sind sie sicher, wenn Ihr sie fest anhobbelt [Fußnote].“

So geschah es, und dann gingen wir zu Fuß wieder vorwärts. Lincoln schritt voran; wir mußten ihn ganz unwillkürlich als unsern Führer anerkennen. Seine Vermutung hatte ihn nicht getäuscht, denn wir waren noch nicht weit vorgedrungen, so witterten wir einen brenzlichen Geruch und sahen dann auch einen hellen Rauch, der sich droben zwischen den Kronen der Bäume einen Ausweg suchte.

Jetzt galt es, auch das kleinste Geräusch zu vermeiden. Hinter jedem Baume Deckung suchend und die Zwischenräume blitzschnell überspringend, schlichen wir uns immer näher und bemerkten nun das Feuer und elf Männer, welche sich um dasselbe gelagert hatten. Zwischen ihnen saß Mary, totenbleich, an den Händen gefesselt und mit tief zur Erde gesenktem Kopf.

Diesen Anblick konnte ich nicht ertragen. Ohne nach der Ansicht der andern zu fragen, erhob ich das Gewehr.

„Halt,“ warnte Lincoln, „es fehlt einer und – –“

Da krachte aber schon mein Schuß. Die Kugel war dem Manne, auf den ich gezielt hatte, mitten in die Stirn gedrungen. Im Nu standen die andern auf den Füßen und hatten die Waffen ergriffen.

„Feuer und dann drauf!“ kommandierte Lincoln.

Mir galt dieser Ruf nicht mehr, denn ich hatte schon die Büchse fortgeworfen, war zu Mary hingesprungen und kniete bei ihr, um den Riemen zu durchschneiden, der ihre Hände umschlungen hielt.

„Tim, ist’s möglich!“ rief sie und schlug vor Entzücken die befreiten Arme um mich, daß ich mich kaum zu rühren vermochte.

„Laß los, Mary, es giebt jetzt mehr zu thun!“ bat ich sie.

Ich zog das Messer und sprang auf. Gerade vor mir schlug Lincoln einem die Axt über den Kopf, daß der Mann lautlos zusammenbrach. Es war der letzte der Elf. Man hatte von beiden Seiten nur einmal geschossen und dann zur Klinge gegriffen.

„Tim, um Gottes willen!“ rief in diesem Augenblick Mary und stürzte sich, nach einem Baume zeigend, an meine Brust.

Ich warf den Blick hinüber und gewahrte den Lauf eines Gewehres, welches gerade gegen uns gerichtet war. Der Schütze stand hinter dem Stamme verborgen.

„Das ist für das three carde monte!“ rief eine Stimme.

Noch ehe ich eine Bewegung machen konnte, blitzte es auf; ein schneller Ruck ging mir durch die Muskel des Oberarmes, ein Schrei von Marys Lippen: ihre Arme ließen mich los, und sie glitt zu Boden. Die Kugel war mir durch den Arm und ihr in das Herz gegangen.

„Drauf!“ knirschte es neben mir.

Es war der Vater. Den Büchsenkolben erhebend, stürzte er sich gegen den Stamm, ich ihm nach. Da blitzte es aus dem zweiten Laufe; eine Gestalt, die ich nicht genau erkennen konnte, eilte von dannen; der Vater lag, durch die Brust getroffen, zu meinen Füßen. Fast wahnsinnig vor Wut, stürzte ich mich dem Entfliehenden nach. Zu sehen vermochte ich ihn nicht mehr, aber die Richtung wußte ich doch. Schon nach wenigen Sprüngen kam ich an den Platz, wo sie die Pferde angehobbelt hatten. Die Tiere waren weg, und nur die Enden der rasch durchschnittenen Lassos staken an den Pflöcken in der Erde. Ich mußte erkennen, daß ich den Mann nun nicht mehr erreichen könne; er war beritten und ich nicht.

Als ich zum Kampfplatze zurückkehrte, hatte man die beiden Leichen nebeneinander gelegt, und Lincoln war beschäftigt, sie zu untersuchen.

„Kein Leben mehr, Mesch’schurs, keine Spur von Leben!“ sagte er.

Ich konnte kein Wort hervorbringen, auch Fred Hammer nicht; es giebt eine Qual, die das Herz verkohlt, ohne daß nach außen ein einziger Laut zu hören ist. Lincoln erhob sich, bemerkte, daß ich wieder zurück war, und sagte zürnend zu mir:

„Das wäre nicht geschehen, wenn Ihr mit dem Schusse bis zur rechten Zeit gewartet hättet. Ich rechne, das wenige Pulver und die kleine Kugel kosten Euch die Braut und den Vater, und es wird gut sein, wenn Ihr ein anderes Mal die Vorsicht mehr zu Rate zieht!“

„Könnt Ihr es beweisen, Sir?“ fragte ich.

„Beweisen? Pshaw! Nach dem Tode hört der Beweis auf! Wir mußten sie umzingeln und auf ein Zeichen unsere Büchsen alle zugleich losdrücken. Jeder von uns hatte einen Doppellauf, macht zehn Mann, ehe sie nur an Widerstand hätten denken können. Und Euren, three carde monte-Mann hätten wir während des Umschleichens sicher auch abgefangen, so daß er nicht zum Schuß gekommen wäre!“

Das war die rechte Lehre, im rechten Augenblick gegeben, Gentlemen. Ich habe sie und diesen Augenblick niemals vergessen, darauf könnt Ihr Euch verlassen.“ –

Der Erzähler seufzte tief auf, machte eine Pause und strich sich dabei mit der Hand über das Gesicht, als ob er die traurige Erinnerung fortwischen wolle. Dann trank er sein Glas aus und begann von neuem:

„Wenn das Wild über die Savanne saust oder durch den stillen Busch schleicht, so hinterläßt auch der kleinste, leiseste Huf eine Spur, welcher der Jäger zu folgen vermag, das wißt ihr alle, Gentlemen. Und wenn die Tage, Monate und Jahre wie im Sturme über den Menschen dahinfliegen oder langsam und heimtückisch durch sein innerstes Leben schleichen, so gibt es Fährten im Gesicht und Fährten im Herzen, denen man nur nachzugehen braucht, um die Ereignisse aufzustöbern, welche ein Menschenkind gerade zu dem machen, was es geworden ist.

Ich wollte ein fleißiger Farmer sein und ein fleißiger Farmer bleiben, aber mein Stecken war doch nach einer andern Richtung hin geschwommen. Mary war tot, der Vater tot; die Mutter nahm sich das so sehr zu Herzen, daß sie bald zu kränkeln begann und sich dann zum Sterben hinlegte; ich konnte es nicht länger da aushalten, wo ich früher so glücklich gewesen war, verkaufte die Farm um ein Billiges an Fred Hammer, der sie an die seine zog, warf die Büchse über die Schulter und ging nach dem Westen, gerade eine Woche vorher, ehe die Betty Hammer einen Mulatten heiratete, der ein sehr hübscher Kerl war und braver, als die Farbigen gewöhnlich zu sein pflegen.

Das war damals ein reges, munteres Leben dahinten in den dark and bloody grounds, besser, viel besser als jetzt; das sage ich euch, und darum könnt ihr’s glauben. Die Rothäute kamen um ein Beträchtliches weiter ins Land herein als heutzutage, und man mußte die Augen offen halten, wenn man sich nicht eines Abends zum Schlafe hinlegen und dann des Morgens ohne Skalp in den ewigen Jagdgründen erwachen wollte. Doch, das war nicht so schlimm, denn etliche drei, vier und auch mehr Indsmen kann man sich schon noch vorn Leibe halten; aber es trieb sich neben den Roten auch allerlei weißes Gesindel dort herum, so etwa was man im Osten Runners und Loafers nennt, oder wie die Tramps, die in neuerer Zeit dem ordentlichen Manne so viel zu schaffen machen, und diese Kerls waren bösartig und durchtrieben genug und mehr zu fürchten, als alle Indianer zwischen dem Missisippi und dem großen Meere zusammengenommen.

Einer besonders machte viel von sich reden, der ein so verwegener Satan war, daß sein Ruf sogar bis hinüber in die Länder des europäischen Kontinentes gedrungen ist. Ihr werdet erraten, wen ich meine, nämlich den Kanada-Bill. Wißt ihr denn aber auch, daß er von Geburt nichts anderes ist, als ein englischer Zigeuner? Er kam zuerst nach Kanada und trieb dort einen ganz leidlichen Pferdehandel, bis er gewahrte, daß mit der Karte doch ein Merkliches mehr zu verdienen sei. Er legte sich auf das three carde monte, und machte mit demselben zunächst die britischen Kolonien unsicher, bis er es zu einer solchen Meisterschaft gebracht hatte, daß er sich auch über die Grenze herüber zu den offenköpfigeren Yankees wagen konnte. Nun trieb er sein Wesen zunächst im Norden und Osten, beutelte die pfiffigsten Gentlemen bis auf den letzten Penny aus und suchte dann den Westen auf, wo er außer dem Spiele noch allerhand Allotria trieb, die ihn zehnmal an den Strick gebracht hätten, wenn er nicht so schlau gewesen wäre, stets den richtigen Beweis abzuschneiden. Hatte er’s bei mir nicht grad ebenso gemacht? Ich wußte, wer der Mörder Marys und des Vaters war; ich konnte tausend Eide auf ihn schwören; aber hatte ich ihn gesehen, als er schoß? Nein, und darum war es unmöglich, eine regelrechte Jury über ihn zusammenzubringen. Aber geschenkt war ihm nichts, darauf könnt ihr euch verlassen; eine gute Büchse ist die beste Jury, und ich wartete bloß darauf, daß mich mein Weg einmal mit ihm zusammenführen werde.

Ich war schon lange nicht mehr grün im Fache, hatte eine gute Faust, ein helles, offenes Auge, einen gesunden Körper und hinter mir einige Jahre voller Mühe und Erfahrung. Zuletzt war ich am oberen Laufe des alten Kansas auf Biber gewesen, hatte einen hübschen Fang gemacht, die Felle an einige Companymänner, welche mir begegneten, verkauft und suchte mir nun eine passende Gelegenheit nach dem Missisippi, denn ich wollte ein wenig hinüber nach Texas, von dem damals so viel erzählt wurde, daß einem die Ohren ordentlich klangen.

Freilich gab es dabei mancherlei Schwierigkeiten, denn die Gegend, durch welche in den Pfad nehmen mußte, war ganz verteufelt unsicher. Die Creeks, Seminolen, Choctaws und Komantschen lagen einander in den Haaren, bekämpften sich bis auf die Messerspitzen und behandelten dabei jeden Weißen als gemeinschaftlichen Feind. Es galt also, die Augen und Ohren offen zu halten. Mein Weg führte mich mitten durch das Kampfgebiet, und ich war ganz allein, also nur auf meine eigene Vorsicht und Ausdauer angewiesen. Sogar ein Pferd mangelte mir; die Companymänner hatten es mir abgeschachert, und ich war darum gezwungen, auf meinen alten Mokassins zu reiten. So hielt ich ungefähr immer auf Smoky-Hill zu und konnte nach meiner Berechnung nicht mehr weit vom Arkansas sein. Ich traf immer mehr Wasserläufe, die sich nach ihm hinzogen, und stieß auf allerlei Getier, welches nur an den Ufern großer Flüsse zu finden ist.

So schritt ich durch den Wald und stieß ganz unerwartet auf die Spur menschlicher Fußtritte. Sie rührten von einem Weißen her, denn die Zehenteile der Fußstapfen standen auswärts und nicht, wie es bei einem Indianer der Fall gewesen wäre, einwärts. Ich folgte den Spuren mit der größten Vorsicht und blieb nach einer Weile verwundert stehen. Eine laute menschliche Stimme ertönte, und ich vernahm aus den Worten, daß eine zahlreiche Zuhörerschaft vorhanden sein müsse.

„So ist vorhin von dem Prokurator gesagt worden, Gentlemen und Ladies, die ihr vor dem Richterhofe versammelt seid, um zu sehen und zu hören, in welcher Weise sich ein Mann, der des Mordes beschuldigt wird, auf der Anklagebank benimmt. Jetzt nun komme endlich auch ich, der Verteidiger dieses Mannes, an die Reihe und werde euch beweisen, daß er vollständig unschuldig ist. Denn das muß ich euch sagen, ich heiße Abraham Lincoln, und der ehrenwerte Sir, dem dieser Name gehört, nimmt nur dann das Mandat eines Klienten an, wenn er die Überzeugung gewonnen hat, daß damit nicht die Verteidigung eines Schurken verbunden ist – –“

„Lincoln, Abraham Lincoln?“ dachte ich. „Da brauche ich nicht zu zögern. Vorwärts, hin zu den Gent’s und Ladies, mit denen er spricht!“

Ich schritt rasch vorwärts. Wahrhaftig, da glänzte mir die helle Fläche des Stromes zwischen die Bäume hindurch entgegen, und auf dem Wasser bemerkte ich die erste Stammlage eines angefangenen Floßes. Darauf stand Lincoln, nicht mit Gentlemen und Ladies, sondern allein, ganz allein, hielt ein aufgeschlagenes Buch in der Linken und focht zur Begleitung seiner Rede mit der Rechten in der Luft herum, als wolle er die Schnaken und Libellen fangen, die über den Wogen spielten.

Er bemerkte mich, als ich an das Ufer trat, ließ sich aber nicht im mindesten stören.

Good day, Master Lincoln! Darf ich ein wenig hinüber zu Euch?“

„Wer ist das? By god, das ist Master Kroner, der sich um seine Braut geschossen hat! Bleibt noch zwei Minuten am Lande, damit ich meine Rede erst vollenden kann! Es kommt sehr viel darauf an, daß ich sie fertig bringe, denn ich habe einen Unschuldigen zu retten, der einen Mord begangen haben soll!“

„So macht fort! Ich werde mich bis dahin hier niedersetzen.“

Ich kann euch sagen, Mesch’schurs, die Rede, welche er that, war ausgezeichnet, und hätte die Sache auf Wirklichkeit beruht, so wäre der Mann ganz sicher freigesprochen worden, Der ganze Vorgang kam mir keineswegs lächerlich vor, denn ich mußte ja bemerken, daß Lincoln sich hier in der Wildnis auf das Amt eines Lawyer vorbereitete. Als er fertig war, sprang ich zu ihm hinüber. Er streckte mir die Hand entgegen.

Welcome, Master Kroner! Wie kommt Ihr hierher zum alten Kansas?“

„Ich war einige Zeit lang droben in Colorado und den Spanish Peaks, habe eine gute Biberernte gehalten und will nun hinunter zum Missisippi, um ein wenig nach Texas zu gehen.“

„Ja, warum geht Ihr denn eigentlich nach dem Westen und bleibt nicht daheim auf Eurer Farm, wo es mir damals trotz der beiden Toten für mehrere Tage so wohl behagte?“

Ich erzählte ihm das Nötige. Er schüttelte mir darauf noch einmal die Hand.

„So ist’s recht! Das Herzeleid ist ein schlimmer Gesell, und man darf sich nicht mit ihm an einen Ort fesseln und zusammenbinden lassen, sondern man schafft es hinaus in das Weite, wirft es hin und kehrt dann als freier Mann zurück. Ich bin noch immer, was ich damals war: ich fälle Holz, wo es mich nichts kostet, und schaffe es dahin, wo ich einen guten Dollar dafür erhalte. Aber dieses soll mein letztes Floß sein, welches ich zusammenhänge; dann gehe ich nach dem Osten und sehe, ob ich dort etwas Besseres zu schaffen vermag. Wäre ich hier fertig, so könntet Ihr mit mir fahren, leider aber werde ich noch gegen vierzehn Tage zubringen.“

„Das thut nichts, Sir! Wenn es Euch recht ist, bleibe ich doch bei Euch. Einem Westmanne kommt es auf eine Woche mehr oder weniger nicht an, und wenn Ihr mir erlaubt, Euch zu helfen, so werden wir in der halben Zeit fertig, was Ihr gewiß nicht für einen Schaden halten werdet.“

„Mir ist’s sehr recht, wenn Ihr bleiben und ein wenig helfen wollt, denn das wird mir auch in anderer Beziehung von Nutzen sein. Die Indsmen schwärmen nämlich seit kurzem wie die Mücken hier umher, und da gelten zwei Männer mehr als einer, wie Ihr wohl wißt. Oder habt Ihr die Büchse immer noch fünf Minuten vor der rechten Zeit bei der Hand?“

„Keine Sorge, Sir! Tim Kroner ist ein besserer Kerl geworden und wird Euch keine Schande machen.“

Well, ich hoffe es! Aber an einer Axt fehlt es, wenn Ihr mit zugreifen wollt. Man müßte da hinunter nach Smoky-Hill gehen, um sie zu holen, und könnte da auch gleich etwas Munition mitbringen, die mir auf die Neige geht.“

„Wie weit ist es hinab?“

„Zwei gute Tagreisen. Doch ließe sich die Sache auch besser und schneller machen. Man hängt noch ein Feld an das Floß, damit es mehr Widerstandskraft besitzt und sich besser regieren läßt, und fährt dann den Strom hinunter, was nicht ganz einen Tag erfordert. Die Stämme läßt man dort vor Anker und hängt sie später hinten an.“

„So werde ich gehen und holen, was wir brauchen.“

„Ihr? Könnt Ihr ein Floß regieren?“

„Wenn ich eins habe, ja, sonst aber nicht. Es wird ja klein genug werden und also nur einen Mann erfordern.“

„Aber der Rückweg ist gefährlich, falls die Indsmen sich nicht in eine andere Richtung schlagen. Es wundert mich, daß sie mir hier noch keinen Besuch abgestattet haben.“

„Es wird gehen, Sir; darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

„Gut. So ruht Euch von der Wanderung aus; ich werde mich sofort an die Arbeit machen, denn morgen muß das Floß fertig sein!“

„Ich bin nicht müde und werde helfen.“

Bounce! Ich sehe, daß Ihr ein brauchbarer Mann geworden seid. Come on also, ans Geschäft!“

Am andern Morgen schon schwamm ich auf dem Wasser. Der Strom war immer frei, hatte ein gutes Gefälle, und so sah ich, als der Abend hereinbrach, das Fort vor mir liegen. Ich lenkte an das Ufer, befestigte meine Stämme und schritt auf die Einfassung zu, welche die festen Blockhäuser umgab, die man hier Festung nannte.

Ein Posten stand vor dem Eingange. Er ließ mich passieren, als ich den Zweck meines Besuches angegeben hatte. Im ersten Hause zog ich nähere Erkundigung ein.

„Da müßt Ihr mit Colonel Butler, welcher hier befehligt, selber sprechen,“ wurde mir geantwortet. „Er befindet sich drüben im Offiziershause.“

„Wer wird mich melden?“

„Melden? Mann, Ihr befindet Euch nicht vor dem weißen Hause in Washington, sondern beim letzten Posten vor der Indianergrenze; da treibt man nicht derlei überflüssige Allotria! Wer durch die Palissaden gelassen wird, darf seine Nase grad dahin stecken, wo schon andre Nasen gewesen sind.“

Ich schritt auf das mir bezeichnete Gebäude zu und trat durch die Thür in ein Parlour, in welchem sich kein Mensch befand. Aber aus dem Nebenraume erklangen mehrere Stimmen und das Geräusch von Gold- und Silberstücken.

Die Thüre war nur angelehnt. Ehe ich eintrat, wollte ich erst sehen, mit wem ich es zu thun bekam, und warf einen Blick durch die Spalte. Inmitten des Zimmers stand eine roh zubehauene Tafel, an welcher vielleicht zehn Offiziere verschiedener Grade saßen und bei dem Lichte von einigen Hirschtalgkerzen Karten spielten. Und grad gegenüber dem Colonel, wahrhaftig, er und kein anderer war es, da saß der Kanada-Bill vor einem mächtigen Haufen von Geld, Goldstaub und Klumpen und warf die drei Blätter hin und her, daß es eine Art hatte.

Sie spielten three carde monte.

Keiner von den Männern konnte mich sehen; ich zögerte, einzutreten, und überlegte eben noch, wie ich den Bill begrüßen solle, als ich dieselbe blitzschnelle Bewegung bemerkte, mit welcher er schon damals die vierte Karte in den Ärmel geworfen hatte. Im Nu stand ich hinter ihm und hatte seinen Arm erfaßt.

„Verzeihung, Gentlemen, dieser Mann spielt falsch!“ sagte ich.

Er wollte aufspringen, kam aber nicht dazu, denn während meine Linke seinen Arm gefaßt hielt, hatte ich ihm die Rechte so fest um den Hals geschnürt, daß ihm der Atem verging und er keine Bewegung erzwingen konnte.

„Spielt falsch?“ fuhr der Oberst auf. „Beweist es! Wer seid Ihr, und was wollt Ihr hier? Wie kommt Ihr in diesen Raum?“

„Ich bin ein Trapper, Sir, und komme, mir einiges aus Eurem Store zu nehmen. Ich kenne diesen Menschen sehr genau; er heißt William Jones oder, wenn Euch der andre Name vielleicht geläufiger ist, der Kanada-Bill.“

„Der Kanada-Bill? Ist’s wahr? Er nannte sich hier Fred Fletcher. Laßt ihn doch einmal los!“

„Nicht eher, als bis Ihr Euch überzeugt habt, daß ich die Wahrheit rede. Er spielt nicht mit drei, sondern mit vier Blättern.“

„Wo ist das vierte?“

„Nehmt es ihm hier einmal aus dem Ärmel!“

Einer der Lieutenants griff zu und brachte die Karte zum Vorschein.

Zounds, Ihr habt recht, Mann, und wir sind Euch allen Dank schuldig, denn der Kerl hat uns ausgesogen beinahe bis auf den leeren Tisch. Laßt ihn nun los; jetzt hat er es mit uns zu thun.“

„Und auch so ein wenig mit mir, Gentlemen. Er hat mir zwei Personen erschossen, die mir die liebsten waren in meinem ganzen Leben, und soll jetzt still halten, bis ich mit ihm abgerechnet habe.“

„Steht es so? Wenn Ihr Eure Behauptung beweisen könnt, so ist es um ihn geschehen!“

Ich ließ die Hand von ihm. Er war beinahe erwürgt und sog die Luft in hastigen, kurzen Zügen ein, ehe ihm das volle Bewußtsein seiner Lage zurückkehrte. Dann sprang er auf.

„Was wollt – –“

Er hielt mitten in seiner Frage inne; denn erst jetzt bekam er mich vor die Augen und hatte mich sofort erkannt.

„Was dieser Mann von Euch will, werdet Ihr zu hören bekommen,“ meinte der Colonel. „Ihr seid William Jones, der Kanada-Bill?“

Damn! Geht mir mit Eurem Kanada-Bill! Ich kenne ihn nicht und heiße Fred Fletcher, wie ich Euch ja längst gesagt habe.“

„Auch gut! Der Name ist uns gleichgültig, denn nicht er, sondern die That wird gerichtet. Ihr habt falsch gespielt!“

„Ist mir nicht eingefallen, Sir! Oder haltet Ihr Euch oder diese Gentlemen etwa für Leute, bei denen man dergleichen Kunststücke riskieren kann?“

„Wir sind ein ehrliches Spiel gewohnt, und in der Voraussetzung, daß Ihr kein Gauner seid, haben wir Euch nicht auf die Finger gesehen. Hätten wir gewußt, wen wir vor uns haben, so wäre Euch der Streich nicht gelungen.“

„Hier kann von keinem Streiche die Rede sein. Ich habe ehrlich gespielt.“

„Und die Karte in Eurem Ärmel?“

„Geht mich nichts an; ich habe sie nicht hineingesteckt. Oder habt Ihr dies vielleicht gesehen, Colonel?“

„So ist sie Euch von selbst hineingeflogen!“

„Oder hineingesteckt worden. Wer mir den Arm gehalten hat, wird wohl wissen, wie sie hineingekommen ist!“

Ich konnte nicht anders, ich erhob den Arm und schlug ihm die Faust auf den Kopf, daß er auf den Stuhl niederfiel.

„Ihr führt einen guten Hieb, Master,“ meinte der Oberst lachend; „aber laßt das lieber sein; es gehört nicht notwendig zur Sache. Wir werden ihn schon zwischen die Hände nehmen, daß er genug bekommt.“

„Ich verlange, daß Ihr mich gegen solche Angriffe schützt, Sir,“ meinte Jones, indem er sich langsam wieder empor zu richten versuchte. „Ich klage diesen Menschen an, mir die Karte in den Ärmel eskamotiert zu haben!“

„Ja, ganz dieselbe Karte, welche Ihr uns einige Sekunden früher vorzeigtet. Laßt Euch wenigstens nicht auslachen! Was meint ihr, Kameraden: erkennt ihr diesen Master Jones oder Fletcher für schuldig?“

„Er hat falsch gespielt; daran ist kein Zweifel!“ erklang es rund im Kreise.

„So laßt uns ihm sein Urteil geben, und das auf der Stelle!“

Sie traten beiseite, um zu beraten. Der Kanada-Bill verriet sich. Er warf einen Blick auf den noch vor ihm liegenden Geldhaufen und einen zweiten nach dem offen stehenden Fenster. Mit einem raschen Griffe erfaßte er von der Münze so viel, als er in der Schnelligkeit zu erlangen vermochte, dann sprang er zum Fenster. Aber schon hatte ich die Büchse erhoben.

„Stopp, Master Jones! Noch einen Schritt und Ihr seid kalt!“ rief ich ihm zu.

Er blickte sich um, sah, daß es Ernst war, und blieb stehen.

„Ich zähle bis drei; liegt dann das Geld nicht wieder an seinem Platze, so gebe ich Feuer. Eins –“

Er setzte den Fuß zögernd zum Tische retour.

„Zwei – –!“

Er legte das Geld zu dem andern.

„So, jetzt setzt Ihr Euch nieder, und wartet ruhig, was geschieht!“

Ich ließ den Lauf des Gewehres sinken. Die Offiziere waren mit ihrer Beratung fertig; sie hatten natürlich den Vorgang beobachtet und traten nun wieder herbei. Der Oberst reichte mir, abermals lachend, die Hand.

„Ihr seid ein ganzer Kerl, Master – – ja, wie nennt Ihr Euch denn eigentlich?“

„Tim Kroner ist mein Name, Sir!“

„Also, Master Kroner, Ihr seid ein ganzer Kerl. Schade, daß Ihr nicht eine Stelle oder so etwas bei meinem Regimente habt!“ Und sich zu Jones wendend, fuhr er fort: „Ihr werdet für Eure Posse fünfzig gute Streiche auf die glatte Haut erhalten, Gem’man, und ich hoffe, daß sie Euch gut bekommen!“

„Fünfzig Streiche? Ich bin unschuldig und erkenne sie nicht an!“

Well, Mylord, so erhaltet Ihr sie unschuldig, und wenn Ihr sie habt, werdet Ihr sie wohl anerkennen müssen. Wollt Ihr aber nachher beim Präsidenten der Vereinigten Staaten dagegen appellieren, so will ich Euch zu diesem Zwecke einen Kreditbrief auf weitere fünfzig oder hundert schreiben. Lieutenant Welhurst, nehmt den Mann hinaus auf den Hof, und sorgt dafür, daß er auch ganz und voll erhält, was er zu beanspruchen hat!“

„Ihr dürft Euch da ganz gehörig auf mich verlassen, Cornel!“ meinte der junge Offizier, indem er auf Jones zutrat.

Go on, Mann; die Fünfzig warten draußen!“

„Ich gehe nicht von der Stelle. Ich will mein Recht!“ rief Jones.

Da fuhr der Oberst auf den Absätzen herum.

„Er ist nicht zufrieden mit seiner Ration, Lieutenant. Gebt ihm zehn mehr, also sechzig! Ich kann das wohl sagen, weil ich die Verantwortung auf mich nehme. Und geht er auch nun nicht mit, so erhält er für jede Minute weitere zehn mehr!“

„Nun?“ fragte der Lieutenant mit drohendem Blick.

„Ich muß gehen; aber dieses three carde monte werdet Ihr vielleicht nicht vergessen, denn ich werde mich an einen Richter wenden, an den jetzt keiner von euch denkt!“

Er schritt voran, und der Lieutenant folgte mit gespanntem Revolver. Jetzt wandte sich der Oberst wieder zu mir.

„Was ist’s mit dem Morde, Sir? Wenn Eure Beweise gut sind, so bilden wir auf der Stelle eine Jury und geben ihm den Strick. Ihr wißt, auf welchem Territorium wir uns befinden, und daß ich das Recht habe, kurzen Prozeß zu machen!“

Ich erzählte ihm das Nötige.

„Da steht Ihr auf schwachen Füßen, wie ich höre,“ meinte der Offizier. „Wir müssen entweder sein Geständnis oder wenigstens einen guten Zeugen haben, auf den man sich verlassen kann. Ich gebe Euch mein Wort: wenn ich ihn verhöre, so heißt er Fred Fletcher und kennt Euch nicht. Und gesehen habt Ihr ja gar nicht, daß der Kanada-Bill derjenige war, welcher geschossen hat; ja, Ihr könnt gar nicht einmal beweisen, daß er bei den Bushheaders gewesen ist. Ich werde mein möglichstes versuchen; das verspreche ich Euch; aber ich weiß genau, daß wir ihn laufen lassen müssen. Das andere ist dann allerdings Eure Sache. Sobald er und Ihr das Fort im Rücken habt, könnt Ihr ja ganz ungestört in Eurer Weise mit ihm sprechen!“

Nach einer Weile wurde der Kanada-Bill wieder hereingebracht. Sein Aussehen war ein entsetzliches. Mit blutunterlaufenen Augen stierte er im Kreise umher und schien die Züge eines jeden Einzelnen seinem Gedächtnisse einprägen zu wollen. Der Oberst begann das Verhör; es führte allerdings zu dem vorausgesagten Resultate.

„Gebt dem Manne alles wieder, was er bei sich trug, und schickt ihn dann unter sicherer Bedeckung stromabwärts fünf Meilen von dem Fort hinweg. Mag er Fred Fletcher oder William Jones heißen; er soll keinen Augenblick länger in unsern Grenzen bleiben!“

So lautete der Schlußbescheid des Colonel. Dann wandte er sich zu mir:

„Ihr seid unser Gast, so lang es Euch beliebt, Master Kroner, und nehmt dann aus unserm Magazine unentgeltlich alles, was Ihr braucht. Oder wollt Ihr dem Manne sofort nach?“

„Ja, wenn Ihr ihn nach einer anderen Richtung geschickt hättet. Aber mein Maat wartet zwei Tagereisen stromauf von hier auf mich; ich muß zu ihm und werde, da die Sachen nicht anders gefallen sind, aufbrechen, sobald ich eine gute Axt und einige Munition bekommen habe. Der Kanada-Bill, so rechne ich, wird meine Spur schon wieder kreuzen!“

Well, Sir, laßt ihn laufen! Solch‘ Ungeziefer kommt sicher wieder vor den Schuß. Die Axt und Munition sollt Ihr haben, und weil Ihr unser Geld gerettet habt, werde ich Euch ein Kanoe mit sechs Ruderern zur Verfügung stellen, welche Euch bis morgen früh wohl über den Halbstrich Eueres Weges hinausbringen werden. Das ist für Euch ein Vorteil und für sie eine Übung, die ihnen bei dem faulen Leben hier recht gut bekommen wird. Doch, nehmt Euch vor den Indsmen in acht! Ich habe weite Außenposten stehen, welche mir melden, daß unsre guten roten Brüder das Kriegsbeil ausgegraben haben.“

Er war also schon gewarnt, und ich konnte meine Bemerkungen sparen. Kaum eine Viertelstunde später saß ich, mit allem Nötigen wohl versehen, schon in der Pirogue und ließ mich von den sechs Männern im schnellsten Tempo gegen die Wogen des alten Arkansas rudern. Der Kanada-Bill war mir so schnell entgangen, wie ich ihn gefunden hatte, doch lag mir der brave Lincoln jetzt mehr am Herzen als er, und, wie ich ja auch bereits zum Colonel gesagt hatte, ich hoffte, ihn schon noch einmal wiederzusehen.

Ich bedurfte der Ruhe und schlief die ganze Nacht im Boote bis weit in den Morgen hinein, und als ich erwachte, bemerkte ich, daß die gute Hälfte meines Weges bereits zurückgelegt sei. Trotz meiner Mahnung setzten mich aber die Ruderer nicht eher an das Ufer, als bis ich ihnen sagte, daß ich unsern Lagerplatz nun noch am heutigen Tage erreichen werde. Dann kehrten sie um, und ich trat schwer bepackt meine Wanderung an.

Am späten Abend traf ich bei Lincoln ein. Er war überrascht über meine schnelle Rückkehr und hörte meinem Berichte über das Geschehene mit außerordentlicher Teilnahme zu,

„Recht so, Tim Kroner, daß Ihr den Jones gehen ließet,“ sagte er. „Ihr trefft schon noch bei einer besseren Gelegenheit auf ihn. Wundern freilich sollte es mich, wenn er die Schläge hinnähme, ohne wenigstens einen Racheversuch zu machen. Es wird mir hier zu schwül; wir wollen fest an die Arbeit gehen, damit wir baldigst von hier wegkommen!“

Wir arbeiteten nun wie die Bären; Stamm um Stamm mußte fallen, und als die Woche vergangen war, hatten wir nur noch das Schlußfeld an das Floß zu fügen.

Ich war eine ziemliche Strecke landeinwärts gegangen, um gute, haltbare Bandruten zu schneiden. Ich hatte ein hinreichendes Bündel zusammen bekommen und streckte mich zu einer kurzen Ruhe auf den Boden nieder. Es war so still rundum, daß ich jedes Blatt fallen hören konnte.

Da vernahm ich aus einiger Entfernung ein leises, ganz leises Rascheln. Es war nicht in den Zweigen, sondern auf dem Boden. War es eine Schlange, ein sonstiges Reptil oder ein Mensch? Nur mit den Finger- oder Zehenspitzen den Boden berührend, kroch ich geräuschlos auf die Stelle zu, und was meint ihr, Gentlemen, was ich sah? Einen Indianer in voller Kriegerrüstung. Es war ein Choctaw, noch jung, denn ihr wißt ja, daß manche Stämme nur die jungen Leute, um deren Mut und ihre List zu erproben, zu Kundschaftern verwenden. Jedenfalls hatte er den Auftrag, das Ufer des Flusses abzusuchen. Er hatte noch keine von unsern Spuren bemerkt und wand sich mit ziemlichem Geschicke durch die Büsche. ich hatte nicht nur einmal schon eine rote Haut geritzt und wußte, daß ich ihn nicht entkommen lassen durfte, wenn ich nicht unser Leben auf das Spiel setzen wollte. Da galt kein Zögern. Ich zog das Messer, zwei Sprünge – er wandte sich nach mir, gab dadurch die Brust frei, und in demselben Augenblick fuhr ihm die Klinge in das Herz.

Der arme Bursche konnte mich eigentlich dauern; er war ohne Kampf und auf seinem ersten Kriegspfade gefallen. Aber die Prairie ist eine grausame, unerbittliche Herrin, die keine andere Schonung kennt, als nur die eigene. Er war so gut getroffen, daß er nicht den geringsten Laut hatte ausstoßen können. Ich ließ ihn liegen, nahm mein Bündel und eilte zu Lincoln.

„Habt Ihr ein wenig Zeit, Sir?“ fragte ich ihn.

„Wozu?“

„Einen Indsman in das Wasser zu schaffen; ich traf ihn zwei Gänge von hier beim Spionieren und gab ihm das Messer.“

Ohne ein Wort zu sagen, ergriff er die Büchse und folgte mir. Bei der Leiche angekommen, bog er sich zu ihr nieder.

„Tim Kroner, Ihr habt einen famosen Stoß. Hättet Ihr den Spion nicht getroffen, so wären wir verloren gewesen. Ich sehe nun, Ihr seid wirklich ein ganzer Mann geworden. Hier meine Hand; wir sagen Du!“

„Topp! Für diese Ehre lasse ich sogar den Kanada-Bill laufen. Aber was nun?“

„Was nun? Sag deine Meinung, Tim; ich möchte sehen, ob du das Richtige triffst!“

„Wir machen das Floß, so weit wir es fertig haben, ganz fertig; das erfordert keine halbe Stunde; dann sehen wir uns nach den Indsmen um, damit wir wissen, woran wir sind. Es ist möglich, daß sie das Fort überfallen wollen, und dann müssen wir den Colonel warnen.“

„Richtig! Greif zu!“

Die Waffen des Indianers wurden unter Moos und Laub versteckt und er dann selbst so unter das Wasser befestigt, daß der Leichnam nicht emporsteigen und vor der Zeit zum Verräter werden konnte. Dann ging es über das Floß her. Die Stämme des Schlußfeldes lagen bereit. Sie bekamen einstweilen Notbänder, da wir diese später mit festeren vertauschen konnten; die bereits fertigen Ruderstangen wurden befestigt; dann brachten wir alles auf Vorrat geschossene Wild nebst den vorhandenen Kien- und Feuerspänen auf das Floß und waren nun, wenn die Not eine schnelle Abfahrt erforderte, zu derselben bereit.

Jetzt kehrten wir zu der Stelle zurück, an welcher ich den Choctaw getroffen hatte, und verfolgten von hier an seine Fährte. Sie war sehr deutlich zu erkennen, was bei einem alten Krieger sicherlich nicht der Fall gewesen sein würde, und wir kamen daher, den Blick immer zur Erde senkend, schnell vorwärts.

So waren wir bereits weit über eine Stunde durch den Wald dahingeschritten, und da es allmählich zu dunkeln begann, besorgten wir schon, daß wir die Spur nicht mehr erkennen und die Indianer nicht finden würden, als wir plötzlich bemerkten, daß wir uns nicht mehr im tiefen Forste, sondern innerhalb einer schmalen Waldzunge befanden, welche sich tief in eine freie Grasfläche schob, die entweder eine größere Lichtung oder eine weite, einschneidende Savannenbucht sein mußte.

Draußen lagen die Gesuchten im Grase oder tummelten ihre mutigen Mustangs umher. Wir zählten über dreihundert Krieger, und da es nur Choctaws waren, konnten wir vermuten, daß die ihnen verbundenen Komantschen auch in der Nähe seien. Wir standen zwischen hohen Farnkräutern und konnten das ganze Lager überblicken, wo man schon die Abendfeuer angezündet hatte. Sie wurden nicht in der unvorsichtigen Weise der weißen Jäger genährt, welche Scheit auf Scheit türmen und so zwar viel Wärme, aber auch eine hohe, verräterische Flamme und dichten Rauch erzielen, sondern nach der vorsichtigen Indianersitte, daß man die Hölzer nur mit den Spitzen in die Flamme legt und sie langsam, Rauch und Flamme regelnd, nachschiebt.

Ein Aasgeier kam über den Wald gezogen und begann, Beute witternd, seine Kreise über der Lichtung zu beschreiben. Einer der Indsmen erhob sich, richtete sein Gewehr empor, drückte los und traf so gut, daß der Raubvogel in einer immer enger werdenden Schneckenlinie zur Erde fiel. Wer der Schütze war, sollten wir sofort hören, denn:

„Uff!“ ertönte es da seitwärts von unserm Standpunkte. „Der Sohn des schwarzen Panthers ist ein großer Krieger. Seine Kugel holt die Schwalbe aus den Wolken!“

Die Worte waren in jenem wunderlichen Gemisch von Englisch und Indianisch gesprochen, dessen sich die Rothäute bedienen, wenn sie mit einem Weißen sprechen. Es steckte also jemand ganz nahe bei uns im Gebüsch, und es waren das nicht eine, sondern zwei Personen, denn wir hörten gleich darauf eine andere Stimme in demselben Idiome antworten:

„Aber auch ein unvorsichtiger Mann. Der Kundschafter ist noch nicht zurück, und wir wissen nicht, ob sich vielleicht Feinde in der Nähe befinden, welche durch den Schuß auf die roten Männer aufmerksam werden könnten.“

„Ein Weißer!“ flüsterte Lincoln. „Der Schuft ist ebenso unvorsichtig wie der Sohn des schwarzen Panthers. Er predigt ja so laut, daß man es drüben in San Francisco hören kann. By god, ohne das gute Uff wären wir den beiden ganz gemütlich in die Hände gelaufen!“

„Fürchtet sich mein weißer Bruder?“ fragte der Indianer mit stolzem Tone. „Er ist zu uns gekommen, um uns das Haus des Kriegshäuptlings zu öffnen, und Manitou hat uns eine gute Medizin gesandt, die unsre Tomahawks scharf und unsre Messer spitz und sicher macht. Das feste Haus der Weißen wird verbrannt, ihr Haupt skalpiert und ihr Pulver von uns genommen werden!“

„Und jeder Offizier muß vorher hundert Streiche leiden; so hat es mir mein roter Bruder versprochen!“

„Der schwarze Panther hat es gesagt, und er bricht nie sein Wort. Deine weißen Feinde sollen die Streiche erhalten, Howgh! Aber der rote Mann kämpft nur mit der Waffe; er schlägt keinen Feind mit der Rute. Du mußt die Streiche selbst geben!“

„Desto besser. Die Krieger der Komantschen kommen noch diese Nacht; dann sind wir stark genug, und wenn die Sonne noch einmal im Westen gesunken ist, wird das Fort vernichtet!“

Zounds, der Kanada-Bill!“ meinte ich leise.

Lincoln nickte und nahm mich bei der Hand.

„Zurück und fort von hier! Wir könnten die beiden niederstechen, hätten aber damit nichts gewonnen, sondern viel verloren. Wir müssen sofort abfahren und den Colonel warnen. Wir kennen jetzt die Zeit des Überfalles, und das ist die Hauptsache. Der Tod dieser beiden Halunken würde eine Änderung darin hervorbringen, die uns nicht lieb sein kann.“

Wir zogen uns leise und vorsichtig zurück und eilten, als wir außer Hörweite gekommen waren, mit raschen Schritten unserm Landeplatze zu. Wir wußten, daß nur ein Kundschafter ausgeschickt worden war; dieser war gefallen, und so hatten wir keine feindliche Begegnung zu fürchten.

Es war kaum eine Stunde vergangen, so schwammen wir bereits auf dem Wasser. Das Floß war größer als dasjenige, mit welchem ich nach dem Fort gekommen war, und seine Führung nahm, besonders da es Nacht war, unsere ganze Kraft und Aufmerksamkeit in Anspruch. Doch ging die Fahrt ganz glücklich von statten, und der Mittag war noch ziemlich fern, als wir bei Smoky-Hill anlegten.

Ein Peloton Infanterie hielt in der Nähe des Wassers Schießübung, welche der Colonel selbst überwachte. Er erkannte mich, bevor ich noch das Land betreten hatte.

„Ah, Master Kroner! Braucht Ihr wieder Axt und Pulver?“

„Heute nicht, Sir, sondern wir kommen, weil ich denke, daß Ihr uns braucht.“

„Ich euch? Wozu?“

Wir sprangen an das Ufer.

„Die Choctaws und Komantschen wollen heute nacht das Fort überfallen.“

„Alle Teufel! Ist’s wahr? Ich habe gewußt, daß sie sich in der Nähe umhertreiben, doch meinte ich, sie hätten mit den Creeks und Seminolen genug zu thun, denen sie noch vor drei Tagen ein hübsches Treffen geliefert haben, wie mir meine Leute berichteten.“

„Der Kanada-Bill hat sie gegen Euch gehetzt.“

„Wißt Ihr das genau, Mann? Dann ist er wieder stromauf gegangen, als ihn seine Bedeckung verlassen hat. Hätte ich dem Menschen doch die Kugel geben lassen! Erzählt!“

„Da seht Euch erst einmal meinen Maat an! Abraham Lincoln heißt er und ist ein Kerl, der es noch zu etwas bringen kann!“

Well, Master Lincoln, will es Euch wünschen! Aber nun macht, daß ich die Hauptsache erfahre!“

Wir erzählten ihm das gestrige Abenteuer.

„Schön, gut!“ lachte er, als wir zu Ende waren, in seiner sichern, überlegenen Weise. „Ich danke euch, Mesch’schurs, für den Wink und werde ihn ganz gehörig benutzen. Wollt ihr das mitansehen, oder schwimmt ihr weiter?“

„Wir bleiben hier, wenn Ihr’s erlaubt, Sir. Ein seltenes Vergnügen darf man nicht versäumen.“

„So kommt herein, und macht es euch bequem!“

„Später!“ meinte Lincoln. „Wir werden unser Floß eine halbe Meile weiter unten anlegen, damit es den Roten nicht vor die Augen kommt. Sie werden auf alle Fälle erst die Umgebung des Forts absuchen, und da ist es nicht nötig, sie wissen zu lassen, daß jemand von oben herabgeschwommen ist. Sie könnten, da ihnen der Kundschafter verloren ging, Verdacht schöpfen.“

Dieses durch die Vorsicht gebotene Vorhaben wurde ausgeführt; dann kehrten wir zum Fort zurück, wo bereits alle Vorkehrungen zum Empfange der Wilden im Gange waren. Die Außenposten wurden eingezogen, um den Indianern das Anschleichen so leicht wie möglich zu machen, die vier Kanonen mit Kartätschen geladen, und jeder Mann erhielt außer der Doppelbüchse oder dem zweiläufigen Karabiner eine Pistole und ein scharfes Bowiemesser. Die Offiziere waren ohne Ausnahme jeder mit mehr als einem Revolver bewaffnet. Es galt, gleich beim ersten Angriffe mit so viel Schüssen wie möglich die Feinde zu begrüßen.

Wir saßen am Abend mit an der Offizierstafel, und es war ganz erstaunlich, was Lincoln in der Unterhaltung für außerordentliche Kenntnisse entwickelte. Trotz seiner Bescheidenheit schlug er einen der Gentlemen nach dem andern, und als die Rede dann auf den Überfall kam, meinte er:

„Die Hauptsache wäre, sie nicht bloß zu empfangen, sondern in der ersten Verwirrung mitten unter sie hineinzufahren. Ich rechne, wenn wir erfahren könnten, wo sie die Pferde lassen, so sind sie auf alle Fälle verloren. Ihr habt ein Detachement Dragoner zur Verfügung, Cornel; laßt diese Leute nach der ersten Salve aufsitzen und sich der Pferde bemächtigen, oder – bounce, da kommt mir ein Gedanke! Habt Ihr Raketen oder sonst ein Feuerwerk in der Hand, vielleicht einige Schwärmer?“

„Die könnt Ihr haben, Sir. Was wollt Ihr damit?“

„Die Pferde versprengen. Tim, gehst du mit?“

„Natürlich!“ antwortete ich.

„So brauche ich weiter keinen, Cornel. Besorgt das Zeug, und laßt uns dann hinaus!“

„Das könnt Ihr doch unmöglich wagen!“

Pshaw! Man hat noch andre Dinge zu wagen als das. Eine Lunte oder zwei müssen wir haben, um uns nicht durch Feuerschlagen zu verraten.“

Aus Rücksicht auf uns wollte man nicht auf diesen Vorschlag eingehen; Lincoln überwand alle Bedenken, und bald schlichen wir, jeder mit einer Lunte und den nötigen Feuerwerkskörpern versehen, hinaus in den Wald.

Die Aufgabe, weiche wir uns gestellt hatten, war schwer und gefährlich, aber mit einiger Vorsicht konnte ihre Lösung gelingen. Es war anzunehmen, daß sie ihre Pferde nicht im Walde anhobbeln, sondern im Freien unter der Aufsicht einiger Leute zurücklassen würden; darum wandten wir uns so bald wie möglich nach rechts, wo sich eine Reihe von Lichtungen, wie kleine Binnenseen, in den Forst hineinzog.

Als wir am Rande der ersten dahinglitten, faßte der voranschreitende Lincoln plötzlich meinen Arm und zog mich in das Gebüsch. Er hatte sehen können, was seine Gestalt mir verdeckte: ein Indianer kam im Schatten der Bäume dahergeschlichen, neben ihm ein Weißer.

„Der Kanada-Bill mit dem schwarzen Panther!“ flüsterte Lincoln.

Es war so dunkel im Schatten, daß man das Gesicht von Jones nicht deutlich erkennen konnte, aber es verstand sich ganz von selbst, daß es kein anderer war. Die beiden gingen als Beobachter voran. In einiger Entfernung von ihnen bewegte sich eine unabsehbare Schlange von Indsmen, von denen immer einer hinter dem andern ging, und wir mußten eine sehr lange Zeit warten, bis der letzte vorüber war.

„Ein schöner Zug, Tim! Erst die Choctaws und dann die Komantschen, zusammen wenigstens sechshundert rote Felle. Der Cornel wird einen harten Stand bekommen und wir nicht minder. Ich hoffe, daß unser Feuerwerk ausreicht!“

Wir setzten unsern Weg fort und hatten kaum den Rand der zweiten Lichtung erreicht, so sahen wir im Halbdunkel der Sternennacht, was wir suchten. Mitten auf dem freien Platze lag eine dunkle Masse. Es waren die Pferde.

„Nur die von dem einen Stamme! Der andre wird die seinen weiter hinten gelassen haben. Komm!“ sagte Lincoln.

Wieder ging es vorwärts bis zu der dunklen Ecke, welche die nächste Lichtung verbarg.

Well, dort sind die andern, und auch die Wächter dabei, hier drei Mann und dort vier. Denkst du, daß wir an sie herankommen können?“

„Warum nicht? Das Gras ist hoch, und wenn wir ihnen den Wind abgewinnen, so daß uns die Tiere nicht verraten, so wird es gehen.“

„Der Indsman überfällt den Feind am liebsten gegen Morgen; diese aber dünken sich so sicher und stark, daß sie schon jetzt beginnen. Ich rechne, sie sind bereits in der Nähe des Forts angekommen; wir können also anfangen. Aber, Tim, nur Messer und Tomahawk darf arbeiten; nur keine laute Waffe!“

Er legte sich zu Boden und wand sich, unsichtbar und geräuschlos wie eine Schlange, durch das Gras. Ich folgte dicht hinter ihm. Wir kamen den drei an der Erde sitzenden Indianern so nahe, daß wir beinahe ihren Atem zu hören vermochten. Ein kleines Hufgefecht zwischen zwei Pferden verursachte ein Geräusch, welches es uns ermöglichte, bis auf Griffweite an den Rücken der ahnungslosen Männer zu kommen. Ich sah das Messer Lincolns blitzen, nahm auch das meine zwischen den Zähnen hervor und stieß zu. Zwei waren still.

„Ugh!“ rief der dritte, emporspringend, sank aber sofort, von dem Tomahawk Lincolns getroffen, wieder zusammen.

„Tot, alle drei! Tim, der Handel fängt nicht unrecht an. Nun zu den vier da drüben! Oder sind’s zu viel?“

„Für dich und mich nicht. Vorwärts!“

Dieses Mal wurde es uns nicht so leicht. Wir mußten, um den Wind gegen uns zu bekommen, einen Umweg machen, und einer von den vier Männern stand aufrecht da, so daß wir von ihm leicht bemerkt werden konnten. Unter Anwendung aller Vorteile kamen wir dennoch immer weiter an sie heran und – ja, da erscholl aus weiter Ferne ein satanisches Geheul, dem ein fürchterlicher Schwall von Schüssen folgte. Die Indianer hatten ihren Angriff auf das Fort begonnen.

„Jetzt ist alles gleich, Tim,“ flüsterte Lincoln. „Nimm den Revolver; aber keiner darf entkommen. Go on!“

Im nächsten Augenblick war er mitten unter ihnen, ich an seiner Seite. Vier leichte Knalle, einige nachhelfende Hiebe und Stiche, und wir waren auch hier Herren des Platzes.

„Das ging! jetzt brauchen wir weder Lunte, noch Feuerwerk, Tim, um ein Meisterstück auszuführen, von dem man hier noch lange erzählen soll. Es sind Indianerpferde, merk’s wohl, und gewohnt, eins hinter dem andern zu gehen. Schnell die Riemen an die Schwänze!“

Das war allerdings ein Gedanke, den nur ein Lincoln haben konnte, aber er kam nicht zur Ausführung, denn wir vernahmen jetzt die tiefen Stimmen der Kanonen und gleich darauf einen hundertstimmigen Schrei, der uns von dem Stande der Dinge sofort überzeugte.

„Es ist keine Zeit dazu; sie fliehen und werden gleich hier sein. Heraus mit den Schwärmern. Spring schnell zur andern Herde. Du brauchst die Tiere gar nicht loszupflöcken, sie reißen sich selbst los. Da drüben bei den Hickorys treffen wir uns!“

Ich eilte zu der ersten Pferdetruppe zurück, riß Feuerzeug und Lunte heraus, setzte die Zünder in Brand und warf dann alles mitten unter die Tiere hinein. Als ich zu den Hickorys kam, wartete Lincoln schon auf mich.

„Paß auf, Tim; es wird gleich losgehen!“ lachte er.

Beide Herden ließen ein verdächtiges Schnauben hören; die Tiere erkannten am Geruche die Gefahr. Da prasselte, knallte und sprühte es los, erst drüben, dann hüben; im Funkenregen sahen wir die glühenden Augen, schnaubenden Nüstern und gesträubten Mähnen der erschreckten und an den Lassos zerrenden Tiere. Dann bäumte es sich empor mit aller Kraft, wogte erst ratlos hin und her, bis es im vollen enggeschlossenen Trupp ausbrach und in der Richtung grad nach dem Fort zu dahinsauste.

„Herrlich, prächtig, Tim! Sie reißen, stürmen und treten ihre eigenen Herren nieder, von denen sicher kein einziger wieder zu seinem Tiere kommt. Ich wette, sie werfen sich in den Fluß und werden dann vom Fort aus leicht gefangen!“

Wir konnten jetzt nichts Besseres thun, als uns in das Gebüsch verbergen. Augen und Ohren blieben offen, und wenn wir auch nichts zu sehen vermochten, so hörten wir desto mehr: das Wutgeheul der enttäuschten Indsmen, welche statt ihrer Pferde die Leichen der Wächter fanden, den Galoppschlag der Dragoner, welche hinter den Fliehenden hergestürmt kamen, das Krachen der Karabiner und Pistolen, welches sich nach und nach in die Ferne verlor, und dann zuweilen ein leises Rascheln, welches von einem Flüchtlinge herrührte, der sich in das Dickicht geworfen hatte.

Erst als der Morgen zu grauen begann, verließen wir unser Versteck und traten auf die Lichtung, wo die Leichen der Getroffenen lagen. Um das Fort herum sah es wie auf einem Schlachtfelde aus; Indsman lag an Indsman, getroffen von den Kugeln der Soldaten, welche hinter den Palissaden jeder seine zwei, drei Mann genommen hatten, und vor dem Thore lag ein entsetzlicher Haufe von Leichen und zerrissenen Gliedern hochaufgetürmt; das hatten die Kartätschen gethan.

Der Colonel empfing uns strahlenden Blickes.

„Kommt herein in den Hof, wenn ihr euer Werk sehen wollt! Ich glaubte euch beinahe verloren, da ihr so spät kommt. Seht hier den Leichenturm! Das ist das Werk des Kanada-Bill, denn kein anderer hat die Roten verführt, einen geschlossenen Angriff zu unternehmen, als der erste Anprall so glanzvoll abgewiesen wurde.“

„Ist er unter den Toten?“

„Hier nicht; er müßte sich weiter draußen finden.“

Im Hofe stand eine ganze Herde eingefangener Indianerpferde.

„Schaut her, Mesch’schurs, euer Eigentum, welches ich euch abkaufen werde, wenn ihr die Tiere nicht mit auf das Floß nehmen könnt. Ich glaube, die Roten lassen es sich nicht gleich wieder einfallen, Smoky-Hill anzugreifen, und das haben wir euch zu verdanken, ohne die wir wohl verloren gewesen wären. Kommt herein, damit ihr seht, wie hoch wir den Gewinn bei diesem three carde monte rechnen können!“ – –

Der Erzähler machte eine Kunstpause, leerte sein Glas, welches ihm inzwischen wieder gefüllt worden war, sah seine Zuhörer einen nach dem andern an, welchen Eindruck er auf sie gemacht habe, nickte befriedigt und fuhr dann fort:

„Wißt ihr, Gentlemen, was ein gutes, schnelles und ausdauerndes Pferd für den Prairiemann zu bedeuten hat? Nehmt dem Luftschiffer seinen Ballon und dem Seemann sein Schiff, und beide haben aufgehört, zu existieren. Ebenso ist auch ein Savannenjäger ohne Pferd rein undenkbar. Und welch‘ ein Unterschied ebensowohl unter den Schiffen als auch unter den Pferden! Pshaw, ich will euch darüber keine Rede halten; aber wenn ich euch sage, daß ich das beste Pferd der weiten Steppe jahrelang zwischen den Leggins gehabt habe, so werdet ihr wissen, was ich meine. Ich habe es gehalten wie mich selbst, ja weit besser noch; wir hatten einander nicht nur ein- oder etlichemal das Leben zu verdanken, und als es endlich unter der Kugel eines roten Halunken stürzte, habe ich es begraben und den Skalp seines Mörders dazu gelegt, wie es sich schickt für einen Westmann.

Und von wem ich es habe, fragt ihr? Von wem anders als von dem schwarzen Panther damals in Smoky-Hill! Es befand sich unter den eingefangenen Tieren, hatte eine dunkle Pantherdecke auf dem Rücken und die Mähne voll eingeflochtener Adlerfedern, Beweis genug, daß es das Tier des Häuptlings gewesen war. Ich bestieg es und fand, daß es die feinste indianische Dressur hatte, die mir vorgekommen ist. Darum konnte ich mich nicht wieder von ihm trennen, brachte es auf das Floß, wo ich ihm einen ganz artigen und trockenen Stand herrichtete, und nahm es dann, als wir den Missisippi erreichten und ich mich von Lincoln trennte, unter den Sattel. Da hat es sich so bewährt, daß mich alle Welt um den Arrow beneidete, wie ich den Hengst nannte, und ich niemals auch nur die geringste Klage über ihn zu führen hatte.

Ich ging nach Texas, trieb mich dann einige Jahre in Neu-Mexiko, Colorado und Nebraska herum und ritt dann sogar nach Dacota hinauf, um mich ein wenig mit den Sioux herumzuschlagen, von denen selbst der schlaueste Trapper noch Klugheit lernen kann.

Da kam ich an den Black-Hills mit einigen Jägern zusammen, von denen ich eine ganz absonderliche Kunde erfuhr. Damals hatte das Ölfieber den höchsten Grad erreicht; die Quellen brachen nur so aus der Erde heraus, und wo es kein Öl gab, da gab es wenigstens viel öliges Geschrei. Freilich gab es ganze Gegenden, die von dem Brennfette trieften, und wer da das Glück hatte, sich das Vorkaufsrecht zu sichern, konnte in einem einzigen Jahre Millionen zusammenwerfen.

Davon sprachen wir, als wir um das Feuer lagen und ein saftiges Stück Büffellende über demselben brieten. Da meinte einer von den Männern:

„Kennt ihr die Hochebene, welche sich von Yankton am Missouri rechts von dem Flusse grad nach Norden zieht und sich dann in die Hudsons-Bai-Länder steil hinunterwirft? Man nennt sie das Coteau du Missouri?“

„Warum sollte man das Coteau nicht kennen? Freilich wagt sich niemand gern hinauf in die finstern, steilen Bluffs und Schluchten, wo der Redman, Bär und Luchs die Herrschaft führen und man nichts erjagen kann als einen elenden Skunk oder eine Wildkatze, die keinen Nutzen bringt.“

„Und dennoch bin ich droben gewesen und habe etwas gefunden, was ich dort nicht gesucht hätte, nämlich den größten Ölmann, den es in den Vereinigten Staaten giebt.“

„Einen Ölmann? Da droben? Wie soll das Öl hinauf auf das Coteau kommen?“

„Es ist oben, das ist genug; wie es hinaufgekommen ist, das geht mich nichts an. Ich bin drei Tage bei ihm gewesen, denn, müßt ihr wissen, der Mann hegt Gastfreundschaft wie selten einer, und hat mich gehalten wie den Präsidenten selbst. Das Öl läuft bei ihm nur so aus der Erde; trotzdem hat er aus Chicago einen Erdbohrer kommen lassen, um es aus größerer Tiefe emporzuholen; Fässer giebt es da zu Hunderten, und so groß, daß man sich mit dem Gaule darin herumtummeln kann, und Geld, ich habe es nicht gesehen, aber Geld muß der Mann haben ganze Säcke voll!“

„Wie heißt er denn?“

„Guy Willmers. Nicht wahr, ein ganz absonderlicher Name? Aber der Mann selbst ist schöner, ein Mulatte zwar, aber ein Kerl wie ein Bild. Und seine Frau, die er Betty nennt, stammt aus Germany drüben. Ihr Vater, ein Master Hammer, hat drunten am Arkansas gewohnt und viel Herzeleid erfahren. Die Bushheaders haben ihm eine Tochter ermordet und – –“

Ich sprang empor.

„Guy Willmers –? Ein Mulatte –? Fred Hammer – nicht wahr, Fred hieß der Mann?“

„Ja, Fred Hammer, eine lange, breitschulterige Figur mit schneeweißem Kopf- und Barthaar. Aber, was ist mit Euch? Kennt Ihr vielleicht diese Leute?“

„Ob ich sie kenne? Besser als euch alle! Fred Hammer wohnte neben uns, und Mary, seine älteste Tochter, war meine Braut, wurde mir von den Bushheaders geraubt und, als wir die Bande verfolgten, mit meinem Vater von dem Kanada-Bill erschossen!“

„Das stimmt, das stimmt! So seid Ihr also der Tim Kroner, von dem mir der Ölprinz so viel Gutes erzählt hat?“

„Der bin ich! Ich ging dann in die Prairie und fand, als ich nach Jahren einmal zurückkehrte, fremde Leute auf der Stelle.“

„Fred Hammer hat gut verkauft und dann ein Geschäft in St. Louis gehabt. Guy Willmers ist für dasselbe gereist und dabei einmal auf das Coteau gekommen, wo er das Petroleum entdeckte. Natürlich sind sie sofort alle hinauf und wissen auch, warum. Ihr müßt sie besuchen, Master Kroner, und werdet damit eine ganz heillose Freude anrichten, das kann ich Euch versichern!“

Zounds, ich will gespießt und gebraten werden wie dieses Stück Büffellende, wenn ich nicht gleich morgen früh aufbreche! Ich habe die Black-Hills satt und will einmal hinauf zu den Redmen, Luchsen und Bären. Vielleicht gelingt es mir auch, ein Loch zu finden, wo ein Michigansee voll Petroleum herausläuft.“

„Vorher aber müßt Ihr die Geschichte von den Bushheaders erzählen. Der Kanada-Bill soll kürzlich in Des Moines gewesen sein und zwölftausend Dollars im three carde monte gewonnen haben. Ein ganz verteufeltes Spiel, wie mir scheint, viel schlimmer noch als das Monte, welches man in Mexiko und da herum treibt.“

„Mich kostete es viel mehr als einen ganzen Berg voll silberne Dollars. Und wie das zugegangen ist, nun, Well, Ihr sollt es hören!“

Ich erzählte die Geschichte, und dann wickelten wir uns in unsere Decken, stellten die erste Wache aus und machten die Augen zu. Aber ich konnte keine Ruhe finden. Der Gedanke an Fred Hammer, Betty und Guy Willmers ging mir im Kopfe herum; die alten Bilder waren in neuer Frische wieder erwacht, und als endlich doch ein kleiner Schlummer über mich kam, träumte ich vom fernen Arkansas, von den beiden kleinen Farmen, von Vater und Mutter, von Mary, die vor mir stand in der ganzen Schönheit und Güte, wie ich sie früher gesehen hatte. Auch der Kanada-Bill war dabei; er wollte mich erwürgen, und als er nach mir faßte, erwachte ich.

„Tim Kroner, Ihr habt die letzte Wache. Die Zeit ist da, wie mir scheint!“

Es war der alte Fallensteller gewesen, der meinen Arm ergriffen hatte; aber, ich sag’s euch, ich hätte viel darum gegeben, wenn ich wirklich den William Jones vor mir gehabt hätte!

Ich hatte mir, um früh zum Aufbruche gerüstet zu sein, mit Vorbedacht die letzte Wache geben lassen. Als sie vorüber war und ich die Leute weckte, erkundigte ich mich bei dem Trapper nach dem Weg, den ich einzuschlagen hatte.

„Ihr reitet immer gradaus nach Osten zum Missouri, geht da, wo der Green-Fork einmündet, über das Wasser und haltet Euch dann am rechten Ufer stromauf. Das Coteau tritt in hohen Vorgebirgen, die wie riesenhafte Kanzeln aussehen und leicht zu zählen sind, an das Thal des Flusses heran. Zwischen der vierten und fünften Kanzel steigt Ihr empor und kommt erst durch einen zwei Tagereisen haltenden Urwald, den Ihr grad nach Norden durchschneidet; dann kommt eine weite Büffelgrasprairie, durch die Ihr in derselben Richtung geht, vielleicht vier Tage lang, bis ein kleiner Fluß kommt, an dessen Ufer Willmers wohnt.“

„Was für Redmen giebt es in der Gegend?“

„Sioux, meist vom Stamme der Ogellallah und das schlimmste Volk, welches ich kenne. Doch kommen sie nur zur Zeit der Frühlings- und Herbstwanderung der Büffel hinauf. Jetzt ist es Hochsommer, und Ihr seid vielleicht vor ihnen sicher. Sie werden sich zwischen den Platte und Niobrara zurückgezogen haben.“

„Ich danke Euch und werde Euch, wenn wir uns irgendwo wiederfinden sollten, von diesem Ritt erzählen.“

„Schön! Grüßt die Leute von mir, und sagt ihnen, daß ich ihnen ihr Glück und Öl von Herzen gönne!“

Ich nahm Abschied von der Gesellschaft, bestieg meinen Arrow und wandte mich dem Osten zu. Ich fand und that alles grad so, wie der Mann mir gesagt hatte. Am Green-Fork schwamm ich über den Missouri und sah die einzelnen hohen, runden Bergmassen, zwischen denen tief geklüftete, wirre Thäler zur Höhe führten. Als ich den vierten Riesen hinter mir hatte, bog ich rechts ein. Die Schlucht war so von herabgestürzten Felsblöcken, Steingeröll und umgestürzten, halb faulen und von allerlei Schlinggewächsen überwucherten Baumstämmen angefüllt, daß ich meine Mühe und Not hatte, mit dem Pferde vorwärts zu kommen, und ich dankte es meinem guten Tomahawk, mit dem ich mir den Weg hauen mußte, daß ich endlich die hohe Ebene erreichte.

Hier befand ich mich mitten im prächtigsten Urwalde, der keine Spur von Unterholz zeigte, so daß ich schnell vorwärts kam. Ich brauchte mit meinem wackern Arrow nicht zwei volle Tagereisen, um die Prairie zu erreichen, vor welcher ich erst Halt machte, um mich mit Dürrfleisch zu versehen, da ich nicht wußte, ob ich auf der Savanne ein jagbares Wild antreffen würde.

Als dies geschehen war, ging es frisch dem Norden zu. Der erste Tag verging ohne ein besonderes Ereignis, der zweite ebenso. Am dritten Morgen hatte ich mich nicht gar zu früh aus der Decke gewickelt und stand eben im Begriffe, Arrow den Sattel aufzulegen, als ich in der Ferne einen Reiter bemerkte, welcher auf meiner Fährte dahergeritten kam.

Wer konnte der Mann sein, der Gründe hatte, diese abgelegene Savanne zu durchreisen? Ich lockerte, mehr aus alter Gewohnheit als aus gebotener Vorsicht, Messer und Revolver und erwartete ihn im Sattel. So war ich auf alle Fälle gerüstet.

Je näher er kam, desto deutlicher konnte ich die Einzelheiten seiner hohen, breiten Figur unterscheiden. Er ritt einen sehr hochbeinigen Klepper, der einen außerordentlich großen Kopf, aber einen desto kleineren und höchst ärmlich behaarten Schwanzstummel hatte; doch vollführte das Tier einen Schritt, vor welchem man alle Achtung haben mußte. Auf dem Kopfe trug er einen Filzhut mit unendlich breiter Krempe; der Leib stak in einem engen Lederkoller, dessen einfacher Schnitt keine Bewegung hemmte, und die Beine steckten in einem Paar Aufschlagestiefel, die bis an den Leib herangezogen waren. Über die Schulter hing die Doppelbüchse und an dem Gürtel der Pulver-, Schrot- und Mehlbeutel; ein Revolver stak neben dem Bowiemesser, und außerdem bemerkte ich zwei sonderbare Gegenstände dort angebracht, die sich später als eiserne Handschellen erwiesen.

Das Gesicht konnte ich wegen der breiten Hutkrempe nicht erkennen. Ich ließ ihn bis innerhalb Schußweite herankommen, und erhob dann die Büchse.

„Stopp, Master! Was thut Ihr hier in dieser Gegend?“

Er hielt das Pferd an und lachte.

Heigh-day, ist das ein Spaß! Tim Kroner, alter Waschbär, willst du mich etwa erschießen?“

„Alle Wetter, diese Stimme sollte ich kennen,“ erwiderte ich, indem ich das Gewehr sinken ließ. „Aber der verfluchte Hut ist mir im Wege. Abraham Lincoln, bist du es wirklich, der hier auf solch einem Ziegenbock in den Morgen hineinreitet?“

„Freilich bin ich es, wenn du nichts dagegen hast! Darf ich jetzt nun hin zu dir?“

„Komm her, und sag‘, was du hier treibst!“

„Erst muß ich wissen, was dich auf deinem Arrow in diese schöne Gegend führt!,

„Ich will einen Bekannten von dir und mir besuchen.“

„Einen Bekannten von uns beiden? Wer ist es?“

„Rate!“

„Sag‘ erst, wo?“

„Da vorn in irgend einem Bluff, wo das Öl wie Wasser laufen soll.“

„Ah, Guy Willmers, den Ölprinzen!“

Good lack, du kennst ihn?“

„Persönlich nicht, aber du hast ja mir den Namen von Fred Hammers Schwiegersohn in Smoky-Hill genannt.“

„So hast du gewußt, daß Fred Hammer nach dem Coteau du Missouri gezogen ist?“

„Nein. Ich weiß, daß Fred Hammer hier wohnt; doch daß es der unsrige ist, ahnte ich erst, als du von einem Bekannten sprachst, denn da fiel mir auch der Name Guy Willmers wieder ein.“

Well, also zu ihnen will ich. Und du?“

„Auch zu ihnen.“

„Was –? Auch –? Was willst du dort?“

„Das ist ein Geheimnis, doch dir kann ich es sagen. Aber nimm die Zügel, und komm vorwärts! Sieh mich einmal an. Für was hältst du mich?“

„Hm, für den tüchtigsten Kerl zwischen Neuschottland und Kalifornien.“

„Das ist eine sehr überflüssige Antwort. Ich meine das Metier.“

„Laß raten, wen du willst, nur mich nicht! Ich schlage lieber einen Büffel nieder, als daß ich ein Rätsel auseinander schieße.“

„Nun, siehst du nichts an mir, was sonst wohl nicht zu einer Trapperausrüstung gehört?“

„Ja, hier die beiden Mausefallen. Ich glaube gar, du bist Policeman geworden!“

„So eigentlich nicht; aber wenn es dir recht ist, so kannst du mich für einen Lawyer halten, der bereits einen kleinen Namen hat. Du hast mich am alten Kansas mit dem Gesetzbuche und bei der Rede getroffen; das war meine Universität, und, schau, ich habe sie nicht umsonst besucht!“

„Ein Lawyer also! ja, ich hab’s gewußt, daß du einen guten Weg emporsteigen wirst, und glaube, du wirst auf dem jetzigen Punkte nicht lange stehen bleiben. Doch was hat der Lawyer mit deinem Ritt zu thun?“

„Sehr viel! Der Westmann mit seinem scharfen Spürsinn steckt noch im Lawyer, und da ist es mir einige Male gelungen, ganz besonders raffinierten Verbrechern, die selbst dem geschultesten Policeman gewachsen waren, das Handwerk zu legen. Nun hat sich da unten in Illinois und Iowa ein ausgefeimter Loafer den Spaß gemacht, verschiedene Geld- und Verwaltungsgrößen gehörig an der Nase zu führen, und weil ihn kein Detective bisher zu fangen vermochte, ist mir der schöne Auftrag geworden, ihn zu suchen und ihn wo möglich lebendig der Gerechtigkeit zu überliefern. Dieses wo möglich giebt mir natürlich die Erlaubnis, nach Befinden Gebrauch von der Waffe zu machen.“

„Wie heißt der Kerl?“

„Er trägt einige Dutzende von Namen, von denen man nicht weiß, welcher der richtige ist. Seinen letzten Geniestreich, die Fälschung bedeutender Wechsel, hat er in Des Moines ausgeführt, und von da schien seine Spur nach dem Coteau zu gehen, jeder Verbrecher hat eine schwache Stelle, die ihn kenntlich macht und früher oder später vor den Richter bringt; bei diesem ist es die Vorliebe für Ölmänner; er scheint in diesem Fache gut bewandert zu sein, und ich vermute, daß er zu Guy Willmers gegangen ist.“

Heigh-ho, das sollte ihm nicht gut bekommen! Ich hoffe, wenn er dort zu finden ist, werde ich ein Wörtchen mit ihm sprechen. Der Kanada-Bill wird’s doch nicht sein?“

„Nein. Warum?“

„Weil dieser zuletzt in Des Moines gesehen wurde, wo er zwölftausend Dollars gewonnen haben soll.“

„Ich weiß es. Er ist von dort spurlos verschwunden und wird, wie immer, an einem andern Orte wieder auftauchen, wo man ihn am wenigsten vermutet. Er ist ein ganz gefährlicher Mensch, und zwar ganz besonders deshalb, weil man ihm das Spiel nicht verbieten kann und er seine andern Streiche in einer Weise vollführt, daß man seine Handhabe findet. Es sollte mich wundern, wenn wir ihm nicht begegneten, denn so oft wir beide uns getroffen haben, ist er es gewesen, mit dem wir es zu thun hatten.“

Der Ritt wurde natürlich nun in Gemeinschaft fortgesetzt. Wir hatten noch ein Nachtlager hinter uns zu legen und mußten dann dem Flusse nahe sein. Freilich war es unmöglich, ihn aus der Ferne zu bemerken; wir schauten fleißig nach Spuren aus, bemerkten aber nichts Nennenswertes als endlich einen eigentümlichen Geruch, welcher von Viertelstunde zu Viertelstunde auffallender wurde.

Lack-a-day! Was ist das wohl für ein Parfüm, welches meine Nase infiziert, als hätte mich ein zweielliger Skunk angespritzt?“ fragte ich. „Kannst du mir’s sagen, Abraham? Das ist nicht Truthahn-Bussard, auch nicht Boudinsgeruch, Kammas-Odeur noch weniger. Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich aus diesem Veilchenduft machen soll!“

„Sagen könnte ich dir’s schon; aber soll ich wirklich so einen erfahrenen Woodsman, wie du bist, belehren? Mach‘ nur die Nase noch ein wenig weiter auf, dann kannst du gar nicht fehl riechen!“

Ich sog die Luft stärker ein, aber vergebens.

„Ich bring’s nicht weg, Abraham. Das riecht wie Leiche, wie Harz und Kien, meinetwegen auch wie Firniß oder Lack.“

„Bist du noch nicht im Venango-County gewesen oder am Oil-Kanawha?“

„Nein, aber Oil-Kanawha? Ja, jetzt hab ich’s; das ist Petroleumgeruch, und ich glaube, der Fluß muß sich nun bald zeigen!“

Es war allerdings vor uns nichts zu sehen als die weite, ebene Prairie, doch nach einiger Zeit bemerkten wir einen Dunststreifen, welcher sich von Ost nach West über die Savanne zog; wir kamen ihm schnell näher, und als wir ihn erreichten, hielten wir auch an dem Ufer des Flusses. Seine Ufer waren mit Anlagen, wie sie die Petroleumgewinnung mit sich bringt, bedeckt. Oben, einige hundert Pferdelängen vom Wasser entfernt, stand neben umfangreichen Fabrikräumlichkeiten ein außerordentlich stattliches Wohngebäude; weiter unten sah ich hart am Wasser einen Erdbohrer in voller Thätigkeit, und seitwärts davon zog sich eine Reihe kleiner Häuschen hin, welche jedenfalls als Arbeiterwohnungen dienten. Wo das Auge nur hinblickte, waren Dauben, Böden, Reifen und fertige Fässer, teils leer, meist aber mit dem vielbegehrten Brennstoffe gefüllt, zu sehen.

Good lack, hier ist’s!“ sagte ich. „Nur möchte ich wissen, auf welche Weise dieser Guy Willmers das Öl unter die Leute bringt. Das Coteau bietet doch weder Weg noch Steg für die schweren Fuhrwerke, welche dazu nötig sind!“

„Siehst du nicht die großen Kähne unten im Wasser? Auf ihnen bringt er die Fässer in den Missouri, von wo aus dann der Weg offen steht.“

Lincoln schnallte die Handschellen vom Gürtel los und fuhr fort:

„Ich will die Armspangen nun unter die Decke nehmen. Es ist nicht notwendig, daß sie verraten, weshalb ich komme!“

Als wir das Haus erreichten, trat ein Arbeiter aus der Thür.

Good day, Mann! Ist hier der Ort, wo ein Master Willmers wohnt?“ fragte Lincoln.

Yes, Master. Geht nur hinein. Die Gent’s und Ladies sitzen soeben beim Essen!“

Wir pflockten die Pferde an und traten ein. Im Speisesaale saßen Fred Hammer, Guy Willmers und Betty; ich erkannte sie sofort wieder. Zwei junge Ladies, welche dabei waren, mußten die Töchter sein, zwischen denen ein Gentleman saß, den ich nicht kannte. Willmers erhob sich.

„Nur näher, Mesch’schurs! Was bringt ihr uns?“ fragte er.

Einen ganzen Kürbis, voll Grüße von einem gewissen Tim Kroner, wenn ihr den Mann vielleicht kennt!“ antwortete ich.

„Von unserm Tim? Das ist ja – – heigh-ho, du bist’s ja selber, alter Bär! Beinahe hätte ich dich nicht wieder erkannt. Die Prairie hat dir ja einen Bart gemacht, daß nur die Nasenspitze zu erkennen ist. Welcome tausendmal! Hier, gieb auch den andern deine Hand!“

Na, das wurde ein Empfang, mit dem ich herzlich zufrieden sein konnte! Ich wurde beinahe erdrückt und fand kaum Zeit, an meinen Gefährten zu denken:

„Und hier habe ich euch einen mitgebracht, den ihr auch noch kennen müßt! Oder habt ihr Abraham Lincoln vergessen, der uns damals hinter den Bushheaders herführte?“

„Abraham Lincoln? Wahrhaftig, er ist’s! Willkommen, Sir, und nehmt es nicht übel, daß wir nicht sofort an Euch dachten! Ihr habt Euch um ein weniges verändert, seit wir uns nicht sahen.“

Wir mußten uns, so wie wir da standen, mit zur Tafel setzen, und erst jetzt wurde des fremden Mannes Erwähnung gethan.

„Hier ist unser Sir David Holmann aus Young-Kanawha, der uns seit einer Woche mit seinem Besuche beehrt,“ wurde er uns vorgestellt. „Er ist Besitzer einer ganzen Reihe von Oil-Creeks und zu mir gekommen, um wegen des Exportes einige Fragen mit mir zu erörtern,“ meinte Willmers. „Später kann ich euch auch Master Belfort vorstellen, der ins Thal gegangen ist, um unsere Arbeiterwohnungen kennen zu lernen. Ein feiner Gentleman, sage ich euch, voll Erfahrung und Geschicklichkeit, wie selten einer. Er versteht, mit der Karte die ganze Hölle herbeizuzaubern.“

Es entspann sich eine sehr lebhafte Unterhaltung, und es wunderte mich, daß Lincoln während derselben so außerordentlich einsilbig blieb. Warum warf er zuweilen, wenn Master Holmann es nicht bemerkte, einen so scharfen, forschenden Blick auf ihn? War er vielleicht der Mann, den er suchte?

Da ging die Thür auf, und ich konnte nicht anders, ich mußte aufspringen und den Eintretenden mit stieren Augen betrachten. Das dunkle Haar und der dichte, schwarze Vollbart machten mich irre, vielleicht auch die Kleidung, welche die eines wohlhabenden Gentleman war; aber ich hätte schwören mögen, daß – – doch ich kam nicht dazu, meinen Gedanken Worte zu geben; Guy Willmers erhob sich.

„Hier kommt Master Belfort, den ich euch hiermit vorstelle, Gentlemen! Er ist – –“

„Master Belfort?“ sagte Lincoln. „Ich meine, der Mann kann ebenso gut Fred Fletcher oder William Jones heißen, wenn er nur zugiebt, der Kanada-Bill zu sein!“

„Der Kanada-Bill?“ fragte Fred Hammer, indem er nach dem ersten besten Messer griff und sich erhob.

„Nehmt Eure Zunge in acht, Sir!“ meinte Jones; denn er war es wirklich; ich erkannte ihn auch jetzt an der Stimme. „Einen Gentleman beleidigt man nicht ungestraft.“

„Das ist richtig,“ antwortete Lincoln, „doch bin ich gewiß, keinen Gentleman beleidigt zu haben. Wie viel Klettenwurzel und Höllenstein habt ihr verbraucht, um Euer Haar schwarz zu färben? Ich gebe Euch den guten Rat, bei späterer Gelegenheit einen Bleikamm mit zu gebrauchen, dann werden auch die Haarwurzeln schwarz, die bei Euch vollständig hell geblieben sind. Master Willmers, Ihr sagtet, daß er mit der Karte zu zaubern verstehe. Hat er Euch nicht ein wenig three carde monte gezeigt?“

„Ja, und ein schönes Geld abgenommen,“ antwortete Fred Hammer. „Ich bin alt, und meine Augen sind schwach geworden, sonst müßte ich ihn sofort erkannt haben; jetzt aber ist kein Zweifel mehr, daß ich Marys Mörder vor mir habe, und, by god, er soll seine Bezahlung auf der Stelle erhalten!“

„Wollt Ihr Euern Gast erstechen, Fred Hammer?“ fragte der Kanada-Bill. „Könnt Ihr mir nachweisen, daß ich es wirklich gewesen bin, der Eure Tochter erschossen hat?“

„Und meinen Vater auch!“ fiel ich ein. „Nein, nachweisen nicht, aber beschwören können wir es. Und ebenso, daß Ihr in Smoky-Hill sechzig aufgezählt bekamt und dann die Indsmen brachtet.“

„Ich? Die Sechzig kann ich nicht wegleugnen,“ lachte er grimmig, „und ich werde eines schönen Tages ihretwegen mit Euch abrechnen; aber beweist mir einmal das von den Rothäuten! Könnt Ihr es?“

„Wir, nämlich ich und Master Lincoln hier, standen hart bei Euch, als Ihr mit dem schwarzen Panther den Schuß seines Sohnes beobachtetet und Euern Plan bespracht, und wir standen an der Lichtung, als Ihr die Indsmen geführt brachtet, Ihr mit dem Häuptling voran. Wir teilten natürlich dem Cornel Euer Vorhaben mit und machten dann mit Feuerwerk Eure Pferde locker. Das war ein Hauptstreich! Nicht, Master Jones?“

Er erfuhr diese Thatsachen natürlich jetzt zum ersten Male; seine Augen funkelten, und seine Hände ballten sich zusammen; aber er sah, daß er sich beherrschen müsse.

„Habt ihr mich wirklich so deutlich erkannt, daß ihr mir so etwas sagen dürft, Mesch’schurs?“ zischte er.

Jetzt trat Lincoln hart an ihn heran.

„Ich will Euch sagen, Mann, daß wir mit Euch schnell verfahren könnten. Ihr wißt ja wohl, daß Master Lynch ein strenger Gesell ist. Aber seid Ihr Gast in diesem Hause, und ich will ehrlich gestehen, daß wir bei Smoky-Hill wohl Eure Stimme erkannt und dann Eure Gestalt gesehen, Euch aber nicht so deutlich weggebracht haben, daß wir Euch mit gutem Gewissen eine Kugel geben könnten. Wir sind freie Bürger der Vereinigten Staaten und richten nur nach vollständigem Beweise! Das Geld, welches Ihr diesen Gentlemen hier abgenommen habt, werden sie wohl nicht zurückverlangen; dazu steht ihnen der Kanada-Bill zu niedrig, und darum will ich Euch meinen Bescheid sagen: Ihr verlaßt sofort diesen Ort, und zwar binnen zehn Minuten; in der elften aber beginnt meine Büchse zu sprechen; darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

„Seid Ihr vielleicht Herr und Besitzer des oil-work hier?“ fragte jetzt David Holmann. „Ihr könnt Master Jones nichts beweisen, und unser Spiel ist ein ehrliches gewesen!“

„Ein Ölprinz bin ich allerdings nicht, Gem’man, aber doch etwas, vor dem man Respekt zu haben pflegt. Und wenn ich diesem Manne meinen Bescheid sage, so weiß ich ganz genau, was ich thue!“

„So laßt dieses etwas einmal sehen, Sir!“

„Hier ist es!“

Er zog ein Papier aus der Tasche, reichte es ihm und gab mir einen Wink, den ich sofort verstand. Ich ging hinaus und holte die Handschellen unter der Pferdedecke hervor. Als ich eintrat, sah ich Holmann bleich in das Papier starren.

„Nun, Master Holmann oder Waller oder Pancroft oder Agston, wie gefällt Euch dieses Dekret?“ fragte Lincoln. „in Iowa und Illinois, besonders aber in Des Moines hat man großes Verlangen nach einem Menschen, der in Young-Kanawha eine ganze Reihe von Öl-Creeks besitzen will. Es ist wirklich schade, daß Euch der kleine linke Finger fehlt; seine Abwesenheit hat Euch verraten. Ich werde unsern Freund Willmers von zwei Gästen befreien, die nicht an eine so anständige Stelle gehören!“

„Stopp, Sir, so weit sind wir noch nicht!“ rief Holmann.

Er warf einen forschenden Blick nach Thür und Fenster.

„Ich denke, wir sind so weit. Und wenn Ihr es nicht glauben wollt, so seht Euch einmal diese Juwelen an, die ich Euch jetzt anlegen werde!“

Er nahm mir die Handschellen ab, und ich griff zum Revolver. Auch Holmann fuhr nach seiner Tasche.

„Weg mit der Hand, oder ich schieße!“ drohte ich ihm.

„Seht Ihr’s, daß wir soweit sind?“ lachte Lincoln. „Gebt die Hände ruhig her, denn ich sage Euch: Ihr habt meine Vollmacht gelesen, die Euch mir vollständig in die Hände giebt. Ich zähle bis drei. Habt Ihr dann die Eisen noch nicht an den Händen, so schmeckt Ihr die Kugel. Tim, drücke los bei drei!“

Er trat zu ihm hin und öffnete die Schellen.

„Eins – – zwei – –!“

Holmann sah, daß es Ernst war; er hielt die Hände hin und ließ sich fesseln. Dann wandte sich Lincoln zu William Jones.

„Fünf Minuten sind vorüber; Ihr habt nur noch die andern fünf. Ich spaße nicht. Macht Euch von dannen!“

Fred Hammer hatte noch immer sein Messer in der Hand. Er legte Jones die Faust drohend auf die Schulter und sagte:

„Vorwärts, Mann! Ich werde dafür sorgen, daß Ihr ohne Mühe und Störung weiter kommt!“

Er schob ihn zur Thür hinaus, und wenige Augenblicke später sahen wir den Kanada-Bill fortreiten. Da trat ein Arbeiter ein.

„Master Willmers, soll der Bohrer weiter arbeiten? Der Ingenieur läßt sagen, daß in einer Viertelstunde das Öl kommen werde, wenn wir fortbohren.“

„Endlich! Aber setzt die Hemmung ein. Ich muß erst bekannt machen, daß kein Licht und Feuer gebrannt werden darf, sonst kann es ein Unglück geben. Der Abend ist nahe, daher soll das Öl erst morgen seine Freiheit haben!“

Der Mann ging, den Befehl auszurichten.

Ihr müßt nämlich wissen, Gentlemen, wenn der Bohrer das Öl trifft, so steigt es in einer hohen Säule aus der Erde empor, und die leichten, gefährlichen Gase, welche natürlich zuerst kommen, dürfen nicht die kleinste Flamme finden, sonst entsteht ein fürchterlicher Brand, der sich so schnell entzündet und verbreitet, daß ihm nichts zu widerstehen vermag.

„Habt Ihr nicht einen festen Raum,“ wandte sich jetzt Lincoln an Willmers, „in welchem wir unsern guten Sir Holmann aufbewahren können?“

„Ein sehr gutes und sicheres Kabinett. Kommt!“

Die drei gingen ab, und ich hatte nun sehr zu thun, Betty und den beiden kleinen Ladies den Vorgang, welcher so unerwartet über sie gekommen war, zu erklären. Als wir alle wieder beisammen saßen, ergossen sich Hammer und Willmers in Dankeserklärungen gegen Lincoln, welche dieser nach Kräften von sich wies. Er wollte schon am nächsten Morgen wieder fort, stieß aber auf allgemeinen Widerspruch.

„Ihr müßtet mit Eurem Gefangenen den weiten beschwerlichen und gefährlichen Ritt über das Coteau hinunter nach Iowa machen,“ erklärte ihm Willmers. „Wartet aber noch einige Tage, so gehen hier drei Kähne den Fluß hinunter in den Missouri, und Ihr könnt in aller Bequemlichkeit Passage nehmen. Bis Yankton und Dacota seid Ihr schnell und habt dann nur die kurze Strecke bis hinüber nach Des Moines zurückzulegen. Ihr bleibt also hier. Euer Gefangener ist Euch sicher!“

Lincoln sah das Vorteilhafte des Anerbietens ein und gab nach.

Der Abend kam. Wir hatten unsere Pferde losgepflockt und ließen sie frei grasen gehen. In den Stall durften wir sie nicht bringen; sie waren die Freiheit gewöhnt und hätten sich in dem engen Raume Schaden gethan. Die Gent’s und Ladies außer mir saßen plaudernd im Parlour; ich schritt am Flusse abwärts, weil ich nach den Pferden sehen wollte. Es war sehr dunkel, so daß ich die ölhaltigen Wogen kaum von dem festen Boden unterscheiden konnte.

So kam ich bis an die Stelle, wo wir bei unserer Ankunft den Erdbohrer in Thätigkeit gesehen hatten. Etwas oberhalb derselben war ein Wassergang herüber geleitet, in welchem sich ein Rad bewegte. Ein leise knirschendes Geräusch ließ mich stehen bleiben. Sollte sich der Bohrer noch in Gang befinden? Ich verstand nichts von der Sache, aber eine plötzliche Angst kam über mich. Da tauchte über dem Graben drüben ein Licht auf, nicht im Freien, sondern es blinkte durch die zerrissenen Bretterwände, zwischen denen sich das Bohrwerk befand. Hatte nicht Willmers jedes Licht verboten? Ich lauschte. Da hörte ich Schritte. Eine Gestalt huschte an mir vorüber, noch eine. Die Finsternis verhinderte mich, genau zu sehen, aber es war mir, als hätte ich Jones und Holmann unterschieden.

Sie waren in der Dunkelheit verschwunden, ehe ich ihnen zu folgen vermochte. Ich eilte, so schnell ich konnte, zurück, trat in das Parlour und fragte Lincoln:

„Ist Holmann noch fest, Abraham?“

„Warum? Vor einer halben Stunde war ich bei ihm.“

„Ich glaube, ihn und Jones beim Bohrer gesehen zu haben. Es brennt Licht dort, und das Rad geht.“

„Licht brennt, und das Rad geht?“ rief Willmers. „Um Gottes willen, sollte er ausgebrochen sein? Er hat gehört, daß das Öl kommen will und – – schnell, schnell, nachgesehen, wo er ist!“

Wir eilten hinaus. Die eisernen Riegel vor der festen Thür des Gewölbes, in welchem man den Gefangenen untergebracht hatte, waren vorgeschoben. Es wurde geöffnet; er war fort.

„Der Kanada-Bill ist zurückgekehrt und hat ihn befreit!“ rief Lincoln. „Wir müssen – –“

„Laßt sie, Sir!“ fiel ihm Willmers in die Rede. „Morgen früh müssen wir ihre Spuren finden und werden ihrer Fährte folgen, Sie sind uns sicher. Aber der Bohrer! Fort, hinunter zu ihm!“

Die Frauen konnten vor Angst nicht sprechen. Wir Männer stürzten hinaus in das Freie. Doch kaum hatten wir einige Schritte gethan, so ertönte ein gewaltiger Donnerschlag, und es war mir, als sei die Erde auseinander gerissen worden. Der Boden erzitterte, und als ich, auf das tiefste erschrocken, aufblickte, sah ich in der Gegend des Bohrers eine glühende Feuergarbe wohl sechzig oder noch mehr Fuß in die Höhe steigen; zugleich verbreitete sich ein penetranter Gasgeruch, welcher uns fast den Atem benahm.

„Das Thal brennt!“ schrie Willmers, und er hatte recht. Von dem Bohrloche abwärts loderte auf und über dem Flusse ein glühendes Feuermeer. Jones hatte Holmann befreit, und beide hatten, um sich zu rächen, den Erdbohrer wieder in Bewegung gesetzt und ein Licht dazu gestellt. Unglücklicherweise war das nur. ganz kurze Zeit vor dem Augenblicke geschehen, an welchem der Bohrer in der Tiefe auf das Petroleum treffen mußte. Es wurde im Bohrloche empor getrieben, und die Gase, die es mit sich führte, hatten sich an dem brennenden Lichte entzündet. Nun schien abwärts von uns die ganze Atmosphäre zu brennen. Glücklicherweise konnte das Feuer uns nicht erreichen, und auch die Arbeiter nicht, deren Wohnungen nicht ganz am Flusse lagen. Dennoch lief ich hinunter, um zu sehen, ob sie vielleicht der Hilfe bedürften. Da erblickte ich eine Gestalt, welche dagestanden hatte, um das Feuer zu betrachten, aber sofort davonrannte, als sie mich bemerkte. Diese Flucht kam mir verdächtig vor, und ich lief nach. Je näher ich dem Manne kam, desto deutlicher sah ich, daß er durch irgend etwas im Laufen gehindert wurde; seine Arme bewegten sich nicht. Ich verdoppelte meine Schnelligkeit, erreichte ihn und erkannte Holmann, dessen Hände noch in den Schellen steckten. Ich faßte ihn, warf ihn nieder und kniete auf ihn; er versuchte, sich zu wehren. Der Handschellen wegen konnte sein Widerstand von keiner Bedeutung sein. Ich riß ihm das Tuch vom Halse und band ihm damit die Füße zusammen. Er knirschte vor Wut mit den Zähnen und funkelte mich mit grimmigen Augen an, ließ aber kein einziges Wort vernehmen. „Guten Abend, Master!“ sagte ich. „Euer Spaziergang hat nicht lange gedauert. Wollt Ihr mir wohl mitteilen, wo William Jones steckt?“

Er antwortete nicht.

„Gut! So werden wir versuchen, ihn ohne Euch zu finden.“

Ich nahm ihn beim Kragen und schleifte ihn nach dem Wohnhause zurück, wo er sofort wieder eingesperrt wurde. Dann zerstreuten wir Männer uns, um nach Jones zu suchen. Wir hatten Zeit dazu, weil wir das Feuer jetzt doch nicht bewältigen konnten; aber alle Mühe war vergebens; wir fanden ihn nicht; er war entkommen.

Das Feuer brannte, wie ich vorher berichten will, noch einige Tage fort; dann gelang es dem Ingenieur, es zunächst einzudämmen und dann ganz auszulöschen. Viel geschadet hat es nicht, wenigstens nicht soviel, wie Jones und Holmann beabsichtigt haben mochten, von denen es wahrscheinlich auf unser Leben abgesehen war. Später hörte ich einmal, daß der Kanada-Bill sich am untern Missisippi sehen lasse und mit dem Spiele ein schönes Geld verdiene. Seitdem sind Jahre vergangen; ich hoffe aber, daß er noch lebt und mir einmal in die Hände kommt. Dann ist ihm meine Kugel sicher und gewiß.

Holmann wurde, als die Kähne nach dem Missouri gingen, von Lincoln fortgeschafft. Das gab einen Abschied, der mir nicht wenig zu schaffen machte, denn der brave Abraham war mir gewaltig an das Herz gewachsen. Ich durfte nicht mit. Fred Hammer und Guy Willmers meinten, das ginge nicht, und die Ladies baten so schön, daß ich nicht anders konnte, ich mußte bleiben.

Später erfuhren wir, daß Holmann für die Lebenszeit in die Zelle gekommen ist.

Abraham Lincoln ist, wie ich es ihm ja gesagt hatte, nicht beim Lawyer stehen geblieben, sondern hat es bis zum Höchsten gebracht, was ein braver self-man werden kann; er ist Präsident der Vereinigten Staaten geworden und hat leider für das, was er Gutes that und wollte, einen Schuß bekommen; Fluch dem Schurken, der ihn abfeuerte!

Und ich? Man ließ mir keine Ruhe, ich mußte bei Willmers mein Wigwam aufschlagen. Arrow ist damit nicht zufrieden gewesen, und auch ich habe zuweilen ein so heilloses Zwicken in den Gliedern bekommen, daß ich zu Büchse und Tomahawk gegriffen habe und auf einen Monat oder zwei hinausgeritten bin in die Savanne und die Woodlands, wo ich den Ölgeruch vergessen und den Büffeln oder Indsmen zeigen konnte, daß Tim Kroner noch keine Lust habe, die schöne Prairie mit den ewigen Jagdgründen zu vertauschen. Zwischen Longs Peak und den Spanish Peaks ist mein Jagdrevier, und dort habe ich mir den Namen geholt, mit dem ihr mich vorhin genannt habt, nämlich, der „Coloradomann“, Mesch’schurs. Und es ist wahr, was ihr vorhin sagtet, daß ich nämlich der beste Jäger weit und breit bin. Möchte einen andern sehen, der es mit mir aufnimmt, mag es sein, in was es wolle. So! Und nun habe ich euch den Willen gethan und bin mit meiner Erzählung fertig.“ –

Der Erzähler hatte die Behauptung, daß es niemand mit ihm aufnehmen könne, im Tone vollen Bewußtseins gesagt. Diese Selbstgefälligkeit schien einem der Anwesenden nicht ganz am Platze zu sein; denn er sagte:

„Dank für Eure schöne Geschichte, Sir, und allen Respekt vor Euch, Mr. Kroner. Man weiß, was man von dem Coloradomann zu halten hat; aber sollte es doch keinen andern geben, der sich neben Euch stellen kann?“

„Wer könnte das sein?“ fragte der Selbstbewußte.

„Winnetou zum Beispiel.“

Pshaw! Das ist ein Indianer!“

„Old Firehand?“

„Habe es oft mit ihm aufgenommen!“

„Old Surehand?“

„Kann mich auch nicht irre machen.“

„Old Shatterhand?“

„Bin oft mit ihm geritten und habe nichts von ihm lernen können. Das sind alles Leute, an denen der Name das bedeutendste ist. Gerade Old Shatterhand hat in meinem Beisein manchen Fehler gemacht, den ich für unmöglich gehalten hätte. Er hat viel Körperkraft; das ist aber auch alles!“

Bei diesen Worten stand er auf und näherte sich meinem Tische. Er war kein übler Erzähler, und ich hatte ihm mit Interesse zugehört, obgleich ich mir das Meine dabei dachte. Diese Gedanken schienen sich meinem Gesichte aufgeprägt zu haben, denn er stellte sich jetzt breitspurig vor mich hin und fragte mich:

„Ich habe vorhin, als Ihr mit Mutter Thick spracht, gehört, daß Ihr ein Dutchman seid, Sir?“

Das Wort Dutchman wird den Deutschen gegenüber als Schimpfwort gebraucht; dennoch antwortete ich ruhig und gelassen:

„Nicht ein Dutchman, sondern ein German, Sir.“

„Das ist ein und dasselbe. Ich sage Dutchman und halte das für das richtige. Ihr habt, als ich erzählte, ein so zweifelhaftes Gesicht gemacht. Warum?“

„Interessiert Euch mein Gesicht?“

„Eigentlich ganz und gar nicht. Ihr habt kein Gesicht, dem ich sonst Beachtung schenken möchte; aber in diesem Falle ist es etwas anderes. Es sah grad so aus, als ob Ihr mir keinen Glauben schenktet. Ist’s so oder nicht?“

„Liegt Euch so viel daran, zu wissen, was ich glaube?“

„Alberne Frage! Euer Gesicht galt mir, und da will ich unbedingt wissen, was es zu bedeuten hatte. Oder habt Ihr Angst, es mir zu sagen?“

„Angst? Nicht daß ich wüßte!“

„Nun also, heraus damit!“

Alle Gäste waren still, auch die an den entfernteren Tischen. Sie erwarteten eine Scene und horchten gespannt zu uns her. Ich antwortete lächelnd:

„Ich habe gar keinen Grund, damit zurückzuhalten, daß ich mich über einen sehr auffälligen Anachronismus gewundert habe, der in Eurer Erzählung vorgekommen ist.“

„Anachronismus? Was ist das? Redet doch so, daß man es verstehen kann!“

„Gut, also deutlich! Seit wann ist wohl vorn Petroleum im jetzigen Sinne die Rede gewesen?“

„Wer kann das wissen!“

„Ich, nämlich seit dem Jahre 1859. Und wann wurden in den Vereinigten Staaten die ersten Ölquellen entdeckt?“

„Das mögt Ihr Euch selbst beantworten!“

„Zwei Jahre vorher, also 1857. Nun sprecht Ihr von einem Ölbohrer jenseits des Coteaus, bei dem Lincoln gewesen sei, nachdem er kurz zuvor Lawyer geworden war. Wann aber ist er Lawyer geworden?“

„Laßt mich mit Euren dummen Fragen in Ruh!“

„Sie sind nicht so dumm, wie Ihr denkt, und gehören zu der Auskunft, die ich Euch geben soll. Lincoln etablierte sich nämlich im Jahre 1836 in Springfield als Lawyer, also über zwanzig Jahre vor der Entdeckung der ersten bedeutenden Ölquelle. Wie stimmt das mit Eurer Erzählung, Sir?“

„Ob es stimmt oder nicht, das ist mir gleichgültig!“

„Nun, so habt die Güte, gegen mein Gesicht ebenso gleichgültig zu sein!“

„Wollt Ihr sagen, daß Ihr das von dem Ölbrande nicht glaubt?“ fragte er in drohendem Tone.

„O, daran hege ich nicht den geringsten Zweifel, nur ist der Ort und sind die Personen andere.“

„Wie so?“

„Old Shatterhand hat einen solchen Ölbrand erlebt, und zwar im Bluff von New-Venango [Fußnote]. Der Ölprinz hieß dort nicht Willmers, sondern Forster.“

„Das geht mich nichts an und ändert nichts an meinem Erlebnisse; es finden oft Ölbrände statt.“

„Bei denen die Umstände einander so ungeheuer ähnlich sind? Hm! Übrigens kenne ich Tim Kroner, den Coloradomann, sehr genau.,

Thunder-storm! Wollt Ihr etwa sagen, daß ich nicht Tim Kroner bin?“

„Es kann allerdings vorkommen, daß zwei Personen ganz gleiche Namen haben; aber der richtige und echte Coloradomann ist der, den ich kenne.“

„Da kennt ihn auch ein tüchtiger Kerl! Wenn Euch ein anderer als ich gesagt hat, er sei Tim Kroner, der Coloradomann, so hat er gelogen und war ein Schwindler. Das laßt Euch gesagt sein, sonst stopfe ich Euch den Mund mit dieser Klinge hier!“

Er zog sein Bowiemesser aus dem Gürtel. Sofort hatte ich meinen Revolver in der Hand, richtete den Lauf auf ihn und antwortete:

„Stoßt nur zu, wenn Ihr die Zeit dazu findet! Kugeln pflegen schneller als Messerklingen zu sein.“

Er stand einige Augenblicke da, ließ dann das Messer sinken und sagte in verächtlichem Tone:

Pshaw! Tim Kroner hat es gar nicht nötig, etwas darauf zu geben, was so ein Kerl, wie Ihr seid, für Gesichter schneidet. Zieht also Fratzen, so viel Ihr wollt; ich habe nichts dagegen und bleibe wer ich bin!“

Er steckte das Messer wieder in den Gürtel und kehrte auf seinen Sitz zurück. Die Zuhörer hatten diesen friedlichen Ausgang nicht erwartet, kleideten aber ihre Enttäuschung nicht in Worte. Ich hätte ganz anders auftreten können, doch fiel es mir nicht ein, den Gästen eines Kost- und Logierhauses ein Schauspiel nach Art der Runners und Loafers zu bieten. Mochte man immer denken, ich fürchte mich vor diesem sogenannten Coloradomann!

Als er seinen Platz wieder eingenommen hatte, ließ er seinen Blick an der Tafel rundum gleiten und fragte:

„Wollt vielleicht auch ihr es bezweifeln, Mesch’schurs, daß ich der echte Tim Kroner bin?“

Sie schüttelten die Köpfe, und einer der Gentlemen, der bis jetzt noch nicht gesprochen hatte, antwortete:

„Wir haben keinen Grund, es nicht zu glauben. Übrigens kann ich zu dem Schlusse Eurer Erzählung eine Bemerkung machen, die Ihr vielleicht gern, vielleicht auch ungern hören werdet.“

„Welche?“ „Ihr könnt den Kanada-Bill nicht erschießen.“

„Warum?“

„Weil er schon tot ist.“

All devils! Er ist tot?“

Yes.“

„Wißt Ihr das genau?“

„Sehr genau.“

„Wo ist er gestorben?“

„Auf der Mission Santa Lucia bei Sakramento.“

„An was? Doch nicht an einer Krankheit? Einen solchen Tod hätte der Halunke nicht verdient.“

„Oh, so billig ist er nicht weggekommen. Er hat sein Ende einem Manne zu verdanken, dessen Name vorhin genannt worden ist.“

„Welcher Name?“

„Old Shatterhand.“

„Was? Old Shatterhand hat ihm das Handwerk gelegt?“

„Ja.“

„Wie ist das geschehen, Sir?“

„Das ist eine interessante, höchst interessante Geschichte, die ich eigentlich hätte veröffentlichen sollen. Ich bin nämlich Litterat, Mesch’schurs; ich sage das für diejenigen von euch, die das noch nicht wissen.“

„Erzählt es doch; erzählt’s!“ rief es im Kreise.

„Hm! Es ist eigentlich von einem Bücherschreiber nicht klug, etwas mündlich zu erzählen, was er durch die Presse veröffentlichen will; das werdet ihr einsehen, Gent’s.“

Er wollte augenscheinlich noch mehr gebeten sein; dies geschah denn auch, und so erklärte er:

Well, wir sind heut einmal so schön beim Erzählen, und so sollt ihr die Geschichte hören, genau so, wie sie sich zugetragen hat.“

Mutter Thick kam jetzt bei mir vorüber und flüsterte mir zu:

„Dank, Sir, daß Ihr vorhin den Krawall vermieden habt! Mit der jetzigen Erzählung werdet Ihr zufrieden sein. Er schreibt Bücher, und erzählt so schön, oh so schön!“

Na, da war ich denn doch neugierig, was dieser Mann für eine Geschichte aus den einfachen Thatsachen machen würde.

Er setzte sich in Positur und begann im Tone eines geübten und gewandten Erzählers:

„Es war im Hafen von Sacramento, in welchem sich ein Bild von den lebhaftesten Farbentönen entwickelte. Die Menge, welche sich geschäftig über den Quai ergoß oder lungernd umhertrieb, schien nicht aus den Bewohnern eines besonderen Distriktes oder gar einer einzelnen Stadt zu bestehen, sondern glich eher einem Karneval, der die Repräsentanten aller Nationen für kurze Zeit vereinigt hat.

Hier stand eine Gruppe magerer Yankees in dem unvermeidlichen schwarzen Fracke, den hohen Cylinderhut weit nach hinten auf den Kopf gedrückt, die Hände in den Taschen und goldene Uhrketten, Tuchnadeln, Hemdknöpfchen und Berloques eingehakt. Dazwischen drängte sich ein kleiner Schwarm Chinesen herum in ihren blauen Kattunjacken und weiten, weißen Hosen, die langen Zöpfe wohl gepflegt und geflochten. Südseeinsulaner waren da, die scheu, verlegen und verwundert auf dem fremden Boden einhergingen und, wenn ihnen etwas nach ihren Begriffen gar zu Absonderliches in die Augen sprang, die Köpfe leise flüsternd zusammensteckten. Mexikaner stolzierten umher mit ihren an der Seite bis oben hin aufgeschlitzten und mit silbernen Knöpfen besetzten Sammethosen, und den kurzen, ebenso garnierten Jacken, den breitrandigen Wachstuchhut auf dem Kopfe. Californier mit ihren langen, in den prachtvollsten Farben gewebten Ponchos, die ihnen fast bis an die Knöchel herabreichten; schwarze Ladys und Gentlemen, nach tausend Wohlgerüchen duftend und in dein überzeugendsten Putze steckend, ernste Indsmen, die mit gravitätischem Schritte durch die Menge stiegen; gemütliche Deutsche, Engländer mit Cotelettenbärten und riesigen Zwickern auf der Nase, bewegliche, kleine Franzosen, zankend, erzählend, rufend und auf das lebhafteste gestikulierend, rothaarige Irländer, nach Aquardiente, duftend; Chilenen in ihren kurzen Ponchos; Trappers, Squatters, Backwoodsmen in ihren ledernen Jagdhemden, die lange Büchse noch auf der Schulter, wie sie gerade über das Felsengebirge gekommen waren; Mestizen und Mulatten in allen Farbenstufen und Schattierungen, und dazwischen die aus den Minen oft mit schweren Beuteln von Gold zurückgekehrten Goldwäscher in den phantastischsten Kostümen, die man sich nur zu denken vermag, in ihren Kleidern auf das entsetzlichste abgerissen, mit geflickten Hosen, Röcken, Westen und Jacken, mit zerrissenen Stiefeln, aus denen die nackten, strumpflosen Zehen hervorblickten, und Hüten, die monatelang am Tage der Sonne und dem Regen getrotzt und dann des Nachts als Kopfkissen gedient hatten. Und in den kleinen Gruppen standen dabei die Eingeborenen des Landes, die eigentlichen, rechtmäßigen Herren des Bodens und doch vielleicht die einzigen vollständig Besitzlosen in der ganzen Masse, die ihr Leben jetzt durch Tagelohn kärglich fristen mußten.

Und dieser bunten Völkermischung schlossen sich allerlei respektgebietende glänzende Gestalten an: amerikanische und englische Seeleute mit breiten Schultern, riesigen Fäusten und herausforderndem Blicke, und eine Anzahl spanischer Marineoffiziere, die in ihren blitzenden, goldgestickten Uniformen von San Francisco herbeigekommen waren, um sich das geschäftige Treiben in der Nähe der Golddistrikte einmal anzusehen.

Fast hätte man sagen können:

„Wer zählt die Völker, nennt die Namen!“

Und was hatte all die Ingredienzien der vielgestaltigen anthropologischen Mixtur herbeigetrieben? Nichts anderes als – das Gold.

Die Ansiedelung von Oberkalifornien, welche im Jahre 1768 von Mexiko aus geschah, hatte das Land unter die weltlich-geistliche Herrschaft der Missionäre gebracht. Die Jesuiten waren treffliche Ökonomen und errichteten an vielen geeigneten Orten Klöster und Missionen zur Ausübung ihrer Propaganda.

Als die Herrschaft der Priester durch die mexikanische Centralregierung im Jahre 1823 gestürzt wurde, weigerten sich die Missionäre zum großen Teile, diese Regierung anzuerkennen, und verließen das Land. Die wenigen, welche blieben, hatten ihren Einfluß verloren, fristeten ein kümmerliches Leben und verschwanden auch nach und nach.

Nicht weit von Sacramento lag ein mehrere Stockwerke hohes, mächtiges Gebäude, welches einen großen Hof umschloß, dessen nach der Stadt zu gelegene Seite von der altertümlichen, aus ungebrannten Backsteinen aufgeführten Kirche begrenzt wurde.

Das Gebäude war die Mission „Santa Lucia“, deren ganze, kasernenartige Räumlichkeiten in der letzten Zeit nur von drei Personen bewohnt waren: einem alten, ehrwürdigen Geistlichen, seiner noch älteren Wirtschafterin und einem Deutschen, welcher eigentlich Karl Werner hieß, von denen, die mit ihm verkehrten, aber nach seinem Vornamen nicht anders als Sennor Carlos genannt wurde, und das Faktotum des Pfarrers war.

Da wurden die Goldfelder Kaliforniens entdeckt, und die Nachricht von den in den Bergen liegenden fabelhaften Schätzen rief eine Einwanderung hervor, welche zunächst aus dem benachbarten Mexiko und den Vereinigten Staaten ihre Scharen herübersandte, bald aber mit den Kindern aller Weltteile das Land überschwemmte. Den zunächst herbeieilenden Abkömmlingen der alten spanischen Conquistadoren folgten Sandwich-Insulaner, dann Australier und Europäer, und selbst Chinesen und Kulis schwärmten herüber, um ihren Teil von dem Golde zu holen und reiche Leute zu werden.

San Francisco war der Hauptsammelpunkt der Fremden, von wo aus sie -weiter nach Norden oder in das Innere des Landes gingen. Sacramento war einer der hervorragendsten Nebenpunkte.

Natürlich führte nicht jeder ein Zelt oder eine sonstige Wohnung mit sich. Die Zahl der Menschen wuchs von Tag zu Tag, und da die einsetzenden Regen ein Lagern im Freien nicht gestatteten, so wurde alles, was zur Herberge dienen konnte, in Anspruch genommen.

Auch die alte Mission „Santa Lucia“ erlitt ein solches Schicksal, welches mit ihrer ursprünglichen Bestimmung wenig Ähnlichkeit hatte.

Ein Franzose aus dem Elsaß errichtete unten in einem der Flügel eine Brauerei, mauerte einen riesigen Kessel ein und fing an, ein Getränk zu kochen, welches er die Verwegenheit hatte, Bier zu nennen. In der vorderen Flanke, gerade neben der Kirche, setzte sich ein Amerikaner fest und errichtete eine Restauration, wobei er es für außerordentlich zweckmäßig fand, einen Teil des Kirchenschiffes in einen Tanzsalon umzuwandeln, in dem allwöchentlich einige „Reels, Hornpipers“ oder Fandangos abgehalten werden konnten. Dadurch wurde ein unternehmender Irishman aufmerksam gemacht, an die andere Seite der Kirche eine Branntweinkneipe setzen zu lassen.

Von dem untern Teile des andern Seitenflügels nahm ein Engländer Besitz, der sich mit einem schlauen New-Hamshiremann vereinigte, Chinesen herbeizuschaffen, ein Geschäft, bei dem sich die beiden Gentlemen, wie sich bald zeigte, sehr gut standen. So ging es fort, und nicht lange dauerte es, so war die alte Mission außer dem obersten Bodenraume des einen Flügels vollständig in Anspruch genommen.

Der alte Pfarrer konnte nichts dagegen thun. Anfangs hatte er, nicht imstande, Gewalt anzuwenden, eine Anzahl Prozesse angestrengt, um die Lästigen aus dem frommen Hause abzuhalten, aber nur zu bald sollte er die traurigen Folgen kennen lernen, denn er fiel dadurch einer ganzen Schar von Geirn in die Hände, die alle Zahlung von ihm wollten, ohne daß sie aber das geringste für ihn ausgerichtet hätten.

Dadurch wurde ihm die heilige „Santa Lucia“ verleidet, und eines schönen Morgens war er mitsamt seiner Wirtschafterin spurlos verschwunden. Es hatte auch niemand Lust, nach ihm zu forschen, und so blieb von den ursprünglichen Bewohnern nur Sennor Carlos zurück, der mit seiner Frau und Anitta, seiner Tochter, ein paar kleine Stuben des Erdgeschosses neben der Brauerei bewohnte.

Aber auch der Bodenraum sollte einen Besitzer finden. Angeblich von Buenos-Ayres war ein Mann nach Sacramento gekommen, der aus Cincinnati stammte und sich Doktor White titulierte; ob er in Wirklichkeit Arzt sei, danach wurde er von niemand gefragt. Er wollte in Sacramento ein Hospital gründen, fand aber keinen geeigneten Platz dazu und kam nun zur Mission geritten, wo er die Dachräume, da er keinen Menschen fand, dem er sie abmieten konnte, einfach mit Beschlag belegte. Er war ein praktischer Mann, der recht gut wußte, daß in diesem Lande das Recht des gegenwärtig Besitzenden nur schwer anzutasten war.

Schon am nächsten Tage traf eine Anzahl von Maultieren mit wollenen Decken und Matratzen ein, hinter welchen eine Schar von Mexikanern die nötigen eisernen Bettstellen herbeitrug. Noch vor Abend standen zwanzig Betten dort oben unter dem alten, defekten Ziegeldache auf dem offenen Boden, durch den der oft stürmische Wind nach allen Richtungen hin seinen Durchzug hatte und auf dem es zur Regenzeit eine ganz heillose, perennierende Überschwemmung gab. Das war nun das Hospital, welches seiner unglücklichen Patienten harrte.

Diese stellten sich auch nur zu bald ein.

So gesund das Klima in Kalifornien an und für sich auch ist, in den Minen giebt es doch stets der Kranken mehr als genug. Die wilde, unregelmäßige Lebensart trägt ebensoviel wie die schwere, für Tausende ungewohnte Arbeit und die vielen Regengüsse dazu bei, viele, besonders hitzige Fieber zum Ausbruch zu bringen, die für den davon Betroffenen aus Mangel an Pflege und ärztlicher Behandlung nur zu oft einen schlimmen und tödlichen Ausgang nehmen.

Da waren diejenigen noch glücklich zu preisen, welche die Krankheit nicht allein und in der Wildnis traf, sondern welche Freunde fanden, um sie aus den Bergen und Schluchten wieder in den Bereich der Civilisation und ordentlichen Pflege zu bringen. Die meisten freilich fanden bei den Minen nichts als sechs Fuß Erde über sich und einen armen Ring von Steinen um das enge Grab. Viele starben unterwegs oder lebten gerade lange genug, um mit dem letzten brechenden Blicke eine menschliche Niederlassung zu erfassen, und nur wenigen gelang es, wieder hergestellt zu werden, um mit gekräftigtem Körper ihre Arbeit aufs neue beginnen zu können.

Eines aber büßte jeder Kranke sicher ein: das mitgebrachte Gold.

In damaliger Zeit wurde die Arznei geradezu mit Gold aufgewogen, und ein tüchtiger Arzt hatte seine einträglichste Mine in den Krankheiten seiner Patienten. Und wie viele Quacksalber gab es, die dies zu benutzen verstanden und bei denen vielleicht gar mancher Kranke nur deshalb starb, weil er Gold besaß, welches er im Falle der Genesung wieder mitgenommen hätte!“ – –

Der Erzähler machte jetzt eine Kunstpause und zeigte dabei eine so verheißungsvolle Miene, daß ich im stillen annahm, er werde nun als Schriftsteller sein Erzählertalent leuchten lassen. Ich hatte mich auch nicht geirrt, denn er gab dem Folgenden die Form einer Novelle, welche ganz gut hatte gedruckt werden können. Er fuhr nämlich fort:

„Die Anhöhe zur Mission herauf schritt ein kräftig gebauter Jüngling, dessen lichtem Haare, regelmäßigen Gesichtszügen und von der Gesundheit roten Wangen man die germanische Abstammung sofort ansah, trotzdem er die bequeme mexikanische Kleidung trug.

An den Mezquitebüschen, welche die Mission umzogen, blieb er stehen und wandte sich nach Westen.

Der Abend nahte, und die Sonne tauchte ihre funkelnden Gluten in die strahlende Flut; vor ihm lag die Stadt, von brillantenem Lichte übergossen, und die Fenster des alten Gemäuers warfen blitzende Reflexe in die Ferne hinaus.

Er ließ sich auf den weichen Rasen nieder und versank so tief in den Anblick, daß er die leichten Schritte nicht vernahm, die sich von seitwärts her ihm näherten.

Ein kleines Händchen legte sich auf seine Schulter, und ein Köpfchen bog sich zu ihm herab. Er hörte die Worte:

„Willkommen auf der Mission, Sennor! Warum seid Ihr so lange Zeit nicht hier bei uns gewesen?“

„Ich war in San Francisco, Sennorita, wo ich allerlei Geschäfte hatte,“ antwortete er.

„Und wo Ihr den Sennor Carlos mitsamt seiner armen, kleinen Anitta vollständig vergessen habt!“

„Vergessen? Per dios, nein, und tausendmal nein! Anitta, wie könnte ich jemals Euer vergessen?“

Sie ließ sich ohne Ziererei an seiner Seite nieder.

„Habt Ihr wirklich an mich gedacht, Sennor Edouardo?“

„Bitte, Anitta, sprecht meinen Namen deutsch aus; ich höre ihn dann so gerne aus Eurem Munde! Und fragt nicht erst, ob ich an Euch denke! Wer hat sich meiner angenommen, als ich, durch böse Menschen um Hab und Gut gebracht, hier ankam, als Euer Vater? Und wer hat dann, als mich die Entbehrung und die erlittenen Strapazen auf das Krankenlager warfen, mich gepflegt wie einen Sohn oder einen Bruder? Ihr und Eure Mutter! Und wen habe ich hier im fremden Lande, zu dem ich gehen und mir Rats erholen kann, als Euch? Anitta, ich werde Euch nie vergessen!“

„Ist das wahr, Eduard?“

„Ja,“ antwortete er einfach, indem er ihre Hand ergriff und ihr voll und offen in die Augen blickte,

„Auch dann nicht, wenn Ihr wieder in die Heimat kommt?“

„Auch dann nicht! Ich habe Euch ja gesagt, Anitta, daß ich nicht ohne Euch in die Heimat zurückkehren werde; habt Ihr das vergessen?“

„Nein,“ antwortete sie.

„Oder leuchtet jetzt die Sonne Eurer Teilnahme für einen andern?“

„Für einen andern? Wer ist das? Oder darf ich auch das nicht wissen?“

„Es ist der Arzt da droben, der Doktor White.“

„Der –?“ frug sie gedehnt. „Wer möchte wohl die Sonne dieses dürren Master Chinarindo sein! Wenigstens meinetwegen könnte er im Dunkeln bleiben, so lange es ihm gefällt!“

„Anitta, ist das wahr?“ rief der junge Mann.

„Warum möchtet Ihr meinen Worten keinen Glauben schenken?“

„Weil ich weiß, daß er Euch nachgeht auf Schritt und Tritt und bei Euren Eltern gern gesehen ist.“

„Daß er mir nachgeht, kann ich nicht leugnen, aber daß ich ihm ausweiche, so viel nur möglich, ist ebenso sicher. Auch das ist wahr, daß ihm Vater nicht gram ist; er hat ihm viel von einem großen Vermögen vorgeschwatzt und will mit uns hinüber in die Heimat, nach Deutschland gehen, wenn er genug erworben hat.“

„Nach Deutschland? Will denn Euer Vater hinüber in die Heimat?“

„Ja. Seit die Mission zur Kaserne für jedermann geworden ist, gefällt es ihm nicht mehr. Aber wir sind arm und Vater ist zu alt, um noch so viel zu erwerben, daß wir fortkönnten, und da – –“

„Und da – –?“

„Und da denkt er, daß ein wohlhabender Schwiergersohn ihm diesen Wunsch erfüllen könne.“

Eduard schwieg eine Weile. Dann fragte er:

„Und Euer Vater würde Eure Hand dem Doktor geben?“

„Ja. Doch ich mag ihn nicht leiden, und die Mutter auch nicht.“

„Aber mich könntet ihr wohl leiden?“

Sie nickte. Er ergriff jetzt auch ihre andre Hand und sagte:

„Mir ist immer so gewesen, als ob wir zusammengehörten für das ganze Leben. Du bist so fromm, so gut, und ich möchte immer, immer bei dir sein. Darf ich das deiner Mutter sagen, die den Arzt da oben nicht leiden kann?“

„Ja.“

„Und auch deinem Vater?“

„Ja.“

„Jetzt gleich?“

„Jetzt gleich!“

„So komm!“

Er erhob sich, und sie folgte ihm. Sie gingen miteinander durch das Portal und schritten über den Hof weg der Thür zu, welche zur Wohnung Werners führte. Im Flur vernahmen sie eine harte, spitze Stimme, welche in der Wohnstube in eindringlichem Tone sprach,

„Der Doktor ist drin!“ meinte Anitta.

„Komm; wir treten in die Küche und warten, bis er sich entfernt hat!“

Sie thaten es und vernahmen nun jedes Wort des zwischen White und den Eltern geführten Gespräches.

Damn it, Master Carlos, meint Ihr etwa, daß ich den Beutel nicht offen zu halten verstehe?“ fragte der erstere. „Die Medizin ist mehr wert als das beste Placement drüben bei den Miners, und sobald ich genug habe, gehen wir fort von hier nach New York oder Philadelphia und von da noch weiter, wohin Ihr wollt. Ist’s Euch recht?“

„Hm, recht wär‘ mir’s schon, wenn ich nur auch wüßte, daß Ihr Wort haltet!“

„Teufel! Haltet Ihr mich für einen Lügner?“

„Nein. Ihr habt mir noch keine Veranlassung dazu gegeben. Aber das alte Kalifornien ist in neuerer Zeit ganz dazu angethan, einen mißtrauisch oder wenigstens vorsichtig zu machen.“

„So will ich Euch Sicherheit geben! Ich kann ohne Frau mein Geschäft nicht länger mehr fortsetzen, und Eure Tochter hat ein verteufelt einnehmendes Gesicht, so daß ich glaube, ich bin ihr gut über alle Maßen. Gebt sie mir zum Weibe, und ich versichere Euch, ich mache sie zu meinem Buchhalter und gebe ihr sogar die Kasse über. Ist Euch das nicht genug?“

„Hm, ja. Aber habt Ihr denn schon mit dem Mädchen gesprochen?“

„Nein, scheint mir auch nicht nötig zu sein. Der Doktor White ist schon der Mann, ein Mädchen zu bekommen, wenn er sie überhaupt haben will, und gegen Euern Willen wird sie auf keinen Fall schwimmen können.“

„Das ist wohl wahr, aber ich denke, daß sie bei so einer wichtigen Sache ihren Willen ebenso gut haben muß wie ich den meinigen, und so gern ich ja sage, wenn sie dagegen ist, so unterbleibt’s. Also sprecht vorher mit ihr, Doktor, und kommt dann wieder!“

„Soll gleich geschehen; habe nicht viel Zeit zu solchen Sachen übrig, habe einundzwanzig Patienten oben liegen, die mir viel zu schaffen machen. Wo ist sie?“

„Weiß nicht; vielleicht draußen vor dem Thore.“

„Schön! Muß sie finden; werde nach ihr suchen!“

Er wandte sich nach der Thür, blieb aber überrascht stehen, denn vor ihm standen Anitta und Eduard, die in diesem Augenblicke aus der Küche getreten waren.

„Hier ist sie, die Ihr sucht, Master Doktor,“ meinte der junge Mann, „und die Angelegenheit, die Ihr mit ihr besprechen wollt, wird nicht viel Zeit wegnehmen.“

„Wieso, wie meint Ihr das, Sennor Edouardo?“ fragte White, welcher seinen Nebenbuhler wohl kannte, da er ihn fast täglich bei den Eltern Anittas getroffen hatte.

„Ich meine, daß Ihr zu spät kommt, da ich soeben mit Anitta einig geworden bin. Sie hat keine Lust, Frau Doktorin zu werden, und will es lieber einmal mit mir versuchen!“

„Ist das wahr, Anitta?“ fragte Werner, vor Überraschung sich erhebend und die ausgeglimmte Cigarette aus der Hand werfend.

„Ja, Vater. Oder ist es dir nicht recht so?“

„Recht? O, recht würde es mir schon sein, denn ich habe den jungen selber lieb; aber was thut ihr mit der bloßen Liebe in einem Lande, wo Weg und Steg mit blanken Dollars bepflastert sind? Sennor Edouardo ist noch jung; er kann es noch zu etwas bringen, wenn er sich nicht vorzeitig an ein Mädchen hängt. Der Doktor aber weiß schon längst, was er hat; das ist der Unterschied, Anitta; er will mit nach Deutschland gehen und –“

„Eduard geht auch mit,“ unterbrach ihn das Mädchen; „er will – –“

„Kann er denn? Es gehört mehr dazu als der gute Wille.“

„Sennor Carlos,“ meinte Eduard jetzt, „es ist jetzt nicht der Augenblick, uns in der richtigen Weise auszusprechen. Aber sagt mir einmal aufrichtig- Würdet Ihr mir Anitta geben, wenn ich weniger arm wäre als jetzt?“

„Ja.“

„Und wie viel müßte ich haben?“

„Hm, das ist schwer zu sagen! je mehr, desto besser; wenigstens aber müßte es zulangen, um die Heimat erreichen und dort ein Gütchen oder so etwas kaufen zu können.“

„Und werdet Ihr mir Zeit geben, so viel zu erwerben?“

„Zeit? Wie lange meint Ihr denn?“

„Sechs Monate!“

„Hm, das ist nicht übermäßig lang. Was sagt Ihr dazu, Doktor?“

Damn it, das klingt grad wie ein trockenes, regelrechtes Geschäft; erlaubt, daß ich mit beitrete!“

„Das sollt Ihr!“

„So will ich Euch einen Vorschlag machen, Master Carlos!“

„Welchen?“

„Ihr wollt doch wohl hinauf nach den Minen, Master Edouardo?“ fragte er höhnisch, sich zu dem jungen Manne wendend.

„So ist es.“

Well, Sir; wir geben Euch sechs Monate Zeit. Kommt Ihr bis dahin mit dreitausend Dollars zurück, so ist Miß Anitta Euer, und ich sage kein Wort dagegen. Kommt Ihr aber nicht, oder mit weniger, so ist die Miß mein. Seid Ihr einverstanden, Master Carlos?“

„Vollständig, vorausgesetzt, daß Eure Verhältnisse so sind, wie Ihr sie mir beschrieben habt!“

„Sie sind so! Also wir sind einig. God bye; ich muß zu meinen Fieberkranken.“ – –

Es vergingen Monate und wieder stieg ein junger Mann die Anhöhe nach der Mission herauf und wandte sich am Mezquitegebüsch nach der hinter ihm liegenden Landschaft um. Es war nicht Eduard, obgleich die ausbedungenen sechs Monate bis auf einige Tage vergangen waren, sondern ein anderer.

Nachdem er sein Auge an dem sich ihm bietenden Panorama gesättigt hatte, ging er durch das Portal über den Hof und traf unter dem Eingange des Seitenflügels mit Anitta zusammen. Er fragte sie.-

„Könnt Ihr mir vielleicht sagen, Sennorita, ob hier der Doktor White zu finden ist?“

„Er wohnt hier. Steigt hinauf bis unter das Dach; dann seid Ihr in seinem Hospital, wo Ihr ihn sicher treffen werdet!“

Er folgte der Weisung und stieg höher und immer höher empor, bis er auf den Bodenraum gelangte, wo er zwei Reihen Betten erblickte, zwischen denen sich die Gestalt des Doktors bewegte. Der Raum war ein an und für sich nicht sehr heller, und da es draußen bereits zu dunkeln begann, so ließen sich die Gegenstände nicht genau unterscheiden.

White bemerkte den Fremden und trat herbei.

„Was wollt Ihr, Sennor?“ fragte er.

Der Gefragte horchte bei dem Klange dieser Stimme auf und fragte gespannt:

„Ihr seid Master White, der Doktor, Sir?“

„Ja.“

„Ich bin Pharmaceut, habe mein Glück in Kalifornien aus der Erde graben wollen, aber nichts gefunden, und bin dann zum Vermittlungsbureau gegangen, um mir ein Placement zu suchen. Dort wurde mir gesagt, daß Ihr einen Krankenwärter braucht, und so bin ich zu Euch heraufgestiegen, um zu sehen, ob die Stelle noch offen ist.“

„Sie ist noch unbesetzt. In welchem Orte und welcher Offizin habt Ihr gearbeitet?“

„Hm,“ antwortete der Fremde bedächtig, indem er rasch über die ersten Namen hinwegging, auf den letzten aber eine hörbar absichtliche Betonung legte. „In New-York, Pittsburg, Cincinnati und zuletzt in Norfolk, Nordkarolina, bei Master Cleveland.“

„In Norfolk bei Master Clev – –“

Er trat rasch näher, um das Gesicht des Fremden besser sehen zu können, und fuhr dann erschrocken zurück:

„Bei allen Teufeln, der verdammte Deutsch – – wollte sagen, Master Gromann, der mit mir zu gleicher Zeit dort – – aber kommt doch einmal mit herunter in meine Wohnung, Sir! Es freut mich wirklich unendlich, daß ich das Vergnügen habe, so unerwartet einen Kollegen zu finden, der mit mir an einem und demselben Platze war!“

Er konnte das sehr zweideutige Lächeln in den Zügen des anderen nicht sehen und stieg eine Treppe tiefer, wo er ein kleines Zimmer betrat und Licht machte. Der kleine Raum bildete augenscheinlich Wohn- und Schlafzimmer mit alles in allem.

„So, setzt Euch nieder, oder, um das Vergangene festzuhalten, setz‘ dich nieder! Wie ist es in Norfolk gegangen, nachdem ich fort war? Ich hatte einen kleinen Zwist mit dem Prinzipal, weshalb ich im Ärger ohne Kündigung und Abschied fortging. Ich hoffe, es geht dem alten Master Cleveland gut!“

„Gut? Es hat überhaupt bei ihm aufgehört, zu gehen. Als du fort warst, hatte sich unbegreiflicherweise auch die Kasse samt sämtlichen Wertpapieren, die in besonderer Verwahrung lagen, entfernt. Der Mann war dadurch ruiniert und hat sich nicht darüber wegsetzen können. Er ist tot!“

„Ist’s möglich! Was du sagst! Hm, der Alte hat niemals so recht fest gestanden und niemand in seine Verhältnisse blicken lassen. Ich glaube daher sehr, daß die Entfernung der Kasse nur ein kleines Arrangement von ihm selbst gewesen ist. Daß ich hier als Arzt etabliert bin, darf dich nicht wundern. Es fragt hier kein Mensch nach dem Diplom, und die Sache ernährt ihren Mann. Also du kommst nach der Stelle?“

„Ja; aber sag mir, Walker, wie du zu den Mitteln kamst, ein solches Etablissement zu gründen, und warum du nicht deinen richtigen Namen beibehältst!“

„Hm, die Mittel habe ich mir droben in den Minen geholt, und der Name wurde umgeändert, weil White gelehrter klingt als Walker. Aber um wieder auf die Stelle zu kommen, so sollst du sie haben, vorausgesetzt, daß du mir keine Veranlassung zur Klage giebst. Arbeitest du dich gut ein, so ist es sogar möglich, daß ich dich mir assistiere und vielleicht gar dir die Compagnie antrage.“

„Hast du Wohnung für mich?“

„Es wird sich wohl Rat schaffen lassen. Also, schlägst du ein?“

„Natürlich; topp!“

„Topp!“

„Sollst dich nicht über mich zu beklagen haben. Bin auch genugsam herumgeworfen worden, so daß mir nicht viel daran liegt, an die Vergangenheit zu denken.“

Gromann wurde angestellt und nach und nach in die verschiedenen Geheimnisse der Hospitalverwaltung eingeweiht. Der Doktor war gezwungen gewesen, ihn zu engagieren, beruhigte sich aber bei der Beobachtung, daß sein Assistent selbst solche Vorkommnisse ganz an ihrem Platze fand, die der Öffentlichkeit vorsichtig entzogen werden mußten.

White hatte jetzt mehr Muße, und benutzte dieselbe zu häufigen Besuchen bei Sennor Carlos, in dessen Vertrauen er sich mit schlauer Berechnung einzuarbeiten wußte. Der Vater berücksichtigte auch nicht im mindesten, daß der Arzt viel, viel älter war als seine Tochter, und ein Wesen und Auftreten besaß, welches jedermann abstoßen mußte.

Endlich waren die sechs Monate vergangen, ohne daß Eduard sich sehen ließ. Daß weder eine briefliche Nachricht noch sonst ein Lebenszeichen von ihm gekommen war, hatte Anitta wenig beunruhigt; sie wußte, daß die Postverbindung mit den Minen eine äußerst unvollkommene war und fast in Privathänden ruhte, so daß man auf den richtigen Empfang eines Briefes nie rechnen konnte. Es kam sogar häufig vor, daß Leute, welche die Besorgung von Briefen und Geldsendungen übernommen hatten, entweder unterwegs überfallen, beraubt und totgeschlagen wurden oder auch selber mit den ihnen anvertrauten Geldern ein Schiff suchten und durchgingen.

Heut aber war der letzte Abend, und Eduard kam noch immer nicht. Das Mädchen wurde von einer fürchterlichen Unruhe hin und her getrieben. Auch dem Doktor ging es so. Bis jetzt noch hatte er alle Chancen für sich, aber sein Nebenbuhler konnte jeden Augenblick noch kommen, und das – das mußte verhütet werden. Er übergab die Patienten dem Assistenten und verließ die Mission.

Die Kranken konnten mit der Anstellung Gromanns sehr zufrieden sein, der den Hilflosen als ein rettender Engel erschienen war. Dem Doktor gegenüber sich vollständig gehorsam und willenlos zeigend, handelte er hinter dem Rücken desselben ganz nach eigenem Ermessen und hatte die Überzeugung, daß ihm mancher Patient, der von White dem Tode geweiht war, das Leben und Eigentum zu verdanken haben werde.“ – – –

Wieder machte der Erzähler eine Pause und sah seine Zuhörer rundum an. Wahrscheinlich erwartete er, ein Lob zu hören, doch blieb dies aus, weil seine Erzählung bisher nicht genug interessant und spannend gewesen war. Da that er einige lange Züge aus seiner Cigarre und sagte:

„Die Geschichte scheint euch nicht zu gefallen; aber ich sage euch, daß die Hauptsache nun erst kommt.“

„Und diese Hauptsache ist wohl Old Shatterhand?“ fragte einer.

Yes! Ihr habt es erraten, Sir. Dieser berühmte weiße Jäger wird sofort auftreten. Ich habe euch gesagt, daß Doktor White die Patienten seinem Assistenten übergeben habe und fortgegangen sei. Die Unruhe ließ ihn nicht bleiben, denn obgleich es bereits der Abend des letzten Tages und die sechsmonatliche Frist bis auf wenige Stunden verstrichen war, konnte sein Nebenbuhler doch noch kommen. Es trieb ihn also von der Mission fort, nach der Stadt und nach dem Bahnhofe, wo er den bald fälligen letzten Abendzug erwarten wollte, der aus den Minen kam.

Es dauerte auch gar nicht lange, so kam er, und wer stieg aus? Mister Eduard, der sich also doch noch zur rechten Zeit einstellte. Als er schon vor dem Wagen stand, drehte er sich noch einmal um und grüßte hinein, als ob er sich von jemandem verabschiedete; dann schritt er fort. White ging kurz entschlossen sofort auf ihn zu und sagte zu ihm:

„Wahrhaftig, da kommt Ihr doch noch angefahren! Schon glaubten wir, Ihr würdet die Frist nicht innehalten. Die Hauptsache ist nun, ob Ihr auch glücklich gewesen seid und Gold gefunden habt.“

„Ich war glücklich, über alles Erwarten glücklich,“ lautete die frohe Antwort.

„Habt Ihr dreitausend Dollars?“

„Mehr, noch viel mehr!“

„Das ist kaum zu glauben! Andere arbeiten jahrelang in den Diggins und setzen die Gesundheit und das Leben daran, ohne etwas zu finden; Ihr aber geht nur auf einige Monate hin und kommt gesund und reich zurück! Doch, das ist nun nicht zu ändern, und ich muß zurücktreten. Geht Ihr gleich von hier nach der Mission?“

„Ja.“

„Ich auch. Wir gehen also miteinander. Kommt!“

Sie entfernten sich, ohne daß White auf den Mann achtete, mit welchem Eduard noch zuletzt gesprochen hatte und der inzwischen auch ausgestiegen war. Eduard hatte Sehnsucht, zu Anitta zu kommen und sie von der Sorge zu befreien, die sie wohl gewiß um ihn hatte; darum ging er sehr schnell. So durcheilten sie rasch die Stadt, und als sie dieselbe hinter sich hatten, war es dunkel um sie her. White konnte also, ohne daß sein Begleiter es bemerkte, einen Revolver aus der Tasche ziehen und die Sicherung daran zurückschieben.

„Also glücklich seid Ihr gewesen?“ sagte er. „Wer hätte das gedacht! Nun habe ich freilich das Nachsehen, denn Ihr habt mich aus dem Felde geschlagen. Habt Ihr allein in den Minen gearbeitet, oder hattet Ihr Kollegen?“

„Allein.“

„Was? Ihr versteht doch nichts von der Sache! Da ist es freilich ein großes Glück, ein ganz außerordentlicher Zufall, daß Ihr gleich auf eine Stelle geraten seid, wo Ihr einen solchen Fund machtet.“

„Es war kein Glück und kein Zufall, denn die Stelle wurde mir gezeigt.“

„Gezeigt? Unmöglich! Es wird niemals einem Digger einfallen, einem andern eine Fundstelle zu verraten.“

„Der es that, war kein Digger, kein Goldgräber.“

„Was denn?“

„Er war ein Roter, ein Indianer.“

„Wirklich? Dann ist es erst recht verwunderlich. Ja, es giebt Indianer, welche wissen, wo Gold liegt; aber es fällt ihnen nicht ein, dies einem Weißen zu sagen.“

„Dieser Indianer brauchte kein Gold; er war ein großer und berühmter Häuptling der Apatschen.“

„Wie hieß er?“

„Winnetou.“

„Alle Teufel! Winnetou! Wie seid Ihr denn mit diesem zusammengekommen?“

„Durch einen weißen Jäger, einen Freund von ihm, mit dem er sich in den Diggins befand.“

„Wie hieß dieser?“

„Old Shatterhand.“

„Ah – –!“

Dieser arglose Eduard bemerkte gar nicht, welchen Eindruck diese beiden Namen auf White machten, er fuhr ganz unbefangen fort:

„Ich traf diesen Old Shatterhand zufällig. Er fragte mich nach meinen Verhältnissen, denn er mochte sehen, daß ich kein Digger bin und nicht in die Minen paßte. Ich erzählte ihm alles aufrichtig und natürlich; auch, daß ich gekommen sei, um mir in sechs Monaten dreitausend Dollars zu erarbeiten. Erst lachte er darüber; dann wurde er ernst und sagte mir, daß er mir einen Mann bringen wolle, der mir wahrscheinlich einen guten Rat geben könne. Am nächsten Tage kam er mit Winnetou, der mich ansah, als ob er mir durch und durch blicken wolle. Dann nickte er Old Shatterhand still zu, und ich mußte mit ihnen gehen. Wir wanderten und stiegen fast den ganzen Tag umher, wobei Winnetou überall die Beschaffenheit des Bodens, der Erddecke untersuchte. Endlich, es war schon fast Abend, blieb er an einer Stelle stehen und sagte:

„Hier muß mein junger Bruder graben, aber allein, mit keinem andern; da wird er Nuggets und goldenen Sand finden.“

Ich löste mir den betreffenden Klaim und grub. Winnetou hatte recht gehabt; ich fand Nuggets. Ich mußte mich zwar sehr vor den andern Diggers in acht nehmen und meinen Fund verheimlichen, denn das ist meist räuberisches Gesindel, und es wäre mir vielleicht auch noch übel ergangen, wenn nicht in den letzten Tagen Old Shatterhand wiedergekommen wäre, um sich nach meinen Erfolgen zu erkundigen.“

„War Winnetou wieder bei ihm?“

„Nein; er hatte sich für einige Zeit von ihm getrennt, um erst nach Sacramento und dann nach San Francisco zu gehen. Er blieb bei mir, bis ich die Minen verließ, und sorgte dafür, daß mir kein Digger nahe kam. Dann fuhr er mit mir hierher.“

„Heut?“

„Ja.“

„So ist er mit Euch hier angekommen?“

„Natürlich! Wir saßen miteinander in einem Wagen.“

„Als Ihr ausgestiegen waret, spracht Ihr noch einmal in den Wagen hinein, wohl mit ihm?“

„Ja. Er stieg nicht gleich mit mir aus, weil er noch mit einem andern Passagier zu reden hatte. Ich sagte ihm guten Abend und bat ihn, Wort zu halten.“

„Welches Wort?“

„Er hat mir versprochen, mich morgen auf der Mission zu besuchen.“

„Teufel! Ist’s wahr?“

„Ja.“ antwortete Eduard, der nicht sah, in welcher Aufregung sich der Doktor jetzt befand. Dieser hatte große Angst vor Old Shatterhand; er versuchte, sich zu beherrschen, und erkundigte sich:

„Könnt Ihr denn auch beweisen, daß Ihr die dreitausend Dollars habt? Das müßt Ihr natürlich gleich heut abend beweisen können!“

„Das kann ich. Ich habe den ganzen Goldstaub in gute Papiere umgetauscht, die ich bei mir habe.“

Da blieb White stehen, zog den Hahn des Revolvers leise auf und sagte:

„Wißt Ihr, das Glück, daß Ihr Old Shatterhand und Winnetou getroffen habt, ist groß; noch größer, noch viel, viel größer aber ist die Dummheit, daß Ihr mir das alles erzählet!“

„Dummheit? Warum?“

„Weil Ihr nun das Mädchen nicht bekommt und auch das Geld nicht behaltet.“

„Wieso?“

„Wieso, fragt Ihr? Ihr werdet es sogleich erfahren.“

Im nächsten Augenblick krachte sein Schuß, und Eduard stürzte zu Boden, wo er lag, ohne sich zu rühren. White hob ihn auf, trug ihn ein Stück vom Wege seitwärts fort und legte ihn dort nieder. Dort wollte er ihn einstweilen liegen lassen, um ihn später in der Nacht irgendwo einzuscharren; vor allen Dingen mußte er ihm die Taschen leeren. Eben als er damit beginnen wollte, hörte er Schritte, welche sich rasch näherten; er huschte fort, um sich ja nicht sehen zu lassen. Der Tote lag ja gut, und er konnte ihm das Geld ebenso später wie jetzt nehmen. Er ging gar nicht erst in seine Wohnung, sondern gleich zu Werner, um dort Punkt zwölf Uhr seine Ansprüche geltend zu machen.“

Der Erzähler hielt jetzt wieder inne, um seine Zuhörer zu fragen:

„Nun, ist die Geschichte jetzt interessanter als vorher.“

„Viel, viel interessanter!“ wurde ihm geantwortet. „Aber wo bleibt denn Old Shatterhand?“

„Er ist ja schon da!“

„Ja, auf dem Bahnhofe!“

„Nein, sondern viel näher!“

„Wo?“

„Auf dem Wege nach der Mission. Er ist es ja, dessen Schritte White kommen hörte.“

„Ah so!“

„Ja. Nämlich als Old Shatterhand aus dem Bahnwagen stieg, suchte sein Blick nach seinem jungen Reisegefährten. Er sah ihn bei White stehen und stutzte. Wer war nur dieser Mann? Er mußte ihn kennen; er hatte ihn gesehen. Er sann und sann, und da fiel es ihm endlich ein: dieser Mann, mit dem Eduard gesprochen hatte, war der Kanada-Bill! Beide waren schon fort. Old Shatterhand eilte ihnen nach, sah sie aber in der nächsten Straße nicht. Wo der Kanada-Bill auftritt, giebt es stets eine Teufelei. Hatte er eine solche mit Eduard vor? So fragte sich Old Shatterhand. Er mußte ihn warnen. Er wußte, daß er nach der Mission gehen wollte, erkundigte sich bei einem Vorübergehenden nach ihr und ging nach.

Als er die Stadt verlassen hatte, war der Weg dunkel; er mußte langsam gehen, um ihn nicht zu verlieren. Da hörte er vor sich einen Schuß und eilte auf die Stelle zu, wo er gefallen war. Da blieb er stehen und lauschte. Es war ihm, als ob sich jemand leise entferne. Er suchte, ob jemand getroffen sei und vielleicht an der Erde liege. Er fand niemand. Da aber hörte er von der Seite her einen klagenden Ton. Er ging der Richtung dieses Tones nach und fand Eduard, der sich halb aufgerichtet hatte und die Hände auf die Gegend des Herzens drückte.

„Ihr seid es?“ fragte er erschrocken, da er ihn trotz der Dunkelheit erkannte.

„Ja, Sennor Shatterhand,“ antwortete Eduard leise.

„Seid Ihr getroffen?“

„Ja.“

„Wo?“

„Ins Herz, grad ins Herz.“

Das Sprechen fiel ihm schwer; der Atem fehlte ihm.

„Ins Herz? Das ist nicht möglich!“ sagte Old Shatterhand.

„Wenn man Euch ins Herz getroffen hätte, wäret Ihr tot. Bleibt still! Ich werde Euch untersuchen.“

Er öffnete ihm den Rock, die Weste, das Hemde – keine Spur von Blut, von einer Wunde! Er suchte weiter, kam an die Brusttasche, befühlte diese und erklärte dann erfreut:

„Gott sei Dank! Ihr habt in dieser Tasche den großen Beutel mit Nuggets, welche die Kugel aufgefangen haben. Hier fühle ich das kleine Loch im Tache. Der Schuß hat Euch umgeworfen und den Atem genommen; aber die Kugel ist in den Nuggets stecken geblieben. Wohnt nicht der Arzt, Euer Rivale, da in der Mission?“

„Ja.“

„Zu dem werde ich Euch führen oder tragen. Er wird Euch – –“

„Um Gottes willen, nein!“

„Warum nicht?“

„Der ist es ja, der auf mich geschossen hat!“

„Ah! War er am Bahnhofe?“

„Ja.“

„War es der Mann, mit dem Ihr von dort gegangen seid? Und wie heißt er? Oder vielmehr, wie heißt er jetzt?“

„White, Doktor White.“

„Ein Doktor, ein Arzt! Welch verschiedene Karrieren dieser Schurke doch schon eingeschlagen hat; es soll aber seine letzte sein. Dieses Mal werde ich ihm das Handwerk legen, und zwar für immer!“

„Kennt Ihr ihn denn?“

„Nur zu gut! Aber das ist jetzt Nebensache. Hauptsache ist, wie Ihr Euch befindet.“

„Es ist mir leichter; ich habe wieder Atem.“

„Und schmerzt die Brust?“

„Nicht sehr.“

„So wollen wir versuchen, ob Ihr aufstehen und gehen könnt. Stützt Euch auf mich!“

Der Versuch gelang; es ging langsam, aber doch. Unterwegs erzählte Eduard das Gespräch, welches er mit White gehabt hatte. In der Nähe der Mission angekommen, mußte er sich seitwärts an einer versteckten Stelle niedersetzen. Old Shatterhand ließ sich die Wohnung und das Hospital beschreiben und ging dann in das Haus, um White aufzusuchen. Die Wohnung war verschlossen; da stieg er die schlecht erleuchteten Treppen bis zum Bodenraum hinauf, dessen Thür er öffnete, ohne anzuklopfen. Da standen die Betten der Patienten, und an einem kleinen Tischchen saß der Assistent. Dieser stand auf, nicht wenig erstaunt über den späten Besuch. Und als er gar denselben genauer betrachtete und die zwei Gewehre sah, die Old Shatterhand auf der Schulter hängen hatte, und das Messer, die Revolver, welche in seinem Gürtel steckten, da wollte er beinahe erschrecken.

„Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier?“ fragte er.

„Ich suche Doktor White.“

„Der ist nicht hier.“

„Wo sonst?“

„Er wird unten bei Sennor Werner sein.“

„Und wer seid Ihr?“

„Ich heiße Gromann und bin der Assistent.“

„So kommt einmal her, Mr. Gromann; ich muß Euer Gesicht sehen!“

Er zog ihn zum Lichte, betrachtete ihn und sagte, indem seine ernsten, ja strengen Züge einen milden Ausdruck annahmen:

„Ihr scheint kein Halunke zu sein.“

„Bin auch keiner, sondern stets ein ehrlicher Mensch gewesen. Wie aber kommt Ihr zu Eurem befremdlichen Verhalten und diesen sonderbaren Worten, Sir?“

„Das will ich Euch sagen. Ist Euch vielleicht der Name Old Shatterhand bekannt?“

„Ja.“

„Dieser Mann bin ich.“

„Was – –? Wie – –? Ihr seid Old Shatterhand?“

„Ja. Und habt Ihr vielleicht einmal den Namen Kanada-Bill gehört?“

„Auch.“

„Wißt Ihr, was dieser Kerl für ein Mensch ist?“

„Der größte Halunke weit und breit.“

„Wißt Ihr das genau?“

„Ja. Es kann es niemand besser wissen, als ich, denn – denn – – hm!“

„Was hm?“

„Es ist eigentlich ein Geheimnis; aber da Ihr Old Shatterhand seid, kann ich es Euch sagen. Ich bin nämlich jetzt Detektive.“

„Geheimpolizist? Als Assistent dieses Doktor White?“

„Grad als dieser!“

„Ach! Ich beginne zu erraten! Da will ich Euch eine Bemerkung machen, die Euch wahrscheinlich außerordentlich interessieren wird. Euer sogenannter Doktor White ist nämlich der Kanada-Bill.“

Zounds! Ist’s wahr?“

„Wenn ich es sage, könnt Ihr es ruhig glauben.“

„Kennt Ihr den Kanada-Bill?“

„Sehr genau. Er ist lange verschwunden gewesen, mir aber heut über den Weg gelaufen. Soeben erst hat er einen Mordversuch begangen.“

„Was Ihr sagt! Wo? An wem?“

Old Shatterhand erzählte ihm die Sache, und da hielt denn auch Gromann nicht länger hinter dem Berge und sagte:

„Da muß ich aufrichtig mit Euch sein. Ich war früher Pharmaceut und als solcher bei Mr. Cleveland in Norfolk, Nordkarolina, in Kondition. Da trat bei ihm ein gewisser Walker ein, welcher engagiert wurde, weil er gute Zeugnisse besaß, die aber, wie wir uns später überzeugten, gefälscht waren. Bald stellte es sich heraus, daß er von der Pharmacie fast weniger als ein Anfänger verstand; es gab sehr ernste Scenen zwischen ihm und dem Prinzipal, und dann verschwand er plötzlich und mit ihm der Inhalt der Kasse mit dem ganzen Vermögen Clevelands. Ich liebte meinen Prinzipal; er war mein Wohlthäter gewesen. Der Verlust richtete ihn vollständig zu Grunde; die Polizei fand keine Spur von dem Verbrecher, und so nahm ich mir vor, ihm privatim nachzuspüren. Indem ich nach ihm suchte, kam ich auf die Fährte anderer Personen, die ebenso wie er gesucht und nun durch mich der Gerechtigkeit überliefert wurden. Das verschaffte mir einen guten Ruf bei der Polizei, und ich wurde als Detektive engagiert. Nun standen mir weit mehr materielle und geistige Mittel zu Gebote, mit deren Hilfe es mir gelang, einen Anhalt zu gewinnen. Auf diesem fußte ich weiter, bis ich endlich eine sichere Spur entdeckte, die mich hierher führte.“

„Zu White?“

„Ja.“

„Er ist jener Walker?“

„Ja.“

„Er muß Euch aber doch erkannt haben!“

„Natürlich; aber ich machte ihm die Sache so plausibel, daß er mich engagierte, natürlich nur, um mich zum Schweigen zu bringen. Nun bin ich als Assistent bei ihm, aber meines Lebens keinen Augenblick sicher, denn ich muß zu jeder Stunde gewärtig sein, daß er mich auf irgend eine Weise aus dem Wege räumt, um einen Zeugen seiner Vergangenheit zu beseitigen. Welche Vorsicht und Aufmerksamkeit das meinerseits erfordert, könnt Ihr Euch kaum denken!“

„Warum macht Ihr ihn nicht unschädlich?“

„Auf welche Weise könnte ich das thun?“

„Indem Ihr ihn arretiert.“

„Das kann ich nicht.“

„Warum?“

„Weil ich keinen Beweis gegen ihn habe. Ich weiß, daß er das Vermögen Clevelands gestohlen hat, aber überführen kann ich ihn nicht. Ich habe ihn Tag und Nacht beobachtet, habe alle seine Geheimnisse zu ergründen versucht, habe in jedem Winkel, in jeder Ecke, die mir zugänglich war, nachgeforscht; es ist alles vergeblich gewesen.“

„Die Euch zugänglich war – – das ist die Sache! Er wird sich hüten, Euch seine Geheimnisse zugänglich zu machen. Bei diesem Halunken kommt Ihr mit aller Eurer List nicht weiter als bisher; bei ihm kann man den gordischen Knoten nicht aufknüpfen, sondern man muß ihn zerhauen, und das werden wir heute thun. Hoffentlich kann ich dabei auf Eure Hilfe rechnen?“

„Oh, wenn Old Shatterhand was in die Hand nimmt, dann braucht er so eine geringe Hilfe, wie die meinige ist, nicht dabei!“

„Hat er Schränke, Kästen, in die Ihr noch nicht gekommen seid?“

„Ja.“

„Wo?“

„In seiner Privatwohnung unten.“

„Die wird er uns einmal öffnen müssen!“

„Das thut er nicht!“

„Wenn er’s nicht thut, thue ich’s!“

„Das würde gesetzwidrig und also strafbar sein. Verzeiht, Sir, daß ich Euch darauf aufmerksam mache!“

Pshaw! Was frage ich nach Euern Paragraphen, mit denen es Euch doch nicht gelungen ist, ihn zu fangen und zu überführen! Er ist der Kanada-Bill, der noch niemals nach einem Gesetze gefragt hat; also fällt es mir auch nicht ein, das Gesetz um die freundliche Erlaubnis zu bitten, wenn ich ihm das Handwerk legen will. Könnt Ihr jetzt vielleicht hier abkommen?“

„Ja. Wir haben augenblicklich keinen schweren Patienten.“

„So kommt mit mir herunter!“

Sie stiegen miteinander die Treppen hinab und gingen zu der Stelle, wo Eduard wartete. Dieser bekam von Old Shatterhand die Anweisung, wie er sich zu verhalten hatte, und dann begaben sie sich nach dem Erdgeschosse, wo Werner wohnte. Es war grad so um Mitternacht.

Sie gingen über den Hof und von dem Flur aus in die Küche, wo Eduard damals mit Anitta gelauscht hatte. Auch heut war diese leer. Werner saß mit Frau, Tochter und White in der Stube. Eben sagte der letztere:

„Jetzt, Sennor Carlos, ist es grad zwölf; die sechs Monate sind vorüber, und Eduard ist noch nicht da. Ich erinnere Euch an Euer Wort und hoffe, daß Ihr es halten werdet.“

„Ich halte es,“ antwortete Werner, „und gebe Euch meine Einwilligung, wenn Ihr mir beweist, daß Ihr wirklich so wohlhabend seid, wie Ihr gesagt habt.“

„Ich habe mich natürlich vorbereitet, diesen Beweis anzutreten. Hier seht Euch diese Papiere an! Die Summen, welche da verzeichnet stehen, habe ich auf der Bank deponiert. Genügen sie Euch?“

Man hörte Papiere rascheln, und dann rief Werner aus:

„Sennor Doktor, das ist ja viel, viel mehr, als ich erwarten konnte! Ihr seid ein reicher Mann!“

„Oh, ich könnte Euch beweisen, daß ich noch mehr habe; dies mag aber genügen. Und damit Ihr seht, was für einen aufmerksamen Gatten Eure Anitta an mir haben wird, will ich Euch diesen Schmuck zeigen, den ich ihr schon bei der Verlobung schenken werde. Es sind lauter Edelsteine.“

Man hörte Etuis öffnen, und dann erklangen Werners Ausrufe des Erstaunens und der Bewunderung. Da trat Gromann an die Küchenthür, welche ein wenig aufstand, und sah in das Zimmer. Kaum hatte er einen Blick hineingeworfen, so fuhr er zurück und flüsterte Old Shatterhand zu:

„Hört, Sir, ich habe jetzt, was ich brauche. Dieser Schmuck ist Mr. Cleveland gestohlen worden. Er gehörte seiner verstorbenen Frau und wurde nach ihrem Tode im Geldschrank aufbewahrt. Dann verschwand er mit Walker und mit dem Gelde.“

Jetzt fragte White drin:

„Nun, Sennor Carlos, habe ich Euch überzeugt?“

„Ja, Sennor. Komm her, Anitta, und gieb dem Doktor deine Hand!“

Jetzt horchten die Lauscher gespannt, was Anitta sagen würde.

„Ich gebe sie ihm nicht!“ sagte sie in sehr entschlossenem Tone.

„Du weißt, daß er mein Versprechen hat!“

„Das deinige, ja; aber von mir hat er kein Versprechen erhalten.“

„Versprechen ist Versprechen!“ rief White. „Ich denke doch, daß jede Tochter ihrem Vater Gehorsam schuldet! Eduard ist nicht gekommen; wahrscheinlich ist er in den Minen verdorben und gestorben, und – –“

Er kam nicht weiter in seiner Rede, denn Old Shatterhand schob jetzt Eduard durch die Thür in das Zimmer, und dieser sagte:

„Ich bin gekommen, wie Ihr seht. An Euch, Sennor White, liegt es freilich nicht, daß ich noch lebe und nicht gestorben bin!“

Anitta flog mit einem Freudenrufe auf ihn zu. White aber starrte ihn erschrocken wie einen Toten an, der plötzlich aus dem Grabe steigt. Da öffnete sich die Küchenthür wieder, und Gromann kam herein. Er trat an den Tisch, griff nach den Etuis und sagte:

„Dieser Schmuck ist Mr. Cleveland gestohlen worden; ich konfisziere ihn.“

„Konfiszieren?“ fuhr White auf. „Ich möchte den sehen, der den Mut hat, sich an meinem wohlerworbenen Eigentume zu vergreifen!“

„Das thue ich, weil es nicht wohlerworben ist. Ich bin Detektive und erkläre Euch, daß Ihr mein Gefangener seid, Mr. Walker, der sich hier White nennt!“

Und abermals wurde die Thür geöffnet. Old Shatterhand kam herein und sagte:

„Auch Walker ist sein richtiger Name nicht. Er hat schon hundert Namen getragen und seinen ursprünglichen wohl darüber vergessen; sein berühmtester oder berüchtigtster aber ist Kanada-Bill.“

Jetzt wurde der Schreck des angeblichen Doktors gradezu zum Entsetzen; sein Gesicht erbleichte bis zur Farbe des Papieres, und seine Gestalt wankte, so daß er sich mit den Händen auf den Tisch stützen mußte.

„Old – – Shat – – ter – – hand!“ kam es dabei bebend über seine blutleeren Lippen.

„Ja, Old Shatterhand! jetzt weißt du wohl, daß fürder kein Entrinnen ist! Deine Thaten schreien zum Himmel auf, und es wäre besser, du hättest die Kugel, welche diesen jungen Mann hier töten sollte, dir ins eigene Herz gejagt; da wärest du dem Strange entgange, dem ich dich ausliefern werde. Deine Laufbahn ist zu Ende!“

Die Wirkung dieser Worte riß die Gestalt des Kanada-Bill aus ihrer zusammengesunkenen Haltung empor. Seine Wangen färbten sich wieder, und seine Augen blitzten. Er griff mit der Hand in die Tasche und schrie Old Shatterhand an:

„Meinst du wirklich, daß ich so nahe am Strange stehe? Noch ist es nicht so weit!“

„Es ist so weit, und selbst dein Revolver kann dich nicht retten. Heraus mit der Hand aus der Tasche!“

„Ja, heraus! Aber nicht bloß mit der Hand. Ehe ich den Strang erhalte, bekommst du dieses Blei!“

Er hob die Hand, in welcher der Revolver blitzte, und richtete ihn auf Old Shatterhand. Der Schuß krachte; Old Shatterhand machte eine blitzschnelle Bewegung zur Seite; die Kugel ging vorüber, und fast in demselben Augenblicke traf seine Faust den Kanada-Bill mit solcher Wucht auf den Kopf, daß er förmlich zu Boden krachte und mehrere Stühle mit sich niederriß.

Werner saß vor Schreck lautlos; seine Frau aber schrie laut auf.

„Still!“ gebot Old Shatterhand. „Er ist gefällt und wird keinem Menschen mehr schaden. Gebt einige Schnüre her, um ihn zu binden, und schickt dann nach der Polizei! Die wird sich freuen, einen solchen Fang ausgeliefert zu bekommen.“

Er hob den Revolver auf, der dem Kanada-Bill entfallen war, und dann wurde der Bewußtlose gefesselt. Nun ging es ans Fragen, Antworten und Erklären, und als sich die Polizei einstellte, wurde die Wohnung des Verbrechers untersucht. Mit Hilfe der Schlüssel, welche er einstecken hatte, konnte man alles öffnen, und da fanden sich denn so viel Zeugen seiner Thaten, daß er der Todesstrafe nicht entgehen konnte. Vor allen Dingen gab es viel Goldstaub und Nuggets, die er seinen kranken Diggers im Hospitale abgenommen hatte, bevor sie von ihm aus dem Leben gedoktort worden waren. Auch die ganze Summe, welche er Mr. Cleveland abgenommen hatte, war vorhanden und durch seine Notizen legitimiert. Gromann freute sich königlich darüber, seinem armen, einstigen Prinzipale dieses Geld wiederbringen zu können.

Der Arrestant kam während der ganzen Durchsuchung seiner Wohnung nicht wieder zu sich und wurde in diesem bewußtlosen Zustande fortgeschafft. Als er dann später in der Haft erwachte, begann er zu schreien und zu wüten. Der Fausthieb Old Shatterhands hatte sein Gehirn in der Weise erschüttert, daß er nicht wieder richtig zur Besinnung, zum Bewußtsein kam. Er kämpfte Tag und Nacht mit den Gestalten derer, an denen er sich vergangen hatte, und wurde dabei so gefährlich, daß ihn nur die Zwangsjacke bändigen konnte. Die Tobsucht ließ nicht von ihm, bis sie ihn mit schäumendem Ringen tot niederwarf. Ein Ende durch den Strang wäre weniger schrecklich gewesen; aber er hatte diesen Tod verdient und war selber an ihm schuld, denn hätte er nicht auf Old Shatterhand geschossen, so wäre er nicht von diesem zu Boden geschlagen worden. So, ich bin mit meiner Geschichte fertig, und nun wißt ihr, Mesch’schurs, wo und wie der Kanada-Bill geendet hat.“ –

Die letzte Hälfte der Erzählung hatte aller Augen an seine Lippen gefesselt, und auch ich selbst war ihr mit Spannung gefolgt. Er hatte sie zwar in seiner Weise ausgeschmückt, aber dennoch mit ihr die Wahrheit berichtet.

Nun saßen die Zuhörer unter ihrem Eindrucke längere Zeit still da, bis einer sagte:

„Es ist eigentlich kaum glaublich, daß ein Mensch einen andern durch einen einfachen Fausthieb in dieser Weise niederschlagen kann!“

„Und dennoch ist es so,“ behauptete der Erzähler.

„Aber diesem Menschen muß die Hand doch wochenlang dann schmerzen!“

„Ich habe gehört, daß ein Vorteil dabei sei, den nur Old Shatterhand kennt und keinem Menschen sagt. Es soll dabei sehr auf die Lage der Finger, welche die Faust bilden, und auch auf die Stelle des Kopfes ankommen, auf welche der Hieb zu richten ist!“

„Ob Winnetou, sein Freund, das auch so fertig bringt?“ Das weiß ich nicht.“

„Aber ich weiß es,“ ließ sich eine andre Stimme vernehmen.

„Ihr? Kennt Ihr Winnetou persönlich?“

„Habe ihn gesehen.“

„Wo?“

„Drüben am Arkansas, in der Nähe von Fort Gibson, wo ich, wenn er auch nicht grad jemand mit der Faust niederschlug, doch Gelegenheit hatte, seine Gewandtheit und Körperkraft zu bewundern.“

„Ist es interessant?“

„Sehr!“

„So erzählt, Sir! Nicht wahr, Mesch’schurs, er soll es erzählen?“

„Ja, ja, erzählen, erzählen!“ rief’s im Kreise.

Ich war nun neugierig, was nun kommen würde, und ob es mir eine bekannte oder unbekannte Episode aus dem Leben Winnetous sei. Der Mann, welcher aufgefordert wurde, seine Geschichte vorzutragen, hatte lebhafte, scharfblickende Augen, ein intelligentes Gesicht und war wohl gewöhnt, über Dinge nachzudenken, welche andre Leute gleichgültig lassen. Schon die Einleitung, welche er vorausschickte, nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

„Ihr müßt wissen, Gent’s,“ begann er, „daß ich über den wilden Westen und die Indianer meine eigenen Ansichten habe, ganz andere, als sie hier landläufig sind. Ich bin, als ich noch mit der sogenannten Existenz zu kämpfen hatte, als Pedlar sehr viel unter den Roten gewesen und habe mich stets wohl bei ihnen befunden. Dann wurde ich dies und das; es ging mir von Jahr zu Jahr besser, und wenn ich jetzt als ein gemachter Mann hier bei euch sitze, so haben sich zwar meine Verhältnisse geändert, nicht aber meine Ansichten über die Indsmen, die weit, weit besser sind als ihr Ruf, und Winnetou ist der beste und herrlichste von ihnen. Ich möchte manchem Weißen wünschen, so zu sein wie er!

Die meisten von euch werden wissen, daß ich eine Reihe von Jahren Indianeragent gewesen bin, aber nicht einer von der Sorte, welche, um sich selbst zu bereichern, die Roten um ihr Recht prellen und um ihr Hab und Gut betrügen. Diese Art von Agenten trägt die meiste Schuld daran, daß die Indianer nie aus dem Zorne gegen die Weißen herauskommen. Diese Leute bereichern sich gewissenlos an der Armut und Nacktheit des bedauernswerten Angehörigen der roten Nation und schreien Ach und Wehe über sie, wenn sie dann endlich einmal die Geduld verlieren und mit den Waffen in der Hand Gerechtigkeit verlangen.“

„Das ist ja eine wirkliche Predigt, die Ihr uns da haltet, Sir!“ lächelte ein Nachbar von ihm.

„Wollte gerne, es wäre eine und es ständen alle Weißen der Vereinigten Staaten hier, um sie sich zu Herzen zu nehmen. Was ich euch erzählen will, habe ich selbst teilweise miterlebt; ich war dabei. Ihr werdet daraus erstens ersehen, was Winnetou für ein Mann ist, und zweitens, daß es weiße Schurken giebt, an deren Schlechtigkeit kein Roter kommt. Die Feindschaft der Indianer gegen uns ist wohl begründet; wenn aber Weiße sich an Weißen vergreifen, um sie zu verderben, so ist das eine Halunkenhaftigkeit, für welche man keine Worte findet und die den Indsmen einen Begriff von uns beibringt, der tief und schwer zu beklagen ist. Man darf sich dann nicht wundern, wenn sie uns verachten und sich für besser als die Bleichgesichter halten. Meine Geschichte wird von solchen Weißen handeln, und wenn Ihr dann noch stolz darauf seid, Weiße zu sein und die Roten für schlechter als die Bleichgesichter haltet, so ist das nicht meine Sache, sondern die eurige, Mesch’schurs. Also, ich will beginnen:

„Jene weiten Prairien Nordamerikas, welche sich westlich vom Vater der Ströme, dem Missisippi, bis an den Fuß des Felsengebirges und von dem jenseitigen Abhange derselben wieder an die Küste des stillen Weltmeeres erstrecken, haben nicht nur in physikalischer Beziehung mancherlei Ähnlichkeiten mit den unendlichen Fernen, welche die Wogen des Oceanes erfüllen. Es bieten sich zu einem Vergleiche zwischen den Weiten der Savanne und den oceanischen Strecken Punkte dar, welche nicht in äußeren Verhältnissen liegen und von denen einer der bedeutendsten in dem Eindrucke zu suchen ist, welchen die See sowohl als auch die Prairie auf denjenigen macht, der sich einmal von der heimischen Scholle losgerissen hat, um entweder auf längere Zeit die Fluten des Meeres zu pflügen oder auf dem Rücken eines guten Pferdes die abenteuervollen Hinterländer der Vereinigten Staaten zu durchstreifen.

Ein alter „Swalker“, welchem Zeit seines Lebens die Segel eines stattlichen Dreimasters um den Südwester schlugen, mag von dem Binnenlande nichts mehr wissen, und wird er seeuntüchtig, so baut er sich eine enge, kleine Kabine so nahe wie möglich an das Wasser und blickt mit liebevollem, sehnsüchtigem Auge hinaus auf die ewig wechselnden und nimmer ruhenden Wellen, bis die Hand des Todes ihm die müden Lider schließt.

So ist es auch mit dem, der es wagte, den Gefahren des „wilden Westens“ kühn die Stirne zu bieten. Ist er auch einmal zurückgekehrt in Gegenden, über welche die Civilisation ihren Segen und – ihren Fluch ausgeschüttet hat, so zieht es ihn doch immer wieder zwischen die gefährlichen Post-oak-flats hinein und in die unbegrenzte Wildnis hinaus, wo es der Anstrengung aller körperlichen und geistigen Kräfte bedarf, um im Kampfe mit den tausenderlei und stets neuen Gefahren der Savanne nicht zu unterliegen. Für ihn giebt es nur selten im Alter ein Ruheplätzchen, wie es der „abgetakelte“ Seemann doch an der sichern Küste findet; ihm läßt es weder Ruhe noch Rast, er muß sich auf den Rücken seines Mustangs hängen und immer wieder in die Ferne ziehen, in welcher er einst spurlos verschwinden wird. Vielleicht findet ein Jäger nach Jahren seine gebleichten Gebeine auf ausgedorrter Ebene oder zwischen den himmelanstrebenden Felsen des Gebirges liegen; aber er reitet vorüber ohne ein Kreuz oder Ave und fragt nicht nach dem Namen dessen, der hier vielleicht ein grauenvolles Ende nahm. Der Westen hat einen rauhen Sinn und duldet weder Zartgefühl noch Schonung; er ist den physikalischen Stürmen widerstandslos preisgegeben, kennt keine andre Herrschaft als diejenige des unerbittlichen Naturgesetzes und bietet darum auch nur Männern Raum, die ihren einzigen Halt in der eigenen knorrigen Naturwüchsigkeit suchen.

Ein trotz aller Verträge immer von neuem aus seinen angewiesenen Wohnsitzen verdrängter, von der Natur reich begabter und dennoch dem unerläßlichen Untergang geweihter Menschenschlag liegt hier im Verzweiflungskampfe mit einer Nation, welcher alle physischen und geistigen, alle künstlichen und natürlichen Mittel zur Verfügung stehen, den todesmutigen Gegner trotz der heldenmütigsten Gegenwehr gewaltsam zu erdrücken. Es ist ein Jahrhunderte langes Ringen zwischen einem sterbenden Giganten und einem von Minute zu Minute sich mächtiger entwickelnden Sohne der Gesittung, der dem Feinde die gewaltige Faust immer enger um die Kehle drückt, ein Ringen, wie es die Geschichte sonst wohl auf keinem ihrer Blätter wieder aufzuweisen hat, begleitet von Heldenthaten, welche dem, was von unsern klassischen Heroen berichtet wird, getrost und vollgültig an die Seite gestellt werden kann, und wer es wagt, die lang- und breitgestreckten Schlachtgefilde zu betreten, dem darf keine einzige der Waffen mangeln, mit denen die äußerlich unscheinbaren und doch bewundernswerten Kämpfer sich auf Tod und Leben bekriegen.

Wer in Fort Gibson am Arkansas die Büchse über die Schulter legt und einige Tagereisen weit stromaufwärts geht, gelangt an ein kleines Settlement, bestehend aus einigen einfachen Blockhütten, einem gemeinsamen Weideplatze und einem etwas abseits liegenden Hause, welches sich schon von weitem durch sein primitives Schild als Store und Boardinghaus zu erkennen giebt. Der Wirt dieses Hauses ist nicht gewohnt, große Ansprüche zu befriedigen, und erhebt also auch selbst keine in Beziehung auf diejenigen, welche bei ihm eintreten und verkehren. Niemand weiß, was er früher war und woher er kam; darum fragt er auch keinen nach Namen, Vorhaben oder Reiseziel. Man versorgt sich bei ihm mit dem Nötigen, thut einen „Drink“ nach Belieben, schlägt, sticht oder schießt sich ein wenig und geht dann seines Weges. Wer viel fragt, braucht viel Zeit, und dem Amerikaner ist die Zeit kostbarer als eine Antwort, die er am besten sich selbst geben kann.

In dem Boarraume saßen einige Männer, deren Äußeres keineswegs salonfähig zu nennen war. So unterschiedlich die Kleidungsstücke waren, welche sie trugen, sämtliche Anzüge ließen auf den ersten Blick den echten, richtigen Trapper oder Squatter erkennen, der kaum jemals davon gehört hat, was ein guter Schneider zu bedeuten hat, sondern sich seinen Bedarf ohne Wahl da und grad so nimmt, wo und wie er ihn findet.

Wo mehrere Westmänner beisammen sitzen, da ist ein guter Schluck in der Nähe und ebenso sicher eine gute Erzählung im Gange. Daß die Anwesenden grad jetzt still vor sich niederblickten, hatte jedenfalls seinen Grund darin, daß eine jener „dunklen und blutigen Geschichten“, wie man sie in den Grenzländern zu hören bekommt, soeben erst zu Ende gegangen war und nun jeder in seiner Erinnerung nach einer zweiten forschte. Da wurde plötzlich derjenige von ihnen, welcher in der nächsten Nähe des kleinen Blockfensters saß, laut:

„Auf, ihr Leute, und hinausgeschaut da hinüber nach dem Wasser!“ meinte er. „Täuschen mich meine alten Augen nicht, so sind dies zwei Green-beacks, zwei Grünschnabel, wie sie im Buche stehen. Seht nur, wie sie zu Pferde sitzen, so nett und so fein, grad wie vom heil’gen Christ beschert! Was thun solche Leute hier in unsern guten Wäldern?“

Alle außer einem Einzigen erhoben sich, um die Ankömmlinge zu mustern; der Sprecher aber legte sich mit breitgespreizten Ellbogen wieder auf den Tisch zurück. Er hatte seine Schuldigkeit gethan und brauchte sich um weiter nichts zu kümmern. Er war eine eigentümliche Figur. Die Natur schien im Sinne gehabt zu haben, mit ihm ein Seilerstück zu fabrizieren, so unendlich hatte sie ihn in die Länge gezogen; alles an ihm, das Gesicht, der Hals, die Brust, der Unterleib, Arme und Beine waren lang, unendlich lang und dabei scheinbar so schwach und dürftig, daß man befürchten mußte, den ganzen Mann beim ersten besten Windstoße zerrissen und in Fäden davonwirbeln zu sehen. Seine Stirn war frei; auf dem Hinterkopfe aber balancierte ein namenloses Ding, welches vor vielen, vielen Jahren vielleicht einmal ein Cylinderhut gewesen war, jetzt aber gradezu aller Beschreibung spottete. Das hagere Gesicht zeigte einen Bart, ja, aber dieser Bart bestand aus kaum hundert Haaren, welche einsam und zerstreut die beiden Wangen, Kinn und Oberlippe bewucherten und von da lang und dünn bis fast auf den Gürtel herabhingen. Der Jagdrock, welchen er trug, schien noch aus seiner frühesten Jugendzeit zu stammen, denn er bedeckte kaum die obere Hälfte des Leibes, und die Ärmel reichten nur wenige Zoll über die Ellbogen herab. Die zwei unglückseligen Schalen, in denen die Beine staken, konnten früher einmal Schäfte von einem Paar riesiger Schifferstiefel gewesen sein, hatten aber jetzt das Aussehen alter, durchgeglühter Ofenrohre und stießen in der Knöchelgegend auf zwei sogenannte horse-feets, wie man sie besonders in Südamerika aus den noch lebenswarmen Häuten der Pferdefüße bereitet.

„Hast recht, Pitt Holbers,“ entschied einer der Hinausblickenden; „es sind Green-beacks, die uns nicht viel angehen werden. Laßt sie machen, was sie wollen!“

Die Neugierigen kehrten an ihre Plätze zurück. Draußen ließ sich Pferdegetrappel vernehmen; eine kurze barsche Stimme ertönte, die grad so klang, als sei sie das Befehlen gewohnt, und dann öffnete sich die Thür, um die beiden einzulassen, von denen die Rede gewesen war.

Während von dem zuletzt Eintretenden nicht viel zu sagen war, wäre die Persönlichkeit dessen, der den Vortritt genommen hatte, in anderer Umgebung sicher nicht ohne Eindruck geblieben.

Ohne grad und in die Augen fallend stark gebaut zu sein, erhielt er durch eine eigentümliche Weise der Haltung und Bewegung ein ungemein kraftvolles und gebieterisches Aussehen. Sein regelmäßig, ja schön gezeichnetes Gesicht war von der Sonne tief gebräunt und wurde von einem dichten, dunklen Barte umrahmt, der breit und voll bis auf die Brust herniederging. Die Kleidung, welche er trug, war vollständig neu, und seine Waffen ebenso wie diejenigen seines Begleiters konnten erst vor kurzem den Laden des Händlers verlassen haben, so blank und sauber zeigte sich ihr Aussehen.

Der echte Trapper oder Squatter hegt einen unüberwindlichen Widerwillen gegen alle auf die äußere Erscheinung gerichtete Sorgfalt, und ganz besonders ist ihm das Putzen der Waffen verleidet, deren Rost ihm ein sicheres Zeichen ist, daß sie nicht zum Staate getragen wurden, sondern in Kampf und Todesnot ihre guten Dienste geleistet haben. Da, wo der Wert eines Menschen nach etwas ganz anderem, als nach seinem Kleide bestimmt wird, enthält ein stutzerhaftes Äußeres gradezu eine Art von Herausforderung, und es bedarf nur einer geringen Veranlassung, um scharfe Reden zu Gehör zu bringen.

Good day, Mesch’schurs!“ grüßte der Ankömmling, indem er seine Doppelbüchse von der Schulter nahm, um sie in die Ecke zu lehnen, was einem erfahrenen Westmanne auf keinen Fall eingefallen wäre. Und sich an den Wirt wendend, welcher ihn mit halb neugierigem, halb spöttischem Blicke musterte, fragte er: „Ist hier der ehrsame Master Winklay zu finden?“

„Hm, der bin ich vielleicht selber!“ meinte nachlässig der Gefragte.

„Vielleicht?“ klang es in etwas beleidigtem und daher spitzem Tone. „Was soll das heißen?“

„Das heißt, daß ich allerdings der Master Winklay bin, zuweilen aber auch nicht, je nachdem es mir beliebt.“

„So! Und wie beliebt es Euch denn jetzt?“

„Das kommt wohl nur darauf an, was Ihr von dem Master wollt, Sir!“

„Zunächst einen passablen Schluck für mich und diesen Mann und dann eine Auskunft, um die ich Euch zu fragen habe.“

„Der Schluck ist da; hier nehmt ihn hin! Und die Auskunft könnt Ihr ja auch haben, so gut ich sie zu geben verstehe. Ich weiß, was ich einem Gentleman schuldig bin.“

„Laßt den Gentleman weg, Winklay; er wird an diesem Ort nicht sehr viel gelten!“ befahl der Fremde, indem er das Glas mit unbefriedigter Gebärde vom Munde nahm. „Meine Frage betrifft Sam Fire-gun.“

„Sam Fire-gun?“ fragte überrascht der Wirt. „Samuel Feuerbüchse? Was wollt Ihr mit dem?“

„Das ist wohl meine Sache, wenn’s Euch beliebt! Ich höre, daß er hier bei Euch zuweilen zu finden ist?“

„Hm, ja und nein, Sir. Was Euch beliebt, kann ja auch mir belieben. Gebt Ihr mir auf meine Frage keine Antwort, so könnt Ihr auch von mir nicht viel erwarten. Hier sitzen Leute, die Euch vielleicht auch einen Bescheid geben. Es sind zwei dabei, die den ganz genau kennen, nach dem Ihr Euch erkundigt.“

Der Mann drehte sich um und war nicht mehr zu sprechen. Der auf so recht amerikanische Weise Zurechtgewiesene wandte sich ruhig zu den übrigen:

„Ist das wahr, was Winklay sagte?“

Er bekam keine Antwort. Etwas klüger wandte er sich an Pitt Holbers:

„Wollt Ihr wohl die Güte haben, mir eine Antwort zu geben, Master Schweigsamkeit?“

„Hört, Sir, mein Name lautet Holbers, Pitt Holbers, wenn Ihr’s merken könnt, und wenn Ihr dreihundert Männer zugleich fragt, so weiß keiner, ob grad er es ist, der antworten soll. Was wollt Ihr von Sam Fire-gun?“

„Nichts, was ihm unangenehm sein könnte. Ich bin aus dem Osten herübergekommen, um mich ein weniges im Walde umzusehen, und brauche einen Mann, bei dem man etwas unter die Hand bekommt. Dazu ist Sam Fire-gun der Richtige, und ich will Euch daher fragen, wohin man sich zu wenden hat, um mit ihm zusammenzutreffen.“

„Möglich, daß er der Richtige wäre; aber ob er’s auch sein will, das ist eine andre Frage. Ihr seht mir nicht grad aus, als ob Ihr zu ihm paßt!“

„Meint Ihr? Kann sein, aber auch nicht. Also sagt, ob Ihr eine Auskunft geben könnt und wollt?“

Der Aufgeforderte drehte sich langsam nach dem Winkel herum, in welchem derjenige saß, der vorhin bei der Ankunft der Fremden ruhig sitzen geblieben war.

„Was meinst du, Dik Hammerdull?“

Der Mann hatte bisher den Kopf geneigt gehalten und dem Inhalte seines Glases eine so anhaltende Aufmerksamkeit erwiesen, daß sein Auge noch gar nicht auf die zwei Fremden gefallen war. Jetzt drehte er sich herum und schob die Kopfbedeckung nach hinten, als wolle er seinem Verstande die nötige Freiheit zu einer vernünftigen Antwort geben.

„Was ich meine, das bleibt sich gleich. Er soll den Colonel finden!“ sagte er.

Er drehte sich wieder ab, um von neuem in sein Glas zu blicken. Der Schwarzbärtige aber schien mit diesem kurzen, mangelhaften Bescheide nicht zufrieden zu sein, sondern trat näher zu ihm heran.

„Wer ist der Colonel, Master Hammerdull?“ fragte er.

Der Gefragte sah langsam und erstaunt empor.

„Wer der Colonel ist, das bleibt sich gleich. Colonel heißt Oberst; Sam Fire-gun ist unser Oberst, folglich nennt man ihn den Colonel.“

Der Frager konnte sich über den logischen Trapper eines Lächelns nicht erwehren. Er legte ihm die Hand wie herablassend auf die Schulter und forschte weiter:

„Nur nicht hitzig, Master! Wenn man gefragt wird, so steht man Rede und Antwort, so ist es überall, und ich sehe nicht ein, warum es hier am Arkansas anders sein soll. Wo ist der Colonel zu finden?“

„Wo er zu finden ist, das bleibt sich gleich. Ihr werdet zu ihm kommen, und damit pasta!“

„Hoho, Mann, das ist mir nicht genug. Ich muß doch wissen, wo und wie dies geschehen soll!“

Dik Hammerdull machte ein noch viel erstaunteres Gesicht als vorhin. Er war der schweigsamste Mann zwischen den Seen und dem Busen von Mexiko und sollte hier zu einer langen Rede gezwungen werden? Das konnte er sich unmöglich gefallen lassen. Er nahm das Glas empor, that einen nicht enden wollenden Zug aus demselben und erhob sich dann. Erst jetzt war es möglich, ihn von Kopf bis Fuß in Augenschein zu nehmen.

Er schien von dem Modelleur der menschlichen Schöpfung als Gegenstück zu Pitt Holbers gearbeitet worden zu sein. Er war ein kleiner und außerordentlich dicker Kerl, wie sie Amerika nicht sehr häufig aufzuweisen hat, von dem man nicht recht wußte, ob man sich vor ihm fürchten, oder über ihn lachen solle. Sein kurzer, runder Körper stak in einem aus Büffelleder gefertigten Sacke, dessen ursprünglicher Stoff jedoch nicht mehr gegenwärtig war, denn eine jede Blessur des alten Kleidungsstückes war durch Aufheftung des ersten besten Stückes ungegerbten Felles oder irgend einer andern fraglichen Materie derartig geheilt worden, daß mit der Zeit Flick an Flick und Fleck an Fleck gekommen war und die Reparaturstücke wie die Ziegel eines Daches über- und aufeinander lagen. Dazu war der Sack jedenfalls für eine weit längere Person verfertigt worden und hing ihm fast bis auf die Knöchel hernieder. Die Beine staken in zwei Futteralen, die man weder Stiefel oder Schuhe, noch Strümpfe und Gamaschen nennen konnte, und auf dem Kopfe trug er einen formlosen Gegenstand, der vor Zeiten einmal eine Pelzmütze gewesen sein konnte, jetzt aber vollständig haarlos war. Das wetterharte Gesicht, aus welchem zwei kleine Äuglein hervorblinzelten, zeigte nicht die geringste Spur eines Bartwuchses und war von zahlreichen Schmarren und Narben durchzogen, die ihm ein außerordentlich kriegerisches Aussehen gaben. Bei näherer Betrachtung konnte man bemerken, daß ihm mehrere Finger fehlten. Seine Waffenausrüstung war ganz die gewöhnliche; sie zeigte nichts Außerordentliches; aber die Büchse, welche er vor sich auf dem Tische liegen hatte, verdiente vollkommen, näher betrachtet zu werden. Sie hatte ganz die Gestalt eines alten Knüttels, der aus dem Dickicht gebrochen war, um bei der ersten besten Schlägerei eine Rolle zu spielen. Das Holzzeug hatte seine ursprüngliche Gestalt und Form verloren, war zerschnitten, zerkerbt und zerspalten, als hätten die Ratten ihr Spiel damit gehabt, und zwischen ihm und dem verlaufenen Rohre hatte sich eine solche Menge von Schmutz und Ungehörigkeit angesetzt, daß Holz, Schmutz und Eisen ein vollständiges Ganze bildeten und gar nicht voneinander zu unterscheiden waren. Selbst der beste europäische Schütze hätte es nicht gewagt, aus dem alten Prügel einen Schuß zu thun, aus Angst, das Ding müsse sofort zerspringen, und doch stößt man noch heut in der Prairie auf derlei unscheinbares Schießzeug, aus welchem ein andrer nie eine gute Kugel bringt, obgleich der Besitzer sicher keinen Schuß thut, der sein Ziel verfehlt.“ –

Als der Erzähler diese Beschreibung von Dik Hammerdull brachte, mußte ich an meinen alten Gefährten Sam Hawkens [Fußnote] denken, dessen Äußeres beinahe ganz dasselbe war, nur daß er einen Vollbart hatte. Später hörte ich, daß Hammerdull ein guter Bekannter von ihm war und sich aus reiner Freundschaft ebenso wie er kleidete.

Die Erzählung ging weiter:

„Er stand jetzt aufrecht vor dem Fremden, sah mit unbeschreiblichem Augenzwinkern zu ihm empor und sagte:

„Wo und wie dies geschehen soll, das bleibt sich gleich. Glaubt Ihr denn, Sir, daß Dik Hammerdull auf dem Kollege zu so und so zehn Jahre lang herumgelaufen ist, um Reden zu studieren? Was ich sage, das sage ich; mehr nicht, und wem es zu wenig ist, der mag sich seine Predigt von einem andern halten lassen. Wir sind hier auf Savannenland, wo man den Atem zu notwendigeren Dingen als zum Schwatzen braucht. Merkt’s Euch!“

„Dik Hammerdull, Ihr seid auf dem Kollege gewesen, denn Ihr könnt reden trotz des besten Mormonentreibers. Aber mir zu sagen, was ich wissen will, das habt Ihr doch vergessen. Ich frage noch einmal: Auf welche Weise und wann und wo soll ich auf S am Fire-gun treffen?“

„Beim Teufel, Mann, nun hab ich’s satt! Ihr habt gehört, daß Ihr ihn finden werdet, und das ist vollauf genug. Setzt Euch zu Eurem Glase, und wartet die Sache ab. Ich lasse mir meinen Katechismus von keinem Greenhorn abexaminieren!“

„Greenhorn? Habt Ihr etwa Lust, mit meinem Messer Bekanntschaft zu machen?“

Pshaw, Sir! Was geht mich Euer Kneif an? Nehmt ihn zum Käferstecher oder rasiert meinetwegen Laubfrösche damit; Dik Hammerdull aber ist nicht der Mann, sich vor Eurer Spicknadel zu fürchten. Euer Auftreten ist nicht das eines Westmannes; ich sage es also noch einmal, ob es Euch gefällt oder nicht, das bleibt sich gleich: Ihr seid ein Greenhorn; sorgt dafür, daß es anders wird!“

Well, so soll es auf der Stelle anders werden!“

Er trat in die Ecke zurück, in welcher seine Büchse lehnte, ergriff sie, zog den Hahn zurück und gebot:

„Master Hammerdull, wo ist Euer Colonel zu finden? Ich gebe Euch nur eine Minute Zeit; ist meine Frage dann noch nicht beantwortet, so antwortet ihr überhaupt nicht mehr. Wir sind auf Savannenland, wo jeder sich das Gesetz selbst zu machen hat!“

Der Angeredete blickte mit der gleichgültigsten Miene in sein Glas; es war ihm nicht im mindesten anzumerken, daß er die Aufforderung wirklich vernommen habe. Die andern freuten sich des willkommenen Streites, der ihnen Unterhaltung bot, und blickten erwartungsvoll von einem der Gegner zu dem andern. Nur Pitt Holbers schien im voraus von der Art und Weise des Ausganges überzeugt zu sein, schob die hageren Finger gemütlich zwischen Leib und Gürtel und streckte die unendlichen Beine so weit wie möglich von sich, als seien sie ihm bei der Beobachtung seines schweigsamen Freundes im Wege. Der Fremde fuhr fort:

„Nun, Master, die Minute ist vorüber! Bekomme ich Antwort oder nicht? Ich zähle: Eins – – zwei – – dr – – –“

Er vermochte nicht, die gefährliche Drei auszusprechen. Bis zur Zwei hatte Hammerdull regungslos und gleichgültig dagesessen, dann aber mit Gedankenschnelle, die ihm ein Unbekannter wohl nicht zugetraut hätte, die alte Büchse ergriffen; in demselben Momente war sie gerichtet; es blitzte auf, der Schuß krachte mit hundertfacher Stärke in dem engen Raume, und das zerschmetterte Gewehr des Fremden flog aus der Hand desselben auf die Diele nieder. Aber schon im nächsten Augenblicke lag er selbst am Boden, und Dik kniete mit gezücktem Messer auf seiner Brust.

„Nun, Greenhorn, sag Drei, damit ich Antwort gebe!“ gebot er ihm höhnisch.

„Zum Teufel, Master, laßt mich auf; es war ja gar nicht so ernst gemeint. Ich hätte nicht geschossen!“

„Das kann man hernach gut sagen. Nicht geschossen? Also ein Theaterstreich mit dem alten Trapper, den sie Dik Hammerdull nennen? Lächerlich, rein lächerlich! Aber ob du geschossen hättest oder nicht, das bleibt sich gleich, mein junge. Du hast die Büchse auf einen Westmann gerichtet und damit nach Savannenrecht die Klinge erworben. Jetzt zähle ich: Eins – – zwei – –“

Der Überwältigte machte eine kraftvolle, aber vergebliche Anstrengung, loszukommen. Dann bat er:

„Stecht nicht, Master; der Colonel ist mein Oheim!“

Der Trapper nahm das Messer zurück, doch ohne den Gegner frei zu geben.

„Der Colonel – –? Euer Ohm – –? Das sagt, wem Ihr wollt; ich aber will mich bedenken, ehe ich es glaube!“

„Es ist so. Er würde es Euch wenig Dank wissen, wenn er hörte, was Ihr mir gethan!“

„So! Hm! Na, ob Ihr wirklich sein Neffe seid oder nicht, das bleibt sich gleich; ich hätte Euch doch bloß ein wenig gekitzelt, um Euch eine gute Lehre zu geben. Einem Greenhorn geht mein Messer nicht ans Leben, dazu ist’s zu gut. Steht auf!“

Er erhob sich und trat zu seinem Tisch zurück, auf welchen er vorhin die Büchse geworfen hatte. Sie aufnehmend, begann er, den abgeschossenen Lauf von neuem zu laden. Sein Gesicht glänzte vor Liebe und Sorgfalt, mit der er dieses Geschäft vornahm, und seine kleinen, leuchtenden Augen waren mit einem Blicke auf das alte Schießzeug gerichtet, welcher deutlich bekundete, daß die Waffe ihm an das Herz gewachsen sei.

„Ja, ein Gewehr wie dieses giebt’s nicht gleich wieder!“ meinte der Wirt, der dem Vorgange in aller Seelenruhe zugeschaut hatte und sich wenig um den Rauch kümmerte, welcher das Gemach erfüllte.

„Will es meinen, alter Brandythiner,“ meinte Hammerdull wohlgefällig. „Es ist gut und stets bei der Hand, wenn ich es brauche.“

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür geräuschlos, und ohne daß die an den Fenstern Sitzenden das Kommen irgend jemandes bemerkt hatten, trat leisen, unhörbaren Schrittes ein Mann ein, den man trotz der Trapperkleidung auf den ersten Blick als Indianer erkennen mußte.

Sein Gewand war sauber und sichtlich gut gehalten, eine, außerordentliche Seltenheit von einem Angehörigen seiner Rasse. Sowohl der Jagdrock als die Leggins waren von weichgegerbtem Büffelkalbleder, in dessen Bereitung die Indianerfrauen Meisterinnen sind, höchst sorgfältig gearbeitet und an den Nähten zierlich ausgefranst; die Mokassins waren aus Elenhaut und nicht in fester Fußform, sondern in Bindestücken gefertigt, was dieser Art von Fußbekleidung neben erhöhter Dauerhaftigkeit auch eine größere Bequemlichkeit verleiht. Die Kopfbedeckung fehlte; an ihrer Stelle war das reiche, dunkle Haar in einen Knoten geschlungen, welcher turbanartig auf dem stolz erhobenen Haupte thronte. Der Sohn der Wildnis hatte verschmäht, seine kühne Stirn zu bedecken.

Nachdem sein dunkles, scharfes Auge mit adlerartigem Blicke über die Gesellschaft geflogen war, schritt er zu dem Tische, an welchem Dick Platz genommen hatte. Er kam grad zu dem Unrechtesten, denn dieser fuhr ihn zornig an:

„Was willst du hier bei mir, Rothaut? Dieser Platz ist mein. Geh‘, such dir einen andern!“

„Der rote Mann ist müd; sein weißer Bruder wird ihn ruhen lassen!“ antwortete der Indianer mit sanfter Stimme.

„Müd‘ oder nicht, das bleibt sich gleich. Ich kann dein rotes Fell nicht leiden!“

„Ich bin nicht schuld daran; der große Geist hat mir’s gegeben.“

„Von wem du es hast, das bleibt sich gleich; geh‘ fort; ich mag dich nicht!“

Der Indianer nahm die Büchse von der Schulter, stemmte den Kolben auf den Boden, legte die gekreuzten Arme über die Mündung des Laufes und fragte, jetzt ernster werdend:

„Ist mein weißer Bruder der Herr von diesem Hause?“

„Das geht dich nichts an.“

„Du hast recht gesagt; es geht mich nichts an und dich nichts, darum darf der rote Mann grad so sitzen, wie der weiße.“

Er ließ sich nieder. Es lag in der nachdrücklichen Art und Weise, wie er dies sagte, etwas, was dem mürrischen Trapper imponieren mochte. Er ließ ihn jetzt gewähren.

Der Wirt trat herbei und fragte den Roten:

„Was willst du hier in meinem Hause?“

„Gieb mir Brot zu essen und Wasser zu trinken!“ antwortete dieser.

„Hast du Geld?“

„Wenn du in mein Wigwam kämst und um Speise bätest, würde ich sie dir ohne Geld geben. Ich habe Gold und Silber.“

Das Auge des Wirtes blitzte auf. Ein Indianer, der Gold und Silber hat, ist eine willkommene Erscheinung an jedem Orte, wo das verderbliche Feuerwasser zu haben ist. Er ging und kehrte bald mit einem mächtigen Kruge Branntweines zurück, welches er neben dem bestellten Brote vor den Gast setzte.

„Der weiße Mann irrt; solch‘ Wasser habe ich nicht begehrt!“

Erstaunt blickte ihn der Wirt an. Er hatte noch niemals einen Indianer gesehen, der dem Geruch des Spiritus hätte zu widerstehen vermocht.

„Was denn für welches?“

„Der rote Mann trinkt nur das Wasser, welches aus der Erde kommt.“

„So kannst du hingehen, wo du hergekommen bist. Ich bin hier, um Geld zu verdienen, nicht aber, um deinen Wasserträger zu machen! Bezahl das Brot, und troll dich fort!“

„Dein roter Bruder wird bezahlen und gehen, doch nicht eher, als bis du ihm verkauft hast, was er noch braucht.“

„Was willst du noch?“

„Du hast ein Store, wo man kaufen kann?“

„Ja.“

„So gieb mir Tabak, Pulver, Kugeln und Feuerholz.“

„Tabak sollst du haben; Pulver und Kugeln aber verkaufe ich an keinen Indsman.“

„Warum nicht?“

„Weil sie euch nicht gehören.“

„Deinen weißen Brüdern aber gehören sie?“

„Das will ich meinen!“

„Wir alle sind Brüder; wir alle müssen sterben, wenn wir kein Fleisch schießen können; wir alle müssen Pulver und Kugeln haben. Gieb mir, um was ich dich gebeten habe!“

„Du bekommst sie nicht!“

„Ist dies dein fester Wille?“

„Mein fester!“

Sofort hatte ihn der Indianer mit der Linken bei der Kehle und zuckte mit der Rechten das blitzende Bowiemesser.

„So sollst du auch deinen weißen Brüdern nicht mehr Pulver und Kugeln geben. Der große Geist läßt dir nur einen einzigen Augenblick noch Zeit. Giebst du mir, was ich will, oder nicht?“

Die Jäger waren aufgesprungen und machten Miene, sich auf den mutigen Wilden zu stürzen, unter dessen eisernem Griffe sich der Wirt stöhnend wand. Er aber hielt sich rückenfrei und rief, den Kopf stolz emporwerfend, mit dröhnender Stimme:

„Wer wagt es, Winnetou, den Häuptling der Apatschen, anzutasten?!“

Das Wort hatte eine überraschende Wirkung.

Kaum war es ausgesprochen, so traten die Angriffsbereiten mit allen Zeichen der Achtung und Ehrerbietung von ihm zurück. Winnetou war ein Name, der selbst dem kühnsten Jäger und Fallensteller Respekt einflößen mußte.

Der Indianer war der berühmteste Häuptling der Apatschen, deren bekannte Feigheit und Hinterlist ihnen früher unter ihren Feinden den Schimpfnamen Pimo zugezogen hatte; doch seit er zum Anführer seines Stammes gewählt worden war, hatten sich die Feiglinge nach und nach in die geschicktesten Jäger und verwegensten Krieger verwandelt; ihr Name wurde gefürchtet weit über den Kamm des Gebirges herüber, ihre mutigen Unternehmungen waren stets vom besten Erfolge begleitet, obgleich sie nur in geringer Männerzahl und mitten durch feindliches Gebiet hindurch ihre Streifzüge bis in den fernen Osten hinein ausdehnten, und es gab eine Zeit, in welcher an jedem Lagerfeuer und im kleinsten Boarraume ebensowohl wie im Salon des feinsten Hotels Winnetou mit seinen Apatschen den stehenden Gegenstand der Unterhaltung bildete. Jedermann wußte, daß er schon öfters ganz allein und ohne alle Begleitung außer derjenigen seiner Waffen über den Missisippi herübergekommen war, um die Dörfer und Hütten der Bleichgesichten zu sehen und mit dem großen Vater der Weißen, dem Präsidenten in Washington zu sprechen. Er war der einzige Häuptling der noch ununterjochten Stämme, welcher den Weißen nicht übel wollte, und es ging die Rede, daß er sogar ein sehr enges Freundschaftsbündnis mit Fire-gun, dem Trapper und Pfadfinder, geschlossen habe.

Niemand wußte zu sagen, woher dieser weit und breit bekannte und von allen Indianern gefürchtete Jäger stamme. Er hielt nur einige wenige Auserwählte um sich versammelt, tauchte bald hier und bald da mit ihnen auf, und wo einmal von so einem echten, rechten Trapperstücke erzählt wurde, da war sein Name gewiß mit dabei, und es gingen Berichte über ihn im Schwange, an deren Wahrheit man fast hätte zweifeln können, da er nach ihnen immer neue Abenteuer ausführte, bei denen ein andrer ganz sicher zu Grunde gegangen wäre, und die ihn mit einem Nimbus umhüllten, dessen Zauber sich besonders in dem allgemeinen Verlangen der Jäger, ihn kennen zu lernen, kund gab.

Aber das war nicht so leicht. Niemand kannte den Ort, der ihm und den Seinen als Sammelplatz und Ausgangspunkt ihrer Streifereien diente, und ebensowenig vermochte man den Zweck zu bestimmen, der ihn im wilden Westen hielt. War er einmal in irgend einer Ansiedelung erschienen, so hatte er ganz gewiß nicht mehr Felle mitgebracht, als zum Eintausche von Proviant und Munition unumgänglich notwendig war, und war dann stets sofort wieder spurlos verschwunden. Er gehörte also jedenfalls nicht zu den Jägern, welche sich durch die Jagd die Mittel zu einem späteren, gemütlichen Leben zu erwerben trachten; er mußte vielmehr ganz andre Absichten verfolgen, über welche aber nichts verlautete, weil er nie Umgang pflog und jedem Versuche der Annäherung behutsam aus dem Wege ging.

„Laß los!“ rief der Wirt. „Wenn du Winnetou bist, so sollst du alles haben, was du verlangst!“

„Hugh!“ tönte es im befriedigten Gutturaltone. „Der große Geist läßt dich dies Wort sagen, du Mann mit den roten Haaren, sonst hätte ich dich zu deinen Vätern versammelt und jeden dazu, der es verhindern wollte!“

Er gab ihn frei und trat, während Winklay hinausging, um im Vorratsraume nach dem Verlangten zu suchen, zu Hammerdull heran und fragte diesen:

„Warum sitzt der weiße Mann hier und feiert, während den roten Feinden nach seinem Wigwam verlangt?“

Dik sah vom Glase auf und antwortete verdrossen:

„Ob ich hier sitze oder wo anders, das bleibt sich gleich. Kennt mich der große Häuptling der Apatschen?“

„Winnetou hat dich noch nicht gesehen, aber er erblickt das Zeichen seines tapferen Freundes und weiß nun, daß du einer seiner Männer bist. Soll Fire-gun, der große Jäger, allein kämpfen um die Skalps der Ogellallahs, die nach ihm suchen?“

„Ogellallah?“ Dik Hammerdull schnellte in die Höhe, als habe er eine Klapperschlange unter dem Tische erblickt, und auch Pitt Holbers stand mit einem einzigen Schritte seiner langen Beine vor dem Indianer. „Was weiß der rote Mann von den Ogellallahs?“

„Eile zu deinem Häuptling, du wirst es von ihm erfahren!“

Er wandte sich um zu dem Wirte, welcher wieder eingetreten war, knüpfte die Pulver-, Kugel- und Proviantbeutel vom Gürtel los, ließ sich dieselben füllen und fuhr dann mit der Hand unter das weißgraue Jagdhemde.

„Winnetou wird geben dem Manne mit den roten Haaren auch rotes Metall!“

Winklay nahm die Bezahlung in Empfang und betrachtete das schwere Stück mit unverkennbarem Entzücken.

„Gold, echtes, blankes, massives Gold, vierzig Dollars unter Brüdern wert! Indsman, wo hast du es her?“

Pshaw!“

Er sprach das Wort mit geringschätzigem Achselzucken aus und war im nächsten Augenblicke aus der Stube verschwunden.

Der Wirt sah die andern mit offenem Munde an.

„Hört, Gentlemen, der rote Halunke scheint mehr Gold zu besitzen, als wir alle miteinander. Habe mein Pulver noch nie so gut bezahlt erhalten, wie von ihm. Wäre doch der Mühe wert, ihm einmal nachzugehen, denn daß er von dieser Sorte noch mehr bei sich führt und sein Pferd hier irgendwo stecken hat, das ist so sicher wie die Klinge am Griffe!“

„Wollt’s Euch nicht raten, Mann,“ antwortete Dik Hammerdull, indem er sich zum Gehen rüstete. „Winnetou, der Apatsche, ist nicht derjenige, welcher sich auch nur einen Schrot nehmen läßt. Ob er Gold hat oder nicht, das bleibt sich gleich, aber bekommen thut es keiner!“

Auch Pitt Holbers warf seine Rifle über die Schulter und meinte:

„Müssen fort, Dik, fort, so rasch wie möglich. Der Indsman ist allwissend, und mit den Hunden von Ogellallahs, hol sie der Teufel, muß es also seine Richtigkeit haben. Aber was wird nun mit den Männern dort, he?“

Er zeigte bei diesen letzten Worten auf die Fremden.

„Hab‘ gesagt, daß sie mitgehen, und wird auch so bleiben!“ antwortete der Dicke und wandte sich zu dem Schwarzbärtigen.

„Wenn Ihr Sam Fire-gun sehen wollt, so ist’s jetzt Zeit aufzubrechen, aber sagt vorher erst, wie Ihr heißt! Ob Ihr einen Namen habt oder nicht, das bleibt sich zwar ganz gleich, aber man muß doch wissen, wie man Euch zu nennen hat.“

Der Gefragte erhob sich, um sich mit seinem Begleiter den beiden Trappern anzuschließen.

„Ich heiße Sander, Heinrich Sander, und bin ein Deutscher von Geburt.“

„Ein Deutscher? Hm, ob Ihr ein Chinese seid oder ein Großtürke, das bleibt sich gleich; da Ihr aber ein Deutscher seid aus Germany da drüben, so ist es mir um so lieber und auch besser für Euch, denn die Deutschen sind brave Männer; kenne sie, und bin manchem von ihnen begegnet, der die Büchse so zu halten verstand, daß er den Büffel ins Auge traf. Vorwärts also, Mann. Wir müssen lange Beine reiten!“

Die vier Männer traten ins Freie. Dort steckte Hammerdull die Finger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus, auf welchen zwei aufgezäumte Pferde hinter der Fenz hervorgetrabt kamen.

„So, da sind die Tiere. Nun hinauf und fort, Master Sander und – ja, und wie soll man denn Euch nennen?“ fragte er den andern.

„Peter Wolf heiße ich,“ antwortete dieser.

„Peter Wolf? Verteufelt miserabler Name! Es ist zwar ganz gleich, ob Ihr John oder Tim oder meinetwegen Bill heißt, aber Peter Wolf, das bricht einem ja die Zunge entzwei und schiebt die Zähne auseinander. Na also, steigt auf und macht, daß wir in den Wald und dann in die Prairie hineinkommen!“

„Wo ist denn der Indianer hin?“ fragte Sander.

„Der Apatsche? Wo der hin ist, das ist ganz egal, das bleibt sich sogar gleich. Er weiß am besten, wohin er zu gehen hat, und ich wette meine Stute gegen einen Ziegenbock, daß wir ihn grad da wiedertreffen, wo er es für gut hält und wir ihn am nötigsten brauchen.“

Die Wette hätte ihre lustige Seite gehabt, denn es wäre gar mancher wohl schwerlich bereit gewesen, einen guten, wohlgehaltenen Ziegenbock gegen die alte, steifbeinige Stute zu setzen, die jedenfalls eine ansehnliche Reihe von Jahren auf dem messerscharfen Rücken trug und eher einem Bastarde zwischen Ziege und Esel, als einem brauchbaren Pferde ähnlich sah. Ihr Kopf war unverhältnismäßig groß, schwer und dick; von einem Schwanze war absolut keine Rede mehr, denn wo früher vielleicht ein kräftiger Haarschweif herabgehangen hatte, da ragte jetzt ein kurzer, spitziger und knochiger Stummel in die Höhe, an welchem man selbst bei Anwendung eines Mikroskopes nicht eine einzige Haarspur entdeckt hätte. Ebenso fehlte die Mähne vollständig. An ihrer Stelle war ein wirrer, schmutziger Flaumfederstreifen zu erkennen, welcher zu beiden Seiten des Halses in die langzottige Wolle überging, mit welcher der knochendürre Leib bedeckt war. An den mühsam zusammengehaltenen Lippen konnte man erkennen, daß das liebe Tier wohl keinen einzigen Zahn mehr besitze, und die kleinen, tückisch schielenden Augen ließen vermuten, daß es einen nicht sehr liebenswürdigen Charakter besitze.

Doch hätte nur der im Westen Unbekannte über die alte Rosinante lächeln können. Diese Art von Tieren hat gewöhnlich ein halbes Menschenalter hindurch dem Reiter in Not und Gefahr gedient, in Wind und Wetter, in Sturm und Schnee, Hitze und Regen treu und mutig zu ihm gehalten, ist ihm daher an das Herz gewachsen und besitzt selbst noch im hohen Alter schätzenswerte Eigenschaften, welche ihn nicht leicht zu einem Wechsel schreiten lassen. So wußte jedenfalls auch Dik Hammerdull, warum er seine Stute beibehielt und nicht einen jungen, kräftigen Mustang an ihrer Stelle unter den Sattel nahm.

Auch Pitt Holbers war nicht sehr prachtvoll beritten. Er saß auf einem kleinen, kurzen und dicken Hengst, der so niedrig war, daß die langen, unendlichen Beine des Reiters fast an der Erde schleiften. Doch waren trotz der nicht geringen Last die Bewegungen des Tieres so leicht und zierlich, daß man ihm schon etwas zutrauen durfte.

Was die Pferde der beiden andern betraf, so stammten sie offenbar aus einer ruhigen Farm des Ostens und hatten also die Aufgabe, ihre Brauchbarkeit im Laufe der Zeit erst noch zu beweisen.

Der scharfe Ritt ging bis gegen Abend hin durch den hohen Wald. Sodann erreichte man die offene Prairie, welche“ von gelbblühendem Helianthus bedeckt, sich wie ein prachtvoller Teppich nach allen Seiten hin erstreckte und in einer weiten, unendlichen Ebene sich gegen den graugefärbten Horizont verlief.

Die Pferde hatten sich heut ausgeruht, und so konnte man noch ein gutes Stück in die Savanne hineinreiten, ehe ein Nachtlager errichtet wurde. Erst als die Sterne schon am Himmel standen und der letzte Strahl der Sonne längst verschieden war, hielt Hammerdull sein Pferd an.

„Stop,“ meinte er; „hier hat der Tag ein Ende, und wir können uns ein wenig in unsre Decken wickeln! Meinst du nicht, Pitt Holbers, altes Coon?“

Coon ist die gebräuchliche Abkürzung von Racoon, der Waschbär, und wird zwischen den Jägern unter allerlei Bedeutung gern als Anrede gebraucht.

„Wenn du denkst, Dick,“ antwortete brummend der Gefragte, indem er unternehmend in die Ferne schaute. „Aber wäre es nicht besser, wir legten noch eine Meile hinter uns oder drei und fünf? Beim Colonel sind jedenfalls vier tüchtige Arme und zwei gute Büchsen notwendiger, als hier auf der Wiese, wo die Käfer summen und die Nachtfalter einem um die Nase streichen, als gäbe es in der ganzen Welt keine Rothaut auszulöschen.“

„Das mit den Käfern und Rothäuten, das bleibt sich gleich. Wir haben hier zwei Männer, welche die Savanne noch nicht gekostet haben, und müssen ihnen Ruhe gönnen. Sieh nur, wie hier der Braune von Peter Wolf – verdammt schwerer Name – also, wie der Braune schnauft, als hätte er den Niagarafall in der Kehle! Und der Fuchs, auf dem der Sander hängt, dem tropft ja das Wasser aus dem Barte. Herab also; mit Tagesgrauen geht’s weiter!“

Die beiden Deutschen waren des langen Reitens ungewohnt und also wirklich müd geworden. Sie leisteten dem Aufrufe also augenblicklich Folge. Die Pferde wurden an den langen Lassos angepflockt, und nachdem man ein frugales Abendbrot zu sich genommen und die Wachen bestimmt hatte, legte man sich auf den weichen Rasen.

Am Morgen ging es weiter. Die beiden Trapper waren schweigsame Männer, die nicht gern ein Wort mehr sprachen, als unumgänglich notwendig war; man befand sich ja jetzt nicht mehr im sichern Store, wo man diese oder jene Geschichte unbesorgt vom Stapel lassen konnte, sondern in der Savanne, wo man keinen Augenblick ohne Vorsicht und sorgfältige Umschau vergehen lassen durfte, und die Nachricht, welche Winnetou gebracht hatte, war geeignet genug, selbst redseligere Zungen im Zaume zu halten. So kam es, daß Sander die Erkundigungen, welche er während des ganzen Tages auf den Lippen gehabt hatte, zurückhielt, und als er sie am Abende auf dem Lagerplatze aussprechen wollte, fand er so verschlossene Ohren, daß er sich unbefriedigt in seine Decke wickelte und den Schlaf suchte.

So ging es mehrere Tage fast wortlos aber in immer gleicher Eile in die Prairie hinein, bis am fünften Tage gegen Abend Hammerdull, welcher an der Spitze ritt, plötzlich sein Pferd anhielt und im nächsten Augenblick im Grase kauerte, um den Boden mit sichtlicher Aufmerksamkeit zu betrachten. Dann rief er aus:

Have care, Pitt Holbers, wenn hier nicht einer vor noch ganz kurzer Zeit geritten ist, so lasse ich mich von dir auffressen. Steig ab, und komm herbei!“

Holbers trat mit dem linken Beine auf die Erde, zog dann das rechte über den Rücken seines dicken Hengstes herüber und bückte sich, um die Spur zu prüfen.

„Wenn du denkst, Dik,“ brummte er zustimmend, „so meine ich, daß es ein Indianer gewesen ist.“

„Ob es eine Rothaut gewesen ist oder nicht, das bleibt sich gleich, aber das Pferd eines Weißen giebt eine andre Spur als diese da. Steig wieder auf, und laß mich machen.“

Er verfolgte zu Fuße die Hufeindrücke, während seine erfahrene und verständige Stute langsam und freiwillig hinter ihm hertrollte. Nach einigen Hundert Schritten blieb er halten und wandte sich zurück:

„Steig wieder ab, altes Coon, und sage mir, wen wir da vor uns haben!“

Er deutete mit dem Zeigefinger auf die Erde. Holbers bog sich herab, unterwarf die Stelle einer sehr genauen Prüfung und sagte dann:

„Wenn du denkst, Dick, daß es der Apatsche ist, so sollst du recht haben. Dieselben ausgezackten Fransen, wie hier eine an dem Kaktus hängt, trug er damals im Store an den Mokassins. Ich habe dergleichen noch bei keiner Rothaut bemerkt, da sie gewöhnlich nur grad ausgeschnitten werden. Er ist hier abgestiegen, um sich irgend etwas anzusehen, und dabei haben ihm die Stacheln die Franse abgerissen. Ich denke – – behold, Dik, schau hier rechts! Was für Füße sind das wohl gewesen?“

„Bei deinem Barte, Pitt, das ist ein scoundrel, so ein Schuft von Indsman, der von dort seitwärts kam und hier abgebogen ist, was meinst du?“

„Hm! Der Apatsche hat ein heidenmäßig scharfes Auge; ihm ist wahrhaftig gleich die erste Spur des Mannes ins Gesicht gefallen, und wer weiß, wie lange wir schon auf der seinigen herumgeschnobert sind, ohne sie zu bemerken.“

„Ob wir sie bemerkt haben oder nicht, das bleibt sich gleich. Wir haben sie ja gefunden, und das ist genug. Aber eine Rothaut läuft nicht so einzeln hier mitten in der Savanne herum. Er wird in der Nähe seine Mähre stehen haben, und nicht weit davon hält sicher eine ganze Anzahl Pfeilmänner und führt irgend eine Teufelei im Schilde. Laßt uns einmal Umschau halten, ob nicht dieses oder jenes zu bemerken ist, an das wir uns halten können!“

Er suchte den Horizont sorgfältig ab und schüttelte dann unbefriedigt mit dem Kopfe.

„Hört, Sander, Ihr habt da ein Futteral an der Seite hängen. Warum macht Ihr es nicht auf? Steckt etwa ein Vogel drin, der Euch nicht fortfliegen soll?“

Sander öffnete das Etui, zog ein Fernrohr hervor und reichte es dem Trapper vom Pferde herab. Dieser stellte es, brachte es vor das Auge und begann seine Untersuchung von neuem.

Nach kurzer Zeit zog er die Augenbrauen zusammen und meinte mit listigem Blinzeln:

„Hier hast du einmal das Glas, Pitt Holbers. Sieh da hinauf, und sage mir, was das für eine lange, grade Linie ist, welche sich von Osten her längs des nördlichen Horizontes bis hinüber nach Westen zieht?“

Holbers folgte der Weisung. Dann nahm er das Rohr vom Auge und rieb sich bedachtsam seine lange, scharfe und spitzige Nase.

„Wenn du denkst, Dick, daß es der Railway ist, die Eisenbahn, die sie da hinüber nach Kalifornien gelegt haben, so bist du nicht so dumm, als wie man denken sollte.“

„Dumm –? Dik Hammerdull und dumm! Kerl, ich kitzle dich mit meiner Klinge zwischen die Rippen, daß dir der lange Atem wie ein morsches Schiffstau aus dem großen Maule läuft! Dick Hammerdull und dumm! Hat man jemals so etwas gehört? Übrigens, ob er dumm ist oder nicht, das bleibt sich gleich; aber wer ihn für billiger kaufen will, als er ist, der mag wohl zusehen, daß er sich nicht verrechnet. Was aber hat denn eigentlich der Railway mit der Rothaut zu thun, die von da hinübergeschlichen ist, Pitt Holbers, du Ausbund von allen möglichen Arten der Weisheit, he?“

„Hm, wann kommt wohl der nächste Zug, Dik?“

„Weiß nicht genau, denke aber, daß er noch heut hier vorübergeht.“

„Dann haben es die Roten sicher auf ihn abgesehen.“

„Sollst recht haben, altes Coon. Aber von welcher Seite wird er kommen – von hüben oder drüben?“

„Da mußt du nach Omaha und San Francisco gehen, wo man dir Auskunft geben wird; auf meinem Rocke aber klebt kein Tarif!“

„Will’s dem alten Fetzen auch nicht zumuten. Doch, ob er vom Osten kommt oder vom Westen, das bleibt sich gleich; wenn er nur kommt, dann haben sie ihn. Ob wir aber ruhig zugeben, daß sie ihn anhalten und den Passagieren Skalp und Leben nehmen, das ist eine andre Sache. Was sagst du dazu?“

„Halte es ganz für unsre Pflicht, ihnen einen Strich übers Gesicht zu machen.“

„Ganz meine Meinung. Also abgestiegen und vorwärts! Ein Mann hoch zu Roß wird von den Spürnasen eher bemerkt als einer, der fein demütig den Weg unter die eigenen Füße nimmt. Wollen doch sehen, in welchem Loche sie stecken. Aber schußfertig halten, ihr Männer, denn wenn sie uns bemerken, dann ist die Büchse das erste, was wir brauchen!“

Sie schlichen sich langsam und mit außerordentlicher Vorsicht vorwärts. Die Spuren, denen sie folgten und welchen sich auch diejenigen des Apatschen beigesellt hatten, führten erst an den Bahndamm und dann diesem immer entlang, bis man von fern einige Wellenförmige Erhöhungen des Bodens bemerkte.

Jetzt hielt Dik Hammerdull wieder an.

„Wo die Schufte stecken, das bleibt sich natürlich gleich, aber ich lasse mich so lange braten, bis ich so hart und dürr geworden bin wie Master Holbers, wenn sie sich nicht dort hinter das Zwerggebirge zurückgezogen haben. Wir können nicht weiter, denn – –“

Das Wort blieb ihm im Munde stecken, aber in demselben Augenblicke hatte er auch seine alte Büchse an der Wange, senkte sie jedoch auch sofort wieder herab. Über der jenseitigen Böschung des Bahndammes hatte sich eine Gestalt erhoben, schnellte sich mit katzenhafter Geschmeidigkeit über den Schienenweg herüber und stand im nächsten Momente vor den vier Männern. Es war der Apatsche.

„Winnetou hat die guten Bleichgesichter kommen sehen,“ sagte er. „Sie haben die Spur der Ogellallahs entdeckt und werden das Feuerroß retten vor dem Untergange?“

Heigh-day,“ meinte Hammerdull; „ein Glück, daß es kein andrer war, denn er hätte meine Kugel geschmeckt und wir hätten uns durch den Schuß verraten! Aber wo hat der Häuptling der Apatschen sein Pferd? Oder befindet er sich ohne Tier im wilden Lande?“

„Das Pferd des Apatschen ist wie der Hund, welcher sich gehorsam niederstreckt und wartet, bis sein Herr zurückkehrt. Er hat gesehen die Ogellallahs vor vielen Sonnen und ist gegangen an den Fluß, den seine weißen Brüder: Arkansas nennen, weil er glaubte, zu sehen seinen Freund Sam Firegun, den großen Jäger, welcher nicht im Wigwam war. Dann ist er wieder gefolgt den bösen roten Männern und wird nun warnen das Feuerroß, damit es nicht stürzt auf dem Pfade, den sie ihm zerstören wollen.“

Lack-a-day!“ dehnte Pitt Holbers. „Ei seht doch, wie klug die Halunken es anfangen! Wenn man nur wüßte, von welcher Seite der nächste Zug kommt!“

„Das Feuerroß wird kommen von Osten, denn das Roß von Westen ging vorüber, als die Sonne dem Häuptling der Apatschen über dem Scheitel stand.“

„So wissen wir, nach welcher Richtung wir uns zu wenden haben. Aber wann wird der Zug diese Gegend passiren? Pitt Holbers, wie steht es?“

„Hm, wenn du denkst, Dik, daß ich trotzdem einen Tarif habe, so sage mir vor allen Dingen, wo er eigentlich stecken soll!“

„In deinem Kopfe sicher nicht, altes Coon, denn da sieht es aus wie in dem Llano estaccado, wie sie da unten die Gegend nennen, in der es nichts giebt, als Staub und Stein und höchstens einmal Stein und Staub. Doch schaut, ihr Leute, dort geht die Sonne unter; in einer Viertelstunde ist es finster, und wir können die roten Spitzbuben beobachten, was sie –“

„Winnetou ist gewesen hinter ihrem Rücken,“ unterbrach ihn der Apatsche, „und hat gesehen, daß sie den Pfad von der Erde rissen und ihn über den Weg des Feuerrosses legten, damit es stürzen solle.“

„Sind ihrer viele?“

„Nimm ihrer zehnmal zehn und du hast noch nicht die Hälfte der Krieger, die an der Erde liegen, um auf das Kommen der Bleichgesichter zu harren. Und der Pferde sind noch viel mehr, denn alles Gut, welches sich auf dem Feuerwagen befindet, soll auf die Tiere geladen und fortgeführt werden.“

„Sie sollen sich verrechnet haben! Was gedenkt der Häuptling der Apatschen zu thun?“

„Er wird bleiben an diesem Orte, um die roten Männer zu bewachen. Meine weißen Brüder sollen dem Feuerrosse entgegenreiten und seinen Lauf in der Ferne hemmen, damit die Kröten von Ogellallahs nicht sehen, daß es sein Feuerauge schließt und stehen bleibt.“

Der Rat war gut und wurde sofort befolgt. Es war den Männern unbekannt, zu welcher Zeit der Zug kommen mußte; das konnte in jedem Augenblicke geschehen, und da zur Warnung, wenn die Ogellallahs nichts bemerken sollten, ein bedeutender Vorsprung nötig war, so gab es Gefahr im Verzuge. Winnetou blieb also zurück, und die vier andern saßen wieder auf, und bewegten sich längs des Schienengeleises in scharfem Trabe nach Osten zu.

Sie waren wohl fast eine Viertelstunde geritten; da hielt Hammerdull seine Stute an und blickte seitwärts.

Good lack,“ meinte er; „liegt dort nicht etwas im Grase, grad wie ein Hirsch, oder – – ah, Pitt Holbers, sage doch einmal, was für ein Viehzeug es wohl sein wird!“

„Hm, wenn du denkst, Dik, daß es das Pferd des Apatschen ist, welches hier wie angespießt liegen bleibt, bis es von seinem Herrn abgeholt wird, so will ich dir beistimmen!“

„Erraten, altes Coon! Aber kommt, wir wollen den Mustang nicht aufscheuchen, denn wir haben Besseres zu thun. Ob wir den Zug treffen oder nicht, das bleibt sich gleich, aber warnen müssen wir ihn, und je weiter hinaus dies geschieht, desto besser ist es. Die roten Schufte dürfen nicht an den Lichtern sehen, daß er hält und also ihr Vorhaben verraten ist!“

Wieder ging es vorwärts. Die Tageshelle verschwand schnell, da es in jenen Gegenden eine nur sehr kurze Dämmerzeit giebt, und noch war nicht viel über eine halbe Stunde vergangen, so hatte sich die Dunkelheit des Abends über die weite Prairie gesenkt, und die Sterne begannen, ihre matten Strahlen herabzusenden. Ein wenig Mondesschein wäre den Reitern für jetzt willkommen gewesen; da er aber später die Annäherung an die Indianer erschwert hätte, so war es ihnen ganz recht, daß der nächtliche Beleuchter der Erde sich eben in einer dunklen Phase befand und keine Spur seines magischen Schimmers bemerken ließ.

Bei dem durchdringenden Lichte, welches die amerikanischen Maschinen bei sich führen, war das Nahen des Zuges bei der Ebenheit des Terrains auf eine Entfernung von mehreren Meilen bemerklich; es mußte also eine Strecke zurückgelegt werden, welche diese Tragweite des Lichtes überstieg; darum ließ Dik Hammerdull seine Stute weit ausgreifen, und die andern folgten wortlos seiner Führung.

Endlich hielt er an und sprang vom Pferde, und die drei Begleiter thaten dasselbe.

„So!“ meinte er; „ich denke, daß der Vorsprung nun groß genug ist. Fesselt die Tiere, und sucht ein wenig trocknen Grases zu finden, damit wir ein Zeichen geben können!“

Dem Gebote wurde Folge geleistet, und bald war ein Haufen dürrer Halme beisammen, welche sich mit Hilfe von einigem aufgestreuten Pulver leicht in Brand stecken ließen.

Auf ihre Decken gelagert, lauschten nun die Männer in die stille Nacht hinein und verwandten fast kein Auge von der Richtung, aus welcher der Zug zu erwarten war. Die beiden Deutschen konnten sich zwar alles wohl denken, was geschehen sollte, waren aber in dem Leben des wilden Westens zu unerfahren, als daß sie an eine Unterbrechung der herrschenden Schweigsamkeit hätten denken wollen und ließen daher die zwei Jäger ruhig gewähren. Außer dem Geräusch, welches die grasenden Pferde verursachten, war rings kein Laut zu hören, als höchstens das leise Knispern eines auf Raub ausgehenden Deckflüglers, und die Minuten dehnten sich zu einer immer peinlicher werdenden Länge.

Da, nach einer kleinen Ewigkeit, blitzte in weiter, weiter Ferne ein Licht auf, erst klein und kaum wahrnehmbar, nach und nach aber immer größer werdend und an Intensität gewinnend.

„Pitt Holbers, was sagst du zu dem Johanniswurm da vorn, he?“ fragte Hammerdull.

„Hm, dasselbe, was du schon gesagt hast, Dik Hammerdull!“

„Wohl die klügste Ansicht, die du in deinem ganzen Leben gehabt hast, altes Coon! Ob es die Lokomotive ist oder nicht, das bleibt sich gleich, aber so viel ist sicher, daß der Augenblick des Handelns bald gekommen ist. Heinrich Sander, wenn der Zug naht, so schreiet Ihr, so laut ihr könnt, und auch Ihr, Peter Wolf – verdammt miserabler Name; er reißt einem ja den Mund entzwei! – Ihr macht Lärmen und Hallo nach Herzenslust. Das übrige werden wir schon selbst besorgen!“

Er nahm das Gras zur Hand, welches er zu einer langen, starken Lunte zusammengedreht hatte, und schüttete das Pulver auf. Dann zog er seinen Revolver aus dem Gürtel.

Jetzt machte sich das Nahen der Wagen durch ein immer vernehmlicher werdendes Rollen bemerklich, welches nach und nach zu einem Geräusche anwuchs, das dem Grollen eines entfernten Donners glich.

„Streck‘ deine ewigen Arme aus, Pitt Holbers, thue die Meilenlippen auseinander und brülle, so laut es geht, altes Coon. Der Zug ist da!“ rief Hammerdull, indem er zugleich besorgt nach den Pferden blickte, welche bei dem ungewohnten Phänomen schnaubend und stampfend an den Riemen zerrten, mit denen sie an die Erde befestigt waren.

„Peter Wolf – der Teufel hole diesen holprigen Namen! -paßt auf, daß uns die Tiere nicht fortgehen. Schreien könnt Ihr dabei ja auch!“

Der Augenblick war gekommen. Einen blendenden Lichtkeil vor sich herwerfend, brauste der Zug heran. Hammerdull hielt den Revolver an die Lunte und drückte los. Im Nu flammte das Pulver auf und brachte das dürre, ausgetrocknete Gras in glimmenden Brand. Die Lunte kräftig schwingend, versetzte er sie in helle Flamme und rannte, von ihrem flackernden Lichte hell beleuchtet, dem Zuge entgegen.

Der Maschinist mußte das Zeichen durch die Glastafel des Wetterschutzes sofort bemerkt haben, denn schon nach den ersten Schwingungen des hochlodernden Brandes ertönte ein sich rasch und scharf wiederholender Pfiff, fast in demselben Augenblicke wurden die Bremsen angezogen, die Räder knirschten und schrieen in der Hemmung, und mit donnerndem Dröhnen flog die lange Wagenreihe an den vier Männern vorüber, die dem seine Geschwindigkeit nun zusehends verringernden Zuge nachsprangen.

Endlich hielt er. Ohne zunächst die sich von ihren erhöhten Plätzen herabbeugenden Beamten zu beachten, eilte Hammerdull trotz seiner Dicke an den Wagen vorbei bis vor die Lokomotive, warf seine Decke, welche er vorhin von der Erde aufgerafft hatte, vorsorglich über die Laternen und Reflektors und rief zu gleicher Zeit mit möglichst lauter Stimme:

„Lichter aus – macht den Zug dunkel!“

Sofort verschwanden alle Laternen. Die Angestellten an der Pacificbahn sind geistesgegenwärtige und schnell gefaßte Leute. Sie konnten sich denken, daß der Ruf seinen guten Grund habe, und folgten ihm augenblicklich.

’sdeath!“ rief es nun von der Maschine herab; „warum verdeckt Ihr unsre Flamme, Mann? Ich hoffe nicht, daß da vorn irgend etwas los ist! Wer seid Ihr, und was hat Euer Signal zu bedeuten?“

„Wir müssen im Finstern sein, Sir,“ antwortete der umsichtige Trapper, „es sind Indsmen vor uns, und ich glaube sehr, daß sie die Schienen aufgerissen haben!“

„Alle Teufel! Wenn dem so ist, so seid Ihr der bravste Kerl, der jemals durch dieses verfluchte Land stolperte!“

Zur Erde herabspringend, drückte er ihm die Hand und gebot, die Wagen zu öffnen.

Nach kaum einer Minute waren die Jäger von einer Menge Neugieriger umringt und mußten sich fast wundern über die bedeutende Anzahl von Leuten, welche den Coupés entstiegen, um sich über die Ursache des Aufenthaltes zu unterrichten.

„Was ist los? Was giebt es? Warum halten wir?“ rief es von allen Seiten.

In kurzen Worten erklärte Hammerdull die Verhältnisse und brachte dadurch eine nicht geringe Aufregung unter den Anwesenden hervor.

„Gut, sehr gut!“ rief der Ingenieur. „Zwar bringt das eine Störung im Betriebe hervor, aber das hat nichts zu sagen gegen die prächtige Gelegenheit, den roten Halunken einmal eins auf das Fell zu brennen. Das ist in kurzer Zeit das dritte Mal, daß sie es wagen, grad auf dieser Strecke Züge zu überfallen und auszurauben, und allemal sind es die verdammten Ogellallahs gewesen, dieser verteufeltste Stamm der Sioux, denen die Wildheit und Feindseligkeit nur durch eine gute Kugel ausgetrieben werden kann. Heut‘ aber sollen sie sich geirrt haben und ihren Lohn gleich in ganzer Summe erhalten! jedenfalls haben sie geglaubt, daß dieser Zug wie gewöhnlich viele Güter und nur fünf bis sechs Leute mit sich führe. Glücklicherweise aber haben wir einige Hundert Arbeiter geladen, die für den Brücken- und Viaduktenbau droben in den Mountains bestimmt sind, und da diese braven Leute fast alle Waffen bei sich tragen, so wird uns die Sache gar nicht schwer werden und nur einigen Spaß bereiten!“

Er stieg zunächst wieder auf die Maschine, um die überflüssigen Dämpfe abzulassen, welche mit gellendem Zischen den Ventilen entströmten und die Umgebung des Wagens in eine weiße Wolke hüllten. Dann sprang er herab, um Revue über die ihm zu Gebot stehenden Kräfte zu halten, und fragte:

„Zunächst sagt mir einmal, wie Ihr Euch nennt, Mann? Ich muß doch wissen, wem ich die glückliche Warnung zu verdanken habe.“

„Mein Name ist Hammerdull, Sir, Dick Hammerdull, so lange ich lebe!“

„Schön! Und der andre hier?“

„Wie der heißt, das bleibt sich gleich, aber da er zufällig auch einen Namen hat, so schadet es keinem Menschen etwas, wenn Ihr ihn erfahrt. Er nennt sich Pitt Holbers, Sir, und ist ein Kerl, auf den man sich verlassen kann.“

„Und die beiden andern – dieser da und der dort bei den Pferden?“

„Das sind zwei Männer aus Germany da drüben herüber, Sir, und heißen Heinrich Sander – Harry würde viel besser klingen – und – verdammt miserabler Name! – Peter Wolf. Sprecht die beiden Worte ja nicht aus, Sir, denn Ihr werdet das Genick dabei brechen!“

Well!“ lachte der Beamte. „Es ist nicht jede Zunge so commodious wie die Eurige, Master Hammerdull!“

„Hammerdull? Dick Hammerdull?“ rief da eine tiefe, kräftige Stimme, und ein Mann drängte sich durch die Umstehenden herbei. „Welcome, altes Coon! Dachte dich erst in Hide-spot zu treffen und muß hier an dich rennen! Welche Angelegenheit hat dich herausgetrieben?“

„Was mich herausgetrieben hat, Colonel, das bleibt sich gleich, aber ich habe mir ein wenig Pulver, Blei und Tabak geholt. Der lange Pitt ist mitgegangen, wißt’s schon, Colonel, zu Master Winklay, dem Irishman, und haben da zwei aus Germany mitgebracht, die Sam Fire-gun, nämlich Euch, gern sehen wollen.“

„Sam Fire-gun!“ rief der Maschinist, auf den Fremden zutretend. „Seid Ihr das wirklich, Sir?“

„Man nennt mich so!“ klang kurz und einfach die Antwort. Der Sprecher war ein Mann von wahrhaft riesigen Körperformen, wie man trotz der Dunkelheit zu erkennen vermochte. Er trug die gewöhnliche Trapperkleidung. Die Umstehenden hatten sich beim Nennen seines Namens wie ehrerbietig um ein weniges zurückgezogen.

Good lack, Sir, dann haben wir ja ganz den richtigen Mann bei uns, dem wir das Kommando übergeben können. Wollt Ihr die Sache übernehmen?“

„Wenn es die Gentlemen alle zufrieden sind, warum nicht!“

Ein allgemeiner Ruf der Zustimmung ließ sich ringsum vernehmen. Diesem berühmten Jäger, dem Hunderte einmal zu begegnen wünschten, ohne ihren Wunsch in Erfüllung gehen zu sehen, und der hier so unerwartet inmitten der Leute stand, konnte und mußte man den Oberbefehl mit vollständigem Vertrauen übergeben.

„Natürlich sind sie es zufrieden. Trefft also Eure Maßregeln so schnell wie möglich! Wir haben keine Zeit zu verlieren und dürfen die roten Mesch’schurs nicht lange auf uns warten lassen,“ sagte der Ingenieur.

Well, Sir, nur laßt mich erst einige Worte mit diesem Manne hier sprechen! Dick Hammerdull, wer aus dem Hidespot ist noch bei euch beiden?“

„Keiner, Colonel! Die andern sind daheim oder hinauf in die Berge.“

„Muß aber doch noch einer bei Euch sein, Dick, denn so wie ich dich kenne, so bist du nicht von den Roten fortgelaufen, ohne ihnen einen Watchman, einen Wächter, hinzustellen.“

„Wie ich fortgelaufen bin, das bleibt sich gleich, aber wenn Ihr den Dick Hammerdull für so dumm gehalten hättet, nicht an den Watchman zu denken, so hättet Ihr Euch verdammt geirrt in ihm, Colonel! Es steht einer da, wie es keinen bessern giebt.“

„Wer ist’s?“

„Wie es keinen bessern giebt, Sir, habe ich gesagt, und das ist genug, denn es giebt nur einen einzigen, von dem sich in dieser Weise reden läßt. Sein Gaul liegt einen kleinen Ritt weit hinter ihm und wartet, bis er abgeholt wird.“

„Sein Gaul – wartet? Dick Hammerdull, das könnte allerdings nur ein einziger sein, und dieser heißt Winnetou.“

„Erraten, Colonel, erraten! Der Apatsche traf uns da unten bei dem Irishman und warnte uns. Er hat die Spur der Ogellallahs verfolgt und ist vorhin wieder zu uns gestoßen.“

„Winnetou, der Häuptling der Apatschen?“ fragte der Maschinist, während ein Gemurmel der Befriedigung durch die Menge der andern lief.

Heigh-day, ist das heut ein Zusammentreffen! Der Mann ist ja ganz allein ein Stämmchen Jäger wert, und wenn er auf unsrer Seite steht, so werden wir die roten Schufte heimschicken, daß sie an uns denken sollen. Wo steht er?“

„Ob er steht oder nicht, Sir, das bleibt sich gleich, aber er liegt ganz nahe bei den Indsmen auf der linken Seite des Schienenweges. Es muß dort noch alles in Ordnung sein, sonst wäre er hier, um zu warnen.“

„Gut,“ meinte Sam Fire-gun, „so will ich Euch nun meine Meinung sagen: Wir bilden zwei Abteilungen, welche zu beiden Seiten der Bahn sich an die Indianer schleichen. Die eine führe ich, die andre, hm, Sir, geht Ihr mit?“

„Versteht sich!“ meinte der Ingenieur. „Zwar darf ich eigentlich meinen Posten nicht verlassen, aber ich mag doch nicht umsonst ein Paar gesunde Fäuste besitzen, und der Heizer hier ist Manns genug, einstweilen meine Stelle zu vertreten. Ich würde es auf dem alten Feuerkasten nicht aushalten können, sobald ich eure Büchsen knallen hörte, und gehe also mit!“ Und sich zu seinem Personale wendend, fuhr er fort: „Ihr bleibt bei den Wagen, und gebt wohl acht; man weiß zuweilen nicht, was passieren kann. – Tom!“

„Sir!“ antwortete der Feuermann.

„Du verstehst ja, mit der Maschine umzugehen. Damit wir nicht erst wieder zurückzugehen brauchen, kommst du, sobald du ein Feuerzeichen erblickst, mit dem Zuge nach. Aber langsam fährst du, so langsam und vorsichtig wie möglich, denn es wird jedenfalls am Geleise auszubessern geben! – Was aber den andern Anführer betrifft, Master Fire-gun, so hoffe ich nicht, daß Ihr grad mich in Vorschlag bringen wollt. Ich will gern mitthun, ja, aber ein Westmann bin ich nicht. Sucht Euch also einen andern, dem Ihr die Stelle geben könnt!“

„Gut, Sir,“ nickte Sam Fire-gun; „ich wollte Euch nicht gern vernachlässigen; aber ich weiß hier einen, der seine Sache ebenso gut machen wird, wie ich die meine, und Ihr könnt ihm deshalb Eure Männer ruhig anvertrauen. Dick Hammerdull, was meinst du?“

„Was ich meine, das bleibt sich gleich, Colonel; aber ich denke, Ihr werdet nichts Unrechtes bestimmen!“

„Denk’s auch! Willst du die andre Hälfte führen?“

„Hm, wenn mir die Männer nachlaufen wollen, so will ich gern vorankriechen! Mein Gewehr hat neues Pulver und Blei und wird ein sehr vernünftig Wort dort mit den Indsmen reden. Aber die Pferde, Colonel, die müssen zurückbleiben; der Mann aus Germany, der Sander, kann sie halten.“

„Fällt mir nicht ein,“ entgegnete dieser kurz; „ich gehe mit!“

„Was Euch einfällt oder nicht, das bleibt sich gleich; aber wenn Ihr nicht wollt, so kann es ja der andre thun, der Peter Wolf – hol‘ der Teufel den bockbeinigen Namen –!“

Auch dieser weigerte sich, und so bekam einer der wenigen waffenlosen Arbeiter den Auftrag, die Pferde einstweilen in seine Obhut zu nehmen.

Die streitbaren Kräfte wurden geteilt. Sam Fire-gun und Dick Hammerdull stellten sich an die Spitze der beiden Abteilungen; der Zug blieb zurück; die Männer bewegten sich vorwärts, und nach wenigen Augenblicken lag tiefe Stille über der Gegend, und nicht das leiseste Geräusch verriet, daß der auf der weiten Ebene ruhende, scheinbare Frieden die Vorbereitung einer blutigen Katastrophe in sich berge.

