XI.

Kate und der Master. – Der Bericht Evans‘. – Nach der Strandung der Schaluppe. – Walston am Hafen des Bear-rock. – Der Drache. – French-den entdeckt. – Evan’s Flucht. – Durch den Rio. – Pläne. – Ein Vorschlag Gordon’s. – Die Länder im Osten. – Die Insel Chairman-Hannover.

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Zuerst waren Gordon, Briant und Doniphan bei dieser unerwarteten Erscheinung Evans‘ unbeweglich stehen geblieben. Dann eilten sie, wie durch eine instinctive Bewegung getrieben, auf den Steuermann, als ihren Retter, zu.

Dieser, ein Mann von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren, hatte breite Schultern, kräftigen Körper, lebhafte Augen, eine offene Stirne, intelligente und einnehmende Züge und ein sicheres und entschlossenes Auftreten, während sein Gesicht durch einen verwilderten, buschigen Bart, der seit dem Schiffbruche des »Severn« nicht geschnitten sein konnte, zur Hälfte versteckt wurde.

Kaum eingetreten, kehrte Evans um und legte das Ohr an die schnell wieder geschlossene Thür, und erst als er von draußen nichts hörte, schritt er der Mitte der Halle zu. Hier erkannte er beim Scheine der an der Wölbung hängenden Laterne die kleine Welt, welche ihn umgab, und murmelte die Worte:

»Ja … Kinder! … Nichts als Kinder!«

Plötzlich leuchtete sein Auge heller auf, sein Gesicht erglänzte von Freude und er breitete die Arme aus …

Kate war an ihn herangetreten.

»Kate! … rief er. Sie leben also noch, Kate?« …

Dazu ergriff er ihre Hände, als wollte er sich überzeugen, daß es nicht die einer Abgeschiedenen wären.

»Ja, ich lebe noch wie Sie, Evans! antwortete Kate. Gott hat mich errettet, wie er Sie errettet hat, und er ist’s, der Sie diesen Kindern zu Hilfe sendet!«

Der Steuermann zählte mit den Augen die jungen Leute, welche den Tisch der Halle umringten.

»Fünfzehn! … sagte er, und kaum fünf bis sechs, die im Stande wären, sich einigermaßen zu vertheidigen! … Doch sei es darum!

– Sind wir von einem Angriffe bedroht, Master Evans? fragte Briant.

– Nein, junger Freund, nein! Wenigstens für den Augenblick nicht,« erwiderte Evans.

Selbstverständlich drängte es Alle, die Geschichte des Steuermannes und vorzüglich das kennen zu lernen, was sich seit der Strandung der Schaluppe auf den Severn-shores ereignet hatte. Weder Große noch Kleine hätten eine Minute Schlaf finden können, ohne den für sie so hochwichtigen Bericht angehört zu haben. Zunächst mußte Evans indeß seine ganz durchnäßten Kleider ablegen und etwas Nahrung zu sich nehmen. Daß seine Kleidung von Wasser triefte, kam daher, daß er den Rio Sealand hatte schwimmend überschreiten müssen; und wenn er von Anstrengung und Hunger erschöpft war, daher, daß er seit vollen zwölf Stunden nichts genossen und vom frühen Morgen an keinen Augenblick geruht hatte.

Briant führte den Mann sofort nach dem Store-room, wo Gordon ihm einen guten, passenden Matrosenanzug einhändigte. Nachher versorgte ihn Moko mit kaltem Wildpret, Schiffszwieback, einigen Tassen dampfenden Thees und einem ordentlichen Glase Brandy.

Eine Viertelstunde später begann Evans, an dem Tische der Halle sitzend, den Bericht über die Ereignisse, welche seit der unfreiwilligen Landung der Matrosen vom »Severn« auf der Insel vorgekommen waren.

»Einige Augenblicke, ehe die Schaluppe auf den Strand geworfen wurde, sagte er, waren sechs Mann, darunter ich selbst, bei den ersten Riffen hinausgeschleudert worden, ein Unfall, bei dem keiner von uns eine schwere Verletzung davontrug. Wir hatten nur Hautabschürfungen, keine eigentliche Verwundung. Sehr schwierig gestaltete es sich aber, aus der Brandung inmitten der Finsterniß und aus dem wüthenden Meere, welches dem Sturme entgegen gerade absank, frei zu kommen.

