Einundvierzigstes Capitel

Einundvierzigstes Capitel

Herannahendes Senegal. – Der Victoria fällt immer mehr. – Es wird noch mehr ausgeworfen. – Der Marabut Al-Hadschi. – Die Herren Pascal, Vincent, Lambert. – Ein Nebenbuhler Mahomed’s. – Die schwer übersteigbaren Berge. – Kennedy’s Waffen. – Ein Manöver Joe’s. – Station über einem Walde.

Am 27. Mai gegen neun Uhr Morgens gewährte das Land einen neuen Anblick. Die weitausgedehnten Abhänge verwandelten sich in Hügel, die auf die Nähe von Gebirgen schließen ließen. Doctor Fergusson wußte bereits davon durch die Erzählungen seiner Vorgänger. Dieselben hatten mitten unter den Negern und Barbaren dieser Gegenden tausend Entbehrungen gelitten und entsetzliche Gefahren bestanden; das verhängnißvolle Klima raffte den größten Theil der Begleiter Mungo-Park’s dahin. Fergusson war also fest entschlossen, seinen Fuß nicht auf diesen ungastlichen Boden zu setzen.

Aber er hatte keinen Augenblick Ruhe; der Victoria fiel merklich; man mußte noch immer mehr entbehrliche Gegenstände auswerfen, und besonders war dies nothwendig, wenn ein Bergrücken überstiegen werden sollte. Während mehr als hundertundzwanzig Meilen mußte man beständig steigen und fallen, und wurde dessen herzlich müde. Der Ballon, ein zweiter Sisyphusfelsen, fiel beständig wieder; die Form des wenig aufgeblähten Luftschiffes wurde bereits schmaler; es zog sich in die Länge, und der Wind höhlte tiefe Taschen in seine schlaffe Hülle.

Kennedy hatte diese Erscheinungen längere Zeit beobachtet und wandte sich jetzt besorgt an den Doctor:

»Hat der Ballon etwa einen Riß?« fragte er.

»Nein«, antwortete Fergusson, »aber das Guttapercha hat sich augenscheinlich durch die Wärme erweicht oder ist geschmolzen. Das Wasserstoffgas entweicht jetzt durch den Taffet.«

»Läßt sich nichts dagegen thun?«

»Nicht das Geringste; die Gondel zu erleichtern ist das einzige Mittel; werfen wir Alles fort, was sich werfen läßt.«

»Aber was denn?« fragte Kennedy, indem er einen Blick auf den schon sehr geleerten Raum warf.

»Entledigen wir uns des Zeltes; sein Gewicht ist ziemlich beträchtlich.«

Joe, an den dieser Befehl gerichtet war, stieg über den Kreis, der die Stricke des Netzes zusammenhielt; von da aus gelang es ihm leicht, die dichten Vorhänge des Zeltes abzulösen, und nun ließ er sie hinunterfallen.

»Das wird einen ganzen Negerstamm glücklich machen, sagte er; damit können sich ungefähr tausend Eingeborene kleiden; sie gehen mit dem Stoff sehr sparsam um.«

Der Ballon hatte sich etwas gehoben, aber bald sah man deutlich, daß er wieder sank.

»Es wird uns nichts übrig bleiben, als auszusteigen, sprach Kennedy; laß uns doch sehen, ob sich noch etwas mit dieser Hülle machen läßt.«

»Ich wiederhole Dir, Dick, wir können nichts daran ändern.«

»Was sollen wir dann beginnen?«

»Wir opfern Alles, was nicht unumgänglich nothwendig ist; ich will um jeden Preis einen Halt unter diesen Breiten vermeiden; die Wälder, über deren Wipfel wir in diesem Augenblicke hinstreifen, sind nichts weniger als sicher.«

»Wie! Löwen? Hyänen?« rief Joe verächtlich.

»Gefährlicheres als das, mein Junge; Menschen, und zwar die grausamsten, die es in Afrika giebt.«

»Woher weiß man das?«

»Von den Reisenden, die vor uns hier waren; sodann haben die Franzosen, welche die Kolonie des Senegal bewohnen, notgedrungen Beziehungen mit den umgebenden Völkerschaften anknüpfen müssen; unter der Statthalterschaft des Obersten Faidherbe sind Recognoscirungen weit in das Land hinein vorgenommen; Offiziere wie die Herren Pascal, Vincent, Lambert haben werthvolle Notizen über ihre Expeditionen heimgebracht; sie durchforschten jene, von der Biegung des Senegal gebildeten Landstriche, in denen Krieg und Plünderung nur noch Ruinen zurückgelassen haben.«

»Was ist denn hier vorgegangen?«

»So hört; im Jahre 1854 rief ein Marabut aus dem Futa des Senegal, Al-Hadschi, der sich wie Mahomed göttlicher Eingebungen rühmte, alle Stämme zum Kriege gegen die Ungläubigen, d. h. die Europäer, auf. Er trug Zerstörung und Verwüstung zwischen den Senegal und seinen Nebenfluß Faleme. Drei von ihm geführte, fanatische Horden durchstreiften das Land sengend und mordend, und schonten weder Dörfer noch Hütten. Er selbst rückte im Nigerthale bis zur Stadt Sego vor, welche lange bedroht wurde. Im Jahre 1857 ging er weiter nach Norden, und belagerte das Fort Medine, das die Franzosen an den Ufern des Flusses erbaut hatten; diese Niederlassung wurde von einem Helden, Paul Holl, vertheidigt, der mehrere Monate hindurch ohne Nahrungsmittel, fast ohne Munition so lange Stand hielt, bis Oberst Faidherbe ihn entsetzte. Al-Hadschi und seine Banden gingen dann wieder über den Senegal und fuhren in Kaarta mit ihren Metzeleien und Raubanfällen fort. Dies gerade sind die Landstriche, in die er sich mit seinen Banditenhorden geflüchtet hat, und ich versichere euch, es wäre kein Vergnügen, ihm in die Hände zu fallen.«

»Das werden wir nicht«, sagte Joe; »und müßten mir unsere Stiefel opfern, um den Victoria zu heben.«

»Wir sind nicht weit von dem Flusse entfernt, begann der Doctor wieder; aber ich sehe vorher, daß der Ballon uns nicht über ihn forttragen wird.«

»Wären wir nur erst am Ufer«, meinte der Jäger; »dann würde sich das Weitere schon finden.«

»Wir wollen versuchen, bis dorthin zu kommen; nur ein Umstand beunruhigt mich einigermaßen.«

»Nun?«

»Wir haben noch Berge zu übersteigen, und das wird seine Schwierigkeiten haben, da die emportreibende Kraft des Luftschiffes nicht vermehrt werden kann, auch wenn ich die größtmögliche Wärme erzeuge.«

»Laß uns warten«, erwiderte Kennedy, »wir werden dann sehen.«

»Der arme Victoria!« klagte Joe; »ich habe ihn lieb gewonnen, wie der Seemann sein Schiff, und es wird mir schwer werden, mich von ihm zu trennen! Er ist freilich nicht mehr so schön wie bei der Abreise, aber man darf ihm nichts Böses nachsagen! Er hat uns vorzügliche Dienste geleistet, und es wird mir sehr nahe gehen, ihn im Stich zu lassen.«

»Sei unbesorgt, Joe; wenn wir ihn aufgeben, thun wir es nothgedrungen; er wird uns noch so lange tragen, bis seine Kraft gänzlich zu Ende ist. Ich verlange seine Dienste nur noch für vierundzwanzig Stunden.«

»Er wird matt«, sagte Joe bedauernd, indem er ihn betrachtete; »er magert ab; sein Leben schwindet; der arme Ballon!«

»Wenn ich mich nicht irre, so zeigen sich jetzt jene Berge, von denen Du sprachst, am Horizont, Samuel.«

Der Doctor sah durch sein Fernglas.

»Sie sind es allerdings«, bestätigte er; »ihre Höhe scheint mir sehr bedeutend, es wird uns schwer werden, sie zu übersteigen.«

»Könnte man sie nicht umsegeln?«

»Ich glaube nicht, Dick; sieh doch, was für einen weiten Raum sie einnehmen; sie füllen fast die Hälfte des Horizonts aus!

– Es hat sogar den Anschein, als ob sie sich um uns verengten, berichtete Joe; sie nähern sich von rechts und links.

– Wir müssen durchaus über sie hinweg.«

Die gefährlichen Hindernisse näherten sich mit großer Geschwindigkeit, oder, um sich richtiger auszudrücken: der Wind trieb den Victoria mit außerordentlicher Heftigkeit auf spitzige Felsen zu; er mußte sich um jeden Preis darüber erheben, wenn er nicht daran zerschellen wollte.

»Wir wollen unsere Wasserkiste leeren, ordnete Fergusson an, und uns nur Vorrath für einen Tag reserviren.

– Es ist besorgt, meldete Joe.

– Steigt der Ballon? fragte Kennedy.

– Nur um etwa fünfzig Fuß, erklang die wenig tröstliche Antwort des Doctors, der das Barometer nicht aus den Augen ließ; aber das ist nicht genügend.«

Die schroffen Berggipfel kamen jetzt dergestalt auf die Reisenden zu, daß es schien, als wollten sie auf den Ballon losstürzen, dieser hätte sich noch mehr als fünfhundert Fuß erheben müssen, um darüber hinwegschweben zu können.

Der Wasservorrath des Knallgasgebläses wurde nun gleichfalls herausgeworfen; man behielt nur wenige Pinten zurück. Aber auch dies brachte noch keine Hilfe.

»Und doch müssen wir auf jeden Fall hinüber! erklärte der Doctor.

– Laß uns auch die leeren Kisten hinausschleudern, schlug Kennedy vor.

– Werft sie fort!

»Ach«, sagte Joe, »wie traurig ist es, wenn man so Stück für Stück dahingehen sieht.«

»Was Dich betrifft, Joe, so denke nicht wieder daran, Dich wie neulich aufopfern zu wollen; was auch kommen möge, schwöre mir, daß Du uns nicht verlassen willst.«

»Haben Sie keine Sorge, Herr Doctor, wir werden uns nicht trennen.«

Der Victoria hatte jetzt etwa zwanzig Toisen an Höhe gewonnen, aber der Kamm des Berges ragte immer noch weit über ihn hinaus. Ein ziemlich gerader Bergrücken bildete den Abschluß einer zackigen, zerklüfteten Mauer, und dieser stieg noch mehr als zweihundert Fuß über den Reisenden empor.

»In zehn Minuten wird unsere Gondel an den Felsen zerschellt sein, wenn es uns nicht gelingt, sie darüber hinweg zu schaffen«, sprach der Doctor vor sich hin.

»Nun, Herr Samuel?« fragte Joe

»Hebe nur unsern Pemmican-Vorrath auf, und wirf all‘ das schwere Fleisch hinunter.«

Der Ballon wurde abermals um etwa fünfzig Pfund entlastet; er hob sich merklich, aber was half das, wenn er den Kamm der Berge nicht überstieg? Die Situation war schrecklich. Der Victoria eilte mit großer Geschwindigkeit; man merkte, daß er bei einem Zusammenstoß in Stücke fliegen würde.

Der Doctor blickte sich in der Gondel um – sie war fast leer.

»Wenn es sein muß, wirst Du Deine Waffen opfern, Dick.«

»Meine Waffen opfern?« rief der Jäger bewegt.

»Wenn ich Dich darum bitte, so ist es nothwendig.

– Samuel! Samuel!

– Deine Waffen, Deine Blei- und Pulvervorräthe können uns das Leben kosten!

– Wir kommen näher, immer naher!« schrie Joe. Noch um zehn Toisen ging der Berg über den Victoria hinaus! Joe nahm die Decken und warf sie hinab; auch schleuderte er, ohne Kennedy etwas davon zu sagen, mehrere Säcke mit Kugeln und Blei hinunter.

Der Ballon stieg wieder; er überschritt die gefährliche Klippe, und sein oberer Pol wurde von den Strahlen der Sonne beleuchtet. Aber die Gondel befand sich noch unter den Felsblöcken, an denen sie unvermeidlich zerschmettern mußte.

»Kennedy! Kennedy! rief der Doctor; wirf Deine Waffen fort, oder wir sind verloren.

– Warten Sie, Herr Dick, warten Sie!« sagte Joe. Und Kennedy, der sich nach ihm umwandte, sah ihn außerhalb der Gondel verschwinden.

»Joe! Joe! schrie er.

– Der Unglückliche!« sprach der Doctor.

Der Kamm des Berges mochte an dieser Stelle etwa zwanzig Fuß breit sein, und auf der andern Seite zeigte der Abhang eine geringere Abschüssigkeit. Die Gondel kam gerade auf das Niveau dieses ziemlich gleichmäßigen Plateaus zu, und glitt über einen, mit spitzigen Kieseln besäeten Boden hinweg.

»Wir segeln darüber hin! wir sind glücklich hinüber!« rief jetzt eine Stimme, bei der Fergusson’s Herz frohlockte.

Der kühne Bursche hielt sich mit den Händen am untern Rande der Gondel fest; er lief zu Fuß auf dem Gebirgskamme hin, indem er so den Ballon um die Gesammtsumme seines Gewichts erleichterte: er mußte diesen sogar mit aller Kraft festhalten, denn derselbe strebte danach, ihm zu entweichen.

Als das Luftschiff am entgegengesetzten Abhang angekommen war, und ein tiefer Abgrund sich vor Joe öffnete, schwang sich dieser mit einer gewandten Bewegung empor, kletterte an den Stricken weiter und stieg wieder in die Gondel ein.

»Nichts leichter als das«, warf er hin.

»Mein braver Joe, mein Freund!« sprach der Doctor weich.

»O, was ich eben gethan habe, geschah nicht für Sie, Herr Doctor, sondern nur für Herrn Dick’s Carabiner! Seit der Geschichte mit dem Araber war ich ihm das schuldig, und ich pflege meine Schulden zu bezahlen; jetzt sind wir quitt.« Mit diesen Worten reichte er dem Jäger seine Lieblingswaffe hin. »Es hätte mir zu weh gethan, mit anzusehen, wie Sie sich davon trennten.«

Kennedy drückte ihm warm die Hand, ohne ein Wort hervorbringen zu können.

Der Victoria brauchte jetzt nur immer zu fallen; das machte ihm keine Schwierigkeit; er war bald bis auf zweihundert Fuß vom Erdboden gesunken, und schwebte nun im Gleichgewicht. Das zerrissene Terrain bot zahlreiche Unebenheiten, denen man in der Nacht nicht gut aus dem Wege gehen konnte. Der Abend kam schnell heran, und trotz seines Widerstrebens mußte der Doctor sich entschließen, bis zum andern Tage Halt zu machen.

»Wir wollen eine günstige Stelle als Obdach für die Nacht suchen«, hub er an.

»Ah!« versetzte Kennedy, »Du willst also endlich?«

»Ja, ich habe lange über einen Plan nachgesonnen, den ich jetzt zur Ausführung bringen werde. Es ist eben erst sechs Uhr, wir haben also noch genügend Zeit. Joe, wirf die Anker aus.

Joe gehorchte, und bald hingen die beiden Anker unter der Gondel.

»Ich bemerke große Wälder«, fügte der Doctor hinzu; »wir werden über die Wipfel hinsegeln und den Ballon an irgend einen Baum haken. Um Alles in der Welt möchte ich die Nacht nicht auf dem Boden zubringen.«

»Werden wir aussteigen können?« fragte Kennedy.

»Wozu sollte das nützen? ich wiederhole Euch, daß es gefährlich sein würde, wenn wir uns trennten. Außerdem beanspruche ich Eure Hilfe für eine schwierige Arbeit.«

Der Victoria, der über unendlichen Wäldern dahinstreifte, hielt mit einem plötzlichen Ruck an; die Anker hatten gefaßt. Mit Anbruch der Dunkelheit legte sich der Wind, und der Ballon schwebte fast unbeweglich über dem großen grünen Felde, das von den Wipfeln eines Sykomorenwaldes gebildet wurde.

Zweiundvierzigstes Capitel

Zweiundvierzigstes Capitel

Edler Wettstreit. – Letztes Opfer. – Der Ausdehnungsapparat. – Geschicklichkeit Joe’s. – Mitternacht. – Die Wache des Doctors. – Die Wache Kennedy’s. – Er schläft ein. – Der Brand. – Das Geheul – Außer dem Bereich.

Doctor Fergusson bestimmte zunächst die Lage der Oertlichkeit nach der Höhe der Sterne; er befand sich kaum fünfundzwanzig Meilen vom Senegal entfernt.

»Alles, was wir erreichen können, meine Freunde, begann er, nachdem er das Besteck auf der Karte gemacht hatte, … ist, daß wir den Fluß überschreiten; da es hier aber weder eine Brücke noch Barken giebt, müssen wir durchaus im Ballon hinüber und dazu sein Gewicht noch mehr verringern.

– Aber ich sehe nicht ein, wie das möglich ist, entgegnete der Jäger, der für seine Waffen fürchtete; wofern nicht einer von uns sich opfert, indem er zurückbleibt … und ich meinerseits möchte diese Ehre beanspruchen.

– Das wäre! begann Joe; bin ich nicht etwa gewohnt …

– Es handelt sich diesmal nicht darum, hinauszustürzen, sondem zu Fuß die Küste Afrika’s zu erreichen; ich bin ein tüchtiger Fußgänger, ein guter Jäger. . .

– Nie werde ich das zulassen! rief Joe.

– Euer großmüthiger Streit ist überflüssig, meine wackern Freunde, sagte Fergusson; ich hoffe, daß es nicht zum Aeußersten mit uns kommen wird; sollte ein solches Mittel übrigens nothwendig werden, so würden wir zusammenbleiben, um uns gemeinsam durch dies Land zu schlagen.

– Das nenne ich doch noch ein Wort! meinte Joe; ein kleiner Spaziergang wird uns nicht schaden.

– Aber zuvor, versetzte der Doctor, wollen wir ein letztes Mittel anwenden, um unsern Victoria zu erleichtern.

