Zweites Capitel.


Zweites Capitel.

Ein altes Document.

Dieses Cabinet war ein wahrhaftes Museum. Alle Musterstücke aus dem Mineralreich fanden sich da mit Etiketten versehen in vollständigster Ordnung gereiht, nach den drei großen Abtheilungen der brennbaren, metallischen und steinartigen Mineralien.

Wie war ich mit diesem Spielzeug der mineralogischen Wissenschaft vertraut! Wie oft hatte ich, anstatt mit meinen Kameraden meine Zeit zu vertändeln, meine Freude daran, diese Graphiten, Anthraciden, Ligniten, die Steinkohlen und Torfe abzustäuben! Und die Harze, Erdharze, organischen Salze, die vor den geringsten Stäubchen zu schützen waren! Und diese Metalle, vom Eisen bis zum Gold, deren relativer Werth vor der absoluten Gleichheit der wissenschaftlichen Gattungen verschwand! Und alle die Steine, womit man das Haus an der Königsstraße hätte neu aufbauen können, und noch ein hübsches Zimmer dazu, worin ich mich recht hübsch eingerichtet hätte!

Aber als ich in das Arbeitszimmer trat, dachte ich nicht an diese Wunder; mein einziger Gedanke war mein Oheim. Er war in seinem großen, mit Utrechter Sammt beschlagenen Lehnstuhl vergraben und hielt ein Buch in den Händen, das er mit tiefster Bewunderung anschaute.

»Welch ein Buch! welch ein Buch!« rief er aus. Dieser Ausruf erinnerte mich, daß der Professor Lidenbrock auch zu Zeiten ein Büchernarr war: eine alte Scharteke hatte in seinen Augen nur insofern Werth, als sie schwer aufzufinden oder wenigstens unleserlich war.

»Aber, sagte er, siehst Du denn nicht? Das ist ja ein unschätzbares Kleinod, das ich heute Morgen im Laden des Juden Hevelius aufgefunden habe.

– Prachtvoll!« erwiderte ich mit erheucheltem Enthusiasmus. Wahrhaftig, wozu so viel Lärm um einen alten Quartanten in Kalbleder, eine vergilbte Scharteke mit verblaßtem Buchzeichen.

Der Professor fuhr indessen fort in unerschöpflicher Bewunderung, indem er sich selbst fragte und antwortete:

»Siehst Du, ist’s nicht hübsch? Ja, wunderschön! was für ein Einband! wie leicht schlägt man’s auf! wie trefflich schließen die Blätter, daß sie nirgends klaffen! Und an diesem Rücken sieht man nach sieben Jahrhunderten noch keinen Riß!«

Ich konnte nichts Besseres thun, als ihn über den Inhalt zu fragen, obwohl der mich wenig kümmerte.

»Und wie ist denn der Titel des merkwürdigen Buches? fragte ich hastig.

– Dies Werk, erwiderte mein Oheim lebhaft, ist die Heimskringla von Snorro Sturleson, dem berühmten isländischen Chronisten des zwölften Jahrhunderts! Es enthält die Geschichte der norwegischen Fürsten, die auf Island herrschten.

– Wirklich! rief ich so freudig wie möglich, und gewiß eine deutsche Uebersetzung?

– Schön! entgegnete lebhaft der Professor, eine Uebersetzung! Und was mit der Uebersetzung anfangen? Wer kümmert sich um eine solche? Es ist ein Originalwerk in isländischer Sprache, dem prächtigen, reichen und zugleich einfachen Idiom!

– Wie das Deutsche, fügte ich schmeichelnd bei.

– Ja, erwiderte mein Oheim mit Achselzucken, ohne in Anschlag zu bringen, daß die isländische Sprache die drei Geschlechter bezeichnet, wie beim Griechischen, und die Eigennamen declinirt, wie im Lateinischen!

– Ah! rief ich, indem ich meiner Gleichgiltigkeit Gewalt anthat, und wie schön sind die Lettern!

– Lettern! Was meinst Du, Lettern? Wie? Du meinst, das sei gedruckt? Nein, Dummer, es ist ein Manuscript, ein Runen-Manuscript! …

– Runen?

– Ja! Begehrst Du nun eine Erklärung dieses Worts?

– Das laß ich bleiben«, erwiderte ich mit dem Ton eines Beleidigten.

Aber mein Oheim fuhr um so eifriger fort mich wider Willen über Dinge zu belehren, die ich zu wissen gar nicht Lust hatte.

»Die Runen, fuhr er fort, waren Schriftzüge, die vor uralten Zeiten auf Island im Gebrauch waren und von Odin selbst erfunden sein sollen! Aber schau doch her, bewundere doch, Gottloser, die von einem Gott ausgedachten Zeichen!«

Wahrhaftig, anstatt zu antworten, fiel ich auf die Kniee, eine Antwort, die Göttern und Königen gefällt.

Ein Zwischenfall gab der Unterhaltung eine andere Wendung. Ein schmutziges Pergament fiel aus der Scharteke heraus auf den Boden.

Mit begreiflicher Gier fiel mein Oheim über diesen Quark her. Ein altes Document, das vielleicht seit unvordenklicher Zeit in einem alten Buche lag, mußte unfehlbar in seinen Augen sehr kostbar sein.

»Was ist das?« rief er aus.

Und zugleich entfaltete er sorgfältig auf dem Tisch ein fünf Zoll langes, drei Zoll breites Pergamentstück, worauf in Querzeilen ein unverständliches Gekritzel von Schriftzügen sich befand.

Ich gebe hier ein genaues Facsimile derselben. Es ist mir darum zu thun, diese seltsamen Zeichen zur Anschauung zu bringen, weil sie den Professor Lidenbrock nebst seinen Neffen zu der sonderbarsten Unternehmung des neunzehnten Jahrhunderts veranlaßten:

Der Professor betrachtete diese Zeichen eine Weile; dann sprach er, indem er seine Brille höher rückte:

»Es ist Runisch; diese Zeichen sind denen auf dem Manuscript Snorro’s völlig gleich! Aber … was mag das nur bedeuten?«

Da es mir schien, das Runische sei eine Erfindung der Gelehrten, um die ungelehrten Leute zu hintergehen, so war es mir nicht unlieb, daß mein Oheim nichts davon verstand. Das nahm ich wenigstens aus seinen Fingerbewegungen ab.

»Es ist doch alt Isländisch«, brummte er in den Bart.

Und der Professor Lidenbrock mußte das wohl verstehen, denn er galt für ein Wunder von einem Sprachenkenner. Die zweitausend Sprachen und viertausend Dialekte, die man auf der Erde kennt, sprach er nicht nur geläufig, sondern verstand auch deren einen guten Theil.

Um dieser Schwierigkeit willen war er im Begriff, sich allen Stürmen seines heftigen Gefühls hinzugeben, als es auf der kleinen Uhr des Kamins zwei schlug, und die gute Martha die Thür mit den Worten öffnete:

»Die Suppe ist aufgetragen.

– Zum Henker mit der Suppe, schrie mein Oheim, sammt der Köchin, und wer sie verzehrt!«

Martha entfloh, ich eilte ihr nach und befand mich, ohne zu wissen wie, an meinem gewöhnlichen Platz im Speisezimmer.

Ich wartete eine Weile. Der Professor kam nicht. Zum ersten Mal, meines Gedenkens, ließ er sich bei dem Mittagessen vermissen. Und doch, welch treffliches Essen! Petersiliensuppe, Eierkuchen mit Schinken in Sauerampfersauce, Kalbsnierenbraten mit Pflaumencompot, und zum Dessert Meerkrebschen mit Zucker, und dazu ein hübscher Moselwein.

Das Alles versäumte mein Oheim über dem alten Papier. Wahrhaftig als ergebener Neffe glaubte ich mich verbunden, für uns beide zu essen. Und ich that es gewissenhaft.

»Das hab‘ ich nie erlebt! sagte die gute Martha. Herr Lidenbrock nicht bei Tische!

– Unglaublich.

– Das hat was Arges zu bedeuten!« fuhr die Alte mit Kopfschütteln fort.

Meines Erachtens bedeutete es nichts anderes, als eine fürchterliche Scene, wenn mein Oheim sein Essen aufgezehrt finden würde.

Ich war an meinem letzten Krebschen, als eine lauthallende Stimme mich den Genüssen des Nachtisches entzog. Mit einem Sprung war ich im Cabinet des Herrn.

Zwanzigstes Capitel.


Zwanzigstes Capitel.

Verlegenheiten.

In der That, man mußte den Trunk beschränken. Unser Vorrath konnte nur noch drei Tage dauern. Das erkannte ich Abends beim Essen. Und dazu hatten wir wenig Aussicht, in diesem Uebergangsgebirge auf eine lebende Quelle zu stoßen.

Während des ganzen folgenden Tages vor unsern Schritten nichts als die unübersehbaren Gewölbe. Wir gingen ohne fast nur ein Wort zu reden: wir theilten die Schweigsamkeit unsers Hans. Aufwärts führte der Weg nicht, wenigstens unmerkbar. Manchmal schien er sogar sich abwärts zu neigen.

Der Schiefer, der Kalkboden und der alte rothe Sandstein der Wände schimmerten glänzend im elektrischen Licht. Man hätte denken können, man befinde sich in einer Grube zu Devonshire, woher diese Bodengattung benannt ist. Prachtvolle Musterstücke von Marmor deckten die Wände, hier von grauem Achat mit weißen Adern launisch durchzogen, dort fleischfarben oder gelb mit rothen Flecken; weiter hin dunkelfarbig, roth und braun gefleckt.

Die meisten dieser Marmor zeigten Abdrücke von Thieren aus der Urzeit. Seit Tags zuvor hatte die Schöpfung offenbar einen Fortschritt gemacht. An Stelle der Kerbthiere früherer Bildung sah ich Reste einer höheren Stufe; unter anderen solche, in welchen das Auge des Paläontologen die ersten Formen der Reptilien entdecken konnte. Die Meere von Devonshire waren von einer großen Anzahl Thiere dieser Gattung bewohnt, und setzten sie tausendweise auf den Felsen neuerer Bildung ab.

Offenbar befanden wir uns auf der Stufenleiter des Thierlebens, worauf der Mensch die höchste einnimmt.

Aber der Professor Lidenbrock schien darauf nicht zu achten. Er wartete auf zwei Dinge: entweder, daß ein senkrechter Schacht sich ihm vor den Füßen öffne, um wieder abwärts zu dringen, oder daß ein Hinderniß ihm die Fortsetzung auf diesem Weg versagte. Aber es kam der Abend heran, ohne daß sich diese Hoffnung verwirklichte.

Freitags, nachdem ich schon eine Nacht hindurch die Qual des Durstes ausgestanden, setzten wir unsere Irrfahrt in den Gängen der Galerie fort.

Nachdem wir zwei Stunden gegangen, bemerkte ich, daß der Widerschein unserer Lampen an den Wänden bedeutend schwächer wurde. An Stelle des Marmors, Schiefers, Kalk- oder Sandsteins trat eine dunkle glanzlose Wand. Als einmal der Tunnel sehr enge ward, griff ich links an dieselbe; als ich die Hand zurückzog, war sie ganz schwarz. Ich sah sie näher an. Wir befanden uns mitten in einer Kohlengrube.

»Eine Kohlenmine! rief ich aus.

– Eine Grube ohne Grubenleute, erwiderte mein Oheim.

– Nun, wer weiß?

– Ich meines Theils weiß, versetzte der Professor kurz, und bin fest überzeugt, daß dieser durch diese Kohlenschichte ziehende Gang nicht das Werk von Menschenhand ist. Aber, sei’s ein Werk der Natur, oder nicht, daran liegt mir wenig. Nun ist’s Zeit zum Abendessen. Machen wir uns daran.«

Hans bereitete einige Speisen. Ich aß wenig, und trank die wenigen Tropfen meiner Ration. Nur noch die Flasche des Führers halb voll, das war Alles, was noch vorhanden war, um drei Menschen den Durst zu stillen.

Nach der Mahlzeit streckten sich meine beiden Gefährten auf ihre Decken und erholten sich durch einen guten Schlaf von ihren Strapazen. Ich aber konnte nicht schlafen und zählte die Stunden bis zum Morgen.

Am Samstag um sechs Uhr frühe gingen wir weiter. Nach zwanzig Minuten kamen wir in eine große Aushöhlung; ich erkannte sogleich, daß diese Grube nicht von Menschenhand gemacht sein konnte; sonst hätten sie die Gewölbe mit Stützen versehen, und diese standen nur durch ein Wunder von Gleichgewicht fest.

Diese Art von Höhle war hundert Fuß breit und hundertundfünfzig hoch. Das Erdreich war durch eine unterirdische Erschütterung gewaltsam weggerissen. Der feste Grundbau der Erde hatte sich, einem mächtigen Druck nachgebend, verschoben, so daß dieser weite Raum, wohin nun zum ersten Mal Bewohner der Erde drangen, leer blieb.

Die ganze Geschichte der Kohlenperiode war auf diesen dunkeln Wänden verzeichnet, und ein Geolog konnte daran leicht die verschiedenen Entwickelungsstufen verfolgen. Die Kohlenlager waren durch feste Schichten Sandstein oder Thon geschieden und wie durch die oberen Lagen zerdrückt.

Zu der Zeit, welche der zweiten Epoche vorausging, ward die Erde in Folge der Wirkung einer tropischen Wärme und einer dauernden Feuchtigkeit mit einer ungeheuren Vegetation bedeckt. Eine Atmosphäre von Dünsten umgab den Erdball von allen Seiten und entzog ihm noch dazu die Sonnenstrahlen.

Daher die Folgerung, daß die hohen Temperaturen nicht von diesem neuen Herd herrührten. Vielleicht auch war das Tagesgestirn nicht bereit seine glänzende Rolle zu spielen. Die Klima existirten noch nicht, und eine versengende Hitze verbreitete sich über die ganze Oberfläche der Erde, an den Polen ebenso wie am Aequator. Woher kam sie? Aus dem Inneren des Erdkörpers.