Zunächst wurde eine ansehnliche Strecke in aufrechter Stellung zurückgelegt; dann aber, als die Nähe des mutmaßlichen Kampfplatzes erreicht war, legten sie sich nieder und krochen, einer hinter dem andern, auf Händen und Füßen zu beiden Seiten der Böschung entlang.

„Uff!“ klang es da leise an das Ohr Sam Fire-guns. „Die Reiter des Feuerrosses mögen hier liegen und warten, bis Winnetou, der Häuptling der Apatschen, fortgeht und wiederkommt!“

„Winnetou?“ fragte Sam Fire-gun, sich halb emporrichtend. „Hat mein roter Bruder die Gestalt seines weißen Freundes vergessen, daß er ihn nicht erkennt?“

Winnetou betrachtete ihn, erkannte ihn trotz der Dunkelheit und rief erfreut aus, allerdings mit leiser Stimme:

„Sam Fire-gun! Der große Geist sei gelobt, der dem Apatschen heut dein Angesicht zeigt; er mag deine Hand segnen, daß sie vernichtend falle auf die Häupter deiner Feinde! Ist mein Bruder auf dem Feuerroß geritten?“

„Ja; er hat das Gold, welches er der Freundschaft des Apatschen verdankt, nach Sonnenaufgang geschafft und kehrt nun zurück, um mehr zu finden. Warum wollte mein wachsamer Bruder fortgehen und wiederkommen?“

„Die Seele der Nacht ist schwarz und der Geist des Abends dunkel und finster; Winnetou konnte nicht erkennen seinen Bruder, der am Boden lag. Aber den Mann hat er gesehen, der dort auf dem Hügel steht, um nach dem Feuerroß zu schauen. Der Apatsche wird gehen, um das Auge des Ogellallah zu schließen; dann kehrt er zurück!“

Er war im nächsten Momente im Dunkel der Nacht verschwunden.

Diese zwei berühmten Männer der Prairie, von der Natur so verschieden ausgestattet und doch mit gleicher Freundschaft einander ergeben, hatten sich nach langer Trennung hier wiedergefunden. Aber ihre unberührbaren Naturen kannten nicht die lauten Freudenbezeigungen, wie sie sonst zu beobachten sind, und der Augenblick des Wiedersehens nahm sie ja anderweit so vollständig in Anspruch, daß an eine zeitraubende und geräuschvolle Begrüßung gar nicht zu denken war.

Trotz des nächtlichen Dunkels war auf der seitwärts liegenden, wellenförmigen Bodenerhebung eine Gestalt zu erkennen, welche sich für das scharfe Auge eines Westmannes deutlich genug von dem sternenbedeckten Horizonte abzeichnete. Die Ogellallahs hatten also eine Wache ausgestellt, um nach dem Lichte des nahenden Zuges zu schauen. Einem Weißen wäre es wohl schwer oder gar unmöglich geworden, unbemerkt an sie heranzukommen; Sam Fire-gun aber kannte die Meisterschaft des Apatschen im Beschleichen und wußte, daß der Ogellallah in kurzer Zeit verschwinden werde.

Hart am Bahndamme liegend, behielt er ihn scharf im Auge und wirklich – nur wenige Minuten waren vergangen, so fuhr neben dem Wachehaltenden eine Gestalt blitzesschnell in die Höhe, beide lagen im Nu an der Erde! – das Messer des Apatschen hatte seine Schuldigkeit gethan.

Dieser kehrte erst nach längerer Zeit zurück; er hatte die Indianer umschlichen und ihre Stellung in Augenschein genommen. Jetzt stattete er S am Fire-gun seinen Bericht ab.

Die Ogellallahs hatten einige Schienen herausgerissen und diese samt den Sch wellen quer über das Bahngeleise gelegt. Der Zug hätte mitsamt seinen Passagieren ein fürchterliches Schicksal gehabt, wenn er ungewarnt an diese Stelle gekommen wäre. Sie lagen seitwärts von dieser Stelle in lautloser Stille am Boden, während noch eine Strecke weiter zurück ihre Pferde angepflockt waren. Die Gegenwart dieser Tiere machte das Beschleichen der Indianer von dieser Seite fast zu einer Unmöglichkeit, da das Pferd der Prairie an Wachsamkeit den Hund fast übertrifft und die Annäherung jedes lebenden Wesens seinem Herrn durch Schnauben verkündigt.

„Wer führt sie an?“ fragte Fire-gun.

„Matto-Sih, die Bärentatze. Winnetou ist gewesen an seinem Rücken, daß er ihn konnte niederschlagen mit dem Tomahawk.“

„Matto-Sih? Das ist der Tapferste der Sioux; er fürchtet sich vor keinem Krieger und wird uns wohl zu schaffen machen! Er ist stark wie der Bär und listig wie der Fuchs; er hat nicht alle seine Männer bei sich, sondern die übrigen in der Prairie zurückgelassen. Ein kluger Krieger wird nicht anders handeln.“

„Uffh!“ gab Winnetou in tiefem Gutturaltone seine Zustimmung zu erkennen.

„Mein roter Bruder warte, bis ich zurückkehre!“

Er schlich sich über den Bahnkörper hinüber zu Dick Hammerdull und sagte zu diesem:

„Noch dreihundert Körperlängen vorwärts, Dick, dann bist du den Indsmen gegenüber. Ich teile meine Leute drüben, schicke die Hälfte mit Winnetou hinaus in die Prairie, um – –“

„Ob Ihr sie schickt oder nicht, das bleibt sich gleich,“ fiel ihm der Dicke flüsternd in die Rede; „aber was sollen sie da draußen, Colonel?“

„Die Ogellallahs werden von Matto-Sih angeführt –“

„Von der Bärentatze? Zounds! Dann haben wir die Tapfersten des Stammes gegen uns, und ich traue es ihm zu, daß er da draußen auf der alten Wiese eine Reserve halten hat.“

„So meine ich auch. Also diese Reserve lasse ich durch Winnetou abschneiden und gehe mit den übrigen direkt auf die Pferde los. Gelingt es uns, diese in unsre Gewalt zu bekommen, oder zu zerstreuen, so sind die Roten verloren.“

Well, Well, Colonel, und Dick Hammerdull und seine Büchse werden das Ihrige beitragen, daß wir den Zug mit Skalps beladen können!“

„Du wartest also mit den Deinen, bis drüben der erste Schuß losgeht; die Indsmen werden uns hinter sich wissen, und sich zu dir herübermachen, wo du sie empfängst. Aber ruhig warten, Dick, bis sie so weit heran sind, daß ihr sie Mann für Mann sehen könnt. Erst dann schießt ihr los; dann geht keine Kugel fehl!“

„Keine Sorge, Colonel! Dick Hammerdull weiß ganz genau, was er zu thun hat. Nehmt Euch nur vor den Pferden in acht, denn so ein Indsmustang schnobert den Weißen zehn Meilen weit!“

Fire-gun schlich davon, und der dicke Trapper kroch längs der Reihe der hinter ihm Liegenden hin, um ihnen die erhaltene Instruktion mitzuteilen.

Als er wiederkehrte, nahm er neben Pitt Holbers Platz, der sich während der letzten Stunden schweigsam verhalten hatte. Diesem flüsterte er zu:

„Pitt Holbers, altes Coon, nun geht der Tanz bald los!“

„Hm, wenn du denkst, Dick! Hast du nicht Freude darüber, he?“

Hammerdull wollte eben eine Antwort geben, da – zuckte seitwärts drüben ein flüchtiges Leuchten auf, welchem ein lauter Knall folgte – noch ehe der Plan Sam Fire-guns ausgeführt war, hatte sich das Gewehr eines der ihm folgenden Arbeiter entladen.

Sofort standen die Ogellallahs auf den Füßen und eilten nach ihren Pferden. Aber der geistesgegenwärtige Sam Firegun hatte kaum hinter sich den verräterischen Schuß gehört, so eilte er, den Folgen dieser Nachlässigkeit zuvorzukommen.

„Vorwärts, Männer, zu den Pferden!“ rief er.

In weiten Sätzen stürmte er auf die Tiere los und erreichte sie mit den Seinen noch vor den Indianern. Mit Gedankenschnelle waren sie von den Pflöcken befreit und jagten wiehernd und schnaubend in die weite, dunkle Savanne hinaus.

Die den jetzt eintreffenden Indianern entgegenkrachenden Schüsse machten diese stutzig. Ihre Pferde waren fort; sie konnten in der Finsternis die geringe Zahl ihrer Gegner nicht erkennen und hielten einige Augenblicke vollständig ratlos still, sich den Waffen der Weißen preisgebend. Dann aber ertönte der laute Ruf ihres Anführers; sie wandten sich und stürmten zurück, um jenseits des Dammes Deckung zu suchen und die zu ergreifenden Maßregeln zu beraten.

Kaum aber hatten sie den Bahndamm erreicht, so stieg nur wenige Fuß vor ihnen eine dunkle Linie wie aus der Erde empor; der Blitz aus über fünfzig Büchsen erhellte für einen Moment die Nacht, und das Geheul der Getroffenen zeigte, daß Dick Hammerdulls Abteilung gut gezielt hatte.

„Alle Kugeln heraus und dann drauf!“ rief der wackere Dicke, schoß den zweiten Lauf seiner Büchse ab, warf sie, die ihm nun nichts mehr helfen konnte, fort, riß den Tomahawk, diese furchtbare Waffe des Westens, unter dem langen Jagdhemde hervor und stürzte sich, gefolgt von Pitt Holbers und den Mutigsten unter den Arbeitern, auf die vor Entsetzen stockenden Wilden.

Diese hatten vor Überraschung über den ganz unerwarteten Überfall die Besinnung verloren; vor und hinter sich den Feind, gab es für sie nur Rettung in der Flucht. Wieder erschallte ein lauter Ruf Matto-Sihs, und im nächsten Momente war kein Wilder mehr zu sehen. Sie hatten sich mitten unter den Angreifern auf die Erde geworfen und suchten, zwischen ihnen hindurchkriechend, das Weite zu erreichen.

„Zur Erde, ihr Männer, und die Messer zur Hand!“ rief Fire-gun mit donnernder Stimme und eilte dann nach dem verlassenen Lagerplatze der Indianer.

Er dachte sich, daß diese sicher eine hinreichende Menge von allerlei Brennstoff gesammelt hatten, um im Falle, daß ihr Vorhaben gelungen sei, die nötige Beleuchtung zu erhalten. Er hatte sich nicht geirrt. Einige große Haufen Dürrzeuges waren aufgeschichtet. Mit Hilfe des Pulvers machte er Feuer; die Nacht wurde erleuchtet, und im Scheine der Flammen sah er eine Menge zurückgelassener Spieße und Decken liegen. Diese boten ein willkommenes Brennmaterial. Er überließ die Sorge für die Unterhaltung des Brandes einigen herbeieilenden Arbeitern und kehrte an die Stelle zurück, an welcher sich der nächtliche Angriff in einen fürchterlichen Einzelkampf aufgelöst hatte.

Dieser hätte einem nicht beteiligten Zuschauer Gelegenheit gegeben, Thaten zu beobachten, für welche der civilisierte Boden kaum einen Platz haben dürfte.

Die Schar der Bahnarbeiter bestand begreiflicherweise zwar meist aus Leuten, welche ihre Kräfte in den Stürmen des Lebens geübt hatten; aber der Kampfart der Indianer, welche jetzt beim Scheine der Feuer ihre Lage überblicken konnten und dabei bemerkten, daß sie an Zahl den Gegnern vollständig gewachsen seien, konnte wohl keiner von ihnen nachhaltigen Widerstand leisten, und wo nicht mehrere von ihnen gegen einen vereinzelten Indsman standen, behielt dieser gewiß die Oberhand, und die Stätte bedeckte sich immer mehr mit den unter dem wuchtigen Hiebe des Tomahawk Gefallenen.

Nur drei von den Weißen waren mit dieser Waffe versehen: Sam Fire-gun, Dick Hammerdull und Pitt Holbers, und es zeigte sich da allerdings, daß bei gleichen Waffen der zähere und intelligentere Weiße meist im Vorteile steht.

Mitten unter einem Haufen Wilder hielt Fire-gun; in seinem von dem flackernden Lichte beschienenen Angesichte sprach sich ein Gefühl von jener Kampfeswonne aus, welche das verfeinerte Urteil leugnet, nichtsdestoweniger aber doch eine oft bewiesene Wahrheit bleibt. Er ließ sich von den andern die Indianer in das Schlachtbeil treiben, welches, von seiner riesenstarken Faust geführt, bei jedem Schlage zerschmetternd auf den Kopf eines Feindes sank.

Seitwärts von ihm stand ein fast drollig zu nennendes Heldenpaar, trotz der Verschiedenheit ihrer Gestalt mit dem Rücken gegen einander gekehrt, ein Verfahren, welches die beiden originellen aber erfahrenen Jäger vor einem Angriffe von hinten beschützte: Dick Hammerdull und Pitt Holbers. Der kleine Dick, der auf jeden Fremden in seinem Anzuge den Eindruck der Unbehilflichkeit machen mußte, zeigte sich hier von einer wahrhaft katzenartigen Behendigkeit. In der Linken das scharfe, zweischneidige Bowiemesser und in der Rechten das schwere Schlachtbeil schwingend, hielt er jedem Gegner tapfer Stand. Sein langer Rock, Flick auf Flick und Fleck auf Fleck, ließ die auf ihn gerichteten Messerstiche vollständig unschädlich abprallen. Pitt, der Lange, stand hinter ihm und fuhr mit seinen Armen in der Luft herum wie ein Polyp, welcher die gefährlichen Fänge ausstreckt, um seine Beute an sich zu ziehen. Sein Körper, welcher nur aus Knochen und Sehnen zusammengesetzt schien, entwickelte eine außerordentliche Kraft und Ausdauer; das Beil fiel bei ihm aus doppelter Höhe; er griff weiter von sich als jeder andre, aber seine großen Füße rührten sich keinen Zoll breit von der Stelle, und wer ihm so nahe kam, daß er gefaßt werden konnte, der war rettungslos verloren.

Und noch zwei ragten unter den weißen Kämpfern hervor: die beiden Deutschen. Sie hatten die Tomahawks gefallener Indianer aufgerafft und handhabten sie mit einer Leichtigkeit und Sicherheit, als hätten sie sich auf diese Art des Fechtens besonders eingeübt. Niemand aber sah, daß sie nur zum Scheine kämpften. Sie verletzten keinen Indianer und wurden auch von diesen verschont. Die Waffen klirrten nur so aneinander, und wenn ein Indianer so that, als ob er niedergeschlagen worden sei, so kroch er bald fort, um sich einen andern Gegner zu suchen.

Auch unter den Arbeitern gab es genug Mutige, welche den Indianern, die überhaupt nicht gern Mann gegen Mann zu kämpfen pflegen, viel zu schaffen machten, und der Sieg neigte sich bereits stark auf die Seite der Weißen, und die Wilden wurden immer enger und enger zusammengetrieben; da aber donnerte es aus dem Dunkel der Prairie heran und mitten unter sie hinein; Sam Fire-gun hatte recht gehabt, Matto Sih, der kluge Anführer der Wilden, hatte eine beträchtliche Anzahl der Seinen in der Savanne zurückgelassen, die jetzt mit frischen Kräften herbeigesprengt kamen und dem Gefechte augenblicklich eine andre Wendung gaben. Auch die bereits entflohenen Indianer eilten, den Umschwung bemerkend, mit erneutem Mute herbei, und so verwandelte sich der Angriff der Jäger und Arbeiter in eine Verteidigung, welche von Minute zu Minute weniger Erfolg erwarten ließ.

„Hinter den Damm zurück!“ gebot Sam Fire-gun, schlug sich mit wuchtigen Hieben durch und folgte seiner Weisung mit eigenem Beispiele.

Pitt Holbers brauchte nur wenige Schritte, um sich neben ihm einzufinden. Dick Hammerdull zog, um sich Luft zu machen, nun jetzt erst den Revolver, gab sämtliche Schüsse ab und eilte dann dem Damme zu. Schon hatte er ihn fast über sprungen, so stolperte er, stürzte kopfüber zur Erde und kugelte jenseits des Dammes hinab und grad vor die Füße Fire-guns hin. Dort raffte er sich empor und betrachtete den Gegenstand, welchen er in der Hand hielt. Er war über ihn gestürzt, hatte ihn unwillkürlich ergriffen und festgehalten. Es schien ein alter Prügel zu sein.

„Meine Flinte, wahrhaftig, es ist meine Flinte, die ich vorhin hier weggeworfen habe! Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?“ rief er erfreut aus.

„Wenn du denkst, Dick, daß es gut ist, deine – –“

Er konnte nicht weiter sprechen, denn die Ogellallahs waren ihnen gefolgt, und der Kampf begann nun hier von neuem. Die Feuer leuchteten über den Damm herüber und erhellten eine Scene, welche mit dem Untergange der Weißen zu endigen schien, und schon wollte der Anführer derselben den Seinen raten, in die Dunkelheit hineinzufliehen, da krachten Schüsse im Rücken der Wilden, und eine Anzahl Männer sprang mit hoch geschwungenen Waffen mitten unter sie hinein.

Es war Winnetou mit seiner Abteilung.

Da die Finsternis ihm hinderlich gewesen war, etwaige Spuren zu entdecken, so hatte sein Suchen nach dem vermuteten Hinterhalte zu keinem Resultate geführt, und da er die Flammen bemerkt und daher geschlossen hatte, daß seine Anwesenheit auf dem Kampfplatze nötig sein werde, so war er herbeigeeilt und brachte nun grad noch im letzten Augenblicke die entscheidende Hilfe.

Im dichtesten Knäuel der Kämpfenden stand Matto-Sih, der Ogellallah. Seine breit gebaute, untersetzte Gestalt stak in dem gewöhnlichen, weißgegerbten Jagdhemde, welches jetzt von oben bis unten vom vergossenen Blute bespritzt war, über dem Rücken hing ihm ein Fell des Prairiewolfes, dessen Schädelteile seinen Kopf bedeckten. Den konvex gearbeiteten Büffelhautschild in der Linken, führte er mit der Rechten den Tomahawk, und wen sein großes, dunkles, stechendes Auge anglühte, den traf der vernichtende Hieb, daß er tot zur Erde stürzte.

Schon hatte er geglaubt, den Sieg zu erringen und mit seiner eignen Stimme die Losung zum Triumphgeheul gegeben, als Winnetou am Platze erschien. Matto-Sih wandte sich um und erblickte ihn.

„Winnetou, der Hund von Pimo!“ rief er. Aus seinem Auge leuchtete ein Strahl glühenden, tödlichen Hasses, aber sein schon erhobener Fuß zögerte, und der Arm, der das Schlachtbeil zum Wurfe erhoben hatte, sank nieder, ohne es zu schleudern. Es war, als habe der Anblick dieses Feindes seinen Mut gelähmt und ihm die so nötige Umsicht und Geistesgegenwart geraubt.

Auch Winnetou bemerkte ihn und antwortete:

„Matto-Sih, die Kröte der Ogellallahs!“

Wie in eine Wasserflut, so tauchte seine schlanke, geschmeidige und dabei außerordentlich kraftvolle Gestalt in die Menge der Kämpfenden unter und reckte sich nach kaum einer Sekunde grad vor dem Ogellallah in die Höhe. Beide holten zugleich zum Tod bringenden Hiebe aus; die Beile krachten aneinander, und dasjenige Matto-Sihs sank ihm zerschmettert aus der Hand. Er wandte sich blitzschnell um und brach sich mit den gewaltigen Beinen Bahn zur Flucht.

„Matto-Sih!“ rief Winnetou, sich nicht von seiner Stelle bewegend. „Ist der Hund von Ogellallah eine feige Hündin geworden, daß er läuft vor Winnetou, dem Häuptling der Apatschen? Der Mund der Erde soll sein Blut trinken, und die Kralle des Geiers soll zerreißen sein Herz und seinen Leib; aber sein Skalp wird zieren den Gürtel des Apatschen!“

Dieser Aufforderung mußte er standhalten. Er kehrte um und drang auf den Feind ein.

„Winnetou, der Sklave der Bleichgesichter! Hier ist Matto-Sih, der Häuptling der Ogellallah! Er tötet den Bär und wirft den Büffel nieder; er folgt dem Elen und zertritt der Schlange den Kopf; ihm hat noch niemand widerstanden, und er wird jetzt fordern das Leben von Winnetou, dem Feigling von Pimo!“

Einem der Seinen das Beil entreißend, stürzte er sich auf den Apatschen, welcher ihn stehenden Fußes erwartete. Die Augen der beiden starken Männer bohrten sich mit fürchterlichem Blicke ineinander; das Beil des Ogellallah schwirrte um das Haupt desselben und fuhr dann mit fürchterlicher Wut hernieder. Winnetou parierte den Hieb mit einer Leichtigkeit, als sei er von dem Arme eines Knaben geführt; nun auch seine Waffe schwingend, wollte er den Schlag erwidern, wurde aber von hinten gepackt und daran verhindert. Zwei Ogellallahs hatten sich auf ihn geworfen. Blitzschnell drehte er sich um; die Feinde sanken, von ihm getroffen, nieder, aber schon schwebte das Beil Matto-Sihs wieder über seinem Haupte.

Sam Fire-gun, der alle überragte, hatte den Freund in Gefahr gesehen. Die Indianer wie Grashalme auseinanderschlagend, sprang er mitten durch sie hindurch, faßte mit den beiden riesenstarken Fäusten ihren Anführer bei Hüfte und Genick, hob ihn hoch in die Luft empor und schmetterte ihn zur Erde nieder, daß es krachte. Sofort kniete Winnetou über dem Besinnungslosen, senkte ihm das Messer in die Brust, faßte mit der Linken das reiche, dunkle Haar zusammen – drei Schnitte, kunstgerecht geführt – ein kräftiger Ruck – und der Skalp war gelöst. Er schwang ihn hoch um den Kopf und ließ jenen fürchterlichen Siegesruf hören, welcher Mark und Bein erschütternd auf den Gegner zu wirken pflegt.

Als die Ogellallah die Kopfhaut ihres Anführers erblickten, stießen sie ein erschütterndes Geheul aus und wandten sich zur Flucht.

Dik Hammerdull stand wieder bei Pitt Holbers; sie waren die beiden Unzertrennlichen und suchten jetzt die Fliehenden zurückzuhalten.

„Pitt Holbers, altes Coon, siehst du, wie sie laufen, he?“ rief Hammerdull.

„Hm, wenn du denkst, Dick, so sehe ich es!“

„Ob ich es denke oder nicht, das bleibt sich gleich, aber ich möchte – – Zounds, Pitt, guck dir einmal den Kerl an, der dort zwischen den beiden Männern aus Germany hindurch will! Holla, der Mensch wird ausgelöscht!“

Mehr sich kugelnd als laufend, eilte er hinzu, wo mehrere der Indianer sich anstrengten, an den beiden Deutschen, welche sie aufhalten wollten, vorbei zu kommen. Holbers folgte ihm; sie warfen sich auf die Roten und schlugen sie nieder.

In kurzem war der Sieg vollständig errungen, und was vom Feinde nicht tot oder verwundet am Boden lag, das hatte fliehend das Weite gesucht.

Am östlichen Horizonte wurde nun auch das scharfe Licht der nahenden Maschine sichtbar. Der Heizer hatte den Schein der Feuer bemerkt, sie für das verabredete Zeichen gehalten und nun den Zug in langsame Bewegung gesetzt.

Der Ingenieur, welcher zu der Abteilung Winnetous gehört hatte, trat zu dem Apatschen und fragte ihn:

„Ihr seid Master Winnetou?“

Der Indianer neigte, den Skalp Matto-Sih’s an sich hängend, zustimmend das Haupt.

„Wir haben Euch die heutige Rettung zu verdanken. Ich werde einen Bericht schreiben, der bis hinauf zum Präsidenten geht; dann wird der Lohn nicht ausbleiben!“

„Der Häuptling der Apatschen bedarf des Lohnes nicht; er liebt die weißen Brüder und giebt ihnen seinen Arm im Kampfe, aber er ist stark und reich, reicher als der große Vater der Bleichgesichter. Er bedarf weder Gold noch Silber, weder Hab noch Gut; er will nicht nehmen, sondern er giebt. Howgh!“

Der Zug hielt kurz vor den aufgerissenen Schienen an.

„Donnerwetter, Sir,“ rief der herabspringende Feuermann dem herbeitretenden Vorgesetzten entgegen, „muß es hier Arbeit gegeben haben. Das ist ja, bei Gott, die reine Schlächterei!“

„Sollst recht haben, Mann, – ist heiß hergegangen heute abend, und ich habe mir auch ein kleines Loch geholt, wie du hier sehen kannst! Aber nun vor allen Dingen das Werkzeug herunter und die Schienen in Ordnung, damit wir baldigst weiter können! Versorge das; ich will jetzt mit nach den Gefallenen sehen!“

Er wollte eben zurücktreten, da schnellte hart neben ihm aus dem tiefen Grase der Dammböschung eine dunkle Gestalt empor und eilte an ihm vorüber. Es war einer der Ogellallahs, der keine Gelegenheit zur Flucht gefunden und sich hier versteckt hatte, um einen geeigneten Augenblick abzuwarten.

Der Arbeiter, welchem die Pferde anvertraut waren, war natürlich dem Zuge gefolgt und stand jetzt mit ihnen in der Nähe der haltenden Wagen. Der Indianer, dem der Anblick der Tiere Hoffnung auf das Entkommen gegeben hatte, eilte auf ihn zu, riß ihm den Zügel eines der Pferde aus der Hand, schwang sich in den Sattel und wollte davonjagen.

Hammerdull hatte die flüchtige Gestalt des Roten sofort bemerkt. Er rief seinem von ihm unzertrennlichen Kameraden zu:

„Pitt Holbers, altes Coon, siehst du den Roten springen? Alle Teufel, er geht nach den Pferden!“

„Wenn du denkst, Dik, daß er eins bekommen wird, so habe ich nichts dagegen, denn der Mann, der sie hält, sieht mir grün genug dazu aus!“

„Ob er grün sieht oder nicht, das bleibt sich gleich, denn – – Pitt Holbers, schau – er reißt ihm die Zügel aus den Fingern, er springt auf, er – – good lack, es ist meine Stute, auf die er sich gesetzt hat! Na, Bursche, das ist der gescheiteste Einfall, den du in deinem ganzen Leben gehabt hast, denn nun wirst du das Glück haben, mit meiner Flinte reden zu können!“

Wirklich hatte sich der Indianer auf die alte Stute geworfen und schlug ihr die Fersen in die Seiten, um so schnell wie möglich das Weite zu gewinnen. Er hatte sich jedoch verrechnet, denn Dick Hammerdull schob den gekrümmten Zeigefinger in den Mund und ließ einen schrillen, weit hin tönenden Pfiff erschallen. Sofort fuhr das gehorsame Tier herum und galoppierte trotz aller Anstrengung des Wilden grad auf seinen Herrn zu. Der Indianer sah keine andre Rettung, als sich noch zur Zeit herabzuwerfen; da aber nahm der dicke Trapper die Büchse an die Backe; der Schuß krachte, und der Indsman fiel, durch den Kopf getroffen, zu Boden.

„Hast du es gesehen, Pitt Holbers, was die Stute für ein wackeres Viehzeug ist? Ich möchte nur wissen, ob er auch ohne sie glücklich in seine ewigen Jagdgründe kommen wird! Was meinst du, he?“

„Ich habe nichts dagegen, Dick, wenn du denkst, daß er den richtigen Weg gefunden hat. Willst du dir nicht seine Haut nehmen?“

„Ob ich sie nehmen will oder nicht, das bleibt sich gleich, aber herunter muß sie, das ist sicher!“

Um zu dem Gefallenen zu gelangen, mußte er an den zwei Deutschen vorüber, welche, von der Anstrengung des Kampfes ausruhend, neben einander standen.

„So wahr ich Jean Letrier heiße, Kapitän, das war ein Rencontre, wie man es nur im wilden Westen erlebt!“ hörte er französisch sagen. Aber er war zu sehr mit seiner Absicht beschäftigt, als daß er für den Augenblick auf diese Worte einen Wert gelegt hätte.

Als er dem Toten den Skalp abgezogen hatte und wieder in die Nähe des haltenden Zuges zurückkehrte, sah er Sam Fire-gun in der Nähe dieser beiden Männer.

„Dick Hammerdull,“ fragte dieser, „ist’s nicht so, daß du die zwei deutschen Gentlemen bei Master Winklay getroffen hast?“

Well, so ist es, Colonel.“

„Sie haben sich gut gehalten und machen dir Ehre. Aber wie kommt es, daß du sie mitgenommen hast? Du kennst ja meinen Willen in Beziehung auf neue Bekanntschaften! Ich will keine neuen Gesichter bei uns sehen.“

All right, Sir, aber der eine, der sich Heinrich Sander nennt, meinte, daß Ihr sein Oheim wäret.“

„Sein Oheim? Bist du toll?“

„Hm, ob ich toll bin oder nicht, das bleibt sich gleich; aber wir kamen in einen kleinen Handel und ich hatte da schon die Messerspitze an seiner Kehle, als er sagte, Ihr würdet es mir schlecht danken, wenn ihm die Klinge um ein weniges zu tief in die Wolle gehe. Machts mit ihm selber ab, Colonel!“

Der berühmte Tracker, trat an die Deutschen heran und fragte sie:

„Ihr seid von drüben herüber aus Germany, wie man mir sagt?“

„Ja,“ antwortete Sander.

„Was sucht ihr in der Prairie?“

„Euch, Sir.“

„Mich? Weshalb?“

„Oheim, willst du noch fragen?“

Sam Fire-gun trat um einen Schritt zurück.

„Oheim? Ich kenne keinen Verwandten mit Namen Sander!“ erklärte Sam Fire-gun erstaunt.

„Das ist richtig! Doch nannte ich mich so, weil ich nicht wußte, ob dir der Name Wallerstein lieb sein würde. Es handelt sich um Geld, um viel Geld, wie du schreibst. Da muß man vorsichtig sein, und darum habe ich mir einen andern Namen beigelegt.“

„Wall- –. Ist es denn möglich, daß du es bist, Heinrich?!“

„Nicht möglich, sondern wirklich, Onkel. Hier ist dein Brief, in welchem du schreibst, daß ich kommen soll. Die andern Papiere kannst du ja morgen lesen!“

Er langte unter den Jagdrock und zog ein sorgfältig verwahrtes Papier hervor, welches er ihm überreichte. Der alte Jäger warf bei dem noch immer hellen Feuerscheine einen Blick auf die Zeilen, zog ihn dann an seine Brust und rief aus:

„Es ist wahr! Gott segne meine Augen, daß es ihnen noch vergönnt ist, einen der Meinigen zu sehen. Wie geht es deinem Vater? Warum schrieb er mir nicht? Ich hatte ihm doch die Adresse für Omaha angegeben?“

„Ja, aber du beschriebst in diesem Briefe zugleich auch den ganzen Weg am Arkansas hinauf nach Fort Gibson, nach dem Hause des Irländers Winklay und weiter westlich aufwärts bis zu der Stelle, wo du mit der Schar deiner Westmänner für längere Zeit kampierst. Da wir dachten, du könntest diesen Ort verlassen, hielten wir es für das Beste, daß ich mich selbst auf den Weg machte und dir den Brief des Vaters überbrachte. Morgen früh, wenn es hell ist, werde ich ihn dir geben. Du hast mich, seit du in Amerika bist, nicht gesehen und wirst mich also nicht mehr kennen; desto besser aber kenne ich deine Güte, mit welcher du die Eltern stets unterstützt und mich nun schließlich gar eingeladen hast, herüber zu kommen.“

Well! Es freut mich, daß du dieser Einladung so schnell gefolgt bist. Ich schrieb euch auch den Grund. Ich habe in den Big-horn-Bergen Gold gefunden, viel Gold, welches ich euch geben wollte, denn ihr seid arm, und ich brauche es nicht. Mit dem Schicken ist es eine sehr unsichere Sache, und so wünschte ich, daß du persönlich kommen möchtest. Was ich dir geben will, ist ein Reichtum für euch, und ich hoffe, daß es euch glücklich macht. Aber du kommst nicht allein. Wer ist denn dein Begleiter?“

„Auch ein Deutscher. Er heißt Peter Wolf und wollte auch gern nach dem Westen. Da schloß ich mich ihm an.“

„Schön! Wir sprechen weiter über unsre Angelegenheit, lieber Heinrich. Jetzt giebt es keine Zeit dazu. Du siehst, daß ich anderweit gebraucht werde.“

Es erscholl nämlich jetzt die Stimme des Zugführers, welcher zum Aufbruche drängte, denn durch den unerwarteten Aufenthalt hier war viel Zeit verloren gegangen, die wieder eingeholt werden mußte.

Die toten und verwundeten Weißen wurden in die Wagen gebracht und die umherliegenden Waffen zusammengelesen. Die Passagiere sagten ihren Rettern herzlichen Dank, und da der Defekt im Geleise nun ausgebessert worden war, konnte der Zug die Weiterfahrt antreten. Die Zurückbleibenden sahen ihm nach, bis seine Lichter in der Ferne verschwunden waren.

Nun war die Frage, ob sie während der Nacht hier Lager machen sollten oder nicht. Es war anzunehmen, daß die flüchtigen Ogellallahs sich bald wieder sammeln und nach dem Orte des Kampfes zurückschleichen würden. Das konnte gefährlich werden, und darum wurde beschlossen, von hier aufzubrechen und an einem entfernten Orte zu übernachten, wo von seiten der Indianer kein Überfall zu erwarten war. Sam Fire-gun, der Colonel, bestieg eins der erbeuteten Indianerpferde, und dann wurde aufgebrochen.

Während der Colonel mit seinem Neffen sprach, hatte Hammerdull in der Nähe gestanden und fast alles gehört. Nun, als die Reiter den Ort des Überfalles schon weit im Rücken hatten, ersah er einen Augenblick, an welchem dieser Neffe nicht neben dem Onkel ritt, lenkte seine Stute neben Sam Fire-guns Pferd und sagte mit vorsichtig unterdrückter Stimme:

„Wenn Ihr es mir nicht übel nehmt, möchte ich Euch etwas sagen, Sir.“

„Übel nehmen? Sprich nicht so dummes Zeug! Was ist’s?“

„Was Ihr jedenfalls für eine Dummheit halten werdet, Sir. Es betrifft die beiden Männer, welche behaupten, von drüben aus dem alten Germany zu sein.“

„Das sind sie doch auch!“

„Ob sie es sind oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich denke, daß sie es nicht sind.“

„Unsinn! Mein Neffe ist ein Deutscher; das muß ich doch wissen!“

„Ja, wenn er wirklich Euer Neffe ist, Sir!“

„Zweifelst du daran?“

„Hm! Kennt Ihr Euern Neffen?“

„Ich konnte ihn nicht erkennen, weil er noch ein Knabe war, als ich ihn zum letztenmal sah.“

„Ich glaube, Ihr habt ihn überhaupt noch nicht gesehen. Euer deutscher Name ist Wallerstein. Warum hat er diesen Namen nicht beibehalten und sich anders genannt?“

„Aus Vorsicht, nämlich weil er – – –“

„Ich weiß, ich weiß!“ fiel ihm der Dicke in die Rede. „Ich habe ja gehört, welchen Grund er dafür angab; aber mir scheint dieser Grund ein wenig fadenscheinig zu sein. Sagt mir einmal, ist er Kapitän?“

„Nein.“

„Aber der andre hat ihn doch so genannt!“

„Wirklich? Was du sagst!“

„Ja, er hat ihn Kapitän genannt; ich habe es ganz deutlich gehört, sogar mit allen beiden Ohren. Sie sprachen nämlich französisch.“

„Französisch?“ fragte der Colonel verwundert. „Das wäre freilich sehr auffällig!“

„Ob es auffällig ist oder nicht, das ist gleichgültig; das ist sogar egal; aber mir ist es zunächst nicht aufgefallen. Doch als ich dann hörte, daß es sich um Euer Gold handelt, da kamen mir Bedenken. Warum nennt sich der andre uns gegenüber Peter Wolf – ein schrecklicher Name, bei dem man die Zunge brechen kann! – und zu Heinrich Sander sagte er, daß er Jean Letrier heiße?“

„Bezeichnete er sich mit diesem Namen?“

„Ja. Ich ging grad an ihnen vorüber und hörte es; ich verstand es auch, obgleich er französisch sprach. Ich achtete in diesem Augenblicke nicht darauf, weil ich grad Eile hatte, mir den Skalp eines Roten zu holen; aber später fiel es mir wieder ein und machte mich mißtrauisch. Spricht dieser Sander die deutsche Sprache gut und rein?“

„Allerdings mit einem fremden Accent; aber wahrscheinlich kommt mir das nur so vor; ich habe kein Urteil mehr darüber, weil es so lange Jahre her ist, daß ich Deutschland verlassen habe.“

„Ob Ihr es verlassen habt oder nicht, das bleibt sich ganz gleich; aber ich sage Euch, daß mir die Sache nicht gefällt. Wir nennen Euch als unsern Anführer Colonel, obgleich Ihr diesen militärischen Grad nicht besitzet. Warum wird dieser Sander Kapitän genannt? Ist er der Anführer von irgend welchen Leuten? Wer und was sind diese Leute? Ehrliche Menschen wohl kaum! Seht Euch vor, Colonel, und nehmt mir meine gut gemeinte Warnung ja nicht übel!“

„Fällt mir nicht ein, sie übel zu nehmen, obgleich ich weiß, daß du dich irrst. Dennoch werde ich die Augen und Ohren offen halten; das verspreche ich dir.“

Well! Will wünschen, daß ich mich irre; aber da Ihr Euern Neffen nicht persönlich kennt und es sich um eine so große Summe handelt, so ist die Vorsicht wenigstens nicht überflüssig.“

„Er hat sich mir gegenüber als Neffen legitimiert.“

„Durch Euern Brief, den er vorzeigte?“

„Ja. Und morgen will er mir noch andre Briefe geben.“

„Das beweist noch nichts!“

„O doch!“

„Nein, denn diese Briefe können auf unrechtlichem Wege in seine Hand gekommen sein.“

„Muß man wegen einer Namensänderung gleich das Allerschlimmste denken?“

„Ob man es denkt oder nicht, das bleibt sich gleich; ich traue diesen beiden Menschen nicht, und wenn Ihr ihnen glaubt, so werde ich um so schärfer auf sie achten.“

Sie brachen diese Unterredung ab, weil Sander sich jetzt wieder zu Sam Fire-gun gesellte. Hammerdull entfernte sich von ihnen und ritt nun mit dem langen Pitt Holbers, an dessen Seite er sich stets am wohlsten fühlte.

Ungefähr zwei Stunden, nachdem sie die Eisenbahn verlassen hatten, kamen sie an eine Stelle, welche sich sehr gut zum Lagerplatze eignete. Es gab da Gras für die Pferde, Wasser für die Menschen und Tiere und ziemlich dichtes Gebüsch, welches sehr vortrefflich als Deckung diente. Da wurde abgestiegen. Man konnte sich hier sicher fühlen, denn es war zwar nicht ganz finster, aber auch nicht hell genug, daß es einem oder mehreren Ogellallahs möglich gewesen wäre, den Weißen hierher zu folgen.

Sander hatte seit heute nachmittag nicht unbelauscht mit Wolf sprechen können. Jetzt, da es zum Schlafen ging, legte er sich mit diesem etwas entfernt von den andern, was niemand auffiel, wie er glaubte. Als sie annahmen, daß ihre Gefährten eingeschlafen seien, flüsterte Sander seinem Kumpane zu:

„Dieser Kampf mit unsern roten Freunden war das Ungelegenste, was uns kommen konnte. Diese Weißen sind geradezu blind gewesen, daß sie unsre Spiegelfechterei nicht bemerkt haben! Gut, daß die Feuer brannten und die Roten uns erkennen konnten. Besser, viel besser wäre es gewesen, sie hätten mit diesem Überfalle bis später gewartet und wären bei unsern Leuten geblieben. Sie konnten doch denken, daß wir nun bald kommen würden.“

„Sie wußten nicht, daß ich dich so schnell getroffen habe,“ warf Wolf ein. „Sonderbar, daß wir beide einander so glückliche Botschaft bringen konnten!“

„Ja. Ihr habt endlich, noch dazu in meiner Abwesenheit, das lang gesuchte Lager von Sam Fire-guns Gesellschaft entdeckt, und es ist für uns von größtem Vorteile, daß die OgelIallahs uns bei dem Überfalle helfen wollen. Aber grad darum mußten sie ihren heutigen Streich aufschieben. Es wird bei Fire-gun so reiche Beute geben, daß wir uns vom Geschäft zurückziehen können.“

„Ja. Welche Menge von Gold sie zwischen den Big-Horn-Bergen gesammelt haben, das hast du ja als sein lieber Neffe von ihm selbst gehört. Und wenn wir dazu die großen Vorräte von Pelzen und Fellen rechnen, die sie angesammelt haben, so kommt eine Beute heraus, wie sie so reich von unsrer Gesellschaft noch nie gemacht worden ist. Dazu das große Glück, daß du mit dem echten Neffen des Colonel zusammengetroffen bist! Hast freilich einen großen Fehler begangen.“

„Welchen?“

„Daß du ihn nicht kalt gemacht hast.“

„Das war freilich eine Schwäche von mir; aber er war so aufrichtig und vertrauensselig; er beantwortete mir alle, alle meine Fragen und gab mir so bereitwillig Auskunft über seine intimsten Familienverhältnisse, deren Kenntnis mir nötig war, wenn ich seine Stelle einnehmen wollte, daß ich schwach wurde und mit seinem Gelde und seinen Papieren davonging, ohne ihm das Leben zu nehmen.“

„Ich an deiner Stelle hätte ihn unschädlich gemacht.“

„Das ist er auch so schon.“

„Er ist dir sicher gefolgt!“

„Nein. Er ist ein Neuling im Lande, hier vollständig unbekannt und – was die Hauptsache ist – hat kein Geld, keinen einzigen Cent mehr. Er ist also hilfloser und verlassener als ein Waisenknabe und kann mir weder folgen noch uns in irgend einer Weise schaden. Die Hauptsache war, daß ich im gleichen Alter mit ihm stehe und daß Sam Fire-gun mich noch nie gesehen hat. Er glaubt es wirklich, daß ich sein Neffe bin.“

„Das ist wahr, mir aber nicht lieb.“

„Warum?“

„Weil wir nun, obwohl wir sein Lager endlich, endlich entdeckt haben, wahrscheinlich von unserm ursprünglichen Plane abweichen müssen.“

„Das Lager zu überfallen? Das ist nun freilich eigentlich nicht mehr nötig, denn als Neffe des Alten bekomme ich alles, was er hat.“

„Und wir andern nichts! Nein, das gebe ich nicht zu. Wir haben uns Monate lang geplagt, das Versteck zu entdecken, und nun es uns gelungen ist, sollen wir verzichten? Nein, nein!“

„Rege dich nicht auf. Wir kommen schon morgen früh ganz nahe an dem Lager unsrer Gesellschaft vorbei, und bis dahin können wir uns ja besprechen.“

„Meinst du, daß Sam Fire-gun diesen Weg einschlagen wird?“

„Ja. Er reitet jedenfalls direkt nach seinem Camp, und da muß er dort vorbei. Horch! Es muß jemand hinter uns im Gebüsch sein!“

Sie lauschten und vernahmen nach einiger Zeit ein leises Rascheln, welches sich von ihnen entfernte.

„Alle Teufel! Wir sind belauscht worden!“ flüsterte Sander seinem Kumpane zu.

„Es scheint so,“ antwortete dieser ebenso leise. „Aber von wem?“

„Entweder von Fire-gun selbst oder von einem andern. Ich werde gleich erfahren, wer es gewesen ist.“

„Auf welche Weise?“

„Ich schleiche mich zu Fire-gun. Liegt er nicht an seinem Platze, so war er es.“

„Und wenn es ein andrer war?“

„So geht er zu Fire-gun, um ihm zu sagen, was er gehört hat. In beiden Fällen erfahre ich, was ich wissen will. Alle Wetter! Wenn diese Kerls mißtrauisch geworden wären! Bleib still liegen, und warte, bis ich wiederkomme!“

Er dehnte sich lang aus und wand sich durch das Gras behend und unhörbar hinüber nach der Stelle, wo der Colonel sich niedergelegt hatte. Er lag noch dort; aber da kam von der andern Seite leisen Schrittes Dick Hammerdull, bog sich zu ihm nieder, weckte ihn auf und sagte:

„Wacht auf, Colonel; aber seid still, ganz still!“

So leise er gesprochen hatte, Sander lag so nahe und hatte ein so scharfes Gehör, daß ihm kein Wort entgangen war.

„Was ist’s? Was giebt’s?“ fragte Fire-gun.

„Leise, leise, daß die da drüben es nicht hören! Ich habe Euch gesagt, daß ich aufpassen will, Sir. Es fiel mir auf, daß Heinrich Sander und Peter Wolf – verteufelt klapperiger Name für die Zunge eines nicht deutschen Gentleman! -also es fiel mir auf, daß diese beiden sich so entfernt von uns niederlegten. Ich faßte Verdacht und schlich mich hin. Es gelang mir, ganz nahe an sie zu kommen, so daß mein Kopf fast zwischen ihren Köpfen lag, und da hörte ich sie flüstern.“

„Hast du verstanden, was sie sagten?“

„Ob ich sie verstanden habe oder nicht, das ist ganz und gar egal; aber ich hörte, daß dieser Sander der Kapitän einer Bande von Buschkleppern ist.“

„Ah! Wirklich?“

„Ich hatte also recht. Er ist nicht Euer Neffe, und der andre heißt Jean Letrier. Ihre Leute haben unser Lager entdeckt und wollen es überfallen. Sie haben sich sogar mit den Roten verbündet. Sander hat Euren wirklichen Neffen getroffen und ihm alles abgenommen, was er – – –“

Mehr hörte Sander nicht, denn mehr wollte und brauchte er nicht zu hören; er wußte genug und kroch schleunigst zu seinem Gefährten zurück.

„Wir sind verraten!“ raunte er ihm zu. „Nimm dein Gewehr, und folge mir schnell zu unsern Pferden! Aber ganz leise, leise!“

Sie huschten fort, zwischen den Büschen hinaus nach dem kleinen, freien Platze, wo die Pferde angepflockt waren. Sie machten die ihrigen los und zogen sie langsam, sehr langsam fort, damit die Huftritte nicht gehört würden. Als sie sich so weit entfernt hatten, daß sie sich nun sicher fühlten, stiegen sie auf und ritten davon.

„Aber so sag doch endlich, was du erfahren hast!“ wurde Sander von Wolf aufgefordert.

„Später, später! jetzt müssen wir jagen, förmlich jagen, um unsre Leute zu erreichen. In zwei Stunden sind wir dort, um sie zu holen, denn wir müssen diese Kerls noch heut nacht festnehmen. Dieser verdammte Hammerdull hat uns durchschaut; er kennt sogar deinen Namen Jean Letrier!“

„Aber woher doch?“

„Das weiß der Teufel! Vorwärts jetzt, vorwärts!“

Inzwischen hatte Hammerdull dem Colonel alles, was von ihm erlauscht worden war, mitgeteilt. Sie berieten leise miteinander, und Sam Fire-gun kam, trotzdem Hammerdull ihn zum sofortigen Handeln drängte, zu dem Entschlusse:

„Jetzt nicht. Sie sind uns sicher. Du kannst dich leicht verhört haben.“

„Ich verlasse mich auf meine Ohren!“

„Vielleicht haben sie gar nicht von uns und sich, sondern von andern Personen gesprochen.“

„Sie sprachen von Euch, Sir, ganz gewiß von Euch!“

„So müssen wir dennoch bis früh warten. Wenn wir sie jetzt, in dieser Dunkelheit, ins Verhör nehmen, entkommen sie uns. Wir müssen unbedingt warten, bis es hell geworden ist. Da sehen wir ihre Gesichter, ihre Mienen, alle ihre Bewegungen. Sie ahnen doch nicht, daß du sie belauscht hast?“

„Nein.“

„Nun, da ist auch keine Gefahr im Verzuge, und wir können ruhig schlafen. Leg dich auch aufs Ohr!“

Hammerdull wollte noch eine Bemerkung machen, wurde aber fortgewiesen; er legte sich, verdrossen brummend, nieder und schlief trotz seines Ärgers sehr bald ein.

Auch die andern schliefen; selbst der stets vorsichtige Winnetou war davon nicht ausgeschlossen. Er hegte die Überzeugung, daß kein Ogellallah ihnen gefolgt sei, rechnete aber doch mit der Möglichkeit, daß er sich da irren könne. In diesem Falle war nach dem Gebrauche der Roten auch nicht jetzt, sondern erst gegen Morgen ein Angriff zu erwarten. Darum und weil er der Ruhe unbedingt bedürftig war, schlief er jetzt, wachte aber nach einigen Stunden wieder auf, ging zu seinem Pferde, führte es eine kleine Strecke in der Richtung, aus welcher sie gekommen waren, zurück, ließ es dort frei weiden und setzte sich dabei nieder. Dies that er, weil die Ogellallahs nur aus dieser Richtung zu erwarten waren; Sander und Wolf hatten sich, ohne daß er es wußte, in der entgegengesetzten entfernt. Sein Pferd hatte er nicht am Platze gelassen, sondern mitgenommen, weil es ein besserer Wächter als ein Mensch war.

Die Morgenluft erhob sich; sie wehte von daher, wohin Winnetou seine Aufmerksamkeit zu richten hatte. Da schnaubte sein Pferd. Es war jenes leise, nur aus einem einzigen Atemstoße bestehende Schnauben, womit es auf die Nähe eines verdächtigen Wesens aufmerksam zu machen pflegte. Zu seiner Verwunderung sah er, daß es dabei den Kopf nicht gegen, sondern in der Richtung des Windes, also nach dem Lager hin hielt. Er hatte trotz seines beispiellos scharfen Gehöres von dorther nicht das geringste Geräusch vernommen. Er lauschte.

Da ertönte dort plötzlich ein wüstes Geschrei von vielen Stimmen, nicht das Geheul von Roten, sondern das Gebrüll von Weißen, in englischer Sprache. Er rannte hin, doch nicht ganz. Bei dem Gebüsch angekommen, legte er sich nieder und kroch zwischen zwei Sträucher hinein. Er sah die Gestalten von fast zwanzig Weißen, welche die Schläfer überfallen hatten und nun im Begriff standen, sie zu binden.

„Winnetou haben wir noch nicht!“ rief einer. „Der darf uns nicht entschlüpfen! Wo ist er? Sucht ihn, sucht!“

Das war die Stimme Sanders; Winnetou erkannte sie und wußte sofort, woran er war.

„Uff!“ sagte er zu sich selbst. „Ich kann jetzt keinen Beistand leisten, sonst bin ich mit ihnen verloren. Ich muß mich erhalten, um diesen Bleichgesichtern folgen zu können. Howgh!

Er kehrte eiligst zu seinem Pferde zurück, stieg auf und ritt im Galopp davon, das Beste, was er unter den gegenwärtigen Umständen thun konnte. – – –

Der einstige Indianeragent unterbrach hier seine Erzählung, welcher alle Zuhörer mit großer Spannung gefolgt waren. Ich selbst war Zeuge von einigen Eisenbahnüberfällen durch Indianer gewesen, und obgleich sie dem jetzt erzählten alle ähnlich waren, hatte ich der Geschichte nicht weniger Aufmerksamkeit gewidmet, als die andern Gäste der Mutter Thick. Sam Fire-gun, Dick Hammerdull und Pitt Holbers waren mir sehr wohlbekannte Persönlichkeiten, und ich wußte, daß sie dieses Ereignis ähnlich so, wie es erzählt wurde, erlebt hatten.

Die Anwesenden ließen Ausrufe der Befriedigung, der Anerkennung hören und baten den Erzähler, ihre Neugierde nicht auf die Folter zu spannen, sondern schnell fortzufahren.

„Nicht wahr, so etwas hört sich leicht an?“ fragte er. „Aber dem, der es mitmacht, fällt es nicht so leicht!“

„Waret Ihr denn dabei?“ fragte einer der mit an seinem Tische Sitzenden.

„Bisher nicht. Was ich bis jetzt erzählt habe, das habe ich so gebracht, wie es mir später erzählt worden ist. Das aber, was nun kommt, habe ich selbst mit erlebt. Und dabei kommt genau ebenso ein Detektive vor wie in der Geschichte, die wir vorhin gehört haben. Das ging nämlich folgendermaßen zu:

Ich ging damals mit einigen tüchtigen Leuten, die mich schon oft begleitet hatten, den Arkansas hinauf, weil ich als Indianeragent zu den Cheyennes mußte. Dabei kam ich auch nach Fort Gibson und in den Laden des Irländers Winklay, der mich sehr gut kannte. Wir waren die einzigen Gäste im Hause und saßen eben beim Essen, als wir draußen Pferdegetrappel und eine laut räsonnierende Stimme hörten. Wir gingen an die Fenster und sahen hinaus. Es gab da drei Reiter, welche soeben angekommen waren.

Der eine von ihnen war von schmächtiger Gestalt und fein gekleidet. Sein Gewehr, sein Revolver und sein Bowiemesser paßten wohl besser in den Westen als er selbst, der jedenfalls ein Gentleman war. Der zweite war ein hübscher, kräftiger, blonder Boy, dem ich sofort den Deutschen vom Gesicht ablas. Der dritte war derjenige, welcher so laut räsonnierte. Er saß auf einem widerspenstigen Dakota-Traber, der ihm viel zu schaffen zu machen schien.

Von hoher, breiter und außergewöhnlich muskulöser Figur, trug er einen Hut auf dem glattgeschorenen Kopfe, dessen ungeheure Krempe hinten weit über den Nacken herunterschlappte, während ihr vorderer Teil über dem Gesichte einfach weggeschnitten war. Den Leib bedeckte ein kurzer, weiter Sackrock, dessen Ärmel kaum bis über die Ellbogen reichten und erst die Ärmelteile eines sauber gewaschenen Hemdes, dann die braun gebrannten Vorderarme und endlich zwei Hände sehen ließen, die einem vorsündflutlichen Riesentiere anzugehören schienen. Die Beine staken in einem Paar ebenso weiter Hosen von leichtem Zeuge, unter denen zwei Stiefel sichtbar wurden, deren Leder aus dem Rücken eines Elephanten herausgeschnitten sein mußte.

Der Mann sah in dem alten Hute, dem moosgrünen Rocke und den gelben Hosen einer Maskenballfigur ähnlich.

Er wollte aus dem Sattel steigen, aber sein Pferd schien damit nicht einverstanden zu sein; es ging mit allen vieren in die Luft.

Have care – Achtung – attention – hopp, du falscher Racker!“ schrie er es zornig an, indem er ihm mit der gewaltigen Faust einen Hieb zwischen die Ohren versetzte. „Da hast du eins, wenn du meinst, daß der Peter Polter ein Seiltänzer sei oder ein ähnliches halsbrecherisches Individuum! Wirft mir die Bestie den Schwanz in die Höhe wie die Sternflagge eines Dreimasters und schlägt mit dem Gehör um sich, als wolle sie Seekrebse damit fangen! Hätte ich dich nur zwischen Vor- und Mittelmast eines guten Oceaners, so wollte ich dir zeigen, was ein Steuermann zu bedeuten hat! Grace à dieu -heigh-day, da ist ja die Kabine, in der Master Winklay, der Irishman, vor Anker liegt. Herunter von der Raae, Peter Polter; und du, Teufelsgaul, dich werde ich hier mit dem Riemen an die Fenzlatte sorren, damit dich die Strömung nicht hinaus in die See treibt! Steigt ab, Master Treskow und Herr Wallerstone, wir sind im rechten Hafen!,

Sie stiegen ab und banden draußen ihre Pferde an. Er trat mit weit auseinander gespreizten Beinen auf, als habe er vom Reiten die Seekrankheit bekommen, und schob sich dann vorsichtig durch den Flur und die offenstehende Thür in den Boarraum des Irländers.

Good day, alter Marsgast!“ grüßte er diesen. „Schaff etwas Nasses zur Stelle, sonst segle ich dich über den Haufen, so liegt mir der Durst in der Kehle!“

Die beiden andern zeigten weniger Redseligkeit; sie nahmen schweigend Platz und überließen ihrem Gefährten die Einleitung zu dem beabsichtigten Gespräch.

Helà, my good Haggler, kennst du den Peter Polter noch?“ fragte dieser.

Der Wirt zog sein Gesicht in schmunzelnde Falten und antwortete,

„Kenn‘ dich schon noch. Wer so trinken kann wie du, den vergißt man nicht so leicht!“

Well done – bon! Hätte dir aber einen solchen Merks kaum zugetraut! Weißt noch, als ich mit Dik Hammerdull, Pitt Holbers und noch einigen hier Abschied trank und doch zwei Tage länger warten mußte, weil die andern gar nicht wieder aufwachen wollten?“

Yes, Yes, das war ein Drink, wie ich noch keinen erlebt hatte und wohl auch keinen wieder mitmachen werde. Wo bist du denn herumgestiegen?“

„Bin nach dem Osten und zur See, habe hierhin geguckt und dorthin und will nun wieder auf eine Woche oder zwei zum alten Fire-gun. Ist doch noch zu haben, der alte Trapper, he?“

„Meine es! Den löscht so leicht kein Indsman aus, und die bei ihm sind, wissen sich und ihn zu halten. Dick Hammerdull ist hier gewesen vor nicht gar langer Zeit; der lange Pitt war auch bei ihm. Sind dann fortgegangen und auf die Roten gestoßen, wie ich mir denke. Man sagt, die Ogellallahs hätten einen Zug überfallen und von Sam Fire-gun und Winnetou eine gute Portion Blei und Eisen erhalten.“

„Winnetou? Ist der Apatsche auch wieder zu haben?“

Der Irländer nickte.

„Freilich; war sogar hier bei mir und hat mich bei der Gurgel gehabt, daß mir beinahe der Atem ausgegangen ist.“

Alas, alter friend, bist ihm wohl quer durch den Kurs gerudert?“

„War so etwas! Kannte ihn nicht und wollte ihm keine Munition verkaufen, kam aber da verdammt an den Unrechten. Willst du Bill Potter sehen?“

„Bill Potter? Ist er hier an Bord?“

„Meine es! Ist nur ein wenig in den Wald gegangen und hat sein Pferd hinter dem Hause stehen.“

Lack-a-day, das paßt sich gut! Wie segelt er, von oder zu dem Colonel?“

„Zu – zu ihm; ist einige Zeit da unten in Missouri gewesen, wo er Verwandte hat, und will nun wieder hinauf nach den Bergen.“

„Wann macht er sich an die Ankerwinde?“

„Wie? Rede doch so, wie einem ehrlichen Manne der Schnabel gewachsen ist. Wer soll denn dieses schauderhafte Zeug verstehen?“

„Bist ein dull-man, ein Dummkopf, wie er im Buche steht, und wirst auch einer bleiben! Wann er fortgeht von hier, meine ich!“

„Kann es nicht sagen, wird aber nicht in alle Ewigkeit hier liegen bleiben.“

„Hat er abgesattelt?“

„Nein.“

„So wird er sich vielleicht noch heut in die Ruder legen und wir machen mit!“

Der Wirt schien wirklich sehr freundschaftliche Gesinnungen für den originellen Kauz zu hegen, denn der sonst so schweigsame und zurückhaltende Mann hatte sich wohl seit Jahren zu keinem so langen Gespräche herbeigelassen, wie das gegenwärtige war.

Jetzt machte sich der Feine zu einer Frage bereit. Er griff in die Tasche und zog eine Photographie hervor.

„Wollt Ihr mir nicht sagen, ob vor kurzem bei Euch zwei Männer vorgesprochen haben, zwei Deutsche, Master Winklay, die sich Heinrich Sander und Peter Wolf nannten?“

„Heinrich Sander – Peter Wolf? Hm, ich will mein ganzes Schießpulver verschlucken und eine Portion Schwamm und Feuerzeug dazu, wenn das nicht die beiden Greenhorns waren, die zu Sam Fire-gun wollten!“

„Wie sahen sie aus?“

„Grün, sehr grün, Mann; mehr kann ich nicht sagen. Der eine – Heinrich Sander glaube ich, war es – machte uns den Spaß und ging mit seiner Mückenflinte dem dicken Hammerdull zu Leibe, wurde aber ganz gehörig heimgeschickt. Ich glaube, Dick hätte ihm einige Zoll Eisen zu kosten gegeben, wenn er nicht gesagt hätte, daß der Colonel sein Oheim sei.“

„Gefunden!“ meinte der Fremde freudig. „Wo sind die beiden dann hin?“

„Fort mit dem Langen und Dicken, hinaus in die Savanne. Mehr weiß ich nicht.“

„Seht Euch doch einmal dieses Bild hier an, Master! Kennt Ihr den Mann?“

„Wenn das ein andrer ist, als der Heinrich Sander, so sollt Ihr mich auf der Stelle teeren und federn!“

Dann aber trat er, wie unter einem plötzlich in ihm auftauchenden Gedanken, um einen Schritt zurück und fragte in zurückhaltendem Tone:

„Sucht Ihr den Mann, Sir?“

„Warum?“

„Hm! Ein Westmann trägt niemals so ein Konterfei mit sich herum, und Ihr seht – seht so nett und sauber aus, daß -daß – –“

„Nun, daß – –“

„Daß ich Euch einen guten Rat geben möchte!“ verbesserte er den beabsichtigten Satz.

„Welchen?“

„Was hier bei mir vorgeht, das kümmert mich nichts; so lange man mir meine guten Hausrechte läßt. Ich frage niemanden und antworte auch keinem. Euch aber habe ich Rede gestanden, weil Ihr mit Peter Polter gekommen seid, sonst hättet Ihr nichts von mir erfahren. Aber zeigt niemand das Bild wieder vor, und erkundigt Euch nicht eher nach irgend wem, als bis Ihr ein wenig mehr nach der Savanne ausseht, denn sonst – sonst – –“

„Weiter! Sonst –?“

„Sonst hält man Euch gar für einen Policemann, für einen Detektive, und das ist oft sehr schlimm. Der Westmann braucht keine Polizei; er richtet selber, was es zu richten giebt, und wer sich da hineinmengt, den weist er mit dem Bowiekneif zurück!“

Der Feine wollte eben antworten, da aber öffnete sich die Thür, und ein Mann trat ein, bei dessen Anblick Peter Polter sich mit lautem Zurufe erhob.

„Bill Potter, alter Swalker, bist du’s wirklich? Komm her und trink; ich weiß noch ganz genau, daß deine kleine Kehle ein ganz verteufelt großes Loch ist!“

Der Angeredete war ein winziges, dürftiges Männlein, an dessen Körper sich kaum ein halbes Pfund Fleisch vermuten ließ. Er sah den Sprecher verwundert an, wobei sich sein kleines Gesichtchen in hundert lachende Falten und Fältchen legte.

„Bill Potter –? Swalker –? – trinken –? großes Loch –? Hihihihi, wo hab‘ ich nur den Kerl gesehen, der mir so bekannt vorkommt!“

„Wo du mich gesehen hast? Hier, natürlich hier. Streng nur dein Gehirnchen ein bißchen an!“

„Hier? Hm! Kann mich doch nicht gleich besinnen. Bin so oft hier gewesen und mit so verschiedenen Männern, daß ich den einzelnen nicht so schnell aus dem Haufen finden kann. Wie klingt dein Name, he?“

„Donnerwetter, hat der kleine junge hier bei Master Winklay an meiner Seite gesessen und dabei getrunken, daß er zwei Tage lang mit keinem Finger wackeln konnte, und fragt mich jetzt, wie mein Name klingt! Und noch dazu bin ich mit ihm in den Bergen gewesen, wo wir bei Sam Fire – –“

„Stopp, Alter! Hihihihi, jetzt kenne ich dich!“ fiel ihm der Kleine hier in die Rede. „Heißest Peter Folter oder Molter, oder Wolter, oder – –“

„Polter, Peter Polter, zuerst Hochbootsmannsmaat auf ihrer englischen Majestät Kriegsschiffe Nelson und dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper Swallow, wenn du dir es merken willst! Sodann wurde ich ein wenig Westmann und bin – –“

„Weiß – weiß – weiß! Bist ja mit bei uns gewesen und hast mir zu guter Letzt beinahe noch den Tod an den Hals getrunken. Hihihihi, hast eine Gurgel, wie ich noch keine gesehen habe, und kannst trinken wie – wie – wie der alte Vater Missisippi selber. Wo warst du denn nachher, und wo willst du hin?“

„War ein weniges in der Welt herum, und will jetzt wieder zu euch, wenn es dir recht ist.“

„Zu uns? Weshalb?“

„Diese Gentlemen hier haben mit eurem Kapitän oder Colonel zu reden. Wird er auch daheim zu finden sein?“

„Denke es. Wann wollt ihr fort von hier?“

„So bald als möglich. Reitest doch mit, he?“

„Möchte schon, wenn ihr mich nicht zu lange warten laßt!“

„Je eher, desto lieber ist es uns. Iß und trink, alter Schießprügel, und dann mag es vorwärts gehen!“

Ihr könnt euch denken, Mesch’schurs, daß mich diese sonderbaren Männer und Gestalten lebhaft interessierten. Ich hätte gern näheres über sie erfahren, doch ist es im Westen nicht immer geraten, neugierige Fragen auszusprechen. Von Peter Polter hatte ich einmal gehört. Er war, ganz nur zum Zeitvertreib, den Arkansas heraufgekommen und hatte hier bei Winklay die Bekanntschaft einiger Trapper gemacht, denen es ein Spaß gewesen war, den eigentümlichen Kerl mit in die Prairie zu nehmen. Er hatte sich da gar nicht übel benommen und trotz manchen Ulkes, der von ihm losgelassen war, sogar die Teilnahme Old Fire-guns gewonnen. Man hatte ihm trotz seiner Schrullen gut sein müssen und ihn dann, als er wieder nach dem Osten ging, nur ungern fortgelassen.

Jetzt saßen die vier Männer essend und trinkend in meiner Nähe, und ich hörte, daß der Feine den Wirt leise fragte, wer ich sei. Als er Auskunft erhalten hatte, drehte sich Peter Polter, der mit dem Rücken nach mir saß, zu mir um und sagte:

„Ich höre, daß Ihr Indianeragent seid, Sir. Kommt Ihr von den Roten, oder wollt Ihr hin?“

„Ich will hin, Mr. Polter,“ antwortete ich.

„Allein?“

„Nein. Diese Boys hier begleiten mich.“

„Den Arkansas aufwärts?“

„Auch nicht. Wir wollen zunächst in die Berge zu Sam Fire-gun reiten.“

Halloo! Da haben wir ja gleichen Weg! Wollt Ihr mit uns?“

„Ganz gern.“

„So habt die Güte, Euch hier an unsrem Tische vor Anker zu legen! Als Indianeragent seid Ihr ein Gentleman, der den Westen kennt und dem wir Vertrauen schenken können. Wenn Ihr mit uns reitet, müßt Ihr wissen, weshalb wir hier sind und was wir bei Sam Fire-gun wollen. Also kommt herüber und staut Euch fest bei uns!“

Ich setze mich zu ihnen und erfuhr nun folgendes: Derjenige von den dreien, nämlich der Blonde, den ich sogleich für einen Deutschen gehalten hatte, war unten in Van Buren mit einem gleichalterigen Manne zusammengetroffen, der ebenso wie er nach dem Westen wollte; er hatte Wohlgefallen an ihm gefunden und ihm in unvorsichtigem Vertrauen alle seine Verhältnisse und Absichten mitgeteilt. Beide hatten zwei Tage lang zusammen gewohnt und in demselben Zimmer miteinander geschlafen; als Heinrich Wallerstein, denn dieser war es, am dritten Morgen erwachte, war sein neuer Bekannter fort, aber nicht allein, denn er hatte während der Nacht alle Taschen Wallersteins ausgeleert und nicht nur seine Legitimationen und Briefe, sondern auch sein ganzes Geld, seine Uhr und was sonst noch Wert hatte, mitgenommen. Wallerstein war von allen Mitteln entblößt, konnte also nicht weiter, konnte nicht einmal den Wirt bezahlen und wendete sich in seiner Aufregung an die Polizei, deren Bescheid in einem mitleidigen Achselzucken bestand. Als er enttäuscht in sein Gasthaus zurückkehrte, machte ihn der Wirt auf einen Fremden aufmerksam, der eben angekommen war und ihn vielleicht irgendwie unterstützen werde, weil er auch ein Deutscher sei. Dieser Mann war Peter Polter, der Steuermann, der jetzt wieder nach dem Arkansas kam, um sich abermals das Vergnügen zu machen, den Westmann zu spielen. Kaum hörte der brave Seebär von der Not, in welcher sich Wallerstein befand, so war er zu aller möglichen Hilfe bereit, und als er gar das Nähere erfuhr und daß Sam Fire-gun der Oheim Wallersteins sei, da war er ganz entzückt über seinen neuen Bekannten und versprach, den Neffen so schnell wie möglich zu Old Fire-gun zu bringen; denn daß der Dieb auch zu diesem sei, um sich für seinen Neffen auszugeben, daran war nicht zu zweifeln. Eben bestimmten die beiden, daß sie sogleich aufbrechen wollten, als ein Herr eintrat und sich bei dem Wirte nach dem bestohlenen Mr. Wallerstein erkundigte. An diesen gewiesen, brachte er eine Photographie zum Vorschein, zeigte sie ihm und fragte ihn, ob er den Mann kenne; es war das Bild des Diebes. Dieser war ein von der Polizei schon längst und mit Eifer gesuchter Gauner, Fälscher und Betrüger, dessen Spur vor einem halben Jahre nach dem Arkansas geführt hatte, dann aber nicht weiter zu verfolgen gewesen war. Vorgestern sollte er hier in Van Buren wieder gesehen worden sein, und wenn Wallerstein vorhin von der Polizei kurz abgewiesen worden war, so hatte diese doch gleich nach seinem Fortgange das Wiederauftauchen des Verfolgten mit dem neuen Diebstahle in Verbindung gebracht und einen ihrer Beamten mit der Photographie hergeschickt. Dieser Beamte war ein geborener Deutscher, Namens Treskow, der feine Gentleman, den ich vorhin erwähnt habe. Die Unterredung zwischen ihm, Wallerstein und Peter Polter hatte zur Folge, daß der Polizist sich für kurze Zeit entfernte und dann mit der Nachricht zurückkehrte, daß er mit ihnen nach Fort Gibson fahren und dann zu Sam Fire-gun reiten werde, um dem Originale seiner Photographie einen amtlichen Besuch abzustatten. So kamen diese drei nach dem Store und Boardinghouse des Irländers Winklay.

Wie hochinteressant mir diese Angelegenheit war, das läßt sich denken. Ich freute mich, der Begleiter dieser Leute sein zu können, und da sie es sehr eilig hatten, so wurde baldigst aufgebrochen.

Der Weg, den wir einzuschlagen hatten, war ganz genau derselbe, den Dick Hammerdull mit seinen Begleitern vorher geritten war, doch konnten wir ihre Spuren allerdings nicht mehr erkennen.

Peter Polter, der Steuermann, war diesen Weg auch schon geritten, vermochte aber nicht, sich genau auf ihn zu besinnen. Bill Potter erwies sich als ein desto besserer und ausgezeichneter Führer. Das kleine, so zart und schwächlich scheinende Männchen entwickelte einen Scharfsinn, eine Ortskenntnis, eine Ausdauer und Beweglichkeit, welche ihm unser aller Vertrauen gewann.

Wir beeilten uns natürlich so viel wie möglich; aber Wallerstein und Treskow waren keine guten Reiter, und dem Steuermanne machte sein Dakota-Traber soviel zu schaffen, daß er aus dem Ärger gar nicht herauskam. So hatte der Ritt schon einige Tage gedauert, als wir den Schienenstrang der Bahn erreichten, an welchem der Überfall der Ogellallahs stattgefunden hatte. Es war am frühen Morgen, als Bill Potter plötzlich sein Pferd anhielt und aufmerksam in die Ferne schaute.

„Schaut, Mesch’schurs,“ rief er, indem er mit dem Arme vorwärts deutete. „Schaut dort in die Luft und dann nieder auf die Erde! Dort oben fliegen die Totengräber, und unten sitzen die Coyotes in der Nähe des Geleises. Dort hat irgend wer den letzten Stich oder die letzte Kugel erhalten. Wollen hoffen, daß es kein Weißer, sondern eine Rothaut gewesen ist, hihihihi. Kommt, laßt uns einmal nachsehen!“

Wir setzten unsre Pferde in Trapp und gelangten auf den Kampfplatz. Die Leichen der Erschlagenen lagen, von Geiern und Wölfen ihres Fleisches beraubt, noch da, wie sie gefallen waren. Die Bahnzüge waren vorübergesaust, ohne daß deren Insassen die Stätte beachtet hatten. Potter untersuchte jede Kleinigkeit genau.

Lack-a-day,“ meinte er endlich; „hier hat ein fürchterlicher Kampf stattgefunden. Seht ihr diese Schienen hier? Sie sind repariert worden. Die roten Halunken haben den Zug überfallen wollen, sind aber von den Weißen daran verhindert worden. Es waren die Ogellallahs; ich sehe es an der Tätowierung. Und diese zerspaltenen Schädel – einen solchen Hieb vermag nur der Colonel, Sam Fire-gun, zu führen. Dick Hammerdull ist dabei gewesen und Pitt Holbers auch. Hier haben sie gestanden, wie gewöhnlich Rücken an Rücken; ich sehe es an den Fußspuren, die tief in die Erde gegraben sind. Dort haben die Feuer gebrannt; da drüben hatten die Indianer ihre Pferde angepflockt – seht ihr die Löcher im Boden? Hihihihi, diese Fußtapfen sollte ich wohl kennen! Ich lasse mir vom ersten besten Grizzly die Hirnschale einbeißen, wenn das nicht der Colonel war mit Dick Hammerdull und Pitt Holbers und – und – wahrhaftig, das ist kein andrer gewesen als Winnetou, der Häuptling der Apatschen!“

Wir mußten über den Scharfsinn und die Sicherheit erstaunen, mit welcher der kleine Jäger aus den verworrenen und schon vielfach verwischten Spuren seine Schlüsse zog. Nachdem er alle vorhandenen Spuren genau betrachtet hatte, kam er zu dem Bescheid:

„Die Weißen haben die Richtung nach dem Hide-spot eingeschlagen, doch will ich wetten, daß die Indsmen sich gesammelt haben und sie nun verfolgen. Das beste ist, Mesch’schurs, wir bleiben auf der Spur!“

Wir stimmten bei und trabten dann munter hinter dem Kleinen her.

Behold,“ rief er nach Verlauf von kaum einer halben Stunde, „habe ich nicht recht gehabt? Hier sind zwei Trupps Pfeilmänner von rechts und links gekommen. Sie haben den Kampfplatz umritten, um die Richtung zu finden, in welcher die Weißen fortgegangen sind, und sich hier vereinigt, um ihnen zu folgen. Der Sand behält die Spuren lang, so daß ich vermute, sie haben einen Vorsprung von mehreren Tagen. Doch sind unsre Pferde gut, und sie haben jedenfalls Verwundete bei sich, die einen schnellen Ritt nicht vertragen können. Wir holen sie noch ein, ehe sie das Lager Fire-guns erreichen.“

Wieder ging es vorwärts, nicht bloß Stunden, sondern Tage lang und immer auf der aufgefundenen Spur, die bald deutlich erkennbar war, bald sich wieder auf dem harten Gestein oder im weichen Grase verlor, stets aber von Bill Potter wiedergefunden wurde.

So gelangten wir in jene Gegend, wo der Arkansas-River einen weiten Bogen nach den Smoky Hills beschreibt und zahlreiche Bäche ihm von den Bergen herab entgegenströmen.

Die offene Prairie ging durch weit ausgebreitetes Gebüsch nach und nach in den hochstämmigen Urwald über, und der Führer unsrer Gesellschaft wurde von Minute zu Minute vorsichtiger, da die Spur, welcher wir folgten, sich immer jünger zeigte und wir hinter jedem Baume auf einen der Wilden stoßen konnten.

Da plötzlich hielt Bill Potter an und unterwarf den weichen, moosigen Boden einer sehr sorgfältigen und genauen Prüfung.

„Wahrhaftig, hier kommen die Spuren weißer Männer aus dem Walde. Sie sind mit den Wilden zusammengetroffen, ohne daß ein Kampf stattgefunden hat. Seht her, hier in diesem Kreise haben die beiden gegenseitigen Anführer gestanden und miteinander verhandelt; dann ist das Calummet, die Friedenspfeife, herumgegangen; ihr seht es hier an dem kleinen Rest von Punks, der halb verkohlt am Boden liegt. Es ist jedenfalls eine Schar Bushhawkers gewesen, die sich mit den Roten vereinigt hat, um unser Lager ausfindig zu machen, es zu überfallen und sich in die Beute zu teilen.“

Mille tonnere – Millionen-Schock-Backborddonnerwetter,“ fuhr Peter Polter auf; „da werde ich einmal mit diesen meinen guten Fäusten dreinfahren, daß die Weißen rot und die Roten vor Schreck weiß werden! Wenn mich die Luft nicht trügt, so haben wir gar nicht mehr weit zu segeln, um in dem Lager vor Anker zu gehen. Aber was thun wir hier mit unsern vierbeinigen Fahrzeugen? Ich habe das meinige satt bis an den Hals herauf; es schüttelt und schlingert mich hin und her, daß mir der Verstand im Kopfe wehe thut und meine zweihundertachtunddreißig Knochen alle einzeln hinunter in die Stiefeln rutschen!“

Potter lachte über dieses klägliche Lamento des wackeren Seemannes und antwortete:

„Will’s gern glauben, Master; du sitz’st ja auch zu Pferde, als solltest du zu Eierkuchen verbacken werden! Die Tiere können wir allerdings nicht weiter mitnehmen; sie sind uns hinderlich. Aber ich weiß einen Ort, wo wir sie verstecken können, ohne daß ein Indsman sie zu finden vermag. Kommt, Mesch’schurs!“

Er wandte sich seitwärts in den Wald. Nach vieler Mühe, welche uns das Durchdringen des dichten Unterholzes bereitete, gelangten wir auf eine kleine, freie und tief versteckte Blöße, auf welcher wir die Pferde anhobbelten. Dann kehrten wir zu der Stelle zurück, wo wir die Spur verlassen hatten.

Wir folgten derselben weiter, und zwar mit außerordentlicher Vorsicht und Behutsamkeit, das Bowiemesser gelockert und die Büchse im Anschlage zum Schusse bereit. Da plötzlich hielt Potter still und lauschte.

„Horcht, ihr Männer! Klang das nicht wie das Schnauben eines Pferdes?“

Auch die andern hielten die leisen Schritte an und horchten in die tiefste Stille des Urwaldes hinein. Ein leises Wiehern erklang von der Seite her.

„Entweder haben sie sich dort gelagert, oder die Tiere zurückgelassen, um schneller vorwärts zu kommen. Das verteufelte Viehzeug wird uns wittern und verraten. Wir müssen ihnen den Wind abgewinnen!“

Er legte sich zur Erde und bewegte sich kriechend in einem weiten Bogen. Die andern folgten seinem Beispiel. Nach einiger Zeit gab er uns ein Zeichen, alles Geräusch zu vermeiden, und deutete zwischen die Büsche hindurch nach einem freien Platze, der vor uns lag. Dort weideten gegen dreißig Pferde, bewacht von zwei Indianern.

„Seht ihr die roten Halunken, Mesch’schurs? Ich hätte große Lust, sie mein Messer fühlen zu lassen und die Pferde in alle Winde zu jagen, hihihihi. Aber es geht nicht. Wir dürfen uns nicht verraten. Vorwärts; wir müssen so bald als möglich an sie kommen, aber nicht auf der Fährte, sondern von der Seite!“

Der kleine Mann wand sich mit der Geschicklichkeit und Geräuschlosigkeit einer Schlange durch das Dickicht. Der Weg war ein furchtbar beschwerlicher. Stunden vergingen; der Abend begann unter den hochgewölbten Baumkronen eher zu dunkeln, als draußen in der offenen Prairie, und es wurde immer schwerer, die eingeschlagene Richtung einzuhalten. Da hob Potter den Kopf und sog mit weitgeöffneten Nüstern die Luft ein.

„Das riecht nach Brand und Rauch. Sie haben Lager gemacht. Vorwärts, aber leise, leise, denn wir sind jetzt ganz nahe bei ihnen!“

Das Unterholz war jetzt gewichen, und die gigantischen Stämme ragten frei, wie die Säulen eines gewaltigen, grünbedachten Tempels, zu der dichten Kronendecke empor. Wir Männer krochen von einem Baum zum andern auf dem Bauche und suchten dann stets hinter den dicken Baumstämmen so lange Deckung, bis wir uns überzeugt hatten, daß man uns nicht bemerkt habe und unsere nächste Umgebung noch frei von Gefahren sei.

So gelangten wir an den Rand eines Gutter, wie der Hinterwälder die rißartigen Vertiefungen nennt, weiche, lang, schmal und tief geschnitten, sich oft im dichtesten Urwalde zeigen. Potter schob vorsichtig den Kopf vor und blickte hinab. Grad unter uns, in einer Tiefe von ungefähr vierzig Fuß brannte ein Feuer, um welches wohl um die fünfzig rote und weiße Männer saßen, während seitwärts von ihnen und von ihren scharfen Blicken bewacht, drei Gestalten lagen, die an Händen und Füßen gebunden waren. Es hatten sich also mit der weißen Gesellschaft des Kapitäns nicht alle Ogellallahs vereinigt, die dem Kampfe entronnen waren.

At length, da haben wir sie!“ meinte der kleine Trapper. „Und sie ahnen nicht, daß sie von oben so prächtig beguckt werden, hihihihi! Aber wer sind denn die drei Leute dort? Schiebt euch ein wenig weiter vorwärts, Mesch’schurs, bis dort zu den Farnkrautbüscheln; da können wir die Gesichter sehen!“

Ein dichtes Farngesträuch trat bis an den Rand des Gutter heran und gestattete uns, so vollständig uns hier zu verbergen, daß wir unmöglich gesehen werden konnten.

Zounds,“ flüsterte Potter, als er jetzt den Blick wieder hinabwarf, „es ist der Colonel mit Pitt Holbers und Dick Hammerdull, die sie überfallen und gefangen genommen haben!“

„Der Colonel?“ fragte der Steuermann, indem er den Kopf zwischen die breiten Blätter hindurchsteckte; „heavens -vraiment – wahrhaftig! Soll ich hinunterspringen und ihn mit meinen beiden Fäusten aus der Patsche herausfischen, Bill?“

„Warte noch ein wenig, Alter; wollen erst sehen, was da eigentlich vorgehen soll! Siehst du nicht, daß die Schufte sich nur so eng zusammengethan haben, um über das Schicksal der Gefangenen zu beraten? Dort der schwarzbärtige Jäger führt den Vorsitz; die Ogellallahs leiden das; ihr Häuptling muß also dort an der Bahn mit gefallen sein. Schaut, jetzt sind sie fertig, und der Anführer erhebt sich!“

Es war so, wie er sagte. Einer von den weißen Jägern, der allem Anscheine nach den Anführer machte, war aufgestanden und zu den Gefangenen getreten. Er löste die Fesseln, welche ihre Füße umschlungen hielten, und gab ihnen einen Wink, sich zu erheben. Als ich den Blick schärfer auf ihn warf, erkannte ich in ihm das Original von der Photographie, welche Treskow besaß. Er gebot den Gefangenen in befehlendem Tone:

„Steht auf, und vernehmt, was über euch beschlossen ist!“

Die drei Männer folgten dieser Aufforderung.

„Ihr seid Sam Fire-gun, der Anführer der Jäger, die hier im Walde ihr verborgenes Lager haben?“

Der Angeredete nickte zustimmend.

„Ihr habt Matto Sih, den Häuptling dieser braven redmen, erschlagen?“

Ein gleiches Nicken war die Antwort.

„Man sagt, daß Ihr viel Gold von den Bergen herab in Euer Versteck geschafft habt. Ist das wahr?“

„Sehr viel!“

„Und daß Ihr mehrere Tausend Biberfelle in Eurem Verstecke liegen habt?“

Well, Master, Ihr seid gut unterrichtet.“

„So hört, was ich Euch zu sagen habe: Diese roten Männer verlangen Euren Tod. Ich habe ihnen denselben zwar zugestanden, aber sie verstehen unsre Sprache nicht, und ich will Euch daher einen Vorschlag machen.“

„Redet!“

„Ihr führt uns in Euer Versteck, gebt uns das Gold und die Häute und seid dann frei!“

„Ist das alles, was Ihr von uns wollt?“

„Alles. Entscheidet schnell!“

„Ihr scheint verteufelt wenig von Sam Fire-gun gehört zu haben, Master, daß Ihr mir einen so albernen Vorschlag machen könnt. Ihr habt Euch mit den roten Schuften, die Ihr also an Schurkerei noch übertrefft, nur verbunden, um meines Goldes willen – ein Weißer mit Roten gegen Weiße; verdammt soll Eure Seele sein für diese Schlechtigkeit in alle Ewigkeit! Oder haltet Ihr mich wirklich für so dumm, zu glauben, daß Ihr uns frei lassen werdet, wenn Ihr habt, was Ihr begehrt?“

„Ich halte mein Wort, verbitte mir aber alle weitere Beleidigung!“

„Das macht einem Greenhorn weis, aber nicht mir! Ihr wißt nur zu gut, daß ich meine Freiheit nur benutzen würde, um Euch vor die Büchse zu bekommen und den Raub wieder abzunehmen. Schießt uns nieder, wenn Ihr das Herz dazu habt!“

Vielleicht wußte Sam Fire-gun, weshalb er so mutig reden durfte. Sein Auge hatte, während er sprach, sich zum Rande der Schlucht erhoben, denselben mit einem blitzschnellen und scharfen Blicke gemustert und sich dann ebenso rasch wieder gesenkt. Ein kaum bemerkbares befriedigtes Lächeln glitt um seine Lippen.

Dieser Blick war dem aufmerksamen Polizistenauge Treskows nicht entgangen; er sah hinüber nach der Stelle, wo das Auge des Colonels zuletzt gehangen hatte, und fuhr unwillkürlich zusammen.

„Schaut da hinüber,“ flüsterte er Bill Potter zu, welcher neben ihm lag; „ich sehe den Kopf eines Wilden!“

Der Angeredete folgte der Weisung und flüsterte dann:

Good lack, das ist bei Gott Winnetou, der Apatsche!

Dachte ich es doch, daß er mit bei dem Colonel gewesen ist! Er wurde nicht mit gefangen und ist ihnen gefolgt, um sie zu befreien. Ich muß ihm unser Zeichen geben!“

Er nahm ein Blatt an die Lippen und ließ das Zirpen der amerikanischen Grille vernehmen. Dieser Laut konnte den Feinden unmöglich auffallen, da diese Art von Heimchen sich sehr oft hören läßt. Winnetou aber warf einen erstaunten Blick herüber und war dann verschwunden. Auch die drei Jäger hatten aufgehorcht, verrieten sich aber nicht durch die geringste Bewegung ihrer Mienen.

„Schießen?“ fragte der Kapitän, die Achsel zuckend. „Was bildet Ihr Euch ein! Ich muß Euch den Indsmen übergeben, und die werden Euch an den Marterpfahl binden. Euer Gold und die Felle bekommen wir trotzdem. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht eine Spur von Euren Leuten entdeckten. Also nehmt Verstand an, Master, und sagt ja!“

„Fällt mir nicht ein! Ich mag nichts, auch das Leben nicht, von einem Manne geschenkt haben, der seine Brüder hinterrücks überfällt und an die Feinde verkauft, von einem Manne, der sich für meinen Neffen ausgiebt und uns dann überfällt. Ihr seid ein Halunke, Master, merkt Euch das!“

„Wahrt Eure Zunge, sonst hole ich sie mit meinem Messer heraus, noch ehe ich Euch den Roten übergebe!“

„Beweist, daß Ihr besser seid, als ich denke! Gebt uns die Waffen zurück und laßt uns kämpfen, drei gegen fünfzig, wenn Ihr kein Weib, sondern ein richtiger Westmann seid!“

„Ist nicht notwendig, Master, wir blasen Euch auch ohne Kampf die Seele aus der Haut. Und was den Halunken betrifft, so zupft Euch am eigenen Ohre. Darüber wollen wir nicht streiten! Also, kurz und bündig: Nehmt Ihr meinen Vorschlag an oder nicht?“

„Nein!“

„Und ihr andern beide?“

„Hm,“ antwortete Dick Hammerdull mit verächtlichem Blinzeln seiner kleinen Äuglein, „ob wir ihn annehmen oder nicht, das bleibt sich gleich; für Euch kommt auf keine Weise etwas Gutes heraus, das könnt Ihr glauben! Hätte ich nur meine Hände frei und meine Büchse in der Faust, so sollte Euch der Teufel holen! Oder meinst du nicht, Pitt Holbers, altes Coon?“

„Wenn du denkst, Dick, daß er ihn holen soll,“ antwortete der Lange, „so habe ich nicht das mindeste dagegen!“

Well done,“ antwortete der Jäger mit zornigem Leuchten seiner Augen; „so mögen euch die Roten spießen und braten, ganz wie es euch beliebt! Aber um euch eine Freude zu machen, will ich euch sagen, daß ihr uns euer verstecktes Lager gar nicht zu zeigen braucht. Wir haben es entdeckt.“

Er ließ sich bei den Indianern nieder, um ihnen das Ergebnis der Verhandlung mitzuteilen.

Während dieser letzteren hatte im Schutze des Farngestrüpps bei uns ein leises aber außerordentlich bewegtes Gespräch stattgefunden.

„Also der, welcher jetzt spricht, ist Euer Colonel?“ fragte Wallerstein Bill Potter.

„Ja, Sir, Euer Onkel, wenn das wahr ist, was Ihr mir erzählt habt.“

„Er ist’s, Ihr könnt es glauben. Er ist dem Vater so ähnlich, daß kein Zweifel übrig bleibt. Und nun ich ihn endlich treffe, ist er verloren! Giebt es keine Hilfe, Bill?“

„Hört, Sir, wenn Ihr denkt, daß ich meinen Colonel stecken lasse, so habt Ihr Euch in mir verrechnet. Kann ich auf Euch zählen, Mesch’schurs?“

Wir nickten nur; Peter Polter aber meinte:

„Ich will hier liegen bleiben und verhungern wie ein altes Wrack, wenn ich den Kerl da unten, der mit dem Colonel spricht, nicht zwischen meine zehn Finger nehme und zu Hafergrütze quetsche. Aber nehmt doch einmal die Photographie aus Eurem Beutel, Master Lieutenant! Das Feuer brennt hell genug zu einem Blick darauf. Ich lasse mich auf der Stelle kielholen, wenn er nicht genau so ein Gesicht macht wie Euer Bild!“

„Ich brauche die Photographie nicht, Peter; er ist’s; ich habe ihn erkannt,“ antwortete Treskow. „Sehen Sie sich den Kerl einmal an, Herr Wallerstein, ob er es nicht ist!“

„Er ist es! Es ist kein Zweifel möglich; aber so nahe am Ziele, wird er uns doch entgehen!“

„Das wartet ab, Sir!“ antwortete Potter. „Der Colonel hat mein Zeichen gehört und weiß, daß Hilfe in der Nähe ist. Hat er nur erst die Hände frei, so sollt Ihr sehen, was die Schurken zu schmecken bekommen!“

Da raschelte es leise hinter uns. Die geschmeidige Gestalt des Apatschen schob sich zwischen uns herbei.

„Winnetou hat vernommen die Grille und erkannt das Gesicht von Bill, dem Manne seines weißen Bruders. Er wird schleichen zum Gutter und lösen die Bande seiner Freunde. Dann mögen meine Brüder hier hinunterspringen und sich stürzen auf die Jäger und Ogellallahs, um zu folgen Sam Fire-gun nach seinem Wigwam!“

So schnell er gekommen, so behend war er auch wieder fort. Mit scharfem Auge bewachten wir das feindliche Lager und hielten uns zum eigentlichen Angriffe bereit.

Jetzt erhob sich der feindliche Anführer wieder und mit ihm die sämtlichen Weißen und Wilden. Aber ehe er noch ein Wort gesprochen hatte, schnellte sich eine dunkle Gestalt durch das ringsum wuchernde Gestrüpp und Gedorn bis zu den Gefangenen. Das war Winnetou.

Drei Schnitte – und ihre Hände waren von den Fesseln befreit – acht Schüsse krachten von uns oben herab – noch acht – Sam Fire-gun hatte keine Zeit, das weitere zu beachten; er entriß dem ihm zunächst stehenden Indianer den Tomahawk und stürzte sich in den Schwarm der tödlich überraschten Feinde.

Come on, drauf, drauf!“ klang seine Stimme, während Winnetou an seiner Seite unter den Ogellallahs mähte.

„Pitt Holbers, altes Coon, siehst du den Kerl dort, der meine Büchse hat?“ rief Dick Hammerdull triumphierend. „Komm, ich muß sie haben!“

Die beiden Unzertrennlichen drangen vor, bis der Dicke seinen geliebten Schießprügel zurückerobert hatte. Peter Polter, der Steuermann, war wie eine Lawine mitten unter die erschrockenen Gegner hineingekracht. Er wollte sein Wort halten. Mit seinen Bärenfäusten faßte er ihren Anführer bei Schenkel und Genick, hob ihn hoch in die Luft empor, schmetterte ihn zur Erde, daß es dröhnte, und stieß ihm dann das Messer in die Brust.

Bounce, abgethan! Weiter, ihr Männer, schlagt, haut, stecht, schießt, prügelt sie, werft sie über Bord, daß sie ersaufen, quetscht sie tot, hurra – hurra!“

Während der wackere Seemann in dieser Weise seinem Herzen Luft machte, thaten auch Wallerstein und Treskow ihre Schuldigkeit. Es war der erste Kampf, an dem sie teilnahmen, und zwar zugleich ein furchtbarer, der ihnen das Leben im wilden Westen von der dunkelsten Seite zeigte. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich und meine Boys auch thaten, was wir konnten, denn wir waren ebenso schnell wie die andern hinunter in das Gutter gesprungen und gebrauchten unsre Waffen nach Kräften.

Die Feinde waren an Zahl fast fünffach überlegen, aber durch die Überraschung zu Schaden gekommen, denn ehe sie sich auf den Widerstand besannen, lag bereits die Hälfte von ihnen am Boden. Wie in jener Nacht des Überfalles an der Eisenbahn wütete der Tomahawk Sam Fire-guns unter den Gegnern; Winnetou fand nicht weniger Opfer, und Hammerdull stand Rücken an Rücken mit Pitt Holbers im dichtesten Gewühl. Der Steuermann fuhr in der Schlucht herum wie eine losgelassene Furie; der kleine Bill Potter hatte sich am Eingange derselben zwischen die Büsche gesteckt, aus welchen er, jede Flucht zurückweisend, seine Schüsse sandte, und Treskow und Wallerstein zeigten sich nicht weniger mutig.

Nach wenigen Minuten des Kampfes waren die Angreifer Sieger; sämtliche weiße Gegner lagen tot an der Erde, und nur einigen gewandten Indianern war es gelungen, zu entkommen.

Sam Fire-gun war nicht der Mann, lange Fragen über seine wunderbare Rettung auszusprechen, wo es jetzt galt, den Sieg zu benutzen.

„Vorwärts, Leute, zu den Pferden,“ rief er, „damit sie uns nicht verloren gehen! Die Indsmen haben Wächter bei den Tieren, die wir überrumpeln müssen. Aber nicht alle sind nötig; einige von euch können hier bleiben!“

Er eilte mit denen, die ihm folgten, fort. Wir andern setzten uns nieder. Unsre Lage war keineswegs sicher, denn die entflohenen Roten konnten zurückkehren und sich aus sicherer Entfernung mit Schüssen rächen. Aber es geschah nichts dem Ähnliches. Wir horchten gespannt in die Nacht hinaus; es ließ sich nichts Verdächtiges vernehmen, und das erste Geräusch, welches die nach dem Kampfe eingetretene Stille störte, war ein freundliches: Die Büsche raschelten; Äste krachten und Zweige knickten; die Gefährten kehrten mit ihren und den erbeuteten Pferden zurück, nachdem sie die bei den letzteren zurückgebliebene Wache überwunden hatten. Bill Potter hatte auch sein eignes Tier und die unsrigen nicht vergessen und sie mit herbeigebracht.

„Pitt Holbers, altes Coon, siehst du, daß ich meine alte Stute wieder habe?“ fragte der glückliche Hammerdull.

„Hm, wenn du denkst, daß ich sie sehe, so habe ich nichts dagegen; aber by god, es hätte nicht viel gefehlt, so wäre es mit dir und ihr ausgewesen!“

„Ob aus oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich möchte doch nur wissen, wer die Männer sind, die mit dem kleinen Polter uns – – ‚ sdeath, ist das nicht der verteufelte Steuermann aus Germany da drüben, der so große Fäuste hat und so fürchterlich trinken kann?“

„Freilich bin ich’s, alte Schmertonne du! Kennst mich also doch noch, he? Bin mit Master Treskow und Master Wallerstein wieder herübergekommen, weil – –“

„Master Wallerstein?“ fragte da rasch Sam Fire-gun. „Peter Polter –? Wahrhaftig, du bist’s wieder! Was willst du wieder in der Savanne, und was ist es mit deinem Master Wallerstein?“

„Das ist dieser Sir hier, Colonel, der mit dem Herrn Treskow gekommen ist, um seinen Onkel aufzusuchen!“

„Dieser Sir –?“

Er trat einen Schritt zurück, warf einen langen, forschenden Blick auf seinen Neffen, streckte ihm dann beide Arme entgegen und rief aus:

„Das ist kein Falscher, nein; ich kenne diese Züge. Heinrich, mein Neffe, willkommen, tausendmal willkommen!“

Die beiden so nahen und einander doch so entfernt gewesenen Verwandten lagen einander lange, lange in den Armen, und die andern standen schweigend in der Nähe, bis der Colonel, der für sich keine Furcht kannte, durch die Gegenwart des teuren Befreundeten auf die Gefahr hingewiesen wurde, in der sie noch immer standen. Er ließ ihn frei und gebot:

„Hier ist nicht der Ort zu Fragen und Erklärungen. Auf, nach dem Lager, das ganz in der Nähe liegt. Dort können wir das Willkommen samt unsrer Rettung feiern und die Wunden verbinden, die wir davongetragen haben!“

„Ja, auf nach dem Lager!“ rief auch der Steuermann. „Dort wird sich wohl ein guter Tropfen finden lassen, nicht nur für unsre Wunden, sondern auch für meinen Magen, dem er wahrscheinlich noch viel nötiger ist!“ – –

Wir nahmen die Pferde bei den Zügeln, jeder so viele, daß wir sie alle fortbrachten. Wir mußten sie führen, denn reiten konnten wir bei der jetzt herrschenden Dunkelheit im Walde nicht. Diejenigen, welche hier bekannt waren, gingen voran; wir andern folgten hinterdrein, immer zwischen den weit auseinanderstehenden Riesenstämmen und unter dem dichten Wipfeldach dahin. Dann wurden wir zwischen vielgewundenen Felsenkrümmungen, die ein Labyrinth bildeten, hindurchgeführt, in dem sich selbst am Tage nur jemand, der es genau kannte, zurechtfinden konnte, und endlich gelangten wir in einen runden Felsenkessel, welcher den geheimen Lagerplatz der Trapper- und Goldsuchergesellschaft des Colonel bildete.

Dieser Ort war außerordentlich gut für einen solchen Zweck geeignet, sehr, sehr schwer zu finden und dabei ebenso leicht gegen einen Angriff zu verteidigen. Es brannten da mehrere Feuer, um welche eine ganze Anzahl von Westmännern saß, die zur Gesellschaft gehörten und uns hoch erfreut willkommen hießen. Sie hatten keine Ahnung davon, was ihr Colonel und die mit ihm kommenden Kameraden und andern Männer in den letzten Tagen erlebt hatten. Wir wurden, so weit es hier möglich war, im höchsten Grade gastfreundlich bewirtet, und dabei hörten sie, was geschehen war und was für eine Gefahr ihrem Lager gedroht hatte. Sie nahmen sich vor, gleich mit Tagesanbruch nach dem Gutter zu gehen, die Gefallenen noch einmal genauer zu untersuchen und dann die ganze Umgegend von den etwa da noch umherstreifenden Roten zu befreien. Die ganze Gesellschaft des Kapitäns hatte ein grausiges Ende gefunden und mit ihr er selbst durch das Messer des Steuermannes. Es blieb Treskow nichts andres übrig, als nach Van Buren mit dem Bescheide zurückzukehren, daß er den so lange Gesuchten zwar gefunden habe, aber ihn nicht mitbringen könne, weil er ausgelöscht worden sei.

Es versteht sich ganz von selbst, daß Wallerstein seinem toten Doppelgänger gleich nach dem Kampfe alles abgenommen hatte, was ihm von demselben gestohlen worden war. Was weiter geschah, gehört nicht hierher. Meine Geschichte ist zu Ende.“ –

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In Der Kaktusfalle

In der Kaktusfalle

Der heiße Wüstenwind war zur Ruhe gegangen und die Sonne hatte das letzte Achtel ihres Tagesbogens erreicht; es gab keinen Flugsand mehr in der Luft und wir konnten den leuchtenden Ball sich im Niedersenken deutlich vergrößern sehen. Welche Scene werden seine Strahlen wohl morgen um dieselbe Zeit bescheinen? So fragten sich wohl die meisten von uns, als wir zunächst still auf unseren Plätzen saßen, denn so wenig Angst wir vor den Comantschen hatten, es wußte doch jeder, daß die besten und vorsichtigsten Berechnungen des Menschen durch einen Zufall, der sich ganz unerwartet einstellt, zu Schanden gemacht werden können.

Es war natürlich, daß ich Winnetou zunächst erzählte, was ich seit meiner Ankunft beim Rendezvous in der Sierra Madre erlebt hatte. Da die Erlebnisse meiner Begleiter hierin mit eingeschlossen waren, brauchte der Apatsche, um eine klare Anschauung zu erhalten, nach diesen nicht zu fragen. Als ich geendet hatte, rekapitulirte er das Gehörte in den Worten:

„Wir haben jetzt nur an das zu denken, was den Ort angeht, an welchem wir uns befinden; alles Übrige können wir später besprechen. Also Vupa Umugi hat hundertfünfzig Krieger am Saskuan-kui bei sich?“

„Hundertvierundfünfzig waren es. Davon gehen die sechs Comantschen ab, die wir am Altschese-tschi überwunden haben.“

„Nale-Masiuv will mit hundert Mann zu ihm stoßen?“

„Von diesen sind bei dem Kampfe gegen das Militär viele getötet oder kampfunfähig gemacht worden; aber er hat heimgesandt, um noch hundert holen zu lassen.“

„Wieviel Krieger hat Schiba-bigk gebracht?“

„Zwanzig.“

„So werden wir ungefähr dreihundert Feinde gegen uns haben. Mein Bruder hat eben so viele Apatschen draußen vor unserem Kaktusfelde; wir sind ihnen also gewachsen.“

„Gewachsen? bloß gewachsen?“ fiel da Old Wabble ein. „Ich meine sogar, daß wir ihnen überlegen sind, weit, weit überlegen! Ich habe die Krieger der Apatschen gesehen, wie gut bewaffnet und disciplinirt sie sind. Zweihundert von ihnen würden dreihundert Comantschen besiegen. Dazu kommen wir Weißen. Winnetou, Old Shatterhand und Old Surehand nehmen eine ganze Menge von Feinden auf sich. Von mir, dem Fox, Parker und Hawley will ich gar nicht reden. Die Kerls sollen nur kommen! Wir schießen sie alle über den Haufen, und ich gebe mein Wort, daß keiner von ihnen sein Wigwam wiedersehen wird!“

Winnetou zeigte ihm sein ernstestes Gesicht und antwortete:

„Mein alter Bruder ist, wie ich weiß, ein unerbittlicher Feind aller roten Männer; er hält sie für Diebe, Räuber und Mörder, ohne zu bedenken, daß sie nur zu den Waffen greifen, um ihr gutes Eigentum zu verteidigen, oder das zu rächen, was an ihnen verbrochen worden ist. Old Wabble hat noch nie einem roten Manne, der in seine Hände fiel, Gnade gegeben; er ist auf der ganzen Savanne als Indianertöter bekannt; aber wenn er sich bei Old Shatterhand und Winnetou befindet, muß er diese Gesinnung ändern, sonst sind wir gezwungen, uns von ihm zu trennen. Wir sind Freunde aller roten und weißen Männer, und wenn wir einen Feind vor uns haben, mag er weiß oder rot aussehen, so besiegen wir ihn wo möglich, ohne daß wir sein Blut vergießen. Old Wabble nennt sich einen Christen; er wird Winnetou einen Heiden nennen; aber wie kommt es doch, daß dieser Christ so gern Blut vergießt, während der Heide das zu vermeiden sucht?“

Daß der sonst so wortkarge Apatsche sich herbeiließ, so viele Worte zu machen, war ein Beweis, daß ihm der Alte sympathischer war, als der Inhalt dieser Worte eigentlich vermuten ließ. Old Wabble senkte den Kopf, hob ihn aber nach einer Weile wieder und verteidigte sich:

„Die Roten, mit denen ich bisher zusammengetroffen bin, sind alle, alle Schufte gewesen.“

„Das bezweifle ich. Und wenn es wahr sein sollte, wer hat sie denn zu Schuften gemacht?“

„Ich nicht!“

„Du nicht?“

„Nein.“

„Sie sind es durch die Bleichgesichter geworden. Und ist Old Wabble nicht auch ein Weißer?“

„Der bin ich, ja. Und ich denke sogar, ich bin einer, der sich schon sehen lassen kann!“

„Und Winnetou denkt, es wäre besser, die Roten, von denen du redest, hätten dich nicht gesehen! Du sagtest, daß alle Comantschen niedergeschossen werden sollen; ich aber sage dir, daß wir, wenn es möglich ist, keinen einzigen von ihnen töten werden. Ist mein Bruder Old Shatterhand einverstanden?“

„Vollständig,“ antwortete ich ihm. „Du weißt, daß du mich da gar nicht erst zu fragen brauchst.“

Der alte Wabble machte ein sehr verlegenes Gesicht, versuchte aber doch, sich zu verteidigen: „Aber sie wollen doch Bloody-Fox überfallen, dem wir helfen müssen! Wir wollen ihn und uns verteidigen, und das kann doch wohl nur durch Gegenwehr geschehen; th’is clear!“

„Es giebt Gegenwehr verschiedener Art, Mr. Cutter,“ antwortete ich. „Laßt Winnetou sprechen; dann werdet Ihr hören, daß wir keineswegs die Comantschen nur allein dadurch, daß wir sie niederschießen, von der Ausführung ihres Vorhabens abhalten können. Es giebt noch andere Mittel.“

„Ja, jedenfalls wieder Eure berühmte List!“

Er sagte das in einem Tone, der meinen Beifall nicht haben konnte; ich brauchte ihn aber nicht zurückzuweisen, denn Parker that dies, indem er einfiel:

„Wird es nicht besser sein, wenn Ihr schweigt, alter Wabble? Ihr seht, daß ich auch still bin. Wenn Mr. Shatterhand und Winnetou miteinander sprechen, ist es gar nicht nötig, daß andere, ohne gefragt zu werden, ihre Meinungen dazugeben. Ihr habt ja mehr als zehnmal versprochen, nur das zu thun, was Mr. Shatterhand will. Wenn Ihr dieses Versprechen nicht halten wollt, so thun wir das, was schon oft gesagt worden ist: wir gehen fort und lassen Euch sitzen!“

Dieses „Sitzen lassen“, von mir nur einmal ausgesprochen, war zur stehenden Redensart geworden, über welche sich Old Wabble ungeheuer ärgern konnte. Er fuhr auch jetzt auf: „Haltet Euern Schnabel! Wer hat Euch um Eure Meinung gefragt? Wenn ich nicht reden darf, so habt Ihr erst recht zu schweigen! Wie könnt Ihr mich einen Querkopf nennen? Kehrt doch erst vor Eurer eigenen Thür! Ich habe mir noch von niemandem einen Elk schenken lassen und dann gesagt, daß ich ihn selbst geschossen habe!“

„Und ich habe noch nie das große Wort geführt und trotzdem solche Dummheiten gemacht, wie Ihr zum Beispiele am Saskuan-kui, wo Ihr mit – – –“

„Still!“ fiel ich ein, „wir haben weit Wichtigeres zu thun, als solche Grillenduells auszukämpfen. Wir sind vorhin dabei unterbrochen worden, daß wir genau so viel Krieger wie die Comantschen haben und ihnen also gewachsen sind. Ich gebe gerne zu, daß Old Wabble recht hatte, als er sagte, daß wir ihnen nicht nur gewachsen, sondern sogar überlegen seien. Das gedenke ich freilich nicht, so wie er, dadurch zu begründen, daß wir große, unüberwindliche Helden sind, gegen die ein roter Krieger als nichts zu achten ist. Der Grund liegt vielmehr in dem Umstande, daß wir unsere dreihundert Apatschen beisammen haben, während die Comantschen in einzelnen Abteilungen kommen und dabei auch noch die weiße Kavallerie gegen sich haben werden.“

„Da hat mein Bruder recht, wie immer,“ stimmte Winnetou bei. „Zunächst wird Schiba-bigk mit einer Schar nahen, um dies Haus und seine Bewohner zu überfallen und die Stangen in den Sand der Wüste zu stecken. Nach ihm kommt Vupa Umugi, um diese Stangen falsch zu stecken und die weißen Soldaten dem Tode des Verschmachtens zuzuführen. Nach diesen weißen Reitern folgt der Häuptling Nale-Masiuv mit seinen Leuten, um den Bleichgesichtern den Rückzug abzuschneiden und sie vollends einzuschließen. Das sind drei verschiedene Trupps, die wir einzeln angreifen werden und vielleicht ohne alles Blutvergießen besiegen können. Old Shatterhand wird diesen meinen Worten seine Beistimmung erteilen.“

„Die gebe ich allerdings,“ sagte ich. „Ich glaube nicht, daß Schiba-bigk, der zuerst kommt, mehr als fünfzig Krieger bei sich haben wird. Wenn wir sie mit unsern dreihundert einschließen, werden sie einsehen, daß es am besten für sie sei, sich ohne Gegenwehr zu ergeben.“

Der alte Wabble konnte trotz der vorhin erhaltenen Zurechtweisung nicht schweigen; er entgegnete:

„Sollte er wirklich nur fünfzig mitbekommen, da wir doch dreihundert haben?“

„Ihr vergeßt, daß die Comantschen gar nicht wissen, daß wir da sind. Sie glauben doch, es nur mit den Bewohnern der Oase zu thun zu haben.“

„Hm, ja, mag sein! Aber das Einschließen ist nicht so leicht, wie man es denkt.“

„In diesem Falle ist es sogar sehr leicht. Wir brauchen sie nur an ein Kaktusfeld zu drängen; da können sie nicht hinein. Wir haben dann nicht nötig, einen ganzen Kreis um sie herum zu bilden, sondern es genügt ein halber. Hinter sich den undurchdringlichen Kaktus und vor sich dreihundert Feinde; da müßten die Fünfzig wahnsinnig sein, wenn sie glaubten, sich heiler Haut durchschlagen zu können.“

„Wenn sie es aber doch glauben?“

„So werde ich mit ihnen sprechen.“

„Sprechen? Hm! Ob sie darauf hören?“

„Was das betrifft, so giebt es Einen unter ihnen, der sicher auf mich hören wird.“

„Wer ist das, Sir?“

„Schiba-bigk, der junge Häuptling. Er hat uns sein Leben zu verdanken, ist hier der Gast unseres Fox gewesen und hat damals sein Wort gegeben, daß er die Oase nicht verraten wolle. Das ist mehr als genug, ihn meinen Worten geneigt zu machen.“

„Bin neugierig, ob Ihr Euch da nicht irren werdet. Ihr seht ja, wie er sein Wort gehalten hat. Verspricht, die Oase nicht zu verraten, und bringt doch volle dreihundert Comantschen hergeschleppt! Hoffentlich brauchen wir nicht lange zu warten, bis er kommt.“

„Er wird morgen abend hier sein.“

„Hier an der Oase schon?“

„Ja. ich glaube nicht, daß diese Berechnung täuscht.“

„Und da wollen wir ihn einschließen?“

„Ja.“

„Des Nachts?“

„Vielleicht schon am Tage. Je eher er kommt, desto eher wird er umzingelt.“

„Da müssen wir aber wissen, wann er kommt; es ist also nötig, ihm Kundschafter entgegen zu senden.“

„Das würde ein großer Fehler sein.“

„Wieso?“

„Weil er die Spuren dieser Späher entdecken und infolgedessen Argwohn schöpfen würde.“

„Hm! Also keine Kundschafter! Wie aber wollen wir erfahren, ob und wann diese – –“

„Mein alter Bruder kann getrost annehmen, daß Old Shatterhand weiß, was er sagt und thut,“ schnitt ihm Winnetou die Rede ab. „Die Comantschen würden die Fährte der Späher sehen; darum dürfen wir keine aussenden. Schiba-bigk ist hier gewesen und von hier aus direkt nach dem Gutesnontin-khai geritten, wo er sich jetzt befindet, um Pfähle zu schneiden. Er wird ganz genau auf demselben Wege wiederkommen. Wir reiten ihm seitwärts dieses Weges entgegen und werden ihn sehen, ohne daß er uns bemerkt. Wenn er vorüber ist, kehren wir um, ihm nach, und treiben ihn gegen ein Kaktusfeld, durch welches er und seine Schar nicht reiten kann; dann haben wir ihn. Ich errate, daß mein Bruder Shatterhand dies sagen wollte?“

„Ja, genau dies war meine Absicht und mein Plan,“ antwortete ich dem scharfsinnigen Freunde.

Da ergriff Bloody-Fox, der bisher geschwiegen hatte, obgleich die Angelegenheit ihn selbstverständlich am meisten interessieren mußte, zum erstenmale das Wort:

„Mein berühmter Bruder Winnetou mag mir eine Frage gestatten. Schiba-bigk wird sehr vorsichtig nahen, um nicht vor der Zeit bemerkt zu werden. Und wenn wir uns seitwärts aufstellen, ihn zu erwarten, dürfen wir uns seinem Wege doch nicht so weit nähern, daß er uns sieht. Ist es da nicht möglich, daß er vorüberkommt, ohne daß unsere Augen auf ihn und seine Comantschen fallen?“

„Nein.“

„Was Winnetou, der große Häuptling der Apatschen, sagt, ist nicht anzufechten; aber in der Wüste giebt es keinen Weg, den man sieht; es giebt nur eine Richtung, von welcher man leicht rechts oder links abweichen kann. Ist es da nicht möglich, daß Schiba-bigk auch abweicht und grad deshalb auf uns trifft?“

„Nein. Mein Bruder Fox mag sich an Old Shatterhand wenden, um zu erfahren, warum ich nein sage!“

Da Fox mich infolge dieser Worte fragend anblickte und die andern dies auch thaten, erklärte ich:

„Ein Weißer könnte aus der geraden Richtung weichen, ein Roter aber nicht. Ein Roter hat den untrüglichen Ortssinn des Vogels, der meilenweit gerade nach seinem Neste fliegt, obwohl es in der Luft, genau so wie hier im Sande, keine vorgezeichneten Wege giebt. Und sodann ist zu bedenken, daß die erste Schar der Comantschen, welche kommt, die Aufgabe hat, den Weg nach der Oase durch Stangen zu bezeichnen. Das Feststecken der Stangen ist eine Arbeit, die uns die Ankunft Schiba-bigks so kenntlich machen muß, daß wir sie gar nicht übersehen können. Er wird und muß in unsere Hände geraten. Wir schaffen ihn und seine Leute dann nicht etwa hierher, denn er darf den neuen Weg durch den Kaktus nicht kennen lernen, sondern sie werden draußen in der Wüste zusammengebunden und gut bewacht, bis alles vorüber ist.“

„Und was wird aus den Stangen? Es wurde vorhin gesagt, daß wir sie entfernen und in falscher Richtung wieder feststecken werden?“

„Das werden wir allerdings thun, um Vupa Umugi irre zu führen.“

„Wohin?“

„Hm! Irgendwo hin, wo wir ihn leicht einschließen und fassen können. Die Kaktusstrecken haben sich, seit ich zum letztenmal hier war, so verändert, daß ich im voraus nichts sagen kann.“

„Darf ich da einen Vorschlag machen?“

„Warum nicht?“

„Es giebt einen guten Tagesritt südöstlich von hier eine Kaktuswildnis von außerordentlich großer Ausdehnung, in welche ein offener, nach und nach immer schmaler werdender Sandstreifen hineinführt.“

„Wie tief hinein?“

„Wenn man langsam reitet, kann man fast zwei Stunden zubringen, ehe man an das Ende des Streifens kommt.“

„Sind die Kaktus alt oder frisch?“

„Beides durcheinander; aber dicht sind sie, sehr dicht.“

„Da wäre dies freilich ein Ort, wie wir ihn für unsern Zweck gar nicht besser wünschen können. Hält mein Bruder Winnetou ihn für ebenso passend?“

Der Häuptling der Apatschen nickte zustimmend und antwortete in seiner ruhigen, bestimmten Weise:

„Wir werden die Comantschen in diesen Kaktus treiben.“

„So sind wir fertig mit dem, was zunächst und für heut und morgen zu besprechen war; das weitere muß sich nach den Ereignissen richten. Die Sonne hat den Horizont erreicht; wir wollen Menschen und Tieren die Ruhe geben, welche sie brauchen, um morgen kräftig und ausdauernd zu sein.“

Es wurde mir beigestimmt. Wir versorgten unsre Pferde mit allem, was die Oase für sie bieten konnte, und Winnetou begab sich hinaus zu seinen Apatschen, um ihnen die Lagerbefehle zu erteilen und ihnen den Weg durch den Kaktus nach der Oase zu zeigen, denn sie mußten ihre Pferde tränken und sich selbst auch mit Wasser versorgen; dann legten wir uns auf die Maisstrohlager, welche Mutter Sanna inzwischen für uns bereitet hatte.

Aber die meisten von uns kamen nicht sofort zum Schlafen. Ich lag neben Winnetou und hörte seinen leisen Bericht über das, was er seit unsrer Trennung erlebt hatte. Dabei hörte ich, daß Old Wabble und Parker sich noch eine ganze Weile, auch mit unterdrückten Stimmen, miteinander zankten. Durch die offenen Fenster des Hauses schallten die Stimmen des Negers und seiner Mutter, welche außerordentlich glücklich waren, einander wieder zu besitzen, und vom Wasser her waren die Schritte der Apatschen und ihrer Pferde noch stundenlang zu vernehmen. So ein Lagerabend hat einen ganz eigenartigen Reiz, den nur derjenige kennt, der ihn selbst empfunden hat.

Als ich am Morgen erwachte, stand Winnetou schon munter am See, um seinen Oberkörper mit dem Wasser eines gefüllten, großen Kürbis zu baden. Sanna lief leise, aber geschäftig hin und her, dafür besorgt, daß die Gäste ein gutes, reichliches Frühstück finden möchten. Die andern schliefen noch, wachten aber auch bald auf. Dann kamen die Apatschen wieder mit ihren Pferden, die sich für den ganzen Tag jetzt satt zu trinken hatten. Ein leichter Rauch, den wir fern draußen vor dem Kaktusfelde sahen, sagte uns, daß die Roten sich mit Hilfe trockener Kakteen einige Feuer angezündet hatten, um an denselben ihr Essen zu bereiten. Als wir gefrühstückt hatten, ritten wir hinaus zu ihnen; sie hatten nun auch gegessen und waren zum Aufbruche bereit. Eine Abteilung von ihnen, bei welcher Bloody-Fox blieb, wurde zum Schutze der Oase zurückgelassen; dann ritten wir fort.

Gestern waren wir aus Südwesten gekommen, heut hatten wir grad westlich zu reiten, denn dort lag der Gutesnontin-khai. Die Linie, auf welcher die Comantschen zu erwarten waren, mußten wir uns natürlich denken; wir hielten uns parallel mit ihr, und zwar so, daß wir zunächst ungefähr eine halbe englische Meile von ihr entfernt waren, denn jetzt konnten die Feinde noch nicht kommen; später aber mußten wir uns vorsichtshalber weiter von ihr entfernen, wenn nämlich die Luft so rein und durchsichtig blieb, wie sie jetzt war. Man konnte außerordentlich weit sehen. Trotzdem befanden wir uns im Vorteile vor den Comantschen, weil ich ein Fernrohr hatte und Winnetou auch eins besaß.

Wer aber glaubte, wir hätten uns in einem Trupp zusammengehalten, der wäre in einem großen Irrtum befangen. Dies zu thun, wäre der größte Fehler gewesen, den man sich hätte denken können. Die erwähnte gedachte Linie lag nördlich, also rechts von uns. Es war nicht ganz unrichtig, was Old Wabble gestern abend gesagt hatte, daß nämlich die Comantschen zufällig von dieser Linie abweichen könnten, und wenn es auch nur wenig wäre. Darum mußte sich, als der Vormittag ziemlich vergangen war, unsre Schar weiter südlich halten, während nur einige der erfahrensten Leute mehr rechts ritten. Die der gedachten Linie am nächsten Befindlichen waren Winnetou, Old Surehand und ich, und auch wir ritten nicht neben, sondern so weit entfernt voneinander, daß wir unsre Zurufe grad noch hören konnten. Durch dieses Arrangement war dafür gesorgt, daß die Comantschen uns unmöglich entdecken konnten, außer in dem fast unwahrscheinlichen Falle, daß sie von ihrem Wege sehr weit südlich abgewichen wären. Aber selbst in diesem Falle durften wir hoffen, sie zu umzingeln und keinen von ihnen entkommen zu lassen. Das letztere war für alle Fälle die Hauptsache, denn gelang es auch nur einem einzigen, uns zu entschlüpfen, so war es natürlich seine erste und einzige Aufgabe, zurückzureiten und Vupa Umugi, dem großen Donner, Mitteilung von unsrer Anwesenheit zu machen.

Es wurde Mittag und noch hatten wir nichts gesehen. Da, es mochte wohl fast ein Uhr sein, stieß Winnetou, der in diesem Augenblicke sein Fernrohr an das Auge gesetzt hatte, einen lauten Ruf aus und winkte Old Surehand und mich zu sich heran. Als wir ihn erreichten, streckte er die Hand nach Norden aus und sagte:

„Ganz da draußen am Horizonte hält ein Reiter, den man nicht mit dem bloßen Auge erkennen kann.“

„Ist es ein Indianer?“ fragte Old Surehand.

„Das ist nicht zu unterscheiden; mein Bruder mag das Rohr nehmen und dahin sehen, wohin ich zeige.“

Er gab ihm das Perspektiv, und ich setzte das meinige an, um es in dieselbe Richtung zu halten.

„Ja, es ist ein Reiter,“ bestätigte Old Surehand; „aber man kann nicht erkennen, ob ein roter oder weißer.“

„Es ist ein roter,“ warf ich ein.

„Erkennt Ihr das, Sir? Dann ist Euer Rohr viel besser als dasjenige Winnetous.“

„Ich erkenne es nicht; aber dennoch behaupte ich sogar, daß es ein Comantsche ist.“

„Uff!“ rief Winnetou verwundert, der sein Rohr wieder genommen hatte und durch dasselbe blickte.

„Und zwar ein Comantsche von Schiba-bigks Schar; vielleicht ist es dieser selbst.“

„Uff, uff! Warum denkt dies mein Bruder?“

„Er ist nicht allein. Mein Bruder Winnetou mag sein Rohr dahin richten, woher dieser Reiter gekommen sein muß, also ein wenig mehr nach links. Dort sind noch mehr Reiter zu sehen und dabei kleinere Punkte, welche Fußgänger bedeuten, die von ihren Pferden gestiegen sind.“

„Uff, uff, es ist richtig! Ich sehe größere Punkte; das sind Reiter; und kleinere Punkte, welche sich hin und her bewegen; das sind Männer zu Fuße.“

„Weiß mein roter Bruder, warum diese kleineren Punkte nicht geradeaus gehen, sondern sich immer hin und her bewegen?“

„Nun, da mein Bruder Shatterhand mich darauf aufmerksam gemacht hat, weiß ich es. Es sind die Männer, welche die Pfähle einzustecken haben. Um das thun zu können, sind sie von ihren Pferden gestiegen.“

„Ganz richtig! Ihr wißt, Mr. Surehand, daß es unter diesen Comantschen nur einen giebt, der den Weg kennt?“

„Ja, nämlich Schiba-bigk,“ antwortete der Gefragte.

„Er ist also nicht nur der Anführer, sondern überhaupt der Führer. Wo aber pflegt sich so ein Führer aufzuhalten, hinten oder vorn, Sir?“

„Natürlich ist er stets voran.“

Well! Darum nehme ich an, daß der erste, den wir gesehen haben und der an der Spitze der andern hält, der junge Häuptling Schiba-bigk ist. Er reitet voran und bleibt von Zeit zu Zeit, bis ein Pfahl festgesteckt ist, an der Spitze des Zuges halten. Schau! Winnetou wird durch sein Rohr bemerken, daß die Fußgänger jetzt ihre Pferde wieder besteigen. Es ist ein Pfahl eingesteckt worden, und nun reiten die Indsmen weiter.“

Es war so, wie ich sagte; wir sahen, daß die Comantschen sich von der Stelle, wo sie sich jetzt befunden hatten, im Galoppe entfernten. Sie wurden dabei kleiner und immer kleiner, bis wir sie nicht mehr sahen; sie waren genau in der Richtung nach der Oase verschwunden.

„Habt Ihr sie zählen können, Sir?“ fragte mich Old Surehand.

„Nicht genau, aber ich denke, daß ich gestern recht gehabt habe; es werden nicht mehr als fünfzig sein.“

„Was thun wir nun?“

„Wir reiten der Sicherheit wegen noch ein Stück so weiter, wie wir bisher geritten sind; dann wenden wir uns nach Norden, um auf ihre Spur zu kommen. Haben wir diese, so befinden wir uns in ihrem Rücken und folgen ihnen so lange, bis wir eine passende Stelle oder Gelegenheit finden, sie einzuschließen.“

Dies wurde ausgeführt. Wir vereinigten uns mit unserm Trupp, sagten, daß wir die Gesuchten gesehen hätten, und folgten unsrer bisherigen Richtung noch einige Minuten lang; nachher bogen wir rechts ab und erreichten nach zehn Minuten die Fährte der Comantschen. Diese war eine sehr deutliche und ausgesprochene; ein Blinder hätte sie zwar nicht sehen können, aber fühlen müssen. Sie bestand nicht nur aus den Eindrücken der Pferdehufe und Menschenfüße, sondern außerdem aus einer Menge von Strichen, welche tief im Sande fortliefen. Die zu transportierenden Stangen waren nämlich mit einem Ende an den Sattel befestigt und schleiften mit dem andern Ende hinterher. In dieser Weise pflegen die Indianer auch ihre Zeltstangen von einem Orte zum andern zu schaffen, und dadurch waren hier im tiefen, leichten Sande die Striche und Linien entstanden. Da sie ineinander liefen, waren sie nicht zu zählen, aber es war doch zu sehen, daß eine ganz bedeutende Menge von Pfählen mitgeschleppt wurde.

Wir folgten der Fährte so lange rasch, bis wir die Comantschen durch die Fernrohre erkennen konnten; dann mußten wir, um nicht selbst gesehen zu werden, die Schritte unsrer Pferde mäßigen. Indem wir von da an stets in gleicher Entfernung mit ihnen blieben, war es uns leicht, zu bemerken, wie schnell sie vorwärts kamen und wie lange sie brauchen würden, um in die Nähe der Oase zu kommen. Die Entfernung von einer Stange bis zur andern mochte vielleicht einen Kilometer betragen, und wenn die Roten ihre Arbeit in der bisherigen Weise fortsetzten, mußten sie bis zum Abende ihr Ziel beinahe erreicht haben. Sehr wahrscheinlich war es die Absicht Schiba-bigks, des Nachts dann über die Bewohner der Oase herzufallen. Daß er schon am Tage auf Bloody-Fox treffen könne, mußte zwar auch in seiner Berechnung liegen, konnte ihn aber nicht irre machen, weil er jedenfalls glaubte, daß es diesem einen Bleichgesichte unmöglich sei, gegen fünfzig rote Krieger aufzukommen.

Während wir der Fährte folgten, ritt ich zwischen Winnetou und Old Surehand; beide waren still. Desto lauter ging es unmittelbar hinter uns her, wo Old Wabble zwischen Parker und Hawley ritt. Dem alten Cowboy war es geradezu unmöglich, in einer solchen Lage ruhig zu sein. Er erging sich in allerlei Berechnungen und Vermutungen, die ihm von den beiden andern widerlegt wurden, doch fiel es ihm gar nicht ein, ihre Widersprüche als begründet gelten zu lassen.

„Und Ihr könnt sagen, was Ihr wollt,“ hörte ich ihn sagen, „ich meine, daß wir die Halunken vielleicht gar nicht bekommen, wenn wir es nicht klüger anfangen als bisher.“

„Warum denn, alter Wabble?“ fragte Parker. „Ich denke, die drei da vor uns wissen ganz genau, was sie thun.“

„Meint Ihr? Wirklich? Warum lungern wir da so langsam und ohne zuzugreifen hinter den Roten her?“

„Weil die Gentlemen höchst wahrscheinlich warten wollen, bis es Abend geworden ist.“

„Das ist ja noch viel, viel schöner! jetzt sehen uns die lndsmen nicht, und am Abende sehen wir sie nicht; da werden wir sie wohl überhaupt niemals zu sehen bekommen!“

„Hört, Mr. Wabble, unsre Anführer sind keine Kinder, sondern Männer, welche genau wissen, was sie zu thun haben!“

„O! hm! Wenn ich als Anführer da vorn ritte und etwas zu sagen hätte, da wüßte ich etwas Besseres.“

„Was?“

„Ich würde kurzen Prozeß machen.“

„Wieso?“

„Ich würde befehlen, den Pferden die Zügel schießen zu lassen und die Roten einfach über den Haufen zu reiten.“

„Das, alter Wabble, würde wohl das allerdümmste sein, was Ihr anordnen könntet.“

„Unsinn! Warum?“

„Weil die Comantschen uns natürlich kommen hören oder kommen sehen und schnell ausreißen würden.“

„Was schadete das? Wir würden sie natürlich einholen und gefangen nehmen.“

„Das ist leicht gesagt. Wenn sie sich auf der Flucht zerstreuten, könnte uns leicht einer von ihnen entgehen. Und das darf nicht sein. Habe ich da nicht recht, Mr. Shatterhand?“

Ich drehte mich zu dem Fragenden und antwortete ihm:

„Ja. Laßt Mr. Cutter reden! Er kennt die Absichten Winnetous nicht, und so ist es ihm nicht übel zu nehmen, daß er unser Verhalten für fehlerhaft hält.“

Der Alte sah mich fragend an. Er hätte wohl gern gewußt, was ich meinte, getraute sich aber nicht, zu fragen; darum erklärte ich ihm freiwillig:

„Winnetou weiß nämlich, daß ungefähr eine Reitstunde von hier eine Thalmulde liegt, durch welche der gerade Weg nach der Oase des Bloody-Fox führt. Sie ist ziemlich lang und ziemlich tief, so daß derjenige, der sich in ihr befindet, nicht sehen kann, was außerhalb auf der höher liegenden Fläche der Wüste vorgeht. Bis in diese Thalsenkung wollen wir die Comantschen kommen lassen; nicht weiter.“

Da fiel der Apatsche ein:

„Mein Bruder will mir einen Ruhm geben, der mir nicht gebührt, denn dieser Plan ist von ihm; er hat schon gestern abend, bevor wir einschliefen, von ihm gesprochen.“

„Nein, du sprachst davon,“ entgegnete ich.

„Ich wollte sprechen; du kamst mir aber zuvor.“

„So ist es hier wieder so gewesen, wie stets und immer, daß nämlich mein Bruder Winnetou genau so denkt wie ich.“

„Ja, meine Gedanken sind die deinigen, und deine sind die meinigen, denn wir haben gegenseitig unser Blut getrunken und besitzen nicht zwei Herzen, sondern ein einziges. Was wir beide dachten, das soll geschehen: Wir werden die Comantschen in einer Stunde in dem Thale des Sandes gefangen nehmen.“

„Ohne daß einer von ihnen vorher sprechen darf?“

Als ich diese Frage aussprach, sah Winnetou mich fragend an, doch nur einen kurzen Augenblick; dann erkundigte er sich:

„Will mein Bruder den jungen Häuptling ausfragen?“

„Ja.“

„Glaubst du, daß er dir sagen wird, was du wissen willst?“

„Ja.“

„Schiba-bigk ist zwar jung, aber dennoch klug. Ich weiß, daß Old Shatterhand seine Fragen und Worte so zu setzen versteht, daß er selbst einen sehr listigen Mann auszuhorchen vermag. Schiba-bigk weiß dies auch und wird schweigen.“

„Er wird sprechen, denn er wird glauben, daß ich nicht als Feind zu ihm komme, sondern ihm ganz zufällig begegne. Ich werde ihm nämlich nicht nachreiten, sondern mich von euch trennen und einen Bogen reiten, so daß ich also nicht von dieser Seite, sondern von der uns jetzt entgegengesetzten das Thal des Sandes erreiche, und das muß ihn auf die Vermutung bringen, daß ich von Bloody-Fox, von der Oase komme. Er wird also meinen, daß ich seine Spur nicht gesehen und keine Ahnung von seinen Absichten habe. Er wird glauben, mich leicht gefangen nehmen zu können und mich also für unschädlich halten, und das wird ihm zwar den Mund nicht öffnen, ihn aber nicht scharf auf die Worte achten lassen, mit denen ich aus ihm herauslocken will, was mir zu wissen nötig ist. Sieht das mein roter Bruder ein?“

„Ich sehe es ein; aber warum willst du dich in Gefahr begeben, um heut etwas zu erfahren, was du morgen ganz ohne alle Gefahren hören und entdecken wirst?“

„Weil ich vermute, daß es mir heut mehr Nutzen bringt als morgen. Und Gefahr? Winnetou weiß, daß, ehe ich mich in eine Gefahr begebe, ich sie vorher genau berechne.“

„Howgh! Aber hast du daran gedacht, daß die Comantschen, wenn sie uns sehen, dich als Geisel betrachten werden?“

„Auch das habe ich überlegt, doch kenne ich einen Schild, mit dem ich jeden Schuß und Stich von mir abzuwehren vermag.“

„Welchen Schild?“

„Schiba-bigk.“

„Uff, uff! Ich erkenne, daß ich meinen weißen Bruder nicht zu warnen brauchte; er mag getrost ausführen, was er sich vorgenommen hat.“

„So gilt es also nur noch, zu sagen, wie ich euch kommen zu sehen wünsche. Das Thal des Sandes geht lang von West nach Ost. Ihr bildet vier Abteilungen, die sich voneinander trennen, sobald ihr seht, daß die Comantschen im Eingange der Bodensenkung verschwunden sind. Mit dem ersten Viertel deiner Krieger reitest du im Galoppe einen Bogen bis zum östlichen Ausgange des Thales; Old Surehand reitet mit dem zweiten Viertel nach der südlichen, und Entschar-Ko mit dem dritten Viertel nach der nördlichen Seite desselben.

„Wenn dann Old Wabble mit den übrigen seinen Weg fortsetzt und am Eingange der Bodenmulde halten bleibt, in der sich die Feinde befinden, so sind dieselben von allen Seiten eingeschlossen. Natürlich dürft ihr euch nicht sehen oder hören lassen. Ich weiß, daß der starke Knall meines Bärentöters durch das ganze Thal ertönen und von euch allen gehört werden wird. Sobald ich diesen Schuß abfeure, kommt ihr von allen Seiten herbei, und ich bin überzeugt, daß uns dann kein Comantsche entkommen kann. Hat dieser Plan die Billigung meines roten Bruders?“

„Er hat sie,“ antwortete er kurz.

Old Surehand aber war nicht so schnell einverstanden. Er sagte:

„Euren Plan in allen Ehren, Sir, aber ich glaube doch, daß er ein wenig verwegen ist!“

„Gar nicht!“

„O, gewiß. Was kann der kühnste Mann einer abgeschossenen Kugel gegenüber thun?“

„Ihr ausweichen.“

„Sir, das ist leichter gesagt als gethan. Glaubt mir, daß ich Euch alles zutraue; aber ich habe Euch so lieb gewonnen, und ich wüßte nicht, was – –“

Da fiel ihm der Apatsche schnell in die Rede:

„Winnetou hat ihn noch viel mehr lieb und läßt ihn dennoch fort; mein Bruder Surehand mag also keine Sorge haben; es giebt vier scharfe Augen, die über Old Shatterhand wachen werden, nämlich die seinigen und die meinigen.“

„Und die meinigen auch!“ fügte Old Wabble, sich in die Brust werfend, schnell hinzu. „Er hat mir ein Kommando anvertraut und soll erfahren, daß er sich nicht in mir täuschen wird. Wehe dem roten Halunken, der es wagen sollte, ihm auch nur ein Haar krümmen zu wollen; meine Kugel würde ihn sofort fressen; th’is clear!“

Auf diese eifrige Versicherung war ein kleiner Dämpfer nötig. Ich warnte ihn also:

„Nicht so hitzig, Mr. Cutter! Wenn ich Euch heute wieder einmal Vertrauen schenke, geschieht es in der Absicht, zu erfahren, daß Ihr nicht immer selbständig handelt, sondern im stande seid, eine Euch erteilte Weisung genau zu befolgen. Geschieht das Gegenteil, so könnt Ihr sicher sein, daß ich Euch nie wieder einen Auftrag geben werde. Ihr reitet mit Eurer Abteilung ganz ruhig weiter, bis ihr den Eingang zum Thale erreicht habt. Dort bleibt ihr versteckt halten und habt gar nichts zu thun, als auf den Schuß zu warten. Hört Ihr den, so kommt Ihr im Galopp ins Thal geritten und haltet vor den Comantschen eure Pferde an. Das ist alles, was von Euch verlangt wird, alles.“

Well! Deutlich genug gesprochen! Werde ganz genau so exerzieren, wie Ihr es vorgeschrieben habt. Will nicht wieder sagen lassen, daß Old Wabble Jugendstreiche verübt.“

„Recht so! Und nun muß ich mich von Euch trennen, wenn ich die hintere Seite des Thales zur rechten Zeit erreichen will. Macht Eure Sache gut!“

Diese Aufforderung galt natürlich nur dem Alten; die andern drei zu ermahnen, war natürlich nicht nötig. Ich bog von der Fährte, welcher wir folgten, rechts ab und ritt im Galopp einen Bogen, dessen Sehne eben diese Fährte war, und hielt mich dabei so weit von ihr fern, daß die Comantschen mich nicht sehen konnten. Als ich nach einer halben Stunde das Pferd wendete, sah ich das östliche Ende der Thalmulde vor mir; ich ritt jetzt also, grad umgekehrt gegen vorher, nach Westen, während die Comantschen und hinter ihnen unsere Apatschen ostwärts auf mich zukamen.

Ich kann nicht sagen, daß ich irgend welche Besorgnis hegte; ich war nur gespannt darauf, wie Schiba-bigk sich bei meinem Anblicke verhalten würde. Es stellte sich heraus, daß die Zeit gut berechnet war, denn als ich ungefähr die Hälfte des Thales durchritten hatte, sah ich die Roten kommen. Die Bodensenkung war gar nicht tief, und ihre Wände stiegen ganz allmählich empor, aber dennoch konnte man von da aus, wo ich mich befand, keinen Blick hinaus auf die Ebene des Llano werfen.

Die Roten hatten es nicht für nötig gehalten, hier in dem Thale auch einen Pfahl zu stecken; sie brauchten sich also nicht aufzuhalten und kamen in scharfem Trabe auf mich zugeritten. Wie stutzten sie, als sie mich erblickten! Ich hielt mein Pferd natürlich an, als ob mir diese Begegnung ganz unerwartet sei, und nahm meinen Stutzen zur Hand. Sie griffen auch zu den Waffen und machten Miene, mich zu umringen. Da legte ich das Gewehr an und drohte ihnen entgegen.

„Halt! Wer mir in den Rücken will, der erhält eine Kugel. Welche roten Krieger können hier – – –,“

Ich hielt mitten in der Rede inne und richtete, treu meiner Rolle, den Blick erstaunt auf den Häuptling.

„Uff, uff! Old Shatterhand!“ rief er überrascht, indem er sein Pferd parierte.

„Ist’s möglich?“ ließ ich mich hören. „Schiba-bigk, der junge, tapfere Häuptling der Comantschen!“

„Ich bin es,“ antwortete er. „Ist Old Shatterhand von dem Geiste der Savanne durch die Luft in diese Gegend getragen worden? Die Krieger der Comantschen glaubten ihn weit im Westen von hier.“

Ich sah es ihm an, daß er nicht wußte, welchen Ton er gegen mich anschlagen sollte. Wir waren Freunde gewesen; ich hatte das volle Recht, auch heut noch Freundschaft von ihm zu verlangen, und doch war er jetzt gezwungen, mein Feind zu sein.

„Wer hat meinem jungen, roten Bruder gesagt, daß ich im Westen sei?“ entgegnete ich.

Er öffnete schon den Mund, wahrscheinlich um zu sagen, daß er es von Vupa Umugi erfahren habe, besann sich aber eines Bessern und antwortete:

„Ein weißer Jäger sagte es, der Old Shatterhand gegen Untergang der Sonne getroffen haben wollte.“

Das war eine Lüge. Die Blicke seiner Krieger waren finster und feindselig auf mich gerichtet. Ich that, als ob ich dies gar nicht bemerkte und keinen von ihnen am „blauen Wasser“ gesehen hätte, sondern stieg ruhig und mit scheinbarer Unbefangenheit vom Pferde, setzte mich nieder und sagte:

„Ich habe mit Schiba-bigk, dem jungen Häuptlinge der Comantschen, die Pfeife des Friedens und der Freundschaft geraucht; mein Herz ist entzückt, ihn nach so langer Zeit und so unverhofft wiederzusehen; wenn Freunde und Brüder einander begegnen, so begrüßen sie sich nach der Sitte, von welcher kein Krieger abweichen darf. Mein junger Bruder mag aus dem Sattel kommen und sich zu mir setzen, damit ich mit ihm sprechen kann!“

Die Blicke seiner Leute wurden drohender; sie waren bereit, über mich herzufallen, doch hielt er sie durch eine gebieterische Handbewegung zurück. Ich sah es seinem Gesichte an, daß ihm ein Gedanke gekommen war, jedenfalls der Gedanke, den ich beabsichtigte. Ich hatte gesagt, daß ich mit ihm zu sprechen wünsche, und er ging bereitwillig darauf ein, um mich auszufragen; er hegte also ganz dieselbe Absicht mir gegenüber, die ich ihm gegenüber auch hatte.

„Old Shatterhand hat Recht,“ sagte er. „Häuptlinge müssen sich als berühmte Krieger begrüßen.“

Bei diesen Worten stieg er ab und setzte sich mir gegenüber nieder. Als seine Leute das sahen, verließen sie auch die Pferde und wollten einen Kreis um uns bilden. Dabei wären mir mehrere von ihnen in den Rücken gekommen, was ich verhindern mußte. Darum sagte ich, daß alle es hörten:

„Giebt es unter den Söhnen der Comantschen welche, die so feig sind, daß sie sich nicht getrauen, Old Shatterhand in das Angesicht zu schauen? Ich glaube nicht. Auch bin ich nicht gern so unhöflich, einem tapferen Krieger den Rücken zuzuwenden.“

Das half; sie setzten sich so, daß ich sie alle im Auge hatte. Sie sahen von einem sofortigen Angriffe ab, weil sie mich allein sahen und mich also sicher zu haben glaubten. Ich knüpfte die Friedenspfeife, welche ich am Halse hängen hatte, von der Schnur, that als ob ich sie stopfen wollte, und sagte:

„Mein junger Bruder Schiba-bigk mag den Gruß des Calumets mit mir rauchen, damit er erfahre, daß Old Shatterhand noch sein Freund wie früher ist.“

Da hob er zurückweisend die Hand und antwortete:

„Schiba-bigk war einst stolz darauf, einen so berühmten Bruder zu besitzen, jetzt aber möchte er wissen, ob Old Shatterhand wirklich noch sein Freund ist.“

„Zweifelst Du daran?“ fragte ich, scheinbar erstaunt.

„Ich zweifle.“

„Warum?“

„Weil ich erfahren habe, daß Old Shatterhand ein Feind der Comantschen geworden sei.“

„Wer das sagte, der war entweder ein Lügner, oder er irrte sich!“

„Der es sagte, brachte Beweise, denen ich Glauben schenken mußte!“

„Will mein junger Bruder mir diese Beweise mitteilen?“

„Ich will es. Ist Old Shatterhand nicht an dem Wasser gewesen, welches Saskuan-kui genannt wird?“

„Ja.“

„Was wolltest du da?“

„Nichts. Mein Weg führte mich da vorüber. Ich wollte da lagern und am Morgen weiterreiten.“

„So hast du dort auch nichts gethan?“

„Doch.“

„Was?“

„Ich sah rote Männer da, welche einen weißen Krieger gefangen hatten; den habe ich befreit.“

„Was für Krieger waren das?“

„Ich erfuhr nachher von dem Bleichgesichte, daß sie Comantschen vom Stamme der Naiini seien.“

„Welches Recht hattest du, dieses Bleichgesicht zu befreien?“

„Er hatte den Comantschen nichts gethan. Ebenso würde ich einen Comantschen befreien, wenn er unschuldig in die Hände der Bleichgesichter gefallen wäre. Old Shatterhand ist aller Guten Freund und aller Bösen Feind; er fragt nicht nach der Farbe des Hilfsbedürftigen.“

„Du hast dir aber dadurch die Feindschaft und Rache der Comantschen zugezogen!“

„Nein.“

„Ja.“

„Nein, denn ich habe am andern Morgen mit Vupa Umugi, ihrem Häuptlinge, gesprochen und ein Bündnis geschlossen. Er war mein Gefangener und ich gab ihn frei.“

„Wußtest du, was die Comantschen dort an dem Saskuankui wollten?“

„Wie sollte ich das wissen? Ich habe sie nicht gefragt. Sie werden wahrscheinlich dort gewesen sein, um Fische zu fangen.“

„Weißt du, wo sie sich jetzt befinden?“

„Ich vermute es.“

„Wo?“

„Sie werden westwärts nach dem Mistake-Cañon gezogen sein, um den dortigen Comantschen beizustehen, die, wie ich hörte, von weißen Reitern bedroht werden.“

„Uff!“ rief er aus, indem sein Gesicht ein überlegenes Lächeln zeigte. Seine Leute warfen sich Blicke zu, die mir sagten, daß ich in diesem Augenblicke mir auf meine Klugheit gar nichts einzubilden hätte. Dann fuhr er fort.

„Waren noch andere Männer bei dir?“

„Einige Bleichgesichter.“

„Wohin seid ihr vom Saskuan-kui aus geritten?“

„Nach Westen.“

„Und doch befindest du dich jetzt so weit östlich von dem blauen Wasser! Wie kommt das?“

„Ich hörte von der Feindschaft zwischen den weißen Soldaten und den Kriegern der Comantschen. Als Weißer hätte ich den Soldaten helfen müssen; da ich aber ein Freund der roten Männer bin, suchte ich dies dadurch zu umgehen, daß ich mich ostwärts wandte.“

„Wieder nach dem blauen Wasser?“

Es war für ihn natürlich sehr wichtig, zu erfahren, ob ich wieder dort gewesen sei. Ich antwortete:

„Weshalb hätte ich dorthin zurückkehren sollen? Ich bin nach dem Llano geritten, um meinen jungen Bruder Bloody-Fox zu besuchen, den du auch kennst, denn du bist damals sein Gast gewesen und hast die Pfeife des Friedens und der Freundschaft mit ihm geraucht.“

„Hast du die Bleichgesichter mit zu ihm genommen, die bei dir waren?“

„Das fragst du, der doch weiß, daß wir Bloody-Fox versprochen haben, sein Geheimnis nicht zu verraten? Kann ich da fremde Männer zu ihm bringen?“

„Wo sind sie jetzt?“

„Als ich mich von ihnen trennte, wollten sie nach dem großen Flusse und EI Paso hinüber.“

„Hast du Bloody-Fox getroffen?“

„Ja.“

„Wo befindet er sich jetzt?“

„In seinem Hause.“

„Du bist so schnell von ihm fort. Hat er seinen berühmten Bruder Old Shatterhand nicht bei sich behalten wollen?“

„Doch. Ich kehre zu ihm zurück.“

„Warum verließest du ihn heut? Wohin wolltest du jetzt reiten?“

„Muß ich dir das erst sagen? Weißt du nicht mehr, daß es seine Aufgabe ist, den Llano von den Geiern zu befreien?“

„Da hilfst du ihm?“

„Ja, heut ganz genau noch so wie damals, als du bei uns warst. Doch, nun habe ich alle deine Fragen beantwortet, und du weißt, was du wissen wolltest; jetzt wollen wir das Calumet sprechen lassen.“

„Warte noch!“

Ich hatte mich scheinbar wie ein Knabe ausfragen lassen; er war auch ganz stolz darauf, mich so ausgehorcht zu haben; das sah ich den triumphierenden Blicken an, die er auf seine Begleiter warf. Er glaubte wahrscheinlich in diesem Augenblicke, mir wirklich gewachsen zu sein, denn sein „Warte noch!“ klang außerordentlich gebieterisch, und es war ein Ton mich still belustigender Überlegenheit, in welchem er fortfuhr:

„Es sind Sonnen und Monde vergangen, seit wir uns damals von einander trennten, und während so langer Zeit verändern sich die Menschen; aus Klugen werden Kinder, und Kinder werden stark und weise. Old Shatterhand ist auch ein Kind geworden.“

„Ich? Wieso?“

„Du hast dich von mir ausfragen lassen wie ein Knabe, der noch kein Hirn besitzt, oder wie ein altes Weib, dessen Hirn vertrocknet ist. Deine Augen sind dunkel geworden und deine Ohren taub. Du ahnst nicht, wer wir sind und was wir wollen.“

„Uff, uff! Ist das die Rede eines jungen Mannes, mit dem ich einst die Pfeife des Friedens rauchte?“

„Es ist die Rede eines jungen Mannes, aus dem ein großer und berühmter Krieger geworden ist. Das Calumet gilt nichts mehr, denn du bist nicht mehr mein Freund, sondern mein Feind, den ich töten muß.“

„Beweise es, daß ich dein Feind geworden bin!“

„Du hast unsern Gefangenen befreit!“

„War er der deinige?“

„Ja.“

„Nein. Ich befreite ihn aus den Händen der Naiini-Comantschen; du aber gehörst zu einem andern Stamme.“

„Die Naiini sind meine Brüder; ihr Feind ist auch mein Feind. Kennst du sie nicht, die hier vor dir sitzen?“

„Gehören diese Krieger nicht zu deinem Stamme?“

„Nur zwanzig von ihnen. Die übrigen dreißig sind Naiini, die du am blauen Wasser gesehen hast. Wir haben die Beile des Krieges gegen alle Bleichgesichter ausgegraben, und du bist ein Bleichgesicht. Weißt du, was deiner wartet?“

„Ich weiß es.“

„So sage es!“

„Ich werde wahrscheinlich mein Pferd wieder besteigen und ruhig weiterreiten.“

„Uff! Es ist wirklich wahr, daß Old Shatterhand ein Kind geworden ist. Du wirst unser Gefangener sein und am Marterpfahle sterben.“

„Ich werde weder euer Gefangener sein, noch sterben, wenn und wie es euch, sondern dem großen Manitou gefällt.“

Die Ruhe und Unbefangenheit, mit welcher ich dies sagte, war ihm und seinen Leuten unerklärlich. Ich regte mich nicht; ich machte keine Bewegung, weder der Flucht, noch der Verteidigung; das hielt ihre Hände von den Waffen ab. Sie bemerkten freilich nicht, daß ich einen jeden von ihnen scharf und genau im Auge hatte.

Es war ein fast geringschätziges oder gar mitleidiges Lächeln, mit dem der Häuptling mich fragte:

„Glaubst du etwa, uns widerstehen zu können?“

„Ja, das glaube ich.“

„Uff! Du hast wirklich den Verstand verloren. Siehst du denn nicht, daß du fünfmal zehn tapfere Krieger gegen dich hast?“

„Hat Old Shatterhand jemals seine Feinde gezählt?“

„So rechnest du auf dein Zaubergewehr?“

Im Nu hatte ich den Henrystutzen in der Hand, sprang auf, stellte mich hinter mein Pferd, welches meinen Körper deckte, und rief:

„Ja, darauf verlasse ich mich. Wer von euch nach irgend einer Waffe greift, bekommt augenblicklich eine Kugel! Ihr wißt, daß ich mit diesem Gewehre unaufhörlich schießen kann!“

Das war so rasch geschehen, daß sie, als ich diese Worte gesprochen hatte, noch saßen wie zuvor. Einer langte hinter sich, wo seine Flinte lag; als er aber meinen Lauf sofort auf sich gerichtet sah, zog er den Arm zurück. Die Angst vor der Zauberflinte war noch ganz ebenso stark wie früher. Ich wußte, was nun kommen würde, nämlich ein Angriff, einstweilen noch mit Worten. Das hatte ich beabsichtigt, denn dabei hoffte ich, das zu erfahren, was ich wissen wollte. Keiner getraute sich, der erste mit der Hand an der Waffe zu sein; darum stand zu erwarten, daß man mich durch Worte, durch Drohungen bewegen werde, mich freiwillig zu ergeben.

Man denke ja nicht, daß allzuviel Verwegenheit zu meinem Verhalten gehörte. Ich kannte die Roten und die Furcht vor meinem Stutzen, und ich hatte, natürlich von ihnen unbemerkt, den mir gegenüberliegenden niedrigen Rand der Thalmulde gemustert, wohin ich Old Surehand mit seinen Apatschen bestellt hatte. Von dort drohten über siebzig Gewehrmündungen herab, allerdings nur für mich sichtbar, der ich davon wußte. Die Besitzer dieser Gewehre lagen tief im Sande eingewühlt und konnten also nicht gesehen werden. Auf der Höhe hinter mir lag jedenfalls die Abteilung Entschar-Ko’s ganz ebenso bereit; links hinten hielt Winnetou, und von rechts her mußte Old Wabble bei dem ersten Schusse erscheinen. Da war es gar nicht schwer, so zuversichtlich zu sein, wie ich mich zeigte.

Was ich erwartet hatte, das geschah: der junge Häuptling versuchte es zunächst mit der Überredung.

Pshaw!“ rief er mit einem Lachen aus, welches freilich etwas gezwungen klang. „Wir wissen, daß deine Flinte unaufhörlich schießt, aber fünfzigmal kannst du doch nicht auf einmal schießen. Du wirst zwei oder drei oder vier treffen; dann aber haben wir dich ergriffen!“

„Versucht es doch!“

„Wir brauchen auch das nicht zu thun. Wir sind viel mächtiger und zahlreicher, als du denkst.“

Pshaw!“ lächelte ich höhnisch, um ihn zu den gewünschten Mitteilungen zu verleiten. „Euch fünfzig fürchte ich nicht: Kommt doch heran!“

„Wir können warten; aber sobald du schießest, werden wir uns wehren.“

Ach, jetzt war also schon nicht mehr vom Angreifen, sondern nur noch vom Wehren die Rede!

„Wenn ich mich entferne und auf jeden schieße, der mir folgt, wird keiner von euch es wagen, mich zu halten!“

„Du wirst trotzdem nicht entkommen. Wir sind nicht allein, sondern nur der Vortrab eines ganzen Heeres.“

Pshaw! Lüge!“

„Es ist keine Lüge, sondern Wahrheit!“ versicherte er eifrig. „Wohin wolltest du fliehen?“

„Zu Bloody-Fox.“

„Den wollen wir ja überfallen; da gerietest auch du in unsre Hände!“

„So reite ich nach Westen!“

„Dorthin giebt es nur einen Weg. Du müßtest nach dem Suks-ma-lestavi flüchten.“

„Das werde ich.“

„Da würdest du auf Vupa Umugi stoßen, welcher dorthin gezogen kommt.“

„Ich weiß es; aber er kommt erst in drei Tagen.“

„Nichts kannst du wissen! Er wird schon morgen abend dort eintreffen.“

„Da ist es dunkel, und es wird mir leicht gelingen, mich vorüberzuschleichen.“

„So wirst du von Nale-Masiuv gefangen, der nur einen halben Tag später kommt.“

Pshaw!“

„Lache nicht! Es ist auch jenseits der Wüste eine weite Ebene, in welcher du gesehen werden mußt. Wie kannst du so vielen Kriegern entgehen? Wenn dein Verstand noch nicht geschwunden ist, wirst du dich uns ergeben.“

„Old Shatterhand? Sich ergeben? Wem? Einem Knaben, wie du bist? Bist du überhaupt ein Knabe? Bist du nicht ein kleines, wimmerndes Mädchen, welches noch auf den Rücken der Mutter gehört, nicht aber unter erwachsene Männer, welche sich Krieger nennen?“

Einen Indsman ein altes Weib zu heißen, ist eine sehr große Beleidigung; noch größer aber ist die, ihn ein kleines Mädchen zu nennen. Schiba-bigk sprang wütend von seinem Sitze auf und schrie mich an, freilich ohne nach seinem Gewehre oder seinem Messer zu greifen:

„Hund, soll ich dich töten? Ich brauche nur ein Wort zu sagen, so fallen fünfzig Krieger über dich her!“

„Und ich brauche nur ein Zeichen zu geben, so seid ihr in zwei Minuten tot, wenn ihr euch mir nicht ergebt!“

Bei diesen Worten zog ich den Hahn der Büchse auf.

„So gieb doch dieses Zeichen!“ höhnte er.

„Sag das nicht noch einmal, sonst thue ich es!“

„Thue es doch, thue es! Wir wollen sehen, wer dir zu Hilfe kommen kann, uns zu töten oder zu fangen!“

„Sofort sollst du es sehen. Paß auf!“

Mein Schuß krachte. Da kamen von der gegenüberliegenden Höhe über siebzig Apatschen unter Kriegsgeheul herabgesprungen; sie hatten ihre Pferde droben zurückgelassen. Hinter mir wurde das Geheul erwidert; von links her kam Winnetou mit seiner Abteilung und von rechts her Old Wabble mit der seinigen gesprengt. Die Comantschen waren starr, ganz bewegungslos vor Schreck.

„Entwaffnet sie; bindet sie!“ rief Winnetou.

Sie lagen, noch ehe sie an Gegenwehr dachten, am Boden und jeder wurde von fünf, sechs Apatschen niedergehalten, um gebunden zu werden. Kaum zwei Minuten nach der letzten höhnischen Aufforderung Schiba-bigks waren sie alle gefesselt, ohne daß auch nur einer der Apatschen die geringste Verletzung davongetragen hatte. Nun ließen sie allerdings ihre Stimmen hören und versuchten, sich unter dem Drucke der unzerreißlichen Riemen aufzubäumen, vergeblich.

„Nun, Sir, habe ich meine Sache gut gemacht?“ fragte mich Old Wabble, indem er zu mir trat.

„Ja,“ antwortete ich. „Aber viel dürft Ihr Euch ja nicht darüber einbilden, denn es war kinderleicht.“

„Ja, wenn man einmal denkt, ganz fehlerlos gehandelt zu haben, dann war es kinderleicht; th’is clear!“

Er wendete sich mißmutig ab.

Das Thal war jetzt voller Pferde und Menschen; die ersteren wurden angehobbelt, und die letzteren lagerten sich. Die Gefangenen schob man so zusammen, daß sie eng nebeneinander lagen. Ihren jungen Häuptling aber ließ ich so weit von ihnen entfernen, daß sie nicht hören konnten, was ich mit ihm sprach. Es geschah das aus Rücksicht für ihn, denn ich wollte ihn nicht unglücklich machen. Wären die Demütigungen, die ihm bevorstanden, an ihre Ohren gekommen, so hätte er auf seine Häuptlingswürde für immer verzichten müssen. Ich wußte, daß seine gegenwärtige Niederlage überhaupt schon schlimme Folgen nach sich ziehen werde, selbst wenn ihm bei uns nichts Schlimmes weiter geschah.

Nach den unter Gentlemen herrschenden Regeln wäre es freilich sehr unedel gewesen, ihm die Beleidigungen zurückzugeben; ich hätte stolz darüber schweigen müssen; hier aber war es etwas ganz andres. Es galt, dem Seelenleben eines jungen, hoffnungsvollen Indianers eine Richtung zu geben, die es ihm ermöglichte, seinen einstigen Untergebenen etwas weit Besseres als ein roher, blutdürstiger Kriegshäuptling zu werden. Ich setzte mich neben ihn und winkte diejenigen fort, welche sich uns nähern wollten; ich hielt es für besser, allein mit ihm zu sein. Er wendete das Gesicht von mir weg und schloß die Augen.

„Nun,“ fragte ich, „wird mein junger Bruder auch jetzt noch behaupten, daß er ein großer, ein so berühmter Krieger sei?“

Er antwortete nicht, aber er schien den milden Ton, in welchem ich dies sagte, nicht erwartet zu haben, denn seine finsteren Züge erhellten sich ein wenig.

„Oder ist Schiba-bigk immer noch der Ansicht, daß man Old Shatterhand zu den alten Weibern rechnen müsse?“

Er regte sich nicht und sagte nichts. Ich fuhr fort:

„Der Vater meines jungen Freundes hat Tevua-Schohe geheißen, das ist Feuerstern; ich bin sein Freund und Bruder gewesen, und er war der einzige Krieger der Comantschen, den ich liebte.“

Jetzt öffnete er die Lider halb und warf einen forschenden Blick in mein Gesicht, sagte aber noch immer nichts.

„Feuerstern starb unter den Händen weißer Mörder, und mein Herz wurde krank, als ich es hörte. Wir haben ihn an den Mördern gerächt, und die Liebe, die ich für ihn hegte, ist auf seinen Sohn übergegangen.“

Er schlug die Augen auf, drehte den Kopf herum und richtete den Blick voll auf mich, verharrte aber auch jetzt noch in seinem Schweigen. Ich sprach weiter:

„Old Shatterhand hatte einen Namen, der an allen Lagerfeuern ertönte, und Schiba-bigk war ein Knabe, den niemand kannte. Dennoch nahm er sich seiner an, denn er wünschte, der junge Sohn der Comantschen möchte ein Mann werden, wie sein Vater war, mild und treu im Herzen, hell und klar im Kopfe und stark in der Faust. Ich geleitete dich damals durch den öden Llano estacado; ich half dir gegen deine Feinde; ich führte dich nach der Wohnung des Bloody-Fox und war dein Lehrer in all‘ den Tagen, die wir dort verlebten. Wenn ich zu dir sprach, so erschien dir meine Stimme wie die Stimme des toten Vaters, und wenn ich deine Hand in die meinige nahm, so glänzte Wonne auf deinem Gesichte, als ob meine Hand diejenige deiner Mutter sei. Damals hattest du mich lieb.“

„Uff, uff!“ sagte er jetzt leise, und seine Augen schimmerten feucht.

„Da füllte ich mein Calumet und rauchte die Pfeife des Friedens und der Brüderschaft mit dir; ich war der ältere, und du warst der jüngere Bruder, denn wir hatten miteinander einen Vater, den guten Manitou, von dem ich dir erzählte. Ich ließ dich in mein Herz und in meinen Glauben blicken und glaubte, ein Maiskorn in das deinige gepflanzt zu haben, welches sich nach und nach zu einer großen, reichen Ernte vermehren würde, denn dein Herz war ein fruchtbarer Boden und verhieß tausendfältige Frucht.“

„Uff, uff, uff!“ wiederholte er, abermals ganz leise und gepreßt, als ob er sich Mühe gebe, die Thränen zu unterdrücken.

„Was ist aus diesem Maiskorne geworden? Es hat keinen Tau und keine Sonne gefunden und ist elend vertrocknet und verdorrt.“

„Aga, aga, nein, nein!“ versicherte er, endlich ein Wort sprechend, wobei ihm aber das Gewissen oder die Scham das Gesicht von mir wieder wegdrehte.

„Uweh uweh, ja ja,“ behauptete ich; „es ist so, wie ich sage. Was ist aus meinem jungen Freund und Bruder geworden? Ein undankbarer Gegner, ein Feind, der mich verhöhnt und mir nach dem Leben trachtet. Das ist traurig, sehr traurig bei einem jungen Krieger, der nur das strenge Gesetz der Prairie kennt; noch viel, viel trauriger aber ist es von einem Jünglinge, der einen Christen lieb gehabt und durch ihn den großen, guten Manitou kennen gelernt hat. Als du vorhin Old Shatterhand beschimpftest und verhöhntest, konntest du mich nicht beleidigen; aber es hat meinem Herzen sehr wehe gethan, daß du meine Lehren vergessen hast und geworden bist wie einer, dem ich meine Hand nie wieder reichen kann. Wer ist schuld daran?“

„Nale-Masiuv und die andern Häuptlinge,“ antwortete er, sich mir wieder zuwendend. „Ich erzählte ihnen alles, was ich von dir gehört hatte; da lachten sie über mich und sagten, Old Shatterhand habe den Verstand verloren und sei ein priest geworden.“

„Mein junger Bruder, ich wollte, ich wäre ein priest und könnte der deinige sein! Du hast dich also Old Shatterhands geschämt?“

„Uweh uweh, ja ja,“ nickte er.

„So sollte ich mich jetzt nun deiner schämen; ich thue es aber nicht, sondern traure um dich. Eure Häuptlinge und Medizinmänner und diejenigen, welche nach dem Willen des großen, guten Manitou handeln, sind an ihren Thaten zu erkennen und von einander zu unterscheiden. Was hättet Ihr mit mir gethan, wenn ich in eure Hände gefallen wäre?“

„Wir hätten dich an den Marterpfahl gebunden.“

„Und doch habe ich euch nichts Übles zugefügt. Ihr aber habt mir nach dem Leben getrachtet. Was denkst du wohl, was nun mit euch und dir geschehen wird, da wir euch ergriffen haben?“

Er bäumte sich in den Fesseln halb empor, sah mir starr in das Gesicht und fragte hastig:

„Sag du es selbst, wie ihr euch rächen werdet!“

„Rächen? Ein Christ rächt sich nie in seinem Leben, denn er weiß, daß der große und gerechte Manitou alle Thaten der Menschen so vergelten wird, wie sie es verdienen. Du wirst einige Tage unser Gefangener sein und dann die Freiheit zurückerhalten.“

„Ihr werdet mich nicht töten, nicht vorher martern?“

„Nein.“

„Mich peinigen und verwunden?“

„Nein. Wir verzeihen dir.“

Er sank unter einem langgedehnten Seufzer wieder zurück, fragte aber hierauf schnell und mit blitzendem Auge:

„Glaubt Old Shatterhand etwa, daß ich aus Angst vor den Schmerzen so gefragt habe?“

„Nein. Ich weiß, daß du die Schmerzen verachtest, die man deinem Körper zufügen würde. Es waren Schmerzen der Seele, welche dir geboten, diese Frage auszusprechen. Ist es so oder nicht?“

„Old Shatterhand hat recht.“

„Und noch eines will ich meinem jungen Freunde sagen; ich weiß freilich nicht, ob du mich verstehen wirst. Du glaubtest vorhin, mich recht klug ausgefragt zu haben; aber ich wußte bereits alles, denn ich habe die Naiini am blauen Wasser und die Roten Nale-Masiuvs belauscht, und in den Antworten, die ich dir erteilte, waren, ohne daß du es ahntest, Fragen verborgen, die du mir alle ohne dein Wissen beantwortet hast. Nicht du hast mich, sondern ich habe dich ausgefragt. Du warest so stolz und deiner Sache sicher, und doch hast du mir verraten, daß Vupa Umugi morgen abend und Nale-Masiuv einen halben Tag später nach dem Suksma-lestavi kommen wird. Wie ist das zu erklären?“

Ich weiß es nicht; ich wollte nichts verraten.“

„Aber ich weiß es. Du hattest dich zwar Old Shatterhands und seiner Lehre geschämt, aber beide wohnten, ohne daß du es dachtest, noch in deinem Herzen. Als ich dann vor dir stand, in deinen Augen als Besiegter und doch eigentlich als Sieger, empörte sich dein Herz gegen dich selbst und hieß dich Dinge sagen, die du verschweigen solltest. Hast du das verstanden?“

„Nicht ganz, aber ich werde darüber nachdenken. Was wird mit mir geschehen, wenn die andern Häuptlinge erfahren, daß ich alles verraten habe!“

„Du hast nichts verraten, sondern ich habe das alles vorher gewußt. Ich lag nahe am Beratungsfeuer, als Vupa Umugi mit den alten Kriegern den Überfall des Bloody-Fox besprach, und ich war dabei, als die zwei Boten Nale-Masiuvs kamen und den Wächtern am Flusse ihre Botschaft anvertrauten. Ich habe auch die Späher belauscht, welche Vupa Umugi nach dem Kleinen Walde schickte. Ja, Winnetou hat schon längst gewußt, daß Bloody-Fox von euch überfallen werden soll, und ist schleunigst nach dem Llano geritten, um ihm beizustehen.“

„Uff, uff, Winnetou! Darum sehe ich ihn hier mit so vielen Kriegern der Apatschen!“

„Damit du dir keine Vorwürfe machst, will ich dir sogar anvertrauen, daß wir wissen, daß die weißen Soldaten nach dem Llano gelockt und durch die Pfähle, welche ihr heute gesteckt habt, in den Tod geführt werden sollen. Du hattest die Stangen zu stecken; dann kommt Vupa Umugi mit seinen hundertfünfzig Kriegern; hierauf folgen die Soldaten, und endlich soll Nale-Masiuv erscheinen, der nach seinen Wigwams um neue hundert Mann gesendet hat.“

„Uff! uff! Entweder seid ihr viel, viel klügere Männer als wir, oder Manitou hat euch lieber als uns und steht euch gegen uns bei!“

„Manitou hat alle Menschen gleich lieb, die roten wie die weißen; aber wer ihm gehorcht und nach seinem Willen handelt, den beschützt er in jeder Gefahr und giebt ihm Weisheit und Verstand, alle Feinde zu überwinden. Wir werden sämtliche Krieger der Comantschen gefangen nehmen.“

„Ich glaube es; ich glaube es; ich höre es dir an! Was werdet ihr dann mit den vielen Gefangenen thun?“

„Wir werden sie zum Guten ermahnen und ihnen dann die Freiheit wiedergeben.“

„Obgleich sie eure Feinde sind?“

„Der Christ kann Feinde haben, ist aber niemals selbst ein Feind. Seine Rache besteht in der Verzeihung.“

Er wendete den Kopf wie unter einer innern Qual hin und her und meinte, tief und schwer atmend:

„So können nur die Bleichgesichter sein; ein roter Krieger aber kann und darf das nicht!“

„Du irrst. Grad der tapferste und berühmteste unter den roten Kriegern ist genau so, wie du es jetzt von mir hörtest.“

„Wen meinst du?“

„Wen anders doch als Winnetou!“

„Den Häuptling unserer ärgsten Feinde, der Apatschen!“

„Warum nennt ihr sie eure Feinde? Haben sie euch angegriffen, oder seid ihr es, von denen das Beil des Krieges ausgegraben worden ist? Ihr waret stets die ersten, die zum Angriffe schritten, und doch sagte Winnetou erst gestern abend, daß womöglich das Blut keines einzigen Comantschen vergossen werden solle! Die roten Männer und Völker müssen untergehen, weil sie nicht aufhören, sich untereinander selbst zu zerfleischen; ihr Manitou ist ein Manitou des Blutes und der Rache, der ihnen selbst in den ewigen Jagdgründen keinen Frieden, sondern Schlachten und Kämpfe ohne Ende bietet. Unser Manitou aber hat uns ein großes Gebot gegeben, welches alle, die an ihn glauben, schon hier auf Erden glücklich und nach dem Tode ewig selig macht.“

„Will Old Shatterhand mir dieses Gebot sagen?“

„Es lautet: wir sollen ihn allein verehren und alle Menschen lieben wie uns selbst, mögen sie nun unsre Freunde oder unsre Feinde sein.“

„Auch unsre Feinde?“ fragte er, indem er mich mit weit offenen, erstaunten Augen ansah.

„Ja, auch die Feinde.“

„Wie uns selbst?“

„Wie uns selbst.“

„So soll ich einen Apatschen, der mir nach dem Leben trachtet, so lieben, wie ich meinen Vater liebte und wie ich mich selbst liebe?“

„Ja. Es giebt eine einzige große Liebe, welche, wenn sie wahr ist, nicht in einzelne größere und kleinere Teile zerfallen kann.“

„Dann sind es nur die Bleichgesichter, die sie haben; einem roten Krieger aber ist es niemals möglich, seinen Feind oder gar mehrere zu lieben.“

„Denke an Winnetou! Wir waren Todfeinde und sind Brüder geworden, die allezeit bereit sind, ihr Leben für einander zu lassen. Ihr seid seine Feinde, und doch verzeiht er es euch, daß ihr ihm und den Seinen nach dem Leben trachtet. Er giebt euch, seinen grimmigen Feinden, die Freiheit zurück, obwohl er weiß, daß ihr ihn trotzdem nicht weniger hassen werdet. Wie oft war ich dabei, wenn er Feinde besiegte, die ihn töten wollten; ihr Leben lag in seiner Hand; er konnte es ihnen nehmen; er hat es ihnen aber stets geschenkt. Darum ist er geehrt und berühmt, so weit man seinen Namen kennt, und darum kann ich behaupten, daß es auch einem roten Krieger sehr wohl möglich ist, seinem Feinde zu verzeihen und ihm Wohlthat und Liebe zu erweisen. Ich wollte, mein junger Bruder könnte sein wie Winnetou!“

Er hielt die gefesselten Hände an die Stirne, schwieg eine ganze, ganze Weile und bat mich dann:

„Old Shatterhand mag gehen, und mich allein lassen! Ich will mit mir selbst sprechen; ich will mich fragen, ob ich so sein kann, wie Winnetou, der große Häuptling der Apatschen.“

Ich folgte seiner Aufforderung und ging, wohl wissend, daß ich ihn in innerer Pein zurückließ. Warum hatte ich ihm nur Winnetou, einen Menschen, einen Indianer, zur Nachahmung genannt? Gab es nicht höhere Vorbilder? Warum hatte ich nicht das höchste, das heiligste erwähnt? Weil es ihm in dieser Kürze unverständlich, unbegreiflich gewesen wäre; war ihm doch schon Winnetou zu viel, obgleich er diesen vor sich sah und hundert Züge des Edelmutes und der Liebe aus seinem Leben kannte! Man muß auch mit der Darreichung geistiger Nahrung vorsichtig sein. Jedenfalls hatte ich das verschwundene „Maiskorn“ wieder aus der unfruchtbaren Tiefe emporgeholt, und die Folge zeigte, daß es von heute an zu keimen begann.

Ich sah Winnetou mit Entschar-Ko und den Weißen beratend beisammensitzen und ging zu ihnen. Dabei bemerkte ich wohl, daß Winnetou sich schweigend dabei verhielt oder verhalten hatte, denn wenn ich mich bei ihm befand, war es nicht seine Art und Weise, andern Leuten vor mir seine Ansicht darzulegen.

„Gut, daß Ihr kommt, Mr. Shatterhand,“ sagte Old Wabble. „Wir müssen doch besprechen, was geschehen soll.“

„Habt ihr es nicht schon besprochen, Sir?“ fragte ich.

„Wir haben freilich hin und her geredet, doch will es uns nicht gelingen, einig zu werden.“

„Das ist doch seltsam! Nach allem, was wir jetzt wissen, kann es doch gar keinen Zweifel darüber geben, was wir thun müssen.“

„So? Sonderbar, daß es bei Euch nie einen Zweifel giebt. Ob aber Winnetou mit Euch einverstanden ist?“

Da erklärte der Apatsche in seiner bekannten Weise:

„Der Plan meines Bruders Shatterhand ist gut. Wir werden ihn ausführen.“

„Schön! Aber erst müssen wir ihn hören, denn was man nicht weiß, das kann man auch nicht wissen; th’is clear! Also sprecht, Mr. Shatterhand! Wann soll von hier aufgebrochen werden?“

„Sogleich,“ antwortete ich.

„Wohin? Nach der Oase?“

„Ja, aber nicht alle; wir werden uns teilen.“

„Ah! Wieso?“

„Es gilt, die bereits eingesetzten Stangen, welche den richtigen Weg nach der Oase verraten, schleunigst zu entfernen und in der Richtung nach der Gegend in den Sand zu stecken, von welcher Bloody-Fox sprach.“

„Wer soll das thun? Ich möchte mit.“

„Das geht nicht an; es darf das natürlich nur von Indianern geschehen.“

„Warum? Ich sehe keinen Grund dazu.“

„Das ist auch gar nicht nötig, Sir, wenn nur ich ihn kenne. Diejenigen, welche diese Aufgabe lösen, werden natürlich zahlreiche Spuren zurücklassen, und das müssen Indianerspuren sein, damit Vupa Umugi sie für die Spuren seiner Comantschen hält, wenn er kommt.“

„Ah, brillant! Das leuchtet mir ein.“

„Es dürfen nicht weniger und nicht mehr Leute sein, als wir hier Comantschen festgenommen haben. Darum wird Winnetou mit fünfzig Apatschen und den hier noch vorrätigen Stangen sofort von hier nach dem Gutesnontin-khai aufbrechen, um die Arbeit auszuführen.“

Kaum hatte ich dies gesagt, so stand der Häuptling auch schon auf und fragte mich:

„Hat mein Bruder für mich noch etwas hinzuzufügen? Ich will fort.“

„Nur eine Bemerkung – Da du das Kaktusfeld nicht kennst, nach welchem wir die Comantschen locken wollen, so wirst du die Stangen in südöstlicher Richtung aufstellen müssen. Ich sende dir dann Bloody-Fox zu, der dich genauer führen wird. Das ist alles, was ich dir zu sagen habe.“

Eine längere, eingehendere Besprechung war zwischen uns beiden nicht nötig. Schon fünf Minuten später galoppierte er mit fünfzig Apatschen aus dem Thale hinaus, den hundert Bäumen zu.

„Das ist ein Kerl!“ bewunderte ihn der alte Wabble. „Der bedarf keiner stundenlangen Instruktion, um zu wissen, wie er etwas anzufassen hat! Welche Anweisung werdet Ihr denn uns erteilen, Mr. Shatterhand?“

„Gar keine. Wir reiten direkt nach der Oase.“

„Und dann?“

„Dann bleibt ihr zur Bewachung der Gefangenen so lange dort, bis ihr Nachricht von mir bekommt.“

„Von Euch? Ihr werdet also nicht bleiben?“

„Nein. Ich muß auch nach den hundert Bäumen, um die Ankunft der Comantschen dort zu beobachten.“

„Allein?“

„Mr. Surehand wird mich begleiten.“

„Könnte ich denn nicht mit? Ich verspreche Euch, ganz gewiß keinen Bock oder Pudel zu schießen!“

Ich hatte keine Lust, ihn mitzunehmen, seiner bekannten Voreiligkeit wegen, aber er gab so lange gute Worte, bis ich endlich beistimmte:

„Nun wohl, so reitet mit! Aber wenn ein einziger Fehler vorkommt, sind wir geschiedene Leute. Was werdet Ihr inzwischen mit Euren gewaltigen mexikanischen Sporen machen?“

„Mit meinen Sporen? Soll ich die vielleicht nicht an den Füßen behalten, Sir?“

„Nein.“

„Warum?“

„Weil wir auch indianische Fußeindrücke machen müssen, um nicht den Argwohn der Comantschen zu erregen! Wir werden also unsere Stiefel mit Mokassins vertauschen.“

„Woher welche nehmen?“

„Von den Gefangenen; die werden schon die Güte haben, uns auszuhelfen.“

„Hm! Wird sehr schwer fallen! Ja, Ihr mit Euern Parketfüßchen findet jedenfalls passende; aber seht da meine Ständer an!“

Er hatte allerdings Füße, die selbst für seine sehr hoch aufgeschossene Gestalt zu lang waren, und die riesige Bekleidung derselben gehörte zu der Art, von welcher man zu sagen pflegt, „mit drei Schritten über die Rheinbrücke in Mainz“.

Es war Zeit zum Aufbruche; ich ließ also die Comantschen aufsitzen und mit Riemen an die Pferde festbinden; sie ließen das geschehen, denn sie sahen ein, daß eine Weigerung die größte Dummheit gewesen wäre. Ihren jungen Anführer aber wollte ich nicht in derselben Weise behandeln; darum sagte ich zu ihm:

„Ich habe meinem roten Bruder Schiba-bigk mein Herz geschenkt, und es würde mir wehe thun, ihn ebenso fesseln zu müssen wie seine Leute. Wenn ich ihm erlaube, frei mit uns zu reiten, wird er da zu entfliehen versuchen?“

„Ich bin in deiner Hand,“ antwortete er.

„Das ist keine Antwort, wie ich sie haben will.“

„Ist es nicht genug, wenn ich sage, daß ich in deiner Hand bin?“

„Nein. Daß du mein Gefangener bist, das weiß ich, ohne daß du es mit Worten zuzugeben brauchst. Ich will aber wissen, ob du, wenn ich dich nicht binden lasse, einen Versuch machen wirst, dich der Gefangenschaft zu entziehen.“

„Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten!“

„Ich weiß es.“

„Ihr werdet die Krieger der Comantschen alle ergreifen; aber wenn es mir gelänge, zu entkommen und sie zu warnen, würde kein einziger von ihnen in eure Gewalt geraten.“

„Das ist deine Ansicht, die meinige aber nicht.“

„Es ist meine Pflicht, die Flucht zu versuchen.“

„Diese Worte überzeugen Mich, daß du nicht nur ein wakkerer Krieger, sondern auch ein aufrichtiger, ehrlicher Mann bist. Dennoch werde ich dich nicht mit Riemen quälen.“

„Uff!“ rief er erstaunt aus.

„Ja; ich werde dich nicht binden lassen.“

„Da entfliehe ich!“

Pshaw! Selbst wenn wir zwei allein wären, würdest du nicht entwischen; du siehst, wieviel Reiter ich bei mir habe. Übrigens werde ich ein Mittel anwenden, welches dich fester als alle Fesseln bei uns halten wird.“

„Welches?“

„Ich nehme dir die Medizin ab.“

„Uff, uff!“ rief er.

„Ja, das thue ich. Beim ersten Versuche, zu entfliehen, werden alle Gewehre auf dich gerichtet sein, und würdest du, was aber gar nicht möglich ist, von keiner Kugel getroffen, so hättest du im nächsten Augenblicke über zweihundert Verfolger hinter dir. Und sollte dich keiner von ihnen fangen, was wieder gar nicht zu denken ist, so würde ich deine Medizin vernichten und mit ihr deine Seele.“

Er senkte den Kopf und ließ ein ergebungsvolles „Uff“ hören; er that auch keinen Griff, es zu verhindern, als ich ihm die Medizin abnahm und an meinen Hals hing. Er gab sich die allergrößte Mühe, seine Gedanken zu verbergen, konnte mich aber nicht täuschen. Es hatte, allerdings nur für einen ganz kurzen Moment, ein Licht in seinem Auge aufgeblitzt, welches mir sagte, daß er alles wagen und selbst den Verlust der Medizin daran setzen werde, die Freiheit zu erlangen.

Ich hatte also wohl Grund, ihn fesseln zu lassen, that dies aber nicht, denn ich wollte wissen, weshalb er, entgegengesetzt allen indianischen Anschauungen, selbst auf die Medizin verzichtete, um frei werden zu können. Sollten meine einstigen Lehren doch so tief in ihm gehaftet haben, daß sie im stande gewesen waren, seine heidnischen Ansichten über die ewigen Jagdgründe ins Wanken zu bringen? Denn wenn die Medizin ihre Macht über ihn verloren hatte, so konnte er unmöglich mehr an eine derartige Fortdauer nach dem Tode glauben; das stand fest. Also ließ ich ihn, um ihn in dieser Beziehung auf die Probe zu stellen, nicht binden, sorgte aber anderweit dafür, daß die Flucht nicht gelingen konnte.

Die beste Art und Weise, etwas, was andere thun wollen, zu verhindern oder unschädlich zu machen, ist die, es selbst herbeizuführen; dann hat man es in der Gewalt und kann zur rechten Zeit seine Gegenmaßregeln treffen. Also mußte ich, um des jungen Häuptlings sicher zu sein, ihm an irgend einem Augenblicke die Flucht so leicht wie möglich machen. Ging er auf diese Finte ein, so konnte ich ihn schnell fassen, grad so, wie die Katze die Maus, mit der sie spielt.

Als wir aufgebrochen waren, ritt ich zunächst allein hinterher, um, ohne daß der Häuptling es bemerkte, meinen Lasso so in fertigen Rollen um die Schulter zu legen, daß es nur eines schnellen Griffes bedurfte, ihn wurfgerecht in die Hand zu bekommen. Dann ritt ich als Führer voran und rief ihn an meine Seite. Ich unterhielt mich in der Weise mit ihm, als ob ich ihn gar nicht beaufsichtigte, und blieb dann, als es zu dunkeln begann, mit ihm weiter und weiter zurück, bis wir uns anstatt an der Spitze des Zuges schließlich am Ende desselben befanden. Die Dämmerung verdichtete sich schnell zum vollständigen Abenddunkel. Schiba-bigk ritt mir zur rechten Seite. Ich that so, als ob mir am Sattelzeuge etwas in Unordnung geraten sei, hielt das Pferd an und beugte Mich, ohne abzusteigen, an der linken Seite nieder. Wir waren die letzten im Zuge; ich drehte ihm den Rücken zu: Wenn er jetzt nicht floh, so hatte er überhaupt die Absicht gar nicht, uns zu entwischen. Ich griff gespannt mit der rechten Hand nach dem Lasso. Richtig! Ein Knirschen des Sandes, wie unter den Hufen eines Pferdes, welches auf den Hinterbeinen herumgeworfen wird – schnell erhob ich mich wieder im Sattel und drehte mich um: Da hinten flog er in Carriere auf dem Wege zurück, den wir gekommen waren, doch in demselben Augenblicke hatte ich mein Pferd gewendet und flog hinter ihm her. Mein Rappe hatte nicht ohne Grund den Namen Hatatitla, was so viel wie Blitz bedeutet. Er war dem Pferde Schiba-bigks überhaupt und ganz besonders auch in Beziehung auf die Schnelligkeit weit überlegen. Es war noch nicht eine einzige Minute vergangen, so war ich dem Flüchtlinge so nahe, daß mein Lasso ihn erreichen mußte.

„Halt an!“ rief ich ihm zu.

„Uff, uff!“ antwortete er in schrillem Tone, was so viel bedeuten sollte, nein, das fällt mir gar nicht ein.

Da flog mein Lasso nach vorn; die Schlinge senkte sich auf ihn nieder und faßte ihn bei den beiden Armen, die sie ihm an den Leib zog. Ich hielt meinen Rappen an, und der Ruck, den der Lasso dadurch erhielt, riß den Indianer vom Pferde. Ich sprang ab und kniete bei ihm nieder. Er lag bewegungslos.

„Ist mein junger Bruder noch am Leben?“ fragte ich, denn es war leicht möglich, daß er den Hals gebrochen hatte. Solche Unfälle kommen bei dem Fangen mit dem Lasso häufig vor.

Er antwortete nicht.

„Wenn Schiba-bigk nicht redet, werde ich ihn wie eine Leiche auf das Pferd schnallen. Wenn ihm dann die Glieder schmerzen, hat er es sich selbst zuzuschreiben,“ warnte ich.

„Ich lebe,“ antwortete er jetzt.

„Hast du Schaden genommen?“

„Nein.“

„So rufe dein Pferd herbei!“

Es war, als er aus dem Sattel gerissen wurde, noch eine Strecke weit fortgelaufen. Er stieß einen scharfen Pfiff aus, und es kam.

„Jetzt werde ich meinem jungen Bruder die Hände binden; er selbst ist schuld daran, daß ich das thun muß.“

Er lag noch am Boden. Die Schlinge des Lasso hielt ihm die Arme am Leibe fest. Ich half ihm beim Aufstehen, band ihm die Hände zusammen und befahl ihm, aufzusteigen. Als er das gethan hatte, zog ich ihm unter dem Bauche des Pferdes einen Riemen von einem Fuße zum andern und band dann seine Zügel mit den meinigen zusammen. Dadurch bekam ich sein Pferd in meine Gewalt, und er konnte nicht herunter. Nachdem ich mir den zusammengeschlungenen Lasso wieder über die Schulter gehängt hatte, stieg ich auf und ritt mit dem Gefangenen im Galoppe zurück, unserer Truppe nach.

Diese war halten geblieben, weil man bemerkt hatte, daß wir fehlten. Old Surehand, Wabble, Parker, Hawley und Entschar-Ko kamen uns entgegen.

„Gott sei Dank, da seid Ihr ja!“ rief der alte König der Cowboys aus. „Wo habt Ihr denn gesteckt, Mr. Shatterhand?“

„Wir haben einen kleinen Aus- oder Rückflug unternommen,“ antwortete ich.

„Der Rote wollte wohl echappieren?“

„Ja.“

„Da habt Ihr es! Sage ich nicht, daß diese Kerls alle nichts taugen? Solche Kerls darf man nicht mit Handschuhen anfassen, wie das so Eure Mode ist. Hoffentlich ist er nun gebunden?“

„Ganz nach Eurem Wunsche, Mr. Cutter.“

„Warum sagt Ihr das so ironisch, Sir?“

„Weil er schon vorher gefesselt war.“

„Das ist mir neu. Habe nichts davon gesehen.“

„Ob mit Riemen gefesselt oder durch meine Augen bewacht, das ist ganz dasselbe.“

„So? Na, wenn Eure Augen Riemen sind, so laßt sie nicht zu lang herunterhängen; die Pferde könnten sie Euch wegtreten; th’is clear!“

Ich hätte ruhig hinterherreiten können, denn eine Wiederholung des Fluchtversuches war nun vollständig ausgeschlossen; dennoch begab ich mich wieder an die Spitze, denn ohne meine Führung hätten die andern den Weg verfehlt. Auch Schiba-bigk hätte, selbst wenn er nicht in unsere Hände gefallen wäre, die Oase nicht überfallen können, weil es ihm unmöglich gewesen wäre, den neuen Durchgang durch den Kaktus zu finden. Er kannte nur den alten, und der war, wie schon erwähnt, von Bloody-Fox zugepflanzt worden.

Es war nach sechs Uhr dunkel geworden. Ungefähr anderthalb Stunden später kamen wir im Lager der Apatschen an, bei denen sich der Fuchs befand. Er war natürlich sehr begierig, zu erfahren, welchen Erfolg wir gehabt hätten, fügte aber der Frage, welche er daraufhin aussprach, gleich die Antwort hinzu:

„Uff! Da sehe ich, daß es gar keiner Erkundigung bedarf. Das sind ja eine ganze Menge Comantschen, die Ihr mitbringt. Ihr seid also mit Ihnen zusammengetroffen und habt sie gebeten, mitzukommen. Ist Schiba-bigk dabei?“

Yes,“ antwortete Old Wabble. „Werden doch die Roten nicht ohne ihren Anführer bringen!“

„Sind welche erschossen oder verwundet worden? Haben sie sich gewehrt?“

„Ist ihnen nicht eingefallen. Es hat keiner ein Löchlein in die Haut bekommen. Das ging so sauber zu wie in der Knabenschule, wenn Tintenklexe ausradiert werden. Will es Euch erzählen, wenn es Euch Vergnügen macht. Fürs Erste aber wollen wir hinein zum Wasser, um die Pferde trinken zu lassen. Das ist das Notwendigste, was geschehen muß.“

Er hatte Recht. Ich stieg ab und band Schiba-bigk los.

„Wenn mein roter Bruder sich eingebildet hat, Bloody-Fox überfallen zu können, so hat er sich in einem großen Irrtume befunden; die Gegend ist ganz anders geworden, als sie damals war. Weil du der Flucht verdächtig bist, wirst du den richtigen Weg nicht sehen dürfen.“

Ich nahm ihn vom Pferde, verband ihm die Augen und ergriff ihn beim Arme, um ihn durch den Kaktus nach der Hütte zu führen. Die Weißen und Entschar-Ko folgten uns. Die Gefangenen waren den Apatschen sogleich zur Bewachung übergeben worden; ihre Pferde wurden auch hereingebracht, um getränkt zu werden.

Eigentlich hatte ich die Absicht gehabt, nicht nur den feindlichen Comantschen, sondern auch den Apatschen den Zutritt zu dem Innern der Oase zu verwehren; es war immer am besten, gar keinen von ihnen diese Örtlichkeit kennen lernen zu lassen; aber dies hatte sich durch das unvermeidliche Tränken der Pferde als hinfällig erwiesen. Wenn über dreihundert Pferde und ebenso viele Menschen mit Wasser zu versehen waren, konnte der Quell unmöglich verborgen bleiben.

Während die andern sich draußen an den Tischen niedersetzten, führte ich Schiba-bigk in das Innere des Hauses, wo ich ihn anband.

„Mein Bruder hat es nur sich selbst zuzuschreiben, daß ich dies thue,“ sagte ich. „Hätte er mir sein Wort gegeben, nicht zu entweichen, so dürfte er jetzt frei hier herumgehen.“

„Dieses Wort darf ich nicht geben,“ antwortete er, „ich bin ein Häuptling der Comantschen, und da unsre Krieger sich in Gefahr befinden, habe ich die Pflicht, zu fliehen, sobald es möglich ist.“

„Diese Möglichkeit wird nicht eintreten!“

„Vorhin war sie da!“

„Nein!“

„Wenn das Pferd meines weißen Bruders nicht schneller gewesen wäre als das meinige, wäre ich entkommen.“

„Hast du das wirklich geglaubt?“

„Ja.“

„So habe ich dich für scharfsinniger gehalten, als du bist. Wir befanden uns erst dem Zuge voran. Warum blieb ich dann mit dir zurück?“

„Weil du glaubtest, mich sicher zu haben.“

„Nein, ganz im Gegenteile, weil ich wußte, daß du fliehen wolltest. Und weshalb hielt ich an, um nach meinem Sattelzeuge zu sehen?“

„Weil etwas daran zerrissen oder verschoben war.“

„Auch nicht, sondern um dir Gelegenheit zu geben, die Flucht zu ergreifen.“

„Uff!“ rief er verwundert. „Old Shatterhand wollte mich an der Flucht verhindern und hat mir doch die Gelegenheit dazu gegeben!“

„Das begreifest du nicht?“

„Wer kann das begreifen!“

„Jeder Mensch, welcher gelernt hat, nachzudenken. Grad weil ich die Flucht verhindern wollte, habe ich dir die Gelegenheit dazu gegeben. Wärest du in einem Augenblicke geflohen, an welchem ich nicht darauf vorbereitet war, so hättest du, weil es dunkel war, trotz der Schnelligkeit meines Pferdes entkommen können; ich mußte also vorbereitet sein, und das konnte nur dadurch geschehen, daß ich selbst den geeigneten Augenblick herbeiführte; dann war ich um so schneller hinter dir her.“

„Uff, uff!“

„Siehst du es jetzt ein?“

„Ich sehe ein, daß es wahr ist, was alle roten und weißen Krieger wissen: Old Shatterhand ist nicht zu überlisten, sondern er überlistet sie alle.“

„Hm, dich heut zu überlisten, dazu gehörte gar nicht viel. Du bist ein Häuptling, aber doch noch fast ein Knabe; wenn du das wenigstens mir gegenüber beherzigen willst, so kann es dir nur zum Vorteile sein. Sei froh, daß mein Pferd schneller war als das deinige, und ich infolge dessen nur den Lasso angewendet habe! Hätte ich dich nicht so rasch einholen können, so wäre ich gezwungen gewesen, dich zu erschießen.“

„Schiba-bigk hat keine Angst vor dem Tode!“

„Das weiß ich; aber deine Flucht hatte doch nur den Zweck, die Comantschen zu benachrichtigen. Hättest du das thun können, wenn du erschossen worden wärest?“

„Uff, nein!“

„Du mußt also einsehen, daß du auch in dieser Beziehung unüberlegt gehandelt hast. Und wie konntest du vergessen, daß ich deine Medizin besitze!“

„Ich vergaß es nicht.“

„Und wolltest dennoch fort? Sonderbar! Mochte dir die Flucht gelingen oder nicht, so wäre deine Seele für immer verloren gewesen.“

„Nein!“

„Doch! Wer seine Medizin verliert, der kann sich eine andere suchen und dadurch seine Seele retten. Wer sich aber seine Medizin abnehmen läßt und sie wird vernichtet, dessen Seele ist auch vernichtet und wird nie in die ewigen Jagdgründe gelangen.“

„Old Shatterhand sagt da Etwas, was er selbst nicht glaubt!“

Ich sah trotz des schwachen Scheines der in der Stube brennenden, selbstgefertigten Talgkerze, daß sein Gesicht einen selbstbewußten, ja, ich möchte sagen, einen überlegenen Ausdruck annahm. Über das, was er jetzt dachte, hätte ein Deutscher sich wahrscheinlich ausgedrückt: jetzt habe ich Old Shatterhand im Sacke! Ich antwortete:

„Ob ich es glaube oder nicht, das ist Nebensache; aber Ihr glaubt es. Wenn ein roter Krieger einem Feind die Medizin abnimmt und sie aufbewahrt, so muß die Seele desselben ihn in den ewigen Jagdgründen bedienen, außer der große Geist offenbart ihm den Weg, sich eine neue Medizin zu erwerben. Wird aber die Medizin nicht aufbewahrt, sondern vernichtet, so ist mit ihr die Seele vernichtet für alle Ewigkeit. Das ist doch euer Glaube!“

„Aber nicht der meinige!“

„Nicht?“ fragte ich scheinbar überrascht.

„Nein. Auch ich habe es geglaubt, aber nur so lange, bis mein großer Bruder Old Shatterhand mir von dem großen Manitou erzählte, der alle Menschen erschaffen hat, der allen gleiche Liebe gibt und zu dem alle Seelen zurückkehren werden. Kein Mensch kann einem andern seine Seele nehmen. Es wird nach dem Tode keine Herrscher und keine Diener, weder Sieger noch Besiegte geben. Vor dem Stuhle des großen, guten Manitou werden alle Seelen gleich sein; es wird ewige Liebe und ewiger Friede herrschen und weder Kampf noch Jagd und Blutvergießen geben. Wo sollen da die Jagdgründe liegen, von denen unsere Medizinmänner sprechen?“

Er hatte das in einem Eifer, der sich von Wort zu Wort steigerte, gesagt. Ich freute mich auf’s herzlichste darüber. Das war es ja, was ich hatte erfahren wollen! Der Same, den ich damals in sein Herz gesäet hatte, war also doch aufgegangen und hatte unter der starren Rinde feste Wurzeln geschlagen.

„Ja, wenn du so denkst, dann hat ja keine Medizin mehr Wert für dich,“ sagte ich, scheinbar absichtslos.

„Sie ist das Zeichen, daß ich Krieger bin, weiter nichts.“

„Dann hat es auch keinen Zweck, daß ich sie behalte. Hier hast du sie zurück.“

Ich nahm sie von meinem Halse und gab sie ihm. Er hing sie sich um und antwortete: „Sie hat mit meiner Seele nichts zu thun, aber sie ist das Zeichen des Kriegerranges, und darum danke ich dir, daß du sie mir wiedergiebst!“

„Hast du schon mit andern roten Kriegern darüber gesprochen, daß die Seele und die Medizin zwei Dinge sind, die einander nichts angehen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil sie es nicht glauben würden.“

„Aber du hast es doch mir geglaubt!“

„Mein Mund ist nicht der deinige, und wenn ich ganz dasselbe sage, was du gesagt hast, so ist es doch nicht dasselbe. Wird Old Shatterhand heut hier bleiben?“

Ich durfte ihm keine Auskunft erteilen und antwortete darum, über seine Frage weggehend:

„Mag ich hier sein oder nicht, es wird dir an nichts fehlen. Da du fliehen willst, muß ich dich noch als Feind betrachten; aber du sollst dich wenigstens zwischen diesen vier Wänden frei bewegen dürfen.“

„So willst du mich losbinden?“

„Bob, der Neger, wird dies später thun.“

„Der Nigger? Soll ein Nigger mich berühren? Weißt du nicht, daß kein roter Krieger mit einem Nigger etwas zu thun haben mag?“

„Und weißt du nicht, daß der große Manitou alle Menschen erschaffen hat und alle gleich sehr liebt, mögen sie nun eine schwarze, rote oder weiße Haut besitzen?“

Er blickte verlegen vor sich nieder.

„Und was hast du gegen unsern Bob?“ fuhr ich fort. „Er war dabei, als wir dich damals retteten. Du bist ihm nicht weniger Dank schuldig als uns. Er ist ein besserer Mensch, als du gewesen bist. Er hat niemals einem Menschen Freundschaft vorgelogen; du aber hast Bloody-Fox dein Leben zu verdanken und mit ihm die Pfeife des Friedens und der Freundschaft geraucht und bist trotzdem jetzt hierher gekommen, ihn aus seinem Home zu vertreiben und zu töten. Sag mir da einmal aufrichtig, wer steht höher, er oder du?“

Er antwortete nicht.

„Du schweigst; das ist genug. Denke über dich nach! Damit du das ungestört thun kannst, werde ich jetzt gehen.“

Meine Worte klangen vielleicht streng; aber sie waren gut gemeint, und ich hoffte, daß sie den beabsichtigten Eindruck machen würden. Ich ging hinaus und winkte den Neger zu mir. Ich kannte ihn und wußte, daß er seiner Aufgabe gewachsen sei; ich mußte ihm die Sache nur richtig plausibel machen. Der Gefangene war streng zu bewachen, sollte aber nicht gequält werden.

„Komm einmal her, Bob,“ sagte ich. „Ich habe dir etwas mitzuteilen.“

„Schön! Massa Shatterhand Masser Bob was mittheilen.“

„Es ist sehr wichtig!“

„Wichtig? Oh, oh! Masser Bob sein ein sehr tüchtig Gentleman, wenn wichtig Sache mitgeteilt bekommen!“

Er verdrehte vor Stolz die Augen so, daß nur das Weiße zu sehen war.

„Ich weiß, daß du ein sehr starker und tapferer Mann bist. Nicht, alter Bob?“

„Oh, ja, oh! Bob sein sehr stark und tapfer!“

„Aber auch listig?“

„Sehr listig, sehr! Listig wie – wie – – wie –“

Er sann nach; es schien ihm kein genug augenfälliges Beispiel von List einfallen zu wollen; dann schlug er froh die Hände zusammen, denn er hatte eins gefunden, und fuhr fort: „Listig wie Fliege, grad wie Fliege!“

„Fliege? Hältst du die Fliege für ein so außerordentlich listiges Geschöpf?“

Yes! Oh, oh, Fliege sehr listig, sehr! Setzen sich immer nur auf Nasenspitze.“

„Und das ist List?“

„Sehr viel List, denn Nasenspitze sein ganz vorn, und Fliege da kann gleich schnell wieder fortfliegen.“

„Schön, das imponiert mir allerdings. Also, ich brauche deine Stärke, deine Tapferkeit und deinen Muth. Hast Du gesehen, daß ich Schiba-bigk in die Stube geschafft habe?“

Yes, Masser Bob haben lauschen durch Thür und sehen, daß junger Häuptling liegen auf Diele und sein mit Riemen fest angebunden.“

„Richtig! Er will fliehen; darum muß er streng bewacht werden. Das sollst du thun.“

Well! Masser Bob sich setzen zu ihm ganze Nacht und ganzen Tag und ihn nicht lassen aus allen zwei Augen!“

„Das wird nicht gerade nötig sein. Du wirst ihn nachher, wenn ich fort bin, losbinden; er soll frei in der Stube umhergehen können; aber heraus darf er nicht.“

O no, darf nicht heraus! Aber wenn dennoch will heraus, was Masser Bob dann thun?“

„Du lässest ihn auf keinen Fall heraus.“

„Nein, gar nicht! Sobald er steckt Nase heraus, Masser Bob ihm geben einen Hieb darauf.“

„Das darfst du nicht thun. Schläge sind für einen roten Krieger die größte Beleidigung.“

Da kratzte er sich verlegen hinter dem Ohr und sagte:

„Oh, hm, oh! Das bös, sehr bös! Masser Bob ihn nicht lassen heraus und doch nicht dürfen schlagen! Masser Bob ihn müssen losbinden und doch ihn festhalten!“

„Ja,“ lächelte ich, „es ist eine sehr schwierige Angelegenheit; aber du bist der richtige Mann dazu. Du bist schlauer und listiger als der Fuchs; du bist so listig wie eine Fliege auf der Nasenspitze und wirst keinen Fehler machen. Dir vertraue ich diesen wichtigen Gefangenen an. Er wird losgebunden und bekommt zu essen und zu trinken, darf aber nicht zur Thür heraus, auch nicht etwa zu einem Fenster; aber schlagen darfst du ihn nicht.“

„Auch nicht erschießen?“

„Das nun gar nicht! Du mußt dich da ganz auf deine große, anerkannte Pfiffigkeit verlassen.“

Er sann nach und antwortete dann auf diese Schmeichelei mit einem unendlich glückseligen Lächeln:

„Oh, ah, oh, Masser Bob sein pfiffig. Bob weiß jetzt, wie machen. Soll Bob es sagen?“

„Nein, ich brauche es jetzt nicht zu wissen; aber ich bin Überzeugt, daß ich mit dir zufrieden sein kann, wenn ich zurückkehre.“

„Zufrieden, sehr zufrieden! Masser Bob haben einen Gedanken, der sehr pfiffig, sehr. Schiba-bigk drinstecken, losbinden und doch nicht heraus können; ihn auch nicht schlagen oder schießen. Das machen Masser Bob sehr schlau. Massa Shatterhand werden sehen!“

„Gut, lieber Bob. Es soll mich sehr freuen, wenn ich dich bei meiner Rückkehr loben kann.“

Ich wußte gar wohl, weshalb ich grad ihm die Beaufsichtigung dieses Gefangenen übergab; den Apatschen mochte ich diesen nicht anvertrauen. Und ebensogut wußte ich, warum ich den Gedanken nicht wissen wollte, der dem Neger gekommen war; ich wollte nichts mit einer Verantwortung zu thun haben, die es nach den Anschauungen der Bleichgesichter vielleicht nicht gab, welche aber nach indianischen Begriffen sehr groß sein konnte. That der Schwarze ohne mein Wissen mit dem Gefangenen etwas, was das Ehrgefühl Schiba-bigks verletzte, so durfte dieser nicht denselben Maßstab daran legen, als wenn es mit meiner Genehmigung oder gar in meinem Auftrage geschah.

Ich ging nun zunächst zu Bloody-Fox, um mit ihm über seine Aufgabe zu sprechen. Er stand mit Old Surehand zusammen und empfing mich mit den Worten:

„Ich habe gehört, daß ich zu Winnetou reiten soll, um ihn und seine Apatschen in die rechte Richtung zu bringen. Wann soll ich fort von hier?“

„Noch heute abend; so bald wie möglich.“

„Und wo werde ich ihn treffen?“

„Das ist nicht genau zu sagen, läßt sich aber ungefähr berechnen. Er ist auf der Spur Schiba-bigks zurück, welche ganz genau westlich bis zu den hundert Bäumen geht. Da er die Pfähle zu entfernen und mitzuschleppen hat, mit welchen der junge Häuptling den Weg nach hier bezeichnete, so wird er länger zubringen, als wenn er ohne Aufenthalt reiten könnte – –“

„Er kann diese Arbeit auch während des größten Teiles der Nacht thun, denn die Sichel des Mondes wird in kurzer Zeit erscheinen,“ unterbrach er mich.

„Allerdings, und darum denke ich, daß er wahrscheinlich gegen Mittag bei den hundert Bäumen ankommen wird.“

„Dort hat er die Pferde zu tränken und wenigstens eine Weile ausruhen zu lassen.“

„Ganz recht; aber sehr lange wird er sich nicht dort verweilen; ich kenne ihn. Die Hauptsache ist, daß die Tiere Wasser bekommen; was ihre Müdigkeit betrifft, so wird er darauf weniger Rücksicht nehmen, weil er weiß, daß er sie dann unterwegs nach Belieben schonen kann, denn es steht da ganz in seinem Belieben, anzuhalten und auszuruhen, wann und wo es ihm gefällt. Ich habe ihm gesagt, daß er von den hundert Bäumen an sich genau nach Südosten halten soll. Nehmen wir an, daß er von Kilometer zu Kilometer einen Pfahl anbringt und sich damit nicht allzusehr beeilt, so läßt sich nicht schwer berechnen, an welchem Punkte er von hier aus zu treffen sein wird.“

Well; da weiß ich nun, woran ich bin. Habt Ihr sonst noch eine Bemerkung, Mr. Shatterhand?“

„Ja. Vupa Umugi wird hinter ihm herkommen und darf nur auf indianische Spuren treffen.“

„So muß ich also meine Stiefel ausziehen und Mokassins anlegen. Ich habe stets mehrere Paare hier, weil ich in dieser Abgeschiedenheit gezwungen bin, auf Vorrat zu sehen.“

„Ah, wenn ich auch ein Paar haben könnte!“

„Und ich auch,“ fiel Old Surehand ein. „Wir müßten uns sonst von den gefangenen Comantschen welche nehmen und was diese an den Füßen gehabt haben, hm!“

„Da kann ich wahrscheinlich Rat schaffen, denn ich habe mehrere Größen, weil Bob oft auch welche trägt. Wartet einige Augenblicke; ich werde sie holen.“

Er ging in das Haus und brachte die indianischen Schuhe; eine Probe ergab, daß sowohl für Old Surehand wie auch für mich passende vorhanden waren. Wir zogen sie an und übergaben Bob unsere Stiefel, um sie bis zu unserer Rückkehr aufzubewahren.

Anders stand es mit Old Wabble, für dessen Meterfüße Fox nichts Geeignetes besaß. Wir schickten ihn mit Entschar-Ko hinaus zu den Comantschen; vielleicht gab es unter diesen einen, der ähnlich ausgebildete Gehwerkzeuge besaß.

„Um in Beziehung auf Winnetou die Hauptsache nicht zu vergessen: er muß Wasser haben,“ fuhr ich in dem unterbrochenen Gespräche fort. „Glücklicherweise sind Schläuche hier.“

„Ja,“ nickte Fox. „Ich werde sie sogleich füllen. Aber allein kann ich mich nicht mit ihnen schleppen; darf ich einige Apatschen mitnehmen?“

„Natürlich! Doch nicht zu viele, sonst sieht Vupa Umugi, daß er einer größeren Schar von Reitern folgt, als Schiba-bigk bei sich gehabt hat. Hierbei komme ich auf eine Idee, welche mich sehr wahrscheinlich vor einem Unterlassungsfehler bewahrt oder, wenn das nicht, uns den Fang der Comantschen erleichtert. Ich wollte erst nur mit Euch, Mr. Surehand, und mit Old Wabble reiten, denke aber jetzt, daß es besser ist, wenn wir so fünfzig oder sechzig Apatschen mitnehmen.“

„Auf einen Kundschaftsritt?“ verwunderte sich Old Surehand. „Da pflegt man doch so wenig zahlreich wie möglich zu sein!“

„Allerdings; aber vielleicht wird aus dem beabsichtigten Späherritte etwas ganz anderes. Soweit wir jetzt den Plan der Comantschen kennen, kommt zunächst Vupa Umugi mit seiner Schar bei den hundert Bäumen an. Das wird, wie ich erlauscht habe, morgen abend sein. Er wird dort während der Nacht bleiben und dann längs der Pfähle weiterreiten. Er lockt die weiße Kavallerie hinter sich her. Wann diese folgt, das weiß man nicht, läßt sich aber vermuten, da ich aus Schiba-bigk herausgelockt habe, daß Nale-Masiuv einen halben Tag später als Vupa Umugi kommen wird, und die Weißen sind doch vor Nale-Masiuv zu erwarten, welcher die Aufgabe hat, sie vor sich herzutreiben.“

„Das Militär wird also wahrscheinlich übermorgen vormittag bei den hundert Bäumen ankommen.“

„Das denke ich auch. Sind diese Weißen dann fort, hinter Vupa Umugi her, wird Nale-Masiuv erscheinen und ihnen folgen. Unsere bisherige Absicht war nun, diese einzelnen Trupps ziehen zu lassen und in der ihnen gelegten Falle einzuschließen – –“

„Und das ist das Beste, ja das Einzige, was wir thun können,“ fiel Bloody-Fox ein.

„Leider nicht. Ich wundere mich jetzt außerordentlich darüber, daß es keinem von uns eingefallen ist, welchen großen Fehler wir dadurch begehen würden.“

„Fehler? Wieso?“

„Bedenkt doch, daß es zwei verschiedene Indianertrupps sind, welche wir im Kaktus einschließen wollen!“

„Nun? Was ist da zu bedenken?“

„Daß sich die Weißen zwischen ihnen befinden.“

„Ah! Hm!“

„Ahnt Ihr jetzt, was ich meine?“

Well, es ist wahr!“ rief Old Surehand aus. „Das ist ein Fehler in unserm Plane, ein so großer, daß ich kaum begreifen kann, wie wir ihn machen konnten!“

„Wir müßten die Weißen mit den Roten einschließen!“

„Und hätten dadurch das Spiel verloren!“

„Wenn auch das nicht, Mr. Surehand, aber es würde für uns weit schwerer sein, es zu gewinnen. Die Comantschen würden sich der Kavallerie bemächtigen und dadurch zu einem Trumpfe gelangen, der nicht leicht zu überbieten ist. Darum werden wir drei nicht allein reiten, sondern eine Abteilung unserer Apatschen mitnehmen. Den Zweck werdet Ihr erraten.“

„Sehr leicht. Es gilt Nale-Masiuv?“

„Ja. Wir lassen ihn gar nicht in die Falle gehen, sondern nehmen ihn schon bei den hundert Bäumen gefangen.“

„Ein vortrefflicher Gedanke, Sir!“

„Ja, vortrefflich, ganz vortrefflich, wenn er nicht zu kühn ist,“ bemerkte Bloody-Fox.

„Zu kühn? Inwiefern?“ fragte ich.

„Spracht Ihr nicht davon, nur fünfzig oder sechzig Apatschen mitzunehmen?“

„Ja.“

„Wird diese Zahl genügen?“

„Ich denke es.“

„Und ich bezweifle es. Verzeiht, daß ich so aufrichtig bin, dies zu sagen!“

Pshaw! Es ist ja grad notwendig, daß ein jeder ehrlich seine Meinung sagt.“

„So erlaube ich mir, daran zu erinnern, daß Nale-Masiuv wahrscheinlich über hundertfünfzig Krieger bei sich haben wird.“

„Das ist allerdings anzunehmen.“

„Und die wollt Ihr mit fünfzig bis sechzig Apatschen fangen?“

„Nein. Das wäre freilich ein mehr als kühnes, es wäre ein lächerliches, ein höchst leichtsinniges Unternehmen. Ich werde viel, viel mehr Leute bei mir haben.“

„Woher sollen die kommen?“

„Aber Fox, Fox! Ist das so schwer zu begreifen?“

„Hm! Helft mir auf die Sprünge, Sir. Ich weiß wirklich nicht, woher Euch weitere Kräfte kommen sollen!“

„Und die Kavallerie?“

Er sah mir überrascht in das Gesicht, schlug sich mit der Hand an die Stirn und rief. „So ein Esel! Das ist ja die reine Blindheit, mit der ich geschlagen war! Natürlich werden die weißen Reiter Euch beistehen, ganz natürlich! So dumm, wie in diesem Augenblicke, bin ich noch nie gewesen!“

„Ihr habt dabei den Trost, daß auch ich erst vor einigen Minuten auf diesen Gedanken gekommen bin. Und er lag doch so nahe, daß jedes Kind ihn fassen konnte. Ich werde Entschar-Ko sagen, daß – – ah, da kommt er ja!“

Der Unteranführer der Apatschen kam mit Old Wabble zurück; ich schickte ihn wieder hinaus, diejenigen Krieger auszuwählen, welche uns begleiten sollten. Der alte König der Cowboys stand in einer so eigentümlichen Haltung vor uns, daß ich ihn unwillkürlich fragte:

„Was habt Ihr, Sir? Seid Ihr unwohl?“

Yes, sehr, außerordentlich unwohl!“ nickte er.

„Wo liegt das Leiden?“

„Tief, sehr tief!“

Er zeigte dabei mit dem Finger nach unten.

„Ach! In den Füßen wohl?“

Yes!“

„Die Mokassins – –?“

„Mag der Teufel holen!“ platzte er zornig heraus.

„Habt Ihr welche gefunden?“

„Und was für welche!“

„Groß genug?“

„Und wie groß! So groß, daß man sich ordentlich schämen muß, sie anzuziehen! Dieser Rote, dem wir sie abgenommen hatten, besitzt keine menschlichen Füße, sondern wahre Bärentatzen!“

„Nun, was weiter?“

„Was weiter? Das fragt Ihr noch?“

„Natürlich!“

„Da ist gar nichts Natürliches dabei! Es ist ganz selbstverständlich, daß ich wütend sein muß!“

„Aber warum wütend?“

Thunder-storm, seht Ihr das wirklich noch nicht ein? Ich bin wütend und ganz außer mir, weil diese kolossalen Schuhe mir noch immer nicht passen. Sie sind noch zu klein!“

„Das ist freilich sehr bedauerlich!“

„Aber nicht für Euch, sondern für mich, Sir!“ fuhr er mich zornig an.

„Das bezweifle ich gar nicht, Mr. Cutter,“ lachte ich.

„Ja, lacht nur zu! Ihr würdet aber nicht lachen, wenn Ihr das niederträchtige Gefühl hättet, welches ich empfinde!“

„Wirklich? Seid Ihr auch einmal gefühlvoll?“

„Und wie! Seht Ihr denn nicht, wie krumm und trostlos ich dastehe? Meine Zehen sind so rund gebogen, daß man sie für Nullen halten könnte.“

„So macht sie gerade!“

„Geht nicht! Die Mokassins sind zu kurz. Wißt Ihr vielleicht ein Mittel gegen meine Qualen?“

„Ja.“

„Welches? Ich kann doch die Schuhe nicht länger machen!“

„Nein; aber Löcher könnt Ihr hineinschneiden.“

„Ah – – Löcher – –?“

„Ja.“

„Vortrefflicher Gedanke, ganz vortrefflicher! Old Shatterhand ist doch der pfiffigste Kopf, der jemals zwischen zwei Schultern gesessen hat! Löcher hineinschneiden! Das werde ich gleich thun, sofort. Die Zehen werden zwar ein wenig herausgucken, aber das schadet nichts; ich gönne ihnen die Freude, auch einmal das liebe Tageslicht zu sehen.“

Er zog das Messer und setzte sich nieder, um die vorgeschlagene Operation augenblicklich auszuführen.

Als wir uns dann von Fox, Parker und Hawley verabschiedet hatten und mit unsern Pferden hinaus zu den Apatschen kamen, standen sechzig von ihnen bereit, uns zu begleiten.

„Hat mein weißer Bruder mir noch einen Befehl zu erteilen?“ fragte mich Entschar-Ko.

„Du wirst dafür sorgen, daß an dem Wege, der nach der Oase führt, sich stets einige Wachen befinden. Ich habe Schiba-bigk dem Neger Bob übergeben, der ihn nicht aus dem Hause lassen soll. Er sinnt auf Flucht. Der Schwarze wird ihn nicht aus den Augen lassen. Auf keinen Fall kann der junge Häuptling durch den dichten Kaktus entkommen; er muß den einzigen Weg wählen, der hindurchführt, und dabei auf diese Wächter treffen.“

„Was sollen wir thun, wenn er kommt?“

„Ihn festhalten.“

„Ich meine, wenn er sich wehrt?“

„Da muß natürlich Gewalt angewendet werden. Ich will ihn so viel wie möglich schonen, aber entkommen darf er auf keinen Fall. Wenn es nicht anders geht, muß er das Leben lassen. Ebenso streng hast du darauf zu sehen, daß keiner von seinen Comantschen entweicht.“

Nun war weiter nichts zu sagen, und wir ritten fort, als eben die dünne Sichel des Mondes am Horizonte erschien.

Ein nächtlicher Ritt durch die im Mondenscheine sich dehnende Wüste! Wie gern gönnte ich meinen lieben Lesern die hehren Empfindungen, welche die Menschenbrust dabei höher und höher schwellen lassen! Nur muß das Herz frei von Sorge und von allem sein, was es beklemmen und beengen kann.

Ich habe zuweilen geträumt, ich könne fliegen; der Körper ist vorhanden, hat aber weder Umfang noch Gewicht und scheint sich in eine durchaus rein geistige Potenz verwandelt zu haben, die frei in alle Richtungen streben kann, ohne durch den hindernislosen Raum gestört zu werden. So bin ich geschwebt hoch über der Erde hin, weit über sie hinaus, von Mond zu Mond, von Stern zu Stern, aus einer Unendlichkeit in die andre, von unaussprechlicher Wonne erfüllt. Das war aber nicht eine Wonne des Stolzes darüber, daß ich selbst es war, der den Raum besiegte, sondern die demütige und vertrauensvolle Seligkeit, daß allmächtige Liebe mich trug und immer weiter und weiter führte. Dann lag ich nach dem Erwachen noch lange geschlossenen Auges da, um mich langsam zu besinnen, daß es nur ein Traum gewesen und ich ein ohnmächtiger Knecht der Zeit und des Raumes sei.

Nicht so wie in einem solchen Traume, aber ähnlich ist es, wenn man auf leichtfüßigem Pferde oder Dromedar über die Wüste fliegt. Man kennt nichts Störendes, nichts Hemmendes, denn das einzige Hindernis, welches es giebt, ist der Boden, der hinter einem verschwindet und mehr einen Halt als eine Hemmung bietet. Das Auge haftet nicht auf ihm, sondern auf dem Horizonte, der sich wie eine sichtbare aber nicht zu greifende Ewigkeit immer von neuem gebiert; es richtet sich nach oben, wo zwischen den strahlenden Lichtern des Himmels immer andre und andre, immer mehr und mehr Lichter erscheinen, bis der Blick sie nicht mehr zu fassen vermag. Und wenn der Sehnerv an dieser Anfangs- und Endlosigkeit ermüdet, und die staunend erhobene Wimper sich niedersenkt, so währt die Unendlichkeit im eigenen Innern fort, und es entstehen Gedanken, die nicht auszudenken sind; es steigen Ahnungen auf, die man vergeblich in Worte fassen möchte, und es wallen und wallen Gefühle und Empfindungen empor, die man aber nicht einzeln zu fühlen und zu empfinden vermag, weil sie eine einzige, endlose Woge bilden, auf und mit welcher man weiter und weiter schwebt; immer tiefer und tiefer hinein in ein andächtiges Staunen und ein beglückendes Vertrauen auf die unfaßbare und doch allgegenwärtige Liebe, welche der Mensch trotz des Wörterreichtums aller seiner Sprachen und Zungen nur durch die eine Silbe anzustammeln vermag: – – Gott – – Gott – –Gott – –!

Könnte mir jemand eine Feder geben, aus welcher die richtigen Worte flössen, den Eindruck zu beschreiben, den ein solcher nächtlicher Wüstenritt auf ein gläubiges Menschenherz hervorbringt! Es senkt sich von den leuchtenden Sternen des Firmamentes eine große, himmlische Bestätigung nieder auf das Gemüt: Du hast das rechte Teil erwählet, und das soll nicht von dir genommen werden! Der aber, der seinen Gott verloren hat, der reitet durch Sand und Sand und wieder Sand; er sieht nichts als Sand; er hört ihn stunden- und stundenlang von den Hufen des Pferdes rieseln, und wie die traurige Öde sich vor ihm immer und immer erneut und ihm nichts bringt und bietet als Sand und wieder Sand, so giebt es in den verlorenen Tiefen seines Innern auch nur eine unsagbar elende Wüste, einen trostlosen, toten Sand, der keinem Hälmchen, keinem Würzelchen Leben bieten kann. Für solch einen Unglücklichen kann man nichts thun, als nur beten.

Wirklich? Kann man wirklich gar nichts, gar nichts für ihn thun, als nur beten?

Ich war, ohne daß ich darauf achtete, lange, lange Zeit vorangeritten, mich nur und ganz der stillen, wortlosen Anbetung hingebend, die mir die Hände gefaltet und die Zügel aus ihnen hatte sinken lassen. Da wurde ich aus ihr aufgestört; die Stimme des alten Wabble erklang neben mir:

„Sir, was treibt Ihr da? Ich glaube gar, Ihr betet?“

Die Worte klangen ironisch; ich antwortete nicht.

„Nehmt die Zügel auf!“ fuhr er fort. „Wenn Euer Pferd bei diesem Galoppe stolpert, könnt Ihr den Hals brechen!“

Ich hatte das Gefühl eines durstig Trinkenden, dem man den Becher von den Lippen reißt, um ihm Aloe hineinzuschütten.

„Was geht Euch mein Hals an!“ antwortete ich kurz und ärgerlich.

„Eigentlich nichts; das ist richtig; aber da wir hier zusammengehören, kann es mir nicht gleichgültig sein, ob Ihr im nächsten Augenblicke ein ganzes oder ein zerbrochenes Genick haben werdet.“

„Habt keine Sorge um mich; ich breche es nicht!“

„Sah aber ganz so aus. Wenn man so fesch und schlank dahinfliegt, legt man dem Pferde doch nicht die Zügel auf den Hals!“

„Wollt Ihr mich das Reiten lehren?“

„Fällt mir nicht ein; habe ja gesehen, daß ihr keinen Lehrer braucht. Was ich aber noch nicht gesehen habe, das ist ein Reiter, der mit gefalteten Händen reitet, als ob er in einem Bet- und Lamentierstuhle ritte. Das waret nämlich jetzt Ihr, Mr. Shatterhand.“

„Bet- und Lamentierstuhl? Wie kommt Ihr zu dieser Zusammenstellung?“

„Ist meine Ansicht, Sir.“

„So ist Beten und Lamentieren bei Euch dasselbe?“

Yes.“

„Hört, das ist ein dummer Scherz!“

„Scherz? Es ist mein Ernst!“

„Unmöglich! Welcher Mensch kann das Gebet als Lamentation bezeichnen!“

„Ich!“

Da zog es mein Gesicht mit einem Rucke nach ihm hin. Ich fragte:

„Ihr habt doch oft und viel gebetet?“

„Nein.“

„Dann aber doch zuweilen?“

„Auch nicht.“

„Wohl gar nie?“

„Nie!“ nickte er, und das klang fast wie ein Stolz in seinem Tone.

„Herrgott, das glaube ich nicht!“

„Glaubt’s, oder glaubt es nicht; mir gleich; aber ich betete noch nie.“

„Aber doch in Eurer Jugend, als Kind?“

„Auch nicht.“

„Hattet ihr denn keinen Vater, der von Gott zu Euch redete?“

„Nein.“

„Keine Mutter, die Euch die Hände faltete?“

„Nein.“

„Keine Schwester, die Euch ein kurzes Kindergebet lehrte?“

„Auch nicht.“

„Wie traurig, wie unendlich traurig! Es giebt auf dieser Gotteswelt einen Menschen, der über neunzig Jahre alt geworden ist und in dieser langen, langen Zeit noch nicht ein einziges Mal gebetet hat! Tausend Menschen könnten mir dies beteuern, ich würde es nicht glauben, ja, ich würde und könnte es nicht glauben, Sir.“

„Da ich selbst es sage, könnt Ihr es ruhig glauben.“

„Ruhig? Ich bin aber nicht ruhig dabei, ganz und gar nicht!“

„Wüßte keinen Grund für Euch, Euch durch eine so klare und einfache Sache, die mir sehr gleichgültig ist, in Eurer Ruhe stören zu lassen!“

„Gleichgültig? Ist Euch das wirklich so gleichgültig, Mr. Cutter?“

„Vollständig!“

„Entsetzlich!“

Pshaw! Habe nicht geahnt, daß Ihr ein solcher Betbruder seid!“

„Betbruder? Der bin ich nicht, wenn Ihr nämlich dieses Wort in dem Sinne meint, wie es von den Gottlosen genommen wird.“

„Ich meine es so, ganz genau so. Ob ich aber gottlos bin? Hm!“

„Das seid Ihr; los von Gott nämlich!“

„Hört, treibt’s nicht zu arg, Mr. Shatterhand! Ich bin ein Gentleman, kein Lump. Ich habe stets gethan, was ich für richtig hielt, und möchte den sehen, der mich im Ernst als gottlos bezeichnet!“

„So seht mich an!“

„Also ist’s wirklich Euer Ernst?“

„Mein völliger. Ihr habt stets gethan, was Ihr für richtig hieltet, seid also stets Euer eigener Gesetzgeber gewesen. Sollte es kein Gesetz geben, welches über Euerm Eigenwillen steht?“

„Hm! Die Gesetze der Vereinigten Staaten, nach denen ich mich richte.“

„Weiter keine?“

„Nein.“

„Giebt es nicht ethische, religiöse, göttliche Gesetze?“

„Für mich nicht. Ich bin geboren; das ist ein Fact. Ich bin geboren, wie ich bin; das ist ein zweites Fact. Ich kann nicht anders sein, als ich bin; das ist ein drittes Fact. Ich trage also nicht die geringste Schuld an dem, was ich bin und was ich thue; das ist das Hauptfact. Alles Andere ist Unsinn und Albernheit.“

„Hört, Mr. Cutter, Eure Logik hinkt auf allen Beinen!“

„Laßt sie hinken, Sir! Ich bin in das Leben hereingehinkt, ohne um Erlaubnis gefragt zu werden, und der Teufel soll mich holen, wenn ich nun meinerseits beim Hinaushinken irgend wen um Erlaubnis frage! Ich brauche dazu weder Religion noch Gott.“

Es war entsetzlich. Die Haare wollten sich mir bei diesen Worten sträuben, und ich hatte ein Gefühl, als ob mir jemand mit einem Eisstücke über den Rücken führe. Vor nur wenigen Minuten hatte ich mir den Ritt eines ungläubigen Menschen durch die Wüste gedacht, und jetzt war der Gedanke zur Wahrheit geworden! Dieser Greis, der nicht daran dachte, in welcher Nähe sich das Grab vor ihm befand, sprach Worte aus, welche für meine Ohren eine Lästerung enthielten, die mich schaudern machte!

„So glaubt Ihr nicht an Gott?“ fragte ich mit beinahe bebender Stimme.

„Nein.“

„An den Heiland?“

„Nein.“

„An ein Leben nach dem Tode?“

„Nein.“

„An eine Seligkeit, eine Verdammnis, welche ewig währt?“

„Fällt mir nicht ein! Was kann mir so ein Glaube nützen?“

Sollte ich über diese Worte traurig sein oder empört? Ich wußte es nicht; aber es kam etwas über mich, was mich zwang, ihm von meinem Pferde hinüber den Arm auf die Schulter zu legen und zu sagen:

„Hört, Mr. Cutter, ich habe Euch eine Teilnahme geschenkt, wie ich sie nicht jedem schenke; jetzt aber graut mir vor Euch! Dennoch will ich zu Euch halten und mich bemühen, Euch zu beweisen, daß Ihr Euch auf einem schrecklichen Irrwege befindet.“

„Was soll das heißen? ihr wollt mich belehren?“

„Ja.“

„In dem, was Ihr Religion nennt?“

„Ja.“

„Danke, danke sehr! Das müßte ich mir verbitten! Schon der Versuch würde mich beleidigen. Ihr habt vorhin gehört, was und wie ich denke. Mit Worten und Lehren darf mir keiner kommen; da bin ich zu alt und zu klug dazu. Ich habe Euch ein Fact nach dem andern genannt. Redensarten gelten bei mir nichts und wenn sie noch so schön klingen. Bei mir gilt das Fact als Beweis, sonst nichts.“

„Habt Ihr Religionsunterricht genossen?“

„Nein.“

„So könnt Ihr auch kein Urteil über den – –“

„Schweigt, oder bringt einen Fact!“ unterbrach er mich.

„Hört mich nur einige Minuten an, Mr. Cutter! Ich bin überzeugt, daß Ihr meine Worte – –“

„Keine Worte! Einen Fact will ich haben!“ fiel er mir wieder in die Rede.

„Ich werde ja gar nicht viele Worte machen, ich will nur eine Frage aussprechen, welche – –“

„Unsinn! Eine Frage ist kein Fact!“

Da lief mir denn doch die Galle über; ich hielt mein Pferd mit einem Rucke an, fiel ihm in die Zügel, daß er auch halten mußte, und ließ meinen Zorn, den ich nicht beherrschen konnte, reden:

„Fact, Fact und wieder Fact! Ihr habt vorhin allerdings ein Fact nach dem andern gebracht und scheint stolz auf die falsche Logik zu sein, mit welcher Ihr sie verbindet. Ihr sagt, daß Ihr weder Gott noch Glauben braucht; ich aber sage Euch und bitte Euch, meine Worte wohl zu merken: Es wird Euch, wie die heilige Schrift sagt, schwer werden, gegen den Stachel zu lecken, und ich sehe es kommen, daß der Herrgott Euch einen Fact entgegenschleudern wird, an welchem Ihr zerschellen müßt wie ein dünnes Kanoe am Felsenrande, wenn Ihr nicht zu der einzigen Rettung greift, die im Gebete liegt. Möge der, an den Ihr niemals glaubtet und zu dem Ihr niemals betetet, Euch dann gnädig und barmherzig sein!“

Ich erschrak jetzt fast selbst über den Ton, in welchem meine Worte weit hinaus in die Wüste klangen. Es konnte hier in dieser weiten Ebene kein Echo geben; dennoch war es mir, als ob sie schmetternd zu uns zurückgeworfen würden, wohl eine Folge meiner Erregung. Er aber ließ ein kurzes Lachen hören und antwortete:

„Ihr habt eine wunderbare Begabung zum Hirten, der seine Schäflein weidet, Sir, doch bitte ich Euch, mich nicht als Schaf zu betrachten! Old Wabble wird niemals ein frommes Lämmlein sein; th’is clear!“

Wie oft hatte mir dieses th’is clear heimlich Spaß gemacht; jetzt widerte und ekelte es mich an, und ich fühlte, daß auch er selbst sich um meine ganze Zuneigung gebracht hatte. Ich antwortete kalt:

„Lämmlein oder nicht; aber ich will nicht wünschen, daß einmal ein Augenblick kommt, an welchem Ihr Euch so rettungslos verloren seht, daß Ihr mich knieend bittet, Euer Hirt zu sein!“

„Würdet Ihr dann mein kniefälliges Flehen erhören und mich auf grüne Weide führen, mein frommer Sir?“

„Ja, das würde ich, und wenn ich mein Leben daran setzen müßte. Jetzt aber kommt weiter! Wir sind fertig!“

Old Surehand und infolgedessen die Apatschen waren nämlich auch halten geblieben. Wir trieben unsre Pferde wieder an. Old Wabble blieb hinter mir zurück, während Old Surehand sich an seiner Stelle an meiner Seite hielt, zunächst ohne ein Wort zu mir zu reden.

Ich war tief, tief – – was denn? Verstimmt? Nein, das war das richtige Wort nicht. Ich war traurig, traurig wie noch selten; ich fühlte ein unendliches, heiliges Mitleid mit dem Alten, trotz des Hohnes, den ich von ihm geerntet hatte. Keinen Vater, keine Mutter, keinen Bruder, keine Schwester! Keinen Unterricht, niemals, aber auch nicht ein einziges, allereinziges Mal gebetet! Das war der berühmte king of the cowboys! Meine Drohung war mir ganz absichtslos über die Lippen geflossen; ich hatte grad so und nicht anders sprechen müssen. War ich das Werkzeug eines höheren Willens? Als später diese Drohung fast wörtlich in Erfüllung ging, war es mir, als ob ich es sei, der durch diese Prophezeiung den schrecklichen Tod des Alten heraufbeschworen habe, und es dauerte lange, ehe die Vorwürfe, die ich mir darüber machte, zum Schweigen kamen.

Old Surehand ritt schweigend neben mir. Er hatte alles gehört und schien darüber nachzudenken. Erst nach längerer Zeit unterbrach er das Schweigen, indem er mir die Frage vorlegte:

„Darf ich Euch stören, Sir? Ich sehe, daß Ihr in Euch versunken seid.“

„Es ist mir ganz lieb, aus diesen Gedanken geweckt zu werden.“

„Ihr wißt, daß ich viel von Euch habe sprechen hören; dabei wurde stets auch das erwähnt, daß Ihr fromm seid.“

„Hat man unter fromm dabei verstanden, daß ich das, was ich denke und glaube, stets im Munde führe?“

„Nein, es war vielmehr das Gegenteil der Fall.“

„Hat man sich lustig über diese sogenannte Frömmigkeit gemacht?“

„Nie. Ihr pflegt ja Eure religiösen Ansichten mehr in Thaten als in Worten auszusprechen, und das imponiert. Ich habe Euch dann auch genau so gefunden. Ihr habt von Religion kein Wort zu mir gesprochen.“

„Ist auch nicht nötig!“

„Vielleicht doch!“

„Wieso?“

„Weil – – – hm! Sagt einmal, Sir, Euer Leben ist wohl, ich meine nämlich Euer inneres, stets ein sehr ruhiges und gleichmäßig verlaufendes gewesen? Ihr habt als Kind gehört, daß es einen Gott gebe, und an ihn geglaubt; dieser Glaube ist nie angetastet worden und lebt nun als schöner Kinderglaube noch in Eurem Herzen? Das denke ich und werde mich nicht irren.“

„Ihr irrt.“

„Wirklich?“

„Ja, Ihr irrt. Es giebt keinen Sieg ohne vorhergehenden Kampf. Mein inneres Leben ist fast nicht weniger ereignisvoll gewesen wie mein äußeres. Der Strom auch des Seelenlebens fließt nicht immer gleichmäßig zwischen seinen Ufern; er hat seine Wellen und Wogen, seine Klippen und Versandungen, seine Wassermängel und Überschwemmungen.“

„Also Ihr habt auch gekämpft?“

„Oft bis zur Anstrengung der letzten Kraft! Aber es ist mir mit diesem Kampfe stets heiliger Ernst gewesen. Es giebt Millionen Menschen, welche durch das Leben gehen, ohne nach Klarheit zu ringen; ob Gott oder nicht, das ist ihnen gleich; es ist das ein Leichtsinn, über den man weinen könnte. Mir aber ist der höchste, ja der einzige Zweck meines Daseins der gewesen, zur Erkenntnis zu gelangen. Ja, ich habe das unendliche Glück gehabt, gläubige Eltern zu besitzen. Ich war der Liebling meiner Großmutter, welche im Alter von sechsundneunzig Jahren starb; sie lebte in Gott, leitete mich zu ihm und hielt mich bei ihm fest. Das war ein wunderbarer, seliger Kinderglaube, voll hingebender Liebe und Vertrauen. Ich habe als Knabe des Abends und des Morgens und auch noch viel außerdem dem lieben Gott alle meine kleinen Wünsche und Bitten vorgetragen. Ich erinnere mich, daß einst ein Schwesterchen schlimmes Zahnweh hatte; kein Mittel half; da tröstete ich sie: Paulinchen, ich gehe jetzt hinaus in die Schlafstube und sag’s dem lieben Gott; paß auf, da hört’s gleich auf! Werdet Ihr mich auslachen, Sir, wenn ich Euch versichere, daß es wirklich aufgehört hat?“

„Fällt mir nicht ein! Wehe dem Menschen, der über so etwas zu lachen vermag!“

„Ich könnte Euch viel erzählen, von höchst sonderbaren Wünschen, die ich da dem lieben Gott vorgetragen habe; er hat seine Engel, und wenn es Menschen sind, auch solche Bitten zu erfüllen. Später als Schüler begann ich nachzudenken. Ich bekam ungläubige Lehrer, welche ihre Verneinung in einen anziehenden Nimbus zu hüllen wußten. Ich studierte hebräisch, aramäisch, griechisch, um die heilige Schrift im Urtexte zu lesen. Der Kinderglaube verschwand; der Zweifel begann, sobald die gelehrte Wortklauberei anfing; der Unglaube wuchs von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht, denn ich opferte meine Nächte dem frevelnden Beginnen, die Wahrheit durch meine eigene Klugheit zu erfassen. Welche Thorheit! Aber Gott war barmherzig gegen den Thoren und führte ihn auch auf dem Wege des Studiums zu der Erkenntnis, daß jener fromme Kinderglaube der allein richtige sei. Meine nachherigen Reisen brachten mich mit den Bekennern aller möglichen Anbetungsformen in Berührung. Ich besaß nicht jenes Christentum, welches sich über allen Andersgläubigen erhaben dünkt, sondern ich prüfte auch hier; ich studierte den Kuran, die Veda, Zarathustra und Cong-fu-tse. Diese Lehren konnten mich nicht ins Wanken bringen wie früher die Werke unserer großen Philosophen, welche noch heut in meiner Bibliothek glänzen, weil ich sie außerordentlich schone, indem ich sie fast nie in die Hand nehme. Mein Kinderglaube ist also durch zahlreiche Prüfungen gegangen; er hat sich in ihnen voll bewährt und wohnt mir darum doppelt unerschütterlich im Herzen.“

„Glaubt Ihr, ihm auch ferner treu zu bleiben?“

„Bis in den Tod und darüber hinaus!“

Es lag ein tiefer, dringlicher Ernst in der Weise, wie er fragte. Ich begann zu ahnen, daß dieser gewaltige Jäger auch in seinem Innern jage – – nach der Wahrheit, die er vielleicht noch nicht kennen gelernt hatte oder die ihm wieder entrissen worden war. Da hielt er mir die Hand herüber und bat:

„Gebt mir einmal Eure Hand, Sir, und versprecht mir bei Eurer Seligkeit und bei dem Andenken jener alten Großmutter, die Euch heut noch teuer ist, mir genau nur so zu antworten, wie Ihr wirklich denkt!“

„Hier meine Hand; ich verspreche es. Es bedarf gar nicht des Hinweises auf meine Seligkeit und des Andenkens an jene alte, liebe Frau, die ich einst wiedersehen werde.“

„Giebt – – es – – einen – – Gott?“

Er zog diese vier Worte weit auseinander und betonte jedes einzelne von ihnen. Ja, es war ihm Ernst, wahrer Ernst.

Er hatte gerungen und gekämpft, mit heißer Anstrengung, war aber noch nicht zum Siege gelangt.

„Ja,“ antwortete ich mit derselben Betonung.

„Ihr glaubt, Eure Großmutter wiederzusehen; es giebt also ein Leben nach dem Tode?“

„Ja!“

„Beweise!“

„Ich beweise es Euch, indem ich zwei Koryphäen vorführe, deren Kompetenz über allen Zweifel erhaben ist.“

„Wer sind diese Personen?“

„Eine sehr, sehr hochstehende und eine ganz gewöhnliche.“

„Nun also, wer?“

„Gott selbst und ich.“

Er senkte den Kopf und schwieg lange, lange Zeit.

„Beleidigt Euch die Zusammenstellung des allerhöchsten Wesens mit einem Sterblichen, der an Eurer Seite reitet?“ fragte ich endlich, da er noch immer nichts sagte.

„Nein, denn ich weiß, wie Ihr es meint. Also Gott?“

„Ja. Er spricht in seinen Worten und in seinen Werken. Wer beiden die Ohren und die Augen willig öffnet, der wird und muß zu der Erkenntnis gelangen, die ich jetzt ausgesprochen habe.“

„Und Ihr?“

„Es ist die Stimme meines Herzens.“

„Ihr sagt das so ruhig und einfach, und doch ist es etwas so Großes um diese Stimme. Wollte doch Gott auch mein Herz reden lassen!“

„Bittet Gott darum; er wird sie erklingen lassen!“

„Sie war früher lebendig; dann ist sie gestorben!“

Das klang so sehnsüchtig, so traurig.

„Ihr waret einst auch gläubig, Mr. Surehand?“

„Ja.“

„Und habt den Glauben verloren?“

„Vollständig. Wer giebt ihn mir zurück!“

„Derjenige, welcher die Gefühle des Herzens wie Wasserbäche lenkt, und derjenige, welcher sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben! Ihr ringt und strebt nach dieser Wahrheit, Sir; kein Nachdenken und kein Studieren kann sie Euch bringen; aber seid getrost, Sir, sie wird Euch ganz unerwartet und plötzlich aufgehen, wie einst den Weisen im Morgenlande jener Stern, der sie nach Bethlehem führte. Euer Bethlehem liegt gar nicht weit von heut und hier; ich ahne es!“

Er hielt mir die Hand abermals herüber und bat:

„Helft mir dazu, Mr. Shatterhand!“

„Ich bin zu schwach dazu; die wahre Hilfe liegt bei Gott. Es müssen schlimme Mächte gewesen sein, die Euch das raubten, was jedem Menschen das Höchste und das Heiligste sein soll.“

„Ja; es waren Ereignisse, die mir alles nahmen, auch den Glauben. Ein Gott, der die Liebe, die Güte, die Gerechtigkeit ist, kann das nicht zugeben; wenn es trotzdem geschieht, so giebt es keinen Gott.“

„Dieser Schluß ist ein Trugschluß, Sir.“

„Nein!“

„Doch! Ihr spracht nur von Güte, Liebe und Gerechtigkeit; wollt Ihr nicht auch an die Allweisheit denken? Ich weiß nicht, was geschehen ist, und will auch nicht darnach fragen; aber sagt mir nur das Eine, Mr. Surehand: Seid Ihr etwa ein Gott?“

„Nein.“

„Ihr scheint Euch aber für einen zu halten!“

„Wie so?“

„Weil Ihr Euch unterfangen habt, mit Gott zu rechten und zu hadern; das kann nur unter Gleichstehenden geschehen.“

„Uff!“ ließ er sich leise hören. Die Richtigkeit meiner Logik schien ihm einzuleuchten.

