X.

Die Schaluppe des »Severn«. – Costar krank. – Die Rückkehr der Schwalben. – Entmuthigung. – Die Raubvögel. – Das durch eine Kugel getödtete Guanako. – Der Rest in der Pfeife. – Strengere Wacht. – Heftiger Sturm. – Ein Knall. – Ein Aufschrei Kate’s.

———

Am folgenden Tage und nach einer Nacht, während der Moko die Wache in French-den übernommen hatte, erwachten die von der gestrigen Aufregung ergriffenen jungen Colonisten erst zu sehr später Stunde. Dann aber sofort sich erhebend, begaben sich Gordon, Doniphan, Briant und Baxter nach dem Store-room, wo Kate mit den gewohnten Arbeiten beschäftigt war.

Hier besprachen sie sich über ihre Lage, welche noch immer eine höchst unsichere blieb.

Jetzt waren, wie Gordon bemerkte, schon vierzehn Tage verflossen, seit Walston und dessen Begleiter sich auf der Insel aufhielten. Wenn die Ausbesserung der Schaluppe also bis jetzt nicht beendet war, so konnte das nur an dem Fehlen der zu einer solchen Arbeit notwendigen Werkzeuge liegen.

»Das muß wohl so sein, sagte Doniphan, denn eigentlich schien mir jenes Boot gar nicht so sehr beschädigt. Wäre unser »Sloughi« durch seine Strandung nicht ärger zugerichtet gewesen, so wäre es uns bestimmt gelungen, ihn wieder in seetüchtigen Zustand zu versetzen.«

Wenn Walston indeß noch nicht abgefahren war, so durfte man deshalb noch nicht annehmen, daß es seine Absicht sei, sich auf der Insel Chairman festzusetzen. Denn dann hätte er unzweifelhaft auch das Innere derselben schon eingehender besichtigt, und French-den konnte dabei von seinem Besuche nicht verschont bleiben.

Dieser Darlegung ließ Briant nun eine kurze Schilderung dessen folgen, was er in der Luft gesehen, und erklärte mit Bestimmtheit, daß nach Osten hin in nicht zu großer Entfernung Land zu finden sein müsse.

»Ihr habt nicht vergessen, daß ich bei Gelegenheit unseres ersten Ausfluges nach der Mündung des East-river einen weißlichen Fleck nicht hoch über dem Horizonte wahrnahm, dessen Natur ich mir damals nicht erklären konnte …

– Wilcox und ich haben freilich nichts Aehnliches entdecken können, antwortete Doniphan, obgleich auch wir uns bemühten, jenen Fleck aufzufinden …

– Moko hat ihn ebenso bestimmt wahrgenommen, erwiderte Briant.

– Zugegeben! Es kann ja sein! entgegnete Doniphan; doch was berechtigt Dich zu der Annahme, daß wir uns in der Nähe eines Festlandes oder einer Inselgruppe befinden?

– So hört mich an, sagte Briant. Gestern Nacht, als ich den Horizont in jener Richtung ins Auge faßte, unterschied ich einen Lichtschein, der unzweifelhaft außerhalb der Insel zu suchen war und der nur von einem in Ausbruch befindlichen Vulcan herrühren konnte. Ich schloß daraus, daß in jener Gegend also ein Land liegen müsse. Die Matrosen auf dem »Severn« müssen das selbstverständlich wissen und sie werden Alles daran setzen, dorthin zu gelangen.

– Das ist nicht zu bezweifeln, antwortete Baxter. Was würden sie mit ihrem längeren Verweilen hier gewinnen? Offenbar rührt der Umstand, daß wir von ihrer Anwesenheit noch nicht befreit sind, davon her, daß sie ihre Schaluppe noch nicht genügend auszubessern vermochten.«

Was Briant hier seinen Kameraden mittheilte, war von größter Wichtigkeit. Es gab ihnen die Gewißheit, daß die Insel Chairman nicht, wie sie geglaubt hatten, ganz isolirt in diesem Theile des Stillen Oceans gelegen war. Was die Sache aber noch verschlimmerte, war der Umstand, daß Walston sich, nach der Wahrnehmung seines Lagerfeuers, tatsächlich jetzt in der Nähe der Mündung des East-river aufhielt. Nachdem er die Küste der Severn-shores verlassen, war er nun um etwa zwölf Meilen näher hierher gekommen. Er brauchte nur noch den East-river hinauf zu gehen, um in Sicht des Sees zu gelangen, und um dessen Südspitze herumzuziehen, um French-den zu entdecken.