Trotz der Theorien des Professors Lidenbrock glühte ein gewaltiges Feuer in den Tiefen der Erde, dessen Wirkung bis zu den äußersten Schichten der Erdrinde sich fühlbar machte; die Pflanzen, welche der wohlthätigen Bestrahlung der Sonne beraubt waren, trieben weder Blüthen, noch dufteten sie Wohlgerüche, aber ihre Wurzeln schöpften kräftiges Leben aus dem heißen Boden der ersten Tage.

Es gab wenig Bäume, nur krautartige Pflanzen, unermeßliche Rasen, Farrenkräuter, Lykopodien und andere seltene Familien, deren Gattungen damals nach Tausenden zählten.

Gerade dieser überreichen Vegetation verdankt die Kohle ihren Ursprung. Die noch elastische Rinde des Erdkörpers gab den Bewegungen der flüssigen Masse, wovon er bedeckt war, nach. Daher zahlreiche Spalten, Einsenkungen. Die unter die Gewässer fortgerissenen Pflanzen bildeten allmälig beträchtliche Anhäufungen.

Dann kam die Einwirkung der natürlichen Chemie dazu; auf dem Meeresgrund wurden die pflanzlichen Stoffe zuerst Torf; dann gestalteten sie sich durch Einfluß der Gase und unter dem Feuer der Gährung vollständig zu Mineralien.

Also entstanden die unermeßlichen Kohlenlager, welche jedoch durch einen übermäßigen Verbrauch, wenn die Industrie nicht vorsorgt, in drei Jahrhunderten erschöpft werden müssen.

Diese Gedanken kamen mir in den Sinn, während ich die in dieser Gegend aufgehäuften Kohlenschätze betrachtete. Diese hier werden allerdings nie in Verbrauch kommen. Die Ausbeutung dieser entlegenen Minen würde zu bedeutende Opfer erfordern und auch nicht nöthig sein, so lange die Kohle noch nächst der Oberfläche der Erde in so vielen Gegenden zu finden ist.

Inzwischen gingen wir weiter, und ich vergaß die Länge des Wegs, um mich in geologischen Betrachtungen zu verlieren. Die Temperatur blieb merklich dieselbe, wie wir sie mitten durch die Laven und Schiefer getroffen hatten. Nur fiel meiner Nase ein sehr starker Geruch von kohlenstoffhaltigem Wasserstoffgas auf, und ich erkannte sogleich, daß in dieser Galerie eine ansehnliche Menge von dem gefährlichen Fluidum vorhanden war, welches so oft durch Explosion erschreckliche Katastrophen herbeigeführt hat.

Zum Glück waren wir mit dem sinnreichen Rühmkorff’schen Apparat versehen. Hätten wir unvorsichtiger Weise diese Galerie mit Fackeln in der Hand untersucht, so hätte eine fürchterliche Explosion der Reise ein vernichtendes Ende gemacht.

Wir gingen in der Kohlenmine fort bis zum Abend. Mein Oheim konnte seine Ungeduld über den horizontalen Weg kaum zurück halten. Die Dunkelheit hinderte, die Länge der Galerie zu schätzen, und ich fing schon an sie für unendlich zu halten, als wir plötzlich, um sechs Uhr, uns vor einer Wand befanden. Rechts und links, oben und unten kein Ausweg. Wir waren in eine Sackgasse gerathen.

»Nun, um so besser! rief mein Oheim, ich weiß denn wenigstens, woran ich mich zu halten habe. Wir sind nicht auf Saknussemm’s Weg, und es bleibt uns nichts übrig als umzukehren. Wir wollen eine Nacht ausruhen, und vor Ablauf von drei Tagen werden wir wieder an der Stelle sein, wo die beiden Galerien zusammenstoßen.

– Ja, sagte ich, wenn unsere Kräfte ausreichen!

– Und warum nicht?

– Weil morgen das Wasser uns völlig ausgehen wird.

– Und der Muth auch?« sagte der Professor mit einem strengen Blick.

Ich getraute nicht zu antworten.

Zwölftes Capitel.


Zwölftes Capitel.

Nach Snäfieldsnäß.

Wir hatten bei der Abreise bedeckten Himmel, doch beständige Witterung, weder erschöpfende Hitze zu fürchten, noch verderblichen Regen.

Das Vergnügen, zu Pferd einen Ausflug durch’s Land zu machen, erleichterte mir’s, mich in die Unternehmung zu schicken. Ich fühlte so recht das Glück, in Freiheit seinen Wünschen zu leben, und fing an, der Sache die freundliche Seite abzugewinnen.

»Was ist übrigens, sagte ich mir, zu riskiren? Mitten in einem merkwürdigen Lande zu reisen! einen berühmten Berg zu erklimmen! im schlimmsten Fall in den erloschenen Krater desselben hinabzusteigen! Offenbar hat Saknussemm nichts anderes gethan. Daß ein verborgener Gang von da in’s Centrum des Erdballs führe, pure Einbildung! rein unmöglich! So nehmen wir denn das Gute der Unternehmung hin, ohne zu handeln.«

Unter solchen Gedanken waren wir aus Reykjawik herausgekommen.

Hans ging voran, mit raschem, gleichmäßigem, ausdauerndem Schritt. Hinter ihm die zwei Pferde mit unserm Gepäck, ohne daß man sie zu treiben brauchte. Mein Oheim und ich nahmen uns wirklich nicht übel aus auf unseren kleinen, aber kräftigen Thieren.

Island gehört zu den großen Inseln Europa’s. Bei einem Flächeninhalt von vierzehnhundert Quadratmeilen zählt es nur sechzigtausend Bewohner. Die Geographen haben sie in vier Viertel getheilt, und wir mußten quer durch den Theil wandern, welcher Südwest-Viertel, »Sudvestr Fjordungr« heißt.

Hans hatte gleich von Reykjawik aus die Richtung längs des Meeresufers eingeschlagen. Wir ritten über mageres Weideland, das mehr gelb als grün aussah. Die runzeligen Gipfel der trachytischen Massen verwischten sich am Horizont im östlichen Nebel; mitunter sah man Schneestriche, welche das zerstreute Licht concentrirten, dieses schimmernd auf den Abhang fernerer Höhen zurückstrahlen; einzelne kühner empor strebende Spitzen durchbohrten das graue Gewölk und kamen über diesen beweglichen Dunstmassen gleich ragenden Klippen am klaren Himmel wieder zum Vorschein.

Oft liefen diese dürren Felsenketten in einer Spitze dem Meere zu und schnitten in das Weideland ein; aber es blieb dann noch hinreichender Raum für den Weg. Unsere Pferde suchten sich übrigens instinctmäßig die geeigneten Stellen, ohne dabei je langsamer vorwärts zu kommen. Mein Oheim hatte nicht einmal die Befriedigung, sein Reitthier durch Zuruf oder Peitsche anzutreiben; seine Ungeduld konnte sich nicht geltend machen. Ich wußte mich des Lächelns nicht zu enthalten, als ich ihn so groß auf so einem kleinen Pferde sah, daß seine langen Beine auf dem Boden strichen und er wie ein sechsfüßiger Centaur aussah.

»Braves Thier! Braves Thier! sagte er. Du wirst sehen, Axel, daß kein Thier das isländische Pferd an Verstand übertrifft. Schnee, Stürme, schlechte Wege, Felsen, Gletscher, nichts hält es auf; es ist wacker, behutsam, zuverlässig. Nie ein Fehltritt, nie ein Widerstreben. Ist ein Fluß, ein Fjord zu passiren, so stürzt es sich ohne Zaudern gleich einem Amphibium in’s Wasser, um an das gegenüberliegende Ufer zu gelangen! Aber man darf es nicht hart anfahren, muß es gewähren lassen, und man wird eins in’s andere gerechnet, täglich zehn Meilen mit ihm zurücklegen.

– Wir, allerdings, erwiderte, ich, aber der Führer?

– O! der kümmert mich nicht. Diese Leute kommen voran, ohne es zu merken. Dieser da rührt sich so wenig, daß er gar nicht müde wird. Uebrigens werd‘ ich nöthigenfalls ihm mein Thier abtreten. Ich würde bald Krämpfe bekommen, wenn ich nicht mehr Bewegung hätte.«

Inzwischen kamen wir raschen Schrittes vorwärts. Das Land war bereits etwas öde. Hier und da ein vereinzelter Pachthof, ein einzeln stehendes Bauernhaus von Holz, Erde, Lavastücken zeigte sich gleich einem Bettler am Rand eines Hohlwegs. Diese verfallenen Hütten sahen aus, als sprächen sie die Barmherzigkeit der Vorübergehenden an, und man fühlte sich versucht, ihnen ein Almosen zu geben. Es fehlte in diesem Land gänzlich an Straßen, selbst an Fußpfaden, und so langsam die Vegetation war, so vertilgte sie doch bald die seltenen Fußtritte der Reisenden.

Und doch gehörte dieser in aller Nähe der Hauptstadt gelegene Theil der Provinz zu den bewohnten und angebauten Strecken der Insel. Wie stand es demnach mit den Gegenden, welche noch öder waren, als diese Oede? Wir hatten erst eine halbe Meile zurückgelegt, und waren noch nicht auf einen Bauer an der Thüre seiner Hütte, noch auf einen wilden Schäfer gestoßen, der eine nicht so wilde Heerde hütete; nur einige sich selbst überlassene Kühe und Hämmel kamen uns zu Gesicht. Wie sollte es erst mit den von vulkanischen Ausbrüchen und Erdbeben heimgesuchten Gegenden stehen?

Wir sollten sie später kennen lernen; aber die Olsen’sche Karte belehrte mich, daß man ihnen auswich, indem man sich an das buchtige Gestade hielt. Die große plutonische Bewegung hatte sich besonders auf das Innere der Insel beschränkt; da finden sich denn auch die horizontal über einander geschichteten Felsen, in skandinavischer Sprache Trapps genannt, die trachytischen Ausbrüche von Basalt, Tuff und allen vulkanischen Conglomeraten, die Ergießungen von Lava und geschmolzenem Porphyr, welche dem Land ein übernatürlich schauderhaftes Aussehen geben. Ich hatte damals noch keine Ahnung von dem Anblick, den wir auf der Halbinsel des Snäfields haben sollten, wo diese Verheerungen einer wilden Natur ein furchtbares Chaos bilden.

Zwei Stunden nach unserer Abreise aus Reykjawik gelangten wir zu dem Flecken Gufunns, genannt »Aoalkirkja«, oder Hauptkirche. Es findet sich da nichts Merkwürdiges; die wenigen Häuser würden in Deutschland kaum einen Weiler bilden.

Hier machte Hans eine halbe Stunde Halt; er theilte unser frugales Frühstück mit uns, antwortete auf die Fragen meines Oheims über die Beschaffenheit des Weges mit Ja und Nein, und als man ihn fragte, wo er zu übernachten gedenke, sagte er nur:

»Gardar.«

Ich sah auf der Karte nach, und fand am Ufer des Hvalfjord, vier Meilen von Reykjawik, einen kleinen Flecken dieses Namens. Als ich ihn meinem Oheim zeigte, sprach er:

»Vier Meilen nur! vier Meilen von zweiundzwanzig! Das ist ein hübscher Spaziergang.«

Er wollte dem Führer eine Bemerkung machen, der gab ihm aber keine Antwort und machte sich an die Spitze seiner Pferde wieder auf den Weg.

Drei Stunden später, indem wir stets den farblosen Rasen des Weidelandes durchzogen, mußten wir um den Kollafjord herum reiten, ein Umweg, der kürzer und leichter war, als eine Fahrt über den Busen. Darauf kamen wir in ein »Pingstaor«, d.h. eine Bezirks-Gerichtsstelle, mit Namen Ejulberg, zur Mittagszeit, als die Glocke zwölf geschlagen haben würde, wenn überhaupt die isländischen Kirchen bemittelt genug wären, um eine Thurmuhr anzukaufen; so wie auch die Pfarrkinder keine Uhren tragen, weil sie keine besitzen.

Hier wurden die Pferde gefüttert; darauf ritten wir auf einem schmalen Uferweg zwischen einer Hügelreihe und dem Meer ununterbrochen weiter bis zu der »Aoalkirkja« Brantär, und eine Meile weiter nach Saurböer, einer Filialkirche, »Annexia«, am südlichen Ufer des Hvalfjord.

Es war vier Uhr Abends, und wir hatten acht Meilen zurückgelegt.

Der Fjord war an dieser Stelle mindestens eine halbe Meile breit; die Meereswellen schlugen tosend wider die scharf gespitzten Felsen; der Golf erweiterte sich zwischen Felswänden, die dreitausend Fuß hoch senkrecht aufstiegen und durch braune Schichten zwischen röthlichen Tufflagern merkwürdig waren. So verständig unsere Pferde sein mochten, so ahnte ich nichts Gutes dabei, wenn wir es unternahmen auf dem Rücken eines Vierfüßlers über einen wirklichen Meeresarm zu setzen.

»Wenn sie verständig sind, sagte ich, so werden sie keinen Versuch machen überzusetzen. Jedenfalls übernehme ich’s, an ihrer Statt verständig zu sein.«

Aber mein Oheim wollte nicht warten. Er galopirte dem Ufer zu. Sein Reitthier witterte die Meereswellen und hielt an. Jener aber hatte seinen eigenen Instinct, und setzte ihm noch mehr zu. Das Pferd schüttelte den Kopf und weigerte sich abermals. Nun fluchte und peitschte er, aber das Thier schlug hinten aus und machte Miene seinen Reiter abzuwerfen. Schließlich beugte es seine Kniekehlen und schlüpfte unter den langen Beinen des Professors weg, so daß er aufrecht auf zwei Felsstücken stehen blieb, wie der Koloß auf Rhodus.

