VI.

VI.

Besichtigung der Deception-Bai. – Bear-rock-harbour. – Plan bezüglich der Rückkehr nach French-den. – Untersuchung des Nordens der Insel. – Der North-creek. – Beechs-forest. – Schwerer Sturm. – Eine Nacht mit Hallucinationen. – Beim Grauen des Tages.

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Die erste Sorge Doniphan’s, Wilcox‘, Webb’s und Croß‘ war es nun, am Ufer des Flusses vollends bis zu dessen Ausmündung hinabzugehen. Von hier aus ließen sie die Blicke forschend über das Meer schweifen, das sie zum ersten Male vor sich sahen und welches nicht minder verlassen schien, wie das an der entgegengesetzten Inselseite.

»Und dennoch, bemerkte Doniphan, wenn die Insel Chairman, wie wir anzunehmen alle Ursache haben, nicht fern vom Festlande Amerikas liegt, so müssen die Schiffe, welche aus der Magellan-Straße kommen und nach den Häfen von Chili und Peru hinaufsegeln, im Osten derselben vorüberkommen. Ein Grund mehr, uns an der Küste der Deception-Bai anzusiedeln, und wenn Briant ihr auch einen so wenig versprechenden Namen gegeben, so hoffe ich doch, daß sie diesen in nicht zu langer Zeit Lügen straft.«

Vielleicht suchte Doniphan, als er diese Bemerkung machte, schon nach einer Entschuldigung oder doch nach einem annehmbaren Vorwand zu einem Bruche mit den Kameraden in French-den. Alles wohl erwogen, durfte man allerdings annehmen, daß Schiffe mit der Bestimmung nach südamerikanischen Häfen auf diesem Theile des Stillen Oceans, im Osten der Insel Chairman, vorübersegeln mußten.

Nachdem Doniphan den Horizont mittels Fernrohres beobachtet, wollte er die Mündung des East-river untersuchen. Ganz wie Briant bestätigten seine Genossen und er, daß die Natur hier einen kleinen, gegen Wind und Seegang vorzüglich geschützten Hafen geschaffen habe. Wäre der Schooner an dieser Stelle der Insel Chairman angetrieben, so wäre es vielleicht möglich gewesen, die Strandung zu vermeiden und ihn im seetüchtigen Zustand zur Heimführung der jungen Colonisten zu erhalten.

Hinter den diesen Hafen bildenden Felsen erhoben sich schon die ersten Bäume des Waldes, der sich nicht allein bis zum Family-lake, sondern auch nach Norden hinaus erstreckte, wo das Auge nichts wie eine grüne Masse erblickte. Was die an den Granitmassen des Ufers befindlichen Aushöhlungen betraf, so hatte Briant keineswegs übertrieben. Doniphan kam nur wegen der Auswahl in Verlegenheit. Jedenfalls schien es rathsam, sich nicht vom Ufer des East-river unnöthig zu entfernen, und so hatte er bald einen mit feinem Sand ausgekleideten, mit Ecken und Nischen versehenen »Rauchfang« entdeckt, der mindestens eben so viel Bequemlichkeit bieten mußte, wie French-den. Die betreffende Höhle hätte sogar für die ganze Colonie ausgereicht, denn sie enthielt eine ganze Reihe anstoßender Hohlräume, aus denen man verschiedenen Zwecken dienende Zimmer machen konnte, statt sich dort mit der Halle und dem Store-room begnügen zu müssen.

Dieser Tag wurde zur Untersuchung der Küste auf eine Strecke von zwei Meilen verwendet. Dabei schossen Doniphan und Croß einige Tinamus, während Wilcox und Webb einige hundert Schritte landeinwärts der Mündung des East-river verschiedene Grundangeln legten. Dadurch wurden ein halb Dutzend Fische von denselben Arten, welche im Rio Sealand vorkamen, gefangen – unter anderen zwei Barsche von ansehnlicher Größe. Von Schalthieren wimmelte es ebenfalls in den zahllosen Wasserlöchern zwischen den Klippen, welche im Nordosten den Hafen gegen den schweren Seegang schützten. Miesmuscheln und Patenen gab es hier in großer Menge und schöner Qualität. Diese Mollusken hatte man also hier ebenso an der Hand, wie die Seefische, welche unter dem grünen Tang, der am Fuße der Klippenbank angeschwemmt war, nach Nahrung gingen, so daß man nicht nöthig hatte, diese in vier oder fünf Meilen Entfernung zu suchen.

Der Leser hat wohl nicht vergessen, daß Briant bei seiner Untersuchung der Mündung des Rio einen hohen Felsblock in Gestalt eines gewaltigen Bären erstiegen hatte. Doniphan fiel diese eigenthümliche Form ebenso auf. Als Zeichen der Besitznahme gab er deshalb dem kleinen, von jenem Felsen überragten Hafen den Namen Bear-rock-harbour (d.i. Hafen des Bärenfelsens), und dieser Name findet sich noch jetzt auf der Insel Chairman.

Während des Nachmittags erklomm Doniphan und Wilcox den Bear-rock, um eine weite Aussicht über die Bai zu erlangen. Doch weder ein Schiff noch ein Land war im Osten der Insel wahrzunehmen. Der weißliche Fleck im Nordosten, der seiner Zeit Briant’s Aufmerksamkeit erregte, war jetzt nicht erkennbar, ob nun die Sonne schon zu tief am gegenüberliegenden Horizonte stand, oder jener überhaupt nicht vorhanden und Briant nur das Opfer einer Gesichtstäuschung geworden war.

Am Abend verzehrten Doniphan und seine Genossen ihre Mahlzeit unter einer Gruppe prächtiger Nesselbäume, deren niedrigste Zweige sich über den Wasserlauf hin erstreckten. Nachher erörterten sie die Frage, ob es nun am besten sei, sofort nach French-den zurückzukehren, um die zu einer dauernden Niederlassung in der Höhle des Bear-rock nothwendigen Gegenstände zu holen.

»Ich meine, wir dürfen damit nicht zögern, sagte Webb, denn die Zurücklegung des Weges um den Süden des Family-lake erfordert schon allein einige Tage.

– Doch, wenn wir wieder hierher zurückkehren, bemerkte Wilcox, empfiehlt es sich wohl, über den See zu fahren, um gleich auf dem East-river bis zu dessen Mündung zu gelangen. Das hat Briant schon einmal mit der Jolle ausgeführt, und ich sehe nicht ein, warum wir nicht dasselbe thun könnten.

– Damit würde freilich Zeit gewonnen und uns eine große Anstrengung erspart, setzte Webb hinzu.

– Was denkst Du davon, Doniphan?« fragte Croß.

Doniphan überlegte eben diesen Vorschlag, der ihnen entschiedene Vortheile versprach.

»Du hast Recht, Wilcox, antwortete er; wenn wir uns auf der Jolle einschiffen, welche Moko führen könnte …

– Vorausgesetzt, daß Moko dem zustimmt, warf Webb mit etwas zweifelndem Tone ein.

– Warum sollte er das nicht? erwiderte Doniphan. Steht mir nicht ganz ebenso wie Briant das Recht zu, ihm Befehle zu ertheilen? Uebrigens würde es sich nur darum handeln, uns über den See zu lootsen …

– Natürlich muß er sich fügen! rief Croß. Wären wir gezwungen, unser gesammtes Material über Land hierher zu schaffen, so kämen wir damit nie zu Ende. Es ist auch zu bedenken, daß selbst der Wagen nicht überall durch den Wald fortkäme. Wir benützen also die Jolle …

– Doch wenn man uns die Jolle verweigert? warf Webb wieder ein.

– Uns verweigern! versetzte Doniphan. Wer sollte sie uns denn verweigern?

– Nun, Briant! … Ist er nicht das jetzige Oberhaupt der Colonie?

– Briant … verweigern! wiederholte Doniphan. Gehört die Jolle ihm etwa mehr als uns? … Wenn sich Briant erlaubte, sie uns vorzuenthalten …«

Doniphan vollendete seine Worte nicht; es war aber herauszufühlen, daß sich der Herrschsüchtige in diesem Punkte so wenig wie in irgend einem anderen der Willensäußerung seines Rivalen zu unterwerfen denke.

Uebrigens war es, wie Wilcox bemerkte, unnütz, hierüber viele Worte zu verlieren. Seiner Meinung nach würde Briant es ihnen in jeder Weise erleichtern, sich im Bear-rock anzusiedeln, und darüber brauche man sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Es blieb nur noch zu entscheiden, ob man sofort nach French-den zurückkehren solle.

»Das scheint mir unumgänglich, sagte Croß.

– Also schon morgen? … fragte Webb.

– Nein, antwortete Doniphan. Vor unserer Rückkehr möchte ich noch einmal jenseits der Bai hinaufgehen, um den nördlichen Theil der Insel kennen zu lernen. Binnen achtundvierzig Stunden können wir bis zur äußersten Nordspitze gelangen und im Bear-rock zurück sein. Wer weiß, ob es dort nicht noch ein Land gibt, das der französische Schiffbrüchige nicht wahrnehmen und folglich auf seine Karte nicht einzeichnen konnte. Es scheint mir unklug, sich hier dauernd einzurichten, ehe wir wissen, woran wir sind.«

Dieser Einwurf erschien so gerechtfertigt, daß Alle zustimmten, jenen Ausflug, wenn er ihre jetzige Abwesenheit auch um zwei bis drei Tage verlängerte, unverzüglich anzutreten.

Am nächsten Morgen, dem des 14. October, brachen Doniphan und seine drei Freunde mit dem Frührothe auf und schlugen, ohne die Küste zu verlassen, die Richtung nach Norden ein.

Auf eine Strecke von etwa drei Meilen erhoben sich noch die Felsmassen zwischen Wald und Meer, wobei an ihrem Fuße nur ein höchstens hundert Schritte breites, sandiges Vorland liegen blieb.

Es war gegen Mittag, als die Knaben, nachdem sie den letzten Felsblock hinter sich hatten, zum Frühstücken Halt machten.

An dieser Stelle ergoß sich ein zweiter Rio ins Meer; aus seiner Richtung von Südosten nach Nordwesten ließ sich aber schließen, daß derselbe nicht aus dem See herkommen werde. Das Wasser, welches er in einem engen Landeinschnitte abgab, mochte ihm vielmehr auf seinem Laufe durch den oberen Theil der Insel zuströmen. Doniphan taufte ihn »North-creek« (d.i. der nördliche Bach) und in der That verdiente er auch nicht den Namen eines Flusses.

Wenige Ruderschläge genügten, das Halkett-boat über ihn weg zu treiben, und die jungen Leute brauchten nun blos längs des Waldes hinzuziehen, dessen Grenze sein linkes Ufer bildete.

Unterwegs gaben Doniphan und Croß zwei Schüsse ab, und zwar unter folgenden Umständen:

Es war gegen drei Uhr geworden. In Verfolgung des North-creek sah sich Doniphan mehr als wünschenswerth nach Nordwesten hin geführt, da die kleine Gesellschaft doch die Nordspitze besuchen wollte. Er wandte sich deshalb eben mehr nach rechts hin, als Croß, ihn aufhaltend, plötzlich rief:

»Sieh, Doniphan, sieh doch!«

Er zeigte dabei nach einer braunröthlichen Masse, welche sich unter dem Gewölbe der Baumkronen lebhaft zwischen dem Schilf und Röhricht des Creek bewegte.

Doniphan gab Webb und Wilcox ein Zeichen, sich ruhig zu verhalten. Dann glitt er, begleitet von Croß und das Gewehr zum Anschlag fertig, geräuschlos nach der sich bewegenden Masse hin.

Es war das ein mächtiges Thier, das einem Rhinoceros geglichen hätte, wenn sein Kopf mit einem Horne ausgestattet und die Unterlippe übermäßig verlängert gewesen wäre.

Da donnerte ein Flintenschuß durch den Wald, dem sofort ein zweiter Krach folgte. Doniphan und Croß hatten nahezu zu gleicher Zeit Feuer gegeben.

Bei einer Entfernung von hundertfünfzig Fuß konnten ihre Kugeln der dicken Haut jenes Thieres freilich nichts anhaben, und wirklich drängte sich dieses durch das Rohr, kletterte rasch am Uferrande empor und verschwand in dichtem Walde.

Doniphan hatte Zeit genug gehabt, es zu erkennen. Es war ein übrigens ganz ungefährliches Säugethier, ein »Anta« mit rothbraunem Felle, oder mit anderen Worten, einer jener ungeheuren Tapire, welche man gewöhnlich in der Nachbarschaft der Flüsse Südamerikas antrifft. Da man mit diesem Thiere (dessen Fleisch übrigens eßbar ist) jetzt doch nichts hätte anfangen können, so war sein Entkommen gewiß nicht zu bedauern, soweit nicht die verletzte Jägereitelkeit in Frage kam.

Nach dieser Seite der Insel Chairman hin bedeckte diese noch immer, so weit das Auge reichte, das dichteste Grün. Die Pflanzenwelt zeigte die üppigste Entwicklung, und da hier Buchen zu Tausenden wuchsen, schlug Doniphan für diese Gegend den Namen »Beechs-forest« (d.i. Buchenwaldung) vor, der nun mit den vorher angenommenen Bezeichnungen Bear-rock und North-creek in der Karte eingetragen wurde.

Als der Abend herankam, waren neun Meilen zurückgelegt. Noch einmal so viel, und die jugendlichen Wanderer mußten den Norden der Insel erreicht haben. Das sollte dem nächsten Tage vorbehalten bleiben.

Mit Sonnenaufgang wurde der Marsch fortgesetzt. Man hatte einigen Grund sich zu beeilen, da ein Witterungsumschlag drohte. Der Wind, der nach Westen umging, zeigte Neigung aufzufrischen. Schon trieben von der See her Wolken heran, freilich noch in so hohen Zonen, daß eine Auflösung derselben in Regen vorläufig nicht zu befürchten schien. Dem Winde allein zu trotzen, selbst wenn er zum Sturme anwuchs, das konnte die entschlossenen Knaben nicht erschrecken. Sturmböen aber mit deren gewöhnlicher Begleitung von tüchtigem Platzregen hätten sie mehr in Verlegenheit gebracht und vielleicht gar gezwungen, den ganzen Zug aufzugeben, um im Bear-rock schleunigst Schutz zu suchen.

Sie beeilten also ihre Schritte nach Kräften, obwohl sie gegen den sehr heftigen Wind, der sie von der Seite packte, anzukämpfen hatten. Der Tag brachte viele Beschwerden mit sich und die Nacht drohte obendrein schlecht zu werden. In der That war es ein richtiges Unwetter, das gegen die Insel heranzog, und um fünf Uhr Abends ließ sich schon schweres Donnerrollen inmitten bläulich aufleuchtender Blitze vernehmen.

Doniphan und seine Kameraden wichen deshalb nicht zurück; der Gedanke, sich dem Ziele zu nähern, hielt ihren Muth aufrecht. Uebrigens setzte sich in dieser Richtung das dicke Gehölz des Beechs-forest noch weiter fort, und schlimmsten Falls müßten sie unter den Bäumen desselben immer Schutz finden. Der Sturm entfesselte sich mit solcher Gewalt, daß er jeden Regenfall vorläufig verhinderte, und außerdem konnte die Nordküste nicht mehr weit entfernt sein.

Wirklich wurde gegen acht Uhr das dumpfe Brausen der Brandung hörbar, ein Beweis, daß auch hier ein Klippengürtel die Insel Chairman umschließen mußte.

Inzwischen wurde der schon von dichten Dunstmassen verschleierte Himmel immer dunkler. Um einen Blick auf das hohe Meer hinaus werfen zu können, während noch der letzte Tagesschein den Weltraum erhellte, mußten sie ihre Schritte möglichst beeilen. Jenseits der Baumgrenze dehnte sich der etwa eine Viertelmeile breite Strand aus, über den die weißschaumigen Wogen, nachdem sie sich an den Klippen im Norden gebrochen, weit hereinrollten.

Trotz ihrer Erschöpfung gewannen Doniphan, Webb, Croß und Wilcox doch noch die Kraft, im Laufschritt voranzueilen. Sie wollten, so lange es noch etwas Tag, diesen Theil des Stillen Oceans wenigstens flüchtig überblickt haben, um sich zu überzeugen, ob es ein Meer ohne Grenzen oder nur ein engerer Canal war, der diese Küste von einem Festlande oder einer Insel trennte.

Plötzlich blieb Wilcox, der den Andern ein wenig voraus war, stehen. Mit der Hand wies er nach einer schwärzlichen Masse, welche sich an einem Riffe nahe dem Strande undeutlich zeigte. Auf den ersten Blick ließ sich kaum unterscheiden, ob es sich hier um ein Seethier, um einen jener gewaltigen Cetaceer, einen jungen oder halbausgewachsenen Walfisch, oder um ein größeres Boot handelte, das, nachdem es über den Klippengürtel hinweggerissen, hier bis nahe an den Strand geworfen worden war.

Ja, es war ein, auf der Steuerbordseite liegendes Boot und unfern davon, dicht an der von der Fluth angeschwemmten Linie von Varec, wies Wilcox auf zwei, zu beiden Seiten desselben liegende Körper hin.

Doniphan, Webb und Croß hatten zunächst im Laufe angehalten; dann aber eilten sie, ohne weitere Ueberlegung, quer über den Strand hin und gelangten zu den beiden, auf dem nassen Sande ausgestreckten Körpern – vielleicht zwei Leichen.

Der Anblick erfüllte sie mit Entsetzen, und ohne auch nur auf den Gedanken zu kommen, daß doch wohl noch etwas Leben in den Körpern sein könne und diese der schleunigsten Hilfe bedürfen möchten, liefen sie sofort wieder zurück, um unter den Bäumen Schutz zu suchen.

Die Nacht war schon dunkel oder wurde doch nur durch einen gelegentlich aufleuchtenden Blitzschein erhellt, und mitten in der tiefen Finsterniß heulte der gräßliche Sturm um die Wette mit dem Donnern und Rauschen des empörten Meeres.

Und welcher Sturm! Auf allen Seiten knackten und krachten die alten Bäume, so daß es für die, welche darunter Deckung suchten, wirklich gefahrdrohend wurde; es wäre jedoch unmöglich gewesen, auf dem Strande zu lagern, wo der vom Winde aufgewirbelte Sand gleich Schlossenkörnern umherflog.

Die ganze Nacht über verweilten Doniphan, Wilcox, Webb und Croß an derselben Stelle, ohne nur für eine Minute die Augen schließen zu können. Dazu litten sie recht empfindlich von der Kälte, denn sie hatten auch kein Feuer anzuzünden gewagt, das sich gar zu leicht weiter verbreitet und dann die verstreut liegenden dürren Zweige in Brand gesetzt hätte.

Uebrigens hielt die Aufregung allein die Knaben wach. Woher kam dieses Boot? … Welcher Nation gehörten die Schiffbrüchigen an? … Lagen doch andere Landmassen in der Nachbarschaft, da ein Boot hatte nach ihrer Insel gelangen können … wenn jenes nämlich nicht von einem Schiffe herrührte, das bei dem wüthenden Sturme in diesem Theile des Oceans untergegangen war.

Alle solche Vermuthungen erschienen ja zulässig und während der seltenen ruhigeren Augenblicke flüsterten Doniphan und Wilcox, die sich dicht zusammenhielten, sie mit schwacher Stimme einander zu.

Gleichzeitig aber, von Sinnestäuschungen befangen, glaubten sie aus der Ferne Ausrufe zu vernehmen, sobald der rasende Wind sich ein wenig legte, und aufmerksam danach lauschend, fragten sie sich, ob nicht vielleicht noch andere Schiffbrüchige auf dem Strande umherirrten.

Nein, sie waren die Beute leicht erklärlicher Illusionen. Kein verzweifelter Hilferuf ertönte inmitten des tobenden Sturmes. Jetzt sagten sie sich, daß sie unrecht gethan, der ersten Empfindung von Schrecken gleich nachgegeben zu haben … Nun wollten sie nach der Brandung hineilen, selbst auf die Gefahr, von der Gewalt des Windes zu Boden geworfen zu werden … Doch, wie hätten sie in pechschwarzer Nacht, quer über ein ganz offenes Vorland hin, das schon zerstäubte Wassermassen von der ansteigenden Fluth bedeckten, den Ort wieder auffinden können, wo jenes Boot gestrandet war, und die Stelle, an der die beiden Körper im Sande lagen?

Uebrigens fehlte es ihnen hierzu gleichmäßig an geistiger wie an körperlicher Kraft. Seit so langer Zeit des Angewiesenseins auf sich selbst fühlten sie, nachdem sie sich vielleicht für Männer gehalten, jetzt plötzlich, daß sie doch nur Kinder waren, als sie sich den ersten menschlichen Wesen gegenüber sahen, die ihnen nach dem Schiffbruche des »Sloughi« begegnet und die das Meer als Leichen auf ihre Insel geworfen hatte.

Endlich gewann die Kaltblütigkeit doch wieder die Oberhand und sie begriffen, was die Pflicht ihnen zu thun auferlege.

Am nächsten Tage wollten sie, sobald es einigermaßen hell wurde, nach dem Strandriffe zurückkehren, eine Grube im Sande ausheben und, nach einem Gebete für die ewige Seelenruhe derselben, die beiden Schiffbrüchigen begraben.

Wie endlos erschien ihnen aber diese Nacht! … So, als sollte das Morgenroth nimmermehr die Schrecken derselben zerstreuen.

Und wenn sie sich nur durch einen Blick auf die Uhr über die verflossene Zeit hätten Rechenschaft geben können! Es war aber ganz unmöglich, auch nur ein Streichhölzchen, selbst unter dem Schutze ihrer Decken, anzuzünden. Croß versuchte es zwar, mußte aber darauf verzichten.

Da kam Wilcox auf eine andere Idee, annähernd zu erfahren, welche Zeit es sei. Für einen vierundzwanzigstündigen Gang seiner Uhr mußte er den Schlüssel derselben zwölfmal, also einmal für je zwei Stunden, umdrehen. Da er sie nun am letzten Abende um acht Uhr aufgezogen hatte, genügte es, die jetzt möglichen Schlüsselumdrehungen zu zählen und danach die seit jener Zeit verflossenen Stunden zu berechnen. Das geschah denn, und da er nur vier Umdrehungen ausführen konnte, schloß er daraus, daß es gegen vier Uhr Morgens sein und nun doch bald Tag werden müsse.

In der That erhellte bald darauf ein schwacher Schein die Ostseite des Himmels. Der Sturm hatte noch immer nicht nachgelassen, und da die Wolken jetzt weit tiefer über dem Meere dahinjagten, war schon Regen zu erwarten, ehe Doniphan und seine Genossen den Hafen von Bear-rock erreichen konnten.

Vor allem Andern hatten sie jedoch den verunglückten Schiffbrüchigen den letzten Liebesdienst zu erweisen, und sobald das Morgenroth die über dem Meere lagernden Dunstmassen durchdrang, schleppten sie sich, mit Mühe gegen den Druck der Windstöße ankämpfend, über den Strand hin. Wiederholt mußten sie sich dabei gegenseitig unterstützen, um nicht umgeworfen zu werden.

Das Boot war neben einer schwachen Sandanhäufung fest sitzen geblieben. Aus der Form der Anschwemmungen durch das Meer erkannte man, daß die durch den Wind gesteigerte Fluth über dasselbe hinweggerauscht sein müsse.

Die beiden Körper lagen nicht mehr hier …

Doniphan und Wilcox gingen auf dem Strande einige zwanzig Schritte weiter hinaus …

Nichts … nicht einmal Fußtapfen, welche die Ebbeströmung jedenfalls verwaschen hatte.

»Die Unglücklichen, rief Wilcox, haben also gelebt, da sie sich zu erheben vermochten! …

– Wo sind sie aber? … fragte Croß.

– Wo sie sind? … antwortete Doniphan, nach dem hochwogenden Meere hinaus zeigend. Da, wohin die abfallende Ebbe sie getragen hat!«

Doniphan kletterte hierauf bis nach dem äußeren Klippenrande und musterte die ganze vorliegende Meeresfläche mit dem Fernrohre.

Kein Leichnam schwamm da draußen!

Die Körper der Verunglückten waren weit ins hohe Meer hinaus geschwemmt worden.

Doniphan kam zu Wilcox, Croß und Webb zurück, welche nahe bei dem Boote geblieben waren.

Vielleicht fand sich hier ein Ueberlebender von diesem Unglücksfalle.

Das Boot erwies sich leer.

Es war die am Vordertheile überdeckte Schaluppe eines Kauffahrers, deren Kiel gegen dreißig Fuß messen mochte. Jetzt war sie nicht mehr brauchbar, da die Beplankung der Steuerbordseite durch die Stöße bei der Strandung in der Schwimmlinie durchgebrochen war. Der an seiner Einsenkung abgebrochene Stumpf des Mastes, einzelne Segelfetzen, welche an den Takelhaken des Dahlbords hingen, und einige Enden von Stricken, das war Alles, was sich von seiner Ausrüstung noch vorfand. Von Lebensmitteln, Werkzeugen und Waffen lag nichts weder in den Seitenkästen noch unter dem kleinen Vordercastell.

Am Hintertheile zeigten nur zwei Namen an, zu welchem Schiffe und welchem Heimatshafen es gehört hatte:

»Severn – San Francisco.«

San Francisco! Einer der Häfen an der Küste Californiens! … Das Schiff war also von amerikanischer Nationalität.

Den Horizont desjenigen Theiles der Inselküste aber, auf welche die Schiffbrüchigen des »Severn« vom Sturme verschlagen worden waren, umrahmte das grenzenlose Weltmeer.

VII.

VII.

Eine Idee Briant’s. – Jubel der Kleinen. – Herstellung eines Drachens. – Ein unterbrochener Versuch. – Kate. – Die Ueberlebenden des »Severn«. – Doniphan und seine Kameraden von Gefahren bedroht. – Briant’s Ergebenheit. – Alle wieder vereinigt.

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Der freundliche Leser weiß, unter welchen Umständen Doniphan, Webb, Croß und Wilcox French-den verlassen hatten. Seit ihrem Fortgange gestaltete sich das Leben der jungen Colonisten recht traurig. Mit welch‘ tiefem Kummer hatten Alle diese Trennung gesehen, welche in Zukunft die schwerstwiegenden Folgen haben konnte! Gewiß hatte sich Briant deshalb keinen Vorwurf zu machen und doch war er davon mehr ergriffen als die Anderen, weil diese Absonderung seiner Person wegen erfolgt war.

Vergebens suchte Gordon ihn zu trösten.

»Sie werden schon wiederkommen, Briant, sagte er, und vielleicht eher, als sie selbst es denken. So starrsinnig Doniphan auch sein mag, die Verhältnisse sind doch stärker als er. Ich möchte gleich eine Wette darauf eingehen, daß sie noch vor Eintritt der rauhen Jahreszeit bei uns in French-den wieder eingetroffen sind.«

Briant schüttelte den Kopf, ohne sich weiter auszusprechen. Ja, es war ja möglich, daß die Abwesenden durch den Zwang der Verhältnisse zurückgeführt werden konnten, doch dann mußten diese Verhältnisse wohl schon recht drückende geworden sein.

»Vor Wiedereintritt der rauhen Jahreszeit!« hatte Gordon gesagt. Sollten die jungen Colonisten demnach gezwungen sein, einen dritten Winter auf der Insel Chairman zuzubringen? Sollte ihnen auch bis dahin noch keine Hilfe werden? Wurden die umliegenden Theile des Stillen Weltmeeres wirklich auch nicht während des Sommers wenigstens von einzelnen Handelsschiffen besucht, und sollte das auf dem Gipfel des Auckland-hill errichtete Ballonsignal nicht endlich einmal bemerkt werden?

Dieser nur gegen zweihundert Fuß über der mittleren Höhe der Insel angebrachte Ballon konnte freilich nur in ziemlich beschränktem Umkreise wahrgenommen werden. Nachdem er mit Baxter vergeblich versucht, die Aufrisse zu einem neuen Fahrzeuge zu entwerfen, welches im Stande gewesen wäre, das offene Meer zu halten, mußte sich Briant schon um ein Mittel bemühen, irgend ein Signal in bedeutenderer Höhe anzubringen. Er sprach ziemlich häufig davon, und eines Tages äußerte er gegen Baxter, daß er an die Verwendbarkeit eines Drachens (das bekannte, gegen Sommersende und Herbstanfang beliebte Spielzeug der Kinder) zu diesem Zwecke glaube.

»Es fehlt uns dazu weder an Leinwand noch an Hanfschnur, setzte er hinzu, und wenn wir diesem Flugapparate eine hinreichende Größe geben, muß er in sehr hoher Zone – vielleicht tausend Fuß hoch – schweben können.

– Mit Ausnahme der Tage, wo sich überhaupt kein Lüftchen regt, wandte Baxter ein.

– Solche Tage sind sehr selten, antwortete Briant, und bei gänzlicher Luftruhe steht es uns ja frei, den Drachen zur Erde herabzuziehen. Abgesehen von diesem Falle aber würde derselbe, nachdem er mit dem Ende der Schnur einmal am Erdboden befestigt war, von selbst der wechselnden Windrichtung folgen, und wir hätten uns gar nicht weiter um ihn zu bekümmern.

– Einen Versuch ist die Sache werth, meinte Baxter.

– Wenn der Drache übrigens, fuhr Briant fort, tagsüber auf große Entfernung – vielleicht auf sechzig Meilen – hin sichtbar wäre, so würde er es auch in der Nacht sein können, wenn wir am Schwanze oder am Rumpfe desselben eine unserer Signallaternen anbrächten.«

Alles in Allem erschien diese neue Idee Briant’s nicht unpraktisch. Was ihre Ausführung anging, so konnte sie diese Knaben nicht in Verlegenheit bringen, welche schon viele Male hatten derartige Drachen in Neuseeland aufsteigen lassen.

Als das Vorhaben Briant’s mehr bekannt wurde, erregte es auch eine allgemeine Freude. Die Kleinen vorzüglich, wie Jenkins, Iverson, Dole und Costar, faßten die Sache von der unterhaltenden Seite auf und jubelten schon bei dem Gedanken an einen Drachen, der an Größe alle, die sie bisher gesehen, weit übertreffen sollte. Welche Lust, dann an dessen Schnur zu ziehen, wenn er stolz hoch oben in den Lüften schwebte!

»Dem werden wir aber einen gewaltig langen Schwanz anhängen, sagte der Eine.

– Und ein Paar ganz große Ohren, bemerkte der Andere.

– Auch einen prächtigen Hanswurst muß er obenauf bekommen, der dann lustig mit den Beinen zappelt.

– Und wir schicken ihm auch kleine Postillone nach!«

Es war ein reiner Jubel. In der That lag aber doch dem Vorhaben, in welchem diese Kinder nur eine erwünschte Zerstreuung erblickten, ein recht ernster Gedanke zu Grunde, und gewiß war die Hoffnung erlaubt, daß dasselbe günstige Folgen habe.

Schon am zweitnächsten Tage, nachdem Doniphan und seine drei Begleiter French-den verlassen hatten, gingen Briant und Baxter also ans Werk.

»Ei, sapperlot! rief Service; die werden einmal große Augen machen, wenn sie den großen Burschen in der Luft schweben sehen! Wie ewig schade, daß meine Robinsons auch niemals auf den herrlichen Gedanken gekommen sind, so einen Drachen aufsteigen zu lassen!

– Wird man denselben von allen Punkten unserer Insel aus wahrnehmen können? fragte Garnett.

– Nicht allein von unserer Insel aus, antwortete Briant, sondern auch in großem Umfange von dem umgebenden Meere.

– Kann man ihn auch von Auckland aus sehen? … rief Dole.

– Das leider nicht, antwortete Briant, über jenen Gedanken lächelnd. Wenn aber Doniphan und die Anderen ihn erblicken, so veranlaßt sie das vielleicht, doch wieder hierher zu uns zurückzukehren!«

Man sieht, der wackere Knabe dachte auch jetzt nur an die Abwesenden und wünschte nur Eines: … daß diese verderbliche Trennung baldigst ihr Ende finden möchte.

Dieser und die folgenden Tage wurden nun in der Hauptsache der Herstellung des Drachens gewidmet, dem Baxter eine achteckige Form zu geben vorschlug. Das sehr leichte und doch sehr widerstandsfähige Gerippe des Apparates wurde aus einer Art ganz zähen Rohres hergestellt, das an den Ufern des Family-lake in großer Menge vorkam. Die Stengel desselben waren dabei auch stark genug, um selbst einen ziemlich steifen Wind bequem auszuhalten. Auf dieses Rohrgestell ließ Briant nun leichte, mit Kautschuk getränkte Segel spannen, welche zur Bedeckung der Oberlichtfenster des Schooners gedient hatten. Diese Segel waren so undurchlässig, daß nicht einmal der Wind durch das Gewebe derselben zu dringen vermochte. Als Schnur sollte eine gegen zweitausend Fuß lange, ganz dünne, aber scharfgedrehte Leine verwendet werden, welche sonst verwendet wurde, um das Log nachzuschleppen, und die wohl geeignet schien, auch eine sehr starke Anspannung auszuhalten.

Es versteht sich ganz von selbst, daß der Apparat mit einem prächtigen Schwanze geschmückt werden sollte, der ja an sich nothwendig ist, um einen solchen Apparat im Gleichgewichte oder wenigstens stillstehend zu erhalten, wenn er schräg nach vorne gerichtet in den Lüften schwebt. Er war übrigens so fest gebaut, daß er ohne zu große Gefahr jeden beliebigen von den jungen Kolonisten hätte mit emporheben können. Doch davon war ja nicht die Rede; es handelte sich vielmehr nur darum, daß er fest genug war, auch einer ziemlich frischen Brise zu widerstehen, und groß genug, um auf eine solche Höhe emporzusteigen, in der er von einem fünfzig- bis sechzigmeiligen Umkreise aus gesehen werden konnte.

Natürlich war es nicht beabsichtigt, den Drachen mit der Hand zu halten. Unter dem Drucke des Windes hätte er das gesammte Personal der Colonie, und vielleicht schneller als es erwünscht sein mochte, mit fortgezogen. Die Schnur sollte deshalb über eines der sogenannten Bratspille des Schooners gewickelt werden. Dieser kleine horizontale Wellbaum wurde also nach der Mitte der Sport-terrace geschafft und sein Gestell fest im Boden eingerammt, um dem Zuge jenes »Riesen der Lüfte« widerstehen zu können – wie die Kleinen den Drachen einstimmig getauft hatten.

Nachdem diese Arbeit am 15. des Abends glücklich beendigt war, bestimmte Briant für den nächstfolgenden Nachmittag den feierlichen Aufstieg, dem alle seine Kameraden beiwohnen sollten.

Am folgenden Tage erwies es sich jedoch unmöglich, dieses Experiment auszuführen, da ein so heftiger Sturm losgebrochen war, daß er den Apparat sofort in Stücke zerrissen hätte, wenn er, an der Schnur gehalten, in die Luft aufgelassen worden wäre.

Es war das derselbe Sturm, der Doniphan und dessen Begleiter im nördlichen Theile der Insel überfallen hatte und der gleichzeitig jene Schaluppe und die amerikanischen Schiffbrüchigen auf die nach Norden zu gelegenen Klippen schleuderte, welche in Folge dessen den Namen »Severn-shores« (d. i. Severn-Riffe) erhielten.

Am übernächsten Tage, dem 16. October, wehte doch, wenn auch etwas mehr Ruhe eingetreten war, noch eine so steife Brise, daß Briant seinen Steigapparat noch nicht erproben wollte. Da die Witterung sich jedoch, Dank der Richtung des Windes, welcher weit schwächer wurde, bedeutend besserte, sollte das Experiment am folgenden Tage ausgeführt werden.

Es war am 17. October – ein Datum, dem eine hervorragende Stelle in den Annalen der Insel Chairman bestimmt sein sollte.

Obwohl dieser Tag ein Freitag war, glaubte Briant dennoch nicht – aus Aberglauben – noch weitere vierundzwanzig Stunden warten zu sollen. Uebrigens hatte sich die Witterung günstig verändert und es wehte jetzt eine leichte, gleichmäßige Brise, ganz geeignet, einen Drachen in der Luft zu erhalten. In Folge der Neigung, welche seine sogenannte Wage sicherte, mußte er sich zu großer Höhe erheben, und am Abend wollte man ihn dann herunterziehen und eine Signallaterne an ihm befestigen, welche die ganze Nacht sichtbar bleiben würde.

Der Vormittag wurde den letzten Vorbereitungen gewidmet, welche nach dem Frühstücke mehr als eine Stunde in Anspruch nahmen. Dann begaben sich Alle nach der Sport-terrace zurück.

»Welch‘ vortreffliche Idee hat Briant gehabt, diesen Flugapparat zu bauen!« wiederholten Iverson und die Anderen, in die Hände klatschend.

Es war jetzt eineinhalb Uhr. Der mit ausgestrecktem Schwanze auf der Erde liegende Drache sollte schon dem Drucke der Brise preisgegeben werden, und man erwartete nur das letzte Zeichen Briant’s, als dieser die Ausführung des Vorhabens selbst unterbrach.