Gegenüber dieser Möglichkeit mußte Briant die strengsten Maßregeln anordnen. Alle Ausflüge wurden von jetzt ab auf das Notwendigste beschränkt und sollten sich nicht einmal mehr auf dem linken Ufer des Rio bis nach den Dickichten der Bog-woods ausdehnen.

Gleichzeitig verbarg Baxter die Umpfählung seines Viehhofes, ebenso wie die beiden Eingänge zur Halle und zum Store-room durch ein Gewirr von Buschwerk und Zweigen. Endlich erging das Verbot, sich in dem Theile zwischen dem See und dem Auckland-hill erblicken zu lassen. Die Notwendigkeit, sich solchen peinlichen Beschränkungen zu fügen, vermehrte begreiflicher Weise noch die ohnehin unerquickliche Lage.

Jener Zeit gab es auch noch andere Gründe zu ernster Besorgniß. Costar wurde von einem Fieber ergriffen, das sein Leben zu bedrohen schien. Gordon mußte dagegen zur Apotheke des Schooners seine Zuflucht nehmen, fürchtete dabei aber immer, einen Irrthum begehen zu können. Glücklicherweise that Kate für den Kranken, was eine Mutter für ihr eigenes Kind nur hätte thun können. Sie pflegte ihn mit jener verständigen Sorgfalt, welche ein natürliches Erbtheil der Frauen zu sein scheint, und wachte Tag und Nacht an seiner Seite. Dank ihrer Aufopferung ließ das Fieber endlich nach und die damit deutlich eintretende Besserung des Zustandes nahm ihren ununterbrochenen Verlauf. Ob sich Costar wirklich in Lebensgefahr befunden, hätte man vielleicht kaum entscheiden können; ohne die ihm zu Theil gewordene Pflege war es aber immerhin denkbar, daß das Fieber den kleinen Kranken hätte aufreiben können.

Wahrlich, wäre Kate nicht dagewesen, so wüßte man nicht, welchen Ausgang die Krankheit nehmen konnte, und wir wiederholen hier gerne, daß die vortreffliche Frau den jüngsten Kindern der Colonie alle mütterliche Zärtlichkeit widmete, die ihr Herz nur bergen mochte, und daß sie gerade diesen gegenüber niemals mit ihren Liebkosungen geizte.

»’S ist eben so meine Natur, Ihr kleinen Papooses! sagte sie stets. Ich muß einmal immer stricken und flicken und hätscheln und tätscheln!«

In der That kennzeichnete dieses Geständniß die brave Frau vollkommen.

Eine der wichtigsten Beschäftigungen Kate’s bestand übrigens in der Instandhaltung der Wäsche in French-den. Zu ihrem großen Leidwesen war diese stark abgenützt, was ja nach zwanzigmonatlichem Gebrauch nicht auffallen kann. Doch, wie sollte sie ersetzt werden, wenn sie ganz unbrauchbar geworden war? Und auch das Schuhwerk erwies sich, obwohl es so viel wie möglich geschont wurde und Niemand sich daran stieß, bei passender Witterung barfuß zu gehen, in recht traurigem Zustande. Alles das mußte die vorsorgliche Aufwärterin natürlich mit rechter Sorge erfüllen.

Die ersten vierzehn Tage des Novembers waren durch häufige Platzregen ausgezeichnet. Vom 17. an stieg wieder das Barometer auf »schön Wetter« und es trat eine jener Zeit entsprechende Wärmeperiode ein. Bäume, Büsche und Sträucher, die ganze Pflanzenwelt war bald nichts weiter als Grün und Blüthen. Auch die gewöhnlichen Bewohner der South-moors kehrten jetzt in großer Anzahl zurück. Welcher Schmerz für Doniphan, jetzt auf die Jagd in den Sümpfen verzichten zu müssen, und für Wilcox, nicht seine Luftnetze ausspannen zu können, aus Furcht, daß diese von den unteren Ufergebieten des Family-lake wahrgenommen werden könnten.