»Du verdammtes Thier! rief der Reiter, als er sich plötzlich zu Fuß sah, und schämte sich wie ein Reiterofficier, der zum Infanteristen gemacht werden soll.

– Farja, sagte der Führer, und klopfte ihm auf die Schulter.

– Wie? eine Fähre.

– Dort, erwiderte Hans und deutete auf ein Fahrzeug.

– Ja wohl, rief ich, da ist eine Fähre.

– Das hätte man sagen sollen! Nun, weiter!

– Tidvatten, fuhr der Führer fort.

– Was sagt er?

– Er meint die Ebbe, übersetzte mein Oheim das dänische Wort.

– Allerdings, wir müssen die Ebbe abwarten.

– Forbida? fragte jener.

– Ja.«

Mein Oheim stampfte mit dem Fuß, während die Pferde auf die Fähre zu gingen.

Es war mir wohl begreiflich, daß man, um überzusetzen, noch eine Weile warten müsse, bis das Wasser auf seinem Höhestand weder steigt noch fällt, weil dann die Strömung in keiner Richtung wirksam ist, so daß die Fähre nicht Gefahr läuft fortgerissen zu werden.

Dieser günstige Zeitpunkt trat erst um sechs Uhr Abends ein; mein Oheim, ich, der Führer, zwei Fährmänner und die vier Pferde hatten bereits in der etwas gebrechlichen flachen Barke Platz genommen. Da ich an die Dampffähren der Elbe gewöhnt war, so kamen mir die Ruder der Schiffer als ein armseliger Behelf vor. Wir brauchten über eine Stunde Zeit, um über den Fjord zu setzen; aber endlich kamen wir doch glücklich hinüber.

Nach einer halben Stunde erreichten wir Gardar.

Erstes Capitel.


Erstes Capitel.

Professor Lidenbrock.

Am 24. Mai 1863, eines Sonntags, kam mein Oheim, der Professor Lidenbrock, in hastiger Eile heim in sein kleines Haus, Königsstraße 19, eine der ältesten Straßen des alten Stadtviertels zu Hamburg.

Die gute Martha mußte glauben sehr mit dem Mittagessen in Rückstand zu sein, denn es fing eben erst an auf dem Heerde zu sieden.

»Schön, sagte ich, aber wenn mein Oheim Hunger hat, wird der ungeduldige Mann Zeter schreien.

– Da ist ja schon Herr Lidenbrock! rief die gute Martha in Bestürzung, indem sie die Thür des Speisezimmers ein wenig öffnete.

– Ja, Martha, aber das Essen darf schon noch etwas kochen, denn es hat eben erst auf der Michaeliskirche halb zwei geschlagen.

– Warum kommt aber Herr Lidenbrock schon heim?

– Er wird’s uns vermuthlich sagen.

– Da ist er! Ich flüchte mich, Herr Axel, Sie werden ihn zur Einsicht bringen.«

Und die gute Martha eilte wieder in ihre Küche.

Ich blieb allein. Aber einen zornigen Professor zur Einsicht zu bringen, war doch für meinen etwas schwankenden Charakter nicht möglich. Daher war ich im Begriff mich klüglich wieder in mein Zimmerchen hinauf zu begeben, als die Angeln der Hausthür knarrten; des Hausherrn lange Beine schritten geräuschvoll über die hölzerne Treppe quer durch das Speisezimmer hastig in sein Arbeitscabinet.

Im Vorbeirennen warf er seinen Stock mit einem Nußknackerknopf in eine Ecke, seinen wider den Strich gebürsteten Hut auf einen Tisch, und rief laut seinem Neffen zu:

»Axel, komm‘ mir nach!«.

Ich hatte noch nicht Zeit, vom Fleck zu kommen, als der Professor mit lebhafter Ungeduld mir zurief:

»Nun! noch nicht hier?«

Ich eilte in’s Zimmer meines fürchterlichen Oheims. Otto Lidenbrock war kein bösartiger Mensch, ich geb’s gerne zu; aber wofern er nicht, was sehr unwahrscheinlich ist, sich ändert, so wird er als ein schrecklicher Sonderling sterben.

Er war Professor am Johanneum, und hielt Vorträge über Mineralogie, wobei er regelmäßig ein- oder auch zweimal in Zorn gerieth. Es kam ihm durchaus nicht darauf an, daß seine Schüler fleißig die Lectionen besuchten, noch daß sie aufmerksam zuhörten, noch daß sie Fortschritte machten: diese Kleinigkeiten machten ihm wenig Sorge. Sein Vortrag war, wie die deutsche Philosophie sich ausdrückt, »subjectiv« für ihn, und nicht für andere. Er war ein egoistischer Gelehrter, ein Wissensbrunnen, dessen Rolle knarrte, wenn man etwas herausziehen wollte: mit einem Wort, ein Geizhals.

Es giebt in Deutschland manche Professoren der Art. Mein Oheim hatte leider keine leichte Aussprache, wenigstens wann er öffentlich sprach, ein bedauerlicher Mangel bei einem Redner. Bei seinen Vorträgen im Johanneum blieb der Professor oft plötzlich stecken; er rang mit einem störrigen Ausdruck, der nicht von seinen Lippen wollte, einem Ausdruck, der sich sträubt und aufbläht, bis er endlich in der unwissenschaftlichen Form eines Fluchs heraus kommt. Darüber arge Erzürnung.

Nun giebt’s in der Mineralogie viele halb-griechische, halb-lateinische Benennungen, die schwer auszusprechen sind, so holperig rauh, daß sie für eines Dichters Lippen eine Pein sind. Ich will dieser Wissenschaft nichts Uebles nachsagen. Aber gegenüber von rhomboedrischen Krystallisationen, von retin-asphaltischen Harzen, von Gheleniden, Fangasiden, Molybdaten, Tungstaten, Titaniaten und Zirconen darf die geläufigste Zunge fehl sprechen.

In der Stadt nun kannte man diese verzeihliche Schwäche meines Oheims, und man machte sich über ihn lustig; man lauerte ihm auf, reizte ihn zum Zorn und lachte ihn aus, was auch in Deutschland durchaus nicht für anständig gilt. Und waren die Zuhörer Lidenbrock’s stets zahlreich, so kamen sie meist deshalb, um sich an dem ergötzlichen Zorn des Professors zu belustigen.

Wie dem auch sein mag, mein Oheim war, – das kann ich nicht genug betonen – ein echter Gelehrter. Obwohl er manchmal bei allzu barschen Versuchen seine Musterstücke zerschlug, verband er mit dem Genie des Geologen den Blick des Mineralogen. Mit seinem Hammer, seiner stählernen Spitzhaue, seiner Magnetnadel, seinem Löthrohr und Fläschchen Salpetersäure war der Mann sehr stark. Er verstand jedes beliebige Metall nach dem Bruch, Aussehen, der Härte, Schmelzbarkeit, dem Ton, Geruch oder Geschmack ohne viel Bedenken in die Classification der sechshundert jetzt bekannten Gattungen einzureihen.

Daher hatte auch Lidenbrock’s Name in den Gymnasien und Vereinen einen ehrenvollen Klang. Humphry Davy und von Humboldt, die Kapitäne Franklin und Sabine machten ihm auf der Reise durch Hamburg ihren Besuch. Becquerel, Ebelmen, Brewster, Dumas, Milne-Edwards, Sainte-Claire-Deville befragten ihn gerne über wichtige Punkte der Chemie. Diese Wissenschaft verdankte ihm hübsche Entdeckungen, und im Jahre 1853 war zu Leipzig von Otto Lidenbrock eine Abhandlung über Transcendentale Krystallographie in Großfolio mit Abbildungen erschienen, welche jedoch nicht die Kosten deckte.

Zudem war mein Oheim Conservator des mineralogischen Museums des russischen Gesandten Struve, welches europäischen Ruf hatte.

Dieser Mann war’s, der mich so ungeduldig anrief. Ein großer, magerer Mann mit eiserner Gesundheit und blondem jugendlichen Aussehen, das ihn um zehn Jahre jünger machte, als er wirklich war. Große unablässig rollende Augen hinter einer ansehnlichen Brille; eine lange feine Nase, gleich einer scharfen Klinge; böse Zungen behaupteten, sie sei mit einem Magnet bestrichen und ziehe den Eisenstaub an sich.

Pure Verleumdung: sie zog nur den Tabak in sich, und zwar, um der Wahrheit ihr Recht zu geben, in reichlichem Maße.

Wenn ich noch hinzufüge, daß mein Oheim mathematisch gemessen drei Fuß lange Schritte machte, und ferner bemerke, daß er mit festgeschlossenen Händen – was ein heftiges Temperament bezeichnet – einherging, so kennt man ihn hinlänglich, um auf seine Gesellschaft nicht sehr erpicht zu sein.

Er wohnte auf der Königsstraße in einem eigenen kleinen Hause, das halb aus Holz, halb aus Ziegelstein gebaut war, mit ausgezacktem Giebel; es lag an einem der Canäle, welche in Schlangenwindungen durch das älteste Quartier Hamburgs ziehen, das von dem großen Brand im Jahre 1842 glücklich verschont wurde; sein Dach saß ihm so schief, als einem Studenten des Tugendbundes die Mütze auf dem Ohr; das Senkblei durfte man an seine Seiten nicht anlegen; aber im Ganzen hielt es sich fest, Dank einer kräftigen in die Vorderseite eingefügten Ulme, die im Frühling ihre blühenden Zweige durch die Fensterscheiben trieb.

Mein Oheim war für einen deutschen Professor reich zu nennen. Das Haus war sammt Inhalt sein volles Eigenthum. Zu dem Inhalt gehörte seine Pathin, Gretchen, ein siebenzehnjähriges Mädchen aus den Vierlanden, die gute Martha und ich. In meiner doppelten Eigenschaft als Neffe und Waise ward ich sein Handlanger-Gehilfe bei seinen Experimenten.

Ich gestehe, daß ich an den geologischen Wissenschaften Lust hatte; es floß mineralogisches Blut in meinen Adern, und ich langweilte mich nie in Gesellschaft meiner kostbaren Steine.

Uebrigens konnte man doch in diesem kleinen Hause der Königsstraße glücklich leben trotz der ungeduldigen Weise seines Eigenthümers, denn obwohl er sich etwas brutal benahm, liebte er mich doch. Aber der Mann verstand nicht zu warten, und eilte sogar der Natur voran.

Wenn er im April in die Fayence-Töpfe seines Salons Stöckchen Reseda oder Winde pflanzte, zupfte er sie jeden Morgen an den Blättern, um ihr Wachsthum zu beschleunigen.

Bei einem solchen Original war nichts anderes möglich, als gehorchen. Ich stürzte daher hastig in sein Arbeitszimmer.

Zehntes Capitel.


Zehntes Capitel.

Professor Fridrickson.

Das Mittagessen war bereit. Der Professor Lidenbrock verschlang es mit großem Appetit, denn sein Magen war in Folge des Fastens an Bord zu einem Schlund geworden. Diese mehr dänische, wie isländische Mahlzeit hatte an sich nichts Merkwürdiges; aber unser Wirth, der mehr Isländer wie Däne war, erinnerte mich an die antike Gastfreundschaft, welche den Gast mehr gelten läßt.

In die Unterhaltung, welche in der Landessprache geführt wurde, mischte mein Oheim deutsche Brocken, und Herr Fridrickson lateinische, damit auch mir etwas verständlich sei. Sie betraf wissenschaftliche Fragen, wie es bei Gelehrten passend ist; aber der Professor Lidenbrock hielt sich äußerst rückhaltend, und seine Augen befahlen mir bei jedem Satze unbedingtes Schweigen über unsere Zwecke an.

Zuerst erkundigte sich Herr Fridrickson bei meinem Oheim über das Resultat seiner Untersuchungen auf der Bibliothek.

»Ihre Bibliothek, bemerkte Letzterer, besteht nur aus verstümmelten Werken, aus fast leeren Fächern.

– Wie? erwiderte Herr Fridrickson, wir besitzen achttausend Bände, worunter viele werthvolle und seltene Werke in alt-scandinavischer Sprache, und alle neueren Erscheinungen, womit wir von Kopenhagen aus jährlich versorgt werden.

– Wo sind denn diese achttausend Bände? Meiner Schätzung nach …

– Ei! Herr Lidenbrock, sie sind im Umlauf in Land. Man hat auf unserer alten Eisinsel Lust am Lesen! Es giebt keinen Bauer, keinen Fischer, der nicht lesen könnte und nicht liest. Wir meinen, Bücher seien bestimmt, anstatt hinter eisernen Gittern zu verschimmeln, unter den Augen der Leser nützlich zu sein. So sind denn auch diese Bände von Hand zu Hand in Umlauf, werden durchblättert, gelesen und wieder gelesen; und manchmal sind sie ein Jahr oder zwei abwesend, bis sie wieder in ihr Fach kommen.

– Doch, erwiderte mein Oheim etwas ärgerlich, die Fremden …

– Was meinen Sie! Die Ausländer haben in ihrer Heimat Bibliotheken, und vor Allem bedürfen unsere Landleute der geistigen Nahrung. Ich wiederhole, Freude an der Belehrung liegt dem Isländer im Blute. Auch haben wir 1816 eine literarische Gesellschaft gegründet, die in Blüthe ist; ausländische Gelehrte machen sich eine Ehre daraus, derselben anzugehören; sie veröffentlicht Schriften für Erziehung und Bildung unserer Landsleute, und leistet dem Land wirkliche Dienste. Wenn Sie, Herr Lidenbrock, uns als correspondirendes Mitglied angehören wollen, machen Sie uns damit ein großes Vergnügen.«

Mein Oheim, der bereits hundert wissenschaftlichen Gesellschaften angehörte, nahm es freundlich an zur dankbaren Befriedigung des Herrn Fridrickson.

