VIII.

VIII.

Die dermalige Lage. – Vorsichtsmaßregeln. – Verändertes Verhalten. – Der Kuhbaum. – Was zu wissen nöthig war. – Ein Vorschlag Kate’s. – Briant von einer Idee eingenommen. – Sein Plan. – Unterredung. – Für Morgen.

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Die Colonie war also wieder vollzählig – ja sogar um ein Mitglied gewachsen, die gute Kate, welche in Folge eines schrecklichen Trauerspiels auf dem Meere an den Strand der Insel Chairman verschlagen worden war. Von jetzt an sollte auch wieder Einigkeit in French-den herrschen – eine Einigkeit, welche in Zukunft nichts mehr stören sollte. Wenn Doniphan noch einiges Bedauern darüber empfand, nicht das Oberhaupt der kleinen Colonie zu sein, so war er doch zu derselben ganz zurückgekehrt. Ja, die Trennung von zwei bis drei Tagen hatte ihre Früchte getragen. Mehr als einmal schon hatte er, ohne seinen Kameraden etwas davon zu sagen und ohne sein Unrecht eingestehen zu wollen, daß in ihm die Eigenliebe stärker sprach als das wirkliche Interesse, doch eingesehen, zu welcher Thorheit ihn seine Starrsinnigkeit verleitet hatte. Andererseits konnten auch Wilcox, Croß und Webb sich dieser Empfindung nicht entziehen. Nach der Opferwilligkeit, welche Briant jetzt gezeigt hatte, gab Doniphan jedoch seinen besseren Gefühlen nach, welche er auch niemals wieder verlöschen lassen wollte.

Uebrigens drohten French-den, das dem Angriffe von sieben kräftigen und bewaffneten Uebelthätern ausgesetzt war, recht ernstliche Gefahren. Ohne Zweifel lag es zwar in Walston’s Interesse, die Insel Chairman so schnell als möglich wieder zu verlassen, hätte er dagegen das Vorhandensein einer kleinen, mit Allem, was ihm fehlte, reichlich ausgestatteten Colonie gemuthmaßt, so würde er vor einem Angriffe gewiß nicht zurückgeschreckt sein, bei dem die Aussicht auf Erfolg ja ganz auf seiner Seite war. Die jungen Colonisten mußten sich also wohl oder übel sehr beschränkenden Vorsichtsmaßregeln fügen, durften sich nicht mehr vom Rio Sealand entfernen und sich nicht ferner in die Umgebung des Family-lake hinauswagen, so lange Walston und seine Bande die Insel nicht verlassen hatten.

Zunächst erschien es von Wichtigkeit zu erfahren, ob Doniphan, Croß, Webb und Wilcox bei ihrer Rückkehr von den Severn-shores nach dem Bear-rock nichts bemerkt hätten, was sie auf die Vermuthung der Anwesenheit der Matrosen des »Severn« geleitet hätte.

»Nichts, antwortete Doniphan auf eine dahinzielende Frage; freilich haben wir, um nach der Mündung des East-river zurückzugelangen, nicht denselben Weg wie bei unserer Wanderung nach Norden hin eingeschlagen.

– Danach erscheint es so gut wie gewiß, daß Walstone in der Richtung nach Osten gezogen ist, bemerkte Gordon.

– Wohl möglich, stimmte ihm Doniphan zu; doch er hat an der Küste hinwandern müssen, während wir geraden Weges durch den Beechs-forest gekommen sind. Nehmt die Karte zur Hand, und Ihr werdet sehen, daß die Insel oberhalb der Deception-Bai einen so starken Bogen macht. Dort liegt ein ausgedehntes Gebiet, in dem die Verbrecher haben Obdach suchen können, ohne sich zu weit von der Stelle, wo ihre Schaluppe gestrandet war, zu entfernen. Doch da fällt mir ein, vielleicht wüßte Kate uns annähernd zu sagen, in welcher Gegend die Insel Chairman überhaupt liegt.«

Auf eine hierüber von Gordon an sie gestellte Frage hatte Kate keine Antwort geben können. Nach dem Brande des »Severn« und nachdem der Steuermann Evans die Schaluppenführung übernommen, war er bestrebt gewesen, das Festland Amerikas, von dem die Insel also nicht gar zu weit entfernt sein konnte, anzulaufen. Uebrigens hatte er niemals den Namen der Insel verlauten lassen, nach welcher der Sturm ihn verschlagen. Da jedoch die zahlreichen Inselgruppen der Küste in einer verhältnißmäßig geringen Entfernung von einander liegen, hatte es einige Wahrscheinlichkeit für sich, daß Walston versuchen würde, diese zu erreichen, und daß er deshalb ein Interesse daran hatte, inzwischen auf dem östlichen Ufer zu verbleiben. Gelang es ihm nämlich, sein Boot wieder in seetüchtigen Zustand zu bringen, so konnte es keine zu große Mühe kosten, es nach irgend einem Lande Südamerikas überzuführen.

»Mindestens, bemerkte hierzu Briant, wenn Walston, als er, nach der Mündung des East-river gelangt, nicht Spuren Deines Vorüberkommens, Doniphan, entdeckt und daraufhin beschlossen hat, seine Nachforschungen hier weiter fortzusetzen.

– Welche Spuren? antwortete Doniphan. Ein Häufchen verglommener Asche? … Und was könnte er daraus schließen? Etwa, daß die Insel bewohnt sei? Nun, in diesem Falle denk‘ ich, würden die Schurken nur daran denken, sich zu verbergen …

– Ganz richtig, erwiderte Briant, außer wenn sie sich zufällig überzeugen könnten, daß die Bevölkerung der Insel auf eine Handvoll Kinder hinauskommt. Thun wir also ja nichts, was sie davon unterrichten könnte, wer wir sind! Das veranlaßt mich auch, Dich zu fragen, Doniphan, ob Du bei Deiner Rückkehr nach der Deception-Bai etwa einzelne Flintenschüsse abgegeben hast?

– Nein, ganz ausnahmsweise nicht, versicherte Doniphan lächelnd, denn ich verpaffe gern ein wenig Pulver! Seit wir die Küste verließen, waren wir jedoch hinreichend mit eßbarem Wild versehen und kein Knall hat unsere Gegenwart verrathen, kein Krachen eines Schusses hat unsere Anwesenheit kundgeben können. Gestern Nacht hätte zwar Wilcox beinahe auf den Jaguar gefeuert; glücklicher Weise kamst Du aber noch zur rechten Zeit, es zu verhindern, Briant, und – mir das Leben zu retten, indem Du das Deinige auf’s Spiel setztest.

– Ich wiederhole Dir, Doniphan, daß ich nur gethan habe, was Du an meiner Stelle nicht unterlassen hättest. – Und nun in nächster Zukunft keinen Flintenschuß mehr! – Verzichten wir auch auf den Besuch der Traps-woods und leben wir von unseren Vorräthen.«

Selbstverständlich war Briant seit seiner Heimkehr nach French-den jede Pflege zu Theil geworden, welche seine Verwundung, deren Vernarbung übrigens bald vollendet war, erforderte. Er behielt davon nur eine gewisse Behinderung der Beweglichkeit des Armes – doch auch diese verschwand schon nach kurzer Zeit gänzlich.

Inzwischen neigte sich der Monat October seinem Ende zu, ohne daß von Walston in der Umgebung des Rio Sealand etwas zu entdecken gewesen wäre. War er also nach Ausbesserung der Schaluppe wieder abgefahren? Das schien nicht unmöglich, denn, wie Kate sich erinnerte, war er in Besitz einer Axt und konnte sich auch jener starkklingigen Messer bedienen, wie sie die Matrosen stets bei sich führen; an Holz fehlte es in der Nähe der Severn-shores außerdem ja auch nicht.

Bei der Unsicherheit in dieser Beziehung, mußte immer die gewohnte Lebensweise eine Aenderung erfahren und vorzüglich konnten keine weiteren Ausflüge mehr unternommen werden, bis auf den einen, als Doniphan und Baxter auszogen, um den Signalmast niederzulegen, der doch bisher auf dem Gipfel des Auckland-hill sich erhob.

Von diesem Punkte aus betrachtete Doniphan mit dem Fernrohre die grünen Flächen, welche sich nach Osten hin erstreckten. Obwohl sein Blick nicht bis zum jenseitigen Ufer reichte, das ja durch den ganzen Beechs-forest verdeckt wurde, so hätte er es doch wahrnehmen müssen, wenn sich eine Rauchsäule in der Luft erhoben hätte – was dann darauf hinwies, daß Walston und seine Spießgesellen noch auf der Insel verweilten. Nach jener Richtung hin sah Doniphan aber nichts, ebensowenig freilich nach der der Sloughi-Bai, deren Gewässer auch weiter hinaus vollständig verlassen war.

Seit jeder Ausflug nun verboten war und seitdem die Gewehre in Ruhe gelassen werden mußten, hatten sich die Jäger der Colonie genöthigt gesehen, ihre mit Vorliebe gepflegte Thätigkeit einzustellen.

Zum Glück lieferten die in der Nähe von French-den errichteten Fallen und Schlingen eßbares Wild in ausreichender Menge, und außerdem hatten sich die Tinamus und die Trappen im Hühnerhofe so stark vermehrt, daß Service und Garnett sich gezwungen sahen, einen Theil derselben zu opfern. Da man sich ferner einen bedeutenden Vorrath an Blättern des Theebaumes gesichert und große Mengen jenes Ahornsaftes eingesammelt hatte, der sich so leicht in Zucker verwandelt, wurde es nicht nöthig, erst bis zum Dike-creek hinaus zu gehen, um diese Vorräthe zu erneuern. Und selbst wenn der Winter eintrat, bevor die jungen Colonisten ihre Freiheit wieder erlangt hatten, waren sie hinreichend mit Oel für ihre Laternen und mit Fleischspeisen für die Küche versehen. Nur Brennmaterial allein mußte hereingeholt werden, das fand sich aber in den umgestürzten Stämmen der Bog-woods, welche auf kurzem Wege längs des Rio Sealand ohne besondere Gefahr zu erreichen waren.

In jener Zeit trug sogar eine neue Entdeckung zu dem Wohlbefinden in French-den noch weiter bei.

Diese Entdeckung verdankte man nicht Gordon, der übrigens recht umfassende Kenntnisse in der Botanik besaß, sondern Kate war es, welcher das Verdienst für dieselbe zufiel.

Am Rande der Bog-woods stand nämlich eine gewisse Anzahl Bäume, die fünfzig bis sechzig Fuß in der Höhe messen mochten. Wenn diese bisher von der Axt verschont geblieben waren, rührte das daher, daß ihr sehr faseriges Holz die Koch- und Heizöfen der Halle und der Einfriedigung nur sehr unzulänglich erhitzt hätten. Sie trugen längliche, an den Knoten der Zweige wechselständig sitzende Blätter, deren Ende in eine scharfe Spitze auslief.

Gleich das erste Mal – am 25. October – als Kate diese Bäume erblickte, rief sie:

»Ah! … Da sind ja Kuhbäume!«

Dole und Costar, welche sie begleiteten, schlugen darüber ein helles Gelächter auf.

»Was, Kuhbäume? sagte der Eine.

– Fressen die Kühe diese Bäume? fragte der Andere.

– Nein, Ihr kleinen Papooses, nein, antwortete Kate, daß man sie so nennt, kommt daher, weil sie Milch geben, und sogar bessere Milch als Eure Vigogne-Schafe.«

Nach French-den zurückgekehrt, machte Kate Gordon von ihrer Entdeckung Meldung. Gordon rief sofort Service herzu und Beide begaben sich mit Kate noch einmal nach dem Saume der Bog-woods. Nachdem er den Baum aufmerksam betrachtet, meinte Gordon, er müsse zu den »Galactodendrons« gehören, welche in den Wäldern Nordamerikas in großer Menge vorkommen, und er täuschte sich hierin auch nicht.

Eine kostbare Entdeckung! In der That genügte es, einen Einschnitt in die Rinde dieser Galactodendrons zu machen, um einen milchähnlichen Saft ausfließen zu lassen, der den Geschmack und die ernährenden Eigenschaften der Kuhmilch hat. Außerdem bildet dieser Saft, wenn man ihn gerinnen läßt, eine vorzügliche Art Käse und liefert daneben ein sehr reines Wachs, das dem Bienenwachs vergleichbar und zur Anfertigung von sehr schönen Kerzen verwendbar ist.

»Ei nun, rief Service, wenn das ein Kuhbaum oder vielmehr eine Baumkuh ist, dann müssen wir sie auch melken!«

Ohne eine Ahnung davon zu haben, gebrauchte der übermüthige Knabe hiermit denselben Ausdruck, dessen sich die Indianer stets bedienen, indem diese gewöhnlich sagen: »Ans Werk, wir wollen den Baum melken!«

Gordon machte also einen Schnitt in die Rinde des Galactodendrons und aus diesem floß ein Saft hervor, von dem Kate reichlich zwei Pinten in einem mitgebrachten Gefäße auffing.

Es war das eine schön weiße, appetitlich aussehende Flüssigkeit, welche die nämlichen Bestandtheile wie die Kuhmilch enthält. Dieselbe ist aber noch nahrhafter, konsistenter und von viel angenehmerem Geruche. Das Gefäß wurde in French-den sehr schnell geleert und Costar befleckte sich damit den Mund wie eine junge Katze. Bei dem Gedanken, was er daraus Alles herzustellen vermochte, verhehlte auch Moko seine ganz besondere Befriedigung nicht. Zu sparen brauchte er hiermit auch nicht, denn jene »Heerde« von Galactodendrons, welche in großer Menge so vorzügliche Pflanzenmilch lieferte, stand ganz in der Nähe.

In der That, und das kann nicht oft genug wiederholt werden, hätte die Insel Chairman auch die Bedürfnisse einer weit größeren Colonie decken können, und jedenfalls war das Leben der Knaben hier auf lange Zeit hinaus völlig gesichert. Außerdem machte das Erscheinen Kate’s unter ihnen, die Pflege, welche sie von dieser wohlwollenden Frau erwarten konnten, der sie eine wirklich mütterliche Liebe einflößten, dasselbe nur um so leichter und angenehmer.

Warum mußte nun aber die frühere Sicherheit auf der Insel Chairman so traurig gestört werden! Welch‘ wichtige Entdeckungen hätten Briant und seine Kameraden ohne Zweifel noch gemacht, wenn sie auch die fast ganz unbekannten östlichen Gebietstheile hätten genauer untersuchen können, ein Vorhaben, auf das sie gegenwärtig natürlich verzichten mußten, und würde es ihnen jemals gestattet sein, ihre Ausflüge wieder aufzunehmen, bei denen sie sich nur gegen die Begegnung mit Raubthieren zu schützen hatten, mit minder gefährlichen Raubthieren, als jene Bestien in Menschengestalt, gegen die sie jetzt Tag und Nacht auf ihrer Hut sein mußten?

Bis zu den ersten Tagen des Novembers wurden indeß keine verdächtigen Spuren in den Umgebungen von French-den aufgefunden. Briant legte sich schon die Frage vor, ob die Matrosen vom »Severn« wirklich noch auf der Insel wären. Doniphan hatte jedoch mit eigenen Augen gesehen, in welch‘ traurigem Zustande deren Boot sich befand, daß dessen Mast abgebrochen, sein Segel zerrissen und seine Planken durch die Spitzen der Riffe durchlöchert waren. Freilich, und dem Steuermanne Evans konnte das nicht unbekannt sein, wenn die Insel Chairman in der Nähe eines Festlandes oder einer Inselgruppe lag, so konnte die nothdürftig ausgebesserte Schaluppe wohl benützt werden, um eine verhältnißmäßig kurze Ueberfahrt damit zu wagen. Es war also glaublich, daß Walston Alles daran gesetzt haben könne, die Insel zu verlassen … Darüber mußte man sich jedoch erst Gewißheit verschaffen, ehe die gewohnte Lebensweise wieder aufgenommen werden konnte.

Mehrmals hatte Briant schon die Absicht gehabt, nach der Gegend im Osten des Family-lake auf Erkundigung auszuziehen. Doniphan, Baxter, Wilcox verlangten nun danach, ihn begleiten zu können. Sich aber der Gefahr auszusetzen, Walston in die Hände zu fallen und diesem damit Aufklärung zu geben, mit wie wenig zu fürchtenden Gegnern er es hier zu thun habe, das hätte leicht die bedauerlichsten Folgen nach sich ziehen können. Deshalb redete es denn Gordon, dessen Rath noch immer williges Gehör fand, Briant aus, sich in die Tiefen des Beechs-forest zu wagen.

Da machte Kate einen Vorschlag, der nichts von diesen Gefahren fürchten ließ.

»Herr Briant, begann sie eines Abends, als die jungen Colonisten alle in der Halle versammelt waren, wollen Sie mir gestatten, Sie morgen mit Tagesanbruch zu verlassen?

– Uns verlassen, Kate? fragte Briant.

– Ja, Sie können nicht immer in dieser Ungewißheit bleiben, und um zu erfahren, ob Walston noch auf der Insel ist, erbiete ich mich nach der Stelle zu gehen, nach welcher wir durch den Sturm verschlagen wurden. Ist die Schaluppe noch daselbst, so hat Walston nicht wegfahren können … Ist sie nicht mehr zur Stelle, so haben Sie nichts mehr von ihm zu fürchten.

– Was Sie da thun wollen, Kate, erklärte Doniphan, ist genau dasselbe, was wir, Briant, Baxter, Wilcox und ich, uns schon selbst vorgenommen hatten.

– Zugegeben, Herr Doniphan, erwiderte Kate. Doch was für Sie sehr gefährlich war, kann es ja für mich nicht sein.

– Doch, Kate, ließ Gordon sich vernehmen, wenn Sie nun Walston wieder in die Hände fallen …

– Nun, antwortete Kate, dann befinde ich mich nur in derselben Lage wie vorher, als ich entfloh, das ist Alles.

– Und wenn der Elende Sie gar umbringt, was ja gar nicht unwahrscheinlich ist? … meinte Briant.

– O, wenn ich ihm das erste Mal entgangen bin, gab Kate zuversichtlich zur Antwort, warum sollte mir das nicht ein zweites Mal gelingen, zumal wo ich jetzt den Weg nach French-den kenne? Und wenn es sich nun gar fügte, daß ich mit Evans entfliehen könnte, dem ich Alles, was Sie betrifft, gleich mittheilen würde, wie hilfreich, wie nützlich müßte der wackere Master für Sie Alle werden!

– Wenn Evans die Möglichkeit zur Flucht geboten wäre, wandte Doniphan ein, warum sollte er sie noch nicht benützt haben? … Treibt ihn nicht das nämliche Interesse, sich zu retten? …

– Doniphan hat Recht, sagte Gordon. Evans kennt das Geheimniß Walston’s und seiner Spießgesellen, die sich gar nicht besinnen würden, ihn zu tödten, wenn sie seiner nicht zur Führung der Schaluppe nach dem Festlande Amerikas bedürften. Wenn er sich ihrer Gesellschaft also noch nicht entzogen hat, kann es nur daran liegen, daß er jeden Augenblick scharf überwacht wird …

– Oder daß er einen Fluchtversuch schon mit dem Leben bezahlt hat! setzte Doniphan hinzu. Und auch Sie, Kate, wenn Sie wieder gefangen würden …

– Glauben Sie mir, versicherte Kate, daß ich alles Mögliche thun werde, mich nicht wieder ergreifen zu lassen.

– Daran zweifl‘ ich nicht, antwortete Briant, wir werden aber nie zugeben, daß Sie sich dieser Gefahr aussetzen. Nein, es ist doch besser, ein minder gefährliches Mittel zu ersinnen, um zu erfahren, ob Walston sich noch auf der Insel Chairman befindet.«

Da Kate’s Vorschlag entschieden zurückgewiesen worden war, galt es nun blos, ohne Begehung einer Unklugheit, auf der Wacht zu sein. War Walston überhaupt in der Lage, die Insel zu verlassen, so that er das gewiß vor Eintritt der schlechten Jahreszeit, um nach einem Lande zu kommen, wo er und die Seinigen einen Empfang fanden, wie man ihn Schiffbrüchigen, diese mögen kommen, woher sie wollen, gewöhnlich zu Theil werden läßt.

Angenommen übrigens, daß Walston noch hier war, so schien er doch kaum die Absicht zu haben, das Innere weiter zu untersuchen. Wiederholt fuhren Doniphan, Briant und Moko in dunklen Nächten mit der Jolle über den Family-lake hin, beobachteten dabei aber niemals, weder am entgegengesetzten Ufer noch unter den den East-river umgebenden Bäumen den Schein eines verdächtigen Feuers.

Immerhin blieb es sehr peinlich, unter diesen Verhältnissen zu leben, ohne den zwischen dem Rio Sealand, dem See, dem Walde und dem Steilufer gelegenen Raum überschreiten zu dürfen. Briant sann deshalb auch unausgesetzt auf ein Mittel, sich wegen der Anwesenheit Walston’s Gewißheit zu verschaffen und gleichzeitig auszukundschaften, wo er etwa sein Lager aufgeschlagen habe. Um das zu erreichen, genügte es vielleicht, sich während der Nacht einmal zu einer gewissen Höhe zu erheben.

Daran dachte auch Briant und dieser Gedanke verwandelte sich in ihm allmählich zur fixen Idee. Leider enthielt die Insel Chairman, abgesehen von dem Steilufer, dessen Kamm eine Höhe von zweihundert Fuß auch nirgends überschritt, keine einzige bedeutendere Bodenerhebung. Viele Male hatten sich Doniphan und zwei oder drei Andere nach dem Gipfel des Auckland-hill begeben, konnten von dieser Stelle aus aber nicht einmal das jenseitige Ufer des Family-lake erblicken, also hätte ihnen auch kein Rauch, kein Feuerschein über dem östlichen Horizonte wahrnehmbar werden können. Es war vielmehr nothwendig, sich um einige hundert Fuß höher zu erheben, um einen Gesichtskreis zu gewinnen, der sich bis zu den ersten Felsen der Deception-Bai hinaus erstreckte.

Da erwachte in Briant eine so kühne – man könnte sagen »tollhäuslerische« – Idee, daß er sie anfänglich selbst zurückwies. Sie bemächtigte sich seiner nach und nach aber mit solcher Hartnäckigkeit, daß sie endlich in seinem Gehirne tiefe Wurzeln schlug.

Wie wir wissen, war das Vorhaben mit dem Drachen seinerzeit unterbrochen worden. Nach der Auffindung Kate’s und nach deren Meldung, daß die Schiffbrüchigen vom »Severn« noch auf der östlichen Küste weilten, hatte man auf das Project verzichten müssen, einen Apparat in die Luft aufzulassen, der von allen Punkten der Insel sichtbar gewesen wäre.

Doch, wenn dieser Drache nicht mehr als Signal verwendet werden konnte, war es da nicht möglich, ihn zum Zwecke der wegen der Sicherheit der Insel so dringend nöthigen Auskundschaftung zu verwerthen?

Gewiß, und an diesen Gedanken eben klammerte sich Briant. Er erinnerte sich, in einer englischen Zeitschrift gelesen zu haben, daß eine Frau gegen Ende des letzten Jahrhunderts so kühn gewesen sei, an einem eigens für diesen gefährlichen Aufstieg hergestellten Drachen hängend, sich in die Lüfte zu erheben. [Fußnote]

Was aber eine Frau ausgeführt hatte, sollte das ein kräftiger Knabe nicht auch wagen können? Daß sein Vorhaben mit einiger Gefahr verknüpft war, kümmerte ihn sehr wenig. Das Risico dabei erschien ihm verschwindend gegenüber den Erfolgen, die er zu erzielen hoffte, und wenn alle von der Vorsicht gebotenen Maßregeln ergriffen wurden, war ja nicht wenig Aussicht vorhanden, daß der kühne Versuch vollständig glückte. Deshalb wiederholte sich Briant auch immer, obwohl er nicht im Stande war, mathematisch die Steigkraft, welche ein Apparat dieser Art haben mußte, zu berechnen, daß dieser Apparat doch vorhanden war und es schon hinreichen würde, ihm größere Ausdehnung und mehr Festigkeit zu verleihen. Erhob er sich dann mittels desselben in der Nacht einige hundert Fuß hoch in die Luft, so gelang es ihm vielleicht, den Schein eines Lagerfeuers auf der Insel, und zwar allen Voraussetzungen nach in dem Theile derselben zwischen dem Binnensee und der Deception-Bai, zu entdecken.

Es wäre ein Unrecht, über die Idee des wackeren und zu jedem Wagestücke entschlossenen Knaben die Achseln zu zucken. Unter dem Drucke der ihn beherrschenden Vorstellung war er dahin gelangt, sein Vorhaben nicht allein für ausführbar zu halten – nach dieser Seite konnte ja eigentlich kein Zweifel aufkommen – sondern es auch für gefahrloser anzusehen, als es ihm anfangs selbst vorkam.

Jetzt handelte es sich für ihn also nur noch um die Zustimmung seiner Kameraden, und am Abende des 4., nachdem er Gordon, Doniphan, Wilcox, Webb und Baxter um eine vertrauliche Unterredung ersucht, setzte er diese in Kenntniß, daß er den Drachen zu benützen gedenke.

»Benützen? … fragte Wilcox. Und wie verstehst Du das? … Willst Du ihn jetzt noch aufsteigen lassen?

– Gewiß, antwortete Briant, weil ich voraussetze, wir hätten ihn doch zu diesem Zwecke angefertigt.

– Während des hellen Tages? erkundigte sich Baxter weiter.

– Nein, Baxter; da würde er der Wahrnehmung Walston’s schwerlich entgehen, während der Nacht dagegen …

– Wenn Du dann eine Laterne daran hängst, fiel ihm Doniphan ins Wort, wird er ebenfalls dessen Aufmerksamkeit erregen.

– So hänge ich eben keine Laterne daran.

– Wozu soll er dann aber nützen? … fragte Gordon.

– Zur Aufklärung darüber, ob die Mannschaft vom »Severn« noch auf der Insel ist.«

Briant setzte nun sein Vorhaben nicht ohne die Befürchtung, es nur mit wenig ermuthigendem Kopfschütteln aufgenommen zu sehen, in wenigen Worten näher auseinander.

Seinen Kameraden fiel es gar nicht ein, darüber zu lachen. Sie spürten nicht die geringste Veranlassung dazu, und bis auf Gordon, der sich fragte, ob Briant wirklich im Ernste spreche, schienen die Anderen sehr geneigt, ihm völlig beizustimmen. Die jungen Leute hatten sich jetzt thatsächlich so sehr an Gefahren jeder Art gewöhnt, daß eine unter diesen Verhältnissen unternommene nächtliche Auffahrt ihnen ganz ausführbar erschien. Uebrigens galt es ihnen als selbstverständlich, daß dabei jede denkbare Maßregel zur Sicherstellung des Erfolges getroffen werde.

»Wäre aber, bemerkte Doniphan, das Gewicht eines Beliebigen von uns nicht zu groß für den Drachen, wie wir diesen hergestellt haben?

– Gewiß, antwortete Briant. Natürlich werden wir ihn vergrößern und sein Gestell verstärken müssen.

– Ich möchte überhaupt wissen, sagte Wilcox, ob der Widerstand eines solchen Drachen je so groß sein könne …

– Das ist wohl nicht zweifelhaft, fiel ihm Baxter ins Wort.

– Und obendrein durch den Versuch schon bewiesen,« setzte Briant hinzu.

Er berichtete darauf von der obenerwähnten Frau, welche vor wenigen Jahren eine solche Auffahrt mit Erfolg ausgeführt hatte.

Dann fuhr er fort:

»Alles hängt aber dabei von den Größenverhältnissen des Apparates und von der Stärke des Windes beim Aufsteigen ab.

– Welche Höhe, Briant, fragte Baxter, glaubst Du mit Rücksicht auf Deinen Zweck erreichen zu müssen?

– Wenn man sechs- bis siebenhundert Fuß hinaufkäme, antwortete Briant, so müßte wohl von jedem beliebigen Theile der Insel her ein Feuer wahrzunehmen sein.

– Gut, das ist also auszuführen, rief Service, der dem Gespräche auch mit gelauscht hatte, und zwar ohne jedes Zögern! Ich für meinen Theil hab‘ es herzlich satt, an jeder freien Bewegung gehindert zu sein.

– Und wir ebenso, jetzt schon so lange unsere Fallen nicht mehr nachsehen zu können, schloß Wilcox sich diesem an.

– Und ich nicht minder, meine Flinte gar nicht mehr abfeuern zu dürfen, setzte Doniphan hinzu.

– Auf morgen also!« sagte Briant.

Als er sich dann mit Gordon allein befand, fragte dieser:

»Sage mir, Briant, ist es wirklich Dein Ernst, ein solch‘ halsbrecherisches Unternehmen zu wagen? …

– Ich will es mindestens versuchen, Gordon.

– Es ist aber höchst gefährlich!

– Vielleicht weniger, als wir uns vorstellen.

– Und wer von uns wird erbötig sein, bei diesem Versuche sein Leben auf’s Spiel zu setzen?

– Du, Gordon, Du selbst wärst sicherlich der Erste, wenn das Los Dich dazu bestimmte!

– Soll denn darüber eine Losung entscheiden, Briant? …

– Nein, Gordon; wer von uns sich dieser Aufopferung unterzieht, der soll es aus freiem Entschlusse thun.

– Deine Wahl ist wohl schon getroffen, Briant? …

– Vielleicht!«

Und Briant drückte warm die Hände Gordon’s.

IX.

IX.

Erster Versuch. – Vergrößerung des Apparates. – Zweiter Versuch. – Auf den folgenden Tag verschoben. – Ein Vorschlag Briant’s. – Jacques‘ Vorschlag. – Das Geständniß. – Briant’s Gedanken. – In der Luft bei dunkler Nacht. – Was sich da zeigt. – Der Wind frischt auf. – Ausgang des Versuches.

———

Am Morgen des 25. Novembers gingen Briant und Baxter ans Werk. Ehe sie dem Apparate aber größere Dimensionen gaben, schien es rathsam, zu wissen, welches Gewicht er in seinem jetzigen Zustande wohl zu tragen vermöge. Das gestattete dann, bei dem Mangel wissenschaftlicher Formeln, durch Versuche die ausreichende Fläche zu bestimmen, welche er erhalten mußte, um – abgesehen von seinem Eigengewichte – eine Last von mindestens hundertzwanzig oder hundertdreißig Pfund mitzunehmen.

Es war nicht nöthig, zu diesem ersten Versuche die Nacht abzuwarten. Augenblicklich wehte der Wind von Südwesten her, und Briant glaubte keine Ursache zu haben, diesen unbenützt zu lassen, wenn der Drache nur in so geringer Höhe festgehalten wurde, daß man ihn vom östlichen Seeufer aus nicht wahrnehmen konnte.

Der Versuch gelang nach Wunsch und lieferte das Ergebniß, daß der Apparat bei mäßigem Winddrucke einen zwanzigpfündigen Sack aufhob. Eine vom »Sloughi« herrührende Schnellwage hatte gestattet, dieses Gewicht sehr genau zu bestimmen.

Der Drache wurde nun wieder herunter gezogen und auf den Boden der Sport-terrace niedergelegt.

In erster Linie verstärkte nun Baxter dessen Gestalt mit Hilfe von dünnen Stricken, die in einem Mittelknoten so zusammenliefen, wie die Fischbeinstäbe eines Regenschirmes in dem auf dem Stocke gleitenden Ringe. Dann wurde seine Oberfläche durch allseitige Verlängerung des Gestelles und einen weiteren Leinenbezug vergrößert, bei welcher Arbeit sich Kate ganz besonders nützlich erwies. An Nadeln und Nähfaden fehlte es in French-den ja nicht, und die geschickte Aufwärterin verstand sich vortrefflich auf Näharbeiten.

Wären Briant und Baxter in der Mechanik »stärker« gewesen, so hätten sie bei Herstellung ihres Apparates gewiß die in Betracht kommenden Grundprincipien, das Gewicht, die ebene Oberfläche, den Mittelpunkt der Schwere, den des Winddruckes – welcher mit dem Mittelpunkte der Gestalt des Apparates zusammenfällt – und endlich den Anheftungspunkt der Schnur genauer beachtet. Aus solchen Berechnungen hätten sie dann den Schluß gezogen, wie groß die Steigkraft des Drachens sein und welche Höhe er dabei erreichen konnte. Außerdem hätten sie auch durch Rechnung die Stärke der Schnur ermitteln können, welche der dann auf sie wirkenden Spannung genügend widerstehen konnte – eine der wichtigsten Bedingungen für die persönliche Sicherheit des Beobachters.

Glücklicherweise paßte die Schnur, welche früher für das Log des Schooners gedient hatte und gegen zweitausend Fuß lang war, hierzu vollkommen. Uebrigens »zieht« ein Drache, selbst bei frischer Brise, nicht allzustark, wenn nur der Haltepunkt an der »Wage« richtig gewählt ist. Es galt also, diesen Punkt, von dem die Neigung des Apparates gegen den Wind und hiervon dessen Stabilität abhängt, sorgsam zu bestimmen.

Zu dem jetzt vorliegenden Zwecke bedurfte der Drache keines Schwanzes am unteren Ende, worüber sich Dole und Costar nicht wenig härmten. Ein solcher war jedoch unnöthig; das mit in die Höhe genommene Gewicht mußte schon hinreichen, einen »Kopfsturz« desselben zu verhindern.

Nach mehrfachen Versuchen fanden Briant und Baxter heraus, daß die Last am unteren Drittel des Gestelles und zwar an einer der Querlatten befestigt werden mußte, welche die Leinwand der Breite nach ausgespannt erhielten. Zwei an dieses Querstück geknüpfte Stricke sollten diese dann etwa zwanzig Fuß weiter unten schwebend erhalten.

Die Halteschnur richtete man in einer Länge von etwa zwölfhundert Fuß vor, was, die Ausbiegung eingerechnet, die Erreichung einer Höhe von sieben- bis achthundert Fuß gestatten mußte.

Um endlich den Gefahren eines Absturzes so viel wie möglich vorzubeugen, wenn etwa die Schnur doch zerreißen oder ein Bruch des Gestells eintreten sollte, wurde beschlossen, den Aufstieg über dem See vorzunehmen. Die horizontale Entfernung, in welcher ein solcher Sturz erfolgen mußte, konnte übrigens in keinem Falle so groß sein, daß ein geübter Schwimmer das westliche Ufer nicht hätte erreichen können.

Nach Vollendung des Apparates zeigte dieser eine Oberfläche von siebenzig Quadratmetern bei achteckiger Gestalt, deren Radius fünfzehn Fuß und von der jede Seitenlinie vier Fuß maß. Mit seinem sehr haltbaren Gestell und der für den Wind undurchlässigen Leinwand mußte er ein Gewicht von hundert bis hundertzwanzig Pfund leicht mitnehmen.

Betreffs der »Gondel«, in welcher der Beobachter Platz nehmen sollte, so bestand diese einfach aus einem jener Körbe aus Rohrgeflecht, wie sie auf Schiffen zu mancherlei Zwecken dienen. Dieser war tief genug, um einen Knaben von mittlerer Größe bis an die Achselhöhlen aufzunehmen, und weit genug, um ihm sowohl freie Bewegung zu gestatten, als auch leicht aus demselben herausspringen zu können, wenn das die Noth erforderte.

Wie man sich leicht denken kann, war diese Arbeit nicht in einem und auch nicht in zwei Tagen abgethan. Am Morgen des 5. begonnen, wurde sie erst am Nachmittage des 7. vollendet. Man verlegte also auf diesen Abend einen Probeaufstieg, der die Steigkraft des Apparates und seine Stabilität in der Luft erkennen lassen sollte.

Während der letzten Tage hatte sich die allgemeine Lage in keiner Hinsicht verändert. Wiederholt waren die Einen oder die Andern stundenlang zum Auslugen auf dem Steilufer geblieben. Sie sahen dabei aber nichts Verdächtiges, weder im Norden zwischen French-den und dem Saume der Traps-woods, noch im Süden, jenseits des Rio, oder im Westen, nach der Sloughi-Bai zu; ebenso wenig auch auf dem Family-lake, zu dem Walston vor dem Verlassen der Insel doch hätte leicht genug vordringen können. Kein Knall ließ sich in der Umgebung des Auckland-hill hören; keine Rauchsäule wirbelte am Horizonte auf.

Konnten Briant und seine Kameraden also wohl hoffen, daß jene Uebelthäter die Insel Chairman endgiltig wieder verlassen hätten? Sollte es ihnen endlich vergönnt sein, ihre gewohnte Lebensweise in aller Sicherheit wieder aufzunehmen?

Darüber sollte jenes bald auszuführende Vorhaben jedenfalls Aufklärung verschaffen.

Jetzt blieb nur noch eine »technische Frage« zu lösen übrig: Wie sollte Derjenige, welcher in dem Nachen oder vielmehr der »Küpe« Platz nahm, in die Lage gesetzt werden, ein Signal zu geben, wenn er es für angezeigt hielt, wieder nach der Erde herabgezogen zu werden?

Darüber sprach sich Briant aus, als ihn Doniphan und Gordon deshalb befragten.