In diesem Augenblicke wurde seine Aufmerksamkeit nämlich durch Phann abgeleitet, der plötzlich nach der Seite des Waldes hinsprang und ein so klägliches, so seltsames Gebell ertönen ließ, daß man sich mit Recht darüber verwunderte.

»Was mag Phann nur haben? fragte Briant.

– Hätte er vielleicht ein Thier unter den Bäumen aufgespürt? antwortete Gordon.

– Nein, das würde er ganz anders anschlagen.

– Wir wollen doch nachsehen! … rief Service.

– Doch nicht unbewaffnet!« setzte Briant hinzu.

Service und Jacques liefen nach French-den zurück, von wo sie bald Jeder mit einem geladenen Gewehre zurückkamen.

»So kommt!« sagte Briant.

Alle Drei begaben sich nun, begleitet von Gordon, nach dem Saume der Traps-woods. Phann war ihnen dahin schon voraus, und wenn man ihn nicht mehr sah, so hörte man ihn doch immer.

Briant und seine Kameraden hatten kaum fünfzig Schritte zurückgelegt, als sie den Hund vor einem Baume stehen sahen, an dessen Fuße eine menschliche Gestalt lag.

Unbeweglich wie eine Todte lag eine Frau da ausgestreckt, deren Kleidungsstücke – ein Rock aus dickem Stoffe, ein ähnliches Leibchen und ein braunwollenes, um die Taille gebundenes Tuch – noch in ganz gutem Zustande zu sein schienen. Ihr Gesicht ließ die Spuren entsetzlicher Leiden erkennen, obwohl sie von kräftiger Constitution und höchstens vierzig bis fünfundvierzig Jahre alt war. Erschöpft von Strapazen, vielleicht auch vom Hunger, hatte sie das Bewußtsein verloren, doch bewegten noch schwache Athemzüge ihre Lippen.

Die Erregung der jungen Colonisten angesichts des ersten menschlichen Wesens, das sie seit ihrer Anwesenheit auf der Insel Chairman getroffen, wird man sich leicht vorstellen können.

»Sie athmet! … Sie athmet noch! rief Gordon. Ohne Zweifel ist es nur der Hunger, der Durst« …

Jacques flog bei diesen Worten schon nach French-den, von wo er etwas Schiffszwieback und eine Flasche mit Brandy herbeibrachte.

Ueber die Frau niedergebeugt, öffnete Briant deren festgeschlossene Lippen, und es gelang ihm, ihr einige Tropfen des belebenden Getränkes einzuflößen.

Die Frau machte eine leichte Bewegung und erhob dann die Augenlider. Ihr Blick wurde freier, als sie die im Umkreise versammelten Kinder sah … Dann führte sie das ihr von Jacques dargebotene Stück Zwieback begierig nach dem Munde.

Man erkannte, daß die Unglückliche mehr aus Nahrungsmangel als aus Ermüdung dem Tode nahe gewesen war.

Doch, wer war diese Frau? Würde es möglich sein, mit ihr einige Worte zu wechseln, sich mit ihr zu verständigen?

Briant sollte sofort hierüber klar werden.

Die Unbekannte hatte sich aufgerichtet und sprach eben in reinem Englisch die Worte aus:

»Ich danke Euch … liebe Kinder … ich danke!«

Eine halbe Stunde später hatten Briant und Baxter sie in der Halle niedergelegt, dort unterstützten Gordon und Briant sie noch, ihr alle Pflege, welche ihr trauriger Zustand erforderte, angedeihen zu lassen.

Sobald sie sich etwas erholt, beeilte sie sich, ihre Geschichte zu erzählen.

Wir lassen hier die Worte der Fremden folgen, aus denen zu ersehen ist, daß sie die jungen Colonisten lebhaft interessiren mußten.

Sie war von amerikanischer Herkunft und hatte lange Zeit in den Gebieten des Far-West der Vereinigten Staaten gelebt. Sie nannte sich Katherine Ready oder einfach Kate. Seit zwanzig Jahren schon stand sie als Aufwärterin in Diensten der Familie William R. Penfield, die in Albany, der Hauptstadt des Staates New-York, wohnte.

Vor nur einem Monate waren Mr. und Mrs. Penfield, um sich nach Chili zu begeben, wo deren Eltern wohnten, nach San Francisco, dem Haupthafen Californiens, gekommen, um auf dem Kauffahrteischiffe der »Severn«, geführt vom Capitän John F. Turner, an Bord zu gehen. Dieses Schiff war nach Valparaiso bestimmt. Mr. und Mrs. Penfield nahmen auf demselben mit Kate, die sozusagen zur Familie gehörte, Ueberfahrt.

Der »Severn« war ein tüchtiges Fahrzeug und hätte ohne Zweifel eine ganz glückliche Fahrt gemacht, wenn nicht die seine Besatzung bildenden, erst neuerdings angeworbenen acht Mann Schurken der schlimmsten Art gewesen wären. Neun Tage nach der Abfahrt erregte einer derselben, Walston, unterstützt von seinen Spießgesellen Brandt, Rock, Henley, Cork, Forbes, Cope und Pike eine Meuterei, bei der der Capitän Turner nebst dem Obersteuermanne und gleichzeitig Herr und Frau Penfield getödtet wurden.

Die Absicht der Meuterer war dahin gegangen, das Schiff, nachdem sie es in ihre Gewalt bekommen, zum Sclavenhandel zu verwenden, der damals noch in einigen Ländern Südamerikas in Blüthe stand.

Nur zwei Personen an Bord waren verschont geblieben, Kate, zu deren Gunsten sich der Matrose Forbes – ein weniger grausamer Geselle als die Uebrigen – verwendet hatte, und noch ein Steuermann des »Severn«, ein Mann von dreißig Jahren, Namens Evans, den sie wegen der Führung des Schiffes nicht entbehren konnten.

Jene schrecklichen Scenen hatten sich vom 7. zum 8. October abgespielt, als der »Severn« sich gegen zweihundert Meilen von der chilenischen Küste entfernt befand.

Unter Androhung des Todes wurde Evans nun gezwungen, einen Curs zur Umschiffung des Cap Horn einzuhalten, von wo aus das Schiff nach der Westküste Afrikas segeln sollte.

Einige Tage später entstand jedoch aus irgend einem niemals bekannt gewordenen Grunde eine Feuersbrunst an Bord. In kürzester Zeit gewann dieselbe eine solche Ausbreitung, daß Walston und seine Genossen den »Severn« vergeblich vor gänzlicher Zerstörung zu bewahren sich bemühten. Einer derselben, Henley, fand sogar dabei den Tod, indem er sich, um dem Feuer zu entgehen, ins Meer stürzte. Alle mußten das Schiff verlassen, in größter Eile einigen Proviant, etwas Munition nebst Waffen in die große Schaluppe werfen und sich schleunigst entfernen, weil der »Severn« zuletzt in die Tiefe versank.

Die Lage der Schiffbrüchigen war eine äußerst kritische, da sie noch zweihundert Meilen von dem nächsten Lande trennten. Es wäre nur gerecht gewesen, wenn die Schaluppe mit den Verbrechern, die sie trug, gleichfalls den Untergang fand, wären nicht Kate und der Steuermann Evans mit diesen an Bord derselben gewesen.

Am zweitfolgenden Tage erhob sich ein wüthender Sturm – was die Lage der Leute noch mehr verschlimmerte. Da der Wind jedoch von der hohen See her wehte, wurde das Boot – mit gebrochenem Maste und zerrissenem Segel – nach der Insel Chairman zu getrieben. Wir wissen schon, wie es in der Nacht vom 15. zum 16., nachdem es durch den Klippensaum geschleudert, zuletzt mit theilweise zerbrochenen Rippen und geborstener Beplankung auf dem Vorlande scheiterte.

Erschöpft von dem langen Kampfe gegen den Sturm, konnten Walston und seine Genossen, deren Proviant auch fast zu Ende gegangen war, gegen die Kälte und die Abspannung sich nicht mehr schützen. Sie waren auch fast leblos, als die Schaluppe in die Klippen gerieth. Durch eine ungeheuere Welle wurden noch fünf derselben kurz vor der Strandung über Bord geschleudert und die beiden Letzten wenige Augenblicke später auf den Sand geworfen, während Kate über die andere Seite des Bootes hinausfiel.

Lange Zeit blieben die beiden Männer, ebenso wie Kate zuerst auch, ohne Bewußtsein. Nachdem Letztere bald wieder zu sich gekommen, bestrebte sie sich, unbeweglich liegen zu bleiben, obwohl sie annehmen konnte, daß Walston und die Uebrigen umgekommen seien. Sie wollte den Tag abwarten, um erst dann in diesem unbekannten Lande Hilfe zu suchen, als sie gegen drei Uhr Morgens im Sande neben der Schaluppe Schritte knirschen hörte.

Es waren Walston, Brandt und Rock, die sich nach der Strandung des Bootes nicht ohne Mühe hatten aus den Wellen retten können. Nachdem sie durch die Klippen mehr geklettert als gegangen und nach der Stelle kamen, wo ihre beiden Genossen Forbes und Pike lagen, beeilten sie sich, diese mit allen Mitteln ins Leben zurückzurufen. Dann verhandelten sie hin und her, was nun zu beginnen sei, während der Steuermann Evans einige hundert Schritte weiterhin, bewacht von Cope und Rock, sie erwartete.

Kate hörte dabei deutlich, wie unter ihnen folgende Worte gewechselt wurden:

»Wo sind wir? fragte Rock.

– Ich weiß es nicht, antwortete Walston. Doch das thut nichts; bleiben wir nicht hier, sondern wenden wir uns nach Osten hin. Wenn es wieder Tag wird, werden wir ja sehen, wie wir uns aus der Schlinge ziehen.

– Und unsere Waffen? sagte Forbes.

– Die sind hier sammt der unbeschädigten Munition,« erwiderte Walston.

Damit entnahm er dem Kasten der Schaluppe fünf Gewehre und mehrere Päckchen mit Patronen.

»Das ist freilich wenig, meinte Rock, um sich in diesen von Wilden bewohnten Ländern seiner Haut zu wehren.

– Wo ist Evans? … fragte da Brandt.

– Evans steht dort und wird von Cope und Rock überwacht. Er muß uns wohl oder übel begleiten, und wenn er sich dessen weigert, werd‘ ich ihm schon Vernunft beizubringen wissen.

– Was ist denn aus der Kate geworden? fragte Rock. Sollt‘ es ihr gelungen sein, sich zu retten?

– Kate? … antwortete Walston, o, von der ist nichts zu fürchten. Ich habe sie über Bord gehen sehen, noch ehe die Schaluppe richtig auf Grund gerieth, und sie liegt also jedenfalls da unten.

– Das nimmt uns einen Stein vom Herzen! … ließ Rock sich vernehmen. Sie wußte von uns doch ein Bischen zu viel!

– Aber lange wäre das auch nicht der Fall gewesen!« setzte Walston hinzu, und über den Sinn seiner Worte hätte sich Niemand täuschen können.

Kate, die Alles mit angehört, war entschlossen, zu entfliehen, sobald die Matrosen vom »Severn« weggegangen wären.

Schon nach wenigen Minuten trugen Walston und seine Spießgesellen, während sie Forbes und Pike, deren Beine sich noch nicht recht halten wollten, unterstützten, ihre Waffen und Munition, ferner was vom Proviant in den Kästen der Schaluppe übrig geblieben war, nämlich fünf bis sechs Pfund gepöckeltes Fleisch, etwas Tabak und zwei oder drei Kürbisflaschen mit Gin, von der Unglücksstätte weg. Sie entfernten sich, als der Sturm mit größter Heftigkeit wüthete.

Sobald sie hinreichend entfernt waren, erhob sich Kate. Es war auch Zeit, denn die anschwellende Fluth erreichte schon den Strand, und bald wäre sie von den Wellen mit fortgespült worden.

Das Vorhergehende erklärt, warum Doniphan, Wilcox, Webb und Croß, als sie wieder erschienen, um den Schiffbrüchigen die letzte Ehre zu erweisen, die Stelle leer fanden. Schon waren Walston und seine Bande nach Osten hingewandert, während Kate, die entgegengesetzte Richtung einhaltend, sich, ohne es zu wissen, der Nordspitze des Family-lake näherte.

Hier kam sie im Laufe des Nachmittags des 16., erschöpft von Hunger und Anstrengung, an. Einige wilde Beeren, das war Alles, womit sie sich stärken konnte.

Sie folgte dann dem linken Ufer, ging die ganze Nacht, ebenso den Vormittag des 17., immer weiter und sank endlich an der Stelle zusammen, wo Briant sie halb todt gefunden hatte.

Das waren die gewiß sehr ernst zu nehmenden Vorfälle, welche Kate schilderte.

Auf der Insel Chairman, wo die jungen Colonisten bisher in völliger Sicherheit gewohnt hatten, waren sieben, der schlimmsten Verbrechen fähige Männer ans Land gekommen. Würden diese zaudern, French-den, wenn sie es entdeckten, anzugreifen? Gewiß nicht; sie hatten ein zu großes Interesse, sich der hiesigen Vorräthe zu bemächtigen, den Proviant wegzuführen, die Waffen und vor Allem die Werkzeuge zu rauben, ohne welche es ihnen unmöglich sein mußte, die Schaluppe des »Severn« wieder in seetüchtigen Zustand zu setzen. Und welchen Widerstand vermochten dann Briant und seine Kameraden, von denen die Größten fünfzehn, die Kleinsten kaum zehn Jahre zählten, ihnen wohl zu leisten? Waren das nicht erschreckende Aussichten? Wenn jener Walston auf der Insel blieb, war es ganz unzweifelhaft, daß man einen gewaltsamen Angriff seitens desselben zu erwarten hatte.

Mit welchem Empfinden Alle den Bericht Kate’s anhörten, kann man sich wohl leicht vorstellen.

Briant’s Gedanken beschäftigten sich dabei zuerst aber damit, daß Doniphan, Wilcox, Webb und Croß jetzt zuerst bedroht sein mußten. Wie sollten diese überhaupt auf ihrer Hut sein, da sie von der Anwesenheit der Schiffbrüchigen des »Severn« auf der Insel Chairman ja nichts wußten, von den Verbrechern, welche gerade dort sein mußten, wo die vier Kameraden sich für später eine Wohnung suchten. Genügte von ihrer Seite nicht ein einziger Flintenschuß, um Walston ihre Gegenwart zu verrathen? Und dann fielen wahrscheinlich alle Vier unter den Händen jener Schurken, von denen gewiß kein Mitleid zu erwarten war.

»Wir müssen ihnen zu Hilfe eilen, sagte Briant, und schon vor morgen müssen sie unterrichtet …

– Und nach French-den zurückgeführt sein, setzte Gordon hinzu. Mehr als je gilt es jetzt, vereinigt zu bleiben, um kräftige Maßregeln gegen einen Angriff jener Uebelthäter zu ergreifen.

– Ja, erklärte Briant, und da es nothwendig ist, daß unsere Kameraden zurückkommen, so werden sie auch nicht widerstreben … Ich werde sie holen …

– Du, Briant?

– Ich, Gordon.

– Und wie?

– Ich werde mich mit Moko auf der Jolle einschiffen. Binnen wenigen Stunden können wir über den See und den East-river hinunter gesegelt sein, wie wir es schon gethan haben. Es spricht ja Alles dafür, daß Doniphan an der Mündung anzutreffen sein wird.

– Wann denkst Du abzufahren?

– Noch diesen Abend, antwortete Briant, wenn die Dunkelheit uns gestattet, unbemerkt den See zu überschreiten.

– Soll ich Dich begleiten, Bruder? … fragte Jacques.

– Nein, antwortete Briant; es ist unbedingt nöthig, daß wir Alle in der Jolle zurückkehren können, und es wird schon Mühe haben, darin für Sechs Platz zu finden.

– Es ist also abgemacht? fragte Gordon.

– Abgemacht!« erklärte Briant.

In Wahrheit war das wohl der beste Ausweg, nicht allein im Interesse Doniphan’s, Wilcox‘, Croß‘ und Webb’s, sondern auch im Interesse der kleinen Colonie. Vier Knaben mehr und nicht die vier minder kräftigsten – diese Unterstützung war im Falle eines Angriffes nicht zu verachten. Andererseits war keine Stunde zu verlieren, wenn man Alle vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden in French-den vereinigt sehen wollte.

Wie man leicht denken kann, konnte vom Aufsteigen des Drachens nun nicht mehr die Rede sein. Das wäre die größte Unklugheit gewesen, denn damit hätte man nicht draußen auf offener See vorübersegelnden Schiffen, sondern Walston und seinen Spießgesellen die Anwesenheit der jugendlichen Colonisten verrathen. Aus demselben Grunde ließ Briant auch den Signalmast, der sich auf dem Gipfel des Auckland-hill erhob, niederlegen.

Bis zum Abend blieben Alle in der Halle eingeschlossen. Kate hatte die Erzählung ihrer Abenteuer angehört. Die vortreffliche Frau dachte schon gar nicht mehr an sich, sondern nur an die jungen Leute. Mußten sie auf der Insel Chairman zusammenbleiben, so wollte sie ihnen eine treu ergebene Dienerin sein, wollte sie pflegen und lieben gleich einer Mutter. Schon gab sie den Kleinsten den Schmeichelnamen »Papooses«, mit dem man die englischen Babys in den Gebieten des Far-West bezeichnet.

Schon hatte Service, in Erinnerung an seinen Lieblingsroman, vorgeschlagen, sie »Freitagine« zu nennen, wie es Crusoë mit seinem Gefährten unvergänglichen Andenkens gethan, weil es gerade an einem Freitag gewesen war, wo Kate nach der Insel Chairman kam.

Dann fügte er noch hinzu:

»Jene Uebelthäter … Nun, die entsprechen ganz den Wilden der Robinsone! In diesen kommt allemal eine Zeit, wo sich Wilde einstellen, und immer auch ein Zeitpunkt, wo man sich der Burschen entledigt.«

Um acht Uhr waren die Vorbereitungen zur Abfahrt beendigt. Moko, dessen Ergebenheit ihn vor keiner Gefahr zurückschrecken ließ, freute sich, Briant bei diesem Zuge begleiten zu dürfen.

Beide schifften sich also ein und nahmen etwas Munition und von Waffen Jeder einen Revolver und ein langes Jagdmesser mit. Nachdem sie ihren Kameraden, welche sie nicht ohne ein recht bedrücktes Gefühl sich entfernen sahen, Lebewohl gesagt, waren sie bald inmitten der Schatten des Family-lake verschwunden. Mit Sonnenuntergang hatte sich eine mäßige Brise erhoben, welche von Norden her wehte, und wenn diese anhielt, mußte sie ebenso die Hin- wie die Rückfahrt der Jolle erleichtern.

Jedenfalls blieb die Brise günstig für die Ueberfahrt von Westen nach Osten. Die Nacht war sehr dunkel – ein glücklicher Umstand für Briant, der ja unbemerkt bleiben wollte. Mittels des Compasses seinen Weg suchend, konnte er darauf rechnen, nach dem entgegengesetzten Ufer zu gelangen, dem sie dann nur noch auf- oder abwärts ein Stück zu folgen hatten, je nachdem das leichte Boot ober- oder unterhalb des Wasserlaufs ans Land stoßen würde. Briant’s und Moko’s Aufmerksamkeit war nur nach jener Gegend hin gerichtet, wo sie immer ein Feuer wahrzunehmen fürchteten – was aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Anwesenheit Walston’s und seiner Begleiter hindeuten mußte, da Doniphan sich doch wohl auf dem Küstengebiete, an der Mündung des East-river, aufhielt.

Sechs Meilen wurden in zwei Stunden zurückgelegt. Die Jolle segelte vortrefflich, obwohl die Brise ziemlich stark auffrischte, und landete nahezu an derselben Stelle, wie bei der ersten Fahrt hierher, hatte also noch etwa eine halbe Meile dem Uferlande zu folgen, um die enge Einbuchtung zu erreichen, von welcher aus das Gewässer des Sees durch den Rio ablief. Das erforderte eine gewisse Zeit, denn da der Wind jetzt von vorn her wehte, mußte diese Strecke unter Anwendung der Ruder zurückgelegt werden. Unter den Baumkronen, welche sich zum Theil über den Wasserspiegel hinabneigten, erschien Alles ruhig. Weder Gebell noch Geheul war aus der Tiefe des Waldes hörbar und kein Feuer verbreitete seinen Schein unter den dunkelgrünen Massen.

Gegen zehneinhalb Uhr ergriff jedoch der im Hintergrunde der Jolle sitzende Briant plötzlich den Arm Moko’s. Wenige hundert Schritte vom rechten Ufer des East-river schimmerte ein halb erloschenes Feuer durch die Finsterniß. Wer mochte dort lagern? … Walston oder Doniphan? … Diese Frage mußte entschieden sein, ehe sie sich weiter auf den Rio hineinwagen konnten.

»Setze mich aus, Moko, sagte Briant.

– Sie wünschen nicht, daß ich Sie begleite, Herr Briant? antwortete der Schiffsjunge gedämpften Tones.

– Nein, es ist besser, ich bin allein! Ich laufe dabei weniger Gefahr, beim Anschleichen bemerkt zu werden.«

Die Jolle legte sich ans Ufer und Briant sprang ans Land, nachdem er Moko empfohlen, hier zu warten. In der Hand hatte er das Jagdmesser und im Gürtel einen Revolver, von dem er nur im Falle der höchsten Noth Gebrauch machen wollte, um kein Geräusch zu verursachen.

Nachdem er das etwas ansteigende Ufergelände erklommen, schlich der muthige Knabe unter den Bäumen hin.

Plötzlich blieb er stehen. In der Entfernung von etwa zwanzig Schritten schien es ihm bei dem Halblicht, welches das Feuer noch verbreitete, als bemerkte er einen Schatten, der ebenso durch das Unterholz hinschlich, wie er es eben gethan.

In diesem Augenblicke ertönte ein entsetzliches Gebrüll – dann kam irgend etwas vorgesprungen.

Es war ein großer Jaguar. Sofort erklangen laute Rufe:

»Hierher! … Zu Hilfe!«

Briant erkannte die Stimme Doniphan’s. Dieser war es wirklich. Seine Kameraden waren in dem nahe dem Ufer des Rio errichteten Lager zurückgeblieben.

Von dem Jaguar über den Haufen geworfen, wehrte sich Doniphan aus Leibeskräften, ohne doch von seinen Waffen Gebrauch machen zu können.

Durch seine Rufe erwacht, lief jetzt Wilcox mit dem Gewehre in Anschlag und bereit Feuer zu geben, hinzu …

»Schieße nicht! … Schieße nicht! …« rief Briant.

Und noch ehe Wilcox ihn hatte ordentlich erkennen können, stürzte sich Briant auf die Bestie, die sich jetzt gegen ihn wendete, während Doniphan mit Mühe wieder aufstand.

Zum Glück konnte Briant noch zur Seite springen, nachdem er dem Jaguar mit seinem Messer eine tiefe Wunde beigebracht.

Das Alles ging so schnell von Statten, daß weder Wilcox noch Doniphan das Geringste dabei thun konnten. Zu Tode getroffen, sank das Thier zusammen, als jetzt auch Webb und Croß Doniphan zu Hilfe geeilt kamen.

Der Sieg war Briant aber immerhin theuer zu stehen gekommen, denn von einem Tatzenschlag zerrissen, blutete seine Schulter ziemlich heftig.

»Wie kommst Du hierher? fragte Wilcox.

– Das werdet Ihr später erfahren, antwortete Briant. Kommt nur! … Kommt!

– Nicht eher, als bis ich Dir meinen Dank ausgesprochen habe, Briant! sagte Doniphan. Du hast mir das Leben gerettet …

– Ich habe nur gethan, was Du an meiner Stelle auch gethan hättest, erwiderte Briant. Sprechen wir davon jetzt nicht, folgt mir nur! …«

Obwohl die Verletzung Briant’s keine eigentlich gefährliche war, mußte man sie doch mit einem Taschentuche verbinden, und während Wilcox das so gut wie möglich besorgte, konnte der brave Knabe seine Kameraden über alles Vorgefallene unterrichten.

Die Männer also, welche Doniphan als Leichen von den Wellen weggerissen glaubte, waren noch am Leben und irrten jetzt auf der Insel umher. Es waren mit Blut besudelte Verbrecher! Eine Frau hatte mit ihnen in der Schaluppe des »Severn« Schiffbruch erlitten, und diese Frau befand sich in French-den. Jetzt gab es keine Sicherheit mehr auf der Insel Chairman … Deshalb also, aus Furcht, daß der Knall vernommen werden konnte, hatte Briant Wilcox zugerufen, nicht auf den Jaguar Feuer zu geben, deshalb hatte Briant nur das Jagdmesser benutzt, um das gefährliche Raubthier abzuthun.

»Ach, Briant, Du bist doch besser als ich! rief Doniphan tief erregt und mit einer überquellenden Dankbarkeit, welcher selbst sein sonst so hochmüthiger Charakter unterlag.

– Nein, Doniphan, nein, Kamerad, antwortete Briant; doch da ich einmal Deine Hand in der meinen halte, so werd‘ ich sie nicht eher wieder loslassen, als bis Du einwilligst, wieder mit da hinunter zu kommen …

– Ja, Briant, gern, versicherte Doniphan. Rechne auf mich! In Zukunft werd‘ ich der Erste sein, Dir zu gehorchen! … Morgen … mit Tagesanbruch … ziehen wir davon …

– Nein, sogleich, drängte Briant, damit wir noch ungesehen ankommen können!

– Aber wie denn? fragte Croß.

– Moko ist mit hier, er erwartet uns mit der Jolle. Wir wollten eben in den East-river einfahren, als ich den schwachen Schein eines Feuers bemerkte, das glücklicher Weise von Euch herrührte.

– Und Du kamst gerade zur rechten Zeit, um mich zu retten! wiederholte Doniphan.

– Und auch Dich nach French-den heimzuführen!«

Mit wenigen kurzen Worten erfolgte nun auch eine Erklärung darüber, warum Doniphan, Wilcox, Webb und Croß an dieser Stelle und nicht an der Mündung des East-river gelagert hatten.

Nachdem sie die Küste der Severn-shores verlassen, waren Alle nach dem Hafen des Bear-rock noch am Abend des 16. zurückgekehrt. Am nächsten Morgen wandten sie sich, ihrer Abmachung entsprechend, am linken Ufer des East-river bis zum See hinauf, wo sie Rast machten, um am folgenden Tage nach French-den zu gelangen.

Vor dem ersten Tagesgrauen hatten jetzt Briant und seine Kameraden in der Jolle Platz genommen, und da diese für Sechs ziemlich klein war, mußte bei der Führung derselben alle mögliche Vorsicht angewendet werden.

Der Wind war jedoch günstig und Moko leitete das Boot mit solcher Geschicklichkeit, daß die Ueberfahrt ohne Unfall von Statten ging.

Mit welcher Freude empfingen Gordon und die Anderen aber die Ankommenden, als diese gegen vier Uhr Morgens am Damme des Rio Sealand landeten!

Wenn ihnen jetzt schlimme Gefahren drohten, so waren wenigstens Alle wieder in French-den vereinigt.

XII.

XII.

Die Magellan-Straße. – Die Länder und Inseln an derselben. – Die Niederlassungen, welche daselbst gegründet wurden. – Zukunftspläne. – Gewalt oder List. – Rock und Forbes. – Die falschen Schiffbrüchigen. – Gastfreundlicher Empfang. – Zwischen elf Uhr und Mitternacht. – Ein Schuß Evans‘. – Das Dazwischentreten Kate’s.

———

Ein etwa dreihundertachtzig Meilen langer Canal, der sich von Westen nach Osten hin ausbiegt, vom Cap der Jungfrauen im Atlantischen Ocean bis zum Cap Los Pilares im Stillen Ocean reicht – umrahmt von bergigen Ufern, beherrscht von dreitausend Fuß über die Meeresfläche aufragenden Gebirgshäuptern – unterbrochen von Buchten, deren Hintergrund zahlreiche Häfen bildet – reich an Wasserplätzen, wo die Schiffe mühelos ihren Bedarf an Trinkwasser erneuern können – eingefaßt von dichten Wäldern mit zahlreichem Wild – widerhallend vom Donner mächtiger Wasserfälle, welche sich zu Tausenden in die unzähligen Einbuchtungen stürzen – den Schiffen, die von Osten oder Westen herkommen, einen kürzeren Weg bietend als die Lemaire-Straße, zwischen Staatenland und Feuerland, und weniger von Stürmen aufgewühlt als der Weg um das Cap Horn – das ist die Magellan-Straße, welche der berühmte portugiesische Seefahrer im Jahre 1520 entdeckte.

Die Spanier, welche während eines halben Jahrhunderts allein die Magellan-Länder besuchten, gründeten auf der Halbinsel Braunschweig die Niederlassung des Hunger-Hafens. Den Spaniern folgten die Engländer unter Drake, Cavendish, Chidley und Hawkins, dann die Holländer unter de Weert, de Cord, de Noort mit Lemaire und Shouten, welche im Jahre 1610 die Meerenge dieses Namens entdeckten. Endlich, von 1696 bis 1712, erschienen hier Franzosen unter Degennes, Beauchesne-Gunin und Frenzier, und von dieser Zeit ab besuchten diese Gegenden die berühmtesten Seefahrer aus dem Ende des Jahrhunderts, wie Anson, Cook, Byron, Bougainville und Andere.

Jetzt wurde die Magellan-Straße ein häufig benutzter Weg bei der Fahrt von einem Ocean zum anderen – vorzüglich, seitdem die Dampfschifffahrt, welche weder ungünstigen Wind noch Gegenströmungen kennt, gestattete, dieselbe unter den günstigsten Bedingungen zu durchmessen.

Das war also die Meerenge, welche Evans am nächsten Tage – am 28. November – Briant, Gordon und deren Kameraden auf der Karte des Stieler’schen Atlas zeigte.

Wenn Patagonien – die äußerste Provinz Südamerikas – das König Wilhelms-Land und die Halbinsel Braunschweig die nördliche Begrenzung der Meerenge bildet, so ist diese nach Süden zu durch den Magellan’schen Archipel abgeschlossen, der sehr große Inseln, wie Feuerland, Desolations-Land, die Inseln Clarence, Hoste, Gordon, Navarin, Wollaston, Stevart und eine Anzahl von minder bedeutenden umfaßt bis hinab zur letzten Gruppe der Hermiten, deren äußerste, zwischen den beiden Oceanen gelegene, nichts weiter ist, als der vorgeschobene letzte Gipfel der hohen Cordilleren, der Anden, und sich das Cap Horn nennt.

Im Osten schneidet die Magellan-Straße mit einer oder zwei engen Einfahrten zwischen dem Cap der Jungfrauen (zu Patagonien gehörig) und dem Cap Espiritu-Santo (zu Feuerland gehörig) in das Festland ein. Im Westen sind die Verhältnisse andere – wie Evans durch den Augenschein darlegte. An dieser Seite reihen sich Eilande, Inseln, Archipele, Straßen, Canäle und Meeresmeere bis in’s Unendliche aneinander. Mit einer zwischen dem Vorgebirge Los Pilares und der Südspitze der großen Insel der Königin Adelaide gelegenen Durchfahrt mündet die Meerenge im Stillen Ocean aus. Ueber derselben taucht eine große, unregelmäßig angeordnete Reihe von Inseln auf, die sich von der Meerenge des Lord Nelson bis zur Gruppe der nahe der Grenze Chiles liegenden Gruppe der Chonos- und der Chiloë-Inseln hingestreckt.

»Und seht Ihr nun hier, setzte Evans hinzu, jenseits der Magellan-Straße eine Insel, welche durch einfache Canäle von der Insel Cambridge im Süden und von den Inseln Madre de Dios und Chatam im Norden eingeschlossen ist? Nun, diese Insel auf dem 51. Grade südlicher Breite ist die Insel Hannover, der Ihr den Namen Insel Chairman gegeben und die Ihr seit länger als zwanzig Monaten bewohnt habt!«

Ueber den Atlas gebeugt, betrachteten Gordon, Briant und Doniphan neugierig diese Insel, welche sie für sehr entfernt von jedem Lande gehalten hatten und die doch der amerikanischen Küste so nahe lag.

»Wie, sagte Gordon, wir wären von Chile nur durch einen Meeresarm getrennt?

– Ja, meine Freunde, versicherte Evans, doch zwischen der Insel Hannover und dem Festlande Amerikas liegen nur ganz ebenso verlassene Inseln wie diese hier. Einmal nach genanntem Festlande gelangt, hättet Ihr Hunderte von Meilen bis zu den nächsten Niederlassungen Chiles oder der Argentinischen Republik zurücklegen müssen. Welche Beschwerden hätte das mit sich gebracht, gar nicht von den Gefahren zu reden, denn die Puelche-Indianer, welche durch die Pampas schweifen, sind gerade nicht gastfreundlicher Natur. Ich meine also, es war besser, diese Insel nicht zu verlassen, schon weil die materielle Existenz hier gesichert erschien und wir dieselbe, wie ich zu Gott hoffe, noch zusammen verlassen können.«

Die verschiedenen Canäle also, welche die Insel Chairman umflossen, maßen an gewissen Stellen nicht mehr als fünfzehn bis zwanzig Meilen Breite, und Moko hätte über dieselben bei günstiger Witterung ohne Mühe schon in der kleinen Jolle gelangen können. Daß Briant, Gordon und Doniphan diese Länder bei Gelegenheit ihrer Ausflüge nach dem Norden und dem Osten nicht hatten wahrnehmen können, lag nur daran, daß dieselben völlig flach waren. Der erkannte weißliche Fleck aber gehörte einem der Gletscher des Inneren an, und der flammende Berg war nur ein Vulkan der Magellans-Länder.

Uebrigens hatte, wie Briant bei aufmerksamer Betrachtung der Karte bemerkte, der Zufall sie immer nur nach solchen Punkten der Küste geführt, welche von den Nachbarinseln verhältnißmäßig entfernt lagen. Vielleicht hätte Doniphan bei seinem Besuche der Severn-shores die Südspitze der Insel Chatam erkennen müssen, wenn der von den Dunstmassen des bald ausbrechenden Sturmes erfüllte Horizont nicht blos in beschränktem Umkreise sichtbar gewesen wäre. Was die Deception-Bai angeht, welche ziemlich tief in die Insel Hannover einschneidet, so konnte man weder von der Mündung des East-river, noch vom Gipfel des Bear-rock etwas von dem im Osten gelegenen Eilande sehen, noch weniger natürlich von der Insel Esperance, welche etwa zwanzig Meilen weit entfernt liegt. Um die benachbarten Ländergebiete wahrnehmen zu können, hätte man sich nach dem North-Cape begeben müssen, von wo aus die untersten Theile der Insel Chatsam und der Insel Madre de Dios jenseits der Conceptions-Straße sichtbar gewesen wären; oder nach dem South-Cape, von wo aus man die Spitzen der Insel der Königin Adelaide oder Cambridge hätte wahrzunehmen vermocht; oder endlich nach dem äußersten Küstenpunkte der Down-lands, welche die Höhe der Insel Owen oder die Gletscher der Länder im Südosten beherrschen.

Die jungen Colonisten hatten ihre Streifzüge jedoch niemals bis zu diesen entfernten Punkten ausgedehnt. Was die Karte François Baudoin’s betraf, so konnte sich Evans allerdings nicht erklären, warum jene Inseln und Ländermassen auf ihr nicht verzeichnet standen. Da der französische Schiffbrüchige im Stande gewesen war, die Umfassungslinie der Insel Hannover so richtig wiederzugeben, mußte er um dieselbe doch ganz herumgekommen sein. Sollte man nun annehmen, daß gerade bei seinem Besuche der genannten Punkte der bedeckte Himmel seinen Gesichtskreis auf nur wenige Meilen beschränkt hatte? Das war mindestens nicht unglaublich.

Und wenn es nun gelang, sich der Schaluppe vom »Severn« zu bemächtigen und diese wieder auszubessern, nach welcher Seite hin würde Evans sie wohl führen?

Diese Frage richtete Gordon gelegentlich an den Steuermann.

»Meine lieben Freunde, antwortete Evans, ich würde weder nach Norden, noch nach Osten hin zu segeln suchen. Je weiter wir zu Wasser gelangen können, desto besser. Gewiß könnte uns die Schaluppe bei günstigem Winde nach irgend einem Hafen Chiles bringen, wo wir sicherlich den besten Empfang fänden. Der Seegang an diesen Küsten ist aber stets ziemlich schwer, während die Canäle des Archipels uns immer eine bequeme Fahrt gestatten.

– Gewiß, erklärte Briant. Doch werden wir in jenen Gegenden auch Niederlassungen antreffen und in solchen Niederlassungen Gelegenheit, in die Heimat zurückzukehren?