– Welches? fragte Kennedy; darauf bin ich sehr gespannt.

– Wir müssen die Kasten des Knallgasgebläses, die Bunsen’sche Batterie und das Schlangenrohr hinausschaffen. An ihnen schleppen wir ein Gewicht von nahezu neunhundert Pfund mit uns durch die Lüfte.«

»Aber, Samuel, wie willst Du denn die Ausdehnung des Gases erzielen?«

»Wir müssen ohne eine solche fertig werden.«

»Aber …«

»Hört mich an, meine Freunde; ich habe sehr genau den Rest der emportreibenden Kraft des Ballons berechnet; sie reicht hin, um uns alle drei mit den wenigen Gegenständen, die uns bleiben, fortzuschaffen; wir werden kaum ein Gewicht von fünfhundert Pfund haben, unsere beiden Anker, die ich zu behalten gedenke, mit inbegriffen.«

»Mein lieber Samuel«, erwiderte der Jäger, »Du bist in dergleichen Dingen mehr competent, als wir; Du allein kannst unsere Lage beurtheilen; sage uns, was wir thun sollen, und wir werden gehorchen.«

»Ich harre Ihrer Befehle, Herr Doctor.«

»Ich wiederhole Euch, meine Freunde, so bedenklich diese Entscheidung auch sein mag, wir müssen unsern Apparat opfern.«

»Wir opfern ihn! an’s Werk!« riefen Kennedy und Joe.

Es war dies keine geringe Arbeit; man mußte den Apparat Stück für Stück auseinandernehmen; zuerst wurde der Mischungskasten, dann der des Knallgasgebläses und endlich der Kasten, in dem die Zerlegung des Wassers vor sich ging, entfernt. Es bedurfte nicht minder der vereinten Kraft der drei Reisenden, um die Behälter unten aus der Gondel, wo sie fest eingefügt waren, herauszureißen; aber Kennedy war so kräftig, Joe so gewandt und Samuel so erfinderisch, daß man endlich damit zu Stande kam: die verschiedenen Stücke wurden nach einander ausgeworfen und verschwanden, indem sie in das Laub der Sykomore große Lücken rissen.

»Die Neger werden nicht wenig erstaunt sein, wenn sie diese Gegenstände in den Wäldern antreffen, scherzte Joe; sie sind im Stande, Götzenbilder daraus zu machen!«

Nun mußte man sich mit den Röhren beschäftigen, die in den Ballon eingelassen waren, und welche mit dem Schlangenrohr in Verbindung standen. Es gelang Joe, die Kautschukglieder einige Fuß über der Gondel abzuschneiden, aber mit den Röhren ging das nicht so leicht, denn diese waren mit ihrem obern Ende an dem Kreise des Ventils durch Messingdrähte befestigt.

Nun entfaltete Joe eine wirklich staunenswerthe Geschicklichkeit; er kletterte, um die Hülle nicht zu ritzen, mit nackten Füßen, trotz aller Schwankungen, mit Hilfe des Netzes bis an die äußere Spitze des Luftschiffes, und dort machte er nach Ueberwindung von tausend Schwierigkeiten, und indem er sich mit einer Hand an die glatte Oberfläche klammerte, die äußern Scheiben, welche die Röhren hielten, los. Letztere ließen sich nun leicht beseitigen und wurden durch den untern Fortsatz des Ballons weggezogen, welcher vermittelst eines starken Bundes wieder hermetisch geschlossen wurde.

Der Victoria, von diesem beträchtlichen Gewichte befreit, richtete sich wieder in die Luft und spannte das Ankertau straff an.

Nach großen Anstrengungen wurden diese Arbeiten um Mitternacht endlich beendet und man nahm eilig ein aus Pemmican und kaltem Grog bestehendes Mahl ein. Der Doctor konnte Joe keine Hitze mehr zur Verfügung stellen.

Kennedy wie Joe waren so ermüdet, daß sie sich fast nicht mehr aufrecht halten konnten.

»Geht zur Ruhe, meine Freunde, sagte Fergusson; ich will bis zwei Uhr die Wache übernehmen und mich dann bis vier Uhr von Kennedy ablösen lassen. Joe kann dann noch von vier bis sechs Uhr wachen, und um diese Zeit wollen wir aufbrechen. Möge der Himmel während dieses letzten Tages noch über uns wachen!«

Ohne sich viel bitten zu lassen, streckten sich die beiden Gefährten des Doctors auf dem Boden der Gondel aus und schliefen alsbald fest ein.

Die Nacht verging friedlich; einige Wolken zerflossen im sanften Schein des letzten Mondviertels, dessen unbestimmte Strahlen die Dunkelheit kaum durchbrachen. Fergusson, auf den Rand der Gondel gestützt, ließ seine Blicke umherschweifen; aufmerksam überwachte er den düstern Blättervorhang, der sich ihm zu Füßen ausbreitete und ihm die Aussicht auf den Erdboden entzog. Das geringste Geräusch schien ihm verdächtig, und mit gespanntem Ohr horchte er sogar auf das leichte Säuseln der Blätter.

Er befand sich in jener, durch die Einsamkeit noch erhöhten Stimmung, in welcher unbestimmte Schreckbilder im Gehirn aufsteigen. Am Ende einer solchen Reise, nachdem er so viele Hindernisse überwunden hatte, und nun endlich auf dem Punkte stand, das Ziel zu erreichen, waren seine Befürchtungen lebhafter, seine Geistesregungen gewaltsamer; er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß noch jetzt der Vollendung seiner Reise unüberwindliche Gefahren entgegenständen. Uebrigens hatte die gegenwärtige Situation, mitten in einem barbarischen Lande, bei einem Beförderungsmittel, das jeden Augenblick den Dienst versagen konnte, durchaus nichts Beruhigendes. Der Doctor konnte auf seinen Ballon kein Vertrauen mehr setzen; die Zeit war vorüber, wo er ihn mit Sicherheit und Kühnheit handhabte, weil er sich auf ihn verlassen konnte.

Unter diesen und ähnlichen Gedanken glaubte Fergusson bisweilen ein unbestimmtes Geräusch in den ungeheuren Wäldern zu vernehmen, und zuweilen schien es ihm sogar, als ob ein rasches Feuer zwischen den Bäumen aufleuchte. Er blickte scharf hinunter und richtete sein Nacht-Fernglas auf die betreffende Stelle, aber nichts zeigte sich; es entstand ein noch fast tieferes Schweigen.

Fergusson hatte zweifellos eine Sinnestäuschung gehabt; er horchte nochmals, ohne jedoch das geringste Geräusch wahrzunehmen, und da die Zeit seiner Wache nun abgelaufen war, weckte er Kennedy, empfahl ihm die äußerste Wachsamkeit und legte sich neben Joe nieder, der fest und ruhig schlief.

Kennedy zündete seine Pfeife an und rieb sich die Augen, die er nur mit großer Mühe offen hielt; dann setzte er sich in einen Winkel der Gondel, stützte den Kopf in die Hand und rauchte in kräftigen Zügen, um den Schlaf zu verscheuchen.

Das absoluteste Schweigen herrschte ringsum; ein leichter Wind fuhr durch die Wipfel der Bäume, schaukelte leise die Gondel und lullte unversehens den Jäger in Schlaf; mit großer Anstrengung öffnete Kennedy mehrmals die Augen, schaute in das Dunkel hinaus, ohne jedoch vor Schlaftrunkenheit etwas sehen zu können, und schlummerte endlich, der unsäglichen Ermüdung erliegend, fest ein.

Wie lange er so gelegen, wußte er nicht, aber plötzlich wurde er durch ein sonderbares Knistern erweckt; er riß die Augen weit auf und richtete sich empor. Eine intensive Gluth zeichnete ihren Widerschein auf seinem Gesicht – der Wald stand in Flammen!

»Feuer! Feuer!« rief er, ohne noch den Vorgang recht zu begreifen.

Seine beiden Gefährten erhoben sich.

»Was giebt’s?« fragte Samuel.

»Eine Feuersbrunst«, erwiderte Joe »… aber was kann …«

In diesem Augenblick erschallte ein Geheul unter dem gewaltsam illuminirten Laube.

»Ah, die Wilden!« rief Joe. »Sie haben den Wald angezündet, um uns sicherer in Brand zu stecken!«

»Ohne Zweifel die Talibas! die Marabuts des Al-Hadschi!« sagte der Doctor.

Ein Feuerkreis umgab den Victoria; das Knacken des trockenen Holzes mischte sich mit dem Aechzen der grünen Zweige; Lianen, Blätter, der ganze lebende Theil dieser Vegetation wand sich in dem zerstörenden Element; der Blick fiel nur auf Flammen; die großen Bäume zeichneten sich schwarz in dem Schmelzofen ab, während rings um sie her von ihren Kronen ein glühender Kohlenregen herniedertroff. Der Brand spiegelte sich in den Wolken wieder, und die Reisenden glaubten sich in das Innere einer feurigen Kugel versetzt.

»Laß uns fliehen!« schrie Kennedy; »an’s Land! das ist die einzige Möglichkeit, wie wir uns retten können!«

Aber Fergusson hielt ihn mit fester Hand zurück, und auf das Ankertau losstürzend, hieb er es mit einem Schlage durch. Schon leckten die Flammen, zu dem Ballon emporzüngelnd, an dessen erleuchteten Wänden; doch der Victoria, seiner Fesseln entledigt stieg über tausend Fuß in die Lüfte.

Ein entsetzliches Geschrei und Flintenknallen ertönte unten im Walde, aber der Ballon wurde von einer Strömung erfaßt, die sich mit Tagesanbruch aufgemacht hatte, und entfloh in westlicher Richtung.

Es war vier Uhr Morgens.

Vierunddreißigstes Capitel

Vierunddreißigstes Capitel

Der Orkan. – Gezwungene Abreise. – Verlust eines Ankers. – Trübe Erwägungen. – Ein Entschluß. – Die Sandhose. – Die verschüttete Karawane. – Widriger und günstiger Wind. – Rückkehr nach dem Süden. – Kennedy auf seinem Posten.

Um drei Uhr Morgens wehte der Wind mit so großer Heftigkeit, daß der Victoria nicht ohne Gefahr auf dem Boden bleiben konnte; das Schilf streifte und rieb seine Umhüllung und drohte, sie zu zerreißen.

»Wir müssen fort von hier. Dick,« sagte der Doctor, »es ist unmöglich für uns, noch länger in dieser Lage zu verharren.«

»Aber Joe, Samuel?«

»Ich werde ihn nicht verlassen, gewiß nicht, und sollte mich der Orkan hundert Meilen weit nach Norden tragen, ich werde zurückkehren. Aber wenn wir hier bleiben, setzen wir die Sicherheit Aller auf’s Spiel.«

»Ohne ihn abreisen?« rief der Schotte im Ton schmerzlichen Bedauerns.

»Glaubst Du denn,« erwiderte Fergusson, »daß mir nicht das Herz ebenso blutet wie Dir? muß ich mich nicht der gebieterischen Notwendigkeit fügen?«

»Wie Du willst,« antwortete der Jäger; »brechen wir auf.«

Aber die Abreise bot große Schwierigkeiten. Der tiefeingesenkte Anker leistete allen Anstrengungen Widerstand, und der Ballon, der nach verkehrter Richtung zog, machte dies Uebel noch immer größer. Es gelang Kennedy nicht, den Anker herauszureißen; und das Beginnen des Schotten wurde in der gegenwärtigen Lage ein sehr gefährliches, denn man mußte besorgen, daß der Victoria sich, noch ehe Dick eingestiegen war, auf und davon machte.

Fergusson, der sich dem nicht aussetzen wollte, ließ den Freund in die Gondel steigen und ergab sich darein, das Ankertau abzuhauen. Der Victoria machte einen Satz von dreihundert Fuß in die Luft, und wandte sich direct nach Norden.

Fergusson konnte nichts hiergegen thun; er kreuzte die Arme und gab sich trüben Erwägungen hin.

Nach einigen Minuten tiefen Schweigens richtete er sich mit folgenden Worten an den nicht minder traurig gestimmten Kennedy:

»Wir haben vielleicht Gott versucht; die Unternehmung einer solchen Reise kam nicht Menschen zu! …« und ein schwerer Seufzer entrang sich seiner Brust.

»Vor wenigen Tagen noch schätzten wir uns glücklich, großen Gefahren entronnen zu sein,« erwiderte der Jäger. »Wir drückten uns alle drei die Hände!«

»Armer Joe, die gute, durch und durch ehrliche Natur, das brave Herz! wenn er sich auch einen Augenblick von seinen Reichthümern blenden ließ, so opferte er doch willig all‘ seine Schätze! Jetzt ist er weit von uns entfernt, und der Wind trägt uns mit unwiderstehlicher Gewalt davon!«

»Höre doch, Samuel, könnte er es nicht, wenn er unter den Stämmen des Sees eine Zuflucht gefunden haben sollte, so machen wie die Reisenden, welche dieselben vor uns besucht haben, wie Denham, wie Barth? Diese haben doch ihre Heimat wiedergesehen.«

»Ach, mein armer Dick, Joe versteht nicht ein Wort von der Sprache des Landes! er steht völlig allein und ohne Hilfsquellen da! Die von Dir erwähnten Reisenden gingen nur auf solche Weise vorwärts, daß sie den Häuptlingen zahlreiche Geschenke übersandten, auch waren sie unter starkem Geleit und für diese Expeditionen bewaffnet und gerüstet. Und doch konnten sie Leiden und Qualen der furchtbarsten Art nicht Vermeiden! Was soll aus unserm unglücklichen Gefährten werden? es ist schauerlich, nur daran zu denken, und nie habe ich eine größere Sorge empfunden!«

»Aber wir werden doch wieder zurückkehren, Samuel.«

»Ja, Dick, und selbst wenn wir den Victoria im Stich lassen, zu Fuß nach dem Tschad-See zurückwandern und uns mit dem Sultan von Bornu in Verbindung setzen sollten! Die Araber können den ersten Europäern kein schlechtes Andenken bewahrt haben.«

»Ich werde Dir überall hin folgen, Samuel,« betheuerte der Jäger energisch. »Du kannst auf mich zählen! Eher wollen wir darauf verzichten, diese Reise zu beenden! Joe hat sich für uns dahingegeben, wir wollen uns für ihn opfern!«

Dieser Entschluß ermuthigte von Neuem die beiden Männer, sie fühlten sich stark in demselben Gedanken. Fergusson setzte Alles daran, um in eine entgegengesetzte Strömung zu gerathen, die ihn dem Tschad wieder nähern könnte, aber dies war jetzt unmöglich, und sogar die Landung ließ sich auf einem entblößten Terrain und bei einem so heftig tosenden Orkan nicht bewerkstelligen.

So durcheilte der Victoria das Land der Tibbus; er durchschnitt Belad el Dscherid, eine dornige Wüste, die den Saum von Sudan bildet, und drang in das, von langen Karawanenspuren durchfurchte Sandmeer vor; die letzte Vegetationslinie verschmolz bald am südlichen Horizont mit dem Himmel, nicht weit von der hauptsächlichsten Oase dieses Theiles von Afrika, deren fünfzig Brunnen von prächtigen Bäumen beschattet werden; es war unmöglich, anzuhalten. Ein arabisches Lager, Zelte aus gestreiften Stoffen, einige Kameele, die ihren Vipernkopf auf dem Sande ausstreckten, belebten diese Einöde; aber der Victoria zog wie ein wandelnder Stern vorüber und legte in drei Stunden eine Entfernung von sechzig Meilen zurück, ohne daß es Fergusson gelang, seinen Lauf zu hemmen.

»Wir können nicht Halt machen! wir können nicht herniedersteigen! rief er aus; kein Baum, kein Vorsprung zeigt sich! Sollen wir denn die Sahara überschreiten? der Himmel ist entschieden gegen uns!«

So sprach er in muthloser Verzweiflung, als er im Norden mitten in einem dichten Staub den Wüstensand sich zusammenthürmen und unter dem Stoß entgegengesetzter Luftströmungen dahinwirbeln sah.

Mitten in diesem Chaos, von der Sandlawine überschüttet, zerschmettert, daniedergeworfen, ging elend eine Karawane unter. Die Kameele ließen ein dumpfes, jammervolles Stöhnen hören, und durch den erstickenden Nebel drang verzweifeltes Geschrei und Geheul. Bisweilen sah man noch die grellen Farben bunter Gewänder durch den grausamen tödtenden Sand schimmern, aber bald verschwanden auch diese, und das Gebrüll des Sturmes übertönte jeden andern Laut.

Wo sich eben noch eine ununterbrochene Ebene erstreckte, erhob sich jetzt ein noch in Bewegung begriffener Hügel – das ungeheure Grab einer verschlungenen Karawane.

Der Doctor und Kennedy hatten erbleichend diesem entsetzlichen Schauspiel beigewohnt; an ein Lenken ihres Ballons war nicht zu denken; er wirbelte in ganz entgegengesetzten Strömungen und gehorchte nicht im Geringsten mehr der verschiedenen Anspannung des Gases. In diese Luftstrudel hineingerissen, drehte er sich mit schwindelerregender Schnelligkeit; die Gondel wurde heftig hin und hergeschleudert, so daß die unter dem Zelte aufgehangenen Instrumente klirrend an einander stießen und die Windungen des Schlangenrohrs sich zum Zerspringen krümmten. Die Wasserkisten wurden lärmend aus einer Ecke der Gondel in die andere gerückt, und die Reisenden, welche mit krampfhaft geballter Hand das Tauwerk umklammerten und sich gegen die Wuth des Orkans zu halten versuchten, konnten sich in dem Tosen des Sturms durch kein Wort, keinen Ruf verständigen.