»An ein Lichtsignal ist nicht zu denken,« erklärte Briant, »denn das könnte von Walston ebenso gut bemerkt werden. Baxter und ich, wir haben Folgendes verabredet. Ein Bindfaden, ebenso lang wie die Schnur des Drachen, soll, nachdem er erst durch eine in der Mitte durchbohrte kleine Bleikugel gezogen ist, mit dem einen Ende am Nachen befestigt werden, während das andere unten auf der Erde in den Händen eines von uns bleibt. Es wird dann genügen, die Kugel am Bindfaden hinabgleiten zu lassen, um das Zeichen zum Herunterziehen des Drachen zu geben.

– Gut ausgeklügelt!« meinte Doniphan.

Nachdem man sich also über Alles verständigt, war nur noch der Probeaufstieg des Apparates allein, nebst einer entsprechenden Last, vorzunehmen. Der Mond konnte vor zwei Uhr Nachts nicht aufgehen, und es wehte überdies eine geeignete von Südwesten kommende Brise. Die Bedingungen erschienen also ganz günstig, um noch denselben Abend zu diesem Versuche vorzuschreiten.

Um neun Uhr war es schon tief dunkel. Einige ziemlich dichte Wolken zogen durch die Luft über einen fast sternenlosen Himmel hin. Der Apparat mochte sich jetzt noch so hoch erheben, so konnte er nicht einmal aus der Nähe von French-den her mehr gesehen werden.

Große und Kleine sollten diesem Versuche beiwohnen, und da es sich dabei nur um einen »Probepfeil«, wie man zu sagen pflegt, handelte, so folgten alle den einzelnen Stadien desselben mit mehr eigentlichem Vergnügen als mit innerer Erregung.

Nach der Mitte der Sport-terrace hatte man eine Winde von »Sloughi« geschafft und gut im Erdboden befestigt, um dem starken Zuge des Apparates widerstehen zu können. Die lange, sorgfältig aufgewickelte Schnur wurde ebenso wie der zur Signalgebung bestimmte Bindfaden so vorbereitet, daß sie ganz leicht abrollen konnten. In den Nachen hatte Briant einen Sack mit Erde gesetzt, der genau hundertdreißig Pfund und damit mehr wog als der schwerste seiner Kameraden.

Doniphan, Baxter, Wilcox und Webb stellten sich bei dem, etwa hundert Schritte von der Winde auf der Erde liegenden Drachen auf. Auf Briant’s Zuruf sollten sie diesen mittels Schnuren, welche an den Querlatten des Gestells angebracht waren, langsam in die Höhe richten. Sobald der Apparat, entsprechend seiner durch Anordnung der Wage bedingten Neigung, genügend Wind abfing, sollten Briant, Gordon, Service, Garnett und Croß, welche zur Bedienung der Winde bereit standen, ihm je nach seinem Aufsteigen in die Luft mehr Schnur abrollen lassen.

»Achtung! rief Briant.

– Wir sind fertig! antwortete Doniphan.

– Los!«

Der Apparat erhob sich langsam, erzitterte und knarrte ein wenig unter dem Drucke des Windes und neigte sich dann nach vorwärts gegen diesen.

»Nachlassen! … Schnur nachlassen!« rief Wilcox.

Sofort begann die Welle der Winde sich in Folge der Schnuranspannung zu drehen, während der Drachen sich mit dem belasteten Korbe langsam in die Luft erhob.

Obwohl es eine Unklugheit war, erschallten doch freudige Hurrahs, als der »Riese der Lüfte« von der Erde emporschwebte. Sofort verschwand er aber auch schon in der Dunkelheit, zum größten Mißvergnügen Iverson’s, Jenkins‘, Dole’s und Costar’s, die ihn gerne stets im Auge behalten hätten, während er über dem Family-lake schaukelte. Das veranlaßte Kate, ihnen zum Troste zuzurufen:

»Laßt nur nicht die Köpfe hängen, meine Papoofes! … Ein andermal, wenn das ohne Gefahr geschehen kann, lassen wir ihn bei hellem Tage steigen, Euren Riesen, und dann dürft Ihr ihm auch, wenn Ihr hübsch gefolgt habt, kleine Briefboten nachschicken.«

Trotz seiner augenblicklichen Unsichtbarkeit, fühlte man doch, daß der Drache gleichmäßig zog, ein Beweis, daß in den oberen Schichten ein anhaltender Wind wehte, der nur einen mäßigen Druck ausübte, und ferner, daß auch die Wage an dem Apparat richtig angebracht war.

Briant ließ, um diesen Versuch, den gegebenen Verhältnissen entsprechend, so überzeugend wie möglich zu gestalten, die Schnur bis ans Ende ablaufen, wodurch er deren Spannung beurtheilen konnte, die sich übrigens als nicht übermäßig erwies. Von der Rolle waren zwölfhundert Fuß derselben abgelaufen, und damit mußte sich der Apparat auf sieben- bis achthundert Fuß erheben. Der ganze Vorgang hatte nicht über zehn Minuten beansprucht.

Nach Vollendung desselben wurden die Kurbeln in Bewegung gesetzt, um die Schnur wieder einzuziehen. Dieser zweite Theil der Arbeit dauerte freilich weit länger, und man brauchte nicht weniger als eine Stunde, um die zwölfhundert Fuß lange Schnur wieder aufzuwickeln.

Ganz wie bei einem Luftballon, ist auch bei einem Drachen die endliche Landung immer die schwierigste Aufgabe, wenn dieselbe ohne Stoß erfolgen soll. Die Brise erwies sich jedoch als so beständig, daß auch das in erwünschtester Weise gelang. Bald trat denn auch das Achteck aus Leinwand wieder aus der Dunkelheit hervor und legte sich ganz sanft, fast genau an der Stelle, wo es emporgestiegen war, auf den Erdboden nieder.

Lustige Hurrahs begrüßten seine Rückkehr, wie sie seine Auffahrt begleitet hatten.

Der Drache brauchte jetzt nur mehr auf der Erde festgehalten zu werden, um ihn keinen Wind fangen zu lassen, und Baxter erbot sich nebst Wilcox, denselben bis Tagesanbruch zu überwachen.

Am folgenden Tage, dem 8. November, sollte zur nämlichen Stunde die entscheidende Auffahrt erfolgen.

Jetzt erwarteten Alle nur noch die Aufforderung Briant’s, um nach French-den zurückzukehren.

Briant äußerte jedoch nichts und schien vielmehr vollständig in Gedanken versunken.

Woran mochte er wohl denken? Etwa an die Gefahren, welche ein unter so außerordentlichen Verhältnissen unternommener Aufstieg mit sich führen mußte? Oder grübelte er über die schwere Verantwortlichkeit, die er dadurch auf seine Schultern lud, daß er einen seiner Kameraden sich in diesem gebrechlichen Nachen erheben ließ?

»Gehen wir heim, sagte endlich Gordon, es wird schon spät …

– Einen Augenblick, antwortete da Briant. – Gordon und Doniphan, wartet doch ein wenig! … Ich habe Euch einen Vorschlag zu machen.

– So sprich! entgegnete Doniphan.

– Wir haben soeben unseren Drachen erprobt, nahm Briant das Wort, und dieser Versuch ist, da die begleitenden Umstände günstig waren, ganz nach Wunsch ausgefallen, denn der Wind hielt sich recht beständig und war auch weder zu stark noch zu schwach. Wissen wir aber schon, wie das Wetter morgen sein wird, ob der Wind uns morgen gestatten wird, den Apparat wirklich über dem See zu erhalten? Und doch erscheint es mir gut, unser Vorhaben nicht zu verschieben.«

Gewiß war das, nachdem der Versuch einmal beschlossen wurde, auch am richtigsten.

Auf jenen Vorschlag hatte indeß Keiner geantwortet. Gegenüber der Aussicht, sich einer so schweren Gefahr auszusetzen, erschien dieses Zögern, selbst von Seiten der Unerschrockensten, ja ganz natürlich.

Als Briant jedoch ohne Umschweife die Frage stellte:

»Wer wird nun mit aufsteigen? rief eine Stimme sofort:

– Ich!« … Jacques hatte sich zuerst gemeldet.

Doch fast gleichzeitig erklang es auch:

»Ich! … Ich! …« und zwar von Seiten Doniphan’s, Baxter’s, Wilcox‘, Croß‘ und Service’s wie aus einem Munde.

Dann entstand ein Stillschweigen, welches sich Briant nicht zu unterbrechen beeilte.

Jacques nahm zuerst wieder das Wort.

»Laß mich es wagen, Bruder! sagte er. Mir kommt es zu! … Mir! … Ich bitte Dich, laß mich mit auffahren!

– Und warum Dir mehr als mir … mehr als jedem Andern? ließ Doniphan sich vernehmen.

– Ja … warum? fragte Baxter.

– Weil es meine Pflicht ist! stieß Jacques hervor.

– Deine Pflicht? … wiederholte Gordon.

– Ja … gewiß!«

Gordon hatte Briant’s Hand ergriffen, wie um diesen nach der Bedeutung der Worte seines jüngern Bruders zu fragen, und er fühlte, daß diese in der seinigen zitterte. Und wäre die Nacht nicht so dunkel gewesen, so hätte er auch die Wangen seines Kameraden erbleichen und dessen Lider sich über die feuchten Augen herabsenken sehen müssen.

»Nun also, Bruder? … fuhr Jacques in entschlossenem und für ein Kind seines Alters erstaunlichem Tone fort.

– Antworte, Briant! sagte Doniphan. Jacques behauptet ein Recht darauf zu haben, sich für uns in Gefahr zu begeben. Haben wir denn nicht dasselbe Recht? … Was hat er gethan, um es für sich zu beanspruchen? …

– Was ich gethan … antwortete Jacques zaudernd, was ich gethan habe … nun, so will ich’s Euch sagen.

– Jacques! rief Briant bestürzt, als wolle er das Geständniß seines Bruders verhindern.

– Nein, nein! rief Jacques mit von Erregung unterbrochener Stimme. Laß mich Alles gestehen! … Es lastet zu schwer auf mir! … Gordon, Doniphan … Ihr Alle, wenn Ihr Euch hier befindet … fern von Euren Eltern auf dieser Insel … so bin ich … ich allein schuld daran! … Daß der »Sloughi« auf’s hohe Meer trieb … kam daher, daß ich aus Unverstand … nein, aus Scherz … in sinnloser Spielerei … die Taue löste, welche ihn am Quai von Auckland festhielten. Ja … die reine tolle Laune! … Und dann, als ich die Yacht abtreiben sah, hab‘ ich den Kopf verloren, habe nicht um Hilfe gerufen, als es noch Zeit war. Dann … eine Stunde später … in dunkler Nacht … auf offener See … Ach, Verzeihung, meine Freunde, Verzeihung!« …

Der arme Knabe schluchzte bitterlich, trotz Kate’s Bemühungen, die ihn zu beruhigen suchte.

»Gut, Jacques! sagte jetzt Briant. Du hast Deinen Fehler eingestanden und willst jetzt das Leben daran wagen, ihn wieder gut zu machen oder wenigstens teilweise das Uebel auszugleichen …

– Hat er das nicht schon längst ausgeglichen? fiel ihm Doniphan, dem Drange seines natürlichen Edelmuthes folgend, ins Wort. Hat er sich nicht zwanzigmal Gefahren ausgesetzt, um uns einen Dienst zu erweisen? … O, Briant, jetzt versteh‘ ich, warum Du Deinen Bruder immer zuerst in’s Treffen schicktest, wenn es ein gefährlicheres Wagestück galt, und ebenso, warum er stets zu jeder Aufopferung bereit war … Aus diesem Grunde wagte er sich in den dicken Nebel hinaus, um Croß und mich aufzusuchen … mit eigener Lebensgefahr aufzusuchen! … Ja, lieber Freund Jacques, wir verzeihen Dir herzlich gern, und Du hast es nicht nöthig, Dir noch besonders Vergebung für Deinen Fehler zu erkaufen!«

Alle umringten Jacques, drückten ihm die Hände, und doch quollen noch immer schmerzliche Seufzer aus dessen Brust. Jetzt wußte man also, warum dieses Kind – sonst der lustigste, aber auch der muthwilligste Zögling der Pension Chairman – hier so traurig geworden war und sich immer abseits zu halten suchte … Dann hatte man gesehen, wie Jacques, wohl auf Verlangen seines Bruders, aber noch mehr aus eigenem Entschlusse, stets mit seiner Person voraus wollte, wo es sich um Bestehung einer Gefahr handelte … Und noch immer glaubte er hierin nicht genug gethan zu haben! … Er verlangte, sich für die Andern aufopfern zu dürfen. Als er die Sprache wieder gefunden, sagte er nur:

»Ihr seht also, mir kommt es zu … mir ganz allein … mit hinaufzufahren. Nicht wahr, Briant?

– Gut, Jacques, schon gut!« wiederholte sein Bruder, der ihn innig in die Arme schloß.

Gegenüber dem Geständnisse, das Jacques eben abgelegt, gegenüber dem von ihm geforderten Rechte versuchten Doniphan und die Andern vergebens Einspruch zu erheben. Es blieb nichts übrig, als ihm zuzugestehen, sich dem Winde, der etwas Neigung zum Auffrischen zeigte, anzuvertrauen.

Jacques drückte seinen Kameraden dankbar die Hand. Schon bereit, in dem von dem Erdsacke befreiten Korbe Platz zu nehmen, wandte er sich noch einmal an Briant zurück. Dieser stand regungslos einige Schritte hinter der Winde.

»Laß mich Dich umarmen, Bruder! sagte Jacques.

– Ja … umarme mich! antwortete Briant, seine Erregung mit Mühe bemeisternd. Oder vielmehr … ich will Dich umarmen … denn ich … ich werde mit auffahren! …

– Du? … rief Jacques.

– Du? … Du? … wiederholten Doniphan und Service.

– Ja … ich! Ob Jacques‘ Vergehen durch ihn oder durch seinen Bruder wettgemacht wird, ändert doch nichts. Als mir übrigens der Gedanke zu diesem Unternehmen kam, habt Ihr jemals glauben können, ich hätte die Absicht gehabt, es einen Andern ausführen zu lassen? …

– Liebster Bruder, bat Jacques, ich flehe Dich darum an! …

– Nein, Jacques!

– Dann, sagte Doniphan, überlaß mir die Ausführung.

– Nein, Doniphan, entgegnete Briant mit einem jeden Widerspruch ausschließenden Tone. Nur ich selbst werde mit aufsteigen. Ich will es!

– Das wußt‘ ich von Dir im Voraus, Briant!« sagte Gordon, in dem er die Hand des Kameraden in der seinen preßte.

Bei diesen Worten war Briant schon in den Nachen gestiegen, und als er ordentlich Platz genommen, gab er Befehl, den Drachen aufzurichten.

Der sich unter dem Drucke des Windes neigende Apparat stieg zuerst langsam empor; darauf ließen Baxter, Wilcox, Croß und Service, welche an der Winde standen, mehr Schnur ablaufen, während Garnett, der den Signalbindfaden in der Hand hielt, diesen nachgleiten ließ.

Binnen zehn Secunden war der »Riese der Lüfte« im Halbdunkel verschwunden, aber nicht unter dem lauten Hurrahrufen, wie es seinen ersten Steigeversuch begleitet, sondern jetzt unter tiefem Stillschweigen.

Das unerschrockene Oberhaupt der kleinen Welt, der edelmüthige Briant, war mit ihm verschwunden.

Der Apparat erhob sich inzwischen regelmäßig, doch langsam. Die Gleichmäßigkeit der Brise sicherte ihm ein vollkommenes Gleichgewicht, so daß er kaum von einer Seite zur andern schwankte. Briant empfand also keine jener Oscillationen, die seine Lage sehr gefahrvoll gemacht hätten. Er hielt sich auch selbst unbeweglich und hatte mit beiden Händen die Aufhängeleine der eigenthümlichen Gondel fest gepackt, welche kaum eine leichte Schaukelbewegung machte, doch welche seltsame Empfindungen erfüllten Briant zuerst, als er sich an dieser großen geneigten Leinenfläche im Luftraume schweben sah und der Drache über ihm unter dem Drucke des Windes leise erzitterte. Es kam ihm vor, als sei er von einem phantastischen Raubvogel entführt worden oder als klammere er sich vielmehr an die Flügel einer ungeheueren Fledermaus. Dank der Energie seines Charakters gelang es ihm, die Kaltblütigkeit zu bewahren, welche sein Unternehmen erforderte.

Zehn Minuten, nachdem der Drache den Boden der Sport-terrace verlassen, verrieth ein schwacher Ruck, daß seine Aufwärtsbewegung beendet sei. An’s Ende der Schnur gelangt, stieg er aber noch ein wenig auf, dieses Mal freilich nicht ohne einige Stöße. Die in lothrechter Linie erreichte Höhe mochte zwischen sechshundert und siebenhundert Fuß betragen.

Briant, der völlig ruhig war, ergriff zuerst den an der Kugel befestigten Bindfaden und begann nachher seine Beobachtungen. Mit einer Hand sich an den Aufhängeleinen haltend, führte er das Fernrohr mit der anderen Hand vor die Augen.

Unter ihm herrschte tiefe Dunkelheit. See, Wälder und Steilufer bildeten eine verschwommene Masse, von der er keine Einzelheiten unterscheiden konnte.

Der Umkreis der Insel hob sich dagegen noch deutlich genug von dem diese umfluthenden Meere ab, und von seinem derzeitigen Standpunkte aus konnte Briant sie sogar im ganzen Umfange übersehen.

Hätte er diesen Aufstieg am hellen Tage ausgeführt und seine Blicke über den lichtbedeckten Horizont schweifen lassen, so würde er vielleicht entweder andere Inseln oder selbst ein Festland haben entdecken müssen, wenn ein solches innerhalb des Radius von vierzig bis fünfzig Meilen lag – eine Entfernung, welche sein Gesichtskreis gewiß umfaßte.

War jetzt gegen Westen, Norden und Süden der Himmel so bewölkt, daß er nach dieser Seite nichts zu erkennen vermochte, so war das nicht der Fall in der Richtung nach Osten, wo ein kleiner Abschnitt des Firmaments jetzt, von Wolken ganz frei, einzelne Sterne herabflackern ließ.

Gerade nach dieser Seite zog da ein ziemlich heller Schein, der sich an den niedrigen Wolkenschichten noch wiederspiegelte, Briant’s Aufmerksamkeit wach.

»Das ist der Schein eines Feuers! sagte er sich. Sollte Walston sein Lager dort aufgeschlagen haben? … Nein, dieses Feuer ist viel zu entfernt und befindet sich unzweifelhaft außerhalb unserer Insel! … Sollte es ein Vulkan sein, der eben einen Ausbruch hätte, und läge demnach ein Land nach dieser Gegend zu?«

Dabei fiel es Briant wieder ein, daß während seines letzten Zuges nach der Deception-Bai ein weißlicher Fleck im Felde seines Fernrohrs aufgetaucht war.

»Ja, murmelte er für sich, das war in dieser Richtung … Und dieser Fleck, sollte das vielleicht der Widerschein eines Gletschers sein? … Dort im Osten muß es ein Land, und zwar ziemlich nahe der Insel Chairman, geben!«

Briant hatte sein Fernrohr auf diesen hellen Schein gerichtet, den die Dunkelheit ringsum noch deutlicher hervortreten ließ. Es unterlag keinem Zweifel, daß sich dort ein feuerspeiender Berg in der Nachbarschaft des schon gesehenen Gletschers befand, der entweder einem Festlande oder einer Inselgruppe angehörte, welche weiter als dreißig Meilen schwerlich entfernt sein konnte.

In diesem Augenblicke bemerkte Briant auch noch einen zweiten Lichtschein; nur weit näher, höchstens fünf bis sechs Meilen weit, und folglich auf der Oberfläche der Insel, flammte ein anderer Feuerschein zwischen den Bäumen im Osten des Family-lake.

»Das ist aber im Walde, sagte er, und zwar an dessen Saume nach der Seite der Küste hin.«

Es schien jedoch, als wäre dieser helle Glanz nur sichtbar geworden, um sofort wieder zu verschwinden, denn es gelang Briant nicht, ihn noch einmal wahrzunehmen.

O, wie schlug ihm da das Herz so stürmisch und wie zitterte seine Hand, daß es ihm ganz unmöglich wurde, das Fernrohr mit genügender Ruhe zu halten!

Eins stand jedoch fest – dort, nicht weit von der Mündung des East-river, loderte ein Lagerfeuer. Briant hatte es bestimmt gesehen, und er erkannte auch bald darauf noch einmal, wie dasselbe durch das Dickicht der Bäume schimmerte.

Walston und seine Bande lagerten also an jenem Punkte, in der Nähe des kleinen Hafens des Bear-rock! Die Mordgesellen vom »Settern« hatten die Insel Chairman nicht verlassen!

Die jungen Colonisten waren ihrem Angriffe nach wie vor ausgesetzt und noch immer gab es in French-den keine Sicherheit wieder!

Welche Enttäuschung bereitete das Briant! Offenbar hatte Walston, bei der Unmöglichkeit seine Schaluppe auszubessern, darauf Verzicht leisten müssen, wieder in See zu gehen, um eines der benachbarten Länder zu erreichen. Und doch gab es deren in der hiesigen Gegend – in dieser Beziehung konnte kein Zweifel mehr aufkommen.

Da Briant seine ihm nöthig erscheinenden Beobachtungen beendet, hielt er es für nutzlos, seinen Aufenthalt in der Luft noch zu verlängern. Er bereitete sich also zum Niedersteigen. Der Wind frischte jetzt merkbar auf. Schon verursachten die stärker gewordenen Oscillationen ein Schwanken des Nachens, welches die Landung bedeutend erschweren mußte.

Nachdem er sich überzeugt, daß der Signalfaden hinreichend angespannt sei, ließ Briant die Kugel hinabgleiten, welche in einigen Secunden in die Hand Garnett’s lief.

Sogleich begann die Schnur an der Winde den Apparat nach dem Boden hin abzuziehen.

Während der Drachen sich aber herabsenkte, blickte Briant noch in der Richtung der von ihm wahrgenommenen Lichtscheine hinaus. Er erkannte dabei noch das Feuer von der Eruption und, weit näher am Ufer, das Lagerfeuer.

Man kann sich wohl vorstellen, daß Gordon und die Uebrigen das Signal zum Abstieg mit größter Ungeduld erwartet hatten, denn die zwanzig Minuten, welche Briant oben in der Luft verweilte, erschienen ihnen über die maßen lang.

Inzwischen handhabten Doniphan, Baxter, Wilcox, Service und Webb nach Kräften die Kurbeln der Winde. Auch sie hatten ja bemerkt, daß der Wind an Stärke zunahm und jetzt auch minder regelmäßig wehte. Sie empfanden das an den Stößen, welche die Schnur erlitt und dachten nicht ohne Besorgniß an Briant, der den Gegenstoß derselben ertragen mußte.

Die Winde arbeitete also sehr rasch, um die zwölfhundertfußlange Schnur wieder aufzuwickeln, welche vorher abgerollt worden war. Der Wind frischte noch weiter auf und dreiviertel Stunde nach dem von Briant gegebenen Signal blies er schon mit voller Kraft.

In diesem Augenblick mochte der Apparat noch gegen hundert Fuß über dem See schweben.

Plötzlich erfolgte ein sehr heftiger Ruck. Wilcox, Doniphan, Service, Webb, Baxter, denen jeder Widerhalt fehlte, wurden dabei bald zur Erde gestürzt. Die Schnur des Drachen war gerissen.

Unter den wildesten Schreckensrufen erschallte da wohl zwanzig Mal der Name:

»Briant! … Briant!« …

Wenige Minuten später sprang Briant auf den Strand und rief mit lauter Stimme.

»Bruder! … Bruder! … jauchzte ihm Jacques entgegen, der zuerst in seinen Armen lag.

– Walston ist noch da!«

Das waren die ersten Worte Briant’s, als seine Kameraden zu ihm herangekommen waren.

Den Augenblick, als die Schnur riß, fühlte Briant nicht einen plötzlichen Sturz, sondern bemerkte, daß er in schräger Richtung und verhältnißmäßig langsam herniedersank, weil der Drache über ihm eine Art Fallschirm bildete. Jetzt hatte er nichts anderes zu thun, als aus dem Nachen frei zu kommen, ehe dieser die Oberfläche des Sees erreichte; kurz vor dem Untertauchen desselben sprang Briant kopfüber hinaus, und da er ein guter Schwimmer war, machte es ihm keine besondere Schwierigkeit, das höchstens noch vier- bis fünfhundert Fuß entfernte Ufer zu gewinnen.

Während dessen war der von seinem Gegengewicht befreite Drache im Nordosten verschwunden und von der steifen Brise gleich einer riesigen »Seetrift« in die Ferne entführt.

VII.

VII.

Eine Idee Briant’s. – Jubel der Kleinen. – Herstellung eines Drachens. – Ein unterbrochener Versuch. – Kate. – Die Ueberlebenden des »Severn«. – Doniphan und seine Kameraden von Gefahren bedroht. – Briant’s Ergebenheit. – Alle wieder vereinigt.

———

Der freundliche Leser weiß, unter welchen Umständen Doniphan, Webb, Croß und Wilcox French-den verlassen hatten. Seit ihrem Fortgange gestaltete sich das Leben der jungen Colonisten recht traurig. Mit welch‘ tiefem Kummer hatten Alle diese Trennung gesehen, welche in Zukunft die schwerstwiegenden Folgen haben konnte! Gewiß hatte sich Briant deshalb keinen Vorwurf zu machen und doch war er davon mehr ergriffen als die Anderen, weil diese Absonderung seiner Person wegen erfolgt war.

Vergebens suchte Gordon ihn zu trösten.

»Sie werden schon wiederkommen, Briant, sagte er, und vielleicht eher, als sie selbst es denken. So starrsinnig Doniphan auch sein mag, die Verhältnisse sind doch stärker als er. Ich möchte gleich eine Wette darauf eingehen, daß sie noch vor Eintritt der rauhen Jahreszeit bei uns in French-den wieder eingetroffen sind.«

Briant schüttelte den Kopf, ohne sich weiter auszusprechen. Ja, es war ja möglich, daß die Abwesenden durch den Zwang der Verhältnisse zurückgeführt werden konnten, doch dann mußten diese Verhältnisse wohl schon recht drückende geworden sein.

»Vor Wiedereintritt der rauhen Jahreszeit!« hatte Gordon gesagt. Sollten die jungen Colonisten demnach gezwungen sein, einen dritten Winter auf der Insel Chairman zuzubringen? Sollte ihnen auch bis dahin noch keine Hilfe werden? Wurden die umliegenden Theile des Stillen Weltmeeres wirklich auch nicht während des Sommers wenigstens von einzelnen Handelsschiffen besucht, und sollte das auf dem Gipfel des Auckland-hill errichtete Ballonsignal nicht endlich einmal bemerkt werden?

Dieser nur gegen zweihundert Fuß über der mittleren Höhe der Insel angebrachte Ballon konnte freilich nur in ziemlich beschränktem Umkreise wahrgenommen werden. Nachdem er mit Baxter vergeblich versucht, die Aufrisse zu einem neuen Fahrzeuge zu entwerfen, welches im Stande gewesen wäre, das offene Meer zu halten, mußte sich Briant schon um ein Mittel bemühen, irgend ein Signal in bedeutenderer Höhe anzubringen. Er sprach ziemlich häufig davon, und eines Tages äußerte er gegen Baxter, daß er an die Verwendbarkeit eines Drachens (das bekannte, gegen Sommersende und Herbstanfang beliebte Spielzeug der Kinder) zu diesem Zwecke glaube.

»Es fehlt uns dazu weder an Leinwand noch an Hanfschnur, setzte er hinzu, und wenn wir diesem Flugapparate eine hinreichende Größe geben, muß er in sehr hoher Zone – vielleicht tausend Fuß hoch – schweben können.

– Mit Ausnahme der Tage, wo sich überhaupt kein Lüftchen regt, wandte Baxter ein.

– Solche Tage sind sehr selten, antwortete Briant, und bei gänzlicher Luftruhe steht es uns ja frei, den Drachen zur Erde herabzuziehen. Abgesehen von diesem Falle aber würde derselbe, nachdem er mit dem Ende der Schnur einmal am Erdboden befestigt war, von selbst der wechselnden Windrichtung folgen, und wir hätten uns gar nicht weiter um ihn zu bekümmern.

– Einen Versuch ist die Sache werth, meinte Baxter.

– Wenn der Drache übrigens, fuhr Briant fort, tagsüber auf große Entfernung – vielleicht auf sechzig Meilen – hin sichtbar wäre, so würde er es auch in der Nacht sein können, wenn wir am Schwanze oder am Rumpfe desselben eine unserer Signallaternen anbrächten.«

Alles in Allem erschien diese neue Idee Briant’s nicht unpraktisch. Was ihre Ausführung anging, so konnte sie diese Knaben nicht in Verlegenheit bringen, welche schon viele Male hatten derartige Drachen in Neuseeland aufsteigen lassen.

Als das Vorhaben Briant’s mehr bekannt wurde, erregte es auch eine allgemeine Freude. Die Kleinen vorzüglich, wie Jenkins, Iverson, Dole und Costar, faßten die Sache von der unterhaltenden Seite auf und jubelten schon bei dem Gedanken an einen Drachen, der an Größe alle, die sie bisher gesehen, weit übertreffen sollte. Welche Lust, dann an dessen Schnur zu ziehen, wenn er stolz hoch oben in den Lüften schwebte!

»Dem werden wir aber einen gewaltig langen Schwanz anhängen, sagte der Eine.

– Und ein Paar ganz große Ohren, bemerkte der Andere.

– Auch einen prächtigen Hanswurst muß er obenauf bekommen, der dann lustig mit den Beinen zappelt.

– Und wir schicken ihm auch kleine Postillone nach!«

Es war ein reiner Jubel. In der That lag aber doch dem Vorhaben, in welchem diese Kinder nur eine erwünschte Zerstreuung erblickten, ein recht ernster Gedanke zu Grunde, und gewiß war die Hoffnung erlaubt, daß dasselbe günstige Folgen habe.

Schon am zweitnächsten Tage, nachdem Doniphan und seine drei Begleiter French-den verlassen hatten, gingen Briant und Baxter also ans Werk.

»Ei, sapperlot! rief Service; die werden einmal große Augen machen, wenn sie den großen Burschen in der Luft schweben sehen! Wie ewig schade, daß meine Robinsons auch niemals auf den herrlichen Gedanken gekommen sind, so einen Drachen aufsteigen zu lassen!

– Wird man denselben von allen Punkten unserer Insel aus wahrnehmen können? fragte Garnett.

– Nicht allein von unserer Insel aus, antwortete Briant, sondern auch in großem Umfange von dem umgebenden Meere.

– Kann man ihn auch von Auckland aus sehen? … rief Dole.

– Das leider nicht, antwortete Briant, über jenen Gedanken lächelnd. Wenn aber Doniphan und die Anderen ihn erblicken, so veranlaßt sie das vielleicht, doch wieder hierher zu uns zurückzukehren!«

Man sieht, der wackere Knabe dachte auch jetzt nur an die Abwesenden und wünschte nur Eines: … daß diese verderbliche Trennung baldigst ihr Ende finden möchte.

Dieser und die folgenden Tage wurden nun in der Hauptsache der Herstellung des Drachens gewidmet, dem Baxter eine achteckige Form zu geben vorschlug. Das sehr leichte und doch sehr widerstandsfähige Gerippe des Apparates wurde aus einer Art ganz zähen Rohres hergestellt, das an den Ufern des Family-lake in großer Menge vorkam. Die Stengel desselben waren dabei auch stark genug, um selbst einen ziemlich steifen Wind bequem auszuhalten. Auf dieses Rohrgestell ließ Briant nun leichte, mit Kautschuk getränkte Segel spannen, welche zur Bedeckung der Oberlichtfenster des Schooners gedient hatten. Diese Segel waren so undurchlässig, daß nicht einmal der Wind durch das Gewebe derselben zu dringen vermochte. Als Schnur sollte eine gegen zweitausend Fuß lange, ganz dünne, aber scharfgedrehte Leine verwendet werden, welche sonst verwendet wurde, um das Log nachzuschleppen, und die wohl geeignet schien, auch eine sehr starke Anspannung auszuhalten.

Es versteht sich ganz von selbst, daß der Apparat mit einem prächtigen Schwanze geschmückt werden sollte, der ja an sich nothwendig ist, um einen solchen Apparat im Gleichgewichte oder wenigstens stillstehend zu erhalten, wenn er schräg nach vorne gerichtet in den Lüften schwebt. Er war übrigens so fest gebaut, daß er ohne zu große Gefahr jeden beliebigen von den jungen Kolonisten hätte mit emporheben können. Doch davon war ja nicht die Rede; es handelte sich vielmehr nur darum, daß er fest genug war, auch einer ziemlich frischen Brise zu widerstehen, und groß genug, um auf eine solche Höhe emporzusteigen, in der er von einem fünfzig- bis sechzigmeiligen Umkreise aus gesehen werden konnte.

Natürlich war es nicht beabsichtigt, den Drachen mit der Hand zu halten. Unter dem Drucke des Windes hätte er das gesammte Personal der Colonie, und vielleicht schneller als es erwünscht sein mochte, mit fortgezogen. Die Schnur sollte deshalb über eines der sogenannten Bratspille des Schooners gewickelt werden. Dieser kleine horizontale Wellbaum wurde also nach der Mitte der Sport-terrace geschafft und sein Gestell fest im Boden eingerammt, um dem Zuge jenes »Riesen der Lüfte« widerstehen zu können – wie die Kleinen den Drachen einstimmig getauft hatten.

Nachdem diese Arbeit am 15. des Abends glücklich beendigt war, bestimmte Briant für den nächstfolgenden Nachmittag den feierlichen Aufstieg, dem alle seine Kameraden beiwohnen sollten.

Am folgenden Tage erwies es sich jedoch unmöglich, dieses Experiment auszuführen, da ein so heftiger Sturm losgebrochen war, daß er den Apparat sofort in Stücke zerrissen hätte, wenn er, an der Schnur gehalten, in die Luft aufgelassen worden wäre.

Es war das derselbe Sturm, der Doniphan und dessen Begleiter im nördlichen Theile der Insel überfallen hatte und der gleichzeitig jene Schaluppe und die amerikanischen Schiffbrüchigen auf die nach Norden zu gelegenen Klippen schleuderte, welche in Folge dessen den Namen »Severn-shores« (d. i. Severn-Riffe) erhielten.

Am übernächsten Tage, dem 16. October, wehte doch, wenn auch etwas mehr Ruhe eingetreten war, noch eine so steife Brise, daß Briant seinen Steigapparat noch nicht erproben wollte. Da die Witterung sich jedoch, Dank der Richtung des Windes, welcher weit schwächer wurde, bedeutend besserte, sollte das Experiment am folgenden Tage ausgeführt werden.

Es war am 17. October – ein Datum, dem eine hervorragende Stelle in den Annalen der Insel Chairman bestimmt sein sollte.

Obwohl dieser Tag ein Freitag war, glaubte Briant dennoch nicht – aus Aberglauben – noch weitere vierundzwanzig Stunden warten zu sollen. Uebrigens hatte sich die Witterung günstig verändert und es wehte jetzt eine leichte, gleichmäßige Brise, ganz geeignet, einen Drachen in der Luft zu erhalten. In Folge der Neigung, welche seine sogenannte Wage sicherte, mußte er sich zu großer Höhe erheben, und am Abend wollte man ihn dann herunterziehen und eine Signallaterne an ihm befestigen, welche die ganze Nacht sichtbar bleiben würde.

Der Vormittag wurde den letzten Vorbereitungen gewidmet, welche nach dem Frühstücke mehr als eine Stunde in Anspruch nahmen. Dann begaben sich Alle nach der Sport-terrace zurück.

»Welch‘ vortreffliche Idee hat Briant gehabt, diesen Flugapparat zu bauen!« wiederholten Iverson und die Anderen, in die Hände klatschend.

Es war jetzt eineinhalb Uhr. Der mit ausgestrecktem Schwanze auf der Erde liegende Drache sollte schon dem Drucke der Brise preisgegeben werden, und man erwartete nur das letzte Zeichen Briant’s, als dieser die Ausführung des Vorhabens selbst unterbrach.

In diesem Augenblicke wurde seine Aufmerksamkeit nämlich durch Phann abgeleitet, der plötzlich nach der Seite des Waldes hinsprang und ein so klägliches, so seltsames Gebell ertönen ließ, daß man sich mit Recht darüber verwunderte.

»Was mag Phann nur haben? fragte Briant.

– Hätte er vielleicht ein Thier unter den Bäumen aufgespürt? antwortete Gordon.

– Nein, das würde er ganz anders anschlagen.

– Wir wollen doch nachsehen! … rief Service.

– Doch nicht unbewaffnet!« setzte Briant hinzu.

Service und Jacques liefen nach French-den zurück, von wo sie bald Jeder mit einem geladenen Gewehre zurückkamen.

»So kommt!« sagte Briant.

Alle Drei begaben sich nun, begleitet von Gordon, nach dem Saume der Traps-woods. Phann war ihnen dahin schon voraus, und wenn man ihn nicht mehr sah, so hörte man ihn doch immer.

Briant und seine Kameraden hatten kaum fünfzig Schritte zurückgelegt, als sie den Hund vor einem Baume stehen sahen, an dessen Fuße eine menschliche Gestalt lag.