»Nach langen Anstrengungen erreichten wir, Walston, Brandt, Rock, Book, Cope und ich, jedoch heil und gesund eine Uferstelle, welche die Wogen nicht mehr überflutheten. Zwei Mann – Forbes und Pike – fehlten noch. Ob sie durch eine Sturzsee mit hinausgespült waren oder sich, als die Schaluppe selbst strandete, auch gerettet hatten, konnten wir nicht entscheiden. Und was Kate betraf, so glaubte ich, daß sie von den Wellen mit weggezogen worden sei, und ich fürchtete, sie niemals wiederzusehen.«

Bei diesen Worten suchte Evans gar nicht seine Ergriffenheit, noch die Freude zu verhehlen, die es ihm machte, die muthige Frau, welche mit ihm dem Gemetzel auf dem »Severn« entgangen war, hier wiedergefunden zu haben. Vorher Beide in der Gewalt jener Mordgesellen, sahen sie sich jetzt von denselben, wenn auch nicht ganz von einem zukünftigen Angriffe derselben befreit.

Dann fuhr Evans fort:

»Als wir an den Strand gelangt waren, konnten wir die Schaluppe nicht sogleich entdecken. Sie mußte gegen sieben Uhr gescheitert sein, und es war fast Mitternacht geworden, ehe wir sie im Sande umgestürzt auffanden. Zuerst schleppten wir uns nämlich längst der Küste hin …

– Längs der Severn-shores, fiel Briant ein, denn so lautet der Name, den ihr einige unserer Kameraden, welche die Schaluppe des »Severn« gesehen, schon gegeben hatten, ehe uns Kate von ihrem Schiffbruche unterrichtete.

– Schon vorher? … fragte Evans verwundert.

– Ja wohl, Master Evans, fuhr Doniphan fort. Wir waren am Abende des Schiffbruches gerade nach der Stelle gekommen, wo zwei ihrer Kameraden im Sande lagen … Als wir nach Tagesanbruch wieder dahin gingen, um ihnen die letzte Ehre zu erweisen, waren sie verschwunden.

– Wahrhaftig, nahm Evans wieder das Wort, jetzt sehe ich, wie alles das zusammenhängt. Forbes und Pike, welche wir ertrunken glaubten – o, wär‘ es doch der Fall gewesen, so zählten wir jetzt zwei Schurken von sieben weniger! – lagen damals nur in geringer Entfernung von der Schaluppe. Dort wurden sie von Walston und den Uebrigen wieder aufgefunden und durch einen tüchtigen Schluck Gin in’s Leben gebracht.

»Zum Glücke für sie – wenn es auch ein Unglück für uns ist – waren die Kisten und Behälter des Bootes bei der Strandung nicht zertrümmert worden. Munition, Waffen, fünf vom Schiffe herrührende Gewehre, und was an Proviant und beim Brande des »Severn« Hals über Kopf eingepackt worden war, Alles wurde aus der Schaluppe geschafft, denn es lag die Befürchtung nahe, daß diese durch die nächste Fluth gänzlich zerstört werden würde. Nachdem das geschehen, verließen wir die Unglücksstätte und wanderten der Küste nach in der Richtung nach Osten.

»Da bemerkte einer der Schurken – Rock, glaub‘ ich – daß man Kate noch nicht wiedergefunden habe, und Walston antwortete darauf: »O, die ist von einer Welle weggeschwemmt worden! … Gut, daß wir sie los sind!« Das ließ mich erkennen, daß die Bande, wenn sie sich, wo sie Kate nicht mehr brauchte, beglückwünschte, von dieser befreit zu sein, es bezüglich meiner Person natürlich auch so halten würde. Doch, wo hatten Sie sich versteckt gehalten, Kate?

– Ich lag auch in der Nähe der Schaluppe, doch auf der Seite nach dem Meere zu, antwortete Kate, au derselben Stelle, wohin ich bei der Strandung geworfen wurde … Sehen konnten mich die Anderen so leicht nicht, wohl aber hörte ich die Worte, welche Walston mit den Uebrigen wechselte … Nachdem sie aber Alle weg waren, Evans, erhob ich mich vorsichtig, und um Walston nicht auf’s Neue in die Hände zu fallen, entfloh ich nach der entgegengesetzten Seite. Sechsunddreißig Stunden später wurde ich, halbtodt vor Hunger, von diesen lieben Kindern aufgefunden und nach French-den geführt.