Kennedy, dessen Haar wild um Stirn und Augen flatterte, starrte in den Orkan hinein, ohne zu sprechen. Der Doktor aber schien in dieser drohenden Gefahr seine Ruhe und Kühnheit wiedergefunden zu haben; auf seinen Zügen zeigte sich keine Bewegung des Schreckens, ja nicht einmal, als der Victoria nach einer letzten, scharfen Drehung plötzlich und unerwartet still stand. Der Nordwind hatte die Oberhand gewonnen und jagte ihn jetzt in entgegen gesetzter Richtung wie am Morgen, aber mit ebenso großer Schnelligkeit dahin.

»Wo geraten wir hin?«, rief Dick besorgt.

»Lass der Vorsehung ihren Lauf, mein lieber Dick; es war unrecht von mir, einen Augenblick an ihr zu zweifeln; sie weiß besser als wir, was uns heilsam ist, und führt uns jetzt an Orte zurück, die wir nie wiederzusehen hofften.«

Der noch vor kurzer Zeit so ebene Boden war jetzt aufgewühlt wie eine Fluch im Sturm; eine Reihe kleiner, fast noch flüssiger Berge bildeten Richtpunkte in der Wüste; der Wind blies noch immer gewaltig und der Victoria schnellte förmlich durch die Luft.

Die von den Reisenden verfolgte Bahn war nicht genau dieselbe wie am heutigen Morgen; statt die Ufer des Tschad wiederzufinden, sahen sie immer noch die Wüste vor sich. – Kennedy machte seinen Freund hierauf aufmerksam.

»Tut nichts«, beruhigte ihn der Doktor; »die Hauptsache für uns ist, wieder nach Süden zu gelangen; wahrscheinlich kommen wir auf die Städte Wuddie oder Kuka in Bornu zu und ich werde kein Bedenken tragen, dort anzuhalten.«

»Wenn Du damit zufrieden bist, bin ich es auch,« erwiderte der Jäger. »Gebe nur der Himmel, daß wir nicht noch genöthigt werden, die Wüste zu durchreisen, wie jene unglücklichen Araber! Was wir heute sahen, war schauerlich.«

»Und kommt doch so häufig vor, Dick. Die Wanderungen durch die Wüste haben dieselben Gefahren wie die Reisen auf dem Ocean; auch in der Wüste kann man versinken, und außerdem warten der Wanderer die qualvollsten Strapazen und Entbehrungen.«

»Es scheint, als ob der Wind schwächer würde,« bemerkte Kennedy; »der Staub, welcher über dem Sande wirbelt, ist weniger dicht, seine wellenförmigen Linien glätten sich allmälig wieder, und der Horizont klärt sich auf.«

»Um so besser; wir müssen genau mit dem Fernglase ausspähen; nicht ein Punkt darf unserm Blick entgehen!«

»Laß das meine Sorge sein, Samuel; sobald sich der erste Baum zeigt, werde ich’s Dir sagen.«

Und Kennedy postirte sich, mit dem Fernglase in der Hand, an den Rand der Gondel.

Vierundzwanzigstes Capitel

Vierundzwanzigstes Capitel

Der Wind legt sich. – Herannahen der Wüste. – Wassermangel. – Die Nächte unter dem Aequator. – Darlegung der gegenwärtigen Lage. – Kennedy’s und Joe’s energische Antworten. – Noch eine Nacht.

Der Victoria wurde an einen einzelnstehenden, fast vertrockneten Baum befestigt, und brachte die Nacht in vollkommener Ruhe zu. Die Reisenden konnten sich endlich ein wenig Schlaf gönnen, die letzten Tage hatten zu viele Aufregungen gebracht, und ihnen manche traurige Erinnerung zurückgelassen.

Gegen Morgen nahm der Himmel wieder seine glänzende Durchsichtigkeit und Hitze an; der Ballon stieg in die Lüfte und traf nach mehreren vergeblichen Versuchen auf eine übrigens nicht sehr schnelle Strömung, die ihn nach Nordwesten trug.

»Wir kommen nicht mehr von der Stelle, begann der Doctor; wenn ich mich nicht irre, haben wir in etwa zehn Tagen die Hälfte unserer Reise zurückgelegt, aber unter den jetzigen Verhältnissen kann es Monate dauern, ehe wir sie beenden; um so fataler, als wir von Wassermangel bedroht werden.

– Es ist doch ganz undenkbar, daß wir auf dieser großen Länderstrecke nicht einen Fluß, einen Bach oder irgend einen Teich antreffen sollten.

– Ich wünschte es.

– Sollte etwa Joe’s Ladung die Schnelligkeit unsrer Reise beeinträchtigen?«

Kennedy sagte das, um den guten Jungen zu hänseln, und es lag ihm dies um so näher, als er selbst innerlich einen Augenblick Joe’s Verblendung getheilt hatte. Da er aber solche Gefühle in sich verschlossen, spielte er sich jetzt als starken Geist auf, übrigens nur im Scherz.

Joe antwortete ihm nur mit einem verdrießlichen Blick. Der Doctor schwieg; er dachte nicht ohne geheimen Schrecken an die wüsten Einöden der Sahara, in denen Wochen dahingehen, ohne daß die Karawanen einen Brunnen antreffen, um ihren Durst zu löschen. Er faßte daher mit ängstlichster Sorgfalt auch die geringsten Senkungen des Erdbodens in’s Auge.

Diese Besorgniß des Doctors drückte, im Verein mit den letzten Ereignissen der Reise, die Stimmung der drei Reisenden merklich herab; es wurde weniger als je gesprochen, und jeder war in seine eigenen Gedanken versunken.

Der würdige Joe war nicht mehr wieder zu erkennen, seitdem er seine Blicke in das Meer von Gold getaucht hatte. Er betrachtete schweigend, mit sehnsüchtigem Verlangen seine in der Gondel angehäuften Steine, die heute noch werthlos, morgen unschätzbar werden konnten.

Der Anblick des Landes wurde hier übrigens beunruhigend; es nahm allmälig den Charakter der Wüste an. Weder ein Dorf noch die kleinste Vereinigung von Hütten war zu entdecken; die Vegetation verschwand mehr und mehr, kaum ließen sich noch, wie in den Heidedistricten Schottlands, einige verkrüppelte Zwergpflanzen entdecken; überall bezeichneten weißlicher Sand und Feuersteine den Anfang der Wüste. In dieser Unfruchtbarkeit erschien das rohe Gerippe der Erdoberfläche in scharfen, jäh abfallenden Felskämmen. Diese Anzeichen trostlosester Dürre riefen dem Doctor allerhand trübe Gedanken wach.

Es hatte nicht den Anschein, als sei jemals eine Karawane in diese verlassene Gegend gedrungen; sie hätte sicherlich Spuren eines Lagers, gebleichte Menschen- oder Thierknochen zurückgelassen; aber nichts von alledem war zu sehen. Man merkte bald, in welch‘ unermeßliche Sandfläche die öde Gegend auslaufen würde, aber an ein Zurückweichen war weder zu denken, noch lag es in der Absicht des Doctors. Ein Sturm jedoch, der ihn in so schneller Zeit als möglich über dieses Land fortgerissen hätte, wäre ihm willkommen gewesen; auch nicht eine Wolke ließ sich blicken! Am Ende dieses Tages hatte der Victoria noch nicht dreißig Meilen durchmessen.

Wenn nur kein Wassermangel zu fürchten gewesen wäre! Aber der ganze Vorrath bestand nur noch aus drei Gallonen! Fergusson bestimmte eine derselben, ihren brennenden Durst zu löschen, und die beiden übrigen, um das Knallgasgebläse zu speisen. Es konnten hiermit nur vierhundert und achtzig Cubikfuß Gas erzeugt werden, und da das Knallgasgebläse jede Stunde etwa neun Cubikfuß davon verbrauchte, konnte man nur noch auf eine vierundfünfzigstündige Reise rechnen.

Dieser Anschlag war mathematisch vollkommen genau und richtig.

»Vierundfünfzig Stunden! sprach Fergusson zu seinen Begleitern. Da ich nun aber fest entschlossen bin, die Nacht über nicht zu reisen, weil ich fürchte, einen Bach, eine Quelle oder irgend eine Lache zu übersehen, so bleiben uns noch drei und ein halber Reisetag; in dieser Zeit müssen wir um jeden Preis Wasser finden. Ich hielt es für meine Pflicht, euch, meine Freunde, mit dem Ernst der Situation bekannt zu machen, denn ich reservire nur eine einzige Gallone für den Durst, und mir werden uns auf eine sehr geringe Ration setzen müssen.«

»Theile die Rationen für uns ein, schlug der Jäger vor. Für jetzt haben wir keinen Grund zu verzweifeln, denn es liegen noch drei volle Tage vor uns, sagst Du?«

»Ja, mein lieber Dick.«

»Nun, da unser Jammern nichts helfen kann, wollen wir diese drei Tage benutzen, einen Entschluß zu fassen. Bis dahin laß uns unsere Wachsamkeit verdoppeln.«

Beim Abendessen wurde das Wasser genau gemessen, und der Branntweinzusatz im Grog erhöht. Man mußte jedoch vorsichtig mit diesem Getränk zu Werke gehen, das eher dazu dient, den Durst zu erhöhen, als ihn zu stillen.

Die Gondel ruhte während der Nacht auf einem unermeßlich weiten Plateau, von dem aus man eine große Senkung beobachten konnte. Die Höhe derselben betrug kaum achthundert Fuß über dem Meeresspiegel. Dieser Umstand flößte dem Doctor wieder einige Hoffnung ein, da er ihn daran erinnerte, was die Geographen in Bezug auf eine große Wasserfläche in Zentral-Afrika behauptet haben. Wenn dieser See wirklich vorhanden war, so mußte man ihn auffinden; an dem stets gleichmäßig unbewegten Himmel zeigte sich noch immer nicht die geringste Aenderung.

Auf die friedliche Nacht mit ihrem Sternenschein folgte ein Tag, der wenn möglich eine noch glühendere Hitze als die vorhergehenden entwickelte. Vom frühen Morgen an steigerte sich die Temperatur zu einer unerträglich drückenden Hitze.

Der Doctor hätte dieser intensiven Gluth durch ein Aufsteigen in die oberen Regionen entgehen können, doch wäre hiebei eine größere Quantität Wasser vergeudet worden, und dies wollte er entschieden vermeiden. Fergusson begnügte sich also damit, das Luftschiff in einer Höhe von hundert Fuß über dem Boden zu halten; eine schwache Strömung trieb es dem westlichen Horizonte zu.

Das heutige Frühstück bestand aus etwas getrocknetem Fleisch und Pemmican. Gegen zwölf Uhr Mittags hatte der Victoria kaum einige Meilen durchflogen.

»Wir können nicht schneller reisen, sagte der Doctor, wir sind nicht mehr Herren der Situation, sondern müssen uns den Verhältnissen fügen.«

– Mein lieber Samuel, hub der Jäger an, bei einer Gelegenheit wie diese wäre ein Propeller doch nicht zu verachten.

– Gewiß, Dick, wenn er nur kein Wasser verbrauchte, um sich in Bewegung zu setzen. Hierdurch würde nämlich unsere Lage genau dieselbe werden. Man hat übrigens bis jetzt keine praktische Erfindung in dieser Beziehung gemacht. Die Ballons stehen noch auf derselben Stufe wie die Schiffe vor Erfindung des Dampfes. Sechstausend Jahre hat man gebraucht, um die Schaufelräder und Schrauben zu ersinnen, wir können also noch eine gute Zeit warten.

– Verdammte Hitze! und Joe trocknete sich die hellen Schweißtropfen von der Stirn.

– Wenn wir Wasser hätten, würde uns diese Hitze nur förderlich sein, denn sie dehnt das Wasserstoffgas aus und erheischt eine weniger starke Flamme im Schlangenrohr. O, der verwünschte Wilde, dem wir diese kostbare Wasserkiste opfern mußten!

– Bedauerst Du, es gethan zu haben, Samuel?

– Nein, Dick; konnten wir doch diesen Unglücklichen dadurch einem qualvollen Tode entreißen! aber die hundert Pfund Wasser, die wir damals fortgeworfen haben, würden uns jetzt sehr nützlich sein. Mit ihrer Hilfe könnten wir noch zwölf bis dreizehn Tage weiterreisen, und somit sicher über diese Wüste hinwegkommen.

– Haben wir jetzt nicht wenigstens die Hälfte der Reise hinter uns? fragte Joe.

– Als Entfernung ja, aber was die Dauer anbetrifft, nein, wenn nämlich der Wind uns im Stich lässt: er scheint sich vollständig legen zu wollen.

– Nun, Herr Doctor, versetzte Joe, wir dürfen uns nicht beklagen; bis jetzt ist es uns leidlich gut gegangen, und es ist mir unmöglich, mich der Verzweiflung hinzugeben. Wir werden Wasser finden, und das sage ich – Joe!«

Der Boden senkte sich indessen von Meile zu Meile mehr. Die Wellenlinien der goldhaltigen Berge erstarben am Horizont. Es waren dies die letzten schwachen Anstrengungen einer erschöpften Natur. Zerstreute, einzelne Gräser ersetzten die schönen Bäume des Ostens, einige Streifen fahlen Grüns kämpften noch mit dem Sande um ihre Existenz; die großen, von den fernen Berggipfeln losgelösten Felsstücke zerbröckelten, bei ihrem Falle zerschmettert, in scharfe Kieselsteine, aus denen bald ein körniger Sand und dann ein ganz feiner Staub wurde.

»Sieh, Joe, so hast Du Dir Afrika vorgestellt; Du siehst jetzt, wie Recht ich hatte, Dir zu sagen: Habe Geduld und warte es ab.

– Aber, Herr Doctor, das ist ja ganz natürlich; Hitze und Sand. Es wäre thöricht, in einem solchen Lande etwas Anderes suchen zu wollen. Ich hatte ja keinen Glauben an eure Wälder und Prairien, fügte er lachend hinzu; das war widersinnig! es lohnte nicht der Mühe, so weit zu reisen, wenn man nichts Anderes sehen soll, als was man in England hat. Zum ersten Mal kommt es mir vor, als wäre ich in Afrika, und es thut mir nicht leid, ein wenig davon zu kosten.«

Gegen Abend constatirte der Doctor, daß der Victoria an diesem brennendheißen Tage nicht zwanzig Meilen zurückgelegt hatte. Ein warmes Dunkel umhüllte ihn, sobald die Sonne hinter der schnurgeraden Linie des Horizonts verschwunden war.

Der folgende Tag war der erste Mai, ein Donnerstag; aber die Tage folgten einander in verzweifelnder Eintönigkeit; dieser Morgen glich dem vorhergehenden ganz genau; die Mittagssonne sandte in verschwenderischer Fülle ihre immer gleichen, unerschöpflichen Strahlen, und die Nacht ballte in ihrem Schatten diese Wärme zusammen, die der folgende Tag dann wieder der darauffolgenden Nacht übergab. Der kaum merkliche Luftzug war mehr einem Aushauchen als einem Wehen zu vergleichen, und man fürchtete, den Augenblick im Voraus zu fühlen, in dem dieser schwache Athem gänzlich verlöschen würde.

Der Doctor trat der Trostlosigkeit seiner Lage mit voller Energie entgegen; er bewahrte die Ruhe und Kaltblütigkeit eines kampfgewohnten Herzens. Mit dem Fernglas in der Hand durchsuchte er alle Punkte, so weit der Horizont reichte; er sah die letzten Hügel sich allmälig ebnen, die Vegetation noch dürftiger werden und verschwinden, und wurde mit Schrecken gewahr, wie sich vor ihm die ganze Unermeßlichkeit der Wüste ausbreitete.

Fergusson war sich der Verantwortlichkeit, welche auf ihm ruhte, sehr schwer bewußt, obgleich er kein Wort hierüber verlor. Hatte er diese beiden Männer, Kennedy und Joe, die durch Pflicht und Freundschaft mit ihm verbunden waren, nicht fast gezwungen, mit ihm in die gefahrvolle Ferne zu ziehen? Hieß das nicht verwegen gehandelt? War diese Reise nicht ein Versuch, die Grenzen des Unmöglichen zu überschreiten? Hatte Gott nicht vielleicht erst späteren Jahrhunderten die Erforschung dieses unenträthselten Kontinents vorbehalten?

Wie dies gewöhnlich in den Stunden der Muthlosigkeit geschieht, drängten und vermehrten sich die quälenden Gedanken in seinem Hirn, und in wunderlicher Ideenverbindung setzte sich Samuel Fergusson über alle Logik und vernünftige Schlußfolgerung hinweg. Nachdem er darüber mit sich einig geworden war, was er nicht hätte thun sollen, ging er mit sich zu Rathe, was zu beginnen sei. Sollte es unmöglich sein, wieder umzukehren? Fanden sich nicht vielleicht mehr in der Höhe Strömungen, die ihn in weniger dürre Gegenden zurücktragen konnten? Ueber das schon durchreiste Land war er sich im Klaren, aber das noch vor ihm liegende kannte er nicht. So von Unentschlossenheit und Selbstvorwürfen gepeinigt, hielt er es für das Beste, sich gegen seine Gefährten freimüthig auszusprechen; er setzte ihnen den Stand der Dinge auseinander, und zeigte ihnen, was schon geschehen, und was noch zu thun übrig war. Im äußersten Falle könne man umkehren, oder es doch wenigstens versuchen. Er begehrte hierüber ihre Meinung zu hören.

»Ich habe keine andere Meinung, als die meines Herrn,« nahm Joe das Wort. »Was er leiden wird, kann ich auch ertragen, und noch leichter als er. Wo der Herr Doctor hingeht, werde ich ihm folgen.«

»Und Du, Kennedy?«

»Mein lieber Samuel, ich bin nicht der Mann danach, mich der Verzweiflung zu überliefern; Niemand kannte die Gefahren dieser Unternehmung besser als ich, aber ich habe von dem Augenblick an, als Du ihnen trotztest, meine Augen dagegen verschlossen. In der gegenwärtigen Lage geht meine Meinung dahin, daß wir ausharren müssen bis an’s Ziel. Die Gefahren scheinen mir übrigens bei einer Umkehr ebenso groß. Wenn es also vorwärts gehen soll, so kannst Du auf uns rechnen.«

»Ich danke euch, meine Freunde,« antwortete der Doctor, der durch diese Hingabe gerührt war; »ich hatte diese Treue und Aufopferung von euch erwartet, aber ich bedurfte so ermuthigender Worte; noch einmal, ich danke euch.«

Und die drei Männer drückten einander kräftig die Hände.