Doch nicht nur eßbares Geflügel schwärmte jetzt auf diesem Theile der Insel umher, sondern auch andere Vögel wurden in den Dohnen in der Nähe von French-den gefangen.

Unter den letzteren fand Wilcox eines Tages auch einen jungen Zugvogel, welchen der Winter nach den unbekannten Ländern weiter im Norden geführt hatte. Es war das eine Schwalbe, welche noch immer das unter ihrem Flügel befestigte Säckchen trug. Enthielt derselbe wohl ein an die jungen Schiffbrüchigen vom »Slonghi« gerichtetes Billet? … Leider nein! … Der Bote war ohne Antwort zurückgekommen.

Wie schleppend vergingen bei diesen Tagen ohne Beschäftigung jetzt die Stunden in der Halle! Baxter, dem es oblag, das Tagebuch zu führen, hatte darin gar nichts mehr einzutragen, und vor Ablauf von vier Monaten sollte für die jugendlichen Colonisten der Insel Chairman nun schon der dritte Winter beginnen!

Nicht ohne tiefe Betrübniß konnte man jetzt die tiefe Entmuthigung beobachten, welche sich auch der thatkräftigsten Naturen bemächtigte – mit Ausnahme Gordon’s, der stets mit den Einzelheiten seiner Verwaltung beschäftigt war. Selbst Briant fühlte sich zuweilen recht niedergedrückt, obwohl er alle Seelenstärke zusammenraffte, das nicht merken zu lassen. Er versuchte dagegen vielmehr dadurch anzukämpfen, daß er seine Kameraden antrieb, ihre Studien fortzusetzen, die festgesetzten Zusammenkünfte abzuhalten und mit lauter Stimme zu lesen. Er rief in ihnen unaufhörlich die Erinnerung an die Heimat und an ihre Eltern wach, die sie gewiß einst wiedersehen würden. Endlich bemühte er sich auch, ihre moralische Kraft zu erhalten, ohne damit viel auszurichten, und es blieb seine größte Sorge, daß diese von der Verzweiflung zuletzt ganz erdrückt werden könne.

Soweit sollte es freilich nicht kommen. Uebrigens zwangen sie sehr ernste Vorkommnisse, bald mit ihrer Person für das allgemeine Interesse einzutreten.

Am 21. November gegen 2 Uhr Nachmittags war Doniphan am Gestade des Family-lake gerade mit Angeln beschäftigt, als seine Aufmerksamkeit davon durch das unharmonische Geschrei von etwa zwanzig Vögeln abgelenkt wurde, welche über dem linken Ufer des Rio kreisten. Wenn das keine Raben waren – denen sie einigermaßen ähnelten – so hätten sie wenigstens verdient, dieser gefräßigen, krächzenden Rasse anzugehören.

Doniphan hätte sich um die lautschwärmende Schaar immerhin nicht gekümmert, wenn ihr Verhalten nicht etwas besonders Auffallendes gezeigt hätte. Die Vögel beschrieben nämlich weite Kreise, deren Umfang sich mit ihrer Annäherung zur Erde immer mehr verminderte; dann stürzten sie plötzlich, zu einer dichten Gruppe vereinigt, nach dem Erdboden nieder.

Hier verdoppelte sich nun ihr Geschrei; Doniphan suchte sie aber vergeblich unter dem hohen Grase, in welchem sie verschwunden waren, zu entdecken.

Da kam ihm der Gedanke, daß an jener Stelle wohl der todte Körper eines Thieres liegen möge. Neugierig zu erfahren, um was es sich handle, kehrte er nach French-den zurück und bat Moko, ihn mit der Jolle nach dem anderen Ufer des Rio Sealand überzuführen.