– Daran zweifle ich nicht, erwiderte Evans. Hier, betrachtet einmal diese Karte. Wenn wir die Durchfahrten des Archipels der Königin Adelaide hinter uns haben, wohin gelangen wir dann durch den Smyth-Canal? In die Magellan-Straße, nicht wahr? Nun, ziemlich am Eingange der Meerenge liegt hier der Hafen Tamar, der zu Desolations-Land gehört, und hier wären wir schon so gut wie auf dem Rückwege.

– Ja, doch wenn wir daselbst kein Schiff finden, antwortete Briant, wollen wir da warten, bis eins vorüberkommt?

– Nein, Herr Briant. Folgen Sie mir nur etwas weiter durch die Magellan-Straße. Sehen Sie hier die große Halbinsel Braunschweig? … Hier, im Hintergrunde der Fortescue-Bai, im Port Galant, legen die Schiffe sehr häufig bei. Müßten wir noch weiter segeln und das Cap Forward im Süden der Halbinsel umschiffen, so finden wir da die Bougainville-Bai, wo die meisten Fahrzeuge anhalten, welche die Meerenge passiren. Ueber diesen Punkt hinaus liegt ferner noch Port Famine (der Hungerhafen), nördlich von Punta Arena.«

Der Steuermann hatte ganz Recht. Einmal in der Meerenge, mußte die Schaluppe zahlreiche Ankerplätze finden. Unter solchen Verhältnissen schien die Heimkehr gesichert, ohne zu erwähnen, daß man ja schon unterwegs Schiffe auf dem Wege nach Australien oder Neuseeland treffen konnte. Wenn Port-Tamar, Port-Galant und Port-Famine zwar nur wenig Hilfsquellen bieten, so ist Punta-Arena dagegen mit Allem versehen, was zur Nothdurft des Leibes und Lebens gehört. Diese große, durch die chilenische Regierung gegründete Niederlassung bildet eine wirkliche, am Ufer erbaute kleine Stadt mit hübscher Kirche, deren Thurmspitze zwischen den prächtigen Bäumen der Halbinsel Braunschweig emporsteigt. Sie befindet sich in blühendem Zustande, während die Station Port-Famine, die aus dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts herrührt, heute fast nur noch ein Dorf in Ruinen ist.

Heutzutage gibt es übrigens auch noch weiter im Süden andere Niederlassungen, welche vorzüglich wissenschaftliche Expeditionen aufsuchen, wie die Station Livya auf der Insel Navarin, und vor Allem die von Ooshovia im Beagle-Canal unterhalb Feuerlands. Dank der Opferfreudigkeit englischer Missionäre fördert letztere sehr bedeutend die Kenntnisse der Gegenden, wo die Franzosen zahlreiche Spuren ihrer Anwesenheit zurückgelassen haben, wovon die Namen wie Dumas, Cloné, Pasteur, Chanzy und Grévy, welche verschiedenen Inseln des Magellan’schen Archipels beigelegt wurden, Zeugniß geben.

Die Rettung der jungen Colonisten schien also gesichert, wenn sie die Meerenge erreichen konnten. Dazu war es freilich nothwendig, die Schaluppe des »Severn« wieder in Stand zu setzen, und um das ausführen zu können, sich derselben zu bemächtigen – woran doch nicht eher zu denken war, als bis Walston und seine Spießgesellen zu Paaren getrieben waren.

Wäre dieselbe noch auf der Stelle geblieben, wo Doniphan sie auf der Küste der Severn-shores gefunden hatte, so hätte man vielleicht versuchen können, sie zu erlangen. Walston, der sich in der Hauptsache gegen fünfzehn Meilen von dort aufhielt, würde schwerlich etwas davon bemerkt haben. Was er vermocht hatte, konnte Evans natürlich auch, das heißt, die Schaluppe nicht zur Mündung des East-river, sondern zur Mündung des Rio Sealand, und wenn er diesen stromaufwärts benützte, sie sogar bis zur Höhe von French-den schaffen.

Hier würde die Ausbesserung unter Anleitung des Steuermannes unter den günstigsten Verhältnissen auszuführen gewesen sein. Nachdem das Boot dann neue Takelage erhalten, mit Munition, Lebensmitteln und einigen Gegenständen, welche zurückzulassen es schade gewesen wäre, beladen worden, wären sie von der Insel weggesegelt, ehe die Uebelthäter nur in die Lage kamen, sie anzugreifen.

Unglücklicherweise war das nicht ausführbar. Die Frage der Wegfahrt von hier konnte nur noch durch die Gewalt gelöst werden, ob man nun zum Angriff überging oder sich auf die Vertheidigung beschränkte. Jedenfalls ließ sich aber nichts thun, ehe man nicht die Mannschaft vom »Severn« überwältigt hatte.

Evans flößte übrigens den jungen Colonisten ein unbegrenztes Vertrauen ein. Kate hatte ja so viel und in so warmen Worten von ihm gesprochen. Seit der Steuermann sich Haar und Bart hatte schneiden können, erweckte schon sein offenes, entschlossenes Gesicht die beste Beruhigung. Wenn er energisch und muthig war, fand man, daß er auch gut, von entschlossenem Charakter und zu jeder Aufopferung fähig sein müsse.

Ganz wie Kate gesagt, schien er wirklich wie ein Sendbote des Himmels, der in French-den erschienen – endlich ein Mann inmitten dieser Kinder! Zuletzt wollte der Steuermann die Hilfsmittel kennen lernen, über die er, um Widerstand zu leisten, verfügen konnte.

Der Store-room und die Halle schienen ihm zur Vertheidigung völlig geeignet. Von deren Außenseite beherrschte die eine das Ufergelände und den Rio, die andere die Sport-terrace bis zum Gestade des Sees. Die Wandöffnungen gestatteten nach diesen Richtungen hin bei vollständiger Deckung zu feuern. Mit ihren acht Gewehren konnten die Belagerten die Angreifer entfernt halten und mit den beiden kleinen Kanonen sie mit einem Kartätschenhagel überschütten, wenn sie sich bis French-den heranwagten. Kam es aber gar zu einem Handgemenge, so würden Alle sich des Revolvers, der Aexte und Schiffsmesser zu bedienen wissen.

Evans lobte Briant auch, daß dieser im Innern so viel Steine aufgehäuft hatte, wie zur sicheren Abschließung der Thüren nöthig erschienen. Im Innern also waren die Vertheidiger verhältnißmäßig stark, draußen freilich nur schwach. Man darf nicht vergessen, daß es nur sechs Knaben von dreizehn bis fünfzehn Jahren waren gegen sieben kräftige Männer, welche, waffengewohnt und tollkühn, ja nicht einmal vor einem Morde zurückschreckten.

»Sie halten jene also für sehr zu fürchtende Burschen, Master Evans? fragte Gordon.

– Ja, Herr Gordon, für sehr zu fürchtende Gesellen.

– Bis auf Einen, der vielleicht nicht ganz verloren ist, ließ Kate sich vernehmen, ich meine Forbes, der mir das Leben gerettet hat.

– Forbes? antwortete Evans. Ach, alle Wetter, ob er nun blos durch schlechten Rath und aus Furcht vor seinen Genossen dazu verführt wurde, jedenfalls trägt er auch seinen Theil an dem Gemetzel auf dem »Severn«. Hat der Schurke mich nicht mit Rock auf’s Tollste verfolgt? Hat er nicht auf mich wie auf ein wildes Thier geschossen? Hat er sich nicht beglückwünscht, als er mich im Rio ertrunken glaubte? Nein, liebe Kate, ich fürchte, er ist nicht mehr Werth als die Anderen! Wenn er Sie damals verschonte, so wußte er gewiß recht gut, daß die Schurken Ihrer Dienste noch bedurften, und er würde nicht zurückbleiben, wenn es darauf ankäme, French-den zu überfallen.»

Inzwischen gingen einige Tage dahin, ohne daß etwas Verdächtiges von den jungen Leuten, welche die Umgebung vom Auckland-hill aus stets überwachten, gemeldet worden wäre, was Evans einigermaßen verwunderte.

Da er die Pläne Walston’s kannte und wußte, welches Interesse jener hatte, deren Ausführung zu beschleunigen, so legte er sich die Frage vor, warum zwischen dem 27. und dem 30. November noch gar nichts geschehen sei.

Da kam ihm der Gedanke, daß Walston vielleicht mit List statt mit Gewalt werde zum Ziel zu gelangen und in French-den einzudringen suchen. Er theilte seine Muthmaßungen Briant, Gordon, Doniphan und Baxter, mit denen er meist Alles besprach, gleich darauf mit.

»So lange wir uns im Innern von French-den halten, sagte er, würde er gezwungen sein, eine oder die andere Thür zu stürmen, da er Niemand hat, der sie ihm öffnete. Er könnte also versuchen, durch List Zugang zu erhalten …

– Und wie? fragte Gordon.

– Vielleicht in der Weise, wie es mir zufällig eingefallen ist, antwortete Evans. Ihr wißt, junge Freunde, daß Kate und ich die einzigen Wesen wären, welche Walston als Anführer einer Bande von Mordbuben, deren Angriff die kleine Colonie zu fürchten hätte, anzeigen könnten. Walston hält sich nun überzeugt, daß Kate bei der Strandung umgekommen ist. Was mich betrifft, so bin ich vorschriftsmäßig im Rio ertrunken, nachdem Rock und Forbes auf mich gefeuert hatten – und Ihr wißt ja, daß ich sie habe frohlocken hören, meiner ledig geworden zu sein. Walston muß demnach annehmen, daß Ihr noch von gar nichts unterrichtet seid – nicht einmal von der Anwesenheit der Matrosen vom »Severn« auf Eurer Insel, und daß Ihr, wenn einer derselben in French-den erschiene, ihn wie jeden Schiffbrüchigen bestens aufnehmen würdet. Wäre ein solcher Schuft aber einmal hereingekommen, so müßte es ihm leicht werden, seine Spießgesellen einzulassen – was für uns jeden Widerstand fast unmöglich machte.

– Nun gut, meinte Briant; wenn also Walston oder irgend ein Anderer unsere Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen suchte, so würden wir ihm mit einem Loth Blei die Wege weisen …

– Wenn wir vor ihm nicht etwa besser die Mützen ziehen, warf Gordon ein.

– Ja, Sie haben vielleicht Recht, Herr Gordon, erwiderte der Steuermann. Das könnte sogar besser sein. List wider List! Im gegebenen Falle werden wir ja sehen, was zu thun ist.»

Ja, es empfahl sich gewiß, mit größter Klugheit zu Werke zu gehen. Wendete sich die Sache zum Guten, gelang es Evans sich in den Besitz der Schaluppe des »Severn« zu setzen, so durfte man wohl hoffen, daß die Stunde der Erlösung nicht mehr ferne sei. Doch welche Gefahren drohten noch bis dahin! – Und würde diese ganze kleine Welt noch vollzählig sein, wenn sie endlich nach Neuseeland zurückkehrte?

Am folgenden Tage verlief der Vormittag auch ohne Zwischenfall. In Begleitung Doniphan’s und Baxter’s wagte sich der Steuermann sogar eine halbe Meile weit in der Richtung nach den Traps-woods hinaus, wobei alle Drei hinter den vereinzelten Bäumen am Fuße des Auckland-hill Deckung suchten. Er bemerkte nichts Außergewöhnliches, und Phann, der auch mitlief, gab nichts zu erkennen, was ihn hätte mißtrauisch machen können.

Gegen Abend jedoch, kurz vor Sonnenuntergang, kam es zu einem Alarm. Webb und Croß, die auf dem Steilufer Wache hielten, kamen eiligst herunter und meldeten die Annäherung zweier Männer, welche das südliche Vorland des Sees am anderen Ufer des Rio heraufkamen.

Kate und Evans zogen sich, um nicht bemerkt zu werden, sofort nach dem Store-room zurück. Von da aus bemerkten sie, durch die Schießscharten lugend, die beiden angemeldeten Männer. Es waren zwei Genossen Walston’s, Rock und Forbes.

»Da haben wir’s ja, sagte der Steuermann, sie verlegen sich auf die List und wollen sich hier als Matrosen einführen, die sich aus einem Schiffbruche gerettet haben.

– Was sollen wir nun thun? … sagte Briant.

– Sie bestens aufnehmen, erwiderte Evans.

– Diese Elenden auch noch gut empfangen! rief Briant. Ich wäre nimmermehr im Stande …

– Lass‘ mich das besorgen, unterbrach ihn Gordon.

– Recht so, Herr Gordon! sagte der Steuermann. Doch hüten Sie sich, daß jene keine Ahnung von unserem Hiersein bekommen. Kate und ich, wir werden uns schon zeigen, wenn es Zeit ist!«

Evans und die Aufwärterin versteckten sich in einem der Nebenräume des Verbindungsganges, dessen Thür hinter ihnen verschlossen wurde. Gleich darauf begaben sich Gordon und Baxter nach dem Ufer des Rio Sealand. Bei dem Anblick derselben heuchelten die beiden Männer das größte Erstaunen, und Gordon stellte sich so, als ob er nicht weniger verwundert sei.

Rock und Forbes schienen von Strapazen erschöpft, und als sie an den Wasserlauf herankamen, entstand folgendes kurze Gespräch zwischen beiden Ufern:

»Wer seid Ihr?

– Schiffbrüchige, welche im Süden dieser Insel mit der Schaluppe des Dreimasters »Severn« verunglückt sind.

– Seid Ihr Engländer?

– Nein, Amerikaner.

– Und Eure Gefährten?

– Die sind umgekommen. Uns allein gelang die Rettung aus dem Schiffbruche; doch jetzt sind unsere Kräfte zu Ende! …

Mit wem haben wir es hier zu thun?

– Mit den Colonisten der Insel Chairman.

– So bitten wir diese um Mitleid und um gastfreundliche Aufnahme, denn uns fehlt nicht weniger als Alles …

– Schiffbrüchige haben stets gerechten Anspruch auf Beistand seitens ihres Gleichen! … antwortete Gordon. Auch Ihr sollt uns willkommen sein!«

Auf ein Zeichen Gordon’s bestieg Moko die Jolle, welche nahe dem kleinen Damme angebunden lag, und mit einigen Ruderschlägen hatte er die beiden Matrosen nach dem rechten Ufer des Rio Sealand befördert.

Walston mochte wohl keine Wahl gehabt haben, doch mußte man gestehen, daß die Erscheinung Forbes‘ alles andere als vertrauenerweckend war, selbst gegenüber Kindern, denen es noch so sehr an Uebung fehlte, die Physiognomie eines Menschen zu entziffern. Obwohl er versucht hatte, sich das Ansehen eines ehrbaren Mannes zu geben, zeigte dieser Rock mit seiner gedrückten Stirn, dem hinten weit ausspringenden Kopfe und der dicken unteren Kinnlade unverkennbar den Typus des Verbrechers. Forbes – der, dessen menschliches Gefühl der Aussage Kate’s nach vielleicht noch nicht ganz erloschen war – hatte wenigstens ein etwas besseres Aussehen und wahrscheinlich hatte ihn Walston gerade aus diesem Grunde dem Anderen hier zugesellt.

Nach besten Kräften spielten nun Beide die Rolle falscher Schiffbrüchiger. Um keinen Verdacht zu erregen, vermieden sie es, sich eingehende Fragen vorlegen zu lassen, indem sie erklärten, mehr von Anstrengung als von Nahrungsmangel erschöpft zu sein, und deshalb baten, zunächst etwas ausruhen und vielleicht die Nacht in French-den zubringen zu dürfen. Sie wurden sofort dorthin geleitet. Beim Eintreten – und das entging Gordon keineswegs – hatten sie sich nicht enthalten können, auf die Anordnung der Halle etwas gar zu prüfende Blicke zu werfen. Sie schienen auch nicht wenig erstaunt über das Vertheidigungsmaterial, welches die kleine Colonie besaß – vorzüglich über die Kanone, welche über die Schießscharte lugte.

Die jungen Colonisten mußten also, wenn auch mit größtem Widerstreben, ihre Rolle vorläufig weiter spielen, da Rock und Forbes sich, nachdem sie den Bericht über ihre Erlebnisse bis zum folgenden Tage verschoben, nur schnellstens niederzulegen wünschten.

»Eine Handvoll trockenes Gras wird uns als Lagerstätte genügen, sagte Rock. Da wir Euch so wenig wie möglich belästigen möchten … Habt Ihr vielleicht noch einen ähnlichen Raum wie diesen? …

– Ja, antwortete Gordon, den, der uns als Küche dient, und dort könnt Ihr gut bis morgen ausruhen.«

Rock und sein Begleiter gingen nach dem Store-room hinüber, dessen Inneres sie mit forschendem Blick überflogen, wobei sie auch erkannten, daß die Thür desselben sich nach dem Rio zu öffnete.

Wirklich hätte Niemand zuvorkommender gegen diese armen Verunglückten sein können! Die beiden Schurken mußten sich sagen, daß es sich, um mit diesen unschuldigen Kindern fertig zu werden, gar nicht der Mühe lohne, eine solche Posse aufzuspielen.

Rock und Forbes streckten sich in einem Winkel des Store-room nieder. Hier sollten sie freilich nicht allein bleiben, da Moko in demselben Raume schlief; um diesen Burschen kümmerten sie sich indessen nicht und waren entschlossen, ihn einfach zu erwürgen, wenn sie bemerkten, daß er nur mit einem Auge schliefe. Zur verabredeten Stunde sollten nämlich Rock und Forbes die Thür öffnen, und Walston, der sich mit vier anderen seiner Spießgesellen am Uferlande aufhielt, hoffte damit French-den ohne Widerstand in seine Gewalt zu bekommen.

Gegen neun Uhr, als Rock und Forbes voraussichtlich schon schlafen mußten, trat auch Moko ein und warf sich sogleich auf sein Lager, bereit, beim ersten verdächtigen Zeichen Lärm zu schlagen.

Briant und die Uebrigen waren in der Halle geblieben. Nach Verschluß der Thür des Verbindungsganges gesellten sich Evans und Kate wieder zu ihnen. Alles war so gekommen, wie der Steuermann es vorausgesehen, und dieser zweifelte nicht daran, daß Walston jetzt in der nächsten Umgebung nur den Augenblick abwartete, hier einzudringen.

»Seien wir auf unserer Hut!« sagte er.

Inzwischen vergingen zwei Stunden, und Moko fragte sich schon, ob Rock und Forbes ihren Anschlag nicht bis zu einer anderen Nacht verschoben haben möchten, als seine Aufmerksamkeit durch ein leichtes Geräusch im Store-room erweckt wurde.

Beim Scheine der an der Decke hängenden Laterne sah er da Rock und Forbes den Winkel, in dem sie gelegen hatten, verlassen und nach der Seite der Thür hinkriechen.

Diese Thür war durch eine Anhäufung großer Steine gesichert – eine wirkliche Barricade, welche schwierig, wenn nicht ganz unmöglich auf einmal beseitigt werden konnte.

Die beiden Matrosen begannen also damit, die Steine einzeln abzutragen und geräuschlos längs der rechten Wand aufzuschichten. Nach wenigen Minuten war die Thür vollständig freigelegt. Jetzt brauchte nur noch der Riegel zurückgeschoben zu werden, der sie von innen verschloß, um den Zugang nach French-den jeden Augenblick zu öffnen.

In dem Augenblicke aber, als Rock nach Zurückschiebung jenes Riegels die Thür aufstoßen wollte, legte sich eine Hand auf seine Schulter. Er drehte sich um und erkannte den Steuermann, dessen Gesicht die Laterne voll beleuchtete.

»Evans! rief er. Evans hier! …

– Hierher, Jungens! rief der Steuermann.

Briant und seine Genossen stürzten sofort nach dem Store-room. Hier wurde zunächst Forbes von den vier stärksten Knaben, Baxter, Wilcox, Doniphan und Briant, gepackt und ihm jedes Entkommen unmöglich gemacht.

Rock hatte mit einem wuchtigen Stoße Evans zurückgedrängt und versetzte ihm dabei einen Messerstich, der diesen jedoch nur leicht am linken Arme streifte.

Dann eilte er durch die offene Thür hinaus. Er hatte noch keine zehn Schritte gemacht, als ein Schuß hinter ihm krachte.

Der Steuermann war es, der auf Rock geschossen hatte. Allem Anscheine nach war der Flüchtling unverletzt geblieben, wenigstens ließ sich kein Aufschrei hören.

»Alle Wetter! … Ich habe den Schuft gefehlt! rief Evans. Doch wir haben ja den andern … Einer wird also immer weniger sein!«

Das Messer in der Hand, erhob er schon den Arm gegen Forbes.

»Gnade! … Gnade! … winselte der Elende, den die vier Knaben auf der Erde festhielten.

– Ja, Gnade, Evans! bat Kate, sich zwischen den Steuermann und Forbes eindrängend. Gewährt ihm Gnade, da er mir das Leben gerettet hat! …

– Es sei! sagte Evans; ich gebe Ihnen nach, Kate, wenigstens für den Augenblick.«

Sicher geknebelt wurde jetzt Forbes in eine der Nebenkammern gesteckt.

Dann verschloß und verbarricadirte man die Thür des Store-room wieder und Alle blieben bis Tagesanbruch, um jeder Ueberraschung vorzubeugen, wach.

XIII.

XIII.

Ausfragung Forbes‘. – Die Lage. – Eine geplante Auskundschaftung. – Abwägung der Streitkräfte. – Reste des Lagers. – Briant verschwunden. – Doniphan ihm zu Hilfe. – Schwere Verwundung. – Ein Schrei von French-den her. – Auftreten Forbes‘. – Ein Kanonenschuß Moko’s.

———

So anstrengend diese Nacht ohne Schlaf auch gewesen, fiel es am nächsten Tage doch Niemand ein, nur eine Stunde Ruhe zu suchen. Es war jetzt nicht mehr zweifelhaft, daß Walston, nachdem die List mißlungen, Gewalt anwenden würde. Rock, der dem Schusse des Steuermannes entgangen war, mußte jenen wieder aufgesucht und ihm gemeldet haben, daß er, da seine Schliche entdeckt waren, nur durch Sprengung der Thüren nach French-den hinein gelangen könne.

Schon beim Morgenrothe begaben sich Evans, Briant, Doniphan und Gordon vorsichtig hinaus. Mit dem Aufgange der Sonne verdichteten sich die Morgennebel mehr und mehr und legten den See frei, den eine leichte Brise kräuselte.

Die ganze Umgebung von French-den, sowohl nach der Seite des Rio Sealand, wie nach der der Traps-woods zu, erschien völlig still. Im Innern des Geheges bewegten sich die Hausthiere wie gewöhnlich hin und her. Phann, der auf der Sport-terrace herumlief, ließ kein Zeichen von Unruhe erkennen.

Vor Allem beschäftigte sich Evans damit, zu erkennen, ob auf dem Boden Fußeindrücke zu finden seien. Wirklich zeigten sich solche in großer Menge – vorzüglich ganz nahe bei French-den. Sie kreuzten sich in den verschiedensten Richtungen und bewiesen deutlich, daß Walston und seine Begleiter bis nach dem Rio selbst vorgedrungen waren und dort auf Oeffnung der Thür des Store-room gelauert hatten.

Blutflecken bemerkte man auf dem Sande nicht – ein Beweis, daß Rock durch die Kugel des Steuermannes nicht verwundet worden sein konnte.

Hier drängte sich jedoch die Frage auf, ob Walston gleich den falschen Schiffbrüchigen vom Süden des Family-lake gekommen oder nicht vielmehr vom Norden her auf French-den zugezogen sei. In letzterem Falle mußte Rock nach den Traps-woods zu entflohen sein, um sich ihm wieder anzuschließen.

Da es von Wichtigkeit schien, diese Thatsache aufzuklären, beschloß man, Forbes zu fragen, um zu erfahren, welchen Weg Walston wohl eingeschlagen habe. Doch ob Forbes sich auch wohl herbeiließ, zu sprechen, und wenn er sprach, ob er dann auch die Wahrheit sagte? … Würden in seinem Herzen aus Dankbarkeit gegen Kate, die ihm jetzt das Leben gerettet hatte, wohl einige bessere Empfindungen erwachen? … Würde er vergessen, was es bedeutete, Diejenigen zu verrathen, die er erst um gastliche Aufnahme in French-den angesprochen hatte?

Um ihn persönlich zu befragen, kehrte Evans nach der Halle zurück, er öffnete die Thür des Seitenbehälters, in dem Forbes untergebracht worden war, löste seine Fesseln und führte ihn nach der Halle.

»Forbes, begann Evans, Dein und Rock’s listiger Anschlag hat seinen Zweck verfehlt. Mir liegt daran zu wissen, was Walston zunächst geplant, und Du mußt davon unterrichtet sein. Willst Du Antwort geben?«

Forbes hatte den Kopf gesenkt und wagte nicht, die Augen weder auf Evans noch auf Kate oder auf die Knaben zu erheben, denen der Steuermann ihn vorgeführt hatte. Er verhielt sich schweigend.

Kate versuchte zu vermitteln.

»Forbes, sagte sie, früher zeigtet Ihr eine Spur von Mitgefühl, als Ihr Eure Kameraden während des Gemetzels auf dem »Severn« abhieltet, auch mich umzubringen. Wäret Ihr jetzt nicht bereit, auch etwas zu thun, um diese Kinder vor einem noch schauderhafteren Gemetzel zu bewahren?«

Forbes gab keine Antwort.

»Forbes, fuhr Kate fort, sie haben Euch das Leben geschenkt, da Ihr den Tod verdientet! Jede menschliche Regung kann in Euch nicht erloschen sein! Nachdem Ihr so viel Böses gethan, könnt Ihr noch auf den Weg des Guten zurückkehren. Bedenkt, zu welch‘ scheußlichem Verbrechen Ihr jetzt die Hand bietet!«

Ein halberstickter Seufzer rang sich jetzt aus Forbes‘ Brust.

»Was kann ich denn dabei thun? antwortete er mit dumpfer Stimme.

– Du kannst uns mittheilen, nahm Evans wieder das Wort, was diese Nacht geschehen sollte, was später gegen uns geplant ist. Erwartetest Du Walston und die Uebrigen, welche wohl hier eindringen wollten, sobald Ihnen eine Thür geöffnet wurde? …

– Ja! … stammelte Forbes.

– Und diese Knaben, welche Dich so freundlich aufgenommen hatten, wären ermordet worden?« …

Forbes ließ den Kopf noch tiefer sinken und fand nicht die Kraft zu einer Antwort.

»So sage uns, von welcher Seite Walston und die Anderen hierher gekommen waren? fragte der Steuermann.

– Vom Norden des Sees her, erwiderte Forbes.

– Während Ihr Beide, Rock und Du, vom Süden her kamt? …

– Ja!

– Haben Sie schon im Westen die anderen Theile der Insel besucht?

– Noch nicht.

– Wo mögen sie jetzt sich aufhalten?

– Das weiß ich nicht …

– Du kannst uns nicht mehr sagen, Forbes?

– Nein … Evans .. nein! …

– Und Du denkst, daß Walston wiederkommen wird?

– Ja!«

Offenbar hatten Walston und seine Gefährten, als sie den Schuß des Steuermanns hörten und erkannten, daß ihre List durchschaut war, es für rathsam gehalten, sich in Erwartung einer günstigeren Gelegenheit seitwärts zu schlagen.

Evans, der nicht hoffen konnte, von Forbes weitere Aufklärung zu erlangen, führte diesen wieder nach seinem Gefängniß, dessen Thür von außen verschlossen wurde.

Die Lage war und blieb also immer eine höchst ernste. Wo befand sich jetzt Walston? Hielt er sich in den Traps-woods verborgen? Forbes hatte das nicht sagen können oder nicht sagen wollen. Und doch wäre es so wünschenswerth gewesen, in dieser Beziehung unterrichtet zu sein. Deshalb kam der Steuermann auf den Gedanken, in jener Richtung hin eine, wenn auch mit Gefahr verknüpfte Recognoscirung vorzunehmen.

Gegen Mittag brachte Moko dem Gefangenen etwas Nahrung. Forbes saß in sich zusammengesunken da und rührte diese kaum an. Was mochte in der Seele des Unglücklichen vorgehen? Wurde er vielleicht von Gewissensbissen gefoltert? – Wer könnte das errathen?

Nach dem Frühstück eröffnete Evans den Knaben seine Absicht, bis zum Saume der Traps-woods hinauszugehen, da es ihm gar zu sehr am Herzen lag, zu erfahren, ob die Verbrecher noch immer in der Nachbarschaft von French-den verweilten. Dieser Vorschlag wurde ohne weitere Verhandlungen angenommen, und man traf alle geeigneten Maßregeln, um sich gegen jede Eventualität zu sichern.

Gewiß zählten Walston und seine Spießgesellen seit der Gefangennahme Forbes‘ nur sechs Mann, während die kleine Colonie aus fünfzehn Knaben ohne Kate und Evans zu rechnen, bestand.

Von dieser Zahl waren aber die Kleinsten abzuziehen, welche an einem Kampfe nicht unmittelbar theilnehmen konnten. Es wurde also beschlossen, daß während des Recognoscirungszuges des Steuermanns Iverson, Jenkins, Dole und Costar mit Kate, Moko und Jacques unter der Hut Baxter’s in der Halle zurückbleiben sollten. Die Großen dagegen, nämlich Briant, Gordon, Doniphan, Croß, Service, Webb, Wilcox und Garnett, bildeten die Begleitung Evans‘. Acht Knaben gegen sechs Männer im kräftigsten Alter, das war freilich kein gleiches Verhältniß.

Zwar führte jeder derselben als Waffen Gewehr und Revolver, während Walston nur fünf vom »Severn« herrührende Flinten besaß. Unter diesen Umständen mußte also ein Fernkampf noch die besten Aussichten bieten, da Doniphan, Wilcox und Croß sehr gute Schützen und folglich den amerikanischen Matrosen überlegen waren. Dazu fehlte es ihnen nicht an Munition, wogegen Walston, wie der Steuermann gesagt hatte, sich auf nur wenige Patronen beschränkt sah.

Es war gegen zwei Uhr Nachmittags, als die kleine Truppe unter Führung Evans‘ zusammentrat. Baxter, Jacques, Moko, Kate und die Kleinen kehrten sofort nach French-den zurück, wo die Thüre zwar verschlossen, aber nicht verbarricadirt wurde, um gegebenen Falls dem Steuermann und den Anderen schnell Obdach bieten zu können.

Uebrigens war ebenso wenig vom Süden wie vom Westen her etwas zu fürchten, da Walston, um von diesen Richtungen her anzugreifen, erst nach der Sloughi-Bai und dann längs des Rio Sealand hätte hinziehen müssen, was zu viel Zeit erforderte. Nach Aussage Forbes‘ war er vielmehr am westlichen Ufer des Sees heruntergekommen und kannte jenen Theil der Insel wohl überhaupt nicht. Evans brauchte demnach keinen Rückenangriff zu fürchten, da die feindlichen Kräfte jedenfalls nur im Norden zu suchen sein konnten.

Die Knaben und der Steuermann drangen längs des Ufers am Auckland-hill möglichst behutsam vor. Jenseits des Geheges gestatteten ihnen Gesträuche und Baumgruppen den Wald zu erreichen, ohne sich allzusehr bloßzustellen.

Evans marschirte an der Spitze, nachdem er den Feuereifer Doniphan’s, der immer der Erste sein wollte, mühsam gemäßigt hatte. Als er an dem kleinen Erdhügel vorübergekommen war, der die sterblichen Ueberreste des französischen Schiffbrüchigen bedeckte, hielt es der Steuermann für angezeigt, eine schräge Richtung einzuschlagen, um sich dem Strande des Family-lake mehr zu nähern.

Phann, den Gordon vergeblich zurückzuhalten versucht hatte, schien mit aufgerichteten Ohren und die Nase am Boden etwas auszuspüren, und bald gewahrte man, daß er eine Fährte gefunden haben müsse.

»Achtung! rief Briant.

– Ja, antwortete Gordon. Das ist nicht die Fährte eines Thieres. Seht nur das seltsame Verhalten des Hundes!

– Schleichen wir unter dem Gebüsch hin, sagte Evans, und Sie, Herr Doniphan, da Sie sicher schießen, fehlen Sie ja keinen der Schurken, wenn einer sichtbar würde! Eine nützlichere Kugel werden Sie nie verschossen haben!«

Einige Augenblicke später hatten Alle die ersten Baumgruppen erreicht. Hier, am Saume der Traps-woods, fanden sich noch Spuren eines neuerlichen Lagers, halb verkohlte Zweige und kaum erkaltete Asche.

»Ganz sicherlich hat Walston an dieser Stelle die letzte Nacht verweilt, bemerkte Gordon.

– Und vielleicht war er sogar vor wenigen Stunden noch hier, antwortete Evans. Ich halte es also für richtiger, wir ziehen uns mehr nach dem Steilufer hin zurück …«

Er hatte kaum geendet, als von rechts her ein Krachen erschallte. Eine Kugel schlug, nachdem sie Briant leicht am Kopfe gestreift, in den Baum, an den er sich lehnte.

Fast zu derselben Zeit donnerte noch ein anderer Schuß, dem ein Schrei folgte, während etwa fünfzig Schritte weiterhin eine Masse schnell unter den Bäumen verschwand.

Doniphan war es gewesen, der, als Ziel den Rauch des ersten Schusses nehmend, Feuer gegeben hatte.

Da der Hund nicht stehen blieb, eilte Doniphan, von Kampfesmuth beseelt, diesem ohne zu überlegen nach.

»Vorwärts! rief Evans, wir können ihn nicht allein in’s Gedränge kommen lassen!« …

Nur wenige Minuten später hatten sie Doniphan erreicht und bildeten da einen Kreis um einen inmitten des hohen Grases ausgestreckten Körper, der kein Lebenszeichen mehr von sich gab.

»Der hier, das ist Pike! sagte Evans. Dieser Schurke hat seinen Lohn empfangen! Wenn der Teufel auf ihn Jagd macht, wird er nicht als Schneider wieder nach Hause kommen. – Wieder Einer weniger!

– Die Anderen können nicht weit von hier sein, bemerkte Garnett.

– Nur, junge Freunde, lassen wir uns nicht unnöthig sehen.

– Nieder auf die Knie! Auf die Knie!« …

Ein dritter Knall, dieses Mal von der linken Seite. Service, der den Kopf nicht niedrig genug gehalten hatte, erhielt einen Streifschuß an der Stirn.

»Bist Du verwundet? … rief Gordon auf ihn zueilend.

– O, es ist nichts, Gordon, gar nichts, antwortete Service. Höchstens eine leichte Schramme!«

Jetzt galt es, sich nicht von einander zu trennen. Nachdem Pike getödtet war, blieb nur Walston mit noch vier Leuten übrig, welche in geringer Entfernung hinter den Bäumen Aufstellung genommen haben mochten. Evans und die Seinigen bildeten, unter dem Gesträuch hingekauert, eine gedrängte Truppe, bereit sich zu vertheidigen, von welcher Seite der Angriff auch erfolgte.

Plötzlich rief Garnett:

»Wo ist denn Briant?

– Ich sehe ihn nicht mehr!« antwortete Wilcox.

In der That war Briant verschwunden, und da sich das Gebell Phanns jetzt nur mit erneuerter Heftigkeit hören ließ, war zu fürchten, daß der unerschrockene Knabe mit einigen Leuten der Bande in’s Handgemenge gekommen sei.

»Briant! … Briant!« rief Doniphan.

Alle folgten, vielleicht unbewußt, den Spuren Phanns nach. Evans hatte sie nicht zurückhalten können. Sie schlüpften von Baum zu Baum und gewannen so immer mehr an Terrain.

»Vorsehen, Master, vorsehen!« rief plötzlich Croß, der sich schnell zur Erde niederwarf.

Instinctiv senkte der Steuermann den Kopf, gerade als eine Kugel nur wenige Zoll über ihn hinpfiff.

Als er sich gleich wieder aufrichtete, bemerkte er einen der Spießgesellen Walston’s, der durch das Gehölz flüchtete.

Er erkannte Rock, der ihm die Nacht vorher entkommen war.

»Das für Dich, Rock!« rief er.

Er gab Feuer und Rock verschwand, als ob die Erde sich unter ihm aufgethan hätte.

»Sollt‘ ich ihn nochmals gefehlt haben? … rief Evans. Alle Wetter, das wäre Pech!«

Alles das geschah binnen wenigen Secunden. Plötzlich erschallte das Gebell des Hundes ganz in der Nähe und gleich darauf hörte man die Stimme Doniphan’s.

»Fest halten, Briant, halt aus!« rief er.

Evans und die Anderen sprangen nach der betreffenden Seite hin, und zwanzig Schritte weiter sahen sie Briant im Kampfe mit Cope.

Der Elende hatte den Knaben schon zu Boden geworfen und wollte ihm eben das Messer ins Herz bohren, als Doniphan, der zur rechten Zeit dazu kam, um den Stoß abzulenken, sich auf Cope warf, ohne vorher Gelegenheit gehabt zu haben, seinen Revolver zu ziehen.