»Hört mich an, begann Fergusson von Neuem. Nach meinen Berechnungen sind wir nicht über dreihundert Meilen vom Golf von Guinea entfernt; die Wüste kann sich nach jener Richtung nicht zu weit ausdehnen, denn die Küste ist bewohnt und bis auf eine gewisse Strecke in’s Land hinein bekannt. Erforderlichen Falls werden wir auf diese Küste hinhalten, und es wäre undenkbar, daß wir nicht auf eine Oase oder einen Brunnen stoßen sollten, wo wir unsern Wasservorrath erneuern könnten. Aber was uns zur Ausführung dieses Planes fehlt, ist der Wind, ohne den wir ruhig auf einer Stelle in der Luft festgehalten werden.

– Wir müssen geduldig warten,« sagte der Jäger.

Und ein Jeder erforschte spähenden Auges an diesem Tage, der kein Ende zu nehmen schien, den weiten Raum. Nichts zeigte sich, das eine Hoffnung hätte wecken können; die letzten wellenförmigen Erhebungen des Bodens verschwanden beim Untergang der Sonne, deren horizontale Strahlen sich auf dieser flachen Unermeßlichkeit zu langen Feuerlinien verlängerten. Das war die Wüste.

Die Reisenden hatten heute kaum eine Entfernung von fünfzehn Meilen zurückgelegt, dabei aber, wie am vorhergehenden Tage, hundertfünfunddreißig Cubikfuß Gas verbraucht, um das Knallgasgebläse zu unterhalten, und zwei Pinten Wasser von achten hatten verwandt werden müssen, um den brennenden Durst zu stillen.

Die Nacht verging ruhig, nur zu ruhig! der Doctor konnte kein Auge schließen.

Fünfundzwanzigstes Capitel

Fünfundzwanzigstes Capitel

Ein wenig Philosophie. – Eine Wolke am Horizont. – Im Nebel. – Der unerwartete Ballon. – Die Signale. – Genaue Ansicht des Victoria. – Die Palmbäume. – Spuren einer Karawane. – Der Brunnen inmitten der Wüste.

Am folgenden Tage die gleiche Klarheit des Himmels, dieselbe unbewegliche Ruhe der Atmosphäre. Der Victoria stieg zu einer Höhe von fünfhundert Fuß, aber man konnte kaum eine kleine Ortsveränderung nach Westen zu bemerken.

»Wir sind inmitten der Wüste, verkündete der Doctor. Eine unabsehbare Sandebene! Welch‘ sonderbares Schauspiel! Wie eigenthümlich hat doch die Natur ihre Gaben vertheilt! Warum dort jene reiche Vegetation und hier diese außerordentliche Dürre – Beides unter derselben Breite, denselben Sonnenstrahlen!«

»Das Warum bekümmert mich wenig, mein lieber Samuel,« antwortete Kennedy. »Der Grund macht mir weniger zu schaffen, als die Thatsache selbst. Für mich ist das Wesentliche, daß es sich so verhält.«

»Man muß doch etwas philosophiren, lieber Dick; das kann nicht schaden.«

»Nun ja, wir haben Zeit genug dazu; es ist nicht zu bemerken, daß wir vorwärts kommen. Der Wind fürchtet sich zu wehen, er schläft.«

»Es wird nicht mehr lange so währen,« sagte Joe, »es kommt mir vor, als bemerkte ich einige Wolken dort im Osten.«

»Wirklich! Joe hat Recht,« pflichtete der Doctor bei.

»Ei,« versetzte Kennedy, »eine richtige Wolke mit einem tüchtigen Regen und starkem Winde könnte uns gerade passen.«

»Wir werden sehen, Dick, wir werden sehen.«

»Es ist aber Freitag, Herr Doctor, und dem Freitag habe ich nie recht getraut.«

»Hoffentlich kommst Du heute von Deinem Vorurtheil zurück.«

»Ich wünschte es, Herr Fergusson ….« Er holte tief Athem und trocknete sich das Gesicht … »Wärme ist etwas Schönes, besonders im Winter, aber im Sommer darf man keine Verschwendung damit treiben.«

»Fürchtest Du nicht die Einwirkung der Sonnenhitze auf unsern Ballon?«

»Nein; das Guttapercha, mit welchem der Taffet überzogen ist, würde noch eine weit höhere Temperatur vertragen. Ich habe im Innern des Ballons vermittelst des Schlangenrohrs bisweilen eine Hitze von hundertachtundfünfzig Grad erzeugt, und die Hülle scheint mir bis jetzt noch nicht gelitten zu haben.«

»Eine Wolke, wirklich eine Wolke!« rief Joe, dessen scharfer Blick jedes Fernrohr zum Wettstreit herausforderte.

Und in der That konnte man jetzt deutlich eine Wolkenschicht erkennen, die sich langsam über den Horizont erhob; sie schien ziemlich tief zu stehen und sah gleichsam aufgedunsen aus. Es war eine Anhäufung kleinen Gewölks, das aber unveränderlich seine Gestalt beibehielt, und hieraus glaubte der Doctor schließen zu dürfen, daß sich keine Luftströmung in dem Gebilde befände.

Gegen acht Uhr Morgens war diese compacte Masse erschienen, und erst um elf Uhr erreichte sie die Sonnenscheibe, welche völlig hinter ihr verschwand; in diesem Augenblick trennte sich der untere Streifen der Wolke von der Linie des Horizonts, die wieder im vollen Lichte strahlte.

»Es ist nur ein isolirtes Gewölk, auf das man nicht viel Hoffnung bauen darf, meinte der Doctor. Sieh nur, Dick, seine Gestalt ist noch genau dieselbe wie heute Morgen.

– Es ist auch noch nichts von Regen oder Wind zu verspüren.

– Sie hält sich immer in großer Höhe.

– Nun, Samuel, könnten wir nicht diese Wolke, da sie sich durchaus nicht über uns entleeren will, aufsuchen?

– Ich fürchte, das wird nicht viel helfen, entgegnete Fergusson; auch wird es uns eine beträchtliche Menge Gas und somit Wasser kosten. Wir dürfen jedoch in unserer Lage nichts unversucht lassen, und so wollen wir steigen.«

Der Doctor trieb die Flamme des Knallgasgebläses in die Windungen des Schlangenrohrs; es entstand eine gewaltige Hitze, und bald erhob sich der Ballon unter Einwirkung seines ausgedehnten Wasserstoffgases.

Ungefähr fünfzehnhundert Fuß von der Erdoberfläche traf man auf die schattige Wolkenmasse und war hier von einem dichten Nebel umgeben, dem jedoch alle Feuchtigkeit zu fehlen schien. Auch war nicht der leiseste Windhauch zu verspüren. Der in diesen Dunst gehüllte Victoria kam ein wenig schneller von der Stelle, aber dies war auch der einzige Vortheil.

Der Doctor constatirte soeben dieses höchst mittelmäßige, von seinem Manöver erzielte Resultat, als Joe im Ton der lebhaftesten Ueberraschung ausrief:

»Das ist aber doch gar zu merkwürdig! Herr Doctor, Herr Kennedy! das ist erstaunlich!

– Was giebts denn, Joe?

– Wir sind nicht allein hier; intrigante Leute haben uns unsere Erfindung nachgemacht, gestohlen!

– Ist er närrisch geworden, oder was hat er?« fragte Kennedy.

Joe stand vor Verwunderung starr wie eine Bildsäule.

»Sollte die Sonne den Verstand des armen Burschen verwirrt haben? sagte Fergusson besorgt.

– Aber so sehen Sie doch, Herr Doctor, schrie Joe abermals, und deutete in die Luft auf einen bestimmten Punkt.

– Beim heiligen Patrik, der Kerl hat Recht! rief jetzt auch Kennedy; es ist unglaublich! Samuel, Samuel, so sieh doch!

– Ich sehe, antwortete dieser ruhig.

– Noch ein anderer Ballon! noch andere Reisende als wir!

Wirklich schwebte zweihundert Fuß hoch ein Luftschiff nebst Gondel und Reisenden. Es verfolgte genau dieselbe Richtung wie der Victoria.

»Wir wollen Signale mit ihm austauschen, schlug der Doctor vor; nimm die Flagge, Kennedy, und zeige unsere Farben.«

Augenscheinlich hatten die Reisenden im andern Luftschiff denselben Gedanken gehabt, denn auch dort streckte sich eine Hand mit der nämlichen Farbe heraus und wurde grüßend in derselben Weise geschwungen, wie hier von Kennedy.

»Was hat denn das zu bedeuten? fragte verwundert der Jäger.

– Es sind Affen, die unserer spotten, schalt Joe.

– Du selbst giebst auch drüben das Signal, mein lieber Dick, erwiderte Fergusson lachend. Die Reisenden in jener Gondel sind wir, und der Ballon ist ganz einfach unser Victoria.

– Verzeihen Sie, Herr Doctor, aber das kann ich nicht glauben; es ist unmöglich.

– So tritt an den Gondelrand, mein Junge, und bewege Deinen Arm. Du wirst Dich dann wohl überzeugen.«

Joe that, wie ihm geheißen, und sah, wie seine Bewegungen und Geberden augenblicklich und genau drüben reproducirt wurden.

»Es ist nichts weiter, als Luftspiegelung, eine sehr einfache Naturerscheinung der Optik, die in der ungleichen Dichtigkeit der Luftschichten ihren Grund hat, erklärte der Doctor.

– Wie wunderbar! hub Joe wieder an; er konnte sich über dies seltsame Phänomen nicht beruhigen und setzte seine Geberden und Armbewegungen noch weiter fort.

– Ein interessantes Schauspiel! äußerte Kennedy; und es ist wirklich ein Vergnügen, unsern wackern Victoria so anschauen zu können! Er nimmt sich prächtig aus, wie er so majestätisch dahinschwebt!

– Die Herren mögen die Sache immerhin auf ihre Weise auslegen und erklären, sagte Joe; für mich ist und bleibt die Geschichte sehr sonderbar.«

Allmälig erlosch das Bild; die Wolken stiegen höher empor, der Victoria, der ihnen nicht mehr zu folgen suchte, blieb zurück, und in Zeit von einer Stunde war das Himmelsgewölbe wieder klar wie vorher.

Der Wind schien jetzt noch schwächer zu werden, und der Doctor näherte sich entmuthigt dem Boden.

Die Reisenden, welche von dem Zwischenfall eine Zeit lang beschäftigt worden waren, fielen wieder in ihre trübe Stimmung zurück und ertrugen schweigend die Pein der sengenden Hitze.

Gegen vier Uhr glaubte Joe einen Gegenstand zu bemerken, der sich von der weiten Sandfläche abhob, und bald versicherte er entschieden, daß dies zwei Palmbäume seien, die in nicht allzu großer Entfernung von ihnen emporragten.

»Palmbäume!« rief Fergusson erregt, »dann muß dort auch eine Quelle, ein Brunnen zu finden sein.«

Er nahm ein Fernglas zur Hand und sah, daß Joe’s Augen ihn nicht getäuscht hatten.

»Endlich Wasser, Wasser!« fuhr er fort, »nun winkt uns Rettung; denn wenn wir auch nur langsam weiterkommen, wir schreiten doch mehr und mehr vor und werden zuletzt an’s Ziel gelangen!«

»Nun, Herr Doctor! Wie wär’s, wenn wir vorerst einmal tränken? Die Luft ist zum Ersticken heiß.«

»Ja, mein Junge, laß uns trinken.«

Niemand ließ sich dazu nöthigen, und eine ganze Pinte ging drauf, wodurch der Vorrath auf drei und eine halbe Pinte verringert wurde.

»Ach, thut das wohl!« schmunzelte Joe. »Wie herrlich ist das! nie hat mir Bier von Perkins nur halb so gut gemundet!«

»Das sind die Vortheile der Entbehrung,« bemerkte der Doctor.

»Sie sind, im Ganzen genommen, gering,« meinte der Jäger, »und wenn ich auch nie dies Vergnügen am Wassertrinken finden sollte, würde ich doch gern darauf verzichten unter der Bedingung, daß es mir nicht wieder fehlte.«

Um sechs Uhr schwebte der Victoria über den Palmbäumen; es waren zwei armselige, vertrocknete Baumgespenster ohne Laub und mehr todt wie lebendig. Fergusson konnte sich bei ihrem Anblick eines Schreckens nicht erwehren. Unter ihnen bemerkte man die halb verwitterten Steine eines Brunnens, aber auch sie waren von der Sonnengluth fast zersetzt und dem Zerbröckeln nahe. Nirgend zeigte sich auch nur ein Schimmer von Feuchtigkeit. Samuel’s Herz zog sich bei diesem Anblick zusammen, und er wollte soeben den Gefährten seine Befürchtungen mittheilen, als ihre lauten Ausrufe seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen.

Eine Strecke hinaus, nach Westen zu, gewahrte man eine lange Linie gebleichter Gebeine, und Stücke von Skeletten umringten die Quelle. Augenscheinlich war eine Karawane bis hierher vorgedrungen und hatte ihren Weg durch dieses traurige Wahrzeichen kenntlich gemacht. Die Schwächeren waren auf dem Sande zusammengesunken, und die Stärkeren hatten, bis zu der so heiß ersehnten Quelle gelangt, hier ihren schauerlichen Tod gefunden.

Die Reisenden blickten einander erbleichend an.

»Laß uns hier nicht aussteigen,« bat Kennedy; »wir wollen fliehen vor diesem scheußlichen Schauspiel. Es ist hier nicht ein Tropfen Wasser zu bekommen.«

»Nein, Dick, davon müssen wir uns erst genauer überzeugen; auch können wir hier ebenso gut wie anderswo die Nacht zubringen. Wir wollen diesen Brunnen bis auf den Grund untersuchen; es ist hier einst eine Quelle gewesen, und vielleicht können wir noch einen Rest des Wassers entdecken.«

Der Victoria landete; Joe und Kennedy legten in die Gondel ein dem ihrigen gleichkommendes Gewicht Sand, stiegen aus und eilten zur Quelle, um auf Stufen, die fast nur noch aus Staub bestanden, in das Innere derselben einzudringen. Sie schien bereits seit langen Jahren versiegt, und Dick und Joe erspähten nichts als morschen, trockenen, ausgedörrten Sand. Nirgend eine Spur von Feuchtigkeit.

Der Doctor sah, wie seine beiden Gefährten erhitzt, entstellt und mit einem seinen Staube bedeckt wieder oben ankamen, und er begriff sofort, daß ihre Nachforschungen, wie er es erwartet hatte, umsonst gewesen waren; aber er sagte nichts – war er sich doch bewußt, daß er von diesem Augenblick an Muth und Energie für drei haben müsse.

Joe hatte die Stücke eines zusammengeschrumpften Schlauches gefunden, und warf sie jetzt zornig unter die auf dem Boden zerstreut umher liegenden Gebeine.

Während die Freunde ihre Abendmahlzeit verzehrten, wurde kein Wort unter ihnen gewechselt; sie gaben sich dem Genusse nur mit innerm Widerstreben hin. – Und doch hatten sie bis jetzt noch nicht die wirklichen Qualen des Durstes zu erdulden gehabt und schauten nur verzweiflungsvoll in die Zukunft.

Sechsundzwanzigstes Capitel

Sechsundzwanzigstes Capitel

Hundertunddreizehn Grad. – Erwägungen des Doctors. – Verzweifeltes Suchen. – Das Knallgasgebläse erlischt. – Hundertzweiundzwanzig Grad. – Betrachtung der Wüste. – Ein Spaziergang während der Nacht. – Oede. – Ohnmacht. – Joe’s Pläne. – Um einen Tag aufgeschoben.

Die vom Victoria am verflossenen Tage zurückgelegte Strecke betrug nicht über zehn Meilen, und doch hatte man, um sich oben zu halten, hundertzweiundsechzig Cubikfuß Gas verbraucht. Am Sonnabend Morgens gab der Doctor das Signal zum Aufbruch.

»Das Knallgasgebläse kann nur noch sechs Stunden arbeiten,« verkündete er seinen Begleitern; »wenn wir in dieser Zeit weder einen Brunnen noch eine Quelle entdeckt haben, weiß Gott allein, was aus uns werden wird.«

»Schlechter Wind heute Morgen, Herr Doctor,« sagte Joe, aber schnell fügte er hinzu, als er die tiefe Niedergeschlagenheit Fergusson’s bemerkte: »vielleicht wird er sich aber noch aufmachen.«

Eitle Hoffnung! es herrschte eine Todtenstille in der Luft, eine jener Windstillen, die auf den tropischen Meeren die Schiffe für lange Zeit auf einer Stelle bannen. Die Hitze wurde unerträglich, und das Thermometer zeigte im Schatten des Zeltes hundertunddreizehn Grad.

Joe und Kennedy hatten sich neben einander ausgestreckt, und suchten, wenn auch nicht im Schlaf, so doch in einer Art von Betäubung ihre furchtbare Lage zu vergessen. Die erzwungene Unthätigkeit legte ihnen eine neue Pein auf, denn wer sich seinen Leiden nicht durch eine Arbeit oder äußerliche Beschäftigung entziehen kann, fühlt sie bei Weitem tiefer. Hier gab es nichts zu beaufsichtigen, noch zu unternehmen; man mußte Alles hinnehmen, ohne eine Aenderung herbeiführen zu können.