Unbeweglich wie eine Todte lag eine Frau da ausgestreckt, deren Kleidungsstücke – ein Rock aus dickem Stoffe, ein ähnliches Leibchen und ein braunwollenes, um die Taille gebundenes Tuch – noch in ganz gutem Zustande zu sein schienen. Ihr Gesicht ließ die Spuren entsetzlicher Leiden erkennen, obwohl sie von kräftiger Constitution und höchstens vierzig bis fünfundvierzig Jahre alt war. Erschöpft von Strapazen, vielleicht auch vom Hunger, hatte sie das Bewußtsein verloren, doch bewegten noch schwache Athemzüge ihre Lippen.

Die Erregung der jungen Colonisten angesichts des ersten menschlichen Wesens, das sie seit ihrer Anwesenheit auf der Insel Chairman getroffen, wird man sich leicht vorstellen können.

»Sie athmet! … Sie athmet noch! rief Gordon. Ohne Zweifel ist es nur der Hunger, der Durst« …

Jacques flog bei diesen Worten schon nach French-den, von wo er etwas Schiffszwieback und eine Flasche mit Brandy herbeibrachte.

Ueber die Frau niedergebeugt, öffnete Briant deren festgeschlossene Lippen, und es gelang ihm, ihr einige Tropfen des belebenden Getränkes einzuflößen.

Die Frau machte eine leichte Bewegung und erhob dann die Augenlider. Ihr Blick wurde freier, als sie die im Umkreise versammelten Kinder sah … Dann führte sie das ihr von Jacques dargebotene Stück Zwieback begierig nach dem Munde.

Man erkannte, daß die Unglückliche mehr aus Nahrungsmangel als aus Ermüdung dem Tode nahe gewesen war.

Doch, wer war diese Frau? Würde es möglich sein, mit ihr einige Worte zu wechseln, sich mit ihr zu verständigen?

Briant sollte sofort hierüber klar werden.

Die Unbekannte hatte sich aufgerichtet und sprach eben in reinem Englisch die Worte aus:

»Ich danke Euch … liebe Kinder … ich danke!«

Eine halbe Stunde später hatten Briant und Baxter sie in der Halle niedergelegt, dort unterstützten Gordon und Briant sie noch, ihr alle Pflege, welche ihr trauriger Zustand erforderte, angedeihen zu lassen.

Sobald sie sich etwas erholt, beeilte sie sich, ihre Geschichte zu erzählen.

Wir lassen hier die Worte der Fremden folgen, aus denen zu ersehen ist, daß sie die jungen Colonisten lebhaft interessiren mußten.

Sie war von amerikanischer Herkunft und hatte lange Zeit in den Gebieten des Far-West der Vereinigten Staaten gelebt. Sie nannte sich Katherine Ready oder einfach Kate. Seit zwanzig Jahren schon stand sie als Aufwärterin in Diensten der Familie William R. Penfield, die in Albany, der Hauptstadt des Staates New-York, wohnte.

Vor nur einem Monate waren Mr. und Mrs. Penfield, um sich nach Chili zu begeben, wo deren Eltern wohnten, nach San Francisco, dem Haupthafen Californiens, gekommen, um auf dem Kauffahrteischiffe der »Severn«, geführt vom Capitän John F. Turner, an Bord zu gehen. Dieses Schiff war nach Valparaiso bestimmt. Mr. und Mrs. Penfield nahmen auf demselben mit Kate, die sozusagen zur Familie gehörte, Ueberfahrt.

Der »Severn« war ein tüchtiges Fahrzeug und hätte ohne Zweifel eine ganz glückliche Fahrt gemacht, wenn nicht die seine Besatzung bildenden, erst neuerdings angeworbenen acht Mann Schurken der schlimmsten Art gewesen wären. Neun Tage nach der Abfahrt erregte einer derselben, Walston, unterstützt von seinen Spießgesellen Brandt, Rock, Henley, Cork, Forbes, Cope und Pike eine Meuterei, bei der der Capitän Turner nebst dem Obersteuermanne und gleichzeitig Herr und Frau Penfield getödtet wurden.

Die Absicht der Meuterer war dahin gegangen, das Schiff, nachdem sie es in ihre Gewalt bekommen, zum Sclavenhandel zu verwenden, der damals noch in einigen Ländern Südamerikas in Blüthe stand.

Nur zwei Personen an Bord waren verschont geblieben, Kate, zu deren Gunsten sich der Matrose Forbes – ein weniger grausamer Geselle als die Uebrigen – verwendet hatte, und noch ein Steuermann des »Severn«, ein Mann von dreißig Jahren, Namens Evans, den sie wegen der Führung des Schiffes nicht entbehren konnten.

Jene schrecklichen Scenen hatten sich vom 7. zum 8. October abgespielt, als der »Severn« sich gegen zweihundert Meilen von der chilenischen Küste entfernt befand.

Unter Androhung des Todes wurde Evans nun gezwungen, einen Curs zur Umschiffung des Cap Horn einzuhalten, von wo aus das Schiff nach der Westküste Afrikas segeln sollte.

Einige Tage später entstand jedoch aus irgend einem niemals bekannt gewordenen Grunde eine Feuersbrunst an Bord. In kürzester Zeit gewann dieselbe eine solche Ausbreitung, daß Walston und seine Genossen den »Severn« vergeblich vor gänzlicher Zerstörung zu bewahren sich bemühten. Einer derselben, Henley, fand sogar dabei den Tod, indem er sich, um dem Feuer zu entgehen, ins Meer stürzte. Alle mußten das Schiff verlassen, in größter Eile einigen Proviant, etwas Munition nebst Waffen in die große Schaluppe werfen und sich schleunigst entfernen, weil der »Severn« zuletzt in die Tiefe versank.

Die Lage der Schiffbrüchigen war eine äußerst kritische, da sie noch zweihundert Meilen von dem nächsten Lande trennten. Es wäre nur gerecht gewesen, wenn die Schaluppe mit den Verbrechern, die sie trug, gleichfalls den Untergang fand, wären nicht Kate und der Steuermann Evans mit diesen an Bord derselben gewesen.

Am zweitfolgenden Tage erhob sich ein wüthender Sturm – was die Lage der Leute noch mehr verschlimmerte. Da der Wind jedoch von der hohen See her wehte, wurde das Boot – mit gebrochenem Maste und zerrissenem Segel – nach der Insel Chairman zu getrieben. Wir wissen schon, wie es in der Nacht vom 15. zum 16., nachdem es durch den Klippensaum geschleudert, zuletzt mit theilweise zerbrochenen Rippen und geborstener Beplankung auf dem Vorlande scheiterte.

Erschöpft von dem langen Kampfe gegen den Sturm, konnten Walston und seine Genossen, deren Proviant auch fast zu Ende gegangen war, gegen die Kälte und die Abspannung sich nicht mehr schützen. Sie waren auch fast leblos, als die Schaluppe in die Klippen gerieth. Durch eine ungeheuere Welle wurden noch fünf derselben kurz vor der Strandung über Bord geschleudert und die beiden Letzten wenige Augenblicke später auf den Sand geworfen, während Kate über die andere Seite des Bootes hinausfiel.

Lange Zeit blieben die beiden Männer, ebenso wie Kate zuerst auch, ohne Bewußtsein. Nachdem Letztere bald wieder zu sich gekommen, bestrebte sie sich, unbeweglich liegen zu bleiben, obwohl sie annehmen konnte, daß Walston und die Uebrigen umgekommen seien. Sie wollte den Tag abwarten, um erst dann in diesem unbekannten Lande Hilfe zu suchen, als sie gegen drei Uhr Morgens im Sande neben der Schaluppe Schritte knirschen hörte.

Es waren Walston, Brandt und Rock, die sich nach der Strandung des Bootes nicht ohne Mühe hatten aus den Wellen retten können. Nachdem sie durch die Klippen mehr geklettert als gegangen und nach der Stelle kamen, wo ihre beiden Genossen Forbes und Pike lagen, beeilten sie sich, diese mit allen Mitteln ins Leben zurückzurufen. Dann verhandelten sie hin und her, was nun zu beginnen sei, während der Steuermann Evans einige hundert Schritte weiterhin, bewacht von Cope und Rock, sie erwartete.

Kate hörte dabei deutlich, wie unter ihnen folgende Worte gewechselt wurden:

»Wo sind wir? fragte Rock.

– Ich weiß es nicht, antwortete Walston. Doch das thut nichts; bleiben wir nicht hier, sondern wenden wir uns nach Osten hin. Wenn es wieder Tag wird, werden wir ja sehen, wie wir uns aus der Schlinge ziehen.

– Und unsere Waffen? sagte Forbes.

– Die sind hier sammt der unbeschädigten Munition,« erwiderte Walston.

Damit entnahm er dem Kasten der Schaluppe fünf Gewehre und mehrere Päckchen mit Patronen.

»Das ist freilich wenig, meinte Rock, um sich in diesen von Wilden bewohnten Ländern seiner Haut zu wehren.

– Wo ist Evans? … fragte da Brandt.

– Evans steht dort und wird von Cope und Rock überwacht. Er muß uns wohl oder übel begleiten, und wenn er sich dessen weigert, werd‘ ich ihm schon Vernunft beizubringen wissen.

– Was ist denn aus der Kate geworden? fragte Rock. Sollt‘ es ihr gelungen sein, sich zu retten?

– Kate? … antwortete Walston, o, von der ist nichts zu fürchten. Ich habe sie über Bord gehen sehen, noch ehe die Schaluppe richtig auf Grund gerieth, und sie liegt also jedenfalls da unten.

– Das nimmt uns einen Stein vom Herzen! … ließ Rock sich vernehmen. Sie wußte von uns doch ein Bischen zu viel!

– Aber lange wäre das auch nicht der Fall gewesen!« setzte Walston hinzu, und über den Sinn seiner Worte hätte sich Niemand täuschen können.

Kate, die Alles mit angehört, war entschlossen, zu entfliehen, sobald die Matrosen vom »Severn« weggegangen wären.

Schon nach wenigen Minuten trugen Walston und seine Spießgesellen, während sie Forbes und Pike, deren Beine sich noch nicht recht halten wollten, unterstützten, ihre Waffen und Munition, ferner was vom Proviant in den Kästen der Schaluppe übrig geblieben war, nämlich fünf bis sechs Pfund gepöckeltes Fleisch, etwas Tabak und zwei oder drei Kürbisflaschen mit Gin, von der Unglücksstätte weg. Sie entfernten sich, als der Sturm mit größter Heftigkeit wüthete.

Sobald sie hinreichend entfernt waren, erhob sich Kate. Es war auch Zeit, denn die anschwellende Fluth erreichte schon den Strand, und bald wäre sie von den Wellen mit fortgespült worden.

Das Vorhergehende erklärt, warum Doniphan, Wilcox, Webb und Croß, als sie wieder erschienen, um den Schiffbrüchigen die letzte Ehre zu erweisen, die Stelle leer fanden. Schon waren Walston und seine Bande nach Osten hingewandert, während Kate, die entgegengesetzte Richtung einhaltend, sich, ohne es zu wissen, der Nordspitze des Family-lake näherte.

Hier kam sie im Laufe des Nachmittags des 16., erschöpft von Hunger und Anstrengung, an. Einige wilde Beeren, das war Alles, womit sie sich stärken konnte.

Sie folgte dann dem linken Ufer, ging die ganze Nacht, ebenso den Vormittag des 17., immer weiter und sank endlich an der Stelle zusammen, wo Briant sie halb todt gefunden hatte.

Das waren die gewiß sehr ernst zu nehmenden Vorfälle, welche Kate schilderte.

Auf der Insel Chairman, wo die jungen Colonisten bisher in völliger Sicherheit gewohnt hatten, waren sieben, der schlimmsten Verbrechen fähige Männer ans Land gekommen. Würden diese zaudern, French-den, wenn sie es entdeckten, anzugreifen? Gewiß nicht; sie hatten ein zu großes Interesse, sich der hiesigen Vorräthe zu bemächtigen, den Proviant wegzuführen, die Waffen und vor Allem die Werkzeuge zu rauben, ohne welche es ihnen unmöglich sein mußte, die Schaluppe des »Severn« wieder in seetüchtigen Zustand zu setzen. Und welchen Widerstand vermochten dann Briant und seine Kameraden, von denen die Größten fünfzehn, die Kleinsten kaum zehn Jahre zählten, ihnen wohl zu leisten? Waren das nicht erschreckende Aussichten? Wenn jener Walston auf der Insel blieb, war es ganz unzweifelhaft, daß man einen gewaltsamen Angriff seitens desselben zu erwarten hatte.

Mit welchem Empfinden Alle den Bericht Kate’s anhörten, kann man sich wohl leicht vorstellen.

Briant’s Gedanken beschäftigten sich dabei zuerst aber damit, daß Doniphan, Wilcox, Webb und Croß jetzt zuerst bedroht sein mußten. Wie sollten diese überhaupt auf ihrer Hut sein, da sie von der Anwesenheit der Schiffbrüchigen des »Severn« auf der Insel Chairman ja nichts wußten, von den Verbrechern, welche gerade dort sein mußten, wo die vier Kameraden sich für später eine Wohnung suchten. Genügte von ihrer Seite nicht ein einziger Flintenschuß, um Walston ihre Gegenwart zu verrathen? Und dann fielen wahrscheinlich alle Vier unter den Händen jener Schurken, von denen gewiß kein Mitleid zu erwarten war.

»Wir müssen ihnen zu Hilfe eilen, sagte Briant, und schon vor morgen müssen sie unterrichtet …

– Und nach French-den zurückgeführt sein, setzte Gordon hinzu. Mehr als je gilt es jetzt, vereinigt zu bleiben, um kräftige Maßregeln gegen einen Angriff jener Uebelthäter zu ergreifen.

– Ja, erklärte Briant, und da es nothwendig ist, daß unsere Kameraden zurückkommen, so werden sie auch nicht widerstreben … Ich werde sie holen …

– Du, Briant?

– Ich, Gordon.

– Und wie?

– Ich werde mich mit Moko auf der Jolle einschiffen. Binnen wenigen Stunden können wir über den See und den East-river hinunter gesegelt sein, wie wir es schon gethan haben. Es spricht ja Alles dafür, daß Doniphan an der Mündung anzutreffen sein wird.

– Wann denkst Du abzufahren?

– Noch diesen Abend, antwortete Briant, wenn die Dunkelheit uns gestattet, unbemerkt den See zu überschreiten.

– Soll ich Dich begleiten, Bruder? … fragte Jacques.

– Nein, antwortete Briant; es ist unbedingt nöthig, daß wir Alle in der Jolle zurückkehren können, und es wird schon Mühe haben, darin für Sechs Platz zu finden.

– Es ist also abgemacht? fragte Gordon.

– Abgemacht!« erklärte Briant.

In Wahrheit war das wohl der beste Ausweg, nicht allein im Interesse Doniphan’s, Wilcox‘, Croß‘ und Webb’s, sondern auch im Interesse der kleinen Colonie. Vier Knaben mehr und nicht die vier minder kräftigsten – diese Unterstützung war im Falle eines Angriffes nicht zu verachten. Andererseits war keine Stunde zu verlieren, wenn man Alle vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden in French-den vereinigt sehen wollte.

Wie man leicht denken kann, konnte vom Aufsteigen des Drachens nun nicht mehr die Rede sein. Das wäre die größte Unklugheit gewesen, denn damit hätte man nicht draußen auf offener See vorübersegelnden Schiffen, sondern Walston und seinen Spießgesellen die Anwesenheit der jugendlichen Colonisten verrathen. Aus demselben Grunde ließ Briant auch den Signalmast, der sich auf dem Gipfel des Auckland-hill erhob, niederlegen.

Bis zum Abend blieben Alle in der Halle eingeschlossen. Kate hatte die Erzählung ihrer Abenteuer angehört. Die vortreffliche Frau dachte schon gar nicht mehr an sich, sondern nur an die jungen Leute. Mußten sie auf der Insel Chairman zusammenbleiben, so wollte sie ihnen eine treu ergebene Dienerin sein, wollte sie pflegen und lieben gleich einer Mutter. Schon gab sie den Kleinsten den Schmeichelnamen »Papooses«, mit dem man die englischen Babys in den Gebieten des Far-West bezeichnet.

Schon hatte Service, in Erinnerung an seinen Lieblingsroman, vorgeschlagen, sie »Freitagine« zu nennen, wie es Crusoë mit seinem Gefährten unvergänglichen Andenkens gethan, weil es gerade an einem Freitag gewesen war, wo Kate nach der Insel Chairman kam.

Dann fügte er noch hinzu:

»Jene Uebelthäter … Nun, die entsprechen ganz den Wilden der Robinsone! In diesen kommt allemal eine Zeit, wo sich Wilde einstellen, und immer auch ein Zeitpunkt, wo man sich der Burschen entledigt.«

Um acht Uhr waren die Vorbereitungen zur Abfahrt beendigt. Moko, dessen Ergebenheit ihn vor keiner Gefahr zurückschrecken ließ, freute sich, Briant bei diesem Zuge begleiten zu dürfen.

Beide schifften sich also ein und nahmen etwas Munition und von Waffen Jeder einen Revolver und ein langes Jagdmesser mit. Nachdem sie ihren Kameraden, welche sie nicht ohne ein recht bedrücktes Gefühl sich entfernen sahen, Lebewohl gesagt, waren sie bald inmitten der Schatten des Family-lake verschwunden. Mit Sonnenuntergang hatte sich eine mäßige Brise erhoben, welche von Norden her wehte, und wenn diese anhielt, mußte sie ebenso die Hin- wie die Rückfahrt der Jolle erleichtern.

Jedenfalls blieb die Brise günstig für die Ueberfahrt von Westen nach Osten. Die Nacht war sehr dunkel – ein glücklicher Umstand für Briant, der ja unbemerkt bleiben wollte. Mittels des Compasses seinen Weg suchend, konnte er darauf rechnen, nach dem entgegengesetzten Ufer zu gelangen, dem sie dann nur noch auf- oder abwärts ein Stück zu folgen hatten, je nachdem das leichte Boot ober- oder unterhalb des Wasserlaufs ans Land stoßen würde. Briant’s und Moko’s Aufmerksamkeit war nur nach jener Gegend hin gerichtet, wo sie immer ein Feuer wahrzunehmen fürchteten – was aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Anwesenheit Walston’s und seiner Begleiter hindeuten mußte, da Doniphan sich doch wohl auf dem Küstengebiete, an der Mündung des East-river, aufhielt.

Sechs Meilen wurden in zwei Stunden zurückgelegt. Die Jolle segelte vortrefflich, obwohl die Brise ziemlich stark auffrischte, und landete nahezu an derselben Stelle, wie bei der ersten Fahrt hierher, hatte also noch etwa eine halbe Meile dem Uferlande zu folgen, um die enge Einbuchtung zu erreichen, von welcher aus das Gewässer des Sees durch den Rio ablief. Das erforderte eine gewisse Zeit, denn da der Wind jetzt von vorn her wehte, mußte diese Strecke unter Anwendung der Ruder zurückgelegt werden. Unter den Baumkronen, welche sich zum Theil über den Wasserspiegel hinabneigten, erschien Alles ruhig. Weder Gebell noch Geheul war aus der Tiefe des Waldes hörbar und kein Feuer verbreitete seinen Schein unter den dunkelgrünen Massen.

Gegen zehneinhalb Uhr ergriff jedoch der im Hintergrunde der Jolle sitzende Briant plötzlich den Arm Moko’s. Wenige hundert Schritte vom rechten Ufer des East-river schimmerte ein halb erloschenes Feuer durch die Finsterniß. Wer mochte dort lagern? … Walston oder Doniphan? … Diese Frage mußte entschieden sein, ehe sie sich weiter auf den Rio hineinwagen konnten.

»Setze mich aus, Moko, sagte Briant.

– Sie wünschen nicht, daß ich Sie begleite, Herr Briant? antwortete der Schiffsjunge gedämpften Tones.

– Nein, es ist besser, ich bin allein! Ich laufe dabei weniger Gefahr, beim Anschleichen bemerkt zu werden.«

Die Jolle legte sich ans Ufer und Briant sprang ans Land, nachdem er Moko empfohlen, hier zu warten. In der Hand hatte er das Jagdmesser und im Gürtel einen Revolver, von dem er nur im Falle der höchsten Noth Gebrauch machen wollte, um kein Geräusch zu verursachen.

Nachdem er das etwas ansteigende Ufergelände erklommen, schlich der muthige Knabe unter den Bäumen hin.

Plötzlich blieb er stehen. In der Entfernung von etwa zwanzig Schritten schien es ihm bei dem Halblicht, welches das Feuer noch verbreitete, als bemerkte er einen Schatten, der ebenso durch das Unterholz hinschlich, wie er es eben gethan.

In diesem Augenblicke ertönte ein entsetzliches Gebrüll – dann kam irgend etwas vorgesprungen.

Es war ein großer Jaguar. Sofort erklangen laute Rufe:

»Hierher! … Zu Hilfe!«

Briant erkannte die Stimme Doniphan’s. Dieser war es wirklich. Seine Kameraden waren in dem nahe dem Ufer des Rio errichteten Lager zurückgeblieben.

Von dem Jaguar über den Haufen geworfen, wehrte sich Doniphan aus Leibeskräften, ohne doch von seinen Waffen Gebrauch machen zu können.

Durch seine Rufe erwacht, lief jetzt Wilcox mit dem Gewehre in Anschlag und bereit Feuer zu geben, hinzu …

»Schieße nicht! … Schieße nicht! …« rief Briant.

Und noch ehe Wilcox ihn hatte ordentlich erkennen können, stürzte sich Briant auf die Bestie, die sich jetzt gegen ihn wendete, während Doniphan mit Mühe wieder aufstand.

Zum Glück konnte Briant noch zur Seite springen, nachdem er dem Jaguar mit seinem Messer eine tiefe Wunde beigebracht.

Das Alles ging so schnell von Statten, daß weder Wilcox noch Doniphan das Geringste dabei thun konnten. Zu Tode getroffen, sank das Thier zusammen, als jetzt auch Webb und Croß Doniphan zu Hilfe geeilt kamen.

Der Sieg war Briant aber immerhin theuer zu stehen gekommen, denn von einem Tatzenschlag zerrissen, blutete seine Schulter ziemlich heftig.

»Wie kommst Du hierher? fragte Wilcox.

– Das werdet Ihr später erfahren, antwortete Briant. Kommt nur! … Kommt!

– Nicht eher, als bis ich Dir meinen Dank ausgesprochen habe, Briant! sagte Doniphan. Du hast mir das Leben gerettet …

– Ich habe nur gethan, was Du an meiner Stelle auch gethan hättest, erwiderte Briant. Sprechen wir davon jetzt nicht, folgt mir nur! …«

Obwohl die Verletzung Briant’s keine eigentlich gefährliche war, mußte man sie doch mit einem Taschentuche verbinden, und während Wilcox das so gut wie möglich besorgte, konnte der brave Knabe seine Kameraden über alles Vorgefallene unterrichten.

Die Männer also, welche Doniphan als Leichen von den Wellen weggerissen glaubte, waren noch am Leben und irrten jetzt auf der Insel umher. Es waren mit Blut besudelte Verbrecher! Eine Frau hatte mit ihnen in der Schaluppe des »Severn« Schiffbruch erlitten, und diese Frau befand sich in French-den. Jetzt gab es keine Sicherheit mehr auf der Insel Chairman … Deshalb also, aus Furcht, daß der Knall vernommen werden konnte, hatte Briant Wilcox zugerufen, nicht auf den Jaguar Feuer zu geben, deshalb hatte Briant nur das Jagdmesser benutzt, um das gefährliche Raubthier abzuthun.

»Ach, Briant, Du bist doch besser als ich! rief Doniphan tief erregt und mit einer überquellenden Dankbarkeit, welcher selbst sein sonst so hochmüthiger Charakter unterlag.

– Nein, Doniphan, nein, Kamerad, antwortete Briant; doch da ich einmal Deine Hand in der meinen halte, so werd‘ ich sie nicht eher wieder loslassen, als bis Du einwilligst, wieder mit da hinunter zu kommen …

– Ja, Briant, gern, versicherte Doniphan. Rechne auf mich! In Zukunft werd‘ ich der Erste sein, Dir zu gehorchen! … Morgen … mit Tagesanbruch … ziehen wir davon …

– Nein, sogleich, drängte Briant, damit wir noch ungesehen ankommen können!

– Aber wie denn? fragte Croß.

– Moko ist mit hier, er erwartet uns mit der Jolle. Wir wollten eben in den East-river einfahren, als ich den schwachen Schein eines Feuers bemerkte, das glücklicher Weise von Euch herrührte.

– Und Du kamst gerade zur rechten Zeit, um mich zu retten! wiederholte Doniphan.

– Und auch Dich nach French-den heimzuführen!«

Mit wenigen kurzen Worten erfolgte nun auch eine Erklärung darüber, warum Doniphan, Wilcox, Webb und Croß an dieser Stelle und nicht an der Mündung des East-river gelagert hatten.

Nachdem sie die Küste der Severn-shores verlassen, waren Alle nach dem Hafen des Bear-rock noch am Abend des 16. zurückgekehrt. Am nächsten Morgen wandten sie sich, ihrer Abmachung entsprechend, am linken Ufer des East-river bis zum See hinauf, wo sie Rast machten, um am folgenden Tage nach French-den zu gelangen.

Vor dem ersten Tagesgrauen hatten jetzt Briant und seine Kameraden in der Jolle Platz genommen, und da diese für Sechs ziemlich klein war, mußte bei der Führung derselben alle mögliche Vorsicht angewendet werden.

Der Wind war jedoch günstig und Moko leitete das Boot mit solcher Geschicklichkeit, daß die Ueberfahrt ohne Unfall von Statten ging.

Mit welcher Freude empfingen Gordon und die Anderen aber die Ankommenden, als diese gegen vier Uhr Morgens am Damme des Rio Sealand landeten!

Wenn ihnen jetzt schlimme Gefahren drohten, so waren wenigstens Alle wieder in French-den vereinigt.

XII.

XII.

Die Magellan-Straße. – Die Länder und Inseln an derselben. – Die Niederlassungen, welche daselbst gegründet wurden. – Zukunftspläne. – Gewalt oder List. – Rock und Forbes. – Die falschen Schiffbrüchigen. – Gastfreundlicher Empfang. – Zwischen elf Uhr und Mitternacht. – Ein Schuß Evans‘. – Das Dazwischentreten Kate’s.

———

Ein etwa dreihundertachtzig Meilen langer Canal, der sich von Westen nach Osten hin ausbiegt, vom Cap der Jungfrauen im Atlantischen Ocean bis zum Cap Los Pilares im Stillen Ocean reicht – umrahmt von bergigen Ufern, beherrscht von dreitausend Fuß über die Meeresfläche aufragenden Gebirgshäuptern – unterbrochen von Buchten, deren Hintergrund zahlreiche Häfen bildet – reich an Wasserplätzen, wo die Schiffe mühelos ihren Bedarf an Trinkwasser erneuern können – eingefaßt von dichten Wäldern mit zahlreichem Wild – widerhallend vom Donner mächtiger Wasserfälle, welche sich zu Tausenden in die unzähligen Einbuchtungen stürzen – den Schiffen, die von Osten oder Westen herkommen, einen kürzeren Weg bietend als die Lemaire-Straße, zwischen Staatenland und Feuerland, und weniger von Stürmen aufgewühlt als der Weg um das Cap Horn – das ist die Magellan-Straße, welche der berühmte portugiesische Seefahrer im Jahre 1520 entdeckte.

Die Spanier, welche während eines halben Jahrhunderts allein die Magellan-Länder besuchten, gründeten auf der Halbinsel Braunschweig die Niederlassung des Hunger-Hafens. Den Spaniern folgten die Engländer unter Drake, Cavendish, Chidley und Hawkins, dann die Holländer unter de Weert, de Cord, de Noort mit Lemaire und Shouten, welche im Jahre 1610 die Meerenge dieses Namens entdeckten. Endlich, von 1696 bis 1712, erschienen hier Franzosen unter Degennes, Beauchesne-Gunin und Frenzier, und von dieser Zeit ab besuchten diese Gegenden die berühmtesten Seefahrer aus dem Ende des Jahrhunderts, wie Anson, Cook, Byron, Bougainville und Andere.

Jetzt wurde die Magellan-Straße ein häufig benutzter Weg bei der Fahrt von einem Ocean zum anderen – vorzüglich, seitdem die Dampfschifffahrt, welche weder ungünstigen Wind noch Gegenströmungen kennt, gestattete, dieselbe unter den günstigsten Bedingungen zu durchmessen.

Das war also die Meerenge, welche Evans am nächsten Tage – am 28. November – Briant, Gordon und deren Kameraden auf der Karte des Stieler’schen Atlas zeigte.

Wenn Patagonien – die äußerste Provinz Südamerikas – das König Wilhelms-Land und die Halbinsel Braunschweig die nördliche Begrenzung der Meerenge bildet, so ist diese nach Süden zu durch den Magellan’schen Archipel abgeschlossen, der sehr große Inseln, wie Feuerland, Desolations-Land, die Inseln Clarence, Hoste, Gordon, Navarin, Wollaston, Stevart und eine Anzahl von minder bedeutenden umfaßt bis hinab zur letzten Gruppe der Hermiten, deren äußerste, zwischen den beiden Oceanen gelegene, nichts weiter ist, als der vorgeschobene letzte Gipfel der hohen Cordilleren, der Anden, und sich das Cap Horn nennt.

Im Osten schneidet die Magellan-Straße mit einer oder zwei engen Einfahrten zwischen dem Cap der Jungfrauen (zu Patagonien gehörig) und dem Cap Espiritu-Santo (zu Feuerland gehörig) in das Festland ein. Im Westen sind die Verhältnisse andere – wie Evans durch den Augenschein darlegte. An dieser Seite reihen sich Eilande, Inseln, Archipele, Straßen, Canäle und Meeresmeere bis in’s Unendliche aneinander. Mit einer zwischen dem Vorgebirge Los Pilares und der Südspitze der großen Insel der Königin Adelaide gelegenen Durchfahrt mündet die Meerenge im Stillen Ocean aus. Ueber derselben taucht eine große, unregelmäßig angeordnete Reihe von Inseln auf, die sich von der Meerenge des Lord Nelson bis zur Gruppe der nahe der Grenze Chiles liegenden Gruppe der Chonos- und der Chiloë-Inseln hingestreckt.

»Und seht Ihr nun hier, setzte Evans hinzu, jenseits der Magellan-Straße eine Insel, welche durch einfache Canäle von der Insel Cambridge im Süden und von den Inseln Madre de Dios und Chatam im Norden eingeschlossen ist? Nun, diese Insel auf dem 51. Grade südlicher Breite ist die Insel Hannover, der Ihr den Namen Insel Chairman gegeben und die Ihr seit länger als zwanzig Monaten bewohnt habt!«

Ueber den Atlas gebeugt, betrachteten Gordon, Briant und Doniphan neugierig diese Insel, welche sie für sehr entfernt von jedem Lande gehalten hatten und die doch der amerikanischen Küste so nahe lag.

»Wie, sagte Gordon, wir wären von Chile nur durch einen Meeresarm getrennt?

– Ja, meine Freunde, versicherte Evans, doch zwischen der Insel Hannover und dem Festlande Amerikas liegen nur ganz ebenso verlassene Inseln wie diese hier. Einmal nach genanntem Festlande gelangt, hättet Ihr Hunderte von Meilen bis zu den nächsten Niederlassungen Chiles oder der Argentinischen Republik zurücklegen müssen. Welche Beschwerden hätte das mit sich gebracht, gar nicht von den Gefahren zu reden, denn die Puelche-Indianer, welche durch die Pampas schweifen, sind gerade nicht gastfreundlicher Natur. Ich meine also, es war besser, diese Insel nicht zu verlassen, schon weil die materielle Existenz hier gesichert erschien und wir dieselbe, wie ich zu Gott hoffe, noch zusammen verlassen können.«

Die verschiedenen Canäle also, welche die Insel Chairman umflossen, maßen an gewissen Stellen nicht mehr als fünfzehn bis zwanzig Meilen Breite, und Moko hätte über dieselben bei günstiger Witterung ohne Mühe schon in der kleinen Jolle gelangen können. Daß Briant, Gordon und Doniphan diese Länder bei Gelegenheit ihrer Ausflüge nach dem Norden und dem Osten nicht hatten wahrnehmen können, lag nur daran, daß dieselben völlig flach waren. Der erkannte weißliche Fleck aber gehörte einem der Gletscher des Inneren an, und der flammende Berg war nur ein Vulkan der Magellans-Länder.

Uebrigens hatte, wie Briant bei aufmerksamer Betrachtung der Karte bemerkte, der Zufall sie immer nur nach solchen Punkten der Küste geführt, welche von den Nachbarinseln verhältnißmäßig entfernt lagen. Vielleicht hätte Doniphan bei seinem Besuche der Severn-shores die Südspitze der Insel Chatam erkennen müssen, wenn der von den Dunstmassen des bald ausbrechenden Sturmes erfüllte Horizont nicht blos in beschränktem Umkreise sichtbar gewesen wäre. Was die Deception-Bai angeht, welche ziemlich tief in die Insel Hannover einschneidet, so konnte man weder von der Mündung des East-river, noch vom Gipfel des Bear-rock etwas von dem im Osten gelegenen Eilande sehen, noch weniger natürlich von der Insel Esperance, welche etwa zwanzig Meilen weit entfernt liegt. Um die benachbarten Ländergebiete wahrnehmen zu können, hätte man sich nach dem North-Cape begeben müssen, von wo aus die untersten Theile der Insel Chatsam und der Insel Madre de Dios jenseits der Conceptions-Straße sichtbar gewesen wären; oder nach dem South-Cape, von wo aus man die Spitzen der Insel der Königin Adelaide oder Cambridge hätte wahrzunehmen vermocht; oder endlich nach dem äußersten Küstenpunkte der Down-lands, welche die Höhe der Insel Owen oder die Gletscher der Länder im Südosten beherrschen.

Die jungen Colonisten hatten ihre Streifzüge jedoch niemals bis zu diesen entfernten Punkten ausgedehnt. Was die Karte François Baudoin’s betraf, so konnte sich Evans allerdings nicht erklären, warum jene Inseln und Ländermassen auf ihr nicht verzeichnet standen. Da der französische Schiffbrüchige im Stande gewesen war, die Umfassungslinie der Insel Hannover so richtig wiederzugeben, mußte er um dieselbe doch ganz herumgekommen sein. Sollte man nun annehmen, daß gerade bei seinem Besuche der genannten Punkte der bedeckte Himmel seinen Gesichtskreis auf nur wenige Meilen beschränkt hatte? Das war mindestens nicht unglaublich.

Und wenn es nun gelang, sich der Schaluppe vom »Severn« zu bemächtigen und diese wieder auszubessern, nach welcher Seite hin würde Evans sie wohl führen?

Diese Frage richtete Gordon gelegentlich an den Steuermann.

»Meine lieben Freunde, antwortete Evans, ich würde weder nach Norden, noch nach Osten hin zu segeln suchen. Je weiter wir zu Wasser gelangen können, desto besser. Gewiß könnte uns die Schaluppe bei günstigem Winde nach irgend einem Hafen Chiles bringen, wo wir sicherlich den besten Empfang fänden. Der Seegang an diesen Küsten ist aber stets ziemlich schwer, während die Canäle des Archipels uns immer eine bequeme Fahrt gestatten.

– Gewiß, erklärte Briant. Doch werden wir in jenen Gegenden auch Niederlassungen antreffen und in solchen Niederlassungen Gelegenheit, in die Heimat zurückzukehren?

– Daran zweifle ich nicht, erwiderte Evans. Hier, betrachtet einmal diese Karte. Wenn wir die Durchfahrten des Archipels der Königin Adelaide hinter uns haben, wohin gelangen wir dann durch den Smyth-Canal? In die Magellan-Straße, nicht wahr? Nun, ziemlich am Eingange der Meerenge liegt hier der Hafen Tamar, der zu Desolations-Land gehört, und hier wären wir schon so gut wie auf dem Rückwege.

– Ja, doch wenn wir daselbst kein Schiff finden, antwortete Briant, wollen wir da warten, bis eins vorüberkommt?

– Nein, Herr Briant. Folgen Sie mir nur etwas weiter durch die Magellan-Straße. Sehen Sie hier die große Halbinsel Braunschweig? … Hier, im Hintergrunde der Fortescue-Bai, im Port Galant, legen die Schiffe sehr häufig bei. Müßten wir noch weiter segeln und das Cap Forward im Süden der Halbinsel umschiffen, so finden wir da die Bougainville-Bai, wo die meisten Fahrzeuge anhalten, welche die Meerenge passiren. Ueber diesen Punkt hinaus liegt ferner noch Port Famine (der Hungerhafen), nördlich von Punta Arena.«

Der Steuermann hatte ganz Recht. Einmal in der Meerenge, mußte die Schaluppe zahlreiche Ankerplätze finden. Unter solchen Verhältnissen schien die Heimkehr gesichert, ohne zu erwähnen, daß man ja schon unterwegs Schiffe auf dem Wege nach Australien oder Neuseeland treffen konnte. Wenn Port-Tamar, Port-Galant und Port-Famine zwar nur wenig Hilfsquellen bieten, so ist Punta-Arena dagegen mit Allem versehen, was zur Nothdurft des Leibes und Lebens gehört. Diese große, durch die chilenische Regierung gegründete Niederlassung bildet eine wirkliche, am Ufer erbaute kleine Stadt mit hübscher Kirche, deren Thurmspitze zwischen den prächtigen Bäumen der Halbinsel Braunschweig emporsteigt. Sie befindet sich in blühendem Zustande, während die Station Port-Famine, die aus dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts herrührt, heute fast nur noch ein Dorf in Ruinen ist.