Beide bestiegen das kleine Boot und zehn Minuten später glitten sie über den Grasteppich des Ufergeländes hinauf. Sofort flatterten die Vögel auf und erhoben jetzt mit lautem Geschrei Widerspruch gegen die ungelegenen Störenfriede, welche sie bei ihrer Mahlzeit unterbrachen.

An der betreffenden Stelle lag der Körper eines jungen Guanako, das erst seit einigen Stunden todt sein konnte, da es noch nicht einmal ganz erkaltet war.

Doniphan und Moko hatten natürlich keine Lust, die Reste der Vogelmahlzeit für die Küche zu benützen und wollten den Thieren schon wieder den Platz räumen, als sich ihnen noch die Frage aufdrängte, wie und wodurch das Guanako hier am Rande des Sumpfes und fern von den östlichen Wäldern zusammengesunken sei, welche seine Genossen sonst niemals verließen.

Doniphan untersuchte das Thier. An der Seite hatte dasselbe eine noch blutende Wunde, welche nicht vom Zahn eines Jaguars oder eines anderen Raubthieres herrührte.

»Dieses Guanako hat offenbar einen Schuß erhalten, bemerkte Doniphan.

– Hier ist dafür der Beweis!« antwortete der Schiffsjunge, der, nachdem er die Wunde mit seinem Messer sondirt, daraus eine Kugel hervorbrachte.

Diese Kugel zeigte weit mehr das Kaliber der auf Schiffen gebräuchlichen Gewehre, als das einer Jagdflinte. Sie konnte also nur von Walston oder von einem Gefährten desselben abgefeuert sein.

Doniphan und Moko begaben sich, den Körper des Guanako den Vögeln überlassend, nach French-den zurück und besprachen sich da mit ihren Kameraden.

Daß das Guanako von einem Matrosen des »Severn« niedergeschossen worden war, dafür lag der Beweis darin, daß weder Doniphan noch sonst ein Anderer seit einem Monate einen Flintenschuß abgegeben hatte. Von Wichtigkeit schien es aber hierbei, zu wissen, zu welcher Zeit und an welchem Orte das Guanako diese Kugel erhalten hatte.

Nach Prüfung aller Muthmaßungen erschien es ausgemacht, daß der Vorgang nicht mehr als fünf bis sechs Stunden zurückzuverlegen sei – die nothwendige Zeit, in welcher das Thier, nachdem es die Downs-lands passirt, bis auf wenige Schritte vom Rio gelangen konnte. Daraus folgte weiter, daß einer der Leute Walston’s im Laufe des Morgens in der Nähe der Südspitze des Family-lake gejagt haben mußte, und daß die Bande nach Ueberschreitung des East-river, sich der Gegend von French-den mehr und mehr näherte.

So verschlimmerte sich ihre Lage recht bedeutend, obgleich eine augenblicklich drohende Gefahr nicht vorlag. Den südlichen Theil der Insel erfüllte jene weite Ebene mit Bächen, einzelnen Weihern und Dünenzügen, wo das vorhandene Wild für die tägliche Ernährung der Bande kaum genügen konnte. Es wurde also wahrscheinlich, daß Walston nicht durch die Downs-lands gezogen sein werde. Uebrigens hatte man keinen verdächtigen Knall gehört, den der Wind hätte bis zur Sport-terrace tragen müssen, und es war zu hoffen, daß die Lage von French-den bisher noch nicht entdeckt sein würde.

Nichtsdestoweniger mußte man jetzt alle von der Klugheit gebotenen Maßregeln mit erneuerter Strenge durchführen. Sollte ein Angriff mit einiger Aussicht auf Erfolg abgeschlagen werden können, so war es unter der Bedingung, daß die jungen Kolonisten sich nicht außerhalb der Halle überrumpeln ließen.

Einige Tage später vergrößerte eine bezeichnende Thatsache noch diese Besorgnisse, und zwang zur Anerkennung der Thatsache, daß die Sicherheit jetzt mehr als jemals in Frage gestellt sei.