„Ja,“ fuhr ich fort, „ich klage Euch an, Euch überhoben zu haben, indem Ihr den Herrgott und sein Walten vor Euern Richterstuhl gezogen habt, Ihr, die Handvoll Staub, den allmächtigen Schöpfer und Erhalter aller Himmel, Erden und Sterne! Bedenkt doch, was das ist: der Wahnsinn einer Insektenlarve, die den Adler aus dem Äther zur Rechenschaft herunter vor ihr winziges Löchlein fordert! Und dieser Vergleich bezeichnet den Abstand zwischen Gott und Euch noch immer nicht treffend genug! Sind Euch die Bücher des Allmächtigen aufgeschlagen, daß Ihr seine Ratschlüsse kritisieren dürft? Ist es seinem Willen nicht möglich, das, was Euch bedrückt, in Wohlthat zu verwandeln? Kann er nicht jene Ereignisse, welche Euern schwachen, kurzsichtigen Augen als Unglück erschienen, zu einem Ende führen, welches Euch vor seiner Allweisheit in den Staub sinken läßt? Darf das Kind, wenn es die Rute des Vaters fühlt, zu ihm sagen: Komm her und rechtfertige dich vor mir?“

„Ich – – hatte – – diese Rute – – nicht verdient,“ antwortete er zögernd wie einer, der nur etwas sagen will.

„Nicht verdient! Seid Ihr der Mann, darüber zu entscheiden? Glaubt Ihr, der einzige Mensch zu sein, welcher meint, es sei ihm unrecht geschehen? Haben nicht Tausende und Abertausende mehr, viel mehr gelitten als Ihr? Denkt Ihr etwa, daß zum Beispiel mein Himmel stets nur voller Geigen gehangen habe? Was heißt, nicht verdient? Ich wurde als ein krankes, schwaches Kind geboren, welches noch im Alter von sechs Jahren auf dem Boden rutschte, ohne stehen oder gar laufen zu können. Hatte ich das verdient? Seht Old Shatterhand jetzt an! Ist dieses Kind in ihm noch zu erkennen? Bin ich nicht vielmehr ein lebendes Beispiel jener Weisheit, mit welcher Ihr gehadert habt? Ich bin dreimal blind gewesen und mußte dreimal operiert werden. Hatte ich das verdient? Wer aber kann sich, von Winnetou abgesehen, heut rühmen, die scharfen Augen Old Shatterhands zu besitzen? Ich habe nie gemurrt und geknurrt wie Ihr, sondern getrost meinen Herrgott über mir walten lassen, und wie hat er alles, alles so herrlich hinausgeführt! Ich habe als armer Schüler und später als Student wochenlang nur trockenes Brot und Salz gehabt, weil ich keinen Menschen hatte, der mir half, und zu stolz zum Betteln war. Ich mußte mich durch Privatunterricht ernähren, und während andere Studenten das Geld ihrer Väter mit ihrer Gesundheit und dadurch oft auch ihre ganze Zukunft verjubelten, hielt ich im Winter mein Buch zum Dachfenster meines Bodenstübchens hinaus, um meine Lektion im Mondenschein zu absolvieren, weil ich kein Geld zu Licht und Feuerung hatte. Hatte ich das verdient? Und doch bin ich niemals irgend jemandem einen Pfennig schuldig gewesen und habe nur zwei Gläubiger gehabt; die waren Gott und ich: Gott, der mir ein Pfund verliehen hatte, um es auszubilden, und ich, der ich die strenge Forderung an mich stellte, keine Stunde meines Lebens vergehen zu lassen, ohne mir sagen zu können, daß sie pflichtgetreu ausgenützt worden sei und mir Früchte getragen habe. Gott war gütig mit mir; ich aber habe nie einen so strengen Gebieter gehabt, wie ich mir selbst einer gewesen bin. Und dann später in den langen Jahren meiner Reisen, Wanderungen und Jagdfahrten habe ich mich wie oft, wie oft in Lagen befunden, in denen ich auch fragen konnte: Habe ich das verdient? Aber der Ausgang ist stets so gut und glücklich gewesen, daß ich in Dankbarkeit die Hände falten und sagen mußte- Nein, das habe ich nicht verdient!“

Ich machte eine Pause. Old Surehand sah still vor sich nieder und sagte kein Wort; darum fuhr ich lebhaft fort:

„Ihr werdet Euch darüber wundern, daß ich in solchem Eifer gesprochen habe; aber wenn ich jemanden von verdient oder nicht verdient reden und über sein Schicksal murren höre, so treibt es mich, ihm gegenüber dem, was er von sich denkt, zu sagen, was ich von mir halte: Ich habe vor Gott weder Rechte noch Verdienste, sondern nur Pflichten gegen ihn; ich muß ihm täglich dafür danken, daß er mich erschaffen hat, um mich in diesem irdischen Leben für ein höheres vorzubereiten.“

„Könnte ich das auch!“ seufzte er jetzt. „Ihr habt Euch durchgerungen und seid innerlich gefestigt. Mich aber treibt das Schicksal von Ort zu Ort; so habe ich auch innerlich den haltenden Anker verloren und die Heimat und bin ruhelos geworden.“

„Ihr werdet die Ruhe da finden, wo sie allein zu suchen ist; der Kirchenvater Augustinus von Tagaste mag es Euch zeigen; er sagt: Des Menschen Herz ist ruhelos, bis es ruhet in Gott! Und von dem Weltheilande sagt eines unsrer schönsten Kirchenlieder:

„Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen,
Wenn ich in deiner Liebe ruh!
Ich traure nicht; was kann mich quälen?
Mein Licht, mein Trost, mein Heil bist du.“

„Die Ruhe, welche Ihr sucht, bleibt Euch unauffindbar außer in Gott und in der heiligen Religion. Und wenn Old Wabble vorhin in seiner sündigen Vermessenheit sagte, daß er beide nicht einmal zum Sterben brauche, so hoffe ich, daß Ihr ihn Euch nicht als Muster, sondern als abschreckendes Beispiel gelten laßt!“

„Keine Sorge, Mr. Shatterhand! Ich bin nicht ein Leugner und Verächter Gottes, sondern ich habe ihn verloren, und ringe darnach, ihn wiederzufinden.“

„Er wird Euch entgegenkommen und sich finden lassen.“

„Das hoffe ich von ganzem Herzen. Und nun laßt uns von diesem Thema abbrechen, sonst wird es mir zu viel auf einmal! Ihr seid vorhin streng mit mir verfahren, als Ihr mich an meine Nichtigkeit erinnertet; aber ich bin Euch dankbar dafür. Es ist mir, als ob ich Euch die Hände dankbar küssen müßte, denn es regt sich seit einer Viertelstunde etwas in meinem Herzen, was mich gemahnt wie eine Verheißung, daß mein Hoffen sich erfüllen werde. Ihr habt ein Licht entzündet, welches ich jetzt zwar in weiter, weiter Ferne sehe; aber rührt jetzt nicht daran, damit es nicht wieder verlösche: ich hege die Zuversicht, daß es mir immer näher kommen wird!“

Diese Worte machten mich glücklich. Sollte ich wirklich die Freude erleben, eine Seele durch meinen Fingerzeig zurechtgewiesen zu haben? Und zwar die Seele eines Mannes wie Old Surehand war! Es mußten außerordentliche und sehr traurige Verhältnisse gewesen sein, die ihn um seinen Glauben gebracht hatten. Er hielt sie geheim und sprach nicht von ihnen. Diese Verschwiegenheit war nicht etwa die Folge eines Mißtrauens gegen mich; er wollte nicht an den Wunden rühren, die wahrscheinlich noch heut in ihm bluteten. Hätte er doch gesprochen! Ich war, freilich ohne daß ich es wußte oder auch nur ahnte, in der Lage, ihm das Herz zu erleichtern und ihn auf die Spur zu bringen, nach welcher er lange, lange Zeit gesucht hatte, ohne sie entdecken zu können.

Unser Ritt nahm einen so ruhigen, ungestörten Verlauf, daß nichts über denselben zu sagen ist. Gegen Morgen hielten wir an, um unsre Pferde ausruhen zu lassen, und am späten Vormittage sahen wir links von uns die erste Stange und kamen auf die Fährte Winnetous und seiner Apatschen, zu denen Bloody-Fox nun sicher schon gestoßen war. Einen Kilometer von dieser Stelle entfernt steckte die zweite Stange, und indem wir diesen Pfählen folgten, gelangten wir sehr bald an unser Ziel.

Dieses, von den Apatschen, wie schon erwähnt, Gutesnontin-khai und von den Comantschen Suks-ma-lestavi genannt, was beides hundert Bäume bedeutet, lag am Rande der Wüste und war folgendermaßen beschaffen:

Die Grenze zwischen dem Llano und der westlich von ihm liegenden grünen Ebene verlief nicht in gerader Linie; sie war stellenweise sehr deutlich ausgesprochen, sonst aber kaum zu erkennen und bildete Aus- und Einbuchtungen, die bald nur klein und bald von großer Ausdehnung waren. Mit einer solchen kleinen Bucht hatte man es in Beziehung auf die hundert Bäume zu thun. Sie besaß die Gestalt eines Hufeisens, dessen ziemlich hoher Rand sich wie eine Böschung allmählich abwärts senkte. Im Hintergrunde entsprang ein Wasser, welches sich zunächst in einem Becken von vielleicht zwanzig Fuß Durchmesser sammelte und dann ostwärts abfloß, um nach und nach im Sande zu versiechen. Infolge der Feuchtigkeit gab es hier ein saftiges Gras, welches unsern Pferden sehr zu gute kam. Die Hufeisengestalt hob sich besonders dadurch von der Umgegend ab, daß die erwähnte Böschung bis hinauf auf ihre Höhe mit ziemlich dichtem Gebüsch bewachsen war, über welches dünnes Stangenholz zahlreich emporragte. Dieses Letztere hatte das Material zu den Pfählen geliefert, mit denen Schiba-bigk, allerdings vergeblich, bemüht gewesen war, den ihm nachfolgenden Comantschen den Weg nach der Oase des Llano zu bezeichnen. Man sah deutlich, wo er die Stangen abgeschnitten hatte, und überall lagen die Äste und Zweige zerstreut, welche unter den Messern seiner Leute gefallen waren.

Wir stiegen an der Quelle ab, um zunächst selbst zu trinken und dann auch die Pferde trinken zu lassen; sie thaten das in vollen Zügen und durften sich dann zerstreuen, um zu weiden. Dann lagerten wir am Wasser, und ich schickte vorsichtshalber einen Apatschen hinauf auf die Höhe, um westwärts Ausguck zu halten, damit wir nicht etwa von Vupa-Umugi überrascht würden.

Wir wollten hier nur für einige Stunden ausruhen; länger durften wir nicht verweilen. Als diese Zeit vergangen war, durften die Pferde nochmals trinken, und dann stiegen wir wieder auf, um uns nach dem Orte zu begeben, an welchem wir beabsichtigten, die Nacht zu verbringen.

Dieser lag ungefähr zwei englische Meilen nordwärts von den hundert Bäumen und bildete mitten in der Ebene eine Vertiefung, welche dem Thale des Sandes ähnelte, in dem wir Schiba-bigk mit seinen Leuten gefangen genommen hatten.

An diesem Orte gab es Sand und nichts als Sand, keinen einzigen Grashalm, und schon darum konnten die Comantschen kaum auf den Gedanken kommen, daß es irgend jemandem einfallen werde, dort eine ganze Nacht und vielleicht auch noch länger zuzubringen. Und außerdem gewährte diese Vertiefung auch noch deshalb ein fast ganz sicheres Versteck, weil ein Feind, wenn er sich nicht bis ganz an ihren Rand näherte, unmöglich sehen konnte, daß wir uns da befanden. Es gab überhaupt keinen Grund, der einen Comantschen veranlassen mochte, hierher zu kommen. In dieser Bodensenkung angelangt, hobbelten wir unsre Pferde an und legten uns in den tiefen, weichen Sand.

Natürlich stellten wir einen Posten aus, welcher oben auf der Höhe lag, um nach Vupa Umugi und seiner Schar auszuschauen.

Nach dem, was ich von Schiba-bigk erfahren hatte, war die Ankunft dieser Roten für heut abend zu erwarten. Ich wünschte sehr, daß sie nicht später kommen möchten, denn der Aufenthalt in unserm wasserlosen, traurigen Lagerorte war keineswegs ein angenehmer zu nennen.

Glücklicherweise erfüllte sich dieser Wunsch noch eher, als ich dachte, denn die Sonne hatte den Horizont noch lange nicht erreicht, als der erwähnte Posten von oben herunterrief.-

„Uff! Naiini peniyil – – die Comantschen kommen!“

Ich nahm mein Fernrohr und stieg mit Old Surehand hinauf. Trotzdem die Entfernung so groß war, daß wir nicht gesehen werden konnten, machten wir unsere Beobachtung nicht stehend, sondern liegend. Ja, sie kamen, und zwar in einer Weise, welche uns sagte, daß sie sich sehr sicher fühlten. Sie ritten nämlich nicht nach ihrer sonstigen Weise, besonders wenn sie sich auf dem Kriegspfade befinden, im sogenannten Gänsemarsche, sondern einzeln und in Trupps ganz nach Belieben neben- und hintereinander.

„Die wissen ganz genau, daß der Weg frei ist, und sind vollständig überzeugt, kein feindliches Wesen vor sich zu haben. Sie haben nicht einmal Kundschafter vorausgesendet,“ sagte Old Surehand. „Eigentlich ist das sehr unvorsichtig von ihnen.“

„Das meine ich auch,“ antwortete ich. „Ich an Vupa Umugis Stelle hätte Späher vorausgeschickt, um die hundert Bäume und ihre Umgebung absuchen zu lassen.“

„Gut, daß er das nicht thut; denn diese Kundschaftet würden wahrscheinlich unsre Fährte entdecken, die hierher führt.“

„Freilich! Ich habe mich eben auf seine Sorglosigkeit verlassen, sonst wären wir nicht direkt von dort nach hier geritten.“

„Man kann es von hier aus nicht deutlich sehen, ob es so ist, aber hoffentlich haben sie die gerade Richtung nach den hundert Bäumen. Sie brauchten gar nicht sehr weit nördlich abzuweichen, um uns hier zu finden.“

„Das thun sie sicher nicht!“

„Aber möglich ist es doch.“

„Kaum!“

„Ihr meint, daß sie die Spur von Schiba-bigk noch sehen können, und derselben folgen?“

„Nein. Sie sehen jetzt wahrscheinlich schon das Gebüsch vor sich am Horizonte. Und selbst wenn das nicht der Fall wäre, so würden sie sich auf ihre Pferde verlassen, welche die Feuchtigkeit der hundert Bäume schon in den Nüstern haben und sich sicher von ihr führen lassen.“

Die roten Reiter hatten, von uns aus gesehen, die scheinbare Größe kleiner Hunde, die ganz genau nach Osten liefen und, immer kleiner und kleiner werdend, endlich in dieser Richtung unsern Augen entschwanden.

Nun war es allerdings eine für uns sehr wichtige Frage, ob sie unsre Spuren finden würden. Eigentlich mußten sie sie sehen; es kam nur darauf an, ob sie sie beachteten. In diesem Falle nahm ich an, daß sie sie für die Spuren Schiba-bigks halten würden, und grad darum hatten wir unsre Stiefel gegen indianische Mokassins vertauscht.

Faßten sie Verdacht, so kamen sie ganz sicher sofort her zu uns geritten. Wir schauten also in großer Erwartung nach Süden aus, woher sie in diesem Falle kommen mußten; aber es verging eine Stunde und noch mehr, ohne daß sich jemand sehen ließ, und als dann die Sonne sank und die kurze Dämmerung anbrach, durften wir uns sagen, daß wir keine Entdeckung zu befürchten hätten. Wir verließen also den hohen Rand der Vertiefung und stiegen wieder hinunter zu unsern Leuten. Dort empfing uns Old Wabble mit den Worten:

„Also sie sind da. Eigentlich sollte man sich den Spaß machen, sie während der Nacht zu überrumpeln und niederzuschießen.“

„Das nennt Ihr einen Spaß?“ fragte ich.

„Warum nicht? Haltet Ihr es für etwas Trauriges, seine Feinde zu besiegen?“

„Nein; aber ebensowenig halte ich es für einen Spaß, anderthalb hundert Menschen umzubringen. Ihr kennt ja meine Meinung in dieser Beziehung. Wir lassen sie, so wie es ausgemacht worden ist, ruhig weiterziehen und schließen sie später ein. Da werden sie ohne alles Blutvergießen unser.“

„Weiterziehen, ja! Wenn sie das aber morgen früh nicht thun, sondern den ganzen Tag hier bleiben? Wo bekommen wir da das notwendige Wasser für uns und die Pferde her?“

„Sie bleiben nicht; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Es kann ihnen gar nicht einfallen, einen ganzen Tag zu verlieren. Und selbst wenn ihnen ein solcher Zeitverlust gleichgültig wäre, müßten sie schon morgen früh die hundert Bäume verlassen, um dem Militär Platz zu machen.“

„Ob dieses aber kommen wird?“

„Das werden wir sehr bald erfahren.“

„Von wem?“

„Von den Comantschen.“

„Wollt Ihr sie belauschen?“

„Ja.“

„Herrlich, herrlich! Da gehe ich mit!“

„Ist nicht nötig!“

„Wenn auch nicht nötig, aber ich gehe doch mit!“

„In einer Lage, wie die unsrige ist, hat man nur das Nötige zu thun und alles andre zu unterlassen. Man begiebt sich sonst in Gefahren, die man leicht vermeiden kann.“

„Ist es keine Gefahr, wenn Ihr lauschen geht?“

„Unter Umständen allerdings.“

„Und ist es da nicht geraten für Euch, jemand mitzunehmen, der Euch helfen kann?“

„Helfen? Hm! Wolltet etwa Ihr mir helfen?“

Yes.“

„Danke! Ich verlasse mich viel lieber auf mich als auf Euch, Mr. Cutter.“

„So wollt Ihr wirklich allein gehen?“

„Nein. Mr. Surehand wird mich begleiten.“

„Aber warum denn nicht ich?“

„Weil ich so will. Damit mag diese Angelegenheit abgethan sein.“

„Also habt Ihr zu ihm mehr Vertrauen als zu mir?“

„Ob dies der Fall ist oder nicht, das ist gleichgültig; ich nehme ihn mit, und Ihr bleibt hier!“

Ich sah es ihm an, daß er eine zornige Entgegnung auf den Lippen hatte; er beherrschte sich aber und schwieg. Er mit seiner Unvorsichtigkeit wäre der letzte gewesen, den ich mit zu den Comantschen hätte nehmen mögen!

Da ich annahm, daß diese morgen früh zeitig aufbrechen würden, war vorauszusehen, daß sie sich heut zeitig schlafen legten. Also durfte ich nicht lange warten, falls ich sie belauschen und wirklich etwas erfahren wollte. Darum ließ ich nach dem Einbruche der völligen Dunkelheit nicht mehr als eine Stunde vergehen, um mich mit Old Surehand auf den Weg zu machen. Später, wenn der Mond aufging, war es schwerer als jetzt, unentdeckt zu bleiben.

Wir benutzten unsere eigene Fährte als Weg und wendeten uns, bei den hundert Bäumen angekommen, zunächst nach der Höhe der Hufeisenbucht, um, wie die Vorsicht es erforderte, nachzuforschen, ob dort Wachen standen. Es dauerte sehr lange, ehe wir den ganzen Halbkreis abgesucht hatten, ohne einen Comantschen zu entdecken. Vupa Umugi hatte hier oben keine Posten ausgestellt; er mußte seiner Sache außerordentlich sicher sein.

Unten am Wasser brannten mehrere kleine Feuer, die durch die abgeschnittenen Äste und Zweige unterhalten wurden, die wir hatten herumliegen sehen. An der Quelle schien der Häuptling mit seinen hervorragendsten Kriegern zu sitzen; die andern hatten sich zu beiden Seiten des Wasserlaufes gelagert, wie weit hinaus, das konnten wir nicht sehen. Auch die Pferde sahen wir nicht; es war jetzt noch zu dunkel dazu. Ob da unten, nach dem Llano hin, Posten standen, das entging unsern Augen ebenso, konnte uns aber gleichgültig sein, weil wir nach dieser Seite hin nicht kamen.

Es war unsre Aufgabe, uns dem Häuptlinge möglichst weit zu nähern, um ihn günstigen Falles sprechen zu hören. Wir machten uns also in das Gesträuch und krochen, Old Surehand hinter mir her, zwischen den Büschen die Böschung hinab. Dies war nicht sehr leicht, weil sich unter unsern Füßen jeden Augenblick ein Teil des sehr lockeren Bodens lösen und durch das beim Hinabrollen verursachte Geräusch uns verraten konnte. Die Indianer verhielten sich so ruhig, daß ein solches Geräusch unbedingt gehört werden mußte. Ich setzte also bei jedem Schritte den Fuß erst tastend voran, um die betreffende Stelle durch das Gefühl zu untersuchen. Es ging also langsam, sehr langsam, und es war während dieses Hinabsteigens gewiß eine Stunde vergangen, als wir endlich hinter einem dichten Strauche lagen, welcher dem Quell so nahe stand, daß wir die daran lagernden Roten sprechen hören konnten – -wenn sie überhaupt sprachen.

Sie sprachen aber nicht. Sie saßen stumm und bewegungslos bei einander und sahen in die glimmende Helle des kleinen Feuers, an welchem, wie der noch bemerkbare Geruch uns zeigte, Fleisch gebraten worden war. Wir warteten eine Viertelstunde und noch eine; es blieb so still wie bisher, und man hätte meinen können, es mit leblosen Figuren zu thun zu haben, wenn nicht einer der Indsmen den Arm zuweilen bewegt hätte, um einen Zweig in das Feuer zu legen. Schon stieß Old Surehand mich an, ein fühlbares Fragezeichen, ob es nicht besser sei, wieder zu gehen, da ertönte draußen außerhalb des Lagers plötzlich ein lauter Ruf, dem mehrere andre Rufe folgten. Da draußen standen also doch Posten, und diese schienen etwas Auffälliges bemerkt zu haben, denn die Rufe mehrten sich und wurden so dringend, daß sie das ganze Lager alarmierten. Vupa Umugi sprang auf, und die bei ihm Sitzenden thaten ebenso. Der Lärm wurde größer, und das Rufen war bald hier und bald dort zu hören. Es klang genau so, als ob jemand gejagt werde, den man fangen wolle. Es bemächtigte sich meiner eine Besorgnis, die ich nicht von mir weisen konnte, obwohl ich es gern wollte.

„Was mag das sein?“ fragte mich Old Surehand leise.

„Es klingt, als ob ein Mensch hin und her getrieben würde,“ antwortete ich ebenso flüsternd.

„Ja, es ist jemand, der gefangen werden soll; ich irre mich nicht; man kann es deutlich hören. Wer aber mag es sein? Sollte – – – –?“

Er sprach die Frage nicht aus.

„Was wolltet Ihr sagen?“ fragte ich.

„Nichts, Sir. Es wäre wirklich zu toll von ihm!“

„Von wem?“

„Von – – doch nein, es ist nicht möglich!“

„Es ist möglich. Ich weiß, wen Ihr meint.“

„Nun, wen?“

„Old Wabble.“

„Teufel! Auch Ihr denkt es?“

„Es ist ihm zuzutrauen.“

„Ja, er ist auf das Anschleichen geradezu versessen, und da er vorhin gar so gern mit wollte, so – – horcht!“

Es war ein Ruf, der linker Hand draußen erscholl:

„Sus taka – – ein Mann!“

Und gleich darauf hörten wir von rechts, jenseits des Gebüsches her, rufen:

„Sus kava – – ein Pferd!“

Dann wurde es still; aber wir bemerkten, mehr mit den Ohren als mit den Augen, eine Bewegung, welche sich uns näherte. Es wurde von links und dann auch von rechts her jemand oder etwas gebracht. Wer oder was mochte es sein?

Um dies zu erfahren, brauchten wir gar nicht lange zu warten. Die Befürchtung, welche wir ausgesprochen hatten, erfüllte sich zu unserm Schrecken. Eine Anzahl von Comantschen brachten – – Old Wabble geführt; er war entwaffnet und mit Riemen streng gefesselt. Und einige Augenblicke später wurde auch sein Pferd gebracht. Er war uns also gefolgt, und zwar zu Pferde. Welch ein Unsinn! Daß ihm solche Eigenmächtigkeiten zuzutrauen waren, das wußte ich aus Erfahrung; daß er sich aber vornehmen werde, zu Pferde anzuschleichen, eine solche Dummheit hätte ich ihm denn doch nicht zugetraut.

Er brachte uns durch diese Albernheit nicht nur in große Verlegenheit, sondern in die augenscheinlichste Gefahr. Die Comantschen mußten sich doch sagen, daß er nicht allein hier sein könne, sondern Gefährten bei sich haben müsse. Die Sorge um uns selbst erforderte eigentlich, daß wir uns sofort entfernten; aber konnten oder durften wir das? Mußten wir nicht vielmehr bleiben, um zu erfahren, was geschah? Der Alte war trotz seiner großen Unvorsichtigkeit ein pfiffiger Kerl; vielleicht kam er auf eine Aussage, weiche den Verdacht der Roten ablenkte.

„Uff, Old Wabble!“ rief Vupa Umugi aus, als er den Alten erblickte. „Wo habt ihr ihn ergriffen?“

Der Rote, an den diese Frage gerichtet war, antwortete:

„Er lag mit dem Bauche im Grase und schlich durch dasselbe wie ein Coyote, der auf Raub ausgeht. Und unsre Pferde wurden unruhig, denn sie rochen das seinige, welches er da draußen jenseits unsrer Posten angepflockt hatte.“

„Hat er sich gewehrt?“

Pshaw! Er wollte fliehen, und wir jagten ihn wie einen räudigen Hund hin und her; als wir ihn dann ergriffen, wagte er nicht, sich zu verteidigen.“

„Habt ihr noch andre Weiße gesehen?“

„Nein.“

„So geht und sucht nach Spuren von ihnen. Dieses alte Bleichgesicht kann sich nicht ganz allein hier am Rande des Llano estacado befinden.“

Der Krieger ging, um in diesem Sinne nachzuforschen, und der Häuptling setzte sich mit seinen Leuten so ruhig nieder, als ob nicht das geringste vorgekommen wäre. Er sah Old Wabble, der, von zwei Roten gehalten, vor ihm stand, mit drohendem Blicke an, zog sein Messer, stieß es vor sich in die Erde und sagte dann zu ihm.

„Hier steckt das Messer des Verhöres, Es kann dich töten, dir aber auch das Leben lassen. Du hast das in deiner Hand. Wenn du die Wahrheit sagst, wirst du dich retten.“

Das Auge des king of the cowboys schweifte herüber in das Gebüsch; es suchte nach uns, aber glücklicherweise nur mit einem kurzen Blicke. Hätte er sich in dieser Beziehung nicht beherrscht, so hätte er uns sehr leicht verraten können.

„Wo hast du deine Begleiter?“ fragte der Häuptling.

„Ich habe keine,“ antwortete der Alte.

„Du bist allein?“

„Ja.“

„Das ist eine Lüge!“

„Es ist die Wahrheit!“

„Wir werden sie suchen und finden.“

„Ihr werdet niemand finden.“

„Wenn es sich herausstellt, daß du lügest, wirst du schuld sein an dem harten Tode, den ihr erleiden werdet.“

„So laß nur suchen; ich habe nichts dagegen!“

„So sage mir, was du hier am Rande des Llano estacado zu schaffen hast! Wirst du etwa die Ausrede machen, daß du hierhergekommen seist, um zu jagen?“

„Nein, so dumm ist Old Wabble nicht. Aber dennoch möchte ich es sagen, denn es ist wirklich wahr.“

„Was könntest du jagen wollen? Es giebt hier kein Wild.“

„Es giebt welches, und zwar viel.“

„Welcher Art?“ lachte Vupa Umugi verächtlich.

„Rotwild.“

„Uff!“

„Ja, Rotwild, nämlich Indianer. Ich kam hierher, um euch zu jagen.“

Er war sehr kühn. Wahrscheinlich verließ er sich auf uns. Er schien überzeugt zu sein, daß wir in der Nähe steckten und ihn hörten. Und sehr wahrscheinlich nahm er es als ganz selbstverständlich an, daß wir ihn nicht in seiner jetzigen unglücklichen Lage stecken lassen würden. Es war aber vorauszusehen, daß er sich in dieser Beziehung täuschte. Hatte er sich, was ganz wörtlich zu nehmen war, „hineingeritten“, so mochte er nun zunächst selbst sehen, wo er blieb; wir mußten vor allen Dingen für uns selbst sorgen und darauf bedacht sein, nicht auch ergriffen zu werden. Wir durften nicht, um ihn zu befreien, unser Leben wagen und dabei das Gelingen unsres ganzen schönen Planes so leichtsinnig, wie er es gethan hatte, in die Schanze schlagen.

Die mutige Antwort des Alten hatte den Häuptling frappiert; man sah es ihm an. Er zog die Brauen finster zusammen und sagte in drohendem Tone:

„Old Wabble mag sich ja hüten, meinen Zorn zu erwecken!“

„Wozu diese Drohung? Du hast ja gesagt, daß ich die Wahrheit sagen soll.“

„Ja; aber du sprichst sie nicht!“

„Beweise das!“

„Hund, wie kannst du, der du unser Gefangener bist, Beweise von mir verlangen! Deine eigene Rede ist der Beweis, der dich überführt. Du sagst, du seist gekommen, uns zu jagen. Kann ein einzelner Mann zehnmal fünfzehn rote Krieger jagen?“

„Nein.“

„Und doch behauptest du, allein hier zu sein!“

„Das ist auch wahr; ich bin nur als Kundschafter hier; die andern kommen nach. Und ich warne euch! Wenn ihr mir etwas thut, werden sie mich blutig an euch rächen.“

Pshaw! Wer sind die Leute, mit denen du es wagst, uns zu drohen?“

„Ich sollte es eigentlich nicht sagen, denn ihr habt keine Ahnung davon, daß sie euch auf den Fersen sind; aber es macht mir Spaß, euch schon jetzt die Augen zu öffnen, was kein Fehler von mir ist, weil es ganz unmöglich ist, daß ihr ihnen entgehen könnt.“

Er zog sein altes, faltenreiches Gesicht in eine triumphierende Miene und fuhr fort:

„Kennst du den Häuptling Nale-Masiuv?“

„Natürlich kenne ich ihn.“

„Er hat es gewagt, weiße Reiter anzugreifen und ist geschlagen worden.“

„Uff!“ antwortete Vupa Umugi, mehr nicht.

„Er ist dann so unvorsichtig gewesen, Boten zu euch zu senden. Das Militär hat die Fährte derselben entdeckt und ist ihr gefolgt.“

„Uff!“

„Die Soldaten sind durch die Fährte zum blauen Wasser geführt worden, wo euer Lager war. Ihr hattet dasselbe schon verlassen; da sind sie hinter euch her, und mich haben sie vorangesandt, um als Kundschafter zu entdecken, wo ihr heut Lager macht. Ihr habt mich zwar gefangen, werdet mich aber wieder freigeben müssen, denn sie kommen mir nach und werden euch bis auf den letzten Mann vernichten!“

„Gott sei Dank!“ rief ich in meinem Innern aus; denn dies war die beste, ja die einzige Ausrede, die er machen konnte. Nur auf diese Weise war es möglich, ihren Verdacht von uns abzulenken und sie glauben zu lassen, daß er wirklich allein gekommen war. Ja, er war ein alter, pfiffiger Kerl, was aber den Zorn, den ich gegen ihn hegte, nicht im mindesten abschwächen konnte.

Vupa Umugi machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte:

„Old Wabble mag ja nicht zu viel und zu früh triumphieren. Er wird der Indianertöter genannt, und wir alle wissen ganz genau, daß noch nie ein roter Krieger vor seiner Kugel oder seinem Messer Gnade gefunden hat. Wir sind sehr froh, ihn erwischt zu haben, und werden uns sehr hüten, ihn freizugeben; er wird vielmehr ganz sicher am Marterpfahle sterben und mit den größten, ausgesuchtesten Schmerzen alle die Morde büßen, die er begangen hat!“

„Das sagst du jetzt; es wird aber ganz anders kommen,“ entgegnete Cutter im Tone der Überlegenheit.

„Hund, sei nicht so keck!“ fuhr ihn der Häuptling an. „Glaubst du wirklich, uns etwas für uns Neues gesagt zu haben? Wir wissen längst, daß die weißen Soldaten mit Nale Masiuv gekämpft haben. Sie sind Sieger geblieben, aber für kurze Zeit, denn er hat heimgesandt und noch weitere hundert Krieger kommen lassen.“

„Ah!“ rief Old Wabble aus, indem er sich enttäuscht stellte.

„Ja,“ fuhr der Häuptling fort, nun seinerseits triumphierend. „Und ebenso genau wissen wir, daß diese weißen Hunde hinter uns her sind. Wir selbst haben das ja so gewollt, denn wir haben sie uns nachgelockt, um sie zu verderben.“

„Du machst da einen großen Mund und sagst das nur, um mir Angst zu machen, was dir aber nicht gelingen wird.“

„Schweig! Was ich sage, das ist wahr! Ihr wollt uns vernichten, werdet aber selbst bis auf den letzten Mann getötet werden!“

Pshaw!“

„Schweig! Ich sage dir, daß wir euch eine Falle gestellt haben, aus welcher kein Entkommen ist.“

„Ja, vielleicht, wenn wir so dumm sind, hineinzulaufen.“

„Du bist ja schon hineingelaufen; du befindest dich ja schon drin!“

„Um so aufmerksamer und vorsichtiger werden die weißen Soldaten sein.“

„Sie laufen auch hinein; sie können gar nicht anders.“

„Oh!“

Dieser wegwerfende Ausdruck des Unglaubens machte den Häuptling noch zorniger; er fuhr den Alten an:

„Wenn du noch ein einziges solches Wort sagst, werde ich dir den Mund stopfen lassen. Wir sind nur darum von dem blauen Wasser hierher geritten, damit die Soldaten uns folgen sollen. Wir werden auch dieses Lager verlassen, um sie in die Wüste zu führen, wo sie elend umkommen müssen.“

„Umkommen? Sie werden kämpfen und euch besiegen!“

„Es wird zu gar keinem Kampfe kommen. Wir locken sie tief in den Sand hinein, wo es kein Wasser giebt; dort werden sie verschmachten, ohne daß ihnen ihre Waffen etwas nützen.“

„Sie werden sich hüten, sich von euch irreleiten zu lassen.“

„Sie werden es thun; ich weiß das genau. Denkst du, daß wir keine Augen und keine Ohren haben? Sie lagern in dieser Nacht nur einige kurze Reitstunden hinter uns und werden einige Zeit nach Tagesanbruch hier ankommen. Da sind wir schon fort, und sie werden uns folgen. Hinter ihnen aber kommt dann Nale-Masiuv mit viel mehr als hundert Kriegern. Dadurch geraten sie zwischen ihn und uns, zwischen den Hunger, den Durst und unsre Gewehre und werden auf das elendeste umkommen müssen.“

Thunder-storm!“ rief Old Wabble in einem Tone aus, als ob er sehr erschrocken sei.

„Ja, da fährt dir das Entsetzen in die Glieder!“ lachte der Häuptling grimmig. „Du mußt einsehen, daß ihr verloren seid. Aber ich habe noch ein andres Wort mit dir zu sprechen. Wo sind die Bleichgesichter, die sich am blauen Wasser bei dir befanden?“

„Bleichgesichter? Wen meinst du da?“

„Old Shatterhand.“

„Ah, den!“

„Ja, den. Auch Old Surehand, den ihr uns entrissen habt, und die andern alle.“

„Wo die sind, weiß ich nicht.“

„Lüge nicht!“

„Ich lüge nicht. Wie kann ich wissen, wo sie sind?“

„Sie waren doch bei dir!“

„Ja, an diesem einen Tage; dann haben wir uns von einander getrennt.“

„Das machst du mich nicht glauben. Du willst mir verschweigen, daß sie sich bei den Soldaten befinden!“

„Bei den Soldaten? Fällt ihnen nicht ein. Old Shatterhand ist nicht der Mann, sich zu solchen Leuten zu gesellen und seine Selbständigkeit dadurch einzubüßen. Oder glaubst du vielleicht, daß er sich dazu erniedrigt, ihren Spion zu machen?“

„Old Shatterhand ist stolz,“ gab der Häuptling zu.

„Nicht bloß das. Er ist ein Freund sowohl der Weißen als auch der Roten. Wird er sich da wohl in den Streit mengen, der zwischen ihnen ausgebrochen ist?“

„Uff, das klingt wahr.“

„Und hat er nicht am blauen Wasser Frieden mit dir geschlossen?“

„Auch das ist richtig. Aber wo befindet er sich?“

„Er ritt den Rio Pecos hinab, um in den Wohnungen der Mescalero-Apatschen mit Winnetou zusammenzutreffen.“

„Ritt er allein?“

„Nein, die andern alle begleiteten ihn.“

„Warum du nicht auch?“

„Weil ich zu den Soldaten wollte, deren Scout ich jetzt bin.“

„Solltest du wirklich so allein geritten sein? Das glaube ich nicht. Deine letzteren Worte erregen meinen Verdacht aufs neue. Old Shatterhand ist bei euch!“

„Nein!“

„Ich bin überzeugt davon!“

„Ich habe Vupa Umugi für weit klüger gehalten, als er sich jetzt zeigt. Sieht er denn nicht ein, daß er sich mit seinem Mißtrauen eine große Blöße giebt?“

„Nein.“

„Das bedaure ich. Ist Old Shatterhand während eines Kriegszuges nicht mehr wert als hundert Krieger? Und ist Old Surehand ihm in dieser Beziehung nicht gleich? Wenn sich so berühmte Männer bei uns befänden, würde ich es dir da nicht sagen, um dir Angst zu machen, dich an mir zu vergreifen?“

„Uff!“ nickte der Häuptling zustimmend.

„Es würde für mich ein großer Vorteil sein, wenn ich dir mit diesen beiden Bleichgesichtern drohen könnte. Wenn ich das nicht thue, mußt du einsehen, daß sie wirklich nicht mit bei uns sind.“

„Uff!“ erklang es abermals bejahend.

„Also, wollte ich eine Lüge erfinden, so würde ich doch lieber sagen, daß diese beiden kommen werden, um mich zu retten, als daß ich dies verneine. Wenn Vupa Umugi das nicht einsieht, steht es schlimm um seinen Verstand.“

„Was geht dich mein Verstand an, Hund! Ich weiß nun, woran ich bin, und es wird darauf ankommen, ob meine Krieger, welche jetzt die ganze Gegend nach Gefährten von dir absuchen, jemand finden oder nicht. Auf alle Fälle aber bist du verloren. Denke nicht, daß wir dich sofort töten! So leicht kommt der Indianermörder nicht davon. Wir nehmen dich mit, denn unser ganzes Volk soll dich sterben sehen und über deine Qualen jubeln. Auch sollst du bei uns sein, um mit eigenen Augen dich zu überzeugen, daß ich die Wahrheit sagte, als ich behauptete, daß die bleichen Soldaten in der Wüste elend umkommen werden. Nun, was ist’s, was hast du zu melden?“

Er richtete diese Frage an einen Roten, der jetzt herbeigeritten kam und vom Pferde sprang. Dieser antwortete:

„Wir haben die ganze Gegend umkreist und abgesucht, doch niemand gefunden. Dieses Bleichgesicht hat sich also ganz allein in unsre Nähe gewagt.“

„Er wird das Wagnis mit dem Leben bezahlen. Bindet ihm nun auch die Füße, und fesselt ihn so eng, daß er sich nicht bewegen kann! Fünf Krieger mögen ihn bewachen und mit ihren Köpfen für ihn haften. Auch mögen Wachen den Rand da oben hinter uns besetzen, damit wir uns keiner Unvorsichtigkeit schuldig machen!“

Diese Unvorsichtigkeit hatte er freilich schon begangen und uns dadurch die heimliche Annäherung bedeutend erleichtert. Nun galt es, uns sehr schnell zu entfernen und ja nicht zu warten, bis die Posten sich da oben aufstellten, sonst liefen wir Gefahr, von ihnen entdeckt zu werden. Wir krochen also schleunigst, doch möglichst leise, die Böschung hinauf, wobei wir uns freilich nicht so viel Zeit nehmen konnten, wie vorhin beim Abwärtssteigen.

Oben angekommen, eilten wir zunächst mit schnellen Schritten so weit fort, daß wir fern genug waren, um nicht gesehen und gehört zu werden; dann konnten wir diese Eile mäßigen.

„Jetzt, Sir, was sagt Ihr dazu?“ fragte mich Old Surehand.

„Fatal, ja weit, weit mehr als fatal!“ antwortete ich.

„Das ist ein sehr böser Streich, den uns der Alte da wieder gespielt hat.“

„Glücklicherweise für ihn böser als für uns.“

„Ja. Nachdem das Unglück einmal fertig war, hat er sich gar nicht übel benommen.“

„Es ist schade, jammerschade um ihn! Er ist sonst ein ganz tüchtiger Kerl, und wenn er nicht die Angewohnheit hätte, so sinnlos selbständig zu handeln, wäre er sehr gut zu brauchen. So aber muß man mit ihm vorsichtiger als mit irgend einem Greenhorn sein. Er ist ein Mensch, der am besten für sich allein bleibt, denn jeder Gesellschaft, der er sich anschließt, muß er gefährlich werden.“

„Er verläßt sich natürlich auf unsre Hilfe.“ „Selbstverständlich. Wir sollen ihn herausholen.“

„Wird das gehen?“

„Ja. Wir dürfen ihn nicht verlassen.“

„So wollt Ihr ihn noch im Laufe dieser Nacht befreien?“

„Nein, das ist unmöglich.“

„Hm! Ich denke, Euch ist auch das nicht zu schwer.“

„Dank für dieses Vertrauen! Wenn ich von einer Unmöglichkeit sprach, so habe ich nicht die Befreiung an sich selbst gemeint. Warum sollten wir ihn nicht noch in dieser Nacht losmachen können, Ihr und ich? Ich glaube, wir haben noch ganz andre Dinge fertig gebracht. Das Leben wäre freilich dabei zu riskieren, doch bin ich überzeugt, daß es gelingen würde. Aber die Roten würden erfahren, daß wir hier sind, und das dürfen sie nicht. Sollen wir unser ganzes schönes, wohlüberlegtes Unternehmen eines Mannes wegen in Frage stellen, der es wiederholt gefährdet, indem er immer und immer neue Dummheiten begeht?“

„Nein.“

„Es handelt sich jetzt nicht um sein Leben; das haben wir gehört. Er ist freilich nicht grad auf Rosen gebettet; das hat er sich aber selbst zuzuschreiben und mag als wohlverdiente Strafe gelten. Die Roten mögen ihn mitnehmen; wir können das nicht ändern. Später, wenn sie in der Falle stecken, werden sie ihn freigeben müssen.“

„Wenn sie ihn nicht als Geisel betrachten.“

Pshaw! Darauf gehen wir natürlich nicht ein.“

„Es ist mir völlig unbegreiflich, daß ein Mann, noch dazu von seinem Alter, fortgesetzt derartige Streiche auszuführen vermag. Gute Lehren hat er genug bekommen.“

„Die haften nicht, weil es bei ihm geradezu an der Möglichkeit fehlt, sich unterzuordnen.“

„Uns nachzukommen, um sich auch anzuschleichen! Und gar zu Pferde! Das kann man nicht anders als verrückt nennen! Meint Ihr nicht auch, Sir?“

„Ja; aber wie bei jedem Unglücke ein Glück zu sein pflegt, so auch hier, denn wir können sehr froh sein, daß er das Pferd bei sich hatte.“

„Warum?“

„Weil die Comantschen sicherlich danach gesucht und nicht eher geruht hätten, als bis sie wußten, woran sie waren.“

„Ah! Da hätten sie uns entdeckt!“

„Gewiß. So unbegreiflich es mir ist, daß jemand auf den verrückten Gedanken kommen kann, sich im Sattel anzuschleichen, so zufrieden bin ich jetzt damit, daß es geschehen ist. Der Häuptling ist beruhigt und wird nicht suchen lassen.“

„Hm! Wollen es hoffen!“

„Ich bin überzeugt davon. Selbst wenn sein Mißtrauen zurückkehren sollte, hat er keine Zeit, lange Forschungen anzustellen. Wir haben ja gehört, daß die Kavallerie zeitig kommen wird. Da muß er fort sein.“

„Das ist glücklicherweise wahr, und wir können sagen, daß wenigstens wir beide unsre Zwecke erreicht haben. Erst hatte es gar nicht den Anschein, als ob wir etwas hören und erfahren würden, und erst das Erscheinen des alten Wabble öffnete dem Häuptlinge den Mund. Also haben wir Cutter es zu verdanken, daß wir etwas erlauschten. Wir könnten das für ihn als Milderungsgrund gelten lassen, wenn wir geneigt sein sollten, ihm zu verzeihen.“

„Danke! Ich habe ihm schon oft genug verziehen; das hört nun auf. Hier giebt es keinen Milderungsgrund. Wo es sich wieder und immer wieder um die Freiheit und das Leben handelt, wäre es der reine Selbstmord, wenn man sich nicht gegen derartige Gefahren schützte. Und der einzige Schutz, den es hier giebt, besteht darin, daß man die Wiederholung solcher Streiche unmöglich macht.“

„Aber wodurch?“

„Dadurch, daß man sich von dem alten Wabble trennt. Ich verzichte auf seine Gesellschaft. Wenn er die Freiheit wieder hat, mag er reiten, wohin er will. Ich habe mich freilich erst gefreut, ihn kennen zu lernen; er hat mir aber diese Freude ganz gehörig vergällt. Jetzt ist es wahrlich kein Vergnügen mehr, ihn bei sich zu haben und Dummheit über Dummheit begehen zu sehen. Da ist mir denn doch der unerfahrenste Neuling lieber. Ein Greenhorn fügt sich und folgt dem erfahrenen Westmann in der Überzeugung eben seiner Unerfahrenheit; hier aber giebt es einen alten Horseman, der stolz darauf ist, einst der König der Cowboys geheißen zu haben, und in diesem Stolze es unter seiner Würde hält, sich einem andern Willen als dem seinen unterzuordnen. Ein guter Cowboy mag ein braver Hirt und Reiter, vielleicht auch ein leidlicher Schütze sein; zu einem tüchtigen Westmann aber gehört mehr, weit mehr!“

Ich war in Eifer geraten und hätte wohl noch weiter räsonniert, wenn wir nicht jetzt unser Lager erreicht hätten.

Als die Apatschen erfuhren, daß Old Wabble von den Comantschen gefangen worden sei, sagte derjenige von ihnen, welcher der älteste war und also für die andern das Wort zu führen hatte:

„Das alte Bleichhaar ritt fort, ohne uns zu fragen. Konnten wir ihn halten?“

„Nein,“ antwortete ich. „Er hätte auf keinen Fall auf euch gehört. Aber warum stieg er zu Pferde, anstatt zu Fuße zu gehen? Wißt ihr das?“

„Wir wissen das, denn er sagte es uns. Es war das Einzige, was er sagte. Er bediente sich der Schnelligkeit wegen des Pferdes; er wollte eher bei den Comantschen sein und dann auch eher als ihr zurückkehren.“

„Um sich dann gegen uns zu brüsten! Nun hat er ja allen Grund gefunden, seinen Ruhm auszuposaunen. Sorge dafür, daß die Wachen aufmerksam sind! Wir wollen uns jetzt schlafen legen, denn wir müssen mit der Sonne wieder munter sein.“

Mit dem Schlaf hatte es so seine Wege, denn der Ärger über Cutter hielt mir noch lange Zeit die Augen wach, und als ich bei Sonnenaufgang geweckt wurde, hatte ich noch nicht ausgeschlafen.

Jetzt galt es, den Abzug der Comantschen zu beobachten. Wir sahen zwar den dunkeln Streifen, den die hundert Bäume am südlichen Horizonte bildeten, sie selbst aber konnten wir nicht erkennen. Darum nahm ich das Fernrohr und verließ mit Old Surehand den Lagerplatz, um die große Entfernung zu verringern. Auf halbem Wege setzten wir uns nieder und warteten. Es dauerte gar nicht lange, so tauchten ihre Gestalten hinter den Büschen auf. Sie ritten fort, und zwar in derselben Weise, wie sie gekommen waren, nämlich nicht im Gänsemarsche. Sie thaten das, um eine recht breite, sichtbare Fährte zu machen und dadurch den Truppen die Verfolgung zu erleichtern. Als Wegweiser ließen sie sich, wie wir es ja beabsichtigten, die Pfähle dienen, von denen sie glaubten, daß sie von Schiba-bigk angebracht worden seien; sie ahnten nicht, welche Veränderung inzwischen mit denselben vorgegangen war.

Als sie fern im Südosten verschwunden waren, warteten wir in großer Spannung wohl über eine Stunde lang. Da tauchten im Westen sechs Reiter auf, deren Weg sichtlich nach den hundert Bäumen führte.

„Das sind Dragoner,“ meinte Old Surehand.

„Ja,“ stimmte ich bei. „Es sind die Eclaireurs, welche der Kommandant vorausgesandt hat, die Comantschen auszumachen.“

„Da ist er vorsichtiger als Vupa Umugi gestern, der gleich mit seiner ganzen Truppe kam, ohne jemand vorauszuschicken.“

„Der war seiner Sache sicher, während der Kommandant nicht weiß, ob die Comantschen noch da sind oder nicht. Übrigens ist das Voraussenden von Eclaireurs eine so streng geforderte militärische Gepflogenheit, daß sich dieser Offizier der größten Unterlassungssünde schuldig machen würde, wenn er es unterließ, diese Vorsichtsmaßregel anzuwenden.“

„Was thun wir jetzt? Reiten wir hin?“

„Nein.“

„Warum nicht? Es würde doch das kürzeste sein, diesen Vorposten zu sagen, daß die Roten fort sind. Da brauchten sie nicht erst lange nach ihnen zu suchen.“

„Das ist richtig; aber ich möchte mir gern einen Spaß machen.“

„Welchen?“

„Der Kommandant hat mich, als ich ihn jenseits des Mistake-Cañon in seinem Lager traf, nicht für voll angesehen und wie einen Neuling behandelt.“

„Dummkopf!“

„Hm! Er konnte nicht gut anders, weil ich mich für einen Gräbersucher ausgab.“

„Gräbersucher? Was ist das, Sir?“

„Ich gab vor, nach der Abstammung der Indianer zu forschen, und für einen solchen Gelehrten sind Ausgrabungen, besonders alter Gräber, von großer Bedeutung, Mr. Surehand.“

„Ah, so! Und da hat er Euch geglaubt?“

„Ja.“

„Dann ist er eben das, was ich sagte, nämlich ein Dummkopf.“

„Mag sein; aber selbst Parker und die Männer, die bei ihm waren, haben es geglaubt und sich von mir täuschen lassen.“

„Das ist aber doch kaum möglich! Wer Euch sieht, Euer Äußeres betrachtet, Euer ganzes Wesen beurteilt, muß doch unbedingt darauf kommen, daß Ihr nichts andres seid – –“

„Als ein Westmann?“ unterbrach ich ihn.

Yes.“

„Ich verstellte mich damals, und mein Anzug sah auch ganz anders aus als jetzt. Es war wirklich nicht allzu schwer, mich für ein Greenhorn zu halten. Daß man dies that, hat mir großen Spaß gemacht, und ich möchte jetzt gern sehen, was der Kommandant für ein Gesicht macht, wenn er mich so unerwartet hier am öden, wüsten Llano estacado wiederfindet.“

„Also ein wenig Theater spielen?“

„Ja.“

„So wollt Ihr erst ohne unsre Apatschen zu ihm?“

„Ja.“

„Auch ohne mich?“

„Ihr könnt mit.“

„Recht so! Möchte auch wissen, was er sagt, wenn er erfährt, daß der vermeintliche Gräberforscher kein andrer als Old Shatterhand ist. Er wird ein ungeheuer kluges Gesicht dabei machen.“

Wir sahen durch das Fernrohr, daß die sechs Reiter sich zerstreuten, um in dieser Weise die hundert Bäume zu erreichen; das war sehr pfiffig von ihnen, aber, natürlich ohne daß sie es wußten, nicht nötig, weil die Comantschen sich entfernt hatten.

Als sie verschwunden waren, dauerte es nur zehn Minuten, da sahen wir wieder einen von ihnen, der im gestreckten Galoppe zurückritt, um dem Kommandanten zu melden, daß er nachkommen könne, weil die hundert Bäume von den Feinden verlassen worden seien. Eine kleine Stunde später sahen wir dann die Dragoner kommen, und wir kehrten in unser Lager zurück, um unsre Pferde zu holen und den Apatschen die Weisung zu erteilen, daß sie nach einer Stunde nachkommen sollten.

Wir ritten erst schnell und dann, als wir von den hundert Bäumen aus gesehen werden konnten, langsamer, so langsam wie Leute, die nichts zu versäumen haben, weil der Zweck ihres Rittes kein wichtiger ist. Als wir uns dem Gebüsch auf ungefähr tausend Schritte genähert hatten, sahen wir einige Wachen stehen. Die andern konnten wir nicht sehen, weil sie im Innern der Einbuchtung lagerten. Wir wurden von diesen Posten bemerkt; sie meldeten uns, und nun kamen viele der Soldaten hinter dem Gesträuch hervor, um uns zu betrachten. Da wir nur zwei Personen und noch dazu keine Indianer waren, wurde unserm Kommen mit Ruhe entgegengesehen.

„Halt!“ rief uns der äußerste Posten an. „Woher?“

„Daher,“ antwortete ich, indem ich nach rückwärts zeigte.

„Wohin?“

„Da hin!“

Dabei deutete ich nach dem Lager.

„Was wollt ihr dort?“

„Ausruhen.“

„Wer seid Ihr?“

„Das geht Euch zunächst nichts an; es ist das Sache Euers Offiziers!“

„Oho! Ich habe Euch auszufragen, und Ihr habt mir zu antworten!“

„Wenn es uns beliebt, ja; da es uns aber nicht beliebt, werden wir eben nicht antworten.“

„Da schieße ich!“

„Versucht es doch! Ehe Ihr Euern Schießprügel anlegt, seid Ihr eine Leiche.“

Bei diesen Worten richtete ich den Stutzen auf ihn und fuhr fort:

„Wir haben hier nämlich ganz dasselbe Recht wie Ihr. Wir können auch fragen: Wer seid Ihr? Woher kommt Ihr? Was wollt Ihr hier? Und wer ist der Offizier, der Euch befehligt?“

„Was? Ihr bedroht einen militärischen Posten mit dem Gewehre?“

„Gewiß. Ihr seht es doch!“

„Da geht’s um Euer Leben! Wißt Ihr das?“

„Unsinn! Unsre Kugeln treffen ebenso sicher wie die eurigen. Und nun laßt uns in Ruhe! Wir wollen nach dem Wasser.“

Wir bogen um das Gebüsch und ritten nach dem Quell, an welchem das Offizierszelt bereits errichtet war. Der Posten hinderte uns nicht, aber die Soldaten, die meine Antworten gehört hatten, liefen uns voran, um dem Kommandanten zu sagen, wie wir uns verhalten hätten und was für renitente Kerls wir seien. Er stand vor dem Zelte, hörte ihren Bericht und sah uns mit drohend gefalteter Stirn entgegen. Da, als wir ihm nahe genug gekommen waren, erkannte er mich und rief aus:

Good lack! Das ist ja der Gräbersucher! Nun, dem sind solche Dummheiten wohl zuzutrauen. Der versteht das nicht. Was weiß der vom Kriegszustande und von den Pflichten, die ein Posten hat, wenn ihm nicht Gehorsam geleistet wird!“

Während er das sagte, hatten wir ihn erreicht und stiegen von den Pferden.

Good morning, Sir!“ grüßte ich unbefangen. „Erlaubt uns, hier Platz zu nehmen! Wir brauchen Wasser für uns und für die Pferde.“

Er lachte laut auf und wendete sich zu seinen Offizieren, welche in sein Gelächter einstimmten:

„Seht diesen Mann, Mesch’schurs! Wahrscheinlich kennt Ihr ihn noch. Der Kerl ist ein Original und hat Raupen im Kopfe, die ihresgleichen suchen. Natürlich hat er keine Ahnung davon, daß unsre Posten ihn eigentlich niederschießen mußten. Gegen solche Dummheit kämpfen selbst Götter vergebens. Wollen ihm also sein bißchen Leben schenken. Er hat einen Kameraden gefunden, der sehr wahrscheinlich ganz gleichwertig mit ihm ist. Solche Leute können wir ruhig hier aufnehmen, ohne befürchten zu müssen, daß sie uns schaden.“

Und uns das Gesicht wieder zukehrend, sagte er zu uns:

„Ja, ihr mögt hier bleiben und soviel Wasser trinken, wie ihr wollt; ich weiß, daß euch das sehr nötig ist, weil euer Gehirn doch sehr wahrscheinlich aus weiter nichts als Wasser besteht.“

Wir gaben unsre Pferde frei und setzten uns neben dem Quell nieder. Ich nahm den ledernen Trinkbecher vom Gürtel, schöpfte bedächtig, trank sehr langsam und antwortete erst dann:

„Wasser im Gehirn? Hm! Habt Ihr nicht auch getrunken, Sir?“

„Natürlich, ja. Was wollt Ihr damit sagen?“

„Daß Euch das Wasser auch nötig gewesen ist.“

„Und – –?“

„Und daß daraus auf Euer Gehirn wohl ebenso zu schließen ist wie auf das unsrige.“

All thunders! Ihr wollt mich beleidigen?“

„Nein.“

„Aber das war doch eine Beleidigung!“

„Wüßte nicht! Ich glaubte nur, gegen Euch genau so höflich sein zu müssen, wie Ihr gegen uns.“

„Da hat man es! Der Mann weiß nicht, was er spricht. Er zieht im Lande herum, um alte Gräber aufzumachen und nach verfaulten Knochen zu suchen. Da weiß man ja, daß man auf das, was er sagt, nicht viel oder auch gar nichts zu geben hat.“

Um diesen Worten eine Illustration zu geben, tippte er sich mit der Spitze des Zeigefingers an die Stirn und fragte mich dann:

„Habt Ihr viel solche Gräber gefunden, Sir?“

„Kein einziges,“ antwortete ich.

„Das läßt sich denken. Wer Indianergräber suchen will, der darf nicht nach dem wilden Llano estacado gehen!“

„Llano estacado?“ fragte ich, scheinbar verblüfft.

„Ja!“

„Wo liegt denn der?“

„Das wißt Ihr nicht?“

„Ich weiß nur, daß das eine sehr traurige Gegend sein soll.“

O sancta simplicitas! So wißt Ihr also nicht, wo Ihr seid?“

„In der Prairie, an diesem schönen Wasser hier.“

„Und wo wollt Ihr von hier aus hin?“

„Dahin.“

Ich deutete bei diesen Worten nach Osten.

„Dahin? Da kommt Ihr ja in den Estacado!“

„Wie – –? Was – –?“

„Ja, in den Estacado!“ lachte er.

„Wirklich?“

„Ja. Ihr könnt Gott danken, daß Ihr uns hier getroffen habt. Ihr habt ja gar keine Ahnung, daß Ihr Euch hier am Rande der Wüste befindet. Wenn Ihr weiter reitet, müßt Ihr elend umkommen!“

„Hm! Da werden wir umkehren.“

„Ja, das müßt Ihr, Sir, sonst fressen Euch die Geier.“

„Und wahrscheinlich würden wir im Llano auch auf keine Gräber treffen?“

„Wenigstens nicht auf solche, wie Ihr sucht. ihr wollt ein Gelehrter sein und wißt doch nicht, daß all Euer Forschen vergeblich ist!“

„Vergeblich? Warum?“

„Ihr habt doch gesagt, daß Ihr alte Reste ausgraben wollt, um zu erfahren, woher die Rothäute stammen?“ „Allerdings.“

„Es können Euch also nur alte, uralte Gräber von Nutzen sein?“

„Ja.“

„Und doch reitet Ihr in der Prairie und überhaupt im fernen Westen herum, wo es zwar Gräber giebt, die aber neu sind!“

„Hm!“ brummte ich nachdenklich.

„Ihr müßt doch da nachgraben, wo Indianerstämme gewohnt haben, die längst untergegangen sind. Ist das nicht richtig?“

„Eigentlich, ja.“

„So macht Euch also aus dem Westen fort! Die Gräber, die ihr sucht, liegen nicht westlich, sondern östlich von dem Missisippi. Den guten Rat gebe ich Euch. Ihr seht, wie es um Eure Gelehrsamkeit steht, wenn Euch erst Andere die richtigen Wege zeigen müssen!“

Well! So gehen wir also wieder über den Missisippi hinüber.“

„Das rate ich Euch. Dort giebt es auch nicht die vielen Gefahren, denen Ihr Euch hier so überflüssiger Weise auszusetzen habt.“

„Gefahren? Nicht daß ich wüßte!“

„Was? Ihr wißt nichts von Gefahren?“

„Woher soll das unsereiner wissen?“

„Die Indianer!“

„O, die thun mir nichts!“

„Nichts? Welch ein Leichtsinn! Oder welch eine Unwissenheit! Ihr scheint nicht zu ahnen, daß grad jetzt die Comantschen die Beile des Krieges ausgegraben haben. Sie morden alles, Rot und Weiß!“

„Mich nicht!“

„Warum grad Euch nicht?“

„Weil wir ihnen nichts gethan haben.“

„Hört, da ist die Einfalt denn doch zu groß! Diese Roten verschonen keinen Menschen, den sie treffen, keinen einzigen.“

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Da fuhr er mich zornig an:

„Es ist so, wie ich sage. Und Ihr habt es mir großen Dank zu wissen, daß ich Euch warne. Wohin seid Ihr denn eigentlich geritten, nachdem Ihr da oben unser Lager verlassen hattet?“

„Immer ostwärts.“

„Und dann?“

„Dann an den See, den die Indianer das blaue Wasser nennen.“

„An das blaue Wasser?“ rief er erstaunt, ja fast erschrocken aus. „Grad dort hat ja eine ganz bedeutende Comantschenschar gelagert!“

„So?“ fragte ich, mich ganz ahnungslos stellend.

„So – oo – oo?“ ahmte er meine Stimme nach. „Haben sie Euch denn nicht gesehen und ertappt?“

„Gesehen? Vielleicht! Ertappt? Nein! Wir haben uns sogar den Spaß gemacht, im See zu schwimmen.“

„Und seid nicht erwischt worden?“

„Nein. Wenn ich mir die Sache richtig überlege, so denke ich, daß wir jetzt nicht hier säßen, wenn wir von ihnen erwischt worden wären.“

Da lachte er wieder laut auf und rief:

„Das ist freilich richtig, außerordentlich richtig! Sie hätten Euch getötet und skalpiert!“

„Sir, das ist nicht so leicht, wie Ihr zu denken scheint!“

„Wie so?“

„Wir hätten uns gewehrt.“

„Gegen hundertfünfzig Rote?“

„Ja.“

„Mit den Sonntagsflinten, die Ihr hier habt?“

„Ja.“

Ich sagte das so ernst und überzeugungsvoll, daß sich abermals ein schallendes Gelächter erhob. Old Surehand gab sich alle Mühe, seine Gesichtszüge zu beherrschen; dennoch sah ich es ihm an, wie sehr er sich innerlich belustigte. Als sich das Gelächter gelegt hatte, fuhr der Kommandant fort:

„Das ist denn doch zu toll! Also Ihr hättet Euch gewehrt? Wirklich?“

„Natürlich!“

„Da sage ich Euch, daß dieser Gedanke der reine Wahnsinn ist. Ihr wäret sofort von anderthalbhundert Kugeln durchlöchert worden.“

„Oh! Hm!“

„Glaubt’s oder glaubt es nicht! Was ich Euch sage, ist richtig. Wie lange seid Ihr denn eigentlich an dem blauen Wasser geblieben?“

„Einen Tag!“

„Und wohin seid Ihr dann geritten?“

„Immer wieder nach Osten.“

„Also über die Ebene?“

„Ja.“

„Gerade hierher?“

„Ja.“

„Das ist wirklich ein Wunder, ein himmelblaues Wunder! Ich sehe doch, daß Ihr ohne allen Schaden und ganz heil hier angekommen seid!“

„Ja, heil und gesund sind wir. Was sollte uns fehlen?“

„Was Euch fehlen sollte? Es ist großartig, wirklich großartig! Die Comantschen sind nämlich auch vom blauen Wasser hierher geritten.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich!“ antwortete er, beinahe wütend über meine Unbefangenheit. „Haben Euch diese Halunken denn nicht gesehen?“

„Das weiß ich nicht; sie müssen es wissen.“

„Ja, sie müssen es wissen!“ lachte er grimmig. „Und ich weiß es auch. Sie haben Euch nicht gesehen, sonst lebtet ihr nicht mehr. So etwas ist wirklich kaum zu glauben. Da reiten diese beiden Männer immer dahin, wo die Comantschen sind; sie trollen ihnen immer im Wege und vor den Augen hin und her und werden doch nicht ertappt. Einem tüchtigen Westmann oder Soldaten könnte das nicht passieren. So ein Glück! Und dabei ahnen diese Leute nicht einmal, in welcher Gefahr sie sich befunden haben. Es ist doch wahr, was das alte Sprichwort sagt: Die Dummen haben Glück!“

„Hört, Sir, nennt uns nicht dumm! In meiner Heimat giebt es ein Sprichwort, welches das viel anständiger ausdrückt.“

„Welches?“

„Man pflegt zu sagen: Die dümmsten Bauern ernten die größten Kartoffeln.“

Als ich das so ruhig lächelnd sagte, schien er endlich doch aufmerksam zu werden. Er betrachtete mich mit einem langen, forschenden Blicke und sagte dann:

„Hört, Ihr wollt doch nicht etwa so thun, als ob Ihr etwas hinter den Ohren hättet? Bildet Euch ja nicht ein, klüger zu sein als wir!“

„Keine Sorge, Sir! Wir haben ganz und gar nicht die Absicht, zwischen uns und Euch einen Vergleich anzustellen. Das wäre Thorheit.“

„Denke es auch!“ nickte er befriedigt, ohne den eigentlichen Sinn meiner Worte zu verstehen. „Ich habe nicht nötig, aufrichtig mit Euch zu sein; aber Ihr thut mir in Eurer Dummheit so leid, daß ich Euch sagen will, wie die Verhältnisse stehen. Wir haben nämlich die Comantschen angegriffen und besiegt; sie sind vor uns nach dem blauen Wasser geflohen, und wir sind ihnen nach. Von dort sind sie wieder geflohen, hierher, und nun hetzen und jagen wir sie in den öden Llano estacado hinein, wo sie entweder vor Durst sterben oder von unsern Kugeln gefressen werden, wenn sie sich uns nicht ergeben. Das ist es, was ich Euch mitteilen will und wovon Ihr keine Ahnung gehabt habt.“

„Keine Ahnung? Glaubt Ihr denn wirklich, daß wir so ganz und gar nichts davon wissen?“ fragte ich, jetzt in ganz anderm Tone.

„Was könntet Ihr wissen!“ antwortete er verächtlich.

„Zunächst wissen wir, daß Ihr, wenn es genau nach Eurem Plane geht, die Comantschen auf keinen Fall bekommen werdet.“

„Ah?“ fragte er ironisch.

„Ja! Ich füge sogar hinzu, daß nicht sie es sind, sondern Ihr es seid, welchen das Los bevorsteht, im wüsten Llano zu verschmachten.“

„Wirklich? Wie klug Ihr plötzlich seid! Warum werden wir verschmachten?“

„Giebt’s im Llano Wasser?“

„Nein.“

„Habt Ihr Schläuche?“

„Nein.“

„Könnt Ihr also Wasser mitnehmen?“

„Zum Teufel, nein! Fragt doch nicht so dumm!“

„Meine Frage ist gar nicht dumm! In der Wüste braucht man Wasser, und das bißchen Wasser, was man im Gehirn hat, wie Ihr vorhin sagtet, reicht noch lange nicht aus, Pferd und Reiter vor dem Verschmachten zu retten. Wißt Ihr, wie weit Ihr hinein in die Wüste müßt, um die Comantschen zu treffen? Wißt Ihr, wie lange Eure Pferde in der Glut des Llano dursten können?“

„Wir wissen, daß wir gar nicht weit hinein müssen, denn die Roten haben auch kein Wasser.“

„Wißt Ihr das genau?“

„Sehr genau!“

„So thut Ihr mir jetzt ebenso sehr leid, wie Euch vorhin meine Dummheit erbarmt hat. Die Comantschen wissen nämlich einen Ort im Llano estacado, an welchem es genug Wasser für sie giebt.“

„Ah! Es giebt einen solchen Ort?“

„Ja.“

„Unmöglich!“

„Warum unmöglich? Habt Ihr noch nie gehört, daß es in Wüsten Oasen giebt?“

„Aber nicht im Llano estacado.“

„Gerad da giebt es ein Wasser, welches tausend Pferde nicht auszutrinken vermögen!“

„Unsinn! Ihr habt nicht einmal geahnt, daß Ihr Euch jetzt am Rande des Llano befindet; was wollt Ihr da von diesem Wasser wissen!“

„Redet doch Ihr nicht von Ahnen und Wissen! Ihr selbst ahnt ja gar nicht, was wir beide wissen, ich und mein Kamerad hier neben mir.“

„Zwei Gräbersucher! Was wißt Ihr denn, he?“

„Daß Ihr Euch mit allem, was Ihr denkt und beabsichtigt, in einem ungeheuren Irrtum befindet und Euerm sichern Untergange entgegenreiten würdet, wenn es nicht einige Männer gäbe, welche sich vorgenommen haben, Euch zu retten.“

„Unserm sichern Untergange? Das ist toll. Aber Euch sind solche Reden zuzutrauen. Wer sind denn diese braven Männer, Sir?“

„Es sind drei, nämlich Winnetou, Old Surehand und Old Shatterhand.“

Da zog er die Brauen hoch empor und fragte:

„Winnetou, der Apatschenhäuptling?“

„Ja,“

„Old Shatterhand, sein Freund, der weiße Jäger?“

„Ja.“

„Und Old Surehand, von welchem man so viel erzählen hört?“

„Ja, diese drei.“

„Die wollen sich unser annehmen?“

„Sie müssen es, wenn sie nicht ruhig zusehen wollen, daß Ihr in die Falle geht, welche die Comantschen Euch gestellt haben.“

„Eine Falle? Uns gestellt? Sprecht Ihr im Fieber?“

„Ich habe meine Gedanken sehr beisammen, Sir.“

„Das scheint nicht so; ich glaube vielmehr, Ihr leidet an Hallucinationen.“

„Wenn jemand in irgend welcher Sinnestäuschung befangen ist, so sind nicht wir es, sondern Ihr seid es. Kennt Ihr den Anführer der Comantschen, mit denen Ihr gekämpft habt?“

„Wir wissen nicht, wie er heißt. Wir haben keinen Scout, der das erfahren konnte.“

„Dieser Häuptling heißt Nale-Masiuv, was so viel wie Vier Finger bedeutet. Und wie heißt der Häuptling derjenigen Comantschen, welche am blauen Wasser lagerten?“

„Das war eben jener Nale-Masiuv, wenn Ihr seinen Namen richtig genannt habt.“

„Nein; das war Vupa Umugi, was großer Donner heißt.“

„Also ein andrer?“

„Ja.“

„Es kann kein andrer, sondern es muß derselbe gewesen sein, denn wir haben ihn bis an das blaue Wasser vor uns hergetrieben, Sir.“

„Ah! Sind das die Hallucinationen, von denen Ihr redetet! Ihr seid so freundlich gewesen, uns vorhin den Stand der Dinge klarzulegen, ohne daß Ihr es für nötig hieltet. Dafür wollen wir nun Euch, ohne daß es notwendig ist, sagen, wie die Verhältnisse liegen. Nale-Masiuv hat sich nämlich mit Vupa Umugi verbündet, Euch zu verderben. Er ist nicht nach dem blauen Wasser, sondern er hat heimgeschickt, um schnell noch hundert Krieger kommen zu lassen. Während Ihr glaubtet, ihn zu verfolgen, blieb er in Eurem Rücken und verfolgte Euch. Ihr wurdet nach dem blauen Wasser gelockt, wo Vupa Umugi auf Euch wartete und Euch, als Ihr kamt, sogleich Platz machte. Vupa Umugi, der Häuptling der Naiini, wendete sich hierher nach dem Orte, wo wir uns jetzt befinden und den die Comantschen Suks-ma-lestavi, hundert Bäume, nennen. Er kam gestern abend hier an. Ihr seid ihm nachgeritten und er ging, ehe Ihr hier erschient, in die Wüste, um Euch hinter sich herzuziehen. Während Ihr glaubt, ihn zu verfolgen und ihn vernichten zu können, lockt er Euch in eine Falle. Er reitet mit seinen Naiini voran und hinter Euch kommt Nale-Masiuv mit weit über hundert Kriegern. Ihr befindet Euch zwischen diesen beiden feindlichen Trupps. So stehen die Verhältnisse, Sir, so und nicht anders.“

Seine Offiziere blickten fragend von mir zu ihm hinüber und wieder von ihm zu mir herüber. Er selbst starrte mich staunend an, als ob ich etwas für ihn Unbegreifliches sei, und fragte mich.

„Aber, Sir, was sind das für Phantastereien?“

„Meine Phantasie ist hierbei gar nicht thätig; ich spreche von Dingen, welche wirklich sind.“

„Ihr kennt die Namen alle; woher wißt Ihr sie?“

„Ich spreche die Sprache der Comantschen.“

„Ihr, der Gräbersucher?“

„Gräbersucher, pshaw! Wollt Ihr denn noch immer nicht einsehen, daß Ihr Euch auch in Beziehung auf mich in einem großen Irrtum befunden habt?“

„Irrtum? Seid Ihr denn nicht der, für den ich Euch gehalten habe, Sir?“

„Nein.“

„Wer denn?“

„Jetzt zeigt es sich, wer Wasser im Gehirn hat, Ihr oder ich. Habt Ihr es denn wirklich für möglich gehalten, daß ein Gelehrter, also ein studierter Mann, sich als Dummkopf im wilden Westen nur zu dem Zwecke herumtreibt, um Gräber zu entdecken?“

All devils!“

„Und daß er den Indianern nur immer so im Wege herumkrabbelt, ohne von ihnen entdeckt zu werden?“

„Ich bin erstaunt, Sir!“

„Erstaunt über Euch, aber nicht über mich! Ich habe Euch vorhin die Namen dreier Männer genannt, von denen Ihr wohl oft gehört haben werdet. Ist Euch vielleicht zufälligerweise bekannt, was für ein Pferd Winnetou gewöhnlich reitet?“

„Einen Rapphengst, welcher Wind heißen soll.“

„Ja, Wind. Der Apatschenname dafür ist Iltschi. Habt Ihr auch von dem Pferde Old Shatterhands gehört?“

„Ja, auch ein Rapphengst, Blitz genannt.“

„Richtig! Das Apatschenwort dafür ist Hatatitla. Jetzt paßt einmal auf mein Pferd dort auf!“

Mein Rappe hatte sich grasend wohl über siebzig Schritte von mir entfernt. Ich drehte mich nach ihm um und rief den Namen Hatatitla; er kam sofort herbeigesprungen und rieb sein Maul liebkosend an meiner Schulter.

„Zounds!“ rief der Kommandant aus. „Sollte –?“

„Ja, sollte – – – –!“ lachte ich. „Ihr seid Kavallerist und habt diesen Hengst schon einmal gesehen. Ihr hieltet ihn für einen Kutschengaul. Betrachtet ihn jetzt genauer! Habt Ihr schon einmal ein so edles Pferd gesehen? Kann ein Gräbersucher ein so unvergleichliches Tier besitzen?“

Er drückte und drückte, um etwas zu sagen, brachte aber vor Verlegenheit lange nichts heraus, bis er endlich rief:

„Wo habe ich nur meine Augen gehabt!“

„Ja, wo habt Ihr sie gehabt, und zwar nicht nur in Beziehung auf das Pferd, sondern auch in Hinsicht auf den Reiter! Wißt Ihr, wie Winnetou bewaffnet ist?“

„Mit seiner berühmten Silberbüchse.“

„Und Old Shatterhand?“

„Mit dem Bärentöter und dem Henrystutzen.“

„Habt Ihr denn nicht schon in Euerm Lager jenseits des Mistake-Cañon gesehen, daß ich zwei Gewehre habe?“

„Ja, aber sie waren, wenigstens das eine, eingewickelt.“

„Nun, jetzt sind sie nicht verhüllt. Da, seht sie an!“

Ich hielt sie ihm hin. Seine Offiziere richteten ihre Blicke auch höchst neugierig auf die Gewehre.

„Alle Wetter, Sir,“ stieß er hervor, „sollte diese starke, schwere Rifle der Bärentöter sein?“

„Sie ist es.“

„Und dieses Gewehr mit dem sonderbaren Schlosse?“

„Der Henrystutzen! ja, der ist es.“

„So wäret – – wäret Ihr – – – –“

Er sprach die Frage nicht ganz aus und stotterte beinahe vor Verlegenheit.

„Old Shatterhand?“ fiel ich ein, „der bin ich allerdings.“

„Und Euer Gefährte hier?“

„Heißt Old Surehand.“

Die Offiziere wiederholten in größter Überraschung diese beiden Namen, welche augenblicklich von Mund zu Mund durchs ganze Lager gingen. Der Kommandant war aufgesprungen, ließ seinen Blick zwischen uns beiden hin und her gleiten und fragte in einem Tone, als ob er sich nur im halben Wachen befinde:

„Old Shatterhand und Old Surehand! Ist’s zu glauben!“

„Ihr glaubt es nicht?“ fragte ich.

„O doch; aber – – aber – –“

Er wurde unterbrochen, denn draußen, wo die Posten standen, erscholl jetzt der laute Ruf-

„Indsmen kommen, Indsmen!“

„Woher?“ fragte der Kommandant mit schallender Stimme.

„Von dort, aus Norden,“ lautete die Antwort, wobei die Posten nach der angegebenen Richtung deuteten. Der Offizier wollte den Alarmbefehl erteilen; ich hinderte ihn daran:

„Seid ruhig, Sir! Es hat nichts zu bedeuten. Wenn Ihr noch nicht glaubt, daß wir diejenigen sind, für die wir uns jetzt ausgegeben haben, so kommen jetzt Zeugen, welche bestätigen werden, daß wir die Wahrheit sagen.“

„Meint Ihr die Roten?“

„Ja.“

„Aber das sind ja Feinde! Ich muß sofort – –“

„Nichts müßt Ihr, nichts. Sie sind Freunde; sie sind sogar Eure Retter. Es sind Apatschen, welche ich hergebracht habe, um Euch gegen die Comantschen beizustehen.“

„Apatschen? Da bringt Ihr mich in eine Lage, Sir, welche für mich ungeheuer bedenklich ist; Rote sind Rote; es ist keinem zu trauen, und noch weiß ich nicht, ob Ihr wirklich Old Shatterhand seid.“

Well, so trefft die Maßregeln, welche Ihr für notwendig haltet; nur hütet Euch vor Feindseligkeiten. Ich werde Euch alles erklären, vorher aber den Apatschen einen Wink geben, sich dem Lager nicht auf Schußweite zu nähern, bis Ihr Vertrauen gewonnen habt.“

„Ich will gehen und es ihnen sagen,“ erbat sich Old Surehand.

„Ja, thut das, Sir! Sagt ihnen auch, daß sich einige von ihnen hinauf auf die Höhe an das Gebüsch postieren sollen!“

„Da hinauf? Warum?“ fragte der Kommandant, noch immer mißtrauisch. „Warum Posten in meinem Rücken?“

„Um nach Nale-Masiuv auszuschauen. Ich habe Euch ja gesagt, daß er hinter Euch her ist. Er kann jeden Augenblick kommen.“

„Ich könnte doch Posten von meinen Leuten aufstellen!“

„Meine Apatschen haben schärfere Augen.“

„Alle Wetter! Wenn Ihr – – – wenn Ihr – –!“

„Nur heraus damit, Sir! Ihr wollt sagen: Wenn Ihr Feinde und Betrüger wäret?“

„Ja,“ gestand er zu.

„Glaubt Ihr wirklich, daß zwei Weiße so kühn und zugleich so schlecht sein könnten, solche Absichten zu hegen?“

„Hm! Ich weiß nicht, ob die Roten, die da kommen, wirklich Apatschen sind.“

„So versteht Ihr es nicht, Apatschen von Comantschen zu unterscheiden?“

„Nein.“

„Und da führt Ihr Krieg mit Indianern? Da könnt Ihr ja die allergrößten Fehler begehen! Übrigens seht, da draußen kommen sie! Es sind fünfzig Mann. Ihr habt, wie ich schätze, gegen hundert gut geschulte Kavalleristen bei Euch. Könnt Ihr Euch da vor den Roten fürchten?“

„Nein. Ich will Euch trauen, Sir. Nur müssen die Indsmen dem Lager fern bleiben, bis ich ihnen erlaube, herbeizukommen. Das zu verlangen, gebietet mir meine Pflicht.“

„Das sehe ich ein. Und Ihr seht jetzt, daß Ihr ruhig sein könnt. Mr. Surehand hat sie erreicht; sie bleiben halten und sitzen ab. Nur drei von ihnen reiten fort, hinauf zur Höhe; das sind die Wachen, die für unsre Sicherheit sorgen sollen.“

„Schön! Ich bin zufrieden, Sir. Dennoch darf ich das nicht unterlassen, was zu thun mir die Sorge für unsre Sicherheit gebietet.“

Er erteilte einige Befehle, infolge deren seine Truppen mit schußbereiten Gewehren eine solche Aufstellung nahmen, daß sie einen Angriff der Apatschen, falls diese einen solchen beabsichtigen sollten, leicht abschlagen konnten.

„Das darf Euch nicht erzürnen,“ entschuldigte er sich.

„Fällt mir nicht ein, es Euch zu verdenken!“ antwortete ich. „Wenn Ihr mich bis zu Ende angehört habt, werdet Ihr Vertrauen haben. Da kommt Mr. Surehand zurück. Setzen wir uns wieder zusammen nieder! Ich will Euch erzählen und dadurch die Beweise beibringen, daß ich vorhin die Wahrheit gesagt habe und Ihr ohne uns verloren wäret.“

Wir nahmen am Wasser wieder so bei einander Platz, wie wir vorhin gesessen hatten, und ich teilte ihm soviel mit, wie er wissen mußte. Es lag ja doch in unsrem persönlichen Interesse, das zu übergehen, was nicht wichtig für ihn war. Meine Erzählung machte einen ganz bedeutenden Eindruck auf ihn und seine Offiziere. Sein Gesicht wurde immer ernster, seine Miene immer bedenklicher, und als ich geendet hatte, blieb er noch eine ganze Weile unbeweglich und sinnend sitzen, ohne ein Wort zu sagen. Auch seine Offiziere waren nun überzeugt, daß sie ohne unsre Dazwischenkunft in eine enge Falle gegangen wären. Endlich hob er den gesenkten Blick zu mir empor und sagte:

„Vor allen Dingen eine Frage, Mr. Shatterhand: Wollt Ihr mir verzeihen, daß ich so – – so – – gegen Euch gewesen bin?“

„Gern! Ihr glaubt also nun, daß ich Old Shatterhand bin?“

„Ich würde ein Idiot sein, wenn ich es nicht glaubte!“

„Ebenso überzeugt könnt Ihr davon sein, daß Eure Lage genau so ist, wie ich sie Euch beschrieben habe, Sir.“

„Einer solchen Versicherung bedarf es gar nicht mehr. Wie ein Westmann, wie Ihr seid, doch selbst dem tüchtigsten Offizier überlegen ist! Wir können beim besten Willen, bei aller List und Tapferkeit nichts thun, wenn wir nicht Führer bei uns haben, welche nicht nur die Gegenden, sondern auch die Roten und ihre Sprachen und Gewohnheiten genau kennen. Ihr habt die Comantschen belauscht und darum alle ihre Pläne erfahren. Konnten wir das?“

„Nein.“

„Nein, wir konnten es nicht und wären ganz ahnungslos in eine Mühle geraten, die uns wahrscheinlich alle zermalmt hätte. Dafür werden diese Hunde von Comantschen aber ganz gehörig bluten müssen. Unsrem Kreuzfeuer soll keiner von ihnen entkommen!“

„Halt, Sir! Das ist ein Punkt, über den wir uns zu einigen haben, ehe ich Euch die Hilfe fest zusage, die ich Euch versprochen habe.“

„Warum?“

„Ich bin kein Mörder!“

„Ich auch nicht!“

„Ihr wollt aber morden!“

„Morden? Nein. Ich bin ausgesandt worden, gegen die Indsmen zu kämpfen, bis ich sie besiege, bis sie sich ergeben.“

„Und wenn sie sich ohne Kampf ergeben?“

„Auch dann muß Strafe sein.“

„Wie meint Ihr das?“

„Ich werde den zehnten oder zwanzigsten Mann, meinetwegen auch den dreißigsten, erschießen lassen.“

„So versucht, ob Ihr das fertig bringt! Auf unsre Hilfe aber müßt Ihr dann verzichten.“

„Was fällt Euch ein? Euch kann ich ja ganz und gar nicht entbehren; Euch brauche ich erst recht!“

„Das denke ich auch, und darum meine ich, daß das Schicksal der Roten nicht in Euern, sondern in unsern Händen liegt.“

„Ganz in Euern?“

„Ja.“

„Das wohl nicht, Mr. Shatterhand.“

„Doch!“

„Nein. Ich bin so gerecht, alles, was Ihr gethan habt und noch thun wollt, anzuerkennen, und darf wohl verlangen, daß Ihr die Rechte, die ich habe, ebenso anerkennt.“

„Ganz gewiß, wenn Ihr nämlich welche habt. Aber wollt Ihr mir nicht sagen, welche Rechte Ihr da zu haben glaubt?“

„Ihr und ich, wir sind Verbündete, gegen die Comantschen; wenn wir siegen, müssen wir beide gleich berechtigt sein, zu bestimmen, was mit den Roten geschehen soll. Ihr werdet doch zugeben, daß es ohne Strafe unmöglich abgehen kann!“

„Nein, das gebe ich nicht zu.“

„Dann sind wir eben verschiedener Meinung; doch hoffe ich, daß wir uns einigen werden. Wenn Ihr etwas nachgebt und ich etwas nachgebe, treffen wir in der Mitte zusammen, und jeder kann sagen, daß es halbwegs nach seinem Willen gegangen sei.“

„Für mich giebt es hier keine Mitte. Wenn die Comantschen sich wehren, werden wir allerdings unsre Waffen brauchen; wenn sie sich aber ergeben, darf keinem von ihnen ein Leid geschehen. Das ist meine Ansicht, von der ich auf keinen Fall abweiche.“

„Aber, Sir, Strafe muß doch sein!“

„Wofür?“

„Dafür, daß sie sich empört haben.“

„Was nennt Ihr Empörung? Wenn jemand sein gutes Recht verteidigt? Wenn ein Indianer sich nicht gewaltsam von seinem Wohnsitze vertreiben lassen will? Wenn er von der Regierung verlangt, die Versprechungen zu halten, mit denen man ihn gewissenlos übervorteilt hat?“

„Hm! Ich überzeuge mich da, daß das, was man von Euch sagt, wahr ist, Mr. Shatterhand.“

„Was?“

„Daß Ihr es stets mehr mit den Roten als mit den Weißen haltet.“

„Ich halte es mit jedem guten Menschen und bin Gegner jedes schlechten.“

„Aber die Roten sind doch schlecht!“

Pshaw! Streiten wir uns nicht darüber! Ihr seid Yankee und außerdem Offizier; ich kann und werde Euch nicht zu meiner Ansicht bekehren. Es handelt sich hier auch nicht um diese, sondern um eine ganz andre Ansicht, die sehr falsch ist.“

„Also wahrscheinlich um eine Ansicht von mir?“

„Ja.“

„Welche?“

„Daß Ihr über das Schicksal der Comantschen, wenn sie sich ergeben, mit zu bestimmen habt.“

„Und diese Ansicht soll falsch sein?“

„Ja, sehr.“

„Wieso?“

„Weil Ihr nicht Sieger sein werdet.“

„Ah! Nicht? Wer denn?“

„Wir.“

„Donner! Ihr werdet mir da wieder einmal unbegreiflich.“

„Und doch ist die Sache sehr klar. Ihr habt doch zugegeben, daß Ihr im Begriff standet, in eine böse Falle zu geraten.“

„Das gebe ich auch jetzt noch zu.“

„Auch daß wir Euch gerettet haben?“

„Ja.“

„Gut! Damit ist unser ganzes Verhältnis vollständig klargestellt, und wir haben nichts hinzuzufügen. Wir haben Euch vom Tode errettet, und Ihr seid uns dafür Dank schuldig.“

„Dank schuldig; zum Teufel, ja! Aber was hat das denn mit der Bestrafung der Comantschen zu thun?“

„Das, daß Euch diese Bestrafung gar nichts angeht.“

„Wollt Ihr mir das erklären?“

„Einer Erklärung bedarf das eigentlich gar nicht. Wir sind eine Anzahl weißer Jäger, die es mit einer ganzen Schar von Comantschen aufnehmen, und haben dreihundert Apatschen bei uns, die viel besser diszipliniert und bewaffnet als die Comantschen sind. Außerdem haben wir die Örtlichkeit für uns, andre Vorteile gar nicht mitgerechnet. Glaubt Ihr, daß wir die Comantschen besiegen werden?“

„Ja.“

„Auch ohne Eure Hilfe?“

„Na, hm – – – hm – – –!“

Er wiegte den Kopf bedenklich hin und her.

„Sagt getrost ja! Wir brauchen Euch wirklich nicht dazu. Ich gebe Euch mein Wort, daß uns nicht ein einziger der Comantschen entgehen wird, auch wenn wir auf Eure Hilfe ganz und gar verzichten. Und darum meine ich, daß das Schicksal der Besiegten ganz allein von unserm Willen und nicht im mindesten von dem Eurigen abzuhängen hat.“

„Wollt ihr damit vielleicht sagen, daß Ihr uns nicht braucht?“

„Das habe ich ja schon gesagt.“

Thunder! Das ist aufrichtig, sehr aufrichtig, Sir!“

„Aufrichtigkeit ist eine Tugend, deren sich jeder Gentleman stets zu befleißigen hat.“

„Ihr gebt uns also den Abschied? Ihr schickt uns fort?“

„Nein. Ich sage zwar, daß wir Euch nicht brauchen; aber ich gebe zu, daß uns die Ausführung unsres Planes erleichtert würde, wenn wir dabei auf Eure Hilfe rechnen könnten.“

„Gut; aber wer mit hilft, der will auch mit richten!“

„Dann danken wir! Wenn Ihr uns helft, soll es aus Dankbarkeit geschehen, nicht aber in der Absicht, ein ganz unnützes Blutbad anzurichten. Wir haben keine Zeit, die Comantschen können jeden Augenblick kommen. Entscheidet Euch! Entweder ja oder nein!“

„Was geschieht im Falle des ja?“

„Da ziehen wir uns von hier zurück, lassen die Comantschen herkommen und schließen sie, sobald sie sich gelagert haben, ein.“

„Und da meint Ihr, daß sie sich ergeben werden?“

„Ja.“

„Ohne Widerstand?“

„Ja.“

„Unmöglich!“

„Laßt das meine Sorge sein! Wir nehmen sie gefangen und reiten dann hinter Vupa Umugi her, um die Falle in seinem Rücken zuzumachen.“

Well! Und was geschieht in dem Falle, daß ich nein sage?“

„Da werde ich Euch bitten, Euer Lager hier jetzt schnell aufzuheben und Euch zu entfernen, bis Nale-Masiuv hier gewesen und dem Häuptling Vupa Umugi nachgeritten ist.“

„Dann können wir wieder her?“

„Ja.“

„Und haben nichts als das Nachsehen?“

„Nichts weiter.“

„Hört, Mr. Shatterhand, Ihr seid ein eigentümlicher Mann. Ihr stellt Eure Bedingungen so kurz, so deutlich und bestimmt, daß man sich fast vorkommt wie ein Schulknabe, der gar keine Ansicht und gar keinen Willen hat!“

„Ich habe allerdings keinen Grund, viele Worte zu machen. Wir haben Euch vom Tode errettet und stehen im Begriffe, dreihundert Comantschen zu fangen. Wir bringen das ohne alle Unterstützung fertig; wolltet Ihr aber aus Dankbarkeit uns dabei behilflich sein, so würden wir das annehmen, doch unter der Bedingung, daß Ihr keine Forderungen stellt.“

„Aber unsre Pflicht! Wir sollen die aufrührerischen Comantschen bestrafen!“

„Thut das fernerhin, doch nicht in diesem Falle! Diese Comantschen gehören uns, nicht Euch. Und Ihr würdet ihnen gehören, ihnen verfallen sein, wenn wir nicht gewesen wären!“

„Aber wie soll ich es verantworten, wenn ich sie mit fangen helfe und dann ohne Strafe entkommen lasse?“

„Vor der Menschlichkeit, vor meinem und vor Eurem Herzen ist das sehr leicht zu verantworten; andre Autoritäten gehen mich nichts an. Übrigens ist Euch hier kein Haar gekrümmt worden, und so bin ich überzeugt, daß die Euch vorgesetzte Behörde wohl kein Blutbad verlangen wird. Also, entscheidet Euch!“

„Hm! Man kann gegen Euch wirklich nicht aufkommen. Gebt mir fünf Minuten Zeit, mit meinen Offizieren zu reden!“

„Die sollt Ihr haben, aber länger nicht. Durch Euer Zögern wird leicht alles auf das Spiel gesetzt.“

Ich stand auf und entfernte mich für die angegebene kurze Zeit. Als ich dann zurückkehrte, erhielt ich von ihm den Bescheid:

„Was wollen wir machen, Sir? Ihr sollt Euern Willen haben. Es würde ja geradezu erbärmlich sein, uns von Euch retten zu lassen und dann fortzureiten, ohne Euch unterstützt zu haben. Also wir bleiben da und helfen Euch.“

„Und das Schicksal der Comantschen ist unsre Sache?“

Yes.“

„Dann sind wir einig, und ich freue mich, in Euch einen so tüchtigen, humanen Bundesgenossen gefunden zu haben.“

Well! So sagt uns also nun, was geschehen soll?“

„Laßt Eure Pferde tüchtig trinken und brecht Euer Zelt ab! Dann reitet Ihr fort, Vupa Umugi nach. Die Stangen zeigen Euch den Weg.“

„Ihr bleibt hier?“

„Nur bis wir die Comantschen kommen sehen.“

„Und wie weit entfernen wir uns?“

„Etwas über Gesichtsweite, weiter nicht. Wenn Ihr diese Büsche hier nicht mehr erkennen könnt, haltet Ihr an. Wir kommen schnell nach.“

„Warum reitet Ihr nicht mit uns?“

„Weil ich Nale-Masiuv kommen sehen will, und weil unsre Apatschen auch hier an das Wasser müssen, ehe sie die trockene Wüste unter die Hufe ihrer Pferde nehmen können.“

Well, so mag es losgehen!“

Er gab die nötigen Befehle und ritt nach Verlauf einer halben Stunde mit seinen Dragonern fort. Nun konnten unsre Apatschen heran, um ihre Pferde zu tränken und ihre Schläuche zu füllen. Während das geschah, stieg ich auf die Höhe, um mit Hilfe meines Fernrohrs nach den Feinden auszuschauen. Da sie jedenfalls auf der Fährte der Dragoner kamen, kannte ich den Punkt des Horizontes ganz genau, an welchem sie erscheinen mußten. Dabei war ich überzeugt, daß ich nicht lange auf sie zu warten hatte, denn sie nahmen jedenfalls an, daß sich das Militär nur kurze Zeit bei den hundert Bäumen aufgehalten habe und den Comantschen Vupa Umugis schnell gefolgt sei, um ihnen stets auf den Fersen zu bleiben.

Diese Voraussetzung erwies sich als ganz richtig, denn ich befand mich noch gar nicht lange auf meinem Posten, Old Surehand neben mir, als ich ganz draußen am westlichen Horizont einen dunklen Punkt erscheinen sah, welcher sich scheinbar sehr langsam auf uns zu bewegte.

„Sie kommen,“ sagte ich zu Old Surehand.

„Schon?“

„Habt Ihr sie für später erwartet?“

„Das nicht. Leiht mir einmal Euer Rohr!“

Ich gab es ihm. Als er einige Sekunden lang hindurchgesehen hatte, fragte er:

„Ihr meint den dunkeln Punkt, gerade im Westen von uns?“

„Ja.“

„Er teilt sich jetzt.“

„So?“

„Ja. Es werden sechs, acht kleinere Punkte daraus, welche sich im Halbkreise immer mehr voneinander entfernen.“

„So sind es Kundschaften“

„Sicher! Sie können natürlich nicht in gerader Richtung nach hier reiten, weil sie von den Truppen gesehen würden, falls diese sich noch hier befänden. Meint Ihr nicht, daß es so ist?“

„Gewiß ist es so. Die Roten werden sich teilen. Nicht?“

„Ja; es scheint so; vier reiten nach rechts und vier nach links.“

„Sie umreiten die hundert Bäume, um nicht von hinten, sondern von beiden Seiten hierher zu kommen, bis sie die Ebene erreichen und hinter das Gebüsch sehen können. Das ist die einzige Art, ohne Gefahr, selbst entdeckt zu werden, zu erfahren, ob die Dragoner noch da sind. Gebt mir das Glas!“

Als ich noch einmal hindurchblickte, sah ich die beiden Abteilungen der Kundschafter; sie hegten jedenfalls die Absicht, die ich ausgesprochen hatte. Sie waren noch sofern, daß man sie nur durch das Fernrohr erkennen konnte. Bis in Augenweite durften wir sie nicht herankommen lassen, sonst wurden wir grad so von ihnen gesehen, wie sie von uns gesehen wurden. Wir stiegen also schnell nach dem Wasser hinab, und ich erteilte den Apatschen den Befehl, aufzubrechen. Nur eine Minute später jagten wir davon, der großen Fährte nach, welche längs der eingesteckten Pfähle nach Südosten führte. Nach kaum zehn Minuten kamen wir bei den Dragonern an, welche, bei ihren Pferden lagernd, auf uns gewartet hatten.

Von der Stelle aus, an welcher wir uns jetzt befanden, konnten wir die hundert Bäume mit bloßen Augen nicht erkennen; aber die Probe überzeugte mich, daß das Fernrohr bis hin trug, so daß ich die Comantschen sehen mußte, sobald sie angekommen waren.

Ich hatte nicht lange zu warten, so bemerkte ich wirklich die Kundschafter, welche sich dem Wasser langsam und äußerst vorsichtig von beiden Seiten näherten. Sobald sie sahen, daß niemand dort war, ritten sie schnell hin. Sie durchsuchten die Büsche, und als sie keinen Feind dort fanden, lagerten sich sieben von ihnen, während der achte zurückritt. Er hatte Nale-Masiuv zu melden, daß er kommen könne.

Von jetzt an verging ein volle Stunde, bis ich sah, daß sich die Lagerstelle wieder belebte. Die Comantschen waren angekommen. Als ich das Old Surehand mitteilte, sagte er:

„Nun beginnt der erste Akt des Schauspieles, welches wir beabsichtigen, die Gefangennahme von Nale-Masiuv. Ich denke, daß wir nicht lange warten dürfen. Meint Ihr nicht?“

„Ja. Sie bleiben jedenfalls nur so lange dort, wie nötig ist, den Menschen und Pferden Wasser zu geben. Also fort!“

„Wir alle auf einmal?“

„Nein. Wir müssen sie umzingeln, erst von weitem, ohne daß sie uns sehen. Dann ziehen wir plötzlich den Kreis schnell und eng zusammen. Diejenigen von uns, welche am weitesten zu reiten haben, müssen da natürlich eher fort als die andern.“

„Wer ist das?“

„Das seid Ihr mit den Apatschen, welche ich unter Euern Befehl stelle, Mr. Surehand.“

„Das freut mich ungemein. Danke, Sir!“

„Ihr reitet außerhalb der Sichtweite um die hundert Bäume herum und besetzt die Höhe derselben rund am Rande des Gebüsches, so daß Ihr mit den fünfzig Apatschen einen Halbkreis bildet. Eure Leute steigen von den Pferden und legen sich so zwischen die Büsche, daß sie das unten am Wasser befindliche Lager mit ihren Gewehren bestreichen können.“

„Wir sollen schießen?“

„Nur dann, wenn die Comantschen sich wehren oder mit Gewalt durch Eure Linie dringen wollen. Wie lange denkt Ihr, daß Ihr braucht, um hinter ihren Rücken zu kommen?“

„Ihr werdet da möglichst genaue Zeit wissen wollen, um Euch nach mir richten zu können?“

„Allerdings.“

„So will ich sagen, daß Ihr von jetzt an genau in einer halben Stunde kommen könnt. Habt Ihr noch eine Verhaltungsmaßregel?“

„Ich muß mich auf Euren Scharfsinn verlassen und kann mich nur im allgemeinen dahin aussprechen, daß wir nur dann zu den Waffen greifen, wenn es nötig ist. Ich werde mit den Dragonern so geritten kommen, daß wir einen Bogen bilden, dessen beide Enden sich eng an Euern Halbkreis schließen. Dann haben wir die Comantschen in unsrer Mitte. Sie werden zunächst nur uns sehen und nach rückwärts fliehen wollen, wo Ihr seid. Um ihnen zu zeigen, daß sie auch dort eingeschlossen sind, laßt Ihr Eure Apatschen ihr Kriegsgeheul anstimmen, sobald wir mit Euch Fühlung gewonnen haben.“

„Dann warten wir?“

„Ja.“

„Worauf?“

„Auf das Resultat, welches meine Unterredung mit Nale-Masiuv haben wird.“

„Ah! Ihr wollt mit ihm verhandeln?“

„Natürlich! Auf welche andre Weise könnte ich ihn bewegen, sich uns freiwillig zu ergeben?“

„Das ist ein Wagnis für Euch, Sir!“

„Habt keine Angst um mich!“

„Nale-Masiuv ist als ein pfiffiger, hinterlistiger Mensch bekannt. Schenkt ihm ja nicht zu viel Vertrauen, Mr. Shatterhand!“

„Mit Hinterlist bringt er es bei mir zu nichts, sondern er schadet sich nur selber; darauf könnt Ihr Euch verlassen.“

„Schön! Also, mag’s beginnen. Lebt einstweilen wohl!“

Er ging zu den Apatschen, gab ihnen einige kurze Anweisungen und ritt dann mit ihnen fort. Ich wendete mich an den Kommandanten, indem ich ihn fragte:

„Wer soll jetzt Eure Leute befehligen, Sir? Der Tanz beginnt.“

„Natürlich ich!“

„Gut; aber schießt mir keine Böcke!“

„Habe mich freilich von den Roten übertölpeln lassen; jetzt aber könnt Ihr überzeugt sein, daß es keine Böcke giebt.“

„So hört, was ich Euch sage! Wir reiten im Galopp direkt auf die hundert Bäume zu und bilden gleich von hier aus einen Halbkreis, dessen Enden die äußersten Büsche berühren.“

„Ich verstehe. Hinter diesen Büschen stecken die Apatschen?“

„Ja. Eure Leute haben sich mit diesen rechts und links eng zusammenzuschließen.“

„Und wenn das geschehen ist, was dann?“

„Unser nächster Zweck ist nur der, die Comantschen zu umzingeln. Auf ihr Verhalten kommt es an, was dann geschieht. Schießen sie, so schießen wir auch; verhalten sie sich aber abwartend, so lassen wir die Waffen ruhen. In diesem letzteren Falle werde ich ein Gespräch mit ihrem Häuptlinge herbeiführen, von dessen Resultate das weitere abhängig ist.“

„Werde ich bei diesem Gespräche mit anwesend sein?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Es giebt keinen Grund dazu.“

„Grund genug! Als Kommandant der anwesenden Truppen bin ich doch wohl die Persönlichkeit, auf welche Nale-Masiuv vor allen Dingen zu hören hat.“

„Er wird ganz und gar nicht auf Euch hören.“

„Auf wen sonst?“

„Auf mich.“

„Hm! Ich weiß, daß Ihr ein tüchtiger Mann seid, Mr. Shatterhand, aber täuscht Ihr Euch hier nicht?“

„Nein.“

„Aber bedenkt den Unterschied.“

„Welchen?“

„Ihr habt nur fünfzig Apatschen; ich habe hundert Dragoner!“

„In einem Kampfe mit Indianern sind fünfzig Apatschen wenigstens ebenso viel wert wie hundert Soldaten.“

„Wenn Ihr es sagt, so mag das richtig sein. Aber bei so einer Unterredung gilt es vor allen Dingen, Eindruck zu machen!“

„Freilich wohl!“

„Nun, da seid Ihr doch nur Westmann; ich aber bin Truppenkommandant, Mr. Shatterhand!“

„Ah, so!“ lachte ich ihm freundlich in das Gesicht.

„Ja. Schon die Uniform macht Eindruck!“

„Schon diese? Was noch?“

„Der Ton, in dem unsereiner gewohnt ist, zu sprechen.“

„Ihr wollt mit Nale-Masiuv reden?“

„Ja.“

„Sprecht Ihr die Sprache der Comantschen?“

„Nein.“

„Wie wollt Ihr Euch da ihm verständlich machen?“

„Durch Euch als Dolmetscher.“

„So! Also Ihr seid der Kommandant, der zu bestimmen hat, und ich bin nur Euer Werkzeug, Euer Dolmetscher! Hört, Verehrtester, da beurteilt Ihr Old Shatterhand sehr falsch. Als Dolmetscher muß ich mit Nale-Masiuv reden; wozu brauche ich da Euch? Was hilft Euch Euer Ton, wenn ich die Worte übersetzen muß? Und Eure Uniform? Ich sage Euch, daß Nale- Masiuv vor meinem ledernen Jagdrocke und meinem Stutzen hundertmal mehr Respekt hat als vor Eurer Uniform und vor Eurem Säbel. Streiten wir uns nicht um Rangunterschied! Ich sage Euch, was geschehen soll, und Ihr kommandiert in diesem Sinne Eure Untergebenen; ich aber bin Euch nicht subordiniert. Habt Ihr auch an die Gefahr gedacht, der Ihr Euch aussetzen würdet, wenn Ihr mit dem Comantschen verhandeln wolltet?“

„Gefahr?“

„Ja.“

„Welche Gefahr könnte es dabei geben? Die Person des Unterhändlers, des Parlamentärs gilt doch für heilig!“

„Diesem Indianer nicht. Er ist ein heimtückischer Mensch.“

„Gegen solche Leute kann man sich vorsehen!“

„In welcher Weise?“

„Hm!“

„Er erscheint, und Ihr erscheint, beide ohne Waffen. Ihr setzt Euch einander gegenüber und beginnt, zu verhandeln. Plötzlich zieht der Kerl ein verborgenes Messer und sticht Euch nieder.“

„Das darf er doch nicht.“

„Er fragt viel danach, ob er darf! Er will den Anführer töten, um dann über die dadurch verwirrten Gegner herzufallen.“

„Danke, danke sehr!“

„Wollt Ihr noch mit Nale-Masiuv sprechen, Sir?“

„Ich möchte wohl, will Euch aber nicht vorgreifen. Ihr habt recht. Da ich die Sprache nicht verstehe, würde ich die Verständigung zwischen uns und ihm nur erschweren. Es ist also besser, ich überlasse es Euch.“

„Recht so! Also, brechen wir auf.“

„Sogleich; will nur meine Offiziere erst verständigen.“

Dieser Herr Kommandant befand sich wirklich in dem Glauben, den Comantschen mit seiner Uniform zu imponieren. Und gar der Ton! Er hatte keine Ahnung von dem Tone, in dem man mit feindlichen Indianern zu reden hat. Wer während einer so wichtigen Verhandlung so einen Häuptling wie Nale-Masiuv wie einen Rekruten antönen will, der ist verloren. Glücklicherweise verfehlte mein Hinweis auf die Hinterlist des Roten ihre Wirkung nicht. Hinterrücks sich erstechen lassen, dazu hatte der Offizier denn doch keine Lust, und darum gab er zu, es sei besser, daß er mir die Unterredung überlasse.

Es war jetzt hohe Zeit, uns auf den Weg zu machen, denn Old Surehand war mit seinen Apatschen unsern Augen schon entschwunden. Die Dragoner formierten eine Linie, welche sich während des Rittes zu einem Halbkreise auszubilden hatte; ich plazierte mich voran, und dann ging es im Galopp vorwärts, auf der großen, ausgetretenen Fährte zurück und auf die hundert Bäume zu.

Es galt, so schnell zu sein, daß die Roten vollständig überrascht wurden und keine Zeit zur Überlegung fanden. Wir flogen wie ein Sturm über die Ebene, still und lautlos; nur der Hufschlag der Pferde war zu hören. Der Boden verschwand, sozusagen, hinter uns; unsre Linie rundete sich; die beiden Spitzen griffen schneller aus als die Mitte; wir näherten uns dem Lager mit rapider Schnelligkeit. Dort sah man uns, ohne zunächst zu erkennen, wer wir waren; als dann die Comantschen sahen, daß sie es mit Bleichgesichtern zu thun hatten, stießen sie ein markdurchdringendes Geheul aus, griffen zu den Waffen und rannten nach ihren Pferden – – zu spät, denn unser Halbring hatte sich bereits geschlossen. Nun wollten sie sich nach rückwärts wenden, da aber erscholl weithin und über das ganze Lager und in die Wüste hinaus der Kriegsruf der Apatschen. Er klingt wie ein mit der höchsten Kopfstimme ausgestoßenes, langgezogenes Hiiiiiiiiii, bei welchem man mit der Hand auf den Mund tremuliert. Als die Comantschen diesen Ruf hörten, wichen sie schnell von den Büschen zurück, denn sie erkannten, daß sie auch auf dieser Seite eingeschlossen seien.

Wir hielten außer Schußweite von ihnen und sahen, welch eine Verwirrung sich ihrer bemächtigt hatte. Sie liefen hin und her; laute Rufe ertönten; da sie aber sahen, daß ihnen von keiner Seite etwas geschah, wurden sie ruhiger und hielten in einem engen Trupp am Wasser beisammen. Da stieg ich vom Pferde und ging langsam auf das Lager zu. Sie sahen mich kommen und waren jedenfalls sehr neugierig auf das, was ich beabsichtigte. Ich näherte mich ihnen bis auf eine Entfernung von zweihundert Schritten und rief ihnen zu:

„Die Krieger der Comantschen mögen mich hören! Hier steht Old Shatterhand, der weiße Jäger, der mit Nale-Masiuv sprechen will. Wenn der Häuptling der Comantschen Mut besitzt, mag er sich mir zeigen!“

Es entstand eine augenblickliche Bewegung unter ihnen, und trotz der Entfernung und trotzdem sie leise sprachen, war es mir, als ob ich halb unterdrückte Ausrufe des Schreckens hörte. Nach einer Weile trat einer hervor, welcher mehrere Federn im Schopfe trug; er schwang den Tomahawk und rief mir zu:

„Hier steht Nale-Masiuv, der Häuptling der Comantschen. Wenn Old Shatterhand seinen Skalp geben will, mag er herkommen; ich werde mir ihn nehmen!“

„Sollen das die Worte eines tapfern Häuptlings sein?“ antwortete ich. „Ist Nale-Masiuv so feig, daß ihm ein Skalp, den er haben will, entgegengebracht werden muß? Wer Mut besitzt, der holt sich ihn!“

„So komme Old Shatterhand her, um zu erfahren, ob er den meinigen bekommen kann!“

„Old Shatterhand geht nicht auf Skalpe aus; er ist ein Freund der roten Männer und wünscht, sie vor dem Tode zu bewahren. Die Krieger der Comantschen sind ringsum eingeschlossen; ihr Leben gleicht der Wolle der wilden Rebe, die jeder Windhauch mit sich nimmt; aber Old Shatterhand möchte sie retten. Nale-Masiuv mag zu mir kommen, um sich mit mir zu beraten.“

„Nale-Masiuv hat keine Zeit!“ erscholl es zurück.

„Wenn er keine Zeit zur Beratung hat, so wird er Zeit haben, zu sterben. Ich gebe ihm eine Frist von fünf Minuten; hat er da noch nicht zugesagt, so werden unsre Gewehre sprechen. Howgh!“

Mit diesem indianischen Worte der Bekräftigung drückte ich aus, daß ich fest entschlossen sei, meine Drohung auszuführen und daß mich nichts daran hindern könne. Der Häuptling trat zu seinen Leuten zurück und verhandelte mit ihnen. Als die fünf Minuten verflossen waren, rief ich ihnen zu:

„Die Frist ist vorüber. Was hat Nale-Masiuv beschlossen?“

Er kam wieder einige Schritte vorwärts und fragte:

„Meint Old Shatterhand es ehrlich mit dieser Unterredung?“

„Old Shatterhand handelt stets ehrlich!“

„Wo soll sie stattfinden?“

„Grad in der Mitte zwischen uns und euch.“

„Wer soll daran teilnehmen?“

„Nur du und ich.“

„Und jeder kehrt frei zu den Seinen zurück?“

„Ja.“

„Bis wir zurückgekehrt sind, dürfen die Krieger keiner Partei eine Feindseligkeit begehen?“

„Das versteht sich von selbst.“

„Und wir haben keine Waffen bei uns.“

„Keine!“

„So mag Old Shatterhand gehen und alle seine Waffen ablegen; ich werde gleich kommen.“

Ich kehrte nach unsrer Linie zurück und legte alles, was ich an Waffen besaß, bei meinem Pferde nieder. Als ich mich dann umdrehte, sah ich Nale-Masiuv schon kommen, mit langen, eiligen Schritten, gar nicht so langsam und würdevoll, wie es ihm als Häuptling ziemte. Das fiel mir auf. Er wollte sichtlich eher am Platze sein als ich. Warum? Es mußte das unbedingt einen Grund haben. Während ich ihm gemessenen Schrittes entgegenging, beobachtete ich ihn scharfen Auges. An einer Stelle, welche die angegebene Mitte sein konnte, blieb er stehen und setzte sich nieder. Dabei hielt er die rechte Hand länger hinter sich, als notwendig war, um sich beim Niederlassen zu stützen. Hatte das einen Grund? Und wenn es einen hatte, welcher konnte es sein? Hatte er etwas hinter sich gelegt, was ich nicht sehen sollte? War er darum so rasch und eher als ich gekommen, um diesen Gegenstand verbergen zu können? Mußte diese Frage mit ja beantwortet werden, so konnte dieser Gegenstand nichts andres als eine Waffe sein.

Jetzt hatte ich ihn erreicht und stand nur noch drei Schritte von ihm entfernt. Sollte ich diese drei Schritte auch noch thun, um zu sehen, was er hinter seinem Rücken hatte? Nein; das wäre Old Shatterhands nicht würdig gewesen. Ich setzte mich langsam nieder. Dann bohrten sich unsre Augen förmlich ineinander; jeder wollte seinen Gegner taxieren, und zwar richtig taxieren.

Nale-Masiuv war ein lang und schmal gebauter, aber starkknochiger und sehnenkräftiger Mann im Alter von vielleicht fünfzig Jahren. Seine Backenknochen traten weit hervor; seine scharfe Adlernase und die dünnen, zusammengekniffenen Lippen ließen in Verbindung mit den kleinen, wimperlosen Augen auf festen Willen, Thatkraft, Falschheit und Verschlagenheit schließen. Er betrachtete mich langsam vom Kopfe bis zu den Füßen herab, öffnete dann den Gürtel und das Jagdhemde und sagte:

„Old Shatterhand mag hersehen!“

„Warum?“ fragte ich.

„Um sich zu überzeugen, daß ich keine Waffe habe.“

Nun war ich grad im Gegenteile vollständig überzeugt, daß er hinter sich ein Messer oder etwas Ähnliches liegen oder in die Erde gesteckt hatte.

„Warum sagt Nale-Masiuv diese Worte?“ antwortete ich. „Sie sind überflüssig.“

„Nein. Du sollst sehen, daß ich ehrlich bin.“

„Nale-Masiuv ist ein Häuptling der Comantschen, und Old Shatterhand ist nicht nur ein weißer Jäger, sondern er wurde zum Häuptlinge der Mescalero-Apatschen ernannt. Die Worte von Häuptlingen müssen wie Schwüre gelten. Ich habe versprochen, keine Waffe mitzubringen, und so habe ich keine mit; das brauche ich dir nicht erst zu zeigen und zu beweisen.“

Indem ich dies sagte, bog ich das rechte Bein ein und legte den Fuß unter das linke, um schnell aufspringen zu können. Er achtete darauf nicht. Er fühlte gar wohl den Stich, den ich ihm mit meinen Worten versetzt hatte, und antwortete:

„Old Shatterhand spricht sehr stolz. Es wird die Zeit kommen, in welcher er demütiger redet!“

„Wann wird das sein?“

„Wenn wir ihn gefangen genommen haben.“

„Da kann Nale-Masiuv warten, bis er gestorben ist. Du wirst mein Gefangener, aber ich werde nicht der deinige sein.“

„Uff! Wie könnte Nale-Masiuv gefangen werden?“

„Du bist es schon!“

„Jetzt?“

„Ja.“

„Old Shatterhand führt Behauptungen im Munde, ohne sie beweisen zu können!“

„Der Beweis liegt vor deinen Augen. Sieh dich um!“

Pshaw! Ich sehe Bleichgesichter!“ sagte er mit einer unendlich wegwerfenden Handbewegung.

„Diese Bleichgesichter sind geübte Soldaten, denen deine Krieger nicht widerstehen können!“

„Sie sind Hunde, denen wir die Felle lebendig über die Ohren ziehen werden. Kein solches Bleichgesicht ist im stande, es mit einem Roten aufnehmen zu können.“

„So sag einmal, ob die Apatschen rote Krieger sind!“

„Sie sind es.“

„So magst du erfahren, daß der hintere Teil Eures Lagers von Apatschen eingeschlossen ist.“

„Old Shatterhand lügt!“

„Ich lüge nie, und du weißt gar wohl, daß ich auch jetzt die Wahrheit sage. Oder willst du behaupten, das Kriegsgeschrei der Apatschen nicht gehört zu haben? Bist du taub?“

„Wie groß ist ihre Zahl?“

Ich war natürlich nicht so aufrichtig, ihm zu sagen, daß es nur fünfzig waren; ich antwortete:

„So groß, daß sie allein genügen, euch zu vernichten.“

„Sie mögen sich zeigen!“

„Du wirst sie sehen, sobald es mir beliebt.“

„Von welchem Stamme sind sie?“

„Vom Stamme der Mescaleros, zu welchem ich und Winnetou gehören.“

Bei diesem Namen hob er schnell den Kopf und fragte:

„Wo ist Winnetou?“

„Im Llano estacado.“

„Er mag sich sehen lassen, wenn ich es glauben soll!“

„Du wirst ihn zu sehen bekommen. Er reitet mit fünfzig Apatschen vor Vupa Umugi her.“

„Uff, uff!“

„Um die Pfähle in die Erde zu stecken, welche in das Verderben führen.“

„Uff, uff!“ rief er wieder aus.

„Winnetou verrichtet diese Arbeit an Stelle des jungen Häuptlings Schiba-bigk, der sie nicht thun kann, weil wir ihn gefangen genommen haben. Nun führt Winnetou mit seinen Pfählen die Comantschen so in die Irre, wie Schibabigk die weißen Reiter in den Tod des Verschmachtens führen sollte.“

Jedes Wort, welches ich sagte, war ein Schlag für Nale-Masiuv. Er versuchte, sich zu beherrschen, konnte aber die Aufregung, in welcher er sich befand, nicht ganz verbergen. Seine Stimme zitterte, als er in scheinbar leichtem Tone sagte:

„Ich verstehe nicht, was Old Shatterhand spricht; er mag doch deutlicher reden!“

„Du weißt gar wohl, was ich meine.“

„Nein.“

„Lüge nicht! Glaubst du, Old Shatterhand täuschen zu können? Das würde dir nicht gelingen, selbst wenn in deinem Kopfe die Klugheit sämtlicher Comantschenhäuptlinge wohnte, was allerdings ganz und gar wenig ist! Von dir kommt doch der Plan, den Ihr hier ausführen wollt.“

„Welcher Plan?“

„Die weißen Reiter durch falsch gesteckte Pfähle in die Irre zu führen.“

„Old Shatterhand scheint zu träumen!“

„Leugne nicht! Du lügst; ich aber rede in aller Aufrichtigkeit mit dir. Als du geschlagen worden warst, sandtest du nach hundert neuen Kriegern heim. Zugleich schicktest du zwei Boten nach dem blauen Wasser zu Vupa Umugi, die ihm deinen Plan mitteilen sollten. Ich habe sie belauscht, ehe sie über den Rio Pecos gingen.“

„Uff! Ich werde sie aus der Reihe der Krieger stoßen!“

„Thue das! So unvorsichtige und schwatzhafte Leute sind nicht wert, Krieger zu heißen. Ich habe auch Vupa Umugi selbst belauscht und alles erfahren, ohne daß er es ahnte.“

Er sagte nichts dazu; aber sein Auge war durchdringend und forschend auf mich gerichtet; dabei schien es hinter den Lidern zu zittern wie vor einer zurückgehaltenen Angst. Ich fuhr fort:

„Ich habe auch die sechs Kundschafter belauscht, welche Vupa Umugi nach Osten sandte. Sie haben im Altschesetschi sterben müssen.“

„Uff! Darum sind sie nicht zurückgekehrt und darum haben wir sie hier nicht getroffen!“

„Es wird dir noch manches andre Licht aufgehen. Winnetou ist sofort und schleunigst nach dem Llano estacado geritten, um den Bloody-Fox zu warnen, und hat vorher nach so viel Kriegern der Apatschen gesandt, wie nötig waren, euern Anschlag zu vereiteln. Mit diesen Apatschen bin ich euch vorausgeeilt und habe Schiba-bigk mit seinen fünfzig Kriegern gefangen, als sie die Pfähle einsteckten, mit deren Hilfe ihm Vupa Umugi folgen sollte.“

„Sagst du die Wahrheit?“ stieß er mühsam hervor.

„Ich sage sie. Dann haben wir, so wie ihr es den weißen Reitern machen wolltet, für euch die Pfähle falsch gesteckt. Das hat Winnetou mit fünfzig Apatschen besorgt, deren Spuren Vupa Umugi für die Fährte der Comantschen halten Sollte, die bei Schiba-bigk waren.“

„Uff! Das hat euch der böse Manitou eingegeben!“

„Der gute Manitou. Der böse ist euer Ratgeber, nicht der unsrige. Nun reitet Vupa Umugi hinter den Apatschen her und glaubt, Schiba-bigk vor sich zu haben. Er wird in eine wasserlose Wüste kommen und so vom Kaktus eingeschlossen sein, daß er sich ergeben muß, wenn er nicht verschmachten will.“

„Old Shatterhand ist das böseste, das allerschlimmste der Bleichgesichter!“ zischte er mich wütend an.

„Das glaubst du selbst ja nicht. Du weißt, daß ich es gut mit allen roten Männern meine. Ich will auch jetzt alles zum Guten führen und euch zum Frieden mit euern Feinden bringen.“

„Wir wollen keinen Frieden!“

„So erntet ihr Blut; ganz wie ihr wollt! Als heut die weißen Reiter kamen, habe ich sie gewarnt und ihnen gesagt, daß du mit deinen Kriegern ihnen folgest. Da haben sie sich mit meinen Apatschen vereinigt und euch hier aufgelauert. Nun seid ihr so umzingelt, daß keiner von euch entkommen kann!“

„Wir werden kämpfen!“

„Versucht es doch!“

„Es ist kein Versuch, sondern es wird gelingen!“

Pshaw! Hundert Schüsse von den Bleichgesichtern, die du hier siehst; dazu meine Zauberflinte und das Gewehr Old Surehands, der niemals fehlt!“

„Old Surehand ist da?“

„Ja.“

„Wo?“

„Er befindet sich da oben bei den Apatschen, deren Kugeln auch unter euch wüten werden. Es ist ganz unmöglich, daß ihr uns entkommen könnt!“

„Du täuschest mich, um mich zur Ergebung zu bewegen!“

„Ich sage die Wahrheit.“

„Schiba-bigk ist nicht gefangen!“

„Er ist gefangen; ich beweise dir das, indem ich sage, daß er dreißig Naiini und zwanzig Comantschen seines Stammes bei sich hatte.“

„Und Vupa Umugi geht nicht in die Irre!“

„Er ist auf dem Wege zur Falle, in der wir ihn gefangen nehmen wollen. Ich will dir sogar sagen, daß ich, während er am blauen Wasser lagerte, nach dem Kaam-kulano geritten bin, wo sein Stamm wohnt. Von da habe ich alle seine Medizinen mitgebracht.“

„Uff! Die hast du gestohlen?“

„Ich habe sie von den Lanzen genommen, welche vor seinem Zelte steckten.“

„So ist er verloren, verloren!“

„Das ist er allerdings, wenn er nicht Frieden macht. Und das wird er schon deshalb thun, um wieder zu seinen Medizinen zu gelangen, den qualvollen Tod des Verschmachtens gar nicht gerechnet.“

Nale-Masiuv senkte den Kopf und sagte nichts.

„Du wirst nun einsehen,“ fuhr ich fort, „daß du weder auf Schiba-bigk noch auf Vupa Umugi rechnen kannst. Es bleibt auch dir nichts übrig, als dich zu ergeben.“

Er schwieg eine ganze, lange Weile. Was dachte er? Was ging in ihm vor? Er machte ein sehr, sehr niedergeschlagenes Gesicht; aber grad weil er dies so zeigte, traute ich ihm nicht. Da blickte er wieder auf und fragte:

„Was geschieht mit Schiba-bigk und seinen Leuten?“

„Wir werden sie freigeben, weil noch kein Blut zwischen uns geflossen ist.“

„Was werdet ihr mit Vupa Umugi thun?“

„Auch er wird mit seinen Kriegern frei, wenn er so klug ist, sich nicht zu wehren.“

„Und was hätte ich mit meinen Kriegern zu erwarten, wenn wir uns euch jetzt überlieferten?“

„Auch die Freiheit.“

„Wann?“

„Sobald wir darüber beschlossen haben.“

„Und die Beute?“

„Wir Weißen trachten nicht nach Beute; aber die Apatschen werden eure Pferde verlangen.“

„Wirst du sie ihnen geben?“

„Ja.“

„Sie gehören aber doch uns!“

„Ihr habt den Kampf begonnen und müßt die Folgen tragen. Die Gerechtigkeit verlangt eine Entschädigung für die, welche ihr angegriffen habt und töten wolltet. Ihr müßt froh sein, wenn ihr mit dem Leben davonkommt!“

„Aber wir brauchen unsre Pferde!“

„Zu Raubzügen, ja. Wenn ihr keine habt, müßt ihr Ruhe halten.“

„Wir sind stets Freunde der Ruhe und des Friedens gewesen!“

„Sprich nicht so lächerlich! Stets sind es die Comantschen gewesen, welche den Unfrieden angestiftet und den Kampf begonnen haben; das weißt du ebenso gut, wie ich es weiß.“

„Die Waffen aber wird man uns wohl lassen?“ erkundigte er sich weiter.

„Das weiß ich nicht.“

„Du mußt es wissen!“

Bei diesen Worten blitzten seine Augen für eine Sekunde auf, und er griff mit der rechten Hand langsam hinter sich. Ich wußte, daß jetzt höchst wahrscheinlich ein Angriff auf mich erfolgen werde, antwortete aber trotzdem ganz ruhig und gelassen:

„Ich kann es jetzt nicht wissen, weil ich mit Winnetou und Old Surehand darüber beraten muß.“

„Wirst du vorschlagen, daß wir sie behalten dürfen, oder nicht?“

„Die Pfeile, Bogen und Messer, auch die Tomahawks mögt ihr behalten. Ihr braucht sie zur Jagd, um euch zu ernähren.“

„Aber die Gewehre?“

„Die werden wir euch wohl nehmen, denn die sind es, ohne welche ihr nicht Krieg führen könnt. Habt ihr keine Gewehre mehr, so müßt ihr endlich Frieden halten.“

Ich hätte anders antworten, ihm das erwartete Versprechen machen können, vielleicht hätte er da jetzt auf seinen heimtückischen Angriff verzichtet; aber einesteils widerstrebte es mir, diesem Manne auch nur die kleinste Konzession zu machen, und andernteils glaubte ich, ihn grad durch seine Hinterlist um so leichter und schneller in meine Gewalt zu bekommen.

„Frieden halten?“ fragte er. „Das wollen wir nicht; wir wollen den Kampf. Da hast du ihn!“

Er sagte die vier letzten Worte mit erhobener Stimme. Seine Augen glühten auf; sein Oberkörper bog sich blitzschnell zu mir herüber, und in der Rechten blitzte sein Messer. Sonderbar! Messer! Also ganz so, wie ich zu dem Kommandanten gesagt hatte! Ich war auf meiner Hut gewesen. Kam er mir schnell, so kam ich ihm noch schneller. Ein rascher Griff mit meiner linken Hand, und ich hatte seine rechte Faust mit dem Messer gefaßt. Dann versetzte ich ihm, indem ich mich aufrichtete, mit der Rechten zwei solche Schläge gegen die Schläfe, daß er wie eine leblose Puppe zusammensank.

Das Messer in der Hand, sprang ich vollends auf und rief den mit Spannung uns beobachtenden Comantschen zu:

„Das ist Verrat. Nale-Masiuv wollte mich erstechen. Hier habt ihr sein Messer!“

Ich schleuderte es weit fort, in der Richtung nach ihnen hin; dann faßte ich den betäubten Häuptling beim Gürtel, hob ihn auf, warf ihn mir über die Schulter und rannte mit ihm fort, unsrer Aufstellung zu.

Was gab es da für ein Brüllen und Heulen hinter mir! Die Comantschen kamen gerannt, mich zu verfolgen. Da krachten oben von der Höhe mehrere blinde Schüsse herab. Old Surehand hatte den Befehl dazu gegeben, um die Comantschen zu erschrecken. Er erreichte seinen Zweck; sie gaben es auf, mir nachzuspringen, aber ihr Brüllen und Wehklagen dauerte fort.

Der Häuptling wurde gebunden; dann nahm ich den Stutzen in die Hand und ging wieder auf das Wasser zu. In Sprechweite angekommen, machte ich den Comantschen ein Zeichen zum Schweigen; sie gehorchten, und ich rief ihnen zu:

„Die Krieger der Comantschen mögen aufmerksam hören, was Old Shatterhand sagt! Sie wissen, daß ihr Häuptling ein Messer mit zur Beratung genommen hat, obgleich bestimmt war, daß wir ohne Waffen zu kommen hatten. Nale-Masiuv wollte mich erstechen, worauf seine Leute auf uns eindringen sollten. Ich war vorsichtig und vereitelte es; die Faust Old Shatterhands hat ihn zu Boden geschmettert; aber er ist nicht tot, sondern nur besinnungslos. Sobald er wieder zu sich kommt, werde ich weiter mit ihm sprechen. Bis dahin wird euch nichts geschehen, wenn ihr euch ruhig verhaltet. Versucht ihr aber, zu entfliehen, oder hören wir von euch einen einzigen Schuß, so werdet ihr sofort Hunderte von Kugeln bekommen. Ich habe gesprochen. Howgh!“

Diese Drohung machte den gewünschten Eindruck. Die Comantschen bildeten einen engen, vielbewegten Haufen, blieben aber sonst ruhig. Als ich zurückkam und bei Nale-Masiuv niederkniete, um ihn zu untersuchen, sagte der Kommandant zu mir:

„Wollte er Euch wirklich erstechen?“

„Ja.“

„Und Ihr trautet ihm?“

„Nein; ich ahnte sofort, daß er ein Messer hinter sich liegen hatte.“

„Wie gut, daß ich nicht an Eurer Stelle war!“

„Das denke ich auch.“

„Ich besitze Eure scharfen Augen nicht. Mich hätte er sehr wahrscheinlich erstochen.“

„Hm! Wer weiß, ob er das für der Mühe wert gehalten hätte, Sir.“

„Für der Mühe wert? Soll das heißen, daß ich keinen Messerstich oder keinen Schuß Pulver wert bin?“

„Ich wollte damit nur sagen, daß so ein Roter einen so kühnen und gewagten Streich nur dann ausführt, wenn es sich darum handelt, einen Mann aus dem Wege zu bringen, der ihm ungewöhnlich gefährlich ist.“

„Ah so! Was thun wir nun mit dem Verräter, dem Halunken? Ich schlage vor – – hm, hm!“

„Was?“

„Daß wir ihn schimpflich aufknüpfen. Ein Kerl, der bei einer solchen Beratung sein Versprechen bricht, muß baumeln, unbedingt baumeln!“

„Wenn auch das nicht, aber ich werde nun kurzen Prozeß mit ihm machen. Es ist gut, daß er seine Medizin nicht im Lager gelassen, sondern um den Hals hängen hat.“

„Warum?“

„Das wird ihn gefügiger machen. Warten wir, bis er aufwacht, was gar nicht lange dauern wird.“

„Hm! Da kann ich Euch inzwischen eine Frage vortragen.“

„Welche?“

„Während Ihr mit diesem Kerl verhandeltet, habe ich mir das, was wir miteinander besprochen haben, noch einmal reiflich überlegt.“

„Und Euch wohl anders besonnen?“

„Ja.“

„Inwiefern?“

„Es widerspricht aller militärischen Tradition und Gepflogenheit, solche rote Strolche zu besiegen, ohne sie zu bestrafen. Glaubt Ihr wirklich, mit den Comantschen ohne mich fertig zu werden?“

„Ja; ich brauche Euch nicht dazu.“

„So möchte ich lieber nicht mit in den Llano gehen. Wie tief müßt Ihr in denselben eindringen?“

„Zwei starke Tagemärsche.“

„Alle Wetter! Das ist weit. So viel Proviant haben wir nicht bei uns. Nehmt Ihr es mir übel, wenn – – – –“

Er schämte sich doch einigermaßen, die Frage vollends auszusprechen. Mir war es, offen gestanden, gar nicht unlieb, wenn ich ihn und seine Leute los wurde. Was brauchten sie von der Oase und andern Geheimnissen zu erfahren! Darum antwortete ich bereitwillig:

„Wenn Ihr zurückkehrt? O, ich habe gar nichts dagegen.“

„Wirklich nicht?“

„Nein, nicht das Geringste.“

„Das ist mir lieb, sehr lieb; hierher an den Llano habe ich mich verlocken lassen. Meine eigentliche Aufgabe liegt oben in der Ebene jenseits des Mistake-Cañon. Mit diesem Nale-Masiuv bin ich nur deshalb zusammengeraten, weil er mir in den Weg lief. Ich werde zurückkehren und hier nur So lange warten, bis Ihr mit diesen Comantschen fertig seid.“

„Da werdet Ihr nicht ohne Gewinn zurückkehren.“

„Wieso?“

„Ihr sollt Beute haben. Was thue ich mit diesen Roten? Soll ich sie mit im Llano herumschleppen, sie tränken und ernähren, sie als Gefangene bewachen? Das kann ich mir leichter machen. Ich überlasse sie Euch.“

„Mir? Oh!“

„Ja. Nur müßt Ihr mir versprechen, daß Ihr ihnen das Leben schenkt.“

„Ich gebe Euch mein Wort darauf.“

„Und Eure Hand.“

„Ja. Hier ist sie. Topp!“

Well! So nehmt die Kerls mit, bis über den Rio Pecos hinüber, damit sie nicht hierher zurückkommen und mir Dummheiten machen können. Dort nehmt Ihr ihnen die Pferde und die Waffen ab und laßt sie laufen.“

„Und was wir ihnen abnehmen, das sollen wir behalten, Sir?“

„Natürlich.“

„Da nehme ich sie noch weiter mit, noch viel weiter, damit sie Euch nicht hier genieren. Sie sind ja weiter von oben her. Nicht?“

„Ja. Also wir sind einig?“

„Vollständig einig. Hier gebe ich Euch nochmals meine Hand darauf, daß ich ihnen nichts thue, ihnen nicht an das Leben gehe. Seid Ihr nun zufrieden?“

„Vollständig.“

„Und ich bin es auch. Aber seht, der Kerl bewegt sich! Er macht die Augen auf. Das war auch so ein Hieb, wie ihn nur Old Shatterhand zu geben versteht. Möchte keinen haben!“

Der Häuptling kam zu sich zurück. Zunächst schien er nicht zu wissen, was mit ihm geschehen war; dann besann er sich.

„Siehst du wohl, daß ich Wort gehalten habe?“ sagte ich zu ihm. „Du bist jetzt mein Gefangener.“

Bei diesen Worten nahm ich ihm die Medizin vom Halse und zog ein Streichholz aus der Tasche. Er rief ängstlich aus:

„Was willst du mit meiner Medizin thun?“

„Ich verbrenne sie.“

„Uff, uff! Soll meine Seele verloren sein?“

„Ja; du hast es verdient. Du hattest dein Wort gebrochen und wolltest mich töten. Dafür wirst du dreifache Strafe leiden. Du wirst aufgehängt; ich nehme dir die Skalplocke vom Kopfe und verbrenne deine Medizin.“

Das Hängen ist für einen Indianer die allerschimpflichste Todesart. Lieber, viel lieber stirbt er eines langsamen, schmerzvollen, dabei aber rühmlichen Martertodes. Und meine beiden andern Drohungen waren die größten, die es geben kann. Die Skalplocke rauben, ohne die man nicht jenseits leben kann, und die Medizin verbrennen; damit vernichtete ich ihn und seine Seele für jetzt und für alle Ewigkeiten! Er versuchte, die starken Banden zu sprengen, und schrie voller Angst:

„Das thust du nicht; das wirst du nicht thun!“

„Ich werde es!“

Ich strich das Hölzchen an und hielt die kleine Flamme desselben an den Medizinbeutel, der sofort zu rauchen begann.

„Halt, halt!“ brüllte er. „Verschone mich! Nimm mir mein Leben, nur laß mir die Seele! Was muß ich thun? Was muß ich thun, um dich dahin zu bringen, daß du mir diese Bitte erfüllst?“

Ich nahm das Hölzchen weg und antwortete:

„Es giebt nur einen einzigen Weg, dich und deine Seele zu retten, einen einzigen.“

„Welchen? Sag es schnell!“

Die Augen traten ihm vor Angst und Entsetzen aus ihren Höhlen, denn ich hatte bereits ein zweites Hölzchen in der Hand.

„Gebiete deinen Leuten, daß sie sich gefangen geben und alle ihre Waffen ausliefern!“

„Das kann ich nicht!“

„So stirb und sei vernichtet!“

Das Hölzchen flammte auf, und der Beutel begann, wieder zu rauchen. Da zeterte der Häuptling, daß man es weithin hörte:

„Halt, halt ein! Ich thue es! Ich werde diesen Befehl erteilen!“

„Gut! Aber versuche ja nicht, Zeit zu gewinnen oder mich zu täuschen! Ich gebe dir mein festes, unverbrüchliches Wort, daß ich, wenn du dich nur einen Augenblick sträubst, den Befehl zu geben, dann auf keine weitere Bitte hören und die Medizin verbrennen werde. Ich habe gesprochen und halte mein Wort!“

„Ich werde es thun, sicher und gewiß. Mag der ganze Stamm gefangen sein; meine Medizin aber muß gerettet werden. Was habt Ihr beschlossen, das mit den Gefangenen geschehen soll?“

„Sie werden freigelassen, du auch.“

„Und wir behalten unsre Medizinen?“

„Ja.“

„So mag Senanda-khasi herkommen, welcher der zweite Häuptling ist! Ihm werde ich den Befehl geben, und er wird ihn ausführen.“

„Gewiß?“

„Ja, er muß gehorchen.“

Ich ging wieder bis auf Sprachweite auf das Lager zu und rief zu den Roten hinüber:

„Der Häuptling Nale-Masiuv will, daß der Unterhäuptling Senanda-khasi zu ihm komme, aber ohne lange zu zögern!“

Ich ging zurück. Als wir sahen, daß der Genannte dem Rufe folgte und wirklich kam, sagte der Kommandant zu mir:

„Welche Macht habt Ihr über diese Menschen, Sir! Ich wäre nicht auf den Gedanken gekommen, die Medizin anzubrennen.“

„Das ist es eben, was ich Euch gesagt habe: Man muß die Gebräuche und Anschauungen der Roten kennen; dann ist man gegen vieles gewappnet, dem Nichtkenner wehrlos verfallen.“

Senanda-khasi ging, ohne uns anzusehen, zu dem Häuptling hin und setzte sich neben ihm nieder. Ihre Unterredung wurde leise geführt, doch war sie außerordentlich erregt; das sahen wir. Dann stand der Unterhäuptling auf, wendete sich an mich und sagte:

„Old Shatterhand hat uns alle für diesesmal mit einem einzigen Schlage seiner Faust und dann durch seine List besiegt; aber es wird ein besserer Tag kommen, an welchem der große Manitou uns günstiger ist. Wir sind bereit, uns gefangen zu geben und Euch die Waffen auszuliefern. Wohin sollen wir sie legen?“

„Es mögen je zehn und zehn kommen und sie nebst aller Munition hier neben dem Häuptling niederlegen. Aber merke dir: Wer eine einzige Waffe verheimlicht, der wird erschossen!“

Er ging, und bald darauf kamen die Comantschen in einzelnen Gruppen zu zehn Personen, um Gewehre, Messer, Tomahawks, Pfeile, Bogen, Lanzen, Pulver und Kugeln mit finstern Mienen abzuliefern. Als dies geschehen war, sagte ich zum Kommandanten:

„Ich übergebe Euch die Gefangenen. Es ist nun Eure Sache, dafür zu sorgen, daß Ihr sie sicher habt. Laßt keinen entkommen!“

„Sorgt Euch nicht, Sir! Bin froh, daß ich sie habe. Werde sie zunächst in unsre Mitte nehmen und mit ihren eigenen Riemen binden.“

Während er dies durch seine Soldaten ausführen ließ, ging ich wieder eine Strecke vor, legte beide Hände als Schallrohr an den Mund und rief zu Old Surehand empor:

„Sis inteh peniyil – – die Apatschen mögen kommen!“

Dieser Ruf wurde verstanden, und einige Minuten darauf kam er an ihrer Spitze im Galoppe heruntergeritten. Ich ging ihm entgegen. Er sprang vom Pferde und fragte:

„Wir sahen, daß Euch der Häuptling erstechen wollte; Ihr habt es ihm aber gut gegeben. Was ist nun die Folge? Da liegen ja alle Waffen, und die Indsmen sind von den Dragonern eingeschlossen! Sie haben sich ergeben müssen?“

„Ja.“

„Wie habt Ihr das angefangen, Sir?“

„Ich drohte, die Medizin Nale-Masiuvs zu verbrennen.“

„Recht so! Dumme Kerls, so abergläubisch zu sein! Was werden wir aber mit ihnen anfangen? Es ist so unbequem, sie mitzuschleppen. Auch werden sie die Oase kennen lernen.“

„Nein. Der Kommandant ist auf den guten Gedanken gekommen, nicht mit uns zu reiten, sondern umzukehren. Dem habe ich sie übergeben. Er bekommt dafür ihre Pferde und ihre Waffen und läßt sie erst jenseits des Rio Pecos frei.“

„Well! Das ist das Allerbeste, was geschehen kann. Wir reiten also ohne die Dragoner hinter Vupa Umugi her?“

„Ja.“

„Wann?“

„Wir haben hier nichts mehr zu thun. Unsre Pferde haben getrunken, und die Schläuche sind gefüllt. Wir können sogleich fort.“

„Da wollen wir uns auch nicht lange verweilen. Je eher wir den Naiini auf die Hacken kommen, desto besser ist’s.“

„Ja. Wollen nur erst zärtlichen Abschied von dem lieben Kommandanten nehmen!“

Ich stieg auf das Pferd und ritt mit Old Surehand zu ihm hin.

„Wollt Ihr schon fort, Mesch’schurs?“ fragte er. „Es thut mir wirklich leid, daß wir nicht länger bei einander bleiben können!“

„Uns ebenso,“ antwortete ich. „Wir hätten Euch gern noch länger Gelegenheit gegeben, so dumme Gräbersucher kennen zu lernen.“

„Oh – – ah – –!“ dehnte er verlegen.

„Vielleicht wißt Ihr nun, welches Kleidungsstück mehr zu bedeuten hat, der Jagdrock eines Westmannes oder die Uniform eines Dragoneroffiziers. Nehmt das zu Herzen, und lebt wohl!“

„Lebt – – wohl!“ echote er, noch verlegener als vorher.

Wir setzten uns an die Spitze unsrer Apatschen und ritten fort. Schon nach wenigen Minuten konnten wir, zurückblickend, die hundert Bäume nicht mehr sehen. Wir kamen von Stange zu Stange, indem wir der breit und tief ausgetretenen Fährte der Naiini-Comantschen folgten. Je weiter wir vorwärts kamen, desto sicherer und enger schlossen wir die Kaktusfalle, in welche wir sie trieben. – – –“

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In Der Oase

In der Oase

Zwischen Texas, Arizona, Neu-Mexiko und dem Indianer-Territorium, oder noch anders ausgedrückt, zwischen den Ausläufern des Ozarkgebirges, der untern und der obern Sierra Guadelupe und den Gualpabergen, rings eingefaßt von den Höhen, welche den obern Lauf des Rio Pecos und die Quellen des Red River, Sabine, Trinidad, Brazos und Colorado umgrenzen, liegt eine weite, furchtbare Strecke Landes, welche die Sahara der Vereinigten Staaten genannt werden könnte.

Wüste Strecken dürren, glühenden Sandes wechseln mit nackten, brennend heißen Felslagerungen, die nicht imstande sind, auch nur der allerdürftigsten Vegetation die kärgsten Bedingungen des kürzesten Daseins zu erfüllen. Schroff und unvermittelt folgt die kalte Nacht auf die Hitze des Tages; kein einsamer Dschebel, kein grünendes Wadi unterbricht wie in der Sahara die tote, einförmige Wüste; kein stiller Bir lockt mit der belebenden Feuchtigkeit eine kleine Oase hervor; sogar der durch den Steppencharakter vermittelte Übergang von den reich bewaldeten Berggebieten zum leblosen, sterilen Sandmeere fehlt gänzlich, und der Tod tritt dem Auge überall unverhüllt in seiner fürchterlichsten Gestalt entgegen. Nur hier und da steht – man weiß nicht, durch welche Kraft hervorgerufen und erhalten – ein einsamer, lederartiger Mezquitestrauch, gleichsam zum Hohne für den nach einem grünen Punkte sich sehnenden Blick, und ebenso erstaunt trifft man zuweilen auf eine wilde Kaktusart, die entweder nur in einzelnen Exemplaren steht oder Gruppen bildet oder auch weite, ausgedehnte Flächen eng bestandet, ohne daß man sich ihr Dasein enträtseln und erklären kann. Aber weder der Mezquite, noch der Kaktus gewährt einen erfreulichen, wohlthuenden Anblick; graubraun ist ihre Farbe und unschön ihre Gestalt; sie werden von dickem Sandstaube bedeckt, und wehe dem Pferde, dessen Reiter so unvorsichtig ist, es in eine solche Kaktuswildnis zu lenken! Es wird von den spitzen, haarscharfen und stahlharten Stacheln so an den Füßen verwundet, daß es nie wieder richtig laufen lernt; der Reiter muß das arme Tier sofort aufgeben, und wenn er es nicht tötet, so verfällt es dem elenden Schicksale, langsam umzukommen.

Trotz aller Schrecken, welche diese Wüste bietet, hat es doch der Mensch gewagt, sie zu betreten. Es führen Straßen durch sie, hinauf nach Santa Fé; und Fort Union, hinüber nach dem Paso del Norte und hinunter in die grünenden Prairien und wohlbewässerten Wälder von Texas. Aber bei diesem Worte Straße darf man nicht an die Art von Wegebau denken, welche in civilisierten Ländern diese Bezeichnung trägt. Wohl reitet ein einsamer Jäger oder Rastreador, eine Gesellschaft kühner Wagehälse oder ein zweideutiger Pulk Indianer durch die Wüste, wohl knarrt auch ein schneckengleich langsamer Ochsenkarrenzug durch die Einöde, aber das, was wir einen Weg nennen, das giebt es nicht, nicht einmal jene viertelstundenbreit auseinander gehenden Geleise, wie man sie in den Pampas Südamerikas oder in der Lüneburger Heide und dem Sande Brandenburgs findet. Jeder reitet oder fährt seine eigene Bahn, so lange ihm der Boden noch einige wenige Merkmale bietet, an denen er erkennen kann, daß er überhaupt noch in der richtigen Richtung ist. Aber diese Merkmale hören nach und nach selbst für das geübteste Auge auf, und von da an hat man die Maßregel getroffen, diese Richtung vermittelst Pfählen zu bezeichnen, welche in gewissen Entfernungen in den Boden gesteckt werden.

Dennoch aber fordert diese Wüste ihre Opfer, welche, die Größenverhältnisse in Betracht gezogen, viel zahlreicher und auch schrecklicher sind als diejenigen, welche die Sahara Afrikas und die Schamo oder Gobi Hochasiens als furchtbaren Tribut fordern. Menschengerippe, Tierkadaver, Sattelfragmente, Wagenreste und andere schauerliche Überbleibsel liegen am und im Wege und erzählen stumme Geschichten, die zwar das Ohr nicht hören, aber das Auge desto deutlicher sehen und die Phantasie vollends ergänzen kann. Und darüber schweben hoch in den Lüften die Aasgeier, die jeder lebenden Bewegung, welche sich unten zu erkennen giebt, mit beängstigender Ausdauer folgen, als ob sie ganz genau wüßten, daß ihnen ihre sichere Beute nicht entgehen kann.

Und wie heißt diese Wüste? Die Bewohner der umliegenden Territorien geben ihr verschiedene, bald englische, bald französische oder spanische Namen; weithin aber ist sie wegen der eingerammten Pfähle, welche den Weg bezeichnen sollen, entweder als Llano estacado oder als Staked-Plain bekannt. – – –

So ungefähr schrieb ich in einem früheren Bande [Fußnote] dieser Werke, in welchem die Grauenhaftigkeit des fürchterlichen Llano estacado geschildert wird. Wenn ich da sagte, daß kein Brunnen eine einsame Oase hervorrufe, so wußte ich bei meinem damaligen Ritte durch die Staked Plains von der Ausnahme nichts, die ich dann später kennen lernte. Es gab mitten in dieser Wüste doch eine Oase, und sie war der Aufenthalt derjenigen Person, von welcher mir Winnetou auf seinem Zettel mitgeteilt hatte, daß sie von den Comantschen überfallen werden solle, nämlich des Bloody-Fox.

Der blutige Fuchs. Schon dieser Name deutet auf einen ungewöhnlichen Lebenslauf. Sein jetziger Träger hatte als Kind zu einer Auswanderer-Karawane gehört, welche im Hano estacado von einer Bande von Stakemen überfallen und ermordet worden war. Ein Farmer, Namens Helmers, fand die ausgeraubten Leichen und entdeckte noch Leben in dem Knaben, in dessen Schädel eine große Hiebwunde klaffte; er verband ihn und nahm ihn mit sich nach Helmers Home, seiner Farm. Das sorgfältig gepflegte Kind überstand die gefährliche Verletzung und wurde wieder gesund, hatte aber alles, was vor dem Überfalle geschehen war, also auch seinen Namen, vollständig vergessen. Einen Namen mußte es aber haben, und da es, als es gefunden wurde, von Blut überströmt war und dann im Wundfieber sehr oft den Namen Fox genannt hatte, so nahm Helmers an, sein Vater habe so geheißen, und entschloß sich, ihn Bloody-Fox zu nennen.

Der Knabe gedieh vortrefflich, körperlich und auch geistig, konnte aber sein Gedächtnis nie zwingen, bis vor den Überfall zurückzugehen. Er wußte ganz genau, wie der Mann, von dem er den Hieb erhalten hatte, ausgesehen hatte; er konnte sich das Gesicht desselben deutlich vergegenwärtigen; weiter aber wußte er nichts, auch das nicht, warum er so sehr oft den Namen Fox genannt hatte. Helmers freute sich über die ungewöhnliche Entwickelung seines Pfleglings und war nur in einer Beziehung nicht mit ihm zufrieden; er konnte ihn nämlich nicht an das Haus gewöhnen. Seine Besitzung lag am nördlichen Rande des Llano estacado, und kaum war der Knabe so weit, ein Pferd regieren zu können, so schweifte er reitend in der Wüste umher, anstatt sich auf den Feldern seines Pflegevaters nützlich zu machen. Daran war trotz aller Mühe und aller Ermahnungen nichts zu ändern. Als Helmers einmal ungewöhnlich zornig darüber wurde, erklärte Bloody-Fox:

„Die Meinigen sind von den Geiern des Llano ermordet worden, und ich habe mir vorgenommen, diese Geier bis auf den letzten auszurotten. Dazu ist es notwendig, daß ich den Llano so kennen lerne, wie ich meine Taschen kenne. Soll ich das nicht dürfen, so will ich lieber nicht leben.“

Er sagte dies mit solcher Entschlossenheit, daß Helmers es für geraten hielt, nachzugeben; ja, er nahm sich ferner vor, den Knaben zu einem Manne auszubilden, der imstande sein werde, den Geiern Respekt einzuflößen. Infolgedessen wuchs Bloody-Fox in vollständiger Freiheit auf, konnte gehen und kommen, wann und wie er wollte, und wurde ein so kühner Reiter und waffengewandter Schütze, daß selbst Winnetou, als er ihn später kennen lernte, ihm seine Bewunderung nicht versagen konnte. Helmers war von Geburt ein Deutscher, und die Eltern von Bloody-Fox schienen auch Deutsche gewesen zu sein, denn obwohl ihm alles Frühere aus dem Gedächtnisse entschwunden war, das Englische lernte er nicht schneller als jedes andre Kind, das Deutsche aber wurde ihm so außerordentlich leicht, daß man unbedingt annehmen mußte, er habe es schon früher gesprochen.

Fragt man, was es mit den Stakemen oder den Geiern des Llano estacado für eine Bewandtnis habe, so ist die Antwort folgende: Es wurde bereits gesagt, daß die sogenannten Wege, welche durch die Wüste führen, von da an, wo die natürlichen Merkmale aufhören, mit Pfählen bezeichnet zu werden pflegen. Neben den ehrlichen Menschen, welche diese Wege benutzen, giebt es noch andre Leute, die moralisch Bankerott gemacht haben und die Arbeit hassen, heruntergekommene Subjekte, welche den bewohnten Osten fliehen mußten, weil sie sich fürchteten, mit dem Strafrichter in Berührung zu kommen, gewissenlose Schurken, die nichts mehr zu verlieren haben und, weil ihr eigenes Leben keinen Wert besitzt, auch das andrer Menschen für nichts achten. Sie leben von nichts als nur vom Raube, und dazu bietet ihnen der Llano, wenn nicht das ergiebigste, so doch das verschwiegenste Terrain. Sie haben ihre Schlupfwinkel am Rande der Wüste und lauern in der Nähe der Wege auf Reisende, welche durch den Llano wollen. Diesen schließen sie sich entweder als bloße Begleiter oder als Führer an und schicken ihre Verbündeten voraus, um die Pfähle entfernen und in falscher Richtung wieder einstecken zu lassen; daher der Ausdruck Stakemen. Wer dann diesen Pfählen folgt, wird vom richtigen Wege ab und in das sichere Verderben geführt; er stirbt den elenden Tod des Verschmachtens, wenn er nicht vorher schon ermordet wird, und sein Eigentum fällt den menschlichen oder vielmehr entmenschten Geiern des Llano anheim. So kommt es, daß die Gebeine von Hunderten und Aberhunderten in der tiefsten Einsamkeit im Sonnenbrande bleichen und niemand weiß, wohin diese Unglücklichen gekommen sind.

Einer Bande solcher Stakemen war auch die Karawane, zu welcher Bloody-Fox gehört hatte, zum Opfer gefallen. Die entsetzliche Scene des Ermordens war ihm im Gedächtnis geblieben; daher der heiße Wunsch in ihm, diese Geier bis auf den letzten auszurotten, und so kühn und schwer diese Aufgabe war, er besaß alle zu ihrer Ausführung nötigen Eigenschaften.

Er durchkreuzte den Llano nach und nach in allen Richtungen; er lernte jeden Schrittbreit der Wüste kennen; er wurde mit allen ihren Gefahren vertraut und hatte, was die Aufgabe seines Vorhabens unendlich erleichterte, das Glück, tief im Innern der Einöde eine grünende Oase mit Wasser zu entdecken. Das war so viel und noch mehr wert, als ob er hundert Verbündete gewonnen hätte.

Diesen Ort hielt er geheim. Kein Mensch, selbst Helmers nicht, obgleich er diesem das Leben verdankte, erfuhr etwas davon. Er baute sich im Laufe der Zeit ein Häuschen an das Wasser und bepflanzte die Wände desselben mit dicht wuchernden Passionsblumen. Er fing wilde Mustangs und brachte sie heimlich hin, um stets frische Pferde zu haben, wenn eins müde geritten war. Das gab seinen Bewegungen eine Schnelligkeit, die er sonst nicht hätte entwickeln können; es war ihm dadurch ermöglicht, jetzt an der einen und bald darauf an der entgegengesetzten Grenze des Llano zu sein. Er schaffte Proviant und Munition nach dem Häuschen. Aber um diese Oase und die dort befindlichen Pferde während seiner Abwesenheit zu pflegen, brauchte er eine Person, der er sein Vertrauen schenken, von der er annehmen konnte, daß sie sein Geheimnis nicht verraten werde. Es gab eine alte Negerin, Namens Sanna, die ihn sehr liebte und auf seinen Vorschlag einging. Sie wohnte eine ganze Reihe von Jahren in dieser tiefen Einsamkeit, ohne sich von dem Häuschen fortzusehnen, und wurde für diese Treue auf eine Weise belohnt, die über ihre alten Tage den hellsten Sonnenschein ergoß. Sie war nämlich in Tennessee Sklavin eines Pflanzers gewesen, der ihr einziges Kind, einen Knaben, von ihr gerissen und verkauft hatte. Auch sie war später verschachert und durch verschiedene Schicksale bis an die Staked-Plains verschlagen worden; nie hatte sie ihren Sohn, ihren Bob, vergessen können; er war ihr Gedanke bei Tag und bei Nacht, und sie schwor darauf, daß sie nicht sterben werde, ohne ihn wieder gesehen zu haben. Da kamen wir an den Llano und lernten Bloody-Fox kennen. Bei uns befand sich ein Westmann, dessen unzertrennlicher Begleiter ein Neger, sein früherer Diener war. Der Schwarze hieß Bob, und es stellte sich zu unsrer freudigen Verwunderung und zum Entzücken der alten Sanna heraus, daß er der verkaufte Negerknabe aus Tennessee war. Sie blieben von da an zusammen, um sich erst mit dem Tode zu trennen.

Von dem Augenblicke an, der Sanna in sein Häuschen gebracht hatte, konnte Bloody-Fox so, wie er es wünschte, an die Verwirklichung seiner Pläne gehen. Er erschien immer seltener bei seinem Pflegevater; aber wenn er einmal kam, hatte dieser ihm stets etwas Neues zu erzählen, und dieses Neue betraf fast immer den Tod eines Stakeman. Man fand bald hier und bald dort die Leiche eines Menschen, der genau durch die Mitte der Stirn geschossen war, und wenn man den Inhalt seiner Taschen untersuchte, so entdeckte man gewiß Gegenstände, welche von einem Raube stammten und also bewiesen, daß der Tote zu den Pfahlmännern gehört habe. Solche Fälle wiederholten sich je länger desto häufiger, und das Loch in der Stirn galt bald als untrüglicher Beweis, daß man den Getroffenen für einen bestraften Pfahlmänner Geier zu halten habe. Wer aber war der geheimnisvolle Rächer? Niemand wußte es, und selbst Helmers ahnte es nicht.

Es war kein Wunder, daß bald Sage auf Sage über diesen Rächer entstand. Es gab Leute, die ihn gesehen haben wollten, pfeilschnell in der Ferne vorüberreitend, nie so nahe, daß sie ihn deutlich erkennen konnten. Heute sah ihn ein Händler am südlichsten Punkte des Llano und fand eine Stunde später einen durch die Stirn geschossenen Toten; morgen hörte ein Trupp Reisender am östlichen Rande der Plains einen Büchsenknall; ein Reiter verschwand gedankenschnell am Horizonte, und als sie an die betreffende Stelle kamen, lag ein Mensch da, tot ausgestreckt und in die Stirn getroffen. Einen Tag später kehrten bei Helmers Leute ein, welche im Llano gelagert und beim hellen Mondenschein denselben Reiter gesehen haben wollten, wie er hüben auftauchte, an ihnen vorübergaloppierte und drüben wieder verschwand. Schließlich bemächtigte sich gar der Aberglaube dieser unbegreiflichen Persönlichkeit; dieser Reiter war kein Mensch, sondern ein überirdisches Wesen, welches mit der Schnelligkeit des Blitzes von einem Ende des Llano nach dem andern flog. Wie hätte ein Sterblicher solche Schnelligkeit entwickeln und mit solcher Sicherheit den Räuber von dem ehrlichen Manne unterscheiden können! „Der Geist des Llano estacado fuhr über die Plains,“ erzählte man; „der Avenging-Ghost hat wieder einen Stakeman geholt.“

Die ehrlichen Leute atmeten auf; die Stakemen hielten sich enger zusammen; sie wagten sich nicht mehr einzeln oder in kleinen Trupps in die Wüste, sondern sie führten ihre verbrecherischen Unternehmungen in größerer Gemeinschaft aus. Aber auch das bot ihnen keine Sicherheit. Sie lagerten zu zwanzig und noch mehr Personen bei einander; da fiel ein Schuß, noch einer, und zwei von ihnen waren durch die Stirn getroffen; unweit von ihnen aber erklang der Hufschlag eines davoneilenden Pferdes.

Um diese Zeit war es, daß ich, wie oben erwähnt, mit mehreren Westmännern zu Helmers kam, um durch den Estacado zu reiten und jenseits desselben mit Winnetou zusammenzutreffen. Wir erfuhren da, daß eine Auswandererkarawane vor uns sei, die auch durch die Plains wolle. Einige Personen, die wir bei Helmers sahen, erregten meinen Verdacht; ich folgte, als sie sich entfernt hatten, ihren Spuren und gewann die Überzeugung, daß die Auswanderer in die Irre geführt werden sollten. Der Scout, dem sie sich anvertrauten, war ein Pfahlmann, und seine Genossen warteten auf ihre Opfer. Wir machten uns natürlich schleunigst auf den Weg, um den Bedrohten Hilfe zu bringen.

Zu derselben Zeit traf Winnetou, der mich erwartete, auf einen Trupp Comantschen, die er damals nicht zu meiden brauchte, weil grad Friede zwischen ihnen und den Apatschen war. Von ihnen erfuhr er, daß sie ihrem Häuptlinge in den Llano entgegenritten, der durch die Plains kommen werde, aber sich in großer Gefahr befinde, weil sich eine bedeutende Anzahl von Stakemen zusammengefunden habe, die irgend einen Überfall im Sinne zu haben schienen. Das waren dieselben Geier, die ich entdeckt hatte. Da Winnetou wußte, daß ich mich unsrer Verabredung gemäß auch schon in der Nähe befinden müsse, wurde er besorgt um mich und beschloß, nicht auf mich zu warten, sondern mir auch entgegenzureiten. Er bot also den Comantschen seine Begleitung an, und sie gingen sehr gern auf seinen Vorschlag ein, weil es ihnen und ihrem gefährdeten Häuptlinge nur nützlich sein konnte, wenn sie einen Mann wie Winnetou bei sich hatten.

Infolgedessen war der sonst so öde Estacado jetzt von vier Trupps belebt, von denen drei sich in einer und derselben Richtung bewegten; die Auswanderer wurden von ihrem verräterischen Scout nach Süden in den beabsichtigten Tod geführt; ebenso südwärts folgten ihnen die Stakemen, und ich kam mit meinen Begleitern hinter diesen, um den geplanten Streich zu vereiteln. Von Westen her aber näherte sich Winnetou mit den Comantschen, welche leider zu spät kamen, denn es stellte sich heraus, daß ihr Häuptling schon von den Geiern ermordet worden war.

Da wir südlich und die Comantschen östlich ritten, und die Zeit zufälligerweise so genau stimmte, als ob wir uns verabredet hätten, mußten wir im rechten Winkel zusammentreffen, und zwar in der Nähe der Oase, von welcher wir freilich keine Ahnung hatten. Bloody-Fox wußte ebenso wie wir von der Absicht der Stakemen; er wollte die Fremden retten und ritt ihnen von seiner Wüsteninsel aus entgegen, um sie zunächst zu warnen. Unglücklicherweise traf er anstatt auf sie auf die Geier, welche sofort Jagd auf ihn machten. Infolge der Schnelligkeit seines Pferdes entkam er ihnen nordwärts und traf auf uns, denen er sich natürlich anschloß. Wir galoppierten drei Stunden lang, konnten die Auswanderer aber doch erst einholen, als es schon dunkel geworden war. Sie hatten mit ihren Wagen ein Viereck gebildet, innerhalb dessen sie lagerten; ihre Zugochsen hatten vor Durst nicht weiter gekonnt und auch sie selbst waren halb verschmachtet; ihr Scout hatte die Wasserfässer angebohrt, wie sich herausstellte; er entfloh, als wir kamen.

Inzwischen hatte Winnetou, ohne daß ich es ahnte, dieselbe Gegend erreicht und vermöge seines unvergleichlichen Spürsinnes die Stakemen entdeckt. Er schlich sich an sie, die natürlich keine Feuer brennen konnten und durften, heran, grad in dem Augenblicke, als der entflohene Scout bei ihnen eintraf, und ihnen sagte, daß wir bei den Einwanderern eingetroffen seien. Anstatt sich dies zur Warnung dienen zu lassen, freuten sie sich, durch uns noch größere Beute zu bekommen, und beschlossen, uns beim Grauen des Morgens anzugreifen. Winnetou hörte dies, schlich sich zu den Comantschen zurück und kam dann mit diesen zu uns geritten. Das war wieder so eines seiner Meisterstücke! Wie froh war ich, schon jetzt und hier mit ihm zusammenzutreffen! Seine Comantschenschar verdoppelte unsre Zahl, und er selbst wog allein mehr als sie.

Als der Morgen anbrach, lagen wir hinter den Wagen versteckt. Die Stakemen kamen; wir zählten fünfunddreißig. So zahlreich pflegten sie jetzt aus Furcht vor dem Avenging-Ghost aufzutreten. Sie ahnten nicht, daß wir von ihnen wußten, und glaubten, sehr leichtes Spiel zu haben. Unsre erste Salve traf sie auf fünfzig Schritte Entfernung und brachte geradezu Entsetzen über sie. Es gab einen wirren Knäuel vor Schreck brüllender Menschen; die Toten und Schwerverwundeten stürzten; die ledig gewordenen Pferde vermehrten die Verwirrung; dann löste sich das Chaos, und wer sich noch im Sattel halten konnte, floh in südlicher Richtung davon. Wir saßen im Nu auf unsern Pferden und jagten ihnen nach. Sie wurden alle ausgelöscht. Der letzte von ihnen erreichte die bisher so geheim gehaltene Oase des Bloody-Fox. Dort stürzte er mit seinem Pferde und brach das Genick. Er war der Anführer und nur deshalb so weit entkommen, weil er das schnellste Pferd hatte. Wir erkannten in ihm einen berüchtigten Verbrecher, welcher weit und breit unter dem Namen Stealing-Fox bekannt war, und, wunderbar! Bloody-Fox erklärte uns in größter Aufregung, dies sei ganz gewiß der Mann, der ihm damals die klaffende Kopfwunde geschlagen habe; es sei gar nicht daran zu zweifeln, denn er habe dieses Gesicht niemals vergessen können. Der Mensch hatte sich Fox genannt, allerdings nicht Stealing-Fox, und war ihr Führer gewesen. Nun ließ sich freilich sehr leicht erklären, warum der gerettete Knabe in seinen Fieberphantasien so oft den Namen Fox ausgesprochen hatte.

Kam es uns fast wie ein Wunder vor, daß Bloody-Fox so unerwartet den Mörder seiner Eltern entdeckte, so war es später wenigstens ebenso zum Verwundern, als sich herausstellte, daß unser Neger Bob der Sohn der alten Sanna sei. Und als wir dann Zeit fanden, der Örtlichkeit unsre Aufmerksamkeit zu schenken, wollte sie uns als ein drittes und viel größeres Wunder erscheinen. Es hatte zwar alte Jäger und Indianer gegeben, welche behaupteten, daß es mitten im ödesten Llano estacado ein Wasser gebe, an welchem die herrlichsten Bäume und Blumen ständen, aber es war ihnen kein Glaube geschenkt worden. Ich selbst hatte auch davon gehört, aber stets daran gezweifelt. Nun sah ich es vor Augen.

Freilich, wenn ich an die Sahara dachte, unter deren Sand- und Felsenboden in größerer oder geringerer Tiefe Wasser in Fülle vorhanden ist, wollte mir diese Oase hier im Llano gar nicht so hydropathisch unerklärlich erscheinen. Die Wüste der Plains wird von dem Rio Pecos durch eine Bergkette getrennt, welche oft einfach verstreicht, oft aber auch mehrere Höhenzüge bildet, zwischen denen lange Thäler liegen, die von engen, schluchtartigen Querthälern durchschnitten werden, deren Mund sich nach dem Llano öffnet. Von diesen Höhen kommen und in diesen Querthälern fließen verschiedene kleine Gewässer herab, an deren Ufer Sträucher und sogar Bäume ganz wohl zu existieren vermögen. Diese grünen Stellen ragen wie Halbinseln oder Vegetationszungen in das Sandmeer des Estacado hinein und bilden zwischen sich Busen, in denen Gras und Kräuter Nahrung finden. Diese Wasserläufe versiechen, sobald sie den Sand berühren; sie verdunsten nicht. Das Wasser dringt in den lockern Boden ein und muß sich da, wo es eine feste, undurchlässige Unterlage findet, sammeln. Man darf sich nur den Llano keineswegs als eine streng horizontale Ebene, sondern als eine Depression denken, an deren tiefster Stelle dieses Wasser zu Tage treten muß, und zwar hell, klar und rein, weil durch den Sand gefiltert.

Leider war das so lang bewahrte Geheimnis des Bloody-Fox nun unserm Wissen preisgegeben; es schien ihm das auch gar nicht lieb zu sein, doch ergab er sich in das Unvermeidliche und nahm uns nur später das Versprechen ab, bis auf weiteres darüber zu schweigen. Es stand zu erwarten, daß er nun für lange Zeit keine Veranlassung mehr haben werde, den Avenging-Ghost zu spielen; wir hatten unter den Stakemen aufgeräumt, und wenn es ja noch vereinzelte gab, so hörten sie gewiß von dem Tode dieser fünfunddreißig Geier und ließen ihn sich zur Warnung dienen. Die Einwanderer wurden nach der Oase geholt, wo sie einige Tage blieben und dann gekräftigt ihre Wanderung fortsetzten. Wir begleiteten sie bis an den Pecos. Sie gingen nach Arizona hinüber, wo sie immerhin von der Oase erzählen konnten; entweder hielt man für unwahr, was sie sagten, oder wenn man es ihnen glaubte, so hatte man keine Gelegenheit, es auszunutzen. Wir andern Weißen hatten viel eher Gelegenheit, nach dem Llano zu kommen, nahmen uns aber vor, gegen jedermann über Foxens grüne Wüsteninsel zu schweigen.

Anders freilich stand es mit den Comantschen, welche das Geheimnis leider nun auch kannten. Sie mußten zwar auch versprechen, nicht davon zu reden, doch waren wir überzeugt, daß sie nicht Wort halten würden. Der Ort war für ihr Volk nicht ohne Wert.

Wenn man sich von da aus, wo wir uns befanden, eine gerade Linie nach Westen gezogen denkt, stößt dieselbe jenseits des Flusses auf eine Gegend, welche einer der gefährlichsten Winkel des fernen Westens genannt werden mußte, weil sich dort die Streifgebiete der Comantschen und Apatschen berührten. Wer die Verhältnisse kennt, der weiß, daß es, so lange diese beiden Nationen überhaupt noch existieren, niemals zwischen ihnen zu einem dauernden Frieden kommen kann; die gegenseitige Erbitterung wird schon dem Kinde anerzogen und eingeprägt, und wenn ja einmal der Tomahawk des Krieges zwischen ihnen vergraben wird, so genügt doch die geringste Veranlassung, ihn wieder auszugraben. Solche Veranlassungen konnte es täglich geben, weil die Gebiete nicht nur aneinanderstießen, sondern vielfach ineinander liefen und oft noch gar nicht bestimmt waren. Der Vorwurf einer Grenzverletzung war also leicht zu haben, ganz abgesehen von den hundert andern Gründen, die es gab, wenn man den Kampf nur wünschte. Darum wurden jene Gegenden von den Westleuten gern the shears genannt, ein Ausdruck, der sehr bezeichnend war. Die beweglichen Grenzlinien öffneten und schlossen sich wie Scheren, und wer zwischen sie geriet, der konnte, besonders wenn er ein Weißer war, von großem Glücke reden, wenn er unbeschädigt davonkam.

Die häufigen Kämpfe zwischen den beiden Nationen pflegten drüben in den shears zu entbrennen und sich dann über den Pecos herüberzuspielen; die Unterliegenden wurden gewöhnlich in den Llano getrieben. Wie vorteilhaft, wenn man da in der Sandwüste einen Punkt hatte, wo man sich sammeln und erholen konnte, während der Feind glaubte, man sei dem Tode des Verschmachtens anheimgefallen! Solch einen Punkt bot die Oase, und ihn hatten die Comantschen jetzt kennen gelernt. Würden sie, daheim angekommen, darüber schweigen? Ich konnte es mir nicht denken und machte Bloody-Fox auf die Gefahr aufmerksam, welche für ihn aus der Mitwissenschaft der Roten entsprang. Er nahm die Sache genau so ernst wie ich und sagte:

„Ihr habt recht, Sir. Ich habe mein Geheimnis so lange Zeit behütet, und nun ist es plötzlich preisgegeben. Ich bin aber selbst schuld daran.“

„Wieso?“

„Ich hätte Euch gestern diese Gegend beschreiben sollen; es wäre Euch dann wohl nicht schwer gewesen, es so einzurichten, daß die Stakemen nicht hierher fliehen konnten.“

„Das ist freilich richtig.“

„Dann hättet nur Ihr es gewußt und es gewiß keinem Menschen verraten. Nun aber, wie es jetzt steht, habe ich von drei Seiten Besuche zu erwarten.“

„Ich denke, nur von den Comantschen.“

„Auch von den Apatschen!“

„Nein. Es giebt nur einen Apatschen, der es weiß; das ist Winnetou.“

„Meint Ihr, daß er daheim nichts sagt?“

„Gewiß nicht, wenn Ihr ihn darum bittet.“

„Ich werde ihn bitten. Aber die Weißen!“

„Die verraten auch nichts; sie sind alle ohne Ausnahme schweigsame Männer.“

„Zugegeben. Sie werden nicht gegen andre reden, aber sich mein abgelegenes Home hier merken und es bald wieder aufsuchen.“

„Und daran liegt Euch nichts?“

„Nein.“

„Hm, das ist nicht sehr freundlich gesinnt!“

„Ich meine es anders. Sie könnten gern wiederkommen; aber wenn sie es thun, wird die Oase verraten. Sie oder ihre Spuren werden von andern gesehen, die ihnen dann folgen. Ist es nicht so, Sir?“

„Allerdings. Wir werden sie also bitten, nicht nur zu schweigen, sondern auch nie mehr hierher zu kommen.“

„Das wäre zu hart. Es kann ja geschehen, daß sich einer von ihnen später im Llano befindet, in Not gerät und verschmachten müßte, wenn er nicht an dieses Wasser dürfte. In einem solchen Falle muß eine Ausnahme gemacht werden. Wollt Ihr das mit ihnen besprechen, Mr. Shatterhand?“

„Gern.“

„Aber Ihr und Winnetou sollt ausgenommen sein. Ihr sollt so oft wie möglich zu mir kommen, und ihr werdet es in einer Weise thun, daß kein andrer Mensch euch folgen kann und meine Hütte entdeckt; davon bin ich bei euch beiden überzeugt.“

„Gut, wir werden Euch diesen Wunsch erfüllen. Was aber wollt Ihr thun, um Euch gegen einen Besuch der Comantschen zu bewahren oder zu beschützen?“

„Nichts. Oder soll ich aus meiner Hütte eine Festung machen?“

„Das geht nicht.“

„Oder so viel Leute hernehmen, um einen Überfall zurückschlagen zu können?“

„Auch das ist unmöglich.“

„So bleibt mir nichts übrig, als die Verhältnisse so zu lassen, wie sie sind. Die einzige Veränderung, welche eintreten wird, ist die, daß Bob hier bei seiner Mutter bleibt; ich habe also, wenn ich hier bin, einen Gehilfen, und sie wird während meiner Abwesenheit nicht mehr allein sein. Denkt Ihr, daß ich ihn behalten kann?“

„Ich rate Euch sogar dazu. Er ist ein treuer, nicht unkluger und auch tapferer Mensch. Er war mit uns bei den Sioux, und wenn sein erstes Debut auch nicht ein glänzendes zu nennen ist, so hat er uns doch sehr gute Dienste geleistet. Ich bin auch ganz dafür, daß Ihr hier keine Änderung trefft. Ein wenig Wachsamkeit der Comantschen wegen; das ist es, was ich Euch rate, weiter nichts. Vielleicht denken diese Roten nicht wie wir, daß die Stakemen eine tüchtige Lehre bekommen haben und also nicht gleich wieder etwas unternehmen werden, und scheuen sich also auch fernerhin, ihre Züge ohne Kriegszwang nach hier auszudehnen.“

„Das habe ich mir auch gesagt und beruhige mich dabei. Hoffentlich täuschen wir uns nicht.“ –

Die Richtigkeit dieses Gedankens schien sich bewähren zu wollen. Ich war im Laufe der Zeit später einigemale in der Oase und erfuhr, daß Bloody-Fox von keinem Comantschen belästigt worden war. Auch kein Weißer hatte ihn seit damals wieder besucht, und so hatte es den Anschein, als ob die Entdeckung seines Geheimnisses nicht gleichbedeutend mit der Enthüllung desselben sei. Was die Geier des Llano estacado betrifft, so war ganz so, wie wir erwartet hatten, lange Zeit von ihnen nichts mehr zu hören gewesen; dann hatte es einzelne Raubanfälle gegeben, deren Urheber ein einziger Mann gewesen und von Fox entdeckt und in der angegebenen Weise bestraft worden war. Daß er der Avenging-Ghost sei, schien außer den damaligen Zeugen niemand zu wissen; sie hatten sein Geheimnis treu bewahrt; ich war an vielen Orten Zuhörer von den phantastischsten Erzählungen über dieses Thema und hörte niemals eine Andeutung darüber machen, an welche Person sich dieses Geisterspiel eigentlich knüpfe.

Als ich Bloody-Fox kennen lernte, stand er noch in den Jünglingsjahren; man kann sich also denken, welch reiche Begabung er besaß, da er schon in einem solchen Alter Eigenschaften und Fähigkeiten zeigte, die selbst einen Mann wie Winnetou in Staunen versetzten. Was konnte und mußte aus ihm werden, wenn er sich in dieser Weise weiter entwickelte!

Es folgten einige Jahre, in denen ich nicht nach Amerika kam. Dann traf ich mich mit Winnetou in den Black-Hills und erfuhr von ihm, daß Bloody-Fox sich wohl befinde und noch keinen Besuch der Comantschen erhalten habe. Wir trennten uns droben am Couteau, um uns nach vier Monaten unten auf der Sierra Madre wieder zusammenzufinden, und man kann sich denken, was es für einen Eindruck auf mich machte, als ich dort den Zettel des Apatschen las, daß er Bloody-Fox warnen müsse, weil die Comantschen ihn überfallen wollten.

Es war ihnen während so langer Zeit nicht eingefallen, die Oase aufzusuchen; welchen Grund hatten sie, dies jetzt, und zwar in feindlicher Absicht, zu thun? Ging der Plan von ihnen aus, oder hatte Bloody-Fox durch irgend etwas ihre Rache auf sich gezogen? Es war nutzlos, diese Fragen jetzt auszusprechen; die Antwort mußte mir später ganz von selber kommen.

Wichtiger war die Frage, ob Winnetou direkt nach dem Llano estacado geritten sei oder nicht. Er hatte mir geschrieben, daß er warnen wolle, und wenn es sich nur um eine Warnung handelte, so war anzunehmen, daß er den Weg direkt genommen habe. Aber wie ich den Apatschen kannte, begnügte er sich nicht mit einer Warnung, sondern fügte derselben möglichst gleich die Rettung bei, und diese konnte nur darin bestehen, daß er mit einer hinreichenden Apatschenschar dem Bloody-Fox zu Hilfe kam. Was nun von beiden hatte er gethan? So schwer diese Frage zu sein scheint, so leicht ist sie zu beantworten. Es handelte sich einfach um die Zeit. War sie zu kurz, so ritt Winnetou direkt zu Fox; war sie aber hinreichend, um Hilfe zu holen, so ritt er nach dem Lager seines Stammes, um die nötige Anzahl Krieger zur Stelle zu bringen.

Wie aber konnte Winnetou erfahren, ob er Zeit hatte oder nicht? Ganz einfach so, wie ich. Wenn tausend andre es nicht bemerkt hätten, ihm, dem unerreichbaren Meister im Spüren, hatten die Comantschen, die wir am blauen Wasser aufsuchten, gewiß nicht entgehen können, und wenn es ihm auch nicht möglich gewesen war, sie zu belauschen und dabei zu erfahren, daß sie auf einen Zuzug von weiteren hundert Mann unter dem Häuptling Nale-Masiuv warteten, so hatte er doch sicher aus den ihm geläufigen Anzeichen erkannt, daß sie nicht allzu eilig waren. Er hatte also sehr wahrscheinlich zunächst seinen Stamm aufgesucht.

Vielleicht war dies auch nicht nötig gewesen, sondern er hatte einen Boten gefunden, den er dorthin schicken konnte. Die Apatschen hatten auf alle Fälle erfahren, daß von den Comantschen das Beil des Krieges ausgegraben worden war, und also zu ihrer Sicherheit Späher ausgesandt. War Winnetou einem solchen begegnet, was keineswegs in das Reich der Unmöglichkeit gehörte, so hatte er ihn heimgesandt und war selbst weiter geritten, weil nur er selbst die Lage der Oase kannte.

Meine Vermutungen gingen sogar noch weiter; ich kannte eben meinen Winnetou und wußte, wie umsichtig er zu handeln pflegte. Der Tag meiner Ankunft in der Sierra Madre war ihm bekannt; ich würde seinen Zettel finden und ihm sofort folgen, das sagte er sich. Ich kannte den Weg ebenso genau wie er; es war ihm also nicht schwer, zu bestimmen, in welcher Gegend ich mich zu irgend einer angegebenen Zeit ungefähr befinden müsse. Wenn er selbst direkt nach dem Llano estacado war, so mußte er dafür sorgen, daß seine Krieger einen zuverlässigen Führer nach der Oase fanden, und dieser Führer konnte nur ich sein, In diesem Falle traf ich ganz bestimmt unterwegs einen Apatschen, welcher den Auftrag hatte, auf mich zu warten und mich zu unterrichten. Man wird bald sehen, wie richtig ich Winnetou beurteilt hatte.

Zunächst aber war es noch nicht so weit. Wir lagerten noch am Saskuan-kui und warteten auf den Anbruch des Morgens, um mit den Comantschen zu verhandeln. Old Surehand mußte ja alles, was ihm abgenommen worden war, besonders seine Waffen, wiederbekommen; dafür wollten wir Vupa Umugi, ihren gefangenen Häuptling, freigeben.

Wir waren so vorsichtig gewesen, nicht am Ufer zu bleiben, wo die Feinde uns wußten und, von den Büschen gedeckt, leicht überfallen konnten, sondern wir hatten uns ein Stück hinaus auf die Prairie gezogen, weil wir dort nicht beschlichen werden konnten. Dort wurden die Wachtablösungen bestimmt, und wer dann schlafen wollte, der konnte schlafen. Es fiel mir nicht ein, bis zum Morgen wach zu bleiben; man wußte nicht, was der nächste Tag für Anstrengungen brachte. Ich freute mich ungemein darauf, Old Surehand bei Tageslicht zu sehen; jetzt war es zu dunkel, ihn so, wie ich gern wollte, zu betrachten. Später gestand er mir, daß er ebenso neugierig auf mich gewesen war. Wir hätten viel, sehr viel miteinander reden können, waren aber beide keine übermäßig redseligen Menschenkinder und wollten schlafen. Eines jedoch mußte ich jetzt schon wissen; darum sagte ich, als er sich neben mir zur Ruhe ausstreckte:

„Erlaubt mir eine Frage, Sir, ehe Ihr die Augen schließt! Ihr habt mit Euerm Ritte in diese Gegend einen bestimmten Plan verfolgt?“

„Ja. Ich wollte zu den Mescalero-Apatschen hinunter, um vielleicht Winnetou zu treffen und mit seiner Hilfe dann vielleicht auch Euch kennen zu lernen. Es ist ja wahrhaftig eine Schande, so lange schon Westmann zu sein, ohne Winnetou und Old Shatterhand gesehen zu haben!“

„Auch wir kennen Euch noch nicht; das ist ganz dasselbe. Haben aber genug über Euch gehört, Sir. Der zweite Teil Euers Wunsches, mich zu sehen, ist eher erfüllt worden, als Ihr dachtet, und der erste Teil kann befriedigt werden, ohne daß Ihr zu den Mescaleros reitet. Ich bin nämlich auf dem Wege, Winnetou anderswo aufzusuchen.“

„Wo, Sir? Wo ist er jetzt?“

„Am Llano estacado.“

„Alle Wetter, das ist ja herrlich! Mit ihm und Euch im gefährlichen Estacado! Nehmt Ihr mich mit, Sir?“

„Sehr gern, natürlich. Wir werden Euch und Eure Hilfe sehr gut brauchen können. Werde Euch früh erzählen, warum; jetzt müssen wir notwendig schlafen, um Kräfte zu sammeln; will Euch einstweilen nur das sagen, daß es sich um einen Tanz mit den Comantschen handelt.“

„Mit diesen hier oder mit andern?“

„Mit diesen und andern, die noch zu ihnen stoßen. Ihr habt doch gehört, was von ihnen geredet wurde. Haben sie nicht von dem Ziele ihres jetzigen Zuges gesprochen?“

„Ja, aber so leise und vorsichtig, daß ich nichts verstehen konnte, Nehmt mich mit, Sir; nehmt mich mit! Ich freue mich wie ein Kind darauf, mit ihnen quitt darüber zu werden, daß ich mich wie ein Greenhorn von ihnen habe überrumpeln lassen. Was müßt Ihr von mir denken! Ich habe jahrelang gewünscht, Euch kennen zu lernen und mich Euch auf irgend eine Weise anschließen zu dürfen, und nun mir dieser Wunsch in Erfüllung geht, ist es derart geschehen, daß ich mich geradezu schämen muß; th’is clear, wie der alte Wabble sagt!“

„Vom Schämen kann keine Rede sein. Ich bin nicht nur einmal gefangen gewesen, und Winnetou ebenso. Es freut mich außerordentlich, daß es mir erlaubt gewesen ist, Euch einen kleinen Dienst zu erweisen.“

I beg, Sir! Ein kleiner war es gar nicht; da möchte ich erst hören, was Ihr einen großen nennt! Ich würde viel, sehr viel darum geben, wenn es umgekehrt wäre, nämlich so, daß ich ihn Euch geleistet hätte. Will aber hoffen, daß ich Euch einmal so etwas Ähnliches erweisen kann.“

„Ich nehme es für genossen an und will lieber auf die Passion verzichten, Gefangener der Comantschen sein zu dürfen. Jetzt wollen wir schlafen. Good night, Sir!“

Good night, Mr. Shatterhand! Werde wahrscheinlich besser schlafen als da drüben auf der Insel, die ich nur verlassen sollte, um zum Martertod geführt zu werden.“

Die Nacht war kühl und meine Kleidung naß, dennoch schlief ich fest bis vier Uhr, wo ich zur letzten Wache geweckt wurde. Als diese fast zu Ende war, begann der Tag zu grauen, und ich hatte bald Licht genug, meinen neuen und berühmten Bekannten zu betrachten.

Da lag er jetzt vor mir, ruhig schlafend, ein wahrer Riese von Gestalt. Seine mächtigen Glieder waren ganz in Leder gekleidet, doch so, daß die von der Sonne gebräunte Brust unbedeckt blieb. Sein langes, braunes, seidenweiches Haar lag wie ein Schleier bis auf den Gürtel herab, und selbst im Schlafe, während dessen doch sonst das geistige Leben aus den Zügen zurückgetreten zu sein pflegt, lag auf seinem Gesichte der Ausdruck jener Energie, ohne welche ein guter Westmann undenkbar ist. Grad so, wie ich ihn hier liegen sah, hatte ich ihn mir vorgestellt, allerdings, weil er mir so beschrieben worden war; denn es ist keineswegs richtig, sich jeden namhaften Westläufer als eine solche Figur vorzustellen. Wer das thut – und das geschieht allerdings sehr häufig –, der fühlt sich dann später, wenn er den Betreffenden zu sehen bekommt, meist sehr enttäuscht. Berühmte Jäger von so riesiger Gestalt habe ich nur zwei gesehen, Old Firehand und Old Surehand. Man macht ja oft die Erfahrung, daß körperliche Hünen ein wahrhaft kindliches Gemüt besitzen und aller Kampfeslust und Kampfesfertigkeit ermangeln, während dürftiger gebaute Menschen sich lieber zerreißen als in die Flucht schlagen lassen. Doch soll dies natürlich keineswegs als Regel gelten. Das Leben im wilden Westen ist der Bildung voller Körperformen nicht günstig, doch schafft es eiserne Muskeln und Sehnen wie der Stahl.

Es war Zeit, die Schläfer zu wecken; ich that es, und als Old Surehand sich aufrichtete, konnte ich erst richtig sehen, in welcher Harmonie die einzelnen Teile und Glieder seines Körpers zu einander standen.

Good morning, Sir!“ grüßte er mich, indem er seinen Blick forschend an mir niedergleiten ließ und dann wieder zu meinem Gesichte erhob. „Endlich, endlich wird mir der Wunsch erfüllt, Euch zu sehen, denn das gestern abend in der Dunkelheit war kein Sehen zu nennen. Hier meine Hand zum Morgengruß und nochmaligen Dank für das, was Ihr an mir gethan und wegen mir gewagt habt. Wollt Ihr einschlagen, Mr. Shatterhand?“

„Gern. Auch ich freue mich aufrichtig, Euch endlich kennen zu lernen. Wenn es Euch recht ist, wollen wir treu zusammenhalten; das ist der Wunsch, den ich habe.“

Well, soll geschehen. Wenigstens was an mir liegt, werde ich mir Mühe geben, daß nichts geschieht, was uns auseinanderbringen kann.“ Er dehnte und reckte sich, untersuchte die Hand- und Fußgelenke und fuhr dann fort: „Ich habe gut geschlafen, und die Folgen der Fesseln sind vollständig verschwunden. Was werden wir nun zunächst beginnen?“

„Wir nehmen den Häuptling vor, um ihm zu sagen, was wir von ihm verlangen, und schicken dann den gefangenen Indianer hinüber in das Lager.“

„Und bis er wiederkommt, wird tüchtig gefrühstückt,“ fiel Old Wabble ein. „Wozu hätte ich denn das viele Fleisch mitgebracht? Wer etwas zu essen hat, der soll essen; th’is clear. Oder hat jemand etwas dagegen?“

Es fiel Keinem ein, gegen dieses Argument Widerspruch zu erheben. Old Surehand bat mich, die Verhandlung mit Vupa Umugi zu leiten; aber da es ihn selbst betraf, so war ich der Meinung, daß er dem Häuptlinge seine Bedingungen selbst vorschreiben müsse, und er that dies denn auch. Vupa-Umugi zögerte auch gar nicht, auf sie einzugehen; er sah ein, daß er gar nicht glimpflicher wegkommen könne. Dann banden wir den Comantschen, den Old Wabble gestern gefangen hatte, los; er erhielt von dem Häuptlinge die nötigen Befehle und ging dann fort, dieselben auszurichten. Hierauf hatten wir Zeit, unser Frühstück einzunehmen.

Nach ungefähr zwei Stunden sahen wir den Boten mit einigen Roten zurückkehren. Sie brachten Old Surehands Pferd, seine Waffen und alle andern Gegenstände, die ihm fehlten, auch seinen breitkrempigen Hut, der auf der Insel liegen geblieben war. Als er erklärte, daß nichts fehle, gaben wir den Häuptling frei. Eigentlich hatten wir ihm das Versprechen abverlangen wollen, fernerhin Frieden zu halten; wir sagten uns aber, daß er sein Wort doch nicht halten werde, und weil durch eine solche Forderung unsre Verhandlung mit ihm sehr in die Länge gezogen worden wäre, verzichteten wir lieber darauf, sie zu stellen. Als wir ihm die Fesseln abgenommen hatten, that er einige Schritte, um sich zu entfernen, drehte sich aber wieder um und richtete die Worte an mich. „Die Bleichgesichter haben Frieden mit uns geschlossen; ich frage sie, wie lange er währen soll.“

„So lange du willst,“ antwortete ich ihm; „es steht das ganz in euerm eigenen Belieben.“

„Warum spricht Old Shatterhand nicht deutlicher? Warum sagt er nicht eine bestimmte Zeit?“

„Weil ich das nicht kann. Wir sind den roten Männern nicht feindlich gesinnt und möchten gern stets und immer Freundschaft mit ihnen halten; wir wissen aber, daß sie nicht ebenso denken wie wir und müssen es also auf sie ankommen lassen. So lange sie uns den Frieden halten, wird bei uns das Beil des Krieges auch vergraben bleiben.“

„Uff! Wie lange werden die weißen Männer in dieser Gegend verweilen?“

„Wir werden sofort aufbrechen.“

„Wohin?“

„Frag den Wind, wohin er geht! Er weht bald hierhin, bald dorthin. So ist’s auch mit dem Jäger des Westens, der nie heut sagen kann, wo er sich morgen befinden wird.“

„Old Shatterhand weicht meiner Frage aus!“

„Meine Antwort ist so wie die deinige, wenn ich dich fragen würde.“

„Nein, denn ich würde dir die Wahrheit sagen.“

„Das wollen wir doch einmal versuchen. Wie lange bleiben die roten Krieger hier am blauen Wasser?“

„Noch einige Tage. Wir sind hierher gekommen, um zu fischen, und werden gehen, wenn wir dies gethan haben.“

„Wohin werdet ihr dann reiten?“

„Nach Hause zu unsern Frauen und Kindern.“

„Behauptest du, daß dies die Wahrheit sei?“

„Ja.“

„So sei klug, und thue nach deinen Worten! Jede Lüge gleicht einer Nußschale, deren Kern in der Bestrafung besteht. Du hast gesagt, daß du Old Shatterhand nicht fürchtest; du brauchst ihn auch nicht zu fürchten, außer dann, wenn du ihn zwingst, Abrechnung mit dir zu halten. Ich habe gesprochen. Howgh!“

Er machte eine stolz abwehrende Handbewegung und ging; seine Leute folgten ihm. Meine Begleiter wollten sich über sein Verhalten und seine Worte aussprechen; ich aber schnitt ihnen die Rede kurz ab:

„Mesch’schurs, schweigen wir jetzt darüber; wir können uns später besprechen; jetzt müssen wir fort.“

„Ist das so eilig, Sir?“ fragte Parker.

„Ja.“

„Das denke ich nicht. Wir haben den Roten eine tüchtige Lehre gegeben, und sie werden sich hüten, uns Gelegenheit zu einer zweiten zu geben.“

„Das klingt sehr zuversichtlich, Mr. Parker. Bedenkt aber wohl, daß wir nur zwölf Personen sind und über hundertfünfzig Rote gegen uns haben!“

„Das ist richtig, aber – – Old Shatterhand, Old Surehand, Old Wabble; ich will Euch nur diese Namen nennen und von uns andern gar nicht reden. Die Comantschen werden sich hüten, uns zu belästigen.“

„Ich bin im Gegenteile überzeugt, daß sie nach Rache dürsten. Sie mögen unsre Namen fürchten; aber sie wissen ebensogut wie wir, daß im Falle eines Angriffes zwölf von ihnen auf einen von uns kommen. Sie hatten in Old Surehand einen vorzüglichen Fang gemacht, den wir ihnen wieder abgenommen haben; sie werden wütend darüber sein und danach trachten, nicht nur ihn, sondern auch uns in ihren Besitz zu bekommen. Wenn sie uns hier in der offenen Savanne überfallen, so haben wir keine Deckung; wir würden uns zwar wehren und eine große Zahl von ihnen niederstrecken, endlich aber doch unterliegen. Nein, wir müssen fort.“

„Das kann uns auch nichts nützen, denn wenn sie wirklich die Absicht haben, uns zu erwischen, so werden sie uns folgen, wenn wir fortreiten.“

„Da können wir uns zu ihrem Empfange eine geeignetere Örtlichkeit wählen, als diese hier ist. Sie werden uns allerdings folgen, schon um zu erfahren, wohin wir reiten, aber allzuweit können sie sich nicht entfernen, weil sie nach dem Llano wollen.“

Old Surehand und Old Wabble gaben mir recht; Jos Hawley hatte mich zu sehr in sein Herz geschlossen, als daß er es geäußert hätte, wenn er andrer Meinung gewesen wäre, und die andern, nun diese andern waren ganz und gar nicht zornig darüber, daß wir aus der gefährlichen Nähe der Comantschen fortwollten; sie erklärten sich vielmehr so rasch damit einverstanden, daß sich meine über sie gehegte Ansicht nur befestigte. Sie waren ganz gewöhnliche Leute, die mir nur in ihrer Gesamtheit von Nutzen sein konnten.

Wenn sie bei mir blieben, standen mir einige Gewehre mehr zur Verfügung; ich hatte aber ebenso viele Menschen mehr zu versorgen und war in meinen Bewegungen und Handlungen nicht frei. Einzeln konnte ich sie nicht verwenden; dazu waren sie zu unselbstständig und unerfahren. Wie die Angelegenheit jetzt stand, wäre es mir lieber gewesen, sie nicht bei mir zu haben. Dazu kam der Umstand, daß die Oase in dem Llano ein Geheimnis sein sollte; die Weißen, die es bis jetzt kannten, hatten es nicht verraten; war es klug, meine jetzigen Begleiter in dasselbe einzuweihen? Ich traute ihnen keine Verschwiegenheit zu. Durfte ich sie aber von mir weisen? Nein; das hätte sie gekränkt. Ich mußte versuchen, sie selbst auf den Gedanken zu bringen, sich von mir zu trennen, und dies schien, da sie keinen hervorragenden Mut und Unternehmungsgeist besaßen, gar nicht schwer zu sein.

Wir ritten also fort, mit Fleischvorrat reichlich versehen. Ich hielt mich mit Old Surehand an der Spitze, und niemand fragte mich, wohin ich mich wenden wollte. Natürlich nahm ich die Richtung nach der Furt und trieb, als wir dort angekommen waren, mein Pferd in das Wasser; die andern folgten mir. Am jenseitigen Ufer stieg ich ab, band mein Pferd an einen Baum und setzte mich nieder. Old Surehand und Old Wabble thaten sofort nach meinem Beispiele. Parker aber blieb ebenso wie die andern im Sattel sitzen und fragte:

„Ihr steigt ab, Sir? Das sieht genau so aus, als ob Ihr längere Zeit hier bleiben wolltet?“

Ich brauchte nicht zu antworten, denn Old Wabble übernahm an meiner Stelle die Erklärung:

„Allerdings bleiben wir hier, Mr. Parker. Wundert Ihr Euch etwa darüber?“

„Natürlich!“

„So könnt Ihr wohl nicht begreifen, warum wir wieder nach Westen geritten sind anstatt nach Osten, wohin wir eigentlich wollen?“

„Welch eine Frage! Ihr scheint mich für sehr dumm zu halten. Die Roten dürfen nicht wissen, daß wir ostwärts wollen, weil wir ihren Kriegsplan kennen; darum müssen wir zunächst nach der entgegengesetzten Richtung, um sie zu täuschen. Aber warum wir schon hier halten bleiben und uns sogar ganz gemächlich niedersetzen sollen, das ist mir ein Rätsel.“

„Es ist Euch jedenfalls schon manches ein Rätsel gewesen und wird es Euch auch später sein! Erst wolltet Ihr nicht vom blauen Wasser fort, obgleich wir dort der größten Gefahr ausgesetzt waren, und nun wir uns hier hinter dem Flusse und den Büschen in der schönsten Sicherheit befinden, bleibt Ihr im Sattel kleben wie eine Fliege im Leime!“

„So wollt Ihr auf die Roten warten?“

Yes,“

„Aber das ist doch gar nicht nötig! Wenn sie kommen, müssen wir uns wehren, und wenn wir weiter reiten, entgehen wir aller Feindseligkeit; da ist es doch entschieden besser, das letztere zu thun!“

„Damit sie unsern Spuren folgen und uns dann abends oder in der Nacht, wenn wir sie nicht sehen können, überfallen! Was Ihr doch für ein ungeheurer Pfiffikus seid! Steigt nur ab!“

Parker folgte dieser Aufforderung, ließ aber dabei ein unwilliges Brummen hören. Old Wabble ärgerte sich darüber und fuhr ihn zornig an:

„Was habt Ihr da zu brummen, Sir! Reitet getrost fort, wenn es Euch hier nicht gefällt; es wird sich niemand Mühe geben, Euch zurückzuhalten; darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

„Habe ich etwa verlangt, daß sich jemand diese Mühe geben soll, Mr. Cutter?“

„So brummt auch nicht! Wißt Ihr, was dieses Brummen ist? Eine Beleidigung für Mr. Shatterhand, nach dessen Beispiel wir uns hier gerichtet haben! Durch dieses Brummen zeigt Ihr an, daß Ihr nicht einverstanden mit ihm seid, und Ihr wißt ja, was ich Euch gesagt habe: Wer ihn für dumm hält, den lassen wir einfach sitzen!“

„Oho! So war es ja gar nicht gemeint!“

„Jawohl war es so gemeint! Weil ihr damals Euren ersten Elk aufs Blatt getroffen habt, bildet Ihr Euch ein, daß Eure Ansichten auch stets aufs Blatt treffen. Da befindet Ihr Euch aber gewaltig im Irrtum. Da nehmt mich dagegen an! Ich bin über neunzig Jahre alt und habe Dinge erlebt und mitgemacht, die andre nie im Traume zu sehen bekommen; aber ich werde doch nicht wagen, gegen Old Shatterhand zu murren, obgleich er der reine Jüngling gegen mich ist. Wenn er so etwas thut, was ich nicht begreife, so brumme ich nicht, sondern ich frage ihn. Brummen thun überhaupt nur die Bären und die Ochsen; th’is clear.“

„Soll das etwa mir gelten, Mr. Cutter?“

„Seid Ihr ein Bär oder ein Ochse?“

„Wahrscheinlich nicht. Will es Euch auch nicht raten, mich für so eine Kreatur zu halten! Und was Eure Methode betrifft, Mr. Shatterhand zu fragen, anstatt zu brummen, so wird ihm an unnützen Fragen wohl auch nicht viel gelegen sein.“

„Old Wabble fragt nicht unnütz, das mögt Ihr Euch merken. Wenn ich eine Frage ausspreche, so betrifft sie stets einen Gegenstand, an welchem auch jeder andre Interesse haben und sich belehren kann. Das kann ich Euch gleich jetzt beweisen. Paßt einmal auf!“

Und sich an mich wendend fuhr er fort:

„Ja war mir z.B. gestern abend etwas unklar, Sir. Darf ich Euch um Auskunft bitten?“

„Gewiß.“

„Als Ihr das Feuer, an welchem der Häuptling saß, beschlichen hattet und aus dem Wasser zurückkamt, brachtet Ihr etwas mit. Ihr nahmt es mit nach unserm Lagerplatze und habt es da in die Büsche versteckt. Was war das?“

„Das Schilf, welches ich mir über den Kopf gesteckt hatte.“

„O, habe es mir gedacht! Warum warft Ihr es nicht schon vorher weg?“

„Damit die Roten es nicht finden sollten.“

„So, hm! Gab es einen Grund dazu?“

„Natürlich. Man pflegt doch nichts ohne Grund zu thun.“

„Ja, Ihr. Aber ich habe Leute gekannt, die zu allem, was sie thaten, keine Gründe sagen konnten. Solche Menschen soll es auch jetzt noch geben. Was hätte es denn geschadet, wenn das Schilf von den Roten gefunden worden wäre?“

„Sie hätten gemerkt, daß sie belauscht worden sind.“

„O? Wegen dieses kleinen Schilfbusches?“

„Ja. Wer hatte ihn abgeschnitten? Keiner von ihnen. Wo war er abgeschnitten worden? Sie hätten gesucht und die Stelle gewiß gefunden. Von da führte meine Doppelspur nach dem Gebüsche, in welchem ich mit Euch steckte; auch diesen Ort hätten sie entdeckt.“

„Aber zu spät, denn wir waren fort!“

„Hätten aber wahrscheinlich Mr. Surehand noch nicht frei. Wenn das Schilf gefunden wurde, ehe ich auf die Insel kam, so wäre es unmöglich gewesen, ihn von dort wegzuholen, denn man hätte das ganze Lager alarmiert.“

„Richtig! Das kann ich mir denken. Also das war der Grund!“

„Nicht das allein; ich habe dabei nicht nur an Mr. Surehand, sondern an die Zukunft gedacht.“

„Wieso?“

„Ihr wißt, daß ich den Häuptling belauscht und was ich da erfahren habe. Was ich hörte, ist von großer Wichtigkeit für uns. Der ganze große Vorteil, den ich daraus zu ziehen beabsichtige, würde aber total verloren gehen, wenn die Roten wüßten, daß ich gehorcht habe.“

„Ihr meint, daß sie dieses aus dem Schilfbusche zu schließen vermögen?“

„Mit Leichtigkeit.“

„Oho! Ich bin ein alter, weißhaariger und erfahrener Kerl, aber wenn ich einer dieser Comantschen wäre und den Busch gefunden hätte, so hätte ich höchstens gedacht, daß ein Fremder dagewesen sei und das Lager beobachtet habe. Ob ein Gespräch von ihm belauscht worden sei, das wüßte ich sehr wahrscheinlich nicht.“

„Gebt Euch doch nicht weniger scharfsinnig, als Ihr seid, Mr. Cutter! Ihr hättet doch gewiß darüber nachgedacht.“

„Natürlich hätte ich das; aber auf welchen Gedanken wäre ich wohl gekommen?“

„Auf den richtigen; ich bin überzeugt davon. Und hättet Ihr gestern abend das Rechte nicht getroffen, so doch heut am hellen Tage, wo man alles deutlich sehen kann, wenn der Verdacht einmal rege geworden ist. Denkt Euch an die Stelle des Indianers. Was mußte er sich fragen?“

„Zunächst, wer der Fremde gewesen ist.“

„Das wissen sie jetzt. Sie wissen genau, daß wir ihr Lager entdeckt und beobachtet haben. Aber haben wir auch gelauscht und etwas erfahren, was gesprochen worden ist? Diese Frage ist die wichtigste für sie. Da finden sie den Busch und den Ort, wo ich ihn abgeschnitten habe; sie sehen, daß ich da in das Wasser gegangen bin. Warum bin ich in das Wasser gestiegen, und wozu habe ich den Busch gebraucht? Um mich zu maskieren. Das sagen sie sich sofort, denn die Anwendung dieser Art von Maskerade ist ihnen nicht nur bekannt, sondern sie sind sogar Meister darin. Mit Schilf maskiere ich mich aber nur dann, wenn ich beabsichtige, mich im Schilfe zu verstecken. Ich habe mich also im Schilfe des Ufers befunden. Wo? Natürlich in der Nähe des Feuers, welches dem Ufer am nächsten gewesen ist – – also dasjenige, an welchem der Häuptling gesessen hat. Sie suchen; das Wasser ist durchsichtig, und so sehen sie die Stelle, wo ich mich gestern tief in den Schlamm eingegraben hatte. Von dieser Stelle war alles, was an dem Feuer gesprochen wurde, leicht zu hören; daraus folgt, daß ich es gehört haben muß. Nun weiter: Zu welcher Zeit bin ich dagewesen; was wurde da gesprochen, und was habe ich also gehört?“

„Das können sie doch unmöglich erfahren!“

„Schwer ist es, aber unmöglich nicht. Ich bin von dieser Stelle aus um den See gegangen, über denselben nach der Insel und von dieser mit Old Surehand wieder zurückgeschwommen. Wieviel Zeit habe ich ungefähr dazu gebraucht? Ihr seht, es ist gar nicht so unmöglich, zu berechnen, wann ich dagewesen bin. Was da gesprochen worden ist, darauf kann sich der Häuptling sehr wahrscheinlich besinnen. Der betreffende Zeitpunkt kann auch noch anders berechnet oder vielmehr erraten werden. Der Schein des Feuers erleuchtete die Stelle, an der ich lag; ich kann also nur an Augenblicken, an denen die Aufmerksamkeit von dort abgelenkt war, hingekommen und mich wieder entfernt haben. Welche Augenblicke waren das? Bei ein wenig Nachdenken läßt sich auch diese Frage unschwer beantworten. Es hat drei solche Augenblicke oder Gelegenheiten gegeben, nämlich als die beiden Comantschen, die wir freiließen, in dem Lager ankamen, als das Verhör mit ihnen beendet war, und als zum Essen gerufen wurde. Und grad zu und zwischen diesen Zeitpunkten hatte man sehr wichtige Gegenstände im Gespräch. Falls ich das letztere belauscht habe, muß ich über die Absichten der Comantschen gut unterrichtet sein. So und noch vieles andere hätten sie sich sagen müssen, wenn der Schilfbusch von ihnen gefunden worden wäre. Wißt Ihr nun, warum ich ihn mitgenommen und weit davon versteckt habe?“

Well, ich weiß es jetzt, Sir. Ihr seid das, was Mr. Parker vorhin nicht gewesen ist, nämlich ein großer Pfiffikus. Ich möchte nicht zu Leuten gehören, mit denen Ihr in Feindschaft steht und die sich also vor Euch in acht zu nehmen haben. Ihr macht ja alles möglich und legt Euch alles, was Ihr thut, so sorgfältig und umsichtig zurecht, daß gar kein Mißlingen möglich ist und der Feind gar nicht begreifen kann, wie er so in die Tinte geraten konnte!“

„Dieses Lob muß ich zurückweisen, Mr. Cutter. Ich habe auch manchen großen Fehler begangen und oft selbst so tief in dem gesteckt, was Ihr Tinte zu nennen beliebt, daß es ein wahres Wunder war, herauszukommen.“

„Aber heraus seid Ihr doch, sonst säßet Ihr nicht hier; th’is clear. Wollen hoffen, daß wir jetzt nicht auch einem solchen verteufelten Tintenfasse entgegenreiten!“

„Welches Faß meint Ihr wohl mit diesem tiefschwarzen Vergleiche, Mr. Cutter?“

„Hm, der Vergleich war dumm, denn dieses Tintenfaß ist eigentlich kein Tintenfaß, sondern eine Streusandbüchse, nämlich der Llano estacado.“

„Fürchtet Ihr Euch vor ihm?“

„Fürchten? Hoffentlich ist es Euch mit diesem Worte nicht ernst, Mr. Shatterhand. Möchte wissen, wovor Old Wabble sich fürchten könnte! Höchstens vor sich selber! Aber Ihr werdet zugeben, daß zwischen einem Kanapee und einem Backofen ein großer Unterschied vorhanden ist.“

„Ich bin so geistreich, dies einzusehen.“

„Wer Gelegenheit hat, es sich in einem hübschen, kühlen Zimmer auf dem Kanapee bequem zu machen, dem fällt es doch nicht ein, in einen Backofen zu kriechen, um sich wie eine Pflaume ausdörren und abbacken zu lassen. Grad so ist das Verhältnis zwischen dem grünen Walde oder der grasigen Savanne und dem öden, glühenden Estacado. Wer im Walde oder auf der Prairie bleiben kann, der soll es sich ja nicht in den Sinn kommen lassen, die Staked Plains aufzusuchen; er wäre ein Thor, wie man sich größer keinen denken kann.“

„Schön! Aber so ein Thor wollt Ihr doch jetzt wohl sein?“

„Würde mir nicht einfallen, wenn Ihr nicht dabei wäret, Mr. Shatterhand. Wer von euch ist schon in dem Llano estacado gewesen?“

Er richtete diese Frage an seine Gefährten, und als sich herausstellte, daß keiner von ihnen die Plains durchquert hatte, lieferte er eine solche Schilderung der Wüste und erzählte so viele Unglücksfälle, daß es ihnen zu grauen begann. Ich ließ ihn gewähren, weil er mir dadurch, allerdings unbewußt, in die Hände arbeitete.

Wir hatten uns nicht direkt am Wasser gelagert, sondern hinter den Büschen, welche am Ufer standen, und ich saß so, daß ich zwischen zwei Sträuchern hindurchsehen und die Breite des Flusses, also die ganze Furt, überblicken konnte. Old Surehand saß neben mir und hatte dieselbe

Aussicht. Eben erzählte Old Wabble von einem Raubanfalle, der im Llano ausgeführt worden war, und weil eine Person dabei vorkam, die ich gekannt hatte, schenkte ich dem Alten mehr Aufmerksamkeit als dem Flusse, da stieß Old Surehand mich an, deutete durch die Büsche und sagte:

„Schaut dorthin, Sir; sie kommen!“

Old Wabble hielt in seiner Erzählung inne, und wir lugten durch das Gesträuch. Am jenseitigen Ufer erschien eine berittene Comantschenschar, die wohl aus dreißig Kriegern bestand, deren Gesichter mit den Kriegsfarben bemalt waren. Einer, wohl der Anführer, stieg ab und betrachtete den Boden, jedenfalls um zu sehen, ob wir in die Furt gegangen oder seitwärts abgeritten seien. Er sah, daß das erstere der Fall war, stieg wieder auf und ritt in das Wasser; seine Leute folgten ihm nach Indianerart, einer hinter dem andern.

„Wie unvorsichtig diese Kerls sind!“ meinte Old Wabble.

„Warum unvorsichtig?“ fragte Parker.

„Weil sie gleich alle in den Fluß gehen und nicht erst einen herüberschicken, um sich zu vergewissern, daß wir fort sind. Nun kommen sie uns alle vor die Gewehre. Meine Kugeln stehen ihnen zu Diensten.“

Er nahm sein Gewehr schußbereit; ich aber sagte:

„Es wird nicht geschossen, Sir. Ich habe sie hier erwartet, nicht um sie zu töten, sondern um sie von unsrer Verfolgung abzubringen. Wenn sie umkehren und von uns lassen, ist es für uns ebensogut und noch besser, als wenn wir sie erschießen. Sobald der erste von ihnen nahe genug ist, zeigen wir uns ihnen; ihr legt die Gewehre auf sie an, während ich mit ihnen rede, schießt aber erst in dem Falle, daß ich meinen Stutzen sprechen lasse.“

„Wie Ihr wollt,“ brummte Old Wabble; „aber besser wäre es, wenn diese roten Hunde ausgelöscht würden, wie man ein Dutzend Kerzen ausbläst.“

Er war kein Indianerfreund, und also mit meinem humanen Verhalten nicht einverstanden. ich wartete, bis der Anführer uns auf zehn Pferdelängen nahe gekommen war; dann standen wir auf und traten hinter dem Gebüsch hervor. Alle unsre Gewehre richteten sich auf ihn und seine Leute. Sie sahen uns sofort.

„Uff, uff, uff, uff!“ ertönten die Ausrufungen der Verwunderung, des Schreckens.

„Halt!“ rief ich ihnen zu. „Wer einen Schritt weiter reitet oder seine Waffe erhebt, der wird erschossen!“

Sie hielten an; sie konnten das thun, weil ihre Pferde nicht schwammen, sondern festen Grund hatten.

„Uff!“ rief der Anführer. „Old Shatterhand ist noch hier! Warum hat er sich versteckt und ist nicht weitergeritten, wie wir dachten?“

„Ah, habt ihr das gedacht?“ fragte ich. „So habt ihr geglaubt, daß ich kein Hirn besitze und mir nicht denken könne, daß ihr uns folgen werdet!“

„Wir wollen Old Shatterhand nicht folgen.“

„Wem denn?“

„Niemandem.“

„Wohin reitet ihr?“

„Auf die Jagd.“

„Ich denke, ihr seid hier, nur um zu fischen!“

„Die meisten fischen; die übrigen jagen; wir wollen Fleisch machen, um es in unsre Wigwams zu bringen.“

„Warum wollt ihr auf dieser Seite des Flusses und nicht drüben jagen?“

„Weil wir glauben, hier mehr Wild zu finden.“

„Ja, dieses Wild sind wir.“

„Nein, dieses Wild sind die Büffel und Antilopen der Prairie und der Wasserthäler.“

„Seit wann ist es bei den roten Kriegern Sitte, sich die Gesichter mit Farben zu bemalen, wenn sie nur beabsichtigen, auf die Jagd zu gehen?“

„Seit – – seit – – seit – – –“ er fand keine passende Antwort und rief mir darum zornig zu:

„Seit wann ist es bei den Kriegern der Comantschen Sitte, jedem Bleichgesichte Rechenschaft darüber zu geben, was sie thun oder nicht thun wollen?“

„Seit Old Shatterhand diese Rechenschaft verlangt! Ich habe Vupa Umugi, euerm Häuptlinge, gesagt, daß ich ein Freund der roten Männer bin, aber keine Gnade walten lasse, wenn ich angegriffen werde.“

„Wir wollen Euch nicht angreifen!“

„So kehrt sofort um!“

„Das thun wir nicht, sondern wir reiten an Euch vorüber auf die Jagd!“

„Versucht es! Es wird keiner von euch vorüber kommen, sondern der Fluß wird alle eure Leichen abwärts treiben und an das Ufer werfen.“

„Uff! Wer hat hier zu gebieten, Old Shatterhand oder die Krieger der Comantschen?“

„Old Shatterhand. Ihr seht alle unsre Gewehre auf euch gerichtet; ich darf nur wollen, so gehen sie alle los, und auch meine Zauberbüchse wird zu euch reden. Ich gebe euch die Zeit, welche wir Weißen fünf Minuten nennen; wenn ihr dann eure Pferde nicht zur Rückkehr gewendet habt, wird keiner von euch überhaupt zurückkehren können. Ich habe gesprochen!“

Ich nahm den Stutzen zur Hand, und wenn ich ihn auch nicht anlegte, was auf die Dauer von fünf Minuten ermüdet hätte, so hielt ich ihn doch so, daß seine Mündung gerade auf den Anführer gerichtet war. Er drehte sich im Sattel um und sprach einige leise Worte mit den hinter ihm im Wasser Haltenden; dann wendete er sich mir wieder zu und fragte:

„Wie lange wird Old Shatterhand hier am Flusse bleiben?“

„So lange, bis ich weiß, daß die Söhne der Comantschen nichts Böses gegen uns vorhaben.“

„Das kann er jetzt schon wissen!“

„Nein. Wir werden uns voneinander trennen und dieses Ufer weit hinauf und weit hinab besetzen; so sehen wir jeden Comantschen, der etwa herüber will. Ein Schuß genügt, um uns in kürzester Zeit zu vereinigen und euch zurückzutreiben. Wenn wir dann morgen abend überzeugt sind, daß eure Krieger nicht versucht haben, an dieses Ufer zu gelangen, werden wir überzeugt sein, daß ihr den Frieden wollt, und dann diese Gegend verlassen, in die wir nur gekommen sind, Old Surehand zu befreien.“

„Uff! Bis morgen abend; das ist lange!“

„Für uns nicht; wir haben Zeit.“

„Ihr werdet dann wirklich gehen?“

„Ihr werdet uns dann nicht mehr sehen; ich habe es gesagt, und ich halte mein Wort.“

„Und Ihr seid nur nach dem Saskuan-kui gekommen, um Old Surehand zu befreien?“

„Ja.“

„Aus keinem andern Grunde?“

„Nein; ich sage es.“

Diese Versicherung konnte ich geben, ohne mich einer Lüge schuldig zu machen. Ich hatte geradewegs nach dem Llano estacado gewollt, und dieser Weg hätte mich nicht nach dem blauen Wasser geführt.

Er wechselte wieder einige Worte mit seinen Hintermännern und machte dann noch einen Versuch mit mir:

„Old Shatterhand droht, weil er uns nicht glaubt; wenn wir dennoch vorwärts reiten, wird er doch nicht schießen!“

„Ich werde schießen, und ich gebe dir mein Wort, du wirst der erste sein, der meine Kugel in den Kopf bekommt. Wenn du trotz dieser Versicherung es versuchen willst, so habe ich nichts dagegen. Übrigens haben wir nicht länger zu warten, denn die fünf Minuten sind bereits abgelaufen.“

„Uff! So reiten wir zurück; aber wehe Old Shatterhand und seinen Bleichgesichtern, wenn sie in der Zeit bis morgen abend es wagen sollten, nach dem blauen Wasser zu schleichen. Auch wir werden unser Ufer besetzen und jeden von euch töten, der sich an demselben sehen läßt. Auch ich habe gesprochen. Howgh!“

Sie kehrten um und verschwanden einer nach dem andern jenseits der Furt hinter dem Gesträuch. Ich wendete mich zu Old Wabble:

„Nun, Mr. Cutter, was sagt Ihr jetzt? Ist das nicht ein prächtiger Erfolg?“

„Erfolg? Sogar prächtig? Ich glaube überhaupt an keinen Erfolg.“

„Sie sind doch fort!“

„Werden aber wiederkommen!“

„Fällt ihnen nicht ein!“

„Sie kommen wieder, sage ich Euch. Sie werden an einer andern Stelle herüberschwimmen.“

„Um sich von uns erschießen zu lassen?“

„Wollt Ihr das wirklich thun, was Ihr gesagt habt, nämlich das Ufer auf- und abwärts besetzen?“

„Nein; das war nur eine Drohung.“

„So werden sie also herüberkommen und uns folgen!“

„Ich sage Euch, daß sie drüben bleiben werden, weil sie meine Drohung für wahr halten.“

„Da wären sie dumm!“

„Dumm oder nicht; sie werden bleiben; das könnt Ihr ja ihrer Drohung entnehmen.“

„Welcher Drohung?“

„Daß auch sie ihr Ufer besetzen werden. Übrigens nehmen sie jetzt als gewiß an, daß wir nur wegen Mr. Surehand gekommen sind und also nichts weiteres gegen sie im Schilde führen. Wir sind sicher vor ihnen.“

„Aber wenn sie ihr Ufer besetzen, werden sie merken, daß das unsrige unbesetzt ist, und dann kommen sie unbedingt herüber; th’is clear!“

„Ja, sie werden es bemerken, aber nicht so schnell, wie Ihr denkt. Sie sind zur größten Vorsicht gezwungen. Herüberschwimmen können sie nicht, um sich zu überzeugen; das wäre höchst gefährlich für sie. Herübersehen? Das ist zu weit und würde auch nichts nützen, weil unsre Posten, wenn wir hier blieben, doch nicht offen zur Schau ständen, sondern so klug wären, sich zu verstecken. Dann kommt noch ein dritter Fall in Betracht. Könnt Ihr Euch den denken?“

„Ich? Hm, nein. Aber ich möchte gern wissen, ob Mr. Surehand sich diesen unbekannten Fall denken kann.“

Die Absicht des Alten bei diesen Worten war natürlich, den Scharfsinn Old Surehands auf die Probe zu Stellen, und ich nahm an, daß dieser sich nicht darauf einlassen werde; aber der riesige Jäger klopfte ihm auf die Achsel und sagte mit einem vergnügten Lächeln:

„Wollt Ihr ein Examen mit mir anstellen, alter Wabble? Das macht mir Spaß!“

„Freut mich sehr, daß es Euch nicht beleidigt, sondern im Gegenteile ergötzt. Wenn man Mr. Shatterhand so reden hört, sollte man meinen, daß er allwissend sei; ist es da ein Wunder, wenn man gern erfahren möchte, ob Old Surehand auch etwas weiß?“

„Den Gefallen kann ich Euch wohl thun, Mr. Cutter. Ich weiß auch etwas.“

„Was?“

„Der dritte Fall, den Mr. Shatterhand meint, ist folgender: Die Roten wollen sich überzeugen, ob wir dieses Ufer wirklich besetzt halten. Sehen können sie es nicht; grad herüber dürfen sie auf der Strecke nicht, auf welcher wir uns wahrscheinlich ausbreiten; also gehen sie über diese Strecke hinaus, schwimmen dort über den Fluß und schleichen sich hüben am Ufer hin, um unsre Posten zu entdecken.“

„Und wenn sie keine finden, Sir?“

„So wissen sie allerdings, daß wir fort sind und sie nur geäfft haben.“

„Dann tritt aber doch das ein, was ich meine: Sie werden uns nachreiten und des Nachts überfallen!“

„Das müssen wir allerdings gewärtig sein,“ gab Old Surehand dem Alten zu.

Er hatte bewiesen, daß er Scharfsinn besaß und mich verstand und erriet; seinen letzten Worten aber konnte ich meinen Beifall nicht geben; ich widersprach also:

„Nein, das müssen wir nicht gewärtig sein, Mr. Surehand. Es ist vollständig unmöglich, daß die Roten uns bis zum Abende einholen.“

„So? Wenn Ihr es denkt und sagt, wird es wohl richtig sein.“

„Es ist richtig. Wir müssen die Zeit berechnen. Wir haben nach dem Stande der Sonne jetzt genau neun Uhr vormittags. Es vergeht eine Stunde, bis die Comantschen, welche hier waren, das Saskuan-kui erreichen. Sie haben zu berichten, zu erzählen, Vorwürfe anzuhören; dann wird Beratung gehalten, und eine solche Beratung wird nicht in kurzer Zeit beendet.“

„Ja, Sir; jetzt verstehe ich Euch. Sagen wir: Zur Berichterstattung und Beratung sind zwei Stunden nötig.“

„Gut; dann ist es zwölf Uhr. Sie kommen her – ist ein Uhr. Sie besetzen den Fluß aufwärts und abwärts – wieder eine Stunde, also zwei Uhr. Dann gehen Späher ab, um hoch oben oder tief unten den Fluß zu überschwimmen. Wie lange brauchen sie, um hüben zu sein? Doch wenigstens wieder eine Stunde – – drei Uhr. Sie schleichen sich diesseits am Ufer entlang, was sie außerordentlich vorsichtig, also sehr langsam, thun müssen. Wie lange wird es wohl währen, bis das ganze Ufer vergeblich nach uns abgesucht worden ist?“

„Gewiß drei Stunden.“

„Sagen wir nur zwei; dann ist es schon fünf Uhr. Nun wieder Beratung; es werden Leute ausgesucht, die unsrer Fährte zu folgen haben. Auch dieses kann nur sehr vorsichtig und unter großem Zeitverluste geschehen, denn die Roten haben mit der Möglichkeit zu rechnen, daß wir diese Gegend gar nicht verlassen, sondern einen Bogen geschlagen haben, um sie zu täuschen und von einer andern Seite heimlich zurückzukehren. Ich schätze, daß wenigstens wieder eine Stunde vergeht, ehe die Comantschen sich überzeugt haben, daß wir wirklich fort sind. Es ist also, wenn die eigentliche Verfolgung beginnt, schon sechs Uhr geworden; das ergiebt, wenn wir jetzt gleich fortreiten, einen Vorsprung von wenigstens neun Stunden. Ist es da möglich, daß wir eingeholt werden?“

Pshaw! Auf keinen Fall!“

„Sie bekommen höchstens die Spuren zu sehen, die wir binnen jetzt und zwei Stunden machen; morgen erkennen sie dann gar nichts mehr und können nicht wissen, wohin wir sind. Wenn wir jetzt also zwei Stunden weit westlich reiten und sie folgen uns, werden sie annehmen, wir seien dahin zurückgekehrt, woher wir gekommen sind. Diese ihre Meinung bekommt einen weitern Anhalt dadurch, daß sie glauben, wir seien nur zu Eurer Befreiung hierher gekommen; wir haben diesen Zweck erreicht und sind wieder fort; damit werden und müssen sie sich beruhigen. Meint Ihr nicht, Mr. Surehand?“

„Eure Berechnung ist allerdings sehr richtig,“ nickte er zustimmend, fügte aber doch nachdenklich hinzu: „wenn sie nicht dadurch auf den richtigen Gedanken geführt werden, daß sie das Ufer unbesetzt gefunden haben.“

„Auf welchen Gedanken?“

„Daß wir ihnen doch ein Schnippchen geschlagen haben.“

„Auf diesen Gedanken werden sie allerdings kommen; aber sie werden nicht das richtige, sondern ein falsches Schnippchen erraten. Sie werden nämlich nicht denken, daß wir wieder zurück sind, sondern überzeugt sein, daß wir den Fluß nur deshalb so schnell verlassen haben, um, während sie hier unnütz nach uns suchten, einen tüchtigen Vorsprung zu bekommen und ihrer Verfolgung zu entgehen. Ja, wenn sie ahnten, daß wir wissen, wohin sie wollen!“

„Das ahnen sie nicht. Ihr habt recht. Wenn wir jetzt aufbrechen, können wir schon nach zwei Stunden wieder umbiegen; sie werden das nicht bemerken.“

„Ich bin übrigens der Überzeugung, daß sie sich jetzt noch drüben an der Furt befinden. Wir dürfen also unsre Pferde leider nicht trinken lassen. Sie würden das sehen und daraus schließen, daß wir fort wollen. Die Tiere werden aber trotzdem bald Wasser haben, denn ich schlage nicht den Weg ein, den wir gekommen sind, sondern wir suchen das Flüßchen auf, an welchem die zwei Comantschen abwärts ritten. Warten wir nicht länger; es ist Zeit.“

Wir brachen auf und ritten den Fluß abwärts, wobei wir so viel Gebüsch wie möglich zwischen ihm und uns liegen ließen, um von etwaigen jenseitigen Spähern nicht gesehen zu werden. Als wir nach ungefähr einer Stunde die Mündung des erwähnten Flüßchens erreichten, bogen wir in das Thal desselben ein, um, nachdem wir unsre Pferde hatten trinken lassen, am Wasser aufwärts zu reiten. Unsre Richtung war also westlich, während wir nach Osten wollten.

Während dieses Rittes fand ich keine Zeit, mich mit Old Surehand allein zu unterhalten; ich wurde von andern Personen in Anspruch genommen. Die Erzählungen Old Wabbles über die Schrecken des Llano estacado hatten nämlich auf seine Zuhörer tiefen Eindruck gemacht. Kaum hatten wir die Furt verlassen, so mußte er weiter schildern. Ich machte meine Bemerkungen dazu und wurde infolgedessen gebeten, auch zu erzählen, was ich mit großem Vergnügen that. Zu meiner heimlichen Genugthuung bemerkte ich bald, daß der beabsichtigte Erfolg nicht ausblieb; die Leute wurden nachdenklich und immer nachdenklicher. So, wie ich ihn schilderte und der alte Wabble ihn vorher beschrieben hatte, hatten sie sich den Estacado doch nicht vorgestellt, und es kam ihnen höchst gefährlich vor, eine solche Gegend aufzusuchen. Das sagten sie freilich nicht, aber ich sah es ihnen an; sie warfen einander Blicke zu, die mir ihre Gedanken verrieten.

Wenn ich diese Leute los sein wollte, mußte es bald geschehen. Der beste Zeitpunkt, uns von ihnen zu trennen, war der, wenn wir nach den abgelaufenen zwei Stunden aus unsrer jetzigen Richtung abbogen. Ich fuhr also in meinen Erzählungen, die nicht etwa Übertreibungen waren, so lange fort, bis diese Zeit fast verflossen war; dann zog ich mich zurück, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Meinungen ohne Zeugen auszutauschen. Diese Diplomatie führte zum gewünschten Ziele. Sie hielten sich zusammen und sprachen heimlich miteinander. Ich sah, daß einer dem andern zusprach und aufmunterte, wozu, das konnte ich mir denken.

Ich wußte, daß wir nun bald einen kleinen, schmalen Bach erreichen würden, der von links her in das Flüßchen lief. Das war die geeignete Stelle, abzubiegen, weil der Bach uns Gelegenheit bot, unsre Spuren zu verbergen. Darum hielt ich eine kurze Strecke vorher an und sagte:

„Mesch’schurs, die zwei Stunden sind vorüber, und wir haben es nun nicht mehr nötig, westwärts zu reiten. Seid Ihr auch derselben Ansicht?“

Old Surehand, Old Wabble, Parker und Hawley waren einverstanden; die übrigen wurden verlegen; sie sahen einander an; der eine stieß den andern an; dieser gab den Stoß weiter, bis der Mutigste von ihnen dieser fühlbaren Aufforderung folgte und auf die Gefahr hin, unsre Mißbilligung zu erhalten, die Unterhandlung mit der an mich gerichteten Frage begann:

„Seid Ihr schon einmal in El Paso del Norte gewesen, Sir?“

„Einige Male,“ antwortete ich.

„Wie lange bringt man wohl zu, um von hier aus nach dort zu kommen?“

„Wer die Gegend genau kennt und gut beritten ist, kann in fünf bis sechs Tagen dort sein. Warum fragt Ihr mich nach diesem Orte, Mr. Wren?“

Dies war nämlich der Name des Mannes. Er antwortete:

„Das möchte ich Euch gern sagen, wenn ich wüßte, daß Ihr nicht schlecht von uns denkt.“

„Schlecht von Euch denken? Wie sollte ich das! Habt Ihr etwas Schlechtes begangen oder etwas Schlechtes vor?“

„Keine Rede davon! Wir haben allerdings etwas vor; es ist nichts Schlechtes, kann aber von Euch doch mißverstanden werden.“

„So sagt es mir! Dann wird es sich zeigen, ob ich es richtig oder falsch verstehe.“

„Ja, ich will es Euch sagen. Es ist nämlich – – hm! es ist eine – – hm, hm!“

Er fuhr sich mit der Hand an den Hals; er kratzte sich hinter dem Ohre; es wollte gar nicht so grad heraus, wie es sollte. Dann fuhr er auf einem Umwege fort:

„Ihr wißt, daß wir eigentlich nach Texas hinunter wollten; aber wir haben es uns anders überlegt.“

„So?“

„Ja, so! Als Ihr gestern abend mit Mr. Cutter vom Lagerplatze fort waret, haben wir davon gesprochen. In El Paso und jenseits des Norte ist doch mehr für uns zu finden als in Texas. Meint Ihr nicht?“

„Was ich meine, das ist Nebensache; es kommt nur darauf an, was Ihr davon denkt.“

„Richtig, sehr richtig! Wir denken eben, daß es besser ist, wenn wir nach El Paso oder überhaupt über den Rio del Norte gehen.“

„Das sagt Ihr in einem Tone, als ob es einer Entschuldigung bedürfe, Mr. Wren?“

„Allerdings. Wir sollten doch mit Euch nach dem Llano estacado.“

„Ihr solltet? Ich habe gedacht, Ihr wolltet!“

„Ja, wir wollten, haben es uns aber anders überlegt. Hoffentlich denkt ihr nicht etwa von uns, daß wir uns vor dem Llano fürchten?“

„Warum sollte ich das denken? Weil Ihr Euern Entschluß geändert habt? Ihr seid doch freie Männer und könnt also thun, was Euch beliebt.“

„Freut mich sehr, daß Ihr diese Meinung hegt. Es hätte uns sehr leid gethan, wenn Ihr uns für mutlos gehalten hättet. Also Ihr habt nichts dagegen, daß wir uns von Euch trennen?“

„Nichts, gar nichts. Aber sagt, wann diese Trennung stattfinden soll!“

„Jetzt.“

„Was? Gleich jetzt?“

„Ja.“

„Warum so plötzlich?“

„Weil wir sonst Zeit versäumen und einen großen, ganz unnötigen Umweg machen. Ihr wollt ja umkehren.“

„Ja, das ist wahr. Wenn Ihr nach dem Rio Grande del Norte wollt, müßt Ihr in dieser Richtung weiterreiten.“

„Und weil Ihr umkehren wollt, müssen wir uns hier von Euch trennen. Das muß geschehen, so leid uns diese Trennung thut. Sie wird uns nur dadurch erleichtert, daß Ihr sie uns nicht übel nehmt.“

„Übel nehmen? Kann mir gar nicht in den Sinn kommen.

„Ihr seid auf Euer Wohl bedacht, und das zu thun, ist jedes Menschen Recht und Pflicht.“

Old Wabble hatte mit der gleichgültigsten Miene zugehört, nicht so aber Parker und Hawley; ihre Gesichter drückten zorniges Erstaunen aus. Als ich meine letzten Worte gesagt hatte, fiel Parker eifrig ein:

„Recht und Pflicht? Das sagt Ihr so gelassen, Sir? Diese Leute haben versprochen, mit uns nach dem Llano estacado zu reiten, und ihre Pflicht ist es, ihr Wort zu halten, ebenso wie es unser Recht ist, die Ausführung ihres Versprechens zu verlangen. Sie denken gar nicht daran, nach EI Paso zu gehen. Wißt Ihr, warum sie nicht mit umkehren wollen, Mr. Shatterhand?“

„Nun?“

„Weil sie sich vor dem Llano fürchten; das ist es!“

„Fällt uns nicht ein!“ rief Wren. „Von Furcht ist keine Rede.“

„Oho! Ihr sagt, Ihr hättet gestern abend davon gesprochen, nach EI Paso anstatt nach Texas zu gehen. Davon müßte ich doch etwas wissen, weil ich während der ganzen Zeit den Lagerplatz nicht verlassen habe; ich habe aber kein einziges Wort gehört.“

Jos Hawley stimmte ihm bei. Der Wortstreit ging eine Weile hin und her, bis ich den beiden Genannten einen heimlichen, nicht mißzuverstehenden Wink gab und den Abtrünnigen beipflichtete:

„Jedermann kann thun und lassen, was er will und was ihm beliebt. Wenn diese Gentlemen sich von uns trennen wollen, so haben wir kein Recht, sie daran zu hindern. Ja, wir sind sogar verpflichtet, sie darin zu unterstützen.“

„Auch noch unterstützen!“ zürnte Parker. „Worin soll diese Unterstützung denn bestehen?“

„Darin, daß wir sie mit Proviant versorgen.“

„Daß wir dumm wären! Fällt uns gar nicht ein!“

Old Wabble mochte ahnen, warum ich mich in dieser Weise verhielt, denn er sagte jetzt zu Parker:

„Dumm? Wer ist dumm, Sir? Doch wohl derjenige, der nicht weiß, wer über den Proviant zu verfügen hat! Und wer hat darüber zu verfügen? Doch wohl der, der ihn gebracht hat! Und wer hat ihn gebracht? Ich! Und ich sage Euch, daß ich diesen Leuten so viel Fleisch mitgebe, wie wir entbehren können. Ob sie aus Angst oder aus einem andern Grunde von uns gehen, das ist mir gleich. Sie bekommen Fleisch, weil sie unterwegs essen müssen; th’is clear. Also wer fort will, der mag es sagen, damit man weiß, woran man ist!“

Sie wollten alle fort, Parker und Hawley ausgenommen, welche erklärten, sich zu schämen, daß sie mit solchen Memmen bisher geritten seien. Das Ende vom Liede war, daß die acht Männer einen Vorrat Fleisch bekamen und dann nach einem kurzen, nicht eben zärtlichen Abschied weiterritten. Hawley war still; Parker aber räsonnierte hinter ihnen her. Ich fragte ihn: „Ich denke, Ihr habt vorhin meinen Wink gesehen. Habt Ihr ihn auch verstanden?“

„Ja.“

„Was hatte er zu bedeuten?“

„Daß ich die Kerls ruhig laufen lassen soll.“

„Warum thut Ihr das nicht?“

„Weil ich mich über sie ärgere.“

„Euer Ärger ist überflüssig und gar nicht maßgebend. Wir andern freuen uns darüber, daß wir sie los sind. Wir werden in Lagen kommen, wo wir ganze Männer, aber keine Memmen brauchen können. Und wenn der Ausdruck Memme zu stark sein sollte, so waren sie doch auch nicht Personen, auf welche man sich verlassen kann.“

Da ging ein freundlicher Zug über sein Gesicht, und er fragte im Tone der Befriedigung:

„Und mich schickt Ihr nicht fort?“

„Nein.“

„So seid Ihr also der Ansicht, daß Ihr Euch auf mich verlassen könnt?“

„Hm! Ich bin der Ansicht, daß ich Euch wahrscheinlich als einen zuverlässigen Mann kennen lernen werde. So ist die Sache.“

„Also erst kennen lernen!“ betonte Old Wabble, indem er seine Glieder lachend durcheinander schüttelte. „Gebt Euch also Mühe, Mr. Parker, daß Ihr bei dem nächsten Elk nicht daneben schießt!“

„Diese Ermahnung ist vollständig überflüssig, Mr. Cutter. Ich habe bisher noch jeden Elk getroffen.“

„Auch den ersten damals?“

„Ja.“

„Das möchte ich bezweifeln.“

„Ihr wißt es ja; ich habe es bewiesen.“

„Ja, es ist bewiesen, was Ihr damals getroffen habt, vollständig bewiesen. Wißt Ihr, was?“

„Nun, was?“ fragte Parker, jetzt über das Gebaren des Alten aufmerksam werdend.

Dieser kniff sein Gesicht in noch mehr Falten, als es so schon hatte, machte das eine Auge zu, riß das andre weit auf, schlotterte mit den Armen durch die Luft und antwortete dann:

„Einen Esel habt Ihr geschossen, einen Esel! Hahahaha!“

„Wie – – wa – wa – was? Einen Esel?“

„Ja, einen Esel, oder vielmehr ein Tier, welches Ihr für einen Esel hieltet, welches aber eigentlich ein Elkkalb oder das junge Kind des Elkes war!“

Er betonte die fünf durch Gänsefüßchen eingeschlossenen Worte besonders stark, indem er sie zugleich sehr langsam aussprach.

„Das junge Kind – – des – – des – – – alle Wetter, was wollt Ihr damit sagen?“

„Daß Ihr damals geflunkert habt. Es ist Euch gar nicht eingefallen, den Elk zu schießen; Ihr seid vielmehr vor ihm gewaltig ausgerissen!“

„Aus – – ge – – ris – – – sen – – –?!“

„Ja, ausgerissen!“

„Das ist eine Verleumdung, die – die – die –!“

„Was denn, die – die – die – – –? Seid Ihr etwa nicht in das Loch gekrochen, in welches dann das Untier den Kopf steckte und Euch so gewaltig anschnaufte, daß Euch fast der Verstand verloren ging?“

„Loch? Was – – für – – ein – – Loch?“

„Das Loch in der Steinwand, in welchem Ihr so schnell verschwandet, wie Ihr in Euerm ganzen Leben noch nie in ein Loch gekrochen waret!“

Parker holte tief, tief Atem und sagte, vor Verlegenheit fast stammelnd:

„Mr. Cutter, ich weiß nicht, was Ihr wollt. Ich verstehe Euch nicht. Ihr habt doch den Elk, den ich geschossen hatte, mit Euern eignen Augen gesehen!“

„Ja, mit meinen eignen Augen, aber den Elk, den der Häuptling der Panashts geschossen hatte!“

„Der Pa – – nashts? Der Teufel soll mich holen, wenn ich im stande bin – –“

„- einen Elk zu schießen?“ fiel ihm der Alte in die Rede. „Ja, das glaube ich nicht nur, sondern ich bin sogar sehr überzeugt davon. Der Häuptling schenkte Euch den Elk dafür, daß Ihr ihn vor mir gewarnt hattet, und erlaubte Euch, zu sagen, Ihr hättet ihn geschossen. Ist es so oder nicht, Mr. Parker?“

„Wenn – – wenn – – und – – und – – und – –“ stotterte der Gefragte in größter Bedrängnis.