– French-den? … wiederholte Evans.

– Das ist der Name, den unsere Wohnung trägt, antwortete Gordon, und zwar zum Andenken an einen französischen Schiffbrüchigen, der viele Jahre vorher hier gelebt hat.

– French-den? … Severn-shores? … sagte Evans. Ich sehe, Ihr Knaben habt den verschiedenen Theilen der Insel bestimmte Namen gegeben. Das ist hübsch von Euch.

– Ja, Master Evans, und auch hübsche Namen, meldete sich Service, unter anderen Family-lake, Downs-lands, South-moors, Rio Sealand, Traps-woods, ferner …

– Schon gut, schon gut! Das werdet Ihr mir noch Alles mittheilen … später … vielleicht morgen! … Inzwischen fahre ich in meiner Geschichte fort … Von draußen ist doch nichts zu hören?

– Gar nichts, versicherte Moko, der nahe der Thüre der Halle Wache gehalten hatte.

– Desto besser, sagte Evans. Ich erzähle also weiter.

»Eine Stunde nach dem Verlassen des Bootes hatten wir eine Menge dichtstehender Bäume erreicht, wo wir uns für den Rest der Nacht lagerten. Am nächsten Morgen begaben wir uns nach der Strandungsstelle der Schaluppe und versuchten, deren Planken auszubessern; da wir an Werkzeug aber nur eine einfache Axt besaßen, erwies es sich unmöglich, die eingedrückte Bordwand wiederherzustellen und jene auch nur für eine kurze Ueberfahrt seetüchtig zu machen. Uebrigens erwies sich die Oertlichkeit für eine derartige Arbeit sehr unpassend.

»Wir brachen also wieder auf, um eine minder trostlose Gegend als Lagerplatz zu wählen, wo die Jagd uns den täglichen Nahrungsbedarf zu liefern versprach und wo wir gleichzeitig einen Rio mit Süßwasser fänden, denn unser Vorrath daran war fast ganz erschöpft.

»Nachdem wir gegen zwölf Meilen längs der Küste hinabgezogen waren, erreichten wir einen kleinen Fluß …

– Den East-river! sagte Service.

– Meinetwegen den East-river! antwortete Evans. Dort, im Hintergrunde einer geräumigen Bucht …

– Der Deception-Bai! bemerkte Jenkins.

– Meinetwegen der Deceptions-Bai, sagte Evans lächelnd. Dort fand sich inmitten der Uferfelsen eine Art natürlicher Hafen …

– Der des Bear-rock! ließ sich jetzt Costar vernehmen.

– Du sollst Recht haben, mein Kleiner, also der Bear-rock-Hafen, erwiderte Evans mit zustimmendem Kopfnicken. Nichts schien leichter, als sich an dieser Stelle festzusetzen, und wenn wir die Schaluppe hierher schaffen konnten, welche da oben der erste Sturm völlig zertrümmert hätte, so gelang es vielleicht, sie wieder in brauchbaren Stand zu setzen.

»Wir kehrten also zur Aufsuchung derselben zurück, und nachdem sie so soviel als möglich entlastet war, wurde sie wieder flott gemacht. Obgleich das Wasser darin fast bis an den Bordrand reichte, gelang es uns doch, sie am Strande hinzuschleppen und nach jenem Hafen zu bugsiren, wo sie jetzt in Sicherheit liegt.

– Die Schaluppe liegt beim Bear-rock? … fragte Briant.

– Ja, mein Sohn; und ich glaube, es wäre nicht unmöglich, sie zu repariren, wenn wir nur die dazu nöthigen Werkzeuge besäßen …

– Aber diese haben wir ja, Master Evans! rief Doniphan lebhaft.

– Ganz recht, und das vermuthete Walston auch schon, als ihm der Zufall lehrte, daß die Insel und von wem sie bewohnt sei.

– Wie hat er das erfahren können? fragte Gordon.

– Sehr einfach, folgendermaßen, antwortete Evans. Jetzt, vor acht Tagen, waren wir, Walston, seine Gefährten und ich – denn mich ließ man niemals allein – zur Auskundschaftung quer durch den Wald gezogen. Nach einer drei- bis vierstündigen Wanderung am Ufer Eures East-river hinauf gelangten wir an einen großen Binnensee, aus dem jener Wasserlauf abfloß. Dort fanden wir, Ihr könnt Euch unsere Verwunderung wohl vorstellen, einen am Strande angeschwommenen, seltsamen Apparat … Er bestand aus einem mit Leinwand überzogenen Gerippe von Rohrlatten …

– Unser Drache, rief Dole.