Heutzutage gibt es übrigens auch noch weiter im Süden andere Niederlassungen, welche vorzüglich wissenschaftliche Expeditionen aufsuchen, wie die Station Livya auf der Insel Navarin, und vor Allem die von Ooshovia im Beagle-Canal unterhalb Feuerlands. Dank der Opferfreudigkeit englischer Missionäre fördert letztere sehr bedeutend die Kenntnisse der Gegenden, wo die Franzosen zahlreiche Spuren ihrer Anwesenheit zurückgelassen haben, wovon die Namen wie Dumas, Cloné, Pasteur, Chanzy und Grévy, welche verschiedenen Inseln des Magellan’schen Archipels beigelegt wurden, Zeugniß geben.

Die Rettung der jungen Colonisten schien also gesichert, wenn sie die Meerenge erreichen konnten. Dazu war es freilich nothwendig, die Schaluppe des »Severn« wieder in Stand zu setzen, und um das ausführen zu können, sich derselben zu bemächtigen – woran doch nicht eher zu denken war, als bis Walston und seine Spießgesellen zu Paaren getrieben waren.

Wäre dieselbe noch auf der Stelle geblieben, wo Doniphan sie auf der Küste der Severn-shores gefunden hatte, so hätte man vielleicht versuchen können, sie zu erlangen. Walston, der sich in der Hauptsache gegen fünfzehn Meilen von dort aufhielt, würde schwerlich etwas davon bemerkt haben. Was er vermocht hatte, konnte Evans natürlich auch, das heißt, die Schaluppe nicht zur Mündung des East-river, sondern zur Mündung des Rio Sealand, und wenn er diesen stromaufwärts benützte, sie sogar bis zur Höhe von French-den schaffen.

Hier würde die Ausbesserung unter Anleitung des Steuermannes unter den günstigsten Verhältnissen auszuführen gewesen sein. Nachdem das Boot dann neue Takelage erhalten, mit Munition, Lebensmitteln und einigen Gegenständen, welche zurückzulassen es schade gewesen wäre, beladen worden, wären sie von der Insel weggesegelt, ehe die Uebelthäter nur in die Lage kamen, sie anzugreifen.

Unglücklicherweise war das nicht ausführbar. Die Frage der Wegfahrt von hier konnte nur noch durch die Gewalt gelöst werden, ob man nun zum Angriff überging oder sich auf die Vertheidigung beschränkte. Jedenfalls ließ sich aber nichts thun, ehe man nicht die Mannschaft vom »Severn« überwältigt hatte.

Evans flößte übrigens den jungen Colonisten ein unbegrenztes Vertrauen ein. Kate hatte ja so viel und in so warmen Worten von ihm gesprochen. Seit der Steuermann sich Haar und Bart hatte schneiden können, erweckte schon sein offenes, entschlossenes Gesicht die beste Beruhigung. Wenn er energisch und muthig war, fand man, daß er auch gut, von entschlossenem Charakter und zu jeder Aufopferung fähig sein müsse.

Ganz wie Kate gesagt, schien er wirklich wie ein Sendbote des Himmels, der in French-den erschienen – endlich ein Mann inmitten dieser Kinder! Zuletzt wollte der Steuermann die Hilfsmittel kennen lernen, über die er, um Widerstand zu leisten, verfügen konnte.

Der Store-room und die Halle schienen ihm zur Vertheidigung völlig geeignet. Von deren Außenseite beherrschte die eine das Ufergelände und den Rio, die andere die Sport-terrace bis zum Gestade des Sees. Die Wandöffnungen gestatteten nach diesen Richtungen hin bei vollständiger Deckung zu feuern. Mit ihren acht Gewehren konnten die Belagerten die Angreifer entfernt halten und mit den beiden kleinen Kanonen sie mit einem Kartätschenhagel überschütten, wenn sie sich bis French-den heranwagten. Kam es aber gar zu einem Handgemenge, so würden Alle sich des Revolvers, der Aexte und Schiffsmesser zu bedienen wissen.

Evans lobte Briant auch, daß dieser im Innern so viel Steine aufgehäuft hatte, wie zur sicheren Abschließung der Thüren nöthig erschienen. Im Innern also waren die Vertheidiger verhältnißmäßig stark, draußen freilich nur schwach. Man darf nicht vergessen, daß es nur sechs Knaben von dreizehn bis fünfzehn Jahren waren gegen sieben kräftige Männer, welche, waffengewohnt und tollkühn, ja nicht einmal vor einem Morde zurückschreckten.

»Sie halten jene also für sehr zu fürchtende Burschen, Master Evans? fragte Gordon.

– Ja, Herr Gordon, für sehr zu fürchtende Gesellen.

– Bis auf Einen, der vielleicht nicht ganz verloren ist, ließ Kate sich vernehmen, ich meine Forbes, der mir das Leben gerettet hat.

– Forbes? antwortete Evans. Ach, alle Wetter, ob er nun blos durch schlechten Rath und aus Furcht vor seinen Genossen dazu verführt wurde, jedenfalls trägt er auch seinen Theil an dem Gemetzel auf dem »Severn«. Hat der Schurke mich nicht mit Rock auf’s Tollste verfolgt? Hat er nicht auf mich wie auf ein wildes Thier geschossen? Hat er sich nicht beglückwünscht, als er mich im Rio ertrunken glaubte? Nein, liebe Kate, ich fürchte, er ist nicht mehr Werth als die Anderen! Wenn er Sie damals verschonte, so wußte er gewiß recht gut, daß die Schurken Ihrer Dienste noch bedurften, und er würde nicht zurückbleiben, wenn es darauf ankäme, French-den zu überfallen.»

Inzwischen gingen einige Tage dahin, ohne daß etwas Verdächtiges von den jungen Leuten, welche die Umgebung vom Auckland-hill aus stets überwachten, gemeldet worden wäre, was Evans einigermaßen verwunderte.

Da er die Pläne Walston’s kannte und wußte, welches Interesse jener hatte, deren Ausführung zu beschleunigen, so legte er sich die Frage vor, warum zwischen dem 27. und dem 30. November noch gar nichts geschehen sei.

Da kam ihm der Gedanke, daß Walston vielleicht mit List statt mit Gewalt werde zum Ziel zu gelangen und in French-den einzudringen suchen. Er theilte seine Muthmaßungen Briant, Gordon, Doniphan und Baxter, mit denen er meist Alles besprach, gleich darauf mit.

»So lange wir uns im Innern von French-den halten, sagte er, würde er gezwungen sein, eine oder die andere Thür zu stürmen, da er Niemand hat, der sie ihm öffnete. Er könnte also versuchen, durch List Zugang zu erhalten …

– Und wie? fragte Gordon.

– Vielleicht in der Weise, wie es mir zufällig eingefallen ist, antwortete Evans. Ihr wißt, junge Freunde, daß Kate und ich die einzigen Wesen wären, welche Walston als Anführer einer Bande von Mordbuben, deren Angriff die kleine Colonie zu fürchten hätte, anzeigen könnten. Walston hält sich nun überzeugt, daß Kate bei der Strandung umgekommen ist. Was mich betrifft, so bin ich vorschriftsmäßig im Rio ertrunken, nachdem Rock und Forbes auf mich gefeuert hatten – und Ihr wißt ja, daß ich sie habe frohlocken hören, meiner ledig geworden zu sein. Walston muß demnach annehmen, daß Ihr noch von gar nichts unterrichtet seid – nicht einmal von der Anwesenheit der Matrosen vom »Severn« auf Eurer Insel, und daß Ihr, wenn einer derselben in French-den erschiene, ihn wie jeden Schiffbrüchigen bestens aufnehmen würdet. Wäre ein solcher Schuft aber einmal hereingekommen, so müßte es ihm leicht werden, seine Spießgesellen einzulassen – was für uns jeden Widerstand fast unmöglich machte.

– Nun gut, meinte Briant; wenn also Walston oder irgend ein Anderer unsere Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen suchte, so würden wir ihm mit einem Loth Blei die Wege weisen …

– Wenn wir vor ihm nicht etwa besser die Mützen ziehen, warf Gordon ein.

– Ja, Sie haben vielleicht Recht, Herr Gordon, erwiderte der Steuermann. Das könnte sogar besser sein. List wider List! Im gegebenen Falle werden wir ja sehen, was zu thun ist.»

Ja, es empfahl sich gewiß, mit größter Klugheit zu Werke zu gehen. Wendete sich die Sache zum Guten, gelang es Evans sich in den Besitz der Schaluppe des »Severn« zu setzen, so durfte man wohl hoffen, daß die Stunde der Erlösung nicht mehr ferne sei. Doch welche Gefahren drohten noch bis dahin! – Und würde diese ganze kleine Welt noch vollzählig sein, wenn sie endlich nach Neuseeland zurückkehrte?

Am folgenden Tage verlief der Vormittag auch ohne Zwischenfall. In Begleitung Doniphan’s und Baxter’s wagte sich der Steuermann sogar eine halbe Meile weit in der Richtung nach den Traps-woods hinaus, wobei alle Drei hinter den vereinzelten Bäumen am Fuße des Auckland-hill Deckung suchten. Er bemerkte nichts Außergewöhnliches, und Phann, der auch mitlief, gab nichts zu erkennen, was ihn hätte mißtrauisch machen können.

Gegen Abend jedoch, kurz vor Sonnenuntergang, kam es zu einem Alarm. Webb und Croß, die auf dem Steilufer Wache hielten, kamen eiligst herunter und meldeten die Annäherung zweier Männer, welche das südliche Vorland des Sees am anderen Ufer des Rio heraufkamen.

Kate und Evans zogen sich, um nicht bemerkt zu werden, sofort nach dem Store-room zurück. Von da aus bemerkten sie, durch die Schießscharten lugend, die beiden angemeldeten Männer. Es waren zwei Genossen Walston’s, Rock und Forbes.

»Da haben wir’s ja, sagte der Steuermann, sie verlegen sich auf die List und wollen sich hier als Matrosen einführen, die sich aus einem Schiffbruche gerettet haben.

– Was sollen wir nun thun? … sagte Briant.

– Sie bestens aufnehmen, erwiderte Evans.

– Diese Elenden auch noch gut empfangen! rief Briant. Ich wäre nimmermehr im Stande …

– Lass‘ mich das besorgen, unterbrach ihn Gordon.

– Recht so, Herr Gordon! sagte der Steuermann. Doch hüten Sie sich, daß jene keine Ahnung von unserem Hiersein bekommen. Kate und ich, wir werden uns schon zeigen, wenn es Zeit ist!«

Evans und die Aufwärterin versteckten sich in einem der Nebenräume des Verbindungsganges, dessen Thür hinter ihnen verschlossen wurde. Gleich darauf begaben sich Gordon und Baxter nach dem Ufer des Rio Sealand. Bei dem Anblick derselben heuchelten die beiden Männer das größte Erstaunen, und Gordon stellte sich so, als ob er nicht weniger verwundert sei.

Rock und Forbes schienen von Strapazen erschöpft, und als sie an den Wasserlauf herankamen, entstand folgendes kurze Gespräch zwischen beiden Ufern:

»Wer seid Ihr?

– Schiffbrüchige, welche im Süden dieser Insel mit der Schaluppe des Dreimasters »Severn« verunglückt sind.

– Seid Ihr Engländer?

– Nein, Amerikaner.

– Und Eure Gefährten?

– Die sind umgekommen. Uns allein gelang die Rettung aus dem Schiffbruche; doch jetzt sind unsere Kräfte zu Ende! …

Mit wem haben wir es hier zu thun?

– Mit den Colonisten der Insel Chairman.

– So bitten wir diese um Mitleid und um gastfreundliche Aufnahme, denn uns fehlt nicht weniger als Alles …

– Schiffbrüchige haben stets gerechten Anspruch auf Beistand seitens ihres Gleichen! … antwortete Gordon. Auch Ihr sollt uns willkommen sein!«

Auf ein Zeichen Gordon’s bestieg Moko die Jolle, welche nahe dem kleinen Damme angebunden lag, und mit einigen Ruderschlägen hatte er die beiden Matrosen nach dem rechten Ufer des Rio Sealand befördert.

Walston mochte wohl keine Wahl gehabt haben, doch mußte man gestehen, daß die Erscheinung Forbes‘ alles andere als vertrauenerweckend war, selbst gegenüber Kindern, denen es noch so sehr an Uebung fehlte, die Physiognomie eines Menschen zu entziffern. Obwohl er versucht hatte, sich das Ansehen eines ehrbaren Mannes zu geben, zeigte dieser Rock mit seiner gedrückten Stirn, dem hinten weit ausspringenden Kopfe und der dicken unteren Kinnlade unverkennbar den Typus des Verbrechers. Forbes – der, dessen menschliches Gefühl der Aussage Kate’s nach vielleicht noch nicht ganz erloschen war – hatte wenigstens ein etwas besseres Aussehen und wahrscheinlich hatte ihn Walston gerade aus diesem Grunde dem Anderen hier zugesellt.

Nach besten Kräften spielten nun Beide die Rolle falscher Schiffbrüchiger. Um keinen Verdacht zu erregen, vermieden sie es, sich eingehende Fragen vorlegen zu lassen, indem sie erklärten, mehr von Anstrengung als von Nahrungsmangel erschöpft zu sein, und deshalb baten, zunächst etwas ausruhen und vielleicht die Nacht in French-den zubringen zu dürfen. Sie wurden sofort dorthin geleitet. Beim Eintreten – und das entging Gordon keineswegs – hatten sie sich nicht enthalten können, auf die Anordnung der Halle etwas gar zu prüfende Blicke zu werfen. Sie schienen auch nicht wenig erstaunt über das Vertheidigungsmaterial, welches die kleine Colonie besaß – vorzüglich über die Kanone, welche über die Schießscharte lugte.

Die jungen Colonisten mußten also, wenn auch mit größtem Widerstreben, ihre Rolle vorläufig weiter spielen, da Rock und Forbes sich, nachdem sie den Bericht über ihre Erlebnisse bis zum folgenden Tage verschoben, nur schnellstens niederzulegen wünschten.

»Eine Handvoll trockenes Gras wird uns als Lagerstätte genügen, sagte Rock. Da wir Euch so wenig wie möglich belästigen möchten … Habt Ihr vielleicht noch einen ähnlichen Raum wie diesen? …

– Ja, antwortete Gordon, den, der uns als Küche dient, und dort könnt Ihr gut bis morgen ausruhen.«

Rock und sein Begleiter gingen nach dem Store-room hinüber, dessen Inneres sie mit forschendem Blick überflogen, wobei sie auch erkannten, daß die Thür desselben sich nach dem Rio zu öffnete.

Wirklich hätte Niemand zuvorkommender gegen diese armen Verunglückten sein können! Die beiden Schurken mußten sich sagen, daß es sich, um mit diesen unschuldigen Kindern fertig zu werden, gar nicht der Mühe lohne, eine solche Posse aufzuspielen.

Rock und Forbes streckten sich in einem Winkel des Store-room nieder. Hier sollten sie freilich nicht allein bleiben, da Moko in demselben Raume schlief; um diesen Burschen kümmerten sie sich indessen nicht und waren entschlossen, ihn einfach zu erwürgen, wenn sie bemerkten, daß er nur mit einem Auge schliefe. Zur verabredeten Stunde sollten nämlich Rock und Forbes die Thür öffnen, und Walston, der sich mit vier anderen seiner Spießgesellen am Uferlande aufhielt, hoffte damit French-den ohne Widerstand in seine Gewalt zu bekommen.

Gegen neun Uhr, als Rock und Forbes voraussichtlich schon schlafen mußten, trat auch Moko ein und warf sich sogleich auf sein Lager, bereit, beim ersten verdächtigen Zeichen Lärm zu schlagen.

Briant und die Uebrigen waren in der Halle geblieben. Nach Verschluß der Thür des Verbindungsganges gesellten sich Evans und Kate wieder zu ihnen. Alles war so gekommen, wie der Steuermann es vorausgesehen, und dieser zweifelte nicht daran, daß Walston jetzt in der nächsten Umgebung nur den Augenblick abwartete, hier einzudringen.

»Seien wir auf unserer Hut!« sagte er.

Inzwischen vergingen zwei Stunden, und Moko fragte sich schon, ob Rock und Forbes ihren Anschlag nicht bis zu einer anderen Nacht verschoben haben möchten, als seine Aufmerksamkeit durch ein leichtes Geräusch im Store-room erweckt wurde.

Beim Scheine der an der Decke hängenden Laterne sah er da Rock und Forbes den Winkel, in dem sie gelegen hatten, verlassen und nach der Seite der Thür hinkriechen.

Diese Thür war durch eine Anhäufung großer Steine gesichert – eine wirkliche Barricade, welche schwierig, wenn nicht ganz unmöglich auf einmal beseitigt werden konnte.

Die beiden Matrosen begannen also damit, die Steine einzeln abzutragen und geräuschlos längs der rechten Wand aufzuschichten. Nach wenigen Minuten war die Thür vollständig freigelegt. Jetzt brauchte nur noch der Riegel zurückgeschoben zu werden, der sie von innen verschloß, um den Zugang nach French-den jeden Augenblick zu öffnen.

In dem Augenblicke aber, als Rock nach Zurückschiebung jenes Riegels die Thür aufstoßen wollte, legte sich eine Hand auf seine Schulter. Er drehte sich um und erkannte den Steuermann, dessen Gesicht die Laterne voll beleuchtete.

»Evans! rief er. Evans hier! …

– Hierher, Jungens! rief der Steuermann.

Briant und seine Genossen stürzten sofort nach dem Store-room. Hier wurde zunächst Forbes von den vier stärksten Knaben, Baxter, Wilcox, Doniphan und Briant, gepackt und ihm jedes Entkommen unmöglich gemacht.

Rock hatte mit einem wuchtigen Stoße Evans zurückgedrängt und versetzte ihm dabei einen Messerstich, der diesen jedoch nur leicht am linken Arme streifte.

Dann eilte er durch die offene Thür hinaus. Er hatte noch keine zehn Schritte gemacht, als ein Schuß hinter ihm krachte.

Der Steuermann war es, der auf Rock geschossen hatte. Allem Anscheine nach war der Flüchtling unverletzt geblieben, wenigstens ließ sich kein Aufschrei hören.

»Alle Wetter! … Ich habe den Schuft gefehlt! rief Evans. Doch wir haben ja den andern … Einer wird also immer weniger sein!«

Das Messer in der Hand, erhob er schon den Arm gegen Forbes.

»Gnade! … Gnade! … winselte der Elende, den die vier Knaben auf der Erde festhielten.

– Ja, Gnade, Evans! bat Kate, sich zwischen den Steuermann und Forbes eindrängend. Gewährt ihm Gnade, da er mir das Leben gerettet hat! …

– Es sei! sagte Evans; ich gebe Ihnen nach, Kate, wenigstens für den Augenblick.«

Sicher geknebelt wurde jetzt Forbes in eine der Nebenkammern gesteckt.

Dann verschloß und verbarricadirte man die Thür des Store-room wieder und Alle blieben bis Tagesanbruch, um jeder Ueberraschung vorzubeugen, wach.

XIII.

XIII.

Ausfragung Forbes‘. – Die Lage. – Eine geplante Auskundschaftung. – Abwägung der Streitkräfte. – Reste des Lagers. – Briant verschwunden. – Doniphan ihm zu Hilfe. – Schwere Verwundung. – Ein Schrei von French-den her. – Auftreten Forbes‘. – Ein Kanonenschuß Moko’s.

———

So anstrengend diese Nacht ohne Schlaf auch gewesen, fiel es am nächsten Tage doch Niemand ein, nur eine Stunde Ruhe zu suchen. Es war jetzt nicht mehr zweifelhaft, daß Walston, nachdem die List mißlungen, Gewalt anwenden würde. Rock, der dem Schusse des Steuermannes entgangen war, mußte jenen wieder aufgesucht und ihm gemeldet haben, daß er, da seine Schliche entdeckt waren, nur durch Sprengung der Thüren nach French-den hinein gelangen könne.

Schon beim Morgenrothe begaben sich Evans, Briant, Doniphan und Gordon vorsichtig hinaus. Mit dem Aufgange der Sonne verdichteten sich die Morgennebel mehr und mehr und legten den See frei, den eine leichte Brise kräuselte.

Die ganze Umgebung von French-den, sowohl nach der Seite des Rio Sealand, wie nach der der Traps-woods zu, erschien völlig still. Im Innern des Geheges bewegten sich die Hausthiere wie gewöhnlich hin und her. Phann, der auf der Sport-terrace herumlief, ließ kein Zeichen von Unruhe erkennen.

Vor Allem beschäftigte sich Evans damit, zu erkennen, ob auf dem Boden Fußeindrücke zu finden seien. Wirklich zeigten sich solche in großer Menge – vorzüglich ganz nahe bei French-den. Sie kreuzten sich in den verschiedensten Richtungen und bewiesen deutlich, daß Walston und seine Begleiter bis nach dem Rio selbst vorgedrungen waren und dort auf Oeffnung der Thür des Store-room gelauert hatten.

Blutflecken bemerkte man auf dem Sande nicht – ein Beweis, daß Rock durch die Kugel des Steuermannes nicht verwundet worden sein konnte.

Hier drängte sich jedoch die Frage auf, ob Walston gleich den falschen Schiffbrüchigen vom Süden des Family-lake gekommen oder nicht vielmehr vom Norden her auf French-den zugezogen sei. In letzterem Falle mußte Rock nach den Traps-woods zu entflohen sein, um sich ihm wieder anzuschließen.

Da es von Wichtigkeit schien, diese Thatsache aufzuklären, beschloß man, Forbes zu fragen, um zu erfahren, welchen Weg Walston wohl eingeschlagen habe. Doch ob Forbes sich auch wohl herbeiließ, zu sprechen, und wenn er sprach, ob er dann auch die Wahrheit sagte? … Würden in seinem Herzen aus Dankbarkeit gegen Kate, die ihm jetzt das Leben gerettet hatte, wohl einige bessere Empfindungen erwachen? … Würde er vergessen, was es bedeutete, Diejenigen zu verrathen, die er erst um gastliche Aufnahme in French-den angesprochen hatte?

Um ihn persönlich zu befragen, kehrte Evans nach der Halle zurück, er öffnete die Thür des Seitenbehälters, in dem Forbes untergebracht worden war, löste seine Fesseln und führte ihn nach der Halle.

»Forbes, begann Evans, Dein und Rock’s listiger Anschlag hat seinen Zweck verfehlt. Mir liegt daran zu wissen, was Walston zunächst geplant, und Du mußt davon unterrichtet sein. Willst Du Antwort geben?«

Forbes hatte den Kopf gesenkt und wagte nicht, die Augen weder auf Evans noch auf Kate oder auf die Knaben zu erheben, denen der Steuermann ihn vorgeführt hatte. Er verhielt sich schweigend.

Kate versuchte zu vermitteln.

»Forbes, sagte sie, früher zeigtet Ihr eine Spur von Mitgefühl, als Ihr Eure Kameraden während des Gemetzels auf dem »Severn« abhieltet, auch mich umzubringen. Wäret Ihr jetzt nicht bereit, auch etwas zu thun, um diese Kinder vor einem noch schauderhafteren Gemetzel zu bewahren?«

Forbes gab keine Antwort.

»Forbes, fuhr Kate fort, sie haben Euch das Leben geschenkt, da Ihr den Tod verdientet! Jede menschliche Regung kann in Euch nicht erloschen sein! Nachdem Ihr so viel Böses gethan, könnt Ihr noch auf den Weg des Guten zurückkehren. Bedenkt, zu welch‘ scheußlichem Verbrechen Ihr jetzt die Hand bietet!«

Ein halberstickter Seufzer rang sich jetzt aus Forbes‘ Brust.

»Was kann ich denn dabei thun? antwortete er mit dumpfer Stimme.

– Du kannst uns mittheilen, nahm Evans wieder das Wort, was diese Nacht geschehen sollte, was später gegen uns geplant ist. Erwartetest Du Walston und die Uebrigen, welche wohl hier eindringen wollten, sobald Ihnen eine Thür geöffnet wurde? …

– Ja! … stammelte Forbes.

– Und diese Knaben, welche Dich so freundlich aufgenommen hatten, wären ermordet worden?« …

Forbes ließ den Kopf noch tiefer sinken und fand nicht die Kraft zu einer Antwort.

»So sage uns, von welcher Seite Walston und die Anderen hierher gekommen waren? fragte der Steuermann.

– Vom Norden des Sees her, erwiderte Forbes.

– Während Ihr Beide, Rock und Du, vom Süden her kamt? …

– Ja!

– Haben Sie schon im Westen die anderen Theile der Insel besucht?

– Noch nicht.

– Wo mögen sie jetzt sich aufhalten?

– Das weiß ich nicht …

– Du kannst uns nicht mehr sagen, Forbes?

– Nein … Evans .. nein! …

– Und Du denkst, daß Walston wiederkommen wird?

– Ja!«

Offenbar hatten Walston und seine Gefährten, als sie den Schuß des Steuermanns hörten und erkannten, daß ihre List durchschaut war, es für rathsam gehalten, sich in Erwartung einer günstigeren Gelegenheit seitwärts zu schlagen.

Evans, der nicht hoffen konnte, von Forbes weitere Aufklärung zu erlangen, führte diesen wieder nach seinem Gefängniß, dessen Thür von außen verschlossen wurde.

Die Lage war und blieb also immer eine höchst ernste. Wo befand sich jetzt Walston? Hielt er sich in den Traps-woods verborgen? Forbes hatte das nicht sagen können oder nicht sagen wollen. Und doch wäre es so wünschenswerth gewesen, in dieser Beziehung unterrichtet zu sein. Deshalb kam der Steuermann auf den Gedanken, in jener Richtung hin eine, wenn auch mit Gefahr verknüpfte Recognoscirung vorzunehmen.

Gegen Mittag brachte Moko dem Gefangenen etwas Nahrung. Forbes saß in sich zusammengesunken da und rührte diese kaum an. Was mochte in der Seele des Unglücklichen vorgehen? Wurde er vielleicht von Gewissensbissen gefoltert? – Wer könnte das errathen?

Nach dem Frühstück eröffnete Evans den Knaben seine Absicht, bis zum Saume der Traps-woods hinauszugehen, da es ihm gar zu sehr am Herzen lag, zu erfahren, ob die Verbrecher noch immer in der Nachbarschaft von French-den verweilten. Dieser Vorschlag wurde ohne weitere Verhandlungen angenommen, und man traf alle geeigneten Maßregeln, um sich gegen jede Eventualität zu sichern.

Gewiß zählten Walston und seine Spießgesellen seit der Gefangennahme Forbes‘ nur sechs Mann, während die kleine Colonie aus fünfzehn Knaben ohne Kate und Evans zu rechnen, bestand.

Von dieser Zahl waren aber die Kleinsten abzuziehen, welche an einem Kampfe nicht unmittelbar theilnehmen konnten. Es wurde also beschlossen, daß während des Recognoscirungszuges des Steuermanns Iverson, Jenkins, Dole und Costar mit Kate, Moko und Jacques unter der Hut Baxter’s in der Halle zurückbleiben sollten. Die Großen dagegen, nämlich Briant, Gordon, Doniphan, Croß, Service, Webb, Wilcox und Garnett, bildeten die Begleitung Evans‘. Acht Knaben gegen sechs Männer im kräftigsten Alter, das war freilich kein gleiches Verhältniß.

Zwar führte jeder derselben als Waffen Gewehr und Revolver, während Walston nur fünf vom »Severn« herrührende Flinten besaß. Unter diesen Umständen mußte also ein Fernkampf noch die besten Aussichten bieten, da Doniphan, Wilcox und Croß sehr gute Schützen und folglich den amerikanischen Matrosen überlegen waren. Dazu fehlte es ihnen nicht an Munition, wogegen Walston, wie der Steuermann gesagt hatte, sich auf nur wenige Patronen beschränkt sah.

Es war gegen zwei Uhr Nachmittags, als die kleine Truppe unter Führung Evans‘ zusammentrat. Baxter, Jacques, Moko, Kate und die Kleinen kehrten sofort nach French-den zurück, wo die Thüre zwar verschlossen, aber nicht verbarricadirt wurde, um gegebenen Falls dem Steuermann und den Anderen schnell Obdach bieten zu können.

Uebrigens war ebenso wenig vom Süden wie vom Westen her etwas zu fürchten, da Walston, um von diesen Richtungen her anzugreifen, erst nach der Sloughi-Bai und dann längs des Rio Sealand hätte hinziehen müssen, was zu viel Zeit erforderte. Nach Aussage Forbes‘ war er vielmehr am westlichen Ufer des Sees heruntergekommen und kannte jenen Theil der Insel wohl überhaupt nicht. Evans brauchte demnach keinen Rückenangriff zu fürchten, da die feindlichen Kräfte jedenfalls nur im Norden zu suchen sein konnten.

Die Knaben und der Steuermann drangen längs des Ufers am Auckland-hill möglichst behutsam vor. Jenseits des Geheges gestatteten ihnen Gesträuche und Baumgruppen den Wald zu erreichen, ohne sich allzusehr bloßzustellen.

Evans marschirte an der Spitze, nachdem er den Feuereifer Doniphan’s, der immer der Erste sein wollte, mühsam gemäßigt hatte. Als er an dem kleinen Erdhügel vorübergekommen war, der die sterblichen Ueberreste des französischen Schiffbrüchigen bedeckte, hielt es der Steuermann für angezeigt, eine schräge Richtung einzuschlagen, um sich dem Strande des Family-lake mehr zu nähern.

Phann, den Gordon vergeblich zurückzuhalten versucht hatte, schien mit aufgerichteten Ohren und die Nase am Boden etwas auszuspüren, und bald gewahrte man, daß er eine Fährte gefunden haben müsse.

»Achtung! rief Briant.

– Ja, antwortete Gordon. Das ist nicht die Fährte eines Thieres. Seht nur das seltsame Verhalten des Hundes!

– Schleichen wir unter dem Gebüsch hin, sagte Evans, und Sie, Herr Doniphan, da Sie sicher schießen, fehlen Sie ja keinen der Schurken, wenn einer sichtbar würde! Eine nützlichere Kugel werden Sie nie verschossen haben!«

Einige Augenblicke später hatten Alle die ersten Baumgruppen erreicht. Hier, am Saume der Traps-woods, fanden sich noch Spuren eines neuerlichen Lagers, halb verkohlte Zweige und kaum erkaltete Asche.

»Ganz sicherlich hat Walston an dieser Stelle die letzte Nacht verweilt, bemerkte Gordon.

– Und vielleicht war er sogar vor wenigen Stunden noch hier, antwortete Evans. Ich halte es also für richtiger, wir ziehen uns mehr nach dem Steilufer hin zurück …«

Er hatte kaum geendet, als von rechts her ein Krachen erschallte. Eine Kugel schlug, nachdem sie Briant leicht am Kopfe gestreift, in den Baum, an den er sich lehnte.

Fast zu derselben Zeit donnerte noch ein anderer Schuß, dem ein Schrei folgte, während etwa fünfzig Schritte weiterhin eine Masse schnell unter den Bäumen verschwand.

Doniphan war es gewesen, der, als Ziel den Rauch des ersten Schusses nehmend, Feuer gegeben hatte.

Da der Hund nicht stehen blieb, eilte Doniphan, von Kampfesmuth beseelt, diesem ohne zu überlegen nach.

»Vorwärts! rief Evans, wir können ihn nicht allein in’s Gedränge kommen lassen!« …

Nur wenige Minuten später hatten sie Doniphan erreicht und bildeten da einen Kreis um einen inmitten des hohen Grases ausgestreckten Körper, der kein Lebenszeichen mehr von sich gab.

»Der hier, das ist Pike! sagte Evans. Dieser Schurke hat seinen Lohn empfangen! Wenn der Teufel auf ihn Jagd macht, wird er nicht als Schneider wieder nach Hause kommen. – Wieder Einer weniger!

– Die Anderen können nicht weit von hier sein, bemerkte Garnett.

– Nur, junge Freunde, lassen wir uns nicht unnöthig sehen.

– Nieder auf die Knie! Auf die Knie!« …

Ein dritter Knall, dieses Mal von der linken Seite. Service, der den Kopf nicht niedrig genug gehalten hatte, erhielt einen Streifschuß an der Stirn.

»Bist Du verwundet? … rief Gordon auf ihn zueilend.

– O, es ist nichts, Gordon, gar nichts, antwortete Service. Höchstens eine leichte Schramme!«

Jetzt galt es, sich nicht von einander zu trennen. Nachdem Pike getödtet war, blieb nur Walston mit noch vier Leuten übrig, welche in geringer Entfernung hinter den Bäumen Aufstellung genommen haben mochten. Evans und die Seinigen bildeten, unter dem Gesträuch hingekauert, eine gedrängte Truppe, bereit sich zu vertheidigen, von welcher Seite der Angriff auch erfolgte.

Plötzlich rief Garnett:

»Wo ist denn Briant?

– Ich sehe ihn nicht mehr!« antwortete Wilcox.

In der That war Briant verschwunden, und da sich das Gebell Phanns jetzt nur mit erneuerter Heftigkeit hören ließ, war zu fürchten, daß der unerschrockene Knabe mit einigen Leuten der Bande in’s Handgemenge gekommen sei.

»Briant! … Briant!« rief Doniphan.

Alle folgten, vielleicht unbewußt, den Spuren Phanns nach. Evans hatte sie nicht zurückhalten können. Sie schlüpften von Baum zu Baum und gewannen so immer mehr an Terrain.

»Vorsehen, Master, vorsehen!« rief plötzlich Croß, der sich schnell zur Erde niederwarf.

Instinctiv senkte der Steuermann den Kopf, gerade als eine Kugel nur wenige Zoll über ihn hinpfiff.

Als er sich gleich wieder aufrichtete, bemerkte er einen der Spießgesellen Walston’s, der durch das Gehölz flüchtete.

Er erkannte Rock, der ihm die Nacht vorher entkommen war.

»Das für Dich, Rock!« rief er.

Er gab Feuer und Rock verschwand, als ob die Erde sich unter ihm aufgethan hätte.

»Sollt‘ ich ihn nochmals gefehlt haben? … rief Evans. Alle Wetter, das wäre Pech!«

Alles das geschah binnen wenigen Secunden. Plötzlich erschallte das Gebell des Hundes ganz in der Nähe und gleich darauf hörte man die Stimme Doniphan’s.

»Fest halten, Briant, halt aus!« rief er.

Evans und die Anderen sprangen nach der betreffenden Seite hin, und zwanzig Schritte weiter sahen sie Briant im Kampfe mit Cope.

Der Elende hatte den Knaben schon zu Boden geworfen und wollte ihm eben das Messer ins Herz bohren, als Doniphan, der zur rechten Zeit dazu kam, um den Stoß abzulenken, sich auf Cope warf, ohne vorher Gelegenheit gehabt zu haben, seinen Revolver zu ziehen.

Jetzt traf ihn das Messer des Schurken mitten in die Brust … er fiel zusammen, ohne nur einen Laut von sich zu geben.

Cope, welcher bemerkte, daß Evans, Garnett und Webb ihm den Rückzug abzuschneiden versuchten, ergriff nach Norden zu die Flucht. Mehrere Schüsse wurden ihm gleichzeitig nachgesendet. Er verschwand jedoch und Phann kam zurück, ohne Jenen eingeholt zu haben.

Kaum hatte er sich erhoben, da trat Briant an Doniphan heran, unterstützte den Kopf des Verwundeten und bemühte sich, diesen wieder zu beleben.

Evans und die Anderen waren ebenfalls hinzugekommen, nachdem sie ihre Gewehre eiligst wieder geladen hatten.

Der Kampf verlief anfänglich entschieden zum Nachtheile Walston’s, da Pike getödtet und Cope und Rock mindestens außer Gefecht gesetzt waren.

Leider war freilich Doniphan in die Brust, und wie es schien, tödtlich getroffen worden. Die Augen geschlossen, das Gesicht weiß wie Wachs, machte er nicht die geringste Bewegung und hörte nicht einmal, daß Briant seinen Namen rief.

Inzwischen hatte sich Evans über den Körper des Knaben gebeugt, hatte dessen Weste aufgeknöpft und das von Blut getränkte Hemd aufgerissen. Aus einer schmalen dreieckigen Wunde in der Höhe der vierten Rippe an der linken Seite sickerte noch immer Blut. Daß die Spitze des Messers das Herz nicht getroffen haben konnte, ergab sich schon daraus, daß Doniphan noch athmete. Wohl war dagegen zu befürchten, daß die Lunge verletzt sei, denn die Athmung des Verwundeten ging nur sehr schwach vor sich.

»Wir wollen ihn nach French-den schaffen, sagte Gordon; nur dort allein vermögen wir ihn zu pflegen …

– Und zu retten! rief Briant. Ach, mein armer Kamerad! … Für mich, für mich, hast Du Dein Leben auf’s Spiel gesetzt!»

Evans billigte den Vorschlag, Doniphan nach French-den zurückzubringen, um so mehr, als jetzt ein Stillstand des Gefechts eingetreten schien. Wahrscheinlich hatte es Walston angesichts der ungünstigen Wendung der Dinge vorgezogen, sich nach den Tiefen der Traps-woods zu flüchten.