„Antwortet mir nicht mit wenn und und, sondern richtig, wie es sich gehört!“

„Ich antworte ja richtig, ganz richtig! Man muß Euch ein Märchen aufgebunden haben!“

„Ein Märchen? ja, es schien mir allerdings damals ein Märchen zu sein, als Ihr den Elk brachtet und behauptetet, er sei von Euch geschossen worden. So ein ausgemachtes, in Marmor gehauenes Greenhorn, wie Ihr damals waret, und ein Elk, ein so riesiger, gewaltiger Elk! Ich glaubte es aber doch, weil Ihr dann später zufällig, ganz zufällig Glück im Schießen hattet. Jetzt aber ist’s mit dem Glauben vorbei, ganz und gar vorbei.“

„Ich habe ihn geschossen! Wer ist denn der Halunke, der Euch so angelogen hat?“

„Der Halunke? Angelogen? Richtig, ganz richtig! Der Halunke seid ihr, Ihr selbst, Mr. Parker.“

„Ich? Was? Ich?!“

„Ja, Ihr selbst! Oder wollt Ihr leugnen, daß Ihr es selbst erzählt und eingestanden habt?“

„Ich selbst? Wem und wo?“

„Euern Gefährten, die vorhin fortgeritten sind; droben jenseits des Mistake-Cañon im Soldatenlager.“

„Ah, die, die haben es gesagt! Schade, daß sie fort sind! Sie müßten diese Lüge eingestehen und mich um Verzeihung bitten. Wer hat es Euch denn wieder erzählt?“

„Wren, der brave Wren, der vorhin das große Wort der Feigheit so beredt führte.“

„Wann?“

„Heut nacht, als wir die Wache miteinander hatten und uns die Zeit mit Geschichten verkürzten.“

„Mit Lügen, müßt Ihr sagen!“

„Oho! Ihr glaubt, leugnen zu können, weil diese Leute fort sind. Es sind noch andre da.“

„Wer denn, wer?“

„Mr. Shatterhand und Jos Hawley hier; die haben auch dabei gesessen, als Ihr es erzähltet. Ist das wahr, oder ist es nicht wahr, Jos?“

Diese Frage an mich zu richten, das wagte der Alte nicht. Ich hätte mit einem Scherze geantwortet. Der ehrliche Hawley aber erklärte sehr ernst:

„Ja, er hat es erzählt; er hat den Elk damals nicht geschossen. Was wahr ist, das muß wahr sein.“

Da fuhr ihn Parker zornig an:

„Halte den Schnabel, alter sheeps-head! Wie kannst du behaupten, daß es wahr ist!“

„Weil du es selbst erzählt hast.“

„So ein Unsinn! Selbst erzählt! Muß es darum wahr sein, he?“

„Ich denke!“

„Da giebt es nichts zu denken, ganz und gar nichts. Man erzählt so manches, was sich ganz anders zugetragen hat.“

„Warum sollte man es anders erzählen?“

„Weil man es nicht richtig weiß, oder weil man sich einen Spaß machen will, und das war bei mir der Fall.“

„Keine Ausrede!“ fiel da Old Wabble ein. „Kein Westmann wird erzählen, daß er ein Wild, noch dazu einen Riesenelk, nicht getroffen habe, wenn er ihn getroffen hat. Und Ihr seid gar über diese Selbstverleugnung noch weit hinausgegangen, indem Ihr gesagt habt, ein Roter habe ihn geschossen. Ich weiß, woran ich bin. Die Sache ist zu Ende, und wir haben jetzt an wichtigere Dinge zu denken. Wir kehren hier also um, Mr. Shatterhand?“

„Hier nicht, sondern eine Strecke weiter oben.“

„Warum noch weiter hinauf?“

„Dort giebt es ein fließendes Wasser, welches seitwärts führt. Wenn wir in demselben reiten, bleiben den Roten, falls sie ja noch vor Abend kommen sollten, unsre Spuren vollständig verborgen.“

„Wie klug! Sie werden den Spuren unsrer acht ungetreuen Kameraden folgen und denken, wir sind noch bei ihnen, während wir doch seitwärts abgewichen sind. Das ist ein so guter Gedanke, daß man ihn in einem Buche drucken lassen sollte; th’is clear!“

Es dauerte nur noch zehn Minuten, bis wir den Bach erreichten und ihm in der Weise aufwärts folgten, daß wir die Pferde in seinem Wasser waten ließen. Dabei sagte Old Wabble zu mir:

„Sir, glaubt Ihr es mir, daß ich jetzt eine Eurer Pfiffigkeiten erraten habe?“

„Welche denn?“

„Daß wir mit den acht Kerls nicht bis herauf an dieses Wasser geritten sind. Ihr hieltet wohlbedachter Weise schon weiter unten an.“

„Warum das?“

„Der Verfolger wegen. Wenn sie kommen, werden sie da, wo wir halten geblieben sind, absteigen und die Stelle untersuchen, um zu erfahren, warum wir angehalten haben. Oder nicht, Mr. Shatterhand?“

„Ja.“

Well! Hätten wir am Bache Halt gemacht, so wäre diese Stelle von ihnen genau geprüft worden, und dabei hätten sie sehr wahrscheinlich bemerkt, daß da fünf Reiter von den dreizehn ihre Pferde in das Wasser gelenkt haben; unsre jetzige, neue Fährte wäre also entdeckt worden. Um das zu vermeiden, habt Ihr dafür gesorgt, daß die Trennung schon vorher geschah. Habe ich recht, Sir?“

„Ja, Ihr habt mich erraten, Mr. Cutter. Es kann uns nur von Nutzen sein, wenn wir uns auch fernerhin so gut verstehen.“

Das Laufen im Wasser wurde den Pferden schwer, weil die Breite und Tiefe desselben oft schnell wechselte; dennoch ließen wir wohl gegen eine Stunde vergehen, ehe wir sie heraus auf den trockenen Boden lenkten. Das thaten wir an einer felsigen Stelle, wo kein Hufstapfen zurückgelassen werden und uns verraten konnte. Damit war aber der Vorsicht volle Genüge geschehen, und wir konnten überzeugt sein, alles gethan zu haben, um eine Entdeckung zu verhüten. Das Wasser hatte uns in der verflossenen Stunde südwärts geführt; wir verließen es nun und lenkten nach Osten ein, um den Rio Pecos wieder zu erreichen. Das mußte nach meiner Berechnung an einer Stelle geschehen, welche volle zwei Stunden von der Furt entfernt lag, und es stand also, wenn nicht ein unglücklicher Zufall eingetreten war, zu erwarten, daß wir auf keinen Comantschen treffen würden.

Die beiden Wasserthäler, in denen wir uns bis jetzt aufwärts bewegt hatten, waren vielen Krümmungen gefolgt. Jetzt ritten wir abwärts, und weil wir da eine schnurgerade Linie einhalten konnten, brauchten wir natürlich viel weniger Zeit als aufwärts. Es war ungefähr halb zwei Uhr, als wir den Rio Pecos wieder erreichten. Wir suchten und fanden bald eine Stelle, deren ruhig fließendes Wasser das Hinüberschwimmen erleichterte, und dann ging es im Galoppe auf der ebenen Prairie dahin, welche zwischen dem Pecos und der früher erwähnten Hügelreihe liegt. Da dieser Höhenzug nicht parallel mit dem Flusse geht, sondern sich bald dem Flusse nähert und bald wieder von ihm entfernt, so ist die Savanne nicht von sich gleichbleibender Breite. Bald wird sie so zusammengedrängt, daß sie nur einen schmalen Streifen bildet, und bald dehnt sie sich in endlos scheinender Weite vor dem Blicke aus. Wir fegten wie im Sturme über die grasige Ebene dahin, und es war eine wahre Lust, das lange, schneeweiße Haar Old Wabbles und die fast noch längere braune Mähne Old Surehands im Winde fliegen zu sehen. Der letztere ritt einen mexikanischen Fuchs spanischen Blutes, welcher es zwar mit meinem Rappen nicht aufnehmen konnte und, der Schwere seines Reiters angemessen, stark gebaut war, aber den langen Galopp doch spielend überwand.

Old Surehand und Old Wabble, zwei solche Reiter an meiner Seite! Ich warf, einen Jauchzer ausstoßend, den Hut hoch in die Luft und fing ihn im jagen wieder auf.

„Ihr scheint recht guter Laune zu sein,“ meinte Old Surehand lächelnd.

„Ja,“ antwortete ich. „Und sie wird noch besser werden, wenn erst Winnetou bei uns ist. Sein schwarzer Schopf ist köstlich. Dann fliegen drei Mähnen um mich her.“

„Wann werden wir ihn treffen?“

„Das ist noch ungewiß. Er ist, wie ich Euch schon sagte, nach dem Llano estacado voran. Ich vermute, daß wir noch heut auf einen Boten von ihm stoßen werden.“

„Wo? Ist der Ort bestimmt?“

„Nein, aber die Linie. Ich sprach ja nur von einer Vermutung. Ihr werdet das Nähere erfahren, wenn wir lagern. Winnetou weiß, daß ich in gerader Linie vom Mistake-Cañon nach der Llano-Oase reite. Wenn er einen Boten zurückgelassen hat, wird dieser auf irgend einem Punkte dieser Linie auf mich warten.“

„Befinden wir uns jetzt auf ihr?“

„Noch nicht. Ich mußte, um Euch herauszuholen, von ihr nach dem Saskuan-kui abweichen. Jetzt nähern wir uns ihr wieder, und in einer Stunde erreichen wir sie. Leider müssen wir wieder langsam reiten, denn Parker und Jos Hawley kommen uns nicht nach. Gegen Abend kommen wir an einen Ort, den die Apatschen Altschese-tschi nennen; das wäre für den Boten die richtige Stelle, mich zu erwarten. Er kann sich da verbergen.“

„Es giebt dort Büsche und Bäume?“

„Ja.“

„Dachte es mir!“

„Warum?“

„Weil die beiden Apatschenworte Altschese-tschi soviel wie kleiner Wald bedeuten.“

„Das wißt Ihr? Ihr seid also dieser Sprache mächtig?“

„Leidlich.“

„Das ist sehr vorteilhaft für uns. Aber ich denke, Ihr seid noch nie in einem Apatschengebiete gewesen!“

„Allerdings nicht. Meine bisherigen Jagdreviere lagen mehr im Norden. Aber ich bin mit Kennern der Apatschendialekte lange zusammen gewesen und habe von ihnen gelernt, was ich brauche. Ich freue mich außerordentlich darauf, mit Winnetou in seiner Muttersprache reden zu können. Kennt er mich dem Namen nach?“

„Sehr gut. Ich will Euch verraten, daß er eine hohe Meinung von Euch hat.“

„Danke, Sir!“

„Wir sind miteinander weit herumgekommen, bis an die Nordgrenze der Vereinigten Staaten hinauf, und es ist eigentlich zu verwundern, daß wir mit Euch kein einziges Mal zusammengetroffen sind.“

„Mir ist das sehr erklärlich, und auch Ihr werdet Euch nicht mehr darüber wundern, wenn Ihr später erfahret, wie und wo ich lebe und mich bewege.“

„Ist das ein Geheimnis?“

„Ja und nein, wie man es nimmt. Ich pflege nicht darüber zu sprechen, weil ich nicht zu denjenigen Leuten gehöre, die gern und viel überflüssige Worte machen.“

Er wendete sich halb ab, und es flog wie ein dunkler Schatten über sein bisher so heiteres Gesicht. War es dennoch ein Geheimnis, welches jetzt berührt worden war? Es wollte mir vorkommen, als ob diese Berührung ihm wehe thue. Wir schwiegen beide. Vielleicht hatte dieser körperlich und geistig seltene Mann auch ein seltsames Schicksal hinter sich. Giebt es doch nie einen Westmann, dessen Lebenslauf ein gewöhnlicher gewesen ist!

Nach der angegebenen Zeit von einer Stunde war der grüne Vegetationsstreifen des Rio Pecos längst nicht mehr hinter uns zu sehen; vor uns lag die Prairie meilen- und aber meilenweit; es gab rings keinen Punkt, an welchem das Auge den Halt zu einer Berechnung finden konnte, und dennoch wußte ich, daß ich mich nun auf der vorhin erwähnten Linie befand. Das war der Örtlichkeitssinn oder vielmehr der Ortsinstinkt, der dem Wandertiere eigen ist und ohne den auch der Westläufer in hundert und wieder hundert Gefahren gerät. Wer ihn nicht besitzt, der wird entweder zu Grunde gehen oder ein Jäger niedrigster Klasse bleiben. Wir hatten nur eine kleine Wendung zu machen, um von unsrer bisherigen Tour auf diese Linie einzubiegen.

Es war jetzt drei Uhr nachmittags, und wenn jemand behauptet hätte, daß es den Comantschen möglich sei, unsre Fährte aufzufinden und uns gar nachzukommen, den hätte ich für irrsinnig gehalten. Sie konnten jetzt erst auf dem jenseitigen, rechten Ufer des Rio Pecos angekommen sein, um nach unsern Wachen oder Posten zu suchen, die aber gar nicht dastanden und nicht dagestanden hatten.

Old Surehand schien durch den letzten Teil unsres kurzen Gespräches nach innen gekehrt worden zu sein, denn er hatte sein Pferd angetrieben und ritt, den Kopf nachdenklich niedergesenkt, allein voran. Da parierte er plötzlich sein Pferd, stieg ab und untersuchte den Boden. Als wir ihn erreichten und ich seinen Augen folgte, sah ich, daß er eine Fährte entdeckt hatte, und stieg auch ab. Old Wabble folgte unsrem Beispiele, untersuchte das niedergetretene kurze Gras und sagte:

„Das sind Pferde gewesen, Mesch’schurs, sechs an der Zahl und Indianern angehörig. Die Kerls sind hintereinander geritten, aber diese meine alten Augen zählen die sechs doch ganz genau heraus. Sie sind ostwärts geritten und vor zwei Stunden hier vorübergekommen.“

Old Surehand warf mir einen Blick zu, in welchem deutlich die Bewunderung für den Alten lag, und ich gab diesen Blick zurück, denn ich hätte die Fährte wohl kaum so gut oder wenigstens nicht deutlicher zu lesen vermocht. Hier auf der offenen Savanne zeigte sich der Alte als einstiger König der Cowboys, als der Fachmann, der nicht zu täuschen war. Er hatte unsre Blicke nicht gesehen, und weil niemand sogleich antwortete, fragte er:

„Seid Ihr etwa andrer Meinung, Gents?“

„Nein,“ antwortete ich. „Ihr habt ganz richtig gesehen.“

„So viel die Spur besagt, ja, Sir. Das Weitere aber muß ich Euch überlassen, weil ich die Gegend und die Roten, die sich hier herumtreiben, nicht kenne.“

„Es kann sich nur um Apatschen oder Comantschen handeln.“

„Welcher der beiden Nationen werden diese Leute hier wohl angehören?“

„Ihr fragt so bestimmt, Mr. Cutter, als ob es kinderleicht sei, darauf Antwort zu geben!“

„Weil ich annehme, daß Old Shatterhand sich den Kopf nicht zu zerbrechen braucht, um die richtige Auskunft zu finden.“

„Danke Euch für das Kompliment! Man muß nachdenken, wenn man sich auch nicht gerade den Kopf zu zerbrechen hat. Die Comantschen sind ausgezogen und befinden sich in der Nähe, da seitwärts hinter uns. Die Apatschen wissen, daß die Comantschen das Kriegsbeil ausgegraben haben; sie sehen sich zur Vorsicht gezwungen und senden also Späher aus.“

„Das ist sehr richtig, Sir; aber damit sind wir nicht weiter als vorher; th’is clear.“

„Wartet nur! Die Spur geht ostwärts; sie weist also nach dem Llano estacado. Wer aber von beiden ist es, der den Llano jetzt im Auge hat?“

„Die Comantschen.“

„Richtig! Ich bin überzeugt, daß nur ein einziger Apatsche von der Absicht der Comantschen auf den Llano weiß; das ist Winnetou. Seine Mescaleros werden durch ihn selbst oder durch einen Boten von ihm erst davon benachrichtigt. Sie können noch nicht hier sein und also auch keine Späher nach dem Llano vorausgesandt haben. Dazu kommt, daß ihre Wohnsitze von hier im Süden liegen. Wenn sie Kundschafter oder Boten direkt nach dem Llano schickten, so würde der Weg derselben nicht so weit nach Norden führen.“

„Ihr meint also, daß wir es mit Comantschen zu thun haben, Mr. Shatterhand?“

„Ja.“

„So wissen wir, woran wir sind und – –“

„Halt!“ unterbrach ich ihn. „Was ich sage, ist mehr Vermutung als Überzeugung. Wir müssen Gewißheit haben. Die Sache ist so wichtig für mich, daß es uns auf eine kleine Zeitversäumnis nicht ankommen darf. Getraut Ihr Euch, diese Spur schnellreitend gut im Auge behalten zu können?“

„Welche Frage! Haltet Ihr mich für blind?“

„So steigt auf, und galoppiert fünf Minuten lang auf ihr zurück! Ich möchte gern die Richtung wissen, ob sie gerade verläuft oder auf dieser immerhin langen Strecke irgend eine Biegung macht.“

Well, soll gleich geschehen!“

Er schwang sich auf das Pferd und jagte auf der Fährte zurück, der Richtung zu, aus welcher die sechs Reiter gekommen waren. Seine Figur wurde schnell kleiner und immer kleiner, bis sie, obgleich das Terrain vollständig eben war, unsern Augen ganz entschwand. Dann tauchte er als ein sich bewegender Punkt wieder auf, der sich immer mehr vergrößerte, bis er endlich in Lebensgröße wieder bei uns hielt.

„Nun?“ fragte ich ihn.

„Sie geht wie eine Schnur immer geradeaus.“

„Das sagt mir genug. Wißt Ihr, wohin man kommt, wenn man dieser geraden Linie folgt?“

„Nach dem blauen Wasser, vermute ich.“

„Ja, nach dem Saskuan-kui. Der Häuptling Vupa Umugi hat diese sechs Leute als Späher ausgesandt. Wir müssen ihnen schleunigst nach.“

„Warum so schnell? Sie einholen?“

„Ja.“

„Das ist ein Fehler, Sir! Nehmt es mir nicht übel, aber es ist gewiß ein Fehler!“

„Warum?“

„Ihr seid doch kein Indianermörder!“

„Allerdings nicht.“

„Und wollt ihnen dennoch nach? Das widerspricht sich ja. Seht Ihr das nicht ein?“

„Worin liegt der Widerspruch?“

„Ihr wollt kein Mörder sein und wäret doch gezwungen, diese sechs Roten auszulöschen, wenn wir sie einholten. Sie dürfen nicht wissen, daß wir in dieser Gegend sind, was doch verraten würde, wenn auch nur einer von ihnen entkäme. Unsre Force liegt doch darin, daß Vupa Umugi die Überzeugung hegt, wir seien nach Westen geritten!“

„Ihr habt recht und doch nicht recht, Mr. Cutter. Es kommt auf die Umstände an, ob wir uns diesen Kundschaftern zeigen werden oder nicht. Ihr Weg führt genau nach dem Altschese-tschi, dem Kleinen Walde, wo ich, wie ich schon vorhin sagte, einen Boten Winnetous vermute. Kommen sie dort vorüber, ohne ihn zu entdecken, so ist es gut; wenn sie ihn aber bemerken, ihn selbst oder eine Spur von ihm, so greifen sie ihn an. Ein Mann gegen sechs Männer; Ihr könnt Euch den Ausgang denken. In diesem Falle ist er entweder tot oder gefangen. Findet das letztere statt, so müssen wir ihn losmachen, schon aus reiner Freundschaft für die Apatschen, und sodann auch wegen Winnetous Botschaft, die ich unbedingt hören muß, wenn es nur möglich ist. Da darf es mir auf das Leben von sechs feindlichen Comantschen nicht ankommen. Also vorwärts jetzt, Mesch’schurs!“

Wir stiegen wieder auf und jagten so schnell weiter, wie die Pferde Parkers und Jos Hawleys zu laufen vermochten.

Die Kundschafter befanden sich zwei Stunden vor uns; aber sie waren langsam geritten. Wenn sie diese Gangart beibehalten hatten und noch beibehielten, so war es möglich, daß wir sie noch vor dem Altschese-tschi einholten.

Leider aber zeigte es sich, daß die Pferde der beiden Genannten nicht mit den unsern fortkommen konnten; ich bestimmte also, daß Parker und Hawley unsrer Spur möglichst schnell folgen sollten, und ritt mit Old Surehand und dem alten Wabble voran. Von Zeit zu Zeit hielt einer von uns an, um aus den Spuren das Tempo der Reiter zu ersehen, und holte dann die andern beiden wieder ein. Da stellte sich denn bald heraus, daß die Comantschen später viel schneller geritten waren, und so schwand meine Hoffnung mehr und mehr, sie noch zur rechten Zeit ein- oder gar zu überholen, was durch einen Halbkreisritt ganz wohl möglich gewesen wäre.

Es verging eine Stunde und dann die zweite. Wir mußten die Pferde zuweilen verschnaufen lassen, indem wir langsamer ritten. Nach wieder einer halben Stunde tauchte vor uns ein dunkler Punkt am Horizonte auf. Ich deutete mit der Hand auf ihn und sagte:

„Das ist der Kleine Wald, das Ziel unsers Parforcerittes. Wollten wir geradeaus reiten, würden wir in einer Viertelstunde dort sein.“

„Das dürfen wir aber nicht,“ warnte Old Wabble.

„Nein, denn die Comantschen sind wahrscheinlich nicht weiter geritten, sondern drin geblieben.“

„Wir müssen aber hin! Wie fangen wir das an?“

„Es ist ein Glück, daß ich die Örtlichkeit genau kenne. Kommt rechts nach Süd! Wir müssen einen Bogen reiten.“

Indem wir dies thaten, fragte Old Wabble weiter:

„Meint Ihr, daß wir auf diese Weise hinankommen, ohne gesehen zu werden?“

„Ja. Ihr müßt wissen, daß von den ostwärts liegenden Höhen ein Wasser kommt, welches auf der Ebene versiecht, aber später da, wo sich der Boden tiefer senkt, als ein kleiner Weiher wieder zu Tage tritt. Dieser Weiher hat einen Durchmesser von nur vielleicht fünfzig Schritten, hat aber doch einem Wäldchen das Leben gegeben, dessen Durchmesser wenigstens zehnmal größer ist. Das ist Altschese-tschi, der kleine Wald, dessen westliche und östliche Seite ziemlich licht ist, während er an den beiden andern Seiten so dicht steht, daß man, besonders auf der südlichen, kaum durchzudringen vermag. So war es, als ich mich vor drei Jahren zum letztenmale hier befand, und so wird es wohl auch heute noch sein.“

„Hm!“ brummte der Alte. „In drei Jahren kann sich viel verändern, was hier, wo es sich um unser Leben handeln kann, außerordentlich wichtig ist!“

„Wenn eine Veränderung eintrat, so besteht sie wohl nur darin, daß der Wald dichter geworden ist, was uns nicht anders als lieb sein kann. Weil die südliche Seite die bewachsenste ist, so reiten wir in einem Bogen nach ihr. In dem dortigen Gestrüpp nimmt kein Mensch seinen Aufenthalt, und darum glaube ich, daß wir uns da am besten annähern können, ohne gesehen zu werden. Wenn wir nicht die Nacht abwarten wollen, so weiß ich keine andre Weise, das Wäldchen zu erreichen.“

Well, so müssen wir es eben versuchen und uns darauf gefaßt machen, bei unsrer holdseligen Ankunft einige weniger holdselige Kugeln zwischen die Rippen oder gar in die Köpfe zu bekommen. Ein Wagehals, der etwas wagen will, der wagt etwas; th’is clear!“

Old Surehand verhielt sich noch immer schweigend, doch las ich auf seinem Gesichte jene unbedenkliche Entschlossenheit, die vor keiner Gefahr zurückschreckt, wenn nur einigermaßen Aussicht vorhanden ist, sie glücklich zu bestehen. Er kam mir immer mehr wie ein Mann vor, der lieber handelt als spricht, und später zeigte es sich, wie vortrefflich er in dieser Beziehung zu Winnetou paßte.

Wir waren also nach rechts abgewichen und hielten uns, indem wir einen Halbkreis ritten, immer so weit von dem Walde entfernt, daß er in gleicher scheinbarer Größe vor uns liegen blieb. Als wir uns dann genau südlich von ihm befanden, hielt ich an und nahm mein Fernrohr, welches mir im fernen Westen schon oftmals große Dienste geleistet und sogar das Leben gerettet hatte, aus der Satteltasche, um den Rand des Gehölzes sorgfältig abzusuchen. Ich konnte nichts Verdächtiges bemerken.

„Seht Ihr etwas, Sir?“ fragte Old Wabble.

„Nein. Ich kann kein lebendes Wesen, weder Mensch noch Tier, entdecken.“

„Sieht man uns von dort?“

„Sonderbare Frage, Sir! Würdet Ihr von hier aus einen dort befindlichen Menschen sehen?“

„Nein.“

„Also werden auch wir mit unbewaffnetem Auge nicht zu erkennen sein, und ich glaube nicht, daß die Roten mit Fernrohren versehen sind.“

„Wird keinem Indsman einfallen, ein solches Ding bei sich zu führen!“

„O doch! Winnetou hat stets ein Rohr, und zwar ein ganz ausgezeichnetes, mit. Ich bin der Ansicht, daß wir nun stracks vorwärts reiten. Nicht?“

„Wenn Ihr nicht anders wollt, dann los! Unvorsichtig aber ist’s und bleibt’s!“

Da ließ sich Old Surehand zum erstenmale wieder hören, indem er in ungeduldigem und verweisendem Tone ausrief:

„Was unvorsichtig! Wenn es keine andre Wahl giebt als das Wasser, so stürzt man sich eben hinein und lernt sofort das Schwimmen. Wenn Ihr Euch fürchtet, alter Wabble, so bleibt hier halten, bis Ihr angewachsen seid; wir aber nehmen das Wäldchen jetzt im Sturme. Go on, Mr. Shatterhand, go on!“

Er schoß auf seinem Pferde davon, und ich folgte ihm mit gleicher Schnelligkeit. Old Wabble blieb natürlich nicht zurück; er kam hinter mir hergeflogen und wetterte dabei ganz aufgebracht:

„Ich mich fürchten! Was bilden sich diese beiden jungen Menschen ein! Old Wabble kannte schon keine Furcht, als er noch nicht geboren war, viel weniger dann später. Die jetzige Jugend ist doch zuweilen mit ganz abnormen und unbegreiflichen Ideen behaftet; th’is clear!“

Es war von ihm ein kühnes Beginnen, uns beide als die jetzige Jugend zu bezeichnen; ich mußte trotz des Ernstes unsrer Lage laut darüber lachen. Er hörte das und rief, noch mehr erzürnt:

„Was lacht Ihr, Sir! Lacht dann, wenn Ihr mit heiler Haut da vorn im Walde sitzt, nicht eher!“

„Schweigt, Sir!“ antwortete ich zurück. „Wenn Euch die Roten nicht sehen, so müssen sie Euch doch hören, wenn Ihr in dieser Weise brüllt!“

„Gut, ich werde schweigen; aber ich lege Euch meine Leiche auf’s Gewissen. Seht, wie Ihr sie wieder herunter bringt!“

Wir trieben unsre Pferde so an, daß es schien, als ob der Kleine Wald auf uns zugeflogen käme. Der Grasboden war weich, der Hufschlag also kaum zu hören. Dabei hielten wir die Augen scharf auf unser Ziel gerichtet, um eine etwaige Gefahr rechtzeitig zu bemerken. Es war aber keine vorhanden, und wir erreichten ganz glücklich den Waldesrand. Dort sprangen wir ab, nahmen die Gewehre schußbereit in die Hände und lauschten. Es regte sich nichts. Wir versuchten, das Gebüsch mit unsern Blicken zu durchdringen; es war auch nichts zu sehen. Da flüsterte uns Old Surehand zu:

„Haltet mein Pferd! Ich komme bald wieder.“

„Wo wollt Ihr hin?“

„Spüren. Habt keine Sorge! Ich verstehe mich darauf.“

Es wäre eine Beleidigung gewesen, wenn ich ihm meine Begleitung angeboten oder gar ihn zurückgehalten hätte; ich ließ ihn also gehen. Es dauerte ziemlich lange, ehe er wieder kam, um uns zu melden:

„Wir haben ungeheuer Glück gehabt, daß wir nicht bemerkt worden sind. Die Comantschen befinden sich im Walde.“

„Habt Ihr sie gesehen?“ fragte ich leise.

„Nein; aber wir wissen doch, daß ihre Fährte nach dem Walde geht, und ich habe mich jetzt überzeugt, daß sie nicht wieder herausführt; sie sind also noch drin. Das bloß war es, was ich einstweilen wissen wollte. Wir müssen sie beschleichen.“

Well,“ nickte Old Wabble. „Das können nur zwei thun, denn der dritte muß hier bei den Pferden bleiben. Wer wird das sein, Mr. Shatterhand?“

„Ihr selbst,“ antwortete Old Surehand, obgleich der Alte mich gefragt hatte.

„Fällt mir nicht ein! Unthätig hier bleiben! Ich krieche mit im Walde herum, denn ich habe Euch zu beweisen, daß ich keine Furcht besitze.“

„Das wissen wir schon, also ist dieser Beweis ganz überflüssig. Ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, wie ich Euch kenne und schätze, und darum werdet Ihr es nicht übelnehmen, wenn ich Euch daran erinnere, daß das Herumkriechen im Walde nicht gerade Eure starke Seite ist. Ihr seid auf der offenen Savanne besser daheim. Bleibt also bei den Pferden!“

„Ganz wie Ihr wollt,“ antwortete der Alte mit einer Bewegung der Ungeduld. „Es ist hier nicht der Ort und die Zeit, uns zu streiten; ich will mich also als der Verständige fügen. Macht euch also auf die Suche; aber wenn ihr dann als Leichen wiederkommt, so will ich keine Vorwürfe hören!“

Er nahm die Pferde an den Zügeln fest und winkte uns fort. Old Surehand sah mich fragend an; ich antwortete:

„Uns zu trennen, ist hier zu gefährlich; es ist noch heller Tag; wir können leicht bemerkt werden, und da muß einer dem andern schnell zu Hilfe kommen können.“

„Richtig, Sir! Aber wohin wenden wir uns?“

„Habt Ihr vorhin, als Ihr fort waret, nicht eine Stelle bemerkt, wo das Eindringen nicht zu beschwerlich und geräuschvoll ist?“

„Ich glaube, eine zu kennen. Kommt!“

Er führte mich um einige Buschecken und deutete dann nach dem Strauchwerke, welches hier weniger dicht als anderwärts stand. Ich nickte, legte mich nieder und kroch hinein; er folgte mir. Wir hatten unsre Gewehre natürlich bei Old Wabble gelassen-, meine beiden Revolver und das Messer reichten für alle Fälle hin.

Wir hatten, wie gesagt, noch hellen Tag; die Roten konnten also jede größere Bewegung des Gesträuches sehen; das erschwerte unsre Aufgabe in einer Weise, daß wir nur höchst langsam vorwärts rückten. In einer halben Stunde hatten wir ein Drittel unsres Weges zurückgelegt; dann aber wurde es besser. Wir mußten nach der Mitte des Wäldchens, wo das Wasser lag, an welchem sich die Comantschen jedenfalls befanden. Nach abermals einer Viertelstunde hörte ich vor uns ein Pferd schnauben; auch Old Surehand hatte es gehört, denn er stieß mich an, um mich darauf aufmerksam zu machen. Hatte das Tier nur zufällig geschnaubt oder wollte es dadurch nach Art der indianischen Pferde seinen Besitzer vor uns warnen? In diesem Falle war die Gefahr für uns doppelt groß.

Ich muß sagen, daß ich mich nicht nur über Old Surehand freute, sondern daß ich ihn sogar bewunderte. Erst war er hinter mir geblieben, nun drang er neben mir vorwärts, und zwar mit einer Ausdauer, Umsichtigkeit und Geschicklichkeit, wie ich sie kaum jemals bei einem Weißen gesehen hatte. Jede Lücke wurde benutzt und jedes Hindernis entweder vermieden oder vollständig geräuschlos beseitigt; wenn die Gewandtheit der Hände nicht ausreichend war, mußte das Messer nachhelfen, und wenn ein Zweig oder gar ein stärkerer Ast bewegt werden mußte, geschah es mit einer so gleichmäßigen Langsamkeit, daß ein andrer als ich es gar nicht bemerken konnte. Es war für einen Westmann wirklich eine Freude, ihm zuzusehen.

So kamen wir langsam, aber sicher weiter und weiter, bis wir Stimmen hörten, welche miteinander sprachen; die Worte konnten wir nicht verstehen, weil wir noch zu weit entfernt waren. Je weiter wir uns aber näherten, desto deutlicher hörten wir sie, bis wir endlich diejenigen sahen, welche sich miteinander unterhielten. Es war freilich nicht das, was man eigentlich eine Unterhaltung nennt, sondern man konnte es viel richtiger als die Sitzung eines Prairiegerichtes bezeichnen.

Wir waren hinter einem nicht allzu dichten Gestrüpp angekommen, durch welches wir leidlich sehen konnten. Vor uns lag das Wasser; rechts waren sechs Pferde angebunden, während links ein einzelnes angehobbelt stand; dieses letztere war ein Apatschenpferd, während die ersteren den Comantschen gehörten, denen wir gefolgt waren. Von diesen sechs Roten lebten nur noch drei, welche zwischen uns und dem Wasser saßen; die blutigen Leichen ihrer drei Kameraden lagen nicht weit von ihnen. Vor ihnen stand ein einzelner Baum, an dessen Stamm ein Apatsche aufrecht angebunden war. Da er uns den Rücken zukehrte, konnten wir sein Gesicht nicht sehen; er mußte verwundet sein, denn seine Füße standen in einer Blutlache, doch schien der Blutverlust ihn nicht sehr geschwächt zu haben, denn eben, als wir die Gruppe zu Gesicht bekamen, hörten wir ihn mit kräftiger Stimme sagen: „Die Hunde der Comantschen werden mich töten, aber ihren Zweck doch nicht erreichen. Pesch endatseh lacht über sie. Sie waren ihrer sechs; er hat drei von ihnen getötet, ehe sie ihn überwältigen konnten; er wird sterben mit dem Gesang des Todes auf den Lippen und ohne mit der Wimper zu zucken, und die Seelen dieser drei werden ihn in den ewigen Jagdgründen bedienen müssen.“

Langes Messer! Den kannte ich sehr gut. Er war ein sehr verwegener und listiger Krieger, der bei dem Stamme der Mescaleros in Ansehen stand und schon oft als Unteranführer thätig gewesen war. Wenn es sich um einen gefährlichen Kundschafterdienst gehandelt hatte, zu dessen Ausführung Mut und Verschlagenheit gehörte, war die Wahl gewöhnlich auf ihn gefallen.

Jedenfalls hatte er hier im Altschese-tschi gesteckt, um auf mich zu warten, und ich hatte mich also nicht geirrt, als ich annahm, Winnetou werde auf Kundschafter seines Stammes getroffen und direkt nach dem Llano estacado geritten sein und für mich einen Boten zurückgelassen haben.

Einer der Comantschen machte eine sehr verächtliche Handbewegung und antwortete:

„Langes Messer stinkt wie ein Stück verfaulten Fleisches. Seine Seele wird weggeworfen werden und in den ewigen Jagdgründen keinen Diener haben, denn wir werden ihm den Skalp nehmen, ehe wir ihn unter großen Qualen in den Tod senden, Er hat drei von uns töten können, weil er sich feig versteckte, als wir kamen. Hätte er sich offen gezeigt, so wäre nur sein Blut, aber kein einziger Tropfen von dem unsrigen geflossen.“

„Ja, die Hunde der Comantschen hätten es gewagt, mit mir zu kämpfen, weil sie zwölf Arme gegen mich hatten, während ich allein war. Hätten sie nicht so viel gezählt, so wären sie vor mir ausgerissen wie Coyoten, welche zwar heulen, aber nicht beißen. Wenn Ihr mich nach den ewigen Jagdgründen sendet, so werde ich dort nur Apatschen, aber keinen einzigen Comantschen finden, weil nur die Seelen tapferer Männer, aber keine Feiglinge hinkommen. Was ihr seid, das werde ich euch zeigen; seht her zu mir!“

Er spuckte dreimal kräftig aus. Der Comantsche sagte in demselben verächtlichen Tone wie vorher:

„Das gilt nicht uns, sondern dir selbst. Du machst große Worte, um die Kleinheit deines Mutes zu verbergen. Die Angst vor dem Tode steht dir im Gesicht geschrieben. Du weißt, daß wir dir die Haut und das Fleisch in Stücken von dem Leibe schneiden werden, und deine stolze Rede soll nur das Angstgewimmer verdecken, welches du in deinem Innern hörst. Wir sind aber bereit, gnädig zu verfahren und dich schnell und ohne Qualen sterben zu lassen, wenn du uns die Wahrheit sagest und die Fragen beantwortest, welche ich dir jetzt vorlegen werde.“

Langes Messer warf den Kopf stolz empor, sagte aber, scheinbar einverstanden:

„Der Comantsche mag sprechen.“

„Sind eure Krieger gegen die Comantschen ausgezogen?“

„Nein.“

„Ist das die Wahrheit?“

„Ja.“

„Ich glaube es nicht.“

„Du kannst es glauben. Oder meinst du, daß es dem starken Löwen einfallen werde, gegen eine kranke Ratte in den Kampf zu ziehen?“

„Uff! Wenn du so fortfährst, uns zu beleidigen, hast du keine Gnade von uns zu erwarten! Wo befinden sich die Mescalero-Apatschen jetzt?“

„Daheim in ihren Wohnungen.“

„Wo ist Winnetou, ihr Häuptling?“

„Er ist weit oben im Norden bei den Indianern, die sich Schlangen nennen.“

Er sagte das, um sie glauben zu lassen, daß ihr berühmter Gegner jetzt nicht zu fürchten sei.

„Auch das ist eine Lüge. Winnetou ist da.“

„Nein.“

„Wir haben Old Shatterhand gesehen, und wo dieser ist, da weilt auch Winnetou nicht fern.“

Ich sah, daß Langes Messer einen Ausruf der Freude unterdrückte; er zwang sich sichtlich zur Ruhe und Gelassenheit und sagte im Tone der Überzeugung:

„Der Comantsche lügt; er will mich betrügen. Old Shatterhand ist weder auf der Ebene, noch in den Bergen; er ist über das Große Wasser in seine Heimat zurückgekehrt und wird erst nach zwei oder drei Wintern wiederkommen. Er hat das selbst gesagt.“

„Ich lüge nicht!“

„Du lügst! Ich glaube dir nicht!“

„Und ich lüge nicht!“ brüllte ihn der Comantsche zornig an. „Wir haben ihn gesehen.“

„Wo?“

„In unserm Lager. Er kam, uns zu beschleichen; wir haben ihn aber ergriffen und gefangen genommen und er wird den Tod am Marterpfahle sterben.“

„Old Shatterhand? Den Tod am Marterpfahle?“ lachte der Apatsche höhnisch. „Alle, alle Krieger der Comantschen zusammengenommen sind nicht imstande, diesen einen weißen Jäger an den Marterpfahl zu bringen. Selbst wenn sie ihn ergriffen hätten, würde er trotz aller Fesseln plötzlich verschwinden wie der Adler, den zehnmal tausend Sperlinge nicht halten können. Aber er ist gar nicht gefangen; er befindet sich jetzt gar nicht in diesem Lande, sondern da, wo er geboren ist.“

Es war jedenfalls seine Absicht, den Comantschen vor Ärger zum Sprechen zu bringen; er erreichte seine Absicht auch wirklich, denn der Gegner rief wütend:

„Wir haben ihn! Die Krieger der Comantschen sind keine Sperlinge, sondern Adler, die diesen Sperling zerreißen oder auffressen werden! Ich sage die Wahrheit; du aber lügst. Wie kannst du behaupten, daß eure Leute daheim seien! Sie befinden sich unterwegs, sonst hätten sie nicht einen Kundschafter ausgesandt!“

„Haben sie das gethan?“

„Ja.“

„Wann?“

„Jetzt.“

„Was wißt ihr von einem Kundschafter! Pshaw!“

„Wir wissen es. Du bist’s ja selbst!“

„Ich? Wer macht euch weis, daß Langes Messer als Späher ausgeritten sei?“

„Niemand macht es uns weis; es ist so.“

„Dann sind die Söhne der Comantschen blind. Trage ich etwa die Farben des Krieges im Gesicht?“

„Du hast es aus Klugheit unterlassen, dich anzumalen!“

„Wo wohnen die Comantschen und wo die Mescalero-Apatschen? Im Norden und im Süden. Wo befinde ich mich jetzt? Weit im Osten. Würde ich so weit östlich reiten, wenn ich als Kundschafter gen Norden zu euch soll?“

„Ihr werdet erfahren haben, wohin wir ziehen wollen!“

„Uff, uff, uff! Merkst du nicht, daß du dich jetzt verraten hast? Also die Hunde der Comantschen sind aus ihren Höhlen gebrochen, nicht um gegen die Apatschen zu ziehen, sondern um nach Osten zu reiten! jetzt weiß ich, was und wohin ihr wollt!“

Der Comantsche sah ein, daß er sich hatte überlisten lassen, und fuhr, zornig über sich selbst, den Gefangenen an:

„Schweig, Kröte! Ich kann das sagen, was ich gesagt habe, denn ich weiß, daß du es nicht weiter plaudern wirst. Wir nehmen dich mit, und du wirst zu gleicher Zeit mit Old Shatterhand am Marterpfahle sterben.“

„Dann werde ich noch sehr lange leben, denn daß ihr dieses berühmte Bleichgesicht gefangen habt, ist eine Lüge.“

„Es ist wahr. Wir haben ihn!“

Pshaw!“

„Und wir haben ihn nicht allein, sondern noch mehrere Bleichgesichter, die auch sterben müssen.“

„Nenne sie!“

„Old Wabble, den greisen Indianertöter.“

„Uff!“

„Ferner Old Surehand, das riesige Bleichgesicht.“

„Uff, uff! Weiter!“

„Weiter? Genügt das nicht?“

„Ja, das genügt. Wenn ihr diese drei großen Jäger wirklich ergriffen habt und mich in euer Lager schafft, werde ich nicht sterben, sondern wir werden uns frei machen und unter den Söhnen der Comantschen sein wie Büffelstiere, die in ein Rudel feiger Wölfe brechen. Old Shatterhand wurde noch nie besiegt; er ist ein“

„Er war schon oft gefangen!“ fiel ihm der Comantsche höchst zornig in die Rede.

„Aber er hat sich stets wieder befreit! Old Surehand ist ein Jäger, welcher mit einem Griffe seiner Fäuste sechs Comantschen erwürgt, mit jeder drei. Es giebt für – – –“

„Schweig von diesem Hunde!“ unterbrach ihn der andre abermals. „Er hat noch nie einen Comantschen besiegt!“

„Weil noch kein Comantsche ihm begegnet ist! Und Old Wabble, der wie ein Sturm über die Savanne fegt, so daß niemand ihn einholen kann, wird Euch – – –“

„Wird sterben, wird sterben!“ schrie der Comantsche, ihm zum drittenmal in die Rede fallend. „Vielleicht wird er auch nicht sterben, denn dieses alte Bleichgesicht ist ein furchtbarer Köter, den man eigentlich nicht töten, sondern mit Prügeln fortjagen sollte. Dieser Feigling – – –“

Er hielt mitten in der Rede inne; jetzt war er es, welcher unterbrochen wurde, aber nicht etwa von dem Apatschen, mit dem er sprach, sondern von einer ganz andern Seite. Wir hatten unsre Augen natürlich auf ihn gerichtet gehabt; als er sich jetzt plötzlich unterbrach und sichtlich erschrocken zur Seite sah, wendeten wir unsre Blicke auch dorthin und hörten zugleich die Worte erklingen:

„Was bin ich? Ein Feigling, ein Köter? Hund, roter! Ich werde dir zeigen, ob ich feig bin oder nicht. Wer von euch nur ein Glied bewegt und nach seiner Waffe greift, der bekommt meine Kugel in den Kopf! Hände in die Höhe!“

Es war der alte Wabble. Er hatte sich nicht durch das dichte Gebüsch gedrängt, sondern er kam ganz gemütlich durch die westliche, schmale Lücke des Waldes, durch welche auch die Comantschen an das Wasser gekommen waren. Sein Gewehr an der Wange und den Zeigefinger an dem Drücker, war er hinter dem nächsten Busche hervorgetreten und kam langsamen Schrittes näher.

„Hände in die Höhe!“ wiederholte er, da die Roten seinem Befehle nicht gleich Folge leisteten.

Dieser Ruf ist ein alter Brauch im wilden Westen. Wer die beiden Hände in die Höhe hält, kann nicht nach den Waffen greifen und sich verteidigen. „Hände in die Höhe!“ Wer mit diesen Worten überfallen und angerufen wird und nicht sofort gehorcht, dessen Leben ist keinen halben Penny wert. Das wissen auch die Indianer. Darum hoben die drei Comantschen jetzt bei der Wiederholung des Befehles ihre Arme empor.

„So, jetzt habe ich euch, ihr roten Schufte!“ lachte er. „Wer auch nur eine Hand sinken läßt, der bekommt die Kugel; ich scherze nicht. Also ich bin ein Feigling! So, so! Und mich habt ihr gefangen! Und Old Shatterhand und Old Surehand auch! Ist das wahr, du Schurke?“

Der Rote antwortete nicht.

„Aha! Der Atem ist dir ausgegangen! Aber wartet nur, wir werden euch gleich wieder zu Atem bringen! Muß euch doch einige gute Freunde zeigen, sehr bekannte Männer, über welche ihr euch außerordentlich freuen werdet, wenn ihr sie zu sehen bekommt. Wo stecken sie nur?“

Er meinte natürlich uns, Old Surehand und mich. Sein Gewehr immer noch auf die Comantschen gerichtet, suchte er mit den Augen in dem östlichen Gebüsch, in welchem er uns vermutete und wo wir auch wirklich steckten. Es war kein Wunder, daß die Roten ihre Arme gehorsam emporhielten, denn er bot einen Anblick, welcher ganz geeignet war, Respekt einzuflößen. Seine Erscheinung war ja überhaupt eine außerordentliche, und es kam dazu, daß er mit vier Gewehren bewaffnet war, denn er hatte das seinige in den Händen, und auf dem Rücken trug er Old Surehands Büchse, meinen Bärentöter und den Henrystutzen. Sie wagten gewiß nicht, ihm Widerstand zu leisten.

Dennoch war ich keineswegs mit seinem plötzlichen und unerwarteten Erscheinen einverstanden. Er hatte draußen bei den Pferden zu bleiben und nicht herein an das Wasser zu kommen. Ich nahm mir vor, ihn zur Rede zu stellen, obgleich er seine Sache gar nicht übel gemacht hatte. Jetzt wollte er uns zu sich haben; ich gab Old Surehand also einen Wink; wir standen auf und drangen durch das Gezweig hinaus in das Freie, Als er uns sah, rief er den Comantschen zu:

„Das sind die Männer, die ich euch zeigen will, ihr Schurken. Kennt ihr sie?“

„Old Shatterhand!“ rief Langes Messer jubelnd aus.

„Old Surehand!“ schrie der Comantsche erschrocken.

Ich wendete mich an den letzteren:

„Ja, wir sind es, von denen du sagst, sie wären eure Gefangenen. Mr. Cutter, nehmt ihnen die Waffen!“

Ich zog den Revolver und hielt ihnen denselben entgegen; sie wagten nicht, sich zu bewegen.

„Bindet den Apatschen los, Mr. Cutter!“

Er that es. Kaum fühlte Langes Messer sich wieder im Besitze seiner Glieder, so bückte er sich, raffte einen Tomahawk auf und – – zwei schnelle Hiebe, und zwei Comantschen sanken mit zerschmetterten Schädeln aus ihrer sitzenden Stellung hintenüber. Ich faßte ihn beim Arme und rief:

„Was thut mein roter Bruder! Ich wollte mit diesen Kriegern der Comantschen sprechen und – –“

Er hörte mich nicht weiter an, sondern riß sich los und schlug so schnell, daß ich es nicht zu verhindern vermochte, den dritten auch noch nieder. Dann antwortete er mir:

„Mein berühmter, weißer Bruder mag mir verzeihen, daß ich anders handle, als er wünscht. Ich weiß, daß er nicht gern Blut vergießt; darum habe ich es vergossen.“

„Es sollte aber nicht vergossen werden!“

Er deutete nach seiner rechten Brust und fragte:

„Fließt das meinige nicht auch? Ist das Kriegsbeil ausgegraben, so gilt Leben für Leben, Blut für Blut!“

„So töte meinetwegen die, welche du besiegtest; diese drei aber gehörten nicht dir, sondern uns. Seit wann haben die tapfern Krieger der Apatschen ihren Stolz verloren, daß sie Feinde umbringen, die von andern Leuten überwunden worden sind? Schmückt ihr euch jetzt, seit ich nicht bei euch gewesen bin, mit Heldenthaten, die ihr gar nicht vollbracht habt?“

Er blickte beschämt vor sich nieder und entschuldigte sich:

„Einer von diesen drei hat mich verwundet. Durfte er leben bleiben? Was wollte Old Shatterhand mit diesen Hunden machen, wenn sie am Leben blieben? Wollte er sie mit sich nehmen? Das wäre eine Last gewesen, die ihm sicherlich geschadet hätte. Oder hatte er die Absicht, sie frei zu lassen? Dann wären sie zu den Ihrigen geritten und hätten verraten, was sie gesehen haben.“

„Ja hast du recht; aber du weißt, daß Old Shatterhand schon seit langer Zeit ein Häuptling der Apatschen ist. Darf ein Krieger dieses Stammes in seiner Gegenwart thun, was ihm augenblicklich einfällt? Wozu sind die Häuptlinge da, wenn jeder Krieger in ihrem Beisein thun kann, was ihm beliebt? Was wird Winnetou, der größte und berühmteste Häuptling der Apatschen, sagen, wenn ich es ihm erzähle?“

Da beugte sich der stolze Mann vor mir und bat:

„Ich habe unrecht gehandelt. Wird Old Shatterhand mir die Schnelligkeit der That verzeihen?“

„Es ist geschehen und nicht zu ändern; ich verzeihe dir, obgleich du uns wahrscheinlich großen Schaden bereitet hast.“

„Schaden? Wie kann mein weißer Häuptling von Schaden reden?“

„Ich wollte mit diesen Leuten sprechen und hätte von ihnen gewiß erfahren, was ich wissen will.“

„Sie hätten nichts gesagt.

„Sie hätten gesprochen. Hält mein roter Bruder mich für so unklug, daß ich ihnen gesagt hätte, was ich wissen will? Weiß er nicht, daß die Rede und die Frage eines listigen Mannes wie eine Schlinge ist, in welcher selbst ein Kluger gefangen werden kann?“

„Ich weiß es; aber Old Shatterhand braucht diese Hunde der Comantschen nicht zu fragen.“

„Nun allerdings nicht, denn sie sind tot!“

„Auch wenn sie noch am Leben wären. Ich weiß alles; ich habe es erfahren.“

„Von wem?“

„Von ihnen.“

„Hast du mit ihnen gesprochen?“

„Nein.“

„Sie also belauscht?“

„Ja.“

„Gut, wollen sehen, ob du mich wirklich befriedigen kannst. Jetzt zeig deine Wunde her. Ist sie tief?“

„Ich weiß es nicht. Tödlich kann sie nicht sein.“

Er hatte recht; sie war nicht einmal schwer. Das Messer war ihm von der Seite her nur in den rechten Brustmuskel gedrungen und an einer Rippe abgeglitten. Für einen Indianer war dies nur eine leichte Verwundung, obgleich er dem Wundfieber wohl nicht entgehen konnte. Während ich ihn verband, kamen Parker und Jos Hawley uns nach und wunderten sich nicht wenig über das, was sie sahen.

„Da seht ihr, Mesch’schurs, wie schnell wir mit den Halunken fertig geworden sind,“ sagte Old Wabble zu ihnen. „Als ich kam, waren leider drei schon tot. Ich hätte alle sechs auf mich genommen. Wie schön diese Kerls die Hände in die Höhe heben konnten!“

„Und wie schön Ihr dabei in die Käse fliegen konntet, Mr. Cutter!“ fügte ich hinzu,

„In die Käse?“ fragte er erstaunt.

„Ja.“

„Wieso?“

„Wenn sie nun die Hände nicht in die Höhe gehoben hätten?“

„So hätte ich sie erschossen.“

„Wie viele?“

„Alle drei natürlich; th’is clear!“

„Einen, ja; dann aber hätten Euch die andern beim Leder gehabt.“

„Hätten es versuchen sollen!“

„Warum nicht? Wie hättet Ihr Euch wehren wollen mit einem abgeschossenen Gewehre in der Hand und drei andern auf dem Rücken? Bei dieser Balgerei hättet Ihr gewiß den kürzern gezogen.“

„Abwarten, abwarten, Sir!“

„Und wie nun, wenn Ihr alle sechs anstatt nur drei gefunden hättet, als Ihr kamt?“

„Ich stand ja vorher hinter dem Busch und sah die Sache an. Und wenn sie es alle sechs gewesen wären, ich hätte es ganz ebenso gemacht.“

„Und wäret ausgelöscht worden!“

Pshaw! Man ist doch kein Kind. Denkt doch an Euch, Sir! Ihr seid ja schon oft in der Lage gewesen, es mit noch mehr als sechs Roten aufnehmen zu müssen.“

„Dann war die Lage anders als hier; ich bin noch mehr gefürchtet als Ihr und habe den Henrystutzen, den die Roten für eine Zauberflinte halten.“

„Hm, ja! Aber es ist dennoch kein Fehler, den ich begangen habe, denn es konnte mir nichts geschehen.“

„Ah, wohl weil ich mit Mr. Surehand in der Nähe war?“

„Ja,“

„Da irrt Ihr Euch. Wenn die Roten nicht so erschrocken, sondern geistesgegenwärtig gewesen wären, hättet Ihr eine Kugel oder einen Messerstich gehabt, ohne daß es uns möglich gewesen wäre, es schnell zu verhindern. Und selbst wenn Ihr in Allem recht hättet, so doch darin nicht, daß ihr gegen meine Weisung gehandelt habt. Es war bestimmt, daß Ihr draußen bei den Pferden bleiben solltet.“

„Sir, die Zeit wurde mir zu lang.“

„Das ist noch lange kein Grund, Dummheiten zu machen!“

„Dummheiten? Ich muß bitten, Mr. Shatterhand! Old Wabble pflegt keine Dummheiten zu machen!“

Pshaw! Ihr habt unbedingt auf dem Posten zu bleiben, der Euch einmal anvertraut worden ist. Was soll daraus werden, wenn jeder von der Stelle, die er einzunehmen hat, fortlaufen kann! Wie ist es da möglich, sich mit Euch an irgend einem gefährlichen Unternehmen zu beteiligen? Ihr wißt, daß das, was wir vorhaben, mit großen Gefahren verbunden ist. Da muß man gegenseitig felsenfestes Vertrauen zu einander haben können. Ist das nicht der Fall, so reite ich weiter und lasse Euch sitzen!“

„Bravo, bravo!“ rief Parker.

Da fuhr Old Wabble ihn zornig an:

„Was habt Ihr da zu johlen? Ich verbitte mir solches Geschrei ein für allemal!“

„Das glaube ich!“ antwortete Parker. „Ich soll es mir gefallen lassen, wenn zu mir vom Sitzenlassen gesprochen wird, Ihr aber wollt es nicht hören, alter Wabble! Wir sind nicht dabei gewesen. Was habt Ihr denn für einen Pudel geschossen?“

„Keinen! Aber wenn Ihr nicht sofort den Schnabel haltet, so schieße ich nachträglich einen, und zwar einen ganz gehörigen, und der seid Ihr; th’is clear!“

Er wendete sich wütend ab.

Ich sorgte zunächst für unsre Sicherheit, indem ich die Pferde holen ließ und dann Posten ausstellte. Hawley war der erste; er hatte um das Wäldchen zu patrouillieren und alles Auffällige zu melden. Dann wurden die Comantschen untersucht. Sie waren tot und wurden einstweilen auf die Seite geschafft. Dann setzten wir uns zusammen, um unsre Lage zu besprechen. Der Abend dunkelte herein; aber es war nicht geraten, ein Feuer anzubrennen. Der Schein desselben hätte zwar draußen nicht gesehen werden können, denn der kleine Wald war dicht genug; aber die Comantschen, welche später dieses Weges kamen, sollten keine Spur unsres Lagers finden.

Hauptsache war natürlich das, was Pesch-endatseh, das Lange Messer, mir zu sagen hatte. Als ich ihn fragte, ob er Winnetou getroffen habe, antwortete er:

„Ja. Die Krieger der Apatschen hörten, daß die Comantschen die Kriegsbeile ausgegraben hätten, und sandten sogleich Späher aus, um zu erkunden, gegen wen der Angriff gerichtet sei. Ich gehörte zu diesen Spähern und hatte noch einen Krieger bei mir. Wir ritten am Wasser des Pecos empor, wo die Comantschen zu vermuten waren, und trafen sie am Saskuan-kui, welches wir Apatschen Doklis-to, das blaue Wasser, nennen. Wir konnten sie nicht beobachten und noch viel weniger belauschen, denn sie streiften jagend in der Gegend umher, um Fleisch zu machen.“

„Aber des Abends pflegt man doch nicht zu jagen!“

„Old Shatterhand hat recht, und wir wußten das auch. Wir ließen unsre Pferde zurück und schlichen uns zu Fuße nach dem blauen Wasser, wo wir ankamen, als es dunkel war.“

„Habt ihr etwas gehört?“

„Nein. Wir gaben uns große Mühe, aber wir hatten kein Glück. Mein weißer Bruder wird mir das glauben und mir keine Vorwürfe machen. Es kann dem besten, dem kühnsten und vorsichtigsten Kundschafter geschehen, daß er trotz aller List heimkehren muß, ohne etwas erfahren zu haben.“

„Gewiß! Ich kenne dich, und es fällt mir gar nicht ein, gering von dir zu denken. Wo trafst du Winnetou?“

„Wir schlichen uns an zwei Abenden nach dem blauen Wasser. Am ersten hatten wir keinen Erfolg; am zweiten trafen wir mit Winnetou zusammen, welcher noch vor uns gekommen war und uns gebot, uns nicht länger in Gefahr zu begeben, sondern mit ihm zu kommen.“

„Ah, da hatte er ganz gewiß etwas erfahren!“

„Ja, er erfuhr etwas, worüber sich mein großer, weißer Bruder Old Shatterhand außerordentlich wundern wird.“

„Was?“

„In der großen Wüste, welche von den Bleichgesichtern der Llano estacado genannt wird, giebt es eine schöne Klaparya-Siyardestar mit vielem, hellem Wasser, an welchem die herrlichsten Bäume, Sträucher und Blumen stehen. Dabei steht ein Haus, in welchem drei Personen wohnen, nämlich ein Deklil-Inda, eine Deklil-Isoma, welche seine Mutter ist, und ein weißer Jäger; dieser ist der Herr der Gegend und wird Dil-Mejeh genannt. Winnetou hat ihn gesehen und mit ihm das Kalumet der Freundschaft geraucht.“

„Ich kenne ihn auch.“

„Uff!“ rief der Rote verwundert. „Old Shatterhand hat ihn auch schon gesehen?“

„Ja.“

„Also wohl auch das Wasser und das Haus in der Wüste?“

„Ja.“

„So weiß mein berühmter, weißer Bruder also den Weg dorthin zu finden?“

„Natürlich! Ich war einigemal dort. Hat Winnetou dir das nicht gesagt?“

„Nein. Winnetou, der große Häuptling der Apatschen, liebt nicht lange Erzählungen; er sagt kein Wort mehr, als was nötig ist. Also du kennst die Gegend auch und weißt den Weg! Darum soll ich auf dich warten und dir die Botschaft des Häuptlings bringen!“

Er wunderte sich, ich ersah aus seinen Worten, wie verschwiegen Winnetou, wie stets, so auch in dieser Angelegenheit gewesen war. Er hatte nie ein Wort über die Oase im Estacado gesprochen. Der Apatsche fuhr fort:

„Es müssen einst Comantschen bei dem blutigen Fuchs gewesen sein, wie ich aus Winnetous Worten entnahm.“

„Allerdings. Sie waren mit ihm und mit mir dort. Der junge Häuptling Schiba-bigk führte sie an.“

„Schiba-bigk? Ich höre, daß Old Shatterhand alles richtig weiß, denn dieser junge Häuptling soll die Comantschen jetzt nach der Insel in der Wüste führen.“

„Hast du vielleicht erfahren, weshalb die Comantschen ihren Kriegszug dorthin richten?“

„Winnetou hat es erlauscht. Der blutige Fuchs ist aus der Wüste gekommen, um zu jagen, und mit einer Schar Comantschen zusammengetroffen; sie haben ihn angegriffen, um ihn zu töten; er hat sich verteidigt und mehrere von ihnen erschossen. Seine Kugeln sind ihnen gerade mitten in die Stirn gedrungen.“

„Haben sie ihn denn gekannt?“

„Einer von ihnen ist damals mit bei ihm in der Wüste gewesen und hat ihn erkannt.“

„Er ist ihnen entkommen?“

„Keine ihrer Kugeln hat ihn getroffen und keines ihrer Messer seine Haut geritzt.“

„Gott sei Dank! Nun unternehmen sie einen Rachezug, um ihn zu töten?“

„Ja, sie wollen ihn töten und sein Haus und die Bäume vernichten, daß die Insel wie eine Wüste wird. Das hat Winnetou erlauscht.“

„Aber er kann das nicht erst hier am blauen Wasser erfahren haben, sondern er muß es schon vorher gewußt haben, denn ich habe die Nachricht davon schon oben in der Sierra Madre von ihm erhalten.“

„Es sind zwei Comantschen dort jagen gewesen und haben davon gesprochen, ohne ihn zu kennen. Er ist mit ihnen zusammengetroffen und hat sich für einen Sohn der Kiowas ausgegeben. Sie haben das geglaubt.“

„Dann sind ihre Seelen abwesend gewesen. Wer Winnetou, auch ohne ihn zu kennen, für einen Kiowa hält, der hat kein Hirn im Kopfe. Weiter!“

„Winnetou ist von der Sierra Madre sofort aufgebrochen, um den blutigen Fuchs zu warnen. Er sah auf seinem Wege die Spuren der Comantschen und folgte ihnen bis zum blauen Wasser, wo er sie belauschte; dabei traf er uns. Der Häuptling war sehr froh darüber und gab uns seine Befehle. Er sandte den Krieger, der bei mir war, heim, um schnell dreihundert Apatschen, welche gut bewaffnet und mit genug Fleisch versehen sein sollen, nach dem Nargoleteh-tsil zu führen, wo sie auf Old Shatterhand warten sollen. Mich nahm er mit hierher nach dem kleinen Walde, wo er mich zurückließ, um Old Shatterhand zu erwarten und ihm zu sagen, daß er nach dem Nargoleteh-tsil reiten solle, um sich an die Spitze unsrer Krieger zu stellen und ihm in den Llano estacado nachzukommen.“

„Gut, gut! Habe es mir gedacht! Das ist alles, was er dir für mich aufgetragen hat?“

„Ja, alles.“

„Also nach dem Regenberge! Den kenne ich genau. Wenn man gut reitet, ist man von hier aus in einem halben Tage dort. Der Ort ist außerordentlich gut gewählt, denn dort können sich sogar mehr als dreihundert Mann so verbergen, daß kein Feind sie zu finden vermag. Wie schade, daß du die drei Comantschen hier getötet hast! Wenn sie noch lebten, würde ich gewiß einiges aus ihnen herausfragen, was uns zu wissen nützlich sein würde.“

„Was möchte Old Shatterhand wissen?“

„Wer der Anführer der Comantschen ist.“

„Schiba-bigk. Ich habe es schon gesagt.“

„Das bezweifle ich, denn er ist zu jung dazu. Am blauen Wasser befiehlt Vupa Umugi, welcher gewiß keinem jüngern Krieger gehorchen wird, und dann kommt noch Nale-Masiuv, der gewiß auch zu stolz ist, sich Eisenherz unterzuordnen.“

„Uff! Nale-Masiuv, der an jeder Hand nur vier Finger hat? Der will auch kommen?“

„Ja, mit hundert Mann.“

„Woher weiß das Old Shatterhand?“

„Ich habe es am blauen Wasser erlauscht.“

„Uff, uff! Old Shatterhand ist auch am blauen Wasser gewesen, und es ist ihm gelungen, die Hunde der Comantschen zu beschleichen? Was keinem andern Krieger gelingt, das bringen zwei gewiß fertig, Winnetou und Old Shatterhand!“

„Dieses Lob verdiene ich nicht, denn die weißen Krieger, welche du hier bei mir siehst, sind auch mit dort gewesen.“

„Ja, aber wie!“ fiel Old Surehand ein. „Ihr waret als freie Männer dort, und – –“

„Still!“ fiel ich ihm in die Rede. „Was dort geschehen ist, kann recht gut unter uns bleiben; es braucht nicht weiter erzählt zu werden! Wie gesagt, es wäre sehr vorteilhaft für uns, zu wissen, wer der eigentliche Anführer der Comantschen ist. Von Vupa Umugi und Nale-Masiuv haben wir nichts Gutes zu erwarten. Schiba-bigk aber ist mir zu Dank verpflichtet, denn wir haben ihm damals das Leben gerettet und ihn sicher durch den Llano gebracht. Er ist zwar jünger als die beiden andern, und sie werden sich ihm wohl kaum unterordnen, aber er ist der Sohn des berühmten Tevua-schohe, welcher der oberste Kriegshäuptling sämtlicher Comantschenstämme war, und ich halte es gar nicht für so unmöglich, daß infolge des Ruhmes, den er sich erworben hatte, und der Erfolge, die man ihm verdankte, seine Stellung auf seinen Sohn übergegangen ist. Wären die drei Comantschen hier noch am Leben, so würde ich es ganz gewiß von ihnen erfahren.“

Obgleich diese Worte nicht direkt an Langes Messer gerichtet waren, antwortete er:

„Old Shatterhand hat mir verziehen, was ich that. Soll ich nicht von diesen sechs toten Comantschen erzählen?“

„Thue es. Wer gewahrte den oder die andern zuerst, du sie oder sie dich?“

„Ich sah sie eher, als sie mich. Indem ich hier auf Old Shatterhand wartete, konnten leicht Comantschen hierher kommen. Ich war also sehr vorsichtig und verbarg mein Pferd tief im Gesträuch; zugleich hütete ich mich, Spuren zu machen. Aber ich mußte doch bald hierhin und bald dorthin gehen; ich mußte auch das Pferd tränken, und das führte zu meiner Entdeckung. Ich hatte das Pferd zum Wasser gebracht, und während es trank, ging ich hinaus an den Rand des kleinen Waldes“ um zu sehen, ob ich sicher sei. Da sah ich die sechs Hunde der Comantschen kommen und fand kaum Zeit, mein Pferd wieder in sein Versteck zu bringen; die Stapfen konnte ich nicht verwischen. Sie kamen und sahen die Spur und folgten ihr in das Gebüsch. Fliehen konnte ich nicht; sie waren mir nahe. Ich schoß den ersten nieder und erstach den zweiten und den dritten; die andern packten mich. Ich wurde verwundet, niedergerissen und gefesselt. Dann banden sie mich an den Baum. Als ihr kamt, habe ich sie erschlagen. Old Shatterhand kann sie nach nichts fragen; aber etwas habe ich von ihnen gehört, was ich ihm sagen möchte.“

„Was?“

„Sie wollen nach der Insel in der Wüste, um den blutigen Fuchs und die alte Negerin zu fangen und nach dem großen Dorfe der Comantschen zu schaffen. Ich habe, als sie miteinander sprachen, erfahren, wo ihr Dorf jetzt liegt.“

„Das ist freilich wichtig. Wo liegt es?“

„Ich kenne den Ort nicht und habe seinen Namen nie gehört. Er wurde von ihnen Kaam-kulano genannt.“

„Du hast dich geirrt und kennst den Ort gewiß. Die Comantschen nennen den Ort allerdings so, von euch wird er Katscho-Nastla, also auch Hasenthal, geheißen.“

„Katscho-Nastla? Dieses Thal kenne ich freilich. Es liegt einen starken Tagesritt nordwärts von hier. Dorthin soll der blutige Fuchs mit der Negerin geschafft werden, um an demselben Marterpfahle zu sterben. Der Neger ist schon dort.“

„Was?“ fragte ich erschrocken. „Welcher Neger?“

„Der Sohn der alten schwarzen Frau, der mit bei dem blutigen Fuchs in der Wüste wohnt.“

„Ah! Das ist freilich eine sehr wichtige, aber auch eine sehr unerfreuliche Nachricht. Hast du richtig gehört?“

„Mein Ohr hat sich nicht getäuscht.“

„Es kann von einem andern Neger die Rede gewesen sein!“

„Nur von dem Neger in der Wüste. Die Hunde der Comantschen nannten seinen Namen.“

„Wie hieß er? Schnell!“

„Ich habe ihn gehört, aber nicht behalten.“

„Bob?“

„Ja, Bob, Bob haben sie gesagt.“

„Wie ist er denn in ihre Hände geraten? Haben sie nicht davon gesprochen?“

„Sie sprachen davon. Er war mit dem blutigen Fuchs auf der Jagd, als dieser von den Comantschen überfallen wurde. Der Fuchs tötete mehrere von ihnen und entkam, der Neger aber fiel ihnen in die Hände und wurde nach dem Thale der Hasen geschafft. Dort hält man ihn gefangen, bis der Fuchs und die Negerin gebracht werden; dann sollen die drei den Martertod sterben.“

„So weit soll es wohl nicht kommen! Dafür werde ich sorgen. Bob muß frei werden. Ich reite sogleich hin!“

Ich sprang auf, denn ich war erregt, obgleich es sonst nicht leicht ist, mich in Aufregung zu versetzen. Die andern waren verwundert, der Apatsche jedenfalls am meisten, denn der Rote verachtet den Neger noch weit mehr, als der Weiße; er wagte es aber nicht, etwas zu sagen. Als früherem Cowboy stand dem alten Wabble ein Schwarzer fast ebenso tief wie ein Hund; es war ihm unmöglich, zu schweigen.

„Was ist’s mit Euch, Sir?“ fragte er. „Ich glaube gar, dieser Bob bringt Euch aus dem Häuschen!“

„Nicht er, sondern der Umstand, daß er Gefangener der Comantschen ist und umgebracht werden soll.“

Pshaw! Ein Schwarzer, ein Nigger!“

„Nigger? Neger wollt Ihr wohl sagen, Mr. Cutter!“

„Nigger sage ich. Habe das Wort all mein Lebtage nicht anders ausgesprochen.“

„Das thut mir leid! Es scheint, Ihr rechnet die Neger nicht mit zu den Menschen.“

„In der Naturgeschichte werden sie freilich mit unter den Menschensorten aufgezählt; wissenschaftlich sind sie also welche, aber, My god, was für welche!“

„Jedenfalls ebenso gute wie alle anders gefärbten!“

Pshaw! Ein Nigger ist ein so niedriges Geschöpf, daß es sich eigentlich gar nicht lohnt, von ihm zu sprechen!“

„Das ist Eure Ansicht, wirklich Eure Ansicht?“

Yes!“

„Dann thut Ihr mir leid, herzlich leid, denn mit dieser Behauptung beweist Ihr, daß Ihr noch weit unter dem Nigger steht!“

All devils! Ist das Euer Ernst, Sir?“

„Mein vollständiger Ernst!“

„Dann thut Ihr mir ebenso leid wie ich Euch! Ein farbiger Mensch ist nie ein richtiger Mensch, sonst hätte ihn Gott nicht farbig gezeichnet!“

„Mit ebenso großem Rechte könnte ein Neger sagen: Ein Weißer ist kein richtiger Mensch, sonst hätte ihn Gott nicht ohne Farbe geschaffen. Ich bin etwas weiter in der Welt herumgekommen als Ihr und habe unter den schwarzen, braunen, roten und gelben Völkern wenigstens ebenso viel gute Menschen gefunden wie bei den weißen, wenigstens, sage ich, wenigstens! Versteht Ihr mich, Mr. Cutter?“

„Was ihr gefunden habt, ist mir egal. Ich habe noch nicht einen einzigen Nigger kennen gelernt, neben dem ich mich hätte niedersetzen mögen.“

„Weil Ihr jeden Schwarzen gleich im ersten Augenblicke so behandelt habt, daß er Euch unmöglich freundlich gesinnt sein konnte. Eure Erfahrung ist also gar kein Beweis für das, was Ihr behauptet. Und was diesen Bob betrifft, so ist er ein so braver Kerl, daß ich, wenn Ihr Euch miteinander in Not befändet, sehr wahrscheinlich ihm eher beispringen würde als Euch!“

Thunder-storm, ist das ein Kompliment! Ihr könnt außerordentlich höflich sein, Mr. Shatterhand, außerordentlich höflich; th’is clear!“

„Ich beabsichtige, aufrichtig, aber nicht höflich zu sein. Ich bin nicht höflich gegen Leute, welche ihre Nebenmenschen verachten. Wenn man Euch einmal in die Erde scharrt, wird aus Eurem weißhäutigen Leibe grad und genau so ein stinkiger Kadaver wie aus einer Negerleiche. Das werdet Ihr wohl zugeben, und nun habt die Güte und zählt mir einmal Eure sonstigen Vorzüge auf! Es sind alle, alle Menschen Gottes Geschöpfe und Gottes Kinder, und wenn Ihr Euch einbildet, daß er Euch aus einem ganz besonders kostbaren Stoffe geschaffen habe und daß Ihr sein ganz besonderer Liebling seiet, so befindet Ihr Euch in einem Irrtum, den man eigentlich gar nicht begreifen kann. Ich habe mich gefreut, Euch kennen zu lernen; soll es mit dieser Freude nun zu Ende sein?“

Es war dunkel geworden und ich konnte sein Gesicht nicht erkennen; aber meine Worte schienen ihn zu treffen; er senkte den Kopf und brummte:

Zounds! Schade, jammerschade, daß Ihr ein Westmann geworden seid!“

„Warum?“

„Ihr wäret ein noch viel besserer Pfarrer und Kanzelredner geworden; th’is clear!“

„Westmann bin ich nur aus Gelegenheit. Vor allen Dingen bin ich Mensch, und wenn ein andrer Mensch sich in Not befindet und ich ihm helfen kann, so frage ich nicht, ob seine Haut eine grüne oder blaue Farbe hat. Diesen Bob lasse ich nicht bei den Comantschen!“

„Meinetwegen! Ich will Euch ja gar nicht hindern. Ich will Euch sogar dabei helfen; aber jetzt haben wir ganz und gar keine Zeit dazu.“

„Es muß und soll aber grad jetzt geschehen!“

„Wie? Was? Grad jetzt?“

„Ja.“

„Wir müssen doch nach dem Nargoleteh-tsil, um die Apatschen dort zu treffen!“

„Das hat noch Zeit!“

„Noch Zeit? Sir, ich begreife Euch nicht!“

„Könnt Ihr denn nicht rechnen, Mr. Cutter? Glaubt Ihr, daß die Apatschen schon dort sein können?“

„Das müßt Ihr freilich besser wissen als ich; ich denke auch weniger an sie als an die Comantschen, denen wir doch zuvorkommen müssen.“

„Auch das hat keine Eile. Von gestern abend an in drei Tagen, also bis übermorgen abend, wird Nale-Masiuv mit seinen hundert Mann nach den blauen Wasser kommen. Denkt Ihr, daß dann gleich aufgebrochen wird?“

„Nein, denn diese Leute und ihre Pferde müssen doch erst ausruhen.“

„Wenigstens einen Tag ausruhen; wir haben also von jetzt an drei Tage Zeit; davon brauche ich nur zwei, um Bob zu befreien.“

Der Alte wollte weiter antworten; da aber kam ihm Old Surehand zuvor, indem er das Wort ergriff.

„Sagt einmal, Mr. Shatterhand, ich hörte über Euch ein Erlebnis erzählen, welches mich außerordentlich interessierte. Ihr hattet hoch droben im Nationalparke ein Zusammentreffen mit den Sioux. Ihr hattet eine Gesellschaft tapferer Kerls bei Euch und auch einen Neger, welcher Bob hieß, wenn ich mich nicht irre?“

„Allerdings.“

„War das derselbe Bob?“

„Ja.“

„Ah, da habt Ihr recht, vollständig recht! Den dürfen wir nicht stecken lassen; der muß heraus, heraus!“

„So wollt Ihr mit?“

„Natürlich! Versteht sich ganz von selbst. Wann werden wir von hier aufbrechen?“

„Bei Anbruch des Tages.“

„Ist das nicht zu spät?“

„Nein. Von hier aus bis zum Kaam-kulano ist es freilich ein sehr reichlicher Tagesritt; aber ich kenne die Gegend, und wir haben ausgezeichnete Pferde. Wir brauchen sie gar nicht sehr anzustrengen, so sind wir noch vor Abend dort, grad zur richtigen Zeit.“

„Ja, kurz vor Abend ist’s stets am besten. Da hat man noch Zeit, die Örtlichkeit kennen zu lernen und die Gelegenheit zu erspähen. Dann, wenn es dunkel geworden ist, wird der Streich ausgeführt. Ich freue mich darauf; habt Ihr eine Ahnung, wie viel Menschen dort wohnen?“

„Nein. Es wird nur das Zeltdorf Vupa Umugis sein, und ich vermute, daß sich nicht sehr viele junge, rüstige Krieger dort befinden werden.“

„Also ein Kampf mit alten Weibern! Fi!“

„Hm! So leicht wird es uns doch nicht werden. Es bleibt bei jedem Zuge eine Anzahl von Kriegern zum Schutze des Lagers zurück, hier auch zur Bewachung des Gefangenen. Mit ihnen werden wir es zu thun bekommen.“

„Aber ich bezweifle, daß unsre Pferde alle den Ritt aushalten werden!“

„Alle? Wieviel Pferde meint Ihr da?“

„Nun, so viel wir haben!“

„Also zwei!“

„Zwei – –?“ fragte er verwundert.

„Ja, zwei, nämlich mein Rappe und Euer Fuchs.“

„Holla! Ihr meint, wie es den Anschein hat, daß nur wir zwei den Ritt unternehmen?“

„Allerdings. Wer denn noch?“

„Ich denke, es wird sich niemand ausschließen.“

„Und ich denke, daß wir einen Ritt hin und zurück vor uns haben, den nur unsre beiden Pferde aushalten können. Von Mr. Parker und Mr. Hawley kann also überhaupt keine Rede sein; ihre Pferde sind jetzt schon müde und würden unterwegs zusammenbrechen.“

Parker sagte nichts; er sah wohl ein, daß ich recht hatte.

Jos aber fühlte eine große Zuneigung zu mir; es schien ihm schwer, sich von mir zu trennen.

„Ist es denn nicht möglich, daß ich mit kann?“ fragte er. „Ihr wißt doch, wie gern ich bei Euch bin, Sir!“

„Ich weiß es, aber es ist nicht möglich, Mr. Hawley. Das Pferd kann nicht so, wie Ihr wollt.“

„So wird mir Old Wabble das seinige borgen.“

„Was fällt Euch ein?“ rief der Alte aus. „Ich reite ja selber mit!“

„Ihr?“ fragte ich.

„Ja, ich!“

„Ich denke, Ihr bleibt bei den andern!“

„Warum? Mein Pferd ist gut. Oder meint Ihr, daß es den Ritt nicht aushalten kann?“

„Es würde ihn wahrscheinlich aushalten; aber es wird sich sträuben und nicht fortzubringen sein.“

„Sträuben? Sonderbar! Möchte das Pferd kennen lernen, das sich sträubt, Old Wabble dahin zu tragen, wohin er will!“

„Diesesmal doch!“

„Warum grad diesesmal?“

„Weil es sich um einen Nigger handelt.“

„Ah! Meint Ihr es so! Nun, da wird es wohl nicht auf das Pferd, sondern auf mich ankommen!“

„Oder auf mich, Mr. Cutter! Ich habe nicht die Absicht, Euch wegen eines Schwarzen zu belästigen.“

Pshaw, es ist keine Belästigung; ich thue es gern!“

„Vorhin klang es anders!“

„Ja, vorhin! Soll ich aufrichtig sein, Mr. Shatterhand?“

„Nun?“

„Es war von Euch gar nicht fein und geschmackvoll gesagt, nämlich das von dem stinkigen Kadaver vorhin, aber es hat bei mir Eingang gefunden, und ich denke, daß Ihr nicht so unrecht habt. Ich will meine Dummheit gut machen, indem ich Euerm Bob mit heraushelfe, und bitte Euch daher, mich mitzunehmen! Wollt ihr, Sir?“

„Hm! Wenn Ihr in dieser Weise sprecht, so möchte ich wohl, aber es geht dennoch nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil auf Euch kein Verlaß ist.“

„Oho! Das hat mir noch niemand gesagt!“

„So sage ich es Euch zum erstenmal. Ihr habt es heut bewiesen, daß ich recht habe. Wißt Ihr, was wir vorhaben? Wir wollen einen Gefangenen mitten aus einem Indianerdorfe herausholen. Schon das ist genug! Aber wir haben keine Zeit, eine passende und leichte Gelegenheit abzuwarten, denn der Streich muß in kürzester Zeit ausgeführt werden. Da handelt es sich doppelt um Leben und Tod!“

„Das weiß ich.“

„Schön! Da werdet Ihr also einsehen, daß ich Euch nicht mitnehmen kann.“

„Ich fürchte den Tod nicht!“

„Das weiß ich; aber ich befürchte, daß wir, wenn wir Euch mitnehmen, in den Tod reiten. Den Tod nicht fürchten und dem Tode aus Unvorsichtigkeit in die Arme laufen, das ist zweierlei. Man kann sich nicht auf Euch verlassen.“

„Weil ich nicht draußen bei den Pferden geblieben bin? Sir, das war das letztemal, daß so etwas vorgekommen ist. Glaubt es mir. Gebt mir die Hand und nehmt mich mit!“

Was wollte ich machen! Er bat so dringend. Sollte ich ihn, den alten, erfahrenen, neunzigjährigen Westmann wie ein Greenhorn zurückweisen? Ich brachte es nicht fertig, sondern ich gab ihm die Hand und sagte:

„Nun gut, so kommt mit! Aber ich hoffe, daß Euch der jugendliche Übermut nicht wieder mit dem Verstande durchgeht!“

Well! Das soll ein Wort sein! Ihr werdet mir Eure Zufriedenheit nicht versagen. Was wird aber mit den andern? Bleiben die hier?“

„Nein, sie reiten fort.“

„Wohin?“

„Nach dem Nargoletch-tsil, wo wir mit den Apatschen zusammentreffen werden. Langes Messer kennt doch wohl den Weg dorthin?“

Der Rote, an den ich diese Frage richtete, antwortete:

„Ich kenne ihn genau. Wann sollen wir reiten?“

„Morgen früh, sobald wir auch aufbrechen.“

„Sollen wir die toten Hunde der Comantschen hier so liegen lassen?“

„Nein, sie müssen spurlos verschwinden. Auch begraben darf man sie nicht hier. Die Comantschen kommen, wenn sie nach der Wüste reiten, durch dieses Wäldchen und würden die Gräber entdecken.“

„Darf ein gewöhnlicher Krieger der Apatschen Old Shatterhand einen Vorschlag machen?“

„Warum nicht?“

„Wir binden die Leichen auf ihre Pferde und nehmen sie mit nach dem Nargoleteh-tsil, wo wir sie begraben.“

„Ja, das ist das Beste, was geschehen kann. Nehmt sie mit.“

„Wem gehören ihre Pferde, Waffen und Sachen?“

„Dir. Wir mögen nichts, außer wenn Mr. Parker und Mr. Hawley ihre Pferde umtauschen wollen, mögen sie die zwei nehmen, die ihnen gefallen.“

„So mag es sein. Die Skalpe aber nehme ich mir auch; sie hätten mir den meinigen ebenso genommen. Howgh!“

So war die Sache abgemacht; wir aßen und legten uns dann schlafen. Vorher erboten sich Parker, Hawley und der Indianer, die Wachen für die ganze Nacht zu übernehmen, weil wir andern für morgen einen so anstrengenden Ritt vorhatten. Natürlich gingen wir darauf ein. –

Der Hase des Westens, und besonders der texanische, ist etwas größer als unser deutscher Lampe und hat auch viel größere Ohren. Damals war er in Menge vorhanden, denn es gab noch Büffel und andres Wild genug, so daß der Westmann nur dann eine Kugel an ein Häslein verschwendete, wenn es gar nichts andres gab. Nirgends aber war Lampe so zahlreich anzutreffen, als an einem Quellflüßchen des Buffalo-Spring, der eigentlich selbst auch nur eine Quelle war. Dieses Flüßchen entsprang an dem Hinterteile einer Felsenmulde, welche, weil sie die Gestalt einer Pfanne hatte und von den erwähnten Nagern stark bevölkert war, von den weißen Jägern Hare-pan, Hasenpfanne, genannt wurde. Auf der Sohle dieses Thales stand fast während des ganzen Jahres ein üppig grünes, fettes Gras, und die schräg ansteigenden Wände waren mit Gebüsch bestanden, aus welchem hier und da die Krone eines Baumes ragte. Das war das Kaam-kulano, das Hasenthal, in welchem gegenwärtig die Comantschen Vupa Umugis ihre Zelte aufgeschlagen hatten.

Es war am nächsten Tage, ungefähr zwei Stunden vor der Dämmerung, als wir in die Nähe dieses Thales gelangten. Die Gegend war zwar keine Einöde, aber auch nicht übermäßig grün, und da wir nun auf Begegnungen gefaßt sein mußten und doch keine Deckung hatten, so mußten wir suchen, uns welche zu verschaffen. Wir konnten sie nur da finden, wo es Büsche gab, und das war am Flüßchen der Fall. Wir erreichten dasselbe an einer Stelle, welche höchstens den vierten Teil einer Wegstunde vom Ausgange der Thalmulde entfernt war. Es war gewiß eine Kühnheit von uns, uns am hellen Tage so nahe heran zu wagen; aber wir hatten keine andre Wahl, da uns die Zeit so karg zugemessen war. Wir mußten noch vor Nacht erfahren, wie es im Thale stand.

Wir waren so glücklich, am Wasser eine Stelle zu finden, wo uns das Gesträuch ein Versteck bot, wie wir es uns gar nicht besser wünschen konnten. Da stiegen wir ab und erlaubten den ziemlich ermüdeten Pferden, zu trinken und dann zu grasen. Für uns hatten wir einen Vorrat von Dürrfleisch mitgebracht, der mehrere Tage reichte. Da nur ich einmal hier gewesen war, so bat ich Old Surehand und den alten Wabble, das Versteck ja nicht zu verlassen, sondern auf mich zu warten, und ging rekognoszieren.

Ich vergegenwärtigte mir die Gegend, wie ich sie bei meinem Hiersein kennen gelernt hatte, und machte mir dann meinen Plan. Da, wo das Wasser aus dem Thale trat, stiegen die Seiten desselben allmählich und weit ausgebaucht rechts und links empor, und das Gebüsch folgte ihnen bis zur Höhe, ein Umstand, der für mich sehr günstig war. Das Gesträuch ging dann wie eine Kranzeinfassung oben rund um den Rand der Thalmulde herum und bot mir reichlich Gelegenheit, mich zu verbergen, sobald dies nötig war. Dabei gab es freilich eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit: ich durfte keine Spuren machen oder nur so undeutliche, daß nicht zu ersehen war, ob sie von meinem Stiefel oder einem indianischen Mokassin stammten. Sonst war die ganze Gegend vollständig baum- und strauchlos, so daß man jeden größeren Gegenstand weithin bemerken konnte.

Indem ich vorsichtig vorwärts ging, warf ich fleißig Blicke hinaus ins Freie. Es war zu meiner Freude kein Mensch, weder Mann noch Weib oder Kind, zu sehen. Die Zeit war also vorüber, in welcher alle zurückgebliebenen Bewohner des Lagers sich für den Abend und die Nachtruhe in dem Thale zu versammeln hatten. Darauf wird bei Abwesenheit der Krieger streng gehalten.

Als ich die Öffnung des Thales erreicht hatte, wendete ich mich rechts und stieg die Lehne empor. War der Eingang bewacht? Ich blickte hinab und sah keinen Menschen. Das Lager befand sich wahrscheinlich in der Mitte des eine halbe Stunde langen Thales, denn der hintere Teil war jedenfalls für die Pferde reserviert. Ich ging weiter. Die Zeit schien ungemein glücklich gewählt zu sein, denn es gab keinen Menschen hier oben und auch keine neue Spur, welche gesagt hätte, daß in den letzten Stunden jemand dagewesen sei.

Bald sah ich die ersten Zelte, und als ich noch eine Strecke weiter gegangen war, sah ich das ganze Lager unten liegen. Es bestand aus lauter leinenen Sommer- und nicht aus ledernen Winterzelten. Ich nahm mir nicht die Zeit, sie zu zählen, aber es waren weit über hundert Stück. Belebt waren die Plätze vor und zwischen den Zelten von lauter Knaben, Frauen und Mädchen. Männer sah ich nur wenige, und die schienen alt zu sein. Sollten die hundertvierundfünfzig Mann, welche Vupa Umugi bei sich hatte, alle seine Krieger sein, so daß keiner hier zurückgeblieben war? Das konnte ich mir nicht denken, denn es wäre eine große Unvorsichtigkeit gewesen. Ohne allen Schutz konnte er das Lager unmöglich gelassen haben. Hinter demselben sah ich, wie ich gedacht hatte, eine Anzahl Pferde weiden.

Ich ging noch weiter, um eine Stelle zu finden, die mir eine bessere Aussicht bot. Es galt ja, an irgend einem Anzeichen das Zelt zu erkennen, in welchem Bob steckte. Jedenfalls lagen Wächter vor demselben. Und richtig! am Eingange des hintersten Zeltes lagen zwei Krieger. Das war sehr wahrscheinlich das gesuchte. Nicht weit davon stand ein andres Zelt, welches größer als die übrigen war. Vor demselben waren zwei Stangen eingerammt, an welchen verschiedene, sonderbar gestaltete Gegenstände hingen. Waren das Medizinen? War es das Häuptlingszelt? Wahrscheinlich! jeder Krieger hat nur eine Medizin; verliert er sie, so hat er die Ehre verloren, bis er diejenige eines Feindes erobert, indem er ihn tötet. Stirbt er, so bekommt er seine Medizin mit in das Grab. Aber es giebt auch einzelne Stämme, bei denen die Medizinen von den Nachkommen aufbewahrt werden. Sie bilden ein heiliges, kostbares Andenken an die Vorfahren, und wer sie verliert, ist in den Augen der andern vollständig zu Grunde gerichtet. Es kam mir ein Gedanke. Sollten das die Medizinen von den Ahnen des Häuptlings Vupa Umugi sein? Dann mußte ich sie haben, unbedingt haben. Sie konnten mir bei dem Kampfe zwischen den Apatschen und Comantschen die unschätzbarsten Dienste leisten.

Als ich noch ein wenig weiter ging, sah ich plötzlich eine Fußspur, höchst wahrscheinlich die Spur eines Weibes, welches hier am Abhange heraufgeklettert war. Sie durfte mich nicht sehen; ich mußte zurück. Eben wollte ich mich umdrehen, da raschelte es im Gebüsch, und sie stand vor mir. Schon hob ich den Arm, um sie zu fassen, da ließ ich ihn wieder sinken, nicht weil sie nur ein Weib war, denn in solchen Lagen ist jedes Auge, welches einen sieht, unschädlich zu machen, sondern des Ausdruckes wegen, welcher bei meinem Anblicke in ihr Gesicht trat.

Sie war alt. Ihre ungewöhnlich hohe und breitschulterige Gestalt war nur mit einem blauen, hemdähnlichen Gewande bekleidet. Von dem unbedeckten Kopfe hing das graue Haar in ungekämmten, wirren Strähnen nieder. Ihr Gesicht war tief gebräunt, doch hätte ich es an einem andern Orte wohl nicht für das einer Indianerin gehalten. Sie hatte kaukasische Züge, und es war mir sogar, als ob ich ähnliche schon einmal, und zwar vor kurzer Zeit, gesehen hätte. Das Gesicht war tief durchfurcht und schrecklich eingefallen, und die Augen, diese Augen! Was hatten sie nur für einen Blick! So starre und dabei flackernde, wilde und dabei trostlose Augen hatte ich in Irrenhäusern gesehen. Ja, das war es, dieses Weib war wahnsinnig, unbedingt wahnsinnig. Erst stierte sie mich zornig forschend an; dann bekamen die Augen einen milden Glanz; die farblosen Lippen lächelten; die skelettartigen Finger krümmten sich, um mir zu winken, und dann hörte ich die leisen, hastigen Worte:

„Komm her, komm her! Ich muß dich fragen!“

Ich trat die drei Schritte, welche uns trennten, zu ihr hin. Sie ergriff meinen Arm, grub ihre Finger in den Ärmel ein und fragte:

„Du bist ein Bleichgesicht?“

„Ja,“ antwortete ich ebenso leise. „Wer bist denn du?“

„Ich bin Tibo-wete-elen,“ raunte sie mir zu.

Wete heißt Frau; aber was Tibo und elen bedeuten sollten, das wußte ich nicht; in allen Dialekten, die ich kannte, kamen diese beiden Worte nicht vor.

„Hast du einen Mann?“ fragte ich.

„Ja. Er heißt Tibo-taka.“

Wieder dieses unbekannte Tibo! Taka heißt Mann.

„Wo ist er?“ erkundigte ich mich.

Da hielt sie den Mund ganz nahe an mein Ohr und flüsterte mir zu:

„Er holt den blutigen Fuchs. Er muß mit in die Wüste, denn er ist der Medizinmann des Stammes.“

Ja, sie war wahnsinnig, sonst hätte sie das einem Fremden, einem Weißen nicht gesagt. Dann faßte sie mich an den beiden Armen und fragte mit dem Ausdrucke der größten Spannung:

„Hast du meinen Wawa Derrick gekannt?“

Wawa heißt Bruder. Und Derrick? Sollte sie den englischen Namen Dietrich meinen? Aber der Bruder dieser Indianerin kann doch unmöglich Derrick, Dietrich heißen? Wahrscheinlich war mir das Wort, welches sie meinte, auch unbekannt.

„Nein,“ antwortete ich.

„Du bist ein Bleichgesicht und hast ihn nicht gekannt? Besinne dich! Du mußt ihn gekannt haben. Ich will es dir zeigen. Besinne dich!“

Sie brach einen dünnen Zweig vom Busche, bog ihn rund zusammen; verwand die beiden Enden, setzte sich ihn auf den Kopf und flüsterte mit seligem Lächeln:

„Das ist mein Myrtle-wreath, mein Myrtle-wreath! Gefällt er dir? Gefällt er dir?“

Höchst sonderbar! Dieses Comantschenweib bediente sich des englischen Wortes Myrtle-wreath! Myrtenkranz! Welche Indianerin kennt dieses Wort? Keine! Ich faßte nun sie am Arme und fragte:

„Bist du vielleicht eine Weiße? Sage es mir!“

Da ließ sie ein eigentümliches, unbeschreibliches Kichern hören und antwortete mir:

„Du hältst mich für eine Weiße, weil ich schön bin, sehr schön, und einen Myrtle-wreath trage? Blicke mir nicht in die Augen, sonst wird die Sehnsucht dich verbrennen, wie sie mich verbrennt! Hast du meinen Wawa Derrick gekannt? Soll ich dir das Zelt zeigen, in dem ich wohne?“

„Zeige es mir!“

„Komm, tritt weiter vor an den Rand! Aber laß dich ja nicht sehen, sonst mußt du dein Leben geben! Unsre Krieger töten jedes Bleichgesicht. Ich aber freue mich, daß ich dich gesehen habe, und werde kein Wort davon sagen, denn du wirst thun, um was ich dich bitte.“

„Ich thue es. Was wünschest du?“

Sie nahm den Zweig vom Kopfe, gab ihn mir und sagte:

„Wenn du meinen Bruder Wawa Derrick siehst, so gieb ihm diesen Myrtle-wreath! Willst du?“

„Ja. Aber wo ist dein Wawa Derrick?“

„Ja – – in – – in – – – ich weiß es nicht mehr; ich habe es vergessen; du wirst ihn aber finden. Nicht?“

„Ja,“ antwortete ich, um sie zu erfreuen. „Was soll ich ihm dazu sagen?“

„Du sagst, daß – – daß – – daß – – du brauchst nichts zu sagen. Wenn er den Myrtle-wreath erblickt, weiß er ganz genau, was ich meine. Und nun schau hier hinab! Siehst du in der zweiten Reihe das Zelt mit dem Zeichen des Medizinmannes?“

„Ich sehe es.“

„Da wohne ich mit Tibo-taka und heiße Tibo-wete-elen. Wirst du das merken können? Vergiß es nicht!“

„Ich vergesse es nicht. Wer wohnt in dem großen Zelte mit den beiden Stangen?“

„Da wohnt Vupa-Umugi, der unser Häuptling ist.“

„Er ist fort. Wer ist jetzt drin?“

„Nur sein Weib und seine Tochter.“

„Weiter niemand? Auch des Nachts?“

„Auch des Nachts weiter niemand.“

„Und wer wohnt da in dem letzten Zelte, vor welchem die beiden Krieger liegen?“

„Da wohnt der Neger, der getötet wird, wenn der blutige Fuchs gekommen ist.“

„Wird er sehr streng bewacht?“

„Sehr! Von zwei Kriegern, stets!“ sagte sie wichtig.

„Habt Ihr jetzt viele solche Krieger hier?“

„Nur die beiden, die du siehst. Viele sind mit dem Häuptling in die Wüste, und die andern gingen auf die Jagd, um Fleisch zu holen; sie kommen morgen oder in zwei Tagen wieder. Du wirst den Myrtle-wreath nicht verlieren, sondern gut bewahren?“

„Sorge dich nicht; ich halte ihn fest.“

„Und ihn meinem Wawa Derrick geben?“

„Sobald ich ihn finde, ja,“

„Du wirst ihn finden und – – –“ sie sah vor sich nieder, als ob sie in ihrem Innern nach etwas suche, ergriff dann meine Hand und fuhr fort: „Und wirst ihm noch etwas bringen, was ich dir jetzt gebe?“

„Ich gebe es ihm.“

Da legte sie schnell die Arme um meinen Hals, küßte mich so rasch, daß ich es gar nicht hätte abwehren können, wenn mein Herz es zugegeben hätte, es ihr zu verwehren, trat dann zurück und bat:

„Nun muß ich gehen; gehe du auch! Aber sage keinem Menschen etwas davon, daß du mich getroffen hast! Von mir wird es auch niemand erfahren.“

„Wirst du wirklich schweigen?“

„Ich schwöre es! Und du?“

„Darf ich wirklich nicht davon sprechen?“

„Zu keinem, keinem Menschen, außer zu meinem Wawa Derrick; der muß es wissen. Gieb mir deine Hand darauf!“

„Hier ist sie.“

Ich gab sie ihr; sie drückte sie mir; dann stieg sie den Berg hinab, doch nicht weit, dann drehte sie sich noch einmal um, legte den Finger zum Zeichen des Schweigens an den Mund und wiederholte:

„Zu keinem einzigen Menschen! Und verlier ja nicht meinen Myrtle-wreath!“

Dann verschwand sie im Gebüsch. Ich stand noch eine ganze Weile auf derselben Stelle; dann ging ich langsam fort. Welch eine Begegnung! Mir war ganz sonderbar zu Mute. Wer war dieses Weib? War sie wirklich eine Indianerin? Aber konnte es denn möglich sein, daß sie eine Weiße war? Um diese Fragen beantworten zu können, hätte ich sie mehr als dieses eine Mal sehen und sprechen müssen. Sie war eine Wahnsinnige; aber sie hatte dennoch einen tiefen, seelischen Eindruck auf mich gemacht. Sie war ein Rätsel, ein unergründliches, tief tragisches Rätsel, unergründlich, weil ich keine Zeit hatte, es zu lösen. Der Wawa Derrick existierte jedenfalls nicht nur in ihrer Phantasie, sondern in Wirklichkeit, aber wo? Und wer war er? Ein Indianer? Wahrscheinlich, denn der Ausdruck Wawa deutete darauf. Und der Myrtle-wreath, was war es mit dem? War er vielleicht die Ursache ihres Wahnsinnes? Oder hatte sie in dem Augenblicke, als sie wahnsinnig wurde, den Myrtenkranz getragen? Entsetzlicher Gedanke! War das der Fall, so war sie eine Weiße und keine Indianerin. Vielleicht gab es eine Lösung. Wahrscheinlich traf ich während des Kampfes mit dem Medizinmanne zusammen; da sollte er mir Rede und Antwort stehen!

Unter diesen Gedanken ging ich zurück, versäumte dabei aber nicht die Vorsicht, die auf diesem Wege nötig war. Was sollte ich meinen Gefährten sagen? Durfte ich von dieser geheimnisvollen Tibo-wete-elen sprechen? Ich hatte ihr mein Wort gegeben, zu schweigen; mußte ich es halten, ihr, einer Wahnsinnigen? Es war wohl keine Sünde, wenn ich es brach; aber erstens ist es überhaupt häßlich und unmoralisch, ein Versprechen nicht zu erfüllen, und zweitens war ich genug unter wilden Völkern gewesen, denen der Wahnsinn heilig ist, um mich derselben Meinung zuzuneigen. Dieses Weib hatte auf mich den Eindruck einer Ausgesonderten gemacht, und es war, als ob sich in meinem Innern um ihre Erscheinung etwas Aureolenartiges zusammenziehen wolle. Nein, sie war kein gewöhnliches Weib; der Wahnsinn erhöhte meine Pflicht, anstatt sie aufzuheben; ich mußte mein Versprechen halten!

Mit diesem Vorsatze kehrte ich zu unsrem Verstecke zurück, welches ich glücklich und unbemerkt erreichte, grad als es zu dunkeln begann; so lange war ich fort gewesen.

„Endlich, endlich!“ wurde ich von Old Wabble empfangen, während Old Surehand still blieb. „Fast hätte ich Angst um Euch bekommen.“

„Es ist nicht die geringste Ursache zur Sorge vorhanden,“ antwortete ich.

„Nicht? So steht wohl alles gut?“

„Alles.“

„Ist der Nigger da?“

„Der Neger, wollt Ihr wohl sagen! Ja.“

„Aber streng bewacht?“

„Es giebt heut im ganzen Lager nur zwei Krieger, die ihn am Tage und des Nachts bewachen; die andern sind fort, um Fleisch zu machen. Da ermüdet die Aufmerksamkeit, und wir werden es verhältnismäßig leicht haben, wie ich vermute.“

„Wie werden wir es anfangen?“

„Laßt mich nachdenken!“

Das sagte ich nicht, weil ich des Ueberlegens bedurft hätte, denn mein Plan war schon fertig, sondern weil ich keine Lust zum Sprechen hatte. Die Indianerin lag mir noch zu sehr im Sinn. Und grad jetzt fiel mein Auge auf Old Surehand, dessen männlich Schönes, ernstes Gesicht beim letzten Tagesschimmer eine ganz eigenartige Beleuchtung zeigte, einen wehmütig rührenden Ausdruck annahm. War es wirklich so, oder täuschte ich mich? Das war ja die Ähnlichkeit, die ich vorhin, als ich das Weib erblickte, herausgefühlt hatte, ohne sie näher bestimmen zu können! Das war dasselbe Gesicht, dieselbe Stirn, derselbe Mund, nur jünger, voller, männlich anstatt weiblich, nicht von jener erschütternden Tragik, aber elegisch ernst und wehmutsvoll. Ich war überrascht, wirklich überrascht; aber im nächsten Augenblicke sagte ich mir, daß ich mich täuschen müsse. Ich stand noch unter dem Eindrucke der Begegnung auf der Höhe des Kaam-kulano und sah Dinge, die gar nicht vorhanden waren. Weg mit der Täuschung!

Es dunkelte schnell; bald konnte ich das Gesicht Old Surehands nicht mehr sehen. Hätte ich es doch nicht für Täuschung gehalten und ihm von der Indianerin erzählt! Sie wäre viel, viel eher aus der Nacht des Wahnsinnes errettet worden! Doch habe ich mir keine Vorwürfe zu machen, denn ich wollte gerecht und wahr gegen sie sein und meinem Versprechen treu bleiben. Ihm aber wäre die Last, an der er so schwer trug, auch viel eher vorn Herzen genommen worden!

Wir saßen lange still und ohne Worte, bis Old Wabble die Geduld verlor und mich fragte:

„Nun, Sir, wie lange habt Ihr denn eigentlich noch nachzudenken? Wollt Ihr mir nicht erlauben, Euch dabei zu helfen?“

Da hielt Old Surehand es für nötig, sein Schweigen zu brechen, um ihn zu vermahnen:

„Bei Old Shatterhand bedarf es Eurer Hilfe nicht, alter Wabble; er wird ohne Euch fertig.“

„Aber wann! Der Abend vergeht, und wir haben doch keine Zeit zu verlieren.“

„Habt nur Geduld!“ bat ich ihn. „Wir können nicht eher etwas thun, als bis die Roten schlafen.“

„Aber dann? Wie fangen wir es an?“

„Ich weiß, wo das Zelt steht, in dem Bob steckt. Wir schleichen uns hin, schlagen die Wächter nieder –

„Tot?“ unterbrach er mich.

„Nein. Es genügt, sie zu betäuben.“

„So übernehmt das selbst! Ich bringe es nicht fertig. Aber Ihr thut, als ob man es nur so zu sagen brauche: Wir schleichen uns hin, schlagen die Wächter nieder – – –“

„Und holen ihn heraus – – – fertig!“

„Fertig! Weiter nichts?“

„O doch!“

„Was?“

„Dann gehen wir zum Häuptlingszelt und nehmen die Medizinen, die dort an den Stangen hängen.“

„Medizinen?“

„Ja, die Medizinen seiner Vorfahren.“

Thunder-storm! Wenn er das erfährt, wird erverrückt. Da geht ihm ja die Ehre verloren und mit ihr alles, was er hat und was er ist!“

„Nein.“

„Nicht? Ich denke doch auch, die Gebräuche und Gewohnheiten der Roten zu kennen. Wer solche Medizinen verliert, der ist moralisch tot.“

„Allerdings; aber er soll sie nicht verlieren.“

„Was? Nicht?“

„Wenigstens nicht für lange Zeit.“

„Ihr wollt sie ihm wiedergeben?“

„Ja.“

„Sir, das ist widersinnig!“

„Nein!“

„Doch! Wenn Ihr sie ihm wiedergeben wollt, so laßt sie doch lieber gleich hängen!“

„Ich habe meine Absicht dabei.“

„Welche? Bin wirklich neugierig, sie zu hören!“

„Ich will Blutvergießen vermeiden.“

„Mit den Medizinen?“

„Ja.“

„Sonderbarer Kauz, der Ihr seid! Wenn Ihr mir die Sache nicht erklärt, so begreife ich sie nicht.“

„Was wird wohl geschehen, wenn der Häuptling erfährt, daß ich seine Medizinen habe?“

„Er wird einen heillosen Schreck bekommen; th’is clear!“

„Und alles in Bewegung setzen, um wieder in ihren Besitz zu gelangen. Nicht?“

„Das versteht sich ganz von selbst. Es wird kein Opfer geben, welches ihm zu schwer und zu groß ist, wenn es nur gebracht werden kann.“

„Das Opfer, welches ich von ihm verlange, ist gar nicht zu groß. Er soll mit den Apatschen Frieden schließen, ohne gekämpft zu haben, und Bloody-Fox in Ruhe lassen.“

„Mr. Shatterhand, Ihr seid kein sonderbarer Kauz, sondern ein tüchtiger Kerl, ein sehr tüchtiger Kerl; das muß ich sagen! Er wird darauf eingehen.“

„Das denke ich auch.“

„Ja, er wird es thun, leider, leider wird er es thun!“

„Warum leider?“

„Weil ich dadurch um mein Vergnügen komme, um mein ganzes, großes, schönes Vergnügen. Ich hatte mich so darauf gefreut!“

„Worauf?“

„Auf die Lehre, welche die Roten erhalten sollten. Ihr seid zwar andrer Meinung, aber ich sage Euch wieder und immer wieder, daß man gar nicht genug Indsmen auslöschen kann. Dieses Ungeziefer muß weg von dieser Welt.“

„Da spricht wieder einmal der Cowboy aus Euch, und zwar in einer Weise, die mich zornig machen kann!“

„Den Zorn, den schenke ich Euch. Wenn Ihr Cowboy gewesen wäret wie ich, so wüßtet Ihr, daß jeder Rote ein geborener Pferdedieb ist. Haben mir die Halunken zu schaffen gemacht!“

„Wie es scheint, hat Euch das nichts geschadet. Ihr seid trotzdem gesund geblieben und alt geworden.“

„Ja, der Ärger ist mir außerordentlich gut bekommen; das gebe ich zu. Aber trotzdem hasse ich sie, und ich freute mich darauf, möglichst viele von ihnen wegputzen zu können. Doch bin ich gerecht genug, zuzugeben, daß Euer Gedanke großartig ist. Wenn er gelingt, komme ich, wie gesagt, um alle meine Freude. Eine kleine Hoffnung giebt es aber doch für mich dabei.“

„Welche?“

„Daß die andern Häuptlinge nicht mit darauf eingehen.“

„Es ist freilich möglich, daß sie sich weigern, besonders Nale-Masiuv.“

„Der vielleicht, möglich. Ich habe da mehr an Schiba-bigk, den jungen Häuptling, gedacht.“

„Warum?“

„Eben weil er jung ist. Da giebt es größere Rivalität. Sein Vater war der erste Häuptling der Comantschen; der möchte auch er gern sein; Vupa Umugi muß also fortgeräumt werden, und dazu kann es keinen bessern Grund geben als den Umstand, daß er seine Medizinen alle verloren hat.“

„Ihr legt Euch das recht hübsch zurecht, werdet Euch aber wohl irren. Ich habe Euch schon gesagt, daß Schiba-bigk mir zu Dank verpflichtet ist. Wenn ich ernstlich mit ihm spreche, wird er ganz gewiß auf meinen Wunsch eingehen.“

„Ernstlich sprechen? Wollt Ihr drohen?“

„Unter Umständen, ja.“

„Womit?“

„Erstens mit unsern Apatschen.“

„Das wiegt nicht schwer genug; er wird mit seinen Comantschen antworten.“

„So schicke ich andre Truppen ins Feld, moralische.“

„Moralische? Mr. Shatterhand, denkt Ihr denn im Ernste, daß ein Roter auf Moral etwas giebt?“

„Ja.“

„Da irrt Ihr Euch gewaltig!“

Pshaw! Ich habe ihm das Leben gerettet und mit ihm nicht nur die Pfeife des Friedens, sondern sogar das Calumet der Freundschaft geraucht. Ist das etwa nichts, Mr. Cutter?“

„Das Calumet der Freundschaft? Das ist viel, sogar sehr viel. Auf die Friedensraucherei ist nichts zu geben, denn das ist eben alles Rauch; aber wenn zwei Freundschaft miteinander geraucht haben, so dürfen sie nie einander mit den Waffen in der Hand gegenübertreten; th’is clear!“

„Also! Wenn Schiba-bigk nicht auf meinen Vorschlag eingehen will, bin ich Mann genug, dies in der Weise in die Öffentlichkeit zu bringen, daß in jedem Indianerzelte und an jedem Lagerfeuer davon gesprochen wird. Was dann die Folge ist, könnt Ihr Euch denken!“

„Hm, ja. Er hat Old Shatterhand die Freundschaft und die Treue gebrochen, er, der junge Indsman, dem erfahrenen und berühmten Westläufer, der ihm das Leben rettete und sein Vertrauen schenkte!“

„Weiter!“

„Es wird kein Weißer und auch kein Roter mit ihm das Calumet mehr rauchen.“

„Das ist ganz gewiß. Darum wird er, wenn nicht aus Freundschaft und Treue, so doch aus Klugheit auf den Kampf mit uns verzichten. Davon bin ich vollständig überzeugt. Ihr nicht auch, Mr. Cutter?“

Well, will es zugeben. Meine Hoffnung scheint also ganz zu Schanden zu werden. Doch nein, Sir; eine bleibt mir doch!“

„Welche?“

„Die, daß es uns nicht gelingt, die Medizinen in unsern Besitz zu bekommen.“

„Auch da muß ich Euch enttäuschen; ich bekomme sie.“

„Sir, seid nicht so zuversichtlich! Man kann nie wissen, was geschieht und welche Hindernisse eintreten.“

„Hier giebt es keine Hindernisse. Ich kenne die Lage. Es ist nur ein Fall möglich, in welchem ich auf die Medizinen allerdings verzichten müßte, mein sehr, sehr werter Mr. Cutter.“

„Warum betont Ihr da meinen Namen so?“

„Weil Ihr es seid, um den es sich handelt.“

„Wieso?“

„Ihr müßtet wieder so eine Eigenmächtigkeit begehen wie gestern. Da könnte es fehlschlagen, sonst aber nicht.“

„Da kann ich Euch beruhigen. Ich werde mich ganz genau so verhalten, wie Ihr es mir vorschreibt.“

„Wirklich? Ich frage noch einmal: wirklich?“

„Ja. Es kann mir nicht einfallen, mich noch einmal vor allen Kameraden so bekanzelrednern zu lassen wie gestern; th’is clear.“

„So bin ich zufrieden gestellt und meiner Sache sicher.“

Well. Aber wißt Ihr, Ihr seid ein so äußerst umsichtiger und pfiffiger Westmann, und habt doch an einen Punkt nicht gedacht, der von größter Wichtigkeit ist.“

„Ihr jedenfalls auch nicht, sonst hättet Ihr gewiß davon gesprochen.“

„Er ist mir allerdings erst in diesem Augenblicke eingefallen.“

„Was ist es?“

„Das Pferd.“

„Welches Pferd?“

„Welches Euer Nigger, wollte sagen Neger, reiten soll. Er kann doch nicht laufen, während wir reiten!“

„Und Ihr denkt, daß ich das vergessen habe?“

Yes.“

„Hm! Dann wäre ich allerdings nicht wert, ein Westmann genannt zu werden.“

„Also doch?“

„Ja.“

„Wir hätten doch eins mitnehmen sollen.“

„Nein. Wir hatten keins, welches den schnellen Ritt hierher und wieder zurück ausgehalten hätte. Wir nehmen eins von hier.“

„Von den Roten?“

„Selbstverständlich. Oder giebt es hier einen Tattersall, wo man sich Pferde leihen kann?“

„Ihr werdet spitz, Mr. Shatterhand. Also ein Pferd stehlen, hm! Es ist dunkel. Wenn wir nun eins erwischen, welches nichts taugt und nicht mit unsern Pferden fortkommt!“

„Keine Sorge! Ich habe schon eins ausgewählt.“

„Ah, wirklich?“

„Ja. Es war eins abseits angepflockt, in der Nähe des Häuptlingszeltes, also wahrscheinlich Vupa Umugi gehörig, ein sehr schönes, wertvolles Tier, welches er nicht mitgenommen hat, um es beim Kampfe keiner Verwundung oder gar dem Tode auszusetzen. Das nehmen wir.“

„Wird es der Neger reiten können?“

„Ich reite es. Er setzt sich auf das meinige.“

Well! So habe ich nur noch ein Bedenken.“

„Immer noch etwas?“

„Ja, das letzte. Man kann bei solchen Gelegenheiten nicht vorsichtig genug sein; es ist da alles zu bedenken. Gesetzt auch, Ihr schlagt die Wächter nieder, wir holen Bob heraus und bekommen die Medizinen, das alles, ohne daß es jemand merkt. Das Pferd aber wird Lärm machen. Ich kenne das.“

„Ich auch.“

„Es hat noch keinen Weißen getragen und wird Euch nicht aufsteigen lassen.“

„Es muß.“

„Und wenn Ihr oben sitzt, wird es Euch nicht gehorchen.“

„Es muß!“

„Oho! Seid Ihr Eurer Sache wirklich so sicher?“

„Ja.“

All devils! Dann seid Ihr ein Reiter, mit dem sich nur noch ein einziger vergleichen kann!“

„Wer?“

„Das ist – – das ist – – – hm, nehmt es mir nicht übel, aber das ist der alte Wabble!“

„Ah, Ihr selbst also!“ lachte ich.

„Ja, ich selbst! Das klingt stark, nicht wahr? Ist aber so! Wißt Ihr, wie man mich zu nennen pflegt?“

„Den König der Cowboys.“

„Wißt Ihr auch, was das zu bedeuten hat? Daß es kein Pferd giebt, welches nicht genau so muß, wie ich will! Könnt Ihr das auch von Euch sagen?“

„Was helfen Worte und Prahlereien!“

Well, Ihr habt recht! Die That ist der Mann. Ich habe davon gehört und es auch gesehen, daß Ihr ein guter Reiter seid, aber es gehört doch – – –“

„Gesehen? Gesehen habt Ihr noch nichts,“ fiel ich ihm in die Rede.

„Nichts? Ich dächte doch, ich hätte in den letzten Tagen genug Gelegenheit dazu gehabt!“

„Da ritt ich mein eigenes Pferd. Heut wird es anders.“

„So, so! Da will ich nur hoffen, daß Ihr uns nicht in Grund und Boden reitet!“

„Habt keine Sorge! Wenn ich aufsteige, seid Ihr gar nicht mehr da.“

„Nicht? Wo denn?“

„Es giebt nur zwei erwachsene Krieger im Lager, und die werde ich betäuben; aber sie können inzwischen wieder aufwachen, und weil es mit dem Pferde nicht ohne Lärm abgeht, wird das ganze Lager in Alarm versetzt werden. Man wird zu Pferde steigen, uns zu verfolgen, auch die jüngeren Burschen, und wenn wir uns vor solchen Verfolgern auch nicht fürchten, so kann doch die dümmste Kugel den klügsten Menschen treffen. Daher halte ich es für geraten, uns nicht hier aufzuhalten, sondern nach vollbrachter That augenblicklich fortzureiten.“

„Dieser Meinung bin ich auch.“

„Wir machen es also folgendermaßen: Wenn wir den Neger und die Medizinen haben, so macht Ihr Euch schnell aus dem Thale heraus; Ihr, Mr, Cutter, führt Bob und Mr. Surehand trägt die Medizinen. Hier angekommen, steigt Ihr auf und reitet weiter.“

„Bob auf Eurem Pferde?“

„Ja.“

„Wird es ihn in den Sattel lassen? Ich weiß, daß der Rappe keinen Fremden trägt, wenn Ihr nicht wollt.“

„Bob und der Rappe kennen sich von früher her.“

„Schön! Aber Ihr?“

„Ich warte so lange, bis ich denke, daß Ihr in Sicherheit seid; dann steige ich auf und komme nach.“

Heavens! Ich warne Euch noch einmal! Denkt Euch doch nur in die Situation! Ihr seid mitten in einem feindlichen Indianerlager. Ihr wollt ein Pferd besteigen, welches Euch nicht hinauf läßt, und seid Ihr mit Lebensgefahr hinaufgekommen, so bockt und wabbelt es, um Euch wieder abzuwerfen. Diese Zeit, die das kostet, und dieser Skandal, der dabei entsteht! Die Roten wachen auf und kommen in Scharen herbei, junge Kerls zwar nur, aber bewaffnet! Ihr werdet vom Pferde geschossen, weil es nicht von der Stelle zu bringen ist!“

„Ich wiederhole: es muß!“

Well, es muß also, und es wird also, aber wie! Es springt kreuz und quer; es gerät unter die andern Pferde, die einen Heidenlärm vollführen und um sich schlagen und beißen; es rennt gegen die Zelte; es läuft nicht vorwärts, sondern seitwärts den Berg hinan; es kollert wieder herunter und bricht sich und Euch den Hals; es – – –“

„Macht ein Ende, macht ein Ende, Sir!“ fiel ich ihm in die Lamentation. „Ich gebe Euch mein Wort, daß von allem, was Ihr jetzt so reizend geschildert habt, nichts, gar nichts geschehen wird.“

„Schön, Ihr wollt es nicht anders; aber ich sehe das Unheil kommen. Glücklicherweise habe ich meinen Hals nicht unter Eurem Kopfe, und wenn es Euch glückt, nur mit einigen Rippen- und Beinbrüchen und etlichen Verrenkungen davon zu kommen, so will ich es loben. Wem nicht zu raten ist, dem soll man nicht helfen, weil ihm nicht geholfen werden kann; th’is clear!“

„Ich brauche keine Hilfe und bitte, sobald Ihr fort seid, nur um das Eine, daß Ihr ganz genau denselben Weg reitet, auf dem wir gekommen sind, damit ich Euch nicht verfehle.“

Da meinte Old Surehand in seinem so ruhigen und bestimmten Tone:

„Ist Old Wabble so besorgt um Euch, so bin ich es um so weniger, Mr. Shatterhand. Die Sache ist gefährlich, höchst gefährlich; aber ich weiß, daß ihr nichts unternehmt, wovon Ihr nicht überzeugt seid, daß Ihr es ausführen könnt. Es wird also klappen. Doch möchte ich, wenn Ihr nichts dagegen habt, Euch einen Vorschlag machen.“

„Ich werde Euch dankbar dafür sein, statt etwas dagegen zu haben.“

„Wie lang ist das Thal von einem Ende bis zum andern?“

„Eine halbe Wegsstunde.“

„Und von hier bis zum Anfang?“

„Eine kleine Viertelstunde.“

„Die Pferde befinden sich wahrscheinlich ganz hinten?“

„Ja.“

„Das giebt beinahe drei Viertelstunden zu laufen, wenn wir fertig sind. Ist das nicht zu weit?“

„Hm! Wir könnten den Weg abkürzen, wenn wir die Pferde bis zum Eingange des Thales mitnähmen.“

„Das ist es, was ich Euch vorschlagen wollte.“

„Danke, Sir! Bin einverstanden. Es wird schon über zehn Uhr sein. Die Roten gehen zeitig schlafen, zumal wenn die erwachsenen Männer nicht da sind. Denkt Ihr, daß wir aufbrechen können?“

„Es wird die rechte Zeit sein, da wir nun einmal nicht bis nach Mitternacht warten können.“

„So wollen wir!“

Wir warfen die Gewehre über, nahmen die Pferde an den Zügeln und gingen. Als wir das Thal erreichten, schlich ich eine Strecke hinein, um zu sehen, ob wir es wagen könnten, die Pferde allein zu lassen. Es befand sich kein Mensch hier, und hinten war kein Feuer zu sehen. Die Roten schliefen. Wir banden also die Pferde an und begannen dann das Unternehmen, dessen für mich wahrscheinlichen Ausgang Old Wabble mir in so tragischer Weise geschildert hatte.

Die Sterne lieferten uns grad so viel Licht, wie wir brauchten, nicht weniger und nicht mehr. Wir hielten uns an den linken Rand der Thalsohle, den ich auf meiner Rekognoszierung von der rechten Höhe überblickt hatte; ich kannte ihn also besser als den gegenüberliegenden. Das führte uns so weit an den Zelten vorüber, daß wir von dort, wenn ja jemand noch wach und im Freien sein sollte, nicht gesehen werden konnten. Als wir sie passiert hatten, legten wir uns nieder, um nun rechts hinüber nach dem letzten zu kriechen, in welchem Bob steckte. Dieses Kriechen wurde uns dadurch erschwert, daß wir die Gewehre mit hatten. Es wäre doch zu gewagt gewesen, sie bei den Pferden zu lassen, und hier konnten wir leicht in die Lage kommen, sie zu unsrer Verteidigung zu gebrauchen.

Old Surehand kroch voran; ich hatte ihm das Zelt gezeigt und ließ ihn gewähren; er schien es als Ehrensache aufzufassen, der erste zu sein, und von ihm war kein Fehler zu besorgen. In der Nähe des Zeltes angekommen, wartete er, bis ich ihn erreicht hatte, und flüsterte mir zu:

„Seht Ihr die beiden Wächter, Sir? Da liegen sie vor dem Eingange und schlafen. Soll ich helfen? Ich denke aber, daß Eure Faust geübter ist als die meinige.“

„Überlaßt sie mir! Ihr werdet zwei dumpfe Schläge hören; dann kommt Ihr nach.“

Ich schob mich leise, leise hin. Sie regten sich nicht; sie schliefen wirklich. Es war so viel Zwischenraum zwischen ihnen, daß ich mir das zu nutze machte. Als ich mich dann aufrichtete, lag der eine griffbequem rechts und der andere links von mir. Ich nahm den ersten beim Halse und gab ihm den Hieb an die Schläfe. Es ging ein kurzes Zittern durch seinen Körper; dann streckte er sich und blieb lautlos liegen; er war abgefertigt. Grad so erging es auch dem zweiten. Dann kam Old Surehand und nach ihm Cutter.

„Setzt Euch her, jeder zu einem von ihnen!“ flüsterte ich. „Sorgt dafür, daß sie uns nicht schaden können, bis ich wiederkomme!“

„Sie sind ja betäubt,“ meinte Old Wabble.

„Aber wie lange? Ich kenne ihre Schädel nicht und könnte zu leicht geschlagen haben. Wenn einer erwacht, bedroht Ihr ihn mit dem Messer.“

Ich hob den Thürvorhang auf und kroch in das Zelt. Es war das laute, ruhige Atmen eines Schläfers zu hören.

„Bob!“ versuchte ich, ihn zu wecken.

Er hörte es nicht. Ich nahm eines seiner Beine und schüttelte es.

„Bob!“

Da bewegte er sich.

„Bob, bist du es?“

„Was – wer – wo – –“ antwortete er schlaftrunken.

„Sei munter und vernünftig und höre, was ich dir sage! Bist du allein, Bob?“

„Ja, Bob sein da, ganz allein. Wer kommen jetzt zu Masser Bob? Wer sprechen mit ihm?“

Der gute Neger hatte nämlich die Eigentümlichkeit, sich selbst Masser zu nennen, während er zu jedem, den er über sich stehend schätzte, Massa sagte.

„Ich will es dir sagen, wenn du leise, ganz leise redest. Ich komme, um dich zu befreien.“

„Oh – oh – – oh! Bob befreien! Masser Bob sollen frei sein, ganz wieder frei?“

„Ja, ganz frei.“

„Wer sein das, der Masser Bob freimachen?“

„Du wirst dich freuen, sehr freuen, wenn du hörst, wer ich bin. Aber du darfst nicht vor Freude laut werden!“

„Bob werden leise sprechen, ganz leise, so leise, daß gar niemand kann hören.“

„Gut, rate einmal!“

„Bob nicht hören Stimme. Sein Massa Bloody-Fox?“

„Nein.“

„Dann nur können sein Massa Shatterhand!“

„Ja, der bin ich.“

„Oh – oh – oh – – – ooooooooh!“ stöhnte er entzückt, wobei ich seine Zähne knirschen hörte. Er biß sie zusammen, um nicht vor Entzücken laut zu schreien; dafür aber strampelte er so mit den zusammengebundenen Füßen, daß ich zur Seite weichen mußte, um nicht einen Stoß zu bekommen, der einem Ochsen Ehre gemacht hätte, denn Bob war ein außerordentlich kräftiger Kerl, vor dessen Stößen und Hieben man sich in acht zu nehmen hatte.

„Also still! Deine Freude kannst du äußern, wenn wir glücklich von hier fort sind. Deine Füße sind gebunden. Wo bist du sonst noch gefesselt?“

„Hände hüben und drüben an Zeltpfahl gebunden und um Leib einen Riemen, der tief in Erde gepflockt.“

„Wie hat man dich behandelt?“

„Mit sehr große Kraft. Viel Hiebe bekommen.“

„Wie stand es mit dem Essen?“

„Bob haben stets Hunger.“

„Das wird anders werden. Halte still! Ich werde dich losmachen. Die Riemen können wir draußen brauchen.“

„Sein noch viel mehr Riemen da; hängen oben an Pfahl.“

„Gut, die sollen deine Wächter fühlen. Ich habe den Rappen mit; den wirst du reiten. Du wirst doch noch mit ihm auskommen?“

„Rappen Hatatitla? Oh, Bob und Rappen sein sehr gut Freund. Reiten gut aufeinander, kommen nicht auseinander!“

„Schön! jetzt wollen wir schnell machen und nicht mehr reden. Später wirst du mir erzählen, wie du in die Gefangenschaft geraten bist.“

Als ich ihn losgebunden hatte, stand er auf, reckte und streckte die Glieder und stöhnte vor Freude.

„Wo sind die Riemen, von denen du sprachst? Gieb sie mir!“

Er langte sie mir herab, und dann verließen wir das Zelt. Er erkannte meine beiden Gefährten gleich als Weiße, die zu mir gehören mußten. Als er die beiden Wächter liegen sah, sagte er:

„Das sein rote Indsmenhunde, die immerfort schlagen und treten mit Füßen Masser Bob. Massa Shatterhand sie wohl schlagen mit Faust an Schädel?“

„Ja. Jetzt werden wir sie binden.“

„Oh – – oh – –! Massa erlauben, daß Bob sie binden. Riemen müssen gehen durch Fleisch bis auf Knochen!“

Er fesselte sie, und zwar so, daß sie vor Schmerzen erwachten. Wir rissen ihnen einige Fetzen von den Indianerhemden und stopften sie ihnen als Knebel in den Mund, daß sie nicht laut werden konnten. Dann schleiften wir sie in das innere des Zeltes und banden sie so fest an, daß sie von selbst gewiß nicht loskommen konnten.

Dieser Teil unsrer Aufgabe war glücklich gelöst. Nun galt es den Medizinen. Bob und Old Wabble mußten warten, und ich schlich mich mit Old Surehand nach dem Zelte des Häuptlings. Dort regte sich kein Hauch und kein Mensch, und es wurde uns leicht, die Stangen geräuschlos aus der Erde zu drehen. Als wir zu den zwei Genannten zurückgekehrt waren, knüpften wir die Medizinen von den Stangen los und banden sie mit einem Riemen zusammen.

„Fertig, wenigstens wir!“ sagte nun Old Wabble. „Nun aber kommt das Schwierigste für Euch, Mr. Shatterhand. Es ist mir wirklich bange. Habt Ihr weit von hier zum Pferde?“

„Nein. Es liegt jenseits des Häuptlingszeltes im Grase, wie ich sah, als wir die Stangen holten.“

„Wollen wir einmal hin?“

„Ihr möchtet versuchen, wie es sich verhält?“

Yes.“

„So kommt! Ihr sollt den Willen haben, denn es kann uns nun kaum etwas geschehen. Aber nicht zu nahe hinan, sonst wird es zu laut!“

Wir schlichen uns lautlos hin. Wir hatten wohl noch zwanzig Schritte zu thun, so hob es den Kopf und schnaubte; wieder drei Schritte, da sprang es auf, zerrte am Lasso und arbeitete mit den Beinen.

„Kommt wieder fort!“ sagte ich. „Es fängt sonst gar an, zu wiehern. Dieses Tier hat gute Schule.“

„Der Teufel hole die Schule, wenn man dabei, falls man ein Weißer ist, den Hals und die Knochen bricht! Wollt Ihr es wirklich noch mit dieser Bestie versuchen?“

„Ja.“

„In dieser Dunkelheit!“

„Soll ich etwa hier warten, bis es Tag geworden ist?“

„Macht keinen Witz; die Sache ist sehr ernst! Es wird mir wirklich himmelangst um Euch. Ich gebe Euch den guten Rat, Euch doch lieber – –“

Er hätte mir wirklich den jedenfalls ganz unnützen guten Rat gegeben, wenn er nicht von Old Surehand unterbrochen worden wäre:

„Keine Redensarten, Sir! Wir müssen fort. Nehmt Bob da bei der Hand, um ihn zu führen; ich habe die Medizinen zu tragen. Vorwärts jetzt!“

„Meinetwegen; ich gehe ja schon und will den Neger führen; aber neugierig bin ich, wie das enden wird! Ich wasche meine Hände in Unschuld, weil man sie hier in nichts weiter waschen kann; th’is clear!“

Sie verschwanden im Dunkel der Nacht, und ich konnte nun an den Hauptteil meiner Aufgabe gehen, denn die Entführung des Pferdes war allerdings weit schwieriger als die Befreiung des Negers und die uns so leicht gewordene Entwendung der Medizinen des Häuptlings. Es fiel mir natürlich gar nicht ein, mich in der Weise, wie Old Wabble es sich dachte, in den Besitz des Pferdes zu setzen; das wäre unter den gegenwärtigen Verhältnissen und zumal bei Nacht mit großer Lebensgefahr für mich verbunden gewesen. Das edle Pferd war indianisch geschult, vielleicht sogar dressiert; es scheute vor jedem Weißen, und wenn ich auch gar nicht daran zweifelte, daß es mir gelingen werde, durch einen kühnen Sprung auf seinen Rücken zu kommen, so doch erst nach langer und energischer Gegenwehr des Tieres, welche jedenfalls mit Stampfen, Schnauben, Wiehern, Ausschlagen, also mit großem Lärm verbunden war. Und hatte ich das fertig gebracht, so gab es weder Sattel noch Zaum, sogar nicht einmal einen einfachen Kopfriemen, denn das Pferd war an einem Lasso an die Erde gepflockt, dessen andres Ende man ihm einfach um den Hals gebunden hatte. Ich war also einzig und allein nur auf den Schenkeldruck angewiesen; das Tier ging unbedingt erst mit mir durch, und ich konnte es erst nach und nach in meine Gewalt bekommen. Dabei aber mußte allerdings das in Erfüllung gehen, was Old Wabble befürchtete: es rannte mit mir unter die andern Pferde und gegen die Zelte; es schoß mit mir regellos hin und her, den Berg hinauf und wieder herunter; es kam zum Stürzen, und ich konnte dabei Hals und Beine brechen, wie man sich auszudrücken pflegt.

Nein, die Sache mußte anders angefangen werden. Glücklicherweise wußte ich ganz genau, wie man so ein indianisches Pferd zu behandeln hat; ich hatte das bei Winnetou gelernt. Es durfte mich nicht für einen Weißen, sondern es mußte mich für einen Indianer halten, worauf ich ihm die Augen zu verbinden hatte.

Als ich bei der Wahnsinnigen oben auf der Höhe gewesen war, hatte ich gesehen, daß am diesseitigen Thalrande eine Menge wilde Mugwartpflanzen standen, und sogleich daran gedacht, den Duft dieser Gewächse zu benutzen, um das Pferd zu täuschen. Dem scharfsinnigen Westmanne muß eben alles dienlich sein; sein Leben kann unter Umständen am Dasein eines kleinen Pflänzchens hängen. Sodann hatte ich vorhin einige Decken vor dem Häuptlingszelte bemerkt, welche die Frau, wahrscheinlich eines Reinigungszweckes wegen, dort im Grase ausgebreitet hatte, lange, breite Decken, in die man den ganzen Körper hüllt, wenn es sehr kalt ist oder regnet. Das kam mir auch gut zu statten. Mehr brauchte ich nicht.

Ich ging also zunächst zu den Mugwartpflanzen, legte mich hinein und wälzte mich tüchtig in denselben hin und her, worauf ich mir mit den sehr kräftig riechenden Spitzen die Hände und das Gesicht einrieb. Nun konnte das Pferd nicht durch den Geruch unterscheiden, daß ich ein Weißer war. Hierauf schlich ich mich dorthin, wo die Decken lagen, und schnitt mir von der einen einen Streifen ab, mit welchem ich dem Tiere die Augen verbinden konnte. In die andre wickelte ich mich genau so ein, wie es die Indianer thun; vorher nahm ich den Hut ab und knöpfte ihn unter dem Jagdrocke fest, weil er das Pferd mißtrauisch machen konnte. Dann ging ich langsam, sehr langsam auf das Tier zu. Es hatte sich wieder niedergelegt, wendete mir den Kopf neugierig zu, sog die Luft prüfend in die Nüstern und – -blieb liegen. Es hielt mich für einen Roten. Damit hatte ich schon halb gewonnen.

„Omi enokh, omi enokh – sei gut, sei gut!“ sagte ich in der Mundart der Comantschen leise und liebkosend, indem ich mich niederbückte und es streichelte. Es ließ sich diese Zärtlichkeit gefallen, und ich fuhr mit derselben fort, bis ich annehmen durfte, daß meine Gefährten bei unsern Pferden angekommen seien. Da pflockte ich den Lasso los und schnitt ihn in mehrere Stücke, aus denen ich eine Art Kopfgestell zusammenknotete, welches sich das Pferd ruhig anlegen ließ. Zwei längere Stücke band ich als Zügel rechts und links an den Nasenriemen und war dann mit den Vorbereitungen fertig. Hierauf stellte ich mich mit ausgespreizten Beinen über den Leib des Pferdes und forderte es auf:

„Naba, naba – – steh auf, steh auf!“

Es gehorchte augenblicklich; ich saß oben und lenkte es einigemale versuchsweise hin und her; es ließ sich willig lenken, ohne daß ich der Schenkel dazu bedurfte. Ich hatte gewonnen, wenigstens einstweilen, denn später war, wenn es mich als Weißen erkannte, jedenfalls ein Kampf zu erwarten. Um aus der Nähe der Zelte zu kommen, ritt ich hinüber nach dem Rande des Thales und an demselben hin, bis ich das Lager hinter mir hatte; da ließ ich das Tier traben, bis ich zu der Stelle kam, wo wir unsre Pferde gelassen hatten; sie waren fort. Nun stieß ich einen schrillen Schrei aus, mit welchem die Roten ihre Pferde in Galopp setzen; es gehorchte auch diesesmal, und wir flogen zunächst ein Stück am Bache hin und dann rechts von demselben ab in die offene Prairie hinaus.

Das Pferd war ausgezeichnet. Ich bemerkte nach einem halbstündigen Galoppe noch nicht das geringste Zeichen der Anstrengung an ihm; der Atem ging unhörbar. Da hörte ich vor mir einen langgezogenen Schrei. Das war einer von meinen Gefährten, welche wissen wollten, ob ich käme; sie waren in Sorge um mich. Ich antwortete durch einen gleichen Schrei, und da sie hierauf halten blieben, um auf mich zu warten, hatte ich sie schnell eingeholt.

All devils, ein Roter!“ rief Old Wabble aus, als er mich erblickte. „Der verfolgt Old Shatterhand und hat ihn verloren. Machen wir ihn kalt!“

Ich sah, daß er das Gewehr vom Rücken riß, und warnte ihn:

„Nicht schießen, Sir! Ich möchte gern noch einige Zeit leben bleiben.“

Zounds! Das ist ja Old Shatterhands Stimme!“

„Natürlich, meine eigne; eine andre habe ich nicht.“

„Er ist’s; er ist’s; wahrhaftig, er ist’s! Aber, Sir, seht Ihr, daß ich ganz starr bin?“

„Friert Euch so?“

„Unsinn! Starr vor Verwunderung bin ich!“

„Worüber?“

„Daß Ihr so hübsch dahergeritten kommt, so einig mit dem Gaule, als ob Ihr schon tausend Säcke Hafer miteinander gefressen hättet. Das ist doch nicht das Pferd, welches ihr stehlen wolltet, Sir!“

„Es ist’s; seht her!“

„Hm, ja! Bei meiner Seele, es ist’s! Da ist ein Wunder geschehen, sonst hättet Ihr es nicht so schnell bezwingen können.“

„Es hat gar keines Zwanges bedurft.“

„Was? Nicht? Gar nicht?“

„Nein. Es hat mich ohne allen Widerstand hierher getragen.“

„Unmöglich! Ich bin ein zu guter Kenner, als daß Ihr mir so etwas weismachen könnt.“

„Ich mache Euch gar nichts weis, gar nichts. Wenn ich es hätte zwingen müssen, würde es sich jetzt ganz anders verhalten, und einen andern Gang, ein andres Aussehen haben.“

„Es ist zu dunkel, es sehen zu können. Schwitzt, schäumt und geifert es nicht?“

„Nichts von alledem.“

„Unglaublich! Könnt Ihr vielleicht hexen? Ich muß mich doch einmal selbst überzeugen.“

Er lenkte sein Pferd zu mir heran und streckte die Hand aus, das meinige anzufühlen. Es schnaubte scheu und stieg vorn hoch empor.

„Laßt das sein, Sir!“ bat ich. „Es kann die Weißen nicht leiden.“

„Ihr seid doch auch einer!“

„Ja; aber es hält mich für einen Roten.“

„Ah! Also darum die Maskerade mit der Decke?“

„Ja.“

„Wie pfiffig! Man kann wirklich noch viel, sehr viel von Euch lernen. Aber der Geruch, der Geruch! Ein Indianer riecht doch wie – – wie – – hm, wie sage ich doch nur gleich? Er riecht nach Schmutz, nach Herberge, nach – -nach – – na, mit einem Worte, er riecht eben wild! Ein Weißer hat diese sonderbare Ausdünstung nicht.“

„Der riecht wohl civilisiert anstatt wild?“ fragte ich lachend.

„Ja, civilisiert; so ist es. Wenn Ihr Euch auch maskiert habt, so mußte das Pferd doch am Geruche merken, daß Ihr kein Indsman seid.“

„Ich habe eben den Geruch verändert.“

„Unsinn!“

„Ja! Es giebt ein sehr probates Mittel, mit welchem man selbst so ein Pferd irre machen kann.“

„Was ist das?“

„Mein Geheimnis.“

„Ihr wollt es nicht sagen?“

„Nein, wenigstens jetzt nicht; vielleicht teile ich es Euch später einmal mit. Wer ein wenig nachdenkt, der findet es auch, ohne daß man es ihm sagt.“

„So! Habt Ihr es auch nur durch Euer Nachdenken?“

„Niemand hat es mir gesagt, ich bin selbst darauf gekommen; es ist meine eigene Erfindung.“

„So habt Ihr es vorhin erst erfunden?“

„Nein, schon längst. Es ist heute nicht das erste Mal, daß ich ein Indianerpferd damit täusche. In einigen Stunden ist dieser Geruch verschwunden, und wenn ich dann die Decke ablege und den Hut aufsetze, wird der Gaul die Täuschung erkennen und sich wehren. Dann wird es bei Tage und in der offenen Prairie den Kampf geben, den ich jetzt umgangen habe, weil ich allerdings das Leben riskiert hätte.“

Well, ich muß Euch glauben, bin aber wirklich begierig, zu sehen, wie Ihr das Pferd bewältigen werdet.“

„Sehr leicht. Nur Raum brauche ich dazu, nur Raum, und den habe ich dann im höchsten Maße. Jetzt aber wollen wir nicht reden, sondern reiten, daß wir die Gegend des Kaamkulano bald möglichst weit hinter uns legen. Laßt mich voran, daß mein Pferd nicht durch Euch scheu gemacht wird!“

Um an ihre Spitze zu kommen, ritt ich an ihnen vorüber, dabei sagte Bob:

„Warum Massa Shatterhand nicht mit seinem Masser Bob reden? Masser Bob will sagen Dank!“

„Ist nicht nötig, lieber Bob.“

„Und will erzählen, wie rote Indsmen nehmen Masser Bob gefangen.“

„Später. Jetzt haben wir keine Zeit dazu. Die Hauptsache ist, daß du mit meinem Rappen gut auskommst.“

„Oh – – oh – – oh – –, Rappe sein sehr gutes Pferd, und Bob sein sehr vortrefflicher Reiter. Beide einander gut kennen und fahren wie Blitz über Prairie dahin!“

Ja, der gute Bob ritt jetzt bedeutend besser als damals, wo er zum erstenmal im Sattel saß. Obgleich er sich mit den Händen krampfhaft an dem Halse und der Mähne des Pferdes festgehalten hatte, war er doch stets immer weiter nach hinten gerutscht und endlich am Schwanze heruntergeglitten. Das hatte ihm den Spitznamen Sliding-Bob eingetragen, also der rutschende Bob. Später hatte er sich eingerichtet und war schließlich bei Bloody-Fox in eine gute Schule gekommen. Jetzt ritt er so, daß er nicht hinter uns zurückblieb, was aber freilich mehr dem Pferde als dem Reiter zuzuschreiben war.

Von dem Augenblicke, an welchem ich das Hasenthal verlassen hatte, war für uns nichts mehr zu fürchten gewesen, denn bei der Güte unsrer Pferde konnten wir nicht eingeholt werden, und die etwaigen Verfolger wären junge Menschen gewesen, aus denen wir uns nicht viel gemacht hätten. Dennoch ritten wir mehrere Stunden lang ununterbrochen fort und hielten dann an, weil unser Ritt ein noch sehr weiter war. Wir hatten von da an, wo wir hielten, noch einen vollen Tagesritt bis zum Nargoleteh-tsil, wo wir mit den Apatschen zusammentreffen wollten.

Wir pflockten unsre Pferde an, aber so lang an die Lassos, daß sie Platz zum Grasen hatten. Das meinige mußte ich abseits befestigen, weil es nicht in der Nähe der andern sein wollte; es schlug und biß nach ihnen.

Als wir uns dann zu einander gesetzt hatten, fragte Bob:

„Nun haben Zeit, und nun dürfen Masser Bob wohl erzählen, wie Indsmen ihn gefangen nahmen?“

„Ja, erzähle es“, antwortete ich, denn er hätte uns doch keine Ruhe gelassen. „Ich habe mich sehr darüber gewundert, daß Bloody-Fox dich im Stiche gelassen hat.“

„Haben Fox mich im Stiche lassen?“

„Natürlich!“

„Und Massa Shatterhand sich darüber wundern?“

„Sogar sehr!“

„Masser Bob sich nicht wundern.“

„Das verstehst du nicht. Ihr seid auf die Jagd geritten?“

„Ja, auf Jagd.“

„Also beisammen gewesen?“

„Beisammen,“ nickte er.

„Du wurdest gefangen, und er entkam?“

„Ja.“

„So mußte er den Roten nachfolgen und alles thun, um dich zu retten. Hat er das versucht?“

„Nein.“

„Das ist ein Beweis, daß er euch nicht gefolgt ist. Wieviel Rote waren es, die euch überfielen?“

„Zehn und noch zehn und wieder noch einmal zehn. Vielleicht auch mehr. Bob nicht haben gut zählen.“

„Also ungefähr dreißig. Wie ich Bloody-Fox kenne, ist er nicht der Mann, der sich scheut, hinter dreißig Roten herzureiten. Er mußte unbedingt zu erfahren suchen, was sie mit dir angefangen hatten oder noch thun wollten.“

„Vielleicht haben Massa Fox es doch thun!“ „Nein. Er hat das Anschleichen gelernt, und wenn es ihm unmöglich war, dich zu befreien, so war er der Mann, der es fertig brachte, dir ein Zeichen zu geben. Hast du so etwas gesehen oder gehört?“

„Masser Bob nichts hören und nichts sehen.“

„So hat er dich also im Stich gelassen, und das ist es, worüber ich mich wundere, falls er überhaupt gewußt hat, daß du in ihre Gefangenschaft geraten warest.“

„Massa Fox das vielleicht nicht wissen.“

„Nicht? Hat er es nicht gesehen?“

„Nein.“

„Aber ihr waret ja beieinander!“

„Er nicht bei Masser Bob und ich nicht bei Massa Fox, als rote Indsmen kamen.“

„Oh, das ist etwas Andres! Ihr hattet euch also getrennt?“

„Ja. Wir waren daheim fort, weil nur noch wenig Fleisch haben. Mutter Sanna allein zu Hause bleiben und wir aus Llano estacado heraus, um jagen und Fleisch holen. Wir lange kein Wild finden, bis weit, weit fort an Regenberg kommen.“

„Ah, am Nargoleteh-tsil seid ihr gewesen? Dahin wollen wir ja heut!“

„Nargoleteh-tsil; das sein richtig.“

„Dort habt ihr gejagt?“

„Ja; haben schießen zwei Bisons; geben Fleisch, große Menge Fleisch. Schneiden Fleisch in Stücke und hängen auf Riemen, die mitgebracht. Haben auch mitgebracht Packpferde, um Fleisch tragen heim. Als fertig waren mit Aufhängen, gehen fort, um suchen wieder Büffelspuren, Massa Fox links und Masser Bob rechts.“

„Das war nicht klug. Entweder durftet ihr euch nicht trennen oder einer von euch, also jedenfalls du, mußte bei den Pferden und bei dem Fleische bleiben.“

„Vielleicht das richtig sein; Massa Shatterhand es ja gut verstehen, besser noch als Bloody-Fox und viel, viel besser als Masser Bob. Bob reiten weit, sehr weit und nicht finden Spur von Büffel, kehren endlich um, weil anfangen zu regnen. Da kommen Comantschen und ihn umringen. Er sich wehren, sie aber doch nehmen fangen Masser Bob. Sie ihn fragen, was hier wollen und was hier thun; er nichts sagen. Sie nun schlagen Masser Bob, er aber doch nichts verraten. Da sie reiten auf seiner Spur nach Regenberg, schicken Späher voraus. Späher kommen wieder und reden leise, was haben gesehen am Regenberg. Dann reiten fort, schnell; drei reiten langsam nach mit Masser Bob. Alsbald sind an Regenberg, Masser Bob hören schießen. Dann hinkommen. Comantschen sind im Lager und beim Fleisch von Bloody-Fox, er aber nicht da; an Erde aber liegen tote Indsmen, erschossen von Fox und er fort.“

„So also ist es gewesen, so! Er war eher zurückgekehrt als du, und sie haben ihn überfallen. Er hat einige von ihnen erschossen und ist entflohen.“

„Ja, war fort, ganz fort. Mehrere ihm nach; aber später wiederkommen und ihn nicht haben funden.“

„Was thaten die Roten dann?“

„Sie binden Masser Bob auf Pferd, laden Fleisch auf Pferde und reiten fort.“

„Wohin?“

„Reiten fast zwei Tage bis Bob war fangen in Zelt. Sie ihm sagen, daß wollen holen auch Bloody-Fox, und wenn ihn bringen, dann Massa Fox und Masser Bob sollen sterben an Marterpfahl.“

„Hm! Hatte es sehr geregnet?“

„Sehr! Regen gehen Masser Bob bis auf Haut.“

„Da ist mir alles erklärlich. Zu welcher Tageszeit ist es gewesen, Bob?“

„Als Masser Bob umkehren, es bald Abend sein. Und als kommen an Regenberg mit Indsmen, es schon anfangen, sehr dunkel werden.“

„Fox ist jedenfalls zurückgekehrt, hat sich aber nicht ganz bis zu dem betreffenden Platze wagen wollen. Und wenn er es gewagt und also gemerkt hat, daß sie fort waren, hat er ihnen doch nicht folgen können, weil er im Dunkel ihre Spuren nicht sehen konnte. Früh aber war die Fährte verschwunden, denn das niedergetretene Gras hatte sich infolge des Regens bis dahin aufgerichtet. Er wußte nichts davon, daß die Roten dich getroffen und festgenommen hatten. Er glaubte, du habest dich verirrt und suchte dich. Er wartete vielleicht, als er dich nicht fand, den ganzen Tag auf deine Rückkehr. Als du nicht kamst, nahm er an, daß du möglicherweise die Roten gesehen habest.“

„Ja, das er wohl denken.“

„Du konntest ja zurückgekommen sein, als sie ihn schon überfallen hatten; sie bemerkten dich nicht; du sahst, daß er fort war, und rittest auch fort.“

„Ja, heim zu Mutter Sanna!“

„Das konnte er dir schon zutrauen, und da er den Roten nicht folgen konnte, weil er nicht wußte, wohin sie waren, blieb ihm nichts andres möglich, als auch heimzukehren, um zu sehen, ob du dort angekommen seist.“

„Aber als Massa Bloody-Fox sehen, daß Masser Bob nicht da bei Mutter Sanna?“

„So ist er wahrscheinlich wieder fort, um abermals nach dir zu suchen. Wer weiß, wo und wie lange er sich herumgetrieben hat, ohne dich zu finden!“

„Nun aber er mich wiedersehen, oh – oh oh! Denn Massa Shatterhand bringen doch Masser Bob jetzt wieder zu Mutter Sanna und Massa Fox?“

„Ja, wir bringen dich hin. Die Roten sind aufgebrochen, um euer Haus zu überfallen und Bloody-Fox zu fangen und zu töten.“

„Das sie sollen nicht wagen! Masser Bob sie erschlagen und erschießen alle, alle, alle! Niemand von ihnen leben bleiben, kein einziger!“

Er knirschte mit seinen Zähnen, und das hatte etwas zu sagen, denn er hatte ein Gebiß, welches einem Panther Ehre gemacht hätte; dann fuhr er fort:

„Ja, sie alle, alle sterben, denn sie haben schlagen Masser Bob und ihm nichts geben zu essen. Er haben viel Hunger, und sie nichts thun, als nur darüber lachen.“

„Nun, wir haben jetzt Zeit, dies nachzuholen. In meinen Satteltaschen ist Fleisch genug für dich. Geh hin und hole dir, was du essen kannst!“

„Ja, Masser Bob sich holen. Er grad großen Hunger haben, als Massa Shatterhand kommen in Zelt und ihn machen frei.“

„Nun, davon habe ich nichts gemerkt, denn ich mußte dich wecken; du schliefst sehr fest.“

„Oh – – oh – – oh – –! Masser Bob haben großen Hunger auch wenn schlafen; ihn träumen sogar von Hunger!“

Er holte sich Fleisch und aß; er holte sich wieder welches und aß; er holte sich abermals welches und aß – – aß – – aß, bis nichts mehr zu holen war. Was er im Essen leisten konnte, das wußte ich, so eine Portion wie heute aber hatte er noch nie verschlungen! Er erzählte uns dabei die Einzelnheiten seiner Gefangenschaft im Thale der Hasen; es war nichts für uns Wichtiges dabei. Wir fragten ihn nach den Beobachtungen, die er dabei gemacht hatte, bekamen aber nichts zu hören, was uns hätte von Nutzen sein können. Er war ein guter, treuer Kerl, mutig und klug in seiner Weise, aber Beobachtungen wie ein Westmann zu machen, das war ihm bei seiner geistigen Bescheidenheit nicht möglich.

Als der Morgen zu grauen begann, standen wir auf, um die Pferde zu besteigen.

„Jetzt bin ich neugierig, was Euer Pferd sagen wird,“ meinte Old Wabble. „Denn mit der Maskerade hört es jetzt wohl auf?“

„Ja. Wollt Ihr meine Indianerdecke mit auf Euer Pferd nehmen, Mr. Cutter?“

„Ja, gebt sie her!“

„Jetzt noch nicht, sondern erst dann, wenn ich aufgestiegen bin.“

Well! Sonst würde es Euch gar nicht hinauf lassen!“

„Es müßte wohl; aber ich würde dabei Zeit verlieren, und das ist nicht notwendig; ich werfe sie Euch zu.“

Ich ging zum Pferde hin, um es zu liebkosen. Es zeigte sich mißtrauisch und unruhig; es sträubte die Mähne, schnaubte und zerrte am Lasso. Der Pflanzengeruch hatte sich verloren, und das Tier wurde nur noch durch die Indianerdecke getäuscht. Ich zog den Pflock aus der Erde und steckte ihn in die Satteltasche, sprang auf, band den Lasso vom Halse des Pferdes los und wickelte ihn in Schlingen; die andern standen neugierig da, hielten sich aber fern, um nicht von dem Tiere umgerissen zu werden, wenn es plötzlich ausbrechen sollte. Es ging ein eigentümliches Zittern durch seine ganze Gestalt; ich kannte dieses Zittern; es war das Vorzeichen des nahen Kampfes. Im Nu flog die Decke herab und zu Old Wabble hinüber; ebenso schnell warf ich mir den Lasso über die Schulter; mit der einen Hand die improvisierten Zügel ergreifend, zog ich mit der andern den Hut unter dem Rocke hervor, um ihn aufzusetzen und fest anzudrücken. Da warf das Pferd den Kopf herum, einen einzigen kurzen Augenblick nur sah es mich, dann wieherte es laut und zornig auf und stieg vorn empor. Die Zügel mit beiden Händen fest anziehend, legte ich die Schenkel noch viel fester an. Es war dem Überschlagen nahe; ich drückte es nach vorn und riß es dabei mit solchem Nachdrucke seitwärts, daß es sich einmal um seine eigene Achse drehte. Dann kam es vorn nieder und schlug hinten aus – vergeblich. Es bockte, indem es den Rücken krumm bog und mit allen vieren in die Luft ging; es stand still, um mich zu betrügen, und sprang dann plötzlich mit vollständig steifen Beinen auf die Seite, damit ich auf der andern Seite herabstürzen möge – ebenso vergeblich! Es erging sich in allen den Mucken, die einem sogenannten Bucking-horse andressiert werden – ich blieb fest sitzen.

„Bravo, bravo, Sir!“ rief der alte Wabble. „Ihr habt einen famosen Sitz, das muß ich sagen. Der Racker macht es Euch schwer, er hat den Teufel im Leibe!“

„O, bis jetzt ist das noch nichts,“ antwortete ich. „Es kommt noch besser, wartet nur!“

Da warf sich das Pferd, als ob es meine Worte verstanden habe, nieder und wälzte sich, indem es mit den Beinen arbeitete und um sich schlug. Ich kam – und das ist dabei die Hauptsache, sonst ist man verloren – mit den Füßen auf die Erde zu stehen und sprang, so wie es sich Wälzte, bald nach rechts, bald nach links, so daß das Tier stets zwischen meinen ausgespreizten Beinen blieb. Das ist außerordentlich anstrengend; es gehört ein scharfes Auge dazu, man muß wissen, nach welcher Seite sich das Pferd im nächsten Augenblicke zu drehen beabsichtigt, und sich dabei in acht nehmen, daß man von den schlagenden Hufen nicht getroffen wird. Noch schärfer muß man erraten, wann es wieder aufspringen will, sonst wird man zur Seite geschleudert und es geht auf und davon.

Jetzt sprang es auf und nahm mich ganz regelrecht mit in die Höhe, indem ich die Zügel wieder ergriff, die ich während des Wälzens natürlich hatte fahren lassen.

„Bravo, bravo!“ rief der Alte. „Thunder-storm, ist das ein Vieh! In dieser eleganten Weise macht es Euch keiner als nur Old Wabble nach!“

„Es kommt noch schlimmer, Sir!“ antwortete ich, „Erst ermüde ich es hier und dann lasse ich es durchgehen. Steigt auf, um mir schnell nachzukommen!“

Während ich dies sagte, wiederholte das Pferd die schon beschriebenen Versuche, bis es sich zum zweitenmal wälzte und dann wieder aufsprang. Bis jetzt hatte die menschliche Intelligenz mit dem tierischen Willen gekämpft, nun aber sollte es rohe Kraft gegen rohe Kraft gelten, was mir stets gelungen war und mir noch von niemandem hatte nachgemacht werden können. Ich nahm das Pferd also fester in die Zügel, rückte weiter nach vorn und legte die Schenkel mit aller mir zu Gebote stehenden Kraft an. Es stand starr. Ich horchte. Kam der Ton, den ich erwartete, oder kam er nicht? Ja, er kam. Es war ein langes, tiefes, schmerzliches Stöhnen aus eingeengter Brust, das sichere Zeichen, daß der Sieg mein sein werde, wenn meine Kraft nicht ermüdete. Das Tier wollte wieder in die Höhe, vorn, hinten, mit allen vieren; es konnte nicht; ich drückte und preßte womöglich noch stärker als vorher. Nach jeder vergeblichen Anstrengung stöhnte es laut, der Atem ging keuchend. So dauerte es fünf Minuten und noch länger; der Schweiß drang ihm aus allen Poren; es schäumte und warf die weißen Flocken nach allen Seiten.

„Prächtig, prächtig!“ schrie Old Wabble entzückt. „So etwas habe ich noch nie gesehen!“

Ja, prächtig! Das konnte er gut sagen. Hätte er nur an meiner Stelle gesessen! Diese Anstrengung! Die Lunge wollte mir platzen; der Schweiß drang auch mir aus allen Poren, aber ich ließ nicht nach. Da wollte das Pferd sich niederwerfen, um sich wieder zu wälzen; es konnte nicht; nun noch ein letzter, langer Schenkeldruck aus allen Leibeskräften – – die menschlichen Muskeln und Sehnen siegten; das Pferd brach zusammen.

„Grandios, grandios!“ brüllte der Alte. „Das hätte ich nicht fertig gebracht. Es ist wahr, Sir, Ihr seid ein viel, viel besserer Reiter als ich.“

Old Surehand stand still und sagte nichts; aber seine Augen leuchteten.

„Schön, schön, oh schön!“ schrie Bob. „Massa Shatterhand das schon oft machen mit fremden und mit wildem Pferd. Masser Bob dabei sein und es sehen!“

„Ich bin noch lange nicht fertig,“ antwortete ich. „Paßt auf, jetzt geht es fort!“

Ich stand mit breiten Beinen über dem Pferde, mit gebücktem Oberkörper und die Zügel in der Hand. Es erholte sich, stand auf und nahm mich mit in die Höhe. Da stand es einige Augenblicke regungslos; dann schnellte es fort, wie plötzlich von einer gewaltigen Feder getrieben. Ich saß fest und ließ es laufen, nur dafür sorgend, daß es die Richtung nahm, in welche wir wollten. Die andern drei kamen hinter mir hergejagt. Nach einer Weile blieb es plötzlich halten und begann das Bocken und Wälzen von neuem. Es sprang auf und jagte wieder fort, hielt abermals an und that alles, um mich los zu worden. Ich ließ es gewähren, bis ich die Zeit gekommen meinte; da nahm ich es zwischen die Schenkel wie vorher; es stand unbeweglich; ich schwitzte; es stöhnte, schwitzte und schäumte, bis es zum zweitenmal zusammenbrach. Jetzt wußte ich, daß es keinen Versuch mehr machen, keinen Widerstand mehr leisten werde, und stellte mich zur Seite, als mich die drei eben einholten. Sie parierten ihre Pferde, und Old Wabble fragte:

„Ihr gebt die Zügel aus der Hand und laßt es frei liegen? Wenn es Euch nun davongeht, Sir!“

„Es bleibt, es ist besiegt, es ist mein!“ antwortete ich.

„Traut der Bestie nicht! Es wäre schade, jammerschade, wenn es Euch nach dieser großen, riesenhaften Anstrengung entkäme!“

„Es läuft nicht fort.“

„Oho!“

„Paßt auf! Ich kenne die Dressur.“

Ich legte dem Pferde die Hand auf den Kopf und sagte:

„Naba, naba – steh auf, steh auf!“

Es sprang auf. Ich ging langsam fort und befahl:

„Eta, eta – komm, komm!“

Es kam hinter mir her, nach rechts und links, hin und zurück, bis ich stehen blieb, da blieb es auch stehen.

„Großartig, wirklich großartig!“ rief Old Wabble. „Wenn man es nicht sähe, würde man es gar nicht glauben!“

„Ihr gebt also zu, daß ich es gebändigt habe?“

Yes, yes und yes!“

„Ohne daß ich Arme und Beine oder sogar den Hals dabei gebrochen habe!“

„Sprecht nicht davon, Sir! Ich konnte ja nicht wissen, daß Ihr im Reiten sogar den alten Wabble übertrefft!“

„Sogar? Ihr scheint Euch für den besten Reiter des ganzen Erdballs zu halten! Ich übertreffe Euch ja, das behaupte ich auch, aber nicht aus Stolz oder Überhebung, denn ich füge sogleich hinzu: ich habe Reiter getroffen, die mich weit, weit übertroffen haben.“

All devils! So einen Kerl möchte ich sehen!“

„Ich habe auf Pferden gesessen, die fünfzigtausend Dollars und noch mehr gekostet hätten, wenn sie überhaupt zu verkaufen gewesen wären. Nun schließt von einem solchen Tiere einmal auf seinen Reiter! Versucht doch einmal, ein zugerittenes Kirgisenpferd, einen kurdischen Streithengst oder eine nach der altparthischen Reitkunst geschulte Perserstute zu besteigen! Ihr seid nach hiesigen Begriffen ein vorzüglicher Reiter; dort aber würdet Ihr ausgelacht!“

„Kirgisisch -kurdisch-altparthisch – – –? Ich lasse mich aufhängen, wenn ich weiß, was das ist! Habt denn Ihr auf solchen Pferden gesessen?“

„Ja, und unser Bob würde an meiner Stelle sagen: Wir sind gut aufeinander geritten.“

Oh – oh – – oh!“ wendete der Neger mit verlegener Miene ein. „Masser Bob nicht so sagen, denn Bob nicht mit dabei gewesen sein!“

„Hm, hm, hm!“ brummte der Alte. „Da hat man sich für einen tüchtigen Kerl gehalten und ist gar keiner!“

„Bitte, so war es nicht gemeint, Mr. Cutter. Ihr seid gar wohl ein tüchtiger Reiter, nämlich in der Art der Cowboys. Ein Roter reitet anders; das gebt Ihr zu, nicht?“

Yes.“

„Weil ich diese indianische Schule genau kenne, konnte ich das Pferd hier überwältigen, sonst nicht. Ich glaube auch nicht, daß es Euch gelungen wäre.“

„Nein, ich hätte es nicht fertig gebracht; das habe ich aber auch eingestanden!“

„Richtig! Nun denkt, daß es noch viele andre Reitervölker giebt, die Araber, Beduinen, Tuaregs, Imoscharh, Perser, Turkmanen, Kirgisen, Mongolen und so weiter, und jedes dieser Völker hat eine andere Art zu reiten. Kann sich da jemand, der eine Schule vortrefflich reitet, für überhaupt den besten Reiter halten und dann erstaunt von einem andern sagen: der kommt sogar über mich?“

„Nein, Sir! Ich höre, daß Ihr wieder einmal den Kanzelredner macht, denn was Ihr da sagt, ist ja, wie ich gern zugebe, alles sehr richtig, aber allein gegen mich gerichtet; es soll ganz einfach heißen: Brüste dich nicht, alter Wabble!“

„Freut mich, daß Ihr diesen Stich empfindet!“

„Also wirklich ein Stich! Warum aber stecht Ihr mich?“

„Nicht, weil ich denke, mehr zu sein oder mehr zu können als ihr, sondern um Euch ein wenig anschmiegender zu machen. Ihr wißt, von wegen dem Sitzenlassen. Ihr habt mir dahinten im Kaani-kulano wieder gute Lehren geben wollen, und zwar zu einer Zeit und in einer Situation, wo solche Lehren nicht nur überflüssig sind, sondern alles verderben können. Ich habe sie hingenommen, weil ich Euch augenblicklich nicht beweisen konnte, daß sie unnütz waren. Diesen Beweis habe ich jetzt erbracht. Wir sind nun einmal bei einander, und da würde es mich freuen, wenn es Euch beliebte, mir künftig etwas mehr Vertrauen zu schenken. Der Mangel an Vertrauen kann bei dem, was wir vorhaben, verhängnisvolle Folgen bringen!“

Egad, Ihr habt recht, Mr. Shatterhand!“ gab er zu. „Ich bin ein alter Querkopf geworden, weil ich noch niemals meinen Meister gefunden habe. Ihr habt mir eine Zurechtweisung erteilt, in Worten und noch vielmehr durch die That, und ich will sie mir ad notam nehmen. Macht, was Ihr wollt; ich werde nicht wieder daran mäkeln. Und wenn Ihr Euch vornehmt, dem Monde auf die eine Backe eine Ohrfeige zu geben, so bekommt er von mir auf die andre Backe auch eine; denn was Ihr für möglich haltet, das ist auch möglich; th’is clear!“

„Das habt Ihr gut gesagt!“ stimmte ihm Old Surehand bei. „Ich pflege nicht viele Worte zu machen, aber was Mr. Shatterhand von mir verlangt, das thue ich, und wenn es mir noch so widersinnig vorkommen sollte. Die Kunst, mit welcher er das Pferd besiegte, war bewundernswert, doch giebt es wenigstens Einen, der das grad so fertig bringt; ich meine Winnetou; aber die Kraft, die Körperkraft, der Schenkeldruck! daß das Pferd stöhnt und schäumend und geifernd zusammenbricht! Das macht ihm niemand nach, gewiß niemand! Ich bin höher und breiter gebaut als er, aber wenn ich behauptete, ein Pferd in dieser Weise niederbringen und niederringen zu können, so würde das eine Lüge sein, eine großartige Lüge! Und wie das Pferd ihm nun nachläuft! Grad als ob er schon jahrelang sein Herr gewesen wäre!“

„Ja, Ihr werdet sehen, daß es sich nun wie ein treuer und gehorsamer Hund zu mir verhält,“ sagte ich. „Es ist nicht nötig, in dieser Weise von mir zu reden, Mr. Surehand. Ein jeder thut, was er kann; der eine versteht dieses besser und der andre jenes, und wenn ein jeder das Seinige leistet, wird’s ein gutes Ende geben. Jetzt wollen wir weiter!“

„Doch zunächst nach dem Altschese-tschi, wo wir gestern früh fortgeritten sind?“ fragte Old Wabble.

„Nein; nach dem kleinen Walde reiten wir nicht wieder.“

„Warum? Wenn wir nach dem Regenberge wollen, liegt das Wäldchen doch in unserm Wege!“

„Denkt an die Kundschafter, die dort getötet worden sind! Sie kehren nicht zurück. Das erregt das Mißtrauen der Comantschen. Ich bin überzeugt, daß Vupa Umugi ihnen einige Krieger nachsenden wird. Dürfen die auf unsre Fährte treffen?“

„Nein, denn sie würden uns nach dem Regenberge folgen, und alles wäre verraten. Aber Parker, Hawley und Langes Messer haben doch auch eine Fährte gemacht, die dorthin führt!“

„Das war gestern; sie ist also nicht mehr zu sehen.“

So müssen wir einen Umweg machen; aber wohin?“

„Das ist doch zu erraten!“

„Hm! Etwa zwischen dem kleinen Walde und dem blauen Wasser hindurch? Das geht nicht, denn da würde unsre Spur noch viel eher und viel leichter bemerkt.“

„Wir müssen noch weiter nach rechts abweichen.“

„Also wieder über den Rio Pecos hinüber?“

„Ja.“

„Das ist allerdings ein Umweg, und was für einer! Sollte er nicht zu groß sein, Sir?“

Da meinte Old Surehand kopfschüttelnd:

„Ihr seid doch unverbesserlich, alter Wabble! Soeben erst habt Ihr davon gesprochen, dem Monde eine Ohrfeige geben zu wollen, wenn es Mr. Shatterhand für möglich hält, und jetzt ist das, was er will, Euch schon wieder nicht recht!“

Well, ich sage kein Wort mehr, kein einziges!“

„Ich stimme Mr. Shatterhand vollständig bei. Ob dieser Umweg groß ist oder nicht, wir müssen ihn machen. Merkt Ihr denn nicht, daß Mr. Shatterhand auf diese Weise zwei Fliegen mit einem Schlage treffen will?“

„Zwei Fliegen? Die erste?“

„Daß unsre Spur nicht gesehen wird.“

Well! Und die zweite?“

„Nale-Masiuv.“

„Nale-Masiuv? Der soll eine Fliege sein? Wieso?“

„Heut ist doch der dritte Tag!“

„Ach richtig! Von dem Abende am blauen Wasser an ist es der dritte Tag, an welchem Nale-Masiuv mit seinen hundert Roten kommen soll! Wollen wir nach ihm spüren?“

„Ja,“ antwortete ich. „Es ist uns von Vorteil, zu erfahren, ob er schon da ist oder nicht.“

„Wieso, Sir?“

„Weil ich annehmen mußte, daß die Roten bald nach seiner Ankunft nach dem Llano estacado aufbrechen werden; wir können uns dann darnach richten. Wir haben uns von jetzt an also mehr nach rechts hinüber zu halten. Kommt, wir wollen fort, Mesch’schurs!“

„Mesch’schurs!“ wiederholte der Neger. „Haben Massa Shatterhand auch Masser Bob mit meinen?“

„Natürlich, ja.“

„So sein Masser Bob auch mit Mesch’schurs?“

„Versteht sich, lieber Bob!“

„Oh – oh – oh – – Bob auch mit Mesch’schurs! Schwarzer Bob sein also grad so Gentleman wie weißer Gentleman! Er sich sehr darüber freuen und nun zeigen, daß er grad so tapfer und mutig, wie weiße Jäger. Leider aber er nun haben kein Gewehr, um totschießen rote Indianer!“

„Du wirst eins bekommen. Wir haben am kleinen Walde mehrere erbeutet; davon suche ich dir eines heraus. Was dir sonst noch fehlt, ein Messer und dergleichen, das bekommst du auch.“

Als ich jetzt mein Pferd streichelte, litt es das ruhig, ohne ein Zeichen der Abneigung sehen zu lassen. ich untersuchte die Hufe; es gab sie so ruhig her wie ein Bauernpferd, welches stets im Stalle gestanden hat und mit seinem Herrn auf vertrautem Fuße steht. Als ich aufgestiegen war, blieb es stehen; kurz, es verhielt sich genau so wie ein Pferd, welches man mit dem bekannten Ausdrucke als militärfromm bezeichnet. Es hatte mich als seinen Meister anerkannt. Old Wabble schüttelte vor Verwunderung darüber den Kopf, sagte aber nichts.

Da es auch vor den andern und ihren Pferden nicht mehr scheute, brauchte ich mich nicht mehr von ihnen abzusondern; wir konnten also zusammenhalten und thaten dies, indem bald dieser und bald jener eines seiner Erlebnisse zum besten gab. Auch Old Surehand erzählte einige seiner Abenteuer. Er hatte dabei eine eigene, kurze, prägnante Weise, welche den Gedanken, daß er nach unserm Lobe strebe, gar nicht aufkommen ließ. Das, was wir aus seinem Munde hörten, waren mehr Berichte als Erzählungen. Old Wabble fand dabei einigemal Gelegenheit, Fragen auszusprechen, bei deren Beantwortung der Erzähler eigentlich gar nicht umgehen konnte, über seine Herkunft und seine Verhältnisse Auskunft zu erteilen, und das war jedenfalls auch der Zweck des Alten; aber Old Surehand wußte sehr klug auszuweichen, und ich hörte und merkte es ihm an, daß es nicht in seiner Absicht lag, sich auch nur zu einer Andeutung bewegen zu lassen. Über sein Leben und seine Erfahrungen im wilden Westen sprach er; weiteres aber konnte der Alte nicht erfahren. Ich meinerseits hütete mich, eine Frage auszusprechen, die mich ihm hätte als neugierig erscheinen lassen können.

In dieser Weise verging der Vormittag, und ein großer Teil des Nachmittags, und es war gegen Abend, als wir den Rio Pecos an einer Stelle erreichten, welche vielleicht eine englische Meile oberhalb der Mündung des blauen Wassers lag. Wir schwammen hinüber, denn die Umgehung des blauen Wassers konnte nur auf der jenseitigen, der rechten Seite des Flusses geschehen.

Drüben angekommen, stießen wir auf eine Fährte, welche in der Nähe des Wassers abwärts führte.

„Hallo!“ meinte Old Wabble. „Da sehen wir ja gleich, daß Nale-Masiuv mit seinen Roten schon angekommen ist!“

Old Surehand warf nur einen kurzen Blick auf die Spuren und entgegnete dann:

„Das ist er nicht gewesen.“

„Nicht? Wieso?“

„Wieviel Rote sollte er bringen?“

„Hundert.“

„Ist das die Fährte von hundert Reitern?“

„Nein; das gebe ich zu. Wenn er es nicht gewesen ist, so möchte ich wissen, wer – – – hm! Sollte es nur ein Vortrab von seiner Schar gewesen sein?“

„Möglich.“

„Da kommen die andern nach und entdecken unsre Spuren. Was ist da zu thun? Wir dürfen uns nicht verraten.“

„Was zu thun ist, mag Mr. Shatterhand bestimmen.“

Ich bog mich vom Pferde herab, um die Eindrücke der Hufe genau zu betrachten, und sagte dann:

„Das sind ungefähr zwanzig Reiter gewesen, welche sich sehr sicher gefühlt haben müssen, denn sie sind nicht im Gänsemarsche geritten. Die Spur ist wenigstens vier Stunden alt; wer hinter uns her kommt und ein gutes Auge hat, kann die unsrige also sehr leicht von ihr unterscheiden; aber der Abend ist nahe, der diese Unterscheidung unmöglich macht. Wollen ihr getrost folgen; ich muß sie besser kennen lernen.“

Wir lenkten in die Fährte ein und kamen bald an eine Stelle, wo die Reiter angehalten hatten; sie wurde an der vom Flusse abgewendeten Seite von Büschen begrenzt, in denen es eine schmale Lücke gab.

„Ja, es sind ungefähr zwanzig Reiter gewesen,“ wiederholte ich; „weiter ist nichts herauszufinden.“

„Also ein Vortrab?“ fragte Old Wabble.

„Das möchte ich bezweifeln.“

„Warum?“

„Weshalb sollte Nale-Masiuv seine Schar geteilt und eine Vorhut vorausgesandt haben? Das thut man nur vor dem Kampfe oder wenn man sich in einer sehr unsichern Gegend befindet. An einen Kampf war nicht zu denken, und unsicher haben sich diese Leute nicht gefühlt, sonst wären sie in ganz andrer Weise geritten. Wir haben es also nicht mit einem Vortrab zu thun, sondern mit einem ganz selbständigen Trupp. Nale-Masiuvs Leute sind es nicht gewesen.“

„Hm! Ich denke da an den jungen Häuptling Schiba-bigk, meinen Bekannten, der ja auch nach dem blauen Wasser kommen muß, wenn er mit Vupa Umugi nach dem Llano-estacado will; er soll den Führer machen. Vielleicht ist er es gewesen.“

„Das ist sehr leicht möglich, Sir. Was thun wir nun? Folgen wir dieser Fährte?“

„Das hat keinen Zweck und würde uns nur in Gefahr bringen können.“

„Aber wir müssen doch stromabwärts gehen, um wieder an das andre Ufer zu kommen.“

„Ja, aber nicht so nahe am Wasser hin, wo wir jeden Augenblick auf Rote treffen können. Wir reiten einen Bogen, und zwar so, daß wir die Furt erst dann erreichen, wenn es dunkel ist und wir nicht gesehen werden können.“

„Das ist klug und zugleich gefährlich.“

„Wieso gefährlich?“

„Wenn noch vor der Dunkelheit Indsmen hinter uns herkommen, sehen sie die Stelle, wo wir diese Fährte verlassen haben; unsre Spur muß ihnen auffallen; sie folgen uns, und wir sind verraten.“

„Wenn wir es dumm anfangen, ja. Wir müssen eben da abweichen, wo es nicht bemerkt werden kann.“

„Wo wäre das?“

„Hier.“

„Hier? Ah!“

„Ja, hier. Meint Ihr nicht, daß diese Lücke im Gebüsch die beste Gelegenheit dazu bietet?“

„Ob Lücke oder nicht, sie werden doch bemerken, daß eine Fährte abseits führt.“

„Nein, wenn wir es richtig machen. Wir reiten nicht langsam hinein, sondern im Sprunge. Daß unsre Pferde hier zum Sprunge angesetzt haben, können sie nicht sehen, weil diese Stelle von Spuren ganz bedeckt und niedergetreten ist. Unsre Pferde fassen jenseits der Lücke wieder Fuß, wodurch allerdings Hufeindrücke erzeugt werden, die aber von hier aus nicht gesehen werden können, weil die Lücke schmal ist und die Zweige unten ineinander gehen. Wir müssen hoch springen und uns dabei hüten, Blätter abzustreifen oder gar Äste abzubrechen.“

Well, das geht, Mr. Shatterhand! Wer springt zuerst?“

„Ich. Kommt ihr mir einzeln nach, und macht es genau wie ich!“

Ich nahm mein Pferd hoch, gab ihm die Hilfe und flog in einem weiten Bogen zwischen den Büschen hindurch, wo ich natürlich nicht halten blieb, sondern für die andern Platz machte. Sie kamen ebenso gut hinüber wie ich, und dann durchquerten wir den hier schmalen Waldessaum des Flusses, bis wir hinaus auf das offene Terrain kamen. Da ritten wir in gerader, rechtwinkelig vom Flusse wegführender Linie weiter, bis wir so weit von ihm entfernt waren, daß wir von dort aus nicht gesehen werden konnten. Von hier aus schlugen wir die parallele Richtung ein und lenkten, als wir weit genug abwärts gekommen waren, wieder nach dem Pecos zurück. An sein Ufer zurückgekehrt, mochten wir uns ungefähr eine halbe englische Meile unterhalb der Furt befinden und waren also gezwungen, uns rückwärts zu wenden. Dabei war große Vorsicht erforderlich, denn es war inzwischen dunkel geworden und die Situation überhaupt nicht ganz geheuer. Infolge des Zuzuges, den Vupa Umugi erwartete, mußte man grad an der Furt stets auf Begegnungen gefaßt sein. Wir stiegen also ab und gingen zu Fuße, indem wir die Pferde führten und uns bemühten, so wenig Geräusch wie möglich zu verursachen.

Es zeigte sich gar bald, daß diese Behutsamheit gar nicht überflüssig war, denn wir bemerkten, noch ehe wir die Furt erreicht hatten, einen brenzlichen Geruch. Es gab ein Feuer in der Nähe; wir blieben also stehen. Es galt natürlich, zu erfahren, wer das Feuer angebrannt hatte; das wollte ich mit Old Surehand thun. Wir übergaben also Old Wabble und Bob unsre Pferde und Gewehre und schlichen uns weiter. Der Geruch wurde mit jedem Schritte stärker, und als wir nur noch eine kurze Strecke bis zur Furt hatten, sahen wir das Feuer. Es brannte in der Nähe des Wassers. Wer sich dort befand, das konnten wir nicht sehen, weil Büsche dazwischen lagen.

Wir huschten mit Anwendung aller Vorsicht weiter und weiter, bis wir dieses Gebüsch erreicht hatten. Es lag ungefähr zwölf Schritte von dem Feuer entfernt, an welchem zwei Indianer einander gegenüber saßen, die Gesichter einander zugekehrt, so daß wir beide im Profile sehen konnten. Es waren Comantschen. Was wollten sie hier an der Furt? Wozu hatten sie dieses Feuer? Das waren die zwei Fragen, die wir uns natürlich vorlegen mußten. Die Beantwortung konnte uns nicht schwer fallen.

Old Surehand hatte dieselben Gedanken wie ich. Er gab ihnen Ausdruck, indem er mir zuflüsterte:

„Nale-Masiuv ist noch nicht da. Ihr habt also mit Euern ‚Vermutungen recht gehabt, Sir.“

„Ja; sie warten auf ihn und haben diese Wachen hier ausgestellt, die ihn empfangen sollen.“

„Warum sie das für nötig gehalten haben?“

„Das ist sehr einfach. Nale-Masiuv ist von einem andern Stamme als Vupa Umugi und hat seine Weideplätze entfernter von hier. Darum kennt er die Furt nicht, und diese beiden sollen sie ihm zeigen, wenn er kommt.“

„Das trifft jedenfalls zu. Wie gut, daß wir erst am Abende hierherkamen!“

„Ja; am Tage hätten sie uns wahrscheinlich bemerkt, denn da waren sie jedenfalls auch schon da. Nun hat uns der Geruch ihres Feuers vor Entdeckung bewahrt.“

„Das wäre schlimm gewesen, denn wenn es auch ganz unmöglich gewesen wäre, daß sie uns hätten fassen können, so wüßten sie doch nun, daß wir noch immer hier sind, während sie das Gegenteil dachten.“

„Dieses Feuer ist allerdings ein Beweis, daß sie überzeugt sind, wir seien über alle Berge. Wenn sie uns noch hier in der Gegend glaubten, würden sie sich hüten, eins anzuzünden. Dumme Kerls, sie werden doch nie klug!“

„Sie dürfen sich nicht darüber beschweren, daß sie keine Gelegenheit gehabt hätten, gescheit zu werden. Ihr habt ihnen genug gute Lehren erteilt. Bleiben wir hier?“

„Ich möchte.“

„Ich auch. Jetzt sitzen sie zwar stumm wie Ölgötzen da, aber es ist doch möglich, daß sie miteinander reden.“

„Wenn sie das thun, werden wir etwas erfahren.“

„Wichtiges?“

„Wenn nicht grad das, so doch wenigstens etwas, was uns interessiert. Der eine rechts ist nämlich ein hervorragender Krieger.“

„Kennt Ihr ihn?“

„Ja. Als ich sie da drüben am blauen Wasser belauschte, saß er mit bei dem Häuptlinge und nahm neben dem Alten mit am Gespräch teil. Wenn sie reden, dann doch wahrscheinlich von ihrem kriegerischen Vorhaben. Horcht!“

Der Rote, von dem wir sprachen, hatte ein Wort gesagt, aber so kurz und unterdrückt, daß es nicht zu verstehen gewesen war. Der andere antwortete, aber auch für uns unverständlich. So fielen eine Zeitlang einzelne Worte hin und her, ohne daß wir wußten, wen oder was sie betrafen. Da legten wir die Ohren auf die Erde, um besser verstehen zu können.

Kaum hatten wir das gethan, so stieß Old Surehand mich mit dem Ellbogen bedeutungsvoll an. Ich wußte sogleich, was er meinte, denn ich hatte das Geräusch, auf welches er mich aufmerksam machen wollte, auch gehört. Wir kannten es beide genau; es war das dumpfe Hufstampfen von Pferden auf weichem Grunde, wobei an eine Wurzel oder sonst etwas Festes gestoßen wird.

„Waren das etwa unsre Pferde?“ fragte Old Surehand.

„Nein. Der Schall kam abwärts.“

„Da handelt es sich um Rote, die da kommen.“

„Jedenfalls.“

„Auch Comantschen, sonst würden sie sich sehr in acht nehmen und ihre Pferde besser führen.“

„Comantschen sind es; aber sie wissen nicht, daß hier auch Rote sitzen.“

„Sollten sie das Feuer nicht sehen?“

„Nein. Der Schall läßt auf eine Entfernung von wenigstens achtzig Schritten schließen, und nach oben hin stehen dichte Sträucher, welche das Feuer verdecken.“

„Aber riechen müssen sie es doch!“

„Nein, denn der Wind kommt von oben und weht den Rauch und also auch den Geruch abwärts.“

„Bin neugierig, wer es ist!“

„Ich auch. Sobald sie das Feuer entdecken, werden sie die Pferde anhalten, um abzusteigen und herbei zu schleichen. Dann erfahren wir jedenfalls etwas.“

Wir warteten. Das dumpfe Geräusch wiederholte sich noch zweimal. Die beiden Comantschen am Feuer hörten es nicht, weil sie nicht, so wie wir, mit den Ohren auf der Erde lagen. Dann war es still. Es verging eine Weile. Die Kommenden waren aufmerksam geworden und hatten sich jedenfalls leise herbei gemacht. Da raschelte es plötzlich im gegenüberliegenden Gebüsch, und ein lautes Hiiiiiiih! erschallte. Die beiden Wächter sprangen erschrocken auf. Schon machten sie Miene, sich in die Sträucher zu verbergen, hinter denen wir steckten; wir sprangen auch schon auf, um schleunigst zu retirieren; da ertönte von jenseits der laute, fragende Ruf.

„Vupa, Vupa?“

Infolgedessen blieben die Wächter stehen, und der eine von ihnen antwortete:

„Umugi, Umugi!“

Sie setzten sich wieder nieder; sie waren beruhigt, denn dieser Zuruf hatte sie überzeugt, daß die, die kamen, keine Feinde waren. Vupa – – – Umugi, das war ein Erkennungszeichen, welches verabredet worden war. Man sieht, daß die Roten von den Weißen den Gebrauch des Feldgeschreis gelernt und sich angeeignet haben.

Es verging einige Zeit, dann kamen zwei Reiter von oben herab. Sie hatten ihre zurückgelassenen Pferde geholt und stiegen am Feuer ab. Wir beide hatten uns natürlich wieder niedergelegt. Die Ankömmlinge setzten sich zu den Wächtern, ohne zunächst ein Wort zu sagen; das ist so Indianersitte. Erst als ungefähr fünf Minuten vergangen waren, begann der, den ich als hervorragenden Krieger bezeichnet hatte und der die Unterhaltung führte, während sein Gefährte schwieg:

„Meine roten Brüder sind erwartet worden. Vupa Umugi harret voller Ungeduld.“

„Darf ein Krieger ungeduldig werden?“ fragte einer der Gekommenen.

„Er darf es nicht zeigen; aber er darf es sein. Habe ich gesagt, daß er es gezeigt habe?“

„Das hat mein Bruder nicht gesagt.“

„Wir haben schon am Nachmittage gewartet. Nun kommt ihr als Vorhut. Wann wird Nale-Masiuv nachfolgen?“

„Er folgt heute nicht nach.“

„Uff!“

„Wir kommen nicht als Vorhut, sondern als seine Boten. Wo ist Vupa Umugi, mit dem wir sprechen sollen?“

„Er lagert am blauen Wasser.“

„Führe uns zu ihm!“

„Wir können noch warten. Meine Brüder wissen, daß ich das Ohr und das Vertrauen des Häuptlings besitze. Wenn sie nicht zornig empfangen werden wollen, mögen sie mir ihre Botschaft sagen, damit ich den Häuptling vorbereite.“

Die beiden Boten sahen einander fragend an, und dann antwortete der Sprecher:

„Ja, wir wissen, daß du der Mund und das Ohr des Häuptlings Vupa Umugi bist; darum sollst du erfahren, was du hören Willst, obgleich wir den Befehl erhielten, nur mit dem Häuptling zu sprechen. Nale-Masiuv kann mit seinen hundert Kriegern heut nicht kommen.“

„Uff! Warum?“

„Weil er von Bleichgesichtern aufgehalten wurde, mit denen er kämpfen mußte.“

„Giebt es Bleichgesichter in der Nähe?“

„In der Nähe nicht; aber jenseits des Mistake-Cañons stießen wir plötzlich auf Soldaten der Bleichgesichter, welche über uns herfielen. Es waren ihrer so viele, daß wir fliehen mußten, wobei viele unsrer Krieger verwundet oder gar getötet wurden. Die Bleichgesichter verfolgten und zerstreuten uns, und als es Abend wurde, hatten sich nur fünfzig Krieger bei dem Häuptlinge eingefunden.“

„Uff, uff, uff! Was wird Vupa Umugi sagen! Vielleicht verschiebt er den Zug nach dem Llano estacado und zieht nach dem Mistake-Cañon, um euch zu rächen!“

„Das soll er nicht! Nale-Masiuv, unser Häuptling, hat uns befohlen, ihm dies zu sagen. Die Bleichgesichter, mit denen wir kämpften, sind keine Westmänner, sondern Soldaten. Wenn wir sie besiegen, und es kommt auch nur einer nach seinem Fort zurück, so werden hundert und wieder hundert neue Soldaten gesandt, um die Gefallenen zu rächen. Ja, unsre Toten sollen gerächt werden, aber so, daß kein Soldat heimkehrt, sondern alle, alle sterben müssen.“

„Hat Nale-Masiuv einen Plan ersonnen, wie das geschehen soll?“

„Ja.“

„Kennst du ihn?“

„Ja; ich soll ihn Vupa Umugi mitteilen.“

„Darf ich ihn hören?“

„Ihr alle müßt ihn erfahren; warum sollte ich ihn dir da nicht sagen dürfen?“

„So steht mein Ohr mit Spannung offen, dich zu hören.“

„Die Soldaten der Bleichgesichter müssen nach dem öden Llano estacado gelockt werden, um dort zu verschmachten.“

„Uff, uff, uff! Das ist ein Gedanke, der den Beifall unsres Häuptlings sofort haben wird. Diese weißen Hunde müssen alle untergehen, und keiner darf zurückkehren, um erzählen zu können, was geschehen ist.“

„Mein roter Bruder hat recht. Darum darf der Zug nach dem Llano nicht verschoben werden, sondern muß schnell unternommen werden, denn wenn wir die Bleichgesichter in den Tod locken, und nicht selbst verschmachten wollen, brauchen wir das Wasser, an welchem der Bloody-Fox wohnt. Dieses müssen wir haben, ehe wir die Soldaten nach dem Llano estacado führen können.“

„Wie sollen sie dorthin gelockt werden?“

„Ist der junge Häuptling Schiba-bigk schon hier bei meinen roten Brüdern eingetroffen?“

„Er kam am Nachmittage mit zwanzig Mann.“

„Er kennt den Weg nach dem Wasser der Wüste und wird von Vupa Umugi so viele Krieger erhalten, wie nötig sind, sich in den Besitz des Wassers zu setzen und den blutigen Fuchs zu fangen. Während er das thut, wartet Vupa Umugi hier so lange, bis Nale-Masiuv kommt, um zu ihm zu stoßen.“

„Wann wird das geschehen?“

„Er hat, als wir uns nach dem Kampfe sammelten, sofort zwei Boten heimgesandt, die noch hundert Krieger holen müssen, welche im Rücken der weißen Soldaten bleiben sollen, ohne sich von ihnen sehen zu lassen, bis die Bleichgesichter sich in der Wüste befinden. Jetzt wartet er einen Tag, um die versprengten Krieger zu sammeln, und greift die Soldaten dann an; er wird aber nicht kämpfen, sondern sich zurückziehen bis hierher an das blaue Wasser, wo er seine wenigen Leute mit euern hundertfünfzig Kriegern vereinigt. Die Bleichgesichter werden folgen. Kommen sie hier an, so sind wir schon fort. Wir lassen uns stets sehen, aber sobald wir angegriffen werden sollen, weichen wir zurück, bis wir die weißen Hunde in der Wüste haben. Da sind wir ihnen voraus, und die hundert Krieger, nach denen Nale-Masiuv gesandt hat, kommen hinter ihnen her; sie werden also eingeschlossen sein. Auch wenn sie uns dann angreifen wollen, werden wir nicht kämpfen, sondern immer weiter in die Wüste zurückweichen, denn wir haben Wasser, sie aber keines; sie werden also verschmachten und sterben müssen bis auf den letzten Mann, während wir keinen der Unsrigen verlieren.“

„Uff, uff! Dieser Plan ist gut, sehr gut!“

„Denkt mein roter Bruder, daß Vupa Umugi auf denselben eingehen wird?“

„Er wird ja sagen; ich weiß es genau. Und wenn er dagegen wäre, würde ich ihn überreden. Die Versammlung der Ältesten ist ganz gewiß auf meiner Seite.“

„So wollen wir sofort nach dem Blauen Wasser, damit ich mit dem Häuptlinge sprechen kann, denn ich muß mich beeilen, Nale-Masiuv die Antwort zu bringen.“

„Mein Bruder warte noch eine kleine Weile! Der Plan ist sehr gut; er wird zum vollständigen Verderben der Bleichgesichter führen; aber er hat eine Lücke.“

„Welche?“

„Schiba-bigk, der die Wüste kennt, soll mit einer Schar vorausreiten und sich in den Besitz des Wassers setzen. Wenn wir dann kommen, wie finden wir den Ort, wo das Wasser ist?“

„Er wird zurückkehren und uns den Weg zeigen.“

„Wird er das können? Wird er Zeit dazu haben? Wird er durch nichts verhindert werden?“

„Auch daran hat Nale-Masiuv gedacht. Als die drei Häuptlinge den Zug nach dem Llano besprachen, hat Schiba-bigk gesagt, daß es an der letzten Höhe vor dem Beginne der Wüste ein Wasser gebe, welches Suks-ma-lestavi heißt. Mehrere von den Kriegern der Comantschen sind an diesem Orte gewesen; sie kennen ihn und werden ihn sehr leicht finden – –“

„Suks-ma-lestavi? Diese Stelle weiß ich auch, denn ich bin einigemale dort gewesen.“

„Das ist gut. Weil dieser Ort an dem Wege liegt, den Schiba-bigk zu nehmen hat, wird er dort die Vorbereitungen treffen, welche nötig sind, wenn wir von dort aus auf alle Fälle den Weg nach dem Wasser finden sollen. Es giebt viele Büsche und junge Bäume dort; er wird viele Stangen schneiden und sie von da aus in den Sand der Wüste bis nach dem Wasser stecken.“

„Uff! So wie es die Bleichgesichter thun, wenn sie durch die Wüste reiten und den Weg nicht verlieren wollen!“

„Ja, so! Wenn wir dann nach dem Suks-ma-lestavi kommen und Schiba-bigk uns nicht dort erwarten kann, so finden wir die Stangen, welche uns den Weg weisen.“

„Und die Bleichgesichter kommen hinter euch her und finden das Wasser dann auch!“

„Nein! Hat mein Bruder einmal von den weißen Räubern gehört, welche Stakemen genannt werden?“

„Ja.“

„Weiß mein Bruder auch, was diese Leute thun, um die Reisenden in den Tod zu führen?“

„Sie ziehen die Stangen heraus und setzen sie anders.“

„Können die roten Krieger nicht auch thun, was die Bleichgesichter machen?“

„Uff! Das ist wahr!“

„Wir ziehen hinter uns die Stangen heraus und stecken sie nach einer Richtung ein, wo es kein Wasser giebt und wo die Soldaten verschmachten müssen. Hat mein roter Bruder noch eine Frage oder ein Bedenken?“

„Nein.“

„Das ist es, was ich Vupa Umugi, dem Häuptlinge zu sagen habe. Wenn er auf diesen Plan eingeht, wird nicht nur das Wasser in der Wüste den Comantschen für immer gehören, sondern wir werden den blutigen Fuchs fangen und die weißen Soldaten verderben.“

„Er wird ganz gewiß thun, was ihm Nale-Masiuv durch dich vorschlagen läßt. Ich habe es gesagt. Howgh!“

„So wollen wir nun nach dem blauen Wasser reiten, denn wir haben keine Zeit. Wir müssen sofort wieder zurückkehren, weil Nale-Masiuv auf uns wartet.“

„Und wir können hier das Feuer auslöschen, denn weil eure Krieger nicht kommen, brauchen wir nicht auf sie zu warten. Wir werden euch durch die Furt führen.“

Sie traten das Feuer aus und entfernten sich dann, um in den Fluß zu gehen, die beiden Boten zu Pferde, und die beiden Wächter zu Fuß.

Als sie fort waren, standen wir auf und sahen einander an, obgleich wir in der Dunkelheit unsre Gesichter nicht erkennen konnten. Das, was wir gehört hatten, war von größter Wichtigkeit.

„Da möchte man wie ein Indianer Uff, uff, uff! ausrufen, meinte Old Surehand.

„Nun, habe ich nicht gesagt, daß wir hier etwas hören würden, Sir?“

„Und was! So ein Plan!“

„Ich bin da oben im Lager der Truppen gewesen. Also von ihnen ist Nale-Masiuv angefallen worden! Der Anführer hat mir zwar nicht gefallen; er war ein arroganter Kerl, der eigentlich eine Demütigung verdiente; aber das, was diese Roten mit ihm vorhaben, können wir unmöglich geschehen lassen.“

„Habt Ihr mit ihm gesprochen?“

„Ja.“

„Kannte er Euch?“

„Nein.“

„Und Ihr habt ihm auch nicht gesagt, wer Ihr seid?“

„Ist mir nicht eingefallen.“

„Dann will ich seine Arroganz begreifen, sonst aber möchte ich den Menschen, und wenn es ein hoher Offizier wäre, sehen, der sich gegen Old Shatterhand anmaßend benehmen dürfte, ohne in die Käse zu fliegen, wie Ihr Euch da kürzlich ausdrücktet! Was aber sagt Ihr zu dem Plane, den dieser Nale-Masiuv ausgeheckt hat?“

„Meisterhaft ist er nicht.“

„Ganz meine Meinung; aber so ein Kavallerieoffizier ist kein Westmann; ich halte es für möglich, daß er sich nach dem Llano locken läßt.“

„Und ich bin sogar überzeugt davon. Wenn ich den Plan nicht für meisterhaft halte, so will ich damit nicht etwa sagen, daß er nichts tauge; o nein, ich meine nur, daß zum Beispiele wir beide ihn ganz anders gestaltet hätten. Dennoch werden die Weißen in die Falle gehen.“

„Wenn Vupa Umugi mit Nale-Masiuv einverstanden ist!“

„Das ist er, das ist er ganz bestimmt.“

„Eigentlich sollten wir uns nach dem blauen Wasser, schleichen, um zu beobachten oder gar zu hören, was beschlossen wird. Meint Ihr nicht?“

„Dieser Gedanke liegt sehr nahe; aber wir werden ihn aus zweierlei Gründen nicht ausführen, von der Gefahr, die wir dabei laufen würden, ganz abgesehen.“

„Und diese Gründe?“

„Erstens nehme ich als für ganz sicher an, daß Vupa Umugi zustimmt, also brauchen wir nicht zu lauschen, und zweitens haben wir keine Zeit dazu. Ich bin überzeugt, daß Schiba-bigk morgen früh oder gar noch während dieser Nacht nach dem Suks-ma-lestavi aufbricht, und da wir ihm zuvorkommen müssen, haben wir keine Zeit zu verlieren. Wir müssen schnell nach dem Nargoleteh-tsil, um zu sehen, ob unsre Apatschen schon dort angekommen sind. Wenn sie da sind, lassen wir unsre Pferde nur kurze Zeit ausruhen und reiten noch vor Anbruch des Morgens nach dem Llano.“

„Ist Euch die Stelle bekannt, welche von den Comantschen Suks-ma-lestavi genannt wurde?“

„Sehr genau sogar. Ich habe da stets Lager gemacht, wenn ich den Bloody-Fox besuchte oder von ihm kam. In der Sprache der Apatschen lautet der Name Gutesnontinkhai, was ganz dasselbe, nämlich hundert Bäume, bedeutet.“

„Diesem Namen nach scheint es dort Wald zu geben?“

„Wald im eigentlichen Sinne nicht. Nur in Anbetracht der Lage am Wüstenrande ist dieser Name gerechtfertigt. Eigentliche Bäume giebt es wenig. Man findet lichtes Buschwerk und dürres, hoch aufgeschossenes Langholz, welches sich allerdings sehr gut zu den Pfählen eignet, die Schiba-bigk dort schneiden soll. Jetzt wollen wir zu den Gefährten zurück. Wir müssen über den Fluß, so lange die Furt frei und unbeobachtet ist. Kommt!“

„Das hat eine halbe Ewigkeit gedauert,“ empfing uns Old Wabble, als wir bei ihm ankamen. „Hätte sich Eure Abwesenheit verlängert, so wäre ich nachgekommen.“

„Um uns in Gefahr zu bringen!“ antwortete ich. „Das ist es ja, was ich Euch abgewöhnen möchte. Ich bin überzeugt, daß Euch dieser Fehler, den Ihr nicht lassen zu können scheint, noch einmal ins Verderben führt!“

„Old Wabble insVerderben? Der denkt gar nicht daran!“

Ja, er glaubte es nicht, er war trotz seines hohen Alters noch der leichtblütige, unbesorgte Cowboy von früher. Hätte er mir doch geglaubt! Die Worte, welche ich ihm gesagt hatte, waren eine Weissagung, welche leider später wörtlich in Erfüllung ging.

Wir setzten über die Furt, ritten langsam durch den schmalen Waldstreifen des Flußufers und konnten dann unsre Pferde ausgreifen lassen, weil die Sterne uns das dazu nötige Licht spendeten. Dieser günstige Umstand erlaubte mir auch, eine so schnurgerade Linie einzuhalten, daß wir, als wir den Regenberg erreichten, gewiß nicht zwei Minuten umgeritten waren. Es war um Mitternacht, als wir die nicht bedeutenden zwei Höhen des Berges vor uns auftauchen sahen.

Der Fuß des Berges war mit Gebüsch umsäumt. Als wir an demselben hinritten, hörten wir den Apatschenruf erschallen:

„Ti arku – Wer da?“

„Old Shatterhand,“ antwortete ich.

„Owan ustah arhonda – kommt hierher!“

Wir lenkten hin. Es trat ein Roter auf uns zu, der ganz nahe zu mir herankam, um mich zu betrachten.

„Ja, das ist Old Shatterhand, der große Häuptling der Apatschen,“ sagte er. „Wir haben an verschiedenen Seiten dieses Berges Posten ausgestellt, um auf Euch zu warten.“

„Sind die Krieger der Apatschen angekommen?“

„Ja, dreimal hundert an der Zahl.“

„Mit Proviant?“

„Fleisch und Mehl für mehrere Wochen.“

„Wer ist der Anführer?“

Entschar-Ko, welcher der Liebling Winnetous ist, wie mein großer Bruder Old Shatterhand weiß.“

„Ist Langes Messer mit zwei Bleichgesichtern bei euch hier eingetroffen?“

„Sie sind hier angekommen und haben von den Thaten Old Shatterhands erzählt. Meine Brüder mögen mir folgen.“

Er führte uns ein Stück in das flache Thal hinein, welches sich zwischen den beiden Bergeshälften aufwärts zog, und bald langten wir im Lager der Apatschen an.

Entschar-Ko war nicht nur der Liebling Winnetous, sondern auch der meinige. Wir begrüßten uns mit großer und aufrichtiger Herzlichkeit, und er erklärte mir, daß er sich und seine Schar unter meinen Befehl stelle. Parker und Hawley kamen natürlich auch herbei, um uns die Hände zu drücken. Wir erzählten ihnen in kurzen Worten, wie uns die Befreiung Bobs gelungen war. Sie hatten Sorge um uns gehabt; um so größer war nun ihre Freude.

Eine Beratung brauchte nicht gehalten zu werden. Ich wollte nach dem Llano, das genügte. Ich teilte Entschar-Ko mit, wie die Verhältnisse lagen, und da wir schlafen mußten, übernahm er es, die notwendigen Vorbereitungen so zu treffen, daß wir nach unserm Erwachen sofort aufbrechen konnten.

Am nächsten Morgen, als die Sonne aufging, waren wir schon fern von dem Regenberge, und unser Zug bewegte sich mit hinreichender Schnelligkeit über die Ebene, die nach dem schon mehrerwähnten Höhenzuge führt, von dem hinab man nach dem Llano steigt. Zwischen seinen östlichen Ausläufern giebt es jene fließenden Wasser, welche später im Sande versickern und wahrscheinlich dann sich in dem See sammelten, an dem Bloody-Fox seine geheimnisvolle Heimstätte aufgeschlagen hatte.

Old Surehand freute sich über unsre Apatschen. Er bemerkte, daß sie fast militärisch geschult waren. Eines so vortrefflich eingerichteten Proviantwesens wie sie konnte sich wohl kein andrer Indianerstamm rühmen, und als ich ihm während des Rittes erzählte und erklärte, welche Mühe sich Winnetou gegeben und welche Umsicht er aufgewendet hatte, um aus seinen Mescaleros eine Elitetruppe zu machen, wuchs die Hochachtung, welche er bisher vor diesem Häuptlinge empfunden hatte, noch weit mehr. Es waren sogar aus Gazellenhäuten angefertigte Wasserschläuche vorhanden, damit die Krieger nicht zu dürsten brauchten.

Am Nachmittage überstiegen wir die erwähnten Höhen. Ich führte den Trupp nach einem mir bekannten Thale, in dem wir ausruhten. Es gab da ein kleines, freilich sehr dünn fließendes Wässerchen, welches aber trotzdem hinreichte, unsre Schläuche zu füllen. Dann ging es in den Llano estacado hinab, in dessen leichtem, weiß-gelbem Sand wir nordostwärts ritten. Dieses Thal lag ungefähr einen Viertelstagesritt südlich von den hundert Bäumen, wohin die Comantschen kommen wollten.

Als die Sonne sank, machten wir mitten in der Wüste Halt. Sie lag rund um uns als eine durch nichts unterbrochene Sandebene, deren Horizont, eine wie mit dem Zirkel gezogene Kreislinie – bildete ein riesengroßes, mit Gries und Zucker bestreutes, rundes Kuchenblech; eigentlich ein sehr kühner Vergleich, wenn es sich um den öden, dürren, unfruchtbaren Estacado handelt!

Wir stellten, obgleich wir gar nichts zu fürchten brauchten, Wachen aus und legten uns dann schlafen, nachdem die Pferde Wasser und Maiskolben bekommen hatten, von denen eine ansehnliche Menge mitgebracht worden war. Der Schlaf in der kühlen Wüstennacht that uns außerordentlich wohl, und wir waren zum Weitermarsche gestärkt, als wir am Morgen erwachten.

Der heutige Weg führte uns zuweilen an dürren Kaktusstrecken vorüber, vor denen wir unsre Pferde hüten mußten, damit sie sich nicht an den Füßen verwundeten. Diese Kaktusflächen treten einander oft nahe und schieben sich da oft so ineinander, daß man zu bedeutenden Wendungen und Umwegen gezwungen ist und sich nur schwer zwischen ihnen hindurchwinden kann. Wer ihre Lage, Ausdehnung und Beschaffenheit nicht kennt, der kann so in die Irre geraten, daß er sich nicht wieder herausfinden kann und, wenn er keinen Proviant und kein Wasser bei sich führt, verloren ist.

Am Nachmittage war es glühend heiß. Die Sonne brannte förmlich hernieder, und es wehte ein Backofenwind, welcher die Luft mit dichtem Sandstaub erfüllte. Ich hatte einen sehr schweren Posten, denn ich war der einzige, der den Weg kannte, und also für unser Wohlergehen verantwortlich. Der Blick konnte die dicke Atmosphäre kaum durchdringen, und obgleich ich überzeugt war, die grade Richtung eingehalten zu haben, gab es doch verschiedenes, was geeignet war, mich irre zu machen. Zwar war der Neger bei mir, aber, die geistigen Schwächen seiner Rasse überhaupt nicht gerechnet, war er stets nur mit Bloody-Fox durch die Wüste geritten, hatte sich auf diesen verlassen und konnte mir also nicht die geringste Auskunft geben. Es hatte Kaktusfelder gegeben, die jetzt verschwunden waren, und wo es keine gegeben hatte, da waren welche entstanden. Den Kompaß zu fragen, hütete ich mich. Der Ortsinstinkt des Westmanns ist sicherer als die trügerische Magnetnadel.

Ich mußte unbedingt an Ort und Stelle sein, da, wo zwischen zwei ausgedehnten Kaktusstrecken ein offener Weg nach dem Wüstenwasser führte. Diesen Weg aber fand ich nicht. Wahrscheinlich hätte mir das Fernrohr von da aus, wo wir waren, die Bauminsel gezeigt, die sich rund um den kleinen See gebildet hatte; aber die Luft war zu sehr mit Sand geschwängert. Ich wendete mich nochmals an Bob und erfuhr nach vielem Hin- und Herfragen endlich, was er mir schon längst hätte sagen können.

Bloody-Fox hatte sich nämlich noch mehr als bisher abschließen wollen und den Weg, den ich suchte, zugepflanzt. Er hatte mit großer Mühe und mit Hilfe des Wassers, das ihm zu Gebote stand, einen so breiten Kaktuskreis um sich gezogen, daß sein Home vom Rande desselben und mit bloßem Auge nicht gesehen werden konnte. Das wäre freilich ganz unmöglich gewesen, wenn es nicht schon vorher rundum meilenweite Kaktusstrecken gegeben hätte. Er hatte nur Lücken auszufüllen gehabt und mit Bob und Sanna monatelang daran gearbeitet. Während wir früher von Westen oder von Norden her zu ihm kommen konnten, hatte er da die Lücken ausgefüllt und dafür im Osten eine neue hergestellt. Sie war sehr schmal und ging so zickzackförmig, daß sich jeder Fremde sicher gehütet hätte, ihr zu folgen. Daß sein Home von einem so ausgedehnten Kaktuswalde umgeben sein konnte, das war freilich nur durch das Vorhandensein von Wasser möglich. Uebrigens habe ich schon einmal diese wilden Kaktusfelder des Llano estacado beschrieben [Fußnote]. Wir verdankten damals einem solchen Felde die Rettung vom Tode des Verschmachtens, und zufälligerweise befand sich auch ein Neger bei uns, der ebenso Bob hieß, aber mit dem jetzigen Neger Bob nicht zu verwechseln ist.

Nun wußte ich endlich, woran ich war, und wie ich zu Bloody-Fox kommen konnte. Die Apatschen durfte ich nicht mitnehmen, weil sein Home ein Geheimnis war und auch für sie wahrscheinlich bleiben sollte. Sie mußten sich also lagern; ich ließ auch alle Weißen bei ihnen und nahm nur den Neger mit, um ihm so rasch wie möglich die Gelegenheit zu geben, seine Mutter und Bloody-Fox wiederzusehen.

Wir jagten im Galopp um die gewaltige Kaktusstrecke herum, bis wir an der Ostseite derselben angekommen waren, was, da wir uns im Westen befunden hatten, beinahe eine Stunde dauerte. Wir fanden die Lücke und mußten, um ihr zu folgen, langsamer reiten, bald nach rechts, bald nach links, wie es das Zickzack mit sich brachte. Endlich erblickte ich die grünen, aber vom Sande grau belegten Wipfel der Bäume, und bald darauf das Haus, welches in ihrem Schatten lag. Vor demselben bewegte sich arbeitend eine weibliche Gestalt. Als Bob dieselbe erblickte, trieb er sein Pferd an und schrie:

„Das sein Mutter Sanna, Mutter Sanna von Masser Bob! Oh – oh – – oh! Mutter, Mutter! Sanna, Sanna! Dein Boy kommen! Bob sein da, sein wieder da!“

Sie drehte sich um, sah ihn und öffnete die Arme. So stand sie da, starr vor Freude, ohne ein Wort sagen zu können. Er hielt sein Pferd bei ihr an, sprang herab und warf die langen Arme jauchzend um sie.

Sein Schreien war gehört worden; die Thür wurde geöffnet, und heraus trat einer, dem die Wiederkehr des Negers ganz gewiß ein Rätsel war, der aber trotzdem keine Miene verzog und dessen Gesicht nicht das geringste Anzeichen von Überraschung zeigte.

Er stand still und unbeweglich vor der Thür, das dunkle Auge leuchtend auf Mutter und Sohn gerichtet. Sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen helmartigen Schopf geordnet und hing dann noch weit auf den Rücken herab. Keine Adlerfeder, kein Abzeichen schmückte diese indianische Frisur. Man sah es ihm auch ohne dieses an, daß er kein gemeiner Indianer, kein gewöhnlicher Krieger war. Wer einen Blick auf ihn richtete, der war gewiß sofort überzeugt, einen bedeutenden Mann vor sich zu haben. Er war ganz so in Leder gekleidet wie ich. Um den Hals trug er den köstlich gestickten Medizinbeutel, die außerordentlich künstlich geschnittene Friedenspfeife und eine dreifache Kette von den Krallen und Zähnen der Grizzlybären, die er erlegt hatte. Die Züge seines ernsten, männlich schönen Gesichtes waren fast römisch zu nennen, nur daß die Backenknochen kaum merklich hervorstanden. Die Farbe seiner Haut war ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauche.

Das war Winnetou, der Häuptling der Apatschen, der herrlichste der Indianer. Sein Name lebte in jedem Zelte, in jeder Blockhütte, an jedem Lagerfeuer. Gerecht, treu und klug, tapfer bis zur Verwegenheit, aufrichtig und ohne Falsch, ein Freund und Beschützer aller Hilfsbedürftigen, mochten sie weiß oder rot von Farbe sein, aber ebenso ein Feind und strenger, unerbittlicher Gegner aller Ungerechten, so war er bekannt bei allen, die von ihm gehört oder ihn vielleicht gar gesehen hatten. Welch ein Glück, der Freund dieses Mannes zu sein!

Bob schrie immer noch auf seine Mutter ein. Sein Entzücken schien sich zu steigern anstatt sich zu vermindern. Inzwischen war ich langsam näher gekommen, und Winnetou hörte die Schritte meines Pferdes. Er drehte sich um und erblickte mich. Auch jetzt blieb sein ehernes Gesicht unbeweglich; keine Wimper zuckte. Aber sein Auge vergrößerte sich und ein leuchtender Glanz inniger Liebe strahlte mir aus demselben entgegen. Ich stieg ab, Wir schlangen die Arme fest, fest umeinander und küßten uns wie Brüder, die einander lange nicht gesehen haben. Darm hielt er meine Hände fest, trat einen halben Schritt zurück, ließ seinen Blick an mir herniederschweifen und sagte:

„Mein Bruder Shatterhand kommt wie der Tau in den Kelch der dürstenden Blume und wie der Adler, der mit mächtigen Fängen das Nest seiner jungen beschützt. Du hast droben in den Bergen der Sierra Madre meinen Zettel gefunden?“

Ich antwortete: „Mein Bruder Winnetou ist meinem Herzen ersehnt wie der Sonnenstrahl dem Kranken, und meiner Seele teuer wie das Kind der Mutter, die es geboren hat. Es sind viele Sonnen und Monde vergangen, seit mein Auge dich zum letztenmale erblickte, Ich war oben in der Sierra an der Lebenseiche und habe deine Zeilen gefunden und gelesen. Nun komme ich mit dreihundert Apatschen unter Anführung des tapfern Entschar-Ko, um sie deinem Befehle zu übergeben. Ist Bloody-Fox nicht daheim?“

„Er reitet täglich mehreremale hinaus, um die Kaktus zu umkreisen und zu sehen, ob du kommst. Auch jetzt ist er fort und – – – – sich!“

Er unterbrach seinen Satz und deutete bei dem letzten Worte dahin, woher ich gekommen war. Da kamen mehrere Reiter, Old Surehand, Old Wabble, Parker, Hawley und Entschar-Ko, der Apatsche. Ihnen voran ritt Bloody-Fox, genau so wie die mexikanischen Vaqueros ganz in Büffelkuhleder gekleidet, und zwar so, daß alle Nähte mit Fransen versehen waren. Eine rote, breite Schärpe umschlang anstatt des Gürtels seine Taille und hing mit ihren Enden an der linken Seite herab. In dieser Schärpe steckten ein Bowiemesser und zwei mit Silber ausgelegte Pistolen. Auf dem Kopfe trug er einen breitkrämpigen Sombrero; quer über die Knie hielt er eine schwere, doppelläufige Kentuckybüchse, und vorn zu beiden Seiten des Sattels waren nach mexikanischer Art Schutzleder angebracht, um die Beine bis herunter auf die Füße zu bedecken und gegen Lanzenstöße und Pfeilschüsse zu beschützen.

Er war jetzt fünfundzwanzig Jahre alt; ein voller, langer Schnurrbart beschattete seine Lippen. Der untere Teil seines Gesichtes mit den stark entwickelten Kauwerkzeugen deutete auf einen festen, unerschütterlichen Willen; seine Augen aber schauten, vielleicht nur jetzt, da er sich freute, froh und mild in die Welt wie diejenigen eines Kindes, welches kein Würmchen, keinen Schmetterling anrührt, um ihm keinen Schmerz zu bereiten. Und doch war dieser jugendliche Mann der fürchterliche Avenging-Ghost, dessen sichere Kugel jeden Geier des Estacado grad in die Mitte der Stirn getroffen hatte!

Er sprang mitten im Trabe von seinem Pferde und reichte mir die Hand. Nachdem er mich mit aufrichtig gemeinten, herzlichen Worten begrüßt hatte, wendete er sich an Winnetou:

„Diesesmal habe ich sie gefunden, die ich suchte. Aber es sind nicht die Krieger der Apatschen allein. Ahnt Winnetou, was für berühmte Männer ihm sein Freund und Bruder Shatterhand mitgebracht hat?“

Der Häuptling antwortete mit einem leisen Schütteln seines Kopfes. Hierauf stellte Fox sie vor:

„Hier steht Old Surehand, einer der berühmtesten unter den weißen Jägern. Er ging nach dem Süden, um den Häuptling der Apatschen kennen zu lernen, und traf dabei auf Old Shatterhand.“

Jetzt endlich standen diese beiden Männer einander gegenüber! Ihre Augen waren prüfend auf einander gerichtet; dann reichte Winnetou dem Jäger die Hand und sagte:

„Wen Old Shatterhand bringt, der ist dem Häuptling der Apatschen willkommen. Ich habe viel von dir gehört; nun mag die That an die Stelle des Wortes treten wie heut die Person an die Stelle der Erzählung.“

Old Surehand erwiderte einige Worte; ich sah, daß Winnetou auf ihn einen großen, sehr großen Eindruck machte.

„Und hier,“ fuhr Bloody-Fox fort, „ist Old Wabble, welcher der König der Cowboys genannt wird. Er hat Old Shatterhand und Old Surehand geholfen, Bob zu befreien.“

Es ging ein eigentümliches, ich möchte sagen, heiteres Zucken über das Gesicht Winnetous, als er dem Alten seine Hand mit den Worten bot:

„Old Wabble ist dem Häuptling der Apatschen wohlbekannt; er ist pfiffig wie ein Fuchs, reitet wie ein Teufel und raucht gern Cigaretten.“

Das Gesicht des Alten strahlte bei dem Anfange dieser Begrüßungsrede; kaum aber hörte er die letzten Worte, so verfinsterten sich seine Züge sofort und er rief aus:

Thunder-storm, das ist freilich wahr! Aber ich habe nun seit Monaten keine einzige zwischen die Lippen gebracht. Wo soll man sie hernehmen in dieser verteufelten Gegend? Wenn das nicht bald anders wird, fahre ich vor Sehnsucht aus der Haut und wickle mir Cigarren daraus; th’is clear!“

Er war ein so leidenschaftlicher Raucher, daß er sich ohne Cigarette nicht wohl fühlte. Daher dieser Gefühlsausbruch.

Bloody-Fox stellte auch noch Parker und Hawley vor, die auch einige freundliche Worte zu hören bekamen. Er hatte einen Rundritt gemacht, um nach mir und den Apatschen auszuschauen, und war, von Norden kommend, während ich mit Bob östlich geritten war, auf sie gestoßen. Die Weißen hatten ihm sofort gesagt, wer sie waren, und er hatte sie eingeladen, schnell mit zu ihm zu kommen.

Was hätten Winnetou, Fox und ich jetzt einander zu fragen und zu erzählen gehabt! Dazu gab es aber keine Muße, denn die Comantschen nahmen zunächst unsre ganze Zeit in Anspruch. Bob und Sanna mußten unsre Pferde zur Tränke führen, und wir nahmen alle vor dem Hause Platz, um uns zu beraten. Da stand eine aus rohen Brettern zusammengefügte Tafel mit zwei Bänken, wo wir uns niedersetzen konnten.

Fox trat in das Innere seiner Wohnung, um uns zu bewirten. Aber obgleich das, was er uns vorsetzte und vorlegte, unsere Beachtung sehr verdiente, die Aufmerksamkeit derer, die noch nicht hier gewesen waren, wurde nach ganz anderen Richtungen gezogen.

Sie blickten staunend rund umher. Was war das für ein Paradies hier mitten in der glühenden Wüste! Da stand ein von der Natur gebildetes, fast kreisrundes Becken, dessen Durchmesser vielleicht achtzig Schritte betragen mochte, bis an den Rand voll von hellem, köstlichem Wasser, über dessen Oberfläche die Sonne leuchtende Brillantblitze warf. Darüber zuckten schillernde Libellen hin und her, die nach Fliegen, Mücken und anderen kleinen Insekten jagten. An dem Ufer naschten unsere Pferde wie Feinschmecker von den außerordentlich saftigen Halmen des üppigen Delicacygrases. Niedrige Palmen spiegelten sich im Wasser, welches der Wind bewegte. Über ihren Federkronen bildeten hohe Cedern und Sykomoren ein schützendes Wipfeldach. Hinter dem Häuschen lag ein großes Maisfeld, in welchem sich eine Schar von Zwergpapageien um die goldigen Körner zankte.

Das Häuschen selbst war nicht groß, aber für die Bedürfnisse des Bloody-Fox hatte es Raum genug. Aus welchem Materiale es erbaut worden war, das konnte man nicht sehen, denn alle vier Seiten wurden ebenso wie das ganze Dach vollständig eingehüllt von den dichten Ranken, Blättern und Blüten der weißen, rotfädigen Passionsblume. An mehreren in der Entwickelung vorgerückten Stellen sah man schon die gelben, süßen, dem Hühnerei gleichenden Früchte aus der Fülle der gelappten Blätter hervorleuchten. An anderen Stellen, wo die Blüten noch nicht verwelkt waren, schwirrten winzige Kolibris von Blume zu Blume. Diese Liliputer der Vogelwelt, welche fliegenden Edelsteinen glichen, hatten den Weg über den Llano herüber nach dieser herrlichen Insel gefunden.

Die Sykomoren, Cedern und Cypressen am Wasser waren alte Bäume, deren Samen, als noch kein Mensch eine Ahnung von dem Dasein dieser Wüstenoase hatte, von Vögeln hierhergetragen worden war. Weiterhin gab es Anpflanzungen von Kastanien, Mandeln, Orangen und Lorbeerbäumen; diese hatte Bloody-Fox vor Jahren gepflanzt, ebenso einen breiten, sich weit um das Wasser ziehenden Streifen schnellwachsender Sträucher und perennierender Kräuter, welche die Bestimmung hatten, den vom Winde herbeigewehten Sand von der Oase abzuhalten. Fox hatte von dem kleinen See aus Gräben nach allen Richtungen gezogen, um dieses Grün bewässern zu können. Wo die Bewässerung aufhörte, ging dieser üppige Pflanzenwuchs in an der Erde hinkriechende Kaktusarten über, welche jenen großen, schützenden Ring um die Besitzung bildeten, von dem ich bereits gesprochen habe.

Dieser schöne, von der Welt abgelegene Ort machte ganz den Eindruck der Tropen. Man hätte sich nach Südmexiko, nach dem mittleren Bolivien oder an die Urwaldränder Brasiliens versetzt fühlen können. Darum war das Staunen, mit welchem dieses kleine, mitten in der Wüste liegende Paradies betrachtet wurde, gar kein Wunder. Ich hatte zu Old Surehand und Old Wabble, zu Parker und Hawley davon gesprochen, aber daß es so sehr reizend hier sei, das hatten sie doch nicht gedacht.

Als sie ihrem Entzücken durch Worte Ausdruck gaben, fühlte Bloody-Fox sich geschmeichelt und bat sie, mit in das Haus zu kommen, er wolle es ihnen zeigen.

Wenn man durch die von den Passifloren umrahmte Thür eintrat, sah man, daß das Innere aus einem einzigen Raume bestand. Die vier Wände waren aus Schilf errichtet; als Füll- und Bindemittel hatte der feine Schlamm des Sees gedient. Die Decke bestand aus langem, geflochtenem Rohre. An drei Wänden gab es je ein kleines Fenster, dessen Öffnung von den Blumenranken freigehalten war. An der vierten Wand, von der daselbst befindlichen Thür weit fortgerückt, stand der aus Erde gebaute Herd, über dem sich der auch aus Schilf und Schlamm bestehende Rauchfang öffnete. Unter diesem hing ein eiserner Kessel.

Der Fußboden war mit enthaarten Fellen belegt. Es gab drei Bettstellen, welche aus an Pfählen befestigten Riemen bestanden, über die Bärenfelle gebreitet waren. Unter der Decke hingen Stücke geräucherten Fleisches und an den Wänden alle möglichen Waffen, die im fernen Westen zu sehen und zu haben sind. Einige Kisten dienten als Schränke oder Kommoden. Einen Tisch und mehrere Stühle, von Bloody-Fox selbst zusammengezimmert, gab es auch.

Den größten Schmuck der Stube aber bildete das zottige Fell eines weißen Büffels, an welchem der Schädel gelassen worden war, Das war die „Uniform“ des Avenging-Ghost; Fox hatte es stets übergeworfen, wenn er ausgeritten war, um einen Stakeman zu bestrafen. Daher die Schilderungen von dem entsetzlichen Aussehen des „Geistes des Llano estacado“! Zu beiden Seiten dieses Büffelfelles steckten viele, viele Messer in der Wand, grausige Erinnerungszeichen, denn der Rächer hatte sie den Stakemen abgenommen, die von ihm durch einen Schuß mitten in die Stirn getötet worden waren. Unter dem Lager des Bloody-Fox gab es eine mit Fellen verdeckte Vertiefung, die in Blechkisten seine Munition enthielt.

An der nördlichen Wand des Hauses, wohin die Sonne nicht kam, hing eine Anzahl von Lederschläuchen, zur Aufnahme von Wasser bestimmt. Mit ihrem Inhalte hatte Fox schon manchen im Llano verirrten Reisenden vom Tode des Verschmachtens errettet.

So war die „Insel in der Wüste“ und so war das Haus auf dieser Insel beschaffen.

Dann saßen wir draußen und aßen, mit Appetit zwar, aber schnell, um zur Beratung zu kommen. Ehe diese begann, ging Bloody-Fox in das Haus und kam mit einem kleinen Pappkarton zurück, reichte diesen dem alten Wabble hin und sagte:

„Hier, Mr. Cutter, das ist für Euch, weil ich wünsche, daß meine Gäste sich wohl bei mir fühlen mögen.“

Old Wabble nahm den leichten Karton, wog ihn in der Hand und sagte zweifelnden Tones:

„Wohl fühlen? Meint Ihr, daß dieses Dings da mein Wohlbefinden stärken werde?“

„Ich bin überzeugt davon.“

„Was ist denn drin?“

„Öffnet und seht selbst.“

„Hm! Wenn Ihr es nicht sagt, muß ich freilich aufmachen, sonst erfahre ich nicht, was es ist; th’is clear!“

Er entfernte das Papierband, nahm den Deckel ab und – -stieß einen lauten Freudenschrei aus:

„Himmel! Cigaretten, Cigaretten, es sind Cigaretten! Und zwar fünfzig Stück, volle fünfzig Stück! Und wem sollen die gehören, Mr. Fox? Etwa mir?“

„Natürlich.“

„Alle? Alle fünfzig?“

„Alle!“

Thunder-storm! Ihr seid ein edler Jüngling, ein sehr vorzüglicher Mann! Kommt her; kommt an mein Herz; ich muß Euch einen smack, einen tüchtigen smack geben!“

Er zog den Bloody-Fox an sich und gab ihm einen „Schmatz“, daß es nur so schallte und knallte. Dann brannte er sich „eine“ an und blies den Rauch mit einem Behagen von sich, welches aus jeder Falte und jedem Fältchen seines Gesichtes hervorlugte. Eigentlich hätte die Kameradschaftlichkeit ihn bewegen sollen, jedem der Anwesenden eines der kleinen Dingerchen anzubieten; er that dies aber nicht, denn er war ein zu leidenschaftlicher Raucher, als daß er ein so großes Opfer hätte bringen mögen.

Über Winnetous Gesicht glitt ein leises, nur mir verständliches Lächeln. Er hatte keine Leidenschaft und keine Angewohnheit, und es war ihm beinahe unbegreiflich, daß ein alter Westmann, welchen man gar den „König der Cowboys“ nannte, sich durch eine Cigarette in solche Begeisterung versetzen ließ. – – –

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Old Wabble

Old Wabble

Auf meinen vielen Reisen und weiten Wanderungen habe ich, besonders unter den sogenannten Wilden und Halbcivilisierten, sehr oft Menschen gefunden, die mir liebe Freunde wurden und denen ich noch heute ein treues Andenken bewahre und bis zu meinem Tode weiter bewahren werde. Keiner aber hat meine Liebe in dem Grade besessen wie Winnetou, der berühmte Häuptling der Apatschen. Alle meine Leser kennen ihn, den edelsten der Indianer; sie wissen, wie ich mit ihm bekannt geworden bin, und daß meine Anhänglichkeit für ihn mich immer und immer wieder, selbst aus dem fernen Afrika und Asien, zu ihm hinübergetrieben hat in die Prairien, Wälder und Felsengebirge Nordamerikas. Selbst wenn meine Ankunft drüben eine nicht vorher bestimmte war und wir also kein Stelldichein hatten verabreden können, wußte ich ihn doch bald zu treffen. Entweder ritt ich in solchen Fällen nach dem Rio Pecos zu dem Sonderstamme der Apatschen, dem er entstammte, und hörte dort, wo er sich befand, oder ich erfuhr dies von den Westmännern oder Indianern, die mir begegneten. Winnetous Thaten sprachen sich sehr schnell herum, und so oft er sich wo sehen ließ, wurde es bald in weitem Umkreise bekannt.

Oft aber konnte ich ihm beim Scheiden sagen, wann ich wiederkommen würde, und dann wurde Ort und Zeit unsers Zusammentreffens genau vorher bestimmt. ich richtete mich dabei nach dem Datum, während er sich der indianischen Zeitbestimmung bediente, und so unzuverlässig dieselbe zu sein scheint, er war stets auf die Minute an Ort und Stelle, und es ist niemals vorgekommen, daß ich auf ihn zu warten hatte.

Nur ein einzigesmal hatte es den Anschein, aber auch nur den Anschein, als ob er nicht pünktlich sei. Wir mußten uns hoch oben im Norden an dem sogenannten Couteau trennen und wollten uns vier Monate später unten in der Sierra Madre treffen. Da fragte er mich:

„Mein Bruder kennt das Wasser, welches Clearbrook genannt wird?“

„Ja.“

„Wir haben dort mit einander gejagt. Besinnst du dich auf die Lebenseiche, unter welcher wir damals des Nachts lagerten?“

„Ganz genau.“

„So können wir uns nicht verfehlen. Der Wipfel dieses Baumes ist verdorrt, und wächst also nicht mehr. Wenn grad um die Mittagszeit der Schatten der Eiche fünfmal die Länge meines Bruders hat, wird Winnetou dort ankommen. Howgh!“

Ich hatte dies natürlich in unsere Zeitrechnung zu übersetzen, und war zur bestimmten Zeit dort. Es war weder Winnetou noch eine Spur von ihm zu sehen, obgleich die Schattenlänge der Eiche genau fünfmal die meinige betrug. Ich wartete mehrere Stunden lang; er stellte sich nicht ein. Ich wußte, daß ihn nur ein Unfall hindern konnte, ein einmal gegebenes Wort zu halten, und wollte darum schon besorgt um ihn werden; da kam mir der Gedanke, daß er schon hier gewesen sein und einen triftigen Grund gehabt haben könne, nicht auf mich zu warten. In diesem Falle hatte er mir ganz gewiß ein Zeichen hinterlassen. Ich untersuchte also den Stamm der Eiche, und richtig! es steckte in demselben in Manneshöhe ein kleiner, verdorrter Fichtenzweig. Da eine Eiche keine Fichtenzweige hat, so mußte er mit Absicht angebracht worden sein, und zwar schon vor längerer Zeit, weil er vollständig vertrocknet war. Ich zog ihn heraus und mit ihm ein Papier, welches um sein zugespitztes, unteres Ende festgewickelt war. Als ich es aufgerollt hatte, las ich die Worte:

„Mein Bruder komme schnell zu Bloody-Fox, den die Comantschen überfallen wollen. Winnetou eilt, ihn noch rechtzeitig zu warnen.“

Diejenigen meiner Leser, welche Winnetou kennen, wissen, daß er sehr wohl lesen und auch schreiben konnte. Er führte fast stets Papier bei sich. Die Nachricht, welche ich hiermit von ihm erhielt, war keine gute; sie machte mich um ihn besorgt, obgleich ich wußte, daß er jeder, auch der größten Gefahr gewachsen sei. Auch um Bloody-Fox wurde mir bange, denn er war sehr wahrscheinlich verloren, wenn es Winnetou nicht gelang, ihn noch vor der Ankunft der Comantschen zu erreichen. Und was mich selbst betrifft, so war auch meine Lage nichts weniger als unbedenklich. Bloody-Fox hauste auf einer, ja wohl der einzigen Oase des öden Llano estakado, und der Weg dorthin führte durch das Gebiet der Comantschen, mit denen wir oft feindlich zusammengeraten waren. Wenn ich in ihre Hände fiel, war ich sicher für den Marterpfahl bestimmt, zumal dieses Indianervolk vor längerer Zeit „die Kriegsbeile ausgegraben“ und mehrere viel Beute einbringende Raubzüge unternommen hatte.

Unter diesen Umständen wäre ein anderer wohl zunächst auf seine eigene Sicherheit bedacht gewesen und hätte es wahrscheinlich für geraten gehalten, der Aufforderung Winnetous nicht zu folgen; mir aber kam dieser Gedanke gar nicht in den Sinn. Winnetou hatte sich mir voran ganz unbedenklich in dieselben Gefahren begeben, die mir bevorstanden, wenn ich ihm jetzt folgte. Sollte ich weniger Mut zeigen als er? Als er seine Aufforderung in den Stamm des Baumes steckte, war er überzeugt, daß ich derselben sofort nachkommen werde. Sollte ich dieses Vertrauen täuschen? Konnte ich ihm jemals wieder ruhig und offen in die Augen sehen, wenn ich mich jetzt feig aus dem Staube machte? Niemals!

Ich war zwar ganz allein und auf mich selbst angewiesen; aber ich hatte gute Waffen und ein ausgezeichnetes Pferd, auf welches ich mich verlassen konnte. Auch kannte ich die Gegend oder die Gegenden genau, die ich zu durchreiten hatte, und sagte mir, daß es für einen erfahrenen Westmann leichter sei, allein durchzukommen, als in Begleitung von Leuten, auf die er sich nicht vollständig verlassen kann. Und hätte es außerdem noch irgend ein Bedenken gegeben, so wäre es hinfällig geworden unter dem Bewußtsein: Bloody-Fox befindet sich in Gefahr; er muß errettet werden. Ich stieg also auf das Pferd und folgte dem Wunsche meines roten Freundes und Bruders.

So lange ich mich in der eigentlichen Sierra befand, hatte ich weniger zu befürchten; es gab da Deckung genug, und ich war gewohnt, gut aufzupassen. Dann aber gab es kahle Plateaus, auf denen man schon aus sehr weiter Entfernung bemerkt werden konnte; sie waren von steilen Schluchten und tiefen Cañons durchschnitten, deren Vegetation nur aus spärlichen Aloen und Kakteen bestand, hinter denen sich ein Reiter nicht verbergen kann. Ich konnte in einem solchen Cañon auf Comantschen treffen; dann war ich nur dadurch zu retten, daß ich schnell umkehrte und mich auf die Flüchtigkeit und Ausdauer meines Pferdes verließ.

Die gefährlichste dieser Schluchten war der sogenannte Mistake-Cañon, weil er den betretensten Indianerweg zwischen der Ebene und den Bergen bildete. Er hatte seinen Namen einer unheilvollen Verwechslung zu verdanken; man erzählte sich, daß ein weißer Jäger da seinen besten Freund, einen Apatschen, ‚an Stelle eines feindlichen Comantschen erschossen habe. Wer dieser Weiße und wer die beiden Roten gewesen waren, das wußte ich nicht; ich hatte die Namen nicht erfahren können. Auch abgesehen von seiner sonstigen Gefährlichkeit wurde der Cañon seitdem von abergläubischen Westmännern gemieden; man sagte sich, daß es selten einem Weißen gelinge, ihn ohne Schaden zu passieren; der Geist des erschossenen Apatschen führe jeden ins Verderben.

Dieser Geist machte mir natürlich wenig Sorge; wenn ich nur auf keine menschlichen Feinde traf, so mochte er mir immer begegnen. Aber lange, bevor ich ihn erreichte, bemerkte ich die Spuren mehrerer Reiter, welche von der Seite her kamen und in meiner Richtung weiterführten. Ledige Pferde, Mustangs, konnten es nicht gewesen sein, weil es hier keine gab. Als ich abstieg und die Fährte untersuchte, bemerkte ich zu meiner Beruhigung und zugleich Verwunderung, daß die Pferde beschlagen gewesen waren; die Reiter hatten also nicht der roten Rasse angehört. Wer waren sie, und was wollten sie hier?

Weiter hin war einer von ihnen abgestiegen, vielleicht um den Sattelgurt fester zu schnallen, und die andern waren inzwischen weitergeritten. Ich betrachtete die Stelle genau und erkannte zur linken Seite seiner Fußspuren mehrere kurze, messerrückenschmale Einritzungen. Wovon? Hatte dieser Reiter einen Säbel getragen? Dann hatte ich Soldaten, Kavalleristen, vor mir. War etwa Militär gegen die Comantschen ausgerückt, um sie für die erwähnten Raubzüge zu züchtigen? Auf die Beantwortung dieser Frage höchst gespannt, folgte ich der Fährte im Galopp und entdeckte dabei, je weiter ich kam, desto mehr weitere Spuren, welche aus allen Richtungen kamen und in alle führten. Nun gab es keinen Zweifel mehr darüber, daß sich Truppen vor mir befanden, und als ich nach einiger Zeit um den Ausläufer eines dichten Kaktuswaldes bog, sah ich das Lager derselben vor mir, welches, wie ich mit dem ersten Blicke bemerkte, nicht für kurze Zeit bestimmt war. Die Kaktusstrecke sicherte vor jedem Überfalle von hinten und der Seite, und nach vorwärts konnte das Auge eine so weite, offene Fläche beherrschen, daß eine feindliche Überraschung unmöglich war. Freilich hatte man meine Annäherung von Westen her nicht bemerkt; es wäre hier selbst am hellen Tage ein Posten auszustellen gewesen, und daß man dies unterlassen hatte, war jedenfalls eine Nachlässigkeit. Wie nun, wenn an meiner Stelle eine Indianerschar gekommen wäre! jenseits senkte sich das Terrain in einen Cañon hinab, der sehr wahrscheinlich das nötige Wasser lieferte. Die Pferde lagen oder liefen frei umher. Die Truppen hatten zum Schutze gegen die Sonnenhitze über Kaktusstangen Leinwandtücher angebracht; ein großes Zelt war für die Offiziere bestimmt, und im Schatten desselben schienen die Proviantvorräte untergebracht zu sein. In der Nähe lagerten acht oder zehn Männer, welche nicht zu den Truppen gehörten, sondern wahrscheinlich bei denselben übernachten wollten, weil der Tag nun bald zu Ende ging. Ich war entschlossen, dasselbe auch zu thun. Ich hätte zwar noch weiterreiten können, dann aber allein lagern müssen, und dabei wegen meiner Sicherheit nicht schlafen dürfen. Hier fand ich die Ruhe, welche mir für meinen morgigen weiten Ritt so notwendig war.

Als ich bemerkt wurde, kam mir ein Unteroffizier entgegen und brachte mich zum Kommandanten, der, durch Rufe aufmerksam gemacht, mit seinen Offizieren aus dem Zelte trat. Indem ich abstieg, musterte er mich und mein Pferd, und fragte dann:

„Woher, Sir?“

„Von der Sierra herab.“

„Und wohin?“

„Zum Pecos hinunter.“

„Das sollte Euch schwer werden, wenn wir die Schufte von Komantschen nicht vertrieben hätten. Habt Ihr Spuren von solchen Kerls gefunden?“

„Nein!“

„Hm! Scheinen sich südlich gewendet zu haben. Wir sitzen nun fast zwei Wochen hier, ohne eine Nase von ihnen vor die Augen zu bekommen.“

„Esel!“ hätte ich ihm in das Gesicht rufen mögen, denn wenn er die Roten haben wollte, so mußte er sie suchen; es konnte ihnen nicht einfallen, ihm hierher in die Hände zu laufen. Hatte er nicht erfahren können, wo sie waren, so wußten sie jedenfalls ganz genau, daß er sich hier befand. Es war anzunehmen, daß das Lager des Nachts von ihren Spähern umschlichen wurde. Als ob er einen Teil meiner Gedanken erraten hätte, fuhr er fort:

„Es fehlt mir ein tüchtiger Scout, auf den ich mich verlassen und der sie mir aufspüren kann. Old Wabble hat hier übernachtet; der wäre der richtige Mann für mich gewesen, habe aber erst, als er fort war, erfahren, wer er war; der Schurke mochte so etwas ahnen und nannte sich Cutter. Und über eine Woche ists schon her, da traf eine Streifpatrouille auf Winnetou, den Apatschen; der wäre noch besser gewesen, hat sich aber schleunigst fortgemacht. Wo der sich sehen läßt, da ist Old Shatterhand nicht weit, wie man mir sagt; ich wollte, der lief mir ins Garn. Wie heißt Ihr, Sir?“

„Charley,“ antwortete ich, ihm meinen Vornamen nennend, der ja auch mein Familiennamen sein konnte. Ihm zu sagen, daß ich dieser Old Shatterhand sei, konnte mir nicht einfallen. Ich hatte weder Zeit noch Lust, hierzubleiben und mich als Spion verwenden zu lassen. Dabei musterte ich die an der Erde lagernden Civilisten; zu meiner Beruhigung befand sich kein mir bekanntes Gesicht dabei. Freilich konnte ich durch mein Pferd und die Gewehre verraten werden. Es war bekannt, daß Old Shatterhand einen Bärentöter und einen Henrystutzen besaß und einen schwarzen Hengst ritt, den Winnetou ihm geschenkt hatte. Glücklicherweise war der Kommandant so bescheidenen Geistes, daß er nicht auf diese Dinge kam; er kehrte in das Zelt zurück, ohne seine Fragen fortzusetzen.