– Unser Drache, der in den See gefallen war, setzte Briant hinzu, und den der Wind dahin getrieben haben mag.

– Ah, das war ein Drache? erwiderte Evans. Meiner Treu, wir konnten’s nicht errathen, und das Ding machte uns recht arges Kopfzerbrechen. Auf jeden Fall hatte es sich doch nicht selbst gemacht … Es mußte auf der Insel hergestellt worden sein, das unterlag ja keinem Zweifel! … Die Insel war also bewohnt? … Aber von wem? … Das wollte Walston natürlich gerne wissen. In mir reifte von jenem Tage ab der Beschluß zu entfliehen. Wer die Bewohner dieser Insel auch sein mochten, und selbst wenn es Wilde waren, schlimmer konnten sie auf keinen Fall sein als die Meuterer vom »Severn«. Von demselben Augenblick an wurd‘ ich Tag und Nacht womöglich noch strenger überwacht.

– Doch wie ist French-den entdeckt worden? fragte Baxter.

– Darauf komm‘ ich noch, antwortete Evans. Doch, eh‘ ich in meinem Berichte fortfahre, sagt mir, junge Freunde, wozu Euch dieser gewaltige Drache gedient hat. Bildete er ein Signal?«

Gordon theilte Evans alles hierauf Bezügliche mit, erklärte ihm den Zweck, daß Briant zum Heile Aller dabei sein Leben aufs Spiel gesetzt und auch, wie ihm der Nachweis, daß Walston noch auf der Insel weilte, damit gelungen sei.

»Sie sind ein tüchtiger junger Mann!« sagte Evans, der Briant’s Hand ergriff und sie freundschaftlichst schüttelte.

Dann fuhr er fort:

»Ihr begreift, daß Walston nur noch das Eine am Herzen lag, Klarheit darüber zu erhalten, wer die Bewohner dieser uns zunächst unbekannten Insel sein möchten. Waren es Eingeborene, so konnte man sich vielleicht mit ihnen verständigen, waren es Schiffbrüchige, so besaßen sie möglicherweise die Werkzeuge, die ihm fehlten. In diesem Falle würden sie ihm wohl ihre Unterstützung nicht verweigern, die Schaluppe so weit in Stand zu setzen, daß sie das Meer halten konnte.

»Die Nachforschungen begannen also auf’s neue, und ich muß gestehen, mit großer Vorsicht. Man drang nur nach und nach durch die Wälder am rechten Ufer des Sees vor, um dessen Südspitze zu erreichen. Doch kein menschliches Wesen wurde bemerkt, kein Gewehrschuß ließ sich auf diesem Theile der Insel hören.

– Sehr erklärlich, unterbrach ihn Briant, weil sich schon niemand von uns mehr aus French-den entfernte und es strengstens untersagt war, ein Gewehr abzufeuern.

– Und doch wurdet Ihr zuletzt entdeckt, fuhr Evans fort. Wie hätte das auch auf die Dauer ausbleiben können? Es war in der Nacht vom dreiundzwanzigsten zum vierundzwanzigsten November, als einer der Genossen Walston’s vom südlichen Seeufer her in Sicht von French-den kam. Das Unglück wollte es, daß er dabei zufällig einen Lichtschein bemerkte, der durch die Wand des Steilufers schimmerte – ohne Zweifel der Schein Euerer Laterne, den die einen Augenblick geöffnete Thür hinausdringen ließ. Am folgenden Tage begab sich Walston selbst nach jener Stelle und hielt sich den Abend über im hohen Grase, nur wenige Schritte vom Rio, versteckt …

– Das wußten wir schon, sagte Briant.

– Ihr hättet das gewußt? …

– Ja wohl, denn an der nämlichen Stelle fanden wir, Gordon und ich, die Reste einer kleinen Thonpfeife, welche Kate mit Bestimmtheit für eine Pfeife jenes Walston erklärte.