Die Qualen des Durstes begannen, sich grausam fühlbar zu machen; der Branntwein, weit entfernt, dies gebieterische Bedürfniß zu befriedigen, machte im Gegentheil den Durst noch brennender, und verdiente mit Recht den, ihm von den Eingeborenen zugelegten Namen der »Tigermilch«. Es waren kaum noch zwei Pinten einer erhitzten Flüssigkeit vorhanden, und Jeder verschlang mit den Blicken diese wenigen, so kostbaren Tropfen, ohne es doch zu wagen, seine Lippen damit zu netzen. Zwei Pinten Wasser inmitten der Wüste!

Fergusson fragte sich jetzt, ob er recht gehandelt habe, indem er einen so großen Theil des Wassers zerlegte, nur um den Ballon oben zu halten? er war dadurch allerdings eine kleine Strecke weiter gekommen, aber war ihm daraus irgend ein Nutzen entsprungen? Es konnte ihm völlig gleichgiltig sein, ob er sich gegenwärtig hier oder sechzig Meilen zurück unter derselben Breite befände, wenn ihm hier das Wasser ausging. Erhob sich endlich der Wind, so würde er ebenso wohl dort unten wehen wie auch hier, ja hier vielleicht noch weniger schnell, wenn er von Osten herkam; aber die Hoffnung hatte den Doctor immer weiter getrieben. Wenn man jetzt die beiden vergeblich angewandten Gallonen Wasser gehabt hätte, so wäre ein neuntägiger Aufenthalt hier in der Wüste möglich gewesen. – Vielleicht auch hätte Fergusson weiser gehandelt, wenn er das Wasser nicht angriff, und den Ballon durch Ballast-Auswerfen und nachherigen Gasverlust steigen und fallen ließ. Aber das Gas des Ballons war ja sein Blut, sein Leben!

Diese tausendfachen Betrachtungen kreuzten sich in seinem Hirn, während er, den Kopf in beide Hände gestützt, ganze Stunden lang dumpf vor sich hinbrütete.

»Wir müssen eine letzte Anstrengung machen, sagte er gegen zehn Uhr Morgens zu sich; wir wollen noch einmal versuchen, eine atmosphärische Strömung zu finden, die uns forttragen kann, und wenn wir dabei unsere letzten Hilfsquellen daransetzen müßten.«

Und während seine Gefährten in apathischem Halbschlaf dalagen, machte er sich daran, das Wasserstoffgas des Luftschiffes auf einen hohen Temperaturgrad zu bringen; dieses rundete sich, und stieg unter der Spannung des Gases gerade in die senkrechten Strahlen der Sonne hinein. Aber vergebens suchte Fergusson in den Luftschichten von hundert bis fünftausend Fuß Höhe einen Windhauch; die Stelle, von der er aufgestiegen, blieb gerade unter ihm, und bis an die äußersten Grenzen der athmungsfähigen Luft schien absolute Stille zu herrschen.

Endlich war das Wasser für die Speisung des Ballons vollständig aufgebraucht; das Knallgasgebläse erlosch aus Mangel an Gas, die Bunsen’sche Batterie stellte ihre Arbeit ein, und der Ballon wurde schlaff, und ließ sich langsam an demselben Platze auf den Sand herab, auf dem die Gondel vor Kurzem ihre Spuren eingedrückt hatte.

Es war zwölf Uhr; die Aufnahme ergab 19° 35′ L. und 6° 51′ Br., also etwa fünfhundert Meilen Entfernung von dem Tschad-See und über vierhundert Meilen von den westlichen Küsten Afrika’s.

Als die Gondel auf dem Boden anlangte, erwachten Dick und Joe aus ihrem schweren Schlummer.

»Wir halten an?« rief der Schotte.

»Es bleibt uns nichts anderes übrig,« lautete die ernste Erwiderung.

Seine Begleiter verstanden ihn. Die Erdoberfläche befand sich in Folge ihrer beständigen Senkung mit dem Meeresspiegel in gleicher Höhe, und der Ballon hielt sich demgemäß ganz unbeweglich, und in vollkommenem Gleichgewicht.

Die Gondel wurde mit einer Last Sand beladen, die der Schwere der Reisenden gleichkam, und diese stiegen auf den Erdboden herab. Ein Jeder versenkte sich in seine Gedanken, und Keiner sprach ein Wort. Joe bereitete das aus Zwieback und Pemmican bestehende Abendessen, aber es wurde kaum berührt. Ein Schluck heißen Wassers vervollständigte dies traurige Mahl.

Wählend der Nacht hielt Niemand Wache, aber Niemand schlief auch. Die Hitze war entsetzlich. Am folgenden Morgen war nur noch eine halbe Pinte Wasser vorhanden, und der Doctor reservirte sie für den Fall der äußersten Noth.

»Ich ersticke, klagte Joe, die Hitze wird immer furchtbarer; man darf sich freilich nicht darüber wundern,« fügte er hinzu, nachdem er einen Blick auf das Thermometer geworfen; »wir haben hundertundvierzig Grad Wärme.«

»Der Sand brennt, als wäre er in einem Ofen erhitzt,« bemerkte der Jäger, »und nicht eine Wolke zeigt sich an dem feurigen Himmel! es ist, um wahnsinnig zu werden!«

»Wir dürfen noch nicht verzweifeln,« beruhigte sie der Doctor. »Auf so große Hitze folgen unvermeidlich in diesen Breiten Stürme, die dann mit der Schnelligkeit des Blitzes eintreten. Trotzdem jetzt der Himmel klar und hell ist, können sich in weniger als einer Stunde große Veränderungen des Wetters einstellen.«

»Ach, könnten wir doch etwas davon bemerken,« seufzte Kennedy.

»Nun,« entgegnete der Doctor, »es scheint mir, als zeige das Barometer eine leise Neigung zu fallen.«

»Der Himmel gebe es, Samuel! wir sind hier an den Boden gefesselt, wie ein Vogel, dem die Flügel zerschmettert sind.«

»Mit dem Unterschiede, mein lieber Dick, daß unsere Flügel unversehrt sind, und ich die Hoffnung hege, bald den gehörigen Gebrauch von ihnen machen zu können.«

»O, wenn sich doch endlich Wind erhöbe!« rief Joe. »Wenn uns nur die Möglichkeit gegeben wird, an einen Bach oder einen Brunnen zu gelangen, so kann uns nichts mehr fehlen. Die Lebensmittel sind hinreichend, um unser Leben noch einen Monat lang zu fristen, aber der Durst ist gar zu grausam.«

Nicht nur der Durst, sondern auch die unaufhörliche Betrachtung der Wüste ermüdete den Geist; keine Unebenheit des Bodens, kein Sandhügel, kein Kieselstein gab dem Blick einen Ruhepunkt. Die ebene Fläche verursachte einen förmlichen Ekel und erzeugte die unter dem Namen »Wüstenfieber« bekannte Krankheit. Das ewig gleiche, unveränderliche Blau des Himmels und die unermeßliche Fläche gelben Sandes wirkte zuletzt erschreckend, und die entzündete Atmosphäre schien in eine leise, zitternde Bewegung zu gerathen, wie die Luft über einem glühenden Feuerheerd. Der Menschengeist gerieth in Verzweiflung beim Anblick dieser unermeßlichen Stille, und marterte sich ab, einen Grund dafür zu finden, daß dieser Zustand auch einmal aufhören könne, denn die Unermeßlichkeit erscheint uns wie eine Art Ewigkeit.

Die Unglücklichen, welche in dieser ausdörrenden Temperatur des Wassers entbehrten, fingen bereits an, Symptome der Sinnverwirrung zu verspüren; ihre Augen vergrößerten sich, und ihr Blick wurde trübe.

Als die Nacht herangekommen war, beschloß der Doctor, gegen diese beunruhigende Stimmung durch einen schnellen Marsch anzukämpfen; er wollte einige Stunden lang die Sandfläche durchstreifen, nicht um zu suchen, sondern nur um zu gehen.

»Kommt mit mir,« redete er seinen Begleitern zu, »die rasche Bewegung wird auch euch wohlthun.«

»Es ist mir unmöglich,« erwiderte Kennedy; »ich könnte keinen Schritt gehen.«

»Und ich will lieber schlafen,« versetzte Joe.

»Schlaf und Ruhe können euch den Tod bringen, meine Freunde. Bemüht euch, diese Erstarrung abzuschütteln, und kommt mit mir.«

Da der Doctor sich bald davon überzeugte, daß er Dick und Joe nicht vermögen konnte, ihm bei seinem Gange Gesellschaft zu leisten, machte er sich allein auf den Weg. Die ersten Schritte würden ihm schwer, wie der erste Gehversuch eines Genesenden; aber bald bemerkte er, daß die Bewegung ihm heilsam sei.

Wirklich schritt er mehrere Meilen nach Westen vor, und fühlte sich schon sehr gekräftigt, als ein Schwindel ihn plötzlich ergriff. Er glaubte, über einem Abgrunde zu schweben, und fühlte, wie seine Kniee unter ihm wankten; die ungeheure Einöde erschreckte ihn, und er fühlte sich als der mathematische Punkt, das Centrum einer unendlichen Peripherie, d.h. Nichts. Der Victoria verschwand im Schatten, und der Doctor, er, der leidenschaftslose, kühne Reisende, wurde von einem unüberwindlichen Schrecken befallen. Er wollte wieder umkehren, aber es war ihm unmöglich; er rief, aber nicht einmal das Echo antwortete ihm, und seine Stimme fiel in den Weltenraum, wie ein Stein in einen grundlosen Schlund. Und so, allein in dem tiefen Schweigen der Wüste, bettete er sich, in Ohnmacht sinkend, auf dem Sande.

Um Mitternacht schlug er die Augen auf und fand sich in den Armen seines treuen Joe wieder. Dieser, über die so lange Abwesenheit seines Herrn in Unruhe gerathen, war seinen in den weichen Sand gedrückten Spuren gefolgt, und hatte ihn endlich ohnmächtig angetroffen.

»Was ist Ihnen zugestoßen, Herr Doctor?« fragte er besorgt.

»Nichts, mein lieber Joe, es war nur eine Anwandlung von Schwäche.«

»Ich hoffe, es wird nichts zu bedeuten haben, Herr, aber bitte, stehen Sie auf, stützen Sie sich auf mich, und begeben Sie sich mit mir nach dem Victoria zurück.«

Und an Joe’s Arm machte sich Fergusson auf den Rückweg.

»Wie unvorsichtig von Ihnen, Herr Doctor, daß Sie sich in solche Gefahr stürzten. Sie hätten beraubt werden können, fügte Joe lachend hinzu. Aber lassen Sie uns im Ernst mit einander reden; es muß jetzt ein Entschluß gefaßt werden. Unsere Lage kann nicht noch länger so fortdauern, denn wenn sich kein Wind erhebt, sind wir verloren.«

Fergusson antwortete nicht.

»Es muß sich einer von uns dreien für die beiden Andern opfern, und dieser Eine werde ich natürlich sein.

»Was willst Du damit sagen? woran denkst Du?«

»Mein Plan ist sehr einfach; ich will mich mit Lebensmitteln versehen, und immer weiter marschiren, bis ich an irgend einen Ort komme, was doch endlich einmal geschehen muß. Wenn ich in ein Dorf komme, werde ich meinen Auftrag ausrichten, indem ich einen Zettel von Ihnen abgebe, auf den Sie einige arabische Worte geschrieben haben. So denke ich Ihnen entweder Hilfe zuzuführen, oder mein Leben für Sie in die Schanze zu schlagen. Was meinen Sie dazu?«

»Das Project ist unsinnig, aber es macht Deinem Herzen alle Ehre. – Es ist unmöglich. Du kannst uns nicht verlassen.«

»Wir sollten es wirklich versuchen; Ihnen und Herrn Kennedy könnte daraus kein Nachtheil entstehen, denn im Fall ein günstiger Wind eher kommt als meine Hilfe, brauchen Sie nicht auf mich zu warten, und mir gelingt mein Plan vielleicht über Erwarten gut.«

»Nein, Joe, nein! wir wollen uns nicht trennen, nicht dies Leid noch zu allem andern fügen. Es stand geschrieben, daß es so kommen sollte, und vielleicht fügt es das Schicksal, daß es später wieder besser wird. Laß uns noch mit Ergebung warten.«

»Gut, Herr Doctor, ich will Ihnen nur dies Eine sagen: ich gestatte Ihnen noch einen Tag, aber länger werde ich nicht zögern. Es ist heute Sonntag, oder vielmehr Montag, denn es ist jetzt ein Uhr Morgens. Wenn wir uns am Dienstag nicht in die Lüfte erheben können, so versuche ich mein Heil; das ist unwiderruflich beschlossen.«

Der Doctor schwieg; bald hatte er die Gondel erreicht und nahm in derselben neben Kennedy Platz, Dieser war in ein dumpfes Hinbrüten versunken, das nichts mit dem Schlaf gemein hatte.

Siebenundzwanzigstes Capitel

Siebenundzwanzigstes Capitel

Uebergroße Hitze. – Sinnesverwirrung. – Die letzten Wassertropfen. – Eine Nacht der Verzweiflung. – Selbstmordversuch. – Der Samum. – Die Oasen. – Löwe und Löwin.

Die erste Sorge des Doctors bei Tagesanbruch war, nach dem Barometer zu sehen. Die Quecksilbersäule hatte sich kaum merklich gesenkt.

»Nichts,« sagte er sich, »nichts.«

Er stieg aus seiner Gondel und prüfte das Wetter. Noch immer dieselbe Hitze, dieselbe Klarheit; der Himmel schien unversöhnlich.

»Das ist doch zum Verzweifeln!« rief er aus.

Joe verhielt sich schweigend; er war in seine Gedanken versunken und sann über seinen Wanderplan hin und her.

Kennedy fühlte sich sehr krank, als er von seinem Lager aufstand; er litt an einer beunruhigenden Überspanntheit der Nerven und stand schreckliche Qualen des Durstes aus. Sein trockener Mund konnte kaum einen Ton hervorbringen.

Es waren noch einige Tropfen Wasser vorhanden, aber obgleich Jeder dies wußte, Jeder sie zu genießen wünschte, wagte doch Niemand, einen Schritt danach zu thun.

Die drei Gefährten blickten einander hohläugig an mit einem Gefühl bestialischer Gier, das besonders bei Kennedy hervortrat. Sein mächtiger Körper unterlag am schnellsten den unerträglichen Entbehrungen. Den ganzen Tag über lag er in Fieberdelirien oder er ging hin und her, stieß ein heiseres Geschrei aus, biß sich in die Fäuste und wollte sich die Adern öffnen, um Blut daraus zu trinken.

»O, du Land des Durstes, stieß er hervor, du solltest »»Land der Verzweiflung«« genannt werden!«

Dann verfiel er wieder in seine tiefe Niedergeschlagenheit, und man hörte nur noch das Pfeifen des Athems von seinen lechzenden Lippen.

Gegen Abend wurde auch Joe von einem Wahnsinnsanfall ergriffen; die ausgedehnte Sandebene erschien ihm wie ein ungeheurer Teich mit klarem, durchsichtigem Wasser. Mehr als ein Mal stürzte er sich auf den erhitzten Boden, um nach Herzenslust zu trinken, und stand, den Mund voll heißen Staubes, wieder auf.

»Verdammt!« rief er zornig, »es ist Salzwasser!«

Dann wurde er, während Fergusson und Kennedy unbeweglich dalagen, von dem Begehren erfaßt, die wenigen aufgesparten Wassertropfen auszutrinken. Er konnte den Gedanken nicht wieder los werden und näherte sich, auf den Knieen rutschend, der Gondel. Er hütete die Flasche, in der sich die Flüssigkeit befand, mit den Augen, warf einen gierigen Blick darauf, griff darnach und führte sie an seine Lippen.

Da hörte er plötzlich neben sich in herzzerreißendem Ton die Worte: »Zu trinken! zu trinken!«

Es war Kennedy, der sich zu ihm herangeschleppt hatte, und nun, ein Jammerbild, weinend auf den Knieen lag und um Wasser bettelte.

Joe weinte gleichfalls; er reichte dem Unglücklichen die Flasche, und dieser leerte sie bis auf den letzten Tropfen.

»Danke!« stammelte er.

Aber Joe hörte ihn nicht; er war gleich ihm auf den Sand zurückgesunken.

Endlich schwand auch diese furchtbare Nacht, und als der Morgen tagte, fühlten die Unglücklichen, wie ihre Glieder unter den brennenden Sonnenstrahlen nach und nach vertrockneten. Joe versuchte sich zu erheben, aber es war ihm unmöglich, und so konnte er seinen Plan nicht zur Ausführung bringen.

Als er aufschaute, gewahrte er Samuel Fergusson, der mit über der Brust gekreuzten Armen wie im Wahnwitz nach einem imaginären Punkt in der Luft starrte. Kennedy war in einem schreckenerregenden Zustande; er wiegte den Kopf hin und her wie ein wildes Thier im Käfig.

Plötzlich hefteten sich die Blicke des Jägers auf seine Büchse, deren Schaft über den Rand der Gondel hinausragte.

»O!« stieß er hervor, indem er sich mit übermenschlicher Anstrengung erhob, stürzte sich wahnsinnstoll auf die Waffe, und richtete ihren Lauf gegen seinen Mund.

»Herr, Herr!« rief Joe, indem er sich seinem Vorhaben zu widersetzen suchte.

»Laß mich! Fort!« schrie der Schotte ächzend.

Sie kämpften mit einander wie erbitterte Feinde.

»Geh weg, oder ich erschieße Dich!« wiederholte Kennedy.

Aber Joe klammerte sich mit Gewalt an ihn; so rangen sie, ohne daß der Doctor etwas hievon zu bemerken schien, wohl eine Minute lang. Da entlud sich plötzlich die Feuerwaffe, und Fergusson richtete sich beim Knall des Schusses wie ein Gespenst in die Höhe und blickte umher.

Aber in einem Augenblick belebte sich sein Blick; seine Hand streckte sich nach dem Horizont aus, und er rief mit einer Stimme, die fast übermenschlich klang:

»Dort! dort! dort unten!«

Es lag eine solche Entschiedenheit in seinen Bewegungen, daß Joe und Kennedy auseinanderfuhren und aufblickten.