Jetzt traf ihn das Messer des Schurken mitten in die Brust … er fiel zusammen, ohne nur einen Laut von sich zu geben.

Cope, welcher bemerkte, daß Evans, Garnett und Webb ihm den Rückzug abzuschneiden versuchten, ergriff nach Norden zu die Flucht. Mehrere Schüsse wurden ihm gleichzeitig nachgesendet. Er verschwand jedoch und Phann kam zurück, ohne Jenen eingeholt zu haben.

Kaum hatte er sich erhoben, da trat Briant an Doniphan heran, unterstützte den Kopf des Verwundeten und bemühte sich, diesen wieder zu beleben.

Evans und die Anderen waren ebenfalls hinzugekommen, nachdem sie ihre Gewehre eiligst wieder geladen hatten.

Der Kampf verlief anfänglich entschieden zum Nachtheile Walston’s, da Pike getödtet und Cope und Rock mindestens außer Gefecht gesetzt waren.

Leider war freilich Doniphan in die Brust, und wie es schien, tödtlich getroffen worden. Die Augen geschlossen, das Gesicht weiß wie Wachs, machte er nicht die geringste Bewegung und hörte nicht einmal, daß Briant seinen Namen rief.

Inzwischen hatte sich Evans über den Körper des Knaben gebeugt, hatte dessen Weste aufgeknöpft und das von Blut getränkte Hemd aufgerissen. Aus einer schmalen dreieckigen Wunde in der Höhe der vierten Rippe an der linken Seite sickerte noch immer Blut. Daß die Spitze des Messers das Herz nicht getroffen haben konnte, ergab sich schon daraus, daß Doniphan noch athmete. Wohl war dagegen zu befürchten, daß die Lunge verletzt sei, denn die Athmung des Verwundeten ging nur sehr schwach vor sich.

»Wir wollen ihn nach French-den schaffen, sagte Gordon; nur dort allein vermögen wir ihn zu pflegen …

– Und zu retten! rief Briant. Ach, mein armer Kamerad! … Für mich, für mich, hast Du Dein Leben auf’s Spiel gesetzt!»

Evans billigte den Vorschlag, Doniphan nach French-den zurückzubringen, um so mehr, als jetzt ein Stillstand des Gefechts eingetreten schien. Wahrscheinlich hatte es Walston angesichts der ungünstigen Wendung der Dinge vorgezogen, sich nach den Tiefen der Traps-woods zu flüchten.

Am meisten beunruhigte es Evans, daß er weder Walston selbst, noch Brandt oder Book, vielleicht die gefährlichsten Mitglieder der Bande, gesehen hatte.

Der Zustand Doniphan’s erforderte, diesen ohne Erschütterung fortzuschaffen. Baxter und Service beeilten sich also, eine Tragbahre aus Aesten und Zweigen herzustellen, auf welche der arme Verwundete gelegt wurde, ohne daß er wieder zum Bewußtsein gekommen wäre. Dann hoben vier seiner Kameraden ihn sorgsam auf, während die Anderen ihn, das Gewehr schußfertig und den Revolver in der Hand, umringten.

Der traurige Zug wandte sich dem Fuße des Auckland-hill zu, was rathsamer schien als der Weg am Seeufer hin. Längs des Steilufers brauchten sie ihre Aufmerksamkeit nur nach links und nach rückwärts zu richten. Nichts störte jedoch den stillen Zug. Zuweilen nur entrang sich Doniphan ein schmerzlicher Seufzer, so daß Gordon anhalten ließ, um die Athemzüge des Verwundeten zu beobachten, und dann ging es wieder langsam vorwärts.

Drei Viertel des Weges wurden in dieser Weise zurückgelegt; jetzt waren nur noch acht- bis neunhundert Schritte zu machen, um French-den zu erreichen, dessen hinter einem Vorsprunge des Steilufers verborgene Thüre man noch nicht sehen konnte.

Plötzlich ertönten Rufe von der Seite des Rio Sealand. Phann sprang in dieser Richtung davon.

Offenbar war French-den von Walston und seinen beiden anderen Spießgesellen angegriffen worden.

In der That war hier, wie sich später herausstellte, Folgendes vorgegangen:

Während Rock, Cope und Pike unter dem Schutze der Bäume der Traps-woods die kleine Truppe des Steuermanns beschäftigten, waren Walston, Brandt und Book, in dem ausgetrockneten Bette des Dike-cree vordringend, nach der Höhe des Auckland-hill gelangt. Nachdem sie schnell das Hochplateau desselben überschritten, kletterten sie in der Schlucht herunter, welche am Ufergelände des Rio unfern vom Eingange zum Store-room ausmündete. Einmal hier angelangt, hatten sie die jetzt nicht verbarricadirte Thüre eingestoßen und waren in French-den selbst eingedrungen.

Sollte Evans nun noch zeitig genug dazu kommen, um das drohende Unheil abzuwenden?

Des Steuermanns Entschluß war schnell gefaßt. Während Croß, Webb und Garnett bei Doniphan blieben, den man nicht allein lassen durfte, eilten Gordon, Briant, Service, Wilcox und er selbst auf kürzestem Wege nach French-den hin. Wenige Minuten später und als sie die Sport-terrace übersehen konnten, hatten sie einen Anblick, der ihnen jede Hoffnung zu rauben schien.

Eben jetzt trat Walston aus der Thüre der Halle und hielt ein Kind, das er nach dem Rio schleppte.

Dieses Kind war Jacques. Vergebens hatte Kate, die Walston nachstürzte, es diesem zu entreißen gesucht.

Gleich darauf erschien auch der zweite Begleiter Walston’s, Brandt, der den kleinen Costar gepackt hatte, und ihn in der nämlichen Richtung hinzog.

Baxter warf sich zwar auf Brandt, doch von einem wuchtigen Stoße getroffen, rollte er zur Erde.

Die übrigen Kinder, Dole, Jenkins und Iverson, waren ebensowenig wie Moko zu erblicken. Sollten sie vielleicht schon innerhalb French-dens umgekommen sein?

Walston und Brandt näherten sich inzwischen rasch dem Rio. Hatten sie eine Möglichkeit, denselben anders als schwimmend zu überschreiten? Ja, Book war da, und zwar in der Jolle, die er aus dem Store-room hierher geschafft hatte.

Einmal erst auf dem linken Ufer, waren sie gegen jeden Angriff gesichert. Ehe man ihnen hätte den Weg verlegen können, mußten sie, mit Jacques und Costar als Geiseln in ihren Händen, das Lager beim Bear-rock schon erreicht haben.

Evans, Briant, Gordon, Croß und Wilcox liefen also, was sie die Füße tragen konnten, um nach der Sport-terrace zu gelangen, ehe Walston, Book und Brandt sich jenseits des Flusses in Sicherheit gebracht hätten. Hätten sie jetzt auf die Schurken feuern wollen, so würden sie Costar und Jacques gleichzeitig gefährdet haben.

Noch war Phann jedoch da. Mit einem furchtbaren Sprunge packte er Brandt an der Kehle. Dieser mußte, um zur Abwehr des Hundes freie Hand zu behalten, Costar loslassen, während Walston sich beeilte, Jacques nach der Jolle zu zerren.

Plötzlich stürmte noch ein Mann aus der Halle.

Das war Forbes.

Wollte er sich seinen früheren Spießgesellen wieder anschließen, nachdem er die Kammerthüre gesprengt hatte? – Walston bezweifelte das nicht.

»Hierher, Forbes! … Komm! … Komm!« … rief er.

Evans war stehen geblieben; er wollte schon Feuer geben, als er Forbes sich auf Walston stürzen sah.

Verdutzt über diesen Angriff, dessen er sich nimmermehr versehen hatte, mußte er jetzt Jacques ebenfalls freigeben, und sich umwendend, stieß er mit dem Messer nach dem neuen Feinde!

Forbes sank zu Walston’s Füßen nieder.

Das ging Alles so blitzschnell von statten, daß Evans, Briant, Gordon, Service und Wilcox sich noch etwa hundert Schritte von der Sport-terrace entfernt befanden.

Walston wollte Jacques wieder ergreifen, um ihn bis in die Jolle zu schleppen, wo Book ihn mit Brandt, der sich mit Mühe von dem Hunde befreit hatte, zum Abstoßen fertig erwartete.

Er gewann nicht die Zeit dazu, denn Jacques, der auch einen Revolver bei sich hatte, schoß ihm diesen mitten auf die Brust ab. Kaum behielt der schwer verwundete Walston Kraft genug, zu seinen beiden Gefährten hinunter zu wanken, die ihn mit den Armen auffingen, ihn niedersetzten und die Jolle kräftig abstießen.

In diesem Augenblicke krachte es wie ein heftiger Donnerschlag. Ein Hagel von Bleikugeln schlug in das Wasser des Flusses.

Dieser kam von dem kleinen Geschütze, das der Schiffsjunge durch die Schießscharte des Store-room abgefeuert hatte.

Mit Ausnahme der beiden Elenden, welche unter dem Baumdickicht der Traps-woods verschwanden, war die Insel jetzt gesäubert von den Mordgesellen des »Severn«, welche durch die Strömung des Rio Sealand nach dem Meere hinab getragen wurden.

I.

I.

Briant besorgt wegen Jacques‘. – Errichtung der Einhegung und des Viehhofes – Ahornzucker. – Vernichtung der Füchse. – Neuer Ausflug nach der Sloughi-Bai. – Der bespannte Wagen. – Der Robbenschlag. – Das Weihnachtsfest. – Ein Hurrah für Briant.

———

In French-den, war während Gordon’s Fernsein alles nach Wunsch verlaufen. Das Haupt der kleinen Colonie konnte Briant, dem die Kleinen eine herzliche Zuneigung entgegenbrachten, nur das beste Lob ertheilen. Ohne seinen hochfahrenden und eifersüchtigen Charakter hätte gewiß auch Doniphan die vorzüglichen Eigenschaften seines Kameraden ihrem wahren Werthe nach anerkennen müssen; das that er indeß niemals, und infolge des Uebergewichtes, das er gegen Wilcox, Webb und Croß besaß, unterstützten ihn diese stets gerne, wenn es galt, dem jungen Franzosen, der sich nach Auftreten und Charakter nun einmal von seinen angelsächsischen Genossen unterschied, Widerpart zu halten.

Briant legte darauf übrigens kein Gewicht. Er that, was er für seine Pflicht hielt, ohne sich darum zu bekümmern, was deshalb Andere von ihm dächten. Die größte Sorge bereitete ihm nur das ganz unerklärliche Verhalten seines Bruders.

Trotz der Fragen, mit dem Briant ihm zusetzte, hatte er von Jacques immer nur die Antwort erhalten: »Nein … Bruder … mir fehlt nichts!

– Du willst nur nicht sprechen, Jacques! sagte er darauf. Du thust aber Unrecht; es würde für Dich selbst wie für mich eine Erleichterung sein … Ich merke recht wohl, daß Du immer trauriger, immer düsterer, verschlossener wirst … Lass‘ Dir zureden; sieh, ich bin Dein älterer Bruder, ich habe ein Recht darauf, die Ursache Deines Kummers zu erfahren! … Was hast Du Dir vorzuwerfen? …

– Ach, Briant … hatte Jacques endlich geantwortet, als könnte er seine geheimen Gewissensbisse nicht länger überwinden … was ich gethan habe? … Du, Du vielleicht würdest mir’s verzeihen, aber die Anderen …

– Die Anderen? … die Anderen? … rief da Briant. Was willst Du damit sagen, Jacques?«

Die Augen des Kindes hatten sich mit Thränen gefüllt; doch trotz des Drängens seines Bruders stieß er schluchzend nur noch die Worte hervor:

»Später sollst Du es erfahren … später!«

Briant’s Besorgniß konnte auf eine solche Antwort begreiflicherweise nur zunehmen. Was mochte denn Jacques von früher her so sehr bedrücken? Das wollte er um jeden Preis wissen. Sobald Gordon zurückkam, sprach er diesem von dem halben Geständnisse seines Bruders mit der Bitte, seinen Einfluß bei diesem geltend zu machen.

»Wozu sollte das nützen? antwortete ihm Gordon. Besser scheint mir, wir lassen Jacques nach eigener Eingebung handeln. Und was er begangen hat? … Gewiß eine Kleinigkeit, deren Bedeutung er übertreibt … Warten wir ruhig, bis er sich freiwillig näher erklärt.«

Vom nächsten Tage, dem 9. November, an gingen die jungen Colonisten wieder an die Arbeit, woran es nicht mangelte. Zunächst verlangten die Ansprüche Moko’s, dessen Vorräthe bedenkliche Lücken zeigten, baldige Berücksichtigung, obwohl die Dohnen und Schlingen in der Umgebung von French-den dann und wann Ausbeute geliefert hatten. In der Hauptsache fehlte es an größerem eßbaren Wilde. Das machte es denn nöthig, Fallen von solcher Stärke herzustellen, daß peruanische Schafe, Bisamschweine und Guaculis sich darin fangen konnten, ohne einen Schuß Pulver und Blei zu kosten.

Den Arbeiten dieser Art widmeten die Großen den ganzen Monat November, d. h. den Monat Mai der nördlichen Halbkugel.

Seit ihrer Hierherführung waren das Guanako, das Vigogne- (peruanische) Schaf und dessen beide Lämmer unter den nächsten Bäumen von French-den untergebracht worden, wo ihnen lange Stricke erlaubten, sich über einen gewissen Kreis hin frei zu bewegen. Das mochte wohl während der langen Tage so hingehen, vor Eintritt der Winterszeit mußte aber für ein verläßliches Obdach gesorgt werden. Gordon beschloß also, dicht am Auckland-Hill, an der Seite des Sees und ein wenig jenseits der Thüre der Halle, einen Stall und eine Einfriedigung herstellen zu lassen.

Alle gingen ans Werk, und unter der Leitung Baxter’s entstand bald ein vollständiger Zimmerplatz. Es war eine Freude, die eifrigen Knaben mehr oder minder geschickt die Werkzeuge handhaben zu sehen, welche sie in dem Kasten des Tischlers vom Schooner gefunden hatten. Hier mühten sich die Einen mit der Säge, dort die Anderen mit Axt oder mit Hohlmeißel ab. Die Sache einmal falsch angefaßt zu haben, das konnte sie nicht abschrecken. Tief unten abgeschnittene und sorgsam entästete Bäume lieferten den Bedarf an dicken Pfählen, welche zur Abschließung eines Raumes nöthig waren, der genügenden Platz bot, um ein Dutzend verschiedener Thiere bequem aufzunehmen. Diese fest in den Boden gerammten und durch Querhölzer verbundenen Stämme leisteten gewiß allen wilden Thieren Widerstand, wenn solche dieselben stürmen oder überspringen wollten, der Stall oder Schuppen wurde aus Theilen der Schanzkleidung des »Sloughi« errichtet, was den jungen Zimmerleuten die unter den vorliegenden Umständen sicherlich sehr mühsame Arbeit ersparte, die Baumstämme zu Planken zu zerschneiden. Das Dach desselben wurde sodann mit dichten, getheerten Pfortsegeln abgedeckt, um gegen Wind und Wetter Schutz zu gewähren. Ein gutes, dickes Streulager, das häufig erneuert werden sollte, frisches Futter, als Gras, Moose und Laub, wovon große Vorräthe herbeigeschafft werden sollten, mehr bedurfte es ja nicht, um die Hausthiere in gutem Zustande zu erhalten. Garnett und Service, welche eigens die Besorgung der Einfriedigung und der Bewohner derselben übernommen hatten, sahen ihre Mühe bald dadurch belohnt, daß das Guanako und das Vigogne-Schaf von Tag zu Tag zutraulicher und zahmer wurden.

Die Einfriedigung erhielt noch obendrein bald neue Gäste. Zuerst hatte sich in einer der Fallgruben im Walde noch ein zweites Guanako fangen lassen, und dann folgten noch ein Paar Vigogne-Schafe, männlichen und weiblichen Geschlechtes, deren sich Baxter mit Hilfe Wilcox‘ bemächtigte, welcher auch selbst im Werfen der Bolas eine vorzügliche Geschicklichkeit erlangt hatte. Selbst einen Nandu stellte Phann im vollen Laufe; man überzeugte sich jedoch, daß mit diesem ebensowenig anzufangen war, wie mit dem ersten. Trotz guten Willens vermochte Service, der sich’s nun einmal in den Kopf gesetzt hatte, nicht, dem Stelzvogel etwas Verstand beizubringen.

Es versteht sich von selbst, daß das Guanako und die Vigogne-Schafe bis zur Vollendung des Stalles jeden Abend im Store-room in Sicherheit gebracht wurden. Das Geschrei von Schakals, das Kläffen von Füchsen und das Geheul von Raubthieren ertönte oft zu nahe bei French-den, als daß es klug gewesen wäre, jene Thiere im Freien zu lassen.

Während sich Garnett und Service nun ausschließlicher der Pflege des kleinen Thierbestandes widmeten, unterließen es Wilcox und einige seiner Kameraden nicht, die Schlingen und Dohnen in Stand zu erhalten, welche täglich nachgesehen wurden. Außerdem gab es auch noch Arbeit für die beiden Kleinsten, Iverson und Jenkins. Die Trappen, Fasanen, Perlhühner und Tinamus bedurften eines besonderen Hühnerhofes, den Gordon in der einen Ecke der Einhegung herstellen ließ, und den beiden Kindern fiel es zu, denselben zu besorgen, was sie auch mit großem Eifer ausführten.

Moko hatte, wie man sieht, jetzt nicht nur Milch von den Vigogne-Schafen, sondern auch Eier vom Federvieh zur Verfügung. Gewiß hätte er nun häufiger eine süße Zwischenspeise zubereitet, wenn Gordon nicht so sehr darauf hielt, den Zucker zu schonen. Nur an Sonn- und Festtagen sah man deshalb auf der Tafel eine Extraschüssel erscheinen, an der sich Dole und Costar weidlich gütlich thaten.

Doch wenn es unmöglich war, Zucker zu erzeugen, konnte man nicht vielleicht ein Ersatzmittel desselben finden? Seine Robinsons immer bei der Hand, behauptete Service hartnäckig, man müsse danach nur ordentlich suchen. Gordon that das auch und entdeckte am Ende unter den Dickichten der Traps-woods eine Gruppe Bäume, welche sich drei Monate später, in den ersten Herbsttagen, mit prächtigem, purpurrothem Laube schmücken sollten.

»Das sind Ahornbäume, rief er, zuckerliefernde Bäume!

– Wie, Bäume aus Zucker? fragte Costar, dem schon das Wasser im Munde zusammenlief.

– Nein, kleines Leckermaul, antwortete Gordon. Ich sagte nur: zuckerliefernde Bäume. Zieh‘ nur die Zunge wieder ein!«

Das war eine der wichtigsten Entdeckungen, welche die jungen Colonisten seit ihrer Niederlassung in French-den gemacht hatten. Durch einen Einschnitt in den Stamm dieser Ahornbäume erhielt Gordon einen ziemlich concentrirten Saft, der durch weitere Verdunstung einen zuckerreichen Körper lieferte. Obwohl dem rein süßen Erzeugnisse aus dem Zuckerrohre und der Runkelrübe nicht ebenbürtig, erwies sich dieser Stoff für die Bedürfnisse der Küche doch nicht minder schätzbar und jedenfalls besser als die ähnlichen Erzeugnisse, welche man zur Frühlingszeit aus dem Birkensafte gewinnt.

Besaß man nun Zucker, so mußte man auch bald Liqueur haben. Nach Gordon’s Anweisung versuchte Moko die Trulca- und Algarrobekörner in Gährung zu versetzen. Nachdem sie zuerst in einer Kufe mittels einer großen hölzernen Keule zerstampft waren, lieferten diese Körner eine alkoholhaltige Flüssigkeit, welche, beim Mangel eigentlichen Ahornzuckers, genügte, die warmen Getränke abzusüßen. Was die von dem Theebaume gepflückten Blätter betraf, so zeigte es sich, daß diese fast der duftigen chinesischen Pflanze gleichkamen. Bei jedem Ausfluge in den Wald versäumten die Knaben auch niemals, davon mehr als ausreichende Vorräthe mit heimzunehmen.

Kurz, die Insel Chairman bot ihren Bewohnern, wenn auch nichts Ueberflüssiges, jedenfalls das Notwendigste. Es fehlte höchstens – und das war ja bedauerlich – an frischem Gemüse. Man mußte sich also mit dem conservirten Gemüse zufrieden geben, von dem einige hundert Büchsen vorhanden waren, welche Gordon trotzdem möglichst schonte. Briant hatte zwar versucht, die in wilden Zustand zurück gefallenen Ignamen anzubauen, von denen der französische Schiffbrüchige einige Knollen am Fuße der Uferhöhe gesteckt hatte, doch das erwies sich vergeblich. Zum Glücke wucherte, wie sich der Leser erinnern wird, der Sellerie sehr üppig neben den Ufern des Family-lake, und da man mit diesem nicht haushälterisch umzugehen brauchte, ersetzte er recht gut das frische Gemüse.

Selbstverständlich waren die Luftnetze, welche man während des Winters am linken Ufer des Rio ausgespannt hatte, mit Wiedereintritt der schöneren Jahreszeit zu Jagdnetzen umgewandelt worden. Man fing darin außer niederem Geflügel, kleinen Rebhühnern, auch einige Exemplare von Gänsearten, welche unzweifelhaft von den seewärts gelegenen Ländern herkamen.

Doniphan seinerseits hätte gerne einmal die weiten Gebiete der South-moors an der anderen Seite des Rio Sealand untersucht. Es wäre aber gefährlich gewesen, sich in diese Sümpfe zu wagen, welche die Gewässer des Sees zum großen Theile, vermischt mit Seewasser von der Fluth her, bedeckten.

Wilcox und Webb fingen gleichzeitig eine große Anzahl Agutis (Meerschweinchenart), welche etwa so groß wie Hasen sind und deren weißliches, etwas trockenes Fleisch zwischen dem des Kaninchen und des wilden Schweines die Mitte hält. Gewiß wäre es schwierig gewesen, sich dieser flüchtigen Nagethiere, selbst mit Hilfe Phanns, im Laufe zu bemächtigen. Befinden sie sich dagegen in ihrem Bau, so genügt es, nur leise zu pfeifen, und wenn sie an den Eingang desselben kommen, sie wegzufangen. Zu wiederholten Malen brachten die jungen Jäger auch Stinkthiere und Vielfraße, sowie sogenannte peruanische Stinkthiere mit heim, welche mit ihrem schönen schwarzen, weißgestreiften Felle ungefähr den Mardern gleichen, aber einen wahrhaft abscheulichen Geruch um sich verbreiten.

»Wie können sie nur einen solchen Gestank aushalten? fragte eines Tages Iverson.

– Hm, das ist Sache der Gewohnheit,« meinte Service.

Wenn der Rio seine Ausbeute an Galaxias lieferte, so fischte man aus dem mit größeren Arten bevölkerten Family-lake unter Anderem schön aussehende Forellen, welche aber trotz des Abkochens ihren etwas brakigen Geschmack nicht verloren. Daneben hatte man alle Tage Gelegenheit, zwischen den Tangen und Algen der Sloughi-Bai Stockfische zu fangen, welche hier zu ungezählten Tausenden vorkamen. Und wenn dann die Zeit herangekommen sein würde, wo die Lachse wieder in den Rio Sealand aufzusteigen begannen, wollte Moko sich mit diesen prächtigen Fischen versorgen, welche, im Salz aufbewahrt, für den Winter eine vortreffliche Nahrung zu bieten versprachen.

In dieser Zeit war es auch, wo Baxter auf Anrathen Gordon’s sich damit beschäftigte, aus elastischen Eschenzweigen Bögen und aus Rohr Pfeile anzufertigen, deren Spitze mit einem Nagel versehen wurde, um Wilcox und Croß – nach Doniphan die geschicktesten Jäger – in die Lage zu versetzen, von Zeit zu Zeit etwas eßbares Wild zu erlegen.

Wenn sich Gordon auch gewöhnlich dem Gebrauche von Munition widersetzte, so kam doch einmal eine Gelegenheit, wo er von seiner strengen Sparsamkeit Abstand nehmen mußte.

Eines Tages – es war am 7. December – nahm ihn nämlich Doniphan an die Seite und sagte:

»Gordon, wir werden hier von Schakals und Füchsen belagert. Während der Nacht kommen sie in großen Heerden, zerstören unsere Schlingen und rauben das darin etwa gefangene Wild … Dem müssen wir ein- für allemal ein Ende machen.

– Könnten wir nicht Fallen aufstellen? antwortete Gordon, der wohl einsah, wo sein Kamerad hinauswollte.

– Fallen? … erwiderte Doniphan, der vor diesen volksthümlichen Jagdgeräthen noch immer die frühere Mißachtung bewahrte. Fallen? … Das möchte noch angehen, wenn es sich nur um Schakals handelte, welche dumm genug sind, sich zuweilen in solchen fangen zu lassen. Mit Füchsen liegt die Sache aber anders. Diese Bestien sind zu schlau und halten trotz aller Vorsichtsmaßregeln unseres Wilcox die Nase davon fern. In der einen oder der anderen Nacht wird unsere Anpflanzung verwüstet werden und vom Geflügel im Hühnerhofe nichts mehr übrig sein! …

– Nun, wenn es nicht anders geht, antwortete Gordon, so bewillige ich einige Dutzend Patronen; doch achte jedenfalls darauf, nur wirksame Schüsse abzugeben!

– Gut, Gordon, darauf darfst Du Dich verlassen! In der nächsten Nacht werden wir uns den Thieren in den Weg legen und ein solches Blutvergießen unter ihnen anrichten, daß sie sich lange Zeit nicht mehr werden sehen lassen.«

Die Vernichtung der Füchse schien wirklich dringlich, denn diejenigen aus dem Süden Amerikas sind, wie es scheint, noch listiger als ihre Stammverwandten in Europa. In der Umgebung der Haciendas richten sie fortwährend empfindliche Verwüstungen an und verfahren dabei so schlau, selbst die Lederriemen erst abzubeißen, mit denen Pferde oder andere Thiere auf den Weideplätzen angebunden sind.

Mit Einbruch der Nacht nahmen Doniphan, Briant, Baxter, Wilcox, Webb, Croß und Service Stellung in der Nähe eines »Covert« – der im Vereinigten Königreiche gebräuchliche Name für ausgedehntere, mit Gesträuch und Gebüsch bedeckte Bodenflächen. Der betreffende Covert lag nahe den Traps-woods an der Seite des Sees.

Phann hatten die jungen Jäger absichtlich nicht mitgenommen, da er sie mehr geschädigt hätte, wenn er die Füchse aufmerksam machte. Um Aufspürung einer Fährte handelte es sich hier aber nicht. Selbst wenn er von schnellerem Laufe erhitzt ist, läßt der Fuchs nichts von seinem eigenthümlichen Geruche zurück, oder seine Ausdünstungen sind wenigstens so leichter Art, daß auch die besten Hunde diese nicht erkennen können.

Es war um elf Uhr, als Doniphan und seine Kameraden sich zwischen dem Dickichte wilder Brombeergesträuche, welche den Covert umgaben, auf die Lauer legten.

Die Nacht war sehr dunkel.

Ein tiefes Schweigen, das nicht einmal der leiseste Windhauch störte, gestattete, das Herannahen der Füchse auf dem trockenen Grase zu hören.

Kurz nach Mitternacht meldete Doniphan die Annäherung einer Bande dieser Thiere, welche über den Covert trabten, um im See ihren Durst zu löschen.

Die Jäger warteten mit einiger Ungeduld, bis deren gegen zwanzig zusammen waren, was einige Zeit in Anspruch nahm, da jene nur mit größter Vorsicht weiter gingen, als hätten sie schon irgend eine Gefahr gewittert. Plötzlich donnerten auf Doniphan’s Signal mehrere Flintenschüsse durch die Nacht. Alle trafen ihr Ziel. Fünf bis sechs Füchse wälzten sich auf der Erde, während die meisten der anderen, welche in der Verwirrung nach rechts und nach links auszuweichen suchten, tödtlich verletzt waren.

Bei Tagesanbruch fand man gegen zehn dieser Thiere im hohen Grase des Covert liegen. Und da sich dieses Gemetzel während der folgenden drei Nächte wiederholte, sah sich die kleine Colonie bald von den gefährlichen Besuchern befreit, welche die Insassen der Einfriedigung in große Gefahr brachten. Uebrigens lieferten diese nächtlichen Jagden auch noch gegen fünfzig silbergraue Felle, welche, entweder als Teppiche oder als Kleidungsstücke verwendet, in French-den manche Annehmlichkeiten und Vortheile gewährten.

Am 15. December fand die große Expedition nach der Sloughi-Bai statt. Da das Wetter sehr schön war, erklärte Gordon, daß die ganze Gesellschaft daran Theil nehmen solle, was von den Kleinsten mit hellem Freudengeschrei aufgenommen wurde.

Höchst wahrscheinlich konnte die Gesellschaft, wenn sie frühzeitig aufbrach, noch vor der Nacht wieder zurückgekehrt sein. Sollte indeß eine Verzögerung eintreten, so wollten sie einfach unter den Bäumen übernachten.

Diese Expedition verfolgte als Hauptzweck eine Jagd auf Robben, welche in der wärmeren Jahreszeit das Uferland der Wrack-coast in ungeheurer Menge besuchten. Es fing nämlich das während der Abende und Nächte des langen Winters vielgebrauchte Leuchtmaterial wirklich an, zu fehlen. Von dem Vorrathe an Kerzen, die der französische Schiffbrüchige hergestellt hatte, waren kaum noch zwei bis drei Dutzend übrig. Das Oel aber, welches sich in den Fässern auf dem »Sloughi« vorgefunden und das zur Speisung der Laternen diente, war auch schon zum größten Theile verbraucht, was den vorsorglichen Gordon nicht wenig beunruhigte.

Gewiß hatte Moko eine nicht unbeträchtliche Menge des Fettes aufgesammelt, welches das Wild, Nagethiere, Wiederkäuer und Geflügel etc., lieferte; doch lag es nur zu sehr auf der Hand, daß dasselbe durch den Tagesbedarf schnell genug erschöpft würde. War es nun gar nicht möglich, dasselbe durch einen Körper zu ersetzen, den die Natur ganz oder doch fast fertig zum Gebrauche vorbereitet hatte? Konnte sich die kleine Colonie nicht wegen Mangels an pflanzlichen Oelen einen sozusagen unerschöpflichen Stock an thierischen Oelen verschaffen?

Ja, gewiß; wenn es den Jägern nur gelang, eine Anzahl jener Robben, jener Pelz-Otarien zu erlegen, die sich während der warmen Jahreszeit auf den Klippen der Sloughi-Bai einfanden. Man mußte sich aber beeilen, denn diese Amphibien zögerten gewiß nicht länger, sich nach den südlichen Gebieten des antarktischen Meeres zurückzuziehen.

Die geplante Expedition war also von hoher Wichtigkeit, und die Vorbereitungen dazu wurden auch so getroffen, daß sie gute Erfolge versprach.

Seit einiger Zeit schon hatten Service und Garnett es sich angelegen sein lassen, die beiden Guanakos zu Zugthieren abzurichten. Baxter hatte für dieselben Halfter von trockenem Grase und mit Leinwand überzogen angefertigt, und wenn man jene bis jetzt auch noch nicht ritt, so war es doch vielleicht möglich, sie vor den Wagen zu spannen, gewiß ein Vorzug gegenüber der Notwendigkeit, sich sonst selbst vorzuspannen.

So wurde der Wagen also mit Schießbedarf, Mundvorrath und verschiedenen Geräthen beladen, darunter eine große Mulde und ein halbes Dutzend leere Fässer, welche mit Robbenöl gefüllt werden sollten. Es empfahl sich ja, die Thiere an Ort und Stelle auszuweiden, statt sie erst nach French-den zu schaffen, wo die Luft von ihnen mit ungesunden Dünsten geschwängert worden wäre.

Der Aufbruch erfolgte mit Aufgang der Sonne, und während der ersten beiden Stunden kam man ohne Schwierigkeit vorwärts. Wenn der Wagen nicht allzuschnell dahinrollte, so lag das an dem ziemlich unebenen Boden des rechten Ufers am Rio Sealand, welches für Zugthiere, also hier für die Guanakos, nicht besonders geeignet war. Eigentlich beschwerlich wurde die Sache jedoch erst, als die kleine Gesellschaft um das Schlammloch der Bog-woods und zwischen den Bäumen des Waldes hinwanderte. Die kleinen Beine Costar’s und Dole’s wußten davon ein Liedchen zu singen. Gordon mußte ihnen auch auf Ansuchen Briant’s gestatten, auf dem Wagen Platz zu nehmen, um ausruhen zu können, ohne zurückzubleiben.

Gegen acht Uhr, als das Gespann längs der Grenze des Schlammloches nur mühsam vorwärts kam, lockten die Rufe Webb’s und Croß‘, welche etwas vorausgingen, erst Doniphan und dann auch die Anderen herbei.

Inmitten des Morastes der Bog-woods und in der Entfernung von etwa hundert Schritten wälzte sich schwerfällig ein ungeheures Thier umher, das die jungen Jäger sofort erkannten. Es war ein feister, röthlich gefärbter Hippopotamus, der, zum Glücke für ihn selbst, unter dem dichten Laubwerke des Sumpfes verschwand, ehe es möglich gewesen wäre, auf denselben zu schießen. Doch wozu hätte auch ein solch‘ völlig nutzloser Flintenschuß dienen können?

»Was ist denn das, das große Thier da? fragte Dole, der schon durch das Erblicken desselben ganz ängstlich geworden war.

– Das ist ein Hippopotamus, belehrte ihn Gordon.

– Hippopotamus? … Was für ein drolliger Name!

– Nun, in unserer Sprache würde es »Flußpferd« lauten, erklärte Briant.

– Das sieht ja einem Pferde aber gar nicht ähnlich, bemerkte Costar ganz richtig.

– Nein, rief Service, meiner Ansicht nach hätte man den Dickhäuter lieber Porkopotamus (Flußschwein) nennen sollen.«

Diese Aeußerung erschien sehr treffend und erregte ein lautes Gelächter der Kleinen.

Es war ein wenig über zehn Uhr Vormittags als Gordon das Vorland der Sloughi-Bai betrat. Hier machte man neben dem Rio Halt, an derselben Stelle, wo sich nach Zerlegung der Yacht der erste Lagerplatz befunden hatte. Etwa hundert Robben spielten hier auf den Klippen oder wärmten sich im Sonnenschein, andere tummelten sich sogar auf dem Sande selbst, also außerhalb des Klippengürtels umher.

Diese Amphibien mußten mit der Anwesenheit von Menschen nur wenig vertraut sein. Vielleicht hatten sie noch nie ein menschliches Wesen gesehen, da der französische Schiffbrüchige doch mindestens schon seit zwanzig Jahren todt war. Daher kam es wohl, daß die ältesten Thiere der großen Schaar nicht auf drohende Gefahren aufpaßten, welche Vorsichtsmaßregel sonst bei allen, welche in den arktischen oder antarktischen Gebieten erlegt werden, ganz gewöhnlich ist. Immerhin mußte man sich hüten, sie vorzeitig zu erschrecken, denn sie würden dann schnell genug den Platz verlassen haben.

Zuerst aber hatten die jungen Kolonisten, als die Sloughi-Bai wieder vor ihnen auftauchte, die Blicke hinausgerichtet nach dem Horizonte, der sich zwischen dem Amerikan-cape und dem False-sea-point so weit vor ihnen ausdehnte.

Das Meer war völlig verlassen; noch einmal erkannte man, daß diese Gegend ganz abseits von den besuchten Seewegen liegen mußte.

Dennoch konnte es wohl vorkommen, daß ein Schiff in Sicht der Insel vorübersegelte. Für diesen Fall wäre ein Beobachtungsposten auf dem Gipfel des Auckland-hill oder selbst oben auf der Höhe des False-sea-point, wohin eine Signalkanone vom Schooner gebracht werden konnte, entschieden vortheilhafter gewesen als der Mast, um die Aufmerksamkeit von Leuten in größerer Ferne zu erregen. Damit hätte man aber die Verpflichtung übernommen, Tag und Nacht an dieser Stelle auf der Wacht und folglich weit von French-den zu bleiben. Gordon erklärte eine solche Maßregel deshalb für unpraktisch. Selbst Briant, den die Frage der Heimkehr täglich beschäftigte, mußte ihm zustimmen. Zu beklagen war jedenfalls, daß French-den nicht an dieser Seite des Auckland-hill mit der Aussicht nach der Sloughi-Bai lag.

Nach einem kurzen Frühstücke, als die Mittagssonne die Robben einlud, sich auf dem Strande zu wärmen, bereiteten sich Gordon, Briant, Doniphan, Croß, Baxter, Webb, Wilcox, Garnett und Service vor, die Jagd zu beginnen. Während dieser Zeit sollten Iverson, Jenkins, Jacques, Dole und Costar am Lagerplatze unter der Aufsicht Moko’s zurückbleiben – ebenso wie Phann, den man nicht inmitten dieser Heerde Amphibien umherspringen lassen durfte. Sie hatten übrigens auch die beiden Guanakos zu bewachen, welche unter den ersten Bäumen des Waldes grasten.