– Ganz recht! bestätigte Evans diese Worte. Walston hatte sie bei dieser Gelegenheit verloren, was ihn bei der Rückkehr recht unangenehm berührte. Von da ab kannte er jedoch das Vorhandensein der kleinen Colonie. Während er sich hinter Gras und Gebüsch verborgen hielt, hatte er die meisten von Euch am rechten Ufer des Flusses ab und zugehen sehen … Nur junge Knaben hatte er vor sich, welche sieben Männer leicht überwältigen können mußten. Walston kehrte zurück und berichtete seinen Spießgesellen getreulich, was er beobachtet hatte. Ein Meinungsaustausch zwischen ihm und Brandt, den ich belauschte, belehrte mich, was gegen French-den geplant wurde …

– Diese Scheusale! rief Kate entrüstet dazwischen. Sie hätten auch mit diesen Kindern kein Erbarmen gehabt! …

– Nein, Kate, antwortete Evans, nicht mehr als sie mit dem Kapitän und den Passagieren des »Severn« hatten. Scheusale! … Ja, Sie haben das richtige Wort für sie getroffen, und angeführt werden sie von dem Grausamsten unter ihnen, von jenem Walston, der hoffentlich der gerechten Strafe für seine Schandthaten nicht entgeht.

– Endlich, Evans, ist es Ihnen, Gott Lob, doch gelungen zu entfliehen? sagte die Frau.

– Ja, Kate. Vor etwa zwölf Stunden konnte ich mir die Abwesenheit Walston’s und der Uebrigen zunutzemachen, die mich unter Forbes‘ und Rock’s Aufsicht zurückgelassen hatten. Der Augenblick schien mir zu meinem Vorhaben günstig. Nun kam es mir vor Allem darauf an, die beiden Schurken auf falsche Fährte zu leiten oder schlimmsten Falles vor ihnen wenigstens einen merklichen Vorsprung zu gewinnen.

»Etwa um zehn Uhr Morgens war es, als ich mich quer durch den Wald davon machte … Fast augenblicklich bemerkten das aber Forbes und Rock und eilten mir zur Verfolgung nach. Sie waren mit Gewehren versehen … ich, ich hatte nichts als mein Matrosenmesser, um mich zu vertheidigen, und meine Beine, mich wie einen Sturmvogel davonzutragen.

»Diese Jagd dauerte den ganzen Tag lang an. In schräger Richtung durch den Wald stürmend, war ich an das linke Ufer des Sees gekommen. Ich mußte noch dessen Spitze umkreisen, denn aus dem früher angehörten Gespräche wußte ich, daß Ihr in dessen Nähe an den Ufern eines nach Westen strömenden Rio wohntet.

»Wahrhaftig, niemals habe ich so schwer und so lange um mein Leben gekämpft! Fast fünfzehn Meilen im Laufe dieses Tages! Alle Wetter, die Spitzbuben liefen ebenso schnell wie ich, und ihre Kugeln flogen natürlich noch schneller. Mehr als einmal pfiffen sie mir recht eindringlich um die Ohren. Stellt Euch nur die Sachlage vor: Ich kannte ihr Geheimniß; wenn ich ihnen entkam, konnte ich sie zur Anzeige bringen, so mußten sie mich also auf jeden Fall wieder zu erlangen suchen. Wahrlich, hätten sie keine Feuerwaffen besessen, ich hätte, dies Messer in der Hand, die Schufte stehenden Fußes erwartet, und ich oder sie mußten todt auf der Stelle bleiben. Ja, Kate, ich hätte es vorgezogen, umzukommen, als nach dem Lager dieser Raubmörder zurückzukehren.

Inzwischen nährte ich die Hoffnung, diese verwünschte Treibjagd mit der Nacht ein Ende finden zu sehen … Nichts von dem! Schon war ich über die Spitze des Sees hinaus und lief an der anderen Seite wieder hinauf, doch immer fühlte ich Forbes und Rock mir noch auf den Fersen. Jetzt brach auch das seit mehreren Stunden drohende Gewitter los. Das erschwerte meine Flucht, denn beim Aufleuchten der Blitze konnten die Schurken mich im Röhricht des Strandes wahrnehmen. Endlich befand ich mich noch gegen hundert Schritte vom Rio … Gelang es mir, diesen zwischen mich und die Spitzbuben zu bringen, so betrachtete ich mich als gerettet. Niemals hätten sie gewagt, diesen zu überschreiten, da sie wußten, daß sie damit ganz in die Nähe von French-den gekommen wären.