Die Ebene war in Bewegung wie ein tiefaufgewühltes Meer an einem stürmischen Tage; die Sandwogen brandeten im dichten Staube übereinander. Eine ungeheure Säule kam wirbelnd, mit außerordentlicher Schnelligkeit aus Südosten; die Sonne verschwand hinter dunkeln Wolken, deren riesenhafte Schatten sich bis zum Victoria verlängerten. Die feinen Sandkörner glitten mit der Leichtigkeit flüssiger Molecüle dahin, und diese steigende Fluth nahm mehr und mehr zu.

Ein Hoffnungsblick strahlte aus den Augen Fergusson’s.

»Der Samum!« rief er.

»Der Samum!« wiederholte Joe, ohne zu verstehen, was damit gemeint war.

»Um so besser!« rief Kennedy mit verzweifelter Wuth, »um so besser, dann werden wir sterben!«

»Um so besser, denn wir werden leben!« erwiderte der Doctor.

Er begann schnell, den Sand, welcher die Gondel auf dem Boden festhielt, auszuwerfen.

Seine Gefährten verstanden ihn endlich, schlossen sich ihm an und nahmen an seiner Seite Platz.

»Jetzt, Joe,« sagte der Doctor, »wirf etwa fünfzig Pfund von Deinem Erz hinaus.«

Joe zögerte nicht, diesem Befehle nachzukommen, aber er empfand etwas wie ein rasch vorübergehendes Bedauern. Der Ballon hob sich.

»Es war Zeit!« rief Fergusson.

Der Samum kam in der That mit der Schnelligkeit des Blitzes heran; hätte der Victoria noch wenige Augenblicke gewartet, ihm zu entfliehen – er wäre zerschmettert, in Stücke gerissen, vernichtet worden. Die ungeheure Sandhose war im Begriff gewesen, ihn zu erreichen; er wurde mit einem Hagel von Sand überschüttet.

»Noch mehr Ballast auswerfen! rief der Doctor Joe zu.

»Hier!« antwortete dieser, indem er ein mächtiges Quarzstück hinabschleuderte.

Der Ballon stieg schnell über die Sandhose empor und wurde dann im ungeheuren Aufruhr der Luft mit einer unberechenbaren Schnelligkeit fortgerissen.

Samuel, Dick und Joe schauten schweigend in das aufgeregte Sandmeer hinaus, und ließen sich von dem Winde erfrischen. Um drei Uhr hörte der Sturm auf, der Sand bildete, indem er herniedersank, eine Unzahl kleiner Berge, und der Himmel nahm seine frühere Ruhe wieder an.

Der Victoria, welcher sich jetzt wieder unbeweglich verhielt, schwebte über einer, mit grünenden Bäumen bedeckten Oase, die gleich einer Insel aus dem Sandmeere herausragte.

»Wasser! dort ist Wasser!« triumphirte der Doctor; zugleich verschaffte er dem Wasserstoffgas durch Oeffnen der obern Klappe freien Ausgang und stieg sanft auf die Erde hernieder, wo er zweihundert Schritt von der Oase entfernt ankam.

In vier Stunden hatten die Reisenden einen Raum von zweihundertundvierzig Meilen durchmessen.

Die Gondel wurde sofort in’s Gleichgewicht gebracht, und Kennedy und Joe schwangen sich auf den Boden heraus.

»Eure Gewehre!« rief Fergusson. »Vergeßt nicht eure Gewehre, und seid vorsichtig.«

Dick ergriff sofort seinen Carabiner, und Joe bemächtigte sich einer der andern Flinten. Sie rückten schnell bis zu den Bäumen vor, und drangen zwischen grünem Laube hindurch, das ihnen eine fließende Quelle verhieß. Sie achteten nicht auf den zerstampften Boden, auf die frischen Spuren, die hie und da dem feuchten Erdreich eingedrückt waren.

Plötzlich ertönte in einer Entfernung von ungefähr zwanzig Schritten lautes Gebrüll.

»Ein Löwe!« rief Joe.

»Mir gerade Recht!« versetzte der Jager erbittert, »wir werden es mit ihm aufnehmen. Sobald es sich um einen Kampf handelt, fühle ich mich stark.«

»Vorsicht, Herr Dick, Vorsicht! bedenken Sie, daß von dem Leben eines der Unserigen unser Aller Leben abhängt.«

Aber Kennedy hörte nicht auf ihn; er rückte funkelnden Auges, mit geladener Büchse, vor. Unter einem Palmbaum stand ein kolossaler Löwe mit schwarzer Mähne, und schien dem Angriff entgegenzusehen, denn als der Jäger näher kam, sprang er mit einem ungeheuren Satze auf ihn zu. Aber noch hatten seine Füße nicht wieder die Erde berührt, da drang eine Kugel ihm in’s Herz. Er fiel todt zu Boden.

»Hurrah! Hurrah!« schrie Joe.

Und nun eilte Kennedy zum Brunnen, glitt auf den feuchten Stufen hinunter und lag, das köstliche Naß schlürfend, an einer frischen Quelle.

Joe ahmte ihm nach, und einige Zeit war nichts zu vernehmen als das Geräusch des Zungenschnalzens, wie man es hört, wenn Thiere, die lange nach Wasser lechzten, ihren Durst stillen.

»Wir müssen uns in Acht nehme, Herr Dick, daß wir uns nicht zu viel thun,« warnte Joe, Athem schöpfend.

Aber Dick trank noch immer und antwortete nicht. Er senkte seinen Kopf und seine Hände in das erquickende Wasser und berauschte sich förmlich in diesem Genuß.

»Und Herr Fergusson?« erinnerte Joe.

Dies eine Wort genügte, um Kennedy wieder zu sich selbst zu bringen; er füllte eine Flasche und stürzte die Stufen des Brunnens hinauf.

Aber hier blieb er wie angewurzelt vor Ueberraschung stehen; ein dunkler, umfangreicher Körper versperrte den Eingang. Joe, der dem Jäger gefolgt war, mußte mit ihm zurückweichen.

»Wir sind eingeschlossen!«

»Das ist unmöglich! was kann das sein?« …

Dick führte seine Worte nicht zu Ende; ein fürchterliches Gebrüll belehrte ihn, welch neuer Feind ihm gegenüberstand.

»Noch ein anderer Löwe!« rief Joe.

»Nein, eine Löwin! warte, Du verwünschte Bestie, warte!« … und der Jäger hatte in einem Moment seinen Carabiner geladen und feuerte, aber das Thier war verschwunden.

»Vorwärts!« kommandirte Kennedy.

»Nein, Herr Dick, Sie haben das Thier noch nicht getödtet, der Körper wäre sonst hier hinein gerollt; ich bin überzeugt, die Bestie steht draußen zum Sprunge bereit, und wer von uns sich zuerst hinauswagt, ist verloren.«

»Aber was sollen wir thun? hinaus müssen wir. Samuel wartet auf uns!«

»Lassen Sie uns das Thier anlocken, und nehmen Sie jetzt meine Flinte für Ihren Carabiner.«

»Was hast Du vor?«

»Sie werden gleich sehen.«

Joe zog seine Leinwandjacke aus, befestigte sie vorn an der Büchse, und reichte sie als Köder vor den Eingang des Brunnenhauses. Das wüthende Thier stürzte sich sofort darauf los. Kennedy hatte sein Erscheinen an der Oeffnung erwartet und zerschmetterte ihm jetzt mit einer Kugel die Schulter. Die Löwin rollte auf die Brunnentreppe, indem sie Joe mit sich fortriß; er glaubte schon die ungeheuren Tatzen der Bestie zu fühlen, als ein zweiter Schuß krachte und Samuel Fergusson mit einem noch rauchenden Gewehr in der Hand am Eingange erschien.

Joe erhob sich eilig, schritt über den Körper der Löwin hinweg, und reichte seinem Herrn die gefüllte Wasserflasche.

Sie an die Lippen führen und halb austrinken, war das Werk eines Augenblicks; dann dankten die drei Reisenden aus dem Grunde ihres Herzens der Vorsehung, die sie so wunderbar errettet hatte.

Achtundzwanzigstes Capitel

Achtundzwanzigstes Capitel

Ein köstlicher Abend. – Joe’s Küche. – Erörterung über rohes Fleisch. – Geschichte von James Bruce. – Das Bivouak. – Joe’s Träume. – Das Barometer fällt. – Das Barometer steigt wieder. – Vorbereitungen zum Aufbruch. – Der Orkan.

Der Abend war herrlich, und die drei Freunde brachten ihn, nachdem sie sich an einem Mahle gelabt hatten, unter dem frischen Laub der Mimosen zu. Thee und Grog wurden heute nicht gespart.

Kennedy hatte das kleine Paradies nach allen Seiten hin durchsucht und gefunden, daß sie die einzigen lebenden Wesen auf diesem Gebiete waren. Sie streckten sich auf ihre Decken aus und erfreuten sich einer friedlichen Nacht, die ihnen Vergessen der überstandenen Leiden brachte.

Am Morgen des 7. Mai leuchtete die Sonne in ihrem hellsten Glanz, aber ihre Strahlen vermochten nicht, das dichte Laubwerk zu durchbrechen. Da Lebensmittel in hinreichender Menge vorhanden waren, beschloß der Doctor, an diesem Orte einen günstigen Wind abzuwarten.

Joe hatte seine tragbare Küche hierher transportirt, und versuchte eine Masse culinarischer Combinationen, bei denen er das Wasser mit sorgloser Verschwendung benutzte.

»Welch‘ sonderbare Aufeinanderfolge von Leid und Freude, bemerkte Kennedy; dieser Ueberfluß nach so qualvoller Entbehrung! Dieser Luxus im Gefolge solches Elends! ach, ich war nahe daran, den Verstand zu verlieren.

– Mein lieber Dick, wäre Joe nicht gewesen, so würdest Du jetzt nicht mehr über die Unbeständigkeit der menschlichen Dinge philosophiren.

– Der wackere Junge, der treue Freund! rief der Schotte, indem er Joe die Hand reichte.

– Keine Ursache; es lohnt nicht davon zu reden,« antwortete dieser; »Sie können sich ja einmal revanchiren, Herr Dick; ich wünschte zwar nicht, daß sich Gelegenheit dazu böte.

– Armselige Creaturen sind wir doch, versetzte der Doctor, daß eine solche Kleinigkeit uns so niederzudrücken vermag!

– Sie meinen den Mangel von ein wenig Wasser, Herr Doctor? Dies Element muß doch wohl außerordentlich nothwendig zum Leben sein!

– Allerdings, Joe, man kann länger ohne zu essen, als ohne zu trinken leben.

– Das glaube ich; übrigens kann man im Falle der Noth so ziemlich Alles essen, was Einem aufstößt, sogar Seinesgleichen, obgleich das eine Speise sein muß, die schwer im Magen liegt.

– Die Wilden nehmen weiter keinen Anstoß daran, meinte Kennedy.

– Ja, die Wilden! sie sind aber auch daran gewöhnt, rohes Fleisch zu essen; ich für meine Person würde den Ekel davor nicht überwinden können.

– Es muß in der That ziemlich widerwärtig sein, stimmte der Doctor bei, und Niemand wollte den ersten Afrika-Reisenden Glauben schenken, als sie erzählten, daß verschiedene Völker sich von rohem Fleische nährten. James Bruce begegnete in dieser Hinsicht ein merkwürdiges Abenteuer.

– Bitte, erzählen Sie, Herr Doctor, wir haben Zeit, Ihnen zuzuhören …. Mit diesen Worten streckte sich Joe behaglich auf dem weichen Grase aus.

– Gern, mein Junge. James Bruce war ein Schotte, aus der Grafschaft Stirling gebürtig, der in den Jahren von 1768 bis 1772 behufs Aufsuchung der Nilquellen ganz Abessynien bis zum Tyana-See durchreiste; dann kehrte er nach England zurück, wo er erst im Jahre 1790 seine Reisebeschreibung veröffentlichte. Die darin enthaltenen Erzählungen wurden mit außerordentlichem Unglauben aufgenommen, einem Unglauben, der sicherlich auch den unserigen bevorsteht. Die Gewohnheiten der Abessynier waren von englischen Sitten und Gebräuchen so verschieden, daß Niemand sie für möglich hielt.

Unter Anderm hatte James Bruce behauptet, daß die Völker Ostafrika’s rohes Fleisch äßen. Diese Angabe brachte Jedermann in Harnisch gegen ihn; er könne ja Alles sagen, was ihm beliebe, meinte man, es würde Niemand hinreisen, um ihn zu widerlegen! Bruce war ein sehr muthiger, aber äußerst jähzorniger Mann, und diese Zweifel an seinen Worten reizten ihn im höchsten Grade. Eines Tages, als in einer Gesellschaft zu Edinburg ein Schotte das gewöhnliche Scherzthema wieder aufnahm und rund heraus erklärte, daß die Sache weder möglich noch wahr sei, entfernte sich Bruce stillschweigend und kehrte nach einigen Minuten mit einem rohen Beefsteak zurück, das nach afrikanischer Manier mit Pfeffer und Salz bestreut war. »Mein Herr,« sagte er zu dem Schotten, »durch Ihren Zweifel an einer meiner Behauptungen haben Sie mir eine schwere Beleidigung zugefügt; darin, daß Sie die Thatsache für unausführbar hielten, haben Sie sich sehr geirrt, und um das allen Anwesenden zu beweisen, werden Sie sofort entweder dies rohe Beefsteak essen, oder mir für Ihre Worte Genugthuung geben.« Der Schotte hatte Furcht und gehorchte nicht ohne allerlei Grimassen. Sodann sagte James Bruce mit der größten Kaltblütigkeit: »Wenn Sie vielleicht immer noch behaupten, mein Herr, daß meine Angabe nicht auf Wahrheit beruht, so werden Sie wenigstens nicht mehr sagen können, daß sie unmöglich sei.

– Gut gegeben! meinte Joe; wenn sich der Schotte an dem rohen Beefsteak ein Wenig den Magen verdorben hat, so ist ihm nur Recht geschehen. Wenn man bei unserer Rückkehr nach England unsere Reise gleichfalls in Zweifel ziehen sollte ….

– Nun, Joe, was gedenkst Du dann zu thun?

– Ich werde den Ungläubigen die Stücke des Victoria ohne Salz und Pfeffer zu essen geben!«

Und Jeder lachte über Joe’s Auskunftsmittel. Der Tag verging so unter angenehmen Gesprächen; mit der Kraft kehrte die Hoffnung, und mit der Hoffnung die Kühnheit wieder. Die Vergangenheit vermischte sich fast unmerklich mit der Zukunft.

Joe hätte am Liebsten dies entzückende Asyl nie wieder verlassen; es war das Ideal seiner Träume; er fühlte sich hier wie zu Hause, und sein Herr mußte ihm die genaue Aufnahme der Oertlichkeit angeben, die er mit großem Ernst in seine Reisenotizen eintrug: 15° 43′ L. und 8° 32′ Br.

Kennedy bedauerte nur eins, nämlich daß er in diesem Miniaturwalde nicht jagen konnte; seiner Ansicht nach fehlten zur Annehmlichkeit der Situation noch wilde Thiere.

»Du hast ein kurzes Gedächtniß, lieber Dick,« versetzte der Doctor. »Denkst Du gar nicht mehr an den Löwen und an die Löwin?«

»Ach das!« sprach er mit der Verachtung, die ein richtiger Jäger für das erlegte Wild an den Tag legt. »Aber freilich, ihre Anwesenheit in dieser Oase gestattet wohl der Vermuthung Raum, daß wir nicht mehr sehr entfernt von fruchtbaren Landstrichen sind.«

»Kein sicherer Beweis dafür, Dick. Diese Thiere überschreiten, von Hunger oder Durst getrieben, oft beträchtliche Entfernungen; in der nächsten Nacht werden wir sogar gut thun, größere Wachsamkeit zu beobachten und Feuer anzuzünden.«

»Bei dieser Temperatur noch Feuer anzünden!« rief Joe. »Nun wenn es sein muß, soll es geschehen. Aber es wird mir wirklich schwer werden, dies hübsche Gehölz, das uns so nützlich und erquickend gewesen ist, zu verbrennen.«

»Wir müssen besonders Acht darauf geben daß wir es nicht in Brand stecken,« fügte der Doctor hinzu, »damit auch andere Reisende hier eines Tages Zuflucht finden können.«

»Wir wollen schon dafür sorgen, Herr; aber meinen Sie denn, daß diese Oase bekannt ist?«

»Gewiß. Es ist ein Haltepunkt für die Karawanen, die Central-Afrika besuchen, und es wäre wohl möglich, daß solch‘ Besuch Dir wenig behagen würde, Joe.«

»Giebt es in dieser Gegend auch solche abscheuliche Nyam-Nyam?«

»Ohne Zweifel! das ist der Gesammtname für all diese Völkerschaften, und unter demselben Klima müssen dieselben Racen auch gleiche Gewohnheiten haben.«

Joe gab mit einem kräftigen »Puh« seinem Widerwillen Ausdruck.

»Trotzdem finde ich das eigentlich sehr natürlich! wenn Wilde denselben Geschmack wie gesittete Europäer hätten – wo bliebe der Unterschied? Es mag hier ganz honette Leute geben, die sich nicht bitten lassen würden, das rohe Beefsteak des Schotten und ihn selber noch obendrein zu verzehren.«

Nach dieser sehr verständigen Betrachtung errichtete Joe seine Scheiterhaufen für die Nacht, machte sie jedoch so klein wie möglich. Diese Vorsichtsmaßregeln erwiesen sich jedoch glücklicher Weise als unnöthig, und die drei Reisenden schliefen abwechselnd in tiefster Ruhe.

Am folgenden Morgen zeigte sich noch keine Aenderung des Wetters; es blieb hartnäckig klar und schön. Der Ballon verhielt sich vollständig ruhig, und nicht die geringste Schwankung seines beweglichen Körpers verrieth einen Windhauch.