Alle Waffen der kleinen Colonie an Gewehren und Revolvern waren nebst reichlichem Schießbedarf mit hierher gebracht worden. In letzterer Hinsicht hatte auch Gordon nicht gegeizt, da es sich um ein ganz allgemeines Interesse handelte.

Zunächst bot sich den Jägern nun die Aufgabe, den Robben den Rückzug von der Küste ins Meer abzuschneiden. Doniphan, den seine Kameraden gern die Führung bei diesem Vorhaben überließen, veranlaßte sie, den Rio bis zu seiner Mündung hinabzugehen, wobei sie von dem Ufer verdeckt blieben. Von da aus mußte es leicht sein, längs des inneren Klippenrandes hinzueilen, um das Vorland zu umzingeln.

Dieser Plan wurde mit voller Klugheit ausgeführt. Einen Abstand von je zwanzig bis dreißig Schritten zwischen sich lassend, hatten die jungen Jäger bald einen Halbkreis zwischen dem Strand und dem Meere gebildet.

Auf ein von Doniphan gegebenes Zeichen erhoben sich dann Alle auf einmal, die Gewehre knatterten zu gleicher Zeit, und auf jeden Schuß fiel auch ein Opfer.

Diejenigen von den Robben, welche nicht getroffen worden waren, richteten sich, mit dem Schwanze und den Flossenfüßen fechtend, empor, und beeilten sich, von dem Krachen der Schüsse erschreckt, hüpfend das Meer zu gewinnen.

Man verfolgte dieselben noch mit Revolverschüssen. Doniphan, hier ganz in seinem Fahrwasser, that wahre Wunder, während seine Kameraden es ihm nach besten Kräften nachzuthun versuchten.

Das Gemetzel dauerte nur wenige Minuten, obwohl die Amphibien bis zum äußersten Klippenrande verfolgt worden waren. Noch weiter draußen verschwanden die Ueberlebenden und ließen einige zwanzig Getödtete und Schwerverletzte auf dem Vorlande zurück.

Die Expedition war bis hierher vollkommen geglückt, und die Jäger richteten sich nun, nach dem Lager zurückgekehrt, unter den Bäumen ein, um hier sechsunddreißig Stunden verbringen zu können.

Der Nachmittag wurde jetzt einer Arbeit gewidmet, die freilich etwas widerlich war. Gordon nahm an derselben selbst Theil, und da dieselbe nun einmal nicht zu umgehen war, so gingen auch alle Anderen entschlossen ans Werk. Zuerst mußten die zwischen den Klippen getödteten Robben nach dem Strande geschafft werden. Obwohl diese Thiere nur eine mittlere Größe zeigten, war die Aufgabe doch keineswegs leicht.

Während dieser Zeit hatte Moko das große metallene Gefäß über einen zwischen zwei Steinen errichteten Herd eingesetzt. Die in fünf bis sechs Pfund schwere Stücke geschnittenen Robben kamen darauf in diesen Kessel, der vorher mit Süßwasser, geschöpft aus dem Rio zur Ebbezeit, halb angefüllt war. Ganz kurze Zeit genügte, um durch das Sieden derselben ein ziemlich klares, auf der Oberfläche schwimmendes Oel abzuscheiden, mit dem die Tonnen nach und nach gefüllt wurden.

Diese Arbeit machte durch ihren widerlichen Geruch die betreffende Stelle zum Aufenthalt ganz untauglich. Jeder verstopfte sich die Nase, doch nicht die Ohren, welche es vermittelten, die Scherzreden zu hören, welche bei dieser unangenehmen Thätigkeit fielen. Selbst der delicate »Lord Doniphan« fehlte nicht bei der Arbeit, die auch am nächsten Tage wieder aufgenommen wurde.

Gegen Ende dieses zweiten Tages hatte Moko mehrere hundert Gallonen Oel abgeschöpft, womit man sich gerne begnügen konnte, da die Beleuchtung von French-den für die Dauer des nächsten Winters gesichert schien. Uebrigens waren die Robben weder nach den Klippen noch nach dem Strande zurückgekehrt, und sie besuchten das Ufer der Sloughi-Bai wahrscheinlich nicht eher wieder, als bis sie mit der Zeit den gehabten großen Schreck vergessen hatten.

Am folgenden Morgen wurde das Lager mit dem Morgenrothe aufgehoben – wir dürfen wohl verrathen, zur allgemeinen Befriedigung aufgehoben. Am Vorabende war der Wagen noch mit den Fässern, Werkzeugen und Geräthen beladen worden. Da er auf dem Rückwege schwerer als auf dem Hinwege sein mußte, konnten die Guanakos ihn nicht so schnell fortziehen, vorzüglich auch weil der Erdboden nach dem Family-lake zu merkbar anstieg.

Zur Zeit des Aufbruches war die Luft von dem betäubenden Geschrei Tausender von Raubvögeln erfüllt, von dem von Bussards oder Falken, welche, vom Innern der Insel hinzugeflogen, sich um die Reste der Robben zankten, von denen gewiß bald keine Spur mehr übrig sein sollte.

Nach einem letzten Gruß, gerichtet an die Flagge des Vereinigten Königreichs, welche auf dem Gipfel des Auckland-hill wehte, und nach einem letzten Blick nach dem Horizonte des Stillen Weltmeeres, setzte sich die kleine Truppe in Bewegung, indem sie dem rechten Ufer des Rio Sealand folgte.

Die Rückkehr verlief ohne jede Störung. Trotz der Schwierigkeiten des Weges thaten die Guanakos ihre Schuldigkeit so vortrefflich und halfen ihnen die Großen so zur passenden Zeit, wenn eine gar zu schlechte Stelle zu passiren war, daß Alle vor sechs Uhr Abends in French-den wieder eintrafen.

Der nächste und die folgenden Tage wurden den gewohnten Arbeiten gewidmet. Mit dem Robbenöl machte man einen Versuch in den Laternen und überzeugte sich, daß das Licht, welches dasselbe trotz nur mittelmäßiger Qualität gab, zur Beleuchtung der Halle und des Store-room hinreichen würde. Somit war nicht mehr zu fürchten, daß sie während der langen Wintermonate vielleicht gar im Finstern sitzen müßten.

Inzwischen näherte sich die von den Angelsachsen so freudenvoll gefeierte Christmas, der Weihnachtstag. Gordon wünschte, daß derselbe auch hier mit gebührender Feierlichkeit begangen werde. Das erschien wie eine der verlorenen Heimat gewidmete Erinnerung, wie ein Gruß des Herzens an die entfernten Angehörigen! O, wenn alle diese Kinder sich hätten vernehmbar machen können, wie würden sie da gerufen haben: »Wir sind hier … alle! Und lebend, frisch und gesund! … Ihr werdet uns wieder sehen! … Gott wird uns zu Euch noch zurückführen!« … Ja, sie konnten noch eine Hoffnung bewahren, die ihren Eltern weit da draußen abgehen mußte, die Hoffnung, sie eines Tages wiederzusehen.

Gordon verkündigte also, daß der 25. und 26. December in French-den gefeiert werde und jede Arbeit während dieser beiden Tage ruhen sollte. Die erste Christmas war hier auf der Insel Chairman dieselbe wie in verschiedenen Ländern Europas der Neujahrstag.

Mit welchem Jubel diese Ankündigung aufgenommen wurde, kann man sich leicht vorstellen. Selbstverständlich mußte es nun zum 25. December auch einen Festschmaus geben, für den Moko Wunder zu verrichten versprach. Service und er hatten auch fortwährend heimlich über diesen Gegenstand miteinander zu verhandeln, während Dole und Costar, denen das Wasser schon im Voraus im Munde zusammenlief, das wohlbewahrte Geheimniß zu durchschauen sich bemühten. Die Speisekammer war übrigens vollkommen ausgerüstet, um alles zu liefern, was zu einer Festtafel nothwendig erschien.

Der große Tag kam heran. Auswendig, über der Thür der Halle, hatten Baxter und Wilcox in künstlerischer Anordnung alle Wimpel, Stander und Flaggen des »Sloughi« angebracht, was French-den ein besonders festliches Aussehen verlieh.

Am frühen Morgen rief ein Kanonenschuß das lustige Echo des Auckland-hill wach. Es war eines der kleinen Signalgeschütze, das Doniphan durch die Wandöffnung der Halle vorgeschoben und das er zu Ehren der Christmas hinausdonnern ließ.

Sogleich brachten die Kleinen den Großen ihre Neujahrswünsche dar, welche von diesen väterlich erwidert wurden. An das Oberhaupt der Insel Chairman richtete Croß sogar eine wirkliche Anrede, welcher Aufgabe er sich nicht ohne Erfolg entledigte.

Jedermann hatte für diese feierliche Gelegenheit die beste Kleidung angezogen. Das Wetter war herrlich und vor wie nach dem Frühstück machte die ganze Gesellschaft einen Spaziergang längs des Sees oder veranstaltete auf der Sport-terrace Spiele, an denen Alle Theil nehmen sollten. Vom Bord der Yacht waren Alle in England so beliebten Spielgeräthschaften mit hergeschafft worden, wie Kegel, Bälle, Schlägel und Ballnetze – für den »Golf«, der darin besteht, Kautschukbälle in verschiedene weit von einander entfernte Erdlöcher zu treiben; – für den »Foot-Ball«, bei dem ein großer Lederball mit dem Fuße fortzustoßen ist; für die »Bowls«, das sind unregelmäßig geformte Holzkugeln, welche mit der Hand geworfen werden, und bei denen es darauf ankommt, die durch ihre ovale Form entstehende Abweichung in der Richtung möglichst zu vermindern, und endlich für die »Fives«, ein Spiel, das an das Ballwerfen an eine Mauer erinnert.

Der Tag verlief leider sehr schnell. Die Kleinen überließen sich ganz der ausgelassensten Freude, doch ging alles nach Wunsch ab, ohne daß es zu Zank und Streit gekommen wäre. Freilich war Briant fast ausschließlich in Anspruch genommen, Dole, Costar, Iverson und Jenkins zu unterhalten, ohne daß es ihm gelang, seinen Bruder Jacques zur Theilnahme bei deren Belustigungen zu veranlassen, während Doniphan und dessen gewöhnliche Parteigänger Webb, Croß und Wilcox trotz der Einwendungen des klugen Gordon eine Gesellschaft für sich bildeten. Als endlich durch einen zweiten Kanonenschuß die Eßstunde angekündigt wurde, liefen die jungen Tischgenossen eiligst herzu, ihre Plätze an der, im Eßzimmer des Store-room bereitstehenden Tafel anzunehmen.

Auf dem großen, mit blendend weißem Tischtuche bedeckten Tische nahm ein in einen großen Kübel gepflanzter und mit Grün und Blumen geschmückter Christbaum den Mittelpunkt ein. An demselben hingen kleine Fähnchen mit den vereinigten Farben Englands, Amerikas und Frankreichs.

Moko hatte sich bei der Herstellung der Festtagsmahlzeit wirklich selbst übertroffen und zeigte sich nicht wenig stolz auf die Lobsprüche, die ihm, sowie seinem liebenswürdigen Gehilfen Service, zu Theil wurden. Ein gedämpfter Aguti, ein Ragout von Tinamus, ein gebratener, mit aromatischen Kräutern gewürzter Hase, eine junge Trappe mit erhobenen Flügeln und den Schnabel in die Luft haltend, wie ein schöner Fasan, drei Büchsen conservirtes Gemüse, ein Pudding – und was für ein Pudding! In Form einer Pyramide mit den gebräuchlichen kleinen Rosinen und Algarrobebeeren, der seit länger als einer Woche schon in einem Bade von Brandy lag, dann einige Gläser Weißwein, Sherry, Liqueure, Thee und zum Dessert noch Kaffee – das mußte wohl hinreichen, den Christmastag auf der Insel Chairman gebührend zu feiern.

Briant brachte dann einen herzlichen Toast auf Gordon aus, den dieser erwiderte, indem er auf das Wohlsein der kleinen Kolonie und auf die Erinnerung an die abwesenden Familien trank.

Endlich – ein wirklich rührender Anblick – erhob sich Costar und dankte im Namen der Jüngsten Briant für die Aufopferung, von der er gerade ihnen so oft die schönsten Beweise gegeben habe.

Briant konnte seiner tiefen Bewegung kaum Ausdruck geben, als schon laute Hurrahs zu seiner Ehre ertönten – Hurrahs, welche in Doniphan’s Herzen freilich keinen Widerhall fanden.

X.

X.

Die Schaluppe des »Severn«. – Costar krank. – Die Rückkehr der Schwalben. – Entmuthigung. – Die Raubvögel. – Das durch eine Kugel getödtete Guanako. – Der Rest in der Pfeife. – Strengere Wacht. – Heftiger Sturm. – Ein Knall. – Ein Aufschrei Kate’s.

———

Am folgenden Tage und nach einer Nacht, während der Moko die Wache in French-den übernommen hatte, erwachten die von der gestrigen Aufregung ergriffenen jungen Colonisten erst zu sehr später Stunde. Dann aber sofort sich erhebend, begaben sich Gordon, Doniphan, Briant und Baxter nach dem Store-room, wo Kate mit den gewohnten Arbeiten beschäftigt war.

Hier besprachen sie sich über ihre Lage, welche noch immer eine höchst unsichere blieb.

Jetzt waren, wie Gordon bemerkte, schon vierzehn Tage verflossen, seit Walston und dessen Begleiter sich auf der Insel aufhielten. Wenn die Ausbesserung der Schaluppe also bis jetzt nicht beendet war, so konnte das nur an dem Fehlen der zu einer solchen Arbeit notwendigen Werkzeuge liegen.

»Das muß wohl so sein, sagte Doniphan, denn eigentlich schien mir jenes Boot gar nicht so sehr beschädigt. Wäre unser »Sloughi« durch seine Strandung nicht ärger zugerichtet gewesen, so wäre es uns bestimmt gelungen, ihn wieder in seetüchtigen Zustand zu versetzen.«

Wenn Walston indeß noch nicht abgefahren war, so durfte man deshalb noch nicht annehmen, daß es seine Absicht sei, sich auf der Insel Chairman festzusetzen. Denn dann hätte er unzweifelhaft auch das Innere derselben schon eingehender besichtigt, und French-den konnte dabei von seinem Besuche nicht verschont bleiben.

Dieser Darlegung ließ Briant nun eine kurze Schilderung dessen folgen, was er in der Luft gesehen, und erklärte mit Bestimmtheit, daß nach Osten hin in nicht zu großer Entfernung Land zu finden sein müsse.

»Ihr habt nicht vergessen, daß ich bei Gelegenheit unseres ersten Ausfluges nach der Mündung des East-river einen weißlichen Fleck nicht hoch über dem Horizonte wahrnahm, dessen Natur ich mir damals nicht erklären konnte …

– Wilcox und ich haben freilich nichts Aehnliches entdecken können, antwortete Doniphan, obgleich auch wir uns bemühten, jenen Fleck aufzufinden …

– Moko hat ihn ebenso bestimmt wahrgenommen, erwiderte Briant.

– Zugegeben! Es kann ja sein! entgegnete Doniphan; doch was berechtigt Dich zu der Annahme, daß wir uns in der Nähe eines Festlandes oder einer Inselgruppe befinden?

– So hört mich an, sagte Briant. Gestern Nacht, als ich den Horizont in jener Richtung ins Auge faßte, unterschied ich einen Lichtschein, der unzweifelhaft außerhalb der Insel zu suchen war und der nur von einem in Ausbruch befindlichen Vulcan herrühren konnte. Ich schloß daraus, daß in jener Gegend also ein Land liegen müsse. Die Matrosen auf dem »Severn« müssen das selbstverständlich wissen und sie werden Alles daran setzen, dorthin zu gelangen.

– Das ist nicht zu bezweifeln, antwortete Baxter. Was würden sie mit ihrem längeren Verweilen hier gewinnen? Offenbar rührt der Umstand, daß wir von ihrer Anwesenheit noch nicht befreit sind, davon her, daß sie ihre Schaluppe noch nicht genügend auszubessern vermochten.«

Was Briant hier seinen Kameraden mittheilte, war von größter Wichtigkeit. Es gab ihnen die Gewißheit, daß die Insel Chairman nicht, wie sie geglaubt hatten, ganz isolirt in diesem Theile des Stillen Oceans gelegen war. Was die Sache aber noch verschlimmerte, war der Umstand, daß Walston sich, nach der Wahrnehmung seines Lagerfeuers, tatsächlich jetzt in der Nähe der Mündung des East-river aufhielt. Nachdem er die Küste der Severn-shores verlassen, war er nun um etwa zwölf Meilen näher hierher gekommen. Er brauchte nur noch den East-river hinauf zu gehen, um in Sicht des Sees zu gelangen, und um dessen Südspitze herumzuziehen, um French-den zu entdecken.

Gegenüber dieser Möglichkeit mußte Briant die strengsten Maßregeln anordnen. Alle Ausflüge wurden von jetzt ab auf das Notwendigste beschränkt und sollten sich nicht einmal mehr auf dem linken Ufer des Rio bis nach den Dickichten der Bog-woods ausdehnen.

Gleichzeitig verbarg Baxter die Umpfählung seines Viehhofes, ebenso wie die beiden Eingänge zur Halle und zum Store-room durch ein Gewirr von Buschwerk und Zweigen. Endlich erging das Verbot, sich in dem Theile zwischen dem See und dem Auckland-hill erblicken zu lassen. Die Notwendigkeit, sich solchen peinlichen Beschränkungen zu fügen, vermehrte begreiflicher Weise noch die ohnehin unerquickliche Lage.

Jener Zeit gab es auch noch andere Gründe zu ernster Besorgniß. Costar wurde von einem Fieber ergriffen, das sein Leben zu bedrohen schien. Gordon mußte dagegen zur Apotheke des Schooners seine Zuflucht nehmen, fürchtete dabei aber immer, einen Irrthum begehen zu können. Glücklicherweise that Kate für den Kranken, was eine Mutter für ihr eigenes Kind nur hätte thun können. Sie pflegte ihn mit jener verständigen Sorgfalt, welche ein natürliches Erbtheil der Frauen zu sein scheint, und wachte Tag und Nacht an seiner Seite. Dank ihrer Aufopferung ließ das Fieber endlich nach und die damit deutlich eintretende Besserung des Zustandes nahm ihren ununterbrochenen Verlauf. Ob sich Costar wirklich in Lebensgefahr befunden, hätte man vielleicht kaum entscheiden können; ohne die ihm zu Theil gewordene Pflege war es aber immerhin denkbar, daß das Fieber den kleinen Kranken hätte aufreiben können.

Wahrlich, wäre Kate nicht dagewesen, so wüßte man nicht, welchen Ausgang die Krankheit nehmen konnte, und wir wiederholen hier gerne, daß die vortreffliche Frau den jüngsten Kindern der Colonie alle mütterliche Zärtlichkeit widmete, die ihr Herz nur bergen mochte, und daß sie gerade diesen gegenüber niemals mit ihren Liebkosungen geizte.

»’S ist eben so meine Natur, Ihr kleinen Papooses! sagte sie stets. Ich muß einmal immer stricken und flicken und hätscheln und tätscheln!«

In der That kennzeichnete dieses Geständniß die brave Frau vollkommen.

Eine der wichtigsten Beschäftigungen Kate’s bestand übrigens in der Instandhaltung der Wäsche in French-den. Zu ihrem großen Leidwesen war diese stark abgenützt, was ja nach zwanzigmonatlichem Gebrauch nicht auffallen kann. Doch, wie sollte sie ersetzt werden, wenn sie ganz unbrauchbar geworden war? Und auch das Schuhwerk erwies sich, obwohl es so viel wie möglich geschont wurde und Niemand sich daran stieß, bei passender Witterung barfuß zu gehen, in recht traurigem Zustande. Alles das mußte die vorsorgliche Aufwärterin natürlich mit rechter Sorge erfüllen.

Die ersten vierzehn Tage des Novembers waren durch häufige Platzregen ausgezeichnet. Vom 17. an stieg wieder das Barometer auf »schön Wetter« und es trat eine jener Zeit entsprechende Wärmeperiode ein. Bäume, Büsche und Sträucher, die ganze Pflanzenwelt war bald nichts weiter als Grün und Blüthen. Auch die gewöhnlichen Bewohner der South-moors kehrten jetzt in großer Anzahl zurück. Welcher Schmerz für Doniphan, jetzt auf die Jagd in den Sümpfen verzichten zu müssen, und für Wilcox, nicht seine Luftnetze ausspannen zu können, aus Furcht, daß diese von den unteren Ufergebieten des Family-lake wahrgenommen werden könnten.

Doch nicht nur eßbares Geflügel schwärmte jetzt auf diesem Theile der Insel umher, sondern auch andere Vögel wurden in den Dohnen in der Nähe von French-den gefangen.

Unter den letzteren fand Wilcox eines Tages auch einen jungen Zugvogel, welchen der Winter nach den unbekannten Ländern weiter im Norden geführt hatte. Es war das eine Schwalbe, welche noch immer das unter ihrem Flügel befestigte Säckchen trug. Enthielt derselbe wohl ein an die jungen Schiffbrüchigen vom »Slonghi« gerichtetes Billet? … Leider nein! … Der Bote war ohne Antwort zurückgekommen.

Wie schleppend vergingen bei diesen Tagen ohne Beschäftigung jetzt die Stunden in der Halle! Baxter, dem es oblag, das Tagebuch zu führen, hatte darin gar nichts mehr einzutragen, und vor Ablauf von vier Monaten sollte für die jugendlichen Colonisten der Insel Chairman nun schon der dritte Winter beginnen!

Nicht ohne tiefe Betrübniß konnte man jetzt die tiefe Entmuthigung beobachten, welche sich auch der thatkräftigsten Naturen bemächtigte – mit Ausnahme Gordon’s, der stets mit den Einzelheiten seiner Verwaltung beschäftigt war. Selbst Briant fühlte sich zuweilen recht niedergedrückt, obwohl er alle Seelenstärke zusammenraffte, das nicht merken zu lassen. Er versuchte dagegen vielmehr dadurch anzukämpfen, daß er seine Kameraden antrieb, ihre Studien fortzusetzen, die festgesetzten Zusammenkünfte abzuhalten und mit lauter Stimme zu lesen. Er rief in ihnen unaufhörlich die Erinnerung an die Heimat und an ihre Eltern wach, die sie gewiß einst wiedersehen würden. Endlich bemühte er sich auch, ihre moralische Kraft zu erhalten, ohne damit viel auszurichten, und es blieb seine größte Sorge, daß diese von der Verzweiflung zuletzt ganz erdrückt werden könne.

Soweit sollte es freilich nicht kommen. Uebrigens zwangen sie sehr ernste Vorkommnisse, bald mit ihrer Person für das allgemeine Interesse einzutreten.

Am 21. November gegen 2 Uhr Nachmittags war Doniphan am Gestade des Family-lake gerade mit Angeln beschäftigt, als seine Aufmerksamkeit davon durch das unharmonische Geschrei von etwa zwanzig Vögeln abgelenkt wurde, welche über dem linken Ufer des Rio kreisten. Wenn das keine Raben waren – denen sie einigermaßen ähnelten – so hätten sie wenigstens verdient, dieser gefräßigen, krächzenden Rasse anzugehören.

Doniphan hätte sich um die lautschwärmende Schaar immerhin nicht gekümmert, wenn ihr Verhalten nicht etwas besonders Auffallendes gezeigt hätte. Die Vögel beschrieben nämlich weite Kreise, deren Umfang sich mit ihrer Annäherung zur Erde immer mehr verminderte; dann stürzten sie plötzlich, zu einer dichten Gruppe vereinigt, nach dem Erdboden nieder.

Hier verdoppelte sich nun ihr Geschrei; Doniphan suchte sie aber vergeblich unter dem hohen Grase, in welchem sie verschwunden waren, zu entdecken.

Da kam ihm der Gedanke, daß an jener Stelle wohl der todte Körper eines Thieres liegen möge. Neugierig zu erfahren, um was es sich handle, kehrte er nach French-den zurück und bat Moko, ihn mit der Jolle nach dem anderen Ufer des Rio Sealand überzuführen.

Beide bestiegen das kleine Boot und zehn Minuten später glitten sie über den Grasteppich des Ufergeländes hinauf. Sofort flatterten die Vögel auf und erhoben jetzt mit lautem Geschrei Widerspruch gegen die ungelegenen Störenfriede, welche sie bei ihrer Mahlzeit unterbrachen.

An der betreffenden Stelle lag der Körper eines jungen Guanako, das erst seit einigen Stunden todt sein konnte, da es noch nicht einmal ganz erkaltet war.

Doniphan und Moko hatten natürlich keine Lust, die Reste der Vogelmahlzeit für die Küche zu benützen und wollten den Thieren schon wieder den Platz räumen, als sich ihnen noch die Frage aufdrängte, wie und wodurch das Guanako hier am Rande des Sumpfes und fern von den östlichen Wäldern zusammengesunken sei, welche seine Genossen sonst niemals verließen.

Doniphan untersuchte das Thier. An der Seite hatte dasselbe eine noch blutende Wunde, welche nicht vom Zahn eines Jaguars oder eines anderen Raubthieres herrührte.

»Dieses Guanako hat offenbar einen Schuß erhalten, bemerkte Doniphan.

– Hier ist dafür der Beweis!« antwortete der Schiffsjunge, der, nachdem er die Wunde mit seinem Messer sondirt, daraus eine Kugel hervorbrachte.

Diese Kugel zeigte weit mehr das Kaliber der auf Schiffen gebräuchlichen Gewehre, als das einer Jagdflinte. Sie konnte also nur von Walston oder von einem Gefährten desselben abgefeuert sein.

Doniphan und Moko begaben sich, den Körper des Guanako den Vögeln überlassend, nach French-den zurück und besprachen sich da mit ihren Kameraden.

Daß das Guanako von einem Matrosen des »Severn« niedergeschossen worden war, dafür lag der Beweis darin, daß weder Doniphan noch sonst ein Anderer seit einem Monate einen Flintenschuß abgegeben hatte. Von Wichtigkeit schien es aber hierbei, zu wissen, zu welcher Zeit und an welchem Orte das Guanako diese Kugel erhalten hatte.

Nach Prüfung aller Muthmaßungen erschien es ausgemacht, daß der Vorgang nicht mehr als fünf bis sechs Stunden zurückzuverlegen sei – die nothwendige Zeit, in welcher das Thier, nachdem es die Downs-lands passirt, bis auf wenige Schritte vom Rio gelangen konnte. Daraus folgte weiter, daß einer der Leute Walston’s im Laufe des Morgens in der Nähe der Südspitze des Family-lake gejagt haben mußte, und daß die Bande nach Ueberschreitung des East-river, sich der Gegend von French-den mehr und mehr näherte.

So verschlimmerte sich ihre Lage recht bedeutend, obgleich eine augenblicklich drohende Gefahr nicht vorlag. Den südlichen Theil der Insel erfüllte jene weite Ebene mit Bächen, einzelnen Weihern und Dünenzügen, wo das vorhandene Wild für die tägliche Ernährung der Bande kaum genügen konnte. Es wurde also wahrscheinlich, daß Walston nicht durch die Downs-lands gezogen sein werde. Uebrigens hatte man keinen verdächtigen Knall gehört, den der Wind hätte bis zur Sport-terrace tragen müssen, und es war zu hoffen, daß die Lage von French-den bisher noch nicht entdeckt sein würde.

Nichtsdestoweniger mußte man jetzt alle von der Klugheit gebotenen Maßregeln mit erneuerter Strenge durchführen. Sollte ein Angriff mit einiger Aussicht auf Erfolg abgeschlagen werden können, so war es unter der Bedingung, daß die jungen Kolonisten sich nicht außerhalb der Halle überrumpeln ließen.

Einige Tage später vergrößerte eine bezeichnende Thatsache noch diese Besorgnisse, und zwang zur Anerkennung der Thatsache, daß die Sicherheit jetzt mehr als jemals in Frage gestellt sei.

Am 24. gegen neun Uhr Vormittags hatten sich Briant und Gordon über den Rio Sealand hinausbegeben, um zu sehen, ob es nicht nützlich sei, quer über den schmalen Fußpfad, der zwischen See und Sumpf verlief, eine Art Brustwehr aufzuschütten. Unter dem Schutze dieser Brustwehr mußten Doniphan und die besten Schützen schnell Aufstellung nehmen können, wenn das Eintreffen Walston’s zeitig genug gemeldet wurde.

Beide befanden sich eben höchstens dreihundert Schritte jenseits des Rio, als Briant den Fuß auf einen Gegenstand setzte, den er dabei zertrat. Er war darauf nicht besonders aufmerksam geworden, da er meinte, es werde eine von den unzähligen Muscheln gewesen sein, welche bei der Springfluth, die allemal die South-moors überschwemmte, mit hierher gespült worden sei. Gordon, welcher hinter ihm ging, hielt ihn jedoch an und sagte:

»Warte, Briant, warte doch!

– Was giebt’s denn?«

Gordon bückte sich und hob den zertretenen Gegenstand auf.

»Da sieh!« sagte er.

– Das ist ja keine Muschel, antwortete Briant, das ist …

– Das ist eine Pfeife!«

In der That hielt Gordon eine schwärzlich gebrannte Thonpfeife in der Hand, deren Rohr dicht am Anfang des Kopfes gebrochen war.

»Da Keiner von uns raucht, sagte Gordon, muß diese Pfeife verloren worden sein und zwar durch …

– Durch ein Mitglied der Verbrecherbande, vollendete Briant den Satz, sie müßte denn dem schiffbrüchigen Franzosen, unserem Vorgänger auf der Insel Chairman, zugehört haben.«

Nein, der Pfeifenkopf, dessen Bruchflächen ganz frisch waren, hatte niemals im Besitz des wenigstens schon vor zwanzig Jahren verstorbenen François Baudoin gewesen sein können. Er war ganz bestimmt hier erst vor kurzer Zeit zur Erde gefallen und, das darin noch befindliche Restchen Tabak lieferte den unanfechtbaren Beweis, vor wenig Tagen, vielleicht vor wenig Stunden, war demnach einer der Genossen Walston’s oder Walston selbst bis nahe ans Ufer des Family-lake vorgedrungen.

Gordon und Briant kehrten sofort nach French-den zurück. Hier konnte Kate, der Briant den Pfeifenkopf zeigte, bestätigen, daß sie denselben in den Händen Walston’s gesehen habe.

Es unterlag also keinem Zweifel mehr, daß die Uebelthäter schon bis über die äußerste Spitze des Sees gelangt waren. Vielleicht hatten sie während der Nacht gar das Ufer des Rio Sealand erreicht!

Und wenn Walston French-den entdeckt und ausgespürt hatte, aus wem das Personal der kleinen Kolonie bestand, sollte er dann nicht auf den Gedanken kommen, daß hier Werkzeuge, Instrumente, Schießbedarf, Nahrungsmittel – kurz Alles, was ihm ganz oder beinahe ganz fehlte – vorhanden waren und daß sieben kräftige Männer leicht genug mit fünfzehn Knaben fertig werden konnten, vorzüglich wenn es gelang, diese zu überraschen?

Auf jeden Fall lag es jetzt auf der Hand, daß die Bande näher und näher heranrückte.

Angesichts dieser so drohenden Aussichten drang Briant in Übereinstimmung mit seinen Kameraden auf eine noch weiter zu verschärfende Wachsamkeit. Während des ganzen Tages blieb nun ein Beobachtungsposten auf dem Kamme des Auckland-hill, um jede verdächtige Annäherung sowohl von der Seite des Sees und der Traps-woods, wie von der des Sumpfes her unverzüglich melden zu können. Die Nacht über mußten sich zwei der Großen an dem Eingange der Halle und des Store-room aufhalten, um jedes Geräusch von außen zu erlauschen. Die beiden Thüren wurden übrigens durch Pfähle verstärkt, und mittels großer, im Innern von French-den schon aufgehäufter Steine war es in kürzester Zeit möglich, diese vollständig zu verbarricadiren. Von den beiden schmalen, durch die Wand gebrochenen Fensteröffnungen, welche als Schießscharten für die zwei kleinen Kanonen dienten, vertheidigte die eine den Vorraum nach der Seite des Rio Sealand, die andere nach der Seite des Family-lake. Uebrigens lagen die Gewehre und Revolver geladen zur Hand, um beim ersten Alarm ihre Schuldigkeit zu thun.

Kate billigte natürlich alle diese Maßnahmen. Die vortreffliche Frau hütete sich jedoch stets, ihre leider zu begründeten Befürchtungen merken zu lassen, wenn sie an den so ungewissen Ausgang eines Kampfes mit den Matrosen vom »Severn« dachte. Sie kannte diese ja ebenso wie ihren Anführer. Wenn dieselben auch unzureichend bewaffnet waren, konnten sie nicht trotz eifrigster Achtsamkeit die kleine Kolonie überrumpeln? Und dann hatten sie ja nur Knaben zu bekämpfen, von denen der älteste noch nicht sechzehn Jahre alt war! Wahrlich, die Verhältnisse waren gar zu ungleich! Ach, warum war der muthige Evans jetzt nicht bei ihnen! Warum hatte er sich Kate bei ihrer Flucht nicht angeschlossen! Vielleicht hätte er die Verteidigung besser leiten und French-den in den Stand setzen können, die Angriffe Walston’s zurückzuweisen.

Leider wurde Evans gewiß strengstens bewacht, wenn die Schurken, welche ihn zur Ueberführung der Schaluppe nach einem benachbarten Lande wohl kaum brauchten, sich seiner als eines zu gefährlichen Zeugen nicht schon ganz entledigt hatten.

Solche Gedanken gingen der guten Kate durch den Kopf. Für sich selbst fürchtete sie gewiß nichts, wohl aber für diese Kinder, welche sie, unterstützt von dem gleichergebenen Moko, unausgesetzt im Auge behielt.

Jetzt war der 27. November herangekommen und es herrschte eine fast erstickende Hitze. Schwere Haufenwolken wälzten sich langsam über die Insel und fernes Donnerrollen verkündete ein herannahendes Ungewitter. Das Storm-glaß meldete einen demnächstigen Kampf der Elemente.

Am Abend dieses Tages waren Briant und seine Kameraden zeitiger als sonst nach der Halle zurückgekehrt, doch nicht ohne die, seit einiger Zeit gewöhnliche Vorsicht, die Jolle im Innern des Store-room unterzubringen. Nach sicherer Verschließung der Thüren erwarteten Alle nur noch die Zeit des Schlafengehens, nachdem sie noch ein gemeinschaftliches Gebet verrichtet und im Geiste einen Gruß an ihre entfernten Angehörigen gesendet hatten.

Gegen neuneinhalb Uhr wüthete das Unwetter in vollster Kraft. Die Halle erleuchtete sich von dem Widerschein greller Blitze, der durch die Wandöffnungen eindrang. Unaufhörlich krachte und rollte der Donner und es schien zuweilen, als ob die ganze Masse des Auckland-hill bei dem betäubenden Geprassel erzitterte. Es war das einer jener ohne Sturm und Regen einhergehenden meteorischen Processe, welche umso schwerer sind, weil die fast unbeweglichen Wolken an einer Stelle das in ihnen angesammelte elektrische Fluidum abgeben, zu dessen gänzlicher Entladung öfters eine Nacht nicht einmal ausreicht.

Costar, Dole, Iverson und Jenkins, welche sich auf ihren Lagerstätten ausgestreckt hatten, fuhren aus dem Schlafe auf bei dem entsetzlichen, dem Tone beim Zerreißen von Stoffen ähnlichen Knattern, das auf große Nähe der Entladungen hindeutet. In dieser unerschütterbaren Felsenhöhle war indeß gar nichts zu fürchten, und wenn der Blitzstrahl die Uferhöhe zwanzig- oder auch hundertmal getroffen hätte. Die dicken Steinwände von French-den, welche ebenso undurchdringlich für das elektrische Fluidum wie unangreifbar für den wüthendsten Orcan waren, hätte er nicht durchschlagen können. Briant, Doniphan und Baxter erhoben sich, öffneten ein wenig die Thüre, fuhren aber sofort, geblendet von den Blitzen, zurück, nachdem sie einen flüchtigen Blick nach außen geworfen. Der ganze Himmelsraum war nur ein Feuer und der die zuckenden Blitze widerspiegelnde See schien eine blendende, gluthflüssige Masse einherzuwälzen.

Zwischen zehn und elf Uhr setzten Donner und Blitz nicht einen Augenblick aus; erst kurz vor Mitternacht schien die Gewalt des Unwetters sich zu erschöpfen. Länger und länger werdende Zwischenräume trennten die Donnerschläge, welche mit der Entfernung auch immer schwächer wurden. Dann erhob sich der Wind, trieb die nahe der Erde streichenden Wolken vor sich her, und bald prasselte der Regen stromweise nieder.