»Ich lief also was ich laufen konnte, um das linke Ufer des Wasserlaufs zu erreichen, als ein letzter Blitz die Umgebung erleuchtete. Sofort krachte auch schon ein Schuß …

– Derselbe, den wir auch hörten? … fragte Doniphan.

– Jedenfalls, antwortete Evans. Eine Kugel streifte meine Schulter.

… Ich sprang in die Höhe und stürzte mich in den Rio … Mit wenigen Stößen befand ich mich am andern Ufer und unter dem Schilfe verborgen, während Rock und Forbes, an das jenseitige Ufer gelangt, sagten: »»Glaubst Du ihn getroffen zu haben?

– Dafür steh‘ ich ein! – So liegt er also auf dem Grunde? – Ganz gewiß, und jetzt schon mausetodt!

– Den wären wir also glücklich los!»« – Damit schlugen sie sich wieder rückwärts in den Wald.

»Ja wohl, glücklich los! … Mich ebenso wie Kate! … Wartet nur, Ihr Schurken, ich will Euch schon zeigen, ob ich todt bin! … Einige Minuten später kroch ich aus dem Schilf hervor und wandte mich nach der Ecke des Steilufers. Da hörte ich ein Gebell … ich rief … die Thüre von French-den öffnete sich … Und nun, setzte Evans hinzu, indem er die Hand nach der Seite des Sees hin ausstreckte, nun, meine jungen Freunde, ist es an uns, mit jenen Elenden aufzuräumen und Eure Insel von ihnen zu befreien!«

Er sprach diese Worte mit solcher Entschlossenheit, daß sich Alle erhoben, als wollten sie ihm schon jetzt zum Kampfe folgen.

Nun erübrigte es noch, auch Evans mitzutheilen, was sich seit zwanzig Monaten zugetragen, ihm zu erzählen, unter welchen Verhältnissen der »Sloughi« Neuseeland verlassen, die lange Fahrt über den Stillen Ocean bis zur Insel und die Auffindung der Ueberreste des französischen Schiffbrüchigen, die Gründung der kleinen Colonie in French-den, die Ausflüge in der warmen Jahreszeit und die Arbeiten während des Winters zu schildern, ebenso daß das Leben hier sich verhältnißmäßig erträglich und vor dem Eintreffen Walston’s und seiner Genossen gefahrlos gestaltet habe.

»Und seit zwanzig Monaten hat sich kein Schiff in Sicht der Insel gezeigt? fragte Evans.

– Wenigstens haben wir draußen auf dem Meere keines bemerkt, antwortete Briant.

– Hattet Ihr irgendwelche Signale errichtet?

– Ja, einen Mast auf dem höchsten Punkte des Steilufers.

– Und den hat Niemand wahrgenommen?

– Nein, Master Evans, versicherte Doniphan. Hierzu muß ich freilich bemerken, daß wir denselben seit sechs Wochen niedergelegt haben, um nicht die Aufmerksamkeit Walston’s zu erregen.

– Daran habt Ihr wohl gethan, meine jungen Freunde. Jetzt weiß der Schurke leider immerhin, woran er ist. Wir wollen also Tag und Nacht auf unserer Hut sein.

– Warum, nahm da Gordon das Wort, warum muß uns nur das Unglück treffen, hier mit einer solchen Verbrecherrotte zu thun zu bekommen, statt mit ehrbaren Leuten, welche zu unterstützen uns eine so herzliche Freude gewesen wäre? Unsere kleine Colonie hätte damit eine wünschenswerthe Verstärkung erfahren. Jetzt droht uns in nächster Zukunft dafür der Kampf, die Pflicht, unser Leben in einem Gefechte zu vertheidigen, dessen Ausgang wir nicht vorhersehen können.

– Gott, der Euch bis hieher beschützt hat, liebe Kinder, sagte Kate, Gott wird Euch auch später nicht verlassen! Er hat Euch den braven Evans gesendet, und mit ihm …

– Evans … Hurrah für Evans! … riefen die jungen Colonisten, wie aus einem Munde.

– Zählt auf mich, liebe junge Freunde, erwiderte der Steuermann, und, da ich auch auf Euch zähle, so versprech‘ ich Euch, daß wir uns erfolgreich zu wehren wissen werden.