Der Doctor wurde wieder besorgt; wenn die Reise sich sehr verlängern sollte, würden die Lebensmittel nicht ausreichen. Nachdem man beinahe dem Wassermangel erlegen war, sollte man schließlich vor Hunger sterben müssen?

Fergusson gewann indessen seine Zuversicht wieder, als er sah, wie das Quecksilber im Barometer sehr merklich fiel; das war ein augenscheinliches Zeichen einer nahen Veränderung in der Atmosphäre; demnach beschloß er seine Vorbereitungen zum Aufbruch zu treffen, um die erste günstige Gelegenheit sofort benutzen zu können. Der Speisungskasten wie auch die Wasserkiste wurden vollständig gefüllt.

Der Doctor mußte nun das Gleichgewicht des Luftschiffes wieder herstellen, und Joe wurde genöthigt, einen ansehnlichen Theil seines kostbaren Golderzes zu opfern. Mit der Gesundheit waren ihm jedoch wieder habsüchtige Gedanken aufgestiegen, und er schnitt ein böses Gesicht über das andere, ehe er sich entschloß, seinem Herrn zu gehorchen; dieser aber bewies ihm geduldig, daß er ein so bedeutendes Gewicht nicht mitnehmen könne, und ließ ihm die Wahl zwischen Wasser und Gold; Joe schwankte nun nicht länger, und schleuderte eine tüchtige Menge seiner werthvollen Kiesel auf den Sand, indem er rief:

»Mögen es die behalten, welche nach uns kommen; sie werden nicht wenig erstaunt sein, an solchem Orte ihr Glück zu finden.«

»Wenn nun irgend ein gelehrter Reisender diese Steinmuster hier auffindet?« hub Kennedy an.

»Ich zweifle durchaus nicht, mein lieber Dick, daß es ihn sehr überraschen und er seiner Verwunderung in zahlreichen Folianten Ausdruck verleihen würde! Vielleicht hören wir bald einmal von einer wunderbaren Schicht goldhaltigen Quarzes inmitten der Sandwüsten Afrika’s.«

»Und Joe ist dann die Ursache hiervon gewesen.« Der Gedanke, irgend einen Gelehrten zu mystificiren, schien den braven Joe zu trösten; er entlockte ihm wenigstens ein Lächeln.

Der Doctor wartete vergebens den Tag über auf Wetterveränderung. Die Temperatur stieg bedeutend, und wäre ohne den Schatten der Oase unerträglich gewesen. Das Thermometer zeigte in der Sonne hundertneunundvierzig Grad. Ein wahrer Feuerregen durchfuhr die Luft. Es war die höchste Wärme, die bis jetzt beobachtet worden war.

Joe ordnete wie am vergangenen Abende das Bivouak, und während der Doctor und später Kennedy wachten, ereignete sich kein weiterer Zwischenfall. Aber gegen drei Uhr Morgens, als Joe die Wache hatte, wurde die Temperatur plötzlich kühler, der Himmel bedeckte sich mit Wolken, und die Dunkelheit nahm zu.

»Auf! auf!« rief Joe, indem er seine beiden Gefährten weckte; »der Wind!«

»Endlich!« sagte der Doctor, indem er den Himmel betrachtete; »es erhebt sich ein Sturm; in den Victoria, in den Victoria

Es war die höchste Zeit zum Einsteigen. Der Victoria bog sich unter der Gewalt des Orkans und schleppte die Gondel fort, die auf dem Sande hinstreifte. Wenn durch irgend einen Zufall ein Theil des Ballasts zur Erde gestürzt wäre, würde der Ballon auf und davon gegangen sein, und jede Hoffnung, ihn wiederzufinden, wäre vergeblich gewesen.

Aber Joe lief, so schnell ihn seine Füße tragen wollten, zum Victoria und hielt die Gondel an, während der Ballon sich auf den Sand legte und der Gefahr des Zerreißens sehr nahe war. Der Doctor nahm seinen Platz ein, zündete das Knallgasgebläse an und warf den Gewichtüberschuß auf den Sand.

Die Reisenden betrachteten ein letztes Mal die Bäume der Oase, die sich unter dem Sturm beugten, und verschwanden bald zweihundert Fuß über der Erde, vom Ostwinde getrieben, im Dunkel der Nacht.

Neunundzwanzigstes Capitel

Neunundzwanzigstes Capitel

Symptome bei Vegetation. – Phantastischer Gedanke eines französischen Schriftstellers. – Ein herrliches Land. – Das Königreich Adamova. – Die Forschungsreisen Speke’s und Burton’s mit denen Barth’s verknüpft. – Die Atlantika-Berge. – Der Benue-Fluß. – Die Stadt Yola. – Der Bagele. – Der Berg Mendif.

Die Reisenden fuhren vom Augenblick ihres Aufbruchs an mit großer Geschwindigkeit; sie sehnten sich danach, diese Wüste, die ihnen beinahe so verhängnißvoll geworden wäre, zu verlassen.

Gegen ein Viertel zehn Uhr Morgens erblickte man einige Symptome der Vegetation, Gräser, die auf diesem Sandmeer zitterten und ihnen, wie dem Christoph Columbus, die Nähe des Landes verkündeten. Grüne Keime sproßten schüchtern unter Kieseln hervor, und am Horizonte zogen sich Hügel in wellenförmiger Linie hin. Ihre vom Nebel verwischte Seitenansicht zeichnete sich in vagen Umrissen ab; die Eintönigkeit schwand.

Fergusson begrüßte freudig diese neue Gegend, und wie ein Matrose im Mastkorbe hätte er ausrufen mögen: »Land! Land!«

Eine Stunde später entfaltete sich der Continent vor seinen Augen; er bot bis jetzt nur noch einen wilden Anblick dar, war aber doch weniger flach und nackt; einige Bäume hoben sich vom grauen Himmel ab.

»Wir sind jetzt also in civilisirten Landen? fragte der Jäger.

– Civilisirt? Herr Dick, was denken Sie sich? von Einwohnern ist noch nichts zu sehen.

– Bei der Schnelligkeit, mit der wir fortkommen, wird auch das nicht lange dauern, entgegnete Fergusson.

– Sind wir noch im Negerlande, Herr Samuel?

– Noch immer, Joe, und dann kommen wir zu den Arabern.

– Zu den Arabern, Herr Doctor? zu richtigen Arabern mit Kameelen?

– Nein, ohne Kameele; diese Thiere sind hier selten, wenn nicht gar unbekannt; man trifft sie erst einige Grade nördlicher an.

– Das gefällt mir nicht.

– Warum denn, Joe?

– Weil sie uns bei widrigem Winde nützlich werden könnten. Es kommt mir nämlich ein Gedanke, Herr Doctor. Man könnte sie an die Gondel spannen und sich von ihnen in’s Schlepptau nehmen lassen.

– Mein armer Joe, diesen Gedanken hat schon ein Anderer vor Dir gehabt, und er ist von einem sehr geistreichen, französischen Schriftsteller durchgeführt worden … allerdings nur in einem Roman. Reisende lassen sich im Ballon von Kameelen ziehen, es kommt ein Löwe, der die Kameele verschlingt, das Sattelzeug gleichfalls verspeist und nun an ihrer Stelle ziehen muß, und so dann weiter. Du siehst, daß dies Alles in’s Genre der höhern Phantasie gehört, und nichts mit unserer Beförderungsart gemein hat.«

Joe, der sich ein wenig durch den Gedanken gedemüthigt fühlte, daß seine Idee schon Verwendung gefunden hatte, sann darüber nach, welches Thier den Löwen hätte verschlingen können, kam jedoch zu keinem Resultat und begann wieder, das Land zu besichtigen.

Ein See von mittlerer Größe erstreckte sich unter ihnen und wurde von einem Amphitheater von Hügeln eingeschlossen, die noch keinen Anspruch darauf erheben konnten, Berge zu heißen; dort schlängelten sich zahlreiche, fruchtbare Thäler mit ihrem unentwirrbaren Durcheinander der mannigfaltigsten Bäume; die Oelpalme mit ihren fünfzehn Fuß langen Blättern auf scharfdornigen Stengeln, war hauptsächlich unter ihnen vertreten; der Bombyx (Seidenwollenbaum) füllte den Wind mit dem feinen Flaum seines Samens; der strenge Geruch des Pendanus, des »Kenda« der Araber, durchduftete die Lüfte bis zu der Zone, in welcher der Victoria dahinschwebte. Der Melonenbaum mit gefingerten Blättern, der Stinkbaum, auf dem die Sudanischen Nüsse wachsen, Baobabs und Bananen vervollständigten diese üppige Flora der Tropengegenden.

»Das Land ist herrlich, sagte der Doctor.

– Thiere finden sich schon ein, dann sind auch Menschen nicht weit, äußerte Joe.

– Ach, die prächtigen Elephanten! rief Kennedy; ließe sich hier nicht eine kleine Jagd veranstalten?

– Wie könnten wir bei einer so heftigen Strömung wohl anhalten, lieber Dick? Stehe nur ein wenig Tantalusqual aus! Du kannst Dich später dafür entschädigen.«

Es war allerdings Ursache vorhanden, einen Jäger in Aufregung zu bringen. Dick klopfte das Herz in der Brust, und seine Finger legten sich fester um den Kolben seines Purdey.

Die Fauna dieses Landes kam der Flora gleich. Der wilde Ochse walzte sich in einem so dichten Grase, daß er fast darunter verschwand; graue, schwarze und gelbliche Elephanten von riesenhaftem Wuchse schritten wie ein Windbruch durch die Wälder, verheerend, niederbrechend, umstürzend und ihren Weg durch Verwüstung bezeichnend. Auf dem mit Holz bestandenen Abhang der Hügel sickerten Cascaden und Wasserrinnen, die ihren Weg gen Norden nahmen; dort badeten sich Nilpferde mit lautem Plätschern, und Seekühe von zwölf Fuß Länge und fischartigem Körper streckten sich an den Ufern aus, indem sie ihre runden milchgeschwellten Euter nach oben kehrten.

Es war eine förmliche Menagerie seltener Thiere in einem wunderbaren Treibhause, das zahllose, buntfarbig schillernde Vögel durchschwirrten.

An dieser, mit verschwenderischer Ueppigkeit geschmückten Natur erkannte der Doctor das stolze Königreich Adamova.

»Wir treten nunmehr in die Fußtapfen der neuern Entdecker ein,« theilte der Doctor seinen Begleitern mit; ich habe die unterbrochene Spur der Reisenden wieder aufgenommen; eine glückliche Schickung, meine Freunde. Wir werden die Forschungsreisen der Kapitäne Burton und Speke mit denen des Doctor Barth verknüpfen können; wir haben Engländer verlassen, um einen Hamburger wiederzufinden, und bald werden wir an dem äußersten Punkte angelangt sein, den dieser kühne Gelehrte erreicht hat.

– Es kommt mir vor, hub Kennedy an, als ob sich zwischen diesen beiden Entdeckungsreisen eine große Länderstrecke befinden müßte, wenn ich nach dem von uns zurückgelegten Wege urtheilen darf.

– Das können wir leicht berechnen; nimm die Karte zur Hand und sieh, welches der Längengrad der von Speke erreichten Südspitze des Ukerewe-Sees ist.

– Sie zeigt sich etwa unter dem siebenunddreißigsten Grad.

– Und wo liegt die Stadt Yola, die wir heute Abend aufnehmen werden, nach der Barth gelangte?

– Ungefähr unter dem zwölften Längengrad.

– Beträgt also fünfundzwanzig Grad; jeden zu sechzig Meilen, macht fünfzehnhundert Meilen.

– Ein hübscher Spaziergang für Leute, die zu Fuß reisen.

– Trotzdem wird er gemacht werden. Livingstone und Moffat gehen immer weiter in’s Innere vor; der Nyassa, den sie entdeckt haben, liegt in nicht zu großer Entfernung von dem durch Burton recognoscirten Tanganiyka-See. Noch ehe das Jahrhundert zu Ende geht, werden diese unermeßlichen Gegenden gewiß durchforscht sein. Aber,… fügte Fergusson nach Besichtigung seines Compasses hinzu,… ich bedaure, daß der Wind uns so sehr nach Westen trägt; ich hätte mehr nach Norden kommen mögen.«

Nach einer zwölfstündigen Reise befand sich der Victoria auf den Grenzen Nigritiens; die ersten Bewohner dieses Landes, Chua-Araber, weideten ihre Nomadenherden. Die ungeheuren Gipfel der Atlantika-Berge erhoben sich über den Horizont, Berge, die noch der Fuß keines Europäers betreten hat, und deren Höhe auf ungefähr dreizehnhundert Toisen geschätzt wird. Ihr westlicher Abhang bestimmt den Abfluß aller Wasser aus diesem Theile Afrika’s nach dem Ocean; es sind die Mondberge dieser Gegend.

Endlich zeigte sich ein wirklicher Strom den Augen der Reisenden, und an den kolossalen Ameisenhaufen in seiner Nähe erkannte der Doctor den Benue, einen der großen Zuflüsse des Niger, ihn, den die Eingeborenen »die Quelle der Wasser« genannt haben.

»Dieser Strom, belehrte der Doctor seine Gefährten, wird dermaleinst der natürliche Communicationsweg mit dem Innern Nigritiens werden. Unter dem Oberbefehl eines unserer tapfern Kapitäne ist das Dampfboot, »die Plejade« bereits auf demselben bis zur Stadt Aola gefahren. Ihr seht, daß wir in bekanntem Lande sind.«

Zahlreiche Sclaven beschäftigten sich mit Feldarbeiten, indem sie den Sorgo (eine Art Hirse), ihr hauptsächliches Nahrungsmittel, anbauten. Starres Staunen prägte sich auf den Gesichtern der Leute aus, als der Victoria wie ein Meteor an ihnen vorüberflog. Am Abend machte er vierzig Meilen von Yola Halt, und vor ihm, in der Ferne, erhoben sich die beiden spitzigen Kegel des Mendif-Berges.

Der Doctor ließ den Anker auswerfen und hakte ihn in den Wipfel eines hohen Baumes ein; aber ein sehr rauher Wind schüttelte den Victoria dermaßen, daß er sich mitunter in ganz wagerechter Lage befand, und so wurde die Stellung der Gondel bisweilen äußerst gefährlich. Fergusson schloß in dieser Nacht kein Auge; oft war er nahe daran, das Befestigungstau zu durchhauen und vor dieser Pein zu fliehen. Endlich aber legte sich der Sturm, und die Schwankungen des Luftschiffes hatten nichts Beunruhigendes mehr.

Am andern Morgen war der Wind gemäßigter, aber er entfernte die Reisenden von der Stadt Jola, die kürzlich von den Fullannes neu aufgebaut, die Neugier Fergusson’s erregte; nichtsdestoweniger mußte man sich darein ergeben, nach Norden, ja sogar ein wenig nach Osten zu segeln.

Kennedy schlug vor, in diesem Jagdlande Station zu machen; Joe behauptete, für die Küche frisches Fleisch sehr nöthig zu haben; aber die wilden Sitten dieses Landes, die Haltung der Bevölkerung, das Abfeuern einiger Flintenschüsse auf den Victoria veranlaßten den Doctor, seine Reise ohne Aufenthalt fortzusetzen. Man schwebte über ein Land hinweg, das einen Schauplatz von Brand und Mord darstellte, in welchem kriegerische Kämpfe nimmer aufhören, und in denen die Sultane unter dem scheußlichsten Gemetzel um ihre Reiche spielen.

Zahlreiche, bevölkerte Dörfer mit langen Negerhütten erstreckten sich zwischen den großen Viehweiden, deren dichtes Gras mit violetten Blumen besäet war; Häuser, großen Bienenkörben ähnlich, standen im Schutze starrender Palissaden, und die wilden Abhänge der Hügel erinnerten, wie Kennedy mehrmals hervorhob, an die »Glen« des schottischen Hochlandes

Trotz aller Anstrengungen segelte der Doctor nach Nordosten, gerade auf den Mendif-Berg zu, der in den Wolken verschwand; die hohen Gipfel dieses Gebirges trennen das Nigerbassin von dem Becken des Tschad-Sees.

Bald erschien der Bagele mit seinen achtzehn Dörfern, die wie Kinder im Schooß ihrer Mutter, an den Seitenabhängen des Berges kleben. Für die Reisenden, die dies Ensemble überschauen konnten, bot das Bild einen wahrhaft reizenden Anblick; die Schluchten waren mit Reis- und Erdeichelfeldern bedeckt.

Um drei Uhr befand sich der Victoria dem Mendif-Berge gegenüber. Man hatte ihn nicht umsegeln können, und so mußte er überschritten werden. Mittelst einer Temperatur, die der Doctor um hundertundachtzig Grad steigerte, gab er dem Ballon eine neue emportreibende Kraft von beinahe sechzehnhundert Pfund. Er stieg um mehr als achttausend Fuß: die bedeutendste auf der Reise erreichte Höhe, in der die Temperatur dergestalt abnahm, daß der Doctor und seine Gefährten sich in Decken einhüllen mußten.

Fergusson stieg eilig wieder hinab, denn die Hülle des Luftschiffes dehnte sich zum Zerspringen aus; dennoch hatte man Zeit gehabt, den vulkanischen Ursprung des Berges zu constatiren; seine ausgebrannten Krater zeigen sich jetzt nur noch als tiefe Abgründe. Große Anhäufungen von Vogelmist geben den Seitenabhängen des Mendif das Aussehen von Kalkfelsen; man hätte damit die Ländereien des ganzen Königreichs düngen können.

Um fünf Uhr segelte der Victoria, vor den Südwinden geschützt, sanft an der Senkung des Gebirges hin, und hielt in einer großen, von jeder menschlichen Wohnung entfernt liegenden Lichtung; sobald die Gondel den Boden berührt hatte, wurden Vorsichtsmaßregeln getroffen, um sie an der Erde zu fesseln, und Kennedy stürzte, die Flinte in der Hand, über die sanftabfallende Ebene davon. Bald kam er, mit einem halben Dutzend wilder Enten und einer Art Becassinen beladen, zurück, die Joe kunstgerecht herrichtete. Das Mahl war köstlich, und ihm folgte eine Nacht ungestörter, tiefer Ruhe.