Die Kleinen begannen allmählich sich wieder zu beruhigen. Zwei oder drei, bisher von den Decken verhüllte Köpfe wagten sich wieder hervor, obgleich es für Alle hohe Zeit war, endlich zu schlafen. Auch Briant und die Anderen wollten sich, nachdem sie die gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln getroffen, eben niederlegen, als Phann plötzlich Zeichen einer unerklärlichen Aufregung erkennen ließ. Er richtete sich auf den Pfoten in die Höhe, trabte nach der Thüre der Halle und gab ein dumpfes, aber anhaltendes Knurren von sich.

»Sollte Phann etwas aufgespürt haben? sagte Doniphan, während er den Hund zu beruhigen suchte.

– Wir haben ihn, bemerkte Baxter, schon unter verschiedenen Umständen ein so auffallendes Verhalten zeigen sehen, und das gescheidte Thier hat sich dabei niemals getäuscht.

– Ehe wir uns niederlegen, müssen wir wissen, was das zu bedeuten hat, setzte Gordon hinzu.

– Gewiß, stimmte Briant ihm bei, es darf aber Keiner hinausgehen, und wir wollen uns zur Vertheidigung bereit halten.«

Jeder ergriff sein Gewehr und seinen Revolver. Dann begab sich Doniphan nach dem Eingange der Halle und Moko nach der des Store-room. Obwohl Beide das Ohr an die Thüre legten, konnten sie doch kein Geräusch von außen vernehmen. Phann zeigte noch immer die nämliche Unruhe und begann bald sogar so wüthend zu bellen, daß selbst Gordon ihn nicht zum Schweigen zu bringen vermochte. Das war gerade jetzt recht unerwünscht. Wie man in ruhigen Augenblicken hätte das Geräusch eines Schrittes aus dem Vorlande wahrnehmen können, so mußte das Gebell Phanns draußen natürlich erst recht gehört werden.

Plötzlich erschallte ein Krachen, das mit einem Donnerschlage gar nicht zu verwechseln war. Es rührte offenbar von einem Flintenschusse her, der höchstens zweihundert Schritte weit von French-den abgefeuert sein konnte.

Alle hielten sich zur Abwehr eines Angriffs fertig. Mit den Gewehren in der Hand, an den beiden Thüren stehend, waren Doniphan, Baxter, Wilcox und Croß bereit, auf Jeden Feuer zu geben, der diese zu stürmen wagen würde. Die Anderen begannen schon, mit den zu diesem Zwecke zur Hand liegenden Steinblöcken, diese zu verbarricadiren, als eine Stimme von außen hörbar wurde.

»Zu Hilfe! … Zu Hilfe!« ertönte es wie bittend.

Da draußen befand sich ein menschliches Wesen, wahrscheinlich in Todesgefahr, und begehrte Unterstützung …

»Zu Hilfe!« wiederholte dieselbe Stimme, jetzt aber schon ganz nahe der einen Thüre. Kate, welche in der Nähe stand, lauschte …

»Er ist es! rief sie.

– Er? … fragte Briant.

– Oeffnet … öffnet nur schnell!« … drängte Kate.

Die Thüre wurde aufgerissen, und von Wasser triefend stürzte ein Mann in die Halle.

Es war Evans, der Steuermann vom »Severn«.

XI.

XI.

Kate und der Master. – Der Bericht Evans‘. – Nach der Strandung der Schaluppe. – Walston am Hafen des Bear-rock. – Der Drache. – French-den entdeckt. – Evan’s Flucht. – Durch den Rio. – Pläne. – Ein Vorschlag Gordon’s. – Die Länder im Osten. – Die Insel Chairman-Hannover.

———

Zuerst waren Gordon, Briant und Doniphan bei dieser unerwarteten Erscheinung Evans‘ unbeweglich stehen geblieben. Dann eilten sie, wie durch eine instinctive Bewegung getrieben, auf den Steuermann, als ihren Retter, zu.

Dieser, ein Mann von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren, hatte breite Schultern, kräftigen Körper, lebhafte Augen, eine offene Stirne, intelligente und einnehmende Züge und ein sicheres und entschlossenes Auftreten, während sein Gesicht durch einen verwilderten, buschigen Bart, der seit dem Schiffbruche des »Severn« nicht geschnitten sein konnte, zur Hälfte versteckt wurde.

Kaum eingetreten, kehrte Evans um und legte das Ohr an die schnell wieder geschlossene Thür, und erst als er von draußen nichts hörte, schritt er der Mitte der Halle zu. Hier erkannte er beim Scheine der an der Wölbung hängenden Laterne die kleine Welt, welche ihn umgab, und murmelte die Worte:

»Ja … Kinder! … Nichts als Kinder!«

Plötzlich leuchtete sein Auge heller auf, sein Gesicht erglänzte von Freude und er breitete die Arme aus …

Kate war an ihn herangetreten.

»Kate! … rief er. Sie leben also noch, Kate?« …

Dazu ergriff er ihre Hände, als wollte er sich überzeugen, daß es nicht die einer Abgeschiedenen wären.

»Ja, ich lebe noch wie Sie, Evans! antwortete Kate. Gott hat mich errettet, wie er Sie errettet hat, und er ist’s, der Sie diesen Kindern zu Hilfe sendet!«

Der Steuermann zählte mit den Augen die jungen Leute, welche den Tisch der Halle umringten.

»Fünfzehn! … sagte er, und kaum fünf bis sechs, die im Stande wären, sich einigermaßen zu vertheidigen! … Doch sei es darum!

– Sind wir von einem Angriffe bedroht, Master Evans? fragte Briant.

– Nein, junger Freund, nein! Wenigstens für den Augenblick nicht,« erwiderte Evans.

Selbstverständlich drängte es Alle, die Geschichte des Steuermannes und vorzüglich das kennen zu lernen, was sich seit der Strandung der Schaluppe auf den Severn-shores ereignet hatte. Weder Große noch Kleine hätten eine Minute Schlaf finden können, ohne den für sie so hochwichtigen Bericht angehört zu haben. Zunächst mußte Evans indeß seine ganz durchnäßten Kleider ablegen und etwas Nahrung zu sich nehmen. Daß seine Kleidung von Wasser triefte, kam daher, daß er den Rio Sealand hatte schwimmend überschreiten müssen; und wenn er von Anstrengung und Hunger erschöpft war, daher, daß er seit vollen zwölf Stunden nichts genossen und vom frühen Morgen an keinen Augenblick geruht hatte.

Briant führte den Mann sofort nach dem Store-room, wo Gordon ihm einen guten, passenden Matrosenanzug einhändigte. Nachher versorgte ihn Moko mit kaltem Wildpret, Schiffszwieback, einigen Tassen dampfenden Thees und einem ordentlichen Glase Brandy.

Eine Viertelstunde später begann Evans, an dem Tische der Halle sitzend, den Bericht über die Ereignisse, welche seit der unfreiwilligen Landung der Matrosen vom »Severn« auf der Insel vorgekommen waren.

»Einige Augenblicke, ehe die Schaluppe auf den Strand geworfen wurde, sagte er, waren sechs Mann, darunter ich selbst, bei den ersten Riffen hinausgeschleudert worden, ein Unfall, bei dem keiner von uns eine schwere Verletzung davontrug. Wir hatten nur Hautabschürfungen, keine eigentliche Verwundung. Sehr schwierig gestaltete es sich aber, aus der Brandung inmitten der Finsterniß und aus dem wüthenden Meere, welches dem Sturme entgegen gerade absank, frei zu kommen.

»Nach langen Anstrengungen erreichten wir, Walston, Brandt, Rock, Book, Cope und ich, jedoch heil und gesund eine Uferstelle, welche die Wogen nicht mehr überflutheten. Zwei Mann – Forbes und Pike – fehlten noch. Ob sie durch eine Sturzsee mit hinausgespült waren oder sich, als die Schaluppe selbst strandete, auch gerettet hatten, konnten wir nicht entscheiden. Und was Kate betraf, so glaubte ich, daß sie von den Wellen mit weggezogen worden sei, und ich fürchtete, sie niemals wiederzusehen.«

Bei diesen Worten suchte Evans gar nicht seine Ergriffenheit, noch die Freude zu verhehlen, die es ihm machte, die muthige Frau, welche mit ihm dem Gemetzel auf dem »Severn« entgangen war, hier wiedergefunden zu haben. Vorher Beide in der Gewalt jener Mordgesellen, sahen sie sich jetzt von denselben, wenn auch nicht ganz von einem zukünftigen Angriffe derselben befreit.

Dann fuhr Evans fort:

»Als wir an den Strand gelangt waren, konnten wir die Schaluppe nicht sogleich entdecken. Sie mußte gegen sieben Uhr gescheitert sein, und es war fast Mitternacht geworden, ehe wir sie im Sande umgestürzt auffanden. Zuerst schleppten wir uns nämlich längst der Küste hin …

– Längs der Severn-shores, fiel Briant ein, denn so lautet der Name, den ihr einige unserer Kameraden, welche die Schaluppe des »Severn« gesehen, schon gegeben hatten, ehe uns Kate von ihrem Schiffbruche unterrichtete.

– Schon vorher? … fragte Evans verwundert.

– Ja wohl, Master Evans, fuhr Doniphan fort. Wir waren am Abende des Schiffbruches gerade nach der Stelle gekommen, wo zwei ihrer Kameraden im Sande lagen … Als wir nach Tagesanbruch wieder dahin gingen, um ihnen die letzte Ehre zu erweisen, waren sie verschwunden.

– Wahrhaftig, nahm Evans wieder das Wort, jetzt sehe ich, wie alles das zusammenhängt. Forbes und Pike, welche wir ertrunken glaubten – o, wär‘ es doch der Fall gewesen, so zählten wir jetzt zwei Schurken von sieben weniger! – lagen damals nur in geringer Entfernung von der Schaluppe. Dort wurden sie von Walston und den Uebrigen wieder aufgefunden und durch einen tüchtigen Schluck Gin in’s Leben gebracht.

»Zum Glücke für sie – wenn es auch ein Unglück für uns ist – waren die Kisten und Behälter des Bootes bei der Strandung nicht zertrümmert worden. Munition, Waffen, fünf vom Schiffe herrührende Gewehre, und was an Proviant und beim Brande des »Severn« Hals über Kopf eingepackt worden war, Alles wurde aus der Schaluppe geschafft, denn es lag die Befürchtung nahe, daß diese durch die nächste Fluth gänzlich zerstört werden würde. Nachdem das geschehen, verließen wir die Unglücksstätte und wanderten der Küste nach in der Richtung nach Osten.

»Da bemerkte einer der Schurken – Rock, glaub‘ ich – daß man Kate noch nicht wiedergefunden habe, und Walston antwortete darauf: »O, die ist von einer Welle weggeschwemmt worden! … Gut, daß wir sie los sind!« Das ließ mich erkennen, daß die Bande, wenn sie sich, wo sie Kate nicht mehr brauchte, beglückwünschte, von dieser befreit zu sein, es bezüglich meiner Person natürlich auch so halten würde. Doch, wo hatten Sie sich versteckt gehalten, Kate?

– Ich lag auch in der Nähe der Schaluppe, doch auf der Seite nach dem Meere zu, antwortete Kate, au derselben Stelle, wohin ich bei der Strandung geworfen wurde … Sehen konnten mich die Anderen so leicht nicht, wohl aber hörte ich die Worte, welche Walston mit den Uebrigen wechselte … Nachdem sie aber Alle weg waren, Evans, erhob ich mich vorsichtig, und um Walston nicht auf’s Neue in die Hände zu fallen, entfloh ich nach der entgegengesetzten Seite. Sechsunddreißig Stunden später wurde ich, halbtodt vor Hunger, von diesen lieben Kindern aufgefunden und nach French-den geführt.

– French-den? … wiederholte Evans.

– Das ist der Name, den unsere Wohnung trägt, antwortete Gordon, und zwar zum Andenken an einen französischen Schiffbrüchigen, der viele Jahre vorher hier gelebt hat.

– French-den? … Severn-shores? … sagte Evans. Ich sehe, Ihr Knaben habt den verschiedenen Theilen der Insel bestimmte Namen gegeben. Das ist hübsch von Euch.

– Ja, Master Evans, und auch hübsche Namen, meldete sich Service, unter anderen Family-lake, Downs-lands, South-moors, Rio Sealand, Traps-woods, ferner …

– Schon gut, schon gut! Das werdet Ihr mir noch Alles mittheilen … später … vielleicht morgen! … Inzwischen fahre ich in meiner Geschichte fort … Von draußen ist doch nichts zu hören?

– Gar nichts, versicherte Moko, der nahe der Thüre der Halle Wache gehalten hatte.

– Desto besser, sagte Evans. Ich erzähle also weiter.

»Eine Stunde nach dem Verlassen des Bootes hatten wir eine Menge dichtstehender Bäume erreicht, wo wir uns für den Rest der Nacht lagerten. Am nächsten Morgen begaben wir uns nach der Strandungsstelle der Schaluppe und versuchten, deren Planken auszubessern; da wir an Werkzeug aber nur eine einfache Axt besaßen, erwies es sich unmöglich, die eingedrückte Bordwand wiederherzustellen und jene auch nur für eine kurze Ueberfahrt seetüchtig zu machen. Uebrigens erwies sich die Oertlichkeit für eine derartige Arbeit sehr unpassend.

»Wir brachen also wieder auf, um eine minder trostlose Gegend als Lagerplatz zu wählen, wo die Jagd uns den täglichen Nahrungsbedarf zu liefern versprach und wo wir gleichzeitig einen Rio mit Süßwasser fänden, denn unser Vorrath daran war fast ganz erschöpft.

»Nachdem wir gegen zwölf Meilen längs der Küste hinabgezogen waren, erreichten wir einen kleinen Fluß …

– Den East-river! sagte Service.

– Meinetwegen den East-river! antwortete Evans. Dort, im Hintergrunde einer geräumigen Bucht …

– Der Deception-Bai! bemerkte Jenkins.

– Meinetwegen der Deceptions-Bai, sagte Evans lächelnd. Dort fand sich inmitten der Uferfelsen eine Art natürlicher Hafen …

– Der des Bear-rock! ließ sich jetzt Costar vernehmen.

– Du sollst Recht haben, mein Kleiner, also der Bear-rock-Hafen, erwiderte Evans mit zustimmendem Kopfnicken. Nichts schien leichter, als sich an dieser Stelle festzusetzen, und wenn wir die Schaluppe hierher schaffen konnten, welche da oben der erste Sturm völlig zertrümmert hätte, so gelang es vielleicht, sie wieder in brauchbaren Stand zu setzen.

»Wir kehrten also zur Aufsuchung derselben zurück, und nachdem sie so soviel als möglich entlastet war, wurde sie wieder flott gemacht. Obgleich das Wasser darin fast bis an den Bordrand reichte, gelang es uns doch, sie am Strande hinzuschleppen und nach jenem Hafen zu bugsiren, wo sie jetzt in Sicherheit liegt.

– Die Schaluppe liegt beim Bear-rock? … fragte Briant.

– Ja, mein Sohn; und ich glaube, es wäre nicht unmöglich, sie zu repariren, wenn wir nur die dazu nöthigen Werkzeuge besäßen …

– Aber diese haben wir ja, Master Evans! rief Doniphan lebhaft.

– Ganz recht, und das vermuthete Walston auch schon, als ihm der Zufall lehrte, daß die Insel und von wem sie bewohnt sei.

– Wie hat er das erfahren können? fragte Gordon.

– Sehr einfach, folgendermaßen, antwortete Evans. Jetzt, vor acht Tagen, waren wir, Walston, seine Gefährten und ich – denn mich ließ man niemals allein – zur Auskundschaftung quer durch den Wald gezogen. Nach einer drei- bis vierstündigen Wanderung am Ufer Eures East-river hinauf gelangten wir an einen großen Binnensee, aus dem jener Wasserlauf abfloß. Dort fanden wir, Ihr könnt Euch unsere Verwunderung wohl vorstellen, einen am Strande angeschwommenen, seltsamen Apparat … Er bestand aus einem mit Leinwand überzogenen Gerippe von Rohrlatten …

– Unser Drache, rief Dole.

– Unser Drache, der in den See gefallen war, setzte Briant hinzu, und den der Wind dahin getrieben haben mag.

– Ah, das war ein Drache? erwiderte Evans. Meiner Treu, wir konnten’s nicht errathen, und das Ding machte uns recht arges Kopfzerbrechen. Auf jeden Fall hatte es sich doch nicht selbst gemacht … Es mußte auf der Insel hergestellt worden sein, das unterlag ja keinem Zweifel! … Die Insel war also bewohnt? … Aber von wem? … Das wollte Walston natürlich gerne wissen. In mir reifte von jenem Tage ab der Beschluß zu entfliehen. Wer die Bewohner dieser Insel auch sein mochten, und selbst wenn es Wilde waren, schlimmer konnten sie auf keinen Fall sein als die Meuterer vom »Severn«. Von demselben Augenblick an wurd‘ ich Tag und Nacht womöglich noch strenger überwacht.

– Doch wie ist French-den entdeckt worden? fragte Baxter.

– Darauf komm‘ ich noch, antwortete Evans. Doch, eh‘ ich in meinem Berichte fortfahre, sagt mir, junge Freunde, wozu Euch dieser gewaltige Drache gedient hat. Bildete er ein Signal?«

Gordon theilte Evans alles hierauf Bezügliche mit, erklärte ihm den Zweck, daß Briant zum Heile Aller dabei sein Leben aufs Spiel gesetzt und auch, wie ihm der Nachweis, daß Walston noch auf der Insel weilte, damit gelungen sei.

»Sie sind ein tüchtiger junger Mann!« sagte Evans, der Briant’s Hand ergriff und sie freundschaftlichst schüttelte.

Dann fuhr er fort:

»Ihr begreift, daß Walston nur noch das Eine am Herzen lag, Klarheit darüber zu erhalten, wer die Bewohner dieser uns zunächst unbekannten Insel sein möchten. Waren es Eingeborene, so konnte man sich vielleicht mit ihnen verständigen, waren es Schiffbrüchige, so besaßen sie möglicherweise die Werkzeuge, die ihm fehlten. In diesem Falle würden sie ihm wohl ihre Unterstützung nicht verweigern, die Schaluppe so weit in Stand zu setzen, daß sie das Meer halten konnte.

»Die Nachforschungen begannen also auf’s neue, und ich muß gestehen, mit großer Vorsicht. Man drang nur nach und nach durch die Wälder am rechten Ufer des Sees vor, um dessen Südspitze zu erreichen. Doch kein menschliches Wesen wurde bemerkt, kein Gewehrschuß ließ sich auf diesem Theile der Insel hören.

– Sehr erklärlich, unterbrach ihn Briant, weil sich schon niemand von uns mehr aus French-den entfernte und es strengstens untersagt war, ein Gewehr abzufeuern.

– Und doch wurdet Ihr zuletzt entdeckt, fuhr Evans fort. Wie hätte das auch auf die Dauer ausbleiben können? Es war in der Nacht vom dreiundzwanzigsten zum vierundzwanzigsten November, als einer der Genossen Walston’s vom südlichen Seeufer her in Sicht von French-den kam. Das Unglück wollte es, daß er dabei zufällig einen Lichtschein bemerkte, der durch die Wand des Steilufers schimmerte – ohne Zweifel der Schein Euerer Laterne, den die einen Augenblick geöffnete Thür hinausdringen ließ. Am folgenden Tage begab sich Walston selbst nach jener Stelle und hielt sich den Abend über im hohen Grase, nur wenige Schritte vom Rio, versteckt …

– Das wußten wir schon, sagte Briant.

– Ihr hättet das gewußt? …

– Ja wohl, denn an der nämlichen Stelle fanden wir, Gordon und ich, die Reste einer kleinen Thonpfeife, welche Kate mit Bestimmtheit für eine Pfeife jenes Walston erklärte.

– Ganz recht! bestätigte Evans diese Worte. Walston hatte sie bei dieser Gelegenheit verloren, was ihn bei der Rückkehr recht unangenehm berührte. Von da ab kannte er jedoch das Vorhandensein der kleinen Colonie. Während er sich hinter Gras und Gebüsch verborgen hielt, hatte er die meisten von Euch am rechten Ufer des Flusses ab und zugehen sehen … Nur junge Knaben hatte er vor sich, welche sieben Männer leicht überwältigen können mußten. Walston kehrte zurück und berichtete seinen Spießgesellen getreulich, was er beobachtet hatte. Ein Meinungsaustausch zwischen ihm und Brandt, den ich belauschte, belehrte mich, was gegen French-den geplant wurde …

– Diese Scheusale! rief Kate entrüstet dazwischen. Sie hätten auch mit diesen Kindern kein Erbarmen gehabt! …

– Nein, Kate, antwortete Evans, nicht mehr als sie mit dem Kapitän und den Passagieren des »Severn« hatten. Scheusale! … Ja, Sie haben das richtige Wort für sie getroffen, und angeführt werden sie von dem Grausamsten unter ihnen, von jenem Walston, der hoffentlich der gerechten Strafe für seine Schandthaten nicht entgeht.

– Endlich, Evans, ist es Ihnen, Gott Lob, doch gelungen zu entfliehen? sagte die Frau.

– Ja, Kate. Vor etwa zwölf Stunden konnte ich mir die Abwesenheit Walston’s und der Uebrigen zunutzemachen, die mich unter Forbes‘ und Rock’s Aufsicht zurückgelassen hatten. Der Augenblick schien mir zu meinem Vorhaben günstig. Nun kam es mir vor Allem darauf an, die beiden Schurken auf falsche Fährte zu leiten oder schlimmsten Falles vor ihnen wenigstens einen merklichen Vorsprung zu gewinnen.

»Etwa um zehn Uhr Morgens war es, als ich mich quer durch den Wald davon machte … Fast augenblicklich bemerkten das aber Forbes und Rock und eilten mir zur Verfolgung nach. Sie waren mit Gewehren versehen … ich, ich hatte nichts als mein Matrosenmesser, um mich zu vertheidigen, und meine Beine, mich wie einen Sturmvogel davonzutragen.

»Diese Jagd dauerte den ganzen Tag lang an. In schräger Richtung durch den Wald stürmend, war ich an das linke Ufer des Sees gekommen. Ich mußte noch dessen Spitze umkreisen, denn aus dem früher angehörten Gespräche wußte ich, daß Ihr in dessen Nähe an den Ufern eines nach Westen strömenden Rio wohntet.

»Wahrhaftig, niemals habe ich so schwer und so lange um mein Leben gekämpft! Fast fünfzehn Meilen im Laufe dieses Tages! Alle Wetter, die Spitzbuben liefen ebenso schnell wie ich, und ihre Kugeln flogen natürlich noch schneller. Mehr als einmal pfiffen sie mir recht eindringlich um die Ohren. Stellt Euch nur die Sachlage vor: Ich kannte ihr Geheimniß; wenn ich ihnen entkam, konnte ich sie zur Anzeige bringen, so mußten sie mich also auf jeden Fall wieder zu erlangen suchen. Wahrlich, hätten sie keine Feuerwaffen besessen, ich hätte, dies Messer in der Hand, die Schufte stehenden Fußes erwartet, und ich oder sie mußten todt auf der Stelle bleiben. Ja, Kate, ich hätte es vorgezogen, umzukommen, als nach dem Lager dieser Raubmörder zurückzukehren.

Inzwischen nährte ich die Hoffnung, diese verwünschte Treibjagd mit der Nacht ein Ende finden zu sehen … Nichts von dem! Schon war ich über die Spitze des Sees hinaus und lief an der anderen Seite wieder hinauf, doch immer fühlte ich Forbes und Rock mir noch auf den Fersen. Jetzt brach auch das seit mehreren Stunden drohende Gewitter los. Das erschwerte meine Flucht, denn beim Aufleuchten der Blitze konnten die Schurken mich im Röhricht des Strandes wahrnehmen. Endlich befand ich mich noch gegen hundert Schritte vom Rio … Gelang es mir, diesen zwischen mich und die Spitzbuben zu bringen, so betrachtete ich mich als gerettet. Niemals hätten sie gewagt, diesen zu überschreiten, da sie wußten, daß sie damit ganz in die Nähe von French-den gekommen wären.

»Ich lief also was ich laufen konnte, um das linke Ufer des Wasserlaufs zu erreichen, als ein letzter Blitz die Umgebung erleuchtete. Sofort krachte auch schon ein Schuß …

– Derselbe, den wir auch hörten? … fragte Doniphan.

– Jedenfalls, antwortete Evans. Eine Kugel streifte meine Schulter.

… Ich sprang in die Höhe und stürzte mich in den Rio … Mit wenigen Stößen befand ich mich am andern Ufer und unter dem Schilfe verborgen, während Rock und Forbes, an das jenseitige Ufer gelangt, sagten: »»Glaubst Du ihn getroffen zu haben?

– Dafür steh‘ ich ein! – So liegt er also auf dem Grunde? – Ganz gewiß, und jetzt schon mausetodt!

– Den wären wir also glücklich los!»« – Damit schlugen sie sich wieder rückwärts in den Wald.

»Ja wohl, glücklich los! … Mich ebenso wie Kate! … Wartet nur, Ihr Schurken, ich will Euch schon zeigen, ob ich todt bin! … Einige Minuten später kroch ich aus dem Schilf hervor und wandte mich nach der Ecke des Steilufers. Da hörte ich ein Gebell … ich rief … die Thüre von French-den öffnete sich … Und nun, setzte Evans hinzu, indem er die Hand nach der Seite des Sees hin ausstreckte, nun, meine jungen Freunde, ist es an uns, mit jenen Elenden aufzuräumen und Eure Insel von ihnen zu befreien!«

Er sprach diese Worte mit solcher Entschlossenheit, daß sich Alle erhoben, als wollten sie ihm schon jetzt zum Kampfe folgen.

Nun erübrigte es noch, auch Evans mitzutheilen, was sich seit zwanzig Monaten zugetragen, ihm zu erzählen, unter welchen Verhältnissen der »Sloughi« Neuseeland verlassen, die lange Fahrt über den Stillen Ocean bis zur Insel und die Auffindung der Ueberreste des französischen Schiffbrüchigen, die Gründung der kleinen Colonie in French-den, die Ausflüge in der warmen Jahreszeit und die Arbeiten während des Winters zu schildern, ebenso daß das Leben hier sich verhältnißmäßig erträglich und vor dem Eintreffen Walston’s und seiner Genossen gefahrlos gestaltet habe.

»Und seit zwanzig Monaten hat sich kein Schiff in Sicht der Insel gezeigt? fragte Evans.

– Wenigstens haben wir draußen auf dem Meere keines bemerkt, antwortete Briant.

– Hattet Ihr irgendwelche Signale errichtet?

– Ja, einen Mast auf dem höchsten Punkte des Steilufers.

– Und den hat Niemand wahrgenommen?

– Nein, Master Evans, versicherte Doniphan. Hierzu muß ich freilich bemerken, daß wir denselben seit sechs Wochen niedergelegt haben, um nicht die Aufmerksamkeit Walston’s zu erregen.

– Daran habt Ihr wohl gethan, meine jungen Freunde. Jetzt weiß der Schurke leider immerhin, woran er ist. Wir wollen also Tag und Nacht auf unserer Hut sein.

– Warum, nahm da Gordon das Wort, warum muß uns nur das Unglück treffen, hier mit einer solchen Verbrecherrotte zu thun zu bekommen, statt mit ehrbaren Leuten, welche zu unterstützen uns eine so herzliche Freude gewesen wäre? Unsere kleine Colonie hätte damit eine wünschenswerthe Verstärkung erfahren. Jetzt droht uns in nächster Zukunft dafür der Kampf, die Pflicht, unser Leben in einem Gefechte zu vertheidigen, dessen Ausgang wir nicht vorhersehen können.

– Gott, der Euch bis hieher beschützt hat, liebe Kinder, sagte Kate, Gott wird Euch auch später nicht verlassen! Er hat Euch den braven Evans gesendet, und mit ihm …

– Evans … Hurrah für Evans! … riefen die jungen Colonisten, wie aus einem Munde.

– Zählt auf mich, liebe junge Freunde, erwiderte der Steuermann, und, da ich auch auf Euch zähle, so versprech‘ ich Euch, daß wir uns erfolgreich zu wehren wissen werden.

– Und doch, meinte Gordon, wenn es möglich wäre, diesen Kampf zu vermeiden, wenn Walston zustimmte, die Insel zu räumen …

– Was willst Du damit sagen, Gordon? fragte Briant.

– Ich bin der Ansicht, er und seine Begleiter wären schon abgesegelt, wenn sie ihre Schaluppe hätten benutzen können. – Ist es nicht so, Master Evans?

– Gewiß!

– Doch, wenn man nun mit ihnen in friedliche Unterhandlung träte, wenn wir ihnen das nothwendige Werkzeug lieferten, vielleicht nähmen sie das an? Ich weiß wohl, wie widerwärtig es erscheint, mit den Mördern vom »Severn« in Beziehung zu treten; doch, wenn es sich darum handelt, uns von ihnen zu befreien und einen Angriff zu vermeiden, der wahrscheinlich viel Blut kostet … Indeß, was denken Sie darüber, Master Evans?«

Evans hatte Gordon aufmerksam zugehört. Sein Vorschlag verrieth den allezeit praktischen Geist, der sich unüberlegten Eingebungen nicht fügte, und einen Charakter, der jenen in den Stand setzte, die gegebene Lage mit Ruhe zu überschauen. Er dachte dabei – und er täuschte sich ja auch nicht – daß dieser Knabe der gereifteste von allen sein möge und daß sein Vorschlag wenigstens genauere Erwägung verdiene.

»In der That, Herr Gordon, antwortete er, es würde gewiß jedes Mittel gut sein, uns von jenen Uebelthätern zu erlösen. Wenn sie wirklich, nachdem sie in den Stand gesetzt wurden, ihre Schaluppe auszubessern, darauf eingingen, abzufahren, so wäre das allemal besser, als sich auf einen Kampf einzulassen, dessen Ausgang immerhin zweifelhaft sein kann. Doch wer könnte sich auf Walston verlassen? Wenn Sie mit ihm in Verbindung treten, würde er das ohne Zweifel nur benutzen, um French-den zu überfallen und sich alles Ihres Besitzthums zu bemächtigen. Er kommt vielleicht auch auf den Gedanken, daß Sie vom Schiffbruche noch etwas Geld gerettet haben könnten. Glauben Sie mir, diese Schurken würden Ihnen jede Wohlthat nur durch irgend welche Schandthat lohnen. In jenen Herzen ist kein Raum für die Dankbarkeit! Sich mit ihnen verständigen, heißt sich ihnen völlig ausliefern.

– Nein! … Nein! … riefen Baxter und Doniphan, denen ihre Kameraden sich mit einer Entschiedenheit anschlossen, welche dem Steuermann sehr wohl gefiel.

– Nein, setzte auch Briant hinzu, wir wollen keine Gemeinsamkeit mit Walston und seinen Genossen haben!

– Und dann, fuhr Evans fort, brauchen sie nicht allein Werkzeuge, sondern vor Allem Schießbedarf. Gewiß besitzen sie davon noch so viel, um zu einem Angriffe vorschreiten zu können; wenn es aber darauf ankommt, andere Ländergebiete mit bewaffneter Hand zu durchstreifen, so wird, was ihnen von Pulver und Blei noch übrig blieb, nicht ausreichen. Sie würden das also von Ihnen verlangen … würden es fordern! Könnten Sie den Mördern das noch zugestehen?

– Nein, gewiß nicht! antwortete Gordon.

– Nun, dann würden jene eben versuchen, es mit Gewalt zu erlangen. Sie hätten damit den drohenden Kampf nur vertagt, und dieser müßte unter für Sie minder günstigen Bedingungen ausbrechen.

– Sie haben Recht, Master Evans, stimmte ihm Gordon zu. Halten wir uns in der Defensive und warten den Lauf der Dinge ab.

– Ja, das ist Wohl das Richtigste … Warten wir Alles ab, Herr Gordon. Was das übrigens betrifft, habe ich noch einen Grund, der mich näher angeht, als alle Anderen.

– Welchen denn?

– Hören Sie mich an. Walston kann, wie Sie wissen, die Insel nur auf der Schaluppe des »Severn« verlassen.

– Das liegt auf der Hand, sagte Briant.

– Diese Schaluppe ist aber recht gut wieder herzustellen, dafür stehe ich ein; und wenn Walston darauf verzichtete, sie für sich in Stand zu setzen, so lag das nur am Mangel an Werkzeugen.

– Ohne diesen Mangel wäre es gewiß längst geschehen, bemerkte Briant.

– Ganz recht, junger Freund. Liefern Sie Walston nun die Hilfsmittel, das Boot wirklich auszubessern – ich nehme einmal an, er gäbe den Gedanken an eine Plünderung von French-den gänzlich auf – so würde er sich beeilen, davon zu fahren, ohne sich um Sie weiter zu kümmern.

– Ei, wenn er es doch schon gethan hätte, rief Service.

– Alle Wetter, wenn er es gethan hätte, antwortete Evans, wie kämen wir dann in die Lage, es auch selbst thun zu können, wenn die Schaluppe vom »Severn« nicht mehr zur Hand ist?

– Wie, Master Evans? fragte Gordon, Sie rechnen auf dieses Boot, um die Insel zu verlassen? …

– Natürlich, Herr Gordon!

– Um damit nach Neuseeland zu fahren und über den Stillen Ocean wegzusegeln? setzte Doniphan hinzu.

– Ueber den Ocean? … Nein, meine jungen Freunde, erwiderte Evans, wohl aber um einen weniger entfernten Punkt zu erreichen, von dem wir Aussicht hätten, nach Auckland zurückzukehren.

– Sprechen Sie die Wahrheit, Herr Evans?« rief Briant.

Gleichzeitig wollten schon zwei oder drei seiner Kameraden den Steuermann mit Fragen bestürmen.

»Wie, diese Schaluppe sollte geeignet sein, mit ihr eine Ueberfahrt von mehreren hundert Meilen zu unternehmen? bemerkte Briant.

– Mehrere hundert Meilen? … antwortete Evans, nein, das freilich nicht, aber doch im Nothfalle dreißig!

– Ist es denn nicht das Meer, das rings um die Insel fluthet? fragte Doniphan.

– Im Westen derselben, ja, antwortete Evans; aber nicht im Süden, Norden und Osten; dort befinden sich nur Canäle, welche man bequem in sechzig Stunden überschreiten kann.

– So täuschten wir uns also nicht mit der Annahme, daß hier andere Länder in der Nähe lägen? sagte Gordon.

– Nein, keineswegs, versicherte Evans. Im Osten liegen sogar sehr ausgedehnte Landstrecken.

– Ja, ja … im Osten! rief Briant. Jener weißliche Fleck und dann der Feuerschein, den ich in dieser Richtung wahrnahm …

– Ein weißlicher Fleck, sagen Sie? erwiderte Evans. Das ist offenbar irgend ein Gletscher, und jener Feuerschein rührte von der Flammengarbe eines Vulcans her, dessen Lage auf den Karten verzeichnet sein muß. – Ah, sagt mir doch, Ihr Leutchen, wo glaubtet Ihr denn eigentlich zu sein?

– Auf einer vereinzelt liegenden Insel des Stillen Weltmeeres, erklärte Gordon.

– Auf einer Insel? … Nun ja! … Auf einer vereinzelten … nein! Glauben Sie mir getrost, daß dieselbe zu einem der zahlreichen Archipele gehört, welche der Küste Südamerikas vorlagern. – Und, halt einmal, da Sie den Vorgebirgen, den Buchten und Wasserläufen Ihrer Insel Namen gegeben haben, hörte ich doch noch nicht, wie Sie diese selbst nennen? …

– Die Insel Chairman, nach dem Namen unseres Pensionats, antwortete Doniphan.

– Die Insel Chairman! wiederholte Evans. Nun, damit hat sie also zwei Namen, denn sie heißt schon längst die Insel Hannover.«

Nachdem noch die gewohnten Vorsichtsmaßregeln sorgsam getroffen worden waren, begaben sich nun Alle zur Ruhe und auch für den Steuermann hatte man eine Lagerstätte in der Halle hergerichtet. Die jungen Colonisten standen jetzt unter einem doppelten Eindruck, der wohl geeignet war, ihren Schlummer zu stören: einmal die Aussicht auf einen blutigen Kampf, und andererseits die Möglichkeit, wieder in die Heimat zu gelangen …

Der Master Evans hatte für den nächsten Morgen alle weiteren Erklärungen verschoben und zeigte ihnen nur noch im Atlas die genaue Lage der Insel Hannover. Und während Moko und Gordon sich der Wache unterzogen, verlief die Nacht in French-den in ungestörter Ruhe.

Sechstes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

An der Elgorbucht.