– Und doch, meinte Gordon, wenn es möglich wäre, diesen Kampf zu vermeiden, wenn Walston zustimmte, die Insel zu räumen …

– Was willst Du damit sagen, Gordon? fragte Briant.

– Ich bin der Ansicht, er und seine Begleiter wären schon abgesegelt, wenn sie ihre Schaluppe hätten benutzen können. – Ist es nicht so, Master Evans?

– Gewiß!

– Doch, wenn man nun mit ihnen in friedliche Unterhandlung träte, wenn wir ihnen das nothwendige Werkzeug lieferten, vielleicht nähmen sie das an? Ich weiß wohl, wie widerwärtig es erscheint, mit den Mördern vom »Severn« in Beziehung zu treten; doch, wenn es sich darum handelt, uns von ihnen zu befreien und einen Angriff zu vermeiden, der wahrscheinlich viel Blut kostet … Indeß, was denken Sie darüber, Master Evans?«

Evans hatte Gordon aufmerksam zugehört. Sein Vorschlag verrieth den allezeit praktischen Geist, der sich unüberlegten Eingebungen nicht fügte, und einen Charakter, der jenen in den Stand setzte, die gegebene Lage mit Ruhe zu überschauen. Er dachte dabei – und er täuschte sich ja auch nicht – daß dieser Knabe der gereifteste von allen sein möge und daß sein Vorschlag wenigstens genauere Erwägung verdiene.

»In der That, Herr Gordon, antwortete er, es würde gewiß jedes Mittel gut sein, uns von jenen Uebelthätern zu erlösen. Wenn sie wirklich, nachdem sie in den Stand gesetzt wurden, ihre Schaluppe auszubessern, darauf eingingen, abzufahren, so wäre das allemal besser, als sich auf einen Kampf einzulassen, dessen Ausgang immerhin zweifelhaft sein kann. Doch wer könnte sich auf Walston verlassen? Wenn Sie mit ihm in Verbindung treten, würde er das ohne Zweifel nur benutzen, um French-den zu überfallen und sich alles Ihres Besitzthums zu bemächtigen. Er kommt vielleicht auch auf den Gedanken, daß Sie vom Schiffbruche noch etwas Geld gerettet haben könnten. Glauben Sie mir, diese Schurken würden Ihnen jede Wohlthat nur durch irgend welche Schandthat lohnen. In jenen Herzen ist kein Raum für die Dankbarkeit! Sich mit ihnen verständigen, heißt sich ihnen völlig ausliefern.

– Nein! … Nein! … riefen Baxter und Doniphan, denen ihre Kameraden sich mit einer Entschiedenheit anschlossen, welche dem Steuermann sehr wohl gefiel.

– Nein, setzte auch Briant hinzu, wir wollen keine Gemeinsamkeit mit Walston und seinen Genossen haben!

– Und dann, fuhr Evans fort, brauchen sie nicht allein Werkzeuge, sondern vor Allem Schießbedarf. Gewiß besitzen sie davon noch so viel, um zu einem Angriffe vorschreiten zu können; wenn es aber darauf ankommt, andere Ländergebiete mit bewaffneter Hand zu durchstreifen, so wird, was ihnen von Pulver und Blei noch übrig blieb, nicht ausreichen. Sie würden das also von Ihnen verlangen … würden es fordern! Könnten Sie den Mördern das noch zugestehen?

– Nein, gewiß nicht! antwortete Gordon.

– Nun, dann würden jene eben versuchen, es mit Gewalt zu erlangen. Sie hätten damit den drohenden Kampf nur vertagt, und dieser müßte unter für Sie minder günstigen Bedingungen ausbrechen.

– Sie haben Recht, Master Evans, stimmte ihm Gordon zu. Halten wir uns in der Defensive und warten den Lauf der Dinge ab.

– Ja, das ist Wohl das Richtigste … Warten wir Alles ab, Herr Gordon. Was das übrigens betrifft, habe ich noch einen Grund, der mich näher angeht, als alle Anderen.

– Welchen denn?

– Hören Sie mich an. Walston kann, wie Sie wissen, die Insel nur auf der Schaluppe des »Severn« verlassen.

– Das liegt auf der Hand, sagte Briant.

– Diese Schaluppe ist aber recht gut wieder herzustellen, dafür stehe ich ein; und wenn Walston darauf verzichtete, sie für sich in Stand zu setzen, so lag das nur am Mangel an Werkzeugen.