Am 24. gegen neun Uhr Vormittags hatten sich Briant und Gordon über den Rio Sealand hinausbegeben, um zu sehen, ob es nicht nützlich sei, quer über den schmalen Fußpfad, der zwischen See und Sumpf verlief, eine Art Brustwehr aufzuschütten. Unter dem Schutze dieser Brustwehr mußten Doniphan und die besten Schützen schnell Aufstellung nehmen können, wenn das Eintreffen Walston’s zeitig genug gemeldet wurde.

Beide befanden sich eben höchstens dreihundert Schritte jenseits des Rio, als Briant den Fuß auf einen Gegenstand setzte, den er dabei zertrat. Er war darauf nicht besonders aufmerksam geworden, da er meinte, es werde eine von den unzähligen Muscheln gewesen sein, welche bei der Springfluth, die allemal die South-moors überschwemmte, mit hierher gespült worden sei. Gordon, welcher hinter ihm ging, hielt ihn jedoch an und sagte:

»Warte, Briant, warte doch!

– Was giebt’s denn?«

Gordon bückte sich und hob den zertretenen Gegenstand auf.

»Da sieh!« sagte er.

– Das ist ja keine Muschel, antwortete Briant, das ist …

– Das ist eine Pfeife!«

In der That hielt Gordon eine schwärzlich gebrannte Thonpfeife in der Hand, deren Rohr dicht am Anfang des Kopfes gebrochen war.

»Da Keiner von uns raucht, sagte Gordon, muß diese Pfeife verloren worden sein und zwar durch …

– Durch ein Mitglied der Verbrecherbande, vollendete Briant den Satz, sie müßte denn dem schiffbrüchigen Franzosen, unserem Vorgänger auf der Insel Chairman, zugehört haben.«

Nein, der Pfeifenkopf, dessen Bruchflächen ganz frisch waren, hatte niemals im Besitz des wenigstens schon vor zwanzig Jahren verstorbenen François Baudoin gewesen sein können. Er war ganz bestimmt hier erst vor kurzer Zeit zur Erde gefallen und, das darin noch befindliche Restchen Tabak lieferte den unanfechtbaren Beweis, vor wenig Tagen, vielleicht vor wenig Stunden, war demnach einer der Genossen Walston’s oder Walston selbst bis nahe ans Ufer des Family-lake vorgedrungen.

Gordon und Briant kehrten sofort nach French-den zurück. Hier konnte Kate, der Briant den Pfeifenkopf zeigte, bestätigen, daß sie denselben in den Händen Walston’s gesehen habe.

Es unterlag also keinem Zweifel mehr, daß die Uebelthäter schon bis über die äußerste Spitze des Sees gelangt waren. Vielleicht hatten sie während der Nacht gar das Ufer des Rio Sealand erreicht!

Und wenn Walston French-den entdeckt und ausgespürt hatte, aus wem das Personal der kleinen Kolonie bestand, sollte er dann nicht auf den Gedanken kommen, daß hier Werkzeuge, Instrumente, Schießbedarf, Nahrungsmittel – kurz Alles, was ihm ganz oder beinahe ganz fehlte – vorhanden waren und daß sieben kräftige Männer leicht genug mit fünfzehn Knaben fertig werden konnten, vorzüglich wenn es gelang, diese zu überraschen?

Auf jeden Fall lag es jetzt auf der Hand, daß die Bande näher und näher heranrückte.

Angesichts dieser so drohenden Aussichten drang Briant in Übereinstimmung mit seinen Kameraden auf eine noch weiter zu verschärfende Wachsamkeit. Während des ganzen Tages blieb nun ein Beobachtungsposten auf dem Kamme des Auckland-hill, um jede verdächtige Annäherung sowohl von der Seite des Sees und der Traps-woods, wie von der des Sumpfes her unverzüglich melden zu können. Die Nacht über mußten sich zwei der Großen an dem Eingange der Halle und des Store-room aufhalten, um jedes Geräusch von außen zu erlauschen. Die beiden Thüren wurden übrigens durch Pfähle verstärkt, und mittels großer, im Innern von French-den schon aufgehäufter Steine war es in kürzester Zeit möglich, diese vollständig zu verbarricadiren. Von den beiden schmalen, durch die Wand gebrochenen Fensteröffnungen, welche als Schießscharten für die zwei kleinen Kanonen dienten, vertheidigte die eine den Vorraum nach der Seite des Rio Sealand, die andere nach der Seite des Family-lake. Uebrigens lagen die Gewehre und Revolver geladen zur Hand, um beim ersten Alarm ihre Schuldigkeit zu thun.