Worauf er nicht gekommen war, das konnte einer der Civilisten erraten, die sehr wahrscheinlich alle Westmänner waren; darum schob ich den Henrystutzen unauffällig in das Lederfutteral, so daß sein eigenartiges Schloß nicht zu sehen war; der Bärentöter war weniger auffällig. Hierauf sattelte ich ab und ließ den Hengst frei. Gras gab es hier freilich nicht; dafür aber standen zwischen den Riesenkakteen genug Melokakteen, welche Futter und Saft in Fülle lieferten. Mein Rappe verstand es, diese Pflanzen zu entstacheln, ohne sich zu verletzen. Als ich dann die Civilisten um die Erlaubnis bat, mich zu ihnen zu setzen, antwortete einer von ihnen:

„Kommt immer her, Sir, und eßt mit mir, wenn’s Euch gefällig ist. Ich heiße Sam Parker, und wenn der ein Stück Fleisch übrig hat, kann jeder brave Kerl davon essen, bis es alle ist. Habt Ihr Appetit?“

„Will es meinen.“

„So schneidet davon herunter, so viel, wie Ihr wollt. Wir sind lauter Westleute, Sir. Und Ihr?“

Er schob mir ein wohl acht Pfund schweres kaltes, aber gebratenes Fleisch hin; ich schnitt mir ein Stück davon ab und antwortete:

„Ich treibe mich zuweilen auch diesseits des alten Missisippi herum, weiß aber nicht, ob ich mich einen Westmann nennen darf. Es gehört gar so viel dazu, einer zu sein.“

Er schmunzelte befriedigt und sagte:

„Habt recht, Sir, sehr recht! Freut mich, einmal einen bescheidenen Menschen zu sehen, der sich nicht gleich, wenn er Nachtwächter geworden ist, für den Präsidenten der Vereinigten Staaten hält. Solche Leute sind heutzutage selten. Euern Namen haben wir vorhin gehört, Mr. Charley. Welche Arbeit thut Ihr denn im Westen hier? Jäger? Fallensteller? Honigsammler?“

„Gräbersucher, Mr. Parker.“

„Gräbersucher?“ rief er erstaunt. „Das heißt – – Ihr – -sucht – – Gräber – –?“

Yes.“

„Wollt Ihr uns foppen, Sir?“

„Fällt mir nicht ein.“

„So habt die Güte, Euch zu erklären, wenn ich Euch nicht mein Messer zwischen die Rippen geben soll. Nasführen lasse ich mich nicht.“

Well! Ich will erforschen, woher die jetzigen Indianer stammen. Vielleicht habt Ihr einmal gehört, daß Gräberfunde zu diesem Zwecke gute Dienste leisten.“

„Hm! Habe freilich einmal gelesen, daß es Menschen giebt, die alte Gräber aufwühlen, um da drinnen Weltgeschichte oder so was zu studieren. Dummes Zeug! So ein Mannskind seid Ihr also auch?“

Yes.“

„Also ein Gelehrter?“

Yes.“

„Gott stehe Euch bei, Sir! Ihr könnt leicht selbst mit der Nase ins Grab stolpern und tot drin stecken bleiben. Wenn Ihr nach verstorbenen Leichen suchen wollt, so thut das doch in einer Gegend, wo Ihr Eures Lebens sicher seid. Hier aber pfeifen die Kugeln und Tomahawks nur so in der Luft herum. Die Comantschen sind los. Könnt Ihr schießen?“

„Ein wenig.“

„Hm, kann es mir denken! Habe auch einmal gedacht, ich könne schießen. Werde es Euch vielleicht einmal erzählen. Wie ich sehe, habt Ihr da eine alte Pulverbüchse, mit der man Mauern einrennen kann; das läßt tief blicken, Sir. Und dort das andere Gewehr in dem Etui, das ist wohl so eine richtige, ächte Sonntagsrifle?“

„Weiß es nicht.“

„Wird schon so sein! Ich sage Euch, Sir, es ist gefährlich, hier nach toten Leichnamen zu suchen. Macht Euch fort! Ihr könnt Euch uns anschließen; da seid Ihr sicherer, als wenn Ihr allein reitet.“

„Welche Richtung nehmt Ihr denn von hier?“

„Auch hinunter nach dem Pecos, wohin Ihr wollt, wie wir vorhin gehört haben.“

Er ließ einen halb wohlgefälligen und halb ironischen Blick über mich gleiten und fuhr dann fort:

„Ihr seht gar nicht übel aus, ganz wie aus dem Ei geschält; aber das taugt nichts für diese Gegend, Sir. Ein richtiger Westmann sieht ganz anders aus. Dennoch gefallt Ihr mir, und ich lade Euch noch einmal ein, mit uns zu gehen. Wir werden Euch beschützen, denn so ganz allein wie bisher kommt Ihr doch nicht durch. Ihr scheint auch beritten zu sein, wenigstens was man in den Oststaaten so zu nennen pflegt. Habt wohl Euer Kutschpferd mitgebracht, he?“

„Es mag so ähnlich sein, Mr. Parker,“ antwortete ich, innerlich belustigt darüber, daß er meinen indianischen Rassenhengst, mit dem nur noch Winnetous Rappe zu vergleichen war, für einen Kutschengaul hielt. Er gefiel mir wenigstens ebenso wie ich ihm. Wenn ich mich ihm anschloß und er dann erfuhr, wer ich war, so waren komische Scenen zu erwarten. Dazu kam, daß mir diese Begleitung, wenn auch nicht später, aber doch durch den Mistake-Cañon nützlich werden konnte, und darum entschloß ich mich, auf seinen Vorschlag einzugehen.

„Habe es mir gedacht,“ fuhr er fort. „Das Pferd sieht ganz so proper aus wie Ihr. Man sieht es ihm an, daß es auch mit nach längst begrabenen Leibern gesucht und sonst weiter nichts zu thun gehabt hat. Also sagt, ob Ihr mit wollt! Wir brechen morgen mit dem Frühesten von hier auf.“

„Ich nehme Euer Anerbieten dankbar an, Sir, und bitte ganz ausdrücklich um Euern Schutz.“

„Den sollt Ihr haben, und ich denke, daß Ihr ihn brauchen werdet. Will froh sein, wenn wir von hier fort sind; muß ja gewärtig sein, daß der Kommandant mich oder einen andern von uns als Scout zurückbehält. Meinst du nicht auch, alter Jos?“

Diese Frage war an einen älteren Mann gerichtet, dessen sympathisches Gesicht einen tief melancholischen Ausdruck zeigte, als ob er an einem innerlich zurückgedrängten Grame leide. Jos ist die Abkürzung von Josua; der Mann hieß, wie ich später erfuhr, Josua Hawley.

„Bin ganz derselben Meinung,“ antwortete er. „Es fehlte grad noch, gezwungen zu sein, für diese Uniformen die Kastanien aus dem Feuer zu holen und sich die Vorderpranken dabei zu verbrennen. Hätten sie doch Old Wabble festgehalten; der war der richtige Mann dazu. Mich bekommen sie nicht. Will froh sein, wenn ich hier fort bin und den Mistake-Cañon im Rücken habe.“

„Warum? Fürchtest du dich vor dem Geiste des erschossenen Indianers?“

„Fürchten? Nein; aber aus dem Sinn kommt er mir nicht. Dieser Cañon ist eine ganz infame Gegend für mich. Habe dort etwas erlebt, was nicht jeder erlebt, und dabei Gold gefunden.“

„Gold? Im Mistake-Cañon?“

Yes.“

„Unmöglich! Dort gibt es keins.“

„Es muß doch welches dort gegeben haben, weil wir es gefunden haben.“

„Also wirklich? Ihr habt es wohl durch einen Zufall entdeckt, alter Jos?“

„Nein. Ein Indianer hat es uns gezeigt.“

„Das ist ja gar nicht zu glauben. Ein Roter entdeckt so etwas niemals einem Weißen, selbst wenn es sein bester Freund wäre.“

„So ist mein Fall eine Ausnahme gewesen. Es war sogar ganz und genau derselbe Rote, der dort aus Versehen erschossen worden ist. Vielleicht erzähle ich Euch die Geschichte, wenn wir den Cañon morgen zu sehen bekommen. Jetzt habe ich keine Lust dazu; wollen darüber schweigen. Gieb das Fleisch her; ich will essen. Es ist zwar nur Antilope, aber es muß dennoch schmecken. Ein Stück Büffelhöcker oder Lende vom Elk, wäre mir lieber.“

„Elk? Ah, Elk, das ist richtig!“ rief Parker aus, indem er mit der Zunge schnalzte. „Das ist der feinste und saftigste Braten, den es geben kann. Wenn ich an Elk denke, fällt mir immer der Westmann ein, der mich eigentlich zum Jäger gemacht hat.“

„Wer ist das gewesen?“

„Sein Name wurde vorhin genannt. Old Wabble meine ich.“

„Was? Wie? Old Wabble? Den ebenso sonderbaren wie berühmten Alten? So hast du ihn gekannt?“

„Ob ich ihn gekannt habe? Welch eine Frage! Unter seiner Leitung habe ich mein erstes Abenteuer im fernen Westen erlebt, ein Abenteuer, welches – – na, ich will es euch erzählen, obgleich ihr mich dann tüchtig auslachen werdet. Es handelte sich nämlich dabei um meinen ersten Elk.“

Er räusperte sich bedächtig, machte ein sehr verheißungsvolles Gesicht, und begann dann folgendermaßen:

„Er hieß eigentlich Fred Cutter, wurde aber wegen seines wackelnden Ganges und weil ihm der Anzug so schlotterig am dürren Leibe hing, stets nur Old Wabble genannt. Er war früher da unten in Texas Cowboy gewesen und hatte sich so in die dortige Kleidung gewöhnt, daß ihn selbst hier oben im Norden niemand dazu bringen konnte, sie abzulegen und mit einer andern zu vertauschen.

„Noch sehe ich ihn vor mir stehen, lang und überschmall die Füße in ganz unbeschreiblichen Schuffles und die Beine in uralten Leggins steckend. Über dem Hemde, dessen Farbe ich lieber gar nicht erwähne, hing eine Jacke, deren einziger Vorzug eine allgemeine Offenherzigkeit war. Brust und Hals blieben unbedeckt; dafür aber trug er unter dem zerknüllten Hute stets ein um die Stirn gewundenes Tuch, dessen Zipfel auf die Schulter niederhingen, im Gürtel das lange Bowiemesser, an den Ohrläppchen schwere Silberringe und in der großen, braunen, knochigen Hand die stets glimmende, unvermeidliche Cigarette – anders hat ihn wohl selten ein Mensch gesehen.

„Das Kostbarste war sein altes, wetterhartes, faltenreiches und stets glattrasiertes Gesicht mit starken Niggerlippen, langer, spitzer Nase und scharfen grauen Augen, denen, obgleich die Lider stets halb geschlossen waren, nicht so leicht etwas entgehen konnte. Mochte dieses Gesicht ruhen oder in Bewegung sein, es hatte immer und immer den Ausdruck einer Überlegenheit, welche absolut durch nichts aus dem Gleichgewicht zu bringen war. Und diese Superiorität bestand zu vollem Recht, denn Old Wabble war trotz seiner Schlotterigkeit nicht nur ein Meister im Reiten, im Gebrauche der Rifle und des Lariat, sondern es entging ihm auch nicht eine der andern Eigenschaften, welche ein richtiger Westmann besitzen muß. Th’is clear, das war seine ständige Redensart, welche bewies, daß ihm oft das Schwierigste als leicht und ganz selbstverständlich erschien.

„Was mich betrifft, so war ich unten in Princeton so etwas wie Bauschreiber gewesen und hatte da so viel verdient, daß ich mich ausrüsten und meinen ursprünglichen Plan, als Goldgräber nach Idaho zu gehen, ausführen konnte. Ich war ein Greenhorn, ein vollständiger Neuling, und nahm, um die erhofften Reichtümer nicht mit vielen teilen zu müssen, nur einen Begleiter mit, Ben Needler, welcher den wilden Westen ebensowenig kannte wie ich. Als wir in Eagle-Rock den Wagen verließen, waren wir ausstaffirt wie Stutzer und bepackt wie Lastesel, mit lauter schönen, guten und glänzenden Dingen, welche nur leider die Eigenschaft hatten, daß sie nicht zu gebrauchen waren. Und als wir nach einer Woche am Payette-Fork ankamen, sahen wir aus wie echte Vagabunden, waren fast verhungert und hatten unterwegs die überflüssigen Gegenstände unsrer Ausrüstung, das will heißen, alles außer den Waffen und der Munition, von uns geworfen. Ich will euch aber aufrichtig gestehen, daß ich für ein gutes Butterbrot auch noch meine ganze Armierung hingegeben hätte, und Ben Needler dachte gewiß ebenso.

„Wir saßen an einem Buschrande, hielten unsre wund gelaufenen Füße in das Wasser und sprachen von allerlei Delikatessen, von denen keine Rede gewesen wäre, wenn wir sie gehabt hätten, von Rehkeulen, Büffellenden, Bärentatzen und Elkbraten. Ja, Elks sollte es hier in dieser Gegend geben, fast so schwer wie Bisonstiere. Eben meinte Ben, indem er mit der Zunge schnalzte:

Good lack! Käme jetzt so ein Kerl in die Nähe, ich knallte ihm mit einer wahren Wollust meine beiden Kugeln zwischen die Hörner, und dann – –“

Und dann wäre es aus mit Euch!“ ertönte eine lachende Stimme hinter uns aus dem Gebüsch. Der Elk würde Euch mit dem Gestänge zu Brei verarbeiten. Man schießt so ein Tier nicht zwischen die Hörner; denn Hörner hat es überhaupt nicht. Ihr seid wohl drüben in New-York als Schoolboys aufgeflogen und nun hier aus der Luft gefallen, Mesch’schurs?“

„Wir sprangen auf und sahen uns den Sprecher an, welcher sich jetzt aus den Büschen, in denen er uns belauscht hatte, hervorarbeitete. Da stand er vor uns, wie ich ihn euch vorhin beschrieben habe, Old Wabble, mit einem für uns gar nicht ehrenvollen Ausdrucke im Gesichte und einem nachsichtig überlegenen Blicke aus den halbgeschlossenen Augen. Das nun folgende Gespräch will ich übergehen. Er examinierte uns wie ein Lehrer seine Buben und forderte uns dann auf, mit ihm zu gehen.

„Ungefähr eine Meile vom Flusse entfernt, lag auf einer kleinen, rings von Wald umgebenen Prairie eine Blockhütte, welche er seinen Rancho nannte. Hinter derselben gab es einige offene Stables, bei schlechter Witterung für die Pferde, Maultiere und Rinder bestimmt, welche jetzt im Freien weideten. Old Wabble war nämlich aus einem Cowboy ein selbständiger Viehzüchter geworden. Seine Leute bestanden aus Will Litton, dem weißen Aufseher, und einigen Schlangenindianern, welche von ihm als Vaqueros bezeichnet wurden und ihm sehr treu und anhänglich waren. Wir sahen diese Leute beschäftigt, einen leichten Wagen mit einem Zelttuche und andern Gegenständen zu beladen.

Das ist etwas für euch meinte der Alte. Ihr wollt Elks schießen, und dort trifft man eben die Vorbereitung zu einem Jagdausfluge. Will mal sehen, was ihr leistet; ihr sollt mit. Seid ihr brauchbare Jungens, so könnt ihr bei mir bleiben. Vorher aber kommt ins Haus, denn th’is clear, ein hungriger Schütz schießt in die Luft.“

Well, uns mußte das recht sein. Wir aßen und tranken, und dann wurde aufgebrochen, da es Old Wabble nicht einfiel, unsertwegen den Ausflug aufzuschieben. Wir bekamen Pferde und ritten also mit, zunächst nach dem Flusse zu. Dort gab es eine Furt, welche wir passieren mußten. An der Spitze des Zuges befand sich der Alte, welcher gewollt hatte, daß ich mich an seiner Seite hielt. Er führte ein lediges Maultier neben sich am Halfter. Als wir hinüber waren, sahen wir die andern uns folgen, nämlich Ben Needler auf einem Braunen und Will Litton auf einem Schimmel; hinter ihnen folgte der mit vier Pferden bespannte Wagen, welchen einer der Indianer lenkte. Dieser hieß Paq-muh, die blutige Hand, sah aber in seinem civilisierten Anzug gar nicht so blutdürstig aus, wie sein Name klang. Seine Stammesgenossen waren, da der Alte sich auf sie verlassen konnte, auf dem Rancho zurückgeblieben.

„Jenseits der Furt ging es eine kurze Strecke durch den lichten Wald und dann in ein grünes, baumloses Thal hinein, welches sich auf eine grasreiche Savanne öffnete. Als wir nach einigen Stunden das jenseitige Ende derselben erreichten, wo das Terrain aufzusteigen begann, hielten wir an, um zu kampieren. Der Wagen wurde abgeladen und das Zelt aufgeschlagen. Während man an der hintern Seite desselben die Tiere anband, wurde vorn ein Feuer angebrannt. Hier wollten wir einen Tag bleiben, um auf Gabelantilopen zu pirschen, oder vielleicht gar auf Büffel zu kommen; denn daß hier zuweilen Bisons vorüberkamen, sahen wir an einzelnen umherliegenden Gerippen. Ein in der Sonne gebleichter Schädel lag ganz in der Nähe unsres Zeltes, welches dann unter der Aufsicht der blutigen Hand hier stehen bleiben sollte, während wir Weißen hinauf nach einem Hochmoore wollten, wo es Elks die Menge gab, wie Old Wabble behauptete.

„Leider ließ sich weder an diesem noch am nächsten Tage ein jagdbares Tier sehen, was den Alten in großen Grimm versetzte, mir aber nicht unlieb war, da ich in Beziehung auf meine Schießgeschicklichkeit sein scharfes Urteil zu fürchten hatte. Auf dreißig Schritte einen Kirchturm treffen, das getraute ich mir damals ganz gut, aber daß ich ein großes Loch in die Natur schießen würde, falls man von mir verlangte, auf sechzig Schritte eine schnellfüßige Antilope zu erlegen, das war sicher.

„Da kam Old Wabble auf die unglückselige Idee, unsre Schießgeschicklichkeit zu prüfen, indem er uns aufforderte, auf einige Aasgeier zu zielen. Diese Vögel hatten sich ungefähr siebenzig Schritte von uns auf einem Büffelgerippe niedergelassen, und ich sollte als der erste meine Kunst zeigen. Nun, ich sage euch, die Geier konnten mit mir zufrieden sein, denn es kam genau so, wie ich gedacht hatte: ich schoß Viermal, ohne zu treffen, und es fiel nicht einmal einem der Aasfresser ein, auszureißen. Diese Tiere wissen nämlich ganz genau, daß es keinem vernünftigen Menschen einfällt, auf sie zu schießen; ein Schuß lockt sie vielmehr an, anstatt sie abzuschrecken, davon jedem erlegten Wilde ihnen wenigstens das Gescheide überlassen wird. Ben schoß zweimal fehl; erst seine dritte Kugel tötete einen der Geier und trieb die andern fort.

Eximious incomparable! lachte Old Wabble, indem er seine schlotterigen Glieder wirr durcheinander schüttelte. Mesch’schurs, th’is clear, ihr seid grad und genau für den wilden Westen geschaffen; habt keine Angst um euch! ihr seid gemachte Männer, denn alles, was einmal aus euch werden kann, das seid ihr schon jetzt, und höher könnt ihr’s gar nie bringen!“

„Ben nahm dieses Urteil ruhig hin; ich aber fuhr zornig auf, was freilich keine andre Wirkung hatte, als daß der Alte mir antwortete:

Schweigt, Sir! Euer Kamerad hat wenigstens beim drittenmal getroffen; für ihn ist also Hoffnung vorhanden. Ihr aber seid für den Westen ein verlorner Mann; ich kann Euch nicht brauchen, und gebe Euch den einzig guten Rat, Euch baldigst aus dem Staube zu machen.“

„Das wurmte mich gewaltig, denn es fällt kein Meister vom Himmel, und das Pulver, welches ich bis damals verschossen hatte, wog gewiß kein ganzes Pfund. Ich nahm mir vor, mir auf jeden Fall die Achtung des Alten zu erzwingen.

„Am darauffolgenden Morgen wurde nach dem Hochmoore in den Salmon River-Bergen aufgebrochen. Proviant, Kochgeschirr, Decken und andres wurde dem Maultiere aufgeladen; der Wagen, welcher im unwegsamen Gebirge nicht gebraucht werden konnte, blieb beim Zelt zurück. Na, ihr kennt das Land, und ich will euch also den Ritt nicht beschreiben; er war oft geradezu lebensgefährlich, besonders an der Stelle, wo der Snakes-Cañon einen scharfen Winkel macht und man steil zur Tiefe muß, um dann jenseits nach dem offenen Wihinashtpfad zu gelangen. Rechts himmelhoher Felsen, links der schwarze Abgrund, und dazwischen der kaum zwei Ellen breite Reitweg; ein wahres Glück, daß unsre Pferde solche Strecken gewöhnt waren, und ich nie zum Schwindel geneigt gewesen bin! Wir kamen glücklich hindurch. Bald aber zeigte sich eine neue, andre Gefahr, welche nur ich allein für keine solche hielt.

„Als wir nämlich bald darauf den Wihinashtpfad emporritten, begegnete uns ein Trupp von acht berittenen Indianern, von denen vier mit Häuptlingsfedern geschmückt waren. Sie schienen über unser plötzliches Erscheinen nicht im mindesten zu erschrecken und betrachteten uns im lautlosen Vorüberreiten mit jenem melancholisch-indolenten Ausdrucke, welcher der roten Rasse eigentümlich ist. Einer der Vordersten, welcher einen Fahlschimmel ritt, trug einen sonderbaren, lang geformten, mit Federfransen geschmückten Gegenstand im linken Arme. Ich fühlte mich von der schweigsamen, schwermütigen Begegnung mit diesen einstigen Herren dieser Gegend ganz eigenartig berührt. Sie kamen mir gar nicht gefährlich vor, zumal sie keine Kriegsfarben trugen und ganz unbewaffnet zu sein schienen; aber kaum waren wir um die nächste Höhe gebogen und ihnen aus den Augen, so hielt Old Wabble an und sagte, indem er einen grimmigen Blick zurückwarf.

Damn them! Was wollen diese Schufte hier? Es sind Panashts, welche mit den eigentlichen Schlangenindianern, zu denen meine Vaqueros gehören, in Unfrieden leben. Wohin können sie wollen? Ihr Weg muß sie an meinem Rancho vorüberführen. Welch eine Gefahr, da ich nicht daheim bin!“

Sie waren ja unbewaffnet!“ warf ich ein.

„Old Wabble blitzte mich aus seinen halbgeschlossenen Augen verächtlich an, beehrte mich mit keiner Antwort und fuhr fort:

Mit unserer Elkjagd ist es aus, wenigstens für heut und morgen. Wir müssen zurück, hinunter zum Zelt und vielleicht gar zum Rancho. Wir müssen ihnen zuvorkommen. Glücklicherweise kenne ich einen Pfad, welcher nicht weit von hier hinabführt, freilich nicht für Reiter, sondern nur für gute Bergsteiger. Vorwärts, Boys! Mein Entschluß ist gefaßt. Wir müssen sie vor unsere Gewehrläufe nehmen; th’is clear!“

„Es ging im Galopp weiter, fünf Minuten lang, links in die Felsen hinein; dann gelangten wir in ein kleines Hochthal, dessen Boden aus Moor und Wiese bestand; an den steinigten Rändern wuchsen hohe Schierlingstannen, und ein Wasser rieselte mitten hindurch. Old Wabble sprang vom Pferde und sagte:

Dort am Ende dieses Thales führt der Weg hinab. Wenn wir uns beeilen, sind wir noch vor den Roten unten beim Zelte. Einer muß hier bei den Tieren bleiben, nämlich derjenige, den wir am leichtesten vermissen können, und das ist natürlich dieser famose Sam, der viermal fehlgeschossen hat; er würde eher uns selbst als einen Roten treffen.“

„Na, der famose Sam war natürlich ich, Samuel Parker, vormals Bauschreiber unten in Princeton! Ich widersprach ärgerlich, mußte mich aber fügen. Die drei andern nahmen ihre Waffen und rannten fort, nachdem der Alte mir befohlen hatte, die Tiere gut zu versorgen und das Thal ja nicht zu verlassen, bis er zurückgekehrt sei.

„Ich war wütend vor Zorn. Mußte ich mir das gefallen lassen? Diese armen Indianer sollten erschossen werden und hatten doch so ungefährlich ausgesehen! Durfte ich das zugeben? Nein! Sie waren Menschen grad wie wir, und Rache für die Beleidigung! Ich kannte den wilden Westen nicht und gehorchte meinem Unverstande. Ich band das Maultier und die drei ledigen Pferde an die nächsten Bäume und ritt im Galopp den Weg zurück, den wir gekommen waren. Die mir aufgetragene Pflicht wollte ich erfüllen, vorher aber die Indianer warnen. So schnell wie möglich ging es den Wihinashtpfad hinab und in den Snakes-Cañon hinein. Da sah ich die Roten vor mir; sie hörten mich kommen, blickten zurück und hielten an. Die Schlucht war hier noch breit genug dazu. Ich parierte mein Pferd und fragte, ob einer von ihnen englisch verstehe. Der auf dem Fahlschimmel, welcher den länglichen Gegenstand trug, antwortete:

Ich bin To-ok-uh, der schnelle Pfeil, ein Häuptling der Panasht-Shoshonen. Mein weißer Bruder ist zurückgekehrt, um mir eine Botschaft des alten Mannes zu bringen, dessen Herden da unten die Schlangenindianer bewachen?

Du kennst ihn also? fragte ich. Er hält euch für Feinde und ist euch zu Fuße voraus, um euch zu töten. Ich bin ein Christ und habe es für meine Pflicht gehalten, euch zu warnen.

„Der Blick seines dunklen Auges bohrte sich förmlich in mein Gesicht, als er sich erkundigte:

Wo sind eure Tiere?

Sie stehen jenseits des Wihinashtpfades in einem grünen Thale.

„Er sprach eine kurze Weile leise mit den andern und fragte mich dann, indem sein Gesicht einen freundlichen Ausdruck zeigte:

Mein weißer Bruder ist erst kurze Zeit in diesem Lande?

Seit gestern erst.

Was wollen die Bleichgesichter dort oben in den Bergen?

Wir wollen den Elk jagen.

Ist mein Bruder ein berühmter Jäger?

Nein; ich schieße jetzt noch stets daneben.

„Er fragte lächelnd weiter und weiter, bis er alles wußte. Ich mußte ihm sogar meinen Namen nennen, worauf er meinte:

Samuel Parker ist für einen roten Mann schwer zu merken. Wir werden dich At-pui, das gute Herz, nennen. Wenn du länger hier bleibst, wirst du vorsichtiger werden. Deine Güte konnte euer Verderben sein. Freue dich, daß wir nicht auf dem Pfade des Krieges wandeln! Siehe, dieses Wampum“ -dabei zeigte er mir den fransengeschmückten langen Gegenstand auf seiner Linken – enthält eine friedliche Botschaft an die Häuptlinge der Shoshonen. Wir kommen ohne Waffen, um es nach dem Rancho des alten Mannes zu tragen, dessen Indianer es dann weiter bringen sollen. Wir haben also nichts zu fürchten; aber unsre Dankbarkeit ist eben so groß, als ob du uns vom Tode errettet hättest. Wenn du Freunde brauchst, so komm zu uns. At-pui, das gute Herz, wird uns stets willkommen sein. Howgh; ich habe gesprochen.

„Er gab mir die Rechte und ritt dann mit seinen Leuten weiter. Ich rief ihm noch nach, mich dem Alten ja nicht zu verraten, und kehrte dann um, sehr zufrieden mit meinem Erfolge, aber nicht mit der Klugheit, an welcher es mir gänzlich gemangelt hatte. Ich war im Gegenteile höchst unvorsichtig gewesen.

„Im Hochthale angekommen, entledigte ich das Maultier seiner Last und band die Pferde los, um sie grasen zu lassen. Die mir dann zu Gebote stehende lange Muße benützte ich zu Schießübungen. Ich hatte ein gefülltes Pulverhorn, und beim Gepäck gab es auch eine ganze Büchse voll. Als mein Horn leer war, konnte ich zu meiner Genugthuung sagen, daß ich einen Kirchturm nun schon auf zweihundert Schritte treffen würde.

„Gegen Abend kam Old Wabble mit Ben und Will zurück. Sie waren unten beim Zelte mit den Roten zusammengetroffen und erzählten mir als etwas ganz Neues, daß diese die friedlichsten Absichten gehegt, das Wampum der blutigen Hand zur Weiterbesorgung übergeben und dann sofort den Rückweg wieder angetreten hätten. Ich schwieg natürlich über das, was ich gethan hatte.

„Wir blieben die Nacht im kleinen Thale und ritten dann am Morgen nach dem nicht mehr weit entfernten Hochmoore.

„Dieses lag in einem weit größern Thale, als das gestrige gewesen war. In der Mitte desselben gab es einen kleinen See mit sumpfigen Ufern; weiterhin Busch und Wald mit trügerischem Boden, und dann folgten die hohen, kahlen, vielfach zerklüfteten und zerbröckelten Felsmassen, welche das Thal einschlossen. Dieses war gewiß zwei Stunden lang und besaß eine ebensolche Breite.

„Nachdem das Maultier entlastet war, wurde ein Feuer- und Lagerplatz hergerichtet, wo ich zurückbleiben sollte, um auf die Pferde zu achten. Dann gingen die andern auf die Suche. Bis Mittag, wo ich einige Schüsse hörte, blieb alles still; später kehrte Ben Needler allein zurück. Er hatte zu früh auf eine Elkkuh geschossen und war von dem darüber erzürnten Wabble fortgejagt worden. Dieser stellte sich mit Litton erst in der Dämmerung ein, ganz erbost über den Mißerfolg, den es gegeben hatte.

„Fährten gab es genug,“ räsonnierte er, „aber nicht nur von Elks, sondern auch von Roten, welche vor uns hier gewesen sein müssen und das Wild vertrieben haben; th’is clear! Auf eine einzige Kuh stießen wir; da krachte dieser Needler seine beiden Läufe zu zeitig los, und sie ging auf und davon; das hat man davon, wenn man sich mit Greenhorns einläßt. Ich will aber den Weg nicht umsonst gemacht haben und bleibe also noch einen Tag oder zwei Tage oder überhaupt so lange hier, bis ich einen schweren Alten niedergestreckt habe.“

„Er sprach mit uns beiden kein Wort weiter und behielt diese Stimmung auch am nächsten Morgen bei, wo er erklärte, daß er mit Litton allein jagen werde; die beiden Greenhorns sollten im Lager bleiben, damit sie nichts verderben könnten. Nun, er hatte das Recht, zu thun, was ihm beliebte; wir aber nahmen im stillen dasselbe Recht auch für uns in Anspruch. Als die beiden fort waren, führten wir aus, was wir während der Nacht verabredet hatten. Wenn die Elks vertrieben worden waren, so befanden sie sich nicht mehr im Thale, sondern außerhalb desselben. Dort mußte man suchen. Da unsre Pirsche bis zum Abend währen konnte, so nahmen wir zum Tragen der uns nötig erscheinenden Gegenstände, vielleicht auch kleinerer Beutestücke, das Maultier mit.

„Wir wanderten aus dem Thale hinaus und in ein anderes hinein. Da gab es weder See noch Moor, aber gewiß auch keine Elks, denn es waren auch schon Menschen da, Menschen, die einen Maulesel bei sich hatten. Die Menschen sahen wir zwar nicht, desto deutlicher aber den Maulesel, welcher ohne Zaum und Sattel sich in ziemlicher Entfernung rechts von uns im Grase gütlich that. Wo waren die Menschen? Ich mußte sie finden. Während Ben sich gemächlich hinüber zu dem fremden Maulesel trollte, schritt ich mit unserm Maultiere geradeaus weiter. Der vermeintliche Esel fraß weiter, bis Ben sich ihm auf hundert Schritte genähert hatte; da bekam er ihn in die Nase, hob den Kopf, warf sich blitzschnell herum und floh in weiten Sätzen auf mich zu, wohl aus Sympathie für seinen Verwandten, an dessen Seite ich mich befand. Aber, was war denn das? Das war ja beileibe kein Maulesel; das war ein Wild. So viel sah ich, obgleich ich ein Greenhorn war. Ich kniete schnell hinter meinem Maultiere nieder, legte an, zielte und drückte ab. Die fremde Kreatur that noch zwei, drei Sätze und brach dann zusammen. Ich rannte hin; Ben kam auch; der Schuß war ins Blatt gedrungen, und wir beide wurden darüber einig, daß ich eine Hirschkuh erlegt hatte. Sie wurde auf den Packsattel des Maultiers gebunden, und dann ging es weiter, doch nicht lange, so war das Thal zu Ende. Rechts und links unersteigbare Wände, vor uns eine ziemlich steile Höhe, welche eine Art Sattel zu sein schien, hinter dem ein zweites Thal zu suchen war. Unser Maultier war ein guter Kletterer, also beschlossen wir, geradeaus zu steigen.

„Wir gelangten nach einiger Anstrengung hinauf und sahen, daß wir uns nicht geirrt hatten, denn vor uns senkte sich das Terrain wieder tief hinab. Aber dort gab es in der Ferne einen eigentümlichen Lärm, welcher von menschlichen Stimmen hervorgebracht zu werden schien. Wir mußten wissen, woran wir waren, und also nach einem Lugaus suchen. Zu beiden Seiten des schmalen Bergsattels gab es zwar hohe, aber so schräge Steilungen, daß man sie leicht ersteigen konnte. Wir arbeiteten uns also links hinauf, um von dort in das jenseitige Thal hinabzublicken. Unser Maultier ließen wir einstweilen stehen. Oben angekommen, wollte Needler sich weit vorbiegen, um besser sehen zu können; da er aber wegen seines helleren Anzuges leicht bemerkt werden konnte, so schob ich, der ich dunkler gekleidet war, ihn zurück und blickte hinab.

„Was im Vordergrunde des zweiten Thales vorging, konnte ich nicht sehen, da mein Standort dazu nicht hoch genug war; aber im Hintergrunde sah ich sieben indianische Reiter, welche, eine breite Linie bildend und aus vollen Hälsen schreiend, langsam vorwärts rückten. Dieses Geschrei kam also näher und wurde so stark, daß unser unten stehendes Maultier höchst bedenklich mit den Ohren zu spielen und mit dem Schwanze zu wirbeln begann. Ich schickte darum Ben hinab, um es zu beruhigen.

„Da fiel mein Auge auf die andre, jenseits des Sattels ungefähr vierzig Schritte von mir sich erhebende Steilung. Dort saß zu meinem Erstaunen ein Indianer mir gegenüber. Es war To-ok-uh, der schnelle Pfeil, welcher mir bedeutsam zunickte und dann die rechte Hand auf den Mund legte, bei den Indianern das Zeichen des Schweigens. Wie kam er hierher? Warum und worüber sollte ich schweigen? Vorgestern war er unbewaffnet gewesen, und jetzt hatte er ein Gewehr quer über seinen Knieen liegen. Während ich darüber nachdachte, war der Lärm noch näher gekommen; ich hörte unter mir Steine rollen und blickte hinab. Himmel, was für ein Ungeheuer ließ sich da sehen! Unter lautem, zornigem Schnaufen kam es aus dem jenseitigen Thale nach der Höhe des Sattels geklettert. Am Widerrist über zwei Meter hoch, mit kurzem, plumpem Leibe und langen Beinen, breit überhängender Oberlippe und struppigem Kinnbarte tauchte es funkelnden Auges auf der Höhe des Bergsattels auf. Als es dort Ben Needler und das Maultier hart vor sich erblickte, warf es den häßlichen Kopf mit den breiten, gewaltigen Schaufeln nach hinten und brach nach meiner Seite aus. Needler, als er seinerseits diesen Behemoth nur sechs Schritte von sich entfernt wie aus dem Erdboden erscheinen sah, stieß einen Schrei des Entsetzens aus, warf sein Gewehr weg, drehte sich um und rannte, nein, kollerte Hals über Kopf von der Höhe in das diesseitige Thal herab. Das Maultier zeigte nicht mehr Mut als sein Herr; es that einen ebenso schnellen Satz zurück und schoß, glücklicherweise auf allen Vieren, wie ein Schlitten den Bergsattel hinab.

„Ich hatte keine Zeit, aufzupassen, ob beide glücklich unten anlangten, denn der Behemoth hatte sich ja nach meiner Seite gewendet und bemerkte nicht, daß der Weg vor ihm frei geworden war. Er kam in weiten, gewaltigen Sätzen herauf, gerade auf mich zu. Ich war nicht weniger entsetzt als Ben Needler; das Gewehr entsank meiner Hand; Flucht, nur Flucht! Ich sprang von Stein zu Stein an der Felsenlehne hin, das Ungetüm mir nach. Da gähnte vor mir in der Steinwand ein großes Loch, und ich kroch hinein, so schnell, wie ich noch nie im Leben in einem Loche verschwunden bin. Die Öffnung verdunkelte sich, denn das Untier steckte den Kopf herein, so weit ihm dies bei der Breite des Geweihes möglich war. Es schnaufte wie ein Teufel, und ich fühlte seinen heißen Atem im Gesicht. Aber die Angst des gehetzten Geschöpfes war größer noch als sein Zorn; es zog den Kopf zurück und wendete sich zur weitern Flucht. Dabei bot es dem gegenübersitzenden und kaltblütig darauf wartenden Häuptlinge seine vordere Seite. Er zielte kurz, drückte ab und – der Elk brach im Feuer zusammen.

„Im Nu stieg To-ok-uh drüben herab und kam diesseits heraufgesprungen. Während ich sehr vorsichtig den Kopf aus dem Loche steckte, betrachtete er das gewaltige Tier und forderte mich dann lächelnd auf:

Mein Bruder komme heraus! Dieses Peere, ist von deiner Kugel gefallen und also dein Eigentum.

Von meiner Kugel? fragte ich erstaunt, indem ich herauskroch.

Ja, nickte er mir listig zu. Du bist At-pui, das gute Herz, und hast uns retten wollen; dafür sollst du Ruhm bei den Deinen ernten. Die Krieger der Panashts haben ihr Wampum abgegeben und sind vor euch in das Thal der Elks gekommen, wo sie ihre Waffen verborgen hatten. Ihr werdet dort kein Wild gefunden haben, als nur das junge Kind des Elks, welches ich auf dem Rücken eures Maultieres sah. Du warst so aufrichtig, mir zu sagen, daß du noch daneben schießest, doch mußt du das verschweigen, denn ich wünsche, daß deine Gefährten dich achten, wie ich dich liebe. Ich setzte mich auf den Felsen, um mir dieses selten starke Tier zutreiben zu lassen; da sah ich dich und beschloß Sofort, es dir zu schenken. Es sei von deiner Kugel getroffen, damit du Ruhm habest, bis sie wirklich trifft. Dein Bruder hat mich nicht gesehen, und ich gehe, damit er mich nicht noch erblickt. Mein Auge wünscht, dich wiederzusehen. Ich habe gesprochen. Howgh!

„Er drückte mir die Hand und eilte fort, um im jenseitigen Thale zu verschwinden.

„Das war die Dankbarkeit eines sogenannten wilden Mannes. Er überließ mir den Ruhm, der ihm gebührte. Sollte ich diese Gabe von mir weisen? Nein, ich war zu schwach, weil zu – jung dazu. Old Wabble hatte mich verhöhnt; gewiß, es war ein Fehler von mir, eine Lüge, mich mit fremden Federn zu schmücken, aber der alte Westmann sollte mich, das Greenhorn, beneiden!

„Ich stieg in das diesseitige Thal hinab. Weit, weit entfernt von dem Felsensattel stand Ben Needler mit dem unbeschädigten Maultiere. Ich winkte ihn herbei und führte ihn hinauf, wo der Elk lag. Mein Gewehr hatte ich natürlich wieder aufgenommen; der Indianer war von ihm nicht gesehen worden; es wußte überhaupt niemand, daß ich diesen kannte. Ben mußte also überzeugt sein, daß ich es sei, der das Tier erlegt hatte. Man kann sich sein Erstaunen, seine Verwunderung und – seinen Neid denken!

„Er that mir leid. Darum und, wie ich aufrichtig gestehe, zur Erleichterung meines Gewissens, machte ich ihm den Vorschlag, Old Wabble zu sagen, er habe das Schmaltier, das junge Kind des Elks, erlegt. Darüber war er so glücklich, daß er mich umarmte. Ich mußte als Wache gegen die Raubtiere bei meiner Beute bleiben; Needler brach mit dem Maultiere nach dem Moore auf, um Old Wabble und Litton zu holen; er brachte sie erst am späten Nachmittage. Die beiden hatten heute nicht das Haar eines Elks gesehen. Der Alte stand verstummt vor meiner Beute. Endlich gestand er, noch selten ein so mächtiges Exemplar gesehen zu haben. Der Neid zuckte durch seine schlotterige Gestalt, daß die Glieder nur so durcheinander wabbelten; dann maß er mich mit einem fast drohenden Blicke aus den halbgeschlossenen Augen und sagte:

Well, ich weiß, woran ich bin, Sir. Als Ihr am Tage vor ehegestern viermal die Natur durchlöchertet, habt Ihr Euch mit mir einen Scherz gemacht; th’is clear; aber ich hoffe, daß so etwas nicht wieder geschieht, wenn wir Freunde bleiben wollen!“

„Nun, wir sind Freunde geworden und geblieben, und haben selbander manchen guten Schuß gethan. Es war, als habe das Geschenk des Häuptlings mir mit einemmale einen scharfen Blick und eine sichere Hand gebracht. Gleich von jenem Tage an sind meine Kugeln so glücklich geflogen, daß es dem Alten niemals in den Sinn gekommen ist, daß ich mit jenem Elk geflunkert haben könne. Mit dem schnellen Pfeil bin ich noch oft zusammengetroffen und werde von den Seinen noch heut At-pui, das gute Herz, genannt. Er hat das Geheimnis treu bewahrt, und heut ist es das erstemal, daß es verraten wird. Ja, Mesch’schurs, ich gestehe es in aller Jägerreue, daß mein erster Elk gar nicht mein erster, aber auch noch lange nicht mein letzter Elk gewesen ist. Ich habe gesprochen. Howgh!“

Er schwieg, und die andern machten ihre lustigen Bemerkungen über das, was sie gehört hatten. Ich war still. Jeder Westmann hat seine Lehrzeit durchmachen müssen; es fällt ja kein Meister vom Himmel; auch ich hatte meine Lehrer gehabt, erst Sam Hawkens, den possierlichen kleinen Kerl, und dann Winnetou, den unvergleichlichen Meister in allem, was der wilde Westen verlangt.

Was Old Wabble betrifft, so hatte ich viel, sehr viel von ihm gehört, ihn aber noch nicht gesehen. Man wußte, daß er wirklich existiere, und doch lebte er in den Erzählungen wie eine mythische Gestalt, mit der die Gegenwart nichts mehr zu schaffen hat. Man berichtete hundert und aberhundert Schrullen und Thaten von ihm, welche bewiesen, daß er ein Original war, wie es kaum ein zweites geben konnte; man wußte nicht, wo er sich jetzt befand und was er trieb, und wenn er plötzlich einmal hier oder dort auftauchte, so war es nur für eine kurze Zeit, und man hatte wieder eine schnelle, kühne That oder eine ganz abnorme Sonderlichkeit von ihm zu erzählen.

In seiner Jugend war er der König der Cowboys genannt worden; jetzt hatte er ein Alter erreicht, welches man auf über neunzig Jahre schätzte, doch sollte er noch ebenso rüstig wie ein junger sein, und nur sein langes, schneeweißes Haar, welches beim Schnellreiten wie eine Mähne hinter ihm wehte, verriet die Länge seines außerordentlich bewegten Lebens. Ich hatte längst den Wunsch gehabt, ihn einmal zu sehen. Nun war er vor mir hier gewesen und wahrscheinlich für lange Zeit wieder verschwunden.

Es war während Parkers Erzählung Abend geworden; wegen der Comantschen durfte kein Feuer angebrannt werden; darum gab es keine Unterhaltung, und wir legten uns schlafen. Als wir am nächsten Morgen aufbrechen wollten, zeigte es sich, daß Parkers Mißtrauen nicht unberechtigt gewesen war: der Kommandant wollte absolut einen von den Jägern als Scout zurückbehalten, stieß aber bei ihnen auf so hartnäckige Weigerungen, daß er endlich einsah, es sei besser, zu verzichten; ein mit Zwang gepreßter Späher hätte ihm voraussichtlich mehr Schaden als Nutzen gebracht. Da machte ich mir den Spaß, mich ihm anzubieten. Er wies mich mit einer verächtlichen Handbewegung zurück und sagte:

„Reitet nur immer fort, Mr. Charley! Ein Mann, dessen Beruf es ist, nach verfaulten Knochen und Überresten zu suchen, kann unmöglich das thun, was ich von einem Scout verlange. Stochert also getrost in alten Gräbern weiter; ich will mir mit Euch keine Last auf den Hals laden.“

Er hatte also erfahren, was mich vermeintlich nach dem Westen getrieben hatte. Well, mir war dieser Abschied recht. Um nicht etwa noch im Fortreiten durchschaut zu werden, hing ich so unbeholfen wie möglich auf dem Pferde und behielt dies dann auch während des ganzen heutigen Rittes bei, damit meine Begleiter ihre Ansicht über mich nicht ändern möchten.

Diese zehn Männer hatten sich auf der Route vom Rio Gila herüber zusammengefunden und wollten jetzt nach Texas hinab, der eine von dieser und der andre von jener Absicht getrieben; eine durch einen bestimmten Zweck zusammengehaltene Gesellschaft bildeten sie nicht.

Vom Lagerplatze der Truppen bis zum Mistake-Cañon hatten wir vier Stunden zu reiten, welche vergingen, ohne daß sich irgend etwas ereignete. Josua Hawley wurde unterwegs an sein gestriges Versprechen erinnert, und er versprach, es zu halten. Die wenigen Worte, die ich gestern aus seinem Munde gehört hatte, waren mir genug; ich wußte, daß er der Weiße war, der den roten Freund infolge eines Mißverständnisses erschossen hatte. Das lag ihm noch heut auf der Seele, und daher die Schwermut, die mir gleich beim ersten Blicke aufgefallen war.

Wir hatten uns bis jetzt auf einer felsigen Hochebene befunden, die sich nun allmählich abwärts senkte. Dann hielten wir vor einem tiefen Schlunde, zu dem ein steiler Weg hinabführte. Wie ein von Gigantenfäusten in den Felsen gehauener Graben zog er sich von uns aus scheinbar endlos nach Osten, mit steilen Wänden, die mehrere hundert Fuß hoch waren. Unten rauschte ein Wasser, welches von oben aus wie schwarze Tinte erschien. Da, wo wir hielten, standen vereinzelte Riesenkaktus am Felsenrande. Das war der Mistake-Cañon, dessen Anfang sich vor uns öffnete und in den wir hinabmußten. Wer das Auge hinab in den drohend emporgähnenden Schlund richtete, dem konnte allerdings ein Grausen, ein Gefühl überkommen, als ob da unten die Stätte eines unabwendbaren Unheiles sei. Ich hatte viele Cañons gesehen und auch viele durchritten, war aber von keinem, um mich des Ausdruckes zu bedienen, so zurückgeworfen worden wie von diesem hier.

Wir ritten den steilen Weg hinab, bis wir den Grund erreichten; dort ging es am Wasser hin, welches nun allerdings ein andres Aussehen hatte. Wir gelangten an einen großen Uferstein, an dem es sich brach; da hielt Jos sein Pferd an, stieg ab, setzte sich auf den Stein und sagte:

„Hier ist der Ort, an welchem ich mein Versprechen halten will. Steigt ab, Mesch’schurs! Ihr sollt erfahren, wie die Sage von dem Geiste des Mistake-Cañon entstanden ist.“

„Geist? Pshaw!“ lachte Sam Parker. „Ein Dummkopf ist, wer an solche Geister und Gespenster glaubt. Ein weißer Jäger hat irrtümlicherweise einen befreundeten Apatschen an Stelle eines feindlichen Comantschen erschossen. Niemand aber kann sagen, wer es gewesen ist und wie so etwas hat möglich sein können.“

„Ich, ich kann es sagen, ich allein,“ meinte Jos, indem er sich mit der Hand über die Augen strich.

„Ah, du? Du weißt es, wie diese unglückselige Geschichte sich zugetragen hat?“

„Ob ich es weiß! Hier von dem Stein aus, auf welchem ich sitze, habe ich selbst damals den verhängnisvollen Schuß abgefeuert. Meine Augen waren um dreißig Jahre jünger als jetzt, aber doch nicht scharf genug, den Richtigen vom Falschen zu unterscheiden. Ich hatte einen Freund, wißt Ihr, einen echten, wahren; er war ein Apatsche und hieß Tkhlisch-lipa, Klapperschlange. Er verdankte mir das Leben und hatte dafür versprochen, mir einen Ort zu zeigen, an welchem Nuggets in Menge zu finden seien, wie ich bereits gesagt habe. Ich suchte mir also vier wackere Boys zusammen, welche zu dem Unternehmen paßten. Wir mußten sehr vorsichtig sein, weil der Ort im Gebiete der Komantschen lag; darum nahmen wir Weißen keine Pferde mit, und nur der Apatsche hatte auf seinen Mustang nicht verzichten wollen. Um keine lange Einleitung zu machen, wir kamen hier oben am Cañon an. ihr seht am Rande desselben einzelne Riesenkakteen stehen. Weiter zurück gab es damals einen ganzen Wald davon, an dessen Saum wir uns eine Hütte bauten, in welcher wir wirtschaften wollten, während der Arbeitsplatz hier unten am Wasser lag.

„Tkhlisch-lipa hatte nicht gelogen; unsere Ausbeute war über Erwarten reich, obgleich nur vier Personen schaffen konnten, da einer die Hütte zu bewachen hatte, während ein andrer jagen mußte, um für Fleisch zu sorgen. Das letztere hatte mit der größten Umsicht zu geschehen, da Avat-kuts, der große Büffel, der Häuptling der hier hausenden Comantschen, nicht nur ein blutgieriger Mensch, sondern auch ein Virtuos im Spüren war. Es verstand sich ganz von selbst, daß jeder neben Hacke und Spaten auch seine Waffen stets bei der Hand hatte.

„Wir mochten wohl an die drei Wochen hier gewesen sein, als eines Tages der Apatsche den Dienst bei der Hütte zu versehen hatte, während ein Kamerad, der lange Winters, nach Fleisch umherstreifte. Während wir andern unten herzhaft arbeiteten, saß der Rote oben, sich langweilend, in der heißen Sonnenglut. Er hatte sein Oberkleid, eine neue, wertvolle Santillodecke, abgelegt und rieb sich den Körper zum Schutze gegen Insekten, nach Indianerart mit Bärenfett ein. Da hört er hinter sich ein Geräusch. Er blickt sich um und sieht den gefürchteten Comantschenhäuptling, den er sofort erkennt, vor sich stehen, mit dem Gewehrkolben zum Schlage ausholend. Ehe er auszuweichen vermag, saust der Hieb nieder und trifft ihn so auf den Kopf, daß er die Besinnung verliert. Daß ihm nicht der Schädel zerschmettert worden ist, hat er nur seiner eigenartigen Kopfbedeckung zu verdanken, einer Art Mütze, welche mit Fuchsschwänzen und Klapperschlangenhäuten verziert war.

„Avat-kuts läßt ihn einstweilen liegen und tritt in die Hütte, um dieselbe zu untersuchen. Er findet unsre mit Nuggets gefüllten Lederbeutel und hängt sie sich an den Gürtel. Wieder zurückgekehrt, wirft er seine alte Kallikojacke ab und vertauscht sie mit der Santillodecke. Auch die Mütze des Betäubten gefällt ihm, und er stülpt sie sich auf den eigenen Schopf. Dann pfeift er seinem starkknochigen Gaul, den er beim Anschleichen hinter den Kakteen zurückgelassen hat, herbei und findet, daß der in der Nähe grasende Mustang des Apatschen bedeutend mehr wert ist. Nun soll der Feind skalpiert werden und zwar bei lebendigem Leibe. Der Comantsche stellt sich also mit ausgespreizten Beinen über denselben, ergreift ihn mit der Linken beim Haare, um den Kopf emporzuziehen, nimmt das Messer in die Rechte, macht über die Ohren weg um Stirn und Hinterkopf einen Schnitt, und versucht nun, den Skalp mit einem kräftigen Rucke loszureißen, was ihm aber nur halb gelingt. Klapperschlange erwacht von dem entsetzlichen Schmerze und faßt den Comantschen bei den Händen. Es beginnt ein Ringen, aus welchem der große Büffel unbedingt als Sieger hervorgehen muß, da der andre von dem herablaufenden Blut geblendet wird.

„Indessen hat der lange Winters eine gute Jagd und sich mit der Ausbeute nach Hause gemacht. Er findet die Fährte des Comantschen, erschrickt und schleicht ihr nach. Um die Ecke des Kaktuswaldes tretend, sieht er die beiden kämpfenden Indianer und hält wegen der Santillodecke und der Mütze den Comantschen für den Apatschen. Er legt schnell sein Gewehr an und schießt auf den blutenden Freund, trifft aber glücklicherweise wegen der weiten Entfernung nicht. Der Comantsche fährt, als er den Schuß hört, herum, erblickt den neuen Feind, reißt sich los, springt, sein Gewehr liegen lassend, nach dem Mustang des Apatschen, schwingt sich auf und jagt davon. Klapperschlange, vor Wut und Schmerz fast wahnsinnig, wischt sich das Blut aus den Augen, gewahrt den fliehenden Gegner und dessen stehengebliebenes Pferd. Im Nu sitzt er auf und jagt ihm nach, den Lasso von den Hüften reißend, während der lange Winters ganz verblüfft hinterdreinschaut, weil er sich den Vorgang nicht erklären kann. Da Winters den Weg nach rechts versperrt und links die dichten Kakteen kein Entkommen bieten, so sprengt der Comantsche dem Cañon zu, von welchem er weiß, daß ein, wenn auch gefährlicher Pfad an der fast senkrechten Wand desselben zur Tiefe führt. Er ahnt nicht, daß sich vier Bleichgesichter da unten befinden.

„Drüben, jenseits des Wassers, seht ihr einen Vorsprung, eine schmale, fortlaufende Kante aus dem Felsen treten und sich nach der Höhe ziehen; das ist der erwähnte Pfad. Schon für den Fußgänger schwierig, ist er für einen Reiter geradezu gefährlich, und wir wunderten uns daher nicht wenig, als wir von oben herab den Hufschlag galoppierender Pferde vernahmen. Der Höhe wegen, in welcher sie sich befanden, konnten wir erst nur die Köpfe der Reiter sehen, doch je weiter sie herabkamen, desto vollständiger erblickten wir die Gestalten. Voran lief der Mustang des Apatschen, dessen Reiter wir infolge der Mütze und Santillodecke für Klapperschlange halten mußten. Er wurde von einem, auf einem uns fremden Pferde sitzenden Reiter verfolgt, welchem der blutige Schopf vom Kopfe hing und der sich wegen der hindernden Felswand vergeblich bemühte, dem Voranreitenden den Lasso über den Kopf zu werfen. Wir hörten die Stimme des Apatschen unausgesetzt rufen: Hatatitla aguan, hatatitla aguan – erschießt ihn, erschießt ihn! Das galt natürlich uns, und ich griff zu der Büchse. Jetzt erreichte der Vorderste die Sohle der Schlucht, dort, jenseits des Wassers, und sprengte weiter. Nun kam der andre. Er konnte jetzt den Lasso freier handhaben und schwang ihn zum Wurfe. Ich drückte ab – ein Schrei und er flog nach hinten vom Pferde, welches reiterlos weiterjagte. Nach wenigen Sekunden standen wir drüben bei ihm. Denkt euch unsern Schreck, als wir in ihm unsern roten Freund erkannten! Meine Kugel hatte nur zu gut getroffen. Er deutete vorwärts und sagte mit brechender Stimme: Darteh litschane Avat-kuts – dieser Hund war der große Büffel. Dann war er tot.“

Der Erzähler schwieg, und starrte trüben Blickes nach der angedeuteten Stelle hinüber. Wir ehrten dieses Schweigen, indem auch wir nichts sagten. Erst nach einer längeren Weile fuhr er fort:

„So wurde ihm das Gold, welches er uns schenkte, durch eine Kugel vergolten. Wir haben die Schlucht den Mistake-Cañon genannt, und dieser Name ist ihr bis auf den heutigen Tag geblieben. Man hat die Geschichte oft in meiner Gegenwart erzählt; nie aber ist es mir eingefallen, zu sagen, daß ich selbst der unglückliche Held derselben bin. Ich habe das im stillen mit mir abzumachen versucht. Heute jedoch, da wir uns an derselben Stelle befinden, soll es einmal vom Herzen herunter, und ihr mögt mir nun sagen, ob man mich einen Mörder nennen kann.“

„Nein, nein!“ rief es rundum. „Du bist vollständig unschuldig. Aber wie ist’s mit dem Comantschen? Er entkam?“

„Nein. Wir fanden ihn gar nicht weit von hier im Steingeröll, wo das Pferd gestrauchelt war und ihn abgeworfen hatte. Ihr könnt Euch denken, daß es da anstatt einer Leiche zwei gegeben hat. Das ist das Gesetz des wilden Westens; sprechen wir nicht darüber!“

„Und das Gold, die Nuggets! Wir wollen natürlich wissen, welche Schätze Ihr damals aus dem Cañon mitgenommen habt!“

„Weit weniger als der vortreffliche Anfang vermuten ließ. Es war, als habe ein Racheengel das Gold tief ins Erdinnere verschwinden lassen. Seit meine Kugel den Apatschen traf, wurde die Ausbeute von Tag zu Tag geringer, bis sie endlich ganz aufhörte. Wir gruben und arbeiteten noch wochenlang, doch vergeblich. Und was wir mitnahmen, das hat nicht lange vorgehalten; es ist bald alle geworden – beim Wein und beim Spiel. Nur eins ist mir geblieben und wird mich bis an mein Ende nicht verlassen, nämlich die Erinnerung an den Augenblick, da mein Blei den Roten vom Pferde riß. Dieses Bild schwebt mir immer und immer vor, und dazu gellt mir im Ohr der Todesschrei. Es schüttelt mich. Kommt, wir wollen fort! Ich mag den Ort nicht länger sehen!“

Er stand langsam und schwer auf und schüttelte sich, als ob er der bisher auf ihm gelegenen seelischen Last ledig werden wolle. Als er dann mit der Hand nach dem Zügel griff, um aufzusteigen, hielt ich ihn zurück und sagte:

„Eure Kameraden haben schon ihre Meinung ausgesprochen, daß Ihr unschuldig seid; nun hört auch, was ich sage, Mr. Hawley.“

„Nun?“ fragte er in einem Tone, als ob er auch von mir nicht die geringste Erleichterung erwarte.

„Ich will Euch eine Geschichte, eine wahre Geschichte erzählen, die sich drüben in Deutschland, meiner Heimat, zugetragen hat.“

„Was kann mir Eure deutsche Geschichte nützen?“

„Vielleicht doch etwas; hört sie nur an! Zwei Schieferdecker hatten auf der Spitze eines sehr hohen Kirchturmes eine neue Wetterfahne anzubringen; die dazu nötigen Leitern waren Tags vorher angelegt worden, ehe man die alte Fahne abgenommen hatte. Der eine Schieferdecker war ein alter, erfahrener Meister, der andre sein Sohn, der eine Frau und vier Kinder hatte. Sie stiegen höher und höher, von Sprosse zu Sprosse, der Alte voran, der Sohn hinterdrein, beide mit einer Hand sich festhaltend und mit der andern die schwere Wetterfahne tragend. Unten stand eine Menschenmenge, um lautlos, mit stockenden Pulsen und selbst fast schwindelig, der waghalsigen Arbeit zuzuschauen. Da hört man oben einen Schreckensruf erschallen; der Sohn hat ihn ausgestoßen; der Vater antwortet ruhig und ermahnend; der Sohn ruft wieder, und gleich darauf stößt die Menge einen einzigen, vielstimmigen Schrei des Entsetzens aus, denn der Alte hat den Sohn, der ihn am Fuße faßte, mit einem kräftigen Tritte von der Leiter geschleudert, so daß er in die grausige Tiefe stürzt und dort zu einem wirren Haufen von Fleisch und Knochen zerschellt.“

„Ist so etwas möglich! Der Mörder seines eignen Sohnes!“ rief Hawley aus.

„Nicht vorschnell, Sir; hört weiter! Unten am Turme giebt es natürlich Scenen einer Aufregung, welche nicht beschrieben werden können; oben aber steigt der Alte weiter in die Höhe, die Fahne nun allein tragend. Bei der Spitze angekommen, stellt er sich auf den Knopf und steckt die Fahne mit einer unglaublichen, wahrhaft riesigen Anstrengung aller seiner Kräfte auf die Spindel. Dann kommt er so ruhig und kaltblütig, als ob nichts geschehen sei, langsam und sicher wieder herabgestiegen, Leiter um Leiter über sich von den Haken lösend und in die Dachfenster des Turmes schiebend, bis er im Schallloche der Glockenstube verschwindet. Vor der Turmthür wartet die wütende Menge, bereit, ihn zu lynchen; er kommt aber nicht. Man dringt in den Turm und findet ihn oben in der Glockenstube, wo er in dem Augenblicke, in dem er den festen Boden unter sich gefühlt hat, besinnungslos zusammengebrochen ist. Er wird nach Hause gebracht und erwacht nur, um im hitzigen Fieber monatelang von dem entsetzlichen Momente zu phantasieren, wo er gezwungen gewesen ist, seinen Sohn in den entsetzlichen Tod zu stürzen. Die Kunst der Ärzte und seine trotz des Alters kräftige Natur retten ihn; aber sobald die Beine noch kaum imstande sind, ihn zu tragen, geht er auf das Gericht, um sich dem Staatsanwalte zu überliefern. Was glaubt Ihr wohl, wie das Urteil gelautet hat, Mr. Hawley?“

„Wie soll es gelautet haben! Es giebt hier nur eine Strafe: für Sohnesmord den Tod,“ antwortete der Gefragte.

„Ist das wirklich Eure Meinung, Sir?“

„Natürlich. Man kann ja gar keine andre haben.“

„O doch!“

„Nein. Er hat seinen Sohn mit voller Absicht in den Tod gestoßen.“

„Nicht etwa in der Aufregung?“

„Schließt das die Absicht aus?“

„In diesem Falle wohl nicht. Aber der Fall läßt sich noch ganz anders beurteilen.“

„Möchte doch wissen, wie!“

„Er erregte natürlich ungeheures Aufsehen und wurde überall besprochen, mündlich und auch in den Zeitungen. In juristischen Kreisen war man der Ansicht, daß die Anklage wegen Mordes unbedingt aufrecht zu erhalten und der Alte unbedingt zu verurteilen, dann aber der Gnade des Monarchen zu empfehlen sei. Das Publikum verweigerte dem Thäter zunächst jede Entschuldigung, lernte aber gar bald, als es die Gründe seines Handelns erfuhr, anders denken. Ja, er hatte die That mit Überlegung begangen, aber was hatte ihn dazu veranlaßt? Der Sohn hatte ihm plötzlich zugerufen, er sei vom Schwindel ergriffen worden, so daß sich alles um ihn zu drehen scheine. „Mach die Augen zu, und halte dich fest, bis es vorüber ist; ich warte!“ mahnte ihn der Alte, der an einen kurz vorübergehenden Anfall dachte. „Ich kann nichts festhalten; ich fühle nichts,“ schrie der Sohn, indem er die Fahne fahren ließ und den Fuß des Alten ergriff. Dieser erkannte mit Schaudern, daß es kein Warten und kein Vorübergehen gab; es war einer jener Anfälle, die den Betreffenden vollständig entmannen, in denen Hilfe unmöglich ist; der Helfer wird nur selbst mit ins Verderben gezogen. In einem einzigen kurzen Augenblicke vergegenwärtigte er sich seine fürchterliche Lage. Die schwere Wetterfahne in der Linken, mußte er sich mit der Rechten festhalten; am Fuße hatte er den Sohn hängen; er fühlte die zentnerschwere Last, die ihn von der Leiter weg und in die Tiefe ziehen wollte; er wußte, daß er dies nur wenige Augenblicke aushalten könne und dann mit hinab müsse. Ja, hätte er unter dem Sohne gestanden, so hätte er ihn stützen und vielleicht, vielleicht doch retten können, so aber war dieser unbedingt verloren. Sollte der verhängnisvolle Schwindel zwei Menschenleben kosten anstatt nur eines? Sollte die arme Familie außer dem einen Ernährer auch noch den zweiten verlieren? War es nicht Selbstmord, sich mit hinabreißen zu lassen, wo er sich doch, freilich nur sich allein, halten konnte? Da rief der Sohn: „Herrgott, ich fühle die Leiter nicht mehr; ich stürze, ich falle!“ Er hing nur noch am Fuße des Vaters. Da erkannte dieser, daß das Gräßliche nicht zu umgehen sei, daß es geschehen müsse; er stieß den Sohn mit einem kräftigen Tritte von sich ab und von der Leiter. Er hörte den vielstimmigen Schrei der Zuhörer; er sah nicht hinab; es flimmerte ihm vor den Augen; sein Herz wollte stillstehen; aber er mußte stark bleiben und raffte sich mit Aufbietung aller seiner Kräfte zusammen. Wie im Traume, in einem Zustande seelischer Stumpfheit stieg er empor und vollendete seine Aufgabe. So stieg er dann auch wieder herab und barg die Leitern, eine nach der andern; aber sobald er sich dann in der Glockenstube befand, verließen ihn die Kräfte, und er brach besinnungslos zusammen. Habt Ihr nun über seine That noch dieselbe Ansicht wie vorhin, Mr. Hawley?“

„Hm! Wie Ihr es erzählt, klingt es nun freilich anders.“

„Das fühlten bald auch alle, die ihn vorher verurteilt hatten. Er bekam einen ausgezeichneten Verteidiger, und dieser that seine Pflicht. Gelehrte, Sachverständige, Universitätslehrer, mußten ihre Ansichten über den Schwindel und seine Wirkungen einreichen; eine ganze Anzahl von Dachdeckern, Zimmerleuten und andern Bauhandwerkern wurde vernommen. Essenkehrer, sogar ein Seilkünstler, meldeten sich freiwillig, um ihr Urteil zu Gunsten des Angeschuldigten abzugeben. Sie alle, ohne eine einzige Ausnahme, behaupteten, daß er nicht anders habe handeln können, daß sein Sohn unbedingt verloren gewesen sei. Kurz, er wurde freigesprochen und aus der Untersuchungshaft entlassen. Diejenigen, welche ihn im Augenblicke der Aufregung hatten lynchen wollen, empfingen ihn jubelnd am Thore des Gerichtsgebäudes. Er lebte noch eine Reihe von Jahren, geachtet von allen, die ihn kannten; man sagt, er habe nie wieder lachen oder auch nur lächeln können; es war ihm unmöglich, die That, zu der er sich gezwungen gesehen hatte, zu verwinden, aber es hat keinen einzigen Menschen gegeben, dem es in den Sinn gekommen wäre, sie ihm vorzuwerfen. Was sagt Ihr nun, Sir?“

„Daß es ganz richtig gewesen ist, ihn freizusprechen,“ antwortete Jos. „Aber was hat mein damaliger Unglücksschuß mit diesem Dachdecker zu thun?“

„Das merkt Ihr nicht?“

„Nein.“

„Und doch liegt es so nahe. Dieser Mann hat seinen Sohn, wie Ihr selbst vorhin sagtet, mit Bedacht getötet, während Ihr den Apatschen aus Versehen erschossen habt. Der Dachdecker wurde freigesprochen; wie würde eine Jury wohl über Euern Fall urteilen?“

Er blickte nachdenklich zu Boden. Es war, als ob ein heller, froher Zug über sein melancholisches Gesicht gleiten wolle; dann reichte er mir die Hand und sagte:

„Jetzt weiß ich, wie Ihr es meint, Mr. Charley. Es hat mir so lange, lange Zeit auf der Seele gelegen, daß es nicht so schnell, wie Ihr wohl denkt, abzuwerfen ist; aber ich danke Euch! Werde über Eure Erzählung nachdenken; vielleicht thut sie das, was Ihr beabsichtigt habt. Von hier aber treibt es mich dennoch fort, ich mag den Ort nicht länger sehen. Wollen machen, daß wir aus dem Unglückscañon kommen!“

Ja, ich hatte es gut mit ihr gemeint und sollte später erfahren, welchen Nutzen sie ihm und infolgedessen auch -mir brachte. Ich hatte einen dankbaren Freund gewonnen.

Wir stiegen zu Pferde und ritten weiter. Der Cañon war so lang, daß wir erst nach einer Stunde den Ausgang erreichten. Dort standen wieder mehrere Exemplare des säulenartigen Riesenkaktus, welche Früchte trugen. Als Sam Parker dies sah, hielt er sein Pferd an und sagte den andern, indem er auf mich deutete:

„Ihr werdet zugeben, Mesch’schurs, daß es immer gut ist, zu wissen, wie weit man auf einen Mann, mit dem man reitet, rechnen kann. Dieser Mr. Charley hat sich zu uns gesellt und wird uns wahrscheinlich nicht so bald verlassen. Wir können in jedem Augenblicke eine Begegnung mit den Comantschen haben und gezwungen sein, nach unsern Gewehren zu greifen. Meint Ihr nicht, daß es da richtig ist, von ihm einige Probeschüsse zu verlangen?“

„Ja, ja, er mag schießen; er mag zeigen, was er kann!“ wurde ihm beigestimmt. Nur Jos Hawley schwieg.

„Ihr habt es gehört, Sir,“ fuhr Parker fort, sich nun zu mir wendend. „Hoffentlich weigert Ihr Euch nicht, uns eine Probe von Eurer Kunstfertigkeit zu geben?“

„Nein,“ antwortete ich. „Doch setze ich voraus, daß ich nicht allein es bin, der sein Examen abzulegen hat.“

„Wer denn noch?“

„Natürlich Ihr.“

„Ich – – –?“ fragte er gedehnt.

„Ihr und die andern Gentlemen auch, wie sich doch ganz von selbst versteht.“

„Von selbst versteht? Ich wüßte nicht, warum dies so selbstverständlich sein könnte. Wahrscheinlich könnt Ihr nicht besser schießen wie ich damals, als ich zu Old Wabble kam. Ich hätte schon gestern im Lager gern einige Probeschüsse von Euch gesehen, wollte Euch aber nicht vor den Truppen blamieren. Jetzt sind wir allein und haben keine Zeugen, die gern lachen.“

Well! Nach welchem Ziele soll geschossen werden?“

„Dort stehen Kaktuspflanzen, vielleicht hundertfünfzig Schritte weit. Sie tragen Früchte. Möchte doch wissen, ob Ihr von hier aus einen solchen Kaktusapfel treffen könnt.“

„Könnt Ihr das denn, Mr. Parker?“

„Wetter! Welch eine Frage! Zweifelt Ihr etwa daran?“

„Ob ich zweifle oder nicht, das ist sehr gleichgültig.“

„Oho! Ihr seid kein Westmann, sonst müßtet Ihr wissen, daß ein solcher Zweifel eine Beleidigung ist.“

Die Sache machte mir natürlich Spaß. Old Shatterhand sollte zeigen, daß er schießen könne. Ich antwortete lächelnd und in ruhigem Tone:

„So scheint Ihr also auch kein Westmann zu sein.“

„Ich? Kein Westmann! All devils! Sam Parker soll kein Westmann sein! Wie kommt Ihr auf diese so ganz außerordentliche Idee?“

„Weil Ihr auch nicht zu wissen scheint, daß ein solcher Zweifel beleidigend ist. Würdet Ihr sonst eine Probe von mir fordern?“

Pshaw! Das ist etwas ganz andres. Ihr reitet hier auf Euerm Kutschpferde herum, um nach Altertümern zu suchen; wir aber sind Westmänner.“

„Ob Ihr das wirklich seid, weiß ich noch nicht. Ihr verlangt eine Schießprobe von mir, weil Ihr mich nicht kennt; ich kenne Euch ebenso wenig wie Ihr mich und habe also genau dasselbe Recht, zu erfahren, wie Ihr mit Euern Gewehren umzugehen versteht. Ich werde schießen, ja, aber nur dann, wenn auch Ihr mir zeigt, was Ihr gelernt habt.“

Er sah mir eine Weile ganz erstaunt in das Gesicht, brach dann in ein Gelächter aus, in welches die andern sehr laut einstimmten, und rief dann aus:

„Was wir gelernt haben! Das ist köstlich! Nicht wahr, Mesch’schurs? Sam Parker soll zeigen, was er gelernt hat! Das ist ihm noch nie widerfahren, niemals in seinem ganzen Leben!“

„Oho!“ widersprach ich ihm. „Ihr habt ja gestern erzählt, daß Ihr vor Old Wabble eine Probe ablegen mußtet, damals, als Ihr auf dreißig Schritte wohl einen Kirchthurm, aber keinen Geier treffen konntet.“

„Ja, dazumal! Aber jetzt ist es anders. Jetzt hat Sam Parker es nicht nötig, sich wie einen Schulbuben examinieren zu lassen. Doch, vielleicht habt Ihr einmal gehört, daß kein Westmann sich die Gelegenheit entgehen läßt, einen guten Probeschuß zu thun, und so wollen wir auf Euer Verlangen eingehen, so sonderbar es immer ist. Seid Ihr einverstanden, Mesch’schurs?“

Die andern neun Männer gaben ihre Zustimmung, und so stiegen wir von den Pferden. Ich nahm mir vor, recht schlecht zu schießen und mich tüchtig auslachen zu lassen. Später konnte dann ich über sie lachen. Wenn sie mich infolge meines Vorgebens wirklich für einen sonderbaren Kauz hielten, der nach alten Gräbern suchte, so mußten sie als Westmänner doch Augen dafür haben, daß mein Rapphengst kein Kutschengaul war.

Die Pulververschwendung begann. Parker und Hawley schossen zwar nicht meisterhaft, aber doch gut, die andern leidlich. Meine drei Kugeln gingen fehl; sie trafen so weit vom Ziele auf den Felsen, daß ich allerdings ein überlautes Gelächter erntete und Parker in verweisendem Tone zu mir sagte:

„Habe es mir gedacht! Wer seine Kugeln über zwanzig Schritte zu weit seitwärts fliegen läßt, der sollte nicht ein solches Bigmouth, sein, Sam Parker Probe schießen zu lassen! Nehmt mir dieses Wort nicht übel, Sir, aber blamiert seid Ihr im höchsten Grade! Ihr werdet weder ein Wild noch einen Indianer treffen und könnt froh sein, daß Ihr uns getroffen habt, Ihr gefallt mir trotz alledem, und wir haben nichts dagegen, daß Ihr bei uns bleibt, bis wir in eine Gegend kommen, wo Ihr Euern Weg ohne Gefahr allein fortsetzen könnt.“

Wir stiegen auf und ritten weiter. Es fiel mir nicht ein, ihm das Bigmouth und die Ermahnung übel zu nehmen; seine Ausdrucksweise war eben keine übermäßig feine, und ich hatte es ja nicht anders gewollt.

Es waren zunächst einige durch Schluchten getrennte Hochplateaus zu durchqueren, und dann ging unser Weg nach dem Gebiete des Rio Pecos hinab, den wir, falls wir die gleiche Schnelligkeit beibehielten, morgen gegen Abend erreichen konnten. Bald gab es hier und da eine grasige Stelle, dann Laubgrün, welches aus Beerenranken und dergleichen bestand, und am Nachmittage trafen wir auf ein Wasser, an welchem erst vereinzelte Büsche und dann dichter stehende Sträucher Nahrung fanden. Grad als die Sonne untergehen wollte, führte dieses Wasser durch ein Thal, welches unsern Pferden fette Weide bot und mehrere zum Nachtlager gut geeignete Stellen zeigte. Es standen sogar Bäume hier.

Parker, der unter stillem Einvernehmen als unser Anführer galt, wählte einen Platz, der fast rundum von Büschen umgeben war und da, wo das Strauchwerk die einzige Öffnung hatte, von dem Bache abgeschlossen wurde. Diese Wahl war gar nicht übel getroffen, besonders da die Größe dieser Lagerstelle auch unsern Pferden Raum bot, die wir also während der ganzen Nacht bei uns haben konnten und nicht besonders zu bewachen brauchten. Als wir abgestiegen waren und wir andern es uns bequem gemacht hatten, ging Parker mit Hawley fort, um zu versuchen, frisches Fleisch zu schießen. Als sie kurz nach Sonnenuntergang zurückkamen, sahen wir, daß sie Glück gehabt und mehrere Hühner geschossen hatten, die nun gebraten wurden. Dürres Gezweig zum Feuer gab es zur Genüge. Ich bekam meinen Anteil und zog mich dann, als ich ihn verzehrt hatte, vom Feuer weg an den Buschrand zurück, wo ich mein Pferd anpflockte und mich in der Nähe desselben niederlegte.

Die andern unterhielten sich in der gewöhnlichen Weise der Westmänner, und da ihr Gespräch mir nichts Neues bot, so zog ich es vor, allein zu sein. Ich hatte mich seit der Schießprobe meist allein gehalten, und nur Jos hatte einigemale sein Pferd neben das meinige gelenkt, um einige Worte an mich zu richten, welche freundlicher waren, als es sonst seine Art und Weise zu sein schien. Er saß jetzt still bei seinen Kameraden und warf nur zuweilen eine kurze Bemerkung in ihr Gespräch. Man sah ihm an, daß er sich mit einem Gedanken beschäftigte, den ich leicht erraten konnte. Dann stand er dort auf, kam langsam zu mir herbei, setzte sich neben mich und sagte:

„Darf ich zu Euch kommen, Sir, oder ist es Euch lieber, allein zu sein?“

„Bleibt hier, Mr. Hawley! Ihr seid mir recht.“

„Das freut mich. Ihr scheint ein schweigsamer Mann zu sein, und ich werde Euch nicht mit Worten belästigen; bin auch lieber still als laut; aber Dank sagen muß ich Euch doch.“

„Wofür?“

„Für Eure heutige Geschichte. Habe während des ganzen Rittes an sie denken müssen. Bin auch jetzt noch nicht ganz über sie hinweg, aber ich fühle doch schon, daß sie mir Erleichterung verschaffen wird. Es ist ein verdammt miserables Gefühl, der Mörder eines Freundes zu sein!“

„Daß Ihr das nicht seid, habe ich Euch schon vorher gesagt, und das hat Euch dann auch noch meine Geschichte sagen und beweisen sollen.“

Well! Ich bin Euch Dank schuldig, und es ist mir, als ob ich Euch lieb gewinnen sollte. Ihr seid zwar kein großes Licht im Westen, aber Ihr habt so etwas an Euch, was mich zu Euch zieht, so – – so – – – na, grad so als wie wenn man rechten Durst hat und ein helles Wasser blinken sieht; so klar und hell ist Euer Gesicht. Man schaut gern hinein. Darum habe ich mich über Eure Schießprobe geärgert, um Euertwillen natürlich nur. Es wäre mir lieb gewesen, wenn sie besser ausgefallen wäre und Ihr Euch nicht gar so lächerlich gemacht hättet. Wurmt Euch das nicht auch?“

„Nein.“

„Nicht? Hm, sonderbar! Es ist doch keine Ehre, so gar weit seitwärts zu schießen.“

„Aber auch keine Schande.“

„Doch, und zwar keine kleine.“

„Die Gaben sind nicht gleich verteilt. Wer kein guter Schütze ist, der leistet wahrscheinlich in etwas anderem mehr.“

„Mag sein; nur fragt es sich, ob dieses andre hier im wilden Westen von Nutzen ist. Doch ich will Euch nicht wehe thun, indem ich von etwas spreche, was Ihr nicht könnt; ich wünsche Euch vielmehr alles Gute und wollte, ich dürfte Euch von Nutzen sein. Doch schweigen wir; ich bin kein Freund von schönen Redensarten.“

Er legte sich nieder und streckte sich aus.

Die am Feuer unterhielten sich so laut, wie ich es sonst nicht geduldet hätte; aber da sie nicht wußten, wer ich war, hätten sie keine Weisungen oder gar Befehle von mir angenommen. Die Nähe von Comantschen war gar nicht ausgeschlossen; das wußten sie recht gut. Und ich, der ich den Zettel Winnetous gelesen hatte, wußte das noch besser. Ihr lautes Gespräch war eine noch größere Unvorsichtigkeit als die, daß sie ein Feuer angezündet hatten. Der Schein desselben konnte durch das Gebüsch dringen und uns verraten. Und wenn dies nicht der Fall war, so mußte eine geübte Indianernase den Geruch des Rauches mehrere hundert Schritte weit bemerken. Ich nahm mir daher vor, Augen und Ohren offen zu halten, bis das Feuer niedergebrannt sein würde.

So lag ich lange da, mit dem einen Ohre, um in die Ferne hören zu können, dicht an der Erde und den Blick unausgesetzt an den Büschen hin spazieren führend. Da sah ich, daß mein Pferd im Grasen innehielt und den Kopf in bezeichnender, mir wohlbekannter Weise nach der Seite hielt. Es sog die Luft ein, schnaufte leise und drehte sich dann nach mir um. Es näherte sich jemand von der angegebenen Seite, und dieser jemand war ein Weißer. Wäre er ein Indianer gewesen, so hätte der Rappe nicht geschnaubt. Das gehörte zu der indianischen Dressur, die er erhalten hatte.

„Isch hosch!“ sagte ich halblaut.

Das Pferd verstand den Befehl und legte sich nieder; es hatte mich gewarnt und gab nun sicher kein Zeichen der Unruhe mehr. Der, welcher sich uns näherte, sollte dem Hengste nicht ansehen, daß sein Kommen verraten war.

Höchst wahrscheinlich war es ein einzelner Mann. Er mußte unser Feuer gerochen haben und hatte jedenfalls sein Pferd zurückgelassen, um uns zu beschleichen. Zu befürchten war nichts von ihm, sondern es mußte im Gegenteile unter den jetzigen Verhältnissen einem jeden Bleichgesichte lieb sein, auf Weiße zu treffen. Es war also anzunehmen, daß er uns belauschen und dann sein Pferd holen werde, um sich uns anzuschließen.

Die Richtung, in welcher er sich befand, wußte ich also. Ich wendete mich derselben zu und schloß die Augen halb, um zwischen den fast geschlossenen Lidern hindurch die betreffende Stelle des Gesträuches zu beobachten. Er sollte nicht sehen, daß mein Blick auf ihn gerichtet war.

Der Schein des Feuers drang zwischen den Blättern hindurch, deren Schatten er hell umsäumte. Ich sah eine leise, leise Bewegung der Zweige. Der Mann kam langsam und höchst vorsichtig durch das Gebüsch gekrochen. Zu hören war nichts, gar nichts, zumal meine Begleiter noch immer laut sprachen. Jetzt hatte er den Rand des Gesträuches erreicht; es war schwer für ihn, hindurchzusehen, weil grad diese Stelle dicht belaubt war. Er mußte etwas davon entfernen, wenigstens einen Ast oder Zweig. Abbrechen durfte er ihn nicht, weil wir das dadurch entstehende Geräusch hätten hören können; ich nahm also an, daß er ihn abschneiden würde. Und richtig, schon nach kaum einer halben Minute sah ich einen, freilich sehr geringen Teil des Blattwerkes verschwinden.

Als ich nun den Blick mit doppelter Schärfe nach der Stelle richtete, sah ich zwei wie phosphorescierende Punkte; das waren seine Augen, die allerdings nur ein Westmann erkennen konnte, dessen Gesicht durch lange Übung geschärft worden war. Es giebt im Westen hunderte von Jägern, die es niemals fertig bringen, des Nachts die Augen eines Spähers zu entdecken. Die Übung thut es nicht allein; sie ist zwar sehr notwendig dazu, aber es muß das auch eine Gabe, also angeboren sein. Über seinen Augen lag es wie ein hellerer Streifen, wie ein Schein von einem weißen Schleier. Der Mann mußte alt sein und schneeweißes Haar haben. Da plötzlich stieß er einen lauten Ruf aus, sprang im Gebüsch auf und that einen Sprung aus demselben hervor.

„Parker, Sam Parker ist da!“ rief er aus. „Das ist ein alter Bekannter, und da brauche ich mich ja nicht zu verstecken.“

Die Männer am Feuer schnellten erschrocken empor; auch Jos sprang neben mir auf; ich blieb liegen.

„Old Wabble, Old Wabble!“ schrie Parker. Aber gleich einsehend, daß er den Spitznamen dieses Mannes genannt hatte, fügte er, sich verbessernd, hinzu: „Fred Cutter! Verzeihung, daß mir dieses Wort entfuhr, Mr. Cutter! Die Überraschung ist daran schuld.“

Also Old Wabble, den ich so gern einmal hatte sehen wollen und von dem wir gestern noch gesprochen hatten! ja, da stand er im Scheine des Feuers, grad so, wie er mir beschrieben worden war. Seine Gestalt war lang und außerordentlich schmal. An den Füßen trug er Sporen, deren Räder von außerordentlicher Größe waren; die dürren Beine steckten in Leggins, die wenigstens ein Jahrhundert alt zu sein schienen; das überaus schmutzige Hemde ließ Hals und Brust unbedeckt, und darüber hing in weiten Falten eine Jacke, deren Farbe kaum mehr zu erkennen war. Sein alter Hut hatte eine unendlich breite Krempe und saß ihm tief im Genick; darunter trug er ein Tuch, dessen Zipfel hinten bis auf die Schultern niederhingen. An den Ohrläppchen sah ich große, schwere Silberringe. In dem Gürtel steckte ein alter, langer Bowiekneif, und mit der knochigen, rechten Hand hielt er ein Gewehr umfaßt, dessen Konstruktion ich jetzt nicht erkennen konnte. Das Gesicht war genau so, wie es Parker uns gestern in Worten gezeichnet hatte. Am meisten fiel an diesem frühern Könige der Cowboys das weiße Haar ins Auge, welches wie eine silberne Mähne unter dem Hute und dem Tuche hervorquoll und ihm fast bis zum Gürtel herabreichte.

Er warf einen schnellen, scharf musternden Blick umher, wabbelte mit einer überlegenen Bewegung seine Glieder durcheinander und antwortete auf die entschuldigenden Worte Parkers:

Pshaw! Ich weiß, daß man mich so nennt, und habe nichts dagegen, daß Ihr dies auch thut. Ihr seid verdammt unvorsichtige Kerls, ihr. Brennt ein Feuer, welches man zwanzig Meilen weit riecht, und schreit, daß man es noch zehn Meilen weiter hört! Wenn ein halbes Dutzend Rote an meiner Stelle gewesen wären, so hätten sie euch in weniger als einer Minute auslöschen können; th’is clear. Es giebt Menschen, die im Leben nie klug werden. Wo kommt ihr denn eigentlich her, Boys?“

„Vom Gila herüber,“ antwortete Parker.

„Und wo wollt ihr hin?“

„Nach dem Pecos hinab.“

„Das trifft sich gut. Kann euch dort brauchen. Habt ihr vielleicht das Truppenlager berührt, welches da oben einige Reitstunden hinter dem Mistake-Cañon liegt?“

„Wir haben dort eine Nacht gelagert.“

„Sind die Uniformleute noch dort?“

„Ja.“

„Gut, sehr gut! Ich muß nämlich wieder hinauf zu ihnen. War schon einmal dort.“

„Das hörten wir.“

Well, habe eine dringende Bitte an sie; brauche ihre Hilfe. Ich werde euch das erzählen, will aber erst mein Pferd holen, welches ich weiter unten, als ich euer Feuer roch, angepflockt habe, um euch zu beschleichen. Bin in kurzem wieder da.“

Er sprang über den Bach hinüber und verschwand. Die zehn Männer standen noch da, fast starr vor Überraschung. Nun, da er fort war, ergingen sie sich in Ausdrücken der Verwunderung; ich schwieg wie bisher. Mein Pferd lag noch an der Erde. Da es so nicht fressen konnte, rief ich ihm zu Schischi! Es sprang sofort auf und begann wieder zu weiden.

Nach einiger Zeit kam Old Wabble wieder, sein Pferd am Zügel führend. Als er mit ihm den Bach übersprungen hatte, ließ er es laufen, setzte sich an das Feuer und sagte:

„Diese Flamme ist eigentlich viel zu groß; th’is clear; da ich aber erst jetzt gekommen bin und also weiß, daß die Gegend sicher ist, so können wir es brennen lassen. Wie lange wollt ihr hier liegen bleiben?“

„Nur diese Nacht.“

„Werdet auch morgen und die nächste Nacht hier liegen.“

„Schwerlich!“

„Sicher! Sollt gleich erfahren, warum. Möchte nur vorher wissen, wer ihr alle seid. Sam Parker kenne ich, der damals seinen ersten Elk bei mir geschossen hat. Wer sind die andern?“

Parker nannte ihre Namen, deutete dann auf mich und fuhr in leichtem Tone fort:

„Und der dort ist Mr. Charley, ein deutscher Gelehrter, der nach alten Indianergräbern sucht.“

Old Wabble richtete sein Auge auf mich, da ich ruhig liegen blieb, und meinte:

„Nach Indianergräbern? Sonderbare Beschäftigung! Aber doch auch Westmann?“

„Nein,“ fuhr Parker fort. „Er mußte heut drei Probeschüsse thun und hat über zwanzig Schritte weit gefehlt.“

„Hm, kenne das, habe solche Forscher gesehen, die in die Savanne kamen, um Bücher zu machen, Bücher über die Sprache und Abstammung der einzelnen roten Stämme. Bin ihr Führer gewesen und habe mich krank geärgert. Keiner von ihnen konnte das Messer oder das Gewehr richtig in die Hand nehmen. Die Gelehrsamkeit verdirbt den Menschen; th’is clear. Aber jetzt eine wichtige Frage an Euch. Möchtet Ihr einige Dutzend Indianerskalps haben?“

„Warum nicht! Von welchem Stamme?“

„Comantschen.“

„Soll mir recht sein, Mr. Cutter. Ist es leicht?“

„Nicht allzu sehr. Man kann dabei leicht seine eigene Haut riskieren. Fürchtet Ihr Euch?“

„Das nicht; aber ich pflege erst dann zu spielen, wenn ich die Karten kenne. Ich halte es also für richtig, daß Ihr uns vorher sagt, um was es sich handelt.“

„Habt Ihr den Namen Old Surehand gehört?“

Bei diesem Namen ergriff alle eine Bewegung der Überraschung, und Parker fragte schnell:

„Old Surehand? Handelt es sich um den?“

Yes. Ihr kennt ihn also?“

„Natürlich, alle, wenn wir ihn auch nicht gesehen haben. Er ist der beste Schütze im ganzen wilden Westen.“

„Da ist vielleicht zuviel behauptet. Seine Kugel geht zwar niemals fehl, daher sein Name; aber Winnetou und Old Shatterhand schießen wenigstens ebenso sicher. Ich habe Old Surehand vor einiger Zeit kennen gelernt und allen Respekt für ihn gewonnen. Wir trennten uns vor kurzer Zeit, denn ich mußte in die Gegend von Fort Stanton hinauf und er wollte nach dem Rio Pecos zu den Mescalerosapatschen, um dort nach Winnetou zu fragen und ihn und Old Shatterhand kennen zu lernen. Kurz nach unsrer Trennung erfuhr ich, daß die Comantschen die Kriegsbeile ausgegraben haben; er wußte das nicht, und da sein Weg ihn über ihre Route führte, befand er sich in großer Gefahr; ich lenkte also schnell zurück, um ihn zu warnen, was nicht schwer war, denn ich kannte seinen Weg. Ich holte ihn auch richtig ein; aber der Satan hatte sein Spiel: Wir waren noch keine Viertelstunde bei einander, so wurden wir von einem Comantschenhaufen überrumpelt und überfallen.“

„Alle Wetter! Waren es viele?“

„Über hundert.“

„Und ihr nur zwei?“

Yes.“

„Und seid trotzdem entkommen!“

„Ich wohl, aber nicht er,“ antwortete Old, indem sein Gesicht sich in pfiffige Falten legte.

„Ihr habt ihn allein gelassen?“

Yes.“

„Teufel! War das recht von Euch?“

Da richtete der Alte seinen Oberkörper auf, machte ein unendlich überlegenes Gesicht und fragte:

„Wollt Ihr etwa mir, Fred Cutter, den man Old Wabble nennt, Vorwürfe machen? Da seid Ihr nicht der Mann dazu. Merkt Euch das! Ein Gramm List ist oft besser als zehn Kilogramm Pulver; das weiß ich ganz genau. Ja, ich habe mich aus dem Staube gemacht, denn warum nicht? Gegenwehr war nutzlos; darum ergab sich Old Surehand freiwillig. Ich habe gesehen, daß er nicht verletzt worden ist. Sollte ich mich auch ergeben? Dann wären wir beide gefangen gewesen, konnten einander wahrscheinlich gar nichts nützen und niemand hätte von unsrem Schicksale gewußt. Die Comantschen hätten uns am Marterpfahle abgeschlachtet, und es wäre erst nach unsrem sanftseligen Tode ruchbar geworden, daß wir in ihre Hände gefallen und von ihnen mit einem Ticket, nach den ewigen Jagdgründen beschenkt worden sind. Nein, solche Pudel schießt Old Wabble nicht! Ich machte mich lieber davon. Ihre Kugeln flogen mir zwar nach, haben mich aber nicht getroffen; th’is clear, denn sonst würde man die Löcher sehen. Nun bin ich frei und kann Old Surehand heraushelfen. Ist das nicht besser, als wenn ich mich mit ihm hätte gefangen nehmen lassen?“

„Das mag richtig sein, Mr. Cutter. Aber man wird erzählen, daß Old Wabble vor den Comantschen geflohen ist. Kann Euch das lieb sein, Sir?“

„Einen Vorwurf kann mir nur ein dummer Kerl draus machen. Ein gescheiter und erfahrener Westmann aber weiß, was und wie er zu denken hat. Was ist wohl leichter, sich ohne Widerstand ergeben oder sich den Fluchtweg durch hundert Rote bahnen?“

„Das letztere gewiß nicht.“

„Also! Warum spracht Ihr da vorhin so albernes Zeug! Ich werde Old Surehand herausholen.“

„Das traue ich Euch zu. Aber wie wollt Ihr das anfangen? Es ist eine schwere und gefährliche Sache.“

„Das weiß ich gar wohl; aber soll ich diesen braven und berühmten Jäger stecken lassen? Ich dachte sofort an die Dragoner, die da oben hinter dem Mistake-Cañon lagern, und ritt direkt herauf, sie zu Hilfe zu holen.“

„Werden sie mitgehen?“

„Ich vermute freilich, daß sie sich weigern, weil sie es auf einen andern Comantschenstamm abgesehen haben, aber ich werde so lange bitten oder drohen, bis sie mir den Willen thun.“

„Wenn es dann noch Zeit ist!“

Well, es eilt freilich sehr. Der Überfall geschah heut beim Grauen des Morgens. Hier muß ich mein abgetriebenes Pferd bis früh rasten lassen und erreiche die Truppen also erst morgen abend. Selbst falls sie gleich mit aufbrechen, dauert es zwei Tage, bis wir an Ort und Stelle kommen, wo wir die Comantschen gewiß nicht mehr finden. Wir müssen ihnen also folgen, und es kann wieder zwei Tage oder länger dauern, ehe wir sie einholen. Inzwischen können sie Old Surehand den Garaus gemacht haben. Leider aber weiß ich keinen andern Weg, ihn zu retten. Ich rechne dabei auch auf Euch, Mr. Parker.“

„Wieso?“

„Der Kommandant der Truppen giebt mir wahrscheinlich nur einen Teil derselben mit. Ich bitte Euch deshalb, hier zu bleiben, bis ich übermorgen mit ihnen komme, und Euch uns dann anzuschließen. Zehn Westmänner mit zehn guten Gewehren sind eine große Mithilfe.“

„Ich sage nicht nein, und wie ich meine Gefährten hier kenne, sind sie auch bereit dazu. Ich fürchte eben nur, daß wir zu spät kommen werden. Können wir den Coup denn nicht allein und ohne die Truppen versuchen? Es würden dadurch wenigstens zwei volle Tage gewonnen. Überlegt Euch das einmal, Sir!“

Old Wabble ließ eine prüfenden Blick im Kreise herumgehen; das Resultat desselben schien kein sonderliches zu sein, denn er zog sein Gesicht in bedenkliche Falten und sagte:

„Euer Anerbieten in allen Ehren, Sir; aber es handelt sich um ein höchst gefährliches Unternehmen. Sind diese Männer hier bereit, ihr Leben für einen Fremden zu wagen, und wenn es auch ein Old Surehand ist?“

„Hm! Fragt sie selber, Mr. Cutter!“

Als Old Wabble hierauf die Leute einzeln fragte, antworteten nur Parker und Hawley in bestimmtem, freudigem Tone; den übrigen war es, obgleich sie auch ja sagten, anzuhören, daß sie wünschten, das Abenteuer möchte weniger gefährlich sein.

Well,“ nickte der Alte sehr ernst; „ich weiß, woran ich bin.“ Und nach mir deutend, fügte er hinzu: „Und der Altertümler dort, der zwanzig Schritte vorbeischießt, kann uns erst recht nichts nützen. Hätte ich nur eine Handvoll entschlossener und erfahrener Kerls, so wäre es gar kein so großes Wagnis; man muß sich nur auf die Leute fest verlassen können. Denkt nur, wie oft Old Shatterhand und Winnetou ganz ohne alle andre Hilfe noch viel, viel schwerere und gefährlichere Dinge ausgeführt haben! Ich hatte erst den Gedanken, Winnetou aufzusuchen; aber ich weiß nicht, an welcher Stelle des Rio Pecos sein Mescalerostamm zu finden ist und – –“

Er hielt inne. Mein Hengst pflegte sich gern allein zu halten und kein fremdes, ihm unbekanntes Pferd in seiner unmittelbaren Nähe zu dulden; jetzt war ihm das Pferd Old Wabbles zu nahe gekommen; er biß nach ihm, es biß wieder, und sie gerieten zusammen.

„Was ist denn das für ein impertinenter Gaul, der da mein Pferd maltraitiert,“ rief der Alte, indem er aufsprang.

Er eilte herbei und ergriff den Rappen beim Zügel, um ihn von seinem Klepper wegzureißen; der Hengst aber stieg vorn kerzengerade empor, riß ihn mit in die Höhe und schleuderte ihn zur Seite, daß er neben mir niederflog. Er sprang schnell mit einem Fluche auf und wollte wieder zugreifen; da warnte ich ihn:

„Faßt Euer Pferd, aber ja nicht das meinige; es gehorcht nur mir und würde Euch mit den Hufen zerschmettern!“

Der Hengst hatte sich wirklich schon in Positur gesetzt und stand bereit, ihm im Falle eines zweiten Angriffes die Hinterhufe an den Kopf oder die Brust zu geben; er wendete dabei den ausgezeichnet schönen Kopf zurück nach ihm und bildete so, vom Feuer beleuchtet, einen Anblick, der jeden wirklichen Pferdekenner in Entzücken versetzen mußte. Old Wabble hatte vorhin das prächtige Geschöpf gar nicht betrachtet; jetzt fuhr er einige Schritte zurück und rief erstaunt:

Thunder-storm, was für ein Tier ist das! Das muß man genauer betrachten!“

Er ging, sich respektvoll fern haltend, um den Hengst herum. Als einstiger „König der Cowboys“ war er gewiß ein guter Pferdekenner. Sein altes Gesicht nahm mehr und mehr den Ausdruck des Entzückens an.

„So ein Pferd sah ich noch nie!“ gestand er ein. „Es giebt nur einen solchen Stamm, und der wird bei den Mescaleros gezüchtet. Von ihm stammen zwei Rapphengste wie dieser hier, deren Herren – –“

Er unterbrach sich, trat zu mir, der ich noch immer im Grase lag, betrachtete mich genau, bückte sich, nahm meinen Bärentöter und den Henrystutzen, der noch in dem Futterale steckte, in die Hand, besah sich diese Gewehre, legte sie wieder hin und fragte mich:

„Dieser Hengst ist Euer, Sir?“

„Ja,“ nickte ich.

„Ihr habt ihn gekauft?“

„Nein.“

„Geschenkt erhalten?“

„Ja.“

Da ging ein unaussprechlich pfiffiges Lächeln über die Falten des alten Gesichtes; er nickte mit dem Kopfe, indem seine Augen froh zu leuchten begannen, und fragte weiter:

„Habt Ihr den Jagdrock auch geschenkt bekommen und die Leggins, die Ihr tragt, Sir?“

„Ja.“

„Und Ihr forscht wirklich nach alten Gräbern?“

„Zuweilen, ja.“

„Und heißet Charley?“

„Gewiß.“

Well! Ich kenne einen Weißen, oder vielmehr ich habe von ihm gehört, den sein Blutsbruder Charley nennt, und wünsche Euch, in Euern Altertumsforschungen recht glücklich zu sein. Verzeiht, daß ich Euer Pferd beinahe maltraitiert hätte; ich werde es nicht wieder thun; th’is clear!“

Er kehrte zum Feuer zurück und setzte sich dort nieder; er hatte mich durchschaut und wollte mein Incognito nicht verraten. Die andern begriffen sein Verhalten und seine Worte nicht und sahen ihn verwundert und fragend an. Als er ihnen aber ein gleichgültiges Gesicht zeigte und keine Antwort gab, nahmen sie, ohne sich über mich irgendwelche Gedanken zu machen, das unterbrochene Gespräch wieder auf. Ich aber erhob mich aus dem Grase und ging an ihnen vorüber, um den Lagerplatz zu verlassen, und zwar mit einer Miene, als ob ich gar keinen besondern Grund dazu hätte. Ich wollte ihre Aufmerksamkeit nicht erregen.

Es gab gar wohl einen Grund, einen sehr triftigen, für mich, einmal fortzugehen. Old Surehand und Old Wabble waren überfallen worden; der letztere hatte die Flucht ergriffen, und sie war ihm geglückt. Er war einer der tüchtigsten, der erfahrensten und der schlausten Westmänner; darum wunderte ich mich darüber, daß er sich so sicher fühlte. Es stand bei mir fest, daß er von den Comantschen verfolgt worden war. Sie mußten sich doch sagen, daß er Hilfe für Old Surehand holen werde, und mußten ihn einholen, um ihn unschädlich zu machen. Er war zwar sehr schnell geritten, aber ich nahm an, daß man zu seiner Verfolgung die bestberittenen Krieger ausgewählt habe, und so konnte der Abstand zwischen ihnen, also der Vorsprung, den er vor ihnen hatte, kein allzu großer sein. Vielleicht hatten sie beim Einbruche des Abends Lager gemacht; da sie aber vermuten mußten, daß er in dem leicht gangbaren Thale noch weiter geritten sei, so war es sehr leicht möglich, daß sie dasselbe gethan hatten. In diesem Falle konnten sie jetzt nicht sehr fern von uns sein. Mochte meine Vermutung das Richtige treffen oder nicht, ich wollte einmal suchen gehen.

Als ich über den Bach gesprungen war, wendete ich mich abwärts. Meine an die Dunkelheit gewöhnten Augen machten es mir leicht, mich zu orientieren. Ich wählte zum Gehen solche Stellen, die ein Reiter vermeiden mußte, und fühlte mich also ziemlich sicher. Dennoch hatte ich das Bowiemesser in der Hand und hielt mich zur schnellsten Verteidigung bereit, denn die Roten konnten das Feuer gerochen haben und zu Fuße herangeschlichen kommen.

So ging ich unhörbar weiter und weiter, keinen Schritt eher wagend, als bis ich mich überzeugt hatte, keinen Feind unmittelbar vor mir zu haben. Als dann das Feuer kaum mehr zu riechen war, blieb ich stehen. Das war der kritische Punkt, die entscheidende Stelle, und ich setzte mich nieder, um zu warten. Hatten die Verfolger sich gelagert, so kamen sie nicht, und wir mußten morgen früh auf sie treffen; waren sie trotz der Dunkelheit weitergeritten, so mußte hier der Rauch ihre Nasen berühren, und sie blieben wahrscheinlich halten, um sich zu besprechen. In diesem Falle wollte ich versuchen, ihre Worte zu belauschen.

Als ich wohl über eine Stunde gewartet hatte, sagte ich mir, daß mein Weg ein vergeblicher gewesen sei und die Begegnung erst morgen erfolgen werde. Ich stand auf, um zurückzukehren. Da war es mir, als ob ich von unten her ein Geräusch gehört hätte; ich blieb stehen und horchte. Ja, es kam jemand. Sofort kauerte ich mich hinter einen Busch nieder.

Das Geräusch näherte sich; ich vernahm den dumpfen Huftritt von Pferden im weichen Grasboden; es konnten nur drei sein. Jetzt sah ich die Reiter; es waren nur zwei; und zwar Indianer. Da sie hoch im Sattel saßen, konnte ich gegen den Himmel ihre Gestalten deutlich erkennen. Sie ritten, ohne anzuhalten, an mir vorüber; ich huschte seitwärts hinter Sträuchern neben ihnen her. Wenn ich dabei ja ein leises Geräusch verursachte, so wurde es von den Schritten der Pferde übertönt. Übrigens hatte ich ihnen nicht weit zu folgen, denn der eine hielt plötzlich an, sog die Luft laut hörbar ein und sagte in der mir geläufigen Sprache der Comantschen, welche derjenigen der Schoschonen ähnlich ist:

„Uff! Riecht das nicht wie Rauch?“

Der andere schnuffelte auch und antwortete dann:

„Ja, das ist Rauch.“

„Der weiße Hund ist so unvorsichtig gewesen, ein Feuer anzubrennen.“

„Da er das gethan hat, kann er kein berühmter Krieger sein, denn ein solcher würde diese große Unvorsichtigkeit nicht begangen haben.“

„Ja, er ist ein ganz gewöhnlicher und unerfahrener Krieger, und es wird mir und meinem Bruder nicht schwer fallen, ihm den Skalp zu nehmen.“

„So hat es also genügt, daß nur wir beide ihm folgten. Mein Bruder wollte lagern, als es dunkel wurde. Wie gut, daß er mir folgte, als ich weiterritt! Wir holen den Skalp und kehren dann sogleich nach dem Saskuan-kui zurück, wohin unsre Krieger vorangezogen sind. Wir müssen aber hier absteigen.“

„Das braucht mein Bruder mir nicht zu sagen; ich weiß, daß man sich nicht zu Pferde anschleicht, um einen Feind zu überraschen.“

Sie schwangen sich von ihren Tieren und pflockten diese an; dann schlichen sie weiter, ich hinter ihnen her. Sie richteten ihre Aufmerksamkeit nur nach vorn; ich war nur acht Schritte von dem Hintersten entfernt. Sollte ich warten, bis sie sich bei unserm Feuer in die Büsche verkrochen? Nein; das wäre ein großer Fehler gewesen. Ich mußte sie jetzt angreifen und zauderte nicht, dies zu thun. ich steckte das Messer ein und zog den Revolver. Drei, vier schnelle, weite Sprünge, ich erreichte den Hintermann und schlug ihm den Griff der Waffe so an den Kopf, daß er zusammenstürzte.

Der Vorangehende hörte das, blieb stehen, sah sich um und fragte:

„Was war das? Was hat mein Bruder – – –“

Er konnte nicht weitersprechen; ich war auf ihn zugesprungen, faßte ihn mit der linken Hand beim Halse und gab ihm mit der rechten einen Hieb, daß er auch zusammenbrach. Sie hatten Lassos bei sich; ich legte die Bewußtlosen mit den Rücken gegeneinander und schlang die unzerreißbaren Riemen so fest von oben bis unten um sie, daß sie sich nach ihrem Erwachen gewiß nicht bewegen konnten. Da es ihnen aber möglich war, fortzurollen, so schleifte ich sie bis zu dem nächsten Baume und band sie an denselben fest. Nun konnten sie sich auf keinen Fall losmachen, und ich kehrte nach unserm Lager zurück.

Dort angekommen sagte ich nichts, sprang über den Bach und legte mich da nieder, wo ich vorhin gelegen hatte. Old Wabble sah mich forschend an; den andern war meine lange Abwesenheit gar nicht aufgefallen.

„Ihr waret nicht da, Sir, und wißt also nicht, was indessen besprochen worden ist. Ich werde nämlich nicht hinauf nach dem Militärlager reiten,“ sagte er.

„Ist Euch ein anderer Gedanke gekommen?“ fragte ich. „Vielleicht ein neuer Plan?“

„Ja. Ich hatte etwas vergessen, woran ich sogleich hätte denken sollen. Ihr habt doch von Old Shatterhand gehört?“

„Gewiß.“

„Nun, dieser Jäger ist in der Nähe des Rio Pecos, und ich bin entschlossen, ihn aufzusuchen und um Hilfe zu bitten. Meint Ihr, daß er uns diese gewähren wird?“

„Ich bin überzeugt davon.“

Pshaw!“ fiel da Parker in wegwerfendem Tone ein. „Wie kann Mr. Charley wissen, was so ein Mann wie Old Shatterhand thun oder lassen wird! Er hat ja gar keine Ahnung davon, daß Old Shatterhand, wenn er will, ganz allein im stande ist, den Gefangenen zu befreien.“

„Nun, so unwissend, wie Ihr meint, bin ich doch nicht ganz,“ verteidigte ich mich. „Wenn ich auch nicht ganz zu den namhaften Westmännern gehöre, so würde ich doch vielleicht nicht solche Fehler begehen, wie Ihr begangen habt.“

„Wir? Fehler?“

„Ja.“

„Welche denn?“

„Ihr habt Euch von Mr. Cutter überrumpeln lassen, ohne seine Annäherung zu bemerken.“

„Habt etwa Ihr sie bemerkt?“

„Ja.“

„Macht uns nichts weiß, Mr. Charley!“

Pshaw! Ich kann es beweisen.“

„So thut dies doch!“

„Sehr gern. Mr. Cutter, sagt einmal: Habt Ihr nicht, um besser sehen zu können, einen Zweig abgeschnitten, als Ihr dort im Busche laget?“

„Ja, das ist richtig. Ihr habt es also gesehen, Sir; das ist erwiesen, sonst könntet Ihr es nicht wissen.“

„Wenn Ihr es gesehen habt, warum habt Ihr es uns da nicht gesagt?“ fragte Parker.

„Weil ich das für überflüssig hielt.“

„Oho! Wenn es nun ein Roter gewesen wäre!“

„Ich wußte, daß es ein Weißer war.“

„Unmöglich!“

„Ihr wollt ein Westmann sein und wißt nicht, wie man in dunkler Nacht und ohne ihn zu sehen, einen Weißen von einem Roten unterscheidet!“

„Wollt Ihr mich vielleicht belehren?“

„Nötig wäre es, daß ich es thäte, denn Ihr habt einen noch viel größern Fehler begangen, als dieser war. Ein solcher Fehler kann das Leben kosten.“

„Alle Wetter! Macht mich doch, wenn Ihr die Güte haben wollt, mit diesem lebensgefährlichen Fehler bekannt!“

„Auch diesen Wunsch will ich Euch erfüllen. Könnt Ihr mir vielleicht sagen, was die Roten zu thun pflegen, wenn ihnen ein Weißer echappiert?“

„Natürlich kann ich das. Sie reiten ihm nach, um ihn festzunehmen. Das weiß doch jedermann!“

„Ihr scheint es nicht zu wissen.“

„Wieso? Ihr werdet beleidigend, Sir.“

„Ich will nicht beleidigen, sondern nur warnen. Mr. Cutter ist den Comantschen entwichen. Glaubt Ihr, daß sie ihn nicht verfolgt haben?“

Zounds! Daran habe ich nicht gedacht!“

„An so etwas soll man aber denken. Die Indsmen werden schon um Old Surehands willen Mr. Cutter verfolgt haben, um ihn unschädlich zu machen.“

Thunder-storm!“ rief da Old Wabble aus, indem er sich mit der Hand an die Stirn schlug. „Das ist richtig, sehr richtig, Sir. Wie konnte ich diese Gefahr so ganz und gar außer acht lassen! Sie sind gewiß, ganz gewiß hinter mir her und werden alles versuchen, meiner habhaft zu werden.“

„Und Ihr habt nicht einmal hier Wachen ausgestellt!“

„Das soll geschehen, sofort geschehen.“

„Genügt aber nicht.“

„Was noch, Sir? Sagt es rasch! Ich werde sogleich thun, was Ihr für nötig haltet.“

Jetzt war es für mich ein wirklicher Genuß, die Gesichter der andern zu sehen. Sie blickten erstaunt von ihm zu mir herüber und von mir zu ihm hinüber, und Parker fragte ihn, indem er große Augen machte:

„Was dieser Master für nötig hält? Glaubt Ihr denn, daß Mr. Charley weiß, was in einer Lage, wie die unsrige ist, zu geschehen hat?“

„Ja, das glaube ich,“ antwortete der Gefragte. „Ihr habt ja gehört, daß er auf unsre Sicherheit besser bedacht ist, als wir selbst. Also, Mr. Charley, was ratet Ihr uns?“

Ich erklärte:

„Wenn die Verfolger kommen, müssen sie unser Feuer riechen. Vielleicht sind sie schon da, uns zu beschleichen. Ich an Eurer Stelle würde einige Späher aussenden, die den Weg so weit zu erforschen haben, wie der Geruch unsers Rauches reicht.“

Well, Sir, very well! Wir werden keinen Augenblick zögern, dies zu thun. Mr. Parker, laßt drei oder vier von Euern Leuten gehen, um nachzusehen! Ihr werdet einsehen, daß dies wirklich nötig ist, zu thun.“

Yes,“ erklärte der Genannte. „Es ist wirklich wunderbar, daß wir nicht selbst und schon längst auf diesen Gedanken gekommen sind. Es ist eigentümlich, daß wir es uns erst von so einem Altertümler sagen lassen müssen, der gar kein Westmann ist. Werde selbst mitgehen und vier Männer mitnehmen.“

„Die mögen aber auch die Augen aufmachen und die Ohren dazu, sonst sehen und hören sie nichts; th’is clear.“

Parker suchte vier seiner Leute aus und ging mit ihnen fort. Ich nahm an, daß sie die beiden gefesselten Comantschen und deren Pferde finden würden, und freute mich schon im voraus auf ihre Gesichter, die ich mir vorstellen konnte. Die am Feuer Zurückgebliebenen unterhielten sich einsilbig; ich lag still im Schatten der Büsche und wartete auf die Rückkehr der Späher.

Es dauerte weit über eine Stunde, ehe sie kamen. Voran ging Parker, ihm folgten zwei mit den Indianerpferden und zwei mit je einem der Comantschen, die man auseinander gebunden hatte. Parker rief, noch ehe er das Feuer erreicht hatte:

„Mr. Cutter, seht doch her, wen und was wir bringen!“

Old Wabble sprang auf, starrte die beiden Roten an, die sich jetzt natürlich wieder bei Besinnung befanden, und rief:

„Zwei Indsmen, zwei Comantschen, wie man an den Kriegsfarben sieht! Wo habt Ihr die denn her?“

„Gefunden.“

„Was? Gefunden?“

„Ja.“

„Aber feindliche Indianer findet man doch nicht, sondern man muß sie fangen!“

„Das habe ich bisher auch gedacht, ist aber nicht wahr. Wir haben sie wirklich und wahrhaftig gefunden, wörtlich gefunden, aneinandergefesselt und an einen Baum gebunden, kurze Zeit darauf auch ihre Pferde.“

„Wer sollte das für möglich halten!“

„Ja, man sollte es kaum glauben. Aber was man mit seinen eigenen, guten Augen sieht, daran kann man doch nicht zweifeln. Wer mag sie überwältigt und gefesselt haben? Es müssen Weiße in der Nähe sein, die es gethan haben, ohne zu wissen, daß wir uns hier befinden.“

Da warf der Alte mir einen kurzen Blick zu, nickte mit dem Kopfe und sagte:

„Ja, Weiße; aber nicht mehrere sind es gewesen, sondern es ist nur einer.“

„Einer?“

Yes.“

„Einer? Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?“

„Sind sie verwundet?“

„Nein. Von einer Verletzung ist nichts zu sehen.“

„Also ist kein Kampf vorhergegangen; sie sind überwältigt worden, ohne sich wehren zu können. Es giebt nur einen einzigen Menschen, der das fertig bringt. Ihr werdet ihn erraten.“

„Alle Wetter! Ihr meint Old Shatterhand?“

Yes.“

„Er hat sie niedergeschmettert und gefesselt?“

„Anders ist es nicht.“

„So muß er hier in der Nähe sein!“

„Ich bin überzeugt davon.“

„Warum läßt er sich da nicht sehen?“

„Er wird seine Gründe haben; man sagt ja, daß er niemals etwas ohne Grund thue.“

„So habt Ihr Recht gehabt, als Ihr meintet, er befinde sich hier in der Gegend. Wir müssen nach ihm suchen.“

„Suchen? Warum?“

„Weil wir ihn morgen früh schon brauchen, denn länger dürfen wir mit dem Aufbruche nicht zögern.“

„Es wird wohl nicht nötig sein, nach ihm zu suchen. Er weiß gewiß, daß wir hier sind und auf seine Hilfe warten. Verlaßt Euch darauf, daß er sich zur rechten Zeit sehen lassen wird!“

„Ihr thut ja grad, als ob er allwissend wäre, Mr. Cutter!

Man erzählt sich zwar Dinge von ihm, die ganz unglaublich klingen und doch geschehen sind; aber er ist auch nur ein Mensch und kann nur das wissen, was er sieht und was er hört.“

„O, was das betrifft, so möchte ich wetten, daß er alles weiß, was Ihr gestern und heut gethan habt und was hier geschehen ist.“

Pshaw!“

„Seid nicht ungläubig, sondern wartet es ab!“

„Wollen uns nicht streiten, Sir. Sagt uns lieber, was mit diesen beiden Gefangenen geschehen soll.“

„Jetzt einstweilen nichts.“

„Wann denn?“

„Sobald Old Shatterhand kommt.“

„Das ist zu unbestimmt, das ist überhaupt gar nichts gesagt. Ich bin nicht so überzeugt wie Ihr, daß er kommen wird, und wir müssen unbedingt wissen, was wir mit diesen Kerls zu machen haben. Ihr meint doch nicht etwa, daß wir sie mitnehmen sollen? Das wäre eine Last für uns und überdies nicht ungefährlich.“

„Hm! Kann das nicht bestreiten.“

„Freilassen können wir sie auch nicht.“

„Das würde eine Dummheit sein; th’is clear.“

„Also eine Kugel vor den Kopf; das ist das Allerbeste; da sind wir sie los, und sie haben es verdient.“

„Nur nicht vorschnell handeln, Sir! Ihr werdet gehört haben, daß Old Shatterhand nur dann einen Roten tötet, wenn er unbedingt dazu gezwungen ist.“

„Das geht mich nichts an. Erstens ist es noch gar nicht sicher, daß er sich hier befindet; sodann sind die Halunken nicht seine Gefangenen, sondern die unsrigen, und drittens – – na, drittens werden wir jetzt über sie beraten und das Gesetz der Prairie sprechen lassen.“

„Macht, was Ihr wollt!“

„Ihr thut doch mit?“

„Nein. Diese Indsmen gehen mich nichts an.“

„Aber Ihr seid es doch, den sie verfolgten!“

„Meinetwegen! Bis jetzt haben sie mir nichts gethan.“

„Hört, Sir, wer so lange warten will, bis ihm diese Schurken etwas thun, der ist verloren. Also, wollt Ihr der Jury, welche wir bilden werden, beitreten?“

„Nein; aber zuhören, das werde ich, wenn ich darf.“

„Habe nichts dagegen. Mag’s also beginnen!“

Die beiden Comantschen lagen gefesselt an der Erde neben dem Feuer, an welches sich die Weißen setzten, um die Beratung zu halten. Ob die Roten englisch verstanden und also wußten, was gesprochen wurde, war ihnen nicht anzumerken. Um es kurz zu machen, die Beratung dauerte nur einige Minuten, und ihr Ergebnis war, daß die Gefangenen erschossen werden sollten, und zwar sogleich. Nur Jos Hawley hatte gegen dieses Urteil gestimmt. Parker machte auch wirklich kurzen Prozeß; er trug dreien seiner Leute auf, die Exekution in der Nähe auszuführen, und befahl ihnen, die Gefangenen fortzuschaffen. Da hielt ich es für angezeigt, endlich auch ein Wort zu sprechen.

„Halt, Mr. Parker! Wartet noch ein Weilchen!“

„Was wollt Ihr, Sir?“ fragte er.

„Bei Euerm Savannengerichte ist ein Fehler vorgekommen, der das Urteil ungültig macht.“

„Was versteht denn Ihr von Savannengericht!“

„Mehr als Ihr, wie es scheint, sonst hättet Ihr diesen Fehler nicht begangen.“

„Welchen Fehler meint Ihr denn?“

„Es sind eigentlich mehrere. Erstens hat einer nicht mitberaten, der mitzusprechen hatte.“

„Mr. Cutter wollte ja nicht.“

„Den meine ich nicht.“

„Nicht? Wen denn sonst?“

„Mich.“

„Ah, Euch? Das ist wohl Spaß. Ihr seid doch gar kein Savannenmann.“

„Was ich bin oder nicht bin, das ist hier sehr gleichgültig; ich gehöre mit zur Gesellschaft und darf nicht von einer so wichtigen Verhandlung ausgeschlossen werden.“

„Was Ihr sagt!“ lachte er. „Ihr gehört keineswegs zu unsrer Gesellschaft, sondern Ihr steht unter dem Schutze derselben; das ist die Sache, Sir. Wenn wir die Hand von Euch ziehen, seid Ihr ferner keinen Augenblick mehr Eures Lebens sicher.“

„Das sind Ansichten, Mr. Parker, über die ich nicht mit Euch streiten will. Lassen wir also meine Person aus dem Spiele! Der zweite Fehler ist der, daß Ihr mit den Roten kein einziges Wort gesprochen habt. Man verurteilt doch nicht jemand zum Tode, ohne ihn vorher zu verhören!“

„Verhören? Diese Kerls? Das fehlte noch!“

„Was haben sie denn verbrochen?“

„Unnütze Frage! Sie wollten Old Wabble töten.“

„Könnt Ihr dies behaupten, haben sie es eingestanden? Seid Ihr überzeugt, daß sie wirklich die Comantschen sind, die ihn verfolgen?“

„Seht Ihr denn die Kriegsfarben nicht, mit denen sie sich bemalt haben!“

„Die ist kein Beweis; so viel verstehe ich vom wilden Westen wohl auch.“

„Nichts versteht Ihr, gar nichts, Sir!“

„Doch! So weiß ich zum Beispiel, daß ein Gefangener und sein Leben nur dem Sieger gehört, keinem andern. Wer von Euch kann behaupten, diese Comantschen besiegt und gefangen genommen zu haben?“

„Redet nicht so dummes Zeug! Diese Kerls gehören uns, außer Ihr könnt uns sagen, wer der geheimnisvolle Mann gewesen ist, der sie besiegt hat und sich nun nicht sehen läßt.“

„Ich kann es sagen, und er versteckt sich nicht, sondern er läßt sich sehen, Mr. Parker.“

„Wo denn?“

„Hier.“

„So zeigt mir ihn doch!“ forderte er mich auf, indem er lachend rundum blickte.

„Er liegt vor Euch; ich selbst bin es.“

„Ihr? Alle Wetter! Ihr, Ihr wollt diese Roten überwältigt und gefesselt haben?!“

„Ja.“

„Diese Finte ist geradezu lächerlich! Mit ihr errettet Ihr die Halunken nicht von dem Tode. Wenn Ihr es fertig bringt, auch nur einen einzigen Indianer im Kampfe zu besiegen und bei lebendigem Leibe zu fesseln, wie diese hier, so will ich niemals ein Westmann gewesen sein!“

Well, so seid Ihr keiner gewesen.“

„Oho! So etwas fertig zu bringen, dazu gehört die Kraft eines Old Shatterhand. Wollt Ihr behaupten, sie zu besitzen?“

„Behaupten nicht, aber beweisen. Paßt auf!“

Ich war während dieses Streites ruhig am Boden liegen geblieben; jetzt stand ich auf, ergriff ihn mit der rechten Hand beim Gürtel, schwang ihn mir einigemale um den Kopf, daß er laut aufschrie, stellte ihn dann wieder auf die Beine und fragte:

„Ist das genug, oder soll ich Euch zeigen, wie es thut, wenn Ihr meine Faust auf den Schädel bekommt?“

Ehe er noch antworten konnte, rief einer der Gefangenen mit lauter Stimme aus:

„Old Shatterhand! Das ist Old Shatterhand! Ich habe es mir gedacht!“

Er hatte mich, weil ich im Schatten lag, vorher nicht bemerken können, nun aber beim Scheine des Feuers meine aufgerichtete Gestalt gesehen. Ich trat zu ihm und fragte:

„Kennt mich der gefangene Krieger der Comantschen?“

„Ja,“ antwortete er.

„Wo hast du mich gesehen?“

„Im Lager der Racurroh-Comantschen, als du die Seelen ihrer Häuptlinge aus dem Laufe deines Bärentöters gegen den Himmel schossest. Der oberste ihrer Häuptlinge war To-kei-chun; das Leben seines Sohnes lag in deiner Hand; du aber schenktest es ihm.“

„Das stimmt. Du spricht die Sprache der Bleichgesichter ziemlich gut und hast also verstanden, was bisher gesprochen wurde?“

„Ja.“

„Ihr habt also gehört, daß ihr euch nahe dem Tode befandet?“

„Wir hörten es. Wir hörten auch, daß Old Shatterhand für unser Leben sprach.“

„Das thut er stets. Ich bin ein Freund der roten Krieger und bedaure es, wenn sie ihre Tomahawks des Krieges gegen die Bleichgesichter erheben, denn ich weiß es, daß sie zwar einmal siegen können, aber um so sicherer untergehen werden. Auch ihr sollt erfahren, daß ich nicht den Tod der roten Männer will.“

„Wir sind tapfre Krieger und fürchten den Tod nicht.“

„Das weiß ich; aber das Leben ist doch besser als der Tod, und es ist kein Ruhm für euch, wenn euer Stamm erfährt, daß ihr ohne alle Gegenwehr besiegt und dann erschossen worden seiet. Es soll auf deine Antworten ankommen, ob ich euch das Leben schenke. Wie heißt der Häuptling, dem dein Stamm gehorcht?“

„Es ist Vupa Umugi, der noch nie besiegt wurde.“ „Wo stehen die Zelte eurer Dörfer?“ „Das sage ich nicht.“ „Eure Krieger sind zum Kampfe ausgezogen?“ „Ja.“ „Wie viele Köpfe stark sind sie?“ „Ich schweige.“ „Wo befinden sie sich jetzt?“ „Ich weiß es nicht.“ „Gegen wen ziehen sie?“ „Ich weiß es, verrate es aber nicht.“

„Du bist verschwiegen und also ein tüchtiger Krieger, der lieber sein Leben auf das Spiel setzt, als daß er die Seinigen verrät. Das muß jedem tapfern Manne und also auch mir wohlgefallen. Geht heim, und sagt euern Häuptlingen und allen euern Männern, daß Old Shatterhand die Tapferkeit und die Verschwiegenheit zu schätzen weiß!“

Ich bückte mich nieder, um sie von ihren Fesseln zu befreien. Als dies geschehen war, sprangen sie auf, und der, welcher bisher gesprochen hatte, fragte: „Old Shatterhand bindet uns los und sagt, wir sollen gehen. Wir sind also frei?“

„Ja.“

„Wir können gehen, wohin wir wollen?“

„Ja.“

„Was geschieht mit unsren Waffen und Pferden?“

„Die erhaltet ihr jetzt zurück. Old Shatterhand ist kein Dieb oder Räuber, der sich an fremdem Gut vergreift.“

„Uff, uff! Werdet ihr uns nachspüren, um zu erfahren, wohin wir reiten?“

„Nein; ich gebe euch mein Wort darauf.“

„Uff, uff! Old Shatterhand hat noch nie sein Wort gebrochen; er ist das edelste der Bleichgesichter; wir werden es erzählen, sobald wir zu unsern Zelten kommen.“

„Es giebt noch viele, viele Bleichgesichter, die ebenso gesinnt sind und denken wie ich. Hier liegen eure Waffen, und dort stehen eure Pferde. Reitet fort! Aber wir werden diesen Platz scharf bewachen; falls ihr hierbleiben oder zurückkommen und uns beschleichen solltet, würden euch unsre Kugeln sicher treffen!“

„Wir werden fortreiten, ohne uns nur einmal umzublicken. Howgh!“

Von den Weißen hatte mir bis jetzt keiner auch nur mit einem Worte widersprochen; nun aber trat Parker zu mir und fragte:

„Ist das Euer Ernst, Sir?“

„Natürlich!“

„Ihr wollt ihnen wirklich die Freiheit geben?“

„Ja.“

„Nehmt mir’s nicht übel, Sir, aber ich muß Euch sagen, daß dies ein Fehler ist, der – –“

Da unterbrach ich ihn mit der kurzen, strengen Frage:

„Ihr wißt jetzt, wer ich bin?“

Yes.“

„Also nicht der Mr. Charley, den Ihr für einen halben Idioten und ganzen Dummkopf hieltet?“

„Nein, sondern Old Shatterhand, Sir.“

„So schweigt, und unternehmt es nicht, mir Vorschriften zu machen oder das, was ich thue, zu kritisieren! Ihr mögt ein guter Mensch und ein ganz brauchbarer Westmann sein, aber Eurer Kritik war ich schon entwachsen, ehe ich meinen Fuß zum erstenmale auf den Boden des wilden Westen setzte. Wer Hatatitla, den berühmten Hengst Old Shatterhands, für einen Kutschengaul halten kann, der darf sich nicht unterfangen, mir gute Lehren zu erteilen. Basta!“

Nach diesem Verweise wendete ich mich von ihm ab und ließ ihn stehen. Ich hatte meinen Grund, in diesem Tone mit ihm zu sprechen. Er war zwar gestern freundlich mit mir gewesen, hatte aber dann gezeigt, daß er sehr hoch von sich dachte, obgleich er sich mit Westmännern ersten Ranges nicht im entferntesten vergleichen konnte. Wenn wir zusammenblieben und er bei diesem Selbstgefühle verharrte, so konnte er uns leicht in große Verlegenheiten bringen; daher diese Art und Weise meines Tadels, der wie ein großes Selbstlob klang und die mir sonst gar nicht eigen war.

Die Comantschen bestiegen ihre Pferde, nickten mir dankend zu und ritten davon, ohne die andern mit einem verabschiedenden Blicke zu beachten. Das war selbst für Old Wabble zu viel, der nichts gesagt hatte, obwohl er nicht ganz mit mir einverstanden war.

„Bockbeinige Kerle!“ brummte er. „Als ob wir so ganz und gar nicht vorhanden wären! Meint Ihr nicht, daß ihr zu gütig gegen sie gewesen seid, Mr. Shatterhand?“

„Nein.“

„Es kann mir nicht einfallen, Euer Thun zu beurteilen. Ihr wißt stets, was Ihr thut, wenn andre es auch nicht begreifen; aber versprechen hättet Ihr doch vielleicht nicht sollen, daß wir ihnen nicht nachspüren werden. Wenn wir Old Surehand befreien wollen, müssen wir doch wissen, wohin er geschleppt worden ist.“

„Ich weiß es; ich habe sie belauscht, ehe ich sie niederschlug. Sie haben ihn nach Saskuan-kui, dem Blauen Wasser gebracht.“

„Das ist gut, mir aber unbekannt. Wißt Ihr vielleicht, wo es liegt, Sir?“

„Ja. Ich bin zweimal dort gewesen.“

„Aber ich befürchte, sie melden dort, was geschehen ist, und daß wir kommen werden.“

„Im Gegenteile! Hätte ich da die Gefangenen freigelassen? Grad das war ein Schachzug, der uns sicher Vorteil bringen wird. Ich habe übrigens Old Surehand mit keiner Silbe erwähnt. Sie werden annehmen, daß ich entweder von ihm nichts weiß oder keinen Grund habe, mich um ihn zu bekümmern. Glaubt mir, Mr. Cutter, ich habe keinen Fehler begangen. Wir haben dabei noch den Vorteil, diese beiden Comantschen los zu sein; sie wären uns höchst unbequem geworden, und ihrem Tode hätte ich nicht zugestimmt.“

„Ihr habt recht, Sir; th’is clear. Und meint Ihr wirklich, daß wir hier sicher sind und daß die Kerls nicht heimtückisch zurückkehren werden?“

„Sie kommen nicht wieder. Damit wir aber keine Vorsicht außer acht lassen, wollen wir diesen Platz aufgeben, das Feuer auslöschen und uns einen andern suchen. Das mag sogleich geschehen.“

Als das Feuer ausgetreten war, ritten wir eine Strecke zurück, wo es eine geeignete Stelle gab. Dort legten wir uns zum Schlafen nieder, nachdem zwei Wachen ausgestellt worden waren. Ich blieb noch lange wach und hörte ebenso lange die Gefährten miteinander flüstern.

Den Gegenstand ihrer leisen Unterhaltung konnte ich mir denken; sie sprachen über den sonderbaren und von ihnen ungeahnten Fall, daß dieser Mr. Charley sich einen Scherz mit ihnen gemacht hatte und eigentlich Old Shatterhand gewesen war. Jedenfalls empfand Old Wabble eine nicht geringe Befriedigung darüber, daß er es gewesen war, der mich zuerst erkannt hatte.

Am andern Morgen galt es vor allen Dingen, zu erfahren, wer von ihnen gern mit nach dem Saskuan-kui ritt und wer nicht. Als ich mich erkundigte, baten alle dringend, sie mitzunehmen. Jetzt, da sie wußten, wer ich war, hatten alle etwa vorher gehegten Bedenken aufgehört, und ein jeder war überzeugt, daß der Ritt höchst interessant sein und ein gutes Ende nehmen werde. Selbst Sam Parker zeigte trotz des gestrigen Verweises eine Begeisterung, die gewiß aus dem Herzen kam, und Jos Hawley benutzte eine Gelegenheit, mir unter vier Augen zu sagen:

„Wer hätte das gedacht, Sir, daß Ihr Old Shatterhand seid! Nun es aber so ist, freut es mich doppelt, daß Ihr mein Herz mit Eurer Erzählung beruhigt habt; das kann ich Euch versichern. Ich bin ein alter, ganz gewöhnlicher Westläufer; aber stellt mich dahin, wo ich zu brauchen bin, so werdet Ihr sehen, daß ich Euch keine Schande mache!“

Als wir aufgebrochen waren, folgte ich zunächst dem Wasser, an welchem wir gelagert hatten, vielleicht eine Stunde lang; dann wich das Thal, in welchem es floß, von der bisherigen östlichen Richtung ab, indem es sich nach Süden wendete. An dieser Stelle war das Gras niedergedrückt und zertreten, und Old Wabble stieg vom Pferde, um diese Spuren zu untersuchen.

„Wollt Ihr das nicht lieber lassen, Mr. Cutter?“ bat ich ihn. „Ich halte es für unnötig, und zweitens ist es uns verboten.“

„Verboten?“ fragte er. „Wer kann uns verbieten, hier nachzuforschen, was diese Fährte zu bedeuten hat?“

„Ich habe den Comantschen mein Wort gegeben, ihnen nicht nachzuforschen.“

„So meint Ihr, daß es ihre Spuren sind?“

„Ja.“

„Hm! Möchte es bezweifeln.“

„Warum?“

„Wenn sie hierher geritten wären, hätten wir ihre Hufeindrücke unterwegs sehen müssen.“

„Nein. Zwischen ihrem Aufbruche und dem unsrigen ist so viel Zeit vergangen, daß sich das Gras inzwischen wieder aufgerichtet hat; hier aber, wo sie Lager machten und höchst wahrscheinlich erst vor ganz kurzem wieder fortgeritten sind, ist es liegen geblieben.“

„Dieses Argument scheint richtig zu sein, Sir, doch muß ich mir sagen, daß es nicht sehr vorsichtig von diesen Indsmen gewesen wäre, wenn sie die Nacht nur eine Stunde weit von unserm Lagerplatze zugebracht hätten. Ich möchte lieber annehmen, daß sie ohne Unterbrechung weitergeritten sind.“

Sam Parker stimmte ihm bei, und auch die andern gaben ihm recht; darum erklärte ich ihnen:

„Man muß sich in die Lage dieser beiden Indianer versetzen. Sie sind während des ganzen gestrigen Tages geritten und brauchen wieder einen Tag, um nach dem Saskuan-kui zu kommen. Um das zu leisten, müssen Menschen und Pferde wenigstens einmal längere Zeit ausruhen; das versteht sich ganz von selbst.“

„Ja, aber doch nicht so nahe dem Orte, an welchem wir uns befanden,“ warf Old Wabble ein.

„Warum nicht? Ich habe ihnen die Freiheit gegeben und ihnen versprochen, sie nicht zu verfolgen; sie wissen, daß Old Shatterhand kein Lügner ist, und haben sich hier also vollständig sicher gefühlt. Dazu kommt noch ein Umstand, den Ihr nicht unbeachtet lassen dürft, nämlich der, daß man bei Tage besser und schneller reitet, als bei Nacht. Ein kluger Mann wird also nicht am Tage, sondern während der Nacht ruhen, und ich habe keinen Grund, anzunehmen, daß die Comantschen diese Klugheit nicht besitzen. Nachdem sie sich über zwei Meilen, von uns entfernt hatten, konnten sie ohne Bedenken anhalten, um den Tag zu erwarten; dann sind sie weiter geritten, wie Ihr an der Fährte seht, die da rechts am Wasser abwärts führt und so deutlich ist, daß sie nicht von heute nacht oder gar schon gestern abend stammen kann.“

„Wollen sie ‚mal untersuchen,“ meinte Parker.

„Nein, denn ich will mein Versprechen halten und sehe auch schon von weitem, daß ich mich nicht irre. Diese Spur wurde von zwei Pferden, nicht mehr und nicht weniger, gemacht; also sind es die Comantschen gewesen.“

Da machte Old Wabble eines seiner überlegenen Gesichter und sagte lächelnd:

„Ihr redet davon, daß Ihr Euer Wort halten wollt, ich aber denke, daß dies nicht möglich ist.“

„Warum nicht?“

„Weil wir ja denselben Weg reiten und also gezwungen sind, die Fährte zu betrachten. Oder meint Ihr, daß wir die Augen zuhalten sollen?“

„Nein, denn wir werden der Fährte nicht folgen.“

„Etwa nur Euers Versprechens wegen?“

„Das wäre Unsinn; es giebt einen andern und viel triftigern Grund. Die Roten folgen, wahrscheinlich des Pferdetränkens wegen, diesem Wasser, welches zwar auch, aber in einem weiten Bogen, nach dem Rio Pecos führt; sie machen also einen Umweg. Wir dagegen werden das Wasser hier verlassen und in gerader, östlicher Richtung nach dem Pecos reiten; wir sagen also ihrer Fährte lebewohl und werden den von mir beabsichtigten Zweck erreichen, daß wir eher als sie bei dem Saskuan-kui ankommen. Wie vorteilhaft das für uns ist, brauche ich Euch wohl nicht zu erklären.“

Da verschwand das überlegene Lächeln aus Old Wabbles Gesicht, und er sagte:

„Ja, wenn es so ist, Mr. Shatterhand, da bin ich freilich still. Habe wunder gedacht, wie klug ich bin, sehe aber ein, daß ich von Euch noch lernen kann, th’is clear. Aber sagt, ist der Weg, den Ihr im Sinne habt, sehr beschwerlich?“

„Gar nicht. Es geht immer abwärts; die Gegend ist meist eben, zuweilen Fels, zuweilen Sand; Wasser freilich giebt es nicht; in dieser Beziehung müssen wir uns bis zum Rio Pecos gedulden.“

„An welchem aber die Comantschen liegen. Wird uns das nicht verhindern, an das Wasser zu kommen, welches wir nach einem solchen Ritte so notwendig brauchen?“

„Nein. Ich kenne die Lage des Saskuan-kui ganz genau, an dem wir sie zu suchen haben. Wir werden den Fluß an einer ganz andern Stelle erreichen und unsre Pferde ganz gefahrlos tränken können.“

Well, so bin ich beruhigt. Es war überhaupt überflüssig, diese Bedenken zu äußern, denn wenn Ihr unser Führer seid, können wir die Überzeugung haben, daß alles geschieht, was zu unsrer Sicherheit geschehen kann. Auf Old Shatterhand kann man sich verlassen, und darum will ich Euch etwas sagen, was Euch große Freude, ja, große Freude machen wird.“

„Was mag das sein, Mr. Cutter?“

„Ich bin viel älter, viel, viel älter als Ihr, und darum würde es sich eigentlich ganz von selbst verstehen, daß Ihr mich als Anführer wähltet; dennoch will ich – – will ich – – will ich – -hm, ja, ich will – –“

Es schien ihm nicht leicht zu werden, den Entschluß, den er gefaßt hatte, auszusprechen; er schlang und schlang; er drückte und drückte, um die Worte herauszubringen; er bewegte die Arme und Beine; er drehte und wendete den dürren Körper, als ob alle seine Knochen locker geworden seien; es wackelte und wabbelte jedes Glied an ihm, bis er endlich hervorstieß:

„Ja, ich will darauf verzichten, und mich unter Euch stellen; Ihr sollt unser Kommandant sein, dem wir zu gehorchen haben. So etwas hat Old Wabble noch nie gethan. Was sagt Ihr dazu, he? Ihr werdet es mit Anerkennung und Dankbarkeit hinnehmen, Mr. Shatterhand; th’is clear.“

Ja, er war der Mann, der sich niemals einem andern unterordnete; das wußte ich. Man sah es ihm auch deutlich an, welche Überwindung es ihm gekostet hatte, es jetzt einmal zu thun, und daß er dafür Lob von mir erwartete. Er sah mich mit großen Augen und weit geöffnetem Munde erwartungsvoll an; aber diese Erwartung ging nicht in Erfüllung, denn ich antwortete:

„Nein, das ist nicht so klar, wie Ihr denkt. Wir sind freie Westmänner und nicht Soldaten, bei denen immer eine Charge über der andern steht; von einem Kommandanten im militärischen Sinne des Wortes kann also bei uns nicht die Rede sein, sondern einer hat ganz und genau dieselben Rechte und Pflichten wie der andre.“

„Aber, Sir, Ihr könnt doch nicht verlangen, daß wir alle stets und immer eines und desselben Sinnes sind.“

„Allerdings nicht.“

„Nun, was soll denn dann geschehen, wenn wir uns streiten?“

„Streiten? Das kann bei verständigen Männern gar nicht vorkommen. Wenn Meinungsverschiedenheiten eintreten, so besprechen wir uns, Mr. Cutter.“

Well, wir besprechen uns. Und dann?“

„Dann handeln wir nach derjenigen Ansicht, welche die richtige ist.“

„Und wenn nun die andern gerade diese Ansicht nicht für die richtige halten?“

„Dann sind sie dumm, und mit dummen Menschen pflege ich nicht zu verkehren.“

„Wie – – wa – – – waaaaas?“ fragte er.

Es war ein geradezu köstliches Gesicht, welches er jetzt sehen ließ, halb das Gesicht eines listigen Fuchses und halb dasjenige eines Schafes, wenn es blöken will. Er blieb eine Zeitlang ohne Bewegung, dann wabbelte er seine Glieder schnell untereinander und fuhr fort:

„Dumm, also dumm, und mit dummen Menschen verkehrt Ihr nicht! Ihr meint also, daß nur wir es sind, welche dumm sein können?“

„Ich meine nur, daß ich mich stets hüten werde, einer guten und richtigen Ansicht entgegenzutreten.“

„Ach so! Und wenn Ihr nun die richtige habt und wir sehen das nicht ein und thun nicht, was Ihr wollt?“

„So lasse ich euch stehen oder sitzen und gehe meiner Wege.“

„Allein?“

„Jawohl, allein!“

„Aber dann kann doch das, was gethan werden Soll, nicht ausgeführt werden!“

„Doch, denn ich würde es allein ausführen. Ein vernünftiger Mann bringt ohne Hilfe und ganz allein mehr fertig, als wenn er zehn andre bei sich hat, die ihm sein gutes Werk verderben.“

„Das heißt also folgendermaßen: Old Shatterhand denkt niemals dumm; es muß also stets nach seinem Willen gehen, und wenn das nicht geschieht, so läuft er davon?“

„So ungefähr, wenn auch nicht gar so schroff.“

„Das ist aber doch ganz dasselbe, als wenn wir Euch zu unserm Kommandanten erwählten!“

„Nein, denn ihr sollt mir nicht stets und absolut zum Gehorsam verpflichtet sein, sondern ein jeder soll seine Meinung äußern dürfen. Und was Euch persönlich betrifft, Mr. Cutter, so bin ich vollständig überzeugt, daß Ihr stets auch das Richtige thun und niemals etwas Verkehrtes unternehmen werdet.“

Da ging ein heller Sonnenstrahl der Befriedigung über sein faltiges Gesicht, und er rief im Tone der Freude und der Zustimmung aus:

„Das soll ein Wort sein, Sir, ein Wort, das immer Geltung hat, th’is clear! Wir haben keinen Kommandanten, aber wenn die andern nicht einsehen, daß Ihr recht habt, so lassen wir sie sitzen. Kommt mit mir voran; wir wollen weiter!“

Wir ritten an der Lehne des Thales empor und dann, als wir oben angekommen waren, im rechten Winkel von demselben fort. Da oben war das Terrain eben, und wir konnten unsre Pferde, die wir unten erst hatten tüchtig trinken lassen, in Galopp setzen. Old Wabble hielt sich voran den andern neben mir und wendete zuweilen seinen Blick bewundernd auf meinen Rappen, dem die jetzige schnelle Gangart sichtlich Freude machte.

Der Alte war ein ausgezeichneter Reiter und saß trotz seines hohen Alters wie ein Jüngling in dem Sattel. Sein langes, weißes Haar flog, ähnlich dem prächtigen, dunklen Schopfe Winnetous, wie eine silberne Mähne hinter ihm her. Eigentlich hatte er da unten am Bache meine Erwartungen nicht erfüllt, denn die von ihm gemachten Einwendungen waren keineswegs Beweise jenes scharfen und untrüglichen Blickes gewesen, der einem Jäger ersten Ranges eigen ist; aber ich sagte mir, daß seine Spezialität, um mich so auszudrücken, wohl eine andre sei. Der einstige König der Cow-boys war nur im freien Felde, auf der offenen Savanne thätig gewesen und hatte also nicht zu denjenigen Eigenschaften kommen können, für welche nur die dichten Wälder und schluchtenreichen Gebirge die richtigen Schulstätten sind. In allem aber, was ich als zu seinem Fache gehörig bezeichnen möchte, konnte ich mich ganz gewiß auf ihn verlassen.

Wir ritten stundenlang neben einander her, ohne daß er ein Wort sagte. Als ich über dieses Schweigen eine Bemerkung machte, antwortete er:

„Ich rede und erzähle gern, Sir; aber ich weiß, daß ich Euch damit nicht kommen darf.“

„Warum nicht?“

„Weil Ihr es mehr mit der That als mit dem Worte haltet. Jedermann hat gehört, daß Ihr tagelang mit Winnetou beisammen Seid, ohne daß ein Wort, welches nicht notwendig ist, gesprochen wird. Selbst wenn Ihr beide euch vor einer Gefahr befindet, über welche andre Westmänner lange Beratungen halten würden, verständigt ihr euch durch einen kurzen Wink oder einen einzigen Blick. Also schweige ich, damit Ihr mich nicht für einen Schwätzer haltet; th’is clear.“

„Winnetou hat allerdings die Eigenheit, mehr in Thaten als in Worten zu reden, und ich bin grad wie er. Es wird mich freuen, wenn ich die Erfahrung mache, daß ich mich mit Euch so gut verstehe wie mit ihm, Mr. Cutter.“

„Habt da ja keine Sorge, Sir! Ich bin kein ganz unerfahrner Kerl und werde mich bemühen, Euch zu beweisen, daß Ihr mich brauchen könnt.“ –

Die Gegend, durch welche wir kamen, war so, wie ich sie beschrieben hatte, teils felsige Ebene, teils sandige Öde, bis wir am Nachmittage fruchtbareren, mit Gras bewachsenen Boden trafen. Wir näherten uns einem Zuflusse des Pecos, dessen Ufer mit Strauchgrün eingefaßt waren. Ich kannte diesen Wasserlauf von früher her und folgte ihm bis zu seiner Mündung. Als wir diese erreichten, war es nicht ganz mehr zwei Stunden vor Abend; eine Stunde hatten wir von hier aus bis zum Saskuan-kui zu reiten.

Dieses blaue Wasser war ein kleines, seeartiges Becken, welches von Quellen, die sich auf seinem Grunde befanden, genährt wurde und sein überflüssiges Wasser in den Rio Pecos schickte. An seinen Ufern gab es dichtes Elm- und Cottonwood-Gebüsch, aus welchem hohe, schattenreiche Pecans und Pfosteneichen ragten. Das Wasser hatte eine selten intensiv blaue Farbe und war daher von den Indianern Saskuan-kui genannt worden. Der Abfluß dieses Sees ging unterhalb der Stelle, an welcher wir uns befanden, in den Rio Pecos, über den wir hinüber mußten. Noch weiter unten gab es eine Furt, die wir aber nicht benutzen durften, weil die beiden Comantschen von unten her kamen und unsre Spuren gefunden hätten. Der Übergang über den hier ziemlich breiten Fluß mußte also schwimmend geschehen, was bei der Wärme des heutigen Tages uns eher erwünscht als unlieb war.

Am jenseitigen Ufer angekommen, suchten wir dieses zunächst nach Spuren ab, und es beruhigte uns sehr, keine zu finden. Wir ritten vorsichtig unter den weiten Wipfeln der hier stehenden Trembling-poplars, abwärts bis zur Mündung des Seeabflusses. Wir befanden uns an der nördlichen Seite desselben und fanden auch hier keine Spuren. Ich stieg vom Pferde, band es an ein Gesträuch, von dessen Laub es fressen konnte, und legte mich in das Gras. Old Wabble folgte meinem Beispiele, ohne ein Wort zu sagen; er wollte meinen schweigsamen Winnetou nachahmen und, wie er sich ausgedrückt hatte, von mir nicht für einen Schwätzer gehalten werden. Den andern aber kam der Umstand, daß ich mich hier niederlegte, nicht so selbstverständlich vor; sie blieben auf den Pferden sitzen, und Parker fragte:

„Absteigen, Sir? Es ist ja noch Tag!“

„Eben weil es noch Tag ist, bin ich abgestiegen,“ antwortete ich.

„Wollen wir nicht vollends bis zum blauen Wasser reiten?“

„Nein.“

„So wollt Ihr wohl in der Dunkelheit hin?“

„Ja.“

„Warum nicht am Tage, wo wir etwaige Spuren sehen können, Mr. Shatterhand?“

„Weil wir da allerdings solche Spuren sehen, aber auch selbst gesehen würden.“

„Ich denke, wenn wir vorsichtig – – –“

Er wurde von Old Wabble unterbrochen, welcher ihm in strengem Tone in das Wort fiel:

„Seid still, und schreit nicht hier drein wie ein Kamel, das fünfzehn Höcker hat. Habe denn etwa ich ein Wort gesagt? Mr. Shatterhand wird wohl wissen, was er thut. Wenn ihr euern Skalp zu Markte tragen wollt, so reitet weiter; ich aber bleibe hier.“

Da stiegen sie auch von ihren Pferden. Parker brummte dabei:

„Oho, oho, nur nicht so grob, Old Wabble! Ein Gentleman wie ich, ist nicht gewöhnt, sich dergleichen Kamele an den Kopf werfen zu lassen.“

„Ein veritabler Gentleman hält vor allen Dingen das Maul, verstanden! Ihr habt zwar damals Euern ersten Elk sehr gut getroffen, inzwischen aber jedenfalls so viele Pudel geschossen, daß es Euch gar nicht zukommt, gegen Mr. Shatterhand zu sprechen, wenn etwas, was er thun will, Euch nicht paßt. Seid also still, sonst gehen wir fort und lassen Euch sitzen.“

Ah, also darauf lief es hinaus! Sitzen lassen; das hatte er sich gemerkt. Er wollte durch seine Strenge gegen den braven Parker zeigen, daß er sich mit mir eins fühle. Dabei war ich überzeugt, daß seine Schweigsamkeit keine lang anhaltende sein und er mich bei nächster Gelegenheit grad ebenso interviewen werde, wie es jetzt Parker gethan hatte.

Als es zu dunkeln begann und die Zeit für mich gekommen war, stand ich auf und sagte:

„Ich gehe jetzt fort, um nach den Comantschen zu suchen. Ich lasse euch meine Gewehre hier und bitte, daß sich keiner von euch entfernt; es könnten Rote in der Nähe sein und ihn bemerken.“

„Ganz richtig!“ stimmte mir Old Wabble bei. „Ich nehme an, daß nun bald die beiden Comantschen kommen, die wir freigelassen haben. Die kommen wahrscheinlich hier nahe vorüber.“

„Hier nicht, Mr. Cutter,“ widersprach ich ihm. „Die benutzen jedenfalls die da unten liegende Furt und kommen also da drüben am jenseitigen Ufer dieses Wassers herauf.“

„Meint Ihr?“

„Ja. Darum habe ich vorhin das diesseitige Ufer zum Ausruhen gewählt; da können sie uns nicht bemerken.“

„Well. Also, Ihr wollt gehen. Darf ich mit?“ –

„Ich will Euch aufrichtig sagen, daß ich lieber allein bin.“

„Haltet Ihr mich für so unerfahren oder für so ungeschickt, daß ich Euch den Handel verderben kann?“

„Nein, wenigstens nicht so wörtlich, wie Ihr es ausgesprochen habt.“

„Also einigermaßen aber doch. Ich sage Euch, Sir, daß ich das Anschleichen ebenso wie jeder andre gelernt habe; das habe ich gestern abend bewiesen.“

„Hm! Ich habe Euch doch gesehen.“

„Mich nicht, sondern nur den Zweig, weil er sich bewegte.“

Pshaw! Schon lange, ehe Ihr diesen Zweig abschnittet, habe ich Eure Augen gesehen.“

„Meine Augen? Good lack! Ist das möglich?“

„Nicht nur möglich, sondern wirklich.“

„Aber ich steckte doch ganz im Dunkeln! Kann man da Augen sehen, Mr. Shatterhand?“

„Es ist das allerdings nur einem sehr scharfen und geübten Blicke möglich. Ihr werdet wohl zugeben, daß Augen glänzen. Und Ihr hattet die Eurigen noch dazu ganz offen.“

„Das mußte ich doch! Wer etwas sehen will, der muß die Augen offen haben.“

„Meint Ihr? Ein vorsichtiger Späher macht sie so weit wie möglich zu, damit sie nicht gesehen werden; ja, ich zum Beispiele mache sie, wenn ich genug gesehen habe und nun nur noch hören will, ganz zu, denn erstens sind sie dann ganz unsichtbar, und zweitens hört man bei geschlossenen Augen besser als bei offenen, wie Ihr wohl wissen werdet.“

„Sir, es ist wahr; man kann von Euch noch viel lernen!“

„Wenn Ihr das einseht, so will ich Euch auf noch etwas andres aufmerksam machen. Ich habe nämlich nicht nur Eure Augen, sondern auch Euer Haar gesehen.“

„Auch dieses?“

„Wundert Ihr Euch etwa darüber? Euer Haar ist schneeweiß, es fällt also noch weit eher auf als die dunkeln Augen.“

„Alle Wetter, bei Euch hat man sich in acht zu nehmen.“

„Nicht bloß bei mir, Mr. Cutter. Ich rate Euch, das Haar zu verhüllen, wenn Ihr wieder einmal in die Lage kommt, Euch anzuschleichen; Ihr könntet sonst leicht dieses schöne Haar mitsamt dem Kopfe verlieren.“

„Werde es thun, werde es thun! Ich hoffe, daß ich gleich jetzt in diese Lage komme. Nicht?“

„Weil ich Euch mitnehmen soll?“

Yes.“

„Ich wiederhole, daß ich lieber allein gehe.“

„Mag sein; aber Ihr seid doch auch nur ein Mensch, und es kann Euch ein Unfall erreichen. Dann sitzen wir hier und wissen nicht, wo Ihr steckt und wie Euch zu helfen ist.“

„Das ist nicht unrichtig, und ich würde Euch wohl mitnehmen, wenn die Sache nicht so wichtig und dabei so gefährlich wäre. Der geringste Fehler kann uns verraten und das Leben kosten.“

„Ich gebe Euch mein Wort, daß ich keinen Fehler mache!“

„Euer Wort? Hm! Na, ich will es einmal gelten lassen und hoffen, daß Ihr es halten werdet.“

„Danke Euch! Will nur erst Euern Wink befolgen; dann können wir gehen.“

Er rollte sein Haar zusammen, um es auf den Kopf zu legen und das Tuch darüber zu binden. Während er dies that, fuhr er fort:

„Kennt Ihr das blaue Wasser und seine Umgebung so genau, daß Ihr Euch getraut, die Roten dort trotz der Dunkelheit der Nacht zu finden?“

„Ja. Ihr könnt Euch dies doch denken, denn wenn es nicht der Fall wäre, hätte ich die letzte Tagesstunde zum Anschleichen benutzt und mich nicht müßig hierher gelegt.“

„Bravo, bravo!“ rief da Parker aus.

Da drehte sich Old Wabble nach ihm um und fragte zornig:

„Was habt Ihr denn da zu schreien, he?“

„Bravo habe ich geschrieen,“ antwortete der Gefragte.

„Das habe ich wohl gehört; oder haltet Ihr mich für taub? Aber warum Ihr es gerufen habt, das will ich wissen.“

„Aus Vergnügen darüber, daß Euch Mr. Shatterhand einen so vorzüglichen fillip, gegeben hat.“

„Fillip? Wieso?“

„Erst werdet Ihr grob gegen mich, gebietet mir Schweigen und nennt mich ein wer-weiß-wieviel-höckeriges Kamel, weil ich mir erlaubte, eine ganz bescheidene Frage auszusprechen, und jetzt schlabbert Ihr selbst so unvergorenes Zeug, daß Euch Old Shatterhand darüber zur Rede setzen muß! Das könnt Ihr Euch doch denken, hat er gesagt, und ich rufe noch einmal bravo dazu!“

„Haltet den Schnabel, verehrtester Sir! Meine Frage ist eine ganz und gar sachgemäße gewesen.“

„Die meinige auch.“

„Das denkt Ihr nur. Übrigens schreit man hier im wilden Westen und in der Nähe von feindlichen Indianern nicht so laut bravo, daß die Lunge platzen möchte. Kommt, Mr. Shatterhand; lassen wir den Kerl sitzen!“

„Für immer?“ fragte ich lächelnd.

„Nein, nur bis wir wiederkommen.“

Ich übergab Parker meine Gewehre besonders; dann gingen wir.

Das Gebüsch, welches den Ausfluß des Sees umsäumte, war nicht breit; es bildete einen schmalen Streifen, an welchen die vollständig offene Grasfläche stieß. Wir hielten uns an seinen Rand und fanden durch zahlreiche vorgeschobene Sträucher so viel Deckung, daß wir für den Fall einer Begegnung keine Sorge zu haben brauchten; wir konnten uns sehr schnell verbergen. Und als die Dämmerung vorüber und es vollständig dunkel geworden war, wäre auch eine vorher begründete Befürchtung überflüssig geworden.

Die Lehre, welche Old Wabble von Parker erhalten hatte, war nicht von langer Wirkung, denn wir waren noch nicht sehr weit gegangen, so erkundigte er sich schon, natürlich leise:

„Was hat das blaue Wasser für eine Gestalt, Sir?“

„Es ist ein ziemlich kreisrunder See, den ich lieber einen Teich oder Weiher nennen möchte, denn unter einem See versteht man eigentlich eine größere Wasserfläche.“

„Wie groß ist er?“

„Ich habe zwanzig Minuten gebraucht, um ihn in gerader Richtung zu überschwimmen.“

„Dann ist er nicht so gar klein, denn ich habe gehört, daß Ihr ein vortrefflicher Schwimmer seid. Man erzählt sich, daß Ihr bei den Sioux habt ums Leben schwimmen müssen.“

„Mehreremale sogar.“

„Und die besten Schwimmer dieser roten Bande sollen hinter Euch zurückgeblieben sein.“

„Allerdings, sonst lebte ich nicht mehr. Wie schwimmt denn Ihr, Mr. Cutter?“

„Wie ein Fisch.“

„Wirklich?“

„Ja. Oder glaubt Ihr es etwa nicht?“

„Da Ihr es sagt, muß es wohl wahr sein. Da seid Ihr mir aber über, denn ich wage nicht zu sagen, daß ich wie ein Fisch schwimmen kann. Ihr seid übrigens nicht allzu fleischig gebaut.“

„Ja, sehr viel Knochen mit lauter Haut und Runzeln, weiter nichts. Aber glaubt Ihr, daß dies ein Hindernis ist, ein guter Schwimmer zu werden?“

„Wenigstens pflegt man dies zu behaupten.“

„Oho! Wer diese Behauptung ausspricht, der versteht nichts von der Sache. Wer fett ist, der ist doch dick und breit, und es muß ihm eine schauderhafte Arbeit kosten, sich durchs Wasser zu puddeln; ich aber bin lang und schmal und schieße also förmlich durch die Flut. Es ist das genau so wie mit einer Pfeilspitze; ist sie lang und dünn, so dringt sie schneller und tiefer in das Fleisch, als wenn sie kurz und dick wäre; th’is clear.“

Mir war die Sache nicht so clear wie ihm, doch durfte ich wohl annehmen, daß er nicht übel schwamm, wenn auch nicht grad wie ein Fisch. Übrigens sollte ich bald Gelegenheit haben, seine Geschicklichkeit genau kennen zu lernen; zunächst glaubte ich ihm, obgleich ein Cow-boy sich mehr auf dem Lande und zu Pferde als im Wasser zu bewegen pflegt.

„Giebt es im blauen Wasser Inseln?“ fuhr er nach einer kleinen Weile fort.

„Nur eine, die nicht weit vom nördlichen Ufer liegt.“

„Wenn es so finster bleibt, wie es jetzt ist, und die Roten keine Feuer brennen, wird es schwer sein, sie zu finden.“

„Die Sterne werden in kurzer Zeit heller leuchten, und ich bin auch überzeugt, daß die Comantschen Feuer angebrannt haben. Es giebt keinen Grund für sie, anzunehmen, daß Feinde in der Nähe sind; sie wissen sich sicher und werden also nicht im Dunkeln sitzen.“

„Auf welche Weise wollen wir uns anschleichen?“

„Es giebt an dem See, und zwar der erwähnten Insel grad gegenüber, eine Stelle, die sich wie keine andre zum Lagern eignet; ich selbst habe zweimal mehrere Nächte dort zugebracht und möchte annehmen, daß die Indsmen sich auch dort befinden. Das Gebüsch ist dicht und von hohen Bäumen überragt.“

„Das ist nicht gut, denn da wird schwer durchzukommen sein. Meint Ihr nicht, Mr. Shatterhand?“

„Es ist leider so; aber wir müssen dennoch durch. Dazu wird wohl ein Umstand kommen, welcher die Ausführung unsres Vorhabens wahrscheinlich doppelt erschwert.“

„Was ist das?“

„Es giebt zwischen dem Wasser und dem Gebüsch nicht Weide genug für die Pferde, ich muß also annehmen, daß diese sich nicht am Wasser, sondern diesseits des Waldstreifens befinden, wo Gras in Menge wächst.“

Heigh-ho! Da werden Wächter dabei sein!“

„Natürlich! Wir haben also das Lager vor und die Pferde mit den Wächtern hinter uns und befinden uns in einer Lage, welche die größte Vorsicht erfordert, zumal die Indianergäule fast ebenso wachsam wie ihre Herren sind. Doch wollen wir jetzt nicht mehr sprechen; wir haben unsre Aufmerksamkeit zusammenzunehmen.“

Wir hatten jetzt ungefähr die Hälfte unsres Weges zurückgelegt und mußten aufpassen, denn je näher wir dem See kamen, desto leichter war es möglich, daß wir auf etwa noch umherstreifende Indsmen stießen. Glücklicherweise war dies nicht der Fall, und wir kamen ohne eine solche unerwünschte Begegnung an die Stelle, wo das Wasser aus dem See abfloß.

Der Waldesstreifen machte von hier aus einen weiten Bogen in die Grasebene hinaus, dem wir folgten, bis wir plötzlich unsre Schritte anhielten, weil wir vor uns laute Stimmen hörten.

„Pa-gu!“ rief jemand. „Hetet-sha enuka?“

Das heißt: „Pa-gu, wo bist du?“

„Eiwe, hier,“ antwortete ein zweiter.

„Beite omi!“

Das heißt: „Komm her!“

„Schai ka-tu lel, ich habe keine Zeit.“

Hierauf trat wieder Stille ein. Ich sagte leise zu Old Wabble:

„Das ist der dem Tonkawa ähnliche Dialekt der Racurroh-Comantschen; wir haben also die Gesuchten vor uns. Kennt Ihr vielleicht diesen Dialekt?“

„Ja.“

„So habt Ihr die Worte verstanden?“

„Ja. Es rief einer den andern, der keine Zeit hat.“

„Gut! Es ist mir sehr lieb, daß Ihr diese Sprache versteht, denn da könnt Ihr die Roten mit belauschen. Meine Voraussetzung ist eingetroffen: Wir haben die Pferde vor uns; es ist einer von den Wächtern gerufen worden. Geht jetzt hinter mir, aber so leise und vorsichtig wie möglich!“

Wir huschten hart am Rande des Gebüsches weiter, bis wir um eine hervortretende Zunge des Waldes bogen; da sahen wir ein Feuer, welches in der Entfernung von vielleicht sechshundert Schritten vor uns auf der Grasebene brannte; mehrere Indianer saßen an demselben, um die Pferde zu bewachen, welche rundum weideten.

„Ganz so, wie Ihr gedacht habt, Sir,“ sagte Old Wabble. „Da haben wir die Tiere, und hinter den Büschen und Bäumen werden ihre Besitzer am blauen Wasser lagern.“

„Und das ist auch grad die Stelle, von der ich gesprochen habe; sie liegen da, wo ich schon zweimal lagerte. Jetzt müssen wir uns niederlegen, sonst sehen sie uns.“

Wir krochen nun am Saume des Gebüsches weiter, bis dies nicht mehr möglich war, ohne entdeckt zu werden. Vor uns gab es eine schmale Lücke in dem Gesträuch, welche wie ein offener Pfad den Lager- mit dem Weideplatz verband; sie wäre für uns sehr bequem gewesen, wenn wir sie hätten benutzen können, was wir aber nicht durften. Die Roten verkehrten auf diesem Wege hin und her, und es fiel uns nicht ein, uns der Entdeckung auszusetzen. Wir wendeten uns also nach rechts, um parallel mit diesem Pfade durch das Buschwerk zu dringen. Da dieses, wie bereits erwähnt, sehr dicht stand und wir jedes Geräusch vermeiden mußten, so machte es uns große Mühe und dauerte sehr lange, ehe wir den jenseitigen Rand des doch so schmalen Waldes erreichten und den Lagerplatz vor uns liegen sahen.

Es war ein Kriegslager. Zwar trugen die Indianer nicht die Kriegsfarben im Gesicht und hatten also hier einen längeren Aufenthalt beabsichtigt, doch war kein einziges Zelt vorhanden, was sicher der Fall gewesen wäre, wenn es sich nur um einen Jagdzug gehandelt hätte. Sie mußten sich hier vollständig sicher fühlen, denn es gab nicht weniger als acht Feuer, bei deren Schein wir über hundertfünfzig Rote zählten. Sie hatten Fleisch gemacht; es hing in langen, dünnen Stücken an ausgespannten Riemen, um zu trocknen. Sie hatten also einen weiten Kriegszug vor, bei dem es keine Zeit zum jagen gab oder der nach einer Gegend gerichtet war, in der sich weder Büffel noch andre Wildarten befanden. Diese Gegend kannte ich; es war der öde, der heißen, sandigen Sahara vollständig gleichende Llano estacado.

Es lagen noch mehrere erlegte Büffel da, und die meisten der Indsmen waren beschäftigt, sie in Stücke zu zerlegen und das Fleisch von den Knochen zu trennen, um es dann in Streifen zu zerschneiden. Andere hockten an den Feuern und brieten Fleisch. Die gebratenen Stücke lagen in Haufen neben ihnen, jedenfalls für das allgemeine Abendessen bestimmt. An zwei kleineren Feuern, die leider weit auseinander lagen, saßen müßige Gestalten, welche nicht arbeiteten, sondern sich unterhielten und dabei die Tabakspfeife, von der jeder nur einige Züge nahm, herumgehen ließen. Das waren wohl die Chargierten, wenn es erlaubt ist, mich dieses Ausdruckes zu bedienen. Ich habe gesagt, die leider weit auseinander lagen, denn wären diese zwei Gruppen enger beisammen gewesen oder hätten sie nur eine gebildet, so hätte ich sie zusammen belauschen können; so aber mußten wir uns teilen, denn es stand fest, daß wir nicht fortgingen, ohne gehört zu haben, was gesprochen wurde.

Die Insel, welche ich gegen Old Wabble erwähnt hatte, lag als dunkle Stelle, über der ein hellerer Schein schwebte, drüben auf dem Wasser. Wir hätten sie ohne diesen Schein gewiß nicht sehen können; er rührte wahrscheinlich von einem Feuer her, welches zwischen den Büschen, die es dort auch gab, brannte. Das mußte mir auffallen, und ich fragte mich: Warum dieses Feuer auf der Insel? Ich ließ den Blick scharf von Gruppe zu Gruppe über das Lager gehen und konnte mir dann diese Frage beantworten; es waren nur Indianer hier; kein Weißer war zu sehen.

Wir lagen eng neben einander unter einem wilden Baumwollenstrauche, der uns ganz bedeckte; kein Auge richtete sich nach dieser Stelle.

Damn!“ flüsterte mir der Alte zu. „Ich habe die Kerls gezählt; es sind ihrer hundertvierundfünfzig; aber kein Weißer ist dabei. Sie werden Old Surehand doch nicht etwa schon ausgelöscht haben!“

„Nein.“

„Nicht? Wie wollt Ihr das wissen?“

„Er ist noch da.“

„Wo?“

„Da drüben auf der Insel.“

„Auf der Insel? Ah! Ist es der dunkle Punkt dort im Wasser, über dem es hell wie von einem Feuer liegt?“

„Ja.“

„Und Ihr meint, Old Surehand ist dort?“

„Er ist sicher dort.“

„Das beruhigt mich, obgleich es mir sonderbar vorkommt, daß sie ihn nicht hier im Lager haben.“

„Mir nicht. Da drüben ist er ihnen sicherer als hier.“

„Wieso? Hier können ihn über dreihundert Augen bewachen, dort aber nicht.“

„Aber, Mr. Cutter, seht Ihr denn nicht ein, daß ein Gefangener von einem rings vom Wasser umgebenen Orte viel schwerer entkommen kann als von hier, obgleich es dort weniger Augen zu seiner Bewachung giebt?“

„Hm, mir scheint, sie hätten ihn hier wenigstens ebenso sicher, denn jedenfalls ist er gefesselt.“

„Gefesselt ist er jedenfalls; aber sie haben mit allen Möglichkeiten zu rechnen, also auch mit der, daß der Zufall Leute herbeiführt, welche das Lager und folglich auch den Gefangenen entdecken. Das wollen sie vermeiden.“

„Wenn das richtig ist, so brauchen wir uns nicht darüber zu freuen, Mr. Shatterhand.“

„Warum nicht?“

„Wir wollen ihn doch loshaben?“

„Allerdings.“

„Nun, hier könnten wir uns vielleicht an ihn schleichen; das ist aber unter den jetzigen Verhältnissen unmöglich.“

Pshaw! Mir ist es viel lieber, daß sie ihn nicht hier im Lager haben. Ihr werdet mir bald recht geben. Zunächst möchte ich die Indsmen belauschen.“

„Um zu hören, was sie sprechen?“

„Ja.“

„Erlaubt mir, Euch zu sagen, daß wir uns da in eine Gefahr begeben, ohne vielleicht etwas davon zu haben! Ich bin nicht furchtsam und wage alles mit, was Ihr wagen wollt; aber selbst wenn es uns gelingt, sie zu belauschen, was sollen wir Wichtiges hören?“

„Wichtig oder nicht, ich versuche es. Ich habe mich viele, viele Male an Feinde geschlichen und dabei fast stets etwas erfahren, was mir nützlich war. Ich möchte sogar behaupten, daß dieses Behorchen und Belauschen nicht wenig zu meinen und Winnetous Erfolgen beigetragen hat; ich habe es von ihm gelernt. Ihr fragt, was wir hören werden? Das natürlich, was sie sprechen. Und wovon werden sie reden? Von dem, was hier geschehen ist, was noch geschieht, und was sie vorhaben, also wahrscheinlich von dem Gefangenen und von dem Kriegs- und Raubzuge, den sie beabsichtigen. Wir wagen allerdings viel, und wenn ich auch gern glaube, daß Ihr Euch nicht fürchtet, so ist es mir, offen gestanden, wenn Ihr damit einverstanden seid, lieber, daß ich die Gefahr, von der Ihr redet, auf mich allein nehme.“

„Warum lieber?“

„Weil ich nicht weiß, ob Ihr der Sache gewachsen seid.“

„Oho! Habe ich bisher einen Fehler gemacht? Habe ich nicht bewiesen, daß ich das Anschleichen verstehe?“

„Bisher, ja; aber das war verhältnismäßig leicht; nun aber kommt es weit, weit schwieriger.“

Pshaw! Das kann ich auch!“

„Wirklich? So will ich Euch vertrauen. ihr seht die beiden kleineren Feuer, an denen die Krieger in müßiger Unterhaltung sitzen; an diese müssen wir. Für Euch ist das, welches uns näher liegt; der Busch reicht fast ganz hinan, und die Deckung, die Ihr dadurch findet, erleichtert Euch die Annäherung, während ich es bei dem andern, welches hart am Wasser liegt, viel schwieriger habe. Seid Ihr einverstanden?“

„Ja, obgleich es keine große Ehre für mich ist, daß Ihr für Euch die größere Gefahr wählt.“

„Das ist keine Schande für Euch. Merkt wohl auf, was ich Euch sage! Wir kehren nach hier zurück. Wer zuerst ankommt, der giebt dem andern ein Zeichen, daß er fertig ist. Dieses Zeichen darf den Roten nicht auffallen. Ihr hört die Unken rufen; ein solcher Ruf kann keinen Verdacht erregen. Werdet Ihr ihn nachahmen können?“

„Ich denke es.“

„Dann ruft Ihr, sobald Ihr hier wieder angekommen seid, viermal, den zweiten und dritten Ruf schneller hinter einander als die andern. Versteht Ihr mich?“

Yes. Das ist zur Unterscheidung von den wirklichen Unken.“

„Richtig! Ich werde es, falls ich eher hier bin als Ihr, ebenso machen. Werdet Ihr entdeckt, so – –“

„Entdeckt?“ fiel er mir in die Rede. „Werde mich sehr hüten, mich sehen zu lassen!“

„Sagt das nicht. Der schlauste und vorsichtigste Westmann kann bei einer solchen Gelegenheit Unglück haben. Also, wenn Ihr entdeckt werdet, so brecht Ihr schleunigst, ohne auf mich Rücksicht zu nehmen, durch das Gebüsch und kehrt an unsern Lagerplatz zurück; ich komme nach.“

„Und wenn man Euch sieht?“

„So fliehe ich auch, und Ihr folgt mir so bald und so gut, wie es möglich ist. Habt Ihr vielleicht noch eine Frage?“

„Nein. Meine Aufgabe habe ich erhalten, und ich werde sie lösen; th’is clear.“

„Mag Euch das gelingen! Also vorwärts jetzt!“

„Ja, vorwärts, Sir! Ihr sollt mit mir zufrieden sein. Über ein Kleines, so werdet Ihr mich nicht mehr sehen!“

Er machte diese Worte wahr, indem er links in die Büsche kroch und darin verschwand. Ob er keinen Fehler machen würde? Ich war nicht ganz ohne Sorge darüber.

Meine Aufgabe war, wie bereits gesagt, weit schwerer als die seinige. Das Feuer, zu dem ich wollte, lag in der Nähe des Wassers, und es gab zwischen mir und ihm nichts, was mir zur Deckung dienen konnte. Wie also hinkommen, und wie längere Zeit dort liegen, ohne gesehen zu werden? Das war die Frage. Und ich wollte nicht nur, sondern ich mußte hin, denn einer der dort sitzenden Indianer hatte eine Feder des weißen Kriegsadlers im Haar, und ich hielt ihn also, obgleich ich sein Gesicht nicht sehen konnte, für Vupa-Umugi, den Häuptling der Comantschen.

Es gab nur einen Weg dorthin, nämlich zu Wasser, und der war, wenn nicht kaum möglich, aber doch so schwer, daß ich mir sagen mußte, ich hätte beim Beschleichen noch nie so viel gewagt, wie ich jetzt zu wagen im Begriffe stand. Das Ufer war mit Schilf besetzt; diesen Umstand mußte ich benutzen. Ich war gezwungen, mich zu entkleiden, und mußte dazu wegen meiner hellen Hautfarbe eine dunkle und abgelegene Stelle aufsuchen. Rechts, nicht weit vom entferntesten Feuer, trat das Gebüsch ganz an das Wasser; dorthin kroch ich, zog mich aus, nahm einige Riemen, die ich bei mir trug, aus der Tasche, dazu das Bowiemesser und versteckte dann die Kleider in dichtes Gesträuch. Hierauf schnitt ich soviel Schilf ab, wie ich brauchte, band es zu einem möglichst natürlich aussehenden Busch zusammen und steckte ihn mir so über den Kopf, daß er mir auf den Schultern stand. Nachdem ich eine Lücke, durch die ich sehen konnte, hervorgebracht hatte, stieg ich in das Wasser, um den bösen Weg anzutreten.

Ich hatte, gehend oder schwimmend, dafür zu sorgen, daß dieser Busch stets in gleicher Höhe mit dem Uferschilfe blieb. Wenn ich so, langsam, sehr langsam, damit ich keine Aufmerksamkeit auf mich zog, mich hart am Lande nach dem Feuer hinbewegte, mußte man meinen seltsamen Schopf für feststehendes Schilf halten, und ich durfte hoffen, glücklich an das Ziel und wieder zurück zu gelangen. Im Falle einer Entdeckung, die keineswegs ausgeschlossen, sondern sogar sehr leicht möglich war, nahm ich mir vor, quer über den See zu fliehen und dann heimlich wiederzukommen, um meine Kleider zu holen.

Zunächst war das Wasser seicht; ich mußte mich legen und im Schlamme vorwärtskriechen; es ging durch scharfes, schneidendes Schilf, und ich hatte mich sehr in acht zu nehmen, mich nicht zu verletzen. Als ich in tieferes Wasser kam, konnte ich gehen. Später verlor ich gar einmal den Grund unter den Füßen, was mich zum Schwimmen nötigte. Der ganze Weg, den ich zurückzulegen hatte, war nicht über sechzig Meter lang; aber es lag noch nicht die Hälfte desselben hinter mir, als schon über eine halbe Stunde vergangen war. Die Roten durften eben nicht bemerken, daß meine Schilfmaske sich bewegte. Auf diese Weise konnten Stunden vergehen, ehe ich wieder mit Old Wabble zusammentraf.

Glücklicherweise trat jetzt ein Umstand ein, der mir sehr zu Hilfe kam. Ich hörte laute Rufe erschallen, und als ich nach der Ursache suchte, sah ich zwei Indianer, die aus dem Gebüsch getreten waren, auf dem Lagerplatze erscheinen. Es waren die beiden Comantschen, die ich gestern abend niedergeschlagen hatte. Der Häuptling hatte sie dem fliehenden Old Wabble nachgeschickt; jetzt kamen sie wieder, und natürlich wollte jedermann wissen, welchen Erfolg sie gehabt hatten. Sie lenkten die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, auch diejenige des Häuptlings. Wenn er ihnen auch nicht entgegenlief, wie die meisten andern thaten, so stand er doch auf und drehte sich nach ihnen um. Sein Gesicht und aller Augen waren jetzt vom Wasser abgewendet. Das benutzte ich so schnell, daß ich mich nach kaum einer Minute an der Stelle befand, die ich hatte erreichen wollen. Ich wühlte meinen hellen Körper in dem schlammigen Grunde des seichten Ufers ein, legte mich auf die eingebogenen Vorderarme und konnte nun, das Gesicht über Wasser, alles, was vorging, bequem beobachten. Da der Schilfbusch mir auf den Schultern saß, schien er im Wasser zu stehen, und weil es zu beiden Seiten von mir auch Schilf gab, durfte ich mich für jetzt ganz sicher fühlen.

Es war aber auch die höchste Zeit, denn grad als ich die beschriebene Lage eingenommen hatte, waren die beiden Comantschen bis an das Feuer des Häuptlings gekommen, der sie mit den Worten empfing:

„Ich sehe an keinem von euern Gürteln den Skalp dessen, den ihr töten solltet. Seid ihr blind geworden, daß ihr seine Spur verloret? Oder haben eure Pferde die Beine gebrochen, daß ihr ihn nicht einholen konntet?“

Der eine sagte nichts und blickte verlegen zu Boden; der andre war dreister; er sah dem Häuptling frei in das Gesicht und antwortete:

„Wir haben unsre Augen behalten, und die Beine unsrer Pferde sind gesund geblieben.“

„Wo aber ist der Skalp?“

„Er befindet sich noch auf dem Kopfe dessen, dem wir ihn nehmen sollten.“

„So ist dieses Bleichgesicht nicht tot?“

„Es lebt noch.“

„Ihr habt es euch also entkommen lassen?“

Seine Augen blitzten drohend, als er das in überlautem, zornigem Tone fragte.

„Es ist uns entgangen,“ antwortete der andre, den Blick des Häuptlings ruhig aushaltend.

„So seid ihr lahme Hunde, die man keiner Kröte nachsenden darf, die zu schnell für sie ist! Ich werde euch zurückschicken in die Zelte der alten Weiber, zu denen ihr gehört.“

„Du bist Vupa-Umugi, unser Häuptling des Krieges, dessen Befehle wir zu befolgen haben; aber wenn du Befehle erteilst, die nicht auszuführen sind, so darfst du diejenigen nicht beschimpfen, die sich vergeblich Mühe geben. Wir sind keine lahmen Hunde, sondern tapfre, erfahrene Krieger, sonst hättest du uns nicht ausgewählt, dem Bleichgesicht zu folgen. Wir gehen nicht zu den alten Weibern. Steht der Mund über den Ohren? Warum sprichst und urteilst du, ehe du gehört hast, aus welchen Gründen wir den Skalp nicht bringen?“

Das war kühn gesprochen; dieser Mann war sicherlich kein Hasenfuß. Man erzählte sich von der Grausamkeit Vupa-Umugis viele Geschichten; er bethätigte diese Eigenschaft wohl nicht bloß gegen Weiße, sondern hatte sich wohl auch oft gegen Stammesgenossen rücksichtslos bewiesen; man achtete ihn als Krieger, aber man liebte ihn nicht; es hatte sich eine Erbitterung gegen ihn angehäuft, welche bei Gelegenheiten, wie die jetzige eine war, zum Ausbruche kam. Das Verhalten des wackern Untergebenen war mutig, aber keineswegs verwegen. Ein Indianerhäuptling ist nichts weniger als ein absoluter Herrscher; er wird von dem Stamme gewählt; er behält seine Würde, so lange er sich durch Erfahrung, Klugheit und Kühnheit zu halten weiß, aber er kann in jedem Augenblick durch die Versammlung der Alten abgesetzt werden und ist dann weniger, als er vorher war. Vupa-Umugi wußte das; ich sah es ihm an, daß ihn der Vorwurf des Kriegers in Wut versetzte; seine Hand zuckte nach dem Gürtel, in dem er das Messer stecken hatte; aber er bezwang sich und sagte in nicht ganz vollständig beherrschtem Tone:

„Du sollst erzählen, und ich werde hören, um dann zu sagen, ob Ihr noch zu den Kriegern der Comantschen zu rechnen seid.“

Er setzte sich nieder; die vorhin bei ihm gesessen hatten, nahmen auch wieder Platz, und als dies geschehen war, begann der Comantsche, den Verlauf seines Verfolgungsrittes zu erzählen. Man hörte ihm zu, bis er zu den Worten kam:

„Da traf uns plötzlich ein Schlag an den Kopf, und wir fielen tot nieder. Als wir wieder lebendig wurden, waren wir gefesselt und an einem Baum festgebunden.“

„Gefesselt und festgebunden?“ brauste da der Häuptling auf. „Ohne euch gewehrt zu haben?“

„Kann der Häuptling der Racurroh sich gegen einen Feind wehren, den er nicht sieht?“

„Nein; aber ich würde jeden Feind sehen, der es wagen wollte, mich anzugreifen!“

„Diesen auch nicht!“ „Diesen? So weißt du, wer er war?“ „Ja.“ „Nenne seinen Namen!“ „Old Shatterhand.“

„Uff!“ rief der Häuptling, indem er halb emporfuhr und dann wieder niedersank.

„Uff, uff, uff, uff!“ riefen die andern ihm nach.

„Old Shatterhand!“ stieß er hervor. „Dieser bleiche Hund, den die Krieger der Comantschen schon so oft in ihren Händen hatten und der ihnen doch stets wieder entgangen ist! O, wäre ich doch an eurer Stelle gewesen!“

„Dir wäre es grad so ergangen wie uns!“

„Schweig! Ich bin Vupa-Umugi und hätte mich nicht von ihm beschleichen lassen!“

„Wir sind nicht beschlichen und überfallen worden, wir waren es, die das entflohene Bleichgesicht beschleichen wollten. Konnten wir wissen, daß es auf andre Weiße getroffen war? Und konnten wir ahnen, daß Old Shatterhand, der stets Unbesiegte, sich bei diesen Weißen befand?“

„Nein; aber ihr mußtet vorsichtiger sein!“

„Wir sind es gewesen. Als wir das Feuer rochen, ließen wir sogleich unsre Pferde zurück und schlichen uns unhörbar vorwärts, um zu sehen, wer an demselben saß. Niemand hätte uns entdeckt und ergriffen, sondern wir hätten uns alle ihre Skalpe geholt, wenn nicht Old Shatterhand, der alles weiß und der auch ahnte, daß wir kommen würden, uns entgegengegangen wäre. Er saß im Dickicht und lauschte. Es war dunkle Nacht, und wir konnten ihn nicht sehen, wie ebenso deine Augen ihn nicht erblickt hätten. Als wir ihn erreichten, sprang er auf und schlug uns nieder. Meine roten Brüder haben alle von seiner starken Hand gehört?“

Er richtete diese Frage an alle, die um ihn standen.

„Héhé, héhé = jaja, jaja,“ wurde ihm geantwortet.

„Und daß jeder, den sie trifft, tot niederstürzt?“

„Héhé, héhé = jaja, jaja.“

„Glaubt ihr, daß es euch anders ergangen wäre als uns, daß ihr ihn gesehen hättet und ihm entkommen wäret?“

„Aga, aga = nein, nein!“

Er war ein kluger Verteidiger seiner Sache, indem er die ihm Gleichstehenden nach ihrem Urteile fragte; ihre Zustimmung bildete für ihn eine Schutzmauer gegen den cholerischen Zorn des Häuptlings. Er erzählte weiter, und wurde von Vupa-Umugi nicht wieder unterbrochen, bis er zu Ende war. Als er seinen Bericht geschlossen hatte, fragte er:

„So handelte Old Shatterhand, den die Krieger der Comantschen ihren Feind nennen. Ahnt einer von ihnen, wer das andre Bleichgesicht war, welches wir verfolgt haben?“

Sie verneinten es.

„Und doch haben wir alle oft von diesem Weißen gehört.“

„Ich sah ihn, als er durch unsre Schar hindurchritt, als ob ihn keine Kugel treffen und keine Waffe verwunden könne, kannte ihn aber nicht,“ bemerkte der Häuptling.

„Sein Haar war lang und weiß, wie der Schnee der Berge; sahst du das nicht?“

„Ich sah es.“

„In sein Gesicht haben über neunzig Winter ihre Falten eingegraben. Es giebt nur ein einziges Bleichgesicht, welches so viele Jahre zählt, so weißes Haar besitzt und ein so kühner Reiter ist, sein Pferd und sich ganz unverletzt durch zehnmal fünfzig feindliche Reiter zu drängen.“

„Uff, uff!“ rief da der Häuptling. „Mein roter Bruder scheint Old Wabble zu meinen?“

„Ja, den meine ich.“

„Er war es?“

„Ja.“

„Dieser ist’s gewesen, dieser! Als er uns entkam, hatte uns der gute Geist verlassen. Kein anderes, jetzt noch lebendes Bleichgesicht hat so oft das Blut der roten Männer vergossen, wie dieser lang- und weißhaarige Hund. Wäre er in unsre Hände gefallen, so hätte sich ein Freudengeheul erhoben, soweit die Zelte der Comantschen stehen. Doch ist er uns nur für dieses Mal entkommen; wir werden ihn wiedersehen und sicher ergreifen, vielleicht morgen oder am nächsten Tage schon!“

„Willst du ihm andre und mehr Krieger nachsenden, als wir gewesen sind?“

„Nein.“

„Was denn?“

Auf diese allerdings etwas ungebührliche Frage antwortete der Häuptling in leichtem Tone und indem er eine beinahe wegwerfende Handbewegung machte:

„Mein roter Bruder ist ein gewöhnlicher Krieger und wagt es dennoch, den obersten Kriegsanführer der Racurrohs zu fragen, was er thun will. So eine Frage steht dir nicht zu; aber ich will es dir dennoch sagen, damit du siehst, daß ich gesonnen bin, euch das Mißlingen eures Rittes zu verzeihen. Wir brauchen Old Wabble nicht zu folgen, denn er wird kommen.“

„Er kommt nicht,“ behauptete der Krieger trotz des Verweises, den er erhalten hatte.

„Er kommt!“ rief der Häuptling im Tone der Überzeugung aus.

„Wir aber wissen, daß er nicht kommt.“

„Er hat Hilfe holen wollen, um das Bleichgesicht, welches drüben auf der Insel gefesselt liegt, zu befreien; er hat zehn Bleichgesichter gefunden, deren Anführer Old Shatterhand ist; sie werden kommen.“

„Sie wären im Gehirn erkrankt, wenn sie glaubten, daß elf Weiße uns besiegen können!“

„Old Shatterhand ist bei ihnen. Bleichgesichter, welche er anführt, wagen alles.“

„Sie wissen nicht, wo wir uns befinden!“

„Sie werden es erfahren.“

„Wer soll es ihnen verraten?“

„Eure Fährte, der sie folgen werden.“

„Old Shatterhand hat uns versprochen, nicht nach unsrer Fährte zu forschen!“

„Er wird es dennoch thun.“

„Nein, er ist kein Lügner. Niemand hat jemals gehört, daß er sein Wort gebrochen habe.“

„Es würde meinem jungen, roten Bruder besser anstehen, zu schweigen, anstatt in Gegenwart älterer Krieger seinem Häuptlinge zu widersprechen!“

Das war ein neuer scharfer Verweis, aber Vupa-Umugi war bei den Seinen nicht beliebt; sie gönnten ihm den Ärger; der Comantsche sah die Blicke seiner gleichalterigen Kameraden ermunternd auf sich gerichtet und fuhr fort:

„Ich weiß, daß meine Jahre nicht an diejenigen der alten und weisen Männer reichen, aber da es keiner von ihnen war, sondern ich es gewesen bin, der jetzt bei Old Shatterhand gewesen ist, der mit ihm gesprochen und sein Wort bekommen hat, so wird es mir erlaubt sein, zu sagen, was ich dort und von ihm gehört habe.“

Da antwortete ein grauhaariger Indianer, der neben dem Häuptlinge saß und gewiß der älteste von allen war:

„Mein junger Bruder mag getrost sprechen. Wenn das Beil des Krieges ausgegraben wurde, kann alles, was sonst überflüssig ist, von großer Wichtigkeit sein, und das Wichtigste, was es geben kann, ist ein Zusammentreffen mit Old Shatterhand. Wo man ihn sieht, da ist Winnetou, der Häuptling der Apatschen, niemals fern.“

„War er mit dabei?“

„Er war nicht da,“ antwortete der Krieger, sichtlich stolz darauf, daß dieser Alte ihn in Schutz genommen hatte.

„Auch nicht in der Nähe?“

„Wir haben kein einziges Zeichen davon bemerkt.“

„Welche Worte gebrauchte Old Shatterhand, als er Euch sein Versprechen gab?“

Der Gefragte dachte eine kleine Weile nach und antwortete dann:

„Ich sprach zu ihm folgendermaßen: Werdet Ihr uns nachspüren, um zu erfahren, wohin wir reiten? Er antwortete: Nein; ich gebe Euch mein Wort darauf. Das ist ganz genau die Rede, die mein alter Bruder erfahren will.“

„Wenn Old Shatterhand so redet, dann ist es genau so viel wert, als wenn er die Pfeife des Schwures dabei und darauf geraucht hätte. Er hält sein Versprechen und hat euch nicht nachgespürt. Howgh! Meine jungen Brüder können sich entfernen; wir wissen nun, was wir erfahren wollten.“

Die beiden Comantschen entfernten sich und mit ihnen alle andern, die sich dem Feuer neugierig, wenn auch ehrerbietig genähert hatten. Auch diejenigen, welche an dem Feuer gesessen hatten, das Old Wabble beschleichen sollte, waren vorhin von demselben fortgegangen, und da es daher dort nichts zu belauschen gab, so nahm ich an, daß Wabble wieder zurückgeschlichen sei. Es zeigte sich auch gleich, daß ich richtig vermutet hatte, denn jetzt ertönte der viermalige Unkenruf in der Weise, wie es zwischen uns verabredet worden war.

Sollte auch ich meinen Platz verlassen? Der gegenwärtige Augenblick war günstig dazu, denn indem die Roten an ihre Feuer zurückkehrten, entstand ein Hin- und Herlaufen, bei welchem nicht zu erwarten war, daß man auf meinen sich fortbewegenden Schilfbusch achten werde. Aber ich sagte mir, daß man an meinem Feuer jetzt noch weiter über den Gegenstand sprechen werde; das wollte ich auch gern hören. Und was meinen Rückzug betraf, so hoffte ich, bald einen ebenso passenden Augenblick zu finden. Es war noch nicht gegessen worden. Man wollte damit wahrscheinlich warten, bis genügend Fleisch für alle fertig gebraten war. Nachher durfte ich auf ein gleiches Durcheinander hoffen, das mir noch bessere Gelegenheit zum unbemerkten Verschwinden geben würde. Ich blieb also noch länger im Wasser oder vielmehr im Schlamme liegen.

Der Häuptling schien erzürnt darüber zu sein, daß der Alte sich eingemischt hatte, denn er sagte jetzt, als die jungen Krieger fort waren, zu ihm:

„Hat mein Bruder nicht bedacht, daß es die Würde des Anführers kränken muß, wenn ein junger Mann gegen ihn in Schutz genommen wird?“

Der Alte antwortete:

„Die Würde eines Häuptlings wird am meisten dann gekränkt, wenn er gegen dieselbe handelt. Wir alle glauben, daß Old Shatterhand sein Wort hält; nur du allein bist von dem Gegenteile überzeugt!“

„Weil ich diesen weißen Hund kenne.“

„Wir kennen ihn auch. Auf seiner Zunge hat noch niemals eine Lüge gewohnt.“

„Ja; aber diese Zunge weiß so klug zu sprechen wie keine andre. Er ist das ehrlichste der Bleichgesichter; doch wenn er überlistet werden soll, so ist er auch der listigste aller Füchse, und seine Zunge gleicht dem Morgengrauen, auf welches Sonnenschein, aber auch böses Wetter folgen kann. Er lügt nicht, das ist wahr; was er verspricht, das hält er; aber genau so, wie er es meint, nicht, wie man es wünscht. Die Worte, die er zum Feinde redet, sind wie die Pulverkörner, welche scharf abgewogen werden müssen, bevor man sie in den Lauf des Gewehres schüttet.“

„So meint Vupa-Umugi, daß sein Versprechen, unsern beiden Kriegern nicht nachzuspüren, wohin sie reiten, auch anders ausgelegt werden könne?“

„Nein. Er hat nicht nachspüren wollen und wird also nicht spüren; aber er hätte dieses Versprechen ganz gewiß nicht gegeben, wenn er nicht einen andern Weg wüßte, es zu erfahren.“

„Es giebt keinen andern!“

„Das denkt mein alter Bruder; ich aber denke es nicht, obgleich ich selbst auch keinen weiß. Wie oft hat man von Old Shatterhand erzählt, daß er alles weiß, was er wissen will. Ob er mit dem guten oder mit dem bösen Manitou im Bunde steht, der ihm alles sagt? Ich behaupte, er weiß ganz genau, daß wir hier am Saskuan-kui lagern.“

„Das ist nicht möglich, denn niemand hat es ihm mitgeteilt. Aber selbst wenn er es wüßte, ist das noch kein Grund, anzunehmen, daß er hierher kommen werde.“

„Er will den Gefangenen befreien.“

„Kennt er ihn?“

„Ich weiß es nicht.“

„Und wenn er ihn kennt, liebt er ihn so, daß er sich in die Gefahr begiebt, für ihn von uns getötet zu werden?“

„Er nimmt sich jedes Bleichgesichtes an!“

„Auch dann, wenn er nur elf Mann gegen hundertfünfzig Krieger zu setzen hat?“

„Er zählt die Feinde nicht, und braucht sie nicht zu zählen, denn er hat eine Zauberflinte, mit welcher er ohne Aufhören schießen kann. Und weiß mein alter Bruder nicht, daß er trotzdem gern den Kampf vermeidet, nicht aus Furcht, sondern weil er nicht gern das Blut eines Menschen vergießt? Dann greift er zur List, und seine Verschlagenheit ist fast noch mehr zu fürchten, als sein Zaubergewehr. Er wird kommen, nicht um mit uns zu kämpfen, sondern um uns den Gefangenen mit List zu entreißen.“

Der Alte wurde nachdenklich. Er wiegte den grauen Kopf ernst und bedächtig hin und her und sagte nach einer Weile:

„Die Worte Vupa-Umugis können meine Gedanken nicht anders machen; aber wenn das Beil des Krieges ausgegraben ist, soll man alles, was sonst nur einmal überlegt wird, zehnmal überlegen und darf nicht das Gute, sondern nur das Böse erwarten. Ich sage, Old Shatterhand kommt nicht; du sagst, er komme. Nehmen wir also an, daß wir ihn zu erwarten haben; um so besser ist es dann, wenn er wegbleibt.“

„Besser? Fürchtet sich mein alter Bruder vor ihm? Ich wünsche sehr, daß er kommt. Wir würden ihn ergreifen und ihm den Marterpfahl errichten, an welchem er mit Old Wabble sterben müßte.“

„Willst du den Wind ergreifen, der dir zwischen den Fingern hindurchweht?“

„Ist Old Shatterhand Luft? Ist er nicht schon mehrmals Gefangener der Comantschen gewesen?“

„Das weiß ich wohl; aber wurde er uns nicht immer wieder aus der Hand geweht?“

„Wenn ich ihn einmal habe, so werde ich ihn festhalten!“

„So mach die Hände auf, wenn er kommt, und sieh zu, wie er dir hineinläuft!“

„Er läuft hinein! Ich weiß sogar die Zeit.“

„Wann?“

„Morgen. Unsre beiden Krieger sind des Nachts von ihm fortgeritten, und er ist gewiß erst am Morgen dort aufgebrochen. Sie haben also einen Vorsprung vor ihm. Da sie heut abend eingetroffen sind, wird er morgen kommen.“

„Hierher?“

„Nein, denn ich werde ihn gar nicht so weit kommen lassen, sondern ihn am Rio Pecos fangen.“

„Kennst du die Stelle, an welcher er dort über das Wasser gehen wird?“

„Ja; es ist die Furt, die er wahrscheinlich kennt. Kennt er sie nicht, so wird er nach einer suchen und sie finden.“

„Old Shatterhand braucht keine Furt; er ist ein unübertrefflicher Schwimmer.“

„Daran denke ich auch. Ich lasse eine lange Strecke des Ufers besetzen; dann kann er mir nicht entgehen. Wäre Nale-Masiuv, schon da mit seinen hundert Kriegern, so könnten wir sie auf eine noch längere Strecke verteilen, er kommt aber erst in drei Tagen.“

In diesem Augenblick erschallte der Ruf „Yakha!“ und alles eilte zu den Feuern, an denen gebraten worden war. Auch der Häuptling stand, seiner Würde angemessen, langsam auf und ging fort, um sich das, was er essen wollte, selbst auszusuchen. Das war für mich die beste Gelegenheit, mich zu entfernen. Ich warf noch einen forschenden Blick über den Lagerplatz; kein Mensch sah nach dem Ufer und nach der Stelle, an der ich lag; die Aufmerksamkeit war nur auf das Fleisch gerichtet. Ich schob mich in das tiefere Wasser zurück und schwamm dann schnell fort, mir gar keine Mühe gebend, unentdeckt zu bleiben. An dem Orte, wo ich mich entkleidet hatte, glücklich angekommen, stieg ich an das Land, legte meinen Anzug wieder an und kroch dorthin, wo Old Wabble mich erwartete; den Schilfbusch nahm ich mit.

Meine Annäherung geschah so leise, daß der Alte mich gar nicht hörte und sehr erschrocken zusammenfuhr, als ich ihn berührte. „Alle Donner! Seid Ihr es, Sir, oder ist’s ein Roter?“ fragte er.

„Ich bin es,“ antwortete ich.

Well! Wäret Ihr es nicht, so würde ich dem Kerl mein Messer in den Leib geben!“

„Das würdet Ihr nicht, Mr. Cutter.“

„Nicht? Warum sollte ich nicht?“

„Weil Ihr nicht könntet, denn Ihr hättet das seinige schon längst in Euerm Leibe.“

„Oho!“

„Jawohl! Was habt Ihr denn für Ohren?“

„Patentohren; th’is clear.“

„Dann schade um das schöne Patent, denn die Ohren taugen nichts! Ihr lagt so still; es war keine Bewegung rings umher, und doch habt Ihr nichts gehört, als ich kam. Wenn es nun ein Comantsche statt meiner gewesen wäre?“

„So hätte ich ihn gehört, denn es ist ganz unmöglich, daß ein anderer so geräuschlos sein kann wie Ihr. Habt Ihr gute Geschäfte gemacht, Sir?“

„Ich bin zufrieden.“

„Ich auch.“

„Was habt Ihr erlauscht?“

„Scheinbar wenig, eigentlich aber ist es sehr viel. Old Surehand wird nämlich nur von zwei Roten bewacht.“

„Wo?“

„Ah, das möchtet Ihr wohl sehr gern wissen?“

„Natürlich!“

„Ja, das glaube ich wohl. Aber wenn ich nicht wäre, so würdet Ihr es nicht erfahren.“

„Bildet Euch das nicht ein, Mr. Cutter! Ich brauche Euch nicht dazu; ich weiß es ebenso gut wie Ihr.“

„Nun, wo ist er?“

„Drüben auf der Insel.“

„Das habt Ihr schon vorher vermutet; aber es ist eben nur Vermutung.“

„Es ist Gewißheit; ich habe es von dem Häuptling Vupa-Umugi erlauscht.“

„Der sprach davon?“

„Ja.“

„Dieser Esel! Ich gedachte, Euch eine große Freude zu machen, indem ich Euch sagen wollte, daß Eure Vermutung richtig gewesen ist.“

„Grämt Euch nicht darüber, Sir! Was habt Ihr außerdem noch erfahren?“

„Nichts. Ich glaubte, Euch wunder was Wichtiges sagen zu können; da Ihr es aber selbst auch erlauscht habt, ist es grad so gut, als ob ich gar nichts erfahren hätte. Das ist ärgerlich! Wahrscheinlich hätte ich noch mehr gehört, da kamen aber die beiden Comantschen von gestern, und alles lief vom Feuer fort, an welchem ich lag. Ihr habt mehr erlauscht als ich?“

„Ja.“

„Was?“

„Davon später. Hier ist nicht der geeignete Ort zu einer Unterhaltung. Wollen machen, daß wir fortkommen.“

„Wohin?“

„Zunächst hinaus ins Freie, und zwar genau auf demselben Wege, auf dem wir hereingeschlichen sind.“

„Also durch dick und dünn. Und das nennt dieser Old Shatterhand einen Weg!“

Wir mußten bei unserm Rückzuge ebenso vorsichtig sein wie bei unserm Kommen, gelangten aber auch ebenso glücklich aus dem Bereiche der Indianer. Die Sterne schienen jetzt leidlich hell, und als wir die früher erwähnte, vorgeschobene Buschzunge hinter uns hatten, konnten wir uns aufrichten und so sorglos weitergehen, als ob kein einziger Comantsche in der Nähe sei.

„Es scheint, Ihr wollt nach unserm Lagerplatz?“ erkundigte sich Old Wabble.

„Wohin sonst?“

„Hm! Ihr werdet mich wahrscheinlich auslachen, aber ich hatte mir im stillen eingebildet, daß wir Old Surehand gleich mitbringen würden.“

„Das ist allerdings eine kühne Einbildung gewesen.“

„Weil die Verhältnisse anders liegen, als ich dachte. Läge der Gefangene nicht auf der Insel, sondern am Ufer, so wäre seine Befreiung ganz wie eins – – zwei – – drei vor sich gegangen.“

„Das verstehe ich nicht.“

„So will ich mich anders ausdrücken: Hinschleichen – –Fesseln zerschneiden – – aufspringen – – fortlaufen – – Indianer hinterher – – wir nach unserm Lagerplatz rennen – – auf die Pferde springen – – weggaloppieren – – fertig!“

„Das klingt ja, als ob so etwas unendlich leicht auszuführen sei. Habt Ihr vielleicht schon irgend einen Gefangenen auf diese Weise befreit?“

„Nein, aber doch Ihr! Ihr habt sogar schon mehrere solche Streiche ausgeführt.“

„Das ist kein Grund, daß es immer so gehen und stets so gelingen muß. Man hat sich nach den Umständen zu richten, welche selten ganz dieselben sind.“

„Thut mir leid! Ich will Euch offen und ehrlich gestehen, daß ich gern vor unsre Kameraden, die alle keine richtigen Westmänner sind, mit einer vollendeten Thatsache treten wollte.“

„Das heißt, Ihr wolltet gern ein wenig dicke thun?“

„Nennt es, wie Ihr wollt. Es ist doch wohl keine Schande, mit Euch einen Gefangenen, welcher dem Martertode geweiht ist, mitten aus anderthalbhundert Indianern herauszuholen.“

„Eine Schande nicht!“

„Also! Diese Freude fällt mir nun in den Brunnen.“

„Wieso?“

„Weil nun wahrscheinlich dieser Sam Parker, Jos Hawley und die andern mithelfen sollen.“

„Nicht, was man eigentlich helfen nennt. Sie werden unsre Rückzugslinie bilden; das ist alles.“

„Wirklich?“

„Ja. Befreit wird Old Surehand nur von uns beiden, von Euch und mir.“

„Das ist mir lieb, ungeheuer lieb!“

„Ich setze dabei aber voraus, daß Ihr wirklich ein so guter Schwimmer seid, wie Ihr gesagt habt!“

„Wie ein Fisch, sage ich Euch, wie ein Fisch; th’is clear. Es soll also bei diesem Streiche geschwommen werden?“

„Ja, da wir auf die Insel müssen.“

„Richtig; Kähne giebt es nicht!“

„Ein Kahn oder Boot wäre gar nicht zu brauchen; man würde uns sehen. Also, Ihr getraut Euch, vom jenseitigen Ufer aus quer über den See nach der Insel zu schwimmen, und auch wieder zurück?“

„Welche Frage! Ich sage Euch, ich schwimme von hier nach dem Monde, wenn genug Wasser dazwischen ist!“

Well! Dann ist die Sache sehr einfach! Wir schwimmen nach der Insel, machen die zwei Wächter unschädlich, befreien Old Surehand von seinen Fesseln und schwimmen mit ihm zurück.“

„Wie – – – was – – – wie – – –?“

Er blieb stehen, faßte mich am Arme und fuhr fort:

„Das geht ja bei Euch so schnell wie das Semmelbacken, Mr. Shatterhand!“

„Bei Euch ging es vorhin ja auch nur so eins – – – zwei – – drei – – – fertig!“

„Ja, das war etwas ganz andres! Ich wollte ihn zu Lande befreien, nicht aber zu Wasser. Hier müssen wir vor allen Dingen wissen: Kann Old Surehand auch schwimmen?“

„Das wißt Ihr doch wohl am besten; Ihr kennt ihn ja!“

„Habe ihn aber noch nicht im Wasser gesehen.“

„So? Ist auch nicht nötig, denn ein Westmann wie Old Surehand ist ganz gewiß ein guter Schwimmer.“

„Aber er ist gefesselt; das giebt Blutstockungen. Wird er seiner Arme und Beine so mächtig sein, daß er sogleich mit uns über den See schwimmen kann?“

„Ich denke es, denn man sagt ja, daß er ein überaus kräftiger Mann sei.“

„Das ist er; ja, das ist er. Also, abgemacht: er kann sofort mit uns schwimmen. Aber die Sterne, die Sterne!“

„Was ist’s mit denen?“

„Bemerkt Ihr denn nicht, daß sie immer heller werden?“

„Freilich.“

„Nun, die spiegeln sich mit dem ganzen Himmel im Wasser wieder; das ist schlimm!“

„Ihr wolltet ja soeben noch nach dem Monde schwimmen. Der irritiert Euch wohl nicht so sehr wie die Sterne?“

„Ich glaube gar, Ihr wollt Witze machen! jedenfalls aber wißt Ihr recht gut, was ich meine. Die Sternbilder im Wasser werden uns verraten.“

„Wem?“

„Den Wächtern auf der Insel.“

„Das glaube ich nicht.“

„Doch! Überlegt Euch nur: Das Wasser des Sees mit den Sternen liegt ruhig vor ihnen; bei jeder Bewegung entstehen Wellen, und die Sterne wabbeln hin und her, auf und nieder. Wenn wir angeschwommen kommen, giebt das eine solche Erschütterung und Revolution des ganzen im Wasser strahlenden Firmamentes, daß die Wächter unbedingt aufmerksam auf uns werden müssen.“

„Was schadet das?“

Wir waren weiter gegangen; jetzt blieb er wieder stehen, hielt mich an und fragte:

„Wa – – – wie – – – was? Was das schadet? Und das fragt ein Old Shatterhand? Eine solche Frage könnte mich nur von einem Greenhorn‘ nicht wundern. Was das schadet! Die Kerls werden natürlich sofort um Hilfe brüllen; dann werfen sich sämtliche Comantschen in das Wasser, und es giebt eine Jagd, bei der wir verloren sind. Wenn wir noch so fein schwimmen, viele Hunde sind doch des Hasen Tod.“

„Sie werden wohl nicht um Hilfe rufen,“ antwortete ich, indem ich ihn zum Weitergehen nötigte.

„Natürlich werden sie es! Sie sehen doch, daß zwei Menschen, zwei Weiße, kommen! Und wenn sie wirklich nicht schreien sollten, so schicken sie uns doch gewiß einige Kugeln in die Köpfe!“

„Auch das thun sie nicht!“

„Aber, Sir, ich begreife Euch nicht!“

„Sie werden uns gar nicht sehen.“

„Nicht – – – wie – – – was? Nicht sehen, wenn das ganze Firmament im Wasser krabbelt und wabbelt?“

„Nein, denn wir werden uns maskieren.“

„Maskieren? Das wird ja immer toller! Wie wollen wir uns maskieren? Etwa Ihr als Domino und ich als Harlekin? Ich danke für solchen Karneval!“

„Versteht mich doch richtig, Mr. Cutter! Unter maskieren verstehe ich so viel wie verstecken.“

„Auch gut! Wohin wollt Ihr Euch denn im Wasser stecken?“

„Hinter Schilf.“

„Das giebts auf dem See nicht, sondern nur am Ufer.“

„Wir nehmen welches mit.“

„Unsinn! Kein Roter wird sich dadurch irre machen lassen.“

„Ich kann Euch das Gegenteil beweisen.“

„Wieso?“

„Ich habe vorhin so eine Maskerade getrieben, weil ich meinen Zweck auf keine andre Weise erreichen konnte.“

„Wirklich?“

„Ja.“

Ich erzählte es ihm; als ich fertig war, meinte er:

„Hm, es ist doch nicht ganz so dumm, wie ich dachte! Aber ein einzelner Schilfbusch, das mag gehen, aber zwei? Wir bringen es doch wohl kaum fertig, ganz gleich zu schwimmen; die beiden Büsche würden also bald zusammen, und bald auseinander geraten. Das muß auffallen und Verdacht erwecken.“

„Allerdings; aber wir werden eben nicht zwei Büsche oder Bündel nehmen, sondern uns eine Schilfinsel herstellen, unter der wir stecken.“

„Nicht übel!“

„Erst schwimmen wir schnell, sobald wir aber in Sicht gelangen, kommt unsre Schilfinsel langsam, sehr langsam angetrieben.“

„Aber unsre hellen Körper! Um neben einander schwimmen zu können, brauchen wir wenigstens sieben Ellen Platz; dürfen wir das Schilffloß so groß machen? Die Wächter werden uns sehen, weil unsre Haut hell ist.“

„Wir behalten die Kleider an.“

„Hm!“ brummte er.

„Meint Ihr, daß Euch dies das Schwimmen erschweren wird, Mr. Cutter?“

„Gar nicht, ganz und gar nicht! Es fragt sich nur, wenn sonst auch alles glückt, ob die Wächter unser Schilf an ihrer Insel landen lassen werden.“

„Es soll nicht landen.“

„Es soll nicht? Wir also auch nicht? Und doch müssen wir auf die Insel! Gradezu unbegreiflich!“

„Ganz leicht erklärlich! Könnt Ihr tauchen?“

„Wie ein Frosch, sage ich, wie ein Frosch; th’is clear; so tief hinab und hinunter, wie Ihr wollt!“

„Das ist gut, denn das Tauchen gehört dazu. Wenn wir uns der Insel nähern und die Wächter das Schilffloß bemerken, werden sie auf die Seite der Insel gehen, an der es vorüberschwimmen will.“

„Das läßt sich denken; landen werden sie es aber wohl nicht lassen.“

„Nein. Nun kommt die Hauptsache: In dem Augenblicke, an welchem es der Insel am nächsten ist, verlassen wir unsren Schutz, tauchen nieder und schwimmen unter dem Wasser um sie herum, um an der andern Seite wieder aufzutauchen. Während die Wächter dem Schilfe nachblicken, besteigen wir hinter ihrem Rücken die Insel, und ich springe auf sie zu, um sie mit zwei guten Fausthieben unschädlich zu machen.“

„Brillant, Mr. Shatterhand! Und ich?“

„Für Euch ist es das erste, die Fesseln des Gefangenen zu durchschneiden, damit er schnell frei wird, denn es kann, wenn ich es auch nicht für wahrscheinlich halte, doch der Fall eintreten, daß wir gleich wieder fort müssen. Es ist ja möglich, daß ich einen der Kerls nicht richtig treffe und er Zeit gewinnt, um Hilfe zu rufen.“

„Das wäre faul, sehr faul!“

„Ja. Ihr seht wohl ein, daß wir viel zu leisten haben und daß alles gut klappen muß, wenn der Streich gelingen soll. Ich denke also, daß Ihr es mir nicht übel nehmen werdet, wenn ich Euch bitte, Euch noch einmal zu prüfen, ob Ihr das, was ich von Euch verlangen muß, auch wirklich ausführen könnt.“

„Mit Leichtigkeit, Sir, mit größter Leichtigkeit!“

„Bitte, nicht so schnell antworten! Wir dürfen nicht leichtsinnig sein. Ich sage Euch aufrichtig, daß ich es mir nicht leicht vorstelle. Ich kenne mich genau und weiß, daß ich es ausführen kann, wenn nichts dazwischen kommt und -alles so glatt verläuft, wie ich vermute; aber dennoch halte ich die Sache für schwer, hier sogar für sehr schwer.“

„Redet nicht von Leichtsinn, Sir! Habt Ihr diesen Old Wabble hier einmal schwimmen sehen?“

„Nein.“

„Oder gar tauchen?“

„Noch viel weniger.“

„So seid still, und wartet es ruhig ab! Und wenn es vorüber ist, dann werdet Ihr sagen, daß Ihr keinen bessern und geschicktern Helfer als mich finden konntet; th’is clear!“

„Das soll mich freuen, denn es handelt sich hier mehr um unser Leben als bei jeder andern Gelegenheit.“

Ich war mir wirklich darüber unklar, ob ich ihm trauen könne oder nicht. Seine Knochengestalt ließ keinen guten Schwimmer vermuten, und seine Versicherungen hatten etwas Prahlerisches; aber er war bekanntermaßen ein mutiger und erfahrener Mann und sprach in einem solchen Brusttone der Überzeugung, daß es schwer war, ihm keinen Glauben zu schenken. Übrigens gab es keine Zeit mehr für weitere Auseinandersetzungen, weil wir jetzt unsern Lagerplatz erreichten.

Die Gefährten waren wegen unsrer langen Abwesenheit in Sorge um uns gewesen. Wir erzählten ihnen, was wir gesehen und erfahren hatten und erklärten ihnen den Rettungsplan, den wir ausführen wollten.

Parker und Hawley bedauerten, daß sie keine direkte Rolle dabei spielen sollten; die andern sagten nichts; sie waren wohl ganz zufrieden damit, daß ich ihnen nicht zumutete, ihr Leben auf das Spiel zu setzen. Wir bestiegen unsre Pferde und brachen von hier auf, um nach der andern Seite des Sees zu reiten.

Dort angekommen, mußten wir im Dunkel durch das Gebüsch, um von der offenen Grasprairie an das Wasser zu gelangen, wo wir wieder abstiegen und die Pferde anbanden. Drüben brannten die Lagerfeuer.

Es gab hier auch Schilf. Wir schnitten davon so viel, wie wir brauchten; einige starke Äste bildeten die Unterlage, den Rahmen des Floßes. Als wir mit der Herstellung desselben fertig waren, war es für unsern Zweck ein kleines Meisterwerk. Es hatte unten Öffnungen für unsre Köpfe und vier lederne Schlingen, in die wir die Arme zu stecken hatten; natürlich war dafür gesorgt, daß wir, wenn wir darunter steckten, oben einen freien Ausblick hatten.

Jetzt sollte das Wagnis beginnen. Wir leerten unsre Taschen und legten überhaupt alles von uns, was durch das Wasser leiden mußte oder nicht ganz nötig mitzunehmen war. Von Waffen konnten wir nur die Messer behalten. Als wir so weit fertig waren, fragte Parker:

„Also, wir haben wirklich ganz und gar nichts dabei zu thun, Mr. Shatterhand?“

„Nein; aber für überflüssig braucht ihr euch trotzdem nicht zu halten; es giebt einen Fall, in welchem wir euch sehr notwendig brauchen.“

„Welcher ist das?“

„Wenn wir entdeckt und verfolgt werden, was nur zu Wasser geschehen kann. Wir kommen in gerader Linie zurückgeschwommen. Haben wir Verfolger hinter uns, so ist es eure Aufgabe, sie von uns abzuhalten.“

„Durch Schüsse?“

„Ja.“

„In dieser Dunkelheit! Vom Schwimmer kann man nicht viel mehr als den Kopf sehen; wer kann da einen Weißen von einem Indianer unterscheiden. Wie leicht könnten wir auf euch schießen!“

„Ihr dürft eben nicht eher schießen, als bis ihr genau wißt, auf wen ihr zielt. Übrigens werden wir uns euch durch laute Zurufe kenntlich machen. Kommt einer von uns im Wasser mit einem Roten in Kampf, so schießt ihr auf keinen Fall, selbst wenn es so nahe von hier wäre, daß ihr die Gesichter unterscheiden könnt. Wir sind Manns genug, es mit einem Roten aufzunehmen.“

„Jawohl, das sind wir; th’is clear!“ stimmte mir Old Wabble lebhaft bei.

„Von mir weiß ich es, und von Euch glaube ich es,“ antwortete ich ihm. „Dennoch frage ich Euch noch einmal: Ist das, was Ihr leisten sollt, wirklich nicht zu viel für Euch? Sonst führe ich es lieber allein aus.“

„Sir, was denkt Ihr von mir! Ich soll doch nicht annehmen, daß Ihr mich für einen Faselhans haltet!“

„Nein. Also vorwärts! Und gut Glück dabei!“

Yes, go on! In einer halben Stunde sind wir glücklich und siegreich wieder da!“

Mit dieser kühnen Versicherung wabbelte der Alte in das Wasser, und ich folgte ihm etwas weniger zuversichtlich.

Unter das Floß brauchten wir erst dann zu kriechen, wenn wir so nahe an der Insel waren, daß es von den Wachen gesehen werden konnte; jetzt schwammen wir frei und schoben es vor uns her.

Ich beobachtete zunächst Old Wabble, um zu sehen, ob er wirklich so gut schwamm, wie er versichert hatte; es mochte gehen. Aber nach einiger Zeit bemerkte ich, daß das Floß sich auf seiner Seite tiefer in das Wasser senkte als auf der meinigen.

„Ihr legt Euch zu sehr auf,“ sagte ich. „Ihr seid doch nicht etwa schon müde, Mr. Cutter?“

„Müde? Was fällt Euch ein!“ antwortete er. „Da sind nur die verteufelten Braces schuld, die mich drücken.“

„Wer wird auch außer dem Gurt noch Träger haben!“

„Das versteht Ihr nicht. Den Gürtel kann man im Westen nicht entbehren, und die Braces brauche ich, weil ich keine Hüften habe; sie müssen auch den Gürtel halten. Bei meiner Gestalt! Wo sollen da Hüften sitzen!“

Ich konnte mir nicht recht erklären, warum seine Hosenträger die impertinente Absicht verfolgten, ihn im Schwimmen zu hindern, und war still, doch nicht lange, denn er stützte sich immer mehr auf das Floß, so daß es auf meiner Seite aus dem Wasser ragte. Da bat ich ihn:

„Kehrt lieber um, Mr. Cutter; jetzt ist’s noch Zeit! Es scheint Euch schwer zu werden.“

„Unsinn! Seht Ihr denn nicht, daß ich wie ein Fisch vorwärts schieße?“

„Weil ich das Floß schiebe, an dem Ihr hängt!“

„Das sieht bloß so aus! Diese Braces! Ich werde sie herunternehmen; dann geht es besser.“

Indem er sich mit der einen Hand am Floße festhielt, knüpfte er mit der andern die Hosenträger ab und schob sie in die Tasche. Sie schienen ihn doch gedrückt und gehindert zu haben, denn es ging jetzt besser. Freilich hörte ich, daß er schnaufte; er schien sich anzustrengen. Als ich eine Bemerkung darüber machte, versicherte er:

„Das ist nur die eine Lungenseite; die wird manchmal so laut; die andre ist gut.“

Nun schwammen wir wohl fünf Minuten lang, ohne ein Wort zu sagen; dann bemerkte ich, daß er tiefer im Wasser lag als vorher.

„Ihr scheint schwerer zu werden, Sir?“ fragte ich.

„Ist das denn ein Wunder? Die Kleidung zieht ja Wasser, und da hinten – – – all devils, was ist das!“

Er hielt das Floß an und langte mit einer Hand hinter sich.

„Was sucht Ihr dort, Sir?“

„Ich suche – – – na! – – – Hört, Mr. Shatterhand, ich muß meine Braces unbedingt wieder anknöpfen.“

„Warum?“

„Weil ich die Leggins verliere; sie schwimmen schon halb hinter mir her. Wollt Ihr mir helfen?“

Ich war ihm behilflich, die schon halb entwichenen Beinkleider zu Raison zu bringen; dann ging es weiter. Aber ich mußte zu meiner großen Besorgnis von Minute zu Minute immer mehr einsehen, daß er doch der Schwimmer nicht war, für den er sich hielt. Ich hatte nicht nur das Floß, sondern auch ihn vorwärts zu treiben.

„Ich denke, wir kehren um, Mr. Cutter,“ sagte ich. „Ihr seid wirklich müde, und unser Vorhaben erfordert volle Kraft. Denkt der Gefahr, der wir entgegengehen!“

„Ich denke daran, und ebendeshalb strenge ich mich jetzt nicht an, um später bei guter Force zu sein. Umkehren! Welcher Gedanke! Werde mich blamiren!“

Ja, blamiren wollte ich ihn freilich nicht gern; aber durfte ich es weiter mit ihm riskieren? Es war ja möglich, daß er sich jetzt schonte, um später ganz au fait zu sein; auf weitere, dringende Fragen versicherte er, daß dies wirklich der Fall sei. Übrigens hatten wir jetzt schon die Hälfte des Weges zurückgelegt; also vorwärts, mochte es nun gehen, wie es wolle! Meine Sorge wurde trotz dieses Entschlusses keineswegs geringer, und schon nach weiteren fünf Minuten erkundigte ich mich:

„Wollt Ihr Euch nicht mit dem Oberkörper auf das Floß legen? Da ruht Ihr aus und habt dann frische Kraft.“

„Das ist richtig. Aber wird es Euch nicht zu schwer?“

„Nein; thut es nur.“

Er folgte meinem Rat und sagte, als ich unser Wasser-Vehikel weiter trieb:

„Mir ist ein Gedanke gekommen, Sir. Die Wächter werden Verdacht schöpfen, auch wenn sie uns nicht sehen.“

„Warum?“

„Weil sie sich fragen werden, woher unser Schilf die Bewegung bekommt. Der See steht ja still.“

„Da irrt Ihr Euch. Er schickt sein Wasser da unten dem Rio Pecos zu, und infolgedessen hat es eine, wenn auch nicht sehr wahrnehmbare Bewegung nach dem Abflusse hin. Ein losgerissenes Schilf wird also langsam da hinunter schwimmen. Das werden sich die Roten wohl auch sagen. In dieser Beziehung habe ich keine Sorge.“

„Aber wohl in andrer?“

„Ja.“

„Weshalb?“

„Wegen Euch.“

Pshaw! Ich will mich jetzt nicht anstrengen. Wenn es losgeht, werdet Ihr mich ganz bei der Sache finden.“

„Hm! Vom Schwimmen will ich jetzt nichts mehr sagen; dazu komme ich noch, ehe ich den Rückweg antrete. Es handelt sich jetzt vielmehr um das Tauchen. Wenn Euch das nicht gelingt, können wir verloren sein.“

„Redet nicht, Sir! Ich habe ja weiter nichts zu thun, als im richtigen Augenblicke das Floß loszulassen, unterzutauchen und an der andern Inselseite wieder heraufzukommen. Das ist kinderleicht, zumal bei meinem Körperbau. Wer so wenig Fleisch und so viel Knochen hat, dem wird es leicht, im Tauchen Meister zu sein.“

Da hatte er freilich recht, und das Selbstvertrauen, welches er zeigte, beruhigte mich einigermaßen, obgleich ich einsah, daß es besser gewesen wäre, ihn zurückzulassen und das Vorhaben allein auszuführen.

Wir näherten uns der Insel mehr und mehr, und ich lenkte jetzt das Floß von der bisherigen geraden Richtung nach aufwärts, weil wir uns später abwärts treiben lassen mußten. Die Lagerfeuer der Comantschen leuchteten hell, doch nicht zu uns herüber; das auf der Insel war klein; es brannte hinter dem Gebüsch; darum konnten wir die Flamme nicht sehen. Die wenigen sichtbaren Sterne des heutigen Himmels blickten von dem Firmamente herab in die Flut und aus derselben wieder herauf. Ich schwamm so stät und ruhig wie möglich, um keine Wellen zu verursachen, in denen der Rückstrahl der Sterne schwankte, weil dies ziemlich weit zu sehen ist. So kam ich ohne Hast bis in solche Nähe der Insel, daß wir nun das Floß treiben lassen konnten. Ich machte Old Wabble darauf aufmerksam:

„Jetzt ist die Zeit gekommen, Mr. Cutter. Wir müssen nun unter das Schilf kriechen.“

Well, soll gleich geschehen,“ antwortete er.

„Noch einen Augenblick! Wenn wir mit den Köpfen in den Löchern stecken und uns eine Mitteilung zu machen haben, so darf das nur flüsternd geschehen.“

„Versteht sich ganz von selbst!“

„Obgleich wir das Floß treiben lassen, muß es doch leise gelenkt werden; das überlaßt Ihr mir allein!“

„Ist mir lieb. Sagt mir nur, wann das Tauchen losgehen soll! Bin dann gleich dabei.“

„Werdet Ihr es wirklich fertig bringen?“

„Ich sage Euch allen Ernstes, habt keine Angst um mich. Ich gebe Euch mein Wort, daß ich Euch gar nicht, aber auch gar nicht beschwerlich fallen werde!“

Das war ein ganz andrer Ton als vorher. Hatte er sich nur verstellt? War er wirklich ein guter Taucher?

Wir schlüpften unter das Floß und steckten die Köpfe in die dazu bestimmten Löcher; dann schoben wir die Arme in die Lederschlingen und hingen nun in aufrechter Haltung ungefähr so unten an dem Floße, wie ein Turner an den Schwingen hängt. Das Schilf trug uns; wir brauchten nicht zu schwimmen, und eine kleine Hand- oder Fußbewegung genügte zum Lenken. Es ging sehr, sehr langsam, und in der Erwartung, die uns ergriffen hatte, wurde uns die Zeit doppelt lang.

„Verwünschte Eilschiffahrt!“ raunte mir der Alte zu. „Könnt Ihr gut sehen, Sir?“

„Ja.“

„Ich auch. Jetzt müßte ein Haifisch kommen und uns in die Beine beißen! Thunder, würde da unser Steamer in Bewegung kommen! Wie gut, daß es hier keine solchen Bestien oder gar Krokodile giebt! Da, schaut!“

„Ich sehe ihn.“

„Und er sieht uns. Was wird er thun?“

Wir waren jetzt vielleicht sechzig Schritte von der Insel entfernt. Im Gebüsch derselben gab es eine breite Lücke, durch welche das Feuer zu sehen war. Im Scheine desselben erblickten wir einen Indianer, welcher am Ufer Wasser schöpfte und dabei unser Dampfschiff bemerkte. Er sah kurze Zeit zu uns herauf und kehrte dann zum Feuer zurück.

„Prächtiger Kerl!“ flüsterte Old Wabble. „Will gar nichts von uns wissen.“

„Das kann uns ungeheuer lieb sein; aber warten wir es ab, ob ihm unser Schilf nicht doch noch auffällt.“

Es verging Minute um Minute; wir kamen der Insel immer näher, und der Wächter erschien nicht wieder. Noch vierzig, noch dreißig, noch zwanzig, endlich nur noch zehn Schritte! Wir glitten vorüber.

„Mr. Cutter, jetzt!“ raunte ich dem Alten zu. „Ich tauche links und Ihr taucht rechts um die Insel herum, damit wir nicht zusammengeraten und uns hindern. Drüben steigen wir auf und sind im Rücken der Wächter. Aber bitte, gebt Euch alle Mühe! Habt Ihr die Arme noch in den Schlingen?“

„No.“

„Seid Ihr fertig?“

„Yes, es kann losgehen; th’is clear.“

„Dann fort vom Floße!“

Ich machte mich los, tauchte tief hinab, schwamm um die Hälfte der Insel und kam drüben vorsichtig wieder empor; zwei Stöße brachten mich an das Ufer. Old Wabble war an dieser Stelle nicht zu sehen; er erstieg die Insel jedenfalls nicht weit von hier an einer andern; ich konnte mich nicht um ihn bekümmern, sondern mußte vor allen Dingen zu den beiden Wächtern. Mich auf die Erde legend, kroch ich durch die Büsche. Sie saßen an dem kleinen Feuer, welches nur durch fünf oder sechs dünne Holzstücke genährt wurde; der eine kehrte mir den Rücken, der andre die linke Seite zu. Etwas abseits von ihnen lag der Gefangene im Schatten eines überhängenden Strauches. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen; aber die Füße lagen im Lichte des Feuers; sie waren gefesselt. Nun schnell ans Werk!

Ich richtete mich auf und war mit zwei schnellen Sprüngen am Feuer; ein Hieb hüben und ein Hieb drüben an die Schläfen der Roten – sie sanken um. Ich bückte mich zu ihnen nieder; sie waren betäubt.

Heavens, ein Weißer!“ erklang da die Stimme des Gefangenen. „Kommt Ihr, um mich – –“

„Ja,“ unterbrach ich ihn. „Reden wir später; jetzt müssen wir handeln. Weg mit den Fesseln!“

Ich kniete zu ihm nieder, zog das Messer; hinter mir gab es ein Geräusch.

„Seid Ihr da, Mr. Cutter?“ fragte ich, ohne mich umzusehen, denn wer konnte es anders sein als Old Wabble.

„Uff, uff, uff, uff!“ antworteten statt seiner zwei mir fremde Stimmen.

Ich richtete mich blitzschnell auf und drehte mich um. Da standen zwei Indianer, wassertriefend und mich wie ein Gespenst anstarrend. Später sagte mir Old Surehand, daß die Wachen alle drei Stunden gewechselt worden waren. Diese Ablösung geschah schwimmend; daher jetzt die beiden triefenden Gestalten, welche grad in diesem für mich so außerordentlich ungünstigen Augenblicke kamen, um an die Stelle der zwei Betäubten zu treten. Meine Überraschung währte nur einen Augenblick; im zweiten hatte ich den mir am nächsten stehenden Roten mit der linken Hand bei der Kehle und schmetterte ihn mit der rechten Faust zu Boden. Dann wollte ich den andern packen, kam aber nicht dazu, denn er sprang mit einem schrillen Hilferufe von der Insel in das Wasser und schwamm, immer brüllend, dem Lager zu.

Da war keine Zeit zu verlieren. Ich sprang zu Old Surehand und schnitt die Arm- und Fußfesseln durch. Er war außerdem noch mit zwei Riemen an zwei in die Erde gerammte Pfähle gebunden; auch die durchschnitt ich.

„Könnt Ihr Euch bewegen, Sir?“ fragte ich, indem er aufstand. „Sagt es, schnell, schnell!“

Ich sah diesen Mann jetzt zum ersten Male, hatte aber keine Zeit, ihn zu betrachten. Er streckte seine mächtigen Glieder, bückte sich, um einem der Betäubten das Messer zu nehmen, und antwortete so ruhig, als ob nun für ihn gar nichts zu fürchten sei:

„Ich kann alles, was Ihr wollt, Sir.“

„Auch schwimmen?“

„Ja. Wohin?“

„Da, grad hinüber werden wir von Weißen erwartet.“

„So kommt! Es ist hohe Zeit. In weniger als einer Minute haben wir die Roten hier.“

Er hatte recht. Die alarmirten Comantschen vollführten einen wahren Teufelslärm. Das war ein geradezu ohrenzerreißendes Schreien, Heulen, Rufen und Brüllen! Wir konnten sie nicht sehen; aber wir hörten am klatschenden Aufspritzen des Wassers, daß sie sich in den See stürzten, um nach der Insel zu schwimmen. Wir mußten fort. Wo aber war Old Wabble?

„Mr. Cutter, Mr. Cutter!“ überbrüllte ich beinahe den Höllenlärm. „Mr. Cutter, seid Ihr hier?“

Old Surehand war an das Ufer gesprungen, um nach dem Lager hinüberzublicken. Er drehte sich zu mir um und fragte, nicht mehr ruhig, sondern hastig:

„Mr. Cutter? Solltet Ihr Old Wabble meinen?“

„Ja. Er schwamm mit nach der Insel, um Euch zu retten, ist aber nicht zu sehen.“

„Sind noch mehr Weiße da?“

„Nein.“

„So denkt nicht an ihn! Ich kenne den Alten; der hat seine eigene Art und Weise.“

„Aber er ist verloren!“

„Denkt das nicht, Sir! Den bringt kein Satan um; er befindet sich in größerer Sicherheit als wir. Laßt ihn, und kommt fort! Die Roten sind alle, alle im Wasser; die ersten sind beinahe da. Vorwärts, schnell, schnell!“

Er ergriff meinen Arm und zog mich fort. Vom Rande der Insel aus konnte ich mir seine Eile erklären. Das Wasser zwischen ihr und dem Lagerplatze wimmelte förmlich von roten Köpfen, deren Mäuler brüllend offen standen. Einer der Schwimmer, der allen voran war, hatte nur noch zehn oder zwölf Stöße zu thun, um die Insel zu erreichen. Ich durfte nicht an Old Wabble, sondern ich mußte an mich selbst und Old Surehand denken.

„Ja, fort ins Wasser,“ antwortete ich darum. „Folgt mir, so schnell Ihr könnt!“

Wir sprangen hinein und griffen langsam aber kräftig aus, wie ein guter Schwimmer thut, der nicht ermüden will. Das Geheul der Indianer verdoppelte sich, es war ganz entsetzlich. Sie hatten uns gesehen und strengten sich an, uns einzuholen.

Um mich hatte ich keine Sorge; mich erwischte gewiß keiner; aber Old Surehand! So ein Westmann wie er, schwamm gewiß vortrefflich; aber die Gefangenschaft hatte ihn angegriffen, und wie indianische Fesseln die Hände und Füße für größere Anstrengungen untauglich machen, das wußte ich am besten. Indem ich neben ihm herschwamm, beobachtete ich ihn. Er schwamm kaltblütig und mit jenem Doppelstoße, der die Arbeit gleichmäßig auf Arme und Beine verteilt. Das beruhigte mich anfänglich. Bald aber bemerkte ich, daß seine Bewegungen an Stetigkeit verloren.

„Greift es Euch an, Sir?“ fragte ich.

„Nein,“ antwortete er; „aber ich habe kein Gefühl in den Händen und Füßen; sie sind wie taub.“

„Daran sind die Fesseln schuld. Werdet Ihr es aushalten bis an das jenseitige Ufer?“

„Ich hoffe es. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde mich kein Indsman einholen; aber wenn man so lange Zeit mit zusammengeschnürten Gliedern, daß das Blut stehen bleibt, gelegen hat, dann läßt sich nichts mehr behaupten.“

Nach einiger Zeit fühlte er ein Zerren in den Armmuskeln. Ich kannte dieses für einen Menschen, der um sein Leben zu schwimmen hat, höchst gefährliche Symptom und forderte ihn auf-

„Legt Euch auf den Rücken und schwimmt nur mit den Füßen; da ruhen die Arme aus!“

Er folgte diesem Rate, und unsre bisherige Schnelligkeit verminderte sich bedeutend. Ich schwamm nun auch auf dem Rücken, um unsre Verfolger zu sehen. Sie waren noch alle, doch in den verschiedensten Abständen, hinter uns. Der ganze rückwärts liegende Teil des Sees war so von schwimmenden Indianern belebt, daß höchst wahrscheinlich alle Comantschen in das Wasser gegangen waren; viele waren auf keinen Fall zurückgeblieben. Einer war uns auf ungefähr hundert Schritte nahe. Old Surehand sah ihn auch und sagte:

„Wir müssen schneller machen; so geht es zu langsam; ich werde es wieder von vorn versuchen.“

Er that es, machte mir aber bald das Geständnis:

„Mir schlafen die Arme ein, Sir. Macht weiter fort, und laßt mich zurück!“

„Old Surehand verlassen? Fällt mir nicht ein! Legt Euch quer über mich; ich trage Euch!“

„Ich bin zu schwer!“

„Für mich nicht.“

„Aber dann geht es zu langsam, und die Roten holen Euch ein!“

„Wollen es abwarten. Also bitte!“

Er folgte meinem Wunsche nur nach mehrmaliger Wiederholung desselben. Er war freilich nicht leicht; aber es ging. Dennoch kam uns der eine Indianer immer näher. Er schien bisher nur gespielt zu haben und stieß sich jetzt mit einer Kraft, Geschmeidigkeit und Ausdauer vorwärts, daß ich einsah, er werde uns einholen. Er war aber der einzige; die andern blieben immer weiter zurück. Bei dem Dunkel des Abends wäre er nur schwer zu sehen gewesen, wenn die Lagerfeuer drüben nicht gebrannt hätten, Zwar konnte ihr Schein weder ihn noch uns erreichen, aber sie bildeten in dieser Entfernung Lichter, welche er von Zeit zu Zeit verdeckte. Er mußte ausgezeichnete Augen haben, daß er uns auf der weiten Fläche nicht verlor.

Als wir ungefähr drei Viertel des Weges hinter uns hatten, war er höchstens noch dreißig Schritte von uns entfernt und stieß einen schrillen Schlachtruf aus.

„Er holt uns ein!“ sprach Old Surehand. „Daran bin ich schuld. Ihr seid ein Schwimmer, wie ich noch keinen gesehen habe, aber im Wasser ein Gewicht von zwei Zentnern zu tragen, das hält den stärksten Riesen auf.“

Pshaw! Das Wasser trägt Euch doch mit, und den einen Roten da fürchte ich nicht.“

„Ich auch nicht. Wenn er herankommt, ist er verloren; ich habe ein Messer, und in meinen Armen ist wieder Gefühl.“

„Überlaßt ihn mir! Ich bin nicht gefesselt gewesen.“

„Wollt Ihr ihn erstechen? Ich liebe es nämlich nicht, Blut zu vergießen, wenn es nicht absolut nötig ist.“

„Ganz meine Meinung. Ich gebe ihm einen Hieb vor den Kopf und nehme ihn mit an das Ufer.“

„Sir, das bringt nur ein Jäger fertig, welcher Old Shatterhand heißt. Ich habe doch gewiß auch Muskeln und Sehnen, aber ich muß mehrmals schlagen, wenn ich jemand betäuben will.“

„Die Kraft thut es nicht allein; es ist ein Vorteil dabei. Werdet Ihr wieder schwimmen können?“

„Ja; laßt mich herab; es geht wahrscheinlich wieder.“

„Wahrscheinlich! Und da wollt Ihr mit diesem Indsman kämpfen? Das kann sich nur ein Old Surehand zutrauen.“

„Mein Name scheint Euch sehr geläufig zu sein. Darf ich den Eurigen erfahren?“

„Ich werde Euch gleich zeigen, wie ich heiße. Versucht nur erst, ob Ihr allein weiter könnt!“

Der Versuch gelang; seine Arme weigerten sich nicht mehr, ihre Dienste zu leisten. Es war gewiß eine ganz eigene Lage. Zwei Weiße, auf einem See schwimmend und von einer Indianerschar verfolgt, sprachen mit einander, als ob sie sich in einem New-Yorker Parlour auf Schaukelstühlen wiegten! Das konnten auch nur Westmänner thun!

Wir waren, während Old Surehand seine Kräfte neu versuchte, nicht vorwärts gekommen; der Rote schwamm schnell heran und stieß einen zweiten Siegesruf aus.

„Überlaßt ihn also mir, und seht zu, wenn Ihr wollt,“ bat ich meinen Gefährten; dann wendete ich mich zurück.

Der Feind sah, daß ich ihm standhalten wollte, und hielt an. Die Hand mit dem Messer hoch emporhebend, rief er aus:

„Hier ist Vupa-Umugi, der Häuptling der Comantschen. Sein Messer wird die weißen Hunde beide fressen!“

Ah, also der! Das war mir lieb. Es war bisher unmöglich gewesen, seine Züge zu erkennen.

„Und hier ist Old Shatterhand, von dem du meinst, daß er dir nicht entkommen kann,“ antwortete ich. „Versuche, ob du recht hast!“

„Old Shatterhand! Old Shatterhand!“ riefen Old Surehand und der Rote zu gleicher Zeit, und der letztere fügte hinzu: „Bist du dieser räudige Coyote, so sollst du augenblicklich sterben!“

Nach diesen Worten tauchte er schnell unter. Also ein Kampf auf Leben und Tod, des Nachts auf dem Wasser! Der Häuptling wollte bei mir auftauchen und nach mir stechen; dies abzuwarten, fiel mir gar nicht ein. Ich tauchte ebenso unter, doch tiefer als voraussichtlich er. Das Wasser hält, grad wie der Diamant, das tagesüber eingesogene Licht noch lange fest; darum kann ein guter Taucher an dunklen Abenden unter Wasser wenigstens ebenso gut oder gar noch besser sehen als über demselben. In einer Tiefe von vielleicht fünf Metern schwebend, sah ich empor. Ja, da war der Häuptling, seitwärts über mir! Er streckte die Hände aus zum Schlage, der ihn an die Oberfläche treiben sollte. Ich that diesen Schlag zugleich mit ihm und kam hinter ihm über Wasser. Er bekam meinen Jagdhieb an den Kopf, und dann faßte ich ihn beim Schopfe, um zu verhüten, daß er unterging.

„Old Shatterhand, wahrhaftig Old Shatterhand! Da ist’s ja gleich bewiesen!“ rief Old Surehand.

„Ja, Sir, ich habe mich Euch in nicht ganz salonartiger Weise vorgestellt. Ihr müßt mir das verzeihen!“

„Dieser Fehler ist auf beiden Seiten geschehen,“ lachte er. „Aber, Sir, Ihr glaubt es nicht, wie ich mich freue – – –“

„Und so weiter, und so weiter!“ fiel ich ihm in die Rede. „Davon später, vielleicht erst morgen früh! jetzt dürfen wir nicht an Komplimente denken. Es würde mir lieb sein, wenn die Parästhesie Eurer Arme vorüber wäre.“

„Sie ist’s, wie es scheint.“

„Versucht es wenigstens! Ich habe den Roten zu tragen. Schwimmen wir weiter!“

Und siehe da, es ging! Die Bewegung und Anstrengung des Schwimmens war zu schnell auf die vorherige, gezwungene Lage der Glieder gefolgt. Das schien nun vorüber zu sein. Wir schwammen langsam, damit er sich schonte, und erreichten das Ufer, ohne daß die Schwäche sich wiederholte. Dort wurde der Häuptling, dem eben das Bewußtsein wiederkehrte, gefesselt.

Unser Unternehmen war glücklich, aber auch unglücklich verlaufen. Ich hatte Old Surehand befreit und dazu den Anführer der Comantschen gefangen genommen, dafür aber Old Wabble verloren. Was war aus diesem geworden? Old Surehand glaubte nicht an seinen Tod. Er behauptete:

„Lernt diesen alten Boy erst richtig kennen, Mesch’schurs! Er ist ein Original ersten Ranges und durch nichts umzubringen. Ich wette, er sitzt irgendwo an einem sichern Orte und lacht sich in das Fäustchen. So einen Pfiffikus muß man studiert haben, um ihn richtig zu beurteilen. Er weiß aus dem größten Unglücke ein noch viel größeres Glück zu machen, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn er jetzt plötzlich käme und auch einen oder gar mehrere Gefangene brächte.“

„Wenn er nicht selbst gefangen ist,“ warf ich ein.

„In diesem Falle kann ihm geholfen werden. Wir wechseln ihn gegen den Häuptling aus.“

„So wollt Ihr diesem nicht ans Leben?“

„Behüte! Es ist nicht meine Mode, mich als Mörder aufzuspielen. An mir hat er’s freilich nicht verdient, aber wenn es auf mich ankommt und dem alten Wabble nichts geschehen ist, lassen wir den Roten laufen.“

„Bin ganz einverstanden, Sir. Aber schaut, da sehe ich Köpfe auf dem Wasser!“

Es war so, wie ich sagte. Die meisten Comantschen hatten von der Verfolgung abgelassen; andre hatten sie fortgesetzt und kamen nun angeschwommen. Sie wurden durch drohende Zurufe und einige Schüsse zurückgetrieben, Dann mußte ich den Gefährten erzählen, wie wir auf die Insel gelangt und dann zu zweien herübergeschwommen waren.

Ich hatte diesen Bericht noch nicht vollendet, als wir ein Geräusch drin in den Büschen hörten. Wir lauschten. Die Zweige raschelten und knackten wie von großen Tieren, vielleicht Pferden; dann erklang eine befehlende Stimme:

„Bücke dich hübsch aufs Pferd nieder, Rothaut, sonst rennst du dir die Nase ein; th’is clear!“

„Old Wabble!“ sagte Old Surehand. „Ihr werdet sehen, Mesch‘ schurs, daß er meine Prophezeiung ganz wörtlich erfüllt.“

Und wirklich, da kam er aus dem Gebüsch heraus, hinter sich her ein Pferd ziehend, auf welchem ein Indianer festgebunden war. An diesem Pferde hingen hintereinander noch zwei, welche beladene Packsättel trugen.