Das Flottmachen des Fahrzeugs war also vollkommen gelungen, damit war aber noch nicht alles getan. Die Goelette lag in diesem Einschnitt am Ufer des Kaps Barthelemy nicht für alle Fälle geschützt. Sie war hier dem Seegange von draußen und den Stürmen aus Nordwesten zu sehr ausgesetzt. Zur Zeit der Hochfluten der Tagundnachtgleichen hätte sie an dieser Stelle keine vierundzwanzig Stunden liegen dürfen.

Kongre wußte das recht wohl. Er beabsichtigte auch, die Einbuchtung schon am nächsten Tage zu verlassen, und zwar mit dem Ebbestrome, mit dessen Hilfe er ein Stück weit in die Le Mairestraße hinein zu gelangen hoffte.

Vorher mußte natürlich das Schiff genauer untersucht werden, um sich über den Zustand seines Rumpfes im Innern Gewißheit zu verschaffen. Obgleich es bekannt war, daß es kein Wasser einnahm, konnten bei der Brandung – wenn auch nicht seine Beplankung – doch seine Inhölzer gelitten haben. Dann mußten aber, vor dem Antreten einer längern Fahrt, die nötigen Reparaturen ausgeführt werden.

Kongre rief sofort seine Leute zusammen, den bis zu den Bauchstücken an Back- und an Steuerbord hinausreichenden Ballast wegzuräumen. Ihn auszuladen war nicht notwendig, und damit wurden Zeit und Mühe gespart… vor allem Zeit, mit der man bei der unsichern Lage, in der die ›Maule‹ sich befand, zu geizen alle Ursache hatte.

Das alte Eisen, woraus der Ballast bestand, wurde zuerst vom Vorder- nach dem Hinterteile des Frachtraumes geschafft, um den vordern Teil der Wegerung untersuchen zu können.

Diese Untersuchung führten Kongre und Carcante mit aller Sorgfalt aus, und wurden dabei von einem Chilenen Namens Vargas unterstützt, der früher als Schiffszimmermann auf den Werften von Valparaiso gearbeitet hatte und sein Geschäft gründlich verstand.

In dem Teile zwischen dem Vordersteven und der Mastspur des Fockmastes wurde keinerlei Beschädigung entdeckt. Bauchstücken, Inhölzer und Fugen waren in bestem Zustande. Da alles mit Kupfer verbolzt war, hatte die Strandung auf der Sandbank ihnen nichts anhaben können.

Als der Ballast wieder nach vorn geschafft war, erwies sich der Rumpf zwischen Fockmast und Großmast ebenso in tadellosem Zustande. Die Deckstützen waren weder verbogen noch verschoben, und auch die Leiter, über die man nach der großen Luke gelangte, stand an ihrem richtigen Platze.

Schließlich wurde noch das letzte Dritteil des Raumes bis zum Hintersteven ebenso eingehend besichtigt.

Hier fand sich eine nicht ganz unwesentliche Havarie. War auch kein Leck vorhanden, so wiesen doch die Inhölzer hier eine etwa anderthalb Meter lange Einbiegung auf. Diese mochte von dem Anprall gegen einen Felsblock herrühren, bevor die Goelette auf die Sandbank getrieben worden war. Obwohl die Fugen dabei nicht besonders auseinander gewichen waren und das geteerte Werg nicht herausgepreßt worden war, mußte diese Havarie doch schon als eine ernstere angesehen werden und ein Seemann sich dadurch etwas beunruhigt fühlen.

Vor dem Auslaufen aufs Meer ließ sich hier eine Ausbesserung des Schadens nicht umgehen, außer wenn es sich bei günstiger Witterung nur um eine ganz kurze Fahrt gehandelt hätte. Wahrscheinlich nahm diese Reparatur übrigens eine ganze Woche in Anspruch, und das nur unter der Voraussetzung, daß genügendes Ersatzmaterial und das zu der Arbeit notwendige Werkzeug zur Hand war.

Als Kongre und seine Genossen wußten, woran sie waren, folgten nicht ganz ungerechtfertigte Verwünschungen den Hurras, die das Flottwerden der ›Maule‹ begrüßt hatten. Sollte das Fahrzeug sich als unbenutzbar erweisen und die Strandräuberrotte vielleicht auch jetzt noch verhindert sein, die Stateninsel zu verlassen?

Kongre suchte die erregten Gemüter zu beruhigen.

»Die Havarie ist in der Tat eine ernste, sagte er. In ihrem jetzigen Zustande könnten wir uns nicht auf die ›Maule‹ verlassen, die bei schwererer See Gefahr liefe, leck zu werden. Bis zu den pazifischen Inseln haben wir aber mehrere hundert Seemeilen zurückzulegen… Das hieße, es wagen, bei der Fahrt einfach unterzugehen. Die Havarie läßt sich jedoch ausbessern, und das werden wir tun.

– Wo denn? fragte einer der Chilenen mit deutlichen Zeichen von Beunruhigung.

– Jedenfalls nicht hier, meinte einer seiner Gefährten.

– Nein, entschied Kongre entschlossenen Tones, nicht hier, aber in der Elgorbucht!«

Die Goelette konnte die Strecke, die sie jetzt von der Elgorbucht trennte, voraussichtlich in achtundvierzig Stunden zurücklegen. Sie brauchte nur, gleichgültig ob im Süden oder Norden, längs der Küste der Insel hinzusegeln. In der Höhle, wo die gesamte Ausbeute der Strandräubereien zurückgelassen worden war, würde der Zimmermann auch das zur Reparatur nötige Holz und die passenden Werkzeuge vorfinden. Müßte man dort vierzehn Tage, selbst drei Wochen verweilen, so würde die ›Maule‹ einfach so lange liegen bleiben. Die bessere Jahreszeit hielt ja noch zwei Monate an, und wenn Kongre und seine Spießgesellen die Insel verließen, so geschah das dann an Bord eines Fahrzeugs, das ihnen jede gewünschte Sicherheit bot.

Kongre hatte übrigens von jeher die Absicht gehabt, vom Kap Barthelemy wegzugehen und noch einige Zeit in der Elgorbucht zu bleiben. Um keinen Preis wollte er die in der Höhle verborgenen Gegenstände verlieren, als der Beginn des Leuchtturmbaues die Bande nötigte, sich nach dem entgegengesetzten Ende der Insel zurückzuziehen. Seine Pläne erfuhren eine Änderung also nur bezüglich der Dauer dieses Aufenthaltes, der sich nun wahrscheinlich über die dafür in Aussicht genommene Zeit ausdehnte.

Die Zuversicht der Leute kehrte also zurück, und es wurden alle Vorbereitungen getroffen, am nächsten Tage mit dem Gezeitenwechsel abzufahren.

Die Anwesenheit der Leuchtturmwärter war nicht dazu angetan, die Rotte von Räubern zu beunruhigen. In kurzen Worten erklärte Kongre seine diesbezüglichen Absichten.

»Schon vor dem Eintreffen dieser Goelette, sagte er zu Carcante, war es, sobald die Wärter allein wären, mein Plan, mich zum Herrn der Elgorbucht zu machen. Daran hat sich auch jetzt nichts geändert, außer daß wir, statt möglichst unbemerkt vom Innern der Insel heranzuschleichen, ganz offen vom Meere aus dahin gehen. Die Goelette legen wir in der Bucht vor Anker, und man wird uns ohne jeden Verdacht aufnehmen, und dann…«

Eine Handbewegung, die Carcante nicht mißverstehen konnte, vollendete den Gedankengang Kongres. Wirklich schienen alle Umstände die Pläne des Elenden zu begünstigen. Wie konnten Vasquez, Moriz und Felipe, wenn nicht ein Wunder geschah, dem ihnen drohenden Schicksal entgehen?

Der Nachmittag wurde den Vorbereitungen zur Abfahrt gewidmet. Kongre ließ den Ballast wieder zweckmäßig verteilen und leitete selbst die Einschiffung des Proviants, der Waffen und der andern, früher nach dem Kap Barthelemy geschafften Gegenstände.

Das Einladen ging schnell von statten. Seit der Flucht von der Elgorbucht – also seit mehr als einem Jahre – hatten sich Kongre und seine Genossen in der Hauptsache von den vorhandenen Vorräten ernährt, und von diesen war jetzt nur eine geringe Menge übrig, die in der Kambüse niedergelegt wurde. Lagerstätten, Kleidungsstücke, Geräte aller Art und die Gold- und Silberschätze schaffte man nach der Küche, dem Mannschaftslogis, nach dem Deckhause oder in den Frachtraum der ›Maule‹, und hierzu sollte noch kommen, was in der Höhle am Eingang der Bucht versteckt worden war.

Alle arbeiteten so fleißig, daß die ganze Ladung schon am Nachmittag gegen vier Uhr an Bord war. Die Goelette hätte jetzt sofort auslaufen können, Kongre fand es aber unratsam, in der Nacht an einer mit Klippen durchsetzten Küste hinzusegeln. Er wußte vorläufig noch nicht einmal, ob er einen Kurs durch die Le Mairestraße einschlagen sollte oder nicht, um nach der Höhe des Kaps Sankt-Johann zu kommen. Das würde von der Windrichtung abhängen, ja, wenn er aus Süden wehte, nein, wenn er aus Norden kam und Neigung zum Auffrischen zeigte. In diesem Falle erschien es ihm mehr angezeigt, den Weg südlich von der Insel zu wählen, wo die ›Maule‹ unter dem Schutze des Landes geblieben wäre. Welcher Weg aber auch eingeschlagen werden mochte, konnte die Fahrt, Kongres Schätzung nach, wenn das Schiff in der Nacht still liegen blieb, nicht länger als etwa dreißig Stunden dauern.

Als der Abend herankam, hatte sich im Zustande der Atmosphäre nichts geändert. Bei Sonnenuntergang zogen keine Dünste auf, und die Berührungslinie des Himmels und des Wassers war so außerordentlich rein, daß sogar noch ein grüner Strahl aufblitzte, als die purpurn glänzende Scheibe am Horizonte versank.

Aller Voraussicht nach verlief die Nacht ganz ruhig und still, und das war auch wirklich der Fall. Die meisten von den Leuten waren an Bord gegangen und hatten sich, die einen im Volkslogis, die andern im Frachtraum, einen Ruheplatz gesucht. Kongre befand sich in der Kabine des Kapitäns Pailha, die rechts lag, und Carcante in der des Obersteuermanns an der linken Seite.

Mehrmals kamen sie jedoch noch aufs Deck herauf, um den Zustand des Himmels und des Meeres zu betrachten und sich zu überzeugen, daß die ›Maule‹ auch bei der Tiefebbe in keiner Weise gefährdet und die Abfahrt am nächsten Tage durch nichts verhindert wäre.

Der Aufgang der Sonne war prachtvoll. In dieser Breite ist es sonst selten, sie über einen so reinen Horizont aufsteigen zu sehen. In der ersten Morgenstunde fuhr Kongre in einem der Schiffsboote hinaus und erklomm durch eine enge Schlucht fast am Kap Saint-Barthelemy das steil abfallende Ufer.

Von dieser Höhe aus konnte er das Meer weithin und auf dreiviertel eines Kreises überblicken. Nur nach Osten zu war die Aussicht durch Bergmassen begrenzt, die zwischen dem Kap Saint-Antoine und dem Kap Kompe aufstiegen.

Das nach Süden hin ruhige Meer war vor dem Eingange zur Meerenge ziemlich aufgeregt, und der frische Wind schien eher noch zunehmen zu wollen.

Übrigens war kein Segel, keine Rauchfahne auf dem Wasser zu sehen, und aller Voraussicht nach würde die ›Maule‹ bei der kurzen Strecke bis zum Kap Sankt-Johann mit keinem andern Schiff zusammentreffen.

Kongres Entscheidung war schnell getroffen. Da er mit Recht eine sehr steife Brise fürchtete und vor allem wünschte. der Goelette nicht zuviel zuzumuten, indem er sie dem hohen Wogengange in der Meerenge aussetzte, der hier vorzüglich beim Gezeitenwechsel auftritt, entschloß er sich, an der Südküste hinzusegeln und der Elgorbucht unter Umschiffung der Kaps Webster. Several und Diegos zuzusteuern. Die Entfernung bis dahin war übrigens auf dem südlichen wie auf dem nördlichen Wege ziemlich die gleiche.

Kongre stieg wieder hinunter, wandte sich dem Ufer zu und begab sich nach der Höhle, wo er sich überzeugte, daß darin nichts vergessen worden war. So würde also auch nichts die frühere Anwesenheit von Menschen auf dem westlichen Teile der Stateninsel verraten können.

Es war jetzt wenig über sieben Uhr. Die schon einsetzende Ebbe unterstützte das Auslaufen aus dem engen Landeinschnitte.

Der Anker wurde also wieder auf dem Kranbalken befestigt, dann hißte man das Fock- und ein Bramsegel, die bei dem herrschenden Nordostwind genügen mußten, die ›Maule‹ bis über den Klippengürtel hinauszutreiben.

Kongre führte das Steuer, während Carcante vorn auf dem Ausguck stand. Zehn Minuten, mehr bedurfte es nicht, die Goelette zwischen dem Gewirr von Felsblöcken hinauszuführen, und sofort fing diese an, ein wenig zu schlingern und zu stampfen.

Auf Anordnung Kongres ließ Carcante noch ein Focksegel und die Brigantine – das Großsegel in der Takelage einer Goelette – und dann noch ein Marssegel setzen. Unter dem Drucke dieser Segel wendete die ›Maule‹ nach Südwesten – wobei sie fast vollen Rückenwind bekam – um die äußerste Spitze des Kaps Saint-Barthelemy zu umschiffen.

Nach einer halben Stunde hatte die ›Maule‹ diesen Felsenvorsprung hinter sich. Sie mußte nun in der Richtung nach Osten anluven und sich dicht am Winde halten. Bei dem Schutze durch die Südküste der Insel, von der sich das Fahrzeug drei Seemeilen weit fernhielt, kam die Goelette aber doch ziemlich gut vorwärts.

Inzwischen konnten Kongre und Carcante sich überzeugen, daß das leichte Schiff sich bei jeder Gangart recht gut hielt. In der schönen Jahreszeit lief man gewiß keine Gefahr, damit auf den Stillen Ozean hinauszusegeln, wenigstens wenn die letzten magellanischen Inseln passiert waren.

Vielleicht hätte Kongre spät am heutigen Abend noch die Elgorbai erreichen können, er zog es aber vor, an einer Stelle in der Nähe des Ufers beizulegen, ehe die Sonne hinter dem Horizonte verschwand. Er ließ deshalb die Segelfläche verkleinern, benützte weder ein Bramsegel des Fockmastes noch ein Topsegel des Großmastes und begnügte sich mit einer Geschwindigkeit von fünf bis sechs Knoten in der Stunde.

Im Laufe des ersten Tages begegnete die ›Maule‹ keinem Schiffe, und es wurde allmählich Nacht, als sie östlich vom Kap Webster beidrehte. Bis hierher war etwa die Hälfte der Fahrt zurückgelegt.

Hier türmten sich gewaltige Felsmassen übereinander, und die Insel zeigte hier auch die höchsten steilen Uferwände. Die Goelette ankerte eine Kabellänge vor diesen in einer von der Spitze des Kaps geschützten Einbuchtung. Ruhiger als hier konnte ein Schiff kaum in einem Hafen, ja nicht einmal in einem geschlossenen Wasserbecken liegen. Sprang der Wind freilich nach Süden um, so wäre die ›Maule‹ ihm an dieser Stelle frei ausgesetzt gewesen, wo das Meer, wenn es von Polarstürmen aufgewühlt wurde, oft ebenso entsetzlich tobt, wie in der Nähe des Kaps Horn. Die Witterung schien sich aber wie vorher zu halten, die Nordostbrise wehte weiter, und alle Umstände schienen die Pläne Kongres und seiner Leute zu begünstigen.

Die Nacht vom 25. zum 26. Dezember war außerordentlich ruhig. Der Wind, der sich am Abend gegen zehn Uhr etwas gelegt hatte, sprang kurz vor Tagesanbruch am Morgen etwa um vier Uhr von neuem auf.

Schon beim ersten Schein der Morgenröte traf Kongre die nötigen Maßregeln zur Abfahrt. Die in der Nacht lose an den Rahen hängenden Segel wurden wieder fester gebunden. Das Gangspill brachte den Anker an seinen Liegeplatz, und die ›Maule‹ setzte sich in Bewegung.

Das Kap Webster springt, von Norden nach Süden, zwischen vier und fünf Seemeilen ins Meer hinaus vor. Die Goelette mußte also erst ein Stück zurückgehen, um nach der Küste zu gelangen, die nach Osten ungefähr in der Länge von zwanzig Seemeilen bis zur Severalspitze verläuft.

Die ›Maule‹ glitt nun unter denselben Verhältnissen hin, wie am Tage vorher, indem sie längs der Küste hinsteuerte, wo das Wasser unter dem Schutze der hohen Uferwände sehr ruhig war.

Die Küste selbst war freilich gefährlicher, als selbst die der Meerenge. Eine Anhäufung von ungeheuern, nicht einmal in ruhigem Gleichgewicht liegenden Felsblöcken, denn eine Menge solcher war noch auf dem Vorlande bis zur äußersten Flutwassergrenze verstreut… ein Labyrinth schwärzlicher Riffe, die nirgends eine Stelle freiließen, wo, von einem Schiffe mit geringem Tonnengehalt gar nicht zu sprechen, auch nur ein einfaches Boot hätte landen können. Keine Einbuchtung, die auf dem Wasserwege erreichbar gewesen wäre, keine Sandbank, auf die man hätte den Fuß setzen können! Das Ganze nichts als ein ungeheurer Wall, den die Stateninsel den furchtbaren Wellenbergen aus dem antarktischen Meere entgegensetzte.

Die Goelette glitt mit mittlerer Beseglung mindestens drei Seemeilen vor der Küste hin. Da Kongre diese nicht kannte, fürchtete er, näher als nötig daran heranzukommen; weil er aber anderseits die ›Maule‹ nicht anstrengen wollte, hielt er sich immer mehr in dem stillen Wasser, das er weiter draußen vom Lande nicht gefunden hätte.

Als er gegen zehn Uhr den Eingang zur Blossombucht erreichte, konnte er stärker bewegtem Wasser doch nicht aus dem Wege gehen. Der Wind, der sich in dem tief ins Land einschneidenden Golfe zu fangen schien, wühlte das Meer zu langen Wogen auf, die die ›Maule‹ von der Seite her trafen. Kongre ließ das Schiff laufen, um die Spitze, die die Ostseite der Bucht abschließt, zu umschiffen, und als das geschehen war, luvte er dicht an den Wind an und steuerte mit Backbordhalsen ein Stück nach der hohen See hinaus.

Kongre hatte selbst das Steuer ergriffen, und die Schoten fest angespannt, hielt er sich so viel wie möglich am Winde. Erst am Nachmittag gegen vier Uhr meinte er weit genug gegen diesen aufgekommen zu sein, sein Ziel erreichen zu können, ohne daß er hätte kreuzen müssen. Er ließ nun die Halsen wechseln und steuerte geradeswegs auf die Elgorbucht zu. Die Severalspitze lag ihm zu dieser Zeit vier Seemeilen im Nordwesten.

Von hier aus war die Küste in ihrer ganzen Ausdehnung bis zum Kap Sankt-Johann zu übersehen.

Gleichzeitig tauchte an der Rückseite der Diegosspitze der Leuchtturm am Ende der Welt auf, den Kongre jetzt zum erstenmal erblickte. Mit dem in der Kabine des Kapitäns Pailha gefundenen Fernrohre konnte er sogar einen der Wärter erkennen, der auf der Turmgalerie stehend das Meer beobachtete.

Da die Sonne noch drei Stunden über dem Horizonte bleiben mußte, erreichte die ›Maule‹ sicherlich ihren Ankerplatz, ehe es Nacht wurde.

Selbstverständlich hatte die Goelette der Aufmerksamkeit der Wärter nicht entgehen können, und ihr Erscheinen im Gewässer der Stateninsel war von dem Wachhabenden sofort gemeldet worden. Als Vasquez und seine Kameraden sie anfänglich nach dem offenen Meere hin wenden sahen, mußten sie annehmen, daß das Fahrzeug auf die Maluinen zusteuerte. Seit es aber, nun mit Steuerbordhalsen, mehr in den Wind beigedreht hatte, konnten sie nicht daran zweifeln, daß es in die Bucht einlaufen wollte.

Kongre war es ziemlich gleichgültig, daß die ›Maule‹ jedenfalls bemerkt worden war und die Wärter erkannt haben mochten, daß sie hier vor Anker gehen wollte. Das konnte ja seine Pläne nicht ändern.

Zu seiner großen Befriedigung verlief der letzte Teil der Fahrt unter besonders günstigen Bedingungen. Der Wind war etwas weiter nach Osten umgeschlagen; so trieb die Goelette nun schneller vor dem Winde hin, ohne hin und her kreuzen zu müssen, um die Diegosspitze zu umschiffen.

Das war ein glücklicher Umstand. Bei der Beschädigung ihres Rumpfes hätte sie Schläge von einer Seite zur andern vielleicht nicht mehr ausgehalten, und wer weiß, ob sie nicht vor der Ankunft in der Bai gar noch leck geworden wäre.

Dazu kam es auch wirklich. Als die ›Maule‹ nur noch zwei Seemeilen von der Bucht entfernt war, kam ein Mann, der sich in den Frachtraum hinunter begeben hatte, mit dem Schreckensrufe herauf, daß durch einen Riß in den Planken Wasser eindringe.

Das war gerade an der Stelle, wo der Rumpf oder die Innenverkleidung durch den vermuteten Stoß an einem Felsblocke eingedrückt worden war. Bisher hatte die Verplankung ja noch dicht gehalten, doch jetzt war sie, zum Glück nur auf die Länge von wenigen Zollen, etwas aufgesprungen, so daß diese Havarie nicht besonders ernst erschien. Nach Beseitigung eines Teils des Ballastes gelang es Vargas ohne große Mühe, das Leck mit einer Handvoll Kalfaterhanf wenigstens notdürftig zu stopfen.

Natürlich war es unumgänglich, die beschädigte Stelle noch sorgsam auszubessern. Bei dem Zustande, in dem die Goelette durch die Strandung am Kap Barthelemy versetzt worden war, hätte man sich, ohne einen fast gewissen Untergang befürchten zu müssen, auf den Großen Ozean nicht hinauswagen dürfen.

Die sechste Stunde war herangekommen, als sich die ›Maule‹ anderthalb Seemeilen vor dem Eingang zur Elgorbai befand. Kongre ließ nun die obern Segel einziehen, die jetzt unnötig waren, und fuhr nur mit dem Mars-, dem großen Klüversegel und der Brigantine weiter. Damit mußte die ›Maule‹, unter der Führung Kongres, der, wie erwähnt, die Elgorbucht genau kannte, bequem einen passenden Ankerplatz in deren Hintergrunde erreichen. Kongre steuerte sie denn auch als sichrer Lotse längs der fahrbaren Straße dahin.

Da blitzte gegen halb sieben Uhr ein glänzendes Strahlenbündel über die Meeresfläche hin. Die Lampe des Leuchtturmes war angezündet worden, und das erste Schiff, dessen Weg sie beleuchten sollte, war eine in die Hände einer Räuberbande geratene chilenische Goelette!

Fast um sieben Uhr war es, die Sonne verschwand schon hinter den steilen Höhen der Stateninsel, als die ›Maule‹ das Kap Sankt-Johann an Steuerbord hinter sich ließ. Jetzt lag die Bucht vor ihr offen. Kongre segelte mit Rückenwind in sie ein.

Als sie an den Höhlen vorüberkamen, konnten Kongre und Carcante sich überzeugen, daß deren Eingänge unter den angehäuften Steinen und dem Gewirr von Ästen und Zweigen, die diese verschlossen, nicht entdeckt zu sein schienen. Nichts hatte also ihre frühere Anwesenheit auf der Insel verraten, und jedenfalls fanden sie die zusammengeraffte Ausbeute ihrer Räubereien in demselben Zustande wieder, in dem sie diese hier zurückgelassen hatten.

»Na, das läßt sich ja gut an, sagte Carcante zu dem auf dem Hinterdeck neben ihm stehenden Kongre.

– Und wird sich sehr bald noch besser gestalten,« antwortete dieser.

Nach höchstens zwanzig Minuten hatte die ›Maule‹ den Landeinschnitt erreicht, wo sie verankert werden sollte.

Da wurde sie von zwei Männern »angesprochen«, die von der Bodenerhebung, worauf der Leuchtturm stand, ans Ufer heruntergekommen waren.

Felipe und Moriz waren es, die ihr Boot bestiegen und an Bord der Goelette gehen wollten.

Vasquez befand sich oben im Turmzimmer eben auf Wache.

Als die Goelette die Mitte der Bucht erreicht hatte, waren das Marssegel und die Brigantine schon gerefft, und sie trug nur noch das große Klüversegel, das Carcante jetzt auch noch einbinden ließ.

In dem Augenblicke, wo der Anker rasselnd zum Grunde hinabsank, sprangen Moriz und Felipe auf das Deck der ›Maule‹.

Auf einen Wink Kongres erhielt der erste sofort einen Axthieb auf den Kopf, so daß er zusammenbrach; gleichzeitig streckten zwei Revolverschüsse Felipe neben seinem Kameraden nieder. In einer Minute waren beide tot.

Durch eins der Fenster des Wachzimmers hatte Vasquez die Schüsse gehört und die Ermordung seiner Kameraden gesehen.

Dasselbe Schicksal stand ihm bevor, wenn man sich seiner Person bemächtigte. Bei den Mordgesellen war gewiß auf keine Gnade zu rechnen. Armer Felipe!… Armer Moriz! Er hatte ja nichts tun können, sie zu retten, und er blieb oben, entsetzt über die schreckliche Bluttat, die in wenigen Sekunden verübt worden war.

Nach Überwindung des ersten Schreckens überlegte er sich die Sachlage. Um jeden Preis mußte er sich den mordlustigen Schurken zu entziehen suchen. Vielleicht wußten sie nicht, daß er sich hier befand, doch war leicht vorauszusehen, daß mehrere von diesen, nachdem das Schiff völlig festgelegt und im übrigen besorgt war, den Gedanken hätten, auf den Turm zu steigen, und das jedenfalls in der Absicht, das Leuchtfeuer zu löschen, um die Bucht, wenigstens bis Tagesanbruch, unzugänglich zu machen.

Ohne Zögern verließ Vasquez das Wachzimmer und eilte die Treppe hinunter nach dem Wohnraum zu ebener Erde.

Er hatte keinen Augenblick zu verlieren. Schon wurde das Geräusch von einem Boote hörbar, das von der Goelette abstieß, um einige Leute von der Mannschaft ans Land zu setzen.

Vasquez ergriff zwei Revolver, die er in seinen Gürtel steckte, raffte einigen Proviant in einen Sack zusammen, den er über die Schultern warf, und verließ dann die Stube. Schnellen Schrittes sprang er den abfallenden Weg vor der Einfriedigung hinunter und verschwand bald in der zunehmenden Dunkelheit.

Siebentes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Die Höhle.

Welch schreckliche Nacht hatte der unglückliche Vasquez zu verbringen… wie furchtbar war seine Lage! Seine Kameraden kaltblütig hingeschlachtet, dann über Bord geworfen, und jetzt trug wohl der Ebbestrom ihre Leichen hinaus aufs Meer! Ihm kam gar nicht der Gedanke, daß ihn gewiß dasselbe Schicksal ereilt hätte, wenn er nicht gerade auf Wache auf dem Turme gewesen wäre; er dachte nur an seine Freunde, die er eben verloren hatte.

»Armer Moriz!… Armer Felipe! flüsterte er für sich. In vollem Vertrauen waren sie im Begriff, jenen Elenden ihre Dienste anzubieten, und man antwortete ihnen mit Revolverschüssen!… Ich werde sie nimmer wiedersehen, sie werden ihre Heimat, und werden die Ihrigen nie wieder erblicken. Und die arme Frau des guten Moriz… die ihn in zwei Monaten zurückerwartete… wenn sie erst sein trauriges Ende erfährt!«

Vasquez brach unter dem Übermaß des Schmerzes fast zusammen, empfand er doch eine herzliche Zuneigung für die beiden Wärter, er, ihr Vorgesetzter. Kannte er sie doch seit so langen Jahren. Auf seine Empfehlung hatten sie ihre Stelle beim Leuchtturm erhalten, und nun war er allein… allein!…

Woher kam aber jene Goelette und welche Räuberbesatzung hatte sie an Bord? Unter welcher Flagge segelte sie und warum dieser Aufenthalt in der Elgorbucht? Warum hatten die Schurken gleich nach dem Betreten des Landes das Feuer des Turmes ausgelöscht? Wollten sie dadurch etwa verhindern, daß ihnen ein andres Schiff in die Bucht nachfolgen könnte?

Unwillkürlich drängten sich Vasquez diese Fragen auf, ohne daß er sie zu beantworten vermochte. An die Gefahr, die ihm selbst drohte, dachte er gar nicht. Und doch mußten die Verbrecher bald in Erfahrung bringen, daß die Wohnstube für drei Wächter eingerichtet war. Sollten sie sich dann nicht aufmachen, den dritten zu suchen? Würde es ihnen nicht endlich gelingen, diesen zu finden?

An der kaum zweihundert Schritt von dem Landeinschnitte gelegnen Uferstelle, wo er Zuflucht gesucht hatte, sah Vasquez eins der Positionslichter schimmern, jetzt an Bord der Goelette, dann bei der Umfriedigung des Leuchtturms oder durch die Fenster des Wohnhauses. Er hörte die Leute auch mit lauter Stimme und in seiner eignen Muttersprache einander zurufen. Waren es etwa Landsleute von ihm, oder vielleicht Chilenen, Peruaner, Bolivier, Mexikaner, die alle spanisch sprechen, oder waren es gar Brasilianer?

Gegen zehn Uhr verloschen die Lichter, und kein Laut unterbrach mehr die Stille der Nacht.

Vasquez konnte jedoch unmöglich an dem jetzigen Platze bleiben, denn wenn es wieder Tag wurde, mußte er hier entdeckt werden. Da er von den Raubgesellen keine Gnade zu erwarten hatte, mußte er sich vor ihnen in Sicherheit zu bringen suchen. Nach welcher Seite sollte er aber seine Schritte lenken? Nach dem Innern der Insel, wo ihn kaum jemand aufspüren konnte? Oder sollte er sich am Eingange der Bucht versteckt halten, in der Erwartung, von einem in Sicht des Landes segelnden Schiffe aufgenommen zu werden? Ja wie aber, ob im Innern der Insel oder an deren Küste, sein Leben fristen bis zu dem Tage, wo die Ablösung eintreffen würde? Sein Proviant würde schnell zu Ende gehen, nach achtundvierzig Stunden war davon voraussichtlich nichts mehr übrig. Wie konnte er diesen dann erneuern? Er besaß ja nicht einmal Geräte zum Angeln. Und wie sich Feuer verschaffen… mit welchem Hilfsmittel? Sollte er sich dazu verurteilt sehen, von Mollusken und Muscheltieren zu leben?

Seine Energie ließ ihn jedoch nicht im Stiche. Er mußte zu einem Entschlusse kommen, und das gelang ihm auch. Er entschied sich dafür, zunächst nach dem Kap Sankt-Johann zu gehen und da die Nacht zuzubringen. Wenn’s wieder hell wurde, würde sich das weitere ja finden.

Vasquez verließ also die Stelle, von der aus er die Goelette beobachtet hatte. Von dieser war weder ein Laut noch ein Lichtschein wahrzunehmen. Die Buben wußten sich in dieser Bucht in Sicherheit und brauchten an Bord keinen Wachposten aufzustellen.

Vasquez folgte nun dem nördlichen Ufer, wobei er am Fuße der steilen Felsenwand hinschlich. Er hörte hier nichts als das schwache Rauschen der abnehmenden Flut und höchstens zuweilen den Schrei eines Vogels, der verspätet seinem Neste zustrebte.

Die elfte Stunde war herangekommen, als Vasquez die Spitze des Kaps erreichte. Hier am Strande fand er keinen andern Unterschlupf als eine enge Aushöhlung, worin er bis zum Tagesanbruche blieb.

Noch ehe die Sonne den Horizont voll beleuchtete, ging er nach dem Meere hinunter und hielt Umschau, ob jemand von der Seite des Leuchtturms her oder um die andre Seite des Kaps Sankt-Johann käme.

Die ganze Uferstrecke an beiden Seiten der Bucht war verlassen. Kein Boot schaukelte auf dem Wasser, obgleich die Besatzung der Goelette jetzt zwei solche, das Boot von der ›Maule‹ und die für den Gebrauch der Wärter bestimmte Schaluppe, zur Verfügung hatte.

Seewärts von der Insel war kein Schiff zu erblicken.

Da dachte Vasquez daran, wie schwierig es jetzt wieder für die Schiffahrt sein würde, in der gefährlichen Nähe der Stateninsel zu segeln, jetzt, wo der Leuchtturm nicht mehr in Betrieb war. Vom offnen Meer heransteuernde Fahrzeuge konnten sich jetzt leicht über ihre Lage täuschen. In der Erwartung, das Leuchtfeuer im Hintergrunde der Elgorbucht zu Gesicht zu bekommen, würden sie sorglos nach Westen steuern und damit Gefahr laufen, an der verderbendrohenden Küste zwischen dem Kap Sankt-Johann und der Severalspitze zugrunde zu gehen.

»Sie haben ihn ausgelöscht, die elenden Schurken, wetterte Vasquez halblaut vor sich hin, und da es in ihrem Interesse liegt, ihn dunkel zu lassen, werden sie ihn auch nicht wieder anzünden!«

Das war tatsächlich von Bedeutung, denn wenn der Leuchtturm finster blieb, konnte das leicht weitere Schiffsunfälle zur Folge haben, die den Verbrechern, so lange sie noch hier hausten, gewiß eine Vermehrung ihrer Beute brachten. Die Burschen brauchten die Schiffe nicht einmal mehr durch trügerische Lichtsignale heranzulocken. Denn diese steuerten in der Erwartung, das Leuchtfeuer in Sicht zu bekommen, sorglos ihrem Verderben entgegen.

Auf einem Felsblocke sitzend, überdachte Vasquez noch einmal alles, was am Tage vorher geschehen war. Er schaute hinaus, um zu sehen, ob die Strömung nicht die Leichen seiner unglücklichen Kameraden ins Meer hinaustrüge. Nein, die Ebbe hatte schon das ihrige getan… Moriz und Felipe waren von den Tiefen des Meeres verschlungen.

Da trat ihm seine Lage mit all ihren Schrecken vor die Augen. Was konnte er tun?… Nichts… nichts anders, als die Wiederkehr der ›Santa-Fé‹ abwarten. Es sollten aber noch zwei lange Monate vergehen, ehe der Aviso am Eingang zur Elgorbucht aufs neue auftauchte. Selbst wenn Vasquez bis dahin von den Raubgesellen nicht aufgespürt war, wie sollte er sich so lange Zeit auch nur die notdürftigste Nahrung beschaffen? Einen Schutz fand er wohl allemal in irgendeiner Grotte der Steilküste, und die gute Jahreszeit mußte bis zum Eintreffen der Ablösung andauern. Wäre es jetzt tiefer Winter gewesen, so hätte Vasquez freilich der bittern Kälte unterliegen müssen, die das Thermometer oft bis auf dreißig und vierzig Grad unter Null sinken ließ. Er wäre dann noch eher vor Kälte umgekommen, ehe er vor Hunger starb.

Zunächst bemühte sich Vasquez nun, ein Unterkommen zu finden. Die Wohnstube mußte den Raubmördern zweifellos verraten haben, daß die Bedienung des Leuchtturmes drei Wärtern anvertraut gewesen war. Jedenfalls wollten sie sich dann auch noch des dritten entledigen, der ihnen vorläufig entgangen war, und so suchten sie nach ihm gewiß in der Umgebung des Kaps Sankt-Johann.

Vasquez hatte jedoch alle seine Energie wiedergefunden; die Verzweiflung konnte über diesen stahlharten Charakter nicht Herr werden.

Nach einigem Hinundhersuchen fand er auch eine Aushöhlung mit ziemlich engem Eingange, die gegen zehn Fuß tief und fünf bis sechs Fuß breit war, an einer Ecke, die zwischen dem Strande und dem Kap Sankt-Johann lag. Eine Schicht feinen Sandes bedeckte den Boden der Höhle, die weder von der Flut bei deren höchstem Stande erreicht, noch von dem Ungestüm der Seewinde belästigt werden konnte. Vasquez schlüpfte hinan und legte darin die wenigen, aus dem Wohnzimmer mitgebrachten Gegenstände, sowie den Sack mit seinem kleinen Vorrat an Lebensmitteln nieder. Ein kleiner Rio mit Süßwasser von schmelzendem Schnee, der sich vom Küstensaume nach der Bucht hinabschlängelte, versprach ihm die Möglichkeit, seinen Durst zu löschen.