»Jetzt, fuhr dieser fort, geben Sie mir gefälligst die Bücher an, welche Sie auf unserer Bibliothek zu finden hofften, und ich kann Ihnen vielleicht darüber Auskunft geben.«

Ich sah meinen Oheim an. Er zögerte mit der Antwort. Das berührte direct seine Pläne. Doch entschloß er sich, nach einiger Ueberlegung, zu reden.

»Herr Fridrickson, sagte er, ich möchte wissen, ob Sie unter Ihren alten Büchern auch die von Arne Saknussemm besitzen?

– Arne Saknussemm! erwiderte der Professor aus Reykjawik. Sie meinen den Gelehrten des sechzehnten Jahrhunderts, der ein großer Naturkundiger, Alchymist und Reisender war?

– Den eben meine ich.

– Eine der Zierden der Wissenschaft und Literatur Islands?

– Wie Sie sagen.

– Ein weltberühmter Mann?

– Ich geb’s zu.

– Von eben so großem Muth, als Genie?

– Ich sehe, daß Sie ihn genau kennen.«

Mein Oheim hörte mit Entzücken so von seinem Helden sprechen. Seine Blicke hingen unverwandt an Herrn Fridrickson.

»Nun! fragte er, seine Werke?

– Seine Werke haben wir nicht.

– Wie? Auf Island?

– Sie existiren weder auf Island, noch sonstwo.

– Und warum?

– Weil Arne Saknussemm als Ketzer verfolgt, und seine Werke im Jahre 1573 zu Kopenhagen durch Henkershand verbrannt wurden.

– Vortrefflich! rief mein Oheim, zum Aergerniß des Professors der Naturwissenschaften.

– Wie? fragte dieser.

– Ja! Alles erklärt sich, Alles verknüpft sich, Alles ist verständlich, und ich begreife, weshalb Saknussemm, nachdem seine Schriften verfolgt und er genöthigt worden, die Entdeckungen seines Geistes zu verbergen, sein Geheimniß in unverständliche Geheimschrift verhüllen mußte …

– Was für ein Geheimniß? fragte lebhaft Fridrickson.

– Ein Geheimniß … das … erwiderte stotternd mein Oheim.

– Haben Sie vielleicht ein besonderes Document?

– Nein … Es war bloße Vermuthung.

– Gut, versetzte Herr Fridrickson, der so freundlich war, als er seine Verlegenheit sah, nicht weiter in ihn zu dringen. Ich hoffe, fuhr er fort, Sie werden unsere Insel nicht verlassen, ohne aus ihren mineralogischen Schätzen zu schöpfen?

– Unfehlbar, erwiderte mein Oheim; aber ich komme etwas spät, es sind schon andere Gelehrte hier gewesen?

– Ja, Herr Lidenbrock; die auf königlichen Befehl ausgeführten Arbeiten der Herren Olafsen und Povelsen, die Studien Troil’s, die wissenschaftliche Mission der Herren Gaimard und Robert an Bord der französischen Corvette ‚La Recherche‘ [Fußnote], und letzthin die Beobachtungen der auf der Fregatte La Reine Hortense befindlichen Gelehrten haben zur Kenntniß Islands sehr viel beigetragen. Aber, glauben Sie mir, sie haben noch etwas zu thun übrig gelassen.

– Sie meinen? fragte mein Oheim mit gutmüthiger Miene, indem er das Feuer seiner Augen zu mildern bemüht war.

– Ja. Was sind da für Berge, Gletscher, Vulkane, die noch wenig gekannt sind, zu erforschen! Sehen Sie da, um nicht weiter zu gehen, diesen Berg am Horizont emporragen. Das ist der Snäfields.

– So! sagte mein Oheim, der Snäfields!

– Ja, einer der merkwürdigsten Vulkane, dessen Krater selten besucht wird.

– Ist er erloschen?

– O! Seit fünfhundert Jahren.

– Nun denn! erwiderte mein Oheim, der, um nicht aufzuspringen, krampfhaft die Beine über einander schlug, ich habe Lust, meine geologischen Studien mit diesem Sessel … Fessel … wie sagten Sie? zu beginnen.

– Snäfields!« fuhr der treffliche Herr Fridrickson fort.

Dieser Theil der Unterhaltung hatte in lateinischer Sprache stattgefunden; ich hatte Alles verstanden, und konnte kaum meine ernsthafte Miene bewahren, als mein Oheim seine freudige Befriedigung zu verbergen suchte, die aus ihm herausstrahlte. Indem er sich unschuldig stellen wollte, glich er einem alten Teufel.

»Ja, sagte er, Ihre Worte sollen mich bestimmen! Wir wollen den Snäfields zu ersteigen versuchen, vielleicht auch seinen Krater untersuchen!

– Ich bedauere sehr, erwiderte Herr Fridrickson, daß meine Geschäfte mir nicht gestatten, mich zu entfernen; ich würde Sie gerne dahin begleitet haben.

– O nein! nein! erwiderte lebhaft mein Oheim; wir wollen durchaus keine Störung machen, Herr Fridrickson; ich danke Ihnen herzlich. Die Betheiligung eines so gelehrten Mannes, wie Sie, wäre sehr nützlich, aber die Obliegenheiten Ihres Amtes …«

Ich denke mir wohl, daß unser Wirth in der Unbefangenheit seiner isländischen Seele von der großen Schalkheit meines Oheims keinen Begriff hatte.

»Ich billige sehr, Herr Lidenbrock, sagte er, daß Sie mit diesem Vulkan anfangen. Sie werden da an merkwürdigen Beobachtungen eine reiche Ernte bekommen. Aber sagen Sie mir, wie denken Sie auf die Halbinsel des Snäfields zu kommen?

– Zur See, über die Bai. So geht’s am schnellsten.

– Allerdings; aber das ist jetzt unmöglich.

– Weshalb?

– Weil wir nicht ein einziges Boot zu Reykjawik haben.

– Teufel!

– Sie müssen längs der Küste zu Land reisen. Das ist zwar ein Umweg, aber er ist interessant.

– Gut. Ich werde einen Führer zu bekommen suchen.

– Ich kann Ihnen gerade einen anbieten.

– Ist’s ein zuverlässiger, verständiger Mann?

– Ja, ein Bewohner der Halbinsel. Es ist ein sehr geschickter Eiderjäger, mit dem Sie zufrieden sein werden. Er spricht geläufig dänisch.

– Und wann kann ich ihn sehen?

– Morgen, wenn’s Ihnen beliebt.

– Warum nicht heute?

– Weil er erst morgen ankommt.

– Morgen also,« erwiderte mein Oheim seufzend.

Kurz darauf endigte diese bedeutsame Unterhaltung, und der deutsche Professor dankte dem isländischen auf’s Wärmste.

Mein Oheim hatte bei der Mahlzeit wichtige Dinge erfahren, unter anderem die Geschichte Saknussemm’s und den Grund seines geheimnißvollen Documents, sowie die Aussicht, morgen einen Führer zur Verfügung zu haben.

Elftes Capitel.


Elftes Capitel.

Hans Bjelke.

Abends machte ich einen kleinen Spaziergang am Gestade von Reykjawik, kam frühzeitig zurück, und legte mich zu Bette, wo ich in tiefem Schlaf ausruhte.

Beim Erwachen hörte ich meinen Oheim im Nebenzimmer in lebhaftem Gespräch. Ich stand sogleich auf und beeilte mich zu ihm zu kommen.

Er sprach dänisch mit einem Manne von hohem, kräftigem Wuchs. Der große Bursche schien ungemein stark zu sein. Seine Augen in einem starken Kopf mit treuherzigen Zügen schienen verständig. Sie waren blau und tiefsinnig. Lange Haare, die selbst in England für roth gelten konnten, wallten über seine athletischen Schultern. Seine Bewegungen waren zwar geschmeidig, aber er regte wenig die Arme; die Sprache der Gesticulation war ihm unbekannt. In Allem sprach sich bei ihm das vollkommen ruhige, aber doch nicht gleichgiltige Temperament aus. Man fühlte, daß er von keinem Menschen etwas begehrte, daß er nach eigenem Ermessen arbeitete, und daß nichts in der Welt ihn in seiner Lebensphilosophie störte.

Die Schattirungen dieses Charakters nahm ich an der Art und Weise ab, wie der Isländer den leidenschaftlichen Wortschwall des Professors aufnahm.

Mit gekreuzten Armen blieb er inmitten der fortwährenden Gesticulation meines Oheims unbeweglich; zum Verneinen wandte er seinen Kopf von der Linken zur Rechten, zum Bejahen neigte er sich, aber so wenig, daß seine langen Haare sich kaum bewegten. Die Sparsamkeit an Bewegungen trieb er bis zum Geiz.

Beim Anblick dieses Mannes hätte ich sicher nicht geahnt, daß er seines Zeichens ein Jäger sei; dieser scheuchte gewiß sein Wild nicht auf, aber wie konnte er ihm nahe kommen?

Dies ward mir begreiflich, als ich von Herrn Fridrickson vernahm, dieser ruhige Mann sei nur ein »Eiderjäger«. Um das Gefieder der Eidergans, »Eiderdaunen« genannt, worin ein großer Reichthum der Insel besteht, zu sammeln, bedarf’s in der That keines großen Aufwandes von Bewegung.

In den ersten Sommertagen baut das Weibchen sein Nest zwischen die Felsen der Fjords, womit das Land ausgezackt ist und füttert sodann dasselbe mit den zarten Flaumfedern seines Leibes aus. Alsbald kommt nun der Jäger, oder vielmehr der Daunenhändler, nimmt das Nest weg, und das Weibchen beginnt seine Arbeit von Neuem. Dies dauert so lange, als sein Gefieder ausreicht. Ist es dessen entblößt, so kommt an das Männchen die Reihe. Da aber dessen rauhe und grobe Federn keinen Handelswerth haben, so nimmt nun der Jäger nicht mehr das Nest weg, worin dann das Weibchen seine Eier legt und ausbrütet. Im folgenden Jahre wird das Eiderdaunensammeln in gleicher Weise erneuert.

Da nun die Eidergans für ihr Nest nicht die steilen Felsen auswählt, sondern die leicht zugänglichen horizontalen, welche sich in’s Meer verlaufen, so kann der Eiderjäger sein Geschäft ohne große Anstrengung seiner Glieder verrichten. Es ist also ein Bauer, der weder zu säen, noch die Ernte zu schneiden, sondern lediglich sie einzusammeln hat.

Dieser ernste, phlegmatische und schweigsame Mann hieß Hans Bjelke; er kam auf Herrn Fridrickson’s Empfehlung und ward unser Führer. Sein Benehmen war eigenthümlich verschieden von dem meines Oheims.

Doch verständigten sie sich leicht. Keiner von beiden brachte den Preis in Anschlag; der eine bereit, zu nehmen, was man ihm bot, der andere zu geben, was verlangt wurde. Nie kam ein Handel leichter zu Stande.

Hans machte sich also verbindlich, uns bis zum Dorfe Stapi zu führen, das an der Südküste der Halbinsel des Snäfields, dicht am Fuße des Vulkans liegt. Dieser Weg wurde auf zweiundzwanzig Meilen berechnet, welche mein Oheim in zwei Tagen zurückzulegen meinte. Als er aber vernahm, daß es dänische Meilen von vierundzwanzigtausend Fuß seien, mußte er seinen Anschlag ändern und sich, in Betracht der mangelhaften Wege, auf sieben bis acht Tage gefaßt machen.

Vier Pferde mußten zur Verfügung sein, zwei zum Reiten für ihn und mich, die beiden anderen für das Gepäck zu tragen. Hans sollte nach seiner Gewohnheit zu Fuß gehen. Er kannte diese Gegend genau und versprach, den kürzesten Weg einzuschlagen.

Zur Zeit unserer Ankunft in Stapi trat derselbe nicht aus meines Oheims Dienst, sondern ließ sich von demselben für die ganze Dauer seiner wissenschaftlichen Unternehmung zum Preise von drei Reichsthalern anwerben. Nur wurde ausdrücklich ausbedungen, daß diese Summe ihm wöchentlich, am Samstag Abend, ausbezahlt würde.

Die Abreise wurde auf den 16. Juni festgesetzt. Mein Oheim wollte ihm ein Draufgeld geben, aber er lehnte es mit einem Wort ab.

»Efter, sagte er.

– Nachher«, übersetzte mir’s der Professor.

Als der Vertrag gemacht war, zog sich Hans zurück.

»Ein famoser Mensch, rief mein Oheim aus, aber er ahnt gar nicht, was für eine Rolle zu spielen ihm vorbehalten ist.

– Er wird uns also begleiten bis …

– Ja, Axel, bis nach dem Mittelpunkt der Erde.«

Achtundvierzig Stunden blieben uns noch bis zur Abreise; zu meinem großen Bedauern mußte ich sie auf die Vorbereitungen verwenden; unsere gesammten Geisteskräfte wurden in Anspruch genommen, jeden Gegenstand auf die angemessenste Weise zu ordnen, die Instrumente hierhin, die Waffen dorthin, die Werkzeuge in dies Packet, die Lebensmittel in jenes. Im Ganzen waren’s vier Gruppen.

Die Instrumente bestanden aus:

1. Einem hunderttheiligen Thermometer von Eigel, mit einer Scala von hundertundfünfzig Grad, welches mir zu hoch oder zu niedrig vorkam. Zu hoch, wenn die Hitze unserer Umgebung diesen Grad erreicht, denn dann würden wir gebraten. Zu niedrig, wenn sich’s darum handelte, die Temperatur der Quellen oder jedes anderen geschmolzenen Stoffs zu messen.

2. Ein Manometer für den Luftdruck, um die höheren Grade anzugeben, welche den der Atmosphäre auf dem Niveau des Meeres überstiegen. In der That würde das gewöhnliche Barometer nicht tauglich gewesen sein, da der Druck der Atmosphäre im Verhältniß unseres Hinabsteigens unter die Oberfläche der Erde zunehmen mußte.

3. Ein Chronometer vom jüngeren Boissonnas zu Genf, das nach dem Meridian Hamburgs genau gerichtet war.

4. Zwei Compasse für senkrechte und wagerechte Verwendung.

5. Ein Nachtfernrohr.

6. Zwei Rühmkorff’sche Apparate, welche vermittelst eines elektrischen Stroms ein leicht tragbares Licht gewähren, das sicher ist und wenig Raum einnimmt [Fußnote].

Die Waffen bestanden in zwei Karabinern von Purdley More & Co. und zwei Revolvern von Colt. Wofür denn Waffen? Wir hatten doch, denk‘ ich, weder Wilde noch Gewild zu fürchten. Aber mein Oheim schien an seinem Arsenal zu hängen, wie an seinen Instrumenten, besonders an einem gehörigen Vorrath von Schießbaumwolle, die von Feuchtigkeit nicht leidet, und deren Treibkraft weit stärker ist, als die des gewöhnlichen Pulvers.

Die Werkzeuge bestanden aus zwei Spitzhauen, zwei Hacken, einer Strickleiter von Seide, drei mit Eisen beschlagenen Stöcken, einem Beil, einem Hammer, einem Dutzend eiserner Keile und Ringschrauben, nebst langen Stricken mit Knoten. Das mußte wohl ein starkes Packet ausmachen, denn die Leiter war dreihundert Fuß lang.

Endlich waren auch Lebensmittel darin. Das nicht sehr große Packet enthielt an concentrirtem Fleisch mit Zwieback Vorrath für sechs Monat. Wachholderbranntwein war die einzige Flüssigkeit, an Wasser mangelte es gänzlich; aber wir hatten Kürbisflaschen, und mein Oheim rechnete auf Quellen, um sie damit zu füllen; die Einwendungen, welche ich über ihre Beschaffenheit, Temperatur, selbst ihr Vorhandensein zu machen hatte, waren fruchtlos geblieben.

Um die Liste unserer Reiseartikel vollständig zu geben, nenne ich noch eine Reiseapotheke mit stumpfen Scheeren, Schienen für einen Bruch, ein Stück Band von ungebleichtem Garn, Binden und Kompressen, Heftpflaster, ein Aderlaßbecken, ganz erschreckliche Dinge; ferner eine Anzahl Fläschchen mit Dextrin, Wundspiritus, Bleiessig, Aether, Essig und Salmiak, lauter Arzneimittel, die wenig beruhigen konnten; endlich den nöthigen Stoff für einen Rühmkorff’schen Apparat.

Mein Oheim vergaß auch nicht Tabak, Schießpulver und Zunder, desgleichen einen ledernen Gurt, welchen er um die Hüften trug, mit hinreichendem Vorrath an Gold-, Silber- und Papiergeld. Tüchtige Schuhe, die durch einen Ueberzug von Theer und elastischem Gummi wasserdicht gemacht waren, befanden sich, und zwar sechs Paare, unter dem Geräthe.

»Also ausgestattet und versehen, sagte mein Oheim, hat man keinen Grund, eine weite Reise zu scheuen.«

Der 14. wurde ganz dazu verwendet, diese verschiedenen Gegenstände zu ordnen. Am Abend speisten wir bei dem Baron Trampe in Gesellschaft des Bürgermeisters von Reykjawik und des Doctors Hyallalin, dem obersten Arzt des Landes. Herr Fridrickson befand sich nicht unter den Gästen; später hörte ich, er sei mit dem Statthalter über einen Punkt der Verwaltung gespannt, und sie besuchten sich daher nicht. Es ging mir also die Gelegenheit ab, ein Wort von dem, was bei dieser halb-officiellen Mahlzeit gesprochen wurde, zu verstehen. Ich bemerkte nur, daß mein Oheim fortwährend sprach.

Den folgenden Tag, am 15., wurden die Vorbereitungen fertig. Unser Wirth machte dem Professor eine große Freude, indem er ihm eine Karte von Island zustellte, die ohne Vergleichung vollständiger war, als die Henderson’sche, nämlich die von Olaf Nicolas Olsen, im Maßstabe von 1:480,000, welche von der isländischen literarischen Gesellschaft nach den geodätischen Arbeiten Scheel Frisac’s und der topographischen Aufnahme von Bjorn Gumlaugsonn herausgegeben worden war. Es war für einen Mineralogen ein kostbares Document.

Der letzte Abend wurde in vertraulichem Gespräch mit Herrn Fridrickson verbracht, zu dem ich mich mit lebhaftem Freundschaftsgefühl hingezogen fühlte; auf diese Unterhaltung folgte ein ziemlich unruhiger Schlaf, meinerseits wenigstens.

Um fünf Uhr weckte mich das Wiehern der vier Pferde, welche unter meinem Fenster stampften. Ich kleidete mich hastig an und kam herab auf die Straße. Hier war Hans beschäftigt unser Gepäck völlig aufzuladen, ohne dabei ein Wort hören zu lassen. Doch verfuhr er dabei mit ungewöhnlichem Geschick. Mein Oheim machte mehr Geräusch, als förderliche Arbeit, und der Führer schien sich wenig an seine Anweisungen zu kehren.

Um sechs Uhr war Alles fertig. Herr Fridrickson drückte uns die Hände. Mein Oheim dankte ihm in isländischer Sprache recht herzlich für seine wohlwollende Gastlichkeit. Ich ließ in meinem besten Latein einen herzlichen Gruß vernehmen; dann saßen wir auf und Herr Fridrickson rief uns zum Lebewohl den Vers Vergil’s nach:

»Fahren wir denn getrost, wohin Fortuna uns führet!«

Achtes Capitel

Achtes Capitel

Joe’s Selbstgefühl. – Der Befehlshaber des Resolute. – Kennedy’s Arsenal. – Einrichtungen. – Das Abschiedsessen. – Die Abreise am 21. Februar. – Wissenschaftliche Sitzungen des Doctors. – Duveyrier, Livingstone. – Einzelheiten der Luftreise. – Kennedy wird zum Schweigen gebracht.

Am 10. Februar waren die Vorbereitungen ihrem Ende nahe, und die in einander gefügten Ballons vollständig fertig; sie hatten einen starken Luftdruck, der hineingetrieben worden war, ausgehalten, und diese Probe legte ein gutes Zeugniß für ihre Solidität, so wie für die bei ihrem Bau angewandte Sorgfalt ab.

Joe wußte sich vor Freude nicht zu lassen: er war beständig auf dem Wege von Greek Street nach der Werkstatt der Herren Mitchell, immer geschäftig, aber immer aufgeräumt; jedem, der es hören wollte, von der betreffenden Angelegenheit erzählend, und vor Allem stolz darauf, daß er seinen Herrn begleiten durfte. Ich vermuthe sogar, daß der gute Junge sich einige halbe Kronen damit verdiente, das Luftschiff zu zeigen, die Gedanken und Pläne des Doctors zu entwickeln, und die Leute auf dessen jetzt vielbesprochene Persönlichkeit aufmerksam zu machen, wenn er an einem halbgeöffneten Fenster lehnte oder bei Gelegenheit durch die Straßen ging. Wir dürfen Joe deshalb nicht zürnen; er hatte wohl das Recht, etwas auf die Bewunderung und Neugier seiner Zeitgenossen zu speculiren.

Am 16. Februar legte sich der Resolute auf der Höhe von Greenwich vor Anker. Es war ein Schraubendampfer von achthundert Tonnen Last und ein guter Segler, der zuletzt den Auftrag gehabt hatte, die Expedition von Sir James Roß nach den Polargegenden von Neuem mit Proviant zu versorgen. Der Befehlshaber Pennet stand in dem Rufe eines liebenswürdigen Mannes und nahm an der Reise des Doctors, den er schon von früher her kannte, einen ganz besondern Antheil. Pennet hätte eher für einen Gelehrten, als für einen Soldaten gelten können; trotzdem führte sein Fahrzeug vier Karronaden, die jedoch nie Jemandem etwas zu Leide gethan und nur den Zweck hatten, bei den allerfriedlichsten Gelegenheiten Spectakel zu machen.

Der Schiffsraum des Resolute wurde für die Aufnahme des Ballons eingerichtet, und dieser mit der größten Vorsicht am 18. Februar hinübergeschafft. Man lagerte ihn auf dem Boden des Schiffes ab, um jedem Unfall vorzubeugen; die Gondel nebst Zubehör, die Anker, Stricke, Lebensmittel so wie die Wasserkisten, welche nach der Ankunft gefüllt werden sollten. Alles wurde unter Fergusson’s Augen gestaut.

Zur Erzeugung des Wasserstoffgases verlud man zehn Tonnen Schwefelsäure und zehn Tonnen altes Eisen. Diese Quantität war mehr als hinreichend, doch mußte man sich gegen mögliche Verluste decken. Der Gasentwickelungs-Apparat, welcher aus etwa dreißig Fässern bestand, wurde in den untern Schiffsraum gebracht.

All‘ diese verschiedenen Vorbereitungen waren am Abend des 18. Februar beendet, und zwei bequem eingerichtete Kajüten erwarteten den Doctor Fergusson und seinen Freund Kennedy. Soviel dieser Letztere auch schwur, daß er nicht mitreisen würde, begab er sich doch mit einem Jagdarsenal an Bord, das aus zwei vorzüglichen, doppelläufigen Hinterladern und einem vielfach erprobten Karabiner aus der Fabrik der Herren Purdey Moore und Dickson in Edinburg bestand. Mit solchen Waffen konnte der Jäger mit Sicherheit aus einer Entfernung von zweitausend Schritt einer Gemse das Auge ausschießen. Zu diesen Gewehren fügte er für unvorhergesehene Fälle zwei sechsläufige Colt-Revolver; Pulverhorn, Patrontasche, Blei und Kugeln in hinreichender Menge überstiegen nicht das von dem Doctor angegebene Gewicht.

Die drei Reisenden gingen am 19. Februar an Bord, und wurden vom Kapitän und seinen Officieren mit großer Auszeichnung aufgenommen. Der Doctor erschien ziemlich kalt und einzig mit seiner Expedition beschäftigt; Dick war in außerordentlicher Erregung, aber doch bemüht, dieselbe zu verbergen, und Joe endlich sprang außer sich vor Vergnügen hin und her, indem er sich in den schnurrigsten Reden erging. Er wurde bald der Bruder Lustig auf dem Schiffe und bei Jedermann beliebt.

Am zwanzigsten lud die Königlich Geographische Gesellschaft den Doctor Fergusson und Herrn Kennedy zu einem großen Abschiedsessen ein. Der Befehlshaber des Resolute und seine Officiere wohnten gleichfalls diesem Mahle bei, das unter allseitiger, fröhlicher Laune verlief, und bei dem es an einer Masse schmeichelhafter Trinksprüche für unsere Freunde nicht fehlte. Gesundheiten wurden in einer so reichen Zahl ausgebracht, daß sie genügend gewesen wären, um den Gästen ein hundertjähriges Leben zu sichern. Sir Francis M… führte mit mäßiger aber würdevoller Rührung den Vorsitz.

Zu Herrn Dick’s großem Mißfallen erhielt auch er sein reichliches Theil von diesen Glückwünschen. Nachdem man auf den unerschrockenen Fergusson, den Ruhm Englands, getrunken hatte, durfte man nicht verabsäumen, auf den nicht minder heldenmüthigen Kennedy, seinen kühnen Begleiter, zu trinken.

Dick erröthete über und über, was ihm jedoch als Bescheidenheit ausgelegt wurde, und nur zur Folge hatte, daß man die Beifallsbezeugungen verdoppelte. Dick Kennedy erröthete noch tiefer. –

Beim Dessert langte eine Botschaft der Königin an; sie sandte den beiden Reisenden ihre Grüße und ließ ihnen Glück zu ihrem Unternehmen wünschen. Dies erforderte natürlich wiederum Toaste »auf Ihre allergnädigste Majestät«.

Endlich, um Mitternacht, trennten sich die Gäste nach einem rührenden Abschied und manch‘ warmem Händedruck.

Die Boote des Resolute warteten an der Westminster-Brücke; der Commandant nahm in Gesellschaft seiner Passagiere und Mannschaften darin Platz, und der Strom der Themse brachte die Gesellschaft schnell nach Greenwich.

Um ein Uhr lag Alles an Bord im tiefsten Schlafe.

Am Morgen des 21. Februar, um drei Uhr früh, waren die Kessel geheizt, um fünf Uhr lichtete man die Anker, und unter dem Druck der Schraube steuerte der Resolute der Mündung der Themse zu.

Wir brauchen nicht erst zu sagen, daß die Unterhaltung an Bord sich einzig und allein um die Expedition des Doctors Fergusson drehte. Wenn man ihn sah oder über die Unternehmung sprechen hörte, so flößte er ein solches Vertrauen ein, daß bald Niemand, der Schotte ausgenommen, den Erfolg seiner Expedition in Frage stellte.

Während der langen unbeschäftigten Stunden der Reise ging der Doctor mit den Officieren einen förmlichen geographischen Cursus durch. Die jungen Leute interessirten sich lebhaft für die seit vierzig Jahren in Afrika gemachten Entdeckungen; er erzählte ihnen von den Forschungsreisen Barth’s, Burton’s, Speke’s, Grant’s, und schilderte ihnen dies geheimnißvolle Land, das gegenwärtig so rege von der Wissenschaft in Angriff genommen war. Im Norden erforschte der junge Duveyrier die Sahara und brachte die Häuptlinge der Tuaregs nach Paris. Unter Oberaufsicht der französischen Regierung wurden zwei Expeditionen ausgerüstet, die vom Norden herab nach Westen gehend, sich in Timbuctu kreuzen sollten. Im Süden rückte der unermüdliche Livingstone immer gegen den Aequator vor, und vom Mai des Jahres 1862 ab ging er in Gesellschaft Mackensie’s an dem Novoonia-Flusse aufwärts. Das neunzehnte Jahrhundert würde gewiß nicht zu Ende gehen, ohne daß Afrika die in seinem Schooß seit sechstausend Jahren vergrabenen Geheimnisse enthüllt hätte.

Das Interesse der Zuhörer Fergusson’s wurde besonders geweckt, als er ihnen im Einzelnen von den Vorbereitungen zu seiner Reise erzählte; sie wollten die Probe seiner Berechnungen machen, und begannen eine Erörterung, in welche der Doctor sich ohne alle Umschweife einließ.

Im Allgemeinen staunte man über die verhältnißmäßig geringe Menge von Lebensmitteln, welche er mit sich führte, und eines Tages befragte Jemand den Doctor in Bezug hierauf.

»Das ist Ihnen erstaunlich?« antwortete Fergusson. »Aber wie lange glauben Sie denn, daß ich unterwegs sein werde? Doch nicht etwa Monate? Da irren Sie sehr; wenn meine Reise sich in die Länge ziehen sollte, würden wir verloren sein, und gar nicht an’s Ziel gelangen. So wissen Sie denn, daß von Zanzibar nach der Küste von Senegal nicht mehr als dreitausendfünfhundert, nehmen Sie an viertausend Meilen sind. Wenn man nun in zwölf Stunden zweihundertundvierzig Meilen zurücklegt, was der Schnelligkeit unserer Eisenbahnen nicht nahe kommt, und wenn man Tag und Nacht reist, so würden sieben Tage genügen, um Afrika zu durchfahren.«

»Aber dann könnten Sie nichts sehen, keine geographischen Aufnahmen machen, noch das Land gehörig kennen lernen.«

»Ich werde mich deshalb auch«, antwortete der Doctor, »überall aufhalten, wo ich es für gut befinde, besonders auch dann, wenn zu heftige Luftströmungen mich fortzureißen drohen.«

»Und das wird nicht ausbleiben«, sagte Pennet; »es wüthen bisweilen Orkane, welche über zweihundertundvierzig Meilen in der Stunde zurücklegen.«

»Sie sehen«, versetzte der Doctor, »bei einer solchen Schnelligkeit könnte man Afrika in zwölf Stunden durchfahren. Man würde in Zanzibar aufstehen, um in Saint-Louis zu Bett zu gehen.«

»Aber«, äußerte ein Officier, »könnte denn ein Ballon in solcher Schnelligkeit mit fortgerissen werden?«

»Man hat das schon erlebt«, erwiderte Fergusson.

»Und der Ballon hat Stand gehalten?«

»Vollkommen. Zur Zeit der Krönung Napoleon’s im Jahre 1804 ließ der Luftschiffer Garnerin um elf Uhr Abends von Paris einen Ballon ab, der in goldenen Lettern die folgende Inschrift trug: ›Paris, 25 frimaire an XIII, couronnement de l’empereur Napoléon par S. S. Pie VII.‹ [Fußnote] Am folgenden Morgen, um fünf Uhr, sahen die Einwohner von Rom denselben Ballon über dem Vatikan schweben, die römische Campagna durchfliegen und sich in den See von Bracciano versenken. Dies der Beweis, meine Herren, daß ein Ballon gegen solche Schnelligkeit Stand halten kann.«

»Ein Ballon, mag sein! – aber ein Mensch?« wagte Kennedy einzuwerfen.

»Auch ein Mensch! Denn ein Ballon ist immer unbeweglich im Verhältniß zu der ihn umgebenden Luft: er selber geht nicht, sondern die Luftmasse; zündet z. B. ein Licht in einer Gondel an, und die Flamme wird nicht hin- und herflackern. Ein Luftschiffer auf dem Ballon Garnerin’s hätte von dieser Schnelligkeit keineswegs gelitten. Uebrigens liegt mir durchaus nicht daran, mit einer solchen Geschwindigkeit zu experimentiren, und wenn ich mein Luftschiff während der Nacht an einen Baum oder irgend eine Unebenheit des Bodens ketten kann, werde ich mir das nicht entgehen lassen. Wir führen indessen für zwei Monate Lebensmittel mit uns, und nichts wird unsern geschickten Jäger daran hindern, Wildpret im Überfluß zu erbeuten, wenn wir uns einmal auf der Erde niederlassen.«

»Ah, Herr Kennedy, Sie werden Gelegenheit haben, Meisterschüsse zu thun«, sagte ein junger Midshipman, den Schotten mit neidischen Augen betrachend.

»Ganz abgesehen davon«, fügte ein anderer hinzu, »daß Ihr Vergnügen mit großem Ruhm Hand in Hand gehen wird.«

»Meine Herren«, antwortete der Jäger … »ich weiß Ihre Complimente sehr wohl zu würdigen. … aber ich kann dieselben nicht annehmen …«

»Wie? rief man von allen Seiten, Sie werden nicht mitreisen?«

»Ich werde nicht reisen.«

»Sie wollen den Doctor Fergusson nicht begleiten?«

»Nicht nur das, sondern meine Anwesenheit hat keinen andern Grund, als ihn im letzten Augenblick noch zurückzuhalten.«

Aller Blicke richteten sich auf den Doctor.

»Hören Sie nicht auf ihn«, antwortete dieser mit ruhiger Miene. »Das ist eine Frage, die man nicht mit ihm erörtern darf; er weiß im Grunde recht gut, daß er mitreisen wird.«

»Beim Heiligen Patrick! rief Kennedy aus, ich betheuere …«

»Betheuere nichts, Freund Dick; Du bist ausgemessen. Du bist gewogen. Du bist mitsammt Deinem Pulver, Deinen Flinten und Kugeln in unser Luftschiff eingepaßt; so laß uns nicht mehr davon sprechen.«

Und wirklich öffnete Dick von diesem Tage bis zur Ankunft in Zanzibar nicht mehr den Mund; er sprach ebenso wenig von der Reise wie von etwas Anderem. Er schwieg.

Neuntes Capitel

Neuntes Capitel

Das Cap wird umfahren. – Das Halbverdeck. – Kosmographischer Cursus des Professor Joe. – Von der Lenkung des Ballons. – Von der Erforschung der atmosphärischen Ströme. – Εύρηκα

Der Resolute segelte rasch auf das Cap der guten Hoffnung zu, und das Wetter hielt sich gut, obgleich das Meer hoch ging.

Am 30. Mai, siebenundzwanzig Tage nach der Abreise von London, zeichnete sich der Tafelberg am Horizonte ab; die Capstadt, am Fuße eines Amphitheaters von Hügeln gelegen, war mit den Ferngläsern wahrzunehmen, und bald legte sich der Resolute im Hafen vor Anker. Aber der Commandant hielt nur an, um Kohlen einzunehmen, und dies war in einem Tage geschehen; am folgenden schon hielt das Schiff südlich, um die mittägige Spitze Afrika’s zu umsegeln und in den Canal von Mozambique einzulaufen.

Joe machte nicht seine erste Reise zur See; er fühlte sich bald an Bord heimisch, und Jedermann hatte ihn wegen seiner Offenherzigkeit und guten Laune gern. Ein Abglanz von der Berühmtheit seines Herrn strahlte auch auf ihn über; wenn er sprach, lauschte man auf ihn, wie auf ein Orakel.

Während der Doctor seinen gelehrten Cursus in der Officierskajüte fortsetzte, thronte Joe auf dem Halbverdeck und machte auf seine Weise Geschichte, ein übrigens von den größten Geschichtsschreibern aller Zeiten befolgtes Verfahren.

Natürlich handelte es sich hierbei hauptsächlich um die Luftreise. Es war Joe schwer geworden, den störrigen Geistern die Unternehmung als überhaupt ausführbar vorzustellen; nachdem man aber einmal von der Möglichkeit derselben überzeugt war, kannte die von der Erzählung Joe’s angestachelte Phantasie der Matrosen keine Grenzen.

Der brillante Erzähler redete seiner Zuhörerschaft ein, daß man nach dieser Reise noch sehr viele andere machen würde; dies sei nur der Anfang einer langen Reihe großartiger Unternehmungen.

»Wissen Sie, meine Freunde, wenn man diese Art der Beförderung einmal versucht hat, so kann man dieselbe nicht mehr entbehren; bei unserer nächsten Expedition werden wir, anstatt von einer Seite zur andern, gerade aus gehen, indem wir fortwährend steigen.«

»Gut! also gerade auf den Mond los«, sagte ein staunender Zuhörer.

»Auf den Mond? entgegnete Joe; nein wahrhaftig, das ist uns denn doch zu gewöhnlich! Nach dem Monde kann Jeder reisen! Übrigens giebt es dort kein Wasser, und man ist genöthigt, ungeheure Vorräthe davon mitzunehmen … ebenso auch einige Fläschchen Atmosphäre, so wenig man auch zum Athmen braucht.«

»Ob da wohl Gin zu haben ist?« äußerte ein Matrose, der dies Getränk sehr zu lieben schien.

»Auch das nicht, mein Lieber! nein, mit dem Monde ist es nichts, aber mir wollen unter den Sternen lustwandeln, unter den reizenden Planeten, über die sich mein Herr so oft mit mir unterhalten hat. – Und wir werden damit anfangen, dem Saturn einen Besuch zu machen …«

»Dem, der so einen Ring um sich herum hat?« fragte der Quartiermeister.

»Ja, einen Hochzeitsring. Man weiß nur nicht, was aus seiner Frau geworden ist.«

»Wie! so hoch würdet ihr hinaufsteigen? sagte ein Schiffsjunge verwundert. Da ist Ihr Herr wohl der leibhaftige Teufel?«

»Der Teufel? nein, dazu ist er zu gut!«

»Also nach dem Saturn?« fragte einer der ungeduldigsten Zuhörer.

»Nach dem Saturn? ja, natürlich! und dann statten wir dem Jupiter einen Besuch ab; das ist ein komisches Land, in welchem die Tage nur neun und eine halbe Stunde lang sind – ganz bequem für die Faullenzer; wo ein Jahr z. B. zwölf Jahre dauert, was sehr vorteilhaft für die Leute ist, die nur noch ein halbes Jahr zu leben haben. Es verlängert das etwas ihre Existenz!«

»Zwölf Jahre!« wiederholte erstaunt der Schiffsjunge.

»Ja, mein Kleiner; wärest Du dort geboren, so würdest Du jetzt noch als Säugling auf dem Arm Deiner Mama getragen werden, und jener Alte im fünfzigsten Jahr wäre ein niedliches Püppchen von kaum vier Jahren.«

»Das ist nicht zu glauben!« rief das Halbverdeck wie aus einem Munde.

»Die reine Wahrheit«, betheuerte Joe zuversichtlich. »Aber wie das so geht! wenn man, ohne sich anderwärts umzusehen, in dieser Welt immer weiter vegetirt, so lernt man nichts und bleibt unwissend wie ein Meerschwein. Kommt nur erst auf den Jupiter, dort werdet Ihr Euer blaues Wunder sehen! Man muß sich da oben anständig benehmen, denn er hat eine unangenehme Leibwache von Trabanten um sich!«

Man lachte, aber doch glaubte man ihm halb und halb; er redete weiter vom Neptun, bei dem die Seeleute gut aufgenommen würden, und vom Mars, auf welchem das Militär allen Andern den Rang ablaufe, was schließlich ganz unerträglich wäre. Was den Mercur anlangte, so sei das eine garstige Welt, nichts als Diebe und Kaufleute, die sich einander so ähnlich sehen, daß man sie schwer unterscheiden könne. Endlich entwarf er ihnen von der Venus ein wahrhaft entzückendes Bild.

»Und wenn wir von dieser Expedition zurückkehren«, sagte der liebenswürdige Erzähler, »wird man uns mit dem Stern des südlichen Kreuzes decoriren, der da oben an dem Knopfloch des lieben Gottes leuchtet.«

»Und Ihr habt ihn dann mit Recht verdient!« sagten die Matrosen.

So vergingen in heiteren Scherzreden die langen Abende auf dem Halbverdeck, während im Kreise der Officiere die belehrenden Unterhaltungen des Doctors ihren Fortgang nahmen.

Eines Tages unterhielt man sich über die Lenkung der Ballons, und Fergusson wurde dringend aufgefordert, seine Meinung in Bezug darauf abzugeben.

»Ich glaube nicht«, sagte er, »daß es gelingen wird, die Ballons zu lenken. Ich kenne alle in dieser Beziehung versuchten oder vorgeschlagenen Systeme, aber nicht ein einziges hat Erfolg gehabt, nicht ein einziges ist ausführbar. Sie begreifen wohl, daß ich mich eingehend mit dieser Frage beschäftigen mußte, die ein so großes Interesse für mich hat; aber ich habe sie mit den, von den gegenwärtigen Kenntnissen der Mechanik gelieferten Mitteln nicht lösen können. Man müßte eine bewegende Kraft von außerordentlicher Macht und unmöglicher Leichtigkeit entdecken! Und auch dann noch wird man gegen beträchtliche Luftströmungen nicht anzukämpfen vermögen. Bis jetzt hat man sich übrigens vielmehr damit beschäftigt, die Gondel zu lenken, als den Ballon. Und das ist ein Fehler.«

»Es bestehen aber doch, entgegnete man, genaue Beziehungen zwischen einem Luftschiff und einem Schiff, und dies kann man nach Belieben lenken.«

»Ich muß das in Abrede stellen, antwortete der Doctor Fergusson. Die Luft ist unendlich weniger dicht als das Wasser, in welches das Schiff nur zur Hälfte sinkt, während das Luftschiff ganz und gar in der Atmosphäre schwebt und mit Beziehung auf das umgebende Fluidum unbeweglich bleibt.«

»Sie sind also der Meinung, daß die aerostatische Wissenschaft ihr letztes Wort gesprochen hat?«

»Keineswegs! Wenn man den Ballon nicht lenken kann, so muß man etwas Anderes zu erreichen suchen, ihn zum Mindesten in den für ihn günstigen atmosphärischen Strömungen erhalten. In dem Maße wie man sich hebt, werden diese einförmiger und folgen dann beständig derselben Richtung; sie werden nicht mehr durch die Thäler und Berge, welche die Oberfläche der Erdkugel durchfurchen, gestört, und das ist ja bekanntlich die Hauptursache der Veränderungen des Windes und seiner ungleichen Stärke. Wenn nun aber einmal diese Zonen bestimmt sind, so braucht man den Ballon nur in die für ihn passende Strömung zu versetzen.«

»Aber man wird dann«, begann der Commandant, »beständig steigen oder fallen müssen, um sie zu erreichen. Darin liegt die eigentliche Schwierigkeit, mein lieber Doctor.«

»Und warum, mein lieber Herr Pennet?«

»Verständigen wir uns: es wird das nur für die ausgedehnten Reisen eine Schwierigkeit und ein Hinderniß sein, nicht für einfache Luftspaziergänge.«

»Und weshalb denn, wenn’s beliebt?«

»Weil man nur steigt, wenn man Ballast auswirft, und sich nur mit dem Verluste von Gas herabläßt; und weil bei diesem Verfahren Ihre Gas- und Ballastvorräthe schnell erschöpft sein werden.«

»Mein lieber Pennet, dies eben ist die ganze Frage, dies ist die einzige Schwierigkeit, welche die Wissenschaft zu besiegen streben muß. Es handelt sich nicht darum, die Ballons zu lenken; sondern vielmehr darum, sie von oben nach unten zu bewegen, ohne dieses Gas zu vergeuden, welches, wenn man sich so ausdrücken darf, die Kraft, das Blut, die Seele des Ballons ist.«

»Sie haben Recht, mein lieber Doctor, aber diese Schwierigkeit ist noch nicht gelöst, das Mittel dafür noch nicht gefunden.«

»Bitte um Verzeihung, es ist gefunden.«

»Von wem?«

»Von mir!«

»Von Ihnen?«

»Sie begreifen wohl, daß es mir ohne dies nicht hätte in den Sinn kommen können, eine Bereisung Afrika’s im Ballon zu unternehmen; nach Vierundzwanzig Stunden wäre ich mit meinem Gas auf’s Trockene gesetzt worden!«

»Aber Sie haben davon in England nichts verlauten lassen?«

»Nein, denn es lag mir nichts daran, meine Erfindung öffentlich besprochen zu sehen; es schien mir dies überflüssig. Ich habe in der Stille vorbereitende Versuche gemacht, die befriedigend ausgefallen sind, und weiter brauche ich nichts.«

»Nun, mein lieber Fergusson, darf man jetzt Ihr Geheimniß erfahren?«

»Ja wohl, meine Herren, das Mittel ist äußerst einfach.«

Die Aufmerksamkeit der Zuhörer war auf das Höchste gespannt, und der Doctor begann ruhig die folgende Auseinandersetzung:

Dreiundvierzigstes Capitel

Dreiundvierzigstes Capitel

Die Talibas. – Verfolgung – Ein verwüstetes Land. – Gemäßigter Wind. – Der Victoria fällt. – Die letzten Vorräthe. – Die Sprünge des Victoria. – Vertheidigung mit Flintenschüssen. – Der Wind wird heftiger. – Der Senegal. Die Katarakten von Guina. – Die erwärmte Luft. – Ueberfahrt über den Fluß.

»Wenn wir nicht so vorsichtig gewesen wären, unser Gewicht gestern Abend zu erleichtern«, sagte der Doctor, »so wären wir jetzt rettungslos verloren.«

»Da sieht man, was es auf sich hat, wenn man seine Sachen zur rechten Zeit besorgt«, philosophirte Joe; »man kommt dann glücklich davon, und nichts ist natürlicher.«

»Wir sind keineswegs außer Gefahr«, bemerkte Fergusson.

»Was besorgst Du denn noch?« fragte Dick. »Der Victoria kann nicht ohne Deine Erlaubnis fallen, und selbst wenn er fallen würde…

»Wenn er fallen würde? Sieh Dich doch um. Dick!« Sie waren gerade über den Saum des Waldes hinausgekommen, und konnten etwa dreißig Reiter mit weiten Beinkleidern und flatternden Burnussen gewahren, die mit Lanzen und Musketen bewaffnet, in dem kurzen Galop ihrer lebhaften, hitzigen Pferde der Richtung des Victoria folgten, während dieser mit mächtiger Schnelligkeit seinen Weg fortsetzte.

Beim Anblick der Reisenden stießen sie ein wildes Geschrei aus und schwangen ihre Waffen; Zorn und Drohung waren auf ihren sonnenverbrannten Gesichtern zu lesen, die durch spärliche aber struppige Bärte ein noch wilderes Aussehen erhielten; ohne Anstrengung überschritten sie die gesenkten Plateaux und Abhänge, die nach dem Senegal abfallen.

»Sie sind es wirklich«, sagte der Doctor; »die grausamen Talibas, die wilden Marabuts des Al-Hadschi! Ich möchte mich lieber im Walde rings von wilden Thieren umgeben wissen, als diesen Banditen in die Hände fallen.«

»Sie sehen allerdings nicht sehr Vertrauen erweckend aus«, meinte Kennedy; »es sind kräftige Kerle!«

»Glücklicher Weise können die Bestien nicht fliegen!« bemerkte Joe; »das ist schon immer etwas.«

»Seht diese zerstörten Dörfer, diese niedergebrannten Hütten!« begann Fergusson wieder; »das ist ihr Werk; da, wo sich einst cultivirte Felder und Gegenden weit hin erstreckten, haben sie Oede und Verheerung verbreitet.«

»Gut, daß sie uns nicht erreichen können«, erwiderte Kennedy; »wenn es uns gelingt, zwischen sie und uns den Fluß zu bringen, sind wir in Sicherheit.«

»Ja, Dick, nur dürfen wir nicht fallen«, hob der Doctor mit einem Blick auf das Barometer hervor.

»Auf alle Fälle werden wir wohl thun, Joe, unsere Waffen in Bereitschaft zu halten«, versetzte Kennedy.

»Das kann nicht schaden, Herr Dick; es wird uns noch sehr zu Statten kommen, daß wir sie unterwegs nicht fortgeworfen haben.«

»Mein Carabiner!« rief der Jäger enthusiastisch; »ich hoffe, daß ich mich niemals von ihm zu trennen brauche.« Und er lud ihn mit der größten Sorgfalt; Pulver und Blei war noch in genügender Quantität vorhanden.

»In welcher Höhe befinden wir uns?« fragte Kennedy den Doctor.

»Wir sind etwa siebenhundertundfünfzig Fuß hoch; aber wir können nicht mehr durch Steigen oder Fallen günstige Luftströmungen aufsuchen, sondern müssen dem Ballon auf Gnade und Ungnade folgen.«

»Das ist sehr fatal«, brummte Kennedy; »der Wind ist ziemlich gemäßigt; wenn uns ein solcher Orkan wie in den vorhergehenden Tagen fortgetragen hätte, so wären die schrecklichen Kerle schon lange außer Sicht.«

»Die Schufte folgen uns in kurzem Galop, wie auf einem gemüthlichen Spazierritt«, sagte Joe ärgerlich.

»Wenn wir sie in Schußweite hätten«, äußerte der Jäger, »würde es mir ein ganz besonderes Vergnügen gewähren, sie Einen nach dem Andern aus dem Sattel zu heben.«

»Ganz gut«, erwiderte Fergusson; »wir wären dann aber gleichfalls in Schußweite, und unser Victoria würde den Kugeln ihrer langen Musketen ein leichtes Ziel bieten; in welcher Lage wir uns aber befinden würden, wenn ihre Kugeln den Ballon zerrissen hätten, magst Du selber ermessen.«

Die Talibas setzten ihre Verfolgung den ganzen Vormittag fort. Um elf Uhr Morgens waren die Reisenden kaum fünfzehn Meilen in der Richtung nach Westen weiter gekommen.

Der Doctor spähte aus, ob sich irgendwelche, wenn auch noch so kleine Wolke am Horizont zeigte. Er fürchtete beständig eine Veränderung in der Atmosphäre. Was sollte aus ihm werden, wenn er nach dem Niger zurückgeworfen wurde? Ueberdies war er sich darüber klar, daß der Ballon merklich fiel; seit dem Aufbruch hatte er sich schon mehr als dreihundert Fuß herabgelassen, und der Senegal mußte jetzt noch ungefähr zwölf Meilen entfernt sein: bei der gegenwärtigen Schnelligkeit mußte man noch auf drei Reisestunden rechnen.

In diesem Augenblick wurde die Aufmerksamkeit der Reisenden durch neues Geschrei angezogen, die Talibas trieben ihre Pferde zu größerer Eile an.

Der Doctor sah nach dem Barometer und begriff sofort die Ursache dieses Geheuls.

»Wir fallen?« fragte Kennedy.

»Ja.«

»Zum Teufel!« dachte Joe.

Nach einer Viertelstunde war die Gondel nicht mehr hundertundfünfzig Fuß vom Boden entfernt, aber der Wind wehte kräftiger.

Die Talibas spornten ihre Pferde an, und bald entlud sich ein Musketenfeuer in die Lüfte!

»Zu weit, ihr Dummköpfe«, schrie Joe hinunter; »es scheint mir gerathen, die Spitzbuben in einer angemessenen Entfernung zu halten.«

Und Joe gab Feuer, indem er einen der am weitesten vorgerückten Reiter auf’s Korn nahm. Der Talibas stürzte zur Erde; seine Begleiter hielten, und der Victoria gewann einen Vorsprung. »Sie sind vorsichtig«, sagte Kennedy.

»Weil sie uns doch sicher zu haben glauben«, ergänzte der Doctor. »Wenn wir noch mehr fallen, sind wir in ihrer Macht; wir müssen durchaus wieder steigen!«

»Was soll ich auswerfen?« fragte Joe.

»Den Rest unserer Pemmican-Vorräthe! damit werden wir noch etwa dreißig Pfund los.«

Joe kam den Befehlen seines Herrn nach.

Die Gondel, die fast schon den Boden berührt hatte, stieg unter dem Wuthgeschrei der Talibas wieder empor; aber eine halbe Stunde später begann der Victoria abermals sich zu senken. Das Gas entwich durch die Poren der Hülle.

Bald streifte die Gondel auf dem Boden hin. Die Neger Al-Hadschi’s stürzten auf sie zu; aber kaum hatte der Victoria die Erde berührt, als er, wie es auch sonst bei Luftfahrten schon beobachtet worden ist, mit einem Sprunge emporschnellte, um sich dann eine Meile weiter wieder herabzulassen.

»Wir sollen ihnen also wirklich nicht entkommen«, fuhr Kennedy zornig los.

»Wirf unsern Vorrath an Branntwein aus, Joe«, rief der Doctor, »unsere Instrumente, Alles, was irgend Gewicht hat, selbst unsern letzten Anker, die Noth drängt!«

Joe schleuderte die Barometer und Thermometer fort, aber all‘ das hatte wenig zu bedeuten, und der Ballon, der einen Augenblick gestiegen war, fiel im nächsten wieder zur Erde. Die Talibas flogen hinter ihm her und waren nur noch zweihundert Schritte von ihm entfernt.

»Wirf die beiden Flinten fort«, rief der Doctor.

»Wenigstens nicht, ohne sie abgefeuert zu haben,« entgegnete der Jäger.

Und vier Schüsse hinter einander schlugen in die Masse der Reiter ein; vier Talihas wurden unter dem wahnsinnigen Schrei der Bande zu Boden gestreckt.

Der Victoria hob sich wieder; er machte ungeheuer weite Sprünge wie ein großer elastischer Ball, der vom Boden zurückprallt.

Es war ein eigenthümliches Schauspiel, wie die Unglücklichen in riesenhaften Luftsprüngen zu fliehen suchten, und dem Antäus gleich, neue Kraft zu gewinnen schienen, sowie sie die Erde berührten.

Aber diese Situation mußte bald ein Ende nehmen. Es war beinahe zwölf Uhr; der Victoria wurde matt, entleerte sich mehr und mehr, nahm eine immer flaschenförmigere Gestalt an, seine Hülle wurde schlaff und schlotternd, und die Falten des verzogenen Seidenzeuges legten sich aneinander.

»Der Himmel verläßt uns«, sagte Kennedy, »wir müssen fallen.«

Joe erwiderte nichts, er sah auf seinen Herrn.

»Nein«, sprach dieser mit Nachdruck, »wir haben noch mehr als hundertundfünfzig Pfund auszuwerfen.«

»Was denn?« fragte Kennedy, der nicht anders dachte, als daß der Doctor närrisch geworden sei.

»Die Gondel!« antwortete Fergusson ruhig. »Hängen wir uns in das Netz! wir können uns an den Maschen halten und so den Fluß erreichen! Schnell! schnell!«

Und die kühnen Männer zögerten nicht, dies Rettungsmittel in Ausführung zu bringen. Sie hingen sich, wie es der Doctor angegeben hatte, in die Maschen des Netzes, Joe hielt sich mit einer Hand und schnitt mit der andern die Seile der Gondel ab; sie fiel in demselben Augenblick, wo das Luftschiff sich definitiv niederlassen wollte.

»Hurrah! hurrah!« rief Joe, als der Ballon entlastet dreihundert Fuß in die Luft schnellte.

Die Talibas trieben ihre Pferde an; sie flogen in gestrecktem Galop dahin; aber der Victoria, der jetzt in eine kräftigere Windströmung gerathen war, eilte vor ihnen her und wandte sich in raschem Fluge nach einem Hügel, der den Horizont im Westen begrenzte: ein günstiger Umstand für die Reisenden, da sie darüber hinwegziehen konnten, wahrend die Horde Al-Hadschi’s gezwungen war, sich nördlich zu wenden, um die Anhöhe zu umgehen.

Die drei Freunde klammerten sich an das Netz; es war ihnen gelungen, es unter sich zusammenzuknüpfen, und so bildete es gleichsam eine hin und herschwankende Tasche.

Plötzlich, als der Hügel überschritten war, jubelte der Doctor triumphirend:

»Der Strom! der Strom! der Senegal!«

Zwei Meilen von ihnen rollte wirklich der Strom seine breite Wassermasse dahin; das gegenüberliegende, niedere, fruchtbare Ufer bot eine sichere Zuflucht und einen günstigen Platz, um die Landung zu bewerkstelligen.

»Noch eine Viertelstunde, und wir sind gerettet!« sagte Fergusson.

Aber es sollte sich anders gestalten; der leere Ballon fiel allmälig auf ein Terrain herab, das fast ganz der Vegetation entbehrte; lange Bergabhänge und von Felsen unterbrochene Ebenen, kaum einige Büschel dichtes, unter der Sonnengluth vertrocknetes Gras.

Mehrmals berührte der Victoria den Boden, um dann wieder zu steigen; seine Sprünge nahmen an Höhe und Weite ab; bei dem letzten hakte er mit dem obern Theile des Netzes an den hohen Zweigen eines Baobab, des einzigen, isolirt stehenden Baumes in diesem wüsten Lande, an.

»Es ist vorbei!« seufzte der Jäger.

»Und nur hundert Schritt von dem Flusse,« fügte Joe hinzu.

Die drei Unglücklichen setzten den Fuß auf den Erdboden, und der Doctor führte seine beiden Gefährten zum Senegal.

Der Fluß ließ an dieser Stelle ein langgezogenes Donnerrollen vernehmen; als Fergusson am Ufer anlangte, erkannte er die Wasserfälle von Guina! Es war keine Barke am Ufer, kein lebendes Wesen zu erblicken.

Auf einer Breite von zweitausend Fuß stürzte sich mit Getöse der Senegal aus einer Höhe von hundertundfünfzig Fuß herab. Er strömte von Osten nach Westen, und die Felsenlinie, die seinen Lauf versperrte, erstreckte sich von Norden nach Süden. In der Mitte des Wasserfalls ragten seltsam gestaltete Felsen, wie kolossale, antediluvianische Thiere hervor, die mitten im Wasser versteinert waren.

Die Unmöglichkeit, über diesen Fluß zu kommen, zeigte sich auf den ersten Blick, und Kennedy konnte eine Bewegung der Verzweiflung nicht unterdrücken.

Aber Doctor Fergusson rief mit energisch-kühnem Ausdruck in Ton und Blick:

»Es ist noch nicht Alles vorbei!«

»Das wußte ich wohl,« sprach Joe mit dem alten, festen Vertrauen auf seinen Herrn, das ihm durch nichts geraubt werden konnte.

Der Anblick des vertrockneten Grases hatte den Doctor auf einen verwegenen Gedanken gebracht. Auf eine Weise konnte man sich vielleicht noch retten. Er führte schnell seine Begleiter zu der Hülle des Luftschiffes zurück.

»Wir haben vor diesen Strolchen noch mindestens eine Stunde voraus, stellte er seinen Freunden vor; laßt uns jedoch keine Zeit verlieren und sammelt eine große Menge von dem trockenen Grase; ich brauche wenigstens hundert Pfund davon.

– Was willst Du damit anfangen? fragte Kennedy.

– Ich habe kein Gas mehr; darum bleibt mir nichts übrig, als den Fluß mit Hilfe erwärmter Luft zu überschreiten.

– Ach, mein Samuel, Du bist wirklich ein großer Mann!«

Joe und Kennedy machten sich sogleich an’s Werk, und bald war ein mächtiger Heuhaufen neben dem Baobab aufgethürmt.

Unterdessen hatte der Doctor die Mündung des Luftschiffes vergrößert, indem er viel von seinem untern Theile abschnitt; vorher sorgte er dafür, den Rest des Wasserstoffgases, der sich etwa noch darin befand, durch Oeffnen der Klappe zu entfernen; dann schichtete er eine tüchtige Menge trockenes Gras unter der Hülle, auf und zündete dasselbe an.

Es ist nur kurze Zeit dazu erforderlich, einen Ballon mit. erwärmter Luft aufzublähen; eine Hitze von hundertundachtzig Grad [Fußnote] genügt, um die Schwere der eingeschlossenen Luft durch Verdünnung um die Hälfte zu verringern. So begann der Victoria allmälig seine abgerundete Gestalt wieder anzunehmen, an Gras fehlte es nicht; das Feuer wurde lebhaft unterhalten, und das Luftschiff gestaltete sich zusehends runder.

Es war jetzt dreiviertel auf ein Uhr.

In diesem Augenblick erschien in einer Entfernung von zwei Meilen die Bande der Talibas in nördlicher Richtung; man hörte ihr Geschrei und den Galop der Pferde, die in aller Schnelligkeit daherstürmten.

»In zwanzig Minuten sind sie hier«, berechnete Kennedy.

»Gras! Gras! Joe. In zehn Minuten sind wir hoch in der Luft!«

Joe brachte eilig mehr Feuerungsmaterial herbei. Der Victoria war zu zwei Dritteln aufgebläht.

»Nun klammern wir uns, wie vorher, an das Netz an.«

»Wir sind bereit!« antwortete der Jäger.

Nach zehn Minuten kündigten einige Erschütterungen des Ballons sein Streben an, in die Lüfte zu steigen. Die Talibas nahten; sie waren kaum mehr fünfhundert Schritt entfernt.

»Haltet Euch gut!« rief Fergusson.

»Fürchten Sie nichts, Herr Doctor.«

Dieser stieß mit dem Fuß noch eine Menge Gras auf den Feuerherd.

Der Ballon, welcher nun durch die Hitze vollständig ausgedehnt war, entfloh, indem er an den Zweigen des Baobab hinfuhr.

»Fort!« schrie Joe.

Ein Musketenfeuer antwortete ihm; eine Kugel streifte sogar seine Schulter; aber Kennedy bog sich vor, feuerte mit einer Hand, seinen Carabiner ab und streckte noch einen Feind zu Boden.

Ein Wuthgeschrei, das jeder Beschreibung spottet, folgte der Flucht des Luftschiffes, das beinahe achthundert Fuß hoch stieg. Ein schneller Wind erfaßte es, und der Ballon beschrieb angsterregende Schwankungen, während der unerschrockene Doctor und seine Gefährten sahen, wie sich der Schlund der Katarakten unter ihnen aufthat.

Zehn Minuten später senkten sich die kühnen Reisenden, ohne ein Wort gewechselt zu haben, allmälig dem andern Ufer des Flusses zu.

Dort stand überrascht, vor Verwunderung und Schrecken außer sich, eine Gruppe von zehn Männern, die französische Uniform trugen. Man denke sich ihr Erstaunen, als sie den Ballon an dem rechten Ufer des Flusses aufsteigen sahen. Sie waren nicht weit davon entfernt, an ein Himmelsphänomen zu glauben. Aber ihre Anführer, ein Lieutenant von der Marine und ein Fähnrich zur See, hatten durch europäische Zeitungen Kenntniß von dem verwegenen Unternehmen des Doctor Fergusson, und wußten sich sofort das Ereigniß zu erklären.

Der Ballon, welcher allmälig wieder zusammenklappte, fiel mit den kühnen Luftschiffern, die sich an seinem Netze festhielten, immer tiefer, und es war zweifelhaft, ob er das jenseitige Ufer erreichen würde; deshalb stürzten sich die Franzosen in den Fluß und fingen die drei Engländer in ihren Armen auf, als der Victoria einige Toisen von dem linken Ufer des Senegal herniederkam.

»Doctor Fergusson?« rief der Lieutenant aus.

»Er und seine beiden Freunde,« antwortete ruhig der Doctor.

Die Franzosen trugen die Reisenden aus dem Flusse, während der halb entleerte Ballon, von einem wilden Strudel fortgerissen, wie eine ungeheure Blase dahinschwamm, um sich mit den Wassern des Senegal in die Katarakten von Guina zu versenken.

»Der arme Victoria,« rief Joe.

Der Doctor konnte eine Thräne nicht zurückhalten; er breitete seine Arme aus und zog, von mächtiger Bewegung überwältigt, seine Freunde an die Brust.

Vierundvierzigstes Capitel

Vierundvierzigstes Capitel

Schluß. – Das Protokoll. – Die französischen Niederlassungen. – Der Posten von Medine. – Der Basilic. – Saint-Louis. – Die englische Fregatte. – Rückkehr nach London.

Die Expedition, welche sich am Uferrande des Senegal befand, war von dem Gouverneur abgesandt worden; sie bestand aus zwei Officieren, den Herren Dufraisse, Infanterielieutenant von der Marine, und Rodamel, Fähnrich zur See, aus einem Sergeanten und sieben Soldaten. Seit zwei Tagen beschäftigten sie sich damit, eine geeignete Lage für die Aufstellung eines Postens in Guina ausfindig zu machen, als sie von der Ankunft des Doctor Fergusson Zeuge waren.

Man kann sich leicht eine Vorstellung von den Glückwünschen und Umarmungen machen, von denen die drei Reisenden fast erdrückt wurden. Die Franzosen, welche mit eigenen Augen dem Ausgang der kühnen Reise beigewohnt hatten, wurden die natürlichen Zeugen Samuel Fergusson’s.

Daher ersuchte sie der Doctor auch gleich zu Anfang, ihm seine Ankunft an den Katarakten zu Guina officiell zu beglaubigen.

»Sie werden nichts dagegen einzuwenden haben, das Protokoll zu unterzeichnen? fragte er den Lieutenant Dufraisse.

– Stehe gern zu Diensten,« war die höfliche Erwiderung.

Die Engländer wurden zu einem provisorischen, am Ufer des Flusses aufgestellten Posten geführt; sie fanden dort das aufmerksamste Entgegenkommen und Lebensmittel im Ueberfluß. Hier wurde in folgenden Worten nachstehendes Protokoll aufgenommen, das gegenwärtig im Archiv der Königlich Geographischen Gesellschaft zu London aufbewahrt wird:

»Wir Endesunterzeichnete erklären, daß am untengenannten Tage wir mit angesehen haben, wie Doctor Fergusson und seine beiden Begleiter Richard Kennedy und Joseph Wilson [Fußnote], im Netze eines Ballons hangend, hier ankamen, welcher besagte Ballon einige Schritte von uns entfernt in das Flußbett gefallen ist, von der Strömung mit fortgerissen wurde, und in den Katarakten von Guina unterging.

»Zur Beglaubigung vorstehender Angabe haben wir das gegenwärtige Protokoll unterzeichnet, contradictorisch mit den Obgenannten, behufs rechtskräftigen Beweises.

»Verhandelt an den Katarakten von Guina, den 24. Mai 1862.

V. G. U.

»Samuel Fergusson, Richard Kennedy, Joseph Wilson; Dufraisse, Infanterielieutenant von der Marine; Rodamel, Fähnrich zur See; Dufays, Sergeant; Flippeau, Mayor, Pélissier, Lorois, Rascagnet, Guillon, Lebel, Soldaten.«

So endigte die staunenswerthe Reise des Doctor Fergusson und seiner tapfern Begleiter, die durch unwiderlegliche Zeugnisse constatirt ist; sie befanden sich bei Freunden, unter gastlicheren Volksstämmen, die mit den französischen Niederlassungen in Verkehr stehen.

Sonnabend, den 24. Mai, waren sie im Senegal angekommen, und erreichten am 27. desselben Monats den Posten von Medine, der ein wenig nördlicher am Flusse gelegen ist.

Die französischen Officiere empfingen sie dort mit offenen Armen, und ließen ihnen alle nur erdenklichen Beweise der Gastfreundschaft zu Theil werden. Der Doctor und seine Begleiter fanden Gelegenheit, sich fast sofort auf einem kleinen Dampfer, dem Basilic, einzuschiffen, der den Senegal bis zur Mündung herabfuhr.

Vierzehn Tage später, am 10. Juni, kamen unsere Reisenden in Saint Louis an, wo sie der Gouverneur unter großen Ehrenbezeugungen empfing; sie waren von ihren Strapazen und Gemüthsbewegungen wieder vollständig hergestellt. Uebrigens sprach sich Joe gegen Jeden, der es hören wollte, etwa in folgender Weise aus:

»Im Ganzen und Großen war unsere Reise ziemlich eintönig, und Jemandem, der aufregende Abenteuer liebt, rathe ich entschieden von einer derartigen Unternehmung ab. Man wird der Geschichte leicht überdrüssig, und hätten wir nicht am Tschad-See und am Senegal einiges Interessante erlebt, so wären wir vor Langerweile umgekommen!«

Eine englische Fregatte wollte gerade in See gehen; die drei Reisenden begaben sich unverzüglich an Bord und kamen am 25. Juni in Portsmouth und folgenden Tages in London an.

Wir wollen keine Schilderung von der Aufnahme entwerfen, die sie in der Königlich Geographischen Gesellschaft fanden, noch von der Anerkennung sprechen, die ihnen überall entgegengebracht wurde. Kennedy reiste alsbald wieder mit seinem vortrefflichen Carabiner nach Edinburg ab; es drängte ihn, seine alte Haushälterin zu beruhigen.

Doctor Fergusson und sein treuer Joe blieben dieselben, wie wir sie auf der Reise kennen gelernt haben; doch hatte, ihnen selber unbewußt, eine Veränderung in ihrem Verhältniß zu einander stattgefunden.

Sie waren Freunde geworden.

Die Zeitungen von ganz Europa wußten in ihren Lobreden auf die kühnen Entdeckungsreisenden kein Ende zu finden, und der »Daily Telegraph« ließ an dem Tage, wo er einen Auszug der Reisebeschreibung veröffentlichte, fast neunhundertsiebenundsiebzigtausend Exemplare abziehen.

Doctor Fergusson erstattete in einer öffentlichen Sitzung der Königlich Geographischen Gesellschaft Bericht über seine aeronautische Expedition und erhielt für sich und seine beiden Begleiter die goldene Medaille zur Belohnung für die merkwürdigste Forschungsreise im Jahre 1862.