„Da bin ich auch wieder,“ sagte er lachend. „Habe Euch was mitgebracht, was sehr gut zu gebrauchen ist. Ah, good evening, Mr. Surehand! Auch schon da? Habe es mir doch gedacht, daß ich nicht dabei zu sein brauchte. Euch frei zu machen, dazu war Mr. Shatterhand Mann genug.“

„Wo habt Ihr denn gesteckt, Mr. Cutter?“ fragte ich. „Wir haben Sorge um Euch gehabt.“

„Sorge? Möchte wissen, weshalb und was mir geschehen sollte! Ich sorge schon für mich selbst, auch noch für andre mit, wie Ihr gleich sehen werdet.“

„Ihr kamt doch nicht auf die Insel!“

„Fällt mir gar nicht ein!“

„Warum denn nicht?“

„Weil ich ein großer Esel gewesen bin; th’is clear. Ich habe wunder gedacht, wie gut ich schwimmen und tauchen kann, mit Euch aber kam ich nicht fort. Das Schwimmen hatte ich glücklich überstanden, freilich nur hinüber; wieder herüber, und dabei die Leggins abermals verlieren, das war nicht mein Fall. Und nun gar tauchen! Wenn man nun nicht wieder heraufkommt! Man kann da ganz gut bei lebendigem Leibe ersaufen. Ich blieb also unter dem Floße hängen und ließ die Sache laufen, wie sie wollte. Da plötzlich erhob sich ein Gebrüll, daß mein Dampfer nur so wackelte, und die Roten sprangen in das Wasser; kein einziger blieb am Lande. Sogar die Pferdewächter kamen gerannt und machten sich hinter Euch her. Einer von ihnen mußte bleiben, und den wollte ich mir holen. Ich segelte also ans Land, kroch unter meinem Baldachin heraus, sprang auf ihn zu und gab ihm einen Klapps, daß er sich niedersetzte, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen. Ich band ihn mit einem der Riemen, an denen das Fleisch aufgehängt worden war. Dabei kam mir der Gedanke, daß wir auch Proviant brauchen, wenn wir – – ah, will nicht sagen, wohin, wollen. Ich lief also nach dem Weideplatze und holte drei Pferde, eins für den roten Boy und zwei für das Fleisch; Sättel lagen da. Ich habe mich etwas beeilen müssen, um rechtzeitig fertig zu werden; aber es ging alles genau so, wie ich wünschte, und eben als die ersten Indsmen unverrichteter Sache zurückgeschwommen kamen, trollte ich mich mit Boy und Fleisch von dannen. Da habt Ihr mich! Was mit dem Fleische geschehen wird, das kann ich mir denken; aber was wir mit dem Boy machen sollen, darüber mögen andre sich den Kopf zerbrechen.“

„Wir lassen ihn morgen laufen,“ meinte Old Surehand.

„Habe nichts dagegen. Ist er herzu geritten, mag er hinzu laufen! Aber sein Häuptling, wie ist denn der in Eure Hände geraten?“

„Mr. Shatterhand hat ihn gefangen genommen.“

„Etwa auf der Insel?“

„Nein, sondern bei der Verfolgung auf dem See.“

„Also eine Seeschlacht. Müßt mir nachher erzählen, wie das zugegangen ist. Laßt Ihr den auch laufen?“

„Ja.“

„Schade! Er paßt besser zum Hängen als zum Laufen. Aber gebt ihn ja nicht eher frei, als bis Eure Waffen und alles, was die Indsmen Euch abgenommen haben, Euch wieder ausgeliefert worden ist. Ich bin nie ein Indianerfreund gewesen; sie taugen alle nichts und halten es für Schwäche, wenn man nachsichtig mit ihnen ist. Wenn er vorhin samt seinen hundertfünfzig Comantschen da im See ertrunken wäre, so hätte die übrige Menschheit nichts verloren; th’is clear!“

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Der General

Der „General“

Wenn wir die Zeit, an welcher Vupa Umugi die hundert Bäume verlassen hatte, mit der vergleichen, an der wir dort fortgeritten waren, und dazu annehmen, daß er seine Pferde wegen der jetzt herrschenden Tageswärme nicht allzusehr angriff, so konnten wir uns leicht den Vorsprung berechnen, den er vor uns hatte. Da wir schnell ritten, glaubten wir, ihm höchstens zwei Stunden nach Mittag so nahe zu sein, daß wir seine Comantschen sehen konnten.

Dies war aber nicht der Fall. Als uns der Stand der Sonne sagte, daß es schon über drei Uhr sei, hatten wir die Roten noch nicht zu Gesicht bekommen; aber ihre Fährte war so neu, daß sie nicht mehr als drei englische Meilen vor uns sein konnten. Wir trieben unsre Pferde zum Galoppe an, und bald zeigte mir mein Fernrohr am südöstlichen Horizonte einen kleinen Trupp von Reitern, welche sich augenscheinlich nach den eingesteckten Stangen richteten, indem sie genau unsre Richtung hatten.

„Sollten das die Naiini sein?“ fragte Old Surehand zweifelnd.

„Sicher,“ antwortete ich.

„Hm! Ich möchte nicht darauf schwören!“

„Warum? Glaubt Ihr, daß es außer uns und ihnen noch andre Leute giebt, die hier im Llano reiten?“

„Wäre das so unmöglich?“

„Nein; aber sie halten sich an die Stangen.“

„Das beweist nichts.“

„O doch! Sie reiten nach Südosten, müssen also von Nordwest gekommen sein, also daher, woher auch wir kommen; wir müßten sie also gesehen haben.“

„Vielleicht kommen sie von Norden und bogen nach den Pfählen ein.“

„Nein; es sind die Comantschen.“

„Aber die zählen doch anderthalb Hundert!“

„Thut nichts! Es ist die Nachhut.“

„Glaubt Ihr, daß Vupa Umugi eine Nachhut zwischen sich und uns gesetzt hat?“

„Ja.“

„Warum?“

„Sie sollen aufpassen und ihm unsre Ankunft melden. Wenn ich unsre sage, so sind natürlich nicht wir, sondern die Dragoner gemeint, die er hinter sich glaubt; denn von uns und unsern Apatschen hat er keine Ahnung.“

„Diese Ansicht hat allerdings etwas für sich.“

„Sie hat nicht nur etwas, sondern alles für sich; sie ist unzweifelhaft richtig. Ihr werdet das sofort sehen, wenn wir ihnen so nahe gekommen sind, daß sie uns mit bloßen Augen zu erkennen vermögen.“

Well; wollen es versuchen.“

Wir ritten jetzt noch schneller als vorher, und es zeigte sich bald, daß ich recht gehabt hatte; denn als wir sie mit den Augen erreichen konnten, hielten sie für einige Augenblicke an; sie hatten uns jetzt auch gesehen und setzten dann ihre Pferde in Galopp, so daß sie unsern Blicken sehr schnell verschwanden. Sie wollten augenscheinlich Vupa Umugi melden, daß die Dragoner kämen. Für diese hielten sie uns, weil sie aus solcher Entfernung uns weder einzeln erkennen noch zählen konnten. Uns konnte diese Eile nur lieb sein, weil wir dadurch mit der Nacht den Punkt auf unsrer Reitlinie erreichten, welcher der Oase am nächsten lag. Als wir später auf demselben ankamen, war es mittlerweile Nacht geworden. Wir durften nicht weiter, denn es war anzunehmen, daß die Comantschen nun ihr Lager beziehen würden, und es konnte nicht unsre Absicht sein, jetzt schon mit ihnen zusammenzutreffen. Wir hatten von hier aus bis zu dem Kaktusfelde, in welchem wir sie fangen wollten, noch einen tüchtigen Tagesritt zu machen. Ich ließ also fünf Apatschen als Posten hier und ritt mit den andern nach der Oase, welche wir nach einer Stunde erreichten.

Winnetou war mit seinen Apatschen natürlich noch nicht dorthin zurückgekehrt, und Bloody-Fox, der ihren Führer machte, fehlte auch. Parker und Hawley waren nicht damit einverstanden, daß sie so lange müßig zu liegen gehabt hatten, und ich vertröstete sie auf morgen früh, wo sie sich uns anschließen sollten. Als sie sahen, daß Old Wabble fehlte, fragte Parker:

„Wo ist denn der alte Cow-boy, Sir? Warum läßt er sich nicht sehen?“

„Den haben wir leider nicht mit,“ antwortete ich.

„Habt Ihr ihn bei den Posten zurückgelassen?“

„Nein. Er befindet sich bei Vupa Umugi und seinen Naiini-Comantschen.“

„Bei denen? Ist er ihnen als Kundschafter nachgeritten?“

„Auch das nicht. Er befindet sich nicht hinter, sondern bei ihnen.“

„Bei ihnen? Wer soll das begreifen?“

„Ihr werdet es gleich begreifen, wenn ich sage, daß er ihr Gefangener ist.“

„Ihr Gefangener? Alle Teufel! Ist’s wahr?“

„Ja, leider!“

„Hat er wieder eine seiner Dummheiten gemacht?“

„Und was für eine! Er konnte uns den ganzen Streich verderben; an ihm liegt es nicht, daß es uns gelungen ist, unsern Plan auszuführen.“

„Recht so, recht so! Das ist Euch ganz recht, Mr. Shatterhand!“

„Wieso? Ihr scheint Euch gar zu freuen!“

„Allerdings. Ich ärgere mich und freue mich. Warum habt Ihr ihn mitgenommen! Ihr seid aber so verliebt in den alten, unvorsichtigen Kerl, daß er Dummheit über Dummheit machen kann, ohne daß es Euch einfällt, das zu thun, was das allein Richtige sein würde.“

„Was?“

„Ihn zum Teufel zu jagen.“

„Das werde ich jetzt nun thun.“

„Das habt ihr gar nicht mehr nötig, denn dazu ist’s nun zu spät.“

„Warum?“

„Er ist ja doch schon fort.“

„Aber er kommt wieder.“

„Ihr wollt ihn befreien?“

„Selbstverständlich!“

„Hm, ja! Stecken lassen können wir ihn freilich nicht; aber ich gebe Euch wirklich und allen Ernstes den guten Rat, ihn fortzujagen, sobald wir ihn herausgeholt haben; er bringt uns sonst noch in ein Unglück, aus dem wir uns nicht herausarbeiten können. Ihr habt es aber auch nur immer auf ihn abgesehen. Immer muß er bei Euch sein, während Ihr doch genau wißt, daß man sich nicht auf ihn verlassen kann. Dagegen ich und Jos Hawley, wir beide werden zurückgesetzt und müssen hier warten und Grillen fangen, während Ihr alles auf Euch nehmt und bald hierhin, bald dorthin reitet, um die schönsten Abenteuer zu erleben. Ihr könnt Euch doch denken, daß uns das ärgert. So zuverlässig wie Old Wabble sind wir jedenfalls auch!“

„Na, na, das klingt ja grad wie ein Vorwurf, Mr. Parker!“

„Das ist es auch; das soll es auch sein! Wir leben doch auch und befinden uns nicht im wilden Westen, um Fliegen zu fangen und Regenwürmer zu jagen. Ihr müßt zugeben, daß wir bisher stets zurückgesetzt worden sind.“

„Seid doch froh, wenn ich Euch nicht zumute, Euch an etwas zu beteiligen, wobei Ihr Euer Leben auf das Spiel setzen müßt!“

„Unser Leben! Ist das etwa mehr wert als das Eurige? Oder haltet Ihr uns für furchtsame Menschen? Das müssen wir uns verbitten!“

Er hätte wohl noch länger räsonniert, wenn nicht jetzt der Neger Bob gekommen wäre. Als dieser uns sah, rief er voller Freude aus:

„Oh, ah, Massa Shatterhand und Massa Surehand wieder da! Masser Bob wissen gleich, was thun: Stiefel bringen. Soll Bob Stiefel holen?“

„Ja, wir wollen machen, daß wir die Mokassins wieder los werden.“

Er rannte fort und holte die Stiefel, welche wir gegen die Indianerschuhe umtauschten. Als dies geschehen war, fragte ich Bob:

„Wie steht es mit Schiba-bigk? Er ist doch noch da?“

Er zog eines seiner unbeschreiblichen Gesichter und antwortete:

„Nicht mehr da.“

„Was? Nicht?“

„Nein. Schiba-bigk sein fort.“

Dabei lachte er am ganzen Gesichte und riß den Mund so weit auf, daß man zwischen den prächtigen Zahnreihen hindurch bis hinter an den Gaumen sehen konnte. Er wollte sich einen kleinen Spaß mit mir machen. Ich ging auf denselben ein, indem ich scheinbar erschrocken fragte:

„Fort? Er ist doch nicht etwa entflohen?“

„Ja, sein entflohen.“

„Höre, Bob, das kostet dir das Leben! Ich erschieße dich, wenn er wirklich entflohen ist. Du hast mit deinem Kopfe für ihn zu haften!“

„Also Massa Shatterhand Masser Bob erschießen. Schiba-bigk fort, ganz fort. Massa Shatterhand kommen und sich überzeugen!“

„Ja, ich werde mich überzeugen. Hier steckt die Kugel, die ich dir in den Kopf schieße, wenn er nicht in der Stube ist.“

Ich zog den Revolver und streckte ihm denselben entgegen. Dann gingen wir nach dem Hause. Er öffnete die Thür, zeigte in das Innere und sagte:

„Hier hineinsehen! Niemand drin!“

Was ich sah, war ein Anblick, der mich fast hätte zum Lachen bringen können. Der junge Häuptling lehnte an der Wand und starrte mit vor Wut blitzenden Augen zu uns her. Eigentlich lehnte er nicht direkt an der Wand, sondern es befand sich noch etwas zwischen ihm und ihr. Dieses Etwas waren acht lange Stangen, welche der Neger wie einen Stern zusammengelegt und mit Riemen vereinigt und dem Roten auf den Rücken gebunden hatte. Dieser Stern war so groß, daß er seinem Träger vom Boden aus weit über den Kopf und auch weit zu beiden Seiten hinausragte. Ja, mit ihn, auf dem Rücken, war es Schiba-bigk unmöglich, zur Thür hinauszukommen; er hätte es stehend oder kriechend oder in sonst einer Stellung versuchen können, er wäre stets und unbedingt hängen geblieben. Bequem konnte das Ding freilich nicht für ihn sein, und das war wohl der Grund des Ärgers, mit welchem er uns ansah.

„Er ist ja da; dort steht er ja!“ sagte ich zu Bob, indem ich mich überrascht stellte.

„Ja, er da!“ lachte er mich fröhlich grinsend an.

„Also nicht entflohen!“

„Nein.“

„Du sagtest es aber doch!“

„Oh, oh! Bob nur machen Spaß, schönen Spaß! Bob doch nicht werden fliehen lassen Indianer, wenn er soll aufpassen auf ihn!“

„Aber was hast du ihm da auf den Rücken gebunden?“

„Massa Shatterhand es doch sehen! Indianer soll nicht werden hauen und schlagen, auch soll nicht werden erstechen oder erschießen, und Masser Bob ihn doch nicht fortlassen. Da Masser Bob sein klug und pfiffig und ihm binden acht lange Stangen auf Buckel.“

„Hm! Hat er es denn geduldet?“

„Er nicht wollen; da aber Masser Bob sagen, daß ihm geben viel Maulschellen, und er dann haben ganz sehr ruhig machen lassen. Sein Masser Bob da nicht klug und pfiffig wie Fliege auf Nase?“

Ich konnte ihm auf diese höchst selbstbewußte Frage nicht antworten, denn Schiba-bigk rief mir jetzt zornig zu:

„Uff! Mein weißer Bruder mag mich sogleich von diesen Stangen befreien!“

„Warum?“ fragte ich ruhig.

„Ist es eines Häuptlings würdig, ihn in dieser Weise zu quälen?“

„Du bist hier nicht Häuptling, sondern Gefangener.“

„Ich kann weder sitzen noch liegen.“

„So mußt du eben stehen.“

„Ich denke, Old Shatterhand behandelt selbst seine Feinde so, als ob sie seine Freunde seien!“

„Ich bin dein Freund. An dieser Thatsache ändern die Stangen, welche du auf dem Rücken trägst, nichts.“

„Aber es ist eine Qual!“

„Ich denke, du achtest Schmerzen nicht!“

Pshaw! Schmerzen sind es nicht, die ich leide. Warum hast du dem Nigger den Befehl gegeben, dies mit mir zu thun?“

„Ich habe es ihm nicht befohlen.“

„So hat er es aus eigenem Antriebe gethan?“

„Ja.“

„So werde ich ihn töten, sobald ich wieder frei geworden bin!“

„Das wirst du nicht!“

„Ich werde es!“

„Dann wirst du nie wieder frei sein! Ich habe ihm geboten, dich loszubinden und gut zu behandeln. Hast du gehungert?“

„Nein.“

„Oder gedürstet?“

„Nein.“

„So hast du also alles gehabt, was du brauchtest. Worüber kannst du dich da beschweren?“

„Darüber, daß er mir diese Stangen auf den Rücken gebunden hat. Das thut man mit keinem Häuptlinge der Comantschen!“

„Wo steht das geschrieben, oder wer hat das gesagt? Sprechen etwa die alten Wampums oder Überlieferungen der Comantschen davon? Nein! Daß man es thut, das hast du jetzt an dir selbst erfahren. Und wer ist schuld daran, daß es geschehen ist? Du selbst!“

„Nein.“

„Doch! Du hast gesagt, daß du fliehen werdest, sobald sich dir eine Gelegenheit dazu biete. Der Neger mußte dich bewachen und hat dir durch die Stangen diese Gelegenheit genommen. Du mußt einsehen, daß er nichts als seine Pflicht gethan hat.“

„Aber er hat mich dadurch lächerlich gemacht! Ich will lieber große Schmerzen erleiden als diese Stangen tragen!“

„Das hat er sich freilich nicht sagen können; er hat es gut gemeint. Hättest du mir dein Wort gegeben, nicht zu entfliehen, so könntest du draußen im Freien sitzen und alle die Ehren genießen, welche einem Häuptling gebühren.“

„Ich darf dies Wort nicht geben!“

„Du darfst!“

„Nein!“

„Du darfst es thun, weil deine Weigerung dir gar nichts nützen und fruchten könnte.“

„Ich würde unsre Krieger aufsuchen und sie warnen!“

„Du würdest sie nicht finden!“

„Ich finde sie!“

„Nein. Du weißt nicht, wo sie sich befinden.“

„Ich weiß es!“

„Nein, du hast ja gar keine Ahnung von dem, was heut wieder geschehen ist.“

„Darf ich es nicht erfahren?“

„Eigentlich nicht; aber ich will es dir dennoch sagen. Aus dieser Aufrichtigkeit magst du ersehen, daß wir unsrer Sache sicher sind und daß die Flucht gar keinen Vorteil für dich brächte.“

„So sprich!“

„Glaubst du zunächst, daß wir euern Plan durchschauen?“

„Ich weiß, daß ihr ihn kennt.“

„Ihr wolltet die weißen Reiter in die Irre führen und bei dieser Gelegenheit die Oase hier in Besitz nehmen. Du rittest voran, um Vupa Umugi den Weg hierher zu zeigen. Dann wolltet Ihr die Stangen anders stecken und die Bleichgesichter hinter euch herlocken. Nach ihnen sollte Nale Masiuv kommen, um sie einzuschließen und ihnen den Rückweg zu verlegen. Ist es so?“

„Mein weißer Bruder hat es erraten.“

„Ja, ich muß es sehr genau wissen, sonst würdest du es nicht in dieser weise eingestehen. Nun aber weißt du am allerbesten, daß wir dich gefangen genommen haben, noch ehe du damit fertig warst, Vupa Umugi den Weg hierher zu zeigen.“

„Ich weiß es.“

„Du hast auch gesehen, daß Winnetou mit fünfzig Apatschen fortgeritten ist, um die Stangen zu entfernen und in falscher Richtung anzubringen?“

„Ich sah es.“

Well. Wir sind dann von hier fortgeritten, um die Krieger der Comantschen zu beobachten. Als wir bei den hundert Bäumen ankamen, sahen wir, daß Winnetou seine Sache sehr gut gemacht hatte. Die Stangen steckten in einer Richtung, durch welche Vupa Umugi mit seinen Leuten in die Einöde geführt wird, wo es kein Wasser giebt.“

„Uff!“

„Ja, ich will dir sogar mit noch größerer Aufrichtigkeit sagen, daß wir ihm eine noch weit gefährlichere Falle gestellt haben, als du dir vielleicht denken wirst. Die Stangen werden ihn morgen mitten in ein großes, undurchdringliches Kaktusfeld führen, aus welchem kein Entrinnen ist. Der Weg führt ihn hinein, aber nicht wieder heraus.“

„Uff!“

„Er wird länger als eine Stunde reiten, bis er in die Mitte dieses großen Kaktusfeldes kommt. Da ihn die Stangen in diese Falle leiten, wird er denken, du habest sie gesteckt, und ihnen folgen. Er wird annehmen, daß dieser Weg ihn wieder in das Freie bringe; aber dieser Weg hört plötzlich auf, und eure Krieger können weder nach vorn noch nach einer Seite weiter. Es bleibt ihnen nichts übrig, als umzukehren. Aber sobald sie sich wenden, sehen sie uns mit dreihundert Apatschen hinter sich. Wir halten den Weg besetzt und lassen sie nicht wieder heraus.“

„Uff!“

Er stieß dieses eine Wort nun zum drittenmal aus. Er war so eingeschüchtert, daß er nichts andres zu sagen wußte.

„Sag mir nun, was eure Krieger machen werden?“ fuhr ich fort.

„Sie werden sich verteidigen.“

„Wie wollen sie das anfangen?“

„Sie werden auf euch schießen.“

„Glaubst du?“

„Ja. Sie sind tapfere Krieger, denen es nicht einfallen wird, sich ohne Widerstand zu ergeben.“

„Das sagst du, weil du dich hier in diesem Hause befindest und nicht in der betreffenden Falle steckst. Der Weg, welcher in den Kaktus führt, ist sehr schmal; es finden nur wenige Reiter nebeneinander Platz. Wenn sich eure Krieger umgedreht haben und auf uns schießen wollen, können sie nicht Front gegen uns machen, sondern werden in einer langen, schmalen Linie hintereinander halten, so daß nur die Vordersten auf uns schießen könnten. Und wenn sie das dennoch thäten, es würde uns keine von ihren Kugeln erreichen.“

„Meinst du, daß sie so schlechte Schützen sind?“

„Nein. Aber wir haben, wie du weißt, Gewehre, die viel weiter reichen als die ihrigen. Dadurch können wir sie so fern von uns halten, daß es ihnen unmöglich ist, uns zu treffen.“

„Uff!“

„Sie werden also mitten im Kaktus stecken, ohne uns den geringsten Schaden thun zu können.“

„Und ihr? Was werdet ihr thun?“

„Wir werden einfach warten, bis sie sich ergeben. Wir haben Wasser; sie aber haben keins.“

„Und wenn sie sich nicht ergeben?“

„So müssen sie verschmachten.“

Da ging ein leises Lächeln über sein Gesicht, und er sagte:

„Old Shatterhand ist ein kluger Mann, aber an alles kann er doch nicht denken!“

„Meinst du? Kennst du für die Comantschen einen Weg, uns zu entkommen?“

„Ja.“

„Einen Weg, den ich nicht kenne?“

„Wenn du an ihn gedacht hättest, würdest du ganz anders sprechen. Howgh!“

Seine Züge hatten den Ausdruck der Zuversichtlichkeit angenommen. Es war kein Zweifel, er hatte einen Einfall, auf welche Weise die Comantschen uns entgehen könnten. Und diesen Einfall hielt er für vortrefflich, wie das Wort Howgh bezeugte, welches hier einen Ausruf der Versicherung bedeutete.

„Howgh?“ fragte ich. „Bist du deiner Sache so gewiß?“

„Ja.“

„Welchen Weg meinst du denn?“

„Hält Old Shatterhand mich für so unklug, es ihm zu sagen?“

„Nein. Du brauchst es mir nicht zu sagen, denn ich weiß es bereits. Wenn du glaubst, Old Shatterhand habe nicht an alles gedacht, so irrst du dich. Ich dächte, du müßtest mich da kennen.“

„So sage doch, was ich meine!“

„Warte noch! Selbst wenn du einen Rettungsweg für eure Krieger wüßtest, an den ich nicht denke, müßtest du dich doch fragen, ob sie auch auf den Gedanken kommen werden, den du für so vortrefflich hältst.“

„Sie kommen sicher darauf!“

„Schön! Da nehmen wir sie natürlich nicht bloß von vorn, sondern auch von hinten.“

„Uff!“

Dieser Ausruf klang wie Schreck.

„Nun?“ fragte ich lächelnd. „Hat Old Shatterhand wirklich nicht an alles gedacht?“

„Ich – – weiß – – es nicht,“ antwortete er zögernd.

„Aber ich weiß es; ich kenne den Rettungsweg, der leider nur in deiner Einbildung lebt. Du hast dir im stillen gesagt: Wenn die Comantschen mitten im Kaktus stecken, so brauchen sie doch nicht die Hoffnung zu verlieren; sie haben ja ihre Messer mit, mit deren Hilfe sie sich einen Weg aus der Falle bahnen können. Habe ich recht oder nicht?“

„Uff, uff!“ antwortete er niedergeschlagen.

„Ja, du hast dich jetzt für sehr klug gehalten. Aber bedenke, wie lange es dauern würde, ehe ein solcher Weg fertig würde! Er würde schmal sein, und es könnten also nur wenige daran arbeiten. Es vergingen Tage darüber! Und denkst du, daß wir dabei ruhig zusehen würden?“

Er schwieg.

„Ich würde unsre Leute teilen und die Hälfte nach der andern Seite des Kaktus schicken, um auf diese Weise eure Krieger zwischen uns zu bekommen. Wir könnten auch noch viel kürzern Prozeß machen und alle Comantschen in wenig Minuten vernichten, ohne daß es uns einen Schuß kostet.“

„Wie?“

„Wir brennen den Kaktus an.“

„Uff! Da müßten doch alle unsre Krieger verbrennen!“

„Allerdings!“

„So etwas thut Old Shatterhand nicht!“

„Poche nicht so sicher auf meine Güte!“

„Nein, nein, das thut er nicht!“

„Mag sein! Ich wollte dir damit nur sagen, daß es keine Rettung für eure Krieger giebt; sie können uns nicht entgehen.“

„Ja, wenn ihr sie in dieser Weise einschließt, so müssen sie sich ergeben; aber ihr werdet sie nicht so umzingelt halten können.“

„Wirklich?“

„Ihr werdet von der Falle fort müssen.“

„Warum?“

„Hast du denn ganz vergessen, daß Nale-Masiuv kommen wird? Denkst du denn nicht an ihn?“

„Oh, ich habe ihn nicht vergessen.“

„So weißt du, daß er euch nachfolgt. Er ist dann hinter euch, und vor euch habt ihr Vupa Umugi; ihr steckt zwischen ihnen und befindet euch dann in einer ebenso schlimmen Falle, wie diejenige ist, in welche ihr Vupa Umugi locken wollt. Old Shatterhand wird mir recht geben.“

Sein Gesicht hatte wieder einen zuversichtlicheren Ausdruck angenommen. Ich antwortete:

„Leider kann ich dir nicht das Vergnügen machen, dir recht zu geben. Es ist inzwischen etwas geschehen, was du noch nicht erfahren hast. Und selbst wenn die Lage genau so wäre, wie du sie dir denkst, würdest du dich verrechnet haben, denn Nale-Masiuv würde nicht hinter uns kommen.“

„Doch!“

„Nein. Vor ihm kommen die weißen Kavalleristen; das hast du vergessen.“

„Uff!“ klang es enttäuscht.

„Siehst du ein, daß alle deine Gedanken falsch sind, während Old Shatterhand ganz richtig denkt? Auch wenn heut gar nichts dazwischen gekommen wäre, könnten wir Vupa Umugi ganz ruhig eingeschlossen halten, ohne uns an Nale-Masiuv zu kehren; diesem wäre es unmöglich, uns zu stören, denn ihn würden die Dragoner auf sich nehmen.“

„Uff, uff!“

„Aber so weit wird es gar nicht kommen. Mein junger Bruder hat mich vorhin unterbrochen, als ich von den hundert Bäumen sprach. Wir lagerten versteckt in der Nähe derselben und sahen Vupa Umugi kommen. Er hatte keine Ahnung von unsrer Anwesenheit und hielt es also nicht für nötig, Vorsichtsmaßregeln zu treffen. Darum gelang es mir und Old Surehand, uns in sein Lager zu schleichen und ihn wieder einmal zu belauschen. Als wir genug gehört hatten, entfernten wir uns, ohne entdeckt worden zu sein. Früh zog er mit seinen Comantschen fort, den Stangen nach, die Winnetou für ihn errichtet hatte.“

„Nach welcher Richtung?“

„Mein junger Bruder fragt sehr schlau; Old Shatterhand wird nicht weniger klug sein und ihm nicht antworten.“

„Wenn du es auch sagtest, könnte es uns doch nichts nützen!“

„Oh doch! Wenn es dir gelänge, heut noch zu entfliehen, wüßtest du dann, in welcher Gegend du eure Krieger zu suchen hättest. Du wirst es also nicht erfahren. Ich freue mich übrigens außerordentlich darüber, daß du deinen ganzen Scharfsinn aufbietest, mich trotz aller Hoffnungslosigkeit zu überlisten. Ich spreche weiter: Als Vupa Umugi fort war, kamen die weißen Soldaten nach den hundert Bäumen. Was denkst du, was ich da gethan habe?“

„Du hast mit ihnen gesprochen?“

„Ja!“

„Sie gewarnt?“

„Natürlich!“

„Uff!“

„Ich habe sie nicht nur gewarnt, sondern meine Apatschen mit ihnen vereinigt, um Nale-Masiuv in Empfang zu nehmen.“

„Uff! Ihr habt mit ihm gekämpft?“

„Nein.“

„Er kam gar nicht? Er sandte Kundschafter voraus, die euch sahen und Verdacht schöpften?“

„Nein; so klug seid ihr Comantschen nicht! Er sandte allerdings Kundschafter, die uns aber nicht sahen, weil wir uns versteckt hielten. Dann kam er selbst mit seiner ganzen Schar und lagerte sich ans Wasser. Er sah die Spuren der weißen Reiter und glaubte, sie seien fort, hinter Vupa Umugi her. Darum hielt er es nicht für nötig, vorsichtig zu sein, und es gelang uns leicht, ihn zu umzingeln.“

„Uff, uff! Er ist umzingelt worden? Und doch sagst du, er habe nicht mit euch gekämpft!“

„Er war zu feig dazu und ging auf eine Beratung mit mir ein. Ich saß mit ihm allein beisammen; keiner hatte eine Waffe mitbringen sollen; aber wie er vorher feig gewesen war, so war er jetzt nun hinterlistig. Während ich mit ihm sprach, zog er plötzlich ein Messer, um mich zu erstechen.“

„Uff! Hat er das wirklich gethan?“

„Ja.“

„Das ist eines Kriegers unwürdig!“

„Zumal wenn dieser Krieger ein Häuptling ist!“

„Hat dich sein Messer getroffen?“

„Nein. Auch er täuschte sich in mir, denn ich hatte ihn scharf betrachtet und war auf meiner Hut. Als er den Arm mit dem Messer erhob, schlug ich ihn nieder.“

„Mit der Faust?“

„Womit sonst? Ich hatte ja keine Waffe bei mir.“

„Uff, uff! Wieder mit der Faust! War er tot?“

„Nein, denn ich wollte ihn nicht töten. Ich nahm ihn schnell auf meine Schulter und trug ihn zu meinen Apatschen und den weißen Kriegern.“

„Ohne daß die Comantschen dich hinderten?“

„Das konnten sie nicht, denn es geschah so rasch, daß sie keine Zeit dazu fanden. Und dann durften sie sich uns nicht nähern, weil wir sonst ihren Häuptling getötet hätten. Als er aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte, drohte ich, ihm die Skalplocke zu nehmen, seine Medizin zu verbrennen und dann aufzuhängen.“

„Du wolltest seine Seele töten?“

„Ja.“

„Das hat er nicht zugegeben; das hat er ganz gewiß nicht zugegeben; ich weiß es. Ich glaube zwar nicht daran; er aber ist der Ansicht aller roten Männer, daß dadurch der Geist eines Kriegers vernichtet wird.“

„Du meinst, er habe es nicht zugegeben? Was hätte er dagegen machen können, wenn es meine Absicht gewesen wäre, es zu thun?“

„Lieber hat er sich gefangen gegeben!“

„Er allein?“

„Er al – – uff, uff! Doch nicht etwa auch alle seine Krieger mit?“

„Ja, alle!“

„War es nicht genug mit ihm allein?!“

„Nein. Ich mußte sie alle haben; das wirst du einsehen.“

„Und du hast sie alle bekommen?“

„Ja.“

Da senkte er den Kopf und sagte in gedrücktem Tone:

„So ist alle meine Hoffnung dahin! Selbst wenn es mir gelänge, noch heut von hier zu fliehen, könnte ich weder Vupa Umugi noch seine Krieger retten.“

„Nein. Erstens wüßtest du nicht, wo er zu suchen ist, und zweitens könnte dich Nale-Masiuv nicht unterstützen.“

„Wo habt ihr ihn und seine Krieger?“

„Ich könnte dich täuschen, denn es ist nicht nötig, daß ich es dir sage; dennoch will ich es dir nicht verheimlichen. Er ist mit seinen Leuten zurück nach seinem Dorfe.“

„Uff! So bist du so gütig gewesen, ihnen die Freiheit gleich wiederzugeben?“

„Nein, so gütig war ich nicht. Du wirst einsehen, daß eine solche Güte die größte Dummheit gewesen wäre, die ich hätte begehen können.“

„Warum?“

„Ich hätte diesen Leuten das Versprechen abnehmen müssen, sofort umzukehren und heimzureiten.“

„Sie hätten es gegeben.“

„Aber nicht gehalten!“

„Du traust ihnen nicht?“

„Ich traue keinem Comantschen.“

„Auch mir nicht?“

„Dir allein würde ich wahrscheinlich Glauben schenken, denn du kennst den großen, guten Manitou und weißt, daß er alle Unwahrheit und Verräterei bestraft.“

„Aber du hast sie also nicht freigegeben und sagst doch, daß sie zurückgekehrt seien?“

„Als Gefangene.“

„Wessen?“

„Der weißen Dragoner. Diese haben den Rückweg angetreten und sie mitgenommen.“

„Gefesselt?“

„Ja.“

„So werden sie sie töten!“

„Nein. Der Anführer dieser Bleichgesichter hat mir sein Wort gegeben, ihnen das Leben zu schenken.“

„Wird er es halten?“

„Ja; ich bin überzeugt davon.“

„So wird er sie wenigstens ausrauben!“

„Ausrauben? Was nennst du ausrauben? Gehört nicht der Besiegte mit allem, was er hat, dem Sieger?“

„Auch bei den Christen?“

„Auch bei uns, denn ihr zwingt uns, euch genau so zu behandeln, wie ihr uns behandelt. Ihr als Sieger würdet uns nicht nur unser ganzes Eigentum, sondern auch das Leben nehmen. Wenn wir euch das Leben schenken, ist das eine so große Güte, daß ihr unmöglich mehr verlangen könnt.“

„Also werden die weißen Soldaten den Comantschen alles nehmen, was sie bei sich haben?“

„Die Pferde und die Waffen, ja.“

„Aber wie sollen die roten Krieger ohne Pferde und ohne Waffen leben?“

„Das ist ihre Sache. Ihr seid es, die das Kriegsbeil ausgegraben haben; dies wäre nicht geschehen, wenn ihr weder Pferde noch Gewehre hättet. Wenn wir euch beides abnehmen, begehen wir keinen Raub, denn es ist unsre rechtmäßige Beute, und wir sorgen zu gleicher Zeit dafür, daß ihr nicht so bald wieder imstande seid, den Frieden zu brechen.“

„So werdet ihr wohl auch Vupa Umugi und seinen Kriegern die Gewehre und die Pferde nehmen?“

„Wahrscheinlich.“

„Uff! Das ist schlimm!“

„Schlimm für euch, ja; aber ihr habt es nicht anders verdient. Denke nur an dich! Wer mit jemand die Pfeife der Freundschaft und des Friedens raucht und ihm verspricht, sein Wigwam keinem Menschen zu verraten, und dann doch mit einer großen Kriegerschar gezogen kommt, um ihm das Wigwam und das Leben zu nehmen, der hat mehr, weit mehr verdient, als daß er nur sein Pferd und sein Gewehr einbüßt. Das wirst du einsehen!“

Er sah es allerdings ein und seufzte betrübt:

„Also auch mein Gewehr und mein Pferd!“

„Nein, das nicht. Ich habe dich lieb und betrachte mich trotz deiner Feindseligkeit noch immer als deinen Freund. Du wirst behalten, was du hast. Und auch in Beziehung auf Vupa Umugi und seine Indsmen will ich sehen, ob es möglich ist, Güte walten zu lassen. Es kommt ganz darauf an, wie sie sich gegen uns verhalten.“

„Wie sollen sie sich verhalten? Sie sind Krieger und werden sich wehren.“

„Das wollen wir nicht wünschen. Wenn unsrerseits Blut fließt, die wir keines vergießen wollen, könnt ihr auf keine Nachsicht rechnen. Ich hoffe aber, es wird mir gelingen, den Häuptling zu überzeugen, daß Widerstand geradezu Tollheit sein würde. Ich denke, daß er meine Gründe verständiger beurteilen wird als du.“

„Als ich?“ fragte er verwundert.

„Ja. Ich wollte dir deine Gefangenschaft so leicht wie möglich machen und forderte nur das Versprechen, nicht zu fliehen, von dir. Du hast es mir verweigert, weil du nicht einsahest, daß deine Flucht euch nur schaden aber nichts nützen kann. Dadurch zwingst du mich, streng zu sein.“

„Ich gab das Versprechen nicht, weil ich noch nicht wußte, was ich jetzt weiß.“

„So siehst du also ein, daß du euern Kriegern nicht zu helfen vermagst?“

„Ja.“

„So ist es noch Zeit zu dem Versprechen.“

„Ich gebe es.“

„Gut! Aber denke dabei auch daran, daß du durch dein Verhalten nicht nur dir allein, sondern allen den Deinen entweder nützen oder schaden wirst. Was du thust, sei es gut oder böse, wird ihnen mit vergolten. Würdest du dein Wort brechen, so käme die Strafe dafür nicht nur über dich, sondern auch über sie!“

„Ich breche es nicht!“

„Wohl! Aber welche Bürgschaft kannst du mir dafür bieten?“ Er sah mich fragend an; darum erklärte ich ihm: „Auf das Wort eines Christen kann ich mich verlassen, auf das Versprechen eines Roten aber nie.“

„Würdest du Winnetou glauben?“

„Alles, alles; aber er ist eine Ausnahme, und er ist innerlich ein Christ.“

„Wenn du einem roten Krieger die Medizin als Pfand abnimmst, muß er jedes Versprechen halten.“

„Das kann ich bei dir nicht thun, denn du glaubst nicht an die Macht der Medizin.“

„So werde ich die Pfeife des Schwures mit dir rauchen!“

„Auch das kann mir nicht als Pfand gelten. Du hast sie mit mir und Bloody-Fox geraucht und dein Wort doch gebrochen.“

Da senkte er die Augen und sagte leise und betrübt:

„Die Strafe, die ich von Old Shatterhand empfange, ist schwer; sie richtet sich nicht gegen meinen Körper, aber sie erfüllt meine Seele mit tiefem Schmerz!“

Ich sah es ihm an, daß dieser Schmerz wirklich vorhanden und seine Betrübnis eine aufrichtige war; darum antwortete ich:

„Du hast gehört, daß ich mich noch immer als deinen Freund und Bruder betrachte, und so will ich jetzt einmal ausnahmsweise auf meine gewöhnliche Vorsicht verzichten und dir Glauben und Vertrauen schenken. Aber mein Herz würde sehr, sehr traurig sein, wenn ich mich abermals in dir täuschte. Wirst du fliehen, wenn ich dich jetzt freigebe?“

„Nein.“

„Wirst du nicht ohne meine Erlaubnis diese Oase verlassen?“

„Nein.“

„Ich wünsche auch nicht, daß du versuchst, auf dem Wege durch den Kaktus hinaus zu deinen Comantschen zu gehen, um mit ihnen zu sprechen!“

„Ich thue das nicht. Selbst wenn sie hereinkämen, würde ich schweigen, bis ich deine Erlaubnis hätte.“

„So gieb mir deine Hand darauf, wie es Männer und Krieger thun, welche zu stolz sind, als daß sie nach einem Vorteile trachten, welcher nur durch die Lüge zu erlangen ist!“

„Hier hast du die Hand! Du kannst mir glauben; sie gilt so viel, als ob ich mich selbst dir übergäbe!“

Er sah mir dabei mit einem so aufrichtigen Blicke in die Augen, daß ich vollständig überzeugt war, er werde mich nicht täuschen. Der Sicherheit wegen und um des Negers willen fügte ich aber hinzu:

„Du warst zornig auf Bob?“

„Sehr.“

„Wirst du dich rächen?“

„Nein. Ein roter Krieger ist zu stolz, sich an einem schwarzen Manne zu rächen. Dieser Nigger wußte nicht, was er that. Er ahnte nicht, daß es gegen die Würde eines Häuptlings ist, ihm solche Stangen auf den Rücken zu binden.“

„Ich werde dich von ihnen befreien.“

Ich nahm sie ihm ab. Er streckte die steif gewordenen Glieder und ging dann mit mir hinaus ins Freie, wo die Pferde wieder zum Abende getränkt wurden. Mutter Sanna brachte uns das Essen, und als das beendet und am Wasser Ruhe eingetreten war, legten wir uns nieder, denn wir mußten morgen wieder mit der Sonne aufstehen. Schiba-bigk legte sich zwischen mich und Old Surehand, ohne daß wir dies verlangten. Er wollte sich freiwillig unter unsre Aufsicht stellen und dadurch beweisen, daß er es mit seinem Versprechen ehrlich meine.

Als wir am frühen Morgen aufgestanden waren, füllten wir alle vorhandenen Schläuche mit Wasser, versahen uns mit Proviant und ritten fort, nachdem ich von Schiba-bigk Abschied genommen hatte. Bob stand am Wege und fragte mich:

„Massa Shatterhand sagen, ob Bob jungen Indianerhäuptling wieder bewachen!“

„Nein; es ist nicht nötig.“

„Auch nicht wieder Stangen auf Buckel binden?“

„Das gar nicht. Er hat versprochen, nicht zu fliehen und wird sein Versprechen halten.“

Obgleich ich das mit vollster Überzeugung sagte, fiel es mir doch nicht ein, die nötige Vorsicht zu versäumen. Es blieben so viel Apatschen draußen am Kaktusfelde, wie nötig waren, die fünfzig gefangenen Comantschen zu bewachen, und ich gab dem Anführer dieser Wächter den Befehl, auch auf Schiba-bigk mit Acht zu haben und ihn auf keinen Fall herauszulassen. Dann ritten wir fort, zweihundert Mann stark, mehr als genug, um mit den Comantschen fertig zu werden. Diesesmal nahmen wir natürlich auch Parker und Hawley mit.

Zunächst suchten wir die Stelle auf, an welcher wir gestern die fünf Apatschen als Posten zurückgelassen hatten. Sie waren gleich nach Tagesgrauen so klug gewesen, nach den Comantschen auszuschauen, und hatten nach einem nur kurzen Ritte die Stelle gefunden, wo diese gelagert hatten; die Naiini waren schon aufgebrochen gewesen; sie hatten es also auch heut wieder sehr eilig. Wir folgten ihnen auch schnell, und zwar in der Weise, daß ich sie zuweilen vor das Fernrohr bekam, ohne uns ihnen aber so weit zu nähern, daß sie erkennen konnten, ob Rote oder Weiße hinter ihnen seien, denn sie sollten uns, wie es sich ganz von selbst versteht, für die Dragoner halten.

Es verging der ganze Tag, ohne daß etwas Erwähnenswertes passierte, als daß sich gegen Abend ein starker Wind erhob, wie er im Llano estacado nicht selten ist. Er kam von Norden, hatte über einen großen Teil der Wüste gestrichen und war also sehr heiß. Wir hatten ihn zwar halb im Rücken, doch belästigte er uns immerhin, und zwar nicht nur durch seine Hitze, sondern noch mehr dadurch, daß er den Sand aufwirbelte und ihn uns in die Augen, Ohren, Mund und Nase trieb.

„Dummer Wind!“ brummte Parker mißmutig. „Brauchte jetzt nicht zu kommen, sondern konnte warten, bis wir wieder am Wasser sind. Man kann ja kaum sehen und Atem holen!“

„Räsonniert nicht, Mr. Parker!“ antwortete ich. „Ich freue mich über ihn und sage Euch, daß er mir außerordentlich gelegen kommt.“

„Gelegen, sagt Ihr? Wüßte wirklich keinen Grund dazu.“

„Ich meine wegen Winnetou.“

„Wegen dem? Warum?“

„Seht Ihr denn nicht, daß dieser Wind, indem er den Sand in die Höhe treibt, die Spuren der Comantschen verwischt? Wir würden ihnen gar nicht folgen können, wenn die Pfähle nicht wären.“

„Ja, das sehe ich allerdings; aber was hat das mit Winnetou zu thun?“

„Sehr viel, denn seine Spuren werden auch verwischt.“

„Hm! Kann uns das nicht gleichgültig sein?“

„Ganz und gar nicht. Winnetou muß doch die Pfähle bis in die Falle leiten, nicht?“

Yes,“

„Er muß also ein Stück in das Kaktusfeld hineinreiten, in welchem wir die Comantschen fangen wollen. Aber er darf nicht drin bleiben, sondern muß wieder heraus, muß umkehren.“

„Das ist doch ganz selbstverständlich, denn wenn er das nicht thäte, wäre er selbst gefangen. So viel sehe ich auch ein, Sir.“

„Aber die Folgen scheint Ihr nicht einzusehen.“

„Welche Folgen?“

„Daß die Roten seine Spuren sehen und also erfahren würden, daß er umgekehrt ist. Würde das nicht ihr Mißtrauen erregen?“

„Möglich!“

„Das ist nicht nur möglich, sondern es würde unbedingt geschehen. Diese Roten sind erfahrene und schlaue Kerls, und Ihr als Westmann müßtet eigentlich die Gedanken, welche sie dabei haben würden und haben müßten, leicht erraten können.“

„Na, da will ich einmal raten! Sie halten die Spuren Winnetous und seiner Apatschen für die Fährte von Schibabigks Comantschen. Diese führt in den Kaktus hinein und kommt aber wieder heraus, um seitwärts weiter zu führen. Was werden sie also anderes denken, als daß Schiba-bigk sich verritten oder verirrt hatte und daß der richtige Weg also nicht in den Kaktus führt, sondern in die neue Richtung, die er eingeschlagen hat. Ist das so richtig, Mr. Shatterhand?“

„Ja.“

„Sie werden also nicht in den Kaktus, also nicht in die Falle gehen, sondern der neuen Fährte folgen. Ihr seht, Sir, daß ich nicht so dumm bin, wie Ihr dachtet, und auch etwas erraten kann.“

„Darauf brauchst du dir aber ganz und gar nichts einzubilden, alter Sam,“ rief ihm Jos Hawley zu.

„Meinst du? Warum denn nicht?“

„Weil du nicht von selbst auf diesen Gedanken gekommen bist. Du bist doch erst durch Mr. Shatterhand auf denselben gebracht worden.“

„So? Mag sein. Aber darum ist es doch wohl nicht nötig, daß du es unternimmst, meinen Schulmeister und Ermahner zu machen.“

„Wollte dich nur vor Überhebung bewahren!“

„Das konntest du dir ersparen, denn du bist ja selbst nicht – –“

„Keinen Streit, Mesch’schurs!“ fiel ich ein. „Der Gedanke ist da; ob er von mir oder von Mr. Parker gekommen ist, das bleibt sich gleich. Wir müssen aber nicht bei ihm stehen bleiben, sondern weiter denken. Die Comantschen würden also der neuen Fährte Winnetous folgen. Wohin aber wird diese führen, Mr. Parker?“

„Natürlich her zu uns,“ antwortete er.

„Gewiß. Winnetou bleibt nicht dort, sondern sucht uns auf. Er wird sich erst seitwärts entfernen und dann sich nach den Pfählen zurückwenden; das würden sie entdecken, wenn sie ihm folgten, und Ihr könnt Euch denken, wie geeignet das wäre, ihr Mißtrauen zu erwecken. Das Gelingen unsres Planes stände auf dem Spiele. Da kommt nun der Wind und zerstört alle vorhandenen Spuren. Muß uns das nicht lieb sein? Ich sage Euch, daß ich mich außerordentlich darüber freue. Er kommt grad so zur rechten Zeit, als ob er ein vernünftiges Wesen wäre und die Absicht hätte, uns beizustehen. Winnetou wird ebenso froh darüber sein wie ich.“

„Hm, ja!“ brummte Parker wieder. Er suchte nach einer Gelegenheit, zu zeigen, daß er meine Hilfe nicht brauche, sondern selbst auch Gedanken haben könne. „Was Ihr sagt, ist ganz gut, Mr. Shatterhand, aber nur für den Fall, daß Winnetou das Kaktusfeld schon erreicht hat, ehe dieser schöne Wind sich erhob.“

„Das ist gewiß der Fall.“

„So?“

„Ja. Ich möchte behaupten, daß er mit dem Einstecken der Pfähle längst fertig ist und sehr bald zu uns stoßen wird.“

„Wenn er uns nur auch trifft!“

„Keine Sorge! Der Häuptling der Apatschen weiß, was er zu thun hat. Es wäre geradezu ein Wunder, wenn er uns verfehlte. Übrigens möchte ich es wenigstens ein halbes Wunder nennen, daß die Comantschen so fortdauernd und vertrauensvoll hinter ihm herreiten. Mir an Stelle Vupa Umugis wäre die Sache schon lange in hohem Grade bedenklich geworden. Euch wohl nicht, Mr. Parker?“

„Warum bedenklich, Sir?“

„Schiba-bigk kannte den Weg von den hundert Bäumen nach der Oase des Bloody-Fox und hat es jedenfalls Vupa Umugi gesagt, wie weit es dorthin ist. Nun reiten sie fort und immer fort, und die Oase will noch immer nicht kommen. Sie hätten sie gestern abend erreichen müssen und sind nun heut noch den ganzen Tag geritten, ohne an ihr Ziel zu gelangen. Wenn das nicht bedenklich ist, so giebt es überhaupt nichts Bedenkliches in der Welt.“

„Das ist freilich richtig. Sie hätten längst halten bleiben sollen, um sich die Sache zu überlegen. Wahrscheinlich nehmen sie an, daß Schiba-bigk sich irrte, als er von dem Wege und von der Entfernung sprach, oder daß sie ihn nicht richtig verstanden haben.“

„Wahrscheinlich ist es so; aber dazu kommt etwas andres, was sie unaufhaltsam weiter treibt, nämlich der Durst. Sie haben seit gestern früh kein Wasser für sich und die Pferde gehabt. Wenn sie umkehren, brauchen sie volle zwei Tage, um bei den hundert Bäumen welches zu finden. Lieber reiten sie weiter, da die Pfähle jedenfalls doch nach der Oase führen, die in jedem Augenblicke vor ihnen auftauchen kann. Daß diese meine Vermutung richtig ist, zeigt auch die Eile, die sie haben.“

„Ja, sie reiten schnell und – –“

Er stockte mitten in der Rede, hielt sein Pferd an, deutete mit der Hand vorwärts und fuhr dann hastig fort:

„Sie sind umgekehrt! Wahrhaftig, sie haben Mißtrauen gefaßt und sind umgekehrt. Dort kommen sie; dort kommen sie!“

Dieser Schreckensruf lenkte unsre Aufmerksamkeit nach dem Horizonte vor uns, den ich in den letzten Minuten infolge unsres Gespräches nicht beobachtet hatte. Dort waren allerdings Menschen zu sehen. Ob sie sich bewegten, konnten wir mit bloßen Augen nicht erkennen. Ich nahm also mein Rohr zur Hand und richtete es auf sie. Schon nach wenigen Augenblicken konnte ich die Beruhigung aussprechen:

„Wir haben keinen Grund zu erschrecken, denn die Comantschen sind es nicht, sondern es ist Winnetou. Da seht ihr, daß ich recht hatte, als ich sagte, daß er bald zu uns stoßen werde.“

„Könnt Ihr ihn erkennen, Sir?“ fragte mich Old Surehand.

„Jetzt noch nicht.“

„So müssen wir dennoch vorsichtig sein!“

„Ist nicht nötig. Reiten wir weiter!“

„Aber wenn es nun ein Nachtrab der Comantschen wäre!“

„Der würde sich in Bewegung befinden; die Leute dort aber haben sich gelagert.“

„Können das die Feinde nicht auch thun?“

„Ja; aber Winnetou zeigt mir, daß er es ist.“

„Wie so?“

„Ihr habt hier wieder einmal Gelegenheit, den Scharfsinn und die Umsicht des Häuptlings der Apatschen zu bewundern. Er hat die Comantschen in einem Bogen umritten und dann in ihrem Rücken angehalten, um auf uns zu warten. Natürlich sagt er sich, daß wir seine Leute leicht für Naiini halten können, und so hat er seinen Trupp in einer Weise plaziert, aus welcher wir bestimmt ersehen können, daß er es ist. Hier habt Ihr mein Fernrohr; seht einmal durch, Mr. Surehand!“

Er that es und sagte dann in beifälligem Tone:

„Das ist allerdings schlau, sehr schlau von ihm!“

„Nun?“

„Die Leute da draußen lagern nicht eng bei einander, sondern so, daß sie die Figur eines Pfeiles bilden.“

„Und wohin ist die Spitze dieses Pfeiles gerichtet?“

„Nicht auf uns zu, sondern nach Südost, von uns also ab.“

„Dieser Pfeil soll die Richtung angeben, in welcher wir zu reiten haben. Winnetou sagt uns also, daß wir ruhig und unbesorgt weiterreiten können. Sagt mir einmal aufrichtig, Mr. Surehand, ob Ihr an seiner Stelle auf diesen Gedanken gekommen wäret?“

„Ich glaube kaum. Und Ihr, Mr. Shatterhand?“

„Wenn nicht grad auf diesen, so doch auf einen ähnlichen. Es war ja selbstverständlich ein Zeichen nötig, durch welches uns Aufklärung gegeben werden mußte. Diese eigenartige Aufstellung der Apatschen sagt uns aber nicht bloß, daß wir Winnetou vor uns haben, sondern sie giebt uns außerdem auch die Überzeugung, daß alles so steht, wie wir es wünschen.“

„Das denke ich auch, denn Winnetou würde nicht so ruhig lagern und auf uns warten, wenn irgend etwas gegen unsre Absicht gegangen wäre; es steht also alles gut. Dennoch habe ich ein Bedenken, welches ich Euch gern mitteilte, wenn ich wüßte, daß Ihr es mir nicht übelnehmen werdet.“

„Übelnehmen? Kann mir gar nicht einfallen! Unter Kameraden, die wir doch sind, hat jeder das Recht, ja sogar die Pflicht, seine Meinung auszusprechen. Und wenn Ihr mich auf einen Fehler oder eine Unterlassung aufmerksam macht, so ist gar nichts andres möglich, als daß ich Euch dafür nur dankbar bin.“

„Mein Bedenken heißt: Wasser.“

„So, also Wasser!“

„Ja; darf ich es Euch erklären?“

„Das ist nicht nötig, denn ich weiß, was Ihr meint. Wenn wir die Comantschen durch den Durst bezwingen wollen, müssen wir dafür sorgen, daß wir nicht selbst auch zu dürsten haben.“

„So ist es. Nun sind wir zwar für heut mit Wasser versehen, aber es kann der ganze morgende Tag vergehen, ehe wir mit Vupa Umugi fertig werden, und dann brauchen wir wieder einen vollen Tag, ehe wir die Oase erreichen. Für diese zwei Tage haben wir leider kein Wasser mit. Dazu kommt, daß die Comantschen es dann noch nötiger brauchen als wir.“

„Ja, so viel Wasser haben wir allerdings nicht mit; ich kann Euch aber beruhigen; wir werden trotzdem keinen Durst leiden.“

„Wirklich nicht?“

„Nein. Euer Bedenken war längst im stillen bei mir gehoben.“

„Ah, Ihr habt an diesen Punkt gedacht?“

„Oh gewiß, gewiß! Ich wäre ja der allerleichtsinnigste Mensch, wenn ich einen Plan erdächte, bei dessen Ausführung über dreihundert Menschen und Pferde im öden Llano estacado zusammenkommen, und dabei vergäße, für das nötige Wasser zu sorgen. Habt Ihr mich wirklich für so unbedachtsam gehalten?“

„Nein. Aber dieses Wasser ist nur in der Oase zu finden. Oder giebt es vielleicht noch eine andre Quelle, die Ihr wißt?“

„Nein. Wir holen es aus der Oase.“

„In welcher Weise? Sie ist einen Tagesritt von hier entfernt, also müssen wenigstens zwei Tage vergehen, ehe die Leute, welche es holen, zurückkehren können. Das ist schlimm!“

„Ihr irrt. Diese Boten würden nur die Nacht brauchen, um nach der Oase zu kommen, und morgen abend wieder hier sein!“

„Aber das halten ihre Pferde nicht aus!“

„Ist auch nicht nötig, denn sie brauchen gar nicht zurückzukehren.“

„Hm! Habe keine Ahnung, wie Ihr das anfangen wollt.“

„Es ist sehr einfach, Sir: Wir legen Relais.“

„Oh! Das ist freilich das allerbeste und allereinfachste. Daß ich nicht darauf gekommen bin!“

„Unsre Apatschen haben eine Menge Schläuche mit; dazu kommen die, welche dem Bloody-Fox gehören. Die schicken wir nach der Oase, wozu gar nicht viel Leute, aber desto mehr Pferde gehören. Diese Leute nehmen in gewissen Abständen auf einer Linie Posto, welche von hier nach der Oase führt. Es hat also kein Mann und kein Pferd die ganze Strecke zu machen, sondern nur von einem Posten zum andern zu gehen. So meine ich es.“

„Da habe ich Euch freilich um Verzeihung zu bitten, Sir! Ihr denkt an alles. Habt Ihr das mit Winnetou besprochen?“

„Nein; es ist darüber zwischen ihm und mir kein Wort gefallen; aber wir kennen uns und wissen, daß keiner von uns eine notwendige Maßregel versäumt. Aber was ist das? Die Apatschen haben keine Pferde! Nur Winnetou hat das seinige. Ah! Könnt Ihr Euch denken, warum, Mr. Surehand?“

„Nein,“ antwortete er.

Wir waren während dieser Reden natürlich nicht halten geblieben, sondern weiter geritten und den Apatschen jetzt so nahe gekommen, daß wir sie deutlich sehen konnten. Sie hatten die Pfeilfigur aufgelöst und standen nun beisammen, uns entgegensehend. Ihre Pferde waren nicht bei ihnen; nur der Rappe des Häuptlings war da.

„Ihr werdet jetzt zum zweitenmal erkennen, daß Eure Befürchtung keinen Grund hatte,“ erklärte ich Old Surehand. „Winnetou hat ebenso gesorgt, und zwar noch eher als ich. Wir beide pflegen uns in unsern Entschlüssen stets zu begegnen.“

„Ihr denkt, daß er seine Pferde und Schläuche schon nach der Oase geschickt hat?“

„Ja. Ihr seht, daß er nur höchstens dreißig Mann bei sich hat, und Bloody-Fox ist auch nicht da. Dieser ist ganz sicher mit den übrigen nach der Oase geritten, um Wasser zu holen.“

„Es wäre allerdings wunderbar, wenn Winnetou ganz denselben Gedanken wie Ihr gehabt hätte!“

„Er hat ihn gehabt; das versichere ich Euch.“

Als wir nach wenigen Minuten Winnetou und seine Leute erreichten, trat er auf mich zu und sagte:

„Mein Bruder Charley hat mich verstanden, als er unsre Aufstellung erblickte. Ich wollte ihm sagen, daß wir nicht Comantschen seien.“

„Wie weit sind sie vor uns?“ fragte ich.

„Sie ritten sehr schnell, denn sie haben Durst, werden aber bald Halt machen müssen, denn die Sonne steht am Horizonte.“

„Ja, in einer Viertelstunde wird es dunkel sein. Wie lange hat man von hier aus bis zum Kaktusfeld zu reiten?“

„Zwei Stunden.“

„So werden sie es heut nicht mehr erreichen; das ist sehr gut für uns, denn dadurch bekommen wir sie morgen bei Tage und nicht heut abend in die Falle. Die Krieger meines roten Bruders haben ihre Pferde nicht bei sich. Winnetou hat sie mit den Schläuchen nach der Oase geschickt?“

„Ja. Bloody-Fox, der den schnurgeraden Weg kennt, ist mit ihnen, um sie in Zwischenräumen aufzustellen und den Weg mit Stangen zu bezeichnen, die wir übrig hatten. Aber die Schläuche, welche sie bei sich haben, reichen nicht aus.“

„So schicken wir die unsrigen nach, sobald wir Lager machen. Das ist es doch, was du mit berechnet hast?“

„Ja. Der Wind hat sich erhoben und meine Spur verweht; unser Plan wird also trefflich gelingen. Jetzt wollen wir weiter, um den Comantschen möglichst nahe zu bleiben, denn wenn sie morgen die Falle erreichen und in den Kaktus reiten, müssen wir so rasch hinter ihnen sein, daß sie, wenn ihr Mißtrauen erwacht, keinen Raum haben, umzukehren und zur Seite auszuweichen.“

Er stieg auf sein Pferd, und wir ritten fort. Seine Leute mußten allerdings laufen; sie hielten aber so gut mit uns Schritt, daß wir die nötige Schnelligkeit innehalten konnten. Selbst als es dann dunkel wurde, ritten wir weiter, von Pfahl zu Pfahl, bis wir uns sagten, daß wir nun anhalten müßten, wenn wir nicht auf die Feinde stoßen wollten.

Der Wind war inzwischen schwächer geworden und legte sich bald ganz. Es blieb nur so lange dunkel, bis die Sichel des Mondes sich zeigte. Vorher schon wurden die leeren Schläuche auf Pferde geladen, mit denen, als es hell geworden war, eine Anzahl der Apatschen aufbrachen. Winnetou ritt mit ihnen, um sie bis zum nächsten Relais-Posten zu begleiten, dessen Standort sie nicht kannten. So war denn alles Nötige besorgt, und wir konnten uns dem Schlafe überlassen, der uns sehr nötig war. Als Winnetou später zurückkehrte, legte er sich zu mir, ohne mich, der ich fest schlief, aufzuwecken. Ein andrer an seiner Stelle hätte mich gewiß geweckt, um mir die ihm nötig scheinenden Mitteilungen zu machen; er aber wußte, daß es zwischen uns dergleichen nicht bedurfte.

Er war, obgleich er sich später als wir niedergelegt hatte, am Morgen noch eher munter als wir. Wir hielten uns nicht mit dem Frühstücke auf. Essen konnten wir unterwegs; wir tranken nur und gaben das übrige Wasser den Pferden, die freilich nicht satt daran hatten. Dadurch wurden die Schläuche, die wir noch hatten, auch leer, und Winnetou schickte sie durch einige seiner Leute sogleich nach dem Relais. Er brauchte nicht mit zu reiten, weil es nicht mehr dunkel war, sondern es genügte, daß er diesen Männern die genaue Richtung angab.

Nun ging es wieder fort, und zwar in einem so schnellen Tempo, daß die Fußgänger zurückbleiben mußten; sie konnten nachkommen. Ich schaute fleißig durch das Rohr und überzeugte mich bald, daß wir gestern abend den Comantschen sehr nahe gekommen waren, denn wir kamen schon nach einer Viertelstunde an die Stelle, wo sie gelagert hatten, und sahen da, daß sie erst kurz vorher diesen Ort verlassen hatten.

Schon sehr bald darauf erblickte ich sie selbst. Auch Winnetou hatte sein Fernrohr zur Hand genommen. Er beobachtete sie kurze Zeit und sagte dann befriedigt:

„Sie reiten sehr langsam. Sieht mein Bruder das?“

„Ja. Ihre Pferde sind von dem zweitägigen Ritte ohne Wasser sehr ermattet.“

„Und sie selbst leiden auch Durst. Trotzdem werden sie sich lange weigern, sich uns zu ergeben.“

„Für Vupa Umugi giebt es einen noch viel größern Zwang als den Durst.“

„Mein Bruder meint die Medizinen des Häuptlings der Comantschen. Es war sehr gut, daß er sie mitgenommen hat, als er sich im Thale der Hasen befand. Der Sieg wird uns leicht werden und die Rückkehr dann bequem, weil Old Shatterhand die Comantschen Nale-Masiuvs gefangen genommen und den Dragonern übergeben hat.“

Das war das erste Wort, welches zwischen uns darüber fiel. Daß weder Nale-Masiuv noch die Kavalleristen gekommen waren, mußte ja ganz gegen seine Erwartungen gewesen sein, dennoch hatte er mich gestern nicht gefragt. Ein andrer hätte nicht eher geruht, als bis er von mir darüber aufgeklärt worden wäre; er aber hatte nicht eine einzige Frage ausgesprochen und mit seinem unvergleichlichen Scharfsinn alles erraten, wie seine jetzigen Worte bewiesen. Diese gaben mir Gelegenheit, ihm jetzt zu erzählen, in welcher Weise uns Nale-Masiuv in die Hände geraten war und wie wir uns seiner dann entledigt hatten. Am Schlusse meines Berichtes ließ er ein befriedigtes „Uff!“ hören und fügte dann hinzu:

„Mein Bruder hat ganz richtig gehandelt. Alle diese Roten wären uns eine Last gewesen, schon des Wassers wegen, und die weißen Reiter auch, die wir gar nicht brauchen, um Vupa Umugi zu fangen. Nale-Masiuv ist durch den Verlust seiner Pferde genug bestraft und hat auch die Gewehre seiner Krieger verloren. Winnetou wird erfahren, ob der Kommandant sein Wort hält, ihnen das Leben zu lassen; hat er es gebrochen oder sich auch nur an einen oder einigen von ihnen vergriffen, so wird er es mir mit dem Leben bezahlen. Howgh!“

Damit war diese Angelegenheit vollständig erledigt, und auch über seine letztere Drohung brauchte ich kein Wort zu verlieren; es war ihm Ernst damit, und er führte sie sicher aus, wenn es sich später zeigte, daß der Kommandant sein Versprechen nicht gehalten hatte.

Die Entfernung bis zum Kaktusfelde, welches die Comantschenfalle werden sollte, war von Winnetou auf zwei Stunden abgeschätzt worden; wir brauchten aber drei, weil die Naiini wegen der Mattigkeit der Pferde so langsam ritten. Wir blieben immer in der Weise hinter ihnen, daß sie uns nicht bemerken, wir sie aber durch unsre Rohre sehen konnten. Sie bildeten nicht eine Einzelreihe, sondern ritten breit neben und hinter einander her. Nach der erwähnten Dauer von drei Stunden verringerte sich plötzlich diese Breite; sie rückten zusammen und begannen, eine schmale Linie zu bilden.

„Ah, der entscheidende Augenblick ist da!“ sagte ich zu Winnetou. „Sie halten nicht an; sie scheinen also keinen Verdacht zu fassen.“

„Ja,“ nickte er; „sie sind an der schmalen Öffnung angekommen, die in den Kaktus führt. Sie können dieses Feld nicht überblicken und denken, daß es keine große Breite haben werde, weil Schiba-bigk scheinbar hindurchgeritten ist. Außer diesem Vertrauen treibt sie auch der Durst hinein. Wo Kaktus wächst, giebt es Feuchtigkeit, sie werden glauben, hinter demselben die Oase zu finden, denn sie wissen nicht, daß die Feuchtigkeit, welche diese Pflanzen hervorgebracht hat, nur unterirdisch und eine sehr geringe ist.“

Nach kurzer Zeit sahen auch wir den Kaktus, der in tausend und abertausend Exemplaren eine Strecke bedeckte, deren Ende weder nach vorn noch nach rechts oder links abzusehen war. Ein schmaler, lichter Streifen führte hinein und bildete eine Art Weg, dessen Boden so absolut unfruchtbar sein mußte, daß nicht ein einziges Würzelchen die nötige Nahrung fand. Und grad da, wo dieser Weg begann, hatte Winnetou eine Stange in den Boden stecken lassen, um den Comantschen die Überzeugung zu geben, daß sie hier in den Kaktus einzudringen hätten.

Das hatten sie auch wirklich ohne alles Bedenken gethan, und sie waren schon so weit drin, daß wir sie in der Ferne verschwinden sahen, als wir an dem Rande des stacheligen Dickichts ankamen. Da blieben wir natürlich halten und stiegen ab. Die Pferde wurden außer Schußweite hinter uns angepflockt, um im Falle eines allerdings kaum zu erwartenden Widerstandes nicht verletzt zu werden, und wir nahmen eine Aufstellung, die den Weg von seiner Mündung an bis weit hinein vollständig beherrschte und von den Comantschen bei ihrer Rückkehr nicht zu durchdringen war.

Dieser Weg hatte anfangs eine Breite von vielleicht zwanzig Schritten, wurde aber schon im Bereiche unsrer Kugeln so schmal, daß höchstens vier oder fünf Reiter eng nebeneinander Platz hatten. Das gab, wenn die Comantschen auf den wahnsinnigen Gedanken kommen sollten, uns anzugreifen, eine Tiefe von wenigstens dreißig und eine Breite von höchstens fünf Mann, und es genügte der sechste oder fünfte Teil von uns vollständig, diesen Angriff abzuschlagen. Unsre Kugeln brauchten ja nur die Vordersten niederzustrecken, die dann einen Wall bildeten, über den die andern nicht kommen konnten, zumal es ihnen wegen des Kaktus auch unmöglich war, nach rechts oder links auszuweichen.

So war es uns denn endlich gelungen, den Feind in die vortreffliche Falle zu locken, und wir konnten ruhig abwarten, was er nun beginnen werde. Beginnen? Es gab nur eins für ihn, nämlich umzukehren, sobald er die Stelle erreichte, wo der Weg aufhörte und er nicht weiter konnte.

Wir warteten eine Stunde, zwei Stunden und noch länger; die Comantschen kamen noch nicht. Sie waren jedenfalls am Ende des Weges nicht sogleich umgekehrt, sondern halten geblieben, um zu beraten; aber kommen mußten sie, darüber gab es gar keinen Zweifel. Wir hielten also unsre Blicke gespannt auf den Punkt gerichtet, wo sie erscheinen mußten.

„Uff!“ rief endlich Winnetou, indem er vorwärts deutete.

Sein scharfes Auge hatte die Nahenden eher entdeckt als wir; sie kamen, langsam, müde und enttäuscht. Noch sahen sie uns nicht, weil wir an der Erde saßen und unsre Pferde weit draußen in der Wüste hatten. Bald aber stockte der lange, schmale Zug; sie hatten uns entdeckt, und wir standen auf, um uns ihnen zu zeigen.

Waren sie der Meinung gewesen, daß sie die Dragoner hinter sich hätten, so erkannten sie jetzt, daß sie sich da geirrt hatten. Sie waren so nahe, daß sie bemerken mußten, daß sie keine Weißen, sondern Indianer vor sich hatten.

„Welch ein Schreck für sie!“ sagte Old Surehand, der neben mir stand.

„Schreck? Noch nicht,“ antwortete ich.

„Aber gewiß!“

„Nein. Es ist noch kein Schreck, sondern erst nur Staunen.“

„Warum?“

„Sie können uns doch auch für die Comantschen Nale-Masiuvs halten.“

„Das ist freilich wahr.“

„Aber selbst wenn sie das thun, muß sie unsre Anwesenheit befremden, weil sie der festen Überzeugung gewesen sind, daß Nale-Masiuv die Dragoner hinter ihnen her getrieben bringe.“

„Richtig! Bin neugierig, was sie thun werden.“

„Was sie thun, das weiß ich. Sie werden einen oder einige Krieger vorwärts schicken, um zu erfahren, wer wir sind. Seht Ihr, da kommen sie schon!“

Wir sahen, daß sich zwei von ihnen trennten und sich uns langsam näherten, nicht zu Pferde, sondern zu Fuß.

„Will mein Bruder mit mir ihnen entgegengehen?“ fragte ich Winnetou.

„Ja, thun wir das,“ antwortete er.

Wir schritten ebenso langsam, wie die Comantschen kamen, in den Kaktus hinein, ihnen entgegen. Sie sahen, daß wir ein Roter und ein Weißer waren; das machte sie stutzig; sie blieben stehen. Wir winkten ihnen, zu kommen, und gingen weiter; da kamen sie zögernd näher, blieben aber bald wieder stehen.

„Mein Bruder Shatterhand mag sprechen!“ sagte Winnetou.

Er überließ es mir bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich, das Wort zu führen. Ich rief den beiden Naiini zu:

„Die Krieger der Comantschen mögen getrost näher kommen! Wir wollen mit ihnen sprechen, und es wird ihnen nichts geschehen, wenn sie nicht versuchen, ihre Waffen gegen uns zu brauchen.“

Da kamen sie. Ich hatte sie gerufen, weil ich nicht bis hin zu ihnen gehen wollte, denn da wären wir in die Schußweite der Comantschen geraten, und das mußten wir vermeiden. Wir trafen ungefähr auf halbem Wege mit ihnen zusammen, doch kamen sie nicht ganz zu uns heran.

„Vupa Umugi, der Häuptling der Naiini-Comantschen, hat euch abgeschickt, zu erfahren, wer wir sind,“ sagte ich.

„Kennt ihr mich?“

„Nein,“ antwortete der ältere von ihnen, während beide ihre Augen mit scheuer Ehrfurcht auf Winnetou gerichtet hielten.

„Auch den roten Krieger nicht, der da neben mir steht?“

„Uff! Das ist Winnetou, der Häuptling der Apatschen!“

„Und ich bin Old Shatterhand, sein weißer Freund und Bruder.“

„Uff, uff!“ riefen beide aus und betrachteten nun auch mich genau. Hatte sie schon der Anblick des Apatschen bestürzt gemacht, so wuchs diese Bestürzung, als sie meinen Namen hörten; doch bemühten sie sich, dies zu verbergen.

„Ihr glaubtet, die weißen Reiter hinter euch zu haben?“ fuhr ich fort.

Ich erhielt keine Antwort.

„Und hinter diesen sollte Nale-Masiuv kommen?“

„Woher weiß das Old Shatterhand?“ fragte der ältere.

„Ich weiß noch mehr; ja, ich weiß alles. Ihr wolltet die weißen Reiter in das Verderben locken, und befindet euch nun selbst darin. Blickt vorwärts! Dort stehen dreihundert Krieger der Mescalero-Apatschen, die ihre Gewehre bereit haben, euch bis auf den letzten Mann niederzuschießen, wenn ihr euch wehrt.“

„Uff, uff!“

„Ihr könnt auf keinen Fall zurück und hier durch. Ihr müßt euch uns ergeben. Wenn ihr das nicht thut, werdet ihr entweder erschossen oder müßt in dieser Kaktuswildnis, die euch keinen Ausweg bietet, elend verschmachten!“

Sie sahen einander an. Obgleich sie sich alle Mühe gaben, den Eindruck zu verheimlichen, den meine Worte auf sie machten, war es doch nicht zu verkennen, daß sie sich im höchsten Grade betroffen fühlten. Dann fragte derjenige von ihnen, welcher bisher geantwortet hatte:

„Wo sind die weißen Reiter?“

„Glaubst du, daß wir dir das sagen werden?“

„Und wo ist Nale-Masiuv?“

„Auch das sagen wir nicht. Dafür aber will ich dich fragen, wo Schiba-bigk mit seinen fünfzig Comantschen ist?“

„Uff! Schiba-bigk! Das wissen wir nicht!“

„Aber wir wissen es.“

„Wo?“

„Jedenfalls nicht da vor euch. Ihr habt geglaubt, ihm zu folgen; er ist aber gar nicht vor euch hergeritten.“

„Warum nicht?“

„Ihr seid gewöhnliche Krieger; wir aber sind Häuptlinge, welche nur mit Häuptlingen sprechen. Es fällt uns also nicht ein, eure Fragen zu beantworten; dennoch will ich euch einiges mitteilen, was ihr Vupa Umugi erzählen sollt.“

„Wir werden es ihm sagen.“

„Ihr seid zwei Tage lang den Pfählen gefolgt, weil ihr glaubtet, Schiba-bigk zeige euch durch sie den Weg; aber nicht er, sondern Winnetou hat sie in den Sand gesteckt, um euch in die Irre zu leiten.“

„Uff! Ist das wahr?“

„Old Shatterhand spricht stets die Wahrheit. Schiba-bigk konnte euch den Weg nicht zeigen, weil wir ihn gefangen genommen haben. Ebenso ist Nale-Masiuv mit allen seinen Kriegern gefangen; er ist in unsre Hände und in die Gewalt der weißen Reiter geraten, die wir vor ihm und vor euch warnten. Das ist es, was ihr Vupa Umugi sagen sollt.“

Er starrte mich erschrocken an und rief aus:

„Das wird Vupa Umugi nicht glauben!“

„Ob er es glaubt oder nicht, das ist uns gleichgültig; es ist aber wahr.“

„Wir wissen, daß Old Shatterhand die Wahrheit liebt; aber das, was er jetzt gesagt hat, will nicht in unsre Ohren. Würde er vielleicht bereit sein, es dem Häuptling selbst zu sagen?“

„Ja.“

„So werden wir zu Vupa Umugi zurückkehren, um ihm das mitzuteilen.“

„Thut es! Wir werden hier bleiben, um zu warten, bis er kommt.“

Sie gingen, und wir setzten uns nieder. Als sie ihre Kameraden erreicht hatten, sahen wir an den Bewegungen derselben, welche Wirkung ihre Botschaft hervorbrachte. Die Reiter stiegen alle von ihren Pferden, auf denen sie bis jetzt sitzen geblieben waren. Nach einer Weile kam ein einzelner auf uns zu; es war nicht Vupa Umugi, sondern der Mann, mit dem wir gesprochen hatten. Bei uns angekommen, teilte er uns mit:

„Der Häuptling der Comantschen hat unsre Worte vernommen und will sie nicht glauben; er möchte sie aus eurem Munde hören.“

„Er soll sie hören. Warum kommt er nicht?“

„Hier ist Old Shatterhand, und hier ist Winnetou, der Häuptling der Apatschen; da will Vupa Umugi nicht allein sein.“

„Gut, zwei zu zwei. Er mag noch jemand mitbringen.“

„Apanatschka, der zweite Häuptling der Naiini, wird bei ihm sein.“

„Wir haben nichts dagegen.“

„Old Shatterhand und Winnetou haben ihre Waffen bei sich; also dürfen Vupa Umugi und Apanatschka die ihrigen auch mitbringen?“

„Auch da sind wir einverstanden.“

„Sie haben keine Hinterlist zu befürchten?“

„Nein.“

„Und können frei zurückkehren, wenn sie mit euch gesprochen haben?“

„Ja.“

„Wir werden das glauben, wenn Winnetou und Old Shatterhand es mit ihrem Worte versprechen.“

„Ich verspreche es. Howgh!“ antwortete Winnetou.

„Ich habe es schon gesagt und brauche es also nicht noch einmal zu versprechen,“ erklärte ich. „Was Old Shatterhand sagt, ist wie ein Schwur. Übrigens müssen Vupa Umugi und Apanatschka sehr feige Krieger sein!“

„Sie sind die mutigsten und tapfersten des ganzen Stammes! Warum spricht Old Shatterhand die Beleidigung, daß er sie für feig hält?“

„Weil du fragst, ob sie frei zurückkehren dürfen.“

„Diese Frage wird stets gethan, wenn feindliche Krieger zwischen ihren Scharen zu einer Besprechung zusammentreffen.“

„Haben wir diese Frage ausgesprochen?“

„Nein,“ gab er verlegen zu.

„Schau hinter dich, und schau vor dich hin. Dort stehen die Apatschen und dort die Comantschen; wir aber befinden uns grad in der Mitte zwischen ihnen. Also hat keine der zwei Parteien, die hier zusammenkommen, einen Vorteil vor der andern. Wenn Vupa Umugi und Apanatschka eine Hinterlist gegen Winnetou und mich hegen, so ist die Gefahr für uns genau dieselbe wie diejenige, in welcher sie sich befänden, wenn wir sie betrügen wollten. Demnach haben wir nicht nach unserer Sicherheit gefragt; du aber hast unser Versprechen verlangt, daß sie frei zurückkehren dürfen. Wer ist da mutig, und wer ist feig? Hat Vupa Umugi dir befohlen, so zu fragen?“

„Ja.“

„So sag ihm, daß er sich ein Herz nehmen und zu uns kommen solle! Wir halten unser Wort und sind zu stolz, als daß wir uns an einem Comantschen vergreifen möchten, der durch solche Fragen beweist, daß er keinen Mut besitzt.“

Er ging.

„Das hat mein Bruder sehr gut gesagt,“ lobte mich Winnetou, der an meiner Stelle gewiß genau ebenso gesprochen hätte.

Ich war neugierig auf Apanatschka, den zweiten Häuptling, der seinem Namen nach ein vorzüglicher Krieger sein mußte, denn das Comantschenwort Apanatschka bezeichnet einen Mann, der in allem gut und tüchtig ist.

Es dauerte nicht lange, so kamen beide, hoch aufgerichtet und stolz, wie Leute, welche den Vorteil auf ihrer Seite wissen. Sie wollten uns mit dieser Haltung imponieren, was ihnen aber freilich nicht gelingen konnte. Ohne ein Wort zu sagen, setzten sie sich uns gegenüber und hielten, die Gewehre quer über die Kniee gelegt, ihre Augen kalt auf uns gerichtet. Wir ließen uns dadurch nicht täuschen; in ihrem Innern sah es jedenfalls ganz anders aus als in ihren unbewegten Gesichtszügen, die eine Maske waren.

Aufrichtig gestanden, hatte ich in Apanatschka einen älteren Mann vermutet; aber er war noch jung, und ich mußte mir sagen, außer Winnetou noch keinen so interessanten Indianer gesehen zu haben.

Er war nicht überlang, aber sehr stark und kräftig gebaut. Ich suchte vergeblich nach dem Indianertypus in seinem Gesichte; es gab da weder die etwas schief stehenden Augen noch die hervorragenden Backenknochen. Sein dunkles Haar war lang gewachsen und auf dem Scheitel zusammengebunden. Beinahe hätte ich behaupten mögen, daß es eigentlich ein Kraushaar und nur durch die Pflege schlicht und straff geworden sei. Trotz der dunkeln Farbe seines Gesichtes schien es mir, als ob auf seiner Oberlippe, seinem Kinn und seinen Wangen jener eigentümliche blauschwarze Schimmer liege, den man bei stark- und dunkelbärtigen Männern bemerkt, wenn sie rasiert worden sind. Sollte dieser Apanatschka, aller Indianerart entgegen, einen so dichten Bart besitzen, daß er sich rasieren mußte? Wo nahm er die Seife her? Bekanntlich rasieren sich die Indianer nicht, sondern sie reißen sich die wenigen Barthaare, die sie haben, so lange aus, bis sie nicht wiederwachsen. Dieser Indsman war mir sehr sympathisch. Sein Gesicht machte einen Eindruck auf mich, den ich am liebsten mit dem Ausdrucke anheimeln bezeichnen möchte. Hatte ich ihn denn schon einmal gesehen? Gewiß nicht! Aber dann gab es unter meinen jetzigen oder früheren Bekannten ein Gesicht, welches dem seinigen ähnlich war. Mit der Schnelligkeit des Blitzes tauchten in meinem Innern hundert und hundert dieser Gesichter auf, aber das betreffende war nicht dabei. Es ist eigentümlich, daß einem das am nächsten Liegende so oft am fernsten ist!

Wenn feindliche Häuptlinge zu einer Besprechung zusammentreffen, so ist es nicht der vornehmste, der zuerst das Wort ergreift. Je höher sich einer dünkt, desto länger hüllt er sich in Schweigen. Es gilt da die Annahme, daß derjenige zuerst zum Reden getrieben wird, welcher den meisten Grund hat, gute Worte zu geben. Vupa Umugi schien die Absicht zu haben, so zu thun, als ob ihm an einer Verständigung gar nichts gelegen sei; er schwieg und sein Gesicht zeigte, daß er nicht eher reden wolle, als bis er von uns angesprochen worden sei. Das konnte mir auch recht sein, denn wir hatten Zeit, viel mehr Zeit als er.

Ich richtete mein Auge auf Winnetou, und ein kurzer Blick von ihm sagte mir, daß er nicht gewillt war, die Unterredung zu beginnen. Darum wartete ich ein Weile, und als dann noch nichts erfolgte, streckte ich mich lang aus und schob meinen Arm unter den Kopf wie einer, welcher ruhen oder gar einschlafen will. Dieses Verhalten erreichte seinen Zweck, wenn auch einstweilen erst nur halb, denn Vupa Umugi warf Apanatschka einen auffordernden Blick zu, worauf dieser sagte:

„Old Shatterhand und Winnetou, der Häuptling der Apatschen, haben mit uns sprechen wollen.“

Ich blieb liegen und antwortete nicht; auch Winnetou schwieg. Da wiederholte Apanatschka seine Worte:

„Old Shatterhand und Winnetou, der Häuptling der Apatschen, haben mit uns sprechen wollen.“

Er bekam auch jetzt keine Antwort; da wiederholte er dieselben Worte noch einmal. Nun richtete ich mich langsam auf und sagte:

„Was ich da höre, setzt mich in Verwunderung. Nicht wir haben mit euch sprechen wollen, sondern wir sind gefragt worden, ob wir nicht Vupa Umugi das sagen wollten, was seinen Boten unglaublich erschien. Wir haben ihm erlaubt, hierher zu kommen, und nun sitzt er da, als ob er gar nichts hören wolle. Warum schweigt er und läßt Apanatschka für sich sprechen? Ist er nicht klug genug zum Reden? Er, aber nicht Apanatschka, hat mit uns sprechen wollen, und wenn er den Mund nicht aufthut, so ist es uns auch recht. Wir haben Wasser genug und Fleisch, so viel wir brauchen. Wenn er eben so viel Zeit hat wie wir, so mag er noch weiter schweigen!“

Ich machte Miene, mich wieder niederzulegen, und das half; denn Vupa Umugi forderte mich auf:

„Old Shatterhand mag sitzen bleiben und meine Worte hören!“

„Ich höre!“ erwiderte ich kurz.

„Old Shatterhand hat behauptet, daß Nale-Masiuv mit seinen Kriegern gefangen sei?“

„Ich sagte es, und es ist wahr.“

„Wo wurde er gefangen?“

„Bei den hundert Bäumen.“

„Von wem?“

„Von mir, den Kriegern der Apatschen und den weißen Reitern, die sich mit uns vereinigt hatten.“

„Schiba-bigk soll auch gefangen sein?“

„Er ist’s.“

„Von wem?“

„Von Winnetou und mir mit unsern Apatschen.“

„Wo?“

„Als er von den hundert Bäumen unterwegs war, um dir durch die Pfähle den Weg zum Bloody-Fox zu zeigen.“

„Das kann ich nicht glauben!“

„So glaube es nicht!“

„Beweise es!“

Pshaw! Vupa Umugi ist nicht der Mann dazu, von Old Shatterhand Beweise zu verlangen!“

„Wie kannst du so hintereinander auf Schiba-bigk, auf die weißen Reiter und auf Nale-Masiuv treffen? Einen solchen Zufall giebt es nicht.“

„Es war kein Zufall, sondern Berechnung.“

„Berechnung? Da hättest du alles wissen müssen, was die Krieger der Comantschen zu thun beschlossen hatten!“

„Das wußte ich allerdings.“

„Von wem?“

„Von dir.“

„Uff! Habe ich es dir etwa gesagt?“

„Ja.“

„Wann und wo?“

„Am blauen Wasser.“

„Uff! Du traust Vupa Umugi eine große Menge Leichtgläubigkeit zu!“

„Das nicht. Was ich dir zutraue, ist eine noch viel größere Menge von Unvorsichtigkeit. Du bist geradezu blind und taub gewesen und hast es an allem fehlen lassen, was zur Ausführung eines Vorhabens, wie das eurige war, gehört.“

„Welches Vorhaben?“

„Diese deine Frage ist lächerlich! Winnetou, der Häuptling der Apatschen hat schon vor langer Zeit zwei Comantschenkrieger heimlich belauscht, welche davon sprachen, daß ihr nach dem Llano estacado wolltet, um Bloody-Fox zu überfallen; er ist sofort und direkt zu ihm geritten, um ihn zu warnen, und hat heimgesandt, um dreihundert Krieger kommen zu lassen, dem Fox zu helfen. Du siehst diese Krieger jetzt da draußen am Kaktus stehen.“

„Uff! Das war Winnetou; aber was wußtest du?“

„Ich erfuhr es von ihm. Während er zu Fox ritt, ging ich nach dem blauen Wasser, um euch zu beobachten und Old Surehand zu befreien, Es ist mir beides leichter geworden, als ich dachte. Als du mit deinen besten Kriegern nahe beim Ufer am Feuer saßest und von eurem Plane sprachst, lag ich zwischen dem Schilfe im Wasser und hörte jedes Wort.“

Er wollte einen Ruf des Grimmes ausstoßen, hielt ihn aber zurück; es kam nur eine Art von Zischen über seine Lippen. Ich fuhr fort:

„Ich nahm dich im Wasser des Sees gefangen und gab dich am nächsten Morgen frei. Du glaubtest dann, ich sei nach Westen geritten; aber ich hatte euch überlistet und kehrte nach dem Rio Pecos zurück. Da saßen die zwei Krieger, welche auf Nale-Masiuv warten und ihm die Furt zeigen sollten.

Ich belauschte sie mit Old Surehand. Während wir das thaten, kamen die zwei Boten Nale-Masiuvs, welche dir sagen sollten, daß er nicht sofort kommen könne, weil er von den weißen Reitern angegriffen und besiegt worden sei und erst heimsenden wolle, um hundert neue Krieger kommen zu lassen.“

„Uff, uff!“

„Während seine zwei Boten mit deinen beiden Kriegern sprachen und ihnen den ganzen Plan erklärten, lagen wir hinter dem nächsten Busche und hörten jedes Wort.“

„Old Shatterhand muß ein Liebling des bösen Geistes sein, der ihm die Wege des Belauschens zeigt und ihn auf denselben beschützt!“

Pshaw! Dann sandtest du sechs Kundschafter fort. Wir belauschten sie am Wasser des Altschese-tschi, wo sie von den Apatschen getötet wurden.“

„Uff! Getötet! Darum sahen wir sie nicht wieder! Ihr werdet diesen Mord mit euerm Leben bezahlen!“

„Prahle nicht! Wie kannst du so albern sein, uns drohen zu wollen! Schiba-bigk war mit zwanzig Mann gekommen, um dir den Weg zum Bloody-Fox zu zeigen. Du gabst ihm noch dreißig Naiini mit, damit er bei den hundert Bäumen Pfähle schneiden und euch durch sie den Weg zeigen solle. Ich wußte das, war noch eher im Llano als er, umringte ihn mit unsern dreihundert Apatschen und nahm ihn gefangen.“

„Uff! Leistete er Widerstand?“

„Ebensowenig, wie du welchen leisten wirst.“

„Schweig! Wir werden kämpfen!“

„Warte es ab! Als wir ihn festhatten, ritten wir wieder nach den hundert Bäumen. Wir entfernten die Pfähle, die er gesteckt hatte, und Winnetou steckte sie in der Richtung nach hier ein, um euch in dieses große Kaktusfeld zu leiten. Ihr hattet also ihn vor euch, nicht Schiba-bigk.“

„Uff!“

„Ich blieb in der Nähe der hundert Bäume, um auf dich zu warten. Du kamst am Abend und zogst am Morgen weiter.“

„Aber du weißt nicht, was für einen guten Fang wir dort gemacht haben!“

Pshaw, den alten Wabble! Als er mit seinem Pferde zu dir gebracht wurde, steckte ich mit Old Surehand nur vier Schritte von dir entfernt im Gebüsch und hörte wieder jedes Wort. Jetzt hast du gehört, woher ich alles weiß, nämlich von dir selbst. Früh rittet ihr fort, euerm Verderben entgegen, weil ihr an die Pfähle glaubtet, die doch das Werk Winnetous waren. Wir aber blieben dort, um auf die weißen Reiter zu warten. Sie kamen und wir warnten sie. Als sie hörten, daß sie, anstatt euch zu verfolgen, selbst die Verfolgten seien, waren sie augenblicklich bereit, sich mit uns gegen Nale-Masiuv zu vereinigen. Wir versteckten uns, und als er nach den hundert Bäumen kam, wurde er umzingelt.“

„Aber er hat sich gewehrt?“

„Nein.“

„Uff! Er muß gekämpft haben, denn er ist kein Feigling!“

„Aber hinterlistig ist er. Ich ließ ihn zu einer Beratung auffordern, zu welcher keine Waffen mitgebracht werden durften. Er kam und hatte ein Messer bei sich versteckt. Während ich mit ihm sprach, ergriff er es, um mich zu erstechen; da schlug ich ihn nieder und nahm ihn gefangen. Er mußte einsehen, daß er verloren sei. Dazu nahm ich ihm seine Medizin und drohte, sie zu verbrennen, ihn aufzuhängen und ihm die Skalplocke zu rauben. Da bat er mich um Gnade, und ich gewährte sie ihm. Er wurde mit seinen Kriegern gefangen und gefesselt.“

„Wo ist er jetzt?“

„Die weißen Reiter sind mit ihm über den Rio Pecos hinüber, wo er freigelassen wird, denn ich habe ihm und seinen Kriegern das Leben geschenkt; aber ihre Pferde und Waffen müssen sie hergeben.“

„Uff, uff, weil du ihm die Medizin genommen hast, sonst hätte er sich nicht ergeben!“

„Du wirst dich ebenso ergeben, wie er!“

„Nein!“

„Denn ich werde dir deine Medizin auch nehmen!“

Da ging ein schadenfrohes Lachen über sein Gesicht, und er antwortete:

„Du kannst sie mir nicht nehmen.“

„Warum?“

„Weil ich sie nicht bei mir habe. Vupa Umugi besitzt nicht nur eine Medizin, sondern mehrere; aber er ist so klug, sie niemals mit in den Kampf zu nehmen, wo er sie leicht verlieren kann. Du bekommst sie nicht!“

„Ich habe gesagt, daß ich sie dir nehme, und was Old Shatterhand sagt, ist immer wahr; du wirst’s erfahren. Nun weiter! Wir hatten es nun nur noch mit dir zu thun, füllten viele Schläuche mit Wasser und ritten hinter dir her. Du nennst dich klug, bist aber doch so dumm gewesen, Winnetou hierher zu folgen, ohne zu bemerken, daß du nicht Schiba-bigk vor dir hattest. Jetzt steckt ihr in der Falle, von drei Seiten vom Kaktus umgeben und auf der vierten die Apatschen. Willst du kämpfen?“

„Ja,“

„Versuche es doch! Aber ich weiß, daß du es nicht thust. Selbst wenn ihr Sieger würdet, müßtet ihr verschmachten, weil ihr kein Wasser habt; aber der Sieg ist für euch ganz unmöglich. Schau dich um! Ihr habt keinen Platz, euch auszubreiten, und seid so eingeengt, daß jede Kugel von uns mehrere Krieger von euch treffen muß. Wir haben Wasser, ihr habt keins. Wir selbst und unsre Pferde sind frisch und munter; ihr aber dürstet und eure Tiere sind zum Umfallen ermattet. Überlege dir das wohl!“

„Wir werden dennoch kämpfen!“

„Nein. Du bist unvorsichtig, aber wahnwitzig bist du nicht.“

Er senkte den Kopf und schwieg. Es verging eine lange Zeit, ohne daß er ein Wort sagte; dann fragte er in gepreßtem Tone:

„Was würdet ihr über uns bestimmen, wenn wir uns euch auslieferten?“

„Wir würden euch das Leben schenken.“

„Sonst nichts?“

„Nein.“

„Ohne Pferde und Gewehre sind wir nichts; wir können sie nicht hergeben.“

„Ihr werdet sie dennoch hergeben, wenn wir sie verlangen. Wenn wir euch das Leben lassen, ist es mehr Gnade als genug. Wäret ihr die Sieger, würde es keine Gnade für uns geben, sondern wir müßten alle am Marterpfahle sterben.“

Er ballte grimmig die Hände zusammen und rief aus:

„Daß dich der böse Geist an das blaue Wasser führte! Wäre das nicht geschehen, so hätte der Plan, den wir faßten, gelingen müssen!“

„Das ist wahr, und darum denke ich, daß es nicht ein böser, sondern ein guter Geist gewesen ist, der mich nach dem blauen Wasser geführt hat. Ihr habt keine Hoffnung, uns zu entkommen. Wenn ihr euch nicht ergebt, so seid ihr verloren. Das mußt du einsehen.“

„Nein, ich sehe es nicht ein!“ „So ist deine Seele von dir gewichen!“

„Ich habe sie noch. Denke daran, daß der Indianertöter unser Gefangener ist, den ihr Old Wabble nennt!“

„Was geht der uns an?“

„Etwa nichts?“

„Gar nichts!“

„Er ist ein Geisel in unsern Händen!“

Pshaw!“

„Und muß sterben, wenn ihr einem von uns etwas thut!“

„Mag er sterben! Er ist in deine Hände gefallen, weil er mir ungehorsam war, und wer mir nicht gehorcht, an dem habe ich keinen Teil; er hat sich von mir losgesagt.“

„So bist du damit einverstanden, daß er stirbt?“

„Nein.“

„Du hast das aber soeben gesagt!“

„So hast du mich falsch verstanden. Ich meine nur, daß ich kein Opfer bringen werde, um ihn zu retten; tötet ihr ihn aber, so werde ich ihn blutig rächen; darauf kannst du dich verlassen. Jetzt bin ich fertig und habe dir nichts mehr zu sagen.“

Ich stand auf, und Winnetou folgte meinem Beispiele. Die beiden Comantschen erhoben sich auch. Apanatschka richtete sein Auge mit einem ganz eigentümlichen Ausdrucke auf uns; das war nicht Grimm, nicht Zorn, nicht Haß; fast hätte ich es Wohlwollen nennen mögen, Wohlwollen und Ehrerbietung, wenn es deutlicher zu sehen gewesen wäre; aber er bemühte sich, seine Gedanken und Gefühle zu verbergen. Um so deutlicher sahen wir, daß der Ärger und der Haß in Vupa Umugi kochten. Es tobte und kämpfte in seinem Innern, bis er hastig hervorstieß:

„Und wir sind auch fertig!“

„Und habt uns nichts mehr zu sagen?“

„Jetzt nicht.“

„Aber später?“

„Ich werde mit meinen Kriegern sprechen.“

„So thue es schnell, und versäume nicht die Zeit! Es könnte uns leicht die Geduld ausgehen!“

Pshaw! Noch giebt es Rettungswege!“

„Keinen einzigen!“

„Mehrere!“

„Und wenn es hundert gäbe, es würde euch doch keiner etwas nützen. Wenn es nicht anders geht, brennen wir den Kaktus an.“

„Uff!“ rief er erschrocken.

„Ja, das würden wir thun, wenn es kein anderes Mittel gäbe, euch gefüge zu machen.“

„Wollen Winnetou und Old Shatterhand Mordbrenner werden?“

„Laß derartige Fragen! Im Verhältnisse zu euch ist ein Mordbrenner noch ein sehr guter Mensch. Also sprich mit deinen Leuten, und laß es uns bald wissen, was ihr beschlossen habt!“

„Du wirst es erfahren.“

Bei diesen Worten drehte er sich und ging mit Apanatschka fort, lange nicht in der stolzen Haltung, in welcher er gekommen war. Auch wir gingen zu unsern Leuten zurück, welche neugierig waren, was wir durch die Unterredung mit den beiden Häuptlingen erreicht hatten.

Natürlich ließen wir die Comantschen von jetzt an nicht mehr aus den Augen. So unsinnig ein Angriff ihrerseits gewesen wäre, mußten wir doch auch mit dieser Möglichkeit rechnen und uns zur Abwehr bereit halten. Wir konnten nur die Vordern von ihnen sehen; was hinter diesen vorging, blieb uns verborgen. Ich holte deshalb mein Pferd und ritt so lange seitwärts hin, bis ich nicht mehr nur ihre Spitze, sondern ihre Seite vor mir hatte. Da sah ich, daß höchstens nur noch dreißig Comantschen da hielten, wo wir sie alle vermutet hatten; die andern waren fortgeritten, wieder tief in den Kaktus hinein. Ich kehrte um und meldete dies Winnetou.

„Sie wollen sich mit ihren Messern durch den Kaktus arbeiten,“ sagte er.

„Dieser Ansicht bin ich auch. Es wird ihnen freilich nicht gelingen.“

„Nein. Der verdorrte Kaktus ist kieselhart, so daß ihre Messer sehr schnell stumpf werden.“

„Wir dürfen trotzdem keine Vorsicht versäumen. Ich werde noch einmal fortreiten, um sie zu beobachten.“

„Mein Bruder mag das thun; nötig aber ist es nicht.“

„Darf ich mit, Mr. Shatterhand?“ fragte Parker.

„Meinetwegen.“

„Und ich auch?“ erkundigte sich Hawley.

„Ja, sonst aber weiter niemand. Holt eure Pferde!“

Wir ritten südwärts, bis wo das Kaktusfeld nach Osten eine Krümmung machte, der wir folgten. Wir jagten wohl eine ganze Stunde in dieser Richtung weiter und kamen an eine sandige Bucht, die sich tief in den Kaktuswald hineinzog. Von ihr ließen wir uns führen, bis sie zu Ende war. Ich zog das Fernrohr aus und suchte mit ihm nach den Comantschen; ich entdeckte sie als winzig kleine Punkte weit oben im Norden. Was sie thaten, das konnte ich nicht sehen; aber jedenfalls waren sie bemüht, sich mit den Messern einen Weg zu bahnen – einen Weg durch dieses unabsehbare Stacheldickicht, eine Unmöglichkeit! Wir kehrten um, natürlich auf demselben Wege, auf dem wir gekommen waren.

Als wir die erwähnte Sandbucht verlassen hatten und wieder nach Westen einbiegen wollten, war es mir, als ob sich tief im Süden etwas über den Llano bewege. Ich richtete das Rohr dorthin und sah, daß ich mich nicht geirrt hatte; es waren Reiter. Jetzt konnte ich sie noch nicht zählen; nach einiger Zeit aber sah ich, daß es ihrer acht waren, welche vier Packpferde oder Maultiere bei sich hatten. Sie ritten nach Nordost und mußten also an der hinteren Seite des Kaktusfeldes vorüberkommen, an dessen vorderer Front unsere Apatschen hielten. Wenn sie die Comantschen sahen und ihnen behilflich waren, durch den Kaktus zu entkommen! Ich hielt dies zwar für eine Unmöglichkeit, hatte aber gar zu oft erfahren, daß durch einen kleinen Zufall die Unmöglichkeit zur Möglichkeit wird. Ich durfte sie ihren Weg nicht fortsetzen lassen, sondern mußte sie bestimmen, mit uns nach der andern Seite des Kaktus zu reiten, zumal ich jetzt bemerkte, daß vier von den acht Reitern Indianer waren.

Zu welchem Stamme gehörten sie? Das mußte ich erfahren. Wir ritten also so weit südlich, bis wir uns grad in ihrer Richtung befanden, und warteten dort. Sie hatten uns nun auch gesehen, hielten eine Weile an, um sich zu besprechen, und kamen dann auf uns zugeritten.

Unter ihnen gab es nur zwei, die mir in die Augen fielen, einer von den Weißen und einer von den Roten. Dieser Indianer hatte eine Adlerfeder im Schopfe, was ihn als Häuptling erkennen ließ. Der Weiße war ein langer, hagerer Mensch, der zwischen fünfzig und sechzig Jahre zählte. Seine Kleidung war höchst phantastisch zusammengesetzt, halb Civil und halb militärisch, und sonderbarer Weise trug er einen langen Säbel an der Seite. Als sie uns so nahe gekommen waren, daß ich die Gesichter erkennen konnte, sah ich, daß dasjenige dieses Weißen nicht eben ein Vertrauen erweckendes war.

Sie hielten in einiger Entfernung von uns an; der Weiße machte eine nachlässige, beinahe herablassende Bewegung mit der Hand nach der Krempe seines Hutes und sagte:

Good day, Boys! Was treibt ihr hier in der Mitte dieser verdammten Wüste, he?“

„Wir reiten ein wenig spazieren,“ antwortete ich.

„Spazieren? Eigenartiges Vergnügen! Wenn ich nicht durch den Llano müßte, würde mich kein Mensch hierher bringen. Wer und was seid ihr denn eigentlich?“

„Boys sind wir.“

„Antwortet ordentlich, und treibt keinen Scherz!“

„Ihr habt uns Boys genannt, folglich werden wir wohl welche sein.“

„Unsinn! Habe keine Lust, auf solche Mucken einzugehen. Wenn man im wilden Llano jemand trifft, muß man unbedingt wissen, wer er ist.“

„Das ist richtig.“

„Schön! Ich habe euch getroffen, folglich – – nun?“

„Wir haben euch auch getroffen, folglich – – nun?“

„Hört, Ihr scheint ein sehr sonderbarer Kauz zu sein! Ich bin sonst nicht so willfährig, will aber heut einmal eine Ausnahme machen. Ihr seht mir doch wohl an, daß ich Offizier bin?“

„Möglich.“

„Habt Ihr einmal von dem berühmten Douglas gehört, General Douglas, wollte ich sagen?“

„Nein.“

„Was? Nicht?“

„Nein.“

„So seid Ihr in der Kriegsgeschichte der Vereinigten Staaten ganz und gar unbewandert!“

„Auch möglich.“

„Dieser General Douglas bin nämlich ich!“

Er warf sich bei diesen Worten gewaltig in Positur, was ein wirklicher General schwerlich thun würde.

„Schön! Freut mich, Sir!“

„Habe bei Bull-Run gekämpft.“

„Das macht Euch alle Ehre.“

„Bei Gettysburg, bei Harpers-Ferry, bei den Chattanoogabergen und in zwanzig andern Schlachten. Bin da stets Sieger gewesen. Glaubt Ihr das?“

Dabei schlug er an den Säbel, daß es nur so rasselte.

„Warum nicht?“ antwortete ich.

Well! Wollte es Euch auch geraten haben! Jetzt reite ich durch den Llano. Diese Weißen sind meine Diener, und diese Indianer meine Führer; ihr Anführer ist Mba, der Häuptling der Chickasaws.“

Ein Finger dieses Häuptlings war jedenfalls mehr wert als der ganze sogenannte General. Ich fragte ihn:

„Haben die Krieger der Chickasaws das Kriegsbeil gegen einen roten Stamm ausgegraben?“

„Nein,“ antwortete er.

„Gegen die Apatschen nicht und auch gegen die Comantschen nicht?“

„Nein.“

„So steht Mba, dem Häuptlinge dieses friedlichen Stammes, eine große Überraschung bevor. Nämlich da oben jenseits des Kaktus befindet sich Winnetou, der Häuptling der Apatschen, mit vielen Kriegern, welche Vupa Umugi, den Häuptling der Comantschen, mit seinen Leuten eingeschlossen haben und gefangen nehmen wollen. Willst du das mit ansehen?“

„Ich reite hin!“ antwortete er, indem seine Augen blitzten.

„Winnetou?“ fragte der General. „Den muß ich sehen. Natürlich reiten wir hin! Und wer seid Ihr, Sir?“

„Ich gehöre zu Winnetou; man nennt mich Old Shatterhand.“

Da machte er große Augen, betrachtete mich mit einem ganz andern Blicke als bisher und sagte:

„Habe viel von Euch gehört, Sir. Freut mich, Euch kennen zu lernen. Hier meine Hand, die Hand eines siegreichen Generals!“

Ich gab ihm die meinige, sehr zufrieden damit, daß sie freiwillig mit uns ritten. Mba sagte kein Wort, doch sah ich es ihm an, daß er es für eine Ehre hielt, uns getroffen zu haben. Um so redseliger war Douglas. Er wollte alles mögliche über den gegenwärtigen Zusammenstoß der Apatschen mit den Comantschen wissen, und ich erteilte ihm grad so viel Auskunft, wie unumgänglich nötig war, denn er gefiel mir nicht; er hatte ein ausgesprochenes Gaunergesicht. Als er den Namen Old Surehand hörte, stutzte er so auffällig, daß zwischen ihm und dem Genannten unbedingt etwas vorliegen mußte. Ich nahm mir vor, ihn zu beobachten.

Als wir bei unsern Apatschen ankamen, wunderten sich diese nicht wenig, daß ich Gesellschaft mitbrachte, die ich mitten in der Wüste gefunden hatte und die auf einen solchen Ritt eingerichtet war, denn die Packpferde trugen volle Wasserschläuche. Ich nannte die Namen. Winnetou begrüßte Mba mit ernster Freundlichkeit, den General aber höchst zurückhaltend. Old Surehand sah den letzteren verwundert an; er war erstaunt über das Äußere dieses Mannes, kannte ihn aber offenbar nicht im geringsten. Dagegen war das Auge des angeblichen Offiziers fast ängstlich forschend auf ihn gerichtet, und die Besorgnis schien sich erst zu legen, als er sah, daß Old Surehand ihn wie einen völlig Unbekannten behandelte. Dadurch befestigte sich meine Überzeugung, daß man sich vor diesem Manne in acht zu nehmen habe. Ich benutzte die nächste von ihm unbeachtete Gelegenheit, Old Surehand zu fragen:

„Kennt Ihr diesen Quasi-General, Sir?“

„Nein,“ antwortete er.

„Ihr seid ihm noch nicht begegnet?“ „Nein. Ich sehe ihn heut zum erstenmal.“ „Besinnt Euch, ob es wirklich so ist!“

„Ich brauche mich nicht zu besinnen; es ist wirklich so. Aber warum fragt Ihr mich in dieser Weise, Sir?“

„Weil er in irgend einer Beziehung zu Euch zu stehen scheint.“

„Wieso?“

„Er erschrak, als ich ihm Euern Namen nannte.“

„Jedenfalls Täuschung!“

„Nein; ich habe es deutlich gesehen. Und vorhin hat er Euch geradezu ängstlich betrachtet.“

„Wirklich?“

„Ja. Es war ganz deutlich zu sehen, daß er ganz gespannt darauf war, ob Ihr Euch seiner erinnern würdet.“

„Hm! Ich kenne Eure scharfen Augen, Mr. Shatterhand; in diesem Falle aber haben sie Euch irregeführt. Ich habe mit diesem Douglas nichts zu schaffen.“

„Er aber desto mehr mit Euch, wie es scheint. Ich werde ihn weiter beobachten.“

„Thut das, Sir! Ihr werdet sehen, daß ich recht habe.“

Die Sonne brannte glühend heiß hernieder; der Mittag kam und verging, ohne daß uns von den Comantschen eine Antwort wurde. Dann aber bemerkten wir eine Bewegung unter ihnen, welche uns verriet, daß sie jetzt wieder voll beisammen waren. Vupa Umugi hatte eingesehen, daß es unmöglich war, einen Weg durch den Kaktus zu bahnen, und war zurückgekehrt. Es blieb ihm nun nichts weiter übrig, als eine zweite Unterredung anzubahnen. Wirklich sahen wir auch bald einen Comantschen kommen, welcher uns von weitem zurief, daß die beiden Häuptlinge noch einmal mit uns sprechen wollten. Wir gaben eine zustimmende Antwort und gingen nach der Stelle, an welcher die erste Besprechung stattgefunden hatte. Vorher aber nahm ich aus der Satteltasche die Medizinen, die ich aus dem Thale der Hasen mitgebracht hatte. Ich steckte sie unter den zugeknöpften Jagdrock, so daß sie nicht zu sehen waren.

Wir hatten uns kaum niedergesetzt, als Vupa Umugi mit Apanatschka kam. Sie nahmen ihre früheren Plätze uns gegenüber wieder ein und bemühten sich, so unbefangen wie möglich zu erscheinen, doch war es gar nicht zu verkennen, daß sie voller Sorge waren. Trotzdem war das Auge Apanatschkas nicht unfreundlich auf uns gerichtet, während in demjenigen des alten Häuptlings das Feuer des Hasses brannte.

Dieses Mal vermied es Vupa Umugi, uns lange warten zu lassen. Er begann ganz kurze Zeit, nachdem er sich niedergesetzt hatte:

„Ist Old Shatterhand noch derselben Meinung, wie er vorhin war?“

„Ja,“ antwortete ich.

„Ich habe mit meinen Kriegern gesprochen und bin gekommen, ihm einen Vorschlag zu machen.“

„Ich werde ihn hören.“

„Wir werden die Kriegsbeile begraben und mit euch die Pfeife des Friedens rauchen.“

„Schön! Ich sehe, daß du Verstand annimmst. Dieser Verstand wird dir aber sagen, daß wir deinen Vorschlag nur unter gewissen Bedingungen annehmen können.“

„Uff! Ihr wollt Bedingungen machen?“

„Natürlich!“

„Die giebt es nicht!“

„Die giebt es gar wohl! Oder glaubst du, daß nach allem, was geschehen ist und was in eurer Absicht lag, du nur zu sagen brauchst, daß du uns den Frieden bietest, um wie ein Sieger abziehen zu können? Das ist ein so freches Ansinnen, daß ich am liebsten unsern Kriegern befehlen möchte, die deinigen sofort niederzuschießen. Ich thue es auch, sobald du mir noch einmal mit einer solchen Dummheit kommst. Nimm dich in acht!“

Ich hatte das in so erhobenem und strengem Tone gesagt, daß er verlegen die Augen senkte. Dann fragte er in einem viel weniger zuversichtlichen Tone:

„Was verlangt ihr, um uns ziehen zu lassen?“

„Was ich schon gesagt habe. Wir schenken euch die Freiheit und das Leben, nehmen uns aber eure Pferde und Gewehre. Die andern Waffen könnt ihr behalten.“

„Darauf kann ich nicht eingehen!“

„Gut, so sind wir fertig, und der Kampf mag beginnen!“

Ich machte Miene, aufzustehen; da forderte er mich rasch auf. „Halt, bleib noch hier! Bist du wirklich so sicher und überzeugt, daß wir unterliegen?“

„Vollständig.“

„Wir werden uns wehren!“

„Das hilft euch nichts. Wir wissen, was geschehen wird, und du kannst dich auch nicht selbst darüber täuschen, daß im Falle des Kampfes keiner von euch leben bliebe.“

„Aber von euch würden auch sehr viele fallen!“

„Schwerlich! Mein Zaubergewehr reicht ganz allein aus, euch alle von uns fern zu halten. Es trägt seine Kugeln so weit, daß die eurigen uns gar nicht erreichen können.“

„Denke an Old Wabble, den wir bei uns haben!“

„Ich denke an ihn.“

„Er wird der erste sein, welcher stirbt!“

„Aber nicht der letzte; ihr werdet ihm folgen. Wenn sein Blut fließt, habt ihr keine Gnade zu erwarten.“

„Uff! Old Shatterhand glaubt, es mit Vupa Umugi grad so wie mit Nale-Masiuv machen zu können!“

„Ja, das denke ich.“

„Du hast seine Medizin gehabt und ihn also gewinnen können.“

„Habe ich dir nicht gesagt, daß ich die deinigen auch holen werde?“

„Das hast du gesagt; aber du bekommst sie nicht.“

Pshaw! Nichts ist leichter, als sie zu holen. Ich weiß, wo du sie gelassen hast.“

„Wo?“

„Im Kaam-kulano.“

„Uff!“

„Sie hängen vor deinem Zelte, in dessen Nähe das Zelt steht, in welchem der gefangene Neger angebunden ist.“

„Uff! Von wem hat das Old Shatterhand erfahren?“

„Ich habe es nicht nur erfahren, sondern mit diesen meinen Augen gesehen. Paß auf, was ich jetzt thue!“

Ich stand auf, zog das Messer und sammelte mit demselben einen Haufen branddürren Kaktus; dann wendete ich mich wieder zu Vupa Umugi:

„Ich bin von dem Altschese-tschi nach dem Kaam-kulano geritten.“

„Uff!“

„Und habe von dort dreierlei mitgebracht.“

„Was?“

„Den Neger – –“

„Das ist nicht wahr!“

„Dein junges Lieblingspferd – –“

„Das glaube ich nicht!“

„Und deine Medizinen.“

„Das ist eine Lüge – eine große, große Lüge!“

„Old Shatterhand lügt nicht. Schau her!“

Ich öffnete meinen Jagdrock, zog die Medizinen hervor und legte sie auf den dürren Haufen. Als der Häuptling sie erblickte, schienen seine Augen aus ihren Höhlen treten zu wollen; seine Muskeln spannten sich an, und ich sah, daß er im nächsten Augenblicke aufspringen würde, um nach den Medizinen zu greifen; ich griff schnell zum Revolver, hielt ihm denselben entgegen und drohte:

„Halt, bleib sitzen! Ich habe dir Sicherheit und freie Rückkehr versprochen und werde mein Wort halten; aber diese Medizinen gehören jetzt mir, und sobald du Miene machst, dich an ihnen zu vergreifen, erschieße ich dich!“

Er sank kraftlos zusammen und stöhnte:

„Es – sind – – meine – – – Medizinen – – – wirklich – – -meine Medizinen!“

„Ja, sie sind es, und du erkennst jetzt abermals, daß Old Shatterhand stets weiß, was er sagt. Ich gab dir mein Wort, dich genau so wie Nale-Masiuv zu behandeln. Sag schnell, werdet ihr euch unter den Bedingungen, die ich dir mitgeteilt habe ergeben?“

„Nein – – das – – thun wir – – nicht!“

„So werde ich zunächst jetzt deine Medizinen verbrennen; später nehme ich dir die Skalplocke, und dann wirst du aufgehängt. Howgh!“

Ich nahm ein Zündholz aus der Tasche, strich es vor und hielt es an den Kaktus, der gleich zu brennen begann.

„Halt! Meine Medizinen, meine Medizinen!“ brüllte der Häuptling in größter Angst. „Wir ergeben uns; wir ergeben uns!“

Weil ich ihm den Revolver noch immer entgegenhielt, getraute er sich trotz seiner Aufregung nicht, seinen Platz zu verlassen. Ich löschte das Feuer aus und erklärte in meinem ernstesten Tone, indem ich ein zweites Zündholz nahm:

„Höre, was ich dir jetzt sage! Ich habe das Feuer getötet, weil du versprichst, dich zu ergeben. Laß dir ja nicht beikommen, dieses Versprechen nicht zu halten! Bei der geringsten Weigerung von deiner Seite zünde ich das Feuer wieder an, und dann verlöscht es nicht eher, als bis die Medizinen vollständig verbrannt sind. Diese Worte gelten so, als ob ich sie mit der Pfeife des Schwures bekräftigt hätte!“

„Wir ergeben uns; wir ergeben uns!“ versicherte er, vor Angst beinahe zitternd.

„Bekomme ich da meine Medizinen wieder?“

„Ja.“

„Wann?“

„In dem Augenblicke, in welchem wir euch die Freiheit wiedergeben, eher nicht. Wir werden sie bis dahin sehr gut aufbewahren, sie aber sofort vernichten, wenn ihr einen Versuch, euch zu befreien, macht. Ich verlange folgendes von dir: Du bleibst jetzt gleich hier bei uns, lieferst deine Waffen ab und wirst gebunden. Gehst du darauf ein?“

„Ich muß; ich muß, weil du meine Medizinen hast!“

„Apanatschka kehrt zu euern Kriegern zurück und teilt ihnen mit, was du beschlossen hast. Sie legen da, wo sie jetzt sind, alle ihre Waffen ab, lassen sie dort liegen und kommen dann einzeln zu uns, um so wie du gebunden zu werden. Werden sie das thun?“

„Sie thun es, denn die Medizinen ihres Häuptlings sind ihnen grad so heilig wie ihre eigenen.“

„Wohl! Sie werden durstig sein und Wasser bekommen; dann werden wir nach und nach auch ihre Pferde tränken und diesen Ort verlassen, um dahin zu gehen, wo mehr Wasser ist. Wenn ihr gehorsam seid und euch gut verhaltet, ist es nicht unmöglich, daß wir von unserer Strenge weichen und euch oder wenigstens einer Anzahl von euch die Pferde oder die Gewehre lassen. Du hörst, daß ich gegen dich gütiger bin, als ich gegen Nale-Masiuv war. Bist du einverstanden?“

„Ja. Ich muß mich doch fügen, um meine Medizinen und mit ihnen meine Seele zu retten!“

„So mag Apanatschka jetzt gehen. Ich gebe ihm die Zeit von dem vierten Teile einer Stunde. Wenn dann die Krieger der Comantschen nicht einer nach dem andern waffenlos bei uns erscheinen, werden deine Medizinen verbrannt!“

Der junge Häuptling stand auf, trat mir einen Schritt näher und sagte:

„Ich habe viel von Old Shatterhand gehört. Er ist das größeste aller Bleichgesichter, und niemand kann seiner Stärke und seiner Klugheit widerstehen; das haben wir auch heut erfahren. Apanatschka war sein Feind, freut sich aber sehr, ihn kennen gelernt zu haben, und wird, wenn er leben bleibt, von jetzt an stets sein Freund und Bruder sein!“

„Leben bleiben? Das Leben ist dir ja geschenkt!“

Da richtete er sich hoch und stolz auf und antwortete:

„Apanatschka ist weder ein Kind noch ein altes Weib, sondern ein Krieger; er läßt sich das Leben nicht schenken!“

„Was meinst du mit diesen Worten? Was beabsichtigst du? Was willst du thun?“

„Das wirst du nicht jetzt, sondern später erfahren.“

„Willst du uns Widerstand leisten?“

„Nein. Ich bin dein Gefangener wie alle Krieger der Comantschen und werde weder widerstreben noch zu fliehen suchen; aber Old Shatterhand und Winnetou sollen niemals von mir sagen, daß ich mein Leben der Angst um die Medizinen eines andern Häuptlings zu verdanken habe. Apanatschka weiß, was er sich und seinem Namen schuldig ist!“

Er drehte sich um und schritt stolz von dannen.

„Uff!“ erklang es von den Lippen Winnetous.

Das war ein Ausruf der Anerkennung, ja, der Bewunderung. Wenn der schweigsame Apatsche sich zu einem solchen hinreißen ließ, so konnte die Veranlassung dazu keine gewöhnliche sein. Auch meine Augen waren gefangen, dem wackern, jungen Krieger zu folgen, der mich gleich bei dem ersten Blicke angezogen hatte und nun durch sein Verhalten bewies, daß er in Beziehung auf seine Gesinnung weit über seinesgleichen emporragte; denn was er beabsichtigte, das ahnte ich und das ahnte auch Winnetou.

Jetzt stand auch Vupa Umugi auf, langsam und mühsam, als ob eine Last ihn niederdrücken wolle. Und der Vorwurf, den er sich machen mußte, daß er, der oberste Kriegshäuptling der Naiini-Comantschen, gezwungen war, sich seinen Feinden, die er verderben wollte, ohne jede Gegenwehr zu ergeben, war auch eine Last, eine große und schwere Last für ihn, deren er vielleicht im ganzen Leben nicht wieder ledig wurde. Er schritt fast wankend zwischen uns her, als wir zu unsern Leuten zurückkehrten, nachdem ich die Medizinen wieder an mich genommen hatte. Dort ließ er sich willig fesseln und auf die Erde legen.

Natürlich war Old Surehand der erste, dem wir das Ergebnis unserer Verhandlung mitteilten. Dann nahm mich gleich der „General“ in Beschlag, der gehört hatte, was ich Old Surehand sagte, und mir Lobeserhebungen machen wollte, die ich kalt zurückwies. Dabei ruhten seine Augen gierig auf meinen Gewehren, was ich jetzt leider nicht beachtete, woran ich aber später anders, als mir lieb war, erinnert wurde. Dann sagte er in gedämpftem Tone:

„Ich interessiere mich sehr für Euch und alle, die bei Euch sind, also auch für Mr. Surehand. Ist das sein richtiger Name?“

„Glaube es nicht,“ antwortete ich.

„Wie heißt er eigentlich?“

„Das weiß ich nicht.“

„Aber seine Verhältnisse kennt Ihr wohl?“

„Nein.“

„Auch nicht, woher er stammt?“

„Auch nicht. Wenn Ihr das alles wissen wollt, will ich Euch einen guten Rat geben.“

„Nun?“

„Fragt ihn selbst! Vielleicht sagt er es Euch. Mir hat er’s nicht gesagt, und ich war auch nicht so neugierig, es wissen zu wollen.“

Damit drehte ich mich um und ließ ihn stehen.

Nun warteten wir, ob die Comantschen sich einstellen würden. Der erste, welcher kam, war nicht ein Roter, sondern ein Weißer, nämlich Old Wabble. Er kam nicht zu Fuß, sondern geritten; er hatte sich das nicht nehmen lassen. Bei mir hielt er an, sprang vom Pferde, hielt mir grüßend die Hand entgegen und rief froh und unbefangen, als ob er sich gar nichts vorzuwerfen habe:

Welcome, Sir! Ich muß Euch die Hand drücken, daß Ihr gekommen seid. Hatte große Sorge, wie das ablaufen würde. Nun aber ist ja alles wieder gut; th’is clear!“

„Nein, das ist nicht so klar!“ antwortete ich, ohne seine Hand anzunehmen. „Ich habe mit Euch nichts mehr zu thun!“

„So? Ah! Warum?“

„Weil Ihr trotz Euers hohen Alters ein ganz dummer, nichtsnutziger Boy seid, vor dem sich jeder verständige und bedachtsame Mann zu hüten hat. Geht mir aus den Augen!“

Ich ließ auch ihn stehen wie vorhin den General; er ging zu Old Surehand, dann zu Parker und Hawley; sie wendeten sich, ohne ihm zu antworten, grad so von ihm ab wie ich. Er stand allein, bis sich der General an ihn machte.

Nun folgten die Comantschen einer nach dem andern, so wie ich es verlangt hatte. Sie waren entweder selbst zu der Einsicht gekommen, daß keine andere Rettung für sie sei, oder besaß Apanatschka einen solchen Einfluß auf sie, daß sie seinen Vorstellungen und Befehlen keinen Widerstand geleistet hatten. Jeder wurde, wie er kam, nach Waffen untersucht und dann gefesselt. Es gab keinen unter ihnen, bei dem etwas gefunden wurde; sie hatten alles, was als eine Wehr gelten konnte, abgelegt und bei den Pferden gelassen. Als sie dann so nebeneinander lagen, hundertundfünfzig kühne und gewissenlose Indianer, welche ausgezogen waren, zu rauben und zu morden und keinen Gegner zu schonen, wurde es uns erst richtig klar, welcher Gefahr und welchem Schicksal wir entgangen waren.

Wenn ich sage, die Comantschen lagen alle da, so ist einer von ihnen auszunehmen, nämlich Apanatschka, welcher sich zuletzt eingestellt hatte und auf einen Wink von mir nicht gefesselt worden war, Als die Apatschen den letzten Comantschen gefesselt hatten, trat der junge Häuptling zu mir heran und sagte:

„Old Shatterhand wird nun wohl auch mich in Banden legen lassen wollen?“

„Nein,“ antwortete ich. „Mit dir möchte ich gern eine Ausnahme machen.“

„Warum mit mir?“

„Weil ich Vertrauen zu dir habe, denn du bist nicht wie die anderen Söhne der Comantschen, denen man nicht glauben kann.“

„Willst du mich kennen? Du hast mich doch heute zum erstenmale gesehen!“

„Das ist wahr; aber dennoch kenne ich dich. Dein Gesicht und deine Augen können nicht lügen. Du sollst deine Waffen tragen dürfen und ungefesselt mit uns reiten, wenn du mir das Versprechen giebst, nicht die Flucht zu ergreifen.“

Winnetou und Old Surehand standen bei mir. Über das ernste Gesicht Apanatschkas ging ein sonnenheller Blick der Freude, doch antwortete er nicht.

„Willst du mir dieses Versprechen geben?“ fragte ich.

„Nein,“ antwortete er.

„Du hast also die Absicht, zu entfliehen?“

„Nein.“

„Warum weigerst du dich da, das von mir geforderte Versprechen zu geben?“

„Weil ich nicht zu fliehen brauche, denn ich werde entweder tot sein oder frei, wenn Old Shatterhand und Winnetou wirklich die echten und stolzen Krieger sind, für die ich sie halte.“

„Ich errate, was du meinst, dennoch bitte ich dich, dich deutlicher auszusprechen.“

„Ich werde es thun. Apanatschka ist kein feiger Mann, der sich gefangen giebt, ohne nur die Hand zur Abwehr erhoben zu haben. Vupa Umugi mag aus Angst um seine Medizinen auf alle Verteidigung verzichtet haben; von mir aber soll niemand sagen, daß ich mich fürchte. Ich bin um seinet- und um unsrer Krieger willen einverstanden gewesen, daß sie sich euch ausgeliefert haben; mich aber habe ich im stillen ausgeschlossen. Apanatschka läßt sich weder die Freiheit noch das Leben schenken; was er hat, will er nicht der Gnade, sondern sich selbst zu verdanken haben. Ich will kämpfen!“

Das hatten wir, Winnetou und ich, erraten. Er war ein junger Mann, dem wir unsre Achtung schenken mußten. Er sah uns fragend an, und als wir ihm nicht sogleich unsern Bescheid sagten, fügte er hinzu:

„Wenn Feiglinge diese meine Worte hören, so weisen sie mich ab; aber ich habe es mit tapfern, mit berühmten Kriegern zu thun, die mich verstehen werden.“

„Ja, wir verstehen und begreifen dich,“ antwortete ich.

„So gebt ihr eure Einwilligung?“

„Ja.“

„Aber bedenkt wohl: diese eure Einwilligung wird sehr wahrscheinlich einem von euch das Leben kosten!“

„Meinst du, daß wir weniger Mut besitzen als du?“

„Nein; aber ich mußte ehrlich sein und euch darauf aufmerksam machen.“

„Das ist ein Beweis, daß wir uns in Apanatschka nicht geirrt haben. Er mag uns sagen, wie er sich diesen Kampf um die Freiheit und um das Leben denkt? Mit wem will er sich messen?“

„Mit dem, den er dazu bestimmt.“

„Wir wollen nicht weniger ehrlich sein, als du gewesen bist. Du magst dir denjenigen aussuchen, der dein Gegner sein soll. Welche Waffe soll es sein?“

„Diejenige, die ihr bestimmt.“

„Auch das überlassen wir dir.“

„Old Shatterhand ist großmütig!“

„Nein. Was ich thue und bestimme, das versteht sich ganz von selbst. Wir sind die Sieger und kennen uns untereinander genau. Wir dürfen nicht den Vorteil beanspruchen, dir einen Gegner auszuwählen, weil wir wissen, daß er dir überlegen ist.“

„Überlegen? Apanatschka hat bis jetzt noch keinen Feind gefunden, vor dem er gewichen ist.“

„Desto besser für dich. Und die Art und Weise des Kampfes? Auch die überlassen wir dir. Wähle!“

„So wähle ich das Messer. Die beiden Gegner werden mit den linken Händen zusammengebunden und bekommen das Messer in die rechte Hand. Es geht um das Leben. Ist Old Shatterhand einverstanden?“

„Ja. Wen suchst du dir aus?“

„Würdest du beistimmen, wenn ich dich wählte?“

„Ja.“

„Und Winnetou?“

„Auch ich,“ antwortete der Apatsche.

Das Gesicht des Comantschen nahm einen hochbefriedigten Ausdruck an; er sagte:

„Apanatschka ist sehr stolz darauf, daß die zwei berühmtesten Krieger des Westens bereit sind, mit ihm zu kämpfen. Würden sie ihn für feige halten, wenn er trotzdem keinen von ihnen wählte?“

„Nein,“ antwortete ich. „Dein Grund würde jedenfalls ein ganz andrer sein.“

„Ich danke dir. Winnetou und Old Shatterhand werden für unüberwindlich gehalten, und wenn ich sie nicht wähle, kann es scheinen, als ob es mir am Mute fehle. Aber sie beide sind Männer, die mir für heilig und für unantastbar gelten; sie sind die Freunde aller roten und aller weißen Krieger und leben allen Bewohnern des wilden Westens als Vorbilder, die ich nicht verletzen darf. Wenn einer von ihnen unter meinem Messer fiele, würde das ein Verlust sein, den ich und niemand jemals ersetzen kann. Das ist der Grund, weshalb ich weder den roten noch den weißen Häuptling der Mescalero-Apatschen wähle.“

„So suche dir einen andern aus!“

Er ließ sein Auge forschend über die Schar der Apatschen, über Old Wabble, Parker und Hawley schweifen und richtete den Blick dann auf Old Surehand.

„Apanatschka ist ein Häuptling und möchte nicht mit einem gewöhnlichen Krieger kämpfen,“ sagte er dann. „Wer ist das Bleichgesicht, welches hier bei Euch steht?“

„Sein Name ist Old Surehand,“ antwortete ich.

„Old Surehand? Von ihm hörte ich oft sprechen. Er ist stark, gewandt und tapfer; ihn kann ich also zum Gegner wählen, ohne in den Verdacht zu kommen, daß ich dabei an meinen Vorteil denke. Wird er diese meine Wahl annehmen oder zurückweisen?“

„Ich nehme sie an,“ antwortete Old Surehand, ohne sich einen Augenblick zu bedenken.

„Aber Apanatschka wiederholt seine vorigen Worte, daß es um das Leben geht!“

„Dieser Worte bedarf es nicht. Ich weiß, daß so etwas nicht als Spiel zu betrachten ist. Apanatschka mag sagen, wann der Kampf stattfinden soll!“

„Ich wünsche, daß er sogleich beginne, Ist Old Shatterhand einverstanden?“

„Ja,“ antwortete ich.

„So habe ich eine Bitte.“

„Welche?“

„Es ist bisher alles nach meiner Wahl gegangen; dafür muß ich meinem Gegner einen Vorteil bieten.“

„Welchen?“

„Er mag den ersten Stich haben. Er soll mein Messer nicht eher fühlen, als bis ich das seinige empfangen habe.“

Da warf Old Surehand ein:

„Das nehme ich nicht an! Ich bin kein Knabe, dem man Schonung bieten kann. Es soll keiner das Recht des Angriffes, des ersten Stiches haben. Old Shatterhand mag das Zeichen geben, wann der Zweikampf beginnen Soll, und dann kann von uns beiden anfangen, wer da will.“

„So ist’s recht,“ stimmte ich bei. „Es darf keiner vor dem andern etwas voraus haben. Apanatschka mag gehen und sein Messer holen!“

Er hatte seine Waffe natürlich auch da abgelegt, wo diejenigen seiner Comantschen lagen; er ging.

„Ein tüchtiger Kerl!“ sagte Old Surehand. „Man muß ihn wirklich achten, und ich gestehe sogar, daß ich ihn lieb haben könnte. Schade, wirklich jammerschade um ihn!“

„Wieso?“

„Wenn er mich zwänge, ihn niederzustechen.“

„Hm! Seid Ihr Eurer Sache so sicher?“

„Ich denke es, obgleich ich weiß, daß der Zufall es oft anders fügt, als man vorher denkt.“

„Ganz richtig, und ich bitte Euch, dies ja nicht außer acht zu lassen. Er besitzt jedenfalls eine bedeutende Körperstärke!“

„Was das betrifft, so denke ich, es mit ihm aufnehmen zu können. Oder nicht?“

„Ja; Ihr seid ja wegen Eurer Muskelkraft berühmt. Aber seht ihn dort gehen! Es federt jedes Glied, wenn er sich bewegt; er ist jedenfalls außerordentlich gewandt.“

„Mag sein. Ich denke, es dennoch mit ihm aufzunehmen. Man hat nicht umsonst seinen guten Turn- und Fechtunterricht genossen, sich von Jugend auf geübt und sich dann unter tausend Gefahren in den bloody-grounds herumgetrieben. Aufrichtig gestanden, meine ich, ihm überlegen zu sein, so daß ich mir sogar vornehme, sein Leben zu schonen.“

„Was das betrifft, so müßt Ihr freilich am besten wissen, wie Ihr haltet. Ich gestehe aufrichtig, daß es mir leid um ihn thun würde, wenn er fiele.“

„Aber um mich wohl nicht?“ lächelte er.

„Diese Frage ist natürlich überflüssig. Oder soll ich Euch extra ein Liebesgeständnis machen und Euch in einer langen und begeisterten Rede erklären, daß ich ohne Euch nicht leben kann?“

„Nein, das ist freilich nicht nötig, Sir. Ich habe Euch herzlich, herzlich lieb und weiß, daß Ihr mir auch gewogen seid. Sollte mir jetzt in diesem Zweikampfe etwas Menschliches passieren, so bitte ich Euch, mich nicht allzu schnell zu vergessen, Mr. Shatterhand. Wollt Ihr das? Gebt mir Eure Hand darauf!“

„Hier ist sie, obgleich es dieser Bekräftigung gar nicht bedarf, Mr. Surehand.“

„Und dann habe ich noch eine Bitte.“

„Sprecht sie aus! Wenn ich kann, werde ich sie erfüllen.“

„Sollte ich fallen, so geht nach Jefferson-City am Missouri. Kennt Ihr diese Stadt?“

„Ja.“

„Dort findet Ihr in der Fire-Street das Bankgeschäft von Wallace und Co. Sagt Mr. Wallace Euern Namen, auf welche Weise ich meine Laufbahn hier beendet habe, und bittet ihn um Auskunft über das, was mich so oft immer und immer wieder in den wilden Westen getrieben hat!“

„Wird er es mir mitteilen?“

„Ja, wenn ich nämlich tot bin und Ihr ihm versichert, daß Ihr in dieser Angelegenheit mein Erbe seid. So lange ich lebe, wird er freilich keinem Menschen etwas sagen.“

„Und wenn ich es erfahren habe, was soll ich dann thun?“

„Das, was Ihr wollt.“

„Es wäre mir lieber, wenn ich von Euch bestimmtere Weisungen erhalten könnte.“

„Die mag ich Euch nicht geben, Sir. Die Angelegenheit ist nämlich eine sehr ungewöhnliche, und wenn Ihr die Absicht hättet, in meine Fußstapfen zu treten, so ständen Euch große Mühen und Gefahren bevor.“

„Glaubt Ihr, daß ich diese scheuen würde?“

„Nein; ich kenne Euch ja. Aber ich will Euch nicht zumuten, Euer Leben an eine Sache zu setzen, welche Euch vollständig fremd ist und Euch selbst in dem Falle, daß es Euch gelingt, sie zu Ende zu führen, nicht den geringsten Nutzen bringen kann.“

„Wer fragt nach dem Nutzen, wenn es sich um einen Dienst der Freundschaft handelt!“

„Ihr nicht; das weiß ich ja; dennoch stelle ich kein Verlangen an Euch. Laßt Euch also von Mr. Wallace erzählen, um was es sich handelt, und thut dann das, was Euch Euer Herz und das Andenken an mich gebieten! Um mehr kann ich nicht bitten, und damit mag diese Angelegenheit erledigt sein.“

Indem Old Surehand dies sagte, kehrte Apanatschka zurück, mit dem Messer in der Hand. Der Zweikampf konnte also beginnen.

Es ist leicht zu denken, welche Aufregung es unter den Anwesenden hervorbrachte, als sie hörten, daß ein Messerkampf um das Leben zwischen Old Surehand und Apanatschka ausgefochten werden sollte. Die Apatschen bildeten sofort einen Halbkreis um uns, und zwar so, daß die an der Erde liegenden, gefesselten Comantschen das Schauspiel auch beobachten konnten.

Old Surehand entledigte sich seiner Waffen und behielt nur das Messer; dann gab er Apanatschka die Hand und sagte in freundlichem Tone zu ihm:

„Ich bin der Gegner des jungen Häuptlings der Comantschen; er hat es so gewollt. Es geht Leben um Leben, Tod um Tod, doch will ich, bevor ich das Messer gegen ihn erhebe, ihm sagen, daß ich mich darauf gefreut hatte, sein Freund und Bruder zu sein, Mag die Entscheidung fallen, wie sie wolle, sie fällt zwischen Männern, welche sich, würden sie nicht durch den Tod getrennt, gewiß geachtet und geliebt hätten.“

„Old Surehand ist ein berühmtes Bleichgesicht,“ antwortete Apanatschka; „meine Seele fühlt sich zu ihm hingezogen, und wenn er fallen sollte, wird sein Name stets in meinem Herzen wohnen.“

„Ich hoffe es. Nun bleibt nur noch eins auszumachen: Wenn einer von uns während des Kampfes sein Messer verliert, muß er es wiederbekommen?“

„Nein. Es ist seine Schuld, daß er es nicht festgehalten hat; er kann sich dann nur noch mit der Hand verteidigen. Howgh!“

Ihre Hände ruhten noch ineinander. Als sie jetzt, Auge in Auge, die Blicke ineinander tauchten, kam es plötzlich über mich, warum die Züge des Comantschen mir während der Unterredung bekannt vorgekommen waren; sie besaßen mit denen von Old Surehand eine wenn auch nicht auffällige, aber doch solche Ähnlichkeit, daß ich mich wunderte, dies nicht sofort erkannt zu haben – – ein ganz eigentümlicher Zufall, denn es konnte natürlich nichts andres als nur Zufall sein.

Jetzt zog Winnetou einen Riemen aus der Tasche und sagte:

„Meine Brüder mögen mir ihre linken Hände geben, daß ich sie binde!“

Er schlang den Riemen vierfach um die beiden Handgelenke, um sie zwar fest aber so zu vereinigen, daß der nötige, kleine Spielraum blieb. Dann traten wir zurück, um ihnen für ihre Bewegungen Platz zu machen. Es waren neunhundert Augen in größter Spannung auf sie gerichtet, beide aber sahen mich an, der ich das Zeichen geben sollte.

„Jetzt – – go on!“ sagte ich.

Sofort verließen mich ihre Blicke und richteten sich aufeinander. Hätte ich Apanatschka gegenüber gestanden, so wäre ich gewiß ganz ruhig und kaltblütig gewesen; so aber schlug mir das Herz so schnell, daß ich glaubte, seine Schläge hören zu können. Ich hatte Old Surehand sehr lieb gewonnen, und das Schicksal des Comantschen war mir auch nichts weniger als gleichgültig. Wer von beiden würde Sieger sein und wer unterliegen!

Sie standen einige Minuten still und bewegungslos, die rechten Hände mit den Messern herabgesenkt. Welcher wird den Arm zum ersten, blitzschnellen Stich erheben? Diese kurze Zeit kam mir wie eine Stunde und noch länger vor. Da – – – Old Surehand hob den Arm und im nächsten Momente bewegte sich derjenige des Comantschen mit einer solchen Schnelligkeit, daß wir mit den Augen nicht zu folgen vermochten – – ein metallisches Knirschen der beiden Klingen, ein dumpfer Schlag der beiden Fäuste, welche zusammenstießen; beide Messer flogen durch die, Luft, und beide Arme senkten sich wieder. Keiner war verletzt.

Das war ein Meisterstück von Old Surehand. Er wollte Apanatschka schonen, ihn nicht töten; das Erheben seines Armes war eine Finte gewesen, durch die er den Gegner zum Stoße verleitet hatte.

„Uff, uff, uff, uff!“ rief es im Kreise der Apatschen und Comantschen.

„Das ist nichts. Gebt ihnen die Messer wieder!“ schrie Old Wabble. „Blut muß man sehen, Blut!“

Die beiden Kämpfenden ließen die Augen nicht einen Moment voneinander; dabei sagte Apanatschka:

„Wünscht Old Surehand, daß wir die Messer wiederbekommen?“

„Nein,“ antwortete dieser. „Das würde gegen die Verabredung sein.“

„Ich sprach davon, daß einem von uns das Messer entfällt; wir haben sie aber beide verloren!“

„Das ist ganz dasselbe. Weiter mit den Fäusten!“

„Ja, weiter!“

Wieder standen sie eine Weile still; dann versetzte der Comantsche seinem Gegner einen Hieb auf den Kopf, daß es zu krachen schien, und erhielt fast in demselben Augenblick einen ebensolchen Schlag; keiner von beiden wankte.

„Uff!“ sagte Winnetou mit gedämpfter Stimme. „Keiner von ihnen ist Old Shatterhand!“

Beide sahen ein, daß mit solchen Faustschlägen nichts zu erreichen war, und hatten sich schnell bei den Kehlen. Ich war Zeuge so manches Zweikampfes gewesen; aber einem Ringen, wie es nun erfolgte, hatte ich noch nicht zugesehen. Sie hatten sich von dem Platze, auf welchem sie standen, nicht um einen Zoll entfernt, ihre kräftigen, muskulösen Gestalten ragten wie Säulen, wie eherne Statuen aus dem Boden auf; die mächtigen Schenkel schienen in der Erde festgewachsen zu sein; die gefesselten Hände gesenkt, hatten sie die rechten Arme erhoben und die Kehlen einander mit den Händen wie mit Schrauben umklammert. So standen sie unbeweglich. Hätte ein Photograph seinen Apparat auf sie gerichtet, das Bild hätte sicher nicht die allergeringste Schwankung gezeigt.

Jeder hatte die Absicht, dem andern den Atem zu rauben; es war ein schreckliches, weil starres und vollständig bewegungsloses Würgen, bei dem es darauf ankam, welcher Hals, welche Gurgel am kräftigsten entwickelt war. Das Gesicht Old Surehands wurde röter und röter; es begann, blau anzulaufen. Dasjenige des Comantschen war dunkler gefärbt, dennoch sah man deutlich, daß es auch immer tiefere Töne annahm. Dann hörten wir ein Ächzen, ohne aber zu wissen, von wem es kam – ein Stöhnen, ein doppeltes Röcheln; dann begannen sie zu wanken, beide zugleich; ihre Füße erhoben sich und stampften im Sande; die Beine spreizten sich aus, um festen Halt zu gewinnen, die steifen Körper neigten sich herüber und hinüber, vorwärts und rückwärts; es folgte ein erstickendes Gurgeln, und dann war es aus; sie stürzten um und fielen beide wie leblose Figuren steif und starr in den Sand. Da blieben sie liegen, ohne die Hände voneinander zu lassen.

Die vielen Zuschauer waren still; keiner von ihnen ließ ein Wort, einen Ruf hören; so wirkte dieser lautlose Würgkampf sogar auf diese wilden Menschen. Ich kniete mit Winnetou bei den Zweikämpfern nieder, um zu erfahren, wie es mit ihnen stand. Wir mußten alle Kraft anwenden, um die zwei zusammengekrallten Hände von den blutunterlaufenen Hälsen zu entfernen; dann griffen wir beide unter die Jagdhemden, um den Herzschlag zu untersuchen.

„Uff!“ sagte Winnetou. „Apanatschka lebt noch; er ist noch nicht erwürgt.“

„Und auch ich fühle den allerdings ganz leisen Puls,“ antwortete ich. „Sie sind bewußtlos. Warten wir, bis sie zu sich kommen!“

Wir befreiten ihre Hände von den Riemen. Da kam Old Wabble zu uns und fragte:

„Sind sie tot, beide tot?“

Wir antworteten nicht.

„Wenn sie etwa nicht tot, sondern nur ohnmächtig sind, so ist der Kampf natürlich nicht zu Ende, sondern muß mit den Messern von neuem begonnen werden; th’is clear!“

Da stand Winnetou auf, streckte den Arm aus und sagte nur das eine Wort.

„Fort!“

In solchen Augenblicken war er ganz Häuptling, ganz der Mann, gegen dessen Willen es keinen Widerspruch gab. Gegen seine Augen, sein Gesicht und seine Haltung war da nicht aufzukommen. So erging es jetzt auch dem alten Cowboy; er wagte kein Wort, drehte sich um und ging brummend von dannen.

Nach einiger Zeit begannen die Bewußtlosen sich zu bewegen, und zwar beide mit den Händen an die Hälse. Old Surehand öffnete zuerst die Augen; er starrte uns wie abwesend an; dann besann er sich und stand taumelnd auf.

„Das – – das – – das war – –“ stammelte er.

Ich nahm ihn beim Arme, um ihn zu halten, und sagte:

„Ein schreckliches Würgen! Nicht wahr?“

„Ja – aaa – – aaaaa!“ gurgelte er. „Meine Kehle ist – – noch – – halb zuuuuuuu!“

„So redet jetzt noch nicht! Könnt Ihr fest stehen?“

Er holte tief, tief Atem, machte eine starke Anstrengung, seine Schwäche zu überwinden und antwortete:

„Ja, ich kann. Wie steht – – es mit – – Apanatschka – –? Lebt – – lebt er noch?“

„Ja; er wird gleich zu sich kommen. Seht, da hat er schon die Augen offen!“

Wir mußten dem Comantschen auch aufhelfen; er war genau so schwindelig wie sein weißer Gegner, und es verging eine ziemliche Weile, ehe beide wieder Herren ihrer Sinne und Glieder waren. Als dies der Fall war, fragte mich Apanatschka:

„Wer hat gesiegt?“

„Keiner,“ antwortete ich.

„Wer fiel zuerst um?“

„Auch keiner; ihr stürztet zu gleicher Zeit.“

„So müssen wir wieder beginnen. Gebt uns die Messer und bindet uns zusammen!“

Er wollte sich entfernen, um sein Messer da, wo es hingeschleudert worden war, zu holen; ich hielt ihn aber am Arme zurück und erklärte in bestimmtem Tone:

„Halt! Der Kampf ist zu Ende und wird nicht wieder angefangen; ihr seid miteinander fertig.“

„Nein!“

„Ja!“

„Es ist keiner von uns tot!“

„Würde etwa bestimmt, daß unbedingt einer von euch beiden sterben muß?“

„Nein; aber einer muß doch Sieger sein!“

„Nimm es, wie du willst! Ihr seid entweder beide besiegt oder beide Sieger. Auf alle Fälle aber hast du dein Leben eingesetzt und also bewiesen, daß du dir die Freiheit nicht schenken lässest.“

„Uff! Ist das wirklich deine Ansicht?“

„Ja.“

„Und wie denkt Winnetou?“

„Ganz wie mein Bruder Old Shatterhand,“ antwortete der Apatsche. „Apanatschka, der junge Häuptling der Naiini, ist nicht ohne Kampf in unsre Hände gefallen.“

„Werden das auch alle andern sagen?“

„Wenn Winnetou es sagt, so ist’s genug. Kein Krieger der Apatschen wird eine andre Meinung haben als ich!“

„So will ich mich bescheiden. Ich bin also jetzt euer Gefangener, ohne mir einen Vorwurf machen zu müssen. Hier sind meine Hände; bindet mich so, wie alle Krieger der Comantschen gebunden sind!“

Ich sah Winnetou fragend an. Ein Blick von ihm genügte mir, zu wissen, was er dachte; darum schob ich die ausgestreckten Hände Apanatschkas zurück und sagte:

„Ich habe dir schon vorhin gesagt, daß wir dich nicht fesseln, sondern dir sogar deine Waffen geben werden, wenn du uns versprichst, nicht zu fliehen. Willst du uns dieses Versprechen geben?“

„Ich gebe es.“

„So hole dein Gewehr und dein Pferd!“

Er stand schon im Begriff, sich umzudrehen und fortzugehen, that dies aber nicht, sondern sprach:

„Sogar mein Gewehr soll ich haben? Wenn ich euch nun betrüge und mein Wort nicht halte, sondern versuche, unsre Krieger zu befreien?“

„Das thust du nicht. Du bist kein Betrüger.“

„Uff! Old Shatterhand und Winnetou werden sehen, daß Apanatschka das Vertrauen verdient, welches sie ihm schenken.“

„Wir brauchen das gar nicht erst zu erfahren. Unser Vertrauen ist sogar noch viel größer, als du denkst. Höre, was ich dir jetzt sagen werde!“

„Was?“

„Nimm dein Gewehr und alles, was du bei dir hattest; setze dich auf dein Pferd und reite fort!“

„Fortreiten?“ fragte er erstaunt.

„Ja.“

„Wohin?“

„Wohin du willst.“

„Wohin ich will? Das kann und darf ich nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil ich euer Gefangener bin.“

„Du irrst. Du bist frei.“

„Frei – –?!“ wiederholte er dieses Wort.

„Ja. Wir haben dir nichts zu sagen und nichts zu befehlen; du bist dein eigener Herr und kannst thun und lassen, was dir beliebt.“

„Aber – – aber – – aber warum?“ fragte er, indem er einige Schritte zurücktrat und uns mit weit geöffneten Augen ansah.

„Weil wir wissen, daß du ohne Trug und Falschheit bist, und weil wir die Freunde und Brüder aller ehrlichen und guten Menschen sind.“

„Aber wenn ich nun anders bin, als ihr denkt?“

„Das bist du nicht!“

„Wenn ich fortreite und Krieger hole, um eure Gefangenen zu befreien?“

„Das brächte kein Mensch fertig. Unsre Gefangenen sind uns sicher. Woher solltest du solche Krieger bekommen? Woher das Wasser? Und wenn dir das alles möglich wäre, so würdest du doch keine Hand und keinen Fuß zur Befreiung Vupa Umugis rühren, denn du hast teil an der Beratung genommen, die ihn in unsere Hände lieferte. Du hast deine Zustimmung gegeben und wirst sie nicht zurücknehmen, weil du die Freiheit erhalten hast.“

Da rötete sich sein Gesicht vor Freude und Entzücken tiefer, und es war ein wahrer Herzenston, in welchem er versicherte:

„Old Shatterhand und Winnetou mögen hören, was Apanatschka, der Häuptling der Comantschen, ihnen jetzt sagt! Ich bin stolz darauf, daß so berühmte Männer mir vertrauen und an mich glauben, und nie im Leben werde ich es vergessen, daß ihr mich für ohne Trug und Falschheit hieltet. Ich bin frei und kann gehen, wohin ich will; aber ich werde bei euch bleiben und, anstatt hinter euerm Rücken mit euern Gefangenen heimlich zu verkehren, vielmehr scharf auf sie achten und dafür sorgen, daß keiner von ihnen die Flucht ergreift. Das werde ich thun, obgleich sie meines Stammes sind.“

„Wir sind überzeugt davon und werden uns jetzt mit dir niedersetzen, um mit dir das Kalumet der Freundschaft und der Bruderschaft zu rauchen.“

„Das – – das – – – wolltet ihr auch thun?“

„Ja. Oder bist du nicht bereit dazu?“

„Uff, uff! Nicht bereit! So weit es rote Männer giebt, ist kein einziger braver Krieger zu treffen, der es nicht für die größte Auszeichnung seines Lebens hielte, mit euch das Kalumet rauchen zu dürfen.“

„Aber was wird Vupa Umugi und was werden die andern Gefangenen dazu sagen?“

Wupa Umugi? Bin ich nicht ein Häuptling so wie er? Habe ich gewöhnliche Krieger zu fragen, was ich thun darf und was nicht? Wer von ihnen hat das Recht, mir einen Befehl zu erteilen oder Rechenschaft von mir zu fordern? Ich werde nicht einmal Kolakekho fragen.“

Kolakekho heißt mein Vater.

„Deinen Vater? Ist er mit hier?“

„Ja.“

„Wo?“

„Er liegt dort neben Vupa Umugi.“

„Ah! Seine Kleidung und sein Haarschopf sagen mir, daß er der Medizinmann der Comantschen ist?“

„Er ist’s.“

„Hat er ein Weib?“

„Ja, meine Mutter.“

„Du wirst mein Freund und Bruder sein und dich darum nicht wundern, wenn ich dich nach deiner Mutter frage. Bei uns Christen ist es Brauch, wenn sie mit einem Sohne sprechen, zugleich auch an diejenige zu denken, die ihn unter ihrem Herzen getragen hat. Befindet sich deine Mutter wohl?“

„Ihr Körper ist gesund, aber ihre Seele ist nicht mehr bei ihr, sondern sie ist zum großen Manitou gegangen.“

Damit wollte er sagen, daß seine Mutter irrsinnig sei. Sie war die Frau, mit welcher ich am Kaam-kulano gesprochen hatte. Ich hätte sehr gern mehr über sie gehört, durfte aber, wenn ich nicht auffallen wollte, dieses Thema nicht weiter verfolgen. Ich hätte jetzt auch keine Zeit dazu gehabt, denn jetzt sahen wir von Norden her eine Anzahl Reiter kommen, welche Packpferde bei sich hatten; das waren die ersten Apatschen, welche Wasser brachten. Die Verbindung mit der Oase war also glücklich hergestellt und wir konnten von jetzt an auf eine ununterbrochene Wassersendung rechnen.

Wir waren zwar auch durstig, aber die Gefangenen natürlich noch weit mehr als wir, weshalb sie zuerst berücksichtigt wurden. Der Inhalt der Schläuche reichte zwar nicht weit; da aber unsre Relais-Posten ohne Pause thätig waren, kamen nach und nach weitere Sendungen an, mit denen wir zuletzt auch die Pferde wenigstens soweit befriedigen konnten, daß sie imstande waren, den Rückweg auszuhalten.

Nach dieser Verteilung des Wassers ging die Ceremonie des Kalumets vor sich, durch welche Apanatschka uns zur immerwährenden Freundschaft verbunden wurde, und ich hatte die beste Zuversicht zu ihm, daß er es nicht so wie Schiba-bigk machen würde, der mir einmal untreu geworden war.

Unser Rückweg mußte natürlich nach der Oase führen, schon des Wassers wegen, welches die vielen Menschen und Pferde brauchten. Vom Satttrinken konnte besonders bei den Tieren keine Rede sein, und das nötigte uns, die Rückkehr möglichst bald anzutreten; darum beschlossen wir, den Abend und die Nacht zu reiten, was auch darum vorzuziehen war, weil dadurch die ermattende Hitze des Tages vermieden wurde.

Die Waffen der Comantschen wurden unter den Apatschen verteilt, und dann brachten wir die Gefangenen auf ihre Pferde, wegen deren Ermattung der Ritt leider nur langsam vor sich gehen konnte. Doch trafen wir unterwegs von Relais zu Relais auf so viel Wasser, welches die armen Tiere bekamen, daß sie es bis zur Oase aushalten konnten.

Natürlich schloß sich jeder dieser Posten, sobald wir ihn erreichten, an uns an, auch wurde jeder Pfahl, an den wir kamen, aus der Erde gezogen und mitgenommen; denn wenn wir sie stecken lassen hätten, wären sie möglicherweise für andere Leute die Wegweiser zu Bloody-Fox geworden, was vermieden werden mußte.

Der „General“ hatte sich uns mit seinen weißen und roten Begleitern angeschlossen, was wir nicht gut verhindern konnten, obgleich uns seine Anwesenheit nichts weniger als willkommen war. Was die Beaufsichtigung der Gefangenen unterwegs betrifft, so fiel uns dieselbe nicht schwer, weil wir ‚ die Maßregel getroffen hatten, daß je ein Comantsche zwischen zwei Apatschen ritt; die beiderseitige Anzahl machte dies bequem.

Unser nächtlicher Ritt ging ganz gut von statten und wurde nur dann für kurze Zeit unterbrochen, wenn wir auf die uns entgegenkommenden Posten stießen, welche Wasser brachten; da wurde angehalten, um es sogleich zu verteilen.

Schon damals, gleich nach meinem Zusammentreffen mit der irrsinnigen Frau am Kaam-kulano, hatte ich mir vorgenommen, falls ihr Mann in unsere Hände fallen Sollte, den unauffälligen Versuch zu machen, etwas über sie zu erfahren. Jetzt, da wir ihn hatten, konnte ich diesen Vorsatz ausführen. Ich lenkte, als wir unterwegs waren, mein Pferd an seine Seite und fragte ihn:

„Mein roter Bruder ist der Medizinmann der Naiini-Comantschen?“

„Ja,“ antwortete er verdrossen.

„Alle roten Männer pflegen, ehe sie einen Kriegszug beginnen, die Medizin nach dem Ausgange desselben zu befragen. Habt ihr das nicht gethan?“

„Wir thaten es.“

„Was sagte die Medizin?“

„Sie sagte, daß wir siegen würden.“

„So hat sie gelogen!“

„Die Medizin lügt nie, denn der große Manitou spricht durch sie. Aber die Medizin kann das größte Glück verkünden, wenn die Krieger so, wie es jetzt geschehen ist, Fehler über Fehler begehen, so muß sich dieses Glück in Unglück verwandeln.“

„Ist mein Bruder ein geborener Naiini?“

„Ja.“

„Ich höre, daß er der Vater des jungen Häuptlings Apanatschka ist?“

„Apanatschka ist mein Sohn.“

„Hast du noch andere Söhne?“

„Nein.“

„Oder Töchter?“

„Nein.“

„Lebt die Gefährtin deines Wigwams noch?“

„Sie lebt.“

„Darf ich wissen, welchen Namen sie trägt?“

Er stutzte, zögerte eine Weile und antwortete dann:

„Old Shatterhand ist ein berühmter Häuptling. Pflegen Häuptlinge sich um die Squaws anderer Leute zu bekümmern?“

„Warum nicht?“

„Die Bleichgesichter mögen anders denken; aber für einen roten Krieger oder gar Häuptling will es sich nicht schicken, fremder Weiber zu gedenken!“

Ich ließ mich durch diesen Verweis natürlich nicht stören und fuhr in meiner Erkundigung fort:

„Ich bin eben kein roter, sondern ein weißer Krieger und habe mit Apanatschka die Pfeife der Bruderschaft geraucht. Weißt du das?“

„Ich habe es gesehen,“ grollte er. „Apanatschka konnte etwas Besseres thun als das!“

„Hat es deinen Beifall nicht?“

„Nein.

„Er denkt ganz anders darüber als du, und da er mein Bruder geworden ist, empfinde ich natürlich Teilnahme für alle, die ihm nahe stehen, für dich, seinen Vater also, und auch für diejenige, die er seine Mutter nennt. Es wird dir also nicht mehr fremd vorkommen, daß ich gerne ihren Namen hören möchte.“

„Von mir wirst du ihn nicht erfahren.“

„Warum nicht?“

„Ich sage ihn nicht. Howgh!“

Dieses Wort kündete mir an, daß ich wirklich keine Antwort bekommen würde. War es wirklich nur der indianische Brauch, keine fremde Frau in den Mund zu nehmen, oder hatte er andere Gründe, über sein irrsinniges Weib zu schweigen? Sollte auch ich nun schweigen? Nein! Ich beobachtete sein Gesicht so scharf, wie es der schwache Mondschein erlaubte, und sagte langsam und mit Betonung:

„Du bist tibo-taka?“

Er fuhr im Sattel auf, als ob eine Wespe ihn gestochen hätte, sagte aber nichts.

„Und sie ist tibo-wete?“

Er antwortete nicht, hielt mir aber sein Gesicht zugewandt, auf welchem der Ausdruck großer Spannung lag.

„Hast du meinen Wawa Derrick gekannt?“ fuhr ich fort. Das war die Frage, welche die Frau damals an mich gerichtet hatte.

„Uff!“ rief er aus.

„Das ist mein myrtle wreath!“, fuhr ich mit ihren damaligen Worten fort.

„Uff, uff!“ wiederholte er, indem seine Augen mich förmlich anglühten. „Was sind das für Fragen?“

„Du kennst sie ebenso gut wie ich.“

„Wo hast du sie gehört?“

Pshaw!“

„Von wem?“

Pshaw!“

„Warum antwortest du mir nicht?“

„Weil ich nicht will.“

„Fürchtet Old Shatterhand sich, mir Auskunft zu geben?“

„Rede nicht so dumm!“

„Es ist nicht dumm. Ich habe Auskunft zu fordern!“

„Und giebst selber keine!“

„Inwiefern?“

„Hast du mir geantwortet, als ich dich vorhin nach deiner Squaw fragte?“

„Diese Squaw gehört mir und nicht dir; ich kann über sie sprechen oder schweigen, ganz wie ich will!“

„So verlang auch nicht, daß andere sprechen sollen! Wenn du von Furcht oder Angst sprichst, so bist du es wohl selbst, der sich zu scheuen hat, Auskunft zu geben.“

„Ich will aber wissen, wer dir diese sonderbaren Worte gesagt hat!“

„Du erfährst es nicht.“

„Hast du sie etwa von Apanatschka gehört?“

„Nein.“

„Von wem sonst?“

Pshaw!“

Da fuhr er mich an:

„Wäre ich nicht gefangen und gefesselt, so wollte ich dich zwingen, mir Rede zu stehen!“

Pshaw! Du und mich zwingen! Ein alter Medizinmann, welcher die Weiber und Kinder seines Stammes mit Hokuspokus betrügt und mit seiner Komödie fast dreihundert Krieger ins Verderben führt, will Old Shatterhand zu etwas zwingen! Wenn du nicht eben mein Gefangener wärst, mit dem ich Mitleid haben muß, würde ich ganz anders mit dir reden.“

„Du verhöhnst mich? Du nennst meine Zauberei Komödie? Nimm dich in acht vor mir!“

Pshaw!“

„Und hüte dich, die Worte, welche ich jetzt gehört habe, weiterzutragen!“

„Wohl weil dies für dich gefährlich werden könnte?“

„Spotte nur! Es wird die Zeit kommen, wo dein Spott zur Klage und zum Jammer wird.“

Er zischte diese Worte förmlich zwischen den Zähnen heraus. Durch diese Aufregung verriet er mir, daß das, was ich von seinem Weibe gehört hatte, von Bedeutung oder vielleicht gar sehr wichtig war.

„Elender Wurm, wie darfst du mir drohen!“ antwortete ich. „Ich darf nur wollen, so zerdrücke ich dich zwischen meinen Händen! Aber reite nur weiter! Ich werde dir später sagen, seit wann du tibo-taka bist!“

Ich hielt mein Pferd an und ließ den Zug an mir vorbeipassieren; dabei wurde ich von zweien erreicht, welche, in ein angelegentliches Gespräch vertieft, nebeneinander ritten, nämlich Old Wabble und der General. Als mich der alte Cowboy sah, lenkte er sein Pferd neben das meinige und sagte:

„Seid Ihr noch so grimmig gegen mich gesinnt, wie am Nachmittage, oder habt Ihr Euch anders besonnen, Sir?“

„Ich denke genau noch so.“

„Was?“

„Daß Ihr ein alter, leichtsinniger Bursche seid, den ich nicht mehr bei mir dulden kann.“

„Dulden? All devils! Das hat mir noch niemand gesagt! Wißt Ihr, was man unter dulden versteht?“

„Ja.“

„Ihr habt mich also bei Euch behalten, obgleich ich das nicht wert gewesen bin?“

„So ähnlich.“

„Das ist stark, Sir, ungeheuer stark! ihr dürft nicht vergessen, wer und was ich gewesen bin!“

„Der König der Cowboys, pshaw!“

„Ist das etwa nichts?“

„Wenigstens nicht viel, zumal wenn man sich etwas darauf einbildet. Seit Ihr bei mir seid, habt Ihr nichts, aber auch weiter nichts als Dummheiten gemacht. Ich habe Euch wiederholt gewarnt; es fruchtete aber nichts. Noch bei den hundert Bäumen sagte ich Euch, daß eine fernere Dummheit uns trennen würde; trotzdem begingt ihr schon nächste Viertelstunde eine, die größer war als alle vorhergegangenen. Nun halte ich mein Wort. Schießt in Zukunft Eure Pudels wo und mit wem Ihr wollt, bei und mit mir aber nicht! Wir sind geschiedene Leute!“

Zounds! Ist das Euer Ernst?“

„Ich denke nicht daran, mich mit Euch zu spaßen!“

„Aber als ich Vupa Umugi belauschen wollte, habe ich es ganz gut gemeint!“

„Wie Ihr es gemeint habt, das ist mir gleich. Ihr habt mir nicht gehorcht.“

„Gehorcht? Standen wir etwa in dem Verhältnisse zu einander, daß der eine zu gebieten und der andre ihm zu gehorchen hatte?“

„Ja.“

„Davon weiß ich kein Wort! Ihr selbst habt doch wiederholt gesagt, daß wir alle gleiche Rechte hätten!“

„Das ist richtig. Aber wenn es so steht, daß ein bestimmter Plan gemeinschaftlich ausgeführt werden soll, hat keiner die Erlaubnis, gegen diesen Plan zu handeln.“

„Das mag sein, wie es will; Ihr waret aber nicht unser Kommandant und hattet nicht das Recht, mich von dem Anschleichen auszuschließen!“

„Das ist eine Ansicht, auf die ich gar nicht antworten Sollte; ich will es aber dennoch thun, sonst denkt Ihr trotz aller Eurer Dummheiten noch wunder, wie klug Ihr gehandelt habt. Hatte Winnetou mir den Befehl über die Apatschen übergeben oder nicht?“

„Ja.“

„Ich war also der Anführer?“

„Ja.“

„Und hatte also zu befehlen?“

„Den Apatschen, ja, aber nicht mir!“

„Welch ein Unsinn! Ihr waret bei uns und hattet also grad so zu gehorchen wie sie.“

„Nein!“

„Aber sagt, habt Ihr denn gar keine Überlegung mehr? Was soll daraus werden, wenn jeder thut, was ihm beliebt, und zwar bei Gelegenheiten, in denen es sich um das Leben handelt. Übrigens habe ich Euch nicht mitnehmen wollen; Ihr gabt aber gute Worte!“

„Hm!“

„Und ich sagte erst dann zu, als Ihr versprochen hattet, Euch nach mir zu richten. Damit erkanntet Ihr mich doch als denjenigen an, dessen Wille Geltung hatte.“

„Das sagt Ihr jetzt. Ihr dreht die Sache um!“

Well! Ich sehe ein, daß jedes Wort vergeblich ist. Wenn jemand seine Fehler eingesteht, so ist mit ihm zu reden; wer sie aber beschönigt, und zwar in der Weise wie jetzt Ihr, dem kann nicht mehr geholfen werden.“

„Habe ich etwa Eure Hilfe verlangt?“

„Habt Ihr sie etwa nicht nötig gehabt?“

„Jetzt nicht mehr.“

„Gut. Wir sind also fertig!“

„Ja wir sind fertig! Für immer?“

„Ja,“

„Das soll heißen, daß Ihr nichts mehr mit mir zu thun haben wollt?“

„Ja.“

„Well. Lebt wohl!“

Er ritt fort, kehrte aber noch einmal um, neigte sich auf seinem Pferde zu mir herüber und sagte:

„Wißt Ihr, warum Ihr mir den Abschied gebt?“

„Natürlich!“

„Ich weiß es auch. Es ist nicht das, was Ihr meine Dummheiten nennt, sondern etwas ganz andres.“

„Was?“

„Das fragt Ihr noch! Ich habe Euch durchschaut. Ich bin nicht nach Eurem Geschmacke, weil ich nicht unter die Betbrüder gehen will. Ihr wolltet mein Hirte, und ich sollte Euer Schäflein sein. Das habe ich nicht gethan, und darum zieht Ihr über mich her. Ihr kennt meine Ansicht über die Religion und die Frömmigkeit. Die Frömmsten sind die Schlimmsten. Old Wabble ist kein Schäflein, welches Eure Gräslein weidet. Wenn Ihr ein Lämmlein haben wollt, so sucht es Euch wo anders, meinetwegen eine ganze Herde. Für solche Schafe mögt Ihr allerdings der passende Schäfer sein; ein König der Cowboys aber läßt sich weder von Euch weiden noch von Euch scheren. Das ist mein letztes Wort für Euch!“

Nun ritt er fort. War ich vorher mit ihm fertig gewesen, so war er nun auch mit mir fertig. Und doch that es mir leid um ihn.

Ich gesellte mich zu Winnetou und Old Surehand, welche ganz am Ende des Zuges ritten. Apanatschka hielt sich für sich, war bald hier und bald dort und schien sich mehr als Aufseher wie als Häuptling seiner Comantschen zu betrachten. Gegen Morgen kam er zu uns, winkte mich zu sich und sagte, als wir ein wenig zurückgeblieben waren, so daß uns niemand hörte:

„Ich ritt zu dem Medizinmanne, der mein Vater ist. Old Shatterhand hat mit ihm gesprochen.“

„Hat er es dir erzählt?“

„Er sagte es mir. Du hast ihn nach seinem Weibe gefragt?“

„Ja.“

„Er war sehr zornig darüber.“

„Dafür kann ich nicht.“

„Du hast gewußt, daß sein Weib ihn tibo-taka und sich selbst tibo-wete nennt?“

„Sie nennt sich vollständiger tibo-wete-elen.“

„Ich weiß es. Du hast auch das vom Wawa Derrick und vom myrtle-wreath gewußt. Der Medizinmann war ganz außer sich darüber.“

„Warum? Soll niemand davon wissen?“

„Nein.“

„Aber du weißt es auch.“

„Ich bin kein Weißer, sondern ein Indianer.“

„Ah! Bloß Weiße sollen es nicht wissen?“

„Ja.“

„Warum das?“

„Weil diese Worte Zauberworte sind. Sie gehören zu den Geheimnissen der Medizin.“

„Wirklich?“

„Ja,“

„Kennst du ihre Bedeutung?“

„Nein.“

„Und bist doch der Sohn des Medizinmannes!“

„Er teilt auch mir seine Geheimnisse nicht mit. Er fragte, woher du diese Worte wissen könntest; ich konnte ihm keine Auskunft erteilen; aber ich habe ihm gesagt, daß du im Kaam-kulano gewesen bist und von dort die Medizinen des Häuptlings geholt hast. Vielleicht hast du dort meine Mutter gesehen?“

„Allerdings.“

„Und hast mit ihr gesprochen?“

„Ja.“

„Sie hat dir diese Worte gesagt?“

„Ja.“

„Uff! Das darf der Medizinmann nicht wissen.“

„Warum nicht?“

„Weil er sonst meine Mutter schlägt.“

„Ah!“

„Ja, er mißhandelt sie. Ein tüchtiger Krieger ist zu stolz, sich an seinem Weibe zu vergreifen; er aber schlägt sie, so oft er diese Worte von ihr hört. Ich darf ihm also nicht sagen, daß du sie von ihr hast.“

„Von wem soll ich sie sonst gehört haben?“

„Von einem unserer Krieger, der sie dir verraten hat. Alle unsere Krieger kennen diese Worte, die sie oft gehört haben.“

„Hm! Sonderbar!“ sagte ich nachdenklich. „Du hast die Pfeife der Bruderschaft mit mir geraucht. Glaubst du, daß ich es gut mit dir meine?“

„Ja.“

„Willst du einmal aufrichtig, recht aufrichtig mit mir sein?“

„Ich will.“

„Liebst du deinen Vater, den Medizinmann?“

„Nein.“

„Aber du liebst deine Mutter, sein Weib?“

„Sehr!“

„Liebt sie ihn?“

„Das weiß ich nicht. Sie flieht ihn, weil ihre Seele von ihr gewichen ist.“

„Hast du ihre Seele noch bei ihr gesehen?“

„Nein. Als ich noch ein kleiner Knabe war, hatte sie sie schon verloren.“

„Der Medizinmann ist ein Naiini?“

„Nein.“

„Ah, so hat er mich belogen!“

„Hat er gesagt, daß er ein Naiini sei?“

„Ja.“

„Es ist nicht wahr; er ist von einem andern Stamm zu den Naiini gekommen.“

„Von welchem?“

„Das weiß ich nicht; er sagt es niemandem.“

„Verkehrt er mit weißen Männern?“

„Nur wenn er durch Zufall welche trifft.“

„Hat er Freunde unter ihnen?“

„Nein.“

„Paß auf, was ich dich jetzt frage! Flieht er die Bleichgesichter vielleicht?“

„Ja.“

„Ich meine: Hütet er sich vor einer Begegnung mit ihnen etwa mehr als andere rote Männer?“

„Ob mehr, das weiß ich nicht.“

„So denke darüber nach!“

„Besondere Sorge hat er nicht vor ihnen.“

„So! Ich hätte das Gegenteil gedacht.“

„Warum?“

„Weil ich einen Verdacht gegen ihn habe.“

„Welchen?“

„Du bist sein Sohn, und ich bitte dich, jetzt noch darüber schweigen zu dürfen. Vielleicht kommt die Zeit, in der ich es dir sage.“

„Ganz, wie Old Shatterhand will! Darf ich nun auch eine Bitte aussprechen?“

„Thue es!“

„Hat dir meine Mutter nicht gesagt, daß du über ihre Worte schweigen sollst?“

„Das that sie allerdings.“

„Und doch hast du zu meinem Vater davon gesprochen!“

„Weil ich annahm, daß er diese Worte kennt. Einem andern hätte ich sie nicht verraten.“

„So schweige von jetzt an gegen alle Leute! Sie sind ein Geheimnis der Medizin.“

„Hm! Ich spreche zwar Eure Sprache; aber du mußt sie doch noch besser kennen als ich. Was taka und wete ist, das weiß ich; aber was hat man unter tibo zu verstehen?“

„Das kann ich dir nicht sagen.“

„Ist dir dieses Wort wirklich unbekannt?“

„Ich habe es oft von der Mutter gehört, weiß aber nicht, was es bedeutet.“

„Und elen?“

„Auch das weiß ich nicht.“

„Sonderbar! Es giebt keine Sprache der roten Männer, in welcher diese Worte vorkommen; aber ich muß es unbedingt noch erfahren, welchen Sinn sie haben!“

„Du willst in die Geheimnisse der Medizin eindringen?“

„Ja, wenn das nämlich Medizin ist, was ich aber nicht glaube.“

Er schüttelte den Kopf und sagte:

„Ich weiß nicht, warum die Seele Old Shatterhands sich in dieser Weise mit meinem Vater und mit meiner Mutter beschäftigt; aber ich warne ihn, sich vor dem Medizinmanne zu hüten, denn dieser hat es nicht gern, wenn man sich um ihn bekümmert. Er ist in allen Künsten und Zaubereien erfahren und kann alle seine Feinde in weiter Ferne verderben, ohne daß er sie zu sehen und zu hören braucht.“

Pshaw!“ „Du glaubst es nicht?“

„Nein.“

„Wenn ich es sage, kannst du es wohl glauben. Hüte dich vor ihm, und beherzige meine Bitte, diese Worte keinem Menschen mehr zu sagen!“

„Ich werde mich nach deinem Wunsche richten. Jetzt sage einmal: Lebt ihr wirklich mit den Kriegern der Chickasaws in Frieden?“

„Ja.“

„Weißt du, wo sie ihre Weideplätze haben?“

„Oben am Red-River.“

„Der ist lang. Kannst du es nicht näher bezeichnen?“

„Da, wo der Peace-Fluß in den Red-River geht.“

„Ich glaube, es ist ein kleiner Stamm?“

„Sie haben nur einige hundert Krieger und einen einzigen Häuptling.“

„Das ist Mba, der sich jetzt bei uns befindet?“

„Ja,“

„Was ist das für ein Mann?“

„Ein Mann wie alle Krieger, nicht größer und nicht kleiner.“

„Du meinst, daß er wohl tapfer sei, aber nicht eben sehr berühmt?“

„Ja.“

„Ich meinte meine Frage anders; ich hatte es auf seinen Charakter abgesehen.“

„Er ist ein friedlicher Mann, was dich nicht wundern darf, weil er so wenig Krieger hat. Ich habe nie einen Raub oder Mord oder eine Untreue von ihm erfahren.“

„Diesen Eindruck macht er auch auf mich. Kennst du ihn persönlich? Hast du ihn schon einmal gesehen?“

„Nein.“

„Sprich jetzt einmal mit ihm! Ich möchte gern wissen, wer der General ist, was er treibt, wohin er will und wie er mit Mba zusammengetroffen ist.“

„Ich werde es thun.“

„Thue es aber so, daß es nicht auffällt; er soll nicht denken, daß wir es wissen wollen.“

„Ich werde so mit ihm sprechen, daß er es mir erzählt, ohne daß ich ihn zu fragen brauche.“

Er ritt fort und kam schon nach einer halben Stunde wieder zu mir.

„Nun, hast du etwas erfahren?“ fragte ich.

„Ja. Was der General ist und was er treibt, das weiß Mba nicht. Er hat ihn und die drei Bleichgesichter unten am Wild-Cherry getroffen und ihnen versprochen, sie durch den Llano-estacado nach dem Peace-River zu führen, wo sie sich bei den Chickasaws von dem Wüstenritte ausruhen wollen, um dann weiter zu reiten.“

„Wohin?“

„Das weiß ich nicht, weil er es mir auch nicht sagen konnte. Er erzählte es mir, ohne daß ich mich danach erkundigte.“

„Natürlich hat ihm der General eine Belohnung versprochen?“

„Drei Gewehre und Blei und Pulver.“

„Weiter hast du nichts erfahren?“

„Nein. Ich wollte nicht fragen, weil ihm das vielleicht aufgefallen wäre.“

„Das war sehr richtig von dir.“

„Hat mein Bruder Shatterhand einen Grund, sich nach dem General zu erkundigen?“

„Eigentlich nicht; aber er gefällt mir nicht. Und wenn ich Leute bei mir habe, denen ich nicht traue, pflege ich mich stets über ihre Verhältnisse und Absichten zu unterrichten. Es hat mir das schon oft Nutzen gebracht. Ich kann dir nur raten, dies stets auch zu thun.“

Es war allerdings so, daß ich diesem Grundsatze schon manchen Vorteil zu verdanken hatte. Auch dieser sogenannte General ging mich gar nichts an; es konnte mir ganz gleichgültig sein, woher er kam und wohin er ging; aber sein Spitzbubengesicht machte es mir unmöglich, gleichgültig gegen ihn zu sein, und so hatte ich diese ganz zwecklos scheinende Erkundigung über ihn einziehen lassen. Wie wohl ich daran gethan hatte, das sollte mir nur zu bald einleuchten.

Die Morgendämmerung kam, und nach den wenigen Minuten, die sie dauerte, wurde es hell. Ich ritt mit Winnetou hinterdrein. Vor uns ritt Old Surehand mit Apanatschka. Eben ging die Sonne auf und warf ihr Licht über diese beiden Reiter.

„Uff!“ sagte Winnetou halblaut, indem er durch eine Handbewegung meinen Blick auf die zwei lenkte.

Ich brauchte ihn nicht zu fragen, was er meinte; ich sah es sofort auch: diese Ähnlichkeit zwischen ihnen! Diese Gleichheit der Gestalten, des Sitzes, der Haltung, der Bewegung! Man hätte sagen mögen, daß sie Brüder seien.

Kurze Zeit später kamen uns wieder Apatschen mit Wasser entgegen; sie bildeten den vorletzten Relais. Wir blieben hier länger halten, um das Wasser zu verteilen und den Pferden eine Erholung zu gönnen. Dann ging es weiter zum letzten Relais, von welchem aus wir nur noch eine Stunde zu reiten hatten.

Nun fragte es sich, wer mit nach der Oase durfte, deren Lage ja geheimgehalten werden sollte. Ich ritt zu dem General hin, der sich wieder an der Seite des alten Wabble befand, und sagte:

„Wir nähern uns unserm Ziele, Mr. Douglas – –“

„General, General! Ich bin General, Sir!“ unterbrach er mich.

Well! Aber was geht das mich an?“

„Euch natürlich weniger als mich; aber man pflegt jedermann den Titel zu geben, der ihm gebührt. Ihr müßt nämlich wissen, daß ich die Schlacht von Bull-Run mitgemacht habe, ferner habe ich siegreich gefochten bei – –“

„Schon gut, schon gut!“ fiel ich ein. „Das habt Ihr mir schon einmal gesagt, und was ich einmal gehört habe, das pflege ich mir zu merken, ohne daß man es zu wiederholen braucht. Den General lasse ich Euch gern, wenn Ihr nur mich damit verschont. Also, wir nähern uns unserm Ziele, Mr. Douglas, und werden uns nun wohl von Euch verabschieden müssen.“

„Verabschieden? Warum?“

„Weil sich wahrscheinlich unsre Wege trennen.“

„Keineswegs. Ich muß nach den hundert Bäumen und habe von Mr. Cutter hier gehört, daß auch Ihr wahrscheinlich dorthin reitet. Oder nicht?“

„Ja.“

Er hatte nach dem Peace-River zu den Chickasaws gewollt und gab jetzt die hundert Bäume als sein nächstes Ziel an; das fiel mir auf, brauchte aber gar keinen bösen Grund zu haben. Warum sollte er seinem ursprünglichen Plane keine Änderung geben dürfen.

„Ihr seht also, daß wir ganz gleiche Wege haben,“ fuhr er fort. „Und selbst wenn dies nicht der Fall wäre, müßte ich mit Euch nach der Oase reiten.“

„Warum?“

„Weil ich kein Wasser mehr habe.“

„Ihr hattet ja gestern volle Schläuche!“

„Heut sind sie leer. Meint Ihr, daß wir nicht auch menschliche Gefühle besitzen? Wir haben das Wasser an die Comantschen verteilt.“

Später sah ich ein, daß dies eine Kriegslist gewesen war, um mit nach der Oase kommen zu dürfen; jetzt hätte ich ihm für seine Menschlichkeit noch meinen Dank abstatten mögen! Ich machte ihm aber wenigstens die Bemerkung:

„Die Oase, von welcher Ihr redet, ist kein Versammlungsort für alle; ihr Besitzer pflegt nur die Leute bei sich zu haben, die er eingeladen hat.“

„Das bin ich auch!“

„Eingeladen?“

Yes.“

„Von wem?“

„Von Mr. Cutter hier, der ja der Gast von Bloody-Fox ist, wie Ihr zugeben werdet.“

„Ob er sich jetzt noch als solchen betrachten darf, das ist sehr die Frage; er hat auch sehr wohl gewußt, daß nicht jedermann Zutritt findet.“

„Ah, wegen des schmalen Pfades, der hineinführt? O, da braucht Ihr mich nicht auszuschließen; dieser Weg ist kein Geheimnis für mich. Mr. Cutter hat ihn und die Oase mir sehr genau beschrieben. Die Weißen alle, die ich hier sehe, dürfen hin, und ich wüßte wirklich keinen Grund, der Euch veranlassen könnte, grad mich von der Erlaubnis auszuschließen.“

Das war nun freilich wahr, und wenn Old Wabble die abermalige Dummheit begangen hatte, ihm eine genaue Beschreibung der Oase und ihres Zuganges zu geben, so war das grad so, als ob er schon selbst dort gewesen wäre, und eine Weigerung meinerseits hätte nur das, was ich vermeiden wollte, hervorgerufen. Darum sagte ich, freilich widerwillig und notgedrungen:

„So will ich nichts dagegen haben, wenn Ihr Eure Schläuche dort wieder füllt; aber Eure Begleiter haltet fern!“

Von der Falle, in welcher wir die Comantschen gefangen hatten, bis zu der Oase war, wie schon erwähnt, ein reichlicher Tagesritt, aber da wir wegen der Schwäche der Pferde nur langsam vorwärts gekommen waren, erreichten wir die grüne Wüsteninsel erst zwei Stunden nach Mittag.

Nach unsrer Ankunft war das erste, dafür zu sorgen, daß uns die Gefangenen sicher waren. Sie mußten sich da lagern, wo sich die Leute Schiba-bigks schon befanden, und die Apatschen schlossen einen engen, undurchdringlichen Ring um sie. Dann wurde vor allen Dingen für die Pferde gesorgt, was wir Entschar-Ko überließen, der eine Anzahl seiner Krieger dazu kommandierte, die Tiere nach und nach durch den schmalen Zugang nach dem Wasser zu führen und dort zu tränken. Darüber mußten natürlich Stunden vergehen.

Was das Essen betrifft, so hatten sich die Comantschen sehr unzureichend mit Proviant versehen, und so waren die Apatschen gezwungen, ihnen mit ihren Vorräten auszuhelfen. Da diese auf diese Weise nicht so lange vorhielten, wie berechnet war, so mußte der Aufenthalt bei der Oase möglichst verkürzt werden, und so wurde beschlossen, daß die Rückkehr nach den hundert Bäumen schon morgen angetreten werden sollte.

Das lief natürlich nicht alles so glatt ab, wie ich es erzähle. Es waren dreihundert Apatschen und zweihundert Comantschen versammelt, für welche gesorgt werden mußte. Da hatte jeder eine Bemerkung zu machen, eine Frage zu stellen, einen Wunsch auszusprechen, und damit wollten sie sich an niemand anders wenden, als an mich oder an Winnetou. Wir kamen fast nicht zu Atem. Als wir endlich, endlich alle nach Kräften befriedigt hatten und nun auch an uns denken konnten, war es Abend geworden, und es fiel mir jetzt erst ein, daß ich seit gestern keinen Schluck Wasser getrunken hatte. Für andre hatte ich gesorgt, an mich aber nicht gedacht. Als ich das Winnetou sagte, antwortete er lächelnd:

„So mag mein Bruder schnell trinken und mir einen Schluck übrig lassen, denn mich dürstet auch.“

„Dich auch? Wann hast du zuletzt getrunken?“

„Gestern, als du trankst. Unsern Pferden ging es besser, die hat Bloody-Fox versorgt.“

Als wir das Innere der Oase betraten, brannten da zwei Feuer, welche das Häuschen, den Platz vor demselben und den kleinen See beleuchteten. Auf den Bänken saßen Parker, Hawley, Fox, Old Surehand, Apanatschka, Schiba-bigk, Old Wabble und neben ihm der General. Diese beiden schienen unzertrennlich zu sein. Sie hatten schon gegessen, und nun kamen Bob und Sanna, um für mich und Winnetou zu sorgen. Man hatte sich im Gespräch befunden, und der General schien zuletzt gesprochen zu haben, denn als wir uns gesetzt hatten, fuhr er fort:

„Ja, das war eine lustige Gesellschaft, die wir trafen; sie hatten sich da seit vorgestern festgesetzt, um von ihrem Jagdzuge auszuruhen, und wie ich hörte, wollten sie noch eine Zeitlang hier im Orte bleiben. Sie zählten fünfzehn Mann, und es gab interessante Kerls dabei, höchst interessante. Am interessantesten aber war mir einer, der verteufelt viel durchgemacht zu haben schien und in einem Weg erzählte. Er wurde nicht müde dabei, und wenn ein Abenteuer zu Ende war, hatte er schon ein zweites und ein drittes auf der Zunge. Wenn ich mich nicht irre, so nannte er sich Saddler, aber einer seiner Genossen sagte mir im Vertrauen, daß er eigentlich Etters heiße, Dan Etters, und auch schon andre Namen geführt habe. Das war mir aber gleichgültig, denn es hat schon gar manches Mannskind guten Grund gehabt, seinen Namen mit einem andern zu vertauschen, und wenn dieser Westmann sich Saddler nannte, aber eigentlich Dan Etters hieß, so- –“

Er wurde unterbrochen. Old Surehand hatte sich, schon als der Name Etters zum erstenmal genannt wurde, von seinem Sitze erhoben und fragte jetzt über den Tisch herüber:

„Etters, wirklich Etters?“

Yes, Sir.“

„Habt ihr das richtig gehört?“

„Wüßte nicht, daß ich schlechte Ohren hätte!“

„Und auch richtig gemerkt?“

„Habe grad für Namen ein ausgezeichnetes Gedächtnis!“

„Und Dan, also Daniel, war sein Vorname?“

„Dan Etters hat er geheißen und nicht anders!“

Irrte ich mich infolge der flackernden Beleuchtung oder war es wirklich so? Es schien mir, als ob der General sein Auge dabei mit ungewöhnlicher Spannung auf Old Surehand richte, der sich augenscheinlich in einer Aufregung befand, die er wohl gern beherrschen wollte, aber nicht verbergen konnte.

„Also wirklich Daniel Etters!“ sagte er mit einem tiefen, schweren Seufzer. „Habt Ihr diesen Mann genau betrachtet?“

„Denke wohl,“ antwortete Douglas.

„Beschreibt ihn mir!“

„Hm! Beschreiben? Ist Euch dieser Etters vielleicht bekannt? Steht Ihr in irgend einer Beziehung zu ihm, Mr. Surehand?“

„Ja. Ich möchte wissen, ob der Mann, von dem Ihr sprecht, derjenige ist, den ich meine. Darum möchte ich seine Beschreibung haben.“

„Die möchte ich Euch gern geben, weiß aber wirklich nicht, wie ich es anfangen soll.“

„Warum?“

„Weil es schwer ist, einen Menschen zu beschreiben, der nichts Besonderes an sich hat und genau so aussieht wie hundert andre auch.“

„War er lang, kurz, dick, dünn – –?“

„Wenn ich es sagen soll, so war er ungefähr von meiner Figur; auch das Alter könnte dasselbe sein. Im übrigen aber sah er, wie schon gesagt, ganz so wie andre Menschen aus, so daß ich wirklich nicht weiß, was an ihm ich noch beschreiben könnte.“

„Hatte er nichts, gar nichts an Sich, was auffiel?“

„Gar nichts.“

„Kein besondres Kennzeichen?“

„Nein.“

„Könnt Ihr Euch auf seine Zähne besinnen?“

„Seine Zäh- – – ah richtig, seine Zähne! Das könnte etwas sein, was zur Beschreibung gehört.“

„Was, was? Laßt mich doch nicht so lange warten!“

Thunder, scheint Ihr es eilig zu haben, Mr. Surehand! Er hatte nämlich zwei Zahnlücken.“

„Wo?“

„Rechts eine und links eine.“

„Oben oder unten?“

„Oben natürlich, denn Ihr werdet wahrscheinlich wissen, daß Zahnlücken im Unterkiefer nicht leicht zu sehen sind. Es fehlte hüben ein Zahn und drüben einer, was, wie ich mich nun besinne, ihm, wenn er sprach, ein eignes Aussehen verlieh und auch Einfluß auf seine Stimme hatte, denn er zischte ein wenig, wenn er das s aussprach.“

„Er ist’s, er ist’s; er ist der, den ich suche!“ rief Old Surehand beinahe jubelnd aus.

„Was? Gesucht habt Ihr diesen Mann?“

„Und wie! Seit langen Jahren! In allen Staaten, in der Savanne, im Urwalde, in den Cañons der Hochlande und den Schluchten der Felsenberge! Ich bin hinter ihm her im leichten, zerbrechlichen Kanoe und habe ihn gejagt über die tiefen Schneefelder der Missouri-Ebene!“

„Gejagt habt Ihr ihn? So ist’s ein Feind von Euch?“

„Ein Feind, wie es keinen größeren geben kann!“

„Erlaubt, daß ich erstaune! Dieser Dan Etters schien so unschädlich wie ein kleines Kind zu sein.“

„Ein Dämon ist er, ein Teufel, ein Satan, wie es selbst in der Hölle keinen größern geben kann. Er hat mir vor langen Jahren meine – –“

„Stopp, Mr. Surehand!“ fiel ich ihm da schnell in die Rede. „Ihr seid aufgeregt. Ist es nicht möglich, daß Ihr Euch in der Person irrt?“

„Nein, nein und abermals nein! Er ist der – –“

Meine Worte hatte er nicht verstanden und sprach weiter; nun warf ich ihm einen warnenden Blick zu, der ihn zu sich brachte. Er hielt also inne, versuchte, sich zu beherrschen, und fuhr dann ruhiger fort: „Doch das gehört nicht hierher; das sind alte Sachen, die ich nicht aufrühren will.“

„Rührt sie immer auf, Mr. Surehand!“ sagte der General. „Vielleicht ist es eine Geschichte, die sich gut anhören läßt. Wollt Ihr sie nicht erzählen?“

„Sie würde nichts als langweilig sein. Also, wo habt Ihr diesen Etters getroffen? In Fort Terrel unten?“

Yes, in Fort Terrel, wie ich vorhin sagte.“

„Und er will dort bleiben?“

„Denke es. Wenigstens sagte er so.“

„Wie lange?“

„Eine Woche, wenn ich recht gehört habe.“

„Und wie lange ist es her, daß Ihr mit ihm gesprochen habt?“

„Vier Tage ist’s nun heut.“

„Vier Tage! Also nun nur noch drei!“

„Ihr sagt das so eigenartig. Wollt Ihr etwa hin?“

„Ja, ich will hin; ich muß hin!“

„Vielleicht ist er schon fort!“

„So mache ich ihm nach! Ich folge seiner Spur, und wenn sie sonstwohin gehen sollte!“

Er fing wieder einen warnenden Blick von mir auf, setzte sich endlich nieder, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und schloß mit den Worten:

Pshaw! Oder laß ich ihn auch laufen! Er hat mich schwer gekränkt; aber was will ich machen, wenn ich ihn auch finde? Die Sache ist verjährt und es würde also keinen Richter geben, der sie in die Hand nehmen möchte. Sprechen wir nicht mehr davon!“

Nach einiger Zeit ging ich in das Haus; er kam mir nach, wo wir allein waren, und fragte:

„Ihr habt doch gewollt, daß ich Euch folge, Sir?“

„Allerdings.“

„Warum winktet Ihr mir?“

„Weil Ihr Euch nicht so gehen lassen solltet. Ich traue diesem Quasi-Generale nicht.“

„Ich auch nicht; aber das hat doch keinen Einfluß auf meine Angelegenheit!“

„Vielleicht doch. Er beobachtete Euch so gespannt und betonte den Namen Etters so schwer und eigentümlich, als ob er ihn nur Euertwegen genannt habe.“

„Daß er ihn nannte, war der reine Zufall; davon bin ich überzeugt.“

„Ich nicht. Die Absichtlichkeit war deutlich herauszuhören.“

„Welche Absicht könnte diesen Mann, der mich gar nicht kennt, geleitet haben?“

„Er kennt Euch, Sir; er kennt Euch ganz gewiß!“

Da kam auch Apanatschka herein. Er blickte sich vorsichtig um, und als er uns allein sah, fragte er:

„Meine Brüder sprachen von dem Manne, dessen Namen der General genannt hat?“

„Ja,“ antwortete ich.

„Ich habe den Mann gesehen, welcher zwei Agatam hat.“

„Ah! Wo?“

„Im Kaam-kulano.“

„Wann?“

„Vor vielen Jahren, als ich noch ein kleiner Knabe war.“

„Das ist lange, sehr lange her,“ meinte ich enttäuscht.

„Er wurde Etters genannt.“

„Wirklich? Das weißt du noch?“

„Ich habe es mir gemerkt, denn ich haßte ihn.“

„Warum?“

„Er lachte über meine Mutter, die ich liebte.“

„Was wollte er bei Euch?“

„Das weiß ich nicht. Er wohnte im Zelte des Medizinmannes, und so oft er da war, hatte meine Mutter einen bösen Geist in sich, der alle ihre Glieder durcheinander warf.“

Er wollte mit diesem Ausdrucke wohl Krämpfe bezeichnen.

„Kannst du dich darauf besinnen, wie deine Mutter damals aussah?“

„Sie war jung und schön.“

„War ihre Farbe heller als jetzt?“

„Sie war rot, wie bei allen roten Frauen.“

„Dann ist die Ahnung falsch, die in mir aufsteigen wollte; aber die andre Ahnung, die ich habe, wird wohl richtig sein. Dieser Etters hat Euch aus der Civilisation nach dem Westen getrieben, Mr. Surehand? Er steht in Beziehung zu den unglücklichen Ereignissen, die Euch den Glauben an Gott und das Vertrauen zu ihm genommen haben?“

„Ja,“ antwortete er. „Ihr habt es erraten.“

„Und glaubt Ihr wirklich, daß er sich jetzt in Fort Terrel befindet?“

„Ich bin überzeugt davon.“

„Ihr wollt natürlich hin?“

„Ich muß; ich muß.“

„Wann?“

„Heut abend noch! Ich darf keinen Tag, keine Stunde, keinen Augenblick verlieren. Ich habe diesen Halunken hundertmal gejagt, zuweilen wochenlang, ohne ihn aber jemals vor die Augen zu bekommen. Ich kannte nur seinen Namen und seine Thaten; gesehen habe ich ihn nie. Nun erfahre ich so plötzlich und unerwartet, wo er zu finden ist, und Ihr könnt Euch denken, daß ich da hier keine Minute Ruhe habe. Ich muß fort!“

„Wollen hoffen, daß der General Euch nicht belogen hat; ich traue ihm nicht.“

„Überlegt Euch doch die Sache, Sir! Weiche Absicht könnte er bei einer solchen Lüge haben?“

„Euch irre zu leiten.“

„Nein; ich glaube seinen Worten und reite nach Fort Terrel.“

„Allein?“

„Allein; ich habe keinen Begleiter.“

„Ihr werdet einen haben.“

„Wen?“

„Mich.“

„Was? Euch?“ fragte er mit frohem Erstaunen. „Ihr wollt mit?“

„Ja, nämlich wenn Ihr mich mitnehmen wollt.“

„Ob ich will! Welche Frage! Ich möchte stets und stets nur bei und mit Euch sein, auch in gewöhnlichen Lagen, denn Ihr glaubt gar nicht, wie ich Euch liebgewonnen habe. Und hier, wo es sich um so etwas Wichtiges handelt, um die Jagd auf ein Raubwild, welches ich nie und nie erwischen konnte, giebt mir Eure Begleitung die Sicherheit, daß Etters mir diesesmal nicht entgehen wird. Wenn Old Shatterhand sich auf eine Fährte setzt, so ist das Wild verloren. Also Ihr wollt mit, wirklich mit?“

„Gewiß!“

„Das ist mir geradezu eine Wonne, ein – – ein – – ein – – was ich kaum glauben möchte. Aber Ihr seid hier gar nicht zu entbehren!“

„Doch! Winnetou wird alles leiten.“

„Und von dem wollt Ihr Euch meinetwegen trennen?“

„Die Trennung wird nur eine kurze sein. Wir suchen ihn dann gleich wieder auf. Also, ich darf mit?“

„Dürfen? Von dürfen kann gar keine Rede sein! Ich möchte Euch im Gegenteil fast kniefällig bitten, mitzugehen, um mir mit Eurem Kopfe und Eurem Arme beizustehen!“

Da legte ihm Apanatschka die Hand auf den Arm und sagte:

„Und noch einer reitet mit.“

„Wer?“

„Apanatschka, der Häuptling der Naiini-Comantschen. Weise mich nicht zurück! Ich habe dich lieb und gehe mit dir. Ich spreche die Sprache der Bleichgesichter, habe gelernt, die verborgene Menschenfährte zu entdecken, und fürchte mich vor keinem Feinde. Kann ich dir da nicht nützen? Ich habe mit dir, mit Winnetou und mit Old Shatterhand das Kalumet geraucht und ich bin dein Bruder. Du suchst deinen Todfeind, den du fangen willst, und begiebst dich dabei in große Gefahr. Muß da nicht dein Bruder bei dir sein? Wäre ich dein Freund, dein Bruder, wenn ich dich da allein reiten ließe?“

Es sprach eine außerordentlich rührende Hingabe aus seinen Worten, seinem Tone und seinen Zügen. Old Surehand antwortete nicht und sah mich fragend an. Darum nahm ich die Entscheidung in die Hand:

„Unser roter Bruder Apanatschka will da etwas thun, was sein ganzer Stamm nicht gutheißen würde!“

„Was frage ich nach meinem Stamme, wenn es sich um meinen Bruder Surehand handelt! Die Söhne der Comantschen können nur hassen und vernichten; hier aber finde ich Liebe und Milde. Die roten Männer siegen mit dem Tomahawk; ihr aber seid stark und unbesiegbar und überwindet alle eure Feinde mit den Waffen der Verzeihung und Versöhnung. Wo ist es besser sein, beim Hasse oder bei der Liebe? Ich bin euer Bruder und reite mit euch!“

„Gut, du sollst uns begleiten. Aber wir reiten nicht heut, sondern erst morgen früh. Diese wenigen Stunden gehen uns nicht verloren; unsere Pferde müssen ausruhen und werden dann um so schneller sein.“

„Aber wenn Etters dann schon fort ist?“ warf Old Surehand besorgt ein.

„So hat er seine Fährte zurückgelassen, der wir folgen werden. Sorgt Euch nicht! Wir müssen vor allen Dingen gut beritten sein. Auf meinen Rappen kann ich mich verlassen, wenn er bis früh ruhen kann, und Apanatschkas Pferd ist auch schnell und ausdauernd; ich habe es beobachtet. Wie aber steht es mit dem Eurigen, Mr. Surehand?“

„Es ist ein ganz vortreffliches Tier, wenn auch mit Eurem Hengste gar nicht zu vergleichen; nur habe ich es in der letzten Zeit so anstrengen müssen, daß es mir bei den Anforderungen, die ich in den nächsten Tagen vielleicht an seine Schnelligkeit zu stellen habe, immerhin versagen kann.“

Well, so reitet Ihr Vupa Umugis Pferd, welches wir vom Kaam-kulano mitgebracht haben.“

„Wie? Das wollt Ihr mir leihen?“

„Leihen nicht, aber schenken.“

„Gar schenken! So ein kostbares Tier!“

„Nehmt es immerhin! Was soll ich damit thun? Vupa Umugi bekommt es nicht wieder, und ich brauche es nicht.“

Da drückte er mir die Hand und rief entzückt:

„Ich nehme es an, ja, ich nehme es an! Von Euch weise ich selbst ein so großes Geschenk nicht zurück, denn ich denke, daß Ihr mir erlaubt, es einmal quitt zu machen. Also wir reiten erst morgen. Und nun kommt heraus; ich muß sogleich zu meinem neuen Pferde gehen!“

„Aber laßt Euch draußen nichts merken! Am besten ist’s, Ihr redet gar nicht wieder mit dem General.“

Als wir hinauskamen, sah ich, daß Winnetou fehlte; er war fortgegangen, um nachzusehen, ob die Gefangenen gut bewacht würden. Er hatte seine Silberbüchse, grad wie ich meine beiden Gewehre, auf dem Tische liegen lassen. Nun hatte der General sie alle drei in den Händen und probierte grad an meinem Stutzen herum, um dessen Konstruktion zu untersuchen. Es lag dabei ein verlangender, ein geradezu gieriger Ausdruck in seinem Gesichte.

„Nicht wahr, Sir, das hier ist Euer Bärentöter?“ fragte er, als er mich kommen sah.

„Ja.“ antwortete ich kurz.

„Und das ist der berühmte Henrystutzen, von dem man so viel erzählen hört?“

„Ja; aber was habt denn Ihr damit zu schaffen?“

„Ich wollte das Schloß öffnen und brachte es nicht fertig. Wollt Ihr mir nicht sagen, wie – – –“

„Ja, sagen will ich es Euch,“ fiel ich ihm in die Rede, „nämlich sagen, daß Ihr die Hände davon zu lassen habt. Das sind keine Spielsachen für einen General, der Bull-Run in seinem ganzen Leben nicht gesehen hat.“

„Was? Nicht gesehen? Ich sage Euch, daß – –“

„Still! Mir macht Ihr nichts weis. Gebt her!“

Ich nahm ihm meine beiden Gewehre‘ als eben Winnetou wiederkam, dessen Büchse er noch in der Hand hatte. Der Apatsche erriet sofort den Zusammenhang, zog ihm die Silberbüchse weg und zürnte ihn ganz gegen seine sonstige Ruhe an:

„Wie kann das lügnerische Bleichgesicht sich an dem Gewehre des Häuptlings der Apatschen vergreifen! Dieses Gewehr wurde noch nie von den schmutzigen Fingern eines weißen Schurken berührt!“

„Schurke?“ fuhr der General auf. „Will Winnetou dieses Wort zurücknehmen, oder – –“

„Oder? Was?“ donnerte ihn der Apatsche an.

Da wich Douglas erschrocken zurück und antwortete kleinlaut:

„Man wird wohl ein Gewehr betrachten dürfen!“

„Aber nicht berühren! Winnetou legt seine Hand nicht dahin, wo die deinige gelegen hat!“

Er wischte mit dem herabhängenden Ende der Santillodecke, die ihm als Gürtel diente, die Büchse ab, als ob sie schmutzig geworden sei, hielt mir sie dann hin und sagte.

„Mein Bruder Old Shatterhand mag unsere Gewehre in die Stube tragen und dort an die Wand hängen, damit sie nicht wieder von solchen Händen besudelt werden!“

Damit wandte er sich ab und ging zu seinem Pferde. Ich sah noch, daß der General einen mir nicht gleich verständlichen Blick mit Old Wabble wechselte, und trug dann die Gewehre in das Häuschen, wo sie sicher hingen, denn Unberufene kamen nicht da hinein. So wenigstens dachte ich, und so hatte auch Winnetou gedacht.

Zu ihm ging ich dann, um ihm mitzuteilen, was ich mit Old Surehand besprochen hatte. Er war ganz einverstanden und sagte:

„Mein Bruder thut sehr recht daran. Mag dieser General die Wahrheit gesagt haben oder nicht, es ist gut, daß du mit Old Surehand reitest, und ich freue mich darüber, daß Apanatschka euch begleiten will. Er wird euch keine Last, sondern eine Hilfe sein. Mich trefft ihr dann in der Wohnung der Mescaleros, wohin ich auch das Pferd mitnehme, welches Old Surehand bis jetzt geritten hat; er mag es sich da holen.“

Hierauf sahen wir, daß der General seine Wasserschläuche füllte, wobei Old Wabble ihm behilflich war. Sie trugen sie fort, hinaus zu den Chickasaws. Wir machten uns keine Gedanken dabei, sondern nahmen es als ein Zeichen, daß Douglas morgen früh zeitig fort wollte, was uns nur lieb sein konnte.

Als Bob uns die Lager bereitet hatte, ging er in die Stube, wo er mit Sanna schlief. Wir legten uns nieder. Bloody-Fox pflegte auch im Häuschen zu schlafen, zog es aber wegen der dort herrschenden Schwüle heut vor, sich zu uns zu legen. Da die Feuer nicht mehr genährt wurden, verlöschten sie bald, und wir schliefen ein.

Früh war ich der erste, welcher erwachte, und weckte die Gefährten. Es fiel uns nicht auf, daß der General und mit ihm Old Wabble fehlte, und ich ging mit Winnetou fort, um nach den Gefangenen zu sehen. Wir fanden alles in Ordnung, was nämlich die Comantschen und Apatschen betraf; aber die Chickasaws waren nicht mehr da. Als wir Entschar-Ko, der hier befehligte, nach ihnen fragten, antwortete er:

„Wissen meine Brüder nicht, daß sie fort sind?“

„Nein.“

„Der weiße Mann, der sich General nennt, sagte, er wolle nicht länger hier bleiben, weil Winnetou und Old Shatterhand ihn beleidigt hätten; da ritt er fort mit den Chickasaws und seinen drei Bleichgesichtern.“

„Und Old Wabble?“

„Der ritt mit ihnen.“

„Da ist die Freundschaft zwischen ihnen ja recht schnell groß geworden. Mögen sie fort sein, auch Old Wabble mit! Es ist nicht schade um sie. Sie müssen aber noch im Finstern aufgebrochen sein, denn es ist erst seit einer halben Stunde Tag!“

„Im Finstern?“ fragte Entschar-Ko erstaunt.

„Der Mond schien noch.“

„Was? Der Mond? Heut früh?“

„Heut früh? Es war doch gestern abend!“

„Ah, schon gestern haben sie sich entfernt? Da haben sie es außerordentlich eilig gehabt.“

„Weil ich den General beleidigt habe,“ bemerkte Winnetou. „Der Zorn hat sie bald darauf fortgetrieben.“

Wir kehrten nach dem Wasser zurück, frühstückten und tränkten unsre Pferde. Inzwischen packte Bob Proviant für mich, Old Surehand und Apanatschka ein und füllte einige Wasserschläuche. Als er damit fertig war, forderte ich ihn auf, meine Gewehre zu holen.

„Gewehre?“ fragte er. „Wo sein Gewehre?“

„In der Stube. Sie hängen an der Wand neben der Thür.“

Er ging hinein, kam aber gleich darauf mit leeren Händen zurück und meldete:

„Keine Gewehre drin; Masser Bob keine sehen.“

„Du irrst; hast du denn gestern abend, als du schlafen gingst, sie nicht hängen sehen?“

„Masser Bob nicht hingeschaut. Jetzt keine drin, wirklich keine.“

Das war doch höchst sonderbar! Ich ging hinein, und Winnetou kam schnell nach. Die Gewehre waren nicht da; sie fehlten alle drei. Wir waren zunächst nur bestürzt; aber diese Bestürzung verwandelte sich in Schreck, als wir die Gefährten fragten und von ihnen hörten, daß keiner von ihnen im Häuschen gewesen sei; noch hatten wir angenommen, daß jemand die Gewehre für uns geholt und draußen irgendwo hingelegt habe.

„Sollte etwa – –?“ fragte Winnetou.

Er sprach vor innerer Aufregung die Vermutung nicht aus. Ich sah trotz der Bronzefarbe seines Gesichtes, daß ihm das Blut aus den Wangen gewichen war.

„Du meinst den General?“ fragte ich,

Er nickte nur.

„Dieser Halunke! Kein andrer ist’s gewesen! Wie gierig er die Gewehre betrachtete! Werden gleich Klarheit haben! Bob, war jemand im Häuschen, als du dich niedergelegt hattest?“

„Massa General war da.“

„Ah! Hattest du die Thür nicht verriegelt?“

„Masser Bob nie die Thür verriegeln; sind keine Spitzbuben da.“

„Was wollte der General?“

„Kommen herein und rufen leise Masser Bob, um ihm geben einen Dollar Trinkgeld für Abendessen und Aufwarten.“

„Brannte das Licht noch?“

„War ausgelöscht, weil Masser Bob und Sanna schlafen wollen.“

„Wie lange war der General in der Stube?“

„Massa General hereinkommen, rufen Masser Bob und ihm geben Dollar; dann nicht gleich wieder hinaus, weil nicht schnell Thür finden können.“

„Oh, wo die war, das hat er gewußt! Er hat nur so gethan, als ob er nach ihr suche, dabei aber nach den Gewehren getastet. Was sagt mein Bruder Winnetou? Ist er derselben Meinung wie ich?“

Ich hatte noch nie gesehen, daß der Apatsche durch irgend etwas aus der Fassung gebracht worden war. Wir hatten uns in Lagen und Gefahren befunden, die jeden andern in die größte Aufregung versetzt hätten; er war stets ruhig geblieben, innerlich ebenso wie äußerlich. Höchstens hatte es eine kleine Bedenklichkeit oder Überraschung gegeben, die aber nur von mir, der ich ihn genau kannte, bemerkt worden war. Jetzt sah ich ihn zum erstenmal innerlich so aufgeregt, daß er sich Mühe geben mußte, äußerlich ruhig zu bleiben. Diese Erregung sprach sich darin aus, daß er nur leise und die Worte halb verschluckend auf meine Frage antwortete:

„Mein Bruder – – hat recht. Der General hat – – – unsre Gewehre – – gestohlen – –!“

„Deine herrliche Silberbüchse, das teure Vermächtnis deines Vaters!“

„Er wird – – er wird sie – –“

Er konnte nicht weitersprechen; ich sah, daß der mit aller Anstrengung niedergehaltene Grimm ihm die Fäuste ballte.

„Er wird sie wieder hergeben müssen,“ vervollständigte ich seinen unbeendigten Satz. „Wir müssen den Dieben nach und zwar sofort!“

„Ja – – sofort, sofort!“

Es läßt sich denken, daß der Verlust unserer Gewehre nicht bloß uns zwei als die zunächst Betroffenen berührte; die Freunde, welche bei uns standen, waren noch viel aufgeregter als wir selbst. Old Surehand sagte mit vor Zorn bebender Stimme:

„Dieser Diebstahl trifft auch mich sehr schwer, Mr. Shatterhand. Ihr müßt den Halunken natürlich nach und könnt nun nicht mit mir nach Fort Terrel reiten!“

„Nein, das kann ich freilich nicht.“

„Und ich kann Euch weder begleiten noch hier auf Euch warten, denn ich muß hin, ich muß hin und darf keine Stunde verlieren.“

„Ich fürchte nur, daß Ihr diesen Weg umsonst machen werdet.“

„Mag sein; aber dennoch muß ich hin, damit ich mir später keine Vorwürfe zu machen brauche. Das werdet Ihr gewiß einsehen.“

„Ich sehe es freilich ein und will Euch nicht zureden, auf diesen Ritt zu verzichten. Ihr werdet ja nicht allein sein, denn Apanatschka begleitet Euch.“

„Ja,“ erklärte der junge Häuptling der Comantschen. „Ich reite mit meinem Bruder Surehand, denn ich habe es versprochen und halte mein Wort. Ich muß es nun erst recht halten, weil Old Shatterhand nicht mitkommen kann.“

„So will ich Euch wünschen, daß Ihr das dort gesuchte Ergebnis findet, Mr. Surehand!“

„Und ich wünsche Euch,“ antwortete er, „daß Euch der General nicht entkommt. Alle Teufel, wenn ich es mir so überlege: diese drei kostbaren, geradezu unersetzlichen Gewehre verloren!“

„Ich gebe sie noch lange nicht verloren.“

„Nicht? Glaubt Ihr, den Dieb zu finden?“

„Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin überzeugt davon.“

„Ja, wir werden ihn finden, lebendig oder tot, und wenn er noch so weit entwiche, oder sich in das Innere der Erde versteckte. Er entgeht uns nicht!“ knirschte Winnetou.

„Das ist gewiß,“ fügte ich hinzu. „Wir bekommen die Gewehre zurück, nur fragt es sich, in welchem Zustande!“

„Ja. Dieser weiße Hund versteht sie nicht zu behandeln und kann sie leicht beschädigen oder gar unbrauchbar machen, besonders deinen Stutzen.“

„Das würde er schwer, sehr schwer büßen müssen. Also, wir verfolgen ihn. Wen will mein Bruder Winnetou mitnehmen?“

„Niemand.“

„Wir reiten allein?“

„Ja. Jeder andere würde uns hinderlich sein.“

„Ich auch?“ fragte Parker.

„Ja.“

„Auch ich?“ erkundigte sich Hawley.

„Auch du.“

„Wir möchten aber gar so gern mit!“

„Es geht nicht. Eure Pferde sind nicht so schnell wie die unsrigen, sie würden den Ritt nicht aushalten.“

Die beiden baten, sie dennoch mitzunehmen; er aber schlug es ihnen ab, und ich mußte ihm recht geben. Nun wollten sie sich Apanatschka und Old Surehand anbieten, aber diese konnten sie auch nicht brauchen; es blieb ihnen nichts andres übrig, als sich dem Transporte der gefangenen Comantschen anzuschließen.

Diesen hatte Winnetou leiten wollen, was nun aber nicht möglich war. Dableiben konnten sie aber auch nicht, und so besprachen wir uns kurz und wurden darüber einig, daß sie noch heut von den Apatschen unter Bloody-Fox und Entschar-Ko fortgeschafft werden sollten. Ich hätte gern dahin gewirkt, daß sie ihre Gewehre wiederbekamen, verzichtete aber darauf, weil Winnetou behauptete, daß dies gefährlich sei. Sie hätten, sobald sie frei waren, auf den Gedanken kommen können, die Apatschen gleich wieder anzugreifen, wenigstens ihnen heimlich zu folgen und einen Überfall zu wagen. Dieser Gedanke lag schon deshalb nahe, weil Winnetou, Old Surehand und ich fehlten, vor denen sie sich am meisten fürchteten.

Wir hätten uns mit Büchsen versehen können, denn Bloody-Fox besaß mehrere, die er uns anbot, und wir hätten uns auch von den erbeuteten Flinten zwei aussuchen können; aber wir verzichteten darauf, denn wir waren überzeugt, daß wir wieder zu unsern Gewehren kommen würden; was sollten wir uns da mit andern schleppen. Wir hatten unsre Messer, Revolver, Lassos und Tomahawks; das war einstweilen genug für uns.

Nun ritten wir hinaus vor das Kaktusfeld, denn es galt, die Spur des Generals auszumachen. Wie wir jetzt hörten, hatte er zu einem Apatschen, der Posten gewesen war, gesagt, daß er nach den hundert Bäumen reiten werde.

„Das ist nicht wahr; das ist eine Finte, um Euch irrezuleiten,“ meinte Parker. „Der General kennt den Weg dorthin ja gar nicht!“

„Aber Old Wabble ist bei ihm, der ihn nun kennt,“ antwortete ich.

„So glaubt ihr, daß er wirklich dorthin ist?“

„Nein. Grad weil er dies gesagt hat, wird er eine andre Richtung einschlagen.“

„Aber wohin?“

„Nach dem Peace-River, wie ich vermute. Ich habe erfahren, daß er dorthin will, und er ahnt nicht, daß ich es weiß. Er will zu den Chickasaws, um sich dort auszuruhen.“

„So würdet Ihr gut thun, gleich dorthin zu reiten.“

„Ja; aber ich darf auch keine Vorsicht versäumen. Er könnte auf einen andern Gedanken gekommen sein, und wir müssen also auf seiner Fährte bleiben.“

„Schwierige Geschichte das, sehr schwierig!“

„Warum?“

„Weil die Gegend von hier nach den hundert Bäumen von Fährten jetzt geradezu wimmelt. Wer da die ihrige unterscheiden will, der möchte scharfe Augen haben, ja, der möchte beinahe allwissend sein.“

„Ihr laßt außer acht, daß der Wind diese Spuren vollständig verweht hat. Wir werden also die Fährte der fünf Weißen und vier Chickasaws sehr deutlich sehen.“

„Ah, das ist richtig. Ihr wollt also sogleich fort?“

„Ja,“

„Das geht schnell und kommt uns ganz unerwartet. Ich hoffe, daß wir Euch bald wieder einmal zu sehen bekommen, Mr. Shatterhand. Erlaubt mir, Euch die Hand zu reichen!“

Auch Jos Hawley gab mir die seinige. Er sagte in treuherzig betrübtem Tone:

„Könnt Ihr Euch noch auf die Geschichte besinnen, die Ihr uns da oben im Mistake-Cañon erzählt habt, Sir?“

„Ja.“

„Ihr habt mir mit ihr das Herz leicht gemacht. Ich bin zu der Ansicht gekommen, daß ich mir wegen des Todes jenes Indianers nichts vorzuwerfen habe. Diese Beruhigung habt Ihr mir gegeben. Ich danke Euch, Mr. Shatterhand, und werde mich unendlich freuen, wenn sich unsre Fährten wieder einmal kreuzen!“

Es ging ans Abschiednehmen. Old Surehand nahm meinen Arm, zog mich von den andern fort, die seine Worte nicht hören sollten, und sagte:

„Gestern abend war ich ganz glücklich darüber, daß Ihr mit mir nach Fort Terrel wolltet; heut ist das schnell anders geworden, und Ihr könnt Euch denken, wie betrübt ich darüber bin. Ihr wißt ja, daß ich so gern stets und immer bei Euch bleiben möchte. Jetzt muß es so plötzlich geschieden sein, und noch dazu aus einem solchen Grunde! Ihr seid aber wirklich überzeugt, daß Ihr die Gewehre wiederbekommen werdet?“

„Ja.“

„Ich wünsche es Euch von ganzem Herzen. Und ebenso herzlich wünsche ich, daß wir uns recht bald wieder treffen!“

„Mein Wunsch ist das natürlich auch, Mr. Surehand.“

„Könntet Ihr mir nicht einen Ort bestimmen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil wir beide nicht wissen, was geschieht und welchen Ereignissen wir entgegengehen. Ihr reitet südwärts, um diesen Dan Etters zu suchen. Wer weiß, wie lange Ihr ihn verfolgen müßt und wohin seine Spur Euch führt. Ich reite nach Norden und kann auch nicht sagen, wann und wo wir den General einholen werden.“

„So kommt Ihr gar nicht hierher zurück?“

„Ich möchte wohl, kann aber doch nicht sagen, ob es mir möglich sein wird. Ich kann also kein Rendezvous bestimmen, und Ihr könnt es wahrscheinlich auch nicht.“

„Nein.“

„So müssen wir die Zeit und den Ort, wann und wo wir uns wiedersehen werden, dem Zufalle überlassen.“

„Hm, ja! Aber daß wir es ihm so ganz und gar überlassen, das ist doch nicht nötig. Darf ich Euch einen kleinen Wink geben?“

„Ich bitte darum.“

„Ich gab Euch, ehe der Zweikampf mit Apanatschka begann, eine Adresse an. Die wißt Ihr noch?“

„Natürlich!“

„So nehmt sie als Anhalt zu einem späteren Zusammentreffen mit mir. Wenn Ihr einmal zufälligerweise nach Jefferson-City, Missouri, kommt, so geht in das Bankgeschäft von Wallace und CO., wo Ihr erfahren werdet, wo ich mich zu der betreffenden Zeit befinde!“

Well, werde es thun.“

„Danke! Da muß ich aber eine Bitte aussprechen.“

„Welche?“

„Forscht nicht nach meinen Verhältnissen!“

„Nein. Oder haltet Ihr mich für einen indiskreten, taktlosen und zudringlichen Menschen?“

„Ganz und gar nicht; aber Ihr könntet Euch doch nach der Anweisung verhalten, die ich Euch vor dem Zweikampfe gab.“

„Die habt Ihr mir doch nur für den Fall Eures Todes gegeben. Ihr lebt aber noch. ich werde nicht den geringsten Versuch machen, in Eure Geheimnisse einzudringen.“

„Danke Euch, Sir, danke! Und nun, lebt wohl. Ich wünsche, daß Ihr den General bald einholt!“

„Und ich würde mich außerordentlich freuen, wenn ich später hörte, daß Ihr Euern Dan Etters glücklich erwischt habt, Mr. Surehand!“

Wir schüttelten uns herzlich die Hände. Es that beiden aufrichtig leid, daß wir so plötzlich und auf ganz unbestimmte Zeit voneinander gehen mußten.

Auch von Bloody-Fox verabschiedete ich mich. Winnetou erteilte ihm und Entschar-Ko die nötigen Weisungen, sagte allen in seiner Weise mit kurzen Worten lebewohl, und dann verließen wir die Oase, welche der Schauplatz so drohender Ereignisse war, die für uns ein so befriedigendes Ende genommen hatten.

Unsere Pferde mußten heut schwerer tragen als gewöhnlich, weil wir ihnen Schläuche mit Wasser für zwei Tage aufgeladen hatten; denn wenn es richtig war, was wir dachten, so ritt der General nicht nach den hundert Bäumen, sondern zu den Chickasaws, welche nördlich von dem Llano estacado wohnten, und wir hatten zwei Tage durch die Wüste zu reiten. Den Weg kannten wir genau. Er ging über Helmers’Home, eine Ansiedelung, welche nahe am nördlichen Rande des Llano lag und diesen Namen führte, weil der Besitzer Helmers hieß. Er war ein sehr guter Bekannter, ja ein Freund von uns. Es war vorauszusehen, daß die, welche wir verfolgten, dort einkehren würden.

Es galt für uns die höchste Eile, weil sie schon gestern abend von der Oase fortgeritten waren und also einen halben Tag Vorsprung vor uns hatten. Und doch mußten wir sie womöglich noch in der Wüste einholen, weil die Verfolgung später schwieriger wurde. Es gab dann Gras und Büsche, später sogar Wälder, Bäche und Flüsse, die überall Verstecke boten und dem Generale hundert Gelegenheiten gaben, uns zu entkommen.

Die Fährte war leicht zu erkennen; sie führte allerdings nach Westen, also in der Richtung der hundert Bäume; aber schon nach einer Stunde bog sie in einem vollen, rechten Winkel gerade nach Norden ab. Unsere vorhin erwähnte Ansicht schien also die richtige zu sein.

Wir ritten immer Galopp, und ließen nur zuweilen die Pferde in langsamen Schritt fallen, damit sie sich verschnaufen konnten. Als es zu Mittag am heißesten geworden war, hielten wir an, gaben ihnen Wasser und ließen sie eine Stunde ruhen. Dann ging es in gleicher Eile wieder weiter, bis es dunkel geworden war und wir also halten mußten. Das brachte uns in Nachteil gegen die Verfolgten, welche auch des Nachts reiten konnten, während wir gezwungen waren, zu warten, weil wir ihre Fährte nicht mehr sahen.

Wir hätten allerdings trotzdem auch weiter reiten können, weil wir ihr wahrscheinliches Ziel kannten; aber es wäre das doch immerhin ein Wagnis gewesen, weil plötzliche Gründe eintreten konnten, durch welche sie veranlaßt wurden, ihre Richtung zu ändern. Darum hielten wir an, als die Dämmerung vorüber war. Kaum aber war der Mond erschienen, so brachen wir wieder auf. Seine Sichel bot nur wenig Licht, und andern Westmännern wäre es wohl schwerlich möglich gewesen, bei einer so unzureichenden Beleuchtung einer Fährte zu folgen, noch dazu im Galopp; aber unsre Augen waren scharf genug, und wenn ich mich ja einmal irren sollte, so war das bei Winnetou vollständig ausgeschlossen. Erst nach Mitternacht machten wir wieder Halt, denn die braven Tiere mußten ruhen; sie bekamen wieder eine allerdings nicht zureichende Portion Wasser; dann wurden sie angepflockt, und wir hüllten uns in unsre Decken, um zu schlafen. Kaum aber graute der Tag, so saßen wir schon wieder auf und kamen zwei Stunden später an die Stelle, wo sie Lager gemacht hatten. Wir blickten einander befriedigt an, denn wir hatten den halbtägigen Vorsprung bis auf diese zwei Stunden verkürzt, wenn sie nämlich auch erst am Morgen aufgebrochen waren.

Ich sagte: Wir sahen einander an; denn gesprochen wurde fast kein Wort. Winnetou war überhaupt ein sehr schweigsamer Mann, und wenn er gar einen Gedanken verfolgte, wie der unsrige war, so pflegte er noch viel weniger Worte als sonst zu machen.

Wir hatten den Lagerplatz der neun Reiter kaum eine halbe Stunde hinter uns, so sahen wir uns gezwungen, wieder anzuhalten, denn sie hatten ihren Ritt hier unterbrochen, und die Hufeindrücke sagten uns, daß so etwas wie eine Beratung stattgefunden haben mußte. Und diese war jedenfalls eine sehr lebhafte gewesen, denn die einzelnen Reiter waren nicht still halten geblieben, sondern hatten ihre Pferde sehr beweglich hin- und hergetrieben. Das ließ uns vermuten, daß zwischen ihnen ein Streit, ein Zank ausgebrochen war. Aber worüber? Das fragten wir uns. Wahrscheinlich über den ferneren Weg, über die Richtung, die heut eingehalten werden sollte.

Auf diese Vermutung kamen wir dadurch, daß sich von hier aus die Spuren teilten, was uns außerordentlich unlieb sein mußte. Keine der beiden Fährten ging gerade aus; die eine bog nach rechts und die andere nach links ab, so daß sie einen spitzen Winkel bildeten.

„Uff!“ sagte Winnetou enttäuscht. „Das ist schlimm!“

„Allerdings schlimm,“ stimmte ich bei. „Wahrscheinlich haben sich die Roten hier von den Weißen getrennt. Welche Fährte aber ist diejenige der Indianer und welche diejenige der Weißen?“

„Wollen sehen!“

Er stieg ab, um die Spuren zu untersuchen.

„Ich bezweifle sehr, daß wir das sehen können,“ erklärte ich, indem ich mich aus dem Sattel schwang. „Ich habe bemerkt, daß die Pferde der Weißen auch keine Eisen haben, sondern barfuß sind. Eine Unterscheidung zwischen ihnen und den andern Pferden ist also kaum möglich.“

Leider bestätigten sich diese meine Worte; die Hufspuren gaben uns nicht den mindesten Anhalt zu einer sichern Bestimmung; wir waren auf ungewisse Vermutungen angewiesen, die uns weniger nützen als vielmehr schaden konnten.

„Wollen den beiden Fährten eine kleine Strecke folgen,“ meinte Winnetou. „Vielleicht sehen wir doch etwas. Mein Bruder mag die nach rechts nehmen; ich gehe links.“

Wir thaten das. Ich hatte nur das eine Ergebnis, daß ich die Zahl der Pferde entdeckte, und Winnetou erzielte das gleiche unzulängliche Resultat. Wir konnten nicht einmal aus dieser Zahl auf diejenige der Reiter schließen, weil Packpferde dabei waren. Wir standen da und sahen einander an.

„Uff!“ sagte Winnetou, indem trotz der Enttäuschung, die wir fühlten, etwas wie ein Lächeln über sein Gesicht glitt. „Hat mein Bruder Shatterhand mich schon einmal in dieser Weise dastehen sehen?“

„Nein.“

„Ich dich auch nicht! Uff!“

„So ganz und gar nicht zu wissen, woran wir sind, das ist uns nie, noch nie passiert!“

„Nein, noch nie! Aber denken wir nach! Sollte es wirklich möglich sein, daß weder Old Shatterhand noch Winnetou auf den richtigen Gedanken kommt?“

„Ich möchte mich allerdings fast schämen! Also nachdenken! Das nächste Ende der Wüste liegt grad nördlich von hier, nach Helmers Home zu, und das weiß Mba, der Häuptling der Chickasaws, ganz gewiß. Mag er nach rechts oder nach links reiten, so braucht er in beiden Fällen wenigstens einen halben Tag länger, um aus dem Llano zu kommen; das weiß er auch. Ich denke nicht, daß er einen solchen Umweg macht. Oder glaubst du daran?“

„Nein.“

„Wenn er sich von den Weißen trennt, so hat er sich mit ihnen gezankt. Er reitet allein, weiß aber jedenfalls auch, wohin sie reiten. Dabei hat er sie über seine Richtung getäuscht, indem er von der richtigen abgewichen ist und sie sehr bald, wenn sie ihn nicht mehr sehen konnten, wieder eingeschlagen hat. Wenn wir also keiner von diesen beiden Fährten folgen, sondern geradeaus reiten, werden wir unbedingt wieder auf die seinige kommen.“

„Uff, das ist richtig!“

„Dann ist die andere Fährte natürlich diejenige, der wir zu folgen haben. Wir suchen sie auf und können dann sicher sein, daß wir den General vor uns haben. Ich glaube, daß mein Bruder Winnetou mir da recht giebt.“

„Es ist so, wie du sagst. Wir werden jetzt also keiner von den Spuren folgen.“

Wir stiegen auf und ritten weiter, ganz gerade aus, so daß wir die beiden, sich rechts und links von uns entfernenden Fährten bald nicht mehr sahen. Ich glaubte, meiner Sache sicher zu sein, war aber doch gespannt darauf, ob meine Voraussetzung sich bewahrheiten werde. Und richtig, schon nach einer halben Stunde sahen wir die Fährte, welche nach rechts geführt hatte, sich uns wieder nähern und sich dann nördlich wenden.

„Uff!“ ließ sich Winnetou in frohem Tone hören. „Das ist also die Fährte der Chickasaws, welche genau nach Helmers Horne führt.“

„Und wir müssen also,“ fuhr ich fort, „die andere aufsuchen, welche nun auf alle Fälle diejenige der Weißen ist.“

„Ja, reiten wir jetzt links hinüber nach der andern Spur! Wenn wir das thun, können wir uns dann gar nicht mehr irren und werden dann – –“

Er hielt plötzlich mitten im Satze inne. Er hatte, während er sprach, sein Auge der Linie des Horizontes nachgehen, lassen und schien etwas gesehen zu haben, denn er griff in die Satteltasche, zog sein Fernrohr heraus und richtete es nach Norden. Schnell hatte ich das meinige auch in der Hand und sah durch die Gläser einige Pferde und Männer, welche im Sande lagerten.

„Wer mag das sein?“ fragte ich.

„Die Chickasaws,“ antwortete er.

„Warum sind sie nicht fortgeritten? Welchen Grund haben sie, dort zu sitzen?“

„Uff! Sie warten auf uns!“

„Sehr möglich!“ stimmte ich bei. „Mba schien ein ehrlicher Mann zu sein. Er hat erst unterwegs bemerkt, daß der General uns bestohlen hat, und ist scharfsinnig genug, sich zu sagen, daß wir den Dieb verfolgen werden. Da hat er sich von ihm getrennt. Selbst wenn die Ehrlichkeit ihm dies nicht geboten hätte, müßte er es aus Sorge um sich selbst gethan haben. Er mußte dafür sorgen, von uns nicht für einen Mann gehalten zu werden, welcher mit Dieben im Einvernehmen steht und ihnen sogar seinen Schutz verleiht. So wird es sein.“

„Ja, so ist’s, reiten wir hin!“

Wir setzten unsre Pferde in Galopp und kamen den Männern schnell so nahe, daß wir sie erkennen konnten. Ja, es war Mba, aber nur mit zweien seiner Indianer. Sie hatten zwei Saumpferde bei sich. Wo war der vierte Chickasaw? Als die drei Roten uns erkannten, standen sie auf, legten ihre Waffen in den Sand und kamen uns entgegen. Das war ein friedliches Benehmen; dennoch nahm ich den Revolver in die Hand. Als wir sie erreichten und unsre Pferde vor ihnen parierten, sagte Mba:

„Old Shatterhand mag seine Drehpistole wieder in den Gürtel stecken, denn wir sind seine Freunde. Wir haben gewußt, daß er kommen werde, und auf ihn gewartet.“

„Ah, ihr habt es gewußt?“

„Ja. Oder sind Winnetou und Old Shatterhand Krieger, welche sich ihre Gewehre stehlen lassen, ohne daß sie sich dieselben wieder holen?“

„Das ist richtig. Wann hat Mba, der Häuptling der Chikkasaws, erfahren, daß man uns bestohlen hat?“

„Erst heute früh, als der Tag anbrach.“

„Wirklich nicht eher?“

„Nein. Ich spreche die Wahrheit. Würde ich auf euch gewartet haben, wenn ich euch belügen wollte oder gar den Diebstahl mit begangen hätte?“

„Nein. Ich habe dich gleich, als ich dich sah, für einen ehrlichen Mann gehalten. Erzähle!“

„Wir stießen im Süden vor dem Llano auf die vier Bleichgesichter, und ich gab ihnen mein Versprechen, sie durch die Wüste zu führen. Da kamen wir mit euch zusammen. Ich freute mich, Old Shatterhand, Winnetou und Old Surehand zu sehen, und ahnte nicht, daß der General Böses gegen euch im Schilde führte. Wir ritten mit euch bis zu dem Wohnsitze des blutigen Fuchses und wollten die ganze Nacht dortbleiben, um auszuruhen; da kam der General und sagte, wir müßten schnell fort, weil er sich mit euch verfeindet habe. Wir thaten ihm den Willen und ritten die ganze Nacht und den ganzen Tag – –“

„Ohne daß dein Mißtrauen erwachte?“ fiel ich fragend ein. „Hegtest du gar keinen Verdacht?“

„Ich hegte welchen; er kam gleich beim Beginn unsers Rittes, weil der General seinen Weg erst nach Westen nahm, wohin wir doch gar nicht wollten. Dann am Tage bemerkte ich ein Paket, welches er vorher nicht gehabt hatte und sehr sorgfältig behandelte. Auch fiel es mir auf, daß er gar so große Eile hatte. Als wir uns gestern abend lagerten, richtete ich es so ein, daß mir das Paket in die Hände kam; er entriß es mir aber gleich; doch hatte ich bemerkt, daß es schwer war und Gewehre enthielt.“

„Welche Beschaffenheit hatte das Paket?“

Es war seine Decke, in welche er die Gewehre geschlagen und mit Riemen zusammengebunden hatte. Ich wollte wissen, was für Gewehre es seien; aber die Bleichgesichter schliefen erst gegen Morgen so fest, daß ich es unbemerkt nehmen und aufbinden konnte. Ich erschrak, als ich sah, was es enthielt, denn ich wußte, daß ihr uns verfolgen würdet.“

„Warum behieltest du das Paket nicht, um es uns zurückzustellen?“

„Weil wir vier rote Krieger gegen fünf weiße waren und weil ihr den Dieb dann nicht gefangen hättet, denn er wäre entflohen.“

„Hm, ja, nämlich wenn du ihn hättest entfliehen lassen!“

„Ich hatte einen bessern Plan.“

„Welchen?“

„Als wir heut ein Stück geritten waren, hielt ich an und sagte den Bleichgesichtern, daß ich die Gewehre gesehen hätte und nicht weiter mit ihnen reiten möge, weil ihr jedenfalls bald kommen würdet. Sie wurden zornig und zankten sich mit uns. Als ich aber bei meinem Vorsatze blieb, baten sie mich, ihnen wenigstens einen meiner Krieger als Führer zu lassen, weil sie den Weg durch den Llano nicht kennen. Ich that ihnen den Willen, hatte aber diesem Krieger schon vorher gesagt, wie er sich zu verhalten hat. Er wird euch die Diebe in die Hände führen.“

„Auf welche Weise?“

„Ich ritt nur eine kleine Strecke weiter und blieb dann halten, um auf euch zu warten, denn ich will euch dahin bringen, wo ihr sie fangen sollt.“

„Wo ist das?“

„Dort im Norden liegt am Rande des Llano estacado die Wohnung eines weißen Mannes – –“

„Welche Helmers Home heißt,“ fiel ich ein.

„Uff! Old Shatterhand kennt diesen Ort?“

„Wir kennen ihn. Helmers ist unser Freund.“

„Das ist gut; das ist sehr gut, denn dorthin wird er die Weißen führen.“

„Warum reitet er nicht gerade aus, sondern macht einen Umweg?“

„Damit wir eher hinkommen als sie und sie ohne allen Kampf festnehmen können.“

„Schön! Ich sehe, daß Mba, der Häuptling der Chickasaws, ein kluger Krieger ist. Aber hast du auch bedacht, daß es für uns Gründe giebt, dir zu mißtrauen?“

„Giebt es solche Gründe?“

„Ja. Dein Krieger kann die Diebe uns entführen, so daß wir sie gar nicht zu sehen bekommen!“

„Wenn du das denkst, so wollen wir euch unsere Waffen ausliefern und uns selbst euch zum Pfande geben!“

„Ist nicht nötig. Wir vertrauen euch. Aber werden die Weißen sich nicht noch besinnen und einen andern Weg einschlagen?“

„Nein. Mein Krieger wird ihnen vor den andern Richtungen solche Angst machen, daß sie ihm gewiß folgen.“

„Gut! Sind eure Pferde sehr ermüdet?“

„Sie halten es bis zu Helmers Home aus, auch wenn wir nicht langsam reiten.“

„So wollen wir keine Zeit verlieren. Wenn ich mich nicht verrechne, so können wir schon am Nachmittage dort sein. Wann werden die Weißen dort ankommen?“

„Ich habe dem Führer befohlen, es so einzurichten, daß er Helmers Home gegen Abend erreicht.“

„Das ist sehr umsichtig gehandelt; aber eins will ich dich fragen: Was hättest du gethan, wenn wir jetzt nicht gekommen wären?“

„Gekommen wäret ihr ganz gewiß, wenn nicht jetzt, so dann später. Ich wäre ohne euch zu Helmers geritten, hätte ihm alles erzählt und ihn gebeten, uns beizustehen, den Dieben die Gewehre abzunehmen. Wenn ihr dann gekommen wäret, hätten wir sie euch gegeben. Glaubt Old Shatterhand diese Worte?“

„Ich glaube sie und lobe dich dafür. Deine Ehrlichkeit wird nicht unbelohnt bleiben. Jetzt wollen wir fort. Was noch zu sagen ist, können wir auch unterwegs besprechen.“

Die Chickasaws stiegen auf ihre Pferde und ritten mit uns weiter. Weil sie nicht gleichen Schritt halten konnten, ging es langsamer als vorher, dennoch war der Mittag noch nicht lange vorüber, als wir schon einzelne Zeichen davon entdeckten, daß wir uns dem Ende des Llano näherten. Während nur gefiedertes Raubzeug über das Innere der Wüste streicht, sahen wir jetzt körnerfressende Vögel fliegen, und hier und da gab es eine Salbeipflanze, welche zu ihrem Fortkommen nur des nächtlichen Taues bedurfte. Dann spitzten einzelne Gräser aus dem Sande, die sich nach und nach zu grünen Stellen vereinigten, aus denen später ein zusammenhängender Rasen gebildet wurde. Dann kamen Büsche und Sträucher, selbst Bäume, und als wir gar das erste Maisfeld vor uns sahen, hatten wir den Llano vollständig hinter uns.

Helmers‘ Home wurde mehr besucht als andere Ansiedelungen in der Einsamkeit des wilden Westens. Wer in den Llano estacado wollte oder wer aus demselben kam, der pflegte hier einzukehren und auszuruhen. Darum führte Helmers stets einen Vorrat von solchen Gegenständen, welche einem Westmanne oder Reisenden nötig sind. Er war nicht bloß Farmer, sondern nebenbei auch Kaufmann und Restaurateur. Ich hatte bei ihm schon manches Glas texanisches Bier getrunken, welches nach deutschem Rezepte gebraut worden war.

Ein schmaler Bach, den wir erreichten, führte uns nach dem Hause, in dessen Nähe er vorüberfloß. Es war aus Stein gebaut – denn hier gab es wirklich Steine, trotz der Nähe der Sandwüste – und bestand nur aus dem Parterre. Vor der Thür waren unter schattigen Bäumen einige Tische und Bänke angebracht. Hinter dem Hause befanden sich der Viehhof, der Stall und die Wirtschaftsschuppen. Als wir um die Ecke bogen, stand ein Schwarzer unter der Thür. Als er uns erblickte, stutzte er einen Moment, dann that er einen Freudensprung und brüllte mit schallender Stimme in das Haus hinein:

„Massa Helmers herauskommen, gleich schnell, gleich! Massa Winnetou und Massa Shatterhand sein da!“

Dann sprang er in langen, weiten Sätzen auf uns zu, packte mich beim Arme und beim Beine und riß mich vor Freude beinahe vom Pferde herunter.

„Nur sachte, sachte, guter Herkules!“ sagte ich. „Ich höre, daß Mr. Helmers zu Hause ist?“

„Massa sein da und auch Missus,“ antwortete er. „Da schon kommen beide gelaufen.“

Ja, da erschien Helmers‘ hohe, kräftige Gestalt unter der Thür, und seine Frau zeigte sich mit strahlenden Augen hinter ihm. Die beiden Alten liebten sich außerordentlich, sie hieß Barbara; er pflegte sie nicht anders als mein liebes Bärbchen zu nennen.