Am meisten beunruhigte es Evans, daß er weder Walston selbst, noch Brandt oder Book, vielleicht die gefährlichsten Mitglieder der Bande, gesehen hatte.

Der Zustand Doniphan’s erforderte, diesen ohne Erschütterung fortzuschaffen. Baxter und Service beeilten sich also, eine Tragbahre aus Aesten und Zweigen herzustellen, auf welche der arme Verwundete gelegt wurde, ohne daß er wieder zum Bewußtsein gekommen wäre. Dann hoben vier seiner Kameraden ihn sorgsam auf, während die Anderen ihn, das Gewehr schußfertig und den Revolver in der Hand, umringten.

Der traurige Zug wandte sich dem Fuße des Auckland-hill zu, was rathsamer schien als der Weg am Seeufer hin. Längs des Steilufers brauchten sie ihre Aufmerksamkeit nur nach links und nach rückwärts zu richten. Nichts störte jedoch den stillen Zug. Zuweilen nur entrang sich Doniphan ein schmerzlicher Seufzer, so daß Gordon anhalten ließ, um die Athemzüge des Verwundeten zu beobachten, und dann ging es wieder langsam vorwärts.

Drei Viertel des Weges wurden in dieser Weise zurückgelegt; jetzt waren nur noch acht- bis neunhundert Schritte zu machen, um French-den zu erreichen, dessen hinter einem Vorsprunge des Steilufers verborgene Thüre man noch nicht sehen konnte.

Plötzlich ertönten Rufe von der Seite des Rio Sealand. Phann sprang in dieser Richtung davon.

Offenbar war French-den von Walston und seinen beiden anderen Spießgesellen angegriffen worden.

In der That war hier, wie sich später herausstellte, Folgendes vorgegangen:

Während Rock, Cope und Pike unter dem Schutze der Bäume der Traps-woods die kleine Truppe des Steuermanns beschäftigten, waren Walston, Brandt und Book, in dem ausgetrockneten Bette des Dike-cree vordringend, nach der Höhe des Auckland-hill gelangt. Nachdem sie schnell das Hochplateau desselben überschritten, kletterten sie in der Schlucht herunter, welche am Ufergelände des Rio unfern vom Eingange zum Store-room ausmündete. Einmal hier angelangt, hatten sie die jetzt nicht verbarricadirte Thüre eingestoßen und waren in French-den selbst eingedrungen.

Sollte Evans nun noch zeitig genug dazu kommen, um das drohende Unheil abzuwenden?

Des Steuermanns Entschluß war schnell gefaßt. Während Croß, Webb und Garnett bei Doniphan blieben, den man nicht allein lassen durfte, eilten Gordon, Briant, Service, Wilcox und er selbst auf kürzestem Wege nach French-den hin. Wenige Minuten später und als sie die Sport-terrace übersehen konnten, hatten sie einen Anblick, der ihnen jede Hoffnung zu rauben schien.

Eben jetzt trat Walston aus der Thüre der Halle und hielt ein Kind, das er nach dem Rio schleppte.

Dieses Kind war Jacques. Vergebens hatte Kate, die Walston nachstürzte, es diesem zu entreißen gesucht.

Gleich darauf erschien auch der zweite Begleiter Walston’s, Brandt, der den kleinen Costar gepackt hatte, und ihn in der nämlichen Richtung hinzog.

Baxter warf sich zwar auf Brandt, doch von einem wuchtigen Stoße getroffen, rollte er zur Erde.

Die übrigen Kinder, Dole, Jenkins und Iverson, waren ebensowenig wie Moko zu erblicken. Sollten sie vielleicht schon innerhalb French-dens umgekommen sein?

Walston und Brandt näherten sich inzwischen rasch dem Rio. Hatten sie eine Möglichkeit, denselben anders als schwimmend zu überschreiten? Ja, Book war da, und zwar in der Jolle, die er aus dem Store-room hierher geschafft hatte.

Einmal erst auf dem linken Ufer, waren sie gegen jeden Angriff gesichert. Ehe man ihnen hätte den Weg verlegen können, mußten sie, mit Jacques und Costar als Geiseln in ihren Händen, das Lager beim Bear-rock schon erreicht haben.

Evans, Briant, Gordon, Croß und Wilcox liefen also, was sie die Füße tragen konnten, um nach der Sport-terrace zu gelangen, ehe Walston, Book und Brandt sich jenseits des Flusses in Sicherheit gebracht hätten. Hätten sie jetzt auf die Schurken feuern wollen, so würden sie Costar und Jacques gleichzeitig gefährdet haben.

Noch war Phann jedoch da. Mit einem furchtbaren Sprunge packte er Brandt an der Kehle. Dieser mußte, um zur Abwehr des Hundes freie Hand zu behalten, Costar loslassen, während Walston sich beeilte, Jacques nach der Jolle zu zerren.

Plötzlich stürmte noch ein Mann aus der Halle.

Das war Forbes.

Wollte er sich seinen früheren Spießgesellen wieder anschließen, nachdem er die Kammerthüre gesprengt hatte? – Walston bezweifelte das nicht.

»Hierher, Forbes! … Komm! … Komm!« … rief er.

Evans war stehen geblieben; er wollte schon Feuer geben, als er Forbes sich auf Walston stürzen sah.

Verdutzt über diesen Angriff, dessen er sich nimmermehr versehen hatte, mußte er jetzt Jacques ebenfalls freigeben, und sich umwendend, stieß er mit dem Messer nach dem neuen Feinde!

Forbes sank zu Walston’s Füßen nieder.

Das ging Alles so blitzschnell von statten, daß Evans, Briant, Gordon, Service und Wilcox sich noch etwa hundert Schritte von der Sport-terrace entfernt befanden.

Walston wollte Jacques wieder ergreifen, um ihn bis in die Jolle zu schleppen, wo Book ihn mit Brandt, der sich mit Mühe von dem Hunde befreit hatte, zum Abstoßen fertig erwartete.

Er gewann nicht die Zeit dazu, denn Jacques, der auch einen Revolver bei sich hatte, schoß ihm diesen mitten auf die Brust ab. Kaum behielt der schwer verwundete Walston Kraft genug, zu seinen beiden Gefährten hinunter zu wanken, die ihn mit den Armen auffingen, ihn niedersetzten und die Jolle kräftig abstießen.

In diesem Augenblicke krachte es wie ein heftiger Donnerschlag. Ein Hagel von Bleikugeln schlug in das Wasser des Flusses.

Dieser kam von dem kleinen Geschütze, das der Schiffsjunge durch die Schießscharte des Store-room abgefeuert hatte.

Mit Ausnahme der beiden Elenden, welche unter dem Baumdickicht der Traps-woods verschwanden, war die Insel jetzt gesäubert von den Mordgesellen des »Severn«, welche durch die Strömung des Rio Sealand nach dem Meere hinab getragen wurden.

XIV.

XIV.

Befreit! – Die Helden des Schlachtfeldes. – Das Ende eines Unglücklichen. – Streifzug in den Wald. – Wiedergenesung Doniphan’s. – Am Hafen des Bear-rock. – Die Neuverplankung. – Abfahrt am 5. Februar. – Stromab den Rio-Sealand. – Begrüßung der Sloughi-Bai. – Die letzte Spitze der Insel Chairman.

———

Ein neuer Lebensabschnitt nahm nun für die jugendlichen Colonisten der Insel Chairman seinen Anfang.

Nachdem sie bisher für die Sicherung ihrer Existenz unter zuweilen sehr bedrohlichen Verhältnissen gekämpft, sollten sie jetzt nur noch für ihre Befreiung arbeiten, um durch eine letzte Anstrengung sich die Aussicht, Angehörige und Vaterland wiederzusehen, zu eröffnen.

Nach dem durch den Kampf hervorgerufenen Zustande stärkster Erregung und Ueberreizung trat jetzt bei Mehreren eine gar zu natürliche Gegenwirkung zu Tage. Sie fühlten sich wirklich erdrückt von ihrem Erfolge, an den sie kaum geglaubt hatten. Jetzt, wo die Gefahr vorüber war, erschien sie ihnen sogar größer, als sie sich früher darstellte, und in der That auch gewesen war. Gewiß hatten sich ihre günstigen Aussichten nach dem ersten Zusammenstoße am Rande der Traps-woods einigermaßen gehoben, ohne das so unerwartete Dazwischentreten Forbes‘ wären ihnen Walston, Book und Brandt aber doch wohl entgangen. Moko konnte ebensowenig wagen, den Kartätschenhagel abzugeben, der Costar und Jacques jedenfalls gleichzeitig mit den Räubern derselben vernichten mußte … Was wäre dann die Folge gewesen? … Zu welch‘ drückender Vereinbarung hätten sie sich verstehen müssen, um die beiden Kinder auszulösen?

Als dann Briant und seine Kameraden die Sachlage mit mehr nüchternem Auge überschauen konnten, ergriff sie fast eine Art nachträglichen Schauders. Das hielt jedoch nicht lange an, und obwohl man noch nicht wußte, was aus Rock und Cope geworden war, erschien doch die Sicherheit auf der Insel im Großen und Ganzen wieder hergestellt.

Was die Helden des Schlachtfeldes anging, so wurden diese nach Verdienst beglückwünscht – Moko für seinen zu so gelegener Zeit durch die Schießscharte des Store-room abgefeuerten Kanonenschuß, – Jacques für die Kaltblütigkeit, von der er Zeugniß abgelegt, als er seinen Revolver Walston mitten auf die Brust losdrückte, und endlich auch Costar, der »gewiß ganz dasselbe gethan haben würde, wie er sagte, wenn er nur einen solchen sechsschüssigen »Puffer« in der Hand gehabt hätte« – er hatte aber leider keine solche Waffe.

Selbst Phann wurde hierbei nicht übergangen; man überhäufte ihn vielmehr mit Liebkosungen, ohne eine tüchtige Portion Markknochen zu rechnen, mit der Moko ihn dafür belohnte, daß er dem Schurken Brandt, der den kleinen Knaben entführen wollte, mit den Zähnen zu Leibe ging.

Es versteht sich von selbst, daß Briant gleich nach Moko’s Kanonenschusse eiligst nach der Stelle zurücklief, wo seine Kameraden Doniphan bewachten. Wenige Minuten später war die Tragbahre mit dem Verwundeten in der Halle niedergesetzt worden, ohne daß dieser wieder zum Bewußtsein kam, während Forbes, den Evans aufgehoben hatte, eine Lagerstatt im Store-room erhielt. Die Nacht über wachten Kate, Gordon, Briant, Wilcox und der Steuermann bei den beiden Verletzten.

Daß Doniphan sehr schwer verwundet war, zeigte sich nur allzu deutlich. Da er jedoch regelmäßig athmete, konnte die Lunge desselben von Cope’s Messer wenigstens nicht ganz durchbohrt sein. Zum Verbinden seiner Wunde benützte Kate gewisse Blätter, welche man im Far-West gewöhnlich in ähnlichen Fällen verwendete und die ihr hier einige Sträuche vom Ufer des Rio Sealand lieferten. Es waren das Erlenblätter, welche, zerquetscht und zu Ueberschlägen benützt, sich gegen das Auftreten erschöpfender Eiterungen sehr wirksam erweisen, und von solchen war die größte Gefahr zu befürchten. Nicht ebenso gut ging es mit Forbes, den Walston in den Leib gestochen hatte. Er wußte auch, daß er tödtlich getroffen war, und als er das Bewußtsein wieder erlangte und Kate pflegebereit über sein Lager gebeugt sah, sagte er schwach:

»Ich danke, gute Kate, ich danke! … Es ist nutzlos! … Ich bin doch verloren!« Dabei drangen ihm die Thränen aus den Augen.

Hatte die Stimme des Gewissens in ihm nun doch noch wachgerufen, was von besseren Eigenschaften im Herzen des Unglücklichen schlummerte? … Ja! Verführt durch schlimme Einflüsterungen und böse Beispiele, hatte er sich zwar am Gemetzel auf dem »Severn« betheiligt, sein ganzes Wesen empörte sich aber gegen das schreckliche Geschick, das den jungen Colonisten bereitet werden sollte, und er hatte sein Leben für sie in die Schanze geschlagen.

»Hoffe nur, Forbes! redete Kate ihm tröstend zu. Du hast Dein Vergehen gesühnt … Du wirst leben bleiben.« …

Doch nein, der Unglückliche sollte sterben. Trotz der besten Pflege, an der man es ihm nicht fehlen ließ, wurde die Verschlimmerung seines Zustandes von Stunde zu Stunde sichtbarer. Während der wenigen Augenblicke, in welchen der brennende Schmerz ihn einmal verließ, richteten sich seine ruhelosen Augen auf Kate oder Evans … Er hatte Blut vergossen und jetzt floß sein Blut, um frühere Sünden abzuwaschen.

Gegen vier Uhr Morgens hatte Forbes ausgelitten.

Er starb reuevoll, darum hatten ihm Gott und Menschen verziehen und blieb ihm ein qualvoller Todeskampf erspart, denn fast ohne jedes Zeichen von Schmerz hauchte er den letzten Seufzer aus.

Man begrub ihn am nächsten Tage ganz nahe der Stelle, wo der französische Schiffbrüchige ruhte, und jetzt bezeichnen zwei kleine Kreuze die beiden vereinsamten Gräber.

Immerhin bildete die Anwesenheit Rock’s und Cope’s auch jetzt noch eine gewisse Gefahr; die Sicherheit konnte nicht als vollständig gelten, so lange diese nicht außer Stand gesetzt waren, weiter zu schaden.

Evans beschloß also, diesem Zustand ein Ende zu machen, bevor er sich nach dem Bear-rock begab.

Gordon, Briant, Baxter, Wilcox und er brachen, begleitet von Phann, dessen Spürsinn zur Auffindung einer Fährte nicht zu verachten war, mit dem Gewehre unterm Arm und den Revolver im Gürtel noch am nämlichen Tage auf.

Die Nachforschungen waren weder schwierig noch lang, und, wie wir einschalten müssen, auch keineswegs gefährlich. Es zeigte sich nämlich bald, daß man von den Seiden Spießgesellen Walston’s nichts mehr zu fürchten hatte. Cope, dessen Weg man in Folge der Blutspuren in den Traps-woods unschwer verfolgen konnte, wurde nur wenige hundert Schritte von der Stelle, wo ihn eine Kugel ereilte, todt aufgefunden. Ebenso entdeckte man den Leichnam Pike’s, der gleich im Anfang des Gefechtes gefallen war. Was endlich Rock anging, der so überraschend verschwand, als hätte die Erde ihn verschlungen, so konnte Evans sich diese Thatsache sehr schnell erklären: der Elende war tödtlich getroffen in eine der von Wilcox ausgehobenen Fallgruben gerathen. Die drei Leichname wurden sogleich in der zum Grabe verwandelten Aushöhlung beerdigt. Dann kehrten der Steuermann und seine Begleiter mit der erfreulichen Nachricht heim, daß die Colonie jetzt gar nichts mehr zu fürchten habe.

Nun wäre in French-den die Freude vollkommen gewesen, hätte nur Doniphan nicht an der schweren Verletzung daniedergelegen. Immerhin konnte die Hoffnung wieder in Aller Herzen einziehen.

Am folgenden Tage besprachen Evans, Gordon, Briant und Baxter die Aufgaben, welche eine unmittelbare Erledigung erheischten. Vor Allem kam es jetzt darauf an, sich in Besitz der Schaluppe des »Severn« zu setzen. Das bedingte aber einen Ausflug nach dem Bear-rock und selbst einen längeren Aufenthalt daselbst, wenn dort die nöthigen Arbeiten, um das Fahrzeug wieder segeltüchtig zu machen, ausgeführt werden sollten.

Man einigte sich also dahin, daß Evans, Briant und Baxter über den See weg und durch den East-river nach dessen Mündung führen, denn damit benützten sie den kürzesten und auch den sichersten Weg. Die in einem Winkel des Rio wiedergefundene Jolle hatte von dem Kartätschenhagel, der dicht über sie wegfegte, nicht gelitten. Man belud diese also mit den Werkzeugen zum Ausbessern der Beplankung, mit Mundvorrath, Munition und Waffen, und bei günstigem Seitenwinde segelte sie am 6. December des Morgens unter der Führung Evans‘ ab.

Die Fahrt über den Family-lake ging schnell von statten, und der Wind blieb während derselben so beständig, daß die Schote des Segels weder angezogen noch nachgelassen zu werden brauchte. Gegen elfeinhalb Uhr zeigte Briant dem Steuermann die kleine Einbuchtung, durch welche die Gewässer des Sees im Bette des East-river abflossen, und die durch die Ebbe unterstützte Jolle glitt bald zwischen den beiden Ufern des Rio dahin.

Nicht weit von dessen Mündung lag die aus dem Wasser gezogene Schaluppe beim Bear-rock im Sande.

Nach Besichtigung derselben und nach Feststellung der unerläßlich nöthigen Reparaturen sagte Evans:

»Wir haben, meine jungen Freunde, allerdings Werkzeuge zur Hand, dagegen fehlt uns das Material zu Spanten und Planken. In French-den finden sich nun Planken und Krummhölzer genug, welche vom Rumpfe des »Sloughi« herrühren, und wenn wir das Fahrzeug nach dem Rio Sealand bugsiren könnten …

– Ja, das war auch mein Gedanke, fiel Briant ein. Sollte sich das nicht ausführen lassen, Master Evans?

– Daran zweifl‘ ich nicht im geringsten, erwiderte Evans. Da die Schaluppe von den Severn-shores bis zum Bear-rock gelangt ist, wird sie auch vom Bear-rock nach dem Rio Sealand zu schaffen sein. Dort wird uns die Arbeit wesentlich erleichtert, und dann fahren wir endlich von French-den aus nach der Sloughi-Bai und segeln von da aus auf’s Meer hinaus!«

Wenn diese Absicht ausführbar war, so ließ sich ein besseres Vorgehen offenbar gar nicht ersinnen. Es wurde also beschlossen, die erste Fluth des folgenden Tages zu benützen, um den East-river stromauf zu fahren und die Schaluppe dabei im Schlepptau der Jolle mitzunehmen.

Zunächst bemühte sich Evans so gut wie möglich, die Lecke des Fahrzeuges mit Wergpfropfen zu verschließen, welche er von French-den mitgebracht, und mit dieser Arbeit kam er erst spät am Abend zustande.

Die Nacht verlief dann ganz ruhig im Schutze der Grotte, welche Doniphan und seine Begleiter bei ihrem ersten Besuche der Deception-Bai zur Wohnstätte ausersehen hatten.

Sehr früh am folgenden Tage wurde die Schaluppe durch ein Seil mit der Jolle verbunden, und Evans, Briant und Baxter fuhren mit Eintritt der Fluth wieder ab. Indem sie noch obendrein die Ruder gebrauchten, gelangten sie bis zum Eintritt des höchsten Wasserstandes recht gut vorwärts, nur als die Ebbe sich mehr fühlbar machte, wurde das durch eingetretenes Wasser weiter beschwerte Fahrzeug nur mit großer Anstrengung mitgeschleppt. So kam die fünfte Nachmittagsstunde heran, ehe die Jolle das rechte Ufer des Family-lake erreichte.

Der Steuermann hielt es nicht für gut, unter den obwaltenden Verhältnissen eine Nachtfahrt zu wagen.

Uebrigens zeigte der Wind gegen Abend Neigung abzuflauen, während die Brise höchst wahrscheinlich, wie es in der schöneren Jahreszeit fast stets geschieht, mit den ersten Sonnenstrahlen wieder auffrischen mußte. Man lagerte sich also an Ort und Stelle, aß mit vortrefflichem Appetit und schlief ausgezeichnet, wobei sich der Kopf auf die Wurzeln einer großen Buche stützte und die Füße vor einem bis zum Morgenrothe brennenden Feuer ausgestreckt lagen.

»Einsteigen!« das war das erste Wort, welches der Steuermann aussprach, als der erste Tagesschein die Gewässer des Sees erhellte.

Wie erwartet, hatte sich die Nordostbrise mit anbrechendem Tage auf’s neue erhoben, und eine günstigere Richtung, um nach French-den hinüber zu kommen, war gar nicht zu wünschen.

Das Segel wurde also gehißt und die Jolle, die schwere, bis an den Bordrand im Wasser eintauchende Schaluppe nachschleppend, wendete nach Westen.

Die Fahrt über den Family-lake ging ohne die geringste Störung von statten. Aus Vorsicht hielt sich Evans jedoch bereit, das Schleppseil sofort zu kappen, wenn die Schaluppe gänzlich versunken wäre, da diese die leichte Jolle jedenfalls nachgezogen hätte. Diese Möglichkeit machte sie natürlich recht besorgt. Mit dem Versinken des größeren Fahrzeuges war die endliche Abreise auf unbestimmte Zeit vertagt und die ganze Gesellschaft vielleicht gezwungen, noch recht lange auf der Insel Chairman auszuhalten.

Endlich tauchten gegen drei Uhr Nachmittags die Höhen des Auckland-hill am westlichen Horizonte auf. Um fünf Uhr fuhren die Jolle und die Schaluppe in den Rio Sealand ein und gingen unter dem Schutze des kleinen Dammes vor Anker. Laute Hurrahs begrüßten Evans und seine Begleiter, welche so schnell nicht zurückerwartet worden waren.

Während ihrer Abwesenheit hatte sich Doniphan’s Zustand ein wenig gebessert. Der wackere Knabe vermochte jetzt schon den Händedruck seines Kameraden Briant zu erwidern. Seine Athmung ging, da die Lunge nicht angegriffen war, leichter vor sich. Obgleich er noch auf strenge Diät beschränkt blieb, so begannen seine Kräfte doch zuzunehmen, und unter den Kräuteraufschlägen, welche Kate von zwei zu zwei Stunden erneuerte, mußte seine Wunde sich voraussichtlich bald völlig schließen. Ohne Zweifel folgte jetzt noch eine langdauernde Zeit der Wiedergenesung; Doniphan hatte aber soviel gesunde Lebenskraft, daß seine gänzliche Heilung nur eine Frage der Zeit sein konnte.

Am nächsten Tage schon nahmen die Ausbesserungsarbeiten ihren Anfang. Zuerst mußte man sich freilich tüchtig in’s Geschirr legen, um die Schaluppe nur auf’s Land zu ziehen. Bei dreißig Fuß Länge und – an ihrem Hauptquerbalken – sechs Fuß Breite mußte sie für die siebzehn Passagiere ausreichen, welche die kleine Kolonie, Kate und den Steuermann eingerechnet, derzeit zählte.

Nach jenem mühseligen Anfange gingen die Arbeiten in regelmäßigem Verlaufe vor sich. Ein gleich guter Schiffszimmermann, wie guter Seemann, verstand sich Evans darauf vollkommen und lernte dabei auch die Geschicklichkeit Baxter’s schätzen. An Material fehlte es hier ebenso wenig wie an Werkzeugen. Mit den Ueberresten vom Schoonerrumpfe konnte man die zerbrochenen Krummhölzer, die geborstene Bordwand und die zerstörten Kreuzhölzer wieder herstellen; das alte, in eingedicktem Fichtensaft wieder erweichte Werg gestattete, die Fugen des Rumpfes vollständig zu dichten.

Die früher nur am Vordertheile gedeckte Schaluppe wurde jetzt auf zwei Drittel eingedeckt, was bei schlechtem Wetter besseren Schutz versprach, obgleich letzteres während der Sommerzeit kaum zu befürchten war. Die Passagiere konnten sich so nach Belieben unter oder über Deck aufhalten. Die Bramstenge des »Sloughi« vertrat hier den Großmast, und Kate gelang es unter Anleitung des Steuermannes aus der Reserve-Brigantine der Yacht ein Focksegel, ebenso wie ein Hinter- und ein Klüversegel herzustellen. Bei dieser Ausrüstung war das Gleichgewicht des Fahrzeuges besser gesichert und konnte dasselbe den Wind in jeder Haltung und Wendung ausnützen. Diese, dreißig volle Tage in Anspruch nehmenden Arbeiten wurden erst am 8. Januar beendigt, und nun waren blos noch gewisse Einzelheiten der Ausrüstung zu bestimmen.

Der Steuermann wollte nichts außer Acht lassen, die Schaluppe in möglichst guten Zustand zu setzen. Sie sollte ebenso zur Fahrt durch die Wasserstraße des magellanischen Archipels geeignet sein, wie im Nothfalle einige hundert Meilen unter Segel bleiben können, wenn es unumgänglich wurde, bis zur Niederlassung von Punta Arena an der Ostküste der Halbinsel Braunschweig zu fahren.

Hier muß noch eingeschaltet werden, daß im Verlaufe der letzten Zeit die Christmas mit einem gewissen Aufwand gefeiert wurde, und auch der 1. Januar des Jahres 1862, welches die jungen Colonisten allerdings nicht mehr auf ihrer Insel zu vollenden hofften.

Damals war die Genesung Doniphan’s schon so weit vorgeschritten, daß er die Halle verlassen konnte, wenn er sich auch noch recht schwach fühlte. Die gute Luft und gehaltreichere Nahrung gaben ihm seine Kräfte sichtlich wieder. Uebrigens beabsichtigten seine Kameraden gar nicht abzufahren, ehe er nicht im Stande wäre, ohne Gefahr eines Rückfalles eine Reise von einigen Wochen auszuhalten.

Inzwischen nahm das Leben in French-den seinen gewohnten Fortgang.

Freilich wurden die Unterrichtsstunden und die Redeübungen nicht mehr so streng eingehalten. Jenkins, Iverson, Dole und Costar blieben doch der Meinung, daß sie ja Ferien hätten.

Wie man sich wohl denken kann, hatten Wilcox, Croß und Webb die Jagden, sowohl am Rande der South-moors wie in den Dickichten der Traps-woods, wieder aufgenommen. Jetzt verachtete man die Fallen und Schlingen, trotz der Einrede Gordon’s, der immer seine Munition geschont sehen wollte. Da knallte es hier und krachte es dort, daß die Speisekammer Moko’s bald von frischem Wildpret übervoll wurde, was wenigstens die Aufsparung der Conserven für die Reise ermöglichte.

Ach, hätte Doniphan sein Amt als Jägermeister der Colonie versehen können, mit welchem Feuereifer würde er jetzt alles Haar- und Federwild verfolgt haben, wo es auf einen Schuß mehr oder weniger nicht ankam. Er empfand es auch als ein recht schweres Herzeleid, sich seinen Kameraden nicht anschließen zu können; doch er mußte sich schon in Geduld fassen und durfte keine Unklugheit begehen.

Während der letzten zehn Tage des Januars schritt Evans nun zur Beladung des Fahrzeugs. Wohl hatten Briant und die Andern den Wunsch, Alles, was sie aus ihrem »Sloughi« gerettet, mitzunehmen. Aus Mangel an Platz war das jedoch nicht möglich, und es mußte also eine Auswahl davon getroffen werden.

In erster Linie brachte Gordon sicher das Geld unter, das er an Bord der Yacht einst vorfand und das die jungen Colonisten für die bevorstehende Heimfahrt wohl noch brauchen mußten; Moko sorgte in hinreichender Menge für den Mundvorrath der siebzehn Passagiere, und zwar nicht allein für eine, auf einige Wochen berechnete Reise, sondern auch für den Fall, daß die Umstände sie nöthigten, auf einer Insel des Archipels ans Land zu gehen, ehe sie Punta Arena, Port-Galant oder Port-Tamar erreichten.

Was von Schießbedarf noch übrig war, fand, ebenso wie die Gewehre und Revolver von French-den, in den Kästen der Schaluppe Unterkunft. Doniphan bestand selbst darauf, daß man die beiden kleinen Geschütze von der Yacht nicht zurückließ. Belasteten sie das Fahrzeug zu bedeutend, so konnte man sich ihrer unterwegs ja jeder Zeit entledigen.

Briant nahm ebenso den ganzen Vorrath an Kleidungsstücken zum Wechseln mit, den größten Theil der Bücher der Bibliothek, ferner die nöthigsten Geräthe zum Kochen an Bord – unter Anderem einen der Oefen aus dem Store-room – und endlich die zur Schifffahrt unentbehrlichen Instrumente, wie Seechronometer, Fernrohre, Compasse, Log, Signallaternen, das Halkett-boat nicht zu vergessen. Wilcox wählte unter den Leinen und Schnuren aus, was unterwegs zum Fischfang Verwendung finden konnte.

Das Süßwasser, welches zum Mitnehmen aus dem Rio Sealand geschöpft worden war, ließ Gordon in zehn kleine Fässer füllen, welche unten im Boote auf dem Kielschweine regelmäßige Aufstellung fanden. Man vergaß auch nicht, was von Brandy, Gin und den aus den Trulcafrüchten und dem Algarrobebeeren bereiteten Liqueuren übrig war.

Am 3. Februar war die gesammte Ladung an ihrem Platze. Jetzt handelte es sich nur noch um Bestimmung des Abfahrtstages, sobald Doniphan in der Lage war, die Reise aushalten zu können.

Der wackere Knabe veranlaßte keinen nennenswerthen Aufschub. Seine Wunde war gänzlich vernarbt und der Appetit zurückgekehrt, so daß er sich nur hüten mußte, zu viel zu essen. Auf Briant’s oder Kate’s Arm gestützt, unternahm er jetzt tägliche mehrstündige Spaziergänge auf der Sport-terrace.

»Reisen wir ab! … Ohne Verzug! sagte er. Es drängt mich, erst unterwegs zu sein … Die Seeluft wird mich vollends wieder herstellen.«

Die Abfahrt wurde nun auf den 5. Februar bestimmt.

Am Vorabend hatte Gordon die Hausthiere wieder in Freiheit gesetzt. Guanakos, Vigogne-Schafe, Trappen und das ganze Federvieh – Alles flüchtete, undankbar für die genossene Pflege, die einen, was sie laufen, die andern, was sie fliegen konnten, in die Weite, so unwiderstehlich trieb sie ihr Verlangen nach Freiheit.

»Die Undankbaren! rief Gordon. Das ist der Lohn für alle Mühe, die wir an sie verschwendet!

– Ja, so ist einmal die Welt!« antwortete Service mit so komischem Ernste, daß sein philosophischer Ausspruch mit allgemeinem Gelächter aufgenommen wurde.

Am nächsten Morgen schifften sich die jungen Passagiere auf der Schaluppe ein, welche die Jolle, die Evans als Barkasse dienen sollte, in’s Schlepptau nahm.

Bevor sie aber die Taue vom Ufer lösten, wollten Briant und seine Kameraden noch einmal zu den Gräbern François Baudoin’s und Forbes‘ treten. In andächtiger Stimmung begaben sie sich dahin und mit einem letzten Gebete weihten sie den Unglücklichen eine letzte Erinnerung.

Doniphan hatte am Hinterende des Bootes neben Evans, der das Steuer führen sollte, Platz genommen. Im Vordertheile hielten Briant und Moko die Schoten der Segel, obwohl man zur Fahrt längs des Rio Sealand mehr auf die Strömung zu rechnen hatte, als auf den Wind, dessen Richtung durch die Kette des Auckland-hill vielfach geändert wurde.

Die Uebrigen hatten sich, ebenso wie Phann, nach Gutdünken auf dem Deck des Vordertheiles untergebracht.

Die Taue wurden losgeworfen und die Ruder peitschten das Wasser.

Drei Hurrahs erschallten der gastlichen Wohnstätte, welche den jugendlichen Colonisten seit der langen Reihe von Monaten ein so sicheres Obdach gewährt hatte, und nicht ohne gewisse Rührung sahen sie – bis auf Gordon, der ganz untröstlich schien, seine Insel zu verlassen – Auckland-hill hinter den Bäumen des Ufergeländes verschwinden.

Den Rio Sealand hinab kam die Schaluppe kaum schneller als dessen Strömung vorwärts, und diese war eben keine bedeutende. Auf der Höhe der Schlammlache in den Bog-woods mußte Evans dann gegen Mittag Anker werfen.

Dieser Theil des Wasserlaufes gerade hatte so geringe Tiefe, daß die schwer belastete Schaluppe auf Grund zu gerathen drohte. Es erschien also richtiger, eine Fluthperiode abzuwarten und erst mit wieder beginnender Ebbe weiter zu fahren.

Dieser Halt dauerte gegen sechs Stunden. Die Passagiere benützten denselben zu einer reichlichen Mahlzeit, und Wilcox und Croß stiegen dann aus, um am Rande der South-moors einige Becassinen zu schießen.

Vom Achter der Schaluppe aus gelang es Doniphan sogar, ein paar feiste Tinamus zu erlegen, welche über dem rechten Ufer hinflatterten. Damit war er natürlich ganz geheilt.

Erst ziemlich spät Abends traf die Schaluppe an der Ausmündung des Rio ein. Da es die Dunkelheit nicht zuließ, sich durch die engen Rinnen des Klippengürtels zu winden, wollte Evans als vorsichtiger Seemann den andern Tag abwarten, um in See zu stechen.

Eine friedliche Nacht. Gegen Abend hatte sich der Wind gelegt, und als das Seegeflügel, die Felstauben, Möven und Taucherenten, ihre Löcher in der Felswand aufgesucht, herrschte in der Sloughi-Bai das tiefste Schweigen.

Am andern Morgen mußte bei dem herrschenden Landwinde der Seegang bis zur äußersten Spitze der South-moors ein ganz leichter sein, und es galt diesen zu benützen, um gegen zwanzig Meilen zurück zu legen, auf welcher Strecke bei Seewind das Meer recht schwer gewesen wäre.

Mit Tagesanbruch ließ Evans also die drei Segel der Schaluppe hissen, und von der sichern Hand des Steuermannes geleitet, glitt diese aus dem Rio Sealand heraus.

In diesem Augenblicke richteten sich alle Blicke nach dem Kamme des Auckland-hill und dann auf die letzten Felsmassen der Sloughi-Bai, welche mit der Umschiffung des American-Cape ebenfalls verschwanden.

Da wurde ein Kanonenschuß abgegeben, dem ein dreifaches Hurrah folgte, während die Flagge des Vereinigten Königreiches zum Top des Mastes emporstieg.

Acht Stunden später drang die Schaluppe in den Canal zur Seite der Insel Cambridge ein, umsegelte das South-Cape und folgte den Umrissen der Insel Adelaide.

Die letzte Spitze der Insel Chairman versank damit am nördlichen Horizonte.

XV.

XV.

In den Kanälen. – Die Meerenge. – Der Dampfer »Graston«. – Rückkehr nach Auckland. – Empfang in der Hauptstadt Neuseelands. – Evans und Kate. – Schluß.

———

Die Fahrt durch die Canäle des magellanischen Archipels brauchen wir kaum eingehender zu schildern; sie verlief ohne jeden bemerkenswerthen Zwischenfall. Die Witterung blieb beständig schön. In jenen, nur sechs bis sieben Meilen breiten Wasserstraßen hätte das Meer auch kaum Zeit gehabt, durch einen kurzen Sturm besonders aufgewühlt zu werden.

Alle diese Canäle waren verlassen, und es war fast ein Vortheil zu nennen, mit den Eingeborenen dieser Gegenden, welche nicht sehr gastfreundlicher Natur sind, nicht zusammenzutreffen. Ein- oder zweimal während der Nacht wurden zwar Feuer im Innern der Inseln wahrgenommen, doch zeigte sich kein Bewohner derselben an deren Strande.

Am 11. Februar gelangte die Schaluppe, welche bis hierher stets vom Winde begünstigt worden war, durch den Smyth-Sund, zwischen der Westküste der Insel der Königin Adelaide und den Höhen des König-Wilhelm-Landes in die Magellan-Straße. Zur Rechten erhob sich die St. Anna-Spitze. Zur Linken, im Hintergrunde der Beaufort-Bucht, bauten sich einige jener prächtigen Gletscherriesen auf, von denen Briant einen der höchsten vom Osten der Insel Hannover – der die jungen Colonisten übrigens immer den Namen der Insel Chairman gaben – vor langer Zeit undeutlich gesehen hatte.

An Bord ging Alles gut; man hätte glauben können, daß die mit »Meeresduft« geschwängerte Luft Doniphan ganz besonders zusagte, denn er aß und trank nicht allein, sondern fühlte sich auch schon gekräftigt genug, an’s Land zu gehen, wenn es der Zufall fügte, das frühere Robinsonleben noch einmal zu beginnen.

Im Laufe des 12. gelangte die Schaluppe in Sicht der Insel Tamar bei König Wihelms-Land, deren Hafen oder vielmehr Bucht in diesem Augenblicke ganz verlassen war. Ohne hier beizulegen, schlug Evans also, nach Umschiffung des Cap Tamar, eine südwestliche Richtung durch die Magellan-Straße ein.

Auf der einen Seite dehnte hier das lange Desolations-Land seine flachen, unfruchtbaren Küsten aus, denen die üppiggrüne Pflanzenwelt der Insel Chairman vollständig abging. An der andern zeigten sich die so auffallend vertheilten Einschnitte oder Einzahnungen der Halbinsel Crooker. An dieser hin suchte Evans nun mehr südlich vorzudringen, um das Cap Forward zu umsegeln und die Ostküste der Halbinsel Braunschweig bis zur Niederlassung von Punta Arena hinauf zu steuern.

Es wurde nicht nothwendig, so weit zu gehen.

Am Morgen des 13. rief Service, der im Vordertheile stand:

»Eine Rauchwolke an Steuerbord!