Kate billigte natürlich alle diese Maßnahmen. Die vortreffliche Frau hütete sich jedoch stets, ihre leider zu begründeten Befürchtungen merken zu lassen, wenn sie an den so ungewissen Ausgang eines Kampfes mit den Matrosen vom »Severn« dachte. Sie kannte diese ja ebenso wie ihren Anführer. Wenn dieselben auch unzureichend bewaffnet waren, konnten sie nicht trotz eifrigster Achtsamkeit die kleine Kolonie überrumpeln? Und dann hatten sie ja nur Knaben zu bekämpfen, von denen der älteste noch nicht sechzehn Jahre alt war! Wahrlich, die Verhältnisse waren gar zu ungleich! Ach, warum war der muthige Evans jetzt nicht bei ihnen! Warum hatte er sich Kate bei ihrer Flucht nicht angeschlossen! Vielleicht hätte er die Verteidigung besser leiten und French-den in den Stand setzen können, die Angriffe Walston’s zurückzuweisen.

Leider wurde Evans gewiß strengstens bewacht, wenn die Schurken, welche ihn zur Ueberführung der Schaluppe nach einem benachbarten Lande wohl kaum brauchten, sich seiner als eines zu gefährlichen Zeugen nicht schon ganz entledigt hatten.

Solche Gedanken gingen der guten Kate durch den Kopf. Für sich selbst fürchtete sie gewiß nichts, wohl aber für diese Kinder, welche sie, unterstützt von dem gleichergebenen Moko, unausgesetzt im Auge behielt.

Jetzt war der 27. November herangekommen und es herrschte eine fast erstickende Hitze. Schwere Haufenwolken wälzten sich langsam über die Insel und fernes Donnerrollen verkündete ein herannahendes Ungewitter. Das Storm-glaß meldete einen demnächstigen Kampf der Elemente.

Am Abend dieses Tages waren Briant und seine Kameraden zeitiger als sonst nach der Halle zurückgekehrt, doch nicht ohne die, seit einiger Zeit gewöhnliche Vorsicht, die Jolle im Innern des Store-room unterzubringen. Nach sicherer Verschließung der Thüren erwarteten Alle nur noch die Zeit des Schlafengehens, nachdem sie noch ein gemeinschaftliches Gebet verrichtet und im Geiste einen Gruß an ihre entfernten Angehörigen gesendet hatten.

Gegen neuneinhalb Uhr wüthete das Unwetter in vollster Kraft. Die Halle erleuchtete sich von dem Widerschein greller Blitze, der durch die Wandöffnungen eindrang. Unaufhörlich krachte und rollte der Donner und es schien zuweilen, als ob die ganze Masse des Auckland-hill bei dem betäubenden Geprassel erzitterte. Es war das einer jener ohne Sturm und Regen einhergehenden meteorischen Processe, welche umso schwerer sind, weil die fast unbeweglichen Wolken an einer Stelle das in ihnen angesammelte elektrische Fluidum abgeben, zu dessen gänzlicher Entladung öfters eine Nacht nicht einmal ausreicht.

Costar, Dole, Iverson und Jenkins, welche sich auf ihren Lagerstätten ausgestreckt hatten, fuhren aus dem Schlafe auf bei dem entsetzlichen, dem Tone beim Zerreißen von Stoffen ähnlichen Knattern, das auf große Nähe der Entladungen hindeutet. In dieser unerschütterbaren Felsenhöhle war indeß gar nichts zu fürchten, und wenn der Blitzstrahl die Uferhöhe zwanzig- oder auch hundertmal getroffen hätte. Die dicken Steinwände von French-den, welche ebenso undurchdringlich für das elektrische Fluidum wie unangreifbar für den wüthendsten Orcan waren, hätte er nicht durchschlagen können. Briant, Doniphan und Baxter erhoben sich, öffneten ein wenig die Thüre, fuhren aber sofort, geblendet von den Blitzen, zurück, nachdem sie einen flüchtigen Blick nach außen geworfen. Der ganze Himmelsraum war nur ein Feuer und der die zuckenden Blitze widerspiegelnde See schien eine blendende, gluthflüssige Masse einherzuwälzen.