– Ohne diesen Mangel wäre es gewiß längst geschehen, bemerkte Briant.

– Ganz recht, junger Freund. Liefern Sie Walston nun die Hilfsmittel, das Boot wirklich auszubessern – ich nehme einmal an, er gäbe den Gedanken an eine Plünderung von French-den gänzlich auf – so würde er sich beeilen, davon zu fahren, ohne sich um Sie weiter zu kümmern.

– Ei, wenn er es doch schon gethan hätte, rief Service.

– Alle Wetter, wenn er es gethan hätte, antwortete Evans, wie kämen wir dann in die Lage, es auch selbst thun zu können, wenn die Schaluppe vom »Severn« nicht mehr zur Hand ist?

– Wie, Master Evans? fragte Gordon, Sie rechnen auf dieses Boot, um die Insel zu verlassen? …

– Natürlich, Herr Gordon!

– Um damit nach Neuseeland zu fahren und über den Stillen Ocean wegzusegeln? setzte Doniphan hinzu.

– Ueber den Ocean? … Nein, meine jungen Freunde, erwiderte Evans, wohl aber um einen weniger entfernten Punkt zu erreichen, von dem wir Aussicht hätten, nach Auckland zurückzukehren.

– Sprechen Sie die Wahrheit, Herr Evans?« rief Briant.

Gleichzeitig wollten schon zwei oder drei seiner Kameraden den Steuermann mit Fragen bestürmen.

»Wie, diese Schaluppe sollte geeignet sein, mit ihr eine Ueberfahrt von mehreren hundert Meilen zu unternehmen? bemerkte Briant.

– Mehrere hundert Meilen? … antwortete Evans, nein, das freilich nicht, aber doch im Nothfalle dreißig!

– Ist es denn nicht das Meer, das rings um die Insel fluthet? fragte Doniphan.

– Im Westen derselben, ja, antwortete Evans; aber nicht im Süden, Norden und Osten; dort befinden sich nur Canäle, welche man bequem in sechzig Stunden überschreiten kann.

– So täuschten wir uns also nicht mit der Annahme, daß hier andere Länder in der Nähe lägen? sagte Gordon.

– Nein, keineswegs, versicherte Evans. Im Osten liegen sogar sehr ausgedehnte Landstrecken.

– Ja, ja … im Osten! rief Briant. Jener weißliche Fleck und dann der Feuerschein, den ich in dieser Richtung wahrnahm …

– Ein weißlicher Fleck, sagen Sie? erwiderte Evans. Das ist offenbar irgend ein Gletscher, und jener Feuerschein rührte von der Flammengarbe eines Vulcans her, dessen Lage auf den Karten verzeichnet sein muß. – Ah, sagt mir doch, Ihr Leutchen, wo glaubtet Ihr denn eigentlich zu sein?

– Auf einer vereinzelt liegenden Insel des Stillen Weltmeeres, erklärte Gordon.

– Auf einer Insel? … Nun ja! … Auf einer vereinzelten … nein! Glauben Sie mir getrost, daß dieselbe zu einem der zahlreichen Archipele gehört, welche der Küste Südamerikas vorlagern. – Und, halt einmal, da Sie den Vorgebirgen, den Buchten und Wasserläufen Ihrer Insel Namen gegeben haben, hörte ich doch noch nicht, wie Sie diese selbst nennen? …

– Die Insel Chairman, nach dem Namen unseres Pensionats, antwortete Doniphan.

– Die Insel Chairman! wiederholte Evans. Nun, damit hat sie also zwei Namen, denn sie heißt schon längst die Insel Hannover.«

Nachdem noch die gewohnten Vorsichtsmaßregeln sorgsam getroffen worden waren, begaben sich nun Alle zur Ruhe und auch für den Steuermann hatte man eine Lagerstätte in der Halle hergerichtet. Die jungen Colonisten standen jetzt unter einem doppelten Eindruck, der wohl geeignet war, ihren Schlummer zu stören: einmal die Aussicht auf einen blutigen Kampf, und andererseits die Möglichkeit, wieder in die Heimat zu gelangen …

Der Master Evans hatte für den nächsten Morgen alle weiteren Erklärungen verschoben und zeigte ihnen nur noch im Atlas die genaue Lage der Insel Hannover. Und während Moko und Gordon sich der Wache unterzogen, verlief die Nacht in French-den in ungestörter Ruhe.