– Der Rauch von einem Fischerfeuer? fragte Gordon.

– Nein … das ist die Rauchsäule eines Dampfschiffes!« erklärte Evans.

In der That lag von hier aus jedes Land zu entfernt, als daß der Rauch eines Lagers von Fischern hätte sichtbar sein können.

Briant erkletterte sogleich das Tauwerk des Mastes, erreichte die Spitze desselben und rief auch seinerseits:

»Ein Schiff! … Ein Schiff!« …

Das Fahrzeug kam bald in Sicht. Es war ein Dampfer von sieben- bis achthundert Tonnen, der mit einer Geschwindigkeit von elf bis zwölf Meilen dahinglitt.

Von der Schaluppe ertönten Hurrahs und krachten die Gewehre.

Die Schaluppe war bemerkt worden, und zehn Minuten später legte sie schon neben dem, auf der Fahrt nach Australien begriffenen Dampfer »Grafton« an.

Mit kurzen Worten war dessen Capitän Tom Long über die Abenteuer des »Sloughi« verständigt worden. Von dem verschollenen Schooner hatte übrigens, in England und Amerika, Jeder mit Theilnahme gehört, und Tom Long beeilte sich also, die Passagiere der Schaluppe an Bord aufzunehmen. Er bot diesen sogar an, sie geraden Weges nach Auckland überzuführen, was für ihn keinen großen Umweg bildete, da der »Grafton« nach Melbourne, der Hauptstadt der Provinz Adelaide, fast ganz im Süden von Australien, bestimmt war.

Die Ueberfahrt ging rasch von statten, und am 25. Februar schon ankerte der »Grafton« auf der Rhede von Auckland.

Bis auf wenige Tage waren jetzt zwei Jahre verflossen, seit die fünfzehn Zöglinge der Pension Chairman achtzehnhundert Meilen weit von Neuseeland verschlagen wurden.

Wir müssen darauf verzichten, die Freude der Familien zu schildern, welchen ihre Kinder unerwartet wiedergegeben waren – diese Kinder, welche man in die Tiefen des Stillen Weltmeers versunken glaubte. – Nicht Eines fehlte von Allen, die einst der Sturm nach der Gegend des untersten Südamerika entführt hatte.

Fast augenblicklich verbreitete sich in der Stadt die Botschaft, daß der »Grafton« die jungen Schiffbrüchigen wieder heimgebracht habe. Die ganze Bevölkerung strömte zusammen und jubelte laut auf, als diese in die Arme ihrer Eltern sanken.

Und wie begierig zeigten sich Alle, genau kennen zu lernen, was sich auf der Insel Chairman zugetragen hatte. Die berechtigte Neugier sollte bald Befriedigung finden. Erstens hielt Doniphan einige Vorträge darüber – Vorträge, welche rauschenden Beifall fanden, worüber der Knabe natürlich nicht wenig stolz war. Dann wurde auch das von Baxter, man kann sagen, Stunde für Stunde vervollständigte Tagebuch von French-den durch den Druck veröffentlicht und es bedurfte vieler, sehr vieler Tausende von Exemplaren, nur um die Leser auf Neuseeland zu befriedigen. Endlich druckten dasselbe die Zeitungen beider Welten in allen Sprachen ab, denn es gab so gut wie Niemand, der sich nicht für den Unfall des »Sloughi« interessirt hätte. Die Klugheit Gordon’s, die Opferwilligkeit Briant’s, die Unerschrockenheit Doniphan’s, wie die stille Ergebung Aller, der Kleinen wie der Großen, fand überall bewundernde Anerkennung.

Es ist unnütz, bei dem Empfange, der Kate und dem Master Evans zutheil wurde, länger zu verweilen. Hatten sie sich für die Rettung dieser Kinder nicht wirklich geopfert? Mittels einer öffentlichen Subscription wurde deshalb ein Handelsschiff, der »Chairman« angekauft und Evans zum Geschenk gemacht, der damit gleichzeitig dessen Eigenthümer und Capitän wurde, nur mit der Bedingung, daß Auckland der Heimatshafen desselben zu bleiben habe. Und wenn ihn seine späteren Reisen nach Neuseeland zurückführten, fand er stets in den Familien »seiner Jungen« die herzlichste Aufnahme.

Was die vortreffliche Kate anging, so wurde diese von den Familien Briant, Garnett, Wilcox und manchen anderen beansprucht, ja fast erkämpft. Schließlich entschied sie sich für das Haus der Eltern Doniphan’s, dem sie durch liebende Pflege ja einst das Leben gerettet hatte.

Was soll aber als Moral dieser Erzählung, welche wohl mit Recht den Titel »Zwei Jahre Ferien« führt, in der Erinnerung junger Leser haften bleiben?

»Niemals vielleicht werden Zöglinge eines Pensionats während ihrer Ferien so schweren Prüfungen ausgesetzt sein. Doch – das mögen sich Alle merken – bei regem Ordnungssinn, Eifer und Muth gibt es keine noch so gefährliche Lebenslage, aus der man sich nicht zu befreien vermöchte. Vorzüglich sollen sie sich erinnern, wenn sie an die jungen Schiffbrüchigen vom »Sloughi« denken, die unter den schwersten Prüfungen und der härtesten Lehrzeit für dieses Leben heranreiften, daß die Kleinen derselben fast als Große und die Großen fast als Männer in die langentbehrte Heimat zurückkehrten.«

II.

II.

Vorbereitungen für den nächsten Winter. – Ein Vorschlag Briant’s. – Abfahrt Briant’s, Jacques‘ und Moko’s. – Ueber den Family-lake. – Der East river. – Ein kleiner Hafen an der Mündung. – Das Meer im Osten. – Jacques und Briant. – Heimkehr nach French-den.

———

Acht Tage später begann das neue Jahr 1861 und für diesen Theil der südlichen Halbkugel trat dasselbe im vollen Hochsommer ein.

Es waren nun fast zehn Monate verstrichen, seit die jungen Schiffbrüchigen des »Sloughi« auf ihre Insel, achtzehnhundert Meilen weit von Neuseeland, verschlagen wurden.

Im Laufe dieses Zeitraumes hatte sich ihre Lage sichtlich gebessert. Es gewann den Anschein, als könnten sie sich versichert halten, allen Bedürfnissen des materiellen Lebens für die Zukunft entsprechen zu können, doch immer weilten sie allein auf unbekanntem Lande! Würde die Hilfe von außen – die einzige, welche sie erhoffen konnten – endlich kommen und auch kommen, ehe die schöne Jahreszeit wieder zu Ende ging, oder sollte die Colonie verurtheilt sein, noch einmal die große Strenge eines antarktischen Winters durchzukosten? Bisher waren sie ja von keiner Krankheit heimgesucht worden. Alle, Große und Kleine, befanden sich den Umständen angemessen vortrefflich. Dank der weisen Vorsicht Gordon’s, der sorgsam darüber wachte, – was zuweilen einigen Widerspruch gegen seine Strenge wachrief – war keine Unklugheit, kein Exceß irgend welcher Art begangen worden. Doch mußte man nicht auch mit den Launen und Neigungen rechnen, von welchen Kinder dieses Alters, vorzüglich die jüngsten, ja niemals ganz frei sind? Kurz, wenn die Gegenwart recht annehmbar erschien, konnte man wegen der Zukunft doch nicht immer so beruhigt sein. Um jeden Preis wollte Briant, der sich Tag für Tag mit diesem Gedanken trug, die Insel Chairman verlassen. Wie hätte man aber mit dem einzigen Fahrzeug, das man besaß, mit der gebrechlichen Jolle, eine Fahrt wagen können, welche vielleicht recht lang werden konnte, wenn die Insel nicht einer der Gruppen im Stillen Weltmeere angehörte, oder wenn das benachbarte Festland einige hundert Meilen entfernt lag? Selbst wenn zwei oder drei der kühnsten Knaben sich geopfert hätten, ein Land im Osten aufzusuchen, wie wenig Aussicht hatten dieselben doch, ein solches zu erreichen! Nein, sicherlich, das überstieg ihre Kräfte, und Briant wußte also selbst nicht, was er zur Rettung Aller ersinnen konnte.

Es blieb eben nichts übrig, als zu warten, immer zu warten, und inzwischen thätig zu sein, um die Wohnlichkeit von French-den noch weiter zu erhöhen. Wenn die jungen Colonisten, angesichts der dringlichen Aufgaben für den nächsten Winter, diesen Sommer nicht dazu kamen, so wollten sie wenigstens im folgenden Sommer ihre Insel überall genauer in Augenschein nehmen.

Jeder ging entschlossen ans Werk. Die Erfahrung hatte ihnen schon gelehrt, was die Winterstrenge unter diesen Breiten zu bedeuten habe. Wochen, ja, ganze Monate lang, zwang sie die Witterung, sich in der Halle aufzuhalten, und es war nur eine Maßregel der Klugheit, sich gegen Hunger und Kälte zu versorgen und zu schützen – gegen diese beiden Feinde, welche am meisten zu fürchten waren.

Die Kälte in French-den zu besiegen, dazu bedurfte es ja nur hinreichenden Heizmaterials, und der, wenn auch noch so kurze Herbst sollte gewiß nicht vergehen, ohne daß Gordon genügende Holzvorräthe ansammeln ließe, um die Oefen Tag und Nacht zu speisen. Doch hatte man nicht auch an die Hausthiere zu denken, welche sich in der Einfriedigung und im Hühnerhofe befanden? Sie im Store-room unterzubringen, das wäre ebenso belästigend wie vom hygienischen Standpunkt betrachtet, unvorsichtig gewesen. Es machte sich also notwendig den Stall innerhalb der Einhegung mehr auszubauen, um Schutz gegen die niedrige Temperatur zu gewähren, und ihn durch Aufstellung eines Ofens schlimmsten Falls zu heizen, um die Luft im Innern auf erträglichem Grade zu erhalten. Damit beschäftigten sich Briant, Baxter, Service und Moko während der ersten Wochen des neuen Jahres.

Was die nicht minder wichtige Frage der Ernährung während der ganzen Winterperiode anging, so übernahmen es Doniphan und seine Jagdgenossen, diese zu lösen. Jeden Tag besichtigten sie die Fallen, Schlingen und Dohnen. Was nicht zum augenblicklichen Bedarfe verwendet wurde, das vergrößerte die Vorräthe der Speisekammer als gesalzenes oder geräuchertes Fleisch, welches Moko mit gewohnter Sorgfalt herstellte. So sicherte man sich die nöthige Nahrung, wenn der Winter auch noch so lange anhalten sollte.

Ein Ausflug blieb aber immer noch zu unternehmen, und zwar mit dem Zwecke, nicht alle noch unbekannten Gebiete der Insel Chairman zu erforschen, sondern nur den im Osten des Family-lake gelegenen Theil derselben kennen zu lernen.

Man wollte dabei erfahren, ob derselbe Wälder, Sümpfe oder Dünen enthalte und ob er vielleicht gar neue, nützlich zu verwendende Hilfsmittel böte.

Eines Tages sprach Briant über dieses Thema mit Gordon und beleuchtete dasselbe auch noch von anderem Gesichtspunkte.

»Obwohl die Karte des schiffbrüchigen Baudoin mit einer gewissen Sorgfalt hergestellt ist, von der wir uns mehrfach überzeugen konnten, begann er seine Worte, so erscheint es mir doch wichtig, den Stillen Ocean im Osten einmal selbst in Augenschein zu nehmen. Uns stehen vortreffliche Fernrohre zur Verfügung, welche mein Landsmann nicht besaß, und wer weiß, ob wir nicht Land entdecken, wo er kein solches sehen konnte. Seiner Karte nach liegt die Insel Chairman in dieser Meeresgegend ganz vereinzelt, und vielleicht ist das doch nicht richtig.

– Du verfolgst immer Deine Idee, antwortete Gordon, und kannst es nicht erwarten, von hier wegzukommen.

– Ganz recht, Gordon, und ich meine, im Grunde denkst Du ganz dasselbe. Müssen denn nicht alle unsere Anstrengungen darauf gerichtet bleiben, sobald als möglich nach der Heimat zurückzukehren?

– Zugegeben, bestätigte Gordon, und da Dir so viel daran liegt, werden wir einen Ausflug veranstalten …

– Einen Ausflug, an dem sich gleich Alle betheiligen? fragte Briant.

– Nein, erwiderte Gordon. Mir scheint, daß sechs bis sieben unserer Genossen …

– Auch das wären zu viele, Gordon! Bei so großer Anzahl bliebe uns nichts anderes übrig, als im Norden oder im Süden um den See zu ziehen, und ist es so sicher, daß das nicht viel Zeit erfordern und nicht recht große Beschwerden mit sich führen könnte?

– Welchen Vorschlag hast Du dann, Briant?

– Ich empfehle, den See mit der Jolle zu überschreiten und von French-den aus sogleich nach dem gegenüber liegenden Ufer zu segeln; dabei könnten freilich nur zwei bis drei Teilnehmer zugelassen werden.

– Wer soll aber die Jolle führen?

– Moko, antwortete Briant. Er kennt die Handhabung eines Bootes und ich verstehe mich auch etwas darauf. Bei günstigem Winde werden wir mit dem Segel, bei ungünstigem mit zwei Rudern leicht die fünf bis sechs Meilen zurücklegen, welche der See in der Richtung des Wasserlaufes mißt, der nach der Karte die östlichen Wälder durchbricht; auf jenem können wir wahrscheinlich bis zu seiner Ausmündung gelangen.

– Einverstanden, Briant, sagte Gordon, ich billige Deinen Gedanken. Wer würde dann Moko begleiten?

– Ich selbst, Gordon, da ich am letzten Zuge nach dem Norden des Sees nicht betheiligt war. Jetzt ist an mir die Reihe, mich nützlich zu erweisen … und ich beanspruche …

– Nützlich! fiel ihm Gordon ins Wort. Hast Du uns nicht schon unzählige Dienste geleistet, mein lieber Briant? Hast Du Dich nicht mehr wie alle Anderen aufgeopfert? Sind wir im Gegentheile nicht Dir den wärmsten Dank schuldig?

– O, nicht doch, Gordon! Wir haben Alle nur unsere Pflicht gethan. Nun, ist die Sache abgemacht?

– Vollkommen, Briant. Wen würdest Du als dritten Reisebegleiter vorschlagen? Ich würde Dir nicht rathen, Doniphan zu wählen, denn Ihr vertragt Euch nicht gut mit einander.

– O, ich würde ihn ganz gerne als solchen sehen, antwortete Briant. Doniphan hat kein schlechtes Herz, er ist muthig, gewandt, und ohne seinen eifersüchtigen Charakter wär‘ er der beste Kamerad. Ich denke, er wird sich schon noch ändern, wenn er einsieht, daß ich mich weder vor noch über ihn zu stellen strebe, und wir werden, das weiß ich bestimmt, einst noch die besten Freunde von der Welt. Dennoch hatt‘ ich an einen anderen Reisegefährten gedacht.

– An wen denn?

– An meinen Bruder Jacques, erklärte Briant. Sein Verhalten beunruhigt mich mehr und mehr. Offenbar hat er sich etwas Schweres vorzuwerfen, was er nicht aussprechen will. Vielleicht, wenn er sich bei diesem Ausfluge mit mir allein weiß …

– Du hast Recht, Briant. Nimm Jacques nur mit und beginne gleich heute die Vorbereitungen zur Abfahrt.

– Das wird nicht lange dauern, versicherte Briant, denn unsere Abwesenheit soll höchstens zwei bis drei Tage währen.«

An demselben Tage verkündete Gordon den geplanten Ausflug. Doniphan zeigte sich etwas ärgerlich, davon ausgeschlossen zu bleiben, doch als er sich bei Gordon deshalb beklagte, verständigte ihn dieser dahin, daß dieser Zug bei den Bedingungen, unter denen er ausgeführt werden sollte, nur zwei bis drei Personen erfordere, daß die Anregung dazu von Briant ausgegangen und dessen Ausführung also auch diesem zu überlassen sei u.s.w.

»Die Sache wird demnach nur um seinetwillen unternommen, nicht wahr, Gordon?

– Du bist ungerecht, Doniphan, ungerecht gegen Briant, ebenso wie gegen mich.«

Doniphan widersprach nicht weiter, sondern schloß sich seinen Freunden Wilcox, Croß und Webb wieder an, vor denen er seiner schlechten Laune nach Belieben freien Lauf lassen konnte.

Als der Schiffsjunge erfuhr, daß er sobald sein Amt als Küchenmeister mit dem des Jollenführers vertauschen sollte, verhehlte er keineswegs seine Befriedigung. Der Gedanke, mit Briant zu fahren, verdoppelte ihm nur das Vergnügen. Was seine Ersetzung am Kochofen des Store-room betraf, so konnte dabei nur Service in Frage kommen, und dieser freute sich schon bei dem Gedanken, einmal nach Herzenslust braten und schmoren zu können, ohne irgend einen Anderen an der Seite zu haben. Was Jacques angeht, so schien es diesem angenehm, seinen Bruder begleiten und French-den für einige Tage verlassen zu können.

Die Jolle wurde also sofort segelklar gemacht. Sie führte ein kleines lateinisches Segel, das Moko mit einer Stange versah und um den Mast wickelte. Zwei Gewehre, drei Revolver, Munition in ausreichender Menge, drei Reisedecken, Mundvorrath an Speisen und Getränken, Wachshauben für etwaiges Regenwetter, zwei Ruder nebst einem zweiten Paare als Ersatz – das war Alles, was zu einem nur kurzdauernden Ausflug erforderlich schien – die Copie der Karte des Schiffbrüchigen nicht zu vergessen, in welche je nach den zu machenden Entdeckungen neue Namen eingeschrieben werden sollten.

Am 4. Februar, gegen acht Uhr Morgens, schifften sich, nach herzlicher Verabschiedung von ihren Kameraden, Briant, Jacques und Moko am Damme des Rio Sealand ein. Bei schöner Witterung wehte eine leichte Südwestbrise. Das Segel wurde entfaltet, und Moko, der im Hintertheile Platz nahm, ergriff das Steuer, während Briant die Schote des Segels hielt. Obwohl die Seeoberfläche kaum von dem zuweilen ganz aussetzenden Windhauche leicht gekräuselt wurde, so machte sich die Wirkung des Windes auf die Jolle doch bemerkbarer, als diese ein größeres Stück vom Ufer hinausgekommen war. Ihre Schnelligkeit nahm damit zu. Eine halbe Stunde später erkannte Gordon, welcher von der Sport-terrace aus das Boot mit den Blicken verfolgte, nur noch einen dunklen Punkt, der auch bald verschwinden mußte.

Moko befand sich am Achter, Briant in der Mitte und Jacques saß im Vordertheile am Fuße des Mastes. Während einer Stunde blieb ihnen der hohe Kamm des Aukland-Hill in Sicht, dann versank auch dieser unter dem Horizonte. Das entgegengesetzte Seeufer stieg aber noch nicht empor, obgleich es nicht entfernt sein konnte. Leider zeigte der Wind, wie das öfter beobachtet wird, wenn die Sonne sich ihrem höchsten Stande nähert, Neigung abzuflauen, und gegen Mittag machten sich nur noch einzelne launenhafte, schwache Stöße desselben fühlbar.

»Es ist unangenehm, sagte Briant, daß die Brise nicht den ganzen Tag über ausgehalten hat.

– Doch noch unangenehmer wär‘ es gewesen, Herr Briant, antwortete Moko, wenn sie uns gar entgegen geweht hätte.

– Du bist der reine Philosoph, Moko!

– Ich weiß nicht, was Sie darunter verstehen, antwortete der Schiffsjunge. Was mich angeht, so bin ich einmal gewöhnt, über nichts unwillig zu werden.

– Ganz recht, das meint man eben mit Philosophie.

– Lassen wir das dahingestellt und greifen wir vorläufig zu den Rudern, Herr Briant. Es ist wünschenswerth, das andere Ufer vor der Nacht zu erreichen; doch wenn uns das nicht gelänge, müßten wir uns auch zufrieden geben.

– Wie Du willst, Moko. Ich werde das eine Ruder nehmen, Du nimmst das andere und Jacques mag das Steuer führen.

– Ganz recht, erwiderte der Negerknabe; und wenn Herr Jacques gut steuert, werden wir schon flink vorwärts kommen.

– Du wirst mir sagen, wie ich steuern soll, Moko, antwortete Jacques, und ich werde mein Bestes thun, Deinen Angaben nachzukommen.«

Moko zog das Segel ein, welches bei dem ganz eingeschlafenen Winde in losen Falten herabhing. Die jungen Bootsinsassen beeilten sich, ein wenig zu essen. Nachher setzte sich der Schiffsjunge in das Vordertheil, Jacques ließ sich ganz hinten nieder und Briant blieb, wie früher, in der Mitte. Die kräftig angetriebene Jolle glitt in schräger Richtung, laut Compaß nach Nordosten zu, schnell dahin.

Das Boot schwamm jetzt inmitten der ausgedehnten Wasserfläche, als befände es sich auf offener See, da das Wasser ringsum von der Linie des Himmels umschlossen wurde. Jacques blickte forschend in der Richtung nach Osten hin, um zu erkennen, ob die French-den gegenüberliegende Küste noch immer nicht auftauchen wolle.

Gegen drei Uhr konnte der Schiffsjunge, der durch das Fernrohr hinausgesehen hatte, melden, daß er Spuren von Land erkenne, und bald darauf bestätigte Briant, daß Moko sich nicht getäuscht habe. Um vier Uhr zeigten sich schon Baumkronen über einem ziemlich niedrigen Ufer, wodurch es erklärlich wurde, daß Briant dasselbe von der False-Sea-Point nicht hatte wahrnehmen können. Die Insel Chairman trug also keine anderen Anhöhen als die zwischen der Sloughi-Bai und dem Famlily-lake verlaufende Kette des Auckland-hill.

Noch zweieinhalb bis drei Meilen, und das östliche Ufer mußte erreicht sein. Briant und Moko handhabten ihre Ruder kräftig, doch nicht ohne Anstrengung, denn es herrschte eben eine starke Hitze. Die Oberfläche des Sees glich einem Spiegel. Meist gestattete sein klares Gewässer in zwölf bis fünfzehn Fuß Tiefe den mit Wasserpflanzen stellenweise bedeckten Grund zu erkennen, über den unzählige Fische hinweghuschten.

Gegen sechs Uhr Abends endlich stieß die Jolle bei einem mäßig hervortretenden Ufer ans Land, über welchem sich das Gezweige immergrüner Eichen und knorriger Föhren ausbreitete. Das Ufer eignete sich an dieser Stelle indeß so wenig zum Aussteigen, daß man dasselbe etwa eine halbe Meile weiter nach Norden verfolgte.

»Da ist der auf der Karte angegebene Rio!« rief dann Briant.

Er wies dabei auf einen Einschnitt des Landes, durch welchen der Rio seinen Abfluß hatte.

»Ich denke, wir können es uns ersparen, ihm einen besonderen Namen zu geben, antwortete der Schiffsjunge.

– Du hast Recht, Moko. Nennen wir ihn einfach East-river, da er nach Osten zu verläuft.

– Sehr richtig, sagte Moko, und nun brauchen wir wohl blos die Strömung des East-river zu benützen, um nach dessen Mündung zu gelangen.

– Das werden wir morgen vornehmen, Moko, denn es scheint mir rathsamer, die Nacht hier zu verweilen. Mit Tagesanbruch lassen wir dann die Jolle hinunter treiben, wobei wir gleich die Gegend an beiden Ufern besichtigen können.

– Steigen wir denn aus? … fragte Jacques.

– Natürlich, antwortete Briant, und wir lagern uns unter dem Schutze der Bäume.«

Briant, Jacques und Moko sprangen ans Ufer, das den Hintergrund einer kleinen Einbuchtung bildete. Nachdem die Jolle an einem Baumstumpfe sorgsam festgelegt war, wurden die Waffen und Mundvorräthe aus derselben geholt, auch ein tüchtiges Feuer aus dürrem Holze am Fuße einer Eiche entzündet. Man verzehrte noch etwas Schiffszwieback nebst kaltem Fleische, breitete dann die Decken auf der Erde aus, und mehr bedurfte es für die jungen Leutchen nicht, bald friedlich und fest einzuschlummern. Für jeden Nothfall waren übrigens die Waffen geladen worden; wenn sich während des herabsinkenden Abends auch dann und wann ein Geheul vernehmen ließ, so ging die Nacht doch ohne Störung vorüber.

»Nun auf und vorwärts!« rief Briant, der gegen sechs Uhr Morgens zuerst erwachte.

Nach wenigen Minuten hatten alle Drei in der Jolle Platz genommen und überließen sich nun der Strömung des Rio.

Diese war – eine halbe Stunde nach Eintritt der Ebbe – so stark, daß man die Ruder gar nicht einzulegen brauchte. Briant und Jacques hatten sich also im Vordertheile der Jolle niedergesetzt, während der am Achter sitzende Moko sich eines Ruders als Bootsriemens bediente, um das leichte Fahrzeug in gewünschter Richtung zu erhalten.

»Es ist anzunehmen, sagte er, daß eine Ebbeperiode hinreicht, uns bis zum Meere hinaus zu tragen, wenn der East-river nicht mehr als fünf bis sechs Meilen mißt, denn seine Strömung übertrifft die des Rio Sealand an Schnelligkeit.

– Das wäre zu wünschen, meinte Briant. Für den Rückweg werden wir doch wohl zwei bis drei Fluthperioden nöthig haben …

– Freilich, Herr Briant, und wenn Sie es wünschen, fahren wir sofort zurück …

– Gewiß, Moko, antwortete Briant, sobald wir uns überzeugt haben, ob östlich der Insel Chairman Land zu entdecken ist oder nicht.«

Inzwischen glitt die Jolle mit einer von Moko auf eine Meile in der Stunde geschätzten Geschwindigkeit dahin. Uebrigens hielt der East-river eine fast geradlinige und, wie der Compaß erkennen ließ, ostnordöstliche Richtung ein. Sein Bett war tiefer eingeschnitten als das des Rio Sealand, und auch minder breit – höchstens dreißig Fuß – was die Schnelligkeit seiner Strömung erklärte. Was Briant beunruhigte, war nur der Gedanke, daß diese gar in Stromschnellen oder Strudel übergehen und dann nicht bis zur Küste benutzbar sein könnte. Weitere Entschlüsse zu fassen, war es doch Zeit genug, wenn sich erst wirklich ein Hinderniß zeigte.

Man befand sich hier im Walde, inmitten der üppigsten Vegetation. Außer denselben Baumarten, wie in den Traps-woods, erhoben sich hier noch vorwiegend Stein- und Korkeichen, Fichten und Kiefern.

Unter anderen erkannte Briant, obwohl er in der Botanik lange nicht so bewandert war wie Gordon, einen gewissen Baum, dem man auf Neuseeland in zahlreichen Exemplaren begegnet. Dieser Baum, der seine Krone erst gegen sechzig Fuß über der Erde schirmartig ausbreitet, trug konische, drei bis vier Zoll lange Früchte, die nach unten zugespitzt und mit einer Art glänzender Schuppen bedeckt waren.

»Das muß die Zirbelkiefer (Pinie) sein! rief Briant.

– Wenn Sie sich nicht täuschen, Herr Briant, antwortete Moko, so wollen wir einen Augenblick anhalten. Das lohnt sich der Mühe.«

Ein Ruderschlag trieb die Jolle nach dem linken Ufer. Briant und Jacques sprangen ans Land. Wenige Minuten später brachten sie eine große Menge jener Zirbelnüsse, die jede eine eiförmige Mandel enthält, welche von einem feinen Häutchen umhüllt ist und wie eine Haselnuß duftet. Ein kostbarer Fund für die Feinschmecker der kleinen Colonie, aber auch, wie Gordon diesen nach Briant’s Rückkehr auseinandersetzte, deshalb, weil diese Früchte vortreffliches Oel liefern.

Es erschien auch von Wichtigkeit, zu erfahren, ob dieser Wald ebenso wildreich sei wie die Wälder im Westen des Family-lake. Das mußte wohl der Fall sein, denn Briant sah durch das Dickicht eine erschreckte Heerde von Nandus und Vigogne-Schafen flüchten, und sogar einzelne Guanakos, welche in rasender Eile davonstürmten. Bezüglich des Geflügels hätte Doniphan hier manchen guten Schuß abgeben können. Briant dagegen enthielt sich der Vergeudung seiner Munition, da die Jolle ausreichenden Vorrath an Lebensmitteln trug.

Gegen elf Uhr wurde es deutlich, daß der dichte Wald sich allmählich lichtete. Schon lüfteten einzelne Blößen den Erdboden unter den Bäumen. Gleichzeitig erschien die Brise etwas von Salzdünsten geschwängert, was auf die Nähe des Meeres hinwies.

Einige Minuten später schimmerte dann ganz plötzlich hinter einer Gruppe prächtiger Steineichen die bläuliche Linie des Horizontes auf.

Die Strömung führte die Jolle, wenn auch jetzt minder schnell, immer noch mit sich fort. Bald mußte sich nun aber die Fluth in dem jetzt vierzig bis fünfzig Fuß breiten Bette des East-river bemerkbar machen.

Nahe den Felsen, welche sich an der Küste erhoben, angelangt, lenkte Moko die Jolle nach dem linken Ufer. Dann trug er den kleinen Dregganker ans Land, wo er ihn tief in den Sand einsenkte, und Briant schiffte sich nun nebst seinem Bruder ebenfalls aus.

Welch‘ verschiedenes Bild gegen jenes, das die Westküste der Insel Chairman darbot! Hier öffnete sich wohl, und auch genau in der Höhe der Sloughi-Bai, eine weite Bucht, doch statt des breiten, sandigen Vorlandes mit dem Klippengürtel an der einen und dem im Hintergrunde sich erhebenden Steilufer an der anderen Seite der Wrack-coast, zeigte sich hier eine Anhäufung von Felsen, in welchen Briant, wie er sich bald überzeugte, zwanzig Aushöhlungen statt einer hätte finden können.

Diese Küste erschien demnach bequem bewohnbar, und wenn der Schooner an dieser Stelle gescheitert und er nach der Strandung noch einmal flott geworden wäre, so hätte er in der Mündung des East-river, gleichsam in einem natürlichen Hafen, Schutz suchen können, in dem es selbst bei tiefster Ebbe nicht an Wasser fehlte.

Zuerst hatte Briant seine Blicke seewärts, nach dem äußersten Horizonte dieser ausgedehnten Bucht, schweifen lassen. Da sich diese zwischen zwei sandigen Ausläufern über ein Bogenstück von etwa fünfzehn Meilen Länge erstreckte, hätte sie wohl den Namen eines Golfes verdient.

In diesem Augenblicke erschien die Bai verlassen – wahrscheinlich wie immer. Kein Schiff war in Sicht, nicht einmal an ihrem äußersten Rande, der sich scharf vom Hintergrunde des Himmels abhob. Von einem Lande oder einer Insel war ebenso wenig zu sehen. Moko, der mehr gewöhnt war, die verschwindenden Linien weit entfernter Höhen, welche so leicht mit den Dünsten aus dem Meere zusammenfließen, zu erkennen, vermochte auch durch das Fernrohr nichts wahrzunehmen. Die Insel Chairman schien nach Osten zu ebenso vereinsamt wie nach Westen hin zu liegen. Deshalb zeigte auch die Karte des schiffbrüchigen Franzosen nach dieser Richtung keinerlei Land an.

Es wäre übertrieben, zu sagen, daß Briant jetzt hätte den Muth sinken lassen. Nein, er hatte das ja erwartet. Dennoch fand er es angemessen, dieser Ausweitung der Küste den Namen Deception-bay (Bai der Enttäuschung) beizulegen.

»Nun, sagte er, von dieser Küste aus würden wir den Rückweg doch nicht einschlagen.

– O, Herr Briant, man kommt überall vorwärts, ob’s nun auf dem einen oder dem anderen Wege ist. Inzwischen, denke ich, thun wir gut, ein wenig zu frühstücken …

– Ganz recht, antwortete Briant, aber nur schnell. Um welche Stunde könnte die Jolle wieder den East-river hinaufsegeln?

– Wenn wir die Fluth benutzen wollen, müßten wir sofort einsteigen.

– Das geht nicht an, Moko. Ich möchte den Horizont erst noch unter günstigeren Bedingungen und von der Höhe eines den Strand überragenden Felsens aus besichtigen.

– Dann, Herr Briant, müßten wir die nächste Fluth abwarten, welche in den East-river nicht vor zehn Uhr Abends eintreten dürfte.

Und würdest Du fürchten, während der Nacht zu fahren? fragte Briant.

– Keineswegs; das ist ganz ohne Gefahr, denn wir haben gerade Vollmond, und überdies verläuft das Bett des Rio so direct, daß es genügen wird, während der Dauer der Fluth mit einem Ruder zu steuern. Kehrt sich dann die Strömung um, so versuchen wir, mit den Rudern weiter zu kommen, und wenn diese zu stark würde, halten wir einfach bis zum nächsten Tage an.

– Gut, Moko, ich stimme mit Dir überein, doch da wir nun zwölf Stunden vor uns haben, wollen wir sie benutzen, unsere Nachforschungen zu vervollständigen.«

Nach dem Frühstück und bis zur Zeit des Mittagessens wurde die ganze Zeit darauf verwendet, diesen Theil der Küste zu besichtigen, der von dichtem, selbst bis an den Fuß der Felsen herantretendem Baumwuchs bedeckt war. An eßbarem Wild schien es hier den gleichen Ueberfluß zu geben, wie in den Umgebungen von French-den, und Briant gestattete sich, für die Abendmahlzeit einige Tinamus zu erlegen.

Was das Bild dieser Uferstelle charakterisirte, das war die Anhäufung mächtiger Granitblöcke. Hier herrschte ein wirklich großartiges Chaos durcheinander gewürfelter gewaltiger Felsen – eine Art Feld von Karnak, das keines Menschen Hand in dieser Weise hätte schaffen können. Vielfach fanden sich auch jene tiefen Aushöhlungen, welche man in gewissen keltischen Ländern »Rauchfänge« nennt, und es wäre sehr leicht gewesen, sich zwischen den Wänden derselben häuslich einzurichten. Der kleinen Colonie hätte es hier weder an Hallen noch an Store-rooms gemangelt. Nur im Umkreise einer halben Meile fand Briant mindestens ein Dutzend dieser recht bequemen Aushöhlungen.

Briant legte sich dabei natürlich auch die Frage vor, warum der schiffbrüchige Franzose nicht auf diesem Theile der Insel Obdach gesucht haben möge. Daß er denselben besucht, erschien ganz zweifellos, da sich die Hauptlinien der Küste auf seiner Karte richtig eingezeichnet fanden. Wenn man trotzdem keine Spuren von seiner früheren Anwesenheit hier entdeckte, lag das gewiß daran, daß François Baudoin seine Wohnung in French-den schon aufgeschlagen hatte, ehe er seine Nachforschungen bis zu den östlichen Gebieten ausdehnte, und da er sich dort gegen die scharfen Seewinde geschützter wähnte, es vorgezogen hatte, daselbst zu bleiben. Diese Erklärung schien so natürlich, daß auch Briant sie annehmen mußte.

Gegen zwei Uhr, als die Sonne den höchsten Stand überschritten, schien der Augenblick günstiger, das Meer seewärts der Insel genauer zu besichtigen. Briant, Jacques und Moko versuchten also einen Felsblock, in Gestalt eines ungeheuren Bären, zu erklimmen. Diese Steinmasse erhob sich etwa hundert Fuß über den kleinen Hafen, und nicht ohne Schwierigkeit gelangten sie auf den Gipfel derselben.

Hier beherrschte der Blick, wenn man ihn nach rückwärts wendete, den Wald, der sich nach Westen hin bis zum Family-lake ausdehnte, während die Oberfläche des letzteren durch einen weiten grünen Vorhang verdeckt blieb. Im Süden erschien das Land von gelblichen Dünen durchzogen, zwischen denen einzelne düstere Fichtenhaine, wie in den traurigen Einöden der Nordpolarländer, aufstrebten. Im Norden lief die Grenzlinie der Bucht in eine sandige Landspitze aus, welcher sich, noch weiter hinaus, eine ungeheure Sandebene anschloß. Kurz, die Insel Chairman erschien wirklich fruchtbar nur in ihren mittleren Theilen, wo das Süßwasser des Sees, das durch verschiedene Rios an seinen beiden Längsufern abfloß, ihrem Pflanzenbestande Nahrung zuführte.

Briant richtete sein Fernrohr nun nach dem östlichen Horizonte, der sich in großer Reinheit vom Himmel abhob. Jedes, in einem Umkreise von sieben bis acht Meilen gelegene Land, wäre gewiß im Objectivglase des Instruments sichtbar gewesen.

Doch nichts in dieser Richtung! … Nichts als das endlose Meer, das der Himmel in ununterbrochener Linie begrenzte!

Während einer vollen Stunde beobachteten Briant, Jacques und Moko ohne Unterlaß, und sie wollten schon wieder nach dem Strande hinabklettern, als Moko Briant aufhielt.

»Was ist denn das da draußen?« fragte er, die Hand nach Nordosten zu ausstreckend.

Briant richtete das Fernrohr nach dem bezeichneten Punkte.