Zwischen zehn und elf Uhr setzten Donner und Blitz nicht einen Augenblick aus; erst kurz vor Mitternacht schien die Gewalt des Unwetters sich zu erschöpfen. Länger und länger werdende Zwischenräume trennten die Donnerschläge, welche mit der Entfernung auch immer schwächer wurden. Dann erhob sich der Wind, trieb die nahe der Erde streichenden Wolken vor sich her, und bald prasselte der Regen stromweise nieder.

Die Kleinen begannen allmählich sich wieder zu beruhigen. Zwei oder drei, bisher von den Decken verhüllte Köpfe wagten sich wieder hervor, obgleich es für Alle hohe Zeit war, endlich zu schlafen. Auch Briant und die Anderen wollten sich, nachdem sie die gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln getroffen, eben niederlegen, als Phann plötzlich Zeichen einer unerklärlichen Aufregung erkennen ließ. Er richtete sich auf den Pfoten in die Höhe, trabte nach der Thüre der Halle und gab ein dumpfes, aber anhaltendes Knurren von sich.

»Sollte Phann etwas aufgespürt haben? sagte Doniphan, während er den Hund zu beruhigen suchte.

– Wir haben ihn, bemerkte Baxter, schon unter verschiedenen Umständen ein so auffallendes Verhalten zeigen sehen, und das gescheidte Thier hat sich dabei niemals getäuscht.

– Ehe wir uns niederlegen, müssen wir wissen, was das zu bedeuten hat, setzte Gordon hinzu.

– Gewiß, stimmte Briant ihm bei, es darf aber Keiner hinausgehen, und wir wollen uns zur Vertheidigung bereit halten.«

Jeder ergriff sein Gewehr und seinen Revolver. Dann begab sich Doniphan nach dem Eingange der Halle und Moko nach der des Store-room. Obwohl Beide das Ohr an die Thüre legten, konnten sie doch kein Geräusch von außen vernehmen. Phann zeigte noch immer die nämliche Unruhe und begann bald sogar so wüthend zu bellen, daß selbst Gordon ihn nicht zum Schweigen zu bringen vermochte. Das war gerade jetzt recht unerwünscht. Wie man in ruhigen Augenblicken hätte das Geräusch eines Schrittes aus dem Vorlande wahrnehmen können, so mußte das Gebell Phanns draußen natürlich erst recht gehört werden.

Plötzlich erschallte ein Krachen, das mit einem Donnerschlage gar nicht zu verwechseln war. Es rührte offenbar von einem Flintenschusse her, der höchstens zweihundert Schritte weit von French-den abgefeuert sein konnte.

Alle hielten sich zur Abwehr eines Angriffs fertig. Mit den Gewehren in der Hand, an den beiden Thüren stehend, waren Doniphan, Baxter, Wilcox und Croß bereit, auf Jeden Feuer zu geben, der diese zu stürmen wagen würde. Die Anderen begannen schon, mit den zu diesem Zwecke zur Hand liegenden Steinblöcken, diese zu verbarricadiren, als eine Stimme von außen hörbar wurde.

»Zu Hilfe! … Zu Hilfe!« ertönte es wie bittend.

Da draußen befand sich ein menschliches Wesen, wahrscheinlich in Todesgefahr, und begehrte Unterstützung …

»Zu Hilfe!« wiederholte dieselbe Stimme, jetzt aber schon ganz nahe der einen Thüre. Kate, welche in der Nähe stand, lauschte …

»Er ist es! rief sie.

– Er? … fragte Briant.

– Oeffnet … öffnet nur schnell!« … drängte Kate.

Die Thüre wurde aufgerissen, und von Wasser triefend stürzte ein Mann in die Halle.

Es war Evans, der Steuermann vom »Severn«.