Da Vasquez jetzt Hunger verspürte, aß er ein wenig Schiffszwieback und ein Stück Cornedbeef. Als er dann heraustrat, um auch zu trinken… horch!… da vernahm er aus geringer Entfernung ein Geräusch, das ihn zum Stillstehen veranlaßte.

»Das sind die Mordbuben,« sagte er für sich.

Um ungesehen zu bleiben, streckte er sich dicht an der Felswand nieder und blickte voller Spannung nach der Bucht.

In dieser erschien ein mit vier Mann besetztes Boot; zwei davon ruderten auf dem Vorderteile und die beiden andern, von denen der eine steuerte, saßen hinten.

Es war das Boot der Goelette, nicht die Dienstschaluppe der Turmwärter.

»Was mögen sie vorhaben? fragte sich Vasquez. Sollten sie schon nach mir suchen? Nach der Art und Weise zu urteilen, wie die Goelette sich in der Bai bewegte, ist es gewiß, daß diese Elenden sie schon kannten, und daß sie die Insel jetzt nicht zum ersten Male betreten haben. Bloß um die Küste zu besichtigen, kommen sie jetzt also wohl nicht hierher. Doch wenn sie nicht mich in ihre Gewalt zu bekommen suchen, was kann dann ihr Zweck sein?«

Vasquez beobachtete die Männer. Seiner Ansicht nach mußte der, der das Steuer führte, offenbar der älteste von den Vieren, deren Vorgesetzter, also wahrscheinlich der Kapitän der Goelette sein. Er hätte nicht sagen können, welcher Nationalität dieser angehörte, der äußern Erscheinung nach gehörten seine Gefährten aber zu der spanischen Rasse Südamerikas.

Augenblicklich befand sich das Boot fast am Eingange zur Bucht, längs deren Nordufer es hingefahren war, und gegen hundert Schritte draußen über der Einbiegung, wo Vasquez sich versteckt hielt. Dieser ließ das Boot nicht aus den Augen.

Auf einen Wink des Anführers wurden die Ruder eingezogen. Eine Wendung des Steuers ließ das noch in Fahrt befindliche Boot an den Strand stoßen. Nachdem einer den Wurfanker auf den Sand geschleudert hatte, stiegen die vier Männer sofort aus.

Da erlauschte dann Vasquez von ihnen folgende Worte:

»Ist’s wirklich hier?

– Jawohl; dort befindet sich die Höhle, zwanzig Schritte vor der Ecke der Felswand.

– Vortrefflich, daß die Kerle vom Leuchtturme sie nicht entdeckt haben!

– Und auch keiner von denen, die hier fünfzehn Monate am Bau des Turmes gearbeitet haben.

– Sie waren tief hinten in der Bucht zu sehr beschäftigt.

– Na, und wir hatten ja den Eingang so gut verdeckt, daß es schwer gewesen wäre, ihn zu sehen.

– Vorwärts nun!« mahnte der Anführer.

Zwei seiner Gefährten und er gingen schräg über den Strand hinauf, der bis zum Fuße der Felsenwand an dieser Stelle etwa hundert Schritt breit sein mochte.

Von seinem Versteck aus beobachtete Vasquez alle ihre Bewegungen und horchte gespannt, um keines der Worte der Leute zu verlieren. Unter ihren Füßen knirschte der mit kleinen Muscheln reichlich besäte Sand. Dieses Geräusch hörte aber bald auf, und Vasquez sah nur noch den vierten Mann, der nahe beim Boote auf und ab ging.

»Jedenfalls haben die dort auch eine Höhle«, sagte er für sich.

Vasquez konnte nicht mehr im Zweifel darüber sein, daß die Goelette eine Rotte Seeräuber gebracht habe, eine gewissenlose Bande, die sich schon vor den Bauarbeiten auf der Stateninsel eingenistet hatte. Sollten sie ihre Beute nun in jener Höhle untergebracht haben? Würden sie sie nicht an Bord der Goelette schaffen wollen?

Da kam ihm plötzlich der Gedanke, daß die Höhle auch einen Proviantvorrat bergen und daß er sich den vielleicht zu nutze machen könnte. Das war wie ein Hoffnungsstrahl, der in seiner Seele aufglänzte. Sobald das Boot wieder nach dem Ankerplatze des Fahrzeuges abgefahren wäre, wollte er sein Versteck verlassen, den Eingang zu jener Höhle suchen und in diese eindringen… Darin fand er voraussichtlich Lebensmittel, die für ihn bis zur Ankunft des Avisos reichten. Und wenn ihm dann seine Existenz vorläufig wenigstens auf einige Wochen gesichert war, hatte er nur noch den Wunsch, daß die Elenden die Insel nicht verlassen könnten.

»Ja ja, wenn sie nur noch zur Stelle sind, wenn der Aviso zurückkehrt, damit der Kommandant Lafayate ihnen ihre Schandtaten entgelten kann!«

Doch würde dieser Wunsch in Erfüllung gehen?… Bei einiger Überlegung mußte sich Vasquez ja sagen, daß die Goelette die Elgorbucht jedenfalls nur für einen zwei- bis dreitägigen Aufenthalt aufgesucht hätte, nur für eine genügende Zeit, die in der Höhle lagernden Schätze einzuladen, und dann würde sie die Stateninsel auf Nimmerwiederkehr verlassen.

Vasquez sollte hierüber bald aufgeklärt sein.

Nach ungefähr einstündigem Verweilen in der Höhle erschienen die drei Männer wieder und gingen am Strande auf und ab. Von der Stelle aus, wo er sich verborgen hielt, konnte Vasquez noch manche Rede und Gegenrede vernehmen, die sie mit lauter Stimme austauschten und woraus er sofort Nutzen ziehen konnte.

»Eh, sie haben uns nicht ausgeplündert während ihres Hierseins, die guten Kerle!

– Und die ›Maule‹ wird, wenn sie absegelt, ihre volle Ladung haben…

– Darunter auch hinreichende Nahrungsmittel selbst für eine längere Fahrt, was uns doch jede Verlegenheit erspart.

– Ja freilich, von dem Proviant der Goelette allein hätten wir bis zu den pazifischen Inseln nicht genug zu essen und zu trinken gehabt.

– Diese Dummköpfe! In vollen fünfzehn Monaten haben sie unsre Schätze nicht zu finden gewußt, so wenig, wie sie uns am Kap Saint-Barthelemy aufgestöbert haben!

– Ein Hurra den Schwachköpfen! Es wäre freilich nicht der Mühe wert gewesen, Schiffe auf die Klippen der Insel zu verlocken, um dann den Lohn dafür einzubüßen!«

Beim Anhören dieser Worte, die die Elenden mit rohem Gelächter begleiteten, fühlte sich Vasquez, dem die Wut im Herzen aufschäumte, versucht, sich mit dem Revolver in der Hand auf sie zu stürzen und allen Dreien den Kopf zu zerschmettern.

Er bezwang sich jedoch. Besser schien es ihm, sich von dem Gespräche nichts entgehen zu lassen, erfuhr er dadurch doch, welche Missetaten die Bande hier auf der Insel begangen hatte, und es konnte ihn nicht mehr überraschen, als sie noch hinzufügten:

»Was den berühmten Leuchtturm am Ende der Welt angeht, so mögen die Kapitäne jetzt nur nach ihm ausschauen… ausschauen wie Blinde!

– Und wie Blinde werden sie auch weiter auf die Insel zu segeln, wo ihre Schiffe bald genug in Stücke gehen werden.

– Ich hoffe doch, daß vor der Abfahrt der ›Maule‹ ein oder zwei an den Klippen des Kaps Sankt-Johann noch Schiffbruch erleiden. Sapperment, wir müssen sie doch bis zum Bordrand beladen, unsre Goelette, die uns der Teufel nun einmal geschickt hat.

– Ja, und der Teufel versteht seine Sache!… Ein gutes Fahrzeug, das uns dort beim Kap Saint-Barthelemy in die Hände fiel, obendrein ohne Besatzung, ohne Kapitän und Matrosen, mit denen wir übrigens kurzen Prozeß gemacht hätten.«

Diese Reden verrieten, wie die Goelette mit dem Namen ›Maule‹ an der Westküste der Insel in die Gewalt der Raubgesellen gekommen war, und auf welche Weise mehrere durch die falschen Signale der Strandräuber herbeigelockte Schiffe auf den Klippen der Insel mit Mann und Maus den Untergang gefunden hatten.

»Und nun, was beginnen wir nun, Kongre? fragte einer der drei Männer.

– Wir kehren einfach nach der ›Maule‹ zurück, Carcante, antwortete Kongre, den Vasquez richtig als den Anführer der Bande erkannt hatte.

– Sollen wir denn nicht anfangen, die Höhle auszuräumen?

– Nicht eher, als bis die Havarien vollständig ausgebessert sind, und das wird sicherlich einige Wochen in Anspruch nehmen.

– Dann wollen wir wenigstens etwas von den nötigsten Werkzeugen ins Boot schaffen.

– Meinetwegen; in der Aussicht, hierher zurückzukehren, wo Vargas ja alles finden wird, was er zu seiner Arbeit braucht.

– Dann hurtig… keine Zeit verlieren! drängte Carcante. Die Flut wird bald wieder einsetzen; die müssen wir uns zunutze machen.

– Gewiß, stimmte ihm Kongre zu. Ist die Goelette erst wieder seetüchtig, so befördern wir die Ladung an Bord. Es wird sie ja niemand stehlen.

– Oho, Kongre, vergeßt nicht, daß drei Leuchtturmwärter hier waren und daß uns einer davon entwischt ist.

– Das macht mir keine Sorge, Carcante. Ehe zwei Tage ins Land gehen, wird er verhungert sein, wenn er sich nicht grade mit Mäusen und Strandmuscheln ernährt. Übrigens werden wir den Eingang zur Höhle gut verschließen.

– Immerhin, erwiderte Carcante, ist es ärgerlich genug, daß wir erst noch Beschädigungen auszubessern haben, andernfalls hätte die ›Maule‹ schon morgen in See stechen können. Freilich ist es ja möglich, daß während ihres längern Aufenthalts noch ein Schiff an die Küste geworfen wird, ohne daß wir uns zu bemühen brauchen, es dahin zu verlocken. Was ihm dabei verloren geht, wird deshalb ja für uns nicht verloren sein!«

Kongre und seine Begleiter begaben sich nochmals in die Höhle und holten daraus Werkzeuge, Planken und Holzstücke zur Reparatur der Inhölzer. Nachdem sie endlich die Vorsicht gebraucht hatten, den Eingang sorgsam zu verbergen, gingen sie zum Boote hinunter und bestiegen dieses, gerade als sich der Flutstrom bemerkbar zu machen anfing.

Das Boot stieß ab, und von den Ruderern kräftig fortgetrieben, verschwand es bald hinter einem Ufervorsprunge.

Als er keine Entdeckung mehr zu befürchten brauchte, trat Vasquez auf den Strand hinaus. Er wußte nun alles, was für ihn Interesse hatte, unter anderem zwei besonders wichtige Dinge: erstens, daß er sich für mehrere Wochen hinreichende Nahrungsmittel verschaffen konnte, und zweitens, daß die Goelette Beschädigungen erlitten hatte, deren Reparatur mindestens vierzehn Tage, vielleicht noch längre Zeit, beanspruchen, jedenfalls aber nicht so lange dauern würde, daß das Fahrzeug auch bei der Rückkehr des Avisos noch an der Insel läge.

Wie hätte Vasquez daran denken können, seine Abfahrt zu verzögern? Ja, wenn irgendein Schiff in geringer Entfernung vom Kap Sankt-Johann vorüberkäme, so wollte er es durch Signale aufmerksam machen, schlimmsten Falls sich ins Meer stürzen, um es schwimmend zu erreichen. Einmal an Bord, würde er den Kapitän über die Lage der Dinge unterrichten, und wenn dieser Kapitän über eine hinreichend zahlreiche Mannschaft verfügte, würde er gewiß nicht zögern, in die Elgorbucht einzulaufen und sich der Goelette zu bemächtigen.

Flüchteten dann die Mordgesellen ins Innere der Insel, so war es ihnen doch unmöglich gemacht, diese zu verlassen, und nach dem Eintreffen der ‚Santa-Fe‘ würde der Kommandant Lafayate schon wissen, die Banditen in seine Gewalt zu bekommen oder sie bis zum letzten Mann auszurotten. Doch ob wohl ein solches Schiff in Sicht des Kaps Sankt-Johann auftauchte? Und wenn es der Fall war, würde es die Signale des unglücklichen Vasquez bemerken?

Was ihn selbst betraf, gab er sich keiner Beunruhigung hin, obgleich bei Kongre kein Zweifel darüber bestehen konnte, daß auch noch ein dritter Wärter hier angestellt gewesen war… er hoffte, sich allen Nachforschungen entziehen zu können. Das Wichtigste für ihn war es, zu wissen, daß er sich Nahrungsmittel bis zur Ankunft des Avisos verschaffen konnte, und ohne länger zu zögern, begab er sich nach der Höhle.

Achtes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Die ›Maule‹ während der Reparatur.

Die Beschädigungen der Goelette auszubessern, sie für eine längere Fahrt auf dem Großen Ozean instand zu setzen, die gesamte in der Höhle lagernde Fracht darauf zu verladen und dann sobald als möglich auszulaufen, das waren die Arbeiten, an deren Erledigung Kongre und seine Gefährten gingen, ohne eine Stunde zu verlieren.

Die Reparaturen am Rumpfe der ›Maule‹ waren tatsächlich über Erwarten umfänglicher Art. Der Zimmermann Vargas war aber tüchtig in seinem Berufe, und da es ihm weder an Werkzeugen noch an Material fehlen konnte, würde die Arbeit ohne besondere Schwierigkeiten auszuführen sein.

Zunächst mußte der Ballast aus der Goelette beseitigt werden, um diese dann auf den Strand des Landeinschnitts schleppen zu können, wo sie auf Steuerbord übergeneigt werden sollte, um verletzte Teile des Gerippes ersetzen und für die eingedrückten Planken neue einfügen zu können.

Es war also möglich, daß das schon eine gewisse Zeit beanspruchte; an dieser fehlte es Kongre aber nicht, da die bessere Jahreszeit seiner Rechnung nach ja noch zwei volle Monate dauern sollte.

Was das Eintreffen der Ablösung betraf, so würde er sich damit schon abzufinden wissen.

Das in der Wohnstube gefundene Leuchtturm-Tagebuch hatte ihm über alles Wissenswerte Auskunft gegeben: da die Ablösung der Wärter nur alle drei Monate erfolgen sollte, konnte der Aviso ‚Santa-Fe‘ nicht vor den ersten Tagen des März erscheinen, und jetzt waren noch die letzten Tage des Dezembers.

In demselben Buche fanden sich auch die Namen der drei ersten Wärter, Moriz, Felipe und Vasquez. Übrigens wies die Ausstattung des Zimmers ebenfalls darauf hin, daß es für drei Bewohner bestimmt war. Einer von diesen war also dem Schicksale seiner unglücklichen Kameraden entgangen. Wohin mochte der sich geflüchtet haben? Kongre machte sich, wie wir wissen, darüber kein Kopfzerbrechen. Allein und ohne alle Hilfsmittel mußte der Flüchtling bald der Entbehrung, dem Hunger zum Opfer fallen.

Wenn es aber für die Reparaturen der Goelette auch nicht an Zeit mangelte, mußte doch immer mit möglichen Verzögerungen gerechnet werden, und gerade in den ersten Tagen machte es sich nötig, die kaum begonnene Arbeit zu unterbrechen.

Die Entladung der ›Maule‹ war glücklich beendet worden, und Kongre beabsichtigte, sie am nächsten Tage kielholen zu lassen, da trat in der Nacht vom 3. zum 4. Januar plötzlich ein schroffer Witterungsumschlag ein.

In dieser Nacht wälzten sich schwere Wolkenmassen am südlichen Horizonte herauf. Während die Luftwärme auf 16 Grad anstieg, fiel das Barometer bis zum Merkzeichen Sturm. Am Himmel zuckten zahlreiche Blitze, und von allen Seiten grollte der dumpfe Donner. Bald sprang ein Wind von ungewöhnlicher Heftigkeit auf, das aufgewühlte Meer stürzte wild schäumend über die Klippen hin und schlug an die Felswand dahinter an. Ein Glück war es zu nennen, daß die ›Maule‹ in der Elgorbucht fest verankert und gegen den Südwestwind geschützt lag. Bei dem Unwetter lief auch ein Schiff von großem Tonnengehalt, ob Dampfer oder Segler, Gefahr, an der Inselküste zu zerschellen. Um wieviel mehr wäre ein so schwaches Schiffchen wie die ›Maule‹ davon bedroht gewesen.

Die Gewalt des Sturmes war so groß und der Ozean draußen so furchtbar aufgeregt, daß hohe Wellenberge tief in die Bucht hineinrollten. Beim höchsten Stande der Flut reichte das Wasser bis zum Fuße des Steilufers und der Strand unterhalb der Turmeinfriedigung war vollständig überschwemmt. Die Wogen wälzten sich bis ans Wärterwohnhaus heran und ihre Schaumfetzen flatterten eine halbe Seemeile bis zum Buchenwäldchen hin.

Kongre und seine Gefährten hatten alle Mühe aufzubieten, die ›Maule‹ an ihrem Ankerplatz zu halten. Mehrmals trieb sie ein Stück vor Anker und drohte, auf das Ufergelände gehoben zu werden. Das nötigte dazu, zur Unterstützung des ersten noch einen zweiten Anker auf den Grund sinken zu lassen. Dennoch war das Schiff zweimal nahe daran, gänzlich zerstört zu werden.

Während auf der ›Maule‹ Tag und Nacht sorgsam Wache gehalten wurde, hatte sich die dienstfreie Mannschaft nach den Nebengebäuden im Leuchtturmhofe zurückgezogen, wo sie von dem wütenden Sturme nichts zu fürchten hatte. Die Lagerstätten aus den Kabinen und dem Volkslogis waren dahin geschafft worden, wo Platz genug war, nötigenfalls alle fünfzehn Mann auf einmal unterzubringen. Während ihres ganzen Aufenthaltes auf der Insel hatten die Banditen noch niemals ein so gutes Nachtquartier gehabt.

Wegen des nötigen Proviants brauchte man sich keine Sorge zu machen. Die Vorräte im Lagerschuppen des Leuchtturms genügten für alle, ja sie hätten ausgereicht, auch die doppelte Menge Leute zu befriedigen. Schlimmsten Falls konnten ja noch die Reserven in der Höhle benutzt werden… kurz, die Verproviantierung der Goelette war auch für eine längere Fahrt über den Großen Ozean gesichert.

Das entsetzliche Wetter hielt bis zum 12. Januar an und ließ erst in der Nacht zum 13. merkbar nach. Dadurch war eine ganze Woche verloren gegangen, in der es unmöglich gewesen war, zu arbeiten. Kongre hatte übrigens sehr klug daran getan, einen Teil des Ballastes wieder in die Goelette schaffen zu lassen, die wie ein hilfloser Nachen auf und ab schwankte. Es hatte schon Mühe genug gekostet, sie von dem Gestein im Grunde freizuhalten, woran sie ebenso hätte zerschmettert werden können, wie auf den Klippen um den Eingang zur Elgorbucht.

In der genannten Nacht schlug der Wind endlich um und drehte nach Westsüdwest. Jetzt wurde das Meer am Kap Saint-Barthelemy sehr unruhig, denn es wehte noch immer eine steife Dreireffbrise. Hätte die ›Maule‹ noch jetzt in der kleinen Bucht neben dem Kap gelegen, so wäre sie sicherlich völlig zerstört worden.

Im Laufe dieser Schreckenswoche war ein Schiff in Sicht der Stateninsel vorübergekommen, und zwar am hellen Tage, wo es den Leuchtturm also nicht zu peilen brauchte und nicht bemerken konnte, daß das Licht darauf zwischen Untergang und Aufgang der Sonne nicht angezündet wurde. Das Fahrzeug kam vom Nordosten und steuerte unter wenigen Segeln in die Le Mairestraße ein. An seinem Gaffelbaume flatterte die französische Flagge.

Übrigens zog es drei Seemeilen weit vom Lande vorüber, und seine Nationalität war nur mit Benützung des Fernrohrs zu erkennen. Hätte ihm Vasquez auch vom Kap Sankt-Johann Signale gegeben, so wären diese doch unmöglich wahrzunehmen gewesen, denn ein französischer Kapitän hätte sonst keinen Augenblick gezögert, ein Boot aussetzen zu lassen, um einen Schiffbrüchigen aufzunehmen.

Am Morgen des 13. wurde der Eisenballast zum zweiten Male entfernt und ohne Ordnung soweit auf den Sand geworfen, daß er von der Flut nicht bespült werden konnte. Nun konnte die Untersuchung des Rumpfes im Innern eingehender als am Kap Saint-Barthelemy vorgenommen werden. Der Zimmermann erklärte die Havarien für ernster, als man bisher angenommen hatte. Die ›Maule‹ war bei der Überführung hierher arg mitgenommen worden, als sie scharf am Winde segelnd gegen das unruhige Wasser ankämpfen mußte. Damals war auch das Leck an ihrem Hinterteile entstanden. Offenbar hätte das Fahrzeug seine Fahrt über die Elgorbucht hinaus nicht fortsetzen können. Es war also unumgänglich, es aufs Trockne zu setzen, um zwei Bauchstücke und drei Spanten an der schadhaften Stelle auf eine Strecke von sechs Fuß zu ersetzen.

Dank den geraubten Gegenständen jeder Art, die zu allerlei Zwecken zu dienen bestimmt waren, fehlte es nicht an den nötigen Materialien. Unterstützt von seinen Kameraden, hoffte der Zimmermann Vargas die Schäden gründlich auszubessern. Gelang ihm das freilich nicht, so war es der ›Maule‹ unmöglich sich in unvollständig repariertem Zustande auf den Großen Ozean hinauszuwagen. Glücklicherweise hatten weder Masten, noch Segel oder Takelwerk irgendwie Schaden genommen.

Die erste Aufgabe bestand nun darin, die Goelette auf den Sand zu holen, um sie hier auf ihre Steuerbordseite legen zu können. Das konnte wegen Mangels hinreichend kräftiger Hilfsmittel nur zur Zeit des Hochwassers ausgeführt werden. Eine weitere Verzögerung um zwei Tage trat dadurch ein, daß man sich gezwungen sah, auf die Springflut zur Zeit des nächsten Neumondes zu warten, die es ermöglichen würde, die Goelette so hoch auf den Strand hinauszuziehen, daß sie bis zur nächsten Springflut unbedingt trocken lag.

Kongre und Carcante benutzten diesen Aufschub, nach der Höhle zurückzukehren, und diesmal bedienten sie sich zur Fahrt der Schaluppe der Turmwärter, die größer war als das Boot der ›Maule‹. Sie wollten damit einen Teil der Wertgegenstände zurückbringen, Gold und Silber, das von ihren Räubereien herrührte, und ebenso Schmucksachen und andre kostbare Dinge, die einstweilen im Vorratsschuppen des Turmhofes niedergelegt werden sollten.

Die Schaluppe stieß am Morgen des 14. Januars vom Lande ab. Seit zwei Stunden hatte die Ebbeströmung eingesetzt, und die Beiden gedachten am Nachmittage mit der Flut zurückzukehren.

Das Wetter war ziemlich schön. Zwischen Wolken, die vor einem leichten Südwinde hintrieben, blitzten dann und wann helle Sonnenstrahlen hernieder.

Vor der Abfahrt war Carcante, wie er das täglich zu tun pflegte, nach der Galerie des Turmes hinausgegangen, um Umschau über den Horizont zu halten. Das Meer draußen war leer, kein Schiff in Sicht, nicht einmal eine der Barken der Pescherähs, womit diese sich zuweilen bis zur Ostseite der Neujahrsinseln wagen. Verlassen zeigte sich auch die Insel selbst, soweit der Blick reichte.

Während die Schaluppe mit der Strömung hinunterglitt, behielt Kongre die beiden Ufer der Bucht immer scharf im Auge. Der dritte Wärter, der der meuchlerischen Ermordung entgangen war, wo mochte der jetzt sein? Obgleich das ihm keine Veranlassung zur Unruhe bot, erschien es doch wünschenswerter, auch diesen abzutun, und das sollte bei der ersten sich bietenden Gelegenheit jedenfalls geschehen.

Das Land war ebenso öde und leer, wie die Fläche der Bucht selbst. Das einzige Leben darauf beruhte nur auf dem Umherfliegen und dem Geschrei der Myriaden von Vögeln, die an und in der Uferwand nisteten.

Gegen elf Uhr stieß die Schaluppe vor der Höhle ans Land, nachdem nicht allein die Strömung, sondern auch der Wind ihre Fahrt beschleunigt hatte.

Kongre und Carcante stiegen aus, ließen zwei Mann als Wache zurück und betraten die Höhle, aus der sie nach einem halben Stündchen wieder hervorkamen.

Da drin hatten sie alles anscheinend ebenso gefunden, wie sie es vor zwei Wochen verlassen hatten. Hier lag übrigens ein solches Gewirr der verschiedensten Gegenstände, daß es selbst beim Lichte einer Fackel schwierig gewesen wäre zu erkennen, ob etwas fehlte.

Kongre und sein Begleiter brachten zwei sorgfältig verschlossene Kisten mit heraus, die von dem Schiffbruche eines englischen Dreimasters herrührten und eine große Summe in Gold, sowie wertvolle Edelsteine enthielten. Sie setzten sie in der Schaluppe nieder und wollten eigentlich schon wieder abfahren, als Kongre erklärte, er wolle erst noch einmal bis zum Kap Sankt-Johann gehen, von wo aus die Küste nach Süden und Norden hin zu übersehen war.

Carcante und er erklommen also das hohe Felsenufer und stiegen dann am Kap bis zu dessen Ausläufer hinunter.

Von dieser Spitze aus reichte der Blick einerseits etwa zwei Seemeilen weit über die Küste hin, die sich nach der Seite der Le Mairestraße ausdehnte, und anderseits bis zur Severalspitze.

»Da ist kein Mensch, sagte Carcante.

– Nein, keine lebende Seele!« bestätigte Kongre.

Beide kehrten darauf nach der Schaluppe zurück, die sich sofort in Bewegung setzte, als das Wasser wieder anstieg und die Flutströmung sie mitnahm. Noch vor drei Uhr waren sie im Hintergrunde der Elgorbucht zurück.

Zwei Tage später, am 16., nahmen Kongre und seine Leute am Vormittag die Strandsetzung der ›Maule‹ in Angriff. Gegen elf Uhr mußte der höchste Wasserstand eingetreten sein, und mit Rücksicht darauf wurden alle Vorbereitungen getroffen. Ein ans Land geschafftes Ankertau sollte es ermöglichen, die Goelette aufs Land zu ziehen, sobald die Wassertiefe das zuließ.

An sich bot die Operation weder Schwierigkeiten noch Gefahren; die Hauptarbeit besorgte dabei ja doch die Flut allein.

Sobald also das Wasser still stand, verband man den Troß mit der ›Maule‹ und schleppte sie so weit wie möglich auf den Strand hinauf.

Nun galt es nur, die Ebbe abzuwarten. Gegen ein Uhr begann das Wasser sich von den der Uferwand zunächstgelegenen Felsblöcken zurückzuziehen, und der Kiel der ›Maule‹ sank gleichzeitig auf den Sand. Um drei Uhr lag sie auf der Steuerbordseite und vollständig trocken.

Jetzt konnte die Arbeit begonnen werden. Da es natürlich nicht möglich gewesen war, die Goelette bis an die Felswand selbst heranzuschleppen, erlitt die Arbeit jeden Tag einige Stunden eine gezwungene Unterbrechung, da das Schiff bei jeder Flut wieder halb im Wasser lag. Da die Flut von diesem Tage an jedoch immer weniger hoch anstieg, wurde die unfreiwillige Muße allmählich kürzer, und vierzehn Tage lang konnte dann die Arbeit überhaupt ohne jede Unterbrechung fortgesetzt werden.

Der Zimmermann ging also ans Werk. Konnte er auch auf die Pescherähs unter der Rotte nicht rechnen, so würden ihn doch die andern, Kongre und Carcante mit eingeschlossen, bei der Arbeit unterstützen.

Der eingedrückte Teil der äußern Plankenlage wurde leicht beseitigt, nachdem die Platten des Kupferbeschlages entfernt waren. Damit waren die Spanten und Bauchstücke freigelegt, die ersetzt werden mußten. Das aus der Höhle hergeschaffte Holz, Planken und Krummhölzer, genügte auf jeden Fall, und es wurde also nicht nötig, etwa im Buchenwalde einen Baum zu fällen, zuzurichten und zu zersägen, was ja ein schweres Stück Arbeit gewesen wäre.

In den folgenden vierzehn Tagen hatten Vargas und die andern, da immer schöne Witterung blieb, an ihrem Werke tüchtig schaffen können. Was am meisten Beschwerde verursachte, war das Herausnehmen der Bauchstücke und Inhölzer, für die neue eingefügt werden sollten. Die verschiedenen Stücke waren mit Kupfer verbolzt und mit Holznägeln verbunden. Das Ganze hielt gut zusammen, ein Beweis, daß die ›Maule‹ aus einer der besten Schiffsbauwerkstätten Valparaisos hervorgegangen war. Nur mit Mühe gelang es Vargas, diesen ersten Teil seiner Arbeit auszuführen, und ohne die aus der Höhle stammenden Zimmermannswerkzeuge wäre es ihm wohl kaum gelungen, sie nach Wunsch zu vollenden.

Selbstverständlich mußte in den ersten Tagen die Arbeit allemal zur Zeit des Hochwassers unterbrochen werden. Später wurde die Flut so weit schwächer, daß sie nur noch die nächstgelegenen Streifen des Strandes erreichte. Der Kiel kam gar nicht mehr mit Wasser in Berührung, und man konnte demnach drinnen und draußen am Rumpfe unbehindert arbeiten. Es war nur von besondrer Wichtigkeit, die Beplankung in Ordnung zu haben, ehe die Zeit der größern Fluthöhe wiederkehrte.

Aus Vorsicht, aber ohne die ganze Kupferhaut ablösen zu lassen, ließ Kongre doch alle Nähte oberhalb der Schwimmlinie bloßlegen. Deren Kalfaterung wurde dann mit Hanfzöpfen und Pech, die von Seetriften herrührten, aufs neue vollgeschlagen.

Im Laufe dieser Zeit wurden zwei Schiffe im Gewässer der Stateninsel gesehen.

Das eine war ein aus dem Großen Ozean kommender englischer Dampfer, der nach Durchschiffung der Meerenge einen Kurs nach Norden, wahrscheinlich nach einem Hafen Europas, einschlug. Es war heller Tag, als er auf der Höhe des Kaps Sankt-Johann erschien. Mit dem Aufgange der Sonne sichtbar geworden, war er vor deren Untergange wieder verschwunden. Sein Kapitän hatte also nicht bemerken können, daß der Leuchtturm jetzt gelöscht war.

Das zweite Schiff war ein Dreimaster, dessen Nationalität man nicht erkennen konnte. Die Dunkelheit brach schon langsam herein, als er sich auf der Höhe des Kaps Sankt-Johann zeigte, von wo aus er längs der Ostküste der Insel der Severalspitze zusteuerte. Carcante, der sich gerade im Wachzimmer aufhielt, sah nur noch sein grünes Steuerbordlicht durch das Halbdunkel schimmern. Im Falle, daß sich Kapitän und Mannschaft dieses Seglers schon mehrere Monate unterwegs befanden, konnten sie nicht wissen, daß der Bau des Leuchtturmes hier jetzt schon vollendet war.

Der Dreimaster folgte der Küste so nahe, daß seine Leute die üblichen Signale hätten wahrnehmen können, z. B. ein Feuer, daß man auf dem Ausläufer eines Kaps entzündet hätte. Ob es Vasquez wohl versucht hatte, die Aufmerksamkeit der Besatzung zu erwecken?… Ja oder nein… gleichviel, jedenfalls war das Fahrzeug bei Sonnenaufgang im Süden hinter dem Horizonte verschwunden.

Weit draußen, anscheinend auf dem Wege nach den Maluinen, wurden gelegentlich auch noch andre Segler und Dampfer sichtbar. Wahrscheinlich wußten diese von der neuen Anlage auf der Stateninsel überhaupt noch nichts.

Am letzten Tage des Januars, zur Zeit der Vollmond-Springflut, erlitt das Wetter wiederum eine starke Veränderung. Der Wind war nach Osten umgesprungen und drängte das Wasser geradeswegs in die Elgorbucht hinein.

Waren die Ausbesserungen des Schiffsrumpfes da auch noch nicht ganz fertig, so befanden sich wenigstens Spanten, Bauchstücke und Außenplanken wieder an ihrem Platze und ließen kein Wasser in den Laderaum eindringen.

Dazu konnte man sich wirklich Glück wünschen, denn in den nächsten achtundvierzig Stunden reichte die Flut bei ihrem höchsten Stande weit an den Rumpf hinauf, und die Goelette richtete sich von selbst auf, doch ohne daß der in den Sand eingesunkene Kiel völlig frei wurde.

Kongre und seine Gefährten mußten die größten Vorsichtsmaßregeln beobachten, neue Havarien zu vermeiden, die die Abfahrt hätten bedeutend verzögern können.

Durch einen günstigen Umstand wurde die Goelette auf ihrem Sandlager festgehalten. Sie rollte zwar ziemlich heftig von einer Seite zur andern, lief aber nicht Gefahr, gegen die Felsen des Einschnitts geschleudert zu werden.

Vom 2. Februar an nahm die Fluthöhe übrigens wieder ab und die ›Maule‹ bekam dadurch wieder einen festen Stand auf dem Strande. Nun war es möglich, den Rumpf auch am Oberwerk zu kalfatern, und vom Aufgange der Sonne bis zu ihrem Untergange hörte man die Hammerschläge ertönen.

Die Verstauung der Fracht drohte in keinem Falle, die Abfahrt der ›Maule‹ noch weiter hinauszuschieben. Die Schaluppe fuhr jetzt häufig nach der Höhle, besetzt mit Leuten, die Vargas eben nicht brauchte. Zuweilen beteiligte sich Kongre und zuweilen Carcante an diesen kurzen Fahrten.

Jedesmal brachte die Schaluppe einen Teil der Gegenstände mit, die im Frachtraum der Goelette untergebracht werden sollten und die man vorläufig im Lagerhause des Leuchtturmes niederlegte. Von hier aus ging später die Befrachtung bequemer und regelmäßiger vor sich, als wenn die ›Maule‹ zu diesem Zwecke vor der Höhle, also nahe am Eingange der Bucht, angelegt worden wäre, wo die Arbeit leicht durch ungünstiges Wetter gestört werden konnte. An dieser bis zum Kap Sankt-Johann hinausreichenden Küste gab es keine andre gut geschützte Stelle als den kleinen Landeinschnitt am Fuße des Leuchtturms.

Noch einige Tage, und die Reparaturen mußten beendigt, die ›Maule‹ also klar sein, wieder auszulaufen, und die Ladung konnte von nun an direkt an Bord gebracht werden.

Am 12. Februar war die Kalfaterung der letzten Fugen am Rumpfe und auf dem Verdeck fertig. Einige Gefäße voll Farbe, die in den Wracks verunglückter Schiffe gesunden worden waren, hatten es sogar möglich gemacht, Vorder- und Hinterteil der ›Maule‹ frisch anzustreichen. Kongre benutzte diese Gelegenheit zu einer Änderung des Namens der Goelette, die er zur Ehre seines »ersten Offiziers« ‚Carcante‘ taufte. Er hatte auch nicht versäumt, das Takelwerk genau untersuchen und leichte Reparaturen an den Segeln vornehmen zu lassen. Diese mußten übrigens neu gewesen sein, als die Goelette den Hafen von Valparaiso verlassen hatte.

Die ›Maule‹ wäre also seit dem 12. Februar in dem Zustande gewesen, wo sie wieder nach ihrem Ankerplatz im kleinen Landeinschnitte hätte geschleppt werden und ebenso hätte sie die dann bereit liegende Ladung aufnehmen können, wenn es nicht zum großen Leidwesen Kongres und seiner Spießgesellen, die alle der Abfahrt von der Stateninsel mit Ungeduld entgegensahen, unbedingt nötig gewesen wäre, die nächste Neumond-Springflut abzuwarten, um die Goelette mit ihrer Hilfe wieder flott zu machen.

Diese Springflut trat am 14. Februar ein. An demselben Tage hob sich der Kiel aus seinem Bette im Ufersande, und ohne Schwierigkeit glitt die Goelette nach dem tiefern Wasser. Jetzt hatte man sich also nur noch mit der Beladung zu beschäftigen.

Traten keine unerwarteten Hindernisse ein, so konnte die ‚Carcante‘ in wenigen Tagen die Anker lichten, die Elgorbucht verlassen, die Le Mairestraße hinuntersegeln und bei südwestlichem Kurse mit vollen Segeln dem Gewässer des Großen (oder Stillen) Ozeans zusteuern.