War das eine Freude über unsere Ankunft! Das Händedrücken wollte gar nicht aufhören, und die Stimmen schallten weit hinaus ins Freie, denn alle übrigen männlichen und weiblichen Bewohner des Home waren herbeigekommen, uns zu begrüßen. Deshalb warnte ich:

„Nicht so laut, Gents! Unsere Anwesenheit muß vorerst noch verborgen bleiben.“

„Verborgen? Warum?“ fragte Helmers.

„Weil wir hier einige Spitzbuben fangen wollen, die nicht wissen dürfen, daß wir da sind. Ich hoffe, daß Ihr uns behilflich seid, Mr. Helmers.“

„Das versteht sich ganz von selbst. Habe ja vor allen Dingen hier am wilden Llano die Pflicht, mein Haus von solchem Gesindel frei zu halten. Wer ist’s, Mr. Shatterhand?“

„Werde es Euch drin sagen. Wir müssen nämlich in die Stube, damit wir nicht gesehen werden. Herkules mag unsere Pferde in den Stall bringen und ihnen vor allen Dingen Wasser und dann tüchtig Futter geben. Nachher aber muß er den Stall zuschließen, weil auch die Pferde nicht gesehen werden dürfen.“

„Ihr macht mich neugierig, höchst neugierig, Sir! Aber was ist denn das? Ihr habt eure Gewehre nicht mit?“

„Das ist ja eben die Sache! Sie sind uns gestohlen worden, und die Diebe werden hierherkommen.“

Thunder-storm! Das ist ja ein – –“

„Bitte, nicht hier! Drin können wir besser darüber sprechen.“

„Ja, kommt herein, kommt herein! Und du, mein liebes Bärbchen, mach dich schnell in die Küche, und trage alles auf, was du hast; hörst du, alles, und wenn die Tische krachen!“

Ich sagte seinen Leuten schnell noch, wie sie sich zu verhalten hatten, und dann gingen wir in die Stube. Mutter Barbara that ihr möglichstes, um die Tische „krachen“ zu lassen, und während wir aßen und tranken, erzählte ich Helmers, was geschehen war. Kaum war ich fertig, so sprang er auf und ging hinaus. Als er wiederkam, erklärte er uns den Grund:

„Habe sogleich meine beste Hand, fortgeschickt, um nach den Halunken auszuschauen. Er mag sie beobachten; sie könnten sich auf die Seite drücken wollen.“

Er kannte Bloody-Fox wie ein Vater den Sohn und war hocherfreut darüber, daß die bösen Absichten der Comantschen auf eine so gelungene Weise vereitelt worden waren. Um schnell zu sein, hatte ich meinen Bericht so kurz wie möglich gemacht, und nahm mir nun jetzt erst Zeit, ausführlicher zu erzählen. Die drei Chickasaws saßen natürlich auch dabei. Wir hatten uns so plaziert, daß wir von draußen nicht gesehen werden konnten, selbst wenn jemand den kleinen, halb offen stehenden Schiebefenstern nahe kam.

Noch war ich nicht fertig, so hörten wir den Hufschlag von Pferden. Sechs Reiter stiegen draußen ab; es waren die Erwarteten. Helmers ging hinaus.

Good day, Sir!“ grüßte der General. „Habt Ihr schon Gäste hier, Sir?“

„Gäste?“ antwortete Helmers. „Woher sollen die hier in diese Einsamkeit kommen?“

Well! Gebt unsern Pferden Wasser und Futter und uns etwas Kräftiges zu essen nebst einer gehörigen Flasche Feuerwasser.“

„Sollt alles haben, Sir. Werdet ihr heut hier bleiben?“

„Warum fragt Ihr das?“

„Werdet mir die Frage wohl nicht übelnehmen! Ich muß es wissen, weil ich mich als Wirt darauf einzurichten habe.“

„So! Wir werden essen und trinken und dann weiterreiten.“

„Um diese Zeit? Es wird bald Nacht sein!“

„Das ist uns gleich.“

„Kommt Ihr aus dem Estacado, Sir?“

„Fragt nicht so viel, sondern thut, was ich Euch befohlen habe!“

„Hört, Ihr scheint mir ein außerordentlich großer Herr zu sein! Werd’wohl auf meinem Grund und Boden fragen dürfen! Und befehlen? Das kenne ich nicht!“

„Werdet es aber jetzt kennen lernen! Ich bin nämlich General, Sir, ja, General! Habe bei Bull-Run gefochten, bei Fort Hatteras, bei Harpers-Ferry, bei Gettysburg und in vielen andern Schlachten, in denen ich stets Sieger gewesen bin!“

Good lack! Da muß ich mich freilich beeilen, eure Befehle auszuführen! Entschuldigt nur einen Augenblick! Ihr werdet sofort bedient werden, wie es solchen Herren, wie ihr seid, angemessen ist!“

Der Doppelsinn dieser Worte entging ihnen. Sie setzten sich an einen der Tische, ohne zu ahnen, was für eine Art von „Gehorsam“ ihrer wartete. Helmers kam wieder herein und sagte leise:

„Jetzt kommt, Mesch’schurs! Ich werde euch durch die Hinterthür führen. Eure Gewehre liegen eingewickelt auf dem Tische; die ihrigen nehmen wir ihnen sofort weg. Das muß das erste sein, damit sie sich nicht wehren können.“

„Das ist nicht nötig, Mr. Helmers,“ antwortete ich; „sie werden es gar nicht wagen, nach ihnen zu greifen.“

Wir folgten ihm durch die Küche hinter das Haus nach der einen Giebelecke, hinter welcher seine Leute schon standen, bewaffnet und zum Zuspringen bereit. Dann ging er durch das Haus zurück und zu ihnen hinaus. Wir hörten deutlich, was gesprochen wurde, denn der Tisch, an welchem sie saßen, stand nicht sehr weit von unsrer Ecke.

„Ihr bringt nichts mit?“ fragte der General. „Wo bleibt der Brandy? Und wer sorgt für die Pferde?“

„Geduld, Mesch’schurs! Es ist alles besorgt.“

„Aber Ihr thut nichts, wie es scheint!“

„Ist auch nicht nötig, habe meine Leute dazu.“

„Aber wir können nicht warten!“ fiel Old Wabble zornig ein. „Wir sind gewöhnt, schnell bedient zu werden!“

„Keine Sorge, Sir! Ihr werdet schnell bedient werden, schneller noch, als ihr es denkt. Darf man wissen, wohin ihr von hier reiten werdet?“

„Geht Euch das etwas an?“

„Eigentlich nicht.“

„So fragt auch nicht! Was einem nichts angeht, das soll einem auch nichts angehen; th’is clear!“

„Ich frage nicht aus Neugierde, sondern um euch nötigenfalls zu warnen.“

„Vor wem?“ fragte der General.

„Vor einigen weißen Spitzbuben, die sich hier in der Nähe herumtreiben.“

„Spitzbuben? Was sind es für Kerls?“

„Schufte, die es besonders auf die Gewehre andrer Leute abgesehen haben.“

„Wie – – –? Was – –?“

„Ja, Gewehrdiebe!“

„Das – – das – – wäre doch sonderbar!“

„Es ist aber so! Erst vor zwei Tagen haben sie einen solchen Diebstahl ausgeführt.“

„Vor zwei Tagen! Wo denn?“

Am Llano. Dort haben sie die drei berühmtesten Gewehre gestohlen, die es giebt.“

Ich zog meine beiden Revolver, denn der Augenblick der Überrumpelung war da. Winnetou spannte die seinigen auch. Wir konnten die Kerls nicht sehen, aber es war ihnen jetzt wahrscheinlich nicht sehr wohl zu Mute, denn die Stimme des Generals klang sehr gepreßt, als er fragte:

„Welche Gewehre sind das gewesen?“

„Die Silberbüchse Winnetous und Old Shatterhands Stutzen und Bärentöter.“

„Alle Teufel! Ist das wahr?“

„Sehr wahr!“

„Von wem wißt Ihr das?“

„Von den Bestohlenen selbst.“

„Also – – von – – Winnetou – –?“

Yes.“

„Und – – von – – Old – – Old Shatterhand?“

„Yes.“

„Da müßt – – müßt Ihr doch mit – – mit diesen beiden Männern – – Männern gesprochen haben!“

Ein rascher Schritt um die Ecke, drei Sprünge weiter, und wir standen vor ihnen. Im nächsten Augenblicke waren auch Helmers’Leute bei uns.

„Natürlich hat Mr. Helmers mit uns gesprochen!“ sagte ich. „Rührt euch nicht! Ihr seht alle Waffen auf euch gerichtet; sie gehen augenblicklich los, wenn ihr die geringste Bewegung macht!“

Der Schreck dieser Menschen war unbeschreiblich. Sie starrten uns wie Gespenster an und wagten nicht, sich zu rühren.

„Herkules, ich sagte dir, du solltest Stricke oder Riemen bringen. Hast du sie?“ fragte ich den Neger.

„Riemen sein da, ganze Menge,“ antwortete er. „Hier in Händen sie haben.“

„Binde die Kerls!“

„Was? Binden?“ rief Douglas. „Einen General binden, einen General, der in zahlreichen Schlachten – –!“

„Schweigt!“ unterbrach ich ihn. „Ihr seid der erste, welcher gefesselt wird, und wenn Ihr widerstrebt, so schieße ich Euch auf der Stelle nieder! Gebt sofort die Hände her!“

Da wagte er keinen Widerstand; er wurde gefesselt und die andern nach ihm. Ich wendete mich an Old Wabble:

„Ihr habt Euch eine saubere Gesellschaft gewählt! Eigentlich sollte ich kein Wort mit Euch sprechen; ich will mich aber einmal überwinden und Euch fragen: Habt Ihr Euch bei dem Diebstahle beteiligt?“

„Nein,“ antwortete er, indem er ein Paar Augen auf mich richtete, in welchen der Zorn und der Haß funkelten.

„Ihr seid nicht mit im Häuschen gewesen, als die Gewehre geholt wurden?“

„Nein.“

„Ist das wahr?“ fragte ich den General.

„Ich antworte Euch kein Wort!“ erklärte er. „Wer darf es hier wagen, einen General ins Verhör zu nehmen!“

Well, so sind wir einstweilen mit Euch fertig, aber auch nur einstweilen. Wir werden Euch gar nicht verhören, denn Eure Schuld ist erwiesen. Es bleibt uns nur noch übrig, Eure Strafe zu bestimmen.“

„Strafe? Wagt es, Euch an mir zu vergreifen! Ich würde mich blutig rächen, so blutig, daß – –“

Ich hörte seine Worte nicht mehr, denn ich hatte Winnetou, Helmers und dem Chickasawhäuptling gewinkt, mit mir zu kommen. Wir gingen hinter das Haus, um über die Bestrafung des Diebes zu beraten. Wir wurden schnell einig und kehrten zu den Gefangenen zurück, die inzwischen von Helmers‘ Leuten und den Chickasaws bewacht worden waren. Weder Winnetou noch ich wollte mit der Ausführung des Urteiles etwas zu thun haben; wir hatten das dem Besitzer des Home übertragen. Er verkündigte ihnen unsern Entschluß mit den Worten:

„Ihr seid auf meinem Grund und Boden erwischt worden, und darum bin ich es, der euch sagt, was wir über euch bestimmt haben. Ihr bleibt alle bis morgen früh hier und werdet dann über meine Grenze geschafft. Wer sich dann wieder hier sehen läßt, wird erschossen. Der edle Gentleman, welcher sich für einen General ausgiebt, ist der Dieb. Nach den Gesetzen des wilden Westens wird ein solcher Diebstahl mit dem Tode bestraft; wir sind aber so gnädig gewesen, diese Strafe in fünfzig Hiebe umzuwandeln, denn es scheint uns, daß – –“

„Hiebe!“ brüllte Douglas. „Ich werde – –“

„Nichts wirst du, Schuft!“ donnerte ihn Helmers so an, daß er schwieg. „Grad weil du Offizier sein willst, wirst du gehauen werden! Und da außer euch nur lauter Gentlemen da sind, von denen keiner dieses Amt übernehmen möchte, so wird Old Wabble dir diese fünfzig Hiebe geben.“

„Das – – das – – werde ich nicht thun!“ stieß der alte, einstige „king of the cowboys“ hervor.

„Du wirst es thun, alter Boy, denn wir haben es so beschlossen. Wenn du dich weigerst, auf mein Kommando zuzuschlagen, oder wenn du nicht aus Leibeskräften zuschlägst, so bekommst du selbst erst fünfzig Hiebe und dann eine Kugel in den Kopf. Ich scherze nicht; laß dir das gesagt sein!“

„Der, der soll mich schlagen?“ rief Douglas. „Er ist ja selbst mit dabei gewesen. Ich kannte ja das Häuschen gar nicht; er hat mich hineingeführt!“

So leid mir das um Old Wabble that, aber ich bezweifelte nicht, daß der General die Wahrheit sagte. Also das war der Dank für die Teilnahme, Zuneigung und wiederholte Nachsicht, die ich dem Alten entgegengebracht hatte; er war aus Ärger und niedriger Rachsucht zum Diebe an mir geworden. Dennoch bestimmte Helmers:

„Das geht uns jetzt nichts mehr an. Hättest du es vorhin gesagt; du wolltest dich aber nicht verhören lassen; nun ist’s zu spät! Ich habe nur noch hinzuzufügen, daß wir mit den andern nichts zu thun haben wollen; ihnen wird also nichts weiter geschehen, als daß wir sie bis morgen früh hier festhalten; da ist es Tag, und wir können uns überzeugen, daß sie sich wirklich entfernen. Die Dienste, welche euch die Chikkasaws geleistet haben, werden wir ihnen von dem bezahlen, was wir bei euch finden. Jetzt bindet den ehrenwerten General hier an die Postoak, macht Old Wabble die Hände frei, daß er zuschlagen kann, und schneidet da drüben von den Sträuchern einige gute hazel-switches ab, die hübsch stark, doch biegsam sind! Der General soll seine Orden bekommen, aber nicht vorn auf die Brust!“

Ich ging mit Winnetou fort, um nicht Zeuge der Vollstreckung dieses Urteiles zu sein. Ein Ebenbild Gottes prügeln zu sehen, ist nicht jedermanns Sache. Leider aber giebt es Menschen, bei denen selbst eine solche Strafe ohne alle Wirkung bleibt, und hätte ich jetzt gewußt, was ich später erfuhr, so wären mir selbst hundert Hiebe für diesen gott- und gewissenlosen Schurken noch viel zu wenig gewesen. Wir hörten nach unsrer Rückkehr, daß Old Wabble sich zwar erst gesträubt, dann aber angesichts des drohenden Revolvers tüchtig zugeschlagen hatte. Dann wurden die Kerls miteinander so sicher eingesperrt, daß sie nicht fliehen konnten.

Als man sie am andern Morgen aus ihrem Gewahrsam brachte, sahen die Gesichter des Generals und Old Wabbles blutig aus. Sie waren trotz ihrer Fesseln aneinander geraten. Douglas hatte sich in einer ganz unbeschreiblichen Wut darüber befunden, daß der Alte sich hatte zwingen lassen, ihm die fünfzig Hiebe zu geben. Als wir ihn jetzt losbanden, wollte er sich wieder auf ihn stürzen, und als wir ihn davon abhielten, schrie er ihm zu:

„Nimm dich vor mir in acht, du Hund! Sobald ich dich treffe, bezahlst du mir diese Schläge mit dem Leben. Ich schwöre es dir mit allen Eiden zu, die man nur schwören kann!“

Das war sehr ernst gemeint; Old Wabble sah es ein und bat Helmers, ihn eher als den General fortzulassen. Er scheute sich, diese Bitte an mich oder an Winnetou zu richten; wir hielten uns von ihm fern. Sie wurde ihm gewährt. Herkules, der Neger, brachte ihn fort, und erst als hierauf eine Stunde vergangen war, wurde Douglas mit seinen drei weißen Begleitern über die Grenze geführt. In welcher Weise er von uns Abschied nahm, braucht nicht gesagt zu werden. Er floß von Drohungen und Verwünschungen förmlich über. Sein Zorn war dadurch bis zum höchsten Grade gesteigert worden, daß wir ihnen allen die Waffen und die Munition genommen und den Chickasaws als Belohnung gegeben hatten. Was Winnetou und mich betrifft, so konnten wir mit dem Ausgange unsres Rittes sehr zufrieden sein. Wir hatten unsere Gewehre wieder, die sich in demselben guten Zustande wie vorher befanden.

Als wir dann erzählend am Vormittage vor dem Hause am Tische saßen, stand Helmers plötzlich auf, ging zu dem Baume, an welchem der General gestern angebunden war, hob dort etwas vom Boden auf und sagte:

„Da sah ich etwas blinken. Es ist ein goldener Ring, ein Trauring, wie es scheint. Seht ihn einmal an!“

Der Ring ging von Hand zu Hand. Ja, es war ein Trauring, und auf seiner Innenfläche sahen wir zwei Buchstaben und ein Datum eingegraben.

„Wie kommt der Ring dorthin?“ fragte Frau Barbara. „Wer mag ihn verloren haben?“

„Der General,“ antwortete Helmers. „Seine Hand war festgebunden und hat sich, als ihn die Hiebe schmerzten, so unter den Riemen gewunden, daß der Ring abgestreift worden ist. Anders kann es nicht sein.“

Wir gaben ihm recht und meinten, daß er den Ring als Andenken an den gestrigen Strafvollzug aufbewahren möge; er aber legte ihn mir in die Hand und sagte:

„Was soll ich mit ihm? Er ist nicht mein; ich komme nicht von hier fort und werde den General wohl nicht wiedersehen. Bei Euch aber, Mr. Shatterhand, ist es möglich, daß Ihr ihm einmal begegnet. Steckt ihn ein.“

Ich hatte keinen Grund, mich zu weigern, und steckte den Ring an meinen Finger, wo er sicherer als in der Tasche war. Vorher betrachtete ich ihn genau und las: E. B. 5. VIII. 1842. Wie wichtig dieser Ring mir und Old Surehand später werden sollte, das konnte ich jetzt nicht ahnen. – – –

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Gottes Gericht

Gottes Gericht

Die Pampa de Salinas gehört zu Bolivia. Die Bewohner dieses Landes unterscheiden in Beziehung auf das Gebirge der Anden folgende Regionen.

Die erste Region ist diejenige, welche von den Pampas bis zu einer Höhe von 1600 Metern aufsteigt und wird Yunga genannt. Hier herrscht die Üppigkeit der Tropen im vollsten Sinne des Wortes. Über diese Flächen erstrecken sich undurchdringliche Urwälder, welche nur zuweilen von sogenannten Pajonales, weiten Grasfluren mit einzelnen Baumgruppen, unterbrochen werden. Die Tierwelt ist hier am reichsten vertreten durch Scharen von Papageien und buntflimmernden Kolibris; überhaupt spottet das Reich der Vögel hier jeder Aufzählung und Beschreibung. Affen giebt es in großen Scharen, Fledermäuse die Menge, und Pumas, Onzen und Jaguaren kann man täglich begegnen.

Die nächst höhere Region wird Medio Yunga genannt und steigt nicht ganz bis 3000 Meter auf. Ihr Klima ist weniger heiß, infolgedessen hier die Tiere und Pflanzen der gemäßigten Zone gedeihen.

Dann kommen die Cabezeras de los valles, die obern Thalstufen, bis 3300 Meter hoch. Diese sind gegen die Stürme der Puna geschützt und haben eine angenehme Temperatur.

Hierauf folgt die Puna bis zu einer Höhe von 3900 Meter. Die Luft derselben ist außerordentlich trocken, weshalb nur wenige Pflanzen hier gedeihen. Zu denselben gehören das kurze, dürre Punagras, niedriges, schirmartig ausgebreitetes meergrünes Zwergholz, sowie einige kleine Myrten- und Lorbeerarten.

Was nun endlich über 3900 Meter hoch liegt, wird Puna brava genannt. Hier wehen heftige, kalte Winde, welche selbst im Sommer oft dichtes Schneegestöber mit sich führen und dem Wanderer, welchen sie überraschen, mit dem Tode drohen. Nur den beiden Umständen, daß diese Region sehr reich an wertvollen Erzen ist und daß die Pässe so hoch liegen, verdankt es die Puna brava, daß sie von Menschen besucht wird.

Freilich darf man nicht meinen, daß diese angegebenen Regionen scharfe und regelmäßig gezogene Grenzen bilden. Es gibt selbst in der Puna fruchtbare Thäler, und ebenso erheben sich aus den niederen, tropischen Regionen steile Hochplateaus, welche die Eigentümlichkeiten der Puna besitzen.

Über einen Monat befanden wir uns seit unserm Aufbruche von der Laguna de Bambu unterwegs. Uns möglichst in der geraden Richtung haltend, hatten wir die Grenze der argentinischen Republik hinter uns gelegt und bolivianischen Boden betreten. Wir waren durch die Gebiete feindlicher Indianer gekommen, aber stets so vorsichtig gewesen, ein Zusammentreffen mit ihnen zu vermeiden. Die Stämme befreundeter Tobas hatten wir natürlich nicht vermieden. Wir waren von ihnen stets freundlich aufgenommen worden und hatten dabei erfahren, wie vorteilhaft es für uns war, daß der Desierto uns seine zehn Roten mitgegeben hatte.

Während dieser ganzen, langen Zeit war es uns nicht ein einziges Mal gelungen, auf die Spur des Sendador zu treffen, und das hatte seinen guten Grund. Während wir die Tobas aufsuchten und die Chiriguanos mieden, fand bei ihm das Gegenteil statt, und so konnten unsere Wege sich nicht berühren. Vielleicht hatten wir den seinigen gekreuzt, aber ohne daß es von uns bemerkt worden war.

Vor drei Tagen waren wir von einem Tobastamme geschieden, bei welchem wir eine Nacht geruht hatten. Eine Abteilung dieses Stammes war nach den Bergen gegangen, um dort in der Nähe der Pampa de Salinas nach Chinchillas zu jagen. Wir wünschten, mit diesen Leuten zusammenzutreffen, da sie uns nur von Nutzen sein konnten, und hielten eifrig Umschau, eine Spur von ihnen zu entdecken.

Wir befanden uns auf öder Puna. Es gab weit und breit keinen Grashalm und keinen Wassertropfen für unsere erschöpften Pferde. Die armen Tiere hatten während der letzten vier Wochen über ihre Kräfte angestrengt werden müssen und stolperten bei jedem Schritte. Die Anden sind überhaupt kein Terrain für Pferde. Die Höhen kann nur ein Maultier überwinden. Glücklicherweise hatte unser Zweck uns nicht ganz hinauf bis in die Puna brava geführt.

Pena war hier zu Hause. Er kannte jeden einzelnen Berg, jedes Thal, jede Felsplatte. Er versicherte, daß wir morgen die Salzkruste der Pampa de Salinas erblicken und heute noch ein Wasser erreichen würden, welches aus einer unzugänglichen Schlucht hervorquelle.

Auch Gomarra begann, sich zurechtzufinden; er bestätigte die Behauptung Penas, daß wir uns der Pampa näherten. Freilich war er, wenn er dieselbe besucht hatte, stets von der andern Seite gekommen, welche viel leichter zu passieren war.

Wir hatten diese Richtung vermieden, um ganz unbemerkt an das Ziel zu gelangen, und uns lieber für den schwierigen Weg entschlossen. Jetzt neigte sich unsere Puna zur Tiefe, erst leise und allmählich; dann verengte sie sich und fiel so steil nach unten, daß wir absteigen und unsere Tiere führen mußten. Das war ein halsbrecherischer Weg. Endlich wurde die Passage besser. Wir kamen auf eine breite, mit Steingeröll bedeckte Lehne, welche sich sanft niedersenkte und uns an einen Paß führte, welchem wir zu folgen hatten. Dort hielten wir an, um zu verschnaufen.

„Jetzt nur noch eine Stunde,“ sagte Pena, „dann kommen wir an das Wasser und können wenigstens die Pferde trinken lassen. Wir haben Fleisch und noch ein wenig Mehl; das genügt für heute, und dann mag der morgende Tag für sich selbst sorgen. Um die Mittagszeit werden wir an der Salinas sein.“

Unsere Vorräte waren ziemlich zu Ende gegangen, was in dieser Gegend nicht ohne Bedenken war. Waren wir nur auf die Jagd angewiesen, so mußten wir hungern, da wilde Lamas nur schwer zu beschleichen sind.

Wir bogen in den Paß ein, welcher aus der Höhe kam und allmählich abwärts führte. Da Pena und Gomarra hier unsere Führer sein mußten, so ritten sie voran, und wir folgten hinterher. Ich ritt mit dem Bruder ganz zuletzt.

Dennoch fiel mir eine kaum handgroße Stelle des Weges auf, über welche die andern geritten waren und die eine abweichende Färbung zu haben schien. Ich stieg vom Pferde und untersuchte sie. Sie war feucht und gerötet.

„Das ist Blut,“ sagte ich zu dem Bruder. „Meinen Sie nicht auch?“

Er betrachtete den Stein, schüttelte den Kopf und antwortete.

„Feuchtigkeit ist es, Blut aber schwerlich. Blut färbt röter.“

„Rinnendes Blut war es überhaupt nicht. Der Stein hat vielmehr die Färbung, als ob frisches, blutiges Fleisch auf demselben gelegen habe. Der Fleck konnte nicht rasch trocknen, weil es feucht und kühl hier ist und die Sonne nicht in diese Schlucht zu dringen vermag. Ich rechne, es muß jemand vor ungefähr zwei Stunden hier gewesen sein.“

„Ein Reisender, der über das Gebirge will?“

„Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Über das Gebirge geht man in Gesellschaft und nicht allein.“

„Wer behauptet denn, daß der Betreffende allein gewesen ist?“

„Niemand. Übrigens kommt es auf diesen Umstand weniger an, als vielmehr darauf, ob der Betreffende auf- oder abwärts gegangen oder geritten ist. Stieg er aufwärts, so brauchen wir ihn nicht zu berücksichtigen. War aber sein Weg niederwärts gerichtet, so haben wir ihn vor uns und müssen vorsichtig sein. Ich werde doch lieber voran reiten.“

Der Paß war schmaler geworden, und ich hatte Mühe, nach vorn zu gelangen. Keiner von den andern hatte die kleine Spur bemerkt. Bald hielt ich an und deutete auf eine scharf vorstehende Felsenecke, um welche wir biegen mußten.

„Soeben finde ich etwas. Sehen Sie hier diese feuchte, dunkle Stelle? Das ist wiederum Blut.“

„Um dies herauszufinden, dazu gehören eben Ihre Augen, oder eine große Portion Phantasie! Blut würde einen dunkleren Fleck hinterlassen,“ antwortete Pena.

„Nein. Ich meine nicht reines Blut, sondern blutig gefärbtes oder vielmehr frisches, ungereinigtes Fleisch. Es ist vor zwei Stunden ein Fußgänger mit Fleisch vorüber gekommen.“

„Wer sagt Ihnen das?“

„Die Höhe des Fleckes. Ein Reiter hätte das erbeutete Tier hinter sich auf dem Pferde liegen gehabt, und infolgedessen würde der Fleck sich höher am Felsen befinden. Der Mann hat ein Wild erlegt und es auf den Schultern oder rückenquer getragen. Als er um diese Ecke bog, hat er mit dem blutigen Fleische den Felsen gestreift.“

„Nun, angenommen, daß Sie recht haben, ist es vielleicht von Wichtigkeit für uns?“

„Natürlich! Von großer Wichtigkeit sogar. Der Mann ist ein Indianer. Er hat dem Tier das Fell abgezogen, das thut kein Weißer, wenn er geschossenes Wild trägt, weil das erstens unappetitlich und zweitens unpraktisch ist. Das Fleisch hält sich in der Haut viel länger. Ein Indianer aber, welcher ein großes Tier auf dem Rücken von einem Orte nach dem andern schleppt, muß meinen Verdacht erwecken und kann uns sehr gefährlich werden.“

„Warum?“

„Weil er Gefährten hat. Ein Roter, welcher allein und für sich jagt, nimmt von der Beute nur so viel, wie er für sich braucht; er trägt sich nicht mit einer schweren Last.“

„Alle Wetter! Von diesem Standpunkt aus betrachtet, erregt dieser dunkle Fleck freilich auch mein Bedenken. Sollte der Sendador uns doch zuvorgekommen sein und Chiriguanos bei sich haben?“

„Das ist sogar sehr wahrscheinlich.“

„Dann erwartet er uns vielleicht gar an der Pampa de Salinas und sendet täglich einige Rote auf die Jagd, um nicht Hunger leiden zu müssen.“

„Es ist das leicht anzunehmen. Nur kann, wenn der Sendador sich auf der Pampa befindet, der Mann, der hier vorüber kam, nicht zu ihm gehören, weil nach Ihrer eigenen Schätzung die Pampa von hier aus erst morgen mittag zu erreichen ist. So weit entfernt sich kein Jäger von der Gesellschaft, welche er mit Nahrung zu versorgen hat.“

„Das ist wahr. Vielleicht befindet sich der Sendador noch gar nicht an der Salinas, sondern in größerer Nähe als wir denken.“

„Oder der Mann, welcher hier ging, gehört zu der Tobasabteilung, mit welcher wir zusammentreffen wollen.“

„Auch das ist möglich. Mag dem nun sein, wie ihm wolle, wir müssen sehr vorsichtig sein. Machen wir so schnell wie möglich vorwärts, daß wir aus dem Engpasse kommen!“

Wir trieben die Pferde an, um die Schlucht, in welcher ein plötzlicher Überfall für uns höchst gefährlich war, rasch hinter uns zu legen, und näherten uns dabei dem Wasser, von welchem Pena gesprochen hatte. Er mußte mir die Stelle beschreiben, und ich erfuhr, daß dieses Wasser aus einer hochgelegenen Seitenschlucht komme und sich über eine Felsenwand herab auf unsern Weg stürze.

„So bildet es also einen Wasserfall?“ antwortete ich. „Rauscht derselbe sehr?“

„Bedeutend.“

„Das ist gut, weil der Hufschlag unserer Pferde nicht gehört werden kann.“

„Wer darf ihn denn nicht hören?“

„Der Rote mit dem Fleische, oder vielleicht gar die Gesellschaft, für welche er zu sorgen hat. Unsere Gefährten mögen in gleicher Schnelligkeit wie jetzt fortreiten; wir beide aber wollen voran, um auszuspähen.“

Wir beiden setzten unsere Pferde in Trab. Der Weg wand sich bald nach rechts, bald nach links. Bei diesen vielen und engen Krümmungen war es unmöglich, zu erfahren, wen oder was man auf dreißig Schritte vor sich hatte. Pena tröstete mich mit der Bemerkung, daß der Weg nun bald ein besserer und offenerer werde, sobald man den Wasserfall in Sicht bekomme.

Nicht lange, so vernahm ich das Rauschen desselben. Dann öffnete sich die Schlucht auf einen tiefen Thalkessel, aus welchem nur zwei Wege führten, nämlich derjenige, den wir jetzt benützten, und ein anderer, dessen Mündung sich uns gegenüber befand. Rechts stieg die Bergwand lotrecht himmelan.

Links war sie zunächst höchstens fünfzig Fuß hoch und bildete dort einen Absatz, über welchen zwischen zwei Felsenmassen eine dunkle Schlucht gähnte, aus der das Wasser herabstürzte, um zunächst sich in ein tief ausgehöhltes Loch zu gießen und dann uns gegenüber den Thalkessel zu verlassen.

Diese Scenerie war hochromantisch, und doch beschäftigte sie mich weniger als die Staffage, welche ich im Vordergrunde links des Bildes bemerkte. Dort lag nämlich ein Indianer auf dem saftigen Rasen, welcher infolge der großen und immerwährenden Feuchtigkeit üppig grünte, neben sich ein abgehäutetes Tier, ein Lama oder Guanaco, das konnte man nicht so schnell entscheiden.

Der Mann kehrte uns den Rücken zu. Er hatte den linken Ellbogen in das Gras gestützt und den Kopf auf die Hand gelegt. Am Felsen unweit des Wasserloches, fünf oder sechs Schritte von ihm entfernt, lehnte sein Gewehr.

„Wahrhaftig, Sie haben die Spur ganz richtig gelesen!“ sagte Pena. „Es ist genau so, wie Sie vermuteten.“

Während dieser Worte trieb er sein Pferd zurück, um ebenso wie ich wieder in der Schlucht zu verschwinden.

„Ein unvorsichtiger Patron! Der Mann scheint zu träumen, und noch dazu das Gewehr so weit weg an der Wind.“

„Was thun wir mit ihm?“ fragte Pena.

„Festnehmen natürlich.“

„Wer macht’s? Sie oder ich?“

„Ich. Halten Sie mein Pferd, und kommen Sie, wenn ich winke!“

Ich stieg vom Pferde und trat wieder aus der Schlucht heraus. Der Rasen war so weich, daß mein Schritt selbst dann, wenn es den Wasserfall nicht gegeben hätte, nicht gehört worden wäre. Ich eilte nach links hinüber an die Felsenwand und an derselben hin bis zu dem Gewehre. Es war, als wisse ich ganz genau, daß er sich nicht umdrehen werde. Darum nahm ich die Flinte in die Hand und zog den Hahn halb auf. Es war kein Zündhütchen aufgesetzt. Der alte Schießkolben konnte jetzt also weder mir noch einem andern gefährlich werden. Ich stellte ihn beiseite und trat zu dem Manne. Ich beugte mich über ihn, um sein Gesicht zu sehen. Auch das bemerkte er nicht, denn er hatte die Augen geschlossen, wahrscheinlich weil er ermüdet war. Er schien etwa fünfzig Jahre alt zu sein, trug leichte Kleidung, einen breitkrempigen Strohhut und einen alten Gürtel, in welchem ein Messer steckte.

jetzt kniete ich hinter ihm nieder, griff mit der Linken nach seinem Halse, drückte ihm den Kopf auf die Erde, zog mit der Rechten sein Messer aus dem Gürtel und stemmte ihm dann das rechte Knie quer über die Beine.

Das geschah natürlich sehr schnell. Ich hatte ihn schon fast unter mir, als er die Augen öffnete und mich entsetzt anstarrte. An der Bewegung seiner Lippen ersah ich, daß er schrie; hören konnte ich es wegen des Geräusches des Wasserfalles nicht.

Ich war auf Gegenwehr vorbereitet gewesen; er aber schien gar nicht an so etwas zu denken, denn er blieb unter mir liegen, ohne eine Bewegung, einen Versuch zu machen, von mir loszukommen. Darum stand ich auf, hielt ihn am Halse fest, ergriff ihn bei der Brust und führte ihn fort, vom Wasser weg und in die Schlucht hinein, wo Pena hielt. Er ging mit, ganz wie einer, welcher seiner Sinne nicht mehr mächtig ist. Da, wo wir uns nun befanden, konnte man gesprochene Worte verstehen.

„Das ging schnell und leicht,“ meinte Pena in deutscher Sprache. „Der Mann scheint ganz perplex zu sein.“

„Vor Entsetzen. Sehen Sie seinen Blick. Er zittert. Das ist nicht gewöhnliche Furcht oder Angst, sondern geradezu Entsetzen.“

„Ist’s ein Chiriguano?“

„Das werden wir ja gleich erfahren. Fragen Sie ihn! Sie sind mir in dem Indianerdialekt über.“

„Vielleicht versteht er Spanisch.“

„Wahrscheinlich, denn wer zum Fleischmachen ausgesendet wird, der trifft leicht mit Leuten zusammen, mit denen er sprechen können muß; darum ist allerdings zu erwarten, daß dieser Mann der Landessprache wenigstens einigermaßen mächtig ist.“

„So reden Sie ihn vorerst an. Kann er Ihnen nicht antworten, dann werde ich es versuchen.“

Ich konnte dieser Aufforderung nicht sofort Folge leisten, da soeben unsere Gefährten herbeikamen und uns einholten. Sie machten, als sie den Roten in meinen Händen sahen, Gesichter, welche keineswegs freundlich waren, was seine Angst bedeutend vergrößerte. Als er sah, daß sie ihre Pferde verließen und ihn und mich drohend umringten, rief er in spanischer Sprache, deren er also doch mächtig war, aus:

„Sennor, warum überfallen Sie mich? Warum lassen Sie mich nicht los? Ich habe Ihnen doch nichts gethan!“

„Bis jetzt noch nicht!“ antwortete ich ihm. „Und es wird sich sogleich finden, ob wir dich als Freund oder Feind zu behandeln haben. Zu welchem Stamme gehörst du? Bist du ein Toba oder ein Chiriguano?“

„Ich bin ein Aymara und lebe mit den Weißen in Frieden.“

„Mit wem befindest du dich hier?“

„Mit niemandem.“

„Oho! Lüge nicht! Aber wenn du uns täuschen willst, so kannst du nicht verlangen, daß wir dich als einen uns freundlich gesinnten Mann betrachten. Also heraus mit der Sprache!“

Ich hielt ihn noch gefaßt und schüttelte ihn bei meinen letzten Worten derb. Hatte er bisher keine Spur von Mut sehen lassen, so brach er jetzt unter meiner Hand beinahe zusammen. Er hing an derselben wie ein Hund, den man beim Felle gepackt hat, und schrie voller Angst:

„Ich bin Ihr Freund, ich bin Ihr Freund. Glauben Sie es doch, und lassen Sie mich los!“

„Nicht eher, als bis du der Wahrheit gemäß geantwortet hast. Also sage, wer befindet sich bei dir?“

„Noch fünf Aymaras.“

„Was treibt ihr in dieser Gegend?“

„Wir jagen wilde Lamas, wie Sie gesehen haben, denn ich hatte jetzt eins bei mir liegen.“

„Du bist ein sehr dummer Kerl, denn mit diesen Worten hast du verraten, daß du mich belügst. Der Lamas wegen geht man nicht in die Berge, sondern aus andern Gründen. Das Lama erlegt man nur nebenbei, um Speise zu haben. Wenn ihr also alle sechs Fleisch holt, so müssen noch viele andere da sein, welche es essen wollen. Sechs Jäger erlegen mehr, als sie essen können, und man erschießt das Wild nicht nur zu dem Zwecke, es verfaulen zu lassen. Da du uns betrügen willst, so sollst du deinen Lohn haben. Es ist aus mit dir.“

Ich hielt ihn noch immer mit der Linken beim Genick gefaßt. Mit der Rechten zog ich mein Messer und holte wie zum Stoße aus, hatte aber keineswegs die Absicht, diese Drohung auszuführen. Sie hatte die gewünschte Wirkung. Der Rote faltete die Hände und rief mit zitternder Stimme:

„Nicht stechen, Sennor, nicht stechen! Ich will die Wahrheit sagen, obgleich mir das sehr streng verboten worden ist!“

Ich ließ ihn los, stellte ihn so, daß er mir sein Gesicht zukehrte, behielt aber das Messer noch hoch in der Hand und

antwortete:

„Das ist dein Glück, denn eine Sekunde später hättest du dieses Eisen im Leibe gehabt. Also rede! Bist du wirklich ein Aymara?“

„Ja. Und es ist auch wahr, daß noch fünf Stammesgenossen bei mir sind. Wir wollen Wollmäuse jagen, deren Felle von den Weißen so gut bezahlt werden. Da aber trafen wir mit andern zusammen, denen die Lebensmittel ausgegangen waren und die uns darum in ihren Dienst nahmen, damit wir für sie jagen sollten, weil sie selbst keine Zeit dazu hatten.“

„Warum das nicht? Womit waren sie denn beschäftigt?“

„Mit – nichts,“ antwortete er mit dem dümmsten Gesichte, welches man sich nur denken kann.

„Ja, mit nichts,“ nickte ich ihm zu, „denn das Warten kann doch nicht als Arbeit gelten. Diese Leute warten am Salzsee in der Pampa de Salinas auf jemand?“

„Ja.“

„Kennst du sie?“

„Das soll ich nicht sagen.“

„So werde ich dir den Mund öffnen. Bedenke, daß du zwischen Leben und Tod zu wählen hast! Ich scherze nicht!“

Seine Augen waren bis jetzt fast ausschließlich auf mich gerichtet gewesen. Nun irrte sein Blick ratlos im Kreise umher, und da schien er zu ahnen, mit wem er es zu thun hatte.

„Himmel!“ rief er aus. „Da befinde ich mich wohl gerade bei denen, welche uns nicht sehen sollen! Gehören diese roten Männer zu den Tobas?“

„Allerdings.“

„Sie wollen nach der Pampa de Salinas, um den Sendador zu bestehlen?“

„Nein,“ antwortete ich, lachend über seine Naivetät. „Ich weiß, daß er es ist, in dessen Dienst du dich befindest. Hat er uns als Diebe geschildert?“

„Ob er Sie gemeint hat, das weiß ich nicht. Oder doch -doch! Sie müssen es sein. Es stimmt ganz genau. Er hat Sie uns geschildert. Nun bin ich verloren!“

Er hatte mich während dieser Worte genauer betrachtet, und man sah deutlich, welchen Schreck er jetzt empfand.

„Der Sendador hat euch belogen,“ entgegnete ich ihm. „Nicht uns, sondern ihn habt ihr zu fürchten. Wir sind ehrliche Leute.“

„Aber Sie kommen als Feinde des Sendador?“

„Allerdings. Er ist der größte Bösewicht, den es giebt, und wir wollen ihm das Handwerk legen. Wer ihm dient, fällt in die gleiche Strafe.“

„Sennor, ich habe nicht gewußt, daß er so schlimm ist. Ich diene ihm nur, weil er mich bezahlt; sonst aber habe ich nichts mit ihm gemein.“

„Und dennoch weigerst du dich, uns der Wahrheit gemäß Auskunft zu erteilen? Du widersprichst dir selbst.“

„Weil ich nicht weiß, was das richtige ist und was ich machen soll. Der Sendador ist ein berühmter Mann, der sich rächen würde, falls ich ihn verriete. Sie aber kenne ich nicht. Sie muß ich vielmehr für Diebe und Räuber halten, denn als solche hat er Sie uns beschrieben.“

Ich deutete auf den Bruder, indem ich antwortete:

„Er hat euch belogen. Siehe das Gewand dieses Herrn. Er ist der Bruder Jaguar. Glaubst du etwa, daß ein Bruder ein Räuber sein könne?“

„Der Bruder Jaguar?“ fragte er, indem sein Gesicht sich schnell aufklärte. „O, von dem habe ich gehört, nicht hier in den Bergen, sondern unten am Flusse. Wenn dieser ehrwürdige Sennor der Bruder Jaguar ist, so brauche ich Sie freilich nicht zu fürchten, sondern kann Ihren Worten getrost Glauben schenken.“

„Thue das, damit du nicht mit den Ungerechten auch umkommst. Willst du uns statt ihm dienen, so werden wir nicht nur vergessen, daß du dich bei ihm befandest, sondern dir und deinen Gefährten denselben Lohn geben, den er dir versprochen hat.“

„Sennor, dann gehe ich zu Ihnen über. Sie sehen nicht aus wie Räuber oder Mörder, und wir Aymaras sind auf die Tobas besser gesinnt, als auf die Chiriguanos.“

„Schön! Du wirst das nicht bereuen. Und damit du überzeugt sein kannst, daß wir die Ehrlichen sind, während der Sendador ein Halunke ist, will ich dir sagen, warum wir ihn suchen.“

Ich erzählte ihm in kurzer Weise das, was er nach meinem Dafürhalten erfahren mußte. Vielleicht wäre dies nicht nötig gewesen; aber es lag mir daran, diesen Mann zu gewinnen. Er sollte sich nicht gezwungen, sondern freiwillig für uns entscheiden. Folgte er uns nur durch Zwang, so konnten wir von ihm mehr Hinder- als Fördernis erwarten. Er hatte sich in den Dienst des Sendador gestellt und konnte uns also die wertvollsten Auskünfte geben. Er hörte mich aufmerksam an und rief, als ich geendet hatte, mit aufrichtigem Staunen aus:

„So ein Bösewicht ist dieser Mann? Wer hätte das gedacht! Sennor, ich bin der Ihrige; ich bleibe bei Ihnen und mag nicht zu ihm zurück. Ich werde auch meine Gefährten heimlich benachrichtigen, und sie folgen mir dann sofort. Warten Sie hier, und lassen Sie mich fort. Ich werde Ihnen meine fünf Freunde zuführen.“

„Langsam, langsam! So schnell geht die Sache nicht. Ich muß vor allen Dingen wissen, wo der Sendador sich befindet und in welcher Weise er uns entgegentreten will.“

„Das kann ich Ihnen doch ganz genau sagen. Er hat über sechzig Chiriguanos bei sich!“

„So eine bedeutende Anzahl?“

„Ja. Es wird doch am besten sein, Sie kehren um und geben sich lieber mit ihm gar nicht ab.“

„Das werden wir freilich nicht thun. Selbst wenn er noch mehr Chiriguanos bei sich hätte, müßten wir ihn haben. Wir fürchten uns nicht. Wo lagert er mit ihnen?“

„Am Salzsee.“

„Das ist im höchsten Grade unvorsichtig von ihm. Der See liegt, wie ich gehört habe, in der ebenen Pampa, welche rundum von Bergen umgeben ist. Wir müssen ihn und seine Begleiter also sehen, wenn wir von diesen Höhen kommen.“

„O nein. Er hat dafür gesorgt, daß Sie ihn nicht eher zu sehen bekommen, als bis Sie sich in seiner Hand befinden. Man kann von drei Richtungen aus nach dem Salzsee kommen, und in jeder dieser Richtungen hat er Späher ausgesandt, welche auf Sie warten und, sobald Sie sich nahen, es sofort melden müssen.“

„Also, wenn wir unseren jetzigen Weg verfolgen, werden wir auf einen solchen Kundschafter treffen?“

„Auf zwei, denn er hat sechs ausgesandt.“

„Hm! In welcher Entfernung von der Pampa halten sie? Ist der Ort, an welchem sie sich befinden, dir bekannt?“

„Ja. Ich weiß auch die Stellen, an denen die andern Wächter postiert sind. Die zwei, welche hier diesen Weg beobachten, halten auf einer Höhe, von welcher aus man eine Stunde bis zur Pampa zu reiten hat; aber sie können uns aus einer Entfernung von zwei Stunden kommen sehen.“

„Das ergiebt drei Stunden, eine hinreichende Zeit für den Sendador, sich auf unsere Ankunft vorzubereiten. Wollte er uns am See empfangen oder schon vorher überfallen?“

„Das letztere. Sie sollten überrumpelt werden. Bis Sie sich von Ihrem Schrecken und Entsetzen erholt hätten, wären Sie tot gewesen.“

„Da hätten wir uns gar nicht erholen können, mein Lieber. Aber wir sind überhaupt nicht die Leute, welche so schnell und tief erschrecken. Auch wäre es uns gar nicht eingefallen, dem Sendador so blind in die Falle zu laufen. Daß wir dich getroffen haben, ist uns lieb, kann aber nicht das geringste an der Vorsicht, die wir gewöhnt sind, mindern. Wichtig freilich ist es mir, zu hören, daß wir so schnell niedergemetzelt werden sollten.“

„Augenblicklich! Nur ein einziger sollte geschont werden. Das sind Sie. Der Sendador gab den Befehl, Ihnen nichts zu thun und, falls dies notwendig sein sollte, Sie höchstens nur leicht zu verwunden, damit Sie nicht entfliehen können.“

„Das ist sehr hübsch von dem Manne. Meine Gefährten hier aber werden es weniger hübsch finden. Weißt du vielleicht, weshalb er gerade gegen mich diese Schonung hegen will?“

„Das kann man wissen, ohne viel darüber nachzudenken,“ fiel Pena ein. „Von uns erwartet er keinen Nutzen, also weg mit uns. Sie aber sollen die Pläne erklären und die Kipus lesen. Ohne Sie kann er die Rätsel nicht lösen. Haben Sie es gethan, dann erhalten natürlich auch Sie die Kugel, wie sich ganz von selbst versteht.“

„Dann hätte er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Selbst wenn ich imstande wäre, das, was er mir zutraut, auch wirklich zu leisten, so würde ich ihm gewiß erst dann den richtigen Aufschluß erteilen, wenn ich überzeugt sein könnte, daß ich mich außer Gefahr befinde. Übrigens dürfen Sie nicht denken, daß ich, nachdem er Sie alle getötet hätte, geneigt wäre, ihm zu gehorchen. Ich würde mich scheinbar bereitwillig zeigen, mein wirkliches Augenmerk aber darauf richten, Ihren Tod zu rächen.“

„Dem sei, wie ihm sei. Die Hauptsache für mich ist, daß er unsern Tod will, und nun soll mich nichts mehr zur Schonung verleiten. Den Mann sehen und niederschießen, das wird ein einziger Augenblick sein.“

„Nicht Sie werden das thun!“ unterbrach ihn Gomarra schnell. „Ich habe das erste und größte Recht zur Rache.“

„Streitet euch nicht,“ sagte ich. „Wer ihn etwa ohne meine Erlaubnis tötet, der bekommt es mit mir zu thun. Was Sie betrifft, Sennor Gomarra, so werde ich Sie nicht hindern, mit ihm abzurechnen; aber das darf erst dann geschehen, wenn ich die Kipus in den Händen habe. Was später mit dem Sendador geschieht, das ist mir vollständig gleichgültig. Jetzt aber sind wir noch lange nicht so weit; es ist vielmehr sehr fraglich, wer die Oberhand gewinnt, er oder wir. Haben seine Leute ein richtiges Lager aufgeschlagen?“

„Nein,“ antwortete der Aymara, an den ich diese Frage gerichtet hatte.

„Und haben sie die Pferde bei sich?“

„Nein. Am See ist alles Salz. Da wächst kein Halm, kein Blatt, kein Kraut. Der Sendador hat die Pferde nach einem Orte bringen lassen, wo sie notdürftig Futter finden.“

„Weit vom See?“

„Man hat eine Stunde lang zu steigen. Es ist eine kleine, grasbewachsene Puna. Zwei Chiriguanos befinden sich bei den Tieren.“

„So beschreibe uns die Stelle des Sees, an welcher er sich gelagert hat!“

Der Rote folgte dieser Aufforderung, und als er geendet hatte, sagte Gomarra ingrimmig:

„Das ist gar nicht weit von dem Punkte, wo die Flasche begraben liegt.“

„Liegt?“ antwortete ich. „Die hat er jedenfalls entfernt und anderwärts versteckt. Es ist bedauerlich, daß wir so spät kommen. Der Zug nach der Laguna de Bambu war ein Umweg für uns, und der Sendador hat bei den Chiriguanos gegen alle Erwartung Pferde gefunden. Aus diesen beiden Gründen ist er eher als wir hier angelangt, und er befindet sich uns gegenüber nun in einem Vorteile, welchen auszugleichen uns sehr schwer werden dürfte.“

„Meinen Sie?“ fragte der Bruder. „Ich nehme das nicht so schwer. Er ist uns jetzt zwar in Beziehung auf die Anzahl überlegen; aber vielleicht finden wir die Tobas, welche wir suchen. Und selbst wenn das nicht geschieht, so brauchen wir uns ja nur heimlich seiner Pferde zu bemächtigen; dann haben wir ihn samt allen Chiriguanos im Sacke.“

„An die Zahl seiner Leute denke ich gar nicht. Ich halte uns diesen Menschen für vollständig gewachsen. Aber wenn wir sie alle und selbst auch ihn in die Hand bekommen, so stehen wir nicht besser, sondern schlechter als vorher. Es ist uns doch um die Kipus zu thun. Der Sendador muß uns das neue Versteck derselben mitteilen und wird diesen Umstand benutzen, um aus demselben den größten Vorteil für sich und seine Indianer zu ziehen.“

„Hm, das ist wahr. Daran habe ich freilich nicht gedacht.“

„Sie sehen also ein, es ist sehr zu beklagen, daß wir uns verspätet haben. Wir müssen das durch List auszugleichen versuchen. Er hat die Flasche jedenfalls heimlich ausgegraben und wieder versteckt. Vielleicht sind noch Spuren zu sehen, welche uns den Ort zeigen. Es fragt sich, seit welcher Zeit er sich in der Pampa de Salinas befindet.“

„Seit vorgestern,“ antwortete der Aymara. „Am Tage vorher traf er uns und nahm uns mit nach dem See.“

„Das ist nicht ganz ungünstig. Habt ihr euch dann gleich auf die Jagd begeben müssen?“

„Ja.“

„So hast du gar keine Zeit und Gelegenheit gehabt, den Sendador zu beobachten?“

„Nein.“

„Du hast nichts Auffälliges oder wenigstens Unregelmäßiges bemerkt?“

„Nein – und doch; er entfernte sich in der ersten Nacht von uns und kehrte erst am frühen Morgen zurück.“

„Das ist gerade von Wichtigkeit für uns. Er ist da fort gewesen, um die Flasche anderswo zu verstecken. Wie weit haben wir noch bis zur Pampa?“

Der Indianer machte eine Angabe, welche mit derjenigen Penas und Gomarras genau stimmte. Daraufhin wurde unser Plan gegründet. Wir begaben uns zunächst nach dem Wasserfall, wo die Pferde trinken konnten und auch Futter fanden, da sich infolge der Feuchtigkeit ein lebhaftes Grün gebildet hatte. Als die Pferde sich erquickt und auch leidlich ausgeruht hatten, brachen wir wieder auf. Unterwegs nahm der Bruder den Aymara vor, um ihm in das Gewissen zu reden, da ja die Möglichkeit immerhin vorliegen konnte, daß der Indianer gewisse Nebenabsichten gegen uns hegte. Der Frater teilte mir aber mit, er sei überzeugt, daß der Mann es ehrlich mit uns meine. Um den letzteren zu prüfen, ließ ich mir von ihm alle Einzelheiten des vor uns liegenden Weges beschreiben, und sowohl Pena wie auch Gomarra versicherten, daß er die Wahrheit gesagt habe. Infolgedessen schenkte auch ich ihm mein Vertrauen, welches freilich nicht so weit ging, daß ich gesonnen war, ihn aus den Augen zu lassen.

Wir ritten trotz der Anstrengungen, welche die Pferde hinter sich hatten, auch den Abend über und dann sogar die halbe Nacht hindurch, bis der Aymara uns sagte, daß wir uns nun in der Nähe der beiden Wächter befänden. Diese hätten, wenn wir noch weiter geritten wären, den Hufschlag unserer Pferde gehört. Darum hielten wir an, und der Aymara beschrieb uns die Örtlichkeit.

Der Weg stieg an einer Halde empor, auf deren Höhe mehrere Felsblöcke lagen. In der Nähe derselben waren die Wächter postiert. Leider bestand die Halde aus lockerem Gestein, so daß es in der Dunkelheit schwierig war, kein Geräusch zu verursachen. Doch war anzunehmen, daß der Saumpfad hart getreten sei; nur galt es, nicht von ihm abzuweichen.

Fast jeder einzelne meiner Gefährten erbot sich, mit mir zu gehen; ich wählte aber nur den Steuermann aus, und zwar infolge seiner Körperstärke, welche mir für das beabsichtigte Vorhaben vom größten Werte war. Während die andern halten bleiben mußten, entledigten wir beide uns unserer Fußbekleidungen, um unsere Schritte unhörbar zu machen, ließen die langen Gewehre zurück und nahmen mehrere Riemen mit.

Vor uns lag die Halde in tiefster Dunkelheit. Droben auf der Höhe aber mußte es heller sein, da sich dort der Schein der Sterne geltend machen konnte. Der Weg ging in mehreren Windungen, die der Aymara uns beschrieben hatte, bergan und an den Felsblöcken vorüber. Ich mußte sehr oft niedergreifen, um mit den Händen zu untersuchen, ob wir uns auf dem Wege befanden.

je höher wir kamen, desto weiter wurde unser durch die Dunkelheit so begrenzter Gesichtskreis. Wir konnten schließlich den Weg erkennen und wohl zehn oder zwölf Schritte weit selbst kleinere Gegenstände, wie Steine oder Unebenheiten, sehen. Unser Gang war so leise, daß wir uns gegenseitig selbst nicht hörten. Nach wohl einer halben Stunde befanden wir uns oben; in gewöhnlichen Verhältnissen aber war die Strecke natürlich in kürzerer Zeit zurückzulegen. Vor uns tauchten einige dunkle Gebilde auf, die Felsblöcke, in deren Nähe wir die Gesuchten zu finden hofften.

„Legen Sie sich nieder!“ flüsterte ich dem Steuermanne zu. „Von jetzt an müssen wir am Boden kriechen.“

„Nach welcher Seite? Rund um die Blöcke herum?“

„So weit vielleicht nicht. Ich denke, die Roten liegen auf derjenigen Seite, nach welcher sie ihre Aufmerksamkeit zu richten haben, nach uns zu. Sie schlafen gewiß. Das stete und scharfe Ausschauen in die Ferne ermüdet sehr. Es fällt ihnen gar nicht ein, zu denken, daß wir des Nachts kommen können. Wer reitet einen solchen Weg in der Finsternis! Er hat uns auch weidlich angestrengt. Also kriechen Sie immer nur hinter mir her!“

Ich wendete mich der angegebenen Seite zu und bemerkte sehr bald, daß dies das richtige war, denn schon nach kurzer Zeit vernahm ich fortgesetztes und durch regelmäßige Intervalle unterbrochenes Geräusch. Auch der Steuermann hörte es, denn er flüsterte mir zu:

„Da schläft einer; er schnarcht; gerade vor uns.“

„Ja. Ganz leise weiter!“

Wir krochen noch eine kurze Strecke fort; dann sahen wir zwei Bündel vor uns liegen – die beiden Chiriguanos, welche sich der nächtlichen, nicht unbeträchtlichen Kühle wegen fest und tief in ihre Decken gewickelt hatten.

„Machen Sie Ihre Riemen klar,“ raunte ich dem Steuermanne zu. „Ich den links und Sie den rechts. Es ist bequem. Wir schlingen die Riemen so schnell und fest um die Bündel, daß die guten Leute nicht einmal Zeit finden, die Nasen herauszustrecken. Also los!“

Die Arbeit war wirklich leicht. Erst eine Schlinge zugezogen, dann die Bündel herumgedreht, zwei enge Windungen mit den Riemen, und wir waren fertig. Unter den Decken schnaufte und brummte es gewaltig; die Bündel bewegten sich und zuckten wie Schmetterlingspuppen, wenn man sie berührt, aber es war den Überraschten nicht möglich, sich frei zu machen.

Ein scharfer Pfiff auf dem Finger war für unsere Gefährten das Zeichen, daß sie kommen sollten. In einer Viertelstunde waren sie da und stiegen von den Pferden, da wir hier den Anbruch des Tages erwarten mußten. Die Wächter ließen wir in ihren Hüllen stecken. Ersticken konnten sie nicht. –

Erst als der Morgen zu grauen begann, befreiten wir sie aus ihrer zwar nicht schmerzlichen, aber doch unangenehmen Lage. Sie schauten uns nicht wenig erstaunt an. Als sie den Aymara bemerkten, brachen sie in Ausrufungen und Fragen aus, welche ich ebenso wenig verstand wie die Antworten, welche er ihnen gab. Den Inhalt aber erriet ich aus der schließlichen Resignation, mit welcher sie die Augen schlossen und sich wieder auf die Seite legten. Sie hatten erkannt, daß sie an ihrer Lage nichts bessern konnten, und ergaben sich in ihr Schicksal Wir belästigten sie nicht mit Fragen, da wir von ihnen doch wohl nichts anderes erfahren konnten, als was wir bereits wußten.

Als es heller wurde, sahen wir, welch eine weite Aussicht man von dieser Halde aus hatte. Der Aymara zeigte uns zwei rückwärts liegende, kahle Höhen, über welche wir während der Nacht gekommen waren. Hätten wir sie am Tage passiert, so wären wir von den Wächtern ganz gewiß bemerkt worden.

Letztere waren mit Bogen und Pfeilen bewaffnet, deren Spitzen, wie wir nun sahen, nicht vergiftet waren. Wir brachen auf und fanden am andern Fuße des Berges ihre Pferde, welche sie zurückgelassen hatten, weil es da ein hartes, stacheliges Gestrüpp abzuweiden gab.

Wir mußten geradeaus reiten; aber nach rechts schien auch ein passierbarer Pfad in die Berge zu gehen. Eben wollte ich mich erkundigen, wohin derselbe führte, als ich einen Reiter sah, welcher an der ersten Krümmung dieses Weges erschien und, als er uns erblickte, sein Pferd schnell wandte und wieder verschwand. Auch die andern hatten ihn gesehen. Wer war er? Ein Indianer jedenfalls. Aber von welchem Stamme? War er allein oder der vorderste eines längeren Zuges?

Wir blieben halten und paßten scharf auf. Bald sahen wir zwei Köpfe, welche um die äußerste Krümmung lugten. Jetzt zeigte es sich, wie gut es für uns war, daß der Desierto uns die Tobas mitgegeben hatte. Der Anführer sagte, indem er vom Pferde stieg:

„Die Chiriguanos sind vor uns am See; die Männer, welche von rechts herkommen, können nur die Tobas sein, welche wir nicht gefunden haben. Ich werde gehen, um mit ihnen zu sprechen.“

„Aber wenn es doch keine Tobas sind?“ warnte ich ihn.

„So werde ich einen Schrei ausstoßen, und Sie kommen, mir beizustehen.“

Er ging. Die beiden Köpfe lugten noch immer um die Ecke. Als sie den einzelnen Mann auf sich zukommen sahen, traten diejenigen, denen sie angehörten, ohne Besorgnis hervor. Wir hörten den Toba ihnen zurufen, und sie antworteten.

„Es sind Tobas!“ rief einer unserer roten Begleiter: „Es sind die erwarteten Freunde. Sie werden mit uns reiten und uns helfen. Nun ist alles gut.“

Er hatte recht. Der Toba verhandelte nur kurze Zeit mit den beiden Fremden und verschwand dann mit ihnen hinter der Krümmung. Bald darauf kehrte er zurück, und ihm folgte, einer hinter dem andern, ein ziemlich langer Zug berittener Indianer, welche von unseren Roten mit lebhafter Freude begrüßt wurden.

Sie zeigten sich gern bereit, uns Hilfe zu leisten, teils weil sie Stammesgenossen waren und teils aus Dankbarkeit. Ihr Anführer gestand, daß wir ihn aus einer ziemlich großen Gefahr befreit hätten. Er wäre, wenn er uns nicht getroffen hätte, mit seinen Leuten nach der Salinas geritten, ganz ahnungslos, dort auf Chiriguanos zu treffen, und mit denselben jedenfalls in Kampf geraten.

Diese Leute waren reichlich mit Proviant versehen, was uns natürlich nur lieb sein konnte. Mit ihnen vereint, setzten wir unsern Weg fort. Das geschah in der Weise, daß ich wieder mit Pena voranritt, eine Strecke von den Nachfolgenden getrennt. Diese Maßregel bewährte sich auch heute. Wir hatten eine Stunde bis zur Pampa zu reiten, aber kaum den dritten Teil dieses Weges zurückgelegt, als wir laute Stimmen vor uns vernahmen. Sofort kehrten wir um, bis zu einer Stelle, an welcher sich der Weg soweit verengte, daß vielleicht drei Reiter nebeneinander Platz hatten.

Dort hielten wir, bis wir die Nahenden erblickten. Es waren zwei Chiriguanos, welche kamen, um die beiden Wächter abzulösen, wie wir später erfuhren. Sie waren auch zu Pferde, hatten aber so laut gesprochen, daß ihre Stimmen eher als der Hufschlag ihrer Tiere zu hören gewesen waren.

„Was thun?“ fragte Pena. „Sehen sie uns, so jagen sie zurück und machen Alarm.“

„Natürlich werden sie uns sehen, denn sie kommen auf uns zu. Es wird gar kein Federlesens gemacht. Wir drücken uns hinter diesen Felsen, und wenn sie nahe genug sind, reiten wir in Karriere auf sie zu, an ihnen vorüber und wenden dann hinter ihnen um. Auf diese Weise kommen sie zwischen uns und unsere Gefährten, ohne sich nur fragen zu können, was da vorgegangen ist. Die Furcht vor unseren besseren Waffen und unserer Überzahl wird dann das übrige thun. Passen Sie auf! In einigen Augenblicken müssen sie uns sehen. Jetzt vorwärts!“

Die Chiriguanos hatten die Enge erreicht und waren in dieselbe eingedrungen. Wir gaben unseren Pferden die Sporen und jagten ihnen entgegen. Sie blieben erschrocken halten und schrien laut auf. Wir flogen, ohne ihre Schreie mit einem Worte zu beantworten, an ihnen vorüber und rissen dann unsere Pferde herum. Nun hielten wir am Ausgange der Enge, sie in der Mitte derselben, und am Eingange waren soeben unsere Gefährten zu sehen, welche sich nicht wenig darüber wunderten, zwei Feinde zwischen sich und uns zu sehen.

Diese letzteren waren so außerordentlich verblüfft, daß sie sich gar nicht bewegten. Der Aymara rief ihnen eine Aufforderung zu, welche sie zagend beantworteten. Es entspann sich zwischen ihm und ihnen eine kurze Verhandlung, deren Ergebnis das war, daß die beiden sich uns überlieferten. Nachdem wir sie entwaffnet, ihnen also Bogen und Pfeile abgenommen hatten, begannen wir den unterbrochenen Ritt von neuem. Wenn die Chiriguanos alle von der Art waren wie diejenigen, welche wir bis jetzt kennen gelernt hatten, so befand sich der Sendador keineswegs in zuverlässigen Händen.

Nach einer halben Stunde erreichten Pena und ich, die wir abermals voranritten, die Stelle, an welcher der Weg auf die Pampa mündete. Da bot sich uns ein eigener, aber auch großartiger Anblick dar.

Eine weite, langgestreckte Ebene lag vor uns, welche von der Stelle aus, wo wir uns befanden, vielleicht eine englische Meile breit war. Jedenfalls hielten wir vor einer Bucht des Salzsees. Nach vorn und rechts dehnte sich die Ebene bis zum Horizonte aus, welcher von den Bergen der Anden gebildet wurde, die sich hinter und übereinander emportürmten. Links zog sich eine steile, unzugängliche Felsenwand im Halbkreise um den See herum, bis das Wasser desselben uns gerade gegenüber so hart an sie herantrat, daß niemand zwischen ihr und ihm vorüber konnte.

Und gerade dort an diesem Punkte lagerte der Sendador mit seinen Roten, eingekeilt zwischen Fels und Wasser, eine Unvorsichtigkeit, welche ich nicht begreifen konnte. Freilich machte Gomarra, welcher mit den andern jetzt nachgekommen war, mich auf einen dunklen Streifen aufmerksam, welcher unweit des Lagers zu bemerken war. Er sagte, indem er nach demselben deutete:

„Dort führt der Weg empor zu dem Punkte, an welchem dieser Satan meinen Bruder ermordete. Von der hohen Kante des Felsens blickte ich herab, als er die Flasche vergrub.“

„ist es so!“ nickte ich. „Jetzt weiß ich, warum er gerade dort lagert. Er will uns hinüberlocken. Wenn wir ihn fast erreicht haben, verschwindet er auf dem Wege nach der Höhe, und wir stecken in derselben Falle, in welcher er jetzt zu stecken scheint.“

„Falle? Nein. Wir könnten doch wieder zurück!“

„Wenn er es uns erlaubt. Bedenken Sie, daß er glaubt, die Kunde von unserm Nahen drei Stunden vorher zu erhalten. Er hat also vollständig Zeit genug, uns einen Hinterhalt zu legen, welcher erst unsichtbar ist, uns aber sofort folgt, wenn wir in die Falle gehen. Ich gäbe etwas darum, wenn wir dort auf die Höhe könnten, ohne von dem Sendador gesehen zu werden.“

„Das ist unmöglich.“

„Ja, dort hinauf führt nur der eine steile Weg, den wir als dunkeln Streifen da drüben sehen,“ stimmte Pena bei.

„Die Sennores sind vielleicht nur kurze Zeit dort oben gewesen,“ fiel der Aymara ein. „Da findet man keine verborgenen Wege. Ich aber habe da oft gejagt und nach Wollmäusen gesucht. Dabei habe ich einen Pfad entdeckt, von dem nur das eine zu verwundern ist, daß andere ihn nicht auch längst kennen.“

„Ist er gefährlich?“ fragte ich.

„Gar nicht. Sogar Reiter können hinauf. Mühevoll ist er nur eine ganz kurze Strecke, einige Ellen lang.“

„Und wo hat der Sendador denn die Pferde?“

„Eben da oben auf dem Felsen, von welchem Sie sprachen. Man kann sie nur von hier nicht sehen.“

„Ah, vortrefflich! Da haben wir ihn und seine‘ Chiriguanos im Sacke. Wie gelangt man denn eigentlich zu dem Pfade, den Sie kennen?“

„Indem wir wieder umkehren. Auf dem Wege, den wir soeben gekommen sind, giebt es links eine Felsenspalte, deren unterer Teil mit Geröll verschüttet zu sein scheint. Ich kroch einst hinein, um nach Wild zu suchen, und gewahrte zu meinem Erstaunen, daß ich schon nach wenigen Schritten wieder ins Freie gelangte. Ich kam von da in einer halben Stunde ganz leicht auf die Höhe.“

„Das ist ein Umstand, den wir ausnützen müssen. Jetzt thun wir mit dem Sendador genau das, was er mit uns vornehmen wollte, wir nehmen ihn in unsere Mitte.“

Wir hielten nicht etwa im Freien, sonst hätten die Chiriguanos uns bemerken müssen, sondern am Rande der Pampa, hinter Schutthöhen und Gestein. Ich wählte die zehn Tobas aus, welche der Desierto uns mitgegeben hatte, und noch zehn Stammesgenossen von ihnen. Auf diese zwanzig konnte ich mich verlassen. Mehr Leute brauchte ich nicht, da das Terrain ihrer Aufgabe sehr zu Hilfe kam.

Die übrigen mußten zurückbleiben, um meine Rückkehr zu erwarten. Dann führte der Aymara uns fort, den bisherigen Weg eine kurze Strecke zurück bis zu der Spalte, von welcher er gesprochen hatte. Am Fuß derselben gab es Geröll, welches wohl mannshoch lag. Wir kletterten über dasselbe weg – wir waren nämlich zu Fuß, da wir oben die Pferde der Chiriguanos zu finden hofften, und drangen in den Spalt ein. Bereits nach kurzer Zeit senkte sich das Geröll, und wir traten in das Freie. Der scheinbar gewaltige Felsblock war nur eine dünne Steinwand, weiter nichts.

Nun befanden wir uns am Fuße einer nackten Berglehne, welche wir unschwer erstiegen. Drüben ging es in einer Mulde weiter, eine nicht gar steile Spitze hinan, und als wir uns da oben befanden und ich sorglos weiter schreiten wollte, hielt der Aymara mich am Arme zurück und warnte:

„Sennor, nicht so rasch. Die Wächter, welche sich bei den Pferden befinden, würden Sie zu früh sehen.“

„Wo sind sie denn?“

„Kommen Sie langsam!“

Er ergriff meine Hand und führte mich einige Schritte zur Seite. Dort fiel das Gestein in gelinder Senkung vielleicht dreißig Fuß abwärts, und gerade da weideten die Pferde, von den zwei Chiriguanos bewacht.

„Ah! wer konnte das ahnen,“ sagte ich. „So schnell am Ziele zu sein, hielt ich nicht für möglich.“

„Am Ziele? Das sind wir noch nicht. Sie müssen doch erst die Wächter haben.“

„Wir sind über zwanzig Mann und sie nur zu zweien!“

„Aber wenn sie hier oben Lärm machen, ist der Sendador unten gewarnt.“

„Das weiß ich gar wohl und beabsichtige darum nicht, mit der Thüre ins Haus zu fallen. Die Leute kennen Sie doch und werden es nicht verdächtig finden, wenn Sie kommen und mich mitbringen.“

„Wenn ich dabei bin, wird man Sie nicht für einen Feind halten.“

„So gehen wir jetzt zu ihnen. Die andern folgen nach, sobald ich rufe.“

Wir beide, ich und der Aymara, schritten also weiter, die kurze Senkung hinab. Die Wächter hielten uns den Rücken zugekehrt; sie blickten hinab auf den See, dessen jetzt dünne Salzkruste wie mattes Silber heraufglänzte. Als sie unsere Schritte hörten, blickten sie sich um. Daß der Aymara kam, befremdete sie nicht; aber daß ich mich an seiner Seite befand, das machte sie gespannt. Vielleicht erinnerten sie sich der Beschreibung, welche der Sendador ihnen von mir geliefert hatte. Doch war die Gegenwart meines Führers ihnen Gewähr genug dafür, daß ich nicht in feindlicher Absicht komme. Sie wendeten sich an ihn mit Worten, welche ich nicht verstand. Ich wollte ihn nicht in Verlegenheit wissen und also lieber rasch handeln. Darum that ich schnell einige Schritte, um die Roten vor mich zu bekommen, packte den einen mit der Rechten, den andern mit der Linken im Genick, drückte sie zur Erde nieder und kniete auf sie, indem ich sie so fest wie möglich bei den Hälsen hielt und dabei nach den Tobas rief.

Ich hatte bei diesem Angriffe ganz allein auf mich gerechnet, da ich des Aymara nicht sicher zu sein glaubte; aber er zeigte, daß ich ihm vertrauen könne, denn er bückte sich auf den einen Chiriguano nieder und drückte ihm die Gurgel zusammen, so daß er nicht schreien konnte.

Die Tobas kamen schnell herbei, und so war es keine Kunst, die Wächter unschädlich zu machen. Wir befanden uns gerade über dem Lager des Sendador, ohne daß dieser eine Ahnung davon hatte.

Ich trat bis an den Rand des Felsens vor und blickte hinab. Da lagen sie faul und in allen möglichen Stellungen bunt untereinander. Ein wenig zur Seite saß der Sendador, mit dem Rücken gegen den Felsen gelehnt. Die Zeit wurde ihm wahrscheinlich zu lang. Gut, daß er nicht wußte, wie so bald sie ihm kürzer vergehen werde.

Oben, wo ich mich befand, waren lose Steine zu einem Kreuze vereinigt. Das war die Stätte, an welcher Gomarra seinen Bruder begraben hatte. Unweit derselben führte der schon mehr erwähnte Saumpfad zum See hinab. Diesen Weg verfolgte ich eine Strecke weit abwärts, bis ich eine geeignete Stelle fand, an welcher ich die Tobas postierte, indem ich ihnen den Auftrag gab, die Chiriguanos oder gar den Sendador ja nicht heraufzulassen. Sie sollten erst blind schießen, dann aber, wenn man den Zugang erzwingen wolle, auf die Roten schießen, womöglich jedoch den Sendador schonen und ihn lebendig zu ergreifen trachten. Dann kehrte ich mit dem Aymara auf dem Weg, welcher uns heraufgeführt hatte, nach unten zurück.

Die Gefährten hatten verborgen gelagert, mit Sehnsucht den Augenblick erwartend, wo wir uns dem Sendador zeigen würden. Sie glaubten ihn jetzt gekommen, aber der Aymara meinte:

„Wir müssen jetzt noch warten, Sennor. Ich habe Ihnen gesagt, daß noch zwei Wege mit Hütern besetzt sind. Diese Leute müssen doch wohl erst gefangen genommen werden!“

„Das ist nicht nötig, da sie uns keinen Schaden machen können.“

„Aber sie kommen doch herbei, und helfen dem Sendador!“

„Wie wollen sie das anfangen, da wir uns zwischen ihm und ihnen befinden? Sie werden froh sein, in unserm Rücken zu stehen, und sich sehr gern fern halten. Nehmen wir sie aber gefangen, so müssen wir sie bewachen und haben also nur Belästigung von ihnen. Wie ich mich vor diesen Chiriguanos fürchte und was für einen Respekt ich vor ihnen habe, das werde ich dir sofort zeigen.“

Ich ließ den vier Gefangenen die Fesseln ablösen und ihnen sagen, daß sie gehen möchten, wohin es ihnen beliebe. Sie rannten, ohne ein Wort zu sagen, davon, als ob der Teufel hinter ihnen dreinjage, hüteten sich aber, in der Richtung nach dem Sendador sich zu entfernen, da ich das nicht geduldet hätte.

Nun konnten sie uns nicht mehr belästigen, und es war für uns Zeit, den Tanz zu beginnen. Wir bestiegen die Pferde, deren wir nun vier erbeutet hatten, und ritten, nach links biegend, langsam zwischen dem See und der Felswand hin.

Ich zog mein Fernrohr und richtete es im Reiten hinüber nach dem Sendador. Bald sah ich, daß wir bemerkt wurden. Er und seine Leute sprangen auf, griffen zu den Waffen und standen dann still, um uns zu beobachten.

Während meine Leute langsam vorrückten, hielt ich an, um besser durch das Rohr sehen zu können. Ich erblickte die Züge des Sendador sehr deutlich. Er war der einzige Weiße der ganzen Gesellschaft. Die Waffen der Roten bestanden nur aus Bogen, Pfeilen und Lanzen. Wie er mit ihnen gegen uns aufkommen wolle, wäre mir ganz unbegreiflich gewesen, wenn ich mir nicht gesagt hätte, daß er mich jedenfalls nicht in solcher Begleitung erwartet hatte.

Er blickte voller Spannung zu uns herüber. Die Entfernung war noch zu groß, als daß er den einzelnen hätte unterscheiden können. Je geringer dieselbe wurde, desto deutlicher sah er, und endlich bemerkte ich, daß er unter den lebhaftesten Gestikulationen auf seine Roten einsprach und dabei oft nach uns herüber zeigte. Er wußte jetzt, wer wir waren.

Ich jagte den Gefährten nach, ritt ihnen eine ganze Strecke voraus, so daß ich die Roten mit dem bloßen Auge beobachten konnte. Der Sendador sah und erkannte mich. Hätte ich ihn töten wollen, so wäre mir das ein leichtes gewesen; meine Büchse hätte noch weiter als bis zu ihm gereicht. Er richtete sich hoch auf und rief mir mit möglichst lauter Stimme zu:

„Kommst du endlich, Hund? Diesesmal wirst du bellen, aber nicht beißen; dafür wird es dich dein Fell kosten!“

Er legte die Flinte an und drückte los. Die Kugel schlug ganz nahe bei mir in den Boden, so daß die vom Hochwasser zurückgelassene Salzkruste aufstäubte. Der Kerl hatte sich unterwegs ein sehr gutes Gewehr zu verschaffen gewußt.

„Sennor, soll ich ihm mit einer Kugel antworten?“ fragte Pena erbost.

„Nein; ich will ihn lebendig haben. Wenn er eine Antwort bekommen sollte, würde ich sie ihm selbst geben.“

„Aber Ihre Berechnung ist falsch. Es zieht nur die Hälfte der Roten ab, der Höhe zu; die übrigen bleiben halten, doch wohl, um sich zu wehren.“

„Das scheint freilich so. Hm, da kommt mir ein Gedanke. Sollte auch der Sendador den Pfad kennen, welchen der Aymara mir vorhin gezeigt hat?“

„Ja, denn er ist doch wohl noch öfter dagewesen als der Aymara.“

„So kann ich mir seine scheinbare Sorglosigkeit nun ganz gut erklären. Er will uns auf diesem Pfade die Hälfte seiner Leute in den Rücken schicken.“

„Wenn er das beabsichtigt, so wird er sich wundern und gewaltig staunen, sobald er bemerkt, daß der Weg von uns bereits besetzt und er also überlistet worden ist.“

„Das wird sehr bald geschehen, denn die eine Abteilung seiner Leute verschwindet soeben in der Mündung des Saumpfades. In einigen Minuten werden wir die Schüsse unserer Tobas hören.“

Der Sendador hielt mit der zweiten Hälfte seiner Leute noch an dem Platze, an welchem er sich befunden hatte. Dann rückte er uns schnell eine kleine Strecke entgegen, um seinerseits nun auch den Weg zu erreichen. Es war also klar, daß, während die erste Abteilung bergauf eilte, um uns in den Rücken zu kommen, er sich mit der zweiten unten im Felsenwege, wo er Deckung fand, festsetzen wollte.

Ich stieg vom Pferde, und die andern folgten meinem Beispiele. Wir wollten die Tiere nicht der Gefahr, verwundet zu werden, aussetzen; sie blieben unter der Aufsicht einiger Tobas zurück.

„Sennor, jetzt müssen wir aber schießen,“ bemerkte Pena eifrig, „sonst setzen sich die Schufte hinter den Felsen fest.“

„Mögen sie!“

„Was? Wie? Wenn sie dort einmal festsitzen, können wir sie nicht mehr vertreiben.“

„Gewiß doch!“

„Aber mit Blutverlust, während wir, wenn wir ihnen jetzt eine tüchtige Salve geben, ihnen einen so heillosen Respekt einjagen, daß sie sich vielleicht augenblicklich ergeben.“

„Das werden sie auch dann thun, wenn wir nicht vorher die Hälfte von ihnen erschießen.“

„Wieder diese berühmte Humanität! Sie werden jedenfalls abermals sehen, daß Sie nicht weit mit derselben kommen. Man sollte sich doch eigentlich nicht so sehr nach Ihrem Villen richten.“

„Das ist wahr und richtig!“ stimmte Gomarra zornig bei. „Jetzt haben wir die Kerle so prächtig vor uns, und wenn wir diesen Augenblick nicht benutzen, so verbergen sie sich hinter die Felsen und putzen uns nach einander einzeln weg. Der Teufel hole die Humanität! Ich thue, was ich will; die Rache ist mein!“

Er legte sein Gewehr an, zielte auf den Sendador und drückte ab. Die Kugel ging fehl und traf einen Roten, dem sie durch den Kopf ging, wie wir später bemerkten. Das war so schnell geschehen, daß ich es nicht hatte verhindern können. Der Zorn wollte mich fast übermannen; ich nahm Gomarra beim Kragen, schüttelte ihn tüchtig ab und schrie ihn an:

„Mensch, wie können Sie das thun! Sehen Sie nicht, daß Sie einen Unschuldigen getroffen haben? Sie sind ein Mörder!“

„Pah!“ antwortete er. „Es ist doch nur ein Wilder!“

„Ein solcher ist ebensoviel wie Sie, vielleicht noch mehr wert!“

„Oho! Wollen Sie abermals mit mir anbinden?“

„Fällt mir nicht ein. Mit Menschen Ihresgleichen binde ich nicht an. Aber ich verbiete Ihnen, ohne meine Erlaubnis zu schießen!“

„Was haben Sie mir zu befehlen?“

„Was mir beliebt. Und wenn Ihnen das nicht recht ist, so können Sie gehen, wohin Sie wollen, wie ich Ihnen schon einmal gesagt habe. Verstanden?“

„Und wenn ich aber dennoch bleibe und schieße?“ rief er mir mit zornig blitzenden Augen zu.

„So thue ich das, was ich schon einmal gethan habe – ich schlage Sie zu Boden, aber etwas derber als damals. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich es thue. Ob Sie dann jemals wieder aufstehen werden, ist mir ganz egal, denn wer das Leben eines Chiriguano nicht achtet und doch selbst ein Roter ist, der verdient auch den Atem nicht.“

Diese Drohung schien ihn eingeschüchtert zu haben, denn er antwortete nicht. Ich konnte mir aber nicht verheimlichen, daß die Mehrzahl meiner Kameraden im stillen seiner Meinung war, wie ich aus ihren Blicken ersah und ihrem leisen, heimlich sein sollenden Flüstern entnahm. Einer aber war einverstanden, der Bruder. Er drückte mir die Hand und sagte:

„Recht so! Es ist zwar nicht weltlich klug gehandelt, aber das Gewissen befiehlt es so. Wir kommen trotz der Nachsicht, die wir üben, doch zum Zwecke.“

„Zumal bei all dieser Rederei nun die richtige Zeit zum Angriffe verflossen ist. Die Roten sind mitsamt dem Sendador verschwunden.“

„Werden aber sehr bald wiederkommen.“

Der Sendador befand sich jetzt mit allen seinen Leuten zwischen den Felsenböschungen des Saumweges. Sogar den von Gomarra getroffenen Indianer hatte man mitgenommen. Wir rückten langsam nach. Da krachten Schüsse, welche genau so klangen, als ob sie im Innern des Berges abgefeuert worden seien. Darauf erscholl ein wildes Geheul, und Schüsse antworteten darauf.

„Es wird Ernst!“ sagte der Bruder. „Unsere Tobas sollten doch erst einmal blind feuern?“

„Ja. Die zweite Salve hat jedenfalls Opfer gekostet; die Chiriguanos haben sich nicht aufhalten lassen wollen.“

„Werden sie zurückgedrängt, so nehmen wir sie auf uns. Dann ist das Blutvergießen nicht zu vermeiden.“

„Vielleicht doch. Ich habe bisher den Sendador geschont.

Nun aber werde ich ihm eine Wunde geben, die ihn kampfunfähig macht. Das wird die Chiriguanos so erschrecken, daß sie sich ergeben und er kann uns nun auch nicht mehr entkommen.“

Die Schüsse der Tobas krachten noch immer von oben herab, und das Kampfgeschrei war noch nicht verstummt, ja, es schien ärger als vorher zu werden. Dann gab es ein entsetzliches Gebrüll, auf welches plötzliche Stille eintrat. Unsere Leute hatten nun die Stelle erreicht, wo der Saumpfad aus dem Freien in den Felsen trat; da flog ihnen eine ganze Wolke von Pfeilen entgegen, so daß sie schnell zurückweichen mußten, um sich zu decken.

„Hab’s gedacht!“ murrte Pena, indem er sich eine Pfeilspitze aus dem Unterschenkel zog. „Nur um Gottes willen ja keinen Tropfen Feindesblut vergießen; das unserige aber mag fließen!“

„Wer ist schuld daran?“ fragte ich. „Wer heißt Ihnen denn, sich den Pfeilen auszusetzen? Sie wollten sich von mir nichts mehr sagen lassen und haben auf eigene Faust gehandelt. Nun brummen Sie nur nicht etwa mich an, da Sie von einem Spitzchen geritzt worden sind!“

„Spitzchen? Geritzt? Da hört doch alles auf! Ein Glück nur, daß diese Pfeile nicht vergiftet sind! Wie wollen Sie denn übrigens die Roten überwältigen, wenn Sie nicht angreifen?“

„Das sollen Sie sofort sehen.“

„Bin neugierig!“

Unweit des Ufers lag ein Felsenstück von nicht unbedeutender Größe. Ich winkte den Steuermann zu mir, und er half mir den Stein bis zum Eingang des Saumpfades wälzen. Zwischen der Felswand und dem Steine blieb eine Lücke, groß genug, um den Lauf eines Gewehres hindurchzustecken.

Dann legte ich mich zur Erde, nahm den Stutzen und kroch bis zu der Lücke. Sie erlaubte mir, den unteren Teil des aufwärts steigenden Weges überblicken zu können, ohne getroffen zu werden.

Da standen rechts und links an die Wände gelehnt die Chiriguanos, die Pfeile schußbereit in den Händen, sobald sich einer von uns unten sehen lassen werde. Andere schossen unausgesetzt nach dem Steine, hinter welchem ich steckte und dessen Zweck sie leicht errieten. Weiter oben stand der Sendador und redete lebhaft in einen Roten hinein, welcher besorgt auf die Männer deutete, welche von dort herab kamen. Mehrere von ihnen waren verwundet; auch zwei Tote brachte man getragen. Man sah es den verschiedenen Gesten und den Gesichtern der beiden Sprechenden an, daß sie sehr verschiedener Meinung seien. Der Rote riet jedenfalls zum Abbruch des Kampfes, während der Sendador die Fortsetzung desselben verlangte.

Ich beschloß, der Meinung des ersteren Nachdruck zu verleihen, und legte meinen Stutzen auf den Sendador an. Die Kugel desselben war klein, während diejenige des Bärentöters nicht nur eine größere Wunde gerissen, sondern vielleicht auch noch den Knochen zerschmettert hätte. Der Sendador war dem Tode geweiht, das wußte ich; aber nicht ich wollte derjenige sein, der das Blut dieses Mannes auf seine Seele nahm.

Ich zielte sehr genau und länger als gewöhnlich auf den rechten Oberarm, welchen er heftig bewegte; ich wollte ihn nur in den rechten treffen, um ihn kampfunfähig zu machen; eine Verwundung des linken Armes hätte diese Folge wohl nicht gehabt. Jetzt hielt er ihn drohend empor, und ich drückte ab. Der Arm sank nieder, und der Sendador stieß einen Schrei aus. Er befühlte das verwundete Glied mit der linken Hand, wendete sich dann abwärts, richtete einen grimmigen Blick nach dem Steine und schrie mit solcher Stimme, daß ich trotz der Entfernung jedes Wort verstand:

„Hund, ich weiß, wer geschossen hat. Sei verflucht, deutsche Kanaille!“

Das war sehr unklug von ihm. Er mußte doch erkennen, daß der Sieg von ihm nun unmöglich zu erreichen sei; indem er mich beleidigte, verschlimmerte er doch nur seine Lage.

Er schien ins Wanken zu kommen. Zwei Indianer faßten ihn und führten ihn fort, nach einer Stelle, wo ich ihn nicht mehr sehen konnte. Der Rote, welcher mit ihm gesprochen hatte, verschwand mit ihm, kehrte aber schon nach kurzer Zeit zurück. Es versammelten sich andere um ihn, welche sich lebhaft mit ihm unterhielten. Dann band einer von ihnen ein Tuch an die Spitze seiner Lanze und kam, diese improvisierte Friedensfahne schwingend, langsam den Saumpfad herab.

Ich sah aus den Bewegungen seiner Hände und aus seinem Mienenspiele, daß er den rechts und links postierten Indianern das Schießen verbot. Darum erhob ich mich hinter meinem Steine, trat in die Mitte des Weges und erwartete den Parlamentär. Meine Gefährten kamen auch herbei. Der Kampf ruhte für jetzt. Als der Mann herbeigekommen war, verbeugte er sich ungelenk und sagte in sehr gebrochenem Spanisch:

„Sennores, der Häuptling sendet mich. Wenn ihr ihn um Frieden bittet, wird er euch denselben vielleicht gewähren.“

Die erste Antwort, welche er erhielt, war ein allgemeines, lautschallendes Gelächter. Ich war der einzige, der mit Mühe seinen Ernst zu wahren vermochte. Der Bote wurde hochverlegen, hatte aber nicht anders sprechen können, als ihm befohlen worden war. Darum antwortete ich, als das Lachen so ziemlich verschollen war:

„Gehe, um deinem Häuptling zu sagen, daß, wenn er, nämlich er, nicht sofort um Gnade bittet, meine Leute von oben herab und von hier unten hinauf euch zusammendrängen und wie ein Nest voller Mäuse zerstören werden!“

„Sennor, Sie sind wohl – – –“

„Gehe, gehe!“ wehrte ich seine Rede ab. „Ich habe dir gesagt, was ich verlange, ich mag kein weiteres Wort hören. Ich schieße gern, spreche aber wenig!“

Das schüchterte ihn so ein, daß er sich schleunigst entfernte.

„Wir haben durch die Ankunft dieses Parlamentärs viel gewonnen,“ bemerkte ich.

„Möchte wissen, was,“ brummte Pena mißmutig.

„Nun, stehen wir nicht unbelästigt hier, und vermögen wir nicht mit unsern Gewehren den Pfad zu bestreichen? Das konnten wir vorher nicht. Legt nur eure Flinten an die Wangen. Das wird meine Antwort bedeutend unterstützen.“

Der Parlamentär kam bei dem oben stehenden Häuptlinge an und sagte ihm meine Worte. Der Anführer sah zu uns nieder und erblickte die Mündungen der vielen auf seine Roten gerichteten Gewehre. Das machte ihn so bestürzt, daß er schnell hinter der Krümmung des Saumpfades verschwand, jedenfalls um mit dem dort befindlichen Sendador zu sprechen. Er kehrte erst nach längerer Zeit zurück, erteilte dem Boten neue Instruktion und dieser kam wieder zu uns herab.

„Sennor,“ sagte er, „der Häuptling wünscht den Frieden, wenn Ihr uns alle ziehen lasset.“

„Auch den Sendador mit?“

„Ja.“

„Sage deinem Häuptlinge, daß wir Freunde der Chiriguanos sind. Wir haben sechs eurer Wächter gefangen und bereits vieren von ihnen die Freiheit gegeben. Wir wollen nicht mit euch kämpfen; wir verlangen weder euer Leben, noch eure Freiheit oder euer Hab und Gut. Wir wollen jetzt und stets im Frieden mit euch leben, aber wir verlangen den Sendador ausgeliefert, damit er sich für alles, was er gegen uns unternommen hat, verantworten möge. Liefert ihr ihn uns aus, so seid ihr frei und könnt gehen, wohin ihr wollt. Ich gebe euch nur zehn Minuten Zeit. Ist bis dahin euer Entschluß noch nicht gefaßt, so marschieren wir hier in den Pfad hinein, um euch unseren oben auf der Höhe stehenden Leuten in die Arme zu treiben. Es wird dann von euch keiner leben bleiben, der die Toten zählen kann. Also nur zehn Minuten, sage das dem Häuptlinge!“

Er ging trübselig von dannen. Der Bruder fragte mich:

„Warum bestehen Sie so auf diesen zehn Minuten?“

„Weil es uns Vorteil bringt. Ich denke, die Roten möchten, um sich selbst zu retten, uns den Sendador ganz gern ausliefern, aber sein Einfluß auf sie ist groß, und er wird ihnen solche Versprechungen machen, daß die Verhandlung sich wohl in die Länge ziehen wird. Dies benutzen wir, indem wir hier geschlossen und mit erhobenen Läufen vorrücken. Es ist kein Waffenstillstandsbruch, wenn wir die zehn Minuten respektiert haben. Indem wir vorgehen, drängen wir die Roten, welche keinen Widerstand wagen werden, nach oben. Sie verlieren immer mehr Terrain und werden zuletzt so eingeengt, daß sie sich ohne weitere Verteidigung ergeben müssen.“

Meine Voraussetzung bewahrheitete sich. Nach der angegebenen Zeit setzten wir uns in Bewegung. Die erschrockenen Indianer, welche den Pfad besetzt hielten, wichen zurück. Ihr Geschrei lockte den Häuptling herbei. Er sah die Mauer von Gewehrläufen, welche stetig, Schritt um Schritt, nach oben rückte, und verschwand augenblicklich wieder hinter der Krümmung des Weges.

Als wir diese erreichten, erblickten wir die Schar der Roten; sie trugen ihre Toten und. Verwundeten, auch der Sendador war bei ihnen, und eilten soeben um eine zweite Krümmung des Saumpfades.

Natürlich eilten wir ihnen schneller als bisher nach. Es war ja möglich, daß sie beabsichtigten, sich nach oben durchzuschlagen. Als wir die Drehung des Weges hinter uns hatten, überblickten wir die Situation.

Der Pfad führte von hier aus in schnurgerader Richtung nach der Höhe des Felsens; er war wie künstlich in das Gestein gehauen, so daß man weder nach rechts noch links zu weichen vermochte. Unten kamen wir; da gab es keinen Erfolg für die Roten; sie hatten also ihre Hoffnung aufwärts gerichtet.

Dort standen die zwanzig Tobas, bei ihnen ein Chiriguano mit der Friedensfahne. Er hatte gemeldet, daß unten unterhandelt werde, und daraufhin hatten die Tobas mit Schießen eingehalten; sie glaubten nun, so lange dieser Mann mit seiner Fahne dastehe, sich nicht feindselig verhalten zu dürfen. Das aber wollten die Chiriguanos benutzen und sich mit dem Sendador durchdrängen.

Um diesen Plan zunichte zu machen, schoß ich meine schwere Büchse ab. Der Knall, dessen Stärke durch den vielfachen Wiederhall verzehnfacht wurde, lenkte die Augen der Tobas auf uns; sie sahen uns kommen mit den Waffen in den Händen, wie zur Verfolgung der Feinde, und wußten nun, was sie zu thun hatten.

Ich sah, daß sie den Fahnenträger einfach niederschlugen und ihre Gewehre und sonstigen Waffen auf die Chiriguanos richteten. Aus der Mitte derselben erklang eine laute Stimme, doch waren die Worte wegen der Größe der Entfernung nicht zu unterscheiden. Von oben wurde geantwortet. Rede wechselte mit Gegenrede, und das gab uns Zeit, bis auf Hörweite heranzukommen. Pena rief den Tobas zu, die Feinde nicht durchzulassen; die ersteren traten enger zusammen und die letzteren sahen sich zwischen unempfindlichen Felsen und unerbittlichen Feinden so eingeengt, daß ihnen jede Hoffnung weichen mußte. Da trat der Parlamentär aus ihren Reihen, kam zu mir und meldete:

„Sennor, der Sendador will mit Ihnen reden.“

„Er mag kommen.“

„Nein, Sie sollen zu uns kommen.“

„Das fällt mir gar nicht ein!“

„Er sagt, daß Sie es wagen können; es werde Ihnen nichts geschehen.“

„Nichts, als daß man versuchen wird, mich festzunehmen, um einen Geisel zu haben, gegen welchen er und auch ihr alle eure Freiheit erhaltet! Er hat schon oft gelogen und man darf ihm nicht trauen. Ich aber lüge nicht. Wenn er kommt, so kann er nach der Unterredung zu euch zurückkehren; ich gebe ihm mein Wort darauf und werde dasselbe sicherlich halten.“

„Ich werde ihm das sagen.“

Der Mann entfernte sich wieder und kam nach kurzer Zeit mit dem Vorschlage zurück, daß der Sendador mich auf der Stelle treffen wollte, welche mitten zwischen unseren gegenwärtigen Positionen liege; aber keiner solle einen Begleiter mitbringen, und die Waffen seien auch zurückzulassen. Ich ging auf diesen Vorschlag ein und schritt gleich hinter dem Boten her, bis ich an der betreffenden Stelle anlangte. Meine Gefährten schienen sich zu ärgern, daß ich sie nicht um ihre Zustimmung gebeten hatte. Vielleicht dachten sie, daß ich gar die Absicht hege, ein Übereinkommen abzuschließen, ohne sie vorher um Rat und Genehmigung gefragt zu haben, denn ich vernahm ihre unwilligen Stimmen, und dann rief Pena mir zu:

„Sennor, wir wollen Ihnen noch eine Frage vorlegen.“

„Dazu ist später Zeit,“ antwortete ich ihm.

„Nein; wir müssen wissen, was Sie vorhaben.“

„Das werde ich Ihnen später mitteilen. Ich werde auf keinen Fall etwas unternehmen, ohne Ihre Zustimmung geholt zu haben. Übrigens, wenn Sie Mißtrauen in mich setzen, so kommen Sie selbst, um an meiner Stelle mit dem Sendador zu sprechen!“

„Alle Wetter! Das fällt mir freilich nicht ein. Nein, bleiben Sie nur dort!“

Ich fand keine Zeit, mich über das mir gezeigte Mißtrauen zu ärgern, denn jetzt kam der Sendador auf mich zu. Es war ein eigenes Gefühl, welches ich empfand, als ich diesen Mann hier nun abermals erblickte, ein abgehetzter, dem Tode geweihter Verbrecher, welcher bei Gott keine Gnade sucht und bei den Menschen keine findet.

Er trug den rechten Arm in einer improvisierten Binde. Als er vor mir stehen blieb, blickte er mir mit scharfen, finsteren Augen in das Gesicht, als ob er mein Inneres ganz durchdringen wolle. Ich muß gestehen, daß es mir herzlich leid um ihn that. Was hätte dieser Mann bei seinen hohen Gaben, wenn er auf dem rechten Wege geblieben wäre, sein können, und was war er geworden, da sein Fuß die Irrwege des Verbrechens betreten hatte! Bei den Verhältnissen des Landes, in welchen er lebte, hätte er es zu hohen Ehrenstellen bringen können; nun aber stand er vor mir als ein ebenso gehaßter wie gefürchteter Verbrecher, dem keine Gnade gegeben werden sollte, welcher vielmehr dem baldigen und gewaltsamen Tode entgegen ging. Es erfaßte mich eine unbeschreibliche, milde Regung. Wäre es jetzt auf mich angekommen, wahrhaftig, ich hätte ihn gegen das Versprechen der Besserung laufen lassen.

„Da haben wir uns ja wieder,“ sagte er mit ungewisser Stimme und indem er zu lächeln versuchte, aber nur eine krampfhafte Verzerrung des Gesichtes hervorbrachte. „Die Verhältnisse sind genau dieselben. Werden wir auch wieder so glatt und schnell auseinander kommen?“

„Schwerlich, denn die Verhältnisse sind nicht dieselben, sondern ganz andere. Als wir uns das letztemal sahen, befand ich mich in Ihren Händen; jetzt aber sind Sie in meiner Gewalt.“

„Noch nicht!“

„Gewiß! Wenn Sie es noch bezweifeln sollten, so blicken Sie um sich. Sie sind mit Ihren Leuten von uns eingeschlossen.“

„Allein wir werden uns wehren, bis zum letzten Mann sogar!“

„Welchen Nutzen werden Sie davon haben? Keinen, nicht den mindesten. Sie müssen sich das eingestehen, wenn Sie es mir auch nicht zugeben.“

„Wir sind unser noch genug, um die Mehrzahl von Ihnen zu töten!“

„Selbst wenn ich Ihnen da recht geben müßte, würden Sie gezwungen sein, einzugestehen, daß wenigstens eine Anzahl von uns Sie alle überleben würde. Selbst in diesem Falle würde keiner von Ihnen entkommen.“

Er sah finster vor sich nieder und antwortete nicht; ich fuhr fort:

„Aber die Sache liegt ganz anders. Vergleichen Sie Ihre Leute und Ihre Waffen mit den meinigen!“

„Ihre Waffen haben wir zu fürchten; aber meine Chiriguanos sind ebenso tapfer wie Ihre Tobas.“

„Möglich, aber ich bezweifle es. Ich habe gar wohl bemerkt, daß Ihre Indianer sich weigern, den nutzlosen Kampf fortzusetzen; sie sehen ein, daß sie durch einen schnellen Friedensschluß nur gewinnen können, und ich habe dem Häuptlinge bereits gesagt, daß wir sie in diesem Falle ruhig ihres Weges ziehen lassen werden.“

„Das haben Sie gesagt?“ fragte er schnell. „Also darum riet dieser Rote zur Ergebung!“

„Hat er das gethan? Nun, so sehen Sie, daß meine Voraussetzung die richtige ist. Sehen Sie meine Leute an! Ich brauche nur ein einziges Wort auszurufen, so krachen alle ihre Gewehre; diejenigen Ihrer Roten, welche da nicht getroffen werden, wird die zweite Salve wegfegen, ohne daß sie Zeit zum Schießen gefunden haben. Ich bin überzeugt, daß kein einziger Toba verwundet oder gar getötet wird. Von meinen weißen Begleitern und mir selbst will ich gar nicht sprechen. Es bleibt eben für Sie nichts übrig, als sich zu ergeben.“

„Und was haben Sie in diesem Falle in Beziehung auf mich beschlossen?“

„Noch nichts.“

Sein Blick senkte sich wieder zur Erde. Ich wartete, bis er sprechen werde. Er schien nach Auswegen zu suchen, aber keine zu finden. Wenn auch nicht gegen mich, gegen sich selbst aber mußte er aufrichtig sein und sich sagen, daß es für ihn keinen Ausweg gebe, wenigstens keinen, der mit Gewalt zu erzwingen war. Gab es je Rettung für ihn, so konnte er sie nur durch List erreichen. Das wußte ich ebenso gut wie er und nahm mir deshalb vor, mich nicht übertölpeln zu lassen.

„Seien Sie also klug,“ sagte ich, „und fügen Sie sich!“

„Um mich dann von Ihnen umbringen zu lassen! Ich danke! Hätte ich doch Sie niemals kennen gelernt!“

„Ich hege ganz denselben Wunsch! Da wir es nun aber miteinander zu thun haben, so müssen wir eben mit diesen Thatsachen rechnen.“

„So sagen Sie mir aufrichtig, was mit mir geschehen wird, wenn ich Ihrer Aufforderung folge und mich ergebe.“

„Hm! Ich glaube, daß Sie sich das selbst sagen können.“

„Man wird mich töten?“

„Wahrscheinlich.“

„Auf Ihren Befehl?“

„Nein.“

„Ja, das dachte ich. Was Sie wollen, das weiß ich genau. Sie würden mich vielleicht entfliehen lassen.“

Er sah mich dabei prüfend an; ich antwortete ihm kopfschüttelnd:

„Täuschen Sie sich nicht! Ihr Tod kann mir allerdings nichts nützen; aber so, wie ich es am Nuestro Sennor gemacht habe, würde ich es keinesfalls wieder thun. Ich verhalf Ihnen zur Flucht; Sie täuschten mein Vertrauen, lockten uns in einen Hinterhalt, und nahmen uns gefangen. Sollte ich ja auf den Gedanken kommen, Ihnen die Freiheit zu geben, so würde ich Sie sicher vorher unschädlich machen.“

„Auf welche Weise?“

„Auf keine, denn es giebt Ihnen gegenüber keine, und also ist gar nicht daran zu denken, daß ich Ihnen Hoffnung geben kann.“

„Und doch! Ich bin überzeugt, daß Sie mir behilflich sein werden, von hier zu entkommen.“

„Und ich sage Ihnen, daß Sie sich da gewaltig irren. Ganz abgesehen von mir und meinen Begleitern, von allem, was Sie uns gethan und gegen uns beabsichtigt haben, sind Sie ein so allgemein gefährlicher Mann, daß es eine Sünde gegen andere und uns Fremde wäre, Sie wieder auf freien Fuß gelangen zu lassen.“

„So sagen Sie wenigstens, was ich Ihnen gethan habe! Können Sie mir etwa beweisen, daß ich Ihnen nach dem Leben getrachtet habe?“

„Nun, ich dächte doch!“

„Nein, ich wollte mich Ihrer Person bemächtigen, weil ich glaubte, es werde mir mit Ihrer Hilfe möglich sein, die Pläne und Kipus zu entziffern.“

„Und wenn diese Voraussetzung eingetroffen wäre, was hätten Sie dann gethan?“

„Ich hätte Sie reichlich belohnt entlassen.“

„Das machen Sie mir lieber gar nicht weis. Ich kenne das Schicksal, welches mich dann betroffen hätte, sehr genau.“

„Sie irren. Und sagen Sie mir doch, was Ihre Gefährten zu fürchten hatten? Ich hätte sie ermorden können; aber ich habe es nicht gethan, sondern sie zu den Mbocovis bringen lassen.“

„Um zunächst möglichst viel Lösegeld zu erpressen und sie nachher verschwinden zu lassen, wie dies ja stets Ihre Art und Weise gewesen ist.“

„Gewiß nicht! Ich brauchte nur Sie. Durch Ihre Hilfe wollte ich mich in den Besitz der vergrabenen alten Schätze setzen. Dabei waren Ihre Begleiter mir natürlich im Wege. Darum wurden sie gefangen genommen und entfernt. Es gelang mir auch, Sie zu ergreifen. Wären Sie nicht entflohen, so befänden wir uns schon längst an Ort und Stelle, und Sie wären überzeugt, daß ich es gut mit Ihnen gemeint habe. Waren die Schätze gehoben, so hätte ich den Chiriguanos den Befehl erteilt, Ihre Begleiter frei zu lassen. Und das wollen Sie mir dadurch vergelten, daß Sie mir nach dem Leben trachten!“

„Ich persönlich trachte nicht nach demselben. In Ihrer jetzigen Lage sind Sie natürlich gezwungen, Ihr Verhalten zu beschönigen und Ihre Absichten als die besten darzustellen; aber Sie können unmöglich verlangen, daß ich Ihnen glaube.“

„Zum Teufel! Warum denn nicht?“

„Weil Sie mich bereits belogen haben, überhaupt, weil Sie der Sendador sind.“

„Sennor, ich glaubte, Sie würden verständiger denken!“

„Ich verhalte mich so verständig wie möglich, denn einem Manne, wie Sie sind, gegenüber, kann man den Verstand nicht anhaltend und scharf genug zu Rate ziehen.“

„Nun, mögen Sie von mir gedacht haben, was Sie wollen, jetzt meine ich es ehrlich, und Sie können mir vertrauen. Ich meine es wirklich gut mit Ihnen, wie ich sofort beweisen werde.“

„Dieser Beweis dürfte Ihnen wohl nicht leicht werden.“

„Sehr leicht. Ich habe mit Ihnen, aber auch nur mit Ihnen allein, also unter vier Augen sprechen wollen, um Ihnen einen Vorschlag zu machen.“

„Welchen?“

ich fragte das, obgleich ich genau wußte, welchen Antrag ich zu hören bekommen würde. Jedenfalls wollte er mich verlocken, mit ihm nach seinem Versteck zu gehen, die Kipus zu entziffern und dann, falls mir dieses gelingen sollte, den Ort aufzusuchen, auf welchen sich die Aufzeichnungen bezogen. Ging ich auf diesen Plan ein, so erlangte er die Freiheit und konnte nach Belieben mit mir verfahren. Er hatte schon jetzt mit gedämpfter Stimme gesprochen. Nun antwortete er noch leiser als bisher:

„Lassen Sie mich frei. Dann heben wir die Schätze und teilen sie miteinander!“

Sein Auge war mit größter Spannung auf mich gerichtet. Ich antwortete ihm in sehr ernstem Tone:

„Sie haben mir schon einmal einen ähnlichen Vorschlag gemacht, und ich war so unvorsichtig, darauf einzugehen. Wir alle haben die bösen Folgen davon zu tragen gehabt. Zum zweitenmal lasse ich mich nicht bereden. Das können Sie sich denken.“

„Bedenken Sie, was ich Ihnen biete!“

„In Worten, ja; aber in der That bieten Sie mir das Gegenteil. Falls ich mich bereitwillig finden lassen wollte, könnte ich nur hinter dem Rücken meiner Freunde handeln, und nach den Erfahrungen, die wir mit Ihnen gemacht haben, würde das ein doppelter Fehler von mir sein.“

„Was gehen diese Leute Sie an? Sind sie Ihnen nicht ganz und gar fremd?“

„Nein. Wir sind Freunde geworden, und ich bin es ihnen schuldig, aufrichtig und ehrlich zu sein. Und zweitens gebietet mir die Sorge für mich selbst, Ihren Vorschlag zurückzuweisen.“

„Warum? Ich wüßte doch wirklich nicht, welche Bedenken Sie gegen denselben hegen könnten.“

„Nicht gegen den Vorschlag, sondern gegen die Ausführung desselben, welche eine ganz andere sein wird, als Sie mir jetzt versprechen.“

„Sennor, ich halte Wort! Ich schwöre es Ihnen zu!“

„Schwören Sie lieber nicht, denn einem Manne, welcher sein Wort nicht hält, wird auch der Schwur nichts gelten. Sie meinen, ich solle an meinen Freunden zum Verräter werden, indem ich hinterlistig mit Ihnen davonlaufe. Gelingt es mir, die Kipus zu lesen und die Zeichnungen zu verstehen, Ihnen also den Ort anzugeben, an welchem gesucht werden muß, so erhalte ich dann den wohlverdienten Lohn, den Tod.“

„Sennor!“ rief er aus.

„Bemühen Sie sich nicht! Ich kenne Sie. Sie werden sich hüten, mit mir zu teilen. Lassen wir diesen Gegenstand fallen. Ein Gespräch über denselben führt zu keinem Ziele.“

„Wovon aber sollen wir denn da eigentlich sprechen?“

„Nur allein davon, ob Sie sich ergeben wollen oder nicht.“ „Also, Sie wollen meine Kipus nicht?“

„Nein, wenigstens von Ihnen nicht.“

Da lachte er halblaut vor sich hin und sagte:

„Sennor, jetzt wiederhole ich Ihnen Ihre eigenen Worte: Machen Sie mir nichts weis! Sie sind ganz des Teufels auf diese geheimnisvollen Schnüre, denn nur um ihretwillen sind Sie mir durch dick und dünn bis hierher gefolgt. Und das beruhigt mich, denn dieser Ihrer Gier werde ich mein Leben und sogar auch meine Freiheit zu verdanken haben.“

„Sie bauen Luftschlösser!“

„Gewiß nicht. Wenn Sie mich ermorden, stirbt mein Geheimnis mit mir, und das können Sie nicht wollen. Aus diesem Grunde sind Sie gezwungen, mich gegen Gomarra und Pena, welche die schlimmsten sind, in Schutz zu nehmen.“

„Ihre Berechnung ist falsch. Gomarra hat wegen seines ermordeten Bruders mit Ihnen abzurechnen, und ich fühle weder die Lust, noch die Verpflichtung, ihm hinderlich zu sein.“

„So müssen Sie also auf die Kipus und die an ihnen hängenden Schätze verzichten!“

„Auch hierin täuschen Sie sich. Ich werde die Kipus von Ihnen erhalten.“

„Oho! Werde mich hüten, Ihnen zu sagen, wo sie sich befinden!“

„Das weiß ich; aber ich werde es dennoch erfahren.“

„Durch wen denn? Niemand außer mir weiß, wo sie sind.“

„Gomarra kennt den Ort genau, an welchem Sie die Flasche vergraben haben.“

„Sie halten mich für sehr dumm. Die Flasche habe ich weggeholt und anderswo versteckt.“

„Das kann ich mir leicht denken. Sie haben eine ganze Nacht gebraucht, um das Versteck zu ändern.“

„Wer sagte Ihnen das?“ fragte er erstaunt.

„Das ist Nebensache.“

„Nun, ich brauche es nicht zu erfahren. Aber wenn ich eine ganze Nacht gebraucht habe, um ein anderes und besseres Versteck zu suchen, so müssen Sie sich doch sagen, daß es sehr schwer zu finden sein wird.“

„Höchst wahrscheinlich sogar sehr leicht. Gerade weil Sie die Nacht dazu genommen haben, ist es Ihnen nicht möglich gewesen, Ihre Spuren zu verbergen. Ich lasse mich von Gomarra an die betreffende Stelle führen und hoffe sehr zuversichtlich, daß ich Ihre Fährte finde, welche mich zum neuen Verstecke führen wird.“

„Da hoffen Sie freilich viel zu viel, Sie personifizierter Scharfsinn Sie!“ rief er höhnisch aus.

„Lachen Sie immerhin!“ antwortete ich gelassen. „Ich habe noch ganz andere Dinge zustande gebracht.“

„Was denn?“

„Habe ich nicht meine Gefährten befreit? Wie konnte ich wissen, wo sie sich befanden?“

„Ja, in dieser Beziehung sind Sie ein Teufel. Wagt dieser Mensch sich ganz allein nach der Laguna de Bambu, um die Gefangenen zu holen!“

„Nun, so ganz allein war ich nicht. Ich hatte die Tobas bei mir.“

„Diese Hunde! Dachte es mir, als ich sie heute bei Ihnen sah!“

„Diese waren es nicht, denn sie haben wir erst hier getroffen. Es waren die Tobas des alten Desierto.“

„Unmöglich!“ rief er aus, wobei ich sah, wie sehr er erschrak.

„Herr,“ lachte ich ihn an, „Jedes Kind konnte sich denken, daß wir von der Laguna de Carapa aus nach der Laguna de Bambu gehen würden. Und Sie sind doch wohl scharfsinniger als ein Kind, dessen ich mich als Beispiel bediene, weil Sie soeben dasselbe thaten.“

„Was konnte ich denn wissen? Ich war nicht dabei.“

„Nicht? Sie lügen. Ich habe Sie gesehen, und wenn nicht eine unverzeihliche Nachlässigkeit vorgekommen wäre, so hätten Sie uns nicht entkommen können. Wollen Sie etwa auch das leugnen, daß Sie des Nachts, als wir das Lager umzingelt hielten, mir nach dem Leben getrachtet haben?“

„Zum Henker!“ knirschte er hervor. „Mit Ihnen ist wirklich nichts anzufangen.“

„Wenigstens Sie werden nichts fertig bringen. Sie wollten mich töten, und nun soll ich mich mit Ihnen verbinden und Ihnen mein volles Vertrauen schenken!“

„Ich habe Sie mir stets erhalten wollen, schoß aber in jener Nacht auf Sie, weil ich glaubte, daß die Tobas nichts machen könnten, wenn nur erst Sie tot seien.“

„Das ändert nichts an meinem Entschlusse. Fassen Sie sich kurz! Ergeben Sie sich?“

„Nein.“

„So sind Sie verloren. Liefern Sie sich aber freiwillig aus und geben Sie mir die Kipus, so werde ich nach Kräften auf Gomarra einzuwirken versuchen, um ihn zum Verzicht auf seine Rache zu bewegen.“

„Fällt mir nicht ein! Die Kipus sind das einzige Mittel, welches mir das Leben retten kann.“

„Ist das Ihr letztes Wort?“

„Ja.“

„So sind wir fertig. Gehen Sie!“

ich drehte mich um.

„Sennor,“ rief er mir zu, „ich sage Ihnen, daß wir uns bis auf den letzten Mann wehren werden!“

„Immerzu!“

Ich kehrte zu den Meinigen und er zu den Chiriguanos zurück. Pena fragte, was er mir für Vorschläge gemacht habe, und ich berichtete ihm die Wahrheit. Es war gar kein Zweifel an unserem Siege zu hegen. Die Tobas und wir Weißen hielten die Gewehre schußbereit, um sofort abzudrücken, falls auch nur ein einziger Feind seinen Bogen gegen uns anlegen werde. Aber das geschah nicht. Der Sendador war in dem dichten Haufen der Roten verschwunden, und wir ersahen aus ihren lebhaften Gestikulationen, daß mit großem Eifer verhandelt wurde. Dann sandte man uns abermals den Unterhändler, welcher die bereits erwähnte Fahne trug.

„Sennor,“ meldete er, „der Häuptling wünscht noch einmal mit Ihnen zu sprechen.“

„Er mag kommen; aber es ist das letzte Mal!“

Der Rote kehrte zurück, und dann kam der Anführer langsam auf uns zugeschritten. Vor mir blieb er halten und fragte:

„Habt ihr es wirklich nur auf den Sendador abgesehen?“

„Ja,“ antwortete ich. „Auf euch nicht.“

„Wenn wir ihn euch übergeben, dürfen wir in unsere Heimat zurückkehren?“

„Das dürft ihr. Freilich müssen wir vorsichtig sein. Ihr werdet uns die Waffen ausliefern müssen und erhaltet sie aber zurück, wenn wir uns von euch trennen.“

„Gut! Ihr sollt den Sendador haben!“

„Aber lebendig!“

„Natürlich, und unsere Waffen dazu! Er will, daß wir uns für ihn von euch niederschießen lassen sollen. Er ist unser Verbündeter, und wir würden ihn verteidigen, wenn wir nur den geringsten Erfolg erwarten könnten. Da ich dagegen war, raste er vor Zorn und beleidigte mich mit Worten, welche den besten Freund zum Feinde machen. Wartet nur wenige Augenblicke, so werden wir ihn bringen!“

Er entfernte sich wieder. Als er die Seinen erreichte und im Kreise derselben verschwand, bemerkten wir ein kurzes Durcheinander und hörten die fluchende, schreiende Stimme des Sendador. Dann öffnete sich der Knäuel, und der Häuptling erschien wieder, gefolgt von vier Kriegern, welche den an den Händen gefesselten Sendador geführt brachten.

„Da nehmt ihn hin,“ rief uns der erstere schon von weitem entgegen. „Ich habe Wort gehalten und mag mit ihm nichts mehr zu thun haben. Meine Leute sind einverstanden. Ich hoffe, daß ihr nun auch euer Versprechen erfüllen werdet!“

Während dieser Worte waren die sechs Männer herangekommen. Nie hatte ich ein so grimmiges, von Wut verzerrtes Gesicht gesehen, wie dasjenige des Sendador.

„Ja, hier habt ihr mich!“ zischte er mich an. „Die Hunde sind mir untreu geworden; sie hätten mich wohl nicht überwältigt, wenn Sie mir nicht den Arm zerschossen hätten! Das ist auch eins Ihrer Kunststücke, welche Ihnen der Teufel einst lohnen wird. Nun ist geschehen, was Sie wollten; ich befinde mich in Ihrer Gewalt; aber erreicht haben Sie Ihren Zweck noch lange nicht!“

Ich hielt es für unnötig, ihm eine Antwort zu geben, und wendete meine Aufmerksamkeit zunächst den Chiriguanos zu, welche entwaffnet werden mußten. Sie lieferten ihre Messer, Bogen, Pfeile und Lanzen ab; der Häuptling gab seine Flinte her, und dann zogen wir durch den Hohlweg hinauf zur Felsenplatte, wo sich die Pferde der Feinde befanden. Diese letzteren wurden in eine Ecke gewiesen, die von einer Reihe bewaffneter Tobas eingeschlossen ward.

Von hier oben hatten wir eine weite Aussicht auf den Salzsee. Der Häuptling sagte mir, wo sich die noch ausstehenden Posten befanden, meinte jedoch dann, als ich ihm wiederholte, daß wir die vier gefangenen Wärter freigelassen hätten:

„Die werden zu den andern gelaufen sein und sie benachrichtigt haben. Nun stecken sie alle irgendwo in der Nähe, um zu erfahren, was hier geschehen ist und noch geschehen wird, dann werden sie sich freiwillig zu uns finden. Was werdet ihr mit dem Sendador nun thun? Ihn töten?“

„Ich fürchte, daß er nicht zu retten sein wird.“

„Immerhin! Er hat mich einen Feigling genannt, wofür ich mir sein Blut nehmen muß. Laßt ihr ihn am Leben, so fällt er in meine Hände!“

Das war eine neue Verschlimmerung der Aussichten des Sendador, der sich jetzt so zu beherrschen wußte, daß er ganz fröhlich dreinschaute. Das ärgerte Pena und noch mehr Gomarra. Dieser letztere kam zu mir und sagte in zornigem Tone:

„Sehen Sie sich den Halunken an! Macht er nicht ein Gesicht, als ob wir seine Gefangenen seien und nicht er der unserige? Endlich befindet er sich wieder in unserer Gewalt, und diesesmal soll er mir nicht wieder entkommen. Oder haben Sie etwa abermals die Absicht, einen heimlichen Pakt mit ihm zu machen?“

„Nein.“

„Also gehört er mir?“

„Noch nicht.“

„Ich habe das erste und größte Recht der Rache!“

„Das gebe ich zu. Aber er ist unser aller Gefangener und ein jeder hat mit zu bestimmen. Wir wollen die Kipus haben. Was dann geschehen soll, das werden wir jetzt beraten.“

„Der Henker hole Ihre Beratung! Er gehört mir; er ist mein, und damit basta!“

Das klang so drohend und leidenschaftlich, daß ich antwortete:

„Keine Dummheit! Wer sich an ihm vergreift, ohne daß ich es ihm erlaubt habe, dem jage ich eine Kugel durch den Kopf.“

„Auch das noch! Sehen Sie dort das Kreuz? Da modern die Gebeine meines ermordeten Bruders. Soll diese That nicht ihre Strafe finden?“

„Sie soll es, aber in der gehörigen Weise. Der Thäter soll bestraft, aber nicht ermordet werden, verstanden?“

„Ich handle nach den Gesetzen der freien Pampa!“

„Ich auch. Verbietet dieses Gesetz etwa, daß verständige Männer über eine geschehene That zu Gericht sitzen?“

„Nein; aber ich kenne diese Gerichte, und ich kenne euch, besonders Sie. Wenn es auf Sie ankäme, so ließen Sie den Schuft frei und gäben ihm sogar noch ein Pferd, Waffen und Proviant mit auf den Weg.“

„Die Beratung soll sofort stattfinden; da wird es sich zeigen, was ich sage.“

„Ich stimme für den augenblicklichen Tod.“

„Du hast gar nicht mitzustimmen.“

„Ich nicht?“ fragte er erstaunt.

„Nein, denn du bist der Ankläger und hast dich zur Seite zu halten und nur dann zu antworten, wenn du gefragt wirst.“

„Sennor, das dulde ich nicht!“

„Schweig‘! Ich frage wahrlich nicht darnach, was dir gefällig ist. Wir werden beschließen, und du hast dich zu fügen. Zügle deine Leidenschaft, denn ich werde unserm Beschlusse Nachdruck zu geben wissen.“

„Und ich meinem Willen auch!“

Mit dieser Drohung wendete er sich ab und setzte sich in einiger Entfernung auf den Boden nieder. Darauf traten wir Weißen zusammen, um über das Schicksal des Sendador zu entscheiden. Nur der Bruder und ich waren dafür, ihn mitzunehmen und der Obrigkeit zu übergeben; die andern stimmten dagegen und betonten ganz besonders die möglichen Zwischenfälle, durch welche der Verbrecher uns entrissen werden konnte. Kein einziger war für die Begnadigung desselben. Alle aber waren darin überein, daß wir die Kipus haben müßten.

Als die Beratung zu Ende war, erhielt ich den Auftrag, das Resultat derselben dem Sendador und Gomarra mitzuteilen. Wir umringten den ersteren und riefen den letztern herbei. Der Sendador schaute sehr hoffnungsvoll drein. Er deutete es jedenfalls für einen guten Umstand, daß wir nicht nach der Meinung Gomarras, seines größten Feindes, gefragt hatten.

„Nun,“ lachte er mir entgegen, „sind die Herren Richter fertig? Was haben sie beschlossen?“

„Lachen Sie nicht! Ihre Lage ist sehr ernst,“ antwortete ich ihm. „Sie haben den Tod vieler Menschen verschuldet, und da das Gesetz der Pampa gebietet, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, so wird man kurzen Prozeß machen und Ihnen eine Kugel geben.“

Er entfärbte sich, stand von der Erde auf und rief aus:

„Eine Kugel? Wann?“

„Jetzt gleich.“

„Alle Wetter! Warum so schnell?“

„Weil Sie nicht verdienen, auch nur eine Minute länger zu

leben.“

„Aber – aber – aber,“ stotterte er erschrocken, „dann sind die Kipus für Sie verloren!“

„Auf welche Sie Ihre einzige und dabei so große Hoffnung gesetzt haben! Nun, ich gestehe, daß wir auf unser Verlangen freilich nicht verzichten, und stelle Ihnen folgende Bedingung: Liefern Sie uns die Kipus und die Pläne aus, so unterbleibt die Exekution!“

„Und ich werde frei?“ fragte er, wieder aufatmend.

„Nein, denn so weit können wir nicht gehen, da dies eine Ungerechtigkeit gegen Gomarra wäre. Sehen Sie dort das Grab seines Bruders? In solcher Nähe des Thatortes können wir ihm nicht zumuten, sich einem Beschlusse zu unterwerfen, welcher Sie straffrei entkommen läßt. Antworten Sie uns die erwähnten Gegenstände aus, so lassen wir Sie allerdings laufen, aber ohne jede Waffe und ohne allen Proviant. Nach einer Viertelstunde kann Gomarra Ihnen folgen. Das übrige ist dann eure Sache.“

„Das ist der sichere Tod! Wie kann ich ohne Proviant entkommen und ohne Waffen mich gegen ihn wehren?“

„Wir beabsichtigen auch gar nicht, Ihnen die Mittel zu bieten, sich zur Wehre setzen zu können. Das wäre ja eine Belohnung Ihres Verbrechens.“

„Die Belohnung ist auch ohnedies schon da,“ fiel Gomarra grimmig ein. „Ich habe geahnt, daß es so kommen werde! Ihn laufen lassen, und dann erst nach einer Viertelstunde ich hinter ihm drein! Wie soll ich ihn, der hier alle Schliche kennt, dann einholen? Er wird vom ersten besten Indianer, der ihm begegnet, Waffen erhalten, denn alle kennen ihn. Nein, damit bin ich nicht einverstanden!“

„Ich ebensowenig!“ rief der Sendador. „Mein Arm ist zerschossen, und das Wundfieber würde mich nach kurzer Zeit niederwerfen. Dafür, daß ich die Kipus und die Pläne ausantworte, muß ich wirklich eine Möglichkeit und nicht nur den Schein einer solchen zum Entkommen haben.“

„Es bleibt bei unserm Beschlusse. Weder Sie, noch Gomarra können etwas daran ändern. Auch liegt es nicht in unserer Absicht, Ihnen eine lange Bedenkzeit zu geben.“

„Ich verlange nur eine Stunde Zeit zum Überlegen, und während derselben kann ich ordentlich verbunden werden.“

„Das gewähre ich Ihnen, aber dann nicht einen Augenblick länger.“

„Und wenn ich auf Ihren Vorschlag eingehe und Sie finden die Schätze, wer erhält dieselben?“

„Derjenige, dem sie gehören. Wahrscheinlich beabsichtigte der ermordete Padre, diese Gegenstände seinem Kloster in Tucuman zu bringen. Wir werden die nötigen Erörterungen anstellen. Läßt sich dann nichts über den Eigentümer entscheiden, so werden wir uns nach den Fundgesetzen derjenigen Provinz richten, zu welcher die betreffende Gegend gehört.“

„Also ich erhalte nichts – gar nichts?“

„Nein. Sie haben die Wahl zwischen dem Tode durch die Kugel und der Möglichkeit, Gomarra zu entkommen. In einer Stunde sagen Sie uns Ihre Antwort.“

„Ich wollte, Sie säßen hier an meiner Stelle, und ich befände mich in Ihrer Haut!“

„Das glaube ich, ist aber glücklicherweise nicht gut möglich.“

Da er an den Händen gebunden und sein rechter Arm schwer verwundet war, so brauchten wir seinerseits keine Gewaltthätigkeit zu befürchten, gaben ihm aber doch zwei Tobas bei, welche kein Auge von ihm lassen sollten.

„Er kann nichts thun und auch nicht fliehen,“ meinte der Bruder Jaguar. „Noch schärfer als auf ihn müssen wir auf Gomarra aufpassen.“

„Das ist wahr,“ antwortete Pena, „denn er ist im stande und übt auf eigene Faust Rache, was ich ihm übrigens gar nicht verdenken kann.“

„Daran werde ich ihn auf gute Weise hindern,“ bemerkte ich. „Ich nehme ihn mit hinab zum See.“

„Jetzt?“ fragte Pena.

„Ja. Auch Sie und der Bruder können mit, da es möglich ist, daß ich Ihrer Hilfe, Ihres Rates, Ihrer Augen und Ihres Nachdenkens bedarf. Gomarra soll uns nämlich die Stelle zeigen, an welcher die Flasche bisher vergraben gewesen ist. Vielleicht gelingt es uns, eine Spur zu entdecken, welche uns nach dem Orte führt, an welchem der Sendador sie von neuem versteckt hat.“

„Das wäre freilich gut; das wäre vortrefflich!“

„Natürlich. Sieht der Sendador, daß wir die Kipus haben, so wird er geneigter als jetzt sein, uns auch die Pläne auszuantworten. Übrigens müssen wir seine Taschen durchsuchen, denn es ist möglich, daß er diese Gegenstände bei sich hat.“

Die Durchsuchung wurde sofort vorgenommen, doch war sie erfolglos. Als wir alle seine Taschen vergeblich durchstöbert hatten, sagte er unter höhnischem Lachen:

„Wie klug die Sennores sind! Nur ich allein bin der Dumme und schleppe alles mit mir herum! Nun ist mir nicht mehr bange um mich. Sie wollen und müssen die Kipus haben, und ich gebe sie nur her, wenn ich meine vollständige Freiheit erhalte.“

Der Mensch war in höchstem Grade zuversichtlich, doch wollte ich mich nicht über seine Dreistigkeit ärgern. Jedenfalls aber wäre es besser gewesen, wenn ich dies gethan hätte, denn dann wäre mir nicht nur sein Hohn mehr aufgefallen, sondern ich hätte seinen Worten eine andere Bedeutung beigelegt und ihn nochmals durchsucht, und zwar genauer als vorher.

Als ich Gomarra aufforderte, uns hinab zum See zu begleiten, folgte er uns sichtlich widerwillig; er hatte also wohl vor, sich eigenmächtig an dem Sendador zu vergreifen.

Wir gingen den bereits beschriebenen Felsenweg hinab, und unten angekommen, bedeutete ich Gomarra, sich der betreffenden Stelle nicht ganz zu nähern, damit nicht etwa vorhandene Spuren verwischt würden. Als wir die Ausmündung des Weges erreichten, wendete er sich nach rechts, ging ein Stück an dem lotrecht aufsteigenden Felsen hin, blieb dann stehen, deutete vorwärts und sagte.

„Sehen Sie den Kriechkaktus aus der Erde ragen und sich an das Gestein schmiegen? Nur zwei kleine Schritte weiter war die Stelle. Darf ich hin?“

4a, aber ich gehe voran.“

ich schritt nur Zoll um Zoll vorwärts, damit mir nicht das geringste, was als Hindeutung zu nehmen war, entgehen könne. Die Stelle, an welcher die Flasche in der Erde gesteckt hatte, war aufgewühlt worden; das sah ich deutlich. Und daneben hatte jemand im Sande gesessen, und zwar längere Zeit; er hatte sich dabei oft von einer Seite nach der andern und infolgedessen eine leicht wahrnehmbare flache und glatte Vertiefung ausgedreht. Im Halbkreise um diese Stelle war der Boden wie mit den Stiefelabsätzen aufgewühlt. Das war alles, was man jetzt noch zu sehen vermochte.

Nun galt es, zu erfahren, wohin der Sendador sich von hier aus gewendet hatte. Aber das war schwer, da zwischen jetzt und der Stunde, in welcher die Spuren entstanden waren, eine zu lange Zeit lag. Dazu führte unsere eigene Fährte, welche wir bei unserer Ankunft am See gemacht hatten, hier vorüber und bildete eine solche Zahl von Fußeindrücken, daß eine ältere Spur unmöglich zu erkennen war.

Ich blickte aufmerksam nach rechts und nach links. Vor uns lag der See, das Wasser nur zwanzig Schritte von uns entfernt. Er war mit einer dicken Salzkruste bedeckt gewesen, wie andere Wasser mit Eis zur Winterszeit, und Wind und Wetter hatten diese Decke zerrissen und die Schollen durch- und aufeinander getrieben.

Am Rande einer solchen Scholle lag etwas Dunkles, Kreisrundes. Ich nahm das Fernrohr her und erkannte, als ich durch dasselbe blickte, diesen Gegenstand als den abgebrochenen, konkav nach innen gebogenen Boden einer gläsernen Flasche. Daneben lag ein kleines Häufchen Sand auf der sonst vollständig reinen und blanken Salzscholle.

Ich kehrte mich wieder zu der vorigen Stelle zurück, um nochmals zu suchen, ohne aber etwas zu finden. Dann aber sah ich an der nahen Kaktusstaude einen vielleicht acht oder zehn Zoll langen Zwirnfaden hängen.

Bis jetzt hatte ich kein Wort gesagt, und die andern hatten meinem Thun schweigend zugesehen. Jetzt erklärte ich:

„Wir sind sehr dumm gewesen. Der Sendador hat die Kipus bei sich.“

„Nein“, antwortete Pena. „Ich habe ihn ganz genau untersucht.“

„Und doch hat er sie bei sich! Wir müssen ihn durchsuchen. Was zwischen dem Zeug und dem Futter steckt, das wissen wir nicht.“

„Was soll da stecken! Wie kommen Sie überhaupt auf diese Idee?“

„Hier haben Sie mein Rohr. Betrachten Sie sich den dunkeln, glänzenden Gegenstand auf jener Scholle genau!“

Pena richtete das Fernrohr nach dem angegebenen Punkte und sagte:

„Ich sehe ihn, ganz deutlich, es ist ein Stück Flasche.“

„Was liegt daneben?“

„Sand.“

„Gut, die ganze Flasche ist hinübergeworfen. Sie ist mit Sand gefüllt worden, damit sie im Wasser untergehen solle. Da es aber nachts gewesen ist, so hat der Betreffende nicht eine offene Stelle des Sees, sondern den Rand dieser Scholle getroffen. Die Flasche ist daran zersprungen, der Boden mit einem Teil des Sandes auf der Scholle liegen geblieben, das übrige aber in das Wasser gefallen.“

„Mit Sand gefüllt? Warum diese Vorsicht?“

„Der Betreffende wußte, daß wir kommen würden; darum mußte die Flasche untersinken, damit wir sie nicht sehen könnten. Es ist die Flasche, welche hier vergraben war.“

„Das begreife ich nicht.“

„Ich sehr leicht. Er hat die Flasche weggeworfen, weil er inzwischen erfahren hatte, daß man den Ort und auch die Flasche genau kannte; darum mußte er die Kipus auf eine andere, vorteilhaftere Weise verbergen. Er grub sie aus, füllte die Flasche mit Sand, warf sie in den See und setzte sich dann her, um die Kipus in seinem Anzug zu verstecken. Daß darüber die Nacht vergangen ist, darf gar nicht Wunder nehmen. Nicht jeder ist ein guter Schneider, zumal des Nachts, ohne Licht.“

„Woher wissen Sie denn das vom Nähen?“

„Hier in dieser Vertiefung hat er gesessen, die er durch sein Hin- und Herdrehen ausgehöhlt hat, und die parallel laufenden Eindrücke rühren von seinen Stiefeln her.“

Die beiden betrachteten die Stelle genau und dann meinte Pena, indem er mir beistimmte:

„Ja, hier hat einer gesessen; das kann aber auch nur in der Absicht, sich auszuruhen, gewesen sein. Wie kommen Sie auf die Vermutung, daß der Betreffende geflickt hat?“

„Durch den Vergleich der Umstände und vor allen Dingen durch dieses hier.“

Ich nahm den Faden vom Kaktus und gab ihn Pena.

„Ein Zwirnfaden, ein dunkelblauer, wahrhaftig!“ rief dieser. „Eine Rolle gerade solchen Zwirns hatte der Sendador vorhin nebst Nähnadeln im Gürtel!“

„Da haben Sie es. Wir brauchen also nur wieder nach oben zu gehen und mit Gomarra – – – ah, wo ist dieser? Ich sehe ihn ja nicht?“

„Ich auch nicht; er ist fort.“

„Dann schnell nach, und hinauf auf die Höhe! Dieser Kerl hat irgend eine Teufelei vor.“

Ich hatte, nachdem mir Gomarra die Stelle, an welcher die Flasche vergraben gewesen war, gezeigt hatte, nicht weiter auf ihn geachtet. Er war uns entflohen, und da konnte er nur die Absicht gehabt haben, sich in meiner Abwesenheit an den Sendador zu machen. Wir folgten ihm in eiligem Laufe, sahen ihn aber nicht, da der Weg eine weite Krümmung machte. Aber als wir nicht mehr weit von der Felsenplatte entfernt waren, hörten wir einen wahren Höllenlärm vor uns.

„Hund!“ hörte ich die Stimme des Sendador brüllen. „Du hast mich nicht zu richten. Warte, bis der Deutsche kommt!“

„Halt, nicht weiter, ihn nicht anrühren!“ hörte ich dann die Stimme des Steuermanns. „Sie dürfen ihm nichts thun!“

„Zurück!“ ertönte die keuchende Stimme Gomarras. „Zurück, oder ich steche! Mein Messer ist vergiftet!“

„Wetter!“ rief der Steuermann erschrocken.

„Ja, Sennor, vergiftet! Und wer mich stört, bekommt es in den Leib. Er soll sterben, augenblicklich, und zwar da, wo er gesündigt hat. Hinab mit ihm!“

Dieser wahnsinnige Gomarra wollte den Sendador von der Platte hinab in die Tiefe stürzen! Wir setzten uns in Galopp, mußten aber leider der Krümmung des Felsenpfades folgen und kamen nicht schnell genug oben an.

Auf dem Felsen herrschte ein ganz unbeschreibliches Getümmel. Alle schrien durcheinander. Als ich aus dem Wege hervorsprang, erblickte ich Gomarra, welcher den Sendador mit einem Arme umfaßt hielt und ihn nach der Kante des Felsens drängte, während er mit der andern Hand, in welcher er das vergiftete Messer hielt, die andern, die ihn hindern wollten, von sich abdrängte. Der Sendador brüllte vor Angst wie ein Stier. Er konnte sich kaum wehren, da ihm die Hände gefesselt waren und ich ihm den Oberarmknochen verletzt hatte.

„Halt!“ rief ich, „halt! Gomarra, lassen Sie, sonst schieße ich Sie über den Haufen!“

Er hatte meine Stimme sofort erkannt, drehte sich einen kurzen Augenblick mir zu und antwortete, noch ehe ich mit meinen Worten zu Ende war:

„Der Deutsche! Aber ich thue doch, was ich will! Hinab mit dir, du Hund von einem Mörder!“

Er umklammerte den Sendador mit beiden Armen und drängte ihn schnell der Kante zu, damit ich zu spät kommen möge – noch einen Schritt – noch einen halben – er stieß den Sendador vor die Brust; dieser verlor das Gleichgewicht, schlang aber im letzten Augenblicke seine beiden Beine um diejenigen Gomarra’s – ein fürchterlicher Schrei aus dem Munde des einen, ein noch entsetzlicherer aus dem Munde des andern, und beide stürzten aus der schwindelnden Höhe in die Tiefe hinab, gerade als ich nahe genug herangekommen war und die Hände nach Gomarra ausgestreckt hatte.

Ich selbst stand nur zwei Ellen vom Abgrunde entfernt. Nicht die Tiefe desselben, sondern die Scene, welche soeben vor meinen Augen versunken war, machte mich schwindelig. Ich griff mir mit den Händen nach dem Kopfe und machte mit Anwendung aller Willenskraft eine Bewegung rückwärts. Der Schwindel wollte mich hinabziehen; diese Anstrengung hielt mich oben; sie war so bedeutend, daß ich vier oder fünf Schritte weit zurücktaumelte und dann beinahe niedergefallen wäre.

Niemand hatte sehr auf mich geachtet. Jeder war mit sich selbst oder dem ihm Nächststehenden beschäftigt. Keiner getraute es sich, über den scharfen Rand des Abgrundes hinabzublicken, und doch wollten alle die nun unten liegenden Körper sehen. Sie rannten hin und her, gebärdeten sich fast wahnwitzig, stießen alle möglichen Ausrufe des Schreckens und Entsetzens aus und rannten dann in den Hohlweg hinein, um hinab an den See zu gelangen, wo die Leichen der Abgestürzten liegen mußten.

Nur die wenigen Weißen hatten sich leidlich gefaßt und ruhig gezeigt. Wie ein Fels im Meere stand der Steuermann. Er hatte sich nicht von der Stelle bewegt, seit ihm Gomarra mit dem Messer gedroht hatte. Viele rannten an ihn an, ohne ihn aber einen Schritt weit von der Stelle bringen zu können.

„Die beiden Männer müssen einen schrecklichen Anblick bieten,“ sagte ich und wollte vor an die Kante treten, um hinabzublicken; der Steuermann aber hielt mich am Arme zurück und bat:

„Bleiben Sie, Herr, bleiben Sie, ich kann es nicht sehen.“

„Sind Sie schwindelig?“

„Niemals gewesen; hier aber kann ich es werden. Der stärkste Großmast ist mir noch zu niedrig; dieser Felsen aber ist entsetzlich. Ich sehe noch jetzt die beiden vor mir, wie sie über die Kante gingen, und da ward es mir grau und schwarz vor den Augen.“

„Ich will aber sehen, wo sie liegen.“

„Der Fels kann losbröckeln!“

„O nein; der ist zu hart und ohne jeden Riß. Er hat bereits Jahrtausenden widerstanden und wird noch vielen Jahrhunderten trotzen.“

Ich legte mich lang auf den Boden nieder und schob mich nach vorn. Der Felsen war über dreihundert Fuß hoch und stürzte sich senkrecht in den See hinab. Am Rande desselben lag ein dunkler Klumpen. Eben sah ich mehrere Tobas als die ersten aus dem Hohlwege vorkommen und sich diesem Gegenstande nähern. Es war der ganz und gar zerschmetterte Leichnam Gomarras, wie ich später erfuhr.

Die Leute sahen nur diese eine Leiche, aber die andere nicht. Sie suchten, sahen empor und deuteten nun mit erhobenen Händen und laut rufend zum Felsen herauf. Ich schob mich noch weiter vor, so daß nicht nur der Kopf, sondern auch die beiden Achseln über die Kante hinausragten, und sah nun den Gegenstand, nach welchem die Leute von unten deuteten. Es war ein menschlicher Körper, welcher an der scheinbar glatten, nackten Steinwand klebte, als ob er dort angenagelt sei. Es war mir, als ob er sich bewege. Ich schob mich zurück, sprang auf und rief dem Steuermann zu:

„Einer ist an dem Felsen hängen geblieben und lebt noch. Springen Sie hinab und bringen Sie die Leute herauf! Wir müssen ihn retten.“

„Sind Sie des Teufels?“

„Nein. Eilen Sie; rennen Sie! Es liegt Gefahr im Verzuge.“

Ich drehte ihn um und gab ihm einen tüchtigen Stoß in den breiten Rücken; auf diese Weise einmal in Bewegung gebracht, rannte der Riese wie ein galoppierender Schnellläufer von dannen und in den Hohlweg hinein.

Ausgenommen die Wächter und die gefangenen Chiriguanos war er der einzige gewesen, welcher noch mit mir oben war. Die Hauptsache aber hatte ich vergessen. Darum schob ich mich wieder an den Rand des Felsens und rief denen, die da unten bei der Leiche standen, zu:

„Alle herauf! Lassos, Riemen und Stricke von den Pferden mitbringen.“

Ich sah sie nach den Pferden rennen, welche wir da unten zurückgelassen hatten. Mein Lasso war dreißig Ellen lang und so ausgezeichnet gearbeitet, daß er drei Menschen ohne Gefahr für dieselben tragen konnte; aber er war zu kurz.

Aber die Chiriguanos hatten Riemen und Bolas, sogar einige Lassos, denen ich aber nicht trauen mochte, da ich sie nicht kannte. Bald kamen die Gefährten, und nun entspann sich ein hitziger Streit über das, was gethan werden sollte.

„Es ist der Sendador, der an der Wand hängen geblieben ist,“ sagte Turnerstick. „Gomarra liegt unten, ist aber kaum zu erkennen. Warum ruft Ihr nach Riemen, Charley?“

„Weil wir den Sendador heraufholen müssen,“ antwortete ich.

„Fällt keinem Menschen ein! Das fehlte noch!“ rief Pena aus.

„Fällt sogar einem jeden ein, welcher wirklich Mensch ist!“ entgegnete ich. „Er muß herauf; er lebt noch.“

„Unsinn! Wie kann der noch leben? Er ist an irgend etwas hängen geblieben. Das plötzliche Anhalten im Sturze hat ihn ganz gewiß getötet. Und wegen der Leiche eines solchen Menschen, die doch nur den Geiern verfallen ist, werden wir uns doch nicht extra bemühen oder gar in Lebensgefahr begeben sollen!“

„Sennor Pena hat recht,“ meinte der Yerbatero. „Lassen Sie doch bangen, was da hängt! Ich war einst der Freund des Sendador; aber nachdem ich ihn jetzt kennen gelernt habe, möchte ich keine Hand für ihn rühren, selbst wenn er noch lebte.“

„Und da nennen Sie sich einen Christen?“

„Ja, der bin ich, und zwar ein sehr guter! Aber die Seele dieses dreifachen Mörders mag zum Teufel fahren!“

„Sennor Monteso, Sie sind kein Christ, wirklich nicht, und ich möchte fast bedauern, Sie lieb gehabt zu haben. Mögt ihr alle denken, was und wie ihr wollt, ich kenne meine Pflicht. Verhaltet euch möglichst still, damit ich hören kann, und haltet meine Füße fest!“

Ich nahm das Fernrohr in die Hand und kroch wieder bis zum Felsenrande vor. Ich schätzte die Entfernung zwischen mir und dem Verunglückten auf siebzig Fuß. Als ich ihn durch das Fernrohr betrachtete, sah ich, daß er mit dem Rücken an der Wand hing. Es mußte da einen Spalt im Felsen geben, aus welchem ein spitzer Gegenstand ragte, der den Abstürzenden festgehalten hatte. Ich sah ganz deutlich, daß dieser letztere die Beine bewegte, und glaubte auch, wimmernde Laute zu hören.

.Es war gar nicht ungefährlich, sich so weit über die Kante vorzuschieben, daß man hinabzublicken vermochte; darum hatte ich mich an den Füßen festhalten lassen. Nun richtete ich mich wieder auf und gebot, alle vorhandenen Lassos zusammen zu binden.

„Lebt er denn noch?“ fragte der Bruder.

„Ja, er bewegt sich.“

„Gott erbarme sich seiner! Wir können ihm nicht helfen.“

„Wir können es, wenn wir nur wollen.“

„Meinen Sie, daß sich einer finden läßt, der bereit ist, das Wagnis zu unternehmen?“

„Sicher.“

„Wenn mein bester Freund da unten hinge,“ sagte Pena, „ich würde mich hüten, mich hinabzulassen, viel weniger eines solchen Schurken wegen.“

„Aber bedenken Sie, Pena, lebendig da am Felsen zu hängen, mit gebundenen Händen, zerschossenem Arme und vielleicht einen Baum- oder Aststumpf im Leibe! Welch ein gräßlicher Tod!“ sagte ich.

„Er hat ihn verdient!“

„Mag sein oder auch nicht; aber ich darf ihn nicht eines solchen Todes sterben lassen, wenn es mir möglich ist, ihn vor demselben zu bewahren. Hat keiner von euch den Mut, so werde ich mich selbst hinablassen.“

„Sie selbst? Sind Sie denn ganz und gar toll! Das ist das Allerdümmste, was Sie im Leben machen können. Wir können Sie nicht missen; wir brauchen gerade Sie am allernötigsten bei uns; wollen gerade Sie es sein, der den Hals brechen soll, eines Menschen wegen, welcher den Galgen zehn und noch mehrere Male verdient hat!“

„Streiten wir uns nicht! Ich bin entschlossen, und Sie werden mir helfen. Nur Lassos und Riemen her!“

„Die nützen nichts; sie zerreißen; sie zerreiben sich an der scharfen Kante des Felsens; da sind Rollen nötig, welche wir nicht haben.“

„Wir legen einen Sattel unter, über welchem der Lasso glatt und ohne zu große Reibung läuft.“

„Aber wie wollen Sie es anfangen? Sie wissen ja gar nicht, in welcher Verfassung Sie den Menschen finden!“

So wie Pena, machten auch die andern den Versuch, mich von meinem Vorhaben abzubringen, natürlich, vergeblich. Nur der Bruder bestärkte mich in demselben, als er einsah, daß ich fest entschlossen war.

Wir fertigten aus den vorhandenen Lassos drei Lederseile, von denen jedes die gebrauchte Länge hatte. Die Knoten machte ich selbst; da es sich um mein Leben handelte, wollte ich auch selbst die Verbindung auf ihre Sicherheit prüfen.

Dann wurden mehrere Lanzen zusammengebunden, welche mir als Sitz zu dienen hatten, und an die Enden zweier Seile befestigt. Diese Seile liefen jedes über einen Sattel, welcher die Reibung an der Felsenkante unmöglich machen sollte. Das dritte Seil war als Reserve zu verwenden, da ich nicht wußte, ob ich den Verunglückten zu mir nehmen konnte oder nicht. Natürlich war die Vorkehrung so eingerichtet, daß ich, senkrecht von oben kommend, auf den Sendador treffen mußte.

Nun wurde der Sitz an den beiden Seilen über die Kante gelassen, und ich mußte einsteigen. Aufrichtig gestanden, war es mir ganz und gar nicht wohl zu Mute, als ich mich über den scharfen Felsen schwang und auf drei dünnen Spießen Platz nahm. Dort band ich mich mit einem Riemen fest.

Der gute Bruder hatte nach mir das Schwierigste übernommen. Er hatte sich so gelegt, daß er mir mit den Augen folgen konnte; er wollte meine Winke denen verdolmetschen, welche mich hinab- und dann wieder hinaufzulassen hatten.

Gut war es, daß der Felsen keine Krümmung hatte, sondern wie eine künstlich errichtete Mauer genau senkrecht abfiel. Das erleichterte uns die Passage ungeheuer.

Man ließ mich nur langsam nieder. Obgleich ich selbst dies befohlen hatte, dünkte es mich eine Ewigkeit zu sein, bevor ich zu dem Verunglückten gelangte.

ja, es war der Sendador. Er bot einen schrecklichen Anblick. Seine mit Blut unterlaufenen Augen standen weit hervor; aus dem geöffneten Munde hing die lechzende Zunge. Ein schwaches Röcheln ertönte; sonst gab es vom Leben weiter keine Spur.

Natürlich winkte ich nach oben, anzuhalten. Ich mußte zunächst untersuchen, wodurch der Mann hier festgehalten worden war. Es gab da eine spaltartige Vertiefung, ungefähr anderthalb Fuß breit, welche, nach unten immer enger werdend, mit verwestem und verwittertem Müll angefüllt war. Da hatte ein Baum Nahrung gefunden und seine Wurzel tief in die Spalte geschlagen. Ein Orkan mochte die Krone abgebrochen und mit der Hälfte des Stammes davongeführt haben. Die andere Hälfte war stehengeblieben, weil sie nicht, wie der obere Teil, aus dem Spalte hervorragte. Auch die Äste waren verschwunden; aber als Rest des untersten, in der Nähe des Wurzelhalses aus dem Stamme getretenen, ragte ein spitzer Stumpf hervor, welcher den Sendador aufgefangen und festgehalten hatte.

Ich hing vor ihm, über der grausigen Tiefe. Bei der geringsten Bewegung, welche ich machte, schaukelte mein leichter Sitz hin und her. Das machte es außerordentlich schwierig, den Verunglückten vom Stumpfe zu lösen. Wollte ich ihn los haben, so mußte ich ihn heben. Das erforderte bei der Schwere dieses Mannes eine Kraftanstrengung, unter welcher die Riemen, an denen ich hing, leicht zerreißen konnten, und dann war ich verloren.

Wenn ich aufrichtig sein will, so muß ich gestehen, daß mir der Gedanke kam, ihn seinem Schicksal zu überlassen; aber die Regung der Schwäche währte nicht lange. Sein Anblick war ein entsetzlicher. Ich sagte mir, daß ich denselben während meines ganzen Lebens vor mir haben und mir die schwersten Vorwürfe machen würde, falls ich jetzt versäumte, meine Pflicht zu thun. Es war noch Leben in ihm. Brachte ich ihn nach oben, so zeigten sich seine Verletzungen vielleicht nicht als tödlich, und wenn das nicht, so konnte er doch wenigstens für kurze Zeit zum Bewußtsein kommen und Raum zur Reue finden. Ließ ich ihn aber hängen, so mußte er in seinen Sünden sterben, und ich hatte das für immer auf meinem Gewissen.

Freilich, wenn ich ihn los bekommen wollte, mußte ich mich in eine Gefahr begeben, vor welcher es mir graute. Schon der bloße Gedanke an das Wagnis wollte mich schwindeln machen. Ich mußte nämlich meinen Sitz verlassen und in die Spalte steigen. Es war die Frage, ob der alte verwitterte Baumstumpf mich mit halten werde. Wegen der Enge des Risses konnte ich nur mit querem Körper hinein; dann hatte ich den Abgrund vor Augen, in welchen hinabzublicken, von diesem Standpunkt aus, so gefährlich war. Doch, ich war nun einmal da, und es mußte gewagt werden.

Zunächst untersuchte ich, in welcher Weise der Sendador fest hing. Der Aststumpf hatte hinten den Gürtel gefaßt, denselben infolge des Gewichtes hoch emporgezogen und auch den Rücken der Jacke und Weste mit ergriffen. Ob und wie weit er auch in das Fleisch eingedrungen war, das konnte ich nicht sehen. Die straff angezogenen Kleidungsstücke preßten dem Sendador die Brust zusammen und hinderten ihn am Atmen. Mir schien, daß mehr dieser Umstand als eine Verwundung durch den Ast die Ursache seiner Besinnungslosigkeit sei.

An zwei Lassoseilen hing ich selbst; das dritte schlang ich ihm jetzt unter den Armen hindurch um Rücken und Brust und verknotete es in der Weise, daß die Atmungswerkzeuge möglichst frei blieben. Dann schnitt ich ihm mit dem Messer die Jacke und die Weste auf. Beide waren so fest angespannt, daß von einem Ausknöpfen keine Rede sein konnte. Jetzt bekam er Luft. Ich hörte ihn atmen, aber kurz und hastig – ein Schrei, ein entsetzlicher Schrei; er riß die Augen auf, starrte mich an und brüllte wieder, und zwar in einer Weise, als ob er am Spieße stäke.

„Still!“ rief ich ihm zu. „Haben Sie Schmerzen?“

„Unbeschreibliche!“ antwortete er, nun förmlich heulend.

„Kennen Sie mich?“

Sein Geheul verstummte für einige Augenblicke. Er biß die Zähne zusammen und stierte mich mit seinen blutunterlaufenen Augen an, daß es mir unheimlich wurde.

„Der Deutsche, der Deutsche!“ brüllte er dann. Und als sein Blick in die Tiefe fiel und ihm die Erkenntnis seiner Lage kam, zeterte er:

„Ich hänge am Felsen; ich hänge mit dem Fleische am Felsen! Da unten gähnt der Abgrund, die Hölle, das Fegfeuer, die Verdammnis! Machen Sie mich los, schnell, schnell; ich will alles gestehen, alles! Nur nicht da hinunter, da hinunter!“

„So verhalten Sie sich ruhig; rühren Sie sich nicht! Verbeißen Sie Ihre Schmerzen, und schreien Sie nicht!“

Sein Gebrüll ging in ein Wimmern über, welches mehr einem Pfeifen glich und mir durch Mark und Bein dringen wollte. Ich band den Riemen los, welcher mich an meinem Sitze festhielt, schlang ihn um eins der Seile, welche den letzteren trugen, und befestigte ihn mir dann an den Arm, so daß ich den Sitz nicht verlieren konnte. Dann hielt ich mich an den beiden Seilen fest, stieg auf die Lanzen, auf denen ich gesessen hatte und – – Herr Gott, dir übergebe ich mich! – – schwang mich in den Spalt.

An diesem Augenblicke hing mein Leben. Gab der Baumstumpf nach, so fuhr ich mit ihm und dem Sendador in die Tiefe. Es wirbelte mir im Kopfe; es flimmerte mir vor den Augen, und es summte mir vor den Ohren, als ob ich mich inmitten eines Bienenschwarmes befände. Ergriff mich der Schwindel, so war es aus mit mir. Ich nahm alle meine Willenskraft zusammen. Mein Auge, mein Kopf wurde frei; ich mußte die Angst, die Furcht überwinden und schaute in die Tiefe hinab. Es war, als wolle es mich um und um drehen und hinabziehen; aber ich überwand den Anfall. Drunten lag die Lagune; ich sah die Salzkruste auf derselben glänzen; dort drüben, rechts, wo wir hergekommen waren, standen zwei Menschen, Indianer; ich sah sie deutlich. Es waren wohl die frei gegebenen oder entflohenen Wächter; sie verschwanden schnell hinter den Felsen.

Unter meinen Füßen raschelte und bröckelte es; der Schutt, der mürbe Müll gab nach; aber die Wurzeln des Baumstumpfes hielten fest. Mit der Linken mich in der Felsenritze festhaltend, bog ich mich nieder, ergriff mit der Rechten den Sendador beim Kragen – ein Ruck, noch einer; er kam von dem Stumpfe los und hing an dem Riemenseile, an welchem er sich wie ein Kreisel drehte. Er schrie vor Entsetzen aus Leibeskräften. Unter mir brach, knickte und krachte es. Um den schweren Mann zu heben, hatte ich eine Kraft anwenden müssen, welcher der Stumpf doch nicht gewachsen war. Die Wurzeln lösten sich vom Felsen, langsam zwar zunächst, aber ich sank. Noch einen Augenblick, und es war um mich geschehen. Ich zog an dem Riemen, der mir am Arme hing, den Sitz zu mir heran, erwischte aber nur das eine Seil – ein neues, stärkeres Kollern und Prasseln, der Boden wich unter meinen Füßen; ich hing mit einer Hand über dem Abgrunde und schwebte wie ein Pendel hin und her. Meine Gefährten sahen es von oben; sie schrieen; der Sendador brüllte wie ein Stier; ich behielt die Besinnung, die Ruhe und ließ nicht los. Ein Griff mit der linken Hand, und ich faßte auch das andere Seil. Wie an einem Schwebereck schwang ich mich von unten auf und kam auf die Lanzen zu sitzen. Die Gefahr war vorüber. Mit Schaudern sah ich die leere Stelle des Spaltes, in welcher sich vorher der Baumstumpf befunden hatte.

Nun gab ich mir zunächst Mühe, die pendelnde Bewegung meines Sitzes zu beruhigen. Als mir das gelungen war, band ich mich mit Hilfe des Riemens wieder fest und griff mit der Rechten nach dem Seile, an welchem der Sendador hing. Dieser war still geworden; er hatte die Besinnung wieder verloren, und das war mir sehr lieb. Ich winkte nach oben, um sein Seil anziehen zu lassen. Man that es; er kam vor mir zu hängen; ich zog ihn zu mir heran, hielt ihn fest und gab das Zeichen, an allen drei Seilen gleichmäßig zu ziehen.

Das war eine schreckliche Auffahrt. Wir schwankten hin und her; wir wurden um unsere eigene Achse gedreht. Ich hatte die Arme nicht frei und konnte mich nur der Füße bedienen, mich vom Felsen abzuhalten. Es gelang mir nicht stets.- ich wurde öfters gegen denselben geschleudert und gab mir die größte Mühe, daß nicht der Sendador, sondern ich diese Karambolagen auszuhalten hatte. Ich fühlte mich wie gerädert und zertreten, als wir endlich oben an der Felsenkante anlangten. Aber ich war noch nicht in Sicherheit. Zunächst galt es, den Besinnungslosen über dieselbe hinweg zu bringen. Ich stemmte mich mit den Füßen gegen den Felsen, hielt mich von demselben ab, nahm den Sendador bei den Schenkeln und hob; die andern zogen; es gelang. Dann stellte ich mich auf den Sitz; man zog vorsichtig an; ich gab erst die eine, dann die andere Hand über die Kante hinüber; man ergriff sie; man zog rascher, ein kräftiger Ruck von oben, ein Schwung meinerseits mit den Beinen – ich befand mich auf der Felsenplatte und knickte zusammen. Ich hörte Töne wie von Posaunen und Tubahörnern und verlor die Besinnung; der Körper vermochte dem Willen nicht mehr zu gehorchen.

Als ich erwachte, lag ich mit dem Kopfe im Schoße des Bruder Jaguar. Er sah, daß ich die Augen öffnete, stieß einen Jubellaut aus, hob meinen Kopf empor und küßte mich auf Stirn, Mund und Wangen, nicht darauf achtend, daß seine Freudenthränen mir das Gesicht befeuchteten.

„Sie leben! Sie leben!“ rief er dabei. „Dem Allgütigen sei dank! Welch ein Unternehmen ist das gewesen! Nie, niemals wieder werde ich in so etwas willigen! Ich sah den Stumpf zur Tiefe stürzen und Sie an einer Hand am Seile bangen. Es war fürchterlich!“

Er legte die Hände über die Augen und schluchzte laut; er, der starke, vielerfahrene Mann! Auch die andern waren tief ergriffen und hatten Thränen in den Augen. Der Yerbatero umarmte mich, als ich mich erhoben hatte; ich wurde, sozusagen, von einer Brust an die andere genommen. Zuletzt drückte mich Pena an das Herz und sagte im Tone der tiefsten Ergriffenheit:

„Sennor, ich bin oft, sehr oft hart und ungerecht gegen Sie gewesen; ich werde es nicht wieder thun. Können Sie mir verzeihen?“

Ich verzieh nur gar zu gern; ich hatte ja nicht weniger Fehler begangen als er, und jetzt, da ich die Liebe dieser braven Leute so deutlich sah, mußte ich mir aufrichtig sagen, daß mein Verhalten gegen sie nicht immer ein vorwurfsfreies gewesen war.

Die Chiriguanos hatten von fern gestanden. Jetzt trat ihr Anführer zu mir heran, bot mir seine Hand und sagte:

„Nicht wahr, Herr! der Sendador hatte es schlimm mit Ihnen vor, hat Ihnen sogar nach dem Leben getrachtet?“

„Allerdings.“

„Und Sie haben Ihr Leben gewagt, um ihn, wenn auch nur seinen Körper, zu retten! Das haben Sie gethan, weil Sie ein Christ sind, welcher Böses mit Gutem vergilt. Wir sind Ihre Feinde, auch die Feinde der Tobas gewesen; aber von nun an soll es anders sein. Von jetzt an soll Friede und Freundschaft herrschen zwischen ihnen und uns; ich wünsche das und bitte Sie, bei ihnen für uns zu sprechen. Ihre und eure Feinde sollen von jetzt an auch die unserigen sein.“

„Diesen Wunsch werde ich euch erfüllen, und ich bin überzeugt, daß sie gern auf denselben eingehen werden.“

Dies war wieder einmal ein Beweis, daß das Beispiel mehr und besser wirkt als alle Lehren und Worte, denen die wirkliche That mangelt. Freilich war ich nicht in der Stimmung und Lage, augenblicklich eine große Versöhnungsrede halten zu können. Mein ganzer Körper schmerzte mich; ich bedurfte der Ruhe; aber ich sah den Sendador liegen und durfte nicht an mich, sondern mußte zunächst an ihn denken. Man hatte sich nur mit mir beschäftigt und ihn einstweilen unbeachtet gelassen. Er war noch ohne Besinnung. Als wir ihn untersuchten, zeigte es sich, daß der Aststummel ihm doch in den Rücken gedrungen war. Es war eine böse, jedenfalls außerordentlich schmerzhafte, wenn auch keine lebensgefährliche Wunde. Dennoch erschien mir sein Zustand als sehr bedenklich. Er lag mit halb geöffneten, verdrehten Augen da; sein Mund stand so weit auf, daß man die Zunge sehen konnte, und er röchelte, als ob ihm jeden Augenblick der Atem versagen wolle.

„Das kann doch nicht nur von der Rückenwunde sein,“ meinte der Bruder. „Er muß noch eine andere Verletzung davongetragen haben.“

„Das ist sehr leicht möglich,“ antwortete ich. „Denken Sie sich den Sturz, wenigstens siebzig Fuß in die Tiefe, und den Ruck, den es gegeben hat, als er von dem Stumpfe ergriffen und aufgehalten worden ist. Wäre sein Gürtel nicht so fest gewesen, so hätte der Ast ihm den ganzen Rücken aufgerissen. Das hat eine innerliche Erschütterung gegeben, welche seinen Tod auch ohne alle äußere Verletzung zur Folge haben kann.“

„Wollte Gott, er kehrte ins Bewußtsein zurück und dabei zur Einsicht seiner Sünden! Wollen versuchen, ihn aufzuwecken.“

Unsere Bemühungen waren nicht vergeblich. Zwar ging der Atem noch so schwer wie vorher, aber die Lider öffneten sich vollends; die Augen bekamen Leben und gingen mit einem bewußten Blicke in unserem Kreise von einem zum andern herum. Der Bruder ließ sich neben ihm nieder und sagte:

„Geronimo Sabuco, sind Sie zu sich gekommen? Erkennen Sie uns?“

Der Gefragte hatte versprochen, daß er alles bekennen wolle; ich erwartete, wenn auch keine freundliche, so doch auch keine direkt feindliche Antwort; aber als seine Lippen sich öffneten, kam es zischend zwischen denselben hervor:

„Fort! Gehe zum Teufel!“

„Sprechen Sie nicht so! Vielleicht ist der Tod Ihnen nahe. Schließen Sie Ihre Rechnung mit dem Leben ab und denken Sie nur allein an Gott!“

„Ich sterbe nicht!“

„Wenn Sie auch nicht infolge des fürchterlichen Absturzes sterben, so müssen Sie doch bedenken, daß Ihr Tod eine beschlossene Sache ist. Sie sind dem Gesetze der Pampa verfallen.“

Da richtete der Sendador sich in sitzende Stellung und fragte mit gurgelnder Stimme:

„Wer von euch wagt es, mich zu richten? Dieser Hund von Gomarra ist tot; er ist selbst schuld an seinem Untergange. Kein anderer darf mit mir rechten. Wenn ihr mich tötet, bekommt ihr die Kipus nicht!“

„Sie irren,“ entgegnete ich. „Sie lachten mich zwar aus, als ich Ihnen sagte, daß ich nach Ihren Spuren suchen würde; ich habe es aber doch gethan und weiß nun, wo sich die Knotenschrift befindet.“

„Wo?“ fragte er höhnisch.

„Sie haben uns schon einmal verhöhnt, weil wir nicht sorgfältig gesucht hatten; diesen Fehler begehen wir nicht zum zweiten Male. Ich weiß jetzt genau, was Sie mit der Flasche vorgenommen haben. Sie nahmen die Kipus heraus, füllten sie mit Sand und warfen sie in den See; die Kipus aber nähten Sie in Ihr Gewand ein. Wir werden sie jetzt finden.“

Der Ausdruck seines Gesichtes wurde ein anderer, der Hohn verschwand; es flog eine Angst über die verwetterten Züge. Er griff mit der linken Hand unwillkürlich nach der rechten Brustseite und rief:

„Das träumen Sie. Unter den gegebenen Umständen wäre es Wahnsinn von mir, die Schnüre bei mir zu tragen.“

„Wenn auch nicht Wahnsinn, aber doch Unvorsichtigkeit. Und unvorsichtig sind Sie gewesen, sogar eben jetzt wieder, denn Sie haben mir mit Ihrer eigenen Hand gezeigt, wo die Kipus sich befinden, nämlich auf Ihrer rechten Brust.“

Als ich jetzt nach der angegebenen Stelle greifen wollte, stieß er meine Hand von sich und schrie:

„Es ist nicht wahr; es ist nicht wahr! Sie täuschen sich vollständig. Lassen Sie mich; rühren Sie mich nicht an!“

„Wehren Sie sich nicht, sonst muß ich Gewalt anwenden!“

„Wagen Sie es; die Schnüre gehören nicht Ihnen; Sie haben kein Recht auf dieselben!“

„Sie noch viel weniger, denn Sie haben sich durch einen Mord in den Besitz derselben gebracht. Geben Sie sie freiwillig her?“

„Nein, und wieder nein!“

„So haben Sie es sich selbst zuzuschreiben, wenn wir Ihnen trotz Ihrer Verletzungen wehe thun.“

Er wurde auf meinen Wink von einigen Yerbateros festgehalten und ich untersuchte seine Kleidungsstücke genau. Er wollte sich wehren, mußte aber den Versuch aufgeben. Es war so, wie ich vermutet hatte; ich fand das Gesuchte auf der rechten Brustseite zwischen dem Futter. Es waren drei Kipus, jeder aus einer Haupt- und wenigstens dreißig Nebenschnuren bestehend. Der Sendador lag wieder lang ausgestreckt und atmete mühsam. Der Widerstand hatte ihn angegriffen. Er wollte sich wohl in lauten Verwünschungen oder Drohungen ergehen, brachte aber nur ein heiseres, häßliches Gemurmel fertig.

Die andern hatten noch niemals Kipus gesehen. Die Schnuren gingen von Hand zu Hand.

„Und das sollen Buchstaben und Silben sein?“ fragte mich Pena.

„Nein, sondern nur Zeichen. Das Wort Kipus oder eigentlich Khipus gehört der Khetsuasprache an und heißt so viel wie Knoten. Jeder Kipus besteht aus einer starken Hauptschnur, an welche verschiedenfarbige dünnere Nebenschnuren verschiedenartig angeknotet sind. Jede Farbe und jede Knotenart hat eine besondere Bedeutung.“

„Und Sie können das entziffern?“

„Ich will es versuchen. Übrigens sind die Kipus höchst ungenügende Gedächtnisbehelfe, und eigentlich ist zu jeder Schnur ein mündlicher Kommentar notwendig, wenn man ihre Bedeutung verstehen will.“

Der Sendador hatte diese Erklärung mit Aufmerksamkeit verfolgt. Jetzt zuckte es wie Schadenfreude über sein Gesicht, und er rief aus:

„Das ist gut! Eine mündliche Erklärung! Die haben Sie nicht. Folglich können Sie diese Schnuren nicht lesen!“

„Jubeln Sie nicht zu früh. Wenn ich von einem mündlichen Kommentare sprach, so meine ich nur, daß man wissen muß, wovon die Kipus handeln.“

„Und das wissen Sie?“

„Natürlich! Diese Schnuren handeln selbstverständlich von dem vergrabenen Schatze. Selbst der beste Entzifferer würde, wenn er das nicht wüßte, sich ganz vergeblich abmühen. Nun ich es aber weiß, bedarf es keiner ungeheuern Gelehrsamkeit, die Knoten zu enträtseln.“

„So versuchen Sie es doch!“

Er sah mir mit großer Spannung in das Gesicht. Vielleicht dachte er, ich würde mich verleiten lassen, sofort Auskunft zu geben.

„Ich werde es versuchen,“ antwortete ich der Wahrheit gemäß, „aber ich glaube nicht, daß es mir gelingen wird. Die Farben sind zerstört; ich bin kein Chemiker, und diese Knoten bedürfen jedenfalls der aufmerksamsten chemischen Behandlung, wenn die Farben wieder sichtbar werden sollen.“

Grazias à Dios! Sie werden also nichts entziffern können! Der Raub, welchen Sie an mir begangen haben, wird Ihnen also keine Früchte bringen!“

„Das beabsichtigte ich auch gar nicht. Der Vorteil sollte nur denjenigen zufallen, welche ein Recht auf denselben haben. Zu diesen Leuten gehören Sie freilich nicht. Übrigens werde ich auf alle Fälle dafür sorgen, daß diese Kipus in sach- und fachkundige Hände gelangen. Die Farben sind jedenfalls wieder sichtbar zu machen, und die Schnuren werden also gelesen werden.“

„Und was nutzt es, wenn sie gelesen werden? Nichts, gar nichts! Mögen tausend Gelehrte sie entziffern, einen Vorteil wird es doch erst dann bringen, wenn ich einverstanden bin.“

„Sie? Sie werden nicht gefragt!“

„So wird man nichts finden, denn die Hauptsache habt Ihr doch noch nicht; die Pläne sind noch in meinem Besitze.“

„Ah, ja, die Pläne!“ entfuhr es mir.

„Ja, die Pläne!“ lachte er schadenfroh. „Die habe ich, sogar in mehreren Exemplaren, die ich anfertigen ließ, falls das Original verloren gehen sollte.“

„Nun, ein solches Exemplar wird sich wohl auch noch finden lassen!“ meinte ich ruhig.

„Wo denn? Bei wem denn? Gebt mich frei, so sollt Ihr es haben!“

„Nein. Habe ich die Kipus gefunden, so werde ich auch die Zeichnung finden.“

Er warf mir einen langen, unbeschreiblichen Blick aus den halb geschlossenen Augen zu. Es war gewiß, daß ihn nur die Aufregung beim Bewußtsein erhielt. Er kämpfte mit bewunderungswürdiger Selbstbeherrschung seine Schmerzen nieder.

„Ein Teufel bist du!“ knirschte er. „Aber du sollst nicht siegen, denn wisse –“ er richtete sich wieder halb auf und fügte mit dem Ausdrucke des grimmigsten Hasses hinzu: „Die Rache kommt; dein Ende ist nahe, näher als du denkst!“

„Wollen Sie mir bange machen, mich einschüchtern? Das gelingt Ihnen nicht.“

„So halte die Hoffnung fest; aber sie wird dich betrügen, schnell, plötzlich und unerwartet. Gibst – du – mich – – frei?“

Er brachte diese Frage nur mit größter Anstrengung hervor.

„Nein,“ antwortete ich. „Gomarra ist tot, und wir andern sind nicht so blutdürstig, wie er war. Wir werden dich nicht töten, sondern, falls du deinen Verletzungen nicht erliegst, dich den Gerichten übergeben.“

„Ver – suche – es!“ hohnlachte er, kaum noch im stande, den Oberkörper aufrecht zu erhalten. Die Augen fielen ihm zu. „Die Zeichnung ist – ist in sichern – in sichern Händen.“ Er fiel nach hinten, stützte sich aber noch auf den unverletzten linken Arm und fuhr mit nach und nach erlöschender Stimme fort: „Der Rächer kommt – er ist – wohl schon – da. Droben an – an der Roca de la Ventana – dort holt – er die Zeichnung. Er bringt – bringt sie her, und – und wehe – wehe dir, wenn -wenn er dich – dich – hier – trifft!“

Er sank vollends nieder. Seine Lippen schlossen sich; seine Wangen fielen ein; er hatte ganz das Aussehen eines Toten.

„Entsetzlich!“ klagte der Bruder, welcher die drei Kipus, welche er aufmerksam betrachtet hatte, noch immer in den Händen hielt.

„Er geht in seinen Sünden hinüber. Er will nicht bereuen und bekennen. Ist er tot?“

„Nein,“ antwortete ich, indem ich den Puls des Sendadors untersuchte. „Entweder sind seine Verletzungen nicht zum Tode, oder seine Natur ist so stark, daß sie nur nach langem Kampfe unterliegt.“

„Wollen ihn verbinden.“

„Warten wir noch. Seine Wunden bluten nicht. Ich möchte ihn nicht stören. Vielleicht sammelt er noch einmal seine Kräfte; es widerstrebt mir, die Hoffnung aufzugeben, daß er doch noch zur bessern Erkenntnis kommt. Übrigens ist das, was er sagte, höchst wichtig. Er sprach von jemandem, der die Zeichnung holt.“

„Ja, von der Roca de la Ventana.“

„Der Felsen des Fensters. Wo mag das sein?“

„Ich weiß es,“ antwortete Pena. „Der Roca de la Ventana ist eine dünne, alleinstehende Felsenwand, in welcher sich eine viereckige, fensterähnliche Öffnung befindet.“

„Wo?“

„Eine halbe Tagereise aufwärts von hier.“

„Ob er die Zeichnung dort versteckt hatte?“

„Jedenfalls.“

„Aber dann muß derjenige, welchen er beauftragt hat, sie zu holen, sein ganzes Vertrauen besitzen. Wie erfahren wir, wer das ist und wo – ah, das müssen doch die Chiriguanos wissen!“

Ich gab dem Häuptling einen Wink und fragte ihn, als er herbeigekommen war:

„Ist den Chiriguanos ein Felsen bekannt, welcher die Roca de la Ventana: heißt?“

„Ja, Herr, sehr gut,“ antwortete er.

„Hat der Sendador jemand dorthin geschickt?“

„Ja, seinen Sohn.“

„Ah! Seinen Sohn! Er hat also nicht nur einen Schwiegersohn, sondern auch einen wirklichen Sohn? Das wußte ich nicht. Wo mag er mit ihm zusammengetroffen sein? Ist dieser Sohn allein hinauf nach der Roca de la Ventana?“

„O nein; es sind fünfzehn meiner Leute mit.“

„Fünfzehn? Das müßte ich doch euern Spuren angesehen haben!“

„Vielleicht seid Ihr zu spät auf unsere Fährte gestoßen. Der Sohn des Sendador hat sich schon vorgestern von uns getrennt, weil uns das Fleisch ausging und zwei kleine Abteilungen sich leichter verproviantieren können als eine große.“

„Wann wollte er hier ankommen?“

„Spätestens heute am Abend.“

„Ah, das ist gefährlich; da gilt es aufzupassen. Die Roca de la Ventana liegt von hier aufwärts, also haben wir ihn von oben herab zu erwarten?“

„Nein, Herr. Von hier aufwärts ist die Roca nur unter großen Beschwerden zu erreichen. Leichter kommt man hin von da unten aus.“ Er deutete auf den See hinab und dann nach der Felsenenge, aus welcher wir gekommen waren. „Man reitet dort hinein, euern Weg zurück, und wendet sich später nach Westen in die Berge hinein.“

„Also kommt der Sohn des Sendadors dort unten heraus?“

„Jedenfalls.“

„Und wir können ihn heute abend, vielleicht schon jetzt erwarten? Da fällt mir ein, als ich vorhin unten in der Felsenritze stand, erblickte ich zwei Indianer, welche am Eingange standen und dann rasch verschwanden. Ich hielt sie für Eure Wächter.“

Der Häuptling sah einige Augenblicke nachdenklich vor sich nieder und meinte dann:

„Herr, ich habe gesagt, daß ich wünsche, euer Freund zu sein; ich will Ihnen jetzt beweisen, daß ich es mit diesem Wunsche ehrlich meine. Wäre das nicht der Fall, so könnte ich euch jetzt verderben.“

„Über Ihre Ehrlichkeit freue ich mich, aber uns verderben, das brächtet ihr nicht fertig, denn was Sie mir sagen wollen, das habe ich schon selbst erraten.“

„Wohl schwerlich!“

„Doch! Der Sohn des Sendador ist zurückgekehrt. Er ist zu Pferde, hat aber der Sicherheit halber, weil er weiß, daß sein Vater unsere Annäherung erwartet, zwei Späher zu Fuß vorausgesandt. Diese waren es, welche ich bemerkte. Sie haben auch mich erblickt; ebenso haben sie unsere Pferde gesehen, welche noch jetzt unten am Felsen stehen. Sie werden also zurückgeeilt sein, um ihm zu melden, daß wir hier sind und seinen Vater überwältigt haben.“

„Herr, Sie verstehen es, meine Gedanken zu lesen!“ sagte er erstaunt.

„Pah! Zu dem, was ich bis jetzt gesagt habe, gehört gar kein Scharfsinn. Die Hauptsache ist, zu wissen, daß der Sohn des Sendadors die Absicht haben wird, seinen Vater zu unterstützen. Das kann er an dem Wege am See vorüber nicht thun, denn da unsere Pferde sich da unten befinden, muß er uns auch dort vermuten; er wird also durch die Höhlung kommen, durch welche ihr von meinen Tobas umgangen worden seid.“

„Davon bin ich auch überzeugt.“

„Ich werde diesen Weg also besetzen lassen. Sennor Pena, nehmen Sie fünf Tobas, welche als Späher vollständig genügen, und gehen Sie da über die Böschung zurück, UM – –“

Ich hatte mich nach der betreffenden Richtung gewendet, um Pena mit der Hand anzudeuten, wohin er mit den Indianern gehen solle, und hielt mitten in meiner Rede inne, denn da oben auf der Böschung erschien soeben ein bis an die Zähne bewaffneter Mensch, hinter welchem über ein Dutzend Rote auftauchten. Er überflog mit einem schnellen Blicke das Plateau; er sah die Chiriguanos entwaffnet und den Sendador gebunden am Boden liegen.

Mira, que desverguenza!“ rief er aus. „Drauf auf diese Hunde!“

Er mochte den Steuermann wegen seiner Riesengestalt für den Anführer oder für den gefährlichsten von uns halten, denn er schoß den einen Lauf seines Gewehres auf diesen, den andern auf Pena ab, aber ohne zu treffen; dann drehte er die Flinte um und wollte sich mit dem Kolben auf uns stürzen. Aber er kam nicht weit. Er glaubte, die zu ihm gehörenden Chiriguanos würden ihm folgen; ja, sie folgten ihm, aber aus einem ganz andern Grunde, als er meinte. Der Häuptling rief ihnen in ihrer Sprache einige schnelle Worte zu, worauf sie, anstatt den Weißen zu unterstützen, hinter ihm hersprangen und ihn ergriffen. Ebenso rasch waren die Tobas und andern Chiriguanos zur Hand, und so sah sich der Angreifer entwaffnet, ehe er im stande gewesen war, einen einzigen Hieb mit dem Gewehr zu thun. Er war so verständig, oder wohl auch listig genug, keinen unnützen Widerstand zu leisten; darum wurde er nicht gebunden, sondern nur in die Mitte des Kreises genommen, welcher sich um ihn bildete. Sein Vater lag nahe neben ihm. Er bückte sich, ohne ein Wort zu sagen, zu ihm nieder, um sich von seinem Zustande zu überzeugen. Als er sich wieder aufrichtete, war sein Gesicht sehr bleich geworden; seine Augen leuchteten, aber seine Stimme klang ruhig und ohne Beben:

„Welcher von Ihnen, Sennores, ist der Deutsche?“

„Jedenfalls meinen Sie mich,“ antwortete ich.

Sein Auge bohrte sich förmlich in das meinige, als er nun fragte:

„Kennen Sie mich?“

„Ich vermute es. Sie sind der Sohn des Sendador.“

„Und Sie, was sind Sie? Soll ich es Ihnen sagen?“

„Ich verzichte. Ich kenne mich so genau, daß mir kein anderer zu sagen braucht, wer oder was ich bin.“

„Und doch muß ich es Ihnen sagen. Sie sind ein schleichendes Tier, ein Jaguar, der nicht von seiner Beute läßt, bis er sie packen und zerfleischen kann, ein Hund, welcher das Wild hetzt und nicht eher ermüdet, bis – –“

Er hielt inne, denn er sah, daß sein Vater die Augen öffnete. Es war, als ob die Stimme des Sohnes den Sendador ins Leben zurückgerufen habe. Sein Blick gewann Glanz und Leben; er flog von einem zum andern, ruhte am längsten auf dem Bruder, welcher die Kipus noch immer in der Hand hielt, und blieb dann auf dem Sohne haften.

„Komm her!“ sagte er zu ihm.

Der Sohn kniete neben ihm nieder.

„Lege dein Ohr an meinen Mund; ich kann nicht mehr laut sprechen.“

Der Sohn gehorchte. Der Alte flüsterte ihm leise Worte zu. Ich hielt es für eine Pflicht der Menschlichkeit, sie gewähren zu lassen, that aber sehr unrecht daran, denn bald sollten wir erfahren, daß es sich um etwas ganz anderes als einen Abschied für immer gehandelt hatte. Der Sohn hörte nur zu; er sprach nicht. Am Schlusse neigte er zustimmend und wie gottergeben den Kopf, gab seinem Vater die Hand und richtete sich wieder auf.

„Herr,“ sagte er zu mir, „ich höre, daß Sie unsere Kipus besitzen. Wissen Sie, daß dieselben ohne die Zeichnung wertlos sind?“

„Das weiß ich nicht und glaube es auch nicht.“

„Ich biete Ihnen die Zeichnung an.“

„Was verlangen Sie dafür?“

„Unsere Freiheit und dazu die Hälfte der Schätze, welche wir finden werden.“

„Das darf ich nicht versprechen, denn die Schätze sind nicht mein Eigentum.“

„So weigern Sie sich?“

„Ja. Auch Ihre Freiheit kann ich Ihnen nicht versprechen. Ihr Vater besonders gehört vor den Richter.“

Er machte das Gesicht eines Mannes, welcher alles verloren sieht und sich in sein Schicksal ergiebt.

„Sie sind grausam, Sennor! Niemand hat Sie zum Richter über uns gesetzt. Blicken Sie hinab in die Tiefe, welche da neben uns gähnt; blicken Sie hinab und sagen Sie mir, ob – – –“

Dieser schlaue Mensch hat kein Wort ohne Absicht gesprochen. Wir alle glaubten, es sei metaphorisch gemeint, und richteten, als er von dem Abgrunde sprach, unsere Augen unwillkürlich der Tiefe zu. Das hatte er beabsichtigt, denn er wollte nach der andern Richtung ausbrechen. Er brach mitten in der Rede ab, riß dem in seiner Nähe stehenden Bruder die Kipus aus der Hand, schlug zwei hinter demselben befindliche Chiriguanos aus einander und sprang dann in weiten Sätzen dem Felsenwege zu, welcher hinab zur Salzlagune führte.

Die meisten waren so überrascht, daß sie gar nicht an eine Verfolgung des Flüchtigen dachten. Ich rief ihnen zu, acht auf den Alten zu haben, und sprang dem jungen nach.

Es kam darauf an, ihn zu verhindern, eins der unten stehenden Pferde zu besteigen. Ich sah ihn ungefähr vierzig Schritte vor mir und war natürlich neugierig, welcher von uns der bessere Läufer sei. An der ersten Krümmung war ich ihm um zehn, an der zweiten um zwanzig Schritte näher gekommen. Als er unten aus dem Felsenwege ins Freie flog, hatte ich ihn nur noch zwölf Schritte vor mir. Er sah es nicht, denn er drehte sich nicht um, sondern er hörte es. Er wollte zu den Pferden, erkannte aber gar wohl, daß ich ihm diesen Plan durchkreuzen werde. Wenn er am Ufer hinrannte, hatte ich ihn binnen einer Minute erwischt, denn ich hörte seinen Atem schnaufend, fast hustenähnlich gehen, während meine Lunge noch so leicht und frei wie vorher arbeitete; er war ein sehr mittelmäßiger Läufer. Es gab für ihn nur eine einzige Chance, nämlich die Salzdecke der Lagune. Wagte ich mich nicht darauf, und war sie stark genug, sein Gewicht zu tragen, so mußte er vor mir das jenseitige Ufer erreichen. In seiner Aufregung und Angst wagte er es und sprang vom festen Ufer auf die Salzkruste. Ich folgte ihm nicht. Ich war über die Salzdecke der tunesischen Schotts, welche hundertmal gefährlicher sind als so eine kleine bolivianische Lagune, nicht nur gelaufen, sondern sogar geritten; ich fürchtete mich nicht, sein Beispiel nachzuahmen, aber ich konnte ihn ja viel billiger haben. Ich eilte zu meinem Pferde, stieg in den Sattel und galoppierte am Ufer hin, um die Lagune herum. Zu Fuße hätte ich ihm den Weg nicht abzuschneiden vermocht, zu Pferde aber war es eine Leichtigkeit.

Indem ich meinem Wege folgte, hielt ich das Auge natürlich auf ihn gerichtet. Wenn er das Salz kannte, war für ihn von Gefahr gar keine Rede. Wie beim Eise, so kennzeichnen sich auch bei so einer Salzkruste die gefährlichen Stellen, welche keine Tragfähigkeit besitzen, durch ihre Farbe. Man muß sie vermeiden. Übrigens besitzt das Salz eine viel größere Elastizität, als man gewöhnlich glaubt.

Zur Regenzeit war die Lagune bis an den Rand mit Wasser gefüllt; nach dieser Zeit verdunstete das Wasser; die Salzdecke senkte sich, und darum war sie am Ufer vielfach geborsten; sie bestand da aus einzelnen Schollen und Stücken, zwischen denen man schmale, teils trockene, teils sumpfige Grundstellen erkennen konnte. Weiter drüben aber gab es Wasser, welches eine zusammenhängende Decke trug.

Der Sohn des Sendador sprang von Scholle zu Scholle; er glitt dabei oft aus, kam aber immer wieder in das Gleichgewicht. Jetzt erreichte er die letzte Scholle. Vor ihm gab es einen vielleicht vier Fuß breiten Wasserstrich, dann begann die feste Decke. Der Sprung über das Wasser war ganz leicht und ungefährlich; er that ihn, brach mit dem einen Fuß drüben ein, stürzte nieder, wälzte sich klugerweise schnell eine Strecke auf der Salzdecke weiter, sprang dann auf und setzte seine Flucht im Galoppe fort. Indessen hatte ich schon eine weite Strecke zurückgelegt. Ich befand mich an der äußersten Stelle der Ufereinbuchtung und wendete mich der andern Seite zu. Das heißt mit andern Worten, ich hatte die Hälfte meines Weges bereits hinter mir, während er noch drei Fünftel des seinigen vor sich hatte. Ich mußte weit eher drüben ankommen als er. Er sah es und hielt inne. Noch trug er die Kipus in der Hand. Hinter ihm standen oder liefen meine Gefährten am Ufer, vor sich hatte er mich; auf diesen beiden Seiten gab es kein Entkommen. Er wendete sich also nach links. Bis jetzt hatte er sich nur auf einer schmalen Bucht befunden; nun eilte er der eigentlichen, zehnmal breiteren Lagune zu. Da gab es drüben kein betretbares Ufer, denn der Salzsee trat bis an die steile Felsenwand. Wer den Flüchtling dort verfolgen wollte, der mußte auf das Salz. Meine Gefährten hüteten sich, dies zu thun; sie blieben halten und eilten nur noch mit ihren Blicken hinter ihm her. Ich jagte hüben am östlichen Ufer hin, welches er hatte erreichen wollen, und er eilte nun auf die Höhe der Lagune hinaus, um sich dann jedenfalls nach dem westlichen Ufer zurückzuwenden, sobald ihm dasselbe eine Stelle bot, welche erklettert werden konnte. Ich hielt mich ihm parallel und war fest entschlossen, ihn nicht entkommen zu lassen. So lange er die gleiche Richtung mit mir behielt, konnte ich ruhig weiter reiten; sobald er sich aber hinüber wendete, war ich bereit, ihm auf das Salz zu folgen, und zwar zu Pferde.

Die Salzkruste hatte eine schöne, helle, weiß glänzende Farbe; sie war fest und trug ganz gewiß einen Reiter, notabene, wenn derselbe sehr schnell, nicht aber langsam ritt. Das Gewicht von Pferd und Mann durfte nur für Augenblicke auf einer und derselben Stelle ruhen. Jetzt sah ich, daß sich im jenseitigen Ufer eine schmale Schlucht öffnete. Er sah es auch, wendete sich nach links und strebte derselben zu. Jetzt konnte er mir entgehen; meine Zeit war gekommen, und ich trieb mein Pferd auf das Salz. Es wollte nicht gehorchen; es schnaubte, bäumte sich, schlug hinten hinaus. Ich gab ihm die Sporen kräftiger, als es sie jemals von mir gefühlt hatte, und unter einem zornigen Wiehern setzte es in einem weiten Bogen auf die glitzernde Decke, sprang von Scholle zu Scholle, über den offenen Wasserstrich hinüber und flog dann im Galoppe über die zusammenhängende, dumpf dröhnende Kruste hin. Von links, wo meine Gefährten standen, erschollen Schreckensrufe. Der Flüchtling hörte es, sah zu ihnen hin, bemerkte, daß sie mir eifrig zuwinkten, und drehte sich nach mir um. Er blieb einige Augenblicke wie erstarrt stehen, als er mich kommen sah, wohl weniger aus Angst um sich, als vielmehr, weil er so einen Ritt gar nicht für möglich hielt. Dann aber rannte er aus Leibeskräften weiter.

Meine ganze Aufmerksamkeit war erst in zweiter Linie auf ihn, in erster aber auf die Farbe des Salzes gerichtet. So lange dieselbe weiß glänzend, krystallinisch schimmernd war, hatte ich wenig oder nichts zu fürchten, viel weniger als ein Fußgänger. Die Schnelligkeit ist’s, welche die Gefahr hinter sich legt, und sinkt ein Fußgänger mit einem Fuße ein, so hat er nur noch einen zweiten Fuß, um sich zu erhalten; sinkt aber der Huf eines Pferdes ein, so besitzt es noch drei Beine, um nicht stecken zu bleiben. Hinter dem Reiter mag die Decke immerhin bersten, wenn sie nur vor ihm noch hält.

So war ich dem jetzt voller Angst Dahinrennenden vielleicht bis auf sechzig Ellen nahe gekommen. Er hatte noch eben so weit bis an die Schlucht. Aber vor ihm nahm das Salz plötzlich eine graubräunliche, wässerige Farbe an.

„Halt, halt!“ schrie ich ihm zu. „Sie brechen ein!“

Er hörte nicht auf mich und rannte weiter. Ich wollte sein Leben erhalten; mochte er mir immerhin entkommen; darum rief ich noch lauter:

„Nach rechts, wo das Salz weiß ist! Das dunkle hält Sie nicht. Um Gotteswillen, Sie sind verloren!“

jetzt gehorchte er und hielt sich weiter rechts; ich kam ihm schneller näher, denn er war ermüdet und hatte keinen Atem mehr. Noch dreißig, noch zwanzig Schritte – er bemerkte es und hielt sich wieder links. In solchen Augenblicken handelt der Mensch mit der Schnelligkeit des Blitzes. Nach der Rettung des Sendadors hatten wir die Lassos wieder von einander gelöst, und ich hatte das meinige, wie gewöhnlich, von der einen Schulter nach der andern Hüfte gerollt, so daß ich es nur über den Kopf hinweg abzunehmen brauchte. Ich schwang es los, hakte den Ring des einen Endes an den Sattelknopf, wand das andere Ende zur Schlinge, nahm mit der Linken die Zügel fest, hob mich in den Steigbügeln empor und schwang mit der Rechten den Riemen im Kreise hoch über dem Kopfe. Der Flüchtling brach mit einem Fuße ein, gewann für kurze Zeit wieder Boden; ich durfte keinen Schritt weiter, denn nur eine kurze Strecke vor mir verlor das Salz die helle Farbe; der Lasso flog durch die Luft; die Schlinge faßte den Mann; in demselben Augenblicke brach er ein. Hätte ich, wie man es auf festem Boden stets thut, scharf wenden und den Riemen anziehen können, so wäre er nicht untergesunken; aber das hätte mir und dem Pferde das Leben gekostet, denn bei einer solchen Wendung auf den Hinterhufen hätten wir uns augenblicklich durch die hier schon weiche Kruste gebohrt. Ich mußte einen, wenn auch kurzen Bogen reiten; dann spannte sich der Riemen an. Das Pferd zog, vergeblich; das Salz hielt den Mann fest; das Pferd zog abermals und fuhr mit einem Hinterhufe durch das Salz. Ich trieb es augenblicklich durch einen Druck des Schenkels zur Seite und riß das Messer aus dem Gürtel; ich mußte den Lasso durchschneiden, um nicht selbst zu verderben. Vorher aber wagte ich das Äußerste; ich gab dem Tiere die Sporen, daß ich später das Blut an den Rädern kleben sah. Das Pferd zog nicht an, sondern es sprang förmlich an – Gott sei Dank, es schoß vorwärts, und der Lasso war fester als die Salzkruste, unter welche der Flüchtling geraten war; er wurde empor- und mit fortgerissen.

Nun durfte ich nicht etwa halten bleiben, um den Mann aufzunehmen. O nein, das wäre mein Untergang gewesen. Ich mußte fort, zurück, und durfte keinen Augenblick halten bleiben. Ich zog ihn am Riemen hinter mir her, ritt aber so langsam wie möglich, um ihn nicht tot zu schleifen, und nahm dabei den Lasso Hand für Hand zu mir ein, so daß der Sohn des Sendador mir immer näher kam. Der Lasso wurde kürzer und kürzer, und es war auch Zeit dazu, da ich den an demselben Hängenden unmöglich über die harten, scharfkantigen Uferschollen schleifen durfte. Noch hatte ich dieselben nicht erreicht, so hing er neben dem Pferde. Ein Griff, ein Schwung, der mich fast aus dem Sattel gerissen hätte, und der Mann lag quer vor mir und war in Sicherheit. Nun noch über die offene Wasserstelle zurück; dann von Scholle zu Scholle an das Ufer. Dort hielten der Bruder und Pena, auch Turnerstick, welche mir nachgeritten waren; sie nahmen mir den Mann ab, und ich stieg von dem Pferde, welches laut schnaubte und am ganzen Körper zitterte; es hatte die Gefahr empfunden, in welcher wir uns befunden hatten.

Während das Erzählte sich abspielte, hatte ich meine Aufmerksamkeit, wenn auch nur für Momente, auch auf anderes richten müssen. Als ich den Lasso warf und der Mann einbrach, ertönte von oben herab ein Schrei, welcher kaum menschlich genannt werden konnte. Den erwähnten Bogen reitend, blickte ich hinauf auf die Felsenplatte und sah die Chiriguanos und Tobas stehen, welche meinen Ritt mit ihren Blicken verfolgten. Ganz vorn, beinahe an der Kante aber stand, hoch aufgerichtet und mit angstvoll emporgehobenen Armen, der Sendador, der kurz vorher noch so schwach gewesen war, daß er sich kaum hatte sitzend aufrichten können. Die Vaterliebe verlieh ihm die Kraft, sich trotz der Fesseln aufrecht zu halten. Und als ich nun vom Pferde gestiegen war und nach oben blickte, sah ich ihn noch ebenso dastehen.

Sein Sohn sah schrecklich aus. Das Wasser hatte ihn nicht hergeben wollen. Bei dem Rucke, mit welchem ich ihn herausgerissen hatte, war sein Gesicht zerschunden und ein Teil seines Anzuges zerfetzt worden. Durch das Schleifen über das Salz war es nicht besser geworden. Der Gürtel fehlte und eine Hälfte der Jacke. Die Hauptsache war, daß er noch lebte. Er kam bald zu sich und gelangte schnell zum Bewußtsein dessen, was geschehen war. Er sah mich lange in sichtbarer Verlegenheit an; dann hielt er mir die Hand hin und sagte:

„Sennor, ohne Sie läge ich jetzt da unten. Sagen Sie, wie ich Ihnen das vergelten kann!“

„Seien Sie brav, und vergelten Sie es nicht mir, sondern denen, welchen Sie bisher übel gethan haben!“

„Das werde ich thun. Aber auch Sie sollen erfahren, daß ich dankbar bin. Ich gebe Ihnen die Kipus zurück.“

Er griff in die Tasche.

„Sie hatten sie in der Hand, als Sie durch das Salz brachen,“ bemerkte ich.

„In der Hand?“ fragte er enttäuscht. „O desdichado de mi! Es ist wahr; so habe ich sie im Wasser gelassen!“

„Und niemand wird sie jemals finden können!“

„Aber die Zeichnung, die Zeichnung, wenn Sie die haben, so – – wo ist mein Gürtel?“

„Auch im Wasser.“

„O Himmel! Ich hatte die Zeichnung da eingeschlagen.“

„So ist sie auch fort?“

„Auch fort, verloren! Was thun wir? Sie müssen sie haben. Ich muß sie schaffen; ich gehe wieder hinüber!“

Er sprang auf, um sich abermals auf das Salz zu begeben.

„Bleiben Sie!“ gebot ich ihm. „Sie erreichen nichts, wenigstens Sie allein. Die einzige Möglichkeit des Gelingens ist dann vorhanden, wenn wir alle unsere Bemühungen vereinigen. Wir müßten das Salz entfernen und dann suchen. Dazu gehören Boote und Werkzeuge, welche wir nicht besitzen. Vielleicht kommt uns ein Rat, ein guter Gedanke. Wir werden überlegen. Jetzt aber kommen Sie mit uns zu Ihrem Vater!“

Er weigerte sich nicht und ging mit uns, ohne daß es uns einfiel, ihn zu binden. Wir hatten die Überzeugung, daß er uns nicht wieder entfliehen werde. Was meine Gefährten zu meinem Wagnisse, zu Pferde auf das Salz zu gehen, sagten, das braucht nicht berichtet zu werden. Es war keineswegs eine Heldenthat, sondern höchstens ein kleines Wagnis, wie jeder es einmal unternimmt. Als wir oben auf der Felsenplatte angekommen waren, warfen die Chiriguanos und Tobas mir Blicke zu, welche mir deutlich zeigten, wie ich ihnen imponierte. Ein wenig Mut, und man erwirbt die Achtung dieser Leute leicht.

Der Sendador hatte sich wieder niedergesetzt. Seine Augen leuchteten, ob vor Freude oder in der Glut des Fiebers, das war schwer zu sagen. Er reichte seinem Sohne die Hand, zog ihn neben sich nieder und ließ ihn erzählen. Wir traten zurück, denn es war uns jetzt nicht mehr von Wichtigkeit, zu hören, was er mit seinem Sohne sprach. ich war vollständig überzeugt, daß er nun doppelt über mich ergrimmt sei, da ich seinen Sohn fast in den Tod getrieben, sein Entkommen verhindert hatte und auch an dem Verluste der Kipus und Pläne die Schuld trug.

Dieser Verlust ging uns allen sehr nahe. Mancher von uns hatte doch wohl im stillen die Hoffnung gehegt, daß das Auffinden des Versteckes ihm Vorteil bringen werde.

Wie erstaunte ich, als der Sendador mich und den Bruder zu sich rief und uns in einem Tone, den wir bei ihm gar nicht für möglich gehalten hätten, sagte:

„Sennores, als ich meinen Sohn versinken sah, ist mir das Herz gebrochen. Mit einemmal sah ich, was für ein Mensch ich gewesen bin. Sie glauben, mich zu kennen, aber Sie kennen mich nicht. Ich weiß, daß ich sterbe. Ich will vorher mein Herz erleichtern, indem ich Ihnen alles, was ich begangen habe, erzähle. Hören Sie meinen Lebenslauf!“

„Nein,“ wehrte ich ab. „Hat die Vorsehung Ihren Tod beschlossen, so gehören Ihre letzten Stunden oder Augenblicke nicht mir und andern profanen Personen, sondern Gott. Hier ist unser guter und frommer Frater Hilario. Vertrauen Sie ihm, was Ihr Herz beschwert, und Sie werden von ihm den rechten Trost erhalten“

„Sie haben recht. Aber sagen Sie mir, ob Sie mir verzeihen!“

„Von ganzem Herzen.“

„Was werden Sie mit meinem Sohne thun?“

„Nichts. Er mag gehen, wohin er will. Ich hoffe, er wird nie vergessen, hier den Beweis erhalten zu haben, daß Gott gerecht, doch auch unendlich gnädig ist! Ich hatte nur mit Ihnen zu thun und bin nicht sein Richter.“

„Dann komm her, mein Sohn; gieb mir deine Hand, und höre, was ich dir sage! Es ist entsetzlich, wenn ein Vater zu seinem Kinde so reden muß, wie ich jetzt zu dir; aber ich habe vor dir und mit dir gesündigt und dich den Weg des Verbrechens geführt; meine Reue kann mir die Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit erwecken, nicht aber vermag sie, an den Menschen gut zu machen, was wir an ihnen verbrochen haben. Dieses Letztere soll deine Aufgabe sein. Willst du mir diesen meinen letzten irdischen Wunsch erfüllen?“

Er war ein großer, verstockter, ja frecher Sünder gewesen, aber wie ich ihn jetzt sprechen hörte, gingen mir seine Worte tief zu Herzen. Die Todesangst um seinen Sohn hatte wirklich die harte, unzerstörbar scheinende Rinde gebrochen. Er sprach nicht zusammenhängend, sondern langsam, mühsam und mit vielen Pausen, denn der Atem versagte ihm. Er hatte sich jedenfalls im Innern Schaden gethan, und die Anstrengung, mit welcher er seine großen körperlichen Schmerzen bekämpfte, trieb ihm den Schweiß in großen Tropfen auf die Stirn. Seine Stimme klang trotzdem mild, wie diejenige einer liebevollen Mutter. Ja, es war wahr, wäre er nicht auf die Wege des Verbrechens geraten, welch ein Mann, Gatte und Vater hätte aus ihm werden können! In dieser Weise hatte er wohl noch nie zu seinem Sohne gesprochen, und darum machten seine Worte einen tiefen, tiefen Eindruck auf denselben. Die Lippen des jungen Mannes zitterten; er konnte nicht sprechen; er antwortete dadurch, daß er sein Haupt zustimmend neigte und die Hand des Vaters drückte.

„Du bist reich,“ fuhr dieser fort. „Du weißt, wo unsere Habe verborgen liegt; aber du weißt auch, daß sie nicht auf ehrliche Weise unser Eigentum geworden ist. Gieb sie denen wieder, denen wir sie abgenommen haben! Und willst du zu meiner Seligkeit beitragen, indem du den Zorn Gottes in Barmherzigkeit verwandelst, so gehe fortan nur die Wege der Gerechtigkeit, von denen ich dich fern gehalten habe. Ich glaube nun an die ewige Liebe und Gnade; ich Weiß, daß Gott mir vergeben kann; aber sollte ich zu den Verlorenen gezählt werden, so werde ich die Strafe leichter tragen, wenn ich dich einst unter den Seligen erkenne. Jetzt sage mir aufrichtig und ohne alle Schonung, ob du besser werden willst, als dein Vater, der dein Verführer war, gewesen ist!“

Er sah seinem Sohne angstvoll in die Augen. Dieser war überwältigt; er drückte ihn an sich, küßte ihn und antwortete unter strömenden Thränen:

„Du weißt, daß ich oft nicht gern gethan habe, was du von mir verlangtest. Als da unten in der Lagune die Flut über mir zusammenschlug, leuchtete es in mir auf, nur einen Augenblick, dann verlor ich die Besinnung; aber es war ein Augenblick großer, heller Einsicht, daß ich nicht zu leben verdiente. Von jetzt an aber will ich es verdienen. Ich verspreche, ich schwöre es dir!“

Über das Gesicht des Alten breitete es sich wie eine tiefe, innige Freude. Er drückte die Hand des Sohnes und bat ihn:

„Ich kenne dich und weiß, daß du Wort halten wirst. Jetzt gehe! Ich muß mit dem Bruder sprechen.“

Auch ich ging, glücklich in dem Gedanken, daß jetzt ein verlorener und vollständig aufgegebener Sohn im Begriffe stehe, zum Vater zurückzukehren. Es war mir zu Mute, als ob ich mich in einem Dome befände und vor dem Heiligtume kniete. Darum wollte es mit meiner Stimmung wenig harmonieren, als mich die andern wegen der verloren gegangenen Kipus in Beschlag nahmen; doch konnte ich mich ihnen nicht entziehen. Es wurde beschlossen, genau nachzusehen, ob sie nicht vielleicht auf der Salzdecke zu finden seien. Sie konnten der Hand des jungen Sabuco entfallen sein, bevor er einbrach. Und ebenso konnte auch der Gürtel sich auf dem Salze finden.

Wir stiegen hinab. Der Bruder blieb mit dem Sendador allein, um ihn zu trösten. Der junge Sabuco erklärte sich bereit, nochmals auf die Lagune zu gehen; ich war gewillt, ihn zu begleiten, und Pena machte das Wagnis mit. Es war vergebens; wir sahen die gesuchten Gegenstände nicht und mußten auch einsehen, daß unter den gegebenen Umständen ein Nachforschen unter dem Salze eine Unmöglichkeit sei. Wir sahen uns gezwungen, auf den Schatz der Inkas für immer zu verzichten. Pah! Es giebt Schätze, welche wertvoller sind und weder von dem Roste gefressen, noch von den Motten verzehrt werden.

jetzt fanden sich die Chiriguanowachen, welche sich entfernt hatten, wieder zu uns. Sie hatten uns beobachtet und dabei erkannt, daß nichts für sie zu befürchten sei. Wir nahmen uns mit Absicht Zeit und kamen erst nach zwei Stunden wieder oben auf der Felsenplatte an. Der Sendador schlief; der Bruder saß bei ihm. Als ich dem letzteren einen fragenden Blick zuwarf, sagte er in seiner freundlich ernsten Weise:

„Er bereut in Wahrheit, und Gott zürnt nicht ewig.“

Man sah es dem Schlafenden an, daß es mit ihm zur Rüste ging. Der Tod schrieb ihm seine Zeichen in das Gesicht. Wir setzten uns in der Nähe hin und sprachen leise miteinander. Nach einiger Zeit erwachte er und verlangte mit matter Stimme nach seinem Sohne.

„Vergieb mir; halte dein Wort, und sei fromm!“ stieß er leise und mit vieler Mühe hervor.

Wir beteten. Die Indianer folgten unserm Beispiele. Nach einiger Zeit flüsterte er, nach dem Grabe des Ermordeten winkend:

„Dort liegt Juan Gomarra. Tragt auch seinen Bruder herauf! Bei ihnen will ich liegen, damit mir leichter vergeben werde.“

Lange lag er mit geschlossenen Augen, rechts die Hand des Bruders und links diejenige seines Sohnes haltend. Dann richtete er sich noch einmal empor, und sank tot zurück. Wahrlich, der Augenblick, an welchem ein Mensch von hinnen scheidet, ist ein großer, ein heiliger Augenblick! Und ob er noch so schwer gefehlt habe, niemand ist Richter als Gott, der Herr, allein! – – –

Die Gesellschaft schlief am Abende unten an der Lagune. Der Bruder, der Sohn des Sendador und ich hielten oben die Leichenwache, und am andern Morgen wurden die Toten, auch die gefallenen Chiriguanos, mit der Feierlichkeit begraben, welche unter den obwaltenden Verhältnissen möglich war. Dann verließen wir die Pampa de Salinas. Vielleicht gab es nur einen einzigen, welcher im stillen unzufrieden darüber war, daß der Sendador sich seiner Rache durch den Tod entzogen hatte – Pena, welcher nur sehr schwer zu vergessen vermochte. –

Uns allen war vollständig unbekannt gewesen, daß der Sendador einen Sohn gehabt hatte. Daß dieser an den Thaten seines Vaters beteiligt gewesen war, das wußten wir nun, aber weiter nichts, weiter garnichts von ihm; er war uns ein Rätsel, welches wir gar zu gern gelöst hätten, doch widersprach es meinem Gefühle, ihn, als er uns auf dem Rückwege begleitete, nach seiner Vergangenheit zu fragen. Die andern aber waren in dieser Beziehung weniger zart als ich, und schon beim ersten Nachtlager wendete sich Pena mit einer darauf bezüglichen Erkundigung an ihn. Er dachte eine kleine Weile nach und antwortete dann in ernstem Tone:

„Sennores, ich bitte Sie sehr, mir dieses eine Geheimnis zu lassen; die Mitteilung desselben kann weder Ihnen etwas nützen noch an dem Geschehenen das geringste ändern. Keiner von Ihnen hat einen Vorteil davon, wenn ich mein plötzliches Erscheinen bei der Pampa de Salinas erkläre. Ich habe viel, sehr viel Unrecht gethan, und mein Leben wird von jetzt an der Sühne meiner Thaten und derjenigen meines Vaters gewidmet sein. Ich werde mich dahin begeben, wo der Sendador lebte, und dort das, was er beging, möglichst gut zu machen suchen. Das mag Ihnen genügen!“

Es fragte ihn keiner wieder. Am Rio Salado trennten wir uns von den Tobas und Chiriguanos; er ritt mit ihnen weiter. –

In Tucuman trafen wir den alten Desierto, der jetzt wieder jung geworden zu sein schien, mit Unica und ihrem Adolfo Horno. Monteso verabschiedete sich da mit seinen Yerbateros von uns, um nach den erlebten Abenteuern seinem Berufe wieder nachzugehen.

Nicht weit von einer Hauptstadt Mitteldeutschlands liegt ein Rittergut, dessen Namen nicht genannt zu werden braucht. Es gehört dem Desierto, und da wohnt auch Adolf Horn mit seinem Weibchen, die seine Universalerben sind. Wenn sie einmal von vergangenen Zeiten und frühern Erlebnissen sprechen wollen, so lassen sie anspannen und fahren nach der Stadt, um an einem schönen Hause der Schloßstraße auszusteigen. Der Eigentümer desselben ist der Rentier Kummer, einst Sennor Pena genannt, dessen Nichte ihm die Wirtschaft führt. Dann sitzen alle die Genannten traulich beisammen und freuen sich der ruhigen, glücklichen Gegenwart, die ihnen nach so langen Kämpfen gern und wohl zu gönnen ist.

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Im Gran Chaco

Im Gran Chaco

Die Stadt Palmar liegt in der Provinz Corrientes, dem Argentinischen Mesopotamien, und zwar an dem Flusse, welcher denselben Namen wie die Provinz selbst führt. Sie ist nicht groß, treibt aber einen bedeutenden Handel, wenigstens nach den dortigen Verhältnissen bedeutend, denn trotz der außerordentlichen Fruchtbarkeit von Corrientes liefert der Ackerbau nur den heimischen Bedarf; die Industrie ist nicht nennenswert, und die Ausfuhr besteht nur aus den Produkten des Waldes und der Herden.

Zu der Zeit, als wir uns diesem Städtchen mit unsern Gefangenen von Süden her näherten, bildete es den Ausgangspunkt aller von Norden her gegen den aufständischen Lopez Jordan gerichteten militärischen Unternehmungen. Da gab es Soldaten aller Art, über deren Aussehen ein deutscher Landwehrmann den Kopf geschüttelt hätte. Doch machten sie immerhin einen bessern Eindruck als diejenigen, welche ich bei Jordan gesehen hatte. Als wir ankamen, sahen wir sie rechts und links vom Wege exerzieren.

Das Städtchen liegt nicht direkt am Flusse, sondern es wird durch Moräste von ihm getrennt, welche man durch Schilfdämme wegbar gemacht hatte. Der Oberst hieß uns im Galopp bis auf die Plaza reiten und vor der Casa de Ayuntamiento, dem Rathause, halten, welches einem Lüneburger Heidehofe ähnlicher sah als dem Sitze einer städtischen Behörde.

Dort stellte er sich dem Platzkommandanten vor, wobei der Bruder und ich ihn begleiten mußten, um ihn bei der Erzählung des Vorgefallenen zu unterstützen. Der Erfolg dieses Berichtes war, daß die Offiziere der Aufständischen im Stadthause eingeschlossen und ihre Soldaten in mehrere Corrals gesperrt wurden, um später abgeurteilt zu werden. Uns aber lud der Herr, einschließlich aller meiner Begleiter, zum Essen ein.

Die ohne einen einzigen Schuß oder Schwertstreich erfolgte Gefangennahme der an Zahl so überlegenen Gegner und die Erbeutung so vieler Pferde, an welchen großer Mangel war, galt natürlich für eine vielverheißende Einleitung der kriegerischen Thätigkeit des Obersten. Und da er diesen Erfolg uns zu verdanken hatte, so erging er sich in den zartesten Aufmerksamkeiten gegen uns. Er forderte uns auf, möglichst lange in Palmar zu bleiben, und versprach, uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen und uns dann mit allem für unsre Weiterreise Nötigen reichlich zu versorgen. Sein Erstes war, uns ein möglichst gutes Quartier anzuweisen. Wir fanden dasselbe in dem Hause eines reichen Handelsherrn, welcher sich mit der Ausfuhr von Landesprodukten beschäftigte. Bei ihm wurden wir sehr freundlich aufgenommen und teils in zwei Gaststuben, teils in einem für die Dienerschaft bestimmten Nebengebäude untergebracht.

Was mich betraf, so zog ich es vor, mich sofort schlafen zu legen, nachdem ich mich überzeugt hatte, daß mein Pferd sich in guter Pflege befand. Die Stadt bot gar nichts Sehenswertes, und nach den gehabten Anstrengungen war eine ausgiebige Ruhe das allernötigste für uns.

Der Frater, Turnerstick und sein Steuermann legten sich auch schlafen. Die andern zogen es vor, sich in der Stadt zu vergnügen. Dies war auch der Fall mit Gomez, dem Indianer, dessen Mutter durch das unfreiwillige Bad im Parana ganz nachhaltig wieder hergestellt zu sein schien. Sie waren gegangen, um sich mit ihren Stammesgenossen zu unterhalten, welche in der Stadt lebten oder auch in das hier befindliche Militär getreten waren. Gomez gehörte zu dem Stamme der Aripones, welche ihren hauptsächlichsten Aufenthalt zwischen dem Rio Salado und Rio Vermejo haben und infolgedessen die besten Kenner des geheimnisvollen Gran Chaco sind.

Als es längst dunkler Abend war, kam er, mich zu wecken. Er entschuldigte das damit, daß er Abschied nehmen müsse, weil er Ursache habe, Palmar sofort zu verlassen. Als ich ihn nach dem Grunde fragte, antwortete er:

„Ich muß sofort in meine Heimat gehen, da die Meinigen sich in Gefahr befinden, aus ihren Wohnsitzen verdrängt zu werden. Ich habe sie zu warnen.“

„Wo befinden sich diese Wohnsitze?“

„Jenseits des Parana, zwischen dem Rio Salado und dem obern Laufe des Rio Vivoras.“

„Giebt es dort nicht eine Reihe verlassener Ansiedelungen?“

„Ja. Es waren vor langer, langer Zeit Weiße eingewandert, welche sich aber nicht halten konnten – der – der – Indianer wegen, die sich feindlich gegen sie verhielten. Die Weißen haben fortgemußt, und ihre Häuser sind zerfallen. Jetzt kommen abermals welche, um uns aus unserm Reviere zu vertreiben. Sollen wir gehen, ohne uns gewehrt zu haben?“

„Was wollen diese Leute dort? Es giebt doch anderwärts Land genug, welches bequemer liegt und weit fruchtbarer ist. Warum ziehen sie gerade jene Gegend vor, welche zu dem wilden Gran Chaco gehört?“

„Dasselbe sagen und fragen auch wir. Es giebt so viel Platz, daß man uns in Ruhe lassen kann.“

„Was für Leute sind denn diejenigen, von denen Sie sprechen?“

„Sie sind teils aus Buenos Ayres herauf- und aus Corrientes heruntergekommen. Ihre Anführer sind ein nordamerikanischer Ingenieur und der Bevollmächtigte eines Bankiers in Buenos. Sie wollen den Rio Salado tiefer und breiter machen, damit Dampfer denselben befahren können. Ist das geschehen, so wollen sie in dem dichten Walde, welcher sich weit, weit am linken Ufer des Flusses hinzieht, Bäume fällen und Yerba sammeln lassen, um beides auf dem Salado in den Parana gehen zu lassen und sich viel Geld zu verdienen.“

„Haben sie Konzession dazu?“

„Das weiß ich nicht. Die beiden Anführer sind hier in Palmar gewesen, weil der Führer, den sie haben wollten, sich hier befand. Die andern Leute, welche zu dieser Expedition gehörten, blieben an der Mündung des Flusses zurück, um ihre Rückkehr dort zu erwarten.“

„Ist die Gesellschaft zahlreich?“

„Ja. Eine Anzahl Männer sind mit Booten den Rio Salado hinauf, um die andern dort zu erwarten, welche mit zahlreichen Ochsenwagen nach den alten Ansiedelungen gehen.“

„Ist es denn möglich, mit solchen Wagen dieses Ziel zu erreichen?“

„Ja. Nur in der Nähe des Parana bieten sich solche Schwierigkeiten, daß die Wagen zerlegt werden müssen. Die Teile derselben werden ebenso wie das Gepäck von den Ochsen so weit getragen, bis man freien Camp findet. Dann setzt man die Wagen wieder zusammen und kann bis zu den Ansiedelungen fahren. Man scheint zu denken, daß diese Schwierigkeiten nicht schwer zu überwinden seien, denn mehrere der Männer haben ihre Frauen und Kinder mitgenommen.“

„Dann ist es allerdings auf einen längern, wohl gar bleibenden Aufenthalt abgesehen.“

„Jedenfalls. Da aber mein Stamm in der Nähe der alten Ansiedelungen wohnt und das Land für sein Eigentum hält, so wird es ganz gewiß zu einem Zusammenstoße kommen. Ich muß also schleunigst hin, Sennor. Auch kenne ich die Gebräuche der Weißen besser als meine Genossen, und da ich gut spanisch spreche, kann ich auch als Dolmetscher von großem Nutzen sein, obgleich der Führer der Weißen unsre Sprache so genau versteht, als ob er zu uns gehörte. Er ist der berühmteste weiße Kenner des Gran Chaco.“

„Wie heißt er?“

„Geronimo Sabuco.“

„Ah! Ist’s etwa der, welcher gewöhnlich nur el Sendador genannt wird?“

„Ja. Kennen Sie ihn?“

„Persönlich nicht. Aber Sie müssen doch wohl gehört haben, daß ich mit meinen Gefährten oft von ihm gesprochen habe?“

„Sie haben von einem Sendador gesprochen; aber es giebt deren so viele, daß ich nicht wissen konnte, welchen Sie meinen.“

„Vielleicht irren Sie sich, und es ist ein anderer. Wir waren überzeugt, ihn weit nördlicher zu finden.“

„Es ist Sabuco, kein anderer. Suchen Sie ihn?“

„Ja. Wir wollen zu ihm, um ihn als Führer zu engagieren.“

„Da kommen Sie nun zu spät. Er ist schon engagiert.“

„Aber wir wollen und müssen ihn haben. Wir sind nur deshalb hierher gekommen, um ihn im Gran Chaco aufzusuchen.“

„Wenn dies der Fall ist, Sennor, so freue ich mich, weil Sie dann jedenfalls mit mir gehen werden, denn anders können Sie ihn nicht finden.“

„Das ist richtig. Ich werde mich mit meinen Gefährten besprechen.“

„So thun Sie das bald, da ich noch vor Anbruch des Morgens fort will. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Je schneller ich reise, desto eher kann ich meinen Stamm warnen.“

„Es fragt sich, ob Ihnen das noch zur rechten Zeit möglich ist. Können Sie die Expedition denn nicht einholen?“

„Ja, denn sie ist vor fünf Tagen von hier aufgebrochen, aber diese Leute reisen mit Ochsenkarren, also sehr langsam, während ich aber reiten werde.“

„Wie lange reitet man bis zu den alten Ansiedelungen?“

„Vom Parana aus ungefähr zehn Tage, während man zu Wagen wenigstens fünfzehn braucht. Ich muß diese Leute also erreichen, bevor sie an ihr Ziel kommen, werde mich aber nicht vor ihnen sehen lassen, da sie nicht zu wissen brauchen, daß ich meinen Stamm benachrichtigen will. Sie würden mich natürlich daran zu hindern suchen.“

„Da Sie Ihre Mutter mitnehmen, können Sie keine sehr bedeutenden Tagesmärsche machen, welche die Frau übermäßig anstrengen würden. Darum ist es sehr wahrscheinlich, daß Sie doch zu spät kommen. Und so liegt an einer kleinen Versäumnis von wenig Stunden auch nicht viel. Sie können immerhin warten, bis es Tag geworden ist.“

„Nein, Sennor. Wenn Sie nicht eher aufbrechen wollen, so reite ich allein. Was hindert Sie denn, eher aufzubrechen?“

„Erstens der Umstand, daß Tiere und Menschen einmal ausruhen müssen. Und sodann reitet man nicht nach dem Gran Chaco, ohne die dazu nötigen Vorbereitungen zu treffen.“

„Das ist wahr. Zwei Personen bedürfen nicht viel; Sie aber zählen mehr.“

„Und wie kommen wir über den Parana?“

„Wir warten ein Schiff oder Floß ab, das uns übersetzt.“

„Dabei könnten wir viel Zeit verlieren. Nein; ich werde mit dem Obersten und dem Platzkommandanten sprechen. Hoffentlich stellen sie uns einige Fahrzeuge zur Verfügung, mit denen wir den Rio Corrientes hinab in den Parana fahren und am jenseitigen Ufer des letzteren anlegen können. Das würde für uns eine große Zeitersparnis bedeuten.“ ,

„Sennor, Sie haben recht. Ich sage Ihnen, daß ich die Gegend genau kenne. Die großen Sümpfe, welche an den Ufern des Parana liegen, halten jeden Reiter nicht nur auf, sondern können ihm sogar höchst gefährlich werden. Ich aber kenne eine schmale Wasserbucht, welche der Parana weit in das Land hineinsendet. Bekommen wir Kähne, so können wir dieselben benutzen und an der Sumpfregion vorüberkommen.“

„Also eine Art Bayou, wie man im Norden diese toten Flußarme nennt? Das ist sehr gut. Sie sehen aber ein, daß ich die beiden Herren, mit denen ich sprechen will, nicht jetzt mitten in der Nacht wecken darf. Also werden Sie warten?“

„Unter diesen Verhältnissen, ja. Vorausgesetzt natürlich, daß Sie wirklich mitreiten.“

„Auf alle Fälle. Wir müssen den Sendador finden, und da er nach den Ansiedelungen ist, werden wir ihm folgen. Wie aber steht es mit dem Wege, welchen wir bis dorthin zurückzulegen haben? Ist er sehr beschwerlich?“

„Nein, wenn wir einmal über den Parana und seine Sümpfe hinüber sind. Wo ein Fluß ist, giebt es freilich Moor und große Feuchtigkeit, sowie weite, dichte Waldungen. Auch findet man bedeutende Strecken, in denen man nichts als Sand und wieder Sand findet. Aber Sie haben auch herrliche Camposstrecken, welche von schönen Gehölzen unterbrochen sind. Die Hauptsache ist, daß Sie einen Führer haben, welcher die Gegend kennt.“

„Nun, den werden wir wohl in Ihnen finden?“

„Ja. Noch bewanderter aber ist mein Vetter Gomarra, welchen ich Ihnen empfehlen kann. Der allererfahrenste freilich ist Geronimo Sabuco. Wenn Sie den finden, so bringt er Sie durch den ganzen Chaco, ohne daß Sie eine Ahnung bekommen, wie gefährlich er eigentlich für den Fremden, besonders für den Weißen ist.“

„Warum gerade für den Weißen?“

„Weil dieser nicht an das Klima gewöhnt ist und also bald das Fieber bekommt, Und sodann, weil es für ihn noch andere und weit schlimmere Gefahren giebt.“

„Welche? Wilde Tiere?“

„Ja. Der Jaguar ist gefährlich.“

„Pah, den fürchten wir nicht. Aber Sie sprachen auch von wilden Menschen, welche jedenfalls noch gefährlicher als die Jaguare sind.“

„Wilde Menschen? Da meinen Sie natürlich uns Indianer. Glauben Sie wirklich, daß wir zu den Wilden gezählt werden müssen?“

„Von Ihnen persönlich will ich nicht reden; aber denken Sie, daß man zum Beispiel die Aripones unter die hochgebildeten Völker rechnen muß?“

„Nein. Aber wer ist schuld, daß wir nicht mehr das sind, was wir früher waren? Wer hat uns aus unsern früheren Wohnsitzen vertrieben, so daß wir nun in den Wildnissen leben müssen, die man uns nun auch nicht länger gönnen will? Müssen wir nicht die Weißen hassen? Müssen wir uns nicht ihrer zu erwehren suchen, wenn sie immer auf uns eindringen, so daß wir nicht einmal im wilden Chaco in Ruhe gelassen werden?“

„Sie mögen nicht unrecht haben. Ich gebe zu, daß Sie erbittert sein müssen. Aber Ihre Art, sich zu verteidigen durch Raub und Mord, ist die der echten Wilden.“

„Sennor, besteht nicht jeder Krieg aus Raub und Mord? Geben Sie uns Ihre Waffen und Ihre Vorteile, so können wir uns anders verteidigen. Bis dahin aber müssen wir uns der Waffen bedienen, welche wir besitzen.“

„Ist es nicht schrecklich, Menschen zu überfallen, um sie zu töten oder sie mit in die Wildnis zu schleppen, um sie später gegen hohes Lösegeld freizugeben?“

„Ja, das ist schrecklich, Sennor. Aber wer thut das? Wer hat es zuerst gethan? Wer hat uns diese Weise der Kriegsführung gezeigt?“

„Die Weißen etwa?“

„Sie glauben es nicht? Nun, so denken Sie doch an das gegenwärtige Beispiel! Der Sendador führt eine ganze, große Gesellschaft Weißer über den Parana. Die Leute wollen an den Rio Salado, welcher uns gehört. Sie wollen in unserem Gebiete wohnen und auf demselben Yerba suchen und die Wälder niederschlagen, die uns gehören und ohne welche wir nicht leben können. Ist das nicht Überfall? Haben sie uns um die Erlaubnis gefragt? Werden sie uns das bezahlen, was sie uns nehmen, den Fluß, die Wälder, die Yerba, die Bäume? Nein! Und wenn wir uns sträuben, uns berauben zu lassen, so greifen sie nach ihren Waffen und wenden Gewalt an. Wie viele von uns dabei getötet werden, das erzählen sie nicht. Und wenn sie je davon sprechen, so rühmen sie sich dessen. Habe ich recht oder nicht, Sennor?“

Ich zögerte mit der Antwort, denn ich konnte ihm nicht Unrecht geben. Dann fuhr er fort:

„Wenn Sie also von Raub und Mord sprechen, so klagen Sie die Weißen an, aber nicht uns. Sie sind die Angreifer, während wir uns nur verteidigen.“

„Aber verteidigt man sich durch die Entführung von Frauen und Mädchen?“

„Ja, wenn einem sonst kein Mittel übrig bleibt.“

„Sie haben andere Mittel, Ihre Waffen.“

„Das können Sie sagen, weil Sie fremd im Lande sind. Die Weißen haben Gewehre, Pulver und Patronen. Wir aber besitzen nur Spieße und Pfeile, mit denen wir gegen sie nichts vermögen. Muß es da nicht unser Bestreben sein, auch Gewehre zu erhalten?“

„Freilich wohl.“

„Nun, kaufen können wir sie uns nicht, denn wir haben kein Geld. Die Weißen haben uns das gute Land weggenommen, so daß wir weder Estanzias noch Ranchos besitzen. Wir können uns nichts verdienen. Darum nehmen wir, wenn sich uns Gelegenheit dazu bietet, die Frauen und Töchter der Weißen gefangen und geben sie ihnen gegen ein Lösegeld zurück, für welches wir uns dann kaufen, was wir brauchen.“

„Aber die Männer und Knaben tötet ihr bei solchen Gelegenheiten!“

„Sollen wir sie leben lassen, da sie uns bei der nächsten Veranlassung umbringen würden? Wir handeln nur aus Rücksicht für unsere Verteidigung so. Wollen Sie den Schaden, welchen wir durch die Weißen erlitten haben, vergleichen mit den Verlusten, die sie uns zufügten, so werden Sie zu der Erkenntnis kommen, daß wir sehr im Nachteil sind.“

„Da kommen Sie auf ein eigenartiges Thema. Ich glaube nicht, daß Sie ahnen, welchen Schaden nur in den La Platastaaten die Indianer anrichten. Die Indianer dieses Landes haben während der letzten fünfzig Jahre ungefähr elf Millionen Rinder, zwei Millionen Pferde und ebensoviele Schafe gestohlen. Dabei sind dreitausend Häuser zerstört und fünfzigtausend Menschen getötet worden.“

„Sennor, glauben Sie das doch nicht!“

„Ich muß es glauben, denn es ist berechnet worden!“

„Das haben die Indianer nicht gethan. Die Weißen sind die größten Spitzbuben. Was sie selbst thun, dafür klagen sie uns an. Wenn ein Weißer Pferde stiehlt, so sind wir es gewesen. Wenn ein Weißer den andern ermordet, so sind wir die Mörder. Die Hälfte, wenigstens die Hälfte dessen, wovon Sie jetzt sprachen, haben Weiße verschuldet. Und wenn diese Leute an ihren eigenen Genossen so handeln, wie mögen sie sich da gegen uns verhalten! Nein, Sennor, was Sie da vorbringen, das spricht mehr zu unseren Gunsten als zu unserem Schaden.“

„Hm! Ich hörte allerdings schon Ähnliches äußern.“

„So hat man Ihnen die Wahrheit gesagt. Man sendet Soldaten gegen uns aus, angeblich um die Ansiedler gegen unsere Raubzüge zu schützen. Aber ich sage Ihnen, daß die größten Räuber sich unter den Grenzsoldaten befinden. Und wenn die Zahlen, welche Sie vorhin brachten, die volle Wahrheit enthielten, so wäre der Schaden, welchen die Weißen uns verursacht haben, doch viel größer. Das ganze Land gehörte uns. Was darauf lebt und wächst, ist also unser Eigentum. Wenn ich mir ein Rind, ein Pferd fange, so stehle ich nicht etwa, sondern ich nehme nur das, was mir gehört.“

So sagen alle südamerikanischen Indianer. Sie sind überzeugt, ganz in ihrem Rechte zu sein, und niemand kann ihnen das Gegenteil beweisen. Wenn sie einmal von dem Grundsatze ausgehen, daß sie die rechtmäßigen Herren des Landes sind, so hilft keine Polemik gegen die daraus gezogenen Schlüsse.

„Schweigen wir lieber,“ sagte ich. „Keiner von uns beiden kann dem Schicksale der Eingeborenen eine andere Richtung geben. Übrigens erwähnte ich die Raubzüge der Ihrigen nur bei der Gelegenheit, als wir von den Gefahren des Chaco sprachen.“

„So brauchen Sie keine Sorge zu tragen, daß sie Ihnen gefährlich werden. Sie haben meine Mutter durch die empörten Fluten des Wassers getragen. So lange ich bei Ihnen bin, wird ihnen kein Leid geschehen.“

„Nun, große Sorge habe ich in dieser Beziehung überhaupt nicht. Aber was wird man mit den Leuten thun, deren Ankunft Sie den Aripones melden wollen?“

„Man wird sie überfallen.“

„Und töten?“

„Wahrscheinlich. Wenigstens die Männer. Die Frauen schafft man tiefer in den Chaco, um Geld für sie zu erhalten.“

„Und dazu wollen Sie beitragen?“

„Ich bin Indianer und handle als solcher!“

„Sie werden dadurch zum Mörder!“

„Die Weißen werden sich keinen Augenblick besinnen, auf uns zu schießen. Warum verlangen Sie von uns solche Nachsicht?“

„Wenn Sie mit solchen Absichten von hier fort wollen, muß ich Sie eigentlich festhalten.“

„Das werden Sie nicht thun! Gegen einen andern wäre ich nicht so aufrichtig gewesen. Zu Ihnen aber habe ich offen sprechen dürfen. Wollen Sie die gute Meinung, welche ich von Ihnen habe, zu schanden machen?“

„Nein. Aber ich sage Ihnen, daß ich von jetzt an Ihr Gegner bin. Sie wollen die Weißen verderben; ich aber werde sie zu retten versuchen.“

„Das ist ein fruchtloses Beginnen.“

„Das will ich nicht hoffen. Warnen Sie die Ihrigen, und ich werde die Weißen warnen. Persönlich aber werden wir beide Freunde sein.“

„Sennor, es kann doch sehr leicht geschehen, daß wir uns dann als Feinde gegenüber stehen. In diesem Falle haben Sie von mir nichts zu befürchten. Ich werde alles thun, Sie vor Schaden zu bewahren. Wollen wir diesen Pakt schließen?“

„Ja. Hier ist meine Hand.“

„Gut! jetzt schlafen Sie wohl, damit Sie am Morgen gestärkt zur Reise erwachen.“

Er ging und ließ mich in Gedanken zurück, welche den Schlaf noch längere Zeit fern von mir hielten. Es war wieder das alte Thema gewesen, das Thema über die Berechtigung der weißen Rasse, die rote von der Erde zu verdrängen. Wenn wir dieses Recht wirklich besitzen, so wird es uns doch nie gelingen, die Indianer von demselben zu überzeugen. Sie werden unsere Feinde sein, bis der letzte von ihnen unserem Andrängen gewichen ist. Jede Erklärung ist da vergeblich.

Also der Sendador war hier gewesen und hatte sich gewinnen lassen, die Weißen nach den verlassenen Ansiedelungen zu führen. Eigentlich konnte uns das lieb sein, weil uns dadurch die Fahrt nach Goya und der beschwerliche Ritt durch die Urwälder des Rio Vermejo erspart wurde. Die Absicht, in welcher diese Expedition unternommen wurde, war keineswegs eine neue. Schon früher hatten Nordamerikaner und auch andere den Rio Salado befahren, um zu begutachten, ob derselbe besser schiffbar zu machen sei. Es waren bedeutende Summen auf diese Untersuchung verwendet worden, doch hatte man stets nur ein negatives Resultat erzielt. Ob der Erfolg jetzt ein besserer sein werde, war wenigstens zu bezweifeln.

Der Schlaf kam erst später wieder und hielt mich nicht lange gefangen. Ich erwachte, als der Morgen zu grauen begann, und weckte den Bruder, der nun wohl ausgeschlafen haben konnte. Als ich ihm erzählte, was mir Gomez mitgeteilt hatte, sagte er:

„Das ist gut, Sennor. Wir treffen auf diese Weise den Sendador weit eher, als zu erwarten war. Wollen gleich nach unsern Gefährten sehen, damit sie sich zum Aufbruche rüsten.“

„Das eilt nicht so sehr, da wir erst mit den beiden Offizieren zu reden haben. Vorher aber möchte ich einmal mit Gomez sprechen. Lassen Sie uns ihn aufsuchen.“

Wir begaben uns in das Nebengebäude, in welchem er mit den Yerbateros untergebracht worden war. Er befand sich nicht mehr dort; vielmehr hörten wir, daß er des Nachts mit seiner Mutter fortgeritten sei.

„Wohin?“ fragte ich.

„Er verriet es uns nicht, doch sollten wir Ihnen sagen, Sie wüßten wohl, warum er vor Ihnen aufbreche. Sie sollten ihn entschuldigen, wenn er sich vielleicht eines Bootes bemächtigen müsse.“

„So ist’s gut. Ich weiß, wohin er ist. Sie haben wohl nicht bemerkt, ob er nach dem Flusse ritt?“

„Nein. Wir haben uns nicht stören lassen und sind liegen geblieben. Bevor er sich entfernte, bedankte er sich für die Freundlichkeit, welche er bei uns gefunden hat. Er sagte, er würde möglichst dafür sorgen, daß uns nichts Böses geschehe.“

„Ich vermute, was er meinte. Wir werden auch baldigst aufbrechen. Halten Sie sich bereit dazu!“

Kapitän Turnerstick und sein Steuermann waren mit unserem Vorsatz einverstanden. Sie waren entschlossen, mit uns zu gehen, wohin es uns beliebe.

Zunächst ließen wir den Oberst wecken. Als wir ihm unser Anliegen vortrugen, meinte er:

„Da brauchen Sie den Platzkommandanten gar nicht zu bemühen. Er hat sich ja doch nur nach meinen Wünschen zu richten. Es thut mir leid, Sie so schnell zu verlieren; aber Ihr eigenes Interesse verbietet mir, Sie um ein längeres Verweilen zu ersuchen. Ich werde Sie schnell mit guten Vorräten und einigen Packpferden versehen und auch für ein oder mehrere Fahrzeuge sorgen, auf denen Sie die Fahrt bis in den Parana machen können.“

Er gab sofort die nötigen Befehle, und wir beide hatten nun zunächst uns bei Antonio Gomarra zu erkundigen, ob er im stande sei, uns ohne Umwege nach den Ansiedelungen zu bringen.

„Ganz gut!“ sagte er. „Ich war schon öfter dort.“

„Kennen Sie die Aripones?“

„Ich verstehe ihre Sprache leidlich. Was das betrifft, so können Sie sich auf mich verlassen. Also der Sendador ist noch dort? Bin begierig, ihn baldigst einzuholen!“

Unser Aufbruch ging doch nicht ganz still von statten. Der Kommandant war erwacht und hatte sich nach der Ursache des Geräusches erkundigt. Er kam, um uns zu verabschieden. Bei dieser Gelegenheit erfuhren wir, daß Geronimo Sabuco wirklich der erwähnte Führer sei.

„Ich habe den Leuten abgeraten, diesen Mann zu engagieren,“ fügte er hinzu.

„Warum?“ fragte ich.

„Es hat keinen bestimmten Grund. Aber sein Auge ist falsch. Übrigens lassen verschiedene Gerüchte vermuten, daß er es mit den Indianern hält.“

„Das kann doch nicht befremden, Sennor! Ein Mann, welcher sich so oft und so lange im Gran Chaco befindet, muß vor allen Dingen darauf sehen, mit den Roten in Frieden zu leben!“

„Das ist wahr; aber ich hörte einigemal munkeln, daß er höchst wahrscheinlich bei verschiedenen Teufeleien der Indianer seine Hand im Spiele gehabt habe.“

„Sollte er Leute verraten haben, welche sich seiner Führung anvertraut hatten?“

„Ja. Man muß ihm auf die Finger sehen.“

„Haben Sie ihn Ihr Mißtrauen merken lassen?“

„Nicht nur das; ich habe es ihm sogar in sehr deutlichen Worten gesagt. Ich drohte ihm, ihn erschießen zu lassen, falls der Expedition ein Unglück geschehe. Er zuckte lächelnd die Achsel und sagte kein Wart.“

„Ist die Expedition gut ausgerüstet?“

„Mit allem Nötigen im reichlichsten Maße. Besonders an Waffen und Munition fehlt es den Leuten nicht.“

„Das wird die Indianer gerade anlocken.“

„Pah! Sie können nichts machen. Denken Sie nur, daß die Gesellschaft aus zwanzig rüstigen Männern besteht. Und jenseits des Waldes werden sie auf dem Rio Salado von einer ebenso zahlreichen Truppe erwartet.“

„Zwanzig sind nicht allzuviel gegen einen ganzen Indianerstamm!“

„Die Zahl der Roten thut nichts. Sie reißen vor den Gewehren aus, und es ist höchst selten, daß sie sich auf einen wirklichen Kampf einlassen.“

„Ich hörte, daß man auch Frauen mitgenommen hat?“

„Es sind fünf Männer dabei, welche ihre Familien bei sich haben. Die alten Ansiedelungen sollen wieder instandgesetzt und bewohnbar gemacht werden. Dazu sind Frauen erforderlich. Ist der Anfang einmal gemacht und hat man damit bewiesen, daß man dort gut und ohne Fährnis wohnen und leben kann, so werden sehr bald andere nachfolgen.“

„Aber dieser erste Versuch ist eben gefährlich, denn es steht nicht zu erwarten, daß sich die Indianer zu demselben ruhig verhalten werden.“

„Nun, dann werden sie einfach niedergeschossen, zumal ja Sie nachfolgen und der Expedition beistehen können.“

Damit war die Sache, welche er sehr leicht nahm, erledigt. Desto sorgfältiger aber verfuhr er in der Sorge für uns. Er und der Oberst begaben sich persönlich nach dem Flusse, um sich zu überzeugen, daß man die Befehle des letzteren auch vollständig ausgeführt habe. Wir erhielten zwei lange Boote, welche Raum genug für uns und unsere Pferde hatten, und wurden mit allem versehen, was wir brauchten, ohne daß man uns eine Bezahlung dafür abverlangte. Dann verabschiedeten wir uns von den Leuten, mit denen wir uns so schnell befreundet hatten, und stiegen in die Boote. Der Wind war uns sehr günstig, und wenn der Rio Corrientes auch kein starkes Gefälle hat, so gelangten wir doch mit Hilfe der kräftigen Ruderer, welche man uns mitgegeben hatte, schon nach vier Stunden in den Rio Parana.