Drittes Capitel

Drittes Capitel

Der Freund des Doctors. – Geschichte ihrer Freundschaft. – Dick Kennedy in London. – Ein unerwarteter, aber keineswegs beruhigender Vorschlag. – Das wenig tröstlich klingende Sprichwort. – Einige Worte über die afrikanische Märtyrerliste. – Vortheile eines Luftschiffes. – Das Geheimnis des Doctor Fergusson.

Doctor Fergusson besaß einen Freund. Derselbe war nicht etwa sein zweites Ich, kein alter ego, – zwischen zwei vollkommen gleichartigen Wesen hätte wirkliche Freundschaft nicht existiren können, – aber wenn Dick Kennedy und Samuel Fergusson auch verschiedene Eigenschaften und Fähigkeiten, ja sogar ein verschiedenes Temperament besaßen, so waren sie doch ein Herz und eine Seele und wurden dadurch nicht weiter gestört – im Gegentheil. –

Besagter Dick Kennedy war ein Schotte im vollen Sinne des Worts; offen, entschlossen und beharrlich. Er wohnte in der kleinen Stadt Leith bei Edinburg, eine richtige Bannmeile von dem »alten Rauchnest« entfernt. Bisweilen trieb er die Fischerei, aber immer und überall war er dem Jägerhandwerk mit Leib und Seele ergeben; und das war bei einem Kinde Caledoniens, das gewohnt ist, in den Bergen des Hochlands umherzustreifen, nicht eben zu verwundern. Man rühmte ihn als einen vorzüglichen Schützen mit dem Carabiner und sagte ihm nach, daß er die Kugel beim Schuß auf eine Messerklinge nicht nur durchschnitt, sondern sie auch auf diese Weise in so gleiche Hälften theilte, daß beim Wiegen kein Unterschied zwischen ihnen gefunden werden konnte.

Die Physiognomie Kennedy’s erinnerte lebhaft an diejenige Halbert Glendinning’s, wie sie Walter Scott im »Kloster« gezeichnet hat; seine Größe überstieg sechs englische Fuß; obgleich graciös und behende, war er mit einer herkulischen Körperkraft ausgerüstet; ein wettergebräuntes Antlitz, lebhafte schwarze Augen, eine natürliche, ausgeprägte Kühnheit, kurz eine gewisse Güte und Solidität in der ganzen Person des Schotten nahm von vornherein zu seinen Gunsten ein.

Die beiden Freunde hatten sich in Indien, als beide bei demselben Regiment dienten, kennen gelernt; während Dick sich auf der Tiger- und Elephantenjagd vergnügte, erbeutete Samuel Pflanzen und Insecten. Dieser wie Jener konnte sich in seiner Sphäre eines guten Erfolges rühmen, und dem Doctor fiel gar manche Pflanze in die Hände, deren Werth einem Paar Elfenbeinhauern gleich zu schätzen war.

Die beiden jungen Leute hatten niemals Gelegenheit gehabt, einander das Leben zu retten, oder sich sonstige Dienste zu erweisen; daher erhielt sich unter ihnen eine ungetrübte, gleichmäßige Freundschaft. Das Geschick trennte sie zuweilen von einander, aber immer führte sie ihre Sympathie wieder zusammen.

Seitdem sie nach England zurückgekehrt waren, wurden sie oft durch die Expeditionen des Doctors geschieden; wenn er indessen heimkam, verfehlte er niemals, ungebeten bei seinem Freunde vorzusprechen und ihm einige Wochen zu widmen.

Dick plauderte dann von der Vergangenheit, und Samuel machte Zukunftspläne; der eine sah vorwärts, der andere schaute zurück, und so kam es, daß der Geist des einen die personificirte Aufregung, der des andern die vollkommenste Ruhe war.

Nachdem der Doctor von Tibet zurückgekommen war, sprach er fast zwei Jahre lang nicht von neuen Forschungsreisen, und Dick gab sich der Hoffnung hin, daß sein Reisetrieb und seine Sucht nach Abenteuern nun endlich befriedigt wären. Er war von diesem Gedanken entzückt. »Wenn man auch noch so gut mit den Menschen umzugehen versteht, sagte er zu sich, muß es doch früher oder später ein schlechtes Ende nehmen; man begiebt sich nicht ungestraft unter Menschenfresser und wilde Thiere.« So forderte denn Kennedy seinen Freund auf, ein Ende mit seinen Reisen zu machen, und stellte ihm vor, daß er für die Wissenschaft genug und für die Dankbarkeit der Menschen bereits viel zu viel geleistet habe.

Hierauf erhielt er von dem Doctor keine Antwort; derselbe war in der nächsten Zeit nachdenklich, beschäftigte sich insgeheim mit Berechnungen, verbrachte die Nächte mit minutiösen Arbeiten, über Zahlen brütend; ja, er stellte sogar Experimente mit allerlei sonderbaren Maschinerieen an, von denen man nicht wußte, was sie zu bedeuten hatten. So viel aber war klar ersichtlich: Es gährte ein neuer, großer Gedanke in dem Hirn Samuel Fergusson’s.

»Worüber mag er so gegrübelt haben?« fragte sich Kennedy, als sein Freund ihn im Monat Januar verlassen hatte, um nach London zurückzukehren.

Da wurde ihm die Beantwortung dieser Frage eines Morgens aus dem bereits mitgetheilten Artikel des »Daily Telegraph«.

»Barmherziger Himmel! rief er aus, ist der Mensch wahnsinnig geworden! Afrika in einem Ballon durchreisen! Weiter fehlte nichts! Also darüber hat er in diesen beiden Jahren nachgesonnen!«

Denkt euch anstatt aller dieser Ausrufungszeichen kräftige, auf das eigene Hirn geführte Faustschläge, und ihr werdet euch einen ungefähren Begriff von der körperlichen Motion machen können, in welcher unser wackerer Dick seine Erregung austobte.

Als seine alte Vertraute, Frau Elspeth, ihm zu bedenken gab, daß dies Alles nur eine Mystifikation sein könne, antwortete er:

»Unsinn! ich werde doch meinen Mann kennen? Das sieht ihm ähnlich, ganz ähnlich! Durch die Lüfte reisen! Jetzt wird er gar eifersüchtig auf die Vögel! Nein, daraus soll nichts werden! ich werde es zu verhindern wissen! Ja, wenn man ihn gewähren ließe; wer könnte Einem dafür gut sagen, daß er sich nicht eines schönen Tages nach dem Monde aufmachte!«

Noch am Abend desselben Tages setzte sich Kennedy voll großer Unruhe und Erbitterung in ein Coupé der Eisenbahn nach der General Railway Station und langte am folgenden Morgen in London an.

Drei Viertelstunden später setzte ihn eine Droschke vor dem kleinen Hause des Doctors, Soho Square, Greek Street ab.

Er schritt über den Vorplatz und kündigte sich durch fünf nachdrückliche Schlage gegen die Thür an, worauf Fergusson öffnete.

»Dick?« fragte er, ohne irgend welches Erstaunen zu verrathen.

»Dick selber«, erwiderte Kennedy kurz.

»Du hältst Dich zur Zeit der Winterjagden in London auf? was führt Dich hierher?«

»Eine grenzenlose Thorheit, die ich verhindern will.«

»Eine Thorheit?«

»Ist das, was in dieser Zeitung steht, wahr?« rief jetzt Kennedy, indem er die betreffende Nummer des Daily Telegraph hervorholte und sie seinem Freunde entgegenhielt.

»Ach davon sprichst Du! diese Zeitungen schwatzen doch wirklich Alles aus! aber setze Dich doch, lieber Dick.«

»Nein, ich werde mich nicht setzen. Sage mir, ob Du wirklich und wahrhaftig die Absicht hast, diese Reise zu unternehmen?«

»Ganz entschieden; meine Vorbereitungen sind schon im Gange, und ich …«

»Wo hast Du Deine Vorbereitungen? In tausend Stücke will ich sie zerschlagen! Her damit!«

Der würdige Schotte gerieth jetzt ernstlich in Zorn.

»Beruhige Dich, mein lieber Dick«, versetzte der Doctor; »ich begreife Deine Gereiztheit sehr wohl. Du zürnst mir, daß ich Dir meine neuen Pläne noch nicht mitgetheilt habe.«

»Das nennt er neue Pläne!«

»Ich bin nämlich sehr beschäftigt gewesen«, fuhr Samuel fort; »es gab in der letzten Zeit viel für mich zu thun. Aber trotzdem wäre ich nicht abgereist, ohne Dir zu schreiben . . .«

»Ach, was liegt mir daran …«

»Weil ich die Absicht habe, Dich mitzunehmen.«

Der Schotte machte einen Satz, der einem Gemsbock zur Ehre gereicht haben würde.

»Ah so!« sagte er; »Du gehst also darauf aus, uns Beide nach Bedlam zu bringen!«

»Ich habe mit voller Bestimmtheit auf Dich gerechnet, lieber Dick, und mit Ausschluß von vielen Anderen Dich zu meinem Reisegefährten erwählt.«

Kennedy war ganz starr vor Staunen.

»Wenn Du mich zehn Minuten lang angehört hast, wirst Du mir dafür dankbar sein«, fuhr der Doctor fort.

»Sprichst Du wirklich im Ernst?«

»Vollständig im Ernst.«

»Und wenn ich mich nun weigere, Dich zu begleiten?«

»Das wirst Du nicht thun.«

»Wenn ich mich nun aber doch weigere?«

»Dann reise ich allein.«

»Setzen wir uns, sagte der Jäger, und sprechen wir ohne alle Leidenschaft. Von dem Augenblick an, wo ich weiß, daß Du nicht scherzest, ist die Sache wenigstens einer Unterredung werth.«

»Wenn Du nichts dagegen hast, können wir dabei frühstücken, lieber Dick.«

Die beiden Freunde setzten sich einander gegenüber an einen kleinen Tisch, auf dem rechts ein stattlicher Berg von Butterbroden, und links eine ungeheure Theekanne stand.

»Mein lieber Samuel, Dein Plan ist geradezu verrückt; an seine Durchführung ist nicht zu denken, er ist mit einem Wort unmöglich!«

»Das werden wir erst genau wissen, wenn wir den Versuch gemacht haben.«

»Aber eben dieser Versuch soll ja nicht gemacht werden!«

»Und warum nicht, wenn’s beliebt?«

»Denke doch an die Gefahren, die Hindernisse aller Art!«

»Hindernisse«, versetzte Fergusson sehr ernst, »sind erfunden, um besiegt zu werden; und was die Gefahren betrifft – wer kann sich schmeicheln, ihnen zu entgehen? Alles im Leben ist Gefahr! Es kann das größte Unglück herbeiführen, wenn man sich an einem Tische niederläßt oder auch nur seinen Hut aufsetzt. Ueberdies muß man sich sagen, daß Alles, was bereits geschehen ist, auch wiederum geschehen wird, daß die Zukunft nur eine etwas entferntere Gegenwart ist.«

»Ich kenne Deine Ansichten«, schob Kennedy ein, indem er mit den Achseln zuckte. »Du bist Fatalist!«

»Immer, aber im besten Sinne des Wortes. Beschäftigen wir uns also nicht mit dem, was das Geschick uns möglicher Weise vorbehalten hat, sondern halten wir uns an das gute englische Sprichwort: Wer zum Hängen geboren ist, wird nie den Tod des Ertrinkens sterben.«

Hierauf war nichts zu erwidern, doch hinderte dies Kennedy nicht, eine Menge naheliegender Gründe gegen die beabsichtigte Unternehmung aufzuzählen, deren nähere Erörterung uns hier zu weit führen würde.

»Warum willst Du denn aber, sagte er nach einer Stunde lebhaftester Debatte, wenn diese Bereisung Afrikas absolut zu Deinem Lebensglück gehört, nicht dieselben Bahnen einschlagen, wie andere gewöhnliche Sterbliche vor Dir?«

»Warum?« rief der Doctor, in Eifer gerathend; »weil bis jetzt alle Versuche scheiterten! weil von Mungo Park’s Ermordung am Niger bis zum Verschwinden Vogels in Wadai, von Oudney’s und Clapperton’s Tod in Murmur und Sackatu bis auf den Franzosen Maizan, der in Stücke gehauen wurde, von dem Major Laing, der durch die Hand der Tuaregs sein Ende fand, bis zur Ermordung Roschers aus Hamburg im Anfange des Jahres 1860, zahlreiche Opfer in die afrikanische Märtyrerliste eingetragen worden sind! Weil es ganz unmöglich ist, gegen die Elemente, gegen den Hunger, den Durst, das Fieber, gegen die wilden Thiere und die noch viel wilderen Völkerstämme anzukämpfen! Weil man das, was nicht auf eine Weise zu erreichen ist, auf eine andere Art versuchen muß, und endlich, weil man da, wo nicht gerade durch zu kommen ist, nebenher oder darüber hinweg gehen muß.«

»Wenn es sich nur darum handelte, darüber hinweg zu gehen!« äußerte Kennedy; »aber Du willst ja hoch darüber fort fliegen.«

»Nun«, argumentirte der Doctor mit der größten Kaltblütigkeit weiter, »was habe ich denn zu fürchten? Wie Du Dir wohl denken kannst, habe ich meine Vorsichtsmaßregeln dergestalt getroffen, daß ein Fall meines Ballons nicht besorgt werden darf. Sollte das Luftschiff mich trotz alledem im Stich lassen, so würde ich mich auf der Erde noch immer in gleichen Verhältnissen mit andern Entdeckungsreisenden befinden; aber mein Ballon wird sich bewähren; wir können fest darauf rechnen.«

»Wir dürfen im Gegentheil nicht darauf rechnen.«

»Doch wohl, mein lieber Dick; ich beabsichtige, mich nicht eher von meinem Luftschiff zu trennen, als bis ich auf der Westküste Afrikas angekommen bin. Mit diesem Ballon ist Alles möglich; ohne ihn aber fiele ich wieder den Gefahren und natürlichen Hindernissen solcher Expeditionen zum Opfer. Mit ihm gedenke ich ebenso der Hitze, den Strömen und Stürmen, wie dem Samum und dem ungesunden Klima zu trotzen; weder wilde Thiere noch Menschen können mir etwas anhaben. Ist mir zu heiß, so steige ich; wird es zu kalt, so lasse ich mich herab. Über einen Berg fliege ich hinweg, über jeden Abgrund schwebe ich hin; ich schieße über Flüsse und Ströme wie ein Vogel, und entladet sich ein Gewitter, so erhebe ich mich über dasselbe und beherrsche es von oben herab. Ich komme vorwärts, ohne zu ermüden, und halte an, ohne der Ruhe zu bedürfen! Ich schwebe über den Städten, und fliege mit der Schnelligkeit des Orkanes bald hoch oben in den Lüften, bald nur hundert Fuß vom Erdboden entfernt; und unter meinen Augen entrollt sich die Karte von Afrika im großen Atlas der Welt!«

Der wackere Kennedy begann eine gewisse Bewegung und Rührung zu verspüren, und doch schwindelte ihm bei dem vor seinen Augen entrollten Schauspiel. Er betrachtete Samuel mit einem Gemisch von Bewunderung und Sorge; fast fühlte er sich schon schwebend im Weltenraum.

»Nach alledem, mein lieber Samuel«, sagte er endlich, »hast Du das Mittel ausfindig gemacht, den Ballon zu lenken?«

»Nein! Das ist eine Unmöglichkeit.«

»Aber dann wirst Du reisen. ….«

»Wohin es der Vorsehung beliebt, aber jedenfalls von Osten nach Westen, denn ich gedenke mich der Passatwinde, die eine durchaus beständige Richtung haben, zu bedienen.«

»O, freilich!« sagte Kennedy überlegend; »die Passatwinde…. gewiß….. Man kann im Nothfall….. Es wäre immerhin möglich….«

»Es wäre möglich? nein, mein wackerer Freund, es ist sogar gewiß. Die englische Regierung hat mir ein Transportschiff zur Verfügung gestellt, und es ist abgemacht, daß zu der voraussichtlichen Zeit meiner Ankunft drei oder vier Schiffe an der Westküste kreuzen sollen. In drei Monaten spätestens werde ich in Zanzibar sein, um die Füllung des Ballons zu bewerkstelligen, und von dort aus wollen wir uns in die Lüfte schwingen …«

»Wir!« rief Dick.

»Hast Du mir noch den leisesten Einwand zu machen, so sprich, Freund Kennedy.«

»Nicht einen Einwand, sondern tausend! aber sage mir unter Anderm: wenn Du das Land zu besichtigen und Dich nach Belieben zu erheben oder herabzulassen gedenkst, so kannst Du das nicht, ohne von Deinem Gas einzubüßen. Schon dieser Umstand hat bis jetzt alle langen Reisen in Luftballons verhindert.«

»Mein lieber Dick, ich will Dir nur dies eine Wort sagen: ich werde auch nicht das kleinste Atom, kein Molecül Gas einbüßen.«

»Und doch willst Du nach Belieben steigen und fallen können? Wie willst Du das machen?«

»Das ist mein Geheimniß, Freund Dick. Habe nur Vertrauen zu mir, und laß mein Losungswort auch das Deinige sein: ›Excelsior!‹«

»Gut, also ›Excelsior,‹« antwortete der Jäger, der kein Wort lateinisch verstand.

Er war fest entschlossen, sich mit allen erdenklichen Mitteln der Abreise des Doctors zu widersetzen; vorläufig aber gab er sich den Anschein, als sei er der Meinung desselben beigetreten. Er begnügte sich damit, den Freund zu beobachten. Dieser machte sich jetzt daran, die Zurüstungen für seine Reise zu beaufsichtigen.