In der That glänzte dort, nur wenig über dem Horizonte, ein weißlicher Fleck, den das Auge hätte mit einem Wölkchen verwechseln können, wenn der Himmel gerade jetzt nicht so außerordentlich rein erschienen wäre. Nachdem Briant denselben lange im Gesichtsfelde seines Fernrohrs gehalten, konnte er versichern, daß der Fleck unbeweglich auf einer Stelle blieb und auch seine Gestalt sich in keiner Weise veränderte.

»Ich weiß nicht, was das sein könnte, wenn es nicht ein Berg ist! Doch auch ein Berg könnte nicht so aussehen!»

Da die Sonne bald darauf mehr und mehr im Westen versank, war der Fleck bald verschwunden. Befand sich nun dort ein höheres Land, oder rührte dieser weiße Schein nur von einer Wiederspiegelung des Lichts auf dem Wasser her? Die letzte Annahme war es, der Jacques und Moko sich zuneigten, während Briant bezüglich derselben einige Zweifel bewahren zu sollen glaubte.

Nach vollendeter Umschau begaben sich Alle wieder nach der Mündung des East-river, in dessen kleinem Hafen die Jolle angebunden lag. Jacques sammelte unter den Bäumen dürres Holz und zündete ein Feuer an, Moko aber beschäftigte sich mit der Zubereitung der Tinamus.

Gegen sieben Uhr und nachdem sie mit dem größten Appetit gegessen, gingen Jacques und Briant noch ein Stück auf dem Strande spazieren, da sie die Stunde der wiederkehrenden Fluth abwarten mußten.

Moko seinerseits stieg das linke Ufer hinauf, wo Zirbelfichten standen, von denen er noch einige Früchte pflücken wollte.

Als er nach der Mündung des East-river zurückkam, begann schon die Nacht herabzusinken. Wenn das Meer weiter draußen noch im Widerschein der letzten Sonnenstrahlen, welche über die Insel hinglitten, erglänzte, so lagerte doch schon ein Halbdunkel auf dem Uferlande.

In dem Augenblick, wo Moko die Jolle erreichte, waren Briant und sein Bruder noch nicht zurück. Da sie sich jedoch nicht weit entfernt haben konnten, empfand er darüber keinerlei Unruhe.

Da verwunderte sich Moko aber nicht wenig, ein Schluchzen und gleichzeitig eine laut tönende Stimme zu vernehmen. Er täuschte sich nicht, das war Briant’s Stimme.

Sollten die beiden Brüder von irgend welcher Gefahr bedroht sein? Der Schiffsjunge zögerte nicht, nach dem Strande hinabzueilen, nachdem er um die letzten Felsen, welche den kleinen Hafen abschlossen, gelaufen war.

Plötzlich gewahrte er etwas, was ihn sofort aufhielt.

Jacques lag vor Briant auf den Knien! … Er schien diesen anzuflehen, ihn um Gnade zu bitten … daher das Schluchzen, welches zu Moko’s Ohren gedrungen war.

Der Schiffsjunge hatte sich aus Zartgefühl zurückziehen wollen … Es war zu spät … Er hatte schon Alles gehört, Alles verstanden! Er wußte jetzt, was Jacques begangen und weshalb er sich seinem Bruder gegenüber zu entschuldigen suchte.

Dieser aber rief eben:

»Unglückseliger! … Wie, Du bist es also gewesen? … Du, der das gethan hat? … Du bist die Ursache …

– Verzeihung … Bruder … Verzeihung!

– Das ist es also, warum Du Dich von Deinen Genossen fern hieltest … Weshalb Du Furcht vor ihnen hattest! … O, möchten sie es nimmer erfahren! … Nein, kein Wort! Nicht ein Wort und … Niemand!»

Moko hätte viel darum gegeben, nicht wider seinen Willen in dieses Geheimniß eingeweiht worden zu sein.

Jetzt wär’s ihm aber zu schwer angekommen, sich Briant gegenüber unwissend zu stellen. Als er sich wenig Minuten später allein mit diesem bei der Jolle befand, sagte er deshalb:

»Herr Briant, ich habe Alles mit angehört …

– Wie, Du weißt, daß Jacques? …

– Ja, Herr Briant … Er muß Verzeihung haben …

– Würden auch die Anderen ihm verzeihen?

– Vielleicht doch, antwortete Moko. In jedem Fall ist es besser, sie erfahren überhaupt nichts davon, und Sie dürfen darauf rechnen, daß ich schweigen kann …

– Ach, mein armer Moko!« sagte Briant, die Hand des Schiffsjungen drückend.

Während zwei vollen Stunden und bis zur Zeit der Abfahrt richtete Briant kein einziges Wort an Jacques. Dieser übrigens blieb am Ufer eines Felsens sitzen und fühlte sich gewiß noch mehr niedergeschlagen, seit er dem Drängen seines Bruders nachgegeben und Alles gestanden hatte.

Gegen zehn Uhr machte die Fluth sich bemerkbar. Briant, Jacques und Moko nahmen in der Jolle Platz. Sobald diese vom Land gelöst war, führte der Strom sie rasch dahin; der Mond, der sich bald nach Sonnenuntergang erhoben hatte, beleuchtete hinlänglich den Lauf des East-river, um bis einhalbein Uhr ohne Beschwerde auf diesem vordringen zu können. Dann trat schon wieder Ebbe ein, welche die Ruder zur Hand zu nehmen zwang, und während einer Stunde kam die Jolle kaum eine Meile stromaufwärts weiter.

Briant schlug also vor, sich bis Tagesanbruch festzulegen, um das Wiederansteigen der Fluth abzuwarten, was auch geschah. Um sechs Uhr Morgens machte man sich wieder auf den Weg und es kam die neunte Stunde heran, ehe die Jolle wieder auf dem Gewässer des Family-lake schaukelte.

Moko hißte jetzt wieder die Segel, und unter leichter Brise, welche von der Seite her wehte, steuerte er auf French-den zu.

Gegen sechs Uhr Abends und nach glücklicher Ueberfahrt, während der Briant und Jacques ihr Stillschweigen kaum gebrochen hatten, wurde die Jolle von Garnett, der am Seeufer angelte, gemeldet. Kurze Zeit darauf landete sie am Damme, und Gordon begrüßte mit Wärme die Rückkehr seiner Kameraden.

III.

III.

Der Salzsumpf. – Die Stelzen. – Besuch der South-moors. – In Voraussicht des Winters. – Verschiedene Spiele. – Zwischen Doniphan und Briant. – Das Dazwischentreten Gordon’s. – Beunruhigungen wegen der Zukunft. – Wahl am 10. Juni.

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Nach dieser von Moko beobachteten Scene zwischen ihm und seinem Bruder hatte es Briant für gut gehalten, darüber Stillschweigen zu bewahren … selbst gegen Gordon. Was den Bericht über seinen Ausflug betraf, so erstattete er diesen seinen in der Halle versammelten Kameraden. Er schilderte die Ostküste der Insel Chairman auf dem ganzen Theile, der die Deception-Bai umschloß, den Verlauf des East-river durch die dem See benachbarten Wälder mit ihrem Reichthum an immergrünen Bäumen. Er erklärte, daß eine Niederlassung an diesem Ufer weit leichter ausführbar gewesen sei, als auf dem westlichen, fügte jedoch hinzu, daß es deshalb keineswegs gerathen erscheine, French-den aufzugeben. Was diesen Theil des Stillen Weltmeeres anging, so war hier nirgends ein Land in Sicht. Briant erwähnte jedoch jenes weißlichen Fleckes, den er weit draußen im Meere wahrgenommen und dessen Auftauchen über dem Horizonte er sich nicht erklären konnte. Höchst wahrscheinlich war derselbe nichts als ein Dunstgebilde, doch schien es angezeigt, sich darüber Gewißheit zu verschaffen, wenn man einmal nach der Deception-Bai zog. Kurz – und darin schien kein Zweifel mehr möglich – die Insel Chairman lag gewiß nicht in der Nachbarschaft eines anderen Landes, und jedenfalls trennten sie Hunderte von Meilen von dem nächsten Festlande oder Archipel.

Jetzt galt es also den Kampf um’s Dasein muthig wieder aufzunehmen, in Erwartung, daß die Rettung nur noch von außen herkomme, da nicht vorauszusetzen war, daß die jungen Kolonisten sie jemals selbst in der Hand haben würden. Jeder ging wieder an die Arbeit. Alle Maßregeln wurden getroffen, sich gegen die Tücken des nächsten Winters zu sichern. Briant widmete sich dieser Aufgabe sogar mit größerem Eifer als er es bisher gethan hatte. Immerhin fiel es auf, daß auch er jetzt weniger mittheilsam geworden war und gleich seinem Bruder mehr dazu geneigt schien, sich abseits zu halten. Gordon, der diese Veränderung seines Charakters bemerkte, beobachtete auch, daß Briant keine Gelegenheit vorübergehen ließ, Jacques immer in den Vordergrund zu schieben, wenn es irgendwo galt, einen besonderen Muth zu entwickeln oder einer Gefahr die Stirne zu bieten – wozu Jacques übrigens stets mit Vorliebe bereit war. Da Briant sich jedoch nicht so aussprach, daß Gordon darüber hätte eine Frage an ihn richten können, so enthielt sich dieser, in ihn zu dringen, obwohl er den Glauben hegte, daß es zwischen den beiden Brüdern gewiß zu einer Auseinandersetzung gekommen sein müsse.

Der Monat Februar verlief unter den gewöhnlichen Arbeiten. Als Wilcox die Rückkehr der Lachse nach dem Süßwasser des Family-lake gemeldet hatte, fing man eine große Anzahl derselben mittels quer durch den Rio Sealand von einem Ufer zum anderen gespannter Netze. Die Nothwendigkeit, diese längere Zeit aufzubewahren, erforderte eine ziemlich große Menge Salz. Dies veranlaßte denn mehrere Fahrten nach der Sloughi-Bai, wo Baxter und Briant einen kleinen Salzsumpf hergestellt hatten, das heißt ein viereckiges Stück Boden zwischen niedrigen Sanddämmen, in welchem nach dessen Anfüllung mit Meerwasser das Salz auskrystallisirte, wenn das Wasser durch die Sonnenstrahlen verdunstet war.

Während der ersten Hälfte des März konnten drei oder vier der jungen Colonisten einen Theil der sumpfigen Gebiete der South-moors untersuchen, der bis an das linke Ufer des Rio Sealand heranreichte. Der betreffende Vorschlag war von Doniphan ausgegangen, und Baxter fertigte auf seinen Rath dazu verschiedene Paare Stelzen, wozu er leichte Stangen verwendete. Da das Sumpfland an manchen Stellen mit einer seichten Wasserschicht bedeckt war, konnte man mittels der Stelzen durch dieselben trockenen Fußes bis nach den höher gelegenen, nicht sumpfigen Stellen gelangen.

Am 17. April des Morgens betraten Doniphan, Webb und Wilcox, nachdem sie den Rio in der Jolle überschritten, das linke Ufer. Die Gewehre trugen sie am Riemen. Doniphan hatte auch die lange Entenflinte aus dem Zeughause von French-den mitgenommen, von deren Benutzung er sich hier besonders schönen Erfolg versprach.

Sowie die drei Jäger den Fuß auf’s Land gesetzt, bestiegen sie ihre Stelzen, um die auch bei Hochwasser über dieses emporragenden Stellen des Sumpfgebietes zu erreichen.

Phann begleitete sie. Er brauchte freilich keine Stelzen und scheute sich nicht, die Pfoten naß zu machen, wenn er lustig durch die Wassertümpel dahinsprang.

Nachdem sie etwa eine Meile in der Richtung nach Südwesten zurückgelegt, erreichten Doniphan, Wilcox und Webb den trockenen Moorboden. Hier legten sie die Stelzen ab, um etwaiges Wasserwild leichter verfolgen zu können.

Von den weit ausgedehnten South-moors konnte der Blick das Ende nicht erreichen, außer nach Osten zu, wo die blaue Linie des Meeres sich am Horizonte hin erstreckte.

Wie zufällig fand sich hier verschiedenes Wasserwild – Becassinen, langgeschwänzte und gewöhnliche Enten, Wasservögel, Regenpfeifer, Kriechenten und gleich tausendweise jene Trauerenten, welche mehr ihres Flaumes als ihres Fleisches wegen geschätzt werden, obgleich auch letzteres bei passender Zubereitung eine recht annehmbare Speise abgiebt. Doniphan und seine Kameraden hätten hier Hunderte von den zahllosen Wasservögeln schießen können, ohne ein Schrotkorn zu vergeuden. Sie waren aber vernünftig und begnügten sich mit einigen Dutzend Stücken Geflügel, das Phann gelegentlich aus den breiten Lachen herbeiholte.

Doniphan fühlte sich jedoch lebhaft versucht, noch einige Thiere zu erlegen, welche trotz der culinarischen Talente des Schiffsjungen auf der Tafel des Store-room nicht figuriren konnten. Es waren das Thinocoren, zur Familie der Strandläufer gehörig, und mit prächtigem Kopfschmucke von weißen Federn versehene Reiher. Wenn der junge Jäger dennoch davon Abstand nahm – er hätte sein Pulver auch völlig nutzlos verpafft – so war das doch nicht der Fall, als er eine Schaar Flamingos mit feuerrothen Flügeln erblickte, welche schwachsalziges Wasser mit Vorliebe aufsuchen und deren Fleisch dem des Rebhuhns gleichkommt. Diese in geordneten Reihen dastehenden Vögel waren aber von einzelnen Wachhabenden behütet, welche bei Annäherung einer Gefahr trompetenähnliche Laute ausstießen. Beim Anblicke dieser wunderschönen Vertreter der Ornithologie der Insel, ließ Doniphan sich von seiner natürlichen Neigung hinreißen. Zum Ueberflusse erwiesen sich Wilcox und Webb nicht klüger als er, und Alle liefen nach der betreffenden Seite zu – doch völlig vergebens. Sie wußten nicht, daß sie, wenn sie sich ungesehen genähert hätten, in der Lage gewesen wären, die Flamingos ganz nach Belieben abzuschießen, denn das Knallen von Gewehren wirkt auf diese nur gleichsam lähmend, treibt sie aber nicht zur Flucht.

Vergeblich bemühten sich also Doniphan, Webb und Wilcox, die schönen Plattfüßler zu erreichen, welche von der Schnabelspitze bis zum Schwanze gut vier Fuß messen.

Durch ihre Wachen aufmerksam gemacht, verschwand die ganze Gesellschaft nach Süden zu, ohne daß es möglich gewesen wäre, sie selbst mit Hilfe der weittragenden Entenflinte zu treffen.

Nichtsdestoweniger kehrten die Jäger mit einer so reichlichen Ausbeute an Wild zurück, daß sie ihren Ausflug durch die South-moors nicht zu beklagen hatten.

Bei den überschwemmten Stellen wieder angekommen, bedienten sie sich auf’s Neue der Stelzen, auf denen sie bequem nach dem Ufer des Rio hinschritten, und nahmen sich vor, einen solchen Ausflug dann zu wiederholen, wenn die Kälte dessen Ausführung noch erfolgreicher werden zu lassen versprach.

Ueberdies durfte Gordon nicht bis zum Eintritte des Winters warten, um French-den in den Stand zu setzen, dem Ungemache desselben zu widerstehen. Es galt vielmehr, einen reichlichen Vorrath an Brennmaterial herbeizuschaffen, um damit auch – außer den Wohnräumen – die Viehställe wenigstens etwas zu heizen. So wurden denn zahlreiche Fahrten nach den Bog-woods unternommen; vierzehn Tage lang ging der mit den zwei Guanakos bespannte Wagen mehrmals täglich von French-den nach dem Walde hin und her. Jetzt aber hatte man, selbst wenn der Winter sechs Monate und noch länger anhielt, bei dem beträchtlichen Stocke an Holz und dem Vorrathe an Robbenöl weder Kälte noch Dunkelheit zu fürchten.

Diese Arbeiten hinderten übrigens keineswegs die Einhaltung des Programms, nach welchem die geistige Ausbildung dieser kleinen Welt geordnet war, und abwechselnd ertheilten die größeren Knaben den Kleinen Unterricht. Während der zweimal wöchentlich stattfindenden Versammlungen fuhr Doniphan fort, mit seiner Ueberlegenheit etwas stark zu prahlen, was natürlich nicht dazu angethan war, ihm viele Freunde zu erwerben, und, seine gewöhnlichen Kameraden ausgenommen, war er von den Anderen nicht besonders gerne gesehen. Dennoch rechnete er darauf, vor Ablauf von zwei Monaten, wenn Gordon’s »Amtsperiode« zu Ende ging, diesem als Oberhaupt der Colonie zu folgen. Seine Eigenliebe überredete ihn, daß ihm diese Stellung von rechtswegen zukomme und daß es eine wirkliche Ungerechtigkeit sei, daß er dazu nicht schon beim ersten Wahlgange ernannt wurde. Wilcox, Croß und Webb bestärkten ihn leider noch in diesen Ideen, suchten für die bevorstehende Wahl »Stimmung zu machen« und schienen an ihrem Erfolge gar nicht zu zweifeln.

Dennoch hatte Doniphan nicht die Majorität unter seinen Kameraden. Die jüngsten derselben glaubten sich wenigstens nicht für ihn – freilich auch nicht für Gordon erklären zu wollen.

Gordon durchschaute recht wohl, was in der Luft lag, bemühte sich aber, obwohl er ja wieder wählbar war, keineswegs um Beibehaltung seiner Stellung. Er fühlte es heraus, daß die Strenge, welche er während »seines Präsidentschaftsjahres« gezeigt, ihm die Mehrzahl der Stimmen kaum zuwenden werde. Sein etwas hartes Auftreten, sowie sein vielleicht gar zu sehr auf’s Praktische gerichteter Sinn hatte öfter Mißfallen erregt, und gerade hievon erhoffte Doniphan viel zu seinem Vortheile. Am Wahltage mußte es voraussichtlich zu einem interessant zu beobachtenden Kampfe kommen.

Was die Kleinen Gordon am meisten zum Vorwurfe machten, war seine, wohl manchmal etwas zu weit gehende Sparsamkeit bezüglich süßer Speisen. Außerdem zankte er auch auf sie, wenn sie ihre Kleidung nicht genug in Acht nahmen, nach French-den mit einem Schmutzflecke oder mit einem Risse heimkamen, und vorzüglich, wenn sie ein Loch in den Schuhen hatten, was immer schwierige Reparaturen erforderte, wie die Frage des Schuhwerkes ja immer eine sehr ernste gewesen war.

Und wie viel Vorwürfe gab es wegen verlorener Knöpfe – wie oft mußten sie deshalb Strafe erleiden! Die Frage der Westen- oder Beinkleiderknöpfe kam überhaupt fast niemals von der Tagesordnung, und Gordon verlangte zuletzt, daß Jeder des Abends noch den Besitz der vorschriftsmäßigen Menge nachwies, während ihm, wenn er das nicht konnte, Entziehung der Nachspeise oder Hausarrest zuerkannt wurde. Bei solchen Gelegenheiten trat Briant öfters zu Gunsten Jenkins‘ oder Dole’s ein, und das verschaffte ihm eine große Popularität. Ferner wußten die Kleinen recht wohl, daß die beiden Verwalter der Küche, Service und Moko, stets zu Briant hielten, und wenn letzterer jemals Oberhaupt der Insel Chairman würde, sahen sie eine verlockende Zukunft vor sich aufdämmern, wo es an Leckerbissen jeder Art nicht fehlen würde.

An welchen Kleinigkeiten hängen doch die Dinge dieser Welt! War diese Colonie von Knaben nicht das richtige Spiegelbild der menschlichen Gesellschaft und zeigten diese Kinder nicht von klein an die Neigung, »Männer zu spielen?»

Briant selbst interessirte sich für diese Angelegenheit am wenigsten. Er arbeitete ohne Unterlaß und sparte auch seinem Bruder keine Mühe. Beide waren stets die Ersten und die Letzten, wo es galt, die Hand anzulegen, so, als hätten gerade sie ganz besondere Verpflichtungen zu erfüllen.

Indessen wurde die Tageszeit nicht einzig und allein dem allgemeinen Unterrichte gewidmet. Das Programm wies auch einige Stunden der Erholung zu. Es ist ja eine Bedingung guter Gesundheit, den Körper durch gymnastische Uebungen zu stählen. Große und Kleine nahmen daran Theil. Man kletterte auf die Bäume nach den ersten Aesten mittels eines an diesen oder um den Stamm befestigten Seiles; sprang mit Stangen über weite Zwischenräume oder badete im See, wobei Diejenigen, welche noch nicht schwimmen konnten, das bald erlernten. Man veranstaltete Wettläufe mit Preisen für die Sieger und übte sich ebenso in der Handhabung der Bolas und des Lasso.

Daneben wurden auch einige bei den jungen Engländern besonders beliebte Spiele getrieben, und außer den schon früher angeführten zum Beispiele das Croquet, die »Rounders«, bei dem der Ball mittels langer Stöcke nach Holzpflöcken getrieben wird, welche in den Winkeln ihres regelmäßigen Fünfeckes eingeschlagen sind, und auch die »Quoits«, ein Spiel, welches ganz besondere Kraft der Arme und Sicherheit des Auges voraussetzt. Letztgenanntes Spiel müssen wir hier etwas eingehender beschreiben, weil es eines Tages eine recht bedauerliche Scene zwischen Briant und Doniphan herbeiführte.

Es war am 25. April Nachmittags. In zwei Parteien zu je vier Mann getheilt, spielten Doniphan, Webb, Wilcox und Croß einerseits und Briant, Baxter, Garnett und Service andererseits eine Partie Quoits auf dem Rasen der Sport-terrace.

Auf der ebenen Fläche waren zwei eiserne Pflöcke, zwei »Hobs«, in einer Entfernung von fünfzig Fuß von einander eingeschlagen worden. Jeder der Teilnehmer hatte zwei Quoits, das ist eine Art metallener Wurfscheiben mit einem Loche in der Mitte und mit dünn zulaufendem Rande.

Bei dem betreffenden Spiele hat nun jeder Teilnehmer seine Quoits zu werfen und sich zu bemühen, diese erst über einen Pflock und dann über den anderen hineinfallen zu lassen. Gelingt ihm das bei einem der Hobs, so zählt er zwei Punkte, vier aber, wenn er seine Scheibe auch richtig über den zweiten Hob so wirft, daß dieser durch die Oeffnung der Scheibe dringt. Kommen die Quoits nur ganz nahe dem Hob zu liegen, so zählt das nur zwei Punkte für die zwei nächsten, und nur einen Punkt, wenn nur ein einziger Quoit so nahe an jenen zu liegen kommt.

Die Knaben entwickelten an genanntem Tage einen ganz besonderen Eifer, und da Doniphan der gegnerischen Partei Briant’s angehörte, war die Selbstliebe beider auf eine recht harte Probe gestellt.

Zwei Partien waren schon gespielt. Briant, Baxter, Service und Garnett hatten die erste gewonnen, da sie sieben Punkte markiren konnten, während ihre Gegner die zweite Partie nur mit sechs Punkten gewonnen hatten.

Sie waren jetzt eben dabei, die »Meisterpartie« zu spielen. Beide Parteien waren jede zu fünf Punkten gelangt und hatten nur noch zwei Quoits zu werfen.

»Du bist an der Reihe, Doniphan, sagte Webb; nun ziele aber genau! Wir haben den letzten Quoit und es handelt sich darum, zu gewinnen!

– Sei nur ganz ruhig!« antwortete Doniphan.

Er nahm Stellung, den einen Fuß dicht vor dem anderen, in der rechten Hand die Scheibe haltend und den Körper leicht nach links geneigt, um desto sicherer werfen zu können.

Man erkannte, daß der eitle Knabe mit Leib und Seele, wie man zu sagen pflegt, bei der Sache war, an den zusammengebissenen Zähnen, den etwas bleichen Wangen und an dem lebhaften, unter den Augenbrauen hervorglänzenden Blicke.

Nachdem er unter gleichmäßigem Schwingen der Scheibe sorgsam gezielt, warf er diese kräftig in wagrechter Richtung fort nach dem fünfzig Fuß entfernten Ziele.

Die Scheibe erreichte den Hob nur mit ihrem äußeren Rande und fiel, statt über den Pflock niederzusinken, neben diesem zur Erde, womit also nur ein sechster Punkt errungen war.

Doniphan konnte seinen Unmuth nicht ganz unterdrücken und stampfte mit dem Fuße auf die Erde.

»Das ist ärgerlich, sagte Croß, doch deshalb haben wir noch lange nicht verloren, Doniphan!

– Nein, gewiß nicht, setzte Wilcox hinzu. Dein Quoit liegt genau am Fuße des Hob, und wenn Briant den seinigen nicht genau darüber wirft, möcht‘ ich doch sehen, ob er den seinigen besser placiren könnte.«

Wenn die Scheibe, welche Briant werfen sollte – und er war jetzt an der Reihe – nicht richtig über den Hob hineinfiel, so mußte das Spiel für seine Partei verloren sein, denn es schien fast unmöglich, sie noch näher an jenen zu werfen, als Doniphan es gethan hatte.

»Ziele gut! … Ziele gut!« rief Service.

Briant antwortete nicht, da es ihm gar nicht einfiel, Doniphan zu verletzen. Er wollte nur Eines: die Partie mehr für seine Kameraden als für sich gewinnen.

Er stellte sich also vorschriftsmäßig auf und schleuderte seine Scheibe mit solcher Sicherheit, daß diese über den Hob hineinfiel.

»Sieben Punkte! rief Service triumphirend. Die Partie gewonnen … gewonnen!«

Doniphan kam schnell herzugelaufen.

»Nein, die Partie ist nicht gewonnen! rief er.

– Und warum nicht? fragte, Baxter.

– Weil Briant betrogen hat!

– Betrogen! versetzte Briant, dessen Gesicht bei dieser Beschuldigung erbleichte.

– Ja … betrogen! wiederholte Doniphan. Briant hatte seinen Fuß nicht auf der Linie, wo derselbe stehen soll!

– Das ist nicht wahr! widersprach Service.

– Das ist falsch! erklärte Briant. Selbst angenommen, daß es wahr wäre, so käme das immer nur auf einen Irrthum meinerseits hinaus, und ich werde nie dulden, daß mich Doniphan deshalb des Betruges anklagt!

– Wirklich? … Du würdest das nicht dulden? sagte Doniphan, die Achseln zuckend.

– Nein, erwiderte Briant, der seiner schon nicht mehr ganz Herr war. Zunächst kann ich übrigens nachweisen, daß meine Füße genau auf der Linie gestanden haben …

– Ja! … Gewiß! … bestätigten Baxter und Service.

– Nein! … Nein! entgegneten Webb und Croß.

– Da seht nach dem Eindrucke meiner Schuhe im Sande! fuhr Briant fort; und da Doniphan sich nicht hat nur täuschen können, so muß ich ihm ins Gesicht sagen, daß er gelogen hat!

– Gelogen!« fuhr Doniphan auf, während er sich langsam seinem Kameraden näherte.

Webb und Croß hatten hinter ihm Stellung genommen, um ihn zu unterstützen, während Service und Baxter sich Briant zu helfen bereit hielten, wenn die beiden Gegner handgemein werden sollten.

Doniphan hatte die Haltung eines Boxers angenommen, die Jacke abgelegt, die Aermel bis zum Ellenbogen aufgestreift und das Taschentuch schon um die Hand gewunden.

Briant, der sein kaltes Blut noch immer bewahrte, blieb bewegungslos stehen, als widerte es ihn an, sich mit einem seiner Kameraden zu schlagen und der kleinen Colonie damit ein schlechtes Beispiel zu geben.

»Du hast Unrecht gethan, mich zu beleidigen, Doniphan, sagte er, und jetzt thust Du ebenso Unrecht, mich herauszufordern! …

– Wahrhaftig, antwortete Doniphan mit möglichst verächtlichem Tone, man thut stets Unrecht, Diejenigen herauszufordern, welche auf Herausforderungen nicht zu antworten verstehen.

– Wenn ich darauf nicht antworte, erklärte Briant, so geschieht das, weil ich es nicht für passend hielt.

– Wenn Du nicht antwortest, erwiderte Doniphan, geschieht das nur, weil Du Furcht hast!

– Furcht! … Ich! …

– Weil Du ein Feigling bist!«

Briant trat mit erhobenen Armen entschlossen auf Doniphan zu, die beiden Gegner standen sich jetzt kampfbereit Auge in Auge gegenüber.

Bei den Engländern und selbst in den englischen Pensionen bildet das Boxen sozusagen einen Theil der Erziehung. Man will übrigens beobachtet haben, daß die in dieser Uebung gewandten jungen Leute Anderen gegenüber mit mehr Sanftmuth und Geduld auftreten und nicht bei jeder Gelegenheit einen Streit vom Zaune brechen.

Briant, der in seiner Eigenschaft als Franzose niemals Geschmack an diesem Austausche von Faustschlägen gefunden hatte, welche allein das Gesicht des Gegners zum Ziele haben, war hierin seinem Widersacher entschieden unterlegen. Denn letzterer galt mit Recht als vorzüglicher Faustkämpfer, wenn auch Beide sonst von gleichem Alter, sowie von gleicher Größe waren und sich an Körperkraft nichts nachgeben mochten.

Der Kampf sollte eben entbrennen und der erste Ansturm unternommen werden, als Gordon, dem Dole von dem Vorfalle Mittheilung gemacht, sich beeilte, zwischen die rauflustigen Knaben zu treten.

»Briant! … Doniphan! … rief er.

– Er hat mich einen Lügner geschimpft! … sagte Doniphan.

– Nachdem er mich des Betruges beschuldigt und einen Feigling genannt hat!« antwortete Briant.

Jetzt hatten sich Alle um Gordon versammelt, während die beiden Gegner, Briant mit gekreuzten Armen und Doniphan in der Haltung eines Boxers, einige Schritte zurückgetreten waren.

»Doniphan, begann da Gordon mit ernster Stimme, ich kenne Briant! … Er hat gewiß keinen Streit gesucht … Du hast sicher das erste Unrecht begangen!

– Wahrhaftig, Gordon, erwiderte Doniphan, daran erkenn‘ ich Dich wieder! … Immer bist Du bereit, gegen mich Partei zu nehmen.

– Ja … Doch nur, wenn Du es verdienst! erklärte Gordon.

– Einerlei! rief Doniphan. Ob das Unrecht nun von mir oder von Briant ausgegangen ist, er bleibt doch ein Feigling, wenn er einen Faustkampf mit mir ausschlägt!

– Und Du, Doniphan, bist ein bösartiger Bursche, der seinen Kameraden ein sehr schlechtes Beispiel gibt. Wie, in der traurigen Lage, in der wir uns befinden, sucht Einer von uns noch den Samen der Uneinigkeit auszustreuen? Das geht nicht, er muß sich zum Heile Aller zu zügeln wissen!

– Briant, sprich Gordon Deinen Dank aus! rief Doniphan. Doch nun, Achtung!

– Nein, nimmermehr! versetzte Gordon. Ich, als Euer Oberhaupt, verbiete hiermit jeden gewalttätigen Auftritt zwischen Euch! Du, Briant, geh‘ nach French-den zurück, und Du, Doniphan, lasse Deinen Zorn verrauchen, wo Du willst, aber komme nicht eher wieder zum Vorscheine, als bis Du eingesehen hast, daß ich nichts weiter als meine Pflicht that, Dir Unrecht zu geben!

– Ja! … Ganz richtig! … riefen die Anderen mit Ausnahme von Webb, Wilcox und Croß. Hurrah für Gordon! Hurrah für Briant!«

Gegenüber dieser überwältigenden Einmüthigkeit blieb ja nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Briant begab sich nach der Halle, und spät am Abend, als Doniphan zur Schlafenszeit wieder kam, verrieth er keine Neigung, dem Vorfalle weitere Folgen zu geben. Dennoch bemerkte man, daß noch ein dumpfer Groll in ihm schlummerte, daß seine Feindschaft gegen Briant nur gewachsen war und daß er niemals die Lection vergessen werde, welche ihm Gordon hatte zu Theil werden lassen. Uebrigens verwarf er auch jeden Versuch der Aussöhnung, den dieser machen wollte.

Diese traurigen Zwistigkeiten, welche die Ruhe der kleinen Colonie bedrohten, waren gewiß höchst bedauerlich. Doniphan hatte Wilcox, Croß und Webb auf der Seite, die seinem Einflusse völlig unterlagen und ihm in allen Stücken Recht gaben, ein Verhältniß, das leider eine zukünftige Trennung befürchten ließ.

Seit jenem Tage war jedoch von nichts dergleichen die Rede. Niemand machte eine Anspielung auf das, was zwischen den beiden Rivalen vorgefallen war, und die gewöhnlichen Arbeiten angesichts des herannahenden Winters nahmen ihren ungestörten Fortgang. Dieser (der Winter) ließ nicht lange auf sich warten. Während der ersten Wochen des Mai wurde die Kälte schon so fühlbar, daß Gordon die Oefen der Halle heizen und Tag und Nacht über in Brand halten ließ. Bald machte es sich auch nöthig, die Ställe in der Einhegung etwas zu erwärmen – eine Aufgabe, welche Service und Garnett zufiel.

Zu jener Zeit begannen auch einige Vögel schaarenweise davon zu ziehen. Nach welchen Gegenden wandten sie sich wohl hin? Offenbar nach mehr nördlich gelegenen Theilen des Stillen Weltmeeres oder nach dem amerikanischen Festlande, wo sie ein weniger rauhes Klima als auf der Insel Chairman fanden.

Unter diesen Vögeln waren in erster Linie Schwalben, diese reizenden Zugvögel, welche schnell die größten Entfernungen zurückzulegen im Stande sind. Da Briant’s Dichten und Trachten unausgesetzt darauf gerichtet war, Mittel zur Rückkehr in die Heimat ausfindig zu machen, kam er auf den Gedanken, den Fortgang dieser Vögel zu benutzen, um von der heutigen Lage der Schiffbrüchigen des »Sloughi« Meldung zu machen. Es hatte keine Schwierigkeit, einige Dutzend jener Schwalben, von der Art der Rauchschwalben, einzufangen, denn diese nisteten in der Nähe und fast noch im Inneren des Store-room selbst. Man befestigte ihnen dann am Halse ein kleines Leinwandsäckchen mit einem Zettelchen darin, der ungefähr den Theil des Stillen Oceans angab, in welchem die Insel Chairman zu suchen sei, und der die Bitte enthielt, davon Nachricht nach Auckland, der Hauptstadt von Neuseeland, zu geben.

Dann wurden die Schwalben freigelassen, und nicht ohne tief innerliche Erregung riefen die jungen Colonisten ihnen ein »Auf Wiedersehen« nach, als sie in der Richtung nach Nordosten verschwanden.

So gering die Aussicht auf günstigen Erfolg auch sein mochte, welche diese Maßregel versprach, that Briant gewiß recht daran, sie nicht zu vernachlässigen.

Vom 25. Mai ab fiel der erste Schnee, demnach einige Tage früher, als im vorigen Jahre. Und nach diesem vorzeitigen Eintritt des Winters konnte man wenigstens fürchten, daß derselbe ein sehr harter werden würde. Zum Glück war für Erwärmung, Beleuchtung und für die Nahrung in French-den auf längere Zeit hinaus gesorgt, ohne bezüglich der letzteren die Beute aus den South-moors zu rechnen, von denen aus mancherlei Thiere nach dem Ufer des Rio Sealand kamen und hier leicht erlegt oder gefangen wurden.

Schon seit mehreren Wochen waren warme Kleidungsstücke vertheilt worden, und Gordon wachte außerdem streng darüber, daß alle hygienischen Maßregeln auf’s Genaueste befolgt würden.

Während dieser langen Zeitperiode hallte French-den auch von einer geheimen Bewegung wider, welche die jugendlichen Köpfe mehr und mehr erhitzte. Das Jahr, für welches Gordon zum Oberhaupte der Insel Chairman ernannt worden war, ging nämlich mit dem 10. Juni zu Ende.

Dieser Umstand veranlaßte mehrfache vertrauliche Besprechungen, heimliche Zusammenkünfte, ja, man könnte sagen Intriguen, welche die ganze kleine Welt lebhaft erregten. Gordon verhielt sich dagegen, wie wir wissen, theilnahmlos, was aber Briant angeht, so kam es diesen als gebornen Franzosen gar nicht in den Sinn, die Leitung einer Colonie von Knaben zu übernehmen, von denen die größte Anzahl Engländer waren.

Im Grunde war derjenige, welcher sich, ohne es äußerlich zu zeigen, angesichts jener Wahl am meisten besorgt zeigte, niemand Anderes als Doniphan. Mit seiner wirklich hervorragenden Intelligenz und seinem von Niemand angezweifelten Muthe hätte er die besten Aussichten gehabt, wenn diese nicht durch seinen hochmüthigen Charakter, durch Herrschsucht und seine neidische Natur verdunkelt worden wären.

Ob er es nun für unzweifelhaft hielt, der Nachfolger Gordon’s zu werden, oder ob er nur zu stolz und eitel war, sich um die Stimmen der Anderen zu bewerben, jedenfalls gab er sich den Anschein vornehmer Zurückhaltung. Was er übrigens nicht offen that, das thaten für ihn seine speciellen Freunde. Wilcox, Webb und Croß bearbeiteten unter der Hand ihre Kameraden, ihre Stimmen für Doniphan abzugeben – vorzüglich die Kleinen, deren Unterstützung ja jetzt nicht zu verachten war. Da nun kein anderer Name genannt wurde, konnte Doniphan seine Erwählung mit einigem Rechte für gesichert betrachten.

Der 10. Juni kam heran.

Im Laufe des Nachmittags sollte die Wahlhandlung stattfinden. Jeder hatte dabei auf einen Zettel den Namen desjenigen zu schreiben, für den er sich als Oberhaupt entschied. Die Majorität sollte dann den Ausschlag geben. Da die Colonie vierzehn Mitglieder zählte – Moko als Neger konnte kein Wahlrecht beanspruchen und that das auch selbst nicht – so mußte schon eine Stimme über sieben, die sich auf denselben Namen vereinigten, die Wahl des neuen Oberhauptes entscheiden.

Die Wahlverhandlung begann um zwei Uhr unter dem Vorsitze Gordon’s und verlief mit jenem Ernste, den die angelsächsische Race allen Vorgängen dieser Art entgegenbringt.

Als die Stimmzettel eröffnet wurden, ergaben sie folgendes Resultat:

Briant acht Stimmen
Doniphan drei Stimmen
Gordon eine Stimme.

Weder Gordon noch Doniphan hatten in eigener Person an der Wahl theilnehmen wollen; Briant hatte seine Stimme für Gordon abgegeben.

Bei der Verkündigung dieses Ereignisses konnte Doniphan weder seine Enttäuschung verbergen, noch die tiefgehende Erregung, die er dabei empfand.

Sehr erstaunt, die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt zu sehen, war Briant zuerst nahe daran, die ihm zugedachte Ehre abzulehnen. Da mochte ihm noch ein anderer Gedanke kommen, denn nach einem flüchtigen Blick auf seinen Bruder Jacques sagte er:

»Meinen Dank, liebe Freunde, ich nehme die Wahl an!«

Von diesem Tage ab war also Briant für den Zeitraum eines Jahres das Oberhaupt der jungen Colonisten auf der Insel Chairman.

IV.

IV.

Der Signalmast. – Strenge Kälte. – Der Flamingo. – Die Weide. – Jacques‘ Geschicklichkeit. – Doniphan’s und Croß‘ Ungehorsam. – Der Nebel. – Jacques im Nebel. – Kanonenschüsse von French-den aus. – Die schwarzen Punkte. – Die Haltung Doniphan’s.

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Wenn sie ihre Stimme auf Briant vereinigten, so hatten dessen Kameraden damit seinem dienstwilligen Charakter, seinem Muthe, von dem er bei jeder, das Heil der Colonie betreffenden Gelegenheit Proben ablegte, und seiner unermüdlichen Ergebenheit für das allgemeine Interesse Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen. Seit jenem Tage, wo er sozusagen das Commando des Schooners während der unfreiwilligen Fahrt von Neuseeland bis zur Insel Chairman übernommen hatte, war er niemals vor einer Gefahr oder einer Anstrengung zurückgewichen. Trotz seiner Zugehörigkeit zu einer fremden Nationalität liebten ihn Alle, Große und Kleine, und vorzüglich die Letzteren, mit denen er sich stets so eifrig beschäftigte, und die denn auch einmüthig für ihn gestimmt hatten. Nur Doniphan, Croß, Wilcox und Webb wollten die guten Eigenschaften Briant’s nun einmal nicht anerkennen, obgleich sie recht wohl wußten, daß sie damit gegen den verdienstvollsten ihrer Kameraden ungerecht seien.

Gordon sah zwar voraus, daß dieser Ausfall der Wahlen die schon vorhandene Uneinigkeit nur vermehren und Doniphan nebst seinen Parteigängern vielleicht zu irgend einem beklagenswerthen Entschlusse verleiten würde, er beeilte sich aber doch, Briant seinen Glückwunsch darzubringen. Einerseits war er viel zu billig denkend, um die stattgefundene Wahl nicht anzuerkennen, und andererseits mußte es ihm selbst unangenehm sein, in der Zukunft nur das Rechnungswerk in French-den zu besorgen zu haben.

Von diesem Tage ab wurde es jedoch sichtbar, daß Doniphan und seine drei Kameraden entschlossen waren, diesen Zustand der Dinge nicht zu ertragen, obwohl Briant sich gelobt hatte, ihnen keine Gelegenheit zu irgend welchen Ausschreitungen zu geben.

Was Jacques anging, so hatte dieser nicht ohne eine gewisse Verwunderung seinen Bruder den Ausfall der Wahl ohne Widerspruch hinnehmen sehen.

»Du willst also? … sagte er ohne seinen Gedanken ganz auszusprechen, den Briant vollendete, indem er ihm mit verhaltener Stimme antwortete:

– Ja, ich will in der Lage sein, noch mehr thun zu können, als uns bisher gestattet war, um Deinen Fehler gut zu machen.

– Ich danke Dir, Bruder, erwiderte Jacques, und jedenfalls schone meiner nicht!«

Am nächsten Morgen begann wieder der gewöhnliche Verlauf dieses Lebens, das die langen Tage des Winters so eintönig machen sollten.

Vorher aber und ehe die strenge Kälte jeden Ausflug nach der Sloughi-Bai verhindern sollte, ergriff Briant eine Maßregel, die ihre Nützlichkeit bald zeigen sollte.

Wie bekannt war auf einem hohen Punkte auf dem Kamm des Auckland-hill ein Signalmast errichtet worden. Von der an der Spitze dieses Mastes flatternden Flagge, welche während einiger Wochen durch starke Seewinde zersetzt worden war, fanden sich nur noch einige Reste vor. Es erschien also von Wichtigkeit, diese durch ein anderes Zeichen zu ersetzen, das auch die winterlichen Stürme auszuhalten im Stande wäre. Auf Briant’s Rath befestigte Baxter eine Art Ballon, hergestellt aus biegsamen Rohrzweigen, wie solche am Ufer des Sumpfes in großer Menge wucherten, der schon deshalb haltbar sein mußte, weil der Wind durch das Geflecht hindurchdringen konnte. Nach Vollendung dieser Arbeit wurde ein letzter Zug nach der Bai unternommen, und zwar am 17. Juni, und Briant ersetzte nun die Flagge des Vereinigten Königreichs durch das neue Zeichen, das auf einen Umkreis von mehreren Meilen sichtbar war.

Inzwischen war der Zeitpunkt nicht mehr fern, wo Briant und seine »Unterthanen« sich in French-den eingeschlossen sehen mußten. Das Barometer stieg langsam, aber ununterbrochen weiter, was auf die Andauer strenger Kälte hindeutete.

Briant ließ die Jolle an’s Land ziehen und im Winkel der Anhöhe unterbringen. Hier wurde dieselbe mit einem dichten Pfortsegel bedeckt, um ein Auseinanderweichen der Fugen in Folge der Austrocknung zu verhindern. Ferner stellten Baxter und Wilcox wieder Schlingen in der Nähe der Einfriedigung und hoben auch neue Fallgruben am Saume der Traps-woods aus. Endlich wurden die Luftnetze längs des linken Ufers des Rio Sealand aufgespannt, um in ihren Maschen das Wasserwild zurückzuhalten, welches von heftigen Südwinden nach dem Innern der Insel verschlagen wurde.

Inzwischen machten Doniphan und zwei oder drei seiner Gefährten mit Hilfe ihrer Stelzen einige Ausflüge nach den South-moors, von denen sie niemals als »Schneider« heimkehrten, obwohl sie nur wenige Schüsse abgaben, da sich Briant bezüglich der Munition ebenso sparsam erwies, wie früher Gordon.

Während der ersten Julitage kam der Fluß nun zum Stehen. Einige Eisschollen, welche sich auf dem Family-lake bildeten, trieben erst mit der Strömung hinab. Bald häuften sich dieselben jedoch ein wenig stromabwärts von French-den an und erzeugten eine Eisstopfung, wonach auch die übrige Oberfläche des Flusses sich schnell mit einer festen Schicht bedeckte. Bei Fortdauer der Kälte, welche schon zwölf Grad unter dem Nullpunkte des hunderttheiligen Thermometers erreichte, mußte auch der See selbst in seiner ganzen Ausdehnung bald fest werden. Nach einer Reihe stark stürmischer Böen, welche diesen Vorgang noch etwas verzögerten, sprang der Wind nach Südwesten um, der Himmel klärte sich auf und die Temperatur erniedrigte sich bis auf zwanzig Grad unter dem Gefrierpunkt.

Das Programm für das Leben während des Winters wurde nun unter denselben Bedingungen wieder aufgenommen, wie es im vergangenen Jahre entworfen worden war. Briant hielt, wie man sagt, den Daumen darauf, ohne sich zu einem Mißbrauch seiner Autorität verleiten zu lassen. Alle gehorchten ihm übrigens gern, und Gordon erleichterte ihm seine Stellung wenigstens dadurch, daß er selbst das beste Beispiel von Gehorsam gab. Doniphan und seine Parteigänger ließen sich obendrein niemals eine Insubordination zu Schulden kommen. Sie beschäftigten sich mit der ihnen obliegenden Besorgung der Fallen, Schlingen, Dohnen und Luftnetze, hielten aber außerdem stets zusammen, sprachen nur mit gedämpfter Stimme und mischten sich so gut wie nie, selbst nicht bei Tische oder in den abendlichen Mußestunden, in das allgemeine Gespräch.

Ob sie einen Anschlag vorbereiteten, wußte man nicht, jedenfalls verhielten sie sich so, daß Briant keinen Grund hatte, ihnen einen Vorwurf zu machen oder sich sonst wie einzumischen. Er bemühte sich gerecht zu sein gegen Alle und nahm besonders peinliche und anstrengende Arbeiten oft auf sich, sowie er auch seinen Bruder nicht schonte, der mit ihm nach Kräften wetteiferte. Gordon glaubte sogar zu bemerken, daß Jacques‘ Charakter sich allmählig ändere, und Moko sah mit Vergnügen, daß der junge Knabe seit der gehabten Auseinandersetzung mit Briant sich den Vorschlägen seiner Kameraden zugänglicher zeigte und an deren Spielen mehr Theil nahm.

Die langen Stunden, welche der Frost in der Halle zuzubringen zwang, wurden mit geistigen Arbeiten ausgefüllt. Jenkins, Iverson, Dole und Costar machten die erfreulichsten Fortschritte, und während die Großen sie unterrichteten, lernten diese dabei auch selbst. An den langen Abenden las man abwechselnd mit lauter Stimme Reiseschilderungen, denen freilich Service die Lectüre seiner Robinsons vorgezogen hätte. Zuweilen ließ auch Garnett’s Ziehharmonika ihre herzzerreißenden Harmonien ertönen, welche der unglückselige Musiknarr mit bedauerlicher Hartnäckigkeit zum Besten gab. Andere sangen aus vollem Herzen verschiedene Kinderlieder, und nach Schluß des ergötzlichen Concerts suchten Alle ihre Lagerstätten auf.

Briant hörte inzwischen niemals auf, über die Möglichkeit einer Rückkehr nach Neuseeland nachzugrübeln. Das war’s, was ihm jederzeit am Herzen lag, und darin unterschied er sich von Gordon, welcher nur daran dachte, die Einrichtung der Colonie auf der Insel Chairman zu vervollständigen. Die Präsidentschaft Briant’s mußte sich also vorzüglich durch die Anstrengungen auszeichnen, die in der Absicht heimzukehren gemacht wurden. Er dachte zunächst immer an den weißlichen, von ihm seitwärts der Deception-Bai wahrgenommenen Fleck und fragte sich, ob dieser wohl einem in der Nachbarschaft der Insel gelegenen Lande angehöre. In diesem Falle schien es ihm nicht unmöglich zu sein, ein Fahrzeug zu erbauen, mit dem man wenigstens jenes Land erreichen könnte; sprach er darüber aber mit Baxter, so zuckte dieser nur die Achseln, um anzudeuten, daß eine solche Arbeit ihre Kräfte weit übersteige.

»Ach, warum sind wir nur Kinder! klagte dann Briant; ja, Kinder, wo wir doch Männer sein müßten!«

Das war und blieb sein größter Kummer!

Während der Winternächte kam es, obwohl die Sicherheit von French-den selbst ungefährdet schien, zu einzelnen Störungen. Wiederholt ließ Phann ein langes Bellen vernehmen, wenn Banden von Raubthieren – meist von Schakalen – die Einfriedigung umschwärmten. Dann eilten Doniphan und die Andern durch die Thür der Halle hinaus und indem sie Feuerbrände nach den unheimlichen Gesellen schleuderten, gelang es ihnen meist leicht, diese zu vertreiben.

Zwei- oder dreimal zeigten sich auch Jaguare und Cuguare in kleineren Gesellschaften in der Umgebung, ohne so nahe wie die Schakale heranzukommen. Diese empfing man mit Flintenschüssen, obgleich bei der Entfernung, aus der man auf sie feuerte, an eine tödtliche Verwundung derselben kaum zu denken war. Kurz, es machte zuweilen doch einige Mühe, den eingefriedigten Viehhof zu schützen.

Am 24. Juli fand Moko auch einmal Gelegenheit, sich auf’s neue als vortrefflicher Kochkünstler zu erweisen, indem er ein Stück Wildpret zubereitete, an dem sich Alle, die Einen als Leckermäuler, die Anderen als Feinschmecker, weidlich ergötzten.

Wilcox und Baxter, der dem ersteren gern seine Unterstützung lieh, hatten sich nicht begnügt, Fangapparate für kleinere Thiere, wie Geflügel und Nagethiere, herzustellen. Durch geeignete Zurichtung straff-elastischen Reisigs, wie solches zwischen den Baumstämmen der Traps-woods wuchs, gelang es ihnen, wirkliche Schlingen mit Laufknoten auch für größeres Wild zu verfertigen. Aehnliche Fallen werden häufig in den Wäldern auf den Fährten der Rehe errichtet und sie liefern nicht selten recht gute Ausbeute.

In den Traps-woods war es freilich kein Rehbock, sondern ein prächtiger Flamingo, der sich in der Nacht zum 24. Juli in einem solchen Laufknoten gefangen und aus dem er sich trotz aller Anstrengung nicht wieder hatte frei machen können. Am Morgen, als Wilcox die Fallen und Schlingen nachsah, war er schon von der seinen Hals einschnürenden Schlinge erwürgt. Dieser sorgsam gerupfte, sauber ausgenommene und mit einer Fülle aus aromatischen Kräutern schön nußbraun gebratene Flamingo wurde allgemein für ausgezeichnet erklärt. Sowohl von dem Bruststück wie von den Keulen erhielt Jeder reichlich zugetheilt, und obendrein noch ein kleines Stück von der Zunge, die wohl zu den leckersten Gerichten gehört, welche es unter dem blauen Himmelszelte gibt.

Die erste Hälfte des Monats August brachte vier sehr strenge Frosttage. Nicht ohne ängstliche Besorgniß sah Briant das Thermometer bis auf dreißig Centigrade unter Null herabsinken. Die Reinheit der Luft war dabei ganz unvergleichlich und wie es bei solchen starken Erniedrigungen der Temperatur häufig vorkommt, bewegte kein Windhauch die Atmosphäre.

Während dieser Zeit konnte Niemand French-den verlassen, ohne sofort bis auf die Knochen durchkältet zu werden, und den Kleinen wurde deshalb strengstens verboten, sich, und wäre es nur auf Augenblicke, der freien Luft auszusetzen. Selbst die Großen wagten das nur, wenn die Noth es erheischte, vor Allem also, um die Oefen in den Vieh- und Geflügelstallungen in Brand zu erhalten.

Zum Glück währte diese bittere Kälte nicht zu lange. Gegen den 6. August schlug der Wind mehr nach Westen um. Die Sloughi-Bai und das Ufergelände der Wrack-coast wurden jetzt von entsetzlichen Stürmen heimgesucht, welche, nachdem sie die Abhänge des Auckland-hill mit voller Wuth gepeitscht, über den Höhenzug mit einer Heftigkeit ohne Gleichen hinwegrasten. French-den hatte von ihnen jedoch nichts zu leiden. Es hätte mindestens eines Erdbebens bedurft, um dessen feste Wandungen zu erschüttern. Die unwiderstehlichsten Orkane, welche hochbordige Schiffe an die Küsten werfen und selbst steinerne Gebäude umstürzen, konnten der felsigen Uferhöhe, die sich nach dem Inselinneren fortsetzte, nichts anhaben. Bäume wurden allerdings in großer Menge geknickt, doch damit ersparten die jungen Holzfäller nur manche schwere Arbeit, wenn die Erneuerung des Brennmaterialvorrathes in Frage kam.

Diese Stürme hatten die wohlthätige Folge, den Zustand der Atmosphäre insoferne zu verändern, als sie das Aufhören der allzu strengen Kälte herbeiführten. Von derselben Zeit an erhob sich die Temperatur stetig, und nach Vorübergang der gewaltigen Luftstörungen hielt sie sich im Mittel auf sieben bis acht Grad unter dem Gefrierpunkte.

Die zweite Hälfte des August gestaltete sich recht erträglich. Briant konnte die Arbeiten draußen wieder aufnehmen lassen – natürlich mit Ausnahme des Fischfanges, denn noch deckte eine mächtige Eiskruste die Gewässer des Rio wie des Sees. Nun wurden fleißig die Fallgruben, Schlingen und Luftnetze untersucht, welche letztere stets reichliche Beute an Sumpfvögeln lieferten, so daß die Speisekammer immer mit frischem Wild, versorgt wurde.

Außerdem barg auch die Einfriedigung jetzt verschiedene neue Bewohner, sowohl junge Brut der Trappen und der Perlhühner, als auch fünf Lämmer, welche das Vicogne-Schaf geworfen und denen es an sorgfältiger Pflege seitens Service’s und Garnett’s nicht mangelte.

Unter diesen Verhältnissen kam Briant, da der Zustand des Eises das noch gestattete, auf den Gedanken, seinen Kameraden eine große Schlittschuhpartie vorzuschlagen. Mit einem länglichen Holzklötzchen und einer eisernen Klinge gelang es Baxter, mehrere Paare Schlittschuhe herzustellen. Die Knaben hatten übrigens alle mehr oder weniger Uebung in dieser Kunst, die zur Zeit des tiefen Winters in Neuseeland mit Vorliebe getrieben wird, und sie freuten sich herzlich auf die Gelegenheit, ihre Talente auf der Eisfläche des Family-lake zu erproben.

Am 25. August gegen elf Uhr Vormittags verließen also Briant, Gordon, Doniphan, Webb, Croß, Wilcox, Baxter, Service, Jenkins und Jacques, während sie Iverson, Dole und Costar der Ueberwachung durch Moko und Phann anvertrauten, die Wohnung, um eine Stelle aufzusuchen, wo sich ein ausgedehntes, glattes Eisfeld zum Schlittschuhlaufen eignen würde.

Briant hatte ein Nebelhorn vom Schooner mit sich genommen, um seine kleine Truppe zusammenzurufen, wenn sich Einer oder der Andere auf dem See gar zu weit entfernte. Alle hatten vor dem Aufbruche gefrühstückt und hofften vor dem Mittagsbrode zurück zu sein.

Sie mußten dem Ufer gegen drei Meilen weit nachgehen, ehe sich eine passende Eisbahn fand, da den Family-lake in der näheren Umgebung von French-den unregelmäßig zusammengefrorene Schollen bedeckten. Gegenüber den Traps-woods machten die jungen Leutchen Halt vor einer verlockend ebenen Eisfläche, welche sich nach Osten hin über Sehweite hin ausdehnte. Es wäre ein prächtiger Exercierplatz für eine Armee von Schlittschuhläufern gewesen.

Selbstverständlich hatten Doniphan und Croß ihre Gewehre mitgenommen, um bei sich bietender Gelegenheit etwas Wild zu erlegen. Briant und Gordon, welche an diesem Sporte einmal keinen Gefallen fanden, waren nur in der Absicht, Unklugheiten vorzubeugen, mit hierher gegangen.

Ohne Widerrede zeigten sich als die gewandtesten Läufer der kleinen Colonie Doniphan, Croß und vorzüglich Jacques, der den Anderen ebenso in der Schnelligkeit der Fortbewegung, wie in der Sicherheit, mit der er die verwickeltsten Bögen beschrieb, weit voranstand.

Bevor er das Zeichen zum Aufbruche gab, hatte Briant seine Kameraden um sich versammelt und sie folgendermaßen angeredet:

»Ich brauche Euch wohl nicht zu empfehlen, vernünftig zu sein und jede Eigenliebe bei Seite zu setzen. Ist auch nicht zu befürchten, daß das Eis brechen könnte, so kann man doch immer Arme oder Beine brechen. Entfernt Euch nicht über Gesichtsweite hinaus! Sollte sich Jemand aus Versehen doch zu weit hinaus verführen lassen, so vergeßt nicht, daß wir, Gordon und ich, Euch hier an dieser Stelle erwarten, und wenn ich ein Signal mit dem Horne gebe, hat Jeder die Pflicht, sich bei uns einzufinden.«

Nach Anhörung dieser Ermahnungen schweiften die Schlittschuhläufer auf den See hinaus, und Briant fühlte sich beruhigt, als er sie eine recht anerkennenswerthe Geschicklichkeit entfalten sah. Kamen zuerst auch einige Stürze vor, so erweckten diese doch nur ein allgemeines Gelächter.

In der That verrichtete Jacques wahre Wunder, indem er vorwärts, rückwärts, auf einem und auf zwei Füßen, aufgerichtet und zusammengekauert Bögen und Ellipsen mit tadelloser Genauigkeit beschrieb. Briant gewährte es daneben eine besondere Befriedigung, seinen Bruder an dem heiterem Spiele der Anderen theilnehmen zu sehen.

Möglicherweise empfand Doniphan, der allen körperlichen Uebungen so leidenschaftlich ergebene Sportsman, etwas wie Neid bei den Erfolgen Jacques‘, dem Alle herzlich zujubelten, wenigstens entfernte er sich, trotz der Warnungen Briant’s, bald weiter vom Ufer und gab auch Croß wiederholt ein Zeichen, ihm nachzufolgen.

»He, Croß, rief er dann, da draußen seh‘ ich ein Volk Enten … dort … dort, nach Osten zu. Kannst Du es erkennen?

– Ja wohl, Doniphan.

– Du hast Deine Flinte … ich die meinige … vorwärts, wir jagen sie!

– Briant hat aber untersagt …

– Ach, lass‘ mich zufrieden mit Deinem Briant! … Vorwärts! … Schnell vorwärts! …«

Fast im Handumdrehen hatten Doniphan und Croß eine halbe Meile hinter sich gebracht in Verfolgung der Schaar von Vögeln, welche über dem Family-lake kreisten.

»Wohin wollen sie? fragte Briant.

– Sie werden da draußen Wild gesehen haben, antwortete Gordon, und ihre Neigung zur Jagd …

– Oder vielmehr ihre Neigung zum Ungehorsam, erwiderte Briant. Das ist wieder der Doniphan …

– Glaubst Du, Briant, daß für sie etwas zu fürchten wäre?

– Wer weiß das, Gordon? … Eine Unklugheit bleibt es immer, sich von hier so weit fort zu wagen. Sieh‘ nur, wie entfernt sie schon sind!«

In schnellem Laufe davoneilend, erschienen Doniphan und Croß jetzt wirklich nur noch wie zwei Punkte am Horizonte des Sees.

Wenn sie auch, da noch mehrere Stunden Tageslicht bleiben mußten, Zeit genug hatten, zurückzukehren, begingen sie doch eine Unklugheit. Zu dieser Jahreszeit war nämlich immer ein plötzlicher Wechsel im Zustande der Atmosphäre zu befürchten. Ein Umschlag der Windrichtung hätte schon genügt, stärkere Böen oder andererseits Nebelbildungen hervorzurufen.

Man kann sich die Besorgnisse Briant’s also leicht vergegenwärtigen, als der Horizont gegen zwei Uhr sich schnell unter einer aufziehenden Nebelwand verbarg.

Auch jetzt waren Croß und Doniphan noch nicht wieder sichtbar geworden, und die über der weiten Seefläche sich anhäufenden Dunstmassen verhüllten schon gänzlich dessen westliches Ufer.

»Da haben wir, was ich fürchtete! rief Briant. Wie werden sie den Weg nun finden können?

– Durch ein Zeichen mit dem Horne! … Gieb ihnen ein Hornsignal!« antwortete Gordon rasch.

Dreimal ertönte das Horn und weithin verbreiteten sich dessen scharfe Tonwellen. Vielleicht gab ein Flintenschuß darauf Antwort – das einzige Mittel, welches Doniphan und Croß besaßen, um die Stelle, an der sie sich befanden, anzudeuten.

Briant und Gordon lauschten … Kein Knall drang zu ihren Ohren.

Inzwischen hatte der Nebel schon recht merklich ebenso an Dichtheit, wie an Ausdehnung zugenommen, und jetzt wälzte er sich kaum noch eine Viertelmeile vom Ufer heran. Da er gleichzeitig auch nach den höheren Luftschichten aufstieg, mußte der See unter ihm binnen wenigen Minuten völlig verschwunden sein.

Briant rief nun diejenigen seiner Kameraden, welche sich in Sehweite gehalten hatten, zusammen. Einige Minuten später waren Alle am Ufer angekommen.

»Was nun? … fragte Gordon.

– Wir werden Alles versuchen müssen, Croß und Doniphan wieder aufzufinden, ehe sie sich noch völlig im Nebel verirrt haben. Einer von uns muß sich in der von ihnen eingeschlagenen Richtung hinauswagen und seine Gegenwart durch wiederholte laute Hornsignale kundzugeben suchen.

»Ich will sofort hinausfahren! meldete sich Baxter.

– Wir auch! riefen zwei oder drei Andere.

– Nein! … Ich werde selbst gehen! erklärte Briant.

– Du nicht, sondern ich, Bruder! widersprach ihm Jacques. Auf meinen Schlittschuhen soll es nicht lange dauern, bis ich Doniphan und Croß eingeholt habe …

– Nun gut … antwortete Briant. Geh‘ hinaus, Jacques, und achte wohl darauf, ob Du keine Flintenschüsse hörst … Doch halt, nimm hier auch das Horn mit, um ihnen Deinen jeweiligen Standpunkt erkennbar zu machen!

– Gewiß, Briant!»

Einen Augenblick später war Jacques schon inmitten des immer undurchsichtiger werdenden Nebels verschwunden.

Briant, Gordon und die Uebrigen strengten sich an, die von Jacques gegebenen Hornsignale zu vernehmen, doch auch diese erstarben bald in Folge der zu großen Entfernung.

So verlief eine halbe Stunde ohne ein Merkzeichen von den Abwesenden, weder von Croß oder Doniphan, welche sich auf dem See gewiß nicht mehr zurechtfinden konnten, noch von Jacques, der zu ihrer Aufsuchung hinausgefahren war.

Was sollte aber aus allen Dreien werden, wenn die Nacht herabsank, ehe sie zurückgekehrt waren?

»Wenn wir nur Feuerwaffen hier hätten, rief Service, vielleicht wär‘ es möglich …

– Schußwaffen? antwortete Briant. Die gibt’s ja noch in French-den! … Auf, es ist keine Minute zu verlieren!«

Das war gewiß das beste Auskunftsmittel, denn es schien von hoher Wichtigkeit, ebenso wie Croß und Doniphan, auch Jacques selbst die Richtung zu bezeichnen, welcher sie zu folgen hatten, um auf das Ufer des Family-lake zu treffen. Am besten war es also, schleunigst nach French-den zurückzukehren, wo durch von Zeit zu Zeit wiederholte Schüsse Signale abgegeben werden konnten.

In weniger als einer halben Stunde hatten Briant, Gordon und alle Anderen die drei Meilen zurückgelegt, welche sie von der Sport-terrace trennten.

Bei dieser Gelegenheit konnte von Schonung des Pulvers nicht die Rede sein. Wilcox und Baxter luden zwei Gewehre, welche in der Richtung nach Osten abgefeuert wurden.

Keine Antwort; weder ein Schuß, noch der Ton eines Hornes.

Es war schon um dreieinhalb Uhr. Der Nebel zeigte eher noch Neigung, sich zu verdichten, je weiter die Sonne nach der Kette des Auckland-hill zu niedersank. Durch die schweren Dunstmassen war es ganz unmöglich, auf dem See etwas zu erkennen.

»Holt die Kanone!« rief Briant.

Das eine der kleinen Signalgeschütze vom »Sloughi« – dasselbe, dessen Rohr gewöhnlich durch die Wandöffnung neben der Thüre der Halle lugte – wurde nach der Sport-terrace geschleppt und nach Nordosten gerichtet.

Man lud dasselbe mit einer sogenannten Platzpatrone, und Baxter wollte schon die Leine des Schlaghahnes anziehen, als Moko noch den Vorschlag machte, einen Pfropfen von eingefettetem Grase vor die Kartusche festzustampfen. Er glaubte zu wissen, daß hierdurch der Knall verstärkt würde, und er täuschte sich auch nicht.

Der Schuß donnerte hinaus – nicht ohne daß Dole und Costar sich dabei die Ohren fest zuhielten.

Bei der so vollkommen ruhigen Atmosphäre war gar nicht anzunehmen, daß der Knall nicht bis zur Entfernung von mehreren Meilen gehört werden müßte.

Man lauschte … Nichts!

Noch während einer ganzen Stunde wurde das kleine Geschütz von zehn zu zehn Minuten in gleicher Weise abgefeuert. Daß Doniphan, Croß und Jacques die Bedeutung dieser wiederholten Schüsse mißverstehen sollten, welche bestimmt waren, ihnen die Lage von French-den anzudeuten, war gar nicht glaublich. Die Entladungen mußten auch auf der ganzen Oberfläche des Family-lake vernehmbar sein, denn gerade nebelige Luft ist für weite Fortpflanzung des Schalles besonders geeignet und diese Eigenschaft nimmt mit der Verdichtung derselben nur noch mehr zu.

Endlich, kurz vor fünf Uhr, wurden zwei oder drei noch sehr entfernte Flintenschüsse deutlich in der Richtung von Nordosten her auf der Sport-terrace vernommen.

»Das sind sie?« rief Service.

Sofort antwortete Baxter noch ein letztes Mal auf das Signal Doniphan’s.

Einige Minuten später wurden zwei Schattengestalten durch den Nebel sichtbar, der über dem Ufer etwas weniger dicht als über dem See lagerte. Bald antworteten freudige Hurrahs auf die gleichen Rufe von der Sport-terrace.

Doniphan und Croß kamen endlich an.

Jacques war nicht mit ihnen.

Nun denke man sich die tödtliche Angst Briant’s! Sein Bruder hatte die beiden Jäger nicht finden können, die nicht einmal seine Hornsignale hörten. Croß und Doniphan, welche sich zurecht zu finden bemühten, hatten sich zu derselben Zeit schon nach dem Süden des Sees gewendet, als Jacques nach Osten hinausflog, um sie zu entdecken. Ohne die von French-den aus abgegebenen Kanonenschüsse hätten sie den richtigen Weg freilich nicht wiederfinden können.

Die Gedanken nur auf seinen im Nebel verirrten Bruder gerichtet, fiel es Briant gar nicht ein, Doniphan Vorwürfe zu machen, dessen Ungehorsam so ernste Folgen zu haben drohte. War Jacques gezwungen, auf dem See die ganze Nacht bei einer Temperatur zu verbringen, welche vielleicht bis auf fünfzehn Grad unter Null herabging, wie hätte er eine solche strenge Kälte aushalten können!

»Ich hätte an seiner Statt gehen sollen … ich!« wiederholte Briant, dem Gordon und Baxter vergeblich einige Hoffnung einzuflößen versuchten.

Noch einige Kanonenschüsse wurden abgegeben. Hatte Jacques sich French-den genähert, so mußte er sie gehört haben, und hätte es dann gewiß nicht unterlassen, seine Anwesenheit durch einige Signale mit dem Horne zu erkennen zu geben.

Als sich die letzten rollenden Töne aber in der Ferne verloren, blieben die Schüsse ohne jede Antwort.

Schon brach nun die Nacht herein und die Dunkelheit mußte bald die ganze Insel einhüllen.

Da trat aber eine günstige Aenderung der Verhältnisse ein – der Nebel schien geneigt, sich zu zerstreuen. Eine leichte Brise, welche von Westen her wehte, wie das fast jeden Abend nach windstillen Tagen der Fall war, trieb die Dunstmassen nach Osten zurück und legte damit die Oberfläche des Family-lake wieder frei. Bald konnte die einzige Schwierigkeit, French-den aufzufinden, nur noch im nächtlichen Dunkel liegen.

Unter diesen Umständen gab es nur noch ein Hilfsmittel, nämlich die Anzündung eines großen Feuers am Ufer, welches als Signal dienen konnte. Schon häuften Wilcox, Baxter und Service auch trockenes Holz in der Mitte der Sport-terrace auf, als Gordon sie aufhielt.

»Wartet ein wenig!« sagte er.

Das Fernrohr vor den Augen, blickte Gordon aufmerksam in der Richtung nach Nordosten hinaus.

»Mir scheint, ich sehe da einen Punkt … sagte er, einen Punkt, der sich auch bewegt« …

Jetzt ergriff Briant das Glas und lugte auch selbst hinaus.

»Gott sei gelobt! … Er ist es! … rief er. Das ist Jacques! … Ich erkenne ihn!« …

Da stießen Alle aus vollem Halse laute Rufe aus, als könnten sie sich bis auf eine Entfernung, welche mindestens noch eine Meile betragen mochte, vernehmbar machen.

Jedenfalls verminderte sich diese Entfernung sichtlich. Die Schlittschuhe an den Füßen, glitt Jacques mit der Schnelligkeit eines Pfeiles über die Eisdecke des Sees hin und auf French-den zu. Nur noch wenige Minuten und er mußte daselbst angelangt sein.

»Es sieht aus, als wenn er nicht allein käme!« rief da Baxter mit dem Ausdrucke von Verwunderung.

Wirklich ließ eine genauere Beobachtung zwei weitere Punkte erkennen, welche sich einige Schritte hinter Jacques mit diesem fortbewegten.

»Was ist denn das? … fragte Gordon.

– Sollten es Menschen sein? … meinte Baxter.

– Nein! … Ich würde es eher für Thiere ansehen! … sagte Wilcox.

– Vielleicht sind es gar Raubthiere!« … rief Doniphan.

Er täuschte sich nicht und ohne Zögern eilte er, das Gewehr in der Hand, Jacques entgegen.

Binnen wenigen Augenblicken hatte Doniphan den jüngeren Knaben erreicht und zwei Schüsse auf die Raubthiere abgegeben, welche verdutzt Kehrt machten und bald aus dem Gesichte entschwanden.

Es waren zwei Bären, deren Vorkommen man unter der Fauna der Insel Chairman nicht vermuthet hatte. Doch, da diese furchtbaren Raubgesellen sich auf der Insel zeigten, wie war es gekommen, daß die Jäger bisher noch keine Spur von ihnen entdeckt hatten? Sollte man annehmen, daß sie dieselbe für gewöhnlich nicht bewohnten und daß sie nur zur jetzigen Winterszeit, indem sie entweder über das zugefrorene Meer herkamen oder von davontreibenden Eisschollen getragen wurden, in diese Gegend verschlagen waren? Wies das nicht auf ein Festland in der Nähe der Insel hin? … Dieser Gedanke schien des Erwägens werth.

Doch, wie dem auch sein mochte, jedenfalls war Jacques gerettet und sein Bruder drückte ihn herzlich in die Arme.

Glückwünsche, Umarmungen und warme Händedrücke fehlten dem muthigen Knaben überhaupt nicht. Nach vergeblichen Versuchen, seine Kameraden durch Hornsignale anzurufen, hatte auch er sich in dem überaus dichten Nebel so verirrt, daß er sich nicht mehr zurechtfinden konnte, als er das erste Krachen des Geschützes vernahm.

»Das kann nur die Kanone von French-den sein!« hatte er sich gesagt, während er die Richtung, woher der Schall kam, zu erkennen suchte.

Er befand sich da mehrere Meilen vom Ufer im Nordosten des Sees. Sofort eilte er in der ihm angedeuteten Richtung in größter Schnelligkeit auf den Schlittschuhen dahin.

Plötzlich, als der Nebel sich etwas lockerte, bemerkte er zwei große Bären, die auf ihn zutrabten. Trotz der drohenden Gefahr verließ ihn seine Kaltblütigkeit jedoch keinen Augenblick, und Dank der Schnelligkeit seines Laufes konnte er die Thiere von sich fernhalten. Beim ersten unglücklichen Sturze wäre er dagegen verloren gewesen.

Da nahm er Briant bei Seite und sagte zu ihm, während Alle nach French-den zurückkehrten:

»Ich danke Dir, Bruder, danke Dir von Herzen, daß Du mir gestattet hast« …

Briant drückte ihm, ohne zu antworten, warm die Hand.

Als dann Doniphan die Thürschwelle der Halle überschritt, sagte er zu diesem:

»Ich hatte Dir verboten, Dich zu entfernen, und Du siehst, daß Deine Unfolgsamkeit beinahe schweres Unglück herbeigeführt hätte. Doch, obwohl Du entschieden ein Unrecht begangen, Doniphan, bin ich Dir noch Dank schuldig, daß Du Jacques so bereitwillig zu Hilfe geeilt bist.

– Ich habe nicht mehr als meine Pflicht gethan,« antwortete Doniphan kühl.

Und er nahm nicht einmal die Hand, die ihm sein Kamerad freundlich entgegenstreckte.