Ich hatte Gomarra gefragt, ob er von der Bucht etwas wisse, von welcher der Indianer gesprochen hatte. Er antwortete:

„Es giebt mehrere solcher toter Arme, welche weit in das Land treten. Wir werden keinen von ihnen benutzen, denn ich weiß ein kleines Flüßchen, welches von Westen her in den Parana tritt. Es ist breit genug für unsere Boote, und wir rudern also in demselben so weit wie möglich aufwärts. Auf diese Weise gelangen wir aus der Region der Sümpfe am schnellsten und leichtesten auf trockenen Camposboden.“

„Wäre es nicht geraten, zunächst die Fährte der Gesellschaft aufzusuchen, welcher wir folgen wollen?“

„Wozu? Diese Fährte ist jetzt über fünf Tage alt und also nur schwer zu erkennen. Mit ihren Ochsenwagen haben die Leute nicht den geradesten Weg einschlagen können. Es giebt Wasserläufe, denen sie mühsam folgen müssen, bis sie eine Stelle finden, an welcher sie hinüber können. Das haben aber doch wir nicht nötig.“

„Gut! Wir verlassen uns auf Sie. Können Sie uns die Ansiedelungen beschreiben?“

„Sehr leicht. In diesen Gegenden baut einer wie der andere, und sodann hat die Natur alles gethan, sie einander ähnlich zu machen, indem sie alles mit Pflanzen überwucherte.“

„Also sind die Häuser unbewohnbar geworden?“

„Vollständig; sie sind zerfallen. In Zeit von einigen Jahren ist alles verfault und zerbröckelt, und die Schlingpflanzen legen ihre dicke Decke darüber hin.“

„Hatten diese Ansiedelungen ihre bestimmten Namen?“

„Das versteht sich ja von selbst. Man läßt hier keinen einzelnen Rancho ohne Namen, viel weniger aber eine ganze Siedelung. Sie lagen nicht weit voneinander in der Nähe des Lago Honda und hießen, glaube ich, Pozo de Sixto, Pozo de Quinti, Pozo de Campi, Pozo Olumpa und Pozo Antonio. Es sind noch andere da, deren Namen ich aber vergessen habe. Es ist ein ganz eigenartiger Eindruck, den so ein verlassener und von blühenden Schlinggewächsen überwucherter Ort auf den Menschen macht. Man meint, vor einem riesenhaften Grabe zu stehen, und trotz des Duftes, welcher den Blumen entströmt, hat man den Geruch von Fäulnis und Moder in der Nase. Warum die Glieder der Expedition gerade dorthin wollen, das kann ich nicht begreifen. Beabsichtigen sie, dort zu wohnen, so können sie monatelang arbeiten, bevor es ihnen gelingt, den Schutt hinwegzuräumen.“

„Vielleicht haben sie sich für diese Gegend entschlossen, weil es dort gutes Wasser giebt.“

„O, in der Gegend des Rio Salado ist überall Wasser vorhanden, Wasser mehr als genug. Sie werden das vielleicht kennen lernen.“

„Schwerlich, denn wir beabsichtigen ja nicht, uns lange am Rio Salado aufzuhalten.“

„Aber Sie wollen ja nach Tucuman, und da thun Sie am klügsten, wenn Sie dem Laufe des Salado bis ungefähr dahin folgen, wo Matara liegt. Von dort führt ein Weg über Santiago nach Tucuman. Das ist die beste Richtung, welche Sie einschlagen können.“

„Ich werde leider nicht über mich selbst bestimmen können, denn wenn wir den Sendador treffen, wird es nur auf ihn ankommen, in welcher Richtung ich nach Tucuman gehe.“

„Wenn er nun überhaupt nicht mit dorthin will?“

„Warum sollte er nicht wollen?“

„Weil es doch seine Absicht ist, Ihnen die Pläne zu zeigen und dann hinauf in die Berge zu gehen.“

„So wird er dennoch vorher mit mir nach Tucuman müssen. Ich kann meinen Besuch in dieser Stadt nicht aufgeben, da ich einen Bekannten dort treffen will. Verlangt der Sendador, daß ich mit ihm gehe, so kann ich auch fordern, daß er mich vorher nach Tucuman geleite.“

Während dieses Gespräches waren wir in den Parana gelaufen und hielten quer abwärts über denselben hinüber. Auch weiter oben mußte es außerordentliche Regengüsse gegeben haben, denn die Fluten des Stromes waren noch gelber und dicker als gewöhnlich. Dieser Fluß ist sehr fischreich, aber wegen seines schlammigen Wassers ist es unmöglich, jemals einen schwimmenden Fisch zu sehen. Auch hier wurde er durch einige langgestreckte Inseln in mehrere Arme geteilt, was die Überfahrt wesentlich erschwerte. Gomarra war ein guter Führer. Wir erreichten das jenseitige Ufer gerade an der Mündung des kleinen Flüßchens, dem wir aufwärts folgen sollten. Hier konnten wir die Segel nicht mehr benutzen. Wir griffen daher zu den Rudern und Stangen und arbeiteten alle so fleißig, daß wir bei Anbruch des Abends eine ganz bedeutende Strecke zurückgelegt hatten.

Als es dunkel geworden war, landeten wir und machten es uns teils in den beiden Fahrzeugen, teils auch am Ufer so bequem wie möglich. Essen gab es in Hülle und Fülle, da man uns auf das reichlichste versorgt hatte. Ebenso reichlich bescherte uns der Fluß dichte Schwärme von Stechmücken, gegen welche wir uns nur durch große Feuer schützen konnten, in welche wir nasses Schilf warfen. So wurden die Mückenwolken durch die Rauchwolken bekämpft und unschädlich gemacht.

Am andern Morgen ruderten und stakten wir uns zeitig weiter, bis um die Mittagszeit das Flüßchen so schmal und seicht wurde, daß wir nicht weiter fahren durften, wenn wir nicht auf den Grund geraten wollten. Wir schifften uns also aus, bezahlten die Bootsleute und verabschiedeten uns von ihnen, da von hier an die Reise zu Pferde fortgesetzt werden mußte.

Gomarra hatte ganz richtig vorhergesagt, daß wir hier die Region der Sümpfe hinter uns haben würden. Nachdem wir eine schmale, mit dünnem Buschwerke bestandene Strecke zurückgelegt hatten, sahen wir den freien Camp vor uns.

Unsre Pferde hatten sich gut ausgeruht; wir durften sie also anstrengen, und so ging es bis zum Abende fast stets im Galoppe über die Ebene. Bis Mitternacht ritten wir langsamer; dann lagerten wir, brachen aber bereits beim Morgengrauen wieder auf, denn es kam uns natürlich darauf an, die vor uns ziehende Gesellschaft zu erreichen, bevor der Indianer Gomez an ihr vorüberkommen und die Indianer warnen konnte.

Heute bekam die Gegend ein anderes Gesicht. Sie bot weit mehr Abwechslung als gestern. Es gab kleinere Camps, welche durch hübsche Waldungen voneinander getrennt wurden. Hier und da kamen wir auch über eine sandige Strecke, welche wenig Spuren von Pflanzenwuchs zeigte und mich an die nordmexikanische Sonora erinnerte, Dann gelangten wir an eine Lagune, deren Ufer flach im Sande verliefen und mit dichtem Schilfe besetzt waren. Ganze Scharen von Wasservögeln flogen bei unserm Nahen auf, und wenn der Schilfkranz sich einmal öffnete, so daß wir einen Blick über das Wasser gewannen, so sahen wir die knorrigen Köpfe der Krokodile aus demselben ragen.

Die Wälder, durch welche oder an denen wir vorüber kamen, bestanden meist aus Quebrachos, Mistols, Vinals, Channars und sehr hohem Kaktus. Einen schönen Anblick gewährte es, wenn diese Bäume von Schlingpflanzen überwuchert waren, in denen zahlreiche Vogelnester hingen.

Auch heute machten wir erst spät am Abende Halt, brachen aber am nächsten Morgen später auf, da die Pferde doch mehr als gestern der Ruhe bedurften.

Wir befanden uns nun inmitten des so berüchtigten Gran Chaco. Aber ich fand nichts, was den schlechten Ruf dieser abgelegenen Gegend erklärt hätte. Nur unter dem Übelstande eines großen Temperaturwechsels hatten wir zu leiden. Während die Tage schon sehr warm waren, brachten uns die Nächte eine fast winterliche Kälte, welche durch den starken Luftstrom erhöht wurde, der frei über die offenen Camps streichen konnte.

An Speise hatten wir keinen Mangel; selbst als unser Fleischvorrat zur Neige ging, fanden wir Wild mehr als genug. Leider wurde mein sehnlichster Wunsch, einen Jaguar zu sehen oder gar zu erlegen, nicht erfüllt.

Die meisten Lagunen, an denen wir vorüberkamen, führten salziges Wasser. Dies und die Krokodile waren schuld, daß es keine Fische gab.

Da sonst nichts Ungewöhnliches über die Gegend zu sagen ist und uns auch nichts Außerordentliches passierte, so erwähne ich nur, daß wir acht Tage lang fast immer gerade gegen Westen ritten und die Strecken, welche wir zurücklegten, von Tag zu Tag immer kleiner wurden, eine Folge der steigenden Ermüdung der Pferde, denen wir nur die allernötigste Ruhe gönnten.

In diesen acht Tagen hatten wir nach Aussage Gomarras zehn gute Tagesritte zurückgelegt und näherten uns nun den Ansiedelungen. Der Führer meinte, daß wir sie morgen gegen Abend erreichen würden. Gomez hatte also die Entfernung nicht richtig geschätzt, als er sie auf zehn Tagesstrecken angegeben hatte.

Noch war uns keine Spur zu Gesicht gekommen, weder von Gomez noch von der Wagenkarawane. Am heutigen Tage aber sollten wir auf die erstere treffen.

Ich ritt mit dem Bruder und unserm Führer voran. Wir befanden uns auf reich bewachsenem Prairieboden, dessen Gras den Pferden fast bis an den Leib reichte. Da war eine frische Fährte schon von weitem zu erkennen.

Und wirklich erblickten wir im Süden, also links von uns, einen dunklen Strich, welcher sich parallel mit unsrer Richtung durch das Gras zog. Natürlich suchten wir ihn auf, um ihn zu untersuchen. Er stammte von zwei Pferden her, welche hier nebeneinander geritten waren.

„Sollte das Gomez mit seiner Mutter gewesen sein ?“ fragte der Frater.

„Möglich,“ antwortete ich.

„Ich halte es für unmöglich. Bedenken Sie nur, wie wir geritten sind, wie wir unsre Pferde angestrengt haben. Das kann er nicht ebenso gethan haben. Er muß also hinter uns und kann nicht vor uns sein.“

„Hm! Wer weiß, welcher Hilfsmittel er sich bedient hat. Er ist hier bekannt.“

„Ehe er nur über den Fluß gekommen ist!“

„Jedenfalls hat er auch ein Boot gehabt.“

„Aber der Proviant hat ihm gefehlt. Um nicht zu hungern, hat er also jagen müssen, und das hält auf.“

„Kann er sich nicht auch auf irgend eine Weise mit Fleisch versehen haben?“

„Das ist möglich, mir aber gar nicht sehr wahrscheinlich.“

„Ich halte es für sehr möglich,“ erklärte Gomarra. „Gomez ist ein höchst umsichtiger und kluger Mensch, dem man seinen Scharfsinn nicht so leicht ansieht.“

„Das habe ich erfahren,“ stimmte ich bei.

„Nicht wahr, Sennor! Leider kann man solchen Pferdespuren nicht ansehen, wen die Tiere getragen haben.“

„Sie irren sich.“

„Sie halten es für möglich, dieser Fährte abzulesen, wer hier geritten ist? Bitte, thun Sie es!“

Er sprach diese Aufforderung mit einem Lächeln aus, welches seinen Unglauben deutlich zu erkennen gab. Ich antwortete:

„Das braucht nicht gleich zu sein. Eine Fährte ist lang, und was sie hier an dieser Stelle nicht verrät, das wird sie uns später sagen, wenn wir ihr folgen. Einstweilen genügt es mir, zu wissen, daß die beiden Pferde sehr ermüdet gewesen sind.“

„Woraus schließen Sie das?“

„Daraus, daß sie die Füße geschleppt haben. Zwei Pferde, und zwar ganz abgemattet, genau in der Richtung nach den Ansiedelungen, das macht es freilich sehr wahrscheinlich, daß wir Gomez und seine Begleiterin vor uns haben.“

„Es können auch andre sein. Ich gebe dem Frater ganz recht. Gomez hatte nur wenige Stunden Vorsprung vor uns. Wie sollte er sich also noch immer vor uns befinden?“

„Warten wir es ab!“

Wir folgten von jetzt an natürlich genau der Fährte, welche immer die gleiche Deutlichkeit behielt, aber auch kein einziges Merkmal zeigte, aus welchem zu schließen gewesen wäre, wer die Reiter gewesen seien. Erst nach langer Zeit, als wir eine der bereits erwähnten Lagunen vor uns liegen sahen, gab es eine Abwechslung, und zwar eine ganz bedeutende. Es kam nämlich von links herauf eine breite, tief eingegrabene Spur, welche aus vielen Wagengeleisen bestand. Hier an der Lagune hatten die Fuhrwerke angehalten; es war da Rast gemacht worden.

Wir untersuchten den Platz. Es hatten da mehrere Feuer gebrannt. Die durstigen Pferde und Ochsen waren in das Wasser gestiegen, um zu saufen, denn man sah die Spuren der Tiere deutlich im Uferschlamme.

Das war aber auch alles, was wir bemerkten. Besondere Merkmale fanden wir nicht.

„Das ist die Karawane, welche wir suchen,“ sagte Gomarra. „Wann mag sie hier gewesen sein?“

„Vorgestern,“ antwortete ich, „wie ich aus verschiedenen Anzeichen sehe, welche ich kennen gelernt habe. Die Spuren alle sind nicht von gestern, sondern von einem Tag früher.“

„So hätten diese Leute ihre Ochsen außerordentlich angetrieben!“

„Ja, aber das Terrain war ein gutes. Es hat ihnen fast gar keine Hindernisse geboten. Gestern früh sind sie von hier fortgereist.“

„Und wann sind die beiden Reiter hier gewesen, deren Fährte wir bisher folgten?“

„Heute am Vormittage. Da es jetzt erst Mittag ist, so befinden sie sich also nur wenige Stunden vor uns.“

„Vielleicht können wir sie erreichen?“

„Nein, denn auch unsere Pferde sind ermüdet, wenigstens ebenso wie die ihrigen. Wir holen sie nun nicht vor den Ansiedelungen ein.“

„Das ist schade!“

„Allerdings. Es giebt freilich ein Mittel, sie zu erreichen, indem ich ihnen allein nachreite. Mein Pferd ist das beste und hält noch eine gute Strecke aus. Wenn ich mich jetzt von Ihnen trenne, bin ich überzeugt, die beiden Reiter noch vor Abend zu erreichen.“

„Das werden Sie nicht thun, Sennor. Sie dürfen sich nicht von uns trennen. Man weiß nicht, was Ihnen widerfahren kann.“

„Was könnte mir geschehen?“

„Fühlen Sie sich ja nicht zu sicher! Wir kommen nun in das Gebiet der Aripones. Sie könnten leicht auf einige von diesen Leuten stoßen.“

„Ich halte sie nicht für gefährlich. Ich wünsche sogar, die Leute kennen zu lernen. Leider aber verstehe ich ihre Sprache nicht.“

„Das ist ein höchst triftiger Grund, sich von ihnen fern zu halten, wenigstens so lange Sie keinen Dolmetsch bei sich haben. Nein, wir können Sie nicht fort lassen.“

Da die andern ihm beistimmten, so mußte ich auf meinen Plan verzichten, obgleich ich mich gar zu gern überzeugt hätte, wem die beiden Pferde gehörten, deren Spuren wir zuerst gesehen hatten.

Wir folgten also von jetzt an der Wagenfährte, mit welcher die erstere Spur nun zusammenfiel. Schon nach wenigen Stunden sahen wir, daß die Karawane wieder Halt gemacht hatte und die vorige Nacht geblieben war, mitten auf freiem Camp; das war doch sonderbar, ja sogar auffallend. Was mußte geschehen sein?

Ich umritt den Lagerplatz und bemerkte bald die Spur eines einzelnen Mannes, welcher da umhergelaufen war. Zu welchem Zwecke? Er hatte zu der Gesellschaft gehört, denn seine Spur kam von der Lagerstätte und führte auf dieselbe zurück. Er war wie suchend umhergegangen, weit vom Lager fort.

Heute früh war dann die Karawane von hier aufgebrochen. Sie hatten ihren Weg sehr, sehr langsam fortgesetzt, wie man aus der Fährte ersehen konnte. Leider wurde es bald Nacht, und da mußten wir lagern, sonst hätten wir die Spur leicht verlieren können.

Das, was wir bisher beobachtet hatten, war wenig genug; es bot eigentlich gar keinen Grund zu Befürchtungen, und doch hegte ich ein Mißtrauen, welches zwar dunkel war, aber sich doch nicht überwinden ließ. Oft hat der Mensch eine Ahnung, auf welche er sich besser als auf ein offenbares Ereignis verlassen kann.

Wir brachen am frühen Morgen wieder auf. Natürlich mußten wir annehmen, daß die Karawane während der Nacht gerade so wie wir gerastet habe, aber wir ritten Stunde um Stunde und sahen doch nicht die Spur eines Lagerplatzes.

Das war wieder sehr auffällig. Erst zwei Lagerplätze so eng nebeneinander, und nun eine lange Wagenfahrt während der Nacht! Das mußte gewisse Gründe haben. Aber ich konnte darüber noch so lange nachdenken, es fiel mir keine stichhaltige Erklärung bei.

Da plötzlich tauchte vor uns ein dunkler Punkt auf, welcher sich uns schnell näherte und dabei immer größer wurde. Es war ein Reiter, der im Galopp herangehetzt kam. Wir sahen, daß er sein Pferd mit dem Lasso peitschte. Als er nahe herangekommen war, schwenkte er den breitrandigen Hut und rief uns laut entgegen:

„Hallo, Sennores, sind Sie diejenigen, welche ich suche?“

„Wen suchen Sie?“ fragte der Bruder.

„Leute, die aus Palmar kommen.“

„Das stimmt, Sennor. Wir kommen von dort.“

„Gott sei Dank! So ist Hilfe doch vielleicht noch möglich!“

„Für wen?“

„Für – –“

Die Antwort blieb ihm im Munde stecken. Er hielt jetzt vor uns und hatte bis jetzt nur den Bruder beobachtet, der mit ihm sprach. Nun aber fiel sein Blick auf mich, und da hielt er mitten in der Antwort inne. Er trug die Kleidung eines Gaucho, einen dichten Vollbart, welcher von seinem Gesichte fast nur die Nasenspitze sehen ließ, und hatte den Hut tief in die Stirne gezogen.

Cobrido!“ rief er. „Ist es möglich!“

„Was?“ fragte ich, da er mich noch immer anstarrte.

„Daß Sie da sind!“

„Ich? Kennen Sie mich?“

„Na, und ob! Sie aber scheinen mich ganz vergessen zu haben.“

„Kann mich wirklich nicht besinnen.“

„Wirklich nicht? Sollte – –? Ah, ja, der Bart, der Bart!“

„Ihre Stimme kommt mir freilich bekannt vor.“

„Nicht wahr? ja, ja! Wollte soeben heim, weil ich dachte, daß Sie kommen würden, und nun treffe ich Sie da mitten im Chaco!“

„Heim – weil Sie dachten – – daß ich kommen würde? Ah, jetzt geht mir das Licht auf! Sie sind Sennor Pena?“

„Endlich, endlich kommt er auf meinen Namen!“ rief der Mann jetzt. „Willkommen, Sennor, willkommen!“

Er gab mir die Hand, welche ich ihm kräftig schüttelte, und drückte mir die meine, daß ich hätte schreien mögen. Dabei rief er lachend:

„Also Sie haben mich wirklich nicht erkannt? Sie wollen zu mir und kennen mich nicht? Das ist im höchsten Grade lustig! Und hier treffe ich Sie! In der Wildnis, während ich überzeugt war, daß Sie den sehr zahmen Weg per Diligence von Buenos Ayres aus einschlagen würden? Das ist noch spaßhafter!“

„Wie es scheint, kommt Ihnen jetzt alles sehr spaßhaft vor, während Sie sich droben in Mexiko stets in sehr ernster Stimmung befanden!“

„Da hatte ich alle Veranlassung, ernst zu sein, Sennor!“

„Und wo kommen Sie jetzt her?“

„Von Goya.“

„Dahin wollten wir, um den Führer Geronimo Sabuco zu suchen.“

„Den konnten Sie nicht dort finden. Ich habe ihn vor ganz kurzer Zeit bei den alten Ansiedlungen gesehen.“

„Haben Sie mit ihm gesprochen?“

„Fällt mir nicht ein! Das hätte mich meinen Kopf gekostet.“

„Ist er Ihr Feind?“

„Nein. Aber ich belauschte ihn, und wenn er bemerkt hätte, daß ich sein Gespräch gehört hatte, so wäre ich in einer Minute eine Leiche gewesen.“

„So hörten Sie schlimme Geheimnisse?“

„Ja, sehr schlimme. Ich komme, sie Ihnen mitzuteilen.“

„Und haben Sie denn gewußt, daß wir kommen?“

„Ja; aber wissen konnte ich nicht, daß Sie dabei seien, daß Sie der Deutsche seien, von welchem gesprochen wurde.“

„Von mir? So ist es wohl Gomez, der Indianer, gewesen?“

„Ein Indianer war er, und Gomez wurde er von dem Sendador genannt.“

„So handelt es sich um einen Verrat an den Weißen, welche der Sendador führt?“

„Ja.“

„Das müssen Sie uns schleunigst mitteilen. Schnell, schnell!“

„Langsam, Sennor! Wir können in aller Gemächlichkeit eilen. Wenn ich Ihnen alles schnell erzähle und wir bleiben dabei hier halten, so nutzt das denen, welchen ich Hilfe bringen will, weniger, als wenn wir schnell weiter reiten und ich erzähle euch die Sache dabei langsam. Kommen Sie also; ich kehre mit Ihnen um!“

Wir gaben unseren Pferden die Sporen und jagten weiter, so schnell die Tiere konnten. Natürlich waren wir sehr begierig, zu erfahren, was er uns zu sagen hatte. Darum drängten wir alle in seine Nähe, und er wurde gebeten, so laut zu sprechen, daß jeder es hören könne.

„Also ich war in Goya und wollte über den Salado nach Hause,“ sagte er.

„Ganz allein?“ fragte ihn der Bruder. „Das ist ja sehr gefährlich!“

„Gefährlich? Pah! So ein alter Abenteurer wie ich bin, kennt keine Gefahr. Freilich würde so ein frommer Herr, wie Sie nach Ihrer Kleidung sind, einen so einsamen Ritt durch den Chaco nicht wagen!“

„O, ich habe ihn auch gewagt!“

„Alle Wetter! Dann sind Sie wohl gar – wohl gar – der Bruder Jaguar?“

„Man nennt mich allerdings so.“

„Ja, das ist freilich etwas ganz anderes! Ihnen sind alle möglichen Kühnheiten zuzutrauen. Freut mich unendlich, Sie kennen zu lernen, Sennor. Sie und dieser Deutsche da, den ich von Mexiko aus kenne, Sie sind die richtigen Leute, welche ich heute gebrauchen kann. Darf ich vielleicht auch erfahren, wer die andern Sennores sind?“

Ich stellte sie ihm vor. Nach den allgemeinen Redensarten, welche bei solchen Gelegenheiten gewechselt werden, bat man ihn, fortzufahren, und er kam der Aufforderung nach:

„Der beste Weg von Goya nach meinem Ziele führt über die alten Ansiedelungen, und ich wählte ihn. Heute kam ich da an. Da ich aber wußte, daß es dort wegen der Aripones nicht recht geheuer ist, hielt ich mich möglichst verborgen. Ich versteckte mein Pferd in einen alten Hof, welcher nur schwer zugänglich ist, und legte mich an einer Stelle nieder, wo mich nicht so leicht jemand finden konnte. Es waren da zwei Wände eingestürzt; sie hatten sich gegeneinander geneigt und zwischen sich einen engen Raum gelassen, welcher vorn ganz mit Schlingpflanzen verhangen war. Ich hatte früher diese Stelle einmal durch Zufall gefunden. Also da wollte ich ausruhen, da ich die ganze Nacht geritten war. Nach Mittag wollte ich wieder fort, um bis zum Abend den Urwald zu erreichen. Ich hatte nun wohl auch bis zum Mittag geschlafen, als ich von Stimmen geweckt wurde. Zwei Männer sprachen spanisch miteinander. Ich schob die Lianen ein wenig auseinander und sah sie auf zwei Steinen vor meinem Verstecke sitzen. Der eine war ein Weißer, alt, hager und knochig, der andere ein junger Indianer. In der Nähe saß ein indianisches Weib.“

„Die Mutter von Gomez.“

„Mag sein. Ich konnte jedes Wort hören. Sie führten folgendes Gespräch:

„Ich bin alle letzten Nächte um das Lager gegangen,“ sagte der Weiße, „um vielleicht einen eures Stammes zu entdecken, doch vergeblich, Du bist der erste, welchen ich sehe.“

„Und ich bin Ihren Spuren schon seit gestern gefolgt, getraute mich aber heute, als ich Sie erreichte, nicht in Ihre Nähe,“ meinte der Indianer.

„Was wolltest du thun?“

„Sie in einem Bogen umreiten und dann meinen Stamm aufsuchen.“

„Ah! Du willst die Deinen auf uns hetzen?“ „Nicht auf Sie, Sennor.“

„Also nur auf die andern. Ich danke dir. Wo sind deine Angehörigen?“

„Sie sind stets in der Nähe. Heute abend werde ich sie gefunden haben.“

„Kannst du sie hierher bringen?“ „Ja, wenn Sie es ehrlich meinen.“

„Unsinn! Deine Häuptlinge kennen mich. Ich bin bereit, dasselbe Geschäft wie immer mit ihnen zu machen. Kennst du meine Bedingungen?“

„Nein, Sennor.“ „So warst du noch nie dabei, wenn ich – –“ „Noch nie.“

„Aber du hast doch wenigstens gehört, daß ich euer Freund bin und euch zuweilen einen Fang in die Hände treibe?“

„Das weiß ich, Sennor.“ „Kannst du schweigen?“ „Schweigen ist die beste Tugend.“

„Gut! So will ich dir sagen, daß ich euch solche Leute stets unter der Bedingung überliefere, daß alles Geld, welches sie besitzen, alles Gold und Geschmeide mir gehört; alles andere ist euer. Ist dir das recht?“

„Ja.“ „Werden die Deinen auch heute beistimmen?“ „Ja, wenn sie es schon früher gethan haben.“

„So sage ihnen, daß ich zwanzig Männer, fünf Frauen und zwölf Kinder habe, die sie bekommen sollen. Was diese Leute an Gold, Ringen und Uhren bei sich tragen, das gehört mir; alles andere sowie das Lösegeld für die Kinder ist dann euer.“

„Ich werde es dem Häuptlinge sagen.“ „Ihr tötet die männlichen Gefangenen und Kinder stets?“

„Ja.“

„Das dulde ich diesesmal nicht. Auch die Knaben sollen leben; ihr werdet desto mehr Lösegeld bekommen.“

„Wir bekommen nicht mehr, denn wenn wir Knaben leben lassen, so behalten wir sie; sie müssen Indianer werden.“

„Damit bin ich einverstanden. Ich will mit euch ein Geschäft machen. Ich will Geld haben, und ihr sollt Waffen, Pulver, Kleider, Pferde, Rinder, Wagen und Lösegeld erhalten; aber morden wollen wir nicht.“

„Das müssen wir doch! Die zwanzig Männer sollen sterben!“

„Nein, sage ich dir!“

„Aber dann können wir ihnen doch nicht ihr Eigentum und ihre Kinder nehmen!“

„Warum nicht?“

„Weil sie es verteidigen werden.“

„Schwachkopf! Sie sollen sterben, ohne daß wir sie töten. Kennst du diese Gegend genau?“

„Ja.“

„Auch die Krokodileninsel?“

„Ja. Unsere Väter sandten ihre Kriegsgefangenen nach derselben, damit sie dort entweder verhungern mußten oder von den Krokodilen verschlungen wurden.“

„Nun, dorthin führe ich noch vor Abend die zwanzig Männer.“

„Sie werden nicht folgen.“

„Sie werden gern mitgehen. Ich werde schon einen Grund finden, ihnen Appetit nach der Insel zu machen.“

„Aber wie kommen sie hinüber?“

„Es stehen ja Bäume verschiedener Stärke am Wasser. Da ist leicht ein Floß angefertigt.“

„Wollen Sie die Leute auf demselben hinüber schaffen?“

„Ja.“

„So müssen doch Sie wieder zurück, und da werden die Männer mitwollen.“

„Nein. Ich werde einen Grund finden, allein herüber zu rudern. Dann sitzen sie drüben auf dem nackten Sande, rings von Wasser umgeben, welches von Krokodilen wimmelt. Sie können es nicht wagen, zurückzuschwimmen und müssen also verschmachten.“

„Sie werden die Krokodile erlegen!“

„Womit? Ihre Waffen werde ich ihnen schon ablocken. Und mit irgend einer religiösen und frommen Finte bringe ich sie schon nach der Insel.“

„Dann werden sie gehorchen; ich glaube es. Ich hole indessen die Aripones herbei, und dann teilen wir.“

„Ja, dann teilen wir, und ich reite weiter. Also nun kennst du meine Bedingungen; ich halte sie fest und gehe auf keine anderen ein. Jetzt beeile dich, daß du zu deinen Leuten kommst!“

„Ich gehe, Sennor. Vorher aber muß ich Sie bitten, sehr vorsichtig zu sein. Stellen Sie Wachen aus, denn es ist möglich, daß heute noch andere Weiße kommen.“

„Ah! Wirklich?“

„Ja. Sie wollen auch nach den Ansiedelungen hier und den Sendador suchen.“

„Diablo! Mich? Täuschest du dich nicht?“

„Nein, denn der Deutsche hat es mir selbst gesagt.“

„Welcher Deutsche?“

„Der schon zwei Majors gefangen genommen hat und auch Lopez Jordan entkommen ist. Er hat es so weit gebracht, daß wir vierhundert Feinde besiegten und gefangen nahmen.“

„So ist er ein Teufelskerl!“

„Ja, das ist er. Alle, die bei ihm sind, sagen, daß er alles mögliche zustande bringe, daß er alles wisse und alles könne.“

„So ist dieser Kerl ein wahres Unikum! Und was will er von mir?“

„Sie sollen ihm den Weg zeigen, aber wohin, das weiß ich nicht.“

„Aus deinen Reden zu schließen, ist er nicht allein?“

„Nein. Es sind noch andere bei ihm, ein amerikanischer Seekapitän mit seinem Steuermanne, der Bruder Jaguar – –“

„Jaguar? Alle Teufel! Das ist mir freilich nicht sehr willkommen. Was mögen denn diese Menschen bei mir wollen?“

„Das werden sie Ihnen wohl sagen. Und ferner sind dabei sechs Yerbateros. Ihr Anführer wurde Sennor Monteso genannt.“

„Monteso? Ah! Ein guter Bekannter von mir! Was der mit – – – ah, sagtest du nicht, daß dieser Deutsche alles könne?“

„Ja, ich hörte es so.“

„Kann er spanisch sprechen?“

„Wie ein Spanier.“

„Haben sie nicht von Peru gesprochen? Oder von Kipus? Von der Inkasprache?“

„Nein.“

„Auch nicht von Papieren, von Plänen, von verborgenen Schätzen?“

„Nein.“

„Vortrefflich, ganz vortrefflich! Sie sind sehr verschwiegen dabei. Weißt du nicht wenigstens, ob dieser Deutsche indianisch spricht?“

„Ich hörte, er sei jahrelang bei den Indianern gewesen.“

„So stimmt es; so stimmt es. Jetzt weiß ich, weshalb sie zu mir wollen. Aber warum suchen sie mich hier? Sie konnten doch nicht wissen, daß ich jetzt hier bin?“

„Sie wollten über Goya nach dem Gran Chaco; aber ich hörte in Palmar, daß Sie jetzt hier seien, und sagte es ihnen.“

„So ist es, so! – Wann kommen sie?“

„Kurze Zeit nach mir. Sie werden nur wenige Stunden nach mir abgeritten sein und sich außerordentlich beeilt haben. Gomarra, mein Vetter, führt sie.“

„Auch einer von den Aripones?“

„Nein; er ist andern Stammes; aber seine Mutter war eine Schwester meiner Mutter.“

„Warum bist du nicht geblieben, bis sie mit dir ritten?“

„Ich wollte es; aber dann hätten wir auf die Beute verzichten müssen, weil der Deutsche die Weißen vor den Aripones warnen will.“

„Teufel! Das soll er bleiben lassen!“

„Darum wollte er so schnell aufbrechen, und dann wird er seine Pferde angestrengt haben, und darum bin ich schleunigst noch vor ihm fortgeritten. Wir haben unsere Pferde fast totgejagt.“

„Das ist recht! Also er glaubt, daß die Weißen von den Aripones überfallen werden sollen?“-

„Ja.“

„Er weiß aber doch nicht etwa, daß ich es mit euch halte?“

„O nein. Er will eben kommen, um sie zu warnen.“

„Ah so! Das mag er immerhin thun, wenn er nur nicht zu zeitig kommt.“

„Gerade das befürchte ich. Er kann in jedem Augenblick hier eintreffen.“

„Verflucht! Eigentlich könnte ihn der Teufel holen; aber da ich ihn sehr notwendig brauche, so mag er ihn noch leben lassen. Also er kann in jedem Augenblicke hier sein? Hm! Und ich soll bis des Nachts oder noch länger auf euch warten? Das geht nicht. Ist der Mann da, so ist nichts mehr zu thun. Ich muß also handeln, noch ehe er kommt. Ja, wenn man wüßte, ob er gleich hier diese Stelle findet. Es sind mehrere Ansiedelungen hier. Vielleicht sucht er uns von einer zur andern.“

„Gewiß nicht, Sennor. Ich habe ja auch nicht nötig gehabt, zu suchen. Ihre Wagenspuren sind so deutlich, daß sie selbst ein Blinder mit dem Fuße entdecken würde.“

„Das ist wahr. Er findet die Spur und kommt dann direkt hierher. Lasse ich es soweit kommen, so ist alles verloren. Aber da kommt mir ein Gedanke. Will er weiter als bis hierher zu den 4nsiedelungen?“

„Nein. Er will hierher, um Sie zu finden.“

„Gut. So locke ich die Männer auf die Krokodileninsel, und dann fahren wir weiter nach einem Orte, an welchem ich mit euch zusammentreffe und euch den Raub samt den Weibern und Kindern übergebe. Dann kehre ich nach hier zurück und warte auf den Deutschen. Kommt er, so sage ich ihm, daß die Karawane mich abgelohnt habe und weitergefahren sei.“

„Wird er es glauben?“

„Ganz gewiß. Ich werde ihm die Sache derart darstellen, daß er keinen Zweifel haben kann.“

„Aber dann leben doch die zwanzig Männer auf der Krokodileninsel noch!“

„Was schadet das?“

„Sie können ihnen ihr Geld doch erst dann abnehmen, wenn sie tot sind!“

„Ich werde ihnen etwas weißmachen, daß sie gar nichts Wertvolles einstecken. Sie mögen dann, wenn wir fort sind, sehen, wie sie allein in den Himmel kommen oder in die Hölle fahren.“

„Gut, Sennor. Aber ich muß den Ort wissen, an welchen Sie die Frauen bringen wollen.“

„Schön! Du behauptest, hier bekannt zu sein. Kennst du das Kreuz im Walde?“

„Welches? Die früheren Ansiedler haben mehrere Kreuze errichtet.“

„Ich meine das Riesenkreuz, welches man nur unter dem Namen Nuestro Sennor Jesu-Cristo de la floresta virgen kennt.“

„Den Herrn Jesus Christus im Urwalde? ja, dieses Kreuz kenne ich.“

„Nun wohl. Richte dich so ein, daß ihr um Mitternacht dort seid. Wir werden um diese Zeit mit den Wagen dort ankommen. Ihr fallt über uns her, zum Scheine auch über mich, und es gelingt mir, zu entkommen. Ich kann ja dann auch dem Deutschen erzählen, daß der Wagenzug von euch überfallen worden sei.“

„Ja, dann wird er die Männer nicht auf der Insel, sondern bei uns suchen.“

„Was die Insel betrifft, so kennt er sie nicht, wird also nicht nach derselben fragen und nie über sie etwas hören. Also hast du alles verstanden, Gomez?“

„Ja.“

„So brich auf, und reite weiter, damit du die Aripones zur rechten Zeit finden und zur Stelle bringen kannst!“ –

„Das war das Gespräch, welches ich belauschte.“ fuhr Pena fort. „Der Indianer verschwand mit seiner Mutter. Der Sendador aber blieb noch eine Weile sitzen, in tiefes Nachdenken versunken. Dann stand auch er auf und entfernte sich langsam von der Stelle, an welcher er gesessen hatte.“

Wir alle hatten natürlich mit größter Aufmerksamkeit zugehört. Keiner aber war so gespannt gewesen, wie Monteso, der Yerbatero. Er besaß ein außerordentliches Vertrauen zu dem Sendador, dessen Freund er sich nannte. Was er jetzt hörte, kam wie ein Donnerschlag über ihn. Darum war es kein Wunder, daß er jetzt sein Pferd an dasjenige des Erzählers drängte und diesen fragte:

„Sennor, behauptet Ihr etwa, was Ihr erzählt habt, sei wahr?“

„Das behaupte ich allerdings.“

„Und wenn ich es nun nicht glaube?“

„So werde ich nicht vor Trauer sterben. Nur bitte ich, mir nicht etwa direkt zu sagen, daß es nicht wahr sei. Glauben könnt Ihr alles, was Ihr wollt; aber eine Beleidigung würde ich sofort mit einer Kugel beantworten!“

„Na, bitte Sennor! Man wird doch wohl seine Meinung sagen dürfen!“

„Nein. Man kann seine Meinung sehr wohl für sich haben; aber es ist keineswegs geraten, sie andern aufzudrängen. Ich habe erzählt, was ich gesehen und gehört habe: Wenn Sie es nicht glauben, so behalten Sie das für sich; bezeichnen Sie mich aber als einen Lügner, so fahren Sie in die Luft!“

„Verzeihung, Sennor! Der Sendador ist einer meiner besten Freunde. Es ist mir fast unmöglich, so etwas von ihm zu denken.“

„Wenn Sie ihn Ihren Freund nennen, so sind Sie nur zu bedauern. Mehr kann und will ich nicht sagen. Die Folge wird ja zeigen, daß er Ihrer Freundschaft nicht wert ist. Der Beweis wird sehr bald vor Ihnen liegen, denn hoffentlich sind die Sennores mit mir einverstanden, daß wir den schändlichen Plan dieses Menschen zunichte machen?“

„Natürlich, natürlich!“ rief es rundum.

Und ich erkundigte mich:

„Was thaten Sie, als der Sendador sich entfernt hatte?“

Der Gefragte antwortete:

„Mein erster Gedanke war natürlich, alles zu thun, den schrecklichen Anschlag zu verhindern. Aber wie das anfangen?“

„Nichts leichter als das. Was Sie vorzunehmen hatten, das lag ja klar auf der Hand.“

„Nicht so klar, wie Sie zu denken scheinen, Sennor. Ich bin kein unerfahrener Mann und pflege mir alles, was ich zu thun habe, vorher genau zu überlegen. Ich glaube, Sie meinen, daß ich die Mitglieder der Expedition hätte warnen sollen?“

„Natürlich ist das meine Meinung. Es war das nächste und kürzeste, was Sie vornehmen konnten.“

„Die Leute hätten mir keinen Glauben geschenkt. Ich war ihnen unbekannt. Der Sendador aber war ihnen empfohlen worden als ein ehrlicher und zuverlässiger Führer. Auch nehme ich an, daß er bisher sein möglichstes gethan hatte, sich ihr Vertrauen zu erwerben. Wäre ich nun als Unbekannter gegen ihn aufgetreten, so hätte er natürlich alles abgeleugnet und sich dadurch verteidigt, daß er mich als einen Feind hinstellte, welcher ihn in Schaden bringen wolle.“

„Ich kann Ihnen nicht Unrecht geben. Sie mußten vor allen Dingen sich selbst zu erhalten suchen, um die Bedrohten beschützen zu können.“

„Ganz richtig! Darum trat ich weder öffentlich noch heimlich gegen ihn auf. Ich mußte Leute haben, welche mir dabei halfen. Er hatte von Ihnen gesprochen. Der Indianer erzählte von dem Deutschen, welcher mit seinen Begleitern wohl schon nahe sein könne. Darum hielt ich es für das allerbeste, Ihnen entgegen zu reiten, um Sie um Ihre Hilfe zu bitten.“

„Natürlich stellen wir uns Ihnen sofort und vollständig zur Verfügung. Hoffentlich kommen wir noch zur rechten Zeit, die Bedrohten zu retten?“

„Ich denke es. Nur dürfen wir nicht säumen. Die Männer sollen auf die Insel gelockt werden. Das ist vielleicht schon geschehen. Da sie aber nicht getötet werden sollen, so steht zu erwarten, daß wir sie befreien werden. Dann wird es uns wohl auch gelingen, die übrigen zu finden und ihnen Hilfe zu bringen.“

„Wollen wünschen, daß uns dies gelinge. Ist Ihnen die Lage der Insel und der Ort, welchen Sie Nuestro Sennor Jesu-Cristo de la floresta virgen nennen, bekannt?“

„Nein. Doch steht zu erwarten, daß wir Spuren finden, welche uns dorthin führen.“

„Spuren wird es jedenfalls geben; aber es dürfte dann bereits zu dunkel sein, um sie sehen und ihnen folgen zu können.“

Da meinte Antonio Gomarra.

„Die Insel weiß ich auch nicht, aber das Kreuz kenne ich genau. Wie es scheint, haben die Leute an der früheren Ansiedelung Pozo de Sixto gehalten; wenigstens führen die Wagenspuren dorthin. Ich kenne den Weg, welcher von diesem Platze nach dem Kreuze führt.“

„Das ist sehr gut. Wir wollen uns beeilen, um das Tageslicht so viel wie möglich ausnutzen zu können.“

Wir ließen die Pferde fühlen, daß wir Eile hatten, und sie griffen so wacker aus, daß wir wie vom Sturme getragen über den Camp flogen. Jeder hatte das Bewußtsein, vor einem Ereignisse zu stehen, welches gefahrvoll war. In solcher Lage fällt der Mensch in Schweigsamkeit, und so sprach keiner von uns ein Wort, bis Sennor Pena die Hand erhob und, vor sich hindeutend, sagte:

„Sehen Sie dort die Baumgruppen? Da liegt die vereinsamte Niederlassung. Wir werden gleich an Ort und Stelle sein.“

Wir waren den Wagenspuren gefolgt und gelangten nun an den Ort, wo die Leute gehalten hatten. Wir sahen die Spuren zerfallener Bauwerke, welche die Zeit in einen dichten Überzug von Schlingpflanzen gehüllt hatte. Dicht belaubte Bäume neigten ihre Wipfel darüber. Zur Seite erblickten wir die Spuren einiger Felder, welche aber so verwildert waren, daß ein scharfes Auge dazu gehörte, zu erkennen, daß hier einst der Spaten in Gebrauch gewesen sei. Der Ort hatte und machte den Eindruck tiefster Verlassenheit. Auch von den Leuten, welche hier gewesen waren und die wir suchten, war keiner zu sehen.

Wir bemerkten, daß die Ochsen ausgespannt worden waren, um zu grasen; aber der Aufenthalt war kein langer gewesen. Man hatte Pozo de Sixto bald wieder verlassen, und zwar nach verschiedenen Richtungen, wie die Fährten deutlich erkennen ließen. Eine derselben führte nach rechts, nach Norden. Man sah deutlich, daß man nicht geritten, sondern gegangen war. Die zweite Fährte führte in der bisherigen Richtung weiter. Sie schlug einen Bogen um die verlassene Ansiedelung und ging dann genau westwärts fort.

Als ich sie untersuchte, erkannte ich, daß sie von den Ochsenkarren stammte, an welche man die ledigen Reitpferde hinten angebunden hatte. Die Führer der Wagen waren nebenher gegangen. Da sonst keine Fußabdrücke zu sehen waren, so mußten wir annehmen, daß die Frauen und Kinder sich in den Wagen befunden hatten.

„Hier hat der Sendador die Unglücklichen nach dem Kreuze geführt,“ sagte Pena. „Wie groß mag der Vorsprung sein, welchen er hat?“

„Nur eine halbe Stunde,“ antwortete ich, „wie ich aus den Fährten der Treiber sehe. Das von ihnen niedergetretene Gras liegt noch tief gesenkt. Wäre es vor länger als einer halben Stunde niedergedrückt worden, so hätten sich die elastischen Halme bereits wieder erhoben. Betrachten wir nun auch die andere Fährte!“

Diese bestand, wie bereits erwähnt, nur aus Fußspuren. Sie ging wie ein dunkler Strich durch die Grasfläche, aber nur hier oder da war ein einzelner Fußstapfen noch zu unterscheiden. Diese Fährte war wenigstens drei Stunden alt. An einer Stelle trennten sich die Stapfen eines Fußgängers von den andern, um sich bald darauf wieder mit denselben zu vereinigen. Meine Gefährten beachteten das nicht, und als ich mich niederbückte, um die Eindrücke sorgfältig zu betrachten, meinte Kapitän Turnerstick:

„Warum schaut Ihr so neugierig in das Gras, Sir? Es ist einer von den Männern da gegangen; weiter nichts.“

„Die Sprache des Grases ist eine sichtbare und nicht eine hörbare. Seht Euch doch einmal die Hauptfährte an, Kapt’n! Das Gras ist wieder aufgestanden, aber die Spitzen der Halme hängen noch nieder. Nach welcher Richtung wohl!?“

„Von uns ab, gegen Norden.“

„Warum das?“

„Weil die Leute nach Norden gegangen sind. Man tritt ja das Gras nach derjenigen Richtung nieder, in welcher man sich bewegt.“

„Betrachtet Euch nun einmal die Spur dieses einzelnen Fußgängers! Die Spitzen der Halme hängen auch. Nicht wahr?“

„Ja.“

„Aber weit tiefer als die andern. Was folgt daraus?“

„Weiter nichts, als daß sie sich noch nicht ganz aufgerichtet haben.“

„Sehr scharfsinnig! Aber meines Erachtens folgt daraus, daß diese einzelne Spur jünger ist als die Gesamtfährte. Der Betreffende ist weit später hier gegangen, als die andern.“

„Ich denke, sie sind alle beisammen gewesen!“

„Auf dem Hinwege, ja; aber auf dem Rückwege war er allein. Sagt mir doch einmal, nach welcher Richtung sich hier die Grashalme neigen!“

Turnerstick betrachtete. die Spur genauer als bisher und antwortete dann:

„Nach uns zu, nach Süd.“

„Wie also ist dieser Mann gegangen?“

„Her zu, gegen uns.“

„Die andern aber gingen von uns ab. Wir haben es also mit der Fährte des Sendador zu thun, welcher allein zurückkehrte. Das ist für mich der Beweis, daß ihm sein Vorhaben gelungen ist. Er hat die Männer nach der Insel geführt und sie dort verlassen. Wer weiß, in welcher Lage sie sich befinden.“

Der Kapitän schüttelte den Kopf. Der Bruder aber meinte:

„Tot sind sie nicht; aber es droht ihnen große Gefahr. Sie müssen auf der Insel elend umkommen, wenn niemand kommt, sie zu befreien. Denn, wollen sie den einzig möglichen Fluchtweg einschlagen, nämlich an das Ufer schwimmen, so werden sie von den Bestien zerrissen. Das ist die Lage, in welcher sich die von uns gesuchten Männer befinden werden. Der Sendador hat sie dorthin gelockt.“

„Hm!“ brummte der brave Yerbatero kopfschüttelnd. „Ich habe noch keine rechte Lust, an die Sache zu glauben. Der Sendador ist mein Freund, wie Sie ja wissen, Sennor!“

„Er hat Sie getäuscht.“

„Nie. Gegen mich ist er stets ehrlich gewesen.“

„Das schließt aber nicht aus, daß er gegen andere unehrlich ist.“

„Nun, jedermann ist wohl mehr auf seinen eigenen als auf anderer Vorteil bedacht; aber hier handelt es sich ja um ein wirkliches Verbrechen.“

„Und zwar um ein sehr großes!“

„Und darum nehme ich an, daß wir uns alle irren.“

„Und ich glaube dem, was Sennor Pena uns erzählt hat. Streiten wir uns nicht. Wir werden in kurzer Zeit erfahren, wer recht hat.“

Wir hatten indessen nicht etwa die kostbare Zeit versäumt. Wir waren nicht halten geblieben, sondern im Galoppe der Spur gefolgt. Es war anzunehmen, daß die Krokodileninsel nicht allzuweit entfernt sei; denn die Leute eine große Strecke fortzulocken, das wäre dem Sendador wohl nicht so leicht gelungen. Es war auch kaum eine Viertelstunde vergangen, so erblickten wir vor uns einen Strich, welcher sich dunkel gegen den hellen Horizont abhob. Als wir näher kamen, sahen wir, daß dieser Strich aus dichtem Gebüsch bestand, über welchem sich die Wipfel einiger Bäume erhoben. Zugleich wurde das Gras saftiger; ein Zeichen, daß Wasser, und zwar nicht wenig Wasser in der Nähe sei.

Als wir das Gebüsch an einer Stelle erreichten, wo die Fährte durch eine Öffnung führte, sahen wir, daß die Laubsträucher einen breiten Gürtel hoher Bambus einschlossen, hinter welchem wir das vermutete Wasser erblickten.

Ob dieses letztere eine selbständige Lagune sei oder mit einem Flusse, vielleicht dem Rio Salado in Verbindung stehe, das war zunächst nicht zu unterscheiden. Tief schien es nicht zu sein; das bewiesen die zahlreichen Krokodile, welche in weiter Entfernung vom Ufer im Schlamme lagen und deren Mäuler dabei aus dem Wasser ragten. Die Tiere hatten die zahlreichen seichten Stellen eingenommen, zwischen denen sich tiefere, schmale oder breite Rinnen hinzogen. Die häßlichen Kreaturen mußten sich sehr lange Zeit ungestört vermehrt haben dürfen, denn es war nicht schwer, auf einem gar nicht weiten Umfang ihrer hundert und noch mehr zu zählen. Uns gerade gegenüber, aber so weit entfernt, daß es nur für ein scharfes Auge zu erkennen war, lag ein flaches, vollständig baum- und strauchloses Land, wohl die Insel, auf welche wir es abgesehen hatten.

Für unsere Zwecke hoch willkommen, befand sich ein aus Schilf und Bambus zusammengesetztes Floß am Ufer. Man sah es demselben an, daß es erst vor ganz kurzer Zeit gefertigt worden war. Auch bemerkten wir die Stellen, an welchen die Bambusse und Schilfhalme abgeschnitten oder abgebrochen worden waren. Vier oder fünf lange Bambusstangen, welche auf dem Flosse lagen, zeigten die Art und Weise, in welcher das letztere bewegt worden war.

Ich zog mein Fernrohr und schaute nach dem drüben im Wasser liegenden flachen Land. Ja, es war eine Insel, und ganz deutlich unterschied ich Männergestalten, welche sich auf derselben bewegten.

„Ist’s die Insel? Was sahen Sie?“ fragte der Bruder.

„Sie ist es, und ich sehe auf derselben die Leute gehen, welche wir suchen.“

„Gott sei Dank! So kommen wir also nicht zu spät. Hier liegt das Floß. Sie hatten recht, Sennor, als Sie vorhin vermuteten, daß man ein solches gebaut haben werde. Es ist alles, alles genau so, wie Sie sagten. Steigen wir schnell ab, um die Ärmsten zu erlösen!“

Er schwang sich vom Pferde und eilte nach dem Flosse. Die andern thaten dasselbe.

„Halt, Sennores!“ rief ich ihnen zu. „Wir müssen erst für die Pferde sorgen. Am besten ist es, wir führen sie hinaus auf den Camp und pflocken sie da an. Da mögen sie grasen.“

Der Vorschlag wurde ausgeführt. Sodann kehrten wir zum Flosse zurück. Es war nicht angebunden, sondern so weit an das flache Ufer gestoßen, daß es fest sitzen geblieben war. Die einzelnen Teile desselben hatte man durch Schlingpflanzen zu einem ziemlich festen Ganzen vereinigt.

Kaum hatten wir es betreten, so schossen zahlreiche Krokodile herbei. Es waren ihrer so viele, daß sie einander berührten, und in dieser Menge boten sie einen Anblick, welcher gar nicht zu beschreiben ist.

„All devils!“ rief Turnerstick. „Jetzt begreife ich erst die Gefahr, in welcher sich die armen Menschen befinden. Bei einer solchen Schar von Bestien käme keiner von ihnen an das Land zurück. Wollen die Kreaturen etwas fern von uns halten.“

Er griff nach seinem Gewehre.

„Aber nur in die Augen, Sir!“ sagte ich ihm.

„Well! Weiß schon. Durch die Hochzeitsfracks dieser saubern Herrschaften geht ja keine Kugel.“

Die Alligatoren schlossen uns förmlich den Weg. Sie drängten sich bis auf nur wenige Ellen an das Floß heran; ihre Rachen klappten auf und zu, und die kleinen tückischen Augen waren gierig auf uns gerichtet.

Wir konnten nicht vorwärts. Wir mußten uns mit unsern Kugeln Bahn brechen. Die ersten Schüsse fruchteten wenig, und erst als wir wohl gegen zwanzig der Ungeheuer erlegt hatten, erhielten wir dadurch Luft, daß die andern über dieselben herfielen und sie in tieferes Wasser zerrten, um sie zu zerreißen und zu verzehren. Es war eine wirklich scheußliche Szene.

„Ich begreife nicht, wie es den Männern, falls sie unbewaffnet waren, gelingen konnte, von hier nach der Insel zu kommen!“ sagte der Bruder.

„Es läßt sich erklären,“ antwortete ich. „Die Tiere waren zerstreut und haben sich erst dann hier zusammengefunden, als sie durch die Hin- und Rückfahrt des Flosses darauf aufmerksam wurden, daß es hier vielleicht Beute gebe. Auch glaube ich, daß man sie mit den Bambusstangen von sich abwehren kann. Ein tüchtiger Hieb oder Stoß, zumal in das Auge, wird selbst von so einem Tiere gefühlt.“

jetzt, da der Weg nun leidlich frei war, griffen wir zu den erwähnten Stangen und stakten uns vom Ufer fort. Wir mußten die tieferen Stellen des Wassers benutzen, doch betrug die Tiefe derselben nicht mehr als höchstens vier oder fünf Ellen. Sobald das Floß in Bewegung war, getraute sich keins der Krokodile mehr in die Nähe desselben; desto ausdauernder aber kamen sie hinterdrein geschwommen. Gefahr gab es nicht, aber unleidlich war der Gestank, welcher von diesen Sauriern ausging.

Mir war es ein Rätsel, wovon die Tiere lebten. Hatte es früher Fische und andre Tiere im Wasser gegeben, so mußten dieselben von den Krokodilen doch längst ausgerottet worden sein. Die Bestien lebten vielleicht nur von den schwächeren Individuen ihrer eigenen Sippe.

Da fünf Stangen in kräftiger Bewegung waren, so näherten wir uns der Insel so schnell, daß wir die darauf befindlichen Personen bald mit bloßen Augen erkennen konnten. Auch sie sahen uns. Sie standen am Ufer. Aber anstatt uns zuzurufen, verhielten sie sich still. Sie wußten nicht, ob wir in freundlicher oder feindlicher Absicht kamen. Als wir uns nahe genug befanden, sah ich, daß jeder von ihnen ein Messer in der Hand hatte. Ihre Mienen waren entschlossen. Man sah es den Leuten an, daß sie bereit waren, sich nötigenfalls in einen Kampf mit uns einzulassen.

„Halt!“ rief uns einer in spanischer Sprache entgegen. „Kommt nicht näher heran! Wir müssen wissen, was ihr wollt. Wer seid ihr?“

Ich wollte antworten, aber vor mir ertönte des Fraters Stimme:

„Seit wann mißtrauen Sie mir, Sennor Harrico? Glauben Sie, in mir einen Feind sehen zu müssen?“

Der Bruder kannte zufälligerweise den Mann, welcher der bereits erwähnte Vertreter eines Bankiers in Buenos Ayres war. Auch dieser sah jetzt, wen er vor sich hatte. Er antwortete:

Bendito sea Dios! Der Bruder Jaguar! Wir sind gerettet! Sennores, diese Herren können nur in freundlicher Absicht zu uns kommen!“

Es wurde unsrer Landung nichts in den Weg gelegt. Wir legten an und zogen das Floß so weit an das Ufer, daß es nicht fortgeschwemmt werden konnte. Die Leute reichten uns mit Freudenrufen ihre Hände entgegen, und dann wurden wir durch den Bruder und Sennor Harrico einander in aller Eile vorgestellt.

Es genügt, nur zu erwähnen, daß sich zwei Nordamerikaner unter ihnen befanden, welche natürlich von Kapitän Turnerstick mit lebhaftester Freude begrüßt wurden.

„Aber, Sennor,“ fragte der Bruder seinen Bekannten aus Buenos Ayres, „wie sind Sie nur auf diese Insel gekommen?“

Um Nuestro Sennor Jesu-Cristo de la floresta virgen zu sehen.“

„Das ist ja nicht hier!“

„Leider ja. Wir wurden betrogen. Dieser Sendador ist ein ungeheurer Schurke. Und wir haben ihm ein solches Vertrauen geschenkt.“

„Er verdient es keinesfalls, wie ich beweisen kann!“

„Wir bedürfen Ihres Beweises gar nicht, denn er selbst hat es uns bewiesen. Aber was thun Sie in dieser Gegend?“

„Wir suchen Sie, um Sie zu retten.“

„Wo erfuhren Sie und durch wen, daß wir uns in Gefahr befanden?“

Bruder Hilario machte in aller Kürze die nötigen Mitteilungen. Die Männer und Väter gaben ihren Schrecken durch Ausrufe des Entsetzens zu erkennen. Der Bruder tröstete sie:

„Sie können ruhig sein, Sennores. Bis jetzt ist den Ihrigen nichts geschehen, und wir werden dafür sorgen, daß ihnen auch überhaupt nichts geschieht.“

„Aber der Überfall unsrer Frauen!“

„Soll erst heute um Mitternacht vor sich gehen. Bis dahin aber haben wir vollständig Zeit, ihn zu vereiteln.“

„So sei dem Himmel und Ihnen Dank. Wir werden ja Zeit finden, uns näher auszusprechen, aber sagen Sie zunächst, wo sich der Sendador befindet.“

„Bei der Karawane.“

„Also bei der alten Niederlassung?“

„Nein. Sie sind fort nach eben dem heiligen Bilde, dessen Namen Sie vorhin nannten.“

„Ohne uns? – So befinden sich die Hilflosen in seiner Hand?“

„Einstweilen, ja. Aber ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ihnen nichts geschehen wird. Jetzt ist es für uns die Hauptsache, zu erfahren, womit es ihm gelungen ist, Sie hierher zu locken.“

„Durch eine Lüge.“

„Natürlich. Aber durch welche?“

„Er sagte, daß wir hier das Kreuz unsers Sennor Jesu-Cristo finden würden.“

„Und nur aus diesem Grunde folgten Sie ihm? Welche Unvorsichtigkeit!“

„Er beschrieb uns dieses Kreuz in einer Weise, welche alle unsre Wißbegierde rege machte. Er sagte, ein Inka sei einst auf einem Kriegszuge hierhergekommen. Er sei ein Christ gewesen und hier von den Indianern überfallen worden. Er rettete sich mit einem Häuflein seiner Getreuen nach der Insel, wo sich die Tapfern bis auf den letzten Mann verteidigten. Wie sie fielen, So liegen sie noch heute, so neben und aneinander gelegt, daß sie ein Kreuz bilden, eben das Kreuz unsers Sennor Jesu-Cristo de la floresta virgen.“

„Wunderbar, das zu glauben!“

„Warum sollten wir es bezweifeln?“

„Weil die Indianer Heiden waren. Sie hätten die christlichen Leichen nicht zu der heiligen Figur zusammengelegt.“

„O, der Inka starb zuletzt und bekehrte sie vor seinem Tode.“

„Ah so! Während er sich gegen sie verteidigte, fand er Zeit, sie zu bekehren?“

„Ja. Und die Bekehrung war eine so tiefe und wunderbare, daß die Heiden selbst die Schätze, die goldenen Rüstungen, welche die Inkas trugen, nicht anzurühren wagten.“

„Eine solche Bekehrung wäre freilich anzustaunen.“

„Der Sendador erzählte es, und wir glaubten es. Es sind ja noch ganz andre Dinge geschehen. Die Leichen, das heißt die Gerippe liegen noch heute hier auf der Insel, ein Kreuz bildend und mit allem ihrem Geschmeide angethan.“

„Ich verstehe. Diese Fabel hat der Sendador sich gar nicht übel zurecht gelegt. Die Geschichte von dem Leichenkreuze und den Schätzen ersann er, um Sie nach der Insel zu locken. Die Messer durften Sie mitnehmen, weil diese notwendig waren, um Schilf und Bambus zu einem Floße zu schneiden. Andre Waffen aber waren verboten, denn wenn Sie Ihre Gewehre bei sich hätten, so wäre es Ihnen möglich gewesen, eine solche Menge von Krokodilen zu erlegen und zu verscheuchen, daß Sie ohne Schaden wieder an das Ufer hätten gelangen können. Haben Sie das alles denn wirklich geglaubt?“

„Ja.“

„Und es ist Ihnen gar kein Zweifel gekommen?“

„Nicht eher, als bis er uns verließ.“

„Haben Sie sich alle auf einmal auf dem Floße befunden?“

„Ja. Wir hatten Platz genug.“

„Wurden Sie nicht von den Krokodilen belästigt?“

„Nein. Diese Tiere richteten ihre Aufmerksamkeit erst später auf das Floß.“

„Sie stiegen alle an das Land?“

„Alle, nur der Sendador nicht. Als wir ihn fragten, warum er auf dem Floße bleibe, antwortete er uns höhnisch, daß er uns das Vergnügen gönne, uns allein in die Kostbarkeiten zu teilen.“

„Und Sie hielten ihn nicht zurück?“

„Wir konnten nicht, denn er war schon wieder abgestoßen; die Krokodile kamen herbei, und wir hatten die Stangen auf dem Floße gelassen. Erst die Worte, welche er uns dann noch aus der sichern Ferne zurief, daß er unsere Frauen mit den Indianern verheiraten und die schönsten unserer Töchter für sich selbst behalten werde, während uns hier die Krokodile auffressen würden, enthüllten seine Absicht. Wir wollten nur schwer an unsere Lage glauben. Vielleicht hatte der Sendador nur gescherzt. Wir durchsuchten die Insel nach den Inkas.“

„Natürlich fanden Sie nicht die geringste Spur von ihnen!“

„Nichts, gar nichts fanden wir. Da waren wir denn doch Überzeugt, daß es auf unseren Untergang abgesehen sei. Von da an saßen wir beisammen und berieten uns. Aber keinem kam ein guter Gedanke. Darum sind wir alle voller Dank gegen Sie und Ihre Freunde. Hoffentlich findet sich eine Gelegenheit, Ihnen diesen Dank abzutragen.“

„Denken Sie nicht daran! Suchen wir vor allen Dingen, von dieser unglückseligen Insel fortzukommen.“

„Wird das Floß uns alle tragen?“

„Probieren wir es wenigstens.“

Die Probe erwies, daß wir es wagen konnten. Die zwanzig Unbewaffneten mußten sich lang nebeneinander legen, damit das Gleichgewicht des Floßes nicht gestört wurde. Fünf griffen zu den Staken, und wir andern knieten am Rande, um die etwa sich zu weit heranwagenden Krokodile zu erschießen. Da das Floß jetzt schwerer beladen war als vorher, ging es tiefer als auf der Herüberfahrt, aber es ragte doch so weit aus dem Wasser empor, daß wir nicht naß wurden.

Nachdem wir wieder einige der Alligators erlegt hatten, bemerkten die übrigen, daß es für sie gefährlich sei, in unsere Nähe zu kommen. Sie zogen infolgedessen in solcher Entfernung hinter uns her, daß wir sie nicht zu fürchten brauchten. Wir gelangten glücklich an das Ufer zurück, wo unsere erste Sorge war, nach unseren Pferden zu sehen. Es war gar nicht mein Gebrauch, mein Pferd in dieser Weise wie heute zu verlassen. Ich mußte es als eine Unvorsichtigkeit bezeichnen, daß nicht wenigstens einer von uns als Wächter zurückgeblieben war. Wie leicht konnten sich Indianer in der Nähe befinden und unsere Tiere davontreiben. In diesem Falle wäre es uns wohl nicht möglich gewesen, unser Vorhaben auszuführen. Glücklicherweise zeigte sich, daß meine Besorgnis überflüssig gewesen war.

Nun die zwanzig Männer sich wieder in Sicherheit befanden und keine Sorge mehr um sich zu haben brauchten, konnten wir beraten, was zu geschehen habe. Die Männer und Väter der bedrohten Frauen und Kinder drängten freilich zum schnellsten Handeln; aber ich riet von jeder Überstürzung ab. Eine Viertelstunde ruhiger Überlegung bringt später Stunden und wohl gar Tage ein, wie ich oft erfahren hatte.

Natürlich war es unsere Absicht, der Wagenkarawane nachzueilen. Holten wir sie noch vor der Zeit des geplanten Überfalles ein, so hatten wir es nur mit dem Sendador zu thun. Zwar war er nicht der einzige Mann, denn die Fuhrknechte befanden sich dabei; aber Harrico versicherte, daß sie treue Leute seien, welche sicher nicht mit ihm unter derselben Decke spielten. Sie brauchten wir also gar nicht zu scheuen.

Wir brachen auf. Ich war dagegen, daß sich je zwei Mann auf ein Pferd setzen sollten, da dadurch die Tiere zu schnell ermüdet würden. Da für dreißig Männer nur zehn Pferde vorhanden waren, so geschah es jedenfalls besser, wenn nur zehn ritten und desto häufiger abgewechselt wurde. Die andern waren einverstanden, und in dieser Weise wurde der Weg angetreten.

Er war zunächst kein beschwerlicher, denn er führte durch den ebenen, grasigen Camp, auf welchem sich nur hier und da einmal eine Buschinsel befand. Das Gras stand weder hoch, noch dicht, infolgedessen diejenigen, welche zu Fuße gehen mußten, nicht schnell ermüdeten, obgleich sie gezwungen waren, mit den schnell ausgreifenden Pferden gleichen Schritt zu halten.

Ich befand mich unter den Fußgängern, da ich meinen Braunen einem andern übergeben hatte. Sennor Pena hatte dasselbe gethan und sich dann zu mir gesellt, um mit mir über das bevorstehende Abenteuer zu sprechen. Als wir unsere Ansichten ausgetauscht hatten, kam die Rede auf unsere mexikanischen Erlebnisse. Bei dieser Gelegenheit brachte ich seine Nationalität zur Sprache, indem ich ihn fragte:

„Sennor, sind Sie von spanischer Abstammung?“

„Nein,“ antwortete er.

„Ich vermute allerdings, daß Sie ein Deutscher sind.“

„Sie vermuten nur? Das können Sie doch gewiß wissen.“

„Dazu würde ein Scharfsinn gehören, den ich vielleicht nicht besitze. Dennoch hegte ich die Ansicht, daß Sie ein Deutscher sind; aber ich konnte das eben nur vermuten, da Sie sich in Mexiko darüber ausschwiegen.“

„Das hatte damals einen guten Grund.“

„Darf ich erfahren, welchen?“

„Ja, denn heute kann ich darüber sprechen. Man kennt mich hier als eifrigen Chinarindensammler und Goldsucher. Ich ging nach Mexiko in der letzteren Eigenschaft, wollte das aber nicht wissen lassen. In meiner damaligen Gesellschaft befand sich einer, welcher mich zwar gar nicht persönlich, aber doch meinen Namen und auch sonstiges von mir kannte, da er längere Zeit hier im Süden gewesen war. Ich sah mich also gezwungen, meine deutsche Abstammung zu verleugnen und legte mir infolgedessen einen spanischen Namen bei.“

„Aber wenigstens gegen mich konnten Sie aufrichtig sein!“

„Nein. Sie waren zwar kein Goldsucher, und ich hatte Ihrerseits also keinen Konkurrenzneid zu befürchten, aber Sie konnten mich leicht durch ein unbewachtes Wort verraten.“

„Wenn Sie so außerordentlich vorsichtig verfuhren, so mußten die Gründe, welche Sie hatten, sehr zwingende sein.“

„Das waren sie allerdings.“

„Sie hatten wahrscheinlich einen glücklichen Fund im Auge?“

„Das hatte ich. Auf welche Weise ich zu der betreffenden Erfahrung gekommen war, das thut nichts zur Sache, kurz und gut, ich hatte mir eine Gegend beschreiben lassen, in welcher sehr wahrscheinlicherweise eine Goldgrube zu finden sein würde. Aus diesem Grunde ging ich nach Mexiko und schloß mich jenen Leuten an, welche auf ihrem Zuge durch die betreffende Gegend kommen mußten. Natürlich verheimlichte ich meine Absicht, sonst hätte ich die andern alle auf dem Halse behalten.“

„Und hatten Sie Erfolg?“

„Mehr als ich erwartete. Als wir durch die Gegend kamen, erkannte ich auf den ersten Blick aus der Formation derselben, daß meine Reise nicht vergeblich gewesen sei. Ich ritt noch eine Tagereise weiter mit und entfernte mich dann heimlich des Nachts, um zurückzukehren. Nach einem dreitägigen Suchen entdeckte ich die Ader, welche außerordentlich ergiebig sein mußte. Ich verbarg die Stelle mit Sand und Steingrus und ritt davon, um meine Entdeckung zu verkaufen.“

„Fanden Sie einen Käufer?“

„Sofort. Ich führte ihn in die Berge und zeigte ihm den Fund. Er war ein Kenner und ersah seinen Vorteil augenblicklich. Erst schlug er mir vor, die Goldgrube in Compagnie auszubeuten; da ich aber wieder nach den La Plata-Staaten wollte und auf diese Offerte also nicht eingehen konnte, kaufte er mir meine Entdeckung ab. Die Summe, welche ich erhalten habe, ist mehr als genügend, mir eine sorgenfreie Zukunft zu sichern.“

„So gratuliere ich Ihnen auf das herzlichste. Wie aber kamen Sie dazu, sich gerade Pena zu nennen?“

„Weil dieses Wort die Übersetzung meines deutschen Namens ist.“

„Also heißen Sie wohl Kummer?“

„Ja.“

„Nun, dann halte ich es für überflüssig, daß wir spanisch sprechen. Lassen Sie uns doch deutsch reden!“

„Mit dem größten Vergnügen. Ich hätte mich damals in Mexiko Ihnen gegenüber sehr gern der Muttersprache bedient, hielt dies aber, wie gesagt, für eine Unvorsichtigkeit.“

„Darf ich Sie fragen, aus welchem Teile Deutschlands Sie stammen?“

„Warum nicht? Ich bin ein Preuße.“

„Aus welcher Provinz?“

„Schlesien. Ich bin aus Breslau.“

Wir sprachen nun natürlich über unser gemeinsames Vaterland und kürzten so unsern Weg ab.

Mittlerweile hatten wir schon zweimal die Pferde gewechselt, und nun war es dunkel geworden. Das hinderte uns aber wenig, denn Pena war ein vortrefflicher Führer, und wenn er ja einmal in Zweifel gekommen wäre, so hätte Gomarra ihn mit Auskunft unterstützen können.

Der Weg war beiden freilich nicht bekannt; aber die Richtung wußten sie, und da sie die Eigenart der Gegend früher studiert hatten, so brauchten wir uns nicht zu fürchten, uns etwa zu verirren.

Nach und nach trat der Camp zurück, und das Buschwerk wurde häufiger. Auch Bäume gab es, aber sie standen so weit. auseinander, daß sie uns nur sehr wenig hinderlich waren. Die Gegend bestand aus einer vollständigen Ebene, so daß der Boden uns keinerlei Schwierigkeiten bot. Die einzigen Hindernisse waren die Lagunen, welche wir entweder umgehen oder an schmalen Stellen durchreiten mußten. Dazu standen die Sterne am Himmel, und für später war der Mond zu erwarten.

So ritten wir mehrere Stunden durch das abendliche Halbdunkel, bis wir auf eine breite Ausspülung des Erdbodens stießen, bei deren Anblick Pena in frohem Tone erklärte:

„Das ist der Weg zum Kreuze des Urwaldes. Ich habe mich also nicht geirrt.“

„Ein Weg?“ fragte ich. „Das hat eher das Aussehen eines Flußbettes.“

„Ist es auch. Wenn zur Regenzeit die Wasser vom Gebirge stürzen, so breiten sie sich weit über die Ebene aus. Es entstehen an tieferen Stellen Nebenarme des Flusses Salado, welche ihre Wasser an geeigneten Stellen dem Hauptarme wieder zuführen. An einem solchen Nebenarme befinden wir uns.“

„Aber können da Wagen fahren?“

„Gewiß. Dieses Flußbett bietet fast die einzige Gelegenheit, per Wagen nach dem Kreuze zu gelangen. Natürlich benutzen wir es jetzt auch.“

„Meinen Sie nicht, daß wir dabei auf den Sendador stoßen werden?“

„Nein, denn wir haben ihn überholt. Er befindet sich hinter uns.“

„Das wäre ja vortrefflich, denn wir würden noch vor ihm beim Kreuze ankommen. Wie weit haben wir bis dorthin?“

„In drei Viertelstunden sind wir dort.“

„Hm! Ich wollte, ich hätte die Gegend einmal gesehen, weil wir dort höchst wahrscheinlich gezwungen sein werden, zu kämpfen. In einem solchen Falle ist es stets vorteilhaft, die Gegend genau zu kennen.“

„Nun, ich kenne sie und kann sie Ihnen beschreiben. Meiner Ansicht nach hat vor alter Zeit ein Kloster dort gestanden, denn es sind noch Mauern vorhanden, und einst entdeckte ich sogar den Eingang zu einem Kellergewölbe.“

„Dann stammt dieser Bau freilich von den Weißen; denn die hiesigen Indianer bauen kein Gewölbe. Ist die Gegend ebenso eben wie hier? Hat sie Wald?“

„Es giebt dort einen Hügel, um dessen Fuß sich unser Flußbett schlingt. Seine Seiten sind mit Bäumen bewachsen, und auf dem Gipfel liegen die Ruinen des Bauwerkes, von welchem ich sprach. Auf dem höchsten Punkte, der hinab zum Flusse blickt, steht das Kreuz des Urwaldes.“

„Führt ein Weg, welcher von Wagen benutzt werden kann, auf den Hügel?“

„Nein – der Sendador wird mit seinen Karren unten am Hügel halten.“

„Und dort wird er von den Indianern erwartet. Es ist anzunehmen, daß sie sich nicht sofort sehen lassen werden. Sie werden sich verstecken.“

„Das denke ich auch. Sie werden den Überfall nicht eher unternehmen, als bis sie mit dem Sendador gesprochen haben.“

„Er wird sie also aufsuchen, um ihnen mitzuteilen, daß sein Anschlag gegen die Männer gelungen sei, und daß sie sich nun die Frauen und Kinder holen können. Ich denke, daß die Roten oben in dem Gemäuer stecken werden.“

„Auch ich bin so sehr davon überzeugt, daß ich glaube, darauf schwören zu können.“

„So dürfen wir nicht ganz bis an den Hügel reiten, weil man uns sonst bemerken würde. Vielleicht haben die Indianer sogar Posten ausgestellt.“

„Das glaube ich nicht. Sie haben keine Veranlassung dazu. Sie erwarten ja nur die Wagen mit den Weibern. Etwas anderes wäre es, wenn sie das Nahen einer bewaffneten Kriegerschar befürchten müßten. Ich glaube, daß sie in den Ruinen, vielleicht gar in dem Keller stecken und ganz ruhig warten, bis der Sendador kommt, um sie abzuholen.“

„Haben Sie damals das Kellergewölbe genau untersucht?“

„Natürlich. Man kann ja niemals wissen, in welcher Weise die Kenntnis eines solchen Ortes einem von Nutzen sein kann.“

„Ist es groß?“

„Wenn sie eng stehen, haben zweihundert Personen Platz.“

„Sind mehrere Ein- oder Ausgänge da?“

„Das war es, was ich vor allen Dingen suchte; aber ich habe trotz aller Mühe nur den einen Eingang gefunden. Es führten früher Stufen hinab, welche aber jetzt nur noch teilweise vorhanden sind. Der Eingang gleicht also nicht einer Treppe, sondern einem Stollen, welcher steil hinunter führt.“

„Ich wünschte, die Roten befänden sich da unten. In diesem Falle wäre es leicht, uns ihrer ohne alle Gefahr zu versichern, während im andern Falle ein Kampf nicht zu vermeiden ist. Und dieser würde wegen der Giftpfeile für uns höchst gefährlich sein. Jetzt läßt sich freilich gar nichts sagen; wir müssen sehen, wie wir die Sache finden.“

Das trockene Flußbett glich wirklich einer leidlich bequemen Straße, auf welcher wir uns wenig über eine Stunde aufwärts bewegten. Als Pena dann erklärte, daß der Hügel höchstens fünfhundert Schritte vor uns liege, hielten wir an. Die andern mußten sich unter die Bäume zurückziehen, um still auf uns zu warten, während ich mit Pena rekognoszieren ging. Wir gaben uns Mühe, kein Geräusch zu verursachen. Das fiel nicht schwer, da der Boden weder Steine noch Sand besaß. Wir hielten uns am Rande unter den Bäumen.

Die Nacht war still. Kein Laut war zu hören. Und doch war uns nicht wohl zu Mute. Ein Giftpfeil, aus einem Rohre geblasen, verursacht auch kein Geräusch und ist doch weit gefährlicher als eine Büchsenkugel. Ein solcher Pfeil konnte jeden Augenblick uns treffen, falls die Indianer Wachen ausgestellt hatten. Glücklicherweise war das nicht der Fall. Wir erreichten den Fuß des Hügels und huschten nun unter den Bäumen nach oben.

Das war freilich nicht allzu leicht. Es gab da allerlei Schlinggewächse, welche uns zum Kriechen zwangen, denn die gewaltsame Beseitigung derselben hätte Geräusch verursacht. Als wir endlich oben ankamen, bemerkte ich, so gut das Halbdunkel und die Bäume es erkennen ließen, daß die Spitze des Hügels eine ziemlich große Platte bildete. Eingefallenes Mauerwerk gab es gleich da, wo wir standen. Doch mußten wir sein Vorhandensein mehr erraten, als daß wir es sahen, denn es war dicht mit Pflanzen überrankt.

„Wo ist der Eingang in die Ruine?“ fragte ich Pena leise.

„Gleich rechts da in der Nähe.“

„Sind vielleicht verschiedene Höfe da?“

„Wahrscheinlich. Offen ist aber nur der vordere, während hinten alles einen wüsten, unzugänglichen Trümmerhaufen bildet.“

„Und gelangt man in den Keller aus diesem vorderen Hofe?“

„Ja.“

„So kommen Sie! Aber vorsichtig!“

Er ergriff meine Hand und zog mich weiter. Bald erreichten wir die Stelle, an welcher sich das große, breite Thor befunden hatte, wie leicht zu erkennen war. Es galt da, vorsichtig zu sein; denn wenn überhaupt Wachen ausgestellt waren, so stand hier ganz sicher eine. Aber die Roten schienen ihrer Sache sehr gewiß zu Sein, denn dieser Haupteingang war frei.

Als wir ihn passiert hatten, befanden wir uns auf einem rund von niedrigen Mauertrümmern eingefaßten Vierecke. Das war der Hof. Uns gerade gegenüber sah ich etwas wie den Schein eines verdeckten Lichtes. Zugleich drang uns ein brenzlicher Geruch entgegen.

„Dort geht es in den Keller hinab,“ sagte Pena. „Man hat da unten ein Feuer angemacht.“

„Das giebt Rauch. Da müssen die Männer ja ersticken!“

„O nein. Ich habe im Gewölbe zwei Löcher bemerkt, rechts und links hoch oben an den Seiten. Da kann der Rauch abziehen.“

„Sind diese Löcher etwa groß genug, daß ein Mensch hindurchkriechen kann?“

„O nein. Übrigens liegen die beiden Luftlöcher oben so frei, daß wir durch sie hinabblicken können.“

„Das ist sehr gut. Auf diese Weise können wir beobachten und die Feinde wohl auch zählen. Vorwärts jetzt!“

Wir schlichen uns nach dem Eingange. Auch da stand niemand. Ja, unten brannte ein kleines Feuer, und jetzt bemerkte ich den Duft bratenden Fleisches. Der Schein drang eine kleine Strecke in den Treppengang herein, und so sah ich, daß da allerlei Trümmer der früheren Stufen lagen, welche es uns unmöglich machten, uns lautlos hinabzuschleichen und einen Blick in das Gewölbe zu werfen. Die Steinchen hätten sich losgelöst und uns durch ihren Fall verraten. Da uns hier ein direkter Einblick nicht möglich war, wandten wir uns erst zum einen und dann auch zu dem anderen Luftloch, welche oben zu beiden Seiten lagen. Da sahen wir unten die Indianer sitzen. Aber unser Gesichtskreis war so eng, daß ich nicht mehr als acht Personen zählen konnte.

„Es sind natürlich weit, weit mehr vorhanden,“ meinte Pena. „Wenn diese Leute einen Überfall planen, so ziehen sie zahlreich aus, denn Tapferkeit ist ihre Tugend nicht, Was thun wir jetzt?“

„Sie eilen zurück und holen die Kameraden. Dieselben mögen aber vorher die Pferde an einem Orte anbinden, an welchem der Sendador sie nicht findet.“

„Und was thun Sie indessen?“

„Ich bewache den Eingang.“

„Herr, das ist gefährlich!“

„Ganz und gar nicht. Die Kerle stecken ja alle in der Falle!“

„Aber wenn einer herauskommt?“

„So nehme ich ihn bei der Gurgel oder gebe ihm einen Klapps auf die Nase, daß er hinunterrutscht.“

„Dann kommen die andern alle!“

„Das werden sie bleiben lassen. Es können höchstens zwei Personen nebeneinander gehen; also halte ich alle mit meinen Revolvern in Schach.“

„Gut! Wir werden sehr bald kommen.“

„Allzu vorsichtig brauchen Sie nicht zu sein. Es ist niemand da, der Ihnen gefährlich werden kann; also können Sie ganz offen und unbesorgt heranmarschieren.“

Er ging, und ich ließ mich neben dem Eingange nieder, fest entschlossen, keinen Menschen herauszulassen. Von unten herauf drang unterdrücktes Stimmengewirr; einzelne Stimmen oder gar Worte waren nicht zu unterscheiden. Übrigens hätte mir das gar nichts nützen können, da ich die Sprache der Aripones nicht verstand. So hatte ich wohl über zehn Minuten gesessen, als ich das Geräusch rollender Steine vernahm. Ich beugte mich vor und sah zur Treppe hinab. Da kam einer langsam heraufgestiegen. Er befand sich noch im Kreise des Feuerscheines, und so konnte ich ihn erkennen. Es war Gomez. Er trug keine Waffen als nur sein Messer bei sich. Ich stand auf und trat ein wenig zur Seite. Dort stand ein Baum, unter dessen Krone der hellere Ton meines Lederanzuges nicht leicht zu erkennen war.

jetzt trat der Mann hervor. Er sah sich um und lauschte in die Nacht hinaus. Schon drehte er sich um, um wieder hinabzusteigen; da sagte ich in halbem Tone, nur so, daß er es gerade zu hören vermochte:

„Gomez.“

Schnell wendete er sich zurück.

„Wer ist da?“ fragte er.

„Der Sendador.“

„Schon? Das ist schnell gegangen. Wo sind die Weiber und Kinder?“

„Unten bei den Wagen.“ „Das ist ja ganz – –“

Er hielt inne. Während der kurzen Fragen und Antworten war er näher gekommen. Jetzt befand er sich gerade vor mir und mochte nun doch bemerken, daß der, bei dem er stand, nicht der Sendador sein könne. Er beugte den Kopf vor, um wo möglich mein Gesicht zu erkennen, und sagte:

„Das ist ja nicht – – wer ist – –?“

Er wollte sich zur Flucht wenden. Da aber hatte ich ihn mit der Rechten bei der Kehle, so daß er nicht schreien konnte, und mit der Linken zog ich das Messer aus seinem Gürtel, damit er sich desselben nicht bedienen könne. Gegen mich war er von der Schwäche eines Kindes. Er brach sofort in die Kniee. Ich setzte ihm das Messer auf die Brust und drohte:

„Ein lautes Wort, so steche ich Sie nieder. Werden Sie schweigen?“

„Jaaaa – – –“ gurgelte er, als ich ihm zu diesem Zwecke ein wenig Luft in die Kehle ließ.

„Gut, so will ich Sie wenigstens atmen lassen. Aber ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Sie beim ersten unerlaubten Laute ersteche! Legen Sie die Hände auf den Rücken, damit ich Sie binden kann!“

Ich nahm die Hand von seinem Halse, hielt ihn aber mit der einen Hand fest, während ich mit der andern einige Riemen aus der Tasche zog. Dabei mußte ich mich bücken. Mein Gesicht kam in die Nähe des seinigen, und nun erst erkannte er mich.

„Sie sind es, Sie, Sennor!“ sagte er.

„Wer sonst? Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich kommen werde?“

„Ah! Sie, Sie! Nun ist alles verloren!“

„Was verstehen Sie unter diesem alles?“

„Etwas, was Sie nicht zu wissen brauchen.“

„Ganz richtig! Ich brauche es nicht zu wissen, weil ich es schon weiß.“

„Sie? Unmöglich!“

Während dieser Worte band ich ihm die Hände auf den Rücken und die Füße zusammen. Nun lag er regungslos vor mir auf der Erde. Ich zog ihn seitwärts bis an eine Stelle, von welcher aus ich den Eingang gut vor Augen hatte, und setzte mich bei ihm nieder.

„Sennor, was haben Sie mit mir vor? Was werden Sie mir thun?“ fragte er.

„Das wird ganz auf Ihr Verhalten ankommen.“

„Sind Sie allein da?“

„Nein. Wenn Sie so große Sehnsucht nach meinen Gefährten und Ihren früheren Bekannten haben, so kann ich Ihnen zu Ihrer Beruhigung mitteilen, daß sie sich Ihnen baldigst vorstellen werden. Auf unsere Freundschaft dürfen Sie freilich nicht mehr zählen.“

„Was habe ich denn gethan?“

„Erstens sind Sie uns ausgerissen, und zweitens – –“

„Sennor, das dürfen Sie doch nicht ausreißen nennen! Ich mußte!“

„Warum?“

„Das ist mein Geheimnis.“

„Aber ein Geheimnis, welches ich auch kenne. Ich habe Ihnen in Palmar gesagt, daß ich Sie hindern werde, das zu thun, was Sie vorhaben.“

„Sennor, Sie können ja gar nicht wissen, was wir beabsichtigen!“

„Ich weiß es nur zu gut. Sie haben die zwanzig Männer auf die Krokodileninsel gelockt, und hier wollen Sie nun die Frauen und Kinder holen.“

Cielo! Wer sagt das?“

„Sie selbst haben es zu dem Sendador gesagt.“

„Das ist nicht wahr.“

„Leugnen Sie doch nicht, Gomez! Die Lüge hilft Ihnen nichts. Sie sind belauscht worden. Man hat jedes Ihrer Worte genau vernommen. Wir sind Ihnen natürlich schnell von Palmar aus gefolgt. Sie haben das auch gar nicht anders erwartet, denn Sie sagten heute zu dem Sendador, daß wir jeden Augenblick eintreffen könnten.“

„Auch das wissen Sie?“

„Alles, alles weiß ich. Wir sind auf der Krokodileninsel gewesen und haben die zwanzig Männer befreit. Das Floß lag noch am Ufer; eine große Dummheit von dem Sendador! Nun sind wir alle da, um die zweite Hälfte des geplanten Streiches zu verhüten.“

„Das ist – das ist – – das kann ich doch nicht glauben!“ stammelte er.

„Sie werden es glauben, denn – – hören Sie! Jetzt kommen meine Leute. Sie können sich also überzeugen, daß ich die Wahrheit sage.“

Ich hörte die Schritte vieler Nahenden und erhob mich vom Boden, um von ihnen gesehen zu werden. Es waren die Gefährten. Sie kamen herbei. Als sie hörten, wen ich da vor mir liegen hatte, verlangten sie, daß Gomez sofort ausgepeitscht werde. Ich brachte sie aber auf bessere Gedanken, indem ich ihnen vorstellte, daß er als Indianer gehandelt habe, welcher die Weißen als Eindringlinge betrachte. Die von der Krokodileninsel befreiten Leute waren zwar nicht geneigt, Milde walten zu lassen, doch gab ich mir Mühe, ihnen zu erklären, daß es für sie besser sei, zu verzeihen und sich die Aripones zur Dankbarkeit zu verpflichten, als durch Strenge die Rache des ganzen Stammes auf sich zu laden.

„Aber was soll denn da mit ihnen, die wir doch jetzt als unsere Gefangenen betrachten müssen, geschehen?“ fragte einer.

„Das werden Sie gleich hören,“ antwortete ich. „Ich meine, daß Sie uns Ihr Leben zu verdanken haben, und ich fordere von Ihnen die Erlaubnis, mit den Aripones Frieden schließen zu dürfen. Sie werden mir das nicht versagen, da es nicht in meinem, sondern vielmehr in Ihrem Interesse liegt.“

Nach einer kurzen, unter sich gepflogenen Beratung stimmten sie mir bei. Darum bückte ich mich zu Gomez nieder, nahm ihm die Riemen ab, richtete ihn auf und sagte zu ihm, der nun inmitten unseres Kreises stand:

„Merken Sie sich, was Sie jetzt hören! Es soll Ihnen und keinem der Ihrigen ein Leid geschehen; aber ich stelle einige Bedingungen, nach denen Sie sich zu richten haben werden.“

Er holte tief Atem, froh, in so glimpflicher Weise behandelt zu werden, und fragte mich:

„Welches sind diese Bedingungen?“

„Sie begeben sich jetzt in den Keller zu Ihren Leuten. Wie viele sind es?“

„Sechzig.“

„Sie sagen ihnen, daß dreißig gut bewaffnete Leute hier stehen und auf einen jeden schießen werden, der sich ohne unsere Erlaubnis gestattet, den Keller zu verlassen. Morgen früh könnt Ihr dann unbehelligt abziehen, nachdem Ihr vorher mit denen, welche Ihr töten wolltet, Friede geschlossen habt. Wollen Sie das Ihren Leuten vorstellen und sie dazu bringen, diese Bedingungen zu erfüllen?“

„Ja. Ich verlange aber, daß Sie Wort halten!“

„Ich lüge nicht. Also daß keiner es wagt, den Keller zu verlassen. Habe ich Ihnen etwas zu sagen, so werde ich Ihren Namen laut in den Eingang rufen. Jetzt gehen Sie!“

Er entfernte sich und verschwand mit einer Schnelligkeit im Keller, aus welcher zu ersehen war, wie froh er war, in dieser Weise davongekommen zu sein.

Einige der Anwesenden wollten sich über meine Milde beschweren, aber der Bruder gab mir recht und erklärte ihnen, daß sie alle Veranlassung hätten, in Frieden mit den hiesigen Indianern zu verkehren.

Zwei von uns waren bei den Pferden zurückgelassen. Die andern setzten sich vor den Kellereingang. Ich aber ging mit dem Steuermanne vor das Thor, um das Kommen des Sendadors zu erwarten. Den Steuermann nahm ich mit, weil er eine riesige Körperstärke besaß. Ich wußte ja nicht, ob ich Manns genug sei, es allein mit dem Sendador aufzunehmen.

Wir verbargen uns hinter den Mauertrümmern. Unsere Geduld sollte gar nicht lange auf die Probe gestellt werden. Wir hatten kaum fünf Minuten gesessen, als das schrille, häßliche Gekreisch ungeschmierter, hölzerner Wagenräder zu uns heraufschallte. Weibliche Stimmen ertönten. Man schien mit der Errichtung des Lagers beschäftigt zu sein. Dann wurde ein Feuer angebrannt, dessen Helligkeit wir sogar hier oben bemerkten.

„Nun wird er bald kommen,“ sagte der Steuermann.

„Jedenfalls. Wenn Sie zugreifen, so nehmen Sie ihn gleich so, daß er allen Widerstand aufgeben muß!“

„Haben Sie keine Sorge! Ich sehne mich geradezu, einmal jemand so recht aus Herzensgrund umfassen zu dürfen. Wie viele Rippen soll ich ihm zerdrücken? Alle oder nur einige?“

„Ich muß ihn unverletzt haben. Sie wissen ja, daß wir ihn noch brauchen. Wenn er verwundet oder verletzt wird, so ist es ihm unmöglich, uns zu seinen Schätzen zu führen. Schweigen wir jetzt!“

Bald darauf hörten wir langsame Schritte. Der Kommende gab sich nicht die geringste Mühe, leise aufzutreten. Er war seiner Sache außerordentlich gewiß. Auch mußte er die Örtlichkeit genau kennen, denn er kam direkt auf das eingefallene Thor zu. Seine Gestalt war länger als die meinige, aber schmal. Eben als er an uns vorüber wollte, richtete ich mich auf. Er sah es, prallte einen Schritt zurück und fluchte:

Caramba! Was schießest du hier, wie ein Teufel aus der Erde empor, Gomez! Das kann einen ja erschrecken! Sind deine Leute da?“

Da ich am dunklen Gemäuer stand, über welchem sich außerdem noch ein dichtes Laubwerk erhob, so konnte er meine Gestalt nicht deutlich erkennen. Er hielt mich für Gomez, von welchem er angenommen hatte, daß dieser ihn erwarten werde. Da ich die Stimme des letztern kannte, so gelang es mir, dieselbe nachzuahmen, indem ich antwortete:

„Sie sind alle hier im Keller, Sennor.“

„So will ich hinab, um ihnen meine Befehle zu geben. Es ist alles sehr gut gelungen. Die Männer stecken auf der Insel und werden dort von den Krokodilen festgehalten. Die Weiber und Kinder haben mir freilich viel zu schaffen gemacht, aber ich brachte sie endlich doch mit dem Vorgeben fort, daß die Männer bereits vorangegangen seien. Ihr werdet heute gute Beute machen, Gomez. Ich darf also für später wohl auf eure Dankbarkeit rechnen.“

„Was das betrifft, so sollen Sie den Dank schon jetzt haben, und zwar sofort.“

Ich hatte das in meinem eigenen Tone, mit unverstellter Stimme gesagt. Er neigte sich mir zu, um mir in das Gesicht zu sehen, und sagte:

„Was war das für eine Stimme! So spricht Gomez nicht. Es ist ein ganz anderer!“

„Allerdings bin ich ein anderer, Sennor Sabuco.“

„Und zwar kein Indianer, sondern ein Weißer! Mann, ich will doch hoffen, daß Sie zu denen gehören, welche ich hier suche!“

„Zu den Aripones also? Nein, zu ihnen gehöre ich freilich nicht.“

Ich konnte ihm in aller Ruhe so antworten, denn ich sah, daß sich der Steuermann hinter ihm erhoben hatte und bereit stand, ihn mit seinen gewaltigen Armen zu umfangen.

„Nicht!“ rief er aus. „Dann frage ich Sie, wer Sie sind. Antwort, oder ich steche Sie augenblicklich nieder!“

Er griff nach seinem Messer.

„Lassen Sie das Messer stecken, Sennor! Ich habe Sie in der besten Absicht erwartet.“

„In welcher?“

„Um Sie zu grüßen von den zwanzig Sennores, welche Sie den Krokodilen übergeben haben. Sie befinden sich nicht mehr auf der Insel, sondern hier ganz in der Nähe. Ich werde Sie zu ihnen bringen, denn es verlangt sie, mit Ihnen zu sprechen.“

„Hole Sie der Teufel! Hier haben Sie das Messer in die Rippen, als Lohn für die Neuigkeit, welche Sie mir bringen, und zugleich als – – –“

Er unterbrach sich und stieß einen Schreckensruf aus, weil in diesem Augenblick der Steuermann ihn von hinten umfaßte und ihm die beiden Arme an den Leib drückte.

„Da haben wir ihn im Schraubstocke,“ lachte der gute Hans Larsen. „Welche Wonne, wenn ich ihn so umarmen dürfte, wie ich es wünsche!“

Der Sendador wollte schreien, aber seine Stimme erstickte; der Steuermann preßte ihm fast den Brustkasten ein. Er wollte sich wehren, aber die Umschlingung war eine so gewaltige; daß es nur zu einem ohnmächtigen Zucken seiner Beine kam.

„Was nun?“ fragte Larsen.

„Wir binden ihn und schaffen ihn dann zu den andern.“

„Warum erst binden? Das können wir nachher auch thun. Wen ich einmal zwischen meinen Händen habe, der entläuft mir nicht. Nehmen Sie ihm nur die Waffen ab!“

Ich folgte dieser Aufforderung. Der Sendador hatte außer dem Messer noch ein Gewehr und einen Revolver bei sich. Larsen ließ ihn für einen Augenblick los, legte ihm aber schnell die Hand um das Genick und sagte in spanischer Sprache zu ihm:

„Jetzt vorwärts, Sennor! Und wenn Sie nicht gehorchen, drücke ich Ihnen einige Halswirbel ein!“

Der Griff des Steuermanns war so energisch, daß der Sendador fast die Besinnung verlor. Er wurde, ohne zu einem Widerstand zu kommen, von Larsen vorwärts geschoben. Als wir bei den Gefährten anlangten, standen die an der Erde Sitzenden auf und umringten uns.

„Bringen Sie den Halunken?“ fragte Harrico, der Vertreter des Bankiers.

„Ja, hier ist er,“ antwortete der Steuermann. „Gebt Riemen her! Wollen ihm Hände und Füße binden, daß er nicht an das Fortlaufen denken kann.“

„Ja, aber fest genug! Und ein Feuer wollen wir anbrennen, damit er sehen kann, wen er vor sich hat.“

Während die einen den Gefangenen fesselten, suchten die andern brennbares Material für das Feuer zusammen. Als dieses letztere aufflackerte, konnte ich die Züge des berühmten Führers erkennen. Sein Gesicht war hager, scharf gezeichnet und von der Sonne dunkel gebrannt. Er gab nicht zu erkennen, daß er sich schäme. Sein finstrer Blick ging von einem zum andern im Kreise umher; in seinen Zügen gab sich nichts als nur das größte Erstaunen zu erkennen. Er schüttelte den Kopf und sagte:

„Aber, Sennores, was fällt Ihnen denn eigentlich ein? Was bringt Sie auf den mir unbegreiflichen Gedanken, mich mit einer solchen Feindseligkeit zu behandeln?“

Er suchte sich nun mit allerlei Lügen aus der Schlinge zu ziehen und berief sich endlich auf Monteso, daß er es ehrlich meine. Der Yerbatero hatte freilich nicht an die Verruchtheit dieses Menschen glauben wollen; aber die vorhandenen Beweise sprachen so laut gegen den Sendador, daß der Genannte, indem er eine abwehrende Handbewegung machte, sagte:

„Verlassen Sie sich nicht auf mich, Sennor! Ich kann Ihnen mit meiner Empfehlung leider gar nicht dienen, weil ich überzeugt bin, daß Sie schlecht gehandelt haben.“

„Wie? Auch Sie? So hat sich also Alles gegen mich verschworen!“

„Verschworen? Davon ist keine Rede. Wir kennen Ihr Vorhaben. Wir besitzen Beweise. Es thut mir leid, einen Mann, den ich meinen Freund nannte, jetzt für einen Mörder halten zu müssen; aber ich kann leider nicht anders. Sie sind in Ihrem Gespräch mit Gomez belauscht worden.“

Der Kerl war wirklich ein außerordentlich hartgesottener Sünder. Er leugnete trotzdem mit einer geradezu beispiellosen Frechheit. Es zuckte mir in den Händen. So mochte es auch den andern ergehen. Sie ließen Ausrufe des Zornes hören und Bewegungen der Ungeduld sehen. Pena ergriff für Monteso das Wort und rief dem Sendador drohend zu:

„Mensch, ich bin es, der euch belauscht hat. Wenn du von Lügen sprichst, so beleidigst du mich, und dies von dir zu dulden, habe ich keine Lust!“

„Wer sind Sie, daß Sie es wagen, den Sendador Du zu nennen?“

„Ich bin Kummer, der Cascarillero, verstanden?“

Als der Sendador diesen Namen hörte, ging es doch wie Schreck über sein scharfes Gesicht.

Caramba!“ sagte er. „Der deutsche Cascarillero!“

„Ja. Meine überhaupt ja nicht, daß du Leute vor dir habest, welche du zu täuschen vermagst. Hier sitzt ein ehrwürdiger Herr. Kannst du raten, wer er ist?“

Der Sendador musterte den Bruder. Kannte er ihn oder erriet er es aus dem Äußern desselben, er antwortete:

„Der Frater Jaguar!“

„Richtig! Er ist nicht der Mann, sich ein X für ein U machen zu lassen. Und da neben ihm sitzt der Sennor, vor welchem dich Gomez gewarnt hat.“

jetzt schenkte der Gefesselte mir mehr Aufmerksamkeit als bisher.

„Der Deutsche?“ fragte er.

„Ja. Dieser schaut dir bis in das tiefste Herz. Selbst wenn es dir gelänge, uns an dich glauben zu machen, ihn würdest du nicht täuschen. Dein Urteil ist bei ihm gesprochen. Aber es sind noch andere da. Du wirst dich freilich wohl nicht darüber freuen, sie wiederzusehen. Kennst du diesen?“

Er deutete auf Gomarra. Der Sendador betrachtete nun auch diesen. Er schien sich seiner Züge zu erinnern, wußte aber nicht genau, wen er vor sich hatte. Er sagte:

„Ich kenne ihn nicht – –“

„Halt!“ unterbrach ihn Gomarra. „Jetzt bin ich es, der mit ihm reden will!“

„Nein, schweigen Sie noch!“ bat ich ihn.

„Warum? Soll er nicht wissen, wen er vor sich hat?“

„Jetzt noch nicht. Sie schaden sich selbst und unserm Vorha – – –“

„Schaden?“ unterbrach er mich. „Wenn auch! Nichts soll mich hindern, diesem Ungeheuer mitzuteilen, was er zu erwarten hat.“

Und sich wieder an den Sendador wendend, fuhr er, ohne meiner Winke zu achten, fort:

„Also Sie erinnern sich, mich gesehen zu haben?“

„Es ist möglich,“ antwortete der Gefragte.

„Es war oben in den Bergen, in der Pampa de Salinas.“

Der Sendador schien, als er dies hörte, unter seiner dunkeln Haut zu erbleichen.

Er antwortete nicht.

„Sie kennen doch diese Pampa?“ fragte Gomarra. „Und wissen, daß dort ein Mord geschehen ist?“

„Möglich, geht mich aber doch nichts an.“

„Den Mörder soll das nichts angehen?“

„Sennor, Sie nennen mich einen Mörder?“

„Ja, denn Sie sind es. Sie haben meinen Bruder getötet.“

„Ich? Ihren Bruder? Es scheint, man spielt hier Theater mit mir! Ich kenne weder Sie noch Ihren Bruder!“

„So besinnen Sie sich! Sie sind mir einmal oberhalb der Salina begegnet.“

„Wer kann sich auf so etwas, was oft geschieht, besinnen?“

„Sie sollen gleich nähere Details hören. Sie ritten weiter und trafen weiter unten auf meinen Bruder.“

„Davon weiß ich nichts.“

„Er kam dazu, als Sie die Kipus eingraben wollten.“

„Kipus?“ rief der Sendador, jetzt freilich in erschrockenem Tone.

„Ja, Kipus, welche in einer Flasche steckten.“

„Woher wissen Sie das?“

„Weil ich seit jenem Tage oft da oben gewesen bin und nachgegraben habe, um zu sehen, ob sich die Flasche noch dort befindet.“

Valgame Dios!“

„Ja, nun erschrecken Sie!“

„Nein, ich erschrecke nicht,“ behauptete der Führer. „Ich weiß gar nichts davon!“

„So? Gar nichts? Sie wissen auch nicht, daß Sie meinen Bruder erschossen haben, damit er Ihr Geheimnis nicht verraten könne?“

„Kein Wort!“

„Daß Sie ihn für tot liegen ließen und dann weiter ritten, um die Flasche unten am Felsen der Salina abermals zu vergraben?“

„Sennor, Sie dichten da wohl gar einen Roman?“

„Nein, ich dichte nicht, sondern ich rede die reine Wahrheit. Ich habe Sie ja mit diesen meinen eigenen Augen beobachtet. Ich bin dann oft hingekommen und habe nachgegraben. Ich wollte wissen, ob Sie wieder dort gewesen seien. Ich habe vergebens gestrebt, Ihnen wieder zu begegnen. Nun ich Sie hier habe, sollen Sie Ihren Lohn finden! Ich lasse Sie sicher nicht entkommen; darauf können Sie sich verlassen!“

Es schien dem Sendador nicht behaglich zu Mute zu sein. Er schüttelte den Kopf, zeigte die Miene gekränkter Unschuld und sagte:

„Sennor, Sie verkennen mich und haben mich verkannt. Es ist ein anderer gewesen, welcher wohl eine kleine Ähnlichkeit mit mir gehabt hat.“

„Wir glauben Ihnen doch nicht. Machen Sie sich auf den Tod gefaßt! Der Bruder Jaguar kann noch mit Ihnen beten; dann sterben Sie. Ich habe mir fest vorgenommen, daß Sie bei unserer ersten Begegnung meine Kugel erhalten sollen. Heute treffen wir uns zum erstenmal, und ich halte mein Wort.“

Er wendete sich ab. Seine Art und Weise behagte mir keineswegs. Durch seine Ausplauderei hatte er mir einen ganz bedeutenden Strich durch meine Rechnung gemacht. Der Sendador sollte doch gar nicht ahnen, daß sich so ein Bluträcher, ein Zeuge seiner Thaten unter uns befinde. War es ihm einmal gesagt worden, so mußten wir auf unser Unternehmen, auf den Ritt nach der Pampa de Salinas, verzichten. Ich aber war fast begierig, die Zeichnungen und Kipus zu sehen. Nun Gomarra den Fehler begangen hatte, brauchte ich über das übrige nicht mehr zu schweigen. Vielleicht wurde er durch die Wucht unserer Anschuldigungen mürbe gemacht. Darum ergriff ich jetzt das Wort, indem ich zu ihm sagte:

„Sie leugnen mit einer ganz unbegreiflichen Hartnäckigkeit. Da wir solche Beweise in den Händen haben, gehört eine geradezu freche Stirn dazu, das alles in Abrede zu stellen.“

Er warf mir einen fast verächtlichen Blick zu und antwortete:

„Was wollen denn nun auch Sie? Ich kenne Sie nicht. Sie sind ja ganz fremd im Lande!“

„Aber doch bereits höchst vertraut mit Ihrer Person!“

„Das wäre ein Wunder!“

„Gar nicht. Zunächst will ich Ihnen sagen, daß es eine Dummheit von Ihnen ist, zu leugnen, daß Sie mit den Aripones im Bunde stehen. Ein offenes Geständnis würde Ihre Lage sicherlich nicht so verschlimmern, wie Ihr verstocktes Lügen.“

„Ich lüge nicht!“

„Behaupten Sie das nicht! Gomez hat schon alles eingestanden.“

„Gomez? Wie könnten Sie mit dem gesprochen haben!“

„Durch diese Ihre Worte verraten Sie sich selbst. Er hat natürlich hier auf Sie gewartet. Wir kamen eher als Sie und haben uns seiner ganz ebenso bemächtigt, wie wir Sie ergriffen haben.“

jetzt fuhr er mit dem Kopfe in die Höhe. Es war zum erstenmal, daß er seinen Schreck deutlich sehen ließ.

„Sie haben ihn gefangen?“ entfuhr es ihm.

„Wie ich sage, und er sitzt in sicherem Gewahrsam, da unten in dem Keller.“

„Und seine Indianer? Wo befinden sich diese?“

„Ah, Sennor, jetzt lassen Sie die Maske plötzlich fallen! jetzt fragen Sie nach den Indianern. Sie geben damit alles zu, was Sie bisher geleugnet haben.“

„Zum Teufel, reden Sie! Mag ich zugeben oder nicht; ich will wissen, wo die Roten stecken.“

„Auch im Keller. Sie sind also vollständig unfähig gemacht, Ihr Vorhaben auszuführen.“

„Und Gomez hätte gestanden?“

„Ja. Er war aufrichtiger als Sie; er war zugleich auch klüger, denn er sah ein, daß ihm das Leugnen nichts nützen, sondern nur schaden könne. Es wäre ihm gewiß an Hals und Kragen gegangen; aber infolge seines Geständnisses werden wir ihm und den andern Indianern das Leben schenken.“

„Aber, gesetzt, es sei alles so, wie Sie es sich einbilden, so wäre es doch eine Ungerechtigkeit, diese Leute zu begnadigen und mich zu töten!“

„Nein; es wäre im Gegenteile ganz gerecht gehandelt. Den Indianern kann man infolge des Standpunktes, welchen sie einnehmen, verzeihen. Sie aber haben als Weißer eine verzehnfachte Strafe verdient, zumal noch ganz andere Verbrechen auf Ihnen lasten.“

„Noch andere, weitere Verbrechen?“ fragte er in beinahe höhnischem Tone. „Nach Ihrer Meinung muß ich ja ein wahres Scheusal sein!“

„Beinahe.“

„Darf ich fragen, was Sie noch von mir wissen wollen?“

„Ja. Ich möchte gern wissen, wo der Padre begraben liegt, welchem Sie die Zeichnungen und Kipus abgenommen haben.“

Jetzt fuhr er sichtlich zusammen. Dann gab er seinem liegenden Oberkörper einen Schwung, so daß er trotz der Fesseln zum Sitzen kam, starrte mich eine Weile an und fragte dann wie abwesend:

„Welchen Padre meinen Sie?“

„Den Sie ermordeten, um ihm die genannten Gegenstände abzunehmen.“

„Alle Wetter! Wieder ein Mord, von dem ich nichts weiß und den ich trotzdem begangen haben soll!“

„Wollen Sie etwa wieder leugnen?“

„Nein, leugnen werde ich nicht, denn leugnen kann man nur etwas, was man wirklich gethan hat. Ich bin mir aber keiner Schuld bewußt, und darum kann ich nur sagen, daß Sie sich gewaltig irren.“

„Nun, Sie hatten einen Zeugen. Er rief Ihnen zu, um den Mord zu verhindern. Sie achteten aber nicht auf ihn, weil er zu fern war.“

„Sennor, Sie sehen mich erstaunt über Ihre Erfindungsgabe!“

„Spotten Sie nicht, denn Sie verschlimmern dadurch Ihr Los! Glücklicherweise für ihn entdeckten Sie in dem Zeugen einen alten Kameraden, einen Freund. Der kleine Rest von Gefühl, welchen Sie damals noch besaßen, empörte sich doch dagegen, diesen Mann zu ermorden. Sie überwältigten ihn also nur und zwangen ihm einen Eid ab, über Ihre That zu schweigen.“

„Und diesen Eid hat er gebrochen?“

„Nein. Was mich betrifft, so hat er mir nichts erzählt, sondern ich habe es erraten.“

„Erraten! So! Und was Sie nur erraten haben, das halten Sie für so gewiß, daß Sie mich des Mordes zeihen? Das ist stark, mein so außerordentlich scharfsinniger Sennor!“

Ohne diesen Spott zu beachten, fuhr ich fort:

„Ferner hat er sich an geeigneter Stelle erkundigt, ob so ein Schwur gehalten werden müsse. Man hat ihn überzeugt, daß er damit keine Sünde begehen würde, denn ein Mörder ist kein Mann, der einem andern einen vor Gott geltenden Schwur abnehmen kann. Der alte Jäger und Goldsucher hat also auf seinem Sterbebette das Geheimnis verraten können, ohne seine Seele zu gefährden.“

„Er hat gesagt, ich habe einen Padre ermordet?“

„Ja. Ermordet und beraubt.“

„Welche Lüge! Halten Sie sich übrigens für den Mann, welcher mich zu richten hat?“

„Ja. Wir alle sind nach dem Brauche der Pampa berechtigt, über Sie zu Gericht zu sitzen. Und wenn Sie uns wie bisher mit Hohn und Spott bedienen, so dürfen Sie auf keine Nachsicht rechnen.“

„Ich verlange sie auch nicht; aber Gerechtigkeit will ich haben. Und zu dieser Gerechtigkeit gehört, daß man die Sache einem ordentlichen Richter übergiebt!“

Da trat einer von den Männern, welche er nach der Insel gelockt hatte, an ihn heran, versetzte ihm einen Fußtritt und herrschte ihm zu:

„Schweig, Schurke! Dir soll das Recht der Pampa werden, nämlich eine Kugel in den Leib oder ein Strick um den Hals! Vielleicht machen wir dir die Abfahrt in die Hölle noch etwas schwerer. Wollen nur erst sehen, wie es mit unseren Frauen steht, nach denen wir noch gar nicht gesehen haben. Wehe dir, wenn du einer von ihnen ein Haar gekrümmt hast! Du wirst mit glühenden Messern zerschnitten!“

„Ja, wollen vor allen Dingen nach unseren Frauen und Kindern sehen,“ stimmte ein anderer bei. „Sterben muß dieser Mensch, aber auf sein Verhalten zu ihnen soll es ankommen, ob er leicht oder schwer zum Satan fährt. Wer steigt mit hinab?“

„Ich – ich – ich!“ riefen alle außer mir.

Keiner schien bleiben zu wollen. Jeder wollte sehen, wie es mit den Frauen stand.

„Halt!“ bat ich. „Alle können unmöglich fort. Wir müssen doch den Keller und auch den Sendador bewachen. Dazu gehören mehrere Personen.“

Man gab das zu. Den Familienvätern war nicht zuzumuten, da zu bleiben. Der Bruder ging mit ihnen, um nötigenfalls seines Trösteramtes zu walten. Der Kapitän Turnerstick wollte aus Neugierde fort und veranlaßte den Steuermann, mit ihm zu gehen. Pena und Gomarra waren ebenso neugierig, und so blieb nur ich mit den Yerbateros übrig.

Wir waren Männer genug, den Eingang zu bewachen. Übrigens war es uns allen lieb, daß die andern sich entfernten, weil sie den Tod des Sendador wollten; wir aber wünschten, daß er leben bleibe, um uns seine Geheimnisse anzuvertrauen. Gegen uns hatte er ja nicht gesündigt, und so konnten wir ihn weder anklagen noch gar richten. So war auch Monteso gesinnt, denn als die andern fort waren, sagte er in leisem Tone, so daß der Sendador es nicht verstehen konnte:

„Gut, daß sie fort sind! Was denken Sie, Sennor? Soll er getötet werden?“

„Was mich betrifft, so bin ich freilich dagegen.“

„Ich auch und meine Kameraden ebenso. Denken Sie an die Kipus und Pläne!“

„Es wird uns nur nicht möglich sein, seinen Tod zu verhindern.“

„Das befürchte ich auch. Gomez haben sie begnadigt, weil sie ihn als Indianer nicht für zurechnungsfähig, wenigstens nicht für so sehr schuldig halten wie diesen, den sie sicherlich nicht laufen lassen werden.“

„Ich bin überzeugt, daß unsere Bitten nichts helfen werden, aber es giebt noch einen Ausweg – die List.“

„Ah! Wie aber meinen Sie das?“

„Wir lassen ihn laufen. Wir lockern ihm jetzt den Riemen, welcher seine Hände zusammenhält. Nachher soll er hinunter nach den Wagen gebracht werden. Er muß gehen, folglich wird man ihm die Beinfesseln abnehmen. Da kann er unterwegs einen Sprung zur Seite thun. Da es dunkel ist, dürfte eine Verfolgung vergeblich sein.“

„Gut. Aber was dann?“

„Dann erwartet er uns irgendwo. Hoffentlich hält er Wort.“

„Jedenfalls, da er sich darüber freuen muß, endlich einen Mann zu sehen, welcher seine Pläne lesen und vielleicht gar die Kipus entziffern kann. Soll ich mit ihm sprechen?“

„Ja.“

Während unsers leisen Gespräches hatte der Sendador still dagelegen und kein Auge von uns verwendet. Aber es schien mir doch, als ob seine Aufmerksamkeit nicht allein auf uns gerichtet sei. Er hielt den Kopf zur Seite, als ob er nach dem Keller lausche. Da dies in seiner Lage sehr natürlich war, weil seine Verbündeten sich dort befanden, so fiel mir dieses Lauschen gar nicht weiter auf.

„Sennor Sabuco,“ sagte der Yerbatero, „es schmerzt mich, in Ihnen einen solchen Verbrecher entdeckt zu haben. Es wird mir angst und bange um Ihr Seelenheil; darum bitte ich Sie, in sich zu gehen und der Wahrheit die Ehre zu geben!“

„Schwatzen Sie nicht!“ fuhr ihn der Angeredete an. „Mir thut es noch viel mehr leid, daß ein Freund, der Sie doch bisher sein wollten, einem solchen Unsinn Glauben schenken kann.“

„Ich sage Ihnen, daß Sie bei diesem fortgesetzten Lügen auf keine Gnade zu rechnen haben. Wären Sie aber aufrichtig, so daß wir wüßten, woran wir mit Ihnen sind, so wäre dieser Sennor und also auch ich zu Ihrer Rettung bereit.“

Diese Worte blieben nicht ohne den gewünschten Eindruck. Der Sendador sah uns forschend an und fragte dann:

„Von den andern habe ich nichts Gutes zu erwarten; das weiß ich; aber von Ihnen läßt sich eher denken, daß Sie etwas zu meinen Gunsten thun wollen.“

„Ja, das wollen wir; aber gestehen müssen Sie!“

„Was haben Sie denn von meinem Geständnisse?“

„Sehr viel!“

„Nein, gar nichts; denn durch dasselbe werden die Verhältnisse nicht im geringsten verändert.“

„Sie werden sehr verändert, und zwar zu Ihren Gunsten. Wer sein Unrecht offen gesteht, dem schenkt man neues Vertrauen.“

„Pah! Ihr Vertrauen könnte mir dann gar nichts nützen.“

„Sie irren. Wir sind ja eigentlich nach dem Gran Chaco gekommen, um Sie da aufzusuchen.“

„Um mich zu verfolgen!“

„Nein. Ich traf diesen Sennor in Montevideo und habe ihn veranlaßt, sofort mit mir zu Ihnen aufzubrechen wegen der beiden Zeichnungen.“

„Versteht er denn, Zeichnungen oder Pläne zu lesen?“

„Ja. Vielleicht liest er gar auch noch Ihre Kipus?“

„Was wissen Sie von Kipus! Ich habe Ihnen gar nichts davon gesagt.“

„Überlegen Sie sich die Sache schnell, ehe die andern zurückkehren! Wir sind als Ihre Freunde gekommen, da wir keine Ahnung hatten, was wir noch erfahren und erleben würden. Wollen Sie uns alles mitteilen? Entscheiden Sie schnell, denn dann ist es zu spät!“

Über das Gesicht des Sendador flog ein eigenes Lächeln.

„Es ist nie zu spät,“ sagte er. „Ich bin zwar gebunden, aber ich fürchte keinen Menschen.“

„Seien Sie nicht allzu zuversichtlich! Die andern wollen Ihren Tod.“

„Sie werden mich aber leben lassen! Sie mögen sich nur selbst in acht nehmen. Es ist gefährlich, der Feind des Sendador zu sein! Also mir ist zwar nicht bange. Aber es wäre Thorheit, die Hilfe, welche Sie mir anbieten, zurückzuweisen, zumal Sie mir den Mann bringen, nach welchem ich jahrelang vergebens gesucht habe. Was Gomez mir erzählt hat, läßt allerdings erwarten, daß er etwas zu leisten vermag.“

Ich hatte mich bis jetzt nicht in die Unterredung gemischt; nun aber fiel ich ein.

„Sie geben also zu, mit Gomez gesprochen zu haben?“

„Ja doch!“

„Damit gestehen Sie aber auch alles andere ein.“

„Nein. Denken Sie, was Sie wollen; halten Sie mich für schuldig oder für unschuldig; es ist mir sehr gleichgültig. Sie gefallen mir, und ich bin bereit, Ihnen mein Vertrauen zu schenken. Sind Sie bereit, den Zug in die Berge mitzumachen, auch wenn Sie überzeugt sind, daß ich ein Mörder bin?“

„Auch dann. Ich bin nicht als Richter über Sie gesetzt.“

„Das ist sehr vernünftig!“

„Verstehen Sie mich nicht falsch! Es ist mir nicht gleichgültig, einen Verbrecher oder einen straflosen Menschen vor mir zu haben; aber ich interessiere mich ungemein für die Angelegenheit und bin außerdem überzeugt, daß Sie Ihrer Strafe mit Geschwindigkeit entgegen gehen.“

„Haben Sie Veranlassung, dies zu glauben?“

„Ja. Es giebt eine göttliche Gerechtigkeit, welcher keiner entgehen kann, und hier in Ihrem Falle ist der Rächer Ihnen nahe – Gomarra.“

„Den nehmen Sie doch keinesfalls mit!“

„Nun nicht; aber er wird uns und Ihnen folgen.“

„Da ist mir nicht bange. Ich werde dafür sorgen, daß er die Spur verliert. Hat der Yerbatero Ihnen alles erzählt?“

„Alles, was er wußte.“

„So wissen Sie also nur, daß ich in dem Besitze zweier Zeichnungen bin?“

„Ich weiß noch mehr, nämlich wie diese Zeichnungen in Ihre Hände gekommen sind.“

„Das ist jetzt ja Nebensache!“

„Gut, so weiß ich außerdem, daß Sie Kipus besitzen. Ich vermutete es, und dann wurde durch Gomarras Erzählung diese Vermutung zur Gewißheit.“

„War er wirklich bei der Leiche seines Bruders?“

„Ja.“

„Er spricht von einer vergrabenen Flasche. Kennt er den Ort, an welchem sie liegt?“

„Ja. Er ist öfters dort gewesen, um sich zu überzeugen, ob auch Sie dort waren. Zu Ihrem Glücke hat er Sie niemals getroffen.“

„Sagen Sie, zu seinem Glücke! Ich bin nicht der Mann, mit mir scherzen zu lassen. Das werden Sie noch erfahren!“

„Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin überzeugt davon. Sie geben, wenn Sie auch alles andere in Abrede stellen, doch zu, daß unser Weg hinauf nach der Pampa de Salinas führen würde?“

„Ja.“

„Daß die Kipus sich in Wirklichkeit dort befinden und daß sie zu den beiden erwähnten Zeichnungen gehören?“

„Wiederum ja.“

„Haben Sie diese letzteren bei sich?“

„Kann mir nicht einfallen! Bei den Wechselfällen, denen ich unterworfen bin, werde ich doch so hochwichtige Papiere nicht mit mir herumschleppen! Ich habe sie vergraben.“

„Wo?“

„Das werden Sie später erfahren. Noch kenne ich Sie nicht. Ich muß Sie prüfen, ehe ich Ihnen alles anvertrauen kann. Jetzt ist die Hauptsache, Gewißheit darüber zu erhalten, ob Sie mir wirklich zur Flucht behilflich sein wollen.“

„Wir sind bereit dazu.“

„Hegen Sie aber nicht etwa welche Hintergedanken! Ich bin nicht so hilflos, wie Sie vielleicht denken!“

„Ich gebe Ihnen mein Wort und das muß genügen.“

„Gut, ich will Ihnen vertrauen. So wird es am allerbesten sein, daß Sie mich jetzt gleich fort lassen.“

„Das geht nicht. So sehr offen wollen wir es doch nicht merken lassen, daß wir Ihren Tod nicht wünschen.“

„Später aber ist es eben zu spät!“

„Nein. Ich lockere Ihnen jetzt den Riemen an den Händen. Dann werde ich dafür sorgen, daß man auf den Gedanken gerät, Sie hinab zu den Wagen zu schaffen. Man wird Ihnen da die Füße frei geben.“

„O, schön! Da entwische ich. Bitte, machen Sie mir den Riemen locker!“

„So ohne alle Bedingung denn doch nicht. Ich muß die Gewähr haben, Sie wieder zu finden.“

„Das sollen Sie. Reiten Sie morgen abend nur in dem Flußbette, dem Sie heute folgten, aufwärts. Ich werde Sie unbemerkt beobachten und an dem geeigneten Orte zu Ihnen stoßen.“

„Können wir uns darauf verlassen?“

„Zuversichtlich.“

„Aber Sie sehen doch ein, daß man einem Mörder nicht allzu großes Vertrauen schenken kann!“

„Meinetwegen! Dagegen gebe ich Ihnen zu bedenken, daß mir ohne Ihre Hilfe die Zeichnungen ebenso wie die Kipus ohne Wert und Nutzen sind. Es liegt also in meinem eigenen Interesse, Ihnen mein Wort zu halten.“

„Dasselbe denke auch ich. Darum werde ich Ihnen jetzt die obere Fessel locker machen. Ich schneide den Riemen entzwei, und Sie halten die beiden Schnittenden so fest in den scheinbar gefesselten Händen, daß der Riemen ganz straff angespannt erscheint. Sieht man dann ja nach, so gewahrt man den Knoten und wird keine Ahnung haben, daß Sie eigentlich frei sind.“

„So brauche ich den Riemen nur wegzuwerfen.“

„Ja; aber das werden Sie nicht thun. Unsre Gefährten könnten ihn finden und dann sehen, daß er vorher zerschnitten worden ist. Das dürfen sie auf keinen Fall entdecken.“

„Gut, so nehme ich ihn mit, und komme ich an eine Stelle, an welcher man ihn nicht finden kann, so werde ich ihn wegwerfen.“

„Darum bitte ich sehr. Dann aber haben Sie keine Waffen und kein Pferd.“

„Ich brauche zunächst keins, und später wird sich alles finden. Sorgen Sie sich nur nicht um mich.“

„Sie versprechen mir aber, gegen keinen von uns fernerhin eine Feindseligkeit zu unternehmen!“

„Gern! Ich will froh sein, wenn ich von hier fort bin. Wollte ich jemandem Übles thun, so würde ich mich doch nur unnötig in Gefahr bringen.“

„Daß Sie das einsehen, beruhigt mich. Ich werde Sie los machen.“

Ich durchschnitt den Riemen. Er nahm die beiden Enden in die übereinander gebundenen Hände und sagte:

„Ich danke Ihnen, Sennor! Nun glaube ich, daß Sie es ehrlich mit mir meinen. Da ich Sie aber noch gar nicht kenne und Sie mir doch einen so wichtigen Dienst leisten wollen, so erklärt sich der Wunsch, Näheres über Sie erfahren zu dürfen.“

„Sie werden später alles hören.“

„Wir haben doch auch jetzt Zeit, bis Ihre Leute zurückkehren.“

„Wenden Sie sich an Sennor Monteso!“

Dieser letztere gab ihm die gewünschte Auskunft, indem er ihm unsre Erlebnisse kurz erzählte. Er war damit noch nicht ganz zu Ende, als die andern zurückkehrten. Sie erzählten, daß die Frauen und Kinder so außerordentliche Angst ausgestanden hätten, und drangen auf sofortige Bestrafung des Sendador. Als einzige gerechte und wohlverdiente Strafe bezeichneten sie seinen Tod. Ich war natürlich dagegen, der Bruder auch, obgleich der letztere noch nicht wußte, daß der Angeschuldigte schon halb befreit sei. Ich gab ihm aber einen bezeichnenden Wink, und er verstand mich gleich.

Der Kapitän und sein Steuermann blieben neutral. Die Yerbateros standen auf meiner Seite, und so entspann sich ein Streit, den ich dadurch zu beenden suchte, daß ich den Vorschlag machte:

„Auf diese Weise entscheiden wir nichts. Jede Partei mag einen Sprecher wählen. Beide Sprecher bringen ihre Gründe vor, und dann wird abgestimmt.“

„Das ist das allerbeste,“ sagte Gomarra, welcher natürlich überzeugt war, daß da mehr für als gegen den Tod stimmen würden. „Halten wir ein ordentliches Gericht. Aber wo? Etwa hier? Nein. Der richtige, geeignete Ort wäre unten bei den Wagen, in Gegenwart derer, welche solche Angst ausgestanden haben.“

Er ahnte nicht, wie willkommen mir dieser Vorschlag war, welchem alle beistimmten.

„Aber einige müssen als Wächter hier bleiben,“ sagte ich, „sonst entkommen uns die Indianer. Ich denke, wir lassen es wie bisher: Ich bleibe mit den Yerbateros hier, und Sie berücksichtigen, daß wir sieben Personen sind, welche gegen das Todesurteil stimmen.“

„Und wer soll für Ihre Partei sprechen?“ fragte Gomarra.

„Frater Hilario. Er wird unsre Ansicht zu vertreten wissen.“

„Schön, bleiben Sie also als Wächter des Kellers hier. Wir andern steigen wieder hinab und nehmen den Kerl mit.“

„So müssen einige ihn tragen, da er gefesselt ist.“

„Fällt uns gar nicht ein! Auch noch tragen! Er mag nur laufen. Wir binden ihm die Beine los und nehmen ihn in die Mitte. Entkommen kann er uns nicht.“

Er bückte sich nieder und knüpfte den Riemen von den Füßen; dann richtete er den Sendador auf und fuhr fort:

„Die Arme sind doch fest auf den Rücken gebunden? Wollen einmal sehen.“

Er untersuchte die Fessel. Das war ein sehr kritischer Augenblick. Der Sendador hielt aber den Riemen sehr fest in den Händen, denn Gomarra bemerkte mit Befriedigung:

„Na, das geht ja fast ins Fleisch; den bringt er unmöglich auf. Also vorwärts, mein Bursche!“

Er faßte ihn am rechten Arme; Pena mußte ihn am linken nehmen, und so führten sie ihn fort, nicht dem Tode, wie sie meinten, sondern seiner Befreiung entgegen. Wir schauten ihnen nach, bis sie im Dunkel der Nacht verschwanden, und warteten dann auf den Lärm, welcher bei seiner Flucht entstehen mußte.

Es dauerte auch gar nicht lange, so vernahmen wir ein gellendes: „Alto ahi, picano – halt, Schurke!“

Diesem Rufe folgten mehrere, und dann war ein kunterbuntes Gewirr von Ausrufungen des Schreckens und Zornes zu vernehmen. Büsche rauschten; Äste und Zweige knackten; eilige Schritte schallten.

„Er ist fort; er ist frei!“ sagte Monteso. „Hoffentlich gelingt es ihnen nicht, ihn wieder zu ergreifen.“

„Er wäre ja Ohrfeigen wert, wenn er sich wieder fangen ließe. Warten wir!“

Nach einiger Zeit kam der Bruder gelaufen, mit ihm Gomarra.

„Sennor,“ rief der letztere schon von weitem. „Der Sendador ist fort!“

„Sind Sie des Teufels? Er war doch gefesselt und wurde noch dazu von Ihnen und Pena geführt!“

„Ja, man sollte es nicht für möglich halten; aber kaum hatten wir die Ruine hinter uns, so riß er sich los und war fort.“

„Das ist stark! So einen Menschen entkommen zu lassen! Wäre ich doch mitgegangen! Aber man kann doch nicht überall dabei sein!“

„Oh, Ihnen wäre er auch entflohen!“

„Sicher nicht, denn ich hätte ihn nicht am bloßen Arme geführt, sondern mit mir zusammengebunden.“

„Ja, das hätten wir thun sollen. Jetzt ist er fort!“

„Aber wohin?“

„Wissen wir es?“

„Sie müssen doch gehört haben, nach welcher Richtung er sich wendete!“

„Gar nichts haben wir gehört. Wir selbst machten ja so viel Lärm, daß wir von ihm gar nichts hören konnten.“

„Das war wieder dumm. Sie hätten ganz still stehen bleiben und lauschen sollen.“

„Ja, nun können Sie uns gute Regeln geben! Wären Sie aber dabei gewesen, so hätten Sie ebenso geschrieen wie wir!“

Laut schreiend und rufend rannte er wieder fort. Der Bruder aber setzte sich zu uns und ließ sich Aufklärung geben; er billigte unser Verhalten und sagte.

„Wir sind nicht seine Obrigkeit, seine Richter. Befänden wir uns in der Nähe bewohnter Orte, so würde ich beantragen, ihn der Gerechtigkeit zu überliefern; da wir das nicht können, müssen wir ihn laufen lassen. Ich bin überzeugt, daß er der Strafe nicht entgeht.“

„Und sind Sie einverstanden, daß wir mit ihm zusammentreffen und mit ihm nach der Pampa de Salinas gehen?“

„Ja. Um des Zweckes willen müssen wir uns seine Gegenwart gefallen lassen. Ich bin überzeugt, daß der ermordete Padre die Kipus und Zeichnungen seinem Kloster hat überbringen wollen. Dieses letztere ist durch den Sendador beraubt worden, und wir werden uns bemühen, den Verlust wieder einzubringen. Mich wundert es, daß die Indianer sich so ruhig verhalten. Sie scheinen das Schreien gar nicht zu hören, sonst wäre ein Ausfall möglich.“

„Keiner hat es gewagt, sich am Ausgange zu zeigen.“

„O doch. Ich sah einen, welcher zu rekognoscieren schien.

Er mußte den Sendador sehen, welcher sich eben sitzend aufgerichtet hatte.“

„Warum sagten Sie es nicht?“

„Weil Sie auf den armen Teufel geschossen hätten, was mir doch leid gethan hätte.“

„Ich hätte nur dann geschossen, wenn seine Absicht eine für uns gefährliche gewesen wäre. Übrigens horchte der Sendador fast unausgesetzt nach dem Keller. Haben Sie das nicht bemerkt?“

„Ja. Es schien, als ob er von dort her Hilfe erwarte.“

„Das dünkte mir auch so, zumal er einige Worte fallen ließ, welche vermuten ließen, daß er für seine Freiheit und sein Leben nicht allzu sehr besorgt sei. Er sagte sogar ganz offen, daß er nicht ganz so hilflos sei, wie wir meinten.“

„Sollte der Keller doch noch einen zweiten Ausgang haben?“

„Pena verneinte es.“

„Darauf gebe ich nichts. Die Indianer, welche hier daheim sind, müssen das alte Gemäuer besser kennen als er. Wie leicht können sie einen solchen Ausweg verborgen haben, daß er gar nicht zu sehen ist!“

„Das ist wahr. Wir müssen einmal rekognoscieren. Wir sind das der Rücksicht auf die vergifteten Pfeile schuldig, vor denen ich allen Respekt habe. Gehen Sie mit?“

„Wohin?“

„In den Treppengang können wir nicht. Das hinabrollende Steingeröll würde uns verraten. Aber zu den Seitenlöchern können wir gehen. Mir scheint überhaupt, als ob kein Rauch mehr aus den Öffnungen komme.“

„Das Material zum Feuern wird ihnen ausgegangen sein. Kommen Sie!“

„Ja, aber vorsichtig. Wir müssen immer das Schlimmste annehmen. Giebt es je einen zweiten Ausgang, so ist es leicht möglich, daß sie irgendwo liegen und uns beobachten.“

Die Yerbateros blieben zurück. Wir beide verließen das Feuer und traten in das Dunkel zurück, um von da aus nach der Seite zu gelangen, an welcher das eine der Kellerlöcher lag.

Wir duckten uns auf den Boden nieder und schlichen langsam und unhörbar vorwärts. Es war nicht leicht, ohne Geräusch fortzukommen, da überall die Mauertrümmer umher lagen. Das Loch war ungefähr sechzig Schritte von unserem Feuer entfernt.

Als wir es erreichten und hinab in den Keller blicken wollten, sahen wir nichts. Es war dunkel.

„Ob sie nur wegen Mangels an Feuermaterial kein Feuer brennen?“ fragte ich. „Oder sind sie gar nicht mehr unten?“

„Das wäre gefährlich.“

„Ja. Wir sind übrigens nicht weiter als nur bis zu diesen Löchern gekommen. Bleiben Sie zurück! Ich will einmal weiter forschen.“

„Hüten Sie sich! Es ist zu gefährlich. Nehmen Sie mich lieber mit!“

„Danke! Allein bin ich sicherer. Übrigens wissen Sie ja, daß ich mich auf das Anschleichen verstehe. Legen Sie sich hinter die Steine, und stehen Sie vor meiner Rückkehr nicht auf!“

Ich schob mich längs der alten Mauer fort, lange, ohne etwas zu bemerken. Dann aber war es mir, als ob die Laute flüsternder Stimmen an mein gespanntes Ohr drängen. Ich horchte. Richtig, vor mir wurde leise gesprochen. Dabei war es, als ob hier und da ein Stock leicht auf den Boden gestoßen werde. Sollte das von den Blasrohren stammen? Das wäre höchst bedenklich gewesen.

Obgleich ich wußte, daß ich mein Leben wagte, schob ich mich noch weiter vorwärts. Bald war ich nahe genug, um zu erkennen, daß eine Menge Personen eng beisammen standen und flüsternd miteinander sprachen. Es waren die Indianer. Zum Deutlichsehen war es zu dunkel. Ich wußte aber nun genug. Die Aripones hatten auf uns unbekannte Weise den Keller verlassen und planten einen Überfall. Ich mußte mich beeilen, die Gefährten zu warnen.

Eben wendete ich mich um, als eine größere Bewegung mich veranlaßte, noch einmal nach der Gruppe zu blicken. Drei Gestalten trennten sich von ihr und schritten sehr langsam vorwärts, unserem Feuer entgegen. Ich bemühte mich, seitwärts von ihnen gleichen Schritt zu halten. Ich kam ihnen sogar ein wenig vor und erreichte den Bruder, welchem ich das Gesehene mitteilte. Ich zeigte ihm die Indianer, welche nun nicht mehr gingen, sondern auch krochen, weil das Feuer bis hierher leuchtete. Sie kamen in einer Entfernung von höchstens acht Schritten an uns vorüber. Gomez war dabei; ich erkannte ihn.

„Die andern werden Häuptlinge sein,“ flüsterte mir der Bruder zu.

„Dann wäre uns geholfen,“ meinte ich ebenso leise. „Wir würden uns ihrer bemächtigen und sie als Geiseln bei uns behalten.“

„Sehr gut! Wollen wir?“

„Ja, aber möglichst geräuschlos.“

Wir krochen leise, aber so schnell wie möglich weiter. Kehrten sie um, ehe wir sie erreichten, so wären wir entdeckt. Erst jetzt erkannte ich, wie unvorsichtig es von uns gewesen war, so offen und weithin sichtbar am Feuer zu sitzen. Die Indianer hätten uns alle einzeln mit ihren Pfeilen wegputzen können.

Der Bruder gab sich ebenso große Mühe, wie ich. Unser Nahen erregte nicht eine Spur von Geräusch. Jetzt waren wir da; er links von mir hinter Gomez, ich rechts von ihm hinter den beiden andern. Sie kauerten vor uns. Ich zielte mit den Händen nach den Hälsen und warf mich mit Gewalt vor. Es gelang mir, die Hälse zu umfassen und die Männer durch die Gewalt des Stoßes nach vorn, mit den Gesichtern zur Erde zu werfen. Auch dem Bruder glückte der Angriff. Eine viertel- oder halbe Minute lang hielten wir die drei nieder; sie bewegten konvulsivisch die Arme und Beine; nur ein leises Röcheln war zu hören; dann flüsterte mir der Bruder besorgt zu:

„Sennor, wir ersticken sie!“

„Nein, das Erwürgen geht nicht so rasch. Getrauen Sie sich, den Ihrigen so, wie Sie ihn gefaßt haben, bis zum Feuer zu schleifen?“

„Ja.“

„Dann schnell vorwärts!“

Den Hals des einen in der rechten, den des andern in der linken Hand, rannte ich, sie beide hinter mir herschleifend, dem Platze zu. Der Bruder folgte mir. Aber ich blieb nicht am Feuer stehen, sondern rannte noch ein Stück über dasselbe hinaus, wo ich meine Doppellast fallen ließ.

Die Yerbateros sprangen schnell auf und kamen herbei, nicht wenig darüber erstaunt, daß wir drei Indianer geschleppt brachten.

„Was ist geschehen? Wie kommen Sie zu diesen Leuten? Waren sie denn außerhalb des Kellers?“

„Ja. Bindet sie. Bringt auch unsere Gewehre vom Feuer her! Wir dürfen nicht dort sitzen bleiben.“

„Warum?“

„Weil uns die Roten dort sehen können; sie haben den Keller verlassen. Setzen Sie sich hier unter die Bäume, wo es ganz dunkel ist, und haben Sie, während ich mit Gomez rede, ein scharfes Auge auf die Ecke, um welche die Roten kommen müssen, wenn sie uns überfallen wollen! Sieben Büchsenschüsse genügen wohl, sie zurückzuhalten.“

Diesen Anordnungen wurde schnell Folge geleistet. Die beiden Indianer lagen gebunden da und starrten uns wortlos und nach Luft schnappend an. Der Schreck war noch nicht von ihnen gewichen. Der Bruder erklärte den Yerbateros in kurzen Worten, wie wir zu dem Fange gekommen waren.

Gomez war bei voller Besinnung, rang aber auch nach Atem. Ich hielt ihm mein Messer auf die Brust und sagte:

„Bleiben Sie liegen, und bewegen Sie sich nicht, sonst fährt Ihnen meine Klinge in das Fleisch! Sie kennen mich. Und beantworten Sie mir meine Fragen aufrichtig! Sie wissen, ich will Ihren Schaden nicht; aber wahr müssen Sie sein. Wie kamen Sie aus dem Keller?“

„Durch die verborgene Mauerlücke.“

„Ah so! Sie wollten uns überfallen?“

„Ja. Ich habe meinen Leuten aber das Versprechen abgenommen, niemanden zu töten.“

„Warum denn den Überfall, wenn Sie uns schonen wollten?“

„Um den Sendador zu befreien.“

„Sie hätten sich umsonst bemüht. Der Sendador ist geflohen.“

„Wie ist das möglich? Ihnen entkommt doch keiner!“

„Ich selbst habe ihm die Fesseln durchschnitten. Er ist mit meiner und der Yerbateros Erlaubnis geflohen; doch dürfen dies die andern, die ihn töten wollten, nicht wissen. Sie werden also auf alle Fälle einstweilen darüber schweigen.“

„Gern. Aber sagen Sie die Wahrheit?“

„Haben Sie schon einmal eine Lüge von mir gehört? Und horchen Sie! Die rufenden Stimmen da unten! Das sind unsere Gefährten, welche ihn suchen. Glauben Sie es nun?“

„Ja, Sennor. Aber wenn sie ihn nun wieder ergreifen?“

„Er wird wohl vorsichtig sein. Sie ersehen aus dem allen, daß ich es gut mit Ihnen meine.“

„Wenn das wahr ist, warum nehmen Sie uns gefangen?“

„Weil Sie uns überfallen wollten. Wir werden morgen diesen Ort verlassen und wünschen Frieden zwischen uns und euch. Wer sind diese beiden Indianer?“

„Sie sind Kaziken.“

„Also Häuptlinge? Sie sehen aber nicht so aus.“

„Sennor, die Aripones sind arm. Sie haben nicht das Vermögen, sich prachtvoll zu kleiden und mit Schmuck zu behangen. Der eine ist ein Friedens- und der andere ein Kriegshäuptling.“

„Sind noch mehrere Häuptlinge bei euch?“

„Nur noch ich; aber ich bin nur ein Unteranführer.“

„Gut! Ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Wir behalten diese beiden Männer als Geiseln bei uns. Geschieht uns nichts, so lassen wir sie frei, wenn wir hier fortgehen. Haben wir aber im geringsten zu klagen, so stechen wir sie nieder und rotten auch euch aus. Sie wissen, daß ich Wort halte!“

„Sennor, man wird Ihnen nicht ein einziges Haar krümmen!“

„Auch unser Eigentum achten?“

„Ja.“

„Ich meine nicht nur uns allein, die wir jetzt hier sitzen, sondern auch alle diejenigen, welche zu dem Wagenzuge gehören.“

„So verstehe auch ich es.“

„Gut, dann sind Sie wieder frei. Kehren Sie zu Ihren Kriegern zurück, und teilen Sie ihnen mit, was ich Ihnen gesagt habe!“

Er war sichtlich froh. Indem er zögernd vom Boden aufstand, erkundigte er sich in zweifelndem Tone:

„Ich darf also wirklich gehen?“

„Ja, Gomez.“

„Sennor, ich erkenne wieder, daß Sie unser Freund sind. Sie sind ganz anders, viel anders als die hiesigen Weißen. Es muß in Ihrer Heimat freundlichere Menschen geben.“

„Gute Menschen giebt es überall, auch hier.“

„Das habe ich noch nicht erfahren. Ich habe meinen Leuten von Ihnen erzählt. Alle wollen Sie sehen. Wenn Sie es erlauben, so kommen wir, wenn es Tag geworden ist, zu Ihnen.“

„Das ist zu gewagt.“

„Wir werden offen, einzeln und unbewaffnet kommen. Und wenn Sie uns mißtrauen, so werden wir Ihnen vorher noch zehn unserer besten Männer senden, welche Sie als Pfand unserer Freundschaft behandeln mögen.“

„Das will ich gelten lassen. Kommen Sie aber vorher allein zu mir, damit ich mit Ihnen die Bedingungen besprechen kann, unter denen ich einen Besuch von so vielen Menschen erlauben darf!“

„Ich werde kommen; ja, wenn Sie es verlangen, so werde ich jetzt meine Leute benachrichtigen und dann als Ihr Gefangener zu Ihnen zurückkehren.“

„Nein, das will ich nicht, Gomez. Und damit auch diese beiden Häuptlinge, deren Sprache ich leider nicht kenne, nicht über ihr Schicksal in Sorge sind, so teilen Sie ihnen unser Abkommen mit. Sie werden gut behandelt werden und gutes Essen und Trinken erhalten.“

Er sprach mit ihnen, und ich sah, daß ihre besorgten, ängstlichen Gesichter sich aufhellten. Dann bemerkte ich noch:

„Wir werden jetzt diese Anhöhe verlassen und hinab zu den Wagen gehen, wo wir die Nacht zubringen wollen. Unsern Willen kennen Sie; handeln Sie nach demselben, so werden Sie nicht zu klagen haben. Gute Nacht, Gomez!“

„Sie werden mit uns zufrieden sein, Sennor!“

Er ging. Auch wir brachen auf, waren aber vorsichtiger, als vorhin Pena und Gomarra gewesen waren. Wir gaben den beiden Häuptlingen zwar die Füße zum Gehen frei, banden ihnen aber Riemen, die wir fest in den Händen hielten, um die Knöchel. So stiegen wir langsam die Höhe hinab. Der Schein der unten brennenden Feuer war unser Leiter.

Vielleicht war es unvorsichtig von mir, dem Versprechen des Indianers ein solches Vertrauen zu schenken; aber ich hatte eben die feste Überzeugung, daß er und seine Genossen dasselbe nicht täuschen würden. Hatten sie sich einmal in den Gedanken gefunden, daß sie nun auf die erwartete Beute verzichten mußten, so konnte es ihnen nur lieb sein, uns aus Gegnern in Freunde verwandelt zu sehen.

Als wir unten an dem Lagerplatze ankamen, fanden wir nur die Frauen und Kinder mit den Fuhrknechten vor. Die Männer waren noch abwesend, um die Umgegend nach dem entsprungenen Sendador zu durchsuchen, was bei der nächtlichen Dunkelheit ganz erfolglos sein mußte.

Die Frauen hatten natürlich erfahren, in welcher Gefahr sich ihre Männer befunden hatten, welchem Schicksale sie selbst verfallen gewesen waren und daß sie ihre Rettung nur uns zu verdanken hatten. Darum empfingen sie uns mit den Ausdrücken größter Dankbarkeit, die aber die beiden gefangenen Kaziken keineswegs auf sich beziehen durften; diese wurden vielmehr mit Blicken angeblitzt, welche alles, aber nur nicht freundlich waren. Wir machten sie mit dem Übereinkommen bekannt, welches wir mit den Indianern getroffen hatten, und darauf erfreuten sich die beiden Häuptlinge einer wenigstens nicht ganz feindseligen Behandlung seitens der Frauen.

Es verging längere Zeit, ehe die Suchenden zurückkehrten; sie kamen einzeln, einer nach dem andern. Der vorletzte Pena, der letzte Gomarra. Die beiden waren am zornigsten über das Entkommen des Sendadors und hatten sich infolgedessen die meiste Mühe gegeben, seiner wieder habhaft zu werden. Besonders befand Gomarra sich in einem Zustande größter Wut.

„Wir hatten ihn!“ knirschte er. „Wir hatten ihn sogar fest! Ich brauchte dem Mörder meines Bruders nur das Messer zwischen die Rippen zu stoßen, so war der Mord gerächt. Und nun ist er uns wieder entkommen! Sennor, daran sind Sie schuld!“

Er richtete diese Worte an mich; darum fragte ich im Tone der Verwunderung:

„Ich? Wie kommen Sie auf diese ganz grundlose Idee?“

„Sie wissen es ebensogut wie ich und wie die andern. Sie sind der große Menschenfreund, der selbst dem schlechtesten Kerl nichts zuleide thun will. Wäre es auf mich angekommen, so hätte ich diesen Erzhalunken sofort niedergestochen. Sie aber möchten einen solchen Kerl wie den größten Ehrenmann der Erde behandelt wissen, und der Erfolg einer solchen Dummheit ist dann, daß er die Flucht ergreift.“

„Ich will nicht mit Ihnen rechten, Gomarra, denn Sie sind aufgeregt; doch wenn Sie von Dummheit sprechen, so muß ich Ihnen sagen, daß ich Ihnen nicht die Erlaubnis gebe, das, was ich thue, in dieser Weise zu begutachten. Wenn Sie mich für einen dummen Menschen halten, so kann ich Ihnen nur den Rat erteilen, sich nach einem klügeren Kameraden umzusehen, mit welchem Sie Ihre Zwecke schneller und leichter erreichen als mit mir. Oder handeln Sie für sich allein! Ich zwinge Sie keinesweges, sich an meine Person zu binden.“

Er wollte zornig antworten, besann sich aber eines andern und setzte sich, während er mißmutig vor sich hin brummte, am Feuer nieder.

Die schlechte Laune der Leute wurde dadurch verstärkt, daß ich ein friedliches Abkommen mit den Indianern getroffen hatte; doch nahmen sie das ruhig hin, ohne sich darüber zu äußern. Sie erzählten einander, was sie jetzt in der Verfolgung des Sendadors geleistet hatten. Dabei stellte sich heraus, daß ihre Heldenthaten nur darin bestanden hatten, daß sie mit den Köpfen an die Bäume gerannt waren und sich die Hände und Gesichter an den Büschen zerrissen hatten, ohne einen Zipfel des Sendador zu sehen oder einen Hauch von ihm zu hören.

„Sie hätten dabei sein sollen, Sennor,“ sagte Pena zu mir. „Dann hätten wir ihn vielleicht doch erwischt.“

„Vielleicht? Nein, sondern ganz gewiß,“ antwortete ich.

„Oho!“ meinte Gomarra, welcher noch immer nicht die Herrschaft über seinen Zorn gewonnen hatte. „Wenn Sie Ihrer Sache wirklich so gewiß waren, warum haben Sie da nicht mitgesucht?“

„Weil er keine Zeit hatte,“ antwortete Pena an meiner Stelle. „Der Sennor mußte doch droben bei den Roten bleiben.“

„Und wenn das auch nicht der Fall gewesen wäre, so hätte er auch nichts gefunden. Bei dieser Finsternis war es unmöglich, ihn zu entdecken.“

„Nun, warum haben Sie ihn denn da gesucht?“ fragte ich.

„Weil wir zu eifrig waren. Oder sollten wir nicht wenigstens den Versuch machen? Wir konnten ja zufällig auf ihn stoßen. Sie behaupten auch mit so großem Selbstvertrauen, daß Sie ihn gewiß bekommen hätten!“

„Aber wenn und wie! Ich hätte seine Spuren gefunden, und wenn man diese einmal hat, so hat man auch sehr bald den Mann selbst.“

„Dazu ist noch immer Zeit!“

„Nein, denn Sie haben sie nun ausgetreten und verwischt. Wenn über zwanzig Personen in den Büschen herumgekrochen sind, so soll mir selbst der beste Fährtensucher sagen, welche Stapfen die richtigen sind! Und wenn er sie auch finden sollte, so gehen sie ihm gleich wieder verloren, da die Eindrücke anderer Füße ihn irre machen müssen.“

Er antwortete nicht weiter und drehte sich ab, um sich wortlos in seinen Grimm zu versenken. Derjenige, welcher die Sache am drolligsten nahm, war der Steuermann. Er saß stumm da, schüttelte nur immer mit dem Kopfe und zog allerlei Grimassen.

„Was haben Sie denn?“ fragte ich ihn.

„Einen Ärger habe ich, was denn sonst! Hätte ich nur Ihnen nicht gefolgt, sondern ihm zwei Rippen eingedrückt oder drei; dann hätte er es wohl unterlassen, davon zu laufen! Ich hatte ihn so hübsch zwischen diesen Händen!“

Er hielt mir seine Riesenhände hin und blickte sie betrübt an.

„Grämen Sie sich nicht!“ tröstete ich ihn. „Sie werden schon noch Arbeit für diese Quadratrutenhände bekommen. Wer weiß, wozu es gut ist, daß der Kerl vorläufig entkommen ist.“

Ich gab ihm einen heimlichen Wink, und er schwieg. Später setzte sich Turnerstick zu ihm und mir, und ich erklärte den beiden mit leiser Stimme, auf welche Weise dem Sendador die Flucht ermöglicht worden war. Sie waren nicht blutdürstig genug, meine Gründe zu verwerfen, sondern stimmten mir bei.

Das Abendessen wurde von allen wortkarg eingenommen, und die Nacht verlief, ohne daß sich etwas Bemerkenswertes ereignet hatte. Schon am frühesten Morgen, als der Tag kaum graute, kam Gomez in das Lager und fragte an, ob uns seine Indianer nun besuchen dürften. Wir gaben die Erlaubnis, daß nur fünfzehn, höchstens zwanzig Mann auf einmal kommen dürften, und dieser Bestimmung wurde streng Folge geleistet.

Die Karawanenleute hatten verschiedene Tausch- und Geschenksartikel mitgebracht, da vorauszusehen gewesen war, daß sie mit Indianern zusammentreffen würden, mit denen ein möglichst gutes Einvernehmen zu erzielen sei. Von diesen Vorräten empfing jeder eine Kleinigkeit, und diese Gaben stimmten die Roten so freundlich, daß wir alle Sorgen, welche wir in Beziehung auf sie etwa noch gehabt hätten, fallen lassen konnten. Sie wurden so zutraulich, daß wir die Erlaubnis zur gleichzeitigen Anwesenheit aller gaben, was sie in solche Freude versetzte, daß sie, um uns ihre gute Gesinnung zu beweisen, alle ihre vergifteten Pfeile in das Feuer warfen.

Die gute Stimmung mußte ausgenutzt werden. Auf meinen Rat wurde Zucker, Rum und anderer Branntwein hervorgesucht und in den auf dem Wagen mitgebrachten Feldkesseln ein tüchtiger Grog gebraut, dessen Genuß die Roten so entzückte, daß die beiden Kaziken, deren Fesseln wir gelöst hatten, den Ansiedlern den Vorschlag machten, mit ihnen ein heiliges Schutz- und Trutzbündnis zu schließen, was natürlich sehr gern angenommen und unter dem gebräuchlichen und bindenden Ceremoniell vollzogen wurde.

Nun waren die vorherigen Feinde in sichere Freunde umgewandelt. Die Roten sahen ein, daß ein langer, steter und freundlicher Verkehr mit den Weißen, welche vielleicht für immer da blieben, ihnen mehr Nutzen bringen werde, als eine einmalige Beraubung derselben, und dachten nun gar nicht mehr daran, nach dem Sendador zu suchen und sich zur Ausführung seiner Pläne herzugeben.

Gomez machte den Dolmetscher. Es wurde eine Sitzung abgehalten, deren Erfolg der war, daß die Indianer versprachen, die Weißen zu begleiten, sie zu beschützen und ihnen in allem behilflich zu sein. Die letzteren waren über ihr für einstweilen vorgestrecktes Ziel hinausgekommen. Sie hatten zunächst nur bis an die früheren Ansiedelungen gewollt und waren nur durch den Sendador gezwungen worden, bis zu dem Orte, an welchem sie sich jetzt befanden, vorzugehen. Aus diesem Grunde mußten sie sich natürlich entschließen, zurückzufahren.

Hatten sie sich gestern abend nur schwer zu einer milden Beurteilung der Indianer bewegen lassen, so freuten sie sich jetzt, ein so gutes und vorteilhaftes Einvernehmen mit ihnen erzielt zu haben. Um so weniger aber zeigten sie sich geneigt, den Sendador durchschlüpfen zu lassen. Sie schworen ihm Rache und gelobten, ihn umzubringen, falls er sich wieder in ihrer Nähe blicken und ergreifen lasse, und forderten uns auf, ihn schleunigst zu verfolgen und, falls wir ihn träfen, unschädlich zu machen.

Dann wurden die Wagen umgelenkt und bespannt, und die Karawane kehrte, von den Aripones begleitet, auf demselben Wege, auf welchem die Karren gestern gekommen waren, nach dem vorigen Halteplatze zurück.

Pena und Gomarra waren während der letzten Stunden nicht im Lager gewesen; sie hatten sich aufgemacht, um nach der Fährte des Sendadors zu suchen. Also waren nun nur noch diejenigen Personen vorhanden, welche von mir in das Vertrauen gezogen waren und ihre Zustimmung gaben, den Sendador wenigstens einstweilen noch zu schonen, um mit ihm nach der Pampa de Salinas zu gehen. Sie mußten mir durch Handschlag versprechen, gegen Gomarra und Pena nicht zu verraten, daß ich dem berüchtigten Führer den Riemen durchschnitten hatte, um ihm die Freiheit zu geben.

„Aber nun stehen wir vor einer sehr schwierigen Frage,“ sagte der Frater, „und ich kann mir keine befriedigende Lösung derselben denken. Pena und Gomarra haben natürlich die Absicht, bei uns zu bleiben. Sie wollen aber den Sendador haben und brennen darauf, ihn zu bestrafen. Wir aber wollen mit ihm reisen. Wie wird das in Einklang zu bringen sein?“

„Das ist allerdings eine Schwierigkeit, welche nicht leicht zu überwinden ist,“ antwortete ich.

„Wollen wir ihnen sagen, wie die Sachen stehen?“

„Nein, wenigstens jetzt noch nicht. Pena würde sich wohl beruhigen lassen, Gomarra aber nicht.“

„Oder wollen wir uns von ihnen trennen?“

„Nein. Das wäre nicht recht und gut gehandelt, selbst wenn die beiden uns fremd wären. Pena aber ist ein Bekannter, ein früherer Gefährte von mir, gegen den ich unmöglich treulos handeln kann.“

„So sollen sie also bei uns bleiben; zugleich aber soll auch der Sendador zu uns stoßen. Ich verstehe nicht, die Sache einzurichten, und bezweifle auch, daß Sie das fertig bringen.“

„Ja, es ist unangenehm. Vielleicht ist es am besten, wenn wir die Sache jetzt gehen lassen, bis wir den Sendador treffen.“

„Nun, so giebt es Mord und Totschlag! Gomarra wird sofort über ihn herfallen.“

„Das bezweifle ich sehr, denn der Sendador wird nicht so plötzlich in unsere Mitte treten. Ich denke, er erwartet uns und giebt mir ein heimliches Zeichen, daß er da ist. Dann kann ich ihm ja sagen, daß Gomarra unversöhnlich ist, und werde hören, welche Vorschläge er mir in dieser Beziehung macht.“

„Er wird Ihnen sagen, daß wir Gomarra fortschicken sollen.“

„Das ist wahrscheinlich. Aber wir können auf diesen Vorschlag nicht eingehen. Ich mag nicht in dieser Weise gegen einen bisherigen Gefährten handeln. Und selbst wenn wir das thäten, glauben Sie, daß dadurch die Sache besser würde?“

„Nein.“

„Ich auch nicht, denn Gomarra würde uns nachschleichen, um den Sendador zu erschießen. Dieser würde das vermuten und also auf seiner Hut sein. Einer von beiden müßte fallen. Nein, ich halte es doch für das allerbeste, Pena und Gomarra die Wahrheit zu sagen.“

„Dann machen Sie sich nur auf Vorwürfe gefaßt, welche jedenfalls keine freundlichen sein werden.“

„Was das betrifft, so fürchte ich mich nicht. Ich werde sie mir gefallen lassen, so lange sie sich innerhalb der Grenzen derjenigen Höflichkeit bewegen, welche ich selbst in diesem Falle beanspruchen muß.&

jetzt kam Pena von der Suche zurück. Er machte ein mißvergnügtes Gesicht und sagte, sich an mich wendend:

„Sie haben recht gehabt. Wir waren dumm, als wir in den Büschen herumkrochen. Der Boden ist zertreten, und nun mag der Kuckuck entscheiden, welche Stapfen von den Füßen des Sendador herrühren.“

„Ich wußte, daß Sie vergeblich suchen würden.“

„Ich weiß es nun auch; aber ich habe nun doch wenigstens meine Schuldigkeit gethan. Es muß mich wundern, daß andere nicht ebenso denken.“

Er warf bei diesen Worten einen vorwurfsvollen Blick im Kreise umher.

„Es wundert Sie, daß wir so ruhig sitzen bleiben, ohne uns in der Weise wie Sie zu bemühen?“

„Selbstverständlich! Ihnen scheint es sehr gleichgültig zu sein, ob der Kerl entkommt oder nicht!“

„O nein. Aber wir haben zwei triftige Gründe, uns die Mühe des Nachforschens gar nicht erst zu geben.“

„Welche wären das?“

„Der eine Grund bezieht sich auf die Zeit. Sie haben auf der Strecke, welche Sie durchsuchten, die Spuren verwischt. Um sie doch noch zu finden, müßte man in einer sehr weiten Kreislinie um das Lager gehen, Schritt für Schritt, jeden Zoll breit des Bodens genau untersuchend. Das kann von jetzt bis zum Abend dauern, ohne daß wir unsern Zweck erreichen. Und selbst wenn das Glück uns so günstig wäre, daß es uns einen Fußeindruck zeigte, so wird der Sendador so klug gewesen sein, späterhin ein Terrain aufzusuchen, auf welchem er keine Fährte hinterläßt. Selbst wenn er über grasigen Boden gegangen ist, werden sich die Halme, bis wir kommen, wieder aufgerichtet haben. Wir würden also unsere Zeit verschwenden, ohne einen Erfolg zu haben.“

„Das ist wahr; ich sehe es auch ein. Und nun Ihr zweiter Grund?“

„Der ist noch viel triftiger als der erste. Wir wissen nämlich, daß wir den Sendador ganz gewiß treffen werden.“

„O!“ rief er verwundert aus. „Wo?“

„Hier in diesem Flußbette, aufwärts von hier. Er selbst hat es uns gesagt.“

„Wie! Gesagt? Er selbst?“

„Ja. Er hat es uns sogar fest versprochen.“

„Sennor, Sie machen Spaß!“

„O nein. Ich habe mit ihm das Abkommen getroffen, daß er wieder zu uns stößt.“

„Das – das soll ich glauben?“

„Ja. Setzen Sie sich nieder; ich will es Ihnen erzählen.“

Er folgte dieser Aufforderung. Kaum aber hatte ich meinen Bericht begonnen, so stand er langsam wieder auf, stellte sich vor mich hin und sah mich, während er mir zuhörte, mit großen, erstaunten Augen an. Als ich dann fertig war, erwartete ich, daß er losbrechen werde; er aber setzte sich mit ebenso langsamen Bewegungen, wie er aufgestanden war, wieder nieder und fragte in ruhigem Tone:

„Und die Sennores hier sind alle einverstanden gewesen?“

„Alle.“

„So muß ich schweigen und mich fügen, denn die Mehrheit ist gegen mich. Wissen Sie wohl, lieber Landsmann, daß ich Sie bisher für einen klugen Menschen gehalten habe?“

„Nur bisher?“

„Ja, nur bis heute! Nun aber ist’s aus! Solches Ungeziefer muß ausgerottet werden, wo und sobald man es trifft. Daß Sie ihm die Freiheit wiedergegeben haben, ist wohl der größte Bock, den Sie in Ihrem Leben geschossen haben.“

„Möglich! Mag es ein Fehler sein, so glaube ich doch, ihn verantworten zu können.“

„Ein Fehler war es jedenfalls. Denn glauben Sie wirklich, daß er sich wieder sehen lassen wird?“

„Ja. Es liegt in seinem Interesse, mich mit nach der Pampa de Salinas zu nehmen.“

„Sie, aber nicht uns. In seinem Interesse liegt es vielmehr, alle Zeugen und Mitwisser seiner Thaten unschädlich zu machen. Wir mögen nur schleunigst diesen Ort verlassen, denn ich bin überzeugt, daß er sich in unserer Nähe umhertreibt, um uns heimlich wegzuputzen.“

„Er hat keine Waffen!“

„Pah! Was heißt Waffe! Ein Knüppel ist auch eine Waffe, mit welcher er, wenn ein einzelner sich von den übrigen entfernen sollte, ihn niederschlagen kann. Nimmt er dann dem Toten das Gewehr, so hat er, was er braucht, und kann uns alle nacheinander in die Ewigkeit befördern.“

„Wer soll ihm dann die Pläne und die Kipus entziffern?“

„O, Sie läßt er leben – Sie allein!“

„In diesem Falle würde es ihm unmöglich werden, meiner Rache zu entgehen und mich zu zwingen, ihm zu Diensten zu sein.“

„Was wollen Sie machen, wenn er Sie überfällt, überwältigt und zwingt, mit ihm zu gehen!“

„Papperlapapp! Wie will er es fertig bringen, mich in solche Entfernungen mit sich zu schleppen! Selbst wenn es mir unmöglich wäre, mich zu befreien, würde jede Begegnung mit anderen Leuten ihm verderblich sein. Sie vergessen, daß der Weg später durch bewohnte Gegenden führt.“

„Die er aber vermeiden kann. Sie hätten ihn festhalten sollen, selbst wenn Sie ihn nicht töten wollten. Entweder konnten wir mit ihm nach der Pampa de Salinas, um ihn dort zu zwingen, uns die Orte zu zeigen, an denen er die Kipus und die Pläne vergraben hat, oder wir übergaben ihn der Obrigkeit, die wohl kurzen Prozeß mit ihm gemacht haben würde.“

„Sie mögen recht haben; ich kann Ihre Ansicht nicht widerlegen, denn es ist eben eine Ansicht, und da kann nur der Erfolg entscheiden, ob sie richtig oder falsch ist; aber es ist nun einmal geschehen, und wir können es nicht ändern.“

„Vielleicht doch noch! Wenn er wirklich so dumm oder so vertrauensselig sein sollte, sich uns zu stellen, so nehmen wir ihn fest und befolgen das, was ich Ihnen jetzt gesagt habe.“

„Das geht nicht, weil ich ihm mein Wort gegeben habe.“

„Unsinn! Einem Mörder, einem solchen Verbrecher und gefährlichen Menschen braucht man das Wort nicht zu halten!“

„Doch! Wenn man nämlich damit keine Ungesetzlichkeit begeht. Ich habe ihm die Freiheit zugesagt und werde nicht gegen diese Zusage handeln.“

„Nun, mein Wort sollen Sie hiermit haben, da ich mich als Ihren Freund betrachte und mich also nicht mit Ihnen veruneinigen will. Ob aber Gomarra sich ebenso bereitwillig finden läßt, das bezweifle ich sehr. Sie mögen es versuchen!“

Er wendete sich ab und war nun nicht mehr zu sprechen. Doch konnte ich die Überzeugung hegen, daß er nichts thun werde, was gegen meinen Willen sein würde. Kurze Zeit später kam auch Gomarra zurück. Man sah es ihm an, daß er sich in der schlechtesten Laune befand. Die andern warfen mir heimlich bezeichnende Blicke zu, mit denen sie mir ihre Meinung kundthaten, daß ich wohl einen schweren Stand haben würde. Er warf sein Gewehr zornig zur Erde und sagte:

„Es ist nichts! Der Teufel mag wissen, wohin der Kerl geflohen ist. Ich bin rundum gegangen und habe alles durchsucht, aber vergeblich. Ja, Fußspuren giebt es genug, aber welche sind die seinigen! Ich könnte mich vor Ärger erstechen oder vergiften, daß ich so albern gewesen bin, ihn entkommen zu lassen! Aber Sie,“ wendete er sich an mich, „verstehen die Spuren zu lesen. Sie müssen suchen; dann finden wir die richtige gewiß. Ich begreife nicht, daß Sie hier sitzen bleiben und nicht schon längst sich aufgemacht haben, uns zu helfen!“

„Ich hatte anderes zu thun und habe überhaupt die Absicht gar nicht, heute und hier nach dem Flüchtling zu forschen,“ antwortete ich.

Der Bruder, welcher glaubte, Gomarra werde ihn seines Standes wegen besser behandeln als mich, ergriff nun das Wort und erklärte ihm in kurzen Worten das Geschehene und die Gründe, die uns zu diesem Verhalten veranlaßt hatten. Gomarra stand wie eine Bildsäule, ohne zu sprechen. Einige Male bewegten sich seine Lippen, aber es schien ihm vor Aufregung unmöglich zu sein, ein Wort hervorzubringen. Die Farbe kam und ging auf seinem Gesichte, und das Blut drang ihm nach dem Kopfe, so daß die Äderchen seiner Augen sich dunkelrot färbten. Aber als der Bruder geendet hatte, brach der leidenschaftliche Mann los:

„Alle tausend Teufel! Das hat man hinter meinem Rücken gethan! Ohne mich um die Erlaubnis zu fragen! Bruder, ich ermorde Sie! Glauben Sie etwa, weil Sie eben ein Bruder sind, werde ich Ihnen das so hingehen lassen? Sie haben den Sendador entkommen lassen. Sein Blut entgeht mir. Ich fordere dafür das Ihrige!“

Er raffte seine Flinte wieder auf und spannte den Hahn. Ich saß mit ausgestreckten Beinen da. Jetzt zog ich das eine an den Leib, um mich zum blitzschnellen Aufspringen bereit zu machen, denn diesem jähzornigen Menschen war es mit seiner Drohung vollständiger Ernst.

„Beherrschen Sie sich!“ rief ihm der Bruder zu. „Wie können Sie von Blutvergießen sprechen! Sie befinden sich nicht in einem Matadero-Schlachthofe. Sie haben Menschen vor sich, aber keine Rinder!“

„Das ist mir gleich, Mensch oder Rind! Ich will Blut für Blut und frage, wer der Urheber dieses listigen und heimtückischen Anschlages gewesen ist! Gewiß, der Deutsche da, der alle Halunken lieber umarmen als bestrafen möchte!“

Der Bruder wollte antworten, gewiß, um die Schuld auf sich zu nehmen; ich aber kam ihm zuvor und sagte:

„Ja, ich war es; es war mein Wille, und die anderen Sennores haben denselben befolgt.“

Da wurde sein Gesicht dunkelrot; er that einen katzenartigen Sprung auf mich zu, blieb dann stehen, richtete den Lauf des Gewehres auf mich und schrie:

„Du also, du warst es, Hund von einem Fremden! Du hast dem Mörder meines Bruders die Freiheit gegeben! Fahre hin!“

Er drückte ab. Aber mein Auge hatte an seinem Zeigefinger gehangen. Sobald dieser den Drücker suchte und die letzten Worte ertönten, schnellte ich mich auf und zur Seite. Der Schuß krachte; die Kugel ging an mir vorüber und hinter der Stelle, auf welcher ich gesessen hatte, in die Erde; desto sicherer aber traf meine Faust ihr Ziel. Ich schlug den Kerl auf den Kopf, daß er wie ein Sack zusammenbrach und regungslos liegen blieb.

Einen solchen Mordanfall hatte keiner erwartet; sie sprangen alle auf und fragten, ob ich verwundet sei, denn wir fanden erst später die Stelle, an welcher die Kugel in den Boden gedrungen war. Man beruhigte sich erst dann einigermaßen, als man vernahm, daß ich nicht getroffen worden sei. Ich nahm Gomarra das Messer, damit er kein Unheil mit demselben anrichten könne; die Flinte wurde natürlich auch entfernt, und dann warteten wir, daß er zu sich komme.

Es verging eine ziemlich lange Zeit, ehe er sich wieder zu bewegen begann. Er griff mit der Hand nach der Gegend des Kopfes, welche ich getroffen hatte; dann öffnete er die Augen und blickte im Kreise umher. Als sein Auge auf mich fiel, kam das volle Bewußtsein schnell über ihn. Er sprang auf und rief:

„Du lebst noch, Elender! Habe ich dich nicht getroffen? So werde ich – – –“

Er wollte sich bücken, um Pena, welcher ihm am nächsten saß, das Gewehr zu entreißen und auf mich anzulegen; ich aber nahm ihn schneller noch, als er war, beim Halse und beim Gürtel, hob ihn empor und warf ihn zu Boden, daß man glauben konnte, er habe alle Glieder gebrochen. Dennoch raffte er sich auf, griff nach dem Gürtel, und da er sein Messer nicht dort fand, warf er sich mit ausgestreckten Händen mir entgegen. Ich hob das rechte Bein auf und stieß es vorwärts; der Tritt traf ihn an den Leib und warf ihn wieder zur Erde nieder. Dann aber kniete ich auf ihm, nahm ihn beim Halse und drohte:

„Wollen Sie wohl Ruhe geben, Sie wahnsinniger Mensch! Soll wirklich Blut fließen, dann ist’s doch nur das Ihrige! Oder bilden Sie sich wirklich ein, gegen mich aufkommen zu können?“

Vorhin hatte ich gar wohl bemerkt, daß die Gründe, welche Pena in so ruhiger Weise gegen mich vorbrachte, bei meinen Gefährten Wurzel faßten. Aber wenn sie durch dieselben beinahe zu der Ansicht bekehrt worden waren, daß er recht und ich unrecht hatte, so brachte jetzt das wütende Verhalten Gomarras sie wieder auf meine Seite. Sie rieten mir, ihn zu fesseln; ich aber ging nicht darauf ein. Ich untersuchte, während ich ihn mit den Knien und einer Hand festhielt, seine Taschen, nahm ihm die Munition ab und zog ihn dann in die Höhe, so daß er auf die Füße zu stehen kam. Dann sagte ich ihm:

„Sie haben nach mir geschossen; ich kann Sie nicht mehr in meiner Nähe dulden. Wir sind fertig miteinander. Ihr Gewehr und Ihr Messer werden Sie zurückerhalten; die Munition aber bekommen Sie nicht wieder, damit Sie nicht auf den Gedanken kommen können, abermals auf mich zu schießen.“

Er schnappte eine Weile nach Atem, denn das Sprechen wurde ihm schwer. Ich dachte, er werde entweder wieder zu schelten anfangen oder gute Worte geben. Er that aber keines von beiden. Sein Gesicht nahm einen trotzigen Ausdruck an, und in eben solchem Tone sagte er:

„Wovon soll ich leben, wenn ich mir nichts schießen kann!“

„Machen Sie sich an die Karawane, welche Sie bald einholen können. Dort erhalten Sie Pulver und Blei, und ehe Sie, von der Rache getrieben, hierher zurückkommen, sind wir bereits in Sicherheit vor ihren Kugeln.“

Ich gab ihm sein Messer und seine Flinte; er nahm beides aus meinen Händen und sah mir dabei in das Gesicht. Einen Augenblick lang war es, als ob ihn eine milde Regung übermannen, als ob er ein bittendes Wort sagen wolle; aber es kam nicht über seine Lippen. Er drehte sich um und schritt, ohne ein Wort zu sagen, in der Richtung davon, die ich ihm angedeutet hatte.

Einige Minuten lang herrschte tiefes Schweigen unter uns; dann sagte Pena:

„Bedauern wir ihn nicht! Er hat es nicht besser verdient. Er kann sein indianisches Blut nicht beherrschen und gehört nicht unter vernünftige Leute.“

„Haben Sie keine Sorge,“ meinte der Bruder. „Der Mann kommt wieder.“

„Dieser Meinung bin auch ich. Er wird ein Stück fortgehen, um dann zurückzukehren und um Verzeihung zu bitten,“ stimmte ich bei.

„Werden Sie ihn wieder aufnehmen?“ erkundigte sich der Bruder.

„Ja.“

„Ich rate Ihnen allen Ernstes davon ab. Ich kann nicht glauben, daß er von seiner Rachsucht und Mordgier lassen kann.“

„Eben deshalb nehme ich ihn wieder auf. Es ist besser, wir haben ihn unter unsern Augen, als daß er hinter unserem Rücken handelt. Beaufsichtigen wir ihn, so ist es uns viel leichter möglich, zu verhüten, daß er uns Schaden thut.“

Man gab mir recht. Wir warteten wohl noch eine Stunde, aber er kehrte nicht zurück. Wir schienen uns also getäuscht zu haben. Da wir aber seinetwegen nicht die Zeit nutzlos verschwenden wollten, so beschlossen wir, nun aufzubrechen. Wir hatten die Pferde seitwärts von uns an Büsche gebunden, von deren Zweigen sie fressen konnten. Als wir nun zu ihnen traten, sahen wir – – Gomarra bei ihnen am Boden sitzen. Als er uns kommen sah, stand er von der Erde auf und sagte in bittendem Tone zu mir:

„Sennor, ich habe unrecht gehandelt und bitte Sie um Verzeihung! Werden Sie mich wieder aufnehmen?“

„Damit ich abermals in Lebensgefahr gerate? Nein!“

„Es war nicht so bös gemeint!“

„Nicht so bös gemeint? Sie sind wirklich ein ganz unsinniger Mensch! Diese Ausrede könnten Sie vielleicht machen, wenn Sie das Gewehr bloß auf mich angelegt hätten, ohne aber zu schießen. Sie haben aber aus einer Entfernung von nur drei Schritten auf mich abgedrückt und trafen nur deshalb nicht, weil ich auf meiner Hut gewesen war und mich im richtigen Augenblicke zur Seite warf. Hätte ich das nicht oder nur einen Moment zu spät gethan, so wäre ich jetzt eine Leiche. Und das nennen Sie nicht bös gemeint? Daß es Ernst war, konnte jeder sehen, und daß Sie nicht scherzten, haben Sie bewiesen, indem Sie nach Ihrem Erwachen so wütend waren, weil Ihre Kugel mich nicht getroffen hatte. Wenn Sie auch nun noch sagen wollen, daß es nicht bös gemeint gewesen sei, so sind Sie verrückt!“

„Sennor, es geschah in der Hitze, im Zorne!“

„So mäßigen und zähmen Sie sich! Was denken Sie denn eigentlich von sich, daß Sie es wagen, sich gegen mich aufzulehnen? Sie sind zwar nicht mein Diener, und ich bin nicht Ihr Vorgesetzter, nach dessen Befehlen Sie sich zu richten hätten; aber Sie dürfen mich nicht für einen Mann halten, der Angst vor Ihnen hat und sich von Ihnen zur Rede stellen läßt. Sie haben höflich und bescheiden zu sein, und wenn Sie das nicht wollen, so können Sie gehen, wohin es Ihnen beliebt. Und wenn Sie gar beginnen, mit Kugeln um sich zu schießen, dann schlage ich Sie eben nieder, so wie ich es gethan habe. Wenn ich Ihnen gestatte, wieder bei uns zu bleiben, so muß ich gewärtig sein, Sie wiederholen die Scene, und dann ist einer von uns beiden verloren, entweder Sie oder ich. Ich wenigstens würde Sie dann nicht etwa nur so treffen, daß Sie nur die Besinnung verlieren; es wäre vielmehr um Ihr Leben geschehen.“

„Sennor, ich gebe Ihnen mein festes Versprechen, mein heiliges Wort, daß ich gegen keinen von Ihnen die Hand wieder aufhebe!“

Er wendete sich mit seiner Bitte auch an die andern, und zwar in so dringlichem Tone, daß ich ihm endlich doch sagte:

„Unsere Entscheidung hängt davon ab, wie Sie gesonnen sind, sich gegen den Sendador zu verhalten.“

„Soll er denn wirklich ohne Strafe davonkommen?“

„Nein. Es ist gar nicht meine Absicht, ungerecht gegen Sie zu sein. Aber die Klugheit gebietet uns, mit ihm nach der Pampa de Salinas zu gehen. Bis dahin haben Sie Ruhe zu halten. Später können Sie thun, was Sie wollen.“

„Sie werden ihn dann nicht gegen mich in Schutz nehmen und auch nicht warnen?“

„Nein! Er wird sich schon ganz von selbst vor Ihnen in acht nehmen. Es kann mir nicht einfallen, Verbrecher vor der verdienten Strafe zu warnen.“

„Und Sie versprechen mir, daß er uns nicht entflieht, daß er bis zur Pampa de Salinas bei uns bleibt?“

„Das kann ich nicht versprechen. Uns wird er sein Wort halten. Stellen auch Sie sich zu ihm so, daß er sich sicher fühlt, so wird er bei uns bleiben. Sie sehen also, daß es ganz allein nur auf Sie ankommt.“

Er blickte finster vor sich nieder. Sein Gesicht war kein solches, wenigstens in diesem Augenblicke, dem man zutrauen kann, daß das gegebene Versprechen gehalten wird. Aber es hellte sich schnell auf, und in einem Tone, welcher vertrauenerweckend klingen sollte, sagte er:

„Nun wohl! Ich verspreche Ihnen, daß ich meine Rache aufheben will, bis Sie ihn nicht mehr brauchen. Dann aber werde ich keinen Augenblick länger warten. Nehmen Sie mich nun mit?“

„Ist Ihr Versprechen ehrlich gemeint?“

„Ja.“

„So werde ich es noch einmal versuchen. Sie können bei uns bleiben.“

„Dann müssen Sie mir aber auch meine Munition zurückgeben.“

Schon wollte ich ihm eine zustimmende Antwort geben, da fiel der Bruder ein:

„Nicht so schnell! Sie haben sich unser Vertrauen verscherzt und müssen es sich erst wieder erwerben, ehe wir Sie wieder als den guten Kameraden gelten lassen, der Sie uns bis jetzt gewesen sind. Sie hätten mit Ihrem Pulver und Blei beinahe ein Unheil angerichtet; Sie bekommen beides erst zurück, wenn Sie uns bewiesen haben, daß Sie wirklich willens sind, Ihr Versprechen zu halten.“

Die andern stimmten ihm bei. Gomarra warf ihm einen schnellen, finster drohenden Blick zu, den außer mir keiner zu bemerken und zu beachten schien, und antwortete dann in fast unterwürfiger Weise:

„Es mag geschehen, wie Sie wollen, Bruder Jaguar; ich sehe ein, daß ich es so und nicht anders verdient habe. Ich weiß aber, daß Sie mir Ihr Vertrauen bald wieder schenken werden.“

Damit war diese Sache abgemacht. Wir stiegen zu Pferde und ritten davon, indem wir dem Flußbette aufwärts folgten. Ich ritt mit dem Bruder voran und hielt den Blick scharf zur Erde gerichtet, um möglicherweise eine Fußspur des Sendador zu finden, doch vergeblich. Erst nachdem wir wohl zwei Stunden lang geritten waren, fiel mir auf, daß das Flußbett eine bedeutende Krümmung gemacht hatte. Darum antwortete ich dem Bruder, der sich darüber wundern wollte, daß nicht einmal ich die Fährte finde, die der Führer doch unbedingt zurückgelassen haben müsse:

„Sie ist hier überhaupt nicht zu finden. Er kennt die Gegend besser als wir und wird den Bogen, den wir geritten sind und wohl auch noch reiten, abgeschnitten haben. Die Krümmung unseres Weges zeigt nach links, nach Süden, folglich liegt sein Weg im Norden, rechts von uns, und er wird von dieser Seite gewiß wieder auf dieses Flußbett stoßen. Wenn wir gut aufpassen, werden wir seine Spur aus dieser Richtung auf die unserige stoßen sehen.“

„Das mag möglich sein. Hoffentlich bekommen wir ihn noch heute zu sehen!“

„Ich denke es.“

„Dann wollen wir ein scharfes Auge auf Gomarra haben. Ich traue ihm noch nicht.“

„Ich auch nicht. Meinen Sie etwa, daß er sich abermals an mir vergreifen werde?“

„Nein; das wird er nicht wagen, da Sie ihm eine solche Lehre gegeben haben; aber ich befürchte, daß er in Beziehung auf den Sendador sein Wort nicht halten wird.“

„Sie haben wohl auch den Blick gesehen, den er auf Sie warf, als Sie ihm die Munition versagten?“

„Nein.“

„Dieser Blick läßt nichts Gutes erwarten. Wir müssen diesen Mann scharf im Auge behalten, sonst wird er uns ernste Verlegenheiten bereiten.“

Wir hatten uns vorgenommen, nicht eher eine Ruhepause zu machen, als bis wir auf den Sendador trafen oder der Abend angebrochen war. Darum ging es immer vorwärts, bis mir am Spätnachmittage eine Stelle des rechten Ufers auffiel, welche ganz so aussah, als ob da ein Fuß ausgerutscht sei. Ich hielt an und stieg ab, um sie zu betrachten. Der Rand des Flußbettes war hier weniger hoch als bisher, aber steil. Man sah, daß hier jemand herabgestiegen und dann weiter gegangen war. Ich stieg mit dem Bruder hinauf. Zwischen den Bäumen, welche da standen, gab es weichen Boden, in welchem sich die Füße des Betreffenden eingedrückt hatten, so daß ein scharfes Auge die Spur nicht unschwer sehen konnte. Wir gingen auf derselben eine Strecke zurück, bis die Bäume sich nach einer kleinen, grasigen Pampa öffneten. Dort wurde die Spur deutlicher. Man sah den Strich, den die niedergetretenen Halme bildeten, sich dunkel von der Umgebung abheben.

„Ob das der Sendador gewesen ist?“ fragte der Bruder.

„Jedenfalls. Die Spur kommt ganz so, wie ich vermutet habe, von rechts her. Der Bogen, den wir gemacht haben, ist hier zu Ende, denn das Flußbett scheint sich nun scharf südwärts zu wenden. Daß diese Stapfen gerade hier auf unsern Weg stoßen, ist ein Zeichen, daß der Sendador die Gegend ganz ausgezeichnet kennt. Er hat diesen Punkt getroffen, ohne sich um einen Schritt nach rechts oder links zu irren. Vielleicht befindet er sich in solcher Nähe, daß er sieht, wie wir uns seine Fährte betrachten. Reiten wir langsam weiter!“

Wir beide kehrten nach dem Flußbette zurück und stiegen wieder auf. Schon nach wenigen Schritten zeigte es sich, daß ich ganz richtig vermutet hatte; der jetzt trockene Wasserweg bog scharf nach Süden ab. Wir hielten die Blicke aufmerksam nach beiden Seiten gerichtet, wo der Sendador jeden Augenblick erscheinen konnte. Seine Spur war ziemlich gut zu sehen; sie lief geradeaus in der Mitte unseres Weges fort; aber er konnte aus Vorsicht da, wo er das Regenbette verlassen hatte, um im Verborgenen auf uns zu warten, eine Strecke rückwärts gegangen sein, um uns zu beobachten, während wir ihn noch vor uns suchten.

So aufmerksam wir nach ihm forschten, er war nicht zu sehen; bald aber erblickten wir ein Zeichen von ihm. Am Stamme eines am rechten Ufer stehenden Baumes hing ein kleines, weißes Stück Papier. Alle sprangen von den Pferden. Jeder wollte der erste sein, um es herabzuholen. Monteso kam voran, nahm es weg und brachte es mir. Ich las die Worte:

„Noch zwei Tagereisen immerfort westlich auf meiner Spur weiter.“

Wir sahen einander an. Das hatten wir nicht erwartet. Warum ging er so weit voraus? Warum hatte er nicht hier auf uns gewartet? Er mußte einen Grund dazu haben; das verstand sich ganz von selbst.

„Ob er uns nicht traut?“ fragte der Bruder.

„Das wäre keine Erklärung,“ antwortete ich. „Wenn er uns hier nicht traut, wird er es zwei Tagereisen weiter auch nicht thun. Sein Grund ist sicherlich ein anderer.“

„Aber welcher?“

„Ja, wer das wüßte! Wollen einmal sehen, ob er eine gute Fährte zurückgelassen hat.“

Ich war im Sattel geblieben, stieg aber nun ab und ging zu dem Baume. Bis jetzt war das Gehölz uns stets gefolgt; nun aber ging es zu Ende, und wir sahen nur niedriges Buschwerk, welchem schon nach kurzem eine weite, unabsehbare Pampa folgte. Der Baum, an welchem der Zettel gehangen hatte, war der allerletzte, und von ihm führte eine jedenfalls mit Absicht tief ausgetretene Fährte zwischen die Büsche hinein.

„Durch das Betrachten dieser Spur werden Sie wohl nicht zu einer Antwort auf unsere Frage kommen,“ meinte Pena.

„Das ist wahr,“ gab ich zu. „Aber wie war denn der Zettel befestigt?“

„Er steckte an einem dünnen, halb abgebrochenen Ästchen. Ich hab‘ es noch hier,“ antwortete der Yerbatero. „Ich brach es vollends ab, um das Papier nicht zu zerreißen.“

„Zeigen Sie her!“

Der Yerbatero gab mir den Zweig, welcher ganz dürr und von der Stärke einer Stricknadel war. Ihn betrachtend, sagte ich:

„Das ist ein Ästchen der Aristolochia, welche sich da an der Böschung heraufwindet; der Baum aber ist ein Platano. Der Zweig ist also erst durch das Papier und dann in den Stamm gesteckt worden. Gab es denn in demselben einen Riß oder ein Loch?“

Ich untersuchte die Stelle und sah eine kleine, scharfrandige. Vertiefung, welche die Form eines Ausrufezeichens ohne Punkt hatte, oben breiter und unten spitz.

„Der Sendador hat ein Messer gehabt!“ rief ich verwundert aus.

„Sollten wir es nicht bei ihm gefunden haben?“ fragte Pena.

„Dann könnte es nur ein Taschenmesser, ein Einbieger sein, der nicht viel Platz wegnimmt und in eine kleine Tasche gesteckt werden kann. Nur in diesem Falle wäre es möglich, daß wir es übersehen hätten. Dieses Messer hat aber eine beinahe drei Zoll breite Klinge gehabt; so breit ist kein Taschen- oder Einschlagemesser. Es ist ganz gewiß ein Cuchillo mit fester Klinge gewesen, wenigstens zehn Zoll lang mit dem Griffe, und das hätten wir, als wir ihn durchsuchten, unbedingt gesehen.“

„So hat er es von irgend jemanden bekommen?“

„Ohne allen Zweifel! Es ist auf alle Fälle von Vorteil für uns, zu wissen, wen er getroffen hat. Ich reite auf seiner Spur zurück. Es fällt mir natürlich auf, daß er sie uns hat verbergen wollen.“

„Verbergen? Woraus schließen Sie das?“

„Daraus, daß er nicht an der Stelle geblieben ist oder dort den Zettel angeheftet hat, wo er aus der Pampa wieder auf unsern Weg traf. Er ist noch eine volle Viertelstunde lang auf demselben fortgegangen, um unsere Aufmerksamkeit nach vorn zu lenken und von rückwärts abzuziehen. So klug und erfahren er ist, hat er doch, indem er die Spitze des Messers in den Baum bohrte, eine große Unvorsichtigkeit begangen; denn nun wissen wir, daß er ein Messer bekommen hat. Er konnte das Papier auf andre Weise befestigen.“

„Es fragt sich, ob es wirklich von ihm ist. Es steht kein Name dabei.“

„Von wem soll es sonst sein? Es ist für uns bestimmt, und der Sendador hat es geschrieben. Sie bleiben alle hier, bis wir zurückkehren; der Bruder und Sennor Pena mögen mich begleiten.“

Wir drei ritten zurück, und zwar galoppierend, um so wenig Zeit wie möglich zu verlieren. An der Stelle, wo wir die Spur des Sendadors getroffen hatten, verließen wir das Flußbett und ritten auf die Pampa hinaus, um ihr dort zu folgen. Wir kamen durch Gesträuch, dann auf eine größere Prairie, auf welcher wir die Pferde aus allen Kräften laufen lassen konnten. Die Fährte lag deutlich vor uns; es wäre unmöglich gewesen, von ihr abzuweichen.

Von Zeit zu Zeit sah ich nach der Uhr, um die Entfernung schätzen zu können. Es verging eine Viertelstunde nach der andern; die Spur führte stets in gerader Richtung weiter, bis wir das Ende der Prairie erreichten. Wir waren eine volle Stunde geritten, und die Sonne berührte fast den Horizont. Aber wir befanden uns nun auch am Ziele, denn wir sahen, was wir gesucht hatten.

Vor uns lag wieder Wald, welchen ein Rand von Buschwerk einsäumte. Aus diesen Sträuchern war der Sendador gekommen, und zwar nicht allein. Es hatte sich eine zweite Person bei ihm befunden und sich hier von ihm getrennt. Der Sendador war südwärts gegangen, nach der Richtung, in welcher unser Flußbett lag, der andere aber nach Westen, den Büschen entlang, an welchen wir standen. Wir sahen seine Spur und untersuchten dieselbe. Der Mann war ein Indianer gewesen.

„Das ist bedenklich!“ meinte Pena. „Ich wollte lieber, daß es ein Weißer gewesen wäre.“

„Warum?“ fragte der Bruder. „Der Sendador hat diesen Mann ganz zufällig getroffen und ihn um sein Messer gebeten.“

„Ganz richtig! Aber wo im Gran Chaco ein Indianer ist, sind ganz gewiß noch mehr in der Nähe. Oder meinen Sie, daß ein Roter sein Messer, welches er so notwendig braucht, verschenkt, wenn nicht Genossen von ihm nahe sind, von denen er wieder eins bekommen kann? Auch giebt ein Indianer kein Messer her, ohne etwas anderes dafür zu erhalten. Der Sendador hatte nichts bei sich, folglich hat er ihm etwas versprochen. Und was kann er ihm versprochen haben? Doch wohl nur die Beute, die bei uns zu machen ist!“

„Sie denken das Schlimmste!“ entgegnete Frater Hilario.

„Das ist hier besser als das Beste denken und dann das Schlimme erleben,“ antwortete Pena. „Wenn der Sendador hier rote Freunde findet, so hat er es nicht nötig, sich schutzlos in unsere Hand zu geben. Wir haben dann nicht nur nichts vor ihm voraus, sondern er ist uns vielleicht sogar überlegen. Auf diesem Papiere fordert er uns auf, zwei Tagereisen weit nach Westen zu reiten. Wie nun aber, wenn diese roten Freunde sich eben zwei Tagereisen von hier befinden?“

„Meinen Sie, daß der Mann, dessen Spur wir hier sehen, sich ganz allein so weit von den Seinen entfernt?“

„Warum soll das nicht möglich sein? Wer weiß, was er vorgehabt hat. Nur auf diese Weise ist es erklärlich, daß der Sendador uns so weit hinter sich herziehen will. Oder haben Sie vielleicht eine andere Erklärung?“

„Ja.“

„Dann bin ich neugierig, sie zu hören!“

„Sie ist sehr einfach. Der Sendador weiß, daß uns viel daran liegt, mit ihm nach der Pampa de Salinas zu gehen. Wir sind ihm also nicht gefährlich, wenigstens so lange nicht, bis wir dort unsern Zweck erreicht haben. Anders aber ist es mit den Männern, die er nach der Insel gelockt hat. Diese haben nicht das mindeste Interesse daran, daß er leben bleibe; sie können nur wünschen und beabsichtigen, sich an ihm zu rächen. Darum muß er bemüht sein, so weit wie möglich von ihnen fortzukommen. Bis dahin, wo wir den Zettel fanden, könnten diese zwanzig Männer uns begleitet haben, um ihn dort zu fassen; aber weiter gehen sie auf keinen Fall mit, da sie ihre Weiber und Kinder unmöglich so lange Zeit in der gefährlichen Wildnis allein lassen können. Darum hat der Sendador uns gar nicht erwartet; er ist gegangen, und zwar je weiter, desto besser. Wir folgen ihm zwei Tagereisen weit, die zwanzig aber sicher nicht. Dies ist der einzige Grund, daß er heute unser Kommen nicht abgewartet hat.“

„Hm! Ich glaube nicht daran. Was meinen Sie dazu, Sennor?“ fragte mich Pena.

„Ich gebe weder dem einen noch dem andern recht,“ antwortete ich. „Beide belegen ihre Ansicht mit Gründen, welche triftig sind. Die Folge allein kann zeigen, wer recht hat. Der Sendador weiß nur allzugut, daß wir seine Feinde sind und daß es einen oder einige unter uns giebt, von denen er keine Gnade zu erwarten hat; es ist also sehr leicht möglich, daß er uns eine Falle legt. Wir müssen vorsichtig sein.“

„Und zwar sehr! Sie sehen also wohl ein, daß es unrecht war, ihn entkommen zu lassen. Wir befinden uns unbedingt in Gefahr, was nicht der Fall wäre, wenn wir ihn noch bei uns hätten. Was also thun? Wir wollen und müssen ihn haben und sind also gezwungen, seiner Aufforderung Folge zu leisten.“

„Ja, das werden wir. Reiten wir zurück. Wir haben hier nichts mehr zu thun.“

Die Sonne war verschwunden, und es dämmerte stark. Wir jagten über die Pampa hin, ohne zu befürchten, daß wir die Spur verlieren und uns verirren könnten. Wenn wir sie nicht mehr sahen, so durften wir uns auf die Pferde verlassen, welche gewiß nicht von der Richtung wichen, wenn wir sie nicht dazu zwangen. Dieses Vertrauen wurde auch nicht zu Schanden. Wir erreichten das Flußbett genau an der Stelle, an welcher wir es verlassen hatten. Die einzige Schwierigkeit bestand darin, in der Dunkelheit die steile Böschung hinabzukommen; dann, als diese überwunden war, ging es wieder aufwärts, bis wir die Gefährten erreichten.

Diese hatten nicht gewagt, ein Feuer anzubrennen; als sie aber hörten, daß wenigstens für heute keine Veranlassung zu allzu großer Vorsicht sei, wurde eine Flamme angefacht und, während wir schliefen, von der ausgestellten Wache unterhalten. Die Pferde waren an die Büsche gebunden, von denen sie fressen konnten, bis wir am Morgen aufbrachen.

Die Spur des Sendadors war so kräftig eingetreten, daß wir sie noch deutlich sahen, als der Tag angebrochen war. Wir folgten ihr mit möglichster Schnelligkeit, um ihn vielleicht noch vor der bestimmten Zeit einzuholen, was wir aber, wie sich bald zeigte, aufgeben mußten.

Wir hatten sieben Stunden gelagert; diese Zeit war für uns verloren, denn es stellte sich heraus, daß der Sendador die ganze Nacht hindurch gegangen war. Wir kamen ihm zwar leidlich nahe, denn als der Tag sich wieder zur Rüste neigte, schätzte ich seine Fährte auf nur drei Stunden alt; aber wir mußten nun wieder halten, da wir in der Dunkelheit die Spur nicht sehen konnten.

Es war zwar zu erwarten, daß er sich nun auch ausruhen müsse; aber in der Lage, in welcher er sich befand, genügten einige Stunden Schlafes, ihm die Kräfte für den Weitermarsch zu geben, während wir wieder wenigstens sieben Stunden warten mußten, bis wir den Weg fortsetzen konnten.

Wir hatten, seit das Flußbett von uns verlassen worden war, meist offene Pampas zu durchreiten gehabt; am nächsten Tage gab es Urwald, aber nicht den undurchdringlichen Urwald des Monte impenetrabile, sondern lichten, gut passierbaren Wald, dessen Stämme weit auseinander standen. Er glich einem Grasgarten, welcher zum Schutze gegen die Sonnenhitze mit unregelmäßig stehenden Bäumen bepflanzt ist. Hier und da gab es eine Lichtung, welche aber niemals von bedeutender Größe war.

Das mußte uns lieb sein. Wir hatten das Zusammentreffen mit dem Sendador zu erwarten und mußten vermeiden, uns in eine Lage zu begeben, in welcher er vielleicht mit Helfershelfern plötzlich und unerwartet über uns kommen konnte.

Darum blieb ich bedenklich halten, als wir gegen Abend wieder über eine dieser Lichtungen kamen und vor uns einen nicht so lichten, sondern geschlossenen Wald erblickten. Die Blöße war mit Gras bewachsen, aus welchem sich hier und dort ein einzelner Strauch erhob, und besaß einen Durchmesser von vielleicht dem vierten Teile einer Wegstunde.

Ich zog mein Fernrohr aus der Satteltasche und richtete es nach dem Walde, hinter welchem die Sonne verschwunden war. Ich sah Unterholz zwischen den Bäumen. Das gab keinen sichern Aufenthalt. Darum stieg ich vom Pferde und sagte, daß ich entschlossen sei, hier auf dieser Lichtung zu kampieren.

„Aber warum denn hier?“ fragte Pena. „Die Spur führt ja weiter, und wir müssen ihr folgen, wenn wir den Sendador treffen wollen!“

„Nein, wir müssen nicht weiter,“ antwortete ich. „Die zweite Tagereise ist zu Ende, und wir können überzeugt sein, daß er sich in der Nähe befindet. Überhaupt ist seine Fährte nicht über eine halbe Stunde alt; er steckt also ganz gewiß dort in dem Walde.“

„Was schadet das?“

„Das fragen Sie, der Sie vorher so mißtrauisch waren? Wie nun, wenn er Indianer bei sich hat, wie Sie behaupten wollten?“

„Die sehen uns ja nicht, da wir uns hüten werden, ein Feuer anzubrennen.“

„So! Der Sendador soll zu uns kommen, aber ein Feuer dürfen wir nicht brennen? Wie will er uns da finden, wenn es Nacht geworden ist? Ein Feuer ist unbedingt nötig, denn wenn wir auch noch so mißtrauisch sind, so müssen wir immerhin den Fall für möglich halten, daß er es für jetzt ehrlich meint. Wir haben uns einen Ort auszusuchen, an welchem er das Feuer sehen kann, aber keine Möglichkeit findet, uns zu überfallen. Im Walde kann er sich mit Indianern, wenn er ja welche bei sich hat, so nahe an uns schleichen, daß uns ihre vergifteten Pfeile treffen. Hier aber ist das Terrain offen, so daß wir ihn bemerken können.“

„O, er kann uns doch beschleichen, hier erst recht, wo er uns schon von weitem zu sehen vermag!“

„Nein. Wir müssen Wachen ausstellen, und diese werden hier einen etwa sich heimlich nähernden Feind leichter bemerken als im dichten Walde.“

„Ganz wie Sie wollen. Übernehmen Sie aber auch dann, wenn Sie sich geirrt haben, die Verantwortung?“

„Das werde ich, während Sie es wohl nicht verantworten könnten, wenn wir Ihrem Rate folgten.“

Seit Pena wußte, daß ich es war, welcher dem Sendador die Flucht ermöglicht hatte, erteilte er seinem Verhalten gegen mich eine gewisse Schärfe, welche ganz geeignet war, uns nach und nach zu entfremden. Die andern Gefährten gaben mir recht, und so wurde abgestiegen und ein Vorrat von dürrem Holze für das Feuer gesucht. Wir hatten im Laufe des Tages Wild genug für ein hinlängliches Abendmahl geschossen, und für die Pferde war auch gesorgt, da es nicht nur Futter für sie, sondern auch ganz nahe eine Wasserlache gab, aus welcher sie trinken konnten.

Während die Vorbereitungen zum Kampieren getroffen wurden, verließ ich den Platz, um mich zu überzeugen, ob die Fährte wirklich nach dem Walde und nicht etwa nach der Seite führe. Um nicht von dem Walde aus gesehen zu werden, ging ich in möglichst gebückter Haltung und suchte hinter jedem Busche, welcher sich mir bot, Deckung. Nachdem ich etwa achthundert Schritte weit gegangen war, blieb mir kein Zweifel, daß der Sendador in gerader Linie den Wald aufgesucht hatte, und ich kehrte zurück.

Das Feuer brannte schon, und die Gefährten hatten sich an das Braten des Fleisches gemacht. Als es dunkel geworden war, stellte ich vier Wachen aus, welche von Zeit zu Zeit abgelöst werden sollten. Eine kam nach vorn, eine je zur rechten und linken Hand und eine auch rückwärts vom Lager, da der Sendador uns umgehen und also auch von hinten kommen konnte. Die Leute erhielten die Weisung, sich hinter Büsche niederzulegen, damit sie nicht leicht gesehen werden könnten. Sie wurden nicht nahe an das Lager, sondern fast zweihundert Schritte entfernt von demselben postiert, erstens weil ein etwaiger Feind sie in solcher Entfernung von uns wohl nicht vermutete und zweitens weil, wenn sie Gefahr bemerkten und uns durch einen lauten Zuruf warnten, wir Zeit zur Verteidigung finden konnten, noch ehe der Feind diese Strecke zurückgelegt hatte.

Aber es schien, als ob weder der Sendador noch irgend sonst wer kommen wolle. Ich hatte mich gleich nach dem Essen hingelegt, um jetzt, wo ein Überfall am wenigsten zu erwarten war, einige Stunden zu schlafen. Um Mitternacht sollte man mich wecken.

Als man dies that, hatte sich noch niemand sehen lassen, und Pena sagte:

„Der Sendador wird sich hüten, sich wieder sehen zu lassen! Das haben wir von Ihrer Milde, mit welcher Sie selbst einen solchen Menschen behandeln!“

„Verlassen Sie sich darauf, daß er kommt,“ antwortete ich.

„So kommt er als Feind!“

„Das ist abzuwarten. Jetzt werde ich bis Tagesanbruch wachen und den vorderen Posten übernehmen.“

Als ich mich entfernte, sah ich noch, daß Pena und Gomarra die Köpfe zusammensteckten, um sich leise zu unterhalten. Der letztere gefiel mir von Stunde zu Stunde immer weniger. Er hatte während der letzten beiden Tage fast kein Wort gesprochen, und dieses Schweigen, sein verbissenes Gesicht und die Blicke, welche sein Auge warf, wenn vom Sendador gesprochen wurde, ließen mein Vertrauen nicht wieder aufkommen. Ich befürchtete einen Zusammenstoß, sobald der Sendador zu uns kam.

Der Steuermann war es, den ich ablösen wollte. Als ich bei ihm ankam, sagte er:

„Ein miserables Ding, so auf dem Ausguck zu liegen, ohne daß sich ein Segel sehen läßt! Am liebsten wäre es mir, wenn einige Dutzend Rote kämen, damit ich einmal richtige Arbeit machen könnte. Aber unsereinem geschieht nie das, was man sich wünscht!“

„Malen Sie den Teufel nicht an die Wand! Die Nacht ist erst halb vorüber, und es kann noch genug geschehen, was uns nicht lieb ist.“

„Es wird weiter nichts geschehen, als daß ich mich nun schlafen lege. Gute Nacht!“

Er ging mißmutig fort, und ich nahm seine Stelle ein. Es war, als ob er recht behalten sollte, denn es verging eine Stunde und dann noch eine, ohne daß sich ein lebendes Wesen hören oder sehen ließ. Hinter ihm flammte der müde Feuerschein zuweilen für einen kurzen Augenblick auf, und vor mir lag die dunkle Nacht, die aber nach und nach von einem helleren Schimmer überworfen wurde, denn die dünne Sichel des zunehmenden Mondes stieg am Himmel auf.

Da war es mir, als ob vor mir sich etwas rege. Ich legte das Ohr auf die Erde und hörte ein Schleifen, wie wenn jemand langsam und leise sich durch das Gras bewegt. Dann sah ich eine gebückte Gestalt, welche sich mir näherte. Die Fährte ging dicht neben dem Strauche, hinter welchem ich lag, vorüber. Daß der Mann auf dieser Spur zu uns kam, war ein gutes Zeichen; denn wäre er in feindlicher Absicht gekommen, so hätte er sich wohl gehütet, den Weg zu betreten, welchen wir kannten.

Er kam an mich heran und ging an mir vorüber. Ich blieb liegen, um erst zu sehen, ob er allein sei. Es kam niemand hinter ihm her, und so erhob ich mich, um mich ihm zu zeigen.

Ich hatte den Sendador erkannt. Wohl gegen zwanzig Schritte folgte ich ihm, ohne daß er mich hörte. Dann trat ich lauter auf. Er fuhr herum, erblickte mich, machte eine Bewegung, als ob er davoneilen wolle, blieb aber doch stehen und fragte mit unterdrückter Stimme:

„Ein Mensch hinter mir! Wer sind Sie?“

Ich trat nahe an ihn heran und antwortete:

„Sehen Sie genauer her, Sennor Sabuco! Erkennen Sie mich?“

„Ja,“ antwortete er jetzt. „Sie sind es! Aber wie kommen Sie hinter mich?“

„Ich stand Posten oder vielmehr ich lag Posten und ließ Sie, als ich Sie kommen sah, an mir vorüber, um zu erfahren, ob Sie allein da sind. Dann folgte ich Ihnen.“

„Wer sollte außer mir da sein?“

„Gute Freunde von Ihnen.“

„Pah! Und Wachen haben Sie ausgestellt?“

„Natürlich! Das ist die Gewohnheit eines jeden vorsichtigen Menschen.“

„Hier bedarf es keiner Vorsicht. Ich meine es ehrlich mit meinem Versprechen. Wer ist mit Ihnen da? Nur die Yerbateros?“

„Ja, diese, dann die beiden Seeleute, der Bruder, Pena und Gomarra.“

„Alle Teufel! Diesen letztern wünsche ich nicht dabei.“

„Ich glaube nicht, daß Sie große Sorge zu haben brauchen. Er hat mir versprochen, sich einstweilen jeder Feindseligkeit zu enthalten.“

„Einstweilen also? So kann er also an jedem beliebigen spätern Augenblicke über mich herfallen?“

„Nein. So lange ich bei Ihnen bin, stehen Sie unter meinem Schutze.“

„Versprechen Sie mir das?“

„Ich habe es Ihnen bereits versprochen und halte mein Wort.“

„Daß Sie es ehrlich meinen, das glaube ich, und ich werde bald sehen, wie ich mit den andern daran bin. Haben sie eine Ahnung, auf welche Weise ich entkommen bin?“

„Ich habe es ihnen gesagt.“

„Sennor, das ist gefährlich für Sie!“

„Allerdings! Gomarra schoß in der ersten Wut auf mich.“

„Teufel! Wurden Sie getroffen?“

„Nein. Ich habe ihn dann aber so gepackt, daß er Respekt bekommen hat.“

„Also, den Tod konnten Sie davon haben? Das merke ich mir, Sennor! Sie sind für Ihren Feind ein höchst gefährlicher Kerl; aber daß Sie ein gegebenes Wort halten, weiß ich ganz genau. Lesen Sie meine Kipus, und enträtseln Sie mir die Zeichnungen, so werden Sie mit mir zufrieden sein! Ich sah Ihr Feuer. Sie befinden sich hier; also haben Sie meinen Zettel gefunden?“

„Wir fanden und lasen ihn.“

„Und waren Ihre Gefährten gleich bereit, meiner Weisung Folge zu leisten?“

„So ziemlich, obgleich es ihnen nicht ganz ungefährlich erschien.“

„Welche Gefahr sollte dabei sein?“

„Es giebt da verschiedene Fährlichkeiten. Wie nun, zum Beispiel, wenn Sie nur deshalb Wort halten, um sich Ihrer gefährlichsten Feinde zu entledigen?“

„Wie könnte ich das anfangen? Sie haben ja meine Waffen behalten!“

„Sind Sie wirklich ganz unbewaffnet?“

Er blickte mir einige Augenblicke in das Gesicht und antwortete dann:

„Allerdings nicht.“

„Was für Waffen haben Sie?“

„Hier dieses Messer.“

Er zog es aus dem Gürtel und zeigte es mir.

„Von wem haben Sie es?“ erkundigte ich mich.

„Von einem Indianer, den ich zufällig traf. Er borgte es mir.“

„Und er befindet sich jetzt noch in Ihrer Nähe?“

Wieder blickte er mir eine Weile in das Gesicht, bevor er zögernd antwortete:

„Ja, Sennor, er ist da.“

„Und andere mit ihm?“

„Ja. Es ist ein mir befreundeter Stamm, den ich durch den zufällig getroffenen Angehörigen desselben hierher beordern ließ. Meinen Sie und Ihre Gefährten es ehrlich, so werden Sie von diesen Roten freundlich behandelt werden; vergreifen Sie sich aber an mir, so werden Sie ausgelöscht wie die Lichter eines Wachsstockes.“

„Welchem Stamme gehören sie an?“

„Das erfahren Sie erst dann, wenn ich weiß, daß ich bei Ihnen sicher bin.“

„Und wie viele Personen sind es?“

„Sie werden einsehen, daß ich Ihnen auch das erst später sagen kann.“

„Gut! Ich dringe nicht in Sie, denn da ich mir keiner Hinterlist bewußt bin, habe ich diese Leute nicht zu fürchten. Ich sehe, daß Sie ehrlich sind und mich nicht belügen und täuschen; das wird ein möglichst gutes Einvernehmen ergeben.“

„O,“ lachte er halblaut, „was das betrifft, so brauchen Sie nicht von Ehrlichkeit zu sprechen, Sennor. Es ist mehr Klugheit als Ehrlichkeit von mir.“

„Wie so?“

„Ich habe eine große Unvorsichtigkeit begangen, was mir aber erst spät einfiel. Gomez hat – – aber, wo ist der überhaupt? Auch bei Ihnen?“

„Nein, bei den Karawanenleuten.“

„So! Also Gomez hat mir von Ihnen erzählt, und was ich da gehört habe, das ist ganz geeignet gewesen, in mir die Vorstellung zu erwecken, daß Sie auf die geringste Kleinigkeit achten und sich nicht täuschen lassen. Sie haben also ganz gewiß gesehen, wie der Zettel an den Baum befestigt war?“

„Allerdings. Ich dachte mir gleich, daß Sie ein Messer hätten und daß Sie jemand getroffen haben müßten, der es Ihnen gab.“

„Und weiter?“

„Ich bin auf Ihrer Spur zurückgeritten und habe die Fährte des Indianers gefunden. Natürlich sagte ich mir, daß er gegangen sei, um Ihnen seine roten Kameraden zuzuführen.“

Und darum haben Sie Posten ausgestellt!“

„Nicht darum allein. Ich hätte das auch in dem Falle gethan, daß ich überzeugt gewesen wäre, Sie ganz allein anzutreffen. Ich pflege auch in solchen Fällen, in denen es nicht unbedingt notwendig ist, gern vorsichtig zu sein.“

„Besonders hier, wo Sie mir doch nicht ganz trauen können!“

„Ja. Sie verraten da eine sehr anerkennenswerte edle Selbsterkenntnis. Daß Sie mir den eigentlichen Grund Ihrer Aufrichtigkeit sagen, macht Ihnen bei mir keinen Schaden. Haben Sie da nicht aus angebotener Ehrlichkeit, sondern aus Klugheit so gehandelt, so darf ich erwarten, daß Sie in Zukunft in gleicher Weise klug sein und also einsehen werden, daß Hinterlist Sie nur in Schaden bringen kann. Sähe ich, daß Sie mich oder einen meiner Gefährten schädigen wollten, so würde ich Sie keinen Augenblick länger schonen. So, nun wissen wir gegenseitig, woran wir miteinander sind. Jetzt kommen Sie mit mir an das Feuer!“

Wir hatten erst leise, dann aber lauter gesprochen und waren also am Feuer gehört worden. Die drei anderen Posten hatten sich dort eingestellt, und so waren, als wir hinkamen, alle versammelt.

Was der Sendador in diesem Augenblicke fühlte, ob Scham, ob etwas anderes, das war ihm jetzt nicht anzusehen. Er trat erhobenen Hauptes zu den Leuten und sagte in beinahe stolzem Tone:

„Hier bin ich. Sie sehen, daß ich Wort gehalten habe, und so erwarte ich, daß auch Sie dasselbe thun. Wir wollen uns bis nach beendigtem Geschäft in der Pampa de Salinas vertragen; dann aber kann es jeder halten, wie es ihm beliebt. Sind Sie damit einverstanden?“

„Ja!“ ertönte es ringsum.

Nur Gomarra schwieg, Sein Auge ruhte mit einem glühenden, haßerfüllten Blicke auf dem Sendador, welcher fortfuhr:

„Sie haben geahnt, daß ich jetzt Indianer bei mir habe, und diese Voraussetzung hat Sie nicht getäuscht. Das sage ich Ihnen, um zu zeigen, daß ich mich nicht hilflos in Ihren Händen befinde.“

„Was für Rote sind es?“ fragte der Bruder.

„Sie werden sie sehen.“

„Sehen? Sollen wir etwa mit ihnen zusammentreffen?“

„Ja; denn sie werden mich bis zur Pampa de Salinas begleiten, damit ich dann, wenn unser jetziger Waffenstillstand abläuft, mich nicht so vielen gegenüber allein befinde.“

„Und ob wir uns die Gesellschaft dieser Leute gefallen lassen wollen, das fragen Sie nicht?“

„Nein, denn Sie brauchen sie sich nicht gefallen zu lassen. Niemand wird Sie zwingen, mit den Roten zu verkehren. Ich bleibe bei ihnen, und Sie können sich für sich halten. So gehen wir in zwei Abteilungen in die Berge, und keine braucht der andern beschwerlich zu fallen.“

„Ah so! Sie wollen jetzt nicht bei uns bleiben?“

„Nein. Ich komme nur, um Ihnen zu zeigen, daß Sie sich auf mein Wort verlassen können, und mit Ihnen den Weg zu besprechen, welchen wir einschlagen werden. Dann gehe ich zu meinen Indianern, werde Ihnen aber mit denselben während des Zuges so nahe bleiben, daß Sie mich zu jeder Zeit sehen und auch sprechen können, natürlich unter denjenigen Vorsichtsmaßregeln, welche ich meiner Sicherheit schuldig bin!“

Gomarra hielt die Hand an den Mund und hustete. Das klang so unnatürlich, daß ich ihn noch schärfer als vorher ins Auge nahm.

„Das ist aber doch gegen die Verabredung!“ sagte Pena. „Sie haben bei uns zu bleiben, und von Indianern ist erst recht keine Rede gewesen.“

„Das ist mir gleich. Ich bleibe bei Ihnen, aber nicht so, daß Sie mich jeden beliebigen Augenblick mit der Hand fassen können. Und nun muß ich mir natürlich auch meine Waffen ausbitten.“

„Sie sollen Ihr Gewehr bekommen,“ sagte ich, „falls Sie versprechen, es gegen keinen von uns zu gebrauchen.“

„Ich werde mich desselben nur gegen den bedienen, welcher mich angreift.“

„Das genügt.“

„Nein, das genügt nicht!“ schrie Pena. „Ich verlange, daß – – –“

„Schweigen Sie!“ unterbrach ihn der Bruder in sehr ernstem Tone. „Sie erhöhen und vervielfältigen nur die bereits vorhandenen Schwierigkeiten. Wenn wir den Sendador nicht mehr als Gefangenen betrachten, so haben wir auch kein Recht, ihm sein Eigentum vorzuenthalten.“

„Ich betrachte ihn aber noch als gefangen und dulde nicht, daß ein anderer so eigenmächtig wie bisher handelt und etwas ohne meine Einwilligung thut!“

„Pena,“ antwortete ich ihm, „meinen Sie mich?“

„Ja, Sie!“

„So sage ich Ihnen, daß ich den Teufel nach dem frage, was Sie dulden wollen oder nicht. Hier liegt das Gewehr, und ich – – –“

Die Flinte lag da, wo ich geschlafen hatte. Ich trat hin und bückte mich nieder, um sie aufzuheben, während ich sprach. Ich konnte aber meine Rede nicht vollenden, denn Gomarra schrie wütend auf:

„Das Gewehr soll er bekommen? Und bei den Indianern will er bleiben, die ihn beschützen werden? Soll er mir abermals entkommen? Nein! Hier, stirb, du Teufel, du!“

Ich fuhr aus meiner gebückten Haltung auf, die Flinte in der Hand, und drehte mich um. Gomarra drang auf Sabuco ein, und zwar so blitzesschnell, daß der Bedrohte nicht rasch genug ausweichen konnte. Das Messer des Wütenden fuhr ihm zwar nicht in die Brust, aber doch in den Arm. Gomarra holte von neuem aus, aber ich auch, der ich seitwärts von ihm stand. Noch ehe er zu stoßen vermochte, traf ich ihn mit dem Gewehrkolben auf den Kopf, daß er zusammenbrach.

„Steht es so?“ donnerte der Sendador, indem er die rechte Hand auf die blutende Stelle des linken Oberarmes legte. „Da fällt es mir nicht ein, zu bleiben. Aber wir sehen uns wieder, und zwar bald, ihr Lügner und wortbrüchigen Halunken!“

Er wendete sich ab und sprang, um nicht festgehalten zu werden, in eiligem Laufe davon.

„Sennor Sabuco, bleiben Sie, bleiben Sie!“ rief ich ihm nach, aber es fiel ihm nicht ein, dieser Aufforderung Folge zu leisten.

„Da rennt der Hund davon!“ rief Pena wütend. „Aber ich hole ihn zurück, und folgt er mir nicht gutwillig, so schieße ich ihn über den Haufen!“

Er griff sein Gewehr vom Boden auf und rannte dem Sendador nach. Der Bruder wollte ihm folgen, um ihn zurückzuhalten; ich bat ihn aber:

„Bleiben Sie! Die beiden sind einmal toll, Gomarra und Pena, und so mögen sie die Folgen tragen. Leider müssen wir dieselben mit erleiden. Der Sendador hat es wirklich ehrlich gemeint, um so größer muß jetzt sein Ärger sein.“

„Hatten Sie sich von seiner Ehrlichkeit überzeugt?“ fragte Monteso.

, „Ja. Er gestand mir aufrichtig, daß Indianer in der Nähe seien und daß er das Messer von einem derselben erhalten habe. Das brauchte er nicht zu sagen. Er hätte uns in einen Hinterhalt locken können. Er ist ein Bösewicht, aber daß ihm heute seine ehrliche Stunde mit dem Messer belohnt worden ist, das thut mir leid, und das wird uns großen Schaden machen.“

Der Bruder kniete bei Gomarra nieder, um ihn zu untersuchen.

Dios!“ rief er erschrocken aus. „Sie haben ihn erschlagen!“

„Immerhin! Ich habe ihn gewarnt. Wir befinden uns im Gran Chaco, aber nicht in einem Damenboudoir. Übrigens pflegt solches Ungeziefer zähes Leben zu besitzen. Ist die Hirnschale entzwei?“

„Nein.“

„Nun, so wird er wohl noch leben. Ich werde, um weitere Scenen zu vermeiden, seinem Erwachen aus dem Wege gehen und einmal rekognoszieren. Stellen Sie indessen wieder Posten aus und seien Sie vorsichtig! Ich glaube zwar nicht, daß der Sendador sogleich zur Rache schreitet, aber möglich ist es doch, daß ihn die Wut und der Anblick seines Blutes dazu hinreißen.“

Ich ging bis an den Busch, hinter dem ich vorher gelegen hatte, und dann weiter, immer der Fährte nach. Nichts war zu sehen und nichts zu hören. Ich bediente mich der größten Vorsicht, um nicht bemerkt zu werden, und hatte schließlich die zwischen unserm Feuer und dem Walde liegende Strecke über die Hälfte zurückgelegt. Weiter durfte ich mich dem letzteren nicht nähern. Ich kauerte mich nieder und strengte das Gehör an, um ein Geräusch zu vernehmen, doch vergeblich.

Schon hatte ich vielleicht zehn Minuten so gelauscht, da hörte ich etwas. Aber das war kein Geräusch, sondern ein Geheul, als ob tausend Teufel losgelassen worden wären. Das Lager wurde überfallen. Ich fuhr auf und rannte demselben zu, indem ich die Revolver aus dem Gürtel zog; ein Gewehr hatte ich nicht mitgenommen.

Als ich in die Nähe kam, erblickte ich eine unbeschreiblich wilde Scene. Eine Menge roter Kerls, die ich so schnell nicht einmal taxieren, noch viel weniger aber zählen konnte, lag mit meinen Gefährten im Kampfe. Es waren ihrer so viele, daß immer zehn oder fünfzehn Rote an einem Weißen hingen. Die ersteren waren so schnell über die letzteren gekommen, daß diese gar keine Zeit gefunden hatten, sich ihrer Schußwaffen zu bedienen. Die meisten waren schon niedergerissen. Ich sah nur noch den Bruder und den Steuermann stehen, jeder inmitten eines ganzen Haufens von Indianern, die an ihren Körpern hingen und sich Mühe gaben, sie niederzureißen.

Eine Waffe sah ich bei keinem der Roten. Rechts, außerhalb des Tumultes, stand ein Mann, welcher mit lauter, gebieterischer Stimme wiederholt einige Worte einer mir fremden, unverständlichen Sprache rief.

Ich weiß nicht, wie es kam, aber der Umstand, daß die Roten sich nur ihrer Hände bedienten, hatte zur Folge, daß ich unwillkürlich die Revolver wieder einsteckte und mich mit den Fäusten auf die Gruppe warf, in welcher der Bruder steckte. Ich schlug zu, riß die Kerle nach rechts und links auseinander, um bis zum Bruder durchzudringen. Das gelang mir auch, aber hinter mir schloß sich der Kreis sofort wieder. Andere Indianer, welche ihre Weißen schon überwältigt hatten, kamen hinzu. Ich wurde von hinten und vorn, von beiden Seiten gepackt. Man wollte mir die Arme halten; man wollte mich niederzerren. Ich spreizte die Beine aus, um fester zu stehen und wehrte mich nach Leibeskräften.

jetzt lag der Bruder an der Erde. Vier, sechs, acht Indianer banden ihn und schleppten ihn fort. Ich sah den riesigen Steuermann noch fest stehen. Er arbeitete mit seinen Fäusten, daß es eine Lust war. Jetzt hatte er, was er sich so sehnlich gewünscht hatte; aber es waren zu viele über ihm; man sah, daß er unterliegen müsse.

jetzt sah ich ein, daß ich eine Dummheit begangen hatte. Ich hätte, sobald ich die Übermacht sah, welcher wir unbedingt nicht gewachsen waren, da die Überrumpelung so gut gelungen war, mich fernhalten sollen. War ich frei, so konnte ich für die Gefährten etwas besseres thun, als mich mit ihnen festnehmen lassen. Darum trachtete ich jetzt, mich durchzuschlagen.

UM dies zu erreichen, bedurfte es besserer Waffen als der bloßen Fäuste. Ich griff nach dem Gürtel. Das Messer und die Revolver waren fort. Während ich mit den Armen arbeitete, hatte man sie mir entrissen. Ganz dasselbe war jedenfalls auch bei den Kameraden geschehen, denn ich sah keinen verwundeten oder toten Indianer.

Nun war es gewiß, daß ich nicht fort konnte. Drüben sank jetzt der Steuermann nieder. Der Anführer, welcher die fremden Befehle gerufen hatte, kam näher. Es war der Sendador.

„Sennor, ergeben Sie sich!“ rief er mir zu. „Ich verspreche Ihnen, daß Ihnen nichts geschehen wird. Ihr Widerstand ist doch vergeblich; das müssen Sie sehen!“

Er hatte recht. Ich ließ die Arme sinken und wurde zur Erde gerissen, wo mir die Kerls die Hände und die Füße banden. Die Roten erhoben ein unbeschreibliches Triumphgeheul. Man konnte es gewiß eine Stunde weit hören. Der Sendador kam zu mir. Er hatte den Arm verbunden. Es schien schon vorher verabredet worden zu sein, was alles gethan werden Solle, denn auf einen Wink von ihm nahmen zwei Rote meinen Hut, welcher mir entfallen war, richteten mich zum Sitzen auf, stülpten mir den Hut über die Augen, so daß ich nichts sehen konnte, und banden ihn dort fest.

Das Geheul war verstummt. Ich wurde aufgehoben und fortgetragen. Um einen Maßstab zu haben, versuchte ich, die Schritte zu zählen, welche meine Träger machten, bevor sie mich niederlegten; es waren ihrer über zwölfhundert.

Dann verging eine lange, lange Zeit, gewiß mehrere Stunden, bis ich hörte, daß Männer kamen, welche Pferde brachten. Der Sendador war dabei, denn ich erkannte seine Stimme, als er sagte:

„Sennor, ich habe Ihnen versprochen, daß Ihnen nichts geschehen soll, und ich werde Wort halten, wenn Sie sich in Ihre Lage finden. Machen Sie aber den geringsten Fluchtversuch, so ersteche ich Sie!“

„Wo sind meine Freunde?“ fragte ich ihn.

„Gut aufgehoben!“

„Also leben sie noch?“

„Gut aufgehoben ist nur der, welcher fertig mit dem Dasein ist; sie sind gerichtet, da sie mich richten wollten.“

„Scheusal!“

„Schimpfen Sie nicht! Sie befinden sich in meiner Gewalt.“

„Wenn Sie mich nicht auch ermorden, so werde ich sie rächen. Darauf verlassen Sie sich!“

„Pah!“ lachte er. „Ich werde schon dafür sorgen, daß Sie das nicht können. Jetzt geht es fort von hier. Wir werden Sie auf ein Pferd binden. Fügen Sie sich ohne Widerstand, welcher Ihnen doch nichts nützen, sondern Ihre Lage nur verschlimmern würde.“

„Nehmen Sie mir den Hut aus dem Gesicht!“

„Daß ich ein Narr wäre! Sie dürfen nicht wissen, durch welche Gegend wir reiten.“

Man löste mir die Beinfesseln und half mir auf das Pferd, um dann meine Füße wieder durch einen Riemen zu verbinden. Dann begann der Ritt.

Ich merkte sehr bald, daß ich nicht auf meinem Braunen saß; den hatte der Sendador jedenfalls für sich genommen. Nach welcher Richtung es ging, das konnte ich nicht sehen, doch beobachtete ich alle, auch die kleinsten Anzeichen und schloß aus ihnen, daß wir erst durch einen Wald, dann über eine Ebene mit tiefem Sande ritten und nachher auf grasigen Boden kamen. Später begann die Sonne zu brennen; sie traf meine linke Seite mehr als die rechte; also ritten wir westwärts. Dann wurde in einem Walde gehalten. Man bot mir Fleisch und Wasser an, und ich nahm beides, obgleich das letztere brackig schmeckte und ich es aus einem nach Schweiß stinkenden Hute trinken mußte. Nach kurzer Zeit ging es weiter.

Wir kamen wieder über freies Land; aber die Sonne war nicht mehr zu fühlen, obgleich es nicht viel über Mittag sein konnte. Es wurde empfindlich kalt, und die Luft traf schneidend meine Hände und den entblößten Teil meines Gesichtes.

Wie viele Männer bei mir waren, das wußte ich nicht. Aus dem Pferdegetrappel konnte ich auf so viele schließen, als wir Pferde bei uns gehabt hatten; aber ich bemerkte, daß auch Fußgänger bei uns waren. Wir kamen weiter und immer weiter, erreichten wieder Wald und hielten in demselben an. Die Füße wurden mir losgebunden; ich mußte absteigen und wurde durch ein Gebüsch geführt. Dort fesselte man mir die Füße wieder, setzte mich nieder, band mir die Hände auf, zog sie nach hinten um einen dünnen Baumstamm, an welchen man mich lehnte, und band sie mir dort wieder zusammen. Die Männer unterhielten sich miteinander in der fremden Sprache; ich hörte ein Feuer knistern; dann wurde mir der Hut losgebunden und aus den Augen gerückt; ich durfte wieder sehen.

Mitten zwischen den Bäumen und Büschen lag ein kleiner, freier Platz, welcher gerade Raum genug für das Feuer und die zwanzig Indianer bot, welche mit dem Sendador an demselben saßen. Sie hatten die bekannten nichtssagenden Gesichter der südlichen Indianer und waren kaum halb bekleidet. Ihre Waffen bestanden in Messern, Bogen, Blasrohren und Pfeilen.

Der Sendador hatte sich ganz in meine Nähe gesetzt. Neben ihm lagen meine beiden Gewehre, meine Revolver und auch mein Messer. Er sah, daß mein Blick darauf fiel, und sagte:

„Diese schönen Dinge gehören nun mir. Ärgert Sie das nicht?“

„Sie werden Ihnen nicht viel nützen. Lernen Sie erst mit solchen Gewehren umzugehen!“

„Oho! Nur nicht grob werden, sonst spreche ich auch in einem anderen Tone! Zur Strafe werden Sie heute abend kein Essen bekommen und während der Nacht nicht liegen dürfen. Sie bleiben gefesselt wie jetzt. Daß ich es gut gemeint habe, wird Ihnen dadurch bewiesen, daß Sie nicht vollständig ausgeraubt worden sind, wie die Roten es wollten. Ob ich ihnen nicht doch noch die Erlaubnis dazu gebe, das kommt darauf an, ob Sie höflich und gehorsam sind!“

„Rechnen Sie ja nicht darauf, daß ich es sein werde!“

„Schön! Sie sind natürlich bei schlechter Laune. Morgen mache ich Ihnen meine Vorschläge, und dann werden Sie wohl andere Ansichten bekommen.“

Er wendete sich ab und richtete das Wort nicht wieder an mich. Die Roten brieten Fleisch, und als sie es gegessen hatten, legten sie sich nieder, außer zweien, welche jedenfalls wachen sollten.

Der Sendador untersuchte meine Fesseln, und als er sie in Ordnung gefunden hatte, richtete er einige Worte an die Wächter, sie wohl zur Vorsicht mahnend, und streckte sich dann auch zum Schlafe aus. Die Waffen lagen noch zwischen mir und ihm. Hätte ich doch eine Hand frei gehabt!

Das Feuer wurde nun nicht mehr so fleißig genährt wie vorher; es sank nieder und bildete eine nur kleine Flamme, welche tausenderlei gespenstige Schatten warf.

Stunde um Stunde verging. Die Wächter hatten erst leise miteinander geplaudert; nun saßen sie still und mit gesenkten Augenlidern da; vielleicht schliefen sie. Da hörte ich ein leises, leises Rascheln hinter mir. Ich glaubte, es rühre von irgend einem kleinen Tierchen her; aber nach wenigen Augenblicken hörte ich die ganz leise in deutscher Sprache geflüsterte Frage:

„Schlafen Sie?“

Es durchzuckte mich ein Wonneschauer. Ich schüttelte den Kopf. Hinter mir flüsterte es weiter:

„Ich bin es – Pena. Ich zerschneide jetzt Ihre Handfessel. Dann nehmen Sie Ihr Messer und zerschneiden die Riemen, mit denen Ihre Füße gebunden sind. Nachher raffen Sie Ihre Gewehre auf, während ich die Revolver ergreife, und folgen mir.“

Ich drehte den Kopf möglichst weit zur Seite und fragte leise:

„Wohin?“

„Gerade nach der Richtung, wohin Sie jetzt den Rücken wenden.“

„Wo sind die Pferde?“

„Ich weiß es nicht.“

„Jammerschade! Es wird ein entsetzliches Hallo geben. Es ist finster, und wir rennen uns die Köpfe an den Bäumen wund. Ich will einmal sehen, ob die Wächter schlafen.“

Ich räusperte mich; ich hob die gefesselten Füße empor – keiner der beiden Indianer bewegte sich. Sie schliefen wirklich. Da fühlte ich die Bewegungen des Messers zwischen meinen Händen. So bald ich sie frei hatte, griff ich nach dem meinigen. Ich zerschnitt den Fußriemen, steckte das Messer und die Revolver in den Gürtel, hing die Gewehre langsam über, zog den Hut fest an, daß das Gesträuch ihn mir nicht nehmen konnte, und stand leise und langsam auf.

Nun war ich gerettet, außer es traf mich ein vergifteter Pfeil.

Zoll um Zoll verließ ich meinen Platz. Pena ergriff meine Hand und zog mich fort. Das that er so unvorsichtig, daß die Büsche raschelten. Davon erwachten die Wächter; aber wir befanden uns schon außerhalb ihres Gesichtskreises. Zwei Schreie erschallten.

„Kommen Sie! Schnell, schnell! Ich weiß den Weg. Halten Sie den Hut fest!“

Bei diesen Worten riß Pena mich mit sich fort. Ja, er wußte den Weg, denn wir rannten an keinen Baum. Der Weg war überhaupt kurz. Schon nach kaum mehr als zwanzig Schritten hatten wir die Bäume hinter uns und befanden uns auf der freien Pampa, während hinter uns im Walde die Indianer brüllten, daß mir die Ohren gellten.

„Nun fort! Immer geradeaus!“ sagte Pena. „Sie sollen uns gewiß nicht ergreifen.“

„Aber die Pferde, die Pferde!“

„Lassen Sie die um Gottes willen, sonst werden Sie wieder gefangen. Ich weiß nicht, wo sie sind, und zum Suchen ist keine Zeit.“

Er hatte recht. Wir rannten im völligen Galopp über die Pampa hin, wohl eine Viertelstunde lang; dann mäßigten wir unsere Eile zu einem Traben, bis wir so außer Atem waren, daß wir im Schritte gehen mußten.

„Vor allen Dingen, wohin führen Sie mich?“ fragte ich Pena.

„Nach dem Unglücksplatze natürlich.“

„Kennen Sie den Weg?“

„Ja; ich bin ja gekommen, immer hinter Ihnen her. Alle Wetter, war das ein unglückseliger Abend!“

„Nur infolge Ihrer und Gomarras Dummheit. Doch das ist vorüber. Sie haben es wieder gut gemacht.“

„Ja, das habe ich! Ich lief dem Sendador nach, bekam ihn aber nicht zu sehen. Ich schlich mich tollkühn nach dem Walde, in welchem die Roten sich aber schon nicht mehr befanden. Da hörte ich den Lärm des Überfalles und eilte zurück. Ich kam gerade recht, um zu sehen, daß Sie niedergerissen wurden. Natürlich blieb ich da im Verborgenen. Sie wurden fortgetragen, bis in die Nähe des Waldes; ich suchte nach Ihnen, konnte Sie aber nicht finden. Darum kehrte ich heimlich bis hart an das Lager zurück. Dort wurde lange Zeit Beratung gehalten. Dann entfernte sich der Sendador mit zwanzig Männern und den Pferden, und ich folgte ihnen, denn ich dachte, daß es Ihnen gelte. Ich hatte mich nicht geirrt, denn ich lag ziemlich nahe auf der Erde und sah, daß man Sie aufs Pferd setzte und dann fortritt. Ich folgte. Die Indianer mußten langsam reiten, da die Hälfte von ihnen zum Gehen gezwungen war; so konnte ich ihnen gut folgen. Ich hielt mich so weit hinter ihnen, daß ich sie wohl als hohe Reiter, sie mich aber nicht als niedrigen Fußgänger sehen konnten. So ging es fort, bis sie in ihr Versteck einbogen und ich warten mußte, bis es ganz dunkel war und sie schliefen.“

„Und über das Schicksal unserer Gefährten wissen Sie nichts?“

„Kein Wort. Es wäre mir unmöglich gewesen, sie alle zu befreien, und keiner von ihnen hätte dann das Geschick gehabt, Sie mit zu befreien. Darum wollte ich erst Sie los haben und dann mit Ihnen versuchen, die andern zu finden.“

„Der Sendador sagte, sie seien getötet worden. Ich hoffe aber, daß das eine Unwahrheit ist. Verfolgen wird er uns beide nicht. Er hatte mir die Augen verbunden und glaubt also, daß ich nicht weiß, wo ich mich befinde. Darum wird er den Morgen abwarten, um meine Spur zu suchen. Bis dahin haben wir eine weite Strecke hinter uns. Eilen wir möglichst, wenn Sie nicht gar zu ermüdet sind!“

Das war alles, was wir sprachen. Wir schritten aus, als ob wir dem Tode entrinnen wollten; zuweilen wurde ein Trab oder sogar ein Galopp gemacht. Wir waren kaum zwei Stunden unterwegs, so begann es zu regnen, und zwar so, wie es in jenen Gegenden immer regnet, nämlich gießt. Wir wateten oft bis über die Knöchel im Schlamme und fast bis an die Knie im Wasser. Aber es ging trotzdem rüstig vorwärts. Es war fast ein Wunder, daß Pena sich nicht verirrte.

Gegen Morgen hörte der Regen auf, um nach einer Stunde wieder zu beginnen und gerade dann aufzuhören, als wir aus dem dichten Walde traten, in welchem die Indianer gelegen hatten, und nun die Unglücksstätte vor uns sahen. Aber hier fanden wir keine Spur. Wir schlugen mehrere Kreise, weiter und weiter um die Gegend, durch den Wald, über das Camp, den Sand und die Pampa – es war nicht ein einziger Fußeindruck zu sehen. Der Regen hatte die Fährten ausgefüllt und verwischt. Als wir uns am Abende so überangestrengt hatten, daß wir uns da niederlegten, wo wir uns gerade befanden, mußten wir alle Hoffnung aufgeben, die Gefährten zu entdecken.

„Giebt es denn gar keine Möglichkeit, sie zu finden, falls sie noch leben?“ fragte Pena.

„Eine einzige. Wir müssen wieder dorthin, von wo wir dem Sendador entwichen sind. Da er mich nicht mehr hat, wird er nun die Gefährten aufsuchen – falls er sie eben nicht schon ermorden ließ.“

„So schlafen wir jetzt einige Stunden und machen uns dann auf die Wanderung!“

Das geschah. Der Körper verlangte Ruhe, aber die Sorge raubte sie ihm. Schon um Mitternacht brachen wir wieder auf. Als es helle geworden war, sahen wir, daß auch unsere gestrigen Spuren vollständig verwaschen waren.

„Das ist sehr gut,“ sagte Pena, „denn da hat der Sendador nicht erfahren, wohin wir sind.“

„Nein, das ist nicht gut,“ entgegnete ich, „denn da werden wir auch nicht sehen, wohin er sich gewendet hat. Seine Spuren sind ebenso verwischt wie die unsrigen.“

„Aber er ist doch später aufgebrochen. Ich holte Sie noch lange vor Mitternacht ein, während er erst am Morgen hat suchen können.“

„Es hat bis Mittag mit nur einer kurzen Unterbrechung geregnet. Da ist kein Fußeindruck mehr zu finden.“

Es zeigte sich, daß meine Vermutung die richtige war. Als wir uns der Gegend näherten, in welcher ich als Gefangener bei den Indianern gesessen hatte, mußten wir uns außerordentlich in acht nehmen, weil der Sendador sich ja hier befinden konnte. Wir drangen nur unter Anwendung aller Westmannsfinessen vor, was uns viel Zeit kostete, und als wir endlich an der Stelle anlangten, wo die Indianer gelagert hatten, fanden wir sogar das niedergedrückte Moos und Gras wieder aufgerichtet. Nach langem Suchen entdeckten wir den Ort, an welchem die Pferde angebunden gewesen waren. Wir erkannten das an den vielen abgefressenen Zweigen.

Wir begannen nun auch hier Kreise zu schlagen, fanden aber, um den Ausdruck zu gebrauchen, nicht die Spur von einer Spur. Als wir dann am Abende traurig und bis zum Tode ermüdet bei einander lagen, fragte Pena:

„Was nun? Ich bin am Rande meiner Klugheit angelangt.“

„Ich ebenso.“

„Aber wir können doch nicht bis an unser sanftseliges Ende hier sitzen bleiben!“

„Das beabsichtige ich keineswegs. Wir schlafen uns aus und suchen morgen früh noch einmal. Vielleicht entdecken wir doch einen kleinen, wenn auch noch so winzigen Anhalt.“

„Ich habe alle Hoffnung schon längst aufgegeben. Unsere Gefährten sind tot. Denken Sie den Haß, den der Sendador auf Gomarra hatte!“

„Zeigen Sie mir ihre Leichname. So lange ich diese nicht sehe, bin ich von ihrem Tode noch nicht überzeugt. Der Sendador war ein Freund der Yerbateros. Warum soll er sie ermorden? Warum den Bruder, den Kapitän und den Steuermann? Vielleicht hat er Gomarra ausgelöscht. Hätte er aber den Befehl gegeben, auch den andern das Leben zu nehmen, so wäre er kein Bösewicht mehr, sondern geradezu ein Teufel.“

„Das ist er auch. Ich bin des Suchens müde und möchte am liebsten heim.“

„Ohne den Tod unserer Genossen gerächt zu haben?“

„Wir wissen doch nicht, wo der Sendador ist! Wir haben seine Spur verloren!“

„Das ist richtig; aber wir werden sie wiederfinden auf dem Wege nach der Pampa de Salinas.“

„Sie glauben, daß er dorthin geht?“

„Ganz gewiß thut er das.“

„Es hat doch keinen Zweck mehr, da Sie ihm entwischt sind, und er nun niemand hat, der ihm seine Geheimnisse entziffern kann.“

„Aber ich kenne den Ort, an welchem er die Flasche vergraben hat, ziemlich genau. Das weiß er, und so muß er annehmen, daß ich nun hingehen werde, um sie mir zu holen. Meinen Sie nicht, daß dies eine hinreichende Veranlassung für ihn ist, möglichst schnell nach der Pampa zu gehen, um mir vorzukommen?“

„Kann mir eigentlich gleich sein. Ich möchte heim, um meine Sachen zu ordnen und dann nach der Estanzia del Yerbatero zu gehen, wo ich meine Nichte finde.“

„Und vorher brannten Sie förmlich vor Haß und Rache gegen den Sendador! Wo bleibt da die Konsequenz! Nur fort von hier, bis dahin, wo wir Menschen finden. Vielleicht erfahren wir da etwas, was uns nützlich ist. Wir nehmen die Richtung nach den Anden und halten unterwegs die Augen offen. Ich zweifle nicht daran, daß uns der Himmel einen Fingerzeig giebt, der uns auf den richtigen Weg leitet!